Misslungener Versöhnungsversuch
Im Jahre 2017 beschloß die Synode der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland die Aufarbeitung der Fälle aus der Zeit der DDR, in der kirchliche Mitarbeiter von der Kirche drangsaliert wurden, um dem Staat einen Gefallen zu tun. Stichwort war „Aufarbeitung und Versöhnung“, man wollte zu einem Ausgleich mit den Opfern kommen.
Ich reichte meinen Fall auch ein, obwohl er nicht so ganz typisch ist, weil Urheber nicht der Staat war, sondern die Kirche, die vom Staat weiterhin eine freundliche Behandlung erhalten wollte. In dem Brief vom 27. Juli 2017 heißt es unter anderem
Mein Antrag vom 27. Juli 2017:
Sie haben sich die Aufklärung und Verurteilung der Verletzung der Glaubens- und Gewissensfreiheit in der SED-Diktatur zum Ziel gesetzt. Dazu möchte ich Ihnen meinen Fall schildern, auch wenn Sie bei der Landeskirche angesiedelt sind, die damals „Maßnahmen“ (dies Wort wurde so verwendet) gegen mich ergriffen hat. Ich bin kein Opfer, das wegen seiner oppositionellen Haltung im Gefängnis gesessen hat (bei Pfarrern war man damals bekanntlich vorsichtig). Aber ich wurde auf andere Art und Weise „zersetzt“, allerdings nicht von der Stasi, sondern von der Kirche, die in vorauseilendem Gehorsam meinte, dem Staat einen Gefallen tun zu müssen.
Mein „Verbrechen“ bestand damals darin, daß ich Anfang 1987 einen Brief an den Kreisratsvorsitzenden geschrieben hatte, in dem ich mich über die fehlenden Reisemöglichkeiten beschwert hatte. Er hatte mir gute Wünsche zum neuen Jahr geschickt, aber ich habe ihm geantwortet, daß seine Wünsche der Praxis widersprechen. Zwar durfte ich damals zusammen mit meiner Frau als erstes Ehepaar im Kreis in einer Familienangelegenheit in den Westen reisen. Aber ich habe dem Kreisratsvorsitzenden gesagt, daß ich deswegen nicht dankbar bin, sondern nur ein Menschenrecht wahrnehme und dies auch für alle Einwohner des Kreises fordere.
Der Pfarrkonvent hat mich dann gezwungen, ein abschwächendes Schreiben hinterher zu schicken. Aber seit dieser Zeit versuchte der Dekan (= Superintendent) mich loszuwerden. Dazu half ihm ein innergemeindlicher Konflikt zwischen mir und einigen Angestellten, die immer mehr Vergütung haben wollten, aber immer weniger arbeiten. Ich mußte unter anderem rügen, daß sie mehr Stunden aufschrieben als sie anwesend waren und daß sie am Wochenende für die ganze Verwandtschaft ein reichliches Essen aus den Vorräten der Küche des Kindergartens gekocht hatten.
Dazu kam ein weiterer Konflikt mit dem Vorsitzenden des Kirchenvorstandes (= Gemeindekirchenrat). An sich hatte ich es begrüßt, daß ein Laie dafür gewählt worden war. Aber dieser spielte sich nun auf, als sei er allein der Kirchenvorstand (er wurde sogar als der „Herr Kirchenvorstand“ bezeichnet), wollte Vorgesetzter der Angestellten sein und griff sogar in den Schriftverkehr der Gemeinde und des Pfarramts ein.
Bezeichnend war folgender Vorfall: Die Angestellten erhielten mehrere Jahre eine Art übertarifliches „Weihnachtsgeld“, weil das Ergebnis der Jahresrechnung das hergab. Durch die jährlichen Erhöhungen der Tariflöhne war aber 1987 zu befürchten, daß dafür kein Geld mehr da sei. Deshalb hatte der Kirchenvorstand auf meinen Vorschlag beschlossen (auch mit der Stimme des Vorsitzenden), erst einmal das Jahresergebnis abzuwarten. Der Vorsitzende aber wandte sich mündlich an den Dekan, der anstandslos 11.000 Mark überwies, deklariert als „Baukostenzuschuß“.
Dieses Geld hat der Vorsitzende dann nach Gutdünken und in unter-schiedlicher Höhe an die Angestellten verteilt. Ich habe davon erst erfahren, als meine Frau als Katechetin auch das Geld erhalten sollte (sie hat natürlich abgelehnt).
Dieses Handeln habe ich dann im Kirchenvorstand gerügt und dafür wiederum vom Dekan eine Rüge erhalten: Ich dürfe den Vorsitzenden des Kirchenvorstandes nicht so angreifen, es sei alles nach Recht und Gesetz verlaufen! Die Sache war damit an sich ausgestanden. Aber ein halbes Jahr später griff der Dekan den Fall wieder auf, weil er unbedingt etwas gegen mich haben wollte, denn ich hatte mich sehr zurückgehalten, um keinen Vorwand zu liefern. Der Dekan kam zu jeder Kirchenvorstandssitzung und versuchte Öl ins Feuer zu gießen. Er billigte auch, daß der Vorsitzende viermal hintereinander zu einer Kirchenvorstandssitzung einlud, ohne den Termin vorher mit mir abzustimmen, so daß ich nicht teilnehmen konnte (ich hätte zum Beispiel den Frauenkreis absagen sollen).
Die Entwicklung gipfelte darin, daß mir die Geschäftsführung des Pfarramtes entzogen und einem Nachbarpfarrer übertragen wurde. An sich hatte ja der andere Pfarrer am Ort die Geschäftsführung, aber der weigerte sich einfach und meldete sich immer wieder krank. Deshalb war ich stark eingespannt und hatte zum Beispiel an vier Tagen hintereinander über Weihnachten 16 Gottesdienste zu halten und danach an zwei Tagen vier Beerdigungen. Ich konnte mich um all die Streitereien nicht kümmern. Die Gemeinde jedenfalls hat unter den sogenannten „Steinbacher Verhältnissen“ nicht gelitten. Mein Kollege am Ort hat sich in fünf Jahren runde zwei Jahre vorwiegend wegen Krankheit von mir vertreten lassen. Aber es fielen kein Gottesdienst und keine Gemeindeveranstaltung aus und die Verwaltung wurde auch immer pünktlich erledigt.
An einem Montag vor Weihnachten 1988 saß ich insgesamt sechs Stunden mit dem Vorsitzenden des Kirchenvorstandes und zum Teil auch anderen Angestellten zusammen und hatte den Eindruck, nun seien alle Fragen geklärt. Am nächsten Tag fuhren der Dekan, sein Stellvertreter und der Vorsitzende des Kirchenvorstandes nach Eisenach, um beim Landeskirchenrat meine Abberufung zu fordern. Dazu hatte der Dekan eine dicke Mappe mitgenommen, die angeblich meine Verfehlungen dokumentierte, aber nicht anderes enthielt als den amtlichen Schriftverkehr zwischen Pfarramt und Dekanat (also Berichte, Anfragen, usw.) aus über 20 Jahren.
Dann war am 21. Januar 1989 eine Kirchenvorstandssitzung, in der auch vom Kirchenvorstand meine Abberufung beschlossen werden sollte. Der Vorsitzende war dazu bei allen Mitgliedern herumgelaufen und hatte seine Absicht mitgeteilt und gesagt, er habe auch schon einen Nachfolger an der Hand (der dann aber einen Rückzieher machte, weil seine Frau begann, in der Ost-CDU Karriere zu machen). Der Dekan behauptete dann noch, der Landeskirchenrat habe auch schon gegen mich entschieden. Dieser tagte zwar am gleichen Tag, aber dem Dekan war es nicht gelungen, an diesem Tag telefonisch eine Auskunft über das Ergebnis zu erhalten. Jedenfalls gab der Kirchenvorstand mir mit einer Mehrheit von 16: 4 den Rat, die Pfarrstelle zu verlassen. Damit war nach meiner Meinung alles gelaufen.
Nur das Verhalten des damaligen Landeskirchenrats war dann enttäuschend. Man hätte mir die Pistole auf die Brust setzen können und sagen: „Entweder du gehst freiwillig unter Wahrung deines Gesichts oder wir versetzen dich zwangsweise!“ Und man hätte wenigstens öffentlich sagen können, daß disziplinarisch nichts gegen mich vorlag. So aber hatte ich am 31. Januar 1989 einen Brief in meinem Briefkasten, in dem mir die Suspendierung mitgeteilt wurde und ich sollte mich in drei Wochen beim Landeskirchenrat einfinden.
Bei „Suspendierung“ denkt man natürlich gleich an ein Verbrechen wie Diebstahl oder sexueller Mißbrauch. Die Gerüchte schossen gleich ins Kraut, ich hätte Geld unterschlagen (sogar 5.000 Mark Westgeld!), man wolle das jetzt nur von der Kirche aus vertuschen, deshalb habe der Dekan in der Kanzelabkündigung keine Gründe genannt.
Das Gespräch beim Landeskirchenrat führte dann der Oberkirchenrat Martin Kirchner (Oberkirchenrat Höser saß nur dabei). Als ich mich darüber beschwerte, daß ich vorher nicht gehört wurde, sagte Herr Kirchner: „Das ist nicht erforderlich. Ich kenne das Pfarrergesetz, ich habe es hier vor mir liegen!“ Als ich ihm den entsprechenden Paragraphen nannte, sagte er nur: „Sie bieten hier das Bild, das mir von Ihnen geschildert wurde!“ Herr Kirchner war bekanntlich hauptamtlicher IM, aber kein studierter Jurist.
Und dann fuhr er fort: „Wir geben Ihnen noch einmal eine Chance in einer anderen Thüringer Gemeinde. Aber wenn Sie auch dort nicht mit den staatlichen Stellen zurechtkommen, werden wir Sie entlassen!“ Auf einmal war von „staatlichen Stellen“ die Rede, obwohl es sich doch angeblich um einen innerkirchlichen Konflikt handelte.
Ich hatte dann noch ein Gespräch mit Oberkirchenrat Große und dem Landesbischof. Aber mit Wirkung vom 30. März 1989 bat ich um Entlassung aus dem kirchlichen Dienst. Gründe dafür waren die „unbrüderliche“ und gesetzwidrige Verfahrensweise des Landeskirchenrats, die fehlende Rückendeckung durch den Kirchenvorstand und vor allem die Drohung, wenn ich mich nicht dem Staat gegenüber wohl verhalte, werde man mich ganz entfernen.
Mir war klar, daß ich mir nicht das freie Wort verbieten lassen würde. Ich habe mich immer beim Landkreis beschwert, wenn Christenlehrekinder oder Konfirmanden diskriminiert wurden (dreimal auch in eigener Sache). Ich habe Leserbriefe geschrieben zum Fall Brüsewitz (die natürlich nie veröffentlicht wurden, sondern bei der Stasi landeten). Ich habe mich standhaft geweigert, positive Stellungnahmen in der Zeitung abzugeben. Bei offiziellen Treffen mit Staatsvertretern habe ich nicht mit Kritik zurückgehalten (deshalb haben sie mich später nicht mehr eingeladen). Ich habe mich mit sogenannten „Antragstellern“ solidarisch gezeigt, usw. Eine Bemerkung in der Predigt schaffte es sogar in den täglichen Lagebericht an das Zentralkomitee der SED.
Dieses Schreiben wurde von Herrn Beleites zur Kenntnis genommen. Ich schrieb dann noch einmal an Frau Hildigund Neubert, aber es erfolgte keine Reaktion. Erst im Jahre 2023 wurde die Sache von Seiten der Landeskirche wieder aufgenommen
Schreiben von Christan Dietrich vom 12. März 2023:
Sehr geehrter Pfarrer Heckert, ich habe versucht, die Quellen, die zur Plausibilisierung Ihres Endes der Anstellung in
Steinbach-Hallenberg führten, ausfindig zu machen und zu interpretieren. Eine wichtige Quelle wurde die Gemeindeakte, die im Landeskirchenarchiv liegt.
In Abstimmung mit dem Anerkennungsausschuss teile ich Ihnen mein Ergebnis (Entwurf einer Vereinbarung) mit (s. unten). Der Anerkennungsausschuss schlägt vor, dass Sie (und Ihre Frau) vom EKM-Bischof
Friedrich Kramer ein Schreiben erhalten, in dem für Ihr Dienst gedankt wird, die Form ihrer Beurlaubung als unangemessen erklärt und sie um Vergebung gebeten werden. Wenn Sie sich etwas anderes
erhoffen bzw. erwarten, dann lassen Sie es mich bitte wissen.Ich bitte, diese Mail als vertraulich zu behandeln. Das Ergebnis des Verfahrens sollte auch öffentliche Verwendung finden
können.
Hier der TEXT-ENTWURF
Sachverhaltsdarstellung:
In Steinbach-Hallenberg gab es in den 1980er Jahren zwei Pfarrstellen und verschiedene hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter (Kindergärten, Kantorkatechet, Diakoniestation, Friedhof). Die Kirchgemeinde gehört zum Dekanat Schmalkalden. Infolge der von der SED-Führung erzwungen Abgrenzung wurde das Dekanat, das Teil der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck ist, von der Thüringer Landeskirche verwaltet. Im Jahre 1971 wurde dazu eine Vereinbarung zur treuhänderischen Verwaltung getroffen. Peter Heckert war auf eigenen Wunsch zusammen mit seiner Frau nach dem Theologiestudium in Marburg in die DDR gekommen. Er hatte ausdrücklich darum gebeten, in eine Gemeinde seiner Landeskirche zu kommen. Die Startbedingungen für den jungen Pfarrer im Dekanat Schmalkalden, das von der Thüringer Landeskirche verwaltet wurde, waren schwierig.
Hochmotiviert waren Peter Heckert und seine Frau, die ebenfalls in der Gemeinde – als Pädagogin – arbeitete, seit 1967 beim Gemeindeaufbau engagiert. Ende der 1980er Jahren wurde das Arbeiten im Kirchspiel Steinbach-Hallenberg jedoch für sie immer schwieriger. Dazu gehörte das Management des kirchlichen Friedhofs und eines Kindergartens und häufiges und längeres Ausfallen des zweiten, des geschäftsführenden, Pfarrers in Steinbach-Hallenberg Georg Peters (8 Monate im Jahre 1987 und ab Anfang 1988 bis letztlich zur Ruhestandsversetzung ein Jahr später).
In dieser Situation wurde Erich Nothnagel, ein Laie, der Mitglied des Vorstands des Dekanats war, Vorsitzender im Gemeindekirchenrat. Offensichtlich wurden bei vielen Entscheidungen kein Beschluss des Gemeindekirchenrates eingeholt bzw. es wurde an Beschlüssen des Gemeindekirchenrates vorbei gehandelt. Aufgrund der Zerwürfnisse kam im Jahre 1988 jeweils ein Dekanatsvertreter zu den Gemeindekirchenratssitzungen hinzukam.
Am 17. Januar 1989 beantragte der Vorstand des Dekanats (Dekan Schreiber, Prodekan Hoffmann und Erich Nothnagel) die Suspendierung von Pfarrer Heckert vom Dienst. Der Landeskirchenrat beschloss daraufhin am 21. Januar 1989 eine Beurlaubung von Peter Heckert mit sofortiger Wirkung aufgrund fehlenden gedeihlichen Zusammenwirkens. Eine Anhörung des Betroffenen durch den Landeskirchenrat fand nicht statt. Zugleich wurde Pfarrer Peter Heckert aufgefordert, sich auf eine andere Pfarrstelle zu bewerben. Pfarrer Peter Heckert meinte später, die Möglichkeit einer rechtlichen Überprüfung der Entscheidung wurde ihm nicht eingeräumt.
Da sich die Familie Anfang der 1970er Jahre – auch aufgrund der schwierigen Raumsituation in der Gemeinde – Wohnungseigentum geschaffen hatten und mit Zustimmung von Gemeindekirchenrat und Dekanat im eigenen Haus wohnten, gab es absehbare Probleme für den Anstellungswechsel. Das Ehepaar Heckert kündigte daraufhin ihre Arbeit. Damit verlor Peter Heckert seine Ordinationsrechte. Mit Hilfe eines Ausreiseantrags verließ das Ehepaar noch im gleichen Jahr, vor dem Mauerfall, Steinbach-Hallenberg. Da Peter Heckert die Ordinationsurkunde abgeben musste, meinte er, nicht mehr als Pfarrer arbeiten zu dürfen (Eingabe an die Synode vom 05.03.1990).
Ihm wurde jedoch mitgeteilt, dass es kein Disziplinarverfahren gegeben habe und er sich jederzeit auf eine Pfarrstelle bewerben könne. Zehn Jahre später, im Jahre 2000, unterstützte auch die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck eine Zuerkennung der Ordinationsrechte – unter der Voraussetzung, „dass Herr Heckert nicht als Pfarrer“ im Kirchenkreis Schmalkalden „auftritt“. Entsprechend beschloss am 13.02.2001 der Thüringer Landeskirchenrat eine Zuerkennung der Ordinations- und Pensionsrechte, unter der Bedingung einer Anstellung außerhalb des Kirchenkreises Schmalkalden.
Im Februar 1991 hatte Bischof Leich geschrieben: „Da Sie auf Ihren Antrag aus dem Dienst ausgeschieden sind und der Landeskirchenrat mehrfach deutlich gemacht hat, daß die Rechte aus der Ordination in Ihrem Fall nicht aus disziplinarischen Gründen ruhen, sehe ich nicht, an welcher Stelle durch uns Rehabilitationsbedarf besteht.“
Erwartung des Antragstellers Peter Heckert:
Was die Frage eines schwerwiegenden Konfliktes in der Kirchgemeinde und dem vom Kirchenrecht vorgesehenen Stellenwechsel des Pfarrers betrifft, hat Peter Heckert im Rückblick geschrieben: „Da muß das
Wohl der Gemeinde im Vordergrund stehen, denn die Pfarrer kommen und gehen, aber die Gemeinde bleibt.“ (Anmerkung auf Seite https://www.amt-hallenberg.de/index.php/chroniken-heckert.html). Was die Frage der Anerkennung
kirchlicher Schuld betrifft, so schreibt Peter Heckert, „zur Rehabilitierung gehört auch Öffentlichkeit. Denn man hat ja auch mit Kanzelabkündigungen den Eindruck erweckt, daß ich etwas verbrochen
hätte“. Im Konkreten erwarte Pfarrer Heckert eine Revision der Beurlaubung.
Im Januar 1990 schrieb Pfarrer Heckert an Bischof Werner Leich: „Den Schaden, den unsre Familie erlitten hat, könnte man mildern durch eine ausgewogene Beurteilung der Vorgänge aus einem gewissen
Abstand heraus.“
Faktisch erfolgte die Entscheidung des Landeskirchenamtes ohne eine Anhörung des Betroffenen und da ja kein förmliches Disziplinarverfahren beschritten wurde, bekam er auch keine Mitteilung über seine Rechte, einen Widerspruch einzulegen. Im Pfarrerdienstgesetz des Bundes der Evangelischen Kirchen (28.09.1982) heißt es dagegen im § 45 (2): „Im Wege der Dienstaufsicht kann ein Pfarrer aus zwingenden Gründen einstweilen beurlaubt werden. Der Pfarrer ist zuvor zu hören. Die dienstaufsichtführende Stelle entscheidet innerhalb von drei Wochen über das Fortbestehen der Beurlaubung. Sie kann die Beurlaubung über insgesamt zwei Monate hinaus nur aufrechterhalten, wenn sie gleichzeitig ein Verfahren in Gang setzt, das eine Beurlaubung zuläßt.“ Peter Heckert vermutet hinter dem Beschluss des Landeskirchenrates den Einfluss der inoffiziellen Stasimitarbeiter im Landeskirchenrat.
Feststellung des Anerkennungsausschusses:
Der Anerkennungsausschuss stellt fest, dass das Vertrauen innerhalb der Gemeindeleitung
Steinbach-Hallenberg nach Aktenlage so zerrüttet war, dass der übliche Weg, einen Personalwechsel vorzunehmen, angemessen war. Für eine
staatliche Beteiligung an dieser Personalentscheidung wurden in den Akten keine Hinweise gefunden. Die Akten des sogenannten Kleinen Kollektivs mit dem Stellvertreter für Kirchenfragen im Landkreis
als Geschäftsführer, sind nicht überliefert. Die Stasiakte von Peter Heckert enthält nach eigenen Aussagen keinen Plan zur Herausdrängung aus dem Pfarramt.
Zur Frage, ob die Stasi den Beschluss zur Beurlaubung beeinflusst habe und der Bischof von den mit der Stasi kooperierenden Oberkirchenräten überstimmt worden sei, hatte Bischof Dr. Werner Leich am
21.02.1991 an Peter Heckert geschrieben: „Ich kann mich nicht erinnern, auch nur ein einziges Mal in kirchenpolitischen Fragen vom Landeskirchenrat überstimmt worden zu sein.“
Es muss jedoch festgestellt werden, dass nicht in jedem vergleichbaren Fall (Aufkündigung der Zusammenarbeit von Kirchenältesten mit ihrem Pfarrer) § 45 des damaligen Pfarrerdienstgesetzes durch den Landeskirchenrat verwendet wurde. In mindestens einem Fall ist dies auch mit einem Einwirken von Kirchenbeamten, die als inoffizielle Mitarbeiter bei der Stasi geführt wurden, zu erklären. Die Entscheidung am 17. Januar 1989 ist nach unserer Kenntnis nicht von außen beeinflusst worden. Es bleibt jedoch festzustellen, dass der Landeskirchenrat die Entscheidung ohne eine Anhörung des Betroffenen gefällt hat.
