Apostelgeschichte

 

 

Apg 1, 3-11 (Himmelfahrt):

Wenn man einen Menschen auf der Straße fragt, was er sich unter „Himmelfahrt“ vorstellt, dann macht er die typische Handbewegung von unten nach oben und sieht dabei in den Himmel. Das ist selbst bei Kindern und Jugendlichen so, die den kirchlichen Unterricht durchlaufen haben und es dort anders gehört haben. Deshalb wollen wir es heute erneut versuchen, die Blickrichtung umzudrehen und mehr von oben nach unten zu blicken.

Wir machen uns ja oftmals immer noch Gedanken darüber, wie die Himmelfahrt Jesu in Wirklichkeit vor sich gegangen sein soll. Aber der Hauptinhalt ist dabei die Sendung der Jünger und die Verheißung des Heiligen Geistes. In der damaligen Zeit gab es ganz andere Himmelfahrtserzählungen, mit vielen unglaublichen Ausschmückungen. Hier ist nur ganz knapp die Tatsache der Himmelfahrt mitgeteilt, es wird mehr verhüllt als erläutert. Die Wolke ist nicht das Fahrzeug, das Jesus in den Himmel bringt, sondern sie verhüllt Jesus nur und entzieht ihn dem Blick der Zurückbleibenden. Es geht nicht um Himmelfahrt, sondern um die „Erhöhung“ Jesu, also das „Sitzen zur Rechten Gottes“ und die Mitbeteiligung an der Herrschaft Gottes über die Welt. Und unser Augenmerk soll mehr auf die letzte Rede des Auferstandenen an seine Jünger gelenkt werden.

Dadurch wurde der jungen christlichen Gemeinde wieder eine Zukunft eröffnet. Sie war nämlich nicht mit dem Problem fertig geworden, daß das Reich Gottes noch nicht gleich angebrochen ist. Es bestand die Gefahr, daß man den Kopf hängen ließ oder sich gar wieder vom Glauben an den auferstandenen Christus abwenden wollte. Deswegen schafft Lukas hier eine Gliederung mit genauen Zeitangaben und sagt: Es geht alles der Reihe nach, eins muß nach dem anderen kommen. Jetzt ist erst einmal die Zeit der Kirche und der Mission. Ihr habt Aufgaben in der Welt, ihr seid immer unterwegs und habt ein Ziel. Dorthin habt ihr den Blick zu lenken und nicht in den Himmel zu starren. Jesus wird schon wiederkommen. Aber er allein bestimmt den Zeitpunkt, an dem das Zeugesein ein Ende findet. Ihr habt nicht zu fragen: „Wann wird das sein?“ sondern ihr sollt fragen: „Was haben wir zu tun?“

 

(1.) Die Geschichte der Kirche ist das Werk des Erhöhten: Die Spanne zwischen der Himmelfahrt und der Wiederkunft Christi ist die Zeit der Kirchengeschichte und der Ausbreitung des Evangeliums in der Welt. Nur deshalb hat Lukas sein Evangelium und danach dann die Apostelgeschichte geschrieben. Damit blickt er zurück auf das Leben Jesu, aber er blickt vor allem auch nach vorne.

Die Kirche lebt nicht von der Erinnerung an das Vergangene, sondern sie lebt mit dem, von dem die Evangelien erzählen, der heute aber vor allem in der Kirche gegenwärtig ist. Die Geschichte der Kirche besteht nicht aus den Spätwirkungen eines Mannes, der vor langer Zeit als eine Art Religionsstifter gelebt und gewirkt hat. Er hätte dann nur gewisse Impulse gegeben, wie eine Rangierlok, deren Stoß sich durch sämtliche Wagen im Zug fortpflanzt und dabei immer mehr abnimmt. Der Erhöhte wirkt jedoch auch heute sozusagen „senkrecht von oben“ auf seine Kirche und die Welt ein. Natürlich wirken in der Kirche auch die Menschen und Verhältnisse, weltliche Mächte und Gedanken. Aber in ihnen verborgen und sie benutzend regiert der Erhöhte seine Kirche und damit auch die Welt. Während Ostern uns sagt: „Er lebt!“, so bringt „Himmelfahrt“ zum Ausdruck „Er regiert!“

 

(2.) Die Geschichte der Kirche ist das Werk des Gepredigten: Man könnte enttäuscht sein: Christus bleibt in der Wolke, er schickt nur seine Leute vor. Es wäre doch besser, wenn er auch weiterhin hervorträte und die Frage beantwortete „Wo ist nun dein Gott?“ Nur glauben und nicht sehen, das ist eine harte Sache. Er sollte lieber aus seiner Unsichtbarkeit heraustreten und dafür sorgen, daß niemand mehr arm sein muß oder unterdrückt wird oder stirbt am Hunger oder am Krebs oder am Krieg. Wenn Christus schon erhöht ist, dann schreit doch alles nach einer öffentlichen Machtausübung.

Die Kirche kann da nur ein schlichter Ersatz sein. Der himmlische Herr mag zwar gut sein, aber sein „Bodenpersonal“, das ist oft zum Davonlaufen. Die Christen dürften an sich alle keine Sünder mehr sein. Und sie müßten die Kraft haben, die Herrschaft ihres Herrn umzusetzen. Die Kirche ist aber von den Tagen der Apostel an eine kritikwürdige Größe.

Aber darin liegt auch ein Trost: Die Kirche ist nicht nur etwas für die Könner, die Entschlußkräftigen und Mächtigen. Christus tut sein Werk mit einer wenig überzeugenden und höchst anfechtbaren Kirche. In dieser gibt es eben so etwas wie die Trunkenheitsfahrt der Bischöfin Käßmann und die Schläge des Bischofs Mixa und all das andere, da uns in diesen Tagen so bewegt.

Aber es bleibt der Auftrag, Zeugen zu sein, also das auszusagen, was sie als Zeugen gesehen haben. Christus ist der Welt bekannt zu machen. Christus bedient sich nicht der Mittel der Wirtschaft und der Politik, sondern seine Nachfolger haben nur das Wort und müssen so wie er notfalls auch bereit sein zum Leiden. So hat zum Beispiel schon Paulus sich voll eingesetzt und den Befehl zur weltweiten Mission ernst genommen und sich keine Ruhe gegönnt. Und dabei hat er in seinem ganzen Leben weniger Leute erreicht als heute ein Prediger, der sich des Rundfunks oder des Fernsehens bedient.

Aber den Dienst für Christus darf man nicht beginnen, ohne vorher der Geist Gottes erhalten zu haben. Die Kirche soll nichts auf eigene Faust und im Vertrauen auf sich selbst tun. Das geschieht aber, wenn man Unternehmensberatungsfirmen heranzieht wie MacKinsey. Die sagen dann: „Ihr müßt euer Personal ausdünnen, also weniger Pfarrer anstellen, dann rechnet sich das wirtschaftlich wieder!“ Doch wenn man kein Personal hat, kann man auch keine Menschen gewinnen. Und man kann auch nicht alles auf die Ehrenamtlichen abwälzen, obwohl diese unverzichtbar sind.

Das kann bedeuten, daß man warten muß, bis die Stunde schlägt. Manchmal zuckt es in den Händen, da möchte man neue Methoden ausprobieren und Aktionen starten. Nichts gegen das alles, wenn es im Dienst des Geistes Gottes geschieht. Es gibt auch Zeiten, in denen die Türen verschlossen sind oder in denen wir die eigene Schwäche besonders spüren. Aber Christus behält die Dinge in der Hand. Er gibt den Geist, wann und wo er will. Oft können wir nur staunen, was der Herr mit einer solchen Kirche, wie wir es sind, fertigbringt.

 

(3.) Die Geschichte der Kirche ist das Werk des Kommenden: Die Frage der Jünger nach der Aufrichtung des Gottesreiches wird beantwortet mit der Zusage: „Der Herr wird kommen, wie er aufgefahren ist!“ Ein französischer Theologe hat etwas spöttisch gesagt: „Jesus hat das Reich Gottes verkündet, aber gekommen ist die Kirche!“ Die Kirche ist immerhin die Zwischengestalt des Reiches Gottes. Auch wenn sie oft schwach ist, so wirkt und regiert Christus in ihr tatsächlich. Die Kirchengeschichte ist zum Glück nicht nur eine lange Kette von Peinlichkeiten. Durch sie sind wirklich Menschen auf Gott aufmerksam geworden. Jesus hat wirklich auf eine sanfte Art und Weise Macht gewonnen. Hier werden Sünden vergeben, Menschen finden zueinander und werden bereit zum Dienst an anderen. Neue Freude entsteht in der Hoffnung auf den kommenden Christus.

Aber diese Unterwegskirche ruht sich nicht aus auf dem, was sie hat. Das Warten auf den kommenden Christus geschieht gerade dann nicht in der rechten Weise, wenn man wie gebannt zum Himmel schaut. Unser Blick wird herumgedreht: Wenn wir mit der Wiederkunft Christi rechnen, dann haben wir keine Zeit zu verlieren. Die Aussicht auf den Kommenden macht uns mutig, die Aufgaben anzupacken, hier in unsrer Gemeinde und an der Welt, das heißt aber: In unserer unmittelbaren Umgebung.

Zeuge zu sein bis an das Ende der Erde, das bedeutet in unsrer Zeit vor allem, auch der gottfernen Welt das Heil in Jesus Christus ausdrücklich zu bezeugen. Sich vor eine christliche Gemeinde zu stellen und ein sogenanntes „Zeugnis“ abzulegen, das ist nicht einmal besonders schwer. Aber einmal die Fernstehenden anzusprechen oder mit Ungläubigen zu diskutieren, das ist erst wirkliches Zeugesein.

Heute ist Mission in allen fünf Kontinenten nötig, vor allem auch bei uns. Wir können dabei nicht darauf warten, daß nun Afrikaner zu uns kommen und hier als Missionare tätig sind. Wir sind selber alle Missionare in unserem eigenen Land. Schließlich haben wir ja nicht mehr auf den Heiligen Geist zu warten, wie die Jünger Jesu vor Pfingsten, uns ist der Heilige Geist ja schon gegeben durch die Taufe. Aber er wird seine Kraft nur dann erweisen, wenn wir

uns auch tat

 

 

Apg 2, 1 - 18 (Pfingsten I):

Auf dem Fußballplatz kann man sehr oft erleben, wie die Menschen außer Rand und Band geraten. Leute, die sonst eigentlich ganz vernünftig sind und am Werktag als friedliche Bürger gelten, die verwandeln sich auf einmal in ganz andere Menschen: Wenn ein Spieler der eigenen Mannschaft mit dem Ball dem gegnerischen Tor zustrebt, dann wird geschrien und ins Horn getutet, daß man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. Und wenn, ein Tor gefallen ist, dann kennt die Begeisterung keine Grenzen. Würdige Familienväter toben herum wie Schuljungen. Wenn aber ein Anhänger der anderen dazwischen sitzt, dann wird er am Ende noch mit Schirmen und Fäusten bearbeitet. Und wenn die Fußballeuropameisterschaft oder die Weltmeisterschaft im Fernsehen übertragen wird, dann erlebt man entsprechende Szenen vor dem Fernsehapparat.

Hinter diesen, Menschen steckt doch eine Kraft, die erst diese Begeisterung hervorruft. Es kommt einem manchmal so vor, als sei ein neuer Geist in sie gefahren. Das ist oft wie ein Massenrausch, in dem der Einzelne restlos untergeht, die Kontrolle über sich verliert und nachher nicht mehr weiß, was mit ihm geschehen ist.

Auch in die Jünger Jesu ist ein neuer Geist gefahren bei jenem ersten Pfingstfest in Jerusalem. Erst waren sie verschüchtert und ängstlich gewesen. Sie hatten sich in ihre Häuser verkrochen und wagten sich nicht zu regen. Aber dann passiert etwas, das wie Feuer von oben ist, das Klarheit im Inneren schafft und zu einer Bewegung nach außen führt.

 

(1.) Gottes Geist ist wie Feuer von oben: Die Jünger Jesu zeigen auf einmal ein ganz unerwartetes Verhalten. Sie stehen auf einmal vor einer großen Menschenmenge und reden frei und offen von diesem Jesus, der vor einigen Wochen als Hochverräter und Gotteslästerer hingerichtet worden ist. Keiner von ihnen steht allein Keiner versteckte sich hinter dem anderen. Aber Petrus ist auch nicht der Einzige, der den Geist gepachtet hat, sondern die ganze Gemeinde ist erfüllt von den Gaben des Geistes.

Es sind elf Männer, aber keine Fußballmannschaft, sondern die Mannschaft Gottes. Es sind Durchschnittsmenschen aus dem Volk Israel, nicht Spieler, die man aus allen Ländern der Erde zusammengekauft hat. Viel Staat ist mit ihnen nicht zu machen: als ihr Mannschaftskapitän verhaftet wurde, sind sie davongelaufen. Im Grunde waren sie schon abgestiegen.

Doch plötzlich meldeten sie sich wieder zu Wort und stießen sogar zur Weltklasse vor. So könnte man es einmal mit einem Bild sagen.

So wie Menschen auf dem Fußballplatz begeistert sind, so darf auch ein Christ begeistert sein, wenn er von Jesus erzählen will. Nur ruft er nicht „Tor“ oder „Bravo“, sondern „Halleluja, gelobt sei Gott!“ Das „Halleluja“ ist gewissermaßen das „Hurra“ der Christen.

Doch die Kirche lebt nicht von dem, was Menschen in sich haben und nur zu entfalten brau­chten. Sie lebt von dem, was von außen auf die zukommt, was gewissermaßen wie ein Feuer von oben ist. Hier wurde nichts vorausgesehen und vorbereitet oder gar manipuliert. Es ist einfach über sie gekommen, als Gott seinen Geist ausgegossen hat. Aber erzwingen kann man nichts. Man kann nur darum beten. Die Jünger selbst haben warten müssen. Aber es kann der Kirche nichts Besseres geschehen, als daß sie begreift, wie nötig sie ihren Gott doch letztendlich hat.

Es gehört in der Tat schon ein gewisser Mut dazu, von Jesus frei und offen zu reden, damals wie heute. Wir brauchen die Kraft des Heiligen Geistes, wenn es gegen die Kirche geht, und sei es auch nur in einer so ganz äußerlichen Frage wie der Kirchensteuer.

Jedes Gemeindeglied ist da gefordert. Petrus und die anderen Jünger waren ja auch im Grunde ganz arme Kerle, die nirgendwo gelernt hatten, wie man vor so vielen Leuten spricht. Sie waren einfache Fischer und Handwerker, nicht gebildet und geschult.

Das Einzige, was ihnen helfen konnte: Sie hatten Jesus zugehört! Das ist in der Tat die einzige Voraussetzung, um Bote Gottes zu werden: erst auftanken, dann losfahren - und das Nachfüllen nicht vergessen. Hier der Gottesdienst ist die Tankstelle, in der wir uns immer wieder neue Kraft holen. Den Kraftstoff gibt Gott uns gratis. Aber wir müssen ihn uns abholen.

Allerdings sind wir wohl alle andere Typen von Menschen als die erste Gemeinde in Jerusalem bei jenem ersten Pfingstfest. Wir brauchen nicht zu befürchten, es könne heute ähnlich ergehen, denn wir leben in einer gemäßigten Zone. Vielleicht fehlt uns deshalb etwas. Manchmal blicken wir neidisch auf große Erweckungsbewegungen in Gemeinden der USA (besonders bei dem Schwarzen) oder in Indonesien. Auch bei uns ist es zu begrüßen, wenn das frohmachende Wort Gottes die Menschen ergreift und erneuert.

Aber allzuviel Geistergriffenheit würde für viele von uns eher ein Hindernis sein, Zutrauen zu Christus zu gewinnen. Wir erleben sie auch, aber in etwas kühlerer und stillerer Weisen. Es muß nicht so zugehen wie damals in Jerusalem. Der Geist kann auch auf andere Art und Weise ergreifen, er ist nicht an bestimmte Formen des religiösen Lebens gebunden.

 

(2.) Gottes Geist gibt Klarheit im Inneren: Es ist durchaus gesund und normal, wenn Menschen aus sich „herausgehen“ können, in Ekstase geraten, wenn sie Christus entdeckt haben. Auch ein Petrus war vom Geist erfaßt. Aber er spricht nüchtern und klar. Seine Predigt

war eine Wirkung des Geistes Gottes, und auch was danach kam. Der Heilige Geist liebt nicht den Nebel, sondern die Klarheit. Darum bindet er sich an das gepredigte Wort, er wirkt nicht an Christus vorbei, sondern wird durch die Predigt von Christus gegeben.

Aber diese sollte sachlich und nüchtern sein. Es gibt auch eine bestimmte Art frommer Rede, die heute viele Leute einfach abstößt. Es gibt ja Christen, die meinen, sie hätten den Heiligen Geist allein gepachtet. Und dann sprudeln sie alles Mögliche über andere her und lassen sie gar nicht zu Wort kommen. Sie wollen ein „Zeugnis“ von Jesus ablegen, gebrauchen aber dazu Worte, mit denen nur die Eingeweihten etwas anfangen können. Und das Ergebnis ist dann leider, daß man nur über sie lacht und nicht auf die Sache hört.

Es gibt allerdings auch eine echte Begeisterung, die man nicht einfach als Schwärmerei abtun kann. An Pfingsten wird uns aber eher unsere Armut an Lebendigkeit und Bewegtheit bewußt. Der Heilige Geist ist halt nicht verfügbar, er kommt nicht auf Bestellung. Aber es kann auch Augenblicke im Leben geben, wo man von Gott und vom Glauben wirklich begeistert ist, und das müssen nicht unbedingt besonders fromme Augenblicke sein.

Aber Gottes Sache bleibt dabei immer dieselbe. Luther sagt einmal in einer Pfingstpredigt: „Der Heilige Geist predigt nur Christus, der arme Heilige Geist weiß sonst nichts. Einen Harfenspieler lachen die Leute aus, wenn er auf einer Harfe spielt, die nur noch eine einzige Saite hat. So geht es dem Heiligen Geist, er kann nur auf einer Saite spielen: Christus allein!“

Aber auch wenn man immer nur dieses „Christus allein“ einhämmern kann, dann macht doch der Ton die Musik. Langweiligkeit ist eine schlechte Reklame für Christus. Und verständlich muß die Rede doch auch sein. Als die Jünger noch alle durcheinander redeten, hat sie niemand verstanden. Erst als Petrus eine wohlgeformte Predigt hielt, ließen sich die Leute überzeugen.

Unser Kirchendeutsch, das noch aus der Zeit Luthers stammt, wird heute kaum noch jemanden ansprechen, der nicht schon vorher etwas davon gehört hat. Wenn wir überhaupt auf andere einwirken wollen und sie überzeugen wollen, dann müssen wir schon in der Sprache unserer Zeit reden und unseren Glauben auch mit eigenen Worten ausdrücken. Der Katechismus mag eine Hilfe sein, er gibt eine gute Gliederung, aber man muß den Glauben auch mit eigenen Worten formulieren können.

 

(3) Gottes Geist führt zu einer Bewegung nach außen: Eine kleine Gemeinde wagte es, an die Öffentlichkeit zu gehen, und hat Tausende gewonnen. Sie hat sich nicht vor lauter Angst in ihr Schneckenhaus verkrochen, um nur ja nicht aufzufallen oder irgendwelche Nachteile zu haben. Wenn die Jünger Jesu damals so gedacht hätten, dann wäre es aus gewesen mit der Jesusbewegung.

Heute sind wir die Jünger Jesu. Heute entscheiden wir darüber, ob es mit der Sache Jesu weitergeht. Wenn wir immer nur den Mund halten, kann es damit ja nichts werden. Wir könnten natürlich auch sagen: „Wir beschränken uns auf unseren eigenen Club, dort werden wir ja verstanden und sind uns einig!“ Aber dann hätten wir ja gerade unsren Auftrag verfehlt. An Pfingsten haben sie angefangen mit der Mission. Aber die Aufgabe ist heute noch genauso groß wie damals. Es genügt nicht, wenn wir unsren Glauben für uns behalten und uns auf die beschränken, die sowieso da sind.

Die Jünger Jesu haben nicht so gedacht. Im Grunde konnten sie auch gar nicht anders, als immer wieder von allem zu erzählen. In ihnen steckte einfach eine Kraft, die sie dazu antrieb. Sie empfanden sie wie Feuer und Sturm, der in sie gefahren war, nicht eine Wirkung des Alkohols, sondern eine revolutionäre Kraft, die alles neu macht. Jetzt war der Damm gebrochen und alle Hemmungen beseitigt.

Wenn es nun heute so einer Erweckung solchen Ausmaßes käme? Da wären wir als Kirche wohl sehr überfordert. Es gibt ja ganze Gruppen von Menschen, die die Kirche suchen Nichtangepaßte Jugendliche, Umweltschützer, Menschenrechtler. Das gibt doch allerhand Probleme, wenn wir sie einerseits ernstnehmen wollen, aber auch unsren Auftrag nicht verleugnen wollen.

Vielfach sprechen wir eine andere Sprache als diese Leute. Es sind zwar die gleichen Worte, aber deshalb braucht man sich doch noch nicht zu verstehen. Auch bei uns könnte ein Sprachenwunder nötig sein. Die Verwirrung der Sprachen beim Turmbau zu Babel wurde an Pfingsten aufgehoben. Der Geist Gottes führt zusammen und überspringt die Grenzen der Sprachen und Nationen, Fragen und Probleme.

Aber diese sollte sachlich und nüchtern sein. Es gibt auch eine bestimmte Art frommer Rede, die heute viele Leute einfach abstößt. Es gibt ja Christen, die meinen, sie hätten den Heiligen Geist allein gepachtet. Und dann sprudeln sie alles Mögliche über andere her und lassen sie gar nicht zu Wort kommen. Sie wollen ein „Zeugnis“ von Jesus ablegen, gebrauchen aber dazu Worte, mit denen nur die Eingeweihten etwas anfangen können. Und das Ergebnis ist dann leider, daß man nur über sie lacht und nicht auf die Sache hört.

In der Kirche finden Menschen zusammen und sind ein Herz und eine Seele und verstehen sich oft besser als Verwandte. Aus verschiedenen Ländern kommen sie zusammen und sind sofort auf der gleichen Wellenlänge. Das gibt auch Kraft, nach außen zu wirken. Pfingsten will uns dazu Mut machen. Das Fest will uns an unsre Taufe erinnern, in der uns der Heilige Geist geschenkt wurde, diese Kraft Gottes, die uns fähig macht, zu allen Menschen frei und offen von unsrem Glauben zu reden.

 

 

Apostelgeschichte 2,22-23.32-33.36-39 (Pfingstmontag):

Es hat schon manchmal schlecht ausgesehen um die Kirche. Schon den Wochen vor dem er­sten Pfingstfest sah es so aus, als sei alles erledigt. Aber der von Jesus verheißene Geist Gottes hat die Gemeinde neu zusammengeschlossen und zur unüberwindlichen Kirche gemacht. Natürlich kann man sich auch gegen diese Kraft sperren und sich wieder von der Gemeinde abspalten. Wer aber erst einmal im falschen Eisenbahnzug sitzt, kommt nie ans richtige Ziel. Er kann dann zwar einem alten Mann einen Sitzplatz anbieten oder einer Frau den Koffer ins Gepäcknetz heben. Das nennt man dann „Humanismus“. Man kommt dann zwar auch irgend­wo an. Aber  in Wahrheit läuft alles falsch.

Im Grunde kann man auch nicht zweigleisig nebeneinander her fahren, hier Humanismus und dort Christentum. Denn bei der Eisenbahn gibt es auf der linken Strecke immer Gegenverkehr und es kommt dann zum Zusammenstoß. Es fährt nur der Zug weiter, der auf dem rechten Gleis ist. Es kommt alles darauf an, daß wir im richtigen Zug sitzen. Aber wir können immer noch umsteigen.

Dazu fordert Petrus in seiner Pfingstpredigt alle Menschen auf. Sicherlich hat Lukas in seiner nachträglichen Schilderung etwas übertrieben, denn ohne Lautsprecher kann man kaum zu 3.000 Menschen sprechen und man kann sie auch nur schwer auf einmal taufen. Aber ihm geht es um das Grundsätzliche. Er will sagen: Jetzt gibt es nicht mehr nur das kleine Grüpp­chen, das Jesus um sich geschart hat, sondern es geht jetzt auf die weltweite Kirche zu. Gott hatte es von Anfang an darauf abgesehen.

Aber die Kirche ist kein von Menschen entworfenes und geplantes Wirtschaftsunternehmen, sondern sie ist durch den Geist Gottes ins Leben gerufen worden. Das sogenannte „Sprachenwunder“ - daß sie sich nämlich auf einmal alle verstehen können - ist dabei nur der Einstieg. Die Predigt führt bald zu der Sache selbst, zu der Botschaft vom Leben, Leiden und Auferstehen Jesu. Aber wenn diese innere Einheit dann da ist, dann spielen auch die Sprachunter­schiede nicht mehr so eine große Rolle. Das Wunder an Pfingsten besteht darin, daß das Wort durchs Herz geht, daß die Taufe den Geist vermittelt und daß die Kirche die Nahen und Fernen vereint.

 

1. Das Wort geht durchs Herz:

Wer Herzrhythmusstörungen hat, der weiß, wie das ist, wenn „etwas durchs Herz“ geht: Dann bleibt das Herz einen Augenblick stehen, um dann durch zwei schnelle Schläge wieder in den richtigen Rhythmus hineinzukommen. Das ist meist mit der Angst verbunden, es könnte ganz stehen bleiben. Aber letztlich ist man doch froh, wenn es weitergeht. In schwereren Fällen wird ein Herzschrittmacher eingebaut, der dann bei Bedarf den Herzrhythmus zuverlässig regelt.

So kann es auch beim Glauben gehen: Erst stockt das Herz, weil man plötzlich erkennt, daß bisher alles falsch gelaufen ist. Dann aber greift der Geist Gottes ein und bringt alles wieder in die richtige Spur und hält diese auch zuverlässig ein. So hat auch die Predigt des Petrus die verhärtesten Herzen der Zuhörer aufgeschlossen, weil der Geist Gottes in seinen Worten wirksam war.

Der göttliche Geist kommt nicht nur von außen. Er wirkt nicht nur in außerordentlichen Vorgängen und Erscheinungen wie Prophetie und Zungenreden. Er erweist vor allem in dem was, im Herzen vorgeht. Unser natürliches Menschsein wird nicht ausgeschaltet oder übergangen, sondern es wird in Dienst genommen und erfüllt. Der Geist wendet sich nicht nur an unseren Verstand, sondern an unsere Personmitte, in der alle Kräfte und Regungen unseres Menschseins zusammenlaufen und ihren Ursprung haben.

Wem etwas durchs Herz geht, der ist in seinem ganzen Menschsein betroffen und wird ganz in Anspruch genommen. Er kann beunruhigt oder gefragt sein, aber auch beglückt und befreit. Wenn man aber über die eigene Lage unruhig geworden ist, wird man sich selbst auch ganz anders sehen lernen.

Petrus mutet den Leuten dabei etwas zu. Das war keine Predigt für die Durchschnittsfrommen. Es nutzt nämlich gar nichts, wenn man die christliche Botschaft glattzuhobeln versucht, um damit mehr Erfolg zu haben. Vielmehr ist hier etwas Unerhörtes zu entdecken. Petrus sagt unmißverständlich, daß jetzt die Stunde geschlagen hat. Jetzt geht es nicht mehr um allgemeine Wahrheiten

Jetzt wird Jesus in den Mittelpunkt gestellt. Sein Auftreten hätte die Menschen aufmerksam machen müssen wegen seiner Machttaten und Wunder. Aber Petrus wirft ihnen vor: Ihr habt ihn kreuzigen lassen! Aber dann hat er etwas Überraschendes mitzuteilen: Gott selbst hat es so gewollt. Das entlastet euch nicht. Aber es ist nicht vorbei mit dem gekreuzigten Christus. Was ihr gerade erlebt habt - die Ausgießung des Heiligen Geistes - das ist sein Werk. Gott hat Jesus zum Christus gemacht, er ist noch da, jetzt erst recht.

Man hätte erwarten können, daß die Leute diesen Petrus empört von der Bühne geholt hätten. Aber das Gegenteil tritt ein: Sie sind betroffen und sehen ihren tiefen Irrtum ein. Aber diese völlig neue Sicht der Dinge ist die Wirkung des Geistes Gottes. Das hat auch der Dichter Heinrich Heine erfahren: Er war ein entschiedener Gegner des Christentums, hat ätzende Kommentare gegen Christus geschrieben, um dann im Alter zu sagen: „Zerschlagen ist die alte Leier am Felsen, welcher Christus heißt!“

Dabei handelt es sich aber nicht um das Begreifen einer neuen Lage, die man nur zähne­knirschend eingesteht, so wie ein Feldherr einsieht, daß er die Schlacht verloren hat. Ist das Herz betroffen, dann ist der Mensch innerlich überwunden und das sonst so rechthaberische Herz sieht sein Unrecht ein.

 

2. Die Taufe vermittelt den Geist:

Als die „Männer von Israel“ fragen, was nun zu tun sei, antwortet Petrus nicht. „Ihr habt verspielt, für euch ist nichts mehr drin!“ Er hat sie zunächst erschreckt und nicht getröstet. Aber der Zuspruch des Evangeliums folgt dann doch. Petrus antwortet: „Tut Buße!“ Damit meint er einmal ein rückschauendes Nachdenken über das Vergangene, aber auch einen Wandel des Denkens und der Gesinnung und die Umkehr zu Gott. Er sagt: „Ihr sollt und könnt noch anders werden!“

Das ist auch die große Chance für uns, die wir doch auch vieles falsch gemacht haben im Leben. Gott gibt die Möglichkeit zur Umkehr. Diese ist nicht allein unsere Tat, sondern sie ist einbezogen in das große Heilshandeln Gottes. Die sich schuldig gemacht haben, bekommen die Erlaubnis, zu ihrem Gott zurückzukehren.

Damals wurde das äußerlich sichtbar in der Taufe. Durch die Taufe wird man Christus übereignet, wird mit seinem Namen zusammengeschrieben. Das bedeutet aber auch die Vergebung der Sünden und die Tilgung der ganzen bösen Vergangenheit. Sie gibt aber auch den Geist als ein Geschenk Gottes und ein neues Leben. Hier geht eine Tür auf für die, die gerade noch so betroffen waren.

Die Taufe ist aber nicht nur so eine symbolische Handlung, sondern sie bewirkt Abwaschung von Süden und Übereignung an Gott in Christus und sie verleiht den Geist. Da wir alle schon getauft sind, dürfen wir uns darauf verlassen: Was auch geschehen mag, nichts kann uns von Gott trennen. Wir sind nun einmal getauft und gehören damit zu Gott und dürfen uns darauf verlassen, daß der Geist Gottes an uns wirkt.

 

3. Die Kirche vereint die Nahen und Fernen:

In unserem Leben sind wir nicht allein, sondern wir haben die Gemeinschaft der Kirche als Hilfe. Petrus bezieht die Verheißung des Propheten Joel von der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die an Pfingsten Versammelten, aber auch auf die, die noch von ferne herangeführt werden sollen. Lukas beschreibt hier ja den Weg der Kirche bis an die Enden der Welt und bis an das Ende der Zeit.

Die alte Verheißung des Propheten bezieht er auf diejenigen, die vor gut sieben Wochen noch gerufen haben: „Kreuzige ihn!“ Gerade ihnen wir nun das Heil angeboten, damit aber auch allen ihren Nachkommen. Schon am ersten Pfingsttag waren die „Fernen“ im Blick. Gott ruft sie heran - durch uns. Dem Volk Gottes wird dadurch noch Zeit gegeben. Sie können sich alle in freiem Glauben ihm zuwenden. Geht es nach dem Willen des dreieinigen Gottes, dann geht keiner verloren.

Wenn von dem Angebot der Kirche und ihres Herrn die Rede war, dann muß man aber auch die Pflichten mit bedenken. Aber beides ist wichtig für unser Leben und wird uns bestimmt helfen. Alle in der Gemeinde haben mit Verantwortung zu tragen.

Deshalb fordert Petrus auf dem Höhepunkt seiner Predigt auch die Zuhörer auf: „Tut Buße! Dreht euch um und ändert euer Leben!“ Was müßte wohl in unserem Leben erst noch anders werden, ehe es ein wahres Pfingstfest bei uns und in unsrer Gemeinde geben kann? Auch damals waren sie keine idealen Menschen. Aber j e d er hatte die Möglichkeit, herbeizukommen, sich taufen zu lassen und die Gabe des Heiligen Geistes zu empfangen.

Aber so etwas bringt immer mit sich, daß man diesen Geist dann weitergeben muß an die anderen. Ob man in unserer Gemeinde etwas von dem neuen Gottesgeist spürt, hängt allein von jedem einzelnen von uns ab.

 

 

Apg 2, 41 – 47 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Konfirmand antwortete auf die Frage, ob er auch nach der Konfirmation den Kontakt mit der Gemeinde suchen werde: „Sicher werde ich mich öfters blicken lassen. Man braucht ja immer einmal einen, der sich um einen kümmert. Wenn ich einmal Sorgen habe, könnte ich mich bestimmt gut mit dem Pfarrer zusammensetzen. Dafür finde ich die Gemeinde ganz prima. Wenn ich Kontakt suche, werde ich bestimmt in die Jugendgruppe gehen oder mal in den Gottesdienst. Prima, so eine Gemeinde!“

So könnten wir auch gedacht haben, als wir die zusammenfassende Beschreibung der Gemeinde in Jerusalem gehört haben. Aber wir werden vielleicht auch denken: „Das ist doch viel zu schön, um wahr zu sein. Das ist wie das Gemälde eines alten Meisters, das man nur

bestaunen kann, aber heute kann man doch so etwas nicht mehr machen, da ist eben alles anders!“

Man könnte direkt ein Gegenbild entwerfen, etwa so: „Die nun sein Wort aufnahmen, hatten meist schon einen Taufschein. Aber die Zahl der Ausgetretenen war größer als die der neu Hinzukommenden. Sie hielten an ehrwürdigen Lehrformen fest, die nur roch die Experten verstanden. Sie hielten auch an ihren überlieferten Gemeinschaftsformen fest. Sie hielten das Abendmahl, ohne daraus Folgerungen für das Leben zu ziehen. Sie hielten fest an ihren Gebeten, aber die Worte waren nur zum innerkirchlichen Gebrauch bestimmt. Die zum Glauben kamen, versammelten sich sehr selten, und keiner ließ sich in seine Lohntüte gucken. Sie kauften und verkauften, aber meist nur für sich selbst, selten für die, die es nötig hatten. An Feiertagen waren sie manchmal in größerer Zahl beieinander, aber jeder war dann mit seinen eigenen Problemen beschäftigt. In den Häusern feierten sie ihre eigenen Feste, ohne an die Gemeinschaft mit anderen zu denken. Sie verzehrten ihre täglichen Mahlzeiten meist ohne Dank, dachten selten an Gott. Und im Volk gerieten sie in eine merkwürdige Außenseiterrolle!“

Das ist doch eher eine Beschreibung der Gemeinde von heute, wenn auch sicher nach der anderen Seite übertrieben. Auch das Bild des Lukas strahlt etwas aus bis in unsere Tage. Aber man kann dieses Bild eigentlich nur verstehen, wenn man selbst zum Pinsel greift und es mit Farbe und Fröhlichkeit ausgestaltet. Und erst wenn man sich selber mit einzeichnet, wird sich die ganze Schönheit dieses Bildes erschließen, auch heute.

In einem Zehn-Punkte-Programm schildert uns Lukas, wie eine christliche Gemeinde nach dem Willen Gottes aussehen sollte:

 

(1.) Christen lassen sich taufen: Man kann sich zwar auch zur Gemeinde halten, ohne getauft zu sein. Aber eines Tages wird man doch voll und ganz dazugehören wollen. Die Taufe bildet die Grundlage für das Christsein, setzt einen Anfang. Die damals am Morgen ihre Häuser verließen, haben nicht geahnt, wie anders sie wiederkommen würden. Aber dem Tag der großen Wende folgten ungezählte andere, wo es ums Dranbleiben ging. Das beharrliche Festhalten ist vielleicht noch schwerer als der erste große Schritt. Es ist nicht damit getan, daß man einmal der göttlichen Feuersglut inne wird und meint, nun könne man jahrzehntelang davon zehren. Die Erweckung sollte vielmehr in das geordnete kirchliche Leben eingehen und dort noch eine Festigung und Vertiefung erfahren.

 

(2.) Christen hören zusammen: Sie gehen bei denen in die Lehre, die mehr von Jesus wissen und erfahren haben. Es gibt zwar bei uns keine Pflicht, jeden Sonntag den Gottesdienst zu besuchen, wie das bei den Katholiken ist. Aber die Verletzung des dritten Gebots ist mehr als ein christliches Kavaliersdelikt. Mancher hat seine Christlichkeit in den Alltag verlegen wollen, hat gesagt: „Es ist doch alles heilig!“ Aber am Ende war ihm nichts mehr. heilig! Ein Christ m u ß nicht am Gottesdienst der Gemeinde teilnehmen, aber er nimmt teil, aus freien Stücken, weil er da sein will, wo Gott zu finden ist.

 

(3.) Christen leben zusammen: Gemeinschaft hilft gegen die Einsamkeit, aber auch gegen die Vermassung. Es werden auch die mit in die Mitte genommen, mit deren keiner etwas zu tun haben will. Speziell gehört zu dieser Gemeinschaft auch das Überreichen von Gaben im Gottesdienst, also die .Diakonie der Gottesdienstgemeinde. Gemeinschaft kann man nicht nur im Glauben haben, sondern sie hat auch ganz praktische Folgerungen. Davon später noch mehr.

 

(4.) Christen feiern das Abendmahl: Sie erinnern sich dabei an Jesus und hoffen auf das große Abendmahl für alle Menschen. Hier wird dafür der Ausdruck „Brotbrechen“ verwendet, weil damit das Abendmahl anfing. Daraus kann man aber nicht schließen, daß der Gemeinde nur das Brot gereicht werden dürfe, wie das bei den Katholiken üblich ist. Hier ist schon ein volles Abendmahl mit Brot und Wein gemeint, eine richtige gottesdienstliche Feier. Dadurch erhält man Anteil am Leib Christi, wird selber zum Leib Christi. Aber wer einmal davon gegessen hat, der muß dann auch so leben, wie es vor einem Teil an diesem Leib erwartet werden kann.

 

(5.) Christen beten zusammen: Sie wollen Gott nahe sein und wollen vor ihm alles aussprechen, was sie bewegt. Beten ist solide Arbeit. Wenn wir dies versäumten, liefe eine Menge Dinge in der Welt anders. Natürlich können wir Gott nicht zu irgendetwas überreden. Aber er will gebeten sein und uns dann Gutes geben.

Der Künstler Helmut Uhrig hat in einer Graphik diese Kennzeichen einer christlichen Gemeinde dargestellt (vorzeigen). Immer sind es mehrere Christen, immer weisen Hände auf den erhöhten Herrn. Dargestellt sind von unten nach oben: Apostellehre, Brotbrechen, Gebet. Aber alle drei Szenen sind durch die umgebende Linie zusammengeschlossen. Diese zeigt die Gemeinschaft der Christen, ist aber auch das Rettungsseil Gottes, an das sie sich klammern können und das ihnen das Bleiben ermöglicht. - Doch nun weiter mit den Programmpunkten des Lukas.

 

(6.) Christen teilen und verzichten: Jeder soll bekommen, was er zum Leben braucht. Jeder ist frei, von seinem Eigentum abzugeben. Opfern heißt immer, ein Stück von sich zu verschenken, so wie Jesus sich ganz verschenkt hat. Unsere Sonntagskollekte aber hat meist nur Symbolwert. Lukas aber sagt: „Nicht einer sagte von seinen Gütern, daß sie sein wären!“ Wer sein Eigentum als Lebensgabe Gottes versteht, wird es dankbar nutzen. Er wird es nicht gierig

vermehren wollen und verteidigen, als ob es ums Leben ginge. Er wird es so einsetzen, daß es auch anderen dient. Keiner wird ärmer, wenn er anderen hilft und diese dadurch vielleicht glücklicher werden. An Menschen, die Hilfe brauchen, fehlt es auch bei uns nicht.

Aber noch schwieriger wird es, wenn wir nach Händen fragen, die etwas tun können. Wir leben eben sehr.anspruchsvoll und sind damit ausgelastet, unseren Standard zu sichern. Die Christen in Jerusalem aber konnten abgeben, wenn Not am Mann war.

 

(7.) Christen kommen in der Kirche zusammen: Sie kapseln sich nicht ab in irgendwelchen kleinen Grüppchen, sondern treten als ganze Gemeinde in Erscheinung. Alt und Jung vertragen sich, Männern und Frauen, Fortschrittliche und Konservative. Die Gemeinde ist eine Einheit, auch wenn es in ihr einige Schattierungen gibt.

 

(8.) Christen besuchen aber auch einander in den Häusern: Sie laden sich gegenseitig ein und erfahren so voneinander. Sie feiern nicht nur das Abendmahl in der Kirche, sondern essen auch im Haus miteinander. So kennen wir es ja auch von Gemeindetreffen. Dabei ist es gleichgültig, ob man gemeinsam in der Gaststätte ißt oder irgendwo bei einer Familie - die Hauptsache ist das Verbindende dieses Essens. Aber wir können nur so miteinander umgehen, weil wir zuvor in die Gemeinschaft mit Christus hineingenommen wurden. Er steht über uns, zu ihm blicken wir gemeinsam auf; und das verbindet uns dann auch untereinander. Das Abendmahl in der Kirche hilft uns, auch über den Kirchenraum hinaus Gemeinschaft miteinander zu haben.

 

(9.) Christen feiern der Gottesdienst am Sonntag und im Alltag: Wir brauchen einander, um unser Christsein gestalten zu können. Dazu brauchen wir den Rat und die Erfahrung der anderen. Und wir wiederum dürfen den anderen unseren Rat nicht schuldig bleiben. So setzt sich der Gottesdienst in den Alltag fort.

 

(10.) Christen erfahren Gottes Segen: Nicht wir erhalten die Kirche, sondern Gott gibt und ermöglicht uns alles. Die Kirche lebt nicht von dem, was uns gelingt; und sie geht auch nicht zugrunde an dem, was uns mißlingt. Gott sorgt dafür, daß es mit ihr weitergeht. Auch heute ist die Kirche noch für manche Menschen anziehend und auch heute noch werden welche „hinzugetan“. Sie lassen sich hineinziehen in den Wirkungsbereich Gottes, lassen sich taufen und lassen sich stärken durch das Abendmahl und die Gemeinschaft mit anderen Christen. Aber das alles ist nicht Menschenwerk, sondern hier wirkt sich der Segen Gottes auch heute sichtbar aus.

 

Apg 3, 1 – 10 (12. Sonntag nach Trinitatis):

Was tun wir, wenn wir einem Bettler begegnen? In Frankfurt auf der Zeil kann man sie sehen: ein ungepflegter alter Mann mit einem Senfbecher in der Hand oder ein junger Mann mit einem Schild um den Hals „Ich habe Hunger“, dem man ja eigentlich nicht Geld geben müß­te, sondern zum Beispiel ein Brötchen. Sagen Sie nicht, so etwas gäbe es nicht bei uns, es geschieht nur nicht so offen. Die Pfarrer werden immer wieder von Bettlern aufgesucht, obwohl sie auch nur vom Eigenen den Leuten geben können. Oder soll man ihnen lieber nichts geben?

Wir haben doch schnell das Argument bei der Hand: Die Alten kriegen doch Rente, die anderen mindestens Sozialhilfe, und die aus dem Gefängnis Entlassenen erhalten ein Überbrückungsgeld. Wir sagen auch: „Wer arbeiten will, der findet auch Arbeit und kann sich selber

etwas verdienen!“ Es gibt viele Gründe, einem Bettler nichts zu geben.

Aber es kann auch sein, daß man so einem Menschen schnell eine Kleinigkeit gibt, damit man ihn schnell wieder los wird. Es ist uns unangenehm, vor diese Entscheidung gestellt zu werden. Es wird an unser christliches Herz appelliert, aber es regt sich auch unsre Vernunft, die uns sagt: „Hilfst du dem Menschen wirklich, wenn du ihn mit ein paar Almosen abspeist?“

Petrus sagt zu dem Gelähmten im Tempel: „Gold und Silber habe ich nicht!“ Hier spricht die Kirche der Armen. Es soll auch so sein, daß die Kirche arm ist. Sie sollte nicht die Güter dieser Welt im großen Stil einsetzen, um das Elend einzudämmen. Wir können auf andere Art und Weise reich machen durch Zuwendung, Heilung und Aufnahme.

 

1. Zuwendung: Zunächst fingt alles ganz undramatisch an. Petrus und Johannes gehen zur üblichen Gebetszeit in den Tempel. Am Tor begegnen sie dem Elend der Welt, einem Bettler, der um eine milde Gabe bittet. „Barmherzigkeit“ nannte man das, wenn man einem Bettler einige Kupfermünzen hinwarf. Aber in Wirklichkeit war das grimmiger Hohn und zur Gewohnheit gewordene Unmenschlichkeit. Weil es keine staatliche Fürsorge hab, hatte man das Almosengeben zum „verdienstlichen Werk“ erklärt: Wer etwas gibt, tut nicht nur dem Bettler, sondern im Blick auf das ewige Heil auch sich selber einen Gefallen. Aber der Bettler durfte nicht mit hinein in den Tempel, er wurde mit einigen Pfennigen abgespeist, und die Frommen durften noch das Gefühl haben, ein gutes Werk getan zu haben.

Daß der Mann dort sitzen mußte, war wahrscheinlich schlimmer als sein Leiden als solches. Daß ihm der Tempel verschlossen ist, macht sein Los erst bitter. Aber Menschen mit einem Gebrechen waren aus der Nähe Gottes verbannt, denn Krankheit und Behinderung galten als Strafe für eine Sünde. Aber Geld geben durfte man ihnen natürlich, das war dann sogar ein verdienstliches Werk. Daß ihm aber auch die milde Gabe verweigert wird, hat den Gelähmten nicht nur enttäuscht, sondern auch verwundert. Die beiden Männer scheinen gar nicht darauf aus zu sein, sich so einen kleinen Anrechtschein für den Himmel lösen zu wollen.

Unsre Gesellschaft hat eine andere Einstellung zu den Behinderten gefunden oder sucht sie zumindest. Sie werden finanziell einigermaßen abgesichert. Aber man versucht auch, sie in

Die übliche Gesellschaft mit hineinzunehmen und sie sogar beruflich zu fördern. Dennoch werden Behinderte oft nicht als vollwertige Menschen angesehen und darum an den Rand des Blickfelds geschoben. Die Gesunden sind den Behinderten gegenüber auch oft befangen. Dabei täte ihnen nichts wohler als daß sie angenommen würden wie andere Menschen auch. Sie wollen nicht „Barmherzigkeit“ und Bedauern von oben herab, sondern ganz normal genommen werden und mitten drin sein in der Gemeinschaft der Menschen.

Auch der Gelähmte im Tempel wurde nur am Rande gesehen. Die ihm etwas hinwarfen waren nur „Passanten“, waren nur Vorübergehende. Der Bettler sagte schnell „Danke“, dann war der Geber schon wieder woanders und mit vielem anderen beschäftigt, nur nicht mit diesem Mann, der in seinem Leben eigentlich nur störte.

Die beiden Apostel dagegen nehmen mit diesem Mann eine persönliche Verbindung auf, sie richten ihr Augenmerk und ihr ganzes Interesse auf ihn. Der einzelne Mensch, wer immer er auch sei, ist für einen Christen kostbar. Jesus ist gekommen, die Verlorenen zu suchen. Jetzt wird sein Name auch über diesem Gelähmten genannt, der sich schon fast 40 Jahre mit seiner schweren Behinderung hat abfinden müssen.

Aber jetzt geschieht, was er immer hat vermissen müssen: Er wird als Mensch ernst genommen. Da findet sich einer nicht mit dem Zustand der Welt ab, sondern er will Jesu Herrschaft in ihr durchsetzen. Das geschieht, indem dieser Mann durch die Apostel Zuwendung erfährt, angenommen wird und Zugang zu Gott erlangt.

 

2. Heilung: Mit Geld kann man dem Mann nicht helfen. Aber es muß ihm geholfen werden. Wenn hier einer helfen kann, dann nur Jesus Christus. Als er noch da war, hat er solchen Leuten geholfen. Aber jetzt stehen die Jünger allein da. Petrus wagt es dennoch und handelt im Namen Jesu.

Was wäre, wenn der Gelähmte kraftlos zurücksänke? Die Umstehenden würden grinsen. Und der Kranke wäre enttäuscht und käme sich verhöhnt und beleidigt vor. Aber Petrus rechnet einfach mit Jesus und nimmt dessen Vollmacht für sich in Anspruch. Natürlich weiß Lukas, daß e s auch nach Jesu Auferstehung eine Unzahl kranker und behinderter Menschen gibt und die Kirche nicht über die Wundermacht verfügt, allen Menschen zur Gesundheit zu verhelfen.

Um ein „Verfügen“ geht es schon gar nicht. Ein Zauberwort ist der Name Jesu nicht, sondern Petrus spricht vom Glauben an diesen Namen.

Gerade der Glaube weiß, daß man Gott nichts abzwingen kann. Er lebt vielmehr von dem, was Gott in seiner Freiheit und ohne daß er eine Verpflichtung hätte uns gewährt. Er weiß auch, daß Gottes Tun unsrem natürlichen Auge nicht offenliegt. Unser Bestes empfangen wir ja gar nicht im zeitlichen Leben, sondern erst in der Vollendung, zu der es hier noch nicht kommen kann.

Die biblischen Wunder sind Zeichen, sind Hinweis auf das Kommende. Daß der Mann nachher Luftsprünge macht wie ein Hirsch, ist Erfüllung der Verheißung aus dem Propheten Jesaja (Kapitel 35, 6) ,wo das für die Heilszeit verheißen ist. So will Gott seine Welt zurückgewinnen. Er findet sich nicht mit dem ab, was uns quält, sondern seine Welt soll heil werden.

Es gibt auch heute noch Zeichen seines heilenden Wirkens, die der Glaube wahrnimmt. Es gibt auch dies, daß ein Arzt mit seinem Wissen und Können das Werkzeug Gottes ist. Die Heilungsmöglichkeiten der modernen Medizin grenzen doch manchmal ans Wunderbare: Eine Spritze wirkt oft in Sekundenschnelle und macht jedes Wunder überflüssig. Wir sollten doch nicht meinen, Gott handle nur durch Wunder. In der Regel handelt er auf ganz natürlichen Wegen.

Aber all das ist nur Hinweiszeichen auf das, was noch kommen soll. Wenn unser Heil sich vollendet, dann werden wir auch völlig Heilung erfahren. Das uns zugedachte Gute muß sich nicht immer in dieser Welt verwirklichen. Daß einer in diesem Leben wieder auf die Beine kommt, rettet ihn nicht davor, daß er doch einmal sterben muß. Aber die leiblichen Gebrechen sind nicht das größte Problem. Gott muß mehr an uns tun, wenn uns geholfen werden soll. Vorerst erleben wir es nur zeichenhaft, einst aber in Vollendung.

 

3. Aufnahme: Wir können nicht darauf warten, ob wir vielleicht auch einmal ein solches Wunder tun können wie Petrus. Aber wir können alle Kraft zusammennehmen, um helfende Veränderungen in der Welt vorzunehmen. Hilfe haben besonders die Menschen nötig, die mit ihren Problemen nicht mehr aus eigener Kraft fertigwerden .Wir können uns nicht damit beruhigen, daß schon der Staat mit seiner Sozialgesetzgebung helfen wird.

Niemand sollte sich um einen Platz im Altersheim bemühen müssen, weil er fürchtet, bei einer Krankheit allein zu sein. Niemand sollte darum bitten müssen, daß man ihn nach seinem Tode verbrennt und die Asche in einem Massengrab beisetzt, nur weil er denkt: „Es wird ja doch niemand mein Grab pflegen!“ Kein Kind sollte in ein Kinderheim müssen, weil die Mutter krank geworden ist. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man mit Liebe die Lebenssituation im günstigen Sinne verändern kann. Petrus hat das erkannt und das Leben eines Menschen und damit auch ein Stück unsrer Welt verändert.

Vor allem hat der Geheilte aber Aufnahme in der Gemeinde Jesu gefunden, ohne die man kein Heil gibt. Noch schöner wäre gewesen, wenn Petrus und Johannes den Mann gleich mit zur Halle Salomos mitgenommen hätten, noch ehe er geheilt war. Das wäre eine Demonstration gewesen, daß zum Vater Jesu Christi alle kommen dürfen, auch die Behinderten. Es wäre ein schönes Zeichen gewesen, wenn auch die Gemeinde ihn noch als Behinderten bewußt in ihrer Mitte aufgenommen hätte.

Auch bei uns wäre es gut, wenn Menschen mit einem solchen Schicksal bei uns wirklich zu Hause wären ohne jeden Sonderstatus, einfach als Glied der Gemeinde wie jedes andere auch.

Als Geheilter wird jener Mann künftig seinen Platz in der Gemeinde haben. In dieser Gemeinde wird Gott gelobt und der Name Jesu bekannt. So ist der Mann nicht nur auf die Beine gekommen, sondern er hat auch seinen Herrn gefunden.

 

 

Apg 6, 1 – 7 13. Sonntag nach Trinitatis, Variante1):

In vielen Städten gibt es Heime für ältere Menschen. Das sind sehr segensreiche Einrichtungen. Wir können froh sein, daß wir sie haben. Aber wenn wir es recht bedenken, dann ist so ein Haus auch wieder ein Armutszeugnis. Früher waren solche Heime nicht nötig: Die Alten blieben in der Familie, die Kranken wurden dort gepflegt, und gestorben wurde auch zu Hause.

Die Verhältnisse haben sich natürlich geändert: Die Wohnungen sind nur klein, die Großfamilie gibt es nicht mehr. Meist sind Mann und Frau beide berufstätig, in der Regel sogar noch auswärts, Da kann man sich einfach nicht mehr rund um die Uhr um einen pflegebedürftigen Menschen kümmern. Das ist der Preis des Fortschritts.

Das ist unsere Lösung, wie wir uns auf eine Änderung der Verhältnisse einstellen. Wir können nicht klagen, daß es nicht mehr so ist wie früher. Wir müssen uns vielmehr etwas Zukunftsweisendes überlegen. Es waren zuerst Menschen der Kirche, die im 19. Jahrhundert die Probleme der Industrialisierung erkannten. Sie gründeten die Schwesternorden und richteten Häuser für Nichtseßhafte und Behinderte ein.

Es ehrt die Kirche, wenn sie Lösungen für neue Probleme ausprobiert. Es ist gut, wenn sie Vorreiter ist, bis die Gesellschaft und der Staat ihre Aufgabe erkennen. Wenn das geschieht, dann sind meist schon wieder neue Aufgaben da. Dann braucht man nicht traurig zu sein, wenn der Staat der Kirche eine Aufgabe abnimmt - es gibt immer wieder Neues zu tun und Neues aufzugreifen.

Schon ganz am Anfang hat die Kirche sich in guter Weise an die veränderten Verhältnisse angepaßt. Mit dem Wachsen der Gemeinde konnte die Arbeit nicht so weitergehen wie zur Zeit Jesu. Seine Jünger waren zunächst einmal die geborenen Leiter der Gemeinde. Sie haben sich diese Stellung nicht angemaßt. Aber jeder in der Gemeinde dachte: Ohne die Apostel kann und darf ich nichts tun! Das führte aber dazu, daß das Arbeitsfeld zu groß und zu unübersichtlich wurde. Da konnte es schon einmal passieren, daß ein an sich wichtiges Gebiet völlig übersehen wurde.

In Jerusalem traf es vor allem die griechisch sprechenden Witwen, die auf ihre alten Tage wieder in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Aber so ein wenig hat man sie doch als Fremde angesehen. Man hat sie verdächtigt, es mit den religiösen Gesetzen nicht so genau zu nehmen. So war es wohl doch nicht nur Zufall, sondern man hat sie auch mit etwas Absicht übersehen und erst einmal für die „eigenen“ Leute gesorgt; und das nicht nur aus Versehen und einmalig, sondern es ist schon ein länger andauernder Mißstand.

Es kann uns tröstlich stimmen, daß es schon in der Urgemeinde solche Spannungen gab. Die Kirche besteht eben aus Menschen mit allen Fehlern und Schwächen. Sie wurden nicht auf die leichte Schulter genommen, sondern die Verantwortlichen haben sofort reagiert. Sie haben sofort erkannt, daß ein Minderheitenschutz notwendig ist.

Bemerkenswert ist vor allem, wie man eine Lösung findet. Die Verantwortlichen sind nicht wegen der Kritik beleidigt. Nichts zertrennt eine Gemeinschaft so sehr wie Rechthaberei. Nichts führt aber auch so sehr zusammen wie das Überwinden von Schwierigkeiten und Spannungen. Richtig war zunächst, daß die Benachteiligten sich meldeten. Sie zogen sich nicht still in ihre Ecke zurück, sondern sie rufen und murrten. Sie reden nicht hintenherum, sondern wenden sich an die richtige Stelle.

Richtig ist auch, wie die Apostel reagierten. Sie erkennen, daß hier die Gefahr einer tiefen Spaltung besteht. Sie fragen aber gar nicht danach, wer Schuld hat, sondern ändern die Aufgabenverteilung. Dabei sprechen sie nicht kraft ihrer apostolischen Autorität ein Machtwort, sondern lassen die Gemeinde demokratisch entscheiden.

In der Gemeinde Jesu müssen nicht alle das Gleiche denken oder sich gleich verhalten. Keiner ist deshalb ein schlechter Christ, nur weil er nicht so ist wie die Mehrheit. Aber alle sollten sich gemeinsam bemühen, allen gerecht zu werden. Ganz geschickt ist es, gerade die Gruppe mit der neuen Aufgabe betrauen, die sich bisher beschwert hat. Dadurch wird sie wieder eingebunden, und die Luft wird wieder rein.

Dabei wird so ganz nebenbei eine Grundentscheidung getroffen: Die christliche Gemeinde hat ihre Mitte in Wort und Gebet. Deshalb müssen Gottesdienste und Gemeindeabende, Religionsunterricht und Jugendarbeit, Beichte und Abendmahl, unter allen Umständen sein. So wie man nicht elektrischen Strom für ein Vierteljahr tanken kann, kann man auch nicht sagen: eine Predigt oder ein Gebet halten erst einmal eine Weile vor.

Die sieben neuen Amtsträger predigen und taufen ja auch, sie haben nur außerdem noch eine Spezialaufgabe. Zur Diakonie gehören immer auch Predigt und Seelsorge dazu. Aber es gilt auch das Umgekehrte: Alle gute Predigt wird unglaubwürdig, wenn die Gemeinde die Armen und Schwachen in ihrer Mitte und außerhalb übersieht. Die Liebe gegenüber dem Nächsten ist die Kehrseite des Wortes Gottes. Ohne sie ist die Gemeinde wie ein abgestellter Anhänger: er kann höchstens bergab rollen, aber nie bergauf Aber wir wollen doch hoffentlich hinaufkommen.

Doch das ist nicht möglich, wie es einmal auf einem Bild in einer Kirchenzeitung dargestellt: war: Ein Pfarrer zieht einen schwer beladenen Karren den Berg hinauf Und die Gemeindeglieder klettern noch oben auf den Wagen drauf und lassen sich mitziehen.

Ein Pfarrer darf nicht als „Mädchen für alles“ verschlissen werden, weil er dann seinem eigentlichen Auftrag untreu wird. Natürlich ist es nicht unter seiner Würde, sich auch einmal die Hände schmutzig zu machen. Es ist kein Ruhmesblatt, wenn einer sagt: „Davon verstehe ich nichts und ich will es auch nicht lernen!“ Aber es dürfen auch nicht alle Mißstände und Mängel dem Pfarrer zugeschoben werden, denn dann kann er es mit seiner Verkündigungsaufgabe nicht mehr so genau nehmen. Seine eigentliche Arbeit ist die Sorge um die Menschen in ihrem Verhältnis zu Gott. Dazu braucht man aber Kraft, Sammlung und Aufmerksamkeit.

Diakonie, die praktische Sorge um den Menschen, ist Sache der ganzen Gemeinde. Da sind alle Ausreden nicht mehr stichhaltig. Einmal könnte man sagen: „Heute tut doch der Staat das, was früher die Kirche tat. Es hat da ganz andere Möglichkeiten und Mittel, die Kirche kann sich zurückziehen!“. Wir dürfen dankbar sein, wenn der Staat sich von der Kirche hat anregen lassen, sich um Alte und Kranke kümmern.

Wir dürfen zum Beispiel froh sein über die Pflegeversicherung. Sicher gibt es da noch Ungereimtheiten, vor allem, weil die Hilfe genormt und egalisiert werden soll. Aber wir können doch beruhigt sein, wenn wir alle diese Absicherung haben, auch wenn wir sie hoffentlich nicht brauchen. Wer gesund ist, sollte über das zu zahlende Geld nicht stöhnen. Es bleibt aber immer noch genug zu tun für die christliche Gemeinde. Vor allem die seelischen Nöte gewinnen eine immer größere Bedeutung.

Zum anderen könnten wir sagen: Es gibt doch die Einrichtungen des Diakonischen Werkes, da wird uns doch die Arbeit abgenommen. Lieber will ich Geld dafür geben, als mich persönlich einsetzen zu müssen. Zum Glück gibt es bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage nicht mehr die schweren Personalprobleme für diese Anstalten wie früher. Aber es ist ja nicht damit getan, daß in einem kirchlichen Heim koreanische oder muslimische Schwestern und Pfleger angestellt werden. Es genügt nicht, wenn eine Pfarrerin dort Gottesdienste hält und von Bett zu Bett geht.

Wir brauchen auch christliches Pflegepersonal, das nicht nur richtig zufassen kann, sondern auch die Hände falten kann. Gerade das Wort des nicht beamteten Mitmenschen wird gern aufgenommen. Wie beim barmherzigen Samariter geht es um das spontane Eintreten für den Mitmenschen, über das hinaus, wofür man bezahlt wird.

Wir dürfen dankbar sein, wenn ein großer Teil der mitmenschlichen Hilfe durch offizielle Einrichtungen geregelt ist. Wir haben gar nicht so viele barmherzige Samariter, daß wir alles Leid der Welt lindern könnten. Heute gehört auch die geordnete Diakonie zum Leben der Gemeinde.

Aber für das Tun des Einzelnen gibt es deshalb immer noch ein weites Betätigungsfeld. Vielleicht kann er die Aufgabe aus seinem Gefühl und seinem natürlichen Wissen heraus wahrnehmen. Vielleicht muß er sich aber auch erst ausbilden lassen, wie das zum Beispiel für die Telefonseelsorge angeboten wird. Vielleicht muß man sich mit anderen zusammentun zu einem Verein. Da ist auch heute manches möglich. Und es ist schon eine großartige Sache, wenn eine pflegebedürftige Frau nicht in ein Heim muß, sondern von ihren Angehörigen unter großen Opfern versorgt wird. Und wo keine Angehörigen da sind, da ist die Gemeinde zur Hilfe aufgerufen, auch wenn dann in der Praxis der Pflegedienst die meiste Arbeit leistet.

Bei einer solchen Aufgabe kann man natürlich keine besonderen Ehren einheimsen. Aber wer sich an die Arbeit macht, der darf wissen: Ich nehme einen wichtigen Dienst in der Gemeinde

wahr. Nicht nur die Hauptamtlichen stellen die Gemeinde dar, sondern wir ziehen alle mit, damit der Wagen der Kirche vorankommt.

Wer mitmacht, der darf sich von Gott beauftragt wissen. Die Diakone sind zwar von unten gewählt worden. Aber letztlich sind sie doch von oben eingesetzt. Deshalb dürfen sie wissen: Gott ist immer mit dabei. Er steht hinter allen, was in der Gemeinde geschieht. Er hilft, daß die Probleme gelöst werden und Aufgaben erkannt und wahrgenommen werden.

 

 

Apg 6, 1 – 7 (13. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Günter Jacob, der frühere Generalsuperintendent von Cottbus, schrieb Anfang der 70iger Jahre einen Aufsatz, wie nach seiner Meinung die kirchliche Organisation im Jahre 1985 aussehen werde. Er meinte, dann sei nur noch ein Pfarrer für 20 Dörfer da, aber es gäbe viele ehrenamtliche Helfer. Das Idealbild wäre, daß der Pfarrer sich sonntags auf die Stufe seiner Kirche setzt und zusieht, wie alles auch ohne ihn läuft.

Bis zum Jahr 1985 ist das noch nicht gekommen. Auch in den Ballungsgebieten wird das noch nicht so schnell kommen, weil dort viele Menschen an einem Ort wohnen. Aber es gibt Gegenden in Deutschland, die entvölkern sich zusehends. Da ist alle zwei Kilometer ein Dorf aber in jedem Dorf wohnen nur noch 30 Leute. Da kann man das übliche Angebot mit einer Kirche und einem Pfarrer am Ort nicht aufrechterhalten.

Günter Jacob hat seinen Aufsatz geschrieben unter dem Eindruck der wachsenden Entkirchlichung in der damaligen DDR. Aber gekommen ist das erst nach der Wende, als auf einmal das Geld eine übergroße Rolle spielte und Pfarrstellen nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip besetzt wurden. Wirtschaftswissenschaftler sagen zwar, die Kirche müsse in den Gemeinden viel Personal einsetzen, um Erfolg zu haben und ihre Zukunft zu sichern. Aber was will man machen, wenn das Geld fehlt?

Da hat ein Pfarrer am Wochenende bis zu acht Gottesdienste zu halten, weil die Leute den Gottesdienst in ihrer Kirche haben wollen. Wenn der Pfarrer ihnen sagt: „Ich lade euch ins Auto und dann fahren wir ins nächste Dorf?“ dann sagen sie: „Dann kommen wir gar nicht!“ Und so kommen dann an Pfingsten in dem einen Dorf fünf alte Frauen zum Gottesdienst, im anderen sind es sieben (Im Verhältnis zur Einwohnerzahl ist das noch ein hoher Prozentsatz!). Im Altenheim, das der Pfarrer auch noch zu betreuen hat, kommen aber 70 Leute zur Bibelstunde, nur kostet das unheimliche Kraft, das auch noch zu schaffen.

Da wird vielleicht geraten „Du mußt dir Lektoren schaffen!“ Aber das ist leichter gesagt als getan. Und oftmals nimmt die Gemeinde den Lektor nicht ernst und will lieber den Pfarrer haben. Aber die Gemeinde braucht viele Helfer, je mehr es sind, desto geringer ist der Aufwand für den Einzelnen. Sie braucht Helfer für das Wort und Für die Tat.

 

Die Gemeinde braucht das Wort:

Die meisten Menschen in der Urgemeinde in Jerusalem waren arm. Das wären heute zum größten Teil Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die froh sind, gelegentlich einmal etwas an einer sogenannten „Tafel“ abzubekommen. Dazu kam die unterschiedliche Herkunft: Die einen waren alteingesessene Jerusalemer, die anderen waren erst aus dem Ausland zugezogen, zwar auch Glaubensgenossen, schon als Juden, aber jetzt erst recht als Christen. Aber offenbar gab es immer noch einen Unterschied zwischen Einheimischen und „Fremden“.

Anfangs hatten die Apostel die Sache noch im Griff: Sie kümmerten sich um alles, um den Gottesdienst und um die Verteilung der Nahrungsmittel. Das ist eigentlich ein wünschenswerter Zustand. Die praktische Hilfe soll nicht abgespalten sein von der Verkündigung des Wortes Gottes.

Und den meisten in der Gemeinde wird das auch recht gewesen sein: Sie hatten Verantwortliche, da brauchten sie sich nicht darum zu kümmern. Das ist eine allgemein menschliche Haltung. In jedem Verein sind sie froh, wenn wieder jemand für eine bestimmte Aufgabe gefunden wurde. Und auch in der Kirche hat man ja den Pfarrer oder die Pfarrerin und dazu einige andere hauptamtliche Angestellte, da kann man außen vor bleiben.

Die Verkündigung des Wortes Gottes, die Austeilung der Sakramente und das Gebet sind aber die Hauptaufgabe der Kirche, sie dürfen nicht zu kurz kommen. Die Rettung der Menschen geschieht nur durch das, was Gott uns anbietet. Deshalb muß gepredigt werden: Traurige brauchen Gottes Zuspruch, Irrende seine Zurechtweisung, Zweifelnde brauchen Unterrichtung. Alles, was in der Kirche geschieht, ist hilfreiches Tun für die anderen. Deshalb gilt aber auch:

 

Die Gemeinde braucht die Tat:

Das heißt aber nicht, daß der Pfarrer oder ein anderer kirchlicher Angestellter nicht auch einmal mit der Hand zugreifen sollte, wenn es nötig ist. Aber das Technische darf nicht so die Kräfte in Beschlag nehmen, daß Predigt, Unterricht und Seelsorge zur Nebensache werden und nur noch mit der linken Hand getan werden.

Für bestimmte Aufgaben haben wir seit über 150 Jahren die Diakonie der Kirche, also die Krankenhäuser und Heime und Pflegedienste. In unserer spezialisierten Welt sind einfach medizinische Fachkräfte nötig. Durch das Vorbild der Kirche hat inzwischen der Staat seine Aufgabe erkannt und selber Krankenhäuser, Kindergärten und Beratungsstellen geschaffen. Wenn die Kirche hier noch tätig wird, dann sollte sie sich Felder suchen, wo der Staat noch nicht erkannt hat, daß hier etwas getan werden muß. Oder sie behält die Aufgaben weiter, die ihr ganz eigenes Gebiet betreffen wie Telefonseelsorge oder Notfallseelsorge.

Aber all das entbindet nicht den einzelnen Christen von seinen Aufgaben. Dazu einige Stichworte:

Bereit werden: Ich müßte schon herauskommen aus der Beschäftigung mit den eigenen Problemen. Vielleicht würden sie sich unbemerkt lösen, wenn ich die Probleme meines Nachbarn zu meiner eigenen Sache machte.

Sehen: Wahrscheinlich wohnt der Mensch, der mich braucht, nicht weit. Ich soll nicht zwanzig Menschen in meine Obhut nehmen. Aber einen oder zwei könnte ich finden.

Zeit haben: Mancher Mensch versauert, weil er zu viel Zeit hat. Aber auch jeder andere kann noch Lücken ausfindig machen, ohne seine Aufgaben oder Hobbies zu vernachlässigen.

Lernen: Man lernt, indem man es tut. Man kann sich Rat holen, mit anderen mitgehen und so die rechte Einstellung zum anderen Menschen finden.

Hoffen: Oft lähmt uns der Gedanke, daß man doch nicht auf Dauer helfen kann. Aber bei Gott ist nichts endgültig. Ich kann im leidenden Menschen schon den sehen, den Gott aus ihm machen will. - Zuletzt noch ein Gesichtspunkt:

Ordnung:

Wer helfen will, muß aber auch eine gewisse Ordnung beachten. Die Erfahrungen anderer sind eine große Hilfe. Und Vorschriften sind nicht ein hartes Gesetz, sondern erleichtern das eigene Tun. Wo Liebe ist, da ist auch eine gute Ordnung. Die Einsetzung der Diakone, wie sie uns in der Apostelgeschichte beschrieben wird, ist ein klassisches Beispiel dafür, wie man Probleme in der Kirche löst:

1. Das Problem muß erst einmal erkannt werden, leugnen hilft nicht auf die Dauer.

2. Die Sache muß den Verantwortlichen zu Ohren kommen, Getuschel hilft nichts.

3. Die Leiter der Gemeinde müssen auf die Mitteilung reagieren und etwas unternehmen.

4. Sie wollen und können aber nicht alles an sich reißen, sie brauchen viele Mitarbeiter.

5. Das Problem wird mit allen in öffentlicher Versammlung diskutiert.

6. Es werden Aufträge verteilt und die Aufgaben werden auf mehrere aufgeteilt.

7. Eine Beauftragung im Namen Gottes gehört unbedingt dazu. Dadurch kommt zum Ausdruck: Gott muß seinen Segen dazu geben! Dienen ist zwar unser aller Aufgabe, aber es darf nicht der falsche Eindruck aufkommen, die Kirche lebe von den menschlichen Einfällen und Aktivitäten.

Heute kennen wir nur die Ordination von Pfarrern und Pfarrerinnen, also die ordentliche und offizielle Berufung in das Amt der Kirche. Andere kirchliche Mitarbeiter werden zum Teil auch noch in ihr Amt eingeführt, aber das ist dann schon eine Stufe tiefer. Aber im Grunde braucht auch jeder ehrenamtliche Mitarbeiter so eine Beauftragung, im Auftrag Gottes und vor der Gemeinde. Es gibt nur e i n Amt in der Kirche. Und das fächert sich auf in viele Funktionen, vom Pfarrer bis zum Spendensammler.

Was die Apostelgeschichte uns hier vorführt, ist ein gesundes Wachstum einer Kirchengemeinde. Sie wird wachsen, wenn sie auf Gott vertraut und wenn sich viele zur Verfügung stellen. Die Probleme, die dabei entstehen, nehmen wir gern auf uns und lösen sie.

 

 

Apg 8, 26- 39 (6. Sonntag nach Trinitatis):

In der Bibelausgabe mit dem Text von 1964 ist dieser Abschnitt überschrieben mit „Der Kämmerer aus dem Mohrenland“. Seit mehr als zehn Jahren aber darf es keine „Mohren“ mehr geben, stattdessen essen wir jetzt „Schokoküsse“ oder „Schaumküsse“. Aber wir wissen noch, daß das „Mohrenland“ im Norden Afrikas zu suchen ist. Dort gibt es im Sudan und in Äthiopien bis heute Christen, die diese biblische Geschichte als Gründungsurkunde ihrer Kirche ansehen. Das Christentum ist nicht nur eine Sache der Europäer und der hellhäutigen Menschen. Schließlich ist es eine orientalische Religion und der Schwerpunkt der Kirchen wird sich in Zukunft mehr in die sogenannte „Dritte Welt“ verlagern. Die Erzählung macht uns deutlich: Auch der Fremde soll gefunden, unterwiesen und getauft werden.

 

1. Auch der Fremde soll gefunden werden:

Ehe der Mann gefunden wird, ist er erst einmal auf der Suche. Man muß sich das einmal vergegenwärtigen: Er geht auf die Wallfahrt über eine Strecke von 3.000 Kilometer - das ist so weit wie der Jakobsweg von Deutschland bis Santiago di Compostella ganz im Westen Spaniens. Manche laufen das in Etappen zu Fuß. Dieser Minister der Königin von Äthiopien hat immerhin dafür einen Reisewagen. Aber bei den damaligen Verkehrsverhältnissen war das sicher auch anstrengend. Wer von uns heute würde sich die Sache mit Gott schon so viel kosten lassen?

Aber der Mann ist ein sogenannter „Gottesfürchtiger“, der von jüdischen Missionaren schon mit dem Glauben an Gott bekannt gemacht wurde. Er ist also schon auf der Suche. In Jerusalem - dem Zentrum der jüdischen Religion - hofft er, dem Gott der Juden besonders nahe zu sein und Antwort auf seine Fragen zu finden. So ging es auch Martin Luther, als er von seinem Mönchsorden nach Rom geschickt wurde und die Laterantreppe auf den Knien hinauf­gerutscht ist. Aber am Ende war er doch enttäuscht von dem, was er in Rom erlebte, weil er feststellen mußte, wie verkommen die Kirche seiner Zeit war.

Auch der Minister aus Äthiopien kehrte enttäuscht und im Herzen leer aus Jerusalem zurück. Er hatte den Tempel besucht, an Gottesdiensten teilgenommen, mit Religionsgelehrten gesprochen - aber es war nicht das, was er sich erhofft hatte. Um wenigstens nicht ganz vergeb­lich gereist zu sein, nimmt er sich ein Stück einer Schriftrolle aus Jerusalem mit – so wie man heute aus einem Wallfahrtsort ein Bild oder eine Kerze mitnimmt.

Immerhin ist er überzeugt: Mit der Religion Israels fängt es an. Hier ist der Ort, wo man Gott viel näher sein kann als irgendwo in der Welt. Und mit dem Besuch des Tempels war für ihn die Sache mit Gott nicht erledigt, er bleibt an der Sache dran.

Aber zunächst einmal entfernt er sich von dem Ort seiner Sehnsucht. Er ist auf der menschenleeren Straße nach Gaza, wo schon fast der Weg durch die Wüste beginnt. Aber in Wirklich­keit ist er gerade hier auf dem Weg zu dem wahren Gott. Und dieser schafft auch die äußere Voraussetzung für eine Begegnung:

Ein Mensch muß da sein, der den Glauben vermittelt. Oft versteht man erst die Wege Gottes, wenn alles vorbei ist. Philippus hat zunächst auch nicht gewußt, weshalb er mitten aus seiner Verkündigungsarbeit unter vielen Menschen herausgerissen wird, um vielleicht einem einzelnen Ausländer zur Verfügung zu stehen. Und der Äthiopier hat sicherlich nicht damit gerechnet, daß er doch noch eine Antwort auf sein Suchen finden wird.

Philippus muß sogar erst noch ermutigt werden, seine Aufgabe wahrzunehmen: „Jetzt nichts wie ran und Kontakt halten mit diesem Wagen!“ Gott ist hier der Lenker, der die Fäden in der Hand hält. Er hat es auch gemacht, daß der Fremde eine Bibelstelle liest, bei der Philippus anknüpfen kann. Es geht ja nicht nur darum, daß der Mann den Text versteht, wie ihn damals ein Jude verstanden hat. Dann hätte man nur die Frage beantworten müssen, ob der „Gottes­knecht“ hier sich selber meint oder vielleicht sein ganzes Volk.

Die Frage des Ministers zeigt nicht seine Dummheit und sein Unverständnis - wie man früher gemeint hat – sondern sie ist in Wirklichkeit klug und nahe am Text. Hier fügt sich eins ins andere. Gott führt eine kluge Regie, in der alles zusammen paßt. Am Ende kommt man auch ganz zufällig an ein Wasser, wo die Taufe stattfinden kann. Gott braucht aber Menschen, die seinen Regieranweisungen folgen. Dann kann aus dem Suchen ein Finden werden. Aber letztlich ist allein Gott derjenige, der findet.

Dabei geschieht die Ausbreitung des Glaubens nicht nur von einem Menschen zu seinem Nachbarn, sondern sie greift auch über weite Räume hinweg und bewirkt auch etwas, das man nicht erwartet hat. Es gibt keine aussichtlosen Fälle. Ein einzelner Mensch ist Gott so wichtig, daß er alle Hebel in Bewegung setzt. Das Erstaunlichste aber ist an sich, daß er auch uns gefunden hat, daß er auch uns Menschen geschickt hat, die uns das Wort Gottes erklärt und lieb gemacht haben.

 

2. Auch der ganz Ferne soll unterwiesen werden:

Dazu muß man ihn aber wohl dort abholen, wo er gerade ist. Hier war es eine Stelle aus dem Buch Jesaja, die eine Gelegenheit zu einem umfassenden Christuszeugnis gibt. Die Frage: „Verstehst du auch, was du liest!“ ist die Grundfrage für jeden, der glauben will. Es geht dabei nicht nur darum, daß man herauszufinden sucht, was der Verfasser im Augenblick des Niedersschreibens gedacht hat und hat ausdrücken wollen. Diese einzelne Stelle ist auch in den Gesamtzusammenhang der Bibel zu stellen.

Dann wird man vielleicht erkennen, daß anderswo noch nähere Erläuterungen zu finden sind oder daß es anderswo anders steht. Dann muß man abwägen, wie die einzelne Stelle vom Gesamtbild her zu verstehen ist. Die einzelne Stelle bestimmt das Gesamtbild mit und dieses wiederum legt die einzelne Stelle aus. Diese Methode zu lernen und anzuwenden ist eine Hauptaufgabe des Theologiestudiums.

Nun muß und soll nicht jeder Theologie studieren. Aber man muß verstehen können und überzeugt werden, daß das Gesagte mit dem eigenen Wahrheitsbewußtsein übereinstimmt. Dazu gehört aber auch, daß man bereit ist zum Hören und Verstehen, daß man sich öffnet für das, was einem gesagt werden soll. Das macht schon etwas Mühe.

Aber schöpfen muß man da, wo die Quelle ist. Das müssen wir jedem Suchenden zumuten, daß er sich informiert, die Bibel liest und Gottesdienste besucht. Allerdings muß man es ihm auch nicht unnötig erschweren. Von keinem wird verlangt, daß er die Erzählung von Adam und Eva als wirklich so geschehen ansieht. Überhaupt ist der Anfang der Bibel denkbar ungeeignet, einen Menschen an den christlichen Glauben heranzuführen. Da gibt es bessere Einstiege. Im Internet findet man unter „Bibel für Einsteiger“ Beispiele dafür. Man kann zum Beispiel mit den Ostergeschichten beginnen und von dorther das Leben und die Verkündigung Jesu aufrollen. Wiederholungen und heute überholte Aussagen kann man weglassen. Auch für Philippus genügt eine Stelle aus dem Jesajabuch, um dem Äthiopier deutlich zu machen, daß Jesus schon in den alten Schriften immer mit im Spiel war.

Dieser Minister kommt aus einer politischen Welt, in der das angeblich Notwenige durchgesetzt wird. Im Jesajabuch aber wird ihm ein Mann verkündigt, der stillhält wie ein Schaf, das geschoren wird. Er stirbt sogar – aber um unsertwillen, weil wir eben so sind, wie wir sind. Das ist eine ganz andere Art von Verstehen, als wir das vom Verstand her gewohnt sind. Aber es ist auch ein Verstehen – nur halt auf einer höheren Ebene.

 

3. Auch der ganz Ferne soll getauft werden:

Aber geht das nicht alles zu schnell mit der Taufe? Müßte da nicht ein Jahr Konfirmandenunterricht vorgeschaltet werden und eine Teilnahme am kirchlichen Leben? Philippus wird sich ja bald wieder anderen Aufgaben widmen müssen, der neue Christ wird in Zukunft allein zurechtkommen müssen. Aber der das gute Werk angefangen hat, der wird es auch weiterführen. In Äthiopien ist schließlich eine starke Kirche entstanden, die auch in unserer Zeit die Zeit einer kommunistischen Herrschaft überstanden hat.

Doch zu einer Taufe gehört immer auch ein gewisses Maß an Zuversicht und Gottvertrauen.

Wenn heute Kinder getauft werden, dann versprechen Eltern und Paten zwar die christliche Erziehung, aber ob diese auch wirklich erfolgt, steht auf einem anderen Blatt. Aber die Taufe wirkt auch aus sich selbst heraus. Sie ist wie ein Kleid, das im Augenblick noch zu groß ist für das Kind. Aber es wird hineinwachsen und großen Nutzen davon haben.

So ist auch die Kindertaufe eine Hilfe, zum Glauben zu kommen. Man kann sagen: „Du gehörst schon dazu, du mußt nur noch in der Praxis umsetzen, was dir schon gegeben ist!“ Und du hast nicht nur das Wort Gottes, sondern auch das Sakrament, etwas, das man sehen und spüren kann und etwas veranschaulichen soll, das man nicht sehen kann.

Wenn der Äthiopier fragt: „Was steht einer Taufe entgegen?“ dann zeigt das, daß er das Evangelium verstanden hat. Man muß nicht erst alles wissen, ehe man würdig ist, die Taufe zu empfangen. Man muß nur mit dem Herzen dabei sein und es wollen.

Das drückt auch ein Abschreiber die Bibel aus, der hier ein ausdrückliches Glaubensbekenntnis vermißt hat, wie er es aus seiner Kirche kannte. Er läßt Philippus sagen „Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so mag es geschehen!“ Er aber antwortete und sprach: „Ich glaube, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist!“ So ein Bekenntnis ist nicht falsch. Aber es war in diesem Fall wohl nicht unbedingt notwendig (deshalb ist die Ergänzung in den Bibelausgaben auch in Klammern gesetzt). Es ist Gottes Sache, wann und wo er uns zu fassen bekommt. Aber weil er alle Hindernisse beseitigt, dürfen auch die ganz Fernen kommen, aber natürlich auch wir alle.

 

 

Apg 9, 1 – 20 (12. Sonntag nach Trinitatis):

In den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts ist an der Universität Jena mit viel Aufwand und Lautstärke ein „Lehrstuhl für Atheismus“ errichtet worden. Jena hat darin schon fast eine Tradition. Denn um die Jahrhundertwende lehrte dort Ernst Häckel. Er hat das Buch „Die Welträtsel“ herausgegeben, das von vielen links orientierten Arbeitern gelesen wurde. In dem Buch sollten die Aussagen der Bibel durch sogenannte „wissenschaftliche Erkenntnisse“ ersetzt werden. Zum Beispiel sollte auch die Entstehung des Menschen „wissenschaftlich“ er klärt werden.

Der erste Inhaber jenes neuen Lehrstuhls für Atheismus war Olof Klohr. Er trat zunächst durch eine Reihe von Veröffentlichungen hervor und wurde auch zu Vorträgen gebeten. Aber dann wurde es immer stiller um ihn. Schließlich wurde er wieder von seinem Posten abgelöst. Man munkelt, er habe sich durch die eingehende Beschäftigung mit dem Christentum vom Glauben anstecken lassen. Nicht, daß er gleich ein Christ geworden wäre. Aber er hat

sich offenbar doch von der christlichen Lehre beeindrucken lassen.

An solchen und ähnlichen Beispielen sieht man, daß die christliche Botschaft ihre Kraft entfaltet, gerade auch bei ihren entschiedenen Gegnern. Das Problem ist nur: Die meisten Gegner kommen gar nicht mit der wirklichen Botschaft in Berührung. Sie haben etwas in Büchern und Zeitungen gelesen, sie haben etwas am Stammtisch gehört oder am Arbeitsplatz - aber im

Grunde hängen sie immer wieder an den alten Vorurteilen. Nur die Begegnung mit einem wirk­lichen Christen könnte hier eine Änderung bringen.

