Das Alte Testament

 

Wenn man die Bibel aufschlägt, trifft man zunächst auf die Geschichte von Adam und Eva. Dann ist man schon versucht, das Buch wieder hinzulegen, weil die Geschichte so naiv und unwahrscheinlich klingt. Deshalb ist es sinnvoller, zunächst einmal mit dem Neuen Testament zu beginnen (so wie ich das auf meiner Webseite unter „Bibel für Einsteiger“ gemacht habe in „www. peterheckert.de“).

Aber auch beim Alten Testament fängt man vielleicht besser nicht bei der Entstehung der Welt an, sondern bei der Entstehung des Volkes Israel, also bei dem Buch Josua. Israel wurde erst zu einem Volk mit dem „Landtag zu Sichem“ (Josua 24). Hier traf sich die kleine Gruppe, die aus Ägypten ausgezogen war, die das Wunder am Meer erlebt hatte und am Berg Sinai den Bund mit Gott geschlossen hatte, mit den anderen Stämmen, die eher aus dem Ostjordanland eingewandert waren. Erst hier schlossen sich alle zwölf Stämme dem Glauben an den Gott Jahwe vom Sinai an. Erst jetzt wurden zum „Volk Israel“, indem sie den Bund vom Sinai bestätigten und auf das neu gebildete Volk übertrugen. Vielleicht erfolgte auch erst in Sichem der eigentliche Bundesschluß, der dann in einem späteren Zeitraum an den Sinai zurückverlegt wurde.

Erst als das Volk längst im Lande ansässig geworden war, als es eine feste Staatsstruktur hatte und nachher sogar einen König, da hat man sich Gedanken gemacht darüber, was denn vorausgegangen ist. Da waren die Geschichten hilfreich, die seit undenklichen Zeiten im Volk erzählt wurden. Die hat man dann gesammelt und in eine zeitliche Abfolge gebracht und mit den bisherigen Glaubensinhalten verbunden. Dennoch sollen die einzelnen Abschnitte jetzt auch so dargestellt werden, wie sie heute in der Bibel vorliegen.

 

 

Fachworterklärung:

Jahwist: Quellenschrift in den Mosebüchern, die den Gottesnamen „Jahwe“ benutzt

Elohist : Quellenschrift in den Mosebüchern, die den Gottesnamen „El“ benutzt

Deuteronomium: Fünftes Mosebuch (wörtlich: zweites Gesetz)

Deuteromist: Eine Schule judäischer Theologen; vor allem gehörte der Verfasser des Deuteronomiums (5. Mosebuch) dazu. Außerdem gibt es den deutero­nomistischen Bearbeiter (Redaktor), der die Bücher 1. Mose bis 2. Könige und auch Jeremia bearbeitete und so das „Deuteronomistische Geschichtswerk“ schuf

Pentateuch:     Die fünf Bücher Mose                                                                                 

Redaktion:      Letzte Überarbeitung eines biblischen Buches durch einen Späteren. Sekundär:               Erst nachträgliche Überarbeitung durch einen anderen Bearbeiter.

 

 

 

Religiöse Themen in Zeitschriften

In dem Magazin „Der Spiegel“ erschien in der Weihnachtsausgabe 2002 (Nummer 52) ein Artikel über die angebliche Entstehung des Jahweglaubens (Eine Zusammenfassung findet sich weiter unten). Hier hat wieder einmal ein Journalist einen Schnellschuß abgefeuert, in dem er schnell einige Bücher auswertete. Dafür sucht man sich vorzugsweise weniger bekannte Autoren, die aber gerade deshalb Aufsehen erregen müssen, weil sie unbekannt sind.

Da die ernsthafte theologische Forschung alles schon ziemlich abgegrast hat, muß man zu abgelegenen Themen und zu spitzen Behauptungen greifen. Vorzugsweise dient dann die Archäologie dazu, die Aussagen der Bibel als „Lügen“ zu entlarven. Denn das ist immer die Stoßrichtung dieser Journalisten: Den christlichen Glauben ins Wanken zu bringen. Und immer wird angedeutet: „Ich bringe euch jetzt ganz große Neuigkeiten, die euch die Kirche bisher immer vorenthalten hat. Da gibt es so eine Verschwörung, die euch von der Wahrheit fernhalten will!“

Dabei sind die „Neuigkeiten“ in der Theologie längst bekannt. Seit über 200 Jahren wird die historisch-kritische Methode auf die Bibel angewandt. Für die Ergebnisse der Archäologie ist man dankbar, weil sie die biblischen Texte ergänzen oder anschaulicher machen. Aber man sagt doch: „Der Bibel geht es nicht um Archäologie, sondern um den Glauben. Es kommt nicht darauf an, daß sich alle Aussagen wissenschaftlich beweisen lassen, sondern was sie über den Glauben aussagen wollen.“

Die kritische Theologie hat längst erkannt, daß die biblischen Schriftsteller selbst das ärmlichste Geschehen in das bunteste Licht getaucht haben. Die Geschichte vom Aufstieg des Königs David und seiner Thronnachfolge ist natürlich von Hofberichterstattern geschrieben worden, die das Königtum in den Himmel gehoben haben. Aber wenn man all diese Übertreibungen abzieht, dann findet man doch die Glaubensaussagen.

Man wußte längst, daß Jerusalem nicht mehr war als ein bronzezeitliches Dorf mit kaum 2.000 Einwohnern. Ein Haus war zum Beispiel nur 16 Quadratmeter groß und besaß weder Küche noch Fenster. Gekocht wurde draußen. Daneben liegt eine Steinplatte mit einem Loch, die Toilette. So wird es heute in der „Davidsstadt“ ausgegraben. Dort gab es kein „Silber so häufig wie Steine“, wie es in 1. Könige, Kapitel 10, steht.

 

Gern beruft man sich dabei auf den amerikanischen Archäologen Israel Finkelstein, Chef-Ausgräber an der Universität Tel Aviv. In seinem Buch „.Keine Posaunen von Jericho“ will er beweisen, daß Kerntexte der Bibel „unwahr“ sind: Ein Auszug jüdischer Stämme aus Ägypten habe nie stattgefunden, Kanaan wurde nicht gewaltsam erobert und die Ur-Reiche von David und Salomo seien ein Trug, weil die israelitischen Könige nur über „unbedeutende Teile von Randregionen“ herrschten. Die theologische Forschung stimmt ihm da weitgehend zu (den Auszug aus Ägypten haben allerdings einige Gruppen des späteren Volkes Israel mitgemacht). Aber wenn man sich zu sehr in diese archäologischen Fragen verbeißt, übersieht man die Glaubensaussagen, die nicht von der Geschichte abhängen.

Andere Ausgräber haben nachweisen wollen, daß die ägyptischen Plagen kurz hinterinander tatsächlich so auftraten. In Amarna hat man eine Stele aus dem 14. Jarhundert vCh gefunden, die zwei der Plagen schildert. Sie werden zurückgeführt auf auf einen Ausbruch des Vulkans auf der griechischen Insel Santorin um das Jahr 1600 vCh: Die rote Asche hätte den Nil rot gefäbt und die Fische vergiftet. Die Frösche hätten sich an Land geretet, wären aber vertrocknet. auf den Kadavern hätten sich Maden gebildet, usw. Selbst der Tod der Erstgeborenen solldamit erklärt werden: Weilman den Erstgeborenen immer zuerst etwas zu essen gegeben hat, sind diese an vom Vulkanstaub vergifteten Speisen gestorben.

Es mag ja sein, daß es diese Plagen wirklich kurz hintereinander vorkamen. Aber daß sie mit dem Auszug der Hebräer aus Ägypten zu tun haben, ist einfach eine literarische Verknüpfung. Man hatte gehört, daß es in Ägypten hin und wieder Plagen gibt, Diese Tatsache benutze man, um den Auszug aus Ägypten dramatischer zu gestalten. Dieser Auszug wird übrigens erst um das Jahr 1300 vCh angesetzt.

 

Auch die Entwicklung des Monotheismus verlief weitgehend so, wie es der Spiegel-Artikel schildert. Das kann man bei genauem Hinsehen aus den biblischen Texten selbst ersehen, es kann keine Rede davon sein, daß diese Entwicklung „völlig anders, als die Heilige Schrift glauben machen will“ verlief. Reißerisch ist natürlich die Formulierung: „Auch der Herrgott hat mal klein angefangen!“ Anfangs sei Jahwe nur ein Wettergott gewesen und ein Garant der Fruchtbarkeit (Niehr: „Der Wettergott Baal wurde in vielen lokalen Varianten verehrt. Eine davon ist Jahwe“).

Doch dabei verkennt man völlig, daß Jahwe kein kanaanäischer Lokalgott war, sondern vom Sinai kam. Und man sieht nicht, daß der Jahweglaube sich erst nach langen Kämpfen gegen die anderen Religionen durchsetzen mußte. Die Israeliten mußten erst erkennen - nach Anleitung durch Priester und Propheten - daß der Gott vom Sinai auch für das Wetter und die Fruchtbarkeit der Felder zuständig war. Man wußte nicht von Anfang an, daß Gott „ jenseits der Zeit steht - ein Wesen, das nie geboren wurde und nie sterben wird“. Der Glaube hat eine lange und mühsame Entwicklung durchgemacht.

Viele Forscher gehen davon aus, daß sich damals in Kanaan tatsächlich eine „Jahwe-Allein-Bewegung“ formierte. Aber man kann nicht sagen, deren Anhänger wären noch „randständige Außenseiter“)gewesen, die erst langsam an Einfluß  gewannen (Kinet).

Natürlich hat man im Heiligen Land auch Götzen aus Ton und Metall entdeckt, auch kleine Tonfiguren mit drallen Brüsten. Es gab sicher Tempelprostitution, aber warum auch im Jerusalemer Tempel? Natürlich besaß der kanaanäische Gott „Baal“ auch ursprüng­lich eine nackte Begleiterin, aber doch nicht der Gott Israels. Die Abschaffung der Vielgötterei zog sich angeblich viel länger hin als bisher bekannt. Noch um 600 vCh lebte die Bevölkerung von Juda polytheistisch wie ihre Nachbarn. „Es gab keine Unterschiede zwischen ihrer Religion und den umliegenden Kulturen“, erklärt der Tübinger Alttestamentler Herbert Niehr.

Heidelberger Professor Bernd Jörg Diebner sagt: Keine zehn Kilometer von Jerusalem entfernt seien am Heiligtum „Nebi Samuel“ (Prophet Samuel) noch in hellenistischer Zeit heidnische Regentänze aufgeführt worden und hätten den Himmel um Regen angerufen und andere „bedeutende religiöse Rituale“ vollzogen. Noch im „2. Jahrhundert vor Christus“ sei der Platz in Gebrauch gewesen

Für Diebner ist die Bibel das Ergebnis eines Machtgerangels um die religiöse Federführung - ein kulturpolitischer Kriminalfall, angeführt vom Hohepriester in Jerusalem, der historische Fakten umschrieb und „seine eigenen Großmachtträume in die Vergangenheit projizierte“.

Daß noch um 100 vor Christus die Bauern der Gegend heidnischen Ritualen anhingen, mag für andere Völker zutreffen, nicht für Israel. Diese Funde sind Zeugnisse anderer Religionen, nicht des Jahweglaubens, obwohl es in der Volksfrömmigkeit sicherlich immer wieder zu Vermischungen kam. Auch bei uns heute gibt es noch altertümlichen Aberglauben. Aber das kann man damals wie heute nicht der eigentlichen Religion anrechnen.

 

Man kann auch nicht sagen, daß Gott sich aus dem heidnischen „El“ entwickelte oder gar aus den „Elohim“ (der Pluralform von El), wie man sie in der Stadt Ugarit gefunden hat. Es gab keine „ metaphysische Baustelle, auf der diese Macht Schritt für Schritt erschaffen wurde“.

Der Religionsforscher Niehr ist sicher: „Im Tempel von Jerusalem stand damals noch ein Kultbild des Gottes.“ Ganz mit Gold überzogen, stumm im Allerheiligsten stehend und bewacht von den Kerubim - so mag man sich die Figur vorstellen. Das Besondere ist aber gerade, daß dort keine Figur stand, selbst in dem illegalen Tempel von Bethel nicht. Im Allerheiligsten standen im Zwielicht zwei mit Gold überzogene Kerubim: geflügelte Löwen mit menschlichem Gesicht, die den Thron Jahwes bewachten. Dieser war leer. Dies gilt als Pionierleistung der jüdischen Theologie. Während alle Welt noch Götzen verehrte, erließen die Juden ein Bilderverbot und stießen ins Reich des Universellen vor.

Aber auch diese Gottesvorstellung hat man woanders aus gefunden, nämlich in Persien: Auch der Hauptgott der Perser war ein Wesen ohne Gestalt. Altäre baute dieses Volk nicht. Sie stellten sie sich die Götter nicht wie die Griechen als menschenähnliche Wesen vor. So gesehen kann man zu vielen Einzelheiten des christlichen Glaubens in anderen Religionen noch Parallelen finden. Aber das bedeutet ja nicht, daß man den Glauben aus allen möglichen Einzelstücken anderer Religionen zusammengesetzt habe.

Völlig daneben ist die Ansicht, der Glaube an einen Gott („Monotheismus“) sei erst entstanden, als die letzten Juden in Jerusalem dem Druck Babylonier ausgesetzt waren: Aus tiefster Not und eingequetscht von den Supermächten Ägypten und Babylonien habe sich das kleine Juda zur Offensive entschlossen und Rettung gesucht. Weil es aber kaum Militär hatte, wehrte es sich mit Metaphysik: Bis dahin war Jahwe offenbar nur ein Donnergötze, verehrt als Stadtgott Jerusalems auf dem Berg Zion. Nun wurde er zu einer universalen Macht.

Völlige Phantasie ist die Behauptung, sogar im Tempel von Jerusalem müsse damals ein Kultbaum der Aschera gestanden haben: Ein kleiner Granatapfel aus Elfenbein aus dem siebten vorchristlichen Jahrhundert mit der Aufschrift „heiliger Priesterbesitz aus dem Tempel Jahwes“ wurde gefunden. Er habe den Rocksaum des Hohepriesters geziert, sei aber Symbol der Aschera-Göttin.

 

Angeblich ist man jetzt nach 2000 Jahren „an die Wurzeln des Alten Testaments vorgedrungen - allerdings mit der Axt. Immer deutlicher wird, daß Gottes Wort voller Mogeleien steckt. Eine Gruppe von Fälschern, „Deuteronomisten“ genannt, habe die Realgeschichte umgebür­stet: Sie verzerrten die Wirklichkeit, schafften unbequeme Fakten beiseite und erfanden die Geschichte vom „Gelobten Land“. Die biblische Zensurbehörde sei geschickt vorgegangen. Wie Mehltau liegt ihre Version der Zeitläufe auf der Geschichte. Im Prinzip arbeitete sie so perfekt wie das Wahrheitsministerium von George Orwell!

Angeblich habe die Tempelzensur nur ganz selten verräterische Stellen übersehen: In Psalm 68 wird Gott „Wolkenfahrer“ genannt, und diesen Namen trug auch der heidnische Wettergötze Baal. Aber abgesehen davon, daß e sich hier um ein ganz allgemeines Bild handelt, sind solche Stellung gerade polemisch gegen Baal gewandt: Jahwe ist der Wolkenfahrer - nicht Baal. Richtig ist aber, daß die Überarbeitung der Deuteronomisten am Tempel von Jerusalem erfolgte; aber diese hatte nur die Absicht, die fremden Elemente auszuscheiden.

 

Ganz daneben ist, wie „die Frage nach Alter und Erscheinungsdatum der Heiligen Schrift“ in dem Artikel dargestellt wird: Die Traditionalisten behaupten, die Haupttexte der Bibel seien etwa ab 1000 vCh entstanden, die Gemäßigten tippen auf 600 vCh und die „Minimalisten“ halten das Alte Testament für ein „hellenistisches Werk“, es sei in der Substanz erst nach 330 vCh - und damit nach dem Tod der griechischen Philosophen Sokrates und Platon - verfaßt worden. Und das Sehnsuchtsmotiv vom ,,verheißenen Land“ hätten die Israeliten erst in der Gefangenschaft entwickelt - gerade weil sie keines mehr besaßen.

Die Vorgeschichte vom Erzvater Abraham sei erst zur Zeit der Makkabäer entstanden, denn dessen mit realen Ortsnamen gespickte Wanderung durch Kanaan umfaßt etwa jenes Gebiet, auf das die Makkabäer Anspruch erhoben. Und auch die Erzählungen von der Landnahme Kanaans, in der Gott dem auserwählten Volk befiehlt, die ansässige Urbevölkerung „auszutilgen“, paßt viel besser in die Zeit der Makkabäer, die in schwere Geländekämpfe verstrickt waren. Dabei ist doch klar, daß die Bibel eine Bibliothek mit Werken aus verschiedenen Jahrhunderten ist und es gar kein „Entstehungsdatum“ geben kann. .

 

Billig ist es natürlich, wenn man darauf hinweist, daß Abraham ständig auf Kamelen herumreitet, obwohl diese Tiere erst nach 1000 vCh als Lastenträger zum Einsatz kamen, oder daß die Brüder Josefs ihr Getreide mit Metallgeld bezahlen (in 1. Mose, 42), die ältesten Münzen aber erst im 7. Jahrhundert erfunden wurden. Die Geschichten wurden doch erst später schriftlich niedergelegt, nach den Vorstellungen der damaligen Zeit.

Natürlich sind die fünf Bücher Mose keine Primärquelle aus der Bronzezeit. Aber man kann doch nicht sagen, schriftkundige „Fälscher“ hätten ihnen nur eine „künstliche Patina“ verpaßt, oder Mose sei nur eine Fabelfigur gewesen, die um 950 vCh von Hofschreiber im Palast von König David erfunden wurde.

 

Daß die Besiedlung Kanaans in Wahrheit friedlich und langsam verlief, ist schon lange vor Finkelstein erkannt worden. Auch daß die Mauern von Jericho nicht durch den Schall der Posaunen umgefallen sind. Auch die Theologie lehrt längst, daß um 1200 vCh semitische Hirtenstämme von der Wüste aus ins westjordanische Bergland einsickerten und dort seßhaft wurden. Es waren Leute, die auf Holzpritschen schliefen und kein Schweinefleisch aßen. Ihre Häuser hatten Platz für vier bis fünf Personen.

Der Norden der Region bis hoch zum See Genezareth bot den Neusiedlern einige Annehmlichkeiten. Zwischen den sanften Hügeln zogen sie Wein und Oliven. Weiter südlich, zwischen Jerusalem und Hebron, ging es karger zu. In zerklüfteten Schluchten wuchsen stachelige Sträucher, die Wasserlöcher waren knapp. Insgesamt lebten um 1000 vCh in den Bergen von Kanaan nur rund 50.000 Menschen. Der Süden war besonders ungastlich und extrem dünn besiedelt.

Zudem gab es ständig Ärger mit den Nachbarn. Edomiter und Moabiter lebten in der Nähe. Zur Küste hin, in der fruchtbaren Küstenebene, hatten sich die - vielleicht von Kreta stammenden - Philister in riesigen Städten breit gemacht. Weiter nördlich siedelten Phönizier, umtriebige Seehändler, die Kinder opferten. Uneingeschränkter Chef im Land aber war der Pharao. Er beutete die Kupferminen des Landes aus. Um 1250 vCh ließ Ramses II. eine Kette von Burgen und Wasserstellen quer durch das Land errichten, den „Horusweg“- Ausfallstraße für die Nil-Armeen.

 

Immerhin wird anerkannt, daß einige Teile der Bibel fast an ein Lexikon der Realgeschichte erinnern. Harte Fakten liefern zum Beispiel die „Bücher der Könige“: Sie berichten über die Zeit von etwa 1000 bis 587 vCh, als das angebliche Reich des Salomo zerbrach und sich zwei Teilstaaten bildeten - Israel und Juda. Haarklein erzählen die Autoren über Kanalarbeiten, Steuererlasse und Kriege in diesen Zwillingsstaaten. Insgesamt 42 Könige werden unter Angabe ihrer Regierungszeiten genannt.

Wurden hier etwa alte Chroniken und Herrscherlisten benutzt? Insgesamt fünf der biblischen Ur-Könige tauchen auch in mesopotamischen Keilschriftarchiven namentlich auf. Im Jahr 1207 vCh wird ein Stamm Israel auf einer Stele von Pharao Mer­neph­tah genannt (nach einer Strafaktion heiß es barsch: „Dein Same, Israel, ist dahin“). Eine 1993 im „Tell Dan“ in Nordisrael gefundene Stele nennt das „Haus David“ (Der Stammvater lebte also womöglich wirklich - wenn auch nur als „Duodezfürst eines Stadtstaates“). Die Archäologie hat also doch einigen Nutzen.

 

Den Anschub für das „Projekt Jahwe“ soll dabei König Josia (639 bis 609 vCh) gegeben haben. Die Bibel feiert ihn als Mann, der gekommen war, um die Spuren fremder Verehrung auszumerzen und das Volk Israel durch das genaue Befolgen des Gesetzes zur Erlösung zu führen. Er habe aber seine Priester aufgerufen, einen religiösen Beschützer zu erfinden und das „nationale Epos“ vom verheißenen Land zu schreiben. Zuerst galt es, das Selbstwertgefühl der Nation zu stärken und die drohende Überfremdung abzuwehren. Also setzten die Tempelleute auf Abschottung, sie wollten eine „ethnische Abgrenzung“ (Finkelstein).

Es stimmt schon, daß das 5. Buch Mose (das „Deuteronomium“) das Ergebnis von Josias Kultreform widerspiegelt. Aber es war doch nicht so, daß die Zion-Priester das Glaubensmonopol anstrebten und vor allem ihre Kollegen im assyrisch unterjochten Bruderstaat Israel mit ihrem Tempel auf dem Berg Garizim aushebeln wollten.

 

(Ab hier der Text aus dem „Spiegel“:

Darf man dem Propheten Samuel glauben, so begann der biblische König David seine Laufbahn als Hirtenjunge. Er war blond, von „schöner Gestalt“ und spielte süß die Harfe. Als junger Held tötete er mit der Steinschleuder den riesenhaften Philister Goliath. Dann, angeblich um 997 vCh warf er seine Armee gegen Jerusalem. Seitenlang feiert das Alte Testament den Mann als Auserwählten und Gesalbten des Herrn. 40 Jahre lang saß der Gründer der jüdischen Nation auf dem Thron, ehe er als Inhaber eines Reichs verblich, das vom Euphrat bis zum Mittelmeer reichte.

Nur, wo sind die Spuren dieses glanzvollen Landes? Wer heute durch den Osten von Jerusalem läuft, stößt an einem Steilhang auf ein Grabungsareal, „Davidstadt“ genannt. Soldaten bewachen kümmerliche Ruinen. Ein Haus zum Beispiel war 16 Quadratmeter groß und besaß weder Küche noch Fenster. Gekocht wurde draußen. Daneben liegt eine Steinplatte mit einem Loch, das „Klo“.

Ist das Davids Glanz und Herrlichkeit? Laut 1. Könige, Kapitel 10 gab es in der Hauptstadt „Silber so häufig wie Steine“. Davon kann keine Rede sein. Unter dem Spaten der Ausgräber ist das bronzezeitliche Jerusalem zum Dorf geschrumpft. Es war ein Ort mit kaum 2000 Einwohnern. Der Berliner Ägyptologe Rolf Krauss spricht von einem „Provinznest“.

Solche Befunde stehen nicht allein. Moderne Bibelkundler klopfen schon seit längerer Zeit wie mit der Abrißbirne gegen das Alte Testament. Sichtbar wird ein Gespinst aus Legenden.

Von allen Seiten rücken die Fahnder an. Pollenanalytiker streifen durch die militärisch besetzten Gebiete Judäa und Samara. Orientalisten entziffern Keilschrifttafeln. Und auch in alten Texten vom Nil finden sich Hinweise auf die wahre Geschichte der Hebräer.

Vor allem die historische Basis der Bibel wankt. Den jüngsten Hieb hat jetzt Israel Finkelstein, Chef-Ausgräber an der Universität Tel Aviv, geführt. Sein Buch „.Keine Posaunen vor Jericho“ bestätigt, daß Kerntexte der Bibel unwahr sind:

-           Ein Auszug jüdischer Stämme aus Ägypten fand nie statt.

-           Kanaan wurde nicht, wie im Buch Josua beschrieben, gewaltsam erobert.

-           Die Ur-Reiche von David und Salomo sind Trug. Diese israelitischen Könige

herrschten nur über „unbedeutende Teile von Randregionen“ (Finkelstein).

Als Märchen und monumentale Überschminkung - so steht das Wort Gottes mittlerweile da. Wo die Forscher geschichtliche Fakten vermuteten, sehen sie nun politische Propaganda. „Wir stehen vor einem Dammbruch“, gibt Dirk Kinet zu, der an der Universität Augsburg Biblische Sprachen lehrt.

Denn auch die Entwicklung des Monotheismus verlief völlig anders, als die Heilige Schrift glauben 4machen will. Im Gewand der Ewigkeit tritt Gott dort an. Er steht jenseits der Zeit - ein Wesen, das nie geboren wurde und nie sterben wird.

Bereits der Erzvater Abraham opfert (angeblich um 1800 vCh) diesem allmächtigen Wesen. „Gott ist einzig“, bekennt auch Mose, nachdem sich ihm der Herr im brennenden Dornbusch offenbart.

Nur allzugern verklärten konservative Bibelkundler das Volk Israel zur Sonder-Ethnie. Doch die Archäologie macht jetzt klar: Auch der Herrgott hat mal klein angefangen. Anfangs sei Jahwe nur ein Wettergott gewesen, erklärt der Augsburger Experte Kinet: „Er war ein Garant der Fruchtbarkeit, dessen sexuelle Darstellung erst langsam zurückgedrängt wurde.“

Götzen aus Ton und Metall wurden im Heiligen Land entdeckt, auch kleine Tonfiguren mit

drallen Brüsten und Pos. Die Geburt Gottes aus dem Schoß der Vielgötterei - das ist der Rahmen, in dem die neuen Erkenntnisse angesiedelt sind:

-           In Jerusalem blühte die Tempelprostitution:

-           Gott besaß ursprünglich eine nackte Begleiterin:

-           noch um 100 vCh hingen die Bauern der Gegend heidnischen Ritualen an.

Vor allem in Ugarit, 400 Kilometer nördlich von Jerusalem, kommt „die dunkle Vergangenheit der Religion Israels zum Vorschein“, wie es der französische Ausgräber Andrè Caquot ausdrückt. Ritualtexte und Goldstatuen wurden freigelegt. Ein Fund zeigt ein Männchen mit Bart. Es ist der weise Greis und Himmelsvater „El“ - eine Urform Gottes.

Die Einsicht, daß sich der Herr aus einem heidnischen Götzen entwickelte, mag schmerzen, ist aber längst überfällig. Wie mit dem Fernrohr blicken die Experten in jene Wolke zurück, in der sich die Geburt des Allmächtigen vollzog. Die Forschung sieht immer klarer die metaphysische Baustelle, auf der diese Macht Schritt für Schritt erschaffen wurde.

Mit ihren teils sensationellen Einsichten zerren die Wissenschaftler jenes Glaubenswerk ans Licht der Vernunft, das immer noch wie eine düstere und mysteriöse Festung dasteht.

Nur allzugern räumten fromme Exegeten den Hebräern eine historische Sonderstellung ein. „Im vollen Bewußtsein einer erhabenen Idee“" habe ein semitischer Hirtenclan „alle Güter dieser Welt geopfert, Qualen erduldet und sein Leben hingegeben“, formulierte Simon Dub­now in seiner zehnbändigen „Weltgeschichte des Jüdischen Volkes“.

Richtig an solchen Verklärungen ist, daß Kanaan wie kaum ein anderer Landstrich der Antike mit Krieg überzogen wurde. Mal legten die Pharaonen ihre Klaue auf das Land, die Babylonier führten hier Massendeportationen durch. Es folgten Perser und Griechen. Schließlich kamen die Römer und machten das Gebiet zur Kolonie.

Mauerbrecher und Wurfmaschinen ließ der römische Kaiser Vespasian beim großen jüdischen Aufstand 70 nCh gegen Jerusalem in Stellung bringen. Rund 20.000 Legionäre zogen heran. Die unbotmäßigen Bauern leisteten Widerstand. Sie verbanden ihre Häuser mit Fluchttunneln.

Es half nichts. Im August des Jahres war die Festung am Berg Zion erschöpft. Legionäre in Kettenhemden durchbrachen die gegnerischen Reihen und erstürmten den Hügel, auf dessen Kuppe der große Jahwe-Tempel stand. Dort zündelten sie.

Eindringlich hat der Historiker Josephus Flavius, Zeuge des Überfalls, von der Untat erzählt. Er beschreibt die Holzkreuze entlang den Straßen, an denen angenagelte Rebellen hingen. Vorbei an dieser Kulisse entführten die Sieger die Tempelschätze nach Rom, darunter den siebenarmigen Leuchter Menora.

Viele Demütigungen flossen in die Bibel ein, Verzweiflung und aus Wut geborene Allmachts­phantasien sind darin gestaut. Per Federstrich verwandelten ihre Verfasser den Turm von Babel zur Bauruine (in Wahrheit wurde das über 90 Meter hohe Gebäude fertiggestellt). Beim Propheten Ezechiel fällt Gott den Pharao an wie ein wildes Tier: „Ich tränke das Land bis hin zu den Bergen mit der Flut deines Blutes.“

Aber erst jetzt, über 2000 Jahre nach Erschaffung all dieser Mythen und religiösen Urbilder, setzt ihre nüchterne Aufarbeitung ein. Die Forscher dringen an die Wurzeln des Alten Testaments vor - allerdings mit der Axt. Immer deutlicher wird, daß Gottes Wort, das  „Buch der Bücher“, voller Mogeleien steckt. Eine Gruppe von Fälschern, „Deuteronomisten“ genannt, bürsteten Realgeschichte um; sie verzerrten die Wirklichkeit, schafften unbequeme Fakten beiseite und erfanden, nach Art eines Hollywood-Drehbuchs, die Geschichte vom Gelobten Land.

Wie die Arbeit im Einzelnen ablief, ist längst nicht vollständig geklärt. Die biblische Zensurbehörde ging geschickt vor. Wie Mehltau liegt ihre Version der Zeitläufe auf der Geschichte. Im Prinzip arbeitete sie so perfekt wie das Wahrheitsministerium von George Orwell.

Nur der Tatort steht fest: Es war der Tempel von Jerusalem, in dem alle Fäden zusammenliefen. Auf jenem Hügel der Stadt, wo sich heute die Aksa-Moschee und der Felsendom erheben, lag einst das Zentralheiligtum der Stadt. Bärtige Priester mit Kleidern, an denen Kordeln. Schellen und Edelsteine hingen, liefen in dem Gemäuer umher. Sie hantierten mit Räucherwerk und schlachteten Stiere. Bei einem der Riten benetzten sie ihre Ohrläppchen mit Widderblut.

Wer den Tempel der Länge nach durchschritt, gelangte am Ende vors Allerheiligste, den „Debir“. Dort standen im Zwielicht zwei mit Gold überzogene Kerubim: geflügelte Löwen mit menschlichem Gesicht. die den Thron Jahwes bewachten. Dieser war leer. Es ist das Nichts, die große Negation - als Chiffre für die Unendlichkeit des Geistes -, die als Pionierleistung der jüdischen Theologie gilt. Während alle Welt noch Tamtam machte und Götzen verehrte, erließen die Juden ein Bilderverbot und stießen ins Reich des Universellen vor.

Aber stimmt das überhaupt? Auch ihre geistige Erst-Tat wird den Hebräern streitig gemacht. Um die Frage nach Alter und Erscheinungsdatum der Heiligen Schrift brennt eine Debatte. Drei Lager liegen im Clinch:

-  Die Traditionalisten behaupten: Haupttexte der Bibel etwa ab 1000 vCh entstanden.

- Die Gemäßigten tippen auf 600 vCh

-  Die „Minimalisten“ halten das Alte Testament für ein „hellenistisches Werk“. Es sei in der Substanz erst nach 330 vCh - und damit nach dem Tod der griechischen Philosophen Sokrates und Platon verfaßt worden. [Die Bibel ist eine Bibliothek mit Werken aus verschiedenen Jahrhunderten]

Noch weiter geht ein Mann aus Heidelberg. Bernd Jörg Diebner redet schnell, er hat schütteres Haar und lehrt seit 30 Jahren Theologie. Anfang des Jahres, nach langem Zögern, entschloß sich die Evangelische Fakultät den Gelehrten zum Professor zu berufen. Er ist 63 Jahre alt. Bis zum letzten Platz war die mit Holz ausgeschlagene Aula besetzt, als der frisch Gekürte zu seiner Antrittsvorlesung schritt. Israel sei eine „mystische Größe“, verkündete der Akademiker. Dann beschrieb er die Tora als „diplomatisches Kompromißpapier“, an dem womöglich noch bis 50 nCh gefeilt wurde.

Für Diebner ist die Bibel das Ergebnis eines Machtgerangels um die religiöse Federführung - ein kulturpolitischer Krimi, angeführt vom Hohepriester in Jerusalem, der historische Fakten umschrieb und „seine eigenen Großmachtträume in die Vergangenheit projizierte“. Gut für den Professor, daß  heute keiner mehr verbrannt wird, wenn er den Herrn lästert.

 

Die Hauptfigur der Bibel wirkt uneinheitlich. Mal heißt sie Jahwe, mal El oder Elohim. Zuweilen erscheint Gott als Wolke, dann wieder kleidet er sich in eine Feuersäule und weist Mose den Weg.

Wer hat sich diese Mammutschrift ausgedacht? Die ältesten bislang gefundenen Schriftrollen, die Texte biblischer Propheten enthalten, stammen aus Qumran am Toten Meer. Einige der Fetzen konnten mit der Kohlenstoffisotop-Methode datiert werden: die frühesten sind um 240 vCh entstanden. Nach Ansicht der Forscher reichen die Ursprünge der Bibel und ihrer Propheten aber viel weiter zurück. Die Qumran-Rollen seien nur Abschriften von Abschriften. Dutzende von Orten und Personen werden in der Bibel genannt. Aus all diesen Eckdaten schuf die Forschung eine Chronologie, die dem konservativen Forschungslager bis heute als Richtschnur gilt. Demnach lebten die Erzväter um etwa 1800 vCh Und um 1250 vCh zogen die Israeliten aus Ägypten aus.

Diese vermeintlich bronzezeitliche Vorgeschichte Israels wird im 1. Buch Mose ausgebreitet. Alles beginnt mit Abraham. einem Hirten, der aus Ur (im heutigen Irak) stammte. Von dort bricht der Mann auf Geheiß Gottes nach Kanaan auf.

 

Was für eine Gründerstory! Eng verzahnt mit dem Willen des Allmächtigen, der für die Gebietsansprüche bürgt, wird das Feindesland aufgerollt. Und all dies geschieht in einer Zeittiefe, die legendär und „bronzezeitlich“ zu nennen wäre.

An dieser Fama orientierten sich früher auch die Archäologen. Als man bei Grabungen nahe Jericho gewaltsam zerstörte Mauern fand, waren sogleich die Posaunen schuld. Jeder kaputte Ziegel wurde als Manöverschaden aus Josuas Blitzkrieg gedeutet.

Erst in jüngerer Zeit geriet diese Lesart der Bibel zunehmend in Bedrängnis. Abraham reitet ständig auf Kamelen herum. Wie war ihm das möglich? Als Lastenträger kamen diese Tiere erst nach 1000 vCh zum Einsatz [Die Geschichte wurde doch erst später formuliert].

Bald geriet auch Mose in Verdacht, nur eine Fabelfigur zu sein. Um 950 vCh habe der Verfasser der Sinai-Geschichte gelebt, und zwar als Hofschreiber im Palast von König David, so der alte Verdacht. Nur, warum zahlen die Juden dann (in 1. Mose, 42) ihr Getreide mit Metallgeld? Die ältesten Münzen stammen aus Kleinasien und wurden erst im 7. Jahrhundert  erfunden.

Keine Frage: Der Pentateuch, die fünf Bücher Mose, die von den gläubigen Juden als Tora verehrt und für besonders heilig gehalten werden, ist keine Primärquelle aus der Bronzezeit. Schriftkundige „Fälscher“ haben ihr nur eine künstliche Patina verpaßt.

Vor allem das Buch Josua verdreht die Realgeschichte total. Rasant prescht darin der Feldherr bei seinem Eilkrieg über den Jordan und rottet, angetrieben vom jähzornigen Herrn, die Urbevölkerung und deren Vielgötterei aus.

Die neuen Grabungen, die Israels Antikenbehörde derzeit durchführt, zeigen nun das ganze Ausmaß des Schwindels. „Die Besiedlung Kanaans verlief in Wahrheit friedlich und langsam“, erklärt Finkelstein [war schon lange vorher erkannt].

Fakt ist, daß um 1200 vCh semitische Hirtenstämme von der Wüste aus ins westjordanische Bergland einsickerten und dort seßhaft wurden. Es waren Leute, die auf Holzpritschen schliefen und kein Schweinefleisch aßen. Ihre Häuser hatten Platz für vier bis fünf Personen.

Der Norden der Region bis hoch zum See Genezareth bot den Neusiedlern einige Annehmlichkeiten. Zwischen den sanften Hügeln zogen sie Wein und Oliven. Weiter südlich, zwischen Jerusalem und Hebron, ging es karger zu. In zerklüfteten Schluchten wuchsen stachelige Sträucher, die Wasserlöcher waren knapp. Insgesamt lebten um 1000 vCh in den Bergen von Kanaan nur rund 50.000 Menschen. Der Süden war besonders ungastlich und extrem dünn besiedelt.

Zudem gab es ständig Ärger mit den Nachbarn. Edomiter und Moabiter lebten in der Nähe. Zur Küste hin, in der fruchtbaren Küstenebene, hatten sich die - vielleicht von Kreta stammenden - Philister in riesigen Städten breit gemacht. Weiter nördlich siedelten Phönizier, umtriebige Seehändler, die Kinder opferten.

Uneingeschränkter Chef im Land aber war der Pharao. Er beutete die Kupferminen des Landes aus. Um 1250 vCh ließ Ramses II. eine Kette von Burgen und Wasserstellen quer durch das Land errichten, den „Horusweg“- Ausfallstraße für die Nilarmeen.

Es ist schwer vorstellbar, daß ein Zeltschläfer wie Mose in diesem hochgerüsteten pharaonischen Sperrgebiet Feldzüge hätte anzetteln können. Im Jahr 1207 vCh wird zwar ein Stamm Israel auf einer Stele von Pharao Merneptah genannt. Doch der Text bezieht sich auf eine Strafaktion des Nilkönigs und lautet barsch: „Dein Same, Israel, ist dahin.“

Tribute zwackte der Pyramidenboss den Bürgern ab. Wer der Fronarbeit entgehen wollte, floh in die Berge. Dort lebten bald Flüchtige und Ausgestoßene. Viele Experten leiten den Begriff Hebräer von „hapiru“ ab - was so viel wie „Vagabund“ heißen kann.

 

Ausgerechnet in dieser armseligen, karstigen Welt von Kanaan läßt die Bibel glanzvolle Monarchien erstehen. Wo in Wahrheit bärtige Hirten in Wollkutten lebten, erstreckte sich angeblich das Superreich von David. Mehr noch bei seinem Nachfolger Salomo greift die Bibel in die Vollen. 700 Angetraute leben im Harem dieses Regenten. 300 weitere Frauen liebkost er auf unehelicher Basis. Sein Palast ist riesig und gemütlich mit Teppichen ausgelegt. Und

ehe Schatulle quillt über: Laut Bibel übertraf Salomo „an Reichtum alle Könige der Erde“.

Auch kulturpolitisch klotzt der Monarch. Mose, als Wüstennomade, hatte noch im „Offenbarungszelt“ dem Herrn geopfert. Salomo errichtet Gott nun ein Haus aus Stein. Es ist „ganz mit Gold überzogen“ und innen mit libanesischer Zeder ausgeschlagen. Im Allerheiligsten steht die Bundeslade.

Alle Versuche, dieses Heiligtum archäologisch nachzuweisen, sind allerdings gescheitert. „Wir haben nicht mal den Grundriß des Tempels“, gibt der Forscher Bloedhorn zu. Kein Zweifel, das Alte Testament fabuliert. Hütten werden zu Palästen hochstilisiert. Die Landnahme in Kanaan ist Nonsens. Ob Mose je gelebt hat, bleibt zweifelhaft. Und die Geschichte von Salomo gilt dem Schweizer Alttestamentler Othmar Keel als eine „Idealzeit“ ohne historischen Kern.

Wer griff da ins Rad der Geschichte? Welchen Zweck verfolgte er? Und - besonders wichtig - wie lange war die biblische Propagandamaschine in Betrieb?

Die Lösung dieser Fragen bereitet einiges Kopfzerbrechen. Die Urheber der Heiligen Schrift gingen geschickt zu Werke. Je mehr die Forscher in der Tora blättern, desto mehr Fangschlingen tun sich auf.

Allein an den Büchern Mose arbeiteten mindestens vier Verfasser. Einer davon war der „Jahwist“, der den Namen Gottes stets mit dem Tetragramm JHWH („Ich bin, der ich bin“) schreibt und wohl aus Jerusalem kam. Ein anderer Erzähler („Elohist“) lebte wohl im Norden des Landes. Er nennt Gott „Elohim“ oder „El“.

Schwierig wird die Sache, weil das Buch Gottes nicht nur Dichtung und Phantasie enthält. Einige Teile der Bibel erinnern fast an ein Lexikon der Realgeschichte.

Harte Fakten liefern zum Beispiel die „Bücher der Könige“: Sie berichten über die Zeit von etwa 1000 bis 587 vCh, als das nebulöse Imperium des Salomo zerbrach und sich zwei Teilstaaten bildeten - Israel und Juda. Haarklein erzählen die Autoren über Kanalarbeiten, Steuerdekrete und Kriege in diesen Zwillingsstaaten. Insgesamt 42 Könige werden unter Angabe ihrer Regierungszeiten genannt.

Wurden hier etwa alte Chroniken und Herrscherlisten benutzt? Gezielt durchsuchten die Forscher die mesopotamischen Keilschriftarchive. Und tatsächlich: Insgesamt fünf der biblischen Ur-Könige tauchen auch dort namentlich auf.

Das wichtigste Beweisstück legten die Fahnder 1993 im „Tell Dan“ frei, einem Siedlungshügel in Nordisrael. Es ist eine Stele mit Nennung „Haus David“. Der Stammvater lebte also womöglich wirklich - wenn auch nur als „Duodezfürst eines Stadtstaates“ (Finkelstein).

Im Licht der neuen Funde aus der Negev-Wüste und Samaria läßt sich die dunkle „Königszeit“ nun endlich besser nachzeichnen. Um 950 vCh verlor Ägypten die Kontrolle über seine Vasallen. In diesem Machtvakuum konnten sich die hebräischen Stammeshäuptlinge breit machen:

-  Zuerst bildet sich im Norden der Ur-Staat „Israel“. 884 v. Chr. bestieg dort, wie Inschriften beweisen, ein König Omri den Thron. Das Land hatte kaum 100.000 Einwohner

-  Ärmlicher sah es in Juda aus, dem südlichen Nachbarstaat im Raum Jerusalem. Wegen des dürren Bodens lebten dort kaum 10.000 Menschen in festen Siedlungen.

Mit Spaten und Minibaggern haben Archäologen die ganze Bescheidenheit dieser staatlichen Urzellen der Hebräer freigelegt. In Samaria fanden sie ein paar Wein-Quittungen, in Arad verwitterte Briefe aus Ton. Ansonsten griffen die Hirten und Ölbauern fast nie zum Schreibblock.

Bald war es selbst damit vorbei. Im 9. und 8. Jahrhundert wuchs am Tigris ein Staatskoloss heran, der immer unverhohlener nach der Weltherrschaft gierte: Assyrien. Das Land dürstete danach, den Karawanenhandel unter Kontrolle zu kriegen. Weihrauch und Gewürze brachten die Kaufleute vom Jemen bis nach Gaza. Wer den Endpunkt kontrollierte, konnte den ganz großen Profit erzielen.

Im Jahre 732 vCh griff König Tiglatpileser III. zu. Rasch rückte sein Heer bis zum Mittelmeer vor und unterjochte riesige Landstriche. Auch der Zwergstaat Israel geriet unter die Räder. Als Provinz Samaria wurde er dem assyrischen Imperium einverleibt. Nur das Armenhaus Juda blieb vorerst verschont.

Zur Politik der Angreifer gehörten auch Deportationen. 13.500 Israeliten mußten zwangsweise die Heimat verlassen. Ein in Ninive entdecktes Relief zeigt, wie die Juden mit krummen Rücken und geschulterten Säcken in die Fremde marschieren. Daneben sind Gepfählte zu sehen.

Aber auch der kleinere Bruderstaat Juda blieb bedroht. Eine Flut von Kriegsflüchtlingen ergoß sich nach Jerusalem. Die Bevölkerung wuchs von 2000 auf vielleicht 15.000 Einwohner -  und war den Launen des waffenstrotzenden Nachbarn schutzlos ausgesetzt.

In dieser bedrohten Lage, glauben die gemäßigten Bibel- Kritiker um Finkelstein, vollzog sich ein Wunder: die Geburt des Glaubens an einen Gott („Monotheismus“).

Aus tiefster Not und eingequetscht von den Supermächten Ägypten und Assyrien, so das Szenario, habe sich das kleine Juda zur Offensive entschlossen und Rettung gesucht. Weil es kaum Militär hatte, wehrte es sich mit Metaphysik.

Den Anschub für das Projekt Jahwe soll dabei König Josia (639 bis 609 vCh) gegeben haben. Die Bibel feiert ihn als Mann, der gekommen war, um die Spuren fremder Verehrung auszumerzen und das Volk Israel durch das genaue Befolgen des Gesetzes zur Erlösung zu führen.

Flugs, so die Annahme, rief der König seine Priester auf, einen religiösen Beschützer zu erfinden und das „nationale Epos“ vom verheißenen Land zu schreiben.

Zuerst galt es, das Selbstwertgefühl der Nation zu stärken und die drohende Überfremdung abzuwehren. Also setzten die Tempelleute auf Abschottung. Sie wollten eine „ethnische Abgrenzung“ (Finkelstein).

Wer die Bibel genau liest, stößt auf eine Vielzahl an Lebensregeln und Tabus. Der Verzehr von Schwein, Hase oder Kamel zum Beispiel war den Jahwe-Anhängern verboten. Milchspeisen durften nie mit Fleisch in Berührung kommen. Am Passa aß die Gemeinde ungesäuertes Brot. Am Samstag war das Feuermachen nicht erlaubt. Männlichen Säuglingen trennte der Mohel, der Beschneider, am achten Tag die Vorhaut ab. Zentrale Bedeutung hatte auch das Verbot der „Mischehe“.

Neben diesen Vorschriften, mit denen sich die Religionsgemeinschaft in Juda schrittweise absonderte, soll Josia aber auch mehr Metaphysik eingefordert haben. Bis dahin war Jahwe offenbar nur ein Donnergötze, verehrt als Stadtgott Jerusalems auf dem Berg Zion. Nun wurde er zu einer universalen Macht.

Fast alle Bibelkundler hegen den Verdacht, daß das 5. Buch Mose, das berühmte „Deuteronomium“, das Ergebnis von Josias Kultreform widerspiegelt. Dieses Buch ist geprägt durch eine ganz eigene Sprache, die sonst in keiner anderen Quelle anzutreffen ist:

-  Kompromißlos verurteilt das Werk die Anbetung anderer Götter und droht bei Zuwiderhandlung furchtbare Strafgerichte an.

-  Gott wird als völlig entrückt und transzendent dargestellt.

-  Zugleich enthält das Buch ein absolutes Verbot: Der Opferdienst für Jahwe darf nur im Tempel von Jerusalem durchgeführt werden  und nirgendwo sonst.

Mit diesen Dekreten strebten die Zion-Priester das Glaubensmonopol an. Vor allem wollten sie ihre Kollegen im assyrisch unterjochten Bruderstaat Israel aushebeln. Denn auch diese betrieben auf dem Berg Garizim, 50 Kilometer von Jerusalem entfernt, ein großes Jahwe-Heiligtum.

Dieser Streit zwischen Juda und Israel durchzieht unterschwellig das ganze Alte Testament. Wo sie konnten, schwärzten die Leute aus Jerusalem die Nachbarn aus dem Norden an. Besonders auffällig ist diese einseitige Darstellung in den  Königsbüchern. Die Bewohner Israels treten dort zumeist als kleinmütige Versager auf. Ihre Könige sind nahezu allesamt Frevler und Sünder. In Juda dagegen leben überwiegend fromme und gottesfürchtige Leute.

Sogar vor Betrug und Dokumentenfälschung scheuten die Zion-Priester nicht zurück. Um ihrem Alleinvertreter-Anspruch mehr Gewicht zu verleihen, ersannen sie einen raffinierten Plan.

Im 2. Buch der Könige wird erzählt, daß der Hohepriester Hilkia 622 vCh bei Aufräumarbeiten im Tempel von Jerusalem angeblich ein uraltes „Buch der Gesetze“ gefunden habe. In Wahrheit, so die Experten, war die Tinte dieser mysteriösen  „Tempelschwarte“ kaum getrocknet. Hinter ihr verbarg sich das frisch geschriebene „Deuteronomium“.

Aus der Sicht der gemäßigten Bibelkundler stellt sich die Sache also wie folgt dar: Um 630 vCh schrieben die „Deuteronomisten“ Kernstücke der Bibel. Sie erfanden die Figuren Abraham und Mose und verlegten deren Wirken durch einen Trick in die Vergangenheit.

Aber stimmt das? Hatte sich die Idee vom bildlosen Jahwe schon im 7. Jahrhundert durchgesetzt? Den „Minimalisten“ geht selbst die Bibelkritik der gemäßigten Forscher um Finkelstein nicht weit genug. Ihr Argwohn gegen die Bibel ist noch viel größer - und sie haben gute Gründe.

Historiografie, Ethik, Staatskunde - ungeheure Leistungen sind in dem Werk enthalten. Und all das soll lange vor Platon und Herodot entstanden sein? Tatsächlich nahm die Antike von den Genies aus Juda kaum Notiz. Herodot erwähnt zwar irgendwelche Leute aus Syro­paläs­tina, die sich beschneiden lassen. Von ihren großen Taten weiß er nichts. Erst im 4. und 3. Jahrhundert wurde das Echo stärker. Die geistigen Spitzenleistungen stehen zudem im auffälligen Kontrast zum technischen Standard, den das kleine Land damals aufwies.

Ungeschickt wirkt ein Projekt, das um 720 vCh der damalige König in Jerusalem anschob. Er wollte über einen unterirdischen Kanal Wasser in die Stadt leiten. Der Tunnel hat über 20 Blindstopfen, weil die Arbeiter immer wieder in die falsche Richtung hämmerten - dennoch feiert die Bibel genau dieses Werk als Glanzleistung der Wasserbaukunst.

Die Fraktion der Minimalisten hält die Kultreform von Josia denn auch für eine Übertreibung. Die Geschichte mit dem angeblich uralten, streng monotheistischen „Buch der Gesetze“ sei eine Erfindung aus noch späterer Zeit.

Die Spatenfunde. die jetzt zutage kommen. unterstützen diese Ansicht. Die Abschaffung der Vielgötterei zog sich viel länger hin als bisher bekannt. Noch um 600 vCh lebte die Bevölkerung von Juda polytheistisch wie ihre Nachbarn. „Es gab keine Unterschiede zwischen ihrer Religion und den umliegenden Kulturen“,  erklärt der Tübinger Alttestamentler Herbert Niehr [Auch heute gibt es noch Aberglauben bei uns].

Wichtige Erkenntnisse, was damals wirklich im abgelegenen Bergland um Jerusalem ablief, hat die Forschung dem Schweizer Alttestamentler Othmar Keel zu verdanken. In einer Fleißarbeit untersuchte er rund 8500 Stempelsiegel aus dem syro-palästinenischen Raum. Sein Fazit: In Kanaan wimmelte es von Götzen. Kaum eine Bergkuppe. auf der nicht die Opferfeuer brannten. Vor den Häusern der Bauern standen kleine Altäre aus Kalkstein. Hier verehrten die Farmer ihre Ahnen. Um 650 vCh, so Keel, erlebte das Land zudem einen „Boom der Astralkulte“. Die Götter der Siegermacht aus Assyrien kamen in Mode.

Und überall warf sich das Volk dem Blitze schleudernden Baal zu Füßen. „Wie alle vom Regenfeldbau abhängigen Völker standen in der Levante die Wettergötter im Pantheon ganz oben“, sagt Niehr, „,der Wettergott Baal wurde in vielen lokalen Varianten verehrt. Eine davon ist Jahwe.“ [Jahwe war kein kannanäischer Lokalgott, sondern kam vom Sinai].

Mit Blitz und Speer wurde der Hauptgott anfangs dargestellt. Und er hatte eine Frau: die Liebesgöttin Aschera. Die dänische Expertin Tilde Binger nennt die himmlische Dame „Gemahlin“ des Herrn. Völlig nackt und mit einer merkwürdigen Krone - so wurde diese Ikone der Fruchtbarkeit von den Menschen angebetet. Sogar im Tempel von Jerusalem muß damals ein Kultbaum der Aschera gestanden haben.

Als Beweis dient ein sensationeller Fund. Es ist ein kleiner Granatapfel aus Elfenbein mit der Aufschrift „heiliger Priesterbesitz aus dem Tempel Jahwes“. Die Kugel, gedeutet als Aufsatz eines Zepters, stammt aus dem 7. vorchristlichen Jahrhundert. Granatäpfel waren Symbole der Aschera-Göttin. Sie zierten auch den Rocksaum des Hohepriesters.

Von diesem Gewusel, wie es damals am Götterhimmel Kanaans herrschte, berichtet die Bibel kaum. Geschickt spitzten ihre Autoren die Heilsgeschichte auf Jahwe und dessen Siegeslauf zu. Mißliebige Nachrichten filterte die Tempelzensur heraus.

Und sie übertrieb. Dramatisch erzählt die Bibel, wie - angeblich um 750 vCh - der Prophet Hosea mit Feuereifer durchs Land eilte und unbarmherzig die Abgötterei verfolgte. Elija tötet am Ufer des Kischon gleich 450 Baals-Priester auf einen Streich.

All das sind - später geschönte - Deutungen der Geschichte. Zwar gehen viele Forscher davon aus, daß sich damals in Kanaan tatsächlich eine „Jahwe-Allein-Bewegung“ formierte. Doch deren Anhänger waren noch „randständige Außenseiter“ (Kinet), die erst langsam an Einfluß gewannen.

Die Elite von Jerusalem jedenfalls hatte mit den Visionären anfangs wenig am Hut. Um 590 vCh ließ sich ein reicher Bürger der Stadt begraben. Der Tote trug zwar auf der Brust eine Silberplatte mit einer alttestamentarischen Segensformel. Doch in der düsteren Gruft fand sich auch ein Amulett der ägyptischen Katzengöttin Bastet. Der Prophet Ezechiel nennt solche Anhänger „Mistzeug“.

Und selbst Jahwe war um 60o vCh wohl noch nicht so fern, entrückt und bildlos, wie er im 5. Buch Mose auftritt. Der Religionsforscher Niehr ist sicher: „Im Tempel von Jerusalem stand damals noch ein Kultbild des Gottes.“ Ganz mit Gold überzogen, stumm im Allerheiligsten stehend und bewacht von den Kerubim - so mag man sich die Figur vorstellen. Angebetet wurde sie wohl als „Herr der Ehre“, wie es in der Bibel heißt [Das Besondere ist gerade, daß dort keine Figur stand, selbst in Bethel nicht].

Erst im Jahr 587 vCh vollzog sich jenes Ereignis, das dem Monotheismus dann wahrscheinlich zum Durchbruch verhalf. Nun wurden die Sprungfedern zur Transzendenz wirklich gespannt. In jenem Jahr ereignete sich eine Zäsur, die als großer Wendepunkt in die Geschichte des Volkes Israels einging. Über das Land brach eine „nationale Katastrophe“ herein. Es war ein Sommertag, als sich von Nordosten aus eine gigantische Armee der Festung Jerusalem näherte. Schon aus der Ferne war das Klirren der Speere und das Rumpeln der Kampfwagen zu hören. Der Babylonier Nebukadnezar war auf dem Durchzug nach Ägypten. Ganze 18 Monate lang belagerte der Feldherr die Stadt. Die Pfeile seiner Bogenschützen verdunkelten den Himmel, Holzrammen dröhnten gegen die Stadttore. Erst nach zähem Kampf gaben die Bürger vom Zionberg auf.

Wie damals üblich, ging es den Unterlegenen brutal an den Kragen. Jerusalems König Zedekia wurden die Augen ausgestochen. Nun hatte auch Juda, der kleine Bruderstaat, seine Unabhängigkeit verloren. Selbst vorm Allerheiligsten machte der lästerliche Feind nicht Halt: Der Tempel Jerusalems ging in Flammen auf.

Einen Teil der Oberschicht, angeblich 15.000 Menschen, ließen die Sieger ins Zweistromland verschleppen. In Babylon bildete sich bald eine jüdische Kolonie.

Frühestens hier, in der Diaspora, am Fuß des Riesenturms Etemenanki, auf dessen 91,5 Meter hoher Spitze eine Sternwarte stand ( so sehen es immer mehr Forscher) hätten die Gottes Hebräer das Sehnsuchtsmotiv vom ,,verheißenen Land“ entwickelt - gerade weil sie keines mehr besaßen.

Aber auch ihre Gottesvorstellung selbst erhielt in der Fremde neue Impulse - und zwar aus Persien. Denn der grause Nebukadnezar und sein Superturm (der später durch Wind und Wetter zerfiel) blieben nur eine Episode. Im Jahre 539 vCh eroberten die Perser weite Teile der antiken Welt. Ihr Glaubenslehrer Zarathustra verkündete eine Lehre, die ebenfalls Engel kennt und auf dem Gegensatz von Gut und Böse basiert.

Und auch Ahuramazda, der Hauptgott der Perser, war ein Wesen ohne Gestalt. Altäre baute dieses Volk nicht, schreibt der Historiker Herodot: „Wer das tue, sei töricht, sagen sie. Offensichtlich stellen sie sich die Götter nicht wie die Griechen als menschenähnliche Wesen vor.“

Tatsache ist, daß die fernen Morgenländer den aufblühenden Jahwe-Kult nach Kräften unterstützten. Im Jahre 538 vCh erlaubten sie den Juden die Rückkehr in ihre Heimat.

Rund 30.000 Menschen kehrten damals ins karstige Juda zurück - darunter viele Priester. Stracks bauten sie den verkohlten Tempel auf dem Berg Zion wieder auf. Neuer Bürgermeister von Jerusalem wurde 445 vCh Nehemia, vormals Mundschenk beim Perserkönig Arta­xerxes. Ihm zur Seite stand Esra, der das Amt des Hohepriesters übernahm. In der Bibel nennt er sich „Beauftragter für das Gesetz des Gottes des Himmels“.

 

Nun erst, als Verwalter der persischen Provinz Jehud (Radius: 30 Kilometer, so die Annahme der Minimalisten) seien die radikalen jüdischen Reformer zur Hochform aufgelaufen. Vergleichbar den klösterlichen Fälscherbanden des Mittelalters, die Urkunden umdatierten, hätten sie das hebräische Schrifttum durchgesucht, umgeschrieben und dabei ganze Königreiche erfunden.

Vor allem aber bekämpften die Rückkehrer den Kult um die Fruchtbarkeitsgöttin Aschera. Alttestamentler Keel spricht von einer „religiösen Kontrolle“. Die nackten Ton-Idole der Himmelsdame seien verboten und zerschlagen worden.

In der Bibel ist von den damals tobenden Glaubenskämpfen fast nichts zu lesen. Nur ganz selten übersah die Tempelzensur verräterische Stellen: In Psalm 68 wird Gott „Wolkenfahrer“ genannt. Diesen Namen trug auch der heidnische Wettergötze Baal [polemisch gegen Baal: Jahwe ist der Wolkenfahrer - oder ganz allgemeines Bild].

Erst die Archäologie gibt jetzt eine Ahnung von den wahren Vorgängen jener Epoche. Besonders spannend ist eine aktuelle Grabung im ägyptischen Assuan. Dort lebte auf einer Nil-Insel eine Gruppe jüdischer Söldner, die engen brieflichen Kontakt mit Jerusalem hielten. Aus der Zeit von 460 bis 407 vCh liegt Tempelpost vor. Die Schriften zeigen, daß die Auslandsjuden selbst zu dieser Zeit noch neben ihrem Hauptgott Jahu mindestens drei weitere Götter verehrten, darunter die Liebesgöttin Anat. Die radikalen Religionsforscher wundern solche Befunde nicht. Für sie ist die Bibel eine Glaubensschrift, die nur lockeren Umgang mit der Wahrheit pflegt.

Aber auch unter den konservativen Gelehrten machen sich Zweifel breit. Der Theologe Niehr hat in seiner Zunft eine allgemeine „Tendenz zur Spätdatierung“ der Bibeltexte ausgemacht. Er selbst schlägt vor, Mose und Co. „durch die Brille der persischen und hellenistischen Zeit“ zu lesen.

Besonders merkwürdig ist in dem Zusammenhang ein rätselhaftes und selbst unter Fachleuten kaum bekanntes Heiligtum. Es liegt an der Straße 443, die nördlich von Jerusalem Richtung Ramot führt. Offiziell heißt die Stätte „Nebi Samuel“ - der Prophet Samuel. Hinter verrosteten Metallzäunen verbirgt sich ein fast 1.000 Quadratmeter großer Kultplatz. In harter Knochenarbeit wurde fast die gesamte Bergkuppe abgefräst und wie eine Rollschuhbahn geglättet. Am Rand stehen Reste von Weinpressen sowie Stallungen fürs Opfervieh.

Im vorläufigen (und nur in hebräischer Sprache vorliegenden) Grabungsbericht heißt es, daß die Stämme Israels hier den Himmel um Regen anriefen und andere „bedeutende religiöse Rituale“ vollzogen.

Noch im „2. Jahrhundert vor Christus“ sei der Platz in Gebrauch gewesen.

Was für eine Entdeckung! Keine zehn Kilometer von Jerusalem entfernt, auf einem Berg und fast auf Sichtweite zum großen Jahwe-Heiligtum, wurden demnach selbst in hellenistischer Zeit noch heidnische Regentänze aufgeführt.

Angesichts solch bizarrer Befunde hat der Alttestamentler Diebner seine Kollegen zur „metakritischen Quellenschau“ aufgerufen. Sein Motto: Seid mißtrauisch beim Bibellesen.

 

Noch die Makkabäer, glaubt der Forscher, hätten Kerntexte der Bibel umgeschrieben. Der Name steht für eine Gruppe von Hohepriestern und Königen, die um 140 vCh von Jerusalem aus die Unabhängigkeit erkämpften. Für kurze Zeit blühte damals im Gelobten Land ein Gottesstaat, geführt von den Anhängern Jahwes.

Kurz danach gingen die Eiferer sogar militärisch in die Offensive. Es gelang ihnen, den verhaßten Norden zu überrennen. Der Sakralbau auf dem Garizim, „Rivale des Jerusalemer Tempels“ (Dubnow), wurde zerstört.

Erst in diesem geschichtlichen Augenblick, meint Diebner, sei der Traum vom panisraelitischen Großreich entstanden, der sich wie ein Leitmotiv durch die Heilige Schrift zieht. Der einst so viel größere Nachbarstaat wurde geschluckt und dessen alter Name „Israel“ zum neuen Schlachtruf der ganzen Nation.

Diebner drückt es so aus: „Es vollzog sich die Destruktion der Kultur Samariens, das heißt die imperialistische Integration der Kultur der samaritanischen Kulturgemeinde in ein judäisch beherrschtes und kontrolliertes Kultur-System.“

Nun erst, glauben die Minimalisten, entstand die - fiktive - Vorgeschichte vom Erzvater Abraham. Dessen mit realen Ortsnamen gespickte Wanderung durch Kanaan umfaßt etwa jenes Gebiet, auf das die Makkabäer Anspruch erhoben.

Und auch die berüchtigte Story von der Landnahme Kanaans, in der Gott dem auserwählten Volk befiehlt, die ansässige Urbevölkerung „auszutilgen“, paßt viel besser in die Zeit der Makkabäer, die in schwere Geländekämpfe verstrickt waren.

Ist das Buch Josua also eine „Programmschrift aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert“, wie der dänische Forscher John Strange spekuliert? Auch der Bibelkenner Krauss vermutet: „Es sieht so aus, als wollte der Verfasser des Buches Josua den Hohepriestern die richtige Politik gegenüber den heidnischen Nachbarn in dichterischem Gewand empfehlen.“

Kein Zweifel: An den theologischen Fakultäten werden derzeit unbequeme Gedanken ausgebrütet. Die jüdische Orthodoxie verschließt eher die Ohren. Ihr gilt schon der gemäßigte Forscher Finkelstein als Nestbeschmutzer.

Nüchterne Analysen sind in Israel zur Zeit nicht gefragt. es blüht der sentimentale Fanatismus. Jeden Freitagabend treten religiöse Juden unter Polizeischutz an der Klagemauer zum Gebet an. Wenige Meter über ihnen, auf dem Burgberg, in der Aksa-Moschee, knien Muslime.

An dieser Situation wird sich so schnell nichts ändern. Haß steht gegen Haß, Religion gegen Religion, Besitzanspruch gegen Besitzanspruch. Die Tora ist zwar ein „herausragendes Ergebnis menschlicher Einbildungskraft“ (Finkelstein). Sie zeugt vom Triumph des Homo sapiens, der sich von den Fesseln des Naturmythos befreite und in die Sphäre des ethischen Gesetzes vorstieß. Zugleich aber tischt die Bibel auch fromme Lügen auf (Matthias Schulz, so weit der Text aus dem Spiegel).

 

 

Das Volk Israel in der Antike                                 (* in der Bibel genannte Ereignisse)

 

1207 vCh

Erstmalige Erwähnung eines Stammes „Israel“ auf einer Siegesstele von Pharao Merneptah

um 1200

Moses auf dem Sinai *

um 1200 bis 1175

„Seevölkerwirren“ führen zum Niedergang des archaischen Griechenland und des Hethiterreichs: wirtschaftlicher Kollaps und Bevölkerungsschwund

1186

Troja brennt

1004 bis 965

David erobert Jerusalem und schafft sein legendäres ,,Großreich“

965 bis 926

Bau des Jahwe-Tempels unter Salomo

950

Jerusalem hat kaum 1000 Einwohner

926

Zerfall des jüdischen Großreichs in zwei Teilstaaten *

800

Polytheismus in Kanaan. Geopfert wird auf Höhenheiligtümern

um 750

Homer schreibt die „Ilias“

722

Assyrische Heere zerschlagen den Teilstaat Israel

um 720

Bau eines 540 Meter langen Wassertunnels in Jerusalem

639

Josia, König von Juda, bekämpft die Vielgötterei und setzt den Monotheismus durch  *

664 bis 595

Letzte Blüte Ägyptens. Judäische Gastarbeiter arbeiten am Nil

um 600

Mutmaßliche Geburt Zarathustras

587

Der Babylonier Nebukadnezar zerstört den Tempel von Jerusalem. Beginn der Babylonischen Gefangenschaft   *

um 560

Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel  *

538

Der Perserkönig Kyros erlaubt die Rückkehr der Juden aus dem Exil

515

Wiederaufbau des Tempels von Jerusalem

5. Jahrhundert

Priester der Ziongemeinde verfassen vermutlich große Teile der Bibel

um 430

Herodots Geschichtswerk erwähnt weder die Israeliten noch den Gott Jahwe

4. Jahrhundert

Große jüdische Ghettos in den Metropolen Alexandria und Antiochia

334 bis 323

Feldzüge Alexanders des Großen

um 300

In Ägypten kursieren antisemitische Hetzschriften

3. Jahrhundert

Niederschrift der biblischen Bücher  „Prediger“ und „Hoheslied“

ab 240

Älteste Papyrusrollen von Qumran

168

König Antiochos verbietet den Jahwe-Kult und die Beschneidung der Knaben

141

Wiederherstellung eines unabhängigen jüdischen Staates „Judäa“

94 bis 88

Bürgerkrieg zwischen weltlichen und religiösen Parteien in Judäa

63

Roms Feldherr Pompejus erobert die Hauptstadt

37 bis 4

Herodes I. - Statthalter von Roms Gnade

um 4 vCh

Mutmaßliche Geburt Jesu  *

66 n. Chr.

Jüdischer Aufstand gegen die römischen Besatzer

70 nCh

Zerstörung Jerusalems durch vier Legionen. Der Tempel wird angezündet und die Schätze werden nach Rom entführt

70 n. Chr.

Markus schreibt das erste Evangelium

 

 

 

 

D i e  f ü n f  B ü c h e r  M o s e:  D e r  „P e n t a t e u c h“:

Der griechische Ausdruck für die fünf Bücher Moses ist „Pentateuch“ („Fünfgefäß“, nach den Krügen, in denen Schriftrollen aufbewahrt wurden, denn deren Umfang bestimmte auch seine Einteilung in fünf „Bücher“). Diese bilden gemeinsam als „Tora“ den ersten Hauptteil der hebräischen Bibel bzw. des christlichen Altes Testaments.

Der deutsche Name „Die fünf Bücher Mose“ folgt der jüdischen und christlichen Tradition, daß alle Bücher von der Schöpfung bis zur Landverteilung in Kanaan von Mose verfaßt sind. Der Bericht über den Tod des Mose wäre dann seinem Nachfolger Josua zuzuschreiben. Diese Sichtweise wird heute nur noch von orthodoxen Juden sowie einem Teil der Christen (hauptsächlich aus dem sogenannten evangelikalen und/oder fundamentalistischen Bereich vertreten.

Die Themen des Pentateuch sind die Urgeschichte, die Vätergeschichten, die Josephsgeschichte, die Auszugsgeschichte, der Aufenthalt in der Wüste, Sinaitradition und Land­nahme­tradition. Diese Themen mußten miteinander verbunden werden. Deshalb sagte man: Die Erzväter durften das Land nur symbolisch in Besitz nehmen. Erst als das ganze Volk einwanderte, wurde es zum „Land Israel“. Durch die Josephsgeschichte wurden die Geschichten von den Erzvätern dann mit der Landnahme­tradition verbunden.

Die ältere historische Forschung war der Meinung, hinter der literarischen Darstellung doch immer noch den tatsächlichen geschichtlichen Verlauf in seinen Grundzügen fassen zu können. Aber hinter den Darstellungen stehen erst einmal bestimmte Auffassungen und Vorstellungen älterer Traditionen, die aus ganz verschiedenen Kreisen kommen.

An den wirklichen Ablauf konnte man sich nicht mehr erinnern. Aber man hatte ein bestimmtes theologisches Bild von der Heilsgeschichte, das von dem Bekenntnis im Gottesdienst schon lange geprägt war. Die historische Forschung und der Glaube haben unterschiedliche Ziele: Die Forschung sucht ein kritisch gesichertes Minimum, der Glaube neigt zu einem theologischen Maximum, will also möglichst viel von den Erzählungen behalten.

 

Der Pentateuch ist im Großen und Ganzen eine Sagenüberlieferung. Diese Sagen hatten aber nicht jeweils einen Verfasser, sondern sind aus dem mündlich - vor allem bei den Festen - weitergegebenen Erzählungen der Stämme entstanden. Gerade die ältesten Überlieferungen wurden dabei dem Mose zugeschrieben. Dabei hat man Sagenkränze, Ortsgründungserzählungen, Stammesüberlieferungen und Gesetzessammlungen verwandt. Alle Stoffe hatten zunächst nur eine örtliche Bedeutung für dort ansässigen Stamm. Aber nach der Bildung des Stammesverbandes im Kulturland wurden die Einzelstoffe zu einem gesamtisraelitischen Schema zusammengefügt. Das produktive Stadium, in dem die Stoffe entstanden und immer weiter entwickelt wurden, war aber in der vorliterarischen Zeit.

Leitfaden dafür war zunächst das „kleine geschichtliche Credo“ (5. Mose 26,5-9), das von der Väter- bis zur Landnahmezeit reicht, aber die Sinaitradition übergeht. Aber es gibt noch weitere solcher Bekenntnisse wie zum Beispiel in 2. Mose 15,21 („Laßt uns dem Herrn singen, den Roß und Mann hat er ins Meer gestürzt“). Das Urbekenntnis ist also die „Herausführung aus Ägypten“ mit dem Schwerpunkt: Vernichtung der Ägypter im Meer).

 

Der Pentateuch umfaßte aber nur das erste bis vierte Mosebuch und Teile aus dem fünften Mosebuch, nicht aber das Buch Josua (gegen von Rad). Gerhard von Rad sieht in der Sinai­tradition den Inhalt des Bundesfestes von Sichem und der Sitz im Leben für die heilsgeschichtliche Überlieferung sei das Wochenfest in Gilgal. Der Jahwist habe beides vereinigt und dabei auch die Urgeschichte vorgeordnet.

Martin Noth lehnt eine Zuordnung der Landnahme­tradit­ionen zu den alten Pentateuchquellen und zum Heiligtum von Gilgal ab und vermutet eine gemeinsame Grundlage (G) für J und E. Für Weiser sind Heilsgeschichte und Sinaitradition von Anfang an miteinander verbunden und wurden als Willenskundgabe Jahwes beim Bundesfest in Sichern vorgetragen; die Penta­teuch­quellen wären eine Art Vorlesebücher („Lektionarien“) für den mündlichen Vortrag beim Bundesfest des Zwölfstämmebundes. Jedenfalls haben wir mit verschiedenen Traditionskreisen zu rechnen, in denen das aus dem Kult stammende Grundschema im Stadium mündlicher Überlieferung erzählerisch aufgefüllt und ausgestaltet wurde.

Es ist also nicht alles wirklich so passiert, wie es heute in den Büchern erscheint. Es geht nur um die Aussage, daß Gott sich ein Volk erwählt hat, es aus Ägypten heraus­geführt und einen Bund mit ihm geschlossen hat. Die Überlieferung von der Rettung am Meer und der Erscheinung Gottes am Sinai wurden spätestens beim Landtag von Sichem verbunden.

Geschichtsschreibung wird meist durch Ereignisse der jeweils jüngsten Vergangenheit her­ausgefordert. So wurde wohl zuerst die Geschichte von der Thronnachfolge Davids aufgezeichnet. Das hat dann den Wunsch hervorgerufen, auch die weiter zurückliegenden Ereignisse der Volksgeschichte aufzuzeichnen.

