Römer

 

 

Röm 1,14 – 17 (3. Sonntag nach Epiphanias):

Es ist nicht schön, wenn man Schulden hat. Man muß ja immer damit rechnen, irgendwo dem Gläubiger zu begegnen und zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das ist uns unangenehm und kann vielleicht sogar auch gefährlich werden. Deshalb möchten wir dem lieber aus dem Weg gehen. Nun sagt Paulus aber hier: „Ich bin ein Schuldner gegenüber den Griechen und den Nichtgriechen!“ Er hat etwas erhalten, das er den anderen weitergeben soll: Er ist ihnen das Evangelium schuldig, das Gott ihm anvertraut hat.

Haben wir des vielleicht auch schon einmal so gesehen? Uns ist doch auch dieses Evangelium anvertraut. Wir sind doch getauft und konfirmiert. Aber mancher denkt, damit habe er nun seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Doch eigentlich geht es dann erst richtig los. Jetzt ist man doch erst eigentlich befähigt, das Evangelium unter die Leute zu bringen.

Da sind zunächst die nichtkonfirmierten Gemeindeglieder, an denen wir eine Aufgabe haben. Was haben sie denn von ihrer Taufe, wenn nachher nichts mehr erfolgt? Es ist doch schade, wenn man ein Geschenk achtlos in der Ecke stehenläßt. Vielleicht muß man erst durch einen anderen darauf gebracht werden, daß es doch etwas Wertvolles ist.

Da sind aber auch die Leute außerhalb der Gemeinde, die manchmal durchaus offen sind für Fragen des christlichen Glaubens. Da müssen dann Christen da sein, die ihnen das Evangelium verständlich nahebringen können. Aber dazu muß man wieder Bescheid wissen und sich in Glauben fortbilden lassen.

Allen sind wir das Evangelium schuldig: den Religiösen und den Nichtreligiösen, den Kirchlichen und den Nichtkirchlichen, den Suchenden und den Satten, den Idealisten und den Nihilisten. Wenn wir ihnen nichts abgeben von unserem Reichtum, dann karr es sein, daß sie uns einst unsere Schulden vorrechnen.

Hier wird deutlich, welche Verantwortung die Eltern gegenüber ihren Kindern haben oder auch umgedreht: die Kinder gegenüber den Eltern. Denn manchmal haben die Kinder mehr Verständnis als die Erwachsenen und können ihren Eltern im Glauben noch ein Vorbild sein.

In gleicher Weise haben aber auch die Frauen Verantwortung für ihre Männer und die Kirchentreuen für die sogenannten „Randsiedler“. Wie wichtig wäre hier auch ein Besuchsdienst, bei dem sich die Gemeinde um alle kümmert, auch um die Fernstehenden: Alle brauchen sie denselben Christus!

Dennoch hat Paulus jeder Menschengruppe dieses Evangelium anders verdolmetscht, wie sie es eben verstehen konnten. Zu Juden konnte er anders reden als zu Griechen. Auch heute kann man zu konfirmierten Gemeindegliedern anders reden als zu Atheisten.

Aber man muß darauf achten, möglichst allen etwas mitzugeben. Auch hier im Gottesdienst sitzen ja Menschen aus den verschiedensten Berufen, Alte und Junge, Männer und Frauen,

Menschen des praktischen Lebens und Menschen, die zur sogenannten „Intelligenz“ gerechnet werden. Alle haben sie Platz in diesem Gottesdienst.

Nur darf diese Aufteilung in Gruppen nicht zu einer Spaltung in der Gemeinde führen. Wenn einmal etwas gemacht wird, was hoffentlich mehr der Jugend entgegenkommt, dann sollten die anderen nicht gleich schimpfen. Die Jugendlichen machen ja sonst auch das mit, was viele andere besser anspricht als sie. Die Hauptsache ist doch, daß alle etwas aus dem Gottesdienst mitnehmen.

Dazu gehört aber auch, daß wir uns nicht nur hier innerhalb der Kirchenmauern zum Evangelium bekennen, sondern überall, wo wir gerade gehen und stehen. Es genügt nicht, wenn w i r selig werden und die anderer zugrunde gehen lassen. Paulus hat ja auch nicht gemeint, mit einem solchen Glauben könne man sich vor der Welt nicht sehen lassen. Man hat ihm offenbar vorgeworfen, er wage sich mit seiner Botschaft nicht in die Welthauptstadt Rom.

Nun war Paulus wohl kein großer Redner. Aber wer vor uns ist das schon. Aber er sagt: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht!“ Weil er vor dieser Sache überzeugt ist, kann er auch reden.

Sicherlich war es auch damals nicht leicht, sich zu einem Gekreuzigten zu bekennen. Man konnte leicht deswegen ausgelacht werden oder sogar mit dem Leben bedroht werden.

Auch wir dürfen dankbar sein, daß sich immer wieder Menschen zu diesem Jesus Christus bekennen.

In der damaligen DDR wurde ja das Christentum in der Schule aktiv bekämpft. Da wurde zum Beispiel gefragt, wer alles konfirmiert sei. Die ganze Klasse stand auf, auch die Nichtkonfirmierten. Die nächste Frage war, ob sie sich denn auch heute würden konfirmieren lassen. Wieder haben sich alle gemeldet. Dann wurde einer einzeln vorgenommen. Und auch er sagte: „Ich bin zwar noch nicht in allem so sicher, aber mit der anderen Hälfte glaube ich daran!“ Und das waren Schüler, die durchaus etwas zu verlieren hatten, wenn sie so mutig sprachen. Sie haben nicht nur hier im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis mitgesprochen, sondern haben sich auch in der Schule dazu bekannt. Vielleicht hat sie nur ihre Einmütigkeit gerettet. Oder war es vielleicht doch Gottes Hilfe, daß ihren nichts geschah?

Es braucht sich keiner wegen dieses Christus zu schämen, denn das Evangelium ist eine Kraft, die von Gott kommt. Dieses Wort Gottes kann Menschen rufen und in Dienst stellen,

von denen man es nicht erwartet hätte und die selbst auch nicht damit gerechnet haben. Es kann entlasten und frei machen zu einem neuen Anfang.

Wie oft versagen wir doch und müssen neu anfangen. Gott macht uns dazu immer wieder Mut. Damit wir aber auch eine sichtbare Stütze für dieses Wort haben, ist uns das Abendmahl gegeben. Bei einem Wort könnte man immer noch sagen: „Es ist ja n u r ein Wort!“ Beim Abendmahl aber passiert etwas, da kann man etwas sehen und schmecken, da ist das Glauben leichter.

Gott will uns hier seine Kraft mitteilen. Sie soll durch durchs uns hindurchgehen wie ein elek­trischer Strom. Und wir sollen sie weiterleiten zu anderen Menschen. So wie unsere Erde vor einem Netz von Kraftwerker und Leitungen umspannt ist, so reicht auch die Kraft des Evangeliums in die entferntesten Winkel. Vor allem hier will sie uns erreichen und zum Bekenntnis und zum Weitersagen stärken.

Das Evangelium will uns aber auch frei machen von dem Vertrauen auf die eigene Leistung. Paulus sagt: „Es gibt nur die Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt!“ Wie oft wollen wir allein recht haben und verteidigen uns zäh. Wie oft verurteilen wir andere und zeigen ihr Versagen auf. Wir fliehen vor der Stille, in der sich das Gewisser melden könnte. Mancher betäubt sich auch mit Alkohol oder ähnlichem oder läßt sich durch Bild und Ton überfüttern.

Mancher meint Erfüllung zu finden in seiner Arbeit, auch wenn er sich in Wahrheit kaputtmacht. Oder er beteuert, daß er ja nur für seine Kinder lebe und ihnen alles verschaffe. Aber im Grunde steht dahinter ein fürchterlicher Zwang, immer mehr leisten zu müssen, der einen Menschen fertigmacht.

Bei Gott gelten andere Maßstäbe. Er gibt uns das Abendmahl, ohne daß wir etwas geleistet hätten. Dadurch werden wir wieder seelisch entlastet und können wieder unverkrampft leben.

Wenn wir Gott alles zutrauen, dürfen wir auch fröhlich sein und werden Gott gefallen. Das Evangelium Gottes, seine gute Botschaft, macht uns zwar schuldig, zu Schuldnern aller Menschen. Aber es macht uns auch frei. Es nimmt uns die Scham und das Gehemmtsein gegenüber anderen Menschen. Und es macht uns frei von dem Zwang, immer etwas leisten zu müssen. Vielleicht sollten wir uns doch weiterhin ernsthaft auf diesen Gott einlassen und von ihm alles erwarten. Er wird uns dann reich beschenken.

           

 

Röm 2, 1 - 4 (Bußtag, Variante 1):

Wir haben alle das Bestreben, andere Menschen zu kritisieren. Weder denkt natürlich, seine Ansicht sei die richtige. Das ist ganz natürlich und es ist auch das gute Recht eines jeden Einzelnen, daß er seine Meinung vertritt. Ein anderer ist doch immer eine Herausforderung. Wir versuchen ihn bewußt oder unbewußt zu überzeugen und auf unsere Seite herüberzuziehen. Jeder möchte doch gern, daß seine Überzeugungen sich durchsetzen. Es wäre geheuchelt, wenn einer etwas anderes behauptet.

Wenn ich zum Beispiel gegen das Fernsehen bin, dann werde ich doch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit dieses Thema anschneiden und meine Meinung dazu vertreten und die anderer auch zu meiner Meinung bekehren wollen. Natürlich kann ich nur so auftreten, wenn ich selber zuhause dann auch keinen Fernsehapparat habe. Es wird niemandem genommen, gegen eine bestimmte Sache zu Felde zu ziehen; aber dann muß er auch entsprechend leben, sonst wird ihm seine Rede nicht abgenommen.

Das ist ja auch die Schwierigkeit bei einer Predigt. Gar mancher Prediger preist mit warmen Worten seine Glaubensüberzeugungen wie eine gute Limonade an. Aber die Leute fragen sich dann doch: „Trinkt der Mann auf der Kanzel zuhause auch die Limonade selber, die er so lautstark anpreist?“ Das heißt: Lebt er das auch, was er sagt? Und zur Kritik gar hat nur der das Recht, der an sich selber die gleichen strengen Maßstäbe anlegt.

Auf dem Sportplatz ist das ja immer interessant: Die Zuschauer wissen immer alles besser, sie hätten alles richtig gemacht. Aber man müßte einmal sehen, wenn sie selber auf dem Spielfeld stünden. Wenn man schon kritisiert, dann muß man es auch besser machen können.

Deshalb sagt Paulus hier auch: „Jeder, der hier richtet, kann keine Entschuldigung vorbringen. Denn wenn er einen anderen verurteilt, dann verurteilt er sich selber mit. Denn er tut dasselbe, was er an anderen kritisiert. Gott aber wird unparteiisch über jeden ein gerechtes Urteil aussprechen, je nach dem, was er getan hat.

Hier ist sehr gut beobachtet, wie man meist am anderen d i e Punkte tadelt, bei denen man selbst Schwächen hat. Das kann man immer wieder feststellen: Da wirft einer dem anderen Unduldsamkeit vor und dabei ist er selber intolerant. Ein Jähzorniger entdeckt den Jähzorn zuerst bei einem anderen. Und wer einen Angriff plant, der wirft dem anderen Aggressionslust vor. Von einem Krach in der Ehe bis hin zur großen Politik ist es immer dasselbe: Die eigenen Fehler sieht man nicht, aber einen anderen wirft man sie vor. Achten Sie ruhig einmal darauf und sie werden merken, wie oft das stimmt.

Außerdem ist es gut, bei Gerüchten erst einmal alles durch die „drei Siebe“ zu geben, von denen der griechische Philosoph Sokrates erzählt. Zu ihm kam einer gelaufen und war voller Aufregung. „Höre Sokrates, das muß ich dir erzählen, wie dein Freund -.. !“ - „Halt ein?“ unterbrach ihn der Meister: „Hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“ - „Drei Siebe?" fragte der andere voller Verwunderung? „Ja, guter Freund, drei Siebe. Laß sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles; was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“ - „Nein, ich hörte es erzählen und ...“ - So, so: Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst - wenn es nicht als wahr erwiesen ist -, so doch wenigstens gut?“ Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegenteil … !“ - „Hm, hm“, unterbrach der Weise, „nun laß uns auch das dritte Sieb noch anwenden und laß uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen; was dich so erregte!“ - „Notwendig nun gerade nicht …!“ - „Also“ lächelte der Weise, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr, noch gut, noch notwendig ist, so laß es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“

Aber soll das nun heißen, daß man gar nichts mehr am anderen kritisieren darf? In der Erziehung geht es gar nicht ohne Tade1 ab. Kinder oder Schüler müssen merken, was falsch und richtig war, damit sie sich beim nächsten Mal richtig entscheiden. Aber auch sonst ist Kritik an einem anderen Menschen sicher ab und zu einmal nötig. Ja, es wäre manchmal sogar lieblos, wenn man einen anderen nicht auf seine Fehler hinwiese, so daß er sich immer mehr hinein verrennt oder sich vor den anderen lächerlich macht.

Doch in jedem Fall sind wir auch selber angesprochen: Manche Predigten gehen einfach zum Fenster hinaus. Wir hören sie zwar, denken aber dabei: „Wenn doch jetzt der oder jener anwesend, wie gut täte ihm das doch! Dem hätte es der Pfarrer aber heute einmal gegeben!“

Paulus warnt uns hier und fragt: „Meint ihr denn, daß ihr dem Gericht Gottes entgehen werdet?“ Jeder hat selber seine Fehler, und eine Anklage kann leicht zurückkehren wie ein Bumerang. Dann gibt es keine Entschuldigung mehr, obwohl wir uns doch so gern entschuldigen wollen. Gott hat keine besonderen Lieblinge, denen er alles durchgehen läßt, sondern er hat alle Menschen in der gleichen Weise lieb.

Vielleicht gibt es wirklich Unterschiede zwischen den Menschen. Aber ist es etwa unser Verdienst gewesen, wenn Gott von Kindesbeinen hinter uns her gewesen ist? Ist es unser Verdienst, wenn wir uns freuen über Gottes Wort und Sehnsucht haben nach dem Abendmahl? Ist es unser Verdienst, wenn wir uns ein Leben ohne Gebet schon gar nicht mehr vorstellen können?

Nein, das war allein Gottes Güte, auf die wir uns nichts einzubilden brauchen. Genauso ist es Gottes Güte, wenn sein Zorn noch aufgeschoben wird, wenn er uns noch nicht bestraft hat. Aber er verfolgt eine bestimmte Absicht damit: Gottes Güte will uns zur Umkehr führen, er gibt uns noch einmal eine letzte Chance.

Das eigentliche Thema für Buß- und Bettag ist die Güte Gottes. Das ist überraschend, denn eigentlich erwarten wir doch eine Gerichtspredigt an so einem Tag - wenn nicht für uns selber, dann aber doch für die anderen. Aber sagen Sie selbst einmal: „Hat es denn überhaupt einen Sinn, nur Gericht zu predigen? Das geht doch zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus. Da sind wir nämlich sehr harthörig, das läuft an uns ab wie Wasser auf einer Ölhaut. Das Wort „Buße“ ist uns ja so geläufig, daß wir uns gar nicht mehr überlegen, was damit gemeint ist.

Paulus weist uns deshalb auf umgekehrtem Weg auf das Anliegen des Bußtages hin: „Gottes Güte leitet zur Buße!“ Wir denken immer: „Erst Buße tun, dann ist Gott uns gut!“ In Wirklichkeit ist es aber umgedreht: Gott i s t uns gut! Und wir müßten uns ja eigentlich schämen, wenn wir Gottes Gute so verachten und so ganz unbeeindruckt bleiben.

Wenn ein Kind böse war, dann haben die Eltern zwei Möglichkeiten, es wieder auf den rechten Weg zu bringen: Entweder durch Strafe., indem sie etwa mit dem Kind nicht mehr sprechen, oder durch Güte, indem sie das Kind beschämen und besonders freundlich zu ihm sind, so daß ihm seine Verfehlung erst recht deutlich wird.

Aber uns geht es oft auch so wie den dummen Kindern: Wir sehen Gottes Güte gar nicht und nehmen sie als selbstverständlich hin. Buße ist uns weithin ein unverständliches Wort. Es bedeutet „Umkehr zu Gott“. Aber wir nehmen doch selbstverständlich an, daß wir zu Gott gehören und eine Buße nicht nötig haben.

Ist Gottes Weg also falsch? Läßt sich die Welt doch nicht mit Güte regieren, weil diese Güte mißbraucht wird? Bonhoeffer hat vor der „billigen Gnade“ gewarnt. Und der Franzose Voltaire hat einmal gesagt: „Gott wird schon vergeben, das ist ja sein Geschäft!“ Aber so geht es sicher nicht.

Um dieses Mißverständnis zu vermeiden, redet Paulus in den folgenden Versen wieder vom Gericht. Man meint oft, mit der Taufe sei alles in Ordnung und durch die christliche Beerdigung wird das dann besiegelt. Aber Paulus sagt: „Das Gericht kommt. Es gibt keine billige Gnade! Aber wer begnadigt ist, der lebt dann auch nach dem Wort Gottes!“

Evangelium und Gesetz gehören also zusammen, aber so, daß das Evangelium das Erste ist: Wer die Liebe Gottes in ihrer ganzen Macht erkannt hat, der wird dadurch einfach zur Umkehr getrieben. Das Evangelium muß so deutlich gemacht und gehört werden, daß dabei auch das Anliegen des Gesetzes zur Geltung kommt.

An Gottes Güte u n d an Gottes Gericht will uns dieser Buß- und Bettag erinnern. Doch eigentlich ist das ja nicht nur für einen einzigen Tag im Jahr nötig, sondern immer. Deshalb hat Luther ja auch in der ersten seiner 95 Thesen betont: „Unser ganzes Leben soll eine einzige Buße sein!“ Dieses Umdenken ist niemals zu Ende gebracht und ist eine lebenslange Arbeit. Aber ab und zu werden wir wieder einmal an diese Aufgabe erinnert.

Früher gab es mehrere Bußtage im Jahr oder sie wurden von Fall zu Fall festgesetzt aus gegebenem Anlaß. Heute haben nur noch einen Buß- und Bettag. Umso nötiger ist die rechte Besinnung auf diesen Tag, besonders jetzt, wo dieser Tag nicht mehr arbeitsfrei ist und sein Anliegen unterzugehen droht im Getriebe des üblichen Alltags.

Buß- und Bettag bedeutet: „Erkenntnis der Güte Gottes, innere Umkehr zu Gott und äußerliche Änderung des Lebens.“ Das soll zum Schluß noch einmal deutlich werden an der Geschichte von Zachäus: Der war ein Zolleinnehmer in Jericho und nicht sehr beliebt. Aber Jesus geht gerade zu diesem verachteten Mann ins Haus und ißt mit ihm zu Hause. Jesus hat ihn wieder in die Gemeinschaft der Menschen und in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen. Aber als Zachäus die Größe der Güte Gottes erkennt, die ihm in Jesus begegnet ist, ändert er sein äußeres Leben auf der Stelle. Er will auch alles wieder gutmachen und den Schaden zurückzahlen, so gut es geht oder sogar noch mehr.

Buße kann allerdings nicht gezahlt werden, so wie man eine Geldbuße bezahlt, sondern sie muß g e t a n werden. Dann kann es auch wie bei Zachäus am Schluß heißen: „Heute ist diesen Hause Heil widerfahren!“ denn der Buß- und Bettag ist letztlich ein Tag des Heils.

 

Röm 2, 1 -12 (Bußtag, Version 2):

Am Abendbrottisch passiert einem Kind ein Mißgeschick: Eine Tasse fällt herunter. Aber ganz selten wird man hören, daß der Missetäter sagt: „Es tut mir leid, ich habe nicht aufgepaßt!“ Meist heißt es doch: „Die große Schwester hat mich geschubst!“ Oder auch: „Der kleine Bruder hat so gelacht, da mußte ich auch mitlachen, da ist es eben passiert!“ Meisterhaft können sich da die Kinder herausreden.           

Aber bei den Erwachsenen ist es nicht anders. Nur geht im Leben viel Wichtigeres entzwei als eine Tasse. Da ist eine Ehe kaputt gegangen. Fragt man den Mann, so heißt es: „Sie müßten einmal meine Frau kennenlernen, dann würden Sie mich verstehen!“ Spricht man jedoch mit der Frau, dann sagt sie: „Mein Mann ist unausstehlich!“ Und wenn einem die Nerven durchgegangen sind, sagt er: „Ich bin nun einmal so, wie ich bin!“

Es gibt da auch die Geschichte von der Frau, die der Pfarrer fragt, weshalb sie nicht zum Gottesdienst kommt. Ihre Antwort ist: „Ja, wissen Sie, Herr Pfarrer, ich würde ja so gerne kommen. Aber mir ist es zu kalt in der Kirche. Ich hab's am Herz und da kriege ich sofort immer kalte Füße!“ Zwei Jahre später trifft der Pfarrer die Frau wieder und fragt sie nach dem Gottesdienstbesuch. Sie weiß auch gleich eine Antwort: „Ja, wissen Sie, Herr Pfarrer, ich würde ja so gerne kommen. Aber da ist doch jetzt die neue Heizung in der Kirche. Ich hab's doch am Herz, da wird mir's ganz ängstlich zumute bei der warmen Luft!“

Entschuldigungen ohne Ende! Nichts ist so leicht, als sich für irgendein Versagen zu entschuldigen. Aber Paulus sagt: „Du kannst dich nicht entschuldigen, Mensch!“ Herausreden kann man sich; aber ob damit freilich die Schuld beseitigt ist, das ist dann schon eine andere Frage.

Allerdings sieht alles gleich anders aus, wenn es sich um das Versagen eines anderen handelt. Wenn uns selbst die Nerven durchgehen, dann erwarten wir, daß die anderen das entschuldigen. Wir sagen: „Ich entschuldige mich!“ Dabei geht das gar, wir können uns nicht selber von Schuld frei sprechen, sondern der andere muß erst unsere Entschuldigung annehmen.

Aber wenn einmal ein anderer ein hartes Wort fallen läßt, dann gelten auf einmal überhaupt keine Entschuldigungen mehr, selbst wenn der andere zum Beispiel total überarbeitet ist. Dann heißt es immer wieder: „So etwas darf eben nicht passieren!“

Wer hat da nun recht? Wie soll man da urteilen? Wo liegt denn hier der Maßstab, nach dem es gehen kann. Paulus läßt nur e i n e n Maßstab gelten: Gottes Urteil! Daran wird jeder gemessen, der andere und ich. Aber für jeden fällt das Urteil gleich aus. Es kann nur lauten: „Vor Gott ist niemand gerecht und es gibt auch für keinen eine Entschuldigung.

An diese Tatsache will uns alle Jahre ganz besonders der Bußtag erinnern. Er hat zwar eine etwas zweifelhafte Herkunft, denn er ist in früheren Jahrhunderten auf Befehl der Landesfürsten eingeführt worden und war ein Mittel zur Disziplinierung der Untertanen - wenn auch ohne Ergebnis. Aber das braucht uns ja nicht zu hindern, diesen Tag in echt biblischem Sinn zu verstehen.

Aber es gibt ein ganz anderes Hindernis, das diesen Tag nicht populär werden läßt: Die meisten von uns denken doch: „Wozu habe ich es nötig, Buße zu tun und mein Leben zu ändern? Bei mir ist doch alles in Ordnung, ich habe doch so etwas gar nicht nötig. An jedem anderen Tag gehe ich gern in die Kirche, aber nicht am Bußtag!“

Ja, das Wort „Buße“ hören wir nicht gern. Und wenn, dann beziehen wir es nicht auf uns oder wir sagen: „Doch ja, ich tue ja Buße!“ Aber wir sagen es nur und tun es nicht wirklich. Wir meinen, wir hätten uns längst geändert und unsere Buße getan. Aber das bleibt alles so                                          pauschal, daß es uns selber nicht weh tut. Wir sind zu Bahnkorrekturen bereit, aber nicht zur Umkehr.

Ursprünglich bedeutete „Buße“ die Ersatzleistung für bestimmte Vergehen gegen das Eigentum oder den guten Namen. Meist hat man dann Geld gezahlt, um alles wieder gutzumachen. Verkehrssünder zahlen ein Bußgeld und denken dabei: „Das nächste Mal laß ich mich aber nicht wieder erwischen!“

Aber bei dem, was die Bibel mit „Buße“ bezeichnet, dürfte es ja klar sein, daß das nichts mit Geld zu tun haben kann. Zwei Dinge gehören zur echten Buße: Sie muß täglich neu wieder beginnen und sie muß getan werden, alles andere ist nur Gerede und bleibt im Oberflächlichen. Am ehesten wird uns das noch deutlich werden, wenn wir ein anderes Wort verwenden, das heute auch nicht mehr so gebräuchlich ist: das Wort „Reue“. Hier wird deutlich, daß es da um ganz konkrete Sachen geht, die man jeden Tag neu wieder zu bereuen hat; und es ist auch deutlich, daß es mit der Reue allein nicht getan ist, sondern daß man auch versuchen muß, die Untat nach besten Kräften wiedergutzumachen.

Deshalb gilt der Ruf zur Umkehr gerade auch denen, die hierher zum Gottesdienst gekommen sind. Sie wissen ja von Gott und kennen seine Gebote und haben deshalb besondere Verantwortung. Deshalb ist es auch ganz gut für uns, wenn uns heute und an allen Tagen die Gebote Gottes nachgezeichnet werden. Der Pfarrer kann dabei nicht hoch über der Gemeinde stehen, sondern er hat sich genauso unter Gottes Wort zu stellen wie die anderen.

Es geht am Bußtag nicht um eine hochmütige Abrechnung mit denen, die möglichst ernst zu machen versuchen mit ihrem Glauben. Aber es geht um eine Bestätigung der Gebote Gottes und um eine Hilfe, sie auch zu verwirklichen.

Wir leben ja in einer Zeit, wo die Geltung der Gebote Gottes angezweifelt wird. Denken wir nur an das fünfte Gebot und wie sorglos man heute ist, wenn es um Krieg oder Verkehrsdisziplin oder Schwangerschaftsabbruch geht. Wenn Gewalt schrankenlos zur Durchsetzung der eigenen Ziele gebraucht wird und wenn die Normen von Gut und Böse tausendfach verletzt werden, dann ist es schon gut, sich wieder die jahrtausendealten Gebote Gottes vor Augen zu halten.

Wir müssen nicht immer zu allem bereit sein und jeder Ungerechtigkeit willig Gefolgschaft leisten. Gott hat uns die Fähigkeit gegeben, dem Bösen gegenüber Widerstand zu leisten, gegen das wir von uns aus tun wollen oder wozu man uns verleiten möchte. Gott orientiert uns immer wieder auf unsere Aufgabe, er warnt uns vor Abwegen und falschen Zielen und macht uns Mut zu einem Leben nach seinen Geboten. Auch und vor allem darum geht es am Bußtag.

Aber dazu ist es auch gut, wenn man zunächst einmal vor der eigenen Haustüre kehrte. Es wäre sicher sehr heilsam, wenn uns einmal nach dem Gottesdienst ein Tonfilm vorgeführt würde, mit der „Kamera Gottes“ aufgenommen. Vom Verlassen der Wohnung bis in den Gottesdienst hinein wären darin all die Situationen festgehalten, in denen wir in Gedanken, Worten und Werken den Mitmenschen lieblos abgeurteilt und uns selbst dabei tüchtig hochgespielt haben.

Auf dem Weg haben wir vielleicht gedacht: „Sieh an, der Nachbar geht spazieren, statt in die Kirche zu kommen!“ Aber haben wir letzten Sonntag nicht auch gefehlt? An der Kirchentür murmeln wir: „Den Dreckhaufen hätten sie aber wirklich schon wegräumen können!“ Aber warum haben wir ihn denn nicht selber weggeräumt? Während der Predigt ärgern wir uns über einen, der überhaupt nicht aufpaßt, sondern nur die Bilder an den Emporen studiert. Aber wir haben das doch nur deshalb bemerkt, weil wir selber unaufmerksam waren. Oder wir denken daran, daß uns in sechs Wochen Krankheit keiner besucht hat; jetzt sind wir schon vier Monate wieder gesund und haben selber noch keinen einzigen Kranken besucht.

Im Römerbrief heißt es, daß Gott uns nach den Werken fragen wird. Es geht nicht darum, daß wir fromm reden können und für jedes Versagen eine Entschuldigung bei der Hand haben, sondern es geht nur nach dem, was wir getan haben.

Sicherlich ist es ein Unterschied, ob einer sich ehrlich abmüht und doch immer wieder versagt oder ob er vorsätzlich ohne Glauben sein will. Aber wodurch sind wir denn fromm geworden und bis heute geblieben? Luther sagt es in der Erklärung zum dritten Glaubensartikel: „Nicht aus eigener Vernunft noch Kraft, sondern der Heilige Geist hat mich geheiligt, hat mich fromm gemacht!“

So ist also am heutigen Tag kein Anlaß zu einer Gardinenpredigt, sondern wir haben wie an jedem anderen Tag auch die Güte, Geduld und Langmut Gottes zu preisen. Diese erst führen zur Buße. Gott war es, der uns zur Gemeinde rief und dabei erhielt. Daraus ergibt sich dann erst die Frage: „Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Buße leitet?“ Ausgangspunkt ist also Gottes Güte. Das ist ein wichtiges und grundlegendes biblisches Wort, das ja auch einmal eine Jahreslosung war.

Gottes Güte ist also über uns ausgeschüttet, nicht damit sie uns als sanftes Ruhekissen diene, sondern um uns zur Buße anzuleiten. Wir können uns nur schämen vor Gottes unverdienter und unwahrscheinlicher Güte. Die richtige Folgerung daraus ist, daß wir miteinander umkehren und neu anfangen. Wir werden dann unseren Mitmenschen nicht aburteilen, sondern ertragen und lieben. Und wir werden ganz neu nach Gottes Willen fragen und willig werden, ihn auch zu tun.

 

 

Röm 3, 21 - 28 (Reformationsfest, Variante 1):

Wir begehen das Reformationsfest anders als früher. Es ist nicht mehr das Fest der Verehrung des Helden Martin Luther. Es ist auch nicht das Fest der Befreiung von mittelalterlicher Rück­ständigkeit. Es ist auch nicht das Fest der Persönlichkeit, die kirchlicher Bindungen nicht mehr bedarf.

 Hoffentlich bestimmen uns an einem solchen Tag nicht antikatholische Gefühle. Zur Zeit Luthers ist um etwas gerungen worden, was mehr oder weniger zum Besitz der ganzen Christenheit geworden ist. Auch in der römisch-katholischen Kirche hat es eine Reformation gegeben. Reformation ist überhaupt immer eine Aufgabe der Kirche.

Wir können an einem solchen Tag nicht mehr überholte Zerrbilder beleben. Es gibt zwar immer noch einige Übertreibungen in der Volksfrömmigkeit der römischen Kirche, die auch dort von den Theologen bekämpft werden. Und andererseits gibt es in unserer Kirche manches, was kritisiert werden müßte. Da können wir durchaus von denen „drüben“ lernen, das heißt von denen, die jenseits des noch immer bestehenden konfessionellen Grabens sind.

Die Frontstellung ist heute eine andere: Wir stehen mit den katholischen und den anderen Christen zusammen in einer Frontstellung gegen eine gottlose Welt. Die Frage Luthers nach einem gnädigen Gott ist so gut wie verstummt. Es stehen andere Fragen im Vordergrund, deren Gewicht wir nicht unterschätzen können.

Wir fragen etwa: „Wie soll es mit der Menschheit weitergehen? In welchen Ordnungen oder Unterordnungen wird sie leben? Wovon werden die Hungernden satt werden? Wie entgeht die Menschheit der Selbstvernichtung in einem dritten Weltkrieg?“

Aber darüber dürfen wir halt auch die andere Frage nicht vergessen: „Wie steht es zwischen Gott und uns?“ Diese Beziehung ist kein Luxus, den man sich leisten oder auf den man ebenso gut verzichten kann.

Wer so dächte, der hätte keine Ahnung davon, wer Gott ist. Und selbst wer nach ihm fragt, kann dennoch falsch liegen. Das war ja gerade das Mißverständnis, gegen das sich Luther wandte: daß man mit Gott ins Reine kommen wollte durch das, was man selbst zustande gebracht hatte.

Auch heute wird der Mensch in erster Linie nach seiner Leistung beurteilt. Die Gesunden und Robusten finden das auch ganz in Ordnung. Andere aber leiden unter dem Leistungsprinzip. Sie denken: „Ich bin doch keine Arbeitsmaschine. Ich bin ein Mensch, der ein Herz und eine Seele hat. Und ganz unter die Räder kommen dabei die Schwachen, Behinderten und Alten.

Die Nachdenklichen aber wissen: Das eigentlich Schöne im Leben kann nicht durch Leistungen erkauft werden.

Ein unbeschwerter Abend im Urlaub, ein gutes Gespräch unter Freunden, ein von Herzen kommender Kuß, ein dankbarer Brief - das ist alles ein Geschenk. Herbeizwingen kann man es nicht, es wird „gratis“ gegeben. Das Wort kommt vom lateinischen „gratia“ her, das wir mit „Gnade“ übersetzen. Und darum geht es ja in diesem Bibelabschnitt im Römerbrief, einem zentralen Abschnitt für die Reformatoren.

Man kann also nicht sagen, die Kirche gäbe immer nur Antwort auf Fragen, die keiner stellt. Wenn man von dem ausgeht, was „gratis“ gegeben wird, dann ist auch die Frage nach einem gnädigen Gott aktuell. Er kann auch heute unser Leben allein lebenswert machen und in die richtigen Bahnen lenken.

Durch Jesus hat Gott verkündet: „Für mich soll der Mensch nicht mehr mit seiner Leistung stehen oder fallen. Seine Kirchlichkeit, sein religiöses Leben, seine bürgerliche Wohlanständigkeit oder sein gesellschaftlicher Eifer - das alles ist für mich ohne Belang! Ich übertrage aber meine Gerechtigkeit auf die Menschen, die bereit sind, dieses unverdiente Geschenk anzunehmen!“

Doch vergessen wir nicht: Wenn wir auch vielleicht nicht nach Gott fragen, so fragt er doch uns. Er hat Ansprüche an uns, als der Schöpfer der Welt und als unser Schöpfer. Die Welt soll wieder ihm gehören, und wir zuerst. Er will bei uns zu seinem Recht kommen. „Gerechtigkeit“' ist ja nicht ein Zustand des Menschen, sondern die Frage nach der Gerechtigkeit entsteht ja erst dadurch, daß einer uns danach fragt und über unser Leben urteilt. Er will wissen, ob wir so sind, wie er uns gemeint hat, als er uns schuf und uns in der Welt unseren Platz

gab.

Dabei weiß Gott genau, da wir Sünder sind. Das bedeutet nicht nur, daß wir kriminell wären oder moralisch verkommen. Auch das muß Gott zwar in der Welt sehen, das Leiden, das die Menschen sich untereinander bereiten, das Blut das vergossen wurde, und die Trümmer, unter denen Menschen begraben wurden. Er hört die Schreie der Verzweifelten und das Weinen der Ungetrösteten. Das alles sind Folgen menschlicher Sünde.

Aber selbst wenn das nicht in unserem Sündenregister stünde, so gälte doch für uns das Generalurteil: „Sie sind allzumal Sünder!“ Gott kennt auch unsere versteckte Art zu sündigen, die sich unter einer Decke von Wohlanständigkeit verbirgt.

Luther hat in seiner Klosterzelle nicht darum so schwere Anfechtungen erlitten, weil er mit bestimmten greifbaren Sünden und Schwächen nicht fertiggeworden, wäre. Ihn plagte zwar die Eigensucht, der falsche Stolz, die durch Ichsucht vergiftete Gottesliebe. Aber der Abfall von Gott sieht sich von außen meist gar nicht als so etwas Belastendes aus. Trotz Händefalten und einigermaßen geordnetem Leben kann uns Gott fremd sein.

Rechtfertigung aber bedeutet: Gott wird wieder unser Gott und wir werden wieder seine Menschen, das was wir immer hätten sein sollen. Es stimmt ja gar nicht, daß der Mensch nicht darauf aus wäre, anerkannt zu werden. Nur sind es meist andere Menschen, auf deren „Ja und Amen“ es uns ankommt. Wir fragen eher: „Was werden, sie in der Schule dazu sagen? Wird es auch keine Schwierigkeiten in der Firma geben? Was sollen die Nachbarn denken?“ Aber wie Gott dazu steht, das nach fragen die wenigsten.

Deshalb gilt es auch heute, die von Gott geschenkte Gerechtigkeit auszurufen und anzubieten: „Fangt endlich an, Gott ernst zu nehmen! Wendet euch ihm entschlossen zu! Macht Ordnung in eurem Leben! Stellt euch Gott zur Verfügung!“

Das ist möglich, weil Gott unsere belastende Vergangenheit nicht anrechnet. Wir können halt nicht über unsren Schatten springen. Und es gibt eben Stunden, wo wir wünschten, niemand wäre Zeuge gewesen. Eine solche Vergangenheit macht uns unfrei und nimmt uns die Möglichkeit, wieder neu anfangen.

Gott aber erkennt uns an. Er sagt nicht: „Wenn du anders geworden bist, wollen wir noch einmal über dich und dein Schicksal miteinander reden!“ Gott sagt vielmehr: „Es ist alles in Ordnung, ohne Bedingung und ohne Bewährungsfrist. Und eure Leistungen spielen dabei keine Rolle. Die bösen Werke zählen nicht, weil Gott sie in die Tiefen des Meeres geworfen hat. Aber auch die guten Werke zählen nicht, weil sie zur Herstellung eines heilen Gottesverhältnisses nichts austragen. Der Glaube sieht nur auf das, was Gott getan hat und tut. Er interessiert sich nicht für das, was im Menschen vor sich geht, sondern für das, was Gott zu ihm sagt und für ihn tut!“

Doch mancher wird vielleicht fragen. „Was ist das für ein Gott, der seine Gnade so verschleudert? Er mißachtet doch sein eigenes Gesetz und verniedlicht die Sünde der Menschen mit all ihren verheerenden Folgen! Da gibt er sich doch selber auf als Gott! Der findet sich doch einfach mit dem Zustand der Menschen ab!“

Doch so ist das natürlich nicht. Dazwischen liegt ja ein bestimmtes geschichtliches Ereignis. Man merkt das bei Paulus in dem bereit aufatmenden „nun aber“ und dem Hinweis auf die „gegenwärtige Schicksalsstunde“. Die Rechtfertigung des Sünders ist kein Freibrief zum Sündigen, denn sie hat Gott allerhand gekostet. Die große Wende im Verhältnis zwischen Gott und den Menschen war nur möglich durch das blutige Opfer Jesu Christi.

Schon früher hat Gott die Sünde der Menschen um Christi Willen dahingehen lassen. Das geschah schon im Vorblick auf das, was in Jesus geschehen sollte. Aber nun ist dieses Ereignis mit dem Tod Jesu eingetreten und damit das bis dahin Aufgeschobene bereinigt und ausgeräumt worden.

Es ist ganz gut, daß wir dieses Werk nicht allein vollbringen können. Denn dann käme am Ende doch noch heraus, daß wir Gott im Grunde gar nicht brauchen. Bei Goethe sagt Prometheus, nach der griechischen Sage der Schöpfer der Menschen: „Wofür soll ich dich ehren, Zeus? Hast du nicht alles selbst vollendet, heilig glühend Herz?“ Das ist der Wahn des Menschen, der aus sich selbst leben will und alles allein leisten will.

Wie anders ist doch das, was uns die Bibel sagt und was Luther wieder neu ans Licht gebracht hat: Mit nichts können wir Gott besser ehren als so, daß wir uns von ihm ganz neu schenken lassen. Wenn wir Gott nichts zu bringen habe, dann befreit uns das doch sehr von allen Belastungen und Leistungszwängen.

Er macht uns aber frei, die Herrlichkeit Gottes in unserem Leben widerspiegeln zu lassen. Dann werden wir das Evangelium Gottes in unser Leben übersetzen können. Dann können wir auch anderen das Gefühl geben: „Ich bin bejaht, ich bin angenommen, jemand mag mich!“ Wenn wir anderen Menschen so begegnen, dann werden sie auch an den barmherzigen Gott glauben können.

 

 

 

Röm 3, 19b - 28 (Reformationsfest, Variante 2):

Das Reformationsfest kann heute nicht mehr so begangen werden wie vor 100 Jahren. Im Leben der Gemeinden ist etwas anders geworden. Deshalb beurteilen wir die Ereignisse auch heute anders, die damals in der Reformationszeit einen großen religiösen und geistigen Umschwung herbeiführten. Auf Denkmälern wird Luther meist als ein standhafter Held dargestellt, der er gar nicht hat sein wollen und der er auch nicht gewesen ist. Aber jede Zeit hat eben ihre eigenen Ideale in diesem Mann verkörpert gesehen, man hat das in ihn hineingelegt, was man selber gern hat sein wollen.

Im Jahre 1917 haben die deutschen Soldaten zum Reformationsfest gesungen: „…..das Reich muß uns doch bleiben!“ und sie haben dabei an den Fortbestand des Deutschen Reiches gedacht. Und in den Jahren nach 1933 ist sicherlich auch viel von einem überheblichen Nationalismus laut geworden, wenn man den „kerndeutschen“ Luther gepriesen hat, der sich gegen die südländischen Einflüsse der Papstkirche zur Wehr setzte.

Dabei geht es an diesem Tag gar nicht so sehr um die Person Luthers, sondern um die grundlegende Erkenntnis, die er wieder neu entdeckt hat: die Rechtfertigung des Sünders aus Gnade. Dieses Thema müssen wir immer wieder neu bedenken, sonst hätten wir nicht das Recht, uns „Evangelische“ zu nennen. Deshalb brauchen wir die Lutherbegeisterung vergangener Zeiten nicht zu verachten. Aber wir sollten doch lieber in das Innere der Werkstatt der Reformation eindringen, um so das Wesentliche zu erfassen und für die heutige Gemeinde nutzbar zu machen.

Außerdem hat sich ja auch in der katholischen Kirche gar manches geändert. Heute können auch katholische Theologen schreiben: „Alle Werke sind ausgeschlossen. Die Rechtfertigung geschieht durch den Glauben allein!“ Zur Zeit Luthers gab es noch einen Streit um dieses Wörtchen „allein“, das nicht im Urtext steht, von Luther aber sinngemäß eingefügt wurde, weil man den Sinn dieser Stelle im Deutscher nur so wiedergeben kann. Heute wird diese Übersetzung auch von den Katholiken als richtig anerkannt.

Es ist also im 16. Jahrhundert um etwas gefunden worden, was mehr zum Besitz der ganzen Christenheit geworden ist bzw. werden wird. Wir wissen nicht, ob denn die zwei wieder eins werden können. Aber warum sollte es nicht eines Tages möglich sein, so wie in manchen Orten aus Lutheranern und Reformierten eine Gemeinde wurde.

Wir haben jedenfalls keinen Anlaß, irgendeine „Los-von-Rom“ Begeisterung zu schüren. Der Herr der Kirche empfindet sicherlich Schmerz darüber, daß die Seinen getrennt sind. Unsere Aufgabe wird es immer bleiben, für die Einheit zu wirken. Aber wir müssen trotzdem unseren katholischen Mitbrüdern und erst recht den Nichtchristen eine Auskunft gegen müssen über das Wesen unseres Glaubens.

Für Luther war es noch selbstverständlich, daß es Gott gibt. Er fragte aber: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Heute aber ist schon die Grundvoraussetzung zweifelhaft geworden. Da werden nun gefragt: „Wo ist denn dein Gott?“ Auf diese Frage müssen wir Antwort geben können, egal ob nun ehrliches Interesse oder Spott dahinter steht.

Doch wir werden nur antworten können, wenn wir selber persönlich davon betroffen sind, so wie Luther von seiner Frage betroffen war. Eigentlich können wir nichts anderes sagen als dies: „Ich kann es nicht beweisen. Aber ich weiß, daß Gott da ist!“ Und dann wäre als nächster Schritt dran, nun näher zu erläutern, wie dieser Gott denn ist. Aus unsrem Predigttext können wir darüber drei Dinge entnehmen:

 

(1.) Gott gibt seine Gerechtigkeit: Gott ist selber gerecht. Er urteilt nicht nach Laune oder Gunst, er sieht die Person nicht an, er läßt sich nicht bestechen, und er kennt auch genau die Tatbestände, über die er zu urteilen hat. Gott ist ein gerechter Richter. Aber auch wir sollen gerecht sein, so wie Gott uns hat haben wollen, als er uns schuf und uns einen Platz in der Welt gab. Gott will, daß wir richtig sind, seinen Ansprüchen gerecht werden, so wie etwa ein Gegenstand materialgerecht geformt ist. Gott ist gerecht; aber wir sollen auch an seiner Gerechtigkeit Anteil haben.

Nu r sind wir eben meistens gar nicht nach dem Herzen und Willen Gottes geraten. Wir sind doch alle in der Lage eines Stellungssuchenden, der von Personalbüro zu Personalbüro eilt und immer wieder hören muß: „Nach den von uns eingezogenen Erkundigungen können wir ihnen kein Vertrauen schenken. Ihre Leistung entspricht bei weitem nicht den bei uns gestellten Anforderungen. Eine Anstellung kann deshalb nicht in Frage kommen!“

Selbst wenn man fromm ist, muß man nicht unbedingt vor Gott richtig sein. Paulus hat gerade hinter seinen frommen Leistungen eine gottfeindliche Haltung verspürt. Und Martin Luther ging es im Kloster ebenso. Wenn man Gott etwas bieten will, wenn man ihm die guten Werke vorrechnen will, dann ist man gerade nicht recht vor Gott. Gott sieht uns trotz all unserer guten Werke in all unserer Jämmerlichkeit, aber er will uns da auch wieder heraushelfen.

Wie oft kann man aber hören: „Was soll ich denn in der Kirche oder sogar beim Abendmahl? Ich versuche doch, nach den Geboten zu leben und ich bin mir keiner Schuld bewußt!“ So dachte auch der reiche Jüngling, den dem Jesus erzählt. Und doch mußte ihm Jesus sagen: „Du bist noch nicht ganz richtig. Eins fehlt dir noch!“ Aber wenn eins fehlt, dann ist eben das Ganze nicht in Ordnung.

Sicherlich ist es wahr, daß in der Kirche lauter Sünder sitzen. Wir sind einfach alle nicht so, wie Gott uns haben möchte. Aber es wäre falsch gedacht, wenn man nur zum Gottesdienst ginge, wenn man sich besonders sündig fühlt. Wenn wir uns stark und wohlanständig fühlen, haben wir genauso Grund dazu, Gott dafür zu danken. Wer aber zum Gottesdienst geht, der weiß wenigstens, daß wir voll und ganz auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind.

Wenn wir uns ehrlich eingestehen, daß wir mit leeren Händen zu Gott kommen, dann sind wir schon auf dem Weg zur Rettung. Wir wissen nicht, wie uns geschieht. Wir genügen den Anforderungen tatsächlich nicht. Aber wir werden von Gott anerkannt. Gott schenkt uns die Gerechtigkeit ohne irgendwelche Bedingungen, ohne eine Vorleistung, ohne irgendwelche Beweise der Besserung und ohne eine Bewährungsfrist. So ist Gott.

Um dieses „bedingungslos“ ging es in der Reformationszeit. Luther hat es in aller Klarheit wieder herausgestellt. Aber er hat dann auch die andere Seite nicht vergessen, daß ein Gerechtfertigter dann such gute Werke vollbringen kann. Erst der Glaube und dann die Werke,

aber beides doch ineinander, das war die Erkenntnis Luthers. Dennoch:

 

(2.) Gott wahrt bei alledem seine Heiligkeit: Gott drückt nicht beide Augen zu, er läßt nicht fünf gerade sein. Gott sagt nicht, mit dem Gesetz sei es nicht so genau zu nehmen. Er hat auch nicht nur einmal seinen guten Tag. Manche Leute sagen ja: „Das ist doch ein komischer Gott! Erst dringt er unerbittlich auf Gehorsam; aber wenn es ernst wird, gibt er klein bei und begnadigt die Rebellen und Versager. Damit untergräbt er doch seine eigene Autorität und mißachtet seine Gottheit!“

Aber Gott bleibt Gott. Und von seiner Heiligkeit geht nichts verloren. Einem gegenüber bleibt er nämlich unerbittlich, obwohl dieser als einziger in allem gehorsam war: Jesus Christus mußte spüren, was Autorität und Heiligkeit Gottes bedeutet: Er wird für völlig unheilig erklärt und stirbt den Tod des Gotteslästerers am Kreuz. Gott drückt nicht ein Auge zu, sondern er sieht genau hin. Aber er sieht nicht auf mich, sondern auf den Sohn, der am Kreuz hängt. Er bricht nicht dem Stab über uns Sünder, sondern über seinem Sohn, damit wir frei ausgehen.

Weil Gott aber mit aller Unerbittlichkeit seine Heiligkeit vor aller Welt gezeigt hat, kann er auch seinen Zorn beiseite lassen und den Sünder zum Heiligen erklären. Begreifen können wir das nicht mit unserem Verstand. Aber wir können es hinnehmen als ein übergroßes Geschenk.

 

 (3.) Bei alledem aber erhält Gott seine Ehre: Seine Ehre ist, daß er so gütig ist. Wenn man früher Verwandte oder Freunde einlud, dann schrieb man in feierlicher Form auf die Einladung: „Wir geben uns die Ehre, Sie zu unserem Fest einzuladen!“ Die Ehre bestand darin, daß die Eingeladenen die Einladung annahmen, am festgesetzten Tag erschienen und mit Freude und Dankbarkeit das annahmen, was der Gastgeber für diesen Tag vorbereitet hatte. Es ist eben eine Ehre, wenn man Gäste hat und mit ihnen Stunden fröhlicher Gemeinschaft genießen kann.

So geben wir auch Gott die Ehre, wenn wir seinem Ruf folgen, wenn wir uns ohne Scham beschenken lassen und etwas von der Freude eines schönen Festes nach außen spüren lassen. Gott gibt Gerechtigkeit, er wahrt seine Heiligkeit und er erhält von uns die Ehre, die er sich wünscht. Und wir können ihn nicht besser ehren als so, daß wir uns von seiner grundlosen Güte überwältigen lassen

 

 

Röm 5, 1 - 5 (6- 11) (Reminiszere):

Wir singen jeden Sonntag im Lied: „Ein Wohlgefall‘n Gott an uns hat, nun ist groß Fried ohn Unterlaß!“ Aber haben wir denn wirklich Frieden mit Gott? Wenn wir einmal herumfragen wollten, würden wir wahrscheinlich als Antwort hören: „Ja, ich habe Frieden mit Gott, ich habe nichts gegen ihn und er hat nichts gegen mich, jedenfalls nicht daß ich wüßte!“ Oder aber auch kurz und bündig: „Ich lasse ihn in Ruhe und er mich auch!“

Aber so klar und selbstverständlich ist dieser Friede nicht. Von Natur aus sind wir nämlich Feinde Gottes: Wir sind nicht nur „schwach“, so daß wir eher Mitleid verdienten. Nein, wir sind gottlos, haben uns von dem Schöpfer losgesagt, wollen selbständig sein. Wir haben uns auf die andere Seite gestellt und haben so mitgeholfen, Gottes Welt zu verderben.

Erst durch Jesus Christus haben wir Frieden mit Gott. Gott hätte seinen Zorn über uns ausgießen können. Aber stattdessen hat er seine Liebe ausgeschüttet in unsre Herzen. Für uns, die wir seine Feinde waren, hat er seinen Sohn sterben lassen. Dadurch haben wir nun Frieden mit Gott. Wir könnten sagen:

 

(1.) Wir haben freien Zugang zu Gott: Frieden mit Gott kann man nur haben, wenn man aus Gottes unverdienter Grade lebt und dabei auch bejaht, daß man nur Geschöpf Gottes ist. Jeder hängt sowieso von Gott ab, auch wenn er das nicht wahrhaben will und zornig verneint. Aber diese Abhängigkeit könnte man nicht Frieden nennen, weil sich da das Geschöpf immer noch gegen den Schöpfer sträubt.

wir wollen alle lieber unabhängig sein und uns nichts schenken lassen. Selbst wer fromm sein will, hält Gott immer noch gern die Eigenleistung vor. Der Ruhm gehört einfach mit zum Leben des Menschen dazu, er ist Ausdruck menschlicher Würde und Freiheit. Kein Mensch kann leben, ohne sich selbst zu achten und der Ächtung anderer gewiß zu sein. Deshalb ist er ehrgeizig und strebt nach Erfolg. Er ist empfindlich und will sich selbst verteidigen. Ein wenig Eitelkeit ist auch immer dabei.

Wer aber Frieden mit Gott hat, der weiß sich in allem von Gott abhängig. Doch er bekennt das nicht mit Zähneknirschen, sondern beglückt und dankbar. Die Abhängigkeit von Gott gibt Spielraum und macht aktiv. Da braucht man nicht mehr um sein Ansehen und seine Geltung zu kämpfen, nicht um Prestige und Beifall zu ringen. Man hat es nicht mehr nötig, sich nach vorne zu spielen, und Gott und den Menschen vorzuspielen, ein wie wichtiger Mensch man ist.

Gott zwingt seinen Frieden nicht auf, so wie einem unterworfenen Volk die Friedensbedingungen diktiert werden. Es ist auch kein unentschiedener Friede, wie er zwischen Parteien geschlossen wird, von denen keine die andere besiegen kann. Vielmehr ist es ein Friede, der uns aus freien Stücken von Gott geschenkt wird, jedem einzelnen und auch der ganzen Gemeinde.

Allerdings nehmen wir diese Tatsache oft zu selbstverständlich hin. Das ist ja auch ganz allgemein so unsere Art, daß wir die Erfahrungen und Errungenschaften früherer Generationen übernehmen, ohne darüber nachzudenken. Wir fahren Straßen entlang ohne zu bedenken, wer sie einmal gebaut hat; auch bei gesellschaftlichen Fortschritten denken wir nicht daran, daß unsere Vorväter sie oft hart erkämpft haben.

So gehört auch der Friede mit Gott wie selbstverständlich mit zu unserem Lebensgefühl. Dabei ist er sehr schwer errungen worden durch den Tod Jesu. Doch wir haben das Gefühl, daß Gott nichts gegen uns habe, als ob das immer so gewesen wäre und nicht anders sein könnte.

Aber sind wir mit Gott wirklich so einig? Ist der Zustand „da wir noch Feinde waren“

 wirklich schon überwunden? Solange wir zu essen und zu trinken haben, sind wir zufrieden mit Gott. Aber wenn er uns in einer Not nicht gleich hilft, dann sind wir böse auf ihn. Wir möchten Gott zum Knecht unserer Wünsche machen: Er muß immer da sein und immer gut sein!“

Uns geht es mit Gott oft so wie manchen Halbwüchsigen mit ihren Eltern: Wenn man Wünsche hat, müssen die Eltern immer da sein. Aber sonst will man sie möglichst los sein und sich keine Beschränkungen auferlegen lassen. So wollen wir auch oft „gott-los“ sein und versuchen, unser Selbstgefühl auf unsere Eigenschaften und Fähigkeiten zu gründen.

Wir möchten doch alle bei den Menschen gut angesehen sein, unter Kameraden und Kollegen wohl gelitten. Wir möchten unsere Leistung unter Beweis stellen oder auch nur mit hochfliegenden Plänen Eindruck machen. Wenn ein Vorhaben verwirklicht ist, dann freuen wir uns im Bewußtsein unseres Erfolges und unser Lebensgefühl ist erhöht Das meint Paulus, wenn er sagt: „Wir rühmen uns!“

Aber er verweist uns auch auf das, was der eigentliche Grund unseres Rühmens ist: die Liebe Gottes. Diese ist ausgegossen in uns durch den Heiligen Geist und macht uns unabhängig von unserer Selbsteinschätzung.

Paulus meint sogar, daß wir uns auch unserer Trübsale rühmen können. Wenn Gott Frieden mit uns hat, dann bedeutet das ja nicht, daß er uns in Ruhe läßt. Wir haben es nicht leicht in der Welt. Die Trübsale gehören mit zu jedem Christenleben dazu. Bitteres Leiden macht viele Menschen buchstäblich schwach, auch glaubensmäßig.

Not lehrt nicht zwangsläufig beten, sondern mancher hat dabei auch den Glauben verloren.

Das Leiden ist auch nicht dazu da, um die Menschen zu schulen und zu bessern. Manche sehen die Aufgabe der Seelsorge ja darin, Wege zur Selbsthilfe zu zeigen: der Mensch müsse selber sein Leid bewältigen und sich darin bewähren, es müsse ihm gezeigt werden, wie man sich in sein Schicksal fügt.

Paulus kennt die Grenzen solcher Selbsthilfe. Er hat an sich selber gesehen, wie wenig ihm das bei seiner Krankheit genützt hat. Deshalb baut er nicht auf seine menschliche Vollkommenheit, sondern setzt seine Hoffnung auf Gott. Er liebt uns unverdientermaßen, aber doch ganz und restlos. Wir brauchen uns diese Liebe nur noch gefallen zu lassen. Auch Zerreißproben kommen dann nur aus der Liebe Gottes. Dann wissen wir uns auch bei äußeren Lasten umgriffen von den Händen Gottes und seiner Liebe.

Friede mit Gott bedeutet freien Zugang. Wir werden bei Gott jederzeit vorgelassen. Wir brauchen uns vor der Begegnung nicht zu fürchten, sondern Gott freut sich, wenn wir kommen. Jesus hat uns ja dem Zugang zu ihm eröffnet. Damit ist nicht nur der Gebetskontakt gemeint. Das ganze Leben ist im ständigen Kontakt mit Gott, auch wenn man nicht die Hände faltet, oder bestimmte Worte an Gott richtet. Wir dürfen immer mit Gottes Nähe rechnen und seiner Zuwendung gewiß sein. Das gilt heute und für alle Zeit:

 

(2.) Wir haben begründete Hoffnung auf Gott: Wenn einer ein Haus baut, dann freut er sich auf den Tag, an dem es fertig sein wird; das läßt ihn die Strecke der vorangehenden Mühsal durchstehen. Vorfreude ist ein Zeichen der Hoffnung, die der Mensch braucht. Es fragt sich nur, worauf er hofft. Der Christ wartet auf die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Darin ist alles eingeschlossen, was man für Mensch und Welt hoffen darf.

Dann kann man auch den schweren Weg Christi gehen und sogar noch auf die Trübsale stolz sein, die einem zugedacht sind. Natürlich muß man nach Kräften versuchen, Leiden zu lindern. Aber oft ist auch ein Annehmen dessen notwendig, was Gott uns verordnet hat. Das ist gewissermaßen der Echtheitstest, dem ein Christ sich willig unterzieht. Bewährung bringt Hoffnung. Je fester wir dabei an Christus gebunden sind, desto gewisser wird auch die Hoffnung.

Natürlich ist unsere Welt immer noch unsicher. Angesichts der allgemeinen Weltlage und der erschreckenden Entartungen der Menschen könnten wir schon fragen: „Haben wir noch eine Zukunft, auf die wir uns freuen können?“ Aber solche Schwierigkeiten sind für einen Christen nicht mehr Grund zum Aufruhr gegen Gott, sondern ein Grund zur Freude und zur Hoffnung. Gott will uns ja nicht ärgern, sondern er traut uns zu, daß wir mit Trübsalen fertigwerden und innerlich daran reifen. Solange uns Gott noch Trübsale schickt, denkt er groß von uns und gibt uns nicht verloren.

Doch Paulus ist nicht von Natur aus ein Optimist, so daß er so reden kann. Wir müßten seine grenzenlose Zuversicht für einen schönen Traum halten, wenn er nicht dazu sagte „durch Christus“. Nur deshalb haben wir eine Hoffnung.

Im Schiffsbau hat man Rettungsinseln entwickelt, die ringsum abgedichtete Kammern darstellen. Sie werden auf der stürmischen See auch stark herumgeworfen und unter Umständen vielleicht sogar auf den, Kopf gestellt. Aber sie sind praktisch unsinkbar. So sieht Paulus auch das Leben des Christen: Er mag auf dem Meer der Geschichte herumgeworfen und vielleicht sogar auf den Kopf gestellt werden. Aber er ist im letzten Grunde unsinkbar, weil der Herr der Geschichte seine Zukunft sichert. Er holt uns in den rettenden Hafen und nimmt dadurch allen Ängsten und Sorgen ihre Wucht, auch schon heute.

Gott macht uns immer wieder deutlich: „Ihr seid mir lieb und wert, weil Jesus euch für wertvoll genug hielt, für euch zu sterben. Gott muß uns liebhaben, sonst wäre es schon hundertmal nicht weitergegangen in unserem Leben. Mit Geduld und Hoffnung überstehen wir die Gefahren des Lebens, seine Nöte und Leiden. Wir lernen, den Mut nicht sinken zu lassen und immer wieder alles von Gott zu erwarten.

Als eine Frau die Nachricht erhielt, daß ihr Sohn gefallen sei, da dachte sie zuerst, die Welt müsse für sie untergehen. Dann ging sie am Sonntag zum Gottesdienst. Auf dem Weg dorthin war sie noch traurig und bedrückt. Aber dann hat der Pfarrer ein Bibelwort ausgelegt, das sie so angesprochen hat, wie nachher nie wieder. Als sie nach Hause ging, war sie ein anderer Mensch. Sie konnte wieder froh und zuversichtlich sein, weil Gottes Wort ihr wieder Mut zum Leben gegeben hat. Hinter allem Leid hat die Frau doch die Liebe Gottes herausgespürt. Und sie hat an der Hoffnung festgehalten, die nicht zuschanden wird. Das ist der Weg, auf den, Paulus uns alle stellen möchte und den wir im Vertrauen auf Gottes Liebe getrost gehen können.

 

 

Röm 8, 31b – 39 (Altjahrsabend):

Der Jahreswechsel ist ein Ereignis des bürgerlichen Jahres und ist im Grunde eine ganz willkürliche Festsetzung, denn die Wintersonnenwende war ja schon früher. Andere Zeiten und Völker begingen und begehen die Jahreswende zu anderen Terminen. Die Juden haben zum Beispiel ihr Neujahrsfest in Herbst nach dem Abschluß der Ernte und sie zählen seit Adam und Eva. Mit einer Tatsache der Heilsgeschichte hat also der heutige Tag nichts zu tun. Und das Kirchenjahr hat schon mit dem 1. Advent begonnen.

Dennoch begehen wir den Jahreswechsel mit Gottesdiensten. Hier wird uns nämlich bewußt, daß die Zeit nicht anzuhalten und zurückzudrehen ist, aber auch nicht vorauszunehmen ist. Alle Zeit empfangen wir aus den Händen Gottes als Geschenk. An Markierungspunkten wie dem Jahreswechsel könnte uns das wieder einmal bewußt werden. Doch wir sollten nicht versuchen, den Jahreswechsel nur religiös zu garnieren und den lieben Gott für allerhand nur menschliche Gedanken in Anspruch nehmen. Gott ist nicht der, der immer gut aufpaßt, daß uns nichts Unerwünschtes zustößt. Erst recht geht es nicht um Garantien Gottes für das kommende Jahr.

Zunächst einmal sollten, wir vielleicht zurückschauen. Dieser Abschnitt aus dem Römerbrief macht uns deutlich, daß wir uns vor dem Gericht Gottes zu verantworten haben. Wir sprechen meist nicht von Gott, sondern eher vom „Schicksal“: Mißliche oder glückliche Lebensumstände, Schwierigkeiten oder Erfolg im beruflichen Leben, unerfüllte oder verwirklichte Wünsche, gestörte oder beglückende Beziehungen zu den Menschen - das ist so die Ebene,

auf der sich das Nachdenken über unser Leben meist bewegt. Dabei wäre es auch gut, sich in Dankbarkeit zu üben und auch einmal die Pluswerte wirklich wahrzunehmen und richtig zu schätzen.

Doch noch wichtiger ist die Frage: „Wie steht Gott zu mir? Wie urteilt er über mich, wie kann ich vor ihm bestehen?“ In wach erlebter Todesgefahr geht es nicht mehr um Erfolg, Besitz und Ansehen, geht es nicht mehr darum, was Gott uns gewährt oder was er verweigert. Es wäre an sich ganz gut, wenn wir solche schwierigen Situationen schon im voraus in unserem Gewissen durchspielen würden; da könnten wir uns auch darin einüben, mitten in der Bedrängnis dieser Zeit auch an das Letzte zu denken und im Herzen zu bewegen.

Es könnte einer anscheinend im Glück schwimmen, aber Gott steht gegen ihn. Ein Menschenleben könnte aber nichts von Glanz und Glorie aufweisen, aber Gott sagt dennoch sein „Ja“ zu diesem Menschen. Nach dem äußeren Anschein kann man da nicht gehen. Es geht mehr darum, mit Gott im Frieden und in ungetrübter Gemeinschaft zu leben, sein Ebenbild zu sein. Das ist das, was die Bibel mit Gerechtigkeit“ meint.

Danach sollten wir streben, und nicht danach, daß wir auch unsre verschiedenen Schäfchen ins Trockne gebracht haben. Die alles entscheidende Frage lautet, ob Gott sein „Ja“ zu uns hat sagen können, ob er sagen kann: „Ja, so habe ich mir meine Welt gedacht. So wünsche ich mir die Menschen, die ich mir als mein Gegenüber erschaffen habe, um sie liebzuhaben und von ihnen wiedergeliebt zu werden!“

Wenn man die Welt betrachtet, dann müßte man sagen: „Gott ist gegen uns!“ Auch im vergangenen Jahr haben wir ihn wieder enttäuscht. Wir brauchen dazu nur die Schreckensmeldungen heranzuziehen, die durch Presse und Funk gegangen sind. Wir werden aber auch an unsere persönlichen Verfehlungen denken. Statt der Gewalt zu entsagen, haben wir den Krieg nur durch Abschreckung zu verhindern gewußt.

Von uns ist nicht die Kraft ausgegangen, Krankes gesund zu machen, nicht einmal in unserem engsten Lebenskreis. Und so leidet Gott an seinen Menschen. Gott aber begegnet unserer Abkehr von ihm mit seiner Liebe und seiner Zuwendung zu uns. Ist Gott für uns, da gibt es nichts, was uns von der in Christus erschienenen Gottesliebe trennen kann. Gott verurteilt zwar die Sünde, aber den Sünder will er retten.

Im letzten Gericht wird es Menschen geben, die uns verklagen. Wir haben sie enttäuscht, verletzt, gekränkt, übersehen, im Stich gelassen; sie haben an unsrer Lieblosigkeit, Feigheit und Habsucht gelitten und sind vielleicht daran kaputtgegangen. Als Betroffene und Zeugen werden sie dann gegen uns auftreten.

Aber sie sind nicht einmal unsere schlimmsten Gegner. Paulus spricht von feindlichen Mächten, deren Haupt der Satan ist. Er versteht die Sünde als eine persönliche Macht, die mit unserer Schuld operiert. Das Schuldkonto eines Menschen stellt immer die große Chance des Erpressers dar. Wenn einer belastet ist und es bei ihm um Kopf und Kragen geht, der wird sich immer mehr hineinreiten und zuletzt keinen Ausweg mehr sehen.

Ein schwer belasteter Angeklagter wird aber seinen Prozeß unerschüttert überstehen, wenn er von vornherein weiß: „In letzter Instanz werde ich freigesprochen!“ Diese Unverwundbarkeit werden wir aber nicht als etwas Selbstverständliches hinnehmen dürfen. Hier werden nicht beide Augen zugedrückt, sondern Christus steht zur Rechten Gottes und setzt sich für uns ein. In ihm haben wir einen Anwalt, der unseren Prozeß gewonnen hat, ehe er begann. Er hat sich selbst für uns geopfert, und deshalb sind wir nun gerecht.

So ist am Silvesterabend die Frage nach der Bilanz unseres Menschendaseins schon zu unseren Gunsten entschieden. Wir brauchen uns weder feige herauszureden noch den Mut sinken zu lassen. Vielmehr können wir unseren Weg als die Entlasteten und Befreiten gehen und sind deshalb unverwundbar. Dazu ermutigt uns Gottes Wort, wie es Paulus aus seiner Erfahrung heraus formuliert hat.

Nun könnten wir vielleicht vermuten: „Ja, der Paulus, der hatte es halt leichter. Das war noch eine andere Zeit, damals stand man viel mehr im Glauben!“ Aber Paulus hat auch oft Strapazen, Leiden und Anfechtungen ausgehalten, er war auch ein geplagter Mensch. Und doch sagt er: „In dem allem überwinden wir weit!“

Im Letzten sind wir Gewinner. Aber im Vorletzten müssen wir noch durch manche enge Gasse. Paulus zählt auf: Bedrängnis, Ausweglosigkeit, Verfolgung, Hunger, Nacktheit, Gefahr und zuletzt das Schwert des Henkers. Christliche Existenz ist nicht eine Sache der glatten und bequemen Lösungen. Aber wir sollten auch nichts dramatisieren. Auch wo das Christsein kleine Opfer und Einbußen mit sich bringt - „Schlachtschafe“ sind wir noch lange nicht.

Wir sind auch bemüht, Störungen und Gefährdungen des menschlichen Lebens nach Möglichkeit auszuschalten. Wenn sie doch eintreten, dann wollen wir sie beheben. Und so haben wir im zu Ende gehenden Jahr unseren Beitrag zu einem möglichst gesunden und sicheren Lauf der Welt geleistet. Das ist das eine.

Noch wichtiger ist das Bewußtsein, wie es Paulus gehabt hat. Er hat sein irdisches Leben schon für verloren gehalten, aber er lebte in der Perspektive der Auferstehung. In schwerer Krankheit kann er seine letzte Stunde für gekommen halten, aber die Liebe Gottes trägt und bewahrt ihn. Er kann allem mit Ruhe und Gelassenheit in die Augen sehen, was ihn auch bedroht und ängstigt. Von seiner Position her ist er dem allem weit überlegen.

An Silvester liegt es nahe, Gegenwärtiges und Zukünftiges als beunruhigend zu empfinden. Wir fragen: „Was ist und was kommt?“ Aber Paulus will uns deutlich machen: „Wir brauchen uns nicht zu sorgen, auch wenn Vieles da ist, das uns Sorgen machen könnte!“: Wir könnten Angst haben vor dem Tod. Wir könnten ja irgendwo schon unerkannt die ersten Zellen eines bösartigen Gewächses mit uns herumtragen. Keiner wünscht sich das Leiden und keiner ist feige, wenn er sich davor scheut. Aber auch im Leiden kann man, Gott ehren und lieben und die Liebe Gottes erfahren.

Wir könnten auch Angst haben vor dem Leben. Ja, auch so etwas gibt es. Wir brauchen gar nicht an die zu denken, die ihrem Leben selbst ein Ende machen wollen. Menschen drohen auch daran kaputtzugehen, daß sie dem nicht gewachsen sind, was von ihnen gefordert wird.

Es gibt Menschen, die auf der Liste der kriminell Gefährdeten stehen und da auch nur schwer herauskommen. Aber wer Gott kennt, der weiß auch: Gott wendet sich dem am meisten zu, der ihn am nötigsten braucht.

Angst vor Hohem oder Tiefe im Sinne von Sternenaberglauben gibt es bei uns nicht mehr so viel.4 Wir wissen, daß zwar die Sterne nicht lügen, wohl aber die Menschen, die daraus etwas lesen wollen über das Schicksal der Menschen. Wohl aber könnten uns die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt Angst machen, jene allgemeinen Strömungen und Verblendungen bis hin zur Massensuggestion und zu kollektiven Rauschzuständen. Wir denken aber auch an die Umwälzungen in Gesellschaft und Wirtschaft, die aus heiterem Himmel kommen und zwangsläufig zu sein scheinen: Da werden Betriebe zusammengeschlossen, Arbeitsplätze verlegt, neue Maschinen eingeführt, ein neues Abrechnungssystem ausprobiert - alles ist im Fluß, wir werden verunsichert.

Aber Gottes Liebe macht all diese Mächte zu etwas Vorläufigem, im Grunde längst Überholtem und Überwundenen. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Wir brauchen keinen Heiden-Respekt mehr vor unerkannten Mächten zu haben, sondern wir haben einen allmächtigen Gott, bei dem wir uns geborgen wissen dürfen.  Wir wissen nicht, was das kom­men­de Jahr uns bringt; aber wir wissen, wer alles in seiner Hand hat.

 

 

Römer 6, 3-8 (6. Sonntag nach Trinitatis):

Der Taufstein bildet zusammen mit Kanzel und Altar ein Dreieck: Taufe, Predigt, Abendmahl - da sind die Grundlagen unseres Glaubens. Wie viele Kinder sind wohl schon an so einem Taufstein getauft worden, wie viele werden wohl noch getauft werden? In vielen alten Kirchen steht noch ein Taufstein, in den die Kinder bei der Taufe wirklich eingetaucht wurden. Auch in Luthers Taufkirche in Eisleben hat man jetzt neuerdings in Taufbecken zum Untertauchen für Erwachsene gebaut [Hier eventuell örtliches Beispiel].

Mit dem Untertauchen wollte man symbolisch darzustellen, was Paulus im Römerbrief beschreibt: Durch die Taufe wird man mit Christus begraben in den Tod, damit man hinterher mit Christus auferstehen und ganz neu leben kann. Luther hat es im Großen Katechismus so formuliert: „Unser alter Mensch soll jeden Tag ersäuft werden, damit auch jeden Tag ein neuer Mensch herauskommen kann!“

Taufe ist also kein einmaliger Akt, den man hinter sich bringt und dann ist alles mit Gott in Ordnung, für das ganze Leben. Nein, das Leben ist ein Kampf, jeden Tag wieder neu, ein Kampf um unseren Glauben und um ein Leben, wie es Gott gefällt.

Daß der Sünder noch in uns lebt, erfahren wir täglich. Oft werden wir mutlos und sagen: „Ich werde es ja doch wieder nicht schaffen!“ Wir möchten gemeinschaftsfähiger werden, zuverlässiger und sauberer, weniger auf uns selbst konzentriert. Dazu sollen ärztliche Therapien, pädagogische und psychologische Maßnahmen helfen. Doch Paulus lenkt den Blick auf den Glauben und auf die Taufe.

Die Taufkerze, die den Kindern bei der Taufe mitgegeben wird, soll daran erinnern. Als kürzlich meine Frau mit einer früheren Kollegin telefonierte, erwähnte diese, daß ihr Kind jetzt ein Jahr alt werde. Meine Frau fragte, ob sie denn da auch die Taufkerze anzünde. „Ja“, sagte die Frau, „das ist doch klar!“ Diese Frau ist katholisch. Aber sicher machen das auch unsre Gemeindeglieder so, daß sie an den Geburtstagen der Kinder und vielleicht auch bei anderen Gelegenheiten die Taufkerze anzünden.

Aber wäre es nicht besser, man hielte den Menschen vom Sündigen ab, indem man ihn auf die bösen Folgen seines Tuns hinweist? Durch Abschreckung und Drohung mit Vergeltung könnte man einen Verbrecher vielleicht eher von der Wiederholung seiner Tat abhalten als wenn er Hoffnung auf eine Therapie und die vorzeitige Entlassung hat! Wenn immer nur Vergebung geredet wird. dann hat man doch gar keinen Anlaß, vom Bösen zu lassen.

Herzog Georg der Bärtige war ein entschiedener Gegner Luthers und seiner Lehre von der Vergebung. Doch als sein Sohn im Sterben lag, wies er ihn auf die Erlösung durch Christus hin, die allein entscheidend sei, mehr als die eigenen Verdienste und die der Heiligen. Seine Schwiegertochter fragte ihn, weshalb er das nicht öffentlich sage und dadurch Luther zustimme. Da sagte er: Das darf man nur dem Sterbenden zum Trost vorhalten, denn wenn alle wüßten, daß man allein durch Christus selig wird, dann würden sie gar zu ruchlos und würden sich gar nicht um gute Werke bemühen!

Zum Glück brauchen wir aber die Botschaft von der Gnade Gottes nicht zu verheimlichen. Zur Erneuerung des Lebens kommt es nur da. wo man allein von der Gnade lebt. Paulus setzt sich ja hier mit dem Einwand auseinander: Wer auf die Übermacht der Gnade vertraut, verzichtet auf den Kampf gegen die Sünde. Er verführt sich und andere dazu, im Vertrauen auf die Vergebung Gottes erst recht zu sündigen. „Gott wird schon vergeben, das ist ja sein Geschäft!“ spottete der französische Philosoph Voltaire.

Die allgemeine Ansicht lautet: Man muß nachdenken über sich und die Welt, aus diesem Nachdenken die Folgerungen ziehen und an sich arbeiten. Man muß sein Denken und Wollen, seine Entschlüsse und Taten in den Griff bekommen. Man muß sich in bestimmte Verhaltes- weisen einüben und um das Gute bemühen, um das Böse abzuwehren.

Paulus aber spricht in diesem Zusammenhang von der Sünde und will, daß wir unsere belastete Situation vor Gott realistisch sehen. Sünde ist Ungehorsam und Aufruhr gegen Gott. Sie ist nicht nur ein menschliches Versagen, sondern sie ist eine widergöttliche Macht, die uns ge­fangenhält. Doch das heißt nicht: Da habe ich keine Chance! Wenn die Sünde eine solche Herrschaft ausübt, wenn es um einen Kampf zwischen Gott und der Sünde geht, dann muß ich als schwacher Mensch doch auf jeden Fall unterliegen. Es ist tatsächlich nicht mit dem mutigen Entschluß getan, „ab morgen“ ein besserer Mensch zu werden.

Mit zwei Bildern wird das verdeutlicht. Zunächst spricht Paulus vom Abwaschen. In der Taufe wird alles abgewaschen, was das Leben verdirbt. Manche Leute fühlen sich ja in ihrem Dreck wohl. Aber in der Regel ist man doch froh, wenn man wieder einmal richtig sauber ist, sich schön anziehen kann und frisch gekämmt und rasiert in die Welt hinausspazieren kann. Da fühlt man sich doch gleich wie ein neuer Mensch.

Es ist uns auch peinlich, wenn Besuch kommt und wir sind schmutzig. Da waschen wir uns noch schnell die Hände, ehe wir den Besuch empfangen. Das Gleiche wäre aber auch für unsren inneren Menschen notwendig. Wir können nicht von außen piekfein sein und innerlich verkommen. Aber im Inneren kann uns nur Gott wieder richtig weiß machen. Er macht uns weiß, weißer geht es nicht! Deshalb hat man ja auch früher den Täuflingen nach der Taufe ein weißes Kleid angezogen.

Das andere Bild, das Paulus benutzt, ist das Sterben. Paulus meint, daß man aus all dem Bösen nur herauskommt, wenn man stirbt. Natürlich fragen wir: Was soll denn da sterben, zumal bei uns meist Kinder getauft werden? Ein neugeborenes Kind hat doch nichts Böses getan und es hat das Böse auch nicht von seinen Eltern geerbt. Aber wir wissen, daß es einmal Böses tun wird. Es wird den Eltern ungehorsam werden und es wird Gott ungehorsam werden - so wie

jeder Mensch. Damit aber jeder wissen kann, daß er dennoch zu Gott gehört, taufen wir schon

Kinder. Nur ist es damit nicht getan, sondern das Neuwerden wiederholt sich jeden Tag. Die Taufe ist nur ein Anfang, aber sie wirkt für das ganze Leben und sogar über dieses irdische Leben hinaus.

Natürlich sollen wir nicht ganz und gar sterben: Aber der alte Mensch in uns, der muß abgetan werden. Einen Toten kann niemand mehr zwingen. von ihm kann man keine Schulden mehr eintreiben. Wenn man einer Tyrannei entgehen will, muß er die Grenze des Gewaltstaates hinter sich lassen und ist frei. Wer von dem bösen Nachbar weggezogen ist, der ist frei für eine neue Nachbarschaft. Wenn eine Frau ins Frauenhaus flieht, ist sie mit ihren Kindern sicher vor dem gewalttätigen Mann. Das „Sterben“, das Paulus meint, bringt die Sünde und mich auseinander, so daß die Gefangenschaft endet.

Möglich wird diese Trennung durch die Taufe. Durch sie werden wir mit Christus verbunden und eingefügt in den „Leib Christi“, in die Gemeinde Gottes. Jetzt bringt niemand mehr Christus und die Getauften auseinander. Die dunkle Seite unseres Lebens braucht uns nicht mehr zu imponieren. Sie ist noch da. macht uns zu schaffen und läßt unsre Mitmenschen über uns seufzen. Aber für Christus ist sie tot. Wie Christus das macht, daß die Taufe sich tatsächlich an uns auswirkt, das ist seine Sache.

Allerdings ist es nicht so leicht, positiv darzustellen, was es heißt: Mit Christus auferstehen! Im vollen Sinne ist es uns ja erst für die Zukunft verheißen. Doch gerade deshalb sind wir aufgerufen. unseren Glauben schon hier und heute zu bewähren. Da werden wir gefragt: Willst du zu Christus gehören oder willst du unter der Macht des Bösen stehen? Willst du das Alte absterben lassen und das neue Leben ergreifen?

Die Taufe will uns die Kraft, das Alte absterben zu lassen. Daran will uns das Wasser bei der Taufe erinnern. Wasser kann ja Leben oder Tod bedeuten. Ohne Wasser können wir nicht leben, sonst würden wir verdursten. Aber zu viel Wasser kann auch unser Leben bedrohen: Ein Gewitterguß kann ganz gut sein für die Pflanzen, kann sie aber auch vernichten. So bedeutet auch das Taufwasser beides: Vernichtung des alten und Geschenk eines neuen Lebens.

Wer erst einmal die lebensspendende Kraft des Wassers gespürt hat, der erkennt die innere Unmöglichkeit, sich wieder mit dem alten Leben einzulassen. Es ist dann gar nicht so schwer, gegen das Böse anzugehen: man braucht nur auf dem Boden zu bleiben, auf den man von Christus gestellt wurde.

Wenn wir mit Christus verbunden sind auf Verderb und Gedeih, dann leben wir schon jetzt in

einem neuen Leben und können den christlichen Glauben in unserem Leben praktizieren. Da-

bei wird aber der alte Mensch nicht einfach repariert und umfunktioniert. Aber man lebt von der Zukunft her und auf die Zukunft hin. Man lebt und arbeitet heute schon beschwingter, wenn man morgen etwas Schönes vor sich hat, wenn der Urlaub beginnt oder wenn man einen lieben Menschen treffen will.

Dann lebt man ein anderes Leben. Dann braucht man sich nicht mehr ständig rundum zu verteidigen, braucht nicht mehr um sein Lebensrecht zu bangen und zu kämpfen. Dann braucht man sich nicht mehr zu einem unerträglichen Supermenschen hinaufzusteigern. Man braucht nicht mehr dem anderen vorzurechnen, weshalb man im Leben angeblich zu kurz gekommen ist.

Dann wird man auch nicht mehr ständig übersehen, was Gott uns an Guten bisher schon gewährt hat. Das Leben wird schon anders, wenn man sich als Mensch versteht, der in Gottes kommende Welt gehört. Daß wir so oft auf der Stelle treten oder gar in scheinbar Überwundenes zurückfallen, liegt meist daran, daß wir die von Gott garantierte Zukunft nicht ernst nehmen. Wenn wir aber aus der zukunftschenkenden Gnade Gottes leben, dann verändert uns das in der Tiefe.

Noch ein Schlußwort: Ich will mir vornehmen, immer wenn ich diesen Taufstein sehe, an meine Taufe zu denken und was mir durch sie geschenkt ist. Ich will mich fragen: Was hat mir meine Taufe genutzt? Hat sie jetzt noch eine Bedeutung für mein Leben? Was habe ich heute noch von meiner Taufe?

 

 

Röm 6, 19- 23 (8. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

Es ist nun einmal in unserem Leben so, daß wir uns entscheiden müssen. Ob es da um Krieg oder Frieden in der Welt geht oder um Krieg oder Frieden zwischen dem einzelnen Menschen und Gott - immer geht es um ein Entweder – Oder, das seine Folgen für die Zukunft hat. Gott läßt uns keinen Mittelweg und erst recht nicht läßt er zu, daß wir uns überhaupt nicht entscheiden: Entweder für ihn oder gegen ihn, etwas anderes gibt es nicht.

Wir können uns das schon am Leben des Paulus selber deutlich machen, der ja diese Sätze geschrieben hat. Er war erst ganz gegen die Christen, hat sie fanatisch verfolgt und sein Seelenheil darin gesucht, sie alle zu vernichten. Aber dann kam alles anders für ihn: Er unterstellte sich dem Herrn Jesus Christus und wurde sein Apostel. Damit hat er sein altes Leben aber auch ganz und gar abgetan, es spielte nun keine Rolle mehr für ihn. Er war jetzt genauso eifrig ein Streiter für Christus, wie vorher dagegen war

Wir können das heute sicherlich gar nicht mehr so recht nachempfinden. Wir sind ja alle in diese Kirche hineingeboren worden, wir haben ja nie echtes Heidentum kennengelernt, höchstens bei anderen. Wir haben nie eine so radikale Wende erlebt wie Paulus. Selbst das, was man so „Bekehrung“ nennt, baut ja doch auf einem Grundstock christlichen Wissens auf, das man sich dann nur persönlich angeeignet hat.

Aber gerade diese Gewöhnung an das Christliche ist gefährlich. Allzuleicht entsteht nämlich der Eindruck: Ich gehöre ja zu Gott, damit ist alles in Ordnung. Sünde gibt es für mich nicht. Mein Leben verläuft in geordneten Bahnen. Auch Gott muß mit mir zufrieden sein. Ich brauche mich nicht mehr zu entscheiden, die Sache ist doch ganz klar.

Aber gilt dieser Satz nicht auch uns: „Wer Sünde tut, der ist der Sünde Knecht?“ Nur sieht die Sünde bei uns in mancher Hinsicht etwas anders aus als bei den alten Römern. Wir sind zum Beispiel der Meinung: „Ein gesunder Egoismus kann gar nichts schaden. Hauptsache, ich habe mein Schäfchen im Trocknen. Jeder ist sich selbst der Nächste!“ - „Meine Kinder sollen es einmal besser haben. Aber was gehen mich andrer Leute Kinder an?“

Oder man sagt: „Die Welt will betrogen sein!“ Ganz ohne Lüge geht es eben in unserem Leben nicht ab. Das ist ja alles nur halb so schlimm. Einen Fehltritt macht eben jeder einmal: Der eine zecht bis tief in die Nacht hinein mit seinen Freunden. Der andere wird seiner Frau untreu. Der dritte bummelt bei der Arbeit auf Kosten anderer.

Viele kennen auch nur die eine Frage: „Was fehlt mir noch zum Leben? Was muß ich noch haben, um glücklich zu werden?“ Und sie meinen dann: „Ich will machen können, was ich will! Sie machen es ja alle so. Es wäre ja langweilig, wenn wir alle Engel wären. Hauptsache, man hält eine gewisse Linie ein!“ Man denkt dann: Sünde ist ein Naturzustand, mit dem man sich abfinden muß. Man redet sich ein: So wie ich bin, so lebe ich nun mal, Gewissensbisse machen nur krank. Und mancher wird dabei doch charakterlos, tut vielleicht nicht direkt etwas gegen die Gesetze, ist aber in Wahrheit doch ein Schuft.

In solchen Formen zeigt sich heute die Sünde. Sie ist oft nur schwer zu erkennen, ist aber eine wirkliche Macht. Nur steht sie uns nicht gegenüber, so daß wir uns gegen sie wappnen könnten, sondern sie steckt in uns selber mit drin. Und das macht sie so sehr gefährlich.

Es gibt ein Unkraut mit einer hübschen, zartroten Blüte, das heißt „Teufelsauge“. Mancher wird sagen: Aber es sieht doch gar nicht so teuflisch aus! Aber der Teufel ist nicht schwarz und abstoßend, da würde ihm ja kaum einer auf den Leim gehen. Er ist vielmehr ein hübsches rotes Pünktchen inmitten der grünen Gräser. Wer jenem Unkraut den Namen gab, der hat den Teufel sicher gut gekannt. Er wußte etwas von seiner Anziehungskraft auf die Menschen und wie er sich immer wieder zu tarnen weiß. Oft erkennt man erst zu spät hinter all dem Liebreiz das Schädliche, manchmal zu spät, nämlich dann, wenn der Lohn ausgezahlt wird.

Paulus spricht deshalb unverblümt von einem harten Kriegsdienst, in dem wir als Christen stehen. Man kann dabei nicht in zwei Heeren zugleich sein, die sich aufs schärfste bekämpfen. Man kann nicht in der Firma den Atheisten markieren und andere von der Kirche abzubringen versuchen und heimlich still und leise gehört man selber zu Kirche. Das ist Verrat an Christus, und der wird im Krieg bekanntlich hart bestraft, so wie in einer Gangsterbande, in der es kein Aussteigen mehr gibt.

Paulus sagt: Es kommt nichts dabei raus, wenn man es auch einmal mit der Sünde versucht. Hinterher schämt man sich nur. Man kann dann bestimmten Leuten nicht mehr in die Augen sehen. Wenn wir auf bestimmte Dinge treffen, werden wir wieder an unsere Verfehlungen erinnert. Und erst recht wird keiner vor Gott bestehen können. Wer erst hat frei werden wollen, indem er sich dem Einfluß Gottes entzog, der wird nun erst recht unfrei.

Das Böse hat sogar eine Sogwirkung, es geht „von einer Ungerechtigkeit zur anderen“, bis in die Gesetzlosigkeit und die Anarchie. Gewiß sind Christen freie Menschen. Aber das bedeutet

nicht, daß ein Christ machen könnte, was er will, ohne Rücksicht auf Verluste und auf Kosten anderer Menschen. Vor allen Dingen kann er nicht frei werden von der „Gerechtigkeit“, das heißt von Gott. Natürlich klingt es verheißungsvoll, wenn einer sagt: „Niemand wird dir hineinreden, kein Mensch und kein Gott! Du kannst auch ohne Gott leben! Kündige ihm nur den Gehorsam auf! Dann bist du seine lästigen Gebote los und kommst im Leben besser voran!“ Solche Reden haben auch für uns Christen einen gewissen Reiz. Manchmal hätte man schon Lust, Gott den ganzen Krempel vor die Füße zu werfen.

Aber mit solchen Gedanken und mit kleinen Dingen fängt es an. Aber je länger je mehr merkt man, daß da eine Macht dahinter steht, die alles in ihre Gewalt bekommen will. Zunächst heißt es:  „Einmal ist keinmal“. Aber dies „einmal“ hat den Drang zur Wiederholung in sich. Wer sich mit dem Bösen einläßt, kommt bald unter die Räder.

Oberhalb der Niagarafälle steht an einer bestimmtern Stelle ein Schild mit der Aufschrift: „Von hier ab keine Rettung mehr!“ Wer doch noch weiterfährt, wird unbarmherzig mit in den Strudel gezogen, da kann kein Mensch mehr helfen. Das „Sich-Einlassen“ ist leicht. Aber das Herauskommen ist schwer; ob es noch möglich sein wird, liegt nur in Gottes Hand.