Da sich der Schmalkaldener Pfarrer Reinhard Naumann aufgrund unbegründeter Verdächtigung bzw. Verleumdungen der Stasimitarbeit im Oktober 1990 das Leben nahm, gab es in der Kirchenleitung in den folgenden Monaten ein hohes Interesse, die eigenen Mitarbeiter vor dem Verdacht der Stasinähe zu schützen. Die vom Thüringer Landeskirchenrat in den ersten Jahren nach Ende der SED-Diktatur betriebene Verteidigungslinie muss als Täterschutz bewertet werden, dessen Folgen bis heute wirken.
Peter Heckert hat sich – so wie seine Sohn Markus Heckert - sehr früh für eine Stasiaufarbeitung eingesetzt. Von der Kirchenleitung wurde er dabei eher als „Nestbeschmutzer“ oder als Feind wahrgenommen. Bischof Leich warf ihm gar „Verleumdung, zumindest üble Nachrede, zum Nachteil mehrerer Personen“ vor (Brief 30.08.1991). Zu dieser Zeit gab es noch keinen geregelten Zugang zu den Stasiakten und auch die Interpretation der Akten war oft unsachlich, da die Arbeitsweise und Aktenführung der Geheimpolizei gerade erst aufgedeckt wurden.
Eine öffentliche Aufarbeitung zur Geschichte des Dekanats Schmalkalden während der SED-Diktatur gibt es noch nicht und so auch keine Einordnung des Wirkens von Pfarrer Peter Heckert (Auskunft von Bischof i.R. Prof Dr. Martin Hein, Dekan Ralf Gebauer, Pfr. i.R. Christoph Bunge). Auch von Thüringer Seite wurde dies nicht unternommen. OKR Weißpfenning notierte 2001 in der Personalakte von Peter Heckert: „Nach erneuter Beratung wollen die Kurhessen die Angelegenheit selbst aufarbeiten. Ich begrüße das sehr. Es ist zu hoffen, daß die Wellen nicht mehr bis zu uns herschlagen.“ (01.11.2001).
Es wurde kein Disziplinarverfahren gegen Pfarrer Peter Heckert eröffnet. Die Beurlaubung wurde nicht aufgrund einer Verurteilung seiner Person oder bestimmter seiner Handlungen ausgesprochen, sondern sollte dem Schutz der Gemeindeleitung inclusive ihres Pfarrers dienen. Da Pfarrer Heckert wenige Tage nach der Beurlaubung kündigte, kam es nicht zu einer juristischen Auseinandersetzung. Durch die moralische Abwertung von Ausreiseantragstellern in Staat und Kirche in der DDR wurde dem Ehepaar letztlich auch der Dank für den aufopfernden Dienst über fast 22 Jahre in der Gemeinde verwehrt. Dies kann auch durch die Eigenpublikationen von Peter Heckert nicht kompensiert werden.
Der Anerkennungsausschuss empfiehlt ………
Herzlich
Pfarrer. Christian Dietrich, Projektstelle Seelsorge Diktaturopfer, ,Landeskirchenamt.,
99084 Erfurt, Michaelisstraße 39, +49 173 1845527
Antwort an Christian Dietrich vom 17.April 2023;
Sehr geehrter Herr Dietrich, Ihre E-Mail konnte ich erst am Sonntag lesen, weil ich wieder einmal im Krankenhaus war und am Herz herumoperiert wurde. Aber jetzt geht es wieder und ich will Ihnen ganz herzlich danken. Sie haben sich ja eine große Mühe gemacht. Aber ich finde es prima, daß die Synode 2017 eine Aufarbeitung dieses vergessenen Kapitels beschlossen hat. Mein Fall war ja nicht so schwerwiegend und so folgenreich wie bei anderen. Aber ich wollte doch einmal alles dokumentiert haben, das wäre schon für mich eine Hilfe gewesen.
Aber Sie bieten ja jetzt - wohl auch unter dem Eindruck der anderen Fälle – viel mehr an. Meine Frau und ich würden uns sehr über einen entsprechenden Brief des Bischofs freuen. Nur muß es dabei nicht um einen Dank für die geleistete Arbeit gehen. In dem Entlassungsschreiben hat der Landeskirchenrat mir in einem dürren Satz formal gedankt. Wichtiger war mir der Dank, der mir von einzelnen Gemeindegliedern mündlich und schriftlich ausgesprochen wurde, oder die Petition der Altersbacher.
Und um Vergebung geht es schon gar nicht, denn Vergebung gibt es nur, wenn eine Sünde vorliegt. Von den drei Anklägern sind der Dekan Schreiber und sein Stellvertreter Hoffmann gestorben. Ob der ehemalige Vorsitzende des Kirchenvorstandes (so heißt der Gemeindekirchenrat in Hessen) noch lebt, weiß ich nicht. Aber wenn er käme und mir die Hand reichte, dann würde ich sie nicht ausschlagen, sondern sagen: „Es ist nun einmal so gelaufen. Aber ich hatte doch ein erfülltes Leben!“ Ich bin da gelassener als meine Frau.
Daß es eine Gemeindeakte im Landeskirchenarchiv gibt, war mir nicht bekannt. Daraus ergeben sich aber doch einige Dinge, ich nicht kannte. Die Personalakte habe ich ja vor Jahren einmal eingesehen, aber die ergibt nichts. Die beim Dekanat geführte Akte ist nicht im Landeskirchenamt in Kassel. Als ich beim Dekan nach dem Verbleib fragte, erhielt ich keine Antwort. Wahrscheinlich wurde sie vernichtet, um mich aus der Kirchengschichte zu streichen. Dabei war das die Akte, die der Dekan den Vertretern des Landeskirchenrates vorlegte, um meinen Charakter zu belegen. Dabei handelte es sich dabei nur um eine Sammlung von Schriftverkehr aus über 20 Jahren, also Berichte, Anfragen, Vorschlage, usw., aber „eine dicke Akte“, wie er sagte.
Es geht mir nicht nur darum, daß die „Form der Beurlaubung unangemessen“ war. Das war sie auch, denn ich wurde „suspendiert“, ein Ausdruck, den man nur verwendet bei Diebstahl, Bestechung oder sexuellen Verfehlungen (Beurlaubung oder Freistellung hätte auch gelangt). Es lag nur ein Brief im Briefkasten, keiner suchte das persönliche Gespräch, ich wurde zu einem Gespräch in drei Wochen „vorgeladen“. Dort erklärte man mir, man wolle die strittigen Punkte nicht untersuchen, in solchen Fällen mache man von den Möglichkeiten des Beamtenrechts Gebrauch und versetze den Pfarrer zwangsweise, ohne Klärung einer Schuld und nur zu meinem eigenen Wohl, um mich zu „schützen“.
Aber auch sachlich war die Zwangsversetzung nicht unbedingt erforderlich. Man hätte auch den Vorsitzenden des Kirchenvorstandes absetzen können (zum Beispiel wegen Veruntreuung) und den Dekan in die Schranken weisen können. Allerdings hat sich der Landeskirchenrat (entgegen meinen Befürchtungen) nicht in Schmalkalder Angelegenheiten eingemischt. Er war zufrieden, daß die Rechnungsprüfer jedes Jahr die Höhe der eingegangenen Kirchen-steuer nachprüften und 25 Prozent davon mitnahmen, praktisch ohne Gegenleistung. Und man war auch von Kassel abhängig, weil Herr Krech alle 14 Tage dorthin fuhr, um die Bürogeräte reparieren zu lassen
Man hätte auch abwarten können, ob es nicht nach einem Machtwort besser geht. Vielleicht mache ich mir da Illusionen, aber ein Versuch wäre es wert gewesen. Aber nachdem der Dekan mit einer Kanzelabkündigung an die Öffentlichkeit gegangen war, gab es kein Zurück mehr (jeder Hausbesuch hätte nur noch dieses Thema gehabt).
Hätte ich gewußt, daß die Wende kam, hätte ich vielleicht alles ausgesessen. Oder noch besser: Die Stasi hate in ihrem Jahresplan für 1989 vorgesehen, mich als inoffiziellen Mitarbeiter anzuwerben. Hätte ich da mitgemacht, da hätte ein Wink an den Dekan genügt und es wäre alles zurückgedreht worden. Aber man hat sich entschieden, den Falschen in die Wüste zu schicken und die Täter zu ehren (ich denke da an den späteren Bürgermeister Herbert Johannes und Reinhard Naumann, aber auch die beiden Pfarrer, der einen Ausreisewilligen an die Stasi verriet oder die zwei Pfarrer, die im Auftrag er Stasi in den Westen fuhren, um „Republikflüchtige“ auszuhorchen, ob sie an ihrer Ehe festhielten).
Heute fragt man sich, was das denn damals für Zeiten waren. Aber Sie haben wohl auch den Eindruck gewonnen, daß es nur darum ging, den guten Ruf der Kirche bei der Bevölkerung nicht zu schädigen. Dabei wäre eine schonungslose Offenlegung hilfreicher gewesen.
Es gibt heute noch Menschen in der Stadt Schmalkalden, die kirchliche Mitarbeiter mit „Enthüllungen“ erpressen wollen (als mich deshalb einmal einer anschrieb, konnte ich ihm helfen mit einem Auszug aus den Stasiakten. Und auch einem Pfarrer gegenüber konnte ich richtigstellen, daß es keinen IM im Landeskirchenamt Kassel gab, sondern nur eine kleine Gemeindehelferin, die nur kurzzeitig Nachrichten aus der Stadt Kassel übermittelte). Gerüchte schaden der Kirche mehr als ein offenes Eingestehen der Verfehlungen.
Unser Sohn meint, die Aufarbeitung käme sehr spät. Aber es ist nicht zu spät. Nach der Nazizeit hat es auch 30 Jahre gedauert, bis man hinter vorgehaltener Hand über die Verstrickungen des Oberkirchenrats Herden gesprochen hat, Aber es ist auch eine neue Generation herangewachsen, die von diesen alten Sachen nichts mehr hören will und sich auch in die Verhältnisse dieser Zeit kaum hineinversetzen kann.
Aber ich freue mich, daß der Anerkennungsausschuß sich die Mühe macht. Er hätte ja auch sagen können: Das ist eine andere Landeskirche, das geht uns nichts an, auch wenn damals der Landeskirchenrat der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen gehandelt hat.
Vielleicht regt das auch den Kirchenvorstand in Steinbach-Hallenberg an, die Sache zu überdenken Sie sollen sich ja gar nicht entschuldigen, sondern nur den Rat des damaligen Kirchenvorstandes zu einem Stellenwechsel bedauern, Aber auch wenn sie es nicht tun, geht deswegen die Welt nicht unter. Ich weiß, was meine Frau und ich dort geleistet haben, das war selbstverständlich und da brauchen wir keine Anerkennung.
Herr Dietrich, zu Ihrem Entwurf brauche ich noch etwas Zeit. Ich will ihn zunächst kommentieren, denn Sie kennen alles ja nur aus den Akten, die manchmal einseitig sind. Und es sind einige Dinge, die ich gern noch erwähnt hätte. Und dann würde ich einen Brief aufsetzen, wie ich ihn mir vorstelle, den aber der Anerkennungsausschuß und der Bischof prüfen und verändern können. Dieses Verfahren finde ich gut, daß man zu einem Ausgleich kommt, mit dem beide zufrieden sind.
Mit freundlichen Grüßen bis bald Peter Heckert
Antwort Heckert auf den Entwurf von Christian Dietrich 25. April 2023:
Ich wollte, daß nicht nur das Verfahren als „unangemessen“ bezeichnet wird. Das Wort „unangemessen“ ist mir noch etwas schwach (ich sage lieber „ungesetzlich“), aber besser als gar nichts. Aber mir geht es auch darum, daß auch die Vorwürfe unberechtigt waren. Ende 1988 war die Gemeinde mit 5.000 Gemeindegliedern in drei Orten wohl versorgt. Es fiel nichts aus, die Verwaltung war wohl geordnet. Alle Planstellen waren mit fähigen Leuten besetzt. Steinbach--Hallenberg galt weiterhin als Mustergemeinde im Kirchenkreis.
Schwierigkeiten machten nur der Dekan, der wegen meines Prostestbriefs an den Kreisratsvorsitzenden um die Westreisen fürchtete, und der Vorsitzende des Kirchenvorstandes, der sich als der starke Mann aufspielte und über alle Angestellten (einschließlich der Pfarrer) bestimmen wollte. Um aber etwas gegen mich zu finden mußte man auf einen Vorgang zurückgreifen, der ein Jahr zurücklag. Und auch da hatte ich richtig gehandelt, weil ich den Vorsitzenden zur Rede stellte, der er entgegen einem Beschluß des Kirchenvorstandes einen Baukostenzuschuß des Dekanats an die Angestellten verteilte.
Es geht mir nicht nur darum, daß die „Form der Beurlaubung unangemessen“ war. Das war sie auch, denn ich wurde „suspendiert“, ein Ausdruck, den man nur verwendet bei Diebstahl, Bestechung oder sexuellen Verfehlungen („Beurlaubung“ oder „Freistellung“ hätte auch genügt). Es lag nur ein Brief im Briefkasten, keiner suchte das persönliche Gespräch, ich wurde zu einem Gespräch in drei Wochen „vorgeladen“.
Dort erklärte man mir, man wolle die strittigen Punkte nicht untersuchen, in solchen Fällen mache man von den Möglichkeiten des Beamtenrechts Gebrauch und versetze den Pfarrer zwangsweise, ohne Klärung einer Schuld und nur zu meinem eigenen Wohl, um mich zu „schützen“.
Aber auch sachlich war die Zwangsversetzung nicht unbedingt erforderlich. Man hätte auch den Vorsitzenden des Kirchenvorstandes absetzen können (zum Beispiel wegen Veruntreuung) und den Dekan in die Schranken weisen können. Man hätte auch abwarten können, ob es nicht nach einem Machtwort besser geht.
An Herrn Dietrich schrieb ich deshalb:
„Sehr geehrter Herr Dietrich, ich nehme an, daß der von Ihnen mitgesandte Anhang das sein soll, was Sie vorlegen wollen. Meiner Ansicht nach ist das in Teilen zu ausführlich, andrerseits fehlen Punkte zum Verständnis. Aber mir ist da egal, Hauptsache, es geschieht überhaupt etwas. Daß die Stasi nicht dahinter stand, ist unstrittig. Aber daß man mich nicht wegen der angeblichen Schwierigkeiten in der Gemeinde, sondern wegen der Westreisen und des „guten Verhältnisses“ weghaben wollte, sollte doch deutlich werden. Und dann wären mir wichtig die drei Punkte für mein Ausscheiden: Keine Klärung der Vorwürfe, keine Anhörung vor der Beurlaubung und Drohung mit den politischen Stellen.
Sie können ja trotzdem dem Ausschuß auch meinen Text vorlegen. Mir ist auch nicht deutlich, wie Sie etwas zu dem Fall veröffentlichen wollen. Aber auf jeden Fall sollte deutlich werden, daß mir Unrecht geschehen ist bzw. daß man es besser hätte machen können und der heutige Landeskirchenrat das anders beurteilt als der damalige.
Das Wort „unangemessen“ ist mir noch etwas schwach (ich sage lieber „ungesetzlich“), aber besser als gar nichts. Ich danke Ihnen du dem Ausschuß für Ihre Mühe und hoffe auf ein gutes Ende. Mit freundlichen Grüßen Peter Heckert“.
Ausführlicher Kommentar zum Brief Dietrich von Heckert:
Der Staat hat im Falle des Dekanats Schmalkalden keinen direkten Druck ausgeübt, daß die Verbindung zu der Kirche im Westen gekappt wird, weil es ja das Verwaltungsabkommen von 1951 gab und man
deshalb meinte, das Dekanat gehöre zur Ev.-Luth. Kirche in Thüringen. Eher wollten die Ostkirchen, daß die drei Exklaven nicht mehr bei ihnen mit am Tisch sitzen können. Aber dieser Punkt ist nicht
so wichtig.
Ich war nicht zusammen mit meiner Frau in den Osten gekommen, sondern meine Frau wohnte in Thüringen und sie durfte wie alle anderen nicht in den Westen umziehen. Wir konnten erst heiraten, als ich den Personalausweis der DDR hatte und damit ganz formlos zum DDR-Bürger geworden war.
Das Vikariat machte ich in Thüringen, weil ich dachte, mit Hilfe es damaligen Landesbischofs Mitzenheim würde die Übersiedlung eher genehmigt werden. Aber danach suchten sie im Dekanat Schmalkalden dringend einen Pfarrer. Und weil ich sowieso den Wunsch geäußert hatte, in eine Gemeinde meiner Landeskirche zu kommen, wurde mir die eine Pfarrstelle in Steinbach-Hallenberg verliehen. Erstmals fest angestellt wurde ich vom Landeskirchenamt in Kassel, wo auch meine Anstellungsurkunde hinterlegt war. Ich selber erhielt aber nur eine Art Duplikat, unterschrieben vom Dekan, aber mit dem Vermerk „im Einvernehmen mit der Kirchenleitung“, womit die Kirchenleitung in Kassel gemeint war, die damit lebenslang die Verantwortung für mich übernahm.
Den Satz über die Startbedingungen sollte man weglassen, denn das trifft höchstens auf die Wohnverhältnisse zu. Friedhof und Kindergarten waren auch später nicht so sehr das Problem, sondern Hausmeister und Küche und Büro. Wenn ich sie dann ermahnte, bezeichneten sie mich als gesetzlich und diktatorisch. Ganz schwierig war es mit der Familie und Verwandtschaft des Hausmeisters, der seine eigentliche Arbeit vernachlässigte und auf dem Friedhof die Gräber aushob und das Geld in die eigene Tasche steckte und nicht wie im Arbeitsvertrag vereinbart auf der Kirchenkasse ablieferte. Nach der Wende erfuhr ich dann noch, daß er seine Dienstwohnung für Verhöre der Stasi zur Verfügung gestellt hatte.
Herr Peters war schon bei seinem Kommen psychisch erkrankt. Der abgebende Kirchenkreis Ilfeld hatte uns das verschwiegen. In fünf Jahren hatte ich ihn zusammengerechnet (einschließlich der Urlaube) zwei Jahre zu vertreten. Immer wenn es eng wurde wie an Weihnachten, ließ er sich krankschreiben. Als die Reihe an ihm gewesen wäre, weigerte er sich die Geschäftsführung (20 Mitarbeiter) zu übernehmen. So hing doch wieder alles an mir, obwohl ich mich gern herausgezogen hätte.
Herr Erich Nothnagel war nach der letzten Wahl auf meinen Vorschlag zum Vorsitzenden des Kirchenvorstandes gewählt worden, weil ich die Mitarbeit von Laien fördern wollte. Er wurde nie von der Gemeinde direkt gewählt, sondern immer nur vom Vorstand der Kreissynode berufen (hessisches Wahlrecht). Auch in den Vorstand der Synode wurde er per Akklamation von der Synode berufen. Er wurde also nicht erst „in dieser Situation“ zum Vorsitzenden, stelltke sich aber bald als eioens der Probleme heraus.
. Irgendwie hatte er die Vorstellung, ein Pfarrer sei ein unumschränkter Herrscher, obwohl er doch erlebte, wie sehr ich mich um Demokratie und Mitsprache bemühte. Aber jetzt war er der „Herr Kirchenvorstand“ (wie ihn die Angestellten bezeichneten) und meinte, schalten und walten zu können, wie er will. Zum Bespiel nahm er amtliche Schriftstücke und das Protokollbuch des Kirchenvorstandes mit in seine Schlosserwerkstatt. Ich erwähne ihn in meinem Vorschlag nicht bei Namen, es weiß sowie sojeder Bescheid.
Die „Zerwürfnisse“ waren nur ein Vorwand, daß der Dekan (er allein, kein Dekanatsvertreter) im Jahre 1988 an jeder Kirchenvorstandssitzung teilnahm, um diort Neuigkeiten zu erfahren, die er gegen mich verwenden konnte, um mich aus dem Dekanat zu entfernen.
Die drei Mitglieder des Vorstands des Dekanats beantragten nicht die „Suspendierung“ von Pfarrer Heckert, dieses Wort wurde (unpassenderweise) vom Landeskirchenrat verwendet.
An sich hätte es sich gehört, daß eien solch schwerwiegende Entscheidung mit einer Rechtsbehelfsbelehrung verbunden ist. Ich bion an sich in Rehtsdingen sehr bewandert, aber das hatte man uns im Predigerseminar wohlweislich nicht gesagt, daß es ein Kirchengericht gibt. Das erfuhr ich erst, als ich beim Sozialgericht in Frankfurt eine Klage einreichte und man mir dort sagte, sie seien nicht zuständig, weil es das Kirchengericht gibt.