Sicherlich ist auch Paulus von den Christen beeindruckt worden. Er hat sie ja als gläubiger Jude zunächst fanatisch verfolgt. Aber dabei hat er sicherlich auch mit ihnen gesprochen und

sich mit ihnen auseinandergesetzt. Und dabei hat er wohl auch erlebt, wie sie unerschütterlich am Glauben festhielten. Das wird ihm doch zu denken gegeben haben.

Doch die Wende im Leben des Paulus kam nicht nur aus ihm selber heraus. Wenn in einen Stausee immer mehr hineinläuft, dann läuft er eines Tages über. So etwas mag bei Paulus auch eine Rolle gespielt haben: Weil er immer mehr von den Christen erfuhr, kippte er schließlich um. Gott handelt schließlich durch Menschen und benutzt sie als seine Helfer.

Aber entscheidend ist die Begegnung mit Christus selber. Dieser hat nicht gewartet, bis der Stausee von selber überlief, sondern er hat selbst die Sperrmauer hinweggeräumt. Mit stiller Gewalt hat er seinen Verfolger um volle 180 Grad herumgedreht. Nicht die Begegnung mit Menschen hat Paulus aus der Bahn geworfen, sondern die Begegnung mit Christus selbst hat dazu geführt.

Wir werden vielleicht sagen: „Mir ist Christus noch nicht in so einer Lichterscheinung begegnet, für mich hat es noch kein Damaskus-Erlebnis gegeben!“ Aber das ist eher ein gutes Zeichen. So massiv muß er nur auftreten bei entschlossenen Gegnern. Er gibt nicht auf, auch wenn die Lage hoffnungslos erscheint. Für ihn gibt es keinen hoffnungslosen Fall. Da sollte es das auch bei uns nicht geben! Wie oft hört man aber von sogenannten „gut-kirchlichen“ Leuten: „Der ist unkirchlich, den braucht man gar nicht erst wegen einer Mitarbeit anzusprechen!“ Zum Glück erlebt man aber auch einmal Erfreuliches und Erstaunliches von Menschen, die andere längst abgeschrieben haben. Es ist nie zu früh und selten zu spät für einen Menschen, noch zum Glauben zu kommen.

Christus hat seinen Verfolger nicht einfach mit harter Gewalt kampfunfähig gemacht. Er hat ihn nicht überrumpelt, so daß er sich zähneknirschend einem fremden Willen gebeugt hätte. Die Wende ist freiwillig im Inneren des Paulus erfolgt. Erst war er äußerlich sehend und innerlich blind. Nun ist er durch das helle Licht äußerlich blind geworden, tastet sich aber innerlich zum Licht der Wahrheit hin.

Ein mächtiger Mann ist auf einmal ganz hilflos. Sein altes Ziel ist ihm fragwürdig geworden. Nun sucht er ein neues Ziel. Durch Fasten und Beten will er Klarheit gewinnen. Nur langsam findet er sich in der neuen Lage zurecht. Es ist ja etwas von außen auf ihn mit Macht eingedrungen.

Mancher ist richtig traurig, weil er noch kein so großes Ereignis erlebt hat. Er wartet immerzu auf den großen Knall, aber er kommt nicht. Manche Christen können ja angeblich ganz genau Tag und Stunde angeben, an dem sie sich als Erwachsene zu Christus bekehrt haben. Sicherlich muß man irgendwann im Leben einmal eine Beziehung zum Glauben finden, wenn man als Kind getauft wurde

Bekehrung geschieht aber nicht immer so dramatisch wie bei Paulus. Eher ist das die Ausnahme. Man muß jedenfalls sehr skeptisch sein, wenn einer den genauen Zeitpunkt seiner sogenannten „Bekehrung“ angeben kann. Es könnte ja auch sein, daß man unter Erfolgsdruck gerät, wenn alle anderen von ihren Bekehrungen erzählen. Man sagt sich: „Da muß doch etwas bei dir nicht stimmen, wenn alle anderen so etwas erfahren, nur du nicht!“ Dann bildet man sich ein, doch das große Erlebnis gehabt zu haben. Aber hüten wir uns davor, uns selbst bekehren zu wollen! Das Normale ist doch, daß der Glaube allmählich wächst.

Die Taufe gibt dafür die Grundlage. Der kirchliche Unterricht vermittelt die notwendige Information. Man erlebt erfreuliche und bedrückende Dinge. Man erlebt Gottesdienste und andere kirchliche Ereignisse. Man nimmt am Abendmahl teil. Man spricht mit Menschen und betrachtet die Kunstwerke christlicher Meister. All das läßt den Glauben wachsen, ganz allmählich und wenig spektakulär - aber es entsteht natürlich auch auf diesem Weg ein echter Glaube.

Manchmal haben allerdings auch handfeste weltliche Ziele eine Bekehrung herbeigeführt. So hat zum Beispiel der römische Kaiser Konstantin im 4. Jahrhundert das Christentum zur Staatsreligion erklärt, weil er ein einigendes Band für sein Reich haben wollte. Dieses Bündnis zwischen Staat und Kirche hat dann auch eineinhalb Jahrtausende gehalten. Es ist der Kirche nicht immer gut bekommen. Aber immerhin wurde dadurch Europa christlich geprägt. Und durch die flächendeckende christliche Erziehung ist dann in vielen Fällen auch echter Glaube gewachsen.

Das ist auch der Grund, weshalb wir am Religionsunterricht in der Schule festhalten sollten. Er hat sicher seine Schwächen, er ist mit Recht umstritten. Er kann jungen Menschen unter Umständen den Weg zum Glauben verbauen. Aber er kann auch den Weg zum Glauben eröffnen.

Gott hat viele Möglichkeiten. Aber er braucht auch immer wieder Menschen, um seine Ziele zu erreichen. Wo einer zu Gott findet, da braucht er auch immer die Gemeinde als Helfer und Vermittler. Für den Leiter der Gemeinde in Damaskus war es schon ein Risiko, den schlimm­sten Verfolger der Gemeinde aufzunehmen. Aber jetzt war er ja nicht mehr der Feind, sondern der „liebe Bruder Saul“.

Man spricht ja manchmal davon, es sei einer „vom Saulus zum Paulus" geworden. Aber das ist nicht exakt. Saulus ist nur die jüdische Namensform, und Paulus die griechische. Es ist immer der gleiche Mensch, der sich geändert hat. Paulus hat zu seiner Vergangenheit gestanden. Aber vor allem wollte er ein neuer Mensch sein, die Zukunft war ihm wichtiger als die Vergangenheit.

Doch als Christ hat er zunächst einmal ganz kleine Brötchen gebacken. Lukas stellt es in der Apostelgeschichte so dar, als sei Paulus gleich mit einem Paukenschlag ganz groß herausgekommen, als sei er gleich der Großstadtprediger in den Zentren der Welt geworden. Aber in Wirklichkeit hat er erst einmal 14 Jahre als kleiner Missionar in Syrien gewirkt. Von der Wen­de in seinem Leben hat er nur sehr zurückhaltend gesprochen. Er hat nicht immer wieder seine Bekehrung erzählt, er hat nicht sein Leben zum Inhalt seiner Predigt gemacht, sondern Christus.

Auch heute kann sich so etwas wie bei Paulus mitten unter uns ereignen. Deshalb sollten wir offen dafür sein, wenn sich einer der Gemeinde nähert. Er soll sich trauen dürfen und keine Vorbehalte spüren. Wir dürfen dem Handeln Gottes nicht hinderlich im Wege stehen. Und wir sollten begreifen, daß wir selber auch nur von dem leben, daß Gott uns täglich neu vergibt und uns immer wieder in seine Gemeinschaft ruft.
 

 

 

 

Apg 10, 21 - 35 (34 -35) (3. Sonntag nach Epiphanias):

In der Apotheke sind die Medikamente fein säuberlich in Schubkästen untergebracht, von A bis Z. Der Apotheker braucht nur hinzugreifen. Verwechslungen sind so gut wie ausgeschlossen. Das ist eine notwendige und wohltuende Ordnung. Um Ordnung bemühen wir uns auch an unserem Arbeitsplatz und nur unserem Haushalt: die Zange gehört nicht an den Platz für den Hammer, die Salzsäure nicht in die Sprudelflasche, ein Buch wie die „Schatzinsel“ nicht in die Schultasche.

Aber manchmal übertragen wir unsre Ordnungsliebe, die bei Dingen so notwendig ist, auch auf Menschen. Dann ordnen wir die Menschen in unsrer Umgebung auch in Schubkästen ein, von A wie „Ausgetretener“ bis Z wie „Zahlungsverweigerer“. Oftmals ist sehr schnell unser Urteil über den anderen fertig: „Der kommt sowieso nicht zum Gottesdienst“ - „Die lassen ihre Kinder nicht konfirmieren!“ - „Die wollen doch nichts von den Geboten Gottes wissen!“

Wir sehen unsre Mitmenschen, wir hören und erleben sie - und wir ordnen sie ein in unsere inneren „Schubkästen“.  Entsprechend richten wir unser Verhalten diesem Menschen gegenüber ein: mit dem einen reden wir überhaupt nicht, den nächsten grüßen wir nur kurz, und Freundschaft halten wir dann nur mit denen, die sich in unseren „oberen Schubkästen“ befinden.

So etwas gab es schon immer. Im Mittelalter gab es die Standesunterschiede zwischen Adel, Geistlichkeit und Bürgertum. Bei den Juden teilte man ein in „Israel“ und „Heidentum“ bzw. rein und unrein. Man war davon überzeugt, daß das von Gott gewollte Unterschiede seien. Da gab es keine Brücke, geschweige denn eine Gemeinschaft.

So dachten auch die Menschen in der Geschichte von der Bekehrung des Kornelius. Dieser römische Hauptmann hielt sich mit seiner ganzen Familie zur jüdischen Gemeinde, er betete zum Gott Israels und gab sein Opfer für die Gemeinde. Trotzdem blieb er ein Ausländer, ein Fremder, ein Heide. So wurde er einsortiert und damit in Wirklichkeit aussortiert. Man sagte: Wir müssen uns gegen Fremdeinflüsse schützen!

Doch bei Gott gibt es kein menschliches „Schubkastendenken“. Er urteilt oft nach Maßstäben, die den unsrigen entgegengesetzt sind. Petrus und. Kornelius müssen es beide erst lernen: Gott ruft auch der Heiden in seine Gemeinschaft.

Die Vorstellungen der ersten Christen über die Grenzen der Kirche waren der Ausbreitung der Christusbotschaft eher hinderlich als förderlich. Von Jesus wußten sie, daß er nur gelegentlich mit Heiden zu tun hatte. Heidenmission war ihnen nicht geläufig. Zunächst einmal war das Evangelium für die Juden bestimmt.

Gott aber wollte, daß sich das Evangelium in die ganze Welt ausbreitet. Deshalb legt er Schritt für Schritt die trennenden Mauern nieder: An Pfingsten wendet sich die Predigt noch an Juden und Judengenossen. Aber dann wir ein immer größerer Kreis erfaßt: Zuerst werden die griechisch sprechenden Prediger noch Samarien vertrieben und breiten dort das Wort aus. Dann erreicht es den Kämmerer aus dem Morgenland und damit die Enden der damals bekannten Erde. Nun bahnt sich der nächste Schritt an: die erste Heidenbekehrung durch einen leitenden Mann des Zwölferkreises, durch Petrus selbst.

Doch man konnte nicht erwarten, daß die Entscheidung ein für alle Mal für die gesamte Kirche gefallen wäre. Querschläge und Rückschläge bleiben nicht aus: Mit dem Ereignis in Caesarea war es für Petrus noch nicht endgültig geklärt, wie man es mit den Heiden halten sollte. Von Gott geführt und gedrängt handelt Petrus einfach, ohne daß die Fragen umfassend durchge­klärt sind. Im Galaterbrief hören wir, daß Petrus später wider besseres Wissen dem Druck falscher Brüder nachgibt und sich von den Heidenchristen trennt und in seinem Gewissen wieder schwankend geworden ist.

Nur gut, daß Gott die Weichen stellt. Die Kirche hängt nicht von Menschen ab, sonst wäre sie längst vergangen. Wir meinen immer, es sei eine menschliche Entscheidung, ob sich einer zu Gott bekennt oder nicht oder zu welchem Gott oder zu welcher Weltanschauung. Aber wir können unter einem Angebot von Göttern nicht den uns angenehmen heraussuchen. Wir können uns auch nicht kraft eigenen Entschlusses zu dem Gott aufmachen, den wir als den einzigen erkannt haben. Kein Sünder - und das sind wir alle - hat auf Gottes Gemeinschaft und Liebe ein Recht.

Wir können nicht fordern: „Gleiches Recht für alle“, sondern wenn schon, dann eher „Gleiche Gnade für alle“. Gott sieht die Person nicht an. Gnade ist ein unerwartetes und nicht zu forderndes Geschehen. Es ist Gottes Sache, seine Türen zu öffnen, wo und wann er will. Aber wenn er die Türen öffnet, dann sollten wir sie nicht zuschlagen. Auch wir sollten allen Menschen mit der gleichen Offenheit begegnen, wie Gott das tut.

Nach dem Krieg war es nicht einfach, die sogenannten „Flüchtlinge“ in die Gemeinden aufzunehmen, auch in die Kirchengemeinden. Sie brachten ein fremdes Element in die geschlossenen Dörfer und Kleinstädte. Zum Glück waren doch einige dabei, die für einen Aufschwung des kirchlichen Lebens sorgten und den Einheimischen ein gutes Beispiel gaben. Das hat das Zusammenwachsen erleichtert. Aber wenn etwa ein neuer Kirchenvorsteher gesucht wird, dann denkt man immer zuerst an die aus den alteingesessenen Familien, deren Väter und Großväter schon Kirchenvorsteher gewesen waren. Ähnlich schwierig ist es oft mit den Kindern aus den verschiedenen Orten des Kirchspiels

Doch wir sind e i n e Kirche und oft sogar e i n e Kirchengemeinde. Aber alteingewurzelte Vorurteile und Rivalitäten sind nicht so leicht abzubauen. Und gerade in der frommen Gewöhnung sind die Menschen beharrlich, ihr Denken und Empfinden ist bis in tiefe Seelenschichten hinab festgelegt. In der Predigt kann manches anders und freier sein. Aber im Ablauf des Gottesdienstes soll es möglichst keine Veränderungen geben. Vor allem beim Abendmahl rufen Abweichungen immer gleich Unsicherheit hervor.

Was dem Petrus in der herabgelassenen Leinwand zum Essen angeboten wird, ist ein Gleichnis. In Wirklichkeit geht es ja um Menschen, und da sind Reinheitsvorschriften im Wege. Genauso wie ein Jude kein Schweinefleisch essen durfte, genauso durfte er keine Gemeinschaft mit Heiden haben, schon gar nicht auf religiösem Gebiet.

Man muß das verstehen: Man war ja ringsum mit Heidentum umgeben. Und auch im eigenen Lande war man stets der Versuchung der anderen Götter ausgesetzt. Man mußte sich der Überfremdung und des Verrats an Gott immer wieder erwehren. Im Bewußtsein Israels war es tief eingegraben: Heidnisches verunreinigt, man muß es meiden! Doch Gott sagt dem Petrus: „Ich habe es gereinigt!“

So kann Petrus ganz unbefangen das Haus des römischen Hauptmanns betreten, zusammen mit einigen anderen Christen, für die damit diese Entscheidung auch gilt. Dem Heidentum ist nicht durch Absonderung zu widerstehen, sondern durch aktives Eingreifen. Das wird deutlich, als Kornelius vor Petrus niederfällt und dieser entschlossen kontert: „Steh auf,  ich bin auch nur ein Mensch. Es gibt nur einen Gott, und den wollen wir gemeinsam anbeten!“

Wir alle haben es gleich weit zu Christus. Und er will für alle da sein, wer sie auch sind. Deshalb müssen wir darauf achten, daß wir nicht eine „Gruppenhaut“ um uns legen, die den anderen den Zugang erschwert. Je familiärer es in einer Gemeinde zugeht, desto eher ergibt sich so eine Abstoßung. Wir merken das an der Gemeindekreisen, wo dann nur die hingehen, die dazugehören. Der Gottesdienst in der Kirche ist da schon leichter zugänglich.

Mehr Tuchfühlung kann auch von Vorteil sein. Aber leicht kommt es dann dazu, daß man sich zu sehr für den anderen interessiert und ihn dann in Schubfächer einordnet. Man fragt: „Was bist du, was leistest du? Wie ordentlich war deine Erziehung, wie korrekt lebst du?

In welcher Welt- und Lebensanschauung lebst du? Welche Meinung hast du von der Kirche?“

Für Gott spielt das alles keine Rolle. Niemand braucht etwas mitzubringen, wenn er zu Christus kommt: keine frommen Verdienste, keine eindrucksvolle Lebensbilanz, kein kirchliches Benehmen. Wir sind alle Teil einer weltweiten Bruderschaft. Auch Heiden - oder sagen wir heute vielleicht besser „Ungläubigen“ - können in Christus einverleibt werden, in die Gemeinde als seinen Leib.

Doch wir sollten nicht meinen, man brauche nur Gott zu fürchten und recht zu tun, dann sei man schon Gott angenehm; man brauche also gar nicht die Gottesgnade, sondern nur einen guten Lebenswandel. Es wird nicht gesagt, daß sich das Christwerden erübrigt, sondern daß es ohne weiteres möglich ist. Gott hat auch gleich von Anfang an ins Auge gefaßt, daß die in Cäsare Versammelten „Worte“ hören sollen, also die christliche Botschaft.

Es ist also nicht gleichgültig, ob man Christ oder Heide ist, sondern es wird gesagt: Heiden können genauso gut wie Juden nun Christen werden. Dazu sind alle eingeladen. Das Evangelium führt uns alle zusammen. Da hat keiner etwas vor dem anderen voraus, sondern alle werden „umsonst“ geliebt. So kommt es zu der Freiheit der Kinder Gottes, die der Geist schafft.

 

 

Apg 10, 34 – 43 (Ostern II):

Karfreitag war wie das gewaltsame Ende eines Boxkampfes: Die Verhaftung Jesu war der erste Niederschlag, da mußte er schon auf die Bretter. Die Verurteilung war der entscheidende zweite Schlag. Und seine langsame Hinrichtung ist vergleichbar mit dem Zählen des Ringrichters bis zum „Aus“. Der Kampf war entschieden. Jesus hatte verloren. Aber dann kam etwas, was niemand für möglich gehalten hätte und was es auch beim Sport nicht gibt: Obwohl Jesus k.o. geschlagen wurde, hat Gott ihn zum Sieger erklärt. Das ist unfaßbar, aber eine Tatsache: Der äußerlich Unterlegene ist in Wahrheit der große Sieger!

Für Petrus war es nicht einfach, diese Erkenntnis den Heiden im Haus des Hauptmanns Cornelius zu vermitteln. Sie hatten zwar schon Kontakt zum Judentum, aber Gottes Tat an Ostern ist im Grunde für jeden schwer verständlich. Petrus erzählt zunächst aus dem Leben Jesu, weil dieses mit dem Sterben und Auferstehen zusammengehört. Dadurch wird der Auferstandene nicht zu einer nebelhaften Größe, zu einer überirdischen Gottheit ohne Gesicht, sondern trotz seiner himmlischen Herkunft bleibt er menschlich.

Petrus verwendet keine schwergewichtigen theologischen Ausdrücke, sondern er sagt: „Gott war mit ihm!“ Aber dieser harmlos erscheinende Satz hat es in sich. Damit ist mehr gemeint, als daß Jesus nur im Rückenwind des Wohlgefallens Gottes gesegelt wäre. Sie haben ihn ja dennoch ans Holz gehängt und umgebracht.

Hier wurde ein harter Kampf ausgetragen um Menschen, die vom Teufel überwältigt waren. Aber Jesus hat dem Teufel sozusagen in den Rachen gegriffen und gerade da, wo der Fürst dieser Welt regiert, die Sache Gottes betrieben. Schon in seinem Erdenleben hat sich das gezeigt. Erdenwirken und Ostersieg Jesu gehören zusammen.

Plötzlich wußten die Jünger: Jesus lebt, er ist bei uns! Sie drückten das dann so aus: „Wir haben ihn gesehen!“ Irgendetwas muß geschehen sein, daß diese feigen Männer zu neuen Menschen gemacht hat. Nirgends wird beschrieben, was da genau geschehen ist, aber seine Auswirkungen waren deutlich festzustellen.

Die Jünger haben für das Ostergeschehen das Wort „Auferstehung“ verwendet, weil man sich damals etwas darunter vorstellen konnte. In vielen Religionen sah man das Absterben der Natur im Herbst und ihr Wiedererwachen im Frühjahr als das Sterben und Auferstehen der Gottheit an. Im Grunde hat sich das ja noch bei uns gehalten. Ostern wird als Frühlingsfest bezeichnet und die Neubelebung der Natur in den Mittelpunkt gestellt. Oder zumindest vergleicht man die Auferweckung Jesu mit der Auferweckung der Natur.

Doch das geht nicht: Bei Jesus handelt es sich um eine einmalige Tat Gottes, die sich nicht alle Jahre wieder ereignet, sondern die sich nicht wiederholen wird. Was wir als „Auferstehung der Toten“ bezeichnen geschieht erst am Ende aller Tage. Das Entscheidende aber, was die Jünger an Ostern verkünden, lautet: „Jesus lebt schon jetzt, hier und heute!“

Jesus war nicht ein Religionsstifter und Menschenfreund, der vor fast 2000 Jahren gelebt hat und dessen Worte noch weiterwirken und Geschichte machen. Er hat auch nicht etwas in Gang gebracht, das nun ohne ihn weiterläuft wie ein Eisenbahnwagen auf dem Rangiergleis. Jesus ist eine Person, deren Namen man anrufen kann, und die Kirche ist die Gemeinschaft der Menschen, in denen Gott selbst gegenwärtig ist und wirkt. Sie ist aus der Botschaft vom auferstandenen Christus entstanden, ohne Ostern gäbe es sie nicht.

Petrus betont immer wieder: „Dafür sind wir Zeugen!“ Den Auferstandenen haben nur die ausgesuchten und bestimmten Zeugen gesehen, die schon zu seinen Lebzeiten mit ihm zusammen waren. Sie durften als Erste erfahren, daß Jesus kein Vergangener ist, sondern Gott ihn am dritten Tag auferweckt hat von den Toten.

Diese Predigt aber richtet sich „an alles Volk“. So hat sich die Botschaft von Ostern über die Welt ausgebreitet und ist eines Tages auch zu unseren Vorfahren gekommen. Keiner gehört von Geburt an zum Volk Gottes. Aber durch die Taufe ist allen Menschen die Möglichkeit eröffnet, Glieder des Gottesvolkes zu werden.

Das gilt auch für die Heiden in unserer Umgebung, die noch nicht oder nicht mehr zur Gemeinde gehören. Wir können nicht einfach sagen: Die sind verlorene und verdammte Menschen! Gott kann auch an ihnen das Wunder tun, daß sie zum Glauben finden. Und wir erleben das hin und wieder ja auch, daß so etwas geschieht, trotz unserer Schwachheit und unseres Versagens in der Liebe.

Allerdings stoßen in anderen Ländern mehr Leute zur Kirche als bei uns. Auf keinen Fall können wir mehr vom „christlichen Abendland“ reden und von den armen, unterentwickelten Heiden in Afrika. Heute geht es um eine Mission in allen fünf Kontinenten. Gott hat viele Möglichkeiten, auch wenn Manches von unseren gewohnten Vorstellungen abweicht. Aber Gott kann immer und überall wirken.

Aber immer kann man sich nur auf das Wort der Zeugen verlassen. Auch zu uns kommt das Osterereignis nur durch die Predigt. Wichtig ist allein, daß wir diesem Wort glauben. Was dagegen damals im Einzelnen geschehen ist, braucht uns nicht so sehr zu interessieren. Entscheidend ist allein, daß Jesus heute der Lebendige ist und im Abendmahl uns nahekommt. Da ist er greifbar und schmeckbar, da wirkt er in die Welt hinein und will zu allem Volk kommen, da kann man zu seinem Leib werden.

Für Petrus war es nicht leicht, in das Haus eines Römers zu gehen und dort von Jesus zu erzählen. Sein ganzes Inneres muß sich dagegen gesträubt haben, daß auch diese Heiden zum Volk Gottes gehören sollen. Durch die Auferweckung Jesu kann auf einmal jeder „Kind Gottes“ werden, egal aus welchem Volk oder welcher Rasse oder welcher Gesellschaftsschicht er kommt, ob er Mann oder Frau, Kind oder Greis ist. Gottes Sache läßt sich nicht beschränken auf eine bestimmte Gruppe oder eine bestimmte Art des Glaubens oder der Frömmigkeit. Deshalb muß eine christliche Gemeinde Platz haben für die verschiedenartigsten Menschen, Interessen und Anschauungen.

Allerdings ist durch diese Vielfalt der christlichen Kirchen eine Entwicklung eingetreten, die sicherlich nicht im Sinne Gottes war: Wir haben heute nicht mehr die eine christliche Kirche, sondern die verschiedensten Kirchen und Kirchlein, Gruppen und Grüppchen. Man kann diesen Zustand der Kirche am besten mit einem Baum vergleichen, so eine Art „Stammbaum der Christenheit“.

Seine Wurzeln liegen im Judentum und entsprossen ist er aus Jesus von Nazareth. Dann war die Kirche etwa tausend Jahre eine Einheit, bis es zur Spaltung in Ostkirchen und Westkirchen kam. Weitere 500 Jahre später hat sich die Westkirche noch einmal gespalten in die römisch-katholische Kirche und die Kirchen der Reformation mit den drei Hauptzweigen lutherische, reformierte und anglikanische Kirchen. Aber auch die haben sich verästelt, so daß nur

ein mächtiger Baum mit einer reichgestalteten Krone entstanden ist.

Man mag das einerseits bedauern, daß die Kirche nicht mehr eine organisatorische Einheit ist. Aber andererseits kommt es doch auf die innere Einheit an. Heute arbeiten fast alle christlichen

Kirchen im Weltrat der Kirchen zusammen. Nur die römisch-katholische Kirche ist nicht Mitglied, weil sie sich selbst als die eine weltweite Kirche versteht; aber sie ist auch durch Beobachter vertreten und arbeitet an vielen Stellen mit.

Die Einheit der Kirche zeigt sich heute nicht mehr in einer Einförmigkeit. Die Sitten und Gebräuche können ohne Schaden unterschiedlich sein. Selbst in der Theologie kann es manche Unterschiede geben, weil die eine Gruppe das eine mehr betont und die andere das andere. Wichtig ist allein, daß wir alle den gleichen Glauben und den gleichen Gott haben.

Wir dürfen dankbar sein, daß es in unserer Zeit nicht bei einem Nebeneinander der vielen geschichtlich gewordenen Kirchen geblieben ist. Durch den Austausch und das gegenseitige Kennenlernen ist viel Verständnis gewachsen und jede Kirche selber bereichert worden. Das merken wir auch, wenn wir mit Christen des Auslands zusammenkommen. Aber die Gemeinschaft der Christen zeigt sich auch am Ort.

Wir haben nicht das Recht, die Weise des Kirchenseins zum Beispiel der Katholiken und ihre Art des Glaubens abschätzig zu betrachten. Gottes Heiliger Geist wirkt auch unter ihnen. Wir sollten eher darauf achten, daß wir ihn auch ungehindert unter uns wirken lassen. Wir haben ihn nicht allein für uns gepachtet. Aber Gott gibt uns die Möglichkeit, uns von dieser Kraft beschenken zu lassen.

Die Herrschaft des auferstandenen Christus erstreckt sich aber nicht nur auf die Herzen der Menschen, sondern auch über die außermenschliche Kreatur. Solange er in Palästina lebte, war sein Wirken begrenzt. Seit Ostern aber ist seine Wirksamkeit entschränkt.  Nun können alle, die an ihn glauben, Vergebung der Sünden empfangen. Christus will ja nicht verdammen, sondern erretten. Dies geschieht in der Taufe. Und die schon Getauften sollten das immer wieder wahrnehmen, was sie in Christus haben.

Jesus ist gekommen, den Frieden zu verkünden, sagt Petrus am Beginn seiner Predigt; den Frieden zwischen Gott und den Menschen und den Frieden der Menschen untereinander. Das könnte viel bedeuten für das politische Zusammenleben von Ost und West, Nord und Süd, in Deutschland, Mittelamerika und in Vorderasien. Aber wir brauchen gar nicht an die großen Spannungen in der Welt zu denken.

Auch im alltäglichen Zusammenleben der Menschen brauchen wir den Frieden, der von Gott kommt. Da geht doch oft so vieles schief! Wenn wir in unserem kleinen, ganz alltäglichen Be­reich Frieden halten, dann haben wir schon unseren Beitrag zum Frieden des Osterfestes geleistet. Gott selber hat uns das Vorbild gegeben, als er wieder Frieden geschlossen hat mit      d e n Menschen, die seinen Sohn umgebracht haben.

Das neue Leben des Christus muß auch zu einem neuen Leben der Christen führen. In der Folge der Auferstehung haben sie den Frieden zu bezeugen und zu leben. Wir können die Aufgabe an Ostern auch mit dem zweiten Wort sagen, das Petrus hier verwendet: „Vergebung!“ Am Anfang seiner Predigt spricht er nur allgemein vom Frieden. Am Schluß aber wird er konkret und spricht von der Vergebung.

Wir brauchen die Vergebung für all das, was wir Gott angetan haben. Die hat Jesus uns an Karfreitag und Ostern verschafft. Doch nun wird es für uns darauf ankommen, ebenso zur Vergebung bereit zu sein und etwas von der Osterfreude zu allen Menschen zu tragen.

 

Apg 12, 1 – 11 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Da ist ein Mann schon eine Woche im Gefängnis. Er hat nichts weiter verbrochen, als daß er ein Christ ist. Aber da genügt ja oft schon, ihn als „Staatsfeind Nummer eins“ erscheinen zu lassen. Mit einem ordentlichen Gerichtsverfahren hält man sich gar nicht erst lange auf. Jeder Tag kann der letzte für den Gefangenen sein. Doch er schläft ruhig ein, ohne Angst.

Wie ist so etwas möglich? Wir bringen so etwas ja kaum fertig. Uns ist ja schon die Nachtruhe geraubt, wenn wir eine Vorladung zur Verkehrspolizei erhalten. Aber es gibt natürlich auch schwerwiegendere Fälle, wo es verständlich ist, wenn einer nicht schlafen kann: wenn eine Prüfung bevorsteht, wenn einer von seinem Gewissen geplagt wird, wenn man Sorgen in Familie oder Beruf hat - vor allem aber auch, wenn jemand schwerkrank ist, an dem man sehr hängt. Da lassen wir uns oft aus der Bahn werfen.

Nicht so aber Petrus, der Jünger Jesu. Ruhig schläft er zwischen den beide- Soldaten, an die er gekettet ist. Er ha-t mit seinem Leben abgeschlossen. Er wird nun bald als Zeuge für Jesus sterben müssen, so wie sein Herr es ihm vorausgesagt hat. Gefaßt sieht er dem Kommenden entgegen. Gott hat ihm Kraft und Glaubensstärke gegeben, er wird diesen letzten Schritt im Vertrauen auf Gott gehen können. Er weiß:

 

1. Gott kann das Leben fordern! Wir können nur froh sein, wenn uns dieses Letzte erspart bleibt. Wir stöhnen ja oft schon, wenn wir weit Leichteres auszuhalten haben. Aber es kann auch einmal ganz Schweres auf uns zukommen. Keinem der Blutzeugen zwischen 1933 und 1945 war es an der Wiege gesungen worden, daß sie einmal aller Welt zeigen müßten, wieviel ihnen Gott gilt. Es könnte auch sein, daß der eine oder andere von uns so geführt wird.

Doch das bedeutet niemals, daß Gott des Geschehens nicht mehr mächtig ist. Vielmehr treibt er auch dadurch seine Sache nur voran. Schon im Altertum sagte man: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche!“ Je mehr die Kirche verfolgt wurde, desto mehr schloß sie sich zusammen und desto mehr wurde sie auch anziehend für andere. Je mehr man die Kirche unterdrücken wollte, umso mehr ist sie gewachsen, innerlich und auch äußerlich. Der Brand, der durch Druck ausgetreten werden sollte, breitete sich desto mehr aus und war nicht mehr aufzuhalten.

Empörend ist allerdings, daß ausgerechnet ein Mann wie Herodes Agrippa über die Diener Gottes solche Macht hat. Er hatte sich bei den Römern „lieb Kind“ gemacht und war zum König von Roms Gnaden eingesetzt worden. Er herrschte noch einmal über all die Kleinstaaten, über die schon sein Großvater Herodes der König war. Aber auch bei den strengen Juden wollte er sich lieb Kind machen. Wenn er in Jerusalem war, dann gab er sich gesetzestreu, unterstützte die Frommen und förderte den Tempelkult. Aber das alles nicht aus Überzeugung, sondern weil er „gut Wetter“ machen wollte. Dahin gehört auch die Verfolgung der Christen: dadurch wollte er sich den Juden gefällig erweisen. Kurz gesagt: Dieser Herodes Agrippa war ein „fieser Typ“.

Wir meinen leicht: Gott müßte doch verhindern, daß so ein Kerl auch nur irgendeine Macht über seine Boten hat, er müsse solche Geschehnisse doch verhindern. Gott könnte es, das zeigt die Petrusgeschichte. Wenn wir unser Leben einmal überdenken, dann werden wir wohl doch manches Beispiel finden, wie Gott uns vor Schlimmem bewahrt hat.

Aber er m u ß es nicht.

 

2. Gott kann die Freiheit geben: Für die Gemeinde hätte es so aussehen können, als werde die Front nun Zug um Zug aufgerollt. Zuerst war Jakobus umgebracht worden. Nun soll das Gleiche mit seinem Nachfolger Petrus geschehen. Die Gemeinde ist erschüttert und bedrückt. Was wird wohl noch alles kommen?

Da tut die Gemeinde das einzige, was ihr zu tun bleibt: Sie betet pausenlos. Herodes wird sicher seine Geheimpolizisten losgeschickt haben, damit sie erkunden, wie die Christen reagieren. Sie hätten ja demonstrieren können oder gar einen gewaltsamen Befreiungsversuch

unternehmen können. Aber nichts von alledem.

Die Spitzel berichten: „Die Christen tun gar nichts, sie sitzen nur in ihrem Haus und beten!“ Da konnte sich Herodes natürlich beruhigt die Hände reiben: Wenn sie ja „nur“ beten, dann kann ja gar nichts passieren, das ist harmlos, das wird ihm nicht gefährlich. So denkt der Machtmensch Herodes.

Doch man hat den Eindruck: Es ist ein kämpferisches Beten, was die Gemeinde dort unternimmt. Sie wollen im Herzen Gottes etwas in Bewegung bringen und damit auch seinen Arm bewegen, damit er eingreift. Vielleicht haben sie es nicht gewagt, um die Befreiung des Petrus

zu bitten. Jakobus hatte ja auch sterben müssen, obwohl sie für ihn gebetet haben. Aber sie werden gebetet haben, daß Petrus stark bleiben kann, daß er nicht an Gott irre wird, wenn er nun wird sterben müssen. Es ist tröstlich, wenn man weiß: Wenn man selber nicht mehr beten kann, dann tritt die Gemeinde fürbittend ein.

Doch Petrus kommt noch einmal davon. Wie seine Befreiung erfolgt, wird nicht im Einzelnen deutlich. Es war nicht ein Erdbeben, das die Türen aufspringen läßt. Gott hat sich in diesem Fall nicht natürlicher Mittel bedient. Der Evangelist Lukas wußte nur: Petrus ist verhaftet worden, aber nachher hat er wieder als Apostel gewirkt. Was dazwischen lag, hat Lukas mit seinen eigenen Vorstellungen ausgeschmückt. Für uns heute geht es nicht darum, diese Geschichte so wörtlich zu glauben, wie sie hier erzählt wird. Wir werden vielmehr gefragt: „Traust du Gott zu, daß er auch heute die Seinen aus auswegsloser Lage erretten kann? Betest du darum, daß er dir hilft?“

Aber die Befreiung des Petrus ist ein reines Wunder. Er hat nichts dazu getan, er hat geschlafen. Wie seine Befreiung in Wirklichkeit vor sich gegangen ist, wissen wir nicht. Die Schilderung der Apostelgeschichte aus späterer Zeit klingt für uns ein wenig unwahrscheinlich. Aber Tatsache ist, daß Gott den Petrus aus dem Gefängnis geholt und damit vor dem sicheren Tod bewahrt hat. Für ihn ist eben keine Situation ausweglos. Gott findet immer noch einen Weg - auch für uns.

Gott hat dabei eine Absicht. Es geht vielleicht gar nicht so sehr um das Einzelschicksal des Petrus. Wenn es nötig gewesen wäre, hätte er sterben müssen, so wie Jakobus. Aber Gott braucht ihn noch, seine Stunde war noch nicht gekommen. Und das höhere Ziel dabei war:

 

3. Gott will die Gemeinde mehren!

Es war nur eine kleine Gemeinde in Jerusalem. Sie haben sich wohl wieder in dem Haus zusammengefunden, in dem Jesus das letzte Abendmahl mit ihnen gefeiert hatte. Es sind gerade wieder die Tage der ungesäuerten Brote, also die Zeit, in der Jesus gestorben ist. Seit dieser Zeit haben sie sich mit Gottes Hilfe gehalten. Aber jetzt haben sie eine schwere Gefährdung durchzustehen.

Doch die Hilfe ist schon nahe, ganz anders, als sie es zu hoffen gewagt haben. Mit einem gewissen Humor wird geschildert, wie das Mädchen Rosel ganz bestürzt ist, als Petrus draußen vor der Tür steht. Auch die anderen meinen, sie sei nicht ganz da und spinne sich etwas zusammen. Und als Petrus dann leibhaftig vor ihnen steht, da sind sie doch ziemlich entsetzt.

Es wird auch uns wohl erleichtern, daß auch die ersten Christen nur voller Bangen gebetet haben. Da ist nichts von einer unerschütterlichen Gewißheit, Gott werde schon unmittelbar auf das Gebet eingehen. Sie beten noch - und können es nicht fassen, daß ihr Gebet schon erhört ist. Ganz echt und ehrlich ist das geschildert.

Gott erhört auch unsre kleinmütigen und schüchternen Gebete. Er handelt über unser Bitten und Verstehen. Er tut mehr, als unser Glaube zu fassen vermag. Das ist sicher ein guter Trost für uns.

Manchmal sind wir sicher auch verzweifelt, wollen gar Gott anklagen und fragen: „Warum hilft er nicht? Kann er nicht oder will er nicht? Doch dann erleben wir auch wieder, wie er mehr tut, als wir zu bitten gewagt haben. So ist eben unser Gott, der das Leben fordern, aber auch die Freiheit geben kann. Das alles aber geschieht mit dem Ziel, die Gemeinde zu mehren.

Petrus verläßt Jerusalem und geht auf Missionsreise. Das war nicht Feigheit. Wenn Petrus feige gewesen wäre, dann hätte er auch untertauchen und sich in Privatleben zurückziehe- können. Aber seine Befreiung hatte keinen privaten Charakter. Petrus wird von Gott weiterhin gebraucht. Deshalb verläßt er jetzt die Stadt und riskiert nicht leichtsinnig eine erneute Verhaftung.

Petrus wird jetzt erst recht der Bote Jesu sein. Herodes Agrippa hatte den christlichen Glauben unterdrücken wollen. Aber das Ergebnis war, daß er sich nun erst recht ausbreitet. Ohne Herodes wäre Petrus nicht oder noch nicht in die Umgebung ausgewichen. Letztlich hat der König doch Gottes Plan gedient.

Das wird auch deutlich an einem Bild zu dieser Geschichte: Von unten greift die gewalttätige Hand des Herodes in die Gemeinde hinein und greift sich den Petrus heraus. Die Gemeinde kann nichts anderes tun als die Hände zu Gott zu erheben. Schützend und bergend streckt sich ihr die Hand Gottes entgegen. Je mehr aber der Druck von unten wächst, desto mehr wird die Gemeinde in die Arme Gottes getrieben.

Doch Gott faßt seine Entschlüsse, so wie er es für richtig hält: Der eine muß leiden, der andere wird befreit. Der eine stirbt im Dienst, der andere wird befreit zum Dienst. Für den ausscheidenden Jakobus hat Gott schon einen anderen bereit. Das Leben der Gemeinde geht weiter. Darauf dürfen wir uns auch heute verlassen.

 

Ergänzung:

In einer Gegend Afrikas war einmal eine große Dürre. Die Ernte wäre vernichtet gewesen, wenn nicht bald der Regen einsetzt. Die Christen versammeln sich zu einem Bittgottesdienst um Regen. Sie wollen zu Gott beten, daß e r ihnen doch endlich Regen schickt. Doch der Pfarrer hält erst einmal eine Standpauke. Er sagt: „Ihr wollt um Regen bitten. Aber es glaubt ja gar keiner richtig daran, daß Gott unser Gebet erhören wird. Was wollt ihr denn machen, wenn Gott unser Gebet sofort erhört und ihr wieder nach Hause wollt. Holt erst eure Regen­schirme und dann können wir auch um Regen bitten!“ Es ist nicht überliefert, wie die Sache ausging, ob es wirklich bald geregnet hat. Aber das Beispiel zeigt doch: Wenn man schon betet, dann muß man es auch ernst meinen

Ist das nicht typisch für uns? Wir beten alle immer wieder. Vor allem im Gottesdienst werden sehr viele Gebete gesprochen. Aber meinen wir sie wirklich ernst? Glauben wir wirklich, daß Gott sie auch erhört? Oder denken wir nicht oft: „Man kann es ja einmal versuchen. Aber wenn Gott keine Änderung herbeiführt, muß es auch so gehen!“

Die Gemeinde Gottes weiß: Das ist jetzt unsrer einzige Waffe. Der Macht des Schicksals können wir nur die Macht des Gebets gegenüberstellen. Aber dieses „nur“ ist etwas anderes als bei Herodes: Er will damit die Harmlosigkeit und Ungefährlichkeit des Gebets kennzeichnen. Die Gemeinde aber bekennt: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren, es streit für uns der rechte Mann, den Gott selbst hat erkoren!“

Vielleicht wird das einem erst so richtig deutlich, wenn all die eigenen Rettungsbemühungen gescheitert sind und man ganz am Ende ist. Wir kommen ja manchmal in Situationen, in denen unsre Ohnmacht nur zu deutlich ist. Wir merken das einmal in unserem persönlichen Leben, zum anderen aber auch in der Entwicklung der ganzen Gemeinde.

Da ist eine Krankheit, die trotz allen Einsatzes ärztlicher Kunst zum Tode zu führen droht. Oder da ist ein Mensch, der im Beruf nicht vorankommt und kein Verhältnis zu seinen Mitmenschen findet. Oder da ist ein behindertes Kind, das trotz aller Bemühungen keine Fortschritte macht.

Vielleicht steht uns ein solcher Mensch besonders nahe. Wir möchten gern helfen. Aber alles Reden und Helfen war bisher vergeblich. Wir gleichen einem Löwen im Käfig, der nach Freiheit strebt und sich doch nur an den Gitterstäben wund stößt. Und so verzehren wir uns im Gefühl der Ohnmacht und Ungeduld.

Ähnliches gibt es im Leben der Gemeinde. Da gibt es Orte, wo der Prediger mit Menschen- und mit Engelszungen reden kann und es versammeln sich doch nur drei oder vier Leute zum Gottesdienst. Vielleicht hat einer seiner Vorhänger den Dienst nur nachlässig versehen. Oder ein unerquicklicher Streit hat die Gemeinde zerspalten. Oder es ist einfach kein Bedürfnis für den Gottesdienst mehr da. Da ist es schwer, wieder einen Neuanfang zu finden und wieder etwas aufzubauen.

Ein Gebet muß nicht immer gleich helfen. Insofern zeigt das Beispiel von dem Bittgottesdienst in Afrika nur die e i n e Seite. Die Erhörung muß nicht immer gleich erfolgen. Aber das Gebet muß von einer starken Glaubensgewißheit getragen sein, wenn es Erfolg haben soll. Die Mutter des großen Kirchenlehrers Augustin hat 16 Jahre lang für die Bekehrung ihres Sohnes gebetet. Der hatte alles Mögliche Andere im Kopf: Bald war er Atheist, bald Anhänger Platos, bald Mitglied einer Sekte. Aber dann eines Tages trifft es ihn: Er schlägt die Bibel auf, ändert sein Leben. Läßt sich taufen und wird einer der bedeutendsten Theologen der frühen Kirche. Die Gebete seiner Mutter waren doch noch erhört worden.

Hier hat Gott also mehr getan, als die Gemeinde ihm zugetraut hat. Gott tut nicht nur so viel an uns, wie unser Glaube zu fassen vermag. Er ist unserem Denken vielmehr immer schon ein Stück voraus und überrascht uns immer wieder. Das sollte uns auch Zuversicht geben, wenn wir wieder einmal etwas von ihm erbitten möchten.

 

 

Apg. 14, 8 – 18 (12. Sonntag nach Trinitatis):

Die Götter sind nicht mehr unter uns, wohl aber die Halbgötter. Gemeint sind damit die Ärzte, die gern als „Halbgötter in Weiß" bezeichnet werden. Sie stehen bei der Wertschätzung der Berufe an oberster Stelle. Jeder ist ja auch auf sie angewiesen, jeder braucht einmal einen Arzt. Und in der Regel können sie ja auch helfen. Sie bringen unter Umständen auch so etwas fertig, was Paulus in Lystra schafft, nämlich die Heilung eines Gelähmten. Eine solche Krankheit kann nämlich einfach seelische Ursachen haben. Ein Seelenarzt, der die wahre Ursache erkennt, ein Seelsorger, der etwas von dem Zusammenhang zwischen Leib und Seele weiß, kann durchaus einmal ein solches Wunder vollbringen. Denn wenn die Seele geheilt wird, kommt auch der Körper wieder in Ordnung.

Jesus hatte wahrscheinlich eine Gabe zu solchen Heilungen. Seine Kraft geht dann auf seine Boten über, die in der Vollmacht und im Auftrag Jesu auch Heilungen vollbringen können. Glaube muß natürlich da sein. Auch der Gelähmte in Lystra glaubt erst einmal, ehe Paulus ihn anspricht. Aber nicht die körperliche Heilung ist das Entscheidende. So etwas kann immer wieder einmal vorkommen (Selbst bei Doktor Dreßler in der Lindenstraße ist noch nicht raus, ob er nicht doch eines Tages wieder laufen kann).

Die entscheidende Frage ist: Bringen wir eine solche Heilung mit Gott in Verbindung? Lassen wir uns umfassend heilen, nicht nur am Körper, sondern auch an Geist und Seele? Die Ärzte kommen sich sicher manchmal wie eine Reparaturwerkstatt vor: Da wird etwas geölt, etwas ausgewechselt, durch eine Maschine wieder auf Trab gebracht - schon ist der Fall gelöst. Und wenn es nicht klappt, dann hat der Arzt nichts getaugt.

Ob man es dann vielleicht doch einmal mit dem Pfarrer versucht Ich glaube jedoch, daran denkt kaum einer. „Pfarrer sind auch nur Menschen“, sagen so die Leute. Sie sagen das entweder tadelnd, weil sie mit irgendetwas nicht einverstanden sind. Oder sie sagen es auch wohlwollend, weil sie nicht zu viel verlangen wollen und wissen, daß Pfarrer auch nur Menschen sind.

Paulus und Barnabas hatten das Wunder allerdings schon vollbracht, ehe man die falschen Folgerungen daraus zieht. Die Leute wollen sich die Sensation nicht mehr nehmen lassen. Für sie wiederholt sich, was in den alten Geschichten erzählt wird: „Die Götter kommen in Menschengestalt zu den Sterblichen und wollen bei ihnen einkehren!“ So sehr weit sind sie damit gar nicht von der Wahrheit entfernt. Nur sind Paulus und Barnabas nicht selber die Götter, sondern sie bringen den richtigen Gott. Auf diesen muß jetzt nur noch alles ausgerichtet werden.

Die Heilung ist nur ein Vorspiel, an dem man nicht hängenbleiben darf. Sie ist Vorausschau auf das, was am Ende der Zeit allen Kranken widerfahren wird. Und sie ist Hinweis auf den lebendigen Gott, der auch heute schon Krankheiten überwinden kann.

Nur sollte man eine Heilung nicht allein von der Natur her erklären und sie nicht nur auf die Kunst des Arztes und den Fortschritt der Medizin zurückführen, sondern auch mit Gott in Verbindung bringen. Heilung und Heil gehören zusammen.

Deshalb dürfen Menschen nicht zu Göttern hinaufgesteigert werden, auch wenn Menschen das gerne tun. Je absoluter einer herrscht, desto mehr besteht die Gefahr des Personenkults. Vor allem die Untergebenen meinen dann, etwas für das Ansehen des Chefs tun zu müssen. Dann werden seine Bilder in die Schaufenster gestellt, das Unkraut gemäht und die Bord­steinkanten gestrichen, nur weil hoher Besuch kommen soll. Aber der Herrscher läßt alles wieder zurückdrehen, weil er gar nicht so verehrt werden will.

Für viele gilt doch nur noch das Höchste, das Extremste, das Sensationellste, sonst hören oder sehen sie gar nicht mehr hin. Da muß dann schon einmal eine berühmte Schwimmerin betonen, daß sie kein Supermensch ist, sondern auch einmal Fehler machen kann oder einmal einen schlechten Tag hat.

Auch Dinge können den Rang des Göttlichen bekommen. Man spricht dann von „Zwängen“, denen man nicht entgehen kann: Wenn die Politik versagt, dann muß eben der Krieg entscheiden, sagt man. Und wenn dann noch Öl mit im Spiel ist, muß man auch von außen her eingreifen, ansonsten kann man die Gegner sich selbst überlassen. So sind heute die Regeln, so wird Menschliches absolut gesetzt.

Dabei gibt es tatsächlich Wunder unter uns. Allerdings sind sie keine tägliche Erfahrung, sondern sie kommen nur in besonderen Fällen. Man braucht dazu gar nicht nach Lourdes oder Tschenstochau zu gehen, Wunder gibt es auch bei uns. Aber Gott wird schon wissen, weshalb er uns damit kurz hält. Vor allem darf nicht vergessen gehen, daß e r der Handelnde ist und nicht mit seinen Boten verwechselt werden darf.

Deshalb zerreißen Paulus und Barnabas ihre Kleider und springen unter die Menge. Sie verhalten sich ganz ungöttlich, um ja nicht mißverstanden zu werden. Sie belassen es aber nicht nur bei dem Protest, sondern sie gehen gleich dazu über, ihren Gott positiv zu bezeugen.

Wie macht man das, Menschen erstmals mit Gott bekannt zu machen? Das Beste ist sicher, von den Menschen auszugehen. Ihnen darf nichts übergestülpt werden, sondern man geht von dem aus, was sie schon kennen.

In diesem Fall ist es der Glaube an den Schöpfergott, den diese Menschen schon kennen, der längst schon ihr Gott ist, auch wenn sie es noch nicht wissen. Deshalb ist der Streit auch müßig, ob man den Menschen erst Gott oder erst Jesus Christus predigen soll. Wer schon mit Jesus in Berührung gekommen ist, denn wird man über Jesus zu Gott zu führen versuchen. Und wer eher etwas mit dem Glauben an Gott anfangen kann, den wird man erst daraufhin ansprechen und dann vorsichtig versuchen, ihm auch Jesus nahezubringen.

Auch für uns ist es nicht falsch, uns über den Schöpfer klar zu werden: Unsere Erde dreht sich nicht ohne ihn, in allen Kräften der Natur ist er am Werk. Er ist da im Schlagen unserer Herzen, im Zufassen unserer Hände, in jedem Schritt, den wir tun. Sein Wohlwollen haben wir schon immer spüren können, bei jeder Schnitte Brot, bei jeder Arbeit, bei jeder Begegnung mit einem Menschen. Wer das bejaht, liegt nicht völlig falsch.

Paulus erläutert: Gott hat in den vergangenen Zeiten die Heiden ihre eigenen Wege gehen lassen. Dabei haben sie auch schon Zeichen seiner väterlichen Fürsorge erfahren. Das gilt auch für solche Menschen wie jene junge Frau, die sagte : „Ich bin nicht getauft, ich halte auch nichts davon, was soll ich da mit einem Kreuz in der Schule?“

Aber es kommt dann auch einmal eine neue Zeit. Dann gilt es, vom Unglauben oder vom Glauben an irgendeinen Gott oder nur an den Schöpfergott voranzuschreiten zu dem lebendigen Gott, der der Vater Jesu Christi ist. Man kann nicht ohne Christus mit Gott im Reinen sein, weil man dabei die Sünde und ihre verheerenden Folgen abblendet.

Eine Jüdin sagte einmal: „Die Deutschen sind so verbittert und so trübsinnig. Sie nehmen alles so ernst und arbeiten wie unter einer Last. Sie wissen gar nichts von der Freude im Leben, wie das bei den Juden der Fall ist!“ Sie ist eine Ausländerin, deshalb sprach sie von den Deutschen, nicht von den Christen. Aber sie meinte auch unsere christliche Tradition.

Sie kritisierte besonders die Erzählung von Adam und Eva, durch die alle Sünde in die Welt gekommen sein soll. Doch Adam und Eva kommen ja bekanntlich aus dem Buch der Juden, aus dem, was wir „Altes Testament“ nennen. Doch diese jüdische Frau meinte, erst durch Jesus sei das Sündenbewußtsein in die Welt gekommen, weil er von der Notwendigkeit sprach, die Sünde zu überwinden. Er habe die Sünde erst zum Problem gemacht und deshalb den Menschen die Freude genommen.

Mit Jesus ist tatsächlich eine neue Zeit gekommen. Jetzt glauben wir nicht mehr an irgendein „höheres Wesen“ oder an eine „Vorsehung“. Jetzt hat der unerkannte Gott ein Gesicht bekommen in Jesus Christus.

Jetzt sucht Gott Gemeinschaft mit uns und kommt uns in Jesus nahe. Heute spricht er uns an in seinem Wort. Dieses macht uns in der Tat deutlich, daß wir sündige Menschen sind und manches in unserem Leben falsch läuft. Aber es zeigt uns ja auch den Ausweg. Durch Jesu Opfer kann uns die Sünde nichts mehr anhaben. Gott will, daß uns geholfen wird und wir gerettet werden, in Wirklichkeit sind wir ja schon gerettet.

Nahegebracht wird uns das von den Pfarrern und anderen Mitarbeitern der Kirche, auch von manch anderem Mitmenschen. Aber vergessen wir nicht: Sie sind wirklich nur Menschen. Ihre Fehler und Schwächen dürfen uns den Blick für die Sache nicht verstellen.

Es kann einem nur leid tun, wenn einer davon spricht, daß er mit der Kirche gebrochen habe. Dabei macht er eine prima Arbeit, sogar als kirchlicher Beauftragter. Doch er klagt: „Wenn ich es dann zu ernst nahm und mich zu sehr für die Menschen einsetzte, wurde ich von der Kirche zurückgepfiffen, weil die Verantwortlichen es nicht mit staatlichen Stellen verderben wollen!“

Man kann ihm da nur sagen: „Aber die Sache darf man doch nicht aufgeben, trotz aller schlechten Erfahrungen mit der Kirche als Organisation!“ Dem stimmte er zu, aber zum Gottesdienst geht er nicht mehr und in der Gemeinde engagiert er sich nicht mehr.

Wenn der heutige Sonntag unter dem Stichwort „Die große Krankenheilung“ steht, dann geht es nicht nur um unsere persönliche Heilung an Leib und Seele. Diese ist auch wichtig. Aber sie ist nicht allein die Sache der Ärzte, jener „Halbgötter in Weiß“, sondern Sache des wahren Gottes. Es geht aber auch um die Heilung der Kirche. So wie wir persönlich für uns hoffen dürfen, so ist auch die Kirche noch nicht verloren, weil Gott in ihr trotz allem lebendig ist.

 

 

Apg 16, 9 - 15 (Sexagesimä):

In einer Tageszeitung lag eine Anzeige bei, die das Buch „Kraft zum Leben“ anpries. Auch auf großflächigen Plakaten wurde dazu aufgefordert, sich kostenlos dieses Buch kommen zu lassen. Geldgeber ist ein Amerikaner, der ganz konservativen Kreisen angehört. Man kann sagen: Das sind christliche Fundamentalisten, die die Bibel wörtlich verstehen und diese enge Auslegung als Maßstab für das Handeln in der heutigen Welt ansehen. Prominente Zeitgenossen wie den Sänger Cliff Richard, die Schauspielerin Jutta Speidel und den Golfspieler Bernhard Langer haben sie gewonnen, um für ihr Buch zu werben. Ihr Angebot klingt ja auch durchaus christlich, da kann man sich leicht blenden lassen. Aber in Wirklichkeit sind diese Leute rechtsradikal, fremdenfeindlich,        

Der Vorgang zeigt aber: Religiosität ist ein Bedürfnis unsrer Zeit, wenn auch nicht unbedingt Religiosität in Form des Christentums. Da befassen sich Menschen mit fernöstlicher Religion, mit Buddhismus, Ayurveda und Feng Shui. Der Islam übt eine große Anziehungskraft aus, gar mancher bei uns ist zu dieser Religion übergetreten, obwohl sie doch gar nicht bodenständig ist. Die Palette geht hin bis zum Satanskult, dem junge Menschen anhängen und der manche bis in die Kriminalität geführt hat. Wie soll sich der christliche Glaube in dieser Umwelt behaupten? Er darf doch nicht dem Wirtschaftsgesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen werden. Ein Witzbold hat ja einmal behauptet, die Kirche gebe Antworten auf Fragen, die kein Mensch stellt.

So ganz unrecht hat er damit gar nicht einmal. Der selbstgerechte Sünder weiß nämlich gar nicht, daß er die Vergebung braucht. Aber man sollte auch nicht versuchen, ihm dieses Gefühl einzubleuen, indem man ihm kräftig mit der Hölle und anderem einheizt, wie das leider auch christliche Gruppen tun. Erst der, dem Gott aufgegangen ist, erkennt seine Lage.

Doch es geht nicht darum, daß einer ein „Bedürfnis“ nach Glauben entwickelt oder daß wir dieses Bedürfnis erst durch Werbung hervorrufen müßten. Vielmehr sieht Gott, wo Hilfe nötig ist und setzt seine Leute entsprechend ein. Dabei will er auch zu uns kommen und erwartet von uns eine offene Tür, ein offenes Herz und ein offenes Haus.

 

1. Offene Tür:

 Eine offene Tür fanden Paulus und die anderen Apostel in jener Zeit vor. Die Menschen waren erfüllt von einer religiösen Sehnsucht. Religion ist wahrscheinlich ein Grundbedürfnis des Menschen: Er will wissen, was der Sinn des Lebens ist und wie es nach diesem Leben weitergehen soll, nach welchen Regeln er sein Leben ausrichten soll und wie er mit Krisen in seinem Leben fertig werden kann.

Allerdings bleibt Gott auf diesem Weg immer der Handelnde. Nicht menschliche Missionsprogramme bestimmen den Gang der Kirchengeschichte, sondern Gottes Plan. So wird Paulus gehindert, den Weg nach Asien und zum Schwarzen Meer einzuschlagen. Stattdessen erscheint ihm in der Nacht ein Mann aus Mazedonien und ruft: „Komm herüber und hilf uns!“

Es muß nicht immer ein Traum sein, durch den Gott den Weg zeigt. Nach einer Bibelhandschrift haben die Apostel auch durchaus ganz nüchtern überlegt, wie es weitergehen soll. Die Leitung durch Gottes Geist schließt nicht aus, daß man die anstehenden Fragen auch ganz menschlich durchdenkt. Gott leitet nicht dadurch, daß er ein übernatürliches Signal gibt. Wir müssen bei fälligen Entscheidungen nicht immer auf ein äußeres Zeichen warten, unsere eigenen Überlegungen sind dabei durchaus gefragt.

Auch in unserem persönlichen Leben läuft nicht immer alles so ab, wie wir uns das gewünscht haben. Es ist schon erforderlich, daß wir uns in den Plan Gottes mit uns einfügen. Aber wir werden auf eigenwillige Pläne verzichten müssen und auch einmal warten, bis wir Klarheit gewinnen.

Pläne gehören mit zu unserem Leben, zum Beispiel wenn wir einen Urlaub vorbereiten. Manchmal sind das Planen und die Vorfreude sogar so viel wie die eigentliche Ausführung. Aber auch wenn man schon fertig ist zur Abreise, kann noch etwas dazwischen kommen, weil einer krank wurde oder der Gastgeber noch absagte. Manche Pläne lassen sich eben nicht verwirklichen, und damit müssen wir eben fertig werden.

Man kann nicht eine Tür einrennen, die Gott zugeschlossen hat. Aber wenn Gott Wege verlegt, dann zeigt er anderwärts neue Wege. Auf unsrem Lebensweg stehen wir manchmal vor einem Stoppschild. Aber dann wird uns plötzlich ein Ziel vor Augen gestellt, mit dem wir gar nicht gerechnet hatten. Das mag uns ein starker Trost sein, wenn einmal einer unsrer Pläne gescheitert ist. Es gilt nur, ein offenes Herz für das Handeln Gottes zu behalten.

 

2. Offenes Herz:

Das offene Herz hat Paulus auch in Philippi gefunden. Seine Anfänge dort waren aber durchaus bescheiden, ein paar Tage passiert überhaupt nichts. Aber das macht nichts, Gott wird schon Mittel und Wege finden. Die Apostel werden auch nur das Wort einsetzen können, die gute Nachricht von Jesus Christus. Aber anders will der Glaube gar nicht geltend und verbreitet werden.

Aber so beginnt die Kirchengeschichte Europas, eine Sternstunde auch unsrer Geschichte. Was wäre wohl geworden, wenn Paulus ein Afrikaner erschienen wäre? Dann hätte es wohl kein „christliches Abendland“ gegeben, also unsere europäische Kultur, die fast den ganzen Erdball ergriffen hat. So aber war es Gottes Wille, daß zunächst Europa die frohe Botschaft erhalten sollte. Was wäre, wenn wir ohne sie hätten auskommen müssen?

Sicherlich gibt es auch viele dunkle Seiten auf dem Weg des Christentums durch Europa: Zwangsbekehrung, Glaubenskriege, Unterdrückung, Anhäufung von Reichtum, Zusammenarbeit mit den Herrschenden. Aber es gab auch viel Positives: Predigt, aufopferungsvolle Liebe, kulturelle und wissenschaftliche Leistungen. Da ist doch vieles eingesickert in den Boden unserer Geschichte, in unsere Sitte und Kultur, das uns prägt, ob wir es wissen oder nicht.

Wir haben es leichter, zum Glauben zu finden, wenn unsre Gesellschaft vom Christentum geprägt ist und zumindest ihm nicht feindlich gegenüber steht. Es ist hilfreich, wenn in der Schule Religionsunterricht ist und Rundfunk und Fernsehen Gottesdienste übertragen. Doch es gibt auch bei uns Abbau christlicher Sitte und Lebensart. Den Zerfall der Volkskirche wird man nicht auf die leichte Schulter nehmen dürfen.

Zu Zeiten des Paulus gab es diesen Hintergrund noch nicht. Philippi war eine Weltstadt, gegründet vom Vater Alexanders des Großen. Hier fanden die Mörder Cäsars ihr Ende. Verdiente Krieger wurden hier angesiedelt. Es war eine Stadt, in der Männer Geschichte machten.

Gott aber fängt nicht im Zentrum der Stadt an, sondern an ihrem Rande. Er fängt an mit ein paar Frauen. Die Männer kamen offenbar nicht zum Gottesdienst, so wie sie heute auch in der Minderheit sind. Wir werden heute sagen: Da sieht man einmal, daß Frauen viel klüger sind als Männer. Aber damals war das eher ein Zeichen dafür, wie unscheinbar sich das alles zutrug.

Gott will aber niemanden listig vereinnahmen oder drohend einschüchtern und allen Widerstand brechen. Gott sucht auch nicht bloß den Verstand, sondern unser Herz. Nicht die hochtrabende Predigt, nicht der gelehrte Vortrag sind erforderlich, sondern das schlichte Zeugnis. Gott will unser freies Ja, die freiwillige Übergabe, daß wir ihn wirklich liebgewinnen.

Die Purpurhändlerin Lydia ist allerdings schon in gewisser Weise vorbereitet. Sie ist ein „Gottesfürchtige“, die zum jüdischen Gottesdienst geht, aber nicht selber Jüdin ist. Sie hört deshalb interessiert, was Paulus zu sagen hat. Weil Lydia aber ein geöffnetes Herz hat, wird das gepredigte Wort auf einmal interessant und wichtig, es trifft und zündet, so daß man aus einem fröhlichen inneren Muß heraus Antwort gibt. Bei Lydia geschieht das auch in Form der Taufe.

 

3. Offenes Haus:

Lydia hat auf einmal ein offenes Haus. Ein langer Unterricht ist da nicht mehr möglich. Sie fragt die Apostel, ob sie anerkennen können, daß sie an den Herrn glaubt. Und damit beginnt eine große Taufe, die erste christliche Hausgemeinde Europas entsteht. Indem Christus in dieses Haus einzieht, nimmt er auch Wohnung in Europa. Kinder, Enkel, Sklaven und deren Angehörige sind mit dabei. Dabei wird deutlich, daß Gott die Menschen in die Taufe hineinzieht, sogar ehe sie selber davon wußten, wie das bei den Kindern der Fall ist. Er wartet nur darauf, daß man glaubend auf das eingeht, was er zuvor getan hat.

Sie hatten noch keine großartige Kirche und keinen großen Taufstein. Aber darauf kommt es ja auch gar nicht an. Der kleine Kreis, die Hausgemeinde, ist sogar vielfach wieder ein Modell für heute. Eine volle Kirche oder gar ein Kirchentag ist natürlich auch sehr schön. Aber vielleicht lebt es sich doch leichter in kleinen Räumen wie in einem Gemeindehaus oder gar in einer Wohnstube. Hier kann man mehr voneinander wissen und einander mehr sein als in einer volkskirchlichen Großgemeinde. Das ist ja das, was Sekten und Freikirchen oft so anziehend macht.

Aber es gibt auch die anderen, die mehr die Anonymität suchen, die mehr unverbindlich die Kirche besuchen möchten. Das muß ja nicht heißen, daß sie nicht auch Suchende wären und sich von dem Gehörten anrühren ließen. Die Kirche ist für vieles offen und macht unterschiedliche Angebote. Entscheidend ist immer, ob Gott uns ganz von innen her gewinnen kann, ob er auch bei uns ein Zuhause finden kann, heute und in Zukunft. Er wirbt um unser Herz und wird es am Ende aufschließen. Er wartet auf die offene Tür, das offene Herz und das offene Haus.

 

 

Apg 16, 23 - 34 (Kantate):

[Vorspann vor der Textlesung: Nachdem Paulus und Silas in Philippi auf Befehl des höchsten römischen Beamten ausgepeitscht worden waren, warf man sie ins Gefängnis]

Wir hören und lesen täglich von schweren Unglücksfällen und bedrohlichen Situationen für Menschen: Ein Flugzeugabsturz, ein Brandunglück, kriegerische Verwicklungen. Wir erfahren von Menschen, die gefoltert werden oder in Lager gesteckt werden. Ob die Betroffenen wohl in dieser Situation beten werden? Wir sagen ja: „Not lehrt beten!“ Vielleicht lernt man es erst in einer solchen Lage richtig.

Aber wir können uns doch kaum vorstellen, daß man in einer solchen Gefahr auch noch Gott lobt. Genau das aber wird vor Paulus und Silas berichtet, als sie in Philippi im Gefängnis sitzen. Ihre Füße sind in den Block gelegt und am nächsten Tag werden sie vielleicht zum Tode verurteilt. Ihrem Wirken ist zunächst einmal ein Ende gesetzt. Wo Gott seine Macht erweist, da ist auch der Widersacher immer gleich da.

Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Einige Leute waren schon für das Christentum gewonnen. Aber sie werden kaum das Zeug haben, das Evangelium weiterzuverbreiten. Was eben erst zu keimen begonnen hat, erstickt schon wieder. Was werden wohl die denken, die vielleicht schon die Absicht hatten, sich taufen zu lassen? Sie müssen doch denken: Dieser Christus läßt wohl seine Leute im Stich, die Überbringer der „guten Nachricht“ werden brutal mißhandelt und die Sache wird sich nicht lange halten können. Das ist keine gute Reklame für den neuen Glauben.

So geht es den Kindern, die wegen des Besuchs von kirchlichen Veranstaltungen ausgelacht werden. Da sagen die anderen in der Klasse: „Wer da hingeht, der ist doch dumm!“ Wer ein bißchen empfindlich ist, wird sich das nicht gern sagen lassen wollen. Dann geht er nicht mehr hin, um nicht ausgelacht zu werden. Man läßt sich nicht so gern auf eine Sache ein, bei der man von vornherein sieht: Man wird äußerlich betrachtet nur Nachteile davon haben1

Auch die Erwachsenen rechnen sich aus: Du könntest Nachteile im Beruf haben! Oder zumindest könntest du Vorteile haben, wenn du dich von der Kirche trennst. Weshalb sich Unannehmlichkeiten machen, wenn man es leichter haben kann; es ist doch immer einfacher, mit dem Strom zu schwimmen.

Die Geschichte von Beten und Singen der Apostel will uns helfen, von dem Starren auf die Nöte des Augenblicks frei zu werden. Es ist nicht gut, wenn man klagt: „Ich bin doch für Gottes Sache eingetreten und jetzt geht es mir gerade deswegen zu schlecht!“ Paulus und Silas quälen sich nicht mit Gedanken über ihre ausweglose Lage. Sie jammern nicht und machen Gott keine Vorwürfe.

Das ist so unsre Art, wenn einmal etwas nicht nach unsren Wünschen läuft. Aber Grund zum Klagen hätten eher die Apostel gehabt. Wir haben es heute leicht, Loblieder zu singen. Wir haben den Sonntag „Kantate“, da ist das dran. Aber wenn man im Gefängnis Loblieder anstimmen soll, dann scheint das doch so unbegründet und sinnlos zu sein wie nur möglich.

Aber diese Männer können das, weil sie vorwärts schauen auf das Ziel der Wege Gottes. Sie wissen: „Was jetzt geschieht, ist nur vorläufig. Gott hat noch mehr mit uns vor!“ Und diese künftigen Taten Gottes preisen sie. Mitten im Leiden vertrauen sie ihren Lebensweg ihrem Gott an und stellen ihm die Zukunft anheim.

Aber das war öfters so in der Geschichte der Kirche. Gerade in Verfolgungszeiten ist das Gott gewachsen. Wir singen heute nach dem Vaterunser den Lobpreis: „.....denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!“ Dieses Bekenntnis hat sich gerade in einer Zeit in der Kirche durchgesetzt, als die Verfolgungen begannen und immer schärfer wurden. Man hat damit doch sicher ausdrücken wollen: „Trotz allem - unserm Gott ist das Reich in alle Ewigkeit!“

Diese Gewißheit werden wir aber nur erlangen, wenn wir fest an der Sitte des Gebets und des Lobpreises festhalten. Das tägliche Gebetsläuten will uns daran erinnern. Das regelmäßige Gebet sollte uns keine Last sein. Je sorgfältiger wir an ihm festhalten, desto mehr wird es uns helfen. Wer nur auf den Augenblick wartet, wo er einmal Lust zum Beten hat, der lernt es nie.

Wir brauchen auch etwas Ordnung und Einübung. Die Gewöhnung wird uns dann auch tragen und über Krisen hinweghelfen. Woran sich die Gemeinde in vielen Jahrhunderten gehalten hat, das ist auch uns in der Stunde den möglichen Schwachwerdens eine Hilfe. Deshalb sollten wir auf die altvertrauten Gebete und Lieder zurückgreifen. Damit stellen wir uns in die Gemeinde der Beter und werden von ihr mitgetragen, weil unser Ruf tausendfach verstärkt wird. Dadurch erwacht auch oft die innere Bereitschaft zum Beten; was zunächst nur Formsache und Gewöhnung war, wird zur Herzenssache.

Wer betet und Gott lobt, der gibt damit zu erkennen, daß er auch in einer ausweglosen Lage eine Hilfe und einen Halt hat. Äußerlich gesehen mag es vielleicht nicht viel anders werden. Ein Christ hat es genauso schwer wie andere Leute auch. Und die Striemen von den Peitschen haben die Apostel nicht weniger geschmerzt als bei anderen Leuten.

Aber sie hatten einen Punkt außerhalb, an den sie sich halten konnten und vom dem Kräfte bis ins Gefängnis hineinreichten. Sie wußten genau, daß Christus auch diese Situation fest in der Hand hat. Und sie wußten: das augenblickliche Leid, alle Demütigungen und Schmerzen, aller Jammer und alle Not, gehören mit zu der Führung Christi. Aber sie sind nicht unabänderlich, sondern werden überboten durch eine große Hoffnung.

Ja, Loblieder waren im Gefängnis von Philippi sicher etwas Neues. Aber für viele Christen in ähnlicher Lage ist diese Geschichte zum Vorbild geworden. Wer so betet und lobt, der ist gewiß, daß der lebendige Herr zu seiner Stunde seine Sache weiterführen wird. Auch in den Konzentrationslagern haben die Christen gesungen und gebetet und sogar das Abendmahl gefeiert. Dietrich Bonhoeffer hat im Gefängnis Gedichte und Lieder geschrieben.

So etwas hat natürlich auch seine Ausstrahlungskraft auf die anderen, die es hören. Selbst wenn man die Boten Gottes hindern will, können sie noch wirken, wenn Gott es will. Im Ge­genteil: Auf diese Art und Weise haben sie Menschen erreicht, zu denen sie sonst nie gekommen wären. Auch im Gefängnis soll man doch von Gott hören. Und das Lob Gottes wird vielleicht gerade dort am glaubhaftesten gesungen, wo es aus der Tiefe kommt.

Für Paulus und Silas tun sich hier im Gefängnis Türen auf, nicht nur im wörtlichen Sinne, sondern auch die Türen zu den Herzen der Menschen. Der Erste, bei dem das deutlich wird, ist der Gefängnisaufseher. Der möchte auf einmal auch zu diesen Männern gehören, die im Gefängnis ihren Gott loben und dann noch die anderen Gefangenen von der Flucht abhalten. Sie haben ihm ja das Leben gerettet, denn wenn nur e i n Gefangener gefehlt hätte, wäre es ihm an den Kragen gegangen. So aber ist er durch das Bekenntnis und das Handeln der Apostel mit Gott zusammengebracht worden.

Der Gott dieser Männer hat aber auch zu erkennen gegeben, daß seine Boten nicht festgehalten werden sollen. Die Missionierung Europas kommt in Philippi nicht zum Stillstand, sondern beginnt erst richtig. Auch das innerste Gefängnis ist ihm nicht zu fest verschlossen,

der lebendige Herr setzt sich doch durch: Er gibt offene Türen auch zu den Herzen der Menschen.

Das Erdbeben war ja nur ein kleines Wunder. Es ist gar nicht gesagt, daß es postwendend auf das Gebet der Apostel folgte. Sie werden nur die üblichen Gebete gesprochen haben und gar nicht um ihre Befreiung gebetet haben. Aber natürlich besteht hier doch ein Zusammenhang: Wer so betet und lobt, der ist gewiß, daß der lebendige Herr schon die Seinen erretten wird und ihnen einen neuen Auftrag gibt.

Das große Wunder aber kam erst noch: Eine ganze Familie wurde getauft! Es sieht so aus, als habe Gott das alles nur inszeniert, weil er am Ende mit dieser Familie ans Ziel kommt. Das mag uns ein ziemlich kompliziertes und umständliches Vorspiel sein. Aber billiger ging es offenbar nicht.

Soviel ist also ein Mensch bei Gott wert: Er scheut keine Umwege, bringt viele Opfer, setzt manches in Bewegung und bahnt sich mühsam den Weg zu diesen Menschen. Es muß nicht in jedem Fall zu um jeden Einzelnen gekämpft werden. Aber vielleicht könnten wir doch einmal voller Dankbarkeit erkennen, was Gott alles aufgeboten hat, um u n s zu gewinnen, wie viele Menschen dafür nötig waren und wie viele Umwege er uns dabei hat fuhren müssen.

Es ist doch nicht so, daß wir nur einfach in diesen Glauben hineingewachsen wären. Einmal hat sich jeder entscheiden müssen, ob er dabeibleibt und ob der Glaube ihm etwas bedeutet.

Mancher hat sicherlich geschwankt und im ersten Augenblick noch nicht gewußt, wie es weitergehen wird. Und auch später kommen immer wieder einmal Zeiten, wo es auf der Kippe steht. Dann kommt es darauf an, daß man in einer Familie und in einer Gemeinde steht, die Rückhalt geben können. Dem Einzelnen wird dadurch die Entscheidung nicht abgenommen; auch bei dem Gefängnisaufseher mußte es erst einmal gezündet haben.

Aber dann hat er seine ganze Familie hinter sich, sind sie eine richtige kleine Gemeinde. Nach der Taufe setzen sie sich an den gedeckten Tisch und haben vielleicht bei dieser Gelegenheit auch das Abendmahl miteinander gefeiert. Mit dem Lobgesang der Gefangenen hatte die Geschichte begonnen, nun endet sie mit dem Jubel des Gefängnisaufseher und seiner Familie.

Sie können sich alle freuen, weil diesen Hause Heil widerfahren ist.

Nicht nur die Apostel wurden in dieser Nacht frei, sondern auch die Wächter. Was zunächst als das Ende erschien, wurde zum neuen Anfang. Der Herr läßt sich eben nicht aufhalten, er ist auferstanden und lebt und wirkt. In dieser Gewißheit will uns der Sonntag „Kantate“ führen. Vielleicht gibt es auch bei uns solche Familien, wo miteinander gebetet und gesungen wird. Dann würden von da aus auch Türe geöffnet werden können und Menschen das Heil in Christus ergreifen.

 

Apg 17,22-34 (Jubilate):

Im Londoner Hydepark gibt es die „Redner-Ecke“, wo jeder öffentlich seine Ideen vortragen kann. Menschen der verschiedensten Weltanschauungen und politischen Richtungen wollen die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden erreichen und werben um die Zustimmung der Stehengebliebenen. Nachdenkenswertes und weniger Sinnvolles wird nebeneinander geboten. Den Neugierigen bleibt es überlassen, ob sie die vorgetragenen Gedanken beachtenswert oder lächerlich finden.

So kann man auch die Rede des Paulus auf dem Marktplatz in Athen sehen. Hier liegt eine typische Predigt vor, die sich an Menschen, richtet die vorher keine Juden waren. Die Eigen­art der Stadt Athen ist gut eingefangen: Die vielen Tempel und Götterbilder, die besondere Frömmigkeit der Athener, ihre Neugier, die vielen Philosophenschulen, der Marktplatz, auf dem man gelehrte Unterhaltungen pflegte. Selbst der Altar des unbekannten Gottes wird in der Literatur erwähnt, auch wenn man keinen solchen Altar gefunden hat.

Doch was Lukas hier den Paulus sagen läßt, erinnert sehr an philosophische Gedanken der Griechen: In Gott leben, weben und sind wir! Wir sind nicht außerhalb des Göttlichen angesiedelt! Die Vernunft ist das Göttliche im Menschen! Der Göttervater Zeus hat aus einem Menschen die ganze Menschheit gemacht! Selbst die Kritik an der Verehrung der Götterbilder kann man bei griechischen Philosophen finden. Hat Lukas hier nicht einfach die Griechen in ihrem Denken bestätigt?  Christlich ist an sich nur der Schluß der Rede.

Das ist auch heute noch die Frage, wenn wir Menschen für Christus gewinnen wollen. Die Werbefachleute raten der Kirche ja, sie solle die Schwelle für den Zugang möglichst niedrig ansetzen. Nur wenn man eine einfache Lehre hat und nicht zu hohe Forderungen stellt, würde man Anhänger gewinnen. Das sagt man ja auch den politischen Parteien: Nur nicht zu viel vorher festlegen, möglichst allgemein reden, Probleme aussitzen, erst einmal die Umfragen abwarten und sich dann anschließen.

Für die Kirche gilt auch, daß sie die Menschen dort abholen muß, wo sie sind. Mit Kindern müssen wir anders reden als mit Erwachsenen. In der Familie herrscht ein anderer Ton als unter Freunden. Und mit Kranken unterhalten wir uns über andere Dinge als wir es mit Gesunden tun.

Wir können auch nicht mehr voraussetzen, daß Kinder biblische Geschichten kennen. Kirchliche Lehren sind heutzutage kein Allgemeingut. Nicht selten passiert es, daß ein neugieriger Dreikäsehoch durch die offenstehende Kirchentür kommt und verwundert fragt, warum der Mann da vorn am Kreuz hängt. Das ist der Sohn Gottes? Wer ist Gott? Ich kenne ihn nicht. Wo wohnt er? Man muß ihn doch sehen können, wenn es ihn gibt!

Sicherlich muß man da vorsichtig beginnen. Mit der kleinen Enkelin kann man vielleicht ein Weihnachtslied singen. Und dann sagt sie: „Ich will noch einmal mir dir das Lied von dem Vater im Himmel singen!“ Aus dem Lied „Ihr Kinderlein kommet“ hat sie sich besonders dieses Stichwort gemerkt. Sie wird noch nicht wissen, wer der „Vater im Himmel“. Aber eines Tages wird sie danach fragen; und dann gilt es, kindgemäß zu antworten.

Wenn die Kinder größer sind und in die Schule kommen, sollten sie nicht nur Lesen und Rechnen lernen, sondern auch biblische Geschichten und Lieder. In Israel ist das so geregelt: Da müssen alle Schüler die Tradition des Volkes kennen lernen, egal ob sie gläubig sind oder nicht. Da lesen sie die Bücher, die wir als Altes Testament kennen. Auch die arabischen Kinder sind daran beteiligt, denn sie sind ja Staatsbürger und müssen die Geschichte und die Kultur ihres Landes kennen.

Das wäre auch für uns richtig. Wir brauchen nicht unbedingt einen konfessionellen Unterricht -  den kann dann die jeweilige Kirche leisten. Aber es muß dann in der Schule auch einen Religionsunterricht geben, der sich nicht nur mit „Fremdreligionen“ beschäftigt, sondern möglichst breit die Bibel und die Kirche von heute behandelt.

Die Kirche kann sich nichts von ihrer Botschaft abmarkten lassen, schon weil Gott das von ihr verlangt. Und vielleicht wird die Botschaft gerade deshalb so interessant, weil sie Ecken und Kanten hat, weil sie neugierig macht. Gerade das Außergewöhnliche ist oft anziehend für die Menschen.

In der Rede auf dem Marktplatz von Athen wird in diesem Sinne vorgegangen: Der Redner umkreist den Hörer zunächst in weitem Bogen. Aber von Vers zu Vers erkennt man, daß er nicht eine Kreislinie beschreibt, sondern eine sich immer mehr verengende Spirale. Immer weniger kann der Hörer in die Unverbindlichkeit ausweichen. Was zunächst heidnisch klang, ist christlich gemeint. Immer mehr treibt die Predigt auf den Gott zu, der Jesus zur Schlüsselfigur seiner Botschaft gemacht hat. Aber das Ende war damals der Spott der Zuhörer. Paulus hatte es so geschickt angefangen, aber schließlich doch nichts erreicht („am Ende des Tages“, wie man heute sagt).

 

1. Wir haben es schon immer mit ihm zu tun:

Der Theologe Dietrich Bonhoeffer sah in der Zeit der Naziherrschaft ein „religionsloses Zeitalter“ heraufkommen. Das ist nicht unbedingt so gekommen: Es gibt in unserer Zeit sehr viel Religion, aber nicht unbedingt die christliche Religion. Viele Menschen suchen sich etwas anderes oder basteln sich selber etwas zusammen. Heidentum hat heute ein anderes Gesicht. Altäre errichten wir nicht mehr. Was sollen auch die vielen Altäre, wenn Gott nicht in ihnen ist. Gott gleicht keinem der Bilder, die Menschen von ihm gemacht haben.

Uns geht es auch oft so wie den Athenern: Sie verehren viele Götter, aber sie bekommen keine richtig zu fassen. Deshalb haben sie dem unbekannten Gott noch einen Altar errichtet. Man kann ja nie wissen! Doch diese Einstellung ist auch uns nicht fremd: Im Alltag leben wir oft so, als ob es Gott nicht gäbe. Aber für den Notfall soll er doch da sein, damit man ihn aus der Ecke herausholen kann. Aber dann muß er auch wirklich helfen, sonst ist er ein nutzloser Gott. Auch wir haben unsere selbstgemachten Götter oder fürchten wie damals die Menschen  „namenlose Götter“ wie Sorge um das Einkommen oder die Gesundheit. Luther hat es ja so ausgedrückt: „Woran du dein Herz hängst und worauf du dich verläßt, das ist eigentlich dein Gott!“

 

2. Wir haben ihm alles zu verdanken:

Aller menschliche Kult will der Gottheit etwas bringen, um sie damit gnädig zu stimmen. Aber unserem Gott können wir nur uns selber ganz und gar bringen, aber nachdem wir selbst alles von ihm empfangen haben. Gott braucht uns nicht. Aber er w i l l uns!

Doch wir leben schon immer aus seiner Hand. Das will auch die Geschichte vom kleinen Fisch Emil sagen. Er hatte von irgendwoher gehört, daß Fische Wasser zum Leben brauchen. Da er aber noch nie Wasser gesehen hatte, wollte er aufbrechen und das Wasser suchen, von dem die Leute erzählten, daß es zum Leben notwendig sei. Da fragt er seine Freunde, was denn Wasser sei.