Paulus weiß allerdings einen Ausweg. Er sagt „Für euch ist die Frage ja gottlob entschieden! Ihr seid getauft und gehört nun Gott. Damit habt ihr nur noch diesen einen Herrn. Nun hört auch auf den, dem ihr gehört. Nur so könnt ihr als Menschen leben und eures Lebens froh werden!“ Und das stimmt auch: Viele Christen, die sich entschieden haben, gehen gerade und sicher durchs Leben. Sie machen nicht den Eindruck, als müßten sie etwas entbehren, als fehle ihnen etwas, als seien sie zu kurz gekommen im Leben.

Wenn einer eine Strafe verbüßt hat, dann öffnet sich die Tür seiner Zelle und er ist wieder frei .Er wird die Freiheit wie ein neues Leben empfangen. Und er wird sich sagen: Nur nicht wieder rückfällig werden. Ich will neu anfangen, mein Leben soll anders werden. Das könnte auch unser Vorsatz sein, nachdem wir nun einmal zu Gott gehören: Nur nicht wieder rückfällig werden.

Gewiß haben wir die Möglichkeit dazu. Aber um den Preis, daß wir dann unser Leben verfehlen. An sich ist die Sünde klein und unbedeutend neben Gott. Aber wenn wir uns ihr zuwenden, dann wird sie auf einmal riesengroß und verdeckt Gott für uns. Dann erst wird sie durch unsere Schuld zur scheinbar gegengöttlichen Macht. Am Anfang kann man sich noch entscheiden, kann man noch zurück - nachher nicht mehr. Und eines Tages wird dann der Lohn ausgezahlt. Und die Soldaten der Sünde erhalten dann als Sold den Tod, das heißt ein ewiges Dasein fern von Gott.

Durch Christus und durch unsere Taufe ist uns aber eine andere Möglichkeit erschlossen. Dese hatte Gott von Anfang an für uns bestimmt: die Gnadengabe des ewigen Lebens. Dieses sollte uns bei jeder Entscheidung unseres Lebens vor Augen stehen. „Sollen“ ist eigentlich falsch gesagt. Wir „sollen“ gar nichts. Aber es gilt zu bedenken, daß wir Christen sind und darum auf den Weg Gottes gestellt sind.

Die Taufe hat den Grundstein gelegt, daß wir diesen Weg auch gehen können. Wir können nun dem Bösen widerstehen im Namen Jesu. Wir können sogar aus der Umarmung des Bösen wieder freikommen.

Gott hat sich in diese Welt begeben, die sich im Aufruhr gegen ihn befindet. Aber er hat nicht mit der Sprache der Welt klar gemacht, wer das Sagen hat. Er hat nicht die Aufständischen abgeurteilt mit der Sprache des Gesetzes. Vielmehr ging er den schweren Weg der alles einsetzenden und sich selbst aufopfernden Liebe. Die zu ihm kommen, sollen in Freiheit kommen. Nicht die göttliche Machtüberlegenheit soll sie überwinden, sondern das Wunder, daß Gott auch die Feinde liebt und den Versagern die Schuld vergibt.

Gott gibt uns die Möglichkeit zu einem neuen Leben. Und er gibt uns das Abendmahl mit als Wegzehrung. Es soll uns stärken, damit wir unterwegs nicht verhungern und damit wir kräftige Streiter Gottes gegen das Böse sein können. Gott läßt uns nicht allein in unserem Kampf. Er gibt uns sein Wort und sein Sakrament, er steht uns selbst zur Seite. Da werden wir unseren Weg durchs Leben auch in seinem Sinne und mit seiner Hilfe gehen können.

 

 

Röm 7, 14 - 25 a (22. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Mann kommt aus dem Gottesdienst nach Hause. „Wovon hat der Pfarrer gepredigt?“ fragt ihn die Frau. „Von der Sünde!“ ist die Antwort. Die Frau fragt weiter: „Was hat er denn dazu gemeint?“ Darauf der Mann: „Ich weiß nicht mehr so recht, aber ich glaube, er war dagegen!“

Natürlich ist der Pfarrer dagegen, was denn sonst. Aber er kennt natürlich auch das berühmte Kapitel Römer 7, wo es heißt: „Wollen habe ich wohl, aber Vollbringen das Gute finde ich nicht!“ Der Mensch weiß genau, was gut ist. Er hat auch den ausgesprochenen Willen, es zu verwirklichen. Doch dann kommt das Erschütternde: Es kommt zu immer neuem Scheitern.

Nüchtern wird der Zustand des inneren Menschen gesehen.

Üblich ist das verbreitete Reden von der abgrundtiefen Schlechtigkeit der Menschen, wobei man sich selber aber ausnimmt. Auf der anderen Seite aber gibt es auch die Meinung, daß der Mensch von sich aus gut sei und nur durch schlechte Umwelteinflüsse verdorben werde. Aber der Mensch ist weder Engel noch Raubtier. In jedem Menschen ist der Kampf zwischen Gut und Böse ständig in Gang.

Die Meinung ist weltfremd, man müsse nur über das Gute unterrichtet werden, dann würde schon alles in Ordnung kommen. Information und guter Wille sind oft durchaus vorhanden, aber es fehlt die Kraft zur Verwirklichung. Manchmal tun wir so, als wüßten wir nicht genau, was das Richtige ist. Aber in Wirklichkeit wissen wir nur zu gut, was geboten ist. Wir wollen es bloß nicht wahrhaben, weil wir dann Folgerungen ziehen müßten, die wir nicht zu ziehen bereit sind. In den Geboten Gottes ist die Richtung klar gewiesen, aber wir haben meist nicht die Kraft, sie auch durchzuhalten.

Mancher sagt, das Leben wäre bequemer, wenn Gottes Gesetz uns anbekamt wäre. Dann könnten wir in einem Urzustand der Menschheit instinktgemäß leben und brauchten nicht unter einem schlechten Gewissen zu leiden. Das ist typisch für den Menschen, daß er ohne Gott fertigwerden will. Er will ohne Gott fertigwerden, obwohl doch die Sünde wie ein Gift von Geburt an in jedem Menschen drinsteckt. Der Mensch ist längst aus seiner Unschuld gerissen. Das Rad der Geschichte kann nicht wieder zurückgedreht werden.

Gottes Wille ist nun einmal offenbart. Gott hat den Menschen sein Gesetz gegeben. Dazu gehört alles, was uns im Leben als Gebot oder Verbot, als Forderung und Befehl entgegentritt. Auch der Nicht-Christ weiß, daß es Verpflichtungen gibt, denen man sich nicht entziehen kann. Er weiß sogar, daß auch er tausendfältig versagt. Das Gesetz ist dann keine Hilfe, sondern die Ursache einer tiefen Verzweiflung.

Man kann versuchen, durch Selbstbetrug dieser Not zu entgehen. Wir verstehen es alle gut, uns etwas einzureden. Man kann selbstzufrieden feststellen, daß andere noch viel schlechter sind. Man bildet sich ein, manche gute Tat in selbstloser Weise getan zu haben. Aber bei genauem Hinsehen zeigt sich, daß auch bei der besten Tat von völliger Selbstlosigkeit keine Rede sein kann.

Man könnte hier einwenden, daß man doch über das Edle in Menschen zuversichtlicher reden müßte. Es gibt doch unter Christen und Nicht- Christen wunderbare Beispiele von Güte und Hilfsbereitschaft. Nicht nur das Böse, sondern auch das Gute wird vielfältig getan. Gott sei Dank ist das so. Aber gerade unter den Menschen, die ganz für die Mitmenschen gelebt haben, besteht da eine große Nüchternheit. Ein Mann wie Friedrich Bodelschwingh, der doch Tausenden helfen konnte, betete am Ende seines Lebens immer stärker: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“

Gott will die völlige Liebe. Aber an dieser Forderung scheitern wir immer wieder. Luther sagt das in seinem Lied: „Mein guten Werk die galten nichts, es war mit ihn‘ verdorben; der frei Will haßte Gott‘s Gericht, er war zum Guten erstorben!“ Luther hat die wahre Lage vor Gott völlig erkannt und hat diesen schwersten inneren Zwie­spalt erlebt. Wenn man von zwei Seelen in der Brust redet, dann ist das viel zu schwach. Es handelt sich um eine dunkle Macht, die den Menschen gefangen hält. Auch Paulus kann nur ausrufen: „Ich elender Mensch! Wer wird mich erlösen von dem Leib des Todes?“

Doch unmittelbar danach sagt er: „Ich danke Gott, durch Jesus Christus, unsern Herrn!“ Wer im Lebensbereich des Christus ist - im Kraftfeld seiner Gnade - der erlebt eine völlige Veränderung seiner Lage. Da herrscht nicht mehr das Gesetz und das Tun des Guten ist nicht mehr unerfüllbare Forderung. Vielmehr ist das Tor geöffnet zu einem neuen Leben und die Kräfte sind befreit zu einem sinnvollen Einsatz. Das Gute wird dann aus fröhlicher Dankbarkeit getan.

Doch möglich ist das nur durch Jesus. Durch ihn sind wir mit Gott wieder im Reinen. Durch seinen Tod sind wir vor Gott gerecht. Ja: Erst im Glaube erkennen und erfassen wir das Unheil in seiner ganzen Tiefe. Dann werden wir auch den Kampf mit der Macht aushalten, die uns am Guten hindern will. Denn dem Zwiespalt sind wir auch durch Christus noch nicht entnommen.

Oft gehen wir mit besten Vorsätzen an eine gute Sache heran und erfahren doch unser völliges Unvermögen zum Durchhalten. Wir wollten gegen einen schwachen Punkt in uns ankämpfen und erleben schon beim ersten Anlauf eine schwere Niederlage. Oder wir haben mit vollen Bewußtsein Dinge getan, von denen wir genau wußten, daß sie nicht dem Willen Gottes entsprechen.

Aber wir dürfen wissen, daß Jesus dann für uns eintritt. Allem Versagen zum Trotz ist durch ihn bereits die Kraft des neuen Lebens am Werk. Da schauen wir nicht mehr auf das Kümmerliche, das w i r t tun, sondern auf das Große, das der H e r r tut. Ihm können wir mit neuer Freude dienen, weil es uns einfach dazu drängt. Und jede Enttäuschung treibt uns dann nur noch mehr in die Arme dessen, der allein helfen kann.

 

 

Röm 8, (12- 13) 14 – 17 (14. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn man am Pfingstsonntag den Heiligen Geist suchen will, dann geht man nicht in die Natur, sondern man sucht einen Gottesdienst. Wenn man dazu aber über Land fährt, kann es passieren, daß man nirgends eine Kirche findet, wo um 10 Uhr Gottesdienst ist. Das hilft es vielleicht, wenn man im Auto wenigstens über das Radio einen Gottesdienst mit verfolgen kann.

Da kommt der Heilige Geist wenigstens über die Radiowellen zu den Menschen.

Vielleicht fällt der Blick dabei auch auf Windräder, wie sie jetzt überall in der Landschaft stehen. Sie können uns zum Gleichnis werden für das Wirken des Heiligen Geistes: Diese Windräder müssen immer gegen den Wind gedreht werden, damit der Wind sie richtig gut von vorne packen kann und sie richtig antreiben kann.

So müssen auch wir als Menschen uns immer auf dem Heiligen Geist ausrichten, damit er uns zum Glauben und zum rechten Handeln führt. Aber christliches Leben ist nicht allein Sache unseres Entschlusses, sondern da bricht eine andere Wirklichkeit in unser Leben ein. Aber seit Pfingsten wissen wir: In uns ist der Geist Christi, der Heilige Geist, der Motor unseres Christseins ist, der uns zu Kindern und Erben macht

 

(1.) Der Motor unseres Christseins: Christen bringen sich nicht selbst in Bewegung, sondern wie werden vom Geist getrieben, sie müssen sich ihm nur zuwenden. Es besteht ja immer noch die Möglichkeit, daß wir „nach dem Fleisch“ leben, wie es Paulus hier sagt.

 

Bei den „Sünden des Fleisches“ denkt man in der Kirche zunächst an sexuelle Dinge. Aber an sich ist damit zunächst etwas anderes gemeint: der Mensch, der sich Gott entgegenstellt, der sich selbst seiner Leistungen rühmt, der auf das Sichtbare pocht und Gott im Grunde nicht braucht, der allein Herr der Lage sein will. Aber in Wirklichkeit werden wir oft schrecklich abhängig, haben Mißtrauen und Haß gegen die Menschen, sind voller Argwohn und Sorge und wollen auftrumpfen und recht behalten. Wir wollen das Gute, werden aber doch zum Bösen geführt.

Der Mensch meint dabei zu wissen, was er sich selbst schuldig ist: Er nimmt die Feste wie sie fallen, er will das Leben genießen und den Kollegen im Lebensstandard nicht hinterherhinken. Dabei verläßt er sich auf sich selbst, seine Gesundheit, seine guten Eigenschaften, und rechnet nur mit dem, was man sieht und sich selbst schafft.

Unter christlichem Leben verstehen wir dann meist, daß wir eine laxe Lebensauffassung durch eine ernsthaftere ersetzen, schlechte Lebensregeln gegen bessere eintauschen und in ein verlottertes Leben wieder Ordnung bringen. Wir wollen mehr Liebe, mehr Geduld, mehr Wahrhaftigkeit, mehr Hingabe und mehr selbstlosen Dienst. Und dann soll alles in Ordnung sein.

Aber ein geordnetes und zielgerichtetes Leben und die Mitgliedschaft in der Kirche schließen nicht aus, daß man vom eigenen Ich geprägt ist und sich von den eigenen Wünschen leiten läßt. Wir können noch so sehr an uns herumbasteln und uns mühen, diese oder jene schlechte Eigenschaft lassen - solche Einzelaktionen bringen nichts. Das ist wie wenn man eine Wespe an der Fensterscheibe zerdrückt, aber das Wespennest nicht ausrotten kann.

Wie kommt man aus all dem heraus? Es gerät nur dann etwas in Bewegung, wenn wir uns dem Geist Gottes stellen, indem wir auf sein Wort hören. Natürlich kann man von diesem Wind auch fast umgeweht werden. Vieles bei uns kann im Wehen des Geistes nicht bestehen. Gottes Wort sagt uns nämlich klipp und klar, wo etwas bei uns faul ist und wo wir ungehorsam wurden. Paulus ermuntert uns aber, den Sturm des Heiligen Geistes ungehindert wehen zu lassen und uns von ihm in unserem Denken und Tun treiben zu lassen

Gottes Geist gibt die Kraft, den Versuchungen aus dem Weg zu gehen, den bösen Drang im Herzen zu besiegen und den Kampf zwischen Fleisch und Geist zu bestehen. Wir geraten dadurch in Bewegung, wenn wir das Gottes Wort an uns arbeiten lassen, das den Geist Gottes mit sich führt.

Aber wir müssen nichts in uns erbarmungslos niederkämpfen oder heroischen Verzicht üben. Getötet werden die Verführungen nicht durch uns und die besseren Kräfte, die wir aus uns selbst entwickeln. Wir brauchen Gottes Geist nur an uns heranzulassen und uns seinem Willen auszusetzen. Dann erledigen sich die dunklen Geschäfte des Fleisches von selbst, alle Verführung wird uninteressant und wir werden von ganz anderen Dingen erfüllt. Das hängt auch damit zusammen, daß wir ja Kinder und Erben sind und uns eine Zukunft verbürgt ist.

 

(2.) Kinder und Erben: Gott hat an sich nur einen Sohn, und dennoch werden auch wir „Kinder“ genannt. Doch wir sind es nicht von Natur aus, sondern erst der Sohn hat uns zu seinen Brüdern und Schwestern gemacht. Dadurch haben wir ungehinderten Zugang zu Gott, so wie das Kind des Chefs ohne Termin der Vorzimmerdame zum Vater kommen darf und ihn mit „Du“ und mit „Vater“ anreden darf.

Kinder sind etwas anderes als Sklaven. Der Sklave tut etwas, weil er es muß, nicht weil er will. Ein Christ tut alles in Freiheit. Er muß nicht den widerstrebenden Willen in sich niederkämpfen. Er muß sich auch nicht unter ein fremdes Gesetz beugen. Wir werden auch nicht ferngesteuert. Gott erfaßt, wenn er uns den Geist gibt, unser Herz, das Innerste unserer Person. Wo sein Geist wirkt, da ist Freiheit. Er verlangt uns nichts ab, wozu wir nicht in Freiheit „Ja“ sagen.

Allerdings kann heute nicht jeder unbefangen „Vater“ zu der Person sagen, die früher „Haushaltsvorstand“ genannt wurde. Manchmal ist es ja gar nicht der leibliche Vater. Aber noch schlimmer ist es, wenn der Vater gar nicht der liebende und sorgende Vater ist, sondern Frau und Kinder schlägt, das Geld versäuft und vielleicht auch fremd geht.

Ein solches Verhalten kann durchaus den Blick auf Gott, den Vater, verstellen. Aber solche „Rabenväter“ widerlegen nicht Gottes gute Ordnung, die in unserer Welt - zum Glück - trotz aller Störung noch gültig und wirksam ist. Wir können und dürfen Gott ganz unbefangen als unseren Vater anreden, wie wir das jeden Sonntag im Gottesdienst tun.

Und wir brauchen auch nicht „Mutter unser“ zu sagen, wie das manche übertriebene Feministinnen wollen, denn der Vater schließt auch das Mütterliche mit ein. Gott erlaubt uns, ihn so unbefangen anzureden wie ein Kind seinen Vater anredet. Natürlich gibt es auch eine ehrfürchtige Sprache der Anbetung, wie wir sie besonders im Gottesdienst verwenden. Aber wir dürfen Gott auch alles sagen, wie uns der Schnabel gewachsen ist, er versteht schon das Gemeinte. Und der Geist hilft, daß alles richtig ankommt.

Kinder fühlen sich geborgen, wenn sie beim Vater oder der Mutter sind und ihre Stimmen hören. Und wir Christen dürfen uns geborgen fühlen, wenn wir Gottes Stimme aus seinem Wort hören. Dann dürfen wir auch gewiß sein, daß er unsere Stimme im Gebet hört. Nur müssen wir auch dorthin gehen, wo dieser Geist Gottes besonders stark weht und uns ihm aussetzen. Luther hat es im Katechismus so formuliert: „….daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern gerne hören und lernen!“

Wir leben noch in einer großen Spannung: Wir sind nicht mehr „alter Mensch“, aber wir haben auch das Erbe noch nicht angetreten. Grundsätzlich gehört uns schon alles, was dem Vater ist. Aber erst recht wird es uns gehören in der zukünftigen Herrlichkeit. Deshalb können wir auch unser irdisches Leben mit anderen Augen sehen: „Gott hat uns angenommen, das gibt uns einen neuen Wert und ein neues Selbstverständnis.“

Wir hören dann auf, uns nur um uns selbst zu drehen. Dann denken wir nicht nur: „Wann ist das nächst Fest? Was ist jetzt Mode? Wie kann ich zu mehr Geld kommen?“ Fernsehen und gutes Essen füllen uns dann nicht mehr aus. Dann haben wir auf einmal ganz neue Aufgaben: Wir suchen nach Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Wir entdecken Traurige, die unseren Zuspruch nötig haben. Wir entdecken Gelegenheiten, wo wir Freude bereiten können. Und wir möchten mithelfen, daß andere Christus kennen und erfahren lernen. Aber dazu müssen wir uns erst dem Geist Gottes aussetzen wie die Windräder auf den Höhen.

 

 

Röm 8, 18-23 (24-25) (Vorletzter Sonntag, Variante 1):

Können wir wirklich wünschen, daß Wolf und Bär wieder in unserer Gegend angesiedelt werden? Es gibt ja so Naturschützer, die sind ganz aus dem Häuschen, wenn bei uns ein einsamer Wolf gesichtet wurde. Sicherlich haben wir eine Verantwortung für den Erhalt der Schöpfung. Aber ob wir dazu unbedingt den Wolf brauchen, ist doch die Frage. Angeblich sind solche Tiere ein Anzeichen dafür, daß die Natur intakt ist. Aber es sind im Laufe der Erdentwicklung so viele Tiere ausgestorben, aber es gab immer noch Natur. Man darf da auch nicht übertreiben.

Bis jetzt hat Gott immer noch seine Welt erhalten. Diese Welt ist zwar in mancher Hinsicht verdorben, aber Paulus hat die Hoffnung, daß es mit Tier und Mensch durch Gottes Hilfe immer weiter geht. Der Mensch braucht eine Hoffnung, wenn er weiter leben will. Wenn man nichts mehr hofft, lebt man auch nicht mehr richtig. Man kann aber viel ertragen, wenn man noch ein Ziel vor sich hat.

Doch manche empfinden die christliche Zukunftshoffnung als eine Vertröstung. Karl Marx sah das so, als er die Kirche seiner Zeit vor Augen hatte: Sie lenke nur ab von der Aufgabe, die heutige Welt zu verbessern. Und er hatte den Verdacht, daß die christliche Hoffnung nur eine Einbildung sei, eine Fata Morgana am Himmel.

Paulus dagegen sagt, daß diese Hoffnung nicht enttäuscht werden wird. Er meint sogar, daß die gegenwärtigen Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Lichtherrlichkeit, die aufgedeckt werden soll. Jedenfalls ist Paulus, der selbst vom Leiden einiges weiß, unerhört zuversichtlich.  Und das nicht, weil er von Natur aus sehr robust wäre, sondern er ist im Gegenteil sehr feinfühlig. Aber er weiß, warum und worauf er hofft und predigt eine stichhaltige Hoffnung, eine Hoffnung für die seufzende Welt und eine Hoffnung für die wartenden Christen.

 

1. Hoffnung für die seufzende Welt:

Ein Christ ist immer mit der Welt und damit auch mit der Natur verbunden. Er ist von Gott              erschaffen samt „allen  Kreaturen“, wie Luther es im Katechismus sagt. Das spezifisch Menschliche findet sich nicht nur in einer reinen Innerlichkeit, der Mensch hat auch einen Leib und ist       in den Zusammenhang der Welt eingebunden. Wir sind mit anderen Menschen schicksalhaft verbunden. Und je kleiner unsere Welt wird, desto weniger ist es uns erlaubt, nur das eigene kleine Schicksal vor Augen zu haben.

Die Natur darf uns nicht nur das Objekt des naturwissenschaftlichen Erkennens und des technischen Beherrschens sein. Vielmehr stehen wir zu ihr in einem Verhältnis des Vertrautseins und der Verbundenheit. Wir leben in ihr, fühlen mit ihr, denken für sie und sorgen für sie. So hat es Franz von Assisi verstanden, der Sonne und Mond, Wasser und Feuer seine Geschwister genannt hat und mit den Tieren auf einer Lichtung im Wald das Weihnachtsfest gefeiert hat und den Vögeln gepredigt hat.

Paulus geht noch weiter. Er sagt: Die Natur wartet darauf, daß mit dem Menschen eine umfassende Veränderung vor sich geht. Dabei soll aufgedeckt werden, was Gott heimlich schon aus den Menschen gemacht hat. Öffentlich und unübersehbar sollen sie als Kinder Gottes in Erscheinung treten. Denn in dem, was aus dem Menschen wird, entscheidet sich auch, was              aus der Natur wird.

Es gibt Menschen, die reden mit ihren Blumen. Oder sie behaupten, daß die Blumen auf der Fensterbank besser gedeihen, wenn die Menschen im Raum gut miteinander sind. Man kann das nicht beweisen, aber man kann es auch nicht widerlegen.             

Der Mensch ist das Schicksal der Welt. Aber leider hat er den Auftrag aus der Schöpfungserzählung „Macht euch die Erde untertan“ nur einseitig verstanden. Er hat nur vernommen, daß die Natur ihm dienen muß und beutet sie deshalb aus ohne Rücksicht auf Verluste. Er hat aber übersehen, daß er als Statthalter Gottes für die Schöpfung sorgen soll. Aus dem Gärtner und              Pfleger ist der rücksichtslose Technokrat und Ausbeuter geworden.

Was der Mensch vermag, zeigt sich nur im Rahmen einer Ordnung, die den Mißbrauch ausschließt. Paulus aber hört das Stöhnen der Natur: den aufgeregten Alarmruf des Singvogels, das stumm leidende Pferd, das Ächzen eines Baumes, der unter der Umweltbelastung und dem Angriff von Schädlingen leidet.

Aber Paulus kennt auch die Zeichen der Hoffnung. Er sagt:  Die Natur ist an der Hoffnung beteiligt, mit der und von der auch der Mensch lebt.

Nur ist die Kreatur unfreiwillig der Vergänglichkeit verfallen, während der Mensch einen bewußten Entschluß dazu gefaßt hat. Doch Gott  findet  sich mit dem Leiden in der Welt nicht ab: Wenn er die Menschen rettet, dann wird das auch die Rettung der außermenschlichen Natur sein. Sie spürt: Es gibt da etwas zu hoffen. Die Befreiung der Kinder Gottes wird auch zu der Befreiung der ganzen Schöpfung führen.

 

2. Hoffnung für die wartenden Christen:

Gerettet sind wir nur im Sinne der Hoffnung. Die Gegner des Paulus in Korinth haben ihm              vorgehalten, wie schwächlich und ärmlich er ist. Paulus hat ihnen das nicht zu widerlegen versucht. Vielmehr hat er gemeint, das gehöre alles zur Kreuzesgestalt des Christenlebens. Man sieht uns nicht an, daß wir Gottes Kinder sind. Vielmehr ist das neue Leben mit Christus              hineinverpackt ins Unansehnliche. Gott hat   u n s  mehr als wir   i h n   haben.

Auch wir selbst sehnen uns nach dem Wirksamwerden der Kindschaft und warten auf des Leibes Erlösung. Daß wir Kinder sind, muß erst noch ans Licht kommen - und nicht nur für die anderen, sondern auch für uns selbst. Aber Gott steht zu uns ohne Wenn und Aber.  Nur lesen wir das nicht an uns selber ab, sondern an Christus, an seinem Wort und seinen Sa­kramenten.

Es spricht nicht gegen unser Kindesrecht, wenn wir einbrechen, wenn uns die Kräfte ausgehen, wenn uns der Mut entsinkt, wenn es mit dem Beten nicht mehr gehen will und wenn wir in Angst geraten. Bei diesem Zustand soll es nicht bleiben. Wir dürfen offen sein für die Zukunft: Alle irdische Qual wird ein Ende haben und wir dürfen hoffen auf die Auferstehung              der Toten.

Aber das heißt nicht, daß wir bisher leer ausgegangen wären: Wir haben den Geist als den Anbruch des kommenden Lebens. Wir warten auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Dann wird es keine Entfremdung mehr zwischen uns und Gott geben. Auf uns scheint die Herrlichkeit Gottes. Und das alles in einer erneuerten Welt und in Verbundenheit mit der Kreatur, die nicht mehr seufzen muß.  Wir freuen uns auf die neue Welt. Beschreiben können wir sie nicht. Aber sie wird so sein, daß alle Leiden dieser Zeit dagegen nicht ins Gewicht fallen.

 

 

Röm 8, 18 – 23 (Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, Variante 2):

Wenn man in ein Krankenhaus kommt, kann man erleben, was Leiden bedeutet. Da gibt es Herzpatienten, denen jede Stunde der Puls gemessen werden muß. Da hat einer Magengeschwüre. Da sind alte Menschen, die nicht mehr aufstehen können. Da sind Kinder, die schreien, weil ihre Eltern sie allein lassen müssen. Und vielleicht wird man dann mit seinem eigenen Schicksal wieder zufriedener und erkennt, daß das eigene Wehwehchen gar nicht so schlimm ist.

Paulus meint im Römerbrief auch: „Ich bin der Meinung, daß das Leiden in dieser Welt nicht so viel bedeutet wie die Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden!“ Damit gibt er offen zu, daß es Leiden in dieser Welt gibt. Aber er verweist uns auf Jesus, der all diesem Leiden einmal ein Ende machen wird.

Zwar sind die Christen schon neue Menschen durch die Kraft des Heiligen Geistes. Aber in der Zeit vor der Wiederkunft Christi ist ihr Leben noch wesentlich vom Leiden bestimmt. Dieses ist Zeichen der Nachfolge Christi. Wer aber jetzt mit Christus leidet, der wird auch dann Anteil haben an der künftigen Herrschaft und Herrlichkeit Christi. In dieser Gewißheit können wir leichter mit den Leiden in unserer Welt fertigwerden.

Das Leiden kann eine Krankheit sein, die nicht lebensgefährlich, aber hartnäckig ist: Im Beruf fällt man für Wochen oder Monate aus, man ist von seiner Familie getrennt, die Nächte ohne Schlaf sind lang, man hat trübe Gedanken und ist ungeduldig.

Oder da ist eine Ehe nicht mehr in Ordnung. Es liegt kein massiver Ehebruch vor. Aber man ist sich gleichgültig geworden und kann doch das unterkühlte Verhältnis nicht ertragen. Man kann eigentlich gar nicht mehr sagen, wann die Krise des Nichtmehr-Verstehens begann. Aber nun ist es schwer, zu einem Neuanfang zu gelangen. Oder da wird ein altes Ehepaar durch den Tod eines Partners getrennt. Viele Jahrzehnte haben sie mit viel Treue zusammengestanden. Nun hat die Welt für den Zurückbleibenden nur noch den halben Wert, jetzt ist niemand mehr da, mit dem man sich zusammen freuen könnte.

Aber Leiden gibt es nicht nur in unsrer kleinen Alltagswelt, sondern auch im Horizont der großen weiten Welt. Ja, vor 200 Jahren brauchte man sich über das Kriegsgeschrei in fernen Ländern nicht unbedingt Gedanken zu machen. Was ging das einen an, wenn man sich irgendwo in der Welt die Köpfe einrannte und sich umbrachte.

Heute aber ist die Welt klein geworden. Und es geht uns schon etwas an, wenn sich anderswo die Menschen gegenseitig umbringen oder wenn irgendwo Menschen verhungern müssen. Es gibt immer wieder Konfliktherde, die sich zu Flächenbränden auszuweiten drohen, unter deren dann unschuldige Menschen zu leiden haben. Aber wenn wir Frieden haben und uns an den gedeckten Tisch setzen könnten, dann sollten wir an die denken, die keine Ruhe haben und weder Tisch noch Essen haben, um satt zu werden. Das Leiden dieser Welt kann uns nicht gleichgültig lassen.

Paulus hat auf seinen Reisen auch viel vom Elend der Menschen gesehen und auch am eigenen Leibe erfahren. Aber er klagt nicht, sondern er beschreibt nur nüchtern den Zustand. Und er bleibt nicht bei der Schilderung des Dunklen im Menschenleben hängen, sondern er spricht von der Hoffnung, die der Christ haben darf.

Paulus täuscht sich also über die Leiden in der Gegenwart nicht hinweg. Er sieht unsere Schwachheit und unser Leiden an uns selber, an den Mitmenschen, an der Welt und auch an der Kirche. Er weiß von Altwerden und Kranksein, vom Tod lieber Menschen und vom eigenen Sterben. Aber er lenkt unseren Blick auf die Hoffnung, die wir als Christen haben dürfen.

Gott hat verheißen, alle Probleme zu lösen und alle Not zu beseitigen. Wir hören von der „Freiheit der Kinder Gottes“ und von des „Leibes Erlösung“. Zwar soll das alles erst in der Zukunft volle Wirklichkeit werden. Aber eine solche Hoffnung zahlt sich heute schon aus. Als Christen dürfen wir Menschen der Hoffnung sein. Nur so werden wir der Aufgabe gerecht, die Gott uns in dieser Welt gestellt hat.

Paulus sieht das so: Nicht nur die ganze Menschheit, sondern die ganze Schöpfung sehen auf die Christen, ob sie an der Hoffnung festhalten. Die Schöpfung wartet darauf, daß wir endlich als Söhne Gottes offenbar werden. Daran hängt ihre Hoffnung. Nur wenn die Christen erlöst werden, darf auch die ganze Menschheit hoffen, nur so wird auch die Kreatur eine Zukunft haben.

Andere Religionen zur Zeit des Paulus versprachen nur der Einzelmenschen die Erlösung aus der bösen Welt. In der Bibel aber wird die ganze Welt als Schöpfung Gottes gesehen; sie wird mit eingeschlossen in die Erlösungstat Gottes. Allerdings werden wir nicht so genau erkunden können, wie die künftige Vollkommenheit der Natur beschaffen sein wird. Wir wollen uns das Hoffnungsbild der neuen befreiten Welt nicht allzu sehr menschlich ausmalen. Aber wir dürfen eben doch unsere gesamte Umwelt in die Hoffnung auf eine bessere

gelt mit einbeziehen.

Allerdings wissen wir auch, daß die Schöpfung Gottes einen Schaden erlitten hat. Deshalb sehnt sie sich ja gerade nach der Erlösung. Die Bibel meint, dieser Schadenhänge mit der Verkehrtheit der Menschen zusammen. Weil die Menschen die Gebote Gottes mißachten, muß auch die Schöpfung darunter leiden.

In der Bibel ist das ausgedrückt in der Erzählung vom Sündenfall. Wir heutigen Menschen aber denken dabei ganz konkret an das, was die Menschen der Schöpfung antun. Gewiß ist die Technik nicht vom Teufel. Aber ein gedankenloser Raubbau an den Bodenschätzen und am Wald, eine Vergiftung der Gewässer und die Herstellung von Vernichtungswaffen gehören nicht zum Schöpfungsauftrag Gottes. Hier liegt nicht ein unvermeidliches Schicksal vor, sondern eine Abkehr von Gott.

Umgedreht sind wir als Christen aufgerufen, nicht tatenlos zuzusehen, wenn die Fische in den verseuchten Flüssen sterben, wenn ganze Tierarten aussterben, weil ihnen die natürliche Nahrung und der natürliche Lebensraum entzogen wird, wenn hunderttausend Seevögel in der Öl-Lache eines Supertankers umkommen.

Wir sind als christliche Gemeinde mit hineingenommen in die Verantwortung für die Schöpfung. Wir können an Leiden und Sterben der Kreatur nicht achtlos vorübergehen Wir werden an der Sorge um die gequälte Schöpfung tätig teilnehmen. Das ist jedenfalls eine christlichere Haltung, als wenn einer in die vermeintlich unberührte Natur wandert, um dort seinen Herrgott zu finden. So etwas ist Naturschwärmerei und nicht christlicher Glaube.

Als Christen sollten wir die Natur und unsere gesamte Umwelt nüchterner sehen, auch den Kampf ums Überleben, den Schmerz und das Leiden nicht übersehen. Und wir können ruhig auch die durch den Menschen verursachten Schäden beachten. Aber wir sollten solidarisch sein mit der Welt und der Kreatur. Sie warten alle so wie wir auf eine Veränderung der Situation und hoffen auf eine neue Welt.

Gerade an unesren Haustieren können wir merken, wie Angst haben, wie sie sich an den Menschen anschließen, wenn Gefahr droht, wie sehr sie auf Hilfe hoffen, wenn sie zu Schaden gekommen sind. Tiere können sich ja nicht verstellen und zusammenreißen. Deshalb merken wir bei ihnen besonders das „ängstliche Harren der Kreatur“. Wenn einer so etwas nicht spürt, dann ist auch sonst mit seinem Menschsein etwas nicht in Ordnung.

Wer aber mit der gesamten Schöpfung seine Hoffnung auf Gott setzt, der wird auch lebenstüchtig sein. Er rüstet sich auf die Stunde hin, die seine letzte sein wird. Aber er wird nicht mit Trauerblick seine Straße ziehen, sondern schon in der Gegenwart von der Hoffnung auf das Heil Gottes leben. Er wird nicht auf sich selbst gestellt sein, sondern über Furcht und Hoffnungslosigkeit herausgehoben werden durch die Hoffnung auf Gottes Zukunft.

 

 

Röm 8,23 (8. Sonntag nach Trinitatis, Variante 3)(Jahreslosung 1987):

„Die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus unserem Herrn!“

Am Beginn eines neuen Jahres empfinden wir sehr stark, wie unberechenbar und unabsehbar das ist, was da auf uns zukommt. Sicherlich gibt es auch eine Menge Dinge, die wir planen und steuern können. Viele werden sich auch ihren Plan machen. Jede Partei und jede Bewegung hat ein Programm. Die Schule hat einen Erziehungs- und Bildungsplan und die Kirche vielleicht einen Missionsplan.

Unser Leben kann uns vorkommen wie eine Wüste, mit wenig wasserspendenden Oasen und wenig schattenspendenden Bäumen, mit wenig guter Nahrung und keiner Abwechslung, mit wenig Freuden und oft viel Leid, ein einziger Kampf ums nackte Dasein.

Oder wir kommen uns heute vor wie ein Mensch, der durch einen dunklen Wald gehen soll. Wenn nur irgendwo das Laub raschelt, erschrecken wir schon. Alle Geräusche sind auf einmal unheimlich. Sehr leicht kann man sich auch verlaufen. Bei Tageslicht durchschreitet man denselben Weg sicher und fest. Auch bei Nacht kann es ganz gut gehen, wenn man nur ein Licht dabei hat. Also wenigstens eine Taschenlampe braucht man. Aber noch besser ist das Licht des Tages.

Gott will das helle Licht auf unserem Lebensweg sein. Deshalb können wir uns am heutigen Tag nur den Segen Gottes und seinen Beistand wünschen. Das ist mehr als unsere menschlichen Wünsche zum neuen Jahr. Die Jahreslosung spricht von einer Gabe Gottes, die mehr ist, als Menschen uns geben können.

Es geht um eine Gabe und nicht um einen Lohn. Was Gott uns geben will, können wir uns nicht verdienen. Wir möchten uns ja gar nicht so gern etwas schenken lassen. Wir denken: Wir haben nun ein ganzes Jahr lang gut gearbeitet. Davon ist uns etwas geblieben, was wir mit ins neue Jahr nehmen. Wozu brauchen wir da noch Gott und seine Gaben?

Doch alles Leben ist Gottes Gabe. Wenn wir den Begriff „ewiges Leben“ herauslassen, dann ist uns die Jahreslosung vielleicht einleuchtender: „Die Gabe Gottes ist das Leben!“ Damit können wir eher etwas anfangen. Das andere ist so ein schöner theologischer Satz, der natürlich richtig ist und stimmt, aber doch für viele etwas unglaubhaft ist. Das Leben hier auf dieser Erde ist das eine, das ewige Leben ist etwas anderes, aber beides hat wenig miteinander zu tun.

Was Leben ist, das wissen wir. Wir leben ja und wissen nicht einmal warum. Daß ich lebe, ist nicht mein Verdienst. Überhaupt verdanke ich ja mein Leben anderen. Aber auch daß ich jetzt noch lebe, während andere schon gestorben sind, das liegt nicht in meiner Hand.

Ich finde mich einfach vor als ein lebendiger Mensch mit allen Freuden und Leiden, Schmerzen und Sehnsüchten, Verzweiflungen und Hoffnungen. Deshalb müssen wir diese Gabe Gottes annehmen. Wir können sie nicht an uns reißen, sondern, müssen warten, daß sie uns immer neu gegeben wird.

Deutlich machen können wir uns das auch an der Taufe: Man kann sich nicht selber taufen, sondern man muß immer getauft werden. In der Taufe empfangen wir Gottes Gabe. Hier werden wir erst zum richtigen Menschen. Deshalb wurde je auch schon die Taufe als zweite Geburt bezeichnet.

Das alles ist mehr als unsere sonst üblichen Wünsche zum neuen Jahr. Da ist viel die Rede von der Gesundheit. Darin sollen all unsere Wünsche zusammengefaßt sein. Die Gesundheit ist natürlich auch ein hohes Gut. Aber die Jahreslosung nennt uns ein noch wichtigeres: „Das ewige Leben in Christus Jesus unserm Herrn!“

Wieder können wir an die Taufe denken. Sie befreit uns heute schon aus der Macht des Todes und gibt uns heute schon Anteil an dem Auferstehungsleben des Herrn. In der Taufe wird Christus unser Herr, für dieses und das zukünftige Leben. Durch die Beziehung zu Gott erhält unser Leben eine neue Dimension, erweiterte Möglichkeiten. Es ist ein Leben ohne Furcht und mit einer Hoffnung auf ein Ziel hin.

Am Leben Jesu können wir uns das deutlich machen. Er hatte den Anspruch erhoben, den Menschen Gott nahe zu bringen. Er hatte verkündet: Gott hat euch lieb, das seht ihr an mir! Aber dann war er gekreuzigt worden. Es entstand die Frage: Ist Jesus gescheitert!? Aber die Auferweckung Jesu hat deutlich gemacht: Gott hat seine Treue auch an Jesus durchgehalten und hat ihm nicht nur das irdische Leben gegeben, sondern auch das ewige.

Was Leben in der Nähe Gottes und unter den Augen Gottes ist, macht Jesus in dem Gleichnis von den verlorenen Söhnen deutlich. Da hat sich der eine Sohn von seinem Ursprung entfernt. Er wollte das Leben suchen und es genießen. Er wollte etwas vom Leben haben, wie man so sagt. Aber es war tatsächlich nur „etwas“ vom Leben, nicht das volle, das wahre Leben. Der jüngere Sohn wollte sein Leben selbst in die Hand nehmen - und hätte es beinahe verloren. Weil er nur von seinem Vorrat lebte, den er nicht einmal selber erarbeitet hatte, war er bald am Ende. Er hat gedacht, er könnte allein auskommen, er brauchte den Vater nicht mehr Aber weil er von der Quelle des Lebens abgeschlossen war und keinen Nachschub mehr erhielt, hatte er sich bald verausgabt. Nur eins kann ihm noch helfen: die Rückkehr zum Vater, von dem er gekommen ist.

Als er zum Vater zurückkehrt, bekommt er das Leben noch einmal geschenkt. Aber es ist jetzt doch ein anderes Leben, Der Sohn hat gelernt: Er wird nie mehr wieder fort wollen. Jetzt erst hat er das Leben von besonderer Qualität, das er jetzt nicht mehr leichtfertig wegwerfen wird. Es ist schon eine Art „ewiges Leben, denn er lebt nun in einer heilen und beständigen Beziehung zu dem Vater. noch nicht begriffen. Er war der anständige Sohn, der immer bei dem Vater geblieben ist, aber jetzt diesen Vater nicht mehr verstehen kann. Der Vater sagt ihm: „Freue dich doch m

Der andere Sohn hat das noch nicht begriffen. Er war der anständige Sohn, der immer bei dem Vater geblieben ist, aber jetzt diesen Vater nicht mehr verstehen kann. Der Vater sagt ihm: „Freue dich doch mit, denn dein Bruder war schon tot und ist wieder lebendig geworden!“ Der ältere Sohn hat nie die Erfahrung machen können, daß das andere ja gar kein Leben war. Es war ihm zu selbstverständlich, daß er ja die ganze Zeit schon das ewige Leben gehabt hat oder zumindest ein Leben, das dem ewigen Leben ähnlich war.

So könnte auch die Geschichte gemeint sein, die Luise Rinser einmal erzählt hat: Eine alte Frau ist dabei, einen Haufen Wäsche zu bügeln. Da. tritt der Todesengel zu ihr und will sie mitnehmen. Sie sagt: „Gut, ich gehe mit, aber laß mich erst noch die Wäsche fertig bügeln, denn wer soll es sonst tun?“ Der Engel geht darauf ein und kommt erst nach einiger Zeit wieder. Doch da ist die Frau gerade dabei, ins Altersheim zu gehen. Sie sagt: „Ich muß dort ein halbes Dutzend Leute besuchen, die keine Besuche bekommen und von ihren Familien vergessen sind!“ Als der Engel das dritte Mal kommt, sagt die Frau: „Ja, ja, ich weiß schon. Aber wer bringt meine Enkel in den Kindergarten, wenn ich nicht mehr bin?“ Der Engel seufzt und sagt: „Nun gut, solange dein Enkel nicht allein gehen kann!“ Einige Jahre später sitzt die Frau am Abend müde da und denkt: Eigentlich könnte der Engel jetzt kommen. Nach der vielen Arbeit muß die ewige Seligkeit doch recht schön sein!“ Als der Engel kommt, fragt sie ihn: „Bringst du mich jetzt in die ewige Seligkeit?“ Da sagt der Engel: „Und wo, glaubst du, warst du all diese Jahre?“

Man weiß nicht so recht, was die Dichterin mit dieser Geschichte hat sagen sollen. Soll es nur die etwas oberflächliche Aussage sein, daß ein Leben voller Mühe " und Arbeit schon so etwas wie die ewige Seligkeit ist? Oder wollte sie sagen: Die Frau hat gar nicht gemerkt, daß sie schon im Himmel ist, weil es da auch Mühe und Plage wie auf der Erde gibt! Oder geht es darum, daß die Frau durch ihre Hilfe schon ein Stück vom Himmel auf dieser Erde verwirklicht hat? Das scheint noch am ehesten möglich.

Man kann aber vielleicht auch nur dies herauslesen: Das ewige Leben ist dem irdischen Leben ähnlich. Es ist zwar etwas anderes, aber doch auch wieder so, daß man die Parallelen zum irdischen erkennen kann. Wer also weiß, was das irdische Leben ist - und das weiß an sich jeder - der könnte auch wissen, was das ewige Leben ist. Vom irdischen Leben dürfen wir auf das himmlische schließe [Hier kann man vielleicht noch das Neujahrswort des Bischofs anschließen].

 

Röm 8, 1 – 11(Pfingsten I):

Es wird wohl kaum einer von uns schon im Gefängnis gesessen haben. Aber wenn man einmal aus irgendeinem Grund 24 Stunden lang in einem Zimmer sitzen mußte, das nur von außen zu öffnen ist, dann wird einem bewußt, was Gefangenschaft bedeutet: Man ist nicht Herr seiner selbst, sondern man kann nur warten, was andere tun werden. Es gibt aber viele andere Dinge, die uns gefangen halten.

 

1. Wir leben in Gebundenheiten:

Manchem mag schon der lange Winter wie eine Gefangenschaft vorgekommen sein und der nun aufbrechende Frühling wie eine Befreiung. Nach einer langen Zeit der Totenstarre und Eintönigkeit wird jetzt wieder alles lebendig, wir fühlen uns gleich freier und wohler.

Ein anderer wieder ist von einer Krankheit gefangen gehalten. Vielleicht war er wochenlang ans Bett gefesselt und nun kann er zum ersten Mal wieder aufstehen. Das ist doch eine Befreiung, auch wenn man zunächst noch auf wackligen Füßen steht. Vor allem wird mancher froh sein, daß er nun wieder zum Gottesdienst gehen kann, um wieder Mut zu empfangen für ein befreites Leben.

Wieder ein anderer sieht seine Sicherheit im Geld. Erst will er 1.000 Euro zurücklegen, dann 10.000, dann 20.000, dann 50.000 und so weiter. Aber Sicherheit erlangt er damit nicht. Im Gegenteil: Das Geld wird ihm immer unentbehrlicher und er wird abhängig davon.

Andere wieder vertrauen auf eine Freundschaft. Um den Freund nicht zu verlieren, bringen sie alle möglichen Opfer und geben sogar ihre Gesinnung und schließlich sich selbst auf. Wie manche junge Frau verleugnet ihr ganzes bisheriges Leben, nur um einem jungen Mann zu gefallen. Sie gerät aber immer mehr in Abhängigkeit und am Ende läßt er sie doch sitzen – oder auch umgekehrt.

Andere wieder sind in ihrem Denken so festgefahren, daß sie sich im Augenblick gar nicht mehr frei entscheiden können. Man hat ihnen Verhaltensmuster eingeprägt und denen folgen sie unbedenklich. Sie sehen aber nicht, daß die Zeiten sich ändern und jeder Einzelfall eine eigene Entscheidung erfordert. Man kann heute zum Beispiel nicht mehr einfach den Beruf des Vaters ergreifen, sondern man muß sich fragen: Hat er auch Zukunft?

Unfrei sind wir auch, wenn wir immer recht haben wollen und immer aufs richtige Pferd gesetzt haben wollen.

So gibt es heute viele Gebundenheiten, in denen wir stehen. Mancher wird es gar nicht merken, aber im Grunde ist er sehr unfrei. Er fühlt sich wunderbar frei: „Ich bin mein eigener Herr, ich schaffe mein Leben selbst!“

Paulus aber sagt: Wir sind immer in Gesetzmäßigkeiten hineingestellt. Da gibt es den Glauben an den Wohlstand, an die Macht, an den Ruhm. Gut essen und viel erleben, das spielt eine weit größere Rolle, als wir zugeben wollen. Wir sind eine „Spaßgesellschaft“. Aber alles Jagen nach Glück und das Streben nach Erfolg lassen kaum Raum für Gott und dann auch keine Zeit für den anderen Menschen, der auf unsere Hilfe angewiesen ist.

Paulus spricht hier von der Knechtschaft unter die Sünde. Er hat dabei vor allem die Menschen im Blick, die fromm und diszipliniert leben. Sie tun alles, was das Gesetz verlangt, und meinen dann: „Wir sind mit der Sünde selber fertig geworden!“ Aber Gott brauchen sie dazu nicht mehr.

In Wirklichkeit aber sind sie wie ein Mensch, der im Sumpf steckt: Er strampelt verzweifelt und will sich retten, aber in Wirklichkeit sinkt er dadurch nur noch tiefer. Er kann sich auch nicht wie Münchhausen am eigenen Schopf fassen und wieder herausziehen. Da muß schon ein anderer kommen, der die nötigen Hilfsmittel hat und der auch bereit ist, notfalls sein eigenes Leben zu riskieren.

Das aber hat Gott getan. Er hat die verzweifelte Lage der Menschen nicht mehr mit ansehen können. Er hat ihnen seinen Sohn geschickt. Der sollte nun die Sünde an der Wurzel treffen. Dazu hat er sich selber in das Sündenfleisch begeben, um es von innen heraus zu überwinden. Als aber Jesus starb, da wurde mit seinem Tod auch die Sünde in ihm verdammt. Weil sie aber selbst verdammt ist, kann sie nun nicht mehr die anderen verdammen. Sünde und Tod haben kein Recht mehr und keine zwingende Macht über die, die zu diesem Christus gehören. Sie können zwar noch in Versuchung kommen, aber sie werden oder müssen ihr nicht erliegen.

 

2. Der Heilige Geist sagt uns diese Befreiung zu:

An Pfingsten wird uns nun gesagt: Ihr seid von all diesen Gebundenheiten befreit, ihr seid nicht mehr Gefangene, sondern freie Menschen. Das ist ein so radikaler Umschwung, wie ihn damals die KZ-Häftlinge empfinden haben müssen, als sich für sie die Tore in die Freiheit öffneten. Wer einmal in Buchenwald war, der hat dort sicherlich das große Denkmal gesehen, auf dem dieser Augenblick der Befreiung dargestellt ist. Die Menschen warteten eben noch auf den Ausgang ihrer Sache und erfahren nun, daß sie wieder frei leben, planen und schaffen können.

So ist auch Pfingsten ein Fest der Freiheit. Für die Jünger Jesu von damals hat es bedeutet: Sie haben ihre Angst vor den Menschen überwunden und sind wieder an das Licht der Öffentlichkeit getreten und haben von Jesus erzählt. Den Mut dazu haben sie allerdings nicht aus sich selber genommen, sondern die Kraft zu solchem Handeln kam von Gott. Diese Kraft nennen wir „Heiliger Geist“. An Pfingsten war sie zum ersten Mal zu spüren.

Aber wir müssen uns fragen: Ist sie auch in unsrer Gemeinde lebendig? Spürt man da etwas von der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes? Haben wir Menschenfurcht und Abhängigkeiten hinter uns gelassen und weht uns der freiheitliche Wind eines Anhängers Jesu Christi um die Nase? Pfingsten will uns jedenfalls Mut dazu machen.

 

3. Wie können wir sicher sein, daß wir wirklich befreit sind?

Vielleicht sehen wir auch jetzt noch nicht, wie die neue Freiheit aussehen soll. Aber eine Regel gilt: Alle allgemein gehaltenen Vorschriften sind Gesetz. Es ist leichter, nur nach dem Buchstaben des Gesetzes zu handeln. Da kann man sich immer auf das Gesetz berufen. Jesus aber will es anders von uns. Gottes Geist will uns frei machen, ohne Gesetze zu handeln, aber aus dem Geist der Liebe heraus.

Dann können wir auch in der Krankheit den Mut zum Leben finden. Dann hängt unsere

Sicherheit nicht am Geld, sondern an der Fürsorge Gottes. Dann sind wir nicht mehr von Menschen abhängig und handeln ihnen zu Gefallen, sondern können uns neue Freunde suchen. Dann können wir auch unsre Entschlüsse und Pläne einmal ändern und sind frei, zu neuen Ufern aufzubrechen.

Auch alles, was man messen und kontrollieren kann, ist fleischlich. Der Geist Gottes aber ist ja gerade das Unkontrollierbare. Aber das heißt nicht, daß er eine Einbildung wäre. Er wird uns doch gerade an Pfingsten machtvoll bezeugt.

Vielleicht haben wir Bedenken, ob die Wirklichkeit Gottes wirklich so im eigenen Leben wirksam werden soll. Gott ist verzehrendes Feuer, und seine Kraft dringt wie Röntgenstrahlen in uns ein. Aber wir wissen, welche heilende Wirkung die Röntgenstrahlen haben können: Sie zerstören das bösartige Gewebe und lassen das gute wieder zum Zuge kommen. So will auch der Heilige Geist uns zu neuen Menschen machen.

 

4. Das neue Leben im Geist:

Das vom Heiligen Geist erfüllte Leben ist voll Freude und Hoffnung. Unsere Vergangenheit ist zwar aufgezeichnet, aber Christus hat durch sein Sterben und Auferstehen die Löschtaste gedrückt. Alles ist vorbei und belastet uns nicht mehr. Wenn uns Christus vergeben hat, dann wird Gott uns auch nicht mehr verurteilen. Der „alte Adam“ ist zwar noch da und macht uns sogar zu schaffen. Aber der immer noch stattfindende tägliche Kampf ist längst entschieden, weil wir jetzt „in Christus leben“, in seinem Kraftfeld. Aber man muß sich halt auch in dieses Kraftfeld hineinbegeben, so wie man bei Regen unter das Dach des Buswartehäuschens treten muß, wenn es etwas nutzen soll.

Der Geist Gottes ist nicht ein lästiger Aufpasser wie das Gesetz und nicht ein Staatsanwalt und Richter, sondern er ist Fürsprecher und Verteidiger. Wir würden alle vor dem Gericht Gottes unsere Bestrafung erwarten. Aber dann heißt es auf einmal: Nicht Verurteilung, sondern Freispruch!

Das Geborgensein in Christus wird uns nicht aufgezwungen. In der Bindung an Christus und im Machtbereich seines Geistes können wir gegen unser eigenes Ich und gegen fremde Einflüsse ankämpfen. Er hilft uns, von uns selber und von anderen frei zu werden.

Dann können wir unbefangen und ohne Gier nach Beifall der Menschen tun, was uns vor die Finger kommt. Wir sind unabhängig von Kritik und Lob. Wir wissen um die eigenen Fehler und können auch die Fehler der anderen ertragen. Wir fragen dann nur noch danach, ob Gott uns Beifall zollt für unsere Taten, denn darauf kommt es ganz allein an.

Freiheit bedeutet nicht, sich gar keiner Ordnung zu unterstellen. Der Mensch im Geist Gottes wird sich auch jetzt in einen größeren Lebenszusammenhang einfügen, wird sich der Ordnung Gottes unterstellen. Er schwimmt nun mit kräftigen eigenen Bewegungen im Strom Gottes, aber mit einer günstigen Strömung.

Zur Freiheit will uns der Geist Gottes gerade an Pfingsten anleiten. Er hat uns frei gemacht von der Gewalt der Sünde. Nun sollen wir diese Freiheit auch nutzen und mit frohem Mut in die Zukunft gehen. Gottes Geist will uns dabei leiten und uns die Kraft geben, auch durchzuhalten bis ans Ende.

 

 

Röm 8, 26-30 (Exaudi):

Wir haben heute den Sonntag von der wartenden, sich sehnenden, um den Geist bittenden Kirche. Sie hat den Geist Gottes verliehen bekommen. Durch die Handauflegung soll das jedem einzelnen Konfirmanden noch einmal deutlich gemacht werden. Aber wir müssen doch immer wieder darum bitten.

Wir kennen alle das Gefühl, ohnmächtig zu sein und nichts tun zu können. Wir sehen das Leid, aber können nicht dagegen ankommen. Menschen werden gefoltert und verhungern, immer mehr und gefährlichere Waffen werden in Stellung gebracht, Wälder werden vergiftet und Flüsse verseucht. Gelangt da nicht auch der hoffnungsbereite Mensch an eine Grenze?

Die Eltern können ihren Kindern und Enkeln keine geordnete und friedvolle Welt übergeben. Sie können nur hoffen, daß es die Kinder besser machen. Und wir können auf den Geist Gottes verweisen, der unsrer Sehwachheit aufhilft. Durch Gott sind wir schon neue Menschen geworden. Aber da wir noch „im Fleisch“ leben, sehen wir nur die Vorderseite der Münze: Schwachheit und Versagen, Ohnmacht und Hilflosigkeit.

Aber diese Münze hat noch eine Rückseite, die im Gegensatz zur unansehnlichen Vorderseite aus Gold ist: Wir sind das Ebenbild Gottes und haben das himmlische Leben schon sicher. Allerdings haben wir es nur anbruchsweise und der Geist ist eine erste Anzahlung auf das Kommende.

Deshalb kann man von einem Christen auch nicht verlangen, daß er sein Christsein in bestimmten nachprüfbaren Erscheinungen beweist, wie das manche christliche Gruppen tun. Sie verlangen Geistesgaben, die sich etwa in lauten Rufen während des Gottesdienstes äußern sollen. Von bestimmten Sünden müßte man sich ein für alle Mal trennen, bestimmte Dinge unterlassen. Als fröhlicher Mensch darf ein Christ niemals niedergeschlagen sein. Man verlangt Gebetserhörungen und besondere Gotteserfahrungen. Es muß nicht jeder alles vorweisen, aber mit irgendetwas dieser Art sollte jeder Christ aufwarten können.

Doch wer solche Forderungen aufstellt, macht den Glauben zu einem harten Gesetz. Der Christ darf sich gerade zu seiner Schwachheit bekennen. Bei Gott wird die Schwachheit nicht durch Stärke ersetzt, sondern in der Schwachheit kommt die Gnade ans Ziel, denn der

Geist kommt unserer Schwachheit zu Hilfe. Er will uns aber nicht so religiös aktivieren, daß wir es nun von selbst können, sondern der Geist vertritt uns und besorgt, was wir nicht können. Wir brauchen es nicht zu „können“. Keiner weiß, was er beten soll. „Gottgemäß“ beten kann nur der Geist selbst. Aber er tut es auch.

Vielleicht bitten wir manchmal um etwas sehr Naheliegendes und nach unserem Urteil auch sehr Nötiges. Wir dürfen es erbitten, und Gott verachtet das Begehren seiner Kinder nicht. Aber er hat noch ganz anderes, ungleich Besseres für uns bereit. Er allein weiß, was wir wirklich nötig haben. Die Sprechverbindung mit Gott ist immer da, nur der Geist hat das Sprechen für uns übernommen.

Aber er könnte natürlich etwas für uns erbitten, was wir uns selbst gar nicht gewünscht hätten. Wir geben da unser eigenes Interesse ja völlig aus der Hand. Aber es wäre wohl auch kein gutes Zeichen, wenn all unsere Bitten erfüllt würden. Aber oft gibt Gott uns noch Besseres, als wir im Auge hatten, nämlich das, was der Geist im Sinn hat.

Wir sollten auch nicht vergessen, was Gott uns in den ersten drei Bitten des Vaterunsers in den Blick rückt. Erst die vierte Bitte geht zu den Alltagsanliegen über, die in Jesu Botschaft ihr volles Recht haben, aber nicht ohne den Ausblick auf das ewige Heil gesehen werden sollten.

„Alle Dinge müssen uns letztlich zum Besten dienen“. Luther sagt dazu: „Es ist Gottes Art, erst zu zerstören und zunichte zu machen, bevor er seine Gaben schenkt!“ Wir sollen dadurch merken, daß es sich wirklich um ein Geschenk handelt. Auch das Nicht-Gewünschte dient dabei zu unserem Besten, sofern Gott es uns zugedacht hat. Auch das Widrige kann Gott in seiner Güte und Weisheit uns dienlich sein lassen.

Allerdings gilt das nur, wen Gott uns nicht gleichgültig ist. Gottes Liebe wirkt sich nur aus, wenn wir ihn auch lieben. Aber er hat damit längst den Anfang gemacht. Bei der Kindertaufe wird das besonders deutlich, daß Gott unserm Handeln und Glauben zuvorkommt. Wir können immer nur antworten auf seine Anrede. Aber wenn wir es tun, dann sollten wir auch alles von ihm annehmen, ob wir es gewünscht haben oder nicht, ob wir es begreifen oder nicht begreifen,

Wir könnten jeden Tag mit der Bitte um den Heiligen Geist beginnen, so wie wir das in jedem Gottesdienst tun. Wir könnten uns gegenseitig erzählen, was der Geist aus uns macht. Mancher hat vielleicht etwas erlebt, das ihm „zum Besten“ wurde. Ein anderer konnte gerade noch

mit Gottes Hilfe der eigenen Lieblosigkeit etwas Einhalt gebieten. So können wir merken, daß Gott in seiner Liebe an uns interessiert ist. Ihm gegenüber können wir nicht Zuschauer bleiben. Wir hören ja im Augenblick sein Wort. Wir können erleben, wie Gott sich um uns müht und die Verbindung mit uns sucht. Er hat uns berufen. Da sollten wir auch gerne in seinen Dienst treten.

 

 

Röm 9, 1 - 5 und 32 - 33 und 10, 1 - 4 (10. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

In Aschenhausen bei Kaltennordheim in der Rhön steht an zentraler Stelle des Ortes eine Synagoge, ein jüdisches Gotteshaus. Außen hängt ein Schild „Denkmal“ dran. Entsprechend heruntergekommen sah das Gebäude auch aus. Noch trostloser war es innen drin: Man konnte noch die Kuppel erkennen, als Himmel ausgemalt, an dem Wänden waren an einigen Stellen Palmzweigen. Früher war das sicher ein schönes Bethaus. Aber dann wurde die Synagoge als Scheune genutzt, voll gepropft mit Erntegut und landwirtschaftlichen Geräten. Der Mann, der sein Zeug dort unterbrachte wird noch gar nicht gelebt haben, als den Juden ihr Gotteshaus genommen wurde und sie vertrieben und umgebracht wurden. Ein Unrechtsbewußtsein hatte er jedenfalls nicht. Vielmehr wunderte er sich nur, wenn einmal Leute in das verschlafene Nest kamen und die Synagoge sehen wollten. Heute ist die Synagoge wieder mustergültig hergestellt und dient kulturellen Zwecken.

Diese verfallenen Synagogen erinnern uns an das schreckliche Gericht, das in unserer Zeit über das Volk der Juden gekommen ist. Sie erinnern uns aber auch daran, daß Menschen unsres Volkes die Übeltäter gewesen sind. Unser Volk hat ja auch dafür wiederum seine Strafe gekriegt. Wenn wir am heutigen Sonntag traditionell über unser Verhältnis zu den Juden nachdenken, dann wollen wir uns auch immer selber fragen: „Machen wir es denn, besser? Haben wir aus dem Schicksal der Juden etwas gelernt?“

Einige Kilometer entfernt liegt das kleine Dorf Ort Geba. Auch dort konnte man sehen, wie ein Gotteshaus zerstört wurde, allerdings nicht durch Gewalt, sondern durch Gleichgültigkeit

Die kleine Kirche stand offen, so als habe es jemand nicht für nötig befunden, sie noch abzuschließen. Überall lag Dreck herum, ein Stück der Lehmdecke war heruntergebrochen, niemand hatte den Dreck weggekehrt. Auf dem Altar und dem Lesepult lagen die Bücher aufgeschlagen.

Ist das nicht auch ein Gericht Gottes an unserem Volk, das auch uns droht? Viele sehen unser Volk immer noch als christliches Volk an. Sie blicken mit einem gewissen Hochmut auf „heidnische“ Völker und auch auf die Juden. Sie heißen auch heute noch die Verfolgung der Juden gut, zum Teil sogar mit dem scheinbar christlichen Argument, sie hätten sich ja selbst verflucht für den Fall, daß Jesus unschuldig hingerichtet worden wär (Mt 27, 25) . Doch die Nazis können sich sicher nicht auf einen Befehl Gottes berufen, als sie versuchten, die Juden in Europa auszurotten. Und ohne die Gedankenlosigkeit und die Feigheit vieler Sympathisanten hätten sie ihr Werk auch nicht vollbringen können.

Aber auch abgesehen von all dem: Das Volk des Alten Bundes geht uns Christen schon etwas an. Wir glauben an den gleichen Gott, wir haben einen großen Teil unsrer Bibel mit ihnen gemeinsam. Jesus war ja ein Jude. Die Geschichte der christlichen Gemeinde begann in der Synagoge. Es ist eine harte Sache gewesen, daß es zum Bruch gekommen ist. Aber das lag nicht an den Christen, sondern an den Juden, die Jesus nicht als ihren Heiland anerkennen wollten.

Paulus trauert deshalb um dieses Volk. Aber er bekennt sich mit großer Liebe zu ihm, denn er gehört ja selber dazu. Die Juden sind nach wie vor seine Brüder. Er weiß sich mit ihnen verbunden, auch wenn er im Glauben ganz woanders steht. Das Schlimme ist nicht, daß da menschliche Brücken abgebrochen wurden oder daß sie sich der Meinung des Paulus nicht angeschlossen haben. Paulus ist deshalb so traurig, weil es ihm um die Rettung dieses Volkes geht.

Jesus Christus ist für Paulus der Grund und Eckstein seines Lebens geworden.

Den Juden aber ist er ein Stein des Anstoßes. Sie sehen in ihm zwar einen vorbildlich frommen Menschen, aber nicht den Messias. Daß sein Tod den Haß Gottes und sein Gericht über Jerusalem und die Juden herbeigeführt haben, halten sie für eine Verleumdung. Daß sich Israels Erwählung in der christlichen Kirche fortsetzt, das sei eine überhebliche Enterbungstheorie. Und Jesus sei nicht des Gesetzes Ende, sondern er habe das Gesetz erst recht aufgerichtet.

So urteilen heutige Juden über Jesus. Aber der Jesus, den sie gerade noch gelten lassen, ist nicht der wirkliche Jesus. Daß sie da so uneinsichtig sind, hat schon Paulus fertiggemacht. Wer könnte auch ruhig sein, wenn er einen Menschen so an Gott scheitern sieht?

„Sie eifern um Gott, aber nicht in rechter Einsicht!“ sagt Paulus. Sie suchen eine eigene Gerechtigkeit und nicht die Gerechtsprechung durch Gott. Sie merken nicht, daß es auf dem Weg der eigenen Anstrengung nicht zu einem normalisierten Verhältnis zu Gott kommen

kann. Dabei gibt es nur e i n e Möglichkeit, im Gottes Gericht bestehen zu können, und das ist der Glaube an Christus.

Vielleicht geht es uns aber ganz ähnlich wie Paulus mit unsren eigenen Kindern und Enkeln und nahestehenden Menschen. Wir haben die Wahrheit Gottes erkannt, sie ist uns wertvoll und liegt uns am Herzen. Aber die anderer ziehen nicht mit. Das kann uns schon fertigmachen. Paulus würde es sogar auf sich nehmen, von Christus geschieden zu sein, wenn nur die anderen gerettet werden. Aber es ist ihm von vornherein klar, daß dies keine wirkliche Möglichkeit ist - auch wenn Paulus es durchaus ernst meint.

Aber wir haben alles, um zum Glauben kommen zu können: Wir haben die Bibel Alten und Neuen Testaments, wir haben den Gottesdienst. Bei der Taufe sind uns die Verheißungen Gottes mitgegeben worden. Aber was haben wir mit diesem Erbe gemacht, brauchen wir es wirklich in unserem Leben, auch zu unserem Leben als Gemeinde? Wir haben gar keinen Grund, hochmütig auf die Juden herabzublicken, weil sie die wahre Bedeutung Jesu nicht erkannt haben. Vielmehr sollten wir uns fragen, ob wir als Christen bei unseren Verheißungen geblieben sind, ob wir aus den Fehlern der Juden gelernt haben.

Leider schlagen oft gerade die Gottes erwählendes Handeln aus, die eigentlich die besten Voraussetzungen haben. Wie viele christliche Eltern müssen schmerzhaft erleben, daß ihre Kinder einen ganz anderen Weg einschlagen. Sie hatten fest eingeplant, daß Gott ihre Kinder der Weg führen wird, den sie selber vorgedacht hatten. Nun ist es anders gekommen, da ist ihnen auch Gott fremd geworden, der sich nicht hat zwingen lassen.

Dennoch sollten wir wissen: Gott gibt keinen auf. Er hat auch sein altes Bundesvolk nicht aufgegeben. Nach der schweren Verfolgung in Europa hat man der Juden in dem Staat Israel eine neue Heimstatt geben wollen. Sie sollten nie mehr einem solchen Vernichtungsfeldzug ausgesetzt sein. Aber leider haben sie bisher keine Ruhe gekriegt. Das lag aber schon an der unrealistischen Aufteilung der Staaten. Aus dem ehemaligen Mandatsgebiet Palästina sollten drei Staaten gebildet werden: östlich des Jordans Jordanien und westlich Israel und Palästina, die aber völlig in sich verzahnt waren. Palästina verschwand wieder von der Landkarte, weil sich Ägypten, Jordanien und Israel das Staatsgebiet unter den Nagel gerissen haben. Nun geht es den Palästinensern so, wie es den, Juden früher gegangen ist. Die Israelis haben eine einfache Lösung dafür: Palästina östlich des Jordans, Israel westlich. Die im israelischen Staatsgebiet wohnenden Araber sollen als Minderheit mit Autonomiestatut leben bleiben können, die Bewohner der Flüchtlingslager sollen von den arabischen Staaten aufgenommen werden, weil ja auch Israel jüdische Bürger aus den arabischen Staaten aufgenommen hat und noch aufnimmt.

Viele bei uns stehen Israel wohlwollend gegenüber, weil sie ein schlechtes Gewissen haben gegenüber diesem Volk. Sie.haben Verständnis dafür, daß die Juden ein eigenes Land haben und in gesicherten Grenzen leben wollen. Die ständigen Überfälle - meist gegen Frauen und Kinder - sind eine schwere Belastung. Die Israelis sagen: „Wir finden uns nicht mehr mit der Rolle der Leidenden ab wie in all den Jahrhunderten, wir wehren uns!“ Die Juden sind heute ein Volk, das auch wieder durch die gleiche Sprache verbunden ist. Sie sind eine Religion, der aber nicht alle Staatsbürger anhängen. Vor allem aber sind sie auch ein Staat wie jeder andere auch, der sich auf seine Waffen und Bündnisse verläßt. Aber viele bei uns sagen doch: „So etwas ist Notwehrüberschreitung, der Vormarsch in die Nachbarstaaten hinein hat nichts zu tun mit der Abwehr der Angriffe auf das eigene Staatsgebiet. Die Israelis wollen zwar nicht das palästinensische Volk vernichten, sondern nur die Kämpfer der Hamas, aber zu leiden hat wie immer vor allem die Zivilbevölkerung. Sie konnte sich nicht wehren, als man mitten in ihre Wohngebiete Bunker baute. Sie mußten erleben, wie es einem ergeht, wenn man sich selber nicht gegen eine Bedrohung von außen wehren kann.

Als Christen werden wir auch Mitgefühl mit diesen Menschen haben und sie in unsere Fürbitte einschließen. Wir werden nicht alles, was in Israel geschieht, gutheißen können oder gar als Zeichen der Heilszuwendung Gottes verstehen können. Aber wir werden doch begreifen müssen, daß auch dieses Volk noch unter der Verheißung Gottes steht und seinen Segen erfährt.

Gott hat dieses Volk noch nicht aufgegeben. Es ist nicht enterbt worden, sondern schon Paulus hat es aufgefordert sein Erbe nun endlich anzutreten. Sie sollen nicht aufhören, Juden zu sein, sondern sie sollen es erst wirklich sein. Sie sollen ihre Erwählung nicht aufgeben, sondern ernst nehmen und Gottes Willen tun. Deshalb hat schon Paulus dafür gebetet, es möchte zu Israels Rettung kommen.

Wir sollten das auch tun, aber auch für unsre eigene Rettung beten. Die Verheißungen an Israel gelten heute uns, dem neuen Gottesvolk der Christen. Gott steht unbeirrbar zu denen, die einmal sein geworden sind, zum Beispiel in der Taufe. Er hält sein Gutes für uns bereit, auch wenn wir uns ihm zeitweilig verschließen. Auf unsrer Seite findet sich oft nur ein wackliger und oft erkaltender Glaube. Aber Gott kommt uns zu Hilfe. Er belagert sogar unsre festvermauerten Herzen, damit wir ihm ganz gehören. Gerade weil die frohe Botschaft von der treuen Gnade Gottes kräftig ist, besteht für Israel und uns alle noch immer Hoffnung.

 

Röm 9, 30b - 33 (10. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Als der frühere Ministerpräsident Filbinger endlich seine Bereitschaft zum Rücktritt mitteilte, fand er auch da noch keine Worte des Bedauerns, sondern sprach davon, ihm sei schweres Unrecht angetan worden und er habe in den letztn Wochen lediglich taktische Fehler begangen. Menschlich gesehen ist seine Haltung verständlich: Er hat da einen wurden Punkt in seiner Vergangenheit, der ihm sicherlich zu schaffen gemacht hat. Schließlich war er im Krieg ein Militärrichter und war auch an Todesurteilen beteiligt.

Aber er hat sich sicher all die Jahre nicht eingestehen wollen, daß er da Schuld auf sich geladen hat. Und wenn er es dann doch noch zugegeben hätte, dann wäre das ganze Gebäude seiner Beschwichtigungsversuche eingestürzt. Um sein seelisches Gleichgewicht erhalten zu können, hat er zu Lügen und Halbwahrheiten seine Zuflucht zu nehmen versucht. So ist das ja oft, wen Politiker zum Rücktritt gezwungen werden.

Nun wissen wir als Christen zwar, daß Gott auch die schwerste Schuld vergeben kann. Aber dazu muß man sie erst einmal als seine Schuld erkennen und anerkennen. Gott vergibt nur dem reuigen Sünder. Sicher war das schlimm, was unter der Verantwortung des Richters Filbinger damals geschehen ist. Aber wir können heute kaum noch über diese Zeit urteilen. Andere haben das Gleiche und noch Schlimmeres getan. Man kann einem Menschen nicht von den späteren Erkenntnissen her seine Jugendsünden vorwerfen. Aber erschreckend ist doch, daß dieser Mann heute immer noch sagt: Er habe sich nichts vorzuwerfen, er habe nichts falsch gemacht, auch Gott habe ihm nichts zu vergeben.

Doch von uns hat keiner das Recht, über diesen Mann zu urteilen. Das Urteil steht allein Gott zu. Und letztlich sind wir alle solche Filbinger. Wir haben genauso Dreck am Stecken, wenn auch in anderer Hinsicht. Aber wir wollen uns alle selbst entschuldigen, wollen uns bestätigen, wie gute Menschen wir im Grund sind und wieviel schlimmer die anderen sind. Wir meinen doch auch, die Vergebung Gottes nicht nötig zu haben, und wenn, dann nur in Kleinigkeiten.

Dabei ist seit Luther die Rechtfertigungslehre der zentrale Punkt des Glaubens, also die Frage von Sünde, Gnade und Vergebung. Doch die wenigsten Christen werden mit diesen Ausdrücken gleich etwas anfangen können. Vielleicht ist gar nicht so sehr der Atheismus eine Gefahr für den Glauben, sondern vielmehr die Tatsache, daß dieses Herzstück des Glaubens von den Christen nicht so recht verstanden und erfaßt ist.

Wie sollen wir auch begreifen, was „Grade“ ist, wenn dieses Wort im sonstigen Sprachgebrauch so abgeflacht ist! Wir sprechen von „Gnadenbrot“ und „Gnadenschuß“ und davon, daß wir ausnahmsweise noch einmal „Gnade vor Recht“ ergehen lassen wollen. Normalerweise verstehen wir die Gnade als Ausnahmefall, als etwas, das dem Menschen von Rechts wegen gar nicht zusteht. Gnade ist, wenn wir uns voller Mitleid gelegentlich zu jemand herablassen und hin und wieder einmal auf unser „gutes Recht“ verzichten. Aber an sich wird einem nichts geschenkt, wir leben in einer Welt, die keine Gnade kennt.

Bei Gott aber geht es nur um die Gnade. Ihm gefallen nur solche, die es nicht wert sind. Diesen Eindruck mußte auch der ehemalige Jude Paulus zunächst haben. Er zerbrach sich den Kopf darüber, weshalb das Volk Israel so sehr Gott nacheifern will und dennoch seinen Sohn Jesus nicht haben wollte. Die Heiden aber, die das Gesetz Gottes doch gar nicht kennen, haben Gerechtigkeit erlangt und sind begnadigt worden.

Gerecht ist für uns ein Richter, der sachlich und unparteiisch einen Fall klärt und die Sache nach Recht und Gesetz entscheidet. Gerecht ist ein Lehrer, der alle Kinder seiner Klasse gleich liebhat und die Zensuren nach den tatsächlichen Leistungen verteilt. In der Bibel aber meint „Gerechtigkeit“ den Zustand des ganzen Lebens, zu dem Gott „Ja“ sagen und an dem er Gefallen finden kann. Zum Geburtstag wünschen wir uns Glück, Erfolg und Gesundheit.

Aber wir wünschen uns nicht, daß jemand gerecht sein möge und Gott Gefallen an ihm haben möge.

Doch es kann einer ein Leben voller Mühsal und Kampf, voller Verzicht und Leiden geführt haben und doch gewußt haben: Gott steht zu mir, ich bin bei ihm geborgen. Über den Wert oder Unwert des Lebens entscheidet nur Gott. Wie er über uns denkt und urteilt - das ist die Frage Nummer eins

Aber wie Jesus es gemacht hat, das war doch wirklich ärgerlich. Er hat doch gerade die Menschen an sich gezogen, die ein verkorkstes Leben hatten. Da sind doch alle Werte zerstört, die die Welt zusammenhalten. Pflicht und Leistung sollen nichts mehr gelten? Gott soll Gefallen haben an denen, die nichts wert sind? Alle guten Werke sollen auf einmal nichts mehr gelten?

Die Juden wollten Gott gefallen, indem sie beteten, Geld spendeten, opferten, die Gebote hielten und die Reinheitsvorschriften beachteten.

Wir haben dazu entsprechende christliche Ge­genstü>Auch Paulus hatte es in jener menschlichen Gerechtigkeit weit gebracht, er konnte wirklich stolz sein auf seine Leistungen. Aber nun muß er erkennen: Selbst wenn er sein Soll hundertprozentig erfüllt hätte, dann wäre noch nicht alles gut, dann hätte er noch nicht die Gerechtigkeit. im Sinne Gottes erreicht. An den eigenen Haaren kann man sich nicht aus dem Sumpf ziehen. Diesen Weg hat Jesus versperrt, indem er alle Lieblosigkeit und Unwahrhaftigkeit aufdeckte. Er zerschlug alle Selbstgerechtigkeit und zeigte uns, wie sehr wir jeden Tag auf die Gnade Gottes angewiesen sind.

Es gehört wohl doch viel Einsicht dazu, bis man begreift, was „Gerechtigkeit Gottes“ bedeutet. Heinrich Böll hat in seiner Erzählung „Daniel, der Gerechte“ einen Gesichtspunkt herausgehoben. Er schildert darin einen Lehrer, der eine Aufnahmeprüfung abzunehmen hat und sich dabei an seine eigene Aufnahmeprüfung erinnert. Damals hatte er Gerechtigkeit mit „ä“ geschrieben, weil er meinte, das habe etwas mit „Rache“ zu tun. Nun sieht er die ängstlichen Gesichter der Prüflinge vor sich und erkennt: Man kann einen Menschen nicht nur noch seinen Leistungen mit Zensuren bewerten, sondern es muß auch dem Schwachen eine Chance gegeben werden. So streicht er gewissermaßen die Rache aus der Gerechtigkeit. Sein hartes Gesicht kann er absetzen, so wie man einen Hut wegtut, der ausgedient hat. Das Prinzip von Vergeltung und Belohnung gilt nicht mehr.

Aber das ist doch eine verkehrte Welt, werden wir denken. Man muß doch Maßstäbe haben, nach denen die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden. Wo kommen wir denn hin, wenn die Frommen und Kirchlichen nichts erlangen und Jesus bei den Unkirchlichen und Atheisten ist? Irgendwie muß es doch einen Lohn für alle Mühen und Entbehrungen, für alle Treue und Zuverlässigkeit geben!

Paulus macht das Erstaunliche des Verhaltens Gottes mit einem Bild aus dem Sport deutlich: Da haben Sportler lange trainiert und sich gut vorbereitet. Nun laufen sie und strengen sich an und holen das Letzte heraus. Aber unterwegs stolpern sie über einen großen Stein, fallen hin und haben keine Chancen mehr. Jeder Protest ist sinnlos, weil sich herausstellt Der Veranstalter selber hat den Stein dort hingestellt. Und den Siegespreis erhalten überraschend diejenigen, die sich einfach auf diesen Stein gestellt haben und gar nicht mitgelaufen sind - ohne Bild gesprochen: die nur geglaubt haben und Jesus zur Grundlage ihres Lebens gemacht haben.

Aber wenn Gott wirklich so handelt, dann kann man doch nur an ihm irre werden. Er verhält sich doch wie ein Betriebsleiter, der die Höchsten Löhne und Prämien den Bummelanten gibt, während die anderen leer ausgehen, obwohl von ihrer Arbeit der ganze Betrieb lebt. Es ist doch kein Wunder, wenn einer da sagt: „Mit einem solchen Gott bin ich fertig!“ Doch wer so protestiert, der hat schor den ersten Schritt zum Verständnis des Evangeliums getan. Er beginnt zu ahnen, daß bei Gott auch die Versager eine Chance haben. Nun muß er nur noch einsehen, daß er selber auch so ein Versager ist. Das ist wohl das Schwerste bei allem. Wir rechnen uns doch nicht zu den Zöllnern und Sündern, wir haben doch nicht Schiffbruch erlitten, sondern unser Leben ist geordnet und normal verlaufen.

Aber bei Licht besehen liegt es im Interesse aller, wenn es nicht auf unsre Leistung ankommt. Da hätte keiner von uns etwas zu hoffen. Es gibt keinen, dessen Fall zu verfahren wäre, daß sich Gott mit seiner Liebe nicht dafür interessieren würde. Und niemand ehrt Gott so wie der, der sich einfältig und vertrauensvoll alles vor ihm schenken läßt,

Auch eine Art Arbeitsteilung ist nicht möglich: Die etwas aufzuweisen haben werden durch ihre guten Werke gerettet und die anderen aus Gnade. Dann könnte man ja vor Gott hintreten und sagen: „Siehst du, gerechter Gott, ich habe es geschafft. Ich bin dir nun nichts mehr schuldig! Nur du bist mir noch den Lohn und die Anerkennung für mein Leben schuldig. Jetzt fordere ich meinen Lohn. Ich brauche nicht zu bitten, ich will mein Recht!“

Gott ist nicht unser Geschäftspartner. Aber er hat Jesus als den Felsen hingelegt, damit wir darauf stehen können.   sich auf ihn verläßt, der wird nicht zugrunde gehen. Hier werden wir zum Glauben aufgerufen. Gott gefallen nur solche, die es nicht wert sind, wird uns gesagt. Also gilt es, mit dem Irrtum aufzuräumen, wir müßten es wert sein. Der Glaube ist keine Leistung; aber er ist die neue Gemeinschaft mit Gott. Wer nicht glaubt, der wird zuschanden. Wer aber an ihn glaubt, der soll nicht zuschanden werden.

 

 

Röm 9, 14 - 24 (Septuagesimä):

Warum gibt es so viele Menschen, denen der christliche Glaube gleichgültig ist oder die ihn deutlich ablehnen? Liegt es an uns, weil wir das Evangelium nicht richtig weitersagen? Liegt

es an den Fehlern und Mängeln der Kirche? Oder liegt es an Gott selbst, weil er die Ohren und Herzen verschließt? Da kann mal als überzeugter Christ doch nicht ruhig und unempfindlich bleiben und sagen: „Das ist Privatsache des Einzelnen!“ Wir sollten uns nicht moralisch entrüsten über die, die nicht mehr zur Kirche gehören, sondern uns um sie mühen. Es geht ja nicht um Weltanschauungen und Theorien, über die man diskutieren kann und die man bejahen oder ablehnen kann; vielmehr geht es doch um den Gott, der uns erschaffen hat und erhalten will.

Es ist bedrückend, wenn Menschen leichtfertig oder böswillig die Gemeinschaft mit Gott aufgeben. Vor allem geht es dabei ja auch um die Kinder. Erst waren sie eifrig bei der Kirche dabei und haben begeistert mitgemacht. Aber dann lassen die Eltern sie nicht mehr hin. Welches Kind würde sich schon gegen seine Eltern stellen? Das wäre vielleicht auch nicht so gut, selbst wenn es um den Glauben geht.

Aber man muß doch auch voller Unruhe fragen: Wie kommt es, daß Menschen nicht an Gott glauben, wo Gott doch für alle Menschen da sein will? Ist es etwa nicht in unsere Macht gegeben, ob wir in einem christlichen Elternhaus geboren wurden und getauft und christlich erzogen wurden? Ist alles von Gott vorherbestimmt, so daß der Mensch nichts dagegen oder dafür unternehmen kann? Sind wir unfrei in unseren Entscheidungen?

Bedeutende Denker der Menschheit und vor allem natürlich die Theologen haben sich immer wieder den Kopf darüber zerbrochen: Wie lassen sich die Allmacht Gottes und die Freiheit des Mengten miteinander vereinbaren? Vielleicht werden wir erst in Ewigkeit diese beiden Aussagen zusammendenken können, so wie zwei Schienenstränge, die erst in der Ferne zusammenzulaufen scheinen. Paulus versucht auf seine Art eine Antwort zu geben mit zwei Sätzen: Erstens verweist Paulus auf die Freiheit Gottes. Gott kann retten und verlorengehen lassen, wen er will. Er ist auch frei, sich nicht zu erbarmen. Das ist hart. Aber dieser Einsieht muß man erst einmal standhalten, ehe man auch den zweiten Satz vom Erbarmen Gottes hören darf. Gott erbarmt sich, wessen er will; und er verstockt, wen er will.

Wir dürfen ihn deshalb nicht kritisieren. Wir stehen nicht auf einer Ebene mit ihm. Wir haben nichts zu fordern oder einzuklagen. Wenn er wirklich alle Macht hat im Himmel und auf Erden, dann können wir ihn zwar bitten, aber nicht zwingen. Eltern legen den Kindern gegenüber ja auch nicht Rechenschaft ab über ihr Tun. So ist auch Gott nicht unserem Richten unter­worfen, sondern w i r dem seinen.

Und doch wird immer wieder gefragt: „Ist denn Gott ungerecht? Warum hat er denn die Gaben so unterschiedlich verteilt, in der Schule und im Beruf und auch beim Glauben?“ Man kann sich nur wundern, daß die Konfirmanden noch nicht mit der Ausrede gekommen sind: „Gott ist doch selber schuld daran, wenn er mich so dumm gemacht hat, daß ich nicht einmal das Glaubensbekenntnis auswendig lernen kann!“ Aber offenbar ist das doch kein Argument, um die eigene Faulheit zu entschuldigen.

Aber es könnte doch einer kommen und sagen: „Ich. kann und darf doch dem Willen Gottes nicht widerstehen. Wenn er mich nicht gut haben w i 1 l, dann kann ich auch nicht gut sein!“ Paulus wird böse, als er an diesen möglichen Einwand denkt. Er sagt: „Mensch, wer bist du eigentlich? Wie kommst du dazu, auch noch Widerworte zu haben? So etwas ist ja direkt frech!“

Als Begründung bringt er das Beispiel von dem Töpfer und dem Ton: Der Töpfer kann aus dem Ton machen, was er will - einen kostbaren Weinkrug oder einen Abfalleimer. Wenn er aber einmal die Form hergestellt hat, dann bleibt es dabei. Der Ton kann keine Vorwürfe machen, warum er gerade zu diesem Gefäß geschaffen wurde - der Töpfer macht das eben so und nicht anders.

Deshalb darf aber noch keiner von uns Menschen zu Gott sagen: „Du warst es ja selbst, der mich so geschaffen hat, ich kann nichts dafür, wenn ich ungläubig bin!“ Hier stimmt das Bild vom Töpfer und Ton nicht mehr. Am Anfang der Bibel wird zwar in bildhafter Weise erzählt, daß Gott den Menschen aus Erde geformt habe; aber zum Menschen wird er erst durch den Hauch Gottes. Wir Menschen sind keine Roboter, die nach einem bestimmten Programm entweder Gutes oder Böses tun. Wir haben einen eigenen Willen und werden immer wieder vor Entscheidungen gestellt. Gott ruft uns. Aber viele bleiben ihm die Antwort schuldig. Gott zwingt niemanden in seine Richtung, sondern er hat übergroße Geduld. Er trägt auch, was seinen Zorn herausfordern könnte: Verachtung seines Wortes, Verschleudern seiner Gaben, Hartherzigkeit. Damit sind wir bei der anderen Aussage des Paulus.

Zweitens verweist Paulus auf die Barmherzigkeit Gottes. Wenn einer fragt: „Ist denn Gott ungerecht?“ dann antwortet Paulus: „Zum Glück ist er es: Gott ist ungerecht, wenn er barmherzig ist. Er gibt nicht, was wir eigentlich verdient hätten, sondern er rechnet nach dem,

was wir nötig haben!“ Das macht ja auch das Evangelium des Sonntags von den Arbeitern im Weinberg deutlich: Gott schreibt einfach bei den später Dazugekommenen mehr Stunden auf, damit auch sie das erhalten, was sie nötig haben.

In Wirklichkeit können wir uns ja bei Gott überhaupt nichts verdienen. Paulus sagt: „Es liegt nicht an unserem Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen!“ Im Beruf und in der Schule, im Alltag und im Sport erreichen wir nur etwas, wenn wir uns anstrengen. Ohne Mühe und Arbeit gibt es weder Anerkennung noch Lohn. Doch: Wenn es aber um Gottes Reich geht, ist alles anders. Wenn es da nur nach dem Soll ginge, wäre das Urteil bald gesprochen. Mit all unserer Frömmigkeit und unsren Werken bleiben wir aber weit hinter dem zurück, was Gott von uns erwartet. Deshalb können wir nur auf sein Erbarmen hoffen.

Das hört sich jetzt vielleicht so an, als brauchten wir überhaupt nichts zu tun, als müßten wir alles Gott überlassen und könnten nur auf sein Erbarmen hoffen. Und wenn einer verdammt ist, dann wäre das eben Gottes Schuld, weil ja der Mensch nichts mitzureden hat. Manchmal könnte man den Eindruck haben, daß einer zum Verbrecher bestimmt ist: erst Automaten, dann Autos, dann Mord und Totschlag.

Es werden zwar viele Anstrengungen unternommen, einen Menschen wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Aber wenn er wieder in seine alten Kreise gerät, dann geht alles von vorne los.