Daß unser Haus uns daran gehindert habe, anderswo hinzugehen, ist eine Erfindung von Herrn Kirchner. Wir hatten es in dreijähriger Arbeit und ohne die Gemeinde zu vernachlässigen nach der Geburt des dritten Kindes gebaut, weil der Platz im Pfarrhaus nicht ausreichte, weil dort auch der Organist untergebracht war (und zeitweise auch Kindergärtnerinnen und Praktikanten). Daß wir nicht daran hingen sieht man daraus, daß wir abwarteten, bis es an unseren Sohn übertragen war. Dann stellten wir am 21. August 1989 einen Ausreiseantrag und zogen nach dessen Genehmigung am 15. November (also nach der Wende) weg. Im Jahre 1999 verkauften wir das Haus, um uns mit dem Geld ein neues Haus zu bauen. Diese ganze Sache mit dem Haus steht zwar als Vermutung in den Akten, entspricht aber nicht den Tatsachen und sollte weggelassen werden.
Beim Entzug der Ordinationsrechte wurde mir ausdrücklich mitgeteilt, daß ich keine Gottesdienste und Amtshandlungen halten dürfe, vor allem nicht im Dekanat Schmalkalden. Daran hatte ich natürlich erst recht kein Interesse. Meinem neuen Ortspfarrer - einem Studienkollegen – war das aber egal, ich hielt jedes Jahr sechs Vertretungsgottesdienste in meiner Heimatgemeinde.
Ich war der Meinung, daß ich die Wiedererlangung der Ordinationsrechte allein dem Bischof Hoffmann zu verdanken habe. Daß dabei auch die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck beteiligt war, ist mir neu, aber die Voraussetzung „nicht in Schmalkalden“ ist natürlich lächerlich.
Neu ist mir auch, daß mir von Landeskirchenrat in Eisenach die Pensionsrechte wieder zugesprochen wurden. Im Jahre 1989 drohte man mir, bei einem Ausscheiden verlöre ich nicht nur alle Pensionsansprüche, sondern auch alle Rentenansprüche. Aber nachher hatten sie ein gedrucktes Formular für eine Nachversicherung in der Rentenversicherung. Daß man die Pensionsansprüche beim Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis verliert, ist klar. Aber ich war ja von der Evangelischen Kirche in Kurhessen-Waldeck angestellt worden und erhielt auch in der Zeit in der DDR eine gewisse monatliche Vergütung. Deshalb konnte ich auch vor dem Kirchengericht in Kassel noch eine Einzahlung in eine kirchliche Rentenkasse erstreiten, die wenigstens die Hälfte meiner Ansprüche ausglich.
Daß Bischof Leich im Februar 1991 schrieb, ich sei auf meinen Antrag aus dem Dienst ausgeschieden und es bestehe deshalb kein Rehabilitationsbedarf, klingt für mich so etwas wie Hohn. Inzwischen wird wenigstens anerkannt, daß das nicht ganz aus freien Stücken geschah, sondern gezwungenermaßen.
Zu den weiteren Ausführungen ist noch zu sagen:
Ich verfaßte dann eine andere Sachverhaltsdarstellung. Den Vorschlag von Herrn Dietrich habe ich dabei mit übernommen, aber konkrete Dinge hinzugefügt, die zum Verständnis des Ganzen notwendig sind. Wenn man in den Akten nur die Entscheidungen liest, weiß man noch nicht, was vorausgegangen ist. Aber natürlich hat über die Sachverhaltsdarstellung allein der Ausschuß zu entscheiden, man kann nur Wünsche anmelden. Ich kombinierte den Vorschlag von Herrn Dietrich mit meinen Ergänzungen, die ich gelb markierte
Sachverhaltsdarstellung nach Heckert:
In Steinbach-Hallenberg gab es in den 1980er Jahren zwei Pfarrstellen und verschiedene hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter (Kindergarten, Kantorkatechet, Diakoniestation, Friedhof, Rüstzeitenheim). Die Kirchgemeinde gehört zum Dekanat Schmalkalden. Infolge der von der SED-Führung erzwungen Abgrenzung wurde das Dekanat, das Teil der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck ist, von der Thüringer Landeskirche verwaltet. Im Jahre 1971 wurde dazu eine Vereinbarung zur treuhänderischen Verwaltung getroffen.
Peter Heckert war nach dem Theologiestudium in Marburg und Göttingen in die DDR gekommen, weil seine damalige Verlobte - wie alle anderen - keine Ausreiseerlaubnis erhielt und sie erst heiraten konnte, als er die DDR-Staatsbürgerschaft hatte. Nach dem Vikariat in der Ev. -Luth. Kirche in Thüringen, ging er in das Dekanat Schmalkalden, weil er es sowie vorhatte, in eine Gemeinde seiner Landeskirche zu kommen.
Peter Heckert war über 23 Jahre Pfarrer in Steinbach-Hallenberg, Rotterode und Altersbach. Seine Frau Ursula war in der gleichen Zeit Katechetin. Hochmotiviert waren sie beim Gemeindeaufbau engagiert. Anfang der 1980er Jahren wurde das Arbeiten im Kirchspiel Steinbach-Hallenberg jedoch für sie immer schwieriger, vor allem weil neue Mitarbeiter im hauswirtschaftlichen Bereich und auf dem Büro mehr ihren eigenen Vorteil im Auge hatten als das Wohl der Gemeinde. Wenn Herr Heckert dann auf die Vorschriften hinwies, hieß es meist, er schaffe Unruhe und solle sich lieber auf die Seelsorge beschränken
Dazu kam das häufige und längere Ausfallen des zweiten Pfarrers in Steinbach-Hallenberg Georg-Gottfried Peters wegen psychischer Erkrankung. In fünf Jahren mußte er zusammengezählt zwei Jahre vertreten werden. Er weigerte sich auch, die Verwaltung der Gemeinde zu übernehmen, als er turnusmäßig an der Reihe gewesen wäre. So mußte Peter Heckert weiter machen, obwohl er das nicht wollte.
Dennoch wurden an Weihnachten 1988 allein 14 Gottesdienste gehalten, zum Jahreswechsel wieder neun und danach an zwei Tagen vier Beerdigungen. Kantor und Katechetin taten ihren Dienst. Auf dem Büro und in der Küche gab es hervorragende neue Mitarbeiter. Ende 1988 war die Gemeinde mit drei Predigtstellen und 5.000 Mitgliedern und fast 20 Angestellten wohl versorgt.
Der Vorsitzende des Kirchenvorstandes war in dieser Situation keine Hilfe, sondern eher ein Teil des Problems. Nicht der Pfarrer war die Ursache der „Steinbacher Verhältnisse“, sondern der Vorsitzende. Offensichtlich wurden bei vielen Entscheidungen kein Beschluss des Kirchenvorstands eingeholt bzw. es wurde an Beschlüssen des Kirchenvorstandes vorbei gehandelt.
Verstärkt wurden die Schwierigkeiten noch durch den Dekan, der 1988 an jeder Kirchenvorstandssitzung teilnahm, aber dort nicht schlichtete, sondern nur nach Material zu neuen Angriffen gegen Herrn Heckert suchte mit dem Ziel, ihn aus dem Dekanat zu entfernen. So billigte er zum Beispiel, daß der Vorsitzende die Sitzungen ansetzte, ohne den Termin mit den Pfarrern abzusprechen, und er rügte Herrn Heckert, weil dieser viermal fehlte, weil er andere dienstliche Verpflichtungen hatte (Adventfeier des Frauenkreises).
Jetzt wurde im Spätsommer 1988 vom Dekan eine Sache ausgegraben, die an sich längst erledigt war. Der Kirchenvorstand hatte beschlossen, daß das übertarifliche Weihnachtsgeld 1987 nur gezahlt werden sollte, wenn das Jahresergebnis dies hergeben würde. Der Vorsitzende wandte sich aber ohne Wissen der Pfarrer und des Kirchenvorstandes an den Dekan, der auch sofort 11.000 Mark als „Baukostenzuschuß“ überwies. Dieses Geld verteilte er dann nach Gutdünken unter die Angestellten. Frau Heckert lehnte die ihr zugedachten 650 Mark ab. Nur so erfuhr ihr Mann davon und stellte den Vorsitzenden deswegen zur Rede. Aber ein halbes Jahr später griff der Dekan die Sache auf und warf Herrn Heckert vor, der habe den Vorsitzenden zu Unrecht beleidigt, dieser habe doch nur zum Wohle der Angestellten gehandelt, es sei alles rechtmäßig verlaufen.
Der Vorsitzende war nach der letzten Kirchenvorstandswahl auf Vorschlag von Herrn Heckert gewählt worden. Es war allerdings nirgendwo festgelegt, welche Zuständigkeiten er haben sollte. An sich sollte er nur die Sitzungen vorbereiten und leiten und die Ausführung der Beschlüsse überwachen. Er aber fühlte sich als Geschäftsführer der Gemeinde, spielte sich als Vorgesetzter der Angestellten auf, wollte deren Schriftverkehr überwachen und ihnen Anweisungen geben. Am liebsten hätte er auch über den Pfarrer bestimmt und hat auch später den Pfarrer gezwungen, eine ausgetretene Frau kirchlich zu beerdigen.
Der Dekan wußte natürlich von diesen „Steinbacher Verhältnissen“ und nutzte sie für seine Zwecke aus. Er kam zu jeder Kirchenvorstandssitzung und - anstatt die Verhältnisse zu klären - goß er Öl ins Feuer. Er wußte natürlich auch, daß Herr Heckert immer für die Einhaltung staatlicher und kirchlicher Gesetze und die Beachtung der Beschlüsse des Kirchenvortandes eintrat. Doch nicht der Pfarrer hat das Verhältnis zerrüttet, sondern allein der Kirchenvorstandsvorsitzende und der Dekan. Es war eine politische Sache, aber es wurden kirchliche Dinge vorgeschoben.
Entgegen Gerüchten in Steinbach-Hallenberg ist der Eindruck falsch, die Stasi habe Herrn Heckert weghaben wollen. Im Gegenteil: Diese hat in ihrem Plan für 1989 vorgehabt, Herrn Heckert als inoffiziellen Mitarbeiter zu gewinnen. Hätte Herr Heckert der Stasi seine Mit- arbeit angeboten, hätte ein Wink von dort genügt und der Dekan hätte noch Anfang Januar 1989 alles zurückgedreht.
Natürlich war auch die Stasi erfreut, daß das Problem Heckert aus dem Landkreis verschwunden war. Im Oktober 1989 sagte der Dekan zu dem hauptamtlichen Stasimitarbeiter Horst Möschter: „Sicher waren wir beide nicht traurig, als Hülsemann nach Berlin ging und als Heckert aus dem Kirchendienst ausschied. Ich denke aber, daß wir mit Herrn Krahmer noch öfters zu tun haben werden!“ (!). Die Drecksarbeit hat also die Kirche gemacht, in vermeintlichem vorauseilendem Gehorsam und aus Angst um die Westreisen der Pfarrer.
Als das Ehepaar Heckert Ende März 1989 ganz aus dem kirchlichen Dienst ausschied, war das nicht unbedingt freiwillig. Am 17. Januar 1989 beantragten drei Mitglieder des Vorstands des Dekanats (Dekan Schreiber, Prodekan Hoffmann und der Vorsitzende des Kirchenvorstands Steinbach-Hallenberg) die zwangsweise Versetzung Heckerts auf eine andere Pfarrstelle außerhalb des Dekanats Schmalkalden
Der Landeskirchenrat beschloss daraufhin am 21. Januar 1989 eine Beurlaubung von Peter Heckert mit sofortiger Wirkung aufgrund „fehlenden gedeihlichen Zusammenwirkens“. Der Beschluß war einstimmig, aber man tagte nur in verringerter Besetzung und in Abwesenheit des Bischofs, so daß eventuell nur die der Stasi verpflichteten Oberkirchenräte unter sich waren. Sie verwendeten den Ausdruck „suspendieren“. so als habe Heckert ein schwerwiegendes Verbrechen begangen
In der Kirchenvorstandsitzung am gleichen Tag behauptete der Dekan, in der Sitzung, des Landeskirchenrats sei schon gegen Pfarrer Heckert entschieden worden. Der Vorsitzende war bei allen Mitgliedern herumgegangen und hatte ihnen versichert, er hätte einen anderen Pfarrer an der Hand (der aber dann einen Rückzieher machte, weil seine Frau in der Politik eine Karriere begann). So gab der Kirchenvorstand mit Mehrheit an Pfarrer Heckert den Rat, die Stelle zu wechseln. Man kann auch durchaus Verständnis für die Kirchenvorsteher haben, die die ständigen Diskussionen im Kirchenvorstand satthatten.
Die schwerwiegende Entscheidung wurde am 31. Januar per Brief mitgeteilt und Herrn Heckert alle pfarramtliche Tätigkeit untersagte. Aber es fehlte eine Rechtsbehelfsbelehrung, also ein Hinweis, wo Herr Heckert die Entscheidung hätte überprüfen lassen können. Im ersten Gottesdienst im Februar teilte der Dekan die Beurlaubung mit, ohne allerdings einem Grund zu nennen, was natürlich zu allerhand Gerüchten führte.
Am 21. Februar war Herr Heckert zu zwei Oberkirchenräten vorgeladen, von denen der später enttarnte hauptamtliche Stasimitarbeiter Kirchner das Wort führte. Er eröffnete Herrn Heckert, daß man sich nicht auf die Einzelheiten einlassen und die Streitfälle klären werde. In solchen Fällen habe man nach dem Beamtenrecht das bessere Mittel, den Pfarrer zu versetzen, ohne Zurechnung einer Schuld und ohne ein Disziplinarverfahren, zu dem kein Anlaß bestehe.
Herr Heckert beschwerte sich, daß er nicht vorher gehört worden sei, wie das Thüringer Pfarrergesetz es vorschreibt und wie es an sich überall üblich ist. Das entsprechende Gesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland legt sogar fest, daß eine länger als zwei Monate dauernde Beurlaubung nur nach einem förmlichen Disziplinarverfahren ausgesprochen werden darf. Aber Pfarrer Peter Heckert wurde nur aufgefordert, sich auf eine andere Pfarrstelle zu bewerben.
Herr Kirchner sagte nur - wie das auch in Steinbach-Hallenberg war – man brauche sich nicht an Gesetze zu halten, diese könnten durch einen Beschluß des Landeskirchenrats ersetzt werden. Dann fuhr er fort: „Wir setzen Sie in eine andere Gemeinde, und wenn Sie auch dort nicht mit den staatlichen (!) Stellen zurechtkommen, werden Sie ganz aus dem Dienst entfernt!“ Hier kam zum Vorschein, daß es gar nicht um innerkirchliche Probleme ging, sondern um das fehlende Wohlverhalten gegenüber dem Staat.
Herr Heckert hatte nämlich Anfang 1987 einen Brief an den Kreisratsvorsitzenden geschrieben, in dem er zum Ausdruck brachte, daß er keinen Grund sehe, sich zu bedanken, daß er und seine Frau als Erste im Kreis gemeinsam zur Beerdigung in den Westen fahren durften, sondern das als ein Menschenrecht ansehe. Dieses Recht der Reisefreiheit forderte er auch für alle Bürger. Damit hatte er aber „das gute Verhältnis von Staat und Kirche im Dekanat“ gestört – wie es immer von kirchlicher Seite hieß. Dahinter stand die Angst der Pfarrer, sie könnten keine Dienstreisen ins westliche Ausland genehmigt erhalten, die ja bis nach Tansania und die USA führten.
Das Ehepaar Heckert stellte den Antrag auf Entlassung aus dem kirchlichen Dienst, dem Ende März 1989 entsprochen wurde. Die Gründe dafür waren die Weigerung, die Streitigkeiten sachlich zu klären, die fehlende Möglichkeit zu einer Gegendarstellung, die Drohung bei fehlendem politischem Wohlverhalten und natürlich auch die mangelnde Unterstützung durch den damaligen Kirchenvorstand. Herr Heckert verlor die Rechte aus der Ordination (Gottesdienste, Amtshandlungen) und mußte die Ordinationsurkunde abgeben. Immerhin wurde ihm (aber nicht der Öffentlichkeit) mitgeteilt, daß es kein Disziplinarverfahren gegeben habe und er sich jederzeit auf eine Pfarrstelle in Thüringen bewerben könne.
Am 13. Februar 2001 beschloss der Thüringer Landeskirchenrat eine Zuerkennung der Ordinationsrechte an Herrn Heckert. Aber da war er längst nach einer Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten ein nebenamtlicher Dozent am Verwaltungsseminar Frankfurt und inzwischen in Rente.
Herr Heckert und seine Frau bedanken sich für viele Jahre einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. Sie denken an viele schöne Stunden zurück und freuen sich über die mündlichen und schriftlichen Danksagungen aus der Gemeinde und die Petition der Altersbacher. Sie wünschen der Gemeinde Gottes Segen und ein lebendiges Gemeindeleben in einer neuen Zeit.
Neue Sachverhaltsdarstellung von Christian Dietrich:
Die neue Sachverhaltsdarstellung von Herrn Dietrich entspricht im Wesentlichen seiner alten Ausarbeitung. Meiner Ansicht nach ist sie in Teilen zu ausführlich, andrerseits fehlen Punkte zum Verständnis. Aber mir ist da egal, Hauptsache, es geschieht überhaupt etwas.
Nur am Schluß gab es einige neue Aspekte: „Faktisch erfolgte die Entscheidung des Landeskirchenamtes ohne eine Anhörung des Betroffenen und da ja kein förmliches Disziplinarverfahren beschritten wurde, bekam er auch keine Mitteilung über seine Rechte, einen Widerspruch einzulegen. Im Pfarrerdienstgesetz des Bundes der Evangelischen Kirchen (28.09. 1982) heißt es dagegen im § 45 (2): „Im Wege der Dienstaufsicht kann ein Pfarrer aus zwingenden Gründen einstweilen beurlaubt werden. Der Pfarrer ist zuvor zu hören. Die dienstaufsichtführende Stelle entscheidet innerhalb von drei Wochen über das Fortbestehen der Beurlaubung. Sie kann die Beurlaubung über insgesamt zwei Monate hinaus nur aufrechterhalten, wenn sie gleichzeitig ein Verfahren in Gang setzt, dass eine Beurlaubung zuläßt.“
Ein Disziplinarverfahren ging aber nicht, weil nach Aussage des Landeskirchenrats keine disziplinarischen Verfehlungen vorlagen. Hier wurde nicht „uangemessen“ gehandelt, sondern ungesetzlich.
Aber einige Mißverständnisse bei Herrn Dietrich lassen sich offenbar nicht richtigstellen:
1. Ich erwarte keine Revision der Beurlaubung. Diese ist geschehen, sie läßt sich nicht mehr rückgängig machen. Es geht
nur um eine Neubewertung.
2. Daß die Stasi keinen „operativen Vorgang“ eingeleitet hatte, ist unstrittig (Sie wollte mich ja als Mitarbeiter werben). Das Kesseltreiben ging allein vor der Kirche aus. Aber nicht wegen der angeblichen Schwierigkeiten in der Gemeinde, sondern wegen des „guten Verhältnisses“, von dem nach Meinung der Pfarrer und vor allem des Dekans die Westreisen abhingen.
Natürlich war auch die Stasi erfreut, daß das Problem Heckert aus dem Landkreis verschwunden war. Im Oktober 1989 sagte der Dekan zu dem hauptamtlichen Stasimitarbeiter Horst Möschter: „Sicher waren wir beide nicht traurig, als Hülsemann nach Berlin ging und als Heckert aus dem Kirchendienst ausschied. Ich denke aber, daß wir mit Herrn Krahmer noch öfters zu tun haben werden!“ (!). Die Drecksarbeit hat also die Kirche gemacht, in vermeintlichem vorauseilendem Gehorsam und aus Angst um die Westreisen der Pfarrer
3. Eine Aufarbeitung zur Geschichte des Dekanats Schmalkalden während der SED-Diktatur gibt es sehr wohl, und zwar von Herrn Bunge und von mir, aber beide unveröffentlicht. Aber von Thüringer Seite wurde nichts in dieser Richtung unternommen. Und in Kassel notierte Oberkirchenrat Weißpfennig am 1.11.2001 in der Personalakte von Peter Heckert: „Nach erneuter Beratung wollen die Kurhessen die Angelegenheit selbst aufarbeiten!“ Aber geschehen ist nichts, obwohl ich mehrfach die Sache ansprach, zum Beispiel die konspirative Wohnung der Stasi in der Dienstwohnung des Hausmeisters im Gemeindehaus.
4. Meine Veröffentlichungen im Internet „zeugen jedoch davon, wie schwerwiegend die Auseinandersetzungen im Gemeindekirchenrat und unter den Mitarbeitern waren“ (Dietrich). Aber sie zeigen auch, daß ich immer nur reagieren mußte, weil ich die bisherigen Gepflogenheiten und die kirchlichen und staatlichen Regeln eingehalten wissen wollte. Man muß auch beachten, daß die alten Dinge erledigt waren und mit den neuen Mitarbeitern alles gut lief.
5. „Wenn ein Nachbarpfarrer mit der Geschäftsführung beauftragt wurde, war ja faktisch die Zusammenarbeit schon ausgesetzt“ (Dietrich). Die Geschäftsführung wurde nur deshalb an einen auswärtigen Pfarrer übertragen, weil ich das vierte Mal im Jahr nicht an einer Kirchenvorstandssitzung teilnehmen konnte, die der Vorsitzende ohne Rücksprache mit mir angesetzt hatte und ich zum Beispiel wegen der Leitung der Adventsfejer des Frauenkreises verhindert war.