 

Spannungen und Dopplungen (Dubletten):

Daß verschiedene Quellenschriften vorliegen, erkennt man aus den Doppelungen im heutigen Ablauf:

• Zwei Berichte von der Erschaffung der Welt und des Menschen mit zum Teil widersprüchlichen Aussagen: durch das reine Schöpferwort in 1. Mose 1, als Mann durch ein Töpferwerk Gottes, als Frau aus der Rippe des Mannes in 1.Mose 2.

• Der ständige Wechsel der Gottesbezeichnung zwischen „Elohim“ und „Jahwe“. Daraus schloß man auf zwei verschiedene Verfasser der Schöpfungserzählungen in 1.Mose 1,1 - 2,4 (Gottestitel „Elohim”) und 1.Mose 2,5 - 3,24 (Gottesname „Jahwe“).

• Zwei Versionen von der Dauer der Sintflut, vom Bau der Arche und der Rettung der Tiere in 1.Mose 6 - 8 (Einmal Taube, einmal Rabe)..

• Dreifache Rettung der Stammutter Sara bzw. Rebecca in 1. Mose 12, 20 und 26.

 

Aus diesen Widersprüchen entwickelten sich folgende Erklärungsversuche:

• Ältere Urkunden-Hypothese (Quellenhypothese) mit Unterscheidung eines „Elohisten“(E)v o r Mose und eines „Jahwisten“ (J) n a c h Mose. Oder es seien drei Quellen mit zwei Elohisten, die von der Schöpfung durchgehend bis zur Landnahme reichen.

• Fragmenten-Hypothese: Statt von zwei Quellen wird von zwei „Traditionskreisen“ gesprochen, da eben viele einzelne Bruchstücke vorliegen. Zahlreiche ehedem selbständige Erzählkränze wurden erst nach und nach zu einer Gesamterzählung zusammengearbeitet, zu einem Erzählkranz, also einer in sich geschlossene Gruppe von Begebenheiten zu einem bestimmten Thema oder einer bestimmten Person (wie etwa die Erzählungen um den Stammvater Abraham oder die Sintflut).

• Ergänzungs-Hypothese: Als eine Art Verbindung aus Urkunden- und Fragmenten­hypothese entwickelte sich die Ergänzungshypothese (Grundschrifthypothese). Danach bestand das erste Mosebuch zunächst aus einer einzigen elohistischen Grundschrift, in die ein jahwistischer Redaktor nach und nach einzelne, sich im Umlauf befindliche Erzählkränze einarbeitete. So liegt auch dem ganzen Hexateuch (Pentateuch + Josua) liegt eine alte Geschichtserzählung zugrunde (Gottesname Elohim, einfacher Stil), in die später Stücke eines jüngeren, parallelen Werkes eingefügt wurden (Gottesname Jahwe, sagenhafte Erzählweise).

• Neuere Urkunden-Hypothese („Vierquellentheorie“): Es gab drei durchlaufende Quellenschriften (J, E, P), an die noch 5. Mose (oder sogar das Buch Josua) angefügt wurde. Diese Quellen lassen sich unterscheiden anhand verschiedener Merkmale wie der Wahl der Gottesbezeichnung, bestimmtem Vorzugsvokabular oder der theologischen Ausrichtung.

Die Reihenfolge der Entstehung sollte sein:

- Jahwist (J): aus der Zeit um 950 vCh (Zeit Salomos)

- Elohist (E): aus der Zeit um 800 vCh (Zeit der Reichsteilung)

- 5. Mosebuch (Deuteronomium): 7. Jahrhundert vCh (späte Königszeit)

- Priesterschrift (P): aus der Zeit um 550 vCh (Zeit des Gefangenschaft)

Der Forscher Wellhausen sah es so: In die jahwistische Quellenschrift (J) arbeitete ein Redaktor (RJE) aus der Zeit unmittelbar nach dem Untergang des Nordreiches Israel im Jahre 722 vCh die elohistische Quelle (E) ein und schuf so das „Jahwistische Geschichtswerk“ (JE) (auch „jehovistisch“). Es soll in 1. Mose 2, 4 (Ende) begonnen und mit der Landnahme geendet haben und mindestens bis 4. Mose 32 gehen (also bis zur ostjordanischen Landverteilung). Nach anderen wurde die Quelle sogar bis in die Königszeit fortgeführt, aber das ist nicht allgemein anerkannt. Wellhausen vermutet eine andere Reihenfolge von Deuteronomium und Priesterschrift: In der Zeit nach der Gefangenschaft soll die Verbindung von Jahwist und Elohist in die Priesterschrift eingearbeitet worden sein. Und schließlich wurde von einem weiteren Redaktor (möglicherweise Esra) das Deuteronomium als eigene Größe hinzugefügt. Grundlegend ist das Werk des Jahwisten. Er hat in der Regel die Führung (außer in der Josephsgeschichte). Der Jahwist war sowohl als Sammler älteren Materials als auch als Schrift­steller tätig. Über die Kombination von Jahwist und Elohist hat die Priesterschrift die Führung.

• Neueste Urkunden-Hypothese: Die Spannungen in den rekonstruierten Quellen führten zu einer zusätzlichen Unterscheidung zweier jahwistischer Quellen (bei Smend J 1 und J 2, bei Eissfeldt L (Laienquelle) und J, bei Fohrer J und N (Nomadenquelle). Aufgrund des fragmentarischen Charakters des Elohisten wurde dieser von einigen nicht als Quelle, sondern als Ergänzung zum Jahwisten verstanden. Oft wurde das Nordreich als Entstehungsort für den Elo­histen, das Südreich als Herkunft des Jahwisten angesehen.

 

Formgeschichtliche Schule:

Zu diesen Hypothesen kamen dann die Erkenntnisse der formgeschichtliche Schule, die die einzelnen literarischen Formen untersuchte (Geschichtsbericht, Lied, Glaubensbekenntnis). Man untersuchte die Traditionen eines Motivs und sah sie - und nicht Quellen - als Kristallisationspunkte der Überlieferung an. Es kam zu einer Stabilisierung der neueren Urkundenhypothese. Kritisiert wurde aber an der neueren Urkundenhypothese die traditionelle Datierung der Quellenschriften, die traditionelle Auffassung vom Alter der im Pentateuch gesammelten Überlieferungen und die Methodik. Die Abgrenzung des Jahwisten wurde immer umstrittener.

 

Kritik an den früheren Hypothesen:

Die Verwendung verschiedener Gottesbezeichnungen, die zur literarischen Scheidung der verschiedenen Quellen führte, ist unzulänglich, da „Elohim“ nicht wie Jahwe ein Eigenname, sondern eine Gattungsbezeichnung ist. Es handelt sich also nicht um zwei auf einer Ebene stehende, miteinander konkurrierende Gottesnamen.

In 2. Mose 3,14 offenbart Jahwe auf die Nachfrage des Mose hin seinen Namen als „Ich bin, der ich bin“. Ausdrücklich wird betont, daß Jahwe auch der Gott der Erzväter gewesen ist. In 2.Mose 6,2-3 spricht Jahwe zu Mose: „Ich bin Jahwe. Ich bin Abraham, Isaak und Jakob als El-Schaddai erschienen, aber unter meinem Namen habe ich mich ihnen nicht zu erkennen gegeben!“ Es gibt also widersprüchliche Vorstellungen über die Offenbarung des Gottesnamens.

Man hat dies mit Hilfe der traditionellen Urkundenhypothese zu erklären versucht:

- Der Jahwist gebraucht den Jahwenamen schon in der Ur- und Väter­geschichte. Der

Name Jahwe ist also von Anfang an offenbar, ausdrücklich wird dies noch 1. Mose

4,26 betont (damit wird also der Schöpfergott und der im Kult verehrte Gott der

Geschichte als identisch betrachtet!).

- Der Elohist gebraucht in den Vätergeschichten die Gottesbezeichnung „El“

(Elohim). Erst am Sinai offenbart sich Gott dem Mose als Jahwe.

- Die Priesterschrift gebraucht in der Urgeschichte ebenfalls die Bezeichnung „El“.

Dem Abraham enthüllt sich in dieser Traditionsschicht Gott als „El schaddai“

(„Allmächtiger Gott“?).

Ein Stil, der beide Gottesbezeichnungen mischt, ist nicht erklärungsbedürftiger als die beiden Stile, die je nur eine Bezeichnung verwenden. Der Wechsel der beiden Gottesbezeichnungen kann durchaus durch die geschichtliche Entwicklung bedingt sein, er eignet sich jedoch nicht als literarisches Unterscheidungszeichen zur Quellenscheidung. Nur in der Priesterschrift gibt es einen systematischen Gebrauch der Gottesbezeichnung gibt (In der direkten Gottesanrede zunächst Elohim, bei den Vätern „El schaddai“, ab 2. Mose 6 dann Jahwe).

Gegen die Ansicht von der Existenz zweier oder dreier durchlaufender Erzählquellen spricht vor allem folgender Grund : Wenn die Kompositionseinheiten (zum Beispiel um die verschiedenen Väterpersonen) ursprünglich sind, müßte es eine doppeltes oder gar dreifaches Wachstum der Kompositionselemente zu Quellenschriften gegeben haben.

 

Aktuelle Forschung:

• Redaktionshypothese: Der Pentateuch hat keine durchlaufenden Quellen, sondern ist nur Komposition und mehrfache Überarbeitung einer Sammlung von Sagen, besteht also nur aus sogenannten „Redaktionen“ (Das Wort meint also nicht eine Zeitungsredaktion, sondern die Überarbeitung eines Textes durch einen Bearbeiter). Eine jahwistische Grundschicht umfaßt auch Teile, die gewöhnlich dem Elohisten zugeschrieben werden, andererseits aber ist sie durch untereinander zusammenhängende Überlieferungsstücke erweitert worden. Andere rechnen mit einer zweiten, umfangreichen Bearbeitung des Jahwisten und mit einer langsam wachsenden Grundschicht. Statt J-E-D-P hieß das nun: J 1 (bestehend aus J 1 bis 3) - E - (D) - J 2 - P.

• Traditionskomplexe: Die einzelnen Traditionskomplexe wurden zunächst jeweils für sich gesammelt. So werden die Josephsgeschichte, der Jakob-Esau-Laban-Sagenkranz und der Ahraham-Lot-Sagenkranz als Grundkompositionen erkannt, die gesammelt, weitergeführt und dann mehrfach bearbeitet wurden. Eine recht frühe Überarbeitung fügte die ersten Verheißungsreden (13,14-18 und 28,13-14) ein. Diese Verheißungsthematik erfuhr dann in der Gefangenschaft eine Ausweitung, da nun die Nachkommens- und Landverheißungen von hoher Bedeutung waren. Weniger in sich abgeschlossen sind Exodus- und Sinai-Erzählung. Kaum verknüpft mit den anderen Einheiten sind Ur- und Vätergeschichte. Durch die Person des Mose (und Aarons) und die Feuer- und die Wolkensäule sind Exodus, Wüstenwanderung und Sinai stärker miteinander verbunden. Die einzelnen Einheiten wurden unter sehr verschiedenen Gesichtspunkten und Leitgedanken gesammelt und gestaltet. Die Zusammenfügung ist auf eine deuteronomistische Redaktion zurückzuführen, durch einen Bearbeiter, der zugleich das 5. Mosebuch herausgab. Eine weitere, priesterschriftliche Redaktion (oder mehrere) fügten das priesterliche Material ein.

• Formgeschichtlich-traditionsgeschichtliche Alternative: Gerhard von Rad sah den Pentateuch als die Ausgestaltung kurzer, angeblich sehr alter Glaubensbekenntnisse (5. Mose 26,5-10 und 6,10-24 und Jos 24,2-13). Diese Texte haben sich jedoch als deuterono­mis­tisch erwiesen, ihre Einzelelemente sind älter als die Gesamtglaubenstexte. So sind diese Glaubensbekenntnisse wohl eher knappe Zusammenfassungen des ausführlichen Pentateuch und setzen die Erzählungen voraus.

• Vorherrschaft der Priesterschrift (seit etwa 1970): Beim Jahwisten und Elohisten handelt es sich insofern nicht um Quellen, da sie die Kriterien einer eigenständigen Quelle nicht erfüllen: sinnvoller Anfang, sinnvolles Ende, durchlaufender Erzählfaden und erkennbare Gesamtkonzeption. Daher geht die aktuelle Forschung meist nur noch von einer wirklichen Quelle innerhalb des Pentateuch aus, nämlich der Priesterschrift. Allein diese besitzt einen von der Erschaffung der Welt bis zur Landnahme reichenden, durchgehenden Erzählfaden. Sie zeichnet sich durch eine klar er­kenn­bare theologische Linie und wiederkehrende Formulierungen aus.

• Alle anderen Texte, die zuvor dem Jahwisten oder dem Elohisten zugewiesen wurden, werden heute in der Regel zu jüngeren Redaktionen gerechnet oder als ältere Einzeltraditionen angesehen. Die Mehrzahl der neueren exegetischen Entwürfe spricht bei diesen Texten daher einfach von „vor-priester­lichen“ oder „nicht-prie­ster­schriftlichen“ Texten. Auch das Deuteronomium kann strenggenommen nicht als Quelle betrachtet werden, da es keinen gesamten Geschichtsverlauf erzählt.

 

Zeitraum:

Heute nehmen die meisten Forscher an, daß der Pentateuch nach der babylonischen Gefangenschaft etwa 440 vCh fertiggestellt wurde. Er wird auf Priester im Volk Israel zurückgeführt, die vor allem am Jerusalemer Tempel wirkten. Seine ältesten und lange Zeit mündlich überlieferten Stoffe reichen jedoch bis 1500 vCh zurück.

Die Einzelquellen wurden wohl schon in der Königszeit (ab 1000 vCh), besonders aber ab der Zeit der Verbannung (587 vCh), zu größeren Einheiten verbunden: Erzväter-Erzählungen (1. Mose 12 - 47), Auszug aus Ägypten, Wüstenwanderung und Bundesschluß am Sinai (2. Mose), Besiedlung des Landes (Teile des 4. Buchs Moses, Josua und Richter), „Urgeschichten“ (1.Mose 1 - 11) und Gesetzessammlungen (Teile des 2. und 4. Buchs und das gesamte 3. und 5. Buch)

Der Pentateuch umgreift eine Geschichtsperiode von gut 500 Jahren von den nomadischen Anfängen Israels bis zur Besiedelung des fruchtbaren Landes Kanaan. Die Themenkomplexe Sinaibund und Urgeschichte fehlen in den alten Glaubensbekennt­nissen Israels, da ihr Einbau in den Pentateuch relativ spät erfolgte. Kristallisationskern und ordnendes Zentrum der Überlieferung ist das Thema der Befreiung aus der Sklaverei, mit der Gott sich erstmals unter seinem Namen offenbart und Israel zu seinem Bundesvolk erwählt (2.Mose 3).

 

Jahwist:

Die jahwistische Geschichtserzählung beginnt in 1. Mose 2,4 b mit der Paradieses­erzählung. Sie zielte auf eine Landnahme im Westjordanland. Die letzten mit einiger Sicherheit dem Jahwisten zuweisbaren Verse stehen in 4. Mose 32. Doch es ist auch die Möglichkeit gegeben, daß es sich in Richter 1 (das sogenannte „negative Besitzverzeichnis“) um den Abschluß der jahwistischen Erzählung handelt.

Durch die Vorschaltung der Urgeschichte wird Jahwe als den Gott aller Menschen gezeigt und sein Sinnen und Tun ist auf den Segen der ganzen Menschheit gerichtet. Während in der Urgeschichte die Schuld der Menschen immer mehr ansteigt und Gottes Gnade immer nur das Schlimmste abfangen kann, setzt mit der Vätergeschichte die Heilsgeschichte ein. Dadurch wird das fluchhafte Gefälle der Welt gestoppt. Im Grun­de liegt hier schon die Wiege des messianischen Ansatzes.

Die Vertreter der neuesten Urkundenhypothese (Smend, Eissfeldt, Fohrer) wollten zwei ursprünglich selbständige Quellen herausfinden. Aber die Spannungen und Widersprüche lassen sich auch daraus erklären, daß auch die größeren Erzählungskomplexe in der Regel aus ursprünglich selbständigen Einzelerzählungen zusam­men­gewachsen sind.

Das Werk dürfte zwischen der Thronbesteigung Salomos 965 und der Schlacht bei Karkar 853 entstanden sein. Es ist im Südreich entstanden. Das Handeln Jahwes wird stark in den Vordergrund gerückt und so eine Theologisierung erzielt. Durch die Vorschaltung der Ur­g­e­schichte wird die Weltgeschichte als Heilsgeschichte verstanden. Der Abschritt 1. Mose 18, 22 b - 33 dürfte ganz Werk des Jahwisten sein und seine eigene Theologie am deutlichsten spiegeln. Außerdem hat er auch noch poetisches Gut übernommen. Urtümliche Züge finden sich zwar im übernommenen Gut, aber sonst werden natürliche Erklärungen bevorzugt (ägyptische Plagen, kein Zug durchs Meer).

Von Gott wird wie von einem Menschen geredet und die Unmittelbarkeit zwischen Gott und Mensch bleibt erhalten. Eine entscheidende Schaltstelle im jahwistischen Geschichtswerk ist 1. Mose 12,1-3, die Zusage eines die Grenzen übergreifenden Segens an Abraham, an Israel oder gar den König aus dem Hause Davids. Der Jahwist wird dem Königshof nahegestanden haben und die Verwirklichung des großisraelitischen Reiches erlebt haben. Aber er spricht nicht von Verachtung und Ausbeutung unterworfener Völker, sondern weist Israel die Rolle des Segensvermittlers zu. Der Jahwist kommt aus dem Gebiet der Südstämme.

 

Elohist:

Die jahwistische Erzählung war nach der einen Ansicht die literarische Grundlage, die laufend durch geeignete Elemente des Elohisten ergänzt und bereichert wurde. Der Elohist könnte auch aus dem Gebiet der Südstämme stammen, denn seine mittelpalästinensischen Traditionen wurde im Süden ausgestaltet und durch Sondergut aus dem Süden ergänzt. Der Elohist vermeidet aber solche anstößigen Aussagen wie die Unmittelbarkeit zwischen Gott und Mensch.

 

Priesterschrift:

Diese Quellenschicht des Pentateuch verdankt ihren Namen ihrem Interesse an kultisch-ritu­ellen Einrichtungen priesterlicher Art. Sie ist dennoch Geschichtserzählung, wenn das auch heute nicht mehr so deutlich ist, weil die Priesterschrift nicht mehr in ursprünglicher Gestalt erhalten ist. Man muß auch zwischen der Grunderzählung und den später eingefügten gesetzlichen Materialien unterscheiden.

Der Beginn liegt in 1. Mose 1,1, der Schluß könnte in 5. Mose 34 liegen. Es handelt sich also um eine von der Schöpfung bis zum Tod des Mose reichende Darstellung. Es wird nicht das jehovistische Geschichtswerk mit anderen Akzenten nacherzählt, sondern eigene Traditionen verarbeitet (besonders in der Schöpfungserzählung und der Flutgeschichte).

Die Einarbeitung der alten Quellen in den Rahmen der Priesterschrift war leicht möglich, weil diese dort kurz und summarisch ist, wo die alten Quellen ausführlich und breit erzählen. Solche Spannungen wie Acht-Werke und Sieben Tage-Schema sowie Tat- und Wortschöpfung brauchen nicht zu einer Quellenscheidung zu führen, sondern lassen sich auch traditionsgeschichtlich erklären.

Die Priesterschrift besitzt grundsätzlich die Führung in der Erzählung. Das jeho­vistische Geschichtswerk kam ergänzend zu Wort, wo die Quelle zu summarisch über die Ereignisse hinwegging wie in der Vätergeschichte, wo die lebendige Anschaulichkeit fehlte wie in der Urgeschichte oder wo sie eine grundlegende Überlieferung verschwieg wie in der Sinai­geschichte. Zwischen 4. Mose 27 (bzw. 4. Mose 32 J) und 5. Mose 34 ist das „Deuteronomium“ eingeschaltet, auf das also schon zurückgeblickt wird.

Die Priesterschrift könnte der Legitimierung des nachexilischen Jerusalemer Kultus dienen, dessen Urbild sie in der Mosezeit suchte. Weder mit der Schöpfung noch mit dem Sinai-Ereignis ist ein Bundesschluß verbunden. Die Priesterschrift kennt nur den Noahbund mit dem Regenbogen als Zeichen und den Abrahambund mit der Beschneidung als Zeichen. Die Zeit zwischen Schöpfung und Flut wird mit den Genealogien überbrückt, ebenso die Zeit bis zum Abrahambund und dann bis zum Erwerb der Grabhöhle (1. Mose 23).

Die Gesetzgebung am Sinai wird übergangen, weil Israel am Gesetz gescheitert ist. An die Stelle der Proklamation des Gottesrechtes tritt die Stiftung des Kultes, der Sühne schafft.

Auch die Landnahmetradition wurde ausgelassen und die Schrift endete mit dem Tod des Mose. Es ist umstritten ist, ob die Priesterschriftauch noch eine Darstellung der Landnahme (Jos 13-21) umfaßt.

Es wird viel rationalisiert, die Gestalten sind schemenhaft. Die Priesterschrift ist klug, aber etwas kühl. Es gibt nur zwei Geheimnisse: Der unergründliche Ratschluß Gottes und die unergründliche Macht der Sünde. Aber der Kult enthebt die Menschen der Not, über diese Geheimnisse nachzudenken.

Sicher greift die Priesterschrift auf älteres Material zurück, das vor allem in den Gesetzessammlungen verarbeitet wird. Je nach Grundansatz wird die Priesterschrift entweder als durchgehende Quellenschrift (neuere Urkundenhypothese) aufgefaßt, die eine eigene Darstellung der Geschichte von Schöpfung bis Landnahme aufzeigt, oder als Redaktion zu einem vorliegenden Geschichtswerk gesehen. Auf jeden Fall rechnen auch die Vertreter der neueren Urkundenhypothese mit einem Wachstum der Priesterschrift. Sie unterscheiden die Grundschrift (PG) von späteren Zusätzen (PS), die entweder vor, zugleich oder nach der Zusammen­arbeitung mit J/E/D eingearbeitet wurden.

Zum Grundbestand der Priesterschrift werden gerechnet:

- Urgeschichte: 1. Mose 1-2,4a, Teile aus 6,9 - 9,28 und 10 und 11,10-32.

- Vätergeschichte: vor allem 1. Mose 17 und 21,1 -5 sowie 23.

- Auszug: vor allem 2. Mose 6,-7,7, Teile von Plagen- und Auszugsgeschichte.

- Wüste : vor allem 2. Mose 24,15-18 und 25-31 und 34,29-35 und 35-40; dazu im Wesentlichen das 3. Mosebuch und viele Texte aus dem 4. Mosebuch.

Die Priesterschrift hat eine eigenwillige Sprache und die Monate werden mit Zahlen bezeichnet, nicht mit Namen. Der Stil ist einförmig, umständlich, formelhaft, kleinlich. Es gibt viele Aufzählungen und Wiederholungen bereits genannter Sachverhalte.

Die Priesterschrift ist ein Sammelwerk, denn Sammlung, Sichtung und theologische Einordnung des Materials waren die wesentlichen Aufgaben der Priesterschrift. Geordnet wurde alles durch eine durchlaufende Zeitfolge. Es wurden überwiegend judäisch-jerusalemischen Überlieferungen gesammelt (dagegen wird die Urform häufig ins Nordreich eingeordnet).

 

Die Priesterschrift ist in der babylonischen Gefangenschaft oder wahrscheinlicher danach im 5. Jahrhundert entstanden (die Gesetze in 3. Mose sind jünger als die in 2. und 4. Mose). Es gibt eine Nähe zu Hesekiel, zum Gesetz des Esra und zum zweiten Jesaja (Wichtigkeit des Sabbats). Die Priesterschrift gehört in die geschichtliche Situation der Neugestaltung der Kultgemeinde in der Perserzeit. Damit sind große Teile eine Rückversetzung gegenwärtiger Vorstellung in die Sinaizeit (Verkleidung des Tempels in das Begegnungszelt).

Die Priesterschrift ist trotz der Last ihrer kultisch-gesetzlichen Materialien ein echtes Geschichtswerk. Der Gegenstand der Darstellung ist nicht die verborgene Führung der Menschen und ihr Verhalten gegenüber Jahwe, sondern das Heranwachsen bestimmter kultischer Institutionen aus der Geschichte. Zentrum der Offenbarung ist der Sinai. Am Sinai hat Jahwe nach der Priesterschrift den Kultus Israels gestiftet.

Die Priesterschrift zeichnet einen Ablauf der Geschichte, in dem von Epoche zu Epoche neue Ordnungen offenbar werden. Ziel dieser Geschichte ist das Erscheinen Gottes in der Mitte Israels. Zur Aufrechterhaltung der Gottesbeziehung dienen alle Kultvorschriften. Allein Heiligkeit und Reinheit des Volkes erlauben die heilsame Gegenwart Jahwes am Heiligtum, die durch den priesterlichen Kult vermittelt wird (Mittlerstellung Moses und Aarons).

 

5. Mosebuch (Deuteronomium):

Der Name „Deuteronomium“ („Zweites Gesetz“) entstammt der Übersetzung der Bibel ins Griechische (Septuaginta). Seiner Form nach ist das 5. Mosebuch eine Abschiedspredigt des Mose an Israel. Folgende Vorstellung bestimmt seine Komposition: Ganz Israel hat am Sinai das Gesetz empfangen. Israel konnte aber Jahwes direkte Gegenwart nicht länger ertragen, deshalb wurde Mose zum Gesetzesmittler bestimmt. Er empfängt das ganze Gesetz. In Moab angekommen - kurz vor der Landnahme - verkündet Mose das damals Gehörte dem Volk. Das heißt: Das 5. Mosebuch versteht sich als Ergänzung zur Sinai-Über­lieferung.

Während der Regierung Josias (2. Kön.22-23) wurde eine Urform des 5. Mosebuchs im Tempel gefunden. Der Fund löste die Kultreform Josias aus oder verstärkte sie zumindest. Das ge­fundene Buch wird als ein heiliges Buch behandelt. Es ist unwahrscheinlich, daß ein solch bedeutsames Buch wieder ganz verschwand. Im Alten Testament paßt nur das 5. Mosebuch auf die Beschreibung.

Dafür, daß wirklich ein Ur-Deuteronomium gefunden wurde, spricht:

• Angst und Erschrecken Josias passen zur Fluchandrohung des 5. Mose­buchs

• Entsprechungen zwischen den Hauptmaßnahmen Josias und den Bestimmungen des 5. Mosebuchs: Beseitigung der Gestirnverehrung, der Kinderopfer, der Totenbeschwörung, der Kultprostitution, der auswärtigen Heiligtümer, der Götzenbilder

• Formel „von ganzem Herzen und von ganzer Seele“ in 2. Kön.23,3 gleich 5. Mose.6,5

• Das Passahfest Josias entspricht dem Passah in 5. Mose 16,1-8

• Das 5. Mosebuch gibt sich als Urkunde aus der Mosezeit, das gefundene Buch wird als sehr alt bezeichnet (2. Kön.23,13 und 22).

Es ergibt sich eine Datierung in die spätere Königszeit. Viel früher kann das 5. Mosebuch kaum entstanden sein, da zuvor der Gedanke der Kultzentralisation nicht erwähnt ist. Wegen dieser theologischen Ausrichtung kommt auch wohl nur Jerusalem als Abfassungsort in Frage. In der Formulierung von der „Ruhe vor allen Feinden“ (5.Mose.25,19) kommt die Müdigkeit einer Zeit zum Ausdruck, die genug hat von den vielen Kriegen.

 

Das Zentralisationsgesetz (5. Mose 12) ist eine Neuschöpfung des 5. Mosebuchs. Die Forderung, Jahwe nur an dem von ihm erwählten Ort zu opfern und anzubeten, erhält eine zweifache Abgrenzung:

• 5.Mose.12,2-7: Abgrenzung vom kanaanäischen Kultus (der als Naturreligion vieler Orte und Symbole bedarf).

• 5. Mose 12,8-12: Abgrenzung vom bisherigen Jahwe-Kult, der auf viele Heiligtümer verteilt und vielfach mit kanaanäischen Vorstellungen durchsetzt war. Der Einheitlichkeit des Jahweglaubens mußte nun auch der Kultus entsprechen. Die Zentralisationsforderung ist also nur direkte Konsequenz aus dem Grundgebot 5. Mose 6,4.

Das Neue an den Kultusbestimmungen liegt in der Theologisierung. Bis dahin hatte Israel die Riten vollzogen, weil sie herkömmlich waren. Manche besonderen Riten hatten auch schon besonderen Sinn. Nun aber versucht die geschlossene Theologie des 5. Mosebuchs, die große kultische Vielfalt zu umschließen und einheitlich zu interpretieren.

 

Das 5. Mosebuch teilt gewisse Traditionen mit dem Bundesbuch: Es beginnt ebenfalls mit Kultortbestimmungen und endet auch mit Ermahnungen. Vielleicht läßt sich das 5. Mosebuch als Alternativentwurf zum Bundesbuch verstehen. Es kann aber auch als (kritische und die konkrete Ausführung regelnde) Auslegung des Bundesbuches gelesen werden.

Nach Gerhard von Rad gibt der Abschnitt 5. Mose 4,45-30 den Ablauf eines regelmäßig gefeierten kultischen Festes wieder, des „Bundeserneuerungsfestes von Sichem“; das ist jedoch sehr spekulativ.

Einheitlicher Gegenstand der Predigten ist der Appell zur Treue gegen Jahwe, weil dieser selbst in allem Treue erwiesen hat. Dabei wird der Ruf nach Gesetzesgehorsam umso drängender, je jünger die Texte sind.

Die Vielfalt der an Israel ergangenen Jahwe-Offenbarungen will das 5. Mosebuch. unter einer grundsätzlichen Motivation zusammenfassen und somit zugleich auch vereinfachen. Trotz der Vielschichtigkeit des Materials stellt das 5. Mosebuch eine kompositionelle und auch stilistische Einheit dar. Es will auch so verstanden werden.

Die Selbstbezeichnung des 5. Mosebuchs ist „Torah“. Bis dahin bezeichnete der Begriff „Torah“ die Einzelweisung des Priesters, die den Umfang eines kurzen Satzes nicht überschritt. Wenn nun das ganze 5. Mosebuch unter diesem Begriff zusammen­gefaßt wird, dann bedeutet dies, daß die gesamte Offenbarung Gottes in ihrer Vielfältigkeit als Einheit gesehen wird. Der Begriff „Torah“ läßt sich aber in Bezug auf das 5. Mosebuch nicht mit „Gesetz“ wie­der­geben, dies würde ihn theologisch verkürzen. Der Begriff „Torah“ meint die ganze Zuwendung Jahwes an Israel.

Der Drang des 5. Mosebuchs zur Vereinheitlichung und zur Vereinfachung der Überlieferung zeigt sich auch in dem Grundgebot, Jahwe zu lieben „von ganzem Herzen, von ganzer Seele und nach ganzem Vermögen“ (5. Mose 6,5). Daraus entspringt dann die Befolgung der Gebote: Dankbarkeit und Gegenliebe als Motiv der Befolgung der Gebote.

Im Mittelpunkt steht die Lehre, also das Ausrufen der Willensoffenbarung Jahwes. Jedoch ist der vom 5. Mosebuch geforderte Gehorsam nicht Voraussetzung für die Erwählung; die Reihenfolge ist genau umgekehrt. 5. Mose 27,9: „Höre Israel, heute bist du das Volk Jahwes, deines Gottes, geworden; so höre denn auf die Stimme Jahwes deines Gottes, und halte seine Gebote!“ Das 5. Mosebuch ist also kein Gesetz zur Anleitung von Gehorsamsleistungen, um das Heil zu verdienen. Alle Gebote sollen Auslegung des Gebotes sein, Jahwe zu lieben. Die Liebe Israels zu Gott ist die Erwiderung der Liebe Gottes zu Israel. Sichtbar wird dies daran, daß viele Gebote wie Appelle zur tätigen Dankbarkeit wirken.

Daneben stehen aber auch Sätze mit einer Formulierung, die mit einer Bedingung verbunden ist und den Empfang der Heilsgüter vom Gehorsam Israels abhängig machen. Doch auch diesen Sätzen ist das Erwählungshandeln Jahwes vorausgegangen. In ihnen handelt es sich um den Zuspruch, das Geschenkte auch in Gehorsam und Dankbarkeit zu empfangen. Hier kommt auch die Sorge zum Ausdruck, Israel könnte Jahwes Zuspruch ausschlagen und sein Heil (wieder) verlieren.

Das 5. Mosebuch will kein Staatsgesetz sein. Israel wird als Sakralgemeinde angesprochen, als Jahwes heiliges Volk. In dieser Eigenschaft ordnet das 5. Mosebuch dann auch das Leben des Volkes und die verschiedenen Ämter. Diese Ordnung ist bezogen auf die Heilsgabe des Wohnens im Lande. Die Heilsgüter sind überwiegend materieller Art. Jahwes Gnade wirkt jede Art von Lebensförderung (28,8-14); Lebensminderung ist Ausdruck von Gottes Zorn.

 

Zusammenarbeitung der Quellen:

Die anfänglich mündlich gepflegten Traditionen wurden mit der Zeit aufgeschrieben in ursprünglich selbständigen Quellenwerken. In drei Redaktionen wurden diese später in großen literarischen Werken zusammengefaßt. Zunächst wurden im 6. Jahrhundert das jahwistische und elohistische Werk zu einem „jehowistischen Geschichtswerk“ vereinigt, wobei der Jah­wist die Führung hatte und der Elohist nur ergänzend zum Zug kam. Diese Werke wurde dann in die als Rahmen dienende Priesterschrift eingebettet. Das jehowistische Geschichtswerk kam ergänzend zu Wort, wo die Priesterschrift zu summarisch über die Ereignisse hinwegging (Vätergeschich­te), wo die lebendige Anschaulichkeit fehlte (Urgeschichte) und wo sie eine grundlegende Überlieferung verschwieg (Sinai). Die so entstandene Erzählung wird schließlich mit dem deuteronomistischen Geschichtswerk verzahnt.

Ein ähnliches Nebeneinander gibt es ja auch bei den Evangelien des Neuen Testaments. Die Evangelienerzählungen liegen uns aber einzeln vor, die alttestamentlichen Erzählungen von der grundlegenden Geschichte Israels sind zu einem Erzählganzen zusammengearbeitet worden. Der Schmelzprozeß ist dabei in der Priesterschrift radikaler vor sich gegangen als beim Jahwisten, wo die alten Umrisse der Einzelgeschichten sich oft noch viel deutlicher verraten.

Außerdem entwirft schon der Jahwist eine Weltgeschichte, denn er beginnt schon mit der „Urge­schichte“. Er sieht die Geschichte als Dialog Gottes mit der Menschheit. Die ganze Geschichte steht in Gottes Hand, die Universalgeschichte ist Heilsgeschichte.

Beim Jahwisten kam es auch zum einfachen Zusammenstellen fertig geformter Berichte, bei dem nur kleine Umstellungen und Weglassungen vorkamen. Aber um der Einheit der Gesamterzählung willen wurde dabei der einzelne Teilbericht vom Gesamtbericht her bestimmt. Es ist aber unmöglich, ein bestimmtes Schema von Gesamtgeschichte über alle Einzelberichte zu stülpen. Das kritische Prinzip zum Verständnis des Einzelnen im Gesamtzusammenhang ist der rufende und gebietende Gott. Der Einzeltext wie der Gesamtzusammenhang finden aber ihre „Erfüllung“ und auch ihr Ende in Jesus Christus.

Gesetze sind auch Predigt: Alte Rechtssätze werden oft durch eine Predigt ergänzt. In 5. Mose 15,2 wird zunächst der Gesetzessatz vom Erlaßjahr zitiert und dann damit begründet, daß ein solches Erlaßjahr ausgerufen worden ist. Dann aber folgt eine Predigt, die den Gesetzessatz mit dem Glauben an Gott verbindet. Ähnlich wird in Vers 19 der Rechtssatz von der Übergabe der männlichen Erstgeburt an Gott in Vers 20 ausgelegt durch das Gebot, das Opferfleisch nur im Heiligtum in Jerusalem zu essen. Aber insgesamt ist das ganze Kapitel wieder eine Predigt.

 

Das Bundesbuch:

Der Name „Bundesbuch“ ist aus 2. Mose 24,7 entnommen. Dort wird berichtet, daß Mose dem Volk das „Buch des Bundes“ vorgelesen habe. Folglich wird 2. Mose 20,22-23,33 als der Umfang des Bundesbuchs angesehen (allerdings ist 23,20-33 wohl sekundär).

Im „Bundesbuch“ sind Materialien unterschiedlichster Gestalt zusammengefügt:

• Rechtssätze für den Einzelfall („kasuistisches Recht“) (Mehrheit)

• Rechtssätze mit teilweiser Tatbestandsumschreibung

• Unumstößliches („apodiktisches“) Recht

• Rechtsbegründungen

• Verheißungen und Mahnungen (ermahnendes Schlußwort).

Das Bundesbuch weist die am wenigsten durchreflektierte Begründung der Gebote und Rechtssätze auf. Ferner spielen staatliche Einrichtungen keine Rolle; das deutet auf ein hohes Alter (die Seßhaftigkeit ist allerdings vorausgesetzt). Es gibt viele Berührungspunkte zu außeralttestamentlichen Gesetzessammlungen, allerdings auch eine stark anti-kanaanäische Stoßrichtung (2. Mose 22,19). Datiert wird das Bundesbuch deshalb in die vorstaatliche oder frühe Königszeit.

 

Das Heiligkeitsgesetz:

Der Name „Heiligkeitsgesetz“ für 3. Mose 17 - 26 geht auf das häufige Betonen der Heiligkeit Jahwes in diesen Kapiteln zurück. Älteres Material, das wohl bereits auch zu kleineren Untersammlungen und Reihen zusammengefügt ist, läßt ein fortlaufendes Wachstum erkennen. Es waren wohl priesterliche Kreise, die das vorliegende Material im Zusammenhang der Entstehung der Priesterschrift oder unabhängig von ihr sammeln und vereinigen:

Unklar ist, ob 3. Mose 17-26 vor ihrer Einfügung in die Priesterschrift bereits eine eigenständige Sammlung bildeten, oder ob das Heilig­keitsgesetz gerade für seinen Einbau in die Priesterschrift geschaffen wurde. Für letzteres spricht, daß die Rahmungsstücke 17 und 26 priesterlichen Charakter tragen und daß der Aufbau dem von 5. Mose und Bundesbuch entspricht

Die fortgeschrittenere Konzeption gegenüber dem Bundesbuch, die Nähe zu Hesekiel und zur Priesterschrift, die vorausgesetzte Gefangenschaft in 3. Mose 26 weisen auf eine Entstehung in der Gefangenschaft oder danach.

Das 5. Mosebuch ist also bereits vorgegeben und das Heiligkeitsgesetz nimmt kritisch dazu Stellung. Es scheint nur eine kleine oder eine utopische Gemeinde vor Augen zu haben (alle Schlachtungen sollen am Heiligtum vollzogen werden, das hat es erst nach dem Fall Jerusalems so gegeben). Die Salbung des Hohepriesters setzt das Nicht-Vorhandensein des Königtums voraus, da Salbung einst ein Privileg des Königs war.

Theologisch wird das Heiligkeitsgesetz als Jahwe-Rede bereits am Sinai stilisiert. Jahwe selbst wird seine Gemeinde kultisch wie ethisch als heilige Gemeinde gestalten und sichern, da er selbst heilig ist und heiligend wirkt. Es geht um die Neugestaltung der Gemeinde nach der Gefangenschaft in kultischer Reinheit. Das Ich Jahwes als das Gegenüber des Volkes wird betont und wird heilsgeschichtlich durch den Verweis auf die Rettung aus Ägypten untermauert und fordert die Heiligkeit des Volkes.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Geschichtsbücher

 

D i e  M o s e b ü c h e r

Was am Anfang der Bibel steht, war in Wirklichkeit die letzte Stufe der Glaubensentwicklung. Die sogenannten „Urgeschichten“ wurde erst vorangestellt, als das Volk Israel seßhaft geworden war. Sie hatten Gott erfahren als den Gott, der ihnen in der Geschichte beigestanden hatte. Er hatte sie vor den Ägyptern errettet, hatte mit ihnen einen Bund geschlossen und ihnen das Land gegeben. Sie hatten ihn schließlich als Gott der Erzväter erkannt. Nun überlegte man sich, daß Gott ja auch der Schöpfer der ganzen Welt sein müsse. Diesen Glaubenssatz hat man dann in anschauliche Geschichten verpackt, in denen das „Wissen“ der damaligen Zeit verwendet wurde. Man dachte sich die Schöpfungserzählungen aus, um in anschaulichen Bildern den Glauben an diesen Gott zu umschreiben.

Das Volk Israel ist entstanden aus Hirten, die abends am Lagerfeuer ihre Geschichten erzählten und von Generation zu Generation weitergaben. Wenn sie einen Tatbestand ausdrücken wollten, dann haben sie das nicht kurz und bündig mit einem Satz gesagt - wie wir das tun würden - sondern sie haben eine oft blumige Geschichte erzählt. Wo wir heute ein knappes Glaubensbekenntnis haben, da setzen sie ihre Glaubensaussage in Erzählung um. Jeder Hörer aber wußte, daß es eine Erzählung ist, hinter der mehr steht, als es vordergründig zu sein scheint. Seit der Aufklärungszeit vor 200 Jahren aber haben wir es verlernt, hinter solchen naiven Geschichten noch die eigentliche Wahrheit zu entdecken, die damit ausgedrückt werden sollte. Deshalb ist uns heute der Zugang erschwert.

Der Glaube an Gott ist so allmählich gewachsen. Gott war natürlich schon immer der Schöpfer der Welt, aber das Volk Israel hat das erst nach und nach erkannt. Ausgangspunkt war nicht die theoretische Frage, ob es einen Gott gäbe, sondern die Erfahrung in der Geschichte des eigenen Volkes und Lebens. Er sollte aber nicht nur der Gott dieses Volkes sein, sondern der Gott aller Völker. Deshalb mußte er auch der Schöpfer der Welt sein.

 

Während die Christusoffenbarung eine Einheit ist, zerlegt sich die alttestamentliche Jahwe­offenbarung in eine lange Folge von einzelnen Offenbarungsakten mit sehr verschiedenen Inhalten. Schon die ältesten Bekenntnisse zu Jahwe waren ganz geschichtsbestimmt: Sie verknüpfen den Namen dieses Gottes mit den Aussagen von einer Geschichtstat.

Die kurzen Formeln begnügten sich anfangs mit ganz wenig geschichtlichen Stoffen. Aber dazu traten bald bekenntnismäßige Zusammenfassungen der Heilsgeschichte. Ausgangspunkt war die Erzväterzeit und Endpunkt der Einzug Israels in das verheißene Land. Das wurde als die eigentliche Heilszeit angesehen. Aber die Geschichte ging ja weiter und kam in der Königszeit zu einem schrecklichen Ende. Doch so richtig wahrgenommen hat man das alles erst, als man in der Gefangenschaft saß und diese Geschichte ein Ende gefunden hatte.

Das spezifisch Israelitische ist die Zuordnung von Urgeschichte und Heilsgeschichte: Die be­grenzte Geschichte eines kleinen Volkes ist Werk des gleichen Gottes, der die Welt und den Menschen schuf. Die „Weltschöpfung“ gehört dabei in das beschreibende Gotteslob, denn sie dient dazu, die weltüberlegene Macht Jahwes zu erweisen. Die „Menschenschöpfung“ gehört in die Klage des einzelnen und das Heilsorakel, denn sie bemüht sich, die Zuwendung Jahwes zu seinen Geschöpfen zu beschwören.

 

Einführung in die Urgeschichte

Der schlichte Leser der beiden Anfangskapitel der Bibel muß den Eindruck gewinnen, als seien hier absolute Fakten des Schöpfungsgeschehens festgehalten, als werde hier historisch dargelegt, wie die Erschaffung der Welt einst vor sich gegangen ist. Dabei ist ja niemand dabeigewesen, so daß er uns davon berichten könnte.

Die Erzählungen wollen aber weder einen historischen Bericht noch eine naturwissenschaftlich bestimmte Darstellung wirklicher Vorgänge geben. Vielmehr haben hier Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Entwicklung begonnen, über ihre Herkunft und den Ursprung der Welt nachzudenken. Sie mußten zurückdenken in die Vergangenheit, waren aber natürlich Menschen ihrer Zeit. In den Geschichten, die sie sie ausgedacht (!) haben, um ihren Glauben zu bezeugen, waren sie natürlich abhängig von dem Wissen und den Vorstellungen ihrer Zeit, besonders in der naturwissenschaftlichen Erkenntnis (das gilt auch für die heutige Zeit!).

Man kann auch nicht an diese Geschichten herangehen mit dem Zielgedanken: Es stimmt nicht alles, aber es ist doch etwas Wahres dran! Vielmehr handelt es sich um ein Zeugnis aus der Geschichte des Gottesvolkes, das auf die Frage Antwort gibt: „Warum ist das Volk Israel das auserwählte Volk Gottes?“

In einem Kochbuch stehen Anweisungen, wie man einen Kuchen backen muß, damit er gut schmeckt und daß man zum Beispiel das Backpulver nicht vergessen darf. Es wird aber nicht erklärt, weshalb das Backpulver dran muß und wie es chemisch wirkt (daß es nämlich Gase entwickelt, die den Kuchen aufgehen lassen). Wenn man sich dafür interessiert, muß man ein Chemiebuch hernehmen.

So wollen auch die Urgeschichten nicht die physikalische Entstehung der Welt erklären, sondern sie stellen dar, daß Gott der Herr der Welt und der Menschen ist und warum Gott das Volk Israel erwählt hat vor allen anderen Völkern. Dazu muß man allerdings einen größeren Zusammenhang als 1. Mose 1 - 11 im Blick haben.

 

Die Erschaffung der Welt stand auch nicht am Anfang der Bekenntnisse Israels. Am Anfang stand das Bekenntnis zu Jahwe, der Israel aus Ägypten geführt hat. Dann kamen die Väter­erzählungen als Vorgeschichte hinzu. Erst viel später griff man auf die „Urgeschichte“ der Menschheit zurück.

Im Unterricht sollte man deshalb das Neue Testament vor dem Alten, das Glaubensbekenntnis vor den Geboten, den Zweiten Artikel vor dem Ersten behandeln. Erst wer die Rettungstat Gottes in Christus erfaßt hat, wird dann auch die Zeugnisse von den Anfängen der Menschheit verstehen. Es geht dabei um Theologie und nicht um Biologie. Selbst wenn die Bibel vom Menschen spricht, so spricht sie noch von Gott. So spricht sie auch von der Erschaffung im Blick auf die Rettung des Menschen.

 

Zunächst einmal muß man feststellen, daß gleich zwei Geschichten von der Schöpfung am Anfang der Urgeschichte stehen. Das zeigt, daß es um den Inhalt, um das Glaubensbekenntnis geht, nicht aber um die Einzelheiten. Der Glaube an Gott den Schöpfer kann sich zu verschiedenen Zeiten immer wieder anders ausformen. Bei den Urgeschichten handelt es sich also auch um Glaubenszeugnisse, die nicht historische Urkunden sind, aber auch nicht nur Meinungsäußerungen. Sie wollen als Offenbarungsurkunden verstanden werden, als ein Stück Prophetie.

Man kann sagen: Die Urgeschichte ist rückwärtsgewandte Prophetie, denn von der Volkwerdung Israels her wird auf den Anfang zurückgesehen. Die Geschichten erzählen Vergangenes und meinen doch die Gegenwart. Sie meinen auch unsere Geschichte und sind deshalb existentiell zu interpretieren: So wie Adam (und Eva) sind wir alle!

Literarisch gesehen handelt es sich bei den Erzählungen des 1. Mosebuchs um Sagen. Sie sind keine Mythen, wenn auch mythische Elemente in ihnen verarbeitet sind. Mythen sind zeitlos, begehen den ewigen Kreislauf der Natur. Geschichte dagegen ist unwiederholbar und unum­kehrbar.

Nachdem die Sagen noch von Generation zu Generation weitergesagt worden sind, erfolgte die schriftliche Festlegung erst Jahrhunderte später zu Beginn der Königszeit. Aber auch in der Dichtung kann sich die Wahrheit aussprechen, auch sie kann Verkündigung sein. Hier handelt es sich nicht um Geschichtsschreibung, sondern um Erzählungen, die sich Menschen ausgedacht haben, um ihren Glauben an Gott den Schöpfer auszudrücken. Auch Jesus hat bestimmte Geschichten erfunden, er hat Gleichnisse erzählt. Die Geschichte vom verlorenen Sohn ist niemals so geschehen. Das Gleiche gilt für die alttestamentliche Parallele vom Sündenfall.

Gott aber kann auf den verschiedensten Wellenlängen zu uns sprechen. Man kann nicht sagen: Alles in der Bibel ist historisch („Die Bibel hat doch recht“). Man kann auch nicht sagen: „Es ist alles Schwindel!“ Es gilt, den theologischen Gehalt herauszuhören‚ also das, was Gott uns durch diese Geschichten sagen will.

Man darf die Anfangsteile der Geschichtswerke nicht aus dem Zusammenhang reißen und sie isoliert als Lehre von der Schöpfung verstehen. Die Frage nach der Schöpfung ist in Israel erst relativ spät aufgetaucht. Den ersten Anstoß gab die Seßhaftwerdung und die Berührung mit der Religion der Ureinwohner. Israel hatte den Gott aus der Wüste, der das Volk in seiner Geschichte geführt hatte. Die Kanaanäer aber sagten: „Es sind unsere Götter, die die Erde gemacht haben und dafür sorgen, daß alles wächst und gedeiht!“ Das war eine tödliche Bedrohung für den Glauben Israels.

Der Prophet Elia scheint als erster das Bewußtsein geweckt zu haben, daß nicht Baal, sondern Jahwe die Segnungen der Natur gibt oder versagt. Schon für Hosea und Amos war das selbstverständlich.

Doch es kam dann zu einer erneuten Gefährdung zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft, als man sich mit dem Gestirnsglauben der Babylonier auseinandersetzen mußte und erkannte: Nicht Marduk, sondern unser Gott ist der Schöpfer und Erhalter. Es wäre begreiflich gewesen, wenn Israel im Volk der Assyrer aufgegangen wäre. Stattdessen wuchs es zu einer neuen Einheit zusammen, sein Glaube erfuhr eine Reinigung und Klärung und stellte sich als die eigentliche Kraft und die Mitte des Volkes heraus.

Diesen Hintergrund muß man sehen, um die theologische Leistung ermessen zu können, die in der Abkehr von den fast unwiderstehlichen Einflüssen einer überlegenen Kultur und in der Ausschmelzung fremder religiöser Einflüsse bestand.

Das Nachdenken über die Schöpfung begann erst grundsätzlich in der Auseinandersetzung mit der assyrisch-babylonischen Mythologie. Die Schöpfung wurde zu einer Vorgeschichte der Heilsgeschichte, die erst mit der Berufung Abrahams beginnt. Doch schöpfungstheologische Aussagen gibt es aus dem ganzen Zeitraum, seit Israel im Kulturland war (Jahwist, Priesterschrift, Psalmen). Aber es gibt nicht d i e Schöpfungstheologie (so wie es ein geschichtliches Glaubensbekenntnis gibt). Die schöpfungstheologischen Abschnitte sind in Dienst genommen: Jeder Schöpfungsakt Jahwes ist ein Geschichtsakt.

 

Überblick über die Urgeschichte:

Die beiden Schöpfungserzählungen sind der Anfang zweier Geschichtswerke, der Priesterschrift und des Jahwisten.

Das Kapitel 1. Mose 1 gehört zur Priesterschrift und ist mehr als eine Erzählung, denn es führt zum Gotteslob und entfaltet, was schon in Vers 1 gesagt ist: Die Schöpfung ist Gottes Werk. Dabei werden die vorhandenen Menschheitsüberlieferungen aufgenommen und umgeprägt, denn von der Schöpfung kann man nur in der Vielstimmigkeit der Generationen reden. Damit ist auch eine wissenschaftliche Erklärung möglich, solange sie frei bleibt für das Lob des Schöpfers und die Grenzen menschlichen Daseins gegenüber dem Schöpfer akzeptiert. Höhepunkt ist der siebte Tag, der geheiligt und gesegnet ist, ehe er zum Sabbat wurde.

 

In den Kapiteln 2 und 3, die vom Jahwisten verfaßt sind, steht der Mensch im Mittelpunkt. Um ihn herum entsteht seine Welt, nicht die ganze Welt, sondern die gegenwärtig erlebbare und gestaltbare Welt. Der Mensch ist erdgebunden, wird aber erst durch der göttlichen Atem ein lebendiges Wesen. Der Mensch ist so Partner Gottes. Der Mensch ist so geschaffen, daß zwischen Gott (dem Schöpfer) und dem Menschen (dem Geschöpf) etwas geschehen kann (das ist mit „Gottesebenbildlichkeit“ gemeint).

Die Erschaffung der Frau macht deutlich, daß der Mensch nicht allein sein kann und erst Mann und Frau zusammen den Menschen ausmachen. Das Böse kommt nicht von einer übernatürlichen Macht und macht die gottväterliche Güte nicht zunichte. Der Mensch ist zwar auf der Flucht vor Gott, aber Gott bleibt bei ihm und sucht ihn und spricht ihn immer wieder an. Es ergeht kein göttlicher Fluch über den Menschen, aber es kommt zu empfindlichen Störrungen im Lebensbereich des Menschen.

 

Für die Priesterschrift stellt sich der Segen Gottes im Fortgang der Geschlechter dar: Gottes Segen konkretisiert sich in den Genealogien in die Tiefe der Zeit (1. Mose 5) und in die Weite des Raums (1. Mose 10). Der Segen Gottes wird auch nicht durch die Sintflut aufgehoben. Die Priesterschrift macht aus der Sintflutgeschichte eine Noaherzählung. Aber seine Errettung geht nicht auf einen Streit der Götter zurück und er wird auch nicht anschließend zu den Göttern entrückt (wie das in Babylon gesagt wurde), sondern es geht allein um das errettende Handeln Gottes. Es geht nicht um einen Übermenschen, sondern um den Menschen Gottes, der aber eines Tages einmal stirbt.

Von den Grenzen der Menschen spricht auch die Turmbaugeschichte. Die technische und kulturelle Leistung des Menschen wird durchaus bejaht. Aber der Mensch soll dabei vor einer Entfremdung von Gott bewahrt werden und wieder in seine Mensch­lichkeit zurückgeführt werden; die göttliche Strafe wird so am Ende doch zur Bewahrung.

Die Turmbaugeschichte endet gnadenlos. Es entsteht die Frage nach dem weiteren Verhältnis Gottes zu den Völkern. Da wird ganz abrupt in 1. Mose 12 eine einzelner Mensch mit seiner Familie in den Mittelpunkt gestellt. Mit Abraham beginnt Gott einen neuen Versuch, mit den Menschen in Einklang zu kommen. Er wählt sich einen Menschen aus, der fromm und gut ist, und hofft, daß auch alle seine Nachkommen so sind. Von diesen soll dann ein Segen auf alle Völker ausgehen. Wie es wirklich war, zeigt dann das ganze Alte Testament, bis dann die Heilsgeschichte ihr Ziel in Jesus Christus findet.

 

 

Die „Urgeschichte“

Man pflegt literarkritisch zwischen der jahwistischen und der priesterlichen Urgeschichte zu unterscheiden:    

Priesterschrift: 1-2,4 und 5 und 6,5-9.17 und 10 und 11,10-32

Jahwist: 2,4b-4,.26 und 6,1-4 und 6,5- 9 und 9, 18-27 und 11,1-9.

Problematisch ist, daß die priesterschriftlichen Stücke wohl kaum einen durchlaufenden Erzählfaden abgeben und daß auch kaum verständlich ist, warum die gute Schöpfung (1. Mose 1) plötzlich so sündhaft ist (1. Mose 6). Es ergeben sind also weitere Verdachtsgründe gegen die Annahme von durchlaufenden Quellen. Es muß erst begründet werden, daß die verschiedenen Stücke (Schöpfung, Sintflut, Stammbäume) wirklich von einer Hand sind. Statt einer literarkritischen Aufspaltung ist es sinnvoll, die Urgeschichte zu verstehen als eine theologisch zusammengestellte Sammlung einst unabhängiger Sagen, die durch Stamm­bäume miteinander verbunden sind,.

Religionsgeschichtlich ist auffallend, daß es zwischen der Urgeschichte der Bibel und sumerischer Vorstellung einer Abfolge von Schöpfung (Urgeschichte - Sintflut - Neubegründung der Welt) wichtige Parallelen gibt. Doch besteht der Unterschied darin, daß in der sumerischen Tradition die Urgeschichte als die in keiner späteren Epoche erreichte Heilszeit verstanden wird, während das Alte Testament sie als Zeit wachsenden Unheils ansieht.

Es war eine große theologische Leistung Israels, daß es einen Bezug von der Schöpfung zur Heilsgeschichte herstellte und nicht zu einer mythisch verstandenen Gegen­wart. Beide Schöpfungserzählungen sind sich darin gleich, daß sie auf die Erschaffung des Menschen als Mann und Frau hinauslaufen und die ganze übrige Welt auf ihn als höchstes Schöpfungswerk hingerichtet ist.

 

Schöpfungserzählungen (1. Mose 1 - 3):

Die zwei Schöpfungserzählungen wurden von unterschiedlichen Verfassergruppen in unterschiedlichen Zeiten verfaßt. Die zweite ist die ältere und wurde wohl um das Jahr 1000 vCh von dem sogenannten „Jahwist“ geschaffen. Die zweite wurde im 6. Jahrhundert vCh von Priestern während der babylonischen Gefangenschaft verfaßt und wird deshalb als „Priesterschrift“ bezeichnet. Beide biblischen Schöpfungserzählungen wollen bestimmte Aussagen über die Beschaffenheit der Welt und des Menschen machen und wurden deshalb beide – ohne Rücksicht auf die offensichtlichen Widersprüche – von späteren Bearbeitern hintereinander an den Anfang der Bibel gestellt.

Die erste Schöpfungserzählung der Priesterschrift knüpft an Weltentstehungsmythen in Israels antiker Umwelt an (vor allem das babylonische Gilgamesch-Epos), grenzt sich aber auch deutlich gegen fremde religiöse („mythische“) Vorstellungen ab: Jetzt beginnt die Schöpfung nicht mehr mit der Erschaffung der Gestirne, sondern diese erscheinen erst am vierten Tag, und zwar nicht als Götter, sondern nur noch als Leuchtkörper. Die Erzählung läßt Gott das Licht, die Himmelsfeste, die bewohnbare Erde, darauf die Gestirne, Pflanzen, verschiedene Tierarten und schließlich den Menschen in sechs Tagen erschaffen, mit einem folgenden siebenten Tag der Ruhe (für den Priester besonders wichtig).

Die Priesterschrift hat mehr Interesse an der Entstehung des Weltalls („Kosmologie“), aber etappenweise bewegt sie sich auf die Erschaffung des Menschen hin. Ihr geht es um die Welt und den Menschen in ihr. Sie ist um sachgemäßes Reden von der Schöpfung bemüht und zeigt eine kosmische Weite. Sie versteht sich eben nicht nur als theologisch gestaltete Glaubensaussage, sondern bezieht durchaus die Naturerkenntnisse seiner Zeit mit ein und benutzt sie, um Glaubensaussagen sachgemäß zu entfalten.

Die Darstellung entspricht nicht den modernen naturwissenschaftlichen Theorien über die Entstehung des Universums, der Erde, der Lebewesen und des Menschen, also den Theorien vom Urknall und von der Entstehung der Sonnensysteme und Planeten einschließlich der Erde.

Die Schöpfungserzählungen sind nicht als naturwissenschaftliche Beschreibung zu verstehen, sondern als Beschreibung der Aufgaben des Menschen in seiner Welt, die ihm nicht gehört. In Abgrenzung zu der Vielgötterwelt der Babylonier wird die Einzigartigkeit des israelitischen Gottes Jahwe herausgestellt, der Herr über die gesamte Schöpfung ist. Hintergrund ist: In der Verbannung des Volkes Israel in Babylonien wollte man der Versuchung der scheinbar siegreichen Religion Babylons mit seinen prunkvollen Festen widerstehen und so einen Zusammenhalt für das Volk finden und festigen.

Die Schöpfung wird hier aus der Sicht der Bewohner der Flußebenen dargestellt (Eindämmung der chaotischen Wassermassen). Die Erschaffung der Welt geschieht durch das Wort. Der Mensch ist die Spitze einer Weltentstehungs-Pyramide. Die Schöpfung ist zielstrebig und geschieht in Etappen bis zur Erschaffung des Menschen. Der Mensch hat eine Herrscherstellung in der Welt, die jedoch nicht das Töten von Tieren mit einbezieht. Es ist nicht so, daß Israel sich Gott in Menschengestalt vorgestellt hat, sondern umgedreht ist der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen.

 

Die zweite Erzählung ist die ältere und wurde wohl vor etwa 3000 Jahren von dem so genannten Jahwisten geschaffen. Hier ist zum Beispiel das Wasser nicht mehr die lebensbedrohende Macht, nicht mehr das wilde Meer, das immer wieder die Schöpfung Gottes angreift. Schöpfung bestand nach der priesterlichen Sicht darin, daß Gott das Meer zurückdrängte und in seine Schranken wies. Beim Jahwisten aber wird die andere Aufgabe des Wassers gezeigt: das lebensspendende Element. Die Schöpfung beginnt damit, daß ein feuchter Nebel die trockene Steppe befeuchtet. Nur wo Wasser ist, kann etwas wachsen. Die Schöpfung vollzieht sich eher im Rahmen der Bewässerung einer Wüste. Schöpfung geschieht hier aus der Sicht der Steppenbewohner.

Aus der feuchten Erde formt Gott zuerst den Mann und dann aus diesem die Frau. Die Tiere kommen dann noch dazu. Daß der Mensch den Tieren Namen geben darf zeigt an, daß er Herrscher ist über die Welt. Der Mensch ist die Mitte, um die herum Gott sein Wirken aufbaut. Die Sorge für das, was für den Menschen gut ist, steht also am Anfang aller Werke Jahwes.

Die Erschaffung der Frau ist die letzte der geheimnisvollen Wohltaten Jahwes für den Menschen. Die Geschlechtsbeziehung zwischen Mann und Frau wird dabei als höch­stes geschöpf­liches Wunder gesehen. Die Unterordnung der Frau unter den Mann ist nicht Schöpferwille Gottes, sondern Folge des Strafwortes (1.Mose 3,16b). Böses gilt nicht uneingeschränkt als Gottes Schöpfung, sondern als menschliche Schuld. Die Schöpfung steht am Anfang der Geschichte Gottes mit seinem Volk. Die Fortsetzung dieser Schöpfungserzählung ist die Sündenfall-Erzählung.

Sehr fein wird hier geschildert, wie der Mensch bis heute ist: Er läßt sich verführen, er möchte sein wie Gott, Mann und Frau sind gleichberechtigt, der Mensch ist verpflichtet zur Arbeit, ein „Paradies“ gibt es nicht mehr. Adam und Eva sind nicht Gestalten einer weit zurückliegenden Zeit. Sie haben nicht wirklich gelebt. Aber sie leben weiter in uns allen - Adam und Eva sind wir!

 

Beide Schöpfungserzählungen der Bibel haben strukturelle Ähnlichkeiten mit dem babylonischen Schöpfungsepos Enumaelisch, wie die Abfolge der einzelnen Werke und die Erschaffung des Menschen durch göttliches Wort.

Doch gibt es grundsätzliche Unterschiede: Schöpfung ist im Alten Testament ein außerordentliches und alleiniges Handeln Gottes. In der kanaanäischen und mesopotamischen Religion dagegen ein Kampf zwischen den Naturmächten, der mit der Besiegung des Chaosdrachens endet. Diese anderen Mächte werden in Israel radikal abgewertet.

In den Vielgötter-Religionen entstehen die Götter aus dem Chaos, in Israel beherrscht Jahwe das Chaos. Jede Eigenwirksamkeit des Urstoffes ist ausgeschaltet. In beiden Fällen ist der Mensch ein geschaffener Diener, aber Israel ist der Mensch das Ebenbild Gottes und herrscht über andere Geschöpfe, ist aber auch für sie verantwortlich. Die Erschaffung des Menschen ist Gottes wichtigste Tat. Es wird nicht gesagt, worin die Gottesebenbildlichkeit besteht, da es darin vielmehr um die Bestimmung des Menschen geht.

Das babylonische Epos endet mit Errichtung und Einweihung des großen Tempels, aber 1. Mose 2 endet mit Heiligung des Feiertags (Sabbats). Das babylonische Epos erzählt viel mehr über Wie der Entstehung des Menschen. In Israel wird das religiöse Wissen vom Werden des Menschen und der Welt eingeschränkt (Es gibt keine Erklärung der Urflut). Es wurden zwar Vorstellungen aufgenommen, das Wie aber war für das Alte Testament nicht entscheidend.

Wichtig ist, wovon das Alte Testament nicht redet: Götterentstehung, Götterkampf vor oder bei der Schöpfung, Menschen sind nicht zur Götterversorgung geschaffen, Mensch und Gott sind nicht von gleichem Material, Schöpfung ist nicht vorzeitlich, sondern Beginn der Geschichte

 

Dazu noch zwei Witze: Der Pfarrer fragt selbstgefällig: „Warum hat Gott wohl zuerst den Adam und dann erst die Eva geschaffen?“ Daraufhin meldet sich ein Mädchen: „Das ist wie beim Aufsatz: Erst schreibt man das Konzept und dann das Original!“

Im Religionsunterricht sagt er Pfarrer: „Heute erkläre ich euch, wie der erste Mensch entstanden ist!“ Darauf meldet sich ein Junge und sagt: „Interessanter wäre es zu wissen, wie der dritte Mensch entstanden ist!“

 

Die Entstehungsgeschichte der ersten Schöpfungserzählung:

Ein Schema von acht Schöpfungswerken kommt nicht zur Deckung mit dem anderen Schema eines Sieben-Tage-Ablaufs. Zwei Tage müssen je zwei Schöpfungswerke aufnehmen: der dritte Tag nämlich „Land und Pflanzen“, der sechste Tag dann „Landtiere und Mensch“. Das paßt gut zu der Einteilung in „Schöpfungsteil Lebensraum“ vom ersten bis dritten Tag und „Schöpfungsteil Lebewesen“ vom vierten bis sechsten Tag.

Dabei wird das „Werke - Schema“ durchbrochen: Befehl, Vollzugsformel, Ausführung, Billigungsformel (beim Menschen wird sowieso eine Ausnahme gemacht). Das Werkeschema hat also eine Eigenständigkeit gegenüber dem Tage-Schema. Das Sieben-Tage-Schema ist eine letzte Überarbeitung der priesterlichen Schöpfungserzählung, der zunächst nach dem Werke-Schema aufgebaut war. Ursprünglich hatte er den Menschen zum Ziel, während jetzt der siebte Tag das Ziel ist. Das Ende der Werkedarstellung wäre dann 1. Mose 2,1, während 1, Mose 2,2-3 ein Teil der letzten Bearbeitung wären.

Dann könnte aber auch das erste Werk „Licht“ ein Bestandteil dieser letzten Bearbeitung sein. Man hat sich sowieso immer über die Doppelung mit der Erschaffung der Gestirne gewundert. Wenn aber das erste Werk wegfiele, blieben auch nur sieben Werke, die zu den sieben Tagen paßten. Andererseits paßt die Erschaffung des Lichtes auch wieder zum ursprünglichen Werke-Schema, denn es hat den gleichen formalen Aufbau und es geht um die Tätigkeit des Scheidens.

Dazu kommt, daß wahrscheinlich die priesterliche Schöpfungserzählung aus zwei anderen überlieferungsmäßig getrennten Erzählungen zusammengewachsen ist: Das eine ist der Wortbericht, nach dem sich die Schöpfungswerke auf Gottes bloßes Werk hin vollzogen; das andere ist der Tatbericht, der schildert, daß Gott tätig wurde (also nicht nur durch das Wort geschaffen hat).

Der Tatbericht ist älter und steht der jahwistischen Erzählung näher. Das Wort „machen“ meint nämlich ein Schaffen mit der Hand, so wie ein Handwerker Gegenstände herstellt. Dieser naive Tatbericht wurde dann durch den theologisch reiferen Wortbericht korrigiert. Dreimal wird nun gesagt: „Gott schuf“. Das entsprechende Wort wird ausschließlich für Gottes Schaffen verwende. Für dieses Schaffen gibt es keine Analogie, denn es wird nie verbunden mit der Angabe eines Materials oder des Hergangs.

Die Reihenfolge der Werke kann sich übrigens auch von den modernen Erkenntnissen durchaus sehen lassen. Der Aufbau ist logisch: Erst muß das Land da sein, damit auf ihm Pflanzen wachsen können. Diese sind wiederum Voraussetzung für die Tiere. Unter ihnen stehen die Vögel als Warmblütler den Säugetieren näher als den Fischen. Selbst das stimmt, daß das Leben zuerst im Wasser entstanden ist.

Doch man darf nicht in den Fehler verfallen, die Erkenntnisse der Schöpfungserzählung von der heutigen Kenntnissen her zu beurteilen nach ihrem Wert oder Unwert. Auch wäre es sachlich nicht haltbar, heutige Erkenntnisse der Naturwissenschaft in die Schöpfungserzählung hineingeheimnissen zu wollen, etwa die Entwicklungslehre oder die Entstehung der Welt in Epochen.

 

Gegenüberstellung von Kapitel 1 und 2 in Stichworten:

 

Himmel und Erde

Erde und Himmel

Licht

 

Tag und Nacht

 

„Feste“

 

Meer und Land

 

 

Mensch (Mann)

Pflanzen

Pflanzen

 

„Garten“

Sonne und Mond

 

Tiere   

Tiere

Mensch (Mann und Frau)

Frau

 

In der zweiten Erzählung fehlen entscheidende Dinge, besonders auffällig ist die Zweiteilung der Schaffung des Menschen. Unterschiedlich ist auch die Stellung des Menschen: Er ist „Krone der Schöpfung“ oder „Das Maß aller Dinge“.

 

Kapitel 1 : Priesterschrift, etwa 600/ bis 500 vCh verfaßt.

Strenger Aufbau, es wird doziert in trockener Feierlichkeit, Priesterlehre.

Sechs Abschnitte, genaue Reihenfolge der Werke.

Von Gott her entworfen. Reihenfolge Himmel - Erde.

Der Mensch ist das letzte Werk der Selbstverherrlichung Gottes.

Der Mensch steht an der Spitze einer Pyramide als der Mensch-für-Gott.

 

Die Welt ist vor dem Menschen geschaffen, aber sie bleibt die fremde und. ferne Welt, so wie auch Gott der fremde Gott bleibt, der hier vor allem als der Allmächtige, Schöpfer des Himmels und der Erde beschrieben wird. Die Schöpfung wird von außen beschrieben in der Form des damals modernen Weltbildes. Das Wasser ist die feindliche Macht (Gesichtswinkel des Menschen an der Meeresküste bzw. im Überschwemmungsgebiet des Zweistromlandes).

 

Kapitel 2: Jahwistisches Erzählwerk, etwa 1 000 vCh verfaßt.

Erzählstil, farbige und bewegte Darstellung des Geschehens.

Bildhaft und scheinbar kindlich, in der Wahl der Worte sorgloser.

Der Einsatzpunkt ist beim Menschen, der aber in einem Verhältnis zu Gott steht

Systematik fehlt. Reihenfolge Erde - Himmel.

Die nahe Welt des Menschen wird um den zuerst geschaffenen Menschen herum aufgebaut. Der Mensch ist der Mittelpunkt eines Kreises. Gott ist der nahe Herr, der „Gott-für-den-Menschen“, der mit ihm im Paradies zusammenlebt und dem Geschöpf seine väterliche Liebe erzeigt. Es wird mehr das Vatersein des Ersten Artikels betont.

Mann und Frau werden nacheinander geschaffen.

Bericht über den Garten und Verbot Gottes.

Verhältnis zu den Tieren und zum anderen Geschlecht.

Wasser ist das belebende und lebensspendende Element.

Gesichtswinkel des Menschen in der Steppe, kontinentaler Lebenskreis, Weltbild des Fellachen, der nicht weit über seine begrenzte Welt hinaussieht, kanaanäische und altisraelitische Überlieferung. Der Blick geht schon zu Kapitel 3, in dem aus der Schöpfung wieder das Chaos wird.

 

Die Erzählungen stammen eben vor verschiedenen Verfassern, die zu unterschiedlichen Zeiten gelebt haben und deshalb eine unterschiedliche Welt- und Menschenerkenntnis hatten. Dennoch hat man beide Geschichten nebeneinander stehen lassen, weil sie sich einig sind in der Aussage: Gott ist der Schöpfer. Diese Aussage wird von jeder Erzählung aber dann konkretisiert mit den Begriffen und Mitteln ihrer Zeit. Beide Geschichten sind in der Form ihrer Aussage überholt. Ihre Aussage selbst aber ist unüberholbar.

Die Bibel läßt verschiedene Glaubensstimmen gelten. In alten Märchen findet man ja auch manchmal verschiedene Stilformen aus verschiedenen Zeiten ineinandergefügt - und doch wirkt der Bau als Ganzes einheitlich. Das Wort Gottes legt sich nicht auf ein bestimmtes Weltbild fest, sondern jedes Weltbild ist geeignet, Gefäß zu werden für die Botschaft von Gott dem Schöpfer und Herrn der Welt.

Im 21. Jahrhundert würde eine Schöpfungserzählung anders aussehen. Aber auch eine moderne Zusammenstellung wird in einiger Jahrzehnten in der Form veralten, weil neue Erkenntnisse dazukommen. Bleiben wird aber das Bekenntnis: „Ich glaube an Gott den Vater!“

 

Exkurs:

An dieser Stelle wird soll einmal etwas ausführlicher und beispielhaft auf die Auslegung einzelner Verse eingegangen werden. Wem das zu viel ist, kann diesen Abschnitt ja übergeben.