Doch ist es denn wirklich „Schicksal“, wenn man aus einem solchen Teufelskreis nicht mehr herauskommt? Gibt es denn keine Bewährungshelfer, bemühen sich nicht Staat und Kirche, Verwandte und Bekannte? Wenn einer sich anstrengt, kann ihm auch geholfen werden. Es ist nicht alles nur Schicksal, sondern auch viel Nachlässigkeit und mangelnde Willenskraft. Über sein tatsächliches Schicksal bestimmt jeder selber mit.

Noch ein Beispiel: Es gibt immer eine Reihe von Männern und Frauen, die zwar verheiratet sind, es aber doch mit einem anderen haben. Die könnten sagen: „Ich kann nichts dagegen tun, wenn mich halt die Natur plagt, muß ich einfach so handeln“" Als ob nicht jeder wüßte, daß Ehebruch nach den Geboten Gottes verboten ist, und als ob nicht jeder gegen seine plötzlichen Einfälle und Gelüste vorgehen könnte. Wir dürfen nicht jeden Fehltritt Gott in die Schuhe schieben wollen.

Es ist unsre Natur, daß wir schlafen müssen. Aber es ist nicht naturnotwendig, wenn wir früh nicht aufstehen und die Arbeit (oder auch der Gottesdienst) versäumen. Es ist natürlich schwer, diese beiden Sätze nebeneinander verstehen zu sollen: „Gott ist frei und kann das Wesen eines jeden vorherbestimmen!“ und „Jeder ist für sein Tun verantwortlich und kann nur auf die Barmherzigkeit Gottes hoffen!“

Gott läßt jedem zunächst einmal die freie Entscheidung. Aber diese Entscheidung nimmt er dann in seinen Plan auf. Und dann gibt es nur noch Erbarmen oder Zorn, Segen oder Fluch. Man muß nicht unbedingt ein Verbrecher werden, zunächst ist man noch frei. Aber wenn man erst einmal drin ist, gibt es meist keine Änderung mehr, dann muß man alles tun, was gefordert wird.

Weinkrug bleibt Weinkrug und Abfalleimer bleibt Abfalleimer. Die Frage ist nur: Wer sind

wir? Gottes Weinkrug oder ein Abfalleimer? Es gibt Menschen, die waren von Anfang an Abfalleimer. Die sind von der kirchlichen Verkündigung nicht zu erreichen, auch wenn diese in noch so modernen Formen geschieht. Die reagieren auch nicht mehr, wenn sie persönlich angesprochen werden. Uns wird daran deutlich: Es ist nicht unser Verdienst, wenn wir an Gott glauben dürfen.  Jubelnd ruft Paulus aus: „Die Gefäße der Barmherzigkeit, das sind wir!“ Wir können da nicht Zuschauer bleiben, wir sind selber betroffen. Wir wissen ja selbst, wie schwer der Glaube manchmal wird und wie schnell man unsicher werden kann. Und Gott bangt immer wieder darum, ob wir seine ausgestreckte Hand auch ergreifen.

Dennoch ist Gott auch für die Gottlosen da. Er hat auch mit ihnen immer noch Geduld und wartet darauf, daß sie doch ihren Sinn ändern. Sie stellen den dunklen Hintergrund dar, auf dem das Licht Gottes nur umso heller erstrahlen kann. An den anderen können wir sehen, was wir eigentlich verdient hätten und wovon Gott uns befreit hat.

Vielleicht begreifen wir nur schwer, daß viele Menschen um uns herum ohne Gott auskommen können. Aber Gottes Ruf erging an alle. Sein Handeln ist nicht ungerecht oder unsinnig. Gott gebe es uns, daß wir ihn verstehen. Und daß wir selber seine Barmherzigkeit annehmen und dadurch vielleicht anderen den Weg weisen zu dem, der auch sie annehmen will. Wir sollten dankbar dafür sein, daß Gottes Sohn sich zum „Gefäß des Zorns“ hat machen lassen, damit wir „Gefäße der Barmherzigkeit“ sein können.

 

 

Röm 10, 9 – 17 (17. Sonntag nach Trinitatis):

Es wird manchen unter uns geben, der darunter leidet, daß ein lieber Mensch nicht an Christus glaubt. Eltern können den Glauben nicht an ihre Kinder und Enkel weitergeben oder der eine Ehepartner hat den anderen nicht überzeugen können. Da heißt es dann: „Laß mich in Ruhe mit deinem Reden von Gott, das ist doch altmodisch! Für dich mag es ja etwas sein, aber ich will damit nichts zu tun haben!“' So wird es mancher schon gehört haben.

Es gibt auch dem umgekehrten Fall, daß Kinder unter dem Unverständnis ihrer Eltern leiden. Sie gehen zum kirchlichen Unterricht, aber die Eltern haben Angst, die Kinder könnten dabei zu fromm werden und dann auf beruflichem Gebiet Nachteile haben oder vielleicht sogar

selber einen kirchlichen Beruf ergreifen. Hier bleibt zwischen Menschen, die sich liebhaben, oft eine tiefe Fremdheit und ein Riß, der schmerzt.

Es geht dabei ja nicht nur um das persönliche Verhältnis zueinander. Hier geht es ja vor allem auch um Tod und Leben, das heißt: um das ewige Leben. Das hat auch Paulus so fertig gemacht, wenn er an das Schicksal seines Volkes dachte. Es ging ihm nicht um die persönliche Enttäuschung, daß seine Arbeit fruchtlos zu sein schien. Vielmehr lebte er in Angst und Sorge um die Zukunft seines Volkes: „Was wird aus ihnen werden, wenn sie nicht an Jesus glauben? Werden sie verloren sein in alle Ewigkeit?“

Wie können wir den Menschen begegnen, die sich gegen Gott verhalten? Zunächst einmal sollten wir allen Hochmut gegenüber dem anderen ablegen. Unser Glaube ist nicht unser Verdienst und Werk, sondern ein Geschenk Gottes. Und da ist nicht Einbildung am Platz, sondern Staunen und Dankbarkeit, weil Gott uns gewürdigt hat, an ihn zu glauben.

Dann sollten wir Achtung vor den Empfindungen des anderen haben. Oft halten wir unseren Glauben für den allein wahren und richtigen. Aber bei jedem ist der Glaube persönlich eingefärbt, jeder glaubt auf seine besondere Weise an Gott und an Christus. Andere sollen nicht ge­nauso glauben wie wir, sondern ihren Glauben an Gott und Christus selber finden. Es könnte sogar sein, daß im Herzen des anderen schon ein Glaube lebt, den wir nur nicht entdecken, weil er uns fremd ist. Der andere soll nicht das Gefühl haben, er wäre erst dann anerkannt, wenn er unseren Glauben teilt. Wir kennen nicht die Wege, die Gott den anderen noch führen wird. Wenn Gott will, daß unseren Kindern noch die Augen aufgehen, dann wird er es geschehen

Aber hier liegt natürlich ein schweres Problem: Wenn Gott es allein in der Hand hat, ob jemand seinen Platz bei ihm findet oder von ihm geschieden ist, ob er gerettet oder verloren ist, dann liegt es ja gar nicht am Menschen, sondern an Gott. Muß man da nicht zutiefst beunruhigt sein über einen Gott, der völlig wahllos Schicksal macht, und nicht nur zeitliches Schicksal, sondern ewiges? Was wird aus den Menschen, unter denen wir wohnen und mit denen wir arbeiten, wenn ihre Unansprechbarkeit für Gott auf Gottes eigenem Entschluß beruht?

Gott ist frei, er kann erwählen und verwerfen, und er ist niemandem verpflichtet außer sich selbst.

Noch größer ist aber der Schock, wenn wir bedenken: „Gott könnte ja auch unseren Glauben noch in Frage stellen. Wir rechnen uns jetzt zu den Glaubenden. Aber körte es auch nicht wieder anders kommen, daß wir nämlich nicht mehr glauben können?“ Da haben junger Menschen jahrelang beim Krippenspiel mitgemacht, kamen häufig zu den Jugendabenden ‚und dann schreiben sie auf einmal: „Meine jetzige Weltanschauung verträgt sich nicht mit der Zugehörigkeit zur Kirche!“ Wie kommt so etwas, ist denn gar nichts hängengeblieben?

Wenn einer seine Gottesbeziehung nur für einen Luxus ansieht, den man sich leisten, auf den man aber auch ohne Not wieder verzichten kann, dann ist so eine Entwicklung für den Betreffenden nicht tragisch. Wenn einer aber die Frage nach Gott ganz ernst genommen und tief durchdacht und durchlitten hat, dann reibt er sich daran, daß er Gott alle Freiheit zugestehen muß und nicht weiß, wo er selber nach Gottes Wollen steht.

Für uns liegt es nahe, die Menschen dann immer gleich in zwei Gruppen einzuteilen: Hier die Erwählten, dort die Verworfenen. Manche Christen sind da bestürzend schnell bei der Hand. Sie rechnen natürlich sich selber immer gleich zu den Glaubenden, zu denen, die immer alles richtig machen. Doch tatsächlich kann man diese Gruppen der Angenommenen und der Ausgeschlossenen gar nicht vor sich sehen. Man kann nicht einmal von sich selbst wissen, was Gott über einen beschlossen hat. Das müßten sich die vor Augen halten, die sich ihres Glaubens so sicher sind.

Doch wir wollen hier nun niemanden verunsichern. Gott ist ja gar nicht auf die Scheidung dieser beider Gruppen aus, das ist ja immer nur unsere menschliche Einteilung. Gott möchte uns nur zu gern alle retten. Er gibt Keinen auf und ruft uns immer wieder zu sich und will uns zum Glauben helfen.

Die Juden haben auch so eine Trennung versucht in „Gläubige und Heiden“. Selbst Jesus hat die ausländische Frau zunächst zurückgewiesen, die für ihre Tochter gebeten hat. Aber durch ihren Glauben hat diese Frau dem Ring durchbrochen, der um das Volk der Wahl Gottes gelegt war. Gerade der Glaube gewinnt bei Gott; und dann sind Juden und Heiden nicht mehr voneinander geschieden. Jeder ist eingeladen. Und mehr als diese Frau brauchen wir auch nicht vorzuweisen.

Wir haben wohl alle eine geheime Angst, das Spiel unseres Lebens zu verlieren. Auch als Glaubende unternehmen wir noch verdächtig viel, um das Heil Gottes mit unseren Methoden herbeizuzwingen. Wir begreifen, daß es kein Gesetzessoll mehr für uns gibt. Aber dann legen wir uns wieder ein Glaubenssoll auf und machen so den Glauben zu einem Werk.

Doch der Glaube vertraut nicht nur auf seine Stärke und er verzweifelt auch nicht an seiner Schwäch­lichkeit. Er hat nur Christus im Blick und weiß: Er ist kein mühsam anzustrebendes Fernziel, sondern was wir brauchen, ist uns ganz nahe. Christus ist uns nahe und herzlich zugewandt. Wir können uns nur wundern und tief betroffen sein, weil er sich so für uns interessiert. Wir haben ihn schon viel gekostet. Aber er verlangt von uns nicht mehr, als daß wir uns von ihm lieben lassen.

Auch das Bekenntnis mit dem Herz und mit dem Mund meint nicht mehr. Wir würden über Paulus hinaus auch noch das Bekenntnis der Tat hinzufügen, die praktische Lebenshaltung und die Vertrauenswürdigkeit des Christen. Ein solches Zeugnis wirkt glaubensfördernd bei dem anderen, aber auch bei dem Bekennenden selbst: Er wird sich so seines eigenen Glaubens bewußt und erfährt an sich selber unmittelbar die Kraft Christi.

Dann wird er auch begreifen: Es gibt keine Vorzugsstellung der einen vor den anderen. Das Wort Gottes muß man sich nicht erst mühsam herbeiholen, muß sich nicht erst durch einen Wust schwieriger Fragen hindurcharbeiten und nicht erst viele Künste aufwenden. Man muß nichts mitbringen, sondern jeder hat die gleichen Chancen: fromme Kirchenchristen und solche, die nur einmal durch das Astloch im Zaun gucken; Menschen mit einem geordneten Leben und solche, die von einer Verlegenheit in die andere stolpern, die Christus schon seit langem kennen, aber auch die, die zum ersten Mal staunend auf ihn aufmerksam werden. Gott liegt an allen, und an den Schwachen liegt ihm wohl noch am meisten. Er ist reich für alle, die ihn anrufen, wie Paulus sagt. Unsere Armut und unser Mangel machen^ nichts aus bei einem so reichen Herrn.

Nicht jeder wird das gleich erkennen. Er wird sich vielleicht vorkommen wie einer, der vor einem strahlend beleuchteten und verlockend dekorierten Schaufenster steht, aber nicht weiß, wie er drankommen soll, weil der Laden zu ist oder die Geldtasche leer.

An das Geheimnis Gottes aber, an seine Botschaft, kommt man durchaus heran. Paulus sagt: „Der Glaube kommt aus der Predigt!“ Man kann Gott nicht irgendwo suchen, sondern er kann nur dort gefunden werden, wo er sich uns gibt. Gott ist zwar überall: in der Natur, in der Geschichte, im persönlichen Schicksal, in den Mitmenschen - aber dort ist er immer nur der verborgene Gott. Wirklich erkennen werden wir ihn nur, wenn uns etwas über ihn gesagt wird. Wir brauchen also die Predigt und den Umgang mit dem Wort Gottes überhaupt.

Ein Theologieprofessor sprach einmal mit einer Dame über den Glauben. Doch diese sagte: „Darüber habe ich ganz andere Ansichten, ich bin nämlich ungläubig!“ Doch der Professor fragt sie nach einigen Büchern, die sich ernsthaft mit Glaubensfragen beschäftigen und die sie als gebildete Frau eigentlich gelesen haben könnte. Er fragt, ob sie das Neue Testament und den Katechismus gelesen habe. Aber die Frau muß verneinen. Da sagt der Professor: „Entschuldigen Sie“, sagte da der Professor, „dann sollten Sie sich besser unwissend und nicht ungläubig nennen!“ Wie viele bei uns werden auch eher unwissend als ungläubig sein!

Wir aber haben die Möglichkeit, unsere Unwissenheit zu überwinden, indem wir zum Gottesdienst kommen und die Predigt hören. Da wird uns Christus vor Augen gemalt wie bei einem Schaupiel auf der Bühne. Gott aber wirkt hinter der Bühne und hält die Fäden in der Hand. Aber an das, was wir vorne auf der Bühne sehen, können wir uns halten. Wir sehen das

Leben Jesu, seine Verkündigung und sein Sterben, wir hören die Botschaft von der Auferstehung. All das hilft dazu, den oftmals verborgenen Gott zu erkennen und zum Glauben an ihn zu kommen.

Ein Londoner Bischof fragte einmal einen berühmten Schauspieler, weshalb die Prediger mit ihrer erhabenen und wahren Verkündigung meist nur geringen Eindruck machen, die Schauspieler mit ihren Dichtungen aber die Leute sehr bewegen. Da antwortete der Schauspieler: „Das kommt daher, daß wir von erdichteten Sachen wie von wahren sprechen, die Herren Geistlichen dagegen von den wahren Sachen wie von erdichteten!“

Daß der Glaube bei uns lebendig werde, können wir nur von Gott erbitten. Wenn man nur am Wort Gottes dranbleibt, darf man darauf vertrauen, daß es zündet. Was wir brauchen, ist uns im Grunde ganz nah, selbst dann, wenn wir es im Augenblick noch nicht so erkennen.

 

 

Röm 11, 25 – 32 (10. Sonntag nach Trinitatis):

Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht Meldungen aus dem Nahen Osten aus dem Radio oder dem Fernsehen entnehmen. Es wird dabei deutlich: Das alles hat seinen Grund in der Existenz des Staates Israel in diesem Gebiet, ein Staat, der früher in dieser Form nicht da war und der heute als Störenfried empfunden wird. Aber der Staat wurde gegründet, weil man den Juden nach den Verfolgungen in Europa durch die deutschen Nazis wieder eine „Heimstatt“ geben wollte, wie es damals hieß. Weil wir aber Teil des Volkes sind, aus dem die Täter kamen, haben wir bis heute ein besonderes Verhältnis zu diesem Staat und zu seinen Bewohnern.

Man könnte denken, daß nun auch noch in der Kirche das Thema „Israel“ aufgegriffen wird. Aber das hat keinen aktuellen Grund, sondern das war schon immer so am 10. Sonntag nach Trinitatis, auch als es den Staat Israel noch nicht gab. Mit anderen Worten: Es geht hier nicht um politische Fragen, sondern um das Verhältnis zwischen Christen und Juden, um die Beziehung zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk. Hier ist vom Messias die Rede, der das gottlose Wesen von Jakob abwenden wird und Israels Sünden wegnehmen wird. Das ist eine Frage, die auch uns angeht. Wir wollen deshalb heute bedenken, was uns mit den Juden verbindet und was wir aus dem Schicksal dieses Volkes für uns lernen können, für unseren Glauben und für unser Leben.

Paulus rätselt an der Frage herum, weshalb sein Volk denn so blind war für Jesus. Jahrhundertelang haben sie auf den Messias gewartet. Nun aber ist er da und sie wollen nichts von ihm wissen. Dabei war doch klar, wie alles verlaufen sollte, jedenfalls wenn man in die Schriften des Alten Testaments hineinsieht: Zunächst würde sich Israel um den Messias scharen, und dann würde das Heil übergreifen auf die Heidenwelt: Die Israeliten sind die Ersten, dann kommen die anderen Völker!

Aber dieses Schema wurde im wörtlichsten Sinne durchkreuzt: Der Retter wurde ans Kreuz geschlagen. Das Volk der Erwählung hat sich in seiner Mehrheit vom Heil ausgeschlossen. Man kann nur erschrecken, wenn man bedenkt: „Gottes Volk ist in der Verlorenheit!“ Aber es gibt in der Geschichte Gottes eben nicht nur Sprünge nach vorn, sondern zuweilen auch Abbruch.        

Doch für uns ist das noch lange kein Grund, nun triumphierend auf die Juden herabzusehen und sie zu schulmeistern. Wir können uns nur freuen, wenn wir unser Heil in Jesus Christus erkannt haben und uns dadurch nur noch enger mit Gott verbunden wissen. Aber wenn die einen sich der Herrschaft Gottes versagen, dann läuft sie weiter zu anderen. Zunächst wurden wir Nutznießer des Versagens Israels. Aber was ist, wenn wir nun unsererseits nichts von Gott wissen wollen? Dann könnte es heißen:

 

(1.) Die Ersten werden die Letzten sein: Schon Luther gebraucht das Bild vom Platzregen, der mal hier, mal da niedergeht. So trifft auch Gottes Wort einmal die und einmal die. Und wenn die eine Gruppe nicht darauf hören will, dann geht es eben weiter zur nächsten. Man könnte sich das alles aber auch mit folgendem Bild deutlich machen: Wenn ein Fluß an seinem normalen Lauf gehindert wird, dann sucht er sich ein neues Bett. Aber irgendwo muß das Wasser ja hin. Und ebenso muß auch Gottes Wort eine Wirkungsstätte finden. Es könnte sein, daß auch wir davon betroffen werden.

Man spricht davon, daß Amerika das christlichste Land sei, sowohl die Vereinigten Staaten als auch Kanada. In diesen hochindustrialisierten und hochkapitalistischen Ländern glauben 94 Prozent der Bevölkerung an Gott, wenn auch nur 70 Prozent einer Kirche angehören. Aber die dazugehören, die gehören auch wirklich dazu. Dort gehen jeden Sonntag 40 Prozent der gesamten Bevölkerung zum Gottesdienst. Wenn wir auch aus unserer europäischen Sicht manches am amerikanischen Kirchenwesen kritisieren möchten, aber in dieser Hinsicht können wir uns von den Christen dort eine Scheibe abschneiden.

Wir wissen auch, welche großen finanziellen Mittel die Christen dort für die Menschheit und die Christenheit bereitstellen. Es ist nicht von ungefähr, daß der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter ein Laienprediger in seiner Gemeinde war und bei seinen Reden aus der Bibel zitierte und das war nicht nur Wahlkampftaktik, sondern das war echt.

Der Schwerpunkt des Christentums liegt längst nicht mehr in Europa. Wir müssen uns fragen, ob wir nicht so wie die Juden aus Ersten zu Letzten geworden sind. Das verbindet uns mit ihnen und zeigt auch zugleich, was wir von ihnen lernen können. Schließlich haben in unserem Volk ja die jahrhundertelangen Judenverfolgungen ihren furchtbaren Höhepunkt erlangt. Damals haben auch Kirchenmänner sich an den antijüdischen Parolen beteiligt. Die sogenannten „Deutschen Christen“ forderten ja ein vom Judentum gereinigtes Christentum, einen germanischen Jesus und die Entfernung aller getauften Juden aus der Kirche. Und wer damals noch zu klein oder noch gar nicht auf der Welt war, der frage sich immerhin, wie er in jener Zeit gehandelt hätte.

 

(2.) Feinde werden Geliebte:

Aber Paulus weiß, daß. die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel noch nicht zu Ende ist. Er sagt: „Wenn erst einmal alle Heiden glauben, dann wird auch Israel zum Glauben kommen!“ Es wird wohl nicht so weit kommen, daß alle Menschen in der Welt Christen werden. Aber es wird in jedem Volk Christen geben. Israel wird schließlich noch neidisch auf sie werden und sich auch bekehren. Gott macht manchmal Umwege, aber er läßt sich nicht von seinem Ziel abbringen. Auf alle Fälle werden auch noch die Juden zu Jesus finden.

Eine christliche Mission an den Juden wäre jedoch vielleicht schon ein Eingriff in das Handeln Gottes. Hier werden wir mit Geduld warten müssen und werden die Angehörigen des alten biblischen Volkes zu achten haben. Der moderne Staat Israel aber muß durchaus nicht eine Etappe auf dem Weg zur letztlichen Bekehrung Israels sein; im Gegenteil könnte er sich vielleicht sogar als Hemmschuh auf diesem Weg erweisen.

Aber wir sollten die Menschen dort betrachten ‚wie Paulus das tut: Er fühlt sich keineswegs als Verräter an der Sache seines Volkes, weil er nun Christ geworden ist. Aber er trauert darüber, weil dieses Volk nicht Jesus als den Messias erkannt hat. Und doch ist er sicher: Auch diese Feinde Gottes werden dennoch vor ihm geliebt. Gott könnte zwar anders. Aber er will nicht, weil er an seiner Erwählung festhält.

So besteht also doch noch Hoffnung, daß der Strom der Liebe Gottes auch wieder in dem alten Flußbett fließen wird. Gott hat den Unglauben der Juden benutzt, um die Botschaft von Jesus in die Welt zu bringen. So hat sich Gott über die erbarmt, die nicht gehorcht hatten. Im Augenblick gehorchen die Juden nicht, aber Gott wird sich auch über sie erbarmen.

Das ist auch unsere Chance. Unser Glaube versagt auch oft. Aber Gott läßt uns nicht fallen, obwohl wir auch unsere eigenen Werke gehen und unsere Lebensart ein Erbarmen nicht vorsieht. Gott aber wendet sein Erbarmen auch denen zu, die kein Erbarmen mit seinem Volk hatten. Gott ist auch für uns da, ehe wir glauben und auch ohne daß wir glauben. Die Leitung von ihm zu uns steht auch unter Strom, wenn wir nicht einschalten. Unsere Taufe bleibt bestehen, auch wenn wir sie noch nicht entdeckt oder inzwischen wieder verleugnet haben. Wir empfangen im Abendmahl Leib und Blut des Herrn, auch wenn wir Sünder sind oder verzweifelt oder das alles nicht so recht verstehen. Er steht vor unserer Tür, auch wenn wir nicht öffnen.

Gott hilft uns, auch wenn wir im Augenblick nicht beten können. Und er bleibt unser Gott, auch wenn wir unseren Konfirmationsschein einmal zerrissen hatten. So wird unser Unglaube überwunden durch Gottes Barmherzigkeit, jeden Tag neu. Der Gott, der es sich schon so viel hat kosten lassen, läßt die Dinge nicht so laufen, wie sie wollen. Auch uns läßt er nicht laufen. Und das ist das Einzige, was uns vor dem Verlorensein retten kann. Wir leben alle aus Gottes Erbarmen. Das erniedrigt uns, den es werden alle Ansprüche abgebaut. Aber es erhöht uns auch, denn wir werden doch noch alle zum Gottesvolk. Auch in dieser Predigt bietet Gott uns wieder sein Erbarmen an. Verstanden hat diese Botschaft derjenige, der sich nur noch wundern kann.

 

 

Röm 11, 33 - 36 (Trinitatis):

Wir denken manchmal an die vielen, die nicht mehr unter uns sind, weil sie gestorben sind. Bei manchem wird die Frage aufkommen: Mußte das sein? Vielleicht regt sich auch die eine oder andere Anklage in unserem Herzen gegen Gott: Warum hat er so etwas alles zugelassen? Warum ist vieles so sinnlos wie dieser neuerliche Mord in den USA? Wird es denn niemals etwas anders?

Paulus antwortet hier: „Wie unbegreiflich sind seine Gerichtsurteile und wie unerforschlich sind seine Wege! Wer hat des Herrn Sinn erkannt?“ Keiner weiß, was Gott mit jedem Einzelnen vorhat. Wir wissen nicht, was in der Tiefe Gottes alles ruht.

Auch der glaubende Mensch muß hier seine Grenze erkennen. Alles menschliche Begehren und Denken werden hier zurechtgewiesen. Wir sind eben keine Partner Gottes, sondern wir sind ihm untergeben. Wir können auch keine Vorleistungen bringen, etwa durch gute Taten oder durch den Gottesdienstbesuch, um dadurch ein gutes Verhältnis zu Gott herzustellen.

Jesus hat uns das deutlich gemacht durch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: Die elf Stunden und die nur eine Stunde gearbeitet haben, erhalten gleich viel an Lohn. Und ihr Arbeitgeber sagt zu ihnen: „Ich kann doch mit meinem Geld machen, was ich will!“

So souverän ist Gott auch. Er bleibt uns doch immer der verborgene und der unverständliche Gott, der über unser Fassungsvermögen geht. Wir wissen nicht Bescheid über seinen
Willen und seine Wege.

Aber bedeutet „Theologie“ nicht „Wissenschaft von Gott“? Müßte nicht s i e des Herrn Sinn kennen? Gibt es nicht Pfarrer, die sich von Berufs wegen für verpflichtet halten, den Leidtragenden und Angefochtenen die Absichten Gottes zu erkläre? Wird das nicht auch von den Gemeindegliedern erwartet?

Gerade bei Amtshandlungen und vor allem bei Beerdigungen besteht doch die Versuchung, dem Menschen zu erklären, sein Geschick habe sicher einen Sinn für sein Heil, etwas Gutes müsse auch an seinem Leid sein. Und mancher will dann auch angeblich wissen, warum Gott dies und das getan hat und jenes unterlassen hat.

Oftmals wird auch erwartet, daß ein bewußter Christ ein Ratgeber und Rechtsanwalt Gottes ist, der jedem das Handeln Gottes verständlich machen kann. Gern werden große geschichtliche Ereignisse als eine sichtbare Gnadenführung Gottes gedeutet. Aber das geht dann nur solange gut, bis diese ganze Heilsdeutung mit Schimpf und Schande widerlegt ist.

Aber auch die Unheilsdeutung ist so eine Form des Bescheidwissens über Gott. Sehr schnell sieht man in einem Unheil ein Gericht Gott, wenn irgendwo eine Überschwemmung ist, dann ist man froh, daß es die anderen erwischt hat - wer weiß, wofür sie bestraft werden sollten.

Wir dürfen aber nicht gleich hinter jedem Ereignis in der Weltgeschichte oder in unserem persönlichen Leben ein Zeichen Gottes sehen, weder ein Zeichen des Wohlwollens noch des Zorns.

Gott bleibt uns immer wieder ein verborgener Gott. Wir wissen nicht, warum er uns gerade so hat werde lassen, weshalb wir nicht so erfolgreich oder gesund wie andere sind oder weshalb es uns besser geht als anderen.

Wir wissen nicht, weshalb uns Gott gerade diesen Menschen an die Seite gestellt hat und einen anderen genommen. Wir wissen auch nicht, welchen Weg er mit seiner Kirche vorhat. Sicherlich, manches wird uns nach Jahren doch noch deutlich. Aber alles begreifen wir nie. Gott läßt sich nicht in die Karten sehen, er läßt sich nicht hineinreden und von niemandem begrenzen.

Gott will aber auch, daß wir Menschen frei sein können. Er möchte, daß jeder sein bleibendes Glück findet, aber er zwingt niemand dazu. Er läßt einen Menschen eher in sein Unglück laufen, als daß er Ihn zu seinem Glück zwingt - obwohl er das könnte.

Gott will keine Kriege, denn er ist ein Gott des Friedens. Krieg ist immer Schuld der Menschen. So läßt Gott sie eher in ihr Unglück laufen, als da er sie zum Frieden zwingt. Er will, daß sie mit seiner Hilfe den Weg zum Frieden selber finden. Wir möchten lieber, daß Gott manchmal dreinschlägt und seine Macht erweist. Aber er bleibt ein verborgener Gott und läßt sich nicht zwingen,

Es gibt aber keine Regel, nach der wir die Rätsel der Geschichte lösen können, weder unsre persönlichen noch die großen gemeinsamen Fragen. Wir sollten bescheiden sein und die Frage: „Wer hat des Herrn Sinn erkannt?“ mit einem ehrlichen „Niemand“ beantworten. Wir wissen nicht, warum Gott den einen so und den anderen so geführt hat, warum er bald Schönes und bald Schweres geschickt hat.

Wir können Gottes Fremdheit nicht weg reden mit der Behauptung, daß Gott dennoch Liebe ist. Nur das eine dürfen wir dennoch hören: Gott hat uns seinen Sohn geschenkt, der unser Herr und unser Heil sein will. Nun lernen wir den unerforschlichen Gott von einer ganz anderen Seite kennen. In Jesus Christus hat er den Menschen sein Erbarmen zugewendet. Er hat die Menschen von, sich aus aufgesucht, weil sie ihm nicht gleichgültig sind, und er will ihnen so zu ihrem Glück verhelfen.

An den drei großen Festen des Kirchenjahres können wir uns deutlich machen, wie Gott ist: An Weihnachten kommt Gott zu der Ärmsten und Verachtetsten und schafft eine neue Menschheit. An Karfreitag und Ostern baut er den gottfernen Menschen eine Brücke zu Gott. Und an Pfingsten gibt er ihren die Gewißheit, daß die Kraft seines Geistes ihnen überall beisteht.

Jesus ist die Antwort Gottes auf alle unesre Fragen. Wir brauchen nicht vor einem furchterregenden Gott zu erschrecken, sondern können ihn loben, wie es Paulus hier tut: „Welche Tiefe des Reichtums der Weisheit der Erkenntnis Gottes!“ Nur wenn wir zur Anbetung Gottes kommen, werden wir die Fragen los.

Diese Weisheit und Erkenntnis Gottes umgreift unser Nicht-Wissen und Schein-Wissen und stellt es erst an den richtigen Ort. Wer das begreift, der kann sagen: „Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen!“ Unser Leben hat einen Ursprung, aber auch ein Ziel: Wir sind auf Gott hin erschaffen, von dem und durch den und zu dem alle Dinge sind.

Gar mancher kann dankbar auf die Hilfe Gottes zurückschauen. Vielen ist es schlimmer ergangen. Wir wollen doch nicht nur das Schwere sehen, sondern auch als das Schöne, das jeder Mensch irgendwann einmal erlebt hat.

Das eine wollen wir nicht vergessen: Gott hat einem jeder von uns einen Schatz mitgegeben. Gerade bei der Konfirmation ist die Verheißung Gottes für jeden Einzelnen deutlich geworden. Da hat Gott gesagt: „Ich bin dein Gott!“

Haben wir diesen Schatz gehütet, sind wir sinnvoll damit umgegangen? Oder haben wir ihn vergraben, so daß er uns nichts genutzt hat? Oder ist er unmerklich immer weniger geworden, so daß er heute gar nicht mehr ins Gewicht fällt? Doch es ist nie zu früh und selten zu spät, diesen Schatz von Gott wieder auffüllen zu lassen. Hier im Gottesdienst und vor allem im Abendmahl ist Gelegenheit dazu!

 

 

Röm 12, 1 – 3 (1. Sonntag nach Epiphanias):

Wenn man eine Umfrage startete bei Christen und Nichtchristen, was man denn so allgemein unter Gottesdienst versteht, dann käme sicher meist die Antwort: „Gottesdienst ist die Versammlung der Christen am Sonntagmorgen, wo gesungen und gebetet wird, wo man die Predigt hört und Kollekte gibt!“ Und die Eingeweihteren werden vielleicht noch hinzufügen: „Auch Taufe und Abendmahl sind Gottesdienst!“

Viele sehen natürlich auch die Not dieses Gottesdienstes. Er soll die Versammlung der ganzen Gemeinde sein, das zentrale Ereignis der ganzen Woche. Aber wie spärlich sind oft die Kirchenbänke besetzt. Vielerorts versucht man die Leute wieder anzulocken durch „Gottesdienst einmal anders; und manche treue Kirchengänger stöhnen dann: „Gottesdienst - schon wieder anders!“

Paulus aber beschränkt den Gottesdienst nicht auf die eine Stunde am Sonntagvormittag. Für ihn ist Gottesdienst eine Lebenshaltung: die ganze Hingabe an Gott. Der Gottesdienst, der sich nur auf dem Sonntag beschränkt, bleibt unvollständig. Aber Paulus sieht auch die andere Gefahr: ein Gottesdienst, der sich im Alltag erschöpft, verliert sich leicht an die Welt. Viele werden heute begeistert die Parole aufnehmen: „Auf den Gottesdienst im Alltag kommt es an, das ist vernünftiger Gottesdienst! Sozialer Einsatz, Entwicklungshilfe, Nachbarschaftshilfe, Diakonie das allein ist heute Gottesdienst. Und solch praktisches Christentum kann man auch den Nichtchristen leichter verständlich machen als Wort und Sakrament, Bekenntnis und Gebet. Im gelebten christlichen Leben trifft man sich mit den „Kindern dieser Welt“ eben leichter als in Lehre und Liturgie.

Das erleben wir ja immer wieder in unserer gesellschaftlichen Umwelt: die Diakonie der Kirche, die Arbeit in den Heimen und Anstalten, wird weithin anerkannt. Der Staat ist heilfroh, daß die Kirche sich so der Behinderten annimmt Man weiß inzwischen, daß hier der Staat verantwortlich ist, aber man hat eben nicht die Menschen dazu, diese Aufgabe voll wahrzunehme. Deswegen läßt man sich diesen Dienst der Kirche gern gefallen und erkennt ihn auch ausdrücklich an.

Paulus sagt: „Gebt eure Leiber zum Opfer!“ Damit fordert er uns auf: Tragt den Glauben nicht nur in eurem Innerer mit euch herum, sondern laßt ihn in praktischen Taten sichtbar werden!“ Es hilft nichts, wenn man Gott nur mit den Lippen oder mit frommen Handlungen ehrt, um dann im Alltag umso beruhigter ohne Gott oder gar gegen Gott leben zu körnen. Wir können unser Christenleben nicht aufspalten in einen Bereich, in dem wir Gott gehören, und einen anderen, in dem Gott nichts zu sagen hat.

Gott darf erwarten, daß wir uns ihm ganz hingeben. Der Begriff „Opfer“ drückt das auch heute noch zutreffend aus. Schon in alten Zeiten hat man gewußt, daß man Gott ein Opfer schuldig ist. Man hat Tiere und sogar Menschen geschlachtet, um sie Gott zu opfern. Aber das war immer eine Ersatzleistung. Gott will nicht einen anderen, sondern uns selbst haben. Und er will nicht ein geschlachtetes, sondern ein „lebendiges Opfer“, wie Paulus sagt. Gott bean­sprucht unsere Hände und Füße, unsere Augen und Ohre. Unseren Verstand will er haben, all unsere Kräfte und Möglichkeiten, selbst das leidige Geld.

Ersatzleistungen machen nur deutlich, daß wir es nicht geschafft haben, uns selbst ganz für Gott zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich können wir es ja auch nicht schaffen. Jesus hat es für uns geschafft, hat sich für uns zum Opfer hingegeben. Gott ist unser Verlorensein an die Nieren gegangen und er hat sich über uns erbarmt. Bei ihm brauchen wir durch unser Leben und Tun nichts zu gewinnen, sondern er hat schon alles gewonnen. Weil Gott so barmherzig ist, mahnt Paulus uns, daß wir uns doch ganz unserem Gott zur Verfügung stellen.

Der Sonntagsgottesdienst hilft uns, den Anschluß an die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes nicht zu verlieren. Er wird zwar vielfach kritisiert und ist auch in der Tat reformbedürftig. Aber er ist doch immer noch ein guter Ort, an dem das Hören und Antworten auf Gottes Anrede versucht wird. Viele sogenannte Christen halten aber gar nichts vom sonntäglichen Gottesdienst. Für sie erschöpft sich der Gottesdienst im Hören auf das Geläut der Glocken, das ist so schön feierlich und stimmungsvoll, das will man nicht missen; bestenfalls erleben sie die Kirche noch einmal bei Trauerfeiern.

Andere kann man nur für den Gottesdienst gewinnen, wenn dieser irgendwie „attraktiv“ ist. Aber neue Methoden allein machen es nicht. Man könnte auch durch die Einführung von Familiengottesdiensten oder Gesprächsgottesdiensten die Funktionslosigkeit des Gottesdienstes nur verschleiern. Alle neuen Formen des Gottesdienstes sind wertlos, wenn sie nur ein Trick sein sollen, den Gottesdienst anziehend zu machen.

Nur durch gemeinsame Besinnung vor Prediger und Gemeinde kamen man den Sonntagsgottesdienst als Mittelpunkt und Kraftquell des Gemeindelebens wieder gewinnen. Gottesdienst, der sich nur .im Alltag erschöpft, steht in der Gefahr, sich an die Welt zu verlieren. Damit ist aber weder der Welt gedient noch Gottes Wille erfüllt. Das Leben im Alltag muß immer Hand in Hand gehen mit dem gemeinsamen Nachdenken über das, was vor Gott das Richtige und Vollkommene ist.

Der Sonntagsgottesdienst ist nicht der ausschließliche und einzige Dienst für Gott. Aber er ist immerhin der Ausgangspunkt für den Gottesdienst im Alltag. Der Glaube und das Dienen kommen aus dem Hören der frohen Botschaft von Jesus Christus. Weil uns das Erbarmen Gottes zuteilgeworden ist, können wir auch unseren Dienst an der Welt tun. Diesen Hintergrund sollten wir nie vergessen und auch nie verschweigen. Ein Christ, der nur noch sagt oder tut, was andere auch tun, der lebt und handelt nicht mehr als Christ. Was wir am Sonntag in der Kirche (hoffentlich) gelernt haben, das gehört in den Alltag hinein und soll dort seine Kraft erweisen.

Wir können also zusammenfassend sagen: Ohne den Gottesdienst in der Praxis des Lebens wird alle Predigt für Gott nicht angenehm sein und den Menschen verdächtig sein. Wo es einer aber mit der Hingabe an den Mitmenschen ehrlich meint, da wird das Dabeisein in der Versammlung der Christen nicht ausbleiben. Ich kann nicht mehr Liebe erweisen als ich empfange. Ich empfange sie aber aus dem Wort Christi, wie es in der Gemeinde öffentlich ausgerufen und ausgeteilt wird.

Der vernünftige Gottesdienst ereignet sich nicht nur in der Gemeinde, aber auch und zuerst in ihr. Hier beschenkt Gott seine Diener mit den Gaben, durch die er in die Welt hineinwirken will. Er kommandiert und droht nicht, sondern er teilt hilfreiche Gaben aus - das ist die Art und Weise, in der Gott an der Welt wirkt.

Jeder Christ hat etwas bekommen, und das hat er einzusetzen. Die Unterscheidung von Theologen und Laien in der Kirche ist nicht glücklich. Es mag zwar praktische Gründe geben, bei dem einen mehr das Amt zu betonen und bei dem anderen mehr die Gnadengaben. Aber sie stehen nicht in Konkurrenz, sondern sie sind einander zugeordnet. Keiner von uns hat

a 1 1 e Gaben.

Das bedeutet aber: Wir brauchen einander. Niemand kann seinen Glauben ohne die Gemeinde leben. Und niemand kann innerhalb der Gemeinde die anderen entbehren. Jede Gabe und Begabung werden deshalb gebraucht, auch ganz bescheidene und ungewohnte.

Niemand sollte traurig darüber sein, daß er in der Kirche nichts Größeres geworden ist. Er sollte sich aber fragen, ob er sich mit seinen Gaben nützlich gemacht hat. Wer sich zu kurz gekommen fühlt, der sollte seine Gaben einsetzen, dann wird es ihm an Aufgaben nicht fehlen.

Eine Gefahr besteht allerdings auch, daß einer seine Gaben zu stark herausstellt, sei er nun Pfarrer oder sonst ein Mitarbeiter in der Gemeinde. Dadurch können die zaghaften Ansätze der anderen zur Mitarbeit im Keim erstickt werden. Aktivität und Einsatz sind sicher erfreu­lich. Aber zu viel menschliche Geltungssucht und Überheblichkeit kann mehr zerstören als aufbauen.

Heute brauchen wir allerdings weniger zum Maßhalten mahnen, wie das Paulus tut. Wir werden eher Mut machen müssen, sich dem Dienst in der Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Manche Gemeindeglieder sind zwar ganz zufrieden, wenn der Pfarrer und vielleicht noch einige wenige andere alles machen. Sie sagen: „Machen Sie das ruhig, Sie können des am besten!“ Oder sie meinen: „Das muß der Pfarrer machen, das gehört zu seinem Beruf, dafür wird er schließlich bezahlt!“

Aber dadurch wird es niemand lernen, sich als lebendiges Glied der Gemeinde zu verstehen und sich an dem vernünftigen Gottesdienst in Kirche und Welt zu beteiligen. Auch wenn der Glaube und das Leben der Kirche zur Herzensangelegenheit aller Gemeindeglieder werden, dann wird unser Gottesdienst in Kirche und Alltag vernünftig und nach dem Willen Gottes

sein.

 

 

Röm 12, 9 – 16 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Zu Weihnachten hat eine Zeitung einmal eine Umfrage ausgewertet, was die Leute so vom Christentum halten. Die letzte Frage lautete dann etwa so: „Was halten Sie für den wichtigsten und entscheidensten. Punkt am Christentum?“ Und da kam bei der Mehrzahl der Befragten die Antwort: „Die Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit, die gefordert wird!“ Die Zeitung sah das als einen Mangel an und schrieb: „Das ist also vom Christentum übriggeblieben: Nicht der Glaube an Gott oder an die Lehren der Kirche wird als entscheidend angesehen, sondern einfach: die Mitmenschlichkeit, die von anderen Weltanschau­ungen so oder ähnlich auch gefordert wird!“

Andere Kommentatoren haben das Ergebnis dieser Umfrage positiv bewertet. Sie sagten: „Das ist doch großartig! Endlich hat die Mehrzahl begriffen, daß es auf die Nächstenliebe ankommt. Es genügt nicht, nur irgendwelche Glaubensbekenntnisse nachzusprechen. Der Glaube muß sich auch im praktischen Zusammenleben zeigen, die Liebe zu den Menschen muß auch irgendwo konkret werden!“

Es stimmt schon: Das Wort „Liebe“ ist eine abgegriffene Münze mit geringem Kurswert.

Es ist haarsträubend, was da alles als „Liebe“ bezeichnet wird: Wenn eine verheiratete Frau sich einem anderen Manne hingibt oder ein vierzigjähriger Mann es mit einer Fünfzehnjährigen Internetbekanntschaft hat, dann war das „Liebe“. Wenn Eltern ihr mißgestaltetes Kind umbringen, dann geschah das aus „Liebe“. Wenn Krieg geführt wird, geschieht das aus Liebe zur Freiheit. Es gibt Liebe zum Vaterland, zum Geld und zum Alkohol. Das Thema bei Paulus aber ist die ungeheuchelte Liebe. Es wird entfaltet in den Punkten: Ohne Heuchelei, Wachheit, Zuwendung und Hingabe.

 

(1.) „Die Liebe sei ohne Heuchelei“, schreibt Paulus als erstes. Es hat doch keinen Sinn, wenn einer Übereinstimmung mit einem anderen vorgibt, aber im Grunde etwas ganz anderes damit meint. Es ist doch Heuchelei, wenn einer nur „Ja“ sagt, um seine Ruhe zu haben und das auch noch als „Liebe“ bezeichnet. Es wird oft gelogen aus sogenannter „Liebe“ und Rücksichtnahme.

„Liebe macht blind!“ sagt das Sprichwort: Eine Mutter nimmt ihr Kind in Schutz, obwohl es andere Leute geärgert hat. Der Geliebte ist ein Grobian, aber aus „Mitleid“ heiratet sie ihn doch, um ihn bessern zu können. In einem Bündnis kann der stärkere Verbündete sich manches herausnehmen, was ihm sonst nicht erlaubt wäre. Aber ist diese parteiische Liebe, die dem anderem manches durchgehen läßt, wirkliche Liebe? Wir lassen dann halt Fünf gerade sein, weil es uns angenehm ist. Aber wahre Liebe macht erst recht sehend.

 

(2.) Wachheit: Man sagt besser „Nächstenliebe“, weil dann klar ist: Es ist die Liebe, die Gott uns aufgetragen hat. Natürlich hat dieses Wort für viele Menschen einen etwas zu frommen Klang. Aber es ist schon ein Unterschied zwischen der „Mitmenschlichkeit“ und der „Nächstenliebe“: Um wirklich Liebe üben zu können, muß ich sie im Auftrag Christi tun, nicht aus eigener Machtvollkommenheit heraus.

Allerdings zeigen diese Ermahnungen nur wenig speziell christliche Züge: Was hier gesagt wird, gilt für alle Menschen. Es wird nicht mit frommen Phrasen geredet, sondern das dargelegt, was von allen gefordert wird. Doch Liebe gibt es nicht nur auf dem Boden der Kirche. Zu oft haben Nichtchristen uns vorgelebt, was wir als Christen hätten leben sollen. Aber wir wollen den christlichen Glauben auch nicht in reine Mitmenschlichkeit auflösen. Wir als Christen müssen die Mitmenschlichkeit noch mehr als die anderen leben.

Dennoch wird man die heutigen diakonischen Einrichtungen kritisch sehen müssen. Sie hatten ihren guten Sinn, als der Staat noch nicht seine Aufgabe erkannt hatte. Aber was sollen heute noch eigene kirchliche Kindergärten, Schulen, Jugendzentren und Krankenhäuser, wenn dort nicht anderes gemacht wird als anderswo auch. Da gehört die Hälfte der Erzieherinnen nicht einmal der Kirche an, wie wollen sie da christliches Leben vermitteln? Im Jugendzentrum paßt die Sozialarbeiterin nur darauf auf, daß das Mobiliar nicht zerschlagen wird. Und der diakonische Pflegedienst steht in Konkurrenz mit den anderen Pflegediensten und hat auch nicht mehr Zeit für den Patienten.

Aber die sozialen Maßnahmen des Staates und die Hilfe der Versicherungen machen die Liebe um Christi willen nicht überflüssig. Trotz aller staatlichen Fürsorge gibt es immer noch zu tun. Aber dann sollte man sich vielleicht mehr auf die Dinge konzentrieren, die bisher nicht als Aufgabe gesehen werden wie zum Beispiel die Telefonseelsorge oder der Besuchsdienst. Oder man nimmt eine Aufgabe anders als der Staat wahr wie zum Beispiel die Schwangerenberatung.

Die Nächstenliebe wird mit Erfindungsgabe und Beharrlichkeit, mit Wachsamkeit und schnellem Reaktionsvermögen die Gelegenheiten suchen, wo sie in Aktion treten kann. Durch die Bibel werden wir immer wieder aufgeweckt und zu etwas gerufen, was erst noch werden wird. Es wird keinen Augenblick geben, wo wir beruhigt feststellen können, nun hätten wir alles begriffen und alles getan. Die Liebe hält die Augen offen, wenn auch mit Klarheit und Nüchternheit. Die Liebe fängt mit dem Sehen an. Oft sehen wir nichts, weil wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Aber viele eigene Probleme würden sich von selbst erledigen, wenn wir einen schärferen Blick für den anderen hätten, dem es viel schlechter geht.

 

(3.) Zuwendung: Liebe nimmt nicht nur wahr, sondern ist zugleich Zuwendung zu dem anderen. Sie macht die Sache des anderen zur eigenen Sache, und sie will für ihn da sein und ihm alles Beste gönnen. Urbild dafür ist Christus, in dem die Liebe Gottes ihre Gestalt gefunden hat. Die Liebe ist das Menschlichste am Menschen. Durch einen Mangel an Liebe können Menschen zerstört werden - vor allem Kinder und Jugendliche - auch wenn es bei ihnen an materiellen Gütern nicht fehlt. Der Mensch hält die Eiseskälte eines total versachlichten und funktionalisierten Lebens nicht aus.

Wir brauchen Menschen, die mit uns gehen, die Anteil nehmen an dem, was uns bewegt, die uns ihr Vertrauen schenken und denen wir vertrauen können. Wir brauchen Menschen, vor denen wir auch unsre Schwachheit nicht zu verbergen brauchen, weil sie uns in kritischen Augenblicken verstehend und hilfreich beispringen. Geteilte Freude ist dann doppelte Freude, und geteiltes Leid ist dann nur halbes Leid.

Dazu gehört auch die gegenseitige Ehrerbietung, in der jeder den anderen höher achtet als er in Wirklichkeit ist. Die Ehre gehört zum Menschsein. Jeder hat ein berechtigtes Bedürfnis, als Mensch ernst genommen zu werden. Gerade auch in der christlichen Gemeinde gilt es, dies zu üben. Denken wir zum Beispiel an eine Diskussion über ein neues Glaubensbekenntnis. Da hat auch jede Seite versucht, die andere auf ein klares „Ja“ oder „Nein“ festzulegen. Aber weshalb denn? Man wird nur selten zu so einer komplizierten Sache ganz „Ja“ oder ganz „Nein“ sagen können. Man kann einzelne Sätze bejahen und muß andere verwerfen und viele Einzelentscheidungen treffen. Die Wahrheit ist oft nur schwer zu finden und man wird oft mit zwei Sätzen antworten müssen und noch nähere Erläuterungen geben müssen. Wie kann man nur so unduldsam sein und ein knappes „Ja“ oder „Nein“ fordern, andernfalls könne man nicht den rechten Glauben haben?

Es genügt nicht, wenn man sich nur „Bruder“ nennt, man muß es auch sein! Der Haß darf nicht Raum in uns gewinnen. Denn sonst verstellen wir uns und werden zur Maske. Die Liebe aber spielt ein offenes Spiel, sie hat keine Maske nötig, sondern sagt die Wahrheit, und zwar nicht hintenherum, sondern offen und ehrlich, ohne die Ehre des anderen herunterzureißen. Echte Liebe erzeugt ein Klima, in dem es sich einfach gut leben läßt. Es gibt so Familien, da merkt man gleich beim Eintreten, daß dort ein guter Geist weht. Da gibt es eine unbefangene Herzlichkeit, in der man sich aneinander freut.

Wir können nicht alle Menschen ernsthaft lieben. Aber die, die Gott zu unserem Nächsten macht, die können wir lieben. Bei Paulus damals war die Unterstützung für die arme Gemeinde in Jerusalem die vordingliche Aufgabe.

Wir werden andere Aufgaben wahrzunehmen haben. In der Zeit vor Weihnachten werden wir überschwemmt mit Bitten um Spenden. Wir können nicht allen nachkommen, aber das eine oder andere Anliegen sollte schon dabei sein. Die Liebe liebt auch dort, wo es nichts zu lieben ist. Gott liebt sogar seine Feinde.

 

(4.) Hingabe: „Die brüderliche Liebe sei herzlich!“ Verwandte und Freunde fühlen eine besondere Liebe zueinander. Aber Liebe schlägt auch schnell in das Gegenteil um, und dann geht es wieder zu wie bei Hund und Katze. Wahrhafte Liebe schenkt mit ganzem Herzen. Das zeigt sich im Mitleiden mit den Traurigen und in der Freude mit dem Fröhlichen. Das Mitfreuen kann uns schwerfallen, weil wir leicht neidisch werden, wenn wir sehen, wie sich ein anderer freut. Aber auch das Mitleiden ist uns oft sehr schwer.

Die Liebe wird sich die Stellen ihres Einsatzes nicht aussuchen, sie greift zu, wo ihr eine Aufgabe am Wege liegt. In ein afrikanisches Land kam einmal eine Entwicklungshelferin aus Amerika. Sie war gut angezogen und wie alle Amerikaner sehr auf Reinlichkeit bedacht. Nun wollte sie in einem Elendsviertel mithelfen, die medizinischen und hygienischen Verhältnisse zu verbessern. Als sie aber in die erste Hütte tritt, kommt ein kleiner, schmutzstarrender Junge auf sie zugelaufen, ruft laut „Schöne, weiße Tante“ und will in die Arme genommen werden

Entsetzt macht die feine Dame kehrt, läuft in ihr Haus und packt die Koffer: Sie will sofort wieder abreisen, weil sie in dem Dreck umkommt. Doch auf dem Weg zum Bahnhof muß sie wieder an dieser Hütte vorbei. Wieder kommt der Junge gelaufen: „Schöne weiße Tante“. Aber diesmal bleibt sie stehen, mitten auf der Straße und breitet die Arme aus für diesen Jungen.

Das ist Mitleiden: Sich ganz auf die Stufe des anderen stellen und sein Leid mit übernehmen und tragen. Liebe sucht nicht nur das, was „hoch“ ist, was liebenswert oder angenehm ist. Liebe begibt sich auch nach unten und kümmert sich auch um die Menschen in Schande und Jammer. Zur Liebe kann man sich nicht zwingen. Es ist schwer, den zu segnen, der einen verfolgt und einem das Leben schwer macht. Und doch wird diese Liebe von uns verlangt und wir müssen uns immer wieder darin üben. Es gibt viele Gelegenheiten zur Liebe. Wer dem Herrn dienen will, der nutzt die Zeit, um Liebe zu zeigen. Die Arbeit der Liebe, die Gott uns zugedacht hat, darf nicht ungetan liegenbleiben.

 

 

Röm 12, 17 - 21 (4. Sonntag nach Trinitatis):

„Gute Zäune machen gute Nachbarn!“ So lautet ein Sprichwort. Aber so häufig wie der Streit unter Eheleuten ist auch der Streit unter Nachbarn. Nehmen wir nur den Streit um die Grenze, die vielleicht durch einen Maschendrahtzaun gekennzeichnet wird, durch den aber dann doch zum Ärger des Nachbarn der Knallerbsenstrauch hindurch wächst. Dann muß so ein Zaun auch einmal wieder erneuert werden. Die Regel ist: Wer den Zaun das letzte Mal erneuert hat, der nagelt die Latten auf seiner Seite an! So steht es im Nachbarrecht. Aber wird das auch vom Nachbarn so gesehen? Wenn eine Mauer die Grundstücke abtrennt, dann ist die Frage: Wie richtet man die Abdeckung aus, damit das Regenwasser zur eigenen Seite läuft oder zu der des Nachbarn?

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, sich mit Nachbarn zu zerstreiten. In Wiesbaden fühlte sich ja ein Richter durch das Licht einer Lampe des Nachbarn gestört, dann sogar von einer Lampe im Inneren des Hauses. Der nächste Grund waren die weiß gestrichenen Fenster, wo doch alle Nachbarn braune Fenster haben. Und letztlich lag wohl alles daran, daß der Nachbar einen ausländisch klingenden Namen hatte, der den Richter nicht ruhen ließ.

Es gibt aber auch andere Möglichkeiten des Zusammenlebens: Da haben drei Nachbarn in einem Reihenhaus auf den Zaun zwischen den Grundstücken verzichtet. Dadurch haben die Kinder mehr Spielfläche und können auch die Geräte in jedem Garten nutzen. Nur der vierte Nachbar macht nicht mit, der hat fein säuberlich seinen Zaun gezogen. Aber das muß man ertragen, das ist sein gutes Recht, man darf ihn deswegen nicht schief ansehen.

Theoretisch ist das alles klar. Schön wäre es schon, wenn nirgendwo mehr Böses mit Bösem vergolten würde und unter den Menschen Friede wäre, im Kleinen und im Großen. Und wo noch Feindseligkeiten wären, da würden sie vom Guten besiegt. Aber die Praxis sieht anders aus, denn in die Wirklichkeit unsrer Welt will eine solche Liebe nicht passen. Die Liebe wird es nicht leicht haben. Sie entzündet sich nicht - wie die Erotik - am Liebenswerten, sondern sie muß immer eine Dennoch-Liebe sein. Doch es wird immer unsere Aufgabe sein, nicht vor der Lieblosigkeit zu kapitulieren.

Paulus gibt dazu im Römerbrief einige Hinweise. Er sagt: Liebe setzt immer neue Anfänge, sie überläßt Gott das Ende und sie überwindet alle Schranken.

 

1. Liebe setzt immer neue Anfänge:

Das Ziel ist zwar hoch gesteckt, mit allen Menschen eingeordnetes und einvernehmliches Verhältnis herzustellen. Das Prinzip der gegenseitigen Vergeltung geht uns sofort in Fleisch und Blut über, das brauchen wir nicht zu lernen: Wenn mich einer beleidigt hat, hänge ich ihm wieder etwas an. Wenn einer böse mit mir ist, dann bin ich auch mit ihm böse. Wenn mich einer reingelegt hat, dann versuche ich ihm auch eine Falle zu stellen.

Die Liebe dagegen müssen wir erst lernen. Paulus weiß auch ganz nüchtern, daß das nicht immer so einfach möglich ist. Schon Schiller läßt Wilhelm Tell sagen: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt!“

Das christliche Menschenbild kann uns da vielleicht helfen. Die Erkenntnis daß alle Menschen Sünder sind, muß uns jedoch nicht lähmen. Weil wir ohne Illusionen sind, können wir es gut anpacken. Ich weiß: Der andere, mit dem ich mich vertragen und mit dem ich zum Frieden kommen muß, ist ein Sünder. Aber noch viel wichtiger: Ich selber bin es auch. Friede unter Sündern ist ein Problem, aber auch eine Aufgabe. Wir gehen alle von der gleichen Ebene aus, das verhindert Enttäuschungen, die zum Aufgeben führen.

Das ist ja die Schwierigkeit in vielen Problem-Ehen: Eines Tages entdeckt man wechselseitig, daß man einen Sünder geheiratet hat. Das hätte man vorher wissen können und sollen. Dann hätte man einander vergeben und die Sünde damit unschädlich gemacht.

Aber mancher Friedwillige prallt an seinem Gegenüber geradezu ab. Vielleicht ist der andere charakterlich zu schwierig, vielleicht schon erblich vorbelastet oder in seiner Erziehung fehlgeleitet. Vielleicht hat er mit Menschen schon üble Erfahrungen gemacht, daß er keinem mehr glaubt. Seine Ansichten und seine Lebensart sind unmöglich.

Aber auch im eigenen Leben ist vieles nicht so gelaufen, wie es hätte sein sollen. Zu schnell geht der Jähzorn mit einem durch. Dann hat man es dem anderen einmal zeigen wollen. Wir haben uns von dem anderen das Gesetz des Handelns aufzwingen lassen und nicht mehr nach den eigenen Überzeugungen gehandelt.

Und der „böse Nachbar“ sieht es leider nicht anders. Er will zwar auch ein redlicher und guter Mann sein, er will keinen Konflikt. Aber weil ich ihn geärgert habe, rastet er dann doch aus. Das gilt in unserem kleinen zwischenmenschlichen Bereich wie im Zusammenleben von Menschengruppen und Völkern.

Da gibt es auf einmal Spannungen zu Ausländern, mit denen an jahrelang friedlich zusammen gelebt hat. Da droht plötzlich der Islam unsre Kultur zu überfremden. Da will man immer noch die Tschechen zur Kasse bitten, weil sie die Deutschen einst vertrieben haben, ohne dabei daran zu denken, das Deutsche den Tschechen angetan haben. Noch trauriger ist die Einstellung mancher Menschen bei uns zu den Juden, die jetzt angeblich selber daran schuld sein sollen, daß man sie nicht liebt.

In der Regel kann man gar nicht ausmachen, wer mit dem Bösen angefangen hat. Deshalb sagt Paulus: „Überwinde das Böse mit Gutem!“ Es ist völlig egal, wer mit dem Bösen angefangen hat. Hauptsache ist, es wird durch die Liebe überwunden. Die Bosheit des anderen könnte zwar eventuell zur Grenze des Friedens werden, aber das befreit nicht von der Pflicht, sich ständig für Frieden und Entspannung einzusetzen. „Seid im Vorhinein auf Gutes gegen alle Menschen bedacht!“ Dann denkt man nicht mehr darüber nach, ob der andere vielleicht ein mieser und verachtenswerter Mensch sein könnte, sondern man nimmt von vornherein an, daß er es gut mit einem meint und geht in die Begegnung hinein mit der Erwartung, daß sich Gutes und Erfreuliches ergeben wird.

Paulus macht zwar ganz nüchtern die Einschränkung: „Wenn es möglich ist“ und „soweit es an euch liegt“. Aber Christen rächen sich nicht, weil sie selbst Geliebte sind. Er hat immer wieder einen neuen Anfang gesetzt und mein Böses mit Gutem überwunden. Er hat seine Liebe vorgegeben, hat Gutes mit mir im Sinn gehabt, er denkt Gutes von mir und wendet alles zum Besten. Da wird es mir doch auch möglich sein, meinem Mitmenschen in gleicher Haltung zu begegnen.

 

2. Liebe überläßt Gott das Ende:

Die Richtlinien des Paulus sind nicht für den Himmel gedacht, sondern für das Verhalten in dieser Welt. Doch mancher wird fragen: Wo kommen wir denn da hin, wenn wir dem Bösen nicht auf gleicher Ebene begegnen? Wird es nicht überhandnehmen? Bestärken wir den Sünder nicht in seiner Bosheit? Wo kämen wir da hin, wenn jeder ungestraft tun und lassen könnte, was er will. Die Menschen lassen sich doch nicht freiwillig umstimmen, sondern sie werden Nachgiebigkeit als Schwäche auslegen und bedenkenlos für sich ausnutzen und wir selber wären die Dummen!

Daß wir nur eine angemessene Vergeltung üben sollen, das sehen wir sofort ein. Aber daß wir auf jede Vergeltung verzichten sollen, das ist doch unvernünftig. Aber wenn wir auf jede Kleinigkeit mit Vergeltung antworten, dann wird der andere auch wieder reagieren.

Oder wir fühlen uns von dem anderen nur bedroht und wischen ihm zur Vorsicht schon einmal eine aus, damit er uns nichts tun kann. Schließlich sind wir dann wieder bei der Blutrache

Es kann schon einmal sein, daß man mit Härte auf seinem Recht bestehen muß. Wir könne die Welt nicht zum Paradies machen, aber wir können mit unserem Handeln Zeichen für das Kommende geben. Dazu gehört auch, daß man sich selbst nicht rächt. Dazu gehört auch, daß man einmal auf sein Recht verzichtet. Man muß nicht aller Welt demonstrieren, daß man Recht gehabt hat.

Deshalb bricht noch nicht alle Ordnung zusammen. Ich muß mir nicht eine Pistole besorgen und jeden niederknallen, der mir angeblich Unrecht getan hat. Das Recht setzt der durch, dem es allein zusteht: entweder der Staat oder Gott im Himmel. Wer sich selber rächen will, greift in die Zuständigkeiten Gottes ein und versucht eigenmächtig, ein Stück Himmel vorwegzunehmen. Wir dürfen die Gewißheit haben, daß unser Recht nirgendwo in so guten Händen ist wie bei Gott.

 

3. Die Liebe überwindet alle Schranken:

Gott erlaubt nicht, daß ich eine Beleidigung mit einer Gegenbeleidigung beantworte. Er erlaubt nicht, daß ich dem anderen nun meinerseits etwas anzuhängen versuche oder eine Verschwörung gegen ihn anzettele oder ihn schikaniere. Der Gang zum Gericht muß manchmal sein, weil man nur mit Hilfe eines Dritten zu einer Lösung kommen kann. Aber Gott sagt: „Die Rache ist mein!“ Dann können wir das Gericht ihm überlassen und brauchen nicht seine Rache auf andere Menschen herab zu wünschen. Er hat seine Hand bereits auf jeden Menschen gelegt, da dürfen wir ihm nicht ins Handwerk pfuschen. Wie seine Rache aber aussieht, das hat er am Kreuz gezeigt: Dort wurde das Böse vernichtet, aber der Sünder gerettet. Die Liebe sortiert die Menschen auch nicht in solche, die ein Recht auf Liebe haben und solche, die man zu hassen hat. Im „Feind“ sehen wir einen, der uns bösartig in die Quere kommt. Er legt uns Lasten auf, aber wir sind nicht bereit, sie zu tragen. Wenn wir ihm mit Zorn und Zank begegnen, dann werden wir unseren Ärger los und entlasten uns, dann kommen wir wieder ins seelische Gleichgewicht und werden endlich in Ruhe gelassen

Aber der „Feind“ ist in Wahrheit der Mitmensch, den Gott genauso lieb hat wie uns und für den Christus genauso gestorben ist wie für uns. Wir sollten ihn erst einmal so sehen wie er ist und was er will und ihn nicht gleich als Feind ansehen.

Schon Jesus sagte: „Liebet eure Feinde!“ Doch die Bibel weiß natürlich ganz nüchtern, daß es schon den Feind gibt, in unserem alltäglichen Leben wie in der großen weiten Welt. Es gibt Interessenkonflikte, Arm und Reich, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Einheimische und Fremde, Olympiabefürworter und Olympiagegner, Christen und Nichtchristen. Aber das Wort „Feind“ trifft doch auf das Verhältnis zwischen diesen Gruppen nicht zu. Nicht einmal das Wort „Gegner“ trifft die Sache. In den politischen Parteien spricht man manchmal von dem „Mitbewerber“. Das ist eine gute Bezeichnung.

Die Liebe schafft nicht schlagartig die Sachprobleme aus der Welt. Aber sie gewinnt eine neue Einstellung zu dem anderen Menschen, der einem vermeintlich gefährlich werden und Not bereiten könnte. Sie erkennt: Mein „Feind“ und ich, wir haben schmerzhafte unerledigte Probleme. Aber der andere soll merken, daß ich es gut mit ihm meine und auch sein Wohl im Blick habe. Ich will nicht gegen dich denken, sondern mit dir und möglichst auch für dich. Ich will leben, und du sollst es auch. Ich brauche Sicherheit, aber du sollst sie auch haben. Wir können es nur miteinander meistern.

Das gilt für Nachbarn untereinander. Das gilt auch für Völker untereinander. Die Probleme zwischen Indien und Pakistan, zwischen Israel und Palästina, kann man nur miteinander meistern. Das alte Widereinander ist längst überholt, weil Gott mit uns längst weiter ist.

 

 

Röm 13, 1 – 7 (23. Sonntag nach Trinitatis):

Liebe Untertanen! Nein, ich habe mich nicht versprochen. Wir sind alle Untertanen! Allerdings nicht in dem Sinne, wie früher im Kirchenbuch die Gemeindeglieder bezeichnet wurden, nämlich als unmündige Objekte des staatlichen und kirchlichen Handelns. In anderen Gemeinden gibt es einen viel schöneren Ausdruck. Wenn sie einen Einwohner bezeichnen wollten, dann sprachen sie von „Nachbarn“, also Menschen, die freundlich miteinander umgehen und sich gegenseitig helfen.

Wenn Paulus uns auffordert: „Seid untertan der Obrigkeit“, dann werden wir schon zu fragen haben, wie das gemeint ist. Wir sind heute nicht mehr Sklaven einer bestimmten Staatsmacht oder einer herrschenden Klasse, sondern allein „Untertanen“ Gottes. Wir brauchen niemandem zu gehorchen außer ihm. Aber wir tun das nicht als unterdrückte Sklaven, sondern als seine geliebten Kinder. Das bringt aber auch bestimmte Verpflichtungen mit sich.

Für einen Christen verbieten sich zwei Haltungen: Einmal das „ohne mich“, das vor allem nach der Naziherrschaft verbreitet war. Damals hatten viele auf der falschen Seite mitgemacht und wollten sich nun überhaupt nicht mehr einsetzten. Aber genauso falsch ist eine völlige Anpassung, indem man sich etwa gleichschalten läßt für staatliche Ziele oder auch gegen staatliche Ziele.

Ein Christ hat einen höheren Herrn und braucht sich deshalb keinen weltlichen Mächten unterzuordnen. Und dennoch haben diese eine gewisse Macht über ihn, die ihnen sogar von Gott verliehen ist, sagt Paulus. Doch das ist nur Gottes vorläufige Ordnung, aber es ist dennoch Gottes wohltätige Ordnung.

 

1. Gottes vorläufige Ordnung: Paulus hielt das Ende der Welt für nahe und nahm deshalb die Ordnungen der Welt nicht mehr so ernst. Das sollten sich vielleicht auch einmal die Politiker von heute vor Augen halten, die nur die Wahl abwarten, um sich danach wieder als Herrscher aufspielen zu können. „Gib dem Deutschen ein Amt, und du nimmst ihm den Verstand“, sagt man. Macht verändert einen Menschen. Er vergißt dann auf einmal alles, was er vor der Wahl versprochen hat, und meint, er allein wisse, was richtig ist, und das Volk sei doch nur dumm. Erst wird immer gesagt: „Wir beraten noch über die Sache, es ist noch nichts entschieden!“ Aber dann wird plötzlich ein fertiger Vertrag vorgelegt, der nicht mehr diskutiert werden soll, sondern dem die Abgeordneten ganz schnell zustimmen sollen.

Paulus sieht die Welt aber nicht als hoffnungslos gottverlassene Welt, mit der ihr Schöpfer nichts mehr zu tun haben will. Gott hat die Welt nicht preisgegeben, sondern wirkt in ihr und will, daß die Christen in ihr ihre tägliche Pflicht tun. Dazu helfen die weltlichen Ordnungen wie Gesetz. Recht, Macht und Strafe. Aber das alles ist nur eine vorläufige Ordnung für die Zeit zwischen dem Sündenfall und der Neuerschaffung der Welt.

In dieser Zeit ist das Zerstörende zwar nicht ausgerottet, aber es wird doch eingedämmt und am Überhandnehmen gehindert. Zu diesem Zweck über die Regierung auch Gewalt aus, diese Macht ist ihr sogar von Gott verliehen. Mit der „Staatsmacht“ wird der zerstörerischen Gewalt der Menschen mit anderer Gewalt begegnet.

Die Macht wird aber nur dann recht gebraucht, wenn die Regierenden darüber wachen, daß alle Ordnungen eingehalten werden. Macht darf nicht zum Selbstzweck werden. Deshalb müssen neben den Satz „Seid untertan der Obrigkeit“ auch die anderen Bibelsprüche gesetzt werden: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Evangelium des Sonntags) und „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ (Petrus gegenüber dem Hohen Rat).

Es geht dabei nicht nur um die staatliche Ordnung, sondern um jede Ordnung des alltäglichen

Lebens, in die wir eingegliedert sind. Die Macht ist dabei unterschiedlich groß: Relativ gering ist sie noch bei Vater und Mutter oder bei einem Lehrausbilder. Zunehmend ist sie bei einem Polizeichef oder Richter. Und voll ausgeprägt ist sie bei der Staatsspitze und der Regierung. Je größer die Macht ist, desto schwerer ist das Amt und auch die Verantwortung, daß man auch wirklich Macht ausübt, um Schlimmeres zu verhüten.

Der frühere Berliner Bischof Dibelius hat ja einmal gemeint, in der DDR brauche man keine Verkehrsregeln zu beachten, weil die Regierung dort nicht von Gott eingesetzt ist. Doch das gäbe ja ein schönes Chaos, nicht nur ein Verkehrschaos, sondern überhaupt eine völlige Unordnung, denn ohne Regeln kann keine Gesellschaft bestehen.

Nur ein Terrorist ist nicht bereit, eine Ordnung über sich anzuerkennen und auch gegen sich selbst gelten zu lassen. Er ist unfähig zum Leben im Ganzen und ist deshalb folgerichtig auch bereit, sein Leben für seine Ideen wegzuwerfen.

Andererseits wäre es auch nicht richtig, wenn wir nun alles gut hießen, was die uns Regierenden so machen. Eine Gesetzesgläubigkeit um jeden Preis wäre auch nicht recht. Gesetze müssen auch den veränderten Verhältnissen angepaßt werden:

Unser Strafrecht zum Beispiel ist noch weitgehend auf dem Stand des Jahres 1900, als es darum ging, den Besitz der Kapitalisten zu schützen. Deshalb werden hohe Strafen für den Bankraub verhängt, aber nicht dafür, daß die drei Bankangestellten durch den Überfall und die Todesangst bleibende Schäden davongetragen haben. Oder wer im Alkoholrausch eine Menschen totgefahren hat, der kommt in der Regel mit Bewährung davon, wer aber wiederholt beim Ladendiebstahl erwischt wurde, geht ins Gefängnis.

Ausgeschlossen ist auch der sogenannte „Befehlsnotstand“. Darauf berufen sich ja die Kriegsverbrecher: Sie hätten ja nur nach dem damals geltenden Gesetz gehandelt und auf Weisung ihrer Vorgesetzten, da könne man ihnen das Unrecht nicht persönlich vorwerfen und sie dafür bestrafen. „Befehl ist Befehl“, lautete ihre Ausrede. Oder die Todesschützen an der Mauer berufen sich darauf, daß sie nur nach den Gesetzen ihres Staates gehandelt hätten, die mit den Gesetzen anderer übereinstimmen. Damals hätten sie das Unrecht nicht erkennen können. Gott legt da aber schon strengere Maßstäbe an uns an.

Auch unsere demokratisch gewählte Regierung ist nicht von der Aussage ausgenommen, daß sie nur eine vorläufige Regierung ist. Und auch wenn Christen in ihr tätig sind, dann heißt das nicht, daß sie die ideale Regierung nach dem Willen Gottes wäre. Es gibt keinen göttlichen oder christlichen Staat und keine christliche Politik oder Partei. Das wäre ja einfach, wenn

eine Partei sich nur „christlich“ zu nennen brauchte und schön hätten wir den Gottesstaat. Und deshalb irrte ja auch jener italienischen Priester in einem Film aus den fünfziger Jahren, der am Wahltag seine Gläubigen aufforderte: „Wählt nur christliche und demokratische Parteien, ich wiederhole noch einmal: nur christlich-demokratisch!“ (Damals war die „Christlich-Demo­­kratische Partei“ seit Jahrzehnten die Regierungspartei).

Aber ein Christ weiß wenigstens, daß diese Welt nur vorläufig ist und daß er gerade im Alltag Gott zu dienen hat. Die Welt hat Ordnungen noch nötig. Es muß ein Raum freigehalten werden für das Leben und seinen Fortbestand. Doch in dieser Welt wird immer nur das Wohl erreicht werden können, wir aber warten auf das Heil Gottes.

 

2. Gottes wohltätige Ordnung: In den meisten Fällen werden es die Träger irdischer Macht nicht wissen, daß sie im Dienst Gottes stehen. Sie wurden ja gewählt und fühlen sich bestenfalls ihren Wählern verpflichtet, eher allerdings noch ihrer Partei, die immer geschlossen handeln will.

Paulus hat nicht ein kritikloses Vertrauen auf die Menschen, die weltliche Macht ausüben. Aber er vertraut unerschütterlich auf Gott, der sie eingesetzt hat und auf alle Fälle für sein Vorhaben nutzt. Auch wenn eine Regierung sich weltlich versteht, so handelt sie doch nicht in einem Raum, aus dem sich Gott zurückgezogen hätte. Und deshalb haben wir selbst eine nichtchristliche Welt nicht zu räumen, sondern in ihr Gott zu dienen.

Ohne Staatsorgane geht es nicht, wenn Ordnung gehalten werden soll. Denken wir uns doch nur einmal aus, wir sollten einen Monat ohne Gesetze und Machtausübung auskommen, ohne Versorgung mit Nahrung, Energie und Gesundheitsbehörden oder ohne ein geordnetes Zahlungssystem. Das würde doch sofort den Krieg aller gegen alle entfesseln. Deshalb ist Ordnung schon eine Wohltat.

Gott kann selbst das Verkehrte für seine Ziele benutzen. Er kann das Gute immer wieder zur Geltung bringen, auch wenn Menschen ihm dabei im Weg stehen. Doch damit kann man nicht alles rechtfertigen: Eine Regierung, die die Benachteiligten schindet oder verarmen läßt, hebt sich selber auf. Auch die Kirche hat in ihrer Vergangenheit die Arbeiter enttäuscht und hat die frühere „Ordnung“ als „Wohltat“ bezeichnet. An uns ist es heute, das besser zu machen.

Paulus möchte sogar, daß wir nicht aus Angst vor Strafe gehorsam sind, sondern um des Gewissens willen. Also nicht weil der Lehrer aufpaßt oder die Polizei ihre Geschwindigkeitskontrollen macht. Aus freien Stücken sollen wir Mitverantwortung übernehmen. Für die Regierung muß es genügen, wenn wir unsere Pflichten erfüllen und die Gesetze halten.

Aber Gott erwartet mehr von uns. Da gibt es ein inneres Muß, das uns nicht erlaubt, nur den

eigenen Vorteil zu suchen und den bequemsten Weg zu gehen. Gott sei Dank aber, daß das Gesetz nicht Gottes letztes Wort ist, sondern das vorletzte. Heil und Rettung kommen nicht durch das Gesetz, sondern durch Vergebung, Versöhnung und Neuschöpfung. Aber nicht die Welt muß verändert werden, sondern der Mensch. Und bei uns selber müssen wir damit anfangen.

 

 

Röm 13, 8 - 12 (13 - 14) (1. Advent,  Variante 1)

Unsere Welt hat einen Anfang gehabt. Das ergibt sich aus der einfachen Tatsache, daß wir die Sonne und die Sterne am Himmel sehen. Denn hätten die schon ewig bestanden, dann wären sie längst ausgebrannt und das ganze Weltall wäre tot. Mit der Theorie der Marxisten, die Materie sei schon immer dagewesen, ist es also so eine Sache. Man kann höchstens annehmen, daß sich Materie in Energie verwandelt hat. Aber dann muß man sich fragen, wie es dazu kam. Was in der Bibel mit dem Wort „Schöpfung“ wiedergegeben ist kann uns immer noch die beste Erklärung geben.

Aber unsre Welt wird auch einmal ein Ende haben. Die schlimmste Möglichkeit wäre, daß die Menschen sie selbst zerstörten - die Fähigkeit dazu hätten sie ja. Die andere Möglichkeit wäre, daß sie an Energiemangel zugrunde geht. Das ist ja nun ein höchst aktuelles Thema, denn seit Jahren spricht man von einer kommenden Energiekrise.

Gewiß haben wir noch Vorräte für viele tausend Jahre. Aber eines Tages werden Kohle, Erdöl und Erdgas aufgebraucht sein. Auch die Atomkraft hat auch einmal ein Ende, wenn man nur weit genug vorausdenkt. Vielleicht werden wir die Sonnenenergie besser ausnutzen können. Aber auch unsere Sonne wird einmal erlöschen. Ist das das Ende?

Als Christen steht uns noch eine andere Möglichkeit vor Augen: Christus wird kommen und dieser Welt ein Ende setzen. Und das muß nicht erst in Tausenden von Jahren sein, sondern das kann heute oder morgen schon sein. Sein erster Advent war damals in Palästina, symbolhaft dargestellt durch die Geschichte vom Einzug in Jerusalem, die das Evangelium des heutigen Sonntags ist. Aber wir warten noch auf seinen zweiten Advent, auf sein Wiederkommen in Herrlichkeit.

Weitere Gesichtspunkte für die Predigt: Unsre Zeit ist Herrenzeit. Diese vergehende Welt liegt im Licht dieses kommenden Herrn, der jetzt schon regiert und dem alle Machthaber dienen müssen.

Daraus folgt negativ: Wir müssen unsre Werke (Gier, Unfrieden, Unzucht) ablegen, denn ihre Zeit ist unwiderruflich vorbei. So wie wir das Nachtgewand am Morgen ablegen, so sollen wir auch die Sorge um uns selbst ablegen. Daraus folgt positiv: Es gilt die Waffen anzuziehen und Mitkämpfer und Boten der Freude Gottes zu werden. Es gilt, Gottes Wahrheit dort zu bezeugen, wo wir geradestehen, und sei es dadurch, daß wir in allen Dingen bei der Wahrheit bleiben. Christen handeln frei und öffentlich, sie haben nichts zu verbergen, weil sie vor Gott offenbar sind.

Die Einheit der Gemeinde wird schon gefährdet, wenn die einzelnen Glieder untereinander Streit haben oder wenn einer auf den anderen herabsieht. Wie leicht fühlt man sich doch einem anderen überlegen und sagt sich: „Das ist doch kein richtiger Christ!“ Auch als Pfarrer

teilt man die Leute oft zu vorschnell ein. Jesus war anders. Er gefiel sich nicht selbst, sondern hat sich gerade der irrenden und der beschwerlichen Mitmenschen angenommen. Er kümmert sich auch um uns. Wenn wir nicht bereit sind, auch unsererseits den anderen anzunehmen, dann taugt unser Glaube nichts.

Der eigentliche Schaden unsrer Zeit liegt nicht bei denen draußen, sondern in der Kirche selbst. Gottes Wort wird unglaubwürdig, wenn die Christen es nicht fertigbringen, als Bruder mit dem Bruder zusammenzuleben. Warum gehenwohl so wenig Licht und Kraft, Freude und Hilfe von unseren Gottesdiensten aus? Liegt es nicht in erster Linie daran, daß wir in der Liebe versagen, über unsre Mitmenschen richten und den Bruder verachten?

Die Einheit der Gemeinde wird aber auch gefährdet, wenn sich ganze Gruppen in ihr bilden, die sich gegenseitig ausschließen. Natürlich gibt es eine große Vielfalt in der Christenheit. Das ist nicht verwunderlich beiden so unterschiedlichen Menschen und Lebensformen. Aber dadurch wird die Gemeinde nicht gespalten, sondern das ist mit ihr Reichtum. Eine Spaltung tritt nur ein, wenn eine Gruppe sich absolut setzt und den anderen dabei das Christsein abspricht.

In Rom wollten die „Starken“ den „Schwachen“ ihre vermeintliche Freiheit aufzwingen. Sie sagten: „Wenn ihr nicht auch Götzenopferfleisch eßt, dann seid ihr keine rechten Christen!“ Umgedreht haben die „Schwachen“ gesagt: „s ist allen Christen verboten, Götzenopferfleisch zu essen!“

Bei uns besteht die Gefahr der Spaltung immer wieder, wenn es um die Auslegung der Bibel geht. Die einen sind mehr konservativ und sehen in der Bibel ein heiliges Buch, das man Wort für Wort so nehmen muß, wie es dasteht. Die anderen kleben nicht so sehr am Buchstaben, sondern fragen nach dem, was denn mit diesen Worten damals gemeint war und heute gemeint ist.

In diesem Zusammenhang hatte sich die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ gebildet hat. In letzter Zeit ist es etwas stiller um sie geworden. Aber das mag damit zusam­men­hängen, daß sie sich immer mehr zu einer Sekte hin entwickelt: Sie nimmt zum Beispiel nicht mehr am Kirchentag teil, sondern organisiert eigene Versammlungen, bei denen dann besonders einige Theologieprofessoren angegriffen werden.

Eine unterschiedliche Theologie muß aber nicht unbedingt zu einer Spaltung führen. Am Anfang der Kirche gab es auch ganz unterschiedliche Ausprägungsformen des Glaubens. Man muß nur einmal das Neue Testament aufmerksam lesen, dann wird das sehr deutlich. Aber dennoch wußten sich diese Christen eins im Bekenntnis zu dem gleichen Herrn und im Lob Gottes. Es gibt Unterschiede in der Kirche, die kann man tragen und auch überwinden. Entscheidend ist, ob die Einheit des Gottesdienstes gewahrt bleibt. Wenn Christen miteinander beten, dann kann es mit ihren Gegensätzen nicht schlimm sein. Wenn aber jeder für sich betet und dabei den anderen verdammt, dann ist der Riß da. Spaltungen dieser Art aber stehen in offenem Widerspruch gegen das Bekenntnis zu Christus. Vernünftige Christen sagen: „Ich würde diesem bekannten Evangelisten ja zugestehen, daß er ein wahrhaftiger Christ ist. Aber ob er es auch u n s zugesteht?“ Nur wenn wir den anderen gelten lassen in seinem Anderssein, bleibt die Einheit gewahrt.

Mancher wird nun wieder Sehnsucht bekommen haben nach der wahren Kirche, in der sich alle einig sind. Aber die wahre Kirche schafft man nicht, indem man eine eigene gründet, sondern indem man sich seiner Kirche zur Verfügung stellt und die Einheit der Kirche zu bewahren hilft.

Aber am meisten wird noch helfen, wenn man so wie Paulus der Gemeinde in Rom den Segen Gottes wünscht: „Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben!“ Neben dem Appell: „Nehmt einander an“, finden wir in unserem Predigttext auch die Stichwortreihe „Geduld, Trost, Hoffnung“, vor allem das Wort „Hoffnung“ ist die eigentliche Mitte dieses Textes.

Was hat der heutige Predigttext wohl mit Advent zu tun? Klar ist, daß man die zitierten alttestamentlichen Verheißungen als Weissagungen auf den kommenden Christus verstanden hat. Und wenn er kommt, dann will er sehen, daß wir auf ihn gewartet und gehofft haben. Wie steht es nun mit unserer Hoffnung? Hält sie stand gegenüber Schicksalsschlägen? Macht sie uns geduldig und weitherzig gegenüber anderen? Wer seine Hoffnung nicht auf Gott setzt, der fühlt sich leicht benachteiligt und rechnet nicht damit, daß jemand ihm etwas schenkt. Aus der Hoffnung auf Gott aber kann ein Menschenherz weit werden zu geduldigem Tragen und unbesorgtem Hin schenken.

Wenn Christus kommt, dann will er eine Gemeinde, die recht vorbereitet ist; sie soll nicht aus Überängstlichkeit in sich zerstritten sein, sondern soll eine Gemeinde sein, von der Friede, Freude und Trost ausgehen.

 

 

Röm 13, 8 - 10 (Variante 2, ohne den direkten Bezug zu Advent)

Eine Frau beklagte sich über ihren Pfarrer: „Mit dem sei sie fertig. Was der alles getan und gesagt habe, das sei kein richtiger Pfarrer!“ Sie sah nur alles von ihrer Seite. Da ist es schwer, einen anderen Blickwinkel zu vermitteln. Wenn ein Pfarrer so in eine Gemeinde kommt, dann macht er sich doch bestimmte Vorstellungen von dieser Gemeinde, und er sieht sie im besten Licht. Doch wenn erst einmal der Alltag begonnen hat, dann kommt die Ernüchterung. Denn in der Praxis ist längst nicht alles so ideal, wie man sich das vielleicht vorgestellt hat, da gibt es viel Enttäuschung und Versagen.

Man kann nun verschieden darauf reagieren In diesem Fall versuchte es der Pfarrer mit Gesetzlichkeit: Er schimpfte auf die Leute und stellte schärfere Bedingungen an sie, zum Beispiel, wenn sie ein Kind taufen lassen wollten. Aber auf diese Art erreicht man kaum etwas. Es gibt nur Ärger auf beiden Seiten. Aber man kann es schon verstehen, wenn einer streng und herrisch wird, der sonst vielleicht einmal ganz vernünftige Ansichten gehaut hat. Die Enttäuschung macht sich halt irgendwie Luft.

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Ein Pfarrer kommt neu in eine Gemeinde, wo regelmäßig nur zwei Leute zum Gottesdienst kommen. Auch bei seinem ersten Gottesdienst waren nur diese Zwei da. Aber der Pfarrer schimpft nicht, sondern gibt eher noch seiner Freude darüber Ausdruck, daß diese zwei gekommen sind. Am nächsten Sonntag sind es schon vier, die kommen. Der Pfarrer freut sich: „Welche Gemeinde hat das schon aufzuweisen: Steigerung des Gottesdienstbesuchs um hundert Prozent!“ Am Sonntag drauf sind es sieben. Der Pfarrer jubelt und verkündet: „Nun hält das schon 14 Tage an!“ Man könnte fast von einer Erweckung sprechen. Wie es dann weiterging, ist nicht bekannt. Aber man kann halt auch mit einem solchen Optimismus an eine schwierige Lage herangehen und kommt damit oft weiter als mit Gesetzlichkeit. Wer nur das Gesetz handhabt, wird sich bald verrennen. Wer aber die frohe Botschaft verkündet, wird bald die ansteckende Kraft merken, die von der positiven Aussage ausgeht.

Natürlich kann man nicht alles allein mit Liebe schaffen. Wenn man Kinder nur mit Güte erziehen wollte, dann müßte man bald Schiffbruch erleiden. Aber man muß erst einmal mit Liebe beginnen. Nur wenn diese Liebe mißbraucht wird, müssen sie auch alle Strenge zu spüren bekommen, damit sie merken, daß es ernst wird. Die Strenge fällt uns nicht schwer, die liegt uns gewissermaßen im Blut. Liebe zu üben dagegen ist nicht leicht. Deshalb wird sie uns hier aufgegeben. Auch die Strenge muß aus der Liebe kommen, die Liebe steht immer über dem Gesetz.

Wir verstehen doch die Zehn Gebote in erster Linie gesetzlich und moralisch. Sie erscheinen uns als ein hartes Gesetz, das uns auferlegt ist. Wir sehen höchstens ein, daß sie uns helfen sollen, ein anständiges Leben zu führen. Doch solche Gebote haben ja auch andere Leute aufgestellt, die nichts von Gott wissen wollen.

Wir aber wissen mehr: Das Gesetz, die Gebote, kommen aus der Liebe Gottes. Vor den Geboten steht erst einmal die gnädige Zusage Gottes: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dir aus großer Gefahr geholfen hat und der dich auch in Zukunft behüten und bewahren will. Deshalb gebe ich dir diese Gebote mit auf den Weg, damit du eine ungefähre Richtschnur hast für dein Handeln?“

Die Gebote wollen eine Hilfe sein. Sie sind nur zu erfüllen, wenn man vorher begriffen hat: „Gott ist Liebe und deshalb schenkt er uns diese Gebote. Aber losgelöst von dieser Überschrift werden all diese Gebote zu einem starren Gesetz, das uns nicht hilft, sondern uns behindert.

In einem Schulgesetz stand einmal die Bestimmung: „Eine außerschulische Freizeitgestaltung darf erst nach einer Pause von zwei Stunden nach dem regulären Schulunterricht beginnen!“ Diese Bestimmung dient natürlich dem Schutz der Kinder und ist sehr sinnvoll. Es wird auch hoffentlich niemand auf die Idee kommen, nach sechs Stunden Schulunterricht noch anschließend etwas für die Kinder anzusetzen. Aber man kann diesen Pausenerlaß nun auch nicht stur anwenden, sonst wirkt er sich am Ende noch zum Schaden der Kinder aus und es wird genau das Gegenteil von dem erreicht, was ursprünglich beabsichtigt war. Wenn zum Beispiel die erste Klasse von 8.30 bis 10 Uhr Schule hat, dann wäre es doch ein Unding, sie erst einmal wieder heimzuschicken. Und nach zwei Stunden müßten sie dann noch einmal den gleichen Weg machen, zum Teil kilometerweit.