6. „Wer alles und warum dazu beigetragen hat, ist über die Jahre in Steinbach-Hallenberg nicht mehr zielführend aufzuklären“. Das ist auch nicht bis in alle Einzelheiten nötig. Aber es wird doch wohl keiner der Meinung sein, ich hätte die Frauen heimschicken sollen, um an der Kirchenvorstandssitzung teilnehmen zu können, Oder meine Frau hätte sich noch beim „Herrn Kirchenvorstand“ bedanken sollen, weil er ihr ein Weihnachtsgeld „besorgt“ hat (so seine Ausdrucksweise), nachdem der Kirchenvortand die Entscheidung darüber vertagt hatte.
Mir wäre noch wichtig, daß die Gründe für mein Ausscheiden genannt werden:
1. Keine Klärung der Vorwürfe durch den Landeskirchenart. Dazu ist er doch da, daß er dann einen Juristen schickt, der die Dinge juristisch klärt und nicht „brüderlich“ (Der Pseudojurist HIM Kirchner wäre dazu allerdings nicht geeignet gewesen).
2. Keine Anhörung vor der Beurlaubung. Das ist eine Selbstverständlichkeit, vor Gericht erhält man sogar noch einen Rechtsanwalt an die Seite gestellt. Auch in der Kirche wäre das „brüderlich“. Wenn sonst ein Arbeitgeber jemanden entlassen will, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit der Klage (das gibt es auch bei der Kirche auch, aber darauf wurde bekanntlich nicht hingewiesen). Die Zwangsversetzung ist einer Entlassung gleichzusetzen.
3. Die Drohung mit den politischen Stellen. Zitat Kirchner: „Wir versetzen Sie in eine andere Stelle, wenn Sie aber auch dort nicht mit den staatlichen Stellen zurechtkommen, entlassen wir Sie ganz!“
Auf jeden Fall sollte deutlich werden, daß mir Unrecht geschehen ist bzw. daß man es besser hätte machen können und der heutige Landeskirchenrat das anders beurteilt als der damalige.
Problem Akten:
Herr Dietrich schreibt am 21. April: „Interessanterweise habe ich in der Personalakte die Landeskirchenratssitzungen nach dem Januar 1989 nicht gefunden und auch vieles andere nicht. Ich würde nach Ihrem Hinweis noch einmal unter den LKR-Sitzungen nachsehen (Wer war bei welcher Sitzung? – Im Januar 1989 stand die Absetzung von Superintendent Reder in Weimar auf der Tagesordnung!)“ Eventuell ist meine „Suspendierung“ gar nicht im Protokoll festgehalten (oder dieser Teil wurde später vernichtet, wenn auch in der Personalakte nichts darüber steht. Ab er als ich die Personalakte einsah, stand da noch, daß der Landeskirchenrat
am 23. Januar 1989 einstimmig beschlossen hat die Beurlaubung nach § 45,2 zum 1. Februar 1989 (demnach wäre der Beschluß erst zwei Tage nach der Kirchenvorstandssitzung gefallen, nicht wie der Dekan behauptete am gleichem Tag).
Es ist doch merkwürdig, daß manche Unterlagen nicht mehr zu finden sind. Aber Bischof Leich hat mir gesagt, er habe nachgesehen und der Beschluß sei einstimmig gewesen. Daß nur fünf Mitglieder angewesen sein sollen, habe ich von anderer Seite; und das waren vielleicht alle Stasimitarbeiter.
Auch meine Personalakte aus Schmalkalden ist im Landeskirchenarchiv Kassel nicht enthalten. Aber sie war natürlich vorhanden und wurde in einem besonderen Schrank aufbewahrt, der mir nicht zugänglich war, als ich das Archiv des Dekanats ordnete. Auch die „Dicke Akte“ mit dem Schriftverkehr, die der Dekan in Eisennach vorlegte, wird nicht mehr da sein. Auf meine Anfrage beim Landesskirchenamt und beim Dekan in Schmalkalden erhielt ich keine Antwort
Ähnlicher Fall: Am 24. 4. schrieb Herr Dietrich: „Ich möchte Ihnen zustimmen, dass die über Jahre sich entwickelnde
‚ungedeihliche‘ Zusammenarbeit von Gemeinderat und Pfarrer kein ‚zwingender Grund‘ für eine Beurlaubung bzw. Versetzung ist. Genau das habe ich durch den Verweis auf einen Fall markiert, bei dem es
durch das Eingreifen eines IM-Oberkirchenrats nicht geschah“.
Vielleicht mache ich mir da Illusionen, aber ein Versuch wäre es wert gewesen. Aber nachdem der Dekan mit einer Kanzelabkündigung an die Öffentlichkeit gegangen war und den Eindruck erweckt hatte, ich hätte etwa Schwerwiegendes verbrochen, gab es kein Zurück mehr (jeder Hausbesuch hätte nur noch dieses Thema gehabt).
Hätte ich gewußt, daß die Wende kam, hätte ich vielleicht alles ausgesessen. Oder noch besser: Die Stasi hate in ihrem Jahresplan für 1989 vorgesehen, mich als inoffiziellen Mitarbeiter anzuwerben. Hätte ich da mitgemacht, da hätte ein Wink an den Dekan genügt und es wäre alles zurückgedreht worden. Aber man hat sich entschieden, den Falschen in die Wüste zu schicken und die Täter zu ehren
(Ich denke da an den späteren Bürgermeister Herbert Johannes und Reinhard Naumann, aber auch die beiden Pfarrer, der einen Ausreisewilligen an die Stasi verriet oder die zwei Pfarrer, die im Auftrag er Stasi in den Westen fuhren, um „Republikflüchtige“ auszuhorchen, ob sie an ihrer Ehe festhielten).
Heute wäre es schön, wenn der Kirchenvorstand in Steinbach-Hallenberg die Sache noch einmal überdenken würde. Sie sollen sich ja gar nicht entschuldigen, sondern nur den Rat des damaligen Kirchenvorstandes zu einem Stellenwechsel bedauern, Aber auch wenn sie es nicht tun, geht deswegen die Welt nicht unter. Ich weiß, was meine Frau und ich dort geleistet haben, das war selbstverständlich und da brauchen wir keine Anerkennung.
Ich fasse noch einmal zusammen: Ich erwarte nicht eine Revision der Beurlaubung- das geht ja gar nicht mehr. Aber man könnte heute wenigstens zugestehen, daß damals nicht rechtlich und nicht menschlich („brüderlich“) gehandelt wurde. Oder wie ich im Januar 1990 Pfarrer an Bischof Werner Leich schrieb: „Den Schaden, den unsre Familie erlitten hat, könnte man mildern durch eine ausgewogene Beurteilung der Vorgänge aus einem gewissen Abstand heraus.“.
Abschluß der Prüfung:
Mitte 2023 erschien in der Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“ ein Artikel, der den Eindruck erweckte, die Aufarbeitung sei nun bald abgeschlossen. Von 40 Anträgen seien 29 zur Bearbeitung angenommen worden. Als Termin wurde der 30. September genannt, an dem auch die Projektpfarrstelle beendet wurde.
Am 24. September 2023 schrieb ich das letzte Mal an Herrn Dietrich und stellte noch zwei sachliche Fehler an seinem Bericht richtig. Dieser war nicht das, was ich wollte, weil er sich
Immer nur auf die Akten des Landeskirchenrats bezog (von denen nach seinen Worten ein Teil gar nicht mehr vorhanden war). Mir fehlten wichtige Einzelheiten zum Verständnis, die nicht aus den Akten zu entnehmen waren, sondern nur aus eigenem Erleben. Aber ich wäre auch damit zufrieden gewesen, wenn überhaupt etwas geschehen wäre.
Fast ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Überprüfung schrieb ich am 14. Augustv2024 an den Landeskirchenrat;
Sehr geehrte Damen und Herren, Im Oktober 2017 hat sich die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland in einem Bußwort zu ihrer Schuld und Verantwortung bekannt. Seitdem habe ich immer wieder meinen Fall geschildert, an Herrn Beleites und Frau Neubert und zuletzt an Herrn Dietrich. Gut dreieinhalb Jahre später, im Mai 2021, hat die Landeskirche schließlich ein Verfahren zur Anerkennung geschehenen Unrechts eingerichtet. Seitdem gibt es einen dreiköpfigen Anerkennungsausschuss, der im Auftrag des Landeskirchenrats über die eingegangenen Anträge entscheidet. Er kann eine formelle Feststellung der Unrechtserfahrung treffen und eine entsprechende öffentliche Anerkennung und Würdigung der betroffenen Personen vornehmen.
Termin für das Ende der Arbeit war der 30. September 2023. Seitdem habe ich nichts mehr davon gehört. Daraus entnehme ich, daß der Auschuß meinen Antrag abgelehnt hat. Über die Gründe kann ich nur Vermutungen anstellen:
Der Ausschuß ist natürlich frei, zu entscheiden wie er will. Aber eine Antwort hätte ich wenigstens erwartet. Ein Antrag muß mit einem Bescheid beantwortet werden. Aber der Landeskirchenrat der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland ist da offenbar auch nicht anderes als der Landeskirchenrat der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen.
Der hat mir auch nur einen Brief geschrieben, in dem meine „Suspendierung“ (ein starkes Wort, wie bei einem Verbrechen) mitgeteilt wurde und ich zum Gespräch in sechs Wochen „vorgeladen“ (wörtlich) wurde. Alles andere wurde nur mündlich mitgeteilt. Es wurde mir versichert, daß disziplinarisch nichts gegen mich vorliege, aber das wurde nie öffentlich gesagt.
Es wurde schriftlich kein Bescheid erteilt, der ja auch eine Widerrufsbelehrung hätte enthalten müssen und einen Hinweis, wo dieser einzulegen sei (zum Beispiel beim Landeskirchengericht). So eine Behandlung hat ein langjähriger Mitarbeiter nicht verdient, auch nicht bei der Kirche.
Ich werde nun das Manuskript veröffentlichen, das ich in den neunziger Jahren verfaßt habe zum Thema „Kirche und Staatssicherheit im Dekanat Schmalkalden“. Darin habe ich
alle (noch vorhandenen) Akten zusammengefaßt, die die Stasi zum Thema aufgeschrieben hat. Meinen Kommentar und Ergänzungen habe ich in kursiver Schrift davon abgesetzt –das ist alles durch die freie Meinungsäußerung gedeckt.
Eine entsprechende Ausarbeitung von Pfarrer Bunge wurde nicht veröffentlicht, auch die Ankündigung der Aufarbeitung von Oberlandeskirchenrat Weißpfennig im Jahre 2001 wurde nicht ungesetzt. Es heißt immer, die Sache sei nicht erforscht. Doch es liegen 300 Seiten von mir vor. Ich habe sie bisher noch zurückgehalten, weil ich auf irgendeine Art der Richtigstellung hoffte. Aber man will offenbar weiterhin alles unter den Teppich kehren (die Stasimitarbeit von Pfarrer Naumann und Synodalvorstand Herbert Johannes). Die Frage ist nur, ob sich heute noch jemand dafür interessiert.
Aber ich muß weiter mit dem Makel leben, ich hätte durch mein Beharren auf kirchlichen und staatlichen Gesetzen und auf den eigenen Beschlüssen des Kirchenvorstandes die
Gemeinde ruiniert. Dabei wurde sie erst ruiniert, als plötzlich zwei Pfarrer und fünf weitere hauptamtliche Mitarbeiter in einer Gemeinde mit rund 5.000 Gliedern weg waren und auch jahrelang die Lücken nicht geschlossen werden konnten. Aber ich habe schon gesagt, daß sie mich aus der Geschichte der Kirchengemeinde Steinbach-Hallenberg nicht tilgen können (immerhin habe ich zusammen mit meiner Frau 23 Jahre dort unsre besten Jahre „geopfert“, die längste Zeit für einen Pfarrer in diesem Jahrhundert). Sogar meine Personalakte haben sie vernichtet
Vielleicht lesen Sie einmal auf meiner Webseite, was ich dort über „Ungedeihlichkeit“ geschrieben habe. Meinen zwei Söhnen ist es auf andere Art und Weise auch nicht besser gegangen. Mit freundlichen Grüßen
Herr Oberkirchenrat Fuhrmann hat mir kurz geantwortet, er habe den Brief an den Ausschuß weitergereicht, der aber in dieser Sache unabhängig von der Landeskirche sei. Eine Reaktion ist aber nicht erfolgt
Weiterer Fortgang nach dem Ausscheiden aus dem kirchlichen Dienst:
Mit der Kündigung verlor ich die Rechte aus der Ordination, mußte meine Ordinationsurkunde abgeben und verlor meine Pensionsansprüche (daß ich dann in der Rentenversicherung nachversichert wurde, hat man mir zunächst verschwiegen, um mich unter Druck zu setzen). Ich fand dann Arbeit als Maschinenarbeiter in einer Fabrik für Gartengeräte. Am August stellten wir einen Ausreiseantrag, am 15. November 1989 durften wir mit unserer Tochter ausreisen (die Söhne blieben im Osten).
Ich hoffte natürlich auf eine Anstellung bei der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck, die an sich für mich verantwortlich war, weil ich zuerst bei ihr angestellt worden war (obwohl ich im Dekanat Schmalkalden wohnte). Aber das wurde ohne Nennung von Gründen abgelehnt. Meine früheren Kollegen müssen ja Horrordinge über mich erzählt haben. Und die Meinung war wohl auch, man gibt ein Beamtenverhältnis nicht so ohne Weiteres auf, wer das tut, ist selbst dran schuld.
Bis hierher hielt ich alles noch für rein menschliche Gegensätze, die aus Neid herrührten: Ich hatte in Schmalkalden einen Lichtbildervortrag über „Luther in Schmalkalden“ gehalten, nach dem die Frage gestellt wurde: „Warum hat das keiner der Pfarrer aus der Stadt fertiggebracht?“ Ich hatte auf Bitten des Dekans einen Text über die Reformation in Schmalkalden geschrieben und dazu einen Rundgang durch die Gemeinden des Kirchenkreises. Der Dekan gab das aber als sein Werk aus in einem Buch, das damals in Kassel gedruckt wurde. Ich kritisierte ihn deswegen, aber er hat es auch in einem später beigefügten Einlegeblatt nicht korrigiert.
Außerdem hatte ich von 1979 – 1981 ein Privathaus gebaut, das meine Alterssicherung sein sollte, aber auch für die Gemeinde dringend benötigten Wohnraum für Kantor und Kinderdiakoninnen schuf. All das wäre an sich schon genug Grund für ein gespanntes zwischenmenschliches Verhältnis (der Dekan äußerte sogar Interesse, unser Haus als Privatmann kaufen zu wollen).
Erst als ich die über mich und den Kirchenkreis angelegten Stasiakten las, wurde mir deutlich, daß das ganze Kesseltreiben gegen mich einen anderen Hintergrund hatte. Oder wie soll man es anders verstehen, wenn der Dekan zu dem Beauftragten für Kirchenfragen (einem stadtbekannten hauptamtlichen IM) sagte: „Der Hülsemann ist freiwillig gegangen, den Heckert haben wir jetzt los, und jetzt ist es nur noch der Krahmer!“ Mit anderen Worten: Nicht die Stasi hat mich verfolgt, sondern die eigenen Leute.
Sie meinten in vorauseilendem Gehorsam damit dem Staat einen Gefallen zu tun „im Interesse eines guten Verhältnisses von Staat und Kirche im Dekanat Schmalkalden“. Doch in Wirklichkeit ging es dabei nur um Dienstreisen in die Bundesrepublik, die Schweiz und bis Tansania. Für den stellvertretenden Dekan war es geradezu ein Statussymbol, daß er als letzter der Pfarrer auch eine Dienstreise in den Westen erhielt.
Nur waren diese Dienstreisen mit einem Gespräch bei der Stasi verbunden, in dem es oft nicht nur darum ging, daß man die DDR im Westen nicht schlecht machte, sondern es wurden auch andere Aufträge mitgegeben: Zwei Pfarrer fuhren im Auftrag der Stasi in den Westen (einer wollte dafür sogar Westgeld haben!), um Gemeindeglieder auszuhorchen, die von einer Westreise nicht zurückgekehrt waren. Zu ihrer Ehre muß man allerdings sagen, daß sie wahrheitsgemäß berichteten, daß die Betreffenden an ihrer Ehe festhielten und auf den Nachzug der Familie hofften. Ein anderer Pfarrer, mit dem sich ein Gemeindeglied vertraulich beraten wollte, ob er einen Ausreiseantrag stellen sollte, verriet der Pfarrer über den Beauftragten für Kirchenfragen umgehend an die Stasi („Kümmert euch einmal um den, vielleicht könnt ihr sein Problem lösen“).
Daß so etwas unter Pfarrern möglich war, habe ich nicht für möglich gehalten. Ich war der Meinung, alle Pfarrer stünden so in Opposition zu dem atheistischen Staat wie ich. Und auch die Gemeindeglieder dachten das und waren sicher schwer enttäuscht, als sie nach der Wende erfahren mußten, daß Amtsträger der evangelischen Kirche weit mehr mit dem Staat zusammenarbeiteten als man das vorher von einigen wenigen wußte.
Mein Weggang war für mich und meine Familie nicht so einfach: Die Tochter verlor ihre Freundinnen, meine Frau ihre Arbeit als Katechetin, und ich nicht nur die Arbeitsstelle, sondern auch den Beruf. Außerdem ging unsere Heimat verloren, denn wir wollten den Ruhestand natürlich dort in unserem Haus verbringen. Andere nehmen sich deswegen das Leben, weil sie keine Perspektive mehr sehen. Aber ich habe zum Glück nie in dieser Gefahr gestanden.
Nachdem ich innerhalb eines Jahres viermal arbeitslos geworden war, fand ich dann eine Anstellung bei der Stadt Frankfurt und ließ mich mit 52 Jahren zum Verwaltungsfachangestellten ausbilden. Die früher übliche Zwei-Jahres-Sperre für Pfarrer aus dem Osten hat man nicht über mich verhängt. Es wurde mir versichert, daß ja disziplinarisch nichts gegen mich vorgelegen habe und ich jederzeit in jeder Kirche wieder eine Anstellung finden könnte. Ich habe es dann noch einmal in einer anderen Kirche versucht, aber dort war man wie überall gerade dabei, Pfarrstellen abzubauen, da führte kein Weg hinein. Solange aber keine Anstellung vorlag, bestand für mich das Predigtverbot.
Zum Glück hat sich mein Ortspfarrer (ein Studienkollege von mir) nicht darum geschert und ich habe in 25 Jahren etwa 150 Gottesdienste und verschiedene Amtshandlungen gehalten. Aber ansonsten habe ich trotz meiner Qualifikation „die Schweine gehütet“. Meiner Frau erging es nicht anders: Sie erhielt nicht einmal eine halbe Stelle bei der Kirche, so daß sie eine weitere halbe Stelle an der Schule hätte erhalten können (als Rentnerin hat sie dann noch stundenweise mit großem Erfolg Religionsunterricht an der Schule erteilt).
Ich habe folgende Wünsche:
Der heutige Landeskirchenrat könnte sein Bedauern darüber aussprechen, wie damals mit mir verfahren wurde: Ich wurde vor der „Suspendierung“ nicht gehört und erhielt wie ein Schwerverbrecher Predigtverbot im Kirchenkreis Schmalkalden (obwohl ich nie vorhatte, dort noch einmal öffentlich zu reden). Selbstverständlich hat das nur Sinn, wenn es auch von der Kanzel herab verkündet wird, von der meine Suspendierung verkündet wurde.
Mit in den Fall verwickelt sind natürlich vor allem die kirchlichen Stellen im Kirchenkreis Schmalkalden. Nur gehören diese heute zu einer anderen Landeskirche, für die Sie nicht zuständig sind. Aber ich würde mich auch darüber freuen, wenn der heutige Kirchenvorstand von Steinbach-Hallenberg sein Bedauern darüber aussprechen würde, daß man mir damals mit Mehrheit den Rat gegeben hatte, die Pfarrstelle zu wechseln.
Das war mit ein Hauptgrund, daß ich mein Dienstverhältnis aufkündigte. Auch der heutige Rat der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck und der Pfarrkonvent in Schmalkalden könnten von ihrer damaligen Entscheidung abrücken. Ich will ja gar nicht, daß all diese Gremien sich entschuldigen, aber sie könnten wenigstens zum Ausdruck bringen, daß sie die Vorgänge heute anders sehen und damit eine Gerechtigkeitslücke schließen.
Der frühere Landesbischof Leich hat zu diesem Thema gesagt, man solle „vergeben, aber nicht vergessen“. In der Tat kann man das nicht vergessen, so ein Bruch im Leben steht jeden Tag wieder vor einem. Wenn man nach seinem beruflichen Werdegang gefragt wird, muß man immer wieder versuchen, mit kurzen Worten eine Erklärung abzugeben.