Die Kaulquappe sagt nur: „Hier gibt es Steine und Muscheln, grüne und blaue Algen, aber Wasser habe ich hier mein Lebtag noch nicht gesehen“. Der Wels sagt: „Das Wasser ist vor dir!“ Aber Emil widerspricht ihm: „Vor mir ist doch nichts, da bist nur du!“ Da gibt ihm der Wels den Rat, doch einmal zu dem großen Wal zu schwimmen. Dieser sah ihn schon kommen und sagte: „Du bist Emil, der kleine Fisch, der das Wasser sucht? Ich bin Juno, der Wal. Leg dich auf meinen Rücken. Ich werde dir zeigen, wie notwendig das Wasser ist.

Der Fisch tat, wie ihm geheißen, und der Wal stieg immer höher, bis er schließlich aufgetaucht war und wie ein Berg aus dem Wasser ragte. Dann blieb er liegen und rührte sich nicht. Der kleine Emil zappelte auf dem Rücken des Wals. „O, wenn ich doch im Wasser geblieben wäre!“ zuckte es ihm durch seinen kleinen Fischkopf. Als er wieder zu sich kam, lag er auf dem Meeresgrund neben dem Wal. „Na, weißt du jetzt, wo das Wasser ist, das die Fische so notwendig zum Leben brauchen?“ - „Das Wasser, das ich so lange gesucht habe, hat mich immer umgeben“, sagte Emil verschämt.

So sieht man auch Gott nicht, und doch brauchen wir ihn wie die Luft zum Atmen, wie der Fisch das Wasser. Er ist es doch, der allen Menschen das Leben gibt und sie atmen läßt. Er ist uns immer schon voraus, wir haben es schon immer mit ihm zu tun. Aber er ist uns allen auch ganz nahe, näher als die Haut. Da gibt es kein Sich-Entziehen. Von allen Seiten umgibt uns Gott.

Das schreit geradezu danach, daß man diesen Gott nun auch kennenlernt, mit dem man es schon immer zu tun hat. Es ist nicht das „höchste Sein“, wie ihn die Philosophen beschreiben, sondern er begegnet uns wie eine Person. Die entscheidende Frage ist nicht: „Wie denkst du von Gott?“ Sondern die entscheidende Frage ist: „Was passiert zwischen Gott und dir?“

 

3. Wir werden uns ihm zu stellen haben

Paulus ist nicht gekommen, um seine Meinung unverbindlich zu diskutieren und seine Privatmeinung vorzubringen. Gottes Anspruch ist allumfassend. Er gebietet den Menschen, daß alle an allen Enden ihr Leben ändern. In dem Augenblick, in dem man es mit Gott zu tun bekommt, muß man ein neues Leben beginnen. .Gott läßt sich nicht anschauen wie ein Gemälde. Er kommt auf uns zu, er will etwas von uns.

Damit ist es aus mit dem Gott, über den es sich im Hörsaal oder am runden Tisch in Ruhe diskutieren läßt. Aus ist es mit der „Kanzelrede“, die im Unverbindlichen bleibt. Aber alles, was in Athen und anderswo verkündet wurde und verkündigt wird, zielt auf das Evangelium von Jesus Christus. Gott will, daß seine Menschen durch Christus zu ihm finden.

 

 

 

Römer

 

 

Röm 1,14 – 17 (3. Sonntag nach Epiphanias):

Es ist nicht schön, wenn man Schulden hat. Man muß ja immer damit rechnen, irgendwo dem Gläubiger zu begegnen und zur Rechenschaft gezogen zu werden. Das ist uns unangenehm und kann vielleicht sogar auch gefährlich werden. Deshalb möchten wir dem lieber aus dem Weg gehen. Nun sagt Paulus aber hier: „Ich bin ein Schuldner gegenüber den Griechen und den Nichtgriechen!“ Er hat etwas erhalten, das er den anderen weitergeben soll: Er ist ihnen das Evangelium schuldig, das Gott ihm anvertraut hat.

Haben wir des vielleicht auch schon einmal so gesehen? Uns ist doch auch dieses Evangelium anvertraut. Wir sind doch getauft und konfirmiert. Aber mancher denkt, damit habe er nun seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Doch eigentlich geht es dann erst richtig los. Jetzt ist man doch erst eigentlich befähigt, das Evangelium unter die Leute zu bringen.

Da sind zunächst die nichtkonfirmierten Gemeindeglieder, an denen wir eine Aufgabe haben. Was haben sie denn von ihrer Taufe, wenn nachher nichts mehr erfolgt? Es ist doch schade, wenn man ein Geschenk achtlos in der Ecke stehenläßt. Vielleicht muß man erst durch einen anderen darauf gebracht werden, daß es doch etwas Wertvolles ist.

Da sind aber auch die Leute außerhalb der Gemeinde, die manchmal durchaus offen sind für Fragen des christlichen Glaubens. Da müssen dann Christen da sein, die ihnen das Evangelium verständlich nahebringen können. Aber dazu muß man wieder Bescheid wissen und sich in Glauben fortbilden lassen.

Allen sind wir das Evangelium schuldig: den Religiösen und den Nichtreligiösen, den Kirchlichen und den Nichtkirchlichen, den Suchenden und den Satten, den Idealisten und den Nihilisten. Wenn wir ihnen nichts abgeben von unserem Reichtum, dann karr es sein, daß sie uns einst unsere Schulden vorrechnen.

Hier wird deutlich, welche Verantwortung die Eltern gegenüber ihren Kindern haben oder auch umgedreht: die Kinder gegenüber den Eltern. Denn manchmal haben die Kinder mehr Verständnis als die Erwachsenen und können ihren Eltern im Glauben noch ein Vorbild sein.

In gleicher Weise haben aber auch die Frauen Verantwortung für ihre Männer und die Kirchentreuen für die sogenannten „Randsiedler“. Wie wichtig wäre hier auch ein Besuchsdienst, bei dem sich die Gemeinde um alle kümmert, auch um die Fernstehenden: Alle brauchen sie denselben Christus!

Dennoch hat Paulus jeder Menschengruppe dieses Evangelium anders verdolmetscht, wie sie es eben verstehen konnten. Zu Juden konnte er anders reden als zu Griechen. Auch heute kann man zu konfirmierten Gemeindegliedern anders reden als zu Atheisten.

Aber man muß darauf achten, möglichst allen etwas mitzugeben. Auch hier im Gottesdienst sitzen ja Menschen aus den verschiedensten Berufen, Alte und Junge, Männer und Frauen,

Menschen des praktischen Lebens und Menschen, die zur sogenannten „Intelligenz“ gerechnet werden. Alle haben sie Platz in diesem Gottesdienst.

Nur darf diese Aufteilung in Gruppen nicht zu einer Spaltung in der Gemeinde führen. Wenn einmal etwas gemacht wird, was hoffentlich mehr der Jugend entgegenkommt, dann sollten die anderen nicht gleich schimpfen. Die Jugendlichen machen ja sonst auch das mit, was viele andere besser anspricht als sie. Die Hauptsache ist doch, daß alle etwas aus dem Gottesdienst mitnehmen.

Dazu gehört aber auch, daß wir uns nicht nur hier innerhalb der Kirchenmauern zum Evangelium bekennen, sondern überall, wo wir gerade gehen und stehen. Es genügt nicht, wenn w i r selig werden und die anderer zugrunde gehen lassen. Paulus hat ja auch nicht gemeint, mit einem solchen Glauben könne man sich vor der Welt nicht sehen lassen. Man hat ihm offenbar vorgeworfen, er wage sich mit seiner Botschaft nicht in die Welthauptstadt Rom.

Nun war Paulus wohl kein großer Redner. Aber wer vor uns ist das schon. Aber er sagt: „Ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht!“ Weil er vor dieser Sache überzeugt ist, kann er auch reden.

Sicherlich war es auch damals nicht leicht, sich zu einem Gekreuzigten zu bekennen. Man konnte leicht deswegen ausgelacht werden oder sogar mit dem Leben bedroht werden.

Auch wir dürfen dankbar sein, daß sich immer wieder Menschen zu diesem Jesus Christus bekennen.

In der damaligen DDR wurde ja das Christentum in der Schule aktiv bekämpft. Da wurde zum Beispiel gefragt, wer alles konfirmiert sei. Die ganze Klasse stand auf, auch die Nichtkonfirmierten. Die nächste Frage war, ob sie sich denn auch heute würden konfirmieren lassen. Wieder haben sich alle gemeldet. Dann wurde einer einzeln vorgenommen. Und auch er sagte: „Ich bin zwar noch nicht in allem so sicher, aber mit der anderen Hälfte glaube ich daran!“ Und das waren Schüler, die durchaus etwas zu verlieren hatten, wenn sie so mutig sprachen. Sie haben nicht nur hier im Gottesdienst das Glaubensbekenntnis mitgesprochen, sondern haben sich auch in der Schule dazu bekannt. Vielleicht hat sie nur ihre Einmütigkeit gerettet. Oder war es vielleicht doch Gottes Hilfe, daß ihren nichts geschah?

Es braucht sich keiner wegen dieses Christus zu schämen, denn das Evangelium ist eine Kraft, die von Gott kommt. Dieses Wort Gottes kann Menschen rufen und in Dienst stellen,

von denen man es nicht erwartet hätte und die selbst auch nicht damit gerechnet haben. Es kann entlasten und frei machen zu einem neuen Anfang.

Wie oft versagen wir doch und müssen neu anfangen. Gott macht uns dazu immer wieder Mut. Damit wir aber auch eine sichtbare Stütze für dieses Wort haben, ist uns das Abendmahl gegeben. Bei einem Wort könnte man immer noch sagen: „Es ist ja n u r ein Wort!“ Beim Abendmahl aber passiert etwas, da kann man etwas sehen und schmecken, da ist das Glauben leichter.

Gott will uns hier seine Kraft mitteilen. Sie soll durch durchs uns hindurchgehen wie ein elek­trischer Strom. Und wir sollen sie weiterleiten zu anderen Menschen. So wie unsere Erde vor einem Netz von Kraftwerker und Leitungen umspannt ist, so reicht auch die Kraft des Evangeliums in die entferntesten Winkel. Vor allem hier will sie uns erreichen und zum Bekenntnis und zum Weitersagen stärken.

Das Evangelium will uns aber auch frei machen von dem Vertrauen auf die eigene Leistung. Paulus sagt: „Es gibt nur die Gerechtigkeit, die Gott uns schenkt!“ Wie oft wollen wir allein recht haben und verteidigen uns zäh. Wie oft verurteilen wir andere und zeigen ihr Versagen auf. Wir fliehen vor der Stille, in der sich das Gewisser melden könnte. Mancher betäubt sich auch mit Alkohol oder ähnlichem oder läßt sich durch Bild und Ton überfüttern.

Mancher meint Erfüllung zu finden in seiner Arbeit, auch wenn er sich in Wahrheit kaputtmacht. Oder er beteuert, daß er ja nur für seine Kinder lebe und ihnen alles verschaffe. Aber im Grunde steht dahinter ein fürchterlicher Zwang, immer mehr leisten zu müssen, der einen Menschen fertigmacht.

Bei Gott gelten andere Maßstäbe. Er gibt uns das Abendmahl, ohne daß wir etwas geleistet hätten. Dadurch werden wir wieder seelisch entlastet und können wieder unverkrampft leben.

Wenn wir Gott alles zutrauen, dürfen wir auch fröhlich sein und werden Gott gefallen. Das Evangelium Gottes, seine gute Botschaft, macht uns zwar schuldig, zu Schuldnern aller Menschen. Aber es macht uns auch frei. Es nimmt uns die Scham und das Gehemmtsein gegenüber anderen Menschen. Und es macht uns frei von dem Zwang, immer etwas leisten zu müssen. Vielleicht sollten wir uns doch weiterhin ernsthaft auf diesen Gott einlassen und von ihm alles erwarten. Er wird uns dann reich beschenken.

           

Röm 2, 1 - 4 (Bußtag, Variante 1):

Wir haben alle das Bestreben, andere Menschen zu kritisieren. Weder denkt natürlich, seine Ansicht sei die richtige. Das ist ganz natürlich und es ist auch das gute Recht eines jeden Einzelnen, daß er seine Meinung vertritt. Ein anderer ist doch immer eine Herausforderung. Wir versuchen ihn bewußt oder unbewußt zu überzeugen und auf unsere Seite herüberzuziehen. Jeder möchte doch gern, daß seine Überzeugungen sich durchsetzen. Es wäre geheuchelt, wenn einer etwas anderes behauptet.

Wenn ich zum Beispiel gegen das Fernsehen bin, dann werde ich doch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit dieses Thema anschneiden und meine Meinung dazu vertreten und die anderer auch zu meiner Meinung bekehren wollen. Natürlich kann ich nur so auftreten, wenn ich selber zuhause dann auch keinen Fernsehapparat habe. Es wird niemandem genommen, gegen eine bestimmte Sache zu Felde zu ziehen; aber dann muß er auch entsprechend leben, sonst wird ihm seine Rede nicht abgenommen.

Das ist ja auch die Schwierigkeit bei einer Predigt. Gar mancher Prediger preist mit warmen Worten seine Glaubensüberzeugungen wie eine gute Limonade an. Aber die Leute fragen sich dann doch: „Trinkt der Mann auf der Kanzel zuhause auch die Limonade selber, die er so lautstark anpreist?“ Das heißt: Lebt er das auch, was er sagt? Und zur Kritik gar hat nur der das Recht, der an sich selber die gleichen strengen Maßstäbe anlegt.

Auf dem Sportplatz ist das ja immer interessant: Die Zuschauer wissen immer alles besser, sie hätten alles richtig gemacht. Aber man müßte einmal sehen, wenn sie selber auf dem Spielfeld stünden. Wenn man schon kritisiert, dann muß man es auch besser machen können.

Deshalb sagt Paulus hier auch: „Jeder, der hier richtet, kann keine Entschuldigung vorbringen. Denn wenn er einen anderen verurteilt, dann verurteilt er sich selber mit. Denn er tut dasselbe, was er an anderen kritisiert. Gott aber wird unparteiisch über jeden ein gerechtes Urteil aussprechen, je nach dem, was er getan hat.

Hier ist sehr gut beobachtet, wie man meist am anderen d i e Punkte tadelt, bei denen man selbst Schwächen hat. Das kann man immer wieder feststellen: Da wirft einer dem anderen Unduldsamkeit vor und dabei ist er selber intolerant. Ein Jähzorniger entdeckt den Jähzorn zuerst bei einem anderen. Und wer einen Angriff plant, der wirft dem anderen Aggressionslust vor. Von einem Krach in der Ehe bis hin zur großen Politik ist es immer dasselbe: Die eigenen Fehler sieht man nicht, aber einen anderen wirft man sie vor. Achten Sie ruhig einmal darauf und sie werden merken, wie oft das stimmt.

Außerdem ist es gut, bei Gerüchten erst einmal alles durch die „drei Siebe“ zu geben, von denen der griechische Philosoph Sokrates erzählt. Zu ihm kam einer gelaufen und war voller Aufregung. „Höre Sokrates, das muß ich dir erzählen, wie dein Freund -.. !“ - „Halt ein?“ unterbrach ihn der Meister: „Hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt?“ - „Drei Siebe?" fragte der andere voller Verwunderung? „Ja, guter Freund, drei Siebe. Laß sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles; was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist?“ - „Nein, ich hörte es erzählen und ...“ - So, so: Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft. Es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst - wenn es nicht als wahr erwiesen ist -, so doch wenigstens gut?“ Zögernd sagte der andere: „Nein, das nicht, im Gegenteil … !“ - „Hm, hm“, unterbrach der Weise, „nun laß uns auch das dritte Sieb noch anwenden und laß uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen; was dich so erregte!“ - „Notwendig nun gerade nicht …!“ - „Also“ lächelte der Weise, „wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr, noch gut, noch notwendig ist, so laß es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit!“

Aber soll das nun heißen, daß man gar nichts mehr am anderen kritisieren darf? In der Erziehung geht es gar nicht ohne Tade1 ab. Kinder oder Schüler müssen merken, was falsch und richtig war, damit sie sich beim nächsten Mal richtig entscheiden. Aber auch sonst ist Kritik an einem anderen Menschen sicher ab und zu einmal nötig. Ja, es wäre manchmal sogar lieblos, wenn man einen anderen nicht auf seine Fehler hinwiese, so daß er sich immer mehr hinein verrennt oder sich vor den anderen lächerlich macht.

Doch in jedem Fall sind wir auch selber angesprochen: Manche Predigten gehen einfach zum Fenster hinaus. Wir hören sie zwar, denken aber dabei: „Wenn doch jetzt der oder jener anwesend, wie gut täte ihm das doch! Dem hätte es der Pfarrer aber heute einmal gegeben!“

Paulus warnt uns hier und fragt: „Meint ihr denn, daß ihr dem Gericht Gottes entgehen werdet?“ Jeder hat selber seine Fehler, und eine Anklage kann leicht zurückkehren wie ein Bumerang. Dann gibt es keine Entschuldigung mehr, obwohl wir uns doch so gern entschuldigen wollen. Gott hat keine besonderen Lieblinge, denen er alles durchgehen läßt, sondern er hat alle Menschen in der gleichen Weise lieb.

Vielleicht gibt es wirklich Unterschiede zwischen den Menschen. Aber ist es etwa unser Verdienst gewesen, wenn Gott von Kindesbeinen hinter uns her gewesen ist? Ist es unser Verdienst, wenn wir uns freuen über Gottes Wort und Sehnsucht haben nach dem Abendmahl? Ist es unser Verdienst, wenn wir uns ein Leben ohne Gebet schon gar nicht mehr vorstellen können?

Nein, das war allein Gottes Güte, auf die wir uns nichts einzubilden brauchen. Genauso ist es Gottes Güte, wenn sein Zorn noch aufgeschoben wird, wenn er uns noch nicht bestraft hat. Aber er verfolgt eine bestimmte Absicht damit: Gottes Güte will uns zur Umkehr führen, er gibt uns noch einmal eine letzte Chance.

Das eigentliche Thema für Buß- und Bettag ist die Güte Gottes. Das ist überraschend, denn eigentlich erwarten wir doch eine Gerichtspredigt an so einem Tag - wenn nicht für uns selber, dann aber doch für die anderen. Aber sagen Sie selbst einmal: „Hat es denn überhaupt einen Sinn, nur Gericht zu predigen? Das geht doch zum einen Ohr hinein und zum anderen hinaus. Da sind wir nämlich sehr harthörig, das läuft an uns ab wie Wasser auf einer Ölhaut. Das Wort „Buße“ ist uns ja so geläufig, daß wir uns gar nicht mehr überlegen, was damit gemeint ist.

Paulus weist uns deshalb auf umgekehrtem Weg auf das Anliegen des Bußtages hin: „Gottes Güte leitet zur Buße!“ Wir denken immer: „Erst Buße tun, dann ist Gott uns gut!“ In Wirklichkeit ist es aber umgedreht: Gott i s t uns gut! Und wir müßten uns ja eigentlich schämen, wenn wir Gottes Gute so verachten und so ganz unbeeindruckt bleiben.

Wenn ein Kind böse war, dann haben die Eltern zwei Möglichkeiten, es wieder auf den rechten Weg zu bringen: Entweder durch Strafe., indem sie etwa mit dem Kind nicht mehr sprechen, oder durch Güte, indem sie das Kind beschämen und besonders freundlich zu ihm sind, so daß ihm seine Verfehlung erst recht deutlich wird.

Aber uns geht es oft auch so wie den dummen Kindern: Wir sehen Gottes Güte gar nicht und nehmen sie als selbstverständlich hin. Buße ist uns weithin ein unverständliches Wort. Es bedeutet „Umkehr zu Gott“. Aber wir nehmen doch selbstverständlich an, daß wir zu Gott gehören und eine Buße nicht nötig haben.

Ist Gottes Weg also falsch? Läßt sich die Welt doch nicht mit Güte regieren, weil diese Güte mißbraucht wird? Bonhoeffer hat vor der „billigen Gnade“ gewarnt. Und der Franzose Voltaire hat einmal gesagt: „Gott wird schon vergeben, das ist ja sein Geschäft!“ Aber so geht es sicher nicht.

Um dieses Mißverständnis zu vermeiden, redet Paulus in den folgenden Versen wieder vom Gericht. Man meint oft, mit der Taufe sei alles in Ordnung und durch die christliche Beerdigung wird das dann besiegelt. Aber Paulus sagt: „Das Gericht kommt. Es gibt keine billige Gnade! Aber wer begnadigt ist, der lebt dann auch nach dem Wort Gottes!“

Evangelium und Gesetz gehören also zusammen, aber so, daß das Evangelium das Erste ist: Wer die Liebe Gottes in ihrer ganzen Macht erkannt hat, der wird dadurch einfach zur Umkehr getrieben. Das Evangelium muß so deutlich gemacht und gehört werden, daß dabei auch das Anliegen des Gesetzes zur Geltung kommt.

An Gottes Güte u n d an Gottes Gericht will uns dieser Buß- und Bettag erinnern. Doch eigentlich ist das ja nicht nur für einen einzigen Tag im Jahr nötig, sondern immer. Deshalb hat Luther ja auch in der ersten seiner 95 Thesen betont: „Unser ganzes Leben soll eine einzige Buße sein!“ Dieses Umdenken ist niemals zu Ende gebracht und ist eine lebenslange Arbeit. Aber ab und zu werden wir wieder einmal an diese Aufgabe erinnert.

Früher gab es mehrere Bußtage im Jahr oder sie wurden von Fall zu Fall festgesetzt aus gegebenem Anlaß. Heute haben nur noch einen Buß- und Bettag. Umso nötiger ist die rechte Besinnung auf diesen Tag, besonders jetzt, wo dieser Tag nicht mehr arbeitsfrei ist und sein Anliegen unterzugehen droht im Getriebe des üblichen Alltags.

Buß- und Bettag bedeutet: „Erkenntnis der Güte Gottes, innere Umkehr zu Gott und äußerliche Änderung des Lebens.“ Das soll zum Schluß noch einmal deutlich werden an der Geschichte von Zachäus: Der war ein Zolleinnehmer in Jericho und nicht sehr beliebt. Aber Jesus geht gerade zu diesem verachteten Mann ins Haus und ißt mit ihm zu Hause. Jesus hat ihn wieder in die Gemeinschaft der Menschen und in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen. Aber als Zachäus die Größe der Güte Gottes erkennt, die ihm in Jesus begegnet ist, ändert er sein äußeres Leben auf der Stelle. Er will auch alles wieder gutmachen und den Schaden zurückzahlen, so gut es geht oder sogar noch mehr.

Buße kann allerdings nicht gezahlt werden, so wie man eine Geldbuße bezahlt, sondern sie muß g e t a n werden. Dann kann es auch wie bei Zachäus am Schluß heißen: „Heute ist diesen Hause Heil widerfahren!“ denn der Buß- und Bettag ist letztlich ein Tag des Heils.

 

 

Röm 2, 1 -12 (Bußtag, Version 2):

Am Abendbrottisch passiert einem Kind ein Mißgeschick: Eine Tasse fällt herunter. Aber ganz selten wird man hören, daß der Missetäter sagt: „Es tut mir leid, ich habe nicht aufgepaßt!“ Meist heißt es doch: „Die große Schwester hat mich geschubst!“ Oder auch: „Der kleine Bruder hat so gelacht, da mußte ich auch mitlachen, da ist es eben passiert!“ Meisterhaft können sich da die Kinder herausreden.           

Aber bei den Erwachsenen ist es nicht anders. Nur geht im Leben viel Wichtigeres entzwei als eine Tasse. Da ist eine Ehe kaputt gegangen. Fragt man den Mann, so heißt es: „Sie müßten einmal meine Frau kennenlernen, dann würden Sie mich verstehen!“ Spricht man jedoch mit der Frau, dann sagt sie: „Mein Mann ist unausstehlich!“ Und wenn einem die Nerven durchgegangen sind, sagt er: „Ich bin nun einmal so, wie ich bin!“

Es gibt da auch die Geschichte von der Frau, die der Pfarrer fragt, weshalb sie nicht zum Gottesdienst kommt. Ihre Antwort ist: „Ja, wissen Sie, Herr Pfarrer, ich würde ja so gerne kommen. Aber mir ist es zu kalt in der Kirche. Ich hab's am Herz und da kriege ich sofort immer kalte Füße!“ Zwei Jahre später trifft der Pfarrer die Frau wieder und fragt sie nach dem Gottesdienstbesuch. Sie weiß auch gleich eine Antwort: „Ja, wissen Sie, Herr Pfarrer, ich würde ja so gerne kommen. Aber da ist doch jetzt die neue Heizung in der Kirche. Ich hab's doch am Herz, da wird mir's ganz ängstlich zumute bei der warmen Luft!“

Entschuldigungen ohne Ende! Nichts ist so leicht, als sich für irgendein Versagen zu entschuldigen. Aber Paulus sagt: „Du kannst dich nicht entschuldigen, Mensch!“ Herausreden kann man sich; aber ob damit freilich die Schuld beseitigt ist, das ist dann schon eine andere Frage.

Allerdings sieht alles gleich anders aus, wenn es sich um das Versagen eines anderen handelt. Wenn uns selbst die Nerven durchgehen, dann erwarten wir, daß die anderen das entschuldigen. Wir sagen: „Ich entschuldige mich!“ Dabei geht das gar, wir können uns nicht selber von Schuld frei sprechen, sondern der andere muß erst unsere Entschuldigung annehmen.

Aber wenn einmal ein anderer ein hartes Wort fallen läßt, dann gelten auf einmal überhaupt keine Entschuldigungen mehr, selbst wenn der andere zum Beispiel total überarbeitet ist. Dann heißt es immer wieder: „So etwas darf eben nicht passieren!“

Wer hat da nun recht? Wie soll man da urteilen? Wo liegt denn hier der Maßstab, nach dem es gehen kann. Paulus läßt nur e i n e n Maßstab gelten: Gottes Urteil! Daran wird jeder gemessen, der andere und ich. Aber für jeden fällt das Urteil gleich aus. Es kann nur lauten: „Vor Gott ist niemand gerecht und es gibt auch für keinen eine Entschuldigung.

An diese Tatsache will uns alle Jahre ganz besonders der Bußtag erinnern. Er hat zwar eine etwas zweifelhafte Herkunft, denn er ist in früheren Jahrhunderten auf Befehl der Landesfürsten eingeführt worden und war ein Mittel zur Disziplinierung der Untertanen - wenn auch ohne Ergebnis. Aber das braucht uns ja nicht zu hindern, diesen Tag in echt biblischem Sinn zu verstehen.

Aber es gibt ein ganz anderes Hindernis, das diesen Tag nicht populär werden läßt: Die meisten von uns denken doch: „Wozu habe ich es nötig, Buße zu tun und mein Leben zu ändern? Bei mir ist doch alles in Ordnung, ich habe doch so etwas gar nicht nötig. An jedem anderen Tag gehe ich gern in die Kirche, aber nicht am Bußtag!“

Ja, das Wort „Buße“ hören wir nicht gern. Und wenn, dann beziehen wir es nicht auf uns oder wir sagen: „Doch ja, ich tue ja Buße!“ Aber wir sagen es nur und tun es nicht wirklich. Wir meinen, wir hätten uns längst geändert und unsere Buße getan. Aber das bleibt alles so                                          pauschal, daß es uns selber nicht weh tut. Wir sind zu Bahnkorrekturen bereit, aber nicht zur Umkehr.

Ursprünglich bedeutete „Buße“ die Ersatzleistung für bestimmte Vergehen gegen das Eigentum oder den guten Namen. Meist hat man dann Geld gezahlt, um alles wieder gutzumachen. Verkehrssünder zahlen ein Bußgeld und denken dabei: „Das nächste Mal laß ich mich aber nicht wieder erwischen!“

Aber bei dem, was die Bibel mit „Buße“ bezeichnet, dürfte es ja klar sein, daß das nichts mit Geld zu tun haben kann. Zwei Dinge gehören zur echten Buße: Sie muß täglich neu wieder beginnen und sie muß getan werden, alles andere ist nur Gerede und bleibt im Oberflächlichen. Am ehesten wird uns das noch deutlich werden, wenn wir ein anderes Wort verwenden, das heute auch nicht mehr so gebräuchlich ist: das Wort „Reue“. Hier wird deutlich, daß es da um ganz konkrete Sachen geht, die man jeden Tag neu wieder zu bereuen hat; und es ist auch deutlich, daß es mit der Reue allein nicht getan ist, sondern daß man auch versuchen muß, die Untat nach besten Kräften wiedergutzumachen.

Deshalb gilt der Ruf zur Umkehr gerade auch denen, die hierher zum Gottesdienst gekommen sind. Sie wissen ja von Gott und kennen seine Gebote und haben deshalb besondere Verantwortung. Deshalb ist es auch ganz gut für uns, wenn uns heute und an allen Tagen die Gebote Gottes nachgezeichnet werden. Der Pfarrer kann dabei nicht hoch über der Gemeinde stehen, sondern er hat sich genauso unter Gottes Wort zu stellen wie die anderen.

Es geht am Bußtag nicht um eine hochmütige Abrechnung mit denen, die möglichst ernst zu machen versuchen mit ihrem Glauben. Aber es geht um eine Bestätigung der Gebote Gottes und um eine Hilfe, sie auch zu verwirklichen.

Wir leben ja in einer Zeit, wo die Geltung der Gebote Gottes angezweifelt wird. Denken wir nur an das fünfte Gebot und wie sorglos man heute ist, wenn es um Krieg oder Verkehrsdisziplin oder Schwangerschaftsabbruch geht. Wenn Gewalt schrankenlos zur Durchsetzung der eigenen Ziele gebraucht wird und wenn die Normen von Gut und Böse tausendfach verletzt werden, dann ist es schon gut, sich wieder die jahrtausendealten Gebote Gottes vor Augen zu halten.

Wir müssen nicht immer zu allem bereit sein und jeder Ungerechtigkeit willig Gefolgschaft leisten. Gott hat uns die Fähigkeit gegeben, dem Bösen gegenüber Widerstand zu leisten, gegen das wir von uns aus tun wollen oder wozu man uns verleiten möchte. Gott orientiert uns immer wieder auf unsere Aufgabe, er warnt uns vor Abwegen und falschen Zielen und macht uns Mut zu einem Leben nach seinen Geboten. Auch und vor allem darum geht es am Bußtag.

Aber dazu ist es auch gut, wenn man zunächst einmal vor der eigenen Haustüre kehrte. Es wäre sicher sehr heilsam, wenn uns einmal nach dem Gottesdienst ein Tonfilm vorgeführt würde, mit der „Kamera Gottes“ aufgenommen. Vom Verlassen der Wohnung bis in den Gottesdienst hinein wären darin all die Situationen festgehalten, in denen wir in Gedanken, Worten und Werken den Mitmenschen lieblos abgeurteilt und uns selbst dabei tüchtig hochgespielt haben.

Auf dem Weg haben wir vielleicht gedacht: „Sieh an, der Nachbar geht spazieren, statt in die Kirche zu kommen!“ Aber haben wir letzten Sonntag nicht auch gefehlt? An der Kirchentür murmeln wir: „Den Dreckhaufen hätten sie aber wirklich schon wegräumen können!“ Aber warum haben wir ihn denn nicht selber weggeräumt? Während der Predigt ärgern wir uns über einen, der überhaupt nicht aufpaßt, sondern nur die Bilder an den Emporen studiert. Aber wir haben das doch nur deshalb bemerkt, weil wir selber unaufmerksam waren. Oder wir denken daran, daß uns in sechs Wochen Krankheit keiner besucht hat; jetzt sind wir schon vier Monate wieder gesund und haben selber noch keinen einzigen Kranken besucht.

Im Römerbrief heißt es, daß Gott uns nach den Werken fragen wird. Es geht nicht darum, daß wir fromm reden können und für jedes Versagen eine Entschuldigung bei der Hand haben, sondern es geht nur nach dem, was wir getan haben.

Sicherlich ist es ein Unterschied, ob einer sich ehrlich abmüht und doch immer wieder versagt oder ob er vorsätzlich ohne Glauben sein will. Aber wodurch sind wir denn fromm geworden und bis heute geblieben? Luther sagt es in der Erklärung zum dritten Glaubensartikel: „Nicht aus eigener Vernunft noch Kraft, sondern der Heilige Geist hat mich geheiligt, hat mich fromm gemacht!“

So ist also am heutigen Tag kein Anlaß zu einer Gardinenpredigt, sondern wir haben wie an jedem anderen Tag auch die Güte, Geduld und Langmut Gottes zu preisen. Diese erst führen zur Buße. Gott war es, der uns zur Gemeinde rief und dabei erhielt. Daraus ergibt sich dann erst die Frage: „Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Buße leitet?“ Ausgangspunkt ist also Gottes Güte. Das ist ein wichtiges und grundlegendes biblisches Wort, das ja auch einmal eine Jahreslosung war.

Gottes Güte ist also über uns ausgeschüttet, nicht damit sie uns als sanftes Ruhekissen diene, sondern um uns zur Buße anzuleiten. Wir können uns nur schämen vor Gottes unverdienter und unwahrscheinlicher Güte. Die richtige Folgerung daraus ist, daß wir miteinander umkehren und neu anfangen. Wir werden dann unseren Mitmenschen nicht aburteilen, sondern ertragen und lieben. Und wir werden ganz neu nach Gottes Willen fragen und willig werden, ihn auch zu tun.

 

 

Röm 3, 21 - 28 (Reformationsfest, Variante 1):

Wir begehen das Reformationsfest anders als früher. Es ist nicht mehr das Fest der Verehrung des Helden Martin Luther. Es ist auch nicht das Fest der Befreiung von mittelalterlicher Rück­ständigkeit. Es ist auch nicht das Fest der Persönlichkeit, die kirchlicher Bindungen nicht mehr bedarf.

 Hoffentlich bestimmen uns an einem solchen Tag nicht antikatholische Gefühle. Zur Zeit Luthers ist um etwas gerungen worden, was mehr oder weniger zum Besitz der ganzen Christenheit geworden ist. Auch in der römisch-katholischen Kirche hat es eine Reformation gegeben. Reformation ist überhaupt immer eine Aufgabe der Kirche.

Wir können an einem solchen Tag nicht mehr überholte Zerrbilder beleben. Es gibt zwar immer noch einige Übertreibungen in der Volksfrömmigkeit der römischen Kirche, die auch dort von den Theologen bekämpft werden. Und andererseits gibt es in unserer Kirche manches, was kritisiert werden müßte. Da können wir durchaus von denen „drüben“ lernen, das heißt von denen, die jenseits des noch immer bestehenden konfessionellen Grabens sind.

Die Frontstellung ist heute eine andere: Wir stehen mit den katholischen und den anderen Christen zusammen in einer Frontstellung gegen eine gottlose Welt. Die Frage Luthers nach einem gnädigen Gott ist so gut wie verstummt. Es stehen andere Fragen im Vordergrund, deren Gewicht wir nicht unterschätzen können.

Wir fragen etwa: „Wie soll es mit der Menschheit weitergehen? In welchen Ordnungen oder Unterordnungen wird sie leben? Wovon werden die Hungernden satt werden? Wie entgeht die Menschheit der Selbstvernichtung in einem dritten Weltkrieg?“

Aber darüber dürfen wir halt auch die andere Frage nicht vergessen: „Wie steht es zwischen Gott und uns?“ Diese Beziehung ist kein Luxus, den man sich leisten oder auf den man ebenso gut verzichten kann.

Wer so dächte, der hätte keine Ahnung davon, wer Gott ist. Und selbst wer nach ihm fragt, kann dennoch falsch liegen. Das war ja gerade das Mißverständnis, gegen das sich Luther wandte: daß man mit Gott ins Reine kommen wollte durch das, was man selbst zustande gebracht hatte.

Auch heute wird der Mensch in erster Linie nach seiner Leistung beurteilt. Die Gesunden und Robusten finden das auch ganz in Ordnung. Andere aber leiden unter dem Leistungsprinzip. Sie denken: „Ich bin doch keine Arbeitsmaschine. Ich bin ein Mensch, der ein Herz und eine Seele hat. Und ganz unter die Räder kommen dabei die Schwachen, Behinderten und Alten.

Die Nachdenklichen aber wissen: Das eigentlich Schöne im Leben kann nicht durch Leistungen erkauft werden.

Ein unbeschwerter Abend im Urlaub, ein gutes Gespräch unter Freunden, ein von Herzen kommender Kuß, ein dankbarer Brief - das ist alles ein Geschenk. Herbeizwingen kann man es nicht, es wird „gratis“ gegeben. Das Wort kommt vom lateinischen „gratia“ her, das wir mit „Gnade“ übersetzen. Und darum geht es ja in diesem Bibelabschnitt im Römerbrief, einem zentralen Abschnitt für die Reformatoren.

Man kann also nicht sagen, die Kirche gäbe immer nur Antwort auf Fragen, die keiner stellt. Wenn man von dem ausgeht, was „gratis“ gegeben wird, dann ist auch die Frage nach einem gnädigen Gott aktuell. Er kann auch heute unser Leben allein lebenswert machen und in die richtigen Bahnen lenken.

Durch Jesus hat Gott verkündet: „Für mich soll der Mensch nicht mehr mit seiner Leistung stehen oder fallen. Seine Kirchlichkeit, sein religiöses Leben, seine bürgerliche Wohlanständigkeit oder sein gesellschaftlicher Eifer - das alles ist für mich ohne Belang! Ich übertrage aber meine Gerechtigkeit auf die Menschen, die bereit sind, dieses unverdiente Geschenk anzunehmen!“

Doch vergessen wir nicht: Wenn wir auch vielleicht nicht nach Gott fragen, so fragt er doch uns. Er hat Ansprüche an uns, als der Schöpfer der Welt und als unser Schöpfer. Die Welt soll wieder ihm gehören, und wir zuerst. Er will bei uns zu seinem Recht kommen. „Gerechtigkeit“' ist ja nicht ein Zustand des Menschen, sondern die Frage nach der Gerechtigkeit entsteht ja erst dadurch, daß einer uns danach fragt und über unser Leben urteilt. Er will wissen, ob wir so sind, wie er uns gemeint hat, als er uns schuf und uns in der Welt unseren Platz

gab.

Dabei weiß Gott genau, da wir Sünder sind. Das bedeutet nicht nur, daß wir kriminell wären oder moralisch verkommen. Auch das muß Gott zwar in der Welt sehen, das Leiden, das die Menschen sich untereinander bereiten, das Blut das vergossen wurde, und die Trümmer, unter denen Menschen begraben wurden. Er hört die Schreie der Verzweifelten und das Weinen der Ungetrösteten. Das alles sind Folgen menschlicher Sünde.

Aber selbst wenn das nicht in unserem Sündenregister stünde, so gälte doch für uns das Generalurteil: „Sie sind allzumal Sünder!“ Gott kennt auch unsere versteckte Art zu sündigen, die sich unter einer Decke von Wohlanständigkeit verbirgt.

Luther hat in seiner Klosterzelle nicht darum so schwere Anfechtungen erlitten, weil er mit bestimmten greifbaren Sünden und Schwächen nicht fertiggeworden, wäre. Ihn plagte zwar die Eigensucht, der falsche Stolz, die durch Ichsucht vergiftete Gottesliebe. Aber der Abfall von Gott sieht sich von außen meist gar nicht als so etwas Belastendes aus. Trotz Händefalten und einigermaßen geordnetem Leben kann uns Gott fremd sein.

Rechtfertigung aber bedeutet: Gott wird wieder unser Gott und wir werden wieder seine Menschen, das was wir immer hätten sein sollen. Es stimmt ja gar nicht, daß der Mensch nicht darauf aus wäre, anerkannt zu werden. Nur sind es meist andere Menschen, auf deren „Ja und Amen“ es uns ankommt. Wir fragen eher: „Was werden, sie in der Schule dazu sagen? Wird es auch keine Schwierigkeiten in der Firma geben? Was sollen die Nachbarn denken?“ Aber wie Gott dazu steht, das nach fragen die wenigsten.

Deshalb gilt es auch heute, die von Gott geschenkte Gerechtigkeit auszurufen und anzubieten: „Fangt endlich an, Gott ernst zu nehmen! Wendet euch ihm entschlossen zu! Macht Ordnung in eurem Leben! Stellt euch Gott zur Verfügung!“

Das ist möglich, weil Gott unsere belastende Vergangenheit nicht anrechnet. Wir können halt nicht über unsren Schatten springen. Und es gibt eben Stunden, wo wir wünschten, niemand wäre Zeuge gewesen. Eine solche Vergangenheit macht uns unfrei und nimmt uns die Möglichkeit, wieder neu anfangen.

Gott aber erkennt uns an. Er sagt nicht: „Wenn du anders geworden bist, wollen wir noch einmal über dich und dein Schicksal miteinander reden!“ Gott sagt vielmehr: „Es ist alles in Ordnung, ohne Bedingung und ohne Bewährungsfrist. Und eure Leistungen spielen dabei keine Rolle. Die bösen Werke zählen nicht, weil Gott sie in die Tiefen des Meeres geworfen hat. Aber auch die guten Werke zählen nicht, weil sie zur Herstellung eines heilen Gottesverhältnisses nichts austragen. Der Glaube sieht nur auf das, was Gott getan hat und tut. Er interessiert sich nicht für das, was im Menschen vor sich geht, sondern für das, was Gott zu ihm sagt und für ihn tut!“

Doch mancher wird vielleicht fragen. „Was ist das für ein Gott, der seine Gnade so verschleudert? Er mißachtet doch sein eigenes Gesetz und verniedlicht die Sünde der Menschen mit all ihren verheerenden Folgen! Da gibt er sich doch selber auf als Gott! Der findet sich doch einfach mit dem Zustand der Menschen ab!“

Doch so ist das natürlich nicht. Dazwischen liegt ja ein bestimmtes geschichtliches Ereignis. Man merkt das bei Paulus in dem bereit aufatmenden „nun aber“ und dem Hinweis auf die „gegenwärtige Schicksalsstunde“. Die Rechtfertigung des Sünders ist kein Freibrief zum Sündigen, denn sie hat Gott allerhand gekostet. Die große Wende im Verhältnis zwischen Gott und den Menschen war nur möglich durch das blutige Opfer Jesu Christi.

Schon früher hat Gott die Sünde der Menschen um Christi Willen dahingehen lassen. Das geschah schon im Vorblick auf das, was in Jesus geschehen sollte. Aber nun ist dieses Ereignis mit dem Tod Jesu eingetreten und damit das bis dahin Aufgeschobene bereinigt und ausgeräumt worden.

Es ist ganz gut, daß wir dieses Werk nicht allein vollbringen können. Denn dann käme am Ende doch noch heraus, daß wir Gott im Grunde gar nicht brauchen. Bei Goethe sagt Prometheus, nach der griechischen Sage der Schöpfer der Menschen: „Wofür soll ich dich ehren, Zeus? Hast du nicht alles selbst vollendet, heilig glühend Herz?“ Das ist der Wahn des Menschen, der aus sich selbst leben will und alles allein leisten will.

Wie anders ist doch das, was uns die Bibel sagt und was Luther wieder neu ans Licht gebracht hat: Mit nichts können wir Gott besser ehren als so, daß wir uns von ihm ganz neu schenken lassen. Wenn wir Gott nichts zu bringen habe, dann befreit uns das doch sehr von allen Belastungen und Leistungszwängen.

Er macht uns aber frei, die Herrlichkeit Gottes in unserem Leben widerspiegeln zu lassen. Dann werden wir das Evangelium Gottes in unser Leben übersetzen können. Dann können wir auch anderen das Gefühl geben: „Ich bin bejaht, ich bin angenommen, jemand mag mich!“ Wenn wir anderen Menschen so begegnen, dann werden sie auch an den barmherzigen Gott glauben können.

 

Röm 3, 19b - 28 (Reformationsfest, Variante 2):

Das Reformationsfest kann heute nicht mehr so begangen werden wie vor 100 Jahren. Im Leben der Gemeinden ist etwas anders geworden. Deshalb beurteilen wir die Ereignisse auch heute anders, die damals in der Reformationszeit einen großen religiösen und geistigen Umschwung herbeiführten. Auf Denkmälern wird Luther meist als ein standhafter Held dargestellt, der er gar nicht hat sein wollen und der er auch nicht gewesen ist. Aber jede Zeit hat eben ihre eigenen Ideale in diesem Mann verkörpert gesehen, man hat das in ihn hineingelegt, was man selber gern hat sein wollen.

Im Jahre 1917 haben die deutschen Soldaten zum Reformationsfest gesungen: „…..das Reich muß uns doch bleiben!“ und sie haben dabei an den Fortbestand des Deutschen Reiches gedacht. Und in den Jahren nach 1933 ist sicherlich auch viel von einem überheblichen Nationalismus laut geworden, wenn man den „kerndeutschen“ Luther gepriesen hat, der sich gegen die südländischen Einflüsse der Papstkirche zur Wehr setzte.

Dabei geht es an diesem Tag gar nicht so sehr um die Person Luthers, sondern um die grundlegende Erkenntnis, die er wieder neu entdeckt hat: die Rechtfertigung des Sünders aus Gnade. Dieses Thema müssen wir immer wieder neu bedenken, sonst hätten wir nicht das Recht, uns „Evangelische“ zu nennen. Deshalb brauchen wir die Lutherbegeisterung vergangener Zeiten nicht zu verachten. Aber wir sollten doch lieber in das Innere der Werkstatt der Reformation eindringen, um so das Wesentliche zu erfassen und für die heutige Gemeinde nutzbar zu machen.

Außerdem hat sich ja auch in der katholischen Kirche gar manches geändert. Heute können auch katholische Theologen schreiben: „Alle Werke sind ausgeschlossen. Die Rechtfertigung geschieht durch den Glauben allein!“ Zur Zeit Luthers gab es noch einen Streit um dieses Wörtchen „allein“, das nicht im Urtext steht, von Luther aber sinngemäß eingefügt wurde, weil man den Sinn dieser Stelle im Deutscher nur so wiedergeben kann. Heute wird diese Übersetzung auch von den Katholiken als richtig anerkannt.

Es ist also im 16. Jahrhundert um etwas gefunden worden, was mehr zum Besitz der ganzen Christenheit geworden ist bzw. werden wird. Wir wissen nicht, ob denn die zwei wieder eins werden können. Aber warum sollte es nicht eines Tages möglich sein, so wie in manchen Orten aus Lutheranern und Reformierten eine Gemeinde wurde.

Wir haben jedenfalls keinen Anlaß, irgendeine „Los-von-Rom“ Begeisterung zu schüren. Der Herr der Kirche empfindet sicherlich Schmerz darüber, daß die Seinen getrennt sind. Unsere Aufgabe wird es immer bleiben, für die Einheit zu wirken. Aber wir müssen trotzdem unseren katholischen Mitbrüdern und erst recht den Nichtchristen eine Auskunft gegen müssen über das Wesen unseres Glaubens.

Für Luther war es noch selbstverständlich, daß es Gott gibt. Er fragte aber: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ Heute aber ist schon die Grundvoraussetzung zweifelhaft geworden. Da werden nun gefragt: „Wo ist denn dein Gott?“ Auf diese Frage müssen wir Antwort geben können, egal ob nun ehrliches Interesse oder Spott dahinter steht.

Doch wir werden nur antworten können, wenn wir selber persönlich davon betroffen sind, so wie Luther von seiner Frage betroffen war. Eigentlich können wir nichts anderes sagen als dies: „Ich kann es nicht beweisen. Aber ich weiß, daß Gott da ist!“ Und dann wäre als nächster Schritt dran, nun näher zu erläutern, wie dieser Gott denn ist. Aus unsrem Predigttext können wir darüber drei Dinge entnehmen:

 

(1.) Gott gibt seine Gerechtigkeit: Gott ist selber gerecht. Er urteilt nicht nach Laune oder Gunst, er sieht die Person nicht an, er läßt sich nicht bestechen, und er kennt auch genau die Tatbestände, über die er zu urteilen hat. Gott ist ein gerechter Richter. Aber auch wir sollen gerecht sein, so wie Gott uns hat haben wollen, als er uns schuf und uns einen Platz in der Welt gab. Gott will, daß wir richtig sind, seinen Ansprüchen gerecht werden, so wie etwa ein Gegenstand materialgerecht geformt ist. Gott ist gerecht; aber wir sollen auch an seiner Gerechtigkeit Anteil haben.

Nu r sind wir eben meistens gar nicht nach dem Herzen und Willen Gottes geraten. Wir sind doch alle in der Lage eines Stellungssuchenden, der von Personalbüro zu Personalbüro eilt und immer wieder hören muß: „Nach den von uns eingezogenen Erkundigungen können wir ihnen kein Vertrauen schenken. Ihre Leistung entspricht bei weitem nicht den bei uns gestellten Anforderungen. Eine Anstellung kann deshalb nicht in Frage kommen!“

Selbst wenn man fromm ist, muß man nicht unbedingt vor Gott richtig sein. Paulus hat gerade hinter seinen frommen Leistungen eine gottfeindliche Haltung verspürt. Und Martin Luther ging es im Kloster ebenso. Wenn man Gott etwas bieten will, wenn man ihm die guten Werke vorrechnen will, dann ist man gerade nicht recht vor Gott. Gott sieht uns trotz all unserer guten Werke in all unserer Jämmerlichkeit, aber er will uns da auch wieder heraushelfen.

Wie oft kann man aber hören: „Was soll ich denn in der Kirche oder sogar beim Abendmahl? Ich versuche doch, nach den Geboten zu leben und ich bin mir keiner Schuld bewußt!“ So dachte auch der reiche Jüngling, den dem Jesus erzählt. Und doch mußte ihm Jesus sagen: „Du bist noch nicht ganz richtig. Eins fehlt dir noch!“ Aber wenn eins fehlt, dann ist eben das Ganze nicht in Ordnung.

Sicherlich ist es wahr, daß in der Kirche lauter Sünder sitzen. Wir sind einfach alle nicht so, wie Gott uns haben möchte. Aber es wäre falsch gedacht, wenn man nur zum Gottesdienst ginge, wenn man sich besonders sündig fühlt. Wenn wir uns stark und wohlanständig fühlen, haben wir genauso Grund dazu, Gott dafür zu danken. Wer aber zum Gottesdienst geht, der weiß wenigstens, daß wir voll und ganz auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen sind.

Wenn wir uns ehrlich eingestehen, daß wir mit leeren Händen zu Gott kommen, dann sind wir schon auf dem Weg zur Rettung. Wir wissen nicht, wie uns geschieht. Wir genügen den Anforderungen tatsächlich nicht. Aber wir werden von Gott anerkannt. Gott schenkt uns die Gerechtigkeit ohne irgendwelche Bedingungen, ohne eine Vorleistung, ohne irgendwelche Beweise der Besserung und ohne eine Bewährungsfrist. So ist Gott.

Um dieses „bedingungslos“ ging es in der Reformationszeit. Luther hat es in aller Klarheit wieder herausgestellt. Aber er hat dann auch die andere Seite nicht vergessen, daß ein Gerechtfertigter dann such gute Werke vollbringen kann. Erst der Glaube und dann die Werke,

aber beides doch ineinander, das war die Erkenntnis Luthers. Dennoch:

 

(2.) Gott wahrt bei alledem seine Heiligkeit: Gott drückt nicht beide Augen zu, er läßt nicht fünf gerade sein. Gott sagt nicht, mit dem Gesetz sei es nicht so genau zu nehmen. Er hat auch nicht nur einmal seinen guten Tag. Manche Leute sagen ja: „Das ist doch ein komischer Gott! Erst dringt er unerbittlich auf Gehorsam; aber wenn es ernst wird, gibt er klein bei und begnadigt die Rebellen und Versager. Damit untergräbt er doch seine eigene Autorität und mißachtet seine Gottheit!“

Aber Gott bleibt Gott. Und von seiner Heiligkeit geht nichts verloren. Einem gegenüber bleibt er nämlich unerbittlich, obwohl dieser als einziger in allem gehorsam war: Jesus Christus mußte spüren, was Autorität und Heiligkeit Gottes bedeutet: Er wird für völlig unheilig erklärt und stirbt den Tod des Gotteslästerers am Kreuz. Gott drückt nicht ein Auge zu, sondern er sieht genau hin. Aber er sieht nicht auf mich, sondern auf den Sohn, der am Kreuz hängt. Er bricht nicht dem Stab über uns Sünder, sondern über seinem Sohn, damit wir frei ausgehen.

Weil Gott aber mit aller Unerbittlichkeit seine Heiligkeit vor aller Welt gezeigt hat, kann er auch seinen Zorn beiseite lassen und den Sünder zum Heiligen erklären. Begreifen können wir das nicht mit unserem Verstand. Aber wir können es hinnehmen als ein übergroßes Geschenk.

 

 (3.) Bei alledem aber erhält Gott seine Ehre: Seine Ehre ist, daß er so gütig ist. Wenn man früher Verwandte oder Freunde einlud, dann schrieb man in feierlicher Form auf die Einladung: „Wir geben uns die Ehre, Sie zu unserem Fest einzuladen!“ Die Ehre bestand darin, daß die Eingeladenen die Einladung annahmen, am festgesetzten Tag erschienen und mit Freude und Dankbarkeit das annahmen, was der Gastgeber für diesen Tag vorbereitet hatte. Es ist eben eine Ehre, wenn man Gäste hat und mit ihnen Stunden fröhlicher Gemeinschaft genießen kann.

So geben wir auch Gott die Ehre, wenn wir seinem Ruf folgen, wenn wir uns ohne Scham beschenken lassen und etwas von der Freude eines schönen Festes nach außen spüren lassen. Gott gibt Gerechtigkeit, er wahrt seine Heiligkeit und er erhält von uns die Ehre, die er sich wünscht. Und wir können ihn nicht besser ehren als so, daß wir uns von seiner grundlosen Güte überwältigen lassen

 

 

Röm 5, 1 - 5 (6- 11) (Reminiszere):

Wir singen jeden Sonntag im Lied: „Ein Wohlgefall‘n Gott an uns hat, nun ist groß Fried ohn Unterlaß!“ Aber haben wir denn wirklich Frieden mit Gott? Wenn wir einmal herumfragen wollten, würden wir wahrscheinlich als Antwort hören: „Ja, ich habe Frieden mit Gott, ich habe nichts gegen ihn und er hat nichts gegen mich, jedenfalls nicht daß ich wüßte!“ Oder aber auch kurz und bündig: „Ich lasse ihn in Ruhe und er mich auch!“

Aber so klar und selbstverständlich ist dieser Friede nicht. Von Natur aus sind wir nämlich Feinde Gottes: Wir sind nicht nur „schwach“, so daß wir eher Mitleid verdienten. Nein, wir sind gottlos, haben uns von dem Schöpfer losgesagt, wollen selbständig sein. Wir haben uns auf die andere Seite gestellt und haben so mitgeholfen, Gottes Welt zu verderben.

Erst durch Jesus Christus haben wir Frieden mit Gott. Gott hätte seinen Zorn über uns ausgießen können. Aber stattdessen hat er seine Liebe ausgeschüttet in unsre Herzen. Für uns, die wir seine Feinde waren, hat er seinen Sohn sterben lassen. Dadurch haben wir nun Frieden mit Gott. Wir könnten sagen:

 

(1.) Wir haben freien Zugang zu Gott: Frieden mit Gott kann man nur haben, wenn man aus Gottes unverdienter Grade lebt und dabei auch bejaht, daß man nur Geschöpf Gottes ist. Jeder hängt sowieso von Gott ab, auch wenn er das nicht wahrhaben will und zornig verneint. Aber diese Abhängigkeit könnte man nicht Frieden nennen, weil sich da das Geschöpf immer noch gegen den Schöpfer sträubt.

wir wollen alle lieber unabhängig sein und uns nichts schenken lassen. Selbst wer fromm sein will, hält Gott immer noch gern die Eigenleistung vor. Der Ruhm gehört einfach mit zum Leben des Menschen dazu, er ist Ausdruck menschlicher Würde und Freiheit. Kein Mensch kann leben, ohne sich selbst zu achten und der Ächtung anderer gewiß zu sein. Deshalb ist er ehrgeizig und strebt nach Erfolg. Er ist empfindlich und will sich selbst verteidigen. Ein wenig Eitelkeit ist auch immer dabei.

Wer aber Frieden mit Gott hat, der weiß sich in allem von Gott abhängig. Doch er bekennt das nicht mit Zähneknirschen, sondern beglückt und dankbar. Die Abhängigkeit von Gott gibt Spielraum und macht aktiv. Da braucht man nicht mehr um sein Ansehen und seine Geltung zu kämpfen, nicht um Prestige und Beifall zu ringen. Man hat es nicht mehr nötig, sich nach vorne zu spielen, und Gott und den Menschen vorzuspielen, ein wie wichtiger Mensch man ist.

Gott zwingt seinen Frieden nicht auf, so wie einem unterworfenen Volk die Friedensbedingungen diktiert werden. Es ist auch kein unentschiedener Friede, wie er zwischen Parteien geschlossen wird, von denen keine die andere besiegen kann. Vielmehr ist es ein Friede, der uns aus freien Stücken von Gott geschenkt wird, jedem einzelnen und auch der ganzen Gemeinde.

Allerdings nehmen wir diese Tatsache oft zu selbstverständlich hin. Das ist ja auch ganz allgemein so unsere Art, daß wir die Erfahrungen und Errungenschaften früherer Generationen übernehmen, ohne darüber nachzudenken. Wir fahren Straßen entlang ohne zu bedenken, wer sie einmal gebaut hat; auch bei gesellschaftlichen Fortschritten denken wir nicht daran, daß unsere Vorväter sie oft hart erkämpft haben.

So gehört auch der Friede mit Gott wie selbstverständlich mit zu unserem Lebensgefühl. Dabei ist er sehr schwer errungen worden durch den Tod Jesu. Doch wir haben das Gefühl, daß Gott nichts gegen uns habe, als ob das immer so gewesen wäre und nicht anders sein könnte.

Aber sind wir mit Gott wirklich so einig? Ist der Zustand „da wir noch Feinde waren“

 wirklich schon überwunden? Solange wir zu essen und zu trinken haben, sind wir zufrieden mit Gott. Aber wenn er uns in einer Not nicht gleich hilft, dann sind wir böse auf ihn. Wir möchten Gott zum Knecht unserer Wünsche machen: Er muß immer da sein und immer gut sein!“

Uns geht es mit Gott oft so wie manchen Halbwüchsigen mit ihren Eltern: Wenn man Wünsche hat, müssen die Eltern immer da sein. Aber sonst will man sie möglichst los sein und sich keine Beschränkungen auferlegen lassen. So wollen wir auch oft „gott-los“ sein und versuchen, unser Selbstgefühl auf unsere Eigenschaften und Fähigkeiten zu gründen.

Wir möchten doch alle bei den Menschen gut angesehen sein, unter Kameraden und Kollegen wohl gelitten. Wir möchten unsere Leistung unter Beweis stellen oder auch nur mit hochfliegenden Plänen Eindruck machen. Wenn ein Vorhaben verwirklicht ist, dann freuen wir uns im Bewußtsein unseres Erfolges und unser Lebensgefühl ist erhöht Das meint Paulus, wenn er sagt: „Wir rühmen uns!“

Aber er verweist uns auch auf das, was der eigentliche Grund unseres Rühmens ist: die Liebe Gottes. Diese ist ausgegossen in uns durch den Heiligen Geist und macht uns unabhängig von unserer Selbsteinschätzung.

Paulus meint sogar, daß wir uns auch unserer Trübsale rühmen können. Wenn Gott Frieden mit uns hat, dann bedeutet das ja nicht, daß er uns in Ruhe läßt. Wir haben es nicht leicht in der Welt. Die Trübsale gehören mit zu jedem Christenleben dazu. Bitteres Leiden macht viele Menschen buchstäblich schwach, auch glaubensmäßig.

Not lehrt nicht zwangsläufig beten, sondern mancher hat dabei auch den Glauben verloren.

Das Leiden ist auch nicht dazu da, um die Menschen zu schulen und zu bessern. Manche sehen die Aufgabe der Seelsorge ja darin, Wege zur Selbsthilfe zu zeigen: der Mensch müsse selber sein Leid bewältigen und sich darin bewähren, es müsse ihm gezeigt werden, wie man sich in sein Schicksal fügt.

Paulus kennt die Grenzen solcher Selbsthilfe. Er hat an sich selber gesehen, wie wenig ihm das bei seiner Krankheit genützt hat. Deshalb baut er nicht auf seine menschliche Vollkommenheit, sondern setzt seine Hoffnung auf Gott. Er liebt uns unverdientermaßen, aber doch ganz und restlos. Wir brauchen uns diese Liebe nur noch gefallen zu lassen. Auch Zerreißproben kommen dann nur aus der Liebe Gottes. Dann wissen wir uns auch bei äußeren Lasten umgriffen von den Händen Gottes und seiner Liebe.

Friede mit Gott bedeutet freien Zugang. Wir werden bei Gott jederzeit vorgelassen. Wir brauchen uns vor der Begegnung nicht zu fürchten, sondern Gott freut sich, wenn wir kommen. Jesus hat uns ja dem Zugang zu ihm eröffnet. Damit ist nicht nur der Gebetskontakt gemeint. Das ganze Leben ist im ständigen Kontakt mit Gott, auch wenn man nicht die Hände faltet, oder bestimmte Worte an Gott richtet. Wir dürfen immer mit Gottes Nähe rechnen und seiner Zuwendung gewiß sein. Das gilt heute und für alle Zeit:

 

(2.) Wir haben begründete Hoffnung auf Gott: Wenn einer ein Haus baut, dann freut er sich auf den Tag, an dem es fertig sein wird; das läßt ihn die Strecke der vorangehenden Mühsal durchstehen. Vorfreude ist ein Zeichen der Hoffnung, die der Mensch braucht. Es fragt sich nur, worauf er hofft. Der Christ wartet auf die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes. Darin ist alles eingeschlossen, was man für Mensch und Welt hoffen darf.

Dann kann man auch den schweren Weg Christi gehen und sogar noch auf die Trübsale stolz sein, die einem zugedacht sind. Natürlich muß man nach Kräften versuchen, Leiden zu lindern. Aber oft ist auch ein Annehmen dessen notwendig, was Gott uns verordnet hat. Das ist gewissermaßen der Echtheitstest, dem ein Christ sich willig unterzieht. Bewährung bringt Hoffnung. Je fester wir dabei an Christus gebunden sind, desto gewisser wird auch die Hoffnung.

Natürlich ist unsere Welt immer noch unsicher. Angesichts der allgemeinen Weltlage und der erschreckenden Entartungen der Menschen könnten wir schon fragen: „Haben wir noch eine Zukunft, auf die wir uns freuen können?“ Aber solche Schwierigkeiten sind für einen Christen nicht mehr Grund zum Aufruhr gegen Gott, sondern ein Grund zur Freude und zur Hoffnung. Gott will uns ja nicht ärgern, sondern er traut uns zu, daß wir mit Trübsalen fertigwerden und innerlich daran reifen. Solange uns Gott noch Trübsale schickt, denkt er groß von uns und gibt uns nicht verloren.

Doch Paulus ist nicht von Natur aus ein Optimist, so daß er so reden kann. Wir müßten seine grenzenlose Zuversicht für einen schönen Traum halten, wenn er nicht dazu sagte „durch Christus“. Nur deshalb haben wir eine Hoffnung.

Im Schiffsbau hat man Rettungsinseln entwickelt, die ringsum abgedichtete Kammern darstellen. Sie werden auf der stürmischen See auch stark herumgeworfen und unter Umständen vielleicht sogar auf den, Kopf gestellt. Aber sie sind praktisch unsinkbar. So sieht Paulus auch das Leben des Christen: Er mag auf dem Meer der Geschichte herumgeworfen und vielleicht sogar auf den Kopf gestellt werden. Aber er ist im letzten Grunde unsinkbar, weil der Herr der Geschichte seine Zukunft sichert. Er holt uns in den rettenden Hafen und nimmt dadurch allen Ängsten und Sorgen ihre Wucht, auch schon heute.

Gott macht uns immer wieder deutlich: „Ihr seid mir lieb und wert, weil Jesus euch für wertvoll genug hielt, für euch zu sterben. Gott muß uns liebhaben, sonst wäre es schon hundertmal nicht weitergegangen in unserem Leben. Mit Geduld und Hoffnung überstehen wir die Gefahren des Lebens, seine Nöte und Leiden. Wir lernen, den Mut nicht sinken zu lassen und immer wieder alles von Gott zu erwarten.

Als eine Frau die Nachricht erhielt, daß ihr Sohn gefallen sei, da dachte sie zuerst, die Welt müsse für sie untergehen. Dann ging sie am Sonntag zum Gottesdienst. Auf dem Weg dorthin war sie noch traurig und bedrückt. Aber dann hat der Pfarrer ein Bibelwort ausgelegt, das sie so angesprochen hat, wie nachher nie wieder. Als sie nach Hause ging, war sie ein anderer Mensch. Sie konnte wieder froh und zuversichtlich sein, weil Gottes Wort ihr wieder Mut zum Leben gegeben hat. Hinter allem Leid hat die Frau doch die Liebe Gottes herausgespürt. Und sie hat an der Hoffnung festgehalten, die nicht zuschanden wird. Das ist der Weg, auf den, Paulus uns alle stellen möchte und den wir im Vertrauen auf Gottes Liebe getrost gehen können.

 

 

Röm 8, 31b – 39 (Altjahrsabend):

Der Jahreswechsel ist ein Ereignis des bürgerlichen Jahres und ist im Grunde eine ganz willkürliche Festsetzung, denn die Wintersonnenwende war ja schon früher. Andere Zeiten und Völker begingen und begehen die Jahreswende zu anderen Terminen. Die Juden haben zum Beispiel ihr Neujahrsfest in Herbst nach dem Abschluß der Ernte und sie zählen seit Adam und Eva. Mit einer Tatsache der Heilsgeschichte hat also der heutige Tag nichts zu tun. Und das Kirchenjahr hat schon mit dem 1. Advent begonnen.

Dennoch begehen wir den Jahreswechsel mit Gottesdiensten. Hier wird uns nämlich bewußt, daß die Zeit nicht anzuhalten und zurückzudrehen ist, aber auch nicht vorauszunehmen ist. Alle Zeit empfangen wir aus den Händen Gottes als Geschenk. An Markierungspunkten wie dem Jahreswechsel könnte uns das wieder einmal bewußt werden. Doch wir sollten nicht versuchen, den Jahreswechsel nur religiös zu garnieren und den lieben Gott für allerhand nur menschliche Gedanken in Anspruch nehmen. Gott ist nicht der, der immer gut aufpaßt, daß uns nichts Unerwünschtes zustößt. Erst recht geht es nicht um Garantien Gottes für das kommende Jahr.

Zunächst einmal sollten, wir vielleicht zurückschauen. Dieser Abschnitt aus dem Römerbrief macht uns deutlich, daß wir uns vor dem Gericht Gottes zu verantworten haben. Wir sprechen meist nicht von Gott, sondern eher vom „Schicksal“: Mißliche oder glückliche Lebensumstände, Schwierigkeiten oder Erfolg im beruflichen Leben, unerfüllte oder verwirklichte Wünsche, gestörte oder beglückende Beziehungen zu den Menschen - das ist so die Ebene,

auf der sich das Nachdenken über unser Leben meist bewegt. Dabei wäre es auch gut, sich in Dankbarkeit zu üben und auch einmal die Pluswerte wirklich wahrzunehmen und richtig zu schätzen.

Doch noch wichtiger ist die Frage: „Wie steht Gott zu mir? Wie urteilt er über mich, wie kann ich vor ihm bestehen?“ In wach erlebter Todesgefahr geht es nicht mehr um Erfolg, Besitz und Ansehen, geht es nicht mehr darum, was Gott uns gewährt oder was er verweigert. Es wäre an sich ganz gut, wenn wir solche schwierigen Situationen schon im voraus in unserem Gewissen durchspielen würden; da könnten wir uns auch darin einüben, mitten in der Bedrängnis dieser Zeit auch an das Letzte zu denken und im Herzen zu bewegen.

Es könnte einer anscheinend im Glück schwimmen, aber Gott steht gegen ihn. Ein Menschenleben könnte aber nichts von Glanz und Glorie aufweisen, aber Gott sagt dennoch sein „Ja“ zu diesem Menschen. Nach dem äußeren Anschein kann man da nicht gehen. Es geht mehr darum, mit Gott im Frieden und in ungetrübter Gemeinschaft zu leben, sein Ebenbild zu sein. Das ist das, was die Bibel mit Gerechtigkeit“ meint.

Danach sollten wir streben, und nicht danach, daß wir auch unsre verschiedenen Schäfchen ins Trockne gebracht haben. Die alles entscheidende Frage lautet, ob Gott sein „Ja“ zu uns hat sagen können, ob er sagen kann: „Ja, so habe ich mir meine Welt gedacht. So wünsche ich mir die Menschen, die ich mir als mein Gegenüber erschaffen habe, um sie liebzuhaben und von ihnen wiedergeliebt zu werden!“

Wenn man die Welt betrachtet, dann müßte man sagen: „Gott ist gegen uns!“ Auch im vergangenen Jahr haben wir ihn wieder enttäuscht. Wir brauchen dazu nur die Schreckensmeldungen heranzuziehen, die durch Presse und Funk gegangen sind. Wir werden aber auch an unsere persönlichen Verfehlungen denken. Statt der Gewalt zu entsagen, haben wir den Krieg nur durch Abschreckung zu verhindern gewußt.

Von uns ist nicht die Kraft ausgegangen, Krankes gesund zu machen, nicht einmal in unserem engsten Lebenskreis. Und so leidet Gott an seinen Menschen. Gott aber begegnet unserer Abkehr von ihm mit seiner Liebe und seiner Zuwendung zu uns. Ist Gott für uns, da gibt es nichts, was uns von der in Christus erschienenen Gottesliebe trennen kann. Gott verurteilt zwar die Sünde, aber den Sünder will er retten.

Im letzten Gericht wird es Menschen geben, die uns verklagen. Wir haben sie enttäuscht, verletzt, gekränkt, übersehen, im Stich gelassen; sie haben an unsrer Lieblosigkeit, Feigheit und Habsucht gelitten und sind vielleicht daran kaputtgegangen. Als Betroffene und Zeugen werden sie dann gegen uns auftreten.

Aber sie sind nicht einmal unsere schlimmsten Gegner. Paulus spricht von feindlichen Mächten, deren Haupt der Satan ist. Er versteht die Sünde als eine persönliche Macht, die mit unserer Schuld operiert. Das Schuldkonto eines Menschen stellt immer die große Chance des Erpressers dar. Wenn einer belastet ist und es bei ihm um Kopf und Kragen geht, der wird sich immer mehr hineinreiten und zuletzt keinen Ausweg mehr sehen.

Ein schwer belasteter Angeklagter wird aber seinen Prozeß unerschüttert überstehen, wenn er von vornherein weiß: „In letzter Instanz werde ich freigesprochen!“ Diese Unverwundbarkeit werden wir aber nicht als etwas Selbstverständliches hinnehmen dürfen. Hier werden nicht beide Augen zugedrückt, sondern Christus steht zur Rechten Gottes und setzt sich für uns ein. In ihm haben wir einen Anwalt, der unseren Prozeß gewonnen hat, ehe er begann. Er hat sich selbst für uns geopfert, und deshalb sind wir nun gerecht.

So ist am Silvesterabend die Frage nach der Bilanz unseres Menschendaseins schon zu unseren Gunsten entschieden. Wir brauchen uns weder feige herauszureden noch den Mut sinken zu lassen. Vielmehr können wir unseren Weg als die Entlasteten und Befreiten gehen und sind deshalb unverwundbar. Dazu ermutigt uns Gottes Wort, wie es Paulus aus seiner Erfahrung heraus formuliert hat.

Nun könnten wir vielleicht vermuten: „Ja, der Paulus, der hatte es halt leichter. Das war noch eine andere Zeit, damals stand man viel mehr im Glauben!“ Aber Paulus hat auch oft Strapazen, Leiden und Anfechtungen ausgehalten, er war auch ein geplagter Mensch. Und doch sagt er: „In dem allem überwinden wir weit!“

Im Letzten sind wir Gewinner. Aber im Vorletzten müssen wir noch durch manche enge Gasse. Paulus zählt auf: Bedrängnis, Ausweglosigkeit, Verfolgung, Hunger, Nacktheit, Gefahr und zuletzt das Schwert des Henkers. Christliche Existenz ist nicht eine Sache der glatten und bequemen Lösungen. Aber wir sollten auch nichts dramatisieren. Auch wo das Christsein kleine Opfer und Einbußen mit sich bringt - „Schlachtschafe“ sind wir noch lange nicht.

Wir sind auch bemüht, Störungen und Gefährdungen des menschlichen Lebens nach Möglichkeit auszuschalten. Wenn sie doch eintreten, dann wollen wir sie beheben. Und so haben wir im zu Ende gehenden Jahr unseren Beitrag zu einem möglichst gesunden und sicheren Lauf der Welt geleistet. Das ist das eine.

Noch wichtiger ist das Bewußtsein, wie es Paulus gehabt hat. Er hat sein irdisches Leben schon für verloren gehalten, aber er lebte in der Perspektive der Auferstehung. In schwerer Krankheit kann er seine letzte Stunde für gekommen halten, aber die Liebe Gottes trägt und bewahrt ihn. Er kann allem mit Ruhe und Gelassenheit in die Augen sehen, was ihn auch bedroht und ängstigt. Von seiner Position her ist er dem allem weit überlegen.

An Silvester liegt es nahe, Gegenwärtiges und Zukünftiges als beunruhigend zu empfinden. Wir fragen: „Was ist und was kommt?“ Aber Paulus will uns deutlich machen: „Wir brauchen uns nicht zu sorgen, auch wenn Vieles da ist, das uns Sorgen machen könnte!“: Wir könnten Angst haben vor dem Tod. Wir könnten ja irgendwo schon unerkannt die ersten Zellen eines bösartigen Gewächses mit uns herumtragen. Keiner wünscht sich das Leiden und keiner ist feige, wenn er sich davor scheut. Aber auch im Leiden kann man, Gott ehren und lieben und die Liebe Gottes erfahren.

Wir könnten auch Angst haben vor dem Leben. Ja, auch so etwas gibt es. Wir brauchen gar nicht an die zu denken, die ihrem Leben selbst ein Ende machen wollen. Menschen drohen auch daran kaputtzugehen, daß sie dem nicht gewachsen sind, was von ihnen gefordert wird.

Es gibt Menschen, die auf der Liste der kriminell Gefährdeten stehen und da auch nur schwer herauskommen. Aber wer Gott kennt, der weiß auch: Gott wendet sich dem am meisten zu, der ihn am nötigsten braucht.

Angst vor Hohem oder Tiefe im Sinne von Sternenaberglauben gibt es bei uns nicht mehr so viel.4 Wir wissen, daß zwar die Sterne nicht lügen, wohl aber die Menschen, die daraus etwas lesen wollen über das Schicksal der Menschen. Wohl aber könnten uns die Gesetzmäßigkeiten dieser Welt Angst machen, jene allgemeinen Strömungen und Verblendungen bis hin zur Massensuggestion und zu kollektiven Rauschzuständen. Wir denken aber auch an die Umwälzungen in Gesellschaft und Wirtschaft, die aus heiterem Himmel kommen und zwangsläufig zu sein scheinen: Da werden Betriebe zusammengeschlossen, Arbeitsplätze verlegt, neue Maschinen eingeführt, ein neues Abrechnungssystem ausprobiert - alles ist im Fluß, wir werden verunsichert.

Aber Gottes Liebe macht all diese Mächte zu etwas Vorläufigem, im Grunde längst Überholtem und Überwundenen. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes. Wir brauchen keinen Heiden-Respekt mehr vor unerkannten Mächten zu haben, sondern wir haben einen allmächtigen Gott, bei dem wir uns geborgen wissen dürfen .Wir wissen nicht, was das kom­men­de Jahr uns bringt; aber wir wissen, wer alles in seiner Hand hat.

 

 

 

 

 

 

 

Römer 6, 3-8 (6. Sonntag nach Trinitatis):

Der Taufstein bildet zusammen mit Kanzel und Altar ein Dreieck: Taufe, Predigt, Abendmahl - da sind die Grundlagen unseres Glaubens. Wie viele Kinder sind wohl schon an so einem Taufstein getauft worden, wie viele werden wohl noch getauft werden? In vielen alten Kirchen steht noch ein Taufstein, in den die Kinder bei der Taufe wirklich eingetaucht wurden. Auch in Luthers Taufkirche in Eisleben hat man jetzt neuerdings in Taufbecken zum Untertauchen für Erwachsene gebaut [Hier eventuell örtliches Beispiel].

Mit dem Untertauchen wollte man symbolisch darzustellen, was Paulus im Römerbrief beschreibt: Durch die Taufe wird man mit Christus begraben in den Tod, damit man hinterher mit Christus auferstehen und ganz neu leben kann. Luther hat es im Großen Katechismus so formuliert: „Unser alter Mensch soll jeden Tag ersäuft werden, damit auch jeden Tag ein neuer Mensch herauskommen kann!“

Taufe ist also kein einmaliger Akt, den man hinter sich bringt und dann ist alles mit Gott in Ordnung, für das ganze Leben. Nein, das Leben ist ein Kampf, jeden Tag wieder neu, ein Kampf um unseren Glauben und um ein Leben, wie es Gott gefällt.

Daß der Sünder noch in uns lebt, erfahren wir täglich. Oft werden wir mutlos und sagen: „Ich werde es ja doch wieder nicht schaffen!“ Wir möchten gemeinschaftsfähiger werden, zuverlässiger und sauberer, weniger auf uns selbst konzentriert. Dazu sollen ärztliche Therapien, pädagogische und psychologische Maßnahmen helfen. Doch Paulus lenkt den Blick auf den Glauben und auf die Taufe.

Die Taufkerze, die den Kindern bei der Taufe mitgegeben wird, soll daran erinnern. Als kürzlich meine Frau mit einer früheren Kollegin telefonierte, erwähnte diese, daß ihr Kind jetzt ein Jahr alt werde. Meine Frau fragte, ob sie denn da auch die Taufkerze anzünde. „Ja“, sagte die Frau, „das ist doch klar!“ Diese Frau ist katholisch. Aber sicher machen das auch unsre Gemeindeglieder so, daß sie an den Geburtstagen der Kinder und vielleicht auch bei anderen Gelegenheiten die Taufkerze anzünden.

Aber wäre es nicht besser, man hielte den Menschen vom Sündigen ab, indem man ihn auf die bösen Folgen seines Tuns hinweist? Durch Abschreckung und Drohung mit Vergeltung könnte man einen Verbrecher vielleicht eher von der Wiederholung seiner Tat abhalten als wenn er Hoffnung auf eine Therapie und die vorzeitige Entlassung hat! Wenn immer nur Vergebung geredet wird. dann hat man doch gar keinen Anlaß, vom Bösen zu lassen.

Herzog Georg der Bärtige war ein entschiedener Gegner Luthers und seiner Lehre von der Vergebung. Doch als sein Sohn im Sterben lag, wies er ihn auf die Erlösung durch Christus hin, die allein entscheidend sei, mehr als die eigenen Verdienste und die der Heiligen. Seine Schwiegertochter fragte ihn, weshalb er das nicht öffentlich sage und dadurch Luther zustimme. Da sagte er: Das darf man nur dem Sterbenden zum Trost vorhalten, denn wenn alle wüßten, daß man allein durch Christus selig wird, dann würden sie gar zu ruchlos und würden sich gar nicht um gute Werke bemühen!

Zum Glück brauchen wir aber die Botschaft von der Gnade Gottes nicht zu verheimlichen. Zur Erneuerung des Lebens kommt es nur da. wo man allein von der Gnade lebt. Paulus setzt sich ja hier mit dem Einwand auseinander: Wer auf die Übermacht der Gnade vertraut, verzichtet auf den Kampf gegen die Sünde. Er verführt sich und andere dazu, im Vertrauen auf die Vergebung Gottes erst recht zu sündigen. „Gott wird schon vergeben, das ist ja sein Geschäft!“ spottete der französische Philosoph Voltaire.

Die allgemeine Ansicht lautet: Man muß nachdenken über sich und die Welt, aus diesem Nachdenken die Folgerungen ziehen und an sich arbeiten. Man muß sein Denken und Wollen, seine Entschlüsse und Taten in den Griff bekommen. Man muß sich in bestimmte Verhaltes- weisen einüben und um das Gute bemühen, um das Böse abzuwehren.

Paulus aber spricht in diesem Zusammenhang von der Sünde und will, daß wir unsere belastete Situation vor Gott realistisch sehen. Sünde ist Ungehorsam und Aufruhr gegen Gott. Sie ist nicht nur ein menschliches Versagen, sondern sie ist eine widergöttliche Macht, die uns ge­fangenhält. Doch das heißt nicht: Da habe ich keine Chance! Wenn die Sünde eine solche Herrschaft ausübt, wenn es um einen Kampf zwischen Gott und der Sünde geht, dann muß ich als schwacher Mensch doch auf jeden Fall unterliegen. Es ist tatsächlich nicht mit dem mutigen Entschluß getan, „ab morgen“ ein besserer Mensch zu werden.

Mit zwei Bildern wird das verdeutlicht. Zunächst spricht Paulus vom Abwaschen. In der Taufe wird alles abgewaschen, was das Leben verdirbt. Manche Leute fühlen sich ja in ihrem Dreck wohl. Aber in der Regel ist man doch froh, wenn man wieder einmal richtig sauber ist, sich schön anziehen kann und frisch gekämmt und rasiert in die Welt hinausspazieren kann. Da fühlt man sich doch gleich wie ein neuer Mensch.

Es ist uns auch peinlich, wenn Besuch kommt und wir sind schmutzig. Da waschen wir uns noch schnell die Hände, ehe wir den Besuch empfangen. Das Gleiche wäre aber auch für unsren inneren Menschen notwendig. Wir können nicht von außen piekfein sein und innerlich verkommen. Aber im Inneren kann uns nur Gott wieder richtig weiß machen. Er macht uns weiß, weißer geht es nicht! Deshalb hat man ja auch früher den Täuflingen nach der Taufe ein weißes Kleid angezogen.

Das andere Bild, das Paulus benutzt, ist das Sterben. Paulus meint, daß man aus all dem Bösen nur herauskommt, wenn man stirbt. Natürlich fragen wir: Was soll denn da sterben, zumal bei uns meist Kinder getauft werden? Ein neugeborenes Kind hat doch nichts Böses getan und es hat das Böse auch nicht von seinen Eltern geerbt. Aber wir wissen, daß es einmal Böses tun wird. Es wird den Eltern ungehorsam werden und es wird Gott ungehorsam werden - so wie

jeder Mensch. Damit aber jeder wissen kann, daß er dennoch zu Gott gehört, taufen wir schon

Kinder. Nur ist es damit nicht getan, sondern das Neuwerden wiederholt sich jeden Tag. Die Taufe ist nur ein Anfang, aber sie wirkt für das ganze Leben und sogar über dieses irdische Leben hinaus.

Natürlich sollen wir nicht ganz und gar sterben: Aber der alte Mensch in uns, der muß abgetan werden. Einen Toten kann niemand mehr zwingen. von ihm kann man keine Schulden mehr eintreiben. Wenn man einer Tyrannei entgehen will, muß er die Grenze des Gewaltstaates hinter sich lassen und ist frei. Wer von dem bösen Nachbar weggezogen ist, der ist frei für eine neue Nachbarschaft. Wenn eine Frau ins Frauenhaus flieht, ist sie mit ihren Kindern sicher vor dem gewalttätigen Mann. Das „Sterben“, das Paulus meint, bringt die Sünde und mich auseinander, so daß die Gefangenschaft endet.

Möglich wird diese Trennung durch die Taufe. Durch sie werden wir mit Christus verbunden und eingefügt in den „Leib Christi“, in die Gemeinde Gottes. Jetzt bringt niemand mehr Christus und die Getauften auseinander. Die dunkle Seite unseres Lebens braucht uns nicht mehr zu imponieren. Sie ist noch da. macht uns zu schaffen und läßt unsre Mitmenschen über uns seufzen. Aber für Christus ist sie tot. Wie Christus das macht, daß die Taufe sich tatsächlich an uns auswirkt, das ist seine Sache.

Allerdings ist es nicht so leicht, positiv darzustellen, was es heißt: Mit Christus auferstehen! Im vollen Sinne ist es uns ja erst für die Zukunft verheißen. Doch gerade deshalb sind wir aufgerufen. unseren Glauben schon hier und heute zu bewähren. Da werden wir gefragt: Willst du zu Christus gehören oder willst du unter der Macht des Bösen stehen? Willst du das Alte absterben lassen und das neue Leben ergreifen?

Die Taufe will uns die Kraft, das Alte absterben zu lassen. Daran will uns das Wasser bei der Taufe erinnern. Wasser kann ja Leben oder Tod bedeuten. Ohne Wasser können wir nicht leben, sonst würden wir verdursten. Aber zu viel Wasser kann auch unser Leben bedrohen: Ein Gewitterguß kann ganz gut sein für die Pflanzen, kann sie aber auch vernichten. So bedeutet auch das Taufwasser beides: Vernichtung des alten und Geschenk eines neuen Lebens.

Wer erst einmal die lebensspendende Kraft des Wassers gespürt hat, der erkennt die innere Unmöglichkeit, sich wieder mit dem alten Leben einzulassen. Es ist dann gar nicht so schwer, gegen das Böse anzugehen: man braucht nur auf dem Boden zu bleiben, auf den man von Christus gestellt wurde.

Wenn wir mit Christus verbunden sind auf Verderb und Gedeih, dann leben wir schon jetzt in

einem neuen Leben und können den christlichen Glauben in unserem Leben praktizieren. Da-

bei wird aber der alte Mensch nicht einfach repariert und umfunktioniert. Aber man lebt von der Zukunft her und auf die Zukunft hin. Man lebt und arbeitet heute schon beschwingter, wenn man morgen etwas Schönes vor sich hat, wenn der Urlaub beginnt oder wenn man einen lieben Menschen treffen will.