Für alle Gesetze gilt: Wenn man sie stur handhabt, können sie sich genau in das Gegenteil verkehren. Deshalb kann man ein Gesetz nur mit Liebe anwenden. Denn die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. Wer wirklich den anderen Menschen liebt, der braucht doch im Grunde gar nicht solche Gesetze, sondern tut ganz von selbst das Notwendige.

Das klingt uns jetzt alles so selbstverständlich. Aber handeln wir denn wirklich danach? Uns liegen doch mehr die Gesetzesreligion und die Moral. Wir sagen: „Ich habe immer meine Pflicht getan!“ und wir würden uns am liebsten noch eine Prämie geben, so selbstgerecht sind wir.

Natürlich ist mit dem Gesetz manches einfacher: Man braucht keine Verantwortung zu übernehmen, sondern nur das auszuführen, was andere vorgeschrieben haben. Man braucht nicht zu denken und nichts zu wagen und braucht auch in der Regel nicht den Kopf dafür hinzuhalten.

Aber was einfach ist, muß nicht immer richtig sein. Deshalb sagt Paulus: „Seid niemand etwas schuldig!“ Und doch: E i n e Schuld können wir nie abgelten: die Schuld der Liebe. So viele Menschen warten darauf, daß wir ihnen mit Liebe begegnen und nicht mit dem Gesetz; aber wir haben so wenig Liebe.

Oft meinen wir aber nun, wir müßten doch zuerst Gott lieben. Das stimmt schon und das ist auch für Paulus selbstverständlich. Deshalb hat er auch das 1. bis 3. Gebot gar nicht hier mit aufgezählt. Er legt den Ton einfach auf das Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“

Luther hat einmal eine treffende Antwort darauf gegeben. Er sagt: „Gott braucht unsere guten Werke und unsre Wohltat nicht. Sondern er hat uns damit zu unserem Nächsten gewiesen, damit wir an ihm tun, was wir eigentlich Gott zukommen lassen wollten. Gott hat unsre Liebe zu unserem Nächsten heruntergezogen und auf ihn geheftet!“ Es gibt keinen Glauben, der nicht in der Liebe tätig wird.

Wir wollen einmal darauf achten, wo in unsrer Umwelt die Liebe mit Füßen getreten wird. Man kann einen Menschen ja sehr leicht fertigmachen, indem man ihm sagt: „Das ist Gesetz, das ist so üblich, dagegen kannst du nichts machen!“ Dann muß er still sein und wird plattgewalzt wie von einer Dampfwalze.

Aber damit ist er in seinem Inneren vergewaltigt und vielleicht sogar zerbrochen. Doch solche Menschen ohne Rückgrat können wir nicht brauchen, wenn unsre Welt funktionieren soll.

Wir wollen Gott bitten, daß er uns den Mut zur Liebe gibt. Unsere Aufgabe ist es, für alle die einzustehen, die überfahren werden sollen. Und wir sollen den Menschen nicht nur das Gesetz wie einen Spiegel vorhalten, sondern die Liebe, von der wir leben, liebend an andere weitergeben. Denn die L i e b e ist des Gesetzes Erfüllung.

 

Zusatz:

Irgendwann machen wir uns ja alle einmal Gedanken über unser Leben. Nicht stets und ständig. Wir haben schließlich noch anderes zu tun. Aber wir möchten doch, daß aus unserem Leben etwas wird, daß es ein „gutes“ Leben wird. Damit man sich später einmal nicht zu schämen braucht. Man müßte so leben, daß unsere Angehörigen oder Freunde dann einmal über uns sagen: Ja, was sollen sie eigentlich sagen? Wissen wir, was wir mit unserem Leben wollen? Haben wir ein Ziel? Ein richtiges, großes Ziel, neben den vielen kleinen Teilzielen?

Gleich der erste Satz des Bibeltextes für die heutige Predigt ist eine solche Anmerkung: „Seid niemandem etwas schuldig!" Es ist einer von diesen Sätzen, die so groß und schwergewichtig klingen. Eine „goldene Regel“. Man könnte sich vorstellen, daß Väter sie früher ihren Söhnen mit auf den Weg gaben, wenn sie auszogen, in der Fremde ihr Glück zu suchen. Ja, so kann man es machen, so sollte es sein: Niemandem etwas schuldig bleiben! Selbst ist der Mann! Ein gutes Gewissen ist das beste Ruhekissen.

Wir sollten einen solchen Satz ernst nehmen. Jeder von uns weiß, wie sehr eine unbeglichene Schuld uns das Leben vergällen kann: Eine Geldsumme, die wir unbedingt leihen mußten und die wir nicht zurückzahlen können. Ein Versprechen, das wir nicht einhalten konnten. Eine Beleidigung, die uns aus Gedankenlosigkeit unterlief. Eine Gemeinheit, die wir im Zorn begingen. So etwas kann einen richtig krank machen. Und viele von uns sind krank an solcher unbeglichenen Schuld. Das äußert sich dann vielleicht in dauernder Nörgelei, in unbegründetem Aufbrausen oder in mimosenhafter Empfindlichkeit. In Wirklichkeit aber leidet der Be­treffende gar nicht unter der Bosheit der anderen, wie er vielleicht glaubt, sondern unter sich selbst und seiner Schuld.

Es wäre doch schön, wenn man von uns einmal sagen würde: „Er ist wirklich niemandem etwas schuldig geblieben!“ Hut ab vor solcher Redlichkeit und Anständigkeit! Das wäre ein mögliches Ziel für unser Leben. Aber nicht das einzig mögliche. Der Predigttext geht noch ein Stück weiter: „Seid niemandem etwas schuldig, außer daß ihr euch untereinander liebet!“ Das klingt etwas weniger golden als das Erste. Hier geht es um eine Sache, die weit weniger aufrechenbar und nachprüfbar ist. Nur soviel ist klar: Dieser Aufforderung zur Liebe können wir niemals total genügen. Denn hier geht es um mehr als darum, die Rechte des anderen nicht einzuschränken. Hier geht es um mehr als die eigene saubere Weste. Wenn es um die Liebe zum Nächsten geht, bleibt bei uns immer ein unangenehmes Gefühl zurück, unvollkommen, ungenügend zu sein.

Ein Angestellter, etwa 50 Jahre, geschieden. Er gilt in seinem Betrieb als Sonderling. Der Grund: Er hat es dort, wo er arbeitet, mit Besuchern, mit Publikum zu tun. Er geht auf die Fragen und Anliegen der Menschen mehr ein als unbedingt nötig. Seine Kollegen finden das übertrieben.

Ein anderes Beispiel: Ein Ingenieur. Er hat Familie und ein gutes Einkommen. Ehrenamtlich ist er Platzwart einer kleinen Sportgemeinschaft, die dafür nicht extra jemanden anstellen kann. Einen großen Teil seiner Freizeit bringt er auf dem Sportplatz zu. Er muß manchmal körperlich hart arbeiten. Er hat Ärger mit unachtsamen Besuchern, mit unordentlichen Schulklassen, manchmal auch mit der Leitung des Sportklubs. Auch das ist Liebe. Menschen setzen sich ein über das hinaus, was sie schuldig sind. Sie lassen es sich etwas kosten: Zeit, Arbeit, Nerven, Geld.

In unserem Text wird behauptet: So erst werden die Gebote richtig erfüllt. Denn die „Gesetze“ der Bibel sollen Anregungen sein, dem anderen zu helfen, daß er mehr Freude, mehr Gewinn hat.

Röm 14, 7 - 9 (Drittletter Sonntag):

Ein bekannter Pfarrer und Schriftleiter einer Kirchenzeitung sollte an Krebs operiert werden. Aber als die Ärzte dabei waren, sagten sie: „Es hilft doch nichts mehr!“ Sie konnten ihm, abgesehen von einer Hilfs­operation, auch nicht mehr helfen. Aber er lebte auch 20 Jahre später noch. Der Mann war ein vielbeschäftigter Mann, inzwischen 75 Jahre alt, aber aktiv wie eh und je. Man merkte nicht, daß er an sich doch schwer krank ist.

In der Kirchenzeitung erschien ein Artikel zu seinem Geburtstag, von dem er selber sagte: „Er hörte sich so an wie ein Nachruf auf mich!“ Und er fuhr dann fort: „Als ich im Krankenhaus lag, da kamen auf einmal all die Worte auf mich zu, die ich selber einmal bei Trauerfeiern gesprochen hatte. Was ich vorher anderen gesagt habe, das mußte ich mir nun selber sagen. Wenn man selber betroffen ist, dann spricht das noch einmal ganz anders zu einem selber, da hat man eine ganz andere Beziehung dazu!“

Da versteht man sicher so ein Bibelwort auch besser: „Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber!“ Wir machen uns ja relativ wenig Gedanken darüber. Wir leben erst einmal, an das Sterben denken wir weniger. Dennoch steht das Sterben als eine harte Frage und Herausforderung über unserem Leben.

An sich müßte man ja annehmen, daß der aufgeklärte und moderne Mensch leichter stirbt und mit dem Tod seiner Mitmenschen sich abfindet. An sich soll es sich doch um einen ganz natürlichen und biologischen Vorgang handeln. Aber Sterben ist etwas anderes: da wird das Leben oft in den besten Jahren abgebrochen, oft verbunden mit verheerender Krankheit. Der Verlust eines nahestehenden Menschen reißt andere Lücken auf, als man mit Natur und Medizin erklären kann.

Wir haben schon Fragezeichen bei den ersten beiden Sätzen dieses Predigttextes: „Unser keiner lebt sich selber!“ Stimmt das denn? Versuchen wir nicht zumindest, für uns selbst zu leben. Paulus will sagen: „Das dürfte nicht sein, soll nicht sein. Jeder Mensch ist mit anderen Menschen verbunden. Und er braucht auch die Verbindung mit Gott. Aber hat das jeder schon erkannt?

 

(1.) Unser keiner lebt sich selber: Es gibt Menschen, die leben in einer auf sich selbst konzentrierten Abgeschlossenheit, sozusagen „ohne Fenster“. Das kann in der Art der Persönlichkeit begründet sein. Es kann aber auch aus einem mißverstandenen Christsein kommen, das nur die eigenen religiösen Bedürfnisse kennt und seine Lebensaufgabe nicht im Dienst an anderen findet.

Wir wollen halt unsere Freiheit. Und Freiheit verstehen wir gern als Unabhängigkeit. Das Wort „Gehorsam“ ist eins der biblischen Urworte, aber es erfreut sich bei uns keiner großen Beliebtheit. Aber es ist nicht Gottes Art, uns mit Zwang zu unterwerfen. Er möchte ja nur, daß wir zunächst einmal das ganz Normale tun.

Wenn man wirklich nur für sich selbst leben wollte, dann hätte das Leben wahrlich nur wenig Sinn. Aber ein Mensch, der nur für sich selbst da sein will, ist ein Widerspruch in sich selbst. Er muß sich ja auch klarmachen, daß er selber durch viele unsichtbare Fäden mit anderen verbunden ist. Das sind nicht nur die Verwandten und Bekannten, sondern auch viele Menschen, die wir gar nicht kennen, deren Arbeit wir aber in Anspruch nehmen.

Umgedreht trägt natürlich auch jeder Mensch zum Wohle anderer Menschen bei. Selbst wenn einer krank und schwach ist, kann er noch für andere da sein. So sagte einmal eine Frau aus einem kleineren Dorf: „Wenn ich abends nicht einschlafen kann, dann gehe ich in Gedanken jedes Haus durch und bete dann für die Leute, die dort wohnen!“

So sind wir alle mehr oder weniger fest mit vielen anderen Menschen verbunden. Deshalb ist es ja auch so schwer, wenn wir einen Menschen hergeben müssen an den Tod. Gerade weil keiner für sich allein leben kann, hinterläßt er eine Lücke und der Abschied wird so schwer. Oft merken wir ja erst, was ein Mensch für uns bedeutet hat, wenn er dann nicht mehr unter uns ist.

Das soll aber nun nicht heißen, daß wir den anderen an uns ketten und über ihn bestimmen könnten. Jeder hat ein unmittelbares Verhältnis zu seinem Herrn. Ich kann ihm nicht eine bestimmte Weise des Christseins aufzwingen wollen. Jeder ist seinem Herrn selbst verantwortlich. Keiner darf sich in dieses Verhältnis hineindrängen. Aber jeder hat die Pflicht, dem anderen den Herrn nahezubringen. Dazu gehört aber auch, daß er ihm etwas sagt von der Hoffnung der Christen. Sie haben einen Herrn, der für sie gestorben und auferstanden ist, damit sie auch weiterleben können.

 

(2.) Unser keiner stirbt sich selber: Wieder müßte man fragen: „Stimmt das denn?“ Jeder muß für sich allein sterben, das nimmt ihm keiner ab. Viele sterben zudem noch ohne Gott, auch von denen, die zur Kirche gehören. Sie wollen gar nicht an das Ende ihres Lebensweges denken. Sie verdrängen diesen Gedanken. Es gilt als taktlos, einen Menschen auf seinen Tod hin anzusprechen, obwohl man doch weiß, daß keiner dem Tod entgeht.

Da ist es doch besser, wenn einer beizeiten sein Testament macht und vielleicht seinen Lebenslauf aufschreibt und Wünsche für seine Beerdigung hinterläßt. Diese äußeren Vorbereitungen sind dann vielleicht auch ein Hinweis darauf, daß der Betreffende sich innerlich vorbereitet hat und getrost seinem Sterben entgegensieht.

Man sollte allerdings auch nicht nach der anderen Seite übertreiben. Manche wollen unbedingt einen bestimmten Platz auf dem Friedhof für sich reserviert haben, weil daneben der Mann beerdigt ist oder weil die Gräber der Familie schon immer in dieser Ecke waren. Sie denken dabei gar nicht dran, daß sie ja hoffentlich noch lange zu leben haben, auch über den Zeitpunkt hinaus, wenn dieses Grabfeld geschlossen wird! Einen Platz gibt es auf jeden Fall. Und Gottes Erde ist überall, da braucht man nicht schon vorher zu wissen, wo einmal ganz genau die letzte Ruhestätte seit wird. Es ist aber gut, wenn man einem Menschen in diesen Fragen Hilfe und Beistand geben kann.

Und wenn es dann wirklich so weit ist, dann sollte man einen Sterbenden nicht allein lassen. Hier kann vieles von dem wieder gutgemacht werden, was man selbst einmal auf andere Art und Weise empfangen hat: So wie der andere einem beigestanden und für einen gesorgt hat, so sollten wir dann auch für ihn sorgen und ihm äußerlich und innerlich beistehen.

 

(3.) Leben wir, so leben, wir dem Herrn, Sterben wir, so sterben wir dem Herrn: Der Mensch kann entweder sich selbst leben und sterben oder dem Herrn leben und sterben. Eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen. Das Reden vom "Weiterleben in den Kindern“ oder von der „Fortsetzung der Arbeit“ oder vom „guten Andenken“ bestätigt im Grunde nur die harte Tatsache des Todes. Die einzige andere Möglichkeit zum Sterben ist der Herr. Er ist deshalb auch die einzige Möglichkeit im Leben. Wer dem Herrn gelebt hat, wird dann auch dem Herrn sterben. Dabei geht es aber nicht um ein Bewahrtwerden vor Krankheit und Unfall, sondern um ein Sein im Herrn, durch das man mit dem Sterben ausgesöhnt wird und den Tod annehmen kann.

Es geht also nicht nur darum, für den anderen Menschen da zu sein, sondern dem Herrn zu leben. Wenn wir überhaupt leben wollen, dann nur für den Herrn. Paulus nennt sich stolz „Sklave“ Jesu Christi. Er gehört gern diesem Herrn, denn solche „Sklaverei“ ist für ihn Freiheit, weil nun nur noch diesem Herrn gehorchen muß. Fs geht ja nicht darum, ob wir irgendjemand gehören wollen, sondern w e m wir gehören. Und da dürfen wir erleichtert bekennen: „dem Herrn“.

Das heißt nicht, daß wir zu frommen Sonderlingen werden müßten. Das Christerleben ist ein ganz normales, gesundes, weltoffenes Leben - aber in dem weiten Horizont des Christus. Wenn wir uns ihm zuwenden, dann werden wir deshalb nicht den Mitmenschen entfremdet. Der Herr weist uns ja gerade an den Nächsten.

Aber wer dem Herrn lebt, der ist eigentlich auch schon „drüben“ bei Gott. Natürlich dürfen wir hier nicht ins Schwärmen kommen. Das Vergehen des äußerlichen Menschen ist schon bedrückend. Aber das Sterbenmüssen mit all seinem Leiden ist keine Widerlegung dessen, was wir glauben und hoffen. Wenn einer sterben muß, dann wird er noch lange nicht aus den Händen des Herrn weggerissen und in eine unbekannte Tiefe gestürzt.

Nur muß man wissen, was das für ein Herr ist, für den wir leben und auf den hin wir sterben: Es ist der Auferstandene, der in unserem Leben längst Fuß gefaßt hat und uns in sein Auferstehungsleben längst hineingezogen hat. Der Tod ist dabei kein Bruch, kein tiefer Graben, über den es keine Brücke gibt.

 Von Gott her ändert sich nicht viel. Er war schon in unserem Leben unser Gott und wird es auch und erst recht nach diesem Leben bleiben. Wenn wir ihn in unserem Leben unseren Gott sein lassen, dann wird auch der Tod nichts daran ändern können. Das Wichtige ist, daß wir dem Herrn gehören. Ob wir dabei leben oder schon gestorben sind, kommt erst in zweiter Linie: „Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn!“

 

 

Röm 14, 10 – 13 (4. Sonntag nach Trinitatis):

Ohne Richten und Beurteilen geht es nicht ab im Leben. Sowie wir einen Menschen treffen, versuchen wir ihn auch einzuschätzen. Schüler und Lehrlinge werden beurteilt. Besonders schlimm ist es, wenn man sich um eine Arbeitsstelle bewirbt: Da zieht man sich besonders gut an. Man versucht, ganz locker zu bleiben und ist doch total verkrampft. Man muß erst einmal draußen warten.

Dann sitzt man endlich auf dem Stuhl und starrt sieben oder acht Menschen ins Gesicht und soll Rede und Antwort stehen. Man will sich möglichst gut verkaufen und merkt doch, wie man Fehler macht. Nach zehn Minuten ist alles gelaufen. Das ist eine ungeheure Belastung, auch für die, die das Urteil abgeben sollen. Sie entscheiden ja vielleicht über das Lebensglück eines Menschen und seiner Familie, ob einer hochkommt oder untergeht.

Auch in der Kirche wird jeder sofort eingeschätzt. Ist einer kein regelmäßiger Kirchgänger, so wird er erst einmal mißtrauisch beäugt: Was will denn der hier?! Es liegt einfach in der Natur des Menschen, daß er immer sofort beurteilt und dabei sich selber zum Maßstab nimmt. Natürlich wünscht man sich, daß alle am Sonntag zur Kirche kämen, daß alle nach Gottes Wort lebten und in jeder Hinsicht ein Vorbild wären.

Aber das ist nun einmal nicht so. Doch auch die passiven Mitglieder gehören zur Kirche. Und es ist allein Gottes Sache, sie zu beurteilen. Deshalb mahnt Paulus: Versucht nicht über andere zu Gericht zu sitzen, denn wir haben uns selber dem Gericht Gottes zu stellen, wir haben immer nur unser eigenes Leben zu verantworten und wir haben unsre Mitmenschen zu schonen.

In der Gemeinde in Rom gab es damals zwei Gruppen: Die einen nahmen es etwas eng mit dem Glauben, waren übervorsichtig und streng. Sie aßen zum Beispiel kein Fleisch, weil es von den Opferfesten in den heidnischen Tempeln herstammen könnte. Und sie achteten auf bestimmte Tage, an denen sie gewisse Dinge tun bzw. meistens nicht tun. Die anderen aber fühlen sich stark im Glauben, lachen über die „Schwachen“ und sagen: Durch Christus sind wir frei Menschen, da darf uns nichts mehr einschränken, da leben wir so wie wir wollen und lassen uns nicht durch kleinliche Vorschriften einengen.

Beides sind Möglichkeiten des Glaubens. Gott allein wird darüber richten, wer näher am wahren Glauben gewesen ist. Er wird die Ernsthaftigkeit auf beiden Seiten anerkennen und großzügiger sein als wir es sind - davon bin ich jedenfalls überzeugt.

Diese Gegensätze gibt es bis heute in der Kirche. Ich saß einmal nach einem Abend mit Jugendlichen in einer Gaststätte, um noch etwas zu trinken. Einige der Jugendlichen sagten: „Wir dürfen aber nichts Alkoholhaltiges trinken, wir haben uns doch verpflichtet!“ Sie waren bei einer Blaukreuzveranstaltung gewesen und hatten versprochen, wenigstens in der Passionszeit einmal keinen Alkohol zu trinken. Wenn sie doch rückfällig würden, hatten sie sich verpflichtet, das dem Redner auf einer Postkarte mitzuteilen. Sie sagten: Hoffentlich sind die sieben Wochen bald herum!

So kann es dann kommen: Der eine genießt fröhlich hin und wieder seinen Apfelwein und kommt gar nicht auf die Idee, daß das etwas mit dem Glauben zu tun haben könnte. Und der andere macht sich ein Gewissen daraus und diskutiert darüber und ist davon belastet. Besonders die Christen aus den Freien Evangelischen Gemeinden diskutieren solche Fragen wie Rauchen, Alkohol, Tanzen und Mode gern.

Aber das Entscheidende ist doch, daß man jede Ausprägung des Glaubens gelten läßt und den anderen nicht verurteilt, nur weil er andere Folgerungen aus dem Evangelium zieht. Übrigens: „Evangelium“ - ein Ausleger hat gesagt, in diesem Bibelabschnitt müsse man die frohe Botschaft mit der Laterne suchen, weil alles so ermahnend und streng klingt. Aber in aller Rede vom Gericht steckt auch die gute Nachricht. Die wollen wir auch jetzt suchen.

 

1. Wir haben uns alle dem Gericht Gottes zu stellen!

In der Kirche gab es von Anfang an unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit der Schrift: Soll man sie nur wörtlich nehmen oder darf man nach ihrem Sinn fragen? Dürfen wir mehr weltoffen sein oder haben wir mehr Abstand zu wahren? Alte Gesänge oder neue, Feierlichkeit oder Nüchternheit? Gehört ein Christ nur in die Partei mit dem „christlich“ in Namen oder darf er nicht auch bei denen sein, die in ihrem Anfang antichristlich waren? Darf sich die Kirche nur auf das Zentrale des Glaubens konzentrieren oder tut ihr auch eine mehr nach außen gerichtete Arbeitsweise gut?

In diesem Tagen findet in Leipzig der Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Er ist das beste Beispiel für die Vielfalt und Lebendigkeit der Kirche. Da wirken zum Beispiel evangelikale Gruppen genauso mit wie die Offene Jugendarbeit. Da gibt es Orgel- und Posaunenmusik, aber auch ganz moderne Bands. Da gibt es Großveranstaltungen und Gelegenheit zur Einzelbeichte. Der Kirchentag spiegelt die ganze Vielfalt des kirchlichen Lebens wider. Entscheidend ist nur, daß einer den anderen gelten läßt und anerkennt, daß er es ernst mit dem Glauben nimmt.

Es darf nur nicht so kommen wie in Rom, wo die Gruppe der Ängstlichen den Freieren mangelnde Erfüllung der göttlichen Ordnung vorwarf. Paulus rechnet sich eher zu den „Starken“, zu den Moderneren, ergreift aber für keine der beiden Gruppen Partei. Auch den „Starken“ sagt er: Ihr könnt die neu gewonnene christliche Freiheit nicht ohne Rücksicht auf die Tradition und vor allem nicht ohne Rücksicht auf die anderen in Anspruch nehmen.

Man kann nur jedem gratulieren, der sich seine Freiheit nicht nehmen läßt durch Angst und Bequemlichkeit, der nicht nur rechtlich abgesicherte Schritte geht, sondern auch neue Fragen hat und zu neuen Taten schreitet. Es ist herrlich, wenn man Christen kennt, die ohne Scheu feiern und fröhlich sind, die Verantwortung übernehmen, auch wenn sie sich dabei die Hände schmutzig machen - man kann nur froh sein über jeden Akt der Freiheit.

Vor allem ist das das Recht der Jugend. Das Recht der Älteren ist es, etwas zögernder zu sein und alle möglichen Folgen zu bedenken. In meinen jüngeren Jahren war ich auch mehr der Revolutionär. Da hätte ich mitgemacht wie unsre Söhne, die am 8. Oktober 1989 die Demonstration für die Wende in Jena organisierten. Wir haben damals zur Vorsicht gemahnt. Mit den Erfahrungen des Lebens wird man vorsichtiger. Aber so ein bißchen Revolutionär darf man auch im Alter noch bleiben - auch in der Kirche.

Nur darf man sich nicht selber als alleiniger Maßstab setzen. Ich kann einen anderen nicht danach beurteilen, wie weit er mir zu folgen vermag. Und ich kann nicht den als kleinkariert verachten, der zurückbleibt. Gott allein ist der Richter! Wer selber richten will, reißt doch etwas an sich, was Gottes Sache ist. Hier gibt es auch keine Stellvertretung, kein Richten im Auftrag Gottes.

 

2. Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich!

Natürlich soll jeder selber sein Leben gestalten und führen. Aber das heißt nicht, daß er ganz auf sich allein gestellt alles Beliebige tun oder lassen kann, wie er gerade will. Natürlich leben wir in einer pluralistischen Welt, in der es viele Gruppen, Strömungen und Meinungen gibt. Aber das heißt nicht, daß jeder sein eigener Herr und Gesetzgeber sein kann. Seine Ausdehnungsmöglichkeiten finden ihre Grenze an dem Recht des anderen, der auch seinen Bereich hat und auch Freiheit will. Und sie findet eine Grenze an Gott.

Evangelische Freiheit darf nicht verwechselt werden mit der eigenen Querköpfigkeit und dem Ungehorsam, der zum Prinzip erhoben wird. Das führt wieder in die Gesetzlichkeit, da läßt man den anderen Menschen und auch Gott nicht mehr gelten.

Selbst wenn einer um Rat fragt, kann ihm die eigene Entscheidung nicht abgenommen werden. Sicher brauchen wir in der Kirche den Erfahrungsaustausch, das Gespräch, das Einstehen füreinander. Aber dadurch wird niemand entmündigt, sondern jeder ist Gott gegenüber selbst verantwortlich.

Allerdings ist er bei seinen Entscheidungen nicht auf sich allein gestellt. Zum Glück ist Vieles durch Gesetze und Sitte geordnet. Man kann sich mit der Geschichte befassen und aus ihr lernen. Wir sind doch in Vieles eingebunden und bestimmte Wege sind uns schon vorgezeichnet. Hier können die Jungen durchaus auch etwas von den Alten lernen. Wir dürfen schon auf den Erfahrungen der Menschheit, der Familie, der Freunde, der Kirche zurückgreifen.

Aber letztlich sind wir doch allein für unser Leben vor Gott verantwortlich. Hat mir ein anderer einen schlechten Rat gegeben, so kann ich mich nicht hinter ihm verstecken. Sind alle den falschen Weg gegangen, so ist das für mich kein Entschuldigungsgrund. Wenn es ein schlechtes Zeugnis mitbringt, dann zählt es immer die auf, die noch schlechter sind, nicht die besseren. Auch wenn ich nur der Mehrheit gefolgt bin, so bin ich damit nicht entlastet. Weil alle das Finanzamt betrügen, brauche ich es noch lange nicht zu tun. Weil alle etwas mitgehen lassen, ist es mir noch längst nicht erlaubt. Und so nachsichtig wir mit uns selber sind, so sollten wir es auch mit den anderen sein.

 

3. Wir dürfen über unseren Mitmenschen nicht zu Gericht sitzen, sondern haben ihn zu schonen!

Auch der andere hat sein Leben selbst zu verantworten. Aber man muß ihn auch ernst nehmen, wenn er nach unserer Ansicht schwach ist. Wenn das Vegetariersein für einen zum Glauben dazugehört, so kann man ihm das doch lassen. Dann kann man ihn doch nicht zwingen, zu christlicher Freiheit vorzustoßen. Da muß man ihm Zeit lassen, ohne ihm vorzuwerfen, er habe die christliche Freiheit verraten.

Wer wirklich stark und innerlich frei ist, in dessen Denken und Handeln wird auch Platz sein für die, die noch ein wenig ängstlich sind und sich mit Neuerungen zurückhalten. Genau betrachtet wird er sogar auf ein Stück seiner Freiheit verzichten - dem anderen zuliebe. Ich muß doch nicht unbedingt in abgerissenen Jeans und in einer alten Jacke zum Abendmahl gehen. Sicherlich würde das dem Abendmahl nicht schaden und ihm auch nichts von seiner Wirksamkeit nehmen. Aber um der Mitchristen willen verzichtet man auf so etwas - das ist wahre Stärke!

Auch in der Christengemeinde kommt sehr leicht so ein unguter Richtgeist auf. Und dann ist es so wie im Straßenverkehr: Immer hat der andere etwas falsch gemacht! So soll es in der Gemeinde nicht sein. Da zieht allein Gott den Schlußstrich unter unser Leben. Deshalb ist es nicht unsere Aufgabe, Zensuren zu verteilen.

Wir brauchen keine Angst zu haben, die Kirche könnte Schaden erleiden, wenn wir nicht in ihr für Ordnung sorgen. Das ist alles Gottes Sache! Er richtet auch nicht alle nach der gleichen Schablone aus, sondern seine Leute dürfen verschieden sein - in ihrer Denkweise, in ihrem Lebensstil und in gewissem Maße auch in ihrem Glauben. Deshalb werden wir es lernen müssen, einander weniger abzuverlangen und dafür einander mehr frei zu lassen und zuzugestehen.

 

 

 

Röm 14, 17 – 19 (18. Sonntag nach Trinitatis):

Manche Christen führen einen aufopferungsvollen Kampf gegen den Alkohol. Den Alkoholkranken wollen sie helfen, von ihrer Sucht loszukommen. Die anderen wollen sie davor bewahren, in die Abhängigkeit hineinzuschliddern. Und sie selber wollen der anderen ein gutes Beispiel abgeben und verzichten deshalb ganz auf den Genuß von Alkohol. Dieses Bemühen ist gewiß eine gute Sache, denn der Alkohol stellt in unserem Land ein ziemliches Problem dar.

Bezeichnend ist ja der scherzhafte Ausspruch: „Teurer darf er werden, nur nicht all!“ Ein verantwortlicher Mitarbeiter der „Arbeitsgemeinschaft zur Abwehr der Suchtgefahren“ hat einmal Jugendliche aufgefordert, doch eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, für ein halbes Jahr auf jeden Alkohol zu verzichten; und wer diese Selbstverpflichtung nicht mehr einhalten wollte, sollte den Zettel an ihn zurückschicken.

Nun kann man über diese Methode streiten: Entweder man hält eine solche Verpflichtung ein oder man hält sie nicht ein, da hilft auch ein Zettel nicht. Aber es ist doch interessant, wenn die Jugendlichen dann sagten: „Da merkt man erst einmal, wie oft man doch Alkohol trinkt!“ Als die Zeit herum war, haben sie umso freudiger zugelangt.

Da ist auch an sich nichts dagegen zu sagen, wenn alles im Rahmen bleibt. Wenn man mit 17 Jahren einmal ein Bier trinkt oder ein Eis mit Schuß ißt, dann ist man ja noch nicht auf dem Weg des Alkoholismus. In bestimmten christlichen Kreisen wird diese Frage viel zu sehr hochgespielt und zu einer Glaubensfrage gemacht. Für manchen wird sich ja auch tatsächlich die Frage stellen: „Wer ist nun dein Gott?“ Aber für die meisten Christen liegt hier kein Problem vor.

Sie können mit einer gewissen Leichtigkeit über diesen Punkt hinweggehen. So wie etwa jener Bürgermeister in einem Pfälzer Winzerdorf. Dort hatte auch einer einen mitreißenden Vortrag gegen den Alkohol gehalten. Am Schluß bedankte sich der Bürgermeister bei dem Redner und sagte: „Nur gut, daß das Problem des Alkohols in unserem Dorf keine Rolle spielt. Wir trinken ja keinen Alkohol, wir trinken nur unseren Wein!“ Vielleicht sollten wir wirklich diese Frage mit einem solchen Optimismus abhaken.

Paulus sagt im Römerbrief: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken!” In Rom ging es dabei um das Essen von Fleisch von Tieren, die in den heidnischen Tempeln geschlachtet worden waren. Praktisch war alles Fleisch auf dem Markt aus den Tempeln. Wer sich also

von jeder noch so geringen Berührung mit dem Heidentum freihalten wollte, mußte praktisch auf den Genuß von Fleisch ganz verzichten. Andere Christen aber sagten: „Fleisch ist Fleisch, egal wo es herkommt. Diese Frage hat mit unserem Glauben nichts zu tun!“

Nun hat wohl niemand gemeint, er könne durch die Beachtung solcher Speisevorschriften sein gestörtes Verhältnis zu Gott reparieren, denn sonst hätte wohl Paulus schärfer reagiert. Aber man war wohl der Meinung, daß das Christsein sich in der Einhaltung bestimmter Grundsätze auswirken müsse und das Herrsein Christi im Leben greifbar und sichtbar werden müsse.

Paulus hat demgegenüber die Faustregel aufgestellt: „Alles ist gut, was der Gegenwart unseres Herrn in unserem Leben nicht zuwider ist! Was wir essen und trinken ist bedeutungslos für das Verhältnis zu Gott. Wer solche Fragen des Lebensstils zu einer Glaubens- und Gewissensfrage macht, hat nicht verstanden, worum es in der Herrschaft Gottes geht.

Gott richtet sein Reich auf ganz andere Weise auf. Er hat durch das Kreuz Jesu unsere gottlose Vergangenheit ausgelöscht. Er hat uns wieder angenommen und seine Gerechtigkeit geschenkt. Er hat die Abtrünnigen wiederbekommen und ist so wieder ihr Gott geworden. So hat er seine Herrschaft aufgerichtet durch Rechtfertigung des Sünders aus lauter Gnade. Da­durch hat er auch den Frieden, mit uns hergestellt. Unter uns Menschen werden Bedingungen gestellt und Vorleistungen gefordert, ehe sich Zerstrittene wieder versöhnen. Gott beendet die Feindschaft mit uns auf ganz andere Weise: Er kommt wehrlos ins Lager der Aufrührer und läßt es auf jedes Risiko ankommen. Ganz einseitig beendet er das Widereinander. Daraus können wir lernen, wie es auch bei uns Frieden zu schaffen gilt.

Ein Bischof hat es einmal so gesagt: „Wir sind nicht wie die Regierung im Besitz der nötigen Machtmittel. Dennoch können wir unmittelbar etwas zum Frieden beitragen, etwas, was ich ‚innere Abrüstung' nenne: Daß nicht ein Staat oder eine Staatengruppe die andere automatisch und für alle Zeiten als Feind ansieht, daß man nicht letzten Endes doch von militärischen Aktionen statt von friedlichen Verhandlungen die Lösungen der großen Fragen erwartet, daß wir es lernen, in unsrer Umgebung, in unsrer Familie, im Beruf und in den Gemeinden die Kon­flikte friedlich zu lösen!“

Noch wichtiger als alle Friedenssonntage wäre es, bei uns Frieden zu schaffen: In den Gemeinden, unter der kirchlichen Mitarbeitern, in den Familien. Was Gott selbst tut, ist so wichtig, daß unser Tauziehen um Programme und Richtungen, um Lebensstil und Arbeitsmethoden abgewertet werden. Die unter uns strittigen menschlichen Fragen werden so entschärft und man kann einander den Weg freigeben.

Damit ist nicht eine Toleranz gemeint, die alles gelten läßt und jeden tun läßt, was er will. Es könnte aus Liebe auch einmal nötig sein, dem anderen gerade den Weg nicht freizugeben. Wir sind befreit, aber nicht bindungslos, sondern nunmehr Sklaven Gottes. Aber wir können ihm keinen Gefallen tun, indem wir uns im Essen und Trinken oder auf anderen Gebieten des Lebens auf bestimmte Gesetze festlegen. Es geht nicht darum, daß w i r etwas Bestimmtes tun, sondern daß e r uns Gerechtigkeit und Frieden gibt.

Gott möchte ernstgenommen werden, wenn er in uns keine Sünder mehr sehen will. Mögen wir es auch sein: Er sieht es nicht. Er will Gutes von uns reden und alles zum Besten kehren. Heimlich haben wir noch viel zu viel Respekt vor dem Sündigenmüssen. Wir glauben Gott nicht, daß er uns schon gerechtgesprochen hat. Im Märchen würde man sagen: „Wir spielen noch den Bettelmann, obwohl wir doch schon Königskinder geworden sind!“

Wir versuchen immer noch, uns selbst zu rechtfertigen und zu verteidigen. Wir wollen ein gutes Bild von uns aufbauen und uns zur Geltung bringen. wir sind empfindlich, wenn eine Schwäche offenbar wird. Wir vergeben einander nicht, weil wir nicht gelten lassen wollen, daß uns vergeben wurde. Dabei haben wir das doch alles nicht mehr nötig, weil bei Gott nichts mehr gegen uns vorliegt.

Deshalb sollte auch keiner behaupten, er hätte bestimmte Dinge vor dem anderen voraus; und der andere solle sich bemühen, es ebenso zu halten wie er. Dabei wird doch immer das rechte Christsein des anderen in Frage gestellt. Weil er anders lebt und handelt, unterstellt man ihm auch einen anderen Glauben.

Wer aber von Christus frei gemacht wurde, der kann auch zu dem anderen in seinem Anderssein ja sagen. Es gibt keine uniformierte Christlichkeit, kein christliches „Schema F“. Der eine ist unbeschwert weltoffen, der andere geht den Weg des harten Verzichts. Der eine wagt sich weit vor in der Welt, der andere schließt sich von ihr ab, um seiner selbst oder um anderer willen.

Es gibt so viele Christentümer, wie es Christen gibt. Aber es gibt nur e i n en Herrn. Mit menschlichen Augen betrachtet mögen die Unterschiede unter uns erheblich sein. Aber vor Christus fallen sie nicht ins Gewicht. Auch die anders Denkenden und Handelnden sind Jünger desselben Musters.

Deshalb ist auch eine große Breite christlicher Lebensformen in der Gemeinde möglich: Gottesdienst mehr nach der alten Art oder mehr nach dem Zeitempfinden, Theologie und Gemein­defrömmigkeit, Wirken mehr in die Breite und Wirken mehr in die Tiefe, Verantwortung gegenüber der Welt und gegenüber Gott, Amtskirche und Gemeindekirche, Sakramentsfrömmigkeit und Geisterfülltheit. Manche sehen darin ein Entweder -Oder. Wenn wir aber Gott richtig begriffen haben, dann lassen wir allem Raum in der Gemeinde, wenn es nur die Sache

Gottes voranbringt.

Das Evangelium des Sonntags spricht von der Liebe. Lieben kann man leicht, wenn der andere einem in den Streifen paßt. Aber das ist im Grunde ein seltener Fall. Die Gemeinde aber ist das Übungsfeld, wo man lernen kann, mit dem anderen auszukommen. Die Liebe hält am anderen fest, und gibt ihm den Spielraum, den er braucht; er soll er selbst bleiben und seinem Gewissen folgen können. Leichter wird uns das fallen, wenn wir uns vor Augen halten: Gott hat der anderen schon längst geliebt, ehe wir ihn lieben konnten.

 

 

Röm 15, 4 - 13 (3. Advent, Variante 1):

„Seid nett zueinander!“ Mit diesen Worten warb eine Zeitung nach dem Krieg um Wärme und Verständnis unter den Menschen gerade in der Zeit vor dem Weihnachtsfest. Damals konnte man sich kaum sorglos auf das Fest freuen. Zu sehr brannte die Not unter den Nägeln. Zu groß waren die Verluste an Menschen und Gütern. Zu stark die Enttäuschung über zerbrochene Ideale. Jeder war sich selbst der Nächste.

Seitdem hat sich vieles verändert. Hunger und Kälte sind nicht mehr das wichtigste Thema. Die Wunden des Krieges vernarbten. Es wuchsen auch neue Ideale und Hoffnungen. Aber die Aufforderung „Seid nett zueinander!“ hat sich nicht erübrigt. Sie ist im Grunde zu jeder

Zeit nötig.

Auch heute versuchen Viele, ihr Leben abgeschlossen zu gestalten: Sie haben ihre Familie, darüber hinaus noch ein paar Verwandte und Freunde, aber sonst nichts. Wenn man nach der Arbeit nach Hause kommt, dann wird die Tür zugemacht und keiner mehr hereingelassen. Zu diesem Zweck gibt es ja extra Türen, die nur von innen zu öffnen sind.

Zu dieser Abgeschlossenheit im Erlebnisbereich kommt dann noch eine Starre im Bereich der Meinungen und Urteile. Man ist oft nicht bereit, die Gedanken des anderen ein Stück weit mitzugehen oder sie auch nur anzuhören und zu überprüfen. Jeder hat schon seine Meinung und ist nur schwer davor abzubringen. Mehr Geduld wäre da oft doch nötig.

Paulus fordert dazu auf: „Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, zu Gottes Lob!“ Oder wie Karl Barth übersetzt hat: „Haltet Gemeinschaft untereinander, wie auch Christus euch Gemeinschaft gewährt hat!“. Das gilt im Verhältnis zwischen Mann und Frau, im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern und auch für die christliche Gemeinde.

Liebende stellen sich die Ehe in der Regel in den rosigsten Farben vor. Jeder sieht im anderen sein Idealbild und hebt ihn in den Himmel. Aber spätestens wenn die Flitterwochen vorbei sind, sieht manches schon anders aus. Vielleicht hat es schon den ersten Krach gegeben und man hat schon manchen Fehler an dem anderen entdeckt. Da gilt es, den anderen mit all seinen Fehlern und Schwächen, aber auch seinen Vorzügen und angenehmen Seiten anzunehmen.

Oft versucht dann der eine, den anderen umzumodeln nach dem Bild, das er sich von ihm gemacht hat. Aber das geht nicht. Jeder Mensch ist eine eigene Persönlichkeit und will als solche ernst genommen werden. Deshalb gilt es, jeden aus Gottes Kind zu nehmen, so wie Gott ihn geschaffen hat. Wer nur einfach Recht haben will, der ist nie im Recht. Das Recht des anderen hat den Vorrang.

Auch im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern kommt es zwangsläufig zu Spannungen. Schon zu jeder Zeit waren die Anschauungen der Jugend etwas verschieden von denen der Alten. Das muß auch so sein, denn sonst gäbe es keinen Fortschritt. Insofern ist es falsch, wenn Eltern von ihren Kindern erwarten, daß sie der Alten alles nachmachen. Kinder sind kein haargenaues Abbild ihrer Eltern und müssen ihren eigenen Weg gehen.

Viele Eltern wollen, daß die Kinder eine Kopie ihrer selbst werden. Oder sie wollen, daß die Kinder es einmal besser haben als sie selber: Die Tochter soll genießen, was der Mutter versagt war. Der Sohn soll das Berufsziel erreichen, das der Vater nicht geschafft hat. Doch Kinder sind keine Marionetten, bei denen man nur am Faden zu ziehen braucht und sie parieren dann schon. Es muß jeder auf die Eigenarten des anderen Rücksicht nehmen und auf ihn eingehen.

Den Ehepartner kann man sich ja noch aussuchen (auch wenn dann mancher nachher meint, er habe sich verwählt). Aber Kinder und Eltern kann man sich nicht aussuchen. Da besucht ein frischgebackener Vater seine Frau in der Klinik, wo sie das Kind geboren hat. Seine erste Frage: „Wie sieht er denn aus, unser Sohn?“ Doch    die Mutter gesteht etwas kleinlaut: „Unser Sohn ist eine Tochter!“

Welche Tragödien spielen sich doch manchmal ab, wenn ein Sohn erwartet wurde und es war „nur“ ein Mädchen. Aber auch ein Mädchen ist ein Geschenk Gottes und als solches anzunehmen. Eigentlich ist es sogar besser, wenn man nicht aussuchen kann, denn da muß man den anderen so annehmen, wie er ist.

Die Adventszeit gibt uns wieder einmal Gelegenheit, uns das alles einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Wie will man Weihnachten feiern und Gott loben für seine Tat, wenn man untereinander zerstritten ist und einander nicht gelten läßt. Streit beruht immer auf der Meinung, daß ich allein weiß, wie man leben soll und was man tun darf. Wer aber der anderen annehmen will, der richtet der Blick von sich selbst weg. Er hat Geduld, wo sie angebracht ist. Er tröstet, wo er kann. Und er hat eine Hoffnung für die Zukunft.

Geduld, Trost und Hoffnung sind die Hauptstichpunkte in diesem Abschnitt des Römerbriefs. Es gab Zeiten, da hatte die Hoffnung nur noch einen Platz bei den sogenannten „letzten Dingen“, wenn es also um das Erde der Welt und des eigenen Lebens ging. Heute richten sich unsre Hoffnungen mehr auf das berufliche Fortkommen, den Urlaub, die Wohnung, ein Leben in Frieden und Sicherheit und Wohlstand.

Aber beides muß sich nicht gegenseitig ausschließen. Hoffnung hat etwas mit dem Glauben zu tun. Sie ist das Hinschauen auf das Kommende oder besser gesagt: auf d e n Kommenden. Hoffnung hat etwas von der adventlichen Vorfreude auf das Reich Gottes. Unsere irdischen Hoffnungen sollten dem untergeordnet sein.

Auch in der Gemeinde gibt es da sicher noch manches zu verbessern. Wir können uns ja nicht aussuchen, zu welcher Gemeinde wir gehören und wer noch alles mit dazu gehört. Da ist vielleicht mancher dabei, der uns nicht paßt oder dem wir sogar aus dem Weg gehen. Geduld

und Hoffnung wären da nötig. Die Gemeinde bietet nun einmal ein breites Spektrum von Menschen und Meinungen: Die einen fordern neue Lieder und Diskussionen, die anderen die alten Choräle und eine richtige Predigt. Der eine will alles verändern, der andere hat seine Mühe bei der Erhaltung und Bewahrung des Bestehenden. Die einen wollen einen Gemeinderaum, die anderen schwören auf die Kirche, auch wenn sie kalt ist („sakraler Kühlschrank“ hat man das genannt).

Meinungsverschiedenheiten gibt es überall. In Rom ging es damals um die Frage, ob man als Christ Fleisch essen darf, weil die Tiere alle im heidnischen Tempel geschlachtet wurden. Die einen hatten da Bedenken, ihr Glaube würde durch diese Berührung mit dem Heidentum gefährdet. Die anderen sagten: Mit dem Glauben hat das gar nichts zu tun, Hauptsache, es schmeckt uns! Wie man solche Meinungsverschiedenheiten austrägt, das zeigt der wahren Menschen, zeigt etwas davon, wie es mit seinem Glauben bestellt ist.

Aber es geht nicht nur darum, den Streit der Vergangenheit zu bewältigen, sondern auch die Zukunft besser zu gestalten. Mancher sagt: „Man müßte etwas Großes tun, was dem anderen nützt!“ Aber er sagt noch nicht: „Jetzt muß ich etwas tun!“

Einer, der etwas getan hat, war Danilo Dolci. Er stammte aus Triest und wollte eigentlich Architekt werden. Doch dann ging er in das Dorf zurück, in dem sein Vater vorübergehend Stationsvorsteher war. Er wollte für die Fischer und Bauern dieser Gegend arbeiten. Im Jahre 1952 erreichte er es durch einen Hungerstreik, daß eine Straße und ein Damm gebaut wurden.

In einem Gebiet mit hoher Arbeitslosigkeit kämpfte er für das Recht auf Arbeit. Nicht alles, was er in Angriff nahm, gelang sofort. Aber er glaubte fest daran, daß man Schwierigkeiten überwinden kann.

Die Hoffnung ist ein wichtiger Teil unsres Lebens Das wollen wir uns besonders wieder in dieser Adventszeit sagen lassen. In der Zeit des Alten Testaments hoffte man noch auf den, der aus der Wurzel Jesse kommen sollte, auf den Nachkommen Isais und Davids. Wir wissen, daß dieser in Jesus gekommen ist. Deshalb haben wir noch mehr Grund zur Hoffnung.

Dieser Jesus wird eine Welt heraufführen, die dem Willen Gottes entspricht. Wir haben dieses Hoffnungsbild schon vor Augen. Das macht es uns leichter, diesem Bild immer mehr nachzueifern und ihm immer ähnlicher zu werden. Wir werden Geduld lernen, mit unsrem Mitmenschen auszukommen. Und wir werden alles vom Gott der Hoffnung erwarten und zu seinem Frieden finden.

 

 

Röm 15, 4 - 13 (3. Advent, Variante 2)

Der Papst hat angeordnet, daß Männer mit homosexueller geschlechtlicher Ausrichtung nicht Priester werden dürfen. Und wenn sie schon im Amt sind, dann dürfen sie nur bleiben, wenn sie mindestens drei Jahre keusch gelebt haben. An sich ist das nur folgerichtig, denn wenn ein katholischer Priester es nicht mit einer Frau haben darf, dann soll er es natürlich auch nicht mit einem Mann haben. Aber das erst im Lauf der Kirchengeschichte in die Kirche eingeführte Gebot der Ehelosigkeit ist an sich schon menschenfeindlich, widerspricht der Bibel und stößt bei uns auf Unverständnis. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr wir doch auch heute noch von der katholischen Kirche entfernt sind. Da ist es gar nicht so leicht, untereinander einträchtig gesinnt zu sein und einander anzunehmen, wie Paulus es von der Gemeinde in Rom und damit auch von uns fordert.

Aber sagen wir nicht, daß es nicht auch bei uns in der Kirche Meinungsverschiedenheiten und extreme Ansichten und Handlungen gibt. In einer Gemeinde hatte der Pfarrer am Kreuz in der Kirche eine rote Aids-Schleife angebracht. Das fand mancher unpassend. So eine Schleife, die zur Solidarität mit dem Aidskranken einlädt, ist nicht falsch. Aber ob es in der Kirche keinen anderen Platz gibt für so eine Schleife als das Kreuz auf dem Altar, ist doch immer noch die Frage.

Auf der anderen Seite des Spektrums in der Kirche stehen so Leute wie der amerikanische Präsident Busch, der für ein enges wörtliches Verständnis der Bibel eintritt und zum Beispiel der Ansicht ist, daß alle Menschen von einem Ehepaar Adam und Eva abstammen, das tatsächlich gelebt hat. Aber wir brauchen gar nicht nach Amerika zu gehen, auch der frühere thüringische Ministerpräsident Althaus hat gefordert, ein entsprechendes Buch im Schulunterricht zu verwenden.

Es gibt also eine große Spannweite der Meinungen in der Kirche. Das ist auch nicht falsch oder schädlich. Ich halte es für richtig, wenn in Vereinen oder Parteien über den richtigen Weg gestritten wird und Kampfabstimmungen stattfinden und man sich auch einmal richtig fetzt. Nur nach außen macht das leider einen schlechten Eindruck und kostet vielleicht Wählerstimmen. Aber da müßten wir vielleicht umlernen, denn das ist alles nur demokratisch und dient der Wahrheit.

In der Kirche muß nicht alles einheitlich gestaltet sein (Das will ja die katholische Kirche mit ihrer Unfehlbarkeit der päpstlichen Verordnungen erreichen). Ein Kollege hat mich einmal kritisiert, weil ich in einer Predigt mehrmals „vielleicht“ gesagt habe: Damit verunsichere man die Gemeinde, weil der eine oder andere denken könnte, ich wäre mir nicht sicher im Glauben. Natürlich steht die Grundüberzeugung fest. Aber das bedeutet doch nicht, daß man in Einzelfragen nicht unterschiedliche Folgerungen ziehen darf. Ich wollte nur die Freiheit lassen, selber auch eigene Meinungen zu finden und meine eigene Meinung nicht als die alleinseligmachende verstehen.

Wenn Paulus hier die Gemeinde in Rom zur Eintracht auffordert, dann hat er den Streit zwischen den sogenannten „Starken“ und den sogenannten „Schwachen“ vor Augen. Die einen meinten, man könne ohne Bedenken alles Fleisch essen, auch wenn es aus den Opferungen im heidnischen Tempel stammt, das beeinträchtige den Glauben nicht. Die anderen aber dachten, sie würden sich durch den Genuß dieses Fleisches verunreinigen.

Die Gefahr bestand nun, daß die eine Gruppe der anderen die Gemeinschaft aufkündigt. Dabei ging es doch nur um eine Frage der Lebenspraxis und nicht wie bei der Reformation um die Wahrheit des Glaubens. Paulus rechnet sich selber zu den „Starken“, aber er will den sogenannten „Schwachen“ nicht seinen Standpunkt aufdrängen, um so die Einheit der Gemeinde zu retten.

Paulus denkt von Christus her und sagt: Keiner von uns ist der Richter des anderen. Christus ist für alle gekommen und gestorben. Er bindet alle zusammen, die innerhalb der Gemeinde sind und darüber hinaus alle Menschen in allen Völkern. So darf gerade in dieser Advents- und Weihnachtszeit dieser unser Trost und unsre Hoffnung sein: Gott hat uns in Christus angenommen. Darum sind wir untereinander verbunden und auch weltweit vereint.

 

1. Untereinander verbunden: Wer die Kirche zu leiten hat, muß auf ihre Einheit bedacht sein. Die Bildung einander widerstreitender Gruppen und Richtungen ist ein altes Leiden der Kirche. Da gibt es große Unterschiede im Frömmigkeitstyp und im christlichen Lebensstil. Die Vorstellungen, was Gemeinde ist und in welchen Formen sie lebt und arbeitet, gehen doch oft weit auseinander, von den Katholiken bis zu den erzkonservativen Evangelikalen. Aber die Vielfalt muß kein Leiden sein, wenn nur die Einheit gewahrt bleibt. Wenn Präsident Bush mehr an Adam und Eva glaubt als an Gott, dann spreche ich ihm den Glauben nicht ab. Aber er soll mir auch meine Überzeugung lassen.

In der Kirche freut man sich über die Vielfalt der Gaben. Es genügt, wenn alle zusammenbleiben und einander annehmen, wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob. Das bedeutet nicht, daß wir alle ein weites Herz haben und alles gelten lassen sollen. Es geht nicht einmal darum, daß wir Andersdenkende gelten lassen, sondern über uns entscheidet der Herr, besser gesagt: Er hat schon über uns entschieden, denn er hat uns angenommen, wie wir sind.

In der Kirche leben wir nicht von dem, was wir sind und tun, sondern von dem, was Gott ist und tut. Dann hat auch keiner mehr etwas vor dem anderen voraus. Nicht die von uns ausgehandelten Gemeinsamkeiten schließen uns zusammen, sondern die grundlose Liebe unseres Herrn.

Daß Christen in der Einheit des Glaubens beisammenbleiben, ist aber eine Sache der Hoffnung. Den gegenwärtigen Zustand der Kirche können wir aushalten, weil wir eine Hoffnung haben und Gott noch nicht mit uns am Ziel ist. Eines Tages wird Christus kommen und all unseren Spielarten von Kirche ein Ende setzen. Deshalb dürfen wir uns heute schon gespannt darauf warten, was Gott noch aus uns und den anderen machen wird. Gott ist ein Gott der Geduld, des Trostes und der Hoffnung. Vor allem das Wort „Hoffnung“ ist das leitende Wort in diesem Bibeltext, der wohl aus diesem Grund auch für die Adventszeit ausgewählt worden ist.

 

2. Weltweit vereint: Innergemeindliche Probleme kehren im Verhältnis zu den Heiden in vergrößertem Maßstab wieder. Aber wenn Christus Menschen unverdientermaßen annimmt, dann vereint er uns auch mit den Menschen aus allen Völkern. Auch die sind unsre Brüder und Schwestern, von denen wir meinten, sie könnten nie zu uns gehören. Innerkirchliche Enge und ein genießerisch-selbstgefälliges Zurückziehen wäre eine Verleugnung der Einladung Jesu.

Nur geschieht dieses Zusammenwachsen nicht automatisch. Deshalb hat sich ja Paulus auf den Weg gemacht, um die Einladung seines Herrn an den Mann zu bringen. Gottes Heil ereignet sich in der Geschichte, nicht über die Köpfe hinweg, sondern in den Köpfen und Herzen konkreter Menschen. Deshalb spielen wir auch jedes Jahr neu die Weihnachtsgeschichte, in die auch die Fremden aus dem Morgenland und selbst die Tiere einbezogen sind.

Allerdings geht Gott einen bestimmten Weg durch die Welt: Christus hat sein Werk zunächst unter den Juden getan.

Vielen Christen ist gar nicht bewußt, daß Jesus ein Jude war und in der jüdischen Tradition aufgewachsen ist. Er hat sich sogar bewußt zum Diener der Juden gemacht. Damit ist Gott einen erstaunlich schmalen Weg gegangen, hat ganz klein angefangen, in einem Stall und in einem abgelegenen Winkel der Welt. Er hat erst einmal seine alten Zusagen eingelöst, denn er macht wahr, was er verspricht. Und dann hat er auch die Heiden einbezogen, hat er auch uns einbezogen.

Paulus beschreibt hier vier Schritte: Erst fängt einer an, mitten in nichtchristlicher Umgebung Gott zu loben. Dann macht Gott den Nichtchristen Mut, sich mit den Christen zu freuen. Darauf werden alle Völker aufgerufen, ihrerseits Gott zu loben. Und schließlich geht die Hoffnung der Völker auf das Kommen eines neuen Königs in Erfüllung, die Hoffnung auf den Nachkommen Isais, der als neuer David ein gerechter Herrscher sein wird.

Anfangs dachte man dabei an einen irdischen König, der ein friedliches, freies und sorgloses Leben im politischen Rahmen ermöglicht. Das wird uns davor bewahren, unsre Verantwortung für die Welt nur darin zu sehen, daß wir hin und wieder milde Gaben für die Notleidenden dieser Welt geben, vor allem natürlich an Weihnachten. Es muß auch um gerechtere Ordnungen in der Welt gehen, dämmt solche Hilfsaktionen gar nichts erst nötig werden.

Daß uns Christus annimmt, vereint uns weltweit. Alle Menschen sind Gott willkommen, auch wir selbst. Wir sollten keinen anderen Menschen mehr anders ansehen als im Zeichen dieser Hoffnung. An Advent und Weihnachten könnten wir immer mehr nach Einigkeit suchen, in unserer Familie, in unserer Umgebung, in der Kirche und in der Welt.

 

 

Röm 16, 25 – 27 (2. Sonntag nach dem Christfest):

An dieser Stelle des Gottesdienstes kommt immer die Predigt. Die meisten Gottesdienstbesucher kommen wegen der Predigt und beurteilen auch den ganzen Gottesdienst danach, wie die Predigt war. In Göttingen gab es eine Zeit, da kamen manche Leute erst zum Beginn der Predigt zum Gottesdienst und gingen auch nach der Predigt demonstrativ wieder fort. Die wollten nur eine Kanzelrede hören, die der berühmte Professor hielt. Alles andere am Gottesdienst, das wir „Liturgie“ nennen - also Lieder, Lesungen und Gebete - verachteten sie. Der heutige Predigttext ist aber nur „Liturgie“: Ein Lobpreis Gottes am Schluß des Römerbriefs, als Abschluß der Lesung des Briefes im Gottesdienst gedacht.

Ich traue mich gar nicht, diesen Lobpreis nach der Lutherübersetzung vorzulesen. Es ist nämlich ein einziger Satz, der sich über drei Verse erstreckt, aber völlig in sich verschachtelt ist.

Dazu ist dieser Satz vollgestopft mit theologischen Begriffen. Am Ende weiß man gar nicht, was eigentlich gesagt werden sollte. Deshalb habe ich versucht, diesen Lobpreis einmal in kurze Sätze zu zerlegen

„Gott möge groß herauskommen! Er kann uns durch diese neue Nachricht immer wieder voll ermutigen. Diese Sache macht deutlich, wie Gott eigentlich drauf ist. Das haben die Menschen bisher noch nie so gehört. Aber jetzt ist das anders. Die Menschen hören davon, wie es die Propheten schon vor langer Zeit vorhergesagt hatten. Gott wollte es so, er will, daß alle Menschen das wissen, damit sie ihr Vertrauen auf Jesus Christus setzen. Gott weiß alles! Er hat den Überblick! Er soll groß herauskommen durch Jesus Christus! Genauso ist es (nach: Volx-Bibel).

Die Mitte dieser Aussagen ist das Christusgeheimnis, das jetzt ans Licht getreten ist. Dieser komplizierte verschachtelte Satz ist eine einzige große Brücke zur Weihnachtsbotschaft. Im Mittelpunkt dieser Lesung steht: „Jetzt aber!“ Das erinnert an das „Euch ist heute der Heiland geboren“, das die Engel den Hirten sagen. Das ist aber auch gleichzeitig eine Brücke zum Alten Testament. Die Propheten haben immer angekündigt, daß Gott einmal den Messias senden werde. Aber keiner der Propheten konnte sagen: „Heute ist es so weit“ oder „jetzt aber“ hat Gott sein Versprechen eingelöst.

Deshalb ist die Weihnachtserzählung voll von Lobpreisen: „Ehre sei Gott in der Höhe“  und „Die Hirten kehrten wieder heim, sie lobten und priesen Gott für alles, was sie gehört und gesehen hatten.“ Und kurz nach der Geburt Jesu singt der greise Simeon in seinem Lied: „Ein Licht, das die Heiden erleuchtet.“ 

Gott hat etwas Neues in die Welt hineingegeben, indem Christus kam. Das Geheimnis Gottes war seit ewigen Zeiten unausgesprochen. Die Menschen haben immer danach gesucht, das Geheimnis Gottes zu ergründen: Wer er ist, wie er denkt, warum er so handelt, warum er das Leid in der Welt zuläßt? Es gibt so viele Dinge in diesem Geheimnis Gottes, die unausgesprochen sind, die über die Jahrhunderte hin verborgen sind. Am Weihnachtsfest hat das Geheimnis Gottes im buchstäblichen Sinne Hand und Fuß bekommen, als Gott Mensch geworden ist.

Dieses jetzt enthüllte Geheimnis dient zur Stärkung für uns, dient der Verbreitung in aller Welt und dient zur Rühmung Gottes.

 

(1.) Stärkung für uns: Auch Christen brauchen Stärkung, auch sie kennen Müdigkeit, Unglauben, Hoffnungslosigkeit. Doch da hilft nicht, wenn man sich selber aufraffen will, sondern Gott will uns stärken. Dann können wir wieder aufrecht stehen und brauchen nicht wieder schwach zu werden und umzufallen. Die Stärke ist nicht das Entfalten der eigenen Kräfte, sondern der Einsatz der Kräfte, die Gott uns zuführt. Das eigene Starksein kann ja fraglich werden.  Aber da hilft es nicht, sich die eigenen Schwächen nicht anmerken zu lassen und deshalb angespannt und empfindlich zu werden, weil man immer von der Angst geplagt wird, man könnte es nicht schaffen.

Vor allem in der Arbeitswelt kann man das feststellen, daß Menschen nach unten treten und nach oben katzbuckeln, weil sie Angst vor dem Versagen haben. Manche greifen dann zu Aufputschmitteln. Wer nichts damit zu tun hat, der ahnt gar nicht, welche legalen Medikamente es gibt, einen Menschen anzustacheln oder auch ruhig zu stellen. Aber so kann man die Probleme unserer Welt doch nicht bewältigen.

Gott stärkt uns durch sein Evangelium, durch die frohe Botschaft, daß Gott Mensch wurde und sich an unsere Seite gestellt hat, alle Not der Menschen kennengelernt hat, aber auch einen Weg aus der Not heraus zeigt. Das Evangelium kommt zu solchen, die sich unter Gottes Zorn befinden. Es ist nicht eine Zutat unseres Lebens, sondern die Botschaft von der Rettung. Wir sind aus einem Kerker herausgeholt und haben wahrscheinlich nicht einmal gewußt, daß es ein Kerker war. Der Gott, der an sich gegen uns hätte sein müssen, ist durch Christus ein Gott für uns geworden. Wir brauchen nicht in innere Schwächen zu verfallen, in Mutlosigkeit oder Verbitterung, weil wir Christus in uns haben.

 

(2.) Verbreitung in aller Welt:

Nicht nur der einzelne Christ wird in seinem Inneren gestärkt, sondern die frohe Botschaft ist allen Völkern weltweit gesagt. Seit Christus gibt es nur noch Jahre des Heils. Das Geheimnis Gottes war lange Zeit verschwiegen, aber jetzt ist es offenbart. Schon das Alte Testament wies auf Christus hin, besonders die Propheten. Im Christusgeschehen ereignet sich, was Gottes Liebe von Anfang an vorgehabt hat. Kein historischer Zufall hat es zu der frohen Botschaft kommen lassen, sondern Gott liebt uns seit aller Ewigkeit und sorgt sich um uns und sehnt sich nach uns. In Gottes Herzen war die Liebe schon  nimmer, aber jetzt ist sie in Jesus Christus Ereignis geworden.

Heute ist die Botschaft in der ganzen Welt verbreitet. Allerdings finden wir sie vor allem in einem Buch, in der Bibel. Statt des lebendigen Gottesgeschehens haben wir nur ein Buch, und Noten sind noch nicht Musik. Vielleicht ist es uns aber leichter, an Jesus zu glauben als seine Zeitgenossen: Die sahen ja nur seine Niedrigkeit, seinen ärmlichen Lebenswandel, seinen schmählichen Tod. Aber für uns geht aus der Schrift das lebendige Wort Gottes hervor, aus dem der dreieinige Gott zu uns spricht. Predigt und Liturgie ergänzen also einander.

 

(3.) Rühmung Gottes:

Man kann eine solche beglückende und rettende Botschaft nicht anders entgegennehmen, als daß man in das Lob Gottes ausbricht. Wen es nicht drängt, Gott zu rühmen, der hat nichts begriffen. Das zeigen unsere wunderschönen Weihnachtslieder oder solche Werke wie das Weihnachtsoratorium. Wo Sünden vergeben werden und neues Leben empfangen wird, entsteht der Jubel. Schon in der Schöpfung hat sich Gott verherrlicht, aber erst recht in der Rettung der Verlorenen. 

Die Liturgie im Gottesdienst ist nicht ein langweiliges Ritual, das man halt mitnehmen muß. Auch hier verwirklicht sich Gottes Gottsein, genauso wie in der Predigt oder wenn Menschen zu Gott Vertrauen fassen. Gott kann nicht schöner zu seiner Ehre kommen, als daß er den in der Schuld Verlorenen wieder zurückholt. Aber umgekehrt gilt auch: Unsere Seligkeit besteht darin, daß Gott wieder  u n s e r Gott geworden ist, dem Ehre gebührt durch Jesus Christus in Ewigkeit.

Deshalb versuche ich es noch einmal zum Schluß mit dem Bibeltext in der Fassung Martin Luthers: „Dem aber, der euch stärken kann gemäß meinem Evangelium und der Predigt von Jesus Christus, durch die das Geheimnis offenbart ist, das seit ewigen Zeiten verschwiegen war, nun aber offenbart und kundgemacht ist durch die Schriften der Propheten nach dem Befehl des ewigen Gottes, den Gehorsam des Glaubens aufzurichten unter allen Heiden:

dem Gott, der allein weise ist, sei Ehre durch Jesus Christus in Ewigkeit! Amen!“

Ein Kirchendiener in einer Universitätsstadt pflegte die Predigten der Studenten im praktisch-theologischen Seminar zu kommentieren, wenn der Kandidat die Kirche verließ und an ihm vorbeiging. Sein höchstes Lob war: „Sie werden eine Posaune des Herrn werden!“ Meist aber sagte er: „Sie haben mich erbaut!“ Aber auch bei einer ganz schlechten Predigt wußte er noch ein tröstliches Wort: „Sie haben die Lieder gut gewählt!“

Auch wenn die Predigt uns manchmal nichts gibt, so haben wir doch die Liturgie. Denken wir an Bittruf und Lobpreis am Beginn des Gottesdienstes, die ein wichtiges Bedürfnis von uns abdecken. Denken wir an die Lesungen und Gebete. Und vor allem die Lieder sind manchmal die beste Predigt im Gottesdienst. Das Gotteslob ist an Weihnachten neu aufgebrochen, es ist auch heute wichtig und nötig.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Korinther

 

 

 

1. Kor 1, 4 - 9 (5. Sonntag nach Epiphanias, Variante 1):

[die römischen Zahlen beziehen sich auf die Aufteilung in einer Dialogpredigt]

 

I. Jeder von uns ist stolz auf Auszeichnungen: auf eine Geldprämie in der Firma oder in der Schule, auf Züchterurkunden, auf Sportmedaillen, ja selbst auf die Urkunden zur Goldenen Hochzeit und für langjährige Mitgliedschaft im Kirchenchor.

Was zeichnet nun eine christliche Gemeinde aus? Paulus zählt hier sechs Punkte auf; die Kennzeichen einer christlichen Gemeinde sind:

1. Die Gnade Gottes ist euch gegeben in Christus

2. Ihr seid reich gemacht an Lehre und Erkenntnis in Christus

3. Die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden

4. Ihr habt keinen Mangel an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung

5. Christus wird euch fest erhalten bis ans Ende

6. Ihr seid berufen zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus.

 

II. Die menschlichen Auszeichnungen hat man sich aber alle selber verdient und sie werden ja auch von Menschen verliehen. Bei den Vorzügen der Gemeinde steht aber jedesmal dabei „in Christus“ (Punkte w i e d e r h o l e n unter Betonung des „in Christus“!). Diese Auszeichnungen sind also von Gott verliehen und keineswegs von der Gemeinde verdient. Es besteht kein Grund zum Stolz. Deshalb fängt Paulus ja auch mit dem Dank an Gott an, obwohl er nachher im Brief manche Nöte der Gemeinde bespricht: Ehesachen, Streit, Unglaube, Lieblosigkeit - all das gab es in Korinth, und trotzdem kann Paulus Gott danken für diese Gemeinde und das was sie auszeichnet.

 

I. Wir sollten deshalb auch trotz aller Nöte zunächst mit dem Positiven beginnen, wenn wir unsere Gemeinden ansehen. Auch die Pfarrer sollten so wie Paulus den Mut zum Danken haben, denn von jeder Gemeinde gibt es auch Erfreuliches zu berichten. Und wir sollten in unserem persönlichen Gebet auch immer zunächst mit dem Dank beginnen, ehe wir unsere Nöte ausbreiten.

Hören wir hier also jetzt in sechs Schritten, was eine christliche Gemeinde auszeichnet.

 

II. Paulus zählt als ersten Punkt auf:

(1.) Die Gnade Gottes ist euch gegeben in Christus Jesus!

Im Johannesevangelium steht die Geschichte einer Ehebrecherin, die auf frischer Tat ertappt wurde. Die frommen Leute zerren sie vor Jesus und klagen sie an. Jesus aber sagt nur: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!“ Da ziehen sich alle kleinlaut zurück. Jesus aber sagt zu der Frau: „Dann verdamme ich dich auch nicht!“ Das ist Gnade, die jedem einzelnen Gemeindeglied versprochen ist: Wenn die Menschen uns verklagen, dann verdammt uns Jesus noch lange nicht.

 

I. Ohne Christus haben wir keine Gnade zu erwarten, sondern wir würden auch von Gott verurteilt. Aber wenn wir angeklagt werden, dann tritt Jesus wie in der Geschichte von der Ehebrecherin dazwischen. Gnade heißt: Wir erlangen Vergebung für unsere Taten. Wenn wir aber das erfahren haben, dann haben wir auch die Kraft, einem anderen zu vergeben. Daß wir das aber können, ist eine Gnade, die der Gemeinde von Gott geschenkt ist.

 

II. (2.) Ihr seid reich gemacht an Lehre und Erkenntnis durch Christus!

Es ist uns sehr selbstverständlich, daß wir Christen sein können: Wir haben ein vielfaches Angebot einer „geistlichen Speisekarte“ die ganze Woche über. Die Kinder können zum Religionsunterricht und zum Konfirmandenunterricht gehen, wir können uns jederzeit eine Bibel kaufen - wir sind steinreiche Leute, was die Möglichkeiten der Erkenntnis und der Lehre angeht. .Nutzen wir da unsre Möglichkeiten genügend? Die meisten haben ein Kochbuch zu Hause, aber sie sehen nur selten hinein. Die meisten haben eine Bibel zu Hause, aber sie sehen nur selten hinein. Dabei ist die Bibel so ein dickes Buch. Das kann man sein ganzes Leben über nicht ausschöpfen, zumal da auch so viel drinsteht, was unsrem natürlichen Empfinden entgegengesetzt ist.

 

I. Ohne Christus wären wir arm an Erkenntnis über Gott und würden höchstens sagen: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ Aber auch unser Verhältnis zu dem Mitmenschen gestaltete sich nur nach dem Schlagwort: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Christus aber lehrt uns, keinen Menschen zu hassen, sondern selbst den Feind zu lieben. Bei der Erziehung zum Haß können wir Christen nicht mitmachen, weil wir durch Christus die Erkenntnis gewonnen haben: Gott liebt auch meinen Feind, deshalb soll ich ihn auch lieben.

 

II. (3.) Die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden!

Wir haben oft Gelegenheit zum Hören der Predigt. Und wenn einer krank ist, kann er immer noch die Rundfunkandacht oder das Fernsehen anstellen. Es geht nur darum, daß es immer Zeugnis von Christus ist. Man kann ja über manches reden, und Christus ist doch nicht dabei, sondern nur die eigenen Gedanken. Hier hat die wissenschaftliche Bibelauslegung eine große Aufgabe, uns auf das hinzuweisen, was wirklich Christus predigt. Durch die Beschäftigung mit der Theologie kann man viel lernen von dem, was die Bibel wirklich will. Nur darf man dann nicht in theologischen Einzelheiten steckenbleiben, sondern muß den einen Christus im Auge behalten.

 

I. Eine andere Predigt macht nicht kräftig. Dann redet man vielleicht sehr nützlich von Stallfütterung und Waldfrevel, aber nicht von Christus. Dann redet man vielleicht auch sehr interessant und hat sein Publikum. Aber wenn dann so ein Kanzelredner abtritt, verläuft sich die Gemeinde wieder, weil sie nicht in Christus gekräftigt ist.

 

II. (4.) Ihr habt keinen Mangel an irgendeiner Gabe!

Ihr habt alles, was eine christliche Gemeinde braucht, welche Zeiten auch kommen. Paulus zählt sie später im Korintherbrief auf: Weisheit, Erkenntnis, Glaube, Heilkraft, Weissagung und anderes. Ihr braucht nichts selber zu schaffen, weil Gott schon alles gegeben hat. Eine großartige Zusage! Es fehlt nur noch die letzte Vollendung, daß nämlich Christus wieder sichtbar zu euch kommt. Aber bis dahin habt ihr keinen Mangel, bis dahin könnt ihr euch auch gegen alle Anfeindungen und Versuchungen durchsetzen.

 

I. Ohne Christus aber hätten wir Mangel. Wir würden dann Ausschau halten nach den Versprechungen der Menschen und auf die Zukunftsbilder der Weltanschauungen hereinfallen. Wer meint, ihm fehle noch etwas, der wird nach so einem Ersatz suchen. Paulus aber sagt: Ihr habt das nicht nötig, ihr habt schon alles.

 

II. (5.) Christus wird euch fest erhalten bis ans Ende!

Gott verspricht uns hier Standhaftigkeit bis zum Ende. Nicht bis zum bitteren Ende, bei dem man mit fliegenden Fahnen untergeht, sondern eine ruhige Gelassenheit in allen Stürmen und Schwierigkeiten unseres Lebens. Das meint ja eigentlich das Wort „Konfirmation“ ein Festmachen im Glauben und in der Lehre. Nur ist das eben kein einmaliger Vorgang, der mit dem Konfirmationstag erledigt ist, sondern Konfirmation dauert das ganze Leben. Und wer sich dann bis ans Ende hat festhalten lassen, der wird dann auch im Gericht Gottes bestehen.

 

I. Ohne Christus wären wir wankelmütig wie ein Rohr im Wind und würden auf alle Neuigkeiten hereinfallen. Doch wenn man es genau betrachtet, dann sind solche haltlosen Menschen schon im Diesseits bestraft, weil sie nicht wissen, wo sie hingehören.

 

II. (6.) Ihr seid berufen zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus!

Wir brauchen nicht allein als Christen in der Welt zu stehen, sondern wir stehen in der Gemeinde und erfahren gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Eine taubstumme Frau hat man einmal gefragt, warum sie denn jeden Sonntag im Gottesdienst sei, wo sie doch nichts

verstehe von all dem; da hat sie auf ihre Art mitgeteilt: „Ich brauche eben die Gemeinschaft der anderen, um ein Christ zu sein!“

Das ist ja der Mangel an jedem Radiogottesdienst: Hier fehlt die sichtbare Gemeinde, hier fehlt das Abendmahl und das gemeinsame Beten und Loben. Wer aber zum Christsein in der Gemeinde berufen ist, der hat nun den bleibenden „Beruf“, ein Christ zu sein. Jeder von uns hat noch von Gott diesen zweiten Beruf und hat ihn an seinem Ort auszuüben. Auch in der Firma und in der Schule, im Büro und auf der Straße sind wir zur Gemeinschaft mit den anderen Christen berufen, daß wir auch dort zusammenhalten, uns gemeinsam verteidigen und gemeinsam wirken im Namen Gottes.

 

I. Ohne Christus wären wir nur ein Verein. Dann ginge es nach Sympathie und Antipathie und es käme sicher manches Mal zum Streit untereinander. Ohne Christus wären wir in der Tat nur eine in sich geschlossene Gesellschaft, die darauf verzichtet, andere in ihre Gemeinschaft

hin einzuholen. Keine andere Gemeinschaft in der Welt hat diese Eigenschaften, wie sie hier aufgezählt werden.

 

II. Wir haben nun wie jeden Sonntag den Text ausgelegt. Als Thema des Tages haben wir das Thema gewählt: „Die Bibel als Aufgabe“. Aber manche werden sich doch nun fragen, weshalb sind wir hierhergekommen? Es war vielleicht auch einmal etwas Neues, daß nun gleich zwei Mann gepredigt haben. Aber was nehmen wir mit als Rüstzeug für den Alltag?

 

I. Ein kleiner Zirkus hatte als Hauptattraktion einen Löwen, auf den er ganz stolz ist. Nun ist da aber auch ein anderer Zirkus, der keinen Löwen hat und dem anderen gern den Löwen abjagen möchte. Die Leute überlegen sich nun: Wie können wir unseren Löwen am besten vor Diebstahl schützen? Welche Sicherungsanlagen müssen wir einbauen? Bis dann einer von den Zirkusleuten sagt: „Ihr dürft den Löwen nicht einschließen, sondern müßt die Tür gerade offenlassen. Der Löwe verteidigt sich dann schon selbst!“ So haben wir es aber auch mit der

Bibel gemacht: Wir haben sie aufgeschlagen, damit sie sich selbst verteidigt. Wenn hier unter uns vielleicht auch keiner ist, der die Bibel angreifen will, so müssen wir doch bedenken, daß sie heute angegriffen wird.

 

II. Nur kann es auch sein, daß die Bibel uns dann selber angreift, so wie der Löwe wahrscheinlich die Leute seines Zirkus und selbst den eigenen Dompteur angegriffen. Wir können die Bibel nicht zähmen und so in unser Leben einordnen, daß sie unwirksam wird.

Paulus stellt uns ja hier vor Augen, wie eine Gemeinde sein sollte. Er stellt uns damit ja indirekt Aufgaben und greift uns an, weil wir noch nicht so sind, wie es hier dargestellt wird. Wir können uns also nicht damit beruhigen, daß Gott uns schon alles geben wird, was hier aufgezählt wurde, sondern Paulus fordert uns hier auf: Verwirklicht nun auch das, was ihr von Gott her schon seid.

 

1. Kor 1, 4 - 9 (5. Sonntag nach Epiphanias, Variante 2):

(Einstieg wie in Variante 1)

Die Pfarrer sollten den Mut zum Danken haben, denn von jeder Gemeinde gibt es auch -Erfreuliches zu berichten. Und auch in unserem persönlichen Gebet könnten wir immer mit dem Dank beginnen, ehe wir unsere Nöte ausbreiten. Denn unser äußerer und innerer Zustand hängt nicht von dem ab, was wir selbst geschafft haben oder versäumten, sondern von Gott, der uns beschenkt und der uns fest macht und der uns vollenden wird.

 

1. Laßt uns danken für die Kirche, denn Gott beschenkt sie!

Paulus dankt Gott immerzu für die Gemeinde. Dabei denkt er aber nicht an ihren äußeren Zustand, sondern an ihre Gerechtsprechung von Gott her. Gott hat es doch gerade auf Sünder abgesehen, auch auf die in der christlich-kirchlichen Spielart. Andernfalls müßte die Kirche ihr Daseinsrecht vor Gott und den Menschen selbst beweisen: durch eigene Leistung, durch ein gutes Betriebsklima, durch Vorzüge gegenüber anderen, kurz gesagt durch alles, was menschlichen Ruhm ausmachen könnte.

Aber dann muß man Mängel und Versehrtheiten ängstlich oder auch gewaltsam verbergen. In der Kirche aber kann man ruhig darüber sprechen. Etwas ironisch stellt Paulus dann euch fest: „Ihr seid schon reich geworden, ihr fühlt euch ja, als wärt ihr schon nicht           mehr auf der Welt. Niemand will euch ausreden, daß ihr reich seid. Aber vergeßt nicht: Reich geworden seid ihr nicht aus euch selbst, sondern durch den freigiebigen Gott!

Reich sind die Korinther in allem „Wort“ und aller „Erkenntnis“. Auch wir haben die ganze Woche über ein vielfaches Angebot einer „geistlichen Speisekarte“. Die Kinder können zum Religionsunterricht und zum Konfirmandenunterricht gehen, wir können uns jederzeit eine Bibel kaufen, es gibt Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen. Aber nutzen wir das auch?

Wir haben wahrscheinlich eine Bibel zu Hause, aber wir sehen nur selten hinein.

Doch ohne Christus wären wir arm en Erkenntnis über Gott und würden höchstens sagen: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ Aber auch unser Verhältnis zu dem Mitmenschen gestaltete sich nach dem Schlagwort: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Christus aber lehrt uns, keinen Menschen zu hassen, sondern sogar den Feind zu lieben. Das ist eine der Gnadengaben, die uns in „in Christus“ gegeben ist.

Vielleicht sehen wir etwas neidisch nach Korinth und stellen fest: Dort ist doch wenigstens Leben gewesen, wenn auch äußerst problematisch und oft irregeleitet; bei uns dagegen sei doch alles mickrig und lahm. Doch ist das nicht auch bei uns vorhanden: das Christuszeugnis, das Wort von der uns suchenden und alles für uns einsetzender Liebe Gottes. In der Evange­lienlesung haben wir vom Unkraut unter dem Weizen gehört. Aber mancher meint in der Kirche nur Unkraut zu sehen. Aber dazwischen wächst Weizen, weil Gott da ist und seine Gemeinde beschenkt.

 

2. Laßt uns danken für die Kirche, denn Gott macht sie fest:

Paulus könnte zum Festbleiben ermahnen und an das Gute Wollen der Gemeindeglieder appellieren, an ihre Reife und ihr Stehvermögen, ihre Treue und ihre Geduld. Aber er rechnet mit der bewahrenden Kraft Christi. Wir brauchen dazu gar nicht die Statistik heranzuziehen. Denn einmal gilt, was ein bekannter Kirchenmann gesagt hat: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe!“ Zum anderen ist das Eigentliche doch nicht in Zahlen zu fassen. Es geht nicht um unseren guten Willen und unseren Eifer.

Zeichen geistlichen Wachstum und begnadeter Lebendigkeit gibt es nur, weil Christus uns bis zum Ende „fest erhalten“ wird. Keiner von uns kann die Hand dafür ins Feuer legen, daß er mit seinem Glauben und seiner Liebe durchhalten wird. Aber Christus bittet für unseren Glauben und macht fest, was immerzu wackelt, Nicht auf uns ist Verlaß, sondern auf ihn. Wir können nur durchhalten, weil e r durchhält.

Doch es geht nicht um eine Standhaftigkeit bis zum bitteren Ende, bei dem man dann mit fliegenden Fahnen untergeht. Gemeint ist eine ruhige Gelassenheit in allen Stürmen und Schwierigkeiten unseres Lebens. Das meint ja das Wort „Konfirmation“: ein Festmachen im Glauben und in der Lehre. Nur ist das eben kein einmaliger Vorgang, der mit dem Konfirmationstag erledigt ist, sondern Konfirmation dauert das ganze Leben.

Ohne Christus wären wir wankelmütig wie ein Rohr im Wind und würden auf alle Neuigkeiten hereinfallen. Deshalb gilt es, auf das wahre Zeugnis von Christus zu hören. Man kann über vieles reden, auch in der Kirche, bis hin zur Stallfütterung und vom Waldfrevel, wie es das schon gab. Vielleicht ist das auch interessant und man hat sein Publikum. Aber wenn der Kanzelredner abtritt, dann verläuft sich die Gemeinde wieder, weil sie nicht von Christus gekräftigt ist und in Christus drinsteht. Wer nicht auf Christus hört, wird wankelmütig und ist schon im Diesseits gestraft, weil er nicht weiß, wo er hingehört.

 

3. Laßt uns danken für die Kirche, denn Gott wird sie vollenden:

Paulus spricht davon, daß die Korinther auf die Offenbarung des Herrn Christus warten. Aber warten sie wirklich? Sie fühlen sich doch satt und reich, wie Könige. Sie lehren, es bedürfe keiner Auferstehung, da diese schon geschehen sei. Ein solches Christentum hat etwas Tri­umphales. Da wartet man nicht mehr, da hat man schon alles.

Da will man natürlich auch nichts wissen von der Schande des Kreuzes Jesu und von den Schwächen der Kirche. Aber einmal wird herauskommen, was die Kirche wirklich ist. Darin liegt eine große Befreiung, wenn man wissen kann: So wie die Kirche heute ist, wird sie nicht bleiben. Ihre wahre Gestalt ist noch unkenntlich. Sie ist noch Kirche unter dem Kreuz, sie ist noch nicht das, was sie sein soll und einmal sein wird.

Wer die Kirche in ihrer gegenwärtigen Jammergestalt sieht, sollte sie als wartende Kirche sehen, die erst mit der Wiederkunft Christi so werden wird, wie Gott sieh dies gedacht hat. Aber bis dahin können wir mit Gottes Hilfe uns gegen alle Anfeindungen und Versuchungen durchsetzen. Ohne Christus hätten wir einen Mangel, würden Ausschau halten nach den Versprechungen der Menschen und auf die Zukunftsbilder der verschiedenen Weltanschauungen hereinfallen. Wir brauchen nicht nach Ersatz zu suchen, sondern wir haben schon alles, nur die letzte Vollendung fehlt noch. Nur können wir die nicht selber erreichen, sondern Christus wird sie uns schenken.

Stärken in dieser Gewißheit kann uns auch die Gemeinde, in der wir gegenseitige Hilfe und Unterstützung finden. Eine taubstumme Frau wurde einmal gefragt, warum sie denn jeden Sonntag im Gottesdienst sei, wo sie doch von all dem nichts verstehe. Da hat sie auf ihre Art mitgeteilt: „Ich brauche eben die Gemeinschaft der anderen!“

Auch in der Firma und in der Schule, im Büro und auf der Straße sind wir zur Gemeinschaft mit anderen Christen berufen. Wir sollen zusammenhalten, uns gemeinsam verteidigen und gemeinsam wirken im Namen Gottes. Was Paulus hier als Kennzeichen der Gemeinde aufzählt, mag uns vielleicht etwas zu ideal erscheinen. Aber er möchte, daß die vorfindliche Gemeinde schon durchscheinend wird für die kommende. Indirekt greift er uns damit auch an, weil wir ja nicht so sind, wie wir sein sollen. Wir können uns also nicht damit beruhigen, daß Gott schon alles geben wird, was noch fehlt. Vielmehr wird uns hier die Aufgabe gestellt: Verwirklicht nun auch das, was ihr von Gott her schon seid.

 

 

1. Kor 1, 18 – 25 (5. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn die Kirchengemeinde sich mit einem Stand auf dem Straßenfest beteiligen wollte, was könnte sie da wohl anbieten? Die Frauenhilfe verkauft ihre Bastelarbeiten für einen guten Zweck. Der Posaunenchor spielt Volkslieder. Und Essen und Trinken geht natürlich auch immer. Mit Bibeln und Gesangbüchern und auch anderem christlichen Schrifttum wäre es da schon schwieriger. was ist eigentlich „typisch christlich“?

Für Paulus steht das Kreuz im Mittelpunkt seines Glaubens. Sollen wir also Kreuze verkaufen: einfach Holzkreuze, oder Kreuze mit einem geschnitzten Christuskörper dran, oder Goldkreuze mit Kette zum Umhängen, oder T-Shirts mit aufgedrucktem Kreuz? Das Kreuz als Schmuck hat Paulus bestimmt nicht gemeint.

Wir könnten auch eine Werbefirma beauftragen oder so eine Organisationsfirma, die einen Betrieb auf seine Wirksamkeit hin untersucht und Rationalisierungsvorschläge macht. Ich bin mir sicher, was die sagen würden: Ihr müßt euch den Erwartungen der Menschen geschickter anpassen! Wenn ihr die Anforderungen zu hoch ansetzt, laufen euch die Leute fort! Ihr braucht zwar in der Abtreibungsfrage nicht ganz von eurer Überzeugung zu lassen. Aber ihr müßt doch so predigen, daß es eingängiger und leichter zu verwirklichen ist.

Doch wo bleibt da das Eigentliche des Glaubens? Wie unterscheiden wir uns dann noch von anderen Vereinen, die ihre Sachen anbieten? Müssen wir uns wirklich auf eine so niedrige Stufe herab begeben, daß wir noch irgendeinen gemeinsamen Nenner mit den Menschen

von heute finden? Wenn sie schon das Eigentliche nicht haben wollen, dann machen wir etwas Populäres, um nur überhaupt eine Daseinsberechtigung zu haben: die Kirche als Dienstleistungseinrichtung und der Pfarrer als Alleinunterhalter.

Paulus geht einen anderen Weg. Er weiß, daß die christliche Botschaft gerade nicht einleuchtet, sondern Widerspruch herausfordert. Sie schockiert (und fordert Widerwillen heraus), wenn sie den gekreuzigten Christus predigt. Aber anders geht es nicht. Das Kreuz ist sogar das zentrale Heilsereignis; es ist nicht ein Anhängsel, das man zur Not auch weglassen könnte. Aber wenn wir damit ernst machen, dann müssen wir damit rechnen, daß man uns den Vogel zeigt.