Aber in meinem Fall ist Vergebung nicht möglich, weil niemand da ist, der um Vergebung bittet, weil alle sagen, sie hätten recht gehandelt. Ich kann doch nicht sagen, wie es ein Thüringer Pfarrer gegenüber einem Oberkirchenrat getan hat: „Ich vergebe Ihnen, was Sie mir nicht angetan haben!“
Die maßgeblichen Leute damals waren ja der Meinung, daß sie alles richtig gemacht haben und daß sie großen Schaden von der Gemeinde abgewehrt und sogar nur zu meinem Wohl gehandelt haben. Ob die heutigen maßgeblichen Leute das auch noch so sehen, möchte ich gern erfahren. Ich wäre bereit, die Hand auszustrecken und zu sagen: „Es ist nun einmal so gelaufen, daran läßt sich nichts mehr ändern, aber das braucht nicht zwischen uns zu stehen!“
Siehe auch den Ordner „Steinbach-Hallenberg Neuere Kirchengeschichte“ und „Schmalkalden, Stasi“ auf dieser Webseite.
Ungedeihlichkeit zwischen Pfarrer und Kirchenvorstand
Natürlich muß es für die Kirche wie für jeden andren Arbeitgeber die Möglichkeit geben, einen Angestellten zu entlassen. Das gilt auch für einen Beamten, für den es noch die Möglichkeit einer Versetzung gibt. Möglich ist zum Beispiel, daß ein Pfarrer seine Amtspflichten
(Gottesdienste, Amtshandlungen, Verwaltung) vernachlässigt. Dann muß die Kirchenleitung handeln können. Aber meist geht es darum, daß das Verhältnis von Pfarrer und Kirchenvorstand (nicht Gemeinde) so zerrüttet ist, daß ein „gedeihliches Wirken“ nicht mehr möglich ist.
Manchmal ist die Sache so verfahren, daß es keinen anderen Ausweg mehr gibt als die Versetzung. Da man die Gemeinde nicht abschaffen kann, muß der Pfarrer weichen, ob er an dem Streit oder den Verhältnissen nun schuld ist oder nicht.
Es gibt aber auch die Möglichkeit des Mißbrauchs dieser Regelung. In einem Kirchenvorstand sitzen oft auch Leute, die anderswo nicht zum Zug gekommen sind (bis hin zum Staatsanwalt), sich aber in der Kirche verwirklichen wollen. Oder die Kirchenleitung will einen aufmüpfigen Pfarrer mundtot machen. Das Internet ist unter dem spröden Stichwort „Ungedeihlichkeit“ (das nicht einmal im Duden steht) voll von beschwerlichen Verfahren in dieser Sache. Im Folgenden wird eine Zusammenfassung dieser Beiträge gegeben (zum Beispiel von Kittel, Schall, Reitzig).
Es gibt also neben einem einigermaßen rechtstaatlichen Disziplinarverfahren – wenn der Pfarrer wirklich etwas Schlimmes gemacht hat – auch die andere Möglichkeit, sich eine Untersuchung zu ersparen und den Pfarrer gegen seinen Willen zu versetzen. Seit 1939 gibt es nämlich das Instrument des Wartestandes und damit verbunden die Rede vom „ungedeihlichen Wirken“.
Erfahrungen in der eigenen Familie:
Ich habe das selber in der Familie erlebt: Unser ältester Sohn wurde als Vikar in eine Gemeinde gesetzt, die vorher von einer Pfarrerin aus Württemberg betreut wurde. Obwohl ihr Fünf-Jahresvertrag ausgelaufen war, wollte sie gern dort bleiben. Sie machte unseren Sohn dafür verantwortlich, daß ihr Vertrag nicht verlängert worden ist. Sie heiratete dann einen Mann aus dem Filialort und blieb so in der Gemeinde wohnen und stänkerte ständig gegen den Vikar. Unser Sohn bat dann um Versetzung in eine andere Gemeinde. Dort wurde er auch angestellt und war zehn Jahre dort Pfarrer. Dann begann ein Kirchenvorsteher, ihn ständig öffentlich zu kritisieren und zu beschuldigen (angeblich habe er seinen Strom und sein Gas über die Zähler der Kirchengemeinde bezogen). Hintergrund für das Verhalten dieses Mannes war, daß seine Frau den Pfarrer gelobt hatte. Unser Sohn ging dann in eine andere Gemeinde, zumal man nach zehn Jahren ja sowieso wechseln soll.
Unser anderer Sohn hatte sich zum Gefängnispfarrer ausbilden lassen und setzte sich um Gefängnis auch für die Rechte der Gefangenen ein. Die Gefängnisleitung wollte aber, daß er sich auf die „Seelsorge“ beschränke und sich nicht in die inneren Abläufe des Gefängnisses einmische. Es ging bis zu Petitionen an den Landtag und einer Strafanzeige. Die Gefängnisleiterin wurde dann auch versetzt. Unser Sohn erkrankte an Borreliose und war ein Jahr krankgeschrieben, ehe er wieder eine andere Aufgabe übernahm.
Ich selber schied Ende März 1989 ganz aus dem kirchlichen Dienst aus. Vorausgegangen war ein Mobbing wegen meiner politischen Einstellung zum DDR-Staat. Konkret hatte ich einen Brief an den Kreisratsvorsitzenden geschrieben, in dem ich Reisefreiheit für alle Bürger forderte. Der Dekan (Superintendent) aber fürchtete um die „Dienstreisen“ der Pfarrer in den Westen. Deshalb wollte er „das gute Verhältnis von Staat und Kirche im Kirchenkreis“ erhalten. Die drei Pfarrer, die dem im Wege standen, wollte er deshalb loswerden. Einer wurde in eine andere Landeskirche berufen, ich wurde als Pfarrer abgesetzt und sollte zwangsversetzt werden. Der dritte Pfarrer sollte auch vertrieben werden, wie der Dekan einem Stasimittarbeiter mitteilte (aus der über mich geführten Stasi-Akte), aber dann kam die Wende.
In meinem Fall lagen keine zwingenden Gründe vor, denn die Gemeinde war wohl versorgt trotz des Ausfalls des zweiten Pfarrers vor Ort. Alle Planstellen waren neu besetzt und es gab keine Probleme mit den Mitarbeitern. Probleme machten nur der Dekan und zwei Kirchenvorsteher, die auch über die Stasi zu Westreisen gekommen waren. Die Suspendierung war nicht verhältnismäßig, es war keine Gefahr im Verzug. Mich kostete es nicht nur die Arbeitsstelle, sondern auch den Beruf.
Ich wurde vorher nicht angehört, wie es das Kirchengesetz vorschreibt. Von einer Beschränkung auf drei Monate war keine Rede. Es gab keine Widerspruchsbelehrung und keinen Hinweis auf das Kirchengericht. Ein Disziplinarverfahren wurde ausdrücklich abgelehnt, denn es lag ja nichts Disziplinarisches vor. Der Konflikt war ja nur entstanden, weil ich mich zu sehr an staatliche und kirchliche Gesetze gehalten hatte und die Beschlüsse des Kirchenvorstandes umsetzen wollte
Vor allem aber drohte man mir, wenn ich an der neuen Stelle auch nicht mit den politischen Stellen auskomme, werde man mich ganz entfernen (hier hat sich der Oberkirchenrat - hauptamtlicher innoffizieller Mitarbeiter der Stasi - verplappert, denn angeblich ging es ja nur um innerkirchliche Dinge)
Es wurde betont, daß es nicht um Strafe gehe, sondern daß das alles zu meinem eigenen Schutz geschehe. Aber es wurde in der Öffentlichkeit nie klar gesagt, was man mir denn konkret vorwerfe. Natürlich kamen gleich Gerüchte auf (Hühner des Nachbarn vergiftet, Westgeld unterschlagen). Es gab auch eine schriftliche Petition aus dem Filialort und andere Solidaritätsbekundungen, denn schließlich war ich 23 Jahre dort Pfarrer und man konnte nicht begreifen, was nun auf einmal passiert sein sollte.
Ruhe allerdings - was Kirchenjuristen unter „Frieden“ verstehen - ist lange nicht eingekehrt. Nachfolger auf der Pfarrstelle gingen bald wieder. Der neue Pfarrer auf der anderen Pfarrstelle klagte darüber, daß er immer wieder auf dieses Thema angesprochen werde. Noch mehr als 30 Jahre später sagte ein Würstchenverkäufer: „Das ist doch der Pfarrer, den die Stasi vertrieben hat, aber dem Kirchenvorsteher hat die Kirche die Leitung des Altersheims gegeben!“ (für die er gar nicht qualifiziert war).
Nun, die Stasi hat mich nicht vertrieben, das war allein die Kirche, weil man meinte, zum eigenen Vorteil in vorauseilendem Gehorsam beim Staat gut Wetter machen zu müssen. Die Stasi hat sich natürlich gefreut, war sie doch auch ein Problem los, ohne etwas dafür tun zu müssen.
Aber es ist schon bitter, wenn unter Umständen ein einzelner Kirchenvorsteher einen Pfarrer zu Fall bringen kann. Da hat einer 25 Jahre lang gelernt und studiert und 25 Jahre sein Amt mit Lust und Liebe und unter Einsatz aller Kräfte und unter Hintanstellung eigener Wünsche und Bedürfnisse ausgeübt. Und dann kommt einer und fühlt sich beleidigt, weil der Pfarrer ihn kritisiert hat und gefordert hat, auch er müsse sich an die Beschlüsse des Kirchenvorstandes halten. Er geht zum Dekan, der froh ist, endlich etwas gegen einen unbequemen Pfarrer
unternehmen zu können. Sie gehen beide zum Landeskirchenrat. Und dieser schafft ohne den Betroffenen zu hören und die Sache zu untersuchen, unumstößliche Fakten, hinter die keiner mehr zurück kann. Das Wohl der Gemeinde ist dann gleichgültig, die mit ihren 5.000 Mitglieder monatelang ohne Pfarrer und weitere fünf hauptamtliche Mitarbeiter dasteht. Und auch das Wohl des Pfarrers spielt da keine Rolle, soll er doch als Ungelernter in eine Fabrik gehen. Und an seinem schlechten Ruf ist er ja selber schuld.
Gesetzliche Regelungen
Um einigermaßen Rechtssicherheit zu schaffen, haben die Landeskirchen (früher und heute) und die Evangelische Kirche in Deutschland in ihren Beamtengesetzen eine Regelung getroffen:
Pfarrerdienstgesetz des Bundes der Evangelischen Kirchen von 1982:
Im Pfarrerdienstgesetz des Bundes der Evangelischen Kirchen (28.09.1982) heißt es im § 45 (2): „Im Wege der Dienstaufsicht kann ein Pfarrer aus zwingenden Gründen einstweilen beurlaubt werden. Der Pfarrer ist zuvor zu hören. Die dienstaufsichtführende Stelle entscheidet innerhalb von drei Wochen über das Fortbestehen der Beurlaubung. Sie kann die Beurlaubung über insgesamt zwei Monate hinaus nur aufrechterhalten, wenn sie gleichzeitig ein Verfahren in Gang setzt, dass eine Beurlaubung zuläßt“.
Kirchenbeamtengesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland § 23 (21. 03. 2021):
Nur aus zwingenden dienstlichen Gründen darf die Suspendierung ausgesprochen werden. Sie ist eine Sofortmaßnahme von nur vorübergehender Dauer, die bis zur Entscheidung über die Einleitung eines Verfahrens zur endgültigen Regelung der Angelegenheit eine einstweilige Regelung trifft. Bei dieser muss jedoch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme gegenüber den Interessen der Kirchenbeamtin oder des Kirchenbeamten, insbesondere auch dem Interesse an der weiteren Ausübung seines Amtes, gewahrt sein. Insbesondere muss das Vorkommnis, das zu der Suspendierung geführt hat, die Gefahr von Auswirkungen in der Zukunft in sich tragen.
Die Kirchenbeamtin oder der Kirchenbeamte darf nach der Untersagung die bisherigen Dienstgeschäfte nicht mehr führen. Das Verbot berührt die Rechtsstellung aus dem Kirchenbeamtenverhältnis nicht. Sie oder er verbleibt demgemäß Kirchenbeamter mit allen Rechten und Pflichten und behält auch ihr oder sein Amt, darf aber die übertragenen Dienstgeschäfte nicht mehr wahrnehmen.
Da die Suspendierung nur ein Mittel zur sofortigen vorläufigen Sicherung dringender dienstlicher Belange ist, ist die Dauer ihrer Wirkung grundsätzlich auf längstens drei Monate beschränkt. Mit Ablauf dieser Zeit erlischt das Verbot kraft Gesetzes. Das Verbot erlischt dann nicht, wenn vor Ablauf von drei Monaten seit Wirksamwerden der Suspendierung das förmliche Disziplinarverfahren oder ein sonstiges auf Rücknahme der Ernennung (§§ 11, 12) oder auf Beendigung des Beamtenverhältnisses gerichtetes Verfahren eingeleitet worden ist. Zum genannten „Disziplinarverfahren“ gehört auch das Ermittlungsverfahren (dies ist die Fassung des Gesetzes vom 21. März 2021, aber früher war das auch nicht anders, auch nicht in den einzelnen Landeskirchen).
Pfarrerdienstgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland von 2010:
§ 80 (1): „Eine nachhaltige Störung … liegt vor, wenn die Erfüllung des dienstlichen oder gemeindlichen Auftrags nicht mehr gewährleistet ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder das Vertrauensverhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt…..Zur Feststellung der Voraussetzungen des Absatzes 1 werden die erforderlichen Erhebungen durchgeführt. Der Beginn der Erhebungen wird der Pfarrerin oder dem Pfarrer mitgeteilt.“
Als die Neufassung eines für alle Landeskirchen gültigen Pfarrdienstgesetzes in den Jahren 2009/2010 anstand, hätte noch die Chance bestanden, die hier diskutierten Paragraphen mit ihren das Leben in der Kirche vergiftenden Wirkungen zu streichen und über alternative Regelungen nachzudenken. Warnungen gab es von vielen Seiten. Doch nichts ist geschehen. Ohne Diskussion und ohne Gegenstimme haben alle Delegierten der EKD-Synode (die berufenen Mitglieder eingeschlossen) 10. November 2010 das Paragraphenwerk abgenickt.
Das am von der Synode der EKD beschlossene und inzwischen von den meisten Gliedkirchen ratifizierte neue Pfarrdienstgesetz hat diesen Ungedeihlichkeits-Paragraphen weiter ausgefeilt und im Vergleich zu moderateren früheren Regelungen einzelner Landeskirchen sogar noch verschärft.
Das Gesetz wird nun vermutlich auf lange Zeit bleiben. Aber ob es zur Anwendung kommt, ob kirchliche Vorgesetzte auch weiterhin so rücksichtslos und fahrlässig gegen die ihrer Fürsorge anvertrauten Pfarrer und Pfarrerinnen vorgehen, entscheidet sich daran, ob diejenigen, die am nächsten betroffen sind, doch noch aufwachen und ihre Stimme erheben und ob die kirchliche Öffentlichkeit endlich von den Skandalen Notiz nimmt.
Bezug zum nationalsozialistischen Beamtenrecht:
Fragt man danach, wie ein solches „Recht“ in die evangelische Kirche hat Eingang finden können, stößt man – den verschiedenen Untersuchungen von Hans-Eberhard Dietrich folgend - auf Wurzeln in der NS-Diktatur. Seit der Reformation bis in den Beginn des vergangenen Jahrhunderts hinein galt das Prinzip der „Unversetzbarkeit“ evangelischer Pfarrer, um Freiheit und Unabhängigkeit des Pfarrdienstes und der Wortverkündigung zu gewährleisten. Nur wenn er „falsche Lehre“ verbreitete oder sich einer schweren disziplinarischen Verfehlung schuldig machte, konnte ein Pfarrer sein Amt verlieren. Versetzungen gab es in Ausnahmefällen, doch immer in eine gleichwertige andere Pfarrstelle, ohne wirtschaftliche Einbuße und ohne Ehrverlust.
Die Wende - von Dietrich als „Sündenfall“ bezeichnet - geschah erst Ende der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Damals führte der nationalsozialistische Staat den Wartestand als Zwischenstation vor dem Ruhestand in sein Beamtenrecht ein. Er wollte damit Personen, die er disziplinarisch nicht belangen konnte, aber dennoch loswerden wollte, aus dem aktiven Dienst entfernen.
Einige Landeskirchen zogen nach. Von 1939 bis 1942 wurde in den Kirchen der Kirchenprovinz Rheinland, in Sachsen, Bayern, Hannover und Württemberg der Wartestand gesetzlich eingeführt und mit dem Vorhalt des „ungedeihlichen Wirkens“ verknüpft. Wie im staatlichen Beamtengesetz von 1937 war dieser Wartestand auf fünf Jahre begrenzt. Außerdem wurde er nun mit negativen Rechtsfolgen wie gekürztem Gehalt und verminderten Ruhestandsbezügen verbunden.
Den Begriff des „ungedeihlichen Wirkens“ gab es schon länger. Er wurde immer wieder mit anderen Inhalten gefüllt. In der Zeit Kaiser Wilhelm II. wirkten Pfarrer „ungedeihlich“, wenn sie sich sozial engagierten. Später, in der Weimarer Zeit, wurden mit diesem Etikett politisch unliebsame Pfarrer belegt. In den Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen ab 1933 traf dieser Vorwurf dann bekenntnistreue Pfarrer, die man mit diesem Verdikt aus ihren Gemeinden drängen wollte.
Man wollte Pfarrer loswerden, denen man vorwarf, ihre Gemeinden zu spalten und Unruhe und Konflikte zu verbreiten. Das traf agitierende Deutsche Christen, aber - und so vor allem in den deutschchristlich geführten Kirchen - Pfarrer der Bekennenden Kirche. Eins der ersten Opfer war Paul Schneider, der „Prediger von Buchenwald“. Der Entscheid der rheinischen Kirchenbehörde über seine Abberufung und Versetzung in den Wartestand kam in Buchenwald an, als Schneider schon ermordet war.
Kritik an dem Gesetz
Die Bundesrepublik Deutschland hat bereits zu Beginn der fünfziger Jahre den Wartestand aus dem staatlichen Beamtengesetz gestrichen. Nicht so die Kirchen, die ihn nach 1945 in fast alle Pfarrdienstgesetze einführten und in diesem Instrument bis heute ein erprobtes Mittel sehen, um Personalplanung zu betreiben. Mag eine Überleitung in den Wartestand im Blick auf Krankheitsfälle und Übergangslösungen nach Beendigung eines befristeten Auftrags auch gerechtfertigt erscheinen, in Verbindung mit dem vagen Vorhalt des „ungedeihlichen Wirkens“ bzw. der „nachhaltigen Störung“ wirkt sich die Zwangsversetzung aktiver Pfarrer und Pfarrerinnen aus ihren Gemeinden verheerend aus, Gemeinden, in denen sie oft schon über viele Jahre, manche über Jahrzehnte, höchst „gedeihlich“ gewirkt hatten.
Die einzelnen Formulierungen des Gesetzes werden im Folgenden auf ihren Sinn oder Unsinn untersucht.
„Wenn ein besonderes kirchliches Interesse an der Versetzung besteht“:
Dieses Interesse liegt neben mehreren anderen Möglichkeiten dann vor, wenn nach Auffassung der Kirchenleitung in der bisherigen Stelle oder dem bisherigen Auftrag „eine nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ festgestellt wird. Allein die Tatsache eines Konfliktes zählt, der Pfarrer ist schuldig ohne Nachweis. Eine solche Versetzung aus „kirchlichem Interesse“ gewinnt leicht den Charakter einer Bestrafung. Anders aber als beim Disziplinarrecht und anhängigen Disziplinarverfahren sieht das Pfarrerdienstrecht kein geordnetes Verfahren vor, das die Rechte und die Würde des Betroffenen schützt.
„Nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“:
Die „nachhaltige Störung in der Wahrnehmung des Dienstes“ ist der neue Ausdruck gegenüber dem früheren Begriff des „ungedeihlichen Wirkens“. Von diesem ist die Kirche abgerückt, weil er eine Schuld unterstellen könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2008 ganz unverblümt ausgesprochen, welcher Maßstab für die Beurteilung evangelischer Geistlicher anzulegen ist. Das Urteil vollzieht in seiner inhaltlichen Begründung den Schritt, den alle kirchlichen Verlautbarungen und Gesetze bis jetzt tunlichst vermeiden. In den kirchlichen Verlautbarungen heißt es immer wieder, dass die Gründe für die nachhaltige Störung nicht im Verhalten oder in der Person der Pfarrerin oder des Pfarrers liegen müssen. Die Gründe für eine Zerrüttung können auch in dem Charakter oder Verhalten von Kirchenvorstehern, Amtsbrüdern, kirchlichen Mitarbeitern oder Gemeindegliedern liegen.
Aber die Verfassungsrichter sprechen den Betroffenen eben doch eine Begründung zu. Sie reden von der „Nichtbewährung“ der von den kirchlichen Maßnahmen betroffenen Pfarrer und sehen daher die negativen Wirkungen einer Abberufung als durchaus gerechtfertigt an.
Es heißt: „Der betroffene Pfarrer erhält trotz seiner Nichtbewährung in einer Pfarrstelle zunächst die Möglichkeit, eine Wiederverwendung zu erreichen. Nur wenn dies scheitert, kommt die Versetzung in den Wartestand zum Tragen. Sie ist gegenüber der Beendigung des Dienstverhältnisses oder der sofortigen Versetzung in den Ruhestand eine mildere Maßnahme“ (Absatz 16, Satz 5).