Dann lebt man ein anderes Leben. Dann braucht man sich nicht mehr ständig rundum zu verteidigen, braucht nicht mehr um sein Lebensrecht zu bangen und zu kämpfen. Dann braucht man sich nicht mehr zu einem unerträglichen Supermenschen hinaufzusteigern. Man braucht nicht mehr dem anderen vorzurechnen, weshalb man im Leben angeblich zu kurz gekommen ist.

Dann wird man auch nicht mehr ständig übersehen, was Gott uns an Guten bisher schon gewährt hat. Das Leben wird schon anders, wenn man sich als Mensch versteht, der in Gottes kommende Welt gehört. Daß wir so oft auf der Stelle treten oder gar in scheinbar Überwundenes zurückfallen, liegt meist daran, daß wir die von Gott garantierte Zukunft nicht ernst nehmen. Wenn wir aber aus der zukunftschenkenden Gnade Gottes leben, dann verändert uns das in der Tiefe.

Noch ein Schlußwort: Ich will mir vornehmen, immer wenn ich diesen Taufstein sehe, an meine Taufe zu denken und was mir durch sie geschenkt ist. Ich will mich fragen: Was hat mir meine Taufe genutzt? Hat sie jetzt noch eine Bedeutung für mein Leben? Was habe ich heute noch von meiner Taufe?

 

 

Röm 8, (12- 13) 14 – 17 (14. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn man am Pfingstsonntag den Heiligen Geist suchen will, dann geht man nicht in die Natur, sondern man sucht einen Gottesdienst. Wenn man dazu aber über Land fährt, kann es passieren, daß man nirgends eine Kirche findet, wo um 10 Uhr Gottesdienst ist. Das hilft es vielleicht, wenn man im Auto wenigstens über das Radio einen Gottesdienst mit verfolgen kann.

Da kommt der Heilige Geist wenigstens über die Radiowellen zu den Menschen.

Vielleicht fällt der Blick dabei auch auf Windräder, wie sie jetzt überall in der Landschaft stehen. Sie können uns zum Gleichnis werden für das Wirken des Heiligen Geistes: Diese Windräder müssen immer gegen den Wind gedreht werden, damit der Wind sie richtig gut von vorne packen kann und sie richtig antreiben kann.

So müssen auch wir als Menschen uns immer auf dem Heiligen Geist ausrichten, damit er uns zum Glauben und zum rechten Handeln führt. Aber christliches Leben ist nicht allein Sache unseres Entschlusses, sondern da bricht eine andere Wirklichkeit in unser Leben ein. Aber seit Pfingsten wissen wir: In uns ist der Geist Christi, der Heilige Geist, der Motor unseres Christseins ist, der uns zu Kindern und Erben macht

 

(1.) Der Motor unseres Christseins: Christen bringen sich nicht selbst in Bewegung, sondern wie werden vom Geist getrieben, sie müssen sich ihm nur zuwenden. Es besteht ja immer noch die Möglichkeit, daß wir „nach dem Fleisch“ leben, wie es Paulus hier sagt.

 

Bei den „Sünden des Fleisches“ denkt man in der Kirche zunächst an sexuelle Dinge. Aber an sich ist damit zunächst etwas anderes gemeint: der Mensch, der sich Gott entgegenstellt, der sich selbst seiner Leistungen rühmt, der auf das Sichtbare pocht und Gott im Grunde nicht braucht, der allein Herr der Lage sein will. Aber in Wirklichkeit werden wir oft schrecklich abhängig, haben Mißtrauen und Haß gegen die Menschen, sind voller Argwohn und Sorge und wollen auftrumpfen und recht behalten. Wir wollen das Gute, werden aber doch zum Bösen geführt.

Der Mensch meint dabei zu wissen, was er sich selbst schuldig ist: Er nimmt die Feste wie sie fallen, er will das Leben genießen und den Kollegen im Lebensstandard nicht hinterherhinken. Dabei verläßt er sich auf sich selbst, seine Gesundheit, seine guten Eigenschaften, und rechnet nur mit dem, was man sieht und sich selbst schafft.

Unter christlichem Leben verstehen wir dann meist, daß wir eine laxe Lebensauffassung durch eine ernsthaftere ersetzen, schlechte Lebensregeln gegen bessere eintauschen und in ein verlottertes Leben wieder Ordnung bringen. Wir wollen mehr Liebe, mehr Geduld, mehr Wahrhaftigkeit, mehr Hingabe und mehr selbstlosen Dienst. Und dann soll alles in Ordnung sein.

Aber ein geordnetes und zielgerichtetes Leben und die Mitgliedschaft in der Kirche schließen nicht aus, daß man vom eigenen Ich geprägt ist und sich von den eigenen Wünschen leiten läßt. Wir können noch so sehr an uns herumbasteln und uns mühen, diese oder jene schlechte Eigenschaft lassen - solche Einzelaktionen bringen nichts. Das ist wie wenn man eine Wespe an der Fensterscheibe zerdrückt, aber das Wespennest nicht ausrotten kann.

Wie kommt man aus all dem heraus? Es gerät nur dann etwas in Bewegung, wenn wir uns dem Geist Gottes stellen, indem wir auf sein Wort hören. Natürlich kann man von diesem Wind auch fast umgeweht werden. Vieles bei uns kann im Wehen des Geistes nicht bestehen. Gottes Wort sagt uns nämlich klipp und klar, wo etwas bei uns faul ist und wo wir ungehorsam wurden. Paulus ermuntert uns aber, den Sturm des Heiligen Geistes ungehindert wehen zu lassen und uns von ihm in unserem Denken und Tun treiben zu lassen

Gottes Geist gibt die Kraft, den Versuchungen aus dem Weg zu gehen, den bösen Drang im Herzen zu besiegen und den Kampf zwischen Fleisch und Geist zu bestehen. Wir geraten dadurch in Bewegung, wenn wir das Gottes Wort an uns arbeiten lassen, das den Geist Gottes mit sich führt.

Aber wir müssen nichts in uns erbarmungslos niederkämpfen oder heroischen Verzicht üben. Getötet werden die Verführungen nicht durch uns und die besseren Kräfte, die wir aus uns selbst entwickeln. Wir brauchen Gottes Geist nur an uns heranzulassen und uns seinem Willen auszusetzen. Dann erledigen sich die dunklen Geschäfte des Fleisches von selbst, alle Verführung wird uninteressant und wir werden von ganz anderen Dingen erfüllt. Das hängt auch damit zusammen, daß wir ja Kinder und Erben sind und uns eine Zukunft verbürgt ist.

 

(2.) Kinder und Erben: Gott hat an sich nur einen Sohn, und dennoch werden auch wir „Kinder“ genannt. Doch wir sind es nicht von Natur aus, sondern erst der Sohn hat uns zu seinen Brüdern und Schwestern gemacht. Dadurch haben wir ungehinderten Zugang zu Gott, so wie das Kind des Chefs ohne Termin der Vorzimmerdame zum Vater kommen darf und ihn mit „Du“ und mit „Vater“ anreden darf.

Kinder sind etwas anderes als Sklaven. Der Sklave tut etwas, weil er es muß, nicht weil er will. Ein Christ tut alles in Freiheit. Er muß nicht den widerstrebenden Willen in sich niederkämpfen. Er muß sich auch nicht unter ein fremdes Gesetz beugen. Wir werden auch nicht ferngesteuert. Gott erfaßt, wenn er uns den Geist gibt, unser Herz, das Innerste unserer Person. Wo sein Geist wirkt, da ist Freiheit. Er verlangt uns nichts ab, wozu wir nicht in Freiheit „Ja“ sagen.

Allerdings kann heute nicht jeder unbefangen „Vater“ zu der Person sagen, die früher „Haushaltsvorstand“ genannt wurde. Manchmal ist es ja gar nicht der leibliche Vater. Aber noch schlimmer ist es, wenn der Vater gar nicht der liebende und sorgende Vater ist, sondern Frau und Kinder schlägt, das Geld versäuft und vielleicht auch fremd geht.

Ein solches Verhalten kann durchaus den Blick auf Gott, den Vater, verstellen. Aber solche „Rabenväter“ widerlegen nicht Gottes gute Ordnung, die in unserer Welt - zum Glück - trotz aller Störung noch gültig und wirksam ist. Wir können und dürfen Gott ganz unbefangen als unseren Vater anreden, wie wir das jeden Sonntag im Gottesdienst tun.

Und wir brauchen auch nicht „Mutter unser“ zu sagen, wie das manche übertriebene Feministinnen wollen, denn der Vater schließt auch das Mütterliche mit ein. Gott erlaubt uns, ihn so unbefangen anzureden wie ein Kind seinen Vater anredet. Natürlich gibt es auch eine ehrfürchtige Sprache der Anbetung, wie wir sie besonders im Gottesdienst verwenden. Aber wir dürfen Gott auch alles sagen, wie uns der Schnabel gewachsen ist, er versteht schon das Gemeinte. Und der Geist hilft, daß alles richtig ankommt.

Kinder fühlen sich geborgen, wenn sie beim Vater oder der Mutter sind und ihre Stimmen hören. Und wir Christen dürfen uns geborgen fühlen, wenn wir Gottes Stimme aus seinem Wort hören. Dann dürfen wir auch gewiß sein, daß er unsere Stimme im Gebet hört. Nur müssen wir auch dorthin gehen, wo dieser Geist Gottes besonders stark weht und uns ihm aussetzen. Luther hat es im Katechismus so formuliert: „….daß wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern gerne hören und lernen!“

Wir leben noch in einer großen Spannung: Wir sind nicht mehr „alter Mensch“, aber wir haben auch das Erbe noch nicht angetreten. Grundsätzlich gehört uns schon alles, was dem Vater ist. Aber erst recht wird es uns gehören in der zukünftigen Herrlichkeit. Deshalb können wir auch unser irdisches Leben mit anderen Augen sehen: „Gott hat uns angenommen, das gibt uns einen neuen Wert und ein neues Selbstverständnis.“

Wir hören dann auf, uns nur um uns selbst zu drehen. Dann denken wir nicht nur: „Wann ist das nächst Fest? Was ist jetzt Mode? Wie kann ich zu mehr Geld kommen?“ Fernsehen und gutes Essen füllen uns dann nicht mehr aus. Dann haben wir auf einmal ganz neue Aufgaben: Wir suchen nach Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Wir entdecken Traurige, die unseren Zuspruch nötig haben. Wir entdecken Gelegenheiten, wo wir Freude bereiten können. Und wir möchten mithelfen, daß andere Christus kennen und erfahren lernen. Aber dazu müssen wir uns erst dem Geist Gottes aussetzen wie die Windräder auf den Höhen.

 

 

Röm 8, 18-23 (24-25) (Vorletzter Sonntag, Variante 1):

Können wir wirklich wünschen, daß Wolf und Bär wieder in unserer Gegend angesiedelt werden? Es gibt ja so Naturschützer, die sind ganz aus dem Häuschen, wenn bei uns ein einsamer Wolf gesichtet wurde. Sicherlich haben wir eine Verantwortung für den Erhalt der Schöpfung. Aber ob wir dazu unbedingt den Wolf brauchen, ist doch die Frage. Angeblich sind solche Tiere ein Anzeichen dafür, daß die Natur intakt ist. Aber es sind im Laufe der Erdentwicklung so viele Tiere ausgestorben, aber es gab immer noch Natur. Man darf da auch nicht übertreiben.

Bis jetzt hat Gott immer noch seine Welt erhalten. Diese Welt ist zwar in mancher Hinsicht verdorben, aber Paulus hat die Hoffnung, daß es mit Tier und Mensch durch Gottes Hilfe immer weiter geht. Der Mensch braucht eine Hoffnung, wenn er weiter leben will. Wenn man nichts mehr hofft, lebt man auch nicht mehr richtig. Man kann aber viel ertragen, wenn man noch ein Ziel vor sich hat.

Doch manche empfinden die christliche Zukunftshoffnung als eine Vertröstung. Karl Marx sah das so, als er die Kirche seiner Zeit vor Augen hatte: Sie lenke nur ab von der Aufgabe, die heutige Welt zu verbessern. Und er hatte den Verdacht, daß die christliche Hoffnung nur eine Einbildung sei, eine Fata Morgana am Himmel.

Paulus dagegen sagt, daß diese Hoffnung nicht enttäuscht werden wird. Er meint sogar, daß die gegenwärtigen Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Lichtherrlichkeit, die aufgedeckt werden soll. Jedenfalls ist Paulus, der selbst vom Leiden einiges weiß, unerhört zuversichtlich.  Und das nicht, weil er von Natur aus sehr robust wäre, sondern er ist im Gegenteil sehr feinfühlig. Aber er weiß, warum und worauf er hofft und predigt eine stichhaltige Hoffnung, eine Hoffnung für die seufzende Welt und eine Hoffnung für die wartenden Christen.

1. Hoffnung für die seufzende Welt:

Ein Christ ist immer mit der Welt und damit auch mit der Natur verbunden. Er ist von Gott              erschaffen samt „allen  Kreaturen“, wie Luther es im Katechismus sagt. Das spezifisch Menschliche findet sich nicht nur in einer reinen Innerlichkeit, der Mensch hat auch einen Leib und ist       in den Zusammenhang der Welt eingebunden. Wir sind mit anderen Menschen schicksalhaft verbunden. Und je kleiner unsere Welt wird, desto weniger ist es uns erlaubt, nur das eigene kleine Schicksal vor Augen zu haben.

Die Natur darf uns nicht nur das Objekt des naturwissenschaftlichen Erkennens und des technischen Beherrschens sein. Vielmehr stehen wir zu ihr in einem Verhältnis des Vertrautseins und der Verbundenheit. Wir leben in ihr, fühlen mit ihr, denken für sie und sorgen für sie. So hat es Franz von Assisi verstanden, der Sonne und Mond, Wasser und Feuer seine Geschwister genannt hat und mit den Tieren auf einer Lichtung im Wald das Weihnachtsfest gefeiert hat und den Vögeln gepredigt hat.

Paulus geht noch weiter. Er sagt: Die Natur wartet darauf, daß mit dem Menschen eine umfassende Veränderung vor sich geht. Dabei soll aufgedeckt werden, was Gott heimlich schon aus den Menschen gemacht hat. Öffentlich und unübersehbar sollen sie als Kinder Gottes in Erscheinung treten. Denn in dem, was aus dem Menschen wird, entscheidet sich auch, was              aus der Natur wird.

Es gibt Menschen, die reden mit ihren Blumen. Oder sie behaupten, daß die Blumen auf der Fensterbank besser gedeihen, wenn die Menschen im Raum gut miteinander sind. Man kann das nicht beweisen, aber man kann es auch nicht widerlegen.             

Der Mensch ist das Schicksal der Welt. Aber leider hat er den Auftrag aus der Schöpfungserzählung „Macht euch die Erde untertan“ nur einseitig verstanden. Er hat nur vernommen, daß die Natur ihm dienen muß und beutet sie deshalb aus ohne Rücksicht auf Verluste. Er hat aber übersehen, daß er als Statthalter Gottes für die Schöpfung sorgen soll. Aus dem Gärtner und              Pfleger ist der rücksichtslose Technokrat und Ausbeuter geworden.

Was der Mensch vermag, zeigt sich nur im Rahmen einer Ordnung, die den Mißbrauch ausschließt. Paulus aber hört das Stöhnen der Natur: den aufgeregten Alarmruf des Singvogels, das stumm leidende Pferd, das Ächzen eines Baumes, der unter der Umweltbelastung und dem Angriff von Schädlingen leidet.

Aber Paulus kennt auch die Zeichen der Hoffnung. Er sagt:  Die Natur ist an der Hoffnung beteiligt, mit der und von der auch der Mensch lebt.

Nur ist die Kreatur unfreiwillig der Vergänglichkeit verfallen, während der Mensch einen bewußten Entschluß dazu gefaßt hat. Doch Gott  findet  sich mit dem Leiden in der Welt nicht ab: Wenn er die Menschen rettet, dann wird das auch die Rettung der außermenschlichen Natur sein. Sie spürt: Es gibt da etwas zu hoffen. Die Befreiung der Kinder Gottes wird auch zu der Befreiung der ganzen Schöpfung führen.

 

2. Hoffnung für die wartenden Christen:

Gerettet       sind wir nur im Sinne der Hoffnung. Die Gegner des Paulus in Korinth haben ihm              vorgehalten, wie schwächlich und ärmlich er ist. Paulus hat ihnen das nicht zu widerlegen versucht. Vielmehr hat er gemeint, das gehöre alles zur Kreuzesgestalt des Christenlebens. Man sieht uns nicht an, daß wir Gottes Kinder sind. Vielmehr ist das neue Leben mit Christus              hineinverpackt ins Unansehnliche. Gott hat   u n s  mehr als wir   i h n   haben.

Auch wir selbst  sehnen uns nach dem Wirksamwerden der Kindschaft und warten auf des Leibes Erlösung. Daß wir Kinder sind, muß erst noch ans Licht kommen - und nicht nur für die anderen, sondern auch für uns selbst. Aber Gott steht zu uns ohne Wenn und Aber.  Nur lesen wir das nicht an uns selber ab, sondern an Christus, an seinem Wort und seinen Sa­kramenten.

Es spricht nicht gegen unser Kindesrecht, wenn wir einbrechen, wenn uns die Kräfte ausgehen, wenn uns der Mut entsinkt, wenn es mit dem Beten nicht mehr gehen will und wenn wir in Angst geraten. Bei diesem Zustand soll es nicht bleiben. Wir dürfen offen sein für die Zukunft: Alle irdische Qual wird ein Ende haben und wir dürfen hoffen auf die Auferstehung              der Toten.

Aber das heißt nicht, daß wir bisher leer ausgegangen wären: Wir haben den Geist als den Anbruch des kommenden Lebens. Wir warten auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes. Dann wird es keine Entfremdung mehr zwischen uns und Gott geben. Auf uns scheint die Herrlichkeit Gottes. Und das alles in einer erneuerten Welt und in Verbundenheit mit der Kreatur, die nicht mehr seufzen muß.  Wir freuen uns auf die neue Welt. Beschreiben können wir sie nicht. Aber sie wird so sein, daß alle Leiden dieser Zeit dagegen nicht ins Gewicht              fallen.

 

 

Röm 8, 18 – 23 (Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres, Variante 2):

Wenn man in ein Krankenhaus kommt, kann man erleben, was Leiden bedeutet. Da gibt es Herzpatienten, denen jede Stunde der Puls gemessen werden muß. Da hat einer Magengeschwüre. Da sind alte Menschen, die nicht mehr aufstehen können. Da sind Kinder, die schreien, weil ihre Eltern sie allein lassen müssen. Und vielleicht wird man dann mit seinem eigenen Schicksal wieder zufriedener und erkennt, daß das eigene Wehwehchen gar nicht so schlimm ist.

Paulus meint im Römerbrief auch: „Ich bin der Meinung, daß das Leiden in dieser Welt nicht so viel bedeutet wie die Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden!“ Damit gibt er offen zu, daß es Leiden in dieser Welt gibt. Aber er verweist uns auf Jesus, der all diesem Leiden einmal ein Ende machen wird.

Zwar sind die Christen schon neue Menschen durch die Kraft des Heiligen Geistes. Aber in der Zeit vor der Wiederkunft Christi ist ihr Leben noch wesentlich vom Leiden bestimmt. Dieses ist Zeichen der Nachfolge Christi. Wer aber jetzt mit Christus leidet, der wird auch dann Anteil haben an der künftigen Herrschaft und Herrlichkeit Christi. In dieser Gewißheit können wir leichter mit den Leiden in unserer Welt fertigwerden.

Das Leiden kann eine Krankheit sein, die nicht lebensgefährlich, aber hartnäckig ist: Im Beruf fällt man für Wochen oder Monate aus, man ist von seiner Familie getrennt, die Nächte ohne Schlaf sind lang, man hat trübe Gedanken und ist ungeduldig.

Oder da ist eine Ehe nicht mehr in Ordnung. Es liegt kein massiver Ehebruch vor. Aber man ist sich gleichgültig geworden und kann doch das unterkühlte Verhältnis nicht ertragen. Man kann eigentlich gar nicht mehr sagen, wann die Krise des Nichtmehr-Verstehens begann. Aber nun ist es schwer, zu einem Neuanfang zu gelangen. Oder da wird ein altes Ehepaar durch den Tod eines Partners getrennt. Viele Jahrzehnte haben sie mit viel Treue zusammengestanden. Nun hat die Welt für den Zurückbleibenden nur noch den halben Wert, jetzt ist niemand mehr da, mit dem man sich zusammen freuen könnte.

Aber Leiden gibt es nicht nur in unsrer kleinen Alltagswelt, sondern auch im Horizont der großen weiten Welt. Ja, vor 200 Jahren brauchte man sich über das Kriegsgeschrei in fernen Ländern nicht unbedingt Gedanken zu machen. Was ging das einen an, wenn man sich irgendwo in der Welt die Köpfe einrannte und sich umbrachte.

Heute aber ist die Welt klein geworden. Und es geht uns schon etwas an, wenn sich anderswo die Menschen gegenseitig umbringen oder wenn irgendwo Menschen verhungern müssen. Es gibt immer wieder Konfliktherde, die sich zu Flächenbränden auszuweiten drohen, unter deren dann unschuldige Menschen zu leiden haben. Aber wenn wir Frieden haben und uns an den gedeckten Tisch setzen könnten, dann sollten wir an die denken, die keine Ruhe haben und weder Tisch noch Essen haben, um satt zu werden. Das Leiden dieser Welt kann uns nicht gleichgültig lassen.

Paulus hat auf seinen Reisen auch viel vom Elend der Menschen gesehen und auch am eigenen Leibe erfahren. Aber er klagt nicht, sondern er beschreibt nur nüchtern den Zustand. Und er bleibt nicht bei der Schilderung des Dunklen im Menschenleben hängen, sondern er spricht von der Hoffnung, die der Christ haben darf.

Paulus täuscht sich also über die Leiden in der Gegenwart nicht hinweg. Er sieht unsere Schwachheit und unser Leiden an uns selber, an den Mitmenschen, an der Welt und auch an der Kirche. Er weiß von Altwerden und Kranksein, vom Tod lieber Menschen und vom eigenen Sterben. Aber er lenkt unseren Blick auf die Hoffnung, die wir als Christen haben dürfen.

Gott hat verheißen, alle Probleme zu lösen und alle Not zu beseitigen. Wir hören von der „Freiheit der Kinder Gottes“ und von des „Leibes Erlösung“. Zwar soll das alles erst in der Zukunft volle Wirklichkeit werden. Aber eine solche Hoffnung zahlt sich heute schon aus. Als Christen dürfen wir Menschen der Hoffnung sein. Nur so werden wir der Aufgabe gerecht, die Gott uns in dieser Welt gestellt hat.

Paulus sieht das so: Nicht nur die ganze Menschheit, sondern die ganze Schöpfung sehen auf die Christen, ob sie an der Hoffnung festhalten. Die Schöpfung wartet darauf, daß wir endlich als Söhne Gottes offenbar werden. Daran hängt ihre Hoffnung. Nur wenn die Christen erlöst werden, darf auch die ganze Menschheit hoffen, nur so wird auch die Kreatur eine Zukunft haben.

Andere Religionen zur Zeit des Paulus versprachen nur der Einzelmenschen die Erlösung aus der bösen Welt. In der Bibel aber wird die ganze Welt als Schöpfung Gottes gesehen; sie wird mit eingeschlossen in die Erlösungstat Gottes. Allerdings werden wir nicht so genau erkunden können, wie die künftige Vollkommenheit der Natur beschaffen sein wird. Wir wollen uns das Hoffnungsbild der neuen befreiten Welt nicht allzu sehr menschlich ausmalen. Aber wir dürfen eben doch unsere gesamte Umwelt in die Hoffnung auf eine bessere

gelt mit einbeziehen.

Allerdings wissen wir auch, daß die Schöpfung Gottes einen Schaden erlitten hat. Deshalb sehnt sie sich ja gerade nach der Erlösung. Die Bibel meint, dieser Schadenhänge mit der Verkehrtheit der Menschen zusammen. Weil die Menschen die Gebote Gottes mißachten, muß auch die Schöpfung darunter leiden.

In der Bibel ist das ausgedrückt in der Erzählung vom Sündenfall. Wir heutigen Menschen aber denken dabei ganz konkret an das, was die Menschen der Schöpfung antun. Gewiß ist die Technik nicht vom Teufel. Aber ein gedankenloser Raubbau an den Bodenschätzen und am Wald, eine Vergiftung der Gewässer und die Herstellung von Vernichtungswaffen gehören nicht zum Schöpfungsauftrag Gottes. Hier liegt nicht ein unvermeidliches Schicksal vor, sondern eine Abkehr von Gott.

Umgedreht sind wir als Christen aufgerufen, nicht tatenlos zuzusehen, wenn die Fische in den verseuchten Flüssen sterben, wenn ganze Tierarten aussterben, weil ihnen die natürliche Nahrung und der natürliche Lebensraum entzogen wird, wenn hunderttausend Seevögel in der Öl-Lache eines Supertankers umkommen.

Wir sind als christliche Gemeinde mit hineingenommen in die Verantwortung für die Schöpfung. Wir können an Leiden und Sterben der Kreatur nicht achtlos vorübergehen Wir werden an der Sorge um die gequälte Schöpfung tätig teilnehmen. Das ist jedenfalls eine christlichere Haltung, als wenn einer in die vermeintlich unberührte Natur wandert, um dort seinen Herrgott zu finden. So etwas ist Naturschwärmerei und nicht christlicher Glaube.

Als Christen sollten wir die Natur und unsere gesamte Umwelt nüchterner sehen, auch den Kampf ums Überleben, den Schmerz und das Leiden nicht übersehen. Und wir können ruhig auch die durch den Menschen verursachten Schäden beachten. Aber wir sollten solidarisch sein mit der Welt und der Kreatur. Sie warten alle so wie wir auf eine Veränderung der Situation und hoffen auf eine neue Welt.

Gerade an unesren Haustieren können wir merken, wie Angst haben, wie sie sich an den Menschen anschließen, wenn Gefahr droht, wie sehr sie auf Hilfe hoffen, wenn sie zu Schaden gekommen sind. Tiere können sich ja nicht verstellen und zusammenreißen. Deshalb merken wir bei ihnen besonders das „ängstliche Harren der Kreatur“. Wenn einer so etwas nicht spürt, dann ist auch sonst mit seinem Menschsein etwas nicht in Ordnung.

Wer aber mit der gesamten Schöpfung seine Hoffnung auf Gott setzt, der wird auch lebenstüchtig sein. Er rüstet sich auf die Stunde hin, die seine letzte sein wird. Aber er wird nicht mit Trauerblick seine Straße ziehen, sondern schon in der Gegenwart von der Hoffnung auf das Heil Gottes leben. Er wird nicht auf sich selbst gestellt sein, sondern über Furcht und Hoffnungslosigkeit herausgehoben werden durch die Hoffnung auf Gottes Zukunft.

 

 

Röm 10, 9 – 17 (17. Sonntag nach Trinitatis):

Es wird manchen unter uns geben, der darunter leidet, daß ein lieber Mensch nicht an Christus glaubt. Eltern können den Glauben nicht an ihre Kinder und Enkel weitergeben oder der eine Ehepartner hat den anderen nicht überzeugen können. Da heißt es dann: „Laß mich in Ruhe mit deinem Reden von Gott, das ist doch altmodisch! Für dich mag es ja etwas sein, aber ich will damit nichts zu tun haben!“' So wird es mancher schon gehört haben.

Es gibt auch dem umgekehrten Fall, daß Kinder unter dem Unverständnis ihrer Eltern leiden. Sie gehen zum kirchlichen Unterricht, aber die Eltern haben Angst, die Kinder könnten dabei zu fromm werden und dann auf beruflichem Gebiet Nachteile haben oder vielleicht sogar

selber einen kirchlichen Beruf ergreifen. Hier bleibt zwischen Menschen, die sich liebhaben, oft eine tiefe Fremdheit und ein Riß, der schmerzt.

Es geht dabei ja nicht nur um das persönliche Verhältnis zueinander. Hier geht es ja vor allem auch um Tod und Leben, das heißt: um das ewige Leben. Das hat auch Paulus so fertig gemacht, wenn er an das Schicksal seines Volkes dachte. Es ging ihm nicht um die persönliche Enttäuschung, daß seine Arbeit fruchtlos zu sein schien. Vielmehr lebte er in Angst und Sorge um die Zukunft seines Volkes: „Was wird aus ihnen werden, wenn sie nicht an Jesus glauben? Werden sie verloren sein in alle Ewigkeit?“

Wie können wir den Menschen begegnen, die sich gegen Gott verhalten? Zunächst einmal sollten wir allen Hochmut gegenüber dem anderen ablegen. Unser Glaube ist nicht unser Verdienst und Werk, sondern ein Geschenk Gottes. Und da ist nicht Einbildung am Platz, sondern Staunen und Dankbarkeit, weil Gott uns gewürdigt hat, an ihn zu glauben.

Dann sollten wir Achtung vor den Empfindungen des anderen haben. Oft halten wir unseren Glauben für den allein wahren und richtigen. Aber bei jedem ist der Glaube persönlich eingefärbt, jeder glaubt auf seine besondere Weise an Gott und an Christus. Andere sollen nicht ge­nauso glauben wie wir, sondern ihren Glauben an Gott und Christus selber finden. Es könnte sogar sein, daß im Herzen des anderen schon ein Glaube lebt, den wir nur nicht entdecken, weil er uns fremd ist. Der andere soll nicht das Gefühl haben, er wäre erst dann anerkannt, wenn er unseren Glauben teilt. Wir kennen nicht die Wege, die Gott den anderen noch führen wird. Wenn Gott will, daß unseren Kindern noch die Augen aufgehen, dann wird er es geschehen

Aber hier liegt natürlich ein schweres Problem: Wenn Gott es allein in der Hand hat, ob jemand seinen Platz bei ihm findet oder von ihm geschieden ist, ob er gerettet oder verloren ist, dann liegt es ja gar nicht am Menschen, sondern an Gott. Muß man da nicht zutiefst beunruhigt sein über einen Gott, der völlig wahllos Schicksal macht, und nicht nur zeitliches Schicksal, sondern ewiges? Was wird aus den Menschen, unter denen wir wohnen und mit denen wir arbeiten, wenn ihre Unansprechbarkeit für Gott auf Gottes eigenem Entschluß beruht?

Gott ist frei, er kann erwählen und verwerfen, und er ist niemandem verpflichtet außer sich selbst.

Noch größer ist aber der Schock, wenn wir bedenken: „Gott könnte ja auch unseren Glauben noch in Frage stellen. Wir rechnen uns jetzt zu den Glaubenden. Aber körte es auch nicht wieder anders kommen, daß wir nämlich nicht mehr glauben können?“ Da haben junger Menschen jahrelang beim Krippenspiel mitgemacht, kamen häufig zu den Jugendabenden ‚und dann schreiben sie auf einmal: „Meine jetzige Weltanschauung verträgt sich nicht mit der Zugehörigkeit zur Kirche!“ Wie kommt so etwas, ist denn gar nichts hängengeblieben?

Wenn einer seine Gottesbeziehung nur für einen Luxus ansieht, den man sich leisten, auf den man aber auch ohne Not wieder verzichten kann, dann ist so eine Entwicklung für den Betreffenden nicht tragisch. Wenn einer aber die Frage nach Gott ganz ernst genommen und tief durchdacht und durchlitten hat, dann reibt er sich daran, daß er Gott alle Freiheit zugestehen muß und nicht weiß, wo er selber nach Gottes Wollen steht.

Für uns liegt es nahe, die Menschen dann immer gleich in zwei Gruppen einzuteilen: Hier die Erwählten, dort die Verworfenen. Manche Christen sind da bestürzend schnell bei der Hand. Sie rechnen natürlich sich selber immer gleich zu den Glaubenden, zu denen, die immer alles richtig machen. Doch tatsächlich kann man diese Gruppen der Angenommenen und der Ausgeschlossenen gar nicht vor sich sehen. Man kann nicht einmal von sich selbst wissen, was Gott über einen beschlossen hat. Das müßten sich die vor Augen halten, die sich ihres Glaubens so sicher sind.

Doch wir wollen hier nun niemanden verunsichern. Gott ist ja gar nicht auf die Scheidung dieser beider Gruppen aus, das ist ja immer nur unsere menschliche Einteilung. Gott möchte uns nur zu gern alle retten. Er gibt Keinen auf und ruft uns immer wieder zu sich und will uns zum Glauben helfen.

Die Juden haben auch so eine Trennung versucht in „Gläubige und Heiden“. Selbst Jesus hat die ausländische Frau zunächst zurückgewiesen, die für ihre Tochter gebeten hat. Aber durch ihren Glauben hat diese Frau dem Ring durchbrochen, der um das Volk der Wahl Gottes gelegt war. Gerade der Glaube gewinnt bei Gott; und dann sind Juden und Heiden nicht mehr voneinander geschieden. Jeder ist eingeladen. Und mehr als diese Frau brauchen wir auch nicht vorzuweisen.

Wir haben wohl alle eine geheime Angst, das Spiel unseres Lebens zu verlieren. Auch als Glaubende unternehmen wir noch verdächtig viel, um das Heil Gottes mit unseren Methoden herbeizuzwingen. Wir begreifen, daß es kein Gesetzessoll mehr für uns gibt. Aber dann legen wir uns wieder ein Glaubenssoll auf und machen so den Glauben zu einem Werk.

Doch der Glaube vertraut nicht nur auf seine Stärke und er verzweifelt auch nicht an seiner Schwäch­lichkeit. Er hat nur Christus im Blick und weiß: Er ist kein mühsam anzustrebendes Fernziel, sondern was wir brauchen, ist uns ganz nahe. Christus ist uns nahe und herzlich zugewandt. Wir können uns nur wundern und tief betroffen sein, weil er sich so für uns interessiert. Wir haben ihn schon viel gekostet. Aber er verlangt von uns nicht mehr, als daß wir uns von ihm lieben lassen.

Auch das Bekenntnis mit dem Herz und mit dem Mund meint nicht mehr. Wir würden über Paulus hinaus auch noch das Bekenntnis der Tat hinzufügen, die praktische Lebenshaltung und die Vertrauenswürdigkeit des Christen. Ein solches Zeugnis wirkt glaubensfördernd bei dem anderen, aber auch bei dem Bekennenden selbst: Er wird sich so seines eigenen Glaubens bewußt und erfährt an sich selber unmittelbar die Kraft Christi.

Dann wird er auch begreifen: Es gibt keine Vorzugsstellung der einen vor den anderen. Das Wort Gottes muß man sich nicht erst mühsam herbeiholen, muß sich nicht erst durch einen Wust schwieriger Fragen hindurcharbeiten und nicht erst viele Künste aufwenden. Man muß nichts mitbringen, sondern jeder hat die gleichen Chancen: fromme Kirchenchristen und solche, die nur einmal durch das Astloch im Zaun gucken; Menschen mit einem geordneten Leben und solche, die von einer Verlegenheit in die andere stolpern, die Christus schon seit langem kennen, aber auch die, die zum ersten Mal staunend auf ihn aufmerksam werden. Gott liegt an allen, und an den Schwachen liegt ihm wohl noch am meisten. Er ist reich für alle, die ihn anrufen, wie Paulus sagt. Unsere Armut und unser Mangel machen^ nichts aus bei einem so reichen Herrn.

Nicht jeder wird das gleich erkennen. Er wird sich vielleicht vorkommen wie einer, der vor einem strahlend beleuchteten und verlockend dekorierten Schaufenster steht, aber nicht weiß, wie er drankommen soll, weil der Laden zu ist oder die Geldtasche leer.

An das Geheimnis Gottes aber, an seine Botschaft, kommt man durchaus heran. Paulus sagt: „Der Glaube kommt aus der Predigt!“ Man kann Gott nicht irgendwo suchen, sondern er kann nur dort gefunden werden, wo er sich uns gibt. Gott ist zwar überall: in der Natur, in der Geschichte, im persönlichen Schicksal, in den Mitmenschen - aber dort ist er immer nur der verborgene Gott. Wirklich erkennen werden wir ihn nur, wenn uns etwas über ihn gesagt wird. Wir brauchen also die Predigt und den Umgang mit dem Wort Gottes überhaupt.

Ein Theologieprofessor sprach einmal mit einer Dame über den Glauben. Doch diese sagte: „Darüber habe ich ganz andere Ansichten, ich bin nämlich ungläubig!“ Doch der Professor fragt sie nach einigen Büchern, die sich ernsthaft mit Glaubensfragen beschäftigen und die sie als gebildete Frau eigentlich gelesen haben könnte. Er fragt, ob sie das Neue Testament und den Katechismus gelesen habe. Aber die Frau muß verneinen. Da sagt der Professor: „Entschuldigen Sie“, sagte da der Professor, „dann sollten Sie sich besser unwissend und nicht ungläubig nennen!“ Wie viele bei uns werden auch eher unwissend als ungläubig sein!

Wir aber haben die Möglichkeit, unsere Unwissenheit zu überwinden, indem wir zum Gottesdienst kommen und die Predigt hören. Da wird uns Christus vor Augen gemalt wie bei einem Schaupiel auf der Bühne. Gott aber wirkt hinter der Bühne und hält die Fäden in der Hand. Aber an das, was wir vorne auf der Bühne sehen, können wir uns halten. Wir sehen das

Leben Jesu, seine Verkündigung und sein Sterben, wir hören die Botschaft von der Auferstehung. All das hilft dazu, den oftmals verborgenen Gott zu erkennen und zum Glauben an ihn zu kommen.

Ein Londoner Bischof fragte einmal einen berühmten Schauspieler, weshalb die Prediger mit ihrer erhabenen und wahren Verkündigung meist nur geringen Eindruck machen, die Schauspieler mit ihren Dichtungen aber die Leute sehr bewegen. Da antwortete der Schauspieler: „Das kommt daher, daß wir von erdichteten Sachen wie von wahren sprechen, die Herren Geistlichen dagegen von den wahren Sachen wie von erdichteten!“

Daß der Glaube bei uns lebendig werde, können wir nur von Gott erbitten. Wenn man nur am Wort Gottes dranbleibt, darf man darauf vertrauen, daß es zündet. Was wir brauchen, ist uns im Grunde ganz nah, selbst dann, wenn wir es im Augenblick noch nicht so erkennen.

 

 

Röm 11, 25 – 32 (10. Sonntag nach Trinitatis):

Es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht Meldungen aus dem Nahen Osten aus dem Radio oder dem Fernsehen entnehmen. Es wird dabei deutlich: Das alles hat seinen Grund in der Existenz des Staates Israel in diesem Gebiet, ein Staat, der früher in dieser Form nicht da war und der heute als Störenfried empfunden wird. Aber der Staat wurde gegründet, weil man den Juden nach den Verfolgungen in Europa durch die deutschen Nazis wieder eine „Heimstatt“ geben wollte, wie es damals hieß. Weil wir aber Teil des Volkes sind, aus dem die Täter kamen, haben wir bis heute ein besonderes Verhältnis zu diesem Staat und zu seinen Bewohnern.

Man könnte denken, daß nun auch noch in der Kirche das Thema „Israel“ aufgegriffen wird. Aber das hat keinen aktuellen Grund, sondern das war schon immer so am 10. Sonntag nach Trinitatis, auch als es den Staat Israel noch nicht gab. Mit anderen Worten: Es geht hier nicht um politische Fragen, sondern um das Verhältnis zwischen Christen und Juden, um die Beziehung zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk. Hier ist vom Messias die Rede, der das gottlose Wesen von Jakob abwenden wird und Israels Sünden wegnehmen wird. Das ist eine Frage, die auch uns angeht. Wir wollen deshalb heute bedenken, was uns mit den Juden verbindet und was wir aus dem Schicksal dieses Volkes für uns lernen können, für unseren Glauben und für unser Leben.

Paulus rätselt an der Frage herum, weshalb sein Volk denn so blind war für Jesus. Jahrhundertelang haben sie auf den Messias gewartet. Nun aber ist er da und sie wollen nichts von ihm wissen. Dabei war doch klar, wie alles verlaufen sollte, jedenfalls wenn man in die Schriften des Alten Testaments hineinsieht: Zunächst würde sich Israel um den Messias scharen, und dann würde das Heil übergreifen auf die Heidenwelt: Die Israeliten sind die Ersten, dann kommen die anderen Völker!

Aber dieses Schema wurde im wörtlichsten Sinne durchkreuzt: Der Retter wurde ans Kreuz geschlagen. Das Volk der Erwählung hat sich in seiner Mehrheit vom Heil ausgeschlossen. Man kann nur erschrecken, wenn man bedenkt: „Gottes Volk ist in der Verlorenheit!“ Aber es gibt in der Geschichte Gottes eben nicht nur Sprünge nach vorn, sondern zuweilen auch Abbruch.        

Doch für uns ist das noch lange kein Grund, nun triumphierend auf die Juden herabzusehen und sie zu schulmeistern. Wir können uns nur freuen, wenn wir unser Heil in Jesus Christus erkannt haben und uns dadurch nur noch enger mit Gott verbunden wissen. Aber wenn die einen sich der Herrschaft Gottes versagen, dann läuft sie weiter zu anderen. Zunächst wurden wir Nutznießer des Versagens Israels. Aber was ist, wenn wir nun unsererseits nichts von Gott wissen wollen? Dann könnte es heißen:

 

(1.) Die Ersten werden die Letzten sein: Schon Luther gebraucht das Bild vom Platzregen, der mal hier, mal da niedergeht. So trifft auch Gottes Wort einmal die und einmal die. Und wenn die eine Gruppe nicht darauf hören will, dann geht es eben weiter zur nächsten. Man könnte sich das alles aber auch mit folgendem Bild deutlich machen: Wenn ein Fluß an seinem normalen Lauf gehindert wird, dann sucht er sich ein neues Bett. Aber irgendwo muß das Wasser ja hin. Und ebenso muß auch Gottes Wort eine Wirkungsstätte finden. Es könnte sein, daß auch wir davon betroffen werden.

Man spricht davon, daß Amerika das christlichste Land sei, sowohl die Vereinigten Staaten als auch Kanada. In diesen hochindustrialisierten und hochkapitalistischen Ländern glauben 94 Prozent der Bevölkerung an Gott, wenn auch nur 70 Prozent einer Kirche angehören. Aber die dazugehören, die gehören auch wirklich dazu. Dort gehen jeden Sonntag 40 Prozent der gesamten Bevölkerung zum Gottesdienst. Wenn wir auch aus unserer europäischen Sicht manches am amerikanischen Kirchenwesen kritisieren möchten, aber in dieser Hinsicht können wir uns von den Christen dort eine Scheibe abschneiden.

Wir wissen auch, welche großen finanziellen Mittel die Christen dort für die Menschheit und die Christenheit bereitstellen. Es ist nicht von ungefähr, daß der frühere amerikanische Präsident Jimmy Carter ein Laienprediger in seiner Gemeinde war und bei seinen Reden aus der Bibel zitierte und das war nicht nur Wahlkampftaktik, sondern das war echt.

Der Schwerpunkt des Christentums liegt längst nicht mehr in Europa. Wir müssen uns fragen, ob wir nicht so wie die Juden aus Ersten zu Letzten geworden sind. Das verbindet uns mit ihnen und zeigt auch zugleich, was wir von ihnen lernen können. Schließlich haben in unserem Volk ja die jahrhundertelangen Judenverfolgungen ihren furchtbaren Höhepunkt erlangt. Damals haben auch Kirchenmänner sich an den antijüdischen Parolen beteiligt. Die sogenannten „Deutschen Christen“ forderten ja ein vom Judentum gereinigtes Christentum, einen germanischen Jesus und die Entfernung aller getauften Juden aus der Kirche. Und wer damals noch zu klein oder noch gar nicht auf der Welt war, der frage sich immerhin, wie er in jener Zeit gehandelt hätte.

 

(2.) Feinde werden Geliebte:

Aber Paulus weiß, daß. die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel noch nicht zu Ende ist. Er sagt: „Wenn erst einmal alle Heiden glauben, dann wird auch Israel zum Glauben kommen!“ Es wird wohl nicht so weit kommen, daß alle Menschen in der Welt Christen werden. Aber es wird in jedem Volk Christen geben. Israel wird schließlich noch neidisch auf sie werden und sich auch bekehren. Gott macht manchmal Umwege, aber er läßt sich nicht von seinem Ziel abbringen. Auf alle Fälle werden auch noch die Juden zu Jesus finden.

Eine christliche Mission an den Juden wäre jedoch vielleicht schon ein Eingriff in das Handeln Gottes. Hier werden wir mit Geduld warten müssen und werden die Angehörigen des alten biblischen Volkes zu achten haben. Der moderne Staat Israel aber muß durchaus nicht eine Etappe auf dem Weg zur letztlichen Bekehrung Israels sein; im Gegenteil könnte er sich vielleicht sogar als Hemmschuh auf diesem Weg erweisen.

Aber wir sollten die Menschen dort betrachten ‚wie Paulus das tut: Er fühlt sich keineswegs als Verräter an der Sache seines Volkes, weil er nun Christ geworden ist. Aber er trauert darüber, weil dieses Volk nicht Jesus als den Messias erkannt hat. Und doch ist er sicher: Auch diese Feinde Gottes werden dennoch vor ihm geliebt. Gott könnte zwar anders. Aber er will nicht, weil er an seiner Erwählung festhält.

So besteht also doch noch Hoffnung, daß der Strom der Liebe Gottes auch wieder in dem alten Flußbett fließen wird. Gott hat den Unglauben der Juden benutzt, um die Botschaft von Jesus in die Welt zu bringen. So hat sich Gott über die erbarmt, die nicht gehorcht hatten. Im Augenblick gehorchen die Juden nicht, aber Gott wird sich auch über sie erbarmen.

Das ist auch unsere Chance. Unser Glaube versagt auch oft. Aber Gott läßt uns nicht fallen, obwohl wir auch unsere eigenen Werke gehen und unsere Lebensart ein Erbarmen nicht vorsieht. Gott aber wendet sein Erbarmen auch denen zu, die kein Erbarmen mit seinem Volk hatten. Gott ist auch für uns da, ehe wir glauben und auch ohne daß wir glauben. Die Leitung von ihm zu uns steht auch unter Strom, wenn wir nicht einschalten. Unsere Taufe bleibt bestehen, auch wenn wir sie noch nicht entdeckt oder inzwischen wieder verleugnet haben. Wir empfangen im Abendmahl Leib und Blut des Herrn, auch wenn wir Sünder sind oder verzweifelt oder das alles nicht so recht verstehen. Er steht vor unserer Tür, auch wenn wir nicht öffnen.

Gott hilft uns, auch wenn wir im Augenblick nicht beten können. Und er bleibt unser Gott, auch wenn wir unseren Konfirmationsschein einmal zerrissen hatten. So wird unser Unglaube überwunden durch Gottes Barmherzigkeit, jeden Tag neu. Der Gott, der es sich schon so viel hat kosten lassen, läßt die Dinge nicht so laufen, wie sie wollen. Auch uns läßt er nicht laufen. Und das ist das Einzige, was uns vor dem Verlorensein retten kann. Wir leben alle aus Gottes Erbarmen. Das erniedrigt uns, den es werden alle Ansprüche abgebaut. Aber es erhöht uns auch, denn wir werden doch noch alle zum Gottesvolk. Auch in dieser Predigt bietet Gott uns wieder sein Erbarmen an. Verstanden hat diese Botschaft derjenige, der sich nur noch wundern kann.

 

 

Röm 11, 33 - 36 (Trinitatis):

Wir denken manchmal an die vielen, die nicht mehr unter uns sind, weil sie gestorben sind. Bei manchem wird die Frage aufkommen: Mußte das sein? Vielleicht regt sich auch die eine oder andere Anklage in unserem Herzen gegen Gott: Warum hat er so etwas alles zugelassen? Warum ist vieles so sinnlos wie dieser neuerliche Mord in den USA? Wird es denn niemals etwas anders?

Paulus antwortet hier: „Wie unbegreiflich sind seine Gerichtsurteile und wie unerforschlich sind seine Wege! Wer hat des Herrn Sinn erkannt?“ Keiner weiß, was Gott mit jedem Einzelnen vorhat. Wir wissen nicht, was in der Tiefe Gottes alles ruht.

Auch der glaubende Mensch muß hier seine Grenze erkennen. Alles menschliche Begehren und Denken werden hier zurechtgewiesen. Wir sind eben keine Partner Gottes, sondern wir sind ihm untergeben. Wir können auch keine Vorleistungen bringen, etwa durch gute Taten oder durch den Gottesdienstbesuch, um dadurch ein gutes Verhältnis zu Gott herzustellen.

Jesus hat uns das deutlich gemacht durch das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg: Die elf Stunden und die nur eine Stunde gearbeitet haben, erhalten gleich viel an Lohn. Und ihr Arbeitgeber sagt zu ihnen: „Ich kann doch mit meinem Geld machen, was ich will!“

So souverän ist Gott auch. Er bleibt uns doch immer der verborgene und der unverständliche Gott, der über unser Fassungsvermögen geht. Wir wissen nicht Bescheid über seinen
Willen und seine Wege.

Aber bedeutet „Theologie“ nicht „Wissenschaft von Gott“? Müßte nicht s i e des Herrn Sinn kennen? Gibt es nicht Pfarrer, die sich von Berufs wegen für verpflichtet halten, den Leidtragenden und Angefochtenen die Absichten Gottes zu erkläre? Wird das nicht auch von den Gemeindegliedern erwartet?

Gerade bei Amtshandlungen und vor allem bei Beerdigungen besteht doch die Versuchung, dem Menschen zu erklären, sein Geschick habe sicher einen Sinn für sein Heil, etwas Gutes müsse auch an seinem Leid sein. Und mancher will dann auch angeblich wissen, warum Gott dies und das getan hat und jenes unterlassen hat.

Oftmals wird auch erwartet, daß ein bewußter Christ ein Ratgeber und Rechtsanwalt Gottes ist, der jedem das Handeln Gottes verständlich machen kann. Gern werden große geschichtliche Ereignisse als eine sichtbare Gnadenführung Gottes gedeutet. Aber das geht dann nur solange gut, bis diese ganze Heilsdeutung mit Schimpf und Schande widerlegt ist.

Aber auch die Unheilsdeutung ist so eine Form des Bescheidwissens über Gott. Sehr schnell sieht man in einem Unheil ein Gericht Gott, wenn irgendwo eine Überschwemmung ist, dann ist man froh, daß es die anderen erwischt hat - wer weiß, wofür sie bestraft werden sollten.

Wir dürfen aber nicht gleich hinter jedem Ereignis in der Weltgeschichte oder in unserem persönlichen Leben ein Zeichen Gottes sehen, weder ein Zeichen des Wohlwollens noch des Zorns.

Gott bleibt uns immer wieder ein verborgener Gott. Wir wissen nicht, warum er uns gerade so hat werde lassen, weshalb wir nicht so erfolgreich oder gesund wie andere sind oder weshalb es uns besser geht als anderen.

Wir wissen nicht, weshalb uns Gott gerade diesen Menschen an die Seite gestellt hat und einen anderen genommen. Wir wissen auch nicht, welchen Weg er mit seiner Kirche vorhat. Sicherlich, manches wird uns nach Jahren doch noch deutlich. Aber alles begreifen wir nie. Gott läßt sich nicht in die Karten sehen, er läßt sich nicht hineinreden und von niemandem begrenzen.

Gott will aber auch, daß wir Menschen frei sein können. Er möchte, daß jeder sein bleibendes Glück findet, aber er zwingt niemand dazu. Er läßt einen Menschen eher in sein Unglück laufen, als daß er Ihn zu seinem Glück zwingt - obwohl er das könnte.

Gott will keine Kriege, denn er ist ein Gott des Friedens. Krieg ist immer Schuld der Menschen. So läßt Gott sie eher in ihr Unglück laufen, als da er sie zum Frieden zwingt. Er will, daß sie mit seiner Hilfe den Weg zum Frieden selber finden. Wir möchten lieber, daß Gott manchmal dreinschlägt und seine Macht erweist. Aber er bleibt ein verborgener Gott und läßt sich nicht zwingen,

Es gibt aber keine Regel, nach der wir die Rätsel der Geschichte lösen können, weder unsre persönlichen noch die großen gemeinsamen Fragen. Wir sollten bescheiden sein und die Frage: „Wer hat des Herrn Sinn erkannt?“ mit einem ehrlichen „Niemand“ beantworten. Wir wissen nicht, warum Gott den einen so und den anderen so geführt hat, warum er bald Schönes und bald Schweres geschickt hat.

Wir können Gottes Fremdheit nicht weg reden mit der Behauptung, daß Gott dennoch Liebe ist. Nur das eine dürfen wir dennoch hören: Gott hat uns seinen Sohn geschenkt, der unser Herr und unser Heil sein will. Nun lernen wir den unerforschlichen Gott von einer ganz anderen Seite kennen. In Jesus Christus hat er den Menschen sein Erbarmen zugewendet. Er hat die Menschen von, sich aus aufgesucht, weil sie ihm nicht gleichgültig sind, und er will ihnen so zu ihrem Glück verhelfen.

An den drei großen Festen des Kirchenjahres können wir uns deutlich machen, wie Gott ist: An Weihnachten kommt Gott zu der Ärmsten und Verachtetsten und schafft eine neue Menschheit. An Karfreitag und Ostern baut er den gottfernen Menschen eine Brücke zu Gott. Und an Pfingsten gibt er ihren die Gewißheit, daß die Kraft seines Geistes ihnen überall beisteht.

Jesus ist die Antwort Gottes auf alle unesre Fragen. Wir brauchen nicht vor einem furchterregenden Gott zu erschrecken, sondern können ihn loben, wie es Paulus hier tut: „Welche Tiefe des Reichtums der Weisheit der Erkenntnis Gottes!“ Nur wenn wir zur Anbetung Gottes kommen, werden wir die Fragen los.

Diese Weisheit und Erkenntnis Gottes umgreift unser Nicht-Wissen und Schein-Wissen und stellt es erst an den richtigen Ort. Wer das begreift, der kann sagen: „Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen!“ Unser Leben hat einen Ursprung, aber auch ein Ziel: Wir sind auf Gott hin erschaffen, von dem und durch den und zu dem alle Dinge sind.

Gar mancher kann dankbar auf die Hilfe Gottes zurückschauen. Vielen ist es schlimmer ergangen. Wir wollen doch nicht nur das Schwere sehen, sondern auch als das Schöne, das jeder Mensch irgendwann einmal erlebt hat.

Das eine wollen wir nicht vergessen: Gott hat einem jeder von uns einen Schatz mitgegeben. Gerade bei der Konfirmation ist die Verheißung Gottes für jeden Einzelnen deutlich geworden. Da hat Gott gesagt: „Ich bin dein Gott!“

Haben wir diesen Schatz gehütet, sind wir sinnvoll damit umgegangen? Oder haben wir ihn vergraben, so daß er uns nichts genutzt hat? Oder ist er unmerklich immer weniger geworden, so daß er heute gar nicht mehr ins Gewicht fällt? Doch es ist nie zu früh und selten zu spät, diesen Schatz von Gott wieder auffüllen zu lassen. Hier im Gottesdienst und vor allem im Abendmahl ist Gelegenheit dazu!

 

 

Röm 12, 1 – 3 (1. Sonntag nach Epiphanias):

Wenn man eine Umfrage startete bei Christen und Nichtchristen, was man denn so allgemein unter Gottesdienst versteht, dann käme sicher meist die Antwort: „Gottesdienst ist die Versammlung der Christen am Sonntagmorgen, wo gesungen und gebetet wird, wo man die Predigt hört und Kollekte gibt!“ Und die Eingeweihteren werden vielleicht noch hinzufügen: „Auch Taufe und Abendmahl sind Gottesdienst!“

Viele sehen natürlich auch die Not dieses Gottesdienstes. Er soll die Versammlung der ganzen Gemeinde sein, das zentrale Ereignis der ganzen Woche. Aber wie spärlich sind oft die Kirchenbänke besetzt. Vielerorts versucht man die Leute wieder anzulocken durch „Gottesdienst einmal anders; und manche treue Kirchengänger stöhnen dann: „Gottesdienst - schon wieder anders!“

Paulus aber beschränkt den Gottesdienst nicht auf die eine Stunde am Sonntagvormittag. Für ihn ist Gottesdienst eine Lebenshaltung: die ganze Hingabe an Gott. Der Gottesdienst, der sich nur auf dem Sonntag beschränkt, bleibt unvollständig. Aber Paulus sieht auch die andere Gefahr: ein Gottesdienst, der sich im Alltag erschöpft, verliert sich leicht an die Welt. Viele werden heute begeistert die Parole aufnehmen: „Auf den Gottesdienst im Alltag kommt es an, das ist vernünftiger Gottesdienst! Sozialer Einsatz, Entwicklungshilfe, Nachbarschaftshilfe, Diakonie das allein ist heute Gottesdienst. Und solch praktisches Christentum kann man auch den Nichtchristen leichter verständlich machen als Wort und Sakrament, Bekenntnis und Gebet. Im gelebten christlichen Leben trifft man sich mit den „Kindern dieser Welt“ eben leichter als in Lehre und Liturgie.

Das erleben wir ja immer wieder in unserer gesellschaftlichen Umwelt: die Diakonie der Kirche, die Arbeit in den Heimen und Anstalten, wird weithin anerkannt. Der Staat ist heilfroh, daß die Kirche sich so der Behinderten annimmt Man weiß inzwischen, daß hier der Staat verantwortlich ist, aber man hat eben nicht die Menschen dazu, diese Aufgabe voll wahrzunehme. Deswegen läßt man sich diesen Dienst der Kirche gern gefallen und erkennt ihn auch ausdrücklich an.

Paulus sagt: „Gebt eure Leiber zum Opfer!“ Damit fordert er uns auf: Tragt den Glauben nicht nur in eurem Innerer mit euch herum, sondern laßt ihn in praktischen Taten sichtbar werden!“ Es hilft nichts, wenn man Gott nur mit den Lippen oder mit frommen Handlungen ehrt, um dann im Alltag umso beruhigter ohne Gott oder gar gegen Gott leben zu körnen. Wir können unser Christenleben nicht aufspalten in einen Bereich, in dem wir Gott gehören, und einen anderen, in dem Gott nichts zu sagen hat.

Gott darf erwarten, daß wir uns ihm ganz hingeben. Der Begriff „Opfer“ drückt das auch heute noch zutreffend aus. Schon in alten Zeiten hat man gewußt, daß man Gott ein Opfer schuldig ist. Man hat Tiere und sogar Menschen geschlachtet, um sie Gott zu opfern. Aber das war immer eine Ersatzleistung. Gott will nicht einen anderen, sondern uns selbst haben. Und er will nicht ein geschlachtetes, sondern ein „lebendiges Opfer“, wie Paulus sagt. Gott bean­sprucht unsere Hände und Füße, unsere Augen und Ohre. Unseren Verstand will er haben, all unsere Kräfte und Möglichkeiten, selbst das leidige Geld.

Ersatzleistungen machen nur deutlich, daß wir es nicht geschafft haben, uns selbst ganz für Gott zur Verfügung zu stellen. Tatsächlich können wir es ja auch nicht schaffen. Jesus hat es für uns geschafft, hat sich für uns zum Opfer hingegeben. Gott ist unser Verlorensein an die Nieren gegangen und er hat sich über uns erbarmt. Bei ihm brauchen wir durch unser Leben und Tun nichts zu gewinnen, sondern er hat schon alles gewonnen. Weil Gott so barmherzig ist, mahnt Paulus uns, daß wir uns doch ganz unserem Gott zur Verfügung stellen.

Der Sonntagsgottesdienst hilft uns, den Anschluß an die Botschaft von der Barmherzigkeit Gottes nicht zu verlieren. Er wird zwar vielfach kritisiert und ist auch in der Tat reformbedürftig. Aber er ist doch immer noch ein guter Ort, an dem das Hören und Antworten auf Gottes Anrede versucht wird. Viele sogenannte Christen halten aber gar nichts vom sonntäglichen Gottesdienst. Für sie erschöpft sich der Gottesdienst im Hören auf das Geläut der Glocken, das ist so schön feierlich und stimmungsvoll, das will man nicht missen; bestenfalls erleben sie die Kirche noch einmal bei Trauerfeiern.

Andere kann man nur für den Gottesdienst gewinnen, wenn dieser irgendwie „attraktiv“ ist. Aber neue Methoden allein machen es nicht. Man könnte auch durch die Einführung von Familiengottesdiensten oder Gesprächsgottesdiensten die Funktionslosigkeit des Gottesdienstes nur verschleiern. Alle neuen Formen des Gottesdienstes sind wertlos, wenn sie nur ein Trick sein sollen, den Gottesdienst anziehend zu machen.

Nur durch gemeinsame Besinnung vor Prediger und Gemeinde kamen man den Sonntagsgottesdienst als Mittelpunkt und Kraftquell des Gemeindelebens wieder gewinnen. Gottesdienst, der sich nur .im Alltag erschöpft, steht in der Gefahr, sich an die Welt zu verlieren. Damit ist aber weder der Welt gedient noch Gottes Wille erfüllt. Das Leben im Alltag muß immer Hand in Hand gehen mit dem gemeinsamen Nachdenken über das, was vor Gott das Richtige und Vollkommene ist.

Der Sonntagsgottesdienst ist nicht der ausschließliche und einzige Dienst für Gott. Aber er ist immerhin der Ausgangspunkt für den Gottesdienst im Alltag. Der Glaube und das Dienen kommen aus dem Hören der frohen Botschaft von Jesus Christus. Weil uns das Erbarmen Gottes zuteilgeworden ist, können wir auch unseren Dienst an der Welt tun. Diesen Hintergrund sollten wir nie vergessen und auch nie verschweigen. Ein Christ, der nur noch sagt oder tut, was andere auch tun, der lebt und handelt nicht mehr als Christ. Was wir am Sonntag in der Kirche (hoffentlich) gelernt haben, das gehört in den Alltag hinein und soll dort seine Kraft erweisen.

Wir können also zusammenfassend sagen: Ohne den Gottesdienst in der Praxis des Lebens wird alle Predigt für Gott nicht angenehm sein und den Menschen verdächtig sein. Wo es einer aber mit der Hingabe an den Mitmenschen ehrlich meint, da wird das Dabeisein in der Versammlung der Christen nicht ausbleiben. Ich kann nicht mehr Liebe erweisen als ich empfange. Ich empfange sie aber aus dem Wort Christi, wie es in der Gemeinde öffentlich ausgerufen und ausgeteilt wird.

Der vernünftige Gottesdienst ereignet sich nicht nur in der Gemeinde, aber auch und zuerst in ihr. Hier beschenkt Gott seine Diener mit den Gaben, durch die er in die Welt hineinwirken will. Er kommandiert und droht nicht, sondern er teilt hilfreiche Gaben aus - das ist die Art und Weise, in der Gott an der Welt wirkt.

Jeder Christ hat etwas bekommen, und das hat er einzusetzen. Die Unterscheidung von Theologen und Laien in der Kirche ist nicht glücklich. Es mag zwar praktische Gründe geben, bei dem einen mehr das Amt zu betonen und bei dem anderen mehr die Gnadengaben. Aber sie stehen nicht in Konkurrenz, sondern sie sind einander zugeordnet. Keiner von uns hat

a 1 1 e Gaben.

Das bedeutet aber: Wir brauchen einander. Niemand kann seinen Glauben ohne die Gemeinde leben. Und niemand kann innerhalb der Gemeinde die anderen entbehren. Jede Gabe und Begabung werden deshalb gebraucht, auch ganz bescheidene und ungewohnte.

Niemand sollte traurig darüber sein, daß er in der Kirche nichts Größeres geworden ist. Er sollte sich aber fragen, ob er sich mit seinen Gaben nützlich gemacht hat. Wer sich zu kurz gekommen fühlt, der sollte seine Gaben einsetzen, dann wird es ihm an Aufgaben nicht fehlen.

Eine Gefahr besteht allerdings auch, daß einer seine Gaben zu stark herausstellt, sei er nun Pfarrer oder sonst ein Mitarbeiter in der Gemeinde. Dadurch können die zaghaften Ansätze der anderen zur Mitarbeit im Keim erstickt werden. Aktivität und Einsatz sind sicher erfreu­lich. Aber zu viel menschliche Geltungssucht und Überheblichkeit kann mehr zerstören als aufbauen.

Heute brauchen wir allerdings weniger zum Maßhalten mahnen, wie das Paulus tut. Wir werden eher Mut machen müssen, sich dem Dienst in der Gemeinde zur Verfügung zu stellen. Manche Gemeindeglieder sind zwar ganz zufrieden, wenn der Pfarrer und vielleicht noch einige wenige andere alles machen. Sie sagen: „Machen Sie das ruhig, Sie können des am besten!“ Oder sie meinen: „Das muß der Pfarrer machen, das gehört zu seinem Beruf, dafür wird er schließlich bezahlt!“

Aber dadurch wird es niemand lernen, sich als lebendiges Glied der Gemeinde zu verstehen und sich an dem vernünftigen Gottesdienst in Kirche und Welt zu beteiligen. Auch wenn der Glaube und das Leben der Kirche zur Herzensangelegenheit aller Gemeindeglieder werden, dann wird unser Gottesdienst in Kirche und Alltag vernünftig und nach dem Willen Gottes

sein.

 

 

Röm 12, 9 – 16 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Zu Weihnachten hat eine Zeitung einmal eine Umfrage ausgewertet, was die Leute so vom Christentum halten. Die letzte Frage lautete dann etwa so: „Was halten Sie für den wichtigsten und entscheidensten. Punkt am Christentum?“ Und da kam bei der Mehrzahl der Befragten die Antwort: „Die Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit, die gefordert wird!“ Die Zeitung sah das als einen Mangel an und schrieb: „Das ist also vom Christentum übriggeblieben: Nicht der Glaube an Gott oder an die Lehren der Kirche wird als entscheidend angesehen, sondern einfach: die Mitmenschlichkeit, die von anderen Weltanschau­ungen so oder ähnlich auch gefordert wird!“

Andere Kommentatoren haben das Ergebnis dieser Umfrage positiv bewertet. Sie sagten: „Das ist doch großartig! Endlich hat die Mehrzahl begriffen, daß es auf die Nächstenliebe ankommt. Es genügt nicht, nur irgendwelche Glaubensbekenntnisse nachzusprechen. Der Glaube muß sich auch im praktischen Zusammenleben zeigen, die Liebe zu den Menschen muß auch irgendwo konkret werden!“

Es stimmt schon: Das Wort „Liebe“ ist eine abgegriffene Münze mit geringem Kurswert.

Es ist haarsträubend, was da alles als „Liebe“ bezeichnet wird: Wenn eine verheiratete Frau sich einem anderen Manne hingibt oder ein vierzigjähriger Mann es mit einer Fünfzehnjährigen Internetbekanntschaft hat, dann war das „Liebe“. Wenn Eltern ihr mißgestaltetes Kind umbringen, dann geschah das aus „Liebe“. Wenn Krieg geführt wird, geschieht das aus Liebe zur Freiheit. Es gibt Liebe zum Vaterland, zum Geld und zum Alkohol. Das Thema bei Paulus aber ist die ungeheuchelte Liebe. Es wird entfaltet in den Punkten: Ohne Heuchelei, Wachheit, Zuwendung und Hingabe.

 

(1.) „Die Liebe sei ohne Heuchelei“, schreibt Paulus als erstes. Es hat doch keinen Sinn, wenn einer Übereinstimmung mit einem anderen vorgibt, aber im Grunde etwas ganz anderes damit meint. Es ist doch Heuchelei, wenn einer nur „Ja“ sagt, um seine Ruhe zu haben und das auch noch als „Liebe“ bezeichnet. Es wird oft gelogen aus sogenannter „Liebe“ und Rücksichtnahme.

„Liebe macht blind!“ sagt das Sprichwort: Eine Mutter nimmt ihr Kind in Schutz, obwohl es andere Leute geärgert hat. Der Geliebte ist ein Grobian, aber aus „Mitleid“ heiratet sie ihn doch, um ihn bessern zu können. In einem Bündnis kann der stärkere Verbündete sich manches herausnehmen, was ihm sonst nicht erlaubt wäre. Aber ist diese parteiische Liebe, die dem anderem manches durchgehen läßt, wirkliche Liebe? Wir lassen dann halt Fünf gerade sein, weil es uns angenehm ist. Aber wahre Liebe macht erst recht sehend.

 

(2.) Wachheit: Man sagt besser „Nächstenliebe“, weil dann klar ist: Es ist die Liebe, die Gott uns aufgetragen hat. Natürlich hat dieses Wort für viele Menschen einen etwas zu frommen Klang. Aber es ist schon ein Unterschied zwischen der „Mitmenschlichkeit“ und der „Nächstenliebe“: Um wirklich Liebe üben zu können, muß ich sie im Auftrag Christi tun, nicht aus eigener Machtvollkommenheit heraus.

Allerdings zeigen diese Ermahnungen nur wenig speziell christliche Züge: Was hier gesagt wird, gilt für alle Menschen. Es wird nicht mit frommen Phrasen geredet, sondern das dargelegt, was von allen gefordert wird. Doch Liebe gibt es nicht nur auf dem Boden der Kirche. Zu oft haben Nichtchristen uns vorgelebt, was wir als Christen hätten leben sollen. Aber wir wollen den christlichen Glauben auch nicht in reine Mitmenschlichkeit auflösen. Wir als Christen müssen die Mitmenschlichkeit noch mehr als die anderen leben.

Dennoch wird man die heutigen diakonischen Einrichtungen kritisch sehen müssen. Sie hatten ihren guten Sinn, als der Staat noch nicht seine Aufgabe erkannt hatte. Aber was sollen heute noch eigene kirchliche Kindergärten, Schulen, Jugendzentren und Krankenhäuser, wenn dort nicht anderes gemacht wird als anderswo auch. Da gehört die Hälfte der Erzieherinnen nicht einmal der Kirche an, wie wollen sie da christliches Leben vermitteln? Im Jugendzentrum paßt die Sozialarbeiterin nur darauf auf, daß das Mobiliar nicht zerschlagen wird. Und der diakonische Pflegedienst steht in Konkurrenz mit den anderen Pflegediensten und hat auch nicht mehr Zeit für den Patienten.

Aber die sozialen Maßnahmen des Staates und die Hilfe der Versicherungen machen die Liebe um Christi willen nicht überflüssig. Trotz aller staatlichen Fürsorge gibt es immer noch zu tun. Aber dann sollte man sich vielleicht mehr auf die Dinge konzentrieren, die bisher nicht als Aufgabe gesehen werden wie zum Beispiel die Telefonseelsorge oder der Besuchsdienst. Oder man nimmt eine Aufgabe anders als der Staat wahr wie zum Beispiel die Schwangerenberatung.

Die Nächstenliebe wird mit Erfindungsgabe und Beharrlichkeit, mit Wachsamkeit und schnellem Reaktionsvermögen die Gelegenheiten suchen, wo sie in Aktion treten kann. Durch die Bibel werden wir immer wieder aufgeweckt und zu etwas gerufen, was erst noch werden wird. Es wird keinen Augenblick geben, wo wir beruhigt feststellen können, nun hätten wir alles begriffen und alles getan. Die Liebe hält die Augen offen, wenn auch mit Klarheit und Nüchternheit. Die Liebe fängt mit dem Sehen an. Oft sehen wir nichts, weil wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind. Aber viele eigene Probleme würden sich von selbst erledigen, wenn wir einen schärferen Blick für den anderen hätten, dem es viel schlechter geht.

 

(3.) Zuwendung: Liebe nimmt nicht nur wahr, sondern ist zugleich Zuwendung zu dem anderen. Sie macht die Sache des anderen zur eigenen Sache, und sie will für ihn da sein und ihm alles Beste gönnen. Urbild dafür ist Christus, in dem die Liebe Gottes ihre Gestalt gefunden hat. Die Liebe ist das Menschlichste am Menschen. Durch einen Mangel an Liebe können Menschen zerstört werden - vor allem Kinder und Jugendliche - auch wenn es bei ihnen an materiellen Gütern nicht fehlt. Der Mensch hält die Eiseskälte eines total versachlichten und funktionalisierten Lebens nicht aus.

Wir brauchen Menschen, die mit uns gehen, die Anteil nehmen an dem, was uns bewegt, die uns ihr Vertrauen schenken und denen wir vertrauen können. Wir brauchen Menschen, vor denen wir auch unsre Schwachheit nicht zu verbergen brauchen, weil sie uns in kritischen Augenblicken verstehend und hilfreich beispringen. Geteilte Freude ist dann doppelte Freude, und geteiltes Leid ist dann nur halbes Leid.

Dazu gehört auch die gegenseitige Ehrerbietung, in der jeder den anderen höher achtet als er in Wirklichkeit ist. Die Ehre gehört zum Menschsein. Jeder hat ein berechtigtes Bedürfnis, als Mensch ernst genommen zu werden. Gerade auch in der christlichen Gemeinde gilt es, dies zu üben. Denken wir zum Beispiel an eine Diskussion über ein neues Glaubensbekenntnis. Da hat auch jede Seite versucht, die andere auf ein klares „Ja“ oder „Nein“ festzulegen. Aber weshalb denn? Man wird nur selten zu so einer komplizierten Sache ganz „Ja“ oder ganz „Nein“ sagen können. Man kann einzelne Sätze bejahen und muß andere verwerfen und viele Einzelentscheidungen treffen. Die Wahrheit ist oft nur schwer zu finden und man wird oft mit zwei Sätzen antworten müssen und noch nähere Erläuterungen geben müssen. Wie kann man nur so unduldsam sein und ein knappes „Ja“ oder „Nein“ fordern, andernfalls könne man nicht den rechten Glauben haben?

Es genügt nicht, wenn man sich nur „Bruder“ nennt, man muß es auch sein! Der Haß darf nicht Raum in uns gewinnen. Denn sonst verstellen wir uns und werden zur Maske. Die Liebe aber spielt ein offenes Spiel, sie hat keine Maske nötig, sondern sagt die Wahrheit, und zwar nicht hintenherum, sondern offen und ehrlich, ohne die Ehre des anderen herunterzureißen. Echte Liebe erzeugt ein Klima, in dem es sich einfach gut leben läßt. Es gibt so Familien, da merkt man gleich beim Eintreten, daß dort ein guter Geist weht. Da gibt es eine unbefangene Herzlichkeit, in der man sich aneinander freut.

Wir können nicht alle Menschen ernsthaft lieben. Aber die, die Gott zu unserem Nächsten macht, die können wir lieben. Bei Paulus damals war die Unterstützung für die arme Gemeinde in Jerusalem die vordingliche Aufgabe.

Wir werden andere Aufgaben wahrzunehmen haben. In der Zeit vor Weihnachten werden wir überschwemmt mit Bitten um Spenden. Wir können nicht allen nachkommen, aber das eine oder andere Anliegen sollte schon dabei sein. Die Liebe liebt auch dort, wo es nichts zu lieben ist. Gott liebt sogar seine Feinde.

 

(4.) Hingabe: „Die brüderliche Liebe sei herzlich!“ Verwandte und Freunde fühlen eine besondere Liebe zueinander. Aber Liebe schlägt auch schnell in das Gegenteil um, und dann geht es wieder zu wie bei Hund und Katze. Wahrhafte Liebe schenkt mit ganzem Herzen. Das zeigt sich im Mitleiden mit den Traurigen und in der Freude mit dem Fröhlichen. Das Mitfreuen kann uns schwerfallen, weil wir leicht neidisch werden, wenn wir sehen, wie sich ein anderer freut. Aber auch das Mitleiden ist uns oft sehr schwer.

Die Liebe wird sich die Stellen ihres Einsatzes nicht aussuchen, sie greift zu, wo ihr eine Aufgabe am Wege liegt. In ein afrikanisches Land kam einmal eine Entwicklungshelferin aus Amerika. Sie war gut angezogen und wie alle Amerikaner sehr auf Reinlichkeit bedacht. Nun wollte sie in einem Elendsviertel mithelfen, die medizinischen und hygienischen Verhältnisse zu verbessern. Als sie aber in die erste Hütte tritt, kommt ein kleiner, schmutzstarrender Junge auf sie zugelaufen, ruft laut „Schöne, weiße Tante“ und will in die Arme genommen werden

Entsetzt macht die feine Dame kehrt, läuft in ihr Haus und packt die Koffer: Sie will sofort wieder abreisen, weil sie in dem Dreck umkommt. Doch auf dem Weg zum Bahnhof muß sie wieder an dieser Hütte vorbei. Wieder kommt der Junge gelaufen: „Schöne weiße Tante“. Aber diesmal bleibt sie stehen, mitten auf der Straße und breitet die Arme aus für diesen Jungen.

Das ist Mitleiden: Sich ganz auf die Stufe des anderen stellen und sein Leid mit übernehmen und tragen. Liebe sucht nicht nur das, was „hoch“ ist, was liebenswert oder angenehm ist. Liebe begibt sich auch nach unten und kümmert sich auch um die Menschen in Schande und Jammer. Zur Liebe kann man sich nicht zwingen. Es ist schwer, den zu segnen, der einen verfolgt und einem das Leben schwer macht. Und doch wird diese Liebe von uns verlangt und wir müssen uns immer wieder darin üben. Es gibt viele Gelegenheiten zur Liebe. Wer dem Herrn dienen will, der nutzt die Zeit, um Liebe zu zeigen. Die Arbeit der Liebe, die Gott uns zugedacht hat, darf nicht ungetan liegenbleiben.

 

 

Röm 13, 8 - 12 (13 - 14) (1. Advent, Variante 1)

Unsere Welt hat einen Anfang gehabt. Das ergibt sich aus der einfachen Tatsache, daß wir die Sonne und die Sterne am Himmel sehen. Denn hätten die schon ewig bestanden, dann wären sie längst ausgebrannt und das ganze Weltall wäre tot. Mit der Theorie der Marxisten, die Materie sei schon immer dagewesen, ist es also so eine Sache. Man kann höchstens annehmen, daß sich Materie in Energie verwandelt hat. Aber dann muß man sich fragen, wie es dazu kam. Was in der Bibel mit dem Wort „Schöpfung“ wiedergegeben ist kann uns immer noch die beste Erklärung geben.

Aber unsre Welt wird auch einmal ein Ende haben. Die schlimmste Möglichkeit wäre, daß die Menschen sie selbst zerstörten - die Fähigkeit dazu hätten sie ja. Die andere Möglichkeit wäre, daß sie an Energiemangel zugrunde geht. Das ist ja nun ein höchst aktuelles Thema, denn seit Jahren spricht man von einer kommenden Energiekrise.

Gewiß haben wir noch Vorräte für viele tausend Jahre. Aber eines Tages werden Kohle, Erdöl und Erdgas aufgebraucht sein. Auch die Atomkraft hat auch einmal ein Ende, wenn man nur weit genug vorausdenkt. Vielleicht werden wir die Sonnenenergie besser ausnutzen können. Aber auch unsere Sonne wird einmal erlöschen. Ist das das Ende?

Als Christen steht uns noch eine andere Möglichkeit vor Augen: Christus wird kommen und dieser Welt ein Ende setzen. Und das muß nicht erst in Tausenden von Jahren sein, sondern das kann heute oder morgen schon sein. Sein erster Advent war damals in Palästina, symbolhaft dargestellt durch die Geschichte vom Einzug in Jerusalem, die das Evangelium des heutigen Sonntags ist. Aber wir warten noch auf seinen zweiten Advent, auf sein Wiederkommen in Herrlichkeit.

Weitere Gesichtspunkte für die Predigt: Unsre Zeit ist Herrenzeit. Diese vergehende Welt liegt im Licht dieses kommenden Herrn, der jetzt schon regiert und dem alle Machthaber dienen müssen.

Daraus folgt negativ: Wir müssen unsre Werke (Gier, Unfrieden, Unzucht) ablegen, denn ihre Zeit ist unwiderruflich vorbei. So wie wir das Nachtgewand am Morgen ablegen, so sollen wir auch die Sorge um uns selbst ablegen. Daraus folgt positiv: Es gilt die Waffen anzuziehen und Mitkämpfer und Boten der Freude Gottes zu werden. Es gilt, Gottes Wahrheit dort zu bezeugen, wo wir geradestehen, und sei es dadurch, daß wir in allen Dingen bei der Wahrheit bleiben. Christen handeln frei und öffentlich, sie haben nichts zu verbergen, weil sie vor Gott offenbar sind.

Die Einheit der Gemeinde wird schon gefährdet, wenn die einzelnen Glieder untereinander Streit haben oder wenn einer auf den anderen herabsieht. Wie leicht fühlt man sich doch einem anderen überlegen und sagt sich: „Das ist doch kein richtiger Christ!“ Auch als Pfarrer

teilt man die Leute oft zu vorschnell ein. Jesus war anders. Er gefiel sich nicht selbst, sondern hat sich gerade der irrenden und der beschwerlichen Mitmenschen angenommen. Er kümmert sich auch um uns. Wenn wir nicht bereit sind, auch unsererseits den anderen anzunehmen, dann taugt unser Glaube nichts.

Der eigentliche Schaden unsrer Zeit liegt nicht bei denen draußen, sondern in der Kirche selbst. Gottes Wort wird unglaubwürdig, wenn die Christen es nicht fertigbringen, als Bruder mit dem Bruder zusammenzuleben. Warum gehenwohl so wenig Licht und Kraft, Freude und Hilfe von unseren Gottesdiensten aus? Liegt es nicht in erster Linie daran, daß wir in der Liebe versagen, über unsre Mitmenschen richten und den Bruder verachten?

Die Einheit der Gemeinde wird aber auch gefährdet, wenn sich ganze Gruppen in ihr bilden, die sich gegenseitig ausschließen. Natürlich gibt es eine große Vielfalt in der Christenheit. Das ist nicht verwunderlich beiden so unterschiedlichen Menschen und Lebensformen. Aber dadurch wird die Gemeinde nicht gespalten, sondern das ist mit ihr Reichtum. Eine Spaltung tritt nur ein, wenn eine Gruppe sich absolut setzt und den anderen dabei das Christsein abspricht.

In Rom wollten die „Starken“ den „Schwachen“ ihre vermeintliche Freiheit aufzwingen. Sie sagten: „Wenn ihr nicht auch Götzenopferfleisch eßt, dann seid ihr keine rechten Christen!“ Umgedreht haben die „Schwachen“ gesagt: „s ist allen Christen verboten, Götzenopferfleisch zu essen!“

Bei uns besteht die Gefahr der Spaltung immer wieder, wenn es um die Auslegung der Bibel geht. Die einen sind mehr konservativ und sehen in der Bibel ein heiliges Buch, das man Wort für Wort so nehmen muß, wie es dasteht. Die anderen kleben nicht so sehr am Buchstaben, sondern fragen nach dem, was denn mit diesen Worten damals gemeint war und heute gemeint ist.

In diesem Zusammenhang hatte sich die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ gebildet hat. In letzter Zeit ist es etwas stiller um sie geworden. Aber das mag damit zusam­men­hängen, daß sie sich immer mehr zu einer Sekte hin entwickelt: Sie nimmt zum Beispiel nicht mehr am Kirchentag teil, sondern organisiert eigene Versammlungen, bei denen dann besonders einige Theologieprofessoren angegriffen werden.

Eine unterschiedliche Theologie muß aber nicht unbedingt zu einer Spaltung führen. Am Anfang der Kirche gab es auch ganz unterschiedliche Ausprägungsformen des Glaubens. Man muß nur einmal das Neue Testament aufmerksam lesen, dann wird das sehr deutlich. Aber dennoch wußten sich diese Christen eins im Bekenntnis zu dem gleichen Herrn und im Lob Gottes. Es gibt Unterschiede in der Kirche, die kann man tragen und auch überwinden. Entscheidend ist, ob die Einheit des Gottesdienstes gewahrt bleibt. Wenn Christen miteinander beten, dann kann es mit ihren Gegensätzen nicht schlimm sein. Wenn aber jeder für sich betet und dabei den anderen verdammt, dann ist der Riß da. Spaltungen dieser Art aber stehen in offenem Widerspruch gegen das Bekenntnis zu Christus. Vernünftige Christen sagen: „Ich würde diesem bekannten Evangelisten ja zugestehen, daß er ein wahrhaftiger Christ ist. Aber ob er es auch u n s zugesteht?“ Nur wenn wir den anderen gelten lassen in seinem Anderssein, bleibt die Einheit gewahrt.

Mancher wird nun wieder Sehnsucht bekommen haben nach der wahren Kirche, in der sich alle einig sind. Aber die wahre Kirche schafft man nicht, indem man eine eigene gründet, sondern indem man sich seiner Kirche zur Verfügung stellt und die Einheit der Kirche zu bewahren hilft.

Aber am meisten wird noch helfen, wenn man so wie Paulus der Gemeinde in Rom den Segen Gottes wünscht: „Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben!“ Neben dem Appell: „Nehmt einander an“, finden wir in unserem Predigttext auch die Stichwortreihe „Geduld, Trost, Hoffnung“, vor allem das Wort „Hoffnung“ ist die eigentliche Mitte dieses Textes.

Was hat der heutige Predigttext wohl mit Advent zu tun? Klar ist, daß man die zitierten alttestamentlichen Verheißungen als Weissagungen auf den kommenden Christus verstanden hat. Und wenn er kommt, dann will er sehen, daß wir auf ihn gewartet und gehofft haben. Wie steht es nun mit unserer Hoffnung? Hält sie stand gegenüber Schicksalsschlägen? Macht sie uns geduldig und weitherzig gegenüber anderen? Wer seine Hoffnung nicht auf Gott setzt, der fühlt sich leicht benachteiligt und rechnet nicht damit, daß jemand ihm etwas schenkt. Aus der Hoffnung auf Gott aber kann ein Menschenherz weit werden zu geduldigem Tragen und unbesorgtem Hin schenken.

Wenn Christus kommt, dann will er eine Gemeinde, die recht vorbereitet ist; sie soll nicht aus Überängstlichkeit in sich zerstritten sein, sondern soll eine Gemeinde sein, von der Friede, Freude und Trost ausgehen.