 

Die jahwistische Geschichte vom Paradies: 2. Mose , 4b-25:

Die Rede von der Erschaffung des Einzelnen (1. Mose 2) ist als älter anzusehen als die von der Erschaffung der Welt (1. Mose 1). Doch schon die erste Schöpfungserzählung verbindet beides miteinander. Die negative Beschreibung „als noch nicht war“ ermöglicht es, die Schöpfung als ein Ereignis von einem Vorher abzugrenzen. Jetzt ist Schöpfung ein Geschehen und kann zur Erzählung werden. Eine „Erschaffung aus dem Nichts“ kann deshalb nur gelehrt, aber nicht erzählt werden.

 (4) Zunächst wird diese Geschichte mit der ersten verbunden durch den Neuansatz: „Als Gott Erde und Himmel machte!“ Die Erde ist hier bewußt vorangestellt, denn ihr und dem was auf ihr geschieht gilt die Aufmerksamkeit dieses Erzählers: Der Mensch ist aus dem Acker­boden gebildet und erhält den Auftrag, den Boden der Erde zu bearbeiten.

Eine weitere Verknüpfung des ersten mit dem zweiten Kapitel wird hergestellt durch die Bezeichnung Gottes als „Jahwe Elohim“, denn in Kapitel 1 heißt es sonst nur „Elohim“ und in Kapitel 2 nur „Jahwe“. Man merkt auch sonst manche Widersprüche und Wiederholungen, weil hier uralte Überlieferungen zusammengewachsen sind. Doch in der vorliegenden Gestalt will die Geschichte als Ganzes und mit einheitlichem Gedankengang verstanden sein, doch wir heute merken auch die Brüche.

(5) Es gibt die Vorstellung, daß das Paradies auf dem Götterberg liegt. Aber hier scheint eine ältere Vorstellung vorzuliegen, nach der das Paradies in der Steppe liegt. Die Erde befindet sich in dem Zustand der trocknen, unfruchtbaren Wüste ohne Sträucher und Kräuter, denn Gott hat es noch nicht regnen lassen und es fehlt noch der Mensch, der das alles bebaut. Man sieht eben in seiner Gegenwart den Gegensatz zwischen Steppe und Oasen und stellt sich das Paradies wie eine Oase vor. Das Drohende und Feindliche für den Menschen ist die Wüste.

(6) Zunächst steigt das Grundwasser aus der Erde auf und tränkt den Ackerboden, der sich durch seine rote Farbe von der anderen Erde abhebt. Das ist die erste Voraussetzung für die Schöpfung, gehört aber bis einschließlich Vers 6 noch nicht zum Schöpfungsakt.

(7) Die erste Tat Gottes ist die Erschaffung des Menschen aus dem Ackerboden. „Adam“ heißt eigentlich „der Rote“ (abgeleitet von hebräisch „adamah“ = Ackerboden). Dadurch ist seine enge Verbundenheit mit der Erde und seine Geschöpflichkeit betont. Aber das Wort ist eigentlich ein Sammelname (Kollektivum) und bezeichnet die Menschheit. Mit „Adam“ ist also nicht unbedingt der „erste“ Mensch gemeint‚ sondern der Mensch wie er ist, der vor Gott steht und von seiner Gnade und Liebe lebt.

Gott formt erst die Gestalt des Menschen wie ein Töpfer ein Gefäß aus Lehm formt. Aber dann gibt er ihm den göttlichen Lebensodem und macht ihn damit erst zu einem Lebewesen. Der Mensch ist also kein göttliches oder gottverwandtes Wesen, sondern er ist Geschöpf Gottes. Er ist auch nicht der Erde entsprossen, etwa aus einem Kinderteich oder einem Brunnen, sondern alles an ihm geht auf die bildende Hand Gottes zurück. Aus dem an sich unfruchtbaren und toten Staub hat ihn Gott zu seinem Geschöpf gemacht.

Es ist aber nicht so, daß zu einem irdischen Leib noch eine göttliche Seele hinzukäme, sondern der ganze Mensch wird eine „lebendige Seele“. In einer unmittelbaren Begegnung mit Gott wird ihm der Lebensodem direkt verliehen. Damit ist er aus der Welt herausgehoben und es ist im Grunde das Gleiche gesagt wie in 1.Mose 1, 27-28, daß der Mensch nämlich eine ganz besondere Schöpfung Gottes ist. Die Seele ist dabei nicht ein unsterblicher Teil, der in dem sterblichen Menschen einmal für einige Zeit die Wohnung nimmt und ihn im Tode wieder verläßt (griechische Auffassung), sondern der Mensch ist eine Einheit, von Gott gebildet und mit seinem Hauche belebt. Doch dieses „Leben“ ist nicht des Menschen eigener Besitz, sondern es bleibt stets Gottes Lebensodem. Doch bis heute gilt: Der Mensch ist aus Materie und er hat das Leben in sich.

 

(8) Kam schon in der Erschaffung des Menschen die Liebe Gottes zu seinem Geschöpf zum Ausdruck, so zeigt sie sich erneut in der Anpflanzung eines Gartens für ihn. Der Mensch wird in diesen Park hineingesetzt und hat nun seine Umwelt: Es ist ein umzäunter Platz (Persien „Paradies“) an einer bestimmten Stelle auf der Erde, die „Eden“ genannt wird (der Ausdruck klingt an das hebräische Wort für „Wonne“ an). Der Garten liegt im Osten, von Palästina also durch die undurchdringliche Wüste getrennt; das Paradies ist somit für den Menschen ein unzugänglicher, schlechthin verlorener Ort, den er nie wieder erreichen wird.

9) Der Garten wird noch einmal näher beschrieben. Vor allem wird jetzt der Baum der Erkenntnis erwähnt, der nachher noch eine Bedeutung erlangt. Die Bezeichnung als „Lebensbaum“ ist erst später aus einer anderen Vorstellung hier eingedrungen, denn als „Baum des Lebens“ spielt er keine Rolle in der Geschichte. Auch die Bezeichnungen „mitten im Garten“ und „gut und böse“ sind sekundär. Daß es sich um einen „Apfelbaum“ handele‚ ist nirgends gesagt.

(10-14) Eingeschoben ist nun eine Beschreibung der Paradiesesströme, die von einer starken Quelle im Paradies ausgehen. Die Geographie dieser Angaben ist nicht deutlich. In Vers 15 hat der Redaktor neu eingesetzt. Jedenfalls soll hier aber gesagt werden: Im Paradies gibt es Wasser in Hülle und Fülle, soviel daß sogar die ganze Welt noch damit bewässert werden kann.         

Der Mensch soll den Garten bearbeiten und vor allen Schädigungen bewahren (Der Marxismus sagt: Der Mensch ist erst durch die Arbeit zum Menschen geworden!).Er steht in einem Dienstverhältnis und hat sich in einem Bereich zu bewähren, der nicht sein Eigentum ist. Das „paradiesische Leben“ besteht also nicht in einem seligen Genießen, sondern ganz nüchtern aus Arbeit‚ bei der sich der Mensch in einem großen Bereich frei bewegen kann. Er hat alles, was er zum Leben braucht, er hat eine Heimat. Aber die Gabe bedeutet auch eine Aufgabe für ihn. Es ist eine schreckliche Verzerrung dieses Auftrags, wenn Menschen gezwungen werden, Arbeit zu tun, die nichts mehr mit Bauen und Bewahren zu tun hat, sondern der Zerstörung dient.

 

(16) Doch auch der Mensch im Urzustand steht unter dem Gebot Gottes: Die Macht des Menschen ist groß, sehr viel ist in seine Hand gegeben. Aber seiner Macht ist eine Grenze gesetzt durch Gottes Gebot. Es ist unwesentlich, daß es gerade dieses Gebot ist. Entscheidend ist‚ daß Gott eine deutliche Grenze zwischen sich und den Menschen gesetzt hat. Wenn ihm auch nur e i n Gebot gegeben ist, so ist er doch ganz in die Entscheidung und den Ernst der Gehorsamsfrage gestellt. Der Sinn des paradiesischen Lebens ist nicht in erster Linie Genuß, sondern Ge­horsam Die Freiheit des Menschen soll ihm die Möglichkeit geben, Gott aus Vertrauen zu ge­horchen. Der Mensch weiß nicht aus Instinkt um seine Grenze, sondern die Entscheidung ist in seinen Willen gelegt. Gefordert ist im Grunde das unbedingte Vertrauen zu Gott, der reichlich für den Menschen sorgt.

(17) Wer aber nach Erkenntnis strebt‚ der kann nicht mehr Gott den allein Guten sein lassen, sondern will aus eigenem Erkenntnisvermögen das Gute und wird das Böse tun. Er will sich selbst zum Richter aufschwingen und wird dann das Böse wählen. Weil Gott das weiß, verbietet er den Genuß der Frucht.

Wer alles wissen und gestalten will, der muß auch bereit sein, alle Verantwortung zu tragen. Wer bedenkenlos seine Grenzen überschreitet, wird eines Tages unter der Last der Verantwortung zusammenbrechen. Mancher Wissenschaftler fühlt sich in seinem Gewissen bedrängt, wenn er erleben muß, daß seine Erfindung zur Zerstörung beiträgt, während sie doch eigentlich der Erhaltung des Lebens dienen sollte.

(18) Die Fürsorge Gottes zeigt sich auch in der Erschaffung der Frau. Die Einsamkeit ist nicht gut für den Menschen, denn er ist auf Geselligkeit angelegt. Er braucht ein „Gegenüber“, eine die ihm entspricht, einen Partner. So müßte man die Wendung „die um ihn sei“ umschreiben. Die Tiere könnten dem Menschen solche Gefährten sein, weil sie ihm ziemlich nahe stehen.

(19) Gott formt also ein Tier nach dem anderen und führt sie alle den Menschen vor. Der Mensch nimmt sie auf und ordnet sie in seinen Lebensbereich ein, indem er ihnen Namen gibt. Der Name bedeutet aber zugleich: Er herrscht über die Tiere, Namensgebung ist Herrschaftsergreifung.

(20) Doch die Tiere sind nicht gleichwertige Partner. Mit ihnen kann der Mensch zwar Gesellschaft haben, aber keine Gemeinschaft. Dem Menschen gefällt keins von ihnen: Er gibt ihnen zwar die Namen, aber er schüttelt immer nur mit dem Kopf und sein Gesicht wird lang und länger.

(21) Gott ruht aber nicht eher, bis er dem Menschen das gegeben hat, was er braucht. Nicht der Mensch, sondern Gott hatte festgestellt: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei!“ Der einsame Mensch ist noch nicht der ganze Mensch. Er braucht ein Wesen, das ihm gleich und zugleich von ihm verschieden ist. Wenn es ihm gleich ist, dann würde er sich nur selber in ihm wiedererkennen. Verschiedenheit aber bedeutet Fremdheit, und es wäre ihm wieder nicht geholfen. Dieses Gegenüber kann der Mensch wohl suchen, aber schaffen kann es allein Gott.

Beim zweiten Versuch nimmt Gott nicht mehr Erde, sondern den Menschen selbst. Er versetzt ihn in einen Tiefschlaf, damit er keine Schmerzen hat und damit er nicht sieht‚ wie Gott wirkt. Wo Gott schafft, da gibt es keine Augenzeugen.

Gott nimmt eine Rippe des Menschen und „baut“ daraus eine Frau. Darin liegt eine urtümliche Antwort auf die Frage: Warum umschließen die Rippen nur den oberen Teil des menschlichen Leibes? Artwort: Gott hat die anderen gebraucht‚ um sie zu einem Weib „auszubauen“, zu einem Wesen von der Art des Mannes. Die Rippe ist das Zeichen der Verbundenheit, aber noch nicht das Zeichen der Gleichberechtigung.

Gott selbst führt nun wie ein Brautführer die Frau dem Menschen zu. Dieser soll selbst erkennen, daß dieses Wesen in der Welt noch fehlt, und in freier Entscheidung soll er sich zu der Frau bekennen. Sie wird ihm nicht aufgenötigt, er kann des vollendete Werk nur anbetend in Empfang nehmen. Der Mann soll in ihr immer ein Stück von sich selber sehen. Aber zugleich ist sie doch ein Wesen von einer ganz eigenen Struktur.      

Der Mann ist entzückt von diesem neuen Wesen und er erkennt augenblicklich, daß es ein Wesen von gleicher Art ist wie er selber ist. Die Frau ist nämlich auch ein Abbild Gottes. Gott fragt gewissermaßen: „Was sagst du nun?“ Und der Mensch ist mehr als zufrieden damit. Gott hat den Teil des Körpers des Menschen zu einem wahren Wunderwerk umgestaltet, das der Mensch nur voll Jubel empfangen kann. Erst indem dieser Teil von ihm in anderer Form wieder zu ihm zurückkehrt, ist er der ganze Mensch.

Das neue Wesen erhält auch gleich den richtigen Namen. Luther übersetzt „Männin“, um das hebräische Wortspiel „isch“ (Mann) - „ischa“ (Frau) nachzuahmen. Von nun an werden sie immer zusammengehören und niemand wird sie mehr voneinander trennen können.

Der Mann freut sich ganz ausgelassen und läuft allen Tieren davon. Die Frau ist nicht zur Strafe für den Mann geschaffen, weil er mit den Tieren nicht zufrieden war, sondern sie ist ihm zur Freude geschaffen und eine gute Gabe Gottes.

In gleicher Weise wird der Mann aber auch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau „nachlaufen“. Das ist nach Gottes Schöpfungsordnung so und wird auch immer so sein. Wir sehen das ja auch heute noch: Da wollen Eltern ihren einzigen Sohn im Hause halten. Sie erfüllen ihm jeden Wunsch. Aber er nimmt sein Moped und lädt sein Mädchen drauf und fährt doch mit ihm davon.

Hier wird also erklärt, woher der urgewaltige Drang der Geschlechter zueinander kommt, der nicht zur Ruhe kommt, bis Mann und Frau im Kind wieder eins geworden sind. Das kommt daher - heißt es hier - daß sie ursprünglich e i n Fleisch waren und nun wieder e i n Fleisch werden wollen. Das ist mit dem Paradies nicht verlorengegangen. Auch in der Gegenwart des Verfassers ist die Macht des Eros eines der größten Geheimnisse. Aber er ist genausowenig wie die Arbeit ein Fluch, sondern er gehört mit zum Menschsein dazu.

Wer fragt: „Wie ist das mit der Rippe Adams möglich?“ dem fehlt das Verständnis für alte Texte, der will aber auch einfach nicht nachdenken. Solche Leute haben auch einfach Angst, wenn sie an einem Punkt rütteln, dann würde das ganze Gebäude einstürzen. Aber das Gebäude kann nur gestützt werden, wenn es auf richtigen Fundamenten steht. Vieles ist hier auch hochmodern. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau kann man nicht schöner ausdrücken als mit der Vorstellung, daß sie aus dem gleichen „Material“ gemacht sind.

(25) Die Menschen waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander. Sie lebten in innerer Harmonie und Zufriedenheit mit sich selber und waren noch nicht voreinander bloßgestellt. Zwischen Mann und Frau - zwischen Mensch und Mitmensch - war noch alles in Ordnung, es brauchte keiner vor dem anderen in Deckung zu gehen. Sie brauchten auch nicht zu fürchten, daß der Leib die Sünde in ihnen offenbarte. Das heißt nicht, daß sie noch keinen geschlechtlichen Umgang miteinander hatten. Aber sie lebten unbefangen voreinander und sind noch nicht durch den Verlust der Scham ins Unmenschliche abgeglitten. Gottes Schöpfung ist nun vollendet, und sie ist noch durch keinen Riß auseinandergebrochen.

 

1. Mose 2 gibt sich nicht wissenschaftlich, sondern gibt sich gleich als Bild zu erkennen. Dagegen will 1. Mose 1 wissenschaftlich sein, da stimmen Glaube und Wissenschaft überein (damals jedenfalls). Heute sollte man diese Erzählungen nicht nur zerpflücken, sondern in ihnen ein positives Glaubenskenntnis sehen, das man zwar heute anders ausdrücken würde, das aber dennoch ein Glaubensbekenntnis in den Vorstellungen der damaligen Zeit ist. Jedenfalls können wir unseren Kindern und Enkeln nicht sagen: „So steht es da und so war es!“

Heute gilt es, das Glaubenszeugnis aus der Umhüllung zu lösen, damit wir es erkennen und eventuell in ein neues Gefäß füllen. Die Aufgabe der Theologen ist es, alle unnötigen Steine wegzuräumen, damit man nicht über sie und die äußere Hülle stolpert. Die Frage ist nur: Was ist Hülle und was ist Kern? Gehört das Verbot der Blutwurst zum Kern oder das Verbot, Unzucht zu treiben?

 

Kulturgeschichtlich markieren diese Schöpfungserzählungen den Übergang von den Jägern und Sammlern zu seßhaften Ackerbauern. Dieses mag die Zeit des wilden Lebens wie das Paradies vorgekommen sein, ein Leben in Freiheit und Fülle. Jetzt aber müssen sie in harter Arbeit den Boden bearbeiten, der ihnen doch nur wenig Ertrag bringt. In Wirklichkeit war aber mit der wachsenden Bevölkerungszahl der Ackerbau notwendig, denn nur so konnte man die Menschen ernähren. Aber empfunden hat man das zunächst anders.

 

Der Sündenfall (1. Mose 3)

(1) Zunächst wird die zwielichtige Gestalt der Schlange eingeführt. Sie ist in Palästina das einzige lebensbedrohende Tier. Ihre Herkunft und ihr Wesen sind nicht näher bestimmt. Es heißt nur: „Sie war klüger als alle anderen Tiere!“ Es heißt nicht, daß sie böse war. Die spätere Gleichsetzung von Schlange und Teufel dürfte dem Erzähler völlig fern gelegen haben. Aber er deutet hier auf eine gottwidrige Macht hin, die bei der Empörung des Menschen gegen Gott mitgewirkt hat und das Leben aller Menschen zu jeder Zeit bedroht.

Dieser Geschichte geht die eigene Empörung der Schlange gegenüber Gott voraus. Mit einer scheinbar uninteressierten und ganz allgemeinen Frage leitet sie eine Diskussion über das Gebot Gottes ein: Ihr Ziel ist von vornherein, den Menschen dieses Wort als einengende und sie an ihrer freien Entfaltung hemmende Mauer zur Empfindung zu bringen.

Daß die Schlange reden kann, ist ein Zeichen dafür, daß hier kein Tatsachenbericht vorliegt. Die Schlange sagt: „Gott hat wohl gar gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“ Sie übertreibt bewußt, um Gott damit ins Unrecht zu setzen. Denn Gott hatte ja gerade den Genuß der Früchte erlaubt. Nur der eine Baum war ausgenommen.

(2) Es tut der Frau zunächst einmal gut, Gott verteidigen zu dürfen und gegen die Schlange erst einmal Recht zu haben. Sie fühlt sich stark. Die Schlange hat sich ja auch als Freund genaht. Aber sie weiß: „Wenn ich nur an einer Stelle in das Herz des Menschen Eingang gefunden habe, denn habe ich gewonnen!“

(3) Die Frau antwortet sehr ausführlich. Sie übertreibt das Gebot Gottes sogar noch. Gott hatte ja nicht gesagt daß man die Früchte des Erkenntnisbaumes nicht anrühren dürfe. Die Frau gibt sich damit selbst ein Gesetz. Man hat den Eindruck, sie wolle damit einen Riß verdecken, den ihr Gehorsam Gott gegenüber schon hat. Die Frau hat sich auf das Gespräch eingelassen; das war bereits bedenklich. Sie denkt über Gott und sein Gebot nach. Und dabei wird sie dann doch unsicher.

(4.) Die Schlange aber wird umso sicherer. Sie läßt die Maske fallen und bezichtigt Gott unverhüllt der Lüge. Jetzt wäre es höchste Zeit, der Schlange den Rücken zu kehren. Aber die Frau kann schon nicht mehr fortgehen. Die Schlange weiß zu viel Interessantes zu erzählen:

(a) Zunächst also die schamlose Behauptung: Gott lügt euch an! Ihr werdet nicht sterben‚ wenn ihr davon eßt!

(b) Gott ist nur neidisch und gönnt euch nichts! Wenn ihr davon eßt, werdet ihr noch viel Schöneres sehen als jetzt schon!

(c) Ihr werdet sein wie Gott, nicht mehr gehorchen müssen, sondern selber Herren sein; das wollte Gott euch nur nicht gönnen.

(d) Ihr werdet wissen, was gut und böse ist, also alles wissen und nicht nur das, was Gott euch wissen läßt. Ihr braucht ihn nicht mehr zu fragen und braucht ihm nicht mehr zu danken, ihr seid eure eigenen Herren! Ihr werdet aufgeklärt sein und ein denkbar weitgespanntes Wissen haben.

Einbruchstelle für das Böse ist das „Sein wie Gott“, nicht das Tierische im Menschen (Tiere tun keine Sünde). Wir denken gern: Wo der Mensch tierisch wird, ist er Sünder. Hier aber ist es seine Überheblichkeit.

 

(6) Die Frau denkt nicht mehr an die vielen guten Gaben Gottes. Sie denkt nur an das, was Gott ihr nach den Worten der Schlange nicht gönnen will. Jetzt wird sie auf den Baum erst richtig aufmerksam und sieht, wie „lieblich“ er ist. Immer verlockender erscheint ihr die Frucht des Baumes. Wie köstlich muß sie schmecken. Wie wunderbar, daß sie klug macht.

Der Blick wird weggelenkt vom Verbietenden zum Verbotenen und vom Verbot abgelöst und verallgemeinert.

Das Verbot Gottes ist schon ganz vergessen Das Vertrauen zu Gott ist geschwunden. Die Schlange hat den Zweifel in das Herz gestreut. Aber die ungehorsame Tat ist das Werk der Frau: Sie streckt die Hand aus, nimmt und ißt. Doch dadurch nimmt sie auch etwas von dem inneren Wesen der Schlange an: Sie wird zur Verführerin. Sie gibt dem Mann auch davon und er ißt auch. Die Frau, die eine Gehilfin für den Mann sein sollte, wird nun eine Helferin zur Sünde. Denn diesen Ungehorsam gegen Gott nennt man „Sünde“: In sehr knappen und dürren Worten wird hier das Erschreckliche geschildert: „Sie nahm von der Frucht und aß‚ und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß!“ Die Menschen sind in Sünde gefallen; und deshalb nennen wir diese Geschichte die Geschichte vom „Sündenfall“.

 

(7) Die Schlange behält zunächst recht: Durch den Genuß der verbotenen Frucht werden die beiden Menschen wissend. Sie erkennen zum Beispiel ihre Verschiedenartigkeit, die in den unterschiedlichen Geschlechtern besteht; sie erkennen, daß sie nackt sind, und schämen sich. Scham ist das äußere Zeichen für die zerbrochene Einheit von Mann und Frau.

Mit der Übertretung des göttlichen Gebots ist auch eine Veränderung der menschlichen Existenz eingetreten. Ihre Augen werden aufgetan und sie erleben eine große Ernüchterung. Alles um sie herum ist zerstört: Ihre Gemeinschaft untereinander ist gestört, denn statt Freude kommt Scham, statt Wissen ein schlechtes Gewissen. Und auch die Gemeinschaft mit Gott ist zerstört, denn nun haben sie Angst vor ihm und wollen vor ihm fliehen.

Sie nehmen sich Blätter von einem Feigenbaum und flechten sich daraus Schürzen. Sie wissen nun, daß sie böse sind; deshalb schämen sie sich und versuchen nicht nur ihr Äußeres, sondern auch ihr Inneres damit zu verdecken. Gott zwingt keinen, ihm gehorsam zu sein, aber wer gegen ihn handelt, der zerstört etwas.

(8) Aber Gott zieht sie dennoch zur Rechenschaft. Man kann Gott nicht entfliehen. Sehr kindlich wird erzählt, wie Gott in der Abendkühle im Garten spazierengeht und die beiden Menschen sich vor ihm zu verstecken suchen. Sonst war das immer die schönste Stunde des Tages, wenn sie sich mit Gott unterhalten konnten. Aber nun ist das alles anders: als sie die Schritte Gottes hören, verschwinden sie schnell ins Gebüsch. Man kann Gott nicht entfliehen: entweder ganz Gott oder ganz der Teufel. Der „goldene Mittelweg“ ist vom Teufel.

 

(9) Aber Gott ruft den Menschen: „Adam, wo bist du?“ Jetzt muß er heraus aus dem Versteck.

(10.) Adam versucht sich herauszureden. Doch bis jetzt hat er sich doch auch nicht geschämt; und nun will er auf einmal bestimmen, was sich gehört und was recht ist.

(11) Gott aber zeigt ihm, daß ihm nichts verborgen bleiben kann. Er fragt: „Hast du nicht von der verbotenen Frucht gegessen?“

(12) Doch Adam will die Schuld von sich abschieben: Erst soll die Frau schuld gewesen sein, und dann schließlich sogar Gott selber, der ihm die Frau gegeben hat.

(13) Aber die Frau wieder schiebt die Schuld auf die Schlange, die sie verführt hat. Statt eines Schuldbekenntnisses und einer Bitte um Vergebung erleben wir hier eine lächerliche Ausrede und wie einer die Schuld auf den anderen schiebt. Während das Verhältnis zu Gott bestimmt ist durch das Mißtrauen, ist das Verhältnis zum Mitmenschen bestimmt durch Feigheit (Schuld nicht eingestehen) und Verrat (Schuld abschieben).

(14) Doch Gott vernichtet die Menschen nun nicht, sondern er läßt sie mit ihrer Schuld wei­terleben. Aber es ist anders geworden in ihrer Welt. Im Folgenden werden nun bestimmte Erscheinungen im menschlichen Leben erklärt. Das Leben geht zwar physisch weiter, aber es ist verletzt. Die „Kehrseite der Medaille“ hat die Schlange nämlich verschwiegen: Gott verstand unter „Leben“ ein Leben in Gemeinschaft mit ihm, die Schlange aber meint nur das zeitliche Leben, das ein vegetieren ist. Diesem wird nun durch den Tod ein Ende gesetzt. Zunächst trifft Gottes Urteil aber die Schlange.

(15) Seitdem ist die Schlange ein Tier, das dem Menschen gefährlich wird, besonders in den heißen Ländern. Natürlich ist die Schlange schon immer auf dem Bauche gekrochen und es sah so aus, als fresse sie Erde. Aber die Menschen haben sich das dann so erklärt: Das ist die Strafe Gottes für den Ungehorsam der Schlange.

(16) Das Strafwort über der Frau weist auf die Not der Schwangerschaft und der Geburt hin. Außerdem wird das damals übliche Beherrschtwerden durch den Mann erklärt. Aus der Gehilfin ist eine Magd geworden. Aber nicht das ganze Dasein der Frau ist verflucht, sondern nur etwas an ihr.

(17) Das Strafwort über den Mann handelt von den Schwierigkeiten im Leben des Mannes. Der Mensch (adam) ist von der Erde (adamah) genommen und sollte in Eintracht mit ihr schaffen und wirken.

(18) Aber nun ist diese Harmonie gestört durch den Fluch, der die Erde trifft: Die Arbeit wird oft mühsam und vergeblich sein. Aus der Herrschaft des Menschen über die Erde wird nun ein nicht endenwollender Kampf mit ihr.

(19) Am Ende dieses Kampfes aber steht der Tod, durch den der Mensch wieder zur Erde wird. Aber nicht der Mann oder die Arbeit werden verflucht, es gibt nur nicht mehr die „schöne“ Arbeit.

(20) Aber auch jetzt bittet der Mensch nicht um Gnade. Trotzig nennt er seine Frau „Eva“ (= Leben, Gebärerin). Sie wird ungeachtet der Strafe doch die Kette der Geschlechter in Gang setzen. Gott bricht nicht mit dem Menschen.

(21) Gott aber macht ihnen Kleider aus Fellen, damit sie sich nicht voreinander schämen müssen, und er gibt ihnen damit eine Ausstattung für das „Elend“. Wir erleben hier zum ersten Mal den Schöpfer als Erhalter. Hier ist die frohe Botschaft in dieser Geschichte: Gott vergibt!

(22) Eine unheimliche Gier nach Leben ist in den Menschen entstanden. Deshalb müssen sie von dem Baum des Lebens getrennt werden.

23) Die Menschen müssen den Garten verlassen und außerhalb ihren Lebensunterhalt suchen.

(24) Der Zugang zu dem Garten wird von dem Beauftragten Gottes mit einem Flam­men­schwert bewacht. Damit endet dieses Sündenbekenntnis vom Anfang der Bibel. Der Mensch hat viel verloren. Aber er trägt allein die Schuld, denn er hat auf die Stimme des Verführers gehört und sich gegen Gott empört.

 

Kain und Abel (1. Mose 4):

Auch die Geschichte vom Brudermord will schildern, wie der Mensch bis heute ist. Er ist neidisch auf den anderen und denkt, wenn er den Gegner ausschaltet, dann wird nur noch er von Gott geliebt. Im Hintergrund steht auch der Gegensatz zwischen Jägern und Ackerbauern bzw. der Übergang zur Seßhaftwerdung und zum Ackerbau. Das Leben wird aufgespalten in verschiedene Lebenshaltungen, in die des Hirten und des Bauern, die auch eine verschiedene Gottesverehrung mit sich bringt.

Das etwas rätselhafte Kapitel 6 spricht von „Göttersöhnen“, die in der heutigen Lutherbibel in einer Anmerkung als Gestalten in der Umgebung Gottes erklärt werden. Diese hätten sich mit menschlichen Frauen eingelassen und daraus seien die Riesen entstanden, die Helden der Vorzeit. Man darf natürlich nicht fragen, woher plötzlich die vielen Frauen kamen genauso wie man nicht fragen darf, woher Kain seine Frau nahm. Diese Geschichten haben keinen fortlaufenden Erzählfaden, sondern sind immer nur Momentaufnahmen.

 

Sintflutgeschichte (1. Mose 6 - 9):

Bei der Erzählung der Sintflut sind Priesterschrift und Jahwist eng miteinander zusammengearbeitet. Den Unterschied merkt man zum Beispiel noch an den unterschiedliche Zeitangaben und an dem Gegensatz von Taube und Rabe.

Als moderner Mensch ist man geneigt zu fragen: Wie ist so etwas möglich? Hat es so etwas wirklich schon einmal gegeben? Von der Bibel her gesehen muß man jedoch anders herangehen. Es handelt sich wie immer in der Bibel um eine Glaubensgeschichte. Sie will erzählen von dem frommen Mann Noah, der Gott gehorsam war, auch wenn er dafür von seinen Nachbarn verspottet wurde. Deshalb wird er mit seiner Familie von Gott aus dem Wasser gerettet, dazu alle damals vorhandenen Tiere, weil der Mensch für die Tiere (die „Kreatur“) verantwortlich ist.

Diese Glaubensaussage wurde dann gefüllt mit dem Wissen der damaligen Zeit. Von einer Sintflut ist in vielen Religionen die Rede, zum Beispiel im Gilgamesch-Epos aus dem Zwei­stromland von Euphrat und Tigris. Das könnte ein Hinweis darauf sein, daß es irgendwann einmal wirklich eine große Überschwemmung gab. Diese war natürlich nicht weltweit, aber doch mehr als örtlich. Im Zweistromland waren Überschwem­mungen an der Tagesordnung.

Aber es gibt auch die neuere Theorie, daß das Mittelmeer einmal an den Dardanellen durchgebrochen sei und sintflutartig die Senke gefüllt habe, die heute das Schwarze Meer darstellt. Der Berg Ararat, an den das Hausboot Noahs angestoßen sein soll, liegt ja im Osten des Schwarzen Meeres und würde zu dieser Theorie passen. Aber man könnte auch an einen Tsunami denken.

Doch all das kann nicht erklären, daß die Bibel doch recht hat und es wirklich eine Sintflut gab, wie sie in der Bibel beschrieben wird. So ein „Beweis“ ist auch gar nicht nötig, weil man mit solchen „Beweisen“ an dem vorbeigeht, was die Erzählung uns über den Glauben sagen will.

Die Erzählung hat aber noch einen anderen Blickwinkel: Sie endet mit den wunderbaren Worten: „Solange die Erde steht soll nicht aufhören Saat und Ernte, Forst und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht!“ (8, 22). In diesen Zusammenhang gehört auch der Regenbogen, der erklärt wird als Zeichen eines Bundes zwischen Gott und den Menschen: „Meinen Bogen habe ich in die Wolken gesetzt. Der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde!“ (9,13).

 

Turmbau zu Babel (1. Mose 11):

Die Urgeschichte zeigt, wie alles Verderben in der Welt aus der Sünde der Menschen kommt. Dem langsamen Sichaufrichten zu kultureller Größe entspricht eine immer tiefere Entfremdung des Menschen von Gott. Wenn Gott mit immer schwereren Gerichten die Ausbrüche der Sünde bestraft, so wird doch zugleich sein rettendes und tragendes Handeln sichtbar: Auch die Gnade Gottes wird immer mächtiger.

Nur bei der Turmbaugeschichte scheint es anders zu sein. Da wollen die Menschen sein wie Gott und einen Turm bis an den Himmel bauen. Aber Gott zerstört den Turm und zerstreut die Menschen in alle Winde, weil sie jetzt keine einheitliche Sprache mehr haben. Die Erzählung knüpft die etwa 90 Meter hohen Göttertürme in Babylon an, die bei der Entstehung der Erzählung teilweise schon zerstört waren. Sie gibt also Antwort auf die Frage, wie diese Trümmerhaufen entstanden sind.

Aber die Erzählung endet dennoch mit einem erfreulichen Ausblick: In 1. Mose 12 wird dann abrupt das Schicksal eines einzelnen Menschen und seiner Familie in den Mittelpunkt gestellt. Abraham wird aus der Fülle der Völker berufen und es wird ihm der Segen Gottes verheißen. Das Heilsverhältnis zu Israel sagt dann aber auch etwas aus über das Verhältnis Gottes zu den Völkern ins­gesamt.

Hier erscheint jetzt auch Israel durch die Person Abrahams. In der Völkertafel (1. Mose 10) ist Israel nicht vertreten. Einer mythologischen Ableitung seiner eigenen Existenz direkt von Jahwe her hat sich Israel versagt. Es versteht sich als ein in der Geschichte von Jahwe geschaffenes und erwähltes Volk.

 

Unter Theologen gibt es einen Streit, ob der Schöpfungsglaube oder die Heilsgeschichte der Ausgangspunkt des Glaubens Israel war. Hans Heinrich Schmid hält für den beherrschendem Hintergrund des alttestamentlichen Denkens die Vorstellung der umfassenden Weltordnung (Schöpfungsglaube), den Israel in mancherlei Hinsicht mit seiner Umwelt teilt. Israel sei nicht vom Heilsglauben ausgegangen und habe in nachträglich mit dem Schöpfungsglauben angereichert, sondern Israel hatte am altorientalischen Schöpfungsglauben teil und verstand dann seine spezifischen Geschichts- und Gotteserfahrungen in ihrem Horizont. Gerhard von Rad legte das Schwergewicht auf die Heilsgeschichte (Einfluß der dialektischen Theologie). Claus Westermann versuchte einen Ausgleich. Aber sie sind vielleicht doch nicht so weit voneinander entfernt: Schöpfungs­glaube und Heilsglaube bringen beide das Handeln Gottes lediglich auf verschiedenen Ebenen zur Sprache. Der Schöpfungsglaube hat die Heilsgeschichte immer flankiert.

 

 

Vätererzählungen

Während die Urgeschichte von den elementaren Grundlagen der Welt und des Menschen spricht, handelt die Vätergeschichte von den elementaren Grundlagen menschlicher Gemeinschaft und vor allem das Thema Nachkommen- und Landverheißung. Die ganze Überlieferungsmasse des Pentateuch steht unter der dreifachen Spannung von Verheißung und Erfüllung.

Die Erzählungen vom Anfang der Welt enden mit der großen Katastrophe, daß die Völker unterschiedliche Sprachen haben und über die ganze Welt verstreut werden. Gott aber greift sich einen einzelnen Menschen heraus - den Abraham - und beginnt mit ihm etwas Neues. Es blieben immer nur Einzelne, die nach dem Willen Gottes lebten. Weil Abraham ein Mensch nach Gottes Vorstellung war, hoffte Gott, daß er mit ihm mehr Erfolg haben werde. Aus Abraham erwuchs ein großes Volk, das dann aber auch nicht dem Willen Gottes gehorsam war, wie es Gott erhofft hatte.

Die Erzväter sind dargestellt als Offenbarungsempfänger und Kultstifter. Es offenbart sich ihnen ein Gott, der der Gott der Väter (Abraham, Isaak, Jakob) genannt wird und der in den späteren Überlieferungen mit Jahwe gleichgesetzt wird. Wir haben es hier mit vorisraelitischen Überlieferungen zu tun, die im Laufe der Zeit erweitert und verarbeitet wurden durch die Erfahrungen und Erkenntnisse späterer Generationen.

Die Abra­ham­leute übernahmen nach der Berührung mit den Isaakleuten die Isaak-Erzählun­gen und die Sagen aus dem Bereich Hebron und aus der Wüste Juda. Der Doppelname „Israel- Jakob“ könnte daher kommen, daß es ursprünglich einen mittelpalästinensichen „Israel“ gab und einen ostjordanischen „Jakob“.

Die alte Verheißung an die Väter wird in den großen heilsgeschichtliche Aufriß des Jahwisten und Elohisten hineingestellt und damit ein Bezug hergestellt auf eine viel fernere Erfüllung. Durch das ägyptische Zwischenspiel hat die Verheißung einen merkwürdig gebrochenen Gehalt. Aber jetzt galt die Erfüllung nicht mehr nur der kleinen Kultgemeinschaft vor Mose, sondern dem ganzen Israel, das von den Vätern abstammen sollte.

 

Zur Geschichtlichkeit der Wanderungen und Ortsangaben:

Nach 1. Mose durchziehen die Erzväter Abraham, Isaak und Jakob das Land. Doch die überlieferte Strecke ist historisch problematisch, da die Erzväter riesige Entfernungen auf verworrenen Wegen zurücklegen, wie es Nomaden so nicht tun. Auch läßt sich archäologisch nachweisen, daß die erwähnten Heiligtümer bereits bestanden, bevor Nomaden in Palästina auftauchen (mittlere und frühe Bronzezeit ab 3000 vCh). Weiterhin sind die mit diesen Ortsnamen verbundenen Gottesbezeichnungen kanaanäischer Art.

Das heißt: Die Wanderungen der Väter sind sekundäre Verknüpfungen, mit denen die Väter in Verbindungen mit bereits bestehenden Ortsheiligtümern gebracht werden. Damit werden kanaanäische Heiligtümer und Gottesnamen bei der Seßhaft­werdung des späteren Israel mit der Jahwe-Religion verbunden. Die Abraham- und Isaaktraditionen überschneiden sich dabei häufig und sind im Süden angesiedelt, die Jakobstraditionen dagegen im Norden.

 

Die Vätergott-Religion:

Die als „Gott Abrahams“ oder „Schrecken Isaaks“ und der „Starke Jakobs“ bezeichnete Gott­heit ist nach Albrecht Alt (1929) ein Gott des religionsgeschichtlichen Typus „Vätergott“. Dieser ist nicht an einen Ort oder ein Heiligtum gebunden, sondern an Personen und deren Anhang, die ihn verehren. Er hat deshalb auch keinen Eigennamen, sondern wird nach dem benannt, der ein Offenbarungserlebnis mit diesem Gott hatte und ihn zuerst verehrte. Das Motiv der Verheißung von Nachkommen und Land ist grundlegend.

Sowohl Ortsungebundenheit als auch das Thema Verheißung entsprachen dem Lebensstil und den Wünschen der weidewechselnden Wanderhirten. Als Israel dann ein Volk wurde, erfolgte die Vereinzelung und Gleichsetzung mit Jahwe. Die biblische Aussage, daß Jahwe bereits der Gott der Väter gewesen sei, ist demnach historisch falsch, ist also eine Glaubensaussage.

Gegen Alts These wurden folgende Gegenargumente genannt:

• Die Belege für „Gott des NN“ sind mit zwei Ausnahmen alle aus späteren Kom-

positions- und Redaktionsstücken

• Das Thema „Verheißung“ gibt es erst in den jüngeren Kompositions- und

Bearbeitungsschichten (Hintergrund: späte Königszeit oder Exil).

• Das außerbiblische Vergleichsmaterial ist sehr jung und es gibt eindeutige

Kulturlandbelege

• Auch im AltenTestament gibt es andere Belege für „Gott des NN“, die nicht an die

Nomadenzeit gebunden sind: 2. Kön 20,5 (David), 1. Chr. 28,9 (David, Salomo),

2. Chr 17,4 und 32,17 (Josafat) und 34,3 (Josia). Die Hypothese Alts läßt sich also

kaum mehr aufrecht erhalten. Über die Religion der Patriarchen können demnach nur

Vermutungen angestellt werden.

Aus den verschiedenen Gottesbezeichnungen erkennt man, daß diese Väter­gestal­ten von Hause aus je ihre Sondergeschichte hatten und nach der Ansiedlung Israels im Lande allerlei Einzeltraditionen an sich ziehen konnten, die ursprünglich zweifellos im Lande Kanaan ihre Hei­mat hatten. Als das Volk Israel im Land Kanaan seßhaft geworden war, wollt es sich seiner Wurzeln vergewissern. Es erinnerte es sich daran, daß dieses Land ja schon den Vorvätern von Gott versprochen worden war. Weil man aber an den einen Gott Jahwe glauben wollte, der das Volk beim Auszug aus Ägypten gerettet hatte, sah man in den Göttern der „Väter“ den gleichen Gott am Werk. Deshalb brachte man die Vätergestalten in eine verwandtschaftliche Folge: Abraham, Isaak und Jakob waren ursprünglich selbständige Urväter eines Volksstamms. Jetzt wurden sie als „Vater- Sohn - Enkel“ verbunden und aus der Stammesgeschichte wurde eine Familiengeschichte.

Die Erzählungen von den „Erzvätern“ Abraham, Isaak und Jakob wollen nachweisen, daß die Einnahme des Landes Kanaan (die heutigen Wohnstätten der Israelis und der Palästinenser) gerechtfertigt war, weil dieses Land schon den Erzvätern von Gott versprochen worden war und diese dort schon gelebt hatten. Man sah in ihrem Leben den Gott Israels am Werk. Außer­dem wollte man auf diesem Weg auch den Glauben vereinheitlichen. Wenn die „Erzväter“ verwandtschaftlich verbunden wurden, dann wurden auch ihre Götter verbunden und verschmolzen mit Jahwe.

Bei der Ausgestaltung der biblischen Erzählungen wurden - vor allem in Alten Testament - auch Sagen verwendet, die damals im Volk Israel und in anderen Völkern erzählt wurden. Dabei wurden sogar alte Überlieferungen mit novellenartigem Gut und Märchenmotiven ausgebaut. Sagen machen nicht abstrakte Mitteilungen, sondern sind in höchstem Maße bildhaft. Außerdem manchen sie oft allgemeine Vorgänge an einer Einzelperson anschaubar, zum Beispiel in Abraham und Isaak und Jakob.

In jahrhundertelanger Überlieferung wurden sie ausgeformt und inhaltlich ausgeweitet. Die erzählten Ereignisse wurden so auf Gott hin durchleuchtet. Ehemals belanglose Einzelzüge wurden durch das theologische Nachdenken bedeutungs­schwer. In diesen Erzählungen hat die israelitische Gemeinde mehr und mehr sich selbst und ihre Glaubenserfahrungen dargestellt.

Der Verfasser des jahwistischen Erzählstranges hat in sein Werk viel Grundsätzliches hineingegeben von dem, was Israel in seiner Geschichte mit Gott widerfuhr.

Hier zeigt sich der Unterschied zum heutigen Denken: Während wir unseren Glauben in einem kurzen Glaubensbekenntnis ausdrücken, erzählen die Orientalen eine Geschichte, die blumig ausgeschmückt wird und oft auch spannend ist. Sie wußten natürlich, daß das nicht alles wirklich so passiert ist und höchstens einen echten geschichtliche Kern enthält. Aber „wahr“ sind ihre Erzählungen dennoch, wenn auch in einem anderen Sinne, als wir das sehen, die wir durch die Zeit der Aufklärung hindurchgegangen sind und von einem wissenschaftlichen Weltbild geprägt sind.

 

Es gibt verschiedenen Ansätze zur Entstehung der Vätergeschichten: Nach der neueren Urkundenhypothese geht die Hauptmasse der Vätergeschichte im Wesentlichen auf den Jah­wisten und Elohisten zurück. Die Priesterschrift habe 1. Mose 17 und 23 als größere Textblöcke eingebracht und die Vorlage nur durch kurze Notizen ergänzt. Der Elohist erhält dabei einen bruchstückhaften Charakter und durfte wohl lediglich einzelne Stücke zum Jahwisten hinzugefügt haben. Der Anfang des Elo­histen wird in 1. Mose 20 gesehen. Nach der Priesterschrift sei noch die merkwürdige Erzählung 1. Mose 14 (Kampf Abrahams für Lot) eingescho­ben worden, die zu keinem der Abraham-Bilder der verschiedene Quellen passe. Im Wesentlichen ist damit die Väter­geschichte als ein Teil des jahwistischen Geschichtswerk der frühen Königszeit zu verstehen.

Der traditionsgeschichtliche Ansatz führte trotz prinzipieller Beibehaltung der neueren Urkundenhypothese zu einer Verschiebung des Interesses auf die Entstehung der ersten schriftlichen Erzählungen: Noth sah die Erzväterverwandtschaft als sekundär an, mit ihr wurden die vorisraeltischen, ursprünglich unabhängigen Sagen(-Kränze) in einer späteren Zeit miteinander verbunden und in die Überlieferung Israels einverleibt. Für die vorisraelitische Existenz der Vätersagen konnte er sich auf Alts Väterreligion stützen (Der Hauptinhalt der frühen Sagen war demnach „Verheißung von Land und Nachkommenschaft“).

Nachdem die Vätersippen dann in den Gruppen Israels aufgegangen waren, gab es eine israelitische Aneignung der Tradition. So wurde zunächst Jakob den zwölf Israel-Söhnen zugeordnet und schließlich Isaak und Abraham im Stammbaum vorangestellt. Somit wären die Väter­ge­­schichten auszulegen als Niederschlag nomadischer, vorisraelitischer Vatersippen, deren Religion die des Vätergott-Typus war.

Dagegen sieht Blum die Verwandtschaft der Erzväter als ursprünglich mit der Erzählsubstanz der einzelnen Sagenkränze (Abraham-Lot und Jakob-Esau-Laban) verbunden. Ohne diese verwandt­schaftlichen Beziehungen seien diese Erzählungen nicht denkbar. So sieht er die Abfolge der Erzväter und Einbettung der Söhne Jakobs in diese Verwandtschaft als ein Ergebnis des Prozesses der Vereinigung zum Volk Israel. Die Grundlinien der Verwandtschafts­verhältnisse Israels sind damit vor der Königszeit entstanden und keine späteren Rückprojektionen (diese gibt es natürlich auch). Die Vätergeschichten sind damit auch nicht als Erinnerung an vor­israelitische, nomadische Vorfahren zu verstehen, sondern als Begründung für die Herkunft Israels („Ätiologie“), entstanden in der Zeit der Volkswerdung.

Die Gesamtheit der Väter­geschichten entstand dann aus der Komposition der einzelnen Sagenkränze und der Josephs­geschichte. Eine recht frühe Überarbeitung fügte die ersten Verheißungsreden (13 und 28) ein. In der Gefangenschaft erfolgte eine Ausweitung der Verheißungsthematik (Bedeutung der Landverheißung!), eine deuteronomistische Bearbeitung fügte 1. Mose 15 und 24 ein, eine priesterliche Redaktion folgte. Auf jeden Fall ist nach Blum für die Vätergeschichte mit einem längeren Entstehungsprozeß zu rechnen, in dem das Material unter jeweils neuen Gesichtspunkten weiter bearbeitet wurde.

 

Das tragende Gerüst der Zusammenstellung der Vätergeschichten ist die Erzväter­verheißung (redaktionelles Thema). Sie hat die Gesichtspunkte Land-, Nachkommens- und Segensverheißung. In der priesterlichen Bearbeitung ist zusätzlich noch die Verheißung auf ein besonderes Gottesverhältnis gegeben. Jahwe will der Gott des Volkes Israel sein, und dieses Volk soll sein Volk sein (1. Mose 17,8). Hier ist eine Ausrichtung auf die Sinai-Offenbarung gegeben (2. Mose 6,7 und 4. Mose 26,12).

Durch die jetzige Stellung der Vätergeschichte im Verbund der fünf Mosebücher und des Buches Josua sind die Erfüllungen dieser Verheißungen der Väter­geschichte auf die Landnahme nach dem Auszug und nach der Wüstenwanderung ausgerichtet. Die „ Väter“ führen also ein eigenartiges Leben bereits im „verheißenen Lande“ und dennoch im „Land der Fremdling­schaft“ (1. Mose 17,8 und öfter). Es ist eine Zeit der Vorbereitung auf die Erfüllung der Verheißung, eine Zeit der Zusage Gottes vor der Geschichte Jahwes mit seinem Volk.

Die Themen „Bund und Verheißung“ verknüpfen die Vätergeschichte mit den anderen Etappen der Bundesgeschichte Israels. So kommt die Verheißung schrittweise in Erfüllung: Ägypten - Volkwerdung / Sinai - Gottesverhältnis / Landnahme - Land und Segen für alle Völker.

Die Vätergeschichte will in ihrer jetzigen Gestalt entgegen allen religionsgeschichtlichen Parallelen sagen: Der Gott, der alles Geschehen der Vätergeschichte und damit auch die Volkwerdung Israels durchwaltet, ist Jahwe. Dabei werden religiöse Traditionen der Umwelt übernommen und auf Jahwe übertragen. Auch in diesen Traditionen wird Jahwe erst „entdeckt“.

Einzelheiten:

Die Einzelgeschichten geben aber auch Antwort auf bestimmte Fragen. Sie wollen zum Beispiel die Beziehungen der Völker untereinander (ethnologisch), die sprachliche Herkunft (etymologisch) und örtliche kultische Erscheinungen wie die Entstehung eines Heiligtums erklären. Echte geschichtliche Tatbestände können dabei starke Kürzungen erfahren. So werden zum Beispiel Erlebnisse der Stämme umgesetzt in Erlebnisse von Personen. Oder Stammesrivalitäten können sich in Persongegen­sätzen niederschlagen (zum Beispiel Abraham und Lot, 1. Mose 13).

Die Erzählungen vom Besuch Gottes bei Abraham (1. Mose 18), Isaaks Opferung (1. Mose 22), Himmelsleiter (1. Mose 28) und Jakobs Kampf am Jabbok (1. Mose 32) waren wahrscheinlich einmal vorisraelitische Legenden, die die Entstehung eines bestimmten Kultes an einem bestimmten Ort begründen wollten. Erst nach der Einwanderung der Israeliten wurden diese Erzählungen mit der Überlieferung von den Erzvätern verwoben.

 

Wahrscheinlich ist 1. Mose 12, 1 - 9 ein Übergangsstück zu den eigentlichen Väter­erzählun­gen, in dem zunächst das große Thema „Verheißung des Segens“ vorgestellt wird: Das Entscheidende geht von Gott aus. Er offenbart sich mit der Forderung, sich aus allen Sicherungen und Bindungen zu lösen, sich der Führung Gottes anzuvertrauen und auf die Möglichkeiten zu warten, die Gott ihm öffnen wird.

Der Segen kommt in verschiedenen Variationen im Text vor (Vers 2):

a) Segen verbunden mit Fruchtbarkeit, also mit Nachkommen

b) Segen verbunden mit einem großen Namen (Gewinn an Bedeutung)

c) Segen sein für andere, Abraham wird Segensvermittler

d) Segen als etwas, das sich auswirkt auf andere, je nachdem wie sie Stellung nehmen zu dem Gesegneten (Vers 3).

Inhalt des Segen ist die materielle Lebenssteigerung - unsere Begriffe dafür sind Erfolg und Glück.

Abraham macht seinen Weg durch das Land, das ihm einmal gehören soll: Der Altarbau ist ein Zeichen dafür, daß hier eine Gottesoffenbarung stattgefunden hat, zugleich als Zeichen der Besitzergreifung im Namen Gottes (Vers 8 und 9). Aber Abraham darf das Land nur symbolisch in Besitz nehmen, weil es ja noch kein Jahweverehrer war.

 

Ab 1. Mose 13 wird das unterschiedliche Verhalten von Abraham und Lot nebeneinander dargestellt und gleichzeitig soll erklärt werden, weshalb das Jordantal ein blühender Garten ist und die Gegend von Sodom und Gomorra weiter südlich eine tote Wüste. Außerdem wird erklärt, weshalb eines eigenartige Felsformation in diesem Gebiet als „Lots Frau“ erklärt wird.

Die Geschichte von der Austreibung Hagars und Ismaels kommt zweimal vor: Beim Jah­wisten in 1. Mose 16 und beim Elohisten in 1. Mose 21. Beide wollen erklären, weshalb die Ismaeliter - die doch mit den Israeliten eng verwandt sind - jenseits des Kulturlandes im Süden zelten. Aber in der Zeit des Elohisten gab es gar keine Ismaeliter mehr (der Name des Kindes wird bei ihm gar nicht mehr erwähnt), so daß er das Geschehen immer mehr ins allgemein Menschliche hinaushebt.

Die Geschichte von Isaaks Opferung kennzeichnet den Übergang vom Menschenopfer zum Tieropfer. Aber die Erzählung ist wiederum mehr als eine Sage. Sie ist eine Geschichte vom unerschütterlichen Glauben Abrahams und vom Dulden Isaaks. Und sie weist schon auf das Opfer Gottes, der seinen einzigen Sohn dahingegeben hat.

Die Sage von Jakobs Kampf am Jabbok (1. Mose 32, 22 -33) will nicht ein Ereignis der fernen Vergangenheit möglichst objektiv schildern. Sie redet viel mehr im Gewand einer Erzählung aus der Vergangenheit von Dingen, die zugleich gegenwärtig sind: In dem was Jakob damals erlebte, erkannte Israel sein eigenes Verhältnis zu Gott wieder, so wie er rang es auch in der eigenen Gegenwart mit seinem Gott.

 

Josephserzählung

Als eigener Teil im Rahmen der fünf Bücher Mose wird auch die Josephsgeschichte angesehen und meist dem Elohisten zugeordnet. Sie ist eine Novelle, eine aus Einzelszenen bestehende Erzählung, deren Sinn sich erst aus einem am Ende hervortretenden Gedanken erschließt (1. Mose 50,20).

Die Erzählungen von Jakob und seinen Söhnen werden dazu benutzt, die Erzväter mit dem Aufenthalt in Ägypten zu verbinden, also zu erklären, weshalb „Israeliten“ auf einmal in Ägypten waren. Aber historisch gesehen war es eher so, daß irgendwelche „Hebräer“ aus der Wüste (oder auch aus Kanaan) nach Ägypten eingesickert waren und dort als billige Arbeitskräfte ausgenutzt wurden. Sie waren noch kein „Volk“, sondern eher eine soziale Schicht. Ein Teil von ihnen brach dann aus Ägypten aus und floh in die Wüste. Erst durch die Rettung am Meer und den Bundesschluß am Sinai wurden sie zu einem Volk, dem „Volk Israel“.

Allerdings bleibt Gott in der ganzen Josephsgeschichte ganz im Hintergrund. Es handelt sich fast um eine rein weltliche Geschichte (Deshalb konnte sie Thomas Mann auch in einem umfangreichen Roman verarbeiten). Und doch gehört diese Geschichte in die Bibel. Sie macht nämlich deutlich, wie im menschlichen Handeln Gott am Werk ist. Gott wirkt nicht nur im Sonderbaren und Wunderhaften, sondern zuerst einmal im gewöhnlichen Ablauf der Dinge. Gott wirkt nicht in den Lücken, sondern im Ganzen.

Gott hat ja keine Hände und Füße wie wir, er handelt immer durch Menschen. Und dabei kann er sogar die menschlichen Untaten für seine Zwecke nutzen. An zwei Stellen der Josephsgeschichte wird das gesagt, sie sind der Schlüssel zum Verständnis der ganzen Erzählung: „Gott hat mich vor euch her gesandt, daß er euer Leben erhalte zu einer großen Rettung (1. Mose 45,7) und „Ihr gedachtet es böse zu tun, aber Gott gedachte es gut zu machen“ (1. Mose 50,20).

 

Auszug aus Ägypten (2. Mosebuch)

Das 2. Mosebuch heißt im Lateinischen „Exodus“ („Auszug“). Es handelt vom Auszug der Israeliten aus Ägypten unter der Führung des Mose auf dem Weg in das gelobte Land Kanaan. Das Buch setzt mit der Geburt Moses ein und beschreibt aufkommende Konflikte zwischen Israeliten und Ägyptern. Der Auszug kann erst beginnen, nach­dem Ägypten von den zehn Plagen heimgesucht ist; doch das sind sagenhafte Erzählungen unter Verwendung von Kenntnissen des Landes Ägypten, aber ohne historischen Hintergrund.

Der geschichtliche Hintergrund jener biblischen Erzählungen ist uns zwar bekannt. Aber dennoch haben wir es nicht mit einem Bericht von einem tatsächlichen Geschehen zu tun. Es han­delt sich vielmehr um eine fromme Erzählung, die eine Glaubensaussage deutlich machen soll. Zunächst kannte man nur den Bekenntnissatz: „Gott hat seinem Volk durch Mose geholfen!“ Aber dann hat man sich auch gefragt: „Wie hat er denn geholfen?“ Man wollte sich nicht nur mit solch einem nüchternen Satz zufriedengeben, sondern auch Einzelheiten wissen, man wollte nicht Begriffe hören, sondern Geschichten. Aber diese Einzelheiten wußte man nachher nicht mehr.

Da hat man einfach aus vielen Nachrichten und Vermutungen sich so manches zu­sam­men­gereimt. So entstand ein sehr farbiges Gemälde von der Jugend des Mose. Aber es ist eben ein Gemälde, das die Gedanken des Künstlers zum Thema wiedergibt, es ist keine Fotografie. So wie sich um das Leben anderer berühmter Männer manche Geschichten und Anekdoten ranken, so hat man sich auch über Mose manche Geschichte ausgedacht.

Deswegen handelt es sich aber nicht um Lügen. Nur dürfen wir bei diesen Geschichten nicht fragen: „Ist das wirklich so passiert?“ Wir werden diesen Erzählungen nur gerecht, wenn wir fragen: Was wollten die Erzähler mit diesen Geschichten über Gott und sein Handeln an den Menschen aussagen? Sie wollten unterstreichen: Die Führergestalt des Mose war von Anfang an von Gott auserwählt!

 

Mose:

Überlieferungsgeschichtlich voneinander unabhängige Sagen erzählen von der Gestalt des Mose. Dies verbietet ein Aneinanderreihen der Sagen zu einem Lebensbild des Mose. Die Gestalt des Mose war wohl ursprünglich in der Ägypten – Auszug - Überlieferung verwurzelt.

Er hat einen ägyptische Namen war aber kein Ägypter.

Er läßt sich aus dem Erzählkomplex (vor allem der Berufung) nicht entfernen. Er konnte aber von diesem Erzählkomplex am leichtesten in die anderen Erzählungen hineinwachsen. Wenn man die Bedeutung des Mose erkennen will, dann muß man alles ausscheiden, was nicht fest mit seiner Person verbunden ist: Die vorisraelitischen Ortssagen, die kultisch gefärbten Sagen aus der südlichen Wüste und Sagen, die an andere Personen gebunden sind.

Daß Teile der späteren Israeliten in Ägypten waren, kann nicht erfunden sein. Aber es könnte sein, daß ursprünglich nicht Mose der Führer des Volkes war, weil er mehr mit dem Sinai ver­bunden ist und vor allem das Volk auf Jahwe verpflichtete. Vieles hat er dabei von den Midia­nitern übernommen, die wohl auch zu dem bekannten Wallfahrtsheiligtum am Sinai zogen. Aber die Israeliten waren wohl auch schon vorher Jahweverehrer, sie wußten nur noch nicht, daß er ihr alleiniger Gott ist. Mose brachte wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen den Priester vom Midian mit den israelitischen Sippen zusammen. Aber das eigentliche Geschehen der Bundesvermittlung erfolgt dann mit den „Ältesten“ (2. Mose 24). Mose gab nur den Anstoß zu Organisation und Gesetzgebung.

Gegen Mose als Gesetzgeber am Sinai spricht, daß die Gesetze fast alle dem Kulturland entstammen und so nachmosaisch sind. Bei der Wüstenwanderung hat Mose keine spezifischen, unverwechselbaren Aufgaben. Bei der Gotteserscheinung schaut das Volk seinen Gott ohne Mittler. Auch eine Gottesberg-Tradition als ursprünglicher Ort der Mose-Tradition ist fraglich, denn später wird nur der Auszug als das grundsätzliche Offenbarungsereignis verstanden. Mose ist also vor allem der Führer beim Auszug aus Ägypten.

Sehr ursprünglich ist die Berufung des Mose. Dazu wird die Kenntnis von einem Strauch benutzt, der ätherische Öle absondert, die sich in der Hitze entzünden können und dann den Strauch wie einen brennenden Dornbusch erscheinen lassen. Der Vorgang ereignet sich im Midianiterland, aus dem auch die Frau des Mose stammt. Deshalb hat man die Frage gestellt, ob Mose nicht weitgehend von den Midianitern beeinflußt wurde und zum Beispiel den Kern der Zehn Gebote von dort übernommen hat.

 

Auszug und Errettung am Schilfmeer:

Von einem Aufenthalt ganz Israels in Ägypten kann keine Rede sein. Daß sich vor­israeliti­sche Gruppen dort aufgehalten haben, kann hingegen auch mit außerbiblischen Texten nachgewiesen werden. Zur Zeit Ramses II. berichten ägyptische Texte von „Hebräern“, die nach ihrer Einwanderung zu Zwangsarbeit verpflichtet wurden. So enthält der Papyrus Anastasi VI den Bericht eines ägyptischen Grenzbeamten. Dieser gibt wieder, daß in der Zeit um 1200 üblich war, Nomaden zu Dürrezeiten ins Land zu lassen. Ramses II. ließ Silobauten in Pithom errichten und wollte Ramses im östlichen Nildelta als neue Residenzstadt gründen. Die Landschaft um Pithom (in der Bibel: „Gosen“) paßt zu den biblischen Erinnerungen (1. Mose 47,1 und 2. Mose 1,11 sowie 2. Mose 8,18 und 9,26).

Die häufige Bezeichnung „Hebräer“ findet ihre Parallelen in zahlreichen Texten aus ganz unterschiedlichen Gebieten. Dies zeigt, daß es sich bei den „Hebräern“ nicht um ein Volk handelt. Diese anscheinend gemeinorientalische Bezeichnung steht offenbar für Menschen oder Gruppen, die zu einer niedereren sozialen Ordnung gehörten als die ortsansässige Bevölkerung, also Nomaden oder ähnliche Gruppen ohne Grundbesitz. Sie wurden zu Fronarbeit oder Kriegsdienst herangezogen.

Dies deckt sich auch mit dem biblischen Befund: Es gibt insgesamt nur 33 Belege für das Wort „Hebräer“. Hauptsächlich finden sie sich in der Josephsgeschichte, in den Erzählungen von Auszug und Philisterkämpfen (1. Sam), in denen meist das Wort „Hebräer“ im Munde von Nichtisraeliten oder eine Selbstbezeichnung gegenüber Fremden ist - oft mit dem Unterton der Demut und Selbstverkleinerung oder der Geringschätzung und Verachtung. Interessant ist hier die Bemerkung 2. Mose.12,38, daß allerlei zugelaufenes Volk mit den Israeliten auszog.

Die Bestimmung des Ortes der wunderbaren Rettung der Flüchtlinge ist problematisch. Die Priesterschrift spricht von Baal-Zaphon östlich des Nildeltas (Lagune am Mittelmeer). Die älteren Quellen sprechen von „Meer“ oder „Schilfmeer“, womit sonst der Golf von Akaba bezeichnet wird. Denkbar wäre auch das Gebiet am heutigen Suezkanal, wo dieser große Seen durchzieht.

Das Wunder wird beschrieben als Trockenfallen des „Meers“. Die ursprünglichste Überlieferung dürfte aber darin bestehen, daß Gott die Wagen der Ägypter „hemmt“ (2.Mose 14,25), so daß sie aus irgendeinem Grunde die Verfolgung aufgegeben haben. Viel wunderbarer ist dagegen die Überlieferung, die natürlich für die Filme sehr eindrucksvoll zu machen war: Auf Befehl des Mose habe sich das Wasser geteilt und habe wie zwei Wände rechts und links gestanden, als das „Volk Israel“ durch das „Meer“ zog. Aber als die Ägypter nachsetzen, sei das Wasser wieder gekommen und habe sie verschlungen.

Der Auszug muß während oder bald nach der Regierungszeit Ramses II. (1290-1224) geschehen sein. Für die Dauer des Ägyptenaufenthaltes gibt es keine zuverlässige Datierung (1. Mose 15,13 spricht von der runden Zahl von 400 Jahren, aber wahrscheinlicher sind die vier Generationen wie in 1. Mose 15,16).

Alles ist so von Sagen und späteren Spekulationen umrankt, daß eine historische Rekonstruktion unmöglich ist. Erkennbar ist nur: Eine Nomaden-Gruppe war in Ägypten durch Fronarbeit bedrückt, ihr gelang, es den Ägyptern davonzulaufen und östlich des Nildeltas auf wun­der­same Weise ein Wasserhindernis zwischen sich und seine Verfolger zu bringen. Diese Gruppe ging in Israel auf und ihr Bekenntnis zu dem befreienden Gott wurde zum zentralen israelitischen Glaubenssatz.

Doch hierbei ist nicht wichtig, was wirklich passiert ist, zum Beispiel der Wechsel von Ebbe und Flut oder ein Umschlagen des Windes. Entscheidend ist allein, wie Israel dieses Geschehen gewertet hat. Für die Israeliten war die Rettung am Meer das entscheidende Ereignis für die Begründung ihres Glaubens.

Die jüngere Forschung stellt übrigens die Zusammengehörigkeit von Auszug und Rettung in Frage, weil das Schilfmeer nicht in unmittelbarem Zusammenhang zum Auszug steht, weil das Passahfest Unterdrückung und Exodus vergegenwärtigt, nicht aber die Rettung am Schilfmeer und weil das Miriamlied (2. Mose 15.21) die Errettung besingt, nicht aber den Auszug.

 

Zug durch die Wüste:

Die Auszug- und Landnahmetradition gehörte ursprünglich nicht mit der Väter­tradition zusammen, denn sie ist an andere Gestalten (Mose, Aaron, Josua) und andere lokale Haftpunkte (Midian, Gottesberg, Gebiet des Stammes Benjamin) gebunden. Sie brachte aber den Jahwe­glauben vom Sinai mit. Erst in Mittelpalästina ist die Verbindung von Jahwe­glauben und den Jakob-Israel-Traditio­nen erfolgt. Dabei wurden auch Auszugs- und Landnahmetraditionen miteinander verbunden. Man fügte sie ineinander, indem man die Väter als „Fremdlinge“ im Land wohnen ließ und zwischen Ägypten und dem Kulturland die Josephserzählung einschob.

 

Die Erzählung von der Wanderung von Ägypten über den Sinai ins Ostjordanland zerfällt bei überlieferungskritischer Betrachtung in eine Zusammenstellung von ehemals selbständigen, meist lokalen Traditionen. Erst deren sekundäre Zusammenfassung ergibt einen durchgehenden Wanderweg und ein übergreifendes Thema „göttliche Führung in der Wüste, trotz Israels Murren gegen Mose Aaron und Jahwe“.

Die genaue Lokalisierung der einzelnen Erzählungen zeigt, daß sie nicht frei erfunden sind. Nicht alle Ortsnamen sind noch identifizierbar. Doch die bekannten Namen wie Wüste Schur (2. Mose 15,22) und Massa und Meriba (2. Mose. 17,7) weisen auf das Wüstengebiet zwischen Ägypten und der Negev-Wüste.

Die Erzählungen selbst zeigen, daß Israels Vorfahren zumindest teilweise Halbnomaden waren und deren Nachkommen noch Kontakt zu Nomaden in der südlichen Wüste hatten. Die Sagen sind aber in ihrer jetzigen Gestalt aus der Sicht des Kulturlandbewohners erzählt (das Leben in der Wüste ist mühsam und gefährlich). Das bedeutet, daß diese Sagen allgemeine historische Erfahrungen aus Israels Vorzeit widerspiegeln, nicht aber Auskunft über einzelne his­torische Ereignisse geben.

 

Mehrfach findet sich das Motiv des oder der zweifelnden Menschen, der Abfall von Gott, die Rückkehr zu Gott und die Bestrafung oder Vergebung durch Gott mit Erneuerung oder Bestätigung des geschlossenen Bundes. Gleichzeitig geht es immer wieder um die Rolle des Volks Israel in der Beziehung zu seinem „Jahwe“ genannten Gott.

Die Erzählung von Wachteln und Manna geht auf Kenntnisse aus der Wüste zurück. Das „Manna“ war ein Harz einer Pflanze, das man vor allem am Morgen aufsammeln kann. Gleichzeitig soll aber auch vermittelt werden, daß nur Gott den Lebensunterhalt vermittelt und man nichts auf Vorrat hinlegen kann.

Die Namen Meriba („Prozeß“) und Massa („prüfen“) weisen daraufhin, daß an diesen Oasen offenbar Gerichtshändel ausgetragen wurden (aber aus dem braucht man noch nicht auf eine „Gerichtsquelle“ zu schließen).

Die Amalekiterschlacht (2. Mose.17,8-16) will die durchgängige Feindschaft zwischen Israel und Amalek erklären.

Die Sonderstellung der Leviten wird 2. Mose 32,25-29 begründet mit der Treue zu Jahwe und Mose (in 5. Mose.33,8 jedoch mit einem Ereignis bei Massa und Meriba).

Dem Bericht vom Sieg über den Amoriter-König Sihon von Hesbon (4. Mose 21 und Jos 12,2-6) dagegen scheinen historische Ereignisse zugrunde zu liegen: Wahrscheinlich war Sihon ein Lokalherrscher in und um Hesbon, mit dem Gruppen, die später zu Israel gehörten (Ruben?), aneinandergerieten.

 

Eine besondere Rolle spielt die Oase Kadesch im Quellgebiet im Negev, wo auch Meriba liegt. Schon in der Abrahamsgeschichte wird Kadesch genannt (1. Mose 16,14, 20,1): Dort lagen die Israeliten, als Kundschafter von Süden nach Kanaan geschickt werden, dort blieb auch Israel nach den Sinaiereignissen für längere Zeit. Kadesch ist auch Ausgangspunkt für die Umwan­derung des Ostjordanlandes. Diese Beobachtungen gaben Anlaß zu verschiedenen Kadesch-Hypothesen:

1. Die Kadeschüberlieferung sei ursprünglicher als die Sinaitradition und die Oase sei der Quellort des Jahwismus und des Jahwerechts. Auch Mose sei dort beheimatet: Er sei ein Priesterlehrling von Jitro und gründete in Kadesch eine Zweigniederlassung des Jahwe-Kultes. Dagegen spricht: Diese Hypothese stützt sich auf Hinweise, die aus unterschiedlichen Überlieferungen stammen: Wenn von Recht und Gesetz die Rede ist, ist dies Hinweis auf einen vorisraelitischen Gerichtsort, nicht aber auf die Gesetzgebung, hierfür gibt es keine echten Anhaltspunkte.

2. Die Heraushebung von Kadesch weist darauf hin, daß für bestimmte Gruppen von Israels Vorfahren (die späteren südlichen Stämme) der Jahwismus hier seinen Ursprung hat. Kadesch liegt im Bereich der Keniter Jahwe-Verehrer (Kainszeichen = Jahwe-Zeichen) und Midianiter (geringe Entfernung zum Sinai, mit welchem die Midianiter verbunden waren). Sie vermitteln den südlichen vorisraelitischen Gruppen den Jahwismus. Ort der Vermittlung ist Kadesch.

Ein zweiter Ort der Jahwe-Vermittlung ist der Sinai. Die sich in Mittelpalästina niederlassenden Stämme haben aus einer unmittelbaren Verbindung (nur) zum Sinai ihren Jahwismus angenommen. Diese Hypothese vom doppelten Ursprung des Jahwis­mus erklärt die spätere Verschiedenartigkeit von Nord und Süd, die seit frühester Zeit zu beobachten ist.

Gegen eine besondere und eigenständige Kadesch-Tradition spricht aber, daß die Kadesch-Sagen aus verschiedenstem Überlieferungsmaterial stammen und nicht von Hause aus zu­sammen gehören müssen. Es gab keine „Kadeschüberlieferung“ und keinen „Kult von Kadesch“. Die Israeliten sind vom Meer zunächst an den Sinai (Gottesberg) gezogen, nicht zuerst in die Oase Kadesch.

 

Es gibt zwei Landnahmetraditionen:

1. Mose war der entscheidende Mann bei der Landnahme der südpalästinensischen Stämme, von denen Teile aus Ägypten ausgebrochen waren. Für die Landnahme der Südstämme ist die Kundschaftergeschichte entscheidend, die ja als selbstverständlich voraussetzt, daß der Einbruch von Süden her erfolgte. Mose wäre dann der Führer in den Süden gewesen sein, wäre aber kurz vor Erreichen des Ziels gestorben. Eine andere Möglichkeit ist, daß es in Kadesch zur Spaltung gekommen ist: Ein Teil ist direkt nach Norden gezogen, die anderen unter Mose umgingen das Edomiterland und rückten von Osten her in das Gebiet nördlich von Jerusalem ein, weil Jerusalem nicht einzunehmen war.

Die Einwanderung von Süden her war durchaus erfolgreich. Aber später mußte man behaupten, man sei vor den starken Kanaanäern zurückgeschreckt, um den Umweg nach Osten zu begründen, der wiederum Voraussetzung für die die Einwanderung von Osten her war. Mose wäre dann im Ostjordanland gestorben, wie es die Bibel berichtet.

2. Der entscheidende Mann bei der Landnahme der mittelpalästinensischen Stämme vom Ostjordanland her war aber Josua. Nur notdürftig hat man beide Personen später miteinander verbunden. Wahrscheinlich kamen die sogenannten „Lea-Stämme“ (Ruben, Simeon, Levi, Juda, Issachar, Sebulon) aus dem südlichen Ostjordanland. Sie ließen sich zunächst im zentralen Westjordanland nieder, wurden aber von dort wahrscheinlich weit nach Süden vertrieben. In das frei gewordene Gebiet auf dem Gebirge rückte später das „Haus Joseph“ (die Stämme Ephraim und Manasse) nach.