Auch worin diese Nichtbewährung besteht, wissen die weltlichen Richter zu sagen: „Vor diesem Hintergrund ist das kirchengesetzliche Stufenmodell mit der Abberufung sowie der Versetzung in den Warte- und Ruhestand von sachgerechten Erwägungen getragen..…Es eröffnet einem Pfarrer, der es nicht vermocht hat, tief greifende Spaltungen in einer Kirchengemeinde zu verhindern oder zu überbrücken, sich mithin in seiner Pfarrstelle nicht bewährt hat, die Möglichkeit der Wiederverwendung über einen Zeitraum von vier Jahren hinweg.“ (Absatz 18, Satz 5).
Erstaunliche Sätze sind das! Die Verfassungsrichter erheben hier nicht nur einen Schuldvorwurf, sie geben auch ein Kriterium vor, wonach die Bewährung oder Nichtbewährung eines evangelischen Pfarrers in seinem kirchlichen Dienst zu bemessen ist. Damit aber maßen sie sich ein theologisches Urteil an und überschreiten – vermutlich ohne es überhaupt zu merken – ihre Kompetenz. Vielleicht konnten sich die Verfassungsrichter gar nicht vorstellen, dass es in der Kirche ein Gesetz gibt, das eine Strafe verhängt ohne nachgewiesene Schuld. So konstruierten sie selber einen Schuldvorwurf. Der Pfarrer hat es „nicht vermocht“, „tiefgreifende Spaltungen“ in seiner Gemeinde zu verhindern oder zu überbrücken. Er hat sich mithin in seiner Pfarrstelle „nicht bewährt“.
Das Gesetz stellt unmissverständlich fest, dass die Gründe für die Konflikte nicht im Verhalten oder in der Person des Pfarrers liegen müssen. Dieser Satz, klingt gut, ja sogar menschenfreundlich. Es werden keine Schuldvorwürfe erhoben und die Betroffenen sollen ohne Gesichtsverlust davonkommen. Vielleicht war dieser Paragraph tatsächlich einmal so menschenfreundlich gedacht. Doch inzwischen hat er eine ganz andere Wirksamkeit entfaltet, die sich in den hohen Zahlen abberufener oder – deutlicher gesagt – aus ihren Gemeinden mit fraglichen Mitteln „weggemobbter“ Pfarrer niederschlägt.
Dieser Satz führt juristisch zu dem Umkehrschluss, dass somit diese Gründe auch nicht nachgefragt und untersucht zu werden brauchen. Ein Herausfinden der Wahrheit, um was für Konflikte es sich überhaupt handelt, von wem sie ausgehen, ob es bei den vorgebrachten Beschuldigungen um berechtigte Klagen oder bösartige Verleumdungen geht, ist nicht nötig (Fragen des Gemeindeaufbaus, der Verkündigung, der Lehre, Ausführung von Handwerkerarbeiten, Umgang mit Kirchensteuermitteln, Kündigung eines beliebten Chorleiters).
Auch wer für das Entstehen und Schüren der Unruhen wirklich verantwortlich ist - einzelne Kirchenälteste, Kollegen, Mitarbeiter, eine Gemeindeclique oder auch ein leitender Vorgesetzter - spielt keine Rolle. Es kommt allein auf die Tatsächlichkeit eines Gemeindekonfliktes an.
Nur dann wird „eine rechtsmissbräuchliche Verhinderung einer fruchtbaren Zusammenarbeit“ zugestanden, „wenn eine vollständige, vollkommen unverständliche und logisch nicht nachvollziehbare Verweigerungshaltung - also das Fehlen eines Mindestmaßes an Verständigungsbereitschaft - zu berücksichtigen ist“. Die Beweislast für diesen, schon durch die Formulierungen auszuschließenden Fall tragen die betroffenen Pfarrer und Pfarrerinnen.
So ist dieser Gesetzesparagraph zu einem sehr einfachen Mittel geworden, um Pfarrer und Pfarrerinnen aus ihren Gemeinden zu vertreiben. Nicht weil sie sich disziplinarisch etwas zu Schulden kommen ließen, müssen sie gehen - dafür ist noch immer das kirchliche Disziplinarrecht zuständig.
Auch nicht, weil sie falsche Lehre verbreiten, wird gegen sie das Verfahren eröffnet. Für falsche Lehre wird heute kaum noch jemand zur Rechenschaft gezogen. Im Blick darauf haben heutige Kirchenleitungen ein sehr weites Herz. Nein, weil sich ein Konflikt aufgetan hat und es daraufhin zu Unruhen in der Gemeinde oder auch nur zu Unmut im Kirchenvorstand kam, darum müssen Pfarrer ihre Gemeinden verlassen.
„Verhältnis zwischen dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist“
Zunächst spricht das Dienstrecht von „nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde“. Dabei kann vermutet werden, dass die jeweilige Kirchengemeinde damit gemeint ist. Aber auch das macht die Sache nicht leichter. Sind alle eingetragenen Gemeindeglieder damit gemeint oder die jeweils in Gemeindegruppen und zum Gottesdienst erscheinenden? Es gibt Einschätzungen, dass ein Pfarrer insgesamt etwa 250-300 Menschen persönlich erreicht. Stellen diese „Gemeinde“ dar? Es scheint offensichtlich, dass die im Gesetz gebrauchte Formulierung interpretationsbedürftig ist. Sie öffnet die Tür für ganz üble Nachrede, sowie Klatsch und Tratsch.
Nachhaltige Störung ist der Fall, „wenn das Verhältnis zwischen der Pfarrerin oder dem Pfarrer und nicht unbeträchtlichen Teilen der Gemeinde zerrüttet ist oder (!) weil das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pfarrer und dem Vertretungsorgan der Gemeinde zerstört ist“ und nicht erkennbar ist, dass das Vertretungsorgan rechtsmissbräuchlich handelt.
Mit dieser Formulierung haben Entwerfer dieses Gesetzes festgestellt, dass der Entzug des Vertrauens eine Handlung ist. Sie unterliegt der Willkür. Und natürlich ist Vertrauen nicht einklagbar. Vertrauen wird geschenkt. Immer aber sind Gefühle im Spiel, dazu Bewertungen von Erfahrungen. „Ich habe kein Vertrauen zu dir“ ist dabei zunächst eine Art „Totschlagsphrase“. Sie ist genauso zu bewerten wie „Ich habe Angst“. Aus Supervision, Beratung und Psychotherapie heraus wäre aber die angemessene Reaktion die Aufforderung: „Erzähl mir mehr darüber!“ Der Vertrauensbegriff ist aus psychologischer Sicht als Rechtsbegriff ungeeignet. Er eignet sich vorzüglich zum Etikettenschwindel im Machtkampf und zum Kaschieren von Aggressionen nach erlebter Kränkung.
Das „oder“ bezeichnet eine deutliche Verschärfung gegenüber früheren Pfarrdienstgesetzen einzelner Landeskirchen. Es geht jetzt nicht mehr nur darum, dass Konflikte und unüberbrückbare Spaltungen in einer Gemeinde stattfinden. Schon der Vertrauensentzug einiger Kirchenältester kann zur Anwendung des Versetzungsparagraphen führen. Das wird auch im Begründungstext zu § 80 betont hervorgehoben. Beide Sachverhalte seien nicht „kumulativ“ zu sehen, sie müssen nicht beide vorhanden sein, sondern einer genügt. Ein Kirchenjurist aus Hannover hat folgerichtig formuliert: Kirchenälteste müssen nur behaupten, dass sie kein Vertrauen mehr zur Pfarrperson haben, dann ist die Zerrüttung gegeben und die Abberufung eines Pfarrers, einer Pfarrerin fällig. Denn „Vertrauen“ bzw. Entzug von Vertrauen ist eine höchst subjektive Sache und mitnichten irgendwie kritisch zu hinterfragen. Daher kann eine solche Aussage auch nicht von Personen eines Kirchenvorstands rechtsmissbräuchlich eingesetzt werden. Man muss ihr einfach nur glauben.
Da beschwert sich ein Pfarrer über den Organisten: „Die ganze Gemeinde ist mit seiner Musik unzufrieden“. Bei genauerer Nachprüfung durch einen anderen Pfarrer ergab sich, daß nur der Kirchenrechnungsführer mit dem Pfarrer gesprochen hatte und die Beschwerde wörtlich übereinstimmte. Menschen neigen zu Übertreibungen. Auch Christen sind davon nicht frei. Das muss bei Konflikten beachtet werden. „Nicht unbeträchtliche Teile der Gemeinde“ sagt zunächst gar nichts. Wer misst das und stellt es fest?
Der Entzug des Vertrauens unterliegt der Willkür. Und natürlich ist Vertrauen nicht einklagbar. Vertrauen wird geschenkt. Immer aber sind Gefühle im Spiel, dazu Bewertungen von Erfahrungen. Der Vertrauensbegriff ist aber aus psychologischer Sicht als Rechtsbegriff ungeeignet. Er eignet sich vorzüglich zum Etikettenschwindel im Machtkampf und zum Kaschieren von Aggressionen nach erlebter Kränkung.
„Zur Feststellung der Voraussetzungen werden die erforderlichen Erhebungen durchgeführt“.
Es werden nur „Erhebungen“ durchgeführt, aber natürlich nicht unparteiisch: Als Mitglied des Landeskirchenrates ist der Oberkirchenrat an der Entscheidung beteiligt, ob Ungedeihlichkeit vorliegt oder nicht. De Vorgesetzte wird nun zum Richter, nachdem er zuvor als Moderator, Vermittler, öffentlicher Repräsentant der Kirche, Berichterstatter, Beurteiler und Gutachter agiert hat. Ein solches Verfahren ist kein „im Ergebnis offenes Erhebungsverfahren“. Zumindest für den Oberkirchenrat steht das Urteil, dass der betroffene Pfarrer zu gehen hat, bereits viel früher fest. Ein Verfahren, das eine derartige Machtfülle und eine solche Rollenvielfalt auf eine einzige Person konzentriert, gehört in ein System von Obrigkeit aus vergangener Zeit. Moderne rechtsstaatliche Prinzipien, wie die klare Trennung von Ankläger und Richter, Gutachter und Vorgesetzter werden nicht beachtet.
Dass bis zur objektiven Feststellung eines Versagens die Unschuldsvermutung gilt, wird übergangen. Das Prinzip „im Zweifelsfall für den Angeklagten“ (in dubio pro reo) wird außer Kraft gesetzt. Grundlegende christliche Werte werden nicht berücksichtigt. Es gibt sonst keine ethisch legitimierte Beurteilung eines Sachverhaltes, bei dem eine Bestrafung erfolgt, obwohl keine schwerwiegenden Verfehlungen vorliegen und keine Schuld festgestellt oder nachgewiesen wurde.
Wartestand:
Insgesamt zehn Paragraphen (§39, 79, 80, 83-86, 92-94) ermöglichen es den Kirchenverwaltungen, Pfarrer aus den unterschiedlichsten Gründen zu versetzen, das Gehalt zu kürzen, zurückzustufen und zwangsweise zu pensionieren. Es ist nur von „Versetzung“ die Rede. Aber es geht nicht nur um „Versetzungen“ in andere gleichwertige Stellen. Vielmehr werden Pfarrerinnen und Pfarrer in den Wartestand versetzt, „wenn eine Versetzung in eine andere Stelle nicht durchführbar ist“.
Der Wartestand dauert drei Jahre. Während dieser Zeit werden die Versetzten mit einem „Wartegeld“ versorgt, das zwischen 50 und 80 Prozent des bisherigen Gehaltes ausmacht. Sie müssen für zugewiesene Vertretungsdienste zur Verfügung stehen und sollen sich - wenn nicht weitere Einschränkungen verhängt sind - auf freie Stellen im Kirchendienst bewerben. Welcher durch ein Abberufungsverfahren gebrandmarkte Pfarrer hätte noch eine Chance gewählt zu werden, wenn auch andere Bewerber zur Verfügung stehen oder eine initiierte Buschtrommel vor seiner Person warnt?
Der Wartestand ist verbunden mit einer „Eignungsminderung“. Das bedeutet beurteilungsmäßige Herabstufung und Beschränkung der Bewerbungsfähigkeit. Die betroffene Person wird nicht versetzt, da man sie dann auf einer vom Verantwortungs- und Aufgabenbereich her gleichwertigen Stelle einsetzen müsste. Wenn der Pfarrer zu einem Wechsel bereit ist, erfährt er, dass er nicht auf eine gleichwertige Stelle versetzt wird, sondern dass er sich auf eine Stelle minderer Anforderung bewerben muss. Für einen Dekan ist dabei eine Dekansstelle ausgeschlossen. Für eine bisher auf einer hervorgehobenen Pfarrstelle eingesetzte Person gibt es nur noch eine nicht hervorgehobene Pfarrstelle, möglichst eine, auf die sich niemand beworben hat. So darf sich die betroffene Person mit einer Bewerbung ganz „freiwillig“ herabstufen.
Bleiben diese Bewerbungen jedoch ohne Erfolg, so endet die berufliche Existenz der aus ihren Gemeinden herausgesetzten Pfarrer im Ruhestand, ganz gleich wie alt oder jung sie sind. Es gibt bereits eine sehr große Zahl von ausgemusterten Geistlichen, die in dieser Weise bestraft wurden. Denn die plötzliche Abberufung aus einer Gemeinde, die Versetzung in den Wartestand und anschließenden vorgezogenen Ruhestand mit den entsprechenden Gehalts- und Pensionskürzungen sind einer hohen Disziplinarstrafe vergleichbar, wie sie etwa das Disziplinarrecht der EKD für erhebliche disziplinarische Vergehen vorsieht.
Kirchenjuristen wollen nicht von „Strafe“ sprechen, sondern erblicken in den negativen Folgen für die Betroffenen nur eine Art „Kollateralschaden“. Das Gesetz ermöglicht, dass ohne Untersuchung, ohne Konfliktklärung, ohne Wahrheitsfindung Pfarrpersonen aus ihren Ämtern entfernt werden, da ja nun alle Fragen nach Ursachen, Inhalt und den Verantwortlichen für einen Gemeindestreit „völlig unerheblich“ sind. Tatsache ist, dass die Kirche bei der Anwendung der genannten Paragraphen Menschen bestraft ohne nachgewiesene Schuld.
Es bleibt das Faktum, dass jener Paragraph, der ausdrücklich feststellt, der Grund für eine Abberufung und Versetzung müsse nicht im Verhalten oder in der Person der Betroffenen liegen, die Untersuchung und Aufklärung gerade verhindert und - da die Gründe für die behördlichen Maßnahmen der Geheimhaltung unterliegen und die Betroffenen bei Androhung weiterer, nämlich disziplinarischer, Bestrafungen schweigen müssen
Die jeweiligen Personen sind dann aber den schlimmsten Gerüchten aussetzt. Das geht bis zu Gerüchten, dass der betroffene Pfarrer pornographische Bilder gespeichert oder „kleine Jungs angefasst“ haben soll. Hier werden in der real existierenden Kirche Menschen grundlegend beschädigt und Pfarrerbiographien zerstört. Denn ein normaler Bürger kann sich nicht vorstellen, dass jemand über Nacht beurlaubt und aus allen dienstlichen Tätigkeiten herausgezogen wird, ohne dass ein sehr schlimmer Straftatbestand vorliegt.
Das gewöhnliche in dem Prozess nicht eingebundene Gemeindeglied folgert: „Da muss ja etwas ganz Schlimmes passiert sein, wenn die Kirche mit einem Pfarrer so umgeht. Schließlich sitzen im Kirchenvorstand doch lauter ehrenwerte Leute“. Der gesamte Prozess enthält ein nicht angemessenes Ungleichgewicht zwischen den Rechten des betroffenen Pfarrers und den Rechten des Kirchenvorstandes bzw. der Kirchenleitung. Dieses asymmetrische Gefälle wird weder der Sache noch der betroffenen Person gerecht. Der betroffene Pfarrer jedenfalls empfindet den erzwungenen Weggang als Bestrafung. Oft verliert auch der Ehepartner die Arbeitsstelle, da der zukünftige Dienstort zu weit vom bisherigen Arbeitsplatz entfernt ist.
Die Versetzung in den „unseligen“ Wartestand bedeutet immer eine Brandmarkung und befördert somit in den meisten Fällen das Ende einer beruflichen Tätigkeit. Ein Verwaltungsakt kommt somit einem harten Disziplinarurteil gleich. Die Bemerkung, dass die Ursachen für diesen Verwaltungsakt nicht beim Pfarrer liegen müssen, ist da nur pure Kosmetik. Das sind schöne Worte, die an der „Bestrafung“ nichts ändern. Dieser Grundsatz macht ein „Scheunentor“ für Mobbing auf.
Die Gesetzesbestimmung kann auch schon im Vorfeld als Drohmittel dienen, um „freiwillige“ Abgänge zu erzielen. Aus Furcht vor den angedrohten Verfahren mit der damit verbundenen Brandmarkung, die einen Wechsel in ein anderes Amt nahezu unmöglich macht, gehen viele Pfarrpersonen lieber freiwillig aus der ihnen anvertrauten Gemeinde heraus oder lassen sich – so oftmals in früheren Zeiten – vorzeitig pensionieren.
Lösungen nach dem Sündenbockschema:
Hier schließt sich der Kreis: Kirche ist ein Gebilde, in dem es keine Störungen geben darf. Kommt es doch dazu, so ist eine Lösung nicht etwa darin zu suchen, dass sich alle an ihr Gegründet-Sein im Sterben und in der Auferstehung Jesu Christi erinnern lassen. Nicht in der Versöhnung wird sie gefunden, die darin besteht, dass sich die Gemeinde der Wahrheit ihres Sünderseins stellt und keiner als Sieger oder Verlierer aus diesem Streit hervorgeht, da sie alle der Gnade Gottes bedürftig sind.
Die Lösung, die das Kirchenrecht vorsieht, kennt nur das Sündenbockschema. Im Blickwinkel des Alten Testaments werden Pfarrer oder Pfarrerin zum „Sündenbock“, der in die Wüste geschickt werden muss, damit das Volk Gottes wieder rein wird. Einer muss gehen und über alles schweigen. Dafür dürfen und sollen alle Übrigbleibenden dann nach vorn blicken und das, was sie gesagt und getan oder auch erlitten haben, unter den Teppich abschieben. Nur dass der und die eine, die ganz wörtlich abgeschoben wurden, ihre Verletzungen ihr Leben lang nicht mehr verwinden. Nur dass der Teil der Gemeinde, der wachen Sinnes das Zusammenspiel der Unruhestifter mit der übergeordneten kirchlichen Stelle miterlebt hat, nun auch seine Konsequenzen zieht und die evangelische Kirche schweigend und zutiefst enttäuscht verlässt oder sich enttäuscht in die innere Emigration zurückzieht.
Aber Kirchenbehörden kümmert das nicht. Sie dürfen aufatmen. Die Ruhe und das, was Kirchenjuristen unter „Frieden“ verstehen, ist wieder eingekehrt, auch wenn es die Ruhe und der Friede eines Friedhofs sind. Dieses böse Spiel wiederholt sich dann häufig mit der nachfolgenden Pfarrperson und wiederum ihrem Nachfolger. Der Verschleißprozess nimmt seinen Lauf. Für alle Beteiligten.
Es gab auch den Fall, daß ein Pfarrer aus seiner Gemeinde wegen „ungedeihlichen Wirkens“ abberufen wurde, weil er dem zum Teil baptistisch eingestellten Gemeindevorstand gegenüber die Kindertaufe verteidigt hat. Das brachte Ärger. Und wegen dieses Ärgers (unterfüttert mit weiteren Beschuldigungen) wurde der betroffene Pfarrer von seiner Kirchenleitung nun in den Wartestand versetzt.
Das Recht in der Kirche:
Natürlich gibt es innerhalb der Kirche Rechte und Gesetze und eine Menge Verordnungen. Sie können aber nur wirksam werden, wenn sie auch angewendet werden – besonders im Bereich der Ehrenamtlichkeit kann das eine wichtige Rolle spielen. Der Mangel an entsprechender Kenntnis bei den Ehrenamtlichen leistet einer willkürlichen Handhabung gesetzten Rechts oder dem Rückzug auf ein „schon immer“ angewendetes gegenläufiges Gewohnheitsrecht auf der anderen Seite Vorschub.
Es gehört zur Mobbingstrategie, dass dem Betroffenen seine Rechte - mindestens versuchsweise – genommen werden. Begibt sich die betroffene Person auf den Rechtsweg, muss sie mit weiteren „Sanktionen“ rechnen. Denn Ziel ist es, den oder die Betroffene/n in einen „rechtsfreien Raum“ zu katapultieren, in dem die Betreibenden in aller Ruhe sogenannte „Fakten schaffen“ können. Auf diese Weise kann unter anderem auch die sogenannte „Ungedeihlichkeit“ hergestellt werden.