So erging es einem römischen Soldaten, der Christ geworden war. Seine Kameraden kritzelten an die Wand ihrer Wachstube in Rom einen Menschen mit einem Eselskopf, der an einem Kreuz hängt. Und darunter schrieben sie: „Alexamenos betet seinen Gott an“. Unser Gott ist Mensch geworden und hat sich kreuzigen lassen. Aber anders hätte er uns nicht frei machen können von unsrer Schuld und uns ein erfülltes Leben geben können.

Doch „der normale Erfolg des Evangeliums ist der Mißerfolg“, so hat es einmal jemand gesagt. Paulus nennt dafür zwei Gründe, die er bei den für die frühe Kirche wichtigen Volksgruppen entdeckt hat: Die Griechen suchen Weisheit und die Juden suchen Wunder. Ist das aber nicht bis heute so geblieben, daß wir Gott mit dem Verstand begreifen wollen und daß er sich uns durch sensationelle Ereignisse beweisen soll:

Viele sagen: „Ich glaube nur, was ich begreifen kann, was man sehen und messen und beweisen kann!“ Als ich mit dem Theologiestudium anfing, da hoffte ich auch, nun handfeste Argumente gegen alle Angriffe auf das Christentum zu erhalten. Ich sah es als Aufgabe der theologischen Wissenschaft an, die Studierenden mit den Gottesbeweisen bekannt zu machen, damit diese dann immer und überall Gott beweisen könnten.

Einer dieser Beweise lautet etwa so: Unsre Welt, so wie sie uns jetzt vorliegt, kann nicht von selbst entstanden sein. Dahinter muß eine ordnende Kraft stehen, die sich den Plan ausgedacht hat. Diese hat alles in Bewegung gebracht und hält es auch jetzt noch in Gang. Und dieser Weltenlenker wird dann „Gott“ genannt. Kein geringerer als der Philosoph Immanuel Kant hat diese „Beweise“ restlos zerpflückt, in dem er zeigte, daß man mit solchen Gedankengängen auch genau das Gegenteil beweisen kann. Sehr schnell kommt man nämlich auch auf die Frage, warum denn in dieser Welt so vieles nicht klappt.

Der Glaube ist deshalb nicht gegen die Bildung eingestellt. Es ist gut, wenn unsere Kinder viel lernen und die Pfarrer eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung durchlaufen müssen. Die Christen sind nicht einfach die Dummen, denen man alles Mögliche erzählen kann. Wo das Christentum hinkam und hinkommt, da hat es immer auch Bildung und Wissen mitgebracht.

Aber alles Wissen fahrt noch nicht zum Glauben. Wenn ein Junge von seinem Vater eine Eisenbahn geschenkt bekommt, dann kann er sie dadurch zu erfassen versuchen, daß er sie in ihre Einzelteile zerlegt. Dadurch wird er hinter die technischen Feinheiten der Eisenbahn kommen und vielleicht neue Kenntnisse erwerben. Aber er wird bei dieser Forschertätigkeit nie die Liebe des Vaters erkennen. Diese aber hat er gespürt, als der Vater ihm die Eisenbahn schenkte.

Genauso können wir nicht mit unserem Verstand die Geheimnisse Gottes ergründen. Der Schüler mit den meisten Einsen im Zeugnis ist noch nicht der beste Konfirmand. Ein Gebildeter ist noch nicht der beste Christ und der gelehrteste Theologe ist noch nicht der beste Pfarrer. Das ist auch gut so.

Denn umgedreht bedeutet dies: J e d e r ist zu einem Kind Gottes berufen. Jeder darf die Liebe des himmlischen Vaters spüren. Jedem begegnet Gott am Kreuz. Entscheidend sind allein der Glaube und das Vertrauen zu Gott. Und so verwandelt sich auch Frage nach Gott von einer Denkfrage zu einer Gewissensfrage.

Nicht anders ist es mit der Forderung der Juden nach einem Zeichen. Das wäre doch einmal etwas, wenn Gott den Himmel aufrisse und herabführe und ein großartiges Wunder vollbrächte, das alle überzeugte: keine Kriege mehr, kein Hunger, keine Umweltkatastrophe. Viele meinen, dadurch wäre dann der Glaube leichter.

Doch wiederum wäre der Glaube keine Gewissensfrage mehr, sondern eine Entscheidung für den, der die größte Macht hat, der am meisten kann. Sensationen bewirken keine Umkehr und schaffen zwar         ein Publikum, aber keine Gemeinde und keine Nachfolger.

Allerdings kann hinter der Zeichenforderung auch ein ernsthafter Hilferuf stehen. Wie mancher wartet auf das erlösende Wort und vor allem die erlösende Tat. Er erwartet wirklich echt alles von Gott und klagt: Warum ist dieser Jesus denn so schwach? Warum tritt er nicht heraus aus seiner Verborgenheit?

Doch auch ein solcher Mensch muß sich fragen, ob er Gott nicht unter Umgehung des Kreuzes Christi sucht. Vielleicht hat er sich einen Versicherungs- und Versorgungsgott eingeredet und ist nun an ihm irre geworden. Wir können nur im Anschauen des gekreuzigten Jesus zu begreifen versuchen, wie Gott mit seinem Sohn umgegangen ist und wie er auch mit uns umgeht. Nur im Rückblick können wir zu begreifen versuchen, warum Gott uns den schweren Weg hat gehen lassen.

Da kommt ein alter Mann zum Pfarrer, um die Beerdigung seiner Frau anzumelden. Der Pfarrer fragt ihn vorsichtig, weshalb er selber denn aus der Kirche ausgetreten sei. Der Mann antwortet: „Ich habe zwei Kriege mitgemacht. Wer das mit angesehen hat, der kann nicht mehr!“ Dieser Kann ist mit seinem Kreuz nicht fertiggeworden.

Ihm hätte nur helfen können, wenn er auf den Gekreuzigten und Auferstandenen geblickt hätte. Und wir wollen dabei nicht vergessen, daß es einmal zu Zeichen und Wundern kommen wird, dann wenn die Welt neu wird und wir selber zu den Auferstandenen gehören.

Aber bis dahin wird unser Glaube erprobt und soll sich bewähren. Wir brauchen uns des Gekreuzigten nicht zu schämen. Wir können auch ruhig ein Kreuz tragen, wenn wir es nicht nur als Schmuck ansehen, sondern als ein frohes Bekenntnis zu dem, der durch seinen Tod uns alle gerettet hat.

 

 

1. Kor 1, 26 – 31 (1. Sonntag nach Epiphanias):

In der christlichen Gemeinde wird es wohl immer Menschen geben, die von der Art des Pfarrers besonders angetan sind, und solche, die weniger davon angesprochen werden. An sich sollte das ja nicht so sein, es geht um die Bindung an die Sache und nicht an Menschen. Aber wir können halt auch nicht so leicht aus unsrer Haut und machen die Sache oft von den Menschen abhängig, die sie vertreten. Das ist überall in der Welt so, bei einem politischen System, bei einem Verein, auch in der Kirche.

Doch das ist besonders ungünstig, wenn dann der betreffende Pfarrer nicht mehr in der Gemeinde ist. Die große Menge der Gemeindeglieder läßt sich natürlich nicht davon beeindrucken, die kommt zum Gottesdienst, egal wer dran ist oder ob „nur“ Lesegottesdienst ist. Aber es gibt auch einige, bei denen erst einmal etwas abgerissen ist. Sie finden dann viele wichtige Gründe, weshalb sie nicht mehr oder doch seltener zum Gottesdienst kommen. Da muß dann erst wieder etwas wachsen.

Besser aber ist es, wenn man den Glauben gar nicht erst an eine Person bindet. Es geht nicht um menschliche Vorzüge und Fähigkeiten, sondern um die Bindung an Gott. Das hat jedenfalls Paulus den Korinthern deutlich machen wollen. Die Gemeinde war in verschiedene Lager gespalten, die sich um bestimmte Persönlichkeiten in der Gemeinde gruppierten bzw. bestimmte Apostel als ihre großen Vorbilder ansahen.

Paulus aber sagt demgegenüber: Was habe ich euch denn zu bringen? Ich habe euch doch nichts voraus, woran ich euch Anteil geben könnte und wodurch ich euch ins Schlepptau nehmen könnte. Menschen sind doch nicht euer Heiland. Ich bin doch nicht für euch gekreuzigt worden, sondern Christus wurde gekreuzigt. Ich bin nur Verwalter seiner himmlischen Gnadenmittel.

Auf dem Gebiet des Glaubens ist die Gefahr des Auseinanderfallens besonders groß. Man hat es ja mit etwas Unsichtbarem zu tun, über das sich jeder gerne seine eigenen Gedanken macht. Man will auch gern persönlichste Erfahrungen für alle verbindlich machen und sagt dann: „Das habe ich nun einmal erkannt, ich kann nicht anders!“ Schon ist eine Spaltung in der Gemeinde da. Besonders schwierig ist natürlich immer, daß jeder behauptet, er sei im Besitz der Wahrheit. Das Problem wird auch nicht dadurch gelöst, daß man weitherzig sein will und nahezu alles gelten läßt. Wir haben ja gar nicht zwischen verschiedenen „Wahrheiten“ zu wählen, zwischen Programmen, Leitbildern, Arbeitsmethoden.

Paulus mahnt aber nun nicht: „Strengt euch an, damit er es zu etwas bringt, dann werden

auch die andere nicht mehr so verächtlich die Nase aber euch rümpfen!“ Paulus schreibt ganz anders: „Gerade euch hat Gott berufen. Wer ihr auch seid, woher ihr auch kommt, was ihr auch hinter euch habt: er hat euch herausgerufen aus eurem bisherigen Leben. Das verdankt ihr ihm allein!“ Paulus diskutiert die Argumente der Parteien nicht mit, sondern es geht ihm um das Zentrum: der gekreuzigte Christus soll wieder für alle in den Blick kommen.

Man hat es so ansehen wollen, als seien gerade die Menschen zu Christen geworden, die es sonst zu nichts bringen konnten: Weil sie in der Welt nichts zu hoffen hatten, hätten sie mehr auf das Angebot himmlischer Güter angesprochen. Wir wollen nicht bestreiten, daß das auch mit im Spiel war. Es stimmt schon, daß sich vorwiegend die Kinder, die Alten, die Witwen, auch die Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen zur Kirche halten. Das ist kein Mangel, sondern der Stolz der Kirche. Hier können diese Menschen aus ihrem gesellschaftlichen Schicksal herausgeholt werden und eine neue Heimat finden.

Aber die soziale Gerechtigkeit war nicht das eigentliche Wirkungsfeld Jesu. Ihm ging es darum, die Verlorenen zu Gott zurückzubringen. Nicht sie haben Gott gewählt, sondern

Gott hat sie gewählt. Zum Christsein entschließt man sich nicht wie zu einem Beruf oder zu einer Liebhaberei oder zu irgendeinem Verein. Man kann nur dazu gehören, weil man von Gott schon vorher dazu. auserwählt wurde.

Paulus will natürlich nicht die Angesehenen und Gebildeten wegschicken oder gar weg-ekeln. Das Niedrigsein ist nicht die Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu Jesus. Auch Pharisäer und Schriftgelehrte hat er in seiner Nähe gehabt. Jesus hat am Pharisäer nicht

Getadelt, daß er etwas geleistet hat, sondern daß er sich dieser Leistung gerühmt hat. Und der Zöllner war nicht deshalb gerecht, weil er so demütig war. Das Sündenbewußtein macht es nicht, sondern entscheidend ist, was Christus für uns ist.

Kirche lebt nicht davon, daß es eben doch nicht die Schlechtesten sind, die zu ihren Gliedern zählen. Sie lebt davon, daß sie einen Herrn hat, der ihr immer wieder Chancen gibt. Für ihn ist auch der nicht verloren, den wir längst aufgegeben haben, weil unsre Kraft klein war. Er öffnet auch dort noch Wege, wo wir nur schwarz sehen. Gott hat immer wieder Türen aufgestoßen, durch die das Evangelium die Menschen erreicht.

Nur die Wahrheit Christi kann uns verbinden. Sie läßt uns einen Platz jenseits aller menschlichen Standpunkte einnehmen, ja wir werden in Wahrheit von Christus an einen ganz anderen Platz gestellt. Wir werden in dem Maße eins sein können in der Kirche, wie wir uns nicht unsrer Programme, unsrer Besonderheiten, unsrer Leidenschaft rühmen, sondern das rühmen, was Christus uns geworden ist. Was uns das Recht gibt, uns vor Gott überhaupt sehen zu lassen, liegt allein an Christus, der für uns gutsteht.

Deshalb schafft es Christus auch mit einer armseligen Kirche. Er erwählt das Geringe. „Wie war das denn, als ihr Christen wurdet“, erinnert Paulus die Korinther. Die Berufung traf doch Menschen, die ihrer Herkunft und ihrem Herkommen nach zumeist ganz unten waren. Es waren ganz einfache Menschen, auch wenn man darüber staunt, was ihnen Paulus in seinen Briefen an Mitdenken zugemutet hat.

Es waren nicht die Mächtigen und Einflußreichen, nicht die Schlüsselfiguren des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens, auch nicht Menschen, die durch ihre Geburt und Herkunft hervorgehoben waren. Es waren Proletarier, aber zum Teil auch Gesindel, jedenfalls konnte man mit solchen Leuten keinen Staat machen. Sie standen nicht in besonderem Ansehen und konnten auch nicht auf besondere Verdienste hinweisen.

Das ist nicht immer so geblieben. Aus der Gemeinde der Armen und Verachteten ist eine Kirche geworden, die über Jahrhunderte hinweg Kultur und Wissenschaft geprägt hat. Bedeutende Persönlichkeiten der Kirchengeschichte werden, heute auch von denen respektiert, die sonst nicht viel mit dem christlichen Glauben anzufangen wissen. Auch heute sind wir Christen doch meist solche, die im öffentlichen Leben nichts zu sagen haben, wenn wir es wirklich ernst meinen. Man will uns im Grunde gar nicht dabei haben, jedenfalls nicht an der Spitze. Doch dumm sind wir deswegen noch lange nicht.

Die göttliche Art, gerade den Schwachen nachzugehen, hilft uns auch persönlich weiter. Jeder hat schwache Stellen. Wenn sie zufällig angesprochen werden, dann reagiert er gereizt. Es fällt auch immer wieder schwer, mit den eigenen Grenzen fertig zu werden. Wir sind verletzt, wenn uns gesagt wird: „Eigentlich müßtest du das schneller bringen!“ Oder wenn es heißt: „Man merkt dir deine Jahre schon an!“

An unsren Grenzen sind wir meistens verwundbar. Aber zum Glück braucht unser Herr keine hochgezüchtete Elitetruppe. Er freut sich vielmehr, wenn auch schwache Menschen frei von Angst und Druck leben. Wir müssen nicht erst beweisen, daß wir alles im Griff haben. Es genügt, wenn wir mit Vertrauen und gutem Willen auf sein Angebot eingehen.

In der Gemeinde ist deshalb auch Platz für die Menschen, die in den Augen der Gesellschaft schwach und ohne Ansehen sind. Wir müssen uns manchmal fragen, was bei uns nicht stimmt, wenn die Außenseiter nicht zur Gemeinde kommen. Sie hat nicht nur für diese Menschen da zu sein, sondern sie gehören zu den Kennzeichen einer Gemeinde.

Gott entwertet sogar das Hohe, reißt es ab, um etwas Neues bauen zu können. Auf der mensch­lichen Ebene haben die Menschen Vieles geleistet. Dabei gibt es Unterschiede: die Großen bekommen einen Artikel im Lexikon, die Kleinen nicht. Es gibt auch echte Menschlichkeit, die uns von ergreifenden Vorbildern vorgelebt wird und sich bei vielen Menschen im Alltag bewährt hat.

Aber vor Gott stehen wir doch in der gleichen Situation, daß wir nämlich Sünder sind. Sünde ist nicht da Verbrechen oder der moralische Fehler, obwohl sie meist mit diesen einhergeht. Sünde ist die Beleidigung Gottes. Der Sünder läßt Gott nicht mehr seinen Gott sein, will nicht mehr aus seiner Liebe leben und sich von ihm nichts schenken lassen. Er pocht auf seine Verdienste und leitet daraus Forderungen ab und will Gott zu seinem Schuldner machen. Er ist im Zentrum seiner Person von Gott abgewandt und darum im Konflikt mit ihn.

Tritt Christus in mein Leben, dann werde ich nur noch das rühmen, was er ist und vollbringt. Die Zugehörigkeit zu Christus verändert das äußere Leben. Aber darauf kann man nicht bauen. Der Christ sagt nicht: „Seht her, das bin ich, der Christ!“, sondern er wird sagen: „So ist er - mein Herr!“

1. Kor 2, 1 – 10 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Wissen wird heute großgeschrieben. Manche Großmutter stellt bekümmert fest, daß sie ihren Enkeln bei den Hausaufgaben kaum noch helfen kann. Was sie gelernt hat, das beherrscht sie zwar. Aber die Kinder von heute sollen so viel in ihre Köpfe hineinstopfen, daß sie nichts richtig behalten. Früher galt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ Aber heute sollen sich noch die Erwachsenen qualifizieren, über Meisterlehrgang, Abendschule, Fernstudium. Vergessen wir auch nicht, wie das Fernsehen und das Internet die neuesten Erkenntnisse von Wissenschaft, Technik und Medizin frei Haus liefert. Dafür können wir nur dankbar sein.

Da wollen wir Christen natürlich nicht als die Dummen gelten. Nicht nur im Beruf, auch im Glauben wollen wir Bescheid wissen und auf der Höhe der Zeit sein. Wir müssen nicht auf dem Wissensstand eines Konfirmanden bleiben. Es gibt auch auf dem Gebiet des Glaubens eine Menge von Weiterbildungsmöglichkeiten: Bibelwochen, Rüstzeiten, Evangelische Akademien und sogar ein Fernstudium.

Aber das Wissen allein führt noch nicht zum Glauben. Paulus war selbst ein großer Denker. Ihm war es gelungen, Menschen zum Glauben zu führen, er hat Erfolg gehabt. Aber er bekennt freimütig: „Daß Menschen zum Glauben kamen, das ist nicht seinem überragenden Wissen und seinen überzeugenden Argumenten zu verdanken. Allein Gottes Kraft hat das Fundament des Glaubens gelegt. Der Glaube ist Gottes eigenes Werk!“

1n der Predigt kann nicht Selbsterdachtes dargeboten werden. Der Philosoph baut seine Weisheit aus eigenem Wissen und eigener Denkkraft auf. Ein Dichter erlebt die Welt, filtert sie in seinem Inneren und versucht ihr mittels der eigenen Formkraft eine Gestalt zu geben. Aber Paulus erklärt: „Solche in Menschenhirnen entstandene Weisheit stellt nicht den letzten Wert dar!“

Es gibt keine Wesensverwandtschaft zwischen Mensch und Gott, so daß der Mensch nur in sich hineinzuhorchen brauchte und dabei auf Gott stößt. Erst recht nicht ist Gott der ins Unendliche gesteigerte Mensch, nicht der in den Himmel verlängerte Mensch, die höchste Steigerung des Menschlichen.

So haben es offenbar einige Korinther angesehen. Sie meinten, mit ihrer Weisheit könnten sie Gott jetzt schon von Angesicht zu Angesicht sehen. Das ist sicher das Begehren eines jeden Menschen, gerade auch des gläubigen. Aber die Korinther verstrickten sich dabei immer mehr in Diskussionen über Begriffe, die wenig oder nichts mit dem Glauben und dem Leben zu tun hatten. Wir kennen das ja auch aus unsrer Zeit.

In Korinth war man in der Lage, geistreiche Diskussionen zu führen. Die Berufsredner standen hoch im Kurs. Die Griechen waren das Volk der Denker, und darauf bildeten sie sich viel ein. Weisheit war damals ein aktuelles Thema.

Paulus dagegen predigte einen Gott, den sich kein Mensch ausgedacht hätte. Er verkündet einen Gekreuzigten, der schändlich hingerichtet worden ist. Ein Todesurteil will doch deutlich machen: „Du bist nichts mehr wert, in dieser Welt zu leben Für dich ist kein Platz mehr in dem unter den Menschen gültigen Grundsätzen und Idealen. Wo kämen wir denn hin, wenn wir gelten ließen, was du bist!“

Die Botschaft des Paulus schlug allem ins Gesicht, was unter den Menschen gültig ist. Nur mit Furcht und großem Zittern ist er nach Korinth gekommen, in Schwachheit, ganz anders als die einheimischen Denker. Man könnte meinen, nach dem Mißerfolg in Athen habe er den neuen Schauplatz seines Wirkens nur zaghaft betreten. Vielleicht hat ihn auch seine Krankheit behindert, vielleicht war er ein Stotterer unter den beredten Weisheitslehrern in Korinth. Aber das ist nicht das Entscheidende. Paulus macht deutlich: Seine Bangigkeit ist in der Sache begründet. Er fragt sich: „Wer wird denn einen Gott annehmen, der dem natürlichen Menschen nur Anstoß und Unsinn bietet?“

Nun hätte Paulus natürlich die schockierende Botschaft mildern und dämpfen und mit ein­leuch­tenderen Aussagen polstern können. In der Zeit der Aufklärung hat man nur das von der biblischen Botschaft gelten lassen wollen, was sich vor der Vernunft rechtfertigen konnte.

Auch Paulus hätte versuchen können, seine Botschaft schmackhafter zu machen. Aber das ist eine völlig unsachgemäße und untaugliche Missionsmethode. Man kann die Menschen vielleicht da abholen, wo sie sind, man wird einen Einstieg suchen. Aber man kann es keinem leichter machen. Wir werden uns um Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit bemühen. Aber den Anstoß des Kreuzes Jesu können wir nicht wegnehmen.

Wie kann Paulus da hoffen, daß seine Predigt dennoch gehört und angenommen wird? Er verläßt sich auf den Beweis des Geistes und der Kraft, den Gott selbst leistet. Er erwartet allerdings nicht irgendwelche ins Auge springende Machttaten, durch die der Mensch doch noch umgestimmt und überzeugt wird. Er meint die Selbstbeglaubigung Gottes, dessen Wort „höher ist als alle Vernunft“ und das den Menschen einfach ergreift.

In diesem Zusammenhang spricht Paulus dann doch von der Weisheit. Er nimmt den Sprach­ge­brauch seiner Gegner auf, v ersteht aber etwas anderes darunter. Er meint die verborgene Weisheit Gottes, die aber den Außenstehenden als Torheit erscheint. Der ganze Heilsplan

Gottes wird erst durch diese Weisheit erfaßbar und verständlich. Vor allem wird dadurch erst klar, was Jesus Christus für die Menschen getan hat, indem er gehorsam den vom Vater ver­ordneten Weg ging. Diese Weisheit genügt völlig, um in Glaubensdingen Bescheid zu wissen.

Doch die Gemeinde stand in der Versuchung, es ihrer Umgebung gleich zu tun. Dort regierte die Weisheit dieser Welt, die Weisheit der Gebildeten und der Mächtigen des Geldes und der Politik; dabei verstand sich der Mensch als das Maß aller Dinge. Die Gegner des Paulus sahen die Verbindung zwischen Gott und Mensch nur als ein Erkenntnisproblem. Man meinte, in jedem Menschen sei ein Stück des göttlichen Lichts. Und diesen Lichtfunken brauche man nur auf dem Wege der Erkenntnis heimbringen ins himmlische Lichtreich. Man meinte, man brauche keinen Erlöser, der durch das Kreuz das Getrenntsein von Gott überwindet.

Der Glaubende aber hat nach Paulus den Blick für das Gottsein Jesu und für die in Jesus sich erschließende Weisheit Gottes. Das ist wichtiger als alle Weisheit der Welt. Menschliches Wissen und Denken soll damit nicht abgelehnt oder abgewertet werden. Wir leben ja täglich von den Ergebnissen menschlichen Könnens. Ohne das könnten wir uns unser Leben doch gar nicht mehr vorstellen. Gott hat ja selbst den Menschen den Auftrag gegeben, sich die Welt untertan zu machen.

Gefragt ist heute besonders das Wissen, das die Probleme des täglichen Lebens besser bewältigen hilft, von der höheren Produktivität in den Betrieben bis zum Umweltschutz. Als Christen schließen wir uns nicht gegenüber solchen Bemühungen ab. Es ist halt eines der unausrottbaren Märchen, daß man nur unter Aufgabe seines Verstandes glauben könnte.

Es geht nicht um die Ablehnung der Wissenschaft, sondern um die richtige Einordnung. nie Wissenschaft ist gut, um die Technik und den Wohlstand der Menschen voranzubringen. Aber das reicht nicht aus, um im letzten Sinne das Leben zu bewältigen. Für das Göttliche ist das natürliche Erkenntnisvermögen nicht zuständig. In der Epiphaniaszeit hören wir von den Weisen aus dem Morgenland, die zur Krippe kamen. Aber allein hätten sie den Weg nicht gefunden, sie brauchten den Stern Gottes als Zeichen.

Unser Wissen muß nicht alles schaffen. Das entlastet uns. Auch wer nicht besonders klug und weise ist, kann an Gott glauben. Unser Wissen kann es gar nicht schaffen, daß Gott für uns erreichbar wird. Er hat selber den Punkt bestimmt, wo er uns erreichen will: Es ist das Kreuz Jesu, wo Gott in ungöttlichster Gestalt erschien, den menschlichen Weisheit unverständlich.

Aber wie soll denn dann überhaupt jemand zum Glauben kommen? Gott ist doch zweifach verschlossen in seinem Tun: Die einen haben keine Antenne für Gott. Und die wirklich etwas sehen, erschaudern vor dem Abstoßenden des Kreuzes. Mit diesem Jesus kann man nur etwas anfangen, wenn man den Heiliger Geist in sich hat. Dann ist man an den göttlichen Kreislauf angeschlossen, dann hat man Gott in sich und kann dadurch auch Gott erkennen, wie er wirklich ist.

Der Geist Gottes führt nicht am Gekreuzigten vorbei. Er zeigt die andere Seite des Kreuzesgeschehens. Er macht die Hülle durchsichtig, unter der der erniedrigte Gott und Herr uns begegnet. Dann weiß man: Christus ist für unsre Errettung und Wiedergewinnung gestorben. Das ist die Weisheit, die der Geist Gottes uns erschließt.

 

 

1. Kor 2, 12 - 16 (Pfingsten I):

Pfingsten war wenigstens eine spontane Sache, völlig freiwillig und von einer großen Begeisterung getragen. Und es wurde zum Ausgangspunkt einer weltweiten Bewegung, zu der wir noch heute dazugehören. Aber bei uns wird nicht erst dann Pfingsten, wenn großartige Wirkungen des Geistes Gottes sichtbar werden. Manche meinen ja, die urchristlichen Gaben der Heilung, der Prophetie und des Zungenredens müßten heute wiederbelebt werden. Aber die gibt es auch außerhalb der Gemeinde. Menschen in großer Zahl auf die Straße bringen kann auch ein ausgesprochen „unheiliger Geist“. Das Sensationelle ist noch keineswegs das Göttliche.

Unter den auffälligen Geistesgaben erwähnt Paulus fast unauffällig auch den Glauben. Der Heilige Geist ist mit seinen Gaben auch im Unscheinbaren, ja vielleicht ist er gerade dort. Paulus läßt nicht zu, daß die Geistbegabten in Korinth diejenigen niedriger einstufen, die „bloß“ glauben. Es gibt keine verschiedenen Qualitätsstufen unter den Christen. Es gibt nur den Gegensatz zwischen Christen und Heiden, aber diese können der Glauben der Christen nicht verstehen und verstehen ihre Handlungen deshalb auch oft falsch. Mit diesem Risiko muß man immer rechnen.

Es gibt eben einen Geist der Welt und einen Geist aus Gott. Der Heilige Geist lehrt uns, beides voneinander zu unterscheiden, aber auch wieder miteinander zu verbinden. Wer Gottes Geist hat, der ist zugleich Glaubender und Wissender. Der Glaube führt erst zu den letzten Ursachen der Erkenntnis: Er sagt uns, daß wir von Gott herkommen, daß wir ihm für unser Leben verantwortlich sind und daß wir auch noch eine Hoffnung über dieses Leben hinaus haben.

Das Wissen andererseits verhindert, daß wir zu Schwärmern werden und den Kontakt mit der Wirklichkeit verlieren. Unser Stolz auf unsre Erkenntnisse und Erfolge wird gedämpft die Überheblichkeit verhindert. Wir erkennen auf einmal: Nicht wir erforschen Gott, sondern er erforscht uns. Weshalb richten wir unser Denken nicht nur auf das, was auf dieser Erde machbar und möglich ist. Wir ziehen auch Dinge in Betracht, die man nicht erforschen und beweisen kann. Der vom Geist erfüllte Mensch kann auch oft mehr, als er sich manchmal

zutraut. Er wird oft auch da verstanden, wo nach menschlichem Ermessen keine Verständigung mehr möglich ist.

Doch vergessen wir nicht: Die Glaubenden schaffen das nicht aus eigener Kraft. Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes, er hat für die Wirklichkeit Gottes keine Antenne (Vers 14). Glaubt aber jemand, dann empfängt er etwas, das er vorher nicht hatte: Gottes eigenes Leben wird auf ihn ausgegossen.

Es hat auch die Auffassung gegeben, in jedem Menschen stecke ein Stück des Weltgeistes oder des göttlichen Geistes. Das brauche man nur zu entwickeln und zu fördern, dann werde man schon zu Gott gelangen. Aber das wäre Religion als menschliche Leistung, und das wäre

die Sünde in ihrer gefährlichsten Gestalt, wenn sie sich nämlich unter dem Frommsein verbirgt.

Deswegen brauchen wir den Menschengeist und seine Schöpfungen nicht verachten. Er gehört zu den Schöpfungsgaben Gottes und soll in dieser Welt zur Anwendung kommen. Gottes Geist will das Denken und Wollen des Menschen nicht verdrängen, sondern als sein Werkzeug benutzen. Immerhin hilft uns der Verstand, bestimmte Glaubensinhalte erst einmal zu begreifen. Aber man kann den Glauben nicht wie einen Lehrsatz beibringen, man hat den Erfolg nicht in der Hand. Der Glaube ist ein Wunder. Gott kann nur von Göttlichem erkannt werden. Deshalb muß der Geist Gottes in uns wohnen, wenn wir an Gott Anteil haben wollen. Eigentlich hat niemand des Herrn Sinn erkannt. Wir aber haben Christi Sinn und deshalb eine Verbindung zu Gott.

Nun denkt und redet Gott in uns, er fühlt und will, er arbeitet und bezeugt sich in uns. Wer in die Tiefen der Gottheit hineingeschaut hat, der sieht das Erbarmen, in dem Gott die Verlorenen zurückgeholt hat und sich freut, daß er sie wieder hat. Das ist mit dem natürlichen Auge nicht zu sehen. Aber wer den Geist Gottes hat, der merkt das Brennen der Liebe Gottes. So machen wir an Pfingsten neue Entdeckungen mit Gott.

Aber die neue Schau setzt uns dann auch in Bewegung. Nun tragen wir ja Gott mit uns herum; er bewegt unsre Gedanken, erobert unser Herz, er treibt uns an. Wir sind jetzt seine Botschafter, die ihn in der Welt zu repräsentieren haben. Doch vertreten kann man eine Sache oder ein Land nur, wenn man mit dem Sendenden eng verbunden ist und seine Sache gut darzustellen weiß.

Gottes Geist könnte uns auch heute konkret lehren, daß alle Waffen schlecht sind für die Lösung von Problemen, von der Faust und der Keule bis zu den hochmodernen Waffen. Nicht nur die Raketen mit dem vierzackigen Stern bedrohen die Menschheit, sondern auch die mit dem fünfzackigen. Und Sicherheit haben wird nicht dann, wenn wir doppelt soviel Waffen haben wie die anderen. Das ist die höhere Wahrheit, zu der uns besonders auch in diesen Tagen der Geist Gottes anleiten will.

Um eine einmal gewonnene Erkenntnis festzuhalten, brauchen wir auch wieder die Hilfe des Heiligen Geistes. Er gibt uns die Gewißheit, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Allerdings können wir diese Gewißheit nicht zu einer Forderung machen in dem man sagt: „Wenn du nicht in allen Punkten voll überzeugt bist, dann bist du kein Christ!“

Auch der geistliche Mensch hat noch an den Dingen dieser Welt teil. Er hat seinen Glauben vor der Welt zu vertreten und zu erläutern. Aber er darf ihn nicht vor den Maßstäben dieser Welt beurteilen lassen. Auch wenn wir im Glauben manchmal angefochten werden, wenn wir über unseren Weg unsicher sind, so dürfen wir doch wissen: Der geistliche Mensch ist schon in uns!

Wo ich versage, da nimmt Gott mir die Dinge aus der Hand und macht sich für mich stark. Ich brauche mich von keiner menschlichen Einrichtung kontrollieren zu lassen. Gottes Geist steht für mich ein. Das macht mich in einem letzten Sinne unangreifbar. Das Abendmahl

stärkt mich noch zu dieser Gewißheit: Wenn ich nur Gott für mich habe, wer sollte dann noch gegen mich sein? Wenn wir heute wieder zu einer solchen Gewißheit gelangen, dann könnte dies die größte Entdeckung dieses Festes sein.

 

1. Kor 2, 12 – 16 (Pfingsten I):

(Hier wird die Predigt noch einmal wiedergegeben, wie sie im Original gehalten wurde, mit dem Bezug auf eine bestimmte Situation in der damaligen DDR)

Dieses Jahr haben wir ein Pfingstfest besonderer Art erlebt. In Scharen wurden die Menschen auf die Straße geschickt. Das war etwas anderes als das vergleichsweise bescheidene Pfingst­fest damals in Jerusalem, wo aber immerhin auch 3 900 Menschen vom Geist Gottes ergriffen worden sein sollen. Das war wenigstens eine spontane Sache, völlig freiwillig und von einer großen Begeisterung getragen. Und es wurde zum Ausgangspunkt einer weltweiten Bewegung, zu der wir noch heute dazugehören.

Aber bei uns wird nicht erst dann Pfingsten, wenn großartige Wirkungen des Geistes Gottes sichtbar werden. Manche meinen ja, die urchristlichen Gaben der Heilung, der Prophetie und des Zungenredens müßten heute wiederbelebt werden. Aber die gibt es auch außerhalb der Gemeinde. Menschen in großer Zahl auf die Straße bringen kann auch ein ausgesprochen „unheiliger Geist“. Das Sensationelle ist noch keineswegs das Göttliche.

Das war also vorgestern eine Demonstration für den Frieden. Endlich wurde dem Bedürfnis oder Bevölkerung Raum gegeben, ihren Willen zum Frieden zu bekunden  Jetzt erst ist alles in die richtigen Bahnen gelenkt und nicht mehr mißzuverstehen. Und der Abschluß des Ganzen ist dann ein Schießwettbewerb. Nun hat auch der Letzte begriffen, was mit „Frieden” gemeint sein soll. Das ist eben der Friede, den sie meinen.

Bedauerlich ist, daß hier der gute Wille der Menschen ihre Sehnsucht nach Frieden totgeschlagen wird. Als wir über ein Thema für den Gemeindetag berieten, da wollte ich gern die Friedensfrage anschneiden. Aber aus der Synode wurde abgeraten, weil davon überall geredet würde. Nun würden wir das Thema in der Kirche natürlich anders behandeln als im politischen Bereich. Aber ich kann inzwischen verstehen, daß den Menschen der Friede zum Hals heraushängt.

Der ganze Rummel soll natürlich die Aktion gegen die Aufnäher „Schwerter zu Pflugscharen“ vergessen machen. Man hat sogar einen anderen Aufnäher herausgebracht. Das ist doch direkt kindisch; dadurch wird doch keine Überzeugung geändert. Vor allem wird es viele geärgert haben, daß hier völlig einseitig demonstriert wurde und eben eine wohlorganisierte Staatsaktion daraus gemacht wurde. Umso nötiger wird es sein, daß die Kirche den biblischen Weg des Friedensschaffens ins Bewußtsein zu rufen versucht, mit ihren Mitteln und in geduldiger Kleinarbeit.

Unter den auffälligen Geistesgaben erwähnt Paulus fast unauffällig auch den Glauben. Der Heilige Geist ist mit seinen Gaben auch im Unscheinbaren, ja vielleicht ist er gerade dort. Paulus läßt nicht zu, daß die Geistbegabten in Korinth diejenigen niedriger einstufen, die „bloß“ glauben. Es gibt keine verschiedenen Qualitätsstufen unter den Christen. Es gibt nur den Gegensatz zwischen Christen und Heiden, aber diese können der Glauben der Christen nicht verstehen und verstehen ihre Handlungen deshalb auch oft falsch. Mit diesem Risiko muß man immer rechnen.

Es gibt eben einen Geist der Welt und einen Geist aus Gott. Der Heilige Geist lehrt uns, beides voneinander zu unterscheiden, aber auch wieder miteinander zu verbinden. Wer Gottes Geist hat, der ist zugleich Glaubender und Wissender. Der Glaube führt erst zu den letzten Ursachen der Erkenntnis: Er sagt uns, daß wir von Gott herkommen, daß wir ihm für unser Leben verantwortlich sind und daß wir auch noch eine Hoffnung über dieses Leben hinaus haben.

 

Das Wissen andererseits verhindert, daß wir zu Schwärmern werden und den Kontakt mit der Wirklichkeit verlieren. Unser Stolz auf unsre Erkenntnisse und Erfolge wird gedämpft die Überheblichkeit verhindert. Wir erkennen auf einmal: Nicht wir erforschen Gott, sondern er erforscht uns. Weshalb richten wir unser Denken nicht nur auf das, was auf dieser Erde machbar und möglich ist. Wir ziehen auch Dinge in Betracht, die man nicht erforschen und beweisen kann. Der vom Geist erfüllte Mensch kann auch oft mehr, als er sich manchmal

zutraut. Er wird oft auch da verstanden, wo nach menschlichem Ermessen keine Verständigung mehr möglich ist. Deshalb ist der Papst zum Beispiel nach Großbritannien und Argentinien gereist, um auf seine Art einen Beitrag zu Verständigung und Frieden zu leisten.

Doch vergessen wir nicht: Die Glaubenden schaffen das nicht aus eigener Kraft. Der natürliche Mensch vernimmt nichts vom Geist Gottes, er hat für die Wirklichkeit Gottes keine Antenne (Vers 14). Glaubt aber jemand, dann empfängt er etwas, das er vorher nicht hatte: Gottes eigenes Leben wird auf ihn ausgegossen.

Es hat auch die Auffassung gegeben, in jedem Menschen stecke ein Stück des Weltgeistes oder des göttlichen Geistes. Das brauche man nur zu entwickeln und zu fördern, dann werde man schon zu Gott gelangen. Aber das wäre Religion als menschliche Leistung, und das wäre

die Sünde in ihrer gefährlichsten Gestalt, wenn sie sich nämlich unter dem Frommsein verbirgt.

Deswegen brauchen wir den Menschengeist und seine Schöpfungen nicht verachten. Er gehört zu den Schöpfungsgaben Gottes und soll in dieser Welt zur Anwendung kommen. Gottes Geist will das Denken und Wollen des Menschen nicht verdrängen, sondern als sein Werkzeug benutzen. Immerhin hilft uns der Verstand, bestimmte Glaubensinhalte erst einmal zu begreifen. Aber man kann den Glauben nicht wie einen Lehrsatz beibringen, man hat den Erfolg nicht in der Hand. Der Glaube ist ein Wunder. Gott kann nur von Göttlichem erkannt werden. Deshalb muß der Geist Gottes in uns wohnen, wenn wir an Gott Anteil haben wollen. Eigentlich hat niemand des Herrn Sinn erkannt. Wir aber haben Christi Sinn und deshalb eine Verbindung zu Gott.

Nun denkt und redet Gott in uns, er fühlt und will, er arbeitet und bezeugt sich in uns. Wer in die Tiefen der Gottheit hineingeschaut hat, der sieht das Erbarmen, in dem Gott die Verlorenen zurückgeholt hat und sich freut, daß er sie wieder hat. Das ist mit dem natürlichen Auge nicht zu sehen. Aber wer den Geist Gottes hat, der merkt das Brennen der Liebe Gottes. So machen wir an Pfingsten neue Entdeckungen mit Gott.

Aber die neue Schau setzt uns dann auch in Bewegung. Nun tragen wir ja Gott mit uns herum; er bewegt unsre Gedanken, erobert unser Herz, er treibt uns an. Wir sind jetzt seine Botschafter, die ihn in der Welt zu repräsentieren haben. Doch vertreten kann man eine Sache oder ein Land nur, wenn man mit dem Sendenden eng verbunden ist und seine Sache gut darzustellen weiß.

Das wird auch nötig sein in der Friedensfrage. Sicherlich sind diese Pfingsttreffen nichts Schlechtes. Es sollte kein Christ ein schlechtes Gewissen haben, wenn er daran hat teilnehmen müssen. Immerhin ist ja eine Seite dessen deutlich geworden, was wir alle wollen. Aber es ist halt nur das möglich gewesen, was Anliegen des Menschengeistes ist. Der Geist Gottes aber lehrt uns, über den engen Bereich unsrer Gesellschaft hinwegzusehen.

Er könnte uns auch heute konkret lehren, daß alle Waffen schlecht sind für die Lösung von Problemen, von der Faust und der Keule bis zu den hochmodernen Waffen. Nicht nur die Raketen mit dem vierzackigen Stern bedrohen die Menschheit, sondern auch die mit dem fünfzackigen. Und Sicherheit haben wird nicht dann, wenn wir doppelt soviel Waffen haben wie die anderen. Das ist die höhere Wahrheit, zu der uns besonders auch in diesen Tagen der Geist Gottes anleiten will.

Um eine einmal gewonnene Erkenntnis festzuhalten, brauchen wir auch wieder die Hilfe des Heiligen Geistes. Er gibt uns die Gewißheit, daß wir auf dem richtigen Weg sind. Allerdings können wir diese Gewißheit nicht zu einer Forderung machen in dem man sagt: „Wenn du nicht in allen Punkten voll überzeugt bist, dann bist du kein Christ!“

Auch der geistliche Mensch hat noch an den Dingen dieser Welt teil. Er hat seinen Glauben vor der Welt zu vertreten und zu erläutern. Aber er darf ihn nicht vor den Maßstäben dieser Welt beurteilen lassen. Auch wenn wir im Glauben manchmal angefochten werden, wenn wir über unseren Weg unsicher sind, so dürfen wir doch wissen: Der geistliche Mensch ist schon in uns!

Wo ich versage, da nimmt Gott mir die Dinge aus der Hand und macht sich für mich stark. Ich brauche mich von keiner menschlichen Einrichtung kontrollieren zu lassen. Gottes Geist steht für mich ein. Das macht mich in einem letzten Sinne unangreifbar. Das Abendmahl

stärkt mich noch zu dieser Gewißheit: Wenn ich nur Gott für mich habe, wer sollte dann noch gegen mich sein? Wenn wir heute wieder zu einer solchen Gewißheit gelangen, dann könnte dies die größte Entdeckung dieses Festes sein.]

 

 

1. Kor 3, 9-15 (12. Sonntag nach Trinitatis):

„Wenn man sich ein wenig mit der Geschichte seines Ortes beschäftigt - besonders mit der Kirchengeschichte - dann entdeckt man eine lange Tradition. Da gab es also schon Pfarrer in der katholischen Zeit. Dann all die Pfarrer seit der Reformation. Schließlich die Einführung der reformierten Art des Christentums, aber dann doch wieder eine lutherische Gemeinde. Und heute schließlich eine einzige evangelische Gemeinde, die all die geschichtlichen Gegensätze hinter sich gelassen hat. Zu allen Zeiten gab es Gemeinde, gab es gläubige Menschen hier am Ort. Aber es gab auch kirchliche Mitarbeiter, vor allem Pfarrer, Organisten und Kirchendiener und nicht zu vergessen: christliche Lehrer.

Da wird dann deutlich, daß die Gegenwart immer auch aus der Vergangenheit lebt. Keiner fängt beim Nullpunkt an, sondern jeder hat schon Vorgänger gehabt. Wir haben den Glauben von den Vorfahren übernommen. Und auch wenn wir heute manches anders machen als sie, so sind wir doch unbewußt von ihnen geprägt. Auch ein Pfarrer tut gut, sich mit dem zu befassen, was vor ihm war. Da gab es die verschiedenen Pfarrer. Jeder hat seine eigene Art, seine Stärken und auch seine Schwächen. Alle haben sich gemüht und eingesetzt, und irgendetwas wirkt immer noch nach.

Deshalb läßt man eine Pfarrstelle heute immer erst einmal ein halbes Jahr unbesetzt, damit die Gemeindeglieder etwas Abstand gewinnen von dem Pfarrer, der gegangen ist. Niemand sollte sich zu sehr an eine Person binden, sondern an der Sache hängen. Man kann es nicht verhindern, daß auch die Person eine Rolle spielt. Mancher wird gerade durch die persönliche Art eines Menschen gewonnen. Aber dann sollte doch die Person mehr in den Hintergrund treten und allein die Sache wichtig werden.

Für einen Chor wird es immer kritisch, wenn der Chorleiter geht. Man muß einen neuen suchen, vielleicht von außerhalb oder auch aus dem Chor selber erwachsen. Doch wie oft bekommt er dann von Chormitgliedern zu hören: „Aber bei dem Herrn Soundso oder bei der Frau Soundso haben wir das aber so gemacht!“ Jeder Verein ist konservativ, hält die Tradition und die alten Bräuche hoch. In einer Kirchengemeinde ist es in der Regel nicht anders. Da wird auch oft gesagt: „Das ist schon immer so gewesen, da wünschen wir keine Änderung. Wenn sich schon alles ändert in dieser schnellebigen Zeit, dann soll doch wenigstens in der Kirche alles beim Alten bleiben!“

Das mag auch alles noch seine Berechtigung haben, wenn man nur nicht vergißt: „Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus!" Warum sollte es nicht Gruppierungen in der Kirche geben dürfen? Um des Dienstes willen ist das manchmal gut und notwendig. Die einen halten Predigt und Abendmahl für wichtig, die ja nach dem Augsburger Bekenntnis die Hauptkennzeichen der Kirche sind. Die anderen erwarten Kultur und Bildung, wieder andere Geselligkeit. Einer möchte mehr passiv, ein anderer mehr aktiv sein. Der eine will Beobachter bleiben, der andere sucht eine mehr familiäre Nestwärme. Einige müssen für die Kinder und Jugendlichen da sein, andere wieder für die alten Menschen. Eine Kirchengemeinde darf und soll vielgestaltig sein.

Aber es darf nicht zu Spaltungen kommen, weil man Anhänger einer bestimmten Person ist. Diese Gefahr wird besonders groß sein in Gemeinden mit zwei oder mehreren Pfarrern. In Korinth damals gruppierte man sich um Personen wie Petrus oder einen gewissen Apollos und auch um Paulus. Man war beeindruckt von ihrer Persönlichkeit, ihren Fähigkeiten, ihrem Frömmigkeitsstil. Ihre Art des Glaubens wurde zum Evangelium, Gott kam erst in zweiter Linie. Dabei ging aber vergessen, daß die Kirche in erster Linie Gottes Werk ist.

Auch wir sehen die Religion leicht als ein menschliches Betätigungsfeld neben anderen an: Da gibt es Gottesdienste, diakonische Einrichtungen, Kunst und Wissenschaft, sogar Sport. Religion ist eine menschliche Lebenshaltung und eine menschliche Betätigung. Doch dabei wird vergessen, was die Kirche zur Kirche macht: Die Kirche ist in erster Linie Gottes Werk!

Der Geist Gottes wirkt nur dann in ihr, wenn der einzelne fromme Mensch nicht wichtig ist, sondern alles von Gott erwartet wird.

Alle Lehrer, alle Vorbilder in der Kirche müssen sich deshalb bemühen, möglichst überflüssig zu werden. Es geht um die Bindung an die Sache und nicht an bestimmte Menschen. Wenn ein Mitarbeiter seine Dienststellung aufgibt, darf nicht alles zusammenbrechen. Und keiner in der Gemeinde sollte sagen: „Weil der nicht mehr da ist, gehe ich nicht mehr hin!“

Das Gleiche gilt ja auch für die Erziehung der Kinder. Eltern haben immer ihren eigenen Wertvorstellungen, die sie zum großen Teil wiederum von ihren Eltern oder aus ihrer Umwelt übernommen haben. Diese möchten sie unbedingt ihren Kindern vermitteln. Sie meinen: „Die Kinder sollen einmal nicht die Fehler machen, die wir gemacht haben!“ Christliche Eltern möchten auch, daß die Kinder ihnen im Glauben folgen.

Dieser Spruch aus 1. Korinther 3: Einen anderen Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus!“ wird gern als Taufspruch genommen. Sicherlich haben die Eltern vieles getan, um ihm den Glauben lieb und wert zu machen. Aber der Erbauer der Kirche ist Gott. Eltern und Erzieher sind im besten Falle ausführendes Organ, sind nur Diener Gottes.

Paulus spricht zunächst davon, daß Gott mit den Menschen ackert. Dann aber springt er gleich auf das andere Bild über: Die Kirche ist der Bau Gottes und Gott allein baut in ihr! Keiner darf sich selbst predigen, nicht seine eigenen Glaubensauffassungen und Glaubenserfahrungen, nicht seine Christlichkeit.

Sicherlich kann man von Gott nicht objektiv reden. Man wird immer Zeuge sein und darf dabei auch Selbsterlebte mit ins Spiel bringen. Aber dabei dürfen wir das Tun Gottes nicht verstellen, sondern müssen durchscheinend bleiben für das Wirken Gottes.  Es gilt, nur von dem Herrn und Gott zu reden, der in diesem Zusammenhang allein wichtig ist.

Dennoch darf auch ein Paulus bekennen: „Ich habe den Grund gelegt!“ Gott hat schon durch Paulus gewirkt. Aber dabei ist allein Christus als der Grundstein gelegt worden. Kein Korinther wurde auf Paulus getauft oder auf Petrus oder auf sonst einen anderen, sondern alle auf Christus.

Deshalb ist es auch egal, welcher Pfarrer ein Kind tauft, ob man ihn gut kennt oder ob er fremd ist, ob man ihn leiden kann oder ob man sich schon einmal über ihn geärgert hat, ob er die eigene Glaubenshaltung vertritt oder vielleicht eine andere. Getauft wird allein auf Christus, in seine Gemeinde hinein wird man getauft.

Da kann niemand anders kommen und noch einen zweiten Grund daneben legen wollen, etwa wenn er sagt: „Ein bißchen Christentum kann nicht schaden, aber wichtiger sind mir meine eigenen Erziehungsgrundsätze oder die Bildung, die Schule vermittelt. Das Wichtigste, das man einem Menschen ins Leben mitgeben kann, ist der Glaube an Gott. Aber man kann da nichts erzwingen wollen, man muß da Freiheit lassen und nur Gott wichtig machen. Dazu gehört auch, daß man die Kinder einen eigenen Weg oder sogar einen ganz anderen Weg gehen läßt.

Das soll nicht heißen, daß die Verantwortlichkeit des Menschen ganz verneint wird. Ein Mitarbeiter Gottes ist kein teilnahmslos funktionierender Automat. Paulus hat ein ungeheures Maß an Denkkraft und Hingabe, Mühsal und Kraft eingesetzt. Er weiß auch, daß er dem künftigen Gericht Gottes unterworfen ist.

Es ist nicht gleichgültig, mit welchem Material man auf dem einmal gegebenen Grund weiterbaut:  Nimmt man wertvolles und feuerbeständiges Material wie Gold, Silber und Edelsteine, oder nimmt man wertloses brennbares Material wie Heu und Stroh? Paulus übertreibt hier etwas. Aber er will sagen: Was wird sich einmal als nichtig und verlogen, als angeberisch und eigensüchtig herausstellen? Haben wir wirklich Gottes Werk im Sinn gehabt oder doch den eigenen Ruhm?

Jeder wird sein Baumaterial für das Beste halten und in der Versuchung stehen, das des anderen für Heu und Stroh anzusehen. Sicherlich wir manches von Menschenhand gebastelte Gebäude hinweggefegt werden. Paulus rechnet mit der Möglichkeit, daß das ganze Werk eines Menschen verbrennt, daß all seine Lebensträume nichtig waren und all seine Bemühungen sinnlos.

Er hat nur das Beste gewollt - wie er meint - aber keiner ist ihm dabei gefolgt, nicht einmal die eigenen Kinder. Dennoch ist dieser Mensch nicht verloren. Die Rechtfertigung des Versagers steht auf einem anderen Blatt. Sie hängt nicht davon ab, daß unsere Werke feuerbeständig sind, sondern daß Christus für uns einsteht. Bleiben wird auf alle Fälle der Grund, den Gott gelegt hat. Er wird auch die retten, die nur mit Heu und Stroh auf dem guten Grund gebaut haben. Sie waren ja „nur“ Mitarbeiter. Aber bleiben wird die Gnade Gottes und die Liebe Christi, die alle rettet.

 

 

1. Kor 4, 1 – 5 (3. Advent):

In der Kirche gibt es eine Menge Geheimnisträger. Sie hüten keine Staatsgeheimnisse, nicht einmal Betriebsgeheimnisse. Sie wissen auch nichts über die dunklen Rätsel unseres Daseins. Aber sie wissen etwas von dem unendlich tieferen Geheimnis der Liebe Gottes, der Mensch geworden ist und sogar am Kreuz den Tod der Menschen starb. So etwas ist an sich unbe­greiflich, dieses Geheimnis der Liebe Gottes uns gegenüber werden wir nie recht ergründen können.

Und doch sagt Paulus: „Jedermann halte uns für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse!“ Schon Johannes der Täufer, dem ja der heutige Adventssonntag an sich gewidmet ist, hat etwas von diesem Geheimnis geahnt. Er hat noch nicht die richtige frohe Botschaft gebracht und ist sogar nachher wieder an Jesus irre geworden. Aber er war doch einer, der auf den Kommenden hingewiesen hat und sich in seinen Dienst gestellt hat.

Auch heute gibt es Menschen, die im Dienst Jesu Christi stehen und Haushalter über Gottes Geheimnisse sind. In erster Linie werden wir da an die Pfarrer und ihr Amt denken. Aber auch wer Religionsunterricht hält oder die Kirchenmusik besorgt oder einen Gemeindekreis betreut, ist ja an diesem Amt der Kirche beteiligt. Jeder, der die Botschaft Gottes weitersagt oder hört, wird damit zum Geheimnisträger und Mitarbeiter Gottes. Einige Besonderheiten muß man allerdings dabei doch beachten;

Im Dienste Gottes darf es keinen Personenkult geben. Wer in der Kirche eine Aufgabe übernimmt, darf seinen Herrn nicht verdecken und sich selber in den Vordergrund spielen wollen. Das war ja in Korinth passiert. Dort sah man Paulus, Kephas und Apollos als religiöse Führer und Helden an. Man sammelte sich um sie, so wie man heute vielleicht für einen Filmstar oder Sportler schwärmt.

Sie gewannen als wortgewaltige und geisterfüllte Persönlichkeiten ein gewisses Eigeninteresse. Doch das ist falsch, denn man soll sich nicht an Menschen halten, sondern an Christus: Er ist das Licht, das in die Welt gekommen ist. Menschen können immer nur wirken wie die Linsen in einem Bildwerfer, die die Bilder bündeln und möglichst scharf und verzerrungsfrei dorthin werfen, wo sie auftreffen sollen. Wichtig ist, daß die Bilder sichtbar werden. Die Hilfsmittel dafür sind zwar auch notwendig, aber sie haben nur eine dienende Punktion und können notfalls auch ausgewechselt werden.

Jeder sogenannte „Amtsträger“ in der Kirche ist nur „Handlanger Christi“ auf „Gottes Bau­platz“. Er tut alles auf höheren Befehl und ist nur ausführendes Organ. Den Plan hat ein anderer gemacht, auch das Material hat er beschafft. Gewisse handwerkliche Fähigkeiten muß der Handlanger schon haben. Aber die letzte Verantwortung hat ein anderer. Er gibt an, was gemacht wird, und ruft seinen Handlanger notfalls auch wieder zurück, wenn der zu selbständig wird

Ein Handlanger muß immer springen und oft auch die körperlich schwere Arbeit tun. Oftmals erntet er nicht einmal Anerkennung dafür. So aber ist es mit dem Helfern Christi auch: Sie sollen vor allem führend im Dienen sein. Ihr Ruhm besteht darin, daß sie die Anweisungen ihres Herrn sinngemäß ausgeführt haben. Allerdings sind sie auch nur diesem Herrn verpflichtet. Sie sind seine Handlanger und nicht die der Gemeinde oder gar außenstehender Kräfte und Gruppen.

Einerseits kann man also nicht gering genug von einem Diener Christi denken. Andererseits kann man aber auch nicht groß genug von ihm denken, denn er ist ja Haushalter über Gottes Geheimnisse. Er hat einen Schatz zu bringen, den die Welt braucht und der ihr auch helfen kann.

Allerdings ist er nicht selber Erzeuger oder Unternehmer, ja nicht einmal Pächter, sondern nur Verwalter des Gutes seines Herrn. Er muß über das ihm Anvertraute wachen und einmal Rechenschaft dafür ablegen. Er kann sich also nicht persönlich daran bereichern oder auch nur seinen eigenen Ruhm mehren. Paulus hat ja Entgelt für die Verkündigung des Evangeliums genommen, obwohl er es hä.tte beanspruchen können. Aber er wollte nicht mit gewissen Wanderpredigern verwechselt werden ‚ die aus ihrer angeblichen Botschaft nicht nur einen Beruf, sondern auch ein Geschäft gemacht haben. Paulus mußte einfach- so oder so - predigen und taufen und das Abendmahl halten. Er hatte sich nicht nach dieser Stellung gedrängt. Aber nachdem sie ihm nun einmal übertragen war, hat er sie auch mit vollem Einsatz ausgefüllt.

Ein Verwalter Gottes ist nämlich nicht ein Wachhund, der die himmlischen Schätze bewacht. Er hat vielmehr das ihm anvertraute Gut herauszurücken, damit es ausgesät werden kann, denn nur so bringt es Frucht. Er hat nicht Genieinnnisse zu hüten, sondern gerade allen Menschen mitzuteilen. Auf diesem Gebiet wird ein Verwalter nie genug tun können, denn' das Geheimnis Gottes ist so groß, daß man es doch nie voll und ganz entdecken kann. .Hier nicht nachzulassen und immer wieder dieses Geschenk Gottes anzubieten, darin zeigt sich die Treue eines Verwalters.

Es gibt allerdings auch Leute, die meinen, den Handlangerdienst der Boten Gottes nicht nötig zu haben. Sie wollen sich selbst bediene und auf die Überlieferung verzichten. Sie sagen: „Wir sind selber satt und reich, wir haben unsere eigenen geistlichen Erfahrungen, wir brauchen keinen Verwalter und keine Ämter. Wir brauchen nur die Bibel aufzuschlagen, und dann gibt uns der Geist Gottes schon ein, was wir reden sollen. Wir brauchen keine Zufuhr von außen, denn wir haben ja ein reiches Innenleben, wir erfahren den Geist Gottes auf direktem „Wege und komme so zum Glauben!“ und dann probieren sie so etwas wie das „Zungenreden“, von dem auch das Neue Testament spricht. Sie behaupten. „Jesus hat zu mir gesprochen!“ Aber wenn jemand wirklich eine solche Erfahrung gemacht haben sollte, dann würde er sie lieber für sich behalten.

Paulus aber sagt es anders: Apollos und Paulus sind Diener, durch die ihr in Korinth zum Glauben gekommen seid. Paulus stellt sich nicht allein heraus, obwohl er der Gründer der Gemeinde ist. Auch Apollos hat eine wichtige Aufgabe übernommen. Paulus hat gepflanzt, aber Apollos hat begossen: Wenn die junge, zarte Pflanze nicht gleich wieder eingehen soll, dann muß sie auch ständig weiter gehegt und gepflegt werden.

So ist das auch mit unserem Christenglauben. Die Gaben Gottes müssen den Glaubenden immer wieder neu zugereicht werden, immer wieder muß gepredigt und müssen die Sakramente ausgeteilt werden. Nur so stellt der Herr mit seiner Gemeinde die Verbindung und Gemeinschaft her. Niemand hat soviel Informationen über Gott und Christus gespeichert, daß er nun aus dem Vorhandenen leben könnte. Er braucht immer wieder neue Zufuhr vor Gott her, damit sein Glaube nicht verkümmert. Die in der Gemeinde für diesen Dienst eingesetzten Men­schen sollen ihm dabei helfen.

Aber Menschen können immer nur Handlanger und Verwalter sein. Am Ende aber wird Christus selbst kommen. Er wird dann auch das letzte Wort sprechen, über uns und unsere Taten, über die Verkündiger und Hörer seiner Botschaft. Er ist die einzige 1nstanz, die über Kritik und Lob entscheidet.

Deshalb darf keiner „vor der Zeit“ richten. Paulus läßt sich von den Korinthern nicht kritisieren, wenn es um die Sache geht. Er bekennt sich schuldig, weil er sein Versprechen nicht eingehalten hat, bald wieder nach Korinth zu kommen. Er versucht die Grude zu erläutern und steht Rede und Antwort. Aber wenn es um den apostolischen Dienst im engeren Sinne geht, dann ringt er mit d en Korinthern und will sie von der Sache her überzeugen Er macht ihnen deutlich: Allein der Herr wird über das urteilen, was ihr jetzt so unterschiedlich an mir bewertet. Ihr dürft dem Herrn nicht vorgreifen, denn die wirkliche Zeit ist erst da, wenn der Herr kommt.

Ein Haushalter Gottes braucht keine überragenden menschlichen und geistlichen Qualitäten zu haben. Er ist auch unabhängig vom Beifall oder Mißfallen der Gemeinde. Er sollte zwar bereit sein für jeden gutgemeinten Zuspruch, aber sieh auch nicht von Menschen abhängig machen. Er kann die Ware nicht verderben, die er weiterzureichen hat. Aber er hat sie weiterzugeben, wenn er seinem Auftrag gerecht werden will. Treu und verläßlich sein und allzeit der Sache verpflichtet, das ist es, was man von ihm erwarten kann.

Einmal aber wird einer kommen, der uns besser kennt als irgendjemand auf der Welt, der uns sogar noch besser kennt als wir selber. Er wird ums deutlich machen, daß wir jeden Tag Grund gehabt haben, die fünfte Bitte des Vaterunsers zu beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ Aber er wird uns auch sagen, daß wir vom Lob der Menschen nicht abhängig sind. Aber wenn das Verborgene unseres Herzens ans Licht kommt, dann werden wir von ihm Lob empfangen, auch gerade dort‚ wo wir es nicht erwartet hatten.

Die Adventszeit ist zwar eine Zeit der Buße und der ernsten Selbstprüfung, ob wir wirklich treu geblieben sind. Aber wir dürfen uns auch auf den freuen, der der wahre Richter über unser Leben ist und dem wir letztlich ein gutes Urteil verdanken.

 

 

1. Kor 6, 12 - 20 (9 - 14 und 18 - 20) (8. Sonntag nach Trinitatis):

Viele Ältere unter uns schütteln sicher mit dem Kopf, wenn sie sehen, wie andere Leute mit der sogenannten „Liebe“ umgehen. Besonders aufregen werden sie sich über die jungen Leute, die so ganz anders denken über diese Dinge als die Menschen früher. Da sind sie kaum konfirmiert, da gehen sie schon Händchen in Händchen durch die Stadt. Und wenn sie das schon so in der Öffentlichkeit tun, dann kann man daraus schon schließen, was alles sein wird, wenn niemand dabei ist.

In den Fragen des Verhältnisses von Mann und Frau hat sich bei vielen Christen eine tiefe Ratlosigkeit eingestellt. Viele haben noch die traditionellen Vorstellungen über Ehe und Treue; aber meist denken sie nur in Verboten: keine geschlechtlichen Beziehungen vor der Ehe, keine „wilden Ehe“, und nur nicht darüber reden.

Doch andere fragen wieder: Kann man noch von „Unzucht” reden, wenn die erwachsenen Kinder auch vor der Ehe im Urlaub zusammen zelten, wenn sie sich mit dem Heiraten Zeit lassen und ein Kind vor der Hochzeit nicht als Unglück ansehen. Es wird heute viel offener und freimütiger über solche Dinge gesprochen als früher. Falsche Hemmungen und Verklemmungen haben sich gelöst. Dafür dürfen wir dankbar sein. Früher ist auch manches passiert, aber aus einem falschen bürgerlichem Moralverständnis hat man es totschweigen wollen. Das war bestimmt kein Zeichen einer christlichen Freiheit.

Andererseits kann auch nicht alles gutgeheißen werden, was heute geschieht. Auch heute gibt es Mißbrauch der guten Gabe Gottes, daß Menschen einander lieben können. Sie wird leicht herabgesetzt zum eigensüchtigen Genuß, zum „Geschlechtsverkehr“ (das Wort sagt schon alles). Viele sind einfach der Meinung: Was der Mensch braucht, das muß er haben! Liebesbedürfnis und Nahrungsbedürfnis sind ganz natürliche Dinge und müssen zu ihrem Recht kommen! Aber hier besteht schon ein Unterschied: Wenn der Magen knurrt, dann muß er etwas haben. Das ist nicht anders als beim Tier. Aber hier sind wir auch nicht mit unserem ganzen Wesen beteiligt. Anders aber ist es mit der Liebe. Sie erfaßt die ganze Person. Sie hat etwas zu tun mit der Verantwortung für den anderen und unterscheidet Freiheit von Willkür. Deshalb hat die geschlechtliche Erfüllung nicht den gleichen Rang wie die Befriedigung des Hungers.

Das sagt Paulus jedenfalls ganz schroff gegenüber einigen Leuten in Korinth, die es in diesen Sachen nicht so genau nahmen. Sie sahen den Körper als den weniger wichtigen Teil des Menschen an, nur das Gefängnis der Seele, die als der eigentliche Mensch angesehen wurde. Deshalb sollte man mit dem Körper auch machen können, was man will, das würde den eigentlichen Menschen nicht berühren, mit Herz und Seele könne man trotzdem zu Christus gehören. Daß Paulus im gleichen Atemzug mit Diebstahl und Raub auch von der Unzucht, sprach, das leuchtete ihnen nicht ein.

Die Kirche hat es bis heute meist umgedreht gehalten. Unter Sünde verstehen viele Christen nur das, was mit dem Geschlechtlichen zu tun hat, aber mit dem Eigentum nehmen sie es nicht so genau; für sie ist ein uneheliches Kind eine größere Sünde als der Diebstahl von

Eigentum. Wenn ein Pfarrer (an ihm werden diese Ansichten immer noch am ehesten deutlich) Geld unterschlagen hat, dann wird das unter den Teppich gekehrt; wenn er es aber mit einer anderen Frau gehabt hat, dann muß er gehen

Man kann nicht sagen, daß ihm damit Unrecht geschähe. Es ist erschreckend, wie viele Pfarrer auch geschieden werden. Sicher geschieht das nicht nur aus eigenem Verschulden; aber hier legt man eben immer noch strengere Maßstäbe an. Doch die christliche Gemeinde besteht eben nicht nur aus lauter untadeligen Menschen. Immer wieder einmal passieren in ihrer Mitte schreckliche Dinge. Schon Paulus hatte es nötig, von ganz massiven Sünden zu reden.

Stellen wir uns doch einmal vor, mit wem wir da alles auf einer Kirchenbank sitzen könnten: Räuber, Säufer, Geldgierige, Ehebrecher, Anhänger heidnischer Kulte. Sollte man in der christlichen Gemeinde sich die Leute nicht ein wenig besser ansehen und mehr sieben? Wird einem nicht zeitlebens anhängen, was er getrieben hat?

Jesus aber hat sich mit allen an einen Tisch gesetzt. Er ist für alle gestorben und hat ihnen vergeben, um ihnen einen neuen Anfang zu ermöglichen. Auch in Korinth kamen Taufbewerber mit skandalöser Vergangenheit und mit viel Ekel behaftet. Aber sie wurden abgewa­schen, gerechtfertigt und geheiligt. Dabei blieb es dann auch, denn dazu paßte nicht die Zweigleisigkeit „neuer Glaube, altes Leben“ Man kann sich die Gabe Gottes auch verscherzen.

In Korinth sagten sie: „Mir ist alles erlaubt, deshalb mache ich, was ich will!“ Paulus setzt dem entgegen: „Mir ist alles erlaubt, es frommt aber nicht alles!“ Wir brauchen nicht ängst­lich nach allen Seiten zu schauen, was die anderen machen. Aber wir sollten fragen, was hilfreich und förderlich ist und zu etwas Gutem führt, was aufbaut und stärkt.

Das gilt auch für das Verhältnis von Mann und Frau. Wenn man sich mit einem anderen Menschen verbindet, dann übernimmt man auch Verantwortung für ihn und sollte die eigentlichen Entscheidungen in äußerster Nüchternheit fällen. Eine Wartezeit vor der Ehe ist auch heute nicht überholt. Und ebenso gehört auch dazu, daß man die Verantwortung füreinander vor der Gesellschaft auf dem Standesamt und vor Gott in der Kirche zum Ausdruck bringt.

Es geht nicht darum, eine Liste von Verhaltensweisen aufzustellen, die für immer und für alle Fälle gelten sollen, und die man nur einzuhalten braucht, damit alles wie am Schnürchen geht. Es geht nicht um erlaubte oder unerlaubte Handlungen, denn als Christen sind wir frei vom Gesetz. Aber es ist nicht mehr Freiheit, wenn es mit einem durchgeht, wenn wir die Gewalt über uns verlieren, so wie man die Gewalt über ein Kraftfahrzeug verliert.

Unsre Freiheit besteht darin, daß wir wissen, wem wir mit Leib und Seele gehören. Paulus bezeichnet unsren Leib als dem „Tempel Gottes“, als den „Tempel des Heiliger Geistes“. Ausgerechnet in unserem Leib will Gott sich verleiblichen. Wenn wir ihn also in Abhängigkeit bringen, dann nehmen wir Gott die Herrschaft, vertrauen wir uns einem anderen Gott an, berauben wir auch andere Christen ihrer Freiheit. Was uns fesselt, das fesselt ihn, was uns getan wird und was wir uns tun, das wird ihm getan.

Wenn wir nach Erfahrungen der Wirklichkeit Gottes in unserem Leben Ausschau halten, dann blicken wir gern nach Inseln besonderer geistlicher Erlebnisse im Meer unseres oft sehr diesseitigen Alltags: nach Gedanken, nach der Stille des Gebets, nach Höhepunkten wie einem gelungenen Gespräch oder einem mutigen Bekenntnis. Gott will aber nicht beschränkt werden auf irgendwelche Reservate unseres Lebens, auf einen Herrgottswinkel der Gedanken oder Gefühle.

Gott gibt sich nicht zufrieden mit der Rolle eines Untermieters. Man kann ihn nicht halten wie ein Auto, dessen Kraft man nur nutzt, wenn man sie benötigt, aber im Übrigen steht er in der Garage. Gott ist nicht nur so etwas Gedankliches, eine Erkenntnis oder ein Gefühl. Gott ist durchaus etwas Handfestes, denn er hat einen Körper; den kann man sehen und anfassen, mit dem tut er etwas und dem wird etwas getan: Unsere Person ist Teil seiner Person auf der Erde. Natürlich bin ich jeweils nur ein kleiner Teil. Aber ich bin es ganz oder gar nicht. Wer also zur Dirne geht, der bringt auch Christus mit ihr in Verbindung, so kompromißlos sagt Paulus es.

Positiv gesagt bedeutet das aber: Das Verhältnis zwischen Mann und Frau ist in Übereinstimmung mit dem Geist Gottes zu gestalten. Maßstab ist nicht eine bürgerliche Moral, sondern allein der christliche Maßstab. Zu fragen wäre, ob in dem Verhältnis der Menschen untereinander auch Grundmuster Gottes deutlich werden, nämlich Nächstenliebe, Vergebung und Annahme des anderen. So gesehen könnte auch einmal eine wilde Ehe christlich sein und eine gutbürgerliche Ehe zur Unzucht werden, weil in ihr Liebe und Vergebungsbereitschaft nicht mehr vorkommen.

Gott wohnt dabei in unserem ganzen Leih. Meine Hand ist die Hand an seinem Leib, es ist nicht gleichgültig, ob sie den anderen streichelt und aufrichtet oder wegstößt und schlägt. Mit meiner Hand will er in die Hand nehmen, was anzupacken ist. Er will abwehren, wo Unrecht geschieht. Er will tragen, wo einem anderen die Last zu schwer wird. Er will wärmen und bergen, wo Lieblosigkeit herrscht und Berührungsangst einsam macht.

Nicht einmal das ist gleichgültig, ob unsere äußere Erscheinung gewinnend oder abstoßend wirkt. Wenn wir sie vernachlässigen, dann vernachlässigen wir die Erscheinung Christi bzw. Gottes. Es ist nicht gleichgültig, ob wir unsre Kraftreserven überdrehen und auspumpen, ob unser Körper fit oder schlapp ist. Gott hat ja noch etwas damit vor, will noch etwas draus machen, so wie ein Goldschmied ein Stück Edelmetall zu etwas Schönem und Kostbarem verarbeitet.

Gott entscheidet über meinen Körper. Aber er entscheidet durch. meine Entscheidung. Das macht jede meiner Taten so wichtig. Wo weigern sich meine Hände, sich von Christus gebrauchen zu lassen? Wohin tragen mich meine Füße, ins Gotteshaus oder ins Hurenhaus? Welchen Rang haben Essen und Trinken? Was redet die Zunge, was singt die Stimme? Was gestalten Hände und Werkzeuge? Welchen Rang hat die Liebe zwischen Mann und Frau? Halte ich meinen Leib leistungsfähig durch eine gesunde Lebensweise?

Aber selbst wenn wir krank und schwach sind und vielleicht ein quälendes Leiden haben, so wohnt doch Christus in uns. Er will an unserem Leib verherrlicht sein. Er hat uns leibhaft geschaffen, er will uns leibhaft auferwecken - da ist er auch leibhaft in uns. Alles, was wir sind, soll ihn verherrlichen.

 

 

1. Kor 7, 29 – 31 (20. Sonntag nach Trinitatis):

Nein, lieber Paulus, da kann ich dir nicht zustimmen: Eine Frau haben, als hätte man keine! Das ist ja wie bei einem evangelischen Pfarrer, der zur katholischen Kirche übertritt und Priester wird: Der darf zwar seine Frau behalten, aber nur als Haushälterin! Das kannst du doch nicht von einem vernünftigen Menschen verlangen. Nur weil du selber nicht verheiratet warst und wie ein Blinder von der Farbe redest, kannst du uns doch nicht solche Ratschläge geben.

Frauen sind das Beste, was es gibt auf der Welt, sage ich einmal als Mann von heute. Du aber hast damit gerechnet, daß die Welt bald ein Ende hat und es sich deshalb nicht mehr lohnt, sich noch groß mit Frauen zu befassen oder gar eine Ehe zu schließen. Doch heute brauchen wir die Partnerschaft zwischen Mann und Frau und brauchen Kinder, damit es weiter geht mit der Menschheit.

Paulus befürwortet natürlich nicht die „wilde Ehe“ oder gar die Scheidung. Er sagt an anderer Stelle in diesem Kapitel: „Wer verheiratet ist, soll es auch bleiben. Nur wer noch nicht verheiratet ist, der soll nicht mehr die Ehe eingehen, weil das Ende der Welt sowieso bald kommt!“ Im Grunde hat er schon die Ordnung der Ehe geachtet. Er wäre bestimmt nicht einverstanden gewesen mit den heutigen Auffassungen: „Jede Beziehung geht einmal auseinander. Es kann doch sein, daß man sich nicht mehr versteht oder sich nichts mehr zu sagen hat. Und wenn man dann einen anderen kennenlernt, dann kann man doch nichts gegen seine Gefühle tun, dann muß man sich doch dem anderen Menschen zuwenden!“

So wird doch heute vielfach gedacht. Und das Ergebnis sind dann die sogenannten „Patch­work­familien“, die zusammengesetzt sind wie ein Flickenteppich, wo die Frau dann zum Mann sagt: „Deine Kinder und meine Kinder verhauen unsere Kinder!“ Solche Verhältnisse hat Paulus bestimmt nicht vor Augen gehabt, wenn er sagt, man solle die Frauen haben, als hätte man sie nicht.

Paulus hat eine Haltung zum Leben, die im Grunde zwei Pole hat: Die Verpflichtung für die Welt, aber auch der Abstand von ihr. Beide Sichtweisen gehören zusammen. Verpflichtung für die Welt: Christen stehen mitten im Leben. Paulus war Zeitmacher und wußte, wie es im Leben zugeht: Man muß arbeiten, damit man Geld verdienen kann und sich etwas leisten kann! Man darf von der Welt Gebrauch machen. Ein Christ darf auch Gefühle haben, darf weinen und sich freuen. Er hat Mut zur Zukunft und gestaltet diese Welt mit, trotz der Zukunftsprobleme, die wir in zunehmendem Maße vor uns sehen.

Was uns Sorge bereitet, sollten wir als Herausforderung sehen, den Problemen mit ganzer Entschlossenheit zu Leibe zu gehen. Allerdings können wir bei allem Lebensmut nicht die Wirklichkeit verdrängen: Die Welt vergeht, unser eigenes Leben wird auch einmal ein Ende haben. Das bedeutet aber: Jede einzelne Stunde ist kostbar, sie kommt nicht wieder und ist deshalb auszuschöpfen. Wir können mit unserem christlichen Leben nicht warten, bis das Unerfreuliche und Belastende aus der Welt verschwunden ist.

Und so wird die Welt zum Feld der Bewährung für uns. H i e r sollen wir Christus und den Menschen dienen. Wenn die Welt auch vergänglich ist, so ist sie doch Gottes Welt, und die Menschen, mit denen wir leben und arbeiten, sind Gottes Geschöpfe. Paulus gebraucht für die Haltung die Formel „haben, als hätte man nicht“. Er sagt damit: „Jawohl, ihr dürft haben“, aber es ist ein jederzeit widerrufliches Haben, ein Haben bis auf weiteres. Betrachten wir unter diesem Blickwinkel noch einmal die beiden Beispiele, die Paulus konkret nennt: die Ehe und das Kaufen.

Paulus ist nicht gegen die Ehe. Aber er hat sich bewußt anders entschieden. Er ist nicht durch ein Schicksal in die Ehelosigkeit getrieben worden oder weil der Beruf es so fordert, sondern er sieht die Ehelosigkeit als eine Gabe an, die ihm gegeben ist. Wahrscheinlich denkt er auch: „Wenn ich an Frau und Kinder gebunden wäre, dann würde ich mir um sie mehr Sorgen machen als um das Ende, das Gott schicken wird. Sie würden mich daran hindern, mich Gott ganz hinzugeben!“

Das behauptet man ja gegenüber den katholischen Priestern, wenn man von ihnen Ehelosigkeit fordert. Das ist schon der Fehler, daß man das von jedem fordert, anstatt es dem Einzelnen selber zu überlassen. Aber abgesehen davon ist es auch ein großer Vorteil, wenn der Pfarrer verheiratet ist: nicht nur daß Frau und Kinder oft bei der Gemeindearbeit helfen, er hat auch immer eine Partnerin für den Gedankenaustausch und redet nicht wie der Blinde von der Farbe, wenn es um Ehe- und Familiensachen geht.

Paulus hat auch nichts gegen das Kaufen. Es müssen nicht alle so arm sein wie Paulus. Kaufen reichert unser Leben an mit Gütern. Wir haben viel und wir besitzen viel. Wir sind reicher als unsere Eltern und Großeltern. Paulus will nicht, daß wir die Geschäfte und Kaufhäuser meiden. In der heutigen Zeit wäre es sogar gut für die Wirtschaft, wenn wir unser Geld nicht auf die hohe Kante legten, sondern möglichst viel kauften, vor allem von den Produkten, die im eigenen Land hergestellt wurden. Konsumverzicht ist heute keine Tugend.

Aber muß es denn so sein, daß ein Besuch bei IKEA so etwas ist wie ein Gottesdienst? Sams­tag ist IKEA-Tag. Da fährt die ganze Familie auf die Autobahn, bis der hohe Turm das Ziel anzeigt: den modernen Konsumtempel. Zu viert nebeneinander schreitet man wie bei einer Prozession von einer Station zur anderen. Man sieht sich etwas an, probiert es aus, fragt die Verkäufer. An sich hat man gar nichts kaufen wollen, aber irgendetwas nimmt jeder am Ende doch mit und bezahlt es brav am Ausgang wie eine Kollekte. IKEA (und manches andere) ist heute so etwas wie eine Religion.

Abstand von der Welt: Freilich weiß ein Christ auch, daß die Uhr dieser Welt abläuft. Das Neue wird sich dabei nicht aus den Gegebenheiten des Alten entwickeln, sondern es wird zu einer völligen Wandlung kommen. Das zeitliche Leben ist ein Vorletztes, das durch das Letzte abgelöst werden wird. Man kann sich also dem Vorletzten nicht so hingeben, als käme von da alles Heil.

Man wird deswegen eine Ehe nicht halbherzig führen, weil sie zu den zeitlichen Dingen gehört. Es muß auch nicht so sein, daß Eheleute in der Vollendung bei Gott weniger verbunden sein müßten als (hoffentlich) jetzt, denn wahrscheinlich gehören wir bei Gott vollkommener zueinander als im zeitlichen Leben.

Aber für jetzt ermuntert Paulus zu einem gesunden Verhältnis zueinander. Es ist nicht richtig, wenn ein Partner dem anderen völlig hörig wird, sich einerseits schlagen läßt, aber andererseits doch nicht von ihm loskommt. Es ist nicht richtig, wenn man alles gemeinsam tun will und völlig mit dem Partner übereinstimmen will, weil man sich da gegenseitig Fesseln anlegt. Wir müssen uns gegenseitig als fehlerhafte Menschen sehen. Wenn man den anderen unfehlbar macht, dann vergiftet das die Beziehung. Wir brauchen auch den inneren Abstand voneinander, um uns immer neu zu finden. Das ist nicht ein „halbe Liebe“, sondern da wird der andere Mensch ernstgenommen, auch mit seinen Schattenseiten

Jedes Ding hat seine zwei Seiten. Das gilt auch vom Kaufen und Besitzen. Die Dinge, die wir uns zur Erleichterung angeschafft haben, legen uns auch immer wieder neue Pflichten auf: Das Auto muß gepflegt und repariert werden, es braucht eine Garage, es kostet täglich Geld. Schon ist man in ein Programm von Pflichten eingespannt und fragen uns manchmal, wer denn eigentlich der Herr im Hause ist - wir oder unser Besitz.

Kinder wollen manchmal unbedingt ein Spielgerät haben. Sie erpressen fast ihre Eltern (und Großeltern), es ihnen zu kaufen. Doch wenn sie es dann haben, dann läßt die Begeisterung schnell nach, und die Vorfreude war größer als die Freude des Besitzens. Ein alter Mensch fängt oft Streit an, weil er meint, irgendein Gegenstand sei ihm gestohlen worden, obwohl er ihn nur verlegt hat. Er verdächtigt einen anderen Menschen und bricht die Beziehung zu ihm ab. So kann das Besitzenwollen die Beziehungen vergiften.

Eine gewisse Distanz, die sowohl das Haben als auch das Entbehren einschließt, ist schon gut. Wenn einem etwas genommen wird, dürfte es an sich nicht allzu weh tun. Wenn man einmal ein dreiviertel Jahr ohne Auto auskommen muß, obwohl man es doch beruflich braucht, dann ist das schon sehr heilsam: Es geht zwar schlechter, aber es geht.

Man kann die nur bedauern, die untröstlich sind, wenn sie verlieren. Denken wir nur zum Beispiel an diejenigen Heimatvertriebenen, die auf einmal Forderungen auf ihren früheren Besitz stellen wollen. Sie haben doch inzwischen alles, besser als vorher. Weshalb wollen sie nun das Verhältnis zu den Nachbarvölkern gefährden, wo die Leute doch ärmer sind als bei uns? Gerade die, die schon viel haben, sind voller Angst, es wieder zu verlieren. Sie wollen immer mehr haben, um ganz sicher zu gehen. Aber das ist keine Distanz zum Besitz.

Wir dürfen die vielen schönen Dinge haben. Wir dürfen uns darüber freuen und sollten Gott dafür danken. Aber wir müssen nicht alles haben, was der andere hat. Es braucht keine Welt zusammenzustürzen, wenn wir manches nicht besitzen, zum Beispiel Wäschetrockner oder Mikrowelle oder Gefriertruhe. Wir können uns im Loslassen und Weggeben üben, damit wir es können, wenn wir am Ende alles hergeben müssen.

Zum Schluß noch einige Gedanken zu der Aussage: „Weinen, als weinte man nicht, freuen, als freute man sich nicht!“. Unsere Gefühle gehören zu uns. Der Christ wird an aller Traurigkeit und Freude der anderen teilhaben und auch selber traurig sein und sich freuen. Er gehört nicht zu den Leuten, die nichts erschüttert. Und er wird sich auch seiner Gefühle nicht schämen. Er kann sich in seiner Trauer öffnen für heilendende und helfende Worte. Und er kann sein Fröhlichsein beenden, wenn wieder Ernst am Platz ist. Im Weinen weiß der Christ vom stichhaltigen Trost, der nur von Gott kommt. Und die irdische Freude wird überholt und überboten durch die letzte Freude, die uns niemand nehmen kann.

 

 

1. Kor 9, 16 – 23 (2. Sonntag nach Trinitatis):

In einer Konferenz von Theologen hatte man sich entschlossen, auch einmal jemand von außerhalb zu befragen, damit man nicht zu sehr nur im eigenen Saft schmort. Also kam ein Professor für Soziologie und gab Empfehlungen, wie die Kirche ihre Sache an den Mann bringen könne. Er meinte, man solle auf alles Schwere verzichten, zum Beispiel auf die Sache mit der Kreuzigung und der Auferstehung, und ganz zu schweigen von Wundern und Heilungen. Stattdessen sollte sie Kirche nur das verkünden, womit die Menschen unsrer Zeit auch etwas anfangen können.

Dann müßten wir uns also nach dem richten, was Befragungen herausgefunden haben wollen. Der Hessische Rundfunk hat einmal eine Befragung in Auftrag gegeben „Was glauben die Hessen?“ Danach müßten wir uns also zum Beispiel auf das Thema „Engel“ stürzen und vielleicht sogar noch Schutzengelfiguren in der Kirche verkaufen. Dann müßten wir den Anbau und den Verkauf von Haschischpflanzen erlauben und die Geschwindigkeit auf den Straßen völlig freigeben.

Man könnte man auch an Fastnachtspredigten denken, um den Zuhörern entgegenzukommen. Ein Pfarrer in Nordhessen macht das jedes Jahr. Und einer hat sogar ein ganzes Buch mit solchen Predigten herausgebracht. Die lesen sich zwar mit ihren gereimten Versen ganz gefällig. Aber am Ende fragt man sich doch: „Was hat er denn jetzt eigentlich sagen wollen?“ Vielleicht ist das doch etwas zu viel Anpassung an den Geist der Zeit.

Paulus entwirft hier ein anderes Bild von der Haltung eines Christen und wie man auf andere eingehen kann. Er sagt als Erstes: Ein Christ ist frei zum Verzicht. Kurz vorher hat er sich mit der Frage auseinan­der­gesetzt: „Darf man als Christ das Fleisch essen, das bei den heidnischen Opferfesten übriggeblieben ist?“ Seine Antwort lautet: „Wer damit Schwierigkeiten hat, soll es lassen!“ Ihm selber würde es nichts ausmachen. Aber um der Schwachen im Glauben willen ist er so frei, auch darauf zu verzichten.

Ebenso ist es mit der Frage, ob er für seine Arbeit in der Kirche entlohnt werden soll. Paulus sagt dazu: An sich hätte er Anspruch auf Unterhalt durch die Gemeinden wie die anderen Apostel auch. Aber von diesem Recht macht er keinen Gebrauch und bestreitet seinen Lebensunterhalt mit seiner eigenen Hände Arbeit, damit nicht der Vorwurf erhoben werden kann, er predige ja nur um des Geldes willen.

Unsere Probleme sind das nicht mehr: Für uns gibt es kein Götzenopferfleisch mehr, weil es weil es keine anderen Götter gibt. Gerade das Evangelium Gottes hat uns frei gemacht, die weltlichen Dinge auch mit weltlichem Sachverstand zu entscheiden.

Nur wo eine Bindung verlangt wird, die mit unserem Gebundensein an Gott in Widerspruch steht, muß man als Christ bekennen und da bedarf es einer klaren Entscheidung.

Weil wir von Gott gehalten werden, brauchen wir nicht ängstlich, gesetzlich und klein­kariert sein. Natürlich darf der Christ tanzen, ins Theater gehen, und mit nichtchristlichen Menschen in weltlichen Dingen gemeinsam Hand anlegen. Eine Christin darf sich auch nach der Mode kleiden; sogar eine Pfarrfrau muß nicht auf den zweifarbigen Faltenrock verzichten, wie das noch vor fünfzig Jahren erwartet wurde.

Aber bei Paulus kommt dann doch die überraschende Wende: Was er dürfte, nimmt er nicht in Anspruch. Er verzichtet auch einmal, wenn es um die Menschen geht, für die er da sein soll, damit er dem Evangelium kein Hindernis in den Weg legt. Es gibt ja nicht nur die Böswilligen, die außerhalb stehen, sondern auch in der Gemeinde könnte es Zweifel an der Ehrlichkeit des Apostels geben. Da gibt es zum Beispiel Gemeindeglieder, die machen eine Test-Spende, um dann nachher zu kontrollieren, ob auch alles ordnungsgemäß in die Bücher ein­getragen ist oder ob die Spendenquittung auch kommt.

Ein Pfarrer steht da unter besonderer Beobachtung. Es gibt auch heute viele Kirchen, in denen die Pfarrer so arm sind wie Paulus. Es sollte niemand den Eindruck haben: „Der redet ja nur so, weil er dafür bezahlt wird!" Es ist ja nicht jeder so geschäftstüchtig wie der frühere Pfarrer Jürgen Fliege, der gewöhnliches Leitungswasser segnet und dann für 40 Euro die Flasche verkauft.

Wenn Paulus keinen Gebrauch macht von dem, was er dürfte, dann ist das aber kein Rückfall in das Gesetz. Vielmehr nimmt er nur die evangelische Freiheit wahr und stellt sich so auf die anderen ein, daß sein Lebensstil keinen Anstoß erregt. Aus Liebe paßt er sich an. Er versteht, daß die Menschen nicht so schnell das Gewohnte von einem Tag auf den anderen abtun können. Was der eine in souveräner Freiheit des Glaubens weit hinter sich gelassen hat, kann dem anderen zur Anfechtung seines Glaubens oder gar zum Verhängnis werden. Wer da Schwierigkeiten hat, dem ist nur zu helfen, wenn man mit ihm verzichtet.

Der eine ist halt mehr der Welt zugewandt und läßt sich in seinem Glauben nicht dadurch einschränken; der andere schafft alles nur mit angespannter geistlicher Konzentration. Der eine wird durch die kritische Bibelforschung noch in seinem Glauben gestärkt. Der andere hat das Gefühl, der Boden weiche ihm unter den Füßen, wenn er kritische Fragen nur an sich heranläßt. Deshalb wird ein Pfarrer die sogenannten bibeltreuen Christen in seiner Gemeinde anerkennen. Die Frage ist nur, ob sie den Pfarrer anerkennen, oder ihm den rechten Glauben absprechen.