 

 

Röm 13, 8 - 10 (Variante 2, ohne den direkten Bezug zu Advent)

Eine Frau beklagte sich über ihren Pfarrer: „Mit dem sei sie fertig. Was der alles getan und gesagt habe, das sei kein richtiger Pfarrer!“ Sie sah nur alles von ihrer Seite. Da ist es schwer, einen anderen Blickwinkel zu vermitteln. Wenn ein Pfarrer so in eine Gemeinde kommt, dann macht er sich doch bestimmte Vorstellungen von dieser Gemeinde, und er sieht sie im besten Licht. Doch wenn erst einmal der Alltag begonnen hat, dann kommt die Ernüchterung. Denn in der Praxis ist längst nicht alles so ideal, wie man sich das vielleicht vorgestellt hat, da gibt es viel Enttäuschung und Versagen.

Man kann nun verschieden darauf reagieren In diesem Fall versuchte es der Pfarrer mit Gesetzlichkeit: Er schimpfte auf die Leute und stellte schärfere Bedingungen an sie, zum Beispiel, wenn sie ein Kind taufen lassen wollten. Aber auf diese Art erreicht man kaum etwas. Es gibt nur Ärger auf beiden Seiten. Aber man kann es schon verstehen, wenn einer streng und herrisch wird, der sonst vielleicht einmal ganz vernünftige Ansichten gehaut hat. Die Enttäuschung macht sich halt irgendwie Luft.

Es gibt aber auch den umgekehrten Fall: Ein Pfarrer kommt neu in eine Gemeinde, wo regelmäßig nur zwei Leute zum Gottesdienst kommen. Auch bei seinem ersten Gottesdienst waren nur diese Zwei da. Aber der Pfarrer schimpft nicht, sondern gibt eher noch seiner Freude darüber Ausdruck, daß diese zwei gekommen sind. Am nächsten Sonntag sind es schon vier, die kommen. Der Pfarrer freut sich: „Welche Gemeinde hat das schon aufzuweisen: Steigerung des Gottesdienstbesuchs um hundert Prozent!“ Am Sonntag drauf sind es sieben. Der Pfarrer jubelt und verkündet: „Nun hält das schon 14 Tage an!“ Man könnte fast von einer Erweckung sprechen. Wie es dann weiterging, ist nicht bekannt. Aber man kann halt auch mit einem solchen Optimismus an eine schwierige Lage herangehen und kommt damit oft weiter als mit Gesetzlichkeit. Wer nur das Gesetz handhabt, wird sich bald verrennen. Wer aber die frohe Botschaft verkündet, wird bald die ansteckende Kraft merken, die von der positiven Aussage ausgeht.

Natürlich kann man nicht alles allein mit Liebe schaffen. Wenn man Kinder nur mit Güte erziehen wollte, dann müßte man bald Schiffbruch erleiden. Aber man muß erst einmal mit Liebe beginnen. Nur wenn diese Liebe mißbraucht wird, müssen sie auch alle Strenge zu spüren bekommen, damit sie merken, daß es ernst wird. Die Strenge fällt uns nicht schwer, die liegt uns gewissermaßen im Blut. Liebe zu üben dagegen ist nicht leicht. Deshalb wird sie uns hier aufgegeben. Auch die Strenge muß aus der Liebe kommen, die Liebe steht immer über dem Gesetz.

Wir verstehen doch die Zehn Gebote in erster Linie gesetzlich und moralisch. Sie erscheinen uns als ein hartes Gesetz, das uns auferlegt ist. Wir sehen höchstens ein, daß sie uns helfen sollen, ein anständiges Leben zu führen. Doch solche Gebote haben ja auch andere Leute aufgestellt, die nichts von Gott wissen wollen.

Wir aber wissen mehr: Das Gesetz, die Gebote, kommen aus der Liebe Gottes. Vor den Geboten steht erst einmal die gnädige Zusage Gottes: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dir aus großer Gefahr geholfen hat und der dich auch in Zukunft behüten und bewahren will. Deshalb gebe ich dir diese Gebote mit auf den Weg, damit du eine ungefähre Richtschnur hast für dein Handeln?“

Die Gebote wollen eine Hilfe sein. Sie sind nur zu erfüllen, wenn man vorher begriffen hat: „Gott ist Liebe und deshalb schenkt er uns diese Gebote. Aber losgelöst von dieser Überschrift werden all diese Gebote zu einem starren Gesetz, das uns nicht hilft, sondern uns behindert.

In einem Schulgesetz stand einmal die Bestimmung: „Eine außerschulische Freizeitgestaltung darf erst nach einer Pause von zwei Stunden nach dem regulären Schulunterricht beginnen!“ Diese Bestimmung dient natürlich dem Schutz der Kinder und ist sehr sinnvoll. Es wird auch hoffentlich niemand auf die Idee kommen, nach sechs Stunden Schulunterricht noch anschließend etwas für die Kinder anzusetzen. Aber man kann diesen Pausenerlaß nun auch nicht stur anwenden, sonst wirkt er sich am Ende noch zum Schaden der Kinder aus und es wird genau das Gegenteil von dem erreicht, was ursprünglich beabsichtigt war. Wenn zum Beispiel die erste Klasse von 8.30 bis 10 Uhr Schule hat, dann wäre es doch ein Unding, sie erst einmal wieder heimzuschicken. Und nach zwei Stunden müßten sie dann noch einmal den gleichen Weg machen, zum Teil kilometerweit.

Für alle Gesetze gilt: Wenn man sie stur handhabt, können sie sich genau in das Gegenteil verkehren. Deshalb kann man ein Gesetz nur mit Liebe anwenden. Denn die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. Wer wirklich den anderen Menschen liebt, der braucht doch im Grunde gar nicht solche Gesetze, sondern tut ganz von selbst das Notwendige.

Das klingt uns jetzt alles so selbstverständlich. Aber handeln wir denn wirklich danach? Uns liegen doch mehr die Gesetzesreligion und die Moral. Wir sagen: „Ich habe immer meine Pflicht getan!“ und wir würden uns am liebsten noch eine Prämie geben, so selbstgerecht sind wir.

Natürlich ist mit dem Gesetz manches einfacher: Man braucht keine Verantwortung zu übernehmen, sondern nur das auszuführen, was andere vorgeschrieben haben. Man braucht nicht zu denken und nichts zu wagen und braucht auch in der Regel nicht den Kopf dafür hinzuhalten.

Aber was einfach ist, muß nicht immer richtig sein. Deshalb sagt Paulus: „Seid niemand etwas schuldig!“ Und doch: E i n e Schuld können wir nie abgelten: die Schuld der Liebe. So viele Menschen warten darauf, daß wir ihnen mit Liebe begegnen und nicht mit dem Gesetz; aber wir haben so wenig Liebe.

Oft meinen wir aber nun, wir müßten doch zuerst Gott lieben. Das stimmt schon und das ist auch für Paulus selbstverständlich. Deshalb hat er auch das 1. bis 3. Gebot gar nicht hier mit aufgezählt. Er legt den Ton einfach auf das Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“

Luther hat einmal eine treffende Antwort darauf gegeben. Er sagt: „Gott braucht unsere guten Werke und unsre Wohltat nicht. Sondern er hat uns damit zu unserem Nächsten gewiesen, damit wir an ihm tun, was wir eigentlich Gott zukommen lassen wollten. Gott hat unsre Liebe zu unserem Nächsten heruntergezogen und auf ihn geheftet!“ Es gibt keinen Glauben, der nicht in der Liebe tätig wird.

Wir wollen einmal darauf achten, wo in unsrer Umwelt die Liebe mit Füßen getreten wird. Man kann einen Menschen ja sehr leicht fertigmachen, indem man ihm sagt: „Das ist Gesetz, das ist so üblich, dagegen kannst du nichts machen!“ Dann muß er still sein und wird plattgewalzt wie von einer Dampfwalze.

Aber damit ist er in seinem Inneren vergewaltigt und vielleicht sogar zerbrochen. Doch solche Menschen ohne Rückgrat können wir nicht brauchen, wenn unsre Welt funktionieren soll.

Wir wollen Gott bitten, daß er uns den Mut zur Liebe gibt. Unsere Aufgabe ist es, für alle die einzustehen, die überfahren werden sollen. Und wir sollen den Menschen nicht nur das Gesetz wie einen Spiegel vorhalten, sondern die Liebe, von der wir leben, liebend an andere weitergeben. Denn die L i e b e ist des Gesetzes Erfüllung.

 

Zusatz:

Irgendwann machen wir uns ja alle einmal Gedanken über unser Leben. Nicht stets und ständig. Wir haben schließlich noch anderes zu tun. Aber wir möchten doch, daß aus unserem Leben etwas wird, daß es ein „gutes“ Leben wird. Damit man sich später einmal nicht zu schämen braucht. Man müßte so leben, daß unsere Angehörigen oder Freunde dann einmal über uns sagen: Ja, was sollen sie eigentlich sagen? Wissen wir, was wir mit unserem Leben wollen? Haben wir ein Ziel? Ein richtiges, großes Ziel, neben den vielen kleinen Teilzielen?

Gleich der erste Satz des Bibeltextes für die heutige Predigt ist eine solche Anmerkung: „Seid niemandem etwas schuldig!" Es ist einer von diesen Sätzen, die so groß und schwergewichtig klingen. Eine „goldene Regel“. Man könnte sich vorstellen, daß Väter sie früher ihren Söhnen mit auf den Weg gaben, wenn sie auszogen, in der Fremde ihr Glück zu suchen. Ja, so kann man es machen, so sollte es sein: Niemandem etwas schuldig bleiben! Selbst ist der Mann! Ein gutes Gewissen ist das beste Ruhekissen.

Wir sollten einen solchen Satz ernst nehmen. Jeder von uns weiß, wie sehr eine unbeglichene Schuld uns das Leben vergällen kann: Eine Geldsumme, die wir unbedingt leihen mußten und die wir nicht zurückzahlen können. Ein Versprechen, das wir nicht einhalten konnten. Eine Beleidigung, die uns aus Gedankenlosigkeit unterlief. Eine Gemeinheit, die wir im Zorn begingen. So etwas kann einen richtig krank machen. Und viele von uns sind krank an solcher unbeglichenen Schuld. Das äußert sich dann vielleicht in dauernder Nörgelei, in unbegründetem Aufbrausen oder in mimosenhafter Empfindlichkeit. In Wirklichkeit aber leidet der Be­treffende gar nicht unter der Bosheit der anderen, wie er vielleicht glaubt, sondern unter sich selbst und seiner Schuld.

Es wäre doch schön, wenn man von uns einmal sagen würde: „Er ist wirklich niemandem etwas schuldig geblieben!“ Hut ab vor solcher Redlichkeit und Anständigkeit! Das wäre ein mögliches Ziel für unser Leben. Aber nicht das einzig mögliche. Der Predigttext geht noch ein Stück weiter: „Seid niemandem etwas schuldig, außer daß ihr euch untereinander liebet!“ Das klingt etwas weniger golden als das Erste. Hier geht es um eine Sache, die weit weniger aufrechenbar und nachprüfbar ist. Nur soviel ist klar: Dieser Aufforderung zur Liebe können wir niemals total genügen. Denn hier geht es um mehr als darum, die Rechte des anderen nicht einzuschränken. Hier geht es um mehr als die eigene saubere Weste. Wenn es um die Liebe zum Nächsten geht, bleibt bei uns immer ein unangenehmes Gefühl zurück, unvollkommen, ungenügend zu sein.

Ein Angestellter, etwa 50 Jahre, geschieden. Er gilt in seinem Betrieb als Sonderling. Der Grund: Er hat es dort, wo er arbeitet, mit Besuchern, mit Publikum zu tun. Er geht auf die Fragen und Anliegen der Menschen mehr ein als unbedingt nötig. Seine Kollegen finden das übertrieben.

Ein anderes Beispiel: Ein Ingenieur. Er hat Familie und ein gutes Einkommen. Ehrenamtlich ist er Platzwart einer kleinen Sportgemeinschaft, die dafür nicht extra jemanden anstellen kann. Einen großen Teil seiner Freizeit bringt er auf dem Sportplatz zu. Er muß manchmal körperlich hart arbeiten. Er hat Ärger mit unachtsamen Besuchern, mit unordentlichen Schulklassen, manchmal auch mit der Leitung des Sportklubs. Auch das ist Liebe. Menschen setzen sich ein über das hinaus, was sie schuldig sind. Sie lassen es sich etwas kosten: Zeit, Arbeit, Nerven, Geld.

In unserem Text wird behauptet: So erst werden die Gebote richtig erfüllt. Denn die „Gesetze“ der Bibel sollen Anregungen sein, dem anderen zu helfen, daß er mehr Freude, mehr Gewinn hat.

 

 

Röm 14, 7 - 9 (Drittletter Sonntag):

Ein bekannter Pfarrer und Schriftleiter einer Kirchenzeitung sollte an Krebs operiert werden. Aber als die Ärzte dabei waren, sagten sie: „Es hilft doch nichts mehr!“ Sie konnten ihm, abgesehen von einer Hilfs­operation, auch nicht mehr helfen. Aber er lebte auch 20 Jahre später noch. Der Mann war ein vielbeschäftigter Mann, inzwischen 75 Jahre alt, aber aktiv wie eh und je. Man merkte nicht, daß er an sich doch schwer krank ist.

In der Kirchenzeitung erschien ein Artikel zu seinem Geburtstag, von dem er selber sagte: „Er hörte sich so an wie ein Nachruf auf mich!“ Und er fuhr dann fort: „Als ich im Krankenhaus lag, da kamen auf einmal all die Worte auf mich zu, die ich selber einmal bei Trauerfeiern gesprochen hatte. Was ich vorher anderen gesagt habe, das mußte ich mir nun selber sagen. Wenn man selber betroffen ist, dann spricht das noch einmal ganz anders zu einem selber, da hat man eine ganz andere Beziehung dazu!“

Da versteht man sicher so ein Bibelwort auch besser: „Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber!“ Wir machen uns ja relativ wenig Gedanken darüber. Wir leben erst einmal, an das Sterben denken wir weniger. Dennoch steht das Sterben als eine harte Frage und Herausforderung über unserem Leben.

An sich müßte man ja annehmen, daß der aufgeklärte und moderne Mensch leichter stirbt und mit dem Tod seiner Mitmenschen sich abfindet. An sich soll es sich doch um einen ganz natürlichen und biologischen Vorgang handeln. Aber Sterben ist etwas anderes: da wird das Leben oft in den besten Jahren abgebrochen, oft verbunden mit verheerender Krankheit. Der Verlust eines nahestehenden Menschen reißt andere Lücken auf, als man mit Natur und Medizin erklären kann.

Wir haben schon Fragezeichen bei den ersten beiden Sätzen dieses Predigttextes: „Unser keiner lebt sich selber!“ Stimmt das denn? Versuchen wir nicht zumindest, für uns selbst zu leben. Paulus will sagen: „Das dürfte nicht sein, soll nicht sein. Jeder Mensch ist mit anderen Menschen verbunden. Und er braucht auch die Verbindung mit Gott. Aber hat das jeder schon erkannt?

 

(1.) Unser keiner lebt sich selber: Es gibt Menschen, die leben in einer auf sich selbst konzentrierten Abgeschlossenheit, sozusagen „ohne Fenster“. Das kann in der Art der Persönlichkeit begründet sein. Es kann aber auch aus einem mißverstandenen Christsein kommen, das nur die eigenen religiösen Bedürfnisse kennt und seine Lebensaufgabe nicht im Dienst an anderen findet.

Wir wollen halt unsere Freiheit. Und Freiheit verstehen wir gern als Unabhängigkeit. Das Wort „Gehorsam“ ist eins der biblischen Urworte, aber es erfreut sich bei uns keiner großen Beliebtheit. Aber es ist nicht Gottes Art, uns mit Zwang zu unterwerfen. Er möchte ja nur, daß wir zunächst einmal das ganz Normale tun.

Wenn man wirklich nur für sich selbst leben wollte, dann hätte das Leben wahrlich nur wenig Sinn. Aber ein Mensch, der nur für sich selbst da sein will, ist ein Widerspruch in sich selbst. Er muß sich ja auch klarmachen, daß er selber durch viele unsichtbare Fäden mit anderen verbunden ist. Das sind nicht nur die Verwandten und Bekannten, sondern auch viele Menschen, die wir gar nicht kennen, deren Arbeit wir aber in Anspruch nehmen.

Umgedreht trägt natürlich auch jeder Mensch zum Wohle anderer Menschen bei. Selbst wenn einer krank und schwach ist, kann er noch für andere da sein. So sagte einmal eine Frau aus einem kleineren Dorf: „Wenn ich abends nicht einschlafen kann, dann gehe ich in Gedanken jedes Haus durch und bete dann für die Leute, die dort wohnen!“

So sind wir alle mehr oder weniger fest mit vielen anderen Menschen verbunden. Deshalb ist es ja auch so schwer, wenn wir einen Menschen hergeben müssen an den Tod. Gerade weil keiner für sich allein leben kann, hinterläßt er eine Lücke und der Abschied wird so schwer. Oft merken wir ja erst, was ein Mensch für uns bedeutet hat, wenn er dann nicht mehr unter uns ist.

Das soll aber nun nicht heißen, daß wir den anderen an uns ketten und über ihn bestimmen könnten. Jeder hat ein unmittelbares Verhältnis zu seinem Herrn. Ich kann ihm nicht eine bestimmte Weise des Christseins aufzwingen wollen. Jeder ist seinem Herrn selbst verantwortlich. Keiner darf sich in dieses Verhältnis hineindrängen. Aber jeder hat die Pflicht, dem anderen den Herrn nahezubringen. Dazu gehört aber auch, daß er ihm etwas sagt von der Hoffnung der Christen. Sie haben einen Herrn, der für sie gestorben und auferstanden ist, damit sie auch weiterleben können.

 

(2.) Unser keiner stirbt sich selber: Wieder müßte man fragen: „Stimmt das denn?“ Jeder muß für sich allein sterben, das nimmt ihm keiner ab. Viele sterben zudem noch ohne Gott, auch von denen, die zur Kirche gehören. Sie wollen gar nicht an das Ende ihres Lebensweges denken. Sie verdrängen diesen Gedanken. Es gilt als taktlos, einen Menschen auf seinen Tod hin anzusprechen, obwohl man doch weiß, daß keiner dem Tod entgeht.

Da ist es doch besser, wenn einer beizeiten sein Testament macht und vielleicht seinen Lebenslauf aufschreibt und Wünsche für seine Beerdigung hinterläßt. Diese äußeren Vorbereitungen sind dann vielleicht auch ein Hinweis darauf, daß der Betreffende sich innerlich vorbereitet hat und getrost seinem Sterben entgegensieht.

Man sollte allerdings auch nicht nach der anderen Seite übertreiben. Manche wollen unbedingt einen bestimmten Platz auf dem Friedhof für sich reserviert haben, weil daneben der Mann beerdigt ist oder weil die Gräber der Familie schon immer in dieser Ecke waren. Sie denken dabei gar nicht dran, daß sie ja hoffentlich noch lange zu leben haben, auch über den Zeitpunkt hinaus, wenn dieses Grabfeld geschlossen wird! Einen Platz gibt es auf jeden Fall. Und Gottes Erde ist überall, da braucht man nicht schon vorher zu wissen, wo einmal ganz genau die letzte Ruhestätte seit wird. Es ist aber gut, wenn man einem Menschen in diesen Fragen Hilfe und Beistand geben kann.

Und wenn es dann wirklich so weit ist, dann sollte man einen Sterbenden nicht allein lassen. Hier kann vieles von dem wieder gutgemacht werden, was man selbst einmal auf andere Art und Weise empfangen hat: So wie der andere einem beigestanden und für einen gesorgt hat, so sollten wir dann auch für ihn sorgen und ihm äußerlich und innerlich beistehen.

 

(3.) Leben wir, so leben, wir dem Herrn, Sterben wir, so sterben wir dem Herrn: Der Mensch kann entweder sich selbst leben und sterben oder dem Herrn leben und sterben. Eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen. Das Reden vom "Weiterleben in den Kindern“ oder von der „Fortsetzung der Arbeit“ oder vom „guten Andenken“ bestätigt im Grunde nur die harte Tatsache des Todes. Die einzige andere Möglichkeit zum Sterben ist der Herr. Er ist deshalb auch die einzige Möglichkeit im Leben. Wer dem Herrn gelebt hat, wird dann auch dem Herrn sterben. Dabei geht es aber nicht um ein Bewahrtwerden vor Krankheit und Unfall, sondern um ein Sein im Herrn, durch das man mit dem Sterben ausgesöhnt wird und den Tod annehmen kann.

Es geht also nicht nur darum, für den anderen Menschen da zu sein, sondern dem Herrn zu leben. Wenn wir überhaupt leben wollen, dann nur für den Herrn. Paulus nennt sich stolz „Sklave“ Jesu Christi. Er gehört gern diesem Herrn, denn solche „Sklaverei“ ist für ihn Freiheit, weil nun nur noch diesem Herrn gehorchen muß. Fs geht ja nicht darum, ob wir irgendjemand gehören wollen, sondern w e m wir gehören. Und da dürfen wir erleichtert bekennen: „dem Herrn“.

Das heißt nicht, daß wir zu frommen Sonderlingen werden müßten. Das Christerleben ist ein ganz normales, gesundes, weltoffenes Leben - aber in dem weiten Horizont des Christus. Wenn wir uns ihm zuwenden, dann werden wir deshalb nicht den Mitmenschen entfremdet. Der Herr weist uns ja gerade an den Nächsten.

Aber wer dem Herrn lebt, der ist eigentlich auch schon „drüben“ bei Gott. Natürlich dürfen wir hier nicht ins Schwärmen kommen. Das Vergehen des äußerlichen Menschen ist schon bedrückend. Aber das Sterbenmüssen mit all seinem Leiden ist keine Widerlegung dessen, was wir glauben und hoffen. Wenn einer sterben muß, dann wird er noch lange nicht aus den Händen des Herrn weggerissen und in eine unbekannte Tiefe gestürzt.

Nur muß man wissen, was das für ein Herr ist, für den wir leben und auf den hin wir sterben: Es ist der Auferstandene, der in unserem Leben längst Fuß gefaßt hat und uns in sein Auferstehungsleben längst hineingezogen hat. Der Tod ist dabei kein Bruch, kein tiefer Graben, über den es keine Brücke gibt.

 Von Gott her ändert sich nicht viel. Er war schon in unserem Leben unser Gott und wird es auch und erst recht nach diesem Leben bleiben. Wenn wir ihn in unserem Leben unseren Gott sein lassen, dann wird auch der Tod nichts daran ändern können. Das Wichtige ist, daß wir dem Herrn gehören. Ob wir dabei leben oder schon gestorben sind, kommt erst in zweiter Linie: „Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn!“

 

 

Röm 14, 10 – 13 (4. Sonntag nach Trinitatis):

Ohne Richten und Beurteilen geht es nicht ab im Leben. Sowie wir einen Menschen treffen, versuchen wir ihn auch einzuschätzen. Schüler und Lehrlinge werden beurteilt. Besonders schlimm ist es, wenn man sich um eine Arbeitsstelle bewirbt: Da zieht man sich besonders gut an. Man versucht, ganz locker zu bleiben und ist doch total verkrampft. Man muß erst einmal draußen warten.

Dann sitzt man endlich auf dem Stuhl und starrt sieben oder acht Menschen ins Gesicht und soll Rede und Antwort stehen. Man will sich möglichst gut verkaufen und merkt doch, wie man Fehler macht. Nach zehn Minuten ist alles gelaufen. Das ist eine ungeheure Belastung, auch für die, die das Urteil abgeben sollen. Sie entscheiden ja vielleicht über das Lebensglück eines Menschen und seiner Familie, ob einer hochkommt oder untergeht.

Auch in der Kirche wird jeder sofort eingeschätzt. Ist einer kein regelmäßiger Kirchgänger, so wird er erst einmal mißtrauisch beäugt: Was will denn der hier?! Es liegt einfach in der Natur des Menschen, daß er immer sofort beurteilt und dabei sich selber zum Maßstab nimmt. Natürlich wünscht man sich, daß alle am Sonntag zur Kirche kämen, daß alle nach Gottes Wort lebten und in jeder Hinsicht ein Vorbild wären.

Aber das ist nun einmal nicht so. Doch auch die passiven Mitglieder gehören zur Kirche. Und es ist allein Gottes Sache, sie zu beurteilen. Deshalb mahnt Paulus: Versucht nicht über andere zu Gericht zu sitzen, denn wir haben uns selber dem Gericht Gottes zu stellen, wir haben immer nur unser eigenes Leben zu verantworten und wir haben unsre Mitmenschen zu schonen.

In der Gemeinde in Rom gab es damals zwei Gruppen: Die einen nahmen es etwas eng mit dem Glauben, waren übervorsichtig und streng. Sie aßen zum Beispiel kein Fleisch, weil es von den Opferfesten in den heidnischen Tempeln herstammen könnte. Und sie achteten auf bestimmte Tage, an denen sie gewisse Dinge tun bzw. meistens nicht tun. Die anderen aber fühlen sich stark im Glauben, lachen über die „Schwachen“ und sagen: Durch Christus sind wir frei Menschen, da darf uns nichts mehr einschränken, da leben wir so wie wir wollen und lassen uns nicht durch kleinliche Vorschriften einengen.

Beides sind Möglichkeiten des Glaubens. Gott allein wird darüber richten, wer näher am wahren Glauben gewesen ist. Er wird die Ernsthaftigkeit auf beiden Seiten anerkennen und großzügiger sein als wir es sind - davon bin ich jedenfalls überzeugt.

Diese Gegensätze gibt es bis heute in der Kirche. Ich saß einmal nach einem Abend mit Jugendlichen in einer Gaststätte, um noch etwas zu trinken. Einige der Jugendlichen sagten: „Wir dürfen aber nichts Alkoholhaltiges trinken, wir haben uns doch verpflichtet!“ Sie waren bei einer Blaukreuzveranstaltung gewesen und hatten versprochen, wenigstens in der Passionszeit einmal keinen Alkohol zu trinken. Wenn sie doch rückfällig würden, hatten sie sich verpflichtet, das dem Redner auf einer Postkarte mitzuteilen. Sie sagten: Hoffentlich sind die sieben Wochen bald herum!

So kann es dann kommen: Der eine genießt fröhlich hin und wieder seinen Apfelwein und kommt gar nicht auf die Idee, daß das etwas mit dem Glauben zu tun haben könnte. Und der andere macht sich ein Gewissen daraus und diskutiert darüber und ist davon belastet. Besonders die Christen aus den Freien Evangelischen Gemeinden diskutieren solche Fragen wie Rauchen, Alkohol, Tanzen und Mode gern.

Aber das Entscheidende ist doch, daß man jede Ausprägung des Glaubens gelten läßt und den anderen nicht verurteilt, nur weil er andere Folgerungen aus dem Evangelium zieht. Übrigens: „Evangelium“ - ein Ausleger hat gesagt, in diesem Bibelabschnitt müsse man die frohe Botschaft mit der Laterne suchen, weil alles so ermahnend und streng klingt. Aber in aller Rede vom Gericht steckt auch die gute Nachricht. Die wollen wir auch jetzt suchen.

 

1. Wir haben uns alle dem Gericht Gottes zu stellen!

In der Kirche gab es von Anfang an unterschiedliche Auffassungen über den Umgang mit der Schrift: Soll man sie nur wörtlich nehmen oder darf man nach ihrem Sinn fragen? Dürfen wir mehr weltoffen sein oder haben wir mehr Abstand zu wahren? Alte Gesänge oder neue, Feierlichkeit oder Nüchternheit? Gehört ein Christ nur in die Partei mit dem „christlich“ in Namen oder darf er nicht auch bei denen sein, die in ihrem Anfang antichristlich waren? Darf sich die Kirche nur auf das Zentrale des Glaubens konzentrieren oder tut ihr auch eine mehr nach außen gerichtete Arbeitsweise gut?

In diesem Tagen findet in Leipzig der Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Er ist das beste Beispiel für die Vielfalt und Lebendigkeit der Kirche. Da wirken zum Beispiel evangelikale Gruppen genauso mit wie die Offene Jugendarbeit. Da gibt es Orgel- und Posaunenmusik, aber auch ganz moderne Bands. Da gibt es Großveranstaltungen und Gelegenheit zur Einzelbeichte. Der Kirchentag spiegelt die ganze Vielfalt des kirchlichen Lebens wider. Entscheidend ist nur, daß einer den anderen gelten läßt und anerkennt, daß er es ernst mit dem Glauben nimmt.

Es darf nur nicht so kommen wie in Rom, wo die Gruppe der Ängstlichen den Freieren mangelnde Erfüllung der göttlichen Ordnung vorwarf. Paulus rechnet sich eher zu den „Starken“, zu den Moderneren, ergreift aber für keine der beiden Gruppen Partei. Auch den „Starken“ sagt er: Ihr könnt die neu gewonnene christliche Freiheit nicht ohne Rücksicht auf die Tradition und vor allem nicht ohne Rücksicht auf die anderen in Anspruch nehmen.

Man kann nur jedem gratulieren, der sich seine Freiheit nicht nehmen läßt durch Angst und Bequemlichkeit, der nicht nur rechtlich abgesicherte Schritte geht, sondern auch neue Fragen hat und zu neuen Taten schreitet. Es ist herrlich, wenn man Christen kennt, die ohne Scheu feiern und fröhlich sind, die Verantwortung übernehmen, auch wenn sie sich dabei die Hände schmutzig machen - man kann nur froh sein über jeden Akt der Freiheit.

Vor allem ist das das Recht der Jugend. Das Recht der Älteren ist es, etwas zögernder zu sein und alle möglichen Folgen zu bedenken. In meinen jüngeren Jahren war ich auch mehr der Revolutionär. Da hätte ich mitgemacht wie unsre Söhne, die am 8. Oktober 1989 die Demonstration für die Wende in Jena organisierten. Wir haben damals zur Vorsicht gemahnt. Mit den Erfahrungen des Lebens wird man vorsichtiger. Aber so ein bißchen Revolutionär darf man auch im Alter noch bleiben - auch in der Kirche.

Nur darf man sich nicht selber als alleiniger Maßstab setzen. Ich kann einen anderen nicht danach beurteilen, wie weit er mir zu folgen vermag. Und ich kann nicht den als kleinkariert verachten, der zurückbleibt. Gott allein ist der Richter! Wer selber richten will, reißt doch etwas an sich, was Gottes Sache ist. Hier gibt es auch keine Stellvertretung, kein Richten im Auftrag Gottes.

 

2. Jeder ist für sein eigenes Leben verantwortlich!

Natürlich soll jeder selber sein Leben gestalten und führen. Aber das heißt nicht, daß er ganz auf sich allein gestellt alles Beliebige tun oder lassen kann, wie er gerade will. Natürlich leben wir in einer pluralistischen Welt, in der es viele Gruppen, Strömungen und Meinungen gibt. Aber das heißt nicht, daß jeder sein eigener Herr und Gesetzgeber sein kann. Seine Ausdehnungsmöglichkeiten finden ihre Grenze an dem Recht des anderen, der auch seinen Bereich hat und auch Freiheit will. Und sie findet eine Grenze an Gott.

Evangelische Freiheit darf nicht verwechselt werden mit der eigenen Querköpfigkeit und dem Ungehorsam, der zum Prinzip erhoben wird. Das führt wieder in die Gesetzlichkeit, da läßt man den anderen Menschen und auch Gott nicht mehr gelten.

Selbst wenn einer um Rat fragt, kann ihm die eigene Entscheidung nicht abgenommen werden. Sicher brauchen wir in der Kirche den Erfahrungsaustausch, das Gespräch, das Einstehen füreinander. Aber dadurch wird niemand entmündigt, sondern jeder ist Gott gegenüber selbst verantwortlich.

Allerdings ist er bei seinen Entscheidungen nicht auf sich allein gestellt. Zum Glück ist Vieles durch Gesetze und Sitte geordnet. Man kann sich mit der Geschichte befassen und aus ihr lernen. Wir sind doch in Vieles eingebunden und bestimmte Wege sind uns schon vorgezeichnet. Hier können die Jungen durchaus auch etwas von den Alten lernen. Wir dürfen schon auf den Erfahrungen der Menschheit, der Familie, der Freunde, der Kirche zurückgreifen.

Aber letztlich sind wir doch allein für unser Leben vor Gott verantwortlich. Hat mir ein anderer einen schlechten Rat gegeben, so kann ich mich nicht hinter ihm verstecken. Sind alle den falschen Weg gegangen, so ist das für mich kein Entschuldigungsgrund. Wenn es ein schlechtes Zeugnis mitbringt, dann zählt es immer die auf, die noch schlechter sind, nicht die besseren. Auch wenn ich nur der Mehrheit gefolgt bin, so bin ich damit nicht entlastet. Weil alle das Finanzamt betrügen, brauche ich es noch lange nicht zu tun. Weil alle etwas mitgehen lassen, ist es mir noch längst nicht erlaubt. Und so nachsichtig wir mit uns selber sind, so sollten wir es auch mit den anderen sein.

 

3. Wir dürfen über unseren Mitmenschen nicht zu Gericht sitzen, sondern haben ihn zu schonen!

Auch der andere hat sein Leben selbst zu verantworten. Aber man muß ihn auch ernst nehmen, wenn er nach unserer Ansicht schwach ist. Wenn das Vegetariersein für einen zum Glauben dazugehört, so kann man ihm das doch lassen. Dann kann man ihn doch nicht zwingen, zu christlicher Freiheit vorzustoßen. Da muß man ihm Zeit lassen, ohne ihm vorzuwerfen, er habe die christliche Freiheit verraten.

Wer wirklich stark und innerlich frei ist, in dessen Denken und Handeln wird auch Platz sein für die, die noch ein wenig ängstlich sind und sich mit Neuerungen zurückhalten. Genau betrachtet wird er sogar auf ein Stück seiner Freiheit verzichten - dem anderen zuliebe. Ich muß doch nicht unbedingt in abgerissenen Jeans und in einer alten Jacke zum Abendmahl gehen. Sicherlich würde das dem Abendmahl nicht schaden und ihm auch nichts von seiner Wirksamkeit nehmen. Aber um der Mitchristen willen verzichtet man auf so etwas - das ist wahre Stärke!

Auch in der Christengemeinde kommt sehr leicht so ein unguter Richtgeist auf. Und dann ist es so wie im Straßenverkehr: Immer hat der andere etwas falsch gemacht! So soll es in der Gemeinde nicht sein. Da zieht allein Gott den Schlußstrich unter unser Leben. Deshalb ist es nicht unsere Aufgabe, Zensuren zu verteilen.

Wir brauchen keine Angst zu haben, die Kirche könnte Schaden erleiden, wenn wir nicht in ihr für Ordnung sorgen. Das ist alles Gottes Sache! Er richtet auch nicht alle nach der gleichen Schablone aus, sondern seine Leute dürfen verschieden sein - in ihrer Denkweise, in ihrem Lebensstil und in gewissem Maße auch in ihrem Glauben. Deshalb werden wir es lernen müssen, einander weniger abzuverlangen und dafür einander mehr frei zu lassen und zuzugestehen.

 

 

 

Röm 14, 17 – 19 (18. Sonntag nach Trinitatis):

Manche Christen führen einen aufopferungsvollen Kampf gegen den Alkohol. Den Alkoholkranken wollen sie helfen, von ihrer Sucht loszukommen. Die anderen wollen sie davor bewahren, in die Abhängigkeit hineinzuschliddern. Und sie selber wollen der anderen ein gutes Beispiel abgeben und verzichten deshalb ganz auf den Genuß von Alkohol. Dieses Bemühen ist gewiß eine gute Sache, denn der Alkohol stellt in unserem Land ein ziemliches Problem dar.

Bezeichnend ist ja der scherzhafte Ausspruch: „Teurer darf er werden, nur nicht all!“ Ein verantwortlicher Mitarbeiter der „Arbeitsgemeinschaft zur Abwehr der Suchtgefahren“ hat einmal Jugendliche aufgefordert, doch eine Verpflichtungserklärung zu unterschreiben, für ein halbes Jahr auf jeden Alkohol zu verzichten; und wer diese Selbstverpflichtung nicht mehr einhalten wollte, sollte den Zettel an ihn zurückschicken.

Nun kann man über diese Methode streiten: Entweder man hält eine solche Verpflichtung ein oder man hält sie nicht ein, da hilft auch ein Zettel nicht. Aber es ist doch interessant, wenn die Jugendlichen dann sagten: „Da merkt man erst einmal, wie oft man doch Alkohol trinkt!“ Als die Zeit herum war, haben sie umso freudiger zugelangt.

Da ist auch an sich nichts dagegen zu sagen, wenn alles im Rahmen bleibt. Wenn man mit 17 Jahren einmal ein Bier trinkt oder ein Eis mit Schuß ißt, dann ist man ja noch nicht auf dem Weg des Alkoholismus. In bestimmten christlichen Kreisen wird diese Frage viel zu sehr hochgespielt und zu einer Glaubensfrage gemacht. Für manchen wird sich ja auch tatsächlich die Frage stellen: „Wer ist nun dein Gott?“ Aber für die meisten Christen liegt hier kein Problem vor.

Sie können mit einer gewissen Leichtigkeit über diesen Punkt hinweggehen. So wie etwa jener Bürgermeister in einem Pfälzer Winzerdorf. Dort hatte auch einer einen mitreißenden Vortrag gegen den Alkohol gehalten. Am Schluß bedankte sich der Bürgermeister bei dem Redner und sagte: „Nur gut, daß das Problem des Alkohols in unserem Dorf keine Rolle spielt. Wir trinken ja keinen Alkohol, wir trinken nur unseren Wein!“ Vielleicht sollten wir wirklich diese Frage mit einem solchen Optimismus abhaken.

Paulus sagt im Römerbrief: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken!” In Rom ging es dabei um das Essen von Fleisch von Tieren, die in den heidnischen Tempeln geschlachtet worden waren. Praktisch war alles Fleisch auf dem Markt aus den Tempeln. Wer sich also

von jeder noch so geringen Berührung mit dem Heidentum freihalten wollte, mußte praktisch auf den Genuß von Fleisch ganz verzichten. Andere Christen aber sagten: „Fleisch ist Fleisch, egal wo es herkommt. Diese Frage hat mit unserem Glauben nichts zu tun!“

Nun hat wohl niemand gemeint, er könne durch die Beachtung solcher Speisevorschriften sein gestörtes Verhältnis zu Gott reparieren, denn sonst hätte wohl Paulus schärfer reagiert. Aber man war wohl der Meinung, daß das Christsein sich in der Einhaltung bestimmter Grundsätze auswirken müsse und das Herrsein Christi im Leben greifbar und sichtbar werden müsse.

Paulus hat demgegenüber die Faustregel aufgestellt: „Alles ist gut, was der Gegenwart unseres Herrn in unserem Leben nicht zuwider ist! Was wir essen und trinken ist bedeutungslos für das Verhältnis zu Gott. Wer solche Fragen des Lebensstils zu einer Glaubens- und Gewissensfrage macht, hat nicht verstanden, worum es in der Herrschaft Gottes geht.

Gott richtet sein Reich auf ganz andere Weise auf. Er hat durch das Kreuz Jesu unsere gottlose Vergangenheit ausgelöscht. Er hat uns wieder angenommen und seine Gerechtigkeit geschenkt. Er hat die Abtrünnigen wiederbekommen und ist so wieder ihr Gott geworden. So hat er seine Herrschaft aufgerichtet durch Rechtfertigung des Sünders aus lauter Gnade. Da­durch hat er auch den Frieden, mit uns hergestellt. Unter uns Menschen werden Bedingungen gestellt und Vorleistungen gefordert, ehe sich Zerstrittene wieder versöhnen. Gott beendet die Feindschaft mit uns auf ganz andere Weise: Er kommt wehrlos ins Lager der Aufrührer und läßt es auf jedes Risiko ankommen. Ganz einseitig beendet er das Widereinander. Daraus können wir lernen, wie es auch bei uns Frieden zu schaffen gilt.

Ein Bischof hat es einmal so gesagt: „Wir sind nicht wie die Regierung im Besitz der nötigen Machtmittel. Dennoch können wir unmittelbar etwas zum Frieden beitragen, etwas, was ich ‚innere Abrüstung' nenne: Daß nicht ein Staat oder eine Staatengruppe die andere automatisch und für alle Zeiten als Feind ansieht, daß man nicht letzten Endes doch von militärischen Aktionen statt von friedlichen Verhandlungen die Lösungen der großen Fragen erwartet, daß wir es lernen, in unsrer Umgebung, in unsrer Familie, im Beruf und in den Gemeinden die Kon­flikte friedlich zu lösen!“

Noch wichtiger als alle Friedenssonntage wäre es, bei uns Frieden zu schaffen: In den Gemeinden, unter der kirchlichen Mitarbeitern, in den Familien. Was Gott selbst tut, ist so wichtig, daß unser Tauziehen um Programme und Richtungen, um Lebensstil und Arbeitsmethoden abgewertet werden. Die unter uns strittigen menschlichen Fragen werden so entschärft und man kann einander den Weg freigeben.

Damit ist nicht eine Toleranz gemeint, die alles gelten läßt und jeden tun läßt, was er will. Es könnte aus Liebe auch einmal nötig sein, dem anderen gerade den Weg nicht freizugeben. Wir sind befreit, aber nicht bindungslos, sondern nunmehr Sklaven Gottes. Aber wir können ihm keinen Gefallen tun, indem wir uns im Essen und Trinken oder auf anderen Gebieten des Lebens auf bestimmte Gesetze festlegen. Es geht nicht darum, daß w i r etwas Bestimmtes tun, sondern daß e r uns Gerechtigkeit und Frieden gibt.

Gott möchte ernstgenommen werden, wenn er in uns keine Sünder mehr sehen will. Mögen wir es auch sein: Er sieht es nicht. Er will Gutes von uns reden und alles zum Besten kehren. Heimlich haben wir noch viel zu viel Respekt vor dem Sündigenmüssen. Wir glauben Gott nicht, daß er uns schon gerechtgesprochen hat. Im Märchen würde man sagen: „Wir spielen noch den Bettelmann, obwohl wir doch schon Königskinder geworden sind!“

Wir versuchen immer noch, uns selbst zu rechtfertigen und zu verteidigen. Wir wollen ein gutes Bild von uns aufbauen und uns zur Geltung bringen. wir sind empfindlich, wenn eine Schwäche offenbar wird. Wir vergeben einander nicht, weil wir nicht gelten lassen wollen, daß uns vergeben wurde. Dabei haben wir das doch alles nicht mehr nötig, weil bei Gott nichts mehr gegen uns vorliegt.

Deshalb sollte auch keiner behaupten, er hätte bestimmte Dinge vor dem anderen voraus; und der andere solle sich bemühen, es ebenso zu halten wie er. Dabei wird doch immer das rechte Christsein des anderen in Frage gestellt. Weil er anders lebt und handelt, unterstellt man ihm auch einen anderen Glauben.

Wer aber von Christus frei gemacht wurde, der kann auch zu dem anderen in seinem Anderssein ja sagen. Es gibt keine uniformierte Christlichkeit, kein christliches „Schema F“. Der eine ist unbeschwert weltoffen, der andere geht den Weg des harten Verzichts. Der eine wagt sich weit vor in der Welt, der andere schließt sich von ihr ab, um seiner selbst oder um anderer willen.

Es gibt so viele Christentümer, wie es Christen gibt. Aber es gibt nur e i n en Herrn. Mit menschlichen Augen betrachtet mögen die Unterschiede unter uns erheblich sein. Aber vor Christus fallen sie nicht ins Gewicht. Auch die anders Denkenden und Handelnden sind Jünger desselben Musters.

Deshalb ist auch eine große Breite christlicher Lebensformen in der Gemeinde möglich: Gottesdienst mehr nach der alten Art oder mehr nach dem Zeitempfinden, Theologie und Gemein­defrömmigkeit, Wirken mehr in die Breite und Wirken mehr in die Tiefe, Verantwortung gegenüber der Welt und gegenüber Gott, Amtskirche und Gemeindekirche, Sakramentsfrömmigkeit und Geisterfülltheit. Manche sehen darin ein Entweder -Oder. Wenn wir aber Gott richtig begriffen haben, dann lassen wir allem Raum in der Gemeinde, wenn es nur die Sache

Gottes voranbringt.

Das Evangelium des Sonntags spricht von der Liebe. Lieben kann man leicht, wenn der andere einem in den Streifen paßt. Aber das ist im Grunde ein seltener Fall. Die Gemeinde aber ist das Übungsfeld, wo man lernen kann, mit dem anderen auszukommen. Die Liebe hält am anderen fest, und gibt ihm den Spielraum, den er braucht; er soll er selbst bleiben und seinem Gewissen folgen können. Leichter wird uns das fallen, wenn wir uns vor Augen halten: Gott hat der anderen schon längst geliebt, ehe wir ihn lieben konnten.

 

 

 

 

 

 

Korinther

 

1. Kor 1, 4 - 9 (5. Sonntag nach Epiphanias, Variante 1):

[die römischen Zahlen beziehen sich auf die Aufteilung in einer Dialogpredigt]

 

I. Jeder von uns ist stolz auf Auszeichnungen: auf eine Geldprämie in der Firma oder in der Schule, auf Züchterurkunden, auf Sportmedaillen, ja selbst auf die Urkunden zur Goldenen Hochzeit und für langjährige Mitgliedschaft im Kirchenchor.

Was zeichnet nun eine christliche Gemeinde aus? Paulus zählt hier sechs Punkte auf; die Kennzeichen einer christlichen Gemeinde sind:

1. Die Gnade Gottes ist euch gegeben in Christus

2. Ihr seid reich gemacht an Lehre und Erkenntnis in Christus

3. Die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden

4. Ihr habt keinen Mangel an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung

5. Christus wird euch fest erhalten bis ans Ende

6. Ihr seid berufen zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus.

 

II. Die menschlichen Auszeichnungen hat man sich aber alle selber verdient und sie werden ja auch von Menschen verliehen. Bei den Vorzügen der Gemeinde steht aber jedesmal dabei „in Christus“ (Punkte w i e d e r h o l e n unter Betonung des „in Christus“!). Diese Auszeichnungen sind also von Gott verliehen und keineswegs von der Gemeinde verdient. Es besteht kein Grund zum Stolz. Deshalb fängt Paulus ja auch mit dem Dank an Gott an, obwohl er nachher im Brief manche Nöte der Gemeinde bespricht: Ehesachen, Streit, Unglaube, Lieblosigkeit - all das gab es in Korinth, und trotzdem kann Paulus Gott danken für diese Gemeinde und das was sie auszeichnet.

 

I. Wir sollten deshalb auch trotz aller Nöte zunächst mit dem Positiven beginnen, wenn wir unsere Gemeinden ansehen. Auch die Pfarrer sollten so wie Paulus den Mut zum Danken haben, denn von jeder Gemeinde gibt es auch Erfreuliches zu berichten. Und wir sollten in unserem persönlichen Gebet auch immer zunächst mit dem Dank beginnen, ehe wir unsere Nöte ausbreiten.

Hören wir hier also jetzt in sechs Schritten, was eine christliche Gemeinde auszeichnet.

 

II. Paulus zählt als ersten Punkt auf:

(1.) Die Gnade Gottes ist euch gegeben in Christus Jesus!

Im Johannesevangelium steht die Geschichte einer Ehebrecherin, die auf frischer Tat ertappt wurde. Die frommen Leute zerren sie vor Jesus und klagen sie an. Jesus aber sagt nur: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie!“ Da ziehen sich alle kleinlaut zurück. Jesus aber sagt zu der Frau: „Dann verdamme ich dich auch nicht!“ Das ist Gnade, die jedem einzelnen Gemeindeglied versprochen ist: Wenn die Menschen uns verklagen, dann verdammt uns Jesus noch lange nicht.

 

I. Ohne Christus haben wir keine Gnade zu erwarten, sondern wir würden auch von Gott verurteilt. Aber wenn wir angeklagt werden, dann tritt Jesus wie in der Geschichte von der Ehebrecherin dazwischen. Gnade heißt: Wir erlangen Vergebung für unsere Taten. Wenn wir aber das erfahren haben, dann haben wir auch die Kraft, einem anderen zu vergeben. Daß wir das aber können, ist eine Gnade, die der Gemeinde von Gott geschenkt ist.

 

II. (2.) Ihr seid reich gemacht an Lehre und Erkenntnis durch Christus!

Es ist uns sehr selbstverständlich, daß wir Christen sein können: Wir haben ein vielfaches Angebot einer „geistlichen Speisekarte“ die ganze Woche über. Die Kinder können zum Religionsunterricht und zum Konfirmandenunterricht gehen, wir können uns jederzeit eine Bibel kaufen - wir sind steinreiche Leute, was die Möglichkeiten der Erkenntnis und der Lehre angeht. .Nutzen wir da unsre Möglichkeiten genügend? Die meisten haben ein Kochbuch zu Hause, aber sie sehen nur selten hinein. Die meisten haben eine Bibel zu Hause, aber sie sehen nur selten hinein. Dabei ist die Bibel so ein dickes Buch. Das kann man sein ganzes Leben über nicht ausschöpfen, zumal da auch so viel drinsteht, was unsrem natürlichen Empfinden entgegengesetzt ist.

 

I. Ohne Christus wären wir arm an Erkenntnis über Gott und würden höchstens sagen: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ Aber auch unser Verhältnis zu dem Mitmenschen gestaltete sich nur nach dem Schlagwort: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Christus aber lehrt uns, keinen Menschen zu hassen, sondern selbst den Feind zu lieben. Bei der Erziehung zum Haß können wir Christen nicht mitmachen, weil wir durch Christus die Erkenntnis gewonnen haben: Gott liebt auch meinen Feind, deshalb soll ich ihn auch lieben.

 

II. (3.) Die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden!

Wir haben oft Gelegenheit zum Hören der Predigt. Und wenn einer krank ist, kann er immer noch die Rundfunkandacht oder das Fernsehen anstellen. Es geht nur darum, daß es immer Zeugnis von Christus ist. Man kann ja über manches reden, und Christus ist doch nicht dabei, sondern nur die eigenen Gedanken. Hier hat die wissenschaftliche Bibelauslegung eine große Aufgabe, uns auf das hinzuweisen, was wirklich Christus predigt. Durch die Beschäftigung mit der Theologie kann man viel lernen von dem, was die Bibel wirklich will. Nur darf man dann nicht in theologischen Einzelheiten steckenbleiben, sondern muß den einen Christus im Auge behalten.

 

I. Eine andere Predigt macht nicht kräftig. Dann redet man vielleicht sehr nützlich von Stallfütterung und Waldfrevel, aber nicht von Christus. Dann redet man vielleicht auch sehr interessant und hat sein Publikum. Aber wenn dann so ein Kanzelredner abtritt, verläuft sich die Gemeinde wieder, weil sie nicht in Christus gekräftigt ist.

 

II. (4.) Ihr habt keinen Mangel an irgendeiner Gabe!

Ihr habt alles, was eine christliche Gemeinde braucht, welche Zeiten auch kommen. Paulus zählt sie später im Korintherbrief auf: Weisheit, Erkenntnis, Glaube, Heilkraft, Weissagung und anderes. Ihr braucht nichts selber zu schaffen, weil Gott schon alles gegeben hat. Eine großartige Zusage! Es fehlt nur noch die letzte Vollendung, daß nämlich Christus wieder sichtbar zu euch kommt. Aber bis dahin habt ihr keinen Mangel, bis dahin könnt ihr euch auch gegen alle Anfeindungen und Versuchungen durchsetzen.

 

I. Ohne Christus aber hätten wir Mangel. Wir würden dann Ausschau halten nach den Versprechungen der Menschen und auf die Zukunftsbilder der Weltanschauungen hereinfallen. Wer meint, ihm fehle noch etwas, der wird nach so einem Ersatz suchen. Paulus aber sagt: Ihr habt das nicht nötig, ihr habt schon alles.

 

II. (5.) Christus wird euch fest erhalten bis ans Ende!

Gott verspricht uns hier Standhaftigkeit bis zum Ende. Nicht bis zum bitteren Ende, bei dem man mit fliegenden Fahnen untergeht, sondern eine ruhige Gelassenheit in allen Stürmen und Schwierigkeiten unseres Lebens. Das meint ja eigentlich das Wort „Konfirmation“ ein Festmachen im Glauben und in der Lehre. Nur ist das eben kein einmaliger Vorgang, der mit dem Konfirmationstag erledigt ist, sondern Konfirmation dauert das ganze Leben. Und wer sich dann bis ans Ende hat festhalten lassen, der wird dann auch im Gericht Gottes bestehen.

 

I. Ohne Christus wären wir wankelmütig wie ein Rohr im Wind und würden auf alle Neuigkeiten hereinfallen. Doch wenn man es genau betrachtet, dann sind solche haltlosen Menschen schon im Diesseits bestraft, weil sie nicht wissen, wo sie hingehören.

 

II. (6.) Ihr seid berufen zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus!

Wir brauchen nicht allein als Christen in der Welt zu stehen, sondern wir stehen in der Gemeinde und erfahren gegenseitige Hilfe und Unterstützung. Eine taubstumme Frau hat man einmal gefragt, warum sie denn jeden Sonntag im Gottesdienst sei, wo sie doch nichts

verstehe von all dem; da hat sie auf ihre Art mitgeteilt: „Ich brauche eben die Gemeinschaft der anderen, um ein Christ zu sein!“

Das ist ja der Mangel an jedem Radiogottesdienst: Hier fehlt die sichtbare Gemeinde, hier fehlt das Abendmahl und das gemeinsame Beten und Loben. Wer aber zum Christsein in der Gemeinde berufen ist, der hat nun den bleibenden „Beruf“, ein Christ zu sein. Jeder von uns hat noch von Gott diesen zweiten Beruf und hat ihn an seinem Ort auszuüben. Auch in der Firma und in der Schule, im Büro und auf der Straße sind wir zur Gemeinschaft mit den anderen Christen berufen, daß wir auch dort zusammenhalten, uns gemeinsam verteidigen und gemeinsam wirken im Namen Gottes.

 

I. Ohne Christus wären wir nur ein Verein. Dann ginge es nach Sympathie und Antipathie und es käme sicher manches Mal zum Streit untereinander. Ohne Christus wären wir in der Tat nur eine in sich geschlossene Gesellschaft, die darauf verzichtet, andere in ihre Gemeinschaft

hin einzuholen. Keine andere Gemeinschaft in der Welt hat diese Eigenschaften, wie sie hier aufgezählt werden.

 

II. Wir haben nun wie jeden Sonntag den Text ausgelegt. Als Thema des Tages haben wir das Thema gewählt: „Die Bibel als Aufgabe“. Aber manche werden sich doch nun fragen, weshalb sind wir hierhergekommen? Es war vielleicht auch einmal etwas Neues, daß nun gleich zwei Mann gepredigt haben. Aber was nehmen wir mit als Rüstzeug für den Alltag?

 

I. Ein kleiner Zirkus hatte als Hauptattraktion einen Löwen, auf den er ganz stolz ist. Nun ist da aber auch ein anderer Zirkus, der keinen Löwen hat und dem anderen gern den Löwen abjagen möchte. Die Leute überlegen sich nun: Wie können wir unseren Löwen am besten vor Diebstahl schützen? Welche Sicherungsanlagen müssen wir einbauen? Bis dann einer von den Zirkusleuten sagt: „Ihr dürft den Löwen nicht einschließen, sondern müßt die Tür gerade offenlassen. Der Löwe verteidigt sich dann schon selbst!“ So haben wir es aber auch mit der

Bibel gemacht: Wir haben sie aufgeschlagen, damit sie sich selbst verteidigt. Wenn hier unter uns vielleicht auch keiner ist, der die Bibel angreifen will, so müssen wir doch bedenken, daß sie heute angegriffen wird.

 

II. Nur kann es auch sein, daß die Bibel uns dann selber angreift, so wie der Löwe wahrscheinlich die Leute seines Zirkus und selbst den eigenen Dompteur angegriffen. Wir können die Bibel nicht zähmen und so in unser Leben einordnen, daß sie unwirksam wird.

Paulus stellt uns ja hier vor Augen, wie eine Gemeinde sein sollte. Er stellt uns damit ja indirekt Aufgaben und greift uns an, weil wir noch nicht so sind, wie es hier dargestellt wird. Wir können uns also nicht damit beruhigen, daß Gott uns schon alles geben wird, was hier aufgezählt wurde, sondern Paulus fordert uns hier auf: Verwirklicht nun auch das, was ihr von Gott her schon seid.

 

1. Kor 1, 4 - 9 (5. Sonntag nach Epiphanias, Variante 2):

(Einstieg wie in Variante 1)

Die Pfarrer sollten den Mut zum Danken haben, denn von jeder Gemeinde gibt es auch -Erfreuliches zu berichten. Und auch in unserem persönlichen Gebet könnten wir immer mit dem Dank beginnen, ehe wir unsere Nöte ausbreiten. Denn unser äußerer und innerer Zustand hängt nicht von dem ab, was wir selbst geschafft haben oder versäumten, sondern von Gott, der uns beschenkt und der uns fest macht und der uns vollenden wird.

 

1. Laßt uns danken für die Kirche, denn Gott beschenkt sie!

Paulus dankt Gott immerzu für die Gemeinde. Dabei denkt er aber nicht an ihren äußeren Zustand, sondern an ihre Gerechtsprechung von Gott her. Gott hat es doch gerade auf Sünder abgesehen, auch auf die in der christlich-kirchlichen Spielart. Andernfalls müßte die Kirche ihr Daseinsrecht vor Gott und den Menschen selbst beweisen: durch eigene Leistung, durch ein gutes Betriebsklima, durch Vorzüge gegenüber anderen, kurz gesagt durch alles, was menschlichen Ruhm ausmachen könnte.

Aber dann muß man Mängel und Versehrtheiten ängstlich oder auch gewaltsam verbergen. In der Kirche aber kann man ruhig darüber sprechen. Etwas ironisch stellt Paulus dann euch fest: „Ihr seid schon reich geworden, ihr fühlt euch ja, als wärt ihr schon nicht           mehr auf der Welt. Niemand will euch ausreden, daß ihr reich seid. Aber vergeßt nicht: Reich geworden seid ihr nicht aus euch selbst, sondern durch den freigiebigen Gott!

Reich sind die Korinther in allem „Wort“ und aller „Erkenntnis“. Auch wir haben die ganze Woche über ein vielfaches Angebot einer „geistlichen Speisekarte“. Die Kinder können zum Religionsunterricht und zum Konfirmandenunterricht gehen, wir können uns jederzeit eine Bibel kaufen, es gibt Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen. Aber nutzen wir das auch?

Wir haben wahrscheinlich eine Bibel zu Hause, aber wir sehen nur selten hinein.

Doch ohne Christus wären wir arm en Erkenntnis über Gott und würden höchstens sagen: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ Aber auch unser Verhältnis zu dem Mitmenschen gestaltete sich nach dem Schlagwort: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Christus aber lehrt uns, keinen Menschen zu hassen, sondern sogar den Feind zu lieben. Das ist eine der Gnadengaben, die uns in „in Christus“ gegeben ist.

Vielleicht sehen wir etwas neidisch nach Korinth und stellen fest: Dort ist doch wenigstens Leben gewesen, wenn auch äußerst problematisch und oft irregeleitet; bei uns dagegen sei doch alles mickrig und lahm. Doch ist das nicht auch bei uns vorhanden: das Christuszeugnis, das Wort von der uns suchenden und alles für uns einsetzender Liebe Gottes. In der Evange­lienlesung haben wir vom Unkraut unter dem Weizen gehört. Aber mancher meint in der Kirche nur Unkraut zu sehen. Aber dazwischen wächst Weizen, weil Gott da ist und seine Gemeinde beschenkt.

 

2. Laßt uns danken für die Kirche, denn Gott macht sie fest:

Paulus könnte zum Festbleiben ermahnen und an das Gute Wollen der Gemeindeglieder appellieren, an ihre Reife und ihr Stehvermögen, ihre Treue und ihre Geduld. Aber er rechnet mit der bewahrenden Kraft Christi. Wir brauchen dazu gar nicht die Statistik heranzuziehen. Denn einmal gilt, was ein bekannter Kirchenmann gesagt hat: „Ich glaube nur der Statistik, die ich selber gefälscht habe!“ Zum anderen ist das Eigentliche doch nicht in Zahlen zu fassen. Es geht nicht um unseren guten Willen und unseren Eifer.

Zeichen geistlichen Wachstum und begnadeter Lebendigkeit gibt es nur, weil Christus uns bis zum Ende „fest erhalten“ wird. Keiner von uns kann die Hand dafür ins Feuer legen, daß er mit seinem Glauben und seiner Liebe durchhalten wird. Aber Christus bittet für unseren Glauben und macht fest, was immerzu wackelt, Nicht auf uns ist Verlaß, sondern auf ihn. Wir können nur durchhalten, weil e r durchhält.

Doch es geht nicht um eine Standhaftigkeit bis zum bitteren Ende, bei dem man dann mit fliegenden Fahnen untergeht. Gemeint ist eine ruhige Gelassenheit in allen Stürmen und Schwierigkeiten unseres Lebens. Das meint ja das Wort „Konfirmation“: ein Festmachen im Glauben und in der Lehre. Nur ist das eben kein einmaliger Vorgang, der mit dem Konfirmationstag erledigt ist, sondern Konfirmation dauert das ganze Leben.

Ohne Christus wären wir wankelmütig wie ein Rohr im Wind und würden auf alle Neuigkeiten hereinfallen. Deshalb gilt es, auf das wahre Zeugnis von Christus zu hören. Man kann über vieles reden, auch in der Kirche, bis hin zur Stallfütterung und vom Waldfrevel, wie es das schon gab. Vielleicht ist das auch interessant und man hat sein Publikum. Aber wenn der Kanzelredner abtritt, dann verläuft sich die Gemeinde wieder, weil sie nicht von Christus gekräftigt ist und in Christus drinsteht. Wer nicht auf Christus hört, wird wankelmütig und ist schon im Diesseits gestraft, weil er nicht weiß, wo er hingehört.

 

3. Laßt uns danken für die Kirche, denn Gott wird sie vollenden:

Paulus spricht davon, daß die Korinther auf die Offenbarung des Herrn Christus warten. Aber warten sie wirklich? Sie fühlen sich doch satt und reich, wie Könige. Sie lehren, es bedürfe keiner Auferstehung, da diese schon geschehen sei. Ein solches Christentum hat etwas Tri­umphales. Da wartet man nicht mehr, da hat man schon alles.

Da will man natürlich auch nichts wissen von der Schande des Kreuzes Jesu und von den Schwächen der Kirche. Aber einmal wird herauskommen, was die Kirche wirklich ist. Darin liegt eine große Befreiung, wenn man wissen kann: So wie die Kirche heute ist, wird sie nicht bleiben. Ihre wahre Gestalt ist noch unkenntlich. Sie ist noch Kirche unter dem Kreuz, sie ist noch nicht das, was sie sein soll und einmal sein wird.

Wer die Kirche in ihrer gegenwärtigen Jammergestalt sieht, sollte sie als wartende Kirche sehen, die erst mit der Wiederkunft Christi so werden wird, wie Gott sieh dies gedacht hat. Aber bis dahin können wir mit Gottes Hilfe uns gegen alle Anfeindungen und Versuchungen durchsetzen. Ohne Christus hätten wir einen Mangel, würden Ausschau halten nach den Versprechungen der Menschen und auf die Zukunftsbilder der verschiedenen Weltanschauungen hereinfallen. Wir brauchen nicht nach Ersatz zu suchen, sondern wir haben schon alles, nur die letzte Vollendung fehlt noch. Nur können wir die nicht selber erreichen, sondern Christus wird sie uns schenken.

Stärken in dieser Gewißheit kann uns auch die Gemeinde, in der wir gegenseitige Hilfe und Unterstützung finden. Eine taubstumme Frau wurde einmal gefragt, warum sie denn jeden Sonntag im Gottesdienst sei, wo sie doch von all dem nichts verstehe. Da hat sie auf ihre Art mitgeteilt: „Ich brauche eben die Gemeinschaft der anderen!“

Auch in der Firma und in der Schule, im Büro und auf der Straße sind wir zur Gemeinschaft mit anderen Christen berufen. Wir sollen zusammenhalten, uns gemeinsam verteidigen und gemeinsam wirken im Namen Gottes. Was Paulus hier als Kennzeichen der Gemeinde aufzählt, mag uns vielleicht etwas zu ideal erscheinen. Aber er möchte, daß die vorfindliche Gemeinde schon durchscheinend wird für die kommende. Indirekt greift er uns damit auch an, weil wir ja nicht so sind, wie wir sein sollen. Wir können uns also nicht damit beruhigen, daß Gott schon alles geben wird, was noch fehlt. Vielmehr wird uns hier die Aufgabe gestellt: Verwirklicht nun auch das, was ihr von Gott her schon seid.

 

 

1. Kor 4, 1 – 5 (3. Advent):

In der Kirche gibt es eine Menge Geheimnisträger. Sie hüten keine Staatsgeheimnisse, nicht einmal Betriebsgeheimnisse. Sie wissen auch nichts über die dunklen Rätsel unseres Daseins. Aber sie wissen etwas von dem unendlich tieferen Geheimnis der Liebe Gottes, der Mensch geworden ist und sogar am Kreuz den Tod der Menschen starb. So etwas ist an sich unbe­greiflich, dieses Geheimnis der Liebe Gottes uns gegenüber werden wir nie recht ergründen können.

Und doch sagt Paulus: „Jedermann halte uns für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse!“ Schon Johannes der Täufer, dem ja der heutige Adventssonntag an sich gewidmet ist, hat etwas von diesem Geheimnis geahnt. Er hat noch nicht die richtige frohe Botschaft gebracht und ist sogar nachher wieder an Jesus irre geworden. Aber er war doch einer, der auf den Kommenden hingewiesen hat und sich in seinen Dienst gestellt hat.

Auch heute gibt es Menschen, die im Dienst Jesu Christi stehen und Haushalter über Gottes Geheimnisse sind. In erster Linie werden wir da an die Pfarrer und ihr Amt denken. Aber auch wer Religionsunterricht hält oder die Kirchenmusik besorgt oder einen Gemeindekreis betreut, ist ja an diesem Amt der Kirche beteiligt. Jeder, der die Botschaft Gottes weitersagt oder hört, wird damit zum Geheimnisträger und Mitarbeiter Gottes. Einige Besonderheiten muß man allerdings dabei doch beachten;

Im Dienste Gottes darf es keinen Personenkult geben. Wer in der Kirche eine Aufgabe übernimmt, darf seinen Herrn nicht verdecken und sich selber in den Vordergrund spielen wollen. Das war ja in Korinth passiert. Dort sah man Paulus, Kephas und Apollos als religiöse Führer und Helden an. Man sammelte sich um sie, so wie man heute vielleicht für einen Filmstar oder Sportler schwärmt.

Sie gewannen als wortgewaltige und geisterfüllte Persönlichkeiten ein gewisses Eigeninteresse. Doch das ist falsch, denn man soll sich nicht an Menschen halten, sondern an Christus: Er ist das Licht, das in die Welt gekommen ist. Menschen können immer nur wirken wie die Linsen in einem Bildwerfer, die die Bilder bündeln und möglichst scharf und verzerrungsfrei dorthin werfen, wo sie auftreffen sollen. Wichtig ist, daß die Bilder sichtbar werden. Die Hilfsmittel dafür sind zwar auch notwendig, aber sie haben nur eine dienende Punktion und können notfalls auch ausgewechselt werden.

Jeder sogenannte „Amtsträger“ in der Kirche ist nur „Handlanger Christi“ auf „Gottes Bau­platz“. Er tut alles auf höheren Befehl und ist nur ausführendes Organ. Den Plan hat ein anderer gemacht, auch das Material hat er beschafft. Gewisse handwerkliche Fähigkeiten muß der Handlanger schon haben. Aber die letzte Verantwortung hat ein anderer. Er gibt an, was gemacht wird, und ruft seinen Handlanger notfalls auch wieder zurück, wenn der zu selbständig wird

Ein Handlanger muß immer springen und oft auch die körperlich schwere Arbeit tun. Oftmals erntet er nicht einmal Anerkennung dafür. So aber ist es mit dem Helfern Christi auch: Sie sollen vor allem führend im Dienen sein. Ihr Ruhm besteht darin, daß sie die Anweisungen ihres Herrn sinngemäß ausgeführt haben. Allerdings sind sie auch nur diesem Herrn verpflichtet. Sie sind seine Handlanger und nicht die der Gemeinde oder gar außenstehender Kräfte und Gruppen.

Einerseits kann man also nicht gering genug von einem Diener Christi denken. Andererseits kann man aber auch nicht groß genug von ihm denken, denn er ist ja Haushalter über Gottes Geheimnisse. Er hat einen Schatz zu bringen, den die Welt braucht und der ihr auch helfen kann.

Allerdings ist er nicht selber Erzeuger oder Unternehmer, ja nicht einmal Pächter, sondern nur Verwalter des Gutes seines Herrn. Er muß über das ihm Anvertraute wachen und einmal Rechenschaft dafür ablegen. Er kann sich also nicht persönlich daran bereichern oder auch nur seinen eigenen Ruhm mehren. Paulus hat ja Entgelt für die Verkündigung des Evangeliums genommen, obwohl er es hä.tte beanspruchen können. Aber er wollte nicht mit gewissen Wanderpredigern verwechselt werden ‚ die aus ihrer angeblichen Botschaft nicht nur einen Beruf, sondern auch ein Geschäft gemacht haben. Paulus mußte einfach- so oder so - predigen und taufen und das Abendmahl halten. Er hatte sich nicht nach dieser Stellung gedrängt. Aber nachdem sie ihm nun einmal übertragen war, hat er sie auch mit vollem Einsatz ausgefüllt.

Ein Verwalter Gottes ist nämlich nicht ein Wachhund, der die himmlischen Schätze bewacht. Er hat vielmehr das ihm anvertraute Gut herauszurücken, damit es ausgesät werden kann, denn nur so bringt es Frucht. Er hat nicht Genieinnnisse zu hüten, sondern gerade allen Menschen mitzuteilen. Auf diesem Gebiet wird ein Verwalter nie genug tun können, denn' das Geheimnis Gottes ist so groß, daß man es doch nie voll und ganz entdecken kann. .Hier nicht nachzulassen und immer wieder dieses Geschenk Gottes anzubieten, darin zeigt sich die Treue eines Verwalters.

Es gibt allerdings auch Leute, die meinen, den Handlangerdienst der Boten Gottes nicht nötig zu haben. Sie wollen sich selbst bediene und auf die Überlieferung verzichten. Sie sagen: „Wir sind selber satt und reich, wir haben unsere eigenen geistlichen Erfahrungen, wir brauchen keinen Verwalter und keine Ämter. Wir brauchen nur die Bibel aufzuschlagen, und dann gibt uns der Geist Gottes schon ein, was wir reden sollen. Wir brauchen keine Zufuhr von außen, denn wir haben ja ein reiches Innenleben, wir erfahren den Geist Gottes auf direktem „Wege und komme so zum Glauben!“ und dann probieren sie so etwas wie das „Zungenreden“, von dem auch das Neue Testament spricht. Sie behaupten. „Jesus hat zu mir gesprochen!“ Aber wenn jemand wirklich eine solche Erfahrung gemacht haben sollte, dann würde er sie lieber für sich behalten.

Paulus aber sagt es anders: Apollos und Paulus sind Diener, durch die ihr in Korinth zum Glauben gekommen seid. Paulus stellt sich nicht allein heraus, obwohl er der Gründer der Gemeinde ist. Auch Apollos hat eine wichtige Aufgabe übernommen. Paulus hat gepflanzt, aber Apollos hat begossen: Wenn die junge, zarte Pflanze nicht gleich wieder eingehen soll, dann muß sie auch ständig weiter gehegt und gepflegt werden.

So ist das auch mit unserem Christenglauben. Die Gaben Gottes müssen den Glaubenden immer wieder neu zugereicht werden, immer wieder muß gepredigt und müssen die Sakramente ausgeteilt werden. Nur so stellt der Herr mit seiner Gemeinde die Verbindung und Gemeinschaft her. Niemand hat soviel Informationen über Gott und Christus gespeichert, daß er nun aus dem Vorhandenen leben könnte. Er braucht immer wieder neue Zufuhr vor Gott her, damit sein Glaube nicht verkümmert. Die in der Gemeinde für diesen Dienst eingesetzten Men­schen sollen ihm dabei helfen.

Aber Menschen können immer nur Handlanger und Verwalter sein. Am Ende aber wird Christus selbst kommen. Er wird dann auch das letzte Wort sprechen, über uns und unsere Taten, über die Verkündiger und Hörer seiner Botschaft. Er ist die einzige 1nstanz, die über Kritik und Lob entscheidet.

Deshalb darf keiner „vor der Zeit“ richten. Paulus läßt sich von den Korinthern nicht kritisieren, wenn es um die Sache geht. Er bekennt sich schuldig, weil er sein Versprechen nicht eingehalten hat, bald wieder nach Korinth zu kommen. Er versucht die Grude zu erläutern und steht Rede und Antwort. Aber wenn es um den apostolischen Dienst im engeren Sinne geht, dann ringt er mit d en Korinthern und will sie von der Sache her überzeugen Er macht ihnen deutlich: Allein der Herr wird über das urteilen, was ihr jetzt so unterschiedlich an mir bewertet. Ihr dürft dem Herrn nicht vorgreifen, denn die wirkliche Zeit ist erst da, wenn der Herr kommt.

Ein Haushalter Gottes braucht keine überragenden menschlichen und geistlichen Qualitäten zu haben. Er ist auch unabhängig vom Beifall oder Mißfallen der Gemeinde. Er sollte zwar bereit sein für jeden gutgemeinten Zuspruch, aber sieh auch nicht von Menschen abhängig machen. Er kann die Ware nicht verderben, die er weiterzureichen hat. Aber er hat sie weiterzugeben, wenn er seinem Auftrag gerecht werden will. Treu und verläßlich sein und allzeit der Sache verpflichtet, das ist es, was man von ihm erwarten kann.

Einmal aber wird einer kommen, der uns besser kennt als irgendjemand auf der Welt, der uns sogar noch besser kennt als wir selber. Er wird ums deutlich machen, daß wir jeden Tag Grund gehabt haben, die fünfte Bitte des Vaterunsers zu beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“ Aber er wird uns auch sagen, daß wir vom Lob der Menschen nicht abhängig sind. Aber wenn das Verborgene unseres Herzens ans Licht kommt, dann werden wir von ihm Lob empfangen, auch gerade dort‚ wo wir es nicht erwartet hatten.

Die Adventszeit ist zwar eine Zeit der Buße und der ernsten Selbstprüfung, ob wir wirklich treu geblieben sind. Aber wir dürfen uns auch auf den freuen, der der wahre Richter über unser Leben ist und dem wir letztlich ein gutes Urteil verdanken.

 

 

1. Kor 9, 24-27 (Septuagesimä):

Wilma Rudolph wuchs in einer Familie mit sieben Geschwistern und elf Halbgeschwistern auf. In ihrer Kindheit erlitt Wilma eine Reihe schwerer Krankheiten. Eine Kinderlähmung setzte ihr linkes Bein außer Gefecht, und erst nach jahrelanger Physiotherapie und spezifischen Massagen konnte sie wieder ohne Hilfsmittel gehen. Von elf an konnte sie endlich mit ihren Brüdern Basketball spielen. Bald erzielte sie an der Höheren Schule große Erfolge in dieser Sportart. Ein Leichtathletiktrainer an der Tennessee-Universität entdeckte sie 1955 als Schiedsrichter bei einem Basketballkampf, erkannte ihr Talent und vermittelte ihr ein Sportstipendium an seiner Hochschule.

Schon im Jahr darauf qualifizierte sie sich für die Olympischen Sommerspiele 1956 in Melbourne, bei denen sie Bronze in der 4-mal-100-Meter-Staffel gewann. Nach einer Schwangerschaftspause 1958 gehörte sie zu den weltbesten Sprinterinnen und stellte 1960 zwei Weltrekorde auf. Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom siegte sie in allen drei Kurzstreckendisziplinen: In den Einzeldisziplinen 100 und 200 Meter siegte sie in allen Läufen mit mindestens 0,3 Sekunden Vorsprung; die Fabelzeit von 11,0 Sekunden im 100-Meter-Finale konnte jedoch wegen zu starken Rückenwinds nicht als Weltrekord gewertet werden. In der    4 × 100 Meter Staffel lief sie im Vorlauf einen Weltrekord (44,4 Sekunden); im Finale sicherte Rudolph als Schlußläuferin das Gold vor der deutschen Staffel, die eingangs der Zielgeraden noch gleichauf lag. Am 19. August 1961 stellte sie über 100 Meter mit 11,2 Sekunden in Stuttgart einen weiteren Weltrekord auf. Wegen ihres eleganten Laufstils wurde sie „die Gazelle“ genannt.

Um so ein Ziel zu erreichen, muß man hart trainieren und seinen Leib bezwingen, wie Paulus sagt. Dabei scheint das Evangelium des heutigen Sonntags von den Arbeitern im Weinberg genau das Gegenteil zu sagen, nämlich: Gott lohnt aus lauter Güte, aus bloßer Freude am Schenken, es kommt nicht auf die Dauer der Anstrengung der Arbeiter an. Das ist eben die Sicht aus dem Blickwinkel Gottes. Paulus stellt das Ganze aus der Sicht der Menschen dar Er sagt: Christentum ist ein angestrengter Lauf, der nur unter Verzicht und Härte gegen sich selbst gewonnen werden kann; deshalb lautet das Motto: „Alle Kraft für das Eine!“

Paulus hat vor allem die Sorge, er könnte anderen predigen und selbst versagen und den Kampf nicht bestehen. Das ist auch der Druck, der auf jedem kirchlichen Mitarbeiter liegt. Jeder andere kann leben wie er will, aber der Pfarrer soll die Fahne der alten Werte hochhalten, ihm verzeiht man einen Fehltritt nicht so schnell. Deshalb stellt Paulus auch heraus: Die Glaubensgewißheit wirkt sich in seinem Leben keineswegs einschläfernd aus, sondern sie bringt ihn in Bewegung.

Dennoch stellt Paulus alles unter den Oberbegriff der christlichen Freiheit: Er muß nicht, aber er kann und will! Er will anderen Menschen zur Verfügung stehen und ihnen nützlich sein. Freiheit ermöglicht für ihn Liebe und Dienst. Aber christliche Freiheit will trainiert sein. Dazu ist erforderlich eine harte Zucht, aber es gibt auch ein hohes Ziel.

 

1. Christliche Freiheit ist verbunden mit einer ständigen Übung:

Die Korinther haben da etwas mißverstanden. Sie dachten: Wenn uns Christus befreit hat aus den Zwängen der alten Welt, dann können wir tun, was wir wollen. Paulus aber sagt: Die Befreiung bedeutet eine neue Bindung an Christus. Man will dann gar nichts mehr anderes als er will. Das ist unsere Freiheit, weil unser Herz ganz Jesus Christus gehört. Paulus will so, wie sein Herr will, er ist für seinen Herrn in Bewegung.

Dem inneren Wollen des befreiten Menschen stellen sich aber äußere Hemmnisse entgegen. Diese kommen noch von dem alten Menschen her. Dieser ist zwar grundsätzlich erledigt und bedeutungslos, er kommt nicht mehr in Betracht, wenn es um das Verhältnis zu Gott geht. Aber er ist immer noch da als Störfaktor.

Das hat auch der Mann erfahren, den ein Pfarrer betrunken in der Gosse fand. Er sagte: „Aber Herr Soundso, sie wollten doch ein neuer Menschen werden!“ Darauf die trockene Antwort: „Aber der neue Mensch säuft auch!“ Deshalb gilt es, immer wieder zu kämpfen, damit der neue Mensch sich durchsetzt.

Wir brauchen ja gar nicht selbst die bösen Dämonen zu besiegen, also die eigene Trägheit und die eigenen Gelüste, Zimperlichkeit und Leidensscheu, mangelnde Beherrschung und unkon­trollierten Zorn. Deshalb gilt es zu kämpfen wie Siegfried, der Drachentöter, nur daß wir nicht die eine Stelle am Körper haben, wo er doch verwundbar war. Deshalb kämpft es sich gut, wenn man unverwundbar ist. Aber gekämpft werden muß.

Der Vergleich mit dem Sportler zeigt, daß es dabei nicht um eine selbstquälerische Enthaltsamkeit geht. Der Sportler trainiert ja gern, weil er ein hohes Ziel vor sich hat. Die Quälerei ist kein Selbstzweck, sondern dient dem Erfolg. Selbst wer belastet ist mit einer schweren Krankheit, kann noch Außergewöhnliches von sich selbst verlangen und kämpft gegen alles, was ihn ermüden könnte, so daß die Kräfte wachsen und er mehr arbeiten kann als alle anderen. Das zeigt das Beispiel von Wilma Rudolph.

Der Kampf darf nur nicht verbissen werden und die Lebensfreude nehmen. Da stellten einige Jugendliche fest, die zu einer Veranstaltung der Alkoholgegner waren und dort das Versprechen abgegeben hatten, einmal sechs Wochen auf jeden Alkohol zu verzichten. Der Leiter hatte sie eine Karte zu ihrer Selbstverpflichtung ausfüllen lassen, nach der sie ihm schreiben sollten, wenn sie ihr Versprechen gebrochen haben. Jetzt saßen sie im Jugendclub bei alkoholfreien Getränken und stöhnten: „Wir hätten gar nicht gedacht, daß das so schwer ist, jetzt wird uns erst einmal bewußt, daß es da ein Problem gibt!“

Auch das Christentum - den christlichen Glauben - kann man trainieren. Dazu werden auch viele Hilfen gegeben, man muß sie nur annehmen und für sich selber ausprobieren. Jeder Mensch fängt nicht ganz von vorne an, sondern erhält eine Ausbildung, bis er einigermaßen auf eigenen Beinen stehen kann. Aber im Grunde lernt man nie aus, das ganze Leben über bleibt man ein Lernender.

In vielen Orten gibt es christliche Kindergärten. Wenn diese überhaupt einen Sinn für die Kirche haben sollen, dann kann es nur der sein, daß hier erste Grundlagen einer christlichen Erziehung gelegt werden. Hier wird vor dem Essen gebetet, hier werden einfache Geschichten aus der Bibel erzählt. Mancher wird sein Kind nur deshalb dorthin schicken, weil der Kindergarten gleich um die Ecke ist. Aber es ist doch erfreulich, wenn ein Kind im Osternachtgottesdienst sagt: „Die Geschichte von der Auferstehung kenne ich schon aus dem Kindergarten!“ Wenn schon die Eltern in diesem Punkt versagen, dann kann doch die Kirche aushelfen, auch mit einem Kindergarten.

Für Erwachsene gibt es in vielen Gemeinden sogenannte Glaubenskurse. Da kann man auch hingehen, wenn man sich nur informieren will, ohne daß es gleich verbindlich sein muß. Aber Information ist der erste Schritt zum Glauben. Der Staat Israel verlangt von seinen Schülern, daß sie alle am Religionsunterricht teilnehmen. Sie sollen die Tradition ihres Volkes kennenlernen, auch wenn sie nicht gläubig sind. Die lesen dann nicht nur Goethe und Schiller, sondern erst einmal das Alte Testament. Das wäre sicher auch bei uns gut, denn es wird viel von „christlich-abendländischen Werten“ geredet, aber keiner weiß so recht, was darunter zu verstehen ist. Man muß aber die biblischen Geschichten kennen, wenn man die Werke der Künstler alter und neuer Zeit verstehen will.

Einmünden kann das dann auch in der aktiven Teilnahme am kirchlichen Leben. Ein hervorragendes Training in christlichem Leben ist der Gottesdienst. Angeblich kann man auch Christ sein ohne die Gemeinde. Aber das ist ein Trugschluß: Wer nicht trainiert, der erlahmt, der wird nie der Sieger sein. Nur darf das alles nicht eine harte Last sei, die man mit bitterernster Miene hinter sich bringt, sondern hier findet man Freude am Leben und eine Aussicht auf eine fröhliche Zukunft.

 

2. Christliche Freiheit hat ein hohes Ziel:

Freiheit will trainiert sein mit dem Blick auf das hohe Ziel. Eine Goldmedaille oder ein Siegeskranz ist zwar auch etwas Schönes, aber es ist noch nicht das Höchste. Ein Christ strebt nach dem unvergänglichen Kranz, den nur Gott verleihen kann. Er ruft uns an und will uns in seine Gemeinschaft ziehen.

Wir dürfen dazu gehören und werden gleich auch wieder in Dienst genommen. Das Verhältnis wird ja vor allem dadurch gefestigt, daß man das Gehörte gleich wieder anwendet. Durch das Tun kommt man erst so richtig dahinter, was eigentlich gemeint ist. Doch unser Verhältnis zu Gott wird nicht durch das Training errungen, sondern es findet darin nur seine Bewährung

 

1. Kor 12, 4 - 11 (Pfingsten II):

In einer Gemeinde stöhnen die Leute: „Unser Pfarrer will alles allein machen. Er läßt keinen ran, obwohl wir doch bereit wären, unsere Verantwortung für die Gemeinde wahrzunehmen!“ Aber der gemeinte Pfarrer stöhnt nun umgedreht: „Alles muß ich allein machen. Keiner erklärt sich bereit, auch einmal mitzutun. Ich würde mich so über Mitarbeiter freuen, aber es finden sich keiner!“ Woran liegt es wohl, daß man so aneinander vorbeiredet und vorbei handelt?