Außer dem eigenen Gericht gibt e keine weitere Instanz, also ist auch keine Revision möglich. Leider zeigen die Erfahrungen mit diesen Gerichten, dass sie selbst nicht ermitteln und sich in aller Regel den Weisungen der Kirchenleitung anschließen. Am Beispiel „Ungedeihlichkeit“ sind nach allgemeiner Meinung der Fachwelt erhebliche Mängel in der kirchlichen Gesetzgebung festzustellen. Das heißt konkret:
„Maßgebliche Vorschriften des Kirchenrechtes, wie die Regelungen des Ungedeihlichkeits- und Wartestandsrechtes, missachten die – nur in gesetzlichen Ausnahmefällen einschränkbaren – jeder Person zustehenden Grundrechte unserer Staatsverfassung“. Es ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich das von einer Pfarrerin/einem Pfarrer angerufene Bundesverfassungsgericht anhand eines konkreten Falles mit der Verletzung von Grundrechten durch eines der landeskirchlichen Gesetze befassen wird. Bisher sind ähnliche Klagen abgewiesen worden mit dem Hinweis auf Artikel 140 des Grundgesetzes, der das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften garantiert.
Der Artikel 140 unseres Grundgesetzes kann nicht als Freibrief für nicht grundrechts-konforme Kirchengesetze und Rechtssprechungs-Praktiken benutzt werden. Der autonome Gestaltungsraum für die Regelung der kircheneigenen Angelegenheiten geht niemals so weit, dass sich kirchliches Recht über die Schutzfunktion der allgemeinen verbindlichen Grundrechts-Normen hinwegsetzen darf. Für den Fall der „Ungedeihlichkeit“ bedeutet die Beachtung des unveräußerlichen rechtsstaatlichen Prinzips ganz besonders, dass jedem belasteten Pfarrer ein Verschulden nachgewiesen werden muss, wenn das Kirchenrecht für den Pfarrer schwerwiegende Eingriffe in personenstands- und zivilrechtlich geschützte Rechtspositionen vorsieht.
Das eigenständige Kirchenrecht betrifft allerdings nur ihre Beamten. Angestellte des Arbeitgebers „Kirche“ unterstehen dem staatlichen Recht und können sich jederzeit ans Arbeitsgericht wenden. In einer Reihe von Fällen war das erfolgreich. Und für den eindeutigen Fall von Mobbing haben sich die Chancen für eine angemessene Rechtsprechung verbessert. Nach dem „Erfurter Urteil“ von 2002 ist zum Beispiel das „Dresdener Urteil“ vom dortigen Arbeitsgericht im Jahr 2003 noch einen Schritt weiter gegangen: Der Arbeitgeber musste als Gesamtschuldner 4. 000 Euro wegen schwerer Persönlichkeitsverletzung zahlen, 22.000 Euro zum Ersatz für mobbingbedingte Geldeinbußen sowie Schadensersatz für künftige Geldeinbußen wegen mobbingbedingter Krankheit.
Das Dienstrecht der EKD macht mit seinen knappen und unklaren Formulierungen den jeweiligen Amtsträger in Konflikten schutzlos. Er wird Verwaltungsvorgängen ausgeliefert. Und Idealvorstellung scheint die konfliktfreie Gemeinde zu sein. Wird dies Ideal verfehlt, ist der Pfarrer jeweils schuldig und auszutauschen.
Die Paragraphen 79 und 80 des Pfarrerdienstgesetzes EKD schreien zumindest nach Ausführungsbestimmungen in den einzelnen Kirchen. Konflikte können auch anders und vor „Erhebungen“ und Verwaltungsakten gelöst werden. Extrem verbesserungsbedürftig sind jene Passagen, die sich mit dem Problem von Beziehungsstörungen in Kirchengemeinde oder Vorstand befassen.
Klare Verfahrensvorschriften fehlen – und sei es auch nur ansatzweise. Bei „nachhaltiger Störung“ gibt es Ankläger auf der Gemeindeebene oder in der kirchlichen Behörde. Aber es gibt keine Verteidiger, keine unabhängigen Richter, keine Möglichkeit der Revision. Gegenüber der Entscheidung des Kirchenamtes oder der entsprechenden Kirchenleitung bleibt nach diesem Gesetz nur der Gang zum kirchlichen Verwaltungsgericht. Dieses überprüft aber lediglich die Korrektheit des Verfahrensverlaufes, ob die Entscheidung der kirchlichen Obrigkeit formale Fehler aufweist. Ist das nicht der Fall, ist also alles formal dem Gesetz entsprechend verhandelt, ist der jeweilige Betroffene dieser Entscheidung hilflos ausgeliefert. Diese Formulierungen liefern Pfarrer dem Zusammenspiel von feindseligen Gemeindegliedern und Behörde aus. Es ist ein entscheidender Mangel dieses Paragraphen, dass er keinerlei Angaben zum Schutz einer Pfarrerin/eines Pfarrers enthält.
Vergleich mit der Ehe:
Man benutzt heute den Begriff der Zerrüttung anstelle des auch üblichen „ungedeihlich“. Nun ist „Zerrüttung“ bestens aus dem Eherecht bekannt. Ehen werden nach dem geltenden Recht geschieden, wenn sie „zerrüttet“ sind. Das wird durch Trennungszeiten für jedermann einsichtig und nachprüfbar. In der Ehefrage hat das „Zerrüttungsprinzip“ dazu geführt, dass ein Partner eine Ehe „einfach so“ aufgeben kann und der andere dem hilflos gegenübersteht.
Anders aber als bei der Beziehung zwischen Pfarrer und Gemeinde gibt es für den Bereich von Ehe und Familie eine ausgedehnte und kompetente Eheberatung für solche, die aus Problemen heraus wollen. Man kann folgern: Zerrüttung erfordert Beratung durch einen Pastoralpsychologen
Zerrüttung hat es wie jede andere Störung einer Beziehung mit Emotionen, mit Gefühlen zu tun. Und Gefühle sind veränderbar, wandelbar, mitunter höchst unbeständig. Psychologische und pastoralpsychologische Kompetenz nimmt eine Störung in einer Beziehung wahr, fragt aber zugleich nach den Einzelheiten dieser Störung.
Innerhalb einer zeitlichen Abfolge von Beratungskontakten verändern sich Gefühle. Eheberatung heißt manchmal nichts anderes als Menschen über eine schwierige Zeit bringen und ihnen Gelegenheit zum Gespräch zu geben. Bei einer Beziehungsstörung in einer Kirchengemeinde ist Ähnliches anzunehmen. Man muß nur von der Voraussetzung ausgehen, dass sich nicht Teufel gegenüberstehen, sondern daß es andere Aspekte gibt, die eine gegenseitige Achtung immer noch ermöglichen.
Die eigentliche Frage, die dringend einer Antwort bedarf, lautet: Kann man wirklich das Leben in der Gemeinde Jesu mit einer Ehe vergleichen? Darf in ihr, die der Leib Jesu Christi ist, so etwas wie ein „Zerrüttungsprinzip“ greifen? Müssen nicht alle Anstrengungen darauf gerichtet sein, die Zerstrittenen auf der Grundlage des gemeinsamen Glaubens an den gekreuzigten Herrn wieder zusammenzuführen, wie es der Apostel Paulus etwa in Korinth vormachte (vgl. 1. Kor 1,10 ff)?
Doch in dieser Hinsicht erleben wir seitens unserer bürokratisierten Kirchenleitungen und oft auch selbstherrlich agierenden Superintendenten so gut wie gar nichts. Es ist ja auch sehr viel einfacher, mit dem Schwert eines Paragraphen, der die Verantwortlichen jeder Mühe heilender Gespräche und unparteiischer Nachforschungen enthebt, gewaltsam dazwischen zu schlagen.
Das aus dem weltlichen Eherecht übernommene Zerrüttungsprinzip gehört nicht in die Kirche! Es widerspricht der biblischen Rede von der Gemeinde als dem Leib Jesu Christi sowie der ganzen reformatorischen Theologie. Und es zerstört nicht nur Pfarrerbiographien, sondern eben auch Gemeinden, die angeblich auf diesem Weg zu Einheit und Frieden gebracht werden.
Mobbing in der Kirche: Es gibt nur Verlierer
Mobbing ist ein hässliches Thema, überall, wo es auftaucht. Mobbing in der Kirche bekommt noch ein Adjektiv dazu: unglaublich. Denn dort wo innerhalb der Institution Kirche Mobbing benutzt, gefördert und bis zum bitteren Ende durchgeführt wird, stehen die nicht betroffenen Menschen vor einem Phänomen, das sie einfach nicht glauben. Sie wollen nicht glauben, dass es „das“ in der Kirche gibt. In der Wirtschaft, klar. Bei der Polizei, in Krankenhäusern, das hat man schon gehört. Na gut, in der Kirche menschelt es, warum soll es da anders zugehen? Ein Konflikt, einzelne Ausrutscher, ja, wo gibt es die nicht? Aber „Mobbing“ – innerhalb der Kirche, gar an Pfarrern oder Pfarrerinnen, nein, damit möchte man nichts zu tun haben. Das ist dummes Geschwätz. Leider nicht. Und es nutzt auch nichts, den Kopf in den Sand zu stecken. Ein Phänomen zu ignorieren, heißt nicht, dass es das nicht gibt.
Was ist Mobbing?
Eine der ersten Fragen ist immer: „Woran erkennt man Mobbing?“ Denn: Kann es nicht sein, dass jemand „Mobbing“ schreit, wo lediglich eine Meinungsverschiedenheit besteht und die betreffende Person damit nicht klarkommt? Schließlich ist Mobbing doch ein Modethema. Und: Hat es das nicht schon immer gegeben?
Als „Psychoterror am Arbeitsplatz“ hatte der Arbeitspsychologe und Professor für Arbeitswissenschaften in Schweden Heinz Leymann das Phänomen erstmalig für Europa in seinem 1993 erschienenen Buch „Mobbing“ bezeichnet. Mittlerweile ist er der „Klassiker“, auf dem die Bewusstseinsschritte in der Öffentlichkeit, Wirtschaft und Justiz aufbauen und der Dynamik entsprechend weiter entwickelt werden. Mobbing kommt von „mob“ (englisch) gleich „Volksmassen, Pöbelhaufen“, auch „Gesindel“ und Bande“, sowie „to mob“ gleich „zusammenrotten“ und „herfallen über“ (jemanden/ etwas).
Mobbing geschieht am Arbeitsplatz und kommt gegen Einzelne sowie gegen Gruppen vor, wird systematisch betrieben und linear. Die Häufigkeit und Qualität der Angriffe sind auf das Individuum abgestimmt. Die Angriffe zielen auf die Stabilität der Person, sollen diese zerstören. Da Kommunikation der wesentliche Bestandteil sozialer Beziehungen ist, zielt das Mobbing in erster Linie auf deren Zerstörung.
„Der Begriff Mobbing beschreibt negative kommunikative Handlungen, die gegen eine Person gerichtet sind (von einer oder mehreren anderen) und die über einen längeren Zeitraum hinaus vorkommen“, definiert Leymann. Die Merkmale sind Konfrontation, Belästigung, Nichtachtung der Persönlichkeit und Häufigkeit der Angriffe über einen längeren Zeitraum.
Das wiederum geschieht nach Leymann durch
- Angriffe auf die Möglichkeit, sich mitzuteilen,
- Angriffe auf die sozialen Beziehungen,
- Angriffe auf das soziale Ansehen,
- Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation,
- Angriffe auf die Gesundheit.
Auf diese Weise können auch Allerweltshandlungen, denen man mobbende Effekte gar nicht zutrauen sollte, einen Menschen zerbrechen. Sie machen ihn mürbe, erzeugen dauernde Angst. Nackte Existenzangst. Und diese ist gewollt. In dem sich aufbauenden System von Mobbing soll die Persönlichkeit weitestgehend zerstört werden. Methodisch nutzen die Betreibenden zum Ausbau ihrer Vernichtungsstrategie normale Schwächen und/oder „wunde Punkte“ der Persönlichkeit – solche sind bei jeder, bei jedem zu finden.
Sie suchen und provozieren Fehler, schikanieren, verleumden, verbreiten Lügen und Falschaussagen, sie verbreiten ehrenrührige Gerüchte, schneiden die Person vom Informationsfluss ab und setzen sie immer neuen und völlig unerwarteten Attacken in unregelmäßigen Abständen aus. Über Einflussnahme und Druck auf das personelle Umfeld durch Einschüchterung und andere Methoden wird der Betroffene isoliert. Eine Person, die keine Chance hat, mit ihren Argumenten aufgenommen zu werden, wird nach Leymann „ungehört hingerichtet“.
Mobbing ist also keineswegs ein bisschen Klatsch und Tratsch über eine dritte Person, die sich dann ärgert. „Mobbing ist kriminell und das Umfeld mafiös“, sagt der Münchner Rechtsanwalt Thomas Etzel. Die juristische Definition lautet folgendermaßen: „Der Begriff Mobbing erfasst fortgesetzte, aufeinander aufbauende oder ineinander übergreifende, der Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung dienende Verhaltensweisen, die nach ihrer Art und ihrem Ablauf im Regelfall einer übergeordneten, von der Rechtsordnung nicht gedeckten Zielsetzung förderlich sind und jedenfalls in ihrer Gesamtheit das allgemeine Persönlichkeitsrecht oder andere geschützte Rechte wie Gesundheit und Ehre verletzen“. Danach ist Mobbing eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das im Grundgesetz Art. 1 und 2 den Wert- und Achtungsanspruch des Menschen schützt.
Die Folgen von Mobbing beginnen mit Verunsicherung, Befindlichkeits- und Schlafstörungen sowie ersten Anzeichen von Angst vor dem Arbeitsplatz. Schleichend entwickeln sich ernsthafte Krankheitssymptome wie Herzrasen und Herzrhythmusstörungen, Kopf- und Magenschmerzen, Übelkeit, Durchfall und Erbrechen, Bewegungsschwäche in den Gliedern sowie Muskel- und Nervenschmerzen. Und dies alles weitet sich aus zu manifesten Krankheitsbildern. Das Selbstwertgefühl sackt auf einen Tiefpunkt, im schlimmsten Fall endet Mobbing mit Suizid.
Eine allgemein gültige Feststellung ist aber auch: Nicht nur der einzelne Mensch verliert seine Gesundheit und sein Grundrecht. Mobbing richtet auch erheblichen (volks-
) wirtschaftlichen Schaden an. Ganz zu schweigen von den immensen Kosten, die die Krankenkassen tragen müssen, anstatt diese bei den Tätern festmachen zu können. Denn eine weitere Erkenntnis ist: Mobbing ist ein Leitungsproblem. Mobbing kann rechtzeitig unterbunden werden. Die Vor-aussetzung dafür ist allerdings: Es muss gewollt werden. Der Hauptgrund dafür, dass Mobbing Menschen zu Grunde richtet, liegt in der Tatenlosigkeit des Umfeldes: im Wegsehen, im Geschehenlassen und dass niemand rechtzeitig eingreift.
Mobbing innerhalb der Kirche:
Immerhin beinhaltet der Arbeitsplatz Kirche, haupt- oder ehrenamtlich, bestimmte Erwartungen an einen Umgangsstil, der dem Reden vom christlichen Handeln entspricht. Nicht nur bei Betroffenen, sondern ganz genau so bei einer engagierten Öffentlichkeit und natürlich bei argwöhnisch beobachtenden Außenstehern.
Die Erfahrungen sind beschämend vor allem im Bereich der Pfarrerschaft und den leitenden Gremien und Personen. Man unterrichtet die Vorgesetzten oder/ und die Leitung bis hin zum Kirchenpräsidenten bzw. Bischof. Da kann niemand mehr sagen: „Das habe ich nicht gewusst“. Man will es gar nicht genau wissen und das Gehörte schon gar nicht glauben. So schützt die „Unglaublichkeit“ der Vorgänge die Mobbing Betreibenden. Man spricht nicht drüber. Doch wissentlich oder unwissentlich: Kommunikationsabbau ist Teil der Mobbingstrategie.
Im Konfliktfall allerdings offenbart sich zumindest bei Mobbing eine schwerwiegende mangelnde (Leitungs-) Professionalität. Dadurch sinkt mit dieser Erfahrung bei allen aktiven wie passiven Zuschauern - aber ganz besonders bei der betroffenen Person - das Vertrauen in die Institution ganz rapide. Und jedes Entsetzen über solche Vorgänge nagt auch am Glauben selbst – bis hin zur Entwurzelung.
Mobbing als Trittbrett für „Ungedeihlichkeit“.
Der Präzedenzfall des Pfarrers in Langen bei Frankfurt wird wie folgt dokumentiert. Hier waren über vierzig entscheidende Personen aktiv beteiligt, von der frühzeitigen Kenntnisnahme bis hin zur Versetzung des Pfarrers in den Wartestand. Ausgangspunkt war eine geringe Meinungsverschiedenheit eines Kirchenvorstehers mit dem Pfarrer über Hausmeisterangelegenheiten. Darauf haben sich einige Mitglieder des Kirchenvorstandes heimlich getroffen und eine illegale Tonbandaufnahme „ausgewertet“. Vorgesetzte griffen ein, eine Gemeindeversammlung wurde abgehalten, aber nie gesagt, was dem Pfarrer vorgeworfen wird. Das Ansehen der Kirche hat immens gelitten. Das passiert immer dort, wo die Macht die Leitungskompetenz ersetzt.
Wie kann man sich wehren?
Checkliste, was zu tun ist, wenn es nach Mobbing riecht. Hier die wichtigsten Punkte:
1.) Eine Rechtschutzversicherung abschließen, falls nicht vorhanden.
2.) Tagebuch über die Angriffe führen, mit Datum, Uhrzeit, Situation, Namen.
Das erleichtert den eigenen Durchblick und kann im Rechtsfall zum Nachweis nötig sein.
3.) Personen des Vertrauens von den Beobachtungen erzählen und mit ihnen darüber
sprechen.
4) Gespräche mit Vorgesetzten nicht unter vier Augen führen,
Gesprächsnotizen gegenseitig abzeichnen.
4.) Professionelle Hilfe suchen.
5.) Juristischen Rat einholen.
6.) Gutachten vom Arzt einholen.
7.) Öffentlichkeit herstellen.
Betroffene Personen brauchen Menschen an ihrer Seite, die sie unterstützen, ihnen beistehen, zu Schritten ermutigen und bereit sind, gegen das Unrecht anzukämpfen. Jedes Zeichen von Solidarität gibt Kraft.
Frieden in der Kirchengemeinde
Nicht nur die menschlichen Tragödien sind zu beklagen. Auch die theologischen Folgen dieser Rechtspraxis müssen gesehen und aufgearbeitet werden. Denn die erzwungenen Abberufungen und Versetzungen sowie die kirchlichen Gesetze, die eine solche Behandlung der eigenen Pfarrer ermöglichen, sind ja nicht ohne Theologie. Es ist nur eine andere Theologie; es ist vor allem eine andere Lehre von der Kirche (Ekklesiologie), die in den kirchlichen Gesetzen begegnet und die bei ihrer Anwendung zur Herrschaft kommt.
Ziel aller Maßnahmen ist es, „den Frieden in der Kirchengemeinde wiederherzustellen“. Eine Zerrüttung ist hingegen „jede eingetretene Störung des Gemeindefriedens“. „Ein störungsfreies, also fruchtbares Wirken des Pfarrers“ wird durch sie behindert. „Sinn und Zweck“ aller Maßnahmen ist es, „sicherzustellen, dass die Verantwortung für die Einheit der Gemeinde und der Kirche in Lehre und Leben wahrgenommen und der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit der Gemeindeglieder gefördert werden kann“.
Es geht also um den „Frieden“ und die „Einheit“ der christlichen Gemeinde. Doch welch ein „Friede“ und was für eine „Einheit“ sind gemeint? Ist es der Friede Jesu Christi, der sich da ausbreitet, wo sich zerstrittene Gemeindegruppen in die Einheit des Leibes Christi und unter sein Kreuz zurückrufen lassen, wie es der Apostel Paulus in der korinthischen Gemeinde (z.B. 1. Kor 1, 10 ff) tut? Steht der Friede im Blick, der nicht ohne Wahrheit, ohne Buße und Vergebung gefunden werden kann?
Nein! Wovon die kirchlichen Gesetze sprechen, ist die Störungsfreiheit. Und eine Gemeinde, in der es keine Konflikte gibt, ist das hohe Ziel. So ist auch der Weg in diesen „Frieden“ nicht der, den die Schrift und die Bekenntnisse weisen, sondern der in der Welt gängig ist. Wie eine zerrüttete Ehe geschieden wird, so kann und soll es auch in der kirchlichen Gemeinde zugehen. Es soll „reiner Tisch“ gemacht werden. Der Pfarrer oder die Pfarrerin sollen gehen, damit angeblich Alle neu anfangen können. Doch ist das ein Modell für die Gemeinde Christi? Dürfen ihre Konflikte so gelöst werden, dass ein einzelner Mensch zum Sündenbock erklärt und aus der Gemeinde entfernt wird?
Eine wegen Zerrüttung geschiedene Ehe ist zu Ende. Die Gemeinde aber bleibt und soll leben. Wie aber kann sie das, wenn ein Glied ausgesondert wird? Denn auch der Pfarrer und die Pfarrerin sind Glieder ihrer Gemeinden, wenn auch mit einem besonderen Auftrag! Wie kann die Gemeinde bestehen bleiben, wenn auch bei vielen anderen Gemeindegliedern tiefe Wunden zurückbleiben, weil sie das ihrem Pfarrer oder ihrer Pfarrerin angetane Unrecht miterlebten und selber angegriffen und verletzt wurden? Wird dann „Friede“ einkehren, wenn nichts zur Sprache kommt, nichts aufgearbeitet wird, wenn niemand die eigenen Worte und Taten, mit denen er andere verletzt oder sogar seelisch zerstört hat, bedauert und einsieht?