 

Die Berichte von der Umgehung Edoms (4. Mose 20) und dem Durchzug durch Moab (4. Mose 21) spiegeln, daß Edom und Moab früher zur Staatlichkeit gelangten als Israel. Außerdem sind sie die Begründung dafür, daß die Israeliten von Osten her einwandern. Die räumliche Lücke zwischen der südlichen Wüste (von wo die Südstämme kamen) und dem Ostjordanland (von wo die mittelpalästinensischen Stämme kamen) wurde geschlossen, indem man die Umgehung des Edomiterlandes einfügte. Dadurch wurde die mittelpalästi­nensische Land­nahmetradition verbunden mit dem Auszug aus Ägypten: Die Gruppe, die aus Ägypten kam, mußte erst einmal in das Ostjordanland gebracht werden, um von dort nach Westen einzuwandern.

Die Stämme aus dem Osten trafen dann beim Zug nach Westen wieder auf die Hauptmasse ihres Volkes, die dort geblieben war, als ein Teil von ihnen nach Ägypten verschlagen wurde. In Ägypten waren wohl nur kleinere Gruppen, die sich schon immer an der Grenze zur südlichen Wüste aufhielten. Diesen Verwandten berichteten sie nun vom Auszug aus Ägypten und vom Sinai. Diese übernahmen auf dem Landtag zu Sichem dann den neuen Glauben.

Die schon im Land seßhaft gewordenen und zu einem religiösen Bund vereinigten Stämme konnten nur das sagen, was Gott an ihnen oder ihren Vorvätern getan hatte. Der wesentliche Inhalt der Penta­teuch­überlieferungen stammt aber nicht aus dem Kulturland, sondern aus der Zeit vor dem Seßhaftwerden (Vernichtung der Ägypter, Gottesbegegnung am Sinai) und hängt an der Person des Mose (und zum Teil der Erzväter).

Eine ganz eigene Theorie hat Gunneweg: Die Zweiheit Jahwe und Sinai einerseits und andererseits der Name Israel (mit dem Gottesnamen El) sei mit der Zweiheit von Wüste und Kulturland zu verbinden. Demnach gab es eine Jahwe-Gruppe aus der Wüste und eine El-Grup­pe im Kulturland, die im Laufe der Vorgeschichte Israels zusammenwuchsen. Das Zentrum der Jahwe-Verehrung liegt im Kulturland im josephitischen Bereich in Sichem, und die dort ansässigen Gruppen brachten die Jahwe-Verehrung in die Volkwerdung mit ein.

 

Eine gesamtisraelitische Landnahme-Erinnerung kann es nicht geben, weil es diese Landnahme als geschichtlichen Vorgang nicht gegeben hat, sondern die einzelnen Stämme oder Stammesgruppen auf einem je eigenen Weg ins Kulturland eingerückt sind. Die führende Rolle spielten aber die mittelpalästinischen Stämme, die ja die Bundeslade besaßen und durch ihre Größe und ihre zentrale Stellung ein Übergewicht hatten, aber nicht unbedingt diejenigen gewesen sein müssen, die die Rettung am Meer erfahren hatten. Ihre Erzählungen wurden aber zum gesamtisraelitischen Gesamtgut. Die Südstämme haben dann die Vätererzählungen bereichert und das Thema „Führung in der Wüste“ und „Offenbarung am Sinai“ hinzugefügt.

Historisch kann man durchaus feststellen, daß die Israeliten sind in mindestens zwei Wanderbewegungen zwischen dem 14. und 11. vorchristlichen Jahrhundert in das Kulturland eingedrungen

 

Bundesschluß:

Das zentrale Thema des Buches ist der Bund Gottes mit dem Volk Israel am Berg Sinai. Ganz ursprünglich ist die Mahlzeit der Ältesten, nachdem sie Gott geschaut haben - der eigentliche Bundesschluß zwischen Gott und dem Volk Israel. Dieses war das kleinste unter den Völkern. Darauf hätte Gott nicht verfallen können, wenn er nur nach dem Wert des Partners gegangen wäre. Aber in seiner grundlosen Liebe hat Gott dieses Volk erwählt, auch wenn menschlich gesehen kein Grund dafür vorlag. Sichtbares Zeichen dieses Bundes sind die Steintafeln mit den Zehn Geboten, die dem Volk vorgelesen werden und denen es zustimmt (2. Mose 24,3). Als Zeichen dieses Bundes werden in Zukunft die Bundeslade (ein Holzkasten mit den Gebotstafeln) und ein transportabler Zelt-Tempel vom Troß mitgeführt.

Doch diese Tradition des Bundesschlusses am Sinai war ursprünglich selbständig von der Aus­zugstradition vorhanden. In die Auszugserzählungen hat man die umfangreiche Sinai­überlieferung eingefügt (oder sollte man sagen, daß man die Auszugserzählungen vor und hinter der Sinaierzählung eingefügt hat?). Mose muß nicht ursprünglich zur Sinai-Tradition hinzugehören und die Schilfmeer-Tradition schon gar nicht. Das wird deutlich aus dem Abschnitt 5. Mose 26,5 bis 9, der „das kleine geschichtliche Credo“ genannt wird. Die ursprüngliche Form eines israelitischen Glaubensbekenntnisses besteht nur aus einem Ineinander von Dank für die Ernte und Dank für die Erlösung aus der Gefangenschaft: Bei der Ablieferung der Feldfrüchte bekennt sich der Fromme zur vollzogenen Landnahme und spricht die Worte des Glaubensbekenntnisses. Dabei muß aber nicht unbedingt das ganze Glaubensbekenntnis aufgesagt werden, so daß das Fehlen des Sinai und der Gottesoffenbarung an sich verständlich ist.

Gerhard von Rad meint, das Glaubensbekenntnis 5. Mose 26 sei die Festlegende des Wochenfestes gewesen, das in Gilgal entstand. Bei dieser Auszugstradition ist die Landnahme das Ziel der Heilsgeschichte. Die Sinai-Erzählung dagegen ist als die Festlegende einer eigenen kultischen Feier in Sichem (Fest der Bundeserneuerung). Erst der Jahwist habe die Sinai­-Tradition in das Glaubensbekenntnis eingearbeitet: Dem Gnadenwillen Gottes in der Land­nahmetradition wurde mit der Sinai­tradition der Bund Gottes mit dem Volk hinzugefügt und das Volk auf das Gesetz verpflichtet. - Dagegen ist zu sagen: Daß ein Bundesschuß am Sinai nicht ursprünglich nicht, da er mit dem Bund Jahwes mit Israel (Jos 24 Landtag zu Sichem) konkurrieren würde, ist nicht einsichtig.

Das erste Beispiel einer wirklichen Einarbeitung der Sinaiereignisse ist das Gebet Neh 9, 13-14. Hier geht das Glaubensbekenntnis von der Schöpfung bis in die Zeit nach der Gefangenschaft. Der nächste Schritt in der Entwicklung des Glaubensbekenntnisses war dann die Verschmelzung der Vätergott-Traditionen mit dem jüngeren Jahweglauben. Doch das geschah schon vor dem Jahwisten, weil ihm die Verknüpfung der Abraham-Lot-Erzählungen schon vorlag. Aber der Jahwist hat die Kultsagen (zum Beispiel Aufrichtung des Steins in Bethel) eingefügt und „historisiert“, also ihren Sinn in die Geschichte Israels eingebunden. Schließlich hat er die Josephsnovelle angegliedert. Am wichtigsten ist jedoch die innere Bindung der ganzen Vätergeschichte an den Land­nahme­gedanken. Die Landnahmeverheißung war ursprünglich direkt an die Erzväter gerichtet. Der spätere Leser aber mußte sie jetzt indirekt auf die Landnahme unter Josua deuten.

Der letzte Schritt in der Entwicklung des Glaubensbekenntnisses war dann der Vorbau der sogenannten „Urgeschichte“. Das Glaubensbekenntnis ist sozusagen das feste (stabile) Element im Glauben, das aber in der Ausformung und Auslegung ergänzt werden kann durch ein veränderliches (variables) Element.

So versuchte der Jahwist, die Geschichte Gottes mit den Menschen von Anfang bis zur Landnahme der Israeliten in einem großen Wurf darzustellen. Er schrieb ja in der Zeit Davids. Er wollte die Erfolge Davids innerlich rechtfertigen („legitimieren“) durch die alten Ordnungen. Die Ereignisse seiner Zeit wurden in tiefe göttliche Zusammenhänge gestellt und David wurde zum Vollzieher des göttlichen Willens.

Der Elohist schrieb im Nordreich, das von Nachbarn bedrängt wurde und durch den raschen Wechsel der Herrscher innerlich unsicher war. Er mußte auf wesentliche Bestandteile der Überlieferung verzichten: Die großjudäische Idee (Urgeschichte und Lot) mußten ausgelassen werden, weil sie an der rauhen Wirklichkeit scheiterte. Dafür verlegt sich der Elohist wie 5. Mose mehr auf die Gesetze.

Beim Jahwisten und in der Priesterschrift heißt der Berg „Sinai“, beim Elohisten und Deutero­no­misten „Horeb“. Diese zwei verschiedenen Namenstraditionen weisen darauf hin, daß vielleicht verschiedene Traditionen miteinander verbunden wurden. Die unrealistischen Ortsangaben außerhalb des Pentateuch lassen erkennen, daß Israel in historischer Zeit nicht mehr wußte, als daß der Gottesberg irgendwo weit im Süden oder Südosten Palästinas lag.

Unbestreitbar berichten zwar schon die alten Quellen vom Bund am Sinai, doch liegt der Ton der Motive mehr auf Gotteserscheinung, Gottesbegegnung, Gottesherrschaft. Ursprünglicher Kern der Sinaiperikope ist also die Gotteserscheinung, weil 5.Mose.33,2 und Ri 5,4 - unabhängig von der Sinaiperikope - von einem Kommen Jahwes vom Sinai her sprechen, ohne aber einen Zusammenhang zu Bundesschluß und Gesetzgebung herzustellen. Im Laufe der Geschichte wurde die Bundesgewährung immer mehr zu einem Bundesvertrag, indem auch der Empfänger des Bundes in die Pflicht genommen wurde und nun auch seinerseits Bedingungen stellen konnte. Die Gesetze setzen eine Kulturlandsituation voraus und sind deshalb später einzuordnen.

 

Die Art und Weise der Gotteserscheinung läßt auf einen historisch tätigen Vulkan schließen (2. Mose 19,18). Dies schließt den heutigen Sinai auf der gleichnamigen Halbinsel aus. Vulkane sind aber in der Gegend östlich des Golfes von Akaba zu finden. Hierzu paßt die Nähe der Sinaitradition zur Schilfmeertradition und die Nähe Moses zu den nordwestarabischen Midianitern.

Man hat vermutet, daß der Sinai ein Kultort für verschiedene Völker war, so eine Art Wallfahrtsberg. Die Südstämme machten regelmäßig eine Wallfahrt zum Gottesberg und trafen dort mit den Midianitern zusammen, die schon vorher Jahwe­-Verehrer waren. Die Heirat des Mose mit einer ausländischen Frau ist von drei Seiten bezeugt. Die Gotteserscheinung wäre dann keine einmalige Erfahrung, sondern immer wieder kultisch begangene Feier.

Doch besteht auch die Möglichkeit, daß ein erlebter Vulkanausbruch das einmalige geschichtliche Ereignis für die später den Stamm Joseph bildenden Sippen war, in welchem die Einmaligkeit Jahwes erkannt wurde. Aus der Überlieferung läßt sich nur ermitteln, daß am Gottesberg die endgültige Bindung des Volkes an Jahwe vollzogen wurde. Dabei wird keine Kultgemeinschaft mit anderen Gruppen erwähnt. Es ist wohl eine Gruppe, die später in Israel aufgegangen ist, mit Jahwe am Gottesberg in Berührung gekommen. Vielleicht läßt sich damit die Tradition verbinden, daß Jahwe ein Berggott sei (Ri.5,4-5; l. Kön.19; Hab3,3-4).

 

Themen der Erzählungen im 2. Mosebuch sind Herausführung aus Ägypten, Sinai, Führung in der Wüste, Verheißung an die Erzväter, und Hineinführung in das Kulturland. Durchsetzen konnte sich die Landnahmetradition der mittelpalästinensischen Stämme, weil das Zentralheiligtum in Sichem war. Letztlich gibt das 2. Mosebuch die Rechtfertigung für den Anspruch des jüdischen Volkes auf sein Land. Gleichzeitig führt die jüdische Religion viele ihrer grundlegenden Glaubensinhalte auf Offenbarungen Gottes zurück, die im 2. Mosebuch zu finden sind.

Die letzten Überarbeiter („Redaktoren“) haben alle diese Traditionen aufgenommen, wollten aber jede Quellenschrift in ihrer Eigenart als verbindlich beibehalten. Aber keines der Stadien in diesem Werdegang ist überholt, alle wollen sie den Menschen beschlagnahmen für Gott.

Die Aussage ist: Gott offenbart sich in der Geschichte (mit dem Meerwunder) u n d  in seinem Wort („Sinai“). Daß Israel diese Doppelheit festgehalten hat, ist das große Verdienst des Alten Testaments.

 

3. Mosebuch:

Das 3. Mosebuch ist ein Geschichts- und Gottesdienstbuch. Es heißt in der lateinischen Übersetzung „ Levitikon“ bzw. „Leviticus“ („Leviten-Buch“). Es beginnt mit Vorschriften zum Darbringen unterschiedlichster Opfer (Brandopfer, Speisopfer, Dankopfer, Sühneopfer, Wiedergutmachungsopfer und weitere Opfer), die von den Priestern (Aaron und seinen Nachkommen) durchgeführt werden (3. Mose 1 - 7).

Mit der Weihe Aarons und seiner Söhne zum Priester wird der Priesterstand der Israeliten begründet. Nadab und Abihu, zwei Söhne Aarons, begehen einen schweren Verstoß gegen die Opfervorschriften, und werden von Gott getötet. Dann werden die Pflichten der Priester beschrieben (3. Mose 8-10).

Vorschriften zum Verzehr erlaubter Tierarten werden gegeben. Darauf folgen Angaben über die rituelle Reinheit von Menschen in verschiedenen Situationen: Geburt, Menstruation, Geschlechtsverkehr, Krankheit (3. Mose 11-15).

 

In Kapitel 12,2-3 geht es um die Beschneidung (Entfernung der Vorhaut am männlichen Glied. Die Genitalverstümmelung von Frauen in einigen mittelafrikanischen Ländern hat nichtreligöse Gründe). Die Beschneidung ist Zeichen der Zugehörigkeit zum Gottesvolk, ein Zeichen für die Verheißung Jahwes an die Nachkommen Abrahams. Aber warum man gerade dieses Zeichen gewählt hat, wird nicht begründet.

Die Beschneidung soll aus Ägypten kommen. In Israel soll sie (laut Walter Beltz) in der Früh­zeit in der Pubertät vollzogen worden sein. Erst die priesterliche Tradition von Jerusalem habe sie beim Kleinkind eingeführt. Aber immerhin steht in 3. Mose 12,2-3: „Am achten Tag soll man ihn beschneiden!“ Die Beschneidung könnte eine Ersatzhandlung sein für das Opfer der Erstgeburt an die Gott­heit, durch das die anderen verschont werden (In 1. Mose 22 wird das Menschenopfer durch das Tieropfer ersetzt). Tötung und später Kastration wurden ersetzt durch die vergleichsweise harmlose Entfernung der Vorhaut, nun aber nicht nur bei dem Erstgeborenen, sondern bei allen männlichen Mitgliedern der Religionsgemeinschaft.

Im Jahre 2012 wurde die Beschneidung von einem Kölner Gericht als Körperverletzung eingestuft. Seitdem gab es eine heftige Diskussion: Ärzte wollten nun die Beschneidung rechtfertigen als gesundheitlich vorteilhaft. Erzieher sahen einen Widerspruch darin, daß körperliche Züchtigung verboten ist, aber Beschneidung (und übrigens auch das Schächten) erlaubt sein soll. In der Folge dieser Diskussion wurde die Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland vom Gesetzgeber erlaubt, wenn sie von einem Arzt oder nach ärztlichen Regeln vorgenommen wird.

Die Beschneidung war einst die Aufnahme in den Familienverband (Clan). In Israel war sie das Zeichen des Bundes Gottes mit dem Stammvater Abraham und seinen Nachkommen.

Laut Beltz bedeutete sie die Unterwerfung des Mannes unter die Herrschaft der „großen Mutter“, einer rund um das Mittelmeer verbreiteten Muttergottheit. In Israel war sie Unterwerfung unter Jahwe und bezeichnete den Bund, der zwischen Gott und Mensch besteht, also die Zugehörigkeit zu dem Kultverein dieses Gottes.

Bei den Moslems kann der Zeitpunkt des Eingriffs variieren. Bei den Christen hat sich die Beschneidung nicht durchgesetzt. Jesus wurde natürlich beschnitten und seine Jünger und Apostel auch. Aber letztlich setzte sich der Apostel Paulus durch, der die Beschneidung als hinderlich für die Mission ansah. Für ihn war - wie schon bei dem Propheten Jeremia (4.4) - die „Beschneidung des Herzens“ (Röm 2,25 und Gal 5,6) wesentlich. Die Beschneidung sei nur ein äußeres Zeichen, bei Christus aber zähle nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Zeichen der Zugehörigkeit wurde bei den Christen die Taufe, die an Männer und Frauen ausgeführt wird. Durch die Beschneidung werden ja nur die Männer in den Kultverein aufgenommen, die Frauen bleiben außen vor und zählen bis heute nicht zu den Gemeindegliedern. Soll hier der Besitzanspruch der Männer über die Frauen dokumentiert werden?

Die Beschneidung im Kindesalter ist nicht unbedingt unabdingbarer Bestandteil der jüdischen Religion. Den Wunsch, daß das Kind schon sehr bald zur Gemeinde gehören soll, könnte man auch anders zum Ausdruck bringen. Eine Religion muß auch anpassungsfähig sein. Beim Verzicht auf die Bundeslade und die Tieropfer und beim Verzicht auf den Tempel hat das Judentum ja durchaus bewiesen, daß es wandlungsfähig ist. Die Beschneidung ist auch kein Alleinstellungsmerkmal, so daß man daran einen Juden erkennen könnte.

Aber mit den Vorschriften der Religionen ist das so eine Sache. Man meint, wenn man an einer Stelle nachgebe, komme das ganze Gebäude ins Wanken. Aber das ist noch kein Grund, über die religiösen Vorschriften einer anderen Religion zu spotten. Ein katholischer Priester und ein Rabbi aßen einmal zusammen zu Mittag. Als der Priester sich ein kräftiges Stück Fleisch abschneidet, fragt er den Rabbi: „Wann werden sie endlich so tolerant und probieren von so einem feinen Schweinesteak?“ Darauf antwortet der Rabbi: „Auf ihrer Hochzeit, Hochwürden!“

In Kapitel 16 des dritten Mosebuchs folgt das Gesetz über den großen Versöhnungstag (Jom Kippur), in Kapitel 17 das Verbot des Genusses von Blut. Schließlich geht es noch um Gesetze für Alltag und Gottesdienst des Judentums. In Kapitel 25 findet sich das Gesetz über das Erlaßjahr („Sabbatjahr“).

 

4. Mosebuch:

Das 4. Mosebuch wird auch „Numeri“ („Zahlen“) genannt. Davon ist gleich am Anfang die Rede: Zu Beginn des Buches werden die Stämme der Israeliten aufgezählt und eine Volkszählung beschrieben, in der alle Männer ab 20 Jahren aufgeführt werden – es sind 603.550 Männer (sicherlich eine weit übertriebene Zahl). Die Leviten werden nicht dazu gezählt, da sie als Träger und Hüter des Heiligen Zeltes und der Bundeslade für Verteidigung und Kriegsführung nicht zur Verfügung stehen. Ihre Aufgabe wird ausführlich beschrieben. Die Lager und Marschordnung werden ebenfalls festgeschrieben (4. Mose 1 - 4).

Im weiteren Verlauf des Buches werden verschiedene Gesetze beschrieben: Was Aussatz ist und daß Aussätzige das Lager zu verlassen haben, wie bei Diebstahl und Verdacht auf Ehe­bruch gehandelt werden soll, wie Priester und andere Menschen sich Gott weihen können (4. Mose 5 – 6).

Hier steht in 4. Mose 6,22 bis 27 auch der priesterliche Segen, den man aus dem Gottesdienst kennt: „Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, der Herr hebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden!“

Nun kehrt das Buch von den gesetzlichen Vorschriften zu der Handlung um Mose und das Volk Israel zurück. Es werden die Einweihung des Heiligtums sowie die Geschenke zur Einweihung (Gold, Silber und Opfertiere) beschrieben. Das Licht im Heiligtum wird beschrieben und die Weihung der Leviten zum Dienst, sowie weitere Vorschriften zum Passahfest (4. Mose 7 - 9).

Der Zug durch die Wüste beginnt damit, daß Gott Signaltrompeten herstellen läßt und ihre Verwendung vorschreibt. Die Marschordnung wird beschrieben, und das Volk zieht los.

Nach einiger Zeit fängt das Volk an zu klagen, daß sie kein Fleisch bekämen. Gott schickt ihnen nach einer Beschwerden des Mose Fleisch (Wachteln), an dem jedoch viele Israeliten sterben. Das Volk zieht weiter (Parallele zu 2. Mose 16). Mirjam, Moses Schwester, lehnt sich gegen ihren Bruder auf, weil er eine Ägypterin geheiratet hat. Dafür wird sie mit Aussatz bestraft, der jedoch nach einer Woche abheilt. Danach erst wandert das Volk weiter (4. Mose 10-12).

 

5. Mosebuch:

Das 5. Mosebuch stellt in mancher Hinsicht eine Zusammenfassung des 2. bis 4. Buches dar, geht aber in seinen Lehren auch darüber hinaus. Die Bezeichnung „Deuteronomium“ („zweite Gesetzgebung“) entstammt der lateinischen Bibelübersetzung. Bei der Einfügung des 5. Mo­se­buchs wurden auch gleich die anderen Bücher mit überarbeitet, so daß man vom „Deutero­no­misten“ oder der „deuteronomistischen Bearbeitung“ spricht.

Das Deuteronomium hat laut Glaubensbekenntnis („Sch‘ma Israel“) im Wesentlichen zwei Ziele:

1. Ausschließlichkeit der Jahwe-Verehrung (Monotheismus)

2. Zentralisation des Kultes am Tempel in Jerusalem („der Ort, den der Herr erwählen wird“).

Zusätzlich werden noch Gebote erlassen in folgenden Bereichen: Abgabe des Zehnten, Erlaßjahr (Jubeljahr) und Asyl und Asylstädte.

Das 5. Mosebuch setzt sich mit Ausnahme des Schlusses in Stil, Methode und Ausdrucksweise derart von den übrigen Büchern Mose ab, daß sein Ursprung einer eigenständigen Schule zugeschrieben wird. Insbesondere die Tatsache, daß im Buch selbst von einem eigenständigen Gesetz gesprochen wird, spricht für eine Entstehung, die getrennt von den vier vorhergehenden Büchern anzusetzen ist. Auch die Gesetze zeigen einige Unterschiede, und die Rolle der Priesterschaft (Aroniten) gegenüber der des Stammes Levi (Leviten) wird abweichend dargestellt.

Die Entstehungszeit des 5. Mosebuchs könnte in der Zeit der Reformen des Königs Josia liegen: In 2. Könige 22 findet der Hohepriester Hilkia bei Umbauarbeiten im Tempel eine Schriftrolle der Tora, die er sofort zum König bringt. Dieser ist entsetzt über die Vorwürfe, die in dem Buch gemacht werden und schafft den Götzendienst ab und erneuert den Bund mit Gott.

Wahr­­scheinlicher ist aber eine spätere Entstehung zur Untermauerung der politischen und religiösen Reformen. Demnach wäre das Buch unter Federführung einer königstreuen, in religiösen Din­gen den Vorstellungen des Staates zuneigenden Partei der Priesterschaft unter Berücksichtigung der vorhandenen Traditionen entstanden.

Nun in der späteren Königszeit waren die Stämme im Norden schon von den Assyrern vernichtet worden. Auch im Süden gab es allerlei Anfechtungen innerer Art, vor allem die Versuchung, sich den Göttern der Assyrer oder der Kanaanäer zuzuwenden. In einer Zeit äußerer und innerer Wirren wußte man doch noch, daß man an dem allein wahren Gott verankert war.

Da erinnerte man sich wieder daran, daß die Erwählung durch Gott immer wieder bestätigt worden war: Abraham, Isaak und Jakob waren die von Gott erwählten Väter des Volkes. In der Befreiung aus Ägypten und durch den Bundesschluß am Sinai wurden sie zu einem Volk. Auch an Jerusalem und die Familie Davids hat Gott sich gebunden.

Durch das Buch wurde das Volk der Königszeit angeredet, das ja die Landnahme längst vollendet hatte. Aber auch dieses späte Israel sollte sich als noch zwischen Verheißung und Erfüllung stehend begreifen. Man stand schon näher an der Erfüllung, aber es war auch noch etwas offen, zum Beispiel die in 5. Mose immer wieder ausgesprochene Verheißung der Ruhe für das Volk (12,9 und 25,19).

Das Buch ist als eine Abschiedsrede des Mose stilisiert, während die anderen Bücher Mose sich als Rede Gottes an sein Volk verstehen. Es ist mehr als ein Archiv für Einzelüberlieferungen. Alle diese Materialien sind in einen Rahmen geschlagen, der keineswegs neutral ist. Man muß das Buch heute in seiner Endgestalt verstehen.

 

Das Buch „Deuteronomium“ ist auch der Namengeber für eine spätere Überarbeitung, nämlich das „Deuteronomistische Geschichtswerk“. Seit der Königszeit kamen dann weitere Überlieferungen über die politische Geschichte Israels hinzu, die nach der Verbannung zu größeren Einheiten verbunden wurden: Dazu gehören die Bücher Samuel, Könige und Chronik. Seit dem 9. Jahrhundert vCh wurden außerdem prophetische Traditionen gesammelt und später entweder in die Geschichtswerke über die Königszeit integriert (Samuel, Nathan, Elia, Elisa) oder zu eigenen prophetischen Einzelbüchern zusammengestellt (von Jesaja bis Male­achi).

 

 

 

D i e  B ü c h e r  z u r  G e s c h i c h t e  I s r a e l s

 

Landnahme (Buch Josua)

Als Diener des Mose befand sich Josua wahrscheinlich unter den 70 älteren Männern, die das Vorrecht hatten, in einer überwältigenden Vision die Herrlichkeit Gottes am Berg Sinai zu sehen. Danach begleitete er Moses ein Stück weit den Berg hinauf, trat aber offenbar nicht mit ihm in die Wolke hinein, denn nur Moses wurde dazu aufgefordert. Josua und Moses blieben 40 Tage und 40 Nächte auf dem Berg Sinai. Als sie danach zusammen vom Berg hinabstiegen, hielt Josua den Schall des Gesangs der Israeliten, die ein Kalb anbeteten, irrtümlich für „Schlachtenlärm“. Zweifellos wurde er ebenso zornig wie Moses, als er das Goldene Kalb sah, und vielleicht half er sogar bei dessen Zerstörung mit.

Mose ermutigte Josua und gab ihm bestimmte Richtlinien, die ihm helfen sollten, seine Aufgabe treu zu erfüllen. Die Bibel stellt Josua als einen mutigen, unerschrockenen Führer dar, der den Verheißungen Jahwes völlig vertraute, sich von Gott leiten ließ und entschlossen war, ihm in Treue zu dienen. Er war Führer im Kampf gegen die Amalekiter. Unter seiner geschickten Führung und mit Gottes Hilfe besiegten die Israeliten den Feind.

In Sichem schloß die Gruppe, die Gottes Rettungstat am Meer erfahren hatte, einen Bund mit den einheimischen Stämmen, so daß dadurch erst der Bund der zwölf Stämme entstand und auch die Götter der Erzväter in den Jahweglauben aufgesogen wurden. Die zwölf Stämme scharten sich um das Heiligtum, die Bundelade, die vorerst weiter in einem Zelt blieb. Den kulturell überlegenen Kanaanäern standen die Israeliten distanziert gegenüber, lernten aber von ihnen und standen auch in der Gefahr, deren religiöse Kulte zu übernehmen. Es gab bestimmte Verehrerkreise wie den Jakob-Kreis (Bethel), den Isaak-Kreis (Beerscheba) und Abraham-Kreis (Hebron).

 

 

 

Israels Bekenntnis:

Das Bekenntnis zu dem Gott, der es aus Ägypten herausgeführt hat, fand seine Erweiterung darin, daß es auch als Bekenntnis zu dem Gott verstanden wurde, der Israel in das Land Kanaan hineinführte (5. Mose 26,5-10) und es Israel schenkte.

Land und Verheißung sind traditionsgeschichtlich auf zwei verschiedene Weisen verbunden:

1. In Verbindung mit der Auszugs-Zusage bei der Berufung des Mose (2. Mose 3,7-8)

2. In der Verbindung mit dem Bundesschluß Jahwes mit den Vätern (1. Mose 15,18).

 

Zweifache Landnahme:

Damit berichtet das Alte Testament von einer zweifachen Landnahme: Zunächst von einer „provisorischen“, bei der die Väter noch darauf warten, daß das Land ihren Nach­kommen voll gegeben wird. Sie leben noch im Land der Fremdlingschaft. Dann aber von einer zweiten, Landnahme durch das nun bestehende Volk Israel. Dies bestimmt die Eigenart des Verhältnisses des alttestamentlichen Glaubens zu seinem Land:

A: Das Land war von Jahwe für Israel bestimmt, schon als es Israel noch gar nicht

gab. Es gibt also eine Verbindung zwischen Land und Israel

B: Das Israel gegebene Land wird (vor allem nach seinem Verlust) sehr hoch

geschätzt: Es ist ein Land, in dem Milch und Honig fließt. Fremdes Land dagegen

ist unrein.

C: Israel lebt nicht zufällig in seinem Land. Es wurde ihm von Jahwe geschenkt.

 Diese Vorstellung prägt die Darstellung der Landnahme: Das Land wird ausgelost.

D: Konsequenterweise galt der Landbesitz auch einer Familie. Das sogenannte

 „Erb­land“ war von Jahwe gegeben. Es durfte nicht verkauft werden und der

Landbesitz der Familie mußte unbedingt erhalten bleiben. Dies war auch Zweck

 des Erlaßjahres und des Löserechts (3. Mose 25,23-24). Entsprechend protestieren

 die Propheten gegen Großgrundbesitz und Landanhäufung.

E: Diese Verbindung von Volk und Land beruht auf einer Entscheidung Jahwes, auf

seinem unveränderlichen Willen, seinem Volk das Land zu geben und es darin zu

bewahren. Doch ist das halten der Gebote Bedingung für den bleibenden Landbesitz

F: Land ist aber zum anderen mit bäuerlicher Tätigkeit verbunden. Israel empfängt

auch die Segnungen des Bodens (Regen, Sonnenschein usw.) allein aus der Hand

Jahwes. Aber auch hier ist der Segen mit dem Gehorsam gegen Jahwes Willen

verbunden.

Über der Geschichte Israels steht die bedingungslose Segenszusage, die Abraham die Mehrung zum Volk und die Segensträgerschaft für alle Geschlechter der Welt zusagt. Daneben stehen ganz mit Bedingungen verbundene Verheißungen der unmittelbaren Natursegnung, die auch in diesem Bereich Israel zum Gehorsam gegen Jahwe rufen.

 

In Kanaan (dem alten Namen für das Westjordanland) gab es nur einzelne Stadtstaaten und Städtegruppen. Es war also noch Platz für die Beduinen, bis es dann doch zu eng wurde. Zur Landnahme der Israeliten gibt es zwei Entwürfe:

• Gemeinsame Eroberung: Das Land wird von allen zwölf Stämmen gemeinsam (unter Beteiligung der Ostjordanstämme) und vollständig erobert. Nach Abschluß der Eroberung werden

die Stämme in das ihnen zugeloste Gebiet entlassen. Die Verheißung an die Väter ist damit

voll erfüllt

• Dezentrale und unvollständige Eroberung: Das Land wurde nicht ganz erobert (die verbliebenen Kanaanäer sollen Israel des Kriegsdienst lehren und sind Probe für Israels Festhalten

 an Jahwe). Im Falle des Ungehorsams kündigt Josua den Verlust des Landes an. Diese

 Tradition verbindet sich mit dem negativen Besitzverzeichnis in Richter 1 und der Erinnerung daran, daß die Stämme jeweils einzeln ihre Territorien eroberten.

- Geschichtlich ist nur die zweite Darstellung.

Auffällig ist der erklärenwollende („ätiologische“) Charakter vieler Erzählungen, die auf dem Gebiet des Stammes Benjamin spielen. Die Überlieferungen wurden wohl von den Verfassern des deuteronomistischen Geschichtswerks gesammelt, aufeinander bezogen, nationalisiert und zu einer geschlossenen Eroberung des Westjordanlandes zusammengefügt.

 

Stämme:

Die Stämme sind erst später entstanden. Ursprünglich gab es nur Tausendschaften, die vielfach räumlich getrennt blieben und nur eine lockeren Verband bildeten, aber in sich ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl hatten. Erst im Lande Kanaan erhielten sie ihre feste Form und wurden zu Stämmen.

Nach Häuptlingsnamen wurden benannt Ruben, Sebulon und Dan. Lokalnamen haben Juda, Ephraim, Benjamin und Gilead. Die sich als Lohnarbeiter verdingten wurden Issachar, Ascher und Machir genannt. Nur das spätere „Haus Israel“ (oder „Haus Joseph“) war so etwas wie eine Einheit, die sich im Gebirge Ephraim festsetzte und nach Norden ausbreitete. Der Stamm wurde später in Manasse und Ephraim geteilt, um wieder die Zwölfzahl zu erreichen. Simeon war zuerst im Westjordanland und wurde dann ebenso wie Ruben an den Rand gedrängt und war bald verschollen so wie der Stamm Levi, der dann später zum Priesterstamm gemacht wurde. Im Norden siedelten Sebulon und Naphthali. Der Stamm Juda siedelte zwischen Jerusalem und Hebron, im Westen bis zum Gebirgsrand, im Osten bis zur Wüste Juda. Gad war zwischen den Flüssen Jabbok und Arnon östlich des Jordans.

 

Die Aufnahme und die Abwehr der kanaanäischen Religion:

Mit der Seßhaftwerdung gewann die altisraelitische Gesellschaft ähnliche Strukturen, wie sie die kanaanäischen Stadtstaaten schon jahrhundertelang kannten. Eine Übernahme kanaanäischer. Kultbräuche und Gottesvorstellungen lag also nahe.

Bei der Gottesvorstellung ist zu beobachten:

• Da die Sippenreligion El verehrte (siehe Vätergeschichten), war es nach dem Zusammen-

 wachsen mit den Gruppen. die Jahwe verehrten, nicht verwunderlich, daß Jahwe mit dem

 Gott El identifiziert werden konnte. Nun war Jahwe der Schöpfer der Welt und der König

 der Götter. Aber auch Eigenschaften wie Heiligkeit, Besonnenheit, Weisheit, Mäßigung,

 Geduld, Nachsicht und Barmherzigkeit finden sich bei beiden.

2. Daneben wurden andere Götter als vorhanden anerkannt. Sie galten unbestritten als die

wirkmächtigen Götter anderer Völker. Doch diese wurden dann bei den Jahwe-Verehrern

zu Gottessöhnen und zum himmlischen Hofstaat herabgesetzt.

• Dagegen findet sich eine scharfe Polemik gegen Baal in seinen verschiedenen örtlichen

 Ausprägungen, zunächst im Nordreich (Elia, Hosea), später auch im Südreich (1.Kön.18:

 Reform des Josia, 5. Mose, Jeremia). Diese Polemik setzt voraus, daß manche Israeliten

 diesen Gott neben oder gar anstelle von Jahwe verehrten. Dabei wurden auch Züge von Baal

 auf Jahwe übertragen, die trotz aller Polemik nicht aus dem Jahwe-Glauben gestrichen

 wurden (z.B. Jahwe als der auf den Wolken Fahrende).

• Gegen die kanaanäische Mythologie mit ihrem weithin zyklischen Denken (die Götter

 sterben mit der Vegetation und stehen wieder mit ihr auf) wurde die einlinige Geschichts­vorstellung gesetzt, die am geschichtlichen Handeln Jahwes orientiert ist.

• Die Vorherrschaft Jahwes („Monolatrie“) grenzte sich scharf gegen den kanaanäischen

 Polytheismus ab (später erst recht der Monotheismus)

 

Das Nebeneinander von Abgrenzung und Übernahme findet sich auch im kultischen Bereich: Das Opferwesen wurde weithin aus der kanaanäischen Umwelt übernommen. Sicher stammen auch die Wurzeln der israelitischen Feste aus der Bauernkultur der Kanaanäer. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie die Kanaanäer den Israeliten sagten: „Ihr seid jetzt nicht mehr in der Wüste, sondern im Kulturland. Und da gelten andere Regeln. Wenn ihr wollt, daß der Boden auch für euch Früchte hervorbringen soll, dann müßt ihr auch die Götter des Landes verehren und ihnen opfern!“ Erst in der Auseinandersetzung mit der heimischen Religion hat Israel erkannt, daß sein Gott auch für die Fruchtbarkeit der Felder verantwortlich ist.

Auch Tänze. Lieder, Gebete (Psalmen) wurden sicher auch aus der Umwelt übernommen. Da­gegen zeigt die Tabuisierung des Schweinefleischs und anderer unreiner Tiere eine scharfe Abgrenzung gegen gewisse kanaanäische Kultpraktiken, denn den Kanaanäern war das Schwein (besonders der Eber) heilig. Ähnliches steht wohl auch hinter dem Verbot, das Böckchen in der Milch seiner Mutter zu kochen (2.Mose 34,26).

 

Die Amphiktyonie-These Martin Noths:

In Israel gab es das Zwölf-Stämme-Schema in zwei Formen:

1. Mit dem Stamm Levi, aber nur ein Stamm Joseph (z.B. 1. Mose 29, 3-5 und 49)

2. Ohne Levi, dafür Joseph in Ephraim und Manasse aufgeteilt (z.B. 4. Mose 26).

Aus dem beharrlichen Festhalten an diesem Schema schloß Martin Noth (1930), daß die Zwölfzahl der Stämme fester Bestandteil für die Struktur des vorstaatlichen Israel war. Aus dieser Beobachtung entwickelte er seine „Amphiktyonie-These“: Dazu zog er Zwölf-Gruppen-Verbände im ägäisch-griechischen Raum (zum Beispiel im Gebiet um Delphi) als Parallele heran, die allerdings erst in späterer Zeit auftraten.

Diese ägäischen Verbände waren als sogenannte „Amphiktyonie“ organisiert. Es handelt sich um einen Bund von Stämmen oder Städten zum Zwecke der Aufrechterhaltung des Kultus eines gemeinsamen Zentralheiligtums („Amphiktyonie“ ist also die Gemeinschaft der Um­wohnenden). Die Sechser- bzw. Zwölferzahl entsteht aus dem (zwei-) monatlichen Wechsel in der Pflege des Heiligtums. Über den gemeinsamen Kultus hinaus gab es keine weiteren gemeinsamen (außen-) politische Einrichtungen. Jedes Mitglied der Amphiktyonie war selb­ständig, was gelegentliche Kampfesgemeinschaften natürlich nicht ausschloß.

Noth wandte dieses Beispiel aus Griechenland auf die Situation des vorstaatlichen Israel an: Zunächst gab es eine Sechser-Amphiktyonie der Lea-Stämme (deren Landnahme wohl früher angesetzt wird), dann eine Ausweitung auf die Zwölfer-Amphiktyonie. Dieser Analogieschluß konnte sich darauf stützen, daß im AltenTestament ja gerade die Jahwe-Verehrung das gemeinsame Kennzeichen der zwölf Stämme darstellt. Gemeinsames Zentralheiligtum war die Lade, aufgestellt an wechselnden Orten: Sichem (Jos 8,30), Gilgal (Jos 3 und 4), Bethel (Ri.20,26-27) und Silo (1.Sam. 1-4).

Gegen diese These sind inzwischen gewichtige Gegenargumente vorgebracht worden: Der israelitische Zwölferstämme-Verband hatte kein gemeinsames Zentralheiligtum. Die Lade ist ein Kultgegenstand, kein Kultort. Amphiktyonien mit wechselndem Kultort sind nicht bekannt. In den alten Ladeerzählungen (l. Sam.4 - 6 und 2. Sam 6) erscheint die Lade ferner als Kultobjekt allein der mittelpalästinischen Stämme. Es gibt keine Belege für gemeinsame kultische Handlungen des israelitischen Zwölf-Stämme-Verbandes (mögliche Belegstellen sind Rückprojektionen aus späterer Zeit). Die griechischen Amphiktyonien waren indo­europäische und bäuerliche oder städtische Kulturen. Im semitischen Nomadentum lassen sich keine Amphiktyonien nachweisen.

Daraus folgt, daß der Zwölf-Stämme-Verband keine Amphiktyonie, also kein sakraler Bund, sondern wohl ein politisches Bündnis darstellte: Die Bildung einer solchen Stämmevereini­gung unter Nomaden ist ein Mittel, den anarchischen Zuständen (Blutrache, Bedrohung von außen) zu wehren und Bündnisse zu organisieren. Die Jahwe-Verehrung kam wohl erst später in diesen Verband (Im Namen Isra-El spielt Jahwe keine Rolle, vermutlich wurde sein Kult von außen eingebracht, vielleicht von einer aus Ägypten kommenden Mose-Schar). Die Sechs- bzw. Zwölfzahl ist aus der Theorie erwachsen, daß man ein verwandtschaftliches Schema haben müsse. Durch Zahlen wie zwölf oder auch sechs wird nur das In-sich-geschlossen-Sein und die Vollständigkeit der Familie oder des Verbandes dargestellt.

Richter

Das Buch beginnt mit der Fortführung der geschichtlichen Erzählung über die Landnahme Israels, die direkt an die Erzählungen im Buch Josua anschließt. Richter 2,6-9 nimmt noch einmal Josua 24,28-31auf. Diese Wiederholung wird notwendig durch das negative Besitzverzeichnis in Richter 1 und die programmatische Erzählung vom Engel zu Bochim, beide von der deuteronomistischen Bearbeitung eingeschoben. Vielleicht wurde Richter 1 im Zuge der Einteilung in Einzelbücher geschaffen.

 

Richter 2,11-23 stellt eine Art „Leitartikel“ für die Richterzeit dar. Nach seinen Grundsätzen ist das Richterbuch komponiert (zyklisches Geschichtsbild):

- Die Israeliten tun Böses in den Augen Jahwes, sie fallen ab von Jahwe und beten

 Baal oder andere kanaanäischen Götter an

- Daraufhin gibt sie Jahwe in die Hand ihrer Feinde. Es kommt zu Bedrohung und

 Unterdrückung durch Fremdvölker

- Das Volk schreit zu Jahwe um Hilfe.

- Jahwe setzt einen Retter ein, der die Israeliten befreit

- Zu den Lebzeiten des Retters herrscht Friede und Ruhe. Nach seinem Tod trieben die

 Israeliten es aber noch schlimmer als vorher, also erneuter Abfall Israels von Jahwe.

 

Nach diesem Schema sind dann auch vom Deuteronomisten die Rahmenpartien der ehemals unabhängigen Heldensagen gestaltet, und durch dieses Schema gewinnt diese Geschichtsepoche ihre Geschlossenheit. Die Sicht ist folgendermaßen: Einige der Völker in den eroberten Gebieten können jedoch nicht ganz vernichtet werden, das Gebiet von Gaza blieb von den Philistern besetzt. Gott droht dem Volk, weil sie nicht die Bewohner des Landes vertrieben oder umbrachten und die Altäre der fremden Gottheiten niederrissen. Nachdem die ganze Generation Josuas gestorben war, erinnerte sich Israel nicht mehr an die Taten Jahwes und diente anderen Göttern. Wegen der Verfehlungen des Volkes wird es große Not leiden müssen, dann wird Gott einen Richter schicken, um das Volk zu erlösen.

 

Große und kleine Richter:

Diese Retter waren die sogenannten „großen Richter“. Sie waren Führergestalten mit einer besonderen Ausstrahlungskraft (Charismatiker), die einzelne Stämme oder Verbände von Stämmen in kon­kreten Notlagen anführten. Sie hatten also eine politisch-mili­tärische Komponente, aber danach besetzten sie kein dauerhaftes Amt. Ähnlich wie in den Königsbüchern werden Jahreszahlen für Fremdherrschaften, aber auch „Regierungsjahre“ der Richter gezählt (mehrmals 40 Jahre). Auffallend ist, daß die Reihe der großen Richter mit einem Judäer beginnt.

Das Richterbuch enthält aber in 3,31 und 10,1-5 und 12,7-15 eine Liste der sogenannten „kleinen Richter“. Sie wurden wohl von den Stammesältesten zur zivilen Verwaltung und Rechtsprechung über eine Stadt und den zugehörigen Landbezirk eingesetzt. Sie stehen am Übergang von der Stammesordnung zur Städteordnung. Nur die kleinen Richter hatten eine überwiegend juristische Aufgabe.

Der Titel Richter („schofet“) wurde zunächst nur auf die „kleinen Richter“ angewandt, während die sogenannten „großen Richter“ mit „Retter“ (moschia) bezeichnet wurden. Dieser Titel wurde über Jiftach, der zunächst ein begnadeter Führer war, dann aber zu einem Richter eingesetzt wurde (12.7), von den kleinen auf die großen Richter übertragen - allerdings nur in Ri 11.

Etwas außerhalb der Reihe der Rettergeschichten steht einerseits der Simson-Sagenkranz als auch die beiden Anhänge 17 - 18 und 19 - 21. In diesen Anhängen tritt eine anderer Absicht in den Vordergrund: Die skandalösen Zustände in 17 - 21 schreien geradezu nach der ordnenden Macht des Königtums. Einerseits soll die Schwere der Versündigung Israels gezeigt werden, andererseits aber auch die Verbindung zur Entstehung des Königtums in den Samuel­büchern herstellen. .Mit Samuel endete die Richterzeit und es begann die Königszeit.

 

Ruth:

Das Buch Ruth steht gemäß seiner Anfangs- und Schlußverse zwischen den Büchern Richter und Samuel, da seine Handlung zur Richterzeit spielt und Noomis Sohn als Großvater von König David galt. Das Buch handelt um 1000 vCh zur Zeit der Richter in Israel. Es geht darum, daß eine fremdländische Frau nach ihrer Verwitwung bei ihrer Schwiegermutter bleibt und schließlich einen anderen Israeliten heiratet und dadurch Stammutter des Königs David wird.  Das „Fremdvölkermotiv“ (Ruth, die Moabiterin) läßt jedoch viele Ausleger eine Abfassungszeit in nachexilischer Zeit vermuten, also nicht vor der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts vCh.

 

 

Die Entstehung des Königtums unter Saul (1. Sam 1 - 15)

Israel entwickelte später als seine Nachbarvölker die zentrale Einrichtung des Königtums, da es zunächst ein sehr lockerer Verband von Stämmen unter der gemeinsamen Verehrung Jahwes war und die Notwendigkeit zur Zusammenfassung der Kräfte zunächst nicht bestand. Punktuelle Bedrohungen konnten durch begnadete Führergestalten und zeitlich begrenzte Bündnisse abgewehrt werden.

Richter 9 berichtet von dem Versuch einer Staatenbildung durch den Manassiten Abi­me­lech. Dieser erlangte zunächst die Oberherrschaft über die Kanaaniterstadt Sichem und mit deren Unterstützung errang er gewaltsam die Herrschaft über die manas­sische Stadt Ophra. Doch sein Versuch mußte scheitern, da er nicht von breiten israelitischen Kreisen getragen worden war, da er keine festen Einrichtungen einsetzen konnte und da die Spannungen zwischen Kanaanäern und Israeliten zu groß waren.

Erst die länger andauernde Bedrohung durch die Philister nötigte zur Herausbildung eines zentralen Königtums. Nach dem Niedergang der ägyptischen Vorherrschaft über Palästina im Laufe des 11. Jahrhunderts versuchten die Philister von der Küstenebene aus, die Oberherrschaft über das Bergland zu gewinnen. Sie konnten weite Landesteile unter ihre Kontrolle bringen und errichteten dort Militärposten, die dann Tribute einzogen. Sie hatten Söldnerheere, deren Fürsten mit Land belehnt wurden und denen schwerbewaffnete Fußkämpfer zur Verfügung standen. Damit waren sie dem schwerfälligen Heerbann der israelitischen Stämme überlegen. Sie verfügten wohl auch über ein Eisenmonopol (1. Sam. 13,19-20). Eine solche Bedrohung konnte durch ein Heerführertum nicht abgewendet werden.

Die Entstehung des Königtums in Israel wird in 1. Sam 8 bis 12 beschrieben. In diesem Textabschnitt wird eine königskritische Tradition aus späterer Zeit mit einer königsfreundlichen Tradition verbunden, die wohl Erinnerungen an den tatsächlichen geschichtlichen Verlauf enthält.

Königskritisch sind das Verlangen des Volkes nach einem König auf den drei Volksversammlungen in Rama (7 - 8), Mizpa (10, 17-27) und Gilgal (12) und in der Szene 11,14-15: Die Bitte um einen König bedeutet die Verwerfung der Königsherrschaft Jahwes (1.Sam 8) und ist Nachahmung der anderen Völker. Der König wird dann zwar zugestanden, aber nur nachdem Samuel dem Volk das für das Volk negative Königsrecht vorhält (1. Sam 8,9-18). Das Kapitel 1. Sam. 12 schließt als Abschiedsrede Samuels die Epoche der Richterzeit ab. Es ist eine Parallele zu Jos 23 und wird deshalb dem Deuteronomisten DtrN (s.u.) zugeschrieben.

Königsfreundlich sind die Berichte von Sauls Salbung durch Samuel im Auftrage Jahwes (9,1 -10,16) und von Sauls Sieg über die Ammoriter (11,1-11+15). Dies wird DtrG (s.u.) zugeschrieben. Aus dieser älteren Tradition läßt sich entnehmen. daß die Entstehung des Königtums unter Saul zunächst nach dem Modell des gottbegnadeten Führertums der Richterzeit zu denken ist: Saul befreit die belagerte Stadt Jabesch und beweist damit seine Qualität als Führer. Im Unterschied zur Richterzeit wird Saul aber nun zum dauernden militärischen Befehls­haber, also zum König ernannt. Das Königtum entwickelt sich aus der Verfestigung des Führertums zu einer dauernden Einrichtung. Die Einsetzung geschieht beim Heiligtum in Gilgal. Die Zustimmung der Stämme und Einsetzung durch Jahwe sind also Voraussetzung für das Königtum. Selbstverständlich ist, daß die königsfreundliche Reihe von den Geschichtsschreibern verfaßt wurde, die am Königshof angestellt waren.

Gegen diese Aufspaltung hat man eingewandt: 1. Sam 7 ist nicht königsfeindlich und hat nichts zu tun mit 1. Sam 8. Hier allein findet sich das Motiv der schlechten Amtsführung der Söhne Samuels und stammt also vom Erzähler (nicht in 1.Sam 12,2). Gott fordert Samuel auf, erst einmal das Volk anzuhören und sinnvolle Verhandlungen mit ihm zu führen. Samuel hat wohl bei der Erhebung Sauls zum König positiv mitgewirkt und die Ablehnung war eine spätere Überarbeitung von den Erfahrungen mit dem späteren Königtum her.

Samuel wendet sich nur gegen die Begründung, daß die anderen Völker auch einen König haben. Er will nicht, daß Israel der heidnischen Königsideologie verfällt (König als Sohn der Götter bzw. selber Gott). Er wendet sich nur gegen ein Königtum „wie die Heiden“. Das Königsrecht in 1.Sam 8 zeigt nur die Gefahren, geht aber nicht auf israelitische Erfahrungen zurück. Die Annahme einer königsfeindlichen Quellenschicht aus späterer Zeit ist deshalb überflüssig.

 

Doch bis in die Zeit der Propheten hat sich das Königtum nicht gegen die alte heilige Ordnung durchgesetzt. Erst mit der Zeit merkte man, daß man eine stärkere Führung brauchte, um gegen die anderen Völker bestehen zu können. Eine Verstärkung der nomadischen Stammesverfassung durch staatliche Funktionen war unausbleiblich, wenn sich die Israeliten behaupten wollten in ihrer Umwelt.

Das Königtum Sauls war demnach ein nationales Heerkönigtum, dessen Aufgabe darin bestand, die Philistergefahr abzuwehren. Nennenswerte innenpolitische Funktionen übernahm Saul nicht. Es gab auch keine Residenzstadt, ein Verwaltungs­apparat wurde nicht aufgebaut, in die Rechtsprechung griff Saul nicht ein. Neben dem Heerbann sammelte Saul eine persönliche Gefolgschaft um sich (1. Sam 14, 52), da der schwer bewegliche Heerbann im Kampf gegen die Philister nicht ausreichte. Die Mitglieder dieser Gefolgschaft belehnte er mit Ländereien.

Saul gelang es, die Philistergefahr auf dem Bergland abzuwehren und die Militärgarnisonen der Philister zu vertreiben. Dabei konzentrierten sich die Auseinandersetzungen auf das Gebiet des Stammes Benjamin. Dieses Gebiet ist strategisch von großer Bedeutung, denn von hier aus sind das Gebirge Ephraim und die Nord-Süd- sowie Ost-West-Verbindungen zu kon­trollieren.

Der Flächenumfang des Reiches Sauls läßt sich im Rückschluß aus dem des Reiches Isch­baals rekonstruieren. Es umfaßte wohl das israelitische Ostjordanland, das Gebirge Ephraim und die Jesreel-Ebene (mit Ausnahme der Städte des kanaanitischen Querriegels), also im Wesentlichen das Gebiet des späteren Nordreiches. Aller Wahrscheinlichkeit gehörte Juda nicht zu Sauls Reich. Der Zusammenschluß der Stämme in diesem Reich dürfte locker gewesen sein. Die militärische Bedrohung der Philister war nicht endgültig gebrochen. Es mußte zur Entscheidung kommen, als die Philister die Jesreel-Ebene sperrten. Aber Saul und Jonathan starben im Kampf.

 

Die Samuelbücher:

Der Name geht darauf zurück, daß das Buch nach jüdischer Tradition von Samuel verfaßt wurde. Viele der Samuel-Berichte gelten in der Forschung als späte redaktionelle Bildungen, aus denen nicht ohne weiteres geschichtliche Tatsachen über die Person Samuel gewonnen werden können. Samuel wird in die Reihe der großen Richter des Richterbuchs stellt. Diese Rolle als Richter ist glaubhafter als die des Propheten. Aber in den Samuelbüchern wird Samuel im Wesentlichen als Prophet gesehen. Insbesondere seine wunderbare Geburt und Berufung, sein fürbittendes Handeln für das Volk, seine Reden über das vom Volk begehrte Königsamt sowie seine Vor­würfe gegenüber Saul lassen ihn als Propheten erscheinen, der viele Züge des „Ur-Pro­phe­­ten“ Mose trägt. Die Prophetenrolle wird breit ausgeschmückt und für die Einsetzung der davidischen Königsfamilie benutzt.

Der Prophet Samuel erscheint nur im 1. Buch Samuel. Die beiden Bücher Samuels waren einst ein einziges Buch, und so behielten die Teile den Namen bei, nachdem sie aus praktischen Gründen (handhabbare Größe einer Schriftrolle) voneinander getrennt wurden. Das Buch weist viele Parallelen zum 1. Buch der Chronik auf. Im Gegensatz zu diesem ist es aber merklich kritischer und legt den Schwerpunkt mehr auf die politischen Ereignisse als auf den Kultus. Neben den Erzählungen finden sich auch Psalmen.

Die Verschiedenheit des Materials sowie Spannungen zwischen einzelnen Erzählungen machen deutlich, daß die Samuelbücher nicht „aus einem Guß“ sind, sondern daß verschiedene Traditionen zu einer Erzählung zusammengefügt wurden. Die Handlung der Bücher spielt im 11. Jahrhundert vCh, aber die Samuel­bücher haben erst um das Jahr 1000 die heute übliche Gestalt bekommen.

 

Bei den Kämpfen gegen die Philister (zum Beispiel 1. Samuel 17) wird immer Gott mit den Feinden fertig, der menschliche Anteil ist nur Gebet und Glaube. Der Kampf ist also nicht militärischer, sondern theologischer Natur, er hat nicht nur historische, sondern programmatische Bedeutung. Es geht nicht um Israels Siege, sondern um Gottes Siege.

Dennoch wird David auch als geschickter Held dargestellt. Den Riesen Goliath darf man sich nicht als eine Art Gulliver vorstellen. Aber er war sicher ein großer und kräftiger Mann mit einer schweren Eisenrüstung. Dem wird aber das Geschick Davids und vor allem der Beistand Gottes gegenübergestellt.

Die Entstehung des Königtums und die abwartende Haltung gegenüber diesem ist ein inhaltlicher Schwerpunkt der Samuelbücher. Die Schilderungen sind nach einigen Anfangserfolgen Sauls geprägt von der Konkurrenz Sauls mit seinem Gegenspieler David, der von Gott begünstigt wird. Auch die eigenen Familienangehörigen Sauls ergreifen für David Partei. Sauls Tochter Michal liebt David und Sauls Sohn Jonathan greift zugunsten Davids ein und warnt diesen vor seinem Vater. Die Schilderung erreicht ihr Ziel und ihren Höhepunkt in der Begründung der davidischen Familie. Die Erzählungen von Samuel und Saul lesen sich wie ein Vorspann zur Geschichte vom Aufstieg des Hirtenknaben David zum König.

 

Nach breiter Übereinstimmung in der Forschung ist davon auszugehen, daß nach der Eroberung Judas durch die Babylonier (597 vCh) im Südreich ein Nachdenken über die eigene Geschichte einsetzte, um das (vorläufige) Ende der Geschichte Judas als Staat zu bearbeiten und zu deuten. Man begann, die mündlichen Traditionen über das untergegangene Königreich zu sammeln sowie die schriftlichen Quellen (wie Listen von Beamten) zu sichten. Das überlieferte Material fügte man dann zu einer fortlaufenden Erzählung zusammen.

An den Schnittstellen der einzelnen Bestandteile dieser Erzählungen sorgte man durch redaktionelle Ergänzungen dafür, daß ein möglichst geschlossener und folgerichtiger Text entstand. Durch diese Kombination und Verflechtung von verschiedenen Samuel-, Saul- und Davidgeschichten entstand so im 6. oder 5. vorchristlichen Jahrhundert eine Erstfassung der Samuel­bücher.

Ein in der Forschung stark diskutiertes Thema ist die Frage nach den späteren Überarbeitungen (Redaktionen) des einmal entstandenen Samuelbuchs. Im Zentrum der Diskussion stehen Texte, die als deuteronomistisch bezeichnet werden, weil sie eng mit der Sprache und den Inhalten des Deuteronomiums verbunden sind. Diese Texte gehen auf eine theologische Schule zurück, die sogenannten „Deuteronomisten“.

Um­stritten ist, ob die Deuteronomisten als Verfasser der Samuelbücher gelten können, also ob sie es waren, die die Samuel-, Saul- und Davidgeschichten zu einem neuen Buch zusammengefügt und an den Schlüsselstellen ihre eigenen Positionen eingefügt haben.

Eine andere Möglichkeit ist, daß die Deuteronomisten ein bereits bestehendes Samuelbuch erweitert haben, vielleicht sogar in mehreren Durchläufen zu verschiedenen Zeiten. Dann hätte man mit mehreren deuteronomistischen Redaktionen zu rechnen, die zeitlich zwischen dem 6. und 3. Jahrhundert vCh liegen können. Nicht strittig ist das Ergebnis dieses Prozesses: Die Samuel­bücher sind in ihrer Endfassung stark von deuteronomistischem Gedankengut geprägt und bilden zusammen mit den Büchern Deuteronomium, Josua, Richter und Könige einen Teil des „Deuteronomistischen Geschichtswerks“.

 

Erzählung von Davids Aufstieg und Regierung (1. Sam 13 - 1. Kön 2)

Das Königtum Sauls war nur ein kurzes Zwischenspiel. Schon zu seinen Lebzeiten spielte sich David in den Vordergrund und wurde vom Propheten Samuel zum König gesalbt und vom Volk auf den Schild gehoben. Seit die Verwerfung Sauls zum ersten Mal ausgesprochen wird (1. Sam13), steht die folgende Geschichte unter dem Leitwort „Sauls Abstieg und Davids Aufstieg“. Nach verbreiteter Ansicht sind die Erzähleinheiten von Davids Aufstieg und von der Thronfolge schon vor dem Deutero­nomi­sten zusammengewachsen. So erklärt sich auch der einlinige Kompositionsstil ge­gen­über dem Richterbuch.

Nach der älteren Lesart kommt David als Sieger über den Riesen Goliath (1. Sam 17,55-58) an den Hof Sauls, nach der jüngeren als Lautenspieler (1. Sam 16). Was heute wie eine Einheit aussieht und dem unbefangenen Leser gar nicht als Widerspruch erscheint, geht in Wirklichkeit auf zwei verschiedene Traditionen zurück.

David heiratet Sauls Tochter Michal. Weil er mehr Ansehen gewinnt, will Saul ihn umbringen, so daß David flieht. Abner, der Feldherr Sauls, macht den Saulssohn Ischbaal zu dessen Nachfolger. Doch Ischbaals Königtum fehlte die Unterstützung durch die Stämme und die Einsetzung durch Jahwe.

Seit seiner Flucht vor Saul unterhielt David eine Söldnertruppe, hauptsächlich „geschei­ter­te Existenzen“ (1. Sam 22,2), etwa. 400 bis 600 Mann. Zunächst tritt er in Dienst der Philister und erhält Ziklag als Lehen. Von dort versuchte er, in Juda Einfluß zu gewinnen (Heirat von Abigail, Einsatz der Söldnertruppe zugunsten Judas). Die Philister versuchten nicht wieder, sich im ephraimitischen Bergland festzusetzen. Vielleicht wollten sie nicht ein erneutes Einberufen des Heerbannes hervorrufen, der nur das israelitische Königtum stärken mußte.

Nach Sauls Tod zieht David nach Hebron und wird dort zum König von (Groß-) Juda gesalbt. Im Gegensatz zu Saul war David von Anfang an Krieger, gestützt auf seine Truppe. Als König von Juda konnte er sich nun auch auf den judäischen Heerbann stützen. In der Folge versuchte David das Königtum Ischbaals zu unterhöhlen, vermied es aber, den judäischen Heerbann gegen Israel einzusetzen. Doch versuchte er, sich bei den Nordstämmen beliebt zu machen (zum Beispiel Trauer um Saul und Jonathan).

Zum Umschwung kommt es, als Abner zu David überläuft. In den Verhandlungen mit Abner besteht David darauf, Michal wieder zurückzubekommen, die eine Brücke zur israelitischen Familie Sauls bildete. Auch Abner und Ischbaal werden nach ihrem Tod von David betrauert (obwohl er vielleicht nicht unschuldig daran ist).

Die Überlieferung bemühte sich, David zum Führer des Heerbanns zu machen (1.Sam 18,16 und 2.Sam 5,1). Aber sein Aufstieg vollzog sich außerhalb Israels. Zunächst schließt er einen Bund mit den Männern von Juda. Dadurch wurde er auch interessant für ganz Israel, für die Stämme im Norden: Die Ältesten Israels (also der nördlichen Stämme) kommen nach Hebron und verleihen David ein Vertragskönigtum. Das Nordreich wurde aber nicht mit dem Reich Juda vereinigt, sondern David war nur der gemeinsame König: Israel und Juda waren nun in Personalunion vereint.

David hat nicht beabsichtigt, einen Einheitsstaat zu schaffen, auch Juda behielt seine Eigenstaatlichkeit. Durch die Personalunion gewann David aber eine Zwischenstellung und eine Überlegenheit über beide Reiche. Aber Davids Macht war geringer, als es ihm und seinen Zeitgenossen erscheinen mochte.

 

Innerhalb des Berichtes über Davids Anfänge wird auch David (wie Saul) mit dem für die Familie Davids später fremden Vorstellungskreis der göttlichen Bestimmung verbunden. Zentraler Text ist die Verheißung der ewigen Dauer des davidischen Königtums (2. Sam 7) durch den Propheten Nathan. Diese Verheißung steht nicht allein, immer wieder wird betont, daß David der rechtmäßige und von Jahwe erwählte König in Israel ist. Dieses Thema dürfte also schon wesentlich in der Komposition des Deu­teronomisten gewesen sein. In ihrem jetzigen Kontext begründet sie, weshalb für die Davidsfamilie keine jeweils neue göttliche Bestimmung erforderlich ist.

Die positive Sicht Davids schlägt in Kapitel 11 um, wo geschildert wird, wie David mit der verhei­rateten Bathseba Ehebruch begeht und deren Ehemann Uria in den Tod schickt. Dafür wird David von Gott durch den Propheten Nathan zur Rechenschaft gezogen.

Juda war aber kein säkularer Staat, denn die Herrschaft der Familie Davids wurde gerechtfertigt durch den ewigen Bund, den Gott mit David geschlossen hatte (2. Sam 7). Gott behielt die entscheidende Rolle, wenn der jeweilige König zum Sohn Gottes adoptiert wurde. Er wurde nicht auf die Ebene Gottes erhoben, sondern durch Gott zum Sohn erklärt. An die Stelle der physischen Sohnschaft wie in Ägypten trat der Gottesbund mit dem Davidsnachfolger. Es gab eine Salbung im Heiligtum der Gichon­quelle und die Thronbesteigung im königlichen Palast, aber der König war nicht der kultische Mittler zwischen Gott und Volk.

Auch das Südreich war gedacht als ein Gemeinwesen, das auf der Anerkennung des Königs durch den Heerbann der „Männer von Juda“ beruhte. Aber der Thron stand immer in Jerusalem, das nicht zu Juda gehörte. Um eine von Juda- und Israel unabhängige Residenzstadt zu erhalten und um den südlichen, kanaanäischen Querriegel zu durchbrechen, erobert David das Jerusalem der Jebusiter („Davids Stadt“) und wurde damit Stadtkönig von Jerusalem. Jerusalem wurde die gemeinsame Hauptstadt an der Nahtstelle zwischen den nördlichen Stämmen und Juda. Die Residenzstadt war keinem der Stämme unmittelbar verpflichtet.

 

Die Einnahme des Stadtstaates Jerusalem auf der Grenze zwischen Nord- und Südstämmen durch Davids Männer war für den neuen gesamtisraelitischen König ein Akt politischer Klugheit. Aber die eigentliche Bedeutung für Israel gewann Jerusalem erst durch die Überführung der Lade. Zur Richterzeit war die Lade längere Zeit in Silo. Die Vorstellung von Jahwe als thronendem König verbindet sich mit ihr. Bei gewichtigen Jahwe-Kriegen wird die Lade in die Schlacht mitgenommen, um diese durch unmittelbare Gegenwart Jahwes zu entscheiden.

Durch die Überführung der Bundeslade nach Jerusalem konnte David zwei Ziele erreichen: Er konnte auch die Nordstämme religiös an Jerusalem interessieren, denn die Ladetraditionen sind in Ephraim und Ben­jamin zu Hause. Die Überführung der Bundeslade nach Jerusalem geschah aber gegen den Widerstand des Volkes, das sie in Silo lassen wollte. Die Lade blieb aber in Jerusalem vorerst in einem Zelt untergebracht, war aber weiter ein Symbol für die Nähe Jahwes.

Außerdem konnte so auch eine Vereinigung zwischen älterem Jahwe-Glauben und der Zions­tradition der früheren Bewohner Jerusalems („Gott der Höchste“) erfolgen. Die Lade war entscheidend zur Aufnahme kanaanäischer Überlieferungen und hat zur Bildung einer Zions­tradition geführt. Die Zionstradition kann demnach als Auslegung der Lade und ihrer Tradition mit Hilfe kanaanäischer Motive verstanden werden. Kanaanäisches Gedankengut war schon vor Jerusalem eine enge Verbindung mit der Lade eingegangen (Jahwe als der, der über den engelartigen Cheruben thront).

Nach der Verbindung beider Traditionen durch die Überführung der Lade nach Jerusalem muß sich die Zionstradition allerdings bald verselbständigt haben, so daß der „Gottesberg Zion“ an die Stelle der Lade treten konnte. Die deuteronomistische Theologie hat dann die Lade eng mit dem Bundesgedanken verbunden (Lade als Behälter der Bundesurkunde). In der Priesterschrift wird die Lade und der mit ihr verbundene Tempel zur zentralen Offenbarungsstätte Jahwes.

Im Gegensatz zu älteren Auslegern kann die Zionstradition schon vor der babylonischen Gefangenschaft entstanden betrachtet werden, denn Jesaja kennt wohl schon die Zionstradition, wie sie in den Psalmen 46 und 48 und 76 belegt ist.

So läßt sich sagen: Lade + Zionstradition + deuteronomistische Bewegung + Priesterschrift + Davidstradition - so wird Jerusalem zum Symbol der Hoffnung für die Verschleppten. Eng verbunden mit der Zions-Tradition ist die Rest-Vorstellung (vor allem bei Jesaja) und die Vorstellung vom ewigen Bestand der Davidfamilie.

 

Die Königsstadt Jerusalem war Sonderbesitz der Davididen, rechtlich neben dem Staatsgebiet von Juda und Israel. Jerusalem wurde nicht das Herrschaftszentrum eines Großreichs, sondern als Stätte der göttlichen Gegenwart sollte es zum Wallfahrtsziel der Völker werden. Aber der „heilige Berg“ wurde Mittelpunkt aller Israeliten, unabhängig von der Bundeslade. Alle Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Überführung der Lade wurden durch die anerkannte Persönlichkeit des Königs zum Schweigen gebracht und man fand sich damit ab, daß das Ladeheiligtum nun in der königlichen Kultstätte seinen Platz hatte. Erst mit dem Auseinanderfallen des Davidreiches gründete man im Norden die Konkurrenzheiligtümer in Bethel und Dan.

 

Die Mittellage Jerusalems aber begünstigte das Ausgreifen nach Westen und Osten. Es begann die Ausweitung des davidischen Reiches. Zunächst werden die Phili­ster­städte erobert. Auch die Kanaanäerstädte werden in das Reich einverleibt (im Alten Testament gibt es darüber keine Berichte, aber bei Salomo wird das vorausgesetzt). Damit war die Selbständigkeit der beiden kanaanäischen Querriegel beseitigt und die Landnahme wurde damit praktisch abgeschlossen

In der Folge werden die Aramäer-Staaten Süd- und Mittelsyriens erobert oder zumindest von David abhängig. Aram-Damaskus wird Untertanen-Land, es werden Statthalter eingesetzt. Die Ammoniter werden vernichtend geschlagen, die Hauptstadt Ammon erobert. Ammon blieb als selbständiger Staat bestehen, aber David wurde nun auch König von Ammon. Moab und Edom werden Vasallenstaaten. Vielleicht ging die Oberhoheit über Syrien so weit, daß Davids Reich sogar bis zum Euphrat reichte, vielleicht ist dies aber auch eine Idealkonstruktion späterer Zeit. Davids Reich umfaßte nun fast alle Gebiete der ägyptischen Einflußzone Vorderasiens.

Doch die eroberten Gebiete wurden nicht den Stämmen zugeschlagen, sondern bildeten eigene Verwaltungsbezirke, die nicht vom israelitischen Wesen durch­drungen wurden. Der alte Gegensatz zwischen Israel und Kanaan wurde nun zum inner­staat­lichen Problem.

 

Im Gegensatz zu Saul stütze sich Davids Herrschaft nicht zuerst auf den Stämme-Heerbann, sondern vor allem auf die allein ihm verantwortliche Söldnertruppe. Dadurch war Davids Staat nicht allein auf nationalistische Belange zugeschnitten. Durch die Eroberung kanaanäischer Städte wurde dem kanaanäischen Einfluß in Staat und Religion Türen geöffnet. Zur Verwaltung des Reiches mußte David auf die ausgeprägte kanaanäische Aristokratie zurückgreifen. Jerusalem entwickelte sich zum Verwaltungs- und Entscheidungszentrum. Das rief Konflikte mit den Stammesältesten hervor.

Es entstand eine Art „Reichsideologie“ zu Zeiten Davids und Salomos, die Personalunion und dynastisches Königtum zu rechtfertigen versuchte (Sammlung und Fixierung älterer israelitisch-judäischer Traditionen und Beginn der israelitischen Geschichtsschreibung). Da das religiös verschieden zusammengesetzte und komplizierte Gebilde von Davis Reich auf die Person David zugeschnitten und von ihr zusammengehalten wurde, war ein Auseinanderbrechen jederzeit zu befürchten (Aufstand Schebas) und die Nachfolgefrage mußte schon bald auftauchen.

 

Exkurs: David (nach: „Der Spiegel“)

Die theologische Wissenschaft hat festgestellt, daß die Episode von Davids Kampf gegen Goliath erst nachträglich in die Lebensgeschichte des jungen Mannes und späteren Königs eingefügt wurde. Ursprünglich war der Sieg im Zweikampf einem anderen Krieger zugeschrieben worden. Auch stimmt die Erzählung mit den historischen Tatsachen nicht ganz überein: Durch Darstellungen in ägyptischen Tempeln ist bekannt, daß die Philister weder Helme noch Panzer trugen. Goliaths Rüstung war hingegen aus den Schutzwaffen der stärksten Völker des östlichen Mittelmeerraums zusammengesetzt: einem mesopotamischen Helm, mykenisch-griechischen Beinschienen, dem syrischen Schuppenpanzer und ägyptischem Krummschwert. Dieser Riese ist der Feind an sich, die größte damals vorstellbare Bedrohung. Umso beeindruckender ist das Gotteswunder, das David den Sieg schenkt. Und nur darauf kam es dem biblischen Chronisten an.

Die Bezeichnung Davids als „Hirte“ - gemeint ist „Hüter seines Volks“ - verweist auf seine spätere Stellung als König. Daß er der siebte der Söhne ist, soll ihn herausheben: In der Antike galt die Sieben als heilige Zahl. Und die kleine Harfe - eigentlich eine Lyra, - ist nicht irgend­eine Klampfe, sondern das kostspielige Musikinstrument des Adels: In seiner Geburtsstadt Bethlehem gehörte die Familie Davids zur Oberschicht der reichen Herdenbesitzer. Was lag für einen jungen Mann aus guter Familie näher, als an den Königshof zu gehen und dort sein Glück zu suchen, wo er doch kein großes Erbe zu erwarten hatte?