Fest steht doch: Es gibt eine ganze Reihe von verschiedenartigen Gaben in der Gemeinde. Wir brauchen einen, der theologisches Wissen hat und auch entsprechend denken kann. Wir brauchen einen, der die Kinder im Glauben unterrichtet. Aber nötig ist auch einer, der musikalische, dichterische und künstlerische Gaben hat. Dann werden Seelsorger und Organisatoren gesucht. Man freut sich darüber, wenn einer die Gabe des zündenden Wortes hat. Heute sucht man aber auch Leute, die Gruppen fördern können und in die Öffentlichkeit hineinwirken können. Und schließlich braucht man auch Leute mit handwerklichen Fähigkeiten, die die Bauten erhalten und sauber halten, die das Geld verwalten und Briefe schreiben.

Man kann dabei unterscheiden zwischen den Verkündigungsaufgaben und den Wirtschaftsaufgaben. Aber wie will der Pfarrer unterrichten, wenn der Raum nicht geheizt ist? Wie will man einen Kindergarten oder ein Rüstzeitenheim betreiben, wenn niemand das Essen kocht? Wie will eine Krankenschwester ihrem Dienst nachkommen, wenn sie kein Verbandszeug hat? Es sind viele, die in einer Kirchengemeinde mitarbeiten, und alle sind sie letztlich gleich wichtig.

Wir dürfen immer wieder nur dankbar sein, wenn sich genügend Mitarbeiter in der Gemeinde finden. Es gehört mit zu den erfreulichsten Erlebnissen eines Pfarrers, wenn er ein Gemeindeglied um Mitarbeit bittet und sofort eine Zusage erhält. Und dabei spielt es keine Rolle, ob jemand für den Kindergottesdienst oder für die Reinigung gebraucht wird, wichtig sind beide Aufgaben.

Im Blickfeld der Gottesdienstbesucher liegt das Herumreichen des Klingelbeutels. Aber zu den Aufgaben gehört aber auch das Herrichten des Altars, die Mitwirkung beim Abendmahl oder das Gebet mit dem Pfarrer vor dem Gottesdienst. Das sind alles geistliche Ämter in der Gemeinde und nicht nur eine Hilfsfunktion. Je mehr Leute auch an den zentralen Aufgaben der Kirche beteiligt sind, desto besser ist es.

Wer meint, er gehöre nicht zu den Trägern der Geistesgaben Gottes, der muß umlernen: An Pfingsten hat Gott seiner Gemeinde den Heiligen Geist gegeben. Wohlgemerkt: der ganzen Gemeinde und nicht nur einzelnen Amtsträgern. Nur Manchen mag dieser Geist unanschaulich sein. An Weihnachten kommt wenigstens das Christkind und an Ostern der Osterhase. Aber an Pfingsten kommt halt nur der Heilige Geist.

Doch man kann ihn an seinen Auswirkungen erkennen. Man muß nur wissen, daß die Gaben des Geistes sehr verschieden sind. Keiner hat den Geist Gottes ungeteilt, keiner hat ihn ganz allein. Keiner soll alles für alle tun. Aber es sollte sich auch keiner höher einstufen, als ihm zukommt. Wenn einer ein Star in der Kirche sein will, dann zerstört er sie.

Das war aber die Gefahr, die in Korinth aufgetaucht war. Manche Gemeindeglieder waren von der angeblichen Machterweisungen Gottes so hingerissen, daß sie darüber alles andere vergaßen. Sie sagten: „Das wissen wir doch, daß jedem der Heilige Geist gegeben ist! Er spricht doch aus uns heraus, wenn wir in anderen Zungen reden und Weissagung üben!“ Sie waren damit nicht vornehm zurückhaltend, sondern wollten sich mit ihren Gaben gegenseitig übertrumpfen und ausstechen. Ihre Talente wollten sie nicht zum Nutzen aller, sondern nur zum eigenen Ruhm einsetzen.

Zungenreden war eine Erscheinung der damaligen Zeit. So etwas gab es auch im Heidentum. Dabei sprach ein Mensch plötzlich in schneller Folge unverständliche Worte aus und behauptete hinterher, jetzt habe ein Gott zu ihm gesprochen. Auch in der christlichen Gemeinde in Korinth und anderswo traten solche Erscheinungen auf, und die Betreffenden sagten dann: „Jetzt hat der Geist Gottes zu mir und durch mich gesprochen und hat mir Dinge offenbart, die über das allgemeine Maß hinausgehen. Jetzt müßt ihr auf mich hören, meine Botschaft ist wichtiger als die Bibel, denn ich sage euch, was Gott heute vor euch will!“

Anstatt erst einmal alles zu prüfen und vielleicht zunächst einmal für sich zu behalten, leitete man einen Machtanspruch aus diesen angeblichen Erfahrungen ab. Aber wenn man sosehr seine eigene Person in den Mittelpunkt stellen will, tritt eine Verarmung und Verkümmerung ein. Keiner darf einen anderen zu einem Geschöpf nach seinem Bilde machen. Wir brauchen einander gerade in unserer Verschiedenheit. Einer braucht einfach der anderen: Wenn einer versagt, kann der andere ihn stützen, und durchtragen. Es hat nicht jeder alles; aber was wir gemeinsam haben, soll uns auch gemeinsam gehören. Nur so wird die Gemeinde aufgebaut und erhalten.

Doch bedecken wir auch, daß nicht Menschen die Gemeinde erhalten. Es geht gar nicht um den Fortbestand der Organisation „Kirche“, sondern um den Dienst der Kirche an den Menschen. In diesem Dienst will der Herr selbst seinen Menschenbrüdern dienen, will er seinen Dienst von damals fortsetzen. Er kann ja nicht mehr persönlich an den Menschen wirken. Deshalb gibt er der Gemeinde seinen Geist, damit sie fähig wird, im Sinne Jesu in der Welt zu wirken.

Die Kirche muß sich deshalb immer wieder fragen, ob sie überhaupt zu diesem Dienst noch fähig ist. Doch hilfreich ist dabei nur, was der ganzen Gemeinde und auch der Welt dient. Das muß man auch heute wieder den en sagen, die angeblich solche Erfahrungen machen wie

die Christen in der Frühzeit des Christentums, die zum Beispiel auch das Zungenreden probieren.

Vor allem müssen sie sich fragen, ob ihre Geisteserfahrungen noch auf Christus bezogen sind. Wenn dadurch die Christusoffenbarung übergangen oder überboten werden soll, ist es gefährlich. Keiner kann sich ohne Christus eine Direktverbindung zum Himmel suchen. So wie man ein modernes Bild oder ein Musikstück erst deuten muß, um das Gemeinte zu erfassen, so brau­chen wir auch Christus und die Bibel, um die Geisteserfahrungen einordnen zu können. Keiner sollte vergessen, daß niemand zum Vater kommt außer durch Christus.

Andererseits sollen die verliehenen Gaben dem Nutzen aller dienen. Gott gibt seinen Geist nicht, damit man sich seines inneren Reichtums erfreuen kann und vor anderen Menschen aufspielen kann, sondern damit man damit anderen Menschen dient. So können wir uns heute fragen: „Wie hat sich der gestrige Gottesdienst inzwischen in den Dienst an Menschen umgesetzt? Was habe ich weitergegeben und anderen zugutekommen lassen? Was habe ich mit meinen gesunden Händen gemacht?“

Aber wir stehen wohl kaum in der Gefahr der Korinther. Bei uns wird wohl kaum einer den anderen mit Geistesgaben übertrumpfen wollen. Wir sprechen nur verhalten und andeutungsweise vom Heiligen Geist - wenn überhaupt. Oft richten wir viel zu schnell und viel

zu ängstlich ein Stoppschild auf und wollen dem Geist Gottes Fesseln anlegen. Noch das ist nicht unsre Aufgabe: Gott ordnet und leitet die Gemeinde. Da können wir ruhig seinen Geist unbefangen und ungefangen wehen lassen, wo er will.

Wir können uns nur gegenseitig Mut machenden Dienst zu finden, der der von Gott verliehenen Gabe gemäß ist. Dabei kann man oft die Erfahrung machen: Unser Vermögen wächst, je mehr wir davon ausgeben. Deshalb kann jeder ruhig von seinen Gaben ausgeben, so schnell wird er damit noch nicht am Ende sein. Und er wird auch immer mehr erkennen, wo seine Hilfe nötig ist. Der Blick dafür ist eine der wirkungsvollsten Gaben des Heiligen Geistes.

 

 

1. Kor 13 (Estomihi):

Der Kaiser Friedrich II. hat einmal ein unmenschliches Experiment gemacht. Er wollte ausprobieren, was geschieht, wenn man nicht mit kleinen Kindern spricht und welche Sprache sich von selbst bei ihnen entwickelt. Er ließ neugeborene Kinder aufs Beste von Frauen betreuen: Sie erhielten das beste Essen, kamen in schöne Betten und wurden vorbildlich sauber gehalten. Aber die Pflegerinnen durften nicht mit den Kindern sprechen.

Äußerlich gesehen wurde also alles für die Kinder getan. Aber doch fehlte ihnen etwas Entscheidendes zum Leben: die liebende Zuwendung der Eltern bzw. eines anderen Erwachsenen. Die Kinder sind mit der Zeit alle gestorben. Man hat ihnen alles geboten. Aber es fehlte die Liebe. Deshalb war kein Leben möglich.

Entsprechende Feststellungen können wir ja auch heute noch in den Kinderkrippen und noch mehr in den Kinderheimen machen. Viele Kinder verkümmern da richtig, entwickeln sich nicht so schnell wie andere Kinder und bleiben auch in der geistigen Entwicklung zurück. Gewiß tun die Pflegerinnen und Erzieherinnen dort ihr Bestes. Aber wer für 10 oder 15 Kinder zuständig ist, kann sich nicht um jedes so kümmern wie eine Mutter oder auch wie die älteren Geschwister oder sonstige Verwandte.

Die Kinderkrippe ist ein Notbehelf für Alleinerziehende. Auch für manche Kinder aus bildungsfernen Familien wäre eine Krippe vielleicht besser als die häusliche Betreuung. Aber für das Knüpfen sozialer Kontakte genügt auch der Kindergarten. Leider ist es aber so, daß auch viele Mütter ihre Kinder in die Kinderkrippe geben müssen, obwohl sie lieber mit dem Kind allein bleiben möchten. Aber entweder braucht die Familie das Geld oder die Mutter hat - trotz aller gesetzlichen Sicherungen - Angst um ihr Arbeitsstelle. Aber im Grund ist nichts besser als die Erziehung durch die Eltern, die Liebe der Mutter kann niemand ersetzen.

 

(1.) Die Liebe allein zählt: Die Liebe zueinander ist also eine wichtige Voraussetzung für unser menschliches Leben. Das können wir auch sonst auf Schritt und Tritt feststellen. Viele junge Mädchen drängen heute in pflegerische Berufe, Krankenschwester oder Säuglingsschwester. Daß dazu aber auch sehr unangenehme Aufgaben gehören, sehen die meisten zunächst nicht. Und dann bleibt die Arbeit entweder liegen oder sie wird nur unter Murren getan. Hier zeigt sich, ob man den Beruf tatsächlich aus Liebe zum Menschen ergriffen hat oder nur, um eine Beschäftigung zu haben oder um Geld zu verdienen.

Es kann nämlich sein, daß man ein sehr menschliches oder auch sehr christliches Werk tut und dennoch die wahre Liebe fehlt. Man kann ein Muster vor praktischem Christentum darstellen - aber wenn Gott die Herzen prüft, dann ist der gesegnete Wohltäter und treue Bekenner doch ein Mensch ohne Liebe gewesen.

Davon spricht Paulus im ersten Abschnitt dieses berühmten Kapitels, das man auch das „Hohelied der Liebe“ genannt hat. Er hat allerdings mehr die Korinther im Auge, die von ihren hohen geistlichen Erkenntnissen reden - „Erkenntnis“ war ihr Lieblingswort - aber es an der Liebe zu dem Mitmenschen fehlen lassen. Sie lächeln über die Predigt des Paulus vom gekreuzigten Jesus und sagen: „Wir erst haben die höchste Stufe des Glaubens erreicht, wir allein haben den Geist Gottes in uns!“

Dadurch aber wird die Gemeinde auf viele Einzelne aufgesplittert und dadurch wiederum die Liebe zum Bruder vergessen. Paulus würde uns sicherlich auch schockieren, wenn er deutlich macht, daß all unser ehrliches Bemühen noch keine echte christliche Liebe ist. Da hält einer eine Predigt wie mit Engelzungen, einer gibt seinen ganzen Privatbesitz der Gesellschaft und einer nimmt für seinen Glauben sogar Nachteile in Kauf und würde sogar sein Leben dafür geben. Aber das ist alles nichts, hören wir von Paulus.

Oft werden Gottesdienste reich ausgestaltet, es gibt eine faszinierende Kirchenmusik und christliche Kunst. Aber die Frage dabei ist immer: Geht es da nicht um die Selbstbestätigung des Einzelnen oder geht es um die Liebe, die dem anderen aufhilft?

Doch wir fragen vielleicht: „Ist damit nicht all unser Streben nach einem guten christlichen Leben sinnlos? Ist denn alles vergeblich, was einer an Gutem tut? Dann kann man es ja auch gleich seinlassen!“ So dürfen wir Paulus nicht mißverstehen. Er sagt nur: „Alles christliche Tun nützt nichts, wenn es nicht mit Liebe verbunden ist und aus Liebe geschieht. Wenn einer sich damit nur Ansehen bei den Menschen und eine Belohnung durch Gott verdienen will, dann nützt ihm das überhaupt nichts!“

Es könnte ja einer herkommen und sagen: „Ich trete in den Dienst der Kirche, dann habe ich wenigstens den Himmel sicher!“ Oder auch: „Wenn ich der Kirche viel Geld stifte, dann wird das bei Gott schon einen gewissen Eindruck machen!“ Diese Stützen schlägt uns Paulus weg mit den Worten: „….und hätte der Liebe nicht, so wäre mir's nichts nütze!“

Man kann es auch anders erleben: Da kommt ein Mann mit einem großen Geldbetrag zum Pfarrer. Er sagte: „Ich bin das ganze Jahr über gesund gewesen und habe trotz meines Alters noch viel Geld verdienen können. Deshalb möchte ich davon abgeben!“ Wir können uns nicht Gott zum Dank verpflichten. Aber wenn bei uns die Dankbarkeit der Ausgangspunkt ist, dann wird es schon richtig sein, dann wird auch Liebe mit dabei sein. Aber zu dieser Sicht muß man erst einmal kommen.

Vielleicht können wir einmal mit einem Bild deutlich machen, wie Paulus die christliche Liebe hier beschreibt. Sie läßt sich vergleichen mit einem Fluß. Zunächst bahnt er sich im Gebirge seinen Weg durch die Felsen und über Abgründe hinweg. Er muß noch Gewalt anwenden, um voranzukommen. So muß auch erst einmal die Liebe unsere vermeintliche Christlichkeit wegräumen. Alles, was ohne Liebe geschieht, wird als unnütz abgetan. Schließlich aber ist die Ebene erreicht und der Fluß kann in einem breiten Bett sanft dahin strömen.

So kann auch Paulus, nachdem er zunächst ein falsches Verständnis der Liebe abgebaut hat, nun das wahre Wesen' der Liebe beschreiben. Allerdings macht er das so, indem er sagt, was die Liebe nicht tut. Oder aber er macht deutlich: Liebe wird nicht durch große Aktivität verwirklicht, sondern im Dulden und Verständnis

 

(2.) Die Liebe allein siegt: Die Liebe kann warten, sowie ein Arzt bei einer langwierigen Krankheit seines Patienten nicht ungeduldig wird. Die Liebe zeigt keinen hektischen Eifer. Sie setzt sich nicht in Szene. Sie liebt nicht, um sich einen Ehrenplatz im Himmel zu verdienen oder um sich den Menschen gegenüber aufzuwerten.

Sicher ist es leicht, Menschen zu lieben, die uns wohltun und erheitern, die uns Gegenliebe erweisen und uns nicht enttäuschen. Aber der liebe Nächste ist meist ein schwieriger Mensch und er halt uns selbst mit gutem Grund auch für einen solchen. Wer aber von draußen zuschaut, der wundert sich, um welche Lappalien es da oft geht. Der andere müßte anders sein, fordern wir.

Wir lassen den anderen sehr bald spüren, daß wir auch Prinzipien haben. Häufig ereifern wir uns in Diskussionen, weil wir aus verletzter Eitelkeit die Sachlichkeit verdrängen. Oft spielen wir uns rücksichtslos nach vorn und lassen den anderen fühlen, wie wir ihm im Wissen und Glauben, an Erfahrungen und Können überlegen sind. Immer wieder möchten wir den anderen zum Anhänger unserer Überzeugung machen.

Paulus aber sagt: „Die Liebe läßt sich nicht erbittern!“ Sie läßt sich nicht scharf machen und zum Zorn hinreißen, auch wenn ihr der andere schrecklich auf die Nerven geht. Es mag Böses beim anderen da sein, aber es wird ihm nicht angerechnet. Wer liebt, sammelt auch nicht negative Punkte gegen den anderen und führt nicht heimlich ein Schuldkonto, das dann bei passender Gelegenheit präsentiert wird.

Im Konfliktfall registriert man scharfsichtig Vieles, was man überhaupt nicht bemerken würde, wenn nicht „dicke Luft“ herrschte. Oder aber man würde lächelnd darüber hinweggehen, wenn man es schon bemerkt hat. So aber häuft man Argumente gegen den anderen an, nicht ohne sie zur Aufwertung seiner selbst zu benutzen.

Die Liebe aber kann sich nicht freuen, wenn der Andere sich ins Unrecht setzt. Sie freut sich mit, wo das Menschsein und Christsein schön zum Leuchten kommt. Sie nimmt auch Enttäuschungen hin und verkraftet harte Erfahrungen und hält weiter durch.

Wir müssen offen sagen: „So wie hier beschrieben sind wir nicht!“ So ist auch Paulus nicht, obwohl er hier in der Ich-Form spricht. Er möchte aber, daß wir uns in dieses Ich einschließen und uns bemühen, dieses Idealbild zu verwirklichen. Er will uns weder Angst machen noch uns Unmögliches zumuten. Aber er zeichnet hier ein Bild Jesu, der diese Liebe vorgelebt ha. Man könnte den Text wie folgt umformen:

Jesus ist langmütig und freundlich, er prahlt nicht und bläht sich nicht auf.

Er achtet auf das, was sich schickt und verletzt es nicht.

Jesus sucht keinen Vorteil und wird nicht bitter durch dunkle Erfahrungen.

Er trauert über das Unrecht und freut sich über die Wahrheit.

Jesus trägt alles, er glaubt alles, er hofft alles.

Er beugt sich den Lasten und bleibt geduldig gebeugt!

Ohne den Blick auf Jesus wäre diese Verherrlichung der Liebe zu schön, um wahr zu sein. Gott braucht aber auch unsere Hände und Füße, damit er seine Liebe in der Welt verwirklichen kann. Über Liebe kann man nicht reden, man muß sie tun, ohne nun gleich damit zu prahlen. Und wenn Gott uns das Böse nicht zurechnet, dann können wir doch auch das verzeihen, was andere uns angetan haben.

 

(3.) Die Liebe allein bleibt: Zum Schluß wollen wir das Bild vom Fluß noch einmal aufnehmen, denn nun geht es um das Ziel der Liebe. Das Bild zeigt, daß die Liebe Kraft hat und immer in Bewegung ist, aber auch daß sie „nimmer aufhört“. Aber das liegt daran, daß die Kraft Gottes weiter in seiner Gemeinde wirkt, sie mit Glaube und Hoffnung erfüllt und vor allen Dingen die Liebe schenkt, die nicht aufhört.

Doch das Lob der Liebe ist kein Lob für uns, sondern ein Rühmen der Liebe Gottes. Im Glauber aber dürfen wir teilhaben an der Liebe Gottes und uns die Kraft schenken lassen zu solcher Liebe. Der Krankenbesuch eines Pfarrers kann nichts sein, wenn die Liebe dabei gefehlt hat. Aber ein ganz privater Besuch bei einem Kranken, der in Liebe geschah, wird in Ewigkeit nicht vergessen sein: der Besuch hat einmal ein Ende, aber die Liebe bleibt. So dürfen wir mit Gottes Hilfe alle die Hoffnung haben, daß unsre Liebe bis in Ewigkeit Bestand hat und Gottes Liebe uns weiter umfangen wird.

 

 

1. Kor 15, 1 - 11 (Ostern I):

Vor Ostern wünscht man sich gewöhnlich ein „Frohes Fest“. Was versteht man wohl meist darunter? Denkt man an die arbeitsfreien Tage und festtägliches Essen, an ein Zusammensein mit Verwandten oder Freunden, an den ersten Frühlingsspaziergang? Für viele ist tatsächlich der Frühling der Sinn des Osterfestes. Auch in den Zeitungen schreibt man an Ostern gern von der erwachenden Natur oder weshalb sie noch nicht erwacht ist.

Bei unseren germanischen Vorfahren war Ostern tatsächlich ein Frühlingsfest, der Göttin „Ostara“ gewidmet. Als die Germanen aber den christlichen Glauben annahmen, da gewannen ihre Feste einen neuen Sinn: das heidnische Frühlingsfest wurde ersetzt durch das Fest der

Auferstehung Christi, das die gesamte Christenheit sowieso als ihr ältestes Fest um diese Zeit herum feierte.

Wir feiern Ostern als das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Das Geschehen selbst hat freilich niemand miterlebt, das blieb das Geheimnis Gottes. Aber wir hören in den Evangelien von verschiedenen Menschen, die eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus gehabt. haben. Historisch faßbar ist nur dieser Glaube an den Auferstandenen. Die Auswirkungen ließen sich feststellen, nicht aber der Grund der Freude.

Davon weiß man nur durch die Erzählungen der Jünger. Aber sie haben dieses Zeugnis weitergegeben bis in unsere Tage, und es wird damit auch weitergehen bis ans Ende der Welt. Mancher wird diese Botschaft mit seinem Verstand nicht begreifen können. Dennoch ist diese Botschaft wahr, so wahr wie unsere Welt wirklich existiert. Ihre Erschaffung können wir auch mit dem Verstand nicht begreifen. Wir können uns nur zu Gott, dem Schöpfer allen Lebens, bekennen. Ihm dürfen wir auch zutrauen, daß er ein neues Leben schenken kann, seinem Sohn und uns allen.

Eine solche Wahrheit kann man sich aber immer nur sagen lassen. Auch die Korinther haben diese Botschaft angenommen. Paulus erinnert sie daran und sagt: „Ich darf doch wohl annehmen, daß das auch weiterhin unsere gemeinsame Grundlage ist!?“ Er beruft sich auf das der Kirche Gemeinsame, das nicht durch Abstimmungen und Kompromisse herbeigeführt wurde, sondern von Gott vorgegeben wurde. Auch Paulus formuliert hier nicht seine eigenen Erkenntnisse, sondern er zitiert ein Stück Katechismus der Urchristenheit, einen der ältesten Texte des Neuen Testaments.

Der Physiker Werner Heisenberg hat einmal eine sogenannte „Weltformel“ aufgestellt: einige Buchstaben und Zahlen, die das ganze Wissen der Welt erfassen sollen. Solche Formeln sehen sehr einfach aus, enthalten aber sehr viele Probleme und Aussagen. Auch das von Paulus wiedergegebene Osterbekenntnis ist so eine Kurzformel, die viele Aussagen in sich schließt: Darin liegt das ganze Schicksal Jesu, ein besonderes Verhältnis zum Vater und das Verhältnis zu den Seinen, das Ende der Welt und ihr strahlender Neubeginn, die Sehnsucht der Menschen nach einem unverlierbaren Leben.

Das Bekenntnis zur Auferstehung Christi ist so etwas wie eine christliche Weltformel, die den Angelpunkt unseres ganzen Lebens angeben kann. Mit der Auferweckung Jesu hat eine neue Menschheit begonnen. Auf eine ganz neue Art und Weise ist Jesus wieder da: nicht wieder in seinem armen und verletzlichen Leben, das mit dem Tod enden wird, sondern in einem unbegrenzten Leben, das nicht mehr vom Tod einzuholen ist. Da gehen neue Räume auf, wie wenn man bei einer Bergbesteigung den Grat erreicht und sich ein ganz neuer Horizont eröffnet. Und das nicht nur für Jesus, sondern auch für uns. Denn er ist ja für uns gestorben und auferweckt.

Allerdings sollten, wir nicht meinen, hier hätte es sich nur um ein biologisches Geschehen gehandelt. Jesus ist nicht durch irgendwelche Tricks wiederbelebt worden. Das hat man im vorigen Jahrhundert noch ernsthaft vermutet: Jesus habe zur Gruppe der Essener gehört und

die seien hervorragende Ärzte gewesen; diese hätten den klinisch toten Jesus nach der Kreuzi­gung schnell in eine Höhle geschafft, dort Wiederbelebungsversuche mit ihm gemacht und ihn wieder ins Leben zurückgeholt. Wenn man einen Film vom Sterben Jesu gemacht hätte, dann hätte man ihn praktisch nur rückwärts laufen lasen brauchen, um eine Auferstehung zu erleben.

Aber ein solcher Erklärungsversuch geht an der Sache vorbei. Er klingt sehr modern und wissenschaftlich, ist aber nicht das, was die Bibel meint. Dort geht es gar nicht darum, immer nur das Neueste zu bringen. Wenn wir die Wahl haben, dann greifen wir immer zu dem Neuen. Was schon älter ist, wird abgewertet, auch wenn es voll funktionsfähig ist und solider gebaut als manche Neukonstruktion. Unsere Grundeinstellung ist doch: Das Neue ist besser. Manche haben heute auch schon wieder eine modische Vorliebe für Petroleumlampen, aber das ist nur der Kontrast zur allgemeinen Wertschätzung des Neuen.

Paulus will nicht unbedingt etwas Neues verkünden. Er ist nicht der Meinung, seine Botschaft könne irgendwie gealtert sein. Er hat nur das weiterzugeben, was er selbst empfangen hat. Er braucht das Evangelium nicht mit selbsterfundenen Neuerungen aufzuputzen. Aber er weiß natürlich auch, daß der Empfänger bereit zum Hören sein muß.

Die Osterbotschaft muß uns immer gesagt werden. Daß zwei mal zwei gleich vier ist, kann man sich notfalls noch an den eigenen Fingern abzählen. Aber wer mein Vater und meine Mutter sind, das weiß ich nur daher, daß sie es mir gesagt haben. Als wir klein waren, haben sie es uns immer wieder vorgesprochen. Aber im Grunde müssen wir es ein ganzes Leben glauben. Wir werden es nur glauben, weil wir ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern haben. Die Geburtsurkunde ist dann noch eine hilfreiche Ergänzung dazu.

So ist uns auch die Osterbotschaft gesagt worden und wird uns immer wieder gesagt. Sie wird außerdem auch von der Bibel bezeugt. Es könnte natürlich auch falsche Überlieferungen geben. Deshalb werden wir alles immer zu prüfen haben im lebendigen Gespräch mit Gott. Doch dieses Gespräch wird immer zurückbezogen sein auf das, was Gott einst an Jesus getan hat.

Doch die Liste der Osterzeugen wird nur dem etwas sagen, der schon an die Auferstehung glaubt. Einem Nichtglaubenden wird man damit nichts beweisen können. Aber Paulus kann ja davon ausgehen, daß die Korinther glauben. Ohne diese Voraussetzung wäre jede Diskussion sinnlos. Sie sind ja nur in Einzelfragen unterschiedlicher Meinung, sie haben noch nicht den Erkenntnisstand des Paulus. Er spricht aus lebendiger Erfahrung, aus einer persönlichen Betroffenheit heraus. Dazu möchte er die Korinther auch führen.

Den Nichtglaubenden kann man nur verkündigen in der Hoffnung, daß dabei der Glaube entsteht. Die Glaubenden aber haben die Wirksamkeit des lebendigen Herrn in seiner Kirche erfahren. Sie wissen: Wir haben es nicht mit Nachwirkungen des irdischen Handelns Jesu zu tun, sondern wir haben auch heute noch mit ihm selbst zu tun. Die Sache Jesu ist nicht vergangen, sondern zu den Erscheinungen Jesu gehört praktisch auch immer die Sendung der Jünger.

Wie Jesus noch wirkt, das hat Paulus ja selber am eigenen Leib erfahren. Er war der erbittert­ste Feind Jesu und hat seine Anhänger ohne Schonung verfolgt. Aber dann hat ihr Jesus umgeworfen und in seinen Dienst genommen. In jener Stunde vor Damaskus da hat Paulus gemerkt, daß Jesus nicht eine Größe der Vergangenheit ist, sondern daß man es jederzeit mit ihm zu tun bekommen kann.

Auch ohne solche Erscheinungen wie bei den Jüngern oder bei Paulus ist der Auferstandene immer bei seiner Gemeinde. Wir leben nicht von den Erinnerungen an Jesus, sondern wir erfahren in Wort und Sakrament bestimmte Jesusbegegnungen. Die Art und Weise ist bei uns anders als bei jenen ersten Zeugen. Aber die Begegnung muß deswegen nicht weniger kräftig sein.

Eine Zeitlang gab es in bestimmten kirchlichen Kreisen sogenannte „Jesustreffen“ für Jugend­liche. Aber vielleicht ist diesen Jugendlichen noch nicht aufgegangen, daß wir hier jeden Sonntag ein „Jesustreffen“ haben und jeder Sonntag an sich ein Osterfest ist. Wir treffen uns hier im Namen Jesu und er selbst ist auch mit dabei, natürlich unsichtbar, aber doch lebendig spürbar.

Was der auferstandene Christus wirklich für uns bedeutet, das werden wir vielleicht erst erfahren, wenn wir selber einmal sterben müssen. Wer nicht glaubt und von einer unheilbaren Krankheit befallen wird, der wird sich im Grunde nur selbst das Leben nehmen können. Wer

aber in Verbindung zu Gott steht, der wird auch dann noch eine Perspektive haben. Was er früher oder auch bei anderer Gelegenheit über Tod und Auferstehung gehört hat, das wird ihm nun noch einmal in einem ganz anderen Licht erscheinen, es wird ihn jetzt viel persönlicher angehen.

Er wird vielleicht froh sein, schon einen gewissen Vorrat an Wissen mitzubringen. Er wird weiter forschen und fragen, was man jetzt in dieser Situation hinzulernen sollte. Und er wird sich trösten lassen aus Gottes Wort. Heute können wir einen Sieg feiern, den Sieg Gottes über den Tod. Aber er wird erst dann für uns zum Sieg, wenn auch bei uns die Angst vor dem Tode besiegt ist durch die Hoffnung auf die Auferstehung, oder noch richtiger gesagt: durch die Gewißheit der Auferstehung.

 

 

1. Kor 15, 12 - 20 (Ostern II):

Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht, sagten eine Leute in Korinth. Denken viele unter uns nicht auch so? Wenn wir heute ein Grab auf dem Friedhof öffnen wollten, dann wären wir sicher enttäuscht. Da deutet bestimmt nichts auf eine Auferstehung hin. Deshalb ist auch der Abschied von einem verstorbenen Menschen so schwer: Wir wissen ja: So wie jetzt werden wir ihn nie wieder sehen! Unser Leib zerfällt und in einigen Jahren wird nichts mehr davon zu sehen sein.

So arrangieren wir uns immer wieder schnell mit dem Tod. Wir bekennen zwar: „Christus hat dem Tod die Macht genommen!“ Aber wir sind abgestumpft gegen den Tod und nehmen ihn als Schicksal hin und fliehen nach Möglichkeit vor seinem Anblick. Wir wollen uns faktisch und gedanklich den Tod vom Leibe halten. Einziger Trost für uns: „Es ist noch nicht so weit!“ Und wenn es dann so weit ist, dann muß man eben die Zähne zusammenbeißen und notfalls eine schmerzstillende Spritze bekommen. Wir sind in der Gefahr, nur den Tod zu sehen und nicht die Auferstehung.

Aber sollen wir deshalb trostlos sein wie die anderen, die keine Hoffnung haben? Sollen wir auch sagen: „Der Mensch ist nur Materie und der Tod ist nur eine     Änderung im Zustand der Materie“? Sollen wir sagen: „Der Tod ist nur die Rückkehr in den Schoß der allgütigen Mutter Natur?“ Oder sind wir der Meinung: „Der Körper zerfällt zwar, aber die Seele kommt in den Himmel?“

Aber was ist denn da die Seele? Der Arzt Virchow hat gesagt: „Ich habe Hunderte von Menschen aufgeschnitten, aber nie eine Seele gefunden!“ Das konnte er auch gar nicht. Der Mensch hat nicht ein besonderes Körperorgan, das „Seele“ heißt. So haben es sich wohl die Korinther vorgestellt. Sie wollten schon Christen sein. Aber sie meinten bestenfalls sagen zu können: „Christus ist auferweckt!“ Aber sie wollten nicht sagen: „Jesus ist auferweckt!“ Der irdische Leib war ihnen gleichgültig, nur die Seele sollte erhalten bleiben. Sie sahen nur das Weiterleben und nicht den Tod.

Die Griechen hatten ja die Vorstellung, daß die Schatten der Toten irgendwo in einer Unterwelt weiterleben. So schlecht ist der Vergleich auf den ersten Blick nicht: Der Schatten des Menschen ist nicht er selbst, aber der Schatten ist doch immer bei ihm. Man kann den Schatten nicht fassen, aber doch sehen. Manchmal kann man sogar am Schatten erkennen, welcher Mensch da kommt. Aber das Bild vom Schatten paßt auch wieder nicht: Ein Wesen, das man nicht greifen kann, weil es keinen Körper hat, das ist doch ein Gespenst. Und wir möchten doch nicht sagen: Die Verstorbenen sind alle Gespenster!

Bei uns heute ist ja schon die erste Tatsache umstritten, daß Jesus nämlich auferstanden sei. Manche sagen, die Auferstehung sei nur ein Vorgang, der sich in den Herzen der Jünger abgespielt hat. Aber was vergangen ist, kehrt nicht wieder. Wir könnten uns dann an Ostern

Nur an eine längst vergangene Sache erinnern. Aber für unser Leben und Sterben wäre das ohne Belang. Wir wären nicht weiter davon berührt, geschweige denn im Innersten betroffen und verwandelt.

Aber erleben wir Ostern nicht weithin genauso? Wir hören die Osterbotschaft immer wieder einmal gern. Aber sie bleibt eine Geschichte aus einer fernen Zeit und aus einem alten Buch: Sie ist kein Ostern im Leben: Ostern ist nicht da, wo wir lieben und leiden, wo wir lachen und weinen, wo wir arbeiten und bauen. Ostern gibt es nicht in unseren Ehen und in unserem Häusern, bei unseren Sorgen und Fragen. Vor allem aber gibt es zu wenig Ostern in den Krankenstuben, in den Kliniken, auf Sterbelagern und auf Friedhöfen.

Doch was wäre, wenn es damals Ostern nicht gegeben hätte? Paulus malt es den Korinthern eindrücklich vor Augen, welche Folge ihr halber Osterglaube hat: Dann ist euer Glaube ohne Anhaltspunkt und ohne Inhalt. Dann seid ihr noch sündige Menschen wie vorher. Dann ist euer ganzer Glaube sinnlos und ihr könnt euch gleich aufhängen. Dann gibt es nach diesem Leben nur noch die erbarmungslose Nacht des Vergehens und Sterbens.

Paulus aber hält fest, daß das Ostern von damals auch ein Ostern heute noch sich zieht. Die Auferstehung Jesu Christi und die Auferstehung der Toten gehören zusammen. Das eine ist nicht ohne das andere: Wäre Christus nicht auferstanden, dann könnten auch die Toten nicht wieder auferstehen. Gibt es keine Totenauferstehung, dann kann auch Christus nicht auferstanden sein.

An der Frage von Tod und Auferstehung hängt tatsächlich alles für unseren Glauben. Es ist letztlich auch die wichtigste Frage in unserem Leben. Das wissen sogar die Atheisten. Da gab es einmal an der Universität Jena einen Professor für wissenschaftlichen Atheismus. Er hat einmal gesagt: „Wenn es uns nicht gelingt, eine gültige Antwort auf das Problem des Todes zu finden, wird keiner mehr auf uns hören!“ Es hat auch kaum einer auf ihn gehört. Er hat die Antwort offenbar nicht gefunden, denn der Lehrstuhl wurde bald wieder eingezogen. Dabei ist die Antwort schon längst gefunden. Paulus sagt: „Gott hat Christus auferweckt - er wird auch die anderen Toten auferwecken.

Es ist durchaus nicht gleichgültig, was damals geschehen ist. An Karfreitag ist nicht irgendein Mensch gestorben, sondern Gottes Sohn, der wirklicher Mensch war in Jesus von Nazareth. Andererseits wurde der Gekreuzigte und Begrabene auferweckt, es gibt keine Auferstehung am Tod vorbei. Aber Gott hat mit der Auferweckung nicht bis auf eine ferne Zukunft gewartet, sondern er hat gleich gehandelt.

W i e das vor sich gegangen ist, soll nicht unsere Sorge sein. Das können wir ruhig Gott überlassen. Wir werden vielleicht gewisse Vorstellungen davon haben. Wir können versuchen, durch Bilder und Vergleiche uns dies alles anschaulich zu machen. Aber wir sind ja nicht dabeigewesen damals in Jerusalem und in Galiläa. Wir wissen nur: Jesus ist auch nach seinem Tod noch seinen Jüngern erschienen und hat sie wieder froh gemacht.

Auch uns heute will dieser himmlische Christusbegegnen und uns seine Auferstehung verkündigen.  Aber es geht dabei auch immer um unsere eigene Auferstehung. Jesus war nicht der Einzige, der es „geschafft“ hat und uns allein zurückgelassen hat in unserem Elend. Im Bergwerk kommt es manchmal vor, daß einige Bergleute verschüttet werden. Wenn aber einer den Weg freigeschaufelt hat, dann kommen auch die anderen hinterher. Nur einer muß es schaffen, wieder ans Licht des Tages zu kommen, dann sind alle gerettet. So hat auch Jesus die Finsternis unseres Todes überwunden und uns an das helle Licht Gottes gebracht. Er hat sich im Tod ganz fest mit uns verbunden. Nun will er auch das neue Leben und den Sieg nicht ohne uns haben.

Aber wie sollen wir uns nun unsere eigene Auferstehung vorstellen? Vielleicht kann man es durch ein Bild deutlich werden: Unser Körper besteht aus vielen einzelnen Zellen. Ständig sterben einige der Zellen ab. Sie werden durch neue ersetzt. Wir stellen das daran fest, daß der Mensch wächst und nachher altert. Etwa alle sieben Jahre ist dann der Körper völlig neu geworden.

Aber der Mensch ist deshalb doch derselbe gewesen. Als Säugling und als Greis hat er die gleichen Eltern, den gleichen Namen und den gleichen Geburtstag. Sein Personalausweis wird nicht alle sieben Jahre geändert und sein Lebenslauf wird nicht immerzu umgeschrieben, sondern nur ergänzt. Natürlich ändert sich auch das Innere des Menschen: Sein Verstand wächst (hoffentlich!), seine Ansichten und Gefühle wandeln sich. Aber er bleibt doch die gleiche Person.

Und diese Person allein tritt in Verbindung mit Gott und besteht auch über den Tod hinaus. Es gibt für uns ein Leben bei Gott, das unabhängig ist von äußeren Voraussetzungen. Mit dem Tod ändert sich unsere äußere Gestalt ein letztes Mal, denn nun werden keine neuen Zellen mehr gebildet. Aber das betrifft nur unseren äußerlich sichtbaren Körper. Gottes Handeln mit uns ist damit noch nicht zu Ende - eigentlich geht es dann erst richtig los.

Auferstehung ist also etwas Vergangenes, nämlich die Auferstehung Jesu Christi. Auferstehung ist aber auch etwas Zukünftiges, nämlich unsere eigene Auferstehung. Auferstehung ist aber auch etwas Gegenwärtiges, das jetzt schon unser Leben bestimmt. Wir leben mit einer Hoffnung. Wir brauchen uns vor dem Tod nicht zu fürchten und nicht ängstlich am zeitlichen Leben zu hängen. Es lebt sich aber gut in einer Welt, für die der Tag der Auferstehung der Toten bevorsteht. Unser Leben hat so heute und in Ewigkeit einen Sinn.

Deshalb gilt es, über das Heute hinaus schon in die Zukunft zu sehen. Einem Missionarsehepaar in Ostafrika war ein Kind gestorben. Nach einiger Zeit sprach die beiden ein Afrikaner, der noch kein Christ war und in ihrer Nachbarschaft wohnte, an: „Ihr Christen seid seltsame Leute. Ich habe euch beobachtet. Ihr seid, wie wir in solcher Lage, auch traurig gewesen, und ihr seid es auch wieder nicht. Ihr könnt ja durch den Horizont sehen!“ Ja, wir Christen „sehen hinaus“, weil unser für uns gestorbener und auferstandener Herr uns die Bahn gebrochen hat. Und wenn er uns ruft, oder er kommt, dann können wir - ihm entgegen - auch hinausgehen. Auch im Schmerz über den Verlust geliebter Menschen, die vorangegangen sind, und in der Bangigkeit vor dem eigenen Sterben ist der auferstandene Herr unser starker Trost. „Christ will unser Trost sein.“

Wichtig ist, ob wir heute an unsere eigene Auferstehung glauben können und sich damit etwas an unserem Leben ändert. Christus will uns auch heute begegnen. Allerdings kommt er in anderer Gestalt zu uns als zu seinen Lebzeiten. Heute will er als der Auferstandene uns im Abendmahl begegnen, aber doch so, daß er wirklich unter uns ist. Das Herrenmahl, das uns auch heute wieder angeboten wird, ist nur ein Vorgeschmack der ewigen Herrlichkeit. In ihm will der Auferstandene uns Kraft geben, dieses Leben in unserer vergehenden Welt durchzuhalten, bis wir einmal ganz zu ihm gehören dürfen.

 

 

 

1. Kor 1, 18 – 25 (5. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn die Kirchengemeinde sich mit einem Stand auf dem Straßenfest beteiligen wollte, was könnte sie da wohl anbieten? Die Frauenhilfe verkauft ihre Bastelarbeiten für einen guten Zweck. Der Posaunenchor spielt Volkslieder. Und Essen und Trinken geht natürlich auch immer. Mit Bibeln und Gesangbüchern und auch anderem christlichen Schrifttum wäre es da schon schwieriger. was ist eigentlich „typisch christlich“?

Für Paulus steht das Kreuz im Mittelpunkt seines Glaubens. Sollen wir also Kreuze verkaufen: einfach Holzkreuze, oder Kreuze mit einem geschnitzten Christuskörper dran, oder Goldkreuze mit Kette zum Umhängen, oder T-Shirts mit aufgedrucktem Kreuz? Das Kreuz als Schmuck hat Paulus bestimmt nicht gemeint.

Wir könnten auch eine Werbefirma beauftragen oder so eine Organisationsfirma, die einen Betrieb auf seine Wirksamkeit hin untersucht und Rationalisierungsvorschläge macht. Ich bin mir sicher, was die sagen würden: Ihr müßt euch den Erwartungen der Menschen geschickter anpassen! Wenn ihr die Anforderungen zu hoch ansetzt, laufen euch die Leute fort! Ihr braucht zwar in der Abtreibungsfrage nicht ganz von eurer Überzeugung zu lassen. Aber ihr müßt doch so predigen, daß es eingängiger und leichter zu verwirklichen ist.

Doch wo bleibt da das Eigentliche des Glaubens? Wie unterscheiden wir uns dann noch von anderen Vereinen, die ihre Sachen anbieten? Müssen wir uns wirklich auf eine so niedrige Stufe herab begeben, daß wir noch irgendeinen gemeinsamen Nenner mit den Menschen

von heute finden? Wenn sie schon das Eigentliche nicht haben wollen, dann machen wir etwas Populäres, um nur überhaupt eine Daseinsberechtigung zu haben: die Kirche als Dienstleistungseinrichtung und der Pfarrer als Alleinunterhalter.

Paulus geht einen anderen Weg. Er weiß, daß die christliche Botschaft gerade nicht einleuchtet, sondern Widerspruch herausfordert. Sie schockiert (und fordert Widerwillen heraus), wenn sie den gekreuzigten Christus predigt. Aber anders geht es nicht. Das Kreuz ist sogar das zentrale Heilsereignis; es ist nicht ein Anhängsel, das man zur Not auch weglassen könnte. Aber wenn wir damit ernst machen, dann müssen wir damit rechnen, daß man uns den Vogel zeigt.

So erging es einem römischen Soldaten, der Christ geworden war. Seine Kameraden kritzelten an die Wand ihrer Wachstube in Rom einen Menschen mit einem Eselskopf, der an einem Kreuz hängt. Und darunter schrieben sie: „Alexamenos betet seinen Gott an“. Unser Gott ist Mensch geworden und hat sich kreuzigen lassen. Aber anders hätte er uns nicht frei machen können von unsrer Schuld und uns ein erfülltes Leben geben können.

Doch „der normale Erfolg des Evangeliums ist der Mißerfolg“, so hat es einmal jemand gesagt. Paulus nennt dafür zwei Gründe, die er bei den für die frühe Kirche wichtigen Volksgruppen entdeckt hat: Die Griechen suchen Weisheit und die Juden suchen Wunder. Ist das aber nicht bis heute so geblieben, daß wir Gott mit dem Verstand begreifen wollen und daß er sich uns durch sensationelle Ereignisse beweisen soll:

Viele sagen: „Ich glaube nur, was ich begreifen kann, was man sehen und messen und beweisen kann!“ Als ich mit dem Theologiestudium anfing, da hoffte ich auch, nun handfeste Argumente gegen alle Angriffe auf das Christentum zu erhalten. Ich sah es als Aufgabe der theologischen Wissenschaft an, die Studierenden mit den Gottesbeweisen bekannt zu machen, damit diese dann immer und überall Gott beweisen könnten.

Einer dieser Beweise lautet etwa so: Unsre Welt, so wie sie uns jetzt vorliegt, kann nicht von selbst entstanden sein. Dahinter muß eine ordnende Kraft stehen, die sich den Plan ausgedacht hat. Diese hat alles in Bewegung gebracht und hält es auch jetzt noch in Gang. Und dieser Weltenlenker wird dann „Gott“ genannt. Kein geringerer als der Philosoph Immanuel Kant hat diese „Beweise“ restlos zerpflückt, in dem er zeigte, daß man mit solchen Gedankengängen auch genau das Gegenteil beweisen kann. Sehr schnell kommt man nämlich auch auf die Frage, warum denn in dieser Welt so vieles nicht klappt.

Der Glaube ist deshalb nicht gegen die Bildung eingestellt. Es ist gut, wenn unsere Kinder viel lernen und die Pfarrer eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung durchlaufen müssen. Die Christen sind nicht einfach die Dummen, denen man alles Mögliche erzählen kann. Wo das Christentum hinkam und hinkommt, da hat es immer auch Bildung und Wissen mitgebracht.

Aber alles Wissen fahrt noch nicht zum Glauben. Wenn ein Junge von seinem Vater eine Eisenbahn geschenkt bekommt, dann kann er sie dadurch zu erfassen versuchen, daß er sie in ihre Einzelteile zerlegt. Dadurch wird er hinter die technischen Feinheiten der Eisenbahn kommen und vielleicht neue Kenntnisse erwerben. Aber er wird bei dieser Forschertätigkeit nie die Liebe des Vaters erkennen. Diese aber hat er gespürt, als der Vater ihm die Eisenbahn schenkte.

Genauso können wir nicht mit unserem Verstand die Geheimnisse Gottes ergründen. Der Schüler mit den meisten Einsen im Zeugnis ist noch nicht der beste Konfirmand. Ein Gebildeter ist noch nicht der beste Christ und der gelehrteste Theologe ist noch nicht der beste Pfarrer. Das ist auch gut so.

Denn umgedreht bedeutet dies: J e d e r ist zu einem Kind Gottes berufen. Jeder darf die Liebe des himmlischen Vaters spüren. Jedem begegnet Gott am Kreuz. Entscheidend sind allein der Glaube und das Vertrauen zu Gott. Und so verwandelt sich auch Frage nach Gott von einer Denkfrage zu einer Gewissensfrage.

Nicht anders ist es mit der Forderung der Juden nach einem Zeichen. Das wäre doch einmal etwas, wenn Gott den Himmel aufrisse und herabführe und ein großartiges Wunder vollbrächte, das alle überzeugte: keine Kriege mehr, kein Hunger, keine Umweltkatastrophe. Viele meinen, dadurch wäre dann der Glaube leichter.

Doch wiederum wäre der Glaube keine Gewissensfrage mehr, sondern eine Entscheidung für den, der die größte Macht hat, der am meisten kann. Sensationen bewirken keine Umkehr und schaffen zwar         ein Publikum, aber keine Gemeinde und keine Nachfolger.

Allerdings kann hinter der Zeichenforderung auch ein ernsthafter Hilferuf stehen. Wie mancher wartet auf das erlösende Wort und vor allem die erlösende Tat. Er erwartet wirklich echt alles von Gott und klagt: Warum ist dieser Jesus denn so schwach? Warum tritt er nicht heraus aus seiner Verborgenheit?

Doch auch ein solcher Mensch muß sich fragen, ob er Gott nicht unter Umgehung des Kreuzes Christi sucht. Vielleicht hat er sich einen Versicherungs- und Versorgungsgott eingeredet und ist nun an ihm irre geworden. Wir können nur im Anschauen des gekreuzigten Jesus zu begreifen versuchen, wie Gott mit seinem Sohn umgegangen ist und wie er auch mit uns umgeht. Nur im Rückblick können wir zu begreifen versuchen, warum Gott uns den schweren Weg hat gehen lassen.

Da kommt ein alter Mann zum Pfarrer, um die Beerdigung seiner Frau anzumelden. Der Pfarrer fragt ihn vorsichtig, weshalb er selber denn aus der Kirche ausgetreten sei. Der Mann antwortet: „Ich habe zwei Kriege mitgemacht. Wer das mit angesehen hat, der kann nicht mehr!“ Dieser Kann ist mit seinem Kreuz nicht fertiggeworden.

Ihm hätte nur helfen können, wenn er auf den Gekreuzigten und Auferstandenen geblickt hätte. Und wir wollen dabei nicht vergessen, daß es einmal zu Zeichen und Wundern kommen wird, dann wenn die Welt neu wird und wir selber zu den Auferstandenen gehören.

Aber bis dahin wird unser Glaube erprobt und soll sich bewähren. Wir brauchen uns des Gekreuzigten nicht zu schämen. Wir können auch ruhig ein Kreuz tragen, wenn wir es nicht nur als Schmuck ansehen, sondern als ein frohes Bekenntnis zu dem, der durch seinen Tod uns alle gerettet hat.

 

 

 

 

 

 

2. Kor 1, 3 – 7 (Lätare):

Ein zeitgenössischer Schriftsteller erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens. Sie weinte eine Stunde lang heiße Tränen. Als man sie fragte, warum sie weine, gab sie zur Auskunft: „Meine Mutter hat mir gesagt, daß ich auch einmal Mutter sein werde. Aber jetzt habe ich Angst, weil doch den Kindern etwas passieren kann!“ Die Mutter aber schlug vor: „Wir machen aus Knet eine Welt, in der sich niemand fürchtet. Alles, was Angst macht, wird einfach weggelassen!“' Da ging das Kind getröstet zu Bett. Der Erzähler aber ist heimgegangen und hat die Nachrichten eingeschaltet.

In dieser Geschichte werden Tränen abgewischt, aber nicht mit dem großen Taschentuch und solchen Worten wie: „So ein großes Mädchen heult doch nicht mehr!“ Zuerst wurde das Mädchen ganz ernst genommen. Es durfte weinen, als es traurig war. Aber die Trauer hatte auch ein Ende, wo ihr ein Ausweg geformt wurde. Es wurde nicht allein gelassen, und durfte seine neue Welt gleich mit ins Bett nehmen.

Doch die wirkliche Welt ist anders sie ist härter. Das wird spätestens dann deutlich, als die Nachrichten eingeschaltet werden. Die Ängste des Mädchens waren teilweise ja berechtigt. Es besteht eine Spannung zwischen dem, was wir täglich erleben, und dem Wunschbild, wie wir uns die Welt vorstellen. Auch im Glauben dürfen wir die Spannung aushalten zwischen der bereits mit Jesus angebrochenen Herrschaft Gottes und der noch ausstehenden Vollendung, die Spannung zwischen Kreuz und Auferstehung.

Schon in den ersten Gemeinden gab es Grippen, die diese Spannung auflösen wollten. Unter einigen Korinthern hatte sich offenbar die Meinung ausgebreitet, daß das Leid in dieser Welt durch die Auferstehung bereits völlig überwunden sei, zumindest für den Christen, der den Geist hat.

Doch der Apostel Paulus war durch sein Leiden sichtbar gezeichnet. So hintertrieben sie seine Autorität in der Gemeinde. Er wurde nicht mehr ernst genommen, sondern sogar verunglimpft. Darunter litt er, weil er sich um die Gemeinde sorgte. Bei einem Besuch war es zu einer schweren persönlichen Beleidigung des Apostels gekommen. Daraufhin hat er den sogenannten „Tränenbrief“ geschrieben, den Titus überbrachte. Er kam mit der guten Nachricht: „Es ist zur Aussöhnung gekommen. Sie haben ihn sogar noch getröstet, so daß er freudig zu Paulus zurückkehren konnte!“

Konflikte und Auseinandersetzungen im Sachlichen und Persönlichen hat es bereits in der klassischen Anfangszeit der Kirche gegeben, und jede Seite hat sich dabei auf die Bibel berufen. Kirche zeigt sich nicht darin, daß es so etwas nicht gibt, sondern wie es bewältigt wird. Die heiße Phase des Konflikts ist auch bei Paulus nicht so schnell vergessen worden. Und wenn er von „Trübsal“ spricht, dann ist zwar allgemein von den Leiden der Christen die Rede,

aber eben auf dem Hintergrund dieser besonderen schweren Erfahrungen. Paulus macht zwei Aussagen: Gott tröstet und wir können andere trösten.

 

(1.) Gott tröstet: Paulus könnte triumphieren, weil er sich durchgesetzt hat und wieder anerkannt ist. Das bedeutet doch auch, daß er mit seinem Verständnis des Evangeliums recht behalten hat. Aber er sagt: „Der Gott alles Trostes hat getröstet!“ Eine total verfahrene Situation wird wieder hoffnungsvoll, wenn man aufhört, das Vertrauen auf sich selbst zu stellen und stattdessen sich dem Gott auszuliefern, der noch weiterweiß.

Der Trost besteht nicht darin, daß zuletzt doch noch Menschen bereit sind, wieder einzulenken und Kompromisse zu schließen. Trost bringt allein dies, daß Gott selbst aktiv wird und die beteiligten Menschen ihn an die strittige Sache heranlassen.

Leiden ist ein Wesensmerkmal unserer Welt. Das Leiden Christi war ein Ausdruck dieser „unseligen“ Welt. Und auch Paulus hatte Anteil an diesem Leiden. Es war einmal ein Leiden von überwiegend äußerer Natur, bedingt durch die Schwierigkeiten der Missionsreise. Zum anderen aber erfährt er ein mehr inneres Leiden durch den speziellen Konflikt mit einigen Korinthern. Aber unser Blick sollte auch geweitet werden für das Meer an Leiden, das die Welt erfüllt. Weil uns durch das Fernsehen viel zu viel vor Augen gemalt wird, lassen wir es gar nicht so recht an uns herankommen. Nur konkrete Einzelschicksale können uns noch ergreifen.

Wir sollten nie meinen, unser Leiden sei das Schlimmste, das es auf der Welt gibt. Wir sollten aber auch nicht meinen, sie seien von Gott zur Prüfung und Mahnung, zur Warnung oder zur Strafe verordnet. Es gibt Leiden, die nicht zu sein brauchen und die wir mit unserem ganzen Einsatz beseitigen sollten. Aber es gibt auch Leiden, die wir nicht beseitigen können und nach deren Sinn wir zu fragen haben.

Gott jedenfalls geht es durch und durch, wenn er sieht, wie seine Menschenkinder so leiden, auch aneinander leiden. Ihm läßt es keine Ruhe, wenn wir uns gegenseitig das Leben schwer machen und einander verachten und bekämpfen, verletzen und verleumden. Er macht dem Leiden unserer Herzen und aller Verbitterung lieber heute als morgen ein Ende, einfach weil es ihm nahe geht.

Er ist die „dritte Kraft“, die von sich aus in unsere Konflikte hineinwirkt und uns zusammenbringt. Was Paulus in seinem Fall erfahren hat, das gilt allgemein: Gott tröstet uns in aller unserer Trübsal. Er ist der persönliche Partner, der unsere Lage wirklich verändern kann, durch ein Machtwort oder durch Verweis auf die Zusammenhänge oder durch Vermittlung der Gewißheit eines guten Ausgangs.

Der Inbegriff solchen Trostes ist die Auferweckung Jesu Christi. Hier hat Paulus erfahren, daß Gottes Zusage und Verheißung gilt. Auch wir können getröstet werden durch die gütige und barmherzige Zuwendung des Gottes, den wir als Vater unseres Herrn Jesus Christus kennen. Er wird mit allem fertigwerden, was uns bedrückt. Er tröstet uns, damit wir das Empfangene sofort weitergeben und die trösten, die „in allerlei Trübsal“ sind.

 

(2.) Wir können andere trösten: Es fällt uns oft schwer, andere Menschen zu trösten. Wir stammeln ein paar Worte: „Er ist von seinem Leiden erlöst!“ oder: „Wir sind doch bei dir!“ Dabei haben wir das ungute Gefühl, nicht die richtigen Worte gefunden zu haben. Wir „ver­trösten“ darauf, daß es auch wieder einmal anders kommen wird. Wir haben das Gefühl, nur einen „billigen Trost“ gegeben zu haben, weil wir nicht persönlich hinter unseren Worten stehen und nicht bereit sind zum echten Mitleiden.

Wer selbst nicht angefochten ist oder war, wird keinem Angefochtenen helfen. Deshalb hat ja Jesus alle Not der Menschen mitgemacht und ist zuletzt gestorben, damit er dem Menschen helfen kann. Sicherlich verlangt man nicht von einem Arzt, daß er erst alle Krankheiten mitgemacht hat, ehe er seinen Beruf ausüben darf. Aber man erwartet doch, daß er den Kranken in seiner Krankheit ernst nimmt und ihn zu verstehen sucht. Er darf sich nicht vom Mitleid überwältigen lassen, weil er sonst selber innerlich dabei kaputt geht. Aber sicherlich ist kein Arzt so abgebrüht, daß ihm alles nichts mehr ausmacht. Und wenn ein Kranker nur ein wenig Mitgefühl heraushört, ist ihm schon viel geholfen.

Manchmal wird man allerdings auch energisch sein müssen. Mancher vergräbt sich so in sein Leid oder seine Schmerzen, daß man ihn unter Umständen anbrüllen muß, damit er wieder normal wird und ihm geholfen werden kann. Das griechische Wort für „trösten“ hat noch die zweite Bedeutung „ermahnen“: Trost und Ermahnung sind nicht unbedingt ein Widerspruch, sondern wirken oftmals ineinander und ergänzen sich. Vielleicht trifft unser Wort „ermuntern“ noch am besten die Sache: ein gewisses energisches gutes Zureden, aber vorwiegend doch der liebevolle Zuspruch, Verständnis und Mutmachen.

Wir lesen etwa in der Zeitung von einem schweren Verkehrsunfall. Und ein paar Tage später erscheint eine Todesanzeige, aus der etwa hervorgeht, daß mehrere Familienmitglieder ums Leben kamen. Das läßt uns doch nicht ungerührt, denn wir wissen, wieviel Herzeleid und Trübsal dadurch entstanden sind.

Oder man steht am Bett eines Kranken, der schon vom Tode gezeichnet ist. Alle ärztliche Kunst ist am Ende, nur noch ein paar Stunden oder Tage, dann holt der Tod sein Opfer. Wie schwer ist es dann für die, die dem Kranken nahestehen! Aber gerade hier sind wir aufgerufen, erst einmal richtig zuzuhören und von unsrem Glauben her das helfende Wort zu sagen. Ein billiges Vertrösten ist dabei keine Hilfe.

Nur wer selber Trost erfahren hat und vertraut auf den Zuspruch Gottes, kann Vertrauen mitteilen und andere trösten. Solche Menschen sind begehrt und haben einen gewissen Seltenheitswert. Sie müssen ja bereit sein, fremdes Leid zum eigenen zu machen. Und sie müssen

Selbst durch Leiden hindurchgegangen sein oder gar noch mittendrin stehen.

Ein kerngesunder Mensch fühlt sich am Bett eines Schwerkranken tief verlegen, ärmlich und hilflos. Wer nur die Sonnenseite des Lebens kennt, weiß nicht, wie denen im Schatten zumute ist. Jesus aber ist durch schwere Leiden hindurchgegangen, Niemand kann sagen, er habe gut reden, denn er wisse ja nicht, was weh tut. Die Zeit, in der wir auf den Karfreitag zugehen, sollte uns dazu dienen, darüber nachzudenken, was es heißt: „für andere leiden“.

In fast allen Konflikten sind beide Seiten schuldig geworden. Vieles, was die Menschen quält, geht einfach auf menschliche Schuld zurück. Wer selbst hinein verstrickt ist, ist zu einer Selbstdiagnose weitgehend unfähig. Es ist ein Außenstehender nötig, der aber auch oft das Geflecht der Verschuldungen und gegenseitigen Vorwürfe nicht entwirren kann. Dennoch brauchen wir solche Menschen, die sich als Vermittler zur Verfügung stellen

Erst recht wird die Hilfe schwer, wenn Leiden wirklich „schicksalhaft“ über uns gekommen ist, etwa in Gestalt unheilbarer Krankheit. Wir haben die Formel auch nicht, die uns den Sinn er­schließt. Aber wir könnten den Gott kennen, der helfen kann und der auch in dem, was wir nicht verstehen, geehrt sein will und unser Vertrauen verdient. Wir kennen nicht Gottes Wege, aber sein Herz.

Gott kann aus jedem Leiden und jedem Ärger etwas Tröstliches und Heilsames machen. Irrtum und Sünde lassen den Menschen oft in einen Konflikt hineingeraten. Aber der Gott alles Trostes hat Gelegenheit, ein überwältigendes Wunderwerk seiner Gnade zu vollbringen. Wer die Vergebung der Sünden auf eine ganz konkrete Weise brauchte, hat die Kraft des Evangeliums und das Erbarmen Gottes vielleicht am tiefsten erfahren. Er kann dann oft auch am. besten andere trösten.

M:it dem Leiden führt Gott auch den Trost herauf. Das gilt nicht nur für den Fall, den Paulus erfahren hat. In das Kreuzesschicksal ihres Herrn werden Christen auch einbezogen in Krankheiten und seelischer Niedergeschlagenheit, bei mitmenschlichen Problemen und beruflichem Mißerfolg, in Einsamkeit und Gewissensnöten.

Gibt es eine Gemeinsamkeit der Leiden und des Trostes, so gibt es auch eine Gemeinsamkeit der Hoffnung. Die Korinther haben die Erfahrung des barmherzigen Gottes nicht umsonst gemacht. Wichtiger aber ist, daß Gott an seiner Gemeinde festhält. Man kann sie nur beglückwünschen, wenn sie es lernen muß, wie nötig sie Gott hat. Denn dann wird sie auch erfahren, was dieser Gott auch aus der verfahrensten Situation machen kann und will.

 

 

2. Kor 1, 8 – 11 (4. Sonntag nach Epiphanias):

Im Jahre 1942 hat der Dichter Jochen Klepper sich das Leben genommen. Einige seiner Lieder stehen in unserem Gesangbuch. Am bekanntesten ist das Adventslied: „Die Nacht ist vorgedrungen!“ Aber obwohl er so ein gläubiger Mensch war, ist er doch am Leben verzweifelt. Er war mit einer jüdischen Frau verheiratet, die aus erster Ehe eine Tochter hatte. Nun hatten sie erfahren, daß Frau und Tochter in ein Vernichtungslager abtransportiert werden sollten. In der Nacht vorher hat sich aber die ganze Familie das Leben genommen. Sicher war das ein schwerwiegender Schritt und eine Sünde gegenüber Gott. Aber ein Mensch kann wirklich in Situationen kommen, wo er meint, es gäbe keinen anderen Ausweg mehr.

Ein Mann wie Paulus hat auch viel mitgemacht in seinem Leben. Er hat erfahren, was Anfechtung ist. Er hat lernen müssen: Der Glaube darf nicht gleich aus allen Wolken fallen, wenn es Beschwerliches und Hartes zu bestehen gilt. Gottes Aufgabe ist es nicht, die Weltmaschine immer schön zu ölen und dafür zu sorgen, daß alles wunschgemäß funktioniert. Gott ist kein harmloser, uns unentwegt anlächelnder Gott.

Gott ist aber auch da, wenn das Boot in den Stürmen hin und her geworfen wird, wie es im Evangelium für den heutigen Sonntag beschrieben wird. Damit wird die Liebe Gottes nicht geleugnet, sondern in den richtigen Zusammenhang gestellt. Den Trost dürfen wir immer haben, daß wir einen verläßlichen Gott haben. Deshalb gilt für uns:

 

1. Auch im äußersten Fall haben wir eine Hoffnung: Paulus ist gleich zweimal in Bedrängnis gekommen. Einmal hat es in Korinth einen schwerwiegenden Konflikt mit einem Gemeindeglied oder einer ganzen Gruppe gegeben. Auch wenn die Sache jetzt ausgestanden ist, so schmerzt sie noch immer. Paulus spricht mehrfach von Bedrängnissen, von Verfolgungen, Mißhandlungen, Armut, Schwachheit und Gefangenschaft. Seine Erlebnisse bei den Korinthern gehören mit auf diese Ebene.

Dazu ist aber nun noch eine Bedrängnis in der Provinz Asia gekommen, wohl in der Stadt Ephesus. In 1.Korinther 15 spricht er davon daß er in Ephesus mit Tieren kämpfen mußte. Das muß man nicht bildlich verstehen, sondern Paulus wurde wohl wirklich zum Tod in der Arena verurteilt, also zum Kampf mit wilden Tieren, der unter Orgelspiel vor den Augen der schaulustigen Menge vor sich gehen sollte.

Paulus kam in eine Situation, in der er das Todesurteil schon in der Hand hielt. Er wurde über alle Maßen belastet, über das hinaus, was ein Mensch zu tragen vermag, so daß er keinen Ausweg mehr sah und am Leben verzweifelte. Er hat mit allem abgeschlossen, das Ende war ihm sicher.

In so einer Lage vergeht es einem endgültig, das Vertrauen noch auf sich selbst zu setzen. Wo aber alles Selbstvertrauen am Ende ist, da verläßt man sich nur noch auf den Gott, der von den Toten erweckt. Da waren all die kleinen Hoffnungen dahin, mit denen wir Menschen uns aus eigener Kraft aufrechterhalten wollen. Dieses „von der Hand in den Mund leben“ ist im Augenblick der Todesgewißheit vorbei gewesen.

Aber dadurch hat er gelernt: Was auch immer einem Christen widerfahren mag und wieviel in seinem Leben auch immer zusammenbricht: auf Gott kann er immer noch hoffen, die große Hoffnung hat er immer noch vor sich. Seinen letzten Trost hat er in der Hoffnung auf die Auferstehung der Toten gefunden. Einige Korinther wollen diese zwar bestreiten. Aber für Paulus ist die Auferstehung die letzte Trumpfkarte, die das Spiel entscheidet.

Vielleicht beneiden wir Paulus um seine Gewißheit, weil wir sie in einer in der Regel weniger schwierigen Lage nicht haben. Doch da würde er uns den Rat geben: nicht so sehr mit der Brüchigkeit des eigenen Glaubens beschäftigen, sondern mit der Verläßlichkeit Gottes. Dazu will uns Paulus in seinem Brief ermuntern.

 

2. In zahllosen Fällen machen wir gute Erfahrungen: Wir befinden uns nicht immer in einer Extremsituation. Wie könnten wir das auch aushalten? Der äußerste Fall aber läßt uns Erfahrungen gewinnen, die uns in Zukunft begleiten. Wenn wir erst einmal eine Hoffnung gewonnen haben, dann bleibt sie uns auch als unverlierbarer Besitz, wenn es uns gut geht.

Bei Paulus ist es letztendlich nicht zum „Äußersten“ gekommen. Wie das gekommen ist, wissen wir nicht. Paulus wurde wieder aus dem Tode errettet, er durfte weiterleben. Es tut wohl, daß Paulus sich nicht zum Märtyrertod gedrängt hat, sondern dankbar feststellt, daß ihm dieses grausame Ende erspart geblieben ist. Auch darin erkennt er die Hand Gottes.

Gott ist nicht nur im Jenseits, sondern er ist hier und heute der Herr der Lage Ich darf auch mein Leben, so wie es verläuft, als sein Werk ansehen und annehmen. Das Ganze ist sein Werk. Er wirkt nicht nur in kritischen Phasen und in schicksalhaften Knotenpunkten.

Keine Situation ist so verfahren, so notvoll und so hoffnungslos, daß Gott nicht zufassen könnte, und wäre es im letzten Augenblick. Wir täten jedenfalls gut daran, unsere Erfahrungen mit Gott in uns wachzuhalten. Das setzt natürlich voraus, daß man aufmerksam und wach genug war, um erst einmal das wahrzunehmen, was man Gott verdankt. Außergewöhnliche Ereignisse rütteln auf. Sie leiten uns an, die kleinen Wohltaten Gottes im alltäglichen Leben zu entdecken und zum Gegenstand unseres Dankes zu machen.

 

3. In jedem Fall dürfen wir Zuversicht haben: Wenn wir auf Gott unsere Hoffnung gesetzt haben, so daß nun nicht mehr daran zu rütteln ist, dann wird er uns auch künftig bewahren und retten. Dann kann man ihm nicht nur den äußeren Bestand des Lebens anvertrauen, sondern auch das, was zwischen Paulus und den Korinthern so bedrückend gewesen ist.

Diese Zuversicht ist aber dann nicht nur eine Erwartungshaltung im Sinne von: „Gott wird es auf alle Fälle gut machen!“ Vielmehr führt sie auch gleich zu einer bestimmten Aktivität, zum Bitten und Danken. Da läßt man dann nicht nur passiv an sich geschehen, was Gott tut, so wie man sich einem Lokführer oder Piloten anvertraut, ohne selbst in irgendeiner Weise Einfluß auf ihn zu nehmen oder ihn zu bitten.

Wer Zuversicht hat, der sucht den persönlichen Kontakt mit Gott. Die Atmosphäre des Vertrauens erlaubt dies, ja sie verlangt dies sogar. Gott ist ja nicht die „Vorsehung“, die in eisiger Unnahbarkeit das Riesenschaltpult der Welt bedient. Gott ist unser Vater, mit dem alles besprochen und erörtert und vielleicht sogar ausgekämpft wird. Dazu haben wir ein Recht.

Paulus zieht zu solchem Austragen der Dinge vor Gott sogar die Korinther mit heran. Wohlgemerkt: das sind die, mit denen er sich bis vor kurzem im schwersten Konflikt und Zerwürfnis befunden hat. Schöner kann er es gar nicht zeigen, daß für ihn der Streit und damit auch die Trübsal aus der Welt sind.

Paulus sagt: „Ich brauche euer Gebet! Wir haben nicht einen Zustand des abgekühlten und schiedlich-friedlichen Nebeneinanders erreicht. Vielmehr tretet ihr betend für mich ein, nehmt vor Gott meine Interessen wahr und seid mir in meinem Dienst behilflich. Wir ziehen jetzt an einem Strang. Und ich kann mich doch wohl auf ‚meine‘ Korinther verlassen!“

Aber allzu oft rechnen wir nicht mit dem Gott, der wirklich retten kann und will. Nicht selten stehen wir seinem Retten selbst im Wege. Bei Konflikten zwischen Kollegen und Hausbewohnern, zwischen Eheleuten oder Eltern und Kindern bringen wir es zuweilen noch zu einem begrenzten Nebeneinander - und wenn es ganz gut geht zu einem begrenzten Miteinander. Aber man traut dem Frieden nicht so recht.

Der tiefste Grund ist jedoch: Wir sind uns nicht genug dessen gewiß, daß Gott wirklich retten wollte und retten will. Wir nehmen unsere Schwierigkeiten und Bedenken ernster als den Rettungswillen Gottes. Paulus aber vertraut darauf, daß Gott das Unmögliche möglich macht, weil er es machen kann und will.

Alles aber läuft bei Paulus aus in einen großen Dank. Vor sich sieht er einen unübersehbar großen Chor von Menschen, die die Macht und die Güte Gottes erfahren haben und deren Gesichter darum im Dank zu Gott zugewendet sind. In diesen Chor sollten auch wir uns einreihen.

 

 

 

 

2. Kor 4, 6 - 10 (Letzter Sonntag nach Epiphanias):

Im Museum Schloß Wilhelmsburg in Schmalkalden kann man einen Münzfund bewundern, der seinerzeit großes Aufsehen erregte. Im Jahre 1896 wollte man einen Feldweg zwischen Seligenthal und Reichenbach bauen. Mit den primitiven Werkzeugen von damals sicher eine harte Arbeit bei niedrigem Lohn. Plötzlich stieß man auf die Reste eines alten Gemäuers. Ein großer Stein hinderte die Weiterarbeit. Die Arbeiter stöhnten. Aber als der Stein weggeschafft war, da fand sich darunter ein Schatz von fünf Goldmünzen und 83 anderen Münzen. Ein Teil davon befindet sich heute im Museum. Aber so ist es manchmal: Erst schimpft man und ist sehr unzufrieden, aber dann entdeckt man einen großen Schatz; der dann alle Mühen vergessen läßt [An dieser Stelle fügt man natürlich besser ein Beispiel aus der näheren Umgebung ein].

So mag es uns manchmal auch mit dem Evangelium Gottes gehen. Es ist nicht so einfach zugänglich und verbirgt sich manchmal unter einer unansehnlichen Hülle. Immerhin haben wir einen Abstand von fast 2 000 Jahren zu den neutestamentlichen Schriften. Wir können nicht mehr alles verstehen, was damals den Menschen selbstverständlich war. Vielfach ist eine ganze Wissenschaft nötig, um uns das Umfeld und den Sinn einer Bibelstelle zu erhellen. Das Verstehen der Bibel erfordert in der Tat manche „Arbeit“. Aber wenn man sich erst einmal durch die äußere Hülle hindurchgearbeitet hat, dann kann man auch auf einen unvergleichlichen Schatz stoßen, den man vorher vielleicht gar nicht so vermutet hat.

Wer Theologie studiert, dem erscheinen die von der Kindheit her vertrauten biblischen Geschichten erscheinen plötzlich in einem ganz anderen Licht. Man weiß auf einmal, worauf es alles zu achten gilt und was die Hauptpunkte sind. Und nach und nach beginnt man dann, etwas von dem Reichtum der Schrift zu ahnen.

Niemand sollte meinen, er könnte diesen Schatz jemals vollständig haben. Es wird immer noch etwas zu entdecken geben. Auch ändern sich im Laufe der Jahrzehnte die Ansichten. Einmal wird dies und einmal das wieder mehr betont. So wird niemals einer die Bibel ganz in den Griff bekommen, und sei er noch so ein gelehrter Professor. Aber auch ein schlichter Bibelleser, der all diese Voraussetzungen nicht mitbringt, kann sich mit diesem Wort Gottes befassen und wird einen großen Gewinn davon haben. Zugang zur Bibel kann jeder gewinnen, weil Gott sich in ihr den Menschen zeigen will. Er will nicht verborgen bleiben, sondern seine Herrlichkeit offenbaren.

Wir haben aber den Schatz nur in irdenen Gefäßen. Durch die Wand eines Tongefäßes kann man nicht hindurchschauen. Man wird vielleicht vermuten, daß gar nichts in dem Gefäß drin ist. Oder man wird denken, es sei wohl nichts Bedeutendes drin. Erst wenn man einmal     hinein faßt oder den Inhalt ausschüttet, kann man hinter sein Geheimnis kommen. So ließ auch das Erscheinungsbild Jesu nichts von seinem Gottsein erkennen. Und auch heute strahlt nur wenig von seinem Glanz in der Welt auf. Schon rein äußerlich sehen die Kirchengebäude oftmals nicht besonders einladend aus.

Und auch an der Gemeinde ist manches unansehnlich und zu kritisieren. Aber dennoch steckt in der schlechten Verpackung ein wertvoller Inhalt. Trotz eigener Schwächen und trotz aller Anfeindungen von außen besteht die Kirche weiter. Bei ihrem hohen Alter sind Alterserscheinungen nicht verwunderlich. Dennoch leistet sie heute auch noch allerhand und macht vor allem die Begegnung mit dem Evangelium Gottes möglich.

Dem Paulus widerfuhr das in jener Stunde vor Damaskus, als er eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus hatte und Christ wurde. Da sah er nicht nur äußerlich einen hellen Schein, sondern er wurde ihm auch ins Herz gegeben. Alles erschien ihm   auf einmal in

Einem anderen Licht, „ihm ging ein Licht auf“.

So muß es gewesen sein, als das Schöpfungslicht aus dem Dunkel hervorbrach. Dieses Licht leuchtet von nun an auch auf dem Angesicht Jesu. Wir können es bemerken, indem wir die Evangelien eifrig studieren. Dann wird auch unser Gesicht etwas vom Glanz Gottes abbekommen und sogar auf andere überstrahlen.

Allerdings ist so ein Damaskus-Erlebnis nicht das Normale für einen Christen. Normalerweise sieht man nur die Niedrigkeit Jesu. Auch als Petrus und Johannes auf einen Berg stiegen und ihr Herr sich im Lichtglanz Gottes zeigte, da war das nur ein kurzer Augenblick. Festhalten konnten sie diese Verklärungsstunde nicht.

Aber eine solche Entdeckung wirkt nach und wird zum unverlierbaren Besitz. Man weiß nun, wer dieser Jesus ist. Und man kann in der Niedrigkeit Jesu immer wieder seine Herrlichkeit entdecken. Dazu bedarf es gar keiner spektakulären Erlebnisse, wie das die Gegner des Paulus fordern. Ein nüchterner und sachlicher Glaube, der sich an der Bibel orientiert und nicht auf besondere Erlebnisse wartet, ist das Normale. Paulus hat auch außergewöhnliche Glaubenserlebnisse aufzuweisen. Aber darauf kommt es nicht an, dessen will er sich nicht rühmen. Wenn einem so etwas widerfahren ist, dann behält er es besser für sich, anstatt damit hausieren        gehen.

Die Sehnsucht, Gott einmal unmittelbar erleben zu können, ist verständlich. Es ist auf die Dauer eine schwere Last, an einen Gott glauben zu sollen, den man nicht sieht und oft genug nicht einmal versteht. Hin und wieder einmal so ein kleines      Wunder, das wäre doch eine große Hilfe. Wenigstens aber müßte man an den Christen ablesen können, daß sie neue Menschen geworden sind.

Die Korinther aber nehmen Anstoß daran, daß bei Paulus so wenig von der verwandelnden Herrlichkeit seines Herrn wahrzunehmen ist. Er kommt mit einem hohen Anspruch, erweist sich dann aber doch als schwach. Er kann imponierend auftreten und seine Rede ruft Verachtung hervor. Er hat eine ekelerregende Krankheit und zahllose Narben. Dennoch legt er Wert auf seinen Leib und will sich nur auf geistliche Erlebnisse verlassen.

Paulus sagt ihnen: „Des Bild, das ihr von mir habt, stimmt durchaus. Aber ihr deutet das alles falsch. Ihr wollt etwas Imponierendes und Faszinierendes haben, das die Verbundenheit mit Gott beweist. Aber das ist nicht die Art, in der Christus sich uns zeigt. Wir h a b e n den Schatz, aber wir haben ihn nur in unansehnlichen Tongefäßen, er ist versteckt im Geringwertigen.

Überhaupt ist es Gottes Art, sich im Schwachen und Niedrigen, im Menschlich-Allzumensch­lichen zu zeigen. Bei Jesus selbst wer das Gottsein ganz hineinverborgen ins Menschliche. Sein Wort war mit jeder anderen menschlichen Rede zu verwechseln. Den Sakramenten sieht man nicht an, was der Herr da hineingegeben hat und was er durch sie bewirkt. Die Bibel ist auf ganz menschliche Weise zustande gekommen und jeder Kritik ausgesetzt.

Die Kirche ist vielfach schockierend und anfechtbar und doch das heilige Volk. Die Amtsträger sind immer wieder enttäuschend und faustdicke Sünder und doch auch Beauftragte Gottes. Und der Christ selbst ist auch Sünder und sein neues Leben ist noch tief verborgen im Irdisch-Menschlichen. Das läßt sich alles nicht leugnen; und doch können wir gerade in dieser Schwachheit auch unseren Herrn am Werk sehen.

Allerdings haben wir keinen Beweis dafür. Man könnte die Worte des Paulus vielleicht so verstehen: „Ich wurde bedrängt, und doch ist mir der Lebensraum noch nie zu eng geworden. Ich wußte oft nicht, wie es weitergehen sollte, aber es hat sich dann doch immer wieder ein Ausweg gefunden. Oft wurde ich verfolgt, aber Gott hat mich nie in der Patsche steckenlassen. Aufs Kreuz gelegt haben sie mich schon, aber den Garaus hebe sie mir nicht machen können.

Man könnte sogar so etwas wie einen Gottesbeweis versuchen, indem man darauf hinweist. Gott hat immer noch nicht Pleite gemacht mit einer Kirche, wie wir es sind; seine Reserven sind eben urerschöpflich. Aber um das Beweisen geht es ja gar nicht. Die im Evangelium wirkende Kraft kommt ja nicht von Menschen her, sondern ist die Kraft Gottes. Sind wir auch schwach - Gott ist es nicht! Er setzt für uns die Überfülle seiner Kraft ein. Urd so wird er gerade in unsrer Schwachheit mit seiner Kraft erkennbar.

Deshalb braucht Paulus sich auch nicht seiner Schwachheit zu schämen. Er sieht darin sogar eine tiefe innere Notwendigkeit. Alles Widrige und Bedrängende ist für ihn das Sterben mit Jesus. Aber diesem ständigen Abbau entspricht ein ständiger Aufbau des Auferstehungsmenschen. Er ist wie ein Stück Kork, das auf den Wasserwogen dahintreibt: es fällt nicht weiter auf, wird gelegentlich in die Tiefe gerissen und doch bald wieder emporgehoben. Es kann selber nichts dazu tun und schwimmt doch immer wieder oben.

Paulus meint: Es lohnt sich doch gar nicht, über das bißchen Trübsal zu jammern. Im Februarsturm können wir schon das Nahen des Frühlings wahrnehmen und in der Raupe bereits den Schmetterling erkennen. Die Anzeichen unserer Schwachheit und unsres Sterbens brauchen uns nicht fassungslos zu machen. Gott gibt uns täglich neue Kraft zum Überwinden. Und aller Verfall ist nur die Kehrseite der Tatsache, da Gott uns das Leben gibt und in Zukunft erst recht geben wird.

 

 

2. Kor 5, 14 -21 (Karfreitag, Variante 1):

Zwischen zwei Dörfern am Kilimandscharo in Afrika bestand eine alte Feindschaft, die mit der Sitte der Blutrache zusammenhing. Eines Tages - es war gegen Ende des Ersten Weltkrieges - da berichtet in der Kirchenvorstandssitzung des einen Dorfes ein Mann, die Leute jenseits des Berges seien auch Christen geworden. Eine große Aufregung kam über die Gemeinde. Das war doch unmöglich: ihre Todfeinde und nun Christen geworden.

Doch der Mann fuhr fort: „Jetzt sind sie nicht mehr Feinde, sondern Brüder!“ Es entstand ein Tumult, denn zu sehr hatte man sich daran gewöhnt, daß man mit diesen Leuten in einem Krieg auf Leben und Tod stand; daran könne sich auch nichts ändern. Doch der Mann läßt nicht locker und fordert: „Wir müssen sie besuchen!“ Der Kirchenvorstand und der kleine Posaunenchor werden als Gesandtschaft losgeschickt.

Als man in dem anderen Dorf davon hört, ist die Aufregung groß. Werden die anderen wirklich in guter Absicht kommen? Doch man beschließt, ihnen ohne Waffen entgegenzutreten, denn man ist ja Christ. Eine Mahlzeit wird hergerichtet, Quartiere geschaffen. Ein kleiner Posaunenchor besteht auch schon, der nun mit den anderen in die Steppe zieht.

Dann ist es soweit. Die Späher melden, in der Ferne seien Menschen zu sehen, aber es blitze in der Sonne wie von lauter Speeren. Doch die ganze Dorfgemeinschaft zieht weiter durch das mannshohe Gras, den anderen entgegen. Plötzlich stehen sie sich gegenüber - und mit einem Blick erfassen sie die Lage: die anderen haben keine Waffen, sondern blitzblanke Posaunen in den Händen. Da bricht ein Jubelsturm los. Beide Chöre stellen sich an die Spitze des Zuges und blasend und singend geht es in das Dorf. In der kleinen Kirche wird ein Dankgottesdienst gehalten. Dann gibt es ein Festessen und noch einmal Gottesdienst. Drei Tage hat das Versöhnungsfest gedauert.

Solche Folgerungen könnte unter Umständen der Karfreitag auch für uns haben. Denn am Kreuz Jesu hat Gott mit uns Frieden gemacht und sich mit uns versöhnt. Wer aber mit Gott versöhnt ist, der muß sich dann auch mit seinen Mitmenschen versöhnen. Die Afrikaner von damals können uns heute noch ein Vorbild sein. Denn wie schwer fällt es uns doch, einem anderen die Hand zur Versöhnung zu reichen! Wir beharren doch lieber auf unserer Meinung gegenüber dem anderen und wollen nichts von unserer Einstellung aufgeben.

Es ist eben immer gut, wenn man einen Gegner an die Wand malen kann und ihn verteufeln kann. Das hält die eigenen Anhänger zusammen und lenkt oft von den eigenen Problemen ab. Vor allem ist das ein bewährtes Mittel der Politik. Wie mancher Staat richtet hoch sein Hauptaugenmerk darauf, wie er dem Nachbarn eins auswischen kann und wie er seine eigene Kraft gegenüber einem Gegner stärken kann.