Für diese genügt es, wenn einer in Marburg studiert hat, dann ist er schon ein „Ungläubiger". In Marburg wirkte nämlich der Theologieprofessor Rudolf Bultmann, der angeblich ein Leugner der Auferstehung war. Der Mann war Kirchenvorsteher und hat am Ausgang der Kirche den Kollektenteller gehalten. Sicher muß man ihn heute auch kritisch sehen. Er hat in der Vorlesung des Philosophen Martin Heidegger gesessen und sich von diesem beeinflussen lassen. So wollte er, daß man die ganze biblische Botschaft nur auf ihren innersten Kern beschränkt und nur das bestehen läßt, was den Menschen in seiner Existenz anspricht. Die ganzen Einzelheiten und das Leben Jesu waren ihm nicht wichtig. Doch schon seine Schüler haben das wieder korrigiert. In diesen Fragen müssen wir einander Freiheit geben. Dabei ist das Gewissen des anderen zu schonen n auch das Gewissens des Pfarrers, der durch das Feuer der wissenschaftlichen Kritik gegangen ist. Nur die Liebe baut auf.

Frei für jedermann weiß sich Paulus jedoch jedermann verpflichtet. Er hat seine Freiheit nicht für sich, sondern für die anderen. Weil er die Menschen liebt, geht er mit einem Höchstmaß an Elastizität und Anpassung auf sie zu. Fünfmal gebraucht Paulus das Wort „gewinnen“. Aber das kann nicht heißen: „Sag ihnen, was sie hören wollen - Hauptsache, du gewinnst sie!“ Eine der Welt nach dem Munde redende Kirche verrät nicht nur ihren Auftrag, sondern sie macht sich vor der Welt ganz und gar unglaubwürdig.

Es ist keine kirchliche Jugendarbeit, wenn die Sozialarbeiterin nur aufpaßt, daß das Mobiliar nicht beschädigt wird. An sich ist diese Jugendarbeit eine Sache der Stadt. Aber dann kürzt diese die Zuschüsse um 20.000 Euro, so daß die Kirche jetzt jedes Jahr betteln gehen muß, um die Finanzierungslücke zu schließen. Das ist ein Skandal, wenn die Stadt sich darauf verläßt: Die Kirche wird das aus Nächstenliebe schon machen! Nur ist das dann eine rein diakonische Arbeit und kaum christliche Verkündigung. Auch bei dieser diakonischen Arbeit könnte und sollte die Kirche mehr Flagge zeigen und laut und deutlich sagen, was ihre eigentliche Botschaft ist.

Auch Paulus selbst ist nicht etwa ohne Standpunkt. Er verändert auch nicht das Evangelium je nachdem, welcher Hörer ihm gegenübersteht. Nicht das Evangelium wird angepaßt, sondern er selbst will sich anpassen. Er gebraucht nicht nur die Worte des Gegenübers, sondern will sich auch in seine Denkweise versetzen. So hat es auch der Evangelist Johannes ein Evangelium geschrieben, mit dem er die Anhänger einer damals weitverbreiteten Weltanschauung gewinnen wollte. Und der Evangelist Matthäus hat wieder mehr für die Juden geschrieben. So ist in Afrika das Kind in der Krippe natürlich schwarz und die Lieder stammen zum Teil auch aus den einheimischen Melodien.

Für diese Einstellung hat man den Ausdruck geprägt „Diakonische Solidarität“. Damit ist aber nicht gemeint: „Ich passe mich dir soweit an, daß du gar nicht mehr merkst, wenn du vor dir hast!“ Vielmehr wird dadurch ausgedrückt: „Du bist mir wichtig, ich nehme dich ernst in allem, was in dir vorgeht, ich versuche es wenigstens!“

Luther hat das in seiner Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ so ausgedrückt: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr und niemand untertan. Ein Christenmensch ist aber auch ein dienstbarer Knecht und jedermann untertan!“ Ergänzen müßte man noch ganz im Sinne Luthers: „In erster Linie aber ist der Mensch Gott untertan!“

 

 

1. Kor 9, 24-27 (Septuagesimä):

Wilma Rudolph wuchs in einer Familie mit sieben Geschwistern und elf Halbgeschwistern auf. In ihrer Kindheit erlitt Wilma eine Reihe schwerer Krankheiten. Eine Kinderlähmung setzte ihr linkes Bein außer Gefecht, und erst nach jahrelanger Physiotherapie und spezifischen Massagen konnte sie wieder ohne Hilfsmittel gehen. Von elf an konnte sie endlich mit ihren Brüdern Basketball spielen. Bald erzielte sie an der Höheren Schule große Erfolge in dieser Sportart. Ein Leichtathletiktrainer an der Tennessee-Universität entdeckte sie 1955 als Schiedsrichter bei einem Basketballkampf, erkannte ihr Talent und vermittelte ihr ein Sportstipendium an seiner Hochschule.

Schon im Jahr darauf qualifizierte sie sich für die Olympischen Sommerspiele 1956 in Melbourne, bei denen sie Bronze in der 4-mal-100-Meter-Staffel gewann. Nach einer Schwangerschaftspause 1958 gehörte sie zu den weltbesten Sprinterinnen und stellte 1960 zwei Weltrekorde auf. Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom siegte sie in allen drei Kurzstreckendisziplinen: In den Einzeldisziplinen 100 und 200 Meter siegte sie in allen Läufen mit mindestens 0,3 Sekunden Vorsprung; die Fabelzeit von 11,0 Sekunden im 100-Meter-Finale konnte jedoch wegen zu starken Rückenwinds nicht als Weltrekord gewertet werden. In der    4 × 100 Meter Staffel lief sie im Vorlauf einen Weltrekord (44,4 Sekunden); im Finale sicherte Rudolph als Schlußläuferin das Gold vor der deutschen Staffel, die eingangs der Zielgeraden noch gleichauf lag. Am 19. August 1961 stellte sie über 100 Meter mit 11,2 Sekunden in Stuttgart einen weiteren Weltrekord auf. Wegen ihres eleganten Laufstils wurde sie „die Gazelle“ genannt.

Um so ein Ziel zu erreichen, muß man hart trainieren und seinen Leib bezwingen, wie Paulus sagt. Dabei scheint das Evangelium des heutigen Sonntags von den Arbeitern im Weinberg genau das Gegenteil zu sagen, nämlich: Gott lohnt aus lauter Güte, aus bloßer Freude am Schenken, es kommt nicht auf die Dauer der Anstrengung der Arbeiter an. Das ist eben die Sicht aus dem Blickwinkel Gottes. Paulus stellt das Ganze aus der Sicht der Menschen dar Er sagt: Christentum ist ein angestrengter Lauf, der nur unter Verzicht und Härte gegen sich selbst gewonnen werden kann; deshalb lautet das Motto: „Alle Kraft für das Eine!“

Paulus hat vor allem die Sorge, er könnte anderen predigen und selbst versagen und den Kampf nicht bestehen. Das ist auch der Druck, der auf jedem kirchlichen Mitarbeiter liegt. Jeder andere kann leben wie er will, aber der Pfarrer soll die Fahne der alten Werte hochhalten, ihm verzeiht man einen Fehltritt nicht so schnell. Deshalb stellt Paulus auch heraus: Die Glaubensgewißheit wirkt sich in seinem Leben keineswegs einschläfernd aus, sondern sie bringt ihn in Bewegung.

Dennoch stellt Paulus alles unter den Oberbegriff der christlichen Freiheit: Er muß nicht, aber er kann und will! Er will anderen Menschen zur Verfügung stehen und ihnen nützlich sein. Freiheit ermöglicht für ihn Liebe und Dienst. Aber christliche Freiheit will trainiert sein. Dazu ist erforderlich eine harte Zucht, aber es gibt auch ein hohes Ziel.

 

1. Christliche Freiheit ist verbunden mit einer ständigen Übung:

Die Korinther haben da etwas mißverstanden. Sie dachten: Wenn uns Christus befreit hat aus den Zwängen der alten Welt, dann können wir tun, was wir wollen. Paulus aber sagt: Die Befreiung bedeutet eine neue Bindung an Christus. Man will dann gar nichts mehr anderes als er will. Das ist unsere Freiheit, weil unser Herz ganz Jesus Christus gehört. Paulus will so, wie sein Herr will, er ist für seinen Herrn in Bewegung.

Dem inneren Wollen des befreiten Menschen stellen sich aber äußere Hemmnisse entgegen. Diese kommen noch von dem alten Menschen her. Dieser ist zwar grundsätzlich erledigt und bedeutungslos, er kommt nicht mehr in Betracht, wenn es um das Verhältnis zu Gott geht. Aber er ist immer noch da als Störfaktor.

Das hat auch der Mann erfahren, den ein Pfarrer betrunken in der Gosse fand. Er sagte: „Aber Herr Soundso, sie wollten doch ein neuer Menschen werden!“ Darauf die trockene Antwort: „Aber der neue Mensch säuft auch!“ Deshalb gilt es, immer wieder zu kämpfen, damit der neue Mensch sich durchsetzt.

Wir brauchen ja gar nicht selbst die bösen Dämonen zu besiegen, also die eigene Trägheit und die eigenen Gelüste, Zimperlichkeit und Leidensscheu, mangelnde Beherrschung und unkon­trollierten Zorn. Deshalb gilt es zu kämpfen wie Siegfried, der Drachentöter, nur daß wir nicht die eine Stelle am Körper haben, wo er doch verwundbar war. Deshalb kämpft es sich gut, wenn man unverwundbar ist. Aber gekämpft werden muß.

Der Vergleich mit dem Sportler zeigt, daß es dabei nicht um eine selbstquälerische Enthaltsamkeit geht. Der Sportler trainiert ja gern, weil er ein hohes Ziel vor sich hat. Die Quälerei ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Erfolg. Selbst wer belastet ist mit einer schweren Krankheit, kann noch Außergewöhnliches von sich selbst verlangen und kämpft gegen alles, was ihn ermüden könnte, so daß die Kräfte wachsen und er mehr arbeiten kann als alle anderen. Das zeigt das Beispiel von Wilma Rudolph.

Der Kampf darf nur nicht verbissen werden und die Lebensfreude nehmen. Da stellten einige Jugendliche fest, die zu einer Veranstaltung der Alkoholgegner waren und dort das Versprechen abgegeben hatten, einmal sechs Wochen auf jeden Alkohol zu verzichten. Der Leiter hatte sie eine Karte zu ihrer Selbstverpflichtung ausfüllen lassen, nach der sie ihm schreiben sollten, wenn sie ihr Versprechen gebrochen haben. Jetzt saßen sie im Jugendclub bei alkoholfreien Getränken und stöhnten: „Wir hätten gar nicht gedacht, daß das so schwer ist, jetzt wird uns erst einmal bewußt, daß es da ein Problem gibt!“

Auch das Christentum - den christlichen Glauben - kann man trainieren. Dazu werden auch viele Hilfen gegeben, man muß sie nur annehmen und für sich selber ausprobieren. Jeder Mensch fängt nicht ganz von vorne an, sondern erhält eine Ausbildung, bis er einigermaßen auf eigenen Beinen stehen kann. Aber im Grunde lernt man nie aus, das ganze Leben über bleibt man ein Lernender.

In vielen Orten gibt es christliche Kindergärten. Wenn diese überhaupt einen Sinn für die Kirche haben sollen, dann kann es nur der sein, daß hier erste Grundlagen einer christlichen Erziehung gelegt werden. Hier wird vor dem Essen gebetet, hier werden einfache Geschichten aus der Bibel erzählt. Mancher wird sein Kind nur deshalb dorthin schicken, weil der Kindergarten gleich um die Ecke ist. Aber es ist doch erfreulich, wenn ein Kind im Osternachtgottesdienst sagt: „Die Geschichte von der Auferstehung kenne ich schon aus dem Kindergarten!“ Wenn schon die Eltern in diesem Punkt versagen, dann kann doch die Kirche aushelfen, auch mit einem Kindergarten.

Für Erwachsene gibt es in vielen Gemeinden sogenannte Glaubenskurse. Da kann man auch hingehen, wenn man sich nur informieren will, ohne daß es gleich verbindlich sein muß. Aber Information ist der erste Schritt zum Glauben. Der Staat Israel verlangt von seinen Schülern, daß sie alle am Religionsunterricht teilnehmen. Sie sollen die Tradition ihres Volkes kennenlernen, auch wenn sie nicht gläubig sind. Die lesen dann nicht nur Goethe und Schiller, sondern erst einmal das Alte Testament. Das wäre sicher auch bei uns gut, denn es wird viel von „christlich-abendländischen Werten“ geredet, aber keiner weiß so recht, was darunter zu verstehen ist. Man muß aber die biblischen Geschichten kennen, wenn man die Werke der Künstler alter und neuer Zeit verstehen will.

Einmünden kann das dann auch in der aktiven Teilnahme am kirchlichen Leben. Ein hervorragendes Training in christlichem Leben ist der Gottesdienst. Angeblich kann man auch Christ sein ohne die Gemeinde. Aber das ist ein Trugschluß: Wer nicht trainiert, der erlahmt, der wird nie der Sieger sein. Nur darf das alles nicht eine harte Last sei, die man mit bitterernster Miene hinter sich bringt, sondern hier findet man Freude am Leben und eine Aussicht auf eine fröhliche Zukunft.

 

2. Christliche Freiheit hat ein hohes Ziel:

Freiheit will trainiert sein mit dem Blick auf das hohe Ziel. Eine Goldmedaille oder ein Siegeskranz ist zwar auch etwas Schönes, aber es ist noch nicht das Höchste. Ein Christ strebt nach dem unvergänglichen Kranz, den nur Gott verleihen kann. Er ruft uns an und will uns in seine Gemeinschaft ziehen.

Wir dürfen dazu gehören und werden gleich auch wieder in Dienst genommen. Das Verhältnis wird ja vor allem dadurch gefestigt, daß man das Gehörte gleich wieder anwendet. Durch das Tun kommt man erst so richtig dahinter, was eigentlich gemeint ist. Doch unser Verhältnis zu Gott wird nicht durch das Training errungen, sondern es findet darin nur seine Bewährung

 

 

1. Kor 10,16-17 (Gründonnerstag):

Bei der Kirmes geht die Kirmeskapelle im Dorf herum und bringt den wichtigen Leuten ein Ständchen. Sie kommen natürlich auch zum Pfarrer und reichen ihm zur Begrüßung ein Schnapsglas mit den Worten: „Trinken Sie nur, wir haben alle die gleiche Krankheit!“ Da muß er halt trinken, auch wenn das halbe Dorf schon aus diesem Glas getrunken hat. Manchen Leuten ist das unangenehm. An sich macht man so etwas nur in der Familie, und auch da nicht unbedingt.

In der Kirche beim Abendmahl wird traditionellerweise auch nur aus einem Kelch getrunken, weil man ja auch so etwas wie eine Familie ist. Aber man kann natürlich auch aus Einzel-kelchen trinken, denn das Trinken ist auch dann gemeinsam, wenn jeder seinen einzelnen Kelch hat. Aber das Trinken bedeutet schon, daß man damit Bruderschaft schließt, mit den anderen Teilnehmern am Abendmahl, aber erst recht mit Jesus Christus.

Bedenken wir zuerst einmal die Verbundenheit mit Christus. Im Abendmahl gibt uns Christus einen Anteil an sich selbst. Es ist damit etwas anderes als das „Brotbrechen“ bei den Juden, das nur die Mahlzeit feierlich eröffnete und ein Dank war dafür, daß man etwas zu essen hatte.

 In der Kirche aber geht es um die Segnung des Brotes und Weins. Diese werden durch die Danksagung geheiligt. Das heißt: Sie werden aus dem Alltäglichen entnommen und von Gott entgegengenommen als Teilhabe am Blut Christi. Brot und Wein bewirken die Verbundenheit mit Christus, er gibt sich selbst in seinem Mahl.

Nun wird zwar gesagt: „Das tut zu meinem Gedächtnis!“ Aber damit ist nicht gemeint, daß man nur an den Jesus denkt, der in seinen Erdentagen mit seinen Jüngern zusammen war. Man ruft sich nicht nur etwas ins Gedächtnis zurück, was einmal gewesen ist, sondern es geht um das Gegenwärtigwerden dessen, was Christus geredet, getan und gelitten hat. Es geht um die heutige Begegnung mit dem Auferstandenen. So haben wir es im Abendmahl mit dem gegenwärtigen Christus zu tun, nicht mit einem vergangenen.

Christus gibt uns Anteil an sich selbst. Er gibt nicht „etwas“, sondern er gibt „sich“ als Person. Man kann die Gabe des Sakraments nicht ins „Geistige“ verlegen. Anteil ist mehr als geistiger Kontakt. Vielmehr geht es darum, daß er uns in sich hineinzieht, in seinen himmlischen Leib.

Alles, was Christus gibt und bewirkt, hängt ja an seiner Person und ist von ihr nicht abzulösen. Unsere Beziehung zu Gott haben wir nur durch ihn. Aber das nicht so, daß er sich wieder zurückziehen könnte, wenn er die Hindernisse weggeräumt hat, die uns den Weg zu Gott versperren.

Wir haben unsere Beziehung nur „in ihm“, und zwar als ständige Beziehung, die uns zum Beispiel auch durch das Abendmahl vermittelt wird. Es ist nicht nur eine symbolische Beziehung. Das ist wie bei einer Weinflasche: Da kommt es nicht auf das Etikett an, sondern auf den Inhalt. Das Etikett weist zwar auf den wertvollen Inhalt hin, aber es ist nicht der Inhalt selbst, den könnte man auch ohne das Etikett haben. Das Wort „Gemeinschaft“ bezeichnet deshalb nur unzureichend, was zwischen ihm und uns ist. Es geht nicht nur um einen geistigen Kontakt oder eine rein menschliche Gemeinschaft, sondern um die Anteilhabe an seinem Leib.

Dazu gehört auch die körperliche Gemeinschaft: Haben zwei Menschen einander lieb und es faßt eine Hand die andere, dann ist dieses Zugreifen und der Händedruck nicht ein bloßes Hilfsmittel der Sprache, sondern da vollzieht sich ein Stück Gemeinschaft. Heute meint man ja, durch SMS und soziale Medien wie Facebook seine Freunde finden zu können und Kontakt halten zu können. Manchmal sitzen zwei Menschen nebeneinander und kommunizieren nur über das Telefon. Christus aber ist uns im Mahl so nahe, daß wir ihn greifen und in uns aufnehmen können. Er ist uns nicht weniger nah als seinen Jüngern, vielleicht in gewisser Hinsicht sogar noch näher.

Weil aber viele mit Christus verbunden sind, sind sie auch untereinander verbunden. Die Verknüpfung von Abendmahl und Kirchengedanken ist das Neue, das Paulus in das Sakramentsverständnis einführt: Daß die „Vielen“ zu einem Leib zusammengeschlossen sind, das ist seine Formulierung.

Der „Leib Christi“ begegnet uns im Neuen Testament in dreierlei Form: Einmal ist unstrittig, daß auch der auferstandene Christus einen Leib gehabt hat. Sodann ist vom Leib Christi im Zusammenhang mit dem Abendmahl die Rede, weil die Teilnehmer zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen werden. Und schließlich spricht Paulus von der Kirche als dem Leib Christi. Aber alles ist miteinander verbunden und voneinander abhängig: Der Anteil am Leib Christi, der uns im Abendmahl gegeben wird, macht uns zur Kirche als dem Christusleib, denn dadurch haben wir alle denselben Christus in uns.

Die Einheit der Kirche ist nicht das Ergebnis eines Zusammenschlusses freier Menschen, sondern das Merkmal des Christus. Eins sind wir als Gemeinde nicht deshalb, weil wir uns gefunden haben und miteinander Verbindung aufgenommen haben, nicht weil wir uns gegenseitig schätzen und lieben gelernt haben. Die Zusammengehörigkeit ist nicht bedingt durch die persönliche Bekanntschaft oder durch die Fähigkeit, aufeinander einzugehen und miteinander zu denken.

Unsere Einheit ist nicht das Ergebnis unseres Aufeinander-Zugehens, sondern die Wirkung des Eingehens Christi in uns. Die Einheit muß nicht erst hergestellt werden, sie ist in Christus vorgegeben.

Die Verbindung mit Christus schließt andere Bindungen aus. Das beantwortet auch die Frage, ob Christen das Fleisch essen dürfen, das von der Götzenopferschlachtung stammt. Man könnte ja sagen: Fleisch ist Fleisch, das berührt meinen Glauben nicht. Im Alltag muß man ja mit Nichtchristen zusammenleben, man kann sich nicht von allen abschotten. Aber als Christ hat man sich zum Beispiel von Geisterbeschwörungen fernzuhalten und kann nicht sagen: Das ist doch alles nur Spaß, da glaube ich doch nicht dran! Auch vor dem Nur-einmal-probieren kann nur gewarnt werden. Das ist wie beim Rauschgift, wo schon ein erstmaliger Gebrauch zur Abhängigkeit führen kann - deshalb probiert man es gar nicht erst aus.

Als Christ hält man sich von heidnischen Praktiken nicht deshalb fern, weil diese Gott gefährlich werden könnten, sondern weil sie eine Tendenz gegen Gott haben. Man darf das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Wenn Christus sich uns im Sakrament ganz gibt, so will er uns auch ganz. Wer richtig liebt, der liebt ungeteilt.

Aber dabei geht es nicht um die Übernahme harter Pflichten, sondern um die große Einladung. In der Kirche des Diakonissenmutterhauses in Dresden ist an der Wand hinter dem Altar das Abendmahl dargestellt. Christus reicht den Kelch den um den Tisch versammelten Jüngern. Der Tisch aber ist nach unten - zur Gemeinde hin - offen. Dadurch wird jeder eingeladen. Bei Christus gibt es keine geschlossene Gesellschaft. Der Tisch des Herrn ist für alle offen, auch für jeden von uns: Wenn wir an den Altar in der Kirche treten, dann nehmen wir teil am Abendmahl Christi mit seinen Jüngern.

 

 

1. Kor 12, 4 - 11 (Pfingsten II):

In einer Gemeinde stöhnen die Leute: „Unser Pfarrer will alles allein machen. Er läßt keinen ran, obwohl wir doch bereit wären, unsere Verantwortung für die Gemeinde wahrzunehmen!“ Aber der gemeinte Pfarrer stöhnt nun umgedreht: „Alles muß ich allein machen. Keiner erklärt sich bereit, auch einmal mitzutun. Ich würde mich so über Mitarbeiter freuen, aber es finden sich keiner!“ Woran liegt es wohl, daß man so aneinander vorbeiredet und vorbei handelt?

Fest steht doch: Es gibt eine ganze Reihe von verschiedenartigen Gaben in der Gemeinde. Wir brauchen einen, der theologisches Wissen hat und auch entsprechend denken kann. Wir brauchen einen, der die Kinder im Glauben unterrichtet. Aber nötig ist auch einer, der musikalische, dichterische und künstlerische Gaben hat. Dann werden Seelsorger und Organisatoren gesucht. Man freut sich darüber, wenn einer die Gabe des zündenden Wortes hat. Heute sucht man aber auch Leute, die Gruppen fördern können und in die Öffentlichkeit hineinwirken können. Und schließlich braucht man auch Leute mit handwerklichen Fähigkeiten, die die Bauten erhalten und sauber halten, die das Geld verwalten und Briefe schreiben.

Man kann dabei unterscheiden zwischen den Verkündigungsaufgaben und den Wirtschaftsaufgaben. Aber wie will der Pfarrer unterrichten, wenn der Raum nicht geheizt ist? Wie will man einen Kindergarten oder ein Rüstzeitenheim betreiben, wenn niemand das Essen kocht? Wie will eine Krankenschwester ihrem Dienst nachkommen, wenn sie kein Verbandszeug hat? Es sind viele, die in einer Kirchengemeinde mitarbeiten, und alle sind sie letztlich gleich wichtig.

Wir dürfen immer wieder nur dankbar sein, wenn sich genügend Mitarbeiter in der Gemeinde finden. Es gehört mit zu den erfreulichsten Erlebnissen eines Pfarrers, wenn er ein Gemeindeglied um Mitarbeit bittet und sofort eine Zusage erhält. Und dabei spielt es keine Rolle, ob jemand für den Kindergottesdienst oder für die Reinigung gebraucht wird, wichtig sind beide Aufgaben.

Im Blickfeld der Gottesdienstbesucher liegt das Herumreichen des Klingelbeutels. Aber zu den Aufgaben gehört aber auch das Herrichten des Altars, die Mitwirkung beim Abendmahl oder das Gebet mit dem Pfarrer vor dem Gottesdienst. Das sind alles geistliche Ämter in der Gemeinde und nicht nur eine Hilfsfunktion. Je mehr Leute auch an den zentralen Aufgaben der Kirche beteiligt sind, desto besser ist es.

Wer meint, er gehöre nicht zu den Trägern der Geistesgaben Gottes, der muß umlernen: An Pfingsten hat Gott seiner Gemeinde den Heiligen Geist gegeben. Wohlgemerkt: der ganzen Gemeinde und nicht nur einzelnen Amtsträgern. Nur Manchen mag dieser Geist unanschaulich sein. An Weihnachten kommt wenigstens das Christkind und an Ostern der Osterhase. Aber an Pfingsten kommt halt nur der Heilige Geist.

Doch man kann ihn an seinen Auswirkungen erkennen. Man muß nur wissen, daß die Gaben des Geistes sehr verschieden sind. Keiner hat den Geist Gottes ungeteilt, keiner hat ihn ganz allein. Keiner soll alles für alle tun. Aber es sollte sich auch keiner höher einstufen, als ihm zukommt. Wenn einer ein Star in der Kirche sein will, dann zerstört er sie.

Das war aber die Gefahr, die in Korinth aufgetaucht war. Manche Gemeindeglieder waren von der angeblichen Machterweisungen Gottes so hingerissen, daß sie darüber alles andere vergaßen. Sie sagten: „Das wissen wir doch, daß jedem der Heilige Geist gegeben ist! Er spricht doch aus uns heraus, wenn wir in anderen Zungen reden und Weissagung üben!“ Sie waren damit nicht vornehm zurückhaltend, sondern wollten sich mit ihren Gaben gegenseitig übertrumpfen und ausstechen. Ihre Talente wollten sie nicht zum Nutzen aller, sondern nur zum eigenen Ruhm einsetzen.

Zungenreden war eine Erscheinung der damaligen Zeit. So etwas gab es auch im Heidentum. Dabei sprach ein Mensch plötzlich in schneller Folge unverständliche Worte aus und behauptete hinterher, jetzt habe ein Gott zu ihm gesprochen. Auch in der christlichen Gemeinde in Korinth und anderswo traten solche Erscheinungen auf, und die Betreffenden sagten dann: „Jetzt hat der Geist Gottes zu mir und durch mich gesprochen und hat mir Dinge offenbart, die über das allgemeine Maß hinausgehen. Jetzt müßt ihr auf mich hören, meine Botschaft ist wichtiger als die Bibel, denn ich sage euch, was Gott heute vor euch will!“

Anstatt erst einmal alles zu prüfen und vielleicht zunächst einmal für sich zu behalten, leitete man einen Machtanspruch aus diesen angeblichen Erfahrungen ab. Aber wenn man sosehr seine eigene Person in den Mittelpunkt stellen will, tritt eine Verarmung und Verkümmerung ein. Keiner darf einen anderen zu einem Geschöpf nach seinem Bilde machen. Wir brauchen einander gerade in unserer Verschiedenheit. Einer braucht einfach der anderen: Wenn einer versagt, kann der andere ihn stützen, und durchtragen. Es hat nicht jeder alles; aber was wir gemeinsam haben, soll uns auch gemeinsam gehören. Nur so wird die Gemeinde aufgebaut und erhalten.

Doch bedecken wir auch, daß nicht Menschen die Gemeinde erhalten. Es geht gar nicht um den Fortbestand der Organisation „Kirche“, sondern um den Dienst der Kirche an den Menschen. In diesem Dienst will der Herr selbst seinen Menschenbrüdern dienen, will er seinen Dienst von damals fortsetzen. Er kann ja nicht mehr persönlich an den Menschen wirken. Deshalb gibt er der Gemeinde seinen Geist, damit sie fähig wird, im Sinne Jesu in der Welt zu wirken.

Die Kirche muß sich deshalb immer wieder fragen, ob sie überhaupt zu diesem Dienst noch fähig ist. Doch hilfreich ist dabei nur, was der ganzen Gemeinde und auch der Welt dient. Das muß man auch heute wieder den en sagen, die angeblich solche Erfahrungen machen wie

die Christen in der Frühzeit des Christentums, die zum Beispiel auch das Zungenreden probieren.

Vor allem müssen sie sich fragen, ob ihre Geisteserfahrungen noch auf Christus bezogen sind. Wenn dadurch die Christusoffenbarung übergangen oder überboten werden soll, ist es gefährlich. Keiner kann sich ohne Christus eine Direktverbindung zum Himmel suchen. So wie man ein modernes Bild oder ein Musikstück erst deuten muß, um das Gemeinte zu erfassen, so brau­chen wir auch Christus und die Bibel, um die Geisteserfahrungen einordnen zu können. Keiner sollte vergessen, daß niemand zum Vater kommt außer durch Christus.

Andererseits sollen die verliehenen Gaben dem Nutzen aller dienen. Gott gibt seinen Geist nicht, damit man sich seines inneren Reichtums erfreuen kann und vor anderen Menschen aufspielen kann, sondern damit man damit anderen Menschen dient. So können wir uns heute fragen: „Wie hat sich der gestrige Gottesdienst inzwischen in den Dienst an Menschen umgesetzt? Was habe ich weitergegeben und anderen zugutekommen lassen? Was habe ich mit meinen gesunden Händen gemacht?“

Aber wir stehen wohl kaum in der Gefahr der Korinther. Bei uns wird wohl kaum einer den anderen mit Geistesgaben übertrumpfen wollen. Wir sprechen nur verhalten und andeutungsweise vom Heiligen Geist - wenn überhaupt. Oft richten wir viel zu schnell und viel

zu ängstlich ein Stoppschild auf und wollen dem Geist Gottes Fesseln anlegen. Noch das ist nicht unsre Aufgabe: Gott ordnet und leitet die Gemeinde. Da können wir ruhig seinen Geist unbefangen und ungefangen wehen lassen, wo er will.

Wir können uns nur gegenseitig Mut machenden Dienst zu finden, der der von Gott verliehenen Gabe gemäß ist. Dabei kann man oft die Erfahrung machen: Unser Vermögen wächst, je mehr wir davon ausgeben. Deshalb kann jeder ruhig von seinen Gaben ausgeben, so schnell wird er damit noch nicht am Ende sein. Und er wird auch immer mehr erkennen, wo seine Hilfe nötig ist. Der Blick dafür ist eine der wirkungsvollsten Gaben des Heiligen Geistes.

 

 

1. Kor 12, 12 - 14 und 26 -27 (21. Sonntag nach Trinitatis):

Eine christliche Gemeinde bei uns gleicht oft einem Eisenbahnzug, bei dem eine starke Lokomotive die angekoppelten Waggons über die vorgeschriebene Strecke zieht. Es gibt bei dieser Fahrt keine Überraschungen, alles ist wohlgeordnet, die Weichen sind gestellt. Nur wenn die Lokomotive - sprich der Pfarrer - ausfällt, bleiben die Wagen stehen.

Es ist nicht ganz stehengeblieben, als der Pfarrer vier Monate auf einer Weiterbildung war. Aber was nicht ein Hauptamtlicher übernommen hat, das blieb liegen oder der etatmäßige Pfarrer hatte es trotz Beurlaubung zu machen.

Nicht jede Gemeinde ist in der glücklichen Lage, daß sie einen oder mehrere Pfarrer hat. Es gibt aber auch Gemeinden - und das ist die Regel - da hat ein Pfarrer vielleicht fünf Dörfer oder mehr zu betreuen. Natürlich kann er nicht in jedem Ort am Sonntag einen Gottesdienst halten. Aber die Gemeindeglieder denken dann: Bei uns ist heute nichts! Aber die ein oder zwei Kilometer ins Nachbardorf gehen sie auch nicht! Man könnte natürlich versuchen, Lektoren zu gewinnen, die sozusagen den Gottesdienst des Pfarrers vervielfältigen. Aber die Gemeinden nehmen das oft nicht an, sehen es nicht als einen vollwertigen Gottesdienst an, wenn er von drei Sechzehnjährigen gehalten wird.

Ganz anders ist das Bild, das Paulus von einer christlichen Gemeinde entwirft. Nicht ein Eisenbahnzug, sondern ein Leib mit vielen Gliedern, bei dem eins auf das andere angewiesen ist und jedes Teil seine Aufgabe erfüllt, ein Leib, der nur dann gesund ist, wenn die Glieder in ihrer Verschiedenheit aktiv sind. Durch die Taufe sind wir in diesen Leib eingefügt worden, durch das Abendmahl werden wir darin erhalten. Wir haben uns nicht zusammengeschlossen, um miteinander tätig zu werden, sondern wir sind in ein Vorhandenes eingegliedert worden, in eine Ortsgemeinde und damit in die ganze weltweite Kirche.

Die Kirche ist nicht nur mit einem Leib zu vergleichen, sie ähnelt nicht nur einem Leib, sondern sie i s t ein Leib, nämlich der Leib Christi. Auch eine massive Glaskugel ist ein Ganzes. Aber ein Organismus zeichnet sich durch das Zusammenspiel der verschiedenen Elemente aus.

Einheit bedeutet allerdings nicht Einheitlichkeit: Wir sind nicht ein Maschine, die immer gleiche Schrauben herstellt, sondern wir sind eher wie ein Baum, der verschiedene Blätter hat, die aber zusammen guten Schatten spenden. Aber schon in Korinth ist diese Einheit umstritten und gefährdet gewesen. Und dabei ging es nicht nur um Meinungsverschiedenheiten, sondern das Zusammenspiel war durch die Spaltungen ernsthaft gefährdet.

Auch bei uns gibt es Gemeinden, die aus lauter Einzelpersonen bestehen, die nicht im Dienst ihres Herrn zusammenarbeiten. Da kommt man sich vor wie im Kino, wo vorne auf der Leinwand alles passiert und wo jeder hinkommt mit dem Gedanken: Mal sehen, was uns heute geboten wird! Und wenn die Freizeitbeschäftigung dann vorüber ist, gehen wir wieder auseinander und kennen uns nicht mehr, die Sonntagswelt bleibt zurück, wenn der Alltag wieder sein Recht fordert.

Häufig ist es in unseren Gemeinden wie in einer Ehe kurz vor der Scheidung: Man kennt sich schon lange, aber man erträgt die Andersartigkeit des anderen nicht mehr, obwohl man sie ursprünglich als Beglückung empfunden hat. Man lebt auf Abstand, obwohl man doch eigentlich zusammengehört. Man ist beieinander und hat sich doch getrennt. Gerade weil wir den anderen so gut kennen, lassen wir oft die Beziehungen einfrieren. Dadurch aber entstehen Trennungen. Aber wenn wir ein Glied vom Körper abtrennen, amputieren wir uns selber, der Körper wird zum Krüppel. Und das alles lautlos, kaum bemerkbar, über Jahre hinweg.

Nicht daß wir den anderen hassen oder bekämpfen. Aber wir lassen vielleicht eine Lücke zu dem anderen, wir überhören seine Bitte, wir geben das Gerücht über ihn            weiter. Daß wir viel häufiger übereinander reden als miteinander, das zerbricht die Gemeinschaft. Wir bekennen uns zwar zur „Gemeinschaft der Heiligen“, aber das bleibt dann doch ein leeres Wort. Sehr schnell schieben wir andere ab und schließen sie aus, ohne zu bedenken, daß wir dadurch selber ärmer werden.

Auch bei den großen Kirchenkonferenzen ist das nicht anders. Da findet gewissermaßen eine Heerschau statt, da stellen sich Führerpersönlichkeiten heraus, da blitzen viele Geistesgaben auf, da werden kluge Vorträge gehalten. Aber dann wird zum Gottesdienst eingeladen - und alle laufen sie auseinander: Die Lutheraner für sich, die Reformierten und auch die Unierten, die an sich zwischen beiden vermitteln wollten, von den orthodoxen und den katholischen Christen gar nicht erst zu reden. Besonders beim Abendmahl geht es auseinander, das doch eigentlich ein Gemeinschaftsmahl ist.

Eine Frau hat einmal den katholischen Pfarrer gefragt - ihren Kollegen an der Schule - was er denn machen würde, wenn sie bei ihm zur Kommunion kommen würde. Er hat ganz klar gesagt, er würde sie zurückweisen, weil er sie ja kennt, nur bei Fremden könne er nicht wissen, ob sie berechtigt sind.

Andere Gemeinden können froh sein, daß sie viele dieser innerchristlichen Gegensätze überwunden haben. Da gab ja auch einmal am Ort zwei protestantische Kirchen und Gemeinden. Aber dann haben sich die reformierten und lutherischen Gemeinden zu unierten Gemeinden zusammengeschlossen und nennen sich heute schlicht „evangelisch“, ohne jeden Zusatz, und das ist auch gut so.

Es gibt aber auch bei uns Gemeinden, die durch ihren Frömmigkeitsstil, ihre Lebenspraxis, ihr Gemeindeziel bis zum Zerreißen in Spannung versetzt sind. Natürlich geht es schon um die Wahrheit. Wir können nicht alles dulden und gelten lassen. Da gibt es zum Beispiel die charismatische Kirche, in der man Teufelsaustreibungen und Krankenheilungen macht. Die Menschen geraten dort aber unter einen ungeheuren Druck, denn wenn ihre Krankheit nicht weggeht, dann heißt es: „Du hast nur nicht genug geglaubt!“ Von so etwas müssen wir uns schon abgrenzen.

Aber deshalb dürfen wir uns noch nicht als die alleinseligmachende Kirche bezeichnen. Es gibt viele Kirchen, von denen wir etwas lernen können. Gewiß, sie sind vielleicht klein und auf die Hilfe der anderen angewiesen, sie haben keine glanzvollen Theologen, sie sind arm und haben keine großen Kathedralen, sie können keine Liebesarbeit leisten. Auch sie können etwas beitragen zum Gesamten der Kirche.

Paulus tritt hier in besonderer Weise für die Schwachen ein: Sie müssen einen besonderen Schutz und besondere Ehre genießen. Es gibt keine besonders qualifizierte Christen, keine Hochstehenden, keine die sich selber als Wiedergeborene sehen dürfen.

Spaltungen entstehen oft daraus, daß wir das Anderssein eines Anderen als gefährlich ansehen. Er soll sich möglichst nicht von uns unterscheiden, weil das bei uns Unsicherheit und Angst erzeugt. Dabei geht es miteinander doch besser, weil man sich gegenseitig ergänzen kann. Wir sind alle aufeinander angewiesen, weil keiner das Ganze hat, sondern immer nur die eine oder andere Gabe. Diese Gabe darf man aber nicht brach liegenlassen, die anderen brauchen sie. Ich habe vielleicht nur eine kleine Erkenntnis und nur eine kleine Kraft. Die Kirche als Ganzes aber hat große Erkenntnis und große Kraft, wenn ich nur meinen Teil dazu beigetragen habe.

Jeder Teil des Körpers ist wichtig, abgesehen vielleicht vom Blinddarm und den Weisheitszähnen. Keiner darf sich mutwillig vom Ganzen trennen. Nicht gebrauchte Muskeln erschlaffen, nicht bewegte Gelenke versteifen, Gaben, die nicht eingesetzt werden, verkümmern und gehen verloren. Wer aber anderen zum Glauben verhilft, wird seines eigenen Glaubens gewisser. Wer andere tröstet, wird selbst getrösteter. Die Fähigkeit zum Helfen wächst, indem man hilft. Lernen kann man nur, indem man es tut.

Vor Gott zählt jeder Dienst gleichermaßen. Das gibt es Menschen, die hören nicht nur aus Höflichkeit zu, wenn andere reden. Sie hören das auch, was zwischen den Zeilen steht. Ihre Antwort hat heilende Kraft. Sie haben Zeit für andere. Sie schlagen vor, was jetzt zu tun wäre und packen es an. Geringe Gaben gibt es überhaupt nicht, das Kleine sieht Gott als das Große an.

Eine alte Frau sagte einmal: „Wenn ich nachts nicht einschlafen kann, dann gehe ich im Gebet alle Häuser im Dorf durch und bete für die Menschen!“ Das ist doch großartig, das ist etwas, das jeder von uns tun kann. Die gegenseitige Abhängigkeit ist etwas Beglückendes: Ich brauche dich - du brauchst mich, und wir beide brauchen Gott, das führt uns zusammen. Bloße Konsumenten erleben das nicht! Wird mein Gebetsleben schwach, wird dies auch auf andere wirken. Werde ich durch mein Leiden an Gott irre, bricht mein Nachbar vielleicht auch ein. Umgedreht: Werde ich mit einer Versuchung fertig, wird es auch mein Nebenmann leichter haben. Gelingt es mir, mein Leiden in Zuversicht aus Gottes Hand zu nehmen, wird es auch dem anderen leichter. Aber das heißt auch: Ich bin nicht allein. Die anderen stellen sich an meine Seite, und vor allem steht Gott an meiner Seite.

 

 

1. Kor 13 (Estomihi):

Der Kaiser Friedrich II. hat einmal ein unmenschliches Experiment gemacht. Er wollte ausprobieren, was geschieht, wenn man nicht mit kleinen Kindern spricht und welche Sprache sich von selbst bei ihnen entwickelt. Er ließ neugeborene Kinder aufs Beste von Frauen betreuen: Sie erhielten das beste Essen, kamen in schöne Betten und wurden vorbildlich sauber gehalten. Aber die Pflegerinnen durften nicht mit den Kindern sprechen.

Äußerlich gesehen wurde also alles für die Kinder getan. Aber doch fehlte ihnen etwas Entscheidendes zum Leben: die liebende Zuwendung der Eltern bzw. eines anderen Erwachsenen. Die Kinder sind mit der Zeit alle gestorben. Man hat ihnen alles geboten. Aber es fehlte die Liebe. Deshalb war kein Leben möglich.

Entsprechende Feststellungen können wir ja auch heute noch in den Kinderkrippen und noch mehr in den Kinderheimen machen. Viele Kinder verkümmern da richtig, entwickeln sich nicht so schnell wie andere Kinder und bleiben auch in der geistigen Entwicklung zurück. Gewiß tun die Pflegerinnen und Erzieherinnen dort ihr Bestes. Aber wer für 10 oder 15 Kinder zuständig ist, kann sich nicht um jedes so kümmern wie eine Mutter oder auch wie die älteren Geschwister oder sonstige Verwandte.

Die Kinderkrippe ist ein Notbehelf für Alleinerziehende. Auch für manche Kinder aus bildungsfernen Familien wäre eine Krippe vielleicht besser als die häusliche Betreuung. Aber für das Knüpfen sozialer Kontakte genügt auch der Kindergarten. Leider ist es aber so, daß auch viele Mütter ihre Kinder in die Kinderkrippe geben müssen, obwohl sie lieber mit dem Kind allein bleiben möchten. Aber entweder braucht die Familie das Geld oder die Mutter hat - trotz aller gesetzlichen Sicherungen - Angst um ihr Arbeitsstelle. Aber im Grund ist nichts besser als die Erziehung durch die Eltern, die Liebe der Mutter kann niemand ersetzen.

 

(1.) Die Liebe allein zählt: Die Liebe zueinander ist also eine wichtige Voraussetzung für unser menschliches Leben. Das können wir auch sonst auf Schritt und Tritt feststellen. Viele junge Mädchen drängen heute in pflegerische Berufe, Krankenschwester oder Säuglingsschwester. Daß dazu aber auch sehr unangenehme Aufgaben gehören, sehen die meisten zunächst nicht. Und dann bleibt die Arbeit entweder liegen oder sie wird nur unter Murren getan. Hier zeigt sich, ob man den Beruf tatsächlich aus Liebe zum Menschen ergriffen hat oder nur, um eine Beschäftigung zu haben oder um Geld zu verdienen.

Es kann nämlich sein, daß man ein sehr menschliches oder auch sehr christliches Werk tut und dennoch die wahre Liebe fehlt. Man kann ein Muster vor praktischem Christentum darstellen - aber wenn Gott die Herzen prüft, dann ist der gesegnete Wohltäter und treue Bekenner doch ein Mensch ohne Liebe gewesen.

Davon spricht Paulus im ersten Abschnitt dieses berühmten Kapitels, das man auch das „Hohelied der Liebe“ genannt hat. Er hat allerdings mehr die Korinther im Auge, die von ihren hohen geistlichen Erkenntnissen reden - „Erkenntnis“ war ihr Lieblingswort - aber es an der Liebe zu dem Mitmenschen fehlen lassen. Sie lächeln über die Predigt des Paulus vom gekreuzigten Jesus und sagen: „Wir erst haben die höchste Stufe des Glaubens erreicht, wir allein haben den Geist Gottes in uns!“

Dadurch aber wird die Gemeinde auf viele Einzelne aufgesplittert und dadurch wiederum die Liebe zum Bruder vergessen. Paulus würde uns sicherlich auch schockieren, wenn er deutlich macht, daß all unser ehrliches Bemühen noch keine echte christliche Liebe ist. Da hält einer eine Predigt wie mit Engelzungen, einer gibt seinen ganzen Privatbesitz der Gesellschaft und einer nimmt für seinen Glauben sogar Nachteile in Kauf und würde sogar sein Leben dafür geben. Aber das ist alles nichts, hören wir von Paulus.

Oft werden Gottesdienste reich ausgestaltet, es gibt eine faszinierende Kirchenmusik und christliche Kunst. Aber die Frage dabei ist immer: Geht es da nicht um die Selbstbestätigung des Einzelnen oder geht es um die Liebe, die dem anderen aufhilft?

Doch wir fragen vielleicht: „Ist damit nicht all unser Streben nach einem guten christlichen Leben sinnlos? Ist denn alles vergeblich, was einer an Gutem tut? Dann kann man es ja auch gleich seinlassen!“ So dürfen wir Paulus nicht mißverstehen. Er sagt nur: „Alles christliche Tun nützt nichts, wenn es nicht mit Liebe verbunden ist und aus Liebe geschieht. Wenn einer sich damit nur Ansehen bei den Menschen und eine Belohnung durch Gott verdienen will, dann nützt ihm das überhaupt nichts!“

Es könnte ja einer herkommen und sagen: „Ich trete in den Dienst der Kirche, dann habe ich wenigstens den Himmel sicher!“ Oder auch: „Wenn ich der Kirche viel Geld stifte, dann wird das bei Gott schon einen gewissen Eindruck machen!“ Diese Stützen schlägt uns Paulus weg mit den Worten: „….und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze!“

Man kann es auch anders erleben: Da kommt ein Mann mit einem großen Geldbetrag zum Pfarrer. Er sagte: „Ich bin das ganze Jahr über gesund gewesen und habe trotz meines Alters noch viel Geld verdienen können. Deshalb möchte ich davon abgeben!“ Wir können uns nicht Gott zum Dank verpflichten. Aber wenn bei uns die Dankbarkeit der Ausgangspunkt ist, dann wird es schon richtig sein, dann wird auch Liebe mit dabei sein. Aber zu dieser Sicht muß man erst einmal kommen.

Vielleicht können wir einmal mit einem Bild deutlich machen, wie Paulus die christliche Liebe hier beschreibt. Sie läßt sich vergleichen mit einem Fluß. Zunächst bahnt er sich im Gebirge seinen Weg durch die Felsen und über Abgründe hinweg. Er muß noch Gewalt anwenden, um voranzukommen. So muß auch erst einmal die Liebe unsere vermeintliche Christlichkeit wegräumen. Alles, was ohne Liebe geschieht, wird als unnütz abgetan. Schließlich aber ist die Ebene erreicht und der Fluß kann in einem breiten Bett sanft dahin strömen.

So kann auch Paulus, nachdem er zunächst ein falsches Verständnis der Liebe abgebaut hat, nun das wahre Wesen' der Liebe beschreiben. Allerdings macht er das so, indem er sagt, was die Liebe nicht tut. Oder aber er macht deutlich: Liebe wird nicht durch große Aktivität verwirklicht, sondern im Dulden und Verständnis

 

(2.) Die Liebe allein siegt: Die Liebe kann warten, sowie ein Arzt bei einer langwierigen Krankheit seines Patienten nicht ungeduldig wird. Die Liebe zeigt keinen hektischen Eifer. Sie setzt sich nicht in Szene. Sie liebt nicht, um sich einen Ehrenplatz im Himmel zu verdienen oder um sich den Menschen gegenüber aufzuwerten.

Sicher ist es leicht, Menschen zu lieben, die uns wohltun und erheitern, die uns Gegenliebe erweisen und uns nicht enttäuschen. Aber der liebe Nächste ist meist ein schwieriger Mensch und er halt uns selbst mit gutem Grund auch für einen solchen. Wer aber von draußen zuschaut, der wundert sich, um welche Lappalien es da oft geht. Der andere müßte anders sein, fordern wir.

Wir lassen den anderen sehr bald spüren, daß wir auch Prinzipien haben. Häufig ereifern wir uns in Diskussionen, weil wir aus verletzter Eitelkeit die Sachlichkeit verdrängen. Oft spielen wir uns rücksichtslos nach vorn und lassen den anderen fühlen, wie wir ihm im Wissen und Glauben, an Erfahrungen und Können überlegen sind. Immer wieder möchten wir den anderen zum Anhänger unserer Überzeugung machen.

Paulus aber sagt: „Die Liebe läßt sich nicht erbittern!“ Sie läßt sich nicht scharf machen und zum Zorn hinreißen, auch wenn ihr der andere schrecklich auf die Nerven geht. Es mag Böses beim anderen da sein, aber es wird ihm nicht angerechnet. Wer liebt, sammelt auch nicht negative Punkte gegen den anderen und führt nicht heimlich ein Schuldkonto, das dann bei passender Gelegenheit präsentiert wird.

Im Konfliktfall registriert man scharfsichtig Vieles, was man überhaupt nicht bemerken würde, wenn nicht „dicke Luft“ herrschte. Oder aber man würde lächelnd darüber hinweggehen, wenn man es schon bemerkt hat. So aber häuft man Argumente gegen den anderen an, nicht ohne sie zur Aufwertung seiner selbst zu benutzen.

Die Liebe aber kann sich nicht freuen, wenn der Andere sich ins Unrecht setzt. Sie freut sich mit, wo das Menschsein und Christsein schön zum Leuchten kommt. Sie nimmt auch Enttäuschungen hin und verkraftet harte Erfahrungen und hält weiter durch.

Wir müssen offen sagen: „So wie hier beschrieben sind wir nicht!“ So ist auch Paulus nicht, obwohl er hier in der Ich-Form spricht. Er möchte aber, daß wir uns in dieses Ich einschließen und uns bemühen, dieses Idealbild zu verwirklichen. Er will uns weder Angst machen noch uns Unmögliches zumuten. Aber er zeichnet hier ein Bild Jesu, der diese Liebe vorgelebt ha. Man könnte den Text wie folgt umformen:

Jesus ist langmütig und freundlich, er prahlt nicht und bläht sich nicht auf.

Er achtet auf das, was sich schickt und verletzt es nicht.

Jesus sucht keinen Vorteil und wird nicht bitter durch dunkle Erfahrungen.

Er trauert über das Unrecht und freut sich über die Wahrheit.

Jesus trägt alles, er glaubt alles, er hofft alles.

Er beugt sich den Lasten und bleibt geduldig gebeugt!

Ohne den Blick auf Jesus wäre diese Verherrlichung der Liebe zu schön, um wahr zu sein. Gott braucht aber auch unsere Hände und Füße, damit er seine Liebe in der Welt verwirklichen kann. Über Liebe kann man nicht reden, man muß sie tun, ohne nun gleich damit zu prahlen. Und wenn Gott uns das Böse nicht zurechnet, dann können wir doch auch das verzeihen, was andere uns angetan haben.

 

(3.) Die Liebe allein bleibt: Zum Schluß wollen wir das Bild vom Fluß noch einmal aufnehmen, denn nun geht es um das Ziel der Liebe. Das Bild zeigt, daß die Liebe Kraft hat und immer in Bewegung ist, aber auch daß sie „nimmer aufhört“. Aber das liegt daran, daß die Kraft Gottes weiter in seiner Gemeinde wirkt, sie mit Glaube und Hoffnung erfüllt und vor allen Dingen die Liebe schenkt, die nicht aufhört.

Doch das Lob der Liebe ist kein Lob für uns, sondern ein Rühmen der Liebe Gottes. Im Glauber aber dürfen wir teilhaben an der Liebe Gottes und uns die Kraft schenken lassen zu solcher Liebe. Der Krankenbesuch eines Pfarrers kann nichts sein, wenn die Liebe dabei gefehlt hat. Aber ein ganz privater Besuch bei einem Kranken, der in Liebe geschah, wird in Ewigkeit nicht vergessen sein: der Besuch hat einmal ein Ende, aber die Liebe bleibt. So dürfen wir mit Gottes Hilfe alle die Hoffnung haben, daß unsre Liebe bis in Ewigkeit Bestand hat und Gottes Liebe uns weiter umfangen wird.

 

 

1. Kor 14, 22 – 25 (2. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn ein Neuling oder ein Ungläubiger jetzt in unseren Gottesdienst käme, dann würde er sich wohl nicht so einfach zurechtfinden. Da werden Lieder gesungen und Bibelstellen vorgelesen. Der Pfarrer spricht eine Aufforderung und die Gemeinde antwortet wie selbstverständlich, von der Orgel unterstützt. Die Eingeweihten kennen das, es ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen.

Aber ein ganz Unwissender wird nichts mit dem Kreuz auf dem Altar anzufangen wissen, auch nicht mit solchen Namen wie Paulus und Korinther. Da gibt es viele Fachausdrücke wie zum Beispiel das Wort „Agende“. Das ist das Buch, in dem die Gottesdienstordnung steht und vor allem auch die Gebete. Aber wenn man die Mehrzahl „Agenden“ verwendet, dann hört sich das fast an wie Geheimdienstagenten.

So ist das eben mit der kirchlichen Sprache. Das gilt auch für die Formulierung der Gebete in diesen Gottesdienstbüchern. Man sagt heute: An sich müßten diese Bücher alle 20 Jahre neu geschrieben werden, weil die Sprache sich so schnell ändert. Auch das Gesangbuch wird ja immer wieder überarbeitet.

Damals in Korinth war es das sogenannte „Zungenreden“, das bei Außenstehenden besondere Verwunderung auslöste. Da fing plötzlich einer an, in unverständlichen Worten vor sich hinzureden. Angeblich sprach dann Gott in diesem Augenblick aus ihm. Aber die anderen konnten es ja nicht verstehen. Doch der Betreffende steigert sich dann immer mehr in Ekstase und Verzückung hinein, die anderen lassen sich vielleicht noch davon mitreißen - aber am Ende gerät alles in Unordnung und ruft bei Fremden nur Kopfschütteln hervor.

Der Gottesdienst erscheint dann wie ein Reden in einer fremden Sprache, so daß man erst einen Dolmetscher braucht, ehe man sich hineinfinden kann. Bei einer kirchlichen Tagung

haben Journalisten händeringend darum gebeten: „Sagt es doch so, daß unsre Leser es verstehen können! Wir schreiben doch nicht nur für das Kirchenvolk, sondern auch für die draußen!“ Für die ist eine Predigt oft wie das Zungenreden in Korinth, für „normale“ Menschen einfach etwas Mysteriöses, nur den Eingeweihten verständlich.

Paulus stellt dieser Praxis des Zungenredens die Prophetie bzw. die Weissagung entgegen. Dabei meint er nicht die Vorhersage der Zukunft, sondern die klare Erkenntnis des Willens Gottes mit Welt und Kirche. Das Zungenreden stellt nur die Verbindung zwischen Gott und den geistbegabten Menschen her, es erbaut nur Denjenigen, der diese Gabe hat. Wichtiger ist aber, daß die ganze Gemeinde erbaut wird und auch die Gemeindeglieder untereinander verbunden werden. Vor allem aber soll auch die Botschaft Gottes in unsre Zeit und Welt hineingetragen werden.

Damit soll nicht gesagt werden, daß es nicht auch in der Kirche etwas Begeisterndes geben dürfte. So ein Landesjugendsonntag oder ein Kirchentag ist schon etwas Begeisterndes. Wir waren alle schon einmal von etwas ergriffen und hingerissen. Aber wir haben auch erlebt, daß andere sagten: „Wir verstehen nicht, wie man davon begeistert sein kann!“ Wer nicht auch

einmal hingerissen sein kann - ganz „weg“ sein kann - der ist arm dran. Aber es ist auch gefährlich, wenn man nicht mehr vernünftig miteinander reden kann, wenn man nicht mehr einleuchtend machen kann, worum es geht und warum gerade auf diese Weise.

In der Pfingstgeschichte wird von den Aposteln gesagt, daß sie zunächst auch in einer anderen Sprache geredet hätten, als in der eigenen. Aber dann sind Ausländer und Andersdenkende doch erstaunt darüber, daß jeder sie in seiner eigenen Sprache reden hört. Der Geist, der aus den Aposteln hervorbrach, redete also durchaus verständlich und baute eine Brücke zu den Menschen.

Wir kennen aus christlichen Kreisen das, was man „Zeugnis ablegen“ nennt. Das heißt:

Man bekennt mit überschwenglichen Worten seinen Glauben und schildert, wie schlecht es einem früher ging und wie gut mag man es jetzt mit Jesus hat. Dadurch sollen andere überzeugt werden, sich doch auch diesem Glauben zuzuwenden. Doch dabei grenzt man sich scharf von der Welt und den Ungläubigen ab.

Jesus aber ist zu den Menschen hingegangen und hat mit ihnen gesprochen. Sie haben gespürt, da sie vom Jesus angenommen wurden und bei ihm ein Stück Heimat und Geborgenheit finden konnten. Und so etwas hat immer etwas mit einer verständlichen Sprache zu tun. Warum wird denn die Bibel in immer neue Dialekte übersetzt? Warum machen sich Missionare daran, urbekannte Sprachen zu erforschen? Doch nur, damit Gottes Wort auch in die Herzen der Menschen dringen kann.

Das war auch das Anliegen Luthers bei seiner Bibelübersetzung. Er wollte den Leuten „aufs Maul schauen“, damit sie möglichst genau den Ursinn der Bibel verstehen können. Doch seine Übersetzung mußte immer weiterentwickelt werden, seine Sprache ist vielen heute nur schwerverständlich. Aber die vielen Überarbeitungen seit der damaligen Zeit waren sicher im Sinne Luthers, damit die biblische Sprache nicht eine Fremdsprache wird. Deshalb haben ja auch die Katholiken das Latein im Gottesdienst weitgehend abgeschafft, nur die Orthodoxen verwenden immer noch das Kirchenslawisch.

Am. heutigen Sonntag wird uns vor Augen gestellt, daß Gott die Türen weit auf macht und auch die von den Landstraßen und Zäunen herbeiruft. Was Christus geschenkt hat, das soll doch allen gehören. Deshalb darf nichts abgeschlossen werden, sondern es soll geöffnet werden. Gottes Tür steht weit auf für jeden.

Eine Gemeinde, die nicht über ihre Ränder und Grenzen hinausdenkt, lebt nicht im Sinne Gottes. Sie bleibt hinter dem zurück, was Gott von ihr will und wird sich schließlich auch in den

eigenen vier Wänden dem entfremden, was sie sein soll. Der Unterschied zwischen denen drinnen und denen draußen ist zwar groß, aber Gott will sich aller erbarmen.

Es gibt sicher eine Reihe von Gründen für eine Gemeinde, sich einzuigeln. Vielleicht hat man sich längst mit der Tatsache   abgefunden, eine Minderheit zu sein. Es fehlt dann am missionarischen Mut, am Wirken über die eigenen Grenzen hinaus. wenn man unter sich ist, dann wird man nicht gefordert und muß nicht Antwort geben. Es erlaubt ein geruhsames Christsein.

Neue Menschen sind immer eine Herausforderung. Dann muß man auch von denen her denken, die sich zufällig in die Gemeindeversammlung hineinverirrt haben oder auch von missionarisch-bewußten Christen dahin eingeladen worden sind. Sich auf einen neueren Menschen einzustellen verlangt mindestens ein wenig Beweglichkeit. Meist gehört auch eine gute Menge Liebe dazu, diesen Menschen abzunehmen: mit seiner Vergangenheit, seiner vielleicht ganz anderen Lebensart und seinen ungewohnten Anschauungen.

Durch beides machen wir uns schuldig: wenn wir andre nicht anziehen oder wenn wir sie abstoßen. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die ganze Gemeinde. Abstoßend wirken kann das ganze geistliche Klima, in dem einer die Gemeinde vorfindet. Vielleicht kommt einer ein oder zweimal und dann bleibt er wieder weg, weil wir ihn enttäuscht haben.

Der eine hat den kleinen Kreis gesucht, wo es wie in der Familie zugeht. Der andere wollte mehr auf Abstand bleiben und nicht gleich vereinnahmt werden. Die einen gehen lieber in die Kirche, weil dort alles unverbindlicher bleibt. Die anderen suchen lieber das Gemeindehaus auf, wo man gemütlich beieinandersitzen und sich unterhalten kann? Doch es geht nun nicht darum, möglichst viel zu machen, um jedem etwas zu bringen. Es liegt nicht an der Methode, ob ein Mensch sich eingeladen fühlt, sondern der Schlüssel zu ihm ist die Liebe, mit der wir ihm begegnen.

Maßstab bei allem ist, ob durch unsren Gottesdienst und unser Verhalten die Gemeinde auf­erbaut wird. Allerdings wäre es auch nicht richtig, nur das gelten zu lassen, was man in vernünftige Begriffe fassen kann. Ein großes Erleben - sei es nun Traurigkeit oder Freude, Schmerz oder Jubeln - drückt sich auch unartikuliert aus. Das kann man zum Beispiel in einem Fußballstadion erleben, besonders wenn man mittendrin ist und sich von der Umgebung anstecken läßt. Auch die Musik ist etwas, das den ganzen Menschen erfaßt. Es gab einmal vier junge Leute aus Liverpool, die durch ihr „Yeh, Yeh“ die Massen zu einer entfesselten Begeisterung mitrissen. Dadurch kann das Unbewußte entlüftet und Verdrängtes ans Licht gebracht werde. Auch Erwachsene müssen sich manchmal kräftig auf diese Weise austoben, um gesund zu bleiben.

Aber für einen anderen kann das geradezu abstoßend wirken. Deshalb fragt Paulus danach, ob die Gemeinde einen Nutzen davon hat. Mancher sagt: „Ich habe mich erbaut!“ Natürlich ist zunächst nichts dagegen zu sagen, daß jemand im Gottesdienst etwas für sich selbst gewinnt: Stille und Sammlung, das innere Durchatme und das Hingezogensein zu Gott, Trost und Linderung. Aber der Gottesdienst ist nicht die Versammlung von frommen Genießern!

Alle Gaben sind dazu da, zum Besten des Ganzen, und damit auch zum Besten des Einzelnen eingesetzt zu werden. Stein soll auf Stein gesetzt werden, damit so ein „geistliches Haus“ entsteht. Alles Empfangene ist also sofort wieder in den Dienst anderer zu stellen. Dann hat die Frömmigkeit einen Sinn gehabt.

Für einige Korinther war das Unverständliche und Geheimnisvolle das Merkmal einer höheren Vollkommenheit. Natürlich ist das Göttliche ein Geheimnis. Aber im Kommen Jesu Christi ist es aussagbar und verstehbar geworden. Deshalb gibt Paulus der klaren und unverschlüsselten Rede dem Vorzug. Verstehbar machen bedeutet ja nicht, daß man das Evangelium abflacht zu etwas Belanglosem. Gottes Selbstkundgabe kann nicht auf die Einsichten der Vernunft herabgesetzt werden.

Außenstehende nehmen nicht Anstoß an der Predigt, wenn sie das Evangelium in seiner manchmal schockierenden Größe und Tiefe bezeugt, sondern wenn es zu einer billigen Sache gemacht wird. Es kommt zum Verstehen, wo jemand im Gewissen getroffen wird. Das kann auch einer merken: Inder Mitte dieser Menschen ist Gott! Hier wird nicht nur über Gott geredet, sondern hier tut Gott selber etwas! Hoffentlich gelangen auch wir zu einer solchen Erkenntnis!

 

 

1. Kor 15, 1 - 11 (Ostern I):

Vor Ostern wünscht man sich gewöhnlich ein „Frohes Fest“. Was versteht man wohl meist darunter? Denkt man an die arbeitsfreien Tage und festtägliches Essen, an ein Zusammensein mit Verwandten oder Freunden, an den ersten Frühlingsspaziergang? Für viele ist tatsächlich der Frühling der Sinn des Osterfestes. Auch in den Zeitungen schreibt man an Ostern gern von der erwachenden Natur oder weshalb sie noch nicht erwacht ist.

Bei unseren germanischen Vorfahren war Ostern tatsächlich ein Frühlingsfest, der Göttin „Ostara“ gewidmet. Als die Germanen aber den christlichen Glauben annahmen, da gewannen ihre Feste einen neuen Sinn: das heidnische Frühlingsfest wurde ersetzt durch das Fest der

Auferstehung Christi, das die gesamte Christenheit sowieso als ihr ältestes Fest um diese Zeit herum feierte.

Wir feiern Ostern als das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Das Geschehen selbst hat freilich niemand miterlebt, das blieb das Geheimnis Gottes. Aber wir hören in den Evangelien von verschiedenen Menschen, die eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus gehabt. haben. Historisch faßbar ist nur dieser Glaube an den Auferstandenen. Die Auswirkungen ließen sich feststellen, nicht aber der Grund der Freude.

Davon weiß man nur durch die Erzählungen der Jünger. Aber sie haben dieses Zeugnis weitergegeben bis in unsere Tage, und es wird damit auch weitergehen bis ans Ende der Welt. Mancher wird diese Botschaft mit seinem Verstand nicht begreifen können. Dennoch ist diese Botschaft wahr, so wahr wie unsere Welt wirklich existiert. Ihre Erschaffung können wir auch mit dem Verstand nicht begreifen. Wir können uns nur zu Gott, dem Schöpfer allen Lebens, bekennen. Ihm dürfen wir auch zutrauen, daß er ein neues Leben schenken kann, seinem Sohn und uns allen.

Eine solche Wahrheit kann man sich aber immer nur sagen lassen. Auch die Korinther haben diese Botschaft angenommen. Paulus erinnert sie daran und sagt: „Ich darf doch wohl annehmen, daß das auch weiterhin unsere gemeinsame Grundlage ist!?“ Er beruft sich auf das der Kirche Gemeinsame, das nicht durch Abstimmungen und Kompromisse herbeigeführt wurde, sondern von Gott vorgegeben wurde. Auch Paulus formuliert hier nicht seine eigenen Erkenntnisse, sondern er zitiert ein Stück Katechismus der Urchristenheit, einen der ältesten Texte des Neuen Testaments.

Der Physiker Werner Heisenberg hat einmal eine sogenannte „Weltformel“ aufgestellt: einige Buchstaben und Zahlen, die das ganze Wissen der Welt erfassen sollen. Solche Formeln sehen sehr einfach aus, enthalten aber sehr viele Probleme und Aussagen. Auch das von Paulus wiedergegebene Osterbekenntnis ist so eine Kurzformel, die viele Aussagen in sich schließt: Darin liegt das ganze Schicksal Jesu, ein besonderes Verhältnis zum Vater und das Verhältnis zu den Seinen, das Ende der Welt und ihr strahlender Neubeginn, die Sehnsucht der Menschen nach einem unverlierbaren Leben.

Das Bekenntnis zur Auferstehung Christi ist so etwas wie eine christliche Weltformel, die den Angelpunkt unseres ganzen Lebens angeben kann. Mit der Auferweckung Jesu hat eine neue Menschheit begonnen. Auf eine ganz neue Art und Weise ist Jesus wieder da: nicht wieder in seinem armen und verletzlichen Leben, das mit dem Tod enden wird, sondern in einem unbegrenzten Leben, das nicht mehr vom Tod einzuholen ist. Da gehen neue Räume auf, wie wenn man bei einer Bergbesteigung den Grat erreicht und sich ein ganz neuer Horizont eröffnet. Und das nicht nur für Jesus, sondern auch für uns. Denn er ist ja für uns gestorben und auferweckt.

Allerdings sollten, wir nicht meinen, hier hätte es sich nur um ein biologisches Geschehen gehandelt. Jesus ist nicht durch irgendwelche Tricks wiederbelebt worden. Das hat man im vorigen Jahrhundert noch ernsthaft vermutet: Jesus habe zur Gruppe der Essener gehört und

die seien hervorragende Ärzte gewesen; diese hätten den klinisch toten Jesus nach der Kreuzi­gung schnell in eine Höhle geschafft, dort Wiederbelebungsversuche mit ihm gemacht und ihn wieder ins Leben zurückgeholt. Wenn man einen Film vom Sterben Jesu gemacht hätte, dann hätte man ihn praktisch nur rückwärts laufen lasen brauchen, um eine Auferstehung zu erleben.

Aber ein solcher Erklärungsversuch geht an der Sache vorbei. Er klingt sehr modern und wissenschaftlich, ist aber nicht das, was die Bibel meint. Dort geht es gar nicht darum, immer nur das Neueste zu bringen. Wenn wir die Wahl haben, dann greifen wir immer zu dem Neuen. Was schon älter ist, wird abgewertet, auch wenn es voll funktionsfähig ist und solider gebaut als manche Neukonstruktion. Unsere Grundeinstellung ist doch: Das Neue ist besser. Manche haben heute auch schon wieder eine modische Vorliebe für Petroleumlampen, aber das ist nur der Kontrast zur allgemeinen Wertschätzung des Neuen.

Paulus will nicht unbedingt etwas Neues verkünden. Er ist nicht der Meinung, seine Botschaft könne irgendwie gealtert sein. Er hat nur das weiterzugeben, was er selbst empfangen hat. Er braucht das Evangelium nicht mit selbsterfundenen Neuerungen aufzuputzen. Aber er weiß natürlich auch, daß der Empfänger bereit zum Hören sein muß.

Die Osterbotschaft muß uns immer gesagt werden. Daß zwei mal zwei gleich vier ist, kann man sich notfalls noch an den eigenen Fingern abzählen. Aber wer mein Vater und meine Mutter sind, das weiß ich nur daher, daß sie es mir gesagt haben. Als wir klein waren, haben sie es uns immer wieder vorgesprochen. Aber im Grunde müssen wir es ein ganzes Leben glauben. Wir werden es nur glauben, weil wir ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern haben. Die Geburtsurkunde ist dann noch eine hilfreiche Ergänzung dazu.

So ist uns auch die Osterbotschaft gesagt worden und wird uns immer wieder gesagt. Sie wird außerdem auch von der Bibel bezeugt. Es könnte natürlich auch falsche Überlieferungen geben. Deshalb werden wir alles immer zu prüfen haben im lebendigen Gespräch mit Gott. Doch dieses Gespräch wird immer zurückbezogen sein auf das, was Gott einst an Jesus getan hat.

Doch die Liste der Osterzeugen wird nur dem etwas sagen, der schon an die Auferstehung glaubt. Einem Nichtglaubenden wird man damit nichts beweisen können. Aber Paulus kann ja davon ausgehen, daß die Korinther glauben. Ohne diese Voraussetzung wäre jede Diskussion sinnlos. Sie sind ja nur in Einzelfragen unterschiedlicher Meinung, sie haben noch nicht den Erkenntnisstand des Paulus. Er spricht aus lebendiger Erfahrung, aus einer persönlichen Betroffenheit heraus. Dazu möchte er die Korinther auch führen.

Den Nichtglaubenden kann man nur verkündigen in der Hoffnung, daß dabei der Glaube entsteht. Die Glaubenden aber haben die Wirksamkeit des lebendigen Herrn in seiner Kirche erfahren. Sie wissen: Wir haben es nicht mit Nachwirkungen des irdischen Handelns Jesu zu tun, sondern wir haben auch heute noch mit ihm selbst zu tun. Die Sache Jesu ist nicht vergangen, sondern zu den Erscheinungen Jesu gehört praktisch auch immer die Sendung der Jünger.

Wie Jesus noch wirkt, das hat Paulus ja selber am eigenen Leib erfahren. Er war der erbittert­ste Feind Jesu und hat seine Anhänger ohne Schonung verfolgt. Aber dann hat ihr Jesus umgeworfen und in seinen Dienst genommen. In jener Stunde vor Damaskus da hat Paulus gemerkt, daß Jesus nicht eine Größe der Vergangenheit ist, sondern daß man es jederzeit mit ihm zu tun bekommen kann.

Auch ohne solche Erscheinungen wie bei den Jüngern oder bei Paulus ist der Auferstandene immer bei seiner Gemeinde. Wir leben nicht von den Erinnerungen an Jesus, sondern wir erfahren in Wort und Sakrament bestimmte Jesusbegegnungen. Die Art und Weise ist bei uns anders als bei jenen ersten Zeugen. Aber die Begegnung muß deswegen nicht weniger kräftig sein.

Eine Zeitlang gab es in bestimmten kirchlichen Kreisen sogenannte „Jesustreffen“ für Jugend­liche. Aber vielleicht ist diesen Jugendlichen noch nicht aufgegangen, daß wir hier jeden Sonntag ein „Jesustreffen“ haben und jeder Sonntag an sich ein Osterfest ist. Wir treffen uns hier im Namen Jesu und er selbst ist auch mit dabei, natürlich unsichtbar, aber doch lebendig spürbar.

Was der auferstandene Christus wirklich für uns bedeutet, das werden wir vielleicht erst erfahren, wenn wir selber einmal sterben müssen. Wer nicht glaubt und von einer unheilbaren Krankheit befallen wird, der wird sich im Grunde nur selbst das Leben nehmen können. Wer

aber in Verbindung zu Gott steht, der wird auch dann noch eine Perspektive haben. Was er früher oder auch bei anderer Gelegenheit über Tod und Auferstehung gehört hat, das wird ihm nun noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen, es wird ihn jetzt viel persönlicher angehen.

Er wird vielleicht froh sein, schon einen gewissen Vorrat an Wissen mitzubringen. Er wird weiter forschen und fragen, was man jetzt in dieser Situation hinzulernen sollte. Und er wird sich trösten lassen aus Gottes Wort. Heute können wir einen Sieg feiern, den Sieg Gottes über den Tod. Aber er wird erst dann für uns zum Sieg, wenn auch bei uns die Angst vor dem Tode besiegt ist durch die Hoffnung auf die Auferstehung, oder noch richtiger gesagt: durch die Gewißheit der Auferstehung.

 

 

1. Kor 15, 12 - 20 (Ostern II):

Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht, sagten eine Leute in Korinth. Denken viele unter uns nicht auch so? Wenn wir heute ein Grab auf dem Friedhof öffnen wollten, dann wären wir sicher enttäuscht. Da deutet bestimmt nichts auf eine Auferstehung hin. Deshalb ist auch der Abschied von einem verstorbenen Menschen so schwer: Wir wissen ja: So wie jetzt werden wir ihn nie wieder sehen! Unser Leib zerfällt und in einigen Jahren wird nichts mehr davon zu sehen sein.

So arrangieren wir uns immer wieder schnell mit dem Tod. Wir bekennen zwar: „Christus hat dem Tod die Macht genommen!“ Aber wir sind abgestumpft gegen den Tod und nehmen ihn als Schicksal hin und fliehen nach Möglichkeit vor seinem Anblick. Wir wollen uns faktisch und gedanklich den Tod vom Leibe halten. Einziger Trost für uns: „Es ist noch nicht so weit!“ Und wenn es dann so weit ist, dann muß man eben die Zähne zusammenbeißen und notfalls eine schmerzstillende Spritze bekommen. Wir sind in der Gefahr, nur den Tod zu sehen und nicht die Auferstehung.

Aber sollen wir deshalb trostlos sein wie die anderen, die keine Hoffnung haben? Sollen wir auch sagen: „Der Mensch ist nur Materie und der Tod ist nur eine     Änderung im Zustand der Materie“? Sollen wir sagen: „Der Tod ist nur die Rückkehr in den Schoß der allgütigen Mutter Natur?“ Oder sind wir der Meinung: „Der Körper zerfällt zwar, aber die Seele kommt in den Himmel?“

Aber was ist denn da die Seele? Der Arzt Virchow hat gesagt: „Ich habe Hunderte von Menschen aufgeschnitten, aber nie eine Seele gefunden!“ Das konnte er auch gar nicht. Der Mensch hat nicht ein besonderes Körperorgan, das „Seele“ heißt. So haben es sich wohl die Korinther vorgestellt. Sie wollten schon Christen sein. Aber sie meinten bestenfalls sagen zu können: „Christus ist auferweckt!“ Aber sie wollten nicht sagen: „Jesus ist auferweckt!“ Der irdische Leib war ihnen gleichgültig, nur die Seele sollte erhalten bleiben. Sie sahen nur das Weiterleben und nicht den Tod.

Die Griechen hatten ja die Vorstellung, daß die Schatten der Toten irgendwo in einer Unterwelt weiterleben. So schlecht ist der Vergleich auf den ersten Blick nicht: Der Schatten des Menschen ist nicht er selbst, aber der Schatten ist doch immer bei ihm. Man kann den Schatten nicht fassen, aber doch sehen. Manchmal kann man sogar am Schatten erkennen, welcher Mensch da kommt. Aber das Bild vom Schatten paßt auch wieder nicht: Ein Wesen, das man nicht greifen kann, weil es keinen Körper hat, das ist doch ein Gespenst. Und wir möchten doch nicht sagen: Die Verstorbenen sind alle Gespenster!

Bei uns heute ist ja schon die erste Tatsache umstritten, daß Jesus nämlich auferstanden sei. Manche sagen, die Auferstehung sei nur ein Vorgang, der sich in den Herzen der Jünger abgespielt hat. Aber was vergangen ist, kehrt nicht wieder. Wir könnten uns dann an Ostern

Nur an eine längst vergangene Sache erinnern. Aber für unser Leben und Sterben wäre das ohne Belang. Wir wären nicht weiter davon berührt, geschweige denn im Innersten betroffen und verwandelt.

Aber erleben wir Ostern nicht weithin genauso? Wir hören die Osterbotschaft immer wieder einmal gern. Aber sie bleibt eine Geschichte aus einer fernen Zeit und aus einem alten Buch: Sie ist kein Ostern im Leben: Ostern ist nicht da, wo wir lieben und leiden, wo wir lachen und weinen, wo wir arbeiten und bauen. Ostern gibt es nicht in unseren Ehen und in unserem Häusern, bei unseren Sorgen und Fragen. Vor allem aber gibt es zu wenig Ostern in den Krankenstuben, in den Kliniken, auf Sterbelagern und auf Friedhöfen.

Doch was wäre, wenn es damals Ostern nicht gegeben hätte? Paulus malt es den Korinthern eindrücklich vor Augen, welche Folge ihr halber Osterglaube hat: Dann ist euer Glaube ohne Anhaltspunkt und ohne Inhalt. Dann seid ihr noch sündige Menschen wie vorher. Dann ist euer ganzer Glaube sinnlos und ihr könnt euch gleich aufhängen. Dann gibt es nach diesem Leben nur noch die erbarmungslose Nacht des Vergehens und Sterbens.

Paulus aber hält fest, daß das Ostern von damals auch ein Ostern heute noch sich zieht. Die Auferstehung Jesu Christi und die Auferstehung der Toten gehören zusammen. Das eine ist nicht ohne das andere: Wäre Christus nicht auferstanden, dann könnten auch die Toten nicht wieder auferstehen. Gibt es keine Totenauferstehung, dann kann auch Christus nicht auferstanden sein.

An der Frage von Tod und Auferstehung hängt tatsächlich alles für unseren Glauben. Es ist letztlich auch die wichtigste Frage in unserem Leben. Das wissen sogar die Atheisten. Da gab es einmal an der Universität Jena einen Professor für wissenschaftlichen Atheismus. Er hat einmal gesagt: „Wenn es uns nicht gelingt, eine gültige Antwort auf das Problem des Todes zu finden, wird keiner mehr auf uns hören!“ Es hat auch kaum einer auf ihn gehört. Er hat die Antwort offenbar nicht gefunden, denn der Lehrstuhl wurde bald wieder eingezogen. Dabei ist die Antwort schon längst gefunden. Paulus sagt: „Gott hat Christus auferweckt - er wird auch die anderen Toten auferwecken.

Es ist durchaus nicht gleichgültig, was damals geschehen ist. An Karfreitag ist nicht irgendein Mensch gestorben, sondern Gottes Sohn, der wirklicher Mensch war in Jesus von Nazareth. Andererseits wurde der Gekreuzigte und Begrabene auferweckt, es gibt keine Auferstehung am Tod vorbei. Aber Gott hat mit der Auferweckung nicht bis auf eine ferne Zukunft gewartet, sondern er hat gleich gehandelt.

W i e das vor sich gegangen ist, soll nicht unsere Sorge sein. Das können wir ruhig Gott überlassen. Wir werden vielleicht gewisse Vorstellungen davon haben. Wir können versuchen, durch Bilder und Vergleiche uns dies alles anschaulich zu machen. Aber wir sind ja nicht dabeigewesen damals in Jerusalem und in Galiläa. Wir wissen nur: Jesus ist auch nach seinem Tod noch seinen Jüngern erschienen und hat sie wieder froh gemacht.

Auch uns heute will dieser himmlische Christusbegegnen und uns seine Auferstehung verkündigen.  Aber es geht dabei auch immer um unsere eigene Auferstehung. Jesus war nicht der Einzige, der es „geschafft“ hat und uns allein zurückgelassen hat in unserem Elend. Im Bergwerk kommt es manchmal vor, daß einige Bergleute verschüttet werden. Wenn aber einer den Weg freigeschaufelt hat, dann kommen auch die anderen hinterher. Nur einer muß es schaffen, wieder ans Licht des Tages zu kommen, dann sind alle gerettet. So hat auch Jesus die Finsternis unseres Todes überwunden und uns an das helle Licht Gottes gebracht. Er hat sich im Tod ganz fest mit uns verbunden. Nun will er auch das neue Leben und den Sieg nicht ohne uns haben.

Aber wie sollen wir uns nun unsere eigene Auferstehung vorstellen? Vielleicht kann man es durch ein Bild deutlich werden: Unser Körper besteht aus vielen einzelnen Zellen. Ständig sterben einige der Zellen ab. Sie werden durch neue ersetzt. Wir stellen das daran fest, daß der Mensch wächst und nachher altert. Etwa alle sieben Jahre ist dann der Körper völlig neu geworden.

Aber der Mensch ist deshalb doch derselbe gewesen. Als Säugling und als Greis hat er die gleichen Eltern, den gleichen Namen und den gleichen Geburtstag. Sein Personalausweis wird nicht alle sieben Jahre geändert und sein Lebenslauf wird nicht immerzu umgeschrieben, sondern nur ergänzt. Natürlich ändert sich auch das Innere des Menschen: Sein Verstand wächst (hoffentlich!), seine Ansichten und Gefühle wandeln sich. Aber er bleibt doch die gleiche Person.

Und diese Person allein tritt in Verbindung mit Gott und besteht auch über den Tod hinaus. Es gibt für uns ein Leben bei Gott, das unabhängig ist von äußeren Voraussetzungen. Mit dem Tod ändert sich unsere äußere Gestalt ein letztes Mal, denn nun werden keine neuen Zellen mehr gebildet. Aber das betrifft nur unseren äußerlich sichtbaren Körper. Gottes Handeln mit uns ist damit noch nicht zu Ende - eigentlich geht es dann erst richtig los.

Auferstehung ist also etwas Vergangenes, nämlich die Auferstehung Jesu Christi. Auferstehung ist aber auch etwas Zukünftiges, nämlich unsere eigene Auferstehung. Auferstehung ist aber auch etwas Gegenwärtiges, das jetzt schon unser Leben bestimmt. Wir leben mit einer Hoffnung. Wir brauchen uns vor dem Tod nicht zu fürchten und nicht ängstlich am zeitlichen Leben zu hängen. Es lebt sich aber gut in einer Welt, für die der Tag der Auferstehung der Toten bevorsteht. Unser Leben hat so heute und in Ewigkeit einen Sinn.

Deshalb gilt es, über das Heute hinaus schon in die Zukunft zu sehen. Einem Missionarsehepaar in Ostafrika war ein Kind gestorben. Nach einiger Zeit sprach die beiden ein Afrikaner, der noch kein Christ war und in ihrer Nachbarschaft wohnte, an: „Ihr Christen seid seltsame Leute. Ich habe euch beobachtet. Ihr seid, wie wir in solcher Lage, auch traurig gewesen, und ihr seid es auch wieder nicht. Ihr könnt ja durch den Horizont sehen!“ Ja, wir Christen „sehen hinaus“, weil unser für uns gestorbener und auferstandener Herr uns die Bahn gebrochen hat. Und wenn er uns ruft, oder er kommt, dann können wir - ihm entgegen - auch hinausgehen. Auch im Schmerz über den Verlust geliebter Menschen, die vorangegangen sind, und in der Bangigkeit vor dem eigenen Sterben ist der auferstandene Herr unser starker Trost. „Christ will unser Trost sein.“

Wichtig ist, ob wir heute an unsere eigene Auferstehung glauben können und sich damit etwas an unserem Leben ändert. Christus will uns auch heute begegnen. Allerdings kommt er in anderer Gestalt zu uns als zu seinen Lebzeiten. Heute will er als der Auferstandene uns im Abendmahl begegnen, aber doch so, daß er wirklich unter uns ist. Das Herrenmahl, das uns auch heute wieder angeboten wird, ist nur ein Vorgeschmack der ewigen Herrlichkeit. In ihm will der Auferstandene uns Kraft geben, dieses Leben in unserer vergehenden Welt durchzuhalten, bis wir einmal ganz zu ihm gehören dürfen.

 

 

1. Kor 15, 19 – 28 (Ostern I):

Ein Friedhofsarbeiter wurde einmal gefragt, was er von der Auferstehung der Toten halte. Seine Antwort war: „Daran kann ich nicht glauben! Ich habe schon so viel Gräber zugeschaufelt, aber noch nie ist jemand wieder herausgekommen, sie sind alle verwest!“ Diese Tatsache läßt sich auch von einem Christen nicht bezweifeln. Wir sehen den Tod ganz realistisch: auch unsere Leiber werden in der Erde verwesen oder zu Asche zerfallen. Und doch glauben wir an eine Auferstehung durch Christus. Durch diesen Glauben wird uns das Sterben nicht erspart. Aber es wird uns die Furcht vor dem Tode genommen.

„Wir haben eine Zukunft“ - so könnte man diesen Abschnitt aus dem Brief des Paulus überschreiben. Die Optimisten sagen: Durch die Fortschritte der Medizin wird das Leben im Durchschnitt immer mehr verlängert. Das Beherrschen der Naturgesetze wird uns allen zu einem besseren Leben verhelfen, der Mensch und die ganze Welt werden sich zum Guten verändern. Die Pessimisten aber sagen: „Der Mensch ist des Menschen Feind, er zerstört seine Welt und damit sich selber. Die Welt geht einem schrecklichen Ende entgegen, es hat ja doch alles keinen Zweck!“

 

Paulus hält dem einen ersten Satz entgegen: „Die Zukunft hat schon begonnen!“ Voraussetzung dafür ist, daß Christus auferstanden ist. Das kann nicht bewiesen werden, auch wenn man jetzt meint, in Jerusalem das echte Grab Jesu gefunden zu haben. Die Auferstehung kann nur verkündet und geglaubt werden. Bei Paulus ist es noch das knappe Glaubensbekenntnis: „Gott hat Christus auferweckt!“ Das genügte, die Ostererzählungen kannte Paulus ja noch nicht.

Wir wissen nicht, wie die Auferstehung vor sich gehen soll. Auferstehung ist ein Geschehen, das keines unsrer Meßgeräte feststellen könnte. Auch die Auferstehung Jesu wird nirgends beschrieben, es war ja niemand dabei. Wir wissen aber auch alle, daß das nicht so leicht ist mit dem Tod. Wir wollen uns zwar auch damit trösten, daß wir noch viel Zeit haben. Wir fliehen, obwohl wir wissen, daß wir eingeholt werden. Wir wollen nicht gern an den Tod erinnert werden, nicht in diesen Frühlingstagen und nicht wenn wir noch jung sind. Aber die Bibel nimmt diese Wirklichkeit ernst. Sie weiß, daß man alt und lebenssatt aus dieser Welt scheiden kann. Aber sie weiß auch, wie ein Mensch am Sterben leiden kann und wie ihm vor dem Abgrund graut. Jesus selber ist ja ein Beispiel dafür.

Unsere Möglichkeiten erschöpfen sich mehr und mehr, schon durch das Alter: Was noch vor Jahren mühelos möglich war, geht jetzt nicht mehr. Der Atem wird kürzer, die Glieder sind nicht mehr so beweglich, die Organe lassen nach. Wir trösten uns damit, daß man im Alter reifer und weiser wird. Aber es kann auch ganz anders sein, nämlich daß der Verstand nachläßt und man nicht mehr Herr seiner Glieder und Sinne ist. Doch vielfach drängen wir den Gedanken daran zurück. Wer hat schon eine Patientenverfügung, die festlegt, was im Falle geistiger Umnachtung an medizinischen Maßnahmen gemacht werden soll und was nicht? Wer hat überhaupt ein Testament, auch wenn er erst vierzig Jahre alt ist?

Gelassen und zuversichtlich kann man nur sein, wenn man sich fest vor Augen stellt: Gott beginnt noch einmal von vorn! Es muß uns nicht grauen vor dem Tod, sondern wir können uns beruhigt in Gottes Hand fallen lassen, so wie man sich abends nach einem anstrengenden

Tag in den Schlaf fallen läßt und am nächsten Morgen fröhlich erwacht.

Das ist wie nach dem Kriege, als die Nachricht kam: Die ersten Entlassungen aus der Kriegsgefangenschaft haben schon begonnen. Die anderen haben den Entlassungsschein schon in der Tasche. Jetzt kann nichts mehr dazwischenkommen. Genauso klingt das, was Paulus nach Korinth schreibt: Nun aber ist Christus auferstanden und der Erste unter den Verstorbenen, die anderen werden folgen! Die Zukunft hat schon begonnen!

So haben auch die Gegner des Paulus in Korinth gesprochen. Sie haben nicht bestritten, daß Christus auferstanden ist. Streit gab es nur darüber, was aus dieser Tatsache für das Leben der Christen folgt. Die Korinther meinten, das Leben der zukünftigen Welt durch die Taufe schon in sich zu tragen. Sie würden das neue Leben schon von Natur aus in sich zu tragen, einer Auferweckung durch Gott bedürfe es gar nicht mehr. Diese Ansicht hat sich selbst bei guten

Christen bis heute erhalten: Sie sprechen dann von der Unsterblichkeit der Seele, die den Tod überdauert. Doch das ist nicht christliche Lehre: Auch die Seele wird sterben, denn sie gehört zu dem „alten Adam“. Aber der Mensch „in Christus“ stirbt nicht, sondern bleibt auf ewig mit Christus verbunden.