Davids schlagkräftige Truppe zog bald die Aufmerksamkeit der Philister auf sich. Er trat in ihre Dienste und übernahm den Schutz der südlichen Grenze. Den Lebensunterhalt für sich und seine Männer verdiente er auf die damals übliche Weise: durch Raub und Plünderung in fremden Dörfern. Nie gab es Überlebende, deshalb auch keine Blutrache oder irgendwelche üble Nachrede.

Aber David hatte Höheres im Sinn als eine Söldnerexistenz. Die Beute aus seinen Raubzügen und Schutzgelderpressungen teilte er mit den Oberhäuptern befreundeter Stämme aus seiner Heimat, und eine geschickte Heiratspolitik steigerte sein Ansehen. Bald war seine Stellung so gefestigt, daß ihn die Ältesten der südlichen Stämme zum König salbten. David wurde Herrscher von Juda und dessen Hauptstadt Hebron.

Juda war in jener Zeit ein abgelegenes Stück Land, arm und wenig besiedelt. Jetzt erwiesen sich Davids gute Beziehungen zu den einst verhaßten Philistern als außer­ordentlich nützlich. Sehr wahrscheinlich ist, daß er als ihr Lehnsmann regierte und so für Handel, Frieden und Wohlstand sorgte. Eine enge Bindung Davids zu den Philistern ist auch wahrscheinlich, weil er seine neue Leibwache nur aus diesem Volk aussuchte.

Entschieden schwieriger war es, die Macht über die nördlichen Stämme auszudehnen. Auch nach der Abtrennung von Juda verfügte Saul in seinem Reich Israel noch über ein Vielfaches an Land und Menschen und ließ David wirtschaftlich und militärisch weit hinter sich. Doch dieser nutzte die sieben Jahre als König von Juda über­aus geschickt. Am Ende lebten in seinem Harem die Töchter der Herrscher aller wichtigen Nachbarstaaten.

Saul war diplomatisch isoliert und ohne Verbündete. Das zeigte sich, als ein Philister­heer das Nordreich angriff. Die Schlacht endete mit einer vernichtenden Niederlage. Alles Land westlich des Jordan fiel an die Feinde Israels, Saul und viele seiner Söhne wurden erschlagen. Die Bibel bemüht sich so angestrengt, David von aller Schuld an der Katastrophe freizusprechen, daß die Vermutung nahe liegt, er habe als Verbündeter der Philister nicht nur die Fäden gezogen, sondern selber am Kampf teilgenommen.

David profitierte sehr davon, daß ohne Ausnahme jeder seiner Feinde zu einem für ihn äußerst günstigen Zeitpunkt starb. Das ist vielleicht kein Zufall gewesen, sondern machtpolitisches Kalkül, das vor Mord nicht zurückschreckte. Nichts Außergewöhnliches, sondern damals ein probates Mittel der Politik.

Die Probe aufs Exempel boten die nächsten Jahre, in denen David das Nordreich systematisch destabilisierte. Sauls schwacher Sohn und Nachfolger Ischbaal konnte weder gegen den Herrscher aus dem Süden noch gegen die Philister viel ausrichten. Städte im Grenzgebiet gingen zu David über. Von Tag zu Tag wuchs die Unzu­friedenheit unter den Stämmen.

Dann bahnten zwei Morde David den Weg zum Thron. Davids Oberbefehlshaber Joab lockte den gegnerischen Feldhauptmann in eine tödliche Falle. Und Ischbaal fiel einem Anschlag seiner Hauptleute zum Opfer. In beiden Fällen war Davids Trauer angeblich groß. Die Offiziere, die den König aufsuchten, um eine Belohnung für die Tötung Ischbaals zu kassieren, ließ er prompt hinrichten - doch Joab blieb ohne Strafe. Israels Sippenoberhäupter machten David zum König des Nordreichs.

Er hatte sein Ziel erreicht - doch er stand vor einer Titanenaufgabe. Israel und Juda, das Nordreich und das Südreich, waren nicht nur geographisch getrennt. Sie hatten nichts gemein bis auf die halbnomadische Lebensweise ihrer Menschen. David war ein König von Hirten und Bauern; die Städte auf dem Gebiet seiner Königreiche entzogen sich seiner Kontrolle. Immerhin befanden sich die traditionellen Großmächte des Nahen Ostens, das pharaonische Ägypten und das Zweistromland, in einer Phase der politischen Schwäche. Palästina blieb sich selber überlassen. Das war Davids Chance.

Auf einem Bergsporn in 800 Meter Höhe lag eine gut befestigte Stadt der Kanaanäer, mit Wasser aus einer ergiebigen Quelle versorgt und wohlhabend, weil hier wichtige Handelsrouten zusammenliefen. Nicht Menschen hatten nach Meinung ihrer Bewohner diese Stadt gegründet, sondern jener Gott, der hier in seiner heiligen Wohnung, dem Tempel, verehrt wurde: Er hatte den Namen „Schalim“, von ihm hatte die Stadt ihren Namen: „Jeruschalajim“ = Jerusalem.

David brauchte Jerusalem, denn es lag strategisch günstig zwischen seinen beiden Reichen. Eine ideale Hauptstadt. Mit seinem persönlichen Anhang und der Leibwache gelang es ihm, sie zu erobern. Wie es im Orient Brauch war, benannte er die Stadt nach sich selber: „Davidstadt“.

So wurde Jerusalem das dritte seiner Herrschaftsgebiete. Für das religiöse Leben der Bewohner hatte dies kaum Folgen. Sie huldigten weiterhin Schalim, dem auch David seine Verehrung erwies, indem er zwei seiner Söhne „Abschalom“ und „Salomo“ nach ihm benannte. Er brachte aber auch seinen Gott Jahwe mit, der keine festen Häuser mochte, so daß der König für ihn ein Zelt an der Stadtquelle Gichon aufschlug und dort seinen Sitz errichtete.

Auch die Nordstämme besaßen einen Gott, nämlich „El“, der ihnen den Namen gab: „Israel“, also „El herrscht“. Sein Zeichen war die Bundeslade, eine Truhe aus Akazienholz, die in einem Tempel in der Stadt Silo stand. Es traf sich gut, daß die Philister das Heiligtum zerstört hatten und El eine neue Bleibe brauchte. David holte den traditionellen Gott des Nordreichs nach Jerusalem und stellte die Bundeslade in Jahwes Zeltheiligtum auf.

Damit war erst einmal auf Empfindlichkeiten Rücksicht genommen. Jerusalem stieg zum politischen und religiösen Zentrum des Reichs auf. Jahwe, Davids persönlicher Gott, wurde Staatsgott und wurde allmählich mit den Symbolen und Eigenschaften der anderen Götter bedacht. Jahwe duldete aber zunächst in seinem Himmel offenbar viele andere Götter neben sich.

Unter Davids Vorgänger Saul war dieses Land ein lockerer Zusammenschluß von Stämmen, der König nicht mehr als ein besonders fähiger Anführer einer Gruppe. David schuf einen Staat mit allen Elementen der Herrschaft und Repräsentation, wie sie uns aus den Großreichen des Orients vertraut sind.

In der Hauptstadt, die seinen Namen trug, erbaute er einen Palast mit einem Harem. Dort sorgten seine Ehefrauen und Konkubinen (19 kennt die Bibel mit Namen) für die Nachkommenschaft der Dynastie. Eine Leibwache aus Philistern beschützte ihn, eine Garde bildete den Kern seines Heers. Gegen Ende seiner Herrschaft führte er sogar eine Volkszählung durch, als Grundlage für eine Steuerschätzung und für die Aushebungen der Miliz im Kriegsfall. Und er richtete eine - wenngleich winzige - Verwaltung ein. So wissen wir von einem Befehlshaber des Heers und einem der Leibwache, von einem Kanzler, einem Schreiber und zwei Priestern für den Staatskult (2. Sam. 8, 16-18).

Großen Wert legte David darauf, sein Königtum theologisch abzusichern. Er war von Gott auserwählt, seiner Dynastie war ewiger Bestand verheißen. Wie die ägyptischen Pharaonen zur Rechten des Sonnengotts Re saßen, nahm David zur Rechten Jahwes Platz (Psalm 110,1). Er war sich so sehr des Schutzes seines Gottes gewiß, daß er sogar gegen die Philister antrat, die in der Vereinigten Monarchie Davids immer stärker eine Bedrohung sahen. In mehreren Schlachten trieb er sie an die Küste zurück. Die Bibel beschreibt ausführlich, wie Jahwe dem König David mit taktischen Anweisungen beistand.

Wer sich durch die Expansion Davids bedroht fühlte, reagierte darauf mit dem Bau von Festungen. So entstand im Osten das aramäische Bet-Saida, um das nur 80 Kilometer entfernte Damaskus zu schützen. Es ist durchaus möglich, daß wir gerade hier den so lange gesuchten Beweis für das Wirken des Königs finden. Nicht in Stein gehauen, aber als Ergebnis seiner Politik.

War Davids Herrschaft ein Goldenes Zeitalter, wie die Bibel berichtet? Der Umstand, daß gegen Ende seiner Regierungszeit zwei Aufstände gegen ihn losbrachen, belegt eher das Gegenteil. Überall war die Unzufriedenheit mit Händen zu greifen. Die Menschen erlebten Fron und Wehrpflicht als Bürde, und zudem wurden sie von der Pest geplagt.

Auch die Gegensätze zwischen Nord- und Südreich, zwischen Israel und Juda, wurden zum Problem. Die Judäer verziehen David nicht, daß er die Hauptstadt von Hebron nach Jerusalem verlegt und die Götter El und Jahwe miteinander verschmolzen hatte. Im Norden formte sich vor allem im Stamm Benjamin, dem die Sippe Sauls angehörte, eine Opposition, die in David einen Emporkömmling und - mit einigem Recht - einen Tyrannen sah. Sein Ende war so blutig wie sein Anfang. Der alte König, nicht mehr fähig, die Nachfolge zu regeln, wurde zum Spielball eines erbitterten Machtkampfs zwischen seinen Söhnen Adonija und Salomo.

 

Entspricht die Geschichte des biblischen Helden den historischen Tatsachen? Viel­leicht hat es die Vereinigte Monarchie des vorgeblichen Staatsgründers David überhaupt nicht gegeben. Vielleicht verdichteten die Verfasser der Bibel den Prozeß der Staatsbildung, der sich über Jahrhunderte erstreckte, geschickt in der Person Davids und ließen die gesellschaftlichen Veränderungen 100 bis 200 Jahre früher beginnen, als sie wirklich stattfanden. Ihre Absicht ist leicht zu durchschauen: Sie wollten die davidische Dynastie, deren Heimat Juda und die Hauptstadt Jerusalem als eigentliche Keimzelle des Staats Israel und des Jahwe-Kults aufwerten.

Das Fazit von Historikern und Archäologen über David fällt eher ernüchternd aus. Sie entwerfen entweder das dunkle Gemälde eines Machtmenschen, der über Leichen geht, um seine Herrschaft zu begründen und aufrecht zu erhalten, oder verkleinern ihn auf den Anführer eines unbedeutenden Kleinstaats mit beschränkten Möglichkeiten.

Im Buch Josua des Alten Testaments hatte Jahwe den Israeliten das verheißene Land beschrieben: „Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter soll euer Gebiet sein“ (Josua 1,4). Dieses Land hatte König David erobert (2. Sam. 8 und 1. Chronik 18) und sein Sohn Salomo beherrscht: „Und er war ein Herr über alle Könige vom Euphrat an bis zu dem Land der Philister und bis zu der Grenze Ägyptens“ (2. Chronik 9,26).

Nach heutigem Stand der Forschung hatte das Reich Davids aber eine deutlich ge­ringere Ausdehnung. Und sicherlich war er auch kein König über andere Könige. Dennoch wurde immer wieder von nationalreligiöser Seite die Forderung nach einem Großisrael in den „biblischen Grenzen des davidisch-salomonischen Reichs“ erhoben.

Gab es David überhaupt? Trotz intensiver archäologischer Suche wurden bisher so gut wie keine Spuren seiner Existenz gefunden. Wir haben keine Inschriften, keine Bauten, kein Archiv - nichts. Bis auf eine Stele aus dem 9. Jahrhundert vCh, auf der in aramäischer Schrift zwar nicht David, aber zumindest sein „Haus“ (also seine Dynastie) erwähnt wird. Die Stele wurde 1993 in „Tell Dan“ im Norden Israels gefunden und ist der bisher einzige konkrete Beweis, daß es David als historische Figur überhaupt gegeben hat. Der Stammvater lebte also womöglich wirklich - wenn auch nur als „Duodezfürst eines Stadtstaates“. Es wurde auch keine Erwähnung in der diplomatischen Korrespondenz Ägyptens und Mesopotamiens gefunden.

Die Gebäude in Jerusalem, die mit seinem Namen verbunden werden, haben alle nichts mit ihm zu tun. Nur im Kidrontal ist man David am nächsten. Der Überlieferung nach wurde er am Westhang dieses Tals unterhalb des Tempelbergs begraben. Tausende jüdische Gräber ziehen sich gegenüber den Ölberg hinauf; wer es sich leisten kann, läßt sich an diesem Ort beerdigen. Die Toten haben Heimvorteil, denn hier, so glauben die Juden, wird dereinst mit Trompetenschall das Jüngste Gericht beginnen.

Traut man der Bibel, dieser einzigen Quelle zu König David, begann er eine Serie von Feldzügen, die ihn zum unumschränkten Herrscher des Nahen Ostens machten. Warum finden sich trotz aller archäologischen Bemühungen aber keine Spuren dieser kriegerischen Taten? Weshalb keine Zerstörungsschichten, keine prahlerischen Stelen, wie sie noch jeder Herrscher des Orients nach Siegen aufzurichten pflegte? Wieso keine Befestigungen oder andere Bauten?

Noch eigenartiger: Davids Nachfolger Salomo, der das Reich seines Vaters mit einer mustergültigen Provinzverwaltung überzogen haben soll, hinterließ keine öffentlichen Gebäude. Vom berühmten Salomonischen Tempel, der nach ihm benannt wurde, fand sich bislang kein Stein. Die Ställe und Tore Salomos, die man in den antiken Städten Megiddo, Hazor und Geser ausgrub und die lange als Beweis für seine Existenz dienten, entstanden nach neuesten Erkenntnissen der Archäologen erst 100 Jahre nach seiner Regierung. Ist Davids und Salomos Großreich nur eine Erfindung der Bibel?

Ausgerechnet in dieser armseligen, karstigen Welt von Kanaan läßt die Bibel glanzvolle Monarchien erstehen. Wo in Wahrheit bärtige Hirten in Wollkutten lebten, erstreckte sich angeb­lich das Super-Reich von David. Bei seinem Nachfolger Salomo greift die Bibel noch mehr in die Vollen. Rund 700 Angetraute leben im Harem dieses Regenten, 300 weitere Frauen liebkost er auf unehelicher Basis. Sein Palast ist riesig und gemütlich mit Teppichen ausgelegt. Und die Schatulle quillt über: Laut Bibel übertraf Salomo „an Reichtum alle Könige der Erde“.

Auch kulturpolitisch klotzt der Monarch. Mose, als Wüstennomade, hatte noch im „Offenbarungszelt“ dem Herrn geopfert. Salomo errichtet Gott nun ein Haus aus Stein. Es ist „ganz mit Gold überzogen“ und innen mit libanesischer Zeder ausgeschlagen. Im Allerheiligsten steht die Bundeslade. Alle Versuche, dieses Heiligtum archäologisch nachzuweisen, sind allerdings gescheitert. „Wir haben nicht mal den Grundriß des Tempels“, gibt der Forscher Bloedhorn zu. Kein Zweifel, das Alte Testament fabuliert. Hütten werden zu Palästen hochstilisiert.

 

 

Erzählung von der Thronfolge Davids

Beständigkeit war nur zu erreichen durch die Aufrichtung einer Familienerbfolge (Dynastie). David jedoch legte sich nicht fest, welcher seiner Söhne sein Nachfolger werden sollte. So kam es zum Streit um die Nachfolge:

- Nach der Vergewaltigung der Thamar durch Davids Erstgeborenen Amnon nutzt Absalom,

  der Bruder Thamars, eine günstige Gelegenheit und erschlägt Amnon. Nach Absaloms

  Flucht erwirkt Joab Gnade für ihn bei David und Absalom kann an den Königshof zurück.

- An sich hätte Absalom der Nachfolger Davids werden müssen. Aber er kann nicht warten

   und sammelt Anhänger und läßt sich in Hebron zum König ausrufen und beginnt den

   Aufstand. David flieht aus Jerusalem, allein gestützt auf sein Söldnerheer. In der Entschei-

   dungsschlacht zwischen israelitischem Heerbann und Davids Söldnerheer gewinnt David

   und kann nach Jerusalem zurückkehren.

- Absalom wird gegen den ausdrücklichen Befehl Davids aus Gründen der Staatsräson von

   Joab erschlagen. Der Konflikt mit den Stämmen verschärft sich aber.

- So kommt es schon kurz darauf zu einem erneuten Aufstand unter dem Benjamini­ten

   Scheba. Der Heerbann Nordisraels löst sich auf oder läuft zu Scheba über, David muß auf   

   seine Söldner und den Heerbann Judas zurückgreifen, um die Revolte zu unterdrücken.

   Obwohl Joab den Aufstand niederschlägt verschärft sich der Konflikt zwischen Nord und

   Süd weiter.

- Adonia, unterstützt von Joab und Ebjathar, läßt sich zum König ausrufen. Der schon alters-

    schwache David entscheidet sich aufgrund des Eingreifens Nathans und Bath­se­bas, Salomo

    zu seinem Nachfolger zu ernennen, das uneheliche Kind des Königs David mit Bathseba.

    Gestützt auf die Söldnertruppe Davids (Benaja) und auf das (jebusitische?) Priestertum

    Zadoks reißt Salomo die Macht an sich und beseitigt Adonia, Joab und andere Gegner

    (Ermordung Joabs durch Benajahu am Heiligtum).

 

Die Erzählung wurde deshalb abgefaßt in der (frühen) Regierungszeit Salomos. Die vielen Verbindungen zwischen der Aufstiegsgeschichte und der Thronfolgegeschichte lassen auf eine gemeinsame Verfasserschaft schließen. Über die Absicht dieser Sammlungen gehen die Meinungen gegensätzlich auseinander (Legitimation bzw. Bestreitung des Königtums von David und Salomo). Auffallend bei diesen Erzählungen ist, daß alle Szenen auf das Ganze hin entworfen sind. Es wird zwar nicht mehr ein überirdisches Eingreifen Jahwes in den Geschichtsablauf berichtet, dennoch bleibt auch hier Jahwe der Herr der Geschichte. Dagegen sind die Interessen und Triebkräfte der beteiligten Personen ausführlich dargestellt, es kommt zu einer Charakterisierung wie sonst kaum im Alten Orient.

Die Geschichten von David und Salomo sind echte Geschichtsschreibung. Sie zeigen die Menschen in ihren Stärken und Schwächen, die trotz der Hofberichterstattung nicht verschwiegen werden. Bezeichnend dafür ist die Nathanerzählung, in der David vom Propheten Nathan getadelt wird, weil er dafür gesorgt hat, daß Bathsebas Mann im Krieg fiel. David nimmt die Strafe Gottes an, daß das erste Kind stirbt. Aber nun ist der Weg frei für Salomo, den Lieblingssohn.

 

Eingeschoben in die Thronfolgegeschichte sind die Anhänge des Samuel-Buches. Sie sind symmetrisch komponiert: Erzählungen von Plagen (21,1-14 und 24), Aufzählungen von Helden und ihren Taten (21,15-22 und 23,8-39) und im Zentrum zwei Psalmen (22 und 23,1-7). In 2. Sam 24 bringt David Gott gegen sich auf durch eine Volkszählung, die er gegen den Rat Joabs vollzieht. Infolgedessen wird das Volk mit einer Pest bestraft, die erst endet, als David auf dem späteren Tempelplatz opfert. Damit wird die Wahl des Tempelplatzes begründet, zugleich wird aber auch gesagt, daß am Tempelplatz zuvor kein kanaanäischer Kultort gewesen sei.

Die Thronfolgegeschichte (2. Sam 7 und 9  - 20 und 1. Kön 1 - 2) ist das Werk eines echten Historikers, der die Vorgänge berichtet, die zur Herrschaft Salomons führten. Er will zeigen, wie durch Leid und Blut, Auflehnung und Schuld doch der auf den Thron kommt, den Jahwe liebt. Der Erzähler weiß, wie erbarmungslos die Geschichte oft ist. Aber hinter allem steht doch der Gott, der die Geschichte zu seinem Ziel bringt.

Gleichzeitig schreibt ja der Jahwist. Es war eine Glanzzeit der davidisch-salomoni­schen Ära. Die Gnade Gottes schien neu und lebendig zu sein. Aber dieses Bewußtsein verleitete auch zur Sicherheit und machte die Menschen passiv und rief sie nicht in die Verantwortung und sah nicht in die Zukunft, wie die Propheten das versuchten.

 

Die Umwandlung des alten, von der Religion bestimmten („sakralen“) Stämme­bundes in einen Staat kam in der Generation zwischen Saul und Salomo zum Abschluß. Sie hat aber keine akute Krise für das religiöse Leben ausgelöst. Saul war noch ins Amt gekommen wie die früheren „Richter“. Mit David aber begann ein Großkönigtum nach dem Vorbild der umliegenden Staaten. Den Tempel aber konnte erst Salomo bauen, auf königlichem Grund, in einer Stadt, die keine Tradition für ein israelitisches Heiligtum und keinen Bezug zum Jahweg­lau­ben hatte. Es gab staatlich angestellte Priestern und eine Unterhaltspflicht für den König, der dadurch aber auch zum Beispiel den Kult reformieren konnte. In dem „Reichstempel“ wurden nicht nur die Staatsopfer darge­bracht, sondern auch die privaten Opfer des Königs. Jetzt wurde die David- und Ziontradition in Jerusalem und Juda gepflegt, während die Väter- und Auszugstradition im Nordreich weiterlebte.

 

Salomos Regierung (1. Kön 2 - 11)

Ohne Zustimmung der Stämme bestimmte David selber seinen Nachfolger. Nur so konnte das Reich vor einem sofortigen Zerfall bewahrt werden. Unter Salomo wurde das Heer wurde um­gestaltet: Eine königliche Streitwagenabteilung wurde aufgestellt, Wagen- und Pferdestädte wurden aufgebaut, der Heerbann der Stämme Israels und Judas wurde nicht mehr einberufen. Dadurch wurde die kanaanäische Position im Heereswesen gegenüber der Bedeutung der Stämme erheblich gestärkt, aber er hat sich damit von der Landbevölkerung unabhängig gemacht.

Aber die Israeliten gaben das alte Ideal nicht auf, so daß es zu Aufständen kam. Salomo war sich des israelitischen Heerbanns nicht mehr sicher, sondern stütze sich lieber auf Streitwagen und Festungen. Als Ersatz für den Dienst im Heerbann wollte Salomo das Volk für Fronarbeit in Anspruch nehmen, aber das führte zum Bruch mit dem Volk.

Salomos Außenpolitik besaß verteidigenden Charakter, er versuchte den Bestand zu wahren, aber nicht weiter auszuweiten. Durch seine Heiratspolitik (ägyptische Prinzessin) knüpfte und pflegte er internationale Beziehungen. Sein Festungsbauprogramm sicherte vor allem das Kernland, die Ränder seines Reiches wurden weniger geschützt (ein Teil Edoms wurde unter Hadad wieder selbständig, ebenso Damaskus, an Hiram von Tyrus mußte Salomo die Ebene von Akko abtreten).

Sein Ziel war die innenpolitische Festigung, und so kam es also kaum zu militärischen Aktionen. Innenpolitisch werden Salomos Gegnern um seinen Bruder Adonia umgebracht. Der Kommandant seiner ausländischen Söldner Benaja führte diese Maßnahmen aus. Salomo machte Benaja zum Befehlshaber des Heerbannes (1. Kön 2,35). Die Beseitigung der innenpolitischen Gegner entsprang der kühlen Abwägung, den Thron zu sichern, denn noch immer drohten Spannungen. Zum Beispiel mit dem Norden (Beseitigung des Simei).

Salomo wollte alles genießen, was sein Vater errungen hatte. Die rege Bautätigkeit Salomos schlug sich vor allem in Jerusalem nieder: Tempelbau, Errichtung einer großen Palastanlage und die Erweiterung der Stadt nach Norden gehen auf ihn zurück. Der Tempel war ein dreigliedriger Bau aus Vorhof, Heiligem und Allerheiligstem (kanaanäisches Modell), insgesamt 40 Meter lang, 10 Meter breit und 15 Meter hoch.

Der Palast schloß sich direkt südlich an den Tempel an und war wesentlich größer als der Tempel. Die guten Beziehungen nach Tyrus und die Hilfe die Salomo dort für seine Bautätigkeit (ausländische Arbeiter) erhielt, lassen keinen Zweifel daran, daß in Jerusalem nach ausländischem Muster gebaut wurde (1. Kön 5,15-26).

Der Tempel war durch seine unmittelbare Nachbarschaft zum Palast zu einem königlichen Heiligtum geworden, zum Besitz der Davidfamilie. Und das ermöglichte auch die Ausbildung der Tradition, die Jahwe als König auf dem Berg Zion und als Schutz­herr Jerusalems und der Davidsfamilie preist.

Seit Salomos Tempelbau thronte Jahwe ebenso wie der König über der Zweiheit von Juda und Israel. Das entspricht dem Selbstverständnis Salomos und der späteren Könige: Sie verstanden sich als Herrscher, die sich der ihm von Gott geschenkten Macht bewußt sind, sich als dessen Sohn verstehen und darum als Nachbar neben diesem Gott wohnen (vgl. Hes 43,8).

Salomos Religionspolitik ist daneben von großer Toleranz gekennzeichnet. Neben der Stärkung der Jahwe-Verehrung und ihrer Verkoppelung mit dem Königshaus, wurden auch andere Kulte um der kanaanäischen, moabitischen und ammonitischen Untertaten des Reiches und der internationalen Beziehungen willen.

Der große Geldbedarf, der seinen Tätigkeiten und der luxuriösen Hofhaltung (1 .Kön 5,2) entsprang wurde durch den internationalen Handel gedeckt. So verfügte der König über das Handelsmonopol für Streitwagen und Pferde (1. Kön. 10,28), baute eine Flotte für den der Überseehandel über den Hafen Ezeon-Geber am Golf von Akaba. Hier sind vor allem der Goldimport aus dem sagenumwobenen Ophir und auch das Handelsabkommen mit Hiram von Tyrus zu nennen. Doch konzentrierte sich der Reichtum am Königshof.

Doch der Reichtum Salomos war erst möglich durch die breite Einführung des Frondienstes. Rund 30.000 Fronarbeiter wurden umschichtig im Libanon und in Jerusalem eingesetzt (dabei waren die Israeliten sicherlich nicht ausgenommen). Auch wurden beträchtliche Steuern erhoben (Errichtung von Magazinstädten). Dazu war das Reich in zwölf Verwaltungsbezirke eingeteilt (strikte Trennung zwischen kanaanäischen Stadtbezirken und israelitischen Stämme­bezirken), die je für einen Monat die königliche Hofhaltung stellen mußten. Die daraus entstehenden Spannungen zwischen Königshaus und Nordstämmen führten später zur Reichstrennung.

Die Verwaltung wurde beträchtlich ausgebaut (erbliche Ämter). Neben den Ämtern, die es bereits in Davids Kabinett gab, setzte Salomo noch einen Gouverneurschef (der die Gou­verneure und Fronvögte zu kontrollieren hatte) und einen Verwalter des königlichen Krongutes ein.

Salomo galt später als der Weise schlechthin. Jedoch läßt sich schwerlich sagen, was an dieser Tradition wirklich auf die geschichtliche Person Salomos zurückgeht. Sicherlich förderten Salomos internationale Beziehungen den Austausch weisheitl­icher Bildung. Aber ob am Jerusalemer Hof Kultur und Literatur über das normale Maß hinausgehend gepflegt wurden („Weisheitsschulen“), läßt sich nicht mehr ermitteln. Der Ruf seiner Weisheit soll weit gedrungen sein, so daß extra die Königin von Saba zu ihm zu Besuch kam. Außerdem ist sprichwörtlich geworden das „salomonische Urteil“ (Er spricht der Frau das Kind zu, die nicht wollte, daß das Kind unter den zwei streitenden Frauen geteilt wird, 1. Kön 3,16-28).

Salomos Regierungszeit endete zwischen 932 und 926, nach dem biblischen Bericht dauerte sie 40 Jahre (eine verdächtig runde Zahl).

 

 

Buch Könige

Im heutigen Alten Testament finden sich poetische Stücke, die älter sind als die Prosa (Buch der Kriege Jahwes, Buch des Wackeren, Buch der Lieder). Es gibt Sagen als Form der Erinnerung an menschliche Taten im Horizont der Familie. Dabei unterscheidet man Heldensagen und Sagen, die die Entstehung eines Heiligtums erklären wollen („ätiologische Sagen“). Mit dem Aufschreiben der Sagen werden diese nicht mehr weiterentwickelt und sterben ab. Sie werden aber abgelöst durch Geschichtsschreibung, die das Gewordene verständlich machen und der Nachwelt zur Bewahrung überlassen will.

Ursprünglich bildeten beide Bücher der Könige nur e i n Buch. Die Teilung der Bücher mitten in der Geschichte Ahasjas von Israel, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Die Teilung in zwei Bücher stammt aus der Tradition der griechischen Bibel Septuaginta, wo sie wahrscheinlich durch die handhabbare Länge einer Schriftrolle bedingt war (griechische Texte nehmen wesentlich mehr Platz ein als hebräische Texte desselben Inhalts).

Die Königszeit dauerte etwa 400 Jahre und begann mit den Königen Saul (um 1020 vCh), David (von 1008 bis 965 vCh) und Salomo (965 vCh bis etwa 926 vCh). Im Jahr 926 vCh erfolgt die Reichsteilung in Nord- und Südreich (Israel und Juda). Die Erzählungen des 1. Buches der Könige sind historisch in etwa zwischen den Jahren 960 vCh und 840 vCh einzuordnen (Dabei ist zu bedenken, daß den heutigen Historikern als Quelle etwa für die Datierung der Regierungszeiten der Könige selten außerbiblisches Vergleichsmaterial zur Verfügung steht, einziges Quellenmaterial ist oftmals die Bibel). Im Jahre 722 vCh geht das Nordreich unter. Das Südreich Juda besteht bis zum König Jojachin, der im Jahr 587 vCh samt Oberschicht nach Babylon ins Exil gehen muß. Die sich auf das ungeteilte Reich und auf das Reich Juda beziehenden Teile weisen starke Parallelen zur ersten Hälfte des 2. Chronik­buches auf, inhaltlich sind sie aber merklich kritischer.

Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, daß das Buch der Könige unterschiedliche Entstehungsstadien durchlief. Die christlichen Exegeten sind sich aber uneins, wie die Bildung des Königsbuches tatsächlich vonstatten ging. Manche Forscher plädieren für ein Schichtenmodell, wonach das Buch in mehreren, zeitlich voneinander entfernten Schichten überarbeitet worden ist. Andere bevorzugen ein Blockmodell, das im Bibeltext verschiedene Redaktionsblöcke ausmachen will. Wieder andere versuchen beide Modelle zu kombinieren oder lehnen beide Modelle ab.

 

Die Entstehung des Königbuchs ist um etwa 550 vCh anzunehmen, die Zeit der Gefangenschaft und die Jahrzehnte danach. Es geht aber in erster Linie um religiöse Botschaften und wenig um die Niederlegung historischer Wahrheiten. Zahlenangaben über das Alter und die Regierungsdaten von Königen sind deshalb kritisch zu betrachten.

Die Schwerpunkte der Theologie sind folgende: In den Königsbüchern geht es theologisch um die Einheit und Reinheit des Jahwe-Glaubens. Alle nicht-jahwistischen Einflüsse sind dem Jahwe-Kult fernzuhalten, und der Gott Jahwe darf allein im Jerusalemer Tempel verehrt werden. Dies ist für die deuteronomistischen Überarbeiter des Königbuches auch der Maßstab für die Könige Israels und Judas. Da diese sich neben Jahwe auch anderen Gottheiten (Baal und Aschera) zuwenden, werden sie zumeist verworfen.

Sowohl das Nordreich Israel mit seinen Heiligtümern in Bethel und Dan (die „Sünde Jero­beams“), als auch das Südreich Juda, das neben Jerusalem noch Kultorte an den Höhenheiligtümern kennt, sind dem Untergang geweiht. Über beide Reiche bricht folgerichtig das Gericht herein und sie gehen unter. Für das Südreich gibt es jedoch Hoffnung, die sich auf das Verhalten der Ideal-Könige David, Hiskia und Josia gründet. Diese konnten zwar das Gericht für Juda nicht mehr abwenden, jedoch durch ihre Treue zu Jerusalem als einzigem Kultort den endgültigen Untergang abwenden.

Das zweite Buch der Könige setzt die Geschichte der getrennten Reiche Israel und Juda fort. Im Norden wechselte das Königtum unter den Stämmen. Erst seit Omri konnten sich Dynastien halten: Er gründete die Königsstadt Samaria und setzte seinen Sohn als Nachfolger ein.

Nach dem Heerkönigtum Sauls kam das Reichskönigtum Davids und danach das gottbegnadete (charismatische) Königtum im Nordreich und das dynastische Königtum im Südreich.

 

Die Könige von Israel und Juda (1. Kön 12 - 2. Kön 25):

Für die Darstellung dieser Zeit lag bereits vielfältiges Quellenmaterial vor (häufiges Verweisen auf andere Bücher, u.a. wohl Aufzeichnungen der königlichen Kanzleien: „Buch der Geschichte Salomos“, „Tagebuch der Könige von Israel“ und „Tagebuch der Könige von Juda“). Die Geschichtsschreibung ist durch ein durchgehendes Schema (zum Beispiel 1. Kön. 16,8-28) und durch eine zeitliche Nebeneinanderstellung der beiden Reiche geordnet {synchronistische Chronik). Die Loslösung des Nordreiches wird aus judäischem Gesichtswinkel als „Auflehnung bis auf den heutigen Tag“ bezeichnet (1. Kön.12,19), obwohl Rehabeams Forderungen kritisch dargestellt werden.

Die Urteile über die einzelnen Könige entsprechen dem Kriterium, das auch die Richterperiode kennzeichnet: „Das Böse in den Augen Jahwes“ ist die Abgötterei und nun auch der Kult an Heiligtümern außerhalb Jerusalems. Da aber die Nordreichskönige Bethel und Dan zu Reichsheiligtümern machen, um sich auch religiös von Juda unabhängig zu machen, ist das Urteil über sie durchgehend negativ (Jerobeam I. ist der beispielhaft Abtrünnige). Von den Südreichskönigen erhalten nur Hiskia und Joschia ein durchweg positives Urteil. Bedingt anerkannt werden Asa, Josaphat, Joas, Amazja, Asarja und Jotham. Doch wird ausdrücklich betont, daß ihr Gehorsam den Ungehorsam vorausgehender Generationen nicht aufwiegen konnte, lediglich ein Strafaufschub wird durch sie erwirkt. Dabei werden sonstige Leistungen der Könige nicht gewertet, allein ihre kultische Grundentscheidung ist ausschlaggebend. Alle Könige werden gemessen am Ideal Davids.

Breiter ausgebaut sind nun die Prophetenerzählungen („vorliterarische Prophetie“), sind sie doch das eigentliche Zentrum der Königsbücher (Zurücktreten der Berichte von den Kriegen und Regierungsmaßnahmen der Könige). Hier schlägt die deuteronomistische Auffassung von der Entsprechung zwischen Gotteswort und Geschichte durch. Propheten kündigen den Untergang der Königshäuser an. Ausdrücklich wird es vermerkt, wenn das Angekündigte eintrifft. #Aber es ist auch möglich, daß sich das Unheil aufgrund der Buße eines Königs verzögert.

 

Die Prophetenerzählungen sind in drei Zyklen strukturiert: Elia, Elisa, Jesaja. Die Elia-Erzählungen in 1. Kön17 - 18 werden durch das Motiv des ausbleibenden und dann einbrechenden Regens zusammengehalten. Die Kapitel 1.Kön 21 und 2. Kön.1 sind damit nur lose verbunden. Die Elisa-Erzählungen sind noch weniger zusammen­hängend. Elisa erscheint als Nachfolger Elias als Haupt einer Propheten-Genossen­schaft und viel stärker in die Politik verwickelt. Auch werden ihm viele kurze, anekdotenhafte Wundergeschichten zugeschrieben, einige Erzählungen verbinden ihn auch mit den Aramäern.

In der Darstellung der nachsalomonischen Zeit ist ein Zurücktreten der großen Reden und Zusammenfassungen zu beobachten, nur 2. Kön 17,7-23 (Betrachtung zum Ende des Nordreiches) bildet hier eine Ausnahme. Da das Werk keinen volltönenden Schluß hat, konnte die These entstehen, daß der ursprüngliche Deuteronomist mit 2. Kön 17 endete. Durch das jetzige Ende (Begnadigung Jojachins) bekommt das Werk trotz seiner illusionslosen Darstellung des Königtums einen hoffnungsvollen Schluß, der eine Erneuerung des Königtums im Blick hat

 

Die Reichstrennung:

Es kam zu einer Zentralisierung aller Regierungsgeschäfte in einer immer stärker werdenden Beamtenschaft. Der Konflikt zwischen Kanaanäern und Israeliten, die Steuern und die in die Freiheiten eingreifende Fronpflicht mußten Widerstände und Spannungen zur Folge haben. In den Nordstämmen waren die Vorstellungen vom gottgegebenen Königtum (Erwählung durch Jahwe und Zustimmung durch das Volk) am lebendigsten geblieben und vereinte sich mit den alten Nord-Süd Gegensätzen zu einem Revolutionsversuch noch zu Lebzeiten Salomos (1. Kön  l1,26-40).

In diesem Zusammenhang wird zum ersten Mal Jerobeam, der spätere König des Nordreiches genannt, zunächst als ein Fronvogt Salomos. Doch hatte dieser mehr Sympathien für seine Landsleute als für seinen Herrscher. Indirekt sind auch die Kreise erkennbar, die hinter Jero­beam standen: Es dürften Prophetenkreise gewesen sein, darauf weist die Legende über die Begegnung Jerobeams mit dem Propheten Ahia von Silo hin.

Nach dem Tode Salomos wurde sein Sohn Rehabeam (vielleicht schon zu Lebzeiten als Kronprinz ausgerufen) problemlos König von Jerusalem und Juda. Doch die Nordstämme riefen Rehabeam nach Sichem und stellten Bedingungen, bevor auch sie Rehabeam zum König ausrufen wollten: Verringerung von Frondienst und Steu­ern. Auf den Rat seiner jüngeren Ratgeber hin, weigerte sich Rehabeam auf die Bedingungen einzugehen. Die Nordstämme sagten sich los und riefen den aus Ägypten zurückgekehrten und von Ahia im Auftrag Jahwes vorherbestimmten Jerobeam zum König aus. So wurde die Personalunion zwischen Nord- und Südreich nicht mehr erneuert, es kam zur Reichstrennung.

Kurz nach der Reichstrennung dürften sich auch Ammoniter und Philister aus ihrem Vasallen­status gelöst haben, während Moab und Edom weiter Vasallen blieben. So wurde in Palästina durch die Reichstrennung wieder das System kleiner, selbständiger Königreiche errichtet.

 

Jerobeam I. (927 - 907) (1. Kön 12 - 14):

Nach der Reichstrennung mußte im Nordreich erst einmal ein für sich bestehender Staat geschaffen werden. Verwaltungsmäßig konnte an das Bestehende aus Salo­mos Zeit angeknüpft werden. Die mangelnde Konsolidierung des Nordens zeigte sich jedoch daran, daß es noch lange dauerte, bis es eine endgültige Hauptstadt gab. So residierte Jerobeam erst in Sichem, dann in Pnuel und später in Thirza, oder er übte sein Königtum im Umherziehen aus. Auch eine echte dynastische Tradition bildete sich nicht heraus, obwohl auch die Könige Israels bestrebt waren, ihre Söhne als Nachfolger einzusetzen. Der Wille zur Dynastie wurde aber immer wieder durchbrochen. Von 19 Königen wurden acht Opfer politischer Morde.

Ein weiteres Problem war das Fehlen eines mit dem Königtum verbundenen Kultzentrums. Dies war besonders notwendig, da Jerusalem den Anspruch auf gesamtisraelitische Bedeutung erhob und dort Pilger sicher judäisch beeinflußt wurden. Jero­beam hat deshalb - auf alter Tradition aufbauend - ein königliches Jahwe-Heiligtum in Bethel gegründet (ein zweites wohl in Dan, das aber später nicht mehr erwähnt wird). Als Symbol von Jahwes Gegenwart galt das „goldene Kalb“, das parallel zu setzen war mit der Bedeutung der Lade. An sich sollten die Stierbilder nur Fundamente für den unsichtbar darauf stehend gedachten Jahwe sein. Die Erzählung vom Tanz um das goldene Kalb ist als Rückprojektion aus späterer Zeit zu verstehen, als eine streitbare Erklärung gegen die goldenen Kälber Jerobeams I.

Die Volksfrömmigkeit verehrte diese Kultbilder nämlich sicherlich bald als Götzenbilder. Auch versuchte Jerobeam, eine neue Festordnung für den Staatskult an den Heiligtümern einzuführen. Er besetzte ferner die Heiligtümer mit Priestern aus dem Volke, die keine Leviten waren, und verletzte damit das wahrscheinlich schon zu dieser Zeit bestehende Vorrecht der Leviten. Dies alles führte dazu, daß Jerobeam I. zum exemplarischen König des Abfalls von Jahwe geworden ist.

Nach Erfolgen der Assyrer gegen die Aramäer und der daraus folgenden Schwäche Syriens (Aram) erlebte das Nordreich unter Jerobeam II. noch einmal eine Blütezeit. So gelang es, den territorialen Bestand des Nordreiches wieder herzustellen. Israel war nun nach außen befriedet und es entwickelte sich im Innern ein beachtliches Maß an Wohlstand. Dies förderte allerdings auch die weitere Aufteilung des Volkes in Arm und Reich, Großgrundbesitzer und landarme oder landlose Bauern. Korruption in Verwaltung und Rechtsprechung kam hinzu. Dies trifft auf die Kritik des Propheten Amos.

 

Der syrisch-ephraimitische Krieg:

Im Jahre 738 griff Tiglatpileser III. zum ersten Male nach Mittelsyrien über, zerschlug dort eine antiassyrische Koalition syrischer Fürsten und gliederte große Teile des Aramäerstaates von Ha­math an. Auch Menachem von Samaria und Rezin von Damaskus liefern Tribute ab. Im Jahre 734 war Tiglathpilesar III. wieder in Palästina. Aber danach wurde Ahas von Juda durch Rezin von Damaskus und Peckach von Israel zu einer antiassyrischen Koalition gedrängt, es kommt zum syrisch-ephraimiti­schen Krieg: Da Ahas sich weigerte, der Koalition beizutreten, entschlossen sich Israel und Aram, Juda militärisch zur Koalition zu zwingen. Sie zogen gegen Jerusalem, um König Ahas zu stürzen und einen ihnen gefügigen Aramäer einzusetzen.

In dieser Lage schwerster Bedrängnis entschied sich Ahas (gegen des Rat Jesajas) Tiglat­pileser um Hilfe zu rufen. Er sandte Tribute an ihn. Tiglatpileser kam und belagerte Damaskus und Samaria. Noch bevor die Belagerung Jerusalems begonnen wurde, kam die Nachricht vom Eingreifen Tiglatpilesers und die Truppen von Israel und Aram mußten nach Hause eilen. Die Judäer stießen sofort nach und eroberten ein Stück ephraimitischen Territoriums. Damaskus hielt sich noch bis 732, doch bereits 733 erschien Tiglatpileser in Israel, annektierte Galiläa und Gilead und verwandelte diese Gebiete in assyrische Provinzen.

Die eigentlichen Kriegshandlungen müssen sich zwischen 735 (Thronbesteigung Pekachs) und 732 (Fall von Damaskus) abgespielt haben. Der Aufmarsch der Truppen Israels und Arams kann dann erst nach dem Abzug Tiglatpilesers (wohl im Som­mer 734) begonnen haben. Es ist davon auszugehen, daß der syrisch-ephraimiti­sche Feldzug erst 733 (kurz vor dem Angriff auf Damaskus) geschah, und die Koalition schon innerhalb weniger Wochen zusam­men­brach.

Israel beschränkte sich nun auf den Rumpfstaat Ephraim. Die städtische Oberschicht der eroberten Gebiete wurde verschleppt, eine neue, fremde Oberschicht wurde angesiedelt. Nach kurzer Zeit fiel Pekach einer assurfreundlichen Verschwörung zum Opfer. Der Usurpator Hosea ben Ela wurde von Tiglatpileser bestätigt und als Va­sallen­fürst (zweite Vasallenstufe) eingesetzt. Auch Juda war jetzt Vasall Assurs (erste Vasallenstufe).

 

Der Untergang des Nordreiches:

Nach Menachems Tod wird dessen Sohn Pekachja zum König, wird aber nach zwei Jahren von dem Offizier Peckach gestürzt. Nach der ersten Eroberung Samarias revoltiert Hosea gegen Peckach. Im Jahre 724 stellte Hosea von Ephraim die Tributzahlungen an Assur ein und begann diplomatische Kontakte mit Ägypten aufzunehmen. Das war sehr ungeschickt, denn nach seinem Regierungsantritt 727 hatte der Nachfolger Tiglatpilesers, Salmanassar V. seine Macht gefestigt. Salmanassar griff sofort ein: Hosea wurde gefangengenommen, Samaria nach dreijähriger Belagerung gestürmt. Mit Hosea endet das Nordreich im Jahre 722.

Der Rumpfstaat Ephraim wurde zur assyrischen Provinz Samarien gemacht (daher Samaria als Landschaftsname). Die Oberschicht wurde nach Mesopotamien und Medien verschleppt, eine neue Oberschicht aus Babylon und Mittelsyrien wurde angesiedelt. Restbevölkerung und neue Oberschicht begannen sich ethisch, kulturell und religiös miteinander zu vermischen. Deshalb galten die Israeliten im Norden den Judäern nicht mehr als Teil des Gottesvolkes. Bis ins Neue Testament ist die Ablehnung der Menschen im Norden zu spüren, besonders die Verachtung für die Samaritaner (Samariter).

 

 

Theologie des Alten Testaments

Die Entwicklung des Gottesglaubens im Alten Testament:

Bei der Entwicklung des Glaubens im Alten Testament geht es nicht um eine Entwicklung vom Primitiven zu höheren geistigen Formen, sondern um eine Entfaltung: Es mußte erst nach und nach erkannt werde, wer Gott wirklich ist.

  • Zeit vor Mose: Der Glaube an den Gott Jahwe beginnt erst mit Mose, aber der Glaube der vorhergehenden Zeit wird nicht einfach aufgegeben (Väter­geschich­ten)
  • Bundesschluß am Sinai: Der Glaube an Jahwe reißt Begriffe aus anderen Religionen und Bereiche des Lebens an sich, damit er sie nicht anderen Göttern überlassen muß. Aber er formt diese Vorstellungen auch um und wehrt dabei Fremdes ab.
  • Kanaanäische Zeit: Es kommt zu einer Bereicherung durch die einheimische Religion und die Entwicklung des Glaubens an Jahwe wird vorangetrieben. Der seßhafte Bauer wollte ja Fruchtbarkeit für seine Felder. Die Alteingesessenen behaupteten, dafür könnten nur ihre Götter sorgen. So kam es zur Klärung und Ausweitung: Jahwe ist auch der Geber der Gaben des Feldes. Aber er ist nicht ein sterbender und auferstehender Gott wie der kanaanäische Gott Baal, sondern er gibt aus freiem Willen die Früchte. Neben die Geschichte tritt nun auch der Ackerbau. Die örtlichen Heiligtümer werden übernommen und die Gottheit wird als dort wohnend vorgestellt.
  • Verbannung: Erneute Auseinandersetzung und Weiterentwicklung.

 

Durch die Auseinandersetzungen und neue Nöte entfaltet sich der Jahweglaube immer mehr:

1. Geschichtsgott, der einen Bund gewährt

2. Jahwe als Kriegsmann

3. Gott mit Beziehung zum Individuum

4. Gott als Herr der Natur

5. Welten und Völkergott.

 

Dabei wird das „Zeugnis Israels von Jahwe“ (Gerhard von Rad) angereichert durch viel Ge­schichtsstoff. Der Glaube ist in besonderer Weise mit der Geschichte verbunden. Dadurch wird das Zeugnis erläutert und in die Praxis der Welt umgesetzt. So werden die Erzählungen zu Glaubenszeugnissen der Heilsgeschichte, und sie fordern Entscheidung und wollen Glauben wecken.

 

Vor Mose gab es keine Jahweverehrung, sondern nur den „Gott der Väter“ und den „Gott El“. Dabei wurden die unterschiedlichen Götter der „Erzväter“ (Der Starke Jakobs, Schreck, Schild Abrahams) mit der Zeit zu einer Gottheit vereinigt. Es waren also Stammesgötter, die die Nomaden auf ihrem Weg führten und deshalb nicht ortsgebunden waren, aber dennoch Geborgenheit gaben. Deshalb kann die Gottheit auch überraschend erscheinen und sich offenbaren. Erst durch die Erscheinung wurde ein bestimmter Ort heilig. Inhalt der Offenbarung ist vor allem die Verheißung von Nachkommenschaft und Landbesitz. Aber es werden auch Vertrauen und Gehorsam erwartet.

Jede wandernde Gruppe hatte also einen mit ihr wandernden Gott. Nur zu ihm hatte sie ein ausschließliches Verhältnis. Aber er war nicht der einzige Gott und er war nicht weltweit (sogenannte „Monolatrie“ und noch nicht Monotheismus). Aber Israel wird Jahwes Volk durch die Erwählung in einem geschichtlichen Akt. Es wurde nicht erwählt wegen seiner Größe, sondern Jahwe hat es aus eigenem Antrieb heraus erwählt.

Es gab aber auch die Verehrung des Gottes „El“. Nicht alle Stämme des späteren Volkes Israels waren ja in Ägypten und am Sinai. Einige hatte sich in Kanaan der Verehrung Els angeschlossen. El war so etwas wie der höchste Gott, der aber seine Ausformung an vielen Heiligtümern erfuhr. Er war nicht so aktiv wie Baal, der jedes Jahr für das Wachsen auf den Feldern sorgen sollte. Die Jahwereligion hat dann wesentliche Züge aus dem Vätergottglauben und der El­-Verehrung übernommen, soweit sie mit dem Jahweglauben vereinbar waren. Jahwe war zunächst nur ein Geschichtsgott, jetzt wurde er auch als Schöpfergott gesehen.

Die anderen altorientalischen Religionen waren vorwiegend Naturreligionen. Es gab keine Scheidung in Göttergestalten, alle Götter vertrugen sich miteinander und hatten die gleiche Daseinsberechtigung. Der Gott Israels dagegen war eine scharf zu trennende ganz persönliche Gott­heit, die sich in der Geschichte offenbart und einen Zweck verfolgt, nämlich die Rettung Israels und schließlich der ganzen Welt. Die Entwicklung ging also hin zum Monotheismus. Jahwe ist nicht eine blinde Naturmacht, sondern er hat einen bewußt handelnden Willen. Durch den Bund mit seinem Volk fühlte sich Israel immer behütet. Aber die Welt lockte halt auch. Dennoch sollte Israel in jeder weltliche Entscheidung nach Gott fragen.

 

Jahwe hat nicht nur einmal eingegriffen, sondern einen dauernden Bund mit dem Volk Israel geschlossen. Ein Bund beschrieb damals immer das Verhältnis eines Mächtigen zu einem weniger Mächtigeren. Der Antrieb konnte zwar von dem Schwächeren ausgehen, aber der Bund wurde von dem Stärkeren gewährt, der sich auch allein damit gebunden hat. Aber der Bund war unauflöslich.

Wie ein Bundesschluß damals aussah, ist erwähnt in 1. Mose 15, Verse 9 - 10 und 17- 18 und Jeremia 134, 18-19: Zwei Tierhälften wurden aufgehängt und die Menschen, mit denen der Bund geschlossen wurde, gingen zwischen ihnen hindurch.

Im Sinaibund besiegelt das Mahl den Bund. Aber Israel verpflichtet sich zunächst nicht, bestimmte Gesetze einzuhalten. Erst später wurden immer mehr Gesetze mit dem Bundesschluß am Sinai verbunden. Aber in den Zehn Geboten stehen auch Bund („Ich bin der Herr, dein Gott,… ) und Gesetz („Du sollst nicht…“) nebeneinander. Aber es geht nicht um einen zweiseitigen Vertrag, bei dem man erst die Bedingungen aushandelt und dann den Bund schließt. Dieser Bund ist allein die Gabe Gottes. Der Gehorsam wird schon erwartet als Gegenleistung, aber er ist Folge und nicht Voraussetzung.

Jahwe ist nicht an Israel gebunden, er kann den Bund auch wieder auflösen. Deshalb haben die Propheten nach der Kündigung durch die Menschen kommende Katastrophen als Strafe angekündigt.

Der Name „Jahwe“ ist ein echter Eigenname, während „El“ eine mehr allgemeine Gottes­bezeichnung ist. Er wurde auch von anderen Wüstenstämmen verehrt. Mose hat den Glauben an ihn wohl von den Kenitern übernommen. Aber jetzt wurde er Israels einziger Gott, der in einer geschichtlichen Tat am Meer sich gezeigt hat. Er ist nicht eine Naturkraft, die man sich dann als Person vorstellte, und er ist nicht an einen Verehrerkreis gebunden.

Die Bundeslade war in der Wüstenzeit das Wander- und Kriegsheiligtum der wandernden Stämme, war aber auch in Kanaan das zentrale Kultobjekt. Sie hatte Kastenform und wurde deshalb als Thron des unsichtbar auf ihr thronenden Gottes gedeutet, aber später auch als Behälter für die Tafeln der Zehn Gebote.

Das heilige Zelt wurde außerhalb des Lagers aufgestellt, um Gott dort befragen zu können und Mitteilungen zur inneren Haltung des Volkes zu empfangen. Erst in der Priesterschrift wurde es auch Behausung für die Lade.

Der Jahweglaube kam mit den Josephstämmen nach Kanaan. Deren Glauben treten in Sichem die anderen Stämme bei („Landtag zu Sichem“, Josua 24). Jetzt wurden Sinaibund und Sichem­bund immer mehr kombiniert.

In Kanaan entwickelte sich der Glaube dann weiter: Die Landnahme war nicht eine einheitliche Aktion, wie es das Buch Josua darstellt, sondern ein jahrhundertelanger friedlicher Prozeß, bei dem die Wüstenstämme zum Weidewechsel ins Kulturland kamen und nicht wieder zurück konnten, weil im Süden inzwischen andere Stämme nachgerückt waren. So wanderten die Josephsstämme (Ephraim und Manasse) so um das 13. Jahr­hundert ein, die Lea-Stämme im 14. Jahrhundert. Die Stämme waren aber räumlich getrennt und schlossen sich nur bei Kriegsgefahr unter einem begnadeten Führer („Richter“) zu einer Einheit zusammen.

Martin Noth spricht von einem „System der zwölf Stämme“ und sieht dessen Vorbild in den Amphiktyonien in Griechenland, bei dem sich ein sakraler Verband um ein Heiligtum schart und jeden Monat ein anderer Stamm das Heiligtum betreut. Diese Einheit ist jedoch erst geschichtlich geworden und nicht durch Verwandtschaft bedingt (wie es 1. Mose darstellt). Vorstufe war ein Sechserbund aus Ruben, Simeon, Levi, Juda, Issaschar und Sebulon. Es kamen aber dann Stämme dazu, die nicht in Ägypten waren und die Wüste und den Sinai nicht erlebt hatten und deshalb anfällig waren für den Abfall von Jahwe.

Zum universalen Gott wurde Jahwe erst im Laufe einer langen Entwicklung. Für Israel war das aber mehr eine theoretische Frage. Wichtig blieb nur die Glaubensaussage: Gott ist nicht innerweltlich, man darf aber alles von ihm erwarten, die Frage ist nur, ob man es auch wirklich tut und an ihn glaubt.

 

 

Geschichte Judas von Hiskia bis zum Untergang Jerusalems

Nach dem Tode Sargons sah König Hiskia den Zeitpunkt für einen Aufstand gekommen und suchte Koalitionspartner für eine Revolte gegen Sanherib. Hiskia wurde führender Geist einer Koalition von Juda, Askelon, Ekron, Sidon, vielleicht auch Byblos, Ammon, Moab und Edom. Im Jahre 705/4 stellten diese Staaten gemeinsam die Tribute ein und bemühten sich um ägyptische Unterstützung. Der Prophet Jesaja rät in dieser Zeit eindringlich zur Neutralität, doch er findet kein Gehör.

Sanherib war zunächst in anderen Teilen seines Reiches beschäftigt. Erst im Jahre 701 kommt er mit riesigem Heer nach Palästina, erobert zunächst Askalon. Bei der Eroberung Ekrons erscheint eine ägyptische Hilfstruppe, die jedoch von den Assyrern vernichtend geschlagen wird. Ekron und die Städte Judas werden erobert. Jerusalem wird belagert. Hiskia unterwirft sich Sanherib und zahlt hohe Tribute. Das Land Juda wurde vom Stadtstaat Jerusalem abgetrennt und assurtreuen Philister­fürsten unterstellt. Hiskia war nun auf den Stadtstaat Jerusalem beschränkt und in das zweite Stadium der Vasallität versetzt. Allerdings wurde die Oberhoheit über Juda spätestens während der Regierungszeit Manasses zurückgewonnen, da Assur den Staat Juda als nicht zu schwachen Pufferstaat gegen Ägypten einsetzen wollte.

Unter Manasse und Amon wurde ein assurfreundlicher Kurs beibehalten. Vielleicht spiegelt der Bericht 2. Chr 33,10-20, nachdem Manasse in Ketten nach Babylon gebracht worden sei, eine Reise Manasses nach Babylon, wo er sich - wohl erfolgreich - zu verantworten hatte. Amon schließlich ist nach kurzer Regierung einer Palastrevolte zum Opfer gefallen, nach deren Ende der judäische Landadel den achtjährigen Josia zum König machte.

 

Josia und seine Kultreform (639-609) (2. Kön 22-23):

Die Quellenlage zu diesem Abschnitt israelitischen Geschichte ist problematisch, da lediglich der Bericht 2. Kön 22-24 vorhanden ist, Josia aber darin vielleicht nach den Maßstäben des Deuteronomisten zum idealen König gestaltet worden ist.

Nach dem Tode Assurbanipals im Jahre 630 zerbrach das neuassyrische Großreich relativ rasch. Die Stadt Ninive wurde im Jahr 612 von den Babyloniern erobert. So ergaben sich für die palästinischen Kleinstaaten wieder mehr Bewegungsfreiheit und auch die Möglichkeit für die religiöse und politische Reform Josias.

Sie wurde ausgelöst durch den Fund eines Gesetzbuches bei Renovierungsarbeiten im Tempel. Es spricht vieles dafür, daß es sich hierbei um eine Urform des Deuteronomiums gehandelt hat.

- Die Formel „von ganzem Herzen und von ganzer Seele“ ist ein Zitat aus 5. Mose 6,5.

- Josia ordnete ein Passafest an, wie es 5. Mose 16,1 -17 beschrieben ist (in Jerusalem statt in

  der Familie).

- Die Nichtbefolgung der Bestimmungen des aufgefundenen Buches wird unter Drohungen  

  und Flüche wie im 5. Mosebuch gestellt.

- Das Buch wird als heiliges Buch behandelt. Es ist unwahrscheinlich, daß ein solches Buch

  später wieder verlorengeht. Im Alten Testament kommt aber nur das 5. Mosebuch in Frage.

- Es gibt Entsprechungen zwischen den Hauptmaßnahmen Josias und den Bestimmungen des

  5. Mosebuchs: Kultzentralisation, Beseitigung des Verehrung der Gestirne, der Kinderopfer.

  der Totenbeschwörung, der Kultprostitution, der auswärtigen Heiligtümer, der Götterbilder.

 

Daß das 5. Mosebuch lediglich zur Rechtfertigung der Kultreform des Josia verfaßt wurde, ist unwahrscheinlich, da es auch Differenzen zwischen seinen Bestimmungen und Josias Reformprozeß gibt: Gegen die Bestimmungen von 5. Mose 18,1-8 wurden die nach der Abschaffung der Landheiligtümer nun arbeitslosen Leviten nicht zum priesterlichen Dienst am Tempel in Jerusalem zugelassen. Vielleicht wurden sie aber bereits schon zu dieser Zeit (wie in der Zeit nach der Gefangenschaft) zu Tempeldienern. Auch das Königsbild des 5. Mosebuchs entspricht nicht dem Josias.

Nach der Auffindung des Buches versicherte sich Josia der prophetischen Zustimmung der Prophetin Hulda. Josia berief eine Versammlung im Tempel ein, verlas das Bundesbuch und erklärte in einer feierlichen Bundesschlußzeremonie die verpflichtende Geltung seiner Gesetze (2. Kön 23). Sodann machte er sich an die Ausführung seiner Reform:

- Im Jerusalemer Tempelbezirk wurden alle assyrischen Kultgegenstände entfernt und

  verbrannt.

- Im Stadtgebiet von Jerusalem und auf dem Gebiet des Stadtstaates Jerusalem und im ganzen

  Gebiet Judas wurden alle kanaanäischen Kultstätten und die neueren assyrischen Kultstätten

  zerstört.

- Die Priesterschaft der judäischen Heiligtümer wurde nach Jerusalem gebracht, jedoch nicht

  zum priesterlichen Tempeldienst zugelassen.

- Josia zerstörte und entweihte das einst von Jerobeam I. errichtete Reichsheiligtum von

  Bethel, zerstörte ferner die Höhenheiligtümer der Provinz Samaria und rottete ihre Priester-

  schaft aus.

 

Die Reform Josias umfaßte damit zunächst rein kultpolitische Maßnahmen mit dem Ziel der Kultreinheit und Kultzentralisation. Aber Josia war gezwungen, beim Wiederaufbau seines Heerwesens auf die alte Ordnung des Heerbannes zurückzugreifen, also auf das Aufgebot der freien Bauern. Dadurch wurden auch glaubensmäßig die alten Kräfte mobilisiert.

Doch läßt sich diese Kultpolitik nur im Rahmen einer antiassyrischen Unabhängigkeitspolitik verstehen, wie sie nach dem Untergang des assyrischen Reiches möglich war. Sie hatte nicht nur innenpolitische Ziele, sondern war - wie der Übergriff auf die Provinz Samaria zeigt - auf Ausdehnung ausgerichtet. Mit dem Übergriff auf das Gebiet des ehemaligen Nordreiches könnte Josia eine Wiederaufrichtung des einstigen davidisch-salomonischen Großreiches beabsichtigt haben.

Doch Josia konnte sein Ziel nicht erreichen. Im Jahre 609 zog der ägyptische Pharao Necho II. nach Syrien, um die assurfreundliche Politik seines Vaters Psammetich I. fortzusetzen, die letzten Assyrer als Puffer gegen Babylon und Medien zu stärken und die eigene Vorherrschaft über Palästina zu sichern. Josia stellt sich ihm bei Megiddo in den Weg, wurde aber von Necho umgebracht, noch ehe es zur Schlacht kam.

Juda war nun Vasallenstaat Ägyptens, mußte gewaltige Tribute abliefern und wurde auf die Grenzen der Zeit vor Josia beschränkt. Nach der Schlacht bei Karkemisch im Jahre 605 ging die Oberhoheit über Palästina von den Ägyptern auf die Babylonier über, Jojakim wurde nun babylonischer Vasall.

Im Jahre 598 setzten die Babylonier ihr Heer in Marsch und begannen Jerusalem zu belagern. König Jojakim starb während der Belagerung. Sein Sohn Jojachin öffnete nach dreimonatiger Regentschaft die Stadt, um einen Sturmangriff der Babylonier zu verhindern (598 / 597). Die Babylonier plünderten den Tempel und die Stadt, die Kostbarkeiten kamen nach Babylon. Jojachin und die Oberschicht (Adel, Priesterschaft. Handwerker, Harem) wurden nach Babylonien deportiert (etwa 10.000 Personen), darunter auch der Prophet Hesekiel (erste Wegführung).

In Babylonien wurden sie in eigenen Kolonien angesiedelt. Jeremia rief die Verschleppten dazu auf, sich auf eine längere Gefangenschaft einzustellen (Jer 29). Jojachin wurde mit seinem Hofstaat nach Babylon gebracht und genoß dort den Stand eines Staatsgefangenen. Im Jahre 562 wurde er wohl begnadigt und an die Tafel des Großkönigs von Babylon berufen. Nach all dem war Juda und Jerusalem im zweiten Stadium der Vasallität. Vielleicht wurde bereits zu dieser Zeit das Gebiet Judas auf den Umfang reduziert, den es auch später in der Perserzeit hatte.

Nebukadnezar setzte Mattanja auf den Thron, einen weiteren Sohn Josias und änderte seinen Namen in Zedekia. Zedekia fand zu keiner Zeit Anerkennung bei der Bevölkerung Jerusalems und Judas. Auch Jeremia, der in den letzten Jahren gera­dezu ein geheimer Ratgeber Zedekias war, fällte mehrmals schlechte Urteile über diesen. Im Jerusalemer Tempel wurde babylonische Gottheiten verehrt, als hätte es Josias Reform des nicht gegeben. Die Stimmung im Lande ging wohl dahin, daß man annahm, daß Jahwe mit den Verschleppten das Land verlassen habe.

Nebukadnezar ging persönlich gegen Jerusalem vor und stürmte die Stadt nach anderthalbjähriger Belagerung im Jahre 587 / 586. Zedekia vermochte zunächst zu fliehen, wurde aber bei Jericho gefangengenommen. Er mußte ansehen, wie seine Söhne und der Hofstaat niedergemetzelt wurden, wurde selbst geblendet und in Ketten nach Babylon gebracht. Nach einem Monat wurde Jerusalem noch einmal geplündert und dann total zerstört. Der Tempel und darin die Lade verbrannten. Die restliche städtische Oberschicht wurde ebenfalls nach Babylonien gebracht, vielleicht etwa 1.500 Personen aus Juda und Jerusalem (zweite Wegführung).

 

 

Die babylonische Gefangenschaft ( Diaspora)

Die in Juda Zurückgebliebenen hielten auch an der Jahweverehrung fest, auch wenn sie keinen Tempel mehr hatten. Aber das Hauptgeschehen lief über die Verschleppten. Die Oberschicht Judas wurde in die Gefangenschaft geführt, und  in der Nähe der Hauptstadt angesiedelt, damit sie besser überwacht werden konnten. Sie fügten sich durchaus der neuen Umgebung ein, konnten arbeiten und Reichtum erwerben. Die Verschleppten lebten als mehr oder weniger geschlossene Gruppe in mehreren Kolonien in Babylon selbst (so Jojachin und der Hofstaat) und in Tel Aviv am Fluß Kebar am unteren Euphrat und Tigris und anderen, nicht zu lokalisierenden Siedlungen.

Sie waren keine Gefangenen im üblichen Sinn. Sie lebten zwar als zwangsumgesiedelte Un­ter­­­tanenbevölkerung, hatten aber eine ziemliche Bewegungsfreiheit. Sie konnten Häuser bauen, Pflanzungen anlegen, Handel treiben und sich selbst verwalten unter Leitung der Ältesten. Auch blieben sie nach Familien organisiert. Selbst Sklavenhandel war ihnen gestattet. Sie hatten eigene Bankhäuser. Viele blieben nachher freiwillig im neuen Land.

Doch scheint die geschlossene Ansiedlung dazu beigetragen zu haben, daß die Verschleppten nicht mit der alteingesessenen Bevölkerung verschmolzen. Auch der anfangs gefangene König Jojachin wurde 562 begnadigt (In Babylon galt Jojachin immer als König, obwohl faktisch in Jerusalem Zedekia regierte. So zählten die Gefangenen die Jahre nach dem Datum der Verschleppung Jojachins).

Nichtsdestoweniger führte das Exil in eine geistige und religiöse Krise. Nach Jer 41,5 war in Palästina noch ein gewisser Kultbetrieb möglich. Dies war für die Verschleppten in Babylonien unmöglich, weil dort unreines Land. Außerdem bedeutete nach alter Auffassung das Fernsein vom Heiligen Land das Fernsein von Gott und seinem Heil. Die Frage kam auf: Kann man auch im unreinen Land noch den gewohnten Gottesdienst ausüben?

Auf diese Situation nimmt das Lied „By the Rivers of Babylon“ der deutschen Disco-Gruppe „Boney M.“ aus dem Jahre 1978 Bezug. Der Titel gehörte lange Zeit zu den meistverkauften Produktionen der deutschen Musikindustrie. Grundlage ist der Psalm 137, ein Klagelied, das nach der Eroberung Jerusalems durch den babylonischen König Nebukadnezar im Jahr 586 vCh der Sehnsucht der Juden in der Gefangenschaft einen Ausdruck verleiht. Die Flüsse Babylons sind der Euphrat und seine Nebenflüsse sowie der Fluß Kebar (Chabur). Im Ganzen gesehen spiegelt Psalm 137 sowohl die Sehnsucht nach Jerusalem, nach der Verschleppung, aber auch den Haß auf die Babylonier, mit manchmal sehr gewalttätigen Bildern und Metaphorik.

 

 

By the rivers of Babylon, there we sat down

Ye-eah we wept, when we remembered Zion.

An den Strömen von Babel setzten wir uns nieder, ja, wir weinten, wenn wir an den Zion dachten

When the wicked

Carried us away in captivity

Required from us a song.      

Now how shall we sing the lord's song

in a strange land?

Als die Feinde uns als Gefangene verschleppten verlangten sie von uns Lieder.

Aber wie sollten wir die Lieder des Herrn singen in einem fremden Land?

Let the words of my mouth,

and the meditation of my heart,

be acceptable in thy sight,

O Lord, my strength, and my redeemer

Die Worte meines Mundes mögen dir gefallen; was ich im Herzen erwäge, stehe dir vor Augen,

Herr, mein Fels und mein Erlöser

 

Nun erhielten Beschneidung, Feiertag („Sabbat“) und das Reinheitsgesetz mehr Bedeutung. Es wurde der Gottesdienst in der Synagoge eingerichtet. Es gab auch weiterhin Propheten wie Hesekiel und den zweiten Jesaja (Jes 40-55). Sie sind die wichtigste Quelle über die Verhältnisse der Gemeinde in der Gefangenschaft.

Nicht zuletzt der prophetischen Verkündigung ist es zu verdanken, daß diese Krise statt zum Verfall zu einer Erneuerung führte. Die Verkündigung von Jahwes Heil im Gericht der Verschleppung (von den Propheten zuvor als solches angekündigt) half dieser Erneuerung nach. So wurde theologisch gefolgert: Die Verschleppung ist ein Gericht, durch dessen Läuterung hindurch die Verschleppten gehen müssen, bevor sie das neue Heil erlangen. Aber daraus läßt sich dann auch  schließen, daß nur sie allein jenseits des Gerichts das geläuterte und neue Israel darstellen. Wie die Zeit Esras und Nehemias zeigt, ist diese Folgerung tatsächlich gemacht worden.

Mehr noch als für die Daheimgebliebenen wurden neue Gottesdienstformen zu einer Notwendigkeit, von der der Fortbestand von Israels Religion abhing, denn was ist eine Religion ohne Gottesdienst? Hier entwickelten sich wohl Formen des Wortgottesdienstes. Die genaue Beachtung der Beschneidung und die Einhaltung des Sabbats. Sie waren nicht an das Heilige Land gebunden wie der Opferkult und wurden seit der Gefangenschaft immer mehr zum Unterscheidungszeichen und zum Bekenntnis der Zugehörigkeit zu Jahwe.

Erst in den Jahren 529 bis 522 kam es unter Kambyses und Darius zu einer Rückführung im großen Stil. Im Jahre 515 wurde der neue Tempel in Jerusalem fertig. Die Hoff­nung auf die Wiedererrichtung des Reiches Davids kam auf.

 

Von Kyros bis zur Errichtung des zweiten Tempels

Auf Erlaubnis von Kyros I. erfolgte bereits 538 die Herausgabe der Tempelgeräte und der Wiederaufbau des Tempels unter Aufsicht der königlichen Kommissars Schesch­bazzar. Mit diesem Judäer kam wohl auch ein eher kleiner Troß von Verschleppten zurück nach Jerusalem. Scheschbazzar ist es wohl nicht gelungen, mit dem Tempelbau zu beginnen.

Die Heimkehr einer wirklich nennenswerten Gruppe aus der Gefangenschaft erfolgte wohl erst in den zwanziger Jahren unter Kambyses oder gar Dareios I. Die Erlaubnis wird stillschweigend gewesen sein und sich in mehreren Schüben vollzogen haben. Gewiß hielt sich auch die Rückkehrbegeisterung in Grenzen. Damit die durch die Rückkehr entstandene konfliktreiche Situation unter Kontrolle blieb, ernannte entweder Kambyses oder Dareios I. den Davidsnachkommen Serubabel zum Rückführungsbeauftragten mit königlichen Vollmachten. Zusammen mit Serubabel kam eine große Gruppe von Verschleppten zurück nach Jerusalem und Juda. Die Rückkehrer verfügten über einen bemerkenswerten Wohlstand.

 

Die Zeit um 520 war geprägt von hohen endzeitlichen Erwartungen (Haggai, Sacharja). Sie waren vielleicht dadurch verstärkt worden, daß Kambyses kinderlos starb und Aufstände und Thronwirren hinterließ. Es dauerte ein ganzes Jahr, bevor Darius I. der Herr der Lage war und den Emporkömmling Gaumata beseitigt hatte. Um dieselbe Zeit waren in Palästina die Rückwanderer aus Babylon eingetroffen, die mit den Wirren stärker in Berührung gekommen waren

In dieser Stimmung wurde in Jerusalem der Tempelbau durch die Propheten Haggai und Sacharja gefordert, die vom Tempelbau den Anbruch der Heilszeit abhängig machten. Tatsächlich kam es auch unter Serubabel und dem Hohepriester Josua zum Wiederaufbau des Tempels. Im Jahre 520 wurde der Grundstein gelegt, im Jahre 515 kam es zum Abschluß des Baus als allein sichtbares Ergebnis der Hoffnungen. Gegen den Tempelbau versuchte die Oberschicht Samarias Widerstand zu leisten, da sie wohl kein weiteres kulturelles Zentrum in der Provinz Samaria zulassen wollte, sofern sie darüber keine Kontrolle hätte.