„Stellt euch nicht dieser Welt gleich“, beschwört der Apostel Paulus die römische Gemeinde, „sondern lasst euch umwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes!“ (Röm 12,2). Nicht dass es Konflikte in der Kirche gibt, ist das große Ärgernis, sondern wie eine Kirche mit ihren Konflikten umgeht, wollen viele Zeitgenossen mit brennendem Interesse wissen. Geht es in der Kirche auch nur zu wie in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen, wo Menschen degradiert, zu Schuldigen gemacht und ausgegrenzt werden und am Ende als Verlierer untergehen? Auf diese Fragen - die gerade auch von Menschen gestellt werden, die der christlichen Gemeinde fernstehen - geben unsere heutigen Kirchen mit ihren „Lösungen“ nur eine beschämende Antwort: „Ihr müsst den Menschen gefällig sein!“ Also „Friede“ ohne Selbsterkenntnis, ohne Umkehr und Vergebung.
Die stärkste theologische Verschiebung aber ergibt sich im Blick auf Stellung und Auftrag des geistlichen Amtes. Wurde noch in früheren agendarischen Formulierungen zur Amtseinführung eines Pfarrers oder einer Pfarrerin feierlich gefragt: „Bist du bereit, dein Amt in dieser Gemeinde ohne Menschenfurcht und Menschengefälligkeit gemäß deiner Ordination in der Nachfolge unseres Herrn gehorsam zu führen?“ Die heutigen Agenden zur Einführung eines Pfarrers oder einer Pfarrerin in eine Gemeinde kennen diese Frage nicht mehr. Der Pfarrer muß durchaus Menschenfurcht haben
Pastoralpsychologische Betrachtungen
Ganz versteckt - und für viele augenscheinlich nicht wichtig - hat das Pfarrerdienstgesetz ohne Not Pfarrer ungeschützt einer kirchlichen Obrigkeit ausgeliefert und zwar gerade dann, wenn es Probleme in der Gemeinde gibt und der Pfarrer Unterstützung braucht. Spannungen, Rivalitäten in Ortsgemeinden und Konflikte werden nach diesem Gesetz endgültig auf dem Rücken der Pfarrerschaft ausgetragen.
Dieses Gesetz atmet keine Fürsorge des Arbeitgebers gegenüber seinen Mitarbeitern, wenn Konflikte auftreten. Fast könnte man bei den §§79 und 80 des Pfarrerdienstgesetzes von Misstrauen gegenüber der Pfarrerschaft sprechen. Gerade der „Verkündigungsdienst“ und „Zeugendienst“ bleibt (nota bene!) innerhalb der Kirche ohne Schutz und lädt innerhalb der Kirche zum Angriff ein. Die Versuchung, „den Menschen gefällig zu sein“ (Gal. 1,10) steht vor der Tür. Paulus, Martin Luther, Pfarrer der Bekennenden Kirche haben sich ganz und gar nicht „bewährt“. Sie alle haben Unruhen und Spaltungen bewirkt. Selbs Jesus konnte den Konflikt mit den Pharisäern nicht lösen. Streit um die Wahrheit, Streit um die rechte Lehre, Streit um die rechte Gestalt der Kirche und das, was eigentlich ihr Auftrag ist, hat es in der Geschichte der Kirche immer wieder gegeben. Er muss auch heute geführt werden. Allein an der Tatsache, von Konflikten festzumachen, dass ein Prediger, und Seelsorger seine Gemeinde verlassen soll, ist – man kann es nicht anders sagen - praktizierte Irrlehre.
Konflikte sind zunächst nichts Böses. Schon das Neue Testament ist Zeuge dafür, dass Konflikte auch in einer christlichen Gemeinde denkbar sind und sich ereignen. Das gilt auch für Konflikte zwischen einem Pfarrer/einer Pfarrerin und Menschen in der Gemeinde. Gemeindekonflikte „fallen nicht vom Himmel“. Immer ist irgendjemand Auslöser, manchmal nur einer, manchmal zwei oder drei Menschen. Es gibt immer einen kleinen Anfang, der sich „wie ein Buschfeuer“ ausdehnt.
Ein Pfarrer wird zum „identifizierten Patienten“. Die Gemeinde oder ihr „Vertretungsorgan“ projizieren bzw. verlagern vorhandene Probleme auf ihn. Wenn Pfarrer Schutz, Begleitung und Seelsorge am nötigsten brauchen, begegnen sie nach diesem neuen Gesetz allenfalls „Erhebungen“.
Beratung:
Die Gesetzesformulierungen liefern Pfarrer dem Zusammenspiel von feindseligen Gemeindegliedern und Behörde aus. Konflikte zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertretungsorgan“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen. In Schwierigkeiten und bei Problemen ist es nicht die Aufgabe leitender kirchlicher Ämter, Kollegen zu verfolgen, sondern ihnen beizustehen, zu mahnen, zu trösten und zu helfen.
Eine Zerrüttung zwischen Pfarrer und Gemeinde oder „Vertretungsorgan“ ohne vorherige kompetente und geduldige Beratung und Supervision zu regeln, ist einer christlichen Gemeinde und Kirche nicht angemessen. Es mag Gesetzesparagraphen entsprechen, widerspricht aber der gesamten Botschaft des Neuen Testaments.
Eine erfolgreiche Arbeit benötigt etwa 20 Stunden. Auch eine Arbeit mit einem „Vertretungsorgan“ braucht seine Zeit. Und diese Arbeit braucht Liebe zur Kirche und Kompetenz. Für Kurzausbildungen ist an dieser Stelle kaum Platz.
Prinzipiell hilfreiches Beziehungsgefüge:
Die Gemeinde ist einmal eingebettet in den Kirchenkreis. Der Pfarrer gehört zu einem Konvent, der von einem Superintendenten geleitet wird. Hierbei weist die Bezeichnung „Superintendent“ noch auf eine besondere Funktion dieses ersten kirchenleitenden Amts hin, nämlich die Aufsicht über die Pfarrer. Aber die geistlichen Leiter von Kirchenkreisen sind „Pfarrer für die Pfarrer „(pastores pastorum). Sie haben die Aufgabe, Seelsorger der Seelsorger zu sein. Sie sind keine Verwaltungsbeamten!
Es ist gut, wenn vor Beschlüssen der Kirchenleitung der Kreiskirchenvorstand zu hören ist. Das ist insofern günstig, als aus der Nähe kundige Pfarrer und Abgeordnete ihr Votum abgeben können. Die tief in das persönliche Leben eingreifende Disziplinarmaßnahme findet nicht „hinter verschlossenen Türen“ statt. Sie wird öffentlich. Nicht unmittelbar Betroffene können sich dazu äußern.
In Schwierigkeiten und bei Problemen ist es nicht die Aufgabe leitender kirchlicher Ämter, Kolleginnen oder Kollegen zu verfolgen, sondern ihnen beizustehen, zu mahnen, zu trösten und zu helfen. In der Ausbildung von Seelsorgern gilt der Satz, dass nur der Seelsorge üben kann, der sie auch erfahren hat. Die Anhörung ist zunächst pflichtgemäße Ausübung von Seelsorge, auf die auch „Amtsträger“ einen Anspruch haben müssten.
Nun ist es natürlich so, dass Beziehungsstörungen zwei Partner brauchen. Möglicherweise trifft „Zerrüttung“ oder „Ungedeihlichkeit“ bestimmte Charaktere mehr als andere. Etwas „sperrige“, distanzierte Persönlichkeiten trifft dies Problem mehr als andere, die freundliche und nachgiebige Menschen sind. Aber gerade sie, die klaren Denker, aufmerksamen Zuhörer und gelehrten Prediger brauchen Schutz nach dem Grundsatz: „Sei nett zu den wenig netten Leuten, sie bauchen es am meisten.“ Das ist das Liebesgebot für den Alltag, auch den Alltag von Kirchenführern.
Positives Beispiel:
Konflikte in einer Kirchengemeinde sind v o r einem beruflichen Ende und auch ohne dieses lösbar. Ein Pfarrer beschreibt ein positives Beispiel: Ein Ältester machte plötzlich große Schwierigkeiten. Er beeinflusste die Stimmung im Vorstand gegen mich. Gesprächsweise teilte ich das dem Propst mit, auch die Überlegung, möglicherweise bald die Stelle zu wechseln. Daraufhin besuchte der Propst jenen Ältesten und sprach mit ihm über die Gemeinde und die Situation mit mir, dem jungen Pastor.
Er erzählte später, dass er etwa Folgendes gesagt habe: „Wenn ich zwischen einem Ältesten und einem Pastor zu wählen habe, dann wähle ich den Pastor!“ Von nun an konnte ich ruhig arbeiten. Es gab keine Herzlichkeit im Kirchenvorstand, aber Frieden. Dass mein Vorgesetzter sich für mich einsetzte, wirkte Auch zu jenem Ältesten gab es mit der Zeit eine vertrauensvolle Beziehung. Wir lernten uns kennen und schätzen.
Die Alternative:
Auf die Streichung des „Zerrüttungsparagraphen“ ist nicht zu hoffen. Deshalb wird hilfsweise folgendes Vorgehen bei Konflikten vorgeschlagen, die als nicht lösbar definiert werden:
Der Verein „David“
Der Verein „D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e. V.“ stellt sich der Aufgabe, das Mobbing in der evangelischen Kirche transparent zu machen, Menschen zu beraten, Fälle zu dokumentieren und je nach Absprache bei den Leitungen zu intervenieren. Sein Name ist das Programm: D. steht für Dokumentation, A. für Aufklärung, V. für Vertrauen, I. für Intervention und D. für Deeskalation.
„ David“ arbeitet ausnahmslos ehrenamtlich und bundesweit mit Schwerpunkt in der Landeskirche von Hessen und Nassau. Anfang März 2001 wurde der Verein aus aktuellen Anlässen in Wiesbaden gegründet. Seitdem haben sich in den 15 Jahren seines Bestehens die Erfahrungen mit Mobbing in der Kirche an über 400 Kontakten - mehr und weniger intensiv – angereichert. Darunter waren über 250 begleitete Fälle, während und nach einem Abberufungsverfahren. Darüber hinaus ist aber von einer noch höheren Dunkelziffer auszugehen, da in der Vergangenheit betroffene Pfarrpersonen sich nicht mehr äußern und die Türen fest hinter sich verschlossen haben.
Die betroffenen Personen sind Angestellte in den Verwaltungen, den Akademien, den Werken und Verbänden, in den gemeindeassoziierten Kindergärten oder Altenheimen, es sind Pfarrerinnen und Pfarrer und andere im Beamtenstatus tätige Personen im Kirchenapparat, es sind aber auch Ehrenamtliche, zum Beispiel Kirchenvorstandsmitglieder oder ehrenamtliche Gruppenleiter einer Gemeinde oder auch nur engagierte Gemeindeglieder. Mobbing kann jeden treffen.
Und manchmal, das kam im Verein auch vor, wird der Mobbing Betreibende selber ein von Mobbing Betroffener. Dieser Fall deckte unter anderem auf, dass Mobbing sich wie ein Bazillus in einer Abteilung, einer Einrichtung, in einer Gemeinde sowie in den betreffenden Landeskirchen niederlässt. In solchen Fällen wird Mobbing strategisch eingesetzt, um zu personalpolitischen Zielen zu kommen. Auffallend ist auch, dass die Kontakte zu „David“ aus bestimmten Landeskirchen besonders häufig gesucht werden, während andere Landeskirchen immer wieder auftauchen und dann gebietsweise, und dass sechs Landeskirchen bei „David“. bislang nicht vorkommen.
Deutlich angestiegen war die Zahl, nachdem sehr viele junge Theologen und Theologinnen in die Pfarrämter drängten. Besonders übermäßig exzessiv machte die Kirche im Rheinland vom Mittel der Abberufungen Gebrauch. Allein in den letzten zwei Jahrzehnten sind im Rheinland etwa 120 (!!) Pfarrerinnen und Pfarrer in den Wartestand geraten, wenn auch nicht alle wegen „ungedeihlichen Wirkens“, so doch sehr viele von ihnen. Anderen wurde mit Nachdruck empfohlen, vor einer Abberufung in den Ruhestand zu gehen. Ab 2008 bemühte sich diese Kirche, viele wieder zu reaktivieren, was für die Betroffenen mit demütigenden Ausleseverfahren verbunden war. Wer sich verweigerte oder das Ausleseverfahren nicht bestand, wurde in den Ruhestand abgeschoben.
Wer mit „David“ Kontakt aufnimmt und um Beratung bittet, bekommt einen Fragebogen zur Einschätzung der Situation. Das ist für beide Teile ein wichtiger Einstieg. Wie alle Gespräche, Beratungen, Post usw. wird auch dieser absolut vertraulich behandelt. Der Verein ist klein und nur die Vorstandmitglieder tauschen sich über eingegangene Fälle aus. Öffentlichkeit wird ausschließlich im Konsens mit dem Betroffenen hergestellt.
Man hat neben dem jährlichen Mitgliedsbeitrag von 60 Euro einen Hilfsfonds eingerichtet. Daraus werden je nach Finanzlage Gänge vor Gerichte unterstützt, von denen sich nicht nur die betroffenen Personen einen Durchbruch erhoffen, sondern die von prinzipieller Bedeutung sein können.
Der gemeinnützige Verein „David, gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e. V.“ hat einen Appell an die Theologischen Fakultäten gerichtet und auf die Ausführungen von Frau Professorin Kittel verwiesen und darum gebeten, diese den Studenten bekannt zu machen. Gleichzeitig richtete er mit diesem Text eine Warnung an alle Studierenden der Evangelischen Theologie, sofern sie sich auf das Pfarramt vorbereiten. Im Begleitschreiben heißt es:
„Erheben Sie bitte Ihre Stimme für die jetzt und künftig zum Verstummen gebrachten und im Stich gelassenen Gemeindepfarrer/innen und viele Gemeindemitglieder! Erheben Sie Ihre Stimme bitte auch gegen die unheilvolle theologische Entwicklung in den evangelischen Landeskirchen!“
In einem exemplarischen Fall von Mobbing an einem Pfarrer durch Teile seines Kirchenvorstandes mit Billigung und Bekräftigung des Dekans, der Pröpstin und schließlich der Kirchenleitung hat“ David“ einen Auszug aus der Dokumentation auch an die Mitglieder der betreffenden Kirchensynode geschickt.
Eine der Rückmeldungen von zwölf Prozent brachte den offensichtlichen Zwiespalt auf den Punkt: „Es ist sehr ehrenwert, dass Sie sich um Mobbing kümmern und ich bin auch dagegen, aber bitte nehmen Sie in Zukunft Abstand von solchen Informationen“.
„D.A.V.I.D. gegen Mobbing in der evangelischen Kirche e. V.“: Vorsitzende: Ingrid Ullmann, Brabandter Straße 12, 65191 Wiesbaden, E-mail: „Ingrid-Ullmann@gmx.de“.
Internet: www.david-uwd.de.
Aufklärung für die Theologiestudenten
Diese Regelung im Gesetz der EFD sollte man den Theologiestudenten mitteilen, ehe sie das Studium beginnen. Vorschläge, wie die Kirche mit tiefgreifenden Konflikten in einer Gemeinde auch anders, dem Evangelium gemäßer, umgehen kann, sind vielfach gemacht worden (Artikel werden im Internet aufgezählt).
Unter der Überschrift „Wie Bewährung im Pfarramt heute gemessen wird“ hat Professorin i.R. Dr. Gisela Kittel einen Appell an die Theologischen Fakultäten verfaßt und auch eine Warnung an alle Studierenden der Evangelischen Theologie, sofern sie sich auf das Pfarramt vorbereiten.
Frau Kittel schreibt: „Mein Appell richtet sich an die Lehrenden in den Theologischen Fakultäten. Gehen Sie nicht gleichgültig an dem vorüber, was an der Basis der Kirchen heute geschieht! Prüfen Sie, ob das, was Sie Ihren Studierenden an Kenntnis und theologischer Einsicht mitzugeben versuchen, in der Praxis der Kirchen noch Gültigkeit hat! Und sprechen Sie die Leitenden Geistlichen Ihrer Landeskirchen auf diese Probleme an!“
Man kann heutigen jungen Theologen nur ans Herz legen:
Nein, nicht ihre Verkündigung, nicht ihre Seelsorge, nicht ihre Treue zum Wort Gottes und den ihnen anvertrauten Gemeindegliedern machen heutzutage die „Gedeihlichkeit“ des Wirkens evangelischer Pfarrer und Pfarrerinnen aus. Nicht daran entscheidet sich die Bewährung oder Nichtbewährung in ihrem Dienst. Es geht darum, ob jemand seine Gemeinde störungsfrei halten kann oder ob es aus irgendeinem Grund und von irgendeiner Seite zu einer Konfliktsituation kommt, die ein Pfarrer oder eine Pfarrerin, da ganz schnell selber zur Zielscheibe geworden, allein nicht mehr lösen kann.
Frau Professor Kittel richtet eine Warnung an die Studierenden: „Sie betreten einen rechtsfreien Raum!“ Ihre Warnung richtet sich an die Studierenden der Evangelischen Theologie. Haben Sie vor, Pfarrer oder Pfarrerin in einer deutschen Landeskirche zu werden, müssen Sie wissen, Sie betreten einen rechtsfreien Raum. „Rechtsfrei“ nicht deshalb, weil er ohne Gesetze ist, sondern weil es für Sie als Pfarrer und Pfarrerinnen nahezu keine Rechte gibt.
Sie werden als Gemeindepfarrer und Gemeindepfarrerinnen in vorderster Stellung der Kritik, Beobachtung und Beurteilung von Menschen ausgesetzt sein. Und nicht alle meinen es gut mit Ihnen, auch nicht jene, die Sie - nach längerer Überredung - etwa für ein Kirchenältesten-Amt gewinnen konnten. Wer aber für den Kirchengemeinderat kandidiert, sollte die Rechte und Pflichten ernst nehmen.
Gewöhnlich laufen die Mobbing-Geschichten nach einem ähnlichen Schema. Die Anlässe, warum sich plötzlich einzelne Kirchenälteste von Ihnen abwenden, warum sich eine Gemeindegruppe, eine Kollegin oder ein Mitarbeiter gegen Sie stellen, mögen verschieden sein. Doch dann geht es nach einem sehr ähnlichen Schema weiter, das an rund 300 von „David“ gesammelten Beispielen wahrzunehmen ist:
Dies ist ein höllisches Szenarium, das niemand für möglich hält. Doch durch dieses Szenarium sind bereits Hunderte Amtskollegen gegangen. Und es gehen auch heute Pfarrer und Pfarrerinnen hindurch: in Eitorf (Rheinland), in Manker-Temnitztal (Brandenburg), in München (Bayern), in Graupa-Liebenthal (Sachsen), Langen (Hessen), in Großenbehringen (Thüringen), um nur einige der jüngeren Beispiele zu nennen. Die Dunkelziffer ist sicher beträchtlich höher, denn viele Pfarrer gehen freiwillig, damit sie sich nicht einem unwürdigen Verfahren unterziehen müssen.
Für katholische Priester gilt das Gleiche: Wer heute katholischer Pfarrer werden will, braucht mehr als einen festen Glauben: Er sollte auch flexibel sein. Denn anders als früher können viele Priester von einem Tag auf den anderen versetzt werden, ohne dass der Bischof einen Grund angeben müsste. Wie Leiharbeiter.
Es ist die Nachtseite der Evangelischen Kirche, die hier sichtbar wird, ihre unbekannte Seite, die sich da auftut, wo das Gesetz von der Ungedeihlichkeit des Wirkens mit seinen die evangelische Kirche und ihre Gemeinden vergiftenden Wirkungen zur Anwendung kommt. Bisher waren sie nur denjenigen bekannt, die diese Nacht durchschreiten mussten. Damit sie öffentlich werden, sind sie hier beschrieben. Für diesen Fall sei die Home-Page des Vereins D.A.V.I.D. noch einmal genannt. Hier findet sich auch eine Liste mit 10 Punkten, die raten, was Pfarrer und Pfarrerinnen beim Erleben beginnenden Mobbings tun können.
Sie mögen nun entscheiden, ob Sie sich in den Dienst einer solchen Kirche stellen wollen. Wenn Sie es tun und Ihnen keine Konflikte der beschriebenen Art widerfahren, dann rühmen Sie sich nicht, sondern seien Sie dankbar. Eine Abberufung wegen einer inszenierten nachhaltigen Störung kann jeden und jede treffen, vor allem jeden guten Theologen, jeden, der Profil zeigt. Und seien Sie solidarisch miteinander! Stehen Sie denjenigen bei, die die oben beschriebenen Mobbingerfahrungen machen und sich gegen ihre Abberufung wehren. Die Bibel gibt Zeugnis: Gott spricht am Ende den Protestierer Hiob gerecht und nicht den falschen Freunden.