Oftmals beruht die falsche Meinung von dem anderen aber nur auf Vorurteilen, wie das ja auch an der Geschichte von den Afrikanern deutlich wurde. Wenn man sich nicht kennt, muß man eben schlecht über den anderen denken. Überwunden werden kann eine solche Trennung nur, wenn man sich gegenseitig besucht und miteinander spricht. Wir sollten deshalb alle Versuche, mit­einander ins Gespräch zu kommen, nur begrüßen. Auch wenn sich im Augenblick noch nichts ändert ist es doch besser, wenn man miteinander redet, als wenn man aufeinander schießt.

In der Politik geschieht der Abbau der Spannungen, indem man miteinander verhandelt und einer dem anderen Zugeständnisse macht; irgendwo auf einer mittleren Linie trifft man sich dann. Aber beide Seiten handeln nach dem Grundsatz: „Wie du mir, so ich dir! Ich gebe, damit du mir gibst!“

Paulus aber stellt uns hier eine andere Möglichkeit vor Augen. Man könnte formulieren:

„Wie Gott mir, so ich dir!“ Gott hat zuerst Frieden mit mir gemacht. Da will ich nun auch Frieden mit ihm und mit den Menschen machen. Der Friede wird nicht durch Verhandlungen hergestellt, sondern von Gott geschenkt.

Durch Karfreitag ist eine ganz neue Lage entstanden. Wir Menschen leben alle in Feindschaft mit Gott und führen systematisch ein Leben ohne und gegen Gott. Insofern unterscheiden wir uns in Nichts von denen, die damals mitschuldig waren am Tod Jesu. Aber Mit diesem aufrührerischen Menschengeschlecht hat Gott in Christus Frieden geschlossen, und zwar ganz einseitig, ohne Vorleistungen von unserer Seite und auf jede Gefahr hin.

Gott verniedlicht die Verschwörung gegen ihn nicht. Es liegt so viel belastendes Material bei ihm vor, daß er uns nur verurteilen kann, wenn er gerecht ist. Aber er lädt diesen Berg von Schuld dem schuldlosen Jesus auf und rechnet uns die Verfehlungen und Übertretungen nicht zu. Am Kreuz zeigt er, was uns eigentlich zukäme; aber gleichzeitig hat er Christus für uns zur Sünde gemacht, damit wir vor ihm gerecht sind.

Man brauchte sich über die Sünde nicht viele Gedanken zu machen, wenn sie in Regelwidrigkeiten bestünde, halt immer wieder einmal etwas falsch macht. Wir zeigen gern auf den anderen, wenn ihm das passiert, aber uns selbst verzeihen wir es gern. Aber das alles ist nur Anzeichen eines viel tiefer sitzenden und den ganzen Menschen betreffenden Schadens. Sünde ist der Wurzelgrund, aus dem die Taten kommen.

Sie kann auch nicht ohne weiteres durchgestrichen werden. Ein Deserteur kann nicht nach Monaten der Abwesenheit zu seiner Truppe zurückkehren und sagen: „Da bin ich wieder!“ Wer verspielt hat, der kann nicht vorschlagen: „Vertragen wir uns doch wieder!“ Wir befinden uns nicht in einem Niemandsland, in dem es uns freistünde, zwischen Gott und der Sünde uns hin und her zu bewegen.

Dennoch dreht Gott die Lage völlig um. Die Hinrichtung Jesu war zwar die Sünde aller Sünden. Aber Gott macht dennoch Frieden. Er kennt das ganze Sündenregister, die alltäglichen Durchschnittssünden und die himmelschreienden Skandale. Bei ihm laufen alle Daten zusammen. Aber er rechnet sie nicht an. Sie sollen uns nicht belasten und werden deshalb auch keine Macht über uns haben.

Doch das war nur möglich durch den Tausch zwischen Christus und uns. Christus ist uns nicht aufgrund seiner besseren Beziehungen behilflich gewesen, sondern er mußte sich selber für uns verloren geben. Wir haben nicht so eine Schuld, wie wenn man eine Rechnung bezahlt.

Bei unsrer Lebensschuld ist es zu persönlichen Verwundungen gekommen, die nur mit dem vollen Einsatz der Person bereinigt werden können. Sünde wird nicht unschädlich durch verniedlichen oder nicht zur Kenntnis zu nehmen. Sie kann nicht verdrängt werden, sondern muß in ihrer Scheußlichkeit entlarvt und gesühnt werden.

Gott hat unsre Sünde so aus der Welt geschafft, daß er seinen Sohn für uns zur Sünde hat werden lassen. Jesus war aber nicht das Opfer eines Unfalls, einer Naturkatastrophe, einer Epidemie oder eines Krieges. An Karfreitag ist nicht einer gestorben, der seiner Sache treu geblieben ist und dafür hat sterben müssen. Solche Opfer gibt es viele in der Geschichte der Menschheit. Jesus wurde nicht Opfer, weil er das Gute der Menschen hochgehalten hat, sondern weil er das Böse der Menschen auf sich gezogen und weggetragen hat. Gott ist es also, der die Situation verändert. Wir können nichts tun, können ihm nichts opfern, sondern er selbst hat sich für uns geopfert.

Allerdings kann man nicht so gotteslästerlich reden wie der französische Philosoph Voltaire, der gesagt hat: „Gott wird schon vergeben, das ist ja sein Geschäft!“ Zunächst einmal muß man doch sehen, daß an Karfreitag der Tod eine grausige Ernte gehalten hat und die Sünde einen entsetzlichen Triumph gefeiert hat. Eine Kreuzigung ist ja nicht ein gewöhnlicher Tod, sondern eine qualvolle Folter, die mit dem Tod endet. Zum anderen kann man die Vergebung nicht von Gott einklagen. Er ist nicht ein alter schwacher Mann, der nach dem Motto handelt: „Alles verstehen heißt alles verzeihn!“ Niemand kann sagen: „Da will ich einmal tüchtig sündigen, Gott vergibt mir dann schon!“ So etwas ist Frevel und wird zu einem bösen Erwachen führen.

Wer aber unter der Last seiner Süde stöhnt, dem wird sich Gott mit besonderer Liebe zuwenden. Gott wird ihm vergeben und ihn wieder in seine Gemeinschaft hineinnehmen. Er zerreißt dabei nicht immer wieder neue Schuldscheine, sondern er gibt die Schuld wirklich weg. Die alte Schuld kann keine Rolle mehr spielen, sondern sie wird wirklich angetan und ist vergessen.

Wir sagen ja manchmal: „Vergeben will ich schon, aber nicht vergessen!“ Doch beides hängt doch miteinander zusammen. Wenn man vergibt, dann muß es auch vergessen sein, sonst hat man eben noch nicht voll vergeben. Man kann natürlich nicht aus dem Gedächtnis ausradieren, was nun einmal geschehen ist. Aber es muß nicht unbedingt immer wieder vor uns stehen und uns immer neu ärgern und belasten.

Durch den Tod Jesu ist wirklich eine große Wende eingetreten. In einem Weihnachtslied heißt es ja: „Wir, die unser Heil annehmen, werfen allen Kummer hin!“ Der Tod hat keine Macht verloren, die Sünde hat keine Gewalt mehr über uns. Nun können wir auch als Versöhnte mit­einander leben. Und zwar nicht nur wir als Christen untereinander, sondern die ganze Welt ist dann einbezogen. Gott versöhnte in Christus die Welt mit sich selber! Seitdem ist eine neue Lebensqualität bei uns eingekehrt.

Karfreitag hat aber auch für uns heute seine Folgen. Die neue Lage erfordert nicht nur eine neue Sicht, sondern uns ist auch ein neuer Auftrag gegeben. Paulus sagt: „Wir sind Botschafter an Christi Statt und bringen der ganzen Welt die Botschaft von der Versöhnung!“ Jeder Christ hat die Aufgabe, die Versöhnung Gottes zu predigen und vorzuleben; er tut das da-- gewissermaßen als Vertreter Gottes und spricht im Namen Gottes.

Die Korinther werden nicht von Paulus aufgefordert: „Reicht mir die Hand wieder zur Versöhnung!“ sondern er sagt: „Laßt euch versöhnen mit Gott!“ Paulus weiß sehr wohl: Wer Frieden mit Gott hat, der macht auch Frieden mit seinen Mitmenschen. Gott drängt. Aber er droht nicht, obwohl er das könnte - er bittet nur!

Das ist aber die wahre Herausforderung, vor die der Karfreitag uns stellt: Den Frieden mit Gott haben wir, das ist sicher. Aber haben wir uns auch mit allen versöhnt, mit denen wir tagtäglich zu tun haben? Ein Mann war jahrelang mit seinem Bruder böse, obgleich sie im gleichen Haus wohnten. Weil der Glaube aber bei ihm nicht nur eine Formsache war, sondern aus dem Herzen kam, reichte er eines Tages doch die Hand zur Versöhnung. Und dann kam auch die Sache wieder in Ordnung, wegen der sie sich zerstritten hatten. Beide sagten schließlich: „Wir sind doch eigentlich dumm gewesen, so etwas zu machen!“ Kurze Zeit später ist dann der eine gestorben. Aber diese Sache war wenigstens aus der Welt geschafft.Vielleicht könnte dieser Karfreitag auch ein Anlaß sein zu ernster Selbstprüfung. Gott hat uns so reich beschenkt. Sollten wir da nicht auch bereit sein zur Versöhnung? Paulus kann nur darum bitten, so wie Christus auch gebeten hat. Gegen Befehle sind wir meist empfindlich. Aber Gott bittet uns. Er will uns nicht befehlen, sondern beschenken. Da sollten wir doch auch unser Teil zur Versöhnung in der Welt beitragen können.

 

 

2. Kor 5, 16 - 21 (Karfreitag Variante 2):

Wenn wir mit einem bestimmten Menschen nicht auskommen, dann gibt es für uns verschiedene Möglichkeiten: Entweder geben wir ihn gleich auf. Oder wir sagen nur „Guten Tag“ oder sprechen nur das Notwendigste, ansonsten schneiden wir ihn. Oder wir versuchen uns mit ihm auszusprechen, vielleicht auch mehrfach, aber wenn alles nichts nützt, dann ziehen wir uns zurück.

Paulus stellt noch eine andere Möglichkeit vor Augen. Er sagt: „Versöhnung um jeden Preis!“ Die Betonung liegt dabei auf „jeden“. Es gibt für einen Christen keinen Grund, weshalb er nicht dem Mitmenschen die Hand zur Versöhnung reichen sollte. Und selbst wenn der andere nicht will, dann gilt es, ihm doch immer wieder die Hand hinzureichen.

Der Grund dafür liegt darin, daß Gott ja für Versöhnung gesorgt hat, nämlich für Versöhnung zwischen Gott und der Welt und uns. Nun können die Sünden nicht mehr zugerechnet werden. So ist alles neu geworden, eine „neue Kreatur“, die von schlechten und unversöhnten Menschen getrennt ist wie das Leben vom Tod.

Doch man sollte nicht meinen, hier handele es sich nur um einen Trick. Gott handelt nicht wie eine Großmutter, die zu gut zu ihren Enkeln ist: Sie drückt gegenüber allen Frechheiten der Kinder beide Augen zu, hört nichts und sieht nichts (obwohl sie noch gut sehen und hören kann), verniedlicht alles und stellt fest: „Sie sind ja so lieb!“ Natürlich sind sie nicht lieb, sondern die Großmutter ist schwach und nachsichtig.

Aber so einfach macht Gott es sich nicht. Er läßt es sich etwas kosten: „Er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht!“ Da könnte man fast sagen: „Hier begibt Gott sich auf Abwege, hier ist er ungerecht!“ Das sieht ja so aus, als ob es nur darauf ankäme, daß ein Schuldiger gefunden wird, ganz egal, wer das ist. Dabei wäre die Strafe die Hauptsache und nicht die Besserung des Betroffenen.

Aber es gibt auch die andere Möglichkeit, Gottes Verhalten zu deuten. Die ist allerdings einzigartig und ohne Beispiel, eben Gottes Art und nicht die eines Menschen: Gott hat aus Liebe gehandelt, aus Liebe zu uns. Damit er nicht alle bestrafen muß, straft er nur den einen, straft er nur Jesus. Er weiß, daß die Menschen auf Dauer gegen alle Verbote immun sind. Aber einem solchen Liebeserweis gegenüber kommen sie vielleicht zur Besinnung und können es nicht aushalten, einen anderen für sich leiden zu lassen. So rechnet Gott.

Wir dagegen sehen in Kreuz und Tod mehr ein Zeichen der Niederlage. Auf den Friedhöfen stehen Kreuze oder auf die schwarzen Steine ist ein Kreuz in Goldschrift eingraviert. Die Gesichter der Menschen, die vor dem Grab stehen, sind traurig, und eine gedrückte Stimmung

geht von ihnen aus. Eigentlich wollen wir doch mit dem Kreuz nichts zu tun haben. Es erinnert uns doch an den Tod. Wir wollen aber alle leben. Das Kreuz zeigt die Vorläufigkeit unseres Lebens an. Es ist zum Zeichen geworden, das dem unbedingten Lebenswillen in Frage stellt.

Paulus aber spricht gar nicht traurig vom Kreuz. Für ihn ist das Kreuz etwas Hoffnungsvolles. Uns erinnert das Kreuz an das Ende unseres irdischen Lebens. Den Apostel Paulus aber setzt es in Bewegung, von Gottes Plan mit uns Menschen zu reden: „Gott hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch ihn die Gerechtigkeit erlangen, die vor Gott gilt!“ So wird das Kreuz zum Wegweiser auf Gott hin. Gott will ums an dem Leben

und Sterben Jesu vor Augen malen, wie wir Menschen mit einander und füreinander leben sollen.

Jesus hat gegen Leid und Krankheit, gegen menschlichen Haß und gegen das Ausgestoßen­werden aus der menschlichen Gemeinschaft gekämpft. Dabei hat er nicht danach gefragt, ob ein Mensch seiner Zuwendung und Liebe wert ist oder nicht. Er wußte nur: „Gott will durch ihn sein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit verwirklichen!“ An ihm sollen wir erkennen können, wie wir Menschen als Kinder Gottes miteinander und füreinander leben sollen. Diesen von Gott gewiesenen Weg ist Jesus gegangen bis ans Kreuz.

Deshalb sollen auch wir ankämpfen gegen alles, was es an Leid und Nor, Krankheit und Ungerechtigkeit in der Welt geschieht. Und diese Welt beginnt schon dort, wo einer Frau der Mann gestorben ist und sie nun niemanden mehr hat, mit dem sie sich einmal aussprechen kann. Der Weg Jesu heißt in diesem Fall: Hingehen zu dieser Frau und ihr in ihrem Leid beistehen.

Es kann auch bedeuten: Grundsätzlich ein positives Vorurteil gegenüber den Menschen haben, sie immer wieder neu zu betrachten, keine negative Erfahrung mit Menschen als endgültig und unwiderruflich nehmen. Also nicht nur von der Vergangenheit her urteilen, sondern immer erst eine Denkpause einschalten, wenn man mit jemandem Schwierigkeiten hat. Und die Denkpause könnte man dann nutzen: Für die Frage: „Was würde Jesus jetzt tun? Was würde seinem Leiden und Sterben entsprechen? Wie kann ich ihm am besten meine Dankbarkeit dafür erweisen, daß er für mich gestorben ist?“

Was hat das aber nun mit dem zu tun, was Paulus hier mit den Korinthern zu verhandeln hat? Nun, hier liegt ein Konflikt zwischen dem Apostel und der Gemeinde vor. Man hatte Paulus vorgeworfen, er sei doppelzüngig, wortbrüchig, herrschsüchtig, heimlich, verschlagen, er fälsche Gottes Wort und verkündige sich selbst, er sei im persönlichen Umgang demütig, spiele aber aus der Ferne den starken Mann. Aber trotz dieser Flut von Beleidigungen behandelt Paulus die Korinther doch wie Brüder.

Allerdings spielt Paulus nie und nimmer die Rolle Gottes, der seine Feinde liebt und von sich aus Versöhnung schafft. Er findet vielmehr die schon vollzogene Versöhnung vor. Mit dem Tod Christi ist auch all das gestorben, was die Korinther gegen Paulus vorzubringen haben. Paulus verteidigt sich nicht, er ist auch nicht eingeschnappt. Er sagt nur: „Der alte Mensch, dem man noch etwas hätte vorwerfen können, lebt nicht mehr!“

Dazu gehört allerdings auch eine neue Sicht der Dinge. Die veränderte Lage bedeutet ja nicht, daß jeder das auch sofort erkennt. Sehen wir denn wirklich unseren Mitmenschen als „neue Kreatur“? Das werfen die Korinther ja gerade dem Apostel vor: Er wandle fleischlich!

Nun ja, Paulus ist und bleibt natürlich ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und insofern kann man vieles an ihm aussetzen und ungeheuer tragisch nehmen.           

Aber Paulus fordert uns auf, durch die unansehnliche äußere Gestalt hindurchzuschauen. Man müßte gewissermaßen Röntgenaugen haben, um in jedem Menschen das neue Geschöpf zu sehen. Durch den Glauben sieht man eine Wirklichkeit, die dem natürlichen Blick des Menschen verborgen ist, daß nämlich Christus für jeden Menschen einsteht, weil er für ihn gestorben ist.

So wie wir hinter jedem Menschen schon die neue Kreatur sehen, so sieht auch der Glaubende hinter Jesus die Herrlichkeit Gottes. Es gab ja zur Zeit des Paulus noch einige, die haben Jesus persönlich gekannt; aber auch die konnten schon das Göttliche an ihm erblicken, wenn sie nur wollten. Kaiphas hat nur den Menschen Jesus gesehen und ihn deshalb verurteilt. Petrus aber und die anderen Jünger haben in Jesus den Gottessohn erkannt.

Es war jeweils der gleiche irdische Jesus, den sie vor sich hatten. Aber wer den neuen Blick hat, der erkennt in Jesus die verborgene Hoheit und im Mitmenschen die neue Kreatur. Das ist wie in der ersten Zeit des Farbfernsehens: Wer nur ein gewöhnliches Gerät hatte, sah alles nur

in Schwarz-Weiß. Wer aber ein richtiges Farbfernsehgerät hatte, der kann die volle Herrlichkeit des Bildes sehen.

Paulus hat bis zu seiner Bekehrung vor Damaskus auch so geurteilt wie Kaiphas: nur nach dem äußeren Anschein. Aber dann ging ihm ein Licht auf und er merkte erst, was dahintersteckt. So sehen auch heute noch Viele in Schwarz-Weiß, aber für die wahre Bedeutung Jesu sind sie farbenblind. Sie sehen nur den Tod, aber nicht die Bedeutung für uns heute.

 

2. Kor 9, 6 -15 (Erntedankfest, Variante 1):

Eine Spende von Christen kann dazu beigetragen, daß in einem fernen Land die Menschen zum Lob Gottes finden. Das wäre doch auch ein schönes Ergebnis unserer Spende, wenn dadurch irgendwo ein Mensch frohen Herzens in das Gotteslob einstimmt. Auch in unserem Jahrhundert sind immer wieder Hilfsaktionen nötig. Wir haben hoffentlich nicht vergessen, wie uns geholfen wurde. Wir denken dabei „allermeist an des Glaubens Genossen“, aber das setzt das „Tut Gutes jedermann“ nicht außer Kraft.

Wir können heute nicht für die Ernte danken, ohne an die vielen Menschen zu denken, die von der weltweiten Hungersnot betroffen sind. Mit Spenden allein werden wir ihnen allerdings nicht helfen können. Es bedarf umfassenderer und durchgreifenderer Maßnahmen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art. Aber die werden auch nur möglich sein, wenn die öffentliche Meinung in den reichen Ländern dies zuläßt.

Es kommt zuerst auf die Schaffung eines Bewußtseins für diese Probleme an. Was wir tun können wird mehr den Charakter eines Zeichens als einer wirklichen Abhilfe haben. Aber wer eine Hilfe empfängt, der ist froh darüber und lobt nicht nur dem Geber, sondern auch Gott, der das alles möglich gemacht hat.

Nur gut, daß die Elenden und Ausgezehrten nicht sehen, wie wir leben und welche Probleme uns die wichtigsten sind. Und wir denken vielleicht: „Nur gut, daß wir die nicht sehen!“ Wir leben ruhig und satt. Aber wir können das wohl nur, weil wir den Jammer nicht sehen. Sicher gibt es auch bei uns manchen, der sich einschränken muß. Wir werden auch in unserer nächsten Umgebung diesem oder jenem beispringen müssen. Aber im Durchschnitt geht es uns doch gut, nicht selten allzu gut - gemessen an vielen anderen Völkern auf jeden Fall. Desto leichter müßte es uns fallen, uns zur tätigen Hilfe aufrufen zu lassen.

Aber deutlich werden soll bei allem: „Die Sicherung unseres Lebens und eventuell der Wohlstand der Welt sind nicht das Höchste. Wir sollten auch nach dem Heil fragen und darauf bedacht sein, daß Gott wieder bei uns zum Recht kommt und wir von unserer Gottentfremdung geheilt werden.

Deshalb geht es auch bei jenem ersten großen Hilfswerk der Christenheit, das Paulus angeregt hat, nicht um humanitäre Hilfe, sondern Gott steht in der Mitte dieser Aktion. Sie wird zu einer gewaltigen Sache um der vielen Danksagungen an Gott willen, die daraus entstehen: Was Christen tun, soll dazu dienen, daß andere darüber Gott rühmen müssen.

Man soll nicht sagen: „Was sind das doch für nette und hilfsbereite Menschen!“ sondern man soll sagen: „Was für ein wunderbarer und gnädiger Gott!“

Was Paulus nah Jerusalem bringen wird, ist genau genommen Gottes eigene Gabe. Aus dem Saatgut, das die Korinther ausgestreut haben, ist durch Gott eine große Ernte geworden. Davon geben sie hier ab uns säen damit neue Frucht aus. Dafür kann man nur Gott preisen und ihm danken. Und er gibt ja gar nicht einmal nur das Brot, sondern überhaupt das Heil. Beides aber löst das Gotteslob aus, das erst ein wahrer Erntedank ist.

So könnte auch für uns das Erntedankfest ein Anlaß sein, sich darüber klar zu werden, wieviel wir empfangen haben und wieviel wir davon fröhlich weitergeben können.

 

2. Kor 9, 6 - 15 (Erntedankfest, Variante 2):

Kennen Sie die Leute vom Stamme Nimm? Jene Menschengruppe, die sich wie keine andere auf unserer Erde vermehrt und in alle Winkel der Welt ausgebreitet hat? Man erkennt sie an ihrer Eigenart, alles an sich zu raffen, alles für sich zu beanspruchen, nichts zu teilen und abzugeben. Weil sie davon kein großes Aufheben machen, hört man wenig von ihnen. Den meisten Leuten vom Stamme Nimm geht es ganz gut. Ihr Eigensinn hat etlichen sogar Wohlstand gebracht.

Diese Sippe hat sich längst viel weiter ausgebreitet, wenn sie nicht seit etlichen Jahrhunderten stark bedrängt wäre. Nachfahren vom Stamme Abrahams, die sich auf Jesus Christus berufen, haben an Zahl und Einfluß gewonnen. Ihre Lebensgewohnheiten scheinen entgegengesetzt. Bei ihnen wird Abgeben und Teilen groß geschrieben. Ihre Großzügigkeit nennen sie „Dank gegen Gott“. Ihre Habe bezeichnen sie als „Segen“. Obwohl sie manchmal nur das Notwendigste besitzen, halten sie sich selbst für reich. „Wir nennen Gottes überschwengliche Gabe unser eigen“, antworten sie, wenn einer vom Stamme Nimm sie irritiert nach diesem Reichtum fragt.

Aber sie sagen auch: „Gnade könnt ihr mit Geld nie bezahlen. Ihr seid geizig. Ihr seid gefangen in eurem Geld. Eure Herzen sind kalt. Und darum seid ihr arme Leute!“ Die Vorhaltungen der anderen Seite lassen dann nicht auf sich warten. „Ihr versteht nichts vom Geld“, heißt es dann, „ihr sorgt nicht vor für eure Kinder und Enkel. Nur wer etwas hat, kann auch abgeben und Gutes tun!“

Solche Gespräche verfehlen nicht ihre Wirkung. Mancher Christ hat schon überlegt, ob er nicht doch besser mehr nehmen als geben sollte. Mancher vom Stamme Nimm hat seitdem bedacht, ob Reichtum nicht wirklich etwas ganz anderes ist als die Anhäufung vieler Güter. Vereinzelt ist es zu Übertritten gekommen. Christen erliegen dem Rausch des Geldes. Und Geizhälse begreifen dann und wann, daß Gott uns reicher beschenken kann als wir uns selbst und daß er einen fröhlichen Geber liebhat.

Was es da zu begreifen gibt, sind handfeste Erfahrungen. Denn wie Christen teilen, ohne ärmer zu werden, kann jeder sehen. Und wie sie abgeben und dabei fröhlich bleiben, ist kein unaussprechliches Geheimnis. Jeder kann danach fragen. Jeder kann sich diese Erfahrungen erzählen lassen. Erfahrungen der letzten Woche. Erfahrungen aus unserer Stadt. Lebenserfahrungen, die lange vor uns gesammelt worden sind und die uns bestärken, daß erst geteilter Reichtum ganze Freude bringt.

Davon erzählt auch die Geschichte von der Baumrinde: In einsamer, armer Gegend lebte ein Bauernehepaar. Es mußte sich hart mühen, um dem Boden etwas abzuringen. In einem Jahr hatte der Bauer Saatgetreide über den Winter gerettet und unter Segenswünschen im Frühjahr in die Erde geworfen. Aber dann kam der Frost zurück und verdarb fast alles. Da sprach der Bauer zu seiner Frau: „Gehe in die Scheune und reibe Baumrinde unter das Mehl, das uns geblieben ist. Es wird ein hungriger Winter werden!“ Im folgenden Jahr kauften sie unter großen Entbehrungen Saatgetreide zusammen. Und wieder warf es der Bauer unter Segenssprüchen auf den Acker. Als die Zeit der Ernte nahte, geschah ein furchtbares Hagelwetter und vernichtete den größten Teil des Getreides.

Wieder mußte der Bauer zu seiner Frau sagen: „Gehe in die Scheune und reibe Baumrinde unter das Mehl. das uns geblieben ist. Es wird ein hungriger Winter werden!“ Im dritten Jahr kauften sie vom letzten, was ihnen geblieben war, noch einmal Saatgetreide. Der Bauer warf es unter Segenssprüchen in die Erde. Diesmal ging die Saat auf, und der Acker trug gut. Der Frost kam zur rechten Zeit, das Hagelwetter ging gnädig vorüber. Der Bauer brachte eine gute Ernte ein. Es würde keinen hungrigen Winter geben, und die Saat für das kommende Jahr würde auch reichen.

Da dankten sie Gott und waren fröhlich. Und der Bauer sprach zu seiner Frau: „Geh nun und richte uns ein Essen, wie wir lange keines hatten!“ Dann ging er noch einmal in die Scheune, um die Ernte zu besehen und sich an ihr zu freuen. Als er schließlich in die Küche kam, sah er seine Frau Baumrinde reiben und unter das Mehl mischen. Er riet ihr zu: „Was tust du da? Unsere Ernte ist gut, was brauchen wir noch Baumrinde!“. - „Nicht so viel wie im vorigen Jahr!“ antwortete die Frau da, „aber wir brauchen sie trotzdem. Hast du vergessen, daß unser Nachbar vom Frost nicht verschont geblieben ist? Laß uns einen Wagen mit Kornsäcken beladen und zu ihm hinfahren. Sonst können wir Gott nicht richtig danken!“

Wo kommen wir vor in dieser Geschichte aus vergangener Zeit, als es noch Hunger und Not gab und die Menschen wußten, wie Baumrinde schmeckt? Wir können den Mißerfolg des Bauern in den beiden ersten Jahren nachempfinden. Wer reichen Segen sät, erntet nicht automatisch reichen Erfolg. Wir können dem Bauern seine Freude nachfühlen. Reicher Segen ist ein Versprechen, das auf die Probe gestellt sein will. Geduld lohnt sich, und Hoffnung hat Sinn. so daß am Ende wirklich nur der kärglich erntet, der kärglich sät.

Wir können die Dankbarkeit der Bauersfrau verstehen. Womit hätten wir verdient, daß wir mehr ernten, als wir ausgesät haben? Wir leben vom Segen. Wenn Gott uns nicht beschenkte, blieben wir auch zwischen vielen Gütern leer und arm.

Wer die Hände geöffnet hat, um sich beschenken zu lassen, der wird aus überschwenglicher Freude abgeben, was ihn ohne sein Verdienst getroffen hat. Den fröhlichen Geber hat Gott lieb, weil er keine Angst hat, zu kurz zu kommen. Alle Geizkragen ärgert, was sie an Jesus und seinen Nachfolgern erleben: daß die vom Stamme Abrahams auch ohne Knausern und Sammeln haben, was sie brauchen.

Das ist ganz einfach: Es sich genug sein lassen; sich über Gottes Gaben freuen; einen Wagen volladen; den Notleidenden beschenken; mit dem Hungrigen sein Brot brechen; dem Elenden ein Dach über dem Kopf bauen. Paulus sagt: „Wenn ihr das tut, werdet ihr nicht ärmer. Ihr gewinnt noch dazu. Ihr werdet euch wundern, wie fröhlich das Abgeben macht. Und zu allem Überfluß: Wenn ihr das tut, bekennt ihr euch zu eurem Herrn Jesus Christus. Ohne Worte werden die Leute begreifen, was Gottes gute Gaben wert sind. Was Gnade ist und was Segen meint. Jeder gebe, was er sich im Herzen vorgenommen hat. Nicht mit Unwillen oder aus Zwang. Fröhliche Geber hat Gott lieb!“

Warum sollten dann die Knauserer vom Stamme Nimm nicht eines Tages aussterben? Weil Gottes Segen und seine Gaben auf alle verteilt sind. So daß „jeder nimmt, soviel er braucht; jeder gibt, soviel er kann; jeder traut dann jedermann; Gott vertraut uns, fangen wir an!“ (Verfasser unbekannt).

 

 

 

Galater

 

 

Gal 3, 23 - 29 (Neujahr, Namensgebung Jesu)

In einer Gemeinde hat der Kirchenchor nicht mehr zur Jahresschlußandacht gesungen. Zu­ viele Sänger wollten fort zu einer Feierei, der Neujahrstag war ihnen lieber. Früher hat man den Silvestertag mehr still und nachdenklich begangen. Aber heute kommt sich offenbar mancher verloren vor, wenn er nicht jemanden hat, mit dem er feiern kann. Die Silvesternacht ist sehr laut geworden, nicht nur durch die Feuerwerkskörper, sondern auch vielfach durch die Menschen.

Mancher haut vielleicht deshalb noch einmal auf den Putz, weil er denkt, das neue Jahr könnte vielleicht sein letztes sein. Wir wissen nicht, was das neue Jahr an Freude und Leid, Glück oder Unglück bringen wird. Da gibt es tatsächlich viel Unberechenbares, das wir nicht mit falscher Sicherheit von uns weisen sollten, sondern dem wir uns stellen sollten. Was wäre aber dazu besser geeignet als der Gottesdienst. Die Gottesdienste werden extra auf den frühen Abend gelegt, damit auch noch die Feierei zu ihrem Recht kommen kann. Aber zum Jahreswechsel gehören auch die Gottesdienste an Silvester und Neujahr, denn sie helfen uns, diesen Übergang im Glauben zu bewältigen und ohne Angst ins neue Jahr zu gehen.

Vielleicht sollten wir auch gar nicht nur auf den Jahreswechsel sehen. Die Kirche begeht Neujahr erst seit drei Jahrhunderten. Vom Kirchenjahr her befinden wir uns ja noch im Weihnachts­festkreis. Deshalb steht auch heute Jesus im Mittelpunkt des Predigttextes. Aber Neujahr soll deswegen auch nicht zu kurz kommen.

Paulus läßt hier ein starkes epochales Bewußtsein erkennen. Er stellt gegenüber „Ehe der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt“ und „Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister!“ Die Geburt Jesu war eine Zeitenwende. Das wird heute noch daran deutlich, daß wir unsre Jahre nach der Geburt Jesu zählen.

Das bedeutet aber: Durch den Glauben an Jesus Christus wird auch das neue Jahr ein Jahr der Gnade sein. Es ist ein Jahr der offenen Tür, denn auch das neue Jahr gehört zur Christuszeit. Die an Christus glauben, sind durch ihn befreit, mit ihm verbunden und in ihm geeint.

 

(1.) Durch Christus sind wir befreit: Auch als Christen sind wir vielfach noch alte Menschen und noch unter dem Gesetz. Wir meinen immer noch, durch unsere Leistung könnten wir unser Verhältnis zu Gott wieder heilen. Wenn man mit den Konfirmanden über die Beichte spricht und fragt: „Wie können wir denn eine Schuld wieder gut machen?“ dann ist die einhellige Meinung: „Indem wir etwas Gutes tun!“

Das ist so die Einstellung des natürlichen Menschen, so denken wir im Grunde alle: „Schuld muß gesühnt werden, muß aufgewogen werden. Und Selbst wenn einem etwas geschenkt worden ist, dann ist man in der Schuld des anderen und muß es wieder gut machen!“ Aber Sünder sind immer in ihrer Sünde gefangen, selbst wenn sie sich zu Höchstem aufschwingen.

Wir wollen uns auch helfen, indem wir mit Gott handeln und feilschen: „Wir hätten doch auch viel Gutes und Frommes an uns. So ernst könne er es doch nicht meinen. Es werde doch auch bei ihm hoffentlich nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde!“ Doch in Wirklichkeit kann uns nur die Vergebung Gottes helfen. Wenn wir ihm unsere Schuld bekennen, dann macht er uns frei davon, indem er sie von uns wieder wegnimmt, indem er sie uns ganz „ver - gibt“.

Das war nicht immer so. In der Zeit vor Jesus, da herrschte das Gesetz. Durch dieses hat Gott die abgefallene Welt in Schach gehalten, mit Befehlen und Drohungen. So wurden dann die schlimm­sten Folgen des Bösen verhütet. Das Gesetz war wie ein Zuchtmeister, der die noch unmündigen Jungen mit Schlägen zu erziehen versucht. Dazu nahm man meist den dümmsten Sklaven, der zu sonst nichts anderem taugte. Die Kinder wurden dadurch entwürdigend behandelt und nur mit Gewalt von groben Unarten ferngehalten, bis sie erwachsen und endlich frei waren. Wir können uns den Zuchtmeister auch vorstellen wie einen Polizisten, der einen Verdächtigen beschattet. Überall taucht dieses Gesicht auf: In der Gaststätte, im Menschengewühl, auf der Straße, auf dem Bahnsteig, bis der Verdächtige eines Tages in die Falle gegangen ist.

Die Galater stellten sich auch vor, sie seien irgendwelchen fremden Gestirnsmächten unterstellt, die ihnen harte Gesetze auferlegten. Deshalb stellten sie ihren Kult auf die Ordnung der Jahreszeiten und die Sonnenwenden ein. Wir heute denken wohl eher an moderne Mächte: Verwaltungsapparat, Sachzwänge, Arbeitsdruck, politische Beeinflussung. Manche sagen: „Das ist nicht bedeutungsvoll für meinen Glauben, das ist keine Glaubens- und Gewissensfrage. Ich mache halt mit! Mir ist es zwar lästig, aber ich füge mich lieber!“.

Doch Paulus sagt: „Das ist nun für uns vorbei. Wir leben nicht mehr unter diesem widerlichen Aufpasser, wir brauchen nicht mehr auf irgendwelche übergeordneten Mächte Rücksicht zu nehmen. Jetzt gilt der Glaube. Wir sind Kinder Gottes und damit Brüder und Schwestern Jesu Christi. Wir werden nicht mehr gegängelt und beaufsichtigt, nicht mehr belauert und verklagt, sondern wir sind geliebt bei Gott!“

 

(2.) Wir sind mit Christus verbunden: Durch die Taufe sind wir rechtmäßiges Eigentum Jesu Christi geworden. Ein Eigentümer ist immer sehr an dem interessiert, was ihm gehört. Dies sollten wir auch im neuen Jahr nicht vergessen, was es auch bringen mag. Als Getaufte sind wir schon von der Wirklichkeit der neuen Welt umschlossen und sind in die neue Welt Gottes schon eingetaucht.

Wie ein Modell, das aus dem Arbeitsablauf gezogen wird, läuft der alte Mensch aus. Der neue Mensch ist schon da, denn er ist in der Taufe geschaffen worden. Seitdem haben wir Christus angezogen und sind von ihm umhüllt wie von einem neuen Gewand. Man kann auch als Getaufter dieses Gewand ablehnen und mit Christus nichts zu tun haben wollen. Aber dann wird man zusehen müssen, wie man mit beschmutztem Kleid vor Gott bestehen kann.

Sagen wir aber ja zur Lebensgemeinschaft mit Christus, dann werden wir durch den Glauben gerecht. Dann sieht er uns in dem von keiner Sünde befleckten Gewand seines Sohnes und nimmt uns als seine Kinder an. Dann wird auch das neue Jahr durch den Glauben an Christus zu einem Jahr der Gnade. An der Jahresschwelle wird uns noch einmal Zeit gegeben, uns für das Neue aufzuschließen und auf das hin zu leben, was wir heimlich schon sind.

 

(3.) Wir sind in Christus geeint: Das Verwachsensein mit Christus bedeutet, daß wir auch untereinander zu Einem geworden sind. Wenn wir alle „in Christus“ sind, dann ist auch Christus in uns allen. Da gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien, ja nicht einmal zwischen Mann und Frau. Wir alle haben zu Christus gleich weit und gleich nah, weil er allen in seinem Wort und den Sakramenten zugewandt ist.

Allerdings handelt es sich um ein Einssein in der Vielfalt. Die schöpfungsmäßigen Unterschiede in der Welt werden nicht abgeschafft. Die Völker behalten ihre Eigenart, und das ist durchaus ein Reichtum. Und ob es jemals eine klassenlose Gesellschaft geben wird, ist noch die Frage und selbst nach marxistischer Lehre ein langwieriger Prozeß.

Auch im Verhältnis der Geschlechter zueinander hat es Veränderungen gegeben. Aber Gleich­berechtigung wird nie Gleichartigkeit bedeuten können. Wenn wir Einer in Christus sind, dann bedeutet das nicht Gleichmacherei. Gemeint ist vielmehr: Was Menschen voneinander trennt und aus diesem Grunde weh tut, wird durch unser neues Sein in Christus überboten. Aber gerade so können wir uns in unseren Verschiedenheiten gelten lassen und auch bei Schwierigkeiten einander annehmen.

Jesus Christus hat den Machtkampf der Völker, Klassen und Kulturen beendet. Der andersseiende Mensch bedroht mich nicht mehr, sondern bereichert mich und ist Partner bei der gemeinsamen Aufgabe. Doch das bedeutet nicht, daß man sich an die Umwelt angleichen müßte. Besonders in Glaubensdingen geht das nicht, da gibt es nur eine Wahrheit.

Doch die Unterschiede innerhalb der Gemeinde sind da nicht so schwerwiegend. Da wird es immer die traditionell Eingestellten und die Fortschrittlichen geben, die Weltoffenen und die Zurückgezogenen. Wenn man gesetzlich denkt, wird man aus diesen Unterschieden sehr schnell Gegensätze machen. Das reue Leben der Kinder Gottes aber führt dazu, daß alle Verschiedenheiten in der Gemeinde keine Rolle mehr spielen. Auch im neuen Jahr sollten wir unseren Herrn bezeugen, der das Getrennte zusammenführt.

 

Fragen:

1. Unter welcher Knechtschaft, unter welchen Mächten haben wir heute zu leiden?

2. Kann dieser Bibelabschnitt ein Weihnachtstext sein? Es fehlen Himmelsglanz und Engel. Aber entscheidend ist doch, daß Christus die Welt befreite aus der Knechtschaft zu einer neuen Gemeinschaft mit Gott.

3. Wer ist „Kind Gottes“? Alle Geschöpfe, alle Getauften, alle Gläubigen? Paulus sagt: Wer „Vater“ ruft und in lebendiger Beziehung zu Gott lebt, dabei sich aber auch unter den verborgenen Gott beugt.

4. Heißt „Toleranz“ auf den eigenen Standpunkt verzichten? Christus hat den Machtkampf der Völker und Kulturen, der Geschlechter und Schichten beendet. Der andersseiende Mensch bedroht mich nicht mehr, sondern bereichert mich und ist Partner bei der gemeinsamen Aufgabe. Aber ich gleiche mich dem anderen nicht total an, vor allem auch nicht in Glaubensdingen.

5. Wo entlasten Sitten und Traditionen, wo werden sie zu mörderischem Zwang? (Herrichten des Grabes). Welche Lebensordnungen sind gut und hilfreich (Ehe?), welche sind beengend und demütigend?

6. Wie verhalten sich „Kind Gottes“ und „mündiger Christ“ zueinander? Wie verhalten sich Gleichberechtigung Chancengleichheit und Emanzipation zu dem Modell christlicher Gemeinschaft (wie in Vers 28)?

 

 

Philipper

 

Phil. 1, 3- 11 (22. Sonntag nach Trinitatis):

Eine junge Frau erhält einen Brief und ist erfreut. „Ich habe einen Brief erhalten, einen richtigen Brief, mit der Hand geschrieben, den muß ich aufheben, damit ich meinen Kindern einmal zeigen kann, was ein Brief ist!“ Heute sind die Briefe ersetzt durch Telefonanruf, E-Mail und SMS, schnell wieder gelöscht und vergessen. Ein Buch kann man nach 500 Jahren noch lesen, die neuen Medien schon manchmal nach zehn Jahren nicht mehr.

Dabei haben die neuen Medien auch ihre Vorteile. Vor allem sind sie sehr schnell, die Antwort kann sofort erfolgen, Unklarheiten können sofort aufgelöst werden. Und eine ganz feine Sache sind die Bildtelefone, bekannt unter dem Firmennamen Skype. Da kann der Gesprächspartner in Ägypten in Urlaub sein oder beruflich sich in Neuseeland aufhalten – man kann sich beim Gespräch direkt sehen oder bestimmte Dinge vorzeigen oder die Stimmung des anderen wahrnehmen.

Aber das Schreiben eines Briefs macht Mühe - heute wie damals. Paulus konnte nur durch Briefe mit seinen Gemeinden verbunden bleiben. Sie wurden mühsam mit einem Federkiel auf Pergament geschrieben und mußten dann durch einen Boten dem Empfänger zugestellt werden, zum Beispiel wenn jemand zufällig mit dem Schiff nach Philippi reiste. Einen originalen Brief von Paulus haben wir nicht mehr. Aber seine Briefe sind oft abgeschrieben und in den Gemeinden vorgelesen worden, und einige sind uns bis heute erhalten geblieben wie der Brief an die Gemeinde in Philippi

Ein Brief beginnt mit der Anrede und einem Gruß. Dann macht man am besten weiter mit einem Dank. Je besser man den Empfänger kennt und je besser man sich mit ihm versteht, desto leichter wird das vor sich gehen. Paulus jedenfalls hatte das denkbar beste Verhältnis zu der Gemeinde in Philippi, einer Stadt in Griechenland. Da herrschte eine Atmosphäre der Freude und Liebe zueinander. Paulus nennt eine ganze Reihe von Namen. Er nimmt sogar Unterstützung von dort an, was er sonst bei keiner anderen Gemeinde zugelassen hat.

Aber auch die Gemeinde in Philippi besteht nicht aus vollendeten Heiligen. Auch ihnen muß Paulus immer wieder gut zureden. Er meint, daß sie auch weiter seine Hilfe nötig haben werden. Aber Paulus versucht auch, die Gemeinde ein wenig mit den Augen Gottes zu sehen. Es sind Menschen, an denen Gott große Dinge getan hat und auch weiter tun wird – davon ist Paulus überzeugt.

Von einem Gesprächspartner machen wir uns immer ein eigenes Bild: Wie er sich benimmt, was er kann, was er vielleicht auch auf dem Kerbholz hat. Aber Paulus will diese ganz menschliche Sicht dadurch ergänzen, daß er hinter jedem Menschen den Herrn sieht, der in dem Äußeren des Menschen verborgen ist und durch ihn hindurch scheint. Vielleicht ist gerade diese Sicht das Wesentliche. Auch die Gemeinde in Philippi will er so sehen: Nicht nur mit menschlichen Augen, sondern mit den Augen Gottes.

Das bedeutet: „Ich sehe dich zwar, wie du bist, aber viel wichtiger ist mir, was Gott für dich ist und an dir tut. Und ich bitte dich umgekehrt: Sieh mich nicht nur als gewöhnlichen Menschen, sondern sieh in mir die neue Kreatur, die ich durch den Glauben an Gott geworden bin!“ Die das Evangelium mitbekommen haben, die lieben einander. Das ist möglich durch die Gnade Gottes. Aber in Zukunft kann man es damit immer noch besser werden.

 

1. Wir leben aus der Gnade Gottes:

Paulus dankt zunächst. Das war damals so Sitte. Doch dies entwertet den Dank nicht. Aber er spricht nicht über seine eigene Situation, obwohl er doch wegen seiner Predigttätigkeit in Untersuchungshaft im Gefängnis sitzt. Er ist nur am Evangelium und an den Philippern interessiert. Deshalb betet er für sie, das Einzige, was er im Augenblick tun kann. Aber das ist ein sehr starker Einsatz. Er geht die Philipper alle durch und stellt sie sich nacheinander vor Augen.

So machte es auch eine alte Frau, die erzählte: „Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann gehe ich Haus für Haus das ganze Dorf im Geiste durch und bete für die Menschen!“ Schlaflosigkeit ist also nicht nutzlos, sondern - wenn sie recht genutzt wird – ein starker Dienst für die Gemeinschaft.

Was Christen untereinander verbindet, sind nicht die Beziehungen, die sie untereinander haben, sondern das Anteilhaben an der gemeinsamen Sache, also am Evangelium Gottes. Christen treffen sich gewissermaßen an einem dritten Ort, bei ihrem Herrn und seiner Botschaft. Deshalb ist auch gleich eine Verbindung hergestellt, oder wie man auch sagt: Die Chemie stimmt sofort!

Das kann man zum Beispiel feststellen bei kirchlichen Zusammenkünften, sei es in der Gemeinde oder überörtlich bis hin zu den großen Kirchentagen. Manche fahren in einer geschlossenen Gruppe hin und können dann doch neue Kontakte knüpfen. Man kann aber auch allein hingehen und wird bald in die große Gemeinschaft aufgenommen sein. Kirchentagsteilnehmer sind aufgeschlossen füreinander, weil sie der gemeinsame Herr und die gemeinsame Botschaft verbindet. Und in allerhand Fällen ist am Ende sogar eine Ehe daraus geworden.

Jeder Mensch ist an sich auf Gemeinschaft angelegt. Er ist offen, er will Kontakt, aber auch Tuchfühlung und Verständnis. Er ist auch bereit zur Hilfeleistung und will nicht nur etwas für sich selbst haben. Aber das Evangelium sagt: „Das liegt nicht an uns, das ist uns nicht als eine allgemein menschliche Eigenschaft in die Wiege gelegt worden, sondern das ist uns erst möglich durch Christus!“

Wie soll es in einer Gemeinde zugehen? Manche suchen dort Nestwärme, so richtig „kuschelig“ soll es dort zugehen. So ist es in den freikirchlichen Gemeinden, wo man zum Teil den ganzen Sonntag zusammenbleibt, sich auch die Woche über besucht und hilft und alles vom anderen weiß. Gerade ältere Menschen finden hier eine Heimat, fühlen sich geborgen und angenommen

Aber es muß auch die andere Möglichkeit der Teilhabe an der Gemeinde geben. Manche wollen diesen engen Kontakt gar nicht. Sie kommen eher unverbindlich einmal vorbei, wollen auch gar nicht von den anderen angesprochen werden, sondern nur für sich selbst etwas mitnehmen. Möglich ist natürlich auch ein Kompromiß zwischen beiden: Nach dem Gottesdienst wird noch zu einem Stehkaffee eingeladen. Wer bleiben will, der bleibt, wer gehen will, der geht.

Der Appell an den guten Willen zum besseren Miteinander scheitert aber oft an dem Vielen, was uns voneinander abstößt. Erst wo unsere sperrigen Eigenarten und Unarten gegenstandslos werden, weil wir durch Christus auf einen ganz anderen Boden gestellt wurden, erst da wird Gemeinschaft möglich. Dann sind wir auf dem Weg zu Christus auch untereinander im festen Kontakt.

Deutlich wird das auch am Abendmahl. So wie man zu Hause miteinander ißt und trinkt und gute Gemeinschaft hat, so findet man sie in der Kirche auch im Abendmahl - Gemeinschaft untereinander, aber auch Gemeinschaft mit Gott.

Paulus denkt an die Philipper und diese denken an ihn. Aber das ist nicht einfach ein Vorgang im Denken oder Fühlen, sondern das ist so, wie Christus sich über die Seinen erbarmt und sich ihnen zuwendet. Der Sitz des „Erbarmens“ vermutete man im Altertum in den Eingeweiden. Auch bei uns sprach man früher davon, daß einem etwas „an die Nieren geht“. Heute spricht man eher vom „Bauchgefühl“. Das ist eine wunderbare Bezeichnung dafür, daß man etwas nicht mit dem Verstand und der Vernunft beurteilt, sondern aus dem Inneren heraus. Und Gefühle sind heute nichts Negatives mehr, sondern zeichnen einen Menschen aus: Ohne Gefühle ist der Mensch kein Mensch!

Aber für Christen kommt noch hinzu, daß bei ihnen alles, was sich zwischen Christen abspielt, auch durch Christus hindurch geht und von daher eine neue Qualität bekommt. Christlicher Glaube ist nicht Zeichen eines Individualismus, sondern Ausdruck einer inneren Verbundenheit, die es sonst nirgendwo in der Welt gibt. Und das bedeutet: Auch wenn Paulus im Gefängnis sitzt, so ist die Gemeinde doch mit dabei. Und wenn sie füreinander beten, dann ist das nicht nur ein Gedenken über weite Entfernungen hinweg, sondern in Christus eine wahre Verbindung.

 

2. Aber es gilt auch, voranzukommen:

Dank und Bitte liegen aber dicht beieinander. Paulus blickt auch in die Zukunft. Zu schnell wird eine Gemeinde müde und lässig, fällt auf Verführungen herein und läuft auseinander. Deshalb schreibt Paulus: „Tut nichts aus Zank oder um eitler Ehre willen!“ Vielleicht schreibt er das mehr vorbeugend, vielleicht gibt es dafür aber auch einen konkreten Anlaß – in jeder Gemeinschaft kommt ja einmal etwas vor.

Aber Paulus hat Vertrauen, nicht so sehr auf die Philipper, denn sie sind ja verführbar und unzuverlässig, sondern auf Gott. Was in Philippi angefangen hat, war ja nicht Werk des Paulus, sondern das Werk Gottes. Wäre die Kirche ein Werk der Menschen, müßte man sich um sie sorgen - und sofern sie Menschenwerk ist, tun wir das auch. Aber sie ist Gottes Werk, es braucht niemand nervös zu werden, auch nicht Paulus in seiner Gefängniszelle.

Dieses Werk Gottes muß nun aber weitergeführt werden. Jeder Tag hat darin seinen Sinn, daß es wieder ein Stück vorwärts geht in der Aneignung dessen, woran Christen Anteil haben.

Manche Christen halten sich für ziemlich perfekt und meinen, einen gewissen Vorsprung in der Heiligung zu haben und dadurch mehr Anteil an der Gnade Gottes zu haben.

Doch Gnade ist kein Besitz, sondern es geht darum, sein ganzes Vertrauen auf Christus zu setzen. Und „gute Werke“ sind nur dann gut, wenn wir selbst völlig vergessen haben, daß wir sie getan haben. Sie sind gewachsen wie ein Apfel am Baum, lautlos und selbstverständlich. Das ist damit gemeint, wenn Paulus sagt: Die Liebe soll überfließen! Man muß Gott kennen, wenn es mit der Liebe etwas Rechtes werden soll. Je deutlicher uns Christus vor Augen steht, desto reicher wird unsere Liebe.

Dabei sollte man durchaus einen kritischen Blick haben. Man muß schon die Augen offen halten um zu erkennen, wo das Zufassen nötig ist und worin die Abhilfe bestehen mag. Nicht alles, was einem begegnet und einen beansprucht, kann man unterschiedslos aufgreifen. Man muß auch wissen, worauf es ankommt und im Auswählen das ergreifen, wofür man sich einzusetzen hat.

Alles, was Paulus aber über das Vorankommen sagt, ist Gegenstand seines Gebets. Nur Gott hat das Vorankommen in der Hand. Er wird nicht nur die Gemeinde in Philippi, sondern auch unsere Gemeinde voranbringen - und nur so wird es bei uns vorwärtsgehen.

 

 

Phil 2, 5 – 11 (Palmarum):

Eine Gemeindegruppe machte eine Ausfahrt. Pünktlich ging es am Rathaus los. Der Fahrer war gut aufgelegt und unterhielt den ganzen Bus mit freundlichen und witzigen Bemerkungen. Doch dann passierte ihm ein Ausrutscher: Ein Witz wurde mit eisigem Schweigen quittiert. Der Pfarrer geht hin zu ihm und sagt: „Wissen Sie denn nicht, daß wir von der Kirche sind?“ „Was? Kirche?“ sagt der Busfahrer, „auf dem Fahrauftrag stand doch etwas von Rathaus. Ach, da war das nur die Haltestelle. Dann habe ich das verwechselt!“

Aber von da an lief alles glatt. Nun war er eingestimmt. Er hatte einen großen Vorrat von kleinen Erzählungen und Witzen auf Lager und unterhielt die Gesellschaft damit auf der ganzen Fahrt. Ein Ausrutscher passierte ihm nun nicht mehr. Er hatte einfach die andere Platte aufgelegt und sich auf seine besondere „Fracht“ eingestellt.

Es gibt eben bestimmte Dinge, die gehören sich nicht im Rahmen einer christlichen Gemeinde. Das will uns auch Paulus deutlich machen mit dem Christuslied, das er in den Philipperbrief übernommen hat. Luther übersetzt hier: „Jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war!“ Aber das sieht so aus, als werde Jesus hier als das große sittliche Vorbild hingestellt, eine Art Idealmensch, dem seine Anhänger alles nachzumachen versuchen - Jesus also nur als Lehrer im Sinne einer idealistischen Philosophie.

Aber Jesus war nicht der große Religionsstifter, auch nicht ein Idealist, der an der rauhen Wirklichkeit der Welt zugrunde gegangen ist; und schon gar nicht war er der geniale Lehrer der menschlichen Weisheit. Man kann sich nämlich um das eigentliche Anliegen dieses Bibeltextes sehr schön herumdrücken, indem man nur allgemein menschliche Grundüberzeugungen daraus entnimmt. Dann sagt man etwa, Paulus wolle uns hier zur Nächstenliebe, Opfersinn und Mitmenschlichkeit ermahnen.

Doch in der Hauptsache geht es hier nicht um den Menschen, sondern um Jesus Christus. Es geht nicht um ein allgemeingültiges Lebensgesetz, sondern um eine einmalige Tat Jesu, die die Welt verändert hat. Wenn wir dem Geheimnis Jesu auf die Spur kommen wollen, dann müssen wir - so heißt es hier - ganz oben ansetzen: Jesus ging von Gott aus und nur von Gott her können wir ihn verstehen. Sein Gehorsam war nicht eine menschliche Tugend, sondern er entsprang der engen Verbundenheit mit Gott. Er stellte sich naht auf eine Höhe, wo einige Philipper zu stehen meinten, wo um Ehre und Ruhm, Recht und Geltung gestritten wird. Vielmehr wählte er den unansehnlichsten Weg, auf dem er sich mit den Sündern auf eine Stufe stellte.

Dennoch sollten wir nicht meinen, eine solche oder eine ähnliche Haltung sei uns nicht möglich. Man kann sich ja leicht herausreden, indem man sagt: „Jesus war ja so eine Art Halbgott. Ihm ist das ja nicht schwergefallen, alles das zu tun, was Gott will. Aber so wie er kriege ich das nicht hin!“ Jesus mußte sich genauso erst einmal dem Willen Gottes unterwerfen wie wir auch. Er mußte erst einmal seine göttlichen Möglichkeiten preisgeben- und zwar freiwillig.

Niemand könnte ihm einen Vorwurf machen, wenn er uns unserem Schicksal überließe. Und nur weil er sich ganz eins wußte mit dem Vater, konnte er so gehorsam sein. Darin liegt erst der Unterschied, daß Jesus hier konsequenter war als wir alle.

Nun wird ja von uns wohl nicht das Gleiche verlangt werden, wie von Jesus. Wir müssen zwar heute auch mit manchen Schwierigkeiten in Glaubenssachen rechnen, aber ans Leben wird es ja wohl nicht gleich gehen. Im Vergleich zu Jesus haben wir es also noch gut. Da sollte es uns nicht so schwerfallen, das auszuhalten, was uns heute auferlegt ist.

Insofern ist Jesus also doch so etwas wie ein Beispiel für uns. Er ist das Urbild des christlichen Lebens und Tuns. Aber wir sollten dahinter nicht eine menschliche Leistung sehen, sondern wissen, daß die Kraft zu solchem Tun von Gott kommt. Und wir erhalten diese Kraft nicht, indem wir uns an dem Vorbild des Menschen Jesus aufrichten, sondern indem wir fest in der Gemeinde Gottes stehen und uns von Gott die Kraft geben lassen.

Deshalb muß auch der Anfang dieses Bibelabschnittes so übersetzt werden: „Verhaltet euch untereinander so, wie es sich im Bereich Jesu Christi gehört!“ oder noch etwas freier „…..wie es sich in der Kirche gehört!“ Es ist nicht falsch, wenn man uns in einem positiven Sinne ansieht, daß wir zur Gemeinde der Christen gehören. Aber wie es in dieser Gemeinde zugeht, das richtet sich wesentlich nach dem Beispiel Jesu.

Das hat wohl auch der Busfahrer gespürt, von der am Anfang die Rede war. Man muß eingestimmt sein auf die richtige Wellenlänge, wenn man mit Christen zu tun hat oder gar zur Gemeinde der Christen gehören will. Wir als Einzelne müssen uns einstimmen auf den Geist der Gemeinde, und die Gemeinde wiederum läßt sich einstimmen vom Geist Gottes.

Aber die Frage an uns ist: „Sind wir wirklich auf der Geist Gottes und auf den Geist Jesu Christi eingestimmt, wie sich das für eine christliche Gemeinde und für den einzelnen Christen gehört? Lassen wir uns im Gemeindeleben und in unserem Alltag bestimmen vom Willen Gottes? Vertrauen wir ihm allein und lassen wir ihn unsre Leitschnur sein?

Es gibt eben auch in unsrer Kirche manches, woran man Kritik üben kann. Die einen beklagen sich, die Kirche sei zu modern, die anderen wieder sagen, sie sei zu altmodisch. Es gibt Machtkämpfe in der Kirche, welche Richtung sich nun durchsetzen wird. Es geht auch darum, wer mehr zu sagen hat: der Bischof oder die Synode, der Pfarrer oder der Gemeinekirchenrat Man könnte auch klagen über mangelnde Einsatzbereitschaft der Gemeindeglieder und eine Scheu vor dem Dienen.

Aber wir wollen uns doch darüber im Klaren sein: Eine bessere Kirche wird es für uns nicht geben. Sie hat nun einmal ihre Fehler und Schwächen. Das gehört mit zur Knechtsgestalt der Kirche. So wie Christus ein Knecht wurde, so hat auch seine Kirche eine sehr menschliche Seite. Es nützt nichts, wenn wir sagen: „Ich verlasse meine Kirche und gründe eine neue, die dann die allein richtige ist!“ Es würde sich dann bald herausstellen, daß diese neue Gemeinschaft auch wieder ihre Fehler hat. Erst im Reich Gottes wird das Zusammenleben der Christen vollkommen sein; aber dann wird keine Kirche mehr nötig sein.

Einstweilen aber haben wir im Gehorsam gegenüber Gottes Willen unsren Weg durch diese Welt zu gehen. All die vielen kleinen Entscheidungen unseres Lebens sollten bestimmt sein von dem Wissen, daß wir einmal nach unsere: Gehorsam gefragt werden. Wir haben viel von Gott empfangen, deshalb wird auch viel von uns gefordert werden. Wenn wir Gutes von Gott empfangen haben, dann ist es selbstverständlich, daß wir auch anderen Menschen das Gleiche zukommen lassen müssen.

Das ist bei allem guten Willen nicht immer so leicht. Da wollte eine junge Amerikanerin bei der Entwicklungshilfe mitmachen. Peggy war sehr vornehm und haßte alles Schmutzige. Aber sie hatte große Ideale und wollte den unterentwickelten Menschen helfen. In einem Dorf in einem asiatischen Land soll sie sich um die Erziehung und Förderung der Kinder kümmern.

Ein anderer Mitarbeiter weist sie ein. Doch als sie zum ersten Mal die Dorfstraße entlanggehen, kommt gleich ein dreckiger und zerlumpter Junge auf Peggy zugelaufen und ruft: „Schöne weiße Tante“ und umarmt sie und drückt sie. Das ist zu viel für Peggy: der schmutzige Junge an ihrem weißen Kleid! Sie rennt davon, packt ihre Koffer und will wieder abreisen. Als sie zum Bus geht, wird sie wieder von dem Jungen erspäht. Ohne zu Zögern kommt er auf sie zugerannt. Er sieht das Auto nicht, das laut bremst und kurz vor ihm zum Stehen kommt. Er rennt nur auf Peggy zu, die ihn jetzt dankbar in die Arme schließt, weil noch einmal alles gut gegangen ist.

Oftmals gehört etwas Überwindung dazu, daß man diesen niedrigen Weg gehen kann. Das gilt auch für die Aufgaben, die uns hier in unserem Landgestellt sind. Denken wir an die Pflege von Schwerkranken oder von Schwachsinnigen. Mancher sagt: „Das kann ich nicht, da ekele ich mich davor!“ Aber zum Gehorsam gehört auch, daß man zu diesen ganz niedrigen Diensten bereit ist.

Gott hat sich ja auch überwunden und hat seinen Sohn in die Hände der Menschen gegeben. Er hat genau das Gegenteil getan von dem, was wir Menschen zu tun pflegen: Wenn wir irgendwelche Gaben haben oder einen leiblichen oder geistlichen Besitz, dann wollen wir das schön für uns behalten und nur ja nicht mit anderen teilen. Und aus der Angst, etwas zu verlieren, geraten wir dann unter die Knechtschaft anderer Menschen, anstatt Diener Gottes zu werden.

Unser Bestreben ist es doch meist, nur ja kein Risiko einzugehen, uns nach rechts und links, gestern und morgen abzusichern. Der goldene Mittelweg erscheint sicherer als der untere Weg unseres Herrn. Wir sind nicht frei von der Sorge um uns selber und deshalb auch nicht glücklich.

Jesus aber hat ein Leben ganz unten geführt, ohne Besitz und Familie und ohne Ansehen. Aber er hat sich Zeit genommen für andere. Er lebt nicht auf Kosten der anderen, sondern hat sein Leben für sie gegeben. Aus unserer Sicht hat er überhaupt nichts vom Leben gehabt. Aber gerade deshalb hat Gott ihm eine Zukunft eröffnet. Er stand nicht auf der Höhe des Menschentums und hat nicht die Bewunderung der Menschen erweckt. Aber er lebt in Übereinstimmung mit Gott.

„Darum hat ihr auch Gott erhöht!“ sagt Paulus. Es ist wie bei einer Feder: Man kann sie bis zum Äußersten ihrer Leistungskraft niederdrücken, aber wenn man sie losläßt, dann schnellt sie mit ungeheurer Gewalt empor. So folgt auf die Tiefe des Todes am Kreuz die Erhöhung zu göttlicher Herrschermacht.

Das kann auch uns freimachen von unseren Sorgen um unser Einkommen und unser Fortkommen, um unsere und unserer Kinder Zukunft, um unseren Weg nach oben. All das hat keine Zukunft, wenn man die Rechnung ohne Gott macht. Jesus hat uns das Beispiel gegeben, daß man nicht unbedingt hoch hinaus muß im Leben. Von diesem Zwang macht er uns frei, wenn wir uns an ihn halten.

Jetzt wird deutlich, daß Jesus das alles für uns getan hat, auch wenn in dem Christuslied gar nicht die Rede davon ist. Aber Jesus will uns hinweisen auf ein höheres Ziel. Er verheißt uns die Teilhabe an seiner Herrschaft über die Welt, auch wenn wir uns das heute noch nicht vorstellen können. Aber das kommt, und dann werden sich all unsere Sorgen um unser irdisches Vorankommen als überflüssig erweisen - wenn wir nur bis zu Gott vorangekommen sind.

 

Zusatz:

Das Christuslied lautet nicht wie folgt:

Er war immer der Größte. Er war wirklich göttlich, einsame Klasse.

Nicht wie die anderen. Er verwirklichte sich selbst.

Er schaffte den Aufstieg, unaufhaltsam, von unten:

Weg aus dem Elend, aus der Enge, aus den Zwängen. Weg von hier.

Endlich frei sein, sich von niemandem mehr etwas sagen lassen müssen.

Endlich sich alles leisten können, sein Leben richtig auskosten:

Er schaffte es. Ich möchte sein wie er.

Er nimmt mich mit hinauf, in den Glanz.

Ich bin wer, keine Nummer mehr.

Jeder weiß, wer ich bin, jeder kennt meinen Namen.

Sie sollen mich kennenlernen.

Dann müssen sie alle anerkennen:

Du bist wirklich der Größte!

 

Richtig ist es verstanden mit der folgenden Übertragung:

Orientiert euch an dem, was in Christus gilt.

Er, der bei Gott war, nicht einer von uns,

in Gottes Freiheit, außerhalb des Gefängnisses,

klammerte sich nicht an das Vorrecht, wie Gott zu sein.

Er entäußerte sich selbst, legte seine Vorrechte ab

und wurde Sklave, wurde wie wir.

Eng verbunden mit den Menschen,

übernahm er unsere Lebensbedingungen, teilte er unsere Zwänge.

Er erniedrigte sich selbst und ging den Weg nach unten,

 

 

 

 

Phil 3, (17 - 19) 20 – 21 (23. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn ein junger Mann bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, können nur erschrecken. Es ist schon schlimm, wenn einer durch eine Krankheit in jungen Jahren sterben muß. Aber noch furchtbarer ist es, wenn man sagen muß: „Es hätte nicht sein müssen! Wenn alle Beteiligten vorsichtiger gewesen wären, hätte man den Unfall vielleicht vermeiden können!“ Aber nun ist es geschehen, und vor allem die Angehörigen des Verunglückten müssen damit fertigwerden.

Hier wird uns wieder einmal deutlich, daß unsre Heimat im Himmel ist, wie Paulus sagt. In diesem Leben sind wir nur auf der Wanderschaft, und keiner weiß, was sich auf diesem Weg alles ereignet und wann dieser Weg einmal ein Ende hat. Wir sind zwar an die Erde gebunden und haben einen Anteil an der Geschichte der Menschheit. Aber über unserem Leben liegt auch etwas Vorläufiges, das durch ein Endgültiges abgelöst wird. Wir sind in diesem Leben alle unterwegs, das gehört mit zu unserem Menschsein dazu. Aber wir dürfen noch auf etwas warten, und das gehört auch mit zu unserem Menschsein oder zumindestens zu unserem Christsein mit dazu.

Das haben besonders in diesem abgelaufenen Kirchenjahr diejenigen erfahren, die einen lieben Menschen an den Tod verloren haben. Es spielt dabei wohl auch keine Rolle, ob ein Mensch alt oder sehr alt oder noch relativ jung gewesen ist: Jeder Verstorbene bedeutet einen Verlust für seine Umgebung. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die nur froh sind, wenn ein

Angehöriger stirbt. In besonders schweren Fällen mag man vielleicht noch so denken, solange der Betreffende noch lebt. Aber wenn er dann gestorben ist, bleibt doch wohl niemand davon unberührt.

Man wird vielleicht eher darüber hinwegkommen, wenn man sich sagt: „Dieser Mensch war eben alt und hatte die Zeit seines Lebens vollendet!“ Aber er hinterläßt doch eine Lücke.

Im Zusammenhang mit jenem Unfall fand es jemand besonders schmerzlich, daß es sich um das einzige Kind der Familie handelte. Aber eine andere Frau sagte: „Ich habe vier Kinder. Aber es würde mir bei jedem schwerfallen, wenn ich es hergeben müßte!“ Unser Leid kann nicht größer werden, wenn etwa in einem Jahr mehrere Leute aus einer Familie sterben, und es wird nicht leichter, wenn wir daran denken, wer uns ja noch geblieben ist.

An sich kann man mit dem Geschehen des Todes oder mit dem Bedanken an den eigenen Tod nur fertigwerden, wenn man über den Tod hinaus eine Hoffnung haben darf. Deshalb kann die Verkündigung der Auferstehung Jesu und unserer eigenen Auferstehung der einzige Trost im Leben und im Sterben sein. Deshalb bekennt sich die Gemeinde der Christen am Grabe ihrer verstorbenen Glieder zur Heimat im Himmel.

So heißt es jedenfalls in der verbesserten Bibelübersetzung. Man hat gemeint, das Wort „Heimat“ sei zu stark gefühlsbetont, man solle lieber das Wort „Bürgerschaft“ verwenden. Aber dieses Wort ist heute ungebräuchlich, wir kennen es nur noch als „Staatsbürgerschaft“. Was aber „Heimat“ ist, das wissen alle. Das wissen die, die die Heimat verloren haben. Das wissen aber auch, die praktisch kaum einmal aus ihrem Ort herausgekommen sind. Und wenn einer von uns nur einmal drei Tage in einer Großstadt oder im Industriegebiet gewesen ist, dann weiß er schon, was Heimat ist.

Doch das ist nur die irdische Heimat. Wie sehr hängen wir schon an ihr! Ist uns aber auch die himmlische Heimat so wichtig und wertvoll? Sie haben wir ja verlassen müssen, um unser Leben auf dieser Erde zu führen. Einst aber werden wir wieder dorthin zurückkehren dürfen. Oder ist es mehr ein „müssen“ für uns? Sehnen wir uns gar nicht hin zu dieser Heimat, sondern möchten lieber in der irdischen Heimat bleiben?

Die Schwierigkeit ist nämlich, daß wir uns überhaupt nicht mehr an die himmlische Heimat erinnern können. Wir möchten gern wissen, wie es dort aussieht und was wir dort zu erwarten haben. Wenn wir es wüßten, würden wir uns sicher mehr nach der himmlischen Heimat sehnen und die Entscheidung fiele uns leicht.

Aber wir fragen ja schon: „Was ist eigentlich der Himmel?“ Wir können ihn uns doch nicht als einen bestimmten Ort im Weltraum vorstellen. Allerdings wäre es ein Verlust für unsere Frömmigkeit und damit auch für unseren Glauben, wenn wir das Wort „Himmel“ aus unserem Reden, aus der Liedern und Gebeten, verbannen wollten. Es fragt sich nur, was wir darunter verstehen.

Besser würde man gar nicht an einen Ort denken, sondern an die Herrschaft Jesu Christi, die jetzt auf der Erde noch nicht offen wahrzunehmen ist, sich aber einst in Herrlichkeit offenbaren wird. Das ist natürlich gerade unser Problem, daß wir hier auf der Erde unter Leid und Tod seufzen müssen und so gar nichts vor der Herrschaft Jesu Christi wahrzunehmen scheinen.

Doch wer einen starken Glauben hat, wird sich gerade im Leid an Jesus halten, ihm dieses Leid klagen und seine Hilfe erbitten. Wer einen starken Glauben hat, braucht dann auch nicht die Vorstellung eines Himmels, sondern es ist ihm genug, sich an Christus zu halten.

Bei diesem Christus, in seinem Reich, sind wir Bürger. Wenn man sonst eine Staatsbürgerschaft erwerben will, dann muß man oft erst gewisse Bedingungen erfüllt haben: Man muß eine bestimmte Zeit in dem Land gewohnt haben, muß dort arbeite und seinen Lebensmittelpunkt haben, man muß die Sprache sprechen und man muß unter Umständen muß man Führungszeugnisse und Befürwortungen vorlegen. In manchem Land wie zum Beispiel in der Schweiz, ist es ganz schwer, die Staatsbürgerschaft zu erlangen und eingebürgert zu werden, es sei denn, man ist prominent.

Beim Reich Gottes dagegen ist es anders. Dafür kann man sich nicht aus menschlicher Überlegung entscheiden. Ja, mancher will ja auch gar nicht zu diesem Reich gehören, begehrt es überhaupt nicht. Aber Gott macht sich auf die Suche nach Bürgern. Er will alle Menschen in seinem Reich haben. Aber e r ist es, der sie dorthin ruft. Von sich aus kommt kein Mensch darauf, daß es ein Reich Gottes geben könnte. Aber er hört davon in der Predigt der Kirche und wird in der Taufe in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen.

Damit wird der Mensch gewissermaßen unter das Hoheitszeichen des Kreuzes gestellt. Er ist zwar noch ein Erdenbürger, aber er ist doch auch Gast und Fremdling. Er ist schon Himmelsbürger, er hat einen Paß für den Himmel. Aber es besteht jederzeit die Möglichkeit, daß er in sein wahres Heimatland zurückgerufen wird. Einstweilen aber, bis man ihn begräbt, wird jeder Christ all seine Kräfte und Gaben dennoch der Erde und der Menschheit zur Verfügung stellen.

Aber einst wird eben dieses Leben auf der Erde zu Ende sein. Jeder Mensch steht einmal vor dieser Tatsache. Wenn wir alle unsterblich wären, ja dann wäre so etwas wie ein tödlicher Unfall wirklich ein maßloses Unglück. Dann würde einem einzelnen Menschen das verwehrt, was allen anderen geschenkt ist. So aber sagen wir: „Es war ein Mensch, der sowieso einmal hätte sterben müssen!“

Gewiß ist es auch so ein schwerer Verlust, wenn man dran denkt, was noch hätte sein können. Aber das Sterben hat doch nicht den Charakter der willkürlichen Strafe für einen Einzelnen. Gerade die Tatsache, daß wir alle einmal sterben müssen, macht es uns leichter, den Gedanken an den Tod zu ertragen. Wenn wir sterben, ob früher oder später, gehen wir nur den Weg allen Fleisches.

Wichtiger allerdings als all diese Überlegungen ist die Gewißheit, daß wir auf etwas warten dürfen. Unser Blick sollte nicht nur auf das gehen, was vergangen ist und nicht mehr sein kann, sondern er sollte auch in die Zukunft gerichtet sein. Vom „Himmel“ her erwarten wir unseren Herrn Jesus Christus, der unseren vergänglichen Körper so verwandeln wird, daß er genauso herrlich wird wie der Körper, den er selbst seit seiner Auferstehung hat.

Es gibt ein ungeduldiges und ungutes Warten auf einen Glücksfall, der unsre eigenen Wünsche endlich verwirklichen soll, oder auf eine Zukunft, die alles wieder gutmachen soll, was das Leben uns bis heute noch schuldig bleib.

Dieses Warten ist bei Paulus nicht gemeint. Er sitzt ja im Gefängnis, als er den Philipperbrief schreibt, und er muß jeden Tag mit seinem Tod rechnen. Aber er hat keine Eile. Für jeden Tag wartet er getrost und gelassen wieder auf die Kraft Christi. Es ist ein fröhliches Warten, dem auch der Tod kein Ende setzt.

Paulus weiß, daß er noch nicht am Ziel ist. Zu deutlich sieht man ihm auch noch an, daß er ein Mann des gekreuzigten Christus ist. Er möchte aber auch nicht so sein wie die Leute, deren Bauch ihr Gott ist. Sie streben nur nach äußerem Wohlstand und nach einer geachteten Position und denken, so seien sie gesichert. Sie meinen, das sei schon alles.

Paulus aber möchte eine andere Art Leben entdecken und von seinem Bürgerrecht bei Christus Gebrauch machen, es in Anspruch nehmen. Das heißt nicht, daß er das Zeitliche deshalb verachtete und gar keine Freude mehr in der Welt haben dürfte. Unsere Welt ist ja schließlich Gottes Welt. In ihr sollen wir eine gute irdische Ordnung herstellen und das Irdische nach menschlicher Einsicht und Vernunft betreiben, allerdings mit dem Gesetz Gottes als Richtschnur und in dem Wissen, ihm verantwortlich zu sein. Das Irdische kann bei uns nie die Stelle Gottes einnehmen. Aber als Himmelsbürger werden wir immer auch in die Welt geschickt und sind echte Erdenbürger.

Auf die Zukunft Gottes warten heißt auch: Nicht untätig bleiben und mit Krieg und Hunger, Gewaltherrschaft und Menschenverachtung, Leiden und Sterben abfinden. Vielmehr gilt: Unser Denken und Planen, Tun und Lassen ist bestimmt von Christus, der auf uns zukommt. Sogar über den Tod hinaus dürfen wir auf einen starken Herrn warten. Der ist stark genug, unsere Schwäche in Kraft und unser Sterben in Leben zu verwandeln.

 

 

Phil 4, 4 - 7 (Variante 1) (4. Advent):

Manche Sachen kann man nicht kaufen. Eine davon ist die Freude. Die ist eine Mangelware im Haushalt unseres Lebens. Sie wird von vielen gesucht, aber nur wenige haben sie. Auf Schritt und Tritt fehlt sie uns. Und das macht unser Leben und das Zusammenleben mit anderen Menschen oft so schwer.

Da hat sich eine Frau einen neuen Schal gekauft, wirklich schick und modern. Doch anstatt daß sich der Mann darüber freut, fragt er nur: „War das nötig?“ Da ist dann natürlich alle Freude verflogen und das Gegenteil erreicht. Oder der Mann bringt ein paar Blumen mit als kleine Aufmerksamkeit für seine Frau. Doch sie sagt nur: „Ja, ist schon gut! Aber ich habe jetzt große Wäsche. Stell die Blumen doch oben in die Vase!“ Schon ist die Freude dahin und Verstimmung macht sich breit.

Woran liegt es, daß wir so wenig Freude haben? Sind die mißlichen äußeren Umstände daran schuld? Fehlt uns etwa deshalb die Freude, weil wir nicht alles haben können, was wir gerade möchten? Oder weil wir nicht alles tun oder lassen können, was uns gerade einfällt? Hängt das wirklich damit zusammen?

Welche Einstellung wir zum Leben haben, hängt von unserem Verhältnis zu Gott ab. Unser Predigttext sagt dazu: „Unser Herr ist nahe!“ Damit war ursprünglich die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn gemeint. Aber wir wissen ja, daß der Herr uns auch nahe ist, wenn er nicht sichtbar bei uns ist. Gewiß ist das Leben Jesu für uns Vergangenheit. Aber Jesus ist doch bei uns gegenwärtig.

Wenn jetzt in dieser Minute am Bahnhof ein Zug abfährt, dann ist das für uns nicht Gegenwart: Wir brauchen den Zug ja im Augenblick nicht. Aber daß die Mutter in der Kindheit mit uns gebetet hat, das ist Gegenwart. Das ist nämlich in dieser Stunde doch bedeutungsvoll und ist eine Wirklichkeit für mich.

Wenn es nun heißt: „Der Herr ist nahe!“ dann ist dadurch meine ganze Gegenwart verändert. Dann ist der Kommende schon gegenwärtig. Es geht nicht nur um eine Vorfreude auf die Zukunft, sondern um die Gewißheit, einander wirklich nahe zu sein. Das gibt uns Zuversicht und kann unser Leben mit Freude erfüllen.

Weiterhin heißt es: „Der Friede Gottes wird euch bewahren in Christus Jesus!“ Wir kennen dieses Wort als Kanzelsegen nach der Predigt. Dort ist es wie in Luthers Bibelübersetzung als ein Wunsch formuliert Aber eigentlich geht es hier um die feste Zusage: „Gott wird dich bei Christus erhalten!“Auch das ist für uns Grund zur Freude.

Dahinter steht das Bild von einer Burg mit einem Schutzwall. Das heißt also: „Gottes Friede wird dich wie ein Schutzwall umgeben!“ Dieser Friede Gottes ist tatsächlich höher als alle Vernunft. Er ist mehr als das, was durch einen Friedensschluß im politischer Bereich geschaffen werden soll, ist mehr als das Nichtvorhandensein von Krieg und auch mehr als ein Nichtangriffspakt.

Das hebräische Wort an dieser Stelle heißt „Schalom“. Es meint das Ganzsein einer Gemeinschaft und das Funktionieren der Lebenszusammenhänge in einem Volk, in einer Familie oder sonst einer Gemeinschaft. Im Kleinen kann dieser Friede vielleicht durch die Gemeinschaft selber hergestellt werden. Im Großen hofft man, daß Gott ihn bringen wird.

Im Neuen Testament heißt es nun, daß Christus dieser Friede ist. Die von ihm angebotene Ge­meinschaft kann nicht mehr zerbrechen. Wo sie dennoch zerbricht, da sind wir nicht mehr auf seinem Wege. Er läßt uns die Freiheit dazu. Aber er will natürlich, daß wir in seinem Frieden bleiben und alle Trennwände zwischen Gruppen und Einzelnen einreißen.

Solche Trennwände sind da zwischen Christen und Atheisten, Eltern und Kindern, Mann und Frau, Rassen und Völkern, zwischen Kollegen und zwischen den Generationen. Christus aber will, daß sie sich einig sind und im Frieden Gottes miteinander leben. Wo das so ist, da ändert sich dann die Lebensweise der Menschen untereinander.

Nach dem Philipperbrief merkt man das an vier Dingen: Freude, Güte, Sorglosigkeit, Dank.

Natürlich kann man eine solche Freude nicht befehlen. Wer sich nicht freuen w i l l und vielleicht auch nicht freue k a n n, dem ist meist nicht zu helfen. Mancher sucht auch einen Ersatz zu finden. Für ein paar Mark will er sich Freude kaufen zum Beispiel in Form von Alkohol. Oder er verlegt sich auf die Schadenfreude darüber, daß es einem anderen schlecht ergeht.

Oder man macht sich in Bezug auf die Freude etwas vor.

So erging es der Zarin Katharina II. Sie hatte dem Fürsten Potemkin den Auftrag gegeben, in Südrußland neue Dörfer und Siedlungen anzulegen. Doch der hatte alles Geld für seine persönlichen Zwecke durchgebracht.

Nun wollte die Zarin aber eines Tages die schönen neuen Dörfer sehen. Da ließ der Fürst Potemkin in aller Eile hölzerne Fassaden von Häusern aufrichten. Die Zarin fuhr mit einem Schiff den Fluß entlang und sah überall die neuen Siedlungen. Sie freute sich über die schönen und guten „Häuser“ und merkte gar nicht, daß es alles nur Kulissen waren.

So haben wir auch manches, worüber wir uns an Weihnachten freuen: Die Kinder freuen sich auf und über ihre Geschenke. Die Erwachsenen freuen sich auf ein paar ruhige Feiertage und das Zusammensein mit der Familie. Wir freuen uns über den Christbaum, das Krippenspiel, die Lichterkirche und manches andere. Aber lassen wir uns davon nicht täuschen. Das sind ja alles nur die Äußerlichkeiten des Weihnachtsfestes. Diese Weihnachtskulisse wird ja nach einigen Tagen wieder weggeräumt. Die Freude aber soll bleiben.

Das ist aber nur möglich, wenn es eine Freude „im Herrn“ ist. Weil der Herr bei uns ist und wir bei ihm, deshalb haben wir Grund zur Freude, die auch hinter den Fassaden Bestand hat.

Es gibt auch Menschen, die für alle Lebenslagen einen Vorrat an Freude bereit haben. Sie verbreiten ständig Frohsinn und gute Laune um sich herum. Wir brauchen solche Menschen, damit das Leben überhaupt erträglich wird. Vielleicht möchten wir selber zu ihnen gehören. Aber das geht eben nur, wenn wir uns die Freude aus unserem Glauben heraus schenken lassen.

Das zweite Kennzeichen eines Christen ist die Freundlichkeit gegenüber dem Mitmenschen. Eigentlich ist das doch ein sehr „weltliches“ Wort. Wir hätten vielleicht „Nächstenliebe“ oder „Vergebungsbereitschaft“ erwartet. Aber Paulus verwendet hier das allen bekannte Wort „Freundlichkeit“, die Eigenschaft, die den Umgang mit Menschen angenehm und erfreulich macht.

Wer freundlich ist, der verzichtet auf seinen Rechtsstandpunkt und läßt Gnade vor Recht ergehen. Wer glaubt, der kann gelassen sein und auch einmal dem anderen nachgeben, der noch nicht so fest im Glauben steht. Aber so wird man gut mit anderen hinkommen und selber dabei Freude erfahren.

Das dritte Kennzeichen ist die Sorglosigkeit. Wir alle sind gefangen von der Sorge um unser Leben, unsere Existenz, um die Zukunft. Auch über die Zukunft der Kirche machen wir uns Sorgen. Oder wir wollen aus uns oder einem anderen etwas machen, und wenn es nicht gleich gelingt, haben wir Sorgen. Wie viele Eltern wollen, daß aus ihren Kindern einmal etwas wird, nicht so ein gewöhnlicher Arbeiter, sondern etwas „Besseres“. Aber sie sehen nicht, daß dann die Sorgen erst losgehen, wenn man unbedingt so etwas anstrebt.

Allerdings ist die Sorge eine Macht, der wir nicht so einfach ausweichen können. Goethe läßt im zweiten Teil seines „Faust“ die „Frau Sorge“ auftreten und sagen:

„Wen ich einmal besitze, dem ist alle Welt nichts nütze.