Der Tempel wurde jedoch zum Mittelpunkt einer sich festigenden Religionsgemeinschaft: Die rein religiös geprägte Herrschaftsform („Theokratie“) der jüdischen Gemeinde festigte sich zusehends. Nur der Tempel mit der zadokidischen Priesterschaft war von allen Heiligtümern übriggeblieben, die Stellung dieser Priesterschaft wurde immer herausragender. Das Amt des Hohepriesters schloß im Kult die Lücke des fehlenden Königtums (zum Zeichen dafür erhielt der Hohepriester die königlichen Würdezeichen). Als staatlicher Schutzherr trat der persische König auf.

Die endzeitliche Naherwartung führte Sacharja ferner dazu, Serubabel als Messias auszurufen und für ihn eine Krone anzufertigen. Neben ihm tritt als weiterer Auserwählter der bevorstehenden Heilszeit der (zadokidische) Priester Josua auf. Die hochgespannten endzeitlichen Erwartungen wurden enttäuscht; die alttestamentliche Überlieferung schweigt sich über den Fortgang der Ereignisse um Serubabel und Josua aus. Deutlich wird die Enttäuschung schon im Abschnitt Sach 6,9-14, der an die echten Ereignisse angepaßt ist: Aus einer Krone werden zwei, sie werden im Tempel niedergelegt, nur eine wird vom Hohepriester Josua benutzt.

 

 

Deuteronomistisches Geschichtswerk (Dtrnm.GW.):

Zunächst sah man in den Büchern 5. Mose (oder Josua) bis Ende 2. Könige entsprechend zum Pentateuch zwei bis drei durchlaufende Erzählquellen. Dagegen ent­wickelte Martin Noth im Jahre 1943 die These, daß diese Bücher als Sammlung zunächst unabhängiger Einzelerzähltraditionen ein planvoll gestaltetes Geschichtswerk darstellen, das von der Theologie des Deuteronomiums (5. Mosebuch) beeinflußt ist; es wurde das „Deuteronomistisches Geschichtswerk“ genannt.

• Es besteht ein fortlaufender Erzählzusammenhang von 5. Mose bis Könige, der zeitlich geordnet ist.

•. Es gibt zahlreiche Querverbindungen zwischen den einzelnen Erzähleinheiten (zum Beispiel Fluch über Jericho Jos 6,26 und 1. Kön 16,34 sowie „Das Böse in den Augen Jahwes“ in Richter und Könige). Diese Querverbindungen und die literarische Einheitlichkeit des Werkes entstammen nicht den Erzähltraditionen selbst, sondern einer nach­träglichen Bearbeitung. Erzählstoffe wurden also unter einer übergeordneten Absicht ausgewählt (Verweise auf andere Quellen!) und zusammengestellt.

• Es gibt eine Nähe zum Wortschatz und Wendungen von 5. Mose und zum Stil der Ermahnungen und Geschichtsbetrachtung des 5.Mosebuchs. An her­vorragenden Stellen wie den zurück- und vorausblickenden Zusammenfassungen (Jos 12 und Ri.2,11-23 und 2. Kön.17, 7-22) und den Reden führender Persönlichkeiten (Jos.1,12-18 und Jos 23 und 1. Sam.12 und 1. Kön. 8,14-66) wird die deuteronomistische Geschichtskonzeption deutlich.

 

Man kann drei Überarbeitungen („Redaktionen“) annehmen: Die Grundschrift des eigentlichen deuteronomistischen Geschichtsschreibers (DtrG) wurde geschrieben nach der Begnadigung Jojachins. Dazu kam eine prophetische Redaktion (DtrP), die prophetische Texte einträgt (Ankündigung des Untergangs des Königtums) und eine gesetzliche (nomistische) Redaktion (DtrN), die in nomistischen Stil noch weitere Zusätze macht und vor allem die königskritischen Anteile einfügt. Die Grundabsicht, die Verurteilung fremder Götter und der Kultus außerhalb von Jerusalem, geht bereits auf die Grundschrift zurück. Da die Unterschiede zwischen den einzelnen Redaktionen nur in Einzelheiten liegen, dürfte eher von einer deuteronomistischen Schule zu sprechen sein. Spätere Ergänzungen (zum Beispiel Psalm der Hanna) sind anzunehmen. Vielleicht entstanden wesentliche Teile in Mizpa. da an verschiedenen Stellen dieser in der Zeit nach der Gefangenschaft bedeutsame Ort aufgewertet wird.

 

Die theologischen Absichten der drei Redaktionen :

1. Grundschrift des deuteronomistischen Geschichtswerks (DtrG): Der Verfasser hat dem Werk die umfassende und ordnende geschichtsschreiberische Struktur gegeben. Für ihn steht die Berechtigung des Tempels in Jerusalem im Mittelpunkt. Verbunden mit dem Tempel sind die beiden Familien Davids und Zadoks. Die Lade-Erzählungen rechtfertigen den Tempel (nach der Aufstellung im Tempel wird nichts mehr von der Lade berichtet). Die Mittlerrolle der Lade ist aber nun auf ihre Träger, die Leviten, übergegangen. In diesen Einrichtungen ist die grundlegende Heilsgabe Jahwes für sein Volk gegeben.

Die Frage lautet: Welche Bedeutung haben diese Einrichtungen nach dem Untergang Judas? Das Tempelweihegebet eröffnet hier die Möglichkeit, Jahwes Gegenwart auch außerhalb Jerusalems durch das nach Jerusalem gewandte Gebet zu erfahren. Der Fortbestand der Familien Davids und Zadoks auch nach der Verschleppung gibt Grund zur Hoffnung (Rehabilitierung Jojachins!). Die Gegenwart Jahwes bei seinem Volk ist gesichert durch Tempel und die Familien Davids und Zadoks und die Leviten. Dieser Redaktion wird in den Kreisen verschleppter Mitglieder des Jerusalemer Priestertums bzw. des Königshauses zu suchen sein.

 

2. Priesterschriftliche Überarbeitung des deuteronomistischen Geschichtswerks (DtrP): Der Verfasser betont das unwiderstehliche und Geschichte schaffende Wirken des Wortes Jahwes. Es wird auf verschiedene Weise zuteil, vornehmlich jedoch durch die Propheten. Die Propheten sind für ihn die wahren Knechte Jahwes (nicht die Könige oder die Priester), sie sind die alleinigen Wortvermittler und auch Fürbitter für Israel. In Anknüpfung an die chronikartige Struktur der Grundschrift wird jetzt das Schema von Ankündigung und Erfüllung zum ordnenden Element. Dieses Schema kann sehr weit gespannt sein (1. Kön.13,2 - 2. Kön.17,21-23) oder sehr kurz (2. Kön.1,6 - 1,17). Darin kommt zum Ausdruck, daß es Jahwes Herrschaft ist, die die Geschichte wahrhaft lenkt (Das Königtum ist daher ein Verstoß gegen die Herrschaft Jahwes). Die Gegenwart Jahwes bei seinem Volk ist gesichert durch das Wort Jahwes, vermittelt durch die Propheten. Dieser Redaktor ist Schüler und Systematiker des prophetischen Erbes, er wird Kreisen um und nach Jeremia zuzuordnen sein.

 

3. Gesetzliche Überarbeitung des deuteronomistischen Geschichtswerk (DtrN): Der Verfasser ist vor allem am Buch des Gesetzes Moses interessiert. Seine Forderung ist die Beachtung des mosaischen Gebotes. Er bietet deshalb eine Entstehungsgeschichte des Mosegesetzes im Rahmen des geschichtsschreiberischen Aufrisses der Grundschrift: Die Geschichte der Beachtung und Nichtbeachtung dieses Gesetzes und die sich daraus ergebenden Folgen sollen zur Beachtung des Gesetzes anregen. Die Propheten werden nun dem Gesetz untergeordnet: Mose wird zum Propheten schlechthin (5. Mose 18,15), die Propheten zu Mahnern, das Gesetz einzuhalten (2. Kön 17,13). Die Betonung der Weisheit und Gerechtigkeit des Gesetzes weist dieses auch vor anderen Völkern aus (5. Mose 4,6). Durch diesen Redaktor wird an vielen Stellen der ausdrückliche Hinweis auf Bestimmungen des mosaischen Gesetzes nachgetragen. Die Gegenwart Jahwes bei seinem Volk ist gesichert durch das Gesetz des Mose Die Einhaltung des Gesetzes wird damit zur Bedingung glückenden Lebens. Die Geschichte der Könige Israels wird zur Beispielgeschichte. Dieser Redaktor wird wohl zur Zeit der endgültigen Kodifizierung des Mosegesetzes in der Perserzeit gewirkt haben.

 

Gerhard von Rad sieht im deuteronomistischen Geschichtswerk die Israel-Bundes­tradition und die davon zunächst unabhängige David-Bundestradition zu einer beide Traditionen umfassenden Erwählungskonzeption verbunden (1. Kön 8). Jetzt ist der König dafür verantwortlich, daß das Gesetz des Mose in seinem Reich beachtet wird. Während in der Landnahme- und Richterzeit das Volk das Gegenüber zu Jahwe darstellt, wird ab der Königszeit der König zum Vertreter des Volkes. An seinem Verhalten entscheidet sich das Schicksal des ganzen Volkes. Weil aber das Herz der Könige nicht ganz mit Jahwe war, erfährt das ganze Volk Unheil.

Die Geschichte wird gesehen als ein dauernder Abfall Israels von Jahwe, der dann die Strafe Jahwes nach sich zieht. Fast alle Könige erhalten eine schlechte Beurteilung, nur Josia ist der Idealfall. Aber wenn Israel versagt, schickt Gott einen Retter, der Bund gilt noch. Doch Haupt­anliegen ist die Gottesverehrung nach den Vorschriften des 5. Mosebuches.

Der Untergang Israels und Judas wird als Folge des Ungehorsams gegenüber Jahwes Gesetz verstanden. Er ist der Schlußpunkt einer die ganze Geschichte immer wieder durchziehenden Folge von Heilstat Jahwes an seinem Volk (Landgabe, Retter, ewige Davidsfamilie, Tempel).

Das Volk wird ermahnt, die Gebote zu halten (Moserede; Josua in Sichem; Ermahnung an Salomo). Aber es kommt zum Ungehorsam des Volkes (Verehrung fremder Götter, Verlangen nach einem König, Verehrung der Stierbilder in Dan und Bethel, Kult an Höhenheiligtümern und andere kanaanäische Kultpraktiken: Vermischung mit Kanaanäern). Es kommt zu Gericht und Strafe Jahwes (Bedränger in der Richterzeit; Teilung des Reiches; Aramäer als Geisel des Nordreiches; Untergang Israels und Judas).

Jahwe wird so in Zorn und Gnade als der lebendige Herr der Geschichte bezeugt (Zimmerli). Auch wird so aus dem Gesichtswinkel der Zeit nach der Gefangenschaft diese geschichtliche Tatsache schonungslos verarbeitet, ohne allerdings an den grundsätzlichen Verheißungen für die Königszeit zu zweifeln. Es wird festgehalten: Jahwes Urteil in der Geschichte war gerecht. Damit wird zur Buße aufgerufen und es kann trotz der erfahrenen Not an Jahwe festgehalten und für die Zukunft neu auf ihn gehofft werden.

Damit will das deuteronomistische Geschichtswerk rückhaltlose Anerkennung, Umkehr und erneute Hinwendung zu Jahwe erreichen. Die Möglichkeit zur Umkehr ist auch in und nach der Gefangenschaft gegeben. Landverheißung und Verheißung der ewigen Davidsfamilie werden festgehalten. Das Problem der Vermischung mit anderen Völkern, das hier eine zentrale Rolle einnimmt, ist aus der Zeit nach der Gefangenschaft zu verstehen.

 

 

Weitere Bücher zur Geschichte nach der Gefangenschaft

Die Bücher der Chronik:

Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im kürzeren ersten Teil werden umfangreiche Abstammungs- und Geschlechterlisten der Israeliten und einiger Nachbarvölker gegeben. Das 2. Buch der Chronik ist eine direkte Fortsetzung des 1. Buchs, die wohl nur wegen der Unhandlichkeit allzu langer Schriftrollen vom ersten Buch abgetrennt wurde.

Der größere zweite Teil des Buches zeigt inhaltlich Parallelen zum 2. Buch Samuel, stellt die Ereignisse aber aus einem etwas anderen Blickwinkel dar. Vor allem wird weniger Wert auf die politischen Ereignisse, dafür mehr Wert auf den Kultus und den Aufbau der israelitischen Gesellschaft des geschilderten Zeitraums gelegt. Die Sicht auf die Führungspersonen ist merklich positiver und unkritischer als in den Samuelbüchern. Im Gegensatz zu den Königsbüchern beschränkt sich die Chronik nach der Reichsteilung auf die Vorgänge im Südreich Juda und läßt das Nordreich Israel außen vor. Die Sicht auf das Königtum ist in der Chronik insgesamt positiver als in den sehr kritischen Büchern der Könige.

Wegen der vielen Verweise auf den Tempel wird vermutet, daß der Verfasser selbst dem Tempelkult nahestand und vielleicht einer der Tempelsänger war. Die Datierung der Chronikbücher ist zum Teil davon abhängig, wie der Zusammenhang mit Esra und Nehemia beurteilt wird: Sieht man sie als Werk(e) desselben Autors an, so kommt erst eine Abfassung nach Ende der in Esra / Nehemia geschilderten Ereignisse in Betracht, also ab 400. Sind die beiden Bücher unabhängig voneinander, so könnte auch eine Entstehung im 5. (oder gar 6.) Jahrhundert möglich sein. Auf jeden Fall ist der Kyros-Erlaß schon eine Weile im Umlauf. Sicher sind die Chronikbücher um 200 vCh bereits fertiggestellt, da der Abschnitt Sir 47,2-11 den König David ganz in der Weise des Chronisten darstellt. Doch gibt es nur sehr lückenhafte Vorstellungen über diese Zeit, so daß eine genaue Datierung sehr schwierig ist.

Es ist davon auszugehen, daß dem jetzigen Werk wiederholt Nachträge eingefügt worden sind: Eine große Einschaltung bilden wohl die Listen des kultischen Personals (1. Chr 23,3-27,34), die den Erzählzusammenhang unterbrechen. Auch sonst sind mehrfach Listen nachgetragen worden. Viele dieser Nachträge haben die Funktion, kultische Einrichtungen durch ihre Rückführung in die Davidszeit zu rechtfertigen. Die Abhängigkeit vom deuteronomistischen Geschichtswerk ist offenkundig.

Unsicher ist, ob die Chronikbücher auch auf andere alte Quellen zurückgreifen. So gibt es zwar viele Hinweise auf allerlei von Propheten hergeleitete Schriften, doch enthalten die entsprechenden Stücke kaum etwas, das über das deuteronomistischen Geschichtswerk hinausgeht.

Unsicher ist, ob die Festungsliste Rehabeams (2. Chr 11,50) und einzelne bruch­stückhafte Nachrichten aus der Zeit Usias (2. Chr 26, 6a und 10) oder Hiskias (2. Chr 32,30a) historischen Ursprungs sind.

Besonders hervorgehoben wird die Rolle der Leviten (nach von Rad erhält die David-Lade-Leviten-Tradition mehr Gewicht als die Mose-Zeit-Aaron-Tradition). Ihre Unter­ordnung unter die Priester wird zwar nicht mehr angegriffen, aber ihre Bedeutung umso mehr betont. Sie sind nun die Sänger des Lobes Jahwes. Diese Hervorhebung ist möglich, da der Gottesdienst jetzt vor allem vom Lob Jahwes her verstanden wird.

Schon in den Königslisten fällt auch die Hervorhebung der Davididen auf. Auch im weiteren Verlauf wird David zum zentralen König. Im Unterschied zum deuteronomistischen Geschichtswerk wird das Davidbild so gestaltet:

  • Alle negativen Züge (Konflikte mit Saul und seinem Sohn Ischbaal (Eschbaal), die Affäre mit Bathseba, die Thronnachfolge, Aufstände) werden ausgelassen oder beschönigt
  • Davids zeitweiliges Königtum über Juda wird verschwiegen. Gegen die Vorlage wird bei der Einholung der Lade, bei der Wahl Davids zum König und bei der Eroberung Jerusalems betont, daß David jeweils die Unterstützung Gesamtisraels gehabt habe.
  • Die militärischen Siege und sonstigen Unternehmungen Davids sind ganz dem Tempelbau untergeordnet. Nach den Chronikbüchern ist praktisch David der Erbauer des Tempels, da er sowohl exakte Pläne und Material für Tempel und Kultgerät, als auch Handwerker und bereits das Kultpersonal bereitstellt. Salomo hat lediglich das Werk zu vollenden. Die Chronikbücher müssen begründen, warum erst Salomo den Tempel bauen konnte, und nehmen den Hinweis aus 2. Kön5,17 auf und ziehen daraus die Folgerung, daß David wegen des vielen von ihm vergossenen Blutes nicht den Tempel bauen durfte
  • Auch das Salomobild ist durch Auslassung aller negativen Züge aus 1. Kön.1-3 und 11 ungetrübt. Salomo wird so zum Vollender des von Gott gebotenen Lebenswerkes Davids.
  • Die Davidsnachkommen werden jetzt als die auf dem Thron Jahwes Herrschenden angesehen. Die Davidsfamilie ist jetzt das „Haus Jahwes“, sie regieren im Königtum Jahwes. Die Davidszeit wird so zur klassischen Heilszeit, deren Wiederherstellung herbeigesehnt wird. Dabei ist die Wiederherstellung des Kultes wichtiger als die des Königtums (Ersetzung des Berichts über die Begnadigung Jojachins durch das Kyros-Edikt, das den Wiederaufbau des Tempels anordnet). Die Bedeutung von Auszug, Sinai oder Landnahme geht geradezu auf die Davidszeit über. So wird David auch in Anlehnung an Mose stilisiert.
  • Selbständige Berichte über die Könige des Nordreiches fehlen. Juda repräsentiert das Gottesvolk Israel. So gibt es nun auch den Sprachgebrauch „Israeliten aus Juda“ (2. Chr 10,17). Die Reichstrennung wird als Abfall des Nordreiches vom Königtum Davids angesehen.
  • Hinter den ausführlichen Berichten über die Entwicklung des Königtums könnte auch die Sehnsucht nach politischer Selbständigkeit stecken. Allerdings wird diese durch das Eingreifen Jahwes erhofft, nicht durch eigene militärisch-politische Aktion.

 

Sondergut der Chronikbücher:

Innerhalb der Anwendung dieses Grundsatzes ist auch das chronistische Sondergut (gegenüber den Königsbüchern) zu verstehen. Als solches begegnen vor allem Berichte über Festungsbau, Heeresverfassung, Kriege, Kultreformen, Volksbelehrungen. Huldigungen und Tribute durch andere Völker. Diese Berichte begegnen alle in Berichten über positiv bewertete Könige bzw. über die positiv bewerteten Abschnitte ihrer Regierungszeit. Auffallend ist, daß die Geschichte Judas nun mit vier positiv bewerteten Königen beginnt (Rehabeam, Abia, Asa, Josa­phat). Positiv gewertet werden auch Hiskia, Manasse (!) und Josia.

Das Gesetz konzentriert sich nun in der Anerkennung Jerusalems als festem Kultort, der Wahrung der altüberkommenen Kultordnungen und dem Vertrauen auf Jahwes geschichtsmächtige Führung und Hilfe. Die sozialen Gebote treten zurück.

Die Erwählungsvorstellung wird aufgeteilt: Nicht mehr Israel als Ganzes wird erwählt, sondern der König, die Leviten oder der Kultort. Der Bundesbegriff begegnet nirgend­wo in den Chronikbüchern. Die Gliederung der Geschichte „Saul - David - Salomo“ dient vielleicht als Vorbild für die spätere Abfolge „Verbannung - Wende - Tempelbau“. Obwohl die Chronikbücher eher dem deuteronomistischen Geschichtswerk verbunden sind, werden auch Vorstellungen der Priesterschrift aufgenommen: So wird in 2. Chr. 1 das Zelt der Begegnung und der Brandopferaltar aus der Wüstenzeit erwähnt. Die Schilderung der Pracht des neuen Tempels nimmt zahlreiche Elemente der Stiftshütte des Mose auf.

 

Das Verhältnis zwischen Samuel- und Königsbüchern und der Chronik:

Das Verhältnis der Chronikbücher zu den Samuel- und Königsbüchern wird von einigen als schriftliche Auslegung bereits anerkannter („kanonisierter“) Bücher angesehen. Andere betonen stärker das eigene, zeitgeschichtlich bestimmte Interesse des Chronisten. So sind folgende Vorhaben zu erkennen:

  • Es geht um die Rechtfertigung der alleinigen Rechtmäßigkeit Jerusalems und seines Tempels als Ort der Verehrung Jahwes. Dabei wurde lange Zeit die Auseinandersetzung mit den Samaritanern und die Bestreitung der Rechtmäßigkeit des Heiligtums in Samaria als wesentlicher Anlaß zur Abfassung betrachtet.
  • Jedoch ist eine ausdrücklich gegen den Norden gerichtete Tendenz kaum spürbar. Vielmehr scheint es darum zu gehen, Israel als Einheit zu betrachten, die alle zwölf Stämme umfaßt und ihr einziges kultisches Zentrum in Jerusalem hat. Die Jerusalemer Kultgemeinde soll als rechtmäßige Nachfolgerin des wahren Israels gezeigt werden.
  • Sicher sollen einige kultische Einrichtungen, Ämter und Familienansprüche auf die Davids­zeit zurückgeführt und damit gerechtfertigt werden.

 

Esra und Nehemia:

Das Buch Esra bildet zusammen mit dem Buch Nehemia eine Einheit. Die Abtrennung eines eigenen Buches Nehemia ist motiviert durch die Einleitung Neh 1,1: „Worte Nehemias, des Sohnes Chachaljas...“ und findet sich erstmalig bei Origenes.

Beide Bücher behandeln die Ereignisse vom Beginn der Perserzeit über den Wiederaufbau des Tempels, die Errichtung der Stadtmauer um Jerusalem und die Gründung der judäischen bzw. jüdischen Kultgemeinschaft.

Das Buch Esra-Nehemia weist weiterhin starke sachliche und theologische Bezüge zu den Büchern der Chronik auf. Esra-Nehemia kann also als Fortsetzung der Chronikbücher gelesen werden. Auffällig ist dabei, daß die Worte, die sich inhaltlich mit der Verkündigung Deutero­jesa­jas berühren, als Prophetie Jeremias eingeführt werden. Gemeinsam ist weiterhin das Interesse an Stammtafeln, am Kult und am Kultpersonal, an Festen und Gebeten. Diese Beobachtungen führten zur These eines „Chronistischen Geschichtswerkes“.

In neuerer Zeit wird diese These teilweise bestritten. Es ergeben sich mehrere Möglichkeiten: Die Bücher könnten ein gemeinsames Werk eines Verfassers bilden. Sie könnten im Vergleich zu Chronik ein älteres oder jüngeres Werk derselben Verfassergruppe sein oder alle Bücher wurden erst spät durch einen Redaktor miteinander verbunden. Daneben existieren in der griechischen und lateinischen Bibel weitere Bücher, die Esra zugeschrieben werden.

 

Nach Esr 7 und Neh 13 berichten vom Wirken Esras und Nehemias. In Neh 8 tritt Esra erneut auf und Neh 8,9 und 12,26 nennen Esra und Nehemia nebeneinander, so daß der Eindruck eines gleichzeitigen Wirkens entsteht. Sowohl das Handeln Esras als auch Nehemias steht in engem Kontakt zum persischen Großkönig und wird durch königliche Erlasse legitimiert.

Eine gemeinsame Wirksamkeit ist aber geschichtlich unwahrscheinlich:

  • Obwohl beide zusammen gewirkt haben sollen, weist in der Darstellung nichts darauf hin, daß sich die beiden gekannt haben oder das Werk des einen das des anderen voraussetze.
  • Neh.8,9 und 12,26, wo beide zusammen genannt werden, sind eindeutig sekundär.
  • Die jetzige Anordnung der Wirksamkeit beider ergibt eine unerklärliche zwölfjährige Untätigkeit Esras.

Im Buch Esra ist einigermaßen historisch lediglich der Grundbestand des Beglaubigungsschreibens in 7,12-26. Folgendes ist wahrscheinlich: Esra war ein Priester und stammte aus einer Jerusalemer zadokidischen Familie. Esra erhielt einen Sonderauftrag, der ihn berechtigte den Titel „Schreiber des Gesetzes des Himmelsgottes“ (Es 7, 12 und 21) zu führen. Dieser deutet auf den Auftrag, das Gesetz des Himmelsgottes für alle Juden im Gebiet westlich des Euphrat verbindlich zu verkünden, so daß sich ihm alle Juden unterwarfen, die sich zur Jerusalemer Kultgemeinde zugehörig fühlten. Damit war seit Esra das israelitisch-jüdische Gesetz als persisches Reichsrecht bindend. Esras Aufgabe war es, auszumachen und zu bestimmen, für wen das Gesetz gelten sollte und wer der jüdischen Rechtssprechung unterstehen würde. Ferner sollte er Richter einsetzen, die nach diesem Gesetz Recht sprechen sollten.

 

Die Maßnahmen Nehemias:

  • Militärische Selbständigkeit durch Wiederaufbau der Stadtmauer gegen den Widerstand der Nachbarn.
  • Vergrößerte die Einwohnerschaft Jerusalems, indem er Freiwillige anwarb und ferner ein Zehntel der Bewohner Judas durch Los ermittelte und zwangsumsiedelte.
  • Allgemeiner Schuldenerlaß und die Rückgabe verkauften und verpfändeten Grundbesitzes durch Minderung der sozialen Gegensätze.
  • Religiös-nationale Absonderung der neuen Provinz durch Maßnahmen gegen Mischehen.
  • Durchsetzung der strengen Einhaltung der Sabbatruhe.
  • Sicherstellung der Versorgung der Leviten sicherzustellen.
  • Nur zögernd erstreckten sich seine Maßnahmen auf das Feld der Religionsausübung, dies war eher die Aufgabe Esras.

 

Esther:

Manche im Buch beschriebenen Einzelheiten fügen sich gut in unser geschichtliches Bild vom persischen Königshof (Luxus am Hof, der königliche Wein und das Charakterbild von Ahas­veros bzw. Xerxes I. als eigensinnig und leicht beeinflußbar durch Frauen und Günstlinge). Da sich bei genauer Untersuchung jedoch zeigt, daß die Kenntnis persischer Verhältnisse im Buch Esther keineswegs so gut ist, wie es zunächst scheint, wird in der heutigen Wissenschaft eine Datierung des Buches Esther in das 3. Jahrhundert vCh vertreten.

Nach dem Urteil der heutigen historisch-kritischen Forschung steht fest, daß die Hand­lung des Buches Esther nicht historisch sein kann. Das bedeutet in letzter Konsequenz auch, daß das Purimfest nicht auf ein wirkliches Geschehen um Esther, Mordechai und Haman am persischen Hof zurückgehen kann. Vielmehr wird davon ausgegangen, daß Angehörige des Volkes Israel das Purimfest von Nachbarvölkern übernommen hatten (ursprünglich wohl als eine Art Neujahrsfest).

Das Buch Esther könnte dann geschrieben worden sein, um für dieses Purimfest eine ausgedachte Verankerung in der jüdischen Geschichte zu finden. Außerdem sollte das Buch Esther den Juden vor allem in der Diaspora Mut machen, daß sie auch weiterhin antisemitische Anfeindungen überstehen würden. Heute lesen es die Juden zum Purimfest vor und lachen jedesmal laut, wenn der Name des Fürsten Haman fällt

 

Die Bücher Josua bis Esra sind weitgehend reine Geschichtsschreibung. Sie zeigen besonders gut, daß wir in der Bibel nicht „Gottes Wort“ vorliegen haben in dem Sinne, daß jedes Wort von Gott eingegeben sei. Zunächst einmal haben wir hier Menschenwort vor uns. Aber hin und wieder wird doch ein Bezug zum Glauben Israels hergestellt. Insofern enthält das Menschenwort dann doch das Gotteswort und gehört zu Recht in die Bibel:

Diese Texte werden im heutigen Staat Israel als Geschichte dieses Staates gelehrt. Jeder Staatsbürger muß diese Geschichte lernen - einschließlich der ganzen religiösen Inhalte. Ob er die Religion dann annimmt, ist seine Sache. Es leben im Staat Israel auch viele Nichtreligiöse und auch viele Palästinenser mit islamischer Religion und natürlich auch Christen. Wir lesen aber nicht die interessante Geschichtsdarstellung, sondern erkennen in diesem ganz weltlichen Geschehen auch das Wirken Gottes, der in Jesus seine Gestalt angenommen hat.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Lehrbücher

 

Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger und Hoheslied werden zur biblischen Weisheitsliteratur gezählt, für die der enge Zusammenhang von Tun und Ergehen als Grundüberzeugung bestimmend ist. Die Bücher müssen vor dem Hintergrund des altorientalischen Glaubens an den Tun-Ergehen-Zusammenhang in­ter­pretiert werden. In Israel und ebenso in den benachbarten Regionen war man der Überzeugung, daß es einem Menschen, der Gutes tut, auch in seinem eigenen Leben gut ergeht, und umgekehrt ein böser Mensch ein schlechtes Leben zu erwarten hat. Grund dafür war der Glaube an eine sich unmittelbar auswirkende göttliche Gerechtigkeit.

Die Existenz dieses Tun-Ergehen-Zusammenhangs war eine Grundüberzeugung der sogenann­ten älteren „Weisheitsliteratur“. In der Bibel wird diese Überzeugung unter anderem in vielen Psalmen formuliert, so etwa in Psalm 1: „Wohl gehe es dem Mann, der nicht dem Rat der Frevler folgt … Alles, was er tut, wird ihm gut gelingen.“ Diese Annahme wurde im Laufe der Zeit brüchig, es kam zur sogenannten „Krise der Weis­heit“, was vermutlich sozialgeschicht­lich zu erklären ist: Die großen, durch Kriege verursachten gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit konfrontierten die Menschen mit Unsicherheit und Leid, das sich nicht mehr ohne Weiteres auf individuelles Fehlverhalten zurückführen ließ. Deswegen stellte sich die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens Unschuldiger, was sich in verschiedenen literarischen Zeugnissen (neben Hiob auch das biblische Buch Prediger und dazu außerbiblische Paralleltexte) niederschlug.

Seit der Regierungszeit Salomos im 10. Jahrhundert vCh, besonders aber ab dem 6. Jahrhundert, entstanden liturgische, poetische und weisheitliche Schriften: Gebete wie die Psalmen, Spruchweisheit wie die Sprichwörter oder die Liebesgedichte des „Hohenlieds“ und nachdenkliche Weisheitsliteratur wie die Bücher Prediger und Hiob.

 

Hiob

Das Buch trägt seinen Namen nicht nach seinem Verfasser, sondern nach seiner Hauptfigur. Hiob (Job) ist ein frommer Mann aus dem Land Uz, dessen Geschichte und Gottesverhältnis das nach ihm benannte Buch in der hebräischen Bibel darstellt. Von diesem Namen und seiner biblischen Geschichte sind die sprichwörtlichen Hiobsnachrichten oder Hiobsbotschaften abgeleitet.

Allgemein wird angenommen, daß in die zunächst vorhandene Rahmenerzählung in Prosa (1-2 und 42,7-17) der Redenteil in Versen (3 - 42,6) eingefügt worden ist. Vermutlich hat der Dichter des poetischen Streitgespräches die Prosaerzählung vorgefunden und sie zum Anlaß für sein eigenes Werk genommen, das er in die ältere Erzählung einbettete.

In der Rahmenerzählung geht es um eine Wette, die der Teufel mit Gott macht, ob Hiob auch dann noch Gott treu sein wird, wenn ihm Unglück widerfährt. Hiob erscheint als der beispielhafte Fromme und als ein Beduinen-Scheich. Der Gottesname „Jahwe“ kommt 23 mal vor. Die Rahmenerzählung ist nach Umfang und erzählerischer Kunst dem Buche Jona vergleichbar. Es handelt sich um eine kunstvoll ge­staltete weisheitliche Lehrerzählung. Hiob ist hier der vorbildlich Fromme, der trotz schwerer Leiden an seiner gottergebenen Frömmigkeit festhält und schließlich gerechtfertigt (rehabilitiert) wird. Das Verhalten der Freunde und seiner Frau dagegen ist tadelnswert. Worin das tadelnswerte Verhalten bestand, ist jetzt aus der Rahmenerzählung nicht mehr zu erkennen, so daß die ursprüngliche Erzählung nicht mehr ganz rekonstruiert werden kann.

 

Im Redenteil erscheint Hiob als der Gott Anklagende und ist ein Städter. Der Gottesname „Jahwe“ erscheint nur fünfmal (zumeist eindeutig sekundär), aber oft gibt es die Gottesnamen „El“ oder „Eloah“ oder „Schaddai“. Behandelt wird die Frage, wie es sein kann, daß der gerechte Gott duldet, daß guten Menschen Böses widerfährt. Sie versucht zu beantworten, weshalb trotz Gottes Allmacht und Güte auch ein gerechter Mensch leiden kann. Sie wehrt sich gegen die fromme und einfache Annahme, daß das Leiden eine Strafe Gottes sei. In der theologischen Fachsprache hat sich dafür der Ausdruck „Theodizee“ eingebürgert, also Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens.

Ausgangspunkt des Redenteils ist die Krise der Weisheit. Die Erfahrung und der von der weisheitlichen Tradition behauptete „Tun-Ergehen-Zusammenhang“ widersprechen einander: Ein Gerechter muß leiden. Auch hier wird, wie in den anderen weis­heitlichen Texten auch, kein Bezug auf Kult und Heilsgeschichte hergestellt. Das Gottesvolk ist nicht im Blick, Hiob ist der Einzelne vor Gott.

 

Der Redenteil umfaßt:

1. Drei Redegänge (Hi 3 - 11; 12 - 20; 21 - 27), in denen sich Hiob und die drei Freunde abwechseln, sowie Hiobs abschließende Herausforderungsrede (29 - 31). Der dritte Redegang ist nicht mehr voll ausgearbeitet. Entweder soll damit gezeigt werden, daß den Freunden die Argumente ausgehen, oder es ist Text ausgefallen, oder es gab eine nachträgliche Bearbeitung, die versuchte, den Gegensatz zwischen Hiob und der normalen Weisheitstheologie abzumildern und ursprüngliche Reden der Freunde nun Hiob in den Mund legte.

Der Fortgang des Gesprächs ist eigener Art. Es gibt keinen Gedankenfortschritt, Hiob und seine Freunde wiederholen ständig ihre Standpunkte, doch der Gegensatz zwischen ihnen verschärft sich immer mehr: Bei den Freunden steigert sich die Rede von Tröstung und Beschwichtigung zu handfester Beschuldigung. Sie schließen aus der weisheitlichen Grundtheorie, daß Hiob ein Sünder sein muß, weil es ihm schlecht geht, und fordern Hiob zur Anerkennung seiner Schuld auf.

Bei Hiob findet sich dagegen eine Steigerung von Klage, zu Anklage und zur Herausforderung Gottes zum Rechtsstreit, zur Bestreitung der Allgemeingültigkeit der Lehre vom bösen Ergehen des Übeltäters, zur Behauptung der eigenen Unschuld und deren Bekräftigung durch einen Reinigungseid. Wenn Hiob sich auf seine Schuldlosigkeit beruft, so hält er sich gewiß nicht für sündlos. Nur kann er sein Leid nicht mit dem Maß seiner Schuld in Zusammenhang bringen. Auch er geht also zunächst von der weisheitlichen Grundtheorie vom Tun-Ergehens-Zusammenhang aus, doch er sieht seine Leiden als unbegründet an. Er hat nicht derart gesündigt, daß Gott ihn so strafen dürfte.

Also beklagt er, daß Gott ungerechtfertigt ihm zum Feind geworden ist. Er klagt über Gottes Ungerechtigkeit. Und er will Recht gegen Gott bekommen. Er weiß jedoch, daß Gott frei ist und allein sein Recht gilt. Und so ist Hiobs Bitte, von Gott in Ruhe gelassen zu werden, zu verstehen. Doch in aller Auflehnung gegen Gott, hofft Hiob (anders als die Freunde) auf einen Gott, der nicht mechanisch richtet, sondern dem Entrechteten beisteht, der über den Tod hinaus für Hiobs Lebensrecht eintritt (19,25ff). So ruft er Gott gegen Gott zur Hilfe (Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zum Buch Prediger): Hiob drängt auf einen Rechtsentscheid. Dabei wird ein eher pessimistisches Menschenbild gezeigt: Der Mensch ist ein sündiges und nichtiges Geschöpf, eine optimistische Hoffnung wird bestritten. Beispielhafte Texte in diesem Teil sind 4,7-11 und 5,1-7; und 16,9-17.

 

2. Das Lied von der Weisheit (Hi 28): Es ist wohl ein späterer Zusatz. Jetzt steht es in einer Linie zu den Gottesreden. Der Grundgedanke ist: Der Mensch kann erstaunlich viel, aber den Ort der Weisheit kann er nicht finden, nur Gott kennt die Weisheit.

 

3. Die Reden Elihus (Hi 32 - 37): Hier handelt es sich sehr sicher um eine spätere Einfügung, denn weder im Prolog noch im Epilog taucht Elihu auf, das Streitgespräch ist in Kapitel 27 bereits abgeschlossen. Die Reden sind jünger, denn hier sind durchschnittlich mehr Redewendungen aus der aramäischen (syrischen) Sprache zu finden als im übrigen Buch.

Es gibt hier ein rednerisches Schema: Ein Zitat Hiobs wird zunächst bestritten und dann werden ihm eigene positive Ausführungen gegenübergestellt. Gegen Ende wird auf die Gottesreden vorausgewiesen. Elihu teilt nicht die einfache Vergeltungslehre der drei Freunde. Er kennt eine veränderte Weisheit: Das Leiden ist eine erzieherische Maßnahme des unbedingt gerechten Gottes, um den Menschen zum Bewußtsein seiner Sünde zu bringen, ihn vor Hoch­mut zu warnen, ihn zur Umkehr zu rufen und zu prüfen. Hier wird also eine Lösung des Problems „Wie kann Gott das zulassen“ (Theodizee) geboten, die ohne Jenseits-Vorstellungen auskommt.

 

4. Die beiden Gottesreden (Hi 38 - 40,5; 40,6 - 41,26) bilden die Reaktion Jahwes auf die Herausforderung Hiobs. Die Doppellung der Gottesrede läßt auf eine spätere Überarbeitung schließen. Zumeist wird davon ausgegangen, daß die zweite Gottesrede in ihren wesentlichen Teilen sekundär ist. Hinter den Aufzählungen der Gottesrede Hi 38 - 39 steht die aus Ägypten und Mesopotamien bekannte Listenwissenschaft (Onomastiken).

Die Gottesreden, die als Erscheinung Gottes dargestellt werden, bilden keine unmittelbare Antwort auf Hiobs Anklagen. Hiob wird in seine Schranken gewiesen. Er erkennt, daß sein ganzes Reden unangemessen war. Doch die Reden der Freunde werden als noch unangemessener bezeichnet. Vor ihnen wird Hiob gerechtfertigt. Die überkommene Weisheitslehre wird damit auch abgelehnt, nämlich der Tun-Ergehen-Zusammenhang. Die Lehren von der auf­weis­­baren göttlichen Gerechtigkeit, der Begreifbarkeit Gottes und der Welt werden zerbrochen. Gott ist nicht das Prinzip der Weltdeutung. Hier wird mit Schöpfungsaussagen gegen die überlieferte Weisheitstheologie argumentiert.

So zeigt sich auch Hiob als ein Verarbeitungsversuch der Krise der Weisheit. Anstelle der Grundregel der alten Weisheit wird keine neue gesetzt, wohl aber eine neue Erkenntnis: Nur Gott kann die Ordnung der Welt erkennen, der Mensch ist dazu auf die Belehrung Gottes angewiesen. Doch ist diese göttliche Weltordnung eine segnende und prinzipiell heilsame. Soll auch noch gesagt werden, daß Gott weder durch Gebet, noch durch Opfer beeinflußbar ist, daß sein Handeln unbegreiflich und schicksalshaft über den Menschen hereinbricht? (5,1). Damit ergibt sich eine Nähe zum Buch Prediger. Hiob bleibt nur noch demütige Unterwerfung. Eine selbstgewisse Weisheit wird damit in ihre Schranken gewiesen.

 

Das Hiobbuch gibt auf die Frage nach dem Leiden mindestens zwei verschiedene Antworten:

1.) In der Rahmenhandlung wird das Leid Hiobs damit erklärt, daß Gott ihn auf die Probe stellen wollte. Da Hiob diese Probe besteht, geduldig und gottesfürchtig bleibt, wird das Leid wieder von ihm genommen. Hier wird Ergebenheit im Leid gefordert und der Tun-Ergehen-Zusammenhang wird nicht ganz aufgehoben, da Hiob letztlich für sein richtiges Verhalten belohnt wird. Trotzdem wird deutlich: Nicht immer ist Leid auch Strafe für eine Sünde. Der Umkehrschluß „Wer leidet, muß eine Schuld auf sich geladen haben“ ist nicht zulässig.

2.) Das poetische Streitgespräch, das den Hauptteil des Hiobbuches bildet, ist dagegen nicht so eindeutig und wird deswegen auch sehr unterschiedlich ausgelegt. Auffallend ist dabei, wie angreiferisch Hiob sich hier gegenüber Gott äußert, dem er tyrannische Ungerechtigkeit vorwirft und den er am liebsten verklagen würde, wenn er nicht wüßte, daß Gott sich aufgrund seiner Macht jeder Gerechtigkeit entziehen kann. Zentral für die Auslegung ist das Verständnis der Gottesreden, mit denen Gott auf die Anklage Hiobs antwortet. Gott erklärt hier nämlich nichts, er redet nicht davon, daß er Hiob nur auf die Probe stellen wollte, schon gar nicht bezieht er sich auf die „Satanswette“ aus der Rahmenhandlung. Außerdem verspricht er nicht, daß er Hiob entschädigen wird und gibt dem Leid auch sonst keinen tieferen Sinn. Inhalt der Gottesrede ist ausschließlich eine ausführliche Beschreibung der Großartigkeit der von Gott geschaffenen Natur, vor der alles menschliche Verstehen verstummt.

Erstaunlicherweise gibt sich Hiob mit dieser Antwort zufrieden, obwohl sie seine Anklage Gottes eigentlich bestätigt: Er ist unschuldig und sein Leiden unerklärlich. Möglicherweise will das Hiobbuch eben das sagen, daß der Sinn von Gottes Handeln den Menschen nicht zugänglich und eine Antwort auf die Theodizeefrage nicht möglich ist. Vielleicht ist der springende Punkt auch, daß Gott überhaupt für Hiob erscheint, also dem Leidenden gerade auch im tiefsten Leid erfahrbar wird. Sicher ist jedenfalls, daß der Tun-Ergehen-Zusammen­hang aufgehoben wird: Leid ist nicht durch Schuld verursacht, die Freunde Hiobs, die den Leidenden zur Gewissenserforschung auffordern, haben Unrecht.

Weil Hiob in all seinem Leid, seiner Armut und seiner Trauer seinem Gott dennoch die Treue hielt und ihn nicht verfluchte - wie seine Ehefrau es ihm nahegelegt hatte - und weil er später auf die Belehrungen Gottes mit großer Demut reagiert, erlöst Gott ihn schließlich von der Krankheit und segnet sein weiteres langes Leben: Er läßt ihn das Doppelte seines früheren Besitzes erwerben, und er bekommt sieben neue Söhne und drei Töchter - wie vor seinen Unglücksschlägen.

Da im Text auf keine historischen Gegebenheiten verwiesen wird, ist eine genaue Datierung nicht möglich. Aufgrund sprachlicher und inhaltlicher Argumente ist man allgemein der Ansicht, daß das Hiob-Buch erst entstand, nachdem Israel aus der babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrt war: Die Wortwahl  (Vokabular) deutet nämlich auf ein verhältnismäßig spätes Entstehungs­datum, unter anderem weil sich Einflüsse des Aramäischen feststellen lassen. Außerdem gehört die Gestalt des Satans noch nicht zum Glauben Israels vor der Gefangenschaft. Auch die kritische Frage nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Leidens Unschuldiger spricht gegen ein höheres Alter.

Das Hiob-Buch als Gesamtschrift muß zwischen dem 5. und dem 3. Jahr­hundert vor Christus entstanden sein. Um 200 hat das Buch wohl vorgelegen. Trotzdem ist denkbar, daß die Rahmenhandlung älter ist oder zumindest auf ältere Traditionen zurückgeht, wie verschiedentlich angenommen wird.

Hiob gibt sich in Ehrfurcht gegenüber Gott ganz in Gottes Hand. Es geht nur darum, daß Gott wirklich handelt, nicht darum, w i e er handelt. Und Hiob geht über die Auffassung des sonstigen Alten Testaments hinaus, daß mit dem Tod des Menschen die Beziehung zu Gott aufhört: Hiob rechnet mit einer Gottesbegegnung nach dem Tode, wenn Gott „auf dem Staub“ erscheinen wird (19,25).

 

Psalmen

Das Buch der Psalmen (es wird auch „Psalter“ genannt) enthält eine Sammlung von 150 Liedern, Gebeten und Gedichten aus dem religiösen Leben und Gottesdienst der alten Israeliten – Lieder, die aus dem Herzen dieses Volkes kommen und seine persönlichen Erfahrungen widerspiegeln.. Der Name „Psalmen“ kommt von dem griechischen Wort „psalmós“, das Lied oder Lobgesang bedeutet. Das Psalmenbuch, wie es uns in der heutigen Form vorliegt, ist das Ergebnis eines mehrere Jahrhunderte andauernden Entstehungsprozesses. Jedes der fünf auszumachenden Psalmenbücher hat eine je eigene Entstehungsgeschichte und auch die redaktionelle Sammlung und Zusammenstellung verlief nicht in einem Zug.

Die heutige Aufteilung des Psalters in fünf Bücher (1- 41; 42 - 72: 73 - 89; 90 - 106; 107 -150), die jeweils mit einem Lobpreis Gottes („ Doxologie“) enden,  ist ziemlich jung. Sie wird im Originaltext der hebräischen Bibel nicht gekennzeichnet, so daß mit einer späteren Auslegungstradition (Parallele zur Fünfzahl der Bücher Mose) zu rechnen ist.

 

Es lassen sich aber Untersammlungen erkennen:

             1         Lob des Gerechten, der sich von der Tora leiten läßt.

             2         Jahwe und sein Gesalbter

      3 - 41        Davidspsalmen, vor allem. Klagelieder des Einzelnen

    42 - 39        Korachitenpsalmen, vor allem Psalmen der Gemeinschaft

           50         Abschließender Asafpsalm

    51 - 71        Davidspsalmen,, vor allem Klagelieder des Einzelnen

          72          Abschließender Salomopsalm (Notiz: Ende der Davids-Psalmen)

    73 - 83        Asafpsalmen, vor allem Psalmen der Gemeinschaft

    84 - 89        Psalmen verschiedener Sängergilden (außer 86)

  90 - 107        Inhaltlich verwandte Psalmen (90 als Psalm Moses ausgegeben)

108 - 110        Davidspsalmen

111 -118         daran anschließende, mit Halleluja eingeleitete Psalmen

        119          Akrostichischer (alphabetischer) Tora-Psalm

120 - 134        Wallfahrt -Psalmen(?)

135 - 136        daran anschließende Halleluja-Psalmen

         137         thematisch dazu passender Psalm

138 - 145        Davidpsalmen

146 -1 50        abschließende Halleluja-Psalmen

 

Man kann sich die Entstehung eines Psalms vielleicht wie folgt vorstellen: Ein Mensch kommt zum Tempel, um dort sein Leid vor Gott auszubreiten. Wenn aber seine Bitte in Erfüllung gegangen ist, fügt er seinen Dank an.

Inhaltlich befassen die Psalmen sich vor allem mit folgenden Themen:

  • Lob und Dank
  • Buße, Trauer, Klage
  • Morgen- und Abendlieder
  • Freude, Trost, Vertrauen auf Gott
  • Wallfahrtslieder (Ps 120 - 134)
  • Lehrgedichte
  • Bitten um Sieg über gottlose Gegner.

Man kann folgende Gattungen unterscheiden:

  • Hymnus (beschreibender Lobpsalm)
  • Danklied des Einzelnen (berichtender Lobpsalm)
  • Klagelied des Volkes
  • Klagelied des Einzelnen
  • Königspsalm
  • Gebet des Angeklagten (Unschuldslieder)
  • Bußpsalm
  • Vertrauenslied
  • Liturgien
  • Weisheitspsalmen.

 

Im Hebräischen sind die meisten Psalmen mit Überschriften versehen, die von kurzen Verfasserangaben über heute kaum mehr verständliche musikalische Angaben bis zu mehrere Sätze langen Situationsschilderungen reichen. Fast die Hälfte der Psalmen wird König David zugesprochen, was mit der „Davidisierung“ des Buches in nachexilischer Zeit zusammenhängt.

Daß David ein Liedermacher gewesen sein sollte, wurde aus der Angabe geschlossen, daß er König Saul mit seinen Liedern aufmunterte. Die Psalmen sind aber nicht von David, auch nicht die, bei denen er ausdrücklich als Verfasser angegeben ist. Die Verfasser sind anonym, aber durch einen berühmten Verfasser sollten sie mehr Anklang finden.

Neben den Davidpsalmen gibt es Asafpsalmen und Korachpsalmen, Psalmen, die Jerusalemer Sängergilden zugesprochen werden. Aber auch Mose oder Salomo werden als Psalmendichter genannt. Heute wird weithin angenommen, daß die hebräischen Psalmenüberschriften sekundär sind, also nachträglich über die Psalmtexte gesetzt wurden.

 

Die Psalmen haben zumeist ihren Sitz im Leben in Kulthandlungen am Tempel. Doch ist über den Ablauf von Festen und Kulthandlungen aus dem AltenTestament wenig zu erfahren

Es sind nur auf indirektem Wege, aus der Analyse der Psalmen, Einzelheiten über die kultischen Vorgänge erschließbar. Hier besteht schnell die Gefahr eines „hermeneutischen Zirkels“: Aus einem Psalm wird eine (oft unwahrscheinlich genau beschriebene) Kulthandlung als Sitz im Leben rekonstruiert und der Psalm dann als Teil dieser Kulthandlung ausgelegt.

Bei der Rekonstruktion des ursprünglichen Sitzes im Leben ist zu beachten, daß die Psalmen den Kult im Wesentlichen aus der Sicht der Gemeinde widerspiegeln. Dabei stehen mit Sicherheit Texte aus verschiedenen Zeiten nebeneinander.

 

Gattung und Sitz im Leben:

Die Texte des AltenTestaments waren zum größten Teil nicht Literatur in dem Sinn, daß sie von Anfang an schriftlich aufgezeichnet wurden und für einen literarischen Gebrauch bestimmt waren. Viele (spätere) Texte zunächst zu bestimmten Anlässen verfaßt und zumeist mündlich verwendet. Erst später wuchsen sie zusammen oder wurden zusammengefügt. Dabei ist auffällig, daß Texte, die zu gleichen Anlässen verfaßt wurden, meist auch ähnliche Gestaltungsstrukturen aufweisen. Hermann Gunkel begann deshalb, die alttestamentliche. Literatur als einen Teil des Volkslebens zu verstehen und ordnete dem jeweiligen Text einen „Sitz im Leben“ zu.

Texte, die den gleichen Gestaltungsregeln zugeordnet werden können, also ähnliche Strukturen in den Wörter und der Grammatik (semantische und syntaktische Strukturen) aufweisen, gehören zur selben „Gattung“. Sie haben überindividuelle Gestaltungsregeln und Textmuster. Die Gestaltungsweise eines einzelnen Textes dagegen wird als „Form“ bezeichnet. Erst wo mehrere Texte ähnliche Formen haben, ist sinnvoll von „Gattung“ zu sprechen. Von Formeln spricht man ferner, wo überindividuelle Wortverbindungen vorliegen, während geprägte Wendungen lediglich in einer Schrift(engruppe) begegnen.

Mit „Sitz im Leben“ wird eine typische soziologische und kulturelle Form des Umgangs miteinander (Kommunikationssituation) beschrieben, mit der eine oder mehrere Gattungen verbunden sind. In einem umfassenden Sinne kann damit auch ein entsprechender Lebens- oder Gesellschaftsbereich gemeint sein. Werden Texte als Teil und Ausdrucksform bestimmter Lebensvorgänge begriffen, so liegt nahe, daß Texte. die auf die gleichen Vorgänge abzielen, gemeinsame Inhalts- und Ausdrucksstrukturen aufweisen. Deshalb besagt die Grundthese der form- und gattungsgeschichtlichen Methode, daß es eine Wechselbeziehung zwischen Textgattung und dem „Sitz im Leben“ gibt: Die Form des Umgangs miteinander prägt den Text, der Text gestaltet jeweils neu die Form des Umgangs miteinander.

Konstante bzw. typische Textstrukturen sind dort am ehesten zu erwarten, wo in den Lebensvorgängen große Regelmäßigkeit vorzufinden ist, zum Beispiel im Kult (Liturgie) oder im Rechtsleben (Prozeßordnung). So vielfältig wie die verschiedensten Lebensvollzüge sind aber auch die Gattungen.

Die Wechselbeziehung zwischen Gattung und Sitz im Leben bringt in der Auslegung mit sich, daß aus mehreren Texten eine Gattung rekonstruiert, über deren Sitz im Leben Schlußfolgerungen gezogen werden können, und dann der einzelne Text vom Wissen über den konkreten Sitz im Leben wieder besser zu verstehen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Gattungen in ihrer jeweiligen Ausgestaltung geschichtlich veränderlich sind. Deshalb ist die Entwicklung der Gattungen zu beachten, auch außerbiblische Texte sind dazu heranzuziehen.

 

Grenze der Formgeschichte:

Ein grundsätzliches Problem der formgeschichtliche Methode bildet der Unterschied zwischen mündlicher und schriftlicher Sprachverwendung: Die ursprüngliche Festlegung von „Sitz im Leben“ verstand diesen als eine durch mündliche Sprachverwendung geprägte Form des Umgangs miteinander. Doch ist zu beachten, daß viele Texte wohl schon bald schriftlich festgehalten wurden und es schon in vorisraelitischer Zeit im Vorderen Orient eine blühende Schriftkultur gab.

Dies hat unter anderem folgende Folgerungen:

1. Einzelne Texte worden verschriftlicht und zu Büchern verbunden. Dadurch wurden sie aus ihrem ursprünglichen Sitz im Leben entfernt und wurden in eine neue Form des Umgangs miteinander hineingestellt. Dort fanden sie nun auch eine neue Bedeutung (zum Beispiel durch den Bezug zu anderen umgebenden Texten). Diese kommt nicht in den Blick, wo Texte formgeschichtlich als Einheit aus einem Zusammenhang herausgelöst und nur für sich betrachtet werden.

2. In einigen biblischen Büchern scheinen ferner Gattungen aus mündlich geprägten For­men des Umgangs benutzt worden zu sein, obwohl die Texte von Anfang an Literatur darstellten (zum Beispiel längere Prophetenreden). Hier wird den Texten Gewalt angetan, wenn nach einem Sitz im mündlichen Umgang gesucht wird.

3. Durch die Schriftkultur entstanden auch schriftliche Gattungen (zum Beispiel Brief oder Annalen) und sogar Groß-Gattungen (zum Beispiel Gesetzeswerk, Prophetenbuch, Büchersammlung). Diese haben Teil an der Seinsweise schriftlicher Sprache: Sie ist ablösbar von konkreten Formen des Umgangs miteinander und bekommt in neuen Formen des Umgangs miteinander wieder eine neue Bedeutung. Hier muß formgeschichtliche Betrachtungsweise durch überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen ergänzt werden. Doch ist es oft sehr schwer, genaueres über die Geschichte des Sitzes im Leben eines Textes zu ermitteln.

4. Wo nach dem Sitz im Leben von schriftlichen Gattungen - vor allem von solchen, die erst durch die schriftliche Sammlung und Komposition entstanden sind (zum Beispiel Geschichtswerke) – weitere Fragen interessieren, muß nach den Verfassern, aber auch .nach Überlieferern und Bearbeitern solcher Werke gefragt werden: Welcher gesellschaftlichen Gruppe gehören sie an? Welche Interessen verfolgen sie? Hier kommt also eine sozialgeschichtliche Betrachtungsweise hinzu. An dieser Stelle besteht dann aber die Gefahr, Texte nur noch als Produkte der Interessen ihrer Autoren zu erstehen.

Weitere Gefahren bei der Verwendung der formgeschichtlichen Methode:

1. Wo formgeschichtlich gefragt wird, ist schnell die Gefahr, daß der Text nicht in seiner besonderen Eigenart wahrgenommen wird, sondern nur noch das Typische wahrgenommen wird. Die Unterscheidung zwischen Typischem und Individuellem, die bestimmend für die Ermittlung der Gattung ist, wird dort besonders schwierig, wo aufgrund weniger Texte eine Gattung rekonstruiert werden soll.

2. Gattungen werden manchmal auch parodiert und nachgeahmt. Auch gibt es eine bewußt untypische Verwendung (Ironie). Wie ist das zu erkennen?

 

Zur Methodenkritik:

Das Problem des hermeneutischen Zirkels wird oft leichtfertig mißachtet, indem aus zunächst nach wenigen Gesichtspunkten rekonstruierte Quellen bzw. Redaktionen bestimmte Eigenarten dieser Quellen oder Redaktionen erarbeitet werden, diese Eigenschaften dann aber als Kri­terium für weitere Quellen- bzw. Redaktionsabhebungen verwendet werden.

Einmal tradierte Forschungsmeinungen, zum Beispiel daß durchlaufende Erzählquellen vorhanden sind, oder daß alle literarischen Formen einen genau festlegbaren Sitz im Leben haben, führen um Zwang, alles in Quellen aufzuteilen (bzw. über fehlende Stücke in einer Quelle zu vermuten) oder für alles einen Sitz im Leben zu rekonstruieren. Auch hier werden bestehende Thesen gegen widersprüchliche Belege unempfindlich gemacht.

In der heute überlieferten Form sind die Psalmen zumeist wohl am Tempel von Jerusalem gesungen und gesammelt worden (sie können durchaus an anderen Heiligtümern entstanden sein). Die Psalmen sind wohl am ehesten im Kreise der Tempelsänger zu Hause, da Priester und Tempelpropheten mehr mit dem Wort Gottes und den Opfern zu tun hatten. Leviten wurden zum Tempelgesang beordert.

Für die Mehrzahl der Psalmen ist also die Stätte des Heiligtums bedeutsam. Doch kann daneben auch mit relativer und absoluter Kultfreiheit von Psalmen gerechnet werden. Wahrscheinlich sind einige Psalmen auch Ausdruck religiöser Dichtung, die zunächst nicht unmittelbar für den liturgischen Gebrauch vorgesehen war, bzw. literarischer Redaktionsarbeit an biblischen Büchern entstammen.

 

„Torapsalmen“ dürften ferner ihre Bedeutung auch im Zusammenhang der Lehre und der Gesetzesfrömmigkeit besitzen (Ps 1 und 112 und 127). Oft wird auch vernachlässigt, daß die Psalmen durch ihre Sammlung im Psalter auch abgelöst von ihrem ursprünglichen Sitz im Leben eine neue Funktion und Bedeutung haben können, die wohl oft auch zu Eingriffen in den Text führten. Einige Psalmen lassen relativ direkt auf bestimmte kultische Bräuche schließen (Ps 122: Wallfahrt nach Jerusalem)

 

Evangelische Bibeln verwenden die Zählung des Urtextes (nach dem Luther übersetzte), katholische Bibeln verwenden die Zählung der griechischen der lateinischen Bibel. Daher muß man bei Verweisen auf Psalmen darauf achten, auf welche der beiden Numerierungen sich ein Verweis bezieht (die höhere Nummer bezieht sich auf die hebräische Zählung).

 

Man könnte die Psalmen das älteste Gesangbuch des Volkes Gottes nennen. Auch heute noch, über zweitausend Jahre nach ihrer Entstehung werden Psalmen von Juden und Christen gleichermaßen verehrt und gebetet. Schriftstellern und Musikern dient der Psalter von jeher als Quelle für ihre Eingebung (Zu Psalm 137 siehe Seite 68).

 

Sprüche Salomos:

Die einleitenden Verse des Buches werden traditionell als Angabe zur Urheberschaft Salomos gedeutet. Diese Annahme geht auch auf eine Aussage im 1. Buch der Könige (5,12) zurück, nach der Salomo dreitausend Sprüche und 1005 Lieder aufgeschrieben habe. Die Zuschreibung an Salomo ist dadurch bedingt, daß Salomo in späterer Zeit als Patron der israelitischen Weisheit galt. Jedoch läßt sich kein Spruch ausdrücklich auf ihn zurückführen. Das Buch scheint wohl im 2. Jahrhundert vorgelegen zu haben. Das Buch selbst nennt in Kapitel 30 und 31 weitere Quellen. Ausdrücklich als Verfasser genannt wird Salomo für die folgenden Stellen: 10,1 - 22,16 und 25,1 bis 29,27. Nach jüdischer Tradition geht das gesamte Buch auf den judäischen König Hiskia zurück.

Die gegenwärtige Forschung nimmt eine längere Entstehungszeit der biblischen Sprichwort­samm­lung an, die von der Zeit des Königs Hiskia bis in das vierte, eventuell sogar dritte Jahrhundert vor Christus reicht. Die ältesten Teile sind vermutlich die dritte und die vierte Sammlung, die erste Sammlung gilt als die jüngste. Im Neuen Testament der Bibel finden sich 35 Zitate oder Bezüge auf das Buch der Sprichwörter.

Die Spruchsammlung behandelt eine Vielzahl von Themen. Es geht um allgemeine Lebensweisheit. Einiges ist von solcher überzeitlicher Gültigkeit, daß manches auch als deutsches Sprichwort dient, zum Beispiel „Wer dem andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein!“ Einen Schwerpunkt der Sprüche bildet das Thema Erziehung: „Wer seine Rute schont, der haßt seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn beizeiten.“ (13,24).

Der Tun-Ergehen-Zusammenhang kann als eine Art „Grundgesetz“ der Weisheit gelten. Dabei geht es um die „Verläßlichkeit der Welt“, die sich in der Überzeugung ausdrückt, daß gute Taten ein gutes Ergehen zur Folge haben und böse ein schlechtes: „Siehe, dem Gerechten wird vergolten auf Erden, wieviel mehr dem Gottlosen und Sünder!“ (11,31). Dabei gilt Gott als Garant dieses Zusammenhanges: „Der Herr läßt den Gerechten nicht Hunger leiden, aber die Gier der Gottlosen stößt er zurück!“ (10,3). Einzelne Sprüche jedoch stellen angesichts gegenteiliger Erfahrungen die Unver­fügbarkeit des Handelns Gottes heraus: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt!“ (16,9).

In der vorliegenden Fassung des Buches ist die Weisheit theologisch gedeutet, wie das das Buchmotto in 1,7 deutlich macht: „Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis!“ Die personifizierte Weisheit ist Mittlerin zwischen Gott und Mensch.

 

Prediger Salomos:

Der Verfasser ist unbekannt. Der hebräische Name des Buches ist „Kohelet“. Dieser Name bezeichnet eine Betätigung und könnte einen Versammlungsleiter meinen. Wahrscheinlich ist der Verfasser in der palästinensischen Oberschicht zu suchen (Geld ist ausreichend vorhanden). In der Überschrift 1,1 wird er als „Davidssohn“ bezeichnet, so daß auch diese Weisheitsschrift wohl auf den beispielhaften Weisen Salomo zurückgeführt wird. Das Buch zeigt sich in der Gattung eines Königstestaments (1,12). Dies ist eine alte höfisch-weisheitliche Gattung, die ursprünglich wohl aus Ägypten stammt.

Wortschatz sowie Übernahme des Predigers in dem Buch Jesus Sirach führen auf eine Entstehungszeit um 210 -180 vCh. Dies zeigt sich auch an dem recht jungen Hebräisch. Als Entstehungsort wird Palästina angenommen.

Eine erste Bearbeitung - vielleicht von einem Schüler des Predigers - fügt den ersten Nachtrag 12,9-11 und wohl auch die zusammenfassende Überschrift 1,2 hinzu. Vielleicht ist aus dieser Hand auch die ganze Zusammenstellung. Die spätere Übernahme versuchte vielleicht, die Bedenken des Predigers etwas abzuschwächen (z.B. 7,18 b und: 11,9 b) und reihte ihn durch die Nachträge 12,12 und 13-14 in die andere Weisheitstradition ein (Rückführung auf Salomo). So wurde die Schrift dann auch geeignet, in die Bibel aufgenommen zu werden.

 

Die Grundfrage des Prediger-Buches ist die Frage „Was macht das Leben lebenswert?“ und worin liegt die Frucht der Mühe des Lebens. Darauf antwortet der Prediger in einer Weise, die sich in ihren Grundpositionen deutlich von der überlieferten israelitischen Weisheit unterscheidet:

Zunächst wird festgestellt, daß das Streben nach Wissen, Besitz. Macht, Arbeit und Nachruhm sinnlos ist da Erfolg und Glück bei allem Streben unverfügbar sind. Die Erkennbarkeit von Gottes Ordnung wird darin vom Prediger geleugnet: Zwar ist alles Glück und Leid in Gott begründet, doch ist die Ordnung, nach der Gott zuteilt, nicht erkennbar. In all seinem Denken ist der Prediger kein Gottesleugner, er weiß die Welt von Gott geschaffen und von ihm durchwaltet. Doch ist dem Menschen Gottes Tun nicht offenbar (8,17 und 11,5).

Der Mensch kann mit dem göttlichen Walten nicht in Kontakt kommen, da es zu tief verborgen liegt. Hier kommt also die Verzweiflung eines Weisen zum Ausdruck, der auf der einen Seite sein Lehen von Gott ganz umgriffen weiß, was aber andererseits für ihn sinnlos geworden ist, da das Wirken dieses Gottes in eine unerreichbare Verborgenheit versunken ist. Das Bestehen des Tun-Ergehens-Zusammenhangs wird prinzipiell geleugnet (2,14 und 7,15 und 8,14). Das wird mit vielen Erfahrungen belegt. Dadurch gibt es auch keine Motivation mehr zum Streben nach Weisheit und Gerechtigkeit. Von hier aus erklärt sich auch die Lebensunsicherheit, die der Prediger nach allen Seiten hin aufdeckt: Unsicher ist Reichtum und Gerechtigkeit, unsicher ist vor allem die Zukunft und sicher ist nur der Tod.

Der Prediger steht damit trotz Abgrenzung in der Tradition der jüdischen Weisheit. Man darf dieses Buch deshalb nicht als persönliches Vermächtnis eines einsamen Grüblers ansehen. In 8,17 ist der Weise genannt, gegen den es sich wendet. Wer jedoch genau damit gemeint ist und ob überhaupt an eine konkrete Person oder Tradition gedacht ist, ist unsicher.

Der weltanschauliche Hintergrund, vor dem sich das Sinnen und Fragen des Predigers bewegt, zeigt sich 1,4-11: Alles befindet sich in einem im Grunde trostlosen Kreislauf („Es gibt nichts Neues unter der Sonne“). Daneben tritt die Vorstellung, daß alles von Gott festgelegt ist. Der Mensch hat keine Einwirkungsmöglichkeiten. Dadurch hat alles seine Zeit, nur kann der Mensch Gottes Ratschluß nicht erkennen oder gar abändern.

Ferner kommt der Prediger auch zu einer eher negativen Sicht des Lebens. Er sieht vor allem die Last und Mühe und das Todesgeschick, das den Menschen unabwendbar ereilt. So bleibt ihm nur die Freude am zugefallenen Glück des Augenblicks.

So spiegelt sich im Prediger-Buch eine tragische Lebensauffassung: Über das Leben des Menschen wird von einer göttlichen Macht verfügt, mit der der Mensch nicht Schritt halten kann. Wie er sich auch müht, er kann Gott nicht verstehen, die Grenzen sind zu unüberwindlich. Zwar gibt Gott ihm auch Freuden, aber er richtet ihn auch und er ist und bleibt der Stärkere.

Von einer Botschaft oder Weisung, die er auszurichten hätte, kann deshalb bei ihm auch nicht geredet werden. Er kann nur noch vor Illusionen warnen. Nach Prediger. 11,1-2 ist nicht einmal auf die Unsicherheit Verlaß.

Bevor er jedoch den völligen Sturz in den Abgrund der Verzweiflung tut, hält er inne und fordert zu einem Nehmen und Genießen des Möglichen auf. Seine Aufforderungen enthalten jedesmal einen Hinweis auf Gott, sie sind sogar die einzigen, die das menschliche Tun mit einem positiven Willen Gottes in Verbindung bringen („es gefällt Gott” - 9,7b).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die prophetischen Bücher

 

 

Propheten

Ein Prophet ist ein Gesandter Gottes, der einen Auftrag Gottes auszuführen hat. Er ist kein Zukunftsdeuter, denn Zukunftsdeuter sind meist ohne Beziehung zu Gott. Das Prophetentum trat in der Geschichte Israels erst spät auf, erst ab 800 vCh. Die Eingebung der Propheten kam nicht aus einer sinnlosen Ekstase, sondern der lebensspende Geist Gottes ging in die Propheten ein. Sie lebten in einer abgeklärten Erwartung, hatten aber neben Erscheinungen und Hörereignissen immer mehr innere Erlebnisse. Sie verstanden sich als Boten, die auf die entscheidungsschweren Fragen des Volkes Antwort geben wollen. Aber die Propheten brachten nicht eine „hohe“ Religion im Gegensatz zur Gesetzesreligion. Sie waren nicht freie, geistige Idealgestalten und verkündeten nicht Individuelles, sondern das, was für Israel gemäß war. Sie nahmen ältere Vorstellungen auf („Jahwe allein“) und forderten zur Gestaltung des Alltagslebens von Jahwe her auf.

Die meisten Propheten wurden berufen, wenn auch meist nach einigem Sträuben: Samuel wird dreimal gerufen, dem Elisa wird der Mantel des Elia umgehängt, Moses sieht den brennenden Busch, Jesaja wird durch eine glühende Kohle rein gemacht und erhält seinen Auftrag. Nicht alle Propheten haben wie die „Schriftpropheten“ auch Schriften hinterlassen.

Die Propheten betonnen die alten Ideale aus einem neuen Gotteserlebnis heraus und unter einer neuen Kultur. Sie haben das alte Recht nur aktualisiert und auf die konkrete Tradition angewandt. Dabei kommen sie aus der politischen Lage heraus auch zu einer Zukunftsverkündigung, allerdings nur für die Gegenwart und die nächste Zukunft, nicht für die Endzeit. Erst die letzten Propheten haben eine endzeitliche Sicht der Weltgeschichte und verstehen Jahwe als Herrn der ganzen Welt.

Weltgeschichtliche Ereignisse werden mit Jahwe zusammengebracht. Israel ist auserwählt, aber es darf sich nicht in Sicherheit wiegen, sondern seine Sünden werden stärker bestraft, weil er seine Heiligkeit durchsetzt. Wenn die Treue nicht bewahrt wird, weil es soziales Versagen gab oder eine falsche Bündnispolitik, dann wird der Bund aufgehoben.

Im Kampf zwischen Jahwe und den anderen Göttern machen die Propheten die Notwendigkeit der Entscheidung deutlich. Der König Ahab wollte noch dem eigenen Volk  u n d  den Kanaanäern gerecht werden und opferte auf beiden Seiten. Der Prophet Elia aber führt eine Entscheidung durch ein Gottesurteil herbei und stellt den Jahwe-Altar wieder her, der längst den Baal-Altar abgelöst hatte.

Aber neben den Gerichtspropheten gibt es in der Spätzeit dann auch Heilspropheten, die wieder mehr die andere Seite Jahwes betonen. Nahum und Habakuk sehen in dem Gericht Gottes eine Reinigung, die zu einer Erneuerung führt.

 

Jesaja I:

Bei Jesaja handelt es sich um eine ganze Bibliothek prophetischen Schrifttums. Die Kapitel 44 - 55 gehören zu einem Deuterojesaja, Kapitel 56 - 66 zu Tritojesja. Aber auch in den Kapiteln 1 - 39 findet sich mehr fremdes als ursprüngliches Gut (232 Sprüche von Jesaja, 552 von anderen).

Jesaja wirkte im damaligen Südreich Juda zwischen 740 und 701 vCh in der Zeit der Bedrohung durch die antike Großmacht Assyrien. Er wirkte unter den Königen Usia (773-736?), Jotham, Ahas und Hiskia (725/28 bis 697/700). Seine letzten drei Wirkungsperioden sind vor allem durch politische Prophetie gekennzeichnet. Unter Hiskia gelingt es ihm, direkten Einfluß auf die Politik zu nehmen. Die letzten klar datierbaren Worte stammen von 701 (Belagerung Jerusalems durch Sanherib).

 

Geschichtlicher Hintergrund:

Jesajas Wirken fällt in das Ende der letzten Blüte des Nordreiches Israel unter dem König Jerobeam II (787-748) und des Südreiches Juda unter Usia (787-736). Das lag daran, daß die Aramäerstaaten im Norden durch das neuassyrische Reich bedrängt wurden und die beiden israelitischen Staaten in Ruhe lassen mußten.

Besonders Juda erlebte unter Usia eine vierzigjährige Blütezeit. Siegreiche Kriege, Gebietserweiterungen, Handel, technischer Fortschritt, Bautätigkeit waren Kennzeichen des Aufschwungs. Ihn sah man als ein Zeichen des Segens an, als Bestätigung der Menschen durch Gott. Doch man nutzte nur die Gunst der internationalen Lage, es war eine trügerische Schein-Ruhe.