Jesus Christus können wir aus diesem Vorgang nicht herauslassen. Seinen Tod und seine Auferstehung können wir ebenso wenig überspringen wie unseren Tod und unsere Auferstehung. Was uns noch bevorsteht, hat er schon hinter sich. Aber in seiner Auferstehung ist unsere Auferstehung schon verbürgt. Für die Irrlehrer hat sich mit Jesu Auferstehung nichts verändert, für Paulus aber begründet sie alle Hoffnung und Gewißheit. Wenn wir uns zu Christus halten, dann haben wir schon Anteil an diesem neuen Leben.

Gott setzt durch den Tod einen Punkt hinter unser altes Leben. Aber er setzt nicht nur einen Punkt, sondern einen Doppelpunkt: Nach dem Doppelpunkt kommt erst das Wichtige. So läßt Gott unser Leben noch einmal in ganz neuer Weise unter ganz neuen Bedingungen erstehen.

 

Aber Paulus macht noch eine zweite Aussage: „Die Zukunft steht noch aus!“

Daß es bis zur Zukunft noch dauert, soll nicht heißen, daß sie dadurch ungewiß würde. Luther hat dafür einen schönen Vergleich gebraucht. Er sagt: „Wenn ein Kind geboren wird, sagt die Hebamme: Der Kopf ist schon da, jetzt ist es gleich geschafft!“ Wenn Christus den Durchbruch geschafft hat, zieht er die anderen automatisch mit sich. Deshalb singen wir auch im Lied: „Lässet auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht!“

Christus will in Zukunft nie mehr ohne seine Gemeinde sein. Und wenn Gott ihn auferweckt

hat, dann ist damit auch über unsere Zukunft entschieden. Es ist also gut, wenn wir uns an Christus halten. Der Zugang zu ihm wird uns ja leicht gemacht. Adams Kinder wurden wir durch die Geburt. Gottes Kinder und Brüder Christi aber werden wir durch die Taufe und den Glauben. Der Glaube an die Auferstehung spielt dabei die entscheidende Rolle. Damit steht und fällt alles.

Es geht dabei nicht darum, unseren natürlichen Lebenshunger in ein jenseitiges Paradies zu übertragen. Mancher Ungläubige wird das wohl sagen: „Ihr redet euch das so lange ein, bis ihr es selber glaubt. Weil ihr es euch wünscht, geht schließlich die Phantasie mit euch durch!“ Ja, wenn es tatsächlich so wäre, hätte Jesus nicht auferweckt zu werden brauchen. Wenn es nur um einen psychologischen Trick ginge, um eine Art Morphium, das uns über die wahren Verhältnisse hinwegtäuscht, dann hätte Gott es sich leichter machen können. Was hätte dann aber er Tod Jesu und seine Auferstehung für einen Sinn gehabt? Nein, Gott wußte schon, was er tat. Er mußte es tun, um uns aus der Gewalt des Todes befreien zu können.

So aber werden wir zu einer stichhaltigen Hoffnung aufgerufen. Die Echtheit dieser Hoffnung erweist sich gerade an Sterbebetten und an Gräbern. Zum Glück brauchen wir an einem Grab nicht zu sagen: „Leute, beugt euch unter Gottes unwiderstehlichen Willen. Mit dem Tode ist alles aus. Ihr habt gottergeben die Schmerzen und der Verfall auszuhalten, bis Gott es endgültig dunkel um euch werden läßt!“ So ähnlich wird es bei weltlichen Trauerfeiern gesagt, nur daß dabei natürlich nicht von Gott die Rede ist.

Als Christen aber brauchen wir nicht der Schwere der Wirklichkeit zu erliegen, wir brauchen uns nicht mit den Realitäten abzufinden. Gott bringt uns eine gute Nachricht, die viel Schönes und Wünschenswertes enthält. Sie richtet unser Leben wieder auf, gibt uns Freude am Leben, Mut zum Verändern und ermöglicht uns erst ein menschliches Leben.

Das kann uns auch davor bewahren, den Anforderungen der Gegenwart auszuweichen, indem wir nur auf die Zukunft blicken. Es gibt ja auch unter uns immer neue Menschen, die in einer gewissen Atemlosigkeit immer wieder Ziele und Projekte in Angriff nehmen und dadurch sich unter einen ständigen Zeitdruck bringen. Wiederum tut uns hier Nüchternheit gut. Auch diese Hektik gehört mit zu der unerlösten Welt, die durch den Tod aufgehoben wird.

Paulus gibt sogar eine Reihenfolge an, in der immer schön eins nach dem anderen kommt: Erst ist Christus auferstanden. Dann werden die auferstehen, die zu Christus gehören, aber erst, wenn er kommen wird. Der letzte Feind, der vernichtet wird, ist der Tod. Und dann kommt das Ende.

Wie dieses Ende aussehen wird, das wissen wir auch schon. Paulus sagt: „Christus wird alle Macht in der Welt beenden und die Herrschaft an Gott zurückgeben. Still und unbemerkt hat

diese Herrschaft schon begonnen. Nicht nur der einzelne Christ oder die Kirche sollen aus der Welt herausgerettet werden, sondern die ganze Welt wird heil werden. Am Ende der Zeit wird Christus sein Werk beenden. Dann meldet er dem Vater: ‚Alles ist unterworfen!‘ Dann ist die Herrschaft Gottes durchgesetzt!“

Wir aber haben das Recht, dieser Zukunft entsprechend heute schon zu leben, obwohl sie noch unter dem Kreuz verborgen ist. Ostern läßt uns ausblicken auf unser neues Leben und den neuen Himmel und die neue Erde. Mit Ostern ist unsre Zukunft angebrochen.

 

 

1. Kor 15, 50 - 57 (Ostern II):

„Ich fühle mich noch gar nicht so alt!“ Diesen Satz können wir öfter hören, haben ihn vielleicht auch schon selber gesprochen. nur ist das „Fühlen“ etwas anderes als das „Wissen“. In Wirklichkeit wissen wir alle, daß wir altern und einmal sterben werden. Alles, was geboren ist, muß auch sterben! An jedem Geburtstag wird uns bewußt, daß unser Leben der Vergänglichkeit unterworfen ist. Der Geburtstag ist eine Alterserscheinung.

Wir können den Gedanken an den Tod vielleicht eine Zeitlang von uns fernhalten. Aber wir werden durch das Sterben geliebter Menschen immer wieder schmerzlich daran erinnert. Jeder Mensch muß sich auch für sein eigenes Leben damit auseinandersetzen, daß er sterben muß.

Vom 40.Lebensjahr an denkt jeder Mensch häufiger an den Tod. Er überschlägt, wieviel Zeit ihm wohl noch gegeben sein mag. Jeder Mensch, der nicht nur in den Tag hineinlebt, wird sich dabei auch fragen, welchen Sinn wohl das Leben für ihn hat. Dabei wird er unvermeidlich auch an die Grenze des Todes stoßen. Er wird feststellen, daß der Tod mit seinen Vorboten die große Störung unseres Lebens ist.

In diese Situation hinein spricht die christliche Botenhaft von der Auferstehung der Toten. Paulus tröstet nicht über Vergänglichkeit und Tod hinweg, sondern besingt den Sieg des Lebens über den Tod. Doch bei einer Befragung gaben 63 Prozent der Evangelischen an, sie glaubten nicht an ein Weiterleben nach dem Tode und unter den regelmäßigen Kirchgängern waren es immerhin noch 35 Prozent. Wir sind doch alle Realisten und wissen: Wer tot ist, der ist tot. Und manche werden sogar sagen: Ein Glück, daß das so ist, denn es wäre doch unangenehm, wenn ein Toter wiederkäme und sähe, was alles aus seinen Nachkommen geworden ist.

Auch in Korinth gab es einige Leute, die verspotteten die Predigt das Paulus von der Auferstehung. Sie haben etwa so gesagt: „Wenn wir einen Toten in die Erde legen, zerfällt sein Leib. Wenn wir etwa ein Jahr später nachgraben, ist nicht mehr viel da. Der irdische Körper ist damit zerstört und kann nicht wieder in gleicher Form auferstehen!” Sie meinten aber auch, es bedürfe gar keiner Auferstehung, jedenfalls keiner Auferstehung von den Toten. Der Mensch habe vielmehr einen ewigen Lichtfunken in sich selbst, der unzerstörbar ist und aus der Umklammerung der verhaßten Materie gelöst werden muß.

Viele denken heute noch so ähnlich. Sie sagen: „Der Leib zerfällt zwar, aber die Seele kommt in den Himmel!“ Es ist nicht alles falsch an diesem Gedanken von der Unsterblichkeit der Seele. In ihm drückt sich aus, daß wir als Menschen dazu bestimmt sind, Gottes Gegenüber zu sein. Aber wir sind ja auch Sünder, auch die Seele ist sündig, vielleicht ist sie es gerade. Deshalb muß der natürliche Mensch sterben, und zwar mit seiner Sünde.

Aber der Christ weiß, daß ein neues Leben schon heimlich in ihm angefangen hat seit der Taufe, auch wenn es immer noch im Konflikt mit dem alten Leben ist. Dieser Konflikt wird erst durch Tod und Auferstehung beendet sein. Paulus spricht zunächst von der Auferstehung Jesu Christi. Dann aber kommt er auf die Auferstehung der Toten und sagt: Beides gehört unlöslich zusammen. Was von Christus gepredigt wird, ist auch für uns geschehen. Aber wir

könnten nicht auferstehen, wenn Christus nicht auferstanden wäre.

Deshalb sagt Paulus: Unsere Zukunft heißt Auferstehung. Einerseits können wir nicht bleiben, wie wir sind. Andererseits aber werden wir bleiben, die wir sind. Und wir hoffen aufgrund dessen, was schon ist.

 

1. Wir können nicht bleiben, wie wir sind: Wenn Paulus von der Leibern der Auferstandenen redet, dann meint er damit nicht das „Verwesliche“. Dieses soll ja gar nicht wiederbelebt werden, denn die Auferstehung ist der Beginn eines völlig Neuen. „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben!“ sagt Paulus ganz unmißverständlich.

Das liegt nicht daran, daß sie geschaffen sind und aus vergänglichem Stoff bestehen, sondern daß sie gegen Gott verschlossen und für die Wirklichkeit des Göttlichen nicht empfänglich sind. Der Mensch ist nicht untauglich für Gottes Reich, weil er geschaffen ist, sondern weil er sündig ist.

Es ist auch nicht damit getan, daß wir uns nun anders verhalten als bisher und damit käme schon Gottes Reich. Vielmehr muß Gott etwas ganz anderes aus uns machen. Die gegenwärtige Welt aus Fleisch und Blut kann dabei nicht der Schauplatz dieses Neuen sein. Vielmehr muß sie durch den Tod hindurch zu einem neuen Leben der Auferstehung.

Immer wieder spüren wir, daß wir vom Tod ringsum eingeschlossen sind. Der Raum, in dem wir existieren, verengt sich immer mehr. Wir spüren früher oder später den Verfall, die Abnutzung, das Weniger an Spannkraft. Das ist uns auch deshalb besonders schmerzlich, weil wir spüren: Es ist ja Gott, der vergehen läßt, was das Reich Gottes nicht erben kann. Aber vom Glauben her ist das kein Grund zum Jammern, weil unsre Zukunft ja „Auferstehung“ heißt. Wer etwas davon ahnt, freut sich auf das, was kommt.

 

2. Wir werden bleiben, die wir sind: Bei der Auferweckung schafft Gott nicht immer wieder neue Menschen, so da die bisherigen einfach untergehen. Wer stirbt, fällt nicht ins Nichts. Derselbe Mensch, der stirbt, wird erweckt, wenn auch zu einem anderen Leben. Aber es bleibt immer die gleiche Person. Wir sind von Gott bei unserem Namen gerufen, ja unsre Namen sind ja sogar im Himmel geschrieben. Wir sind unsrem Gott als Person wichtig, als das Gegenüber, das er angesprochen hat. Insofern aber ist er einmalig und unwiederholbar, aber eben nicht zum Untergang bestimmt, sondern in der Gemeinschaft mit Christus dem Untergang entrissen.

In uns ist der Trieb, uns selbst zu erhalten. Ein Tier findet sich mit dem Sterbenmüssen ab: Wenn sein Ende naht, verkriecht es sich irgendwo und stirbt seinen Tod. Der Mensch aber wehrt sich. Er weiß um seine Einmaligkeit und die Einmaligkeit der Geschichte, die er

schon bestanden hat und noch zu bestehen hat. Aber er kann nicht bleiben, weil er selber sich das wünscht. Gott muß an uns festhalten. Anspruch auf das Leben der Auferstehung haben wir nicht durch das, was wir sind, sondern durch das, was Gott in Jesus Christus aus uns gemacht hat.

Paulus spricht von Verwandlung, nicht von Neuschöpfung. Bei der Verwandlung von Wasserkraft in Energie wird der Strom ja nicht aus dem Nichts erzeugt, sondern aus der Wasserkraft. Verwandlung ist eine Veränderung an dem gleichbleibenden Gegenstand. So wird auch nicht „rückwärts“ gestorben, in das alte Leben hinein. Aber es besteht ein Zusammenhang zwischen dem, was ist, und dem, was in ganz neuer Gestalt kommen wird.

Das ist auch gemeint mit dem Anziehen der Unverweslichkeit: Der alte Leib gleicht einem Bettlergewand. Aber wenn der Bettler zum König kommt, dann erhält er ein neues Gewand. So wird auch Gott uns einen neuen Leib geben, wenn wir zu ihm kommen. Der neue Leib ist wie ein Königsgewand, umstrahlt von der Herrlichkeit Gottes. Aber der Träger des Kleides bleibt der gleiche. Nur das Beengende und Entstellende, das Schändliche und Unansehnliche wird durch das Auferstehungskleid ersetzt.

Warum sollte Gott, der am Anfang den Menschen geschaffen hat, nicht auch einen neuen Leib für die Ewigkeit schaffen können, der dann unvergänglich ist? Vor allem aber wird die Sünde ihm nichts mehr anhaben können. Sie ist der Stachel des Todes, der immer noch Sieger bleibt über Fleisch und Blut. Aber Christus hat beide besiegt. Seit Ostern hat der Tod nur noch Gewalt über unsren Körper, nicht aber über uns selbst.

 

3. Wir hoffen aufgrund dessen, was schon ist: Wir sterben nicht nur an der natürlichen Erschöpfung und dem Verfall des Lebens, sondern wir sterben an Gottes Zorn. Man könnte sich ja sonst zum Sterben legen, wie man sich abends nach einem mühevollen Tag zur Ruhe ausstreckt. Aber da kommt ja noch das Rechenschaftgebenmüssen vor Gott, der auf unser Leben ein Recht hat.

Wenn unser Wohl und Wehe bei Gott nur vom Gesetz abhinge, hätten wir nichts zu hoffen. Das Gesetz ist der Dynamo und Akkumulator der Sünde. Wenn der Sünder aus eigener Kraft damit fertigwerden will, wird er nur noch tiefer in die Auflehnung geführt. Dem allen aber hat Christus ein Ende gesetzt. Jetzt gilt nicht mehr das Gesetz, sondern der Glaube. Niemand braucht mehr etwas zu verdienen oder zu erzwingen. Durch Christus ist unsre Sache bei Gott immer schon zu unseren Gunsten entschieden.

Wir können nichts verdienen, sondern wir sind Erben. Wir haben einen guten Vater und gehören zu seiner Familie. Wir dürfen schon jetzt mithelfen und den Vater um Rat fragen und ihm immer wieder Freude bereiten. Manche werden sagen: „Was müht ihr euch denn so ab, wenn ihr sowieso alles erben werdet?“ Aber ein rechter Erbe möchte schon heute seine Dankbarkeit zeigen.

So haben wir schon jetzt die Freude, in der großen Familie der Christen zu leben. Und wir wissen: Dieses Leben hat dann noch kein Ende, wenn Fleisch und Blut nicht mehr sind. Der Tod ist für die Christen dasselbe wie für Christus: der Eingang in das eigentliche Leben.

Wen Gott liebt, den läßt er nicht im Tode. Wir können sogar den Tod auslachen. Er hat keinen Stachel mehr und kann gegen Gott und gegen uns nichts mehr ausrichten. Wenn wir sterben, dann gelangen wir nur dorthin, wo des Herr selbst ist. Vielleicht wird uns das Sterben dennoch schwer werden. Keiner weiß ja, wie er einmal sterben wird. Aber wir könnten uns beizeiten darin einüben. Dazu hilft uns, was wir heute schon wissen: Unsre Zukunft heißt Auferstehung! Durch Christus ist uns heute schon der Sieg gegeben!

 

 

 

2. Korinther

 

 

2. Kor 1, 3 – 7 (Lätare):

Ein zeitgenössischer Schriftsteller erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens. Sie weinte eine Stunde lang heiße Tränen. Als man sie fragte, warum sie weine, gab sie zur Auskunft: „Meine Mutter hat mir gesagt, daß ich auch einmal Mutter sein werde. Aber jetzt habe ich Angst, weil doch den Kindern etwas passieren kann!“ Die Mutter aber schlug vor: „Wir machen aus Knet eine Welt, in der sich niemand fürchtet. Alles, was Angst macht, wird einfach weggelassen!“' Da ging das Kind getröstet zu Bett. Der Erzähler aber ist heimgegangen und hat die Nachrichten eingeschaltet.

In dieser Geschichte werden Tränen abgewischt, aber nicht mit dem großen Taschentuch und solchen Worten wie: „So ein großes Mädchen heult doch nicht mehr!“ Zuerst wurde das Mädchen ganz ernst genommen. Es durfte weinen, als es traurig war. Aber die Trauer hatte auch ein Ende, wo ihr ein Ausweg geformt wurde. Es wurde nicht allein gelassen, und durfte seine neue Welt gleich mit ins Bett nehmen.

Doch die wirkliche Welt ist anders sie ist härter. Das wird spätestens dann deutlich, als die Nachrichten eingeschaltet werden. Die Ängste des Mädchens waren teilweise ja berechtigt. Es besteht eine Spannung zwischen dem, was wir täglich erleben, und dem Wunschbild, wie wir uns die Welt vorstellen. Auch im Glauben dürfen wir die Spannung aushalten zwischen der bereits mit Jesus angebrochenen Herrschaft Gottes und der noch ausstehenden Vollendung, die Spannung zwischen Kreuz und Auferstehung.

Schon in den ersten Gemeinden gab es Grippen, die diese Spannung auflösen wollten. Unter einigen Korinthern hatte sich offenbar die Meinung ausgebreitet, daß das Leid in dieser Welt durch die Auferstehung bereits völlig überwunden sei, zumindest für den Christen, der den Geist hat.

Doch der Apostel Paulus war durch sein Leiden sichtbar gezeichnet. So hintertrieben sie seine Autorität in der Gemeinde. Er wurde nicht mehr ernst genommen, sondern sogar verunglimpft. Darunter litt er, weil er sich um die Gemeinde sorgte. Bei einem Besuch war es zu einer schweren persönlichen Beleidigung des Apostels gekommen. Daraufhin hat er den sogenannten „Tränenbrief“ geschrieben, den Titus überbrachte. Er kam mit der guten Nachricht: „Es ist zur Aussöhnung gekommen. Sie haben ihn sogar noch getröstet, so daß er freudig zu Paulus zurückkehren konnte!“

Konflikte und Auseinandersetzungen im Sachlichen und Persönlichen hat es bereits in der klassischen Anfangszeit der Kirche gegeben, und jede Seite hat sich dabei auf die Bibel berufen. Kirche zeigt sich nicht darin, daß es so etwas nicht gibt, sondern wie es bewältigt wird. Die heiße Phase des Konflikts ist auch bei Paulus nicht so schnell vergessen worden. Und wenn er von „Trübsal“ spricht, dann ist zwar allgemein von den Leiden der Christen die Rede,

aber eben auf dem Hintergrund dieser besonderen schweren Erfahrungen. Paulus macht zwei Aussagen: Gott tröstet und wir können andere trösten.

 

(1.) Gott tröstet: Paulus könnte triumphieren, weil er sich durchgesetzt hat und wieder anerkannt ist. Das bedeutet doch auch, daß er mit seinem Verständnis des Evangeliums recht behalten hat. Aber er sagt: „Der Gott alles Trostes hat getröstet!“ Eine total verfahrene Situation wird wieder hoffnungsvoll, wenn man aufhört, das Vertrauen auf sich selbst zu stellen und stattdessen sich dem Gott auszuliefern, der noch weiterweiß.

Der Trost besteht nicht darin, daß zuletzt doch noch Menschen bereit sind, wieder einzulenken und Kompromisse zu schließen. Trost bringt allein dies, daß Gott selbst aktiv wird und die beteiligten Menschen ihn an die strittige Sache heranlassen.

Leiden ist ein Wesensmerkmal unserer Welt. Das Leiden Christi war ein Ausdruck dieser „unseligen“ Welt. Und auch Paulus hatte Anteil an diesem Leiden. Es war einmal ein Leiden von überwiegend äußerer Natur, bedingt durch die Schwierigkeiten der Missionsreise. Zum anderen aber erfährt er ein mehr inneres Leiden durch den speziellen Konflikt mit einigen Korinthern. Aber unser Blick sollte auch geweitet werden für das Meer an Leiden, das die Welt erfüllt. Weil uns durch das Fernsehen viel zu viel vor Augen gemalt wird, lassen wir es gar nicht so recht an uns herankommen. Nur konkrete Einzelschicksale können uns noch ergreifen.

Wir sollten nie meinen, unser Leiden sei das Schlimmste, das es auf der Welt gibt. Wir sollten aber auch nicht meinen, sie seien von Gott zur Prüfung und Mahnung, zur Warnung oder zur Strafe verordnet. Es gibt Leiden, die nicht zu sein brauchen und die wir mit unserem ganzen Einsatz beseitigen sollten. Aber es gibt auch Leiden, die wir nicht beseitigen können und nach deren Sinn wir zu fragen haben.

Gott jedenfalls geht es durch und durch, wenn er sieht, wie seine Menschenkinder so leiden, auch aneinander leiden. Ihm läßt es keine Ruhe, wenn wir uns gegenseitig das Leben schwer machen und einander verachten und bekämpfen, verletzen und verleumden. Er macht dem Leiden unserer Herzen und aller Verbitterung lieber heute als morgen ein Ende, einfach weil es ihm nahe geht.

Er ist die „dritte Kraft“, die von sich aus in unsere Konflikte hineinwirkt und uns zusammenbringt. Was Paulus in seinem Fall erfahren hat, das gilt allgemein: Gott tröstet uns in aller unserer Trübsal. Er ist der persönliche Partner, der unsere Lage wirklich verändern kann, durch ein Machtwort oder durch Verweis auf die Zusammenhänge oder durch Vermittlung der Gewißheit eines guten Ausgangs.

Der Inbegriff solchen Trostes ist die Auferweckung Jesu Christi. Hier hat Paulus erfahren, daß Gottes Zusage und Verheißung gilt. Auch wir können getröstet werden durch die gütige und barmherzige Zuwendung des Gottes, den wir als Vater unseres Herrn Jesus Christus kennen. Er wird mit allem fertigwerden, was uns bedrückt. Er tröstet uns, damit wir das Empfangene sofort weitergeben und die trösten, die „in allerlei Trübsal“ sind.

 

(2.) Wir können andere trösten: Es fällt uns oft schwer, andere Menschen zu trösten. Wir stammeln ein paar Worte: „Er ist von seinem Leiden erlöst!“ oder: „Wir sind doch bei dir!“ Dabei haben wir das ungute Gefühl, nicht die richtigen Worte gefunden zu haben. Wir „ver­trösten“ darauf, daß es auch wieder einmal anders kommen wird. Wir haben das Gefühl, nur einen „billigen Trost“ gegeben zu haben, weil wir nicht persönlich hinter unseren Worten stehen und nicht bereit sind zum echten Mitleiden.

Wer selbst nicht angefochten ist oder war, wird keinem Angefochtenen helfen. Deshalb hat ja Jesus alle Not der Menschen mitgemacht und ist zuletzt gestorben, damit er dem Menschen helfen kann. Sicherlich verlangt man nicht von einem Arzt, daß er erst alle Krankheiten mitgemacht hat, ehe er seinen Beruf ausüben darf. Aber man erwartet doch, daß er den Kranken in seiner Krankheit ernst nimmt und ihn zu verstehen sucht. Er darf sich nicht vom Mitleid überwältigen lassen, weil er sonst selber innerlich dabei kaputt geht. Aber sicherlich ist kein Arzt so abgebrüht, daß ihm alles nichts mehr ausmacht. Und wenn ein Kranker nur ein wenig Mitgefühl heraushört, ist ihm schon viel geholfen.

Manchmal wird man allerdings auch energisch sein müssen. Mancher vergräbt sich so in sein Leid oder seine Schmerzen, daß man ihn unter Umständen anbrüllen muß, damit er wieder normal wird und ihm geholfen werden kann. Das griechische Wort für „trösten“ hat noch die zweite Bedeutung „ermahnen“: Trost und Ermahnung sind nicht unbedingt ein Widerspruch, sondern wirken oftmals ineinander und ergänzen sich. Vielleicht trifft unser Wort „ermuntern“ noch am besten die Sache: ein gewisses energisches gutes Zureden, aber vorwiegend doch der liebevolle Zuspruch, Verständnis und Mutmachen.

Wir lesen etwa in der Zeitung von einem schweren Verkehrsunfall. Und ein paar Tage später erscheint eine Todesanzeige, aus der etwa hervorgeht, daß mehrere Familienmitglieder ums Leben kamen. Das läßt uns doch nicht ungerührt, denn wir wissen, wieviel Herzeleid und Trübsal dadurch entstanden sind.

Oder man steht am Bett eines Kranken, der schon vom Tode gezeichnet ist. Alle ärztliche Kunst ist am Ende, nur noch ein paar Stunden oder Tage, dann holt der Tod sein Opfer. Wie schwer ist es dann für die, die dem Kranken nahestehen! Aber gerade hier sind wir aufgerufen, erst einmal richtig zuzuhören und von unsrem Glauben her das helfende Wort zu sagen. Ein billiges Vertrösten ist dabei keine Hilfe.

Nur wer selber Trost erfahren hat und vertraut auf den Zuspruch Gottes, kann Vertrauen mitteilen und andere trösten. Solche Menschen sind begehrt und haben einen gewissen Seltenheitswert. Sie müssen ja bereit sein, fremdes Leid zum eigenen zu machen. Und sie müssen

Selbst durch Leiden hindurchgegangen sein oder gar noch mittendrin stehen.

Ein kerngesunder Mensch fühlt sich am Bett eines Schwerkranken tief verlegen, ärmlich und hilflos. Wer nur die Sonnenseite des Lebens kennt, weiß nicht, wie denen im Schatten zumute ist. Jesus aber ist durch schwere Leiden hindurchgegangen, Niemand kann sagen, er habe gut reden, denn er wisse ja nicht, was weh tut. Die Zeit, in der wir auf den Karfreitag zugehen, sollte uns dazu dienen, darüber nachzudenken, was es heißt: „für andere leiden“.

In fast allen Konflikten sind beide Seiten schuldig geworden. Vieles, was die Menschen quält, geht einfach auf menschliche Schuld zurück. Wer selbst hinein verstrickt ist, ist zu einer Selbstdiagnose weitgehend unfähig. Es ist ein Außenstehender nötig, der aber auch oft das Geflecht der Verschuldungen und gegenseitigen Vorwürfe nicht entwirren kann. Dennoch brauchen wir solche Menschen, die sich als Vermittler zur Verfügung stellen

Erst recht wird die Hilfe schwer, wenn Leiden wirklich „schicksalhaft“ über uns gekommen ist, etwa in Gestalt unheilbarer Krankheit. Wir haben die Formel auch nicht, die uns den Sinn er­schließt. Aber wir könnten den Gott kennen, der helfen kann und der auch in dem, was wir nicht verstehen, geehrt sein will und unser Vertrauen verdient. Wir kennen nicht Gottes Wege, aber sein Herz.

Gott kann aus jedem Leiden und jedem Ärger etwas Tröstliches und Heilsames machen. Irrtum und Sünde lassen den Menschen oft in einen Konflikt hineingeraten. Aber der Gott alles Trostes hat Gelegenheit, ein überwältigendes Wunderwerk seiner Gnade zu vollbringen. Wer die Vergebung der Sünden auf eine ganz konkrete Weise brauchte, hat die Kraft des Evangeliums und das Erbarmen Gottes vielleicht am tiefsten erfahren. Er kann dann oft auch am. besten andere trösten.

M:it dem Leiden führt Gott auch den Trost herauf. Das gilt nicht nur für den Fall, den Paulus erfahren hat. In das Kreuzesschicksal ihres Herrn werden Christen auch einbezogen in Krankheiten und seelischer Niedergeschlagenheit, bei mitmenschlichen Problemen und beruflichem Mißerfolg, in Einsamkeit und Gewissensnöten.

Gibt es eine Gemeinsamkeit der Leiden und des Trostes, so gibt es auch eine Gemeinsamkeit der Hoffnung. Die Korinther haben die Erfahrung des barmherzigen Gottes nicht umsonst gemacht. Wichtiger aber ist, daß Gott an seiner Gemeinde festhält. Man kann sie nur beglückwünschen, wenn sie es lernen muß, wie nötig sie Gott hat. Denn dann wird sie auch erfahren, was dieser Gott auch aus der verfahrensten Situation machen kann und will.

 

 

2. Kor 1, 8 – 11 (4. Sonntag nach Epiphanias):

Im Jahre 1942 hat der Dichter Jochen Klepper sich das Leben genommen. Einige seiner Lieder stehen in unserem Gesangbuch. Am bekanntesten ist das Adventslied: „Die Nacht ist vorgedrungen!“ Aber obwohl er so ein gläubiger Mensch war, ist er doch am Leben verzweifelt. Er war mit einer jüdischen Frau verheiratet, die aus erster Ehe eine Tochter hatte. Nun hatten sie erfahren, daß Frau und Tochter in ein Vernichtungslager abtransportiert werden sollten. In der Nacht vorher hat sich aber die ganze Familie das Leben genommen. Sicher war das ein schwerwiegender Schritt und eine Sünde gegenüber Gott. Aber ein Mensch kann wirklich in Situationen kommen, wo er meint, es gäbe keinen anderen Ausweg mehr.

Ein Mann wie Paulus hat auch viel mitgemacht in seinem Leben. Er hat erfahren, was Anfechtung ist. Er hat lernen müssen: Der Glaube darf nicht gleich aus allen Wolken fallen, wenn es Beschwerliches und Hartes zu bestehen gilt. Gottes Aufgabe ist es nicht, die Weltmaschine immer schön zu ölen und dafür zu sorgen, daß alles wunschgemäß funktioniert. Gott ist kein harmloser, uns unentwegt anlächelnder Gott.

Gott ist aber auch da, wenn das Boot in den Stürmen hin und her geworfen wird, wie es im Evangelium für den heutigen Sonntag beschrieben wird. Damit wird die Liebe Gottes nicht geleugnet, sondern in den richtigen Zusammenhang gestellt. Den Trost dürfen wir immer haben, daß wir einen verläßlichen Gott haben. Deshalb gilt für uns:

 

1. Auch im äußersten Fall haben wir eine Hoffnung: Paulus ist gleich zweimal in Bedrängnis gekommen. Einmal hat es in Korinth einen schwerwiegenden Konflikt mit einem Gemeindeglied oder einer ganzen Gruppe gegeben. Auch wenn die Sache jetzt ausgestanden ist, so schmerzt sie noch immer. Paulus spricht mehrfach von Bedrängnissen, von Verfolgungen, Mißhandlungen, Armut, Schwachheit und Gefangenschaft. Seine Erlebnisse bei den Korinthern gehören mit auf diese Ebene.

Dazu ist aber nun noch eine Bedrängnis in der Provinz Asia gekommen, wohl in der Stadt Ephesus. In 1.Korinther 15 spricht er davon daß er in Ephesus mit Tieren kämpfen mußte. Das muß man nicht bildlich verstehen, sondern Paulus wurde wohl wirklich zum Tod in der Arena verurteilt, also zum Kampf mit wilden Tieren, der unter Orgelspiel vor den Augen der schaulustigen Menge vor sich gehen sollte.

Paulus kam in eine Situation, in der er das Todesurteil schon in der Hand hielt. Er wurde über alle Maßen belastet, über das hinaus, was ein Mensch zu tragen vermag, so daß er keinen Ausweg mehr sah und am Leben verzweifelte. Er hat mit allem abgeschlossen, das Ende war ihm sicher.

In so einer Lage vergeht es einem endgültig, das Vertrauen noch auf sich selbst zu setzen. Wo aber alles Selbstvertrauen am Ende ist, da verläßt man sich nur noch auf den Gott, der von den Toten erweckt. Da waren all die kleinen Hoffnungen dahin, mit denen wir Menschen uns aus eigener Kraft aufrechterhalten wollen. Dieses „von der Hand in den Mund leben“ ist im Augenblick der Todesgewißheit vorbei gewesen.

Aber dadurch hat er gelernt: Was auch immer einem Christen widerfahren mag und wieviel in seinem Leben auch immer zusammenbricht: auf Gott kann er immer noch hoffen, die große Hoffnung hat er immer noch vor sich. Seinen letzten Trost hat er in der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten gefunden. Einige Korinther wollen diese zwar bestreiten. Aber für Paulus ist die Auferstehung die letzte Trumpfkarte, die das Spiel entscheidet.

Vielleicht beneiden wir Paulus um seine Gewißheit, weil wir sie in einer in der Regel weniger schwierigen Lage nicht haben. Doch da würde er uns den Rat geben: nicht so sehr mit der Brüchigkeit des eigenen Glaubens beschäftigen, sondern mit der Verläßlichkeit Gottes. Dazu will uns Paulus in seinem Brief ermuntern.

 

2. In zahllosen Fällen machen wir gute Erfahrungen: Wir befinden uns nicht immer in einer Extremsituation. Wie könnten wir das auch aushalten? Der äußerste Fall aber läßt uns Erfahrungen gewinnen, die uns in Zukunft begleiten. Wenn wir erst einmal eine Hoffnung gewonnen haben, dann bleibt sie uns auch als unverlierbarer Besitz, wenn es uns gut geht.

Bei Paulus ist es letztendlich nicht zum „Äußersten“ gekommen. Wie das gekommen ist, wissen wir nicht. Paulus wurde wieder aus dem Tode errettet, er durfte weiterleben. Es tut wohl, daß Paulus sich nicht zum Märtyrertod gedrängt hat, sondern dankbar feststellt, daß ihm dieses grausame Ende erspart geblieben ist. Auch darin erkennt er die Hand Gottes.

Gott ist nicht nur im Jenseits, sondern er ist hier und heute der Herr der Lage Ich darf auch mein Leben, so wie es verläuft, als sein Werk ansehen und annehmen. Das Ganze ist sein Werk. Er wirkt nicht nur in kritischen Phasen und in schicksalhaften Knotenpunkten.

Keine Situation ist so verfahren, so notvoll und so hoffnungslos, daß Gott nicht zufassen könnte, und wäre es im letzten Augenblick. Wir täten jedenfalls gut daran, unsere Erfahrungen mit Gott in uns wachzuhalten. Das setzt natürlich voraus, daß man aufmerksam und wach genug war, um erst einmal das wahrzunehmen, was man Gott verdankt. Außergewöhnliche Ereignisse rütteln auf. Sie leiten uns an, die kleinen Wohltaten Gottes im alltäglichen Leben zu entdecken und zum Gegenstand unseres Dankes zu machen.

 

3. In jedem Fall dürfen wir Zuversicht haben: Wenn wir auf Gott unsere Hoffnung gesetzt haben, so daß nun nicht mehr daran zu rütteln ist, dann wird er uns auch künftig bewahren und retten. Dann kann man ihm nicht nur den äußeren Bestand des Lebens anvertrauen, sondern auch das, was zwischen Paulus und den Korinthern so bedrückend gewesen ist.

Diese Zuversicht ist aber dann nicht nur eine Erwartungshaltung im Sinne von: „Gott wird es auf alle Fälle gut machen!“ Vielmehr führt sie auch gleich zu einer bestimmten Aktivität, zum Bitten und Danken. Da läßt man dann nicht nur passiv an sich geschehen, was Gott tut, so wie man sich einem Lokführer oder Piloten anvertraut, ohne selbst in irgendeiner Weise Einfluß auf ihn zu nehmen oder ihn zu bitten.

Wer Zuversicht hat, der sucht den persönlichen Kontakt mit Gott. Die Atmosphäre des Vertrauens erlaubt dies, ja sie verlangt dies sogar. Gott ist ja nicht die „Vorsehung“, die in eisiger Unnahbarkeit das Riesenschaltpult der Welt bedient. Gott ist unser Vater, mit dem alles besprochen und erörtert und vielleicht sogar ausgekämpft wird. Dazu haben wir ein Recht.

Paulus zieht zu solchem Austragen der Dinge vor Gott sogar die Korinther mit heran. Wohlgemerkt: das sind die, mit denen er sich bis vor kurzem im schwersten Konflikt und Zerwürfnis befunden hat. Schöner kann er es gar nicht zeigen, daß für ihn der Streit und damit auch die Trübsal aus der Welt sind.

Paulus sagt: „Ich brauche euer Gebet! Wir haben nicht einen Zustand des abgekühlten und schiedlich-friedlichen Nebeneinanders erreicht. Vielmehr tretet ihr betend für mich ein, nehmt vor Gott meine Interessen wahr und seid mir in meinem Dienst behilflich. Wir ziehen jetzt an einem Strang. Und ich kann mich doch wohl auf ‚meine‘ Korinther verlassen!“

Aber allzu oft rechnen wir nicht mit dem Gott, der wirklich retten kann und will. Nicht selten stehen wir seinem Retten selbst im Wege. Bei Konflikten zwischen Kollegen und Hausbewohnern, zwischen Eheleuten oder Eltern und Kindern bringen wir es zuweilen noch zu einem begrenzten Nebeneinander - und wenn es ganz gut geht zu einem begrenzten Miteinander. Aber man traut dem Frieden nicht so recht.

Der tiefste Grund ist jedoch: Wir sind uns nicht genug dessen gewiß, daß Gott wirklich retten wollte und retten will. Wir nehmen unsere Schwierigkeiten und Bedenken ernster als den Rettungswillen Gottes. Paulus aber vertraut darauf, daß Gott das Unmögliche möglich macht, weil er es machen kann und will.

Alles aber läuft bei Paulus aus in einen großen Dank. Vor sich sieht er einen unübersehbar großen Chor von Menschen, die die Macht und die Güte Gottes erfahren haben und deren Gesichter darum im Dank zu Gott zugewendet sind. In diesen Chor sollten auch wir uns einreihen.

 

 

2. Kor 1, 18 – 22 (4. Advent):

Macher wird Besuch zu den Festtagen erwarten. Wenn er angekündigt ist, haben wir uns schon darauf eingestellt. Aber was ist, warn wir vergeblich warten und die Gäste kommen nicht, geben vielleicht nicht einmal Nachricht? Dann sitzen wir da und grübeln: „Woran mag es liegen? Ist jemand krank geworden oder gar ein Unfall geschehen? Oder haben sie den Termin einfach vergessen? Nehmen sie das Versprechen nicht so ernst? Gilt eine Zusage nichts mehr? Ein Ja soll doch ein Ja und ein Sein soll doch ein Nein sein!“

Wieviel leichter und unbeschwerter wäre unser Zusammenleben, wenn wir zuverlässig wären. Wie oft werden wir mit einem Ja abgewimmelt, aber der andere denkt: „Daraus wird sowieso nichts!“ Da verspricht ein Handwerker einer alten Frau: „Morgen Nachmittag komme ich!“ Und als sie fort ist, fragt er seinen Gesellen „Wer ist denn das eigentlich gewesen?“ Mancher läßt sich auch schnell umstimmen und bricht sein gegebenes Wort.

Ob die Betreffenden sich nicht überlegen, daß sie einmal dafür zur Rechenschaft gezogen werden könnten, von Menschen und erst recht vor Gott? Es ist schlimm, daß wir in ein allgemeines Klima hineingeraten sind, in dem man leichtfertig etwas dahinsagt und von Anfang an weiß, daß man es nicht einhalten wird. Wenn der Pfarrer es aber auch so machen würde, dann hieße es ja nicht: „Der Herr Soundso hat sein Wort nicht gehalten!“ sondern man würde auf die Sache schließen und sagen: „Die Kirche ist nicht ehrlich! Was kann man denn überhaupt noch glauben?“

Dem Apostel Paulus haben die Korinther auch vorgeworfen, er habe sein Besuchsversprechen

nicht termingerecht eingelöst. Er hatte sie von Ephesus aus besuchen wollen, war aber in den Norden gereist. Deshalb wurde seine persönliche Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen. Indirekt aber hat man die Zweifel auch auf die Botschaft übertragen, die Paulus gebracht hatte: Bei Paulus seien Ja und Nein beliebig austauschbar, da sei auch seine Botschaft fragwürdig.

Für Paulus aber stellt sich die Sachlage andere dar. Er steht durchaus zu seinem Versprechen. Aber er lehnt ein starres Festhalten an Zusagen ab. Er verliert die Gesamtsituation und seine Zielsetzungen nicht aus dem Blick. Entscheidungen sind immer auf konkrete Situationen bezogen und gelten in der Regel nicht für immer und ewig. Wenn sich die Situation ändert, muß auch die Entscheidung neu gefällt werden.

Das ist der Unterschied zur sogenannten „Nibelungentreue“. Die Nibelungen waren zu den Hunnen gezogen und kämpften dort bis zum letzten Mann, auch wenn es im Grunde sinnlos war. Aber weil sie sich nun einmal ihr Wort gegeben hatten, kamen sie nicht vor ihrem hohem Roß herunter. „Nibelungentreue“ heißt: Wir bleiben auf alle Fälle dabei, um jeden Preis und wie auch immer.

Aber das führt dann auch dazu, daß man selbst der schutzsuchender Freund den Häschern ausliefert. So hat es der Philosoph Immanuel Kant gefordert. Er sagte, er sei zu stolz zu einer formalen Lüge. Aber so ein prinzipielles „Ja“ kann tödlich wirken. Wie viele Menschen wären wohl der Gestapo in die Hände gefallen, wenn nicht Menschen gelogen hätten. Hier geht es doch um eine höhere Wahrheit, die über allen Prinzipien steht.

Paulus stellt dem Geist, der stets verneint, das Ja Gottes in Jesus Christus gegenüber. Er sagt den Korinthern: „Ich habe euch damals keine unsichere Vermutung mitgeteilt, sondern ich habe euch verkündigt, daß Jesus wirklich der Sohn Gottes ist. Das war eine ganz klare und zuverlässige Botschaft, die ich euch weitergegeben habe.

Auch für uns heute gilt es, sich an diesem konstruktiven „Ja“ Gottes zu orientieren. Wir hören aus den Nachrichten so viel Negatives, hören von Not und Unglück, Gewalt und Krieg. Gott setzt dem seine Botschaft entgegen, daß er eine neue Welt heraufführen wird. Er sagt Ja zur Welt und zu den Menschen. Deshalb haben wir auch das Recht, Advent und Weihnachten zu feiern.

Aber wir dürfen uns natürlich auch nicht zum Fest in reine Innerlichkeit zurückziehen, nur auf unsre Familie oder auch unsren Glauben. Gottes „Ja“ ist kämpferisch, er ist unterrichtet und ist kritisch. Er möchte, daß es vorangeht mit der Welt. Wir können uns nicht aus der Welt zurückziehen und sie den Mächtigen überlassen. Wer Gott richtig verstanden hat, der beteiligt sich an seinen Bemühungen, die Welt voranzubringen. Doch das können wir nur, wenn wir uns ganz auf Gott verlassen können. Deshalb wird uns gerade in dieser Zeit vor Weihnachten gesagt: Gott steht zu seinem Wort. Und Gott steht zu uns und läßt uns fest stehen. Man muß den nötigen Rückhalt haben, muß den Rücken aber freihaben von allen Angriffen, damit man arbeiten und kämpfen kann. Gott aber hält uns den Rücken frei und treibt uns gleichzeitig nach vorne. Und darin ist er auch völlig zuverlässig und wahrhaftig.

Gott steht zu seinem Wort: Er hat uns besucht. In Jesus Christus ist er da. Er läßt die Menschen zwar manchmal lange warten, aber nie vergeblich. Er kam in die Welt und wurde ganzer Mensch. Die Weihnachtsgeschichte mit der Geburt des Kindes in der Krippe kann es nicht besser verdeutlichen. Gott hatte seinem Volk viele Verheißungen mitgegeben. Nun ist der neue Bund, die Zeit der Erfüllung, angebrochen. Daran erkennen wir: Gott ist zuverlässig. Er hält, was er verspricht.

Deshalb ist es auch nicht nötig, nach zusätzlichen Sicherungen für die Zusagen Gottes zu fragen. Die Katholiken bitten Maria und die Heiligen um Beistand, sie sollen bei Gott sich für sie einsetzen. Und die Neuapostolischen praktizieren die „Versiegelung“ als ein zusätzliches Sakrament; dadurch wollen sie eine letzte Gewißheit gewinnen, daß sie auch tatsächlich erwählt sind. Sie wollen dadurch vor den Christen etwas voraushaben, und wenn es nur das Schreiben eines der neuen Apostel ist, das sie dann einmal bei Gott vorweisen können, wie sie meinen.

Für uns aber genügt das Wort Gottes: Entweder sagt Gott „Ja“ und dann ist das auch „Ja“ und braucht keiner zusätzlichen Bestätigungen. Oder wir können den Glauben gleich seinlassen. Höchstens gibt es für uns noch Symbole, die aber nur Hilfen zum Verständnis des Glaubens sind: Eine Kerze weist uns hin auf Jesus, das Licht der Welt. Der Adventskranz weist auf die Krone, die der erhalten soll, der mit Gott gegangen ist, usw. Aber das Entscheidende ist Gott selber und was er uns zugesagt hat.

Gott steht zu uns und läßt uns fest stehen: Wir haben gar keine „Versiegelung“ durch Menschen nötig, weil wir von Gott selber befestigt und gesalbt und versiegelt sind und als erste Anzahlung auf das Weitere der Heilige Geist. Gott bindet uns fest an sich und zieht uns mit ins neue Leben hinein. Von ihm aus wird die Beziehung nie abreißen. Seit unsrer Taufe stehen wir in einer stabilen Verbindung mit Gott und Jesus Christus, die ununterbrochen von ihm neu befestigt wird.

Er hat uns sein Siegel aufgedrückt. Wir sind sein Eigentum. Und wir haben den Heiligen Geist. Einzelne Zusagen sind noch nicht erfüllt. Manche sind nur zum Teil erfüllt. Aber Jesus wird das alles noch vollenden. Er war das „Ja“ Gottes auf viele seiner Verheißungen. Jetzt wird er auch noch den Rest verwirklichen. Das volle Heil steht zwar noch aus. Aber wir dürfen darauf warten mit ganzer Zuversicht.

 

 

2. Kor 3, 3 - 9 (20. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

Eine Anruferin regte sich bei einer Frankfurter Tageszeitung darüber auf, daß der zuständige katholische Pfarrer den neun Monate alten Sohn der Familie nicht taufen wollte. Beide Eltern waren aus der Kirche ausgetreten, weil sie bei den ständigen Preiserhöhungen das Geld für die Kirchensteuer sparen wollten. Aber mit dem Glauben habe das nichts zu tun, es ginge ja nicht um sie, sondern um ihr Kind. Es dürfe nicht sein, daß man nur als Christ angesehen wird, wenn man monatlich die Kirchensteuer zahlt.

Der Pfarrer aber wies auf den Widerspruch hin: Sie erbitten etwas für ihr Kind, was sie für sich ablehnen. Ein Kind kann nur auf den Glauben der Eltern, Großeltern und Paten getauft werden. Andernfalls würde die Taufe zu einer Beschwörungshandlung und die Kirche zu einem Service-Betrieb. Wenn die Menschen wollten, daß die Kirche sie ernst nehme, dann könne man auch erwarten, daß die Menschen die Kirche ernst nähmen.

Bedauerlich ist nur, daß nun ein evangelischer Pfarrer die Taufe vornehmen will. An sich gilt die Regel: Die evangelische Kirche mischt sich nicht in die Kirchenzucht der katholischen Kirche ein, auch wenn sie noch so sehr dagegen ist. Man kann mir auch kaum vorstellen, daß es sich um einen Pfarrer der Landeskirche handelt, denn in der evangelischen Kirche gelten die gleichen Maßstäbe.

Andererseits gilt natürlich auch, daß die Kirche barmherzig sein soll, weil auch Gott barmherzig ist. Doch das Beispiel mit der Taufe ist dafür wahrscheinlich ungeeignet, denn es wird ja nicht die Taufe an sich verweigert, sondern nur die Kindertaufe in diesem speziellen Fall. Da könnte man sich schon eher vorstellen, daß man einen aus der Kirche Ausgetretenen kirchlich

beerdigt, wenn alle Angehörigen aktive Gemeindeglieder sind.

Da kann man nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes gehen, sondern muß den Einzelfall werten, damit der Sinn einer Bestimmung erhalten bleibt. An sich sind Gesetze und Regeln eine gute Sache. Sie stellen die gesammelte Erfahrung von Generationen dar. Sie sind ein gutes Geländer für die eigene Entscheidung. Zuerst einmal gilt es, die von der Allgemeinheit aufgestellten Regeln einzuhalten.

Es gibt auch Mitbürger, die sehen das anders. Sie sagen: „Gesetze sind nur so etwas wie Vorschläge, wie man es machen könnte. Aber keine Regel ohne Ausnahme! Wenn auch der Staat mit seinen Machtmitteln die Gesetze durchsetzt, so muß es doch in der Kirche anders sein!“ Wer so redet und denkt, macht es sich zu leicht. Er setzt eigene Willkür an die Stelle der Rücksichtnahme gegenüber anderen.

Nur wer sich ehrlich bemüht hat, die bestehenden Gesetze einzuhalten, darf sich vielleicht auch einmal im Ausnahmefall die Freiheit nehmen, von der Regel abzuweichen. Vor allem gilt das, wenn nur so der eigentlich gemeinte Sinn einer Bestimmung eingehalten werden. Jesus hat sich Jesus an das Sabbatgebot gehalten und am Feiertag nicht gearbeitet. Aber als er und seine Jünger Hunger hatten, da hat er doch einmal einige Ähren abgerupft und den schlimmsten Hunger damit gestillt.

Zur Zeit Jesu und zur Zeit des Paulus war die Situation ja noch anders. Da stöhnten die Menschen unter den vielen kleinlichen Bestimmungen, die man aus Gottes Geboten heraus entwickelt hatte. Die Gebote sind eine gute Hilfe und lassen viel Freiheit. Deshalb dürfen sie nicht zu einem engen Geflecht gemacht werden, das die Menschen knebelt.

Deshalb schreibt Paulus: „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig!“ Er will auch,

daß es in der Kirche anders zugeht als sonst in der Welt. Dort soll es menschlicher und gerechter sein, einfach frohmachender. Paulus hat ja selbst erfahren müssen, wie ungerecht und unmenschlich man ihn behandelt hat. Es waren gerade die eigenen Leute - zumindest ist es ein Teil der Gemeinde - der ihm zu schaffen macht. Sie zweifeln an, daß er Gottes Wort sagt und ein richtiger Apostel ist.

Paulus macht zum Maßstab, ob das Gesetz oder das Evangelium gepredigt wird. Wer das Gesetz nur als Forderung sieht, der kann ihm nur mit einer Leistung aus eigener Kraft begegnen. Er wird unweigerlich dabei aber zum Knecht des Gesetzes werden und sich in seinen Einzelbestimmungen verfangen.

Paulus aber hat zum Glück eine andere Botschaft. Er vertraut auf die Gabe Gottes, die dem Menschen das möglich macht, was er aus eigener Kraft nicht vermag. Er weiß etwas von der

Freiheit eines Christenmenschen, der sich gern an Regeln hält, aber im Sonderfall es auch anders machen kann.

Diese frohmachende Erkenntnis hat Paulus in der Auseinandersetzung mit Gottes Wort gewinnen dürfen. Nun will er sie der Gemeinde in Korinth und allen Christen vermitteln. Schon Mose hat etwas von Gott erfahren, das ihn so strahlen ließ, daß er sein Angesicht bedecken mußte, damit die anderen nicht geblendet werden. Noch viel strahlender aber ist, wenn man Gott in Jesus Christus sehen darf. Das hat Paulus voller Begeisterung gelernt und möchte es nun weitervermitteln.

Dabei versteht er sich aber nicht als Amtsträger der als Organisation verfaßten Kirche. Das Amt in der Kirche ist - zumindest theoretisch - nicht auf eine Person beschränkt. Besonders in der Evangelischen Kirche haben wir das allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Es gibt viele Ämter neben dem des Pfarrers. An der Herrlichkeit des Dienstes für Gott kann im Prinzip jeder teilhaben. Aber in der Praxis ist es den kirchlichen Oberen doch lieber, alles im Griff zu haben.

Zum Beispiel muß man, wenn man als Pfarrer aus dem kirchlichen Dienst ausscheidet, die Ordinationsurkunde zurückgeben. Damit hat man zum Beispiel nicht mehr das Recht der freien Wortverkündigung, darf nicht mehr die Sakramente austeilen und nicht mehr die Beichte hören (um nur die drei Hauptverpflichtungen des ordinierten Pfarrers zu nennen).

Höchstens der vierte Punkt bleibt noch: Zusammen mit der ganzen Familie ein Vorbild des christlichen Lebens zu sein. Aber das gilt natürlich sowieso für jeden Christen. Man kann diese Aufgabe auch bejahen: Am Leben des Christen soll etwas deutlich werden von der Liebe Gottes zu den Menschen. Gott ist nicht das strenge Gesetz, sondern der uns liebende gütige

Vater.

Das wird auch in der Erziehung deutlich: Kinder brauchen feste Regeln, sonst finden sie sich nicht zurecht. Dennoch sollen sie auch etwas von der Freiheit erfahren. Da hat ein Kind zum Beispiel eine bestimmte Verpflichtung im Haushalt übernommen. Doch dann ist schönes Badewetter, die Freunde warten. Da übernehmen die Eltern für dieses Mal die Aufgabe. Dadurch kann das Kind etwas von dem erfahren, wie Gott zu den Menschen ist: zwar der fordernde Gott, aber auch der liebende Gott.

Gott ist nicht eine Idee oder ein hartes Prinzip, sondern einer, der unser Herz anrührt und freiwilligen Gehorsam erhofft. Da fragt ein Kind in der Schule die neue Religionslehrerin: „Machst du nur deinen Unterricht oder bist du wirklich christlich?“ Schon so ein Kind weiß und spürt, ob man diesen Dienst nur zum Broterwerb tut - weil man als Lehrer halt noch ein zweites Fach in der Schule braucht - oder ob man mit Leib und Seele dahintersteht. Es ist schon ein Unterschied, ob man nur arbeitet, um Geld zu verdienen, oder um eine Botschaft weiterzusagen.

Da will das Kind wissen: Betest du auch täglich und gehst du (fast) jeden Sonntag zum Gottesdienst? Was von einem Verkünder des Wortes Gottes verlangt wird, kann er im Grunde gar nicht leisten: Er hat studiert, kann Sachinformationen geben, er kann erörtern und argumentieren, er kann sich eine Einführung überlegen. Es ist schon gut, wenn man das alles hat lernen dürfen. Aber es geht nicht um das theoretische Wissen von der Religion.

Vielmehr will in der Predigt und überall, wo Leute der Kirche handeln, Gott selber zu Wort kommen und mit seiner Gemeinde reden. Wer das weiß, hält kein Referat, auch wenn in der Praxis viele nur Referate halten, weil sie das eben gelernt haben. Wer es aber ernst nimmt, der gibt etwas weiter, was er selber von außen gehört hat und was er als lebendigen Zuspruch an andere weitergeben kann.

Es geht nicht um das gute Studium, um natürliche Begabungen und Fähigkeiten, salbungsvolle Reden und witzige Pointen, um Leistungen und Vorzüge. All das ist nur Buchstabe, eigenes Können, Gesetz, so alles könnte man etwas auf den Tisch legen und Gott damit gewissermaßen zum Schuldner machen.

Gottes Geist allein macht es. Er ruft die Gemeinde zusammen, er öffnet die Ohren und Herzen, er läßt Verständnis und Erkenntnis wachsen, er weckt die Liebe zu den Menschen und überwindet das Gesetz. Ob alles richtig angenommen wurde zeigt sich darin, ob die Gemeinde ein Empfehlungsbrief ist. Nicht eine Empfehlung für den menschlichen Boten, sondern für die Botschaft und ihren Absender.

So gilt also: Statt Mosegesetz das Christusevangelium, lebendiger Geist und Einüben der Gerechtigkeit. Doch möglich ist das nur, weil man selbst den Freispruch erlebt hat und gerechtgesprochen ist.

 

 

2. Kor 3, 4 - 9 (20. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

In einer Reihe von alten Kirchen steht unter der Kanzel die Gestalt des Mose. Er ist kenntlich an den Gesetzestafeln, die er in der linken Hand trägt und an dem Wanderstab in seiner Rechten. Als Christen können wir allerdings den Mann mit den Gesetzestafeln nicht für sich allein betrachten. Wenn wir in einer solchen Kirche sind, dann werden auch unsre Augen hinüber­wandern zu dem Altar, wo das Kreuz Jesu steht. Der eine hat die Gebote Gottes gebracht, der andere hat gelehrt, daß wir Gott als unseren Vater anreden dürfen. So wurde das Predigtamt des Alten Bundes weitaus überboten durch Jesus, der den neuen Bund brachte.

Dennoch werden wir uns in der christlichen Kirche auf beide berufen, auf Mose und auf Christus. Die Gebote aus dem Alten Testament sind ja schließlich auch für uns die Gebote Gottes und gehören mit zu unserem Glauben. Nur haben wir heute noch sehr viel mehr zu verkündigen als Mose, der alttestamentliche Glaube wurde ja durch Jesus weit überboten. Und hatte schon das Amt des Mose eine gewisse Herrlichkeit, so hat die Aufgabe eines Predigers Jesu Christi noch viel mehr Glanz.

Daß wir uns gleich von Anfang an richtig verstehen: Diese Aufgabe des Predigens ist nicht eine Spezialität des Pfarrers. Und das entsprechende griechische Wort ist weniger mit „Predigtamt“ zu übersetzen, sondern vielmehr mit „Predigtdienst“. In diesen Dienst sind alle Christen mit einbezogen.

Von den Bibelforschern, den „Zeugen Jehovas“ können wir uns da eine Scheibe abschneiden, auch wenn sie natürlich inhaltlich irren. Aber die sind verpflichtet, jeden Monat so und so viel Stunden „Felddienst“ zu tun, wie sie das nennen, also anderen Menschen von ihrem Glauben zu predigen. Und die lassen sich auch dafür schulen und haben keine Scheu, bei den Leuten mit der Tür ins Haus zu fallen. Bei deren ist jedes Mitglied ein Prediger.

Das ist bei uns theoretisch auch so. Aber viele werden sich jetzt im Stillen gesagt haben: „Ich kann das nicht. Ich kann meinen Glauben nicht so schön und vollendet in Worte fassen, wie das sein müßte. Deshalb scheue ich mich, bei anderen den Mund davon aufzutun. Ich will ja gern für mich ein Christ sein und bleiben. Aber ein Missionar kann ich nicht sein, das ist zu viel verlangt!“

Angesichts dieser Situation, in der sich sicher viele unserer Gemeindeglieder befinden, ist es deshalb sicherlich gut, wenn wir uns noch mehr Gedanken über den Predigtdienst machen (in drei Punkten).

 

1. Ihr seid ein Brief Christi:

Wie kommt Paulus zu diesem Vergleich? Nun, viele reisende Apostel der damaligen Zeit wiesen sich durch Empfehlungsbriefe aus. Paulus hatte solche Briefe nicht. Wer hätte sie ihm auch ausstellen können? Er war ja von Jesus Christus ausgesandt, der allein hatte ihn den Menschen empfohlen.

Aber Paulus hat dennoch Empfehlungsbriefe. Allerdings sind die nicht mit Tinte geschrieben und auch nicht wie die zehn Gebote auf steinerne Tafeln. Vielmehr sind sie mit dem Geist des lebendigen Gottes in die Herzen der Menschen geschrieben. Mit anderen Worten: Die Christen allein sind der Empfehlungsbrief für Christus und seine Apostel.

Was damals richtig war, ist auch für uns heute gut. Nicht mit Papier kann man für die Ausbreitung des Wortes Gottes sorgen, sondern nur durch das lebendige, gesprochene Wort. Das geschieht etwa, wenn ein Kind ein anderes mit zum Kindergottesdienst einlädt oder zum Kindernachmittag mitnimmt. Das geschieht, wenn der Pate sonntags zu Besuch kommt und mit dem Konfirmanden zum Gottesdienst geht und nachher mit ihm darüber spricht. Das geschieht, wenn die Mutter ihrem Kind das Beten lehrt. Das geschieht, wenn ein Arbeiter seinen Kollegen deutlich machen kann, weshalb der Glaube mit zu seinem Leben dazugehört. Das geschieht, wenn eine alte Frau eine Spruchkarte allen ihren Besuchern zeigt und etwas dazu sagt.

Es kommt gar nicht so sehr darauf an, was man sagt, sondern daß es aus dem Herzen heraus gesagt wird. Wir sind ja nur die Werkzeuge Christi. Das Schreiben besorgt er schon selbst. Wenn man nur bereit ist zum Dienst, wird man auch schon die richtigen Worte finden und das sagen, was nötig ist.

Die Fähigkeit zum Predigen im weitesten Sinne ist ja nicht eine Fähigkeit des betreffenden Menschen. Angesichts der göttlichen Botschaft sind wir alle nur Hilfsprediger. Wer könnte sich schon rühmen, in jedem Fall den genauen Sinn einer Glaubensaussage erfaßt zu haben. Nicht die Diener sind also herrlich, sondern der Dienst.

Dennoch schadet es nichts, wenn man seine sämtlichen geistigen Fähigkeiten anstrengt, um den Sinn des Wortes Gottes zu erfassen. Pfarrer werden nicht nur die Dümmeren. Allerdings kann man nun nicht sagen, daß man erst Theologie studiert haben muß, um richtig glauben zu können. Ein schlichter Bibelleser kann zu den gleichen Einsichten gelangen und auch mehr vom Glauben verstehen als ein Pfarrer. Und ein Pfarrer muß sich das, was er weiß, mit dem Herzen angeeignet haben, sonst ist es ihm nichts nütze. Es ist auch gar nicht erforderlich, die Wahrheit der Bibel wissenschaftlich nachgewiesen zu habe. Daß die Wahrheit in unsrem Herzen drin ist, das ist entscheidend. Und bei wem das der Fall ist, der kann dann auch Prediger Gottes sein, welchen Beruf und welche Aufgabe er auch sonst haben mag.

 

2. Der Geist macht lebendig:

Luther hatte in seiner Zeit betonen müssen, daß der Geist Gottes an den Buchstaben der Heiligen Schrift gebunden ist und man sich deshalb immer nur auf diese berufen darf. Heute dagegen muß man sagen: Es genügt nicht, ein christliches Schriftchen einfach zu überreichen oder unter die Tür zu schieben, sondern das persönliche Wort muß mit dabei sein. Nur wer ein eigenes Glaubenszeugnis mit abgibt, ist ein offener Brief Christi, in dem alle lesen können.

Wenn einer die Bibel in Hebräisch und Griechisch lesen kann, dann ist das gut. Aber das macht ihn noch nicht geeignet zum Diener des neuen Bundes, sondern höchstens zum Diener des Buchstabens. Man kann als Geschichtswissenschaftler oder Philosoph die Bibel lesen und doch nicht weiter davon berührt werden. Christ wird man nicht durch Studieren und Nachdenken, sondern durch den lebendigen Geist Christi.

Dieser allein qualifiziert uns dazu, Diener des neuen Bundes zu werden. Wenn einer sich zum Meister oder Ingenieur qualifiziert, dann muß er viel Arbeit leisten. Auch uns Christen täte es gut, wenn wir uns im Glauben über das Konfirmandenwissen und vielleicht das Predigthören

noch weiter qualifizierten. Das kann nicht schaden, sondern wird eine Bereicherung sein. Aber der entscheidende Durchbruch wird doch immer Gott erzielen.

Nur so kann man zu der inneren Freiheit der Träger der christlichen Botschaft kommen. Vielen Menschen merkt man es an, daß sie nicht nur fromme Worte machen, sondern erfüllt sind mit dem Geist Gottes. Sie tragen ein Geheimnis bei sich, das zwar nicht strahlend und trium­phierend sichtbar wird, sie aber doch zu Gehilfen Gottes macht. Sie vertrauen darauf, daß sie die Sache der Wahrheit vertreten und kein Wort mehr behaupten, als was ihnen von Gott aufgetragen ist. Gewiß werden sie auch für Christus werben. Es besteht deshalb die Gefahr, daß sie mit Geschäftsreisenden und Reklameleuten verwechselt werden. Davor ist man nie geschützt im Wettstreit der Meinungen und verlockenden Angebote.

Aber sie preisen nicht eine Ware an und versprechen auch nicht den Himmel auf Erden. Im Gegenteil: Sie sprechen eher von den Trübsalen und dem Mitsterben mit Christus. Sie dulden keine frommen Lügen. Und doch bleiben sie innerlich getrost und frei, weil sie Gottes Sache vertreten und von ihm auch mit getragen werden.

 

3. Der Dienst für Gott gibt Herrlichkeit:

Zunächst wird man wieder denken: Das stimmt doch nicht. Wer heute von Gott redet, der wird doch schief angesehen, für rückständig gehalten und unter Umständen sogar benachteiligt. Paulus selbst war ja zu seiner Zeit auch den häßlichsten Verdächtigungen ausgesetzt.

Wir müssen also zunächst feststellen, daß die Herrlichkeit des Dieners Christi verhüllt ist. Nicht jeder Außenstehende wird sie sogleich bemerken. Aber schon von dem Gesicht des Mose ging ein solcher Glanz aus, daß die Menschen sich von ihm abwenden mußten. Dabei hat er doch nur Gesetz und Verdammnis gepredigt. Aber Gott war ihm begegnet und deshalb strahlte sein Gesicht so.

Auch uns ist in Jesus Christus das Angesicht Gottes zugewandt. Wir dürfen heute das gnädige Gesicht Gottes widerspiegeln. Das heißt nun nicht, daß wir dauernd mit strahlendem Gesicht herumlaufen sollen. Und so eine feucht-fröhliche und plump-vertrauliche Christlichkeit stößt eher nur ab.

Oftmals sieht es in unserem Herzen auch nicht so danach aus, daß wir fröhliche Christen sein könnten. Aber Christus gibt uns die Gewißheit ins verzagte Herz, daß wir freigesprochen und nicht verurteilt sind und daß wir das Leben und nicht den Tod zu erwarten haben.

Deshalb sehen wir von Mose hin zu Christus, der für uns der Bringer des Lebens ist. Seine Diener dürfen wir sein. Und das kann uns dann auch mit Zuversicht und Freude erfüllen, die man uns ansieht.

 

 

2. Kor 4, 3 - 6 (Epiphanias):

Es ist ein Unterschied, ob man auf der Kanzel und steht und predigen soll, oder ob man unter der Kanzel sitzt und zuhören darf. Der Prediger wird vielleicht denken: Schon wieder kommt der Sonntag und du mußt dir etwas ausdenken für die Predigt. Ein Text ist vorgeschrieben, der soll nun so ausgelegt werden, daß es beim Hörer ankommt.

Aber es ist ja nun nicht so, daß es dafür Bücher gäbe, aus denen man abschreiben könnte, wie das einmal eine Frau zu ihrem Pfarrer sagte. Es gibt zwar Bücher. Aber die sagen nichts aus über die gegenwärtige Situation der Gemeinde und die aktuelle Lage der Gesellschaft. Da ist Einfallsreichtum und eigenes Denken gefragt, da wird man persönlich gefordert.

Das ist wie bei der Zeitung: Jeden Tag müssen die Seiten voll sein, muß man wieder neue Ideen haben. Ganz so schlimm ist der Druck bei einem Pfarrer nicht, obwohl er außer der Sonntagspredigt auch noch andere Ansprachen zu halten hat. Doch in der Regel vergeht Tag um Tag, der Sonntag rückt näher, auf den letzten Drücker muß dann doch etwas gemacht werden.

Die einfachste Lösung ist dann: Doch die Bücher nehmen und etwas abschreiben. Und so wird dann oft am Sonntag nur der Bibeltext ausgelegt, so wie er damals gemeint war. Das geschieht meist durchaus hochgeistig und originell, eine anerkennenswerte Leistung. Aber erst am Schluß blitzt dann meist etwas auf von der heutigen Situation.

Aber dann wird der Hörer mit der Aufforderung entlassen, sich jetzt selber seine Gedanken zu machen und alles in sein Leben umzusetzen. Wenn er bis dahin nicht eingeschlafen ist, dann wird er jetzt aufmerken. Er wird sich wünschen, daß es jetzt erst noch einmal richtig losgeht. Aber da kommt schon das „Amen“ und alles ist vorbei.

Die Auslegung der Bibel ist relativ leicht. Das haben die Pfarrer gelernt, dazu gibt es auch viele kluge Bücher. Aber die Predigt soll mehr leisten. Sie soll die damaligen Aussagen auf einige wenige Punkte zusammenführen und diese dann wieder breit fächern auf unserer heutige Situation.

Das erwartet auch der Hörer. Er selber will in der Predigt vorkommen und etwas mit nach Hause nehmen. Vielleicht hat er ein spezielles Problem an diesem Tag, auf das er eine Antwort wünscht. Der Prediger kann das natürlich nicht ahnen; vielleicht sollte man es ihm einmal vorher sagen. Aber da das in der Regel nicht geschieht, redet und denkt man aneinander vorbei.

Aber ganz so schlimm wäre das alles nicht, wenn nur Christus gepredigt würde. Paulus schreibt im Korintherbrief ganz klar: „Ich predige nicht mich, sondern Christus!“ Er war angegriffen worden, weil er nicht einen verherrlichten, triumphierenden Christus predigte, sondern einen menschlichen und unscheinbaren Christus. Seiner Botschaft mangele es an Durchschlagskraft und echter Gottesoffenbarung, er kenne nur die Niedrigkeit und Unansehnlichkeit Jesu. Dazu passe auch das Erscheinungsbild seiner Person: so ärmlich wie Paulus sei auch sein Christus. Der wahre himmlische Mensch aber zeige alle Merkmale der göttlichen Herrlichkeit.

In der Tat trug der wirkliche Jesus nicht das feierlich Amtskleid eines orthodoxen Patriarchen, auch nicht das Gewand des katholischen Papstes oder eines evangelischen Bischofs mit einem Amtskreuz. Er schwebte nicht in höheren Regionen über dem Alltag der Menschen, sondern er war ein Geringer unter Geringen. Am Ende wurde er grauenvoll umgebracht. Aber dadurch ist er immer denen am nächsten, die am schlechtesten dran sind. Gottes Gottsein besteht in seiner vorbehaltlosen Menschlichkeit.

Die einen können sich den Herrn nur als ein Himmelswesen vorstellen, den man nur in Visionen und Entrückungen entdecken kann. Die anderen können ihn sich nur als ein Erdenwesen vorstellen, das sich durch ein besonders gottgemäßes Verhalten auszeichnet. Das ist ein Wi­der­spruch, den man auch dem Paulus vorwirft.

Aber anders geht es wohl nicht. Einerseits können unsere Sinne das Göttliche an Jesus nicht wahrnehmen. Die Juden fordern dafür ein Zeichen, weil sie etwas sehen wollen. Die Griechen fragen nach der Wahrheit, weil sie das Göttliche denken wollen. Aber wer Jesus ist, kann man nicht aus einer Zuschauerhaltung heraus begreifen. Nur wenn ich selbst betroffen bin, geht mir Gott auf. Nur in der Nachfolge kann ich Christus erkennen.

An Weihnachten wurde uns vor Augen gestellt, wie Gott in einem Kind in der Krippe ein Mensch wurde. Am heutigen Festtag geht es nun um die Frage, wie wir in diesem schlichten Erdenmenschen Jesus, diesem unterschätzten und gescheiterten Mann aus Nazareth, doch die göttliche Herrlichkeit erkennen können.

Christenglaube beruht auf einer Entdeckung. Das heißt: Es soll wirklich eine Decke weggenommen werden. Mose mußte sich noch eine Decke auf das Haupt legen, nachdem er die Herrlichkeit Gottes gesehen hatte, weil der Glanz auf seinem Gesicht das Volk zu sehr geblendet hätte. Wir aber dürfen ungehindert ins Angesicht Jesu Christi sehen, um darin die Herrlichkeit Gottes erkennen zu können.

Paulus weiß, daß die Auslegung des Wortes Gottes nicht einfach ist. Er weiß, daß da vielfach eine Decke darüber liegt, die uns den direkten Zugang verwehrt. Er weiß auch, daß seine eigene Person zum Hindernis werden kann. Es ist einfach eine Gefahr, daß man nicht nur Christus predigt, sondern auch seine eigene Person in den Vordergrund spielen will.

Die Arbeit eines Pfarrers heute wird immer unterschätzt. Deshalb gibt es kaum soviel Selbstbeweihräucherung wie unter Pfarrern. Sie meinen, immer wieder nachweisen zu müssen, was sie alles tun. Und dann werden Statistiken aufgestellt und Vergleiche herangezogen. Weil niemand sie lobt, müssen sie sich selber auf die Schultern klopfen. Einerseits gibt man sich demütig, aber in Wirklichkeit hofft man doch auf Lohn und Anerkennung.

Die Pfarrer stehen ja auch unter einem besonderen Druck: Da man nur an den Christen sehen kann, wie Christus an ihnen wirkt, soll man wenigstens am Pfarrer ablesen können, wie ein rechter Christ auszusehen hat. Damit ist so ein Mann oder so eine Frau natürlich doch etwas überfordert.

Paulus aber sagt wenigstens: „Wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus!“ Damit tut Paulus wenigstens das ureigene Werk eines Predigers: Er stellt nicht seine Lieblingsgedanken dar, sondern er will das vermitteln, was Gott ihm aufgetragen hat. Viele Prediger von heute aber reagieren sich auf der Kanzel ab und sprechen das an, was sie die Woche über oder schon immer geärgert hat. Der eine hat es immer mit den Ausländern, die andere immer mit den Frauen, ein Dritter macht sogar Parteipolitik. Ein Psychologe hat sogar einmal gesagt: Die Prediger sind an sich weniger gefährdet, seelisch zu erkranken, weil sie sich jede Woche einmal auf der Kanzel abreagieren können. Da können sie dann einmal den Frust herauslassen und sich erleichterten.

Aber in der Kirche sollte man nichts tun, bei dem nicht Gott ausdrücklich vorkommt. An Heiligabend könnte man sich ja einfach auf das Krippenspiel beschränken, wenn es in sich schon genug Verkündigung sei. Aber die Gemeinde erwartet, daß auch in so einem Fall eine Predigt gehalten wird. Man kann ja vor dem Spiel den einen oder anderen Satz aus diesem Spiel hervorheben und mit einem Bibeltext verbinden.

Deshalb sollte es auch kein Konzert in der Kirche und keinen Gesangsgottesdienst geben, in dem nicht auch ausdrücklich Gottes Wort zum Zug kommt. Das muß ein Pfarrer wenigstens können, daß er nicht nur ein Plakat erläutert, sondern dabei auch die Bibel ins Spiel bringt.

Das Geheimnis der göttlichen Botschaft hat er zu verwalten. Er hat etwas empfangen, das er weitergeben soll. Das Wort Gottes ist ihm anvertraut und die Verwaltung der Sakramente. Er selber ist dabei nur Diener. Aber wegen dieser Aufgabe ist er so wichtig. Man kann sich das Evangelium nicht selber predigen und die Sakramente nicht selber reichen. Aber das Amt bringt nicht den Anspruch auf menschliche Überlegenheit mit sich. Die Pfarrer kommen gehen - die Gemeinde bleibt und die Botschaft bleibt.

Deshalb führt jeder Gottesdienst dazu, daß man als anderer Mensch wieder nach Hause geht. Zwar bleiben wir ein natürlicher Mensch. Aber wir haben etwas von der Herrlichkeit Gottes gesehen. Das ist in jedem Gottesdienst möglich, und sei es nur in der Textlesung oder in einem Gebet oder in einem Lied. Es bedarf gar nicht besonderer spektakulärer Erfahrungen, auch nicht einer Bekehrung, wie sie Paulus selber erfahren hat.

Da hört oder liest man ein Wort Gottes, und auf einmal ist man sich gewiß: Jetzt            steht er unsichtbar neben mir! Man empfängt das Sakrament und sieht auf einmal nicht nur Brot und Wein, sondern wird der Gegenwart Christi gewiß. Wer sagt da: „Das habe ich noch nicht erlebt!“ Wir können uns doch wenigstens dafür offenhalten.

 

 

2. Kor 4, 6 - 10 (Letzter Sonntag nach Epiphanias):

Im Museum Schloß Wilhelmsburg in Schmalkalden kann man einen Münzfund bewundern, der seinerzeit großes Aufsehen erregte. Im Jahre 1896 wollte man einen Feldweg zwischen Seligenthal und Reichenbach bauen. Mit den primitiven Werkzeugen von damals sicher eine harte Arbeit bei niedrigem Lohn. Plötzlich stieß man auf die Reste eines alten Gemäuers. Ein großer Stein hinderte die Weiterarbeit. Die Arbeiter stöhnten. Aber als der Stein weggeschafft war, da fand sich darunter ein Schatz von fünf Goldmünzen und 83 anderen Münzen. Ein Teil davon befindet sich heute im Museum. Aber so ist es manchmal: Erst schimpft man und ist sehr unzufrieden, aber dann entdeckt man einen großen Schatz; der dann alle Mühen vergessen läßt [An dieser Stelle fügt man natürlich besser ein Beispiel aus der näheren Umgebung ein].

So mag es uns manchmal auch mit dem Evangelium Gottes gehen. Es ist nicht so einfach zugänglich und verbirgt sich manchmal unter einer unansehnlichen Hülle. Immerhin haben wir einen Abstand von fast 2 000 Jahren zu den neutestamentlichen Schriften. Wir können nicht mehr alles verstehen, was damals den Menschen selbstverständlich war. Vielfach ist eine ganze Wissenschaft nötig, um uns das Umfeld und den Sinn einer Bibelstelle zu erhellen. Das Verstehen der Bibel erfordert in der Tat manche „Arbeit“. Aber wenn man sich erst einmal durch die äußere Hülle hindurchgearbeitet hat, dann kann man auch auf einen unvergleichlichen Schatz stoßen, den man vorher vielleicht gar nicht so vermutet hat.

Wer Theologie studiert, dem erscheinen die von der Kindheit her vertrauten biblischen Geschichten erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht. Man weiß auf einmal, worauf es alles zu achten gilt und was die Hauptpunkte sind. Und nach und nach beginnt man dann, etwas von dem Reichtum der Schrift zu ahnen.

Niemand sollte meinen, er könnte diesen Schatz jemals vollständig haben. Es wird immer noch etwas zu entdecken geben. Auch ändern sich im Laufe der Jahrzehnte die Ansichten. Einmal wird dies und einmal das wieder mehr betont. So wird niemals einer die Bibel ganz in den Griff bekommen, und sei er noch so ein gelehrter Professor. Aber auch ein schlichter Bibelleser, der all diese Voraussetzungen nicht mitbringt, kann sich mit diesem Wort Gottes befassen und wird einen großen Gewinn davon haben. Zugang zur Bibel kann jeder gewinnen, weil Gott sich in ihr den Menschen zeigen will. Er will nicht verborgen bleiben, sondern seine Herrlichkeit offenbaren.

Wir haben aber den Schatz nur in irdenen Gefäßen. Durch die Wand eines Tongefäßes kann man nicht hindurchschauen. Man wird vielleicht vermuten, daß gar nichts in dem Gefäß drin ist. Oder man wird denken, es sei wohl nichts Bedeutendes drin. Erst wenn man einmal     hinein faßt oder den Inhalt ausschüttet, kann man hinter sein Geheimnis kommen. So ließ auch das Erscheinungsbild Jesu nichts von seinem Gottsein erkennen. Und auch heute strahlt nur wenig von seinem Glanz in der Welt auf. Schon rein äußerlich sehen die Kirchengebäude oftmals nicht besonders einladend aus.

Und auch an der Gemeinde ist manches unansehnlich und zu kritisieren. Aber dennoch steckt in der schlechten Verpackung ein wertvoller Inhalt. Trotz eigener Schwächen und trotz aller Anfeindungen von außen besteht die Kirche weiter. Bei ihrem hohen Alter sind Alterserscheinungen nicht verwunderlich. Dennoch leistet sie heute auch noch allerhand und macht vor allem die Begegnung mit dem Evangelium Gottes möglich.

Dem Paulus widerfuhr das in jener Stunde vor Damaskus, als er eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus hatte und Christ wurde. Da sah er nicht nur äußerlich einen hellen Schein, sondern er wurde ihm auch ins Herz gegeben. Alles erschien ihm   auf einmal in

Einem anderen Licht, „ihm ging ein Licht auf“.

So muß es gewesen sein, als das Schöpfungslicht aus dem Dunkel hervorbrach. Dieses Licht leuchtet von nun an auch auf dem Angesicht Jesu. Wir können es bemerken, indem wir die Evangelien eifrig studieren. Dann wird auch unser Gesicht etwas vom Glanz Gottes abbekommen und sogar auf andere überstrahlen.

Allerdings ist so ein Damaskus-Erlebnis nicht das Normale für einen Christen. Normalerweise sieht man nur die Niedrigkeit Jesu. Auch als Petrus und Johannes auf einen Berg stiegen und ihr Herr sich im Lichtglanz Gottes zeigte, da war das nur ein kurzer Augenblick. Festhalten konnten sie diese Verklärungsstunde nicht.

Aber eine solche Entdeckung wirkt nach und wird zum unverlierbaren Besitz. Man weiß nun, wer dieser Jesus ist. Und man kann in der Niedrigkeit Jesu immer wieder seine Herrlichkeit entdecken. Dazu bedarf es gar keiner spektakulären Erlebnisse, wie das die Gegner des Paulus fordern. Ein nüchterner und sachlicher Glaube, der sich an der Bibel orientiert und nicht auf besondere Erlebnisse wartet, ist das Normale. Paulus hat auch außergewöhnliche Glaubenserlebnisse aufzuweisen. Aber darauf kommt es nicht an, dessen will er sich nicht rühmen. Wenn einem so etwas widerfahren ist, dann behält er es besser für sich, anstatt damit hausieren        gehen.

Die Sehnsucht, Gott einmal unmittelbar erleben zu können, ist verständlich. Es ist auf die Dauer eine schwere Last, an einen Gott glauben zu sollen, den man nicht sieht und oft genug nicht einmal versteht. Hin und wieder einmal so ein kleines      Wunder, das wäre doch eine große Hilfe. Wenigstens aber müßte man an den Christen ablesen können, daß sie neue Menschen geworden sind.

Die Korinther aber nehmen Anstoß daran, daß bei Paulus so wenig von der verwandelnden Herrlichkeit seines Herrn wahrzunehmen ist. Er kommt mit einem hohen Anspruch, erweist sich dann aber doch als schwach. Er kann imponierend auftreten und seine Rede ruft Verachtung hervor. Er hat eine ekelerregende Krankheit und zahllose Narben. Dennoch legt er Wert auf seinen Leib und will sich nur auf geistliche Erlebnisse verlassen.

Paulus sagt ihnen: „Des Bild, das ihr von mir habt, stimmt durchaus. Aber ihr deutet das alles falsch. Ihr wollt etwas Imponierendes und Faszinierendes haben, das die Verbundenheit mit Gott beweist. Aber das ist nicht die Art, in der Christus sich uns zeigt. Wir h a b e n den Schatz, aber wir haben ihn nur in unansehnlichen Tongefäßen, er ist versteckt im Geringwertigen.

Überhaupt ist es Gottes Art, sich im Schwachen und Niedrigen, im Menschlich-Allzumensch­lichen zu zeigen. Bei Jesus selbst wer das Gottsein ganz hineinverborgen ins Menschliche. Sein Wort war mit jeder anderen menschlichen Rede zu verwechseln. Den Sakramenten sieht man nicht an, was der Herr da hineingegeben hat und was er durch sie bewirkt. Die Bibel ist auf ganz menschliche Weise zustande gekommen und jeder Kritik ausgesetzt.

Die Kirche ist vielfach schockierend und anfechtbar und doch das heilige Volk. Die Amtsträger sind immer wieder enttäuschend und faustdicke Sünder und doch auch Beauftragte Gottes. Und der Christ selbst ist auch Sünder und sein neues Leben ist noch tief verborgen im Irdisch-Menschlichen. Das läßt sich alles nicht leugnen; und doch können wir gerade in dieser Schwachheit auch unseren Herrn am Werk sehen.

Allerdings haben wir keinen Beweis dafür. Man könnte die Worte des Paulus vielleicht so verstehen: „Ich wurde bedrängt, und doch ist mir der Lebensraum noch nie zu eng geworden. Ich wußte oft nicht, wie es weitergehen sollte, aber es hat sich dann doch immer wieder ein Ausweg gefunden. Oft wurde ich verfolgt, aber Gott hat mich nie in der Patsche steckenlassen. Aufs Kreuz gelegt haben sie mich schon, aber den Garaus hebe sie mir nicht machen können.

Man könnte sogar so etwas wie einen Gottesbeweis versuchen, indem man darauf hinweist. Gott hat immer noch nicht Pleite gemacht mit einer Kirche, wie wir es sind; seine Reserven sind eben urerschöpflich. Aber um das Beweisen geht es ja gar nicht. Die im Evangelium wirkende Kraft kommt ja nicht von Menschen her, sondern ist die Kraft Gottes. Sind wir auch schwach - Gott ist es nicht! Er setzt für uns die Überfülle seiner Kraft ein. Urd so wird er gerade in unsrer Schwachheit mit seiner Kraft erkennbar.

Deshalb braucht Paulus sich auch nicht seiner Schwachheit zu schämen. Er sieht darin sogar eine tiefe innere Notwendigkeit. Alles Widrige und Bedrängende ist für ihn das Sterben mit Jesus. Aber diesem ständigen Abbau entspricht ein ständiger Aufbau des Auferstehungsmenschen. Er ist wie ein Stück Kork, das auf den Wasserwogen dahintreibt: es fällt nicht weiter auf, wird gelegentlich in die Tiefe gerissen und doch bald wieder emporgehoben. Es kann selber nichts dazu tun und schwimmt doch immer wieder oben.

Paulus meint: Es lohnt sich doch gar nicht, über das bißchen Trübsal zu jammern. Im Februarsturm können wir schon das Nahen des Frühlings wahrnehmen und in der Raupe bereits den Schmetterling erkennen. Die Anzeichen unserer Schwachheit und unsres Sterbens brauchen uns nicht fassungslos zu machen. Gott gibt uns täglich neue Kraft zum Überwinden. Und aller Verfall ist nur die Kehrseite der Tatsache, da Gott uns das Leben gibt und in Zukunft erst recht geben wird.

 

 

2. Kor 4,16-18 (Jubilate):

In Paris mußte einmal ein ganzer Stadtteil erneuert werden. Die Einwohner wurden evakuiert und sollten auf die anderen Stadtteile verteilt werden, in alle Winde verstreut. Nun standen sie am Rand ihres Wohnbezirks und sahen, wie ihre Häuser niedergebrannt wurden. Aber sie waren nicht traurig: Sie hatten ja die Baupläne für die neuen Häuser gesehen. Alles sollte ja doch moderner und schöner und besser werden. Sie kannten auch den Baumeister, den Architekten, der ihnen die neuen Häuser bauen wollte. Sie hatten Vertrauen zu ihm; er würde ihnen schon wieder eine neue und schönere Heimat geben. Im Augenblick fiel es schwer, Abschied zu nehmen von der altvertrauten Umgebung, von den Nachbarn und Freunden. Aber sie würden wieder zurückkehren in ihren alten Stadtteil, der aber inzwischen ein neuer geworden war.

So geht das auch mit unserem Leben. Unser Leib ist solch ein alter Stadtteil, der abgebrannt werden muß. Er paßt nicht mehr in die neuen Verhältnisse, paßt nicht mehr zu dem Leben, das Gott uns geben will. Dieses Leben hat einmal ein Ende und wird abgebrochen. Aber dann kann uns ein Trost sein: Wir müssen zwar weg in die Fremde, durch das dunkle Tor des Todes. Wir müssen alle unsere Lieben zurücklassen. Wir können auch alle materiellen Güter dieses Lebens nicht mitnehmen. Unser Dasein wird sich total verändern - aber seit der Auferste­hung Jesu an Ostern ist uns die neue Welt bei Gott verheißen.

 

Die Hoffnung ist nicht diesseitig:

Doch es genügt nicht, daß wir nur unsere alte Welt nur auf eine neue Weise sehen wollen oder den alten Menschen und die alte Welt nur renovieren wollen. Es geht wirklich um Abbruch und Neuaufbau. Damit soll nicht alles auf die ewige Zukunft vertagt werden, was bereits in der sichtbaren Welt getan werden kann und soll. Wir müssen beim Gedanken an die Ewigkeit nicht ein finsteres Gesicht ziehen und können unsere Aufgaben in der Welt mit Zuversicht anpacken. Wir brauchen nicht zu verzagen, wenn unser irdisches Tun an enge Grenzen stößt. Dies aber nicht, weil das erwartete Letzte sowieso nicht kommt, sondern gerade w e i l es kommt.

Einige Korinther meinten, sie seien über die Grenzen des irdischen Lebens schon hinweggekommen und hätten in ihren vom Geist erfüllten Erlebnissen bereits die Vollendung. Sie verlangten, das Neue schon jetzt sehen. Sie wollten schon auf der Erde im Himmel leben, eine Vorstellung, die sie mit vielen anderen Heilslehren in dieser Welt teilen.

 

Das Leiden gehört mit zu unserer Welt:

Deshalb war diesen Korinthern der leidende Apostel in seiner Schwachheit und Unscheinbarkeit kein überzeugender Christusbote. Ein vollgültiger Apostel müßte doch eine hervorragende Persönlichkeit sein, die das Himmlische in unmittelbar einleuchtender Weise vor Augen stellt. Sie haben nicht begriffen, daß der Glaube von dem lebt, was jenseits des Menschlichen liegt.

Das Innenleben der Menschen ist immer noch der Hinfälligkeit und den Anfechtungen der vergehenden Welt ausgesetzt. Christen müssen nicht einen verklärten Tod sterben, sondern sie sind Teil der Natur und damit ihrer Vergänglichkeit unterworfen.

Wir versuchen aber, das zu bekämpfen was unseren äußeren Menschen zerstört. Wir gehen regelmäßig zum Arzt, wir schlucken unsere Pillen, wir gönnen uns vermeintlich gesunde Nahrung und Wellness. Aber früher oder später setzt der Tod seine Zeichen, schon mitten im Leben: Die Spannkraft läßt nach, die Beweglichkeit, die Leistung der Sinnesorgane - der alternde Mensch wird anderen und sich selbst zur Last. Wir müssen auch feststellen, daß man jenseits der 70 nicht mehr so gut vom Gesundheitssystem versorgt wird und ruhig einmal bei roter Ampel über die Straße gehen darf. Und vielleicht wird uns auch bewußt, daß der Tod der Sünde Sold ist, die Strafe für die Sünde.