Etwa gleichzeitig mit Usias Tod begann Assyrien unter Tiglath-Pileser III. (745-727) seine Weltmachtstellung zu entfalten. Er unterwarf sich Syrien (732) und das Nordreich Israel (722) und versuchte im Jahre 701, auch Juda zu erobern. Er ging zu wirkungsvolleren Methoden der Unterwerfung der Völker über: Die Oberschicht wurde in ein anderes Land weggeführt und sollte dort ihrerseits ein anderes Volk unterdrücken.

Die syrischen Fürsten hatten sich zunächst unterworfen. Aber 734 wurde Pekachia von Samaria ermordet. Sein Nachfolger Pekach beteiligte sich zusammen mit Rezin von Damaskus und Hanno von Gaza an einer anti-assyrischen Koalition. Ahas von Juda aber wollte nicht mitmachen. Da wollten ihn die anderen im syrisch-ephraimiti­schen Krieg im Jahre 733 dazu zwingen.

Ahas wandte sich an die Assyrer um Hilfe. Dagegen wandte sich Jesaja in seiner Denkschrift (Jes 6,1 - 9,6), weil nicht Vertrauen auf menschliche Macht helfen kann, sondern allein Gott der Retter seines Volkes ist. Der Verlauf der Geschichte hat dem Propheten recht gegeben. Tiglath-Pilesar stieß in einem Feldzug bis nach Ägypten vor. Die nördlichen und östlichen Gaue des Nordreichs wurden 733 in Assyrien einverleibt. Lediglich Samaria mit dem umgehenden Gebiet blieb noch als Rest des ehemaligen Nordreichs übrig. Doch wenige Jahre später kündigte es die Tributzahlungen auf. Salmanasser belagerte Samaria ab 725, Sargon nahm es 722 ein.

Ahas mußte Tiglath-Pileser in Damaskus huldigen. Das hatte aber auch religiöse Folgen: Schon aus Damaskus schickte er das Modell eines assyrischen Altars, der im Vorhof des Tempels aufgestellt werden sollte. Sein Nachfolger Hiskia (725-697) beteiligte sich zunächst nicht an zwei regionalen Aufständen.

Doch 701 hat der den Tribut an Assur nicht mehr entrichtet, zusammen mit anderen palästinensischen Kleinstaaten. Jesaja warnte wieder vor dem Vertrauen auf die Ägypter. Diese wurden auch geschlagen, als Sanherib das Gebiet durchzog und schließlich auch Jerusalem belagerte. Doch wegen Nachrichten aus dem Osten mußte er wieder abziehen, Hiskia mußte aber die Tributzählungen wiederaufnehmen. Assyrien verstand seinen Sieg nicht als Vollstreckung des Willens Gottes, sondern als Kriegserfolg seines Gottes Assur.

Die politischen Warnungen Jesajas haben nichts genutzt. Man ging nicht in sich nach dem Wunder der Bewahrung Jerusalems, sondern man feierte Feste und die materialistische Gottesauffassung wurde sogar noch verstärkt.

Israel erlebte hier zum ersten Mal Weltgeschichte, aber so, daß es diese erleiden mußte. Es mußte lernen: Gott ist der Herr der Weltgeschichte; und er vollzieht das Gericht, um sichtbar zu machen, was Ungehorsam gegen Gott ist. Auch das Südreich Juda wurde 587 zerschlagen (vgl. 2. Kön 15,1 bis 18,16 + 2. Chron 26).

 

Biographie:

Der Prophet Jesaja wurde wahrscheinlich in Jerusalem geboren und hat auch dort gewohnt. Man nimmt an, daß er aristokratischen Kreisen entstammte und höfische Bildung genoß. Er hatte Zugang zum König und zweifelte das Königtum nicht an, denn man hört bei Hof auf ihn, während er seine Drohworte gegen Priester und Kultbeamte sowie Richter und Adel aussprach.

Seine Wirksamkeit begann im Todesjahr Usias. Dieser lebte wegen Aussatz lange Jahre zurückgezogen, sein Sohn Ahas führte die Geschäfte. Aber 736 ist er wohl gestorben, wie eine aramäische Grabplatte im Israel-Museum in Jerusalem berichtet (nach 1,1 soll er schon 742 unter Jotham gewirkt haben, aber seine eigene Angabe 6,1 ist wohl glaubwürdiger).

Jesaja war mit einer Prophetin verheiratet und hat seine ganze Familie in den prophetischen Dienst gestellt, denn seinen Söhnen gibt er symbolische Namen (7,3 und 8,3; manche sehen auch in Immanuel 7,14 einen Sohn Jesajas).

 

Innerhalb seiner Wirksamkeit lassen sich fünf Perioden unterscheiden:

  • Sozialkritische Periode von der Berufung (falls Jesaja 6 ein Berufungsbericht wäre, dann würde Jesajas Wirkungszeit 736 beginnen) bis zum Tod Usias im Jahre 736. Überwiegend Gerichtsverkündigung, aber auch gelegentliche Aufforderung zur Umkehr (Kap 1 bis 3 und 6,1-11 und 5 und10,1-4). Zentrale Anklage ist das Ausbleiben von Recht und Gerechtigkeit. Nach der Gabe des Landes und der Erwählung Davids und des Zions hätten die Israeliten eigentlich Recht und Gemeinschaftstreue hervorbringen können und müssen. Doch die Judäer hatten Jahwes Heilsgaben vertan: Die Kleinbauern werden um Haus und Gut beraubt, rechtlose Witwen und Waisen werden mißhandelt und entrechtet, Richter werden bestochen, Verschwendungssucht herrscht. Auch die vornehmen und modebewußten Frauen Jerusalems werden wegen ihres Stolzes angeklagt.        

Die Sozialkritik nötigt Jesaja zur Kultkritik: Die Verfehlung an Volksgenossen begründet eine Unreinheit, die Gottes Heiligkeit zuwider ist. Den Grund für das Verhalten seiner Mitmenschen sieht Jesaja in der unangemessenen Selbstüberschätzung, die Jahwes wahrhaftiger Hoheit zuwider ist. Jetzt zieht Jahwe einen Schlußstrich. Für die Zukunft sagt Jesaja den Judäern unbedingtes Unheil an, spricht allerdings nicht von Verschleppung und fremder Besatzung. Nirgends wird der Zion oder der König grundsätzlich angetastet. Doch kündigt er den Tod der Verantwortlichen und den Zusammenbruch der Ordnung an. Das Unheil versteht er als einen Läuterungsprozeß. Der menschliche Hochmut wird dabei durch den „Tag Jahwes“ und eine Gotteserscheinung. Diese führt zur Vernichtung der Frevler, zum Niederbrechen alles Hohen und zur Aufrichtung einer neuen, gottgewollten Seinsordnung. In seiner frühen Verkündigung weist Jesaja viele Ähnlichkeiten mit Amos auf. Vielleicht erhielt er von dem aus Israel ausgewiesenen Amos wichtige Impulse.

  • Wendung zur Außenpolitik während des syrisch-ephraimitischen Krieges 734 bis 732: Juda wird zum Glauben aufgerufen und ihm die Errettung vor den Feinden in Aussicht gestellt (Kap 7 - 8 und 17,1-3). Mit Beginn des syrisch-ephraimitischen Krieges dehnt sich Jesajas Verkündigungstätigkeit auch auf politische Fragen aus. So lautet seine Grundthese: Weder eine militärische Offensive gegen die anrückenden Truppen aus dem Norden noch ein Hilfegesuch an Assyrien sind sinnvoll. Vor der syrisch-ephrai­mitischen Koalition braucht Juda sich nicht zu fürchten, denn diese sind nur zwei rauchende Stummel von Holzscheiten, deren Macht bald wieder vorbei sein wird.           

Die Aufgabe für Juda ist jetzt: Auf Jahwe und der von ihm angekündigten Zukunft zu vertrauen und Ruhe zu bewahren. Gefordert ist Glaube, das heißt das Vertrauen auf Jahwes geschichtsgestaltendes Wort, das durch den Propheten verkündigt wird. Zugleich wird die wahre Zukunft mit dem zur Hilfe herbeigerufenen Assur angekündigt: Assur wird Juda überschwemmen, es wird zum Werkzeug der Vernichtung. Doch Jesajas Verkündigung scheint kaum auf Widerhall zu stoßen. Deshalb verschließt er seine Lehre in seinen Schülern für zukünftige Zeiten und zieht sich zurück in eine Schweigephase.

  • Vor dem Fall des Nordreichs (732-22): Voraussage des Untergangs Israels (Kap 9,7-20 und 5,25-30 und 28,1-4)
  • Philistäische Aufstandsbewegung geht von 721 bis 711): Warnung vor der Beteiligung des Volkes an den fruchtlosen Revolten (Kap 14,28-32 und 20,1-6). In diesem Rahmen kommt es zum antiassyrischer Aufstand unter der Führung Asdods von 713 bis 711. In der Zeit des von Asdod ausgehenden antiassyrischen Aufstands verändert sich Jesajas Haltung zu den Assyrern: Zwar kündigt er in seinem symbolischen nackten Umherlaufen weiterhin den Sieg der Assyrer und jetzt die Verschleppung Ägyptens an und singt der ägyptischen Gesandtschaft ein Totenlied vor. Doch wird auch den Assyrern Unheil angekündigt: Sie sind zwar nach wie vor das Werkzeug Jahwes, das dieser herbeirief um sein ungehorsames Volk zu strafen.                                                           

Doch wird auch ihr grausamer Hochmut von Jahwe niedergeschlagen werden. An Jahwes heiligem Berg, am Zion, wird Assur von Jahwe zerschlagen werden. Jetzt tritt jeder Vorwurf gegen das eigene Volk zurück (vielleicht weil jetzt Hiskia regiert, der offener für Jesajas Botschaft ist?). An der Beurteilung Assurs zeigt sich ein zentraler Zug der Theologie Jesajas: Wer sein Handeln an Gottes Plan und Werk ausrichtet, wird Gutes erfahren, wer sich nicht daran orientiert, wird Unheil erleben. Diesen Plan Gottes gilt es zu erkennen, wenn man in den zukünftigen Katastrophen überleben will. Wer von Jahwe aber verstockt ist, dem fehlt solches Erkennen. So kritisiert Jesaja auch die selbstsichere Weisheit. Doch Jesajas Ankündigungen treffen nur zum Teil ein: Zwar wird Juda durch Tribute gerettet, aber Assurs Untergang ist noch nicht gekommen.

  • Antiassyrischer Aufstand bis zur Belagerung Jerusalems (Syrisch-palästinen­sischer Aufstand (705-701): Verkündigung des Endes für das verblendete Volk (Kapitel 28 - 31 und 1,4-9 und 22,1-14). Jesaja kritisiert in dieser Zeit die selbstgewisse Weisheit, die politische Bündnisse mit Ägypten eingeht und auf die eigene Streitmacht vertraut, ohne nach Jahwes Plan zu fragen. Nicht Heer und Bündnisse verschaffen Sicherheit, sondern der Zion, von dem nach der Vernichtung der Führer wieder Recht und Gerechtigkeit ausgehen wird. Jesajas Anklagen richten sich also nicht prinzipiell gegen das Streben nach sicheren Stützen, sondern nur gegen die Orte, wo Israel Stützung sucht. Wirkliche Stütze kann nur das Zionsheiligtum gewähren. So kündigt Jesaja den Untergang der politischen und religiösen Führung Judas im Ansturm der Assyrer an, doch verheißt den Armen, die sich zum Zion gerettet haben, eine wunderbare Rettung. Die Haltung gegenüber Assur wird immer kritischer: Durch eine Gotteserscheinung wird Assur vernichtet werden. So rechnet Jesaja mit einer schweren Katastrophe, wie auch mit einer plötzlichen Wendung zum Besseren. Dies stimmt auch im Wesentlichen mit den Jesaja-Erzählungen überein.

 

Verkündigung:

Auf den Propheten Jesaja aus dem 8. Jahrhundert vCh führt man weitgehend die Kapitel 1 bis 39 des Jesajabuchs zurück. Diese bestehen überwiegend aus Prophezeiungen, in denen Jesaja den Nationen droht, die Juda verfolgen. Generell besagen die Prophezeiungen, daß Gott der Herr der Welt sei und alle ungläubigen Völker bestraft, die sich sicher fühlen.

Wie bei allen Propheten geht es hier um Gericht und Erlösung. Er klagt: „Ein Ochse kennt seinen Herrn...“ und „Gott möchte keine Brandopfer....“. Jesaja hält auch durchaus Einzelnen ihre Sünden vor. Zugleich droht politische Gefahr aus dem Norden: Jesaja tröstet den zitternden König und ruft ihn zum Vertrauen auf: „Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht!“ - „Das Volk, das im Finstern wandelt….“ - „Ein Kind ist uns gegeben“. Auch anderen Völkern verkündet Jesaja Gericht und Heil (Kapitel 13 - 23). Am Ende jedoch wird Gott mit den Seinen zusammen sein beim eschatologischen Mahl (siehe Neues Testament).

 

Kapitel 1: Zusammenstellung selbständiger Jesajaworte als eine Art programmatische Einleitung (nur 1,4-9 ist auf das Jahr 701 datierbar). Hier werden wesentliche Hauptgedanken der Prophetie Jesajas vorweggenommen und mit einer Überschrift (1,1) versehen.

Kapitel 2-4: Vor allem Drohworte aus der Frühzeit Jesajas und deren Begründung. Die Heils­weissagungen 2,2-5 und 4,2-6 sind wohl von anderer Hand, anonyme Worte, die sich auch bei Micha finden.

Kapitel 5 + 9 - 11: Dieser Abschnitt ist durch den Einschub von 6,1 - 9,6 durcheinandergeraten. Die Weherufe in 5,8-13 und 18-23 finden ihre Fortsetzung in 10,1-4. Der Abschnitt 5,25-29 gehört mit 9,7-20 durch den Kehrvers zusammen. Abschluß ist die Heilsweissagung 11,1-9 (10,3-35 sind später, 11,10-16 sind nachexilisch).

Kapitel 6: Der Prophet hat eine Erscheinung (Vision): Er ist im Tempel und sieht, wie der Vorhang an der Treppe zum Allerheiligsten sich bewegt. Er hält ihn für den Saum des Mantels Gottes, der als König vorgestellt wird. Ein Engel aus Gottes Hofstaat („Seraf“) fliegt zu Jesaja und reinigt ihn für seine Aufgabe. Die anderen preisen Gott in einem Wechselgesang und verherrlichen ihn als Herrn der Welt. Aber das Volk wird verstockt bleiben und nicht umkehren. Doch ein neuer König aus der Familie Davids wird den Thron besteigen (9,6). Politische Bündnisse braucht man nicht, denn Gott ist nahe. Jesaja verkündet sogar eine endzeitliche Wende zu universalem Frieden, Gerechtigkeit und Heil.

Kapitel 6,1 bis 9,6 ist eine Sammlung. Wegen ihres Ich-Stils ist sie schon von Jesaja selbst zusammengestellt worden (auch Kap 7 ist ursprünglich). Der Prophet hat sich für einige Zeit zurückgezogen und sein Vermächtnis seinen Jüngern schriftlich anvertraut, um später auf seine Weissagungen zurückkommen zu können, wenn sie erfüllt sind.

Kapitel 12: Schlußdoxologie des ersten Teils, Danklied und eschatologischer Hymnus.

 

Kapitel 13 - 23: Reden gegen fremde Völker (außer 20 und 22), von denen einige von Jesaja stammen (zum Beispiel 20 und 22 und 14,24-27 und 17,1-11).

Kapitel 24 - 27: Eine Apokalypse (Vorausschau der Endzeit), nicht von Jesaja

Kapitel 28 - 31: „Assyrischer Zyklus“, fast alle bei der anti-assyrischen Erhebung.

Kapitel 32 - 35: Heilsankündigungen, aber nur 32,3-15 sind von Jesaja

Kapitel 34 - 35: Wieder eine Apokalypse

Kapitel 36 - 39: Übernahme aus 2. Könige 18-20 (Geschichtliches aus der Jesajazeit).

 

Verstockungstheorie:

Jesaja erhält in Jes 6 den Auftrag, das Herz des Volks zu verstocken, also gegen Jahwe unempfindlich zu machen. Hier wird die negative Erfahrung, die Jesaja bei seiner Verkündigungstätigkeit mit seinen Landsleuten machte, verarbeitet und auf Jahwe zurückgeführt. Jesaja 6 kann dann aber keine Gotteserscheinung sein, in der Jesaja zum Propheten berufen wird, sondern ist erst nach einer gewissen Verkündigungstätigkeit anzusetzen. Das Nichtbeachten der prophetischen. Botschaft muß auf eine Macht zurückgeführt werden. Da nur Jahwe dafür in Frage kommt, muß Ver­stockung (gegen sein sonstiges Wesen) auf Jahwe zurückgeführt werden.

Das Problem ist: Der Text spricht davon, daß Jahwe Israel verstockte und  nicht Israel seinen Gott Jahwe zum Verstockenden gemacht habe. Die Verstockung ist keine ewige und prinzipielle, sondern eine die konkreten Zeitgenossen Jesajas betreffende Verstockung. Sie ist im Verhalten der Israeliten begründet: Gott kann sich nicht beliebig über menschliche Unheilsräume hinwegsetzen. Verstockung macht einfach unfähig, die Sinne und die Vernunft richtig zu gebrauchen, so daß die Gefahren der Gegenwart nicht richtig erkannt und gemeistert werden können. Die Ver­stockung ist eindeutig ein Handeln Jahwes. Das Wort Jahwes schafft nicht nur im Raum der allgemeinen Geschichte neue Tatsachen, sondern auch im Herzen des Einzelnen und führt so zur Ablehnung der rettenden Botschaft Jahwes. So haben die politischen Warnungen des Propheten nichts genutzt, auch wenn Jerusalem nicht eingenommen wurde. Aber man ging nicht in sich und lebte in einer trügerischen Sicherheit.

 

Der Restgedanke und die Zionstheologie:

Entscheidend für die Auslegung der Zionstheologie ist, ob Jesaja als absoluter Unheilsprophet angesehen wird (so daß alle Heilstexte sekundär wären) oder ob ihm eine Heilshoffnung für den Zion zugeschrieben wird. Diese Wahlmöglichkeit wird entschieden durch die Auslegung des Restgedankens:

Die Verse 6,13a und 29,1-4 werden als totale Vernichtung ausgelegt (6,13b und 29,5-8 sind sekundär). Der Rest wird als unbedeutende Restbevölkerung nach der Katastrophe, der sozusagen „letzte Rest“, angesehen. Der Vers 6,13a beschreibt keine totale Vernichtung, sondern das Unheil zunächst für Israel, dann für Juda. Das Bauerngleichnis 28,23-24 zeigt. daß es keine endlose Vernichtung gibt. Der Rest ist zu verstehen als die in der Katastrophe verschonte Minderheit, aus der das Volk neu entstehen kann. Dieser Rest bildet das Volk des zukünftigen Heilskönigs. Bei einer negativen Auslegung des Restgedankens ist es schwerlich möglich, eine positive Zionshoffnung aufrecht zu erhalten, denn wo wäre das Volk, das sich auf dem erretteten Zion versammelte?!

Es ist von einen positiven Restgedanken auszugehen, von wo aus dann Jesajas Zionstheologie zu bestimmen ist: Schon vor Jesaja war der Zion der Ort der Begegnung Israels mit Jahwe.

In den Unheilsankündigungen gegen Assur findet es dann seine zentrale Bedeutung: Assur, das Jahwe zur Zuchtrute herbeigerufen hat, wird am Zion zerschellen, wenn Jahwe dort in einer gewaltigen Erscheinung auftritt (10 und 24 und 29,8 und 31,4-9).

Doch obwohl der Zion nicht zerstört wird, werden doch Jahwes Feinde auch auf dem Zion vernichtet. Jahwe wird sich selbst gegen den Zion erheben. Nur für den auserwählten Rest ist der Zion ein Ort der Bewahrung (14,32 und 28,16) und des Neuanfangs, dort wird der kostbare Grundstein für das Neue gelegt und von dort wird das Friedensreich des Messias ausgehen.

 

Immanuel:

Umstritten ist, ob es sich bei der jungen Frau um eine Frau des Königs, Jesajas Frau oder eine anonyme Frau handelt. Unklar ist, ob es sich bei dem Kind um eine messianische Gestalt oder um einen normalen Menschen mit einem Symbolnamen handelt. Unklar ist, ob das Immanuel-Zeichen und 7,17 zu verstehen ist als Heilsansage (dann ist die Erwähnung Assurs zu streichen) oder als Unheilsansage. Unklar ist, ob Dickmilch und Honig Zeichen sind für Überfluß oder Mangel. Der Name deutet aber auf ein nahes Heil. Doch dieses Heil wird für Ahas aber Gericht bedeuten.

Als erster Prophet Israels verhieß er den Israeliten einen zukünftigen Messias als gerechten Richter und Retter der Armen, eine geweihte Person, die Macht von Gott bekommen hat und in deren Königreich Gerechtigkeit vorherrschen wird. Interessant an dieser Prophezeiung ist, daß Jesaja konkret darüber schreibt, daß der Messias ein Nachkomme von König David sein wird.

Der heutige Leser wird die Hoffnung auf eine Zeit, in der die Löwen nur Gras fressen (Jesaja 11) nicht teilen können. Aber Gott wird in Zukunft eine Schöpfung bereiten, in der alles anders sein wird. Aber die große äußere Wende in der Geschichte Israels ist in der von Israel erhofften Weise und in der von ihm erhofften Zeit nicht eingetreten: Das Judentum hofft immer noch auf den Messias. Der christliche Glaube dagegen bekennt, daß die prophetischen Weissagungen sich in Jesus von Nazareth erfüllt haben. Aber auch diese Gemeinde wartet noch zusammen mit den Juden darauf, daß sich Gottes Macht einmal vor allen offenbaren wird.

 

Die Messiaserwartung:

Nicht eindeutig einer bestimmten Wirkungsperiode zuzuordnen ist die Rede von einem zukünftigen Friedenskönig (8,23-9,6 und 11,1-5 bzw.10) und 32,18). Doch lassen sich Wortwahl und Grundaussagen gut in die bereits dargestellte Theologie Jesajas einordnen, so daß diese Texte als jesajanisch anzusehen sind (Aber sie sind auch gut vom zweiten und dritten Jesaja her verständlich).

In dem Abschnitt 8,23 - 9,6 wird ein ägyptisches (und Jerusalemer?) Königsritual aufgegriffen: Der König erhält mehrere Thronnamen (Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst). Sie umreißen Fähigkeiten, die über jeden König hinausragen. Der Abschnitt 11,1-5 knüpft mit seinem Bild des Wurzelstocks an die vorausgehend angekündigte Rodung alles Hohen und Erhabenen an. Der neue König wird weniger den Geist des Krieges besitzen als den Geist der Erkenntnis und der Gottesfurcht. Er wird Recht und Gerechtigkeit aufrichten, sein heilvoller Lebensraum wird sogar die Tierwelt befrieden.

Diese Messias-Vorstellung ist ausgesprochen königskritisch: Weil die realen Könige versagt haben, wird in Zukunft der Untergang der bestehenden Davidsfamilie und ein ganz anderer König erwartet. Dennoch wird die Einrichtung des heiligen („sakralen“) Königtums nicht grundsätzlich aufgegeben. Es wird aber auf eine nicht entartete Linie der Familie, sozusagen auf den unbelasteten Ausgangspunkt Isai (den Vater Davids) zurückgegriffen, und die nicht erfüllte Hoffnung in die Zukunft geworfen. Der selbstherrliche Titel „König“ wird für den Messias gemieden (außer 32,1). Stattdessen wird er mit „Fürst“ bezeichnet: Er ist kein nur sich selbst verantwortlicher Alleinherrscher, sondern Statthalter Jahwes.

 

Schon vor vielen hundert Jahren haben die Menschen im Volk Israel auf einen Heiland und Retter gewartet. Viele Menschen glaubten nicht mehr an Gott, sogar die Könige beteten Götzen an, Feinde drohten dem Volk mit Krieg. Was müßte da der Retter tun, der helfen konnte? Feinde besiegen, im Volk Ordnung schaffen, Gottes Gebote achten, Götzendienst beseitigen. Was die Bibel aber einen solchen Retter sagt, wollen wir uns an einigen Beispielen ansehen:

Jesaja 11,1 - 2:

„Ein Zweig wird aus dem Stamm Isais aufbrechen, und ein Sprößling wird aus seiner Wurzel emporkeimen. Auf ihm wird der Geist Gottes ruhen, als der Geist der Weisheit und des Verstandes, als der Geist des Rates und der Kraft, als der Geist der Erkenntnis und Furcht Gottes!“

Hier wird ein Nachkomme Isais angekündigt. Dieser war der Vater des bedeuten­den Königs David. Man erwartete also, daß David selber wiederkommt. Er hatte das Reich des Volkes Israel zu neuer Blüte geführt. Dieses Reich galt nun als Bild für die kommende Herrschaft eines neuen Retters.

Dieser wird den Geist Gottes bekommen, wenn er in sein Amt eingesetzt wird. Im Volk Israel wurden sowohl der Königs auch der Hohepriester durch eine Salbung in ihr Amt eigesetzt (David wurde schon als junger Mann von Samuel gesalbt!). Der „Gesalbte“ heißt aber auf hebräisch „Messias“ und auf griechisch „Christus“. In Israel erwartete .man also einen Messias, mit dem das Heil und die Erlösung aber auch die Befreiung von irdischen Unterdrückern anbrechen sollte.

Wir wissen heute, daß dieser Messias in Jesus Christus gekommen ist. Aber das Volk Israel mußte noch auf ihn warten. Die Propheten haben von ihm gesprochen und haben ihn angekündigt, haben auch beschrieben, wie er sein sollte.

Jesaja nennt: Weisheit (Erfahrung, die Dinge des Lebens richtig zu beurteilen) und Verstand (Klugheit, Sachkenntnis), Rat (rechte Mittel und Wege im rechten Augenblick) und Kraft (Tüchtigkeit, die getroffenen Entschlüsse auch durchzusetzen), Erkenntnis (Wissen um Gott und seinen Willen) und Furcht Gottes (Unterordnung unter Gott; höchste Vollkommenheit ist, den Willen Gottes zu kennen und zu tun).

 

Sacharja 9,9:

„Tochter Zion, jauchze sehr; frohlocke, Tochter Jerusalem. Siehe, dein König kommt zu dir; sein Recht ist anerkannt, und er ist siegreich! Er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf dem Fohlen einer Eselin!“ Dem Volk in und um Jerusalem wird eine große Freude versprochen, denn sein König soll einziehen. Dieser macht jedoch einen recht merkwürdigen Eindruck: Er ist demütig, denn statt auf einem Streitroß reitet er auf einem Esel. Er setzt nicht auf Macht und Gewalt, sondern wird sich nur auf Gott verlassen. Aber von Gott her ist auch sein Königsrecht anerkannt, er kommt als der Gerettete, sein Recht ist von Gott anerkannt, er ist siegreich (nicht: Gerechter).

 

Jesaja 61,1 - 2:

„Der Geist Gottes des Herrn ist auf mir, weil Gott mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Geknechteten eine frohe Botschaft zu bringen, zerbrochene Herzen zu verbinden, den Gefangenen die Freilassung anzusagen und den Gebundenen die Öffnung des Kerkers; auszurufen ein Gnadenjahr Gottes und den Tag der Rache unseres Gottes, alle Traurigen zu trösten!“

Der auch an anderen Stellen als „Knecht Gottes“ bezeichnete Gesandte Gottes hat von Gott den Auftrag bekommen, die Not des Volkes zu beseitigen und die Befreiung aus der Unterdrückung. Er ist nicht nur Verwalter, sondern Bringer des Heils (in Lk 4,18 wird das auch auf die persönliche Not des Einzelnen bezogen, zum Beispiel die Krankheit). Der Knecht Gottes verkündet auch das Gnadenjahr Gottes, in dem jedem wieder sein Recht geschehen soll: Sklaven werden frei, der Besitz geht wieder an seinen ursprünglichen Besitzer. Die „Rache“ Gottes besteht in der Wiederherstellung von Recht und Gerechtigkeit, mit dem Messias bricht eine Zeit des Rechtes und der Freiheit an.

 

Diese drei Weissagungen stammen aus verschiedenen Zelten und haben verschiedene Umstände zum Anlaß. Ihr Inhalt ist verschieden, weil eben die Erwartungen sehr vielseitig waren. Dennoch gibt es im Alten Testament eine stark ausgeprägte zukünftige Heilserwartung. Aller­dings ist der Titel „König“ dabei fast ganz vermieden, weil Gott der eigentliche König des Volkes ist und auch der irdische König sich nach seinem Willen richten muß. Gott schafft das Heil, der Messias verwertet es nur.

Als Christen sehen wir diese Weissagungen aus der späteren Zeit her. Wir erkennen, daß sie sich in Jesus Christus in einem größeren und vollendeteren Sinn erfüllt haben. Wir müssen dabei aber bedenken, daß diese Weissagungen nicht gradlinig auf Christus hin gesprochen waren. Viele Stellen sind erst später messianisch gedeutet worden (zum Beispiel auch 1. Mose 3,15).

Die drei Texte aus dem Alten Testament wollen aber deutlich machen:

Jes 11 : W e r der Messias ist             -  Herkunft      -  Sproß, aber stark

Sach 9: W i e der Messias ist             -  Gestalt         -  König, aber arm

Jes 61 : W a s der Messias t u t          -  Wirken         -  Richter, aber barmherzig.

 

Allerdings hat Jesus jene Erwartungen in ganz anderer Weise erfüllt:

Messiaserwartungen

Leben und Wirken Jesu

Reichtum

Armut

Politische Macht

Machtlosigkeit

Ruhm

Verachtung

Ehre

Einsamkeit

Dazu sagt Jesus: „N E I N“

Dazu sagt Jesus: „J A“

           

Wie anders Jesus war als alle Erwartungen zeigt auch die Geschichte von der Ver­suchung Jesu die uns deutlich machen will, wie Jesus sich gleich zu Beginn seiner Wirksamkeit über seinen Weg klar werden mußte.

 

Jesaja II:

Von Kapitel 40 ab schreibt ein anderer Verfasser. Die Katastrophe ist über Israel hereingebrochen, aber der Prophet kündet die Erlösung aus der babylonischen Gefangenschaft an. Der Perserkönig wird dabei als der Diener Gottes gesehen (Jes 45). Aber es ist auch die Rede von dem anderen Knecht Gottes, der das Licht der Heiden ist (Jes 49), er wird leiden( Jes 53), stellvertretend für alle Menschen. Im „Perfekt propheticum“ redet man so, als sei dieser Knecht schon da.

Die Kapitel 40 - 55 werden dem zweiten Jesaja („Deuterojesaja“) zugeschrieben, der in der späten Zeit der Gefangenschaft wirkte. Hier wird die Befreiung der nach Babylonien verschleppten Juden vorhergesagt. Dabei beteuert der Autor, daß die Juden das auserwählte Volk des Herrn seien und daß Jahwe ihr einziger Gott sei. Der Autor redet von Babylon als herrschender Macht und setzt die babylonische Gefangenschaft der Israeliten voraus. Dieses fand erst über 120 Jahre nach den Ereignissen statt, die im ersten Buchteil eine Rolle spielen. Die Entstehungszeit ist zwischen 550 (Sieg des Kyros) und 539 (Eroberung Babylons), der Abfassungsort ist die babylonische Gefangenschaft.

Die Verkündigung des zweiten Jesaja ist reine Heilspredigt: Jahwe wird das Gericht beenden und sein Volk in einem Auszug, der den Auszug aus Ägypten weit übertrifft, nach Hause führen. Eine neue Heilszeit wird anbrechen. Kyros ist das erwählte Werkzeug von Gottes Handeln, sogar der Gesalbte Jahwes. Er vollstreckt an Babel das Gericht und baut Jerusalem und den Tempel wieder auf. Nicht nur auf den zweiten Jesaja scheint Kyros großen Eindruck gemacht zu haben. Viele Babylonier (ins­besondere die Priesterschaft) begrüßten ihn nicht wie einen Besatzer, sondern wie einen Befreier. Statt Verschleppungen und Hinrichtungen ordnete Kyros eine weitgehende Wiederherstellung alter Kulte und eine Zurückführung von Götter und Kultgeräten an.

Es gibt einige Unterschiede zwischen Jes 40 - 48 und 49 - 55: Kyros-Worte und Ankündigung des Falls von Babylon gibt es nur in den Kapiteln 40 - 48. In den Kapiteln 49 - 55 steht das Thema Wiederaufbau des Zions und Rettung des Volkes stärker im Vordergrund. Deshalb wird gelegentlich davon ausgegangen, daß 40 - 48 vor dem Kyros-Erlaß von 538 in Babylon verfaßt worden sei, die Kapitel 49 - 55 dagegen nach dem Erlaß in Jerusalem. Doch sind die Gemeinsamkeiten so groß, daß sicher mit einem einheitlichen. Verfasser zu rechnen ist. Auch ist eine Abfassung nach 539 unwahrscheinlich.

Das Kapitel Jes.48 wird oft als eine Überarbeitung des dritten Jesaja angesehen, da hier die Verzögerung des angekündigten Heils zum Thema gemacht wird und auch Drohworte ausgesprochen werden. - Einige Forscher gehen davon aus, daß vor allem die Kapitel 49 - 55 schultheologisch überarbeitet wurden. So ist davon auszugehen. daß 40 - 55 verschiedene Stufen des Wachstums erlebt haben (vielleicht im Zusammenhang mit der Entstehung des ganzen Jesaja-Buches), die allerdings nur schwer zu rekonstruieren sind.

 

Die Gottesknechtslieder:

Seit Bernhard Duhms Jesaja-Kommentar (1892) werden Jes 42,1-4(9) und 49,16 (9) und 50,4-9 (11) und 52,23 - 53,12 als zusammengehörige Texte aus dem Zusam­menhang herausgelöst und als „Gottesknechtslieder“ bezeichnet. Für die Herauslösung spricht: Gewöhnlich bezeichnet der zweite Jesaja mit dem Titel „Gottesknecht“ das ganze Volk Israel (41,8 und 42,19 und 44.11). Hier wird damit aber jemand angesprochen, der Israel gegenübersteht und eine Aufgabe an Israel zu erfüllen hat (42,6 und 49,5-6 und 53,1). Die vier Texte lassen (auto-) biographische Züge erkennen, zum Teil ähnlich den Bekenntnissen Jeremias.

Gegen eine Aussonderung spricht, daß sich Sprache und Gedankenwelt und Aussagen der Texte nicht mit der Botschaft des zweiten Jesaja stoßen, daß die Texte in ihrem Zusammenhang nicht wegfallen könnten, weil zumindest das zweite Gottesknechtslied kunstvoll in die ganze Komposition einbezogen ist. Und daß die vier Texte nicht eine Gattung haben und auch für sich allein kaum einen eigenständigen Text bilden könnten.

Die Figur des Gottesknechtes wurde grundsätzlich auf drei Arten ausgelegt:

• kollektiv: Der Gottesknecht das Volk Israel (so auch ganz ausdrücklich 49,3). Doch von hier

  aus läßt sich schwer verstehen, wie der Gottesknecht eine Aufgabe an Israel wahrnehmen

  kann. Auch sind die biographischen Züge hier schwerer verständlich zu machen.

• individuell: Die (auto-) biographischen Züge wurden als Hinweis auf eine leidende Prophe-

  tengestalt verstanden. So wurde der Gottesknecht mit allen möglichen Personen der israeliti-

  schen Geschichte. Die individuelle Deutung streicht dabei die Erwähnung Israels in Jes 49,3

  als spätere Einfügung. Aber sie hat auch Schwierigkeiten zu erklären, wie in 53,8-12 zwar

  vom Tod des Gottesknechts. aber dennoch auch von seinem langen Weiterleben die Rede ist

  (oft wird 53 dann als Rückblick der Schüler gesehen).

• Die Nachteile beider Ansätze versuchte man zu vermeiden, indem man den Gedanken der

   körperschaftlichen Person („corporate personality“) aufnahm und im Gottesknecht eine

  Gruppe in Israel sah, die einerseits Israel gegenüber steht, andererseits Israel aber auch

  repräsentiert. Der Vers Jes 49,3 wurde dann so übersetzt: ,,...mein Knecht, das Israel, an dem

   ich meine Herrlichkeit zeigen will“. Der Gottesknecht stellt die Gemeinde der Verbannten

   dar oder eine fromme Minderheit im Volk oder das ideale Israel dar.

Zu diesen Ansätzen passen allerdings wenig die biographischen Elemente in den Gottesknechtsliedern. Eine Lösung bietet sich eventuell an, wenn man im zweiten Jesaja eine Prophetengruppe sieht und diese mit dem Gottesknecht gleichsetzt. Das Leiden des Gottesknechts ist dann das Leiden der Prophetengruppe am Unglauben ihrer Volksgenossen. Ihr Auftrag an Israel ist die Verkündigung ihrer Botschaft. Somit werden auch die biographischen Züge in den Gottesknechtsliedern und die prophetische. Funktion des Gottesknechts verständlich.

Weder im zweiten Jesaja noch im vorchristlichen Judentum wird der Gottesknecht messianisch verstanden. Dazu paßt der Leidensgedanke nicht. Mit der Anwendung des Gottesknecht-Gedankens und des Messias-Titels auf Jesus verbindet das Urchristentum zwei verschiedene Vorstellungen miteinander und prägt sie dadurch um.

 

Jesaja III:

Ab Kapitel 55 tritt wieder ein neuer Verfasser auf, der noch mehr in die Zukunft weist (Jes 60): Auch in der Natur wird einmal aller Streit begraben sein! Kapitel 56 - 66 des Buches werden entweder einem einzigen Autor „Tritojesaja“ (dritter Jesaja) oder noch weiteren verschiedenen Autoren zugeschrieben. Diese späteren Autoren könnten Teil einer von dem ursprünglichen Jesaja begründeten Denkschule oder Traditionslinie von Propheten gewesen sein.

Gegen einen einzigen Verfasser hat man eingewandt, die einzelnen Abschnitte sind sehr verschieden und stehen oft in Spannung gegeneinander (zum Beispiel 56,7 - 66,1) und einzelne Abschnitte knüpfen stark an den zweiten Jesaja an (vor allem 60 - 62 und 66,7-8 = 49,21), andere dagegen kaum. Aber es ist wohl eher so, daß der Grundbestand auf den aus der Gefangenschaft zurückgekehrten zweiten Jesaja zurückgeht oder ein aus der Gefangenschaft zurückgekehrter Schüler des zweiten Jesaja ist der einzige Verfasser.

Gelegentlich wird Kapitel 61 als Berufungsbericht oder Selbstzeugnis des Propheten angesehen. Der Text ist aber eher in Anlehnung an die Gottesknechtslieder gestaltet. Auf jeden Fall ist der dritte Jesaja in Bezug auf den zweiten Jesaja auszulegen. Der Abschnitt ab Kapitel 66,5 gilt allgemein als späterer Anhang.

Unsicherheiten gibt es auch in der Datierung: Der Kyros-Erlaß 538 ist wohl bereits vorausgesetzt. Wenn das Kapitel 66 nicht sekundär ist, kann der Tempelbau, der 520 begonnen und 515 beendet wurde und in Kapitel 66 abgelehnt wird, noch nicht abgeschlossen sein. Doch werden einzelne Stücke als jünger angesehen.

Nach dem Sieg des Kyros über das babylonische Reich wurden der Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels und bald auch schon die Heimkehr der ersten Verschleppten möglich. Doch das von Jesaja II. Angekündigte (die großartige Erscheinung Gottes, der wunderbare Zug durch die Wüste, die Bekehrung des Kyros und der Anbruch der letzten Heilszeit) blieb aus. Stattdessen mußten sich die Heimkehrer mit den alltäglichen Problemen einer Randprovinz des persischen Großreiches abgeben und Kon­flikte mit den Zurückgebliebenen durchstehen. So stellten sich Zweifel ein: War der Botschaft des zweiten Jesaja noch Glauben zu schenken? Diesen Zweifeln versucht der letzte Teil des Jesaja-Buches zu begegnen. Damit spricht er nicht mehr zu den Gefangenen, sondern zu den Israeliten in Juda in persischer Zeit, die wohl die Verkündigung des zweiten Jesaja kennen, aber an ihr zu zweifeln beginnen.

Jesaja III. hat sich also mit der Verzögerung der von Jesaja II. angekündigten Wende aus­einan­derzusetzen. Der dritte Jesaja begründet diese Verzögerung mit der Sündhaftigkeit des Volkes: Nicht Jahwe ist zu schwach um die Wende herbeizuführen, sondern die Vergehen des Volkes verhindern das Heil. Die Verantwortung für das Ausbleiben des angesagten Heils trägt das Volk selbst. Die Gerechtigkeit des Volkes scheint somit zur Voraussetzung für den Anbruch der Heilszeit zu werden. Jedoch ist sie als die notwendige Antwort auf Jahwes Zuwendung an die Menschen gefordert. Deshalb ruft der dritte Jesaja seine Zeitgenossen zur Umkehr und zum Bewahren von Recht und Gerechtigkeit Die Heilsankündigungen des zweiten Jesaja werden umgeprägt zu Aufrufen, dem Herrn den Weg zu bahnen-

Die Kultkritik des dritten Jesaja richtet sich zunächst gegen den wieder aufkeimenden Götzendienst: Baumkulte, Kinderopfer, Verehrung von Schicksalsgöttern und Moloch. Er wird in seiner Kultkritik in einer für das Alte Testament sonst unbekannten Weise radikal: Jahwe bedarf der kultischer Verehrung gar nicht (66), blutige Opfer sind ihm ein Greuel, der Tempel kann niemals sein Wohnort sein, wo doch die Erde nur der Schemel seiner Füße ist. Die Schranken zwischen rein und unrein werden zugunsten der Öffnung der Gemeinde für Fremde niedergerissen.

Trotz aller Kritik hält Jesaja III. an der Aussage des zweiten Jesaja fest, daß Jahwe demnächst die Erde verwandeln wird. Doch wird diese Hoffnung von allen konkreten politischen Bewegungen abgelöst. Die Hoffnung wird so eher zur Fernerwartung. Die letzten Abschnitte enthalten poetisch formulierte Prophezeiungen über die prächtige Zukunft Zions. Obwohl das Buch die Verdammung von falschen Götzendienern erwähnt, endet es mit einer Nachricht der Hoffnung auf einen rechtschaffenen Herrscher.

 

 

Jeremia

Das Buch ist eine wichtige Quelle für die Geschichte des ausgehenden Königtums im Süd­reich Juda. Viele der darin erwähnten Völker des Nordens finden sich auch in assyrischen und griechischen Quellen (Aschkenas, Gomer, Minni, Meder und Perser).

Jeremia war Sohn eines Priesters. Er hatte gegen seine Berufung Einwände: „Ich bin zu jung!“ Es ist keine Begeisterung in ihm, er kann jedoch nicht anders. Nach 1,1-3 wirkte Jeremia unter den letzten judäischen Königen, von Josia bis zum endgültigen Untergang unter Zedekia, von etwa 627 also bis 587 / 586. Es ist die Zeit des Untergangs des assyrischen Reiches und des Aufstiegs des neubabylonischen Reiches unter Nabopolassar, dann Nebu­kadnezar. Nach dem Untergang der Assyrer herrschte ein Hochgefühl im Lande: Die Prophezeiungen Jesajas und Nahums gegen die Assyrer waren erfüllt. Nach der Eroberung Ninives (612) entstand vielleicht sogar eine Naherwartung des Reiches des Messias. Dies könnte eine Erklärung für die Politik Josias sein.

Als Verfasser gilt in der biblischen Tradition der gleichnamige Prophet aus Anatoth (fünf Kilometer nördlich von Jerusalem), der etwa von 627 bis 587 vCh in Jerusalem wirkte. Er besaß Landeigentum und war wohl finanziell selbständig. Seit dem Jahre 609 hatte er einen eigenen Schreiber (Baruch). Er war entschiedener Gegner der herrschenden Kreise an Tempel und Hof. Er mischte sich am meisten von allen bekannten Propheten in die Tagespolitik ein.

Aber man muß auch die Frage stellen, ob nicht seine Schüler seine Reden aufgeschrieben haben, denn in 36,4 wird der Schüler Baruch aufgefordert, Jeremias Worte aufzuschreiben. Das Buch Jeremia ist durchzogen von Hinweisen auf eine entstehende Schriftkultur: Nicht nur Baruch trägt den Titel „Schreiber“, sondern der Titel ist auch sonst Funktionsbezeichnung. Von Tafel, Tinte und Schreibermesser ist die Rede. Die wörtlich zitierte Unheilsdrohung Michas und Anspielungen auf zahlreiche frühere Propheten setzen schriftliche Dokumentation dieser früher entstandenen Prophetenbücher voraus.

Bei seiner Berufung (1,4-19) will sich Jeremia damit herausreden, daß er zu jung sei. Aber in seiner Tempelrede (7,1-15) richtet er das Wort Gottes bei einem Wallfahrtsfest aus und prangert die falsche Sicherheit der Tempelbesucher an. Die Konfessionen Jeremias in den Kapiteln 11 bis 20 thematisieren die inneren und äußeren Konflikte des Propheten, sie sind im Stil von Klagepsalmen gehalten. In Kapitel 21 - 23 richtet er Worte gegen die Könige. Im biblischen Jeremiabuch ist die letzte Nachricht seine Verschleppung nach Ägypten.

 

Auffallend sind die ziemlich unübersichtliche Gliederung und die Doppelungen (Doubletten). Vor allem weicht die griechische Ausgabe des Jeremiabuches (Septuaginta) vom Text der hebräischen Bibel in vielerlei Hinsicht ab. Insgesamt ist der hebräische Text etwa ein Siebtel länger. Ursache sind teils bewußte Kürzungen, teils versehentliche Auslassungen. Es ist aber auch möglich, daß die hebräische Vorlage einen Abschnitt noch nicht enthalten zu haben scheint. In den übereinstimmenden Abschnitten stellt die griechische Version offensichtlich eine getreue Übersetzung der hebräischen Vorlage dar. Ferner sind die Fremdvölkerworte (Kapitel 46 - 51) in der griechischen Bibel nach 25,13 (unter Auslassung von V. 14) eingefügt und in anderer Reihenfolge dargeboten.

 

Allgemein wird von vier Epochen in Jeremias Wirken gesprochen:

1. Die Kapitel 1 - 6 sind in den Jahren 626 - 622 unter Josia entstanden. Vor der Reform des Josias ist die zentrale Aussage, daß über Israel aus dem Norden das Unheil kommt, weil es den Jahwe-Kult verlassen und sich dem Baals-Kult ergeben hat. Dabei klagt Jeremia vor allem das kultische Verhalten der Judäer an: Seit der Landnahme hat Israel seinen Gott mit nichtigen Göttern vertauscht, obwohl Jahwe für sein Volk gesorgt hat (Kapitel 2 - 3). Kein anderes Volk verhielt sich so gegenüber seinem Gott. Doch auch gegenwärtig zeigt sich der Abfall von Jahwe, zum Beispiel im Aufräuchern zu anderen Gottheiten. Deutlich werden Formulierungen von Hosea aufgenommen. Kritisiert wird vor allem der Baals-Kult. Wahrscheinlich sind damit die kanonisierten assyrischen Gottheiten gemeint, die spätestens seit Manasse auch in Jerusalem verehrt werden (mußten). Die Sozialkritik und die Anklage wegen Rechtsbruch (die Jeremia auch kennt) treten dagegen in den Hintergrund. Das angeklagte Verhalten wird durchgehend als widersinnig bezeichnet. Eine beliebte Vokabel ist „Lüge, Täuschung“. Der König Josia hört noch auf Jeremia, die Predigt (Jer 7 + 26) führt noch zu einer Besinnung und Reform.

 

2. Die Kapitel 7 - 26 und 35 - 36 entstanden in den Jahren 609-605, also in den ersten Jahren Jojakims. Nachdem die Reform des Josia unter Jojakim wohl wieder weitgehend zurückgenommen worden war, konnte auch Jeremia nicht mehr schweigen. Da unter Jojakim wieder eine ausbeuterische Politik betrieben wurde, trat für einige Monate wieder die Sozialkritik in Jeremias Verkündigung in den Vordergrund. Mit seiner Tempelrede (7,1-15 und 26,1-19) trat Jeremia dann mit seiner Sozialkritik an die breite Öffentlichkeit: Er wandte sich gegen eine Überschätzung der Kultstätte. Jerusalem wird nicht verschont bleiben, wenn dort nicht Jahwes Recht gewahrt wird (mahnendes Beispiel ist Silo). Die Tempelrede endet nun mit einer unbedingten Unheils­­ankündigung, Jeremias Fürbitte wird abgelehnt.

Ein unorganisierte Tötung Jeremias kann nur durch das beherzte Eingreifen einiger Minister und den Hinweis auf Michas ähnlich lautende Verkündigung abgewehrt werden. Hier gibt es den einmaligen Fall, daß sowohl Spruch- als auch Erzählquelle zum selben Ereignis überliefert sind. Hier ist ein Hinübergleiten des Interesses von der Botschaft zum Boten festzustellen. Man begann zu spüren. daß das Schicksal des Propheten und seine Botschaft zusammengehörten. In der Folgezeit nimmt Jeremia seine Angriffe gegen Baals-Kult und Kinderopfer wieder auf .Die soziale Kritik rückt wieder ins zweite Glied. Es gibt Ich- und Fremdberichte.

 

3. Die Kapitel 27 -30 und 32 - 34 und 37 - 38f entstanden in den Jahren 593-587/6, vom vierten Jahr Zedekias bis zum Untergang. Es sind nur Fremdberichte. Nach der ersten Eroberung Jerusalems 597 wird Zedekia durch die Babylonier eingesetzt. Er wird (entgegen der allgemeinen Stimmung) vom wieder aufgetauchten Jeremia als gottgewollt unterstützt. Jojachin dagegen sieht er als verworfen an. Für Jeremia gibt es ein Triumphgefühl: Seine Botschaft vom Feind aus dem Norden und der Verschleppung ist eingetroffen - allerdings ohne Verbrennung der Stadt und großes Blutvergießen.

Nach einiger Zeit fragte sich Jeremia dann auch, ob die angekündigte Vernichtung wirklich schon geschehen sei. Bei den Maßgeblichen für Tempel und Kult gab es wohl ein Eingeständnis, daß die Niederlage des über 400 Jahre trotzenden Jerusalem mit falscher Kultpraxis zusammenhänge, und deshalb hörten wohl Baal-Ver­ehrung und Kinderverbrennung auf. Jedenfalls findet sich nun keine Kritik derselben mehr bei Jeremia. Im Volk und bei den Propheten entsteht erneut ein Optimismus, der behauptet, daß Jahwe sein Volk nie mehr verwerfen würde. Erste Loslösungsbestrebungen gegen die Babylonier beginnen. Diesen versucht Jeremia durch eine Symbolhandlung zu begegnen: Er läuft mit einem Joch um den Hals herum, um die Übermacht Nebukadnezars zu veranschaulichen.

Wieso kann Jeremia zur unbedingten Loyalität gegenüber den Babyloniern aufrufen? Dies hängt damit zusammen, daß er nicht mehr im davidischen König, sondern in Nebukadnezar den von Jahwe eingesetzten Weltherrscher erblickt. Jetzt ist die fremde Macht nicht nur Werkzeug Jahwes zur Vernichtung, sondern sie ist positive Ordnungsmacht. Daraus folgert Jeremia die Ankündigung der Bestrafung der sich gegen Nebukadnezar auflehnenden Königreiche und der Freiheit für die, die sich unterwerfen. Volk Jahwes und politische Herrschaft müssen trotz Weltherrschaft Jahwes nicht mehr zusammen gehören. Die Herrschaft der Babylonier bleibt allerdings zeitlich begrenzt auf 70 Jahre.

 

4. Die Kapitel 40 - 44 wurden geschrieben nach dem Jahr 586. In dieser Zeit scheitert der Versuch, die Restbevölkerung in Palästina und Ägypten zur Umkehr zu bewegen. Es gibt nur Fremdberichte. Nach der Einsetzung Gedaljas zum Statthalter wird dieser von Jeremia unterstützt. Nach dessen Ermordung setzt er sich gegen eine Flucht nach Ägypten ein, denn das angekündigte Unheil ist eingetroffen und das Geschick ist gewendet. Dennoch wird Jeremia zur Flucht nach Ägypten gezwungen. Auch in Ägypten wollen die geflüchteten Judäer wieder die Himmelskönigin opfern. Jeremia kündigt an, daß keiner der geflüchteten Judäer in seine Heimat zurückkehren werde. Auch er selbst ist von dieser Weissagung betroffen: Seine Spuren verlieren sich in Ägypten.

 

Zwischen den ersten drei Wirkungsperioden steht jeweils eine Lücke von etwa zwölf Jahren. Das erste Schweigen erfolgt nach der Reform des Josia, weil er sie positiv bewertet hat oder weil einfach keine Berichte überliefert sind. Das zweite Schweigen ist die Folge eines Haftbefehls des Königs, der Jeremia in den Untergrund zwingt.

Theologische und ethische Aussagen gehen ineinander über, ebenso die Kritik. Ein Grundgedanke ist, daß - wenn Israel anderen Göttern folgt - Jahwe gegen sein auserwähltes Volk prozessiert und mit dem Verlust des Landes droht. Nicht mehr das Recht Jahwes bestimmt eine auf Solidarität gründende Gemeinschaft, sondern Täuschung, Betrug und Gewinn prägen die Gesellschaft. Daher trifft die Kritik vor allem die Propheten, Priester und Könige.

In manchen Texten scheint das Gericht als unausweichlich, dann wieder gibt es doch konkrete Heilserwartungen - vermutlich verstärkt durch spätere Zusätze. Heil und Unheil lassen sich nicht immer säuberlich scheiden. Heil liegt darin, daß die Zeit des Unheils begrenzt ist, daß Gott auf Bestrafung verzichtet und Jerusalem zurückkehren darf zu Jahwe.

Die Könige nach Josia jedoch lebten die Gottlosigkeit vor (Jer 36 Schriftrolle zer­schnip­pelt); das Gericht kommt aber dann auch 596, als Nebukadnezar Jerusalem zerstört und die „Hofpropheten“, den König und die Tempelgeräte mitnimmt.

 

Literarisch gliedert man das Buch in folgende Abschnitte (nach Mowinckel):

A. Aneinanderreihung kurzer poetischer Sprüche, Jeremia begegnet in Ich-Form, vor allem in Kapitel 1 - 25 (auch 30 - 31„Trostbüchlein für Ephraim“), der Abschnitt ist auf Jeremia selbst zurückzuführen.

B. Fremdberichte über Jeremia oder sein Wort (19,1-20,6 und 26 - 29 und 37 - 44/45). Der Schlußabschnitt ist wohl ein zusammenhängender Augenzeugenbericht (des Baruch?), die vorherigen Erzählungen dagegen sind Einzelszenen.

C. Lange Ich-Reden in Prosa mit Er-Überschriften. In A eingefügt markieren sie Übergänge zu neuen Themen (1,4-10 und 7 und 11 und 18 und 21 und 25 und 32 und 34 und vielleicht 35). Der Sprachschatz hebt sich von A und B ab, auch wenn wohl einige Stücke dennoch auf Sprüche Jeremias zurückgehen werden. Umkehrmöglichkeiten und zukünftiges Heil werden ungleich mehr betont als bei Jeremia selbst. Die C-Texte sind für das öffentliche Vortragen oder Verlesen formuliert. Man neigt heute mehr dazu, in ihnen eine deuteronomistische Redaktion zu sehen.

D: Mowinckel trennte auch die Sammlung von Heilsweissagungen( vor allem 30 - 31) als spätere Hinzufügung ab. Doch werden diese inzwischen eher A bzw. C zugeordnet.

 

Darüber hinaus wird mit einer länger andauernden Redaktion zu rechnen sein, die wohl bis ins zweite Jahrhundert reichte. Für die deuteronomistische Bearbeitung charakteristisch sind:

- Alternativpredigt („nicht mehr so ..., sondern so...“ und „„wenn (nicht) ..., dann.. „)

- Umkehrmahnungen

- Götzendienst als Anklage und Strafmotiv

- Hoffnung auf erneute Landnahme bzw. deren Zusage

- geprägte Wendungen, anderer Stil

- Modelltexte sind 7,1-8,3 und 11,1-14 und 17,19-27 und  l8,1-12 und.32,16-44.

 

Klagelieder Jeremias:

Das Buch wird auch „Jeremiaden“ oder „Threni“ (griechische Bibel) oder „Lamenta­tiones“ (lateinische Bibel) genannt. Die fünf Gedichte sind anonym, sie enthalten nichts, was auf den Verfasser schließen läßt. Nach jüdischer Tradition aus vorchristlicher Zeit gilt der Prophet Jeremia als Verfasser. In der Sekundär-Literatur gehen die Meinungen darüber auseinander, in der aktuellen Forschung wird Jeremia als Verfasser kaum noch vertreten.

In den Klageliedern wird die Zerstörung Jerusalems und des Tempels von 586 vCh beklagt. Die Fakten des Geschehens sind in 2. Könige 25 und Jeremia 52 beschrieben. Von diesem Inhalt her bietet sich eine Entstehung zwischen 586-530 an. Die tiefe Erschütterung in den ersten vier Kapiteln läßt vermuten, daß sie aus dem unmittelbaren Erleben heraus kurz nach dem Fall Jerusalems geschrieben wurden. Aber das Kapitel 5 betont mehr das Leid des Exils.

Auffälligstes Merkmal ist die Personifikation Jerusalems („Tochter Zion“) als klagende Mutter, vergewaltigte und entehrte Geliebte und verlassene Witwe. Diese personifizierenden Elemente weisen darauf hin, daß möglicherweise eine Gattung altorientalischer Stadtklage Vorbild für die Abfassung dieser Texte war.

In Kapitel 4 greift der Verfasser auf Jeremia zurück: Der Zusammenhang des Gerichts über Jerusalem mit dem Gottesgericht über die anderen Völker findet sich schon Jeremia 25,15-16 und 27-29. Auch das Motiv des Zornesbechers wird am Ende aufgenommen. Der Verfasser greift also auf ein Gotteswort Jeremias zurück und aktualisiert es für die Gegenwart, in der man auch ein Gericht Gottes über die Feinde erwarten darf.

 

 

Hesekiel

Das Buch Hesekiel (Ezechiel) ist im Zeitraum von etwa 600-560 vCh in Babylonien entstanden und schildert die Visionen und symbolischen Handlungen des Propheten Hesekiel, eines israelitischen Priesters, der zur ersten Gruppe der im Rahmen der babylonischen Gefangenschaft verschleppten Israeliten gehörte. Die Berufung erfolgte im Jahr 593 im fünften Jahr nach der Verschleppung; dabei mußte eine Schriftrolle schlucken.

Hesekiel hat wesentlichen Anteil an Erhaltung wie theologischer Neuformung der Gemeinde der Verschleppten und am Verstehen der Gefangenschaft als Strafe und Läuterungsgericht. Die Gemeinde in der Gefangenschaft ist geretteter Rest und Keim des neuen Gottesvolkes. Die Frage, wie kann man auch ohne Kult gläubig sein kann, wurde beantwortet mit Zusam­men­künften, die vielleicht der Anfang der späteren Wort- und Synagogengottesdienste des Juden waren.

Während der Gefangenschaft wurde die Religion weiterentwickelt und reformiert. Neu ist beispielsweise der ins Säkulare weisende Gedanke, daß Palast und Tempel, Politik und Religion nicht mehr eine strikte Einheit bilden sollen. Da der Tempelkult des Jerusalemer Tempels in der Gefangenschaft nicht mehr auszuüben ist, wird nunmehr gesagt, daß Gott seinem Volk in allen Ländern dient und es heim führen wird.

Der Schwerpunkt der Gebote und Verbote verschob sich bei Hesekiel weg von den Tempelsatzungen und Reinheitsvorschriften hin zu gelebter Mitmenschlichkeit. Die Gebote der Mitmenschlichkeit sind bei Hesekiel: Soziale Satzungen (Schonung von Frauen, Elenden und Armen; dem Hungrigen Brot geben; die Nackten bekleiden), wirtschaftliche Satzungen (Verzicht auf Zins und Zuschlag, Fairneß im Handel, Nutzung fairer und anerkannter Maßeinheiten) und allgemeine Regeln (Unrecht vermeiden, Gerechtigkeit suchen, Reue).

Die Taten der Gottlosigkeit, vor denen Hesekiel warnt, sind: Kultische Gottlosigkeiten (Essen von „Götzenfleisch“), Entweihungen des Feiertags, Mißachtung der Propheten („verstocktes Herz“), Verunreinigung des Heiligtums mit Greueln, soziale Gottlosigkeiten (Ehebruch und Inzest; Bedrückung von Elenden und Armen), wirtschaftliche Gottlosigkeiten (Einbehaltung von Pfandsachen; Raub, Gier und Profitgier) und allgemeine Gottlosigkeiten (Vertragsbruch, Betrug und Bestechung, Schadenfreude und Rachsucht).

 

In Hesekiel 2 wird das Volk Israel zwar als „Haus des Widerspruchs“ bezeichnet, es bleibt aber doch das „Haus Israel“, und zwar die in Jerusalem Gebliebenen wie die nach Babylon Verschleppten. Die Trennung des Volkes hebt also die Einheit der Geschichte nicht auf, das Gotteswort ergeht an die ganze Gemeinde. Sie soll erkennen, „daß ich Jahwe bin“. Insofern ist der Prophet sehr modern, denn auch das deutsche Volk hat sich durch die Weltpolitik nicht auseinanderreißen lassen und vor allem die Kirchen haben all die Zeit zusammengehalten, soweit das möglich war.

Hesekiel 6,1-10 wird allgemein als ein Stück angesehen, das erst der Bearbeiter des Buches (Redaktor) aus den späteren Aufzeichnungen des Propheten hierher gesetzt hat, um den Blick des Lesers schon bei den düsteren Gerichtsdrohungen auf das schließliche Heilsziel zu richten.

In Hes 18 behauptet Hesekiel - in Ausübung seines Wächteramtes - die Unmittelbarkeit des Einzelnen zu Gott (so einmalig im AltenTestament), indem er das Sprichwort „Die Väter haben saure Trau­ben gegessen und den Söhnen sind die Zähne stumpf geworden“ verwirft: Jeder muß für seine eigene Schuld büßen, keiner kann sich auf eigenen Verdiensten oder denen seiner Vorfahren ausruhen. Aber für jeden gibt es immer noch die Möglichkeit zur Umkehr (33,11).

 

Modern wirkt Hesekiel auch darin, daß er die Priesterkaste im Kapitel 34,1-5 deutlich zu kritisieren wagt: Damit erklärt Hesekiel die Ursachen der Verschleppung. Die Kritik Jesu an den religiösen Führern seiner Zeit, wie sie etwa in Matthäus 23 wiedergegeben wird, wirkt von Hesekiel beeinflußt.

Hesekiel wendet sich erstmals an den Einzelnen (Hes 33). Die bilderreichen Prophezeiungen Hesekiels sind reich an Symbolen, Bildern und Vergleichen. Sie bieten viel Raum für fantastische Deutungen und Interpretationen bis hin zur Mystik.

In Hesekiel 37 zum Beispiel ist die große Totenauferstehung geschildert: Der Prophet darf sein Wort an die toten Gebeine richten, damit sie sich wieder zusammenfügen, wieder Muskeln und Haut bekommen und so der Prozeß der Verwesung wieder rückgängig gemacht wird. Nun kann ein zweiter Eingriff Gottes erfolgen. Der Prophet befiehlt dem Wind, daß er die Erschlagenen anbläst und ihnen neues Leben einhaucht.

Auferstehung ist also nicht etwas rein Geistiges. Wir leben nicht nur im Gedächtnis der Mitmenschen fort. Es ist nicht nur eine Seele oder ein Schatten des Menschen, der da weiterlebt, sondern der ganze Mensch mit Haut und Haar. Wenn auch der alte Körper zerfällt, so kann Gott doch einen neuen geben und den Menschen ein zweites Mal neu schaffen.

Die große Schlußvision 40 - 48 und die endzeitliche Gog-Weissagung könnten sekundär sein (und noch einige andere Texte). Doch inzwischen gibt es wieder mehr Stimmen, die eine längere Redaktionsarbeit annehmen und weniger von Hesekiel herleiten. Die These, daß das Buch eine Redaktion des in Jerusalem aufgetretenen Propheten sei (wegen der genauen Kenntnisse über die Vorgänge in Jerusalem) hat keinen Anhalt am Text, denn Verschleppte wissen immer genau über die Vorgänge in ihrem Heimatland Bescheid. Die letzte datierte Weissagung ist aus dem Jahr 571.

 

 

 

Daniel

Das Buch Daniel besteht aus zwei sehr verschiedenen Hauptteilen, die inhaltlich nur durch den Namen des Propheten Daniel verbunden sind. Daniel 1,7 datiert Daniels Erlebnisse und Visionen in die Zeit der israelitischen Gefangenschaft in Babylon. Er sei zusammen mit seinen drei Freunden dorthin verschleppt worden und sei dann zum Minister unter den babylonischen Königen Nebukadnezar II. und Belsazer sowie Darius von Medien aufgestiegen. Er habe dort dann den Namen „Beltschazar“ getragen.

In der historisch-kritischen Bibelforschung werden diese Angaben meist nicht als historisch, sondern als legendarisch beurteilt. Die im Buch beschriebenen Einzelheiten beziehen sich auf Vorgänge aus der Makkabäerzeit, als die Fremdherrschaft der Seleukiden das jüdische Volk bedrohte. Eine Datierung der endzeitlichen Teile ist durch die erkennbaren Zeitbezüge möglich: Die Verse 7,8 und 8,9-25 spielen an auf Antiochos IV., der den Jerusalemer Tempel entweihte.

Deshalb wird angenommen, daß das Buch in dieser Zeit entstand und bald nach den siegreichen ersten Aufständen gegen Antiochos IV. fertig gestellt und - eventuell mehrfach - überarbeitet wurde. Für diese Spätdatierung spricht auch, daß das Buch im Judentum lange umstritten blieb und nicht zu den „Propheten“ sondern zu den späteren und theologisch weniger bedeutenden „Schriften“ gezählt wurde.

Das Buch selbst datiert sich in die Zeit der babylonischen Gefangenschaft. Doch ist die Chronologie, die das Buch von der Geschichte des Orients zeichnet, verworren und falsch. Es gab also keine klare Vorstellung mehr vom babylonischen und persischen Zeitalter, oder sie war einfach unwichtig.

Die Sprache enthält nicht nur persische, sondern auch griechische Lehnwörter. Dazu kommen viele relativ junge theologische Lehren (Engellehre, Aufersteh­ungs­glaube). Das Daniel-Buch ist somit in seiner Endfassung wohl um 100 vCh entstanden und damit das jüngste Buch des Alten Testaments. Doch ist davon auszugehen, daß die Weisheitserzählungen in ältere Zeit zurückreichen.

Dabei ist der Sprachen-Wechsel auffallend: 2,4 - 7,28 sind aramäisch verfaßt. Vielleicht wurde 1 - 2,4a aus dem Aramäischen ins Hebräische zurückübersetzt, um die Einheit des Buches deutlich zu machen.

In der griechischen Bibel gibt es Zusätze gegenüber dem hebräischen Text: Gebet Asarjas (3,24-50), Lobgesang der drei Männer im Feuerofen (3,51-90), Rettung der Susanna durch Daniel (13), die Entlarvung Bels als toten Götzen (14,1-22), Daniel tötet den Drachen und wird in der Löwengrube wunderbar gerettet (14,23-42).

 

Komposition des Danielbuches:

Kapitel 1 bis 6 enthält Erzählungen von Daniel und seinen Freunden, die sich als vorbildhafte Fromme erweisen, die sich trotz Gefahr an das Gesetz Jahwes halten und dafür von Jahwe wunderbar gerettet werden. Nur in der Einleitung treten die Freunde und Daniel gemeinsam auf. Daniel kommt an den Königshof von Babylon, beugt sich aber nicht unter die fremden Götter. Und Gott bewahrt auch wiederum seinen Knecht, wenn dieser auch in arge Bedrängnis gerät.

In Daniel 5 wird das Ende Belsazars beschrieben. Es gibt aber kein zeitgenössisches Zeugnis dafür, daß Belsazar zur Zeit des Falls der Stadt getötet wurde. So wie die Geschichtsschreiber Herodot und Xenophon war auch der Verfasser des Daniel­buchs auf unklare Überlieferungen angewiesen. Die geschichtliche Wahrheit dieser Traditionen konnte er auch nicht nachprüfen. Er schreibt auch so eine Art Roman, aber nicht zur Unterhaltung, sondern vielmehr um die Widerstands­kraft seiner Leser in kritischen Zeiten zu stärken. Das Geschichtenerzählen dient damit der Übermittlung einer religiösen Wahrheit.

Die Kapitel 7 bis 11 gehören zur endzeitlichen („apokalyptischen“) Literatur des Judentums. Sie enthalten unter anderem umfangreiche Zahlenmystik, Symbolbilder und Metaphern, die auf die geglaubte Endzeit gerichtet sind und in der Offenbarung des Johannes aufgegriffen werden. Deshalb wird das Buch bei christlichen Sekten oft als Schlüssel für Endzeiterwartungen herangezogen. Es findet heute bei den Zeugen Jehovas, den Adventisten und den Brüdergemeinden starke Beachtung.

Doch man darf nicht aus dem Auge verlieren, daß (außer dem absoluten Ende) die hier „vorausgesagten“ Ereignisse eine schon bekannte Geschichte sind. Man kann also nicht die Ver­schlüsselungen auflösen, indem man annimmt, Gott habe hier seine Absichten für die Zukunft mitgeteilt. Der Verfasser sprach in erster Linie zu seiner Zeit. Aber er kann auch heute noch mit Gewinn gelesen werden und uns anleiten, weil er den Glauben derer wiederspiegelt, die glaubten und litten in einer bestimmten Situation.

Daniel zeigt eine große Schau der Geschichte: Israel wird von verschiedenen Reichen beherrscht werden, schließlich wird sogar ein Götzenbild im Tempel aufgestellt werden. Am Ende wird dann das Gericht stehen, es ist die Rede vom „Richter der Welt“ und die Auferstehung wird verkündet. Zum ersten Mal hört man auch etwas von dem „Menschensohn“. Seitdem glauben auch die Pharisäer daran, daß sie einmal auferstehen werden von den Toten, nämlich dann, wenn der Messias kommt. Und Christus, der dann kommt, sagt: „Ich bin die Auferstehung!“

 

Im Danielbuch liegt ein konzentrischer Aufbau vor:

Kapitel 1: Einführung der vier Hauptpersonen. Im folgenden sind die Freunde vorbildlich Glaubende, während Daniel als Weiser auftritt (Traumdeutungen).

Kapitel 2 und 7: Ein Rahmen in Form der Vision von den vier Weltreichen

Kapitel 3 und 6: Märtyrerlegenden mit parallelem Aufbau (Befehl zur göttlichen Verehrung des Königs - Verweigerung - Verrat - Strafvollzug - wunderbare Rettung - anschließende Anerkennung Jahwes durch den heidnischen König ).

Kapitel 4 und 5: Zentraler Text dieser Komposition (göttliches Gericht über den König).

Kapitel 7 - 12: Visionen, hier vor allem endzeitliches Material. Darin ist Daniels Bußgebet eingebaut:(9).

Kapitel 13 - 14 (nur in der griechischen Bibel): Erneut drei Erzählungen ganz im Sinne der ersten.

 

Weisheitserzählungen:

Adressaten der Weisheitserzählungen sind wohl die Juden der persischen Zerstreuung („Diaspora“). Sind sie vielleicht schon einige Zeit früher als die Visionen schriftlich aufgezeichnet worden. Oder hat der Autor des gesamten Buches mündliche Traditionen aufgenommen? Sie schildern Daniel und seine Freunde auffällig treu zum jeweiligen heidnischen König. Wichtiger aber als die Treue gegenüber den heidnischen Herrschern ist die Treue gegenüber Jahwes Gebot. Im Zweifelsfalle muß also der Konflikt mit der Staatsmacht riskiert werden. Die Erzählungen wollen Mut machen, diesen Konflikt im Vertrauen auf Jahwe durchzustehen.

 

Endzeitliche Aussagen:

Die endzeitlichen Texte werden in die Zeit Daniels (babylonische Gefangenschaft) zurückdatiert, dadurch durchschreitet die endzeitliche. Geschichtsdarstellung den Raum von der Zeit des Daniel (Nebukadnezar!) bis zur Gegenwart. Die Weissagung bekommt mehr Glaubwürdigkeit, da sie zum großen Teil bereits erfüllt ist (vaticina ex eventu).

Die endzeitliche Geschichtsschau mit ihrer Auslegung, daß alles vorherbestimmt sei, wird ins Ethische gewendet: Es ergeht eine Mahnung zum treuen Aushalten. Das treue Aushalten wird durch die Zukunftserwartung lebendig gehalten: Es ist zwar vielleicht noch eine Weile bis zum Ende, doch dieses kommt ganz gewiß. Beides kann nur in seiner Beziehung aufeinander durchgehalten werden. Das Motiv der Visionen bzw. Träume und ihrer Deutung verbindet beide Teile.

Die Dauer der Bedrängnis wird nicht genau genannt. Es wird mit einer geheimnisvollen Zahlensymbolik gesprochen, die immer wieder für neue Auslegungen offen ist. So gibt es folgende Zahlenangaben für die Zeit bis zum Ende: dreieinhalb Jahre und 1150 und 1290 und 1335 Tage und 70 Jahrwochen seit der babylonischen Gefangenschaft.

Eine im AltenTestament einmalige Endzeiterwartung begegnet in 7,9-14: Unsicher ist dabei, wie der „Menschensohn“ zu deuten ist. Folgende Möglichkeiten gibt es:

• Der Vergleich mit Hes 1,16 und 2,1 läßt an einen gewöhnlichen irdischen Menschen

  denken. Zwar wird nicht an die Davidsfamilie erinnert, doch wird davon gesprochen,

   daß der „Menschensohn“ Macht, Ehre und Königtum über alle Volker haben wird.

• Im Deuteabschnitt 7,17-27 wird der Menschensohn kollektiv ausgelegt und mit den

  „Heiligen des Höchsten“ gleichgesetzt. Sind diese Heiligen des Höchsten Israel?

• Außerbiblische Einflüsse könnten vorliegen, so daß an ein himmlisches Wesen

  gedacht wird. So treten ja auch im Verlauf des Daniel-Buches verschiedene Engel,

  gar Engelfürsten (Michael und Gabriel) auf

• Nicht zu übersehen ist der Kontrast „Menschengestaltiger oben“ und „Tiergestaltige

  unten“.