Paulus rühmt sich seiner Schwachheit und seiner Gebrechen. Sie sind ihm kein Anzeichen dafür, daß der Herr sich mit seiner Liebe und Fürsorge von ihm zurückgezogen hat, sondern dafür, daß er den Schwerpunkt deutlich zum Kommenden hin verlagert.

Zwischen der gegenwärtigen Trübsal und der kommenden Herrlichkeit ist ein gar nicht groß genug zu denkender Unterschied. Leiden und Herrlichkeit sind nicht nur die beiden Seiten einer Münze. Das bißchen Trübsal ist zeitlich begrenzt und die Herrlichkeit hat ein jedes Maß übersteigendes Übergewicht. Das Kommende ist so groß, daß es sich nicht lohnt, über das zu jammern, was jetzt weh tut.

Es ist vielleicht ein bißchen viel verlangt, wenn wir die mehr oder weniger deutlichen Anzeichen des Sterbens positiv bewerten sollen. Wir brauchen uns unserer Gesundheit nicht zu schämen - wenn wir sie denn haben. Aber wir werden auch das andere aus Gottes Hand nehmen. Je bedrängender die Leiden werden, desto mehr sollten wir Gott am Werk sehen, der uns ans Ziel bringt. Aber wir können in guten Tagen uns innerlich in die Möglichkeit einüben, daß Gott im Abbau unseres äußerlichen Menschen gerade sein Bestes an uns vollbringen will. So wird der innere Mensch von Tag zu Tag erneuert. Dieser ist nicht sichtbar, aber wir dürfen mit ihm rechnen.

Der Neubau:

Der Neuaufbau geschieht unter Beibehaltung des ursprünglichen Entwurfs. Gottes erste Schöpfung wartet auf die zweite, in der sie vollendet und ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt wird. Wir kennen ja den Architekten, der uns das Neue bauen wird. Wir dürfen sogar „Vater“ zu ihm sagen. So wie ein Vater doch oftmals sein Haus für die Kinder ausbaut und erneuert, so bereitet uns auch der himmlische Vater eine neue Wohnung vor. Er wird sie so gut einrichten, daß wir alles haben, was wir brauchen. Wir werden uns wohlfühlen dort. Und wir dürfen Vertrauen haben zu Gott, der schon weiß, was er mit uns vorhat und was er uns Neues schenken wird.

Es geht nicht um Vertröstung, sondern wir dürfen uns heute schon freuen. Wenn ein Mann sich ein Häuschen baut mit weitgehender Eigenleistung, dann sieht er schon den fertigen Bau vor sich und freut sich schon jetzt: Eines Tages wird sein Haus stehen. So dürfen auch wir schon heute wissen, daß uns die Ewigkeit gewiß ist.

Die Gewißheit des Neuwerdens entwickelt eine verblüffende Wirkungskraft. Paulus weiß, daß er nicht abgehängt ist. Das gibt ihm neue Kraft, so daß er nicht mehr kaputtzukriegen ist. So stachelt auch uns jede kleine Hoffnung in unserem Leben neu an. Wir dürfen uns auf etwas Künftiges freuen. Das macht auch die Wartezeit erfüllt und beschwingt.

Gewiß: Für den alternden Menschen engt sich der Spielraum des Hoffens immer mehr ein. Die Gedanken wenden sich mehr nach rückwärts statt nach vorn, wo nur der Tod ist. Aber deshalb muß man nicht gierig nach allem greifen, was sich eben noch bietet. Man kann sich noch einsetzen, erträgt Belastungen und Nöte, kämpft sich durch Widerstände hindurch, weil es sich lohnt. Wir sehen im Schmerzhaften und Bedrängenden meist nur das Zerstörende und Zersetzende. Aber weil in Christi Auferstehung die neue Kreatur begründet ist, wirkt sich das Zerstörende aufbauend aus. Einen, der sein Leben so versteht, kann nichts mehr erschüttern, denn er ist abgehärtet gegenüber allen Rückschlägen und Mißerfolgen.

Das neue Leben bei Gott wird anders sein; aber es wird dem irdischen Leben sehr ähnlich sein, nur ohne dessen Fehler und Schwächen. Man muß sich ja hin und wieder einmal verbessern und auch einen Fortschritt sehen. Gott will uns dazu verhelfen.

Deshalb dürfen wir uns ganz in die Hände dieses Herrn befehlen. Es sind schützende und bewahrende Hände, aber auch sorgsame und aufbauende Hände. So wie man einen verletzten Vogel in den Händen schützt, so will auch Gott uns mit seinen starken Händen bewahren, im Leben und im Tod.

 

Ein Kind vertraut sich ja auch bedenkenlos den Händen des Vaters an. Es geht blindlings mit, weil es weiß: Der Vater wird mich schon den richtigen Weg führen, bei ihm kann nichts schiefgehen. Der Vater wird es schon halten und nicht fallen lassen. Und so können wir uns auch den starken Händen Gottes anvertrauen.

Wir müssen uns fragen, ob wir Vertrauen haben zu dem Gott, der uns nach dem Tod neu schaffen will und uns Zukunft geben kann. Jeder Tod ist eine Frage an uns, die wir weiterleben: Wie stehst du zu Gott? Kannst du dem Ende deines Lebens mit Ruhe entgegensehen oder mußt du Angst haben vor der Begegnung mit Gott? Ist er nur ein strenger Richter für dich oder wartest du auf einen liebenden Vater?

Wer sich in diesem Leben zu Gott gehalten hat, den wird e r auch halten in der letzten Stunde seines Lebens. Er wird ihn durch den Tod hindurch zu sich holen. Wer dessen gewiß ist, kann auch seiner letzten Stunde getrost entgegensehen.

 

 

2. Kor 5, 1 – 10 (Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres): 

Wer vor uns möchte wohl so bald als möglich sterben? Wer von uns freut sich aufs Sterben? Selbst Todkranke machen sich doch noch Hoffnungen und wehren sich gegen das Sterben. Sie sagen etwa: „Ich bin noch nicht fertig, ich meine, es müßte noch etwas kommen!“ Und die Familienmitglieder bestärken den Kranken oft noch in seinem Denken.

Paulus aber sagt: „Wir sehnen uns danach, in den Himmel zu kommen!“ Wir werden vermuten, daß er krank war und von seinem Leider erlöst sein wollte. So ganz unrecht hätten wir damit nicht. Paulus hatte eine schlimme Krankheit, die ihn sehr hinderte.

Wir kennen das ja auch aus unserer Umgebung, wie sehr sich Menschen oft nach dem Tod sehnen. Zumindest sagen sie das, wenn man auch nicht weiß, ob es wirklich so ist. Aber für manchen mögen die Schmerzen auch so schlimm sein, daß er denkt, nur noch durch den Tod davon erlöst werden zu können.

In Korinth gab es einige Leute, die sahen den Leib als belanglos an. Für sie war nur der göttliche Funke wichtig, der angeblich in jedem Menschen drinsteckte. Und Erlösung bedeutete für sie das Freiwerden dieses Funkens aus dem Leib. Für Paulus dagegen ist es eine schreckliche Vorstellung, er könnte eines Tages nackt dastehen, ohne einen Leib, nur reiner Geist. Das war ja die griechische Vorstellung, die heute noch bei vielen Menschen vorhanden ist, wenn sie von einem Weiterleben der Seele sprechen. Doch biblisch gedacht ist das nicht.

Gewiß müssen wir uns auch herumschlagen mit manchen Unzulänglichkeiten unseres Körpers. Er schafft längst nicht alles, was wir gerne möchten. Und er macht längst nicht alles mit, was andere von uns erwarten. Denken wir auch an Blinde oder Schwerhörige, an Menschen, die an einem Siechtum leiden.

Es gibt so viele Menschen, an denen Schmerzen und Krankheit wie schwere Gewichte hängen. Sie stöhnen über die Anfälligkeit und Hinfälligkeit ihres Leibes. Vielleicht ist es auch nur die äußerlich wenig schöne Gestalt oder eine Behinderung. Wieder andere leiden unter schwermütigen Gedanken. Es kann aber auch sein, daß die Augen einfach blind sind für die Herrlichkeit Gottes.

All das gehört mit zur Schwachheit des Leibes dazu. Wir alle haben Anteil an dieser Schwach­heit und gehen auf eine Grenze zu, an der es diesen Leib nicht mehr geben wird.

Dennoch dürfen wir wissen: „Die Zukunft hat schon begonnen!“ Das könnten wir als Überschrift über den ganzen Abschnitt setzen. Mit Jesus und seiner Auferstehung ist etwas Neues in die Welt gekommen. Das „Jenseits“ ist nicht ein künftiger Zeitabschnitt, der irgendwann einmal beginnt, irgendwann in einer fernen Zukunft. Es läuft vielmehr parallel zu unserem Leben und ist in dieses eingelagert. Und unser schwacher Leib wird immer mehr dem verherrlichten Leib Christi angeglichen.

Zunächst gleichen unser Leib und unser ganzes Lebensgebäude einer Hütte oder Baracke, die gewissermaßen auf Abbruch gebaut ist. Jeder Tag, den wir durchleben, gleicht einem Stein, der von unserem Lebensgebäude weggenommen wird, bis eines Tages alles abgetragen ist. Deswegen seufzen wir ja auch oft über unser Leben und möchten es gleich ganz los sein.

Auf der anderen Seite aber wissen wir, daß wir auch jetzt schon Verbindung mit unserem auferstandenen Herrn haben. Er will uns in aller Unruhe dieser Welt doch Frieden und Heimat schenken. Wenn Leid und Sorgen Macht über uns gewinnen wollen, dann spricht er zu uns und trägt uns mit seinen Zusagen.

Diese Gemeinschaft mit Jesus Christus wird auch nicht aufhören, wenn wir einmal sterben: „Wir haben ein Haus, von Gott erbaut, das ewig ist im Himmel!“ Jesus selber ist unser Quartiermacher, der uns das Haus zeigt und es uns übergibt. Wenn dieses Leben einmal ein Ende für uns hat, dann liegt der neue Leib für uns schon bereit. Wir werden ihn anziehen wie ein Kleid und werden neue Menschen sein.

Im Augenblick allerdings ist es noch nicht soweit. Unsere Gemeinschaft mit Christus ist noch unvollkommen, bedroht und gefährdet. Seine Herrlichkeit ist noch verborgen, seine scheinbare Ohnmacht macht uns zu schaffen. Immer wieder einmal überfällt uns die Frage: „Kann ich mich denn wirklich auf die Zusagen Jesu verlassen?“ Wir wandeln eben noch im Glauben und nicht im Schauen, wir sind noch Menschen in einem schwachen Leib.

Aber in diesem Leib wohnt schon der Geist Gottes. Gott erprobt unser Vertrauen, indem er uns mit verbundenen Augen an seiner unsichtbaren Hand gehen läßt. Wir sollen greifen, zufassen und springen, ohne daß wir sehen können. Wir haben nur Gottes Wort - ein schwaches und anfechtbares und oft zweideutiges Wort. Und wir haben die Sakramente, Wasser, Brot und Wein - auch wieder sehr unscheinbare und weltliche Dinge. Und wir haben schließlich den Geist Gottes, der uns doch zum Glauben hilft.

An sich können wir nur sagen: „Ich glaube, daß ich nicht glauben kann!“ Aber ich kann meinen ganzen Glauben meinem Gott vor die Füße legen. Und Gott sagt, ich solle dies seine Sorge sein lassen: auch für meinen Glauben will er selbst aufkommen. Gott gibt uns seinen Geist, und damit hat die Zukunft schon begonnen. Allerdings ist er nur eine Anzahlung und nicht das Ganze. Vorerst bewirkt er nur, daß wir glauben können, aber äußerlich gesehen sind wir noch ferne vom Herrn. Aber Gottes Geist ist auch mehr als eine Schwalbe, die noch keinen Sommer macht. So unscheinbar und zerbrechlich auch unser Christenleben ist, so ist doch der Geist Gottes schon der Keim zu einem neuen Leben in völliger Einheit mit Gott.

Vorher ist allerdings noch eingeschaltet: „Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi!“ Unser irdisches Leben wird dadurch in einer erstaunlichen Weise aufgewertet, weil es nun über unser Sterben hinaus eine entscheidende Bedeutung hat. Unsere Zukunft bei Gott sollte jetzt schon unsere Entschlüsse und Taten bestimmen. Wir sollten tatsächlich danach trachten, wie wir ihm wohl gefallen.

Kein Bereich unseres Lebens ist davon ausgenommen. An keinem Tag sind wir aus dieser Aufgabe entlassen. Im Zusammenleben mit anderen Menschen in Familie, Nachbarschaft, Arbeitsstelle wollen wir dem Herrn wohl gefallen. Wir haben zwar oft nur einen schwachen Leib. Aber das darf unseren Eifer nicht dämpfen, in dieser Welt unserem Herrn zu dienen. Im Gegenteil: Wir haben das Beste daraus zu machen, für unsere Hausbewohner und Arbeitskollegen, für alle Menschen in unserer Umgebung.

Unser Ziel kann es deshalb nicht sein, möglichst bald zu sterben und in den Himmel zu kommen. Wir haben erst noch ein Leben zu führen zum Wohle anderer Menschen, für Einzelne, für die christliche Gemeinde und für die ganze Welt. Gerade das bevorstehende Gericht orientiert uns auf das Diesseits. Wir können weder uns noch andere auf ein besseres Jenseits vertrösten. Der Blick geht vielmehr vom Himmel auf die Erde, vom Sterben ins Leben. Gerade weil es auch noch ein Leben bei Gott gibt, haben wir auch unsre Verantwortung hier auf dieser Erde wahrzunehmen.

Dennoch wissen wir: „Das Beste kommt noch!“ Das sagte der 84 jährige Vater der Holländerin Corrie ten Boom, als die Deutschen die Familie verhafteten. Er meinte damit nicht die äußere Freiheit, sondern sein Blick war auf das Kommen des Reiches Gottes gerichtet. Das gab ihm Kraft zu einem tätigen und wagenden Glauben, er wußte: „Das Beste kommt noch!

 

 

2. Kor 5, 14 -21 (Karfreitag, Variante 1):

Zwischen zwei Dörfern am Kilimandscharo in Afrika bestand eine alte Feindschaft, die mit der Sitte der Blutrache zusammenhing. Eines Tages - es war gegen Ende des Ersten Weltkrieges - da berichtet in der Kirchenvorstandssitzung des einen Dorfes ein Mann, die Leute jenseits des Berges seien auch Christen geworden. Eine große Aufregung kam über die Gemeinde. Das war doch unmöglich: ihre Todfeinde und nun Christen geworden.

Doch der Mann fuhr fort: „Jetzt sind sie nicht mehr Feinde, sondern Brüder!“ Es entstand ein Tumult, denn zu sehr hatte man sich daran gewöhnt, daß man mit diesen Leuten in einem Krieg auf Leben und Tod stand; daran könne sich auch nichts ändern. Doch der Mann läßt nicht locker und fordert: „Wir müssen sie besuchen!“ Der Kirchenvorstand und der kleine Posaunenchor werden als Gesandtschaft losgeschickt.

Als man in dem anderen Dorf davon hört, ist die Aufregung groß. Werden die anderen wirklich in guter Absicht kommen? Doch man beschließt, ihnen ohne Waffen entgegenzutreten, denn man ist ja Christ. Eine Mahlzeit wird hergerichtet, Quartiere geschaffen. Ein kleiner Posaunenchor besteht auch schon, der nun mit den anderen in die Steppe zieht.

Dann ist es soweit. Die Späher melden, in der Ferne seien Menschen zu sehen, aber es blitze in der Sonne wie von lauter Speeren. Doch die ganze Dorfgemeinschaft zieht weiter durch das mannshohe Gras, den anderen entgegen. Plötzlich stehen sie sich gegenüber - und mit einem Blick erfassen sie die Lage: die anderen haben keine Waffen, sondern blitzblanke Posaunen in den Händen. Da bricht ein Jubelsturm los. Beide Chöre stellen sich an die Spitze des Zuges und blasend und singend geht es in das Dorf. In der kleinen Kirche wird ein Dankgottesdienst gehalten. Dann gibt es ein Festessen und noch einmal Gottesdienst. Drei Tage hat das Versöhnungsfest gedauert.

Solche Folgerungen könnte unter Umständen der Karfreitag auch für uns haben. Denn am Kreuz Jesu hat Gott mit uns Frieden gemacht und sich mit uns versöhnt. Wer aber mit Gott versöhnt ist, der muß sich dann auch mit seinen Mitmenschen versöhnen. Die Afrikaner von damals können uns heute noch ein Vorbild sein. Denn wie schwer fällt es uns doch, einem anderen die Hand zur Versöhnung zu reichen! Wir beharren doch lieber auf unserer Meinung gegenüber dem anderen und wollen nichts von unserer Einstellung aufgeben.

Es ist eben immer gut, wenn man einen Gegner an die Wand malen kann und ihn verteufeln kann. Das hält die eigenen Anhänger zusammen und lenkt oft von den eigenen Problemen ab. Vor allem ist das ein bewährtes Mittel der Politik. Wie mancher Staat richtet hoch sein Hauptaugenmerk darauf, wie er dem Nachbarn eins auswischen kann und wie er seine eigene Kraft gegenüber einem Gegner stärken kann.

Oftmals beruht die falsche Meinung von dem anderen aber nur auf Vorurteilen, wie das ja auch an der Geschichte von den Afrikanern deutlich wurde. Wenn man sich nicht kennt, muß man eben schlecht über den anderen denken. Überwunden werden kann eine solche Trennung nur, wenn man sich gegenseitig besucht und miteinander spricht. Wir sollten deshalb alle Versuche, mit­einander ins Gespräch zu kommen, nur begrüßen. Auch wenn sich im Augenblick noch nichts ändert ist es doch besser, wenn man miteinander redet, als wenn man aufeinander schießt.

In der Politik geschieht der Abbau der Spannungen, indem man miteinander verhandelt und einer dem anderen Zugeständnisse macht; irgendwo auf einer mittleren Linie trifft man sich dann. Aber beide Seiten handeln nach dem Grundsatz: „Wie du mir, so ich dir! Ich gebe, damit du mir gibst!“

Paulus aber stellt uns hier eine andere Möglichkeit vor Augen. Man könnte formulieren:

„Wie Gott mir, so ich dir!“ Gott hat zuerst Frieden mit mir gemacht. Da will ich nun auch Frieden mit ihm und mit den Menschen machen. Der Friede wird nicht durch Verhandlungen hergestellt, sondern von Gott geschenkt.

Durch Karfreitag ist eine ganz neue Lage entstanden. Wir Menschen leben alle in Feindschaft mit Gott und führen systematisch ein Leben ohne und gegen Gott. Insofern unterscheiden wir uns in Nichts von denen, die damals mitschuldig waren am Tod Jesu. Aber Mit diesem aufrührerischen Menschengeschlecht hat Gott in Christus Frieden geschlossen, und zwar ganz einseitig, ohne Vorleistungen von unserer Seite und auf jede Gefahr hin.

Gott verniedlicht die Verschwörung gegen ihn nicht. Es liegt so viel belastendes Material bei ihm vor, daß er uns nur verurteilen kann, wenn er gerecht ist. Aber er lädt diesen Berg von Schuld dem schuldlosen Jesus auf und rechnet uns die Verfehlungen und Übertretungen nicht zu. Am Kreuz zeigt er, was uns eigentlich zukäme; aber gleichzeitig hat er Christus für uns zur Sünde gemacht, damit wir vor ihm gerecht sind.

Man brauchte sich über die Sünde nicht viele Gedanken zu machen, wenn sie in Regelwidrigkeiten bestünde, halt immer wieder einmal etwas falsch macht. Wir zeigen gern auf den anderen, wenn ihm das passiert, aber uns selbst verzeihen wir es gern. Aber das alles ist nur Anzeichen eines viel tiefer sitzenden und den ganzen Menschen betreffenden Schadens. Sünde ist der Wurzelgrund, aus dem die Taten kommen.

Sie kann auch nicht ohne weiteres durchgestrichen werden. Ein Deserteur kann nicht nach Monaten der Abwesenheit zu seiner Truppe zurückkehren und sagen: „Da bin ich wieder!“ Wer verspielt hat, der kann nicht vorschlagen: „Vertragen wir uns doch wieder!“ Wir befinden uns nicht in einem Niemandsland, in dem es uns freistünde, zwischen Gott und der Sünde uns hin und her zu bewegen.

Dennoch dreht Gott die Lage völlig um. Die Hinrichtung Jesu war zwar die Sünde aller Sünden. Aber Gott macht dennoch Frieden. Er kennt das ganze Sündenregister, die alltäglichen Durchschnittssünden und die himmelschreienden Skandale. Bei ihm laufen alle Daten zusammen. Aber er rechnet sie nicht an. Sie sollen uns nicht belasten und werden deshalb auch keine Macht über uns haben.

Doch das war nur möglich durch den Tausch zwischen Christus und uns. Christus ist uns nicht aufgrund seiner besseren Beziehungen behilflich gewesen, sondern er mußte sich selber für uns verloren geben. Wir haben nicht so eine Schuld, wie wenn man eine Rechnung bezahlt.

Bei unsrer Lebensschuld ist es zu persönlichen Verwundungen gekommen, die nur mit dem vollen Einsatz der Person bereinigt werden können. Sünde wird nicht unschädlich durch verniedlichen oder nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie kann nicht verdrängt werden, sondern muß in ihrer Scheußlichkeit entlarvt und gesühnt werden.

Gott hat unsre Sünde so aus der Welt geschafft, daß er seinen Sohn für uns zur Sünde hat werden lassen. Jesus war aber nicht das Opfer eines Unfalls, einer Naturkatastrophe, einer Epidemie oder eines Krieges. An Karfreitag ist nicht einer gestorben, der seiner Sache treu geblieben ist und dafür hat sterben müssen. Solche Opfer gibt es viele in der Geschichte der Menschheit. Jesus wurde nicht Opfer, weil er das Gute der Menschen hochgehalten hat, sondern weil er das Böse der Menschen auf sich gezogen und weggetragen hat. Gott ist es also, der die Situation verändert. Wir können nichts tun, können ihm nichts opfern, sondern er selbst hat sich für uns geopfert.

Allerdings kann man nicht so gotteslästerlich reden wie der französische Philosoph Voltaire, der gesagt hat: „Gott wird schon vergeben, das ist ja sein Geschäft!“ Zunächst einmal muß man doch sehen, daß an Karfreitag der Tod eine grausige Ernte gehalten hat und die Sünde einen entsetzlichen Triumph gefeiert hat. Eine Kreuzigung ist ja nicht ein gewöhnlicher Tod, sondern eine qualvolle Folter, die mit dem Tod endet. Zum anderen kann man die Vergebung nicht von Gott einklagen. Er ist nicht ein alter schwacher Mann, der nach dem Motto handelt: „Alles verstehen heißt alles verzeihn!“ Niemand kann sagen: „Da will ich einmal tüchtig sündigen, Gott vergibt mir dann schon!“ So etwas ist Frevel und wird zu einem bösen Erwachen führen.

Wer aber unter der Last seiner Süde stöhnt, dem wird sich Gott mit besonderer Liebe zuwenden. Gott wird ihm vergeben und ihn wieder in seine Gemeinschaft hineinnehmen. Er zerreißt dabei nicht immer wieder neue Schuldscheine, sondern er gibt die Schuld wirklich weg. Die alte Schuld kann keine Rolle mehr spielen, sondern sie wird wirklich angetan und ist vergessen.

Wir sagen ja manchmal: „Vergeben will ich schon, aber nicht vergessen!“ Doch beides hängt doch miteinander zusammen. Wenn man vergibt, dann muß es auch vergessen sein, sonst hat man eben noch nicht voll vergeben. Man kann natürlich nicht aus dem Gedächtnis ausradieren, was nun einmal geschehen ist. Aber es muß nicht unbedingt immer wieder vor uns stehen und uns immer neu ärgern und belasten.

Durch den Tod Jesu ist wirklich eine große Wende eingetreten. In einem Weihnachtslied heißt es ja: „Wir, die unser Heil annehmen, werfen allen Kummer hin!“ Der Tod hat keine Macht verloren, die Sünde hat keine Gewalt mehr über uns. Nun können wir auch als Versöhnte mit­einander leben. Und zwar nicht nur wir als Christen untereinander, sondern die ganze Welt ist dann einbezogen. Gott versöhnte in Christus die Welt mit sich selber! Seitdem ist eine neue Lebensqualität bei uns eingekehrt.

Karfreitag hat aber auch für uns heute seine Folgen. Die neue Lage erfordert nicht nur eine neue Sicht, sondern uns ist auch ein neuer Auftrag gegeben. Paulus sagt: „Wir sind Botschafter an Christi Statt und bringen der ganzen Welt die Botschaft von der Versöhnung!“ Jeder Christ hat die Aufgabe, die Versöhnung Gottes zu predigen und vorzuleben; er tut das da-- gewissermaßen als Vertreter Gottes und spricht im Namen Gottes.

Die Korinther werden nicht von Paulus aufgefordert: „Reicht mir die Hand wieder zur Versöhnung!“ sondern er sagt: „Laßt euch versöhnen mit Gott!“ Paulus weiß sehr wohl: Wer Frieden mit Gott hat, der macht auch Frieden mit seinen Mitmenschen. Gott drängt. Aber er droht nicht, obwohl er das könnte - er bittet nur!

Das ist aber die wahre Herausforderung, vor die der Karfreitag uns stellt: Den Frieden mit Gott haben wir, das ist sicher. Aber haben wir uns auch mit allen versöhnt, mit denen wir tagtäglich zu tun haben? Ein Mann war jahrelang mit seinem Bruder böse, obgleich sie im gleichen Haus wohnten. Weil der Glaube aber bei ihm nicht nur eine Formsache war, sondern aus dem Herzen kam, reichte er eines Tages doch die Hand zur Versöhnung. Und dann kam auch die Sache wieder in Ordnung, wegen der sie sich zerstritten hatten. Beide sagten schließlich: „Wir sind doch eigentlich dumm gewesen, so etwas zu machen!“ Kurze Zeit später ist dann der eine gestorben. Aber diese Sache war wenigstens aus der Welt geschafft.Vielleicht könnte dieser Karfreitag auch ein Anlaß sein zu ernster Selbstprüfung. Gott hat uns so reich beschenkt. Sollten wir da nicht auch bereit sein zur Versöhnung? Paulus kann nur darum bitten, so wie Christus auch gebeten hat. Gegen Befehle sind wir meist empfindlich. Aber Gott bittet uns. Er will uns nicht befehlen, sondern beschenken. Da sollten wir doch auch unser Teil zur Versöhnung in der Welt beitragen können.

 

 

2. Kor 5, 16 - 21 (Karfreitag Variante 2):

Wenn wir mit einem bestimmten Menschen nicht auskommen, dann gibt es für uns verschiedene Möglichkeiten: Entweder geben wir ihn gleich auf. Oder wir sagen nur „Guten Tag“ oder sprechen nur das Notwendigste, ansonsten schneiden wir ihn. Oder wir versuchen uns mit ihm auszusprechen, vielleicht auch mehrfach, aber wenn alles nichts nützt, dann ziehen wir uns zurück.

Paulus stellt noch eine andere Möglichkeit vor Augen. Er sagt: „Versöhnung um jeden Preis!“ Die Betonung liegt dabei auf „jeden“. Es gibt für einen Christen keinen Grund, weshalb er nicht dem Mitmenschen die Hand zur Versöhnung reichen sollte. Und selbst wenn der andere nicht will, dann gilt es, ihm doch immer wieder die Hand hinzureichen.

Der Grund dafür liegt darin, daß Gott ja für Versöhnung gesorgt hat, nämlich für Versöhnung zwischen Gott und der Welt und uns. Nun können die Sünden nicht mehr zugerechnet werden. So ist alles neu geworden, eine „neue Kreatur“, die von schlechten und unversöhnten Menschen getrennt ist wie das Leben vom Tod.

Doch man sollte nicht meinen, hier handele es sich nur um einen Trick. Gott handelt nicht wie eine Großmutter, die zu gut zu ihren Enkeln ist: Sie drückt gegenüber allen Frechheiten der Kinder beide Augen zu, hört nichts und sieht nichts (obwohl sie noch gut sehen und hören kann), verniedlicht alles und stellt fest: „Sie sind ja so lieb!“ Natürlich sind sie nicht lieb, sondern die Großmutter ist schwach und nachsichtig.

Aber so einfach macht Gott es sich nicht. Er läßt es sich etwas kosten: „Er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht!“ Da könnte man fast sagen: „Hier begibt Gott sich auf Abwege, hier ist er ungerecht!“ Das sieht ja so aus, als ob es nur darauf ankäme, daß ein Schuldiger gefunden wird, ganz egal, wer das ist. Dabei wäre die Strafe die Hauptsache und nicht die Besserung des Betroffenen.

Aber es gibt auch die andere Möglichkeit, Gottes Verhalten zu deuten. Die ist allerdings einzigartig und ohne Beispiel, eben Gottes Art und nicht die eines Menschen: Gott hat aus Liebe gehandelt, aus Liebe zu uns. Damit er nicht alle bestrafen muß, straft er nur den einen, straft er nur Jesus. Er weiß, daß die Menschen auf Dauer gegen alle Verbote immun sind. Aber einem solchen Liebeserweis gegenüber kommen sie vielleicht zur Besinnung und können es nicht aushalten, einen anderen für sich leiden zu lassen. So rechnet Gott.

Wir dagegen sehen in Kreuz und Tod mehr ein Zeichen der Niederlage. Auf den Friedhöfen stehen Kreuze oder auf die schwarzen Steine ist ein Kreuz in Goldschrift eingraviert. Die Gesichter der Menschen, die vor dem Grab stehen, sind traurig, und eine gedrückte Stimmung

geht von ihnen aus. Eigentlich wollen wir doch mit dem Kreuz nichts zu tun haben. Es erinnert uns doch an den Tod. Wir wollen aber alle leben. Das Kreuz zeigt die Vorläufigkeit unseres Lebens an. Es ist zum Zeichen geworden, das dem unbedingten Lebenswillen in Frage stellt.

Paulus aber spricht gar nicht traurig vom Kreuz. Für ihn ist das Kreuz etwas Hoffnungsvolles. Uns erinnert das Kreuz an das Ende unseres irdischen Lebens. Den Apostel Paulus aber setzt es in Bewegung, von Gottes Plan mit uns Menschen zu reden: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch ihn die Gerechtigkeit erlangen, die vor Gott gilt!“ So wird das Kreuz zum Wegweiser auf Gott hin. Gott will ums an dem Leben

und Sterben Jesu vor Augen malen, wie wir Menschen mit einander und füreinander leben sollen.

Jesus hat gegen Leid und Krankheit, gegen menschlichen Haß und gegen das Ausgestoßen­werden aus der menschlichen Gemeinschaft gekämpft. Dabei hat er nicht danach gefragt, ob ein Mensch seiner Zuwendung und Liebe wert ist oder nicht. Er wußte nur: „Gott will durch ihn sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit verwirklichen!“ An ihm sollen wir erkennen können, wie wir Menschen als Kinder Gottes miteinander und füreinander leben sollen. Diesen von Gott gewiesenen Weg ist Jesus gegangen bis ans Kreuz.

Deshalb sollen auch wir ankämpfen gegen alles, was es an Leid und Nor, Krankheit und Ungerechtigkeit in der Welt geschieht. Und diese Welt beginnt schon dort, wo einer Frau der Mann gestorben ist und sie nun niemanden mehr hat, mit dem sie sich einmal aussprechen kann. Der Weg Jesu heißt in diesem Fall: Hingehen zu dieser Frau und ihr in ihrem Leid beistehen.

Es kann auch bedeuten: Grundsätzlich ein positives Vorurteil gegenüber den Menschen haben, sie immer wieder neu zu betrachten, keine negative Erfahrung mit Menschen als endgültig und unwiderruflich nehmen. Also nicht nur von der Vergangenheit her urteilen, sondern immer erst eine Denkpause einschalten, wenn man mit jemandem Schwierigkeiten hat. Und die Denkpause könnte man dann nutzen: Für die Frage: „Was würde Jesus jetzt tun? Was würde seinem Leiden und Sterben entsprechen? Wie kann ich ihm am besten meine Dankbarkeit dafür erweisen, daß er für mich gestorben ist?“

Was hat das aber nun mit dem zu tun, was Paulus hier mit den Korinthern zu verhandeln hat? Nun, hier liegt ein Konflikt zwischen dem Apostel und der Gemeinde vor. Man hatte Paulus vorgeworfen, er sei doppelzüngig, wortbrüchig, herrschsüchtig, heimlich, verschlagen, er fälsche Gottes Wort und verkündige sich selbst, er sei im persönlichen Umgang demütig, spiele aber aus der Ferne den starken Mann. Aber trotz dieser Flut von Beleidigungen behandelt Paulus die Korinther doch wie Brüder.

Allerdings spielt Paulus nie und nimmer die Rolle Gottes, der seine Feinde liebt und von sich aus Versöhnung schafft. Er findet vielmehr die schon vollzogene Versöhnung vor. Mit dem Tod Christi ist auch all das gestorben, was die Korinther gegen Paulus vorzubringen haben. Paulus verteidigt sich nicht, er ist auch nicht eingeschnappt. Er sagt nur: „Der alte Mensch, dem man noch etwas hätte vorwerfen können, lebt nicht mehr!“

Dazu gehört allerdings auch eine neue Sicht der Dinge. Die veränderte Lage bedeutet ja nicht, daß jeder das auch sofort erkennt. Sehen wir denn wirklich unseren Mitmenschen als „neue Kreatur“? Das werfen die Korinther ja gerade dem Apostel vor: Er wandle fleischlich!

Nun ja, Paulus ist und bleibt natürlich ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und insofern kann man vieles an ihm aussetzen und ungeheuer tragisch nehmen.           

Aber Paulus fordert uns auf, durch die unansehnliche äußere Gestalt hindurchzuschauen. Man müßte gewissermaßen Röntgenaugen haben, um in jedem Menschen das neue Geschöpf zu sehen. Durch den Glauben sieht man eine Wirklichkeit, die dem natürlichen Blick des Menschen verborgen ist, daß nämlich Christus für jeden Menschen einsteht, weil er für ihn gestorben ist.

So wie wir hinter jedem Menschen schon die neue Kreatur sehen, so sieht auch der Glaubende hinter Jesus die Herrlichkeit Gottes. Es gab ja zur Zeit des Paulus noch einige, die haben Jesus persönlich gekannt; aber auch die konnten schon das Göttliche an ihm erblicken, wenn sie nur wollten. Kaiphas hat nur den Menschen Jesus gesehen und ihn deshalb verurteilt. Petrus aber und die anderen Jünger haben in Jesus den Gottessohn erkannt.

Es war jeweils der gleiche irdische Jesus, den sie vor sich hatten. Aber wer den neuen Blick hat, der erkennt in Jesus die verborgene Hoheit und im Mitmenschen die neue Kreatur. Das ist wie in der ersten Zeit des Farbfernsehens: Wer nur ein gewöhnliches Gerät hatte, sah alles nur

in Schwarz-Weiß. Wer aber ein richtiges Farbfernsehgerät hatte, der kann die volle Herrlichkeit des Bildes sehen.

Paulus hat bis zu seiner Bekehrung vor Damaskus auch so geurteilt wie Kaiphas: nur nach dem äußeren Anschein. Aber dann ging ihm ein Licht auf und er merkte erst, was dahintersteckt. So sehen auch heute noch Viele in Schwarz-Weiß, aber für die wahre Bedeutung Jesu sind sie farbenblind. Sie sehen nur den Tod, aber nicht die Bedeutung für uns heute.

 

 

2. Kor 6, 1 – 10 (Invokavit):

Ein Ehepaar in mittleren Jahren, das nicht mehr zur Kirche gehört, sagt. „Ja, sie seien ausgetreten, weil ein gewisser Pfarrer das und das gemacht habe: er habe die Frau unhöflich behandelt und habe böse Briefe geschrieben!“ Aber das ist doch kein Grund! Man beurteilt eine Sache doch nicht nach dem Menschen, der sie vertritt, und man kann doch nicht das ganze Christentum auf den Abfallhaufen werfen, nur weil ein Mensch nichts taugt; die Sache selbst ist doch in Ordnung!

Aber leider ist das nun einmal so: Eine Sache wird unglaubwürdig, wenn der Mensch versagt, der sie vertritt. Person und Sache hängen für unser Empfinden untrennbar zusammen, wenn uns auch der Verstand etwas anderes sagen müßte. Aber es ist nun einmal so: Der eine tritt wegen eines Pfarrers aus der Kirche aus und der andere tritt wegen eines Pfarrers wieder ein. Beides ist nicht richtig, aber mach einer etwas daran!

Doch es soll nun nicht immer gegen die Schwachen gehen. Nicht nur die Pfarrer sind daran schuld, sondern jeder Christ, der in den Augen eines anderen versagt hat. Wenn einer seine Frau und Kinder schlägt, dann wird man sagen: „Es wird mit seinem Glauben nicht weit her sein!“ Oder wenn einer ein gerissener Geschäftsmann ist und seine Kunden und das Finanzamt von vorne bis hinten betrügt, dann heißt es gleich: „Der ist auch nicht besser als die anderen!“

Paulus meint hier aber noch etwas anderes, das ihm die Ausführung seiner Aufgabe so schwer macht: Man hat ihn geschlagen und ins Gefängnis gesteckt, er hat Nöte und Ängste und große Trübsale durchmachen müssen. Soll das etwas ein Bote Gottes sein, der Apostel des Herrn? Wenn es diesen Gott gibt, warum schickt er dann nicht einen anderen, eine Persönlichkeit, einer der sich durchsetzen kann, der klug und geschickt ist, der Eindruck auf die Leute macht? Doch stattdessen kommt einer, der sich alles gefallen lassen muß.

Aber sicherlich ist das nicht ohne Absicht so: Der Bote soll ganz hinter der Botschaft zurücktreten, die er zu bringen hat. Er soll nicht durch sein äußeres Wesen überzeugen, sondern durch die Sache. Natürlich ist es für Paulus dadurch schwerer geworden, seinen Auftrag auszuführen.

Aber er weiß auf der anderen Seite auch, daß er nicht allein gelassen wird: Sein Dienst geschieht im heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem „Wort der Wahrheit“, wie er sagt.

Wir würden doch meinen, in erster Linie seien Geduld und Freundlichkeit oder andere Eigenschaften notwendig. Aber hinter Paulus steht eine Kraft Gottes, die weit über diese menschlichen Tugenden hinausgeht. Er kann ausharren und seinen Dienst erfüllen, weil Gott hinter ihm steht und weil ihm ein unerschütterlicher Glauben geschenkt ist.

Wir wollen uns einmal ansehen, wie das wohl in der Praxis aussieht: Bei der Arbeit an einem Auto muß sich einer auf die Knie niederlassen, damit er an die schadhafte Stelle herankann. Die Kollegen feixen: „Wie ein richtiger Katholik!“ Der Mann ist Katholik und es ist bekannt, daß er sonntags zum Gottesdienst geht und dabei sicher in ähnlicher Weise niederkniet. Nun aber spotten die Kollegen ihn aus und machen seinen Glauben lächerlich.

Wo ist da nun einer, der für diesen Mann eintritt? In der Regel gehören ja die meisten zu einer Kirche. Aber wenn es darauf ankommt, tut keiner den Mund auf. Dann ist es schon viel, wenn einer da ist, der sagt: „Ihr solltet euch schämen!“ Gerade so eine Situation wäre aber doch der gegebene Ausgangspunkt, um nun ein Gespräch über den Glauben zu beginnen und aus dem Spott heraus ein klares Zeugnis für Christus abzugeben. Gerade solch eine Schwäche zeigt erst die wahre Kraft Gottes, denn dann muß sich die Sache selbst durchsetzen, auch unter ungünstigen Umständen.

Allerdings kann nur der sich wirklich durchsetzen, der nicht durch äußere Dinge unglaubwürdig geworden ist. Paulus stellt als Mindestforderung für sich auf: „Ich gebe niemanden begründeten Anstoß, damit der mir von Gott befohlene Dienst nicht mit verdächtigt wird!“ Aber was er dann positiv anführt, geht über das Nicht-Anstoßgeben weit hinaus. Er begnügt sich nicht damit, nicht aufzufallen und ein anständiger Mensch zu sein, sondern er will sich auch positiv für die Sache Gottes einsetzen. Er nimmt die Waffen der Gerechtigkeit und will damit für Gott kämpfen, er ist gewissermaßen ein Soldat Christi.

Das wird auch deutlich an dem Wort „Geduld“. Es ist zweifach zu verstehen: einmal eine passive Geduld, die alles willig trägt und alles als Schickung Gottes hinnimmt, was ihr widerfährt. Zum anderen eine aktive Geduld, die Kraft zu innerer Gegenwehr hat gegen alles, was einen erdrücken will.

Ein Soldat liegt auch manchen Tag im Schützengraben und muß warten. Vielleicht langweilt er sich sogar oder platzt vor Ungeduld, bis es dann endlich losgeht. Aber dann kommt der Befehl zum Angriff und er muß nach vorne. Wenn er es richtig gemacht hat, hat er die Zeit vorher gut genutzt. Dann war er nicht nur passiv, sondern hat sich in aktiver Geduld auf seine Stunde vorbereitet und ist zum Kampf bereit.

Von manchen Christen heutzutage hat man allerdings den Eindruck, sie haben sich in ihrem Schützengraben eingegraben und wollen nie wieder heraus. Sie igeln sich ein, spielen vielleicht noch Karten und rauchen Zigaretten, aber ansonsten wollen sie in Deckung bleiben und nicht gestört werden - sie denken nicht an Kampf und Einsatz.

Was hat Paulus demgegenüber mitmachen müssen und auf sich genommen: Schmerzen, Tumulte, Bestrafungen, Verleumdung - sogar aus den eigenen Reihen. Wir können nur froh sein, wenn uns nicht Ähnliches widerfahren ist oder bevorsteht.

Paulus ist allerdings auch ein Ausnahmemensch. Er stellt nicht das Leben eines Christen schlechthin dar: Es muß nicht einer erst die Prügelstrafe erlitten und peinliche Verhöre im Gefängnis mitgemacht haben, um ein Diener Christi zu sein. Man muß nicht ein Märtyrer sein, um auch ein wahrer Christ zu sein.

Wir sind nicht alle so wie Paulus, und was er mitgemacht hat, muß nicht für alle Zeiten notwendig zur christlichen Bewährung gehören. Wir sollen auch nicht immerzu kämpfen. Aber wir sollen gerüstet sein für den entscheidenden Augenblick und unsern Mann stehen, wenn es notwendig ist. Paulus ist nur          e i n Beispiel für einen Christen. Ein anderer wird seinen Glauben und seinen Dienst vielleicht auf ganz andere Art bewähren müssen, auch wenn er nicht geschlagen und verhöhnt wird.

Nur eins wird auch für unser Leben an Paulus deutlich: Der Weg des Christen ist schmal und geht mittendurch zwischen Ehre und Schande, Sympathie und Antipathie, zwischen menschlichen Urteilen und Gottes Wahrheit. Paulus erfährt von dem einen Schimpf und Schande und von dem anderen Ehre und Lob. Warum soll es da heute besser gehen. So wie Gott selbst gelitten hat, als er seinen Sohn gab, so werden wir auch leiden müssen.

Doch das andere wollen wir heute auch schon mithören: Das Leiden und Sterben Christi wurde von Gott umgewendet in Leben. Wir stehen jetzt am Beginn der Passionszeit. Sie erscheint uns als eine lange Zeit der Trauer und Bedrückung. Aber wir sollten nicht vergessen, daß an ihrem Ende Ostern steht. Ein Stück von dem Leiden und Sterben Jesu müssen wir auch auf uns nehmen, damit wir mit ihm neu werden können. Nur wer mit gekreuzigt ist, wird auch mit leben.

Zusammengefaßt: Mit unserer ganzen Person sollen wir uns für die Sache Gottes einsetzen. Nur Risiko und Kampf führen zum Ziel. Wer dazu nicht bereit ist, der hat die Hilfe und die Gaben Gottes vergeblich empfangen. Gott hat uns doch schon oft geholfen und uns eine angenehme Zeit geschenkt. Immer wenn wir etwas von Gott hören, dann ist für uns der Tag des Heils.. Es kommt für uns darauf an, dieses „Heute“ zu ergreifen und ohne Furcht immer wieder neu in den Dienst Gottes zu treten.

 

 

2. Kor 8, 9 (2. Christtag):

„Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesus Christus: Obwohl er reich ist, wurde er doch arm um euretwillen, damit ihr durch seine Armut reich würdet.“

An Weihnachten lebt man um einige Kalorien üppiger als sonst. Das ist einfach auch ein Erbe aus der Frühzeit der Menschen: In der Winterzeit muß der Körper, um gesund und warm zu bleiben, einiges mehr umsetzen. Deshalb muß ihm auch mehr Nahrung zugeführt werden. Das gute Weihnachtsessen ist also nicht abzuwerten. An Heiligabend gibt es  zwar nur Kartoffelsalat mit Würstchen, aber am 1. Weihnachtstag soll es schon eine Gans oder eine Ente sein, bei der das Fett so richtig die Mundwinkel herabläuft.

Das Weihnachtsessen ist bis zu einem gewissen Grade durchaus gerechtfertigt. Zu einem Festtag gehört auch das Essen, damit er ein Festtag ist, man sollte das nicht verachten oder als unchristlich abtun. Aber wenn wir es uns wohl sein lassen, dann dürfen wir natürlich die nicht vergessen, denen das nicht möglich ist, die vielleicht sogar so hungern, daß sie um ihr Leben fürchten müssen.

Paulus aber weist im zweiten Brief an die Korinther auf einen weiteren Gesichtspunkt hin. Er sagt: Es gibt nicht nur dem Hungertod preisgegebene Menschen, sondern das Kommen unseres Herrn in die Welt ist ein Akt des Verzichts. Doch indem Christus selber arm wird, macht er uns Mut zum Ärmerwerden. Dabei sollen wir aber nicht benachteiligt werden, sondern wir können durch seine Armut reich werden.

So geht es zwar in der Kirche in erster Linie um Glaube und Liebe, aber auch uns Geld. Aber es ist nicht so, wie es einmal ein Kirchenfremder nach dem Besuch des Gottesdienstes erzählte: „Ach, es war ganz schön in der Kirche. Am Schluß ging ein Teller mit Geld herum, da habe ich mir auch zwei Euro genommen!“

Die beiden Kapitel 8 und 9 handeln von der Kollekte, die auf der Zusam­menkunft der Apostel in Jerusalem vereinbart worden war: Die von Paulus gegründeten Gemeinden sollten für die Urgemeinde in Jerusalem sam­meln. Die Korinther haben schon vor einem Jahr zu diesem Liebeswerk angesetzt. Aber die Sache ist dann doch wieder ins Stocken geraten, wohl auch wegen des Konflikts, den einige in der Gemeinde mit Paulus hatten.

Paulus will aber sein Versprechen an die anderen Apostel einhalten und die Anerkennung der Christen, die früher Heiden waren, bei ihnen bekräftigen. Deshalb versucht er, die Kollekte zu einem Abschluß zu bringen. Dafür hat er drei Argumente: Die Mazedonier können dabei ein gutes Vorbild sein, auch der Glaubensstand der Korinther ist ausreichend, vor allem aber ist Christi eigenes Handeln das Vorbild.

Jesus Christus ist selbst ein Armer gewesen. Aber er war das nicht von Hause aus, sondern er ist es erst kraft seines eigenen Entschlusses geworden: Er hat die göttliche Seinsweise abgestreift, hat auf den himmlischen Glanz verzichtet und ist Mensch geworden.

Weihnachten ist nicht nur dazu da, daß man sich wärmt und mit Genuß lebt. Das Kommen des Herrn in die Welt muß auch zu einem bestimmten Handeln veranlassen, zu einer Lebenshaltung, die an diesem Kommen orientiert ist.

Wir haben so unsere Einstellung zu Hab und Gut. Die Politiker ermahnen uns ja auch ständig dazu, daß wir vorsorgen (und dabei auch kräftig für die private Versicherungswirtschaft sorgen). Aber wann haben wir genug vorgesorgt, wann hört endlich diese Angst einmal auf, es könnte nicht langen?

Man kann in äußerem Wohlstand innerlich sehr arm sein, immer gierig nach Neuem, unersättlich nach Neuerwerbungen, gelangweilt inmitten aller Üppigkeit. Aber immer in der Sorge, man könnte das verlieren, was man hat, und in ständiger Sorge vor einem Herzinfarkt oder einer anderen Krankheit.

Unsere Art ist es, das Leben sichern zu wollen. Schmälerungen unseres Besitzstandes versuchen wir leidenschaftlich abzuwehren. Unsere Rohstoff- und Energieprobleme hängen zu einem nicht geringen Teil mit unserer Unersättlichkeit zusammen oder mit unserer fehlenden Bereitschaft zur Beschränkung und zum Verzicht. Immer mehr Wachstum, ist das Schlagwort. Aber ging es uns etwa vor 20 Jahren schlecht?

Oft kaufen wir Dinge, die wir nicht brauchen, mit Geld, das wir nicht haben, um damit Leuten zu imponieren, die wir nicht leiden können. Zu einem nicht geringen Teil wird das auch noch vom Handel ferngesteuert. Der macht in der Zeit vor Weihnachten vielfach 80 Prozent seines Jahresumsatzes. Und am liebsten hätten sie es, wenn die Kirche die Zahl der Adventssonntage auf sechs erhöhte und diese dann alle verkaufsoffen wären.

Wir geben ja auch etwas für die Armen. Allerdings geben wir nur aus unserem Überfluß, wir selber werden dabei nicht wirklich ärmer. Und irgendwie hat sogar der amerikanische Präsi­dent­schaftsbewerber Mit Romney recht, wenn er sagt: „Die Amerikaner sind nicht arm, sie sind nur noch nicht alle reich!“ Auch wir sind alle reich.

Bei uns ist auch keiner wirklich arm, wenn wir das im Weltmaßstab betrachten. Aber es gibt natürlich Menschen, die sind relativ arm, nämlich im Vergleich zu den Reichen bei uns. Und man sollte jede Regierung nur danach beurteilen, ob die Schere zwischen arm und reich nicht noch weiter auseinandergegangen ist, sondern sich möglichst geschlossen hat.

Noch haben wir zum Glück etwas zum Verschenken. Unser Schenken an Weihnachten ist aber meist ein Geben und Nehmen. Das ist furcht­bar, wenn einer sich nichts schenken lassen will, sondern immer gleich überlegt, wie er das wieder gut machen kann, oder darüber klagt, daß er nichts zum Wiedergutmachen hat.

Paulus nennt einen ganz anderen Antrieb für das Schenken. Für ihn geht es nicht nur um ein soziales Werk, obwohl die ersten Christen in der Tat wohl arm waren. In erster Linie ging es symbolisch um die Einheit der Kirche aus Juden und Heiden, die in dieser Kollekte ihre sicht­bare Unter­stützung finden sollte.

Wenn Paulus von der „Gnade“ spricht, dann schwingt hier die Bedeutung „Dank“ mit und „Gefälligkeit“ und „Liebeswerk“. Wenn Jesus Christus aber sein Liebeswerk tut, dann ist sein Kommen in die Armut dieser Welt eine Aktion der helfen Liebe. Ehe die Heidenchristen den Judenchristen helfen konnten, war ihnen Jesus Christus schon mit seiner Liebesaktion zuvorgekommen. Arm werden und reich machen - das ist halt der Weg Jesu.

Das Armsein ist aber nicht nur ein soziales Schicksal. Jesus faßte schon bei Gott den Entschluß, arm zu werden. Er hat nicht nur auf irdisches Hab und Gut verzichtet, wie es die Krippe symbolisch zeigt. Viel wichtiger ist aber, daß er auf den Glanz der göttlichen Daseinsweise verzichtet hat. Er hat nicht das Gott-sein aufgegeben, aber das Gott-gleich-sein.

Er hätte ja auch an sich selbst Genüge haben können und auf die Welt und die Menschen verzichten können. Er hätte die Menschen fallenlassen können. Und wenn er sie dann wieder hätte zurückerobern wollen, dann hätte er das in unverhüllter Majestät und ungebremster Allmacht tun können.

Aber Jesus macht es ganz anders: Er begegnet den Sündern so, daß sie zu neuem Vertrauen gewonnen werden. Er macht das Los der Verlorenen zu seinem eigenen und verzichtet auf alles, was er den Menschen voraus hatte. Er bedrängt die Menschen nicht, sondern wirbt immer wieder um sie.

Weil dies vorausging, will Paulus die Korinther gewinnen für das Liebeswerk. Dies ist keine jetzt erst neu aufgenommene diakonische Aktivität. Etwas Vergleichbares hat längst statt­gefunden in dem großen Gnadenwerk Christi. Die Korinther waren die ersten Empfänger der Gnade Christi.

Und wenn sie nun eine Kollekte geben, dann sollen sie nicht vergessen, daß der Herr zuvor an sie gedacht hat. Das Schenken wird von solchen erwartet, die zuvor beschenkt worden sind. Und die Gabe für die Jerusalemer Urgemeinde ist Dank für den Segen, der von dieser Gemeinde in die Welt gegangen ist.

Wovon Christen sich lösen und was sie tun, das hängt nicht von moralischen Regeln und Grundsätzen ab, sondern es geht aus dem Christusgeschehen hervor, das ihnen widerfahren ist. Bei ihm handelt es sich um ein einbahniges Geschehen, alles geht von ihm aus und wir sind die Beschenkten.

Aber leider klappt das heute unter den Gemeinden auch nicht. Es gibt zum Beispiel keinen ausreichenden innerkirchlichen Finanzausgleich. Wenn die Kirche von Hessen-Nassau darüber klagt, daß ihr für den neuen Haushaltsplan 30 Millionen weniger zur Verfügung stehen, dann steht dem gegenüber, daß der Haushaltsplan der Thüringer Kirche gerade einmal 30 Millionen umfaßt.  Dort erhalten die Pfarrer dann auch 1.000 Euro weniger im Monat.  Aber sage man einmal den Pfarrern im Hessen, die sollten mit den Thüringern teilen!

Und erst recht gilt das im Weltmaßstab. Wir haben zwar seit Jahrzehnten die Aktion „Brot für die Welt“. Aber die ist aus einer innerkirchlichen Bewegung zu einer Spendensammelaktion geworden, die wie andere Organisationen an Bahnhöfen und Kaufhäusern auf vier großflächigen Plakaten nebeneinander um Spenden wirbt. Ich habe einmal dorthin geschrieben, daß mein Geld nicht für die Werbewirtschaft sein soll, aber Antwort habe ich nicht erhalten.

Vielleicht bedrückt es uns, daß uns auch bei allem guten Willen die technischen Möglichkeiten fehlen, in spürbarem Umfang zu helfen. Aber wenig ist mehr als gar nichts. Wir haben die Freiheit zu beidem: zum Haben und zum Verschenken. Aber auch mit dem Hergeben horten wir kein himmlisches Kapital. Wir werden nicht zu Spekulationsgeschäften mit himmlischen Aktien verleitet.

Christus macht uns reich. Wir werden nicht ärmer, wenn wir den Schwer­punkt unserer Anstrengungen und Unternehmungen in den anderen sehen. Unser Leben ist soviel wert, wie es Dienst am anderen ist. Liebe zu verschenken macht nicht ärmer, sondern reicher. Im Nachhinein merkt man, wie man froh wird, wenn man einen anderen Menschen hat froh machen können.

 

 

2. Kor 9, 6 -15 (Erntedankfest, Variante 1):

Eine Spende von Christen kann dazu beigetragen, daß in einem fernen Land die Menschen zum Lob Gottes finden. Das wäre doch auch ein schönes Ergebnis unserer Spende, wenn dadurch irgendwo ein Mensch frohen Herzens in das Gotteslob einstimmt. Auch in unserem Jahrhundert sind immer wieder Hilfsaktionen nötig. Wir haben hoffentlich nicht vergessen, wie uns geholfen wurde. Wir denken dabei „allermeist an des Glaubens Genossen“, aber das setzt das „Tut Gutes jedermann“ nicht außer Kraft.

Wir können heute nicht für die Ernte danken, ohne an die vielen Menschen zu denken, die von der weltweiten Hungersnot betroffen sind. Mit Spenden allein werden wir ihnen allerdings nicht helfen können. Es bedarf umfassenderer und durchgreifenderer Maßnahmen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art. Aber die werden auch nur möglich sein, wenn die öffentliche Meinung in den reichen Ländern dies zuläßt.

Es kommt zuerst auf die Schaffung eines Bewußtseins für diese Probleme an. Was wir tun können wird mehr den Charakter eines Zeichens als einer wirklichen Abhilfe haben. Aber wer eine Hilfe empfängt, der ist froh darüber und lobt nicht nur dem Geber, sondern auch Gott, der das alles möglich gemacht hat.

Nur gut, daß die Elenden und Ausgezehrten nicht sehen, wie wir leben und welche Probleme uns die wichtigsten sind. Und wir denken vielleicht: „Nur gut, daß wir die nicht sehen!“ Wir leben ruhig und satt. Aber wir können das wohl nur, weil wir den Jammer nicht sehen. Sicher gibt es auch bei uns manchen, der sich einschränken muß. Wir werden auch in unserer nächsten Umgebung diesem oder jenem beispringen müssen. Aber im Durchschnitt geht es uns doch gut, nicht selten allzu gut - gemessen an vielen anderen Völkern auf jeden Fall. Desto leichter müßte es uns fallen, uns zur tätigen Hilfe aufrufen zu lassen.

Aber deutlich werden soll bei allem: „Die Sicherung unseres Lebens und eventuell der Wohlstand der Welt sind nicht das Höchste. Wir sollten auch nach dem Heil fragen und darauf bedacht sein, daß Gott wieder bei uns zum Recht kommt und wir von unserer Gottentfremdung geheilt werden.

Deshalb geht es auch bei jenem ersten großen Hilfswerk der Christenheit, das Paulus angeregt hat, nicht um humanitäre Hilfe, sondern Gott steht in der Mitte dieser Aktion. Sie wird zu einer gewaltigen Sache um der vielen Danksagungen an Gott willen, die daraus entstehen: Was Christen tun, soll dazu dienen, daß andere darüber Gott rühmen müssen.

Man soll nicht sagen: „Was sind das doch für nette und hilfsbereite Menschen!“ sondern man soll sagen: „Was für ein wunderbarer und gnädiger Gott!“

Was Paulus nah Jerusalem bringen wird, ist genau genommen Gottes eigene Gabe. Aus dem Saatgut, das die Korinther ausgestreut haben, ist durch Gott eine große Ernte geworden. Davon geben sie hier ab uns säen damit neue Frucht aus. Dafür kann man nur Gott preisen und ihm danken. Und er gibt ja gar nicht einmal nur das Brot, sondern überhaupt das Heil. Beides aber löst das Gotteslob aus, das erst ein wahrer Erntedank ist.

So könnte auch für uns das Erntedankfest ein Anlaß sein, sich darüber klar zu werden, wieviel wir empfangen haben und wieviel wir davon fröhlich weitergeben können.

 

2. Kor 9, 6 - 15 (Erntedankfest, Variante 2):

Kennen Sie die Leute vom Stamme Nimm? Jene Menschengruppe, die sich wie keine andere auf unserer Erde vermehrt und in alle Winkel der Welt ausgebreitet hat? Man erkennt sie an ihrer Eigenart, alles an sich zu raffen, alles für sich zu beanspruchen, nichts zu teilen und abzugeben. Weil sie davon kein großes Aufheben machen, hört man wenig von ihnen. Den meisten Leuten vom Stamme Nimm geht es ganz gut. Ihr Eigensinn hat etlichen sogar Wohlstand gebracht.

Diese Sippe hat sich längst viel weiter ausgebreitet, wenn sie nicht seit etlichen Jahrhunderten stark bedrängt wäre. Nachfahren vom Stamme Abrahams, die sich auf Jesus Christus berufen, haben an Zahl und Einfluß gewonnen. Ihre Lebensgewohnheiten scheinen entgegengesetzt. Bei ihnen wird Abgeben und Teilen groß geschrieben. Ihre Großzügigkeit nennen sie „Dank gegen Gott“. Ihre Habe bezeichnen sie als „Segen“. Obwohl sie manchmal nur das Notwendigste besitzen, halten sie sich selbst für reich. „Wir nennen Gottes überschwengliche Gabe unser eigen“, antworten sie, wenn einer vom Stamme Nimm sie irritiert nach diesem Reichtum fragt.

Aber sie sagen auch: „Gnade könnt ihr mit Geld nie bezahlen. Ihr seid geizig. Ihr seid gefangen in eurem Geld. Eure Herzen sind kalt. Und darum seid ihr arme Leute!“ Die Vorhaltungen der anderen Seite lassen dann nicht auf sich warten. „Ihr versteht nichts vom Geld“, heißt es dann, „ihr sorgt nicht vor für eure Kinder und Enkel. Nur wer etwas hat, kann auch abgeben und Gutes tun!“

Solche Gespräche verfehlen nicht ihre Wirkung. Mancher Christ hat schon überlegt, ob er nicht doch besser mehr nehmen als geben sollte. Mancher vom Stamme Nimm hat seitdem bedacht, ob Reichtum nicht wirklich etwas ganz anderes ist als die Anhäufung vieler Güter. Vereinzelt ist es zu Übertritten gekommen. Christen erliegen dem Rausch des Geldes. Und Geizhälse begreifen dann und wann, daß Gott uns reicher beschenken kann als wir uns selbst und daß er einen fröhlichen Geber liebhat.

Was es da zu begreifen gibt, sind handfeste Erfahrungen. Denn wie Christen teilen, ohne ärmer zu werden, kann jeder sehen. Und wie sie abgeben und dabei fröhlich bleiben, ist kein unaussprechliches Geheimnis. Jeder kann danach fragen. Jeder kann sich diese Erfahrungen erzählen lassen. Erfahrungen der letzten Woche. Erfahrungen aus unserer Stadt. Lebenserfahrungen, die lange vor uns gesammelt worden sind und die uns bestärken, daß erst geteilter Reichtum ganze Freude bringt.

Davon erzählt auch die Geschichte von der Baumrinde: In einsamer, armer Gegend lebte ein Bauernehepaar. Es mußte sich hart mühen, um dem Boden etwas abzuringen. In einem Jahr hatte der Bauer Saatgetreide über den Winter gerettet und unter Segenswünschen im Frühjahr in die Erde geworfen. Aber dann kam der Frost zurück und verdarb fast alles. Da sprach der Bauer zu seiner Frau: „Gehe in die Scheune und reibe Baumrinde unter das Mehl, das uns geblieben ist. Es wird ein hungriger Winter werden!“ Im folgenden Jahr kauften sie unter großen Entbehrungen Saatgetreide zusammen. Und wieder warf es der Bauer unter Segenssprüchen auf den Acker. Als die Zeit der Ernte nahte, geschah ein furchtbares Hagelwetter und vernichtete den größten Teil des Getreides.

Wieder mußte der Bauer zu seiner Frau sagen: „Gehe in die Scheune und reibe Baumrinde unter das Mehl. das uns geblieben ist. Es wird ein hungriger Winter werden!“ Im dritten Jahr kauften sie vom letzten, was ihnen geblieben war, noch einmal Saatgetreide. Der Bauer warf es unter Segenssprüchen in die Erde. Diesmal ging die Saat auf, und der Acker trug gut. Der Frost kam zur rechten Zeit, das Hagelwetter ging gnädig vorüber. Der Bauer brachte eine gute Ernte ein. Es würde keinen hungrigen Winter geben, und die Saat für das kommende Jahr würde auch reichen.

Da dankten sie Gott und waren fröhlich. Und der Bauer sprach zu seiner Frau: „Geh nun und richte uns ein Essen, wie wir lange keines hatten!“ Dann ging er noch einmal in die Scheune, um die Ernte zu besehen und sich an ihr zu freuen. Als er schließlich in die Küche kam, sah er seine Frau Baumrinde reiben und unter das Mehl mischen. Er riet ihr zu: „Was tust du da? Unsere Ernte ist gut, was brauchen wir noch Baumrinde!“. - „Nicht so viel wie im vorigen Jahr!“ antwortete die Frau da, „aber wir brauchen sie trotzdem. Hast du vergessen, daß unser Nachbar vom Frost nicht verschont geblieben ist? Laß uns einen Wagen mit Kornsäcken beladen und zu ihm hinfahren. Sonst können wir Gott nicht richtig danken!“

Wo kommen wir vor in dieser Geschichte aus vergangener Zeit, als es noch Hunger und Not gab und die Menschen wußten, wie Baumrinde schmeckt? Wir können den Mißerfolg des Bauern in den beiden ersten Jahren nachempfinden. Wer reichen Segen sät, erntet nicht automatisch reichen Erfolg. Wir können dem Bauern seine Freude nachfühlen. Reicher Segen ist ein Versprechen, das auf die Probe gestellt sein will. Geduld lohnt sich, und Hoffnung hat Sinn. so daß am Ende wirklich nur der kärglich erntet, der kärglich sät.

Wir können die Dankbarkeit der Bauersfrau verstehen. Womit hätten wir verdient, daß wir mehr ernten, als wir ausgesät haben? Wir leben vom Segen. Wenn Gott uns nicht beschenkte, blieben wir auch zwischen vielen Gütern leer und arm.

Wer die Hände geöffnet hat, um sich beschenken zu lassen, der wird aus überschwenglicher Freude abgeben, was ihn ohne sein Verdienst getroffen hat. Den fröhlichen Geber hat Gott lieb, weil er keine Angst hat, zu kurz zu kommen. Alle Geizkragen ärgert, was sie an Jesus und seinen Nachfolgern erleben: daß die vom Stamme Abrahams auch ohne Knausern und Sammeln haben, was sie brauchen.

Das ist ganz einfach: Es sich genug sein lassen; sich über Gottes Gaben freuen; einen Wagen volladen; den Notleidenden beschenken; mit dem Hungrigen sein Brot brechen; dem Elenden ein Dach über dem Kopf bauen. Paulus sagt: „Wenn ihr das tut, werdet ihr nicht ärmer. Ihr gewinnt noch dazu. Ihr werdet euch wundern, wie fröhlich das Abgeben macht. Und zu allem Überfluß: Wenn ihr das tut, bekennt ihr euch zu eurem Herrn Jesus Christus. Ohne Worte werden die Leute begreifen, was Gottes gute Gaben wert sind. Was Gnade ist und was Segen meint. Jeder gebe, was er sich im Herzen vorgenommen hat. Nicht mit Unwillen oder aus Zwang. Fröhliche Geber hat Gott lieb!“

Warum sollten dann die Knauserer vom Stamme Nimm nicht eines Tages aussterben? Weil Gottes Segen und seine Gaben auf alle verteilt sind. So daß „jeder nimmt, soviel er braucht; jeder gibt, soviel er kann; jeder traut dann jedermann; Gott vertraut uns, fangen wir an!“ (Verfasser unbekannt).

 

 

2. Kor 12, 1 - 10 (Sexagesimä):

Wenn der Apostel Paulus sich bei einem Kirchenvorstand um eine Anstellung hätte bemühen müssen, dann hatte er dabei sicherlich Schwierigkeiten gehabt. Schon seine Vergangenheit hätte man ihm vorwerfen können, war er doch ein entschieden er Gegner des Christentums gewesen. Sein Bekehrungserlebnis hätte man vielleicht als Phantasie oder Zeichen einer Geisteskrankheit angesehen.

Dann hat er mehrfach im Gefängnis gesessen, weil er die Behörden verärgert hat. In Athen war es ihm nicht gelungen, die Lehre von der Auferstehung so einsichtig zu machen, daß gebildete Griechen sie ohne weiteres annehmen konnten. An einer Probepredigt hätte man sicher kritisiert, daß sie zu lang gewesen ist, so daß sogar ein junger Mann dabei eingeschlafen ist.

Vor allem aber hätte man sicher wegen seines schlechten Gesundheitszustandes Bedenken gehabt. Er war ein kleiner und kränklicher Mann, mit einer rätselhaften Krankheit, die ihm sehr zu schaffen machte. Dazu nervös, aus Sorge um die Kirchen hat er oft nachts nicht schlafen können. So einen hätte man auch heute nicht brauchen können, eine Bewerbung hätte kaum eine Chance gehabt.

Wir lieben das Starke. Wir bewundern Kraft und Größe, Eleganz und Überlegenheit und möch­ten ebenso sein. Aktive Menschen sind gefragt, heute mehr denn je, wo so viele unsicher und voll Angst sind. Immer nur Erfolge werden gemeldet, auch wenn nichts dahinter steckt, sondern nur die Statistiken gefälscht sind.

In Heiratsanzeigen suchen Menschen in den besten Jahren einen Partner in den besten Jahren. Man stellt gute Eigenschaften und persönliche Interessen heraus. Selten wird einmal etwas Negatives angegeben. Wenn man es dennoch tut, ist das oftmals nur ein Trick, um auf sich aufmerksam zu machen. Letztlich wollen doch alle sagen, daß sie für jeden bestens für eine Ehe geeignet sind.

Auch in der Kirche rühmt sich gern die eine Gemeinde vor der anderen. Man kommt mit Statistiken und berichtet von bestimmten Aktivitäten, auch wenn andere das längst haben, nur nicht so einen Wind darum gemacht haben. Man will einen fähigen und imponierenden Pfarrer haben. Die Gemeinde darf schwach sein, aber er soll es nicht sein. Er soll den Karren wieder aus dem Dreck ziehen, soll der Gemeinde zur Anerkennung und finanziellen Sicherheit verhelfen.

Man möchte etwas gelten in der Welt und die Schwächen möglichst vertuschen. Aber in Wirklichkeit gibt es doch viel Glaubensarmut und Lauheit in den Gemeinden, viel Menschlich-Allzumenschliches. In der Stärke liegt auch die Gefahr der Überheblichkeit. Der starke Mensch vergißt allzuschnell Gott als dem Geber aller Gaben, er ist nicht mehr Anwalt der Schwachen. Wir haben heute wieder mehr ein Gespür dafür, daß auch das Schwache ein Recht hat.

Die Gegner des Paulus in Korinth dagegen ließen nur das Starke gelten. Für sie mußte ein Apostel sich dadurch ausweisen, daß er besondere Glaubenserfahrungen gemacht hatte. Nur wer sich über das Fußvolk erhebt, nur wer die Erkenntnis höherer Welten hat, kann ein religiöser Führer werden. Solche Bestrebungen gibt es auch heute wieder, wenn Zungenredner, Wunderheilunger und Leute in Verzückung auftreten. Sogar im weltlichen Raum versucht man, sich über den Alltag zu erheben: In der Fastnacht und im Rausch möchte man einmal ein ganz anderer sein. Wer da nicht mitmacht, den bedauert man bzw. man schaut verächtlich auf ihn herab.

Auch Paulus schreibt von hohen Offenbarungen, die ihm zuteil geworden sind. Wie leicht hätte er denken können: „Was muß ich doch für ein besonderer Mensch sein, daß Gott mich solcher Dinge für würdig hält!“ Er hätte sich wie mancher anderer seiner Glaubenserfahrungen rühmen und auf die anderen herabsehen können. Vielleicht hätte er auch mit seinen Glaubensanfechtungen hausieren gehen können und überall erzählen können, wie schlecht er früher war und wie schwer er es gehabt hat, beim Glauben zu bleiben.

Paulus könnte da durchaus mithalten. Aber wer wirklich solche Erlebnisse gehabt hat, der schweigt davon. Er möchte allein Gott rühmen und nicht sich selbst. Oder nur die Dinge rühmen, die allgemein nicht als ruhmvoll gelten. Paulus läßt sich auf die Ebene seiner Gegner herab. Weil sie es ihm aufzwingen, will er sich auch einmal rühmen. Aber er rühmt sich nicht seiner Stärke, sondern der Schwäche. Er will den anderen in der Gemeinde nichts voraushaben an größerer Nähe zu Gott, an Wunderkräften und Gebetserhörungen. Denn dann würde auf einmal er als religiöser Mensch interessant, nicht mehr Gott.

Auf keinen Fall soll einer meinen, er müsse erst auf etwas Besonderes warten ,um ein richtiger Christ zu sein. Keiner sollte meinen, er könne erst richtig beten, wenn er laut vor anderen betet oder ein solches Gebet sei mehr als ein stilles Gebet. Die Gnade Gottes genügt. Nichts weiter ist nötig, als daß man sich diese Gnade zusprechen läßt.

Damit wir nie vergessen, daß wir alles Gott verdanken und keinen Grund zur Überheblichkeit haben, hat Gott auch Krankheit und Schmerzen in der Welt zugelassen. Es gibt keine heile Welt, kein Paradies auf Erden. Das hat Paulus am eigenen Leib erfahren müssen. Er spricht von einem „Pfahl im Fleisch“, der ihm immer wieder zu schaffen gemacht hat. Wahrscheinlich hat es sich dabei um eine Krankheit gehandelt, oder auch ein körperliches Gebrechen. Paulus hat sich immer wieder gefragt: „Warum muß denn gerade ich mit einer solchen Last geschlagen sein? Ich könnte doch meinen Auftrag viel besser erfüllen, wenn ich ganz gesund wäre!“ Aber nachher erkennt er: Das hat mir Gott geschickt, damit ich nicht überheblich werde und meine, ich könnte alles aus mir selbst.

Wir würden doch in der Regel umgekehrt urteilen: „Wenn Gott mich mit Krankheit straft, dann will er mich nicht in seinem Dienst haben. Und in der Regel haben wir auch bei einer Krankheit so sehr mit uns selber zu tun, daß wir Gott darüber vergessen. Andererseits gilt aber auch wieder: Wem es zu gut geht, der vergißt Gott auch leicht. Erfolge steigen uns immer in den Kopf. Und da ist es manchmal gut, wenn wir auch einmal stolpern und auf die Nase fallen und wieder auf dem Boden der Tatsachen sind.

Damit Paulus der Selbstruhm und die Überheblichkeit ausgetrieben wird, hat er den Pfahl im Fleisch. Das ist wie ein Fremdkörper, der unter der Haut steckt und nicht wieder herauszukriegen ist. Er eitert und verursacht Schmerzen und es wird und wird mit ihm nicht besser. Immer wieder wird ihm das Leiden in Erinnerung gebracht.

Paulus hat schon dreimal inständig gebeten, daß Gott ihm diese Krankheit doch nehmen möge. Er hat ihn um eine Radikalkur in Form einer Art Operation gebeten. Aber er erhält nur die Antwort: „Meine Gnade genügt für dich. Denn meine Kraft kommt in der Schwachheit zur Vollendung!“

Das müßte man eigentlich jedem Kranken sagen: „Du mußt nicht auf jeden Fall und um jeden Preis gesund werden. Du brauchst allein Gottes Gnade, dann kannst du leben!“ Wie mancher hat ständig gearbeitet und geschafft, von einem Tag in den anderen hinein, und hat darin das Leben gesehen, hat gemeint, das sei schon das Leben. Er dachte, es müßte ewig so weitergehen und nichts könne ihn in seinen Erfolgen aufhalten. Aber dann kam die Krankheit und warf ihn um. Jetzt hatte er Zeit, einmal über alles nachzudenken und auch die eigenen Kräfte richtig einzuschätzen. Nun lernte er nach innen zu schauen und allein in Gott einen Halt zu finden.

Es ist vielleicht zuviel gesagt, wenn man behaupten wollte: „Es ist eine Gnade, krank zu sein!“ Denn Gnade wäre es doch, wenn wir gesund würden. Aber als Gesunder geht man oft achtlos an Gott vorbei. Wer aber durch eine Krankheit mit Gott in Berührung kommt, der legt dann auch sein ganzes Leben in die Hand Gottes und kann sogar noch zum Segen für seine Umwelt werden.

Es ist sicher gut, wenn wir hie und da Menschen unter uns haben, die schwer krank sind. Sie sind ein Mahnzeichen dafür, daß unsre Welt nicht vollkommen ist, jedenfalls nicht in unseren Augen. Wir sind immer noch auf die Hilfe und Gnade Gottes angewiesen. Niemand erkennt das besser als ein Kranker. Wenn wir also eine Krankheit oder eine Schwäche an uns fühlen, dann hat das vielleicht doch einen guten Grund bei Gott.

Es ist nicht gut, wenn man den Gedanken an Krankheit und Tod immer wieder wegschieben will. Kranke Menschen verschwinden hinter den Mauern von Krankenhäusern und Anstalten. Wir wollen als frohe Menschen durchs Leben gehen und nicht immer wieder an das Leid erinnert werden. Krankheiten sollen überwunden oder doch wenigstens versteckt werden. Doch das ist nicht gut. Wie soll man denn da die Erfahrung machen, daß Gott gerade dem Schwachen nahe ist?

Paulus will nicht sagen, daß man erst so eine schwere Krankheit haben muß wie er, um Christ sein zu können. Das wäre auch Selbstruhm mit umgekehrten Vorzeichen. Auch ohne einen „Pfahl im Fleisch“ bleibt wahr: Die Gnade Gottes genügt. Man braucht nichts aufzuweisen, nicht einmal eine Schwachheit. Niemand braucht ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er von keiner Krankheit geplagt wird.

Wer aber eine Krankheit oder einen Mangel hat, der sollte wissen: Gott kann sein Werk auch so tun, daß er uns das Leiden verordnet. Dazu gehört nicht nur die Krankheit. Auch Spott und Mißerfolg, Scheitern und Müdigkeit gehören dazu. Durch sie sorgt Gott dafür, daß wir schön auf der Erde bleiben und uns nicht schon wie im Himmel fühlen. Das Leiden ist uns nicht nur gegeben, sondern wohlweislich auch belassen.

Dadurch wird deutlich: „Gottes Gnade genügt!“ In seiner Liebe bindet er Menschen an sich, die es an sich nicht wert sind. Gott ist bei dem Schwachen und läßt ihn nicht allein (das wird hier verherrlicht, nicht das Schwache an). Mancher wird meinen: „Lieber im Unfrieden mit Gott, aber gesund!“ Wir wären schon ein großes Stück weiter, wenn wir begriffen: Lieber krank, als ohne Gott und seine Gnade leben müssen!

 

Weiterführende Gedanken zum Thema „Krankheit“:

Wenn wir auf der einen Seite die Tuberkulose fast ausgerottet, dann wachsen die Krebskrankheiten. Und wenn das Leben eines Menschen durch eine Herzverpflanzung verlängert wird, dann muß erst ein anderer für ihn sterben. Vielleicht wäre es auch gar nicht so gut, eine konfliktlose Welt ohne Krankheit und Leid und Schmerz schaffen zu wollen, denn es wäre am Ende eine unheimliche Welt.

Die Nationalsozialisten hatten ja damit begonnen, die Krankheit auszurotten. Das heißt: sie haben das von ihnen sogenannte „lebensunwerte Leben“ vernichtet. Aber dennoch gibt es ja doch immer wieder neu Schwachsinnige und Geisteskranke. Wenn das so weitergegangen wäre, dann hätte man schließlich auch die alten Menschen oder die politischen Gegner umgebracht, weil die ja auch „lebensunwert“ sind.

Der andere Weg zu einer vollkommenen Welt war die Züchtung von „Menschen neuen Typs“. Doch auch dabei hat man sich getäuscht, denn die Erbgesetze lassen sich nicht so einfach von Menschen lenken: Ein häßlicher, aber kluger Professor, heiratete eine hübsche, aber dumme Frau, in der Hoffnung, die Kinder würden klug u n d hübsch. Doch sie waren häßlich u n d dumm. Wir können Gott nicht ins Handwerk pfuschen und müssen auch in Kauf nehmen, daß manches nicht so ist, wie wir es uns vielleicht wünschen.

In uns steckt nämlich die gleiche Neigung wie in Hitler. Wir versuchen auch, den Gedanken an Krankheit und Tod von uns wegzuschieben: Wenn jemand schwer krank ist, dann kommt erins Krankenhaus. Dort stirbt er am Ende auch und wird irgendwohin in ein Krematorium zur Verbrennung gebracht. Man will es nicht mehr so sehr gern wahrhaben, daß wir in manchen Fällen doch weitgehend machtlos sind.

Aber es wäre sicher nicht gut, wenn uns dieser Pfahl im Fleisch genommen würde.. Denn dann würde der Hochmut und das Eigenlob der Menschen bis in den Himmel wachsen. Natürlich wollen wir keine wissenschaftliche Leistung auf dem Gebiet der Medizin schlecht machen. Aber man wünschte sich manchmal etwas mehr Bescheidenheit von manchen großen Medizinern und die Einsicht, daß sie auch einmal versagen und nicht alles so glatt geht wie erhofft.

Von dem Kapstädter Arzt Dr. Barnard war so etwas noch nie zu hören. Es gibt aber keine heile und vollkommene Welt, höchstens in den Augen Gottes ist sie vollkommen; aber dann gehören Krankheit und Leid zu dieser Welt mit dazu, zu dieser Welt, die auf Gottes Erbarmen angewiesen ist.

Wenn wir vielleicht von dem einen oder anderen Leiden geplagt werden, dann sollten wir uns nicht den Kopf zerbrechen über Gottes Geheimnisse, sondern nur auf diesen einen Satz hören: „Meine Gnade genügt dir!“ Auch wenn wir krank sind, haben wir die Aufgabe, für Gottes Reich zu streiten. Gott hilft uns, über das Schwere in uns und in unserem Leben hinwegzukommen, auch wenn er es uns nicht wegnimmt. Gerade wenn wir schwach sind, dann sind wir Gott ganz nah. Wir sind nicht von Gott verlassen, sondern er ist da, um uns zu helfen.

 

 

2. Kor 13, 11 und 13 (Trinitatis):

Man lernt nie aus im Leben. Die Konfirmation ist bis heute mit einer Vorstellung der Konfirmanden verbunden, die man früher als „Prüfung“ bezeichnete. Das könnte zu der Meinung verführen: Wenn ich die Prüfung geschafft habe, dann brauche ich mich das ganze Leben über nicht mehr darum zu kümmern. Aber wenn einer die Fahrprüfung gemacht hat, dann ist damit nicht für alle Zeiten alles erledigt. Erst einmal muß er eine gewisse Fahrpraxis gewinnen. Dann ändern sich die gesetzlichen Bestimmungen und Nachschulungen sind erforderlich. Bei einerÜbertretung wird man durch eine Ordnungsstrafe belehrt. Gelegentlich sind ärztliche Untersuchungen notwendig. Eine Prüfung ist nur der erste Schritt, die Bewährung kommt erst noch.

So ist auch die Konfirmation nicht das Ende, sondern der Einstieg in ein Leben mit Gott und der Kirche. Es ist nicht so, wie eine der Konfirmandinnen meinte, als der Pfarrer sie zum Jugendabend einlud: „Ach, es geht noch weiter, ich dachte, daß jetzt Schluß ist!“ Für diejenigen, die heute an der Goldenen Konfirmation teilnehmen, ist nicht Schluß gewesen. Mancher wird vielleicht nicht so viel Verbindung zur Kirche gehabt haben. Aber er kann immer und jederzeit wieder kommen, sich an Vergangenes erinnern und mit Gott in die Zukunft gehen.

Als Konfirmand hat man vielleicht manches noch gar nicht so richtig verstanden, was zu lernen war. Manches wird man auch nie richtig verstehen, weil Gott all unser Begreifen übersteigt. Aber nach der Erfahrung eines halben Jahrhunderts gewinnt man vielleicht doch

eher Zugang zu der einen oder anderen Glaubensaussage.

Nehmen wir zum Beispiel das Thema des heutigen Sonntags „Trinitatis“. Da wird uns der dreieinige Gott vor Augen gestellt, Gott als der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Der Naturwissenschaftler und Philosoph Ernst Haeckel, der um das Jahr 1900 in Jena lebte, hat darüber gespottet: „In der Schule lernen die Kinder in der ersten Stunde im Religionsunterricht: 3 x 1 = 1, aber in der zweiten Stunde im Rechnen heißt es: 3 x 1= 3. Die kirchliche

Lehre richtet nur Verwirrung in den Köpfen der Kinder an!“ Doch lassen wir uns nicht verwirren und hören auf den Predigttext, ein Bibelwort, das uns ja als Segensformel aus vielen Gottesdiensten vertraut ist.

Vielleicht können wir uns zunächst einmal klar machen: Wir haben Gott ü b e r uns, wir haben ihn als Menschen mitten unter uns und wir haben ihn als Heiligen Geist i n uns. Besonders wichtig wird uns dabei heute sein, daß Gott unter uns als Mensch da war. Schon bei Paulus steht „die Gnade unsres Herrn Jesus Christus“ am Anfang seines Segenswunsches. Hier bekommen wir es doch mit Gott unmittelbar zu tun.  Der rückt er uns gewissermaßen auf den Leib. In der Gestalt Jesu Christi wird er uns am deutlichsten greifbar.

In Jesus werden wir gewiß, daß Gott sich uns zuwendet. Allerdings können wir dabei nicht auf Tatsachen hinweisen, die auch der Unglaube anerkennen muß. Nicht selten wird der Glaube sogar den gegen ihn sprechenden Tatsachen trotzen müssen. Aber er erfährt, was er aus sich selbst nicht hervorbringen könnte. Er erfährt den Gott, der         auf uns zukommt, um der Unsrige zu werden. Es geht ihm nicht um das ja doch zugängliche Wesen Gottes, sondern um seine Erscheinung in der Geschichte und in unserer Welt.

Paulus nennt in seiner Schlußformel ja auch nicht einfach die drei Personen Gottes, sondern er spricht von „Grade, Liebe, Gemeinschaft“, also von der Art und Weise, in der Gott jeweils auf uns zukommt und an uns wirkt.

Das Wort „Gnade“ ist bei Paulus der zentrale Begriff, der am klarsten sein Verständnis des Heils ausdrückt. Er meint das „Erfreuende“, aber auch „Gütigkeit“ und „Erbarmen“, ist also immer etwas, was uns geschenkweise und unverdient mitgeteilt wird. Das hat der Mann erfahren, der an Händen und Füßen gelähmt war und von seinen Freunden auf einer Bahre zu Jesus gebracht wurde. Durch das Dach ließen sie ihn zu Jesus hinunter und legten ihn dem Helfer vor die Füße.

Jesus aber will ihm zuerst die unsichtbaren Lasten seines Lebens nehmen, indem er zu ihm sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben!“ Er spricht ihn innerlich frei an Leib und Seele. So dürfen wir auch von Jesus Christus nur Gutes erwarten, auch in diesem Gottesdienst. Wir dürfen wieder aufatmen und durch das Abendmahl gestärkt wieder nach Hause gehen in der Gnade eines neuen Anfangs.

Mit der Liebe Gottes ist im Grunde nichts anderes gemeint. Gott hat Weltall, Erde und Mensch geschaffen in seiner Liebe. Er hat alles aufgebaut und entwickelt, wie ein guter Gärtner seinen Garten anlegt und hegt und behütet. Dann hat er den Menschen hineingesetzt, damit er ihn erhalte und zu einem Garten der Menschlichkeit mache, damit er ihn bebaue und bewahre. Unter dem Zuspruch der Liebe Gottes sollen Mann und Frau einander erkennen und lieben.

Der Mensch ist nicht bloß Materie und Material, mit dem man operieren und das man zugrunde richten kann. Angesichts der atomaren Gefahren und der Naturzerstörung haben wir die Liebe Gottes von ganzem Herzen und mit allen Sinnen zu erfassen.

Für diese Welt und die Menschen in ihr ist der Sohn gestorben. Nun will Gott nicht mehr ohne die Menschen sein, nachdem er so viel für sie eingesetzt hat. Auch wenn sie ihm davonlaufen, ist er doch mit seiner Liebe hinter ihnen her und müht sich darum, sie zurückzugewinnen. Gott wäre nicht glücklich ohne uns, weil er uns mit heißem Herzen liebt.

Die „Gemeinschaft des Heiligen Geistes“ schließlich ist zunächst die Gemeinschaft des Geistes mit dem Vater und dem Sohn. Aber er bewirkt dann auch die brüderliche Gemeinschaft der Christen untereinander. So werden die engen Gehäuse unserer Meinungen und Vorurteile gesprengt, über Gräben werden Brücken geschlagen und Grenzen zwischen kirchlichen Gruppierungen überschritten.

Der Segenswunsch steht am Ende eines Briefes, der zum dem Schärfsten gehört, was Paulus je geschrieben hat. Aber nun sagt er: „Laßt euch zurechtbringen, laßt euch mahnen!“ Dabei heißt „mahnen“ auch gleichzeitig „trösten“. Zuletzt vertraut Paulus diese aufsässige und irregeleitete Gemeinde dem Handeln Gottes an. Aller Streit wird dadurch überholt, daß jetzt Gottes Gnade, Liebe und Gemeinschaft herbeigewünscht werden. So kann Paulus den Brief nicht schließen mit Zerwürfnis und Zorn, sondern nur in der Entspanntheit, die Gottes Gnaden- und Liebeshandeln schafft: er wünscht den Korinthern das Beste, das es zu wünschen gibt.

Im Urtext fehlt in diesem Vers das Tätigkeitswort. In der Übersetzung ist die Wunschform eingefügt „sei mit euch allen“. Man kann aber auch übersetzen: „Gnade, Liebe und Gemeinschaft sind mit euch!“

Das letzte Wort hat immer der dreieinige Gott zu sprechen. Er h a t es schon gesprochen. Daß es überhaupt noch zu Konflikten unter Christen kommt, liegt daran, daß sie dies vergessen haben. Alle Mißhelligkeiten in der Gemeinde kommen aus dem glaubenslosen Absehen vom Handeln Gottes in unsrer Mitte.

Es mag Situationen geben, in denen gestritten werden muß. Aber der Streit ist nur berechtigt, wo er zu dem ruft, was dem Frieden dient, also letztlich zusammenführt. Sicher haben wir es oft schwer miteinander: Es gibt zu viel unvereinbare Gedanken, zu viel widerstreitende Interessen, zu viel Wertlegen auf die eigene Person, zu viele Mißverständnisse und Unterstellungen.

Am Schluß seines Briefes fordert Paulus zum „heiliger Kuß“ auf, der dann zum Abendmahl überleitete. Wir kennen das nur noch vor manchen Politikern (die das aber auch von der Kirche haben). Wir werden das wohl kaum wieder in den Gottesdienst einführen können. Vielleicht sollten wir uns lieber zum Schluß die Hände reichen. Aber was damit gemeint war, sollten wir uns schon in Erinnerung rufen.

Aller Streit ist immer überwölbt durch den Frieden Gottes. Bei Gott ist alles Belastende und Kränkende von vornherein aufgehoben und wird weggetragen. Deshalb gilt zuletzt: auch wenn wir aufgebracht und mißtrauisch, verletzt oder verbittert sind - es gibt doch viel Grund, sich zu freuen. Laßt ihn nur heran an euch, sagt Paulus, an eure Probleme im Miteinander. Dann wird alles gut und heil, denn Gott ist ein Gott der Liebe und des Friedens.

So kann auch der heutige Tag für uns alle zu einem Tag des Segens werden. Wir sollten uns nicht nur dazu gratulieren, daß wir diesen Tag erreicht haben, denn dafür können wir nichts, das verdanken wir nur der Grade Gottes. Wir sollten uns auch die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes wünschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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