Typisch endzeitlich ist die Verlagerung des Tun-Ergehens-Zusammenhangs in die neue Welt, zusammen mit der Aufnahme der Vorstellung vom „Buch des Lebens“. Bei Daniel findet sich bereits der typisch endzeitliche Rückgriff auf die ältere Heilsprophetie. Ihre Heilszusagen werden für die Zukunft erwartet und ihr Eintreffen berechnet. So werden die überlieferten Prophetenworte innerhalb der endzeitlichen Lehre aktualisiert. Dies geht aufgrund einer Auslegungsmethodik, die einen zweifachen Schriftsinn annimmt.

Der Blick des Verfassers ist unbeirrbar auf die allein von Gott kommende Heilszeit gerichtet. Es gibt keine Möglichkeit, den Anbruch dieser Zeit zu beschleunigen. Nur treues Aushalten ist gefragt. Folglich kann auch der Makkabäer-Aufstand nur aus der Distanz gewürdigt werden.

Typisch endzeitlich ist auch das Schema der vier Weltreiche mit absteigendem Wert (wie bei Hesiod im Bild der immer weniger wertvollen Metalle beschrieben). Ursprünglich war damit wohl die Abfolge Babylonier-Meder-Perser-Griechen gemeint; in späterer Zeit konnte es aber auch auf die Abfolge Babylonier-Perser-Griechen-Römer gedeutet werden.

Die Wirkungsgeschichte des Danielbuches ist groß: Das Weltreichsschema fand in manche Geschichtsschau Eingang. Die Begriffe „Menschensohn“, „Auferstehung“ und die Engellehre spielen in späterer endzeitlicher Literatur und im Neuen Testament eine große Rolle. Die frühe Christenheit sah in der Gründung der Kirche die Verwirklichung des in Daniel 2, 44 verheißenen Triumphes des Königsreichs Gottes. Aber im Laufe der Jahrhunderte hat man erkannt, daß dieser Triumph noch nicht hinreichend Wirklichkeit geworden ist. Doch immer wieder hat es Menschen gegeben, die ihre Zeit als Erfüllung der Verheißungen des Daniel­buches ansahen.

 

 

Hosea

Hosea war ein Prophet, der etwa zwischen 740 und 725 vCh im Nordreich Israel wirkte. Durch die Überschrift wird Hosea in die Zeit der Könige Usia (773-736, auch 767-740), Jotham, Ahas und Hiskia (gestorben 700) sowie des israelischen König Jerobeam II. (787-747) eingeordnet. Sicher wirkte er aber auch noch nach dem Tod Jerobeams. Die Zerstörung Samarias ist 14,1 angekündigt, aber nirgends als bereits geschehen vorausgesetzt.

Anders als bei dem etwa zeitgleich auftretenden Propheten Amos wird von Hosea keine ausdrückliche Berufung berichtet. Man hat vermutet, daß Hosea mit oppositionellen Priestern im Nordreich verbunden war, die die Religionsvermischung bekämpften und die ausschließliche Verehrung Jahwes gegen eine ausgleichende, den kanaanäischen Baalskult einbeziehende Religionspolitik der Könige durchzusetzen versuchten („Sünde Jerobeams“). Hosea ist der einzige Schriftprophet des Nordreiches (keine Zions-Tradition).

Das ihm zugeschriebene gleichnamige Buch eröffnet die Reihe der zwölf kleinen Propheten in der hebräischen Bibel. Das Buch besteht großenteils aus gesammelten Prophetensprüchen Hoseas ohne Rahmenhandlung. Sie lassen nur zum Teil eine zeitliche oder thematische An­ordnung erkennen.

Hosea ist der Sohn Beeris, mehr erfährt man nicht über seine Herkunft. Er stammte aber wohl aus dem Nordreich, denn er bezog sich ausschließlich auf dessen Traditionen und trat vor allem in der Hauptstadt Samaria, eventuell auch anderen israelischen Kultorten wie Bethel und Gilgal auf.

Der Textbestand des Buches Hosea gehört zu den am schlechtesten erhaltenen biblischen Büchern. Entsprechend uneinig ist die historisch-kritische Bibelforschung über seine mögliche Herkunft und Überlieferungsgeschichte. Sicher ist, daß ein Teil der hier gesammelten Prophetensprüche auf eine judäische Redaktion in oder nach dem Babylonischen Exil (586-539 vCh) zurückgeht, die Unheilsworte an das Nordreich auf das Südreich bezog und entsprechend ergänzte. Dieser Überarbeitung kann jedoch schon eine lange überlieferte Sammlung von Hose­as Prophetie vorgelegen haben, die wahrscheinlich bald nach 722 im Südreich begann. Eventuell wurden dort bereits Heilsansagen unverbunden neben die älteren, echten Unheilsworte Hoseas gestellt, da nach 586 auch judäische Prophetie auf diese Weise ergänzt und gedeutet wurde.

Hosea ist in drei Hauptteile zu gliedern: 1 - 3 und 4 - 11 und 12 - 14. Der erste Teil gewinnt seine Geschlossenheit durch die beiden miteinander verbundenen Prophetenerzählungen. Vers  4,1 enthält eine Einleitungsformel, Kapitel 11 endet mit einer Schlußformel. Alle drei Einheiten beginnen mit Anklagen und Scheltworten und enden mit Heilszusagen. Ein weisheitlicher Schlußvers (14.10) und die aus dem judäischen Gesichtswinkel verfaßte Überschrift (1,1) rahmen das Buch.

In den Prophetenerzählungen Kapitel 1 bis 3 geht es zunächst um das Verhältnis Hoseas zu seiner Frau bzw. zu zwei Frauen (es ist nicht recht deutlich, ob es sich um eine oder zwei Frauen handelt oder ob es um zwei parallele Darstellungen derselben Ehe geht). In Kapitel 3 geht es um ein erneutes Zugehen auf die Frau von Kapitel 1, nachdem es zwischenzeitlich zu einer Trennung kam. Umstritten ist, inwiefern es hier um eigene Erlebnisse des Propheten geht. Biographisch sind sie aber nicht verwertbar, da die Ehen Hoseas nur Zeichenhandlungen darstellen. Das Biographische wird von der Verkündigungsabsicht völlig verschlungen. Gegen eine rein bildliche Deutung der Ehen Hoseas spricht, daß sich Name und Kaufpreis der Frau nicht bildlich („allegorisch“) deuten lassen und daß die Benennung von Kindern mit Symbolnamen nicht ganz ungewöhnlich war.

Hoseas eigene Liebesgeschichte war eine Leidensgeschichte. Er heiratete eine Frau, die ihm immer wieder untreu wurde. Er beschwor sie, sperrte sie sogar ein, um weitere Treffen mit ihren Liebhabern zu verhindern. Er beschimpfte sie als Hure oder versuchte es mit pädagogischen Strafmaßnahmen. Diese katastrophale Ehe, in der der Betrogene trotz ihrer Untreue nicht von seiner Geliebten lassen kann, wurde als Symbol für Israel genommen, dessen Volk mehrere Götter wie eine Hure verehrte. Hoseas Geduld, der weder seine Frau, noch die Hoffnung auf ihre Rückkehr aufgibt, zeugt von einer großen, anrührenden Leidenschaft.

 

Theologisch bezog sich Hosea als Prophet des Nordreichs ausschließlich auf dessen Traditionen, vor allem den Auszug aus Ägypten, die Wüstenwanderung und das erste Gebot. Seine Gerichtspredigt war ebenso radikal wie die seines Zeitgenossen Amos. Auch Hosea verlangte soziale Gerechtigkeit und Gesellschaftsveränderung, stellte aber die Kritik am Opferkult und den Priestern in den Vordergrund. Dabei knüpfte er an die ältere Prophetie Elias an, der auch jede Vereinigung von Baal und Jahwe als tödlichen Abfall ablehnte.

Hosea bezog diese Kritik aber nicht nur auf den neben der Jahwe-Verehrung fortbestehenden Baalskult, sondern auf die traditionellen Tieropfer für Jahwe selber, die Israels Gott wie Baal zum Garanten des Wohlergehens mißbrauchten. Selbst unter dem Vorwand der Jahwe-Ver­ehrung verbarg sich für ihn der „Götzendienst“. Das in 2. Mose 32 als Gotteslästerung verurteilte Stierkalb aus Gold war wahrscheinlich kein Fremdgötterbild, sondern ein aus Kanaan übernommenes Symbol für die von Jahwe erwartete Fruchtbarkeit des Landes. Hosea verwarf im Namen des so angebeteten Gottes den Opferkult überhaupt: „Denn ich habe Lust an der Liebe und nicht am Opfer, an der Erkenntnis Gottes und nicht am Brandopfer!“

Dem stand Hoseas politische Kritik in nichts nach. Er bezog sie nicht nur auf gewaltsame Umstürze und schwankende Außenpolitik der Könige Israels, sondern auf das Königtum überhaupt. Statt einen neuen König wie von Priestern und Propheten erwartet als Heilsbringer zu bejubeln, sah Hosea Thronfolgen und Thronwirren als Zeichen des göttlichen Gerichts.

In den politischen Katastrophen Israels sah Hosea Gott wieder so handeln, wie er in Israels Frühzeit an ihm gehandelt hatte: Nur die Rückführung nach „Ägypten“ und in die Wüste, also eine neue Fremdherrschaft, die Israels eigenmächtige Einrichtungen und Führung entmachtete, werde dieses Volk lehren, seiner Berufung zu folgen und allein seinem Gott zu vertrauen. Gerade diese Fähigkeit zur Reue und zum erneuten Erbarmen gegenüber dem Wankelmut und der Untreue des menschlichen Bundespartners sah Hosea als die unverwechselbare Identität dieses Gottes: „Denn ich bin Gott und nicht ein Mensch!“

Vom zweiten und dritten Teil her ergibt sich eine grundsätzlich heilsgeschichtliche Auslegung: Jahwe hat an Israel in der Frühgeschichte heilvoll gehandelt, jetzt aber und bereits beim Eintritt in das Kulturland hat Israel Jahwe verlassen. Dieser Abfall wird durch das Stichwort „Hurerei“ bezeichnet, als eine Verehrung des kanaanäischen Baals (Verstoß gegen das erste und auch das zweite Gebot). An Baal wurde der Dank für die Fruchtbarkeit des Landes gerichtet, das doch Jahwe seinen Ertrag verdankt. Diese Baalsverehrung umfaßte nun praktisch den Vollzug von Sexualriten, die in Jahwes Augen unsittlich waren, auch wenn sie wohl im Namen Jahwes geschahen (wie Sabbate und Bethel). Gedacht wird an Kultprostitution, Fruchtbarkeitsriten und an kultische Entjungferung, vollzogen am heiligen Ort durch einen Priester oder Kultgenossen im Auftrage Gottes.

Besonderen Vorwürfe macht Hosea vor allem den Priestern (4 - 6): Sie haben dem Volk die rechte Lehre vorenthalten, so daß es an Gotteserkenntnis mangelt, die allein richtiges Handeln erlaubt.

Auch den Königen wird vorgeworfen, daß sie ohne Jahwe bei fremden Mächten Hilfe suchen, daß sie den Verfehlungen des Volkes nicht Einhalt gebieten. ja sogar die Ausrottung der Familie des Königs Ahab wird als die Blutschuld von Jesreel den Königen angelastet. Auch wird beklagt. daß Könige ohne Jahwes Billigung eingesetzt werden. Ferner wird auf einige nicht mehr klar erkennbare Schandtaten angespielt. Aber im Zentrum steht ganz deutlich die Kultkritik.

Deshalb läßt Jahwe nun Unheil über sein Volk kommen: sei es eine militärische Katastrophe, sei es Verschleppung nach Assur und vor allem nach Ägypten, sei es als erneutes Wohnen in Zelten. Aber die Wüste ist der Ort der heilen Gottesbeziehung. Das Unheil hat also eine er­zieherische Aufgabe.

 

 

Joel

Nach dem Buch selbst war Joel (aramäisch „Jahwe ist Gott“) aus Juda der Autor. Verschiedene Wissenschaftler zweifeln die Einheitlichkeit des Buches an und vermuten mindestens zwei verschiedene, unbekannte Verfasser, einen für die Kapitel 1 und 2, und einen für die Kapitel 3 und 4. So gehen viele der liberalen Theologen davon aus, daß die Kapitel 1 und 2 älter sind, als die Kapitel 3 und 4.

Das Joel-Buch gliedert sich deutlich in zwei Teile:

  • Kapitel 1,1 - 2,17 spricht von einer Heuschreckenplage, die als Vorzeichen des Tages Jahwes angesehen wird. Es wird die Not der Plage geschildert und zu einer Volksklagefeier aufgerufen. Kapitel 2,18-27 berichtet dann von der Erhörung der Volksklage. Jahwe wendet das bevorstehende Unheil noch einmal ab, die Schäden der Heuschreckenplage sollen wieder gut gemacht werden.
  • Kapitel 3,1 - 4,21 spricht dann vom eschatologischen Tag Jahwes. Zunächst wird der Geist über Israel ausgegossen, so daß es in Jerusalem Rettung gibt, dann wird die Vernichtung der Völker angekündigt.

Unsicher ist, ob beide Teile zusammengehören. Dagegen spricht:

- Die verschiedene Bedeutung, die der Tag Jahwes in beiden Teilen hat. Im ersten Teil

  wird versucht, ihn durch eine Volksklage fernzuhalten, im zweiten Teil wird er  

  herbeigesehnt.

- Der erste Teil scheint eher liturgisch bestimmt zu sein, der zweite eher literarisch.

Für eine Zusammengehörigkeit beider Teile spricht allerdings, daß es viele Verbindungen in Einzelmotiven gibt, zum Beispiel die Verfinsterung in 2,10 - 3,4 und 4,14 und 2,10 - 4,15.

Sicher sind also beide Teile in der jetzigen Komposition aufeinander bezogen. Ob sie auch aus einer Hand sind, ist unsicher. Wahrscheinlich handelt es sich bei dem Prosastück 4,4-8 um einen Nachtrag (Erwähnung der Griechen). Natürlich läßt sich auch bei Joel nicht eindeutig beweisen, daß Joel dieses Buch selbst geschrieben hat, oder ob jemand anderes seine Worte aufgeschrieben hat. Allerdings bezweifelt nur ein sehr geringer Teil der Theologen, daß es sich hier nicht um Joels Worte handelt.

Wann Joel lebte und sein Buch verfaßte, ist ungewiß. Manche Ausleger sehen in ihm einen der ältesten Propheten, die im 9. Jahrhundert vCh wirkten, andere einen der jüngsten aus dem 5. oder gar 3. Jahrhundert vCh. Damit gehen die Datierungen weiter auseinander als bei jeder anderen Figur der Bibel.

Der Adressat des Joelbuches scheint das Volk Juda zu sein. Dafür würde auch die Tatsache sprechen, daß kein König im Text erwähnt wird, denn wenn man sich der Meinung einer frühen Abfassung vor der Gefangenschaft anschließt, ist es wahrscheinlich, daß Joel in einer Zeit zum Volk Juda spricht, als Atalja unrechtmäßig auf dem Thron von Juda saß.

Das Thema des Buches Joel läßt sich verhältnismäßig einfach in einem einzigen Satz zusam­men­­fassen: Joel prophezeit Gottes Gericht, das wie eine Heuschreckenplage hereinbricht, und Gottes Gnade, sowohl zu seiner Lebenszeit, als auch in der Zukunft, am Tag des Herrn, dem endgültigen Gericht Gottes.

Der letzte Vers des Buches ist eine Schlußbemerkung in der Form eines „Weisheitsspruchs“, die von einem Späteren an das Buch angehängt worden ist und sich auf den Gesamtinhalt des Buches bezieht. Sie mahnt zur Bejahung des prophetischen Gottesworts. Das Wirken Gottes in der Geschichte wird als Weisheit bestätigt, auch wenn Einzelnes der Verkündigung des Propheten nicht in dieser Weise eingetroffen ist.

 

 

Amos

Amos ist der erste der Schriftpropheten, dessen Worte aufgezeichnet und in Buchform überliefert wurden. Allgemein wird davon ausgegangen. daß das Amosbuch eine längere Entstehungszeit aufweist, wenn auch hier besonders viele originäre Sprüche enthalten sind. Die Sammlung 3 - 6 gilt als ältestes Kernstück der Komposition. Die Völkerworte 1 - 2 und die Visionsberichte 7 - 9 rahmen diesen Abschnitt. Hymnische Stücke ordnen die Komposition und die Verse 1,2 und 9, 5-6 bilden eine Rahmung für das ganze Buch. Außerhalb dieser Komposition stehen die Worte 9,11 (Hütte Davids), sie werden allgemein als sekundär angesehen. Überschrift und einige andere Ergänzungen (3,7) gehen eventuell auf eine deuteronomistische Redaktion zurück.

Amos stammt aus Thekoa (17 Kilometer südlich von Jerusalem) an der Grenze zwischen Kulturland und Wüste Juda; er ist also Judäer. Von Beruf war er Schafzüchter, Schafhirte oder „Maulbeerfeigenritzer“. Amos hatte entweder einen sozial hohen Status als Besitzer einer Feigenpflanzung und von Tierherden oder eine sozial niedere Position als Saisonarbeiter. Eine Entscheidung läßt sich nicht treffen.

Er selbst berichtet, er habe in der benachbarten Wüste Juda Schafe gehütet, als Jahwe ihn von dort „genommen“ und beauftragt habe, im Nordreich sein Wort zu verkünden. Er war also keiner der dort amtierenden Hofpropheten, mit denen er dann in Konflikt geriet, und auch keiner nordisraelischen Opposition verbunden, sondern stand ihnen schon seiner Herkunft nach distanziert gegenüber.

Amos wirkte während der Regierungszeit zweier Könige: von Usia, der das Südreich Juda von 767 bis 740 vCh regierte, und Jerobeam II., der das Nordreich Israel von 781 bis 742 vCh beherrschte. Der Prophet trat wahrscheinlich in der zweiten Regierungshälfte Jerobeams, also 760 bis 750 vCh (für Usia werden auch die Jahre 773-735, für Jerobeam Il. auch 787-748 angegeben).

Die Angabe „ zwei Jahre vor dem Erdbeben“ ist ein Hinweis für die Länge seines Auftretens: Eine lange Tätigkeit würde der Nennung eines so punktuellen Ereignisses widersprechen (Das Erdbeben wird nicht näher bestimmt und als allgemein bekannt vorausgesetzt). Folglich trat Amos nur eine kurze Zeit auf. Auch ist aus den Angaben zu entnehmen, daß der Abstand zwischen öffentlicher Wirksamkeit und schriftlicher Festlegung nicht so groß sein kann Aus den Angaben über die regierenden Könige läßt sich ermitteln, daß Amos wohl vor 759 aufgetreten sein muß. Diese Zeit ist eine Zeit wirtschaftlichen Wohlstands, nachdem die Aramäer­kriege erfolgreich beendet werden konnten. Der Wirtschaftsaufschwung förderte die schon länger im Gang befindliche soziale Zerklüftung im Nordreich.

Die Assyrer hatten die Aramäer und deren Hauptstadt Damaskus schon unterworfen, unternahmen aber zunächst keine weiteren Versuche, ihren Machtbereich auszudehnen. So konnte das Nordreich unter Jerobeam eine Blütezeit erleben. Da es die Handelswege zwischen Assur und Ägypten kontrollierte, nahm das Land einen wirtschaftlichen Aufschwung. Diesen versuchte Jerobeam offenbar zum Ausbau seiner Macht und seines Verwaltungsapparats zu nutzen. Dazu erlegte er der Landbevölkerung hohe Abgaben auf und eignete dem Königshof zunehmend Ländereien an, die zuvor freien unabhängigen Bauern gehört hatten.

Das Bevölkerungswachstum beschleunigte die Entwicklung zu einer sozial zerklüfteten Gesellschaft. Nur eine Minderheit hatte Anteil am Wohlstand, der auf Kosten vor allem von Kleinbauern ging, die sich verschulden mußten und dann ihr Land und somit ihre Existenzgrundlage verloren.

Zudem hatte die Urbanisierung zunehmend die bisherigen Sippen- und Stammesstrukturen abgelöst: Die ehemals selbständigen, nun verarmten und landlosen Kleinbauern mußten als Landarbeiter für Großgrundbesitzer und städtische Oberschicht arbeiten. Zu ihr gehörte neben der Königsfamilie vor allem das Priestertum. Auf diese Klassengesellschaft bezog sich die scharfe Kritik der von den Kultorten unabhängigen Prophetie des Amos und späterer Propheten.

Seine Berufung erwähnt Amos nur einmal direkt: Dem Ausweisungsbefehl des Priesters Amazja aus dem Heiligtum in Bethel, der eine Folge der Drohrede gegen Jero­beam II. ist und eine Zugehörigkeit des Amos zu judäischen Prophetengruppen herstellen will, setzt Amos entgegen, von Jahwe hinter seiner Herde weg zum Propheten berufen zu sein (7,15). Amos ist also kein Berufsprophet.

Nahegelegt durch die Komposition werden seine fünf Visionen gerne als Berufungsvisionen betrachtet. Doch enthalten diese Visionen an keiner Stelle den Auftrag, das Geschaute zu verkündigen. In ihnen wendet sich Jahwe unmittelbar an Amos. Inner­halb der Visionen gibt es eine Entwicklung. Während in den beiden ersten Amos noch durch seine Fürbitte das angezeigte Unheil abwenden kann, kommt ihm Jahwe in der dritten Vision mit einer Frage zuvor. Amos schweigt nun im folgenden. Das Unheil ist nicht mehr abzuwenden.

 

Die Predigten des Amos kritisieren besonders das Verhalten von Großgrundbesitzern gegen abhängig arbeitende Arme. Er trat gegen die Korruption der Richter und Priester und die Ausbeutung der Landbevölkerung durch den Königshof und die Oberschicht von Samaria auf.

Die Sozialkritik nötigt Amos zur Kultkritik: Er kritisiert den großen Eifer, die Wallfahrten und rauschenden Kultfeste, weil die Kultteilnehmer das Recht beugen. Gehorsam wird den Opfern vorgeordnet. Ausdrücklich wird auf die Wüstenwanderung als opferlose Zeit zurückverwiesen.

Die Drohreden sind bei Amos fast eintönig und gleichförmig und beschreiben das angesagte Unheil nicht näher. Genannt werden: Erdbeben, militärische Katastrophen, vor allem aber Verschleppung. Obwohl dabei Assur nicht genannt wird, hat Amos wohl die Verschleppungspraxis der Assyrer im Blick. Amos greift die Vorstellung vom Tag Jahwes, allerdings erwartet er vom Tag Jahwes - anders als seine Geg­ner - nicht Hilfe für Israel, sondern dessen Vernichtung.

Es ging Amos weder um eine Kritik des Kultes als solchem, noch um eine Demokratisierung des israelitischen Staatengefüges Amos kritisiert vielmehr das Vergehen an den in Erwählung, Verheißung und Landgabe liegenden Verpflichtungen, das als „frevlerische (bewußte) Auflehnung“ gegen Jahwe verstanden werden mußte und so den geschauten Untergang des Volkes Israel als Strafe Gottes (oder zumindest als Aufkündigung der Exklusivität der Stellung Israels) erklärte.

Während seines öffentlichen und überlieferten Auftretens grenzte Amos sich mehrfach von den Berufspropheten der Kultstätten ab, die mit ihrer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt zu bestreiten hatten. Ein solcher „Prophet“ – oftmals waren mehrere in Gruppen oder einer kultischen Institution zusammengeschlossen – war zur Prophetie wirtschaftlich gezwungen. Amos hingegen bezeichnete sich als einen von Jahwe berufenen Seher mit anderweitig gesichertem Lebensunterhalt.

Amos 1,3 bis 2,6 ist ein Völkerorakel. Der Schluß von Kapitel 4 ist ein späterer liturgischer Zusatz, der für die Verlesung im Gottesdienst in die Prophetenschrift eingefügt wurde. Er bringt das Bekenntnis der Gemeinde zu dem Gott zum Ausdruck, den Amos verkündet hat und aktualisiert es für die eigene Zeit. Das Gleiche gilt für Amos 5,8-9, wo der Zusammenhang des ersten Weherufs gestört wird durch einen hymnischen Lobpreis der Allmacht des Schöpfers in Natur und Gericht. Er ist die Antwort der späteren Gemeinde bei der Verlesung des Prophetenworts im Gottesdienst, die damit anerkennt, daß das Gottesgericht zu Recht über sie ergangen ist.

Grundsätzlich ist umstritten, ob die Heilserwartung von der Wiederaufrichtung der zerfallenen Hütte Davids und der Fruchtbarkeit des Landes auf Amos selbst zurückgehen. Diese verhaltene messianische Weissagung könnte durchaus zu dem Judäer Amos passen. Doch wer von der Absolutheit des von Amos angekündigten Gerichts ausgeht, der kann darin nur einen späteren Anhang sehen. Ziemlich sicher ist dem Amos das „Vielleicht“ von 5,14-15 zuzuschreiben. Innerhalb eines Umkehrrufs spricht Amos von der Möglichkeit, daß sich das Unheil noch abwenden lasse. Jahwe bleibt auch in seinem Unheilsbeschluß das gnädige Gegenüber Israels.

 

 

Obadja

Mit 21 Versen ist das Buch Obadja das kürzeste Buch des Alten Testaments. Über den Propheten ist nur bekannt, was sich aus seinem Buch ergibt. Er stammte demnach aus Juda. Sein Name bedeutet „Knecht“ oder „Anbeter Jahwes, des Herrn“. Die historisch-kritische Forschung deutet die Einnahme Jerusalems in Vers 11 auf die Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar II., König von Babylon, im Jahr 586 vCh. Dann wäre das Buch entsprechend danach, also vermutlich im babylonischen Exil entstanden.

Es geht um das drohendes Gericht über Edom (1 - 9), Edoms Verhalten gegen Juda (10 - 16) und die zukünftige Wiederherstellung Israels (17 - 21). Obadja weist wörtliche Übereinstimmungen mit Jeremia 49 auf, was auf eine literarische Abhängigkeit schließen läßt.

 

 

Jona

Das Buch Jona ist eine vier Kapitel umfassende und damit ziemlich kleine Schrift der hebräischen Bibel. Es handelt sich nicht um eine Sammlung von Prophetenworten, sondern um eine Erzählung über die Sendung des Propheten Jona nach Ninive. Seine engeren Parallelen hat das Jonabuch damit nicht in den anderen Schriften der Zwölfprophetensammlung, sondern in den Berichten über die Propheten Elia und Elisa im 1. Buch der Könige.

Die biblische Erzählung beginnt damit, daß Jona von Gott den Auftrag erhält, nach Ninive zu gehen und gegen die Stadt und ihre Bewohner zu predigen, weil die Bosheit Ninives vor Gott gekommen ist. Jona macht sich auf den Weg, aber nicht nach Ninive (heutiger Irak), sondern nach Jaffa, wo er ein Schiff nach Tarsis (vermutlich heutiges Spanien) besteigt, also von Israel aus gesehen in die entgegengesetzte Richtung.

Gott entfacht einen gewaltigen Sturm, durch den das Schiff in Seenot gerät. Durch das Los wird Jona als Verantwortlicher entlarvt und von den Seeleuten ins Meer geworfen. Der Sturm hört augenblicklich auf, und Jona wird von einem großen Fisch verschlungen. Dort betete er und wird nach drei Tagen und drei Nächten wieder an Land ausgespien.

Jona erhält nun noch einmal denselben Auftrag wie zu Beginn, diesmal geht er tatsächlich nach Ninive, um dort zu verkündigen, daß nur noch vierzig Tage bis zur Zerstörung der Stadt bleiben. Diese Ankündigung löst bei den Niniviten eine Bußbewegung aus, die die ganze Bevölkerung einschließlich der Tiere umfaßt. Die Buße führt dazu, daß Gott die Stadt begnadigt, das angekündigte Gericht also nicht vollstreckt.

Für Jona ist die Begnadigung der Stadt Anlaß zu großem Zorn. Er sei zur Flucht nach Tarsis aufgebrochen, weil er wußte, daß Gott ein gnädiger und barmherziger Gott ist, der das Gericht über die Stadt letztlich nicht vollstrecken wird. Nun, nach der Begnadigung Ninives, wünscht er sich den Tod.

Offenbar in einer Rückblende wird daraufhin erzählt, wie Jona nach der Verkündigung in Ninive die Stadt verlassen und sich außerhalb eine Laubhütte erbaut hatte, um das Kommende abzuwarten. Gott hatte über diese Hütte eine Rizinusstaude wachsen lassen, Jona damit Schatten verschafft und ihn erfreut. Aber am nächsten Morgen ließ Gott den Rizinus verdorren. Zusätzlich ließ er einen Ostwind aufkommen, der bei Jona Ohnmacht und den Wunsch zu sterben hervorrief.

Im Blick auf diese „Rizinusepisode“ fragt nun Gott den über die Begnadigung Ninives erzürnten Propheten: „Dich jammert die Staude, um die du dich nicht gemüht hast, hast sie auch nicht großgezogen, die in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb; und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen sind, die nicht wissen, was rechts und links ist, dazu auch viele Tiere?“ (Jona 4,10-11). Damit endet die Erzählung, ohne daß eine Antwort oder anderweitige Reaktion Jonas auf diese Frage berichtet würde.

Mit der Hauptperson ist zweifellos der Jona Ben Amittai gemeint, der nach 2. Kön 14,25 die Wiederherstellung der alten israelitischen Nordgrenze durch König Jero­beam II. vorhergesagt hatte. Jonas Lebens- und Wirkungszeit muß dementsprechend vor oder während der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts vCh angesetzt werden. Die assyrische Stadt Ninive wurde 612 vCh zerstört.

Sprachliche, religions- und motivgeschichtliche Beobachtungen sprechen so deutlich für eine sehr viel spätere Entstehung, daß die überwiegende Mehrheit der Fachleute das Buch in die persische oder hellenistische Zeit, also in das 5. bis 3. Jahrhundert vCh datieren. Frühere Datierungen werden nur noch selten vertreten. Nach unten hin ist der Datierung eine klare Grenze gezogen: Aufgrund von Sir 49,10, wo die „Zwölf Propheten“ als Sammlung erwähnt sind, ist eine Datierung des Jonabuches in die Zeit nach 190 vCh nicht mehr möglich.

Die unbeantwortete Schlußfrage spricht dafür, daß es sich beim Jonabuch um eine religiöse Lehrerzählung handelt. In der Forschung ist diese Gattungsbestimmung heute fast allgemein akzeptiert. Wäre es dem Erzähler in erster Linie darum gegangen, vergangene Ereignisse zu berichten, etwa ein dramatisches Erlebnis aus dem Leben des Propheten Jona, hätte er sicher einen abgerundeten Abschluß gewählt und klargestellt, wie Jona auf Gottes Frage reagiert.

 

Daß das Jonabuch keine geschichtliche Darstellung bietet, geht aus einer Reihe historischer Ungereimtheiten hervor: Dazu zählt nicht nur die Verschlingung Jonas durch den großen Fisch, die schon im Altertum bei Kritikern der frühen Kirche Spott hervorrief, und deren Historizität in der neuzeitlichen Forschung durch teilweise sehr merkwürdige Erklärungen gesichert werden sollte. So vermuteten einige Forscher des 18. Jahrhunderts, Jona sei von einem Schiff mit dem Namen „großer Fisch“ aufgenommen worden oder habe in einer Herberge übernachtet, die „Zum Walfisch“ hieß.

Im angelsächsischen Raum wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall eines gewissen James Bartley, eines amerikanischen Waljägers diskutiert, der 1892 vor den Falklandinseln von einem Pottwal verschlungen, aber von seinen Kameraden aus dem Magen des erlegten Wals lebend gerettet wurde. Bartley soll bei seiner Rettung bewußtlos und vom Magensaft des Wals angegriffen gewesen sein. Mit der Darstellung des Jonabuches, nach der Jona im Magen des großen Fisches einen Psalm betet und offenbar unverletzt an Land gespuckt wird, hat das aber wenig zu tun.

Die isolierte Betrachtung der Episode von der Verschlingung und Ausspeiung ist für die Christenheit von großer Bedeutung gewesen, die in Verschlingung und Rettung Jonas ein Symbol für den Tod und die Auferstehung Jesu sah. Dieser Aspekt der Wirkungsgeschichte beginnt mit dem in Matthäus 12,40 überlieferten Wort Jesu: „Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein“.

Die Forschung ging mehr und mehr dazu über, das Jonabuch literarisch und traditionsgeschichtlich (als Ergebnis bestimmter Sagen- oder Erzähltraditionen) zu verstehen. Es wurden viele Parallelen aus Mythen, Sagen und Erzählungen in aller Welt gesammelt. Die Verschlingungsepisode wurde vor diesem Hintergrund als Verarbeitung eines weitverbreiteten Sonnenmythos gesehen. Auch wurden tiefenpsychologische Deutungen unternommen.

Betrachtet man die Verschlingungsepisode motivgeschichtlich, liegt es kaum nahe, an die Verarbeitung eines ursprünglichen Sonnenmythos zu denken. Vielmehr scheint ein Einfluß durch indische Stoffe plausibel, die in den östlichen Mittelmeerraum gelangten, nachdem Alexander der Große seinen Indienzug unternommen hatte. Im Zusammenhang des Jona­buches drückt die Verschlingungsepisode die Macht Gottes als Schöpfer von Himmel und Erde aus: Indem die Erzählung schildert, daß Gott Jona durch den großen Fisch rettet, läßt sie den flüchtigen Propheten in den Tiefen des Meeres die Macht Gottes erfahren. Zugleich läßt die Geschichte Jona erfahren, welcher Übermacht er sich entgegenzustellen suchte.

Die Erklärung des Buches Jona als Lehrerzählung - und nicht etwa als Geschichtsdarstellung - ist nicht nur im Bereich der historisch-kritischen Bibelwissenschaft vorherrschend. Auch in evangelikalen Kreisen, die üblicherweise der historisch-kriti­schen Bibelforschung skeptisch gegenüberstehen, findet sich eine gewisse Offenheit für dieses Grundverständnis der Jonaerzählung.

 

 

Micha

Der Name Micha ist nicht Kurzform von Michael, sondern von Michaja („Wer ist wie Jahwe?“). Er erhielt seine Offenbarungen während der Regierungszeit der Könige Jotham (757-736 vCh), Ahas (735-725 vCh) und Hiskia (725-697 vCh). Er war also ein Zeitgenosse von Jesaja, Amos und Hosea. Nach 1,5-7 hat Michas Verkündigung vor dem Fall Samarias begonnen. Der Vers Jeremia 26,18 belegt die Tätigkeit Michas zur Zeit Hiskias. Mit Moreschet (Micha 1,1 und Jeremia 26,18) ist wahrscheinlich ein Dorf im westlichen Hügelland in der Nähe von Gat in der judäischen Schefala gemeint.

Allgemein wird davon ausgegangen, daß im wesentlichen der Grundbestand von 1 - 3 auf Micha zurückgeht. Der Rest wird zum Teil auch auf Micha oder auf verschiedene Bearbeitungsschichten (bis in hellenistische Zeit) zurückgeführt. Meist wird noch ein Grundbestand von 5,1-5 und eventuell 6,1-8 Micha zugerechnet.

Das Buch ist beherrscht von der Doppelung des Schemas „Unheil-Heil“. Michas Anklagen gegen soziale Ungerechtigkeit und religiöse Verderbtheit lassen das Thema des Amos und das seiner Zeitgenossen wieder aufleben. Obwohl er als Prophet angesehen wurde, vermied er diesen Titel, denn er wollte sich stark von den Berufspropheten abgrenzen. Seine Prophezeiungen beklagen insbesondere die gesellschaftlich schlechte Stellung der Kleinbauern und Bürger, die durch den Staat und seinen bürokratischen Apparat unterdrückt wurden, um dessen Unterhalt zu sichern.

Im Buch Jeremia wird bezeugt, daß Michas Wort gehört wurde und seine Botschaft zur Reform Hiskias beigetragen hat und Michas Prophetie und ihre Wirkung wird als Argument gebraucht, um zu verhindern, daß Jeremia wegen einer ähnlichen Prophetie hingerichtet wird. Manche Wissenschaftler gehen von einer nachträglichen Redaktion seines Buches aus. Andere gehen davon aus, daß Micha das Buch selbst geschrieben hat.

Das zweite Kapitel schließt in den Versen 12 und 13 mit einer Heilsweissagung, deren Inhalt in direktem Gegensatz zu den vorhergehenden Schelt- und Drohworten steht. Sie setzen aber die Zerstreuung des Volkes voraus, können also nicht von Micha stammen. Hier kommt das Glaubensanliegen der Gemeinde nach der babylonischen Gefangenschaft im Gottesdienst zum Ausdruck, die auf künftiges Heil hofft, ohne daß dadurch die Gerichtspredigt des Micha aufgehoben wird. Der Ausklang in die Heilshoffnung hat zur Voraussetzung, daß die Gemeinde durch Gericht und Buße hindurchgegangen ist.

Die sprachliche Ähnlichkeit zwischen Micha 4,1-3 und Jesaja 2,2-4 wirft die Frage auf, wer hier wen zitierte. Die Ausleger sind unterschiedlicher Ansicht, ohne klare Antworten auf beiden Seiten. Da die beiden Propheten in unmittelbarer Nähe zueinander lebten und zur gleichen Zeit prophezeiten, ist diese Ähnlichkeit verständlich.

 

 

Nahum

Nahum wirkte 90 Jahre nach der Katastrophe von 701, der Belagerung Jerusalems durch Sanherib und Kapitulation Hiskias. Im Jahre 667 brach das assyrische Weltreich zusammen, 612 wurde Ninive von den Babyloniern erobert. Ein Aufatmen ging durch die unterworfenen Völker des Orients. Die Eroberung Ninives steht in Kapitel 2 noch aus, die Thebens ist schon vorausgesetzt (3,8). So ergibt sich für die Unheils­ansage eine mögliche Entstehung in der Mitte des 7. Jahrhunderts. Doch ist auch möglich, daß die Komposition des Buches erst in der Zeit nach der Gefangenschaft vollendet wurde. Über die Person Nahums sowie über seinen Herkunftsort Elosch ist nichts bekannt. Sein Name bedeutet „Tröster“, bzw. „Jahwe tröstet“. Weiter ist nichts über ihn bekannt. Das Buch kann auf die erste Hälfte des siebten Jahrhunderts ein­gegrenzt werden, womit Nahum ein Zeitgenosse von Zephanja, Habakuk und Jeremia war.

Das Buch Nahum weist einen vielstufigen Entstehungsprozeß auf, der mit Texten aus der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts beginnt und erst im 5. oder 4. Jahrhundert endet. Schon die Überschrift deutet auf zwei Bearbeitungsstufen hin: Der Spruch über Ninive in der ersten Vershälfte bezieht sich auf das zweite und dritte Kapitel des Nahumbuches (Nah 2,2 - 3,19). Das Hauptthema ist die Gerichtsrede gegen die assyrische Stadt Ninive. An wen sich dieser Textbestand richtet, ist unklar. Nahum 2,4 - 3,19 ist also der älteste Teil des Buches.

Der zweite Teil des ersten Verses verweist auf die Aufzeichnung der Schauung des Nahum. Dieser erste Teil des Buches nimmt keinen Bezug auf die Verkündigung gegen Ninive und ist auch sprachlich anders gestaltet und beinhaltet anderweitige „Schauungen“. Aber der Inhalt von 1,9-2,3 lenkt auf Juda als Adressat. Weil es darin um Heilsverheißungen geht, wird der Text erst nach der Zerstörung Ninives (612), vermutlich aber erst im Babylonischen Exil (ab 587) hinzugekommen sein.

Nach der Überschrift heben sich drei Einheiten voneinander ab:

Kapitel 1,2-8      : Ein alphabetischer Psalm

Kapitel 1,9 - 2,3 : Jahwe bewahrt Jerusalem im Ansturm seiner Feinde

Kapitel 2,4 - 3,19: Ankündigung des Untergangs Ninives und Zusammenbruch.

Offenbar soll der einleitende Psalm das Verständnis der drei Kapitel in eine Richtung lenken: „Jahwe übt Rache an seinen Gegnern. Er ist langmütig und von großer Macht, doch läßt er gewiß keinen ungestraft (Ninive wird dadurch nur zu einem Repräsentanten der gegen Jahwe gerichteten Mächte).

Nach der Gefangenschaft wurden die beiden Blöcke redaktionell durch kleinere Eingriffe verwoben und um den alphabetisch strukturierten Psalm in Nah 1,2 - 2,1 erweitert. Hier hat ein Späterer eine erste Auslegung gegeben, die freilich nur die Grundlinie herausarbeiten wollte. Aber hier haben wir ein Beispiel dafür, wie sich die gläubige Gemeinde mit ihren überkommenen Schriften beschäftigte.

Vor allem die Verse 1, 2b und 3a geben sich als Zusätze einwandfrei zuerkennen, weil sie die Reihenfolge der Anfangsbuchstaben stören (Akrostichon) und aus dem Versmaß herausfallen.

Dennoch ist so ein Zusatz nicht „wertlos“. Er zeigt vielmehr, wie man damals die Bibel las. Ein Leser blieb zunächst an dem Wort „Rächer“ hängen und wollte sich damit trösten, daß Gott einmal alles Unrecht an den Widersachern heimzahlen wird. Andere Leser haben das in Vers 3a dann korrigiert: „Gott ist nicht nachtragend!“ Aber das wurde auch bald wieder abgebogen, indem man statt „Huld“ jetzt (bewußt oder unbewußt)„Kraft“ geschrieben hat: „Der Langmut ist nicht Ausdruck seiner Güte, sondern Zeichen seiner Überlegenheit!“

Der Schluß des ersten Kapitels gehört zu den am schlimmsten zerstörten Abschnitten des Alten Testaments, das heißt: Beim Abschreiben sind immer wieder Fehler aufgetreten oder ein Abschreiber wollte selbständig etwas verbessern oder es ist auch schlicht etwas verlorengegangen, denn in Vers 14 ist etwas weggebrochen. Man könnte natürlich mit dem von der Kirche übernommenen Wortlaut weiterarbeiten, auch wenn er sehr bruchstückhaft und weitgehend unverständlich ist.

Daran sieht man, daß wir den Schatz des Wortes Gottes nur in „irdenen Gefäßen“ haben (wie Paulus sagt). Das Wort Gottes ist nicht unbedingt mit dem Bibelbuch­staben gleichzusetzen und die Auslegung sollte nicht in eine falsche Sicherheit verfallen.

Nur das kurze Drohwort 2,14 ist ausdrücklich als „Spruch des Herrn“ gekennzeichnet. Alles Übrige ist das eigene Wort des Propheten, in dem von Gott zum Beispiel in der dritten Person gesprochen wird. Die Propheten wollen offenbar nicht alles auf einer Ebene sehen, sondern nur ein Teil ist mit der ganzen Autorität des Gotteswortes versehen.

In Nahum 3,5 behält der Prophet leidenschaftlich das Bild von der Dirne sogar im Gottesspruch bei und malt es sogar noch drastisch aus. Er hat erkannt, daß Gott das Los derer wenden wird, die den herrschenden Mächten wehrlos ausgeliefert sind. Aber in die Darstellung dieser Erkenntnisse mischt sich Menschliches-Allzumensch­liches. Hier spricht mehr der glühende Patriot als der Bote Gottes, nicht alles in der Bibel ist Gottes Wort.

 

Habakuk

Im Jahre 609 wurde Josia durch den ägyptischen Pharao Necho besiegt und getötet. Juda dürfte seither unter ägyptischer Oberhoheit gestanden haben. Doch schon 605 wurden die Ägypter von Nebukadnezar geschlagen und die Neubabylonier übernahmen die Oberhoheit über Palästina. König Jojakim, der Nachfolger Josias, war ein unsicherer Vasall der Babylonier, deshalb hatte sein Land manches von den babylonischen Truppen zu erleiden. In diese Zeit, wahrscheinlich zwischen 609 und 597, dürfte nach aller Wahrscheinlichkeit das Wirken Habakuks fallen. Doch dürfte der Abschluß der Komposition sehr spät erfolgt sein, da zum Beispiel der Psalm in Kapitel 3 nicht in den Texten aus Qumran überliefert ist.

Über Habakuk ist wenig bekannt. Sein Psalm mit Anweisung zu dessen Vortrag könnte darauf hindeuten, daß er levitischer Sänger war. Zur Zeit Habakuks war der Tempel noch vorhanden (2,20). Die Bedrohung durch die wachsende Macht der Chaldäer weist auf das Ende des 7. Jahrhundert hin, also die Zeit der Könige Josia und Jojakim. Damit war Habakuk ein Zeitgenosse Jeremias. Das Buch hat zwei Teile, die erzählenden Kapitel 1 und 2 und einen Psalm (Kapitel 3). Die Erzählung hat die Form eines Dialogs zwischen Habakuk und Gott.

Im Vergleich zu Amos, Jesaja oder Micha fällt auf, daß sich bei Habakuk das Verhältnis des Propheten zu Gott geändert hat. Die Rollen scheinen vertauscht zu sein: die Initiative liegt beim Propheten, denn er drängt und ist unzufrieden, Jahwe ist der Gefragte. Dieser Unterschied könnte darin begründet liegen, daß Habakuk möglicherweise ein Kultprophet ist, zu dessen Aufgabe die Fürbitte gehört.

In 1,2 - 2,4 breitet der Prophet zweimal seine Klage vor Jahwe aus. Die erste Klage spricht von Bedrückung und Gewalttat: der Gerechte wird vom Gottlosen verfolgt. Hier äußert sich Sozialkritik. Jahwes Antwort fällt merkwürdig aus: „Ich erwecke die Chaldäer, das grausame und ungestüme Volk!“ Es wird also noch viel schlimmer kommen als der Prophet beklagt.

In der zweiten Klage (1,12-17) klagt der Prophet dann, wie denn Jahwe so viel Unrecht ansehen kann, ohne einzuschreiten. Die Antwort Jahwes lautet: Der Gerechte wird aufgrund seiner Treu zu Jahwe leben. Doch das Eintreffen dieser Heilszusage wird sich verzögern. Deshalb befielt die Antwort Jahwes in Kapitel 2 das Aufschreiben der Worte. Doch die Prophezeiung „drängt zum Ende und trügt nicht“` (2,3). Diejenigen, die an Jahwe festhalten werden gerettet werden (2,4).

Durch die beiden Klagen werden Gesetzesverstöße der Israeliten und das grausame Verhalten der Babylonier nebeneinander gestellt: Hatte Jahwe die Babylonier zur Strafe für den Ungehorsam des Volkes herbeigerufen (erste Antwort), so verhalten sich die Babylonier jetzt ebenso ungerecht (zweite Klage). Deshalb wird die Zukunft auch eine Bestrafung der Babylonier mit sich bringen (zweite Antwort).

An die zweite Klage schließt sich eine Reihe von Wehe-Worten an, die den Untergang der Gewaltigen. der Ausbeuter und Götzendiener verspotten. Damit wird die von Jahwe zugesagte Rettung von den Unterdrückern und Gesetzesverächtern als bereits geschehen vorweggenommen. Auch hier findet sich die Nebeneinanderstellung von israelitischen Frevlern und Babyloniern.

Das Buch endet mit einem Psalm (Kapitel 3), dem eine musikalisch-technische Schlußbemerkung beigefügt ist (3,19b). Der Psalm schildert die in den beiden Klagen herbeigesehnte Erscheinung Jahwes, indem Motive der Schöpfung und der Endzeit miteinander verbunden werden.

 

 

Zephanja

Der Name „Zephanja“ ist die verkürzte Variante der Namensform „Zefanjahu“ und bedeutet als Dankname „Jahwe hat (schützend) geborgen / verborgen“. Vom Autor ist außer seinem Namen Zephanja und seinen Vorfahren über vier Generationen nichts Sicheres bekannt. Bei dem Ur-Urgroßvater Hiskia könnte es sich um den israelischen König Hiskia handeln - das ist zeitlich möglich, aber nicht beweisbar. Es würde aber erklären warum, anders als sonst meist üblich, nicht nur der Vater genannt wurde. Da er „Sohn des Äthiopiers“ genannt wird, kann man annehmen, daß er ein Fremder war und aus einem anderen Land stammte. Nach 1,4 („an diesem Ort“) und den detaillierten Beschreibungen des Ortes dürfte er ein Einwohner Jerusalems gewesen sein oder hat jedenfalls dort gewirkt.

Gemäß 1,1 empfing Zephanja seine Botschaften zur Zeit des jüdischen Königs Josia (639- 609). Dem Inhalt nach entstanden die Prophezeiungen vor Josias Kultreform im Jahr 622  und vor der Zerstörung Ninives im Jahr 612. Damit ist Zephanja zeitlich zwischen Nahum und Habakuk anzusiedeln. Da nach 1,8 wohl kein König regiert, Josia also noch minderjährig ist, kann man die Zeit um 630 als die Wirkungszeit Zephanjas ansehen.

Zephanja aktualisiert die von Amos und Jesaja her bekannte Verkündigung vom nahen Tag Jahwes. In breiter Ausmalung wird sowohl seine weltweite Dimension, als auch seine konkrete Auswirkung auf Jerusalem und seine Bewohner geschildert. Zephanja fordert deshalb Taten der Gerechtigkeit und redet die Demütigen im Lande an. Wie bei Jesaja dehnt sich die Verkündigung vom Gericht über die Völker von den unmittelbaren Nachbarn bis zu den Großmächten in Kusch (Ägypten/Äthiopien) und Ninive (Assur) aus.

Am Anfang von Zephanja 3 hat ein Bearbeiter den „Allherrn“ ersetzt, zunächst durch einen „Boten“, dann durch den „Bundesengel“ (der nur hier im Alten Testament genannt wird). Gemeint ist der Bund mit Levi (2,4-8), also die Priesterschaft, die erst von dem zukünftigen Boten in den richtigen Zustand versetzt werden muß, ehe Gott selber das Gericht vollzieht. Hier erfolgt also eine Umformung im Sinne der Priesterschaft („Klerikalisierung“), die den Charakter der ursprünglichen Rede stark umgestaltet. Es ist ein Verdienst der Bibelkritik, diesen Eindringling erkannt zu haben,

 

 

Haggai

Haggai („der am Festtag Geborene“) wird im Buch Esra erwähnt. Er wirkte zur Zeit der Wiederaufbauarbeiten am Jerusalemer Tempel (29. September bis 13. Dezember 520 vCh), der 587 / 586 von den Babyloniern zerstört worden war. Sonst ist nichts über ihn bekannt. Vermutlich gehörte er zu den Rückwanderern aus Babylon. Das Haggai-Buch ist wohl bald nach 520 aufgezeichnet, da eine spätere Aufzeichnung wahrscheinlich nicht eine solch konkrete Voraussage der Zukunft festgehalten hätte. Seine Prophezeiungen sind auf das Jahr 520 vCh datiert, mit genauen Datumsangaben. Haggai und Sacharja werden auf Grund ihres gemeinsamen Auftretens auch Zwillingspropheten genannt. Der amtierende Statthalter Serubabel wird als künftiger Weltherrscher bezeichnet, aber ihm wird gleichrangig der amtierende Hohepriester Josua an die Seite gestellt.

Hauptthema des Buches ist der Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem nach der babylo­ni­schen Gefangenschaft. Der Wiederaufbau des Tempels gilt geradezu als notwendige Voraussetzung für das Kommen Jahwes und seines Reiches. Angesichts einer zwar in verhältnismäßiger Sicherheit dahinlebenden und aber wirtschaftlich eher armseligen Gesellschaft, die wohl aus materiellen Gründen meint, die Zeit zum Tempelbau sei noch nicht gekommen (1,2), behauptet Haggai gerade ent­gegen­gesetzt: Das Land hat keine Fruchtbarkeit, weil der Tempel nicht gebaut wird (1, 9-10). Keine anderen Propheten hatten derartigen historisch greifbaren Erfolg wie diese beiden. Ihre ungestüme Forderung des Baues des Tempels wird erfüllt und dieser wird für ein halbes Jahrtausend zum Rückgrat Israels.

Vermutlich gab es um 519 vCh eine Koalition, die an Wiedererrichtung des Tempels interessiert war: Einmal die Priester, die durch den Tempelbau wieder Arbeit bekom­men konnten, auf der anderen Seite die Realpolitiker um den Statthalter Serubabel, die die von den Persern gewährte Chance für ihre Restaurationsbestrebungen nutzen wollten. Es gab aber auch ge­wich­tige Gründe, die gegen eine Wiedererrichtung sprachen: Die wirtschaftliche Lage in Juda war wegen einer längeren Dürreperiode katastrophal, auch die Wiedereingliederung der Rück­wanderer machte Probleme. Eigentumsansprüche der Rückkehrer mußten teilweise gerichtlich ausgefochten werden, daher kam es zu erheblichen sozialen Spannungen. Die Bevölkerung war vielmehr mit der Sicherung des eigenen Lebensstandards beschäftigt.

Es gab auch theologische Einwände gegen den Tempelbau: In der schwierigen Lage sah man nicht das Zeichen Jahwes zur Wiedererrichtung, sondern schon der Prophet Jeremia hatte davor gewarnt, falsches Vertrauen in den Tempel zu setzen und stattdessen die Verbesserung der sozialen Lage gefordert. Vor allem die prophetisch-deuteronomistischen Gruppen der Daheimgebliebenen wollten sich wohl zuerst sozialen Problemen widmen.

Zu einem Umschlag der öffentlichen Meinung kam es mit Haggai und Sacharja. Mit realpolitischen Interessen verband sich eine Vorstellung von der Zukunft, die die beiden Propheten in Anknüpfung an die Heilsprophetie in der Gefangenschaft einbrachten. Beide leisteten eine enorme Überzeugungsarbeit gegenüber den politischen und priesterlichen Führern und der Bevölkerung und trotz mancher Enttäuschung den Tempelbau durchzuhalten.

Haggai trat in den ersten drei Monaten des Tempelbaus auf und entstammte wohl den Kreisen der ehemaligen Hofprophetie und bewegt sich in konservativ-nationalen Vorstellungen: Der Tempel war für ihn Garant des Segens, die wirtschaftliche Lage hat ihren Grund im Nichtvorhandensein des Tempels. Verantwortlich für den Tempelbau war für ihn außer der Priesterschaft vor allem der Davidide Serubabel, dem Jahwe unbedingten Beistand zusagte. Haggai verband mit der Vollendung des Tempelbaus eine Wiederherstellung des davidischen Königtums, ein welterschütterndes Eingreifen Jahwes. Gleichzeitig sollte auch die Verwerfung Jojachins paradigmatisch an ihm zurückgenommen werden. Sie erweckten mit dem konkreten Akt des Tempelbaus aber sehr viel weitergehende Hoffnung auf eine Wiederherstellung der alten Verhältnisse, die sich schnell als gefährliche Hoffnung erwiesen.

Der Wiederaufbau wurde unter Dareios I. und Serubabel sowie Jeschua in Angriff genommen. Die Aktivität ging bei diesem Projekt von den jüdischen Heimkehrern aus, die eine schriftliche Anfrage an den Satrapen Tatnai richteten. Es gab aber auch Stimmen, die nicht nur den Tempelbau befürworten, sondern vielmehr noch davon die Wiederbelebung des davidischen Königtums erhofften.

Solche Hoffnungen muß es in der Provinz Juda gegeben haben. Denn nur so läßt es sich verstehen, weshalb Haggai und Sacharja derart elektrisiert davon waren, daß gerade Serubabel, der Enkel Jojachins, die für den Tempelbau zuständige Person war. Wenn innerhalb der Grund­schicht des Buches Haggai, die in allen Stücken für den Tempelbau wirbt, Serubabel die erneute Erwählung und Rücknahme der Verwerfung seines Großvaters zugesagt wird (Hag 2,23), dann muß auch er sich in der gemeinorientalischen Vorstellung bewegt haben, daß es eine Verbindung zwischen König und Tempel gibt. Für Haggai und Sacharja ist es der Davidide Serubabel, der den Grundstein des Alten Tempels wieder hervorholt!

Auch in Haggai und Sacharja liegt ein prophetischer Aufruf zum Tempelbau vor, der das Chaos bändigen soll. Bei Haggai tritt an die Stelle der Initiativkette „Gottheit – König – Tempelbau durch das Volk“ die Abfolge „Gott – Prophet – Repräsentanten des Volkes (Serubabel) – Tempelbau durch das Volk“. Dieser Unterschied fällt weniger ins Gewicht, wenn man bedenkt, daß auch die anderen Könige sich verschiedener prophetischer bzw. mantischer (Orakel-) Techniken bedienten! Doch nicht die Repräsentanten des Volkes bedienen sich des Propheten, sondern Jahwe bedient sich durch den Propheten des Volksrepräsentanten und somit des Volks.

 

 

Sacharja

Das Buch Sacharja gehört zusammen mit den Büchern Haggai und Maleachi zu den Prophetenbüchern nach der Gefangenschaft. Sacharja wirkte in der Zeit kurz nach dem babylonischen Exil (wohl ab 520) in Jerusalem und war ein Zeitgenosse des Propheten Haggai. Er kam aus einer Priesterfamilie und war wahrscheinlich selbst Priester. Zur Zeit des Hohepriesters Jojakin war Sacharja das Oberhaupt seiner Familie. Da er 520 ein erwachsener Mann war, wurde er vermutlich in der babylo­ni­schen Gefangenschaft geboren. Sacharja hat die erste Vision im 8. Monat des zweiten Jahres des Königs Darius I., also im Oktober / November 520 vCh, zwei Monate nach dem Auftreten des Propheten Haggai, also zur Zeit der Jerusalemer Restaurat­ion.

Daß Sach 9-14 von den ersten acht Kapitel literarkritisch zu trennen sind, ist weitgehend einheitliche Meinung in der alttestamentlichen Forschung: Das im ersten Teil wichtige Thema des Tempels ist in 9 - 14 verschwunden. Die Vorstellung vom Messias ist eine andere. Die Kapitel 9 - 14 lassen auch andere Zeitverhältnisse erkennen.

Folgende Texte sind eventuell späterer Zusatz (von Sacharja selbst?):

1. Die predigtmäßigen Stücke 1,2-6 und 7,7-14 und 8,14-17.

2. Die vierte Vision hebt sich formal von den anderen Visionen ab (es fehlen

   Deute-Engel und Bildsymbolik).

3. Es spricht einiges dafür, daß der Bericht von der Krönung Josuas (6,9-14) eine

    Überarbeitung eines früheren Berichtes darstellt, in dem von der Krönung Josuas

    und Serubabels die Rede war (6,13). Wahrscheinlich wurde Serubabels Name nach

    dessen Scheitern aus dem Text gestrichen.

Das ganze Buch ist sehr bewußt komponiert. Ob diese Komposition auf Sacharja selbst zurückgeht. ist allerdings nicht auszumachen.

 

Das Schwergewicht dieses Buches liegt auf der Folge von sieben Visionen im ersten Teil. Der Sinn dieser Visionen bleibt dem Propheten verschlossen, worauf ihm ein Engel im Gespräch die jeweilige Vision erklärt. Die 7 (oder 8) Visionen („Nachtgesichte“) sind konzentrisch um die fünfte Vision angeordnet:

  • 1. Vision: Der Reiter auf dem rotbraunen Pferd. Reiter schwärmen aus, sie stellen fest: Alles ist ruhig, nichts ist erkennbar von Gottes Reich. Doch Gott erbarmt sich nun endlich nach 70 Jahren) über Jerusalem.   
  • 2. Vision: Die vier Hörner, das heißt die vier Mächte, die Israel früher zerstreuten, werden von vier Schmieden abgeschlagen.     
  • 3. Vision: Der Mann mit der Meßschnur. Jerusalem wird keine Mauern mehr brauchen. Jahwe selbst wird eine feurige Mauer sein.   
  • 4. Vision: Der Hohepriester Josua wird von Satan verklagt, aber gereinigt, neu eingesetzt und gekrönt.
  • 5. Vision: Ölbäume versorgen den Leuchter mit Öl, neben dem die beiden Ölsöhne stehen: Was Josua und Serubabel tun, geschieht aus göttlicher Kraft. Darin ist eingebaut in 4,6-10 die Zusage an Serubabel von der Vollendung des Tempels.     
  • 6. Vision: Die fliegende Buchrolle, mit der der Fluch zu allen Übeltätern kommt und die Gemeinde reinigt.           
  • 7. Vision: Die Frau (Ruchlosigkeit) in der Tonne wird nach Babel gebracht.
  • 8. Vision: Die vier Wagen mit vier verschieden-farbigen Tieren fahren hinaus. Die nach Norden fahren bringen Gottes Geist in den Norden (zur Diaspora?).
  •  

Die Kapitel 1 - 8 stehen der Botschaft des Haggai sehr nahe: Das unmittelbar bevorstehenden Kommens Jahwes wird angekündigt. Jetzt ist Heilszeit. Zeit des Umbruchs, das gilt es zu erkennen. Auch hier steht die Verkündigung in engem Zusammenhang mit wiedererstehendem Tempel, dem Davididen Serubabel und dem Hohepriester Josua. Sach 1 - 8 erscheint allerdings in Bezug auf den Tempelbau nicht so mahnend und treibend wie Haggai. Er spricht sicherer von der Vollendung des Baues (4,6-10).

Die Nachtgesichte lassen viele Einzelheiten der endzeitlichen Erneuerung der Gemeinde erkennen. Ihr Zentrum finden sie in der Einsetzung der messianischen Spitze Serubabel und des priesterlichen Oberhaupts Josua; sie sind die beiden Söhne. So kennt auch Sacharja das doppelte Führungsprinzip. Mit seiner konkreten Heilserwartung verkündet Sacharja eine aktuelle Endzeithoffnung. Wie Haggais Verkündigung treffen auch Sacharjas Ankündigungen nicht ein.

Bei Sacharja findet sich so ein Übergang zur sogenannten „Apokalyptik“, zu den Endzeiterwartungen Israels und anderer Völker. Jedoch kann er wohl nicht dazu gerechnet werden, da er den gegenwärtigen Weltzustand nicht als Werk übermenschlicher böser Mächte versteht.

 

 

Maleachi

Über den Verfasser ist nichts bekannt. Das hebräische Wort bedeutet „Mein Bote“. Als Personenname ist Maleachi nicht belegt. sein. Unsicher ist, ob der Name „Maleachi“ ein Eigenname ist oder von 3,1 her in die Überschrift geraten ist. Traditionell sah die Forschung in Male­achi einen Propheten des 5. oder 4. vorchristlichen Jahrhunderts. Wahrscheinlicher steht hinter dem Buch jedoch keine Einzelgestalt, sondern schriftgelehrte Auslegung. Der Name läßt sich dann als Ableitung aus Mal 2,7 und 3,1 deuten und könnte programmatisch auf Sendung und Amt des Propheten bezogen sein.

Die Entstehungszeit ist sicher nach Vollendung des zweiten Tempels anzunehmen, denn das Buch handelt in persischer Zeit und der Tempelkult ist bereits wieder im Gange. Die Zustände, die das Buch beklagt, sind vor der Kultreform Esras eher denkbar als danach. So wird das Buch wohl zwischen 515 und 398 / 397 (späteste Datierung der Wirksamkeit Esras) entstanden sein.

Die Prophetie Haggais und Sacharjas geht dem Maleachi-Buch voraus. Die Erfüllung dieser Ankündigungen blieb jedoch aus. So hatte sich Maleachi mit der Verzögerung des angekündigten Heils auseinanderzusetzen, doch dies umso stärker, da die Heilsankündigungen sehr konkrete Ereignisse angekündigt hatten, die dann nicht eintrafen.

Die sechs Disputationsworte haben eine gemeinsame Struktur: Sie setzten ein mit einem Tadel der Angeredeten, zitieren deren Widerrede und bringen eine Entgegensetzung, die sich bis in eine Gerichtsankündigung steigern kann.

Maleachi beschreibt, beklagt und verurteilt die gleichen Probleme, die es schon bei anderen Propheten gegeben hat: ungerechter Umgang mit Geld, geistlicher Verfall und Trägheit, soziale Ungerechtigkeit sowie die Mischehen mit Heiden - vor allem das Vermischen mit den heidnischen Religionen. Wegen des trägen und unehrlichen geistlichen Lebens der Juden in der Zeit, nach der Gefangenschaft ruft Gott durch Maleachi zur Umkehr und zur neuen Hinwendung an Gott auf. Das Buch Maleachi berichtet von dem letzten Werben um sein Volk, bevor der Messias kommen soll. Danach schweigt die Stimme Gottes, die Juden warten bis heute auf den kommenden Messias und auf den in Maleachi vorhergesagten Elia. Für die Christen hat sich in Johannes dem Täufer die Vorhersage des Elia erfüllt. Maleachi 3,3 weist auf Jesus hin, der die Menschen von ihrer Schuld reinigen wird.

Allgemein werden Überschrift und 3,22-24 auf einen Redaktor zurückgeführt. Den Abschluß des Buches bildet eine Versfolge, die zugleich den Abschnitt des zwölf kleinen Propheten und der Propheten überhaupt anzeigt. Die Wiederkunft des Elia, des entscheidenden Propheten der Königszeit, wird angekündigt. Damit wird Elia als der angekündigte Bote verstanden. Zugleich wird zur Einhaltung der Lehre des Mose aufgerufen. Damit wird der Bogen zurück zu Josua 1 gespannt.

 

Zeittafel:

Jahr

Prophet

König

760 – 750

Amos

Usia von Juda von 767-740,  Jerobeam II. von Israel 781-742

740 - 701

Jesaja

Juda. Usia (773-736), Jotham (763-736), Ahas (735-725) und Hiskia (725-700),

Israel: Jerobeam II. (787-747)

740 - 725

Hosea

Nach 740

Micha

9. bis 5. Jahrhdt.

Joel

 

650 - 610

Nahum

 

630

Zephanja

jüdischer König Josia (609-597)

627 - 586

Jeremia

Josia bis Zedekia

600 - 550

Hesekiel

 

Babylonische Gefangenschaft

 

609 - 597

Habakuk

Nach 586

Obadja

550 - 539

Jesaja II

550 (Sieg des Kyros) und 539 (Eroberung Babylons

538-  515

Jesaja III

Kyros-Erlaß 538, Tempelbau 515

520

Haggai

Wiederaufbau des Tempels

520

Sacharja

Um 455

Maleachi

Zwischen 515 und 398

Um 400

Jona

5. - 3.Jahrhdt.

Um 100

Daniel

Seleukidischer König Antiochus IV

 

 

Apokryphen

Die „Apokryphen“ sind die „verborgenen“ Bücher, die nicht so wertvoll sind wie die Bücher des Alten Testaments und deshalb heute nicht mehr in den Bibelausgaben zu finden sind. Der Begriff wurde im 2. Jahrhundert von christlichen Theologen geprägt und bedeutete anfangs nicht nur „außerkanonisch“, sondern zugleich „häretisch“: Er wertete die ausgegrenzten Schriften als Irrlehre oder Fälschung ab. Er wurde vor allem auf Literatur aus dem Umfeld des Gnostizismus bezogen, die ihre nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Texte mit dem Wort „apokryph“ als „Geheimlehren“ darstellten.

Zuerst hat das Judentum mit der Festlegung des Umfangs seiner Bibel (Kanonisierung des Tenach) um das Jahr 135 eine Reihe von Schriften als nicht dazugehörig (außerkanonisch) ausgegrenzt. Die protestantischen Kirchen ordnen diese den Apokryphen des Alten Testaments (AT) zu, während die katholische und orthodoxe Kirche einige davon in ihren Kanon aufgenommen haben. Im Protestantismus werden solche jüdische Schriften zu den Apokryphen gezählt, die auch im Judentum nicht kanonisch sind. Sie sind in der Lutherbibel als „nützliche“, aber nicht „heilige“ Schriften in einem Anhangsteil abgedruckt. In den modernen Ausgaben der Lutherbibel sind sie zum Teil nicht mehr enthalten. Sie enthalten jedoch auch einzelne wertvolle Glaubensaussagen. Bei den Apokryphen des Neuen Testaments dagegen sind die christlichen Konfessionen weitgehend einig.

Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch werden heute allgemein außerkanonische frühchristliche Schriften unter diesen Oberbegriff gestellt, die nicht zu den Schriften der sogenannten „Apostolischen Väter“ gehören. Dieser Begriff wurde im 17. Jahrhundert für frühchristliche Schriften geprägt, von denen man eine Übereinstimmung mit der Lehre der Apostel (zur Mission berufenen Auferstehungszeugen Jesu Christi) annimmt.

Einige dieser Schriften sind ebenfalls schon vor 100 entstanden, sind aber keine Evangelien oder Apokalypsen und haben eine andere Funktion für das Christentum: Sie sind lehrhafte, seelsorgerliche Briefe oder kommentieren bereits vorgegebene neutestamentliche Überlieferung. Dabei sind die Grenzen zu den eigentlichen Apokryphen allerdings fließend. Zu diesen zählt man heute auch sogenannte Agrapha: Worte, Dialoge und Episoden von und über Jesus, die sonst in der neutestamentlichen Überlieferung unbekannt sind und parallel dazu – auch innerhalb von Schriften der Apostolischen Väter – überliefert wurden.

 

 

Altes und Neues Testament

Das „Alte Testament“ ist die Urkunde des ersten („alten“) Bundes Gottes mit dem Volk Israel, das wir als „Juden“ kennen und das jetzt im Staat Israel wieder eine Heimat gefunden hat. Erzählt wird im Wesentlichen die Geschichte dieses Volkes, die allerdings aus dem Gesichtspunkt des Glaubens betrachtet wird. Aus dem Volk der Juden ging Jesus von Nazareth hervor, der den ursprünglichen Glauben seines Volkes wieder herstellen und auch weiter entwickeln wollte. Die Christen erkannten in ihm Retter („Messias“), der den Juden verheißen worden war, und verehrten ihn als Sohn Gottes. Die Wurzeln des Christentums liegen also im Alten Testament, aber dieses wurde überboten durch das Neue Testament, den neuen Bund, den Gott mit allen Menschen in Jesus Christus schloß.

Die Auswahl und Anordnung der Schriften wurde bis zum Jahr 350 endgültig festgelegt und zusammen mit dem Neuen Testament zur christlichen Bibel. Voraussetzung der Gegenüberstellung von altem und neuem Bund waren die Übereinstimmung des Gottes Israels mit dem Vater Jesu Christi und die unverbrüchliche Geltung seiner Segenszusage an Abraham, er werde der Vater vieler Völker werden, die Jesus Christus erfüllt hat. Die Bezeichnung „alt“ wurde oft mit einer Abwertung des Judentums verbunden („veraltet“ oder „überholt“). Deshalb nennen manche christliche Theologen und Kirchen das Alte Testament heute auch „Erstes Testament“ oder „Hebräische Bibel“.

 

Das Alte Testament ist auch weiterhin in der Kirche als Text gelten zu lassen und voll zu hören: Der vom Neuen Testament bezeugte Jesus Christus tritt aus dem Raum seines Volkes Israel nicht heraus. Er tritt mitten in diesen Raum hinein, indem er voll als seinen Raum beansprucht, nicht als Fremdling und Einbrecher, sondern als der eigentlich legitime Eigentümer.

Die Botschaft von Christus ist immer wieder in Gefahr als zeitlose Lehre, als philosophisch interpretierbarer Logos oder eine Idee der Liebe Gottes mißverstanden zu werden. Das Hören auf das Alte Testament sichert die wahre Geschichtlich­keit Jesu Christi, indem sie nicht nur das „Heute“, sondern dazu auch ein Gestern und damit dann wohl auch ein Morgen sichtbar macht. Christus ist derjenige, in dem Gott das Ziel seiner Wege in der Menschengeschichte meint. Er wird nicht der in der zeitlosen Weise der alten Göttererzählungen (Mythos) begriffen, sondern wird in der Geschichte angekündigt und hält uns in seiner Anrede in der Geschichte fest.       

Der vom Neuen Testament verkündigte Christus ist in Unerkanntheit (Inkognito) und Niedrigkeit über die Erde gegangen. Es wird von da her immer wieder die Versuchung bestehen, eine Gesamtformel zum Verständnis des Christuswortes aus dieser Gestalt der Unerkanntheit und Niedrigkeit zu errechnen und dabei die Hoffnung auf den neuen Himmel und die neue Erde zu unterschlagen (vgl. Walter Zimmerli: Vom Werden und Verstehen des Alten Testaments).

 

Für die Auslegung des alttestamentlichen Textes in der christlichen Predigt ergeben sich einige grundlegende Regeln:

1. Alle Auslegung wird den jeweiligen alttestamentlichen Text an seinem geschichtlichen Orte stehen lassen und ihm die volle Würde des Eigenwortes an seinem jeweiligen Orte belassen. Alles Ausweichen in die Allegorie, die hinter dem Text eine zweite, an einem ganz anderen Ort beheimatete Wirklichkeit als die eigentliche Wirklichkeit der Aussage erstehen läßt, ist der Auslegung verwehrt. Auch die Einschränkung auf die bloße Erhebung eines bestimmten Seinsverständnisses als der allein darin theologisch bedeutsamen Aussage, nimmt dem Eigenwort des Textes seine volle Würde, weil er ja auf ein tatsächliches Geschehnis Bezug nimmt. Das gleiche ist von dem Versuch zu sagen, jede alttestamentliche Aussage als ein gesetzliches Widerspiel zum Evangelium zu deuten.

2. Statt dessen hat die Auslegung jeder Stelle bis in die Tiefe hinunter nachzubohren, in welcher der Text sein verbindlich anrufendes Wort laut werden läßt, auch sein Gebot, sein Gericht, seine Verheißung oder seine Tröstung.

3. In alledem wird für den christlichen Verkündiger keinen Augenblick lang Unklarheit  darüber bestehen, daß er in der erfüllten Zeit steht und von der Erfüllung, in der aller Verheißung an ihr Ende gelangt, künden darf. Erfüllung heißt dabei ohne Zweifel nicht Aufhören des Wartens. Richtiger ist zu sehen, daß durch die Erfüllung der Zeit im Kommen Christi in seiner Niedrigkeitsgestalt die Erwartung erst ihre volle Glut gewonnen hat. Die Erwartung der christlichen Gemeinde erwartet aber keinen anderen mehr als den Gekommenen, der wiederkommen wird       in der offenbaren Macht und Gnade seines Reiches (nach Walter Zimmerli: Vom Werden und Verstehen des Alten Testaments).

 

 

 

 

 

 

 

 

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