Er verliert sich immer tiefer, siehet alle Dinge schiefer.

Halber Schlaf und schlecht Erquicken, heftet ihn an seine Schwelle

und bereitet hin zur Hölle!“

„Sorglosigkeit“ meint nun nicht, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Aber wir brauchen uns von den Dingen nicht einfach unterkriegen zu lassen. Wir dürfen dem Geist der Sorge Abschied geben. Sie spielt sich zwar auf, als wäre sie Gott, wenn sie erst einmal einen ergriffen hat. Aber Gott ist stärker als sie. Er vertreibt sie wieder. Das ist dann Weihnachten für uns, nicht nur am 24. Dezember, sondern an jedem Tag im Jahr: Wenn Gott kommt, macht er all unseren menschlichen Sorgen ein Ende.

Paulus sagt: „Laßt all eure Bitten Gott bekannt werden! Tragt all eure Sorgen hin zu ihm und ladet sie ihm auf!“ Keine Sorge soll dabei ausgenommen sein: nicht die leibliche und äußerliche Not, aber auch nicht die selbstverschuldete Unterlassung oder sonst etwas. Kein Ding ist für Gott zu gering oder zu groß, als daß er sich nicht damit befassen würde.

Das vierte Kennzeichen schließlich ist der Dank. Er ist die Antwort auf die Freude und die endgültige Überwindung der Sorge. Dann sehen wir nämlich auch, was trotz aller Not doch Grund zur Freude und zum Danken ist. Je mehr wir uns im Danken üben, desto weniger Macht hat die Sorge über uns. Wenn man das Danken verlernt hat, dann verlernt man auch das Beten und dann kommt die Sorge. Und wer nur Sorgen im Kopf hat, der vergißt wiederum das Beten und das Danken.

Dabei könnte es doch gerade umgekehrt sein: Je mehr man sich sorgt, desto mehr sollte man beten! Wer betet, der hat Gott auf seiner Seite und den verläßt die Sorge. Der sorgt sich dann auch nicht mehr um sein Hab und Gut und um sein Fortkommen, sondern der kann sogar hergeben und frohen Herzens verzichten. So heißt es in einem Kanon: „Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König!“

Damit wären wir wieder beim Thema „Weihnachten“. Jetzt stehen wir wieder kurz davor und es wird uns gesagt: „Der Herr ist nahe!“ Weil er bei uns ist, sind uns Freude, Freundlichkeit, Sorglosigkeit und Dankbarkeit möglich. Deshalb wollen wir uns nicht nur „Fröhliche Weihnachten“ wünschen, sondern auch von dem Grund der Freude reden. Der Friedensgruß am Schluß einer jeden Predigt ist für uns in der Tat ein echter Weihnachtsgruß: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen!“

 

 

Philipper 4, 4 - 7 (4. Advent, Variante 2):

Im Jahre 1666 mußte Paul Gerhardt, unser bekannter Liederdichter, auf höchste Anweisung hin sein Predigtamt in Berlin niederlegen und die Stadt verlassen. Mit seiner Familie begab er sich damals auf den Weg, ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. Auf dieser Reise durch das brandenburgische Land machten sie eines Tages auch in einem Gasthaus halt, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Paul Gerhardt hatte sich bis dahin seine Hoffnung auf einen neuen Anfang in irgendeiner Pfarrstelle noch bewahrt, aber seine Frau, ermüdet und geschwächt von der langen Reise, hatte keine Zuversicht mehr. Ohne Hoffnung saß sie in der Gaststube. Keiner wußte einen Rat.

Da blätterte Paul Gerhardt in der Heiligen Schrift, und dann las er seiner Frau die Bibelstelle vor: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen!“ Danach ging er in den Garten des Hauses und dichtete das bekannte Lied: „Befiehl du deine Wege!“ Als er dann das Lied seiner Familie vorlas, traten plötzlich zwei Abgeordnete des Herzogs Christian zu Merseburg ins Zimmer und setzten sich an den Tisch der Familie Gerhardt. Sie erzählten auch den Zweck ihrer Reise. Sie wollten nach Berlin, um einen gewissen abgesetzten Pastor Gerhardt nach Merseburg einzuladen. Man hätte Arbeit für ihn. Und so kam es, daß Paul Gerhardt im Jahre 1669 eine neue Pfarrstelle erhielt, das Archidiakonat zu Lübben in der Niederlausitz.

Nun wird natürlich mancher bei einem solchen Bericht sehr skeptisch sein. Denn wir wissen, daß nicht jeder in seinem Leben so eine Lösung seiner schwierigen Probleme erfahren hat. Mancher Lebensweg, auch von guten Christen, ist gekennzeichnet von Nöten und viel Leid. Was haben Menschen nicht alles ertragen müssen! Aber viele gab es, die ihren Weg trotzdem getrost weitergingen, auch wenn es eine letzte Erfüllung ihrer Hoffnung hier auf der Erde nicht gab.

Zu ihnen gehörte auch der Apostel Paulus. Eingekerkert in ein römisches Gefängnis, schrieb er an die Gemeinde in Philippi aus Dank dafür, daß sie ihm mit einer Geldspende helfen wollte. Die Philippergemeinde war seine Lieblingsgemeinde, eine Gemeinde, in der wirklich christliches Leben war. Es gab wenig Anlaß, sich um sie zu sorgen. Und doch hat Paulus auch ihr gegenüber seine liebevolle, aber mahnende Stimme erhoben. Vielleicht gab es da einige, die im Lebenskampf müde geworden waren, die aufgeben wollten, weil es nicht alles so ging, wie sie anfangs glaubten.

Ihnen sagt Paulus dieses Wort: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch“" Und er sagt es damit auch uns! Er sagt es uns als eine Mahnung, denn getaufte Christen sollen sich im Herrn freuen, aus dem Bewußtsein heraus, mit Christus verbunden zu sein und in seiner Gemeinschaft zu leben. Natürlich weiß Paulus, daß das nicht leicht ist. Darum fordert er auch nicht einfach so zur Freude auf, wie wir es manchmal im Umgang miteinander tun, sondern er mahnt im Blick auf Christus. Im Blick auf den Christus, der selber gesagt hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“

Dabei meint Paulus nicht den, der früher einmal gelebt hat und dann von den Seinen wegging. Sondern er denkt an den, der bei uns ist durch sein Wort, durch das Heilige Mahl, der uns nahe ist in seinem Geist und der mit seiner Kraft immer tiefer eindringen will in unser Leben. Darum fordert Paulus uns eben zur Freude auf, wobei er nicht die Frage stellt, ob uns das Freuen gelingen wird. Denn er weiß, daß dort, wo die Gegenwart des Herrn wirklich geglaubt wird, der Mensch sich freuen kann. Darum auch das Wort: „Sorget nichts!“

Aus der Freude über die Gegenwart des Herrn können wir unser ängstliches Sorgen loslassen. Wir werden entlastet, denn „er sorgt für uns!“ Hier also hat die Freude ihren Grund. Seine Nähe, die Nähe unseres Herrn, ist bergende Nähe, voller Liebe und Verständnis. Das „Zersorgen“ hat da keinen Grund mehr - diese quälende Sorge, die den Menschen klein macht und ihn innerlich zerbricht. Diese Sorge haben die Heiden, so sagt Paulus, ihr aber als die Kinder Gottes sollt dieses „Sorgen" von euch ablegen, denn „der Herr ist nahe!“! Er ist bei euch zu jeder Stunde des Tages.

Aus der inneren Freude folgen nun auch sichtbare Zeichen. Hier versagen wir immer wieder: dem Menschen nämlich mit Liebe und Güte begegnen. Das aber ist wichtig! Denn die Liebe unseres Herrn will uns in den Dienst der Liebe stellen. Durch unsere Güte und Liebe bringen wir die Liebe Christi zu den Menschen. Wo Nichtchristen Güte, Verständnis. Friedfertigkeit und Zuversicht an Christen spüren, können sie ins Fragen kommen, aus welchen Quellen diese Christen leben.

Dabei ist uns natürlich die Frage gestellt: „Wie sehen wir unseren Mitmenschen?“ „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, so sagt es Jesus, unser Herr. Sehe ich im anderen den Bruder und die Schwester des Herrn? Ebenso mißverstanden und leidend wie er? Paulus jedenfalls meint es ganz ernst: „Alle Menschen sollen eure Güte merken. Denn daran wiederum erkennen die anderen eure Freude und werden vielleicht auch zu der Erkenntnis geführt: Der Herr ist nahe!“

Wenn uns aber das alles nicht gelingt? Der Apostel sagt: „Dann betet! Sprecht im Gebet eure Not aus, öffnet Christus euer Herz, übergebt ihm alles. Das ist der priesterliche Weg, auf dem ihr für euch, aber auch für den anderen um die Seele ringt!“ Und Paulus hat recht. Das Gebet ist geradezu die Brücke; es richtet unsere Augen dorthin, wo das Ziel unseres Lebensweges ist. Und dieses Herrlichkeitsziel gibt uns schon jetzt Gewißheit und Freude, Zuversicht und Vertrauen - und den Frieden dessen, zu dem wir gehören.

Denken wir noch einmal an Paul Gerhardt! Wie mag es ihm in einer solch ausweglos scheinenden Situation zumute gewesen sein? Aber er wußte um die einzig mögliche Lösung. „Befiehl dem Herrn deine Wege!“ Und wer die Lieder Paul Gerhardts aufmerksam liest, wird in ihnen allen diese Glaubenshaltung finden, dieses Vertrauen zu dem, der Himmel und Erde gemacht hat. Und er wird auch das andere finden, von dem Paulus ebenfalls spricht und wozu er uns mahnt: das Danken gegenüber dem Herrn. Menschen, die mit Christus leben, sind dankende Menschen. Es geht nicht anders.

Wer den Frieden Gottes einmal in seinem Leben erfahren hat, kann dafür danken. Damit hören Zerstörung und Leid auf unserer Erde zwar noch nicht auf, aber alles ist dann hineingenommen in den tieferen Frieden, den Gott schenkt und der uns in Jesus Christus bewahrt. So mag uns unser heutiger Predigttext in der Weihnachtszeit begleiten. Und wir nehmen dieses Wort mit in das neue Jahr: „Freuet euch in dem Herrn, denn der Herr ist nahe!“ (Verfasser der Predigt unbekannt).

 

 

 

Thessalonicherbriefe

 

1. Thess 4, 1 – 7 (20. Sonntag nach Trinitatis):

Als Jugendlichen einmal eine Frage gestellt wurde, die mit dem Glauben zusammenhängt, sagten diese: „Fragen Sie doch die Angelika und die Doris, die sind doch viel heiliger als wir!“ Besser könnte man eigentlich nicht beschreiben, was das Wort „heilig“ bedeutet: ein „Heiliger“ ist einer, der mit seinem ganzen Leben für seinen Glauben eintritt und durch nichts davon abzubringen ist. Anderswo würde man wahrscheinlich das Wort „fromm“ gebrauchen oder bei uns würde man sagen: „Der ist christlich“ bzw. „der ist kirchlich“. Aber dieses etwas ungewöhnliche Wort „heilig“ paßt eigentlich noch am besten.

Zumindest ist der Ausdruck gut biblisch. Er war die Bezeichnung für die Christen. Überall in den Briefen des Neuen Testaments werden die Gemeindeglieder als die „Heiligen“ angeredet. Damit ist klar, daß die römisch-katholische Kirche dieses Wort viel zu eng versteht. Sie sagt: „Es gibt Menschen, die haben mehr gute Werke als schlechte getan; das sind die ‚Heiligen‘, die eine Erlösung durch Christus gar nicht mehr nötig haben. Die Kirche legt fest, wer zu diesen Heiligen gehört, und dann darf jeder Gläubige diese Heiligen um Fürsprache bei Gott anrufen!“

Diese Auffassung ist sehr stark in das Bewußtsein der Menschen eingedrungen. Allerdings spricht man auch oft abfällig über einen Menschen, der ein „seltsamer Heiliger“ ist, also einer, der etwas weltfremd durch die Gegend läuft, nur seinen Glauben im Sinn hat und sich ganz anders verhält wie sonst ein normaler Mensch. Gewiß wird sich ein Christ manchmal von anderen Leuten unterscheiden müssen. Aber solch ein „seltsamer Heiliger“ möchten wir wohl doch nicht sein.

Aber das wird ja auch nicht von uns verlangt. Gehen wir doch einmal von der Grundbedeutung des Wortes aus. Schon im Alten Testament bezeichnete man die Tiere als „heilig“, die für das Opfer bestimmt waren. Sie wurden von der übrigen Herde getrennt gehalten und gehörten sozusagen schon Gott. Und so ist auch im Neuen Testament ein „Heiliger“ ein Mensch, der zu Gott gehört, nicht mehr und nicht weniger. Die Heiligen erhoben sich also nicht als einsame Gestalten aus der Masse der Christen, sondern wir alle sind Heilige, sofern wir uns zu Gott halten. Mit unserer moralischen Beschaffenheit, ob wir viel Gutes oder viel Böses getan haben, hängt das zunächst einmal nicht zusammen.

Dieser Meinung ist auch Paulus, wenn er an die Thessalonicher schreibt. Sie sind die Heiligen. Aber er fordert sie dennoch zur Liebe und zur Heiligung auf. Und im gleichen Atemzug bescheinigt er ihren auch, daß sie ihr Leben so führen, wie es Gott gefällt.

Die Heiligung geht also einmal von Gott aus: Er hat uns zu seinen, Kindern erwählt und wir gehören nun zu ihm. Er hat eine gute Schöpfung ins Leben gerufen und allen Menschen Liebe und Barmherzigkeit geschenkt. Die Liebe Gottes zu uns ist der Grund für unsere Liebe zu den Menschen und macht sie erst möglich. Der Weg geht von Gott zu den Menschen und nicht umgedreht.

Aber die Heiligung ist auch eine Aufgabe für uns alle. Sie ist uns zwar von Gott geschenkt; aber nun sollen wir sie auch in unserem Leben verwirklichen. Die Schar derer, die sich Gott verpflichtet weiß, soll nun auch beispielhaft den anderen vorleben, was Liebe meint. Wir haben die Aufgabe, den anderen nun die neue Lebensmöglichkeit vorzuleben, die Gott uns geschenkt hat.

Wenn uns auch die Heiligung schon geschenkt ist, so können wir darin doch immer noch mehr zunehmen. Heutzutage würden wir es vielleicht so ausdrücken: „Ein Christ kann sich immer noch qualifizieren in seinem Glauben und seinem Lebenswandel!“ Wer bei dem Erreichten stehenbleibt, gerät in Rückstand und wird von der Entwicklung überrollt. Zwischen Zunehmen und Abnehmen gibt es kein Mittleres: entweder man nimmt zu im Glauben und in der Heiligung oder man nimmt eben ab.

Wer aber Fortschritte machen möchte, der wird das in allen Bereichen praktizieren müssen. Die Kraft des Glaubens wird sich nur in der ganzen Vielfalt des Lebens erwiesen. Sie wird sich auswirken in Familie und Beruf, aber auch bei den gesellschaftlichen Aufgaben und überhaupt im Miteinander mit anderen Menschen.

Paulus greift aber hier nur das Eheleben und das Geschäftsleben heraus. Heiligung ist nicht nur eine innerliche Einstellung, sondern sie hat mit unserem Leib zu tun. Das zeigt sich auch besonders in den Beziehungen zwischen Mann und Frau. Allerdings wollen wir nun nicht wieder in den alten Fehler der Kirche verfallen, die Heiligung nur auf den sexuellen Bereich zu beziehen und als Sünde nur das zu bezeichnen, was mit dem sechsten Gebot zusammenhängt. Aber wir können auch nicht in das andere Extrem verfallen und eine völlige Freiheit befürworten. Paulus gibt uns hier sehr deutlich eine genaue Grenze an, über deren Verlauf keine Unsicherheit bestehen kann. Er sagt: „Jeder nur e i n e Frau, aber auch nicht zur Befriedigung irgendwelcher eigener Wünsche, sondern nur mit gegenseitiger Achtung und Liebe!“

Man kann aus manchen Gründen nach. einem Ehepartner suchen. Mancher Mann will nur eine Haushälterin haben, die ihn nichts kostet! Oder manches Mädchen will nur einen haben, der die Versorgung sicherstellt; Hauptsache es heiratet sie einer, ob sie ihn gern hat, ist eine andere Frage. Für manchen Mann in bedeutender Stellung mag es gesellschaftlich notwendig sein, verheiratet zu sein. Für manche Frau mag es eine Sache der Ehre sein, nicht zur alten Jungfer zu werden. Und so gibt es sicherlich manche Gründe.

Paulus führt noch die Begierde an, eine Sache, die wir heute wohl am besten mit „Besitzen­wollen“ umschreiben können. Wer begierig ist, der sagt nicht: „Ich will dir etwas schenken“, sondern er sagt: „Ich will etwas von dir haben!“ Er sagt nicht einmal: „Ich will dich haben“, sondern nur „etwas“ von dir. Besitzenwollen ist der Anfang dessen, was Paulus Unzucht nennt.

Dieser Haltung aber stellt Paulus die Heiligung und Ehrbarkeit gegenüber, modern ausgedrückt würden wir sagen „Partnerschaft“. Davon wird ja heute viel geredet. Aber echte Partnerschaft ist doch nur schwer zu verwirklichen. Nur allzu schnell denkt man in den Beziehungen zwischen Mann und Frau und Freund und Freundin doch wieder nur an sich selbst und nicht an den Partner.

Als Regel könnten wir uns merken: „Was Gott gefällt, das wird auch für den anderen gut sein!“ Wenn wir Gott achten und ehren, dann werden wir das auch bei dem Partner tun. Und umgedreht: Wenn wir dem Partner mit Liebe begegnen, dann geben wir damit auch Gott die Ehre.

Doch diese Regel bleibt notwendig allgemein. Es werden hier keine Statuten aufgestellt, die wir Punkt für Punkt zu halten hätten. Es soll ja auch unsere Freiheit erhalten bleiben. Und unsere menschlichen Moralvorstellungen müssen ja auch nicht enger sein als das, was Gott von uns erwartet.

Aber es wird uns damit auch eine große Verantwortung aufgebürdet. Wir dürfen den von uns geliebten Menschen nicht überfordern, nicht mehr von ihm wollen, als wir miteinander tragen und verantworten können. Das gilt vor der Ehe und in der Ehe und gilt auch in den Problemen, die viele Ehen belasten. Denken wir nur an die Fragen der ehelichen Treue, der Freizeitgestaltung, der Arbeitsverteilung, der Geburtenregelung - immer geht es darum, in dem anderen den Partner zu sehen und ihn mit Ehrerbietung zu behandeln.

Das gilt nun auch für den zweiten Bereich, den Paulus hier anspricht, für das Geschäftsleben. Die wenigsten von uns sind allerdings selbständiger Geschäftsmann. Und außerdem wird gerade denen sehr auf die Finger gesehen, daß sie niemanden übers Ohr hauen. Aber andererseits hat jeder von uns Gelegenheit, sich auf Kosten anderer einen Vorteil zu verschaffen.

Das fängt schon damit an, daß einer nicht das leistet, was er leicht leisten könnte. Die anderen mühen sich ab, aber er steckt das gleiche Geld mit ein, zum Beispiel wenn nur die Leistung einer ganzen. Gruppe vergütet wird. Aber noch deutlicher wird alles bei der Einstellung zum Allgemeineigentum. Da wird schnell einmal achtlos etwas beschädigt. Oder es wird mitgenommen, weil es ja allen gehört.

Mancher wird sagen: „Das machen doch alle so! Schließlich muß jeder sehen, wo er bleibt“ Sind die Ermahnungen des Paulus nicht weltfremd? Aber was sich einer unter den Nagel reißt, das hat er anderen entzogen. Damit aber ist die Partnerschaft verletzt, auch wenn man gar nicht weiß, wer der andere Partner ist. Profitsucht in welcher Form auch immer ist unchristlich. Als Christen sollten wir uns nicht an solchen Erscheinungen unseres heutigen Wirtschaftslebens beteiligen und uns als „Heilige“ erweisen.

Gott mit unserer Lebensführung die Ehre geben, das ist unser Ziel. Es gilt nicht nur im Ehe- und Wirtschaftsleben, sondern auch für Freizeit, gesellschaftliche Funktionen, in der Erziehung, beim Altwerden und noch in vielen anderen Bereichen. Heute haben wir nur einmal zwei Beispiele herausgegriffen. Aber wir wissen, daß unser ganzes Leben Zeugnis für Gott ist. Wir gehören zu Gott. Da soll das auch in unserem ganzen Leben zum Ausdruck kommen.

 

 

Epheser

 

 

Eph 2, 4 – 10 (11. Sonntag nach Trinitatis):

Von einem Fernsehturm herab kann man gut der Großstadtverkehr beobachten: Die Autos werden wie von Geisterhand angehalten und fahren wieder los. Die Straßenbahnen, Busse und. Eisenbahnzüge fahren wie in einem Spielzeugland. Die einzelnen Menschen sind kaum noch zu erkennen. Wenn man das so sieht, kann man schon der Meinung sein: „Dieses pulsierende Leben ist schön, da sieht man gerne zu!“

Aber wenn man sich zur Feierabendzeit durch diesen Verkehr quälen muß, dann ist das weniger schön. Es kommt eben auf die Sichtweise an, die man hat. Das gilt auch für dieser Abschritt aus dem Epheserbrief. In diese mächtigen Sätze ist fast alles hineingepackt, was über das Heil in Jesus Christus zu sagen ist. Sie sind gesprochen, wie wenn, man aus dem Himmel auf die Erde blickt.

Es wird ja sogar gesagt, in Jesus Christus seien die Christen schon in den Himmel versetzt. Doch das ist natürlich nicht räumlich gemeint, so als könnte man wirklich vor irgendwo oben auf die Welt herabsehen. Es geht vielmehr um eine Machtverleihung: Wer zu Christus gehört, erhält Anteil an seiner Kraft und an seiner Herrschaft über die widergöttlichen Mächte. Er lebt in dieser Welt schon so, daß er nicht mehr v o n dieser Welt ist.

Doch die heidnischen Nachbarn und Kollegen von damals und von heute würden sicher mit dem Kopf schütteln: „Wir sollen tot sein in unsren Sünden? Wir sind doch lebendig und kräftig, wir denken noch nicht ans Sterben!“ Und vielleicht würden sie noch hinzufügen: „Seitdem du dich zu diesen komischen Christen hältst und zu ihren Versammlungen gehst, bist du so seltsam geworden. Immer habt ihr es mit dem Tod und dem Leben, dazu noch mit einem Leben, das nicht zu Ende geht!“ Es kommt eben auch hier auf die Sichtweise an.

Nun läßt sich allerdings nicht leugnen, daß wir in einer Welt der Sünde leben. Kurz vorher ist von den „Lüsten des Fleisches“ die Rede. Das könnte den Verdacht nahelegen, als gehe es hier nur gegen die damals wie heute verbreitete Unsittlichkeit. Aber es gibt heute viel abscheulichere Sünden: Da werden Tausende vor Menschen gefoltert und umgebracht, aber eine große Sportveranstaltung findet dennoch dort statt. Da hungern täglich Millionen vor Menschen, aber eine neue wirtschaftliche Ordnung der Welt verstößt gegen unsere Interessen, weil wir dann wirklich teilen müßten mit den Armen der Welt.

Auch heute gibt es Menschenverachtung und mangelndes Verständnis. Aber wir meinen, nichts daran ändern zu können, weil wir selber nur ganz kleine Räder im Getriebe sind und selber mit geschoben werden. Unkontrollierbare Mächte herrschen über uns und andere und lassen nicht zu, was wir eigentlich möchten. So wird unser Leben gnadenlos zerstört, aber wir selber tragen auch mit zu dieser Zerstörung bei. Und das ist es, was wir heute „Sünde“ nennen müssen.

Hier im Epheserbrief aber wird das Lied vor Menschen aufgenommen, die sich bereits in der Vollendung wissen. Sie haben nach ihrer Meinung die Übertretungen hinter sich gelassen und rühmen sich ihrer Rettung. Sie haben ihre Wahl getroffen und fühlen sich ins Himmlische versetzt. Wir kennen solche Menschen, die so fest im Glauben zu sein scheinen, daß wir nur vor Neid und Ehrfurcht er blassen können. Alle Lebensprobleme, aller Druck von außen, alle Unglücksfälle scheinen ihnen nichts anhaben zu können. Und wir fragen uns nur: „Ist das wirklich echt, dieses Lebensgefühl, und diese Glaubensgewißheit, oder hat man sich da nur in etwas hineingesteigert, das durch die Wirklichkeit nicht gedeckt wird?“

Durch Christus ist uns der Weg über das Hier und Heute hinaus schon gewiesen. Aber sind wir damit schon über das Heute hinweg? Christliches Leben ist nicht ein Schweben in irgendwelchen erträumten Himmeln. Viele werden einfach leugnen, daß es einen solchen Himmel gibt. Was nicht im irdischen Leben geschieht, ereignet sich überhaupt nicht. Leiden und Tod müssen gelassen oder mit zusammengebissenen Zähnen hingenommen werden; aber jede Hoffnung, die über dieses Leben hinausreichen soll, ist eine Einbildung. So ist doch die nüchterne Einstellung vieler Menschen.

Daß wir nicht im Himmel sind, daran kann uns schon ein ganz gewöhnlicher Zahnschmerz erinnern. Durch unsere Leiden werden wir immer wieder auf die Erde heruntergeholt. Gott will das auch so, durch Schwachheit und Schande will er zum Zug kommen, die Erniedrigung gehört mit dazu. Der Epheserbrief will uns nicht einreden, daß wir das alte Leben schon hinter uns hätten und die Grenze zur Welt Gottes schon überschritten hätten. Sonst brauchte er keine Mahnungen auszusprechen oder vom Kampf gegen die arglistigen Machenschaften des Teufels zu reden.

Dennoch gilt, daß wir mit und in Christus schon ins Himmlische versetzt sind. Wir dürfen „irdisch noch, schon himmlisch sein!“ Wir sind nicht nur der alte Mensch, sondern zugleich neue Kreatur. Deshalb können wir uns glücklich schätzen.

So werden wir angeleitet, uns selbst von einer anderen Seite her. zu sehen. Wir sind nicht immer nur die Versager und Verlierer, an denen der Zweifel nagt und die immer wieder von Unsicherheit überfallen werden. Hier wird uns vielmehr Mut gemacht, es mit Gott zu wagen und immer wieder neue Hoffnung zu empfangen. Schwachheit ist nicht das schlechteste Kennzeichen eines Christen und der Kirche. Nur darf man sie nicht mutlos als gegeben hinnehmen, sondern als Hinweis darauf, daß wir immer auf unsren Herrn angewiesen sein werden.

Vergessen wir also nicht: Daß wir neue Menschen sein dürfen, verdanken wir allein unserem Herrn. Dieser Abschnitt ist wie ein Stück aus dem Gottesdienst, wo ein Sprecher zweimal dazwischenruft: „Durch Gnade seid ihr gerettet!“ Es ist nicht selbstverständlich und normal, daß man sich bei Gott zu Hause wissen darf. Gerettet wird man nicht durch Taufe, Kirchenmitgliedschaft, besondere Frömmigkeit oder eine bestimmte Erkenntnis. Gerettet wird man auch nicht, weil man ein besonders edler oder anständiger Mensch wäre. Es ist ein reines Wunder, daß Gott sich über uns erbarmt hat.

Aber weil alles an ihm hängt, ist es auch sicher. An der Rettung kann nun niemand mehr etwas ändern. Die Taufe ist etwas Unauslöschliches und Unwiderrufliches. Sie wurde uns geschenkt, ohne daß wir ein Gegen-Geschenk dafür geben mußten. Manchmal wollen wir das gar nicht, möchten doch wenigstens ein kleines Entgelt geben können. Aber das geht nun einmal nicht. „Was nichts kostet, taugt nichts!“ Das mag für Einkäufe gelten. Bei Gott aber geht es nicht um billigen Ramsch: Er hat alles allein getan, unser Bemühen hat dabei keine Rolle gespielt.

Dennoch ist am Schluß des Abschnitts wieder von den „guten Werken“ die Rede. Zunächst heißt es „Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, daß sich nicht jemand rühme!“ Es wird deutlich gemacht, daß nur Gott seine Werke vollbringt, zum Bernspiel indem er die Menschen geschaffen hat. Aber wozu hat er sie geschaffen? Zu guten Werken! Doch diese Werke sind auch wiederum nicht unser Verdienst, sondern Gott hat sie für uns vorbereitet, so daß wir nur noch den vorgezeichneten Linien zu folgen brauchen.

Wenn einer hier zum Gottesdienst käme, der wenig oder gar keine Beziehung zum christlichen Glauben hat, der wird doch sagen: „Das soll mal einer verstehen. Erst heißt es: So dürft ihr es nicht verstehen, aber so auch wieder nicht! Alles ist Gnade, aber wenn ihr das endlich begriffen habt, dann sollt ihr doch wieder etwas tun. Wer soll da denn noch mitkommen, das kann doch kein Mensch verstehen und begreifen!“ Aber es ist nun einmal so, beim Glauben gibt es oft dieses „Sowohl als auch“.

Wer mit Christus in den Himmel versetzt ist, darf sich nicht dem Leben in dieser Welt entfremden und schon in künftigen Seligkeiten schwelgen. Manche Begräbnislieder gehen in diese Richtung, etwa „Jerusalem, du hochgebaute Stadt!“ Haben wir denn wirklich solches Verlangen nach dem himmlischer Jerusalem? Eilt unser „sehnend Herz“ wirklich so gern aus dieser Welt? Es ist schon etwas Richtiges dran an diesem Lied, aber man muß auch immer die andere Seite sehen: Es geht ja um die Welt, in die Christus gekommen ist, um in ihr zu. wirken und sich ihrer anzunehmen; da können wir doch nicht weltfern und gleichgültig werden, um nur ungestört mit Christus verbunden zu sein. Die himmlische Seligkeit sollte sich vielmehr in entschlossenem Tun auswirken. Wenn das nicht geschieht, dann glauben wir Gott nicht das Neusein in Christus und nehmen seine Zukunft nicht ernst.

Aber was sollen und können wir denn tun? Wir brauchen keine neuen Erkenntnisse und Taten zu erfinden, sondern wir brauchen sie nur zu entdecken. Gott hat alles schon vorbereitet. Wir brauchen nur zu. tun, was uns vor die Hand kommt. Aus unsrem Zusammenleben und den Begegnungen mit anderen Menschen, aus dem was wir von ihnen sehen und hören, ergibt sich doch so vieles an notwendigem Rat und notwendiger Hilfe.

Wo wir selbst nicht allein raten und helfen können, da können wir uns mit anderen zusam­men­tun. Vor allem aber sollten wir der Hilfe Gottes gewiß sein. Wir sind sein Werk und tun sein Werk. Wir brauchen uns nur von seinem Denken und von seiner Hingabe tragen zu lassen. Dann wird alles leicht.

Wir könnten uns noch einmal an den Anfang des Abschnitts erinnern. Da heißt es: „Aber Gott, der reich ist an Erbarmen!“ Wir haben in den kommenden Tagen viele Dinge zu tun und zu erledigen, wir werden getrieben und müssen Aufträge erledigen, wir haben Pflichten und Strapazen. Aber gelegentlich könnten wir doch einmal sagen: „Aber Gott...!“ Das wird uns über Vieles hinweghelfen und auch die Aufgaben zeigen, die vor uns liegen.

 

 

Eph 2, 17-22 (2. Sonntag nach Trinitatis):

Katholische Kirchen sind in der Regel jeden Tag offen für Menschen, die einen Ort der Stille und des Gebets suchen, aber auch für Kunstinteressierte und Touristen. Evangelische Kirchen dagegen sind an Werktagen meist sorgfältig verschlossen. Angeblich fürchtet man Zerstörungswut und Diebstahl oder daß sich Obdachlose dort einnisten. Aber damit wird auch den anderen der Zugang unmöglich gemacht, nicht nur der Zugang zum Kirchengebäude, sondern auch oft der Zugang zur Gemeinde. Nur am Sonntag kann man für eine kurze Zeit in die Kirche. Aber da muß man im Grunde auch selber dazugehören.

Aber auch i n der Kirche ist der Zugang oft erschwert. In den Bänken sitzen die, die immer dort sitzen. Man kennt sich zum Teil, begrüßt sich, spricht miteinander vor oder nach dem Gottesdienst. Wer da als Fremder dazukommt, hat es schwer. Vielleicht ist er vor einiger Zeit zugezogen und möchte auch in der Kirchengemeinde Anschluß finden. Er fällt den anderen auf, aber keiner wendet sich ihm zu.

So ist sie eben, die evangelische Kirche. In den Freikirchen ist das anders. Wenn da einer neu kommt oder mitgebracht wird, da stürzen sich alle auf ihn, wollen ihn einbeziehen und zum Wiederkommen einladen. Manche dieser Gruppen sind den ganzen Sonntag zusammen und können vor allem einsame Menschen an sich binden. Deshalb haben sie in gewissem Sinne eine Daseinsberechtigung.

Aber es muß auch das andere geben, denke ich: die Kirchengemeinde, wie wir sie kennen. Viele Menschen wollen nicht gleich vereinnahmt werden, sondern sich erst einmal unverbindlich nähern. Für sie sollte die Kirche da sein. Sie sollten auf empfangsbereite Gemeindeglieder treffen und auch selber sich für neue Kontakte öffnen. Beide Seiten müssen aber aufeinander zugehen. Es liegt nicht nur an dem Eingeladenen, wenn er nicht mehr wiederkommen will.

Im Tempel von Jerusalem gab es eine Absperrung, die den inneren Tempelbezirk für die Nicht-Juden sperrte. Eine griechische und lateinische Warntafel bedrohte den Fremden mit dem Tod, wenn er die Absperrung überschritt. Er wurde in die Wohnung Gottes einfach nicht vorgelassen, Gott war für ihn nicht zu sprechen. Paulus wurde deshalb verhaftet, weil er angeblich einen Griechen in den Bereich des Heiligen eingeschleust und damit den Tempel entweiht hatte.

Der Epheserbrief aber sagt uns: Christus hat Frieden gebracht und das Getrennte vereint. Er gibt uns ein Zuhause bei Gott. Aber er macht uns auch zur Wohnung für Gott.

 

(1.) Christus gibt uns ein Zuhause bei Gott: „In der Kirche hat nicht alles Platz, aber es haben alle Platz in ihr". Das heißt: Nicht jeder Gedanke, nicht jede Erscheinungsform, nicht jedes Ziel kann gut geheißen werden. Was dem Willen Gottes widerspricht, hat in der Kirche nichts zu suchen. Aber jeder Mensch darf in der Kirche sein, selbst wenn er falsche Ideen vertritt. Jeder Mensch darf auch einmal irren, wenn er sich nur wieder auf den richtigen Weg bringen läßt.

Zur Zeit des Epheserbriefs ging es immer noch um den Konflikt zwischen ehemaligen Juden in der Gemeinde und den anderen, die ohne den Umweg über das Judentum zur Gemeinde gestoßen waren, also um den Gegensatz zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Vielleicht ist dieser Bibelabschnitt ein Teil einer Taufpredigt: „Jetzt seid ihr nicht mehr Gäste und Fremde, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ Und das gilt für beide Seiten: für die, die schon immer dazugehörten, und für die, die erst ganz neu hinzugekommen sind.

Auch heute ist der Lebens- und Frömmigkeitsstil in der Kirche unterschiedlich. Aber die Kirche wird nicht dadurch zur Einheit, daß man sie „auf Vordermann bringt“, also einem gemeinsamen Gesetz unterwirft. Die politischen Parteien wollen das immer, daß die Partei nach außen geschlossen auftritt. Irgendwelche Abweichler werden nur schwer geduldet, auch wenn sie durchaus vernünftige Ideen haben.

In der Kirche aber schließt uns Christus nicht zusammen durch die Anwendung von Gesetzen, sondern durch die Beseitigung des Gesetzes. Es gibt keinen Fraktionszwang, sondern Freiheit, allerdings noch einmal gesagt: nicht für alles, aber für alle.

Jetzt muß niemand mehr sein Ansehen vor Gott durch seine eigene Leistung erringen. Wir brauchen nicht untereinander in einen Konkurrenzkampf zu treten und immer nur darauf zu sehen, wie wir dem anderen ein Stück voraus sein können. Wir brauchen nicht Mißtrauen und Feindschaft zu haben, weil der andere mehr Erfolg und größeres Ansehen hat.

Unter den Menschen gibt es Sieger und Besiegte, Erfolgreiche und Zukurzgekommene. Gott aber fragt nicht nach Erfolg und Leistung. Die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, die sind seinem Reich noch am nächsten. Er ist für die Sünder da. Bei Gott ist angenommen, wer sich von ihm retten läßt.

In der Kirche sind die ehemaligen Heiden nicht mehr benachteiligt, sondern genießen die gleiche Rechte wie das alte Gottesvolk. In der Taufe haben alle den „einen Geist“ empfangen. Ja, selbst wer noch nicht getauft ist, kann in die Kirche kommen und sich an ihrem Leben beteiligen. Sie sind nicht nur geduldet, sondern gehören dazu.

Wir sind die „Hausgenossen“ Gottes, also alle Mitglieder einer großen Familie. Vielleicht lassen unsre Gemeinden davon manchmal wenig erkennen. Aber wir sind immer mehr, als wir darstellen. Das entbindet uns allerdings nicht von der Aufgabe, die sichtbaren und unsichtbaren Zäune in der Kirche abzureißen.

Das fängt schon bei den baulichen Vorgaben der Kirche an. Unsre Söhne sind an Kirchen tätig, wo der Altar ganz weit weg von der Gemeinde ist. Ich habe ihnen dringend geraten, entweder die Gemeinde nur im Chorraum der Kirche zu versammeln oder einen Tisch an die Stufen zum Chorraum zu stellen und von dort mit dem Gesicht zur Gemeinde den Gottesdienst zu halten.

Doch wichtiger als solche äußerlichen Hindernisse sind die inneren. Hier müssen wir uns vielleicht doch andere Umgangsformen angewöhnen, daß neue Interessenten spüren, daß sie bei uns willkommen sind. Am ehesten wird uns das vielleicht gelingen, wenn wir selber uns nicht nur ins Gotteshaus begeben, sondern in einem übertragenen Sinn zur Wohnung für Gott werden.

 

(2.) Christus macht uns zur Wohnung für Gott: Die ihr Zuhause bei Gott gefunden haben, werden selbst zur „Behausung" für Gott. Christus hat Frieden gemacht, hat das Getrennte vereint, das Oben und Unten und das Links und Rechts vereint. So wächst ein Bau heran, der aus Menschen besteht, aber eine „Wohnung Gottes im Geist“ ist. Im 1. Korintherbrief wird dafür das Bild vom „Leib Christi“ verwendet. Hier im Epheserbrief wird der Vergleich mit einem Gebäude gezogen. Die einzelnen Bauteile fügen in ihm fest zusammen und werden unlöslich miteinander verbunden. Sie tragen sich untereinander und stützen sich und bilden nach einem sinnvollen Plan miteinander ein Ganzes. Der einzelne Baustein ist so gut wie nichts. Nur im Verband des Mauerwerks wird er getragen und trägt auch selber.

So wird man auch durch die Taufe eingefügt in den großen Bau der Kirche. Man wird in sie einverleibt, in einem freundlichen und guten Sinne. Man kann sich nicht von ihrer Geschichte lossagen, auch nicht von ihren Fehlern und Schwächen. Aber man kann das Heil nicht irgendwo finden, man findet es nur in ihr. Wer Christ sein will, braucht die Kirche.

Es geht also nicht darum, daß ich als Einzelner in der Kirche meine religiöse Erbauung finde, sondern ich werde immer auch mit hineingenommen in eine größere Gemeinschaft. Der Friede Gottes will persönlich angenommen und konkret gelebt werden. Die Freiheit der Entscheidung wird niemandem vorenthalten, aber die Notwendigkeit der Entscheidung wird niemandem abgenommen.

Ich m u ß nicht zur Gemeinde gehören. Aber wenn ich mich in den Bau einfügen lasse, dann entscheide ich darüber, ob ich am Frieden Christi teilhabe. Gott jedenfalls macht die Türen weit auf, damit alle zu ihm kommen können.

Bleiben wir noch etwas bei dem Bild: Der Bau der Kirche hat ein Fundament, die Apostel und Propheten. Die einen sind die Überlieferer der Botschaft, die anderen legen sie aus. Beide aber verweisen auf Christus als den allein tragenden Grund der Kirche. Er ist aber nicht nur der Grund, sondern auch der Schlußstein, der den Bögen und Kuppeln einen Halt gibt, wie wir es auch in unsrer Kirche sehen können.

In diesem Gebäude ist Gott gegenwärtig. Deshalb sollte man ihn auch am Werktag dort besuchen können. Der kleine Fritz wollte das einmal tun. Der Vater hatte ihm bei einem Gang durch den Ort erklärt, wer in den einzelnen Häusern wohnt. Als sie an die Kirche kamen, hatte der Vater gesagt: „Da wohnt der liebe Gott!“ Am Samstag wollte Fritz einmal dem lieben Gott einen Besuch abstatten. Als er zu spät zum Mittagessen kam, fragte ihn die Mutter: „Wo warst du denn?“ Fritz antwortet er: „Ich war beim lieben Gott. Aber er war nicht zu Hause, und sie machte gerade sauber!“

Nein, Fritz, Gott ist immer da. Er ist auch anderswo zu finden, wir können überall mit ihm in Verbindung treten. Aber in der Kirche ist er auf besondere Art und Weise gegenwärtig. Anderswo ist er nur da, in der Kirche ist er „für uns“ da, mit seinem Wort, mit Taufe und Abend­mahl. Indem wir sie aufnehmen, wohnt Gott in uns.

Die Kirche ist schon etwas Besonderes, etwas Heiliges. Das dürfen wir denen draußen nicht verschweigen. Aber sie hat offene Türen. Es ist schon eine Schwelle zu überschreiten. Aber die Schranke ist weg. Der in der Kirche wohnt, heißt jeden willkommen, der zu ihm kommen will. Tun wir es doch auch!

 

 

Eph 3, 2 - 3a und 5 - 6 (Epiphanias):

Im Fernsehen wurde einmal ein Gottesdienst übertragen, in dem es um die Liebe zu allen Menschen ging. Und das wurde vor allem bezogen auf Juden und Moslems. Die Grundaussage war: In allen Religionen, die sich unter anderem auf Abraham berufen, steckt ein Kern Wahrheit. Im Grunde ist es gleichgültig, welcher Religion man angehört, am Ende finden doch alle zu dem gleichen Gott. Und das hörte sich so an, als gäbe es hinter den drei Göttern dieser Religionen noch so einen Obergott, zu dem man auf verschiedenen Wegen gelangen kann.

Natürlich werden wir keinem Angehörigen einer anderen Religion einen ehrlichen Glauben absprechen. Und wenn er dann noch nach den Vorschriften seiner Religion lebt, ist das erst

einmal in Ordnung. Ein Katholik oder ein Jude oder ein Moslem sollte uns lieber sein als einer, der gar nichts glaubt oder sogar aktiv gegen Gott kämpft.

Aber man kann das doch nicht alles vermischen. Äußerer Ausdruck dafür waren in dem Gottesdienst drei Kerzen, die einen Judenstern, ein Kreuz und einen Halbmond zeigten. Man stelle sich einmal vor, in einer Moschee würde auch ein Kreuz aufgestellt. Manche Mitbürger meinen ja sogar, im katholischen Bayern dürften keine Kreuze in der Schule hängen. Also so weit geht die Liebe doch nicht.

In dem Theaterstück „Nathan der Weise“ hat Lessing in der sogenannten „Ringparabel“ dargestellt, wie ein Christ, ein Jude und ein Moslem nicht mehr den echten Ring herausfinden können. Lessing meint sogar, der echte Ring sei verlorengegangen, jetzt müßte man sich mit den drei Ersatzringen zufriedengeben. Das war ein Ergebnis der Zeit der Aufklärung, in der man sich frei machen wollte von den Fesseln der konkreten Religionen und nur der Vernunft

verpflichtet sein wollte. Vor allem aber forderte man Toleranz gegenüber Andersdenkenden

eine, also eine Duldsamkeit gegenüber jeder Überzeugung.

Natürlich werden wir als Christen diese Toleranz gegenüber jedem Juden oder Moslem oder auch einem Anhänger einer anderen Religion haben. Sogar gegenüber einem Gleichgültigen oder einem aktiven Gottesgegner werden wir duldsam sein. Aber es geht doch auch um die Wahrheit. Wir können unseren Glauben doch nicht auf eine Stufe stellen mit anderen mit anderen Religionen, sondern wir sind doch der richtigen Überzeugung, den allein wahren Glauben zu haben.

Doch da gibt es den Einwand: „Das behaupten doch alle von sich! Wo ist denn da die absolute Wahrheit, die Wahrheit über allen Wahrheiten dieser Welt?“ Der Epheserbrief hat dafür eine sehr einfache Antwort: Es gibt ein Geheimnis Gottes, aber dieses ist durch Jesus aller Welt offengelegt worden.

 

(1.) Die Offenbarung des Verborgenen: Wer Gott ist und was er tut, das ist ein Geheimnis. Das ist schwer für unser Denken, weil wir doch meinen, unserem Erkenntnisdrang werde keine Grenze gesetzt. Die Welt ist erkennbar. Aber nun soll es da einen Bereich geben, der nicht mehr erkennbar ist? Das ist für einen modernen Menschen schwer anzuerkennen.

Im Altertum hat man versucht, durch sogenannte Mysterienkulte die Verbindung zwischen Gott und den Menschen herzustellen. Bei uns war zur Römerzeit die Mithrasreligion sehr beliebt. Da wurde über einer Grube ein Stier geschlachtet und sein Blut lief dann über den, der neu aufgenommen werden sollte und in der Grube hockte. Durch diese Handlung wurde er angeblich vergöttlicht.

Wie anders ist dagegen das Heilsprogramm, das der Epheserbrief hier beschreibt: Schon ehe die Welt gegründet wurde, sind wir von Christus erwählt und dazu bestimmt, Gottes Kinder zu sein. Geworden sind wir es durch Jesus, der in unsere Welt gekommen ist. In ihm sind jetzt alle vereinigt, die ganze Welt ist sein Wirkungsfeld. Wir sind darin ein bezogen und lassen unser Leben von dorther bestimmen.

Natürlich kann man fragen, weshalb Gott erst durch Jesus das mitgeteilt hat. Aber hier hat keiner ein Recht, Gott steht uns nicht nach Belieben zur Verfügung. Aber wir dürfen doch froh sein, daß es jetzt geschehen ist, daß er in seiner Freiheit uns beschenkt hat, wann und wo er will. Das Geheimnis Gottes ist nicht eine ewige Wahrheit, die man immer wieder wie einen mathematischen Lehrsatz aufzeigen kann, sondern es ist ein Rettungsplan, den er in der Geschichte verwirklicht hat.

Mit dem Kommen Jesu Christi verwirklicht Gott seinen in der Tiefe seines Herzens längst beschlossenen Plan, seine verlorene Welt wieder zu sich heimzuholen. In Christus ergreift

Gott wieder Besitz von der Welt, die ihm verlorengegangen ist. Wenn man begreift, was Gott

getan hat und noch tun wird, dann sieht man sich selbst und die Welt mit neuen Augen an. Und dann weiß man auch, was unseren Glauben von all den anderen Religionen unterscheidet.

Natürlich wird auch uns immer unser Versagen vorgeworfen. Beliebtes Beispiel sind die Kreuzzüge. Aber das ist Geschichte, abgesehen vielleicht von dem Denken einiger Leute, die eine ganz spezielle Form des Christentums vertreten. Aber christliche Lehre ist zum Beispiel: „Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen!“ Wir sind gegen die Todesstrafe, egal aus welchen Gründen sie verhängt wird. Wir sind auch gegen Selbstmordattentate, die nach dem Koran angeblich verboten sein sollen. Aber es ist nun einmal Tatsache, daß sie sich nur im islamischen Bereich ereignen. An den praktischen Auswirkungen sieht man schon Unterscheide zwischen den Religionen.

 

(2.) Der Auftrag zum Weitersagen: Wenn wir aber den allein richtigen Glauben haben, dann sind wir auch verpflichtet, ihn allen Menschen zu bringen. Wenn man etwas weiß, dann darf man es nicht für sich behalten, so wie ein Forscher oder Künstler, der eifersüchtig über seine Urheberrechte wacht. Was wir wissen, ist Eigentum der ganzen Menschheit. Aus dem Wissen ergibt sich automatisch der Auftrag, es zu allen Menschen weiterzutragen.

Gestern war ja der Epiphaniastag, das Christfest der östlichen Kirchen. Vielleicht kenne Sie griechische Nachbarn, die unser Weihnachtsfest mitgefeiert haben, aber auch ihr Fest am 6. Januar feiern. Das ist an sich auch richtig, denn Weihnachten ist mit dem zweiten Feiertag nicht zu Ende, sondern der Weihnachtsfestkreis geht bis zum 2. Januar, unter den Katholiken bekannt als „Mariae Lichtmeß“.

Aber an sich ist an jedem Tag im Jahr Weihnachten. Dann sollen wir das tun, was die Weisen

aus dem Morgenland und die Hirten getan haben, nämlich die Botschaft sofort weiter zu sagen. Es ist sicher auch jahreszeitlich bedingt, daß man sich an Weihnachten in die eigenen vier Wände zurückzieht, daß man „unter sich“ sein will und ganz „auf Familie“ macht. Aber es ist auch unsere Aufgabe, die Stalltür zu öffnen, so wie das auf vielen Weihnachtsbildern dargestellt ist: Da sieht man auf die Landschaft hinaus und damit im Grunde in die Welt hinein. Es geht nicht um das eigene Genießen, sondern wenn einem etwas klargeworden ist, dann setzt man sich in Bewegung, um auch andere daran teilhaben zu lassen. Als einer, der das Bekannte mit neuen Augen sieht, ist es unsere Aufgabe, alle mit einzubeziehen. Denn wie soll man zum Glauben kommen, wenn die frohe Botschaft einem nicht vorher gesagt worden ist?

Deshalb brauchen wir kein unerträgliches Überlegenheitsgefühl zu haben. Aber es ist nun

einmal so, daß wir als Christen unmittelbaren Zugang zu Gott haben durch den Glauben an

Christus. Wir brauchen aber nicht zu erklären, wie froh wir darüber sind, ein evangelischer Christ geworden zu sein, um dann die Fehler der anderen aufzuzählen. Auch die Bezeichnung „Heiden“ ist für uns heute natürlich abwertend. Doch im Altertum war damit einfach „Volk“ gemeint, bestenfalls noch „Ausländer“. Und denen gegenüber geschieht ja nun das Überraschende im Epheserbrief: Sie sind jetzt „Miterben“ und gehören mit zu seinem Leib und sind „Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus“.

Um sie zu erreichen, brauchen wir es ja nicht so zu machen wie die Firmen am Ausgang eines Super-Marktes, die einem zu einer Unterschrift verleiten, aber das Kleingedruckte kann man erst zuhause mit der Lupe lesen. Christliche Mission kann nicht aggressiv sein oder mit unerwünschten Emails oder Telefonanrufen einhergehen. Es wird ja auch immer von den Christen verlangt, sie sollten auf eine Mission unter den Juden verzichten.

Aber wenn ein Jude oder Moslem kommt und möchte ein Christ werden, dann werde ich ihn doch nicht abweisen mit der Bemerkung: „Ich darf dich nicht abwerben. Du kannst auch mit deiner bisherigen Religion selig werden!“ Nur bis er kommt, da müssen wir ihm unseren Glauben erst einmal schmackhaft gemacht haben.

Dazu gehört zum Beispiel, daß wir zum Gottesdienst gehen. Nicht nur die Moslems gehen zum Freitagsgebet, sondern auch für einen Christen ist der Gottesdienst an sich selbstverständlich. Dazu muß er allerdings anziehend sein. Dazu gehört auch, daß wir uns untereinander einig sind. Es ist nun einmal so, daß eine Organisation nur dann anziehend ist, wenn sie sich nach außen einig darstellt. An sich ist es gut, wenn man miteinander um den richtigen Weg streitet, wenn sich alle bemühen, die beste Lösung zu finden. Das ist demokratisch und nicht ehrenrührig. Aber am Ende muß man sich wieder einig sein

Man kann auch in der Predigt gelegentlich sagen: „Vielleicht“ oder „Das könnte so sein“. Damit will man nur zum Nachdenken anregen und dem Zuhörer die eigene Entscheidung überlassen. Aber manche meinen, damit verunsichere man die Gemeinde, man müsse genau und eindeutig sagen, wo es langgeht. Heute aber wird niemand verunsichert, heute heißt es eindeutig: „Unser Glaube ist der allein richtige!“ Das behauptet zwar jede Religion von sich. Aber da ist doch wohl ein Unterschied zwischen einer Religion, die auf einen Religionsstifter zurückgeht und der göttlichen Offenbarung. Diese allen Menschen unserer Umgebung bekannt zu machen, ist unsere Aufgabe auch im neuen Jahr. Wir können das tun mit einem stillen Vorbild, aber auch mit dem gesprochenen Wort. Uns ist ein Geheimnis anvertraut, aber es soll nicht Geheimnis bleiben.

 

 

Eph 3, 14-21 (Exaudi):

Jetzt haben wir wieder einen Jahrgang aus der Kirche „hinauskonfirmiert“. Am nächsten Sonntag kommen die „Neuen“, aber bei denen wird es auch nicht anders sein. Ein Jahr lang gingen sie jede Woche zur Konfirmandenstunde und vielfach auch zum Gottesdienst. Aber dann ist auf einmal keine Zeit mehr, da muß man sich ausschlafen oder man ist im Internet unterwegs. Das ist seit Jahrzehnten wie so ein ehernes Gesetz, wer wird es schon ändern können: Jetzt sind wir fast erwachsen, jetzt brauchen wir nicht mehr!

Früher mußten auch die Konfirmierten zwei Jahre lang im Gottesdienst die Katechismus­stücke aufsagen. Aber schon die Oma sagte: „Die lernen ja nicht einmal mehr die fünf Hauptstücke des Katechismus!“ Um 1950 hat noch man noch sehr viel auswendig gelernt. Mit der Zeit wurde es immer weniger. Und heute ist so etwas von Seiten der Kirche verboten, es gibt keine „Konfirmandenprüfung“ im alten Sinne mehr. Was nützt es denn, wenn im Unterricht zwar alles schön erklärt und besprochen wird, aber die sogenannte „Prüfung“ in der Kirche bestand dann doch wieder nur aus Aufsagen mit den einleitenden Worten: „Wir wollen der Gemeinde einmal zeigen, was wir gelernt haben!“

Es ist doch wichtiger, daß man nicht nur aufsagt, sondern auch etwas verstanden hat von dem, was unseren Glauben ausmacht. Es ist doch eher eine „Prüfung“, wenn die Konfirmanden mit eigenen Worten aufsagen sollen, was zum Beispiel die Taufe bedeutet oder wie sich die biblischen Erzählungen von der Schöpfung zu den heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verhalten. Das ist schwerer als das Aufsagen von Lernstoff. Natürlich muß man Fragen und Antworten vorher noch einmal mit den Konfirmanden durchsprechen, aber keiner sollte dann wissen, womit er drankommt. Und so ganz nebenbei werden auch die Eltern und anderen Verwandten noch etwas dabei lernen.

Man braucht schon so etwas wie ein Grundwissen, um ein Grundverständnis zu gewinnen. Aber ausgelernt hat man auf diesem Gebiet nie. Deshalb betet der Verfasser des Epheserbriefs auch um sich vertiefende und ausweitende Christuserkenntnis. Er hat die Sorge, die Neugewonnen könnten die rechte Glaubenserkenntnis und Glaubenspraxis verfehlen.

Die Briefempfänger werden zu einem bewußt kirchlichen Glauben zurückgerufen, der nicht vermischt ist mit modernen Lebensauffassungen wie Esoterik oder fernöstlichen Praktiken oder gar Aberglauben. Noch gefährlicher wäre es aber, daß sie bei so einer Art Minimalglauben stehen bleiben, einem Kinderglauben oder Konfirmandenglauben oder gar einem mißverstandenen Glauben.

 

Manche meinen ja, um Menschen für den Glauben zu gewinnen, müsse man ihn handlich und leicht zugänglich machen. So raten das ja die Soziologen der Kirche: Sie müsse mit ihren Anforderungen herunter gehen, sonst finde sie keinen Anklang, so wie die politischen Parteien, die sich nach den Umfragen richten.

Aber dann verflacht der Glaube leicht zu einer Allerweltswahrheit wie „Tue recht und scheue niemand“ oder „Ich erziehe meine Kinder zu anständigen Menschen!“ Wir haben ja auch gar nicht die Vollmacht, am Glauben Abstriche zu machen, denn die Botschaft ist uns ja von Gott aufgetragen, da können wir nichts verändern.

Der Epheserbrief zeigt uns einen anderen Weg: Hier wird nicht gelehrt, sondern gebetet. Was die Menschen sich erhoffen, dem ist nicht durch Lehrvorträge abzuhelfen, sondern allein dadurch, daß Gott etwas gibt. Deshalb wird der mehr theoretische Unterricht für die Konfirmanden ergänzt durch die Praxis im Gottesdienstbesuch. Sie sollen das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis ja nicht wie ein Gedicht auswendig lernen, sondern durch die ständige Übung.

Auch eine Konfirmandenrüstzeit ist da sehr hilfreich, wo dann ein Tischgebet gesprochen wird oder eine Abendandacht gehalten wird oder gar ein Gottesdienst vorbereitet wird. Vielleicht werden die Konfirmanden Vieles vergessen von dem, was sie theoretisch gelernt haben. Aber wenn sie sagen: „Das war eine schöne Zeit!“ dann ist schon sehr viel für die Zukunft gewonnen.

Zu Exaudi bittet die Gemeinde um den Geist Gottes, der ja damals erst an Pfingsten verliehen wurde. Die Gemeinde weiß, daß sie arm ist. Und das gilt nicht nur für Neubekehrte, die gewissermaßen noch etwas Nachhilfeunterricht brauchen. Es gilt grundsätzlich für das ganze Christenleben. Wir sind immer auf die christliche Praxis angewiesen, denn wir produzieren unser Heil nicht selbst, sondern wir empfangen es. Wie das geht, will dieser Bibeltext uns zeigen.

 

1.) Als Erstes geht es darum, daß Christus in unseren Herzen wohne: Die Gemeinde weiß um ihre Bedürftigkeit und Schwäche, um ihr Ungenügen und die Notwendigkeit der täglichen Umkehr. Sie ist sich nicht sicher, sondern auf Gott angewiesen.

Aber gerade deshalb hört sie nicht nur die Predigt, sondern betet auch, einer für den anderen und jeder für die ganze Gemeinde. Der innere Mensch kann nur erstarken, wenn Christus sich in den Herzen der Gemeindeglieder häuslich niederläßt. Insofern ist das Kindergebet gar nicht so schlecht: „Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein!“ Kinderglaube ist schon ganzer Glaube. Aber auch beim Erwachsenen soll Jesus in der Mitte der Person sein, wo alle Fäden zusammenlaufen. Der Christ gibt sich dabei gern in Gottes Hand, weil er sich im Einverständnis mit ihm weiß.

Dafür wird hier noch ein anderes Bild wird hier verwendet: „in der Liebe eingewurzelt und gegründet!“ Wurzeln halten den Baum, auch bei starkem Wind. Sie ernähren ihn und geben ihm alles, was er zum Leben braucht. Ohne Wurzeln kann er nicht existieren. Und man muß auf einem festen Boden stehen.

Dann weiß man aber auch: Christus ist in seinem Geben viel reicher als wir es von ihm an­nehmen können. Wir verstehen nicht alles, was er tut. Wir nehmen sogar das Meiste nicht einmal wahr, was er an uns tut. Aber er ist in seinem Schenken unerschöpflich und wartet nur darauf, daß er etwas mir zuliebe tun kann.

 

2.) Zweitens geht es darum, daß wir die Weite Christi erkennen. Er kam in die Wirklichkeit unseres Lebens und zieht uns in die Wirklichkeit seines Lebens. Er ist der Erste, der auferstanden ist, der Anfänger einer neuen Menschheit. Daß den neugewonnen Christen dies aufgeht, darauf ist das uns vorliegende Gebet gerichtet. Überall ist er als Heiland am Werk, er ist überall zu finden und anrufbar. So wie unser Handy überall Sendemasten findet, über die wir mit anderen in der ganzen Welt in Verbindung treten können, so ist auch Gott überall für uns empfangsbereit.

Während wir zunächst nur an den kleinen Raum unseres Herzens gedacht haben, so werden wir nun in die Weite des allgegenwärtigen Christus geführt. Er will uns ganz und gar ausfüllen und unser Leben leiten. Es gibt keinen Ort im All, wo er nicht gegenwärtig ist. Entscheidend wichtig ist aber, daß er in uns gegenwärtig ist.

Wenn das aber so ist, dann wird unser altes Leben immer mehr schwinden zugunsten unseres „Seins in Gott“. Gott wird uns immer mehr erobern und ausfüllen mit seiner Gegenwart. Auch wenn wir immer noch Anfänger sind, so wird es doch zu einem Wachstum kommen und zu einer Annäherung an das, was wir einmal werden sollen.

Es gibt schon ein Zunehmen im Glauben. Zumindest dürfen wir darum beten, daß Gott uns voranbringt. Da ist es doch tröstlich, wenn am Schluß gesagt wird: „Gott tut mehr an uns, als wir bitten und verstehen können.

Es stünde schlecht um uns, wenn Gott nur das geben würde, was wir von ihm erbeten haben. Wir brauchen nicht alles zu verstehen. Es ist genug, daß wir die Liebe Gottes erfahren. Diesen herrlichen und gütigen Gott sollten wir anbeten.

 

 

Eph 4, 22 – 32 (19. Sonntag nach Trinitatis):

Die Kinder sagen manchmal: „Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen!“ Sie wollen damit ausdrücken: Wenn einer eben blöd ist, da bleibt er auch blöd, da wird sich nichts daran ändern. Goethe sagt es im „Faust“ etwas vornehmer: „Setz dir Perücken auf von Millionen Locken, setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken: du bleibst doch immer, was du bist!“ Aber ist das wirklich so: Müssen wir tatsächlich immer die Alten bleiben?

Der Epheserbrief fordert auf: „Legt von euch ab den alten Menschen…. und ziehet den neuen Menschen an!“ Aber wenn das nur mit dem neuen Menschen so leicht wäre, wie wenn man ein altes Kleid auszieht und ein neues anzieht! Es ist ja nicht so, daß wir vor einem vollen Kleiderschrank stünden und die Qual der Wahl hätten oder nur in ein Geschäft zu gehen brauchten, um uns ein neues Kleid zu holen.

Das Sprichwort sagt zwar: „Kleider machen Leute!“ Aber Leute sind noch keine neuen Menschen! Durch ein großartiges Kleid wird oft etwas vorgetäuscht, was gar nicht durch die Wirklichkeit gedeckt ist. Wenn es Sonntag ist, ziehen wir unsere besten Kleider an und gehen zum Beispiel zum Gottesdienst. Aber durch ein neues Kleid sind wir nicht schon zu neuen Menschen geworden. Wir stolzieren gern in unserem Sonntagsstaat herum, aber wir sind doch die Werktagsmenschen geblieben.

In einer Stadt wollte einmal eine Dame die Straße überqueren. Sie war mächtig herausgeputzt und viele sahen ihr nach. Da blieb sie mit dem Absatz ihres Schuhs in den Straßenbahnschienen stecken. Wie sie auch zerrte und sich bemühte, sie kam nicht mehr aus der Falle los. Einige Passanten rieten ihr, doch den Fuß aus dem Schuh zu ziehen, da könne man besser anpacken und ihn loskriegen. Aber das wollte die Dame absolut nicht. Schließlich mußte sie klein­laut eingestehen, daß sie ein großes Loch im Strumpf hatte. Oben aufgedonnert und alles in bewundernswürdiger Ordnung, aber untendrunter ein Loch im Strumpf!

Das Bild vom Kleid will uns ja etwas sagen vom Wandel des Lebens des Menschen. Aber wir fragen uns doch auch: „Kann man denn so einfach Schluß machen mit dem Vergangenen, das im Grunde doch noch gar nicht vergangen ist? Kann man etwas hinter sich werfen, um es los zu sein, und dann nicht mehr daran zu denken? Kann' man denn wirklich neu und ganz anders geartet sein?

Manchmal ziehen wir Bilanz und wägen äußerlich und innerlich unser Leben ab. Aber meist wünschen wir uns dann: „Wenn es doch anders aussähe! Wenn wir doch mit einem bestimmten Abschnitt unseres Lebens noch einmal von vorn beginnen könnten! Wenn wir doch die Dinge, die wir verkehrt gemacht haben, noch einmal richtigstellen könnten?“ Aber wir kennen unsere Mängel und Schwächen. Andere haben es schwer mit uns und mit unserer Art. Möglicherweise leiden wir selbst an uns. Wir hatten uns doch vorgenommen, manches anders zu machen und einen wirklichen Neuanfang zu wagen.

Aber es bleibt alles nur Stückwerk. Letzten Endes ist das immer nur ein Zudecken von Schäden und keine grundlegende Erneuerung. Und oft bleibt es dann bei der Feststellung: „So bin ich nun einmal, ändern kann ich mich nicht, keiner kann über seinen Schatten springen!“ Da bleiben wir dann lieber in dem, was der Epheserbrief den „vorigen Wandel“ nennt.

Wir haben wohl auch Angst, das neue Kleid könnte zu groß für ums sein bzw. wir selber zu klein dafür. Der neue Mensch wird ja auch nicht zur zweiten Haut, sondern er muß jeden Tag neu angezogen werden. Und das Kleid des neuen Menschen ist auch nicht so „pflegeleicht“ wie das des alten. Es ist alles so mühsam, wenn man ein neuer Mensch werden will. Deshalb fängt mancher gar nicht erst an, ein neuer Mensch werden zu wollen.

Dennoch gibt es den reuen Menschen. Jesus Christus ist ein solcher neuer Mensch gewesen. Und wir sind neue Menschen, wenn wir „in Christus“ sind. Das Bild vom Überziehen des neuen Kleides kann uns noch am besten deutlich machen, was mit diesem „Christus“ gemeint ist.

Der auferstandene Christus umgibt und umschließt uns wie ein unermeßlich großer Mantel. Er ist unsichtbar. Aber sein Wort weist auf ihn hin. Es will uns deutlich machen: Geheimnisvollerweise gehören wir schon jetzt zum Auferstehungsraum, aber sichtbar und erfahrbar wird er erst nach diesem Leben für uns. Durch das Wort Christi werden wir dessen vergewissert, daß dieser Raum schon uns gehört und daß wir ihr einmal ganz in Besitz nehmen werden.

Es lebt sich anders, wenn man diese Gewißheit hat. Dann unterscheidet man sich von den Nichtchristen nicht nur in dem was man denkt und meint und in dem, was man hofft, sondern auch in dem was man ist und was man tut. Es wäre viel, wenn andere uns anmerkten, daß wir Christen sind. Wir können das neue Leben nicht unbedingt vorweisen und sagen: „Sieh nur, hier ist es!“ Aber daß wir zu Christus gehören, wird sich ja doch irgendwo in unserem Leben auswirken. Der Epheserbrief gibt dafür konkrete Hinweise.

 

(1.) Ein Christ arbeitet mit fleißigen Händen: Im Altertum war die Arbeit Sklavensache. Der freie Mann hielt es für unter seiner Würde, mit seinen eigenen Händen zuarbeiten. Weil die Arbeit gering geachtet wurde, kam auch mancher auf die Idee, sich das Nötige durch Diebstähle zu beschaffen. Durch das Christentum aber hat sich ein tiefgreifender Wandel in der Einstellung zur Arbeit vollzogen. Die Arbeit wurde zu Ehren gebracht. Arbeit ist ein Merkmal der Würde des Menschen. Auch der vergreift sich an fremdem Eigentum, der sich auf Kosten anderer bereichert und von dem lebt, was andere erarbeiten, ohne selber seinen Beitrag zu leisten.

Aber die Einschätzung der Arbeit geht für die Christen noch einen Schritt weiter. Arbeit ist nicht ein Mittel zum Verdienen und nicht notwendiges Übel zur Fristung des Lebens. Wir sehen sie meist so an: „Wir wollen möglichst viel verdienen, sogar mehr als wir im Augenblick verbrauchen können!“ Aber was sollen wir denn mit dem Überschuß machen? Mitnehmen können wir ihn sowieso nicht.

Der Epheserbrief macht uns da einen Vorschlag: Arbeit bedeutet in den Händen etwas Gutes schaffen und dabei an die Menschen denken, denen diese Arbeit dient. Wenn die Arbeit nicht als Dienst an den Menschen verstanden wird, dann ist sie tatsächlich eine harte Fron. Alles sieht aber anders aus, wenn man arbeitet, damit man etwas hat, das man dem anderen geben

kann, der es nötig hat. Unser Verdienst ist also gar nicht so sehr der Lohn für geleistete Arbeit, sondern zunächst einmal eine Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, zum anderen aber eine Möglichkeit, anderen Menschen zu helfen.

Ideal wäre es, wenn jeder entsprechend der Zahl der Familienmitglieder das gleiche Einkommen hätte. Eine vierköpfige Familie sollte zum Beispiel 4.000 Euro zur Verfügung haben, eine zweiköpfige aber nur 2.000 Euro. Besondere Arbeitsbelastungen könnten noch eine finanzielle Anerkennung finden, Behinderungen mußten berücksichtigt werden. Aber es dürfte keinem möglich sein, übermäßige Reichtümer im Vergleich zu anderen anzuhäufen.

Auch für unsre kirchlichen Gehälter könnte man das einmal bedenken. Da geht es nach den Dienstjahren. So kommt es, daß die über 50-Jährigen das Meiste verdienen, wo sie doch meist keine kleinen Kinder mehr zu versorgen haben. Aber die jungen Familien, wo die Frau wegen der kleinen Kinder nicht mitarbeiten kann, werden mit dem Mindestlohn abgespeist, obwohl sie doch gerade den größten Bedarf haben, was etwa der Möbelkauf oder die Kleiderbeschaffung angeht. Oft sind sie dann gezwungen, sich noch Nebenbeschäftigungen zu suchen. Hier sollte aber gerade die Kirche andere Modelle entwickeln als der Staat.

 

(2.) Christen bemühen sich um eine zuchtvolle Rede: Wie die Arbeit den Menschen kennzeichnet, so erst recht seine Sprache; diese ist auch ein Stück seiner Gottebenbildlichkeit. Mit der Sprache nehmen wir Anteil am Leben der Anderen. Das Wort schafft Gemeinschaft. Deshalb ist es so wichtig, daß wir diese von Gott geschenkte Gabe zum Segen und zum Nutzen der anderen einsetzen.

Das heißt: Wir müßten immer sorgfältig überlegen, wann und was wir reden und ob wir nicht lieber hier und da einfach schweigen sollten. Es ist nicht gleichgültig, ob wir dem anderen etwas Freundliches und Hilfreiches sagen, oder ob nur belanglose Worte über unsre Lippen kommen.

Wie oft aber sprechen wir faule Gedanken aus. Was aber aus dem Mund herausgeht, läßt er­kennbar werden, wie es im Inneren des Menschen aussieht. Es gibt aber auch Menschen, in deren Nähe wir unmöglich Böses denken können. Und wenn erst Jesus uns ganz umgibt, dann wird das Böse erst recht verdrängt. Es wird nicht durch einen Gewaltherrscher unterdrückt, sondern es wird bei Jesus einfach uninteressant.

Da wir alle ein Teil am Leib Christi sind, ist es sinnlos, uns gegenseitig etwas vormachen zu wollen. Wir können uns gegeneinander die Wahrheit leisten, weil sowieso jeder von Christus gehalten wird. Unsere Rede soll deshalb Gutes ausrichten, Mut machen und trösten. Christen sollen nett, gewinnend und fröhlich miteinander reden, weil sie mit entlastetem und darum erneuertem Herzen reden und denken.

 

(3. Christen leben mit gebändigten Leidenschaften: Ob wir wirklich den neuen Menschen angelegt haben, zeigt sich auch darin, daß wir unsere Gefühle gebändigt haben. Es wird von uns nicht eine gleichmäßige Normaltemperatur verlangt. Es heißt: „Wenn ihr zürnt, dann sündigt nicht dabei!“ Es gibt also auch einen begründeten und verständlichen Zorn. Wir müßten ihn aber so in der Hand haben, daß wir ihr zeitlich begrenzen können. Die Sonne darf nicht untergehen, ehe unser Zorn beschwichtigt ist. Einmal Dampf ablassen, ist keine Sünde. Gott selber zürnt - aber er tobt nicht und läßt sich nicht zum Haß hinreißen. Vielmehr hat er uns allen vergeben. Dies ist der letzte Trumpf, der uns doch noch ermöglicht, neue Menschen zu werden

 

 

Eph 5, 1 - 8a (Okuli):

Was unterscheidet eigentlich einet Christen von einem Nichtchristen? Was unterscheidet zum Beispiel einen konfirmierten Jugendlichen vor einem anderen, der nicht konfirmiert ist? 0Da sagt eine Mutter von ihrem Sohn: „Mein Sohn ist nicht konfirmiert. Aber er ist ein anständiger junger Mann, bescheiden und hilfsbereit, in der Schule fleißig, man kann nicht über ihn klagen!“ Sie wollte damit andeuten: Eine Erziehung im christlichen Glauben habe ich aufgegeben, weil ich mich damit gegen meinen Mann stellen würde. Aber ich will meine Kinder wenigstens zu anständigen Menschen erziehen, und das ist doch auch so etwas wie eine christliche Erziehung. Mit dieser Meinung steht die Frau sicher nicht allein.

Aber eine Erziehung zu anständigen Menschen versuchen auch die Gottlosen. Auf dem Gebiet der Moral gibt es keinen Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen, da gibt es auf beiden Seiten leuchtende Vorbilder und fürchterliche Nieten. In dieser Beziehung kann sich der junge Mann mit den konfirmierten Jugendlichen messen.

Der Unterschied liegt auf dem Gebiet des Glaubens. Ein Christ weiß, daß er nie ein vollkommener Mensch sein wird. Er ist vielmehr ganz auf die Hilfe Gottes angewiesen, auf die Erlösung durch Christus. Dieses Wissen ist der entscheidende Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen. Die Moral ist dabei nur die Nebenwirkung, sie ergibt sich selbstverständlich aus dem anderen.

Dennoch werden der Gemeinde, an die der Epheserbrief gerichtet ist, sehr massive moralische Vorschriften gemacht. Heute sagen wir dazu vielleicht: „So etwas ist doch gesetzlich, eng und verstaubt, diese Warnung vor Ehebruch, Habgier und einem losen Maul; damit nimmt man es doch heute nicht mehr so genau!“ Aber das waren damals die Hauptsünden der Heiden. Die junge Christengemeinde stand immer noch in der Gefahr, der verführerischen Anziehungskraft dieses heidnischen Lebensstils zu erliegen.

Deshalb heißt es in dem Brief ganz entschieden: „Wer sich mit dem gottlosen und heillosen Leben der Ungläubigen auch nur im geringsten wieder einläßt, der hat seinen Anteil an der Gottesherrschaft verscherzt!“ Das waren noch strenge Sitten damals! Aber nicht nur Adel verpflichtet, sondern Christsein verpflichtet erst recht.

Doch wir dürfen nicht vergessen, daß auch in diesem Bibelabschnitt echt evangelisch argumentiert wird: Gleich am Anfang ist die Rede von den geliebten Kindern, die Christus geliebt hat und für die er sich hingegeben hat. In der Mitte ist von „Heiligen“ die Rede, die deshalb zu Gott gehören, weil Christus sie heilig gemacht hat. Und am Schluß wird gesagt: „Ihr seid Licht in dem Herrn!“

Unter diesem Vorzeichen gewinnen die gesetzlich anmutenden Forderungen doch ein anderes Gesicht. Unmittelbar vorher steht ja auch noch: „Vergebt einer dem andern, wie Gott euch vergeben hat in Christus!“ Unter Christen kommt eben auch allerhand vor. Bei ihnen gibt es nicht nur die blinkende gute Stube, sondern auch manche dunkle Kammer mit allerhand Gerümpel und Spinnweben. Aber es kann alles vergeben werden. Nur wer das heidnische Lasterleben zum Programm erhebt und zu seinem Lebensstil erklärt, der hat sich für die Finsternis entschieden und darf sich nicht im Einklang mit Gott wissen.

Jedes Geschenk bringt eben auch einige selbstverständliche Forderungen mit sich. Doch wir sollten sie nicht als eine harte Verpflichtung empfinden, die man stöhnend oder grollend erfüllt oder auch nicht erfüllt. Ein Baum muß ja nicht gezwungen werden, gute Früchte hervorzubringen, sondern das macht er ja gern. Genauso kehren wir uns selbstverständlich von der Werken der Finsternis ab und wenden uns der Güte Gottes zu.

Wer das Geschenk richtig begriffen hat, der wird auch auf die konkreten Einzelanweisungen hören. Es gibt keine „billige Gnade“ und Gott sieht nicht einfach durch die Finger. Man kann nicht beides gleichzeitig haben wollen: die Annehmlichkeiten aus dem Reich der Finsternis und den Segen aus dem Lichtreich Christi. Es gibt auch kein unentschlossenes Hin- und Herpendeln zwischen diesen beiden Weiten.

Gott hat doch längst die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir seinen Willen tun können. Er h a t uns doch schon in sein Licht versetzt. Da können wir nicht so tun, als sei noch alles beim Alten. Der Glaube bringt auch konkrete Folgerungen mit sich. Wer dazu nicht bereit ist, bei dem ist auch mit dem Glauben etwas nicht in Ordnung. An den drei im Epheserbrief genannten Punkten wollen wir nun noch einmal durchgehen, worin ein Christ sich von einem Nichtchristen doch unterscheiden sollte.

 

(1.) Zuerst befassen wir uns mit dem Bereich des sechsten Gebots: Gott hat seine Liebe gegen uns erwiesen, als er seinen Sohn für die Sünder hingab. Hier wird deutlich, wie ernst er uns als Person nimmt. Menschliche Liebe sollte etwas vor dieser Liebe Gottes an sich haben. Zu solcher Liebe gehört die Hingabe und die Treue. Das können wir von Gott lernen.     

Wenn man sich nicht mit seiner ganzen Person an den anderen binden will, dann ist das keine Liebe. Man kann dem anderen nicht sagen: „Wenn ich mein Glück nicht mehr bei dir finde, dann schiebe ich dich wieder ab!“ Bei manchen hat man doch den Eindruck: die haben nur erst einmal zur Probe geheiratet, erst einmal ins Unreine; und wenn sie dann ihre Erfahrungen gemacht haben und etwas vermeintlich Besseres gefunden haben, dann heiraten sie noch einmal richtig. Aber das ist im Grunde schon „Unzucht“.

Es ist natürlich keinesfalls unter der Würde des Menschen, daß er liebt. Gott möchte sogar, daß wir noch besser lieben. Etwas Heimlichkeit dabei ist gar nicht so schlecht. Wenn man sich einem anderen ganz hingeben möchte, dann geht das die anderen nichts an. Es ist nicht unbedingt gut, wenn man heute die vermeintliche Liebe zu sehr ans Licht der Öffentlichkeit zieht. Wir brauchen als Christen nicht prüde zu sein. Aber um der echten Liebe willen lohnt es sich auch, zurückhaltend zu sein und nicht alles vor aller Augen auszubreiten. Es ist kein Zeichen von Fortschrittlichkeit, wenn man alles ehrlich zugibt, was man früher verheimlichte. Früher war manches auch nicht anders als heute. Aber auch wenn man heute freier davon reden kann, so sollte man es doch nicht für normal und in Ordnung halten.

 

(2.) Als zweites ist der Bereich des 7. Gebots angesprochen: Wir alle leben vom Opfer Jesu Christi. Uns gibt es überhaupt nur noch, weil Christus nicht an sich selbst, sondern nur an uns gedacht hat. Er ist das Gegenbild des Geizhalses, der nicht weiß, wie er seine Zehntausende möglichst günstig anlegen soll, und auch des Verschwenders, der sich alles leisten muß, was er im Schaufenster sieht.

Der Geizige wird einsam, weil er nichts für die anderen übrighat. Wenn einer aber nicht habgierig ist, dann kommt das automatisch auch anderen zugute. Wer zu Jesus gehören will, der wird auch Augen haben für das Los der armen Völker. Er wird sich auch etwas einfallen lassen, um ihren unmöglichen Lebensbedingungen ein Ende zu machen und um sie einzubeziehen in den Genuß der Gaben des Schöpfers.

 

(3.) Drittens nun geht es um den Bereich des achten Gebotes, das in besonderer Weise der Testfall für die Liebe zu anderen Menschen ist. Luther hat gefordert, daß wir von unserem Mitmenschen nur Gutes reden und alles zum Besten kehren. Manchmal darf um der Sache willen nichts beschönigt und entschuldigt werden. Aber meist ist es anders, da sollte man auch die guten Seiten herausstellen. Gott hat es so mit uns gemacht und alles zum Besten mit uns gekehrt. Davon leben wir alle noch heute und dementsprechend sollten wir auch anderen begegnen.

Aber wie gern amüsieren wir uns auf Kosten des abwesenden Dritten. Je näher er uns beruflicher oder nachbarlich steht, desto unterhaltsamer ist das Lästern. Schon das bloße Zuhören hat ja schon seinen Reiz. Angeblich ist ja alles nicht böse gemeint. Aber natürlich wird der andere doch immer ins Unrecht gesetzt und kann sich nicht einmal verteidigen.

Zu diesem Bereich gehören aber auch schlüpfrige Witze und gemeine Zoten. Für Christen ist das Lachen natürlich nicht verboten, und ein herzhaftes Wort kann manchmal besser sein als salbungsvolles Drumherumreden. Man kann ruhig darüber reden. Aber w i e man es tut, ist wichtig. Respekt vor Gott und den Menschen sollte dabei unser Maßstab sein.

Wer hintenherum über eine geschlechtliche Entgleisung des lieben Nächsten redet, anstatt ihm zu helfen, ist auch nicht besser. Wir sollten lernen, daß die Verstöße gegen eines der Gebote immer auf e i n e r Ebene liegen. Das hat jener Mann nicht bedacht, der den Pfarrer gebeten hatte, über die Gebote zu predigen, weil man ihm das Fahrrad gestohlen hatte. Am Montag kommt er glückstrahlend und hat sein Rad wieder: „Herr Pfarrer, nicht als sie über das siebte Gebot gepredigt haben, sondern beim sechsten Gebot ist mir eingefallen, wo ich das Fahrrad stehen gelassen habe!“ Eine Verfehlung gegen das sechste Gebot ist aber nicht              d i e Sünde schlechthin. Wer sich in diesem Punkt über einer anderen aufregt, ist auch nicht besser, er hat eben ein anderes Gebot übertreten.

In den jungen Kirchen in Afrika und Asien. kümmert man sich noch von der Gemeinde

her um das Verhalten des Einzelnen. Dort sind die Christen nur eine kleine Gruppe in ihrer Umwelt und müssen deshalb auf Ordnung in ihren eigenen Reihen sehen.

In einem Buch aus Afrika wird berichtet, wie ein Lehrer für ein halbes Jahr vom Abendmahl ausgeschlossen wird, weil er sich mit einem Mädchen eingelassen hat, das ihm nicht einmal etwas bedeutete. Ein europäischer Pfarrer meint dazu: „Man kann ihm das Abendmahl nicht verwehren, weil er seinen. Fehler eingesehen hat und seine Schuld bereut hat. Er wird das Abendmahl erst jetzt richtig verstehen!“ Doch der afrikanische Pfarrer entgegnet: „Ich kenne unsere jungen Männer besser. Hier muß ein Exempel statuiert werden, damit nicht auch bei den anderen alle Dämme brechen!“ Zwei verschiedene Ansichten, die beide irgendwie richtig sind.

Von unseren Nachbarn und Kollegen wird aber sehr genau registriert, ob unser christliches Reden mit der Praxis unsres Alltags übereinstimmt. Sie merken, ob wir es so machen wie jener Finne, der sich in einem Stockholmer Hotel für den amerikanischen Astronauten John Glenn ausgab. Er erzählte dem Reporter viel von seinen angeblichen Weltraumerlebnissen. Aber man merkte sehr schnell, daß er nie praktisch damit zu tun gehabt hatte.

Jener Hochstapler gab nur an und wollte etwas nachahmen. Aber für uns geht es nicht um Nachahmung, sondern um die Nachfolge Christi. Weil wir ein Licht „in dem Herrn“ sind, sollten wir dieses Licht auch leuchten lassen vor den Menschen. Wir tun das, indem wir Gottes Gebote befolgen und die Liebestat Christi weitergeben. Nicht die Moral unterscheidet uns von den anderen Menschen, sondern das Wissen um Gottes Liebe.

 

 

Eph 5, 8b – 14 (8. Sonntag nach Trinitatis):

In Marburg gibt es ein Caf#e, in dem nur Blinde bedienen. Allerdings ist der ganze Raum dunkel, so daß auch die Gäste nicht sehen können, was im Raum vor sich geht. Da erleben sie dann einmal, wie einem Blinden zumute ist, wenn man nur fühlen und hören kann, aber absolut nichts sieht.

Wir erleben ja selten, was Finsternis ist. Wir können ja kaum einmal den Sternenhimmel ungestört wahrnehmen, ohne von künstlichen Lichtquellen geblendet zu werden. Die Nacht, die unsere Vorfahren noch als etwas Angstmachendes empfunden haben, ist für uns heute hell geworden.

Dennoch wissen auch wir, was Finsternis ist. Wenn man krank ist und keinen Schlaf findet, dann sehnt man sich nach dem Morgen. Oder wenn man im einsamen Gelände in einer nebligen Novembernacht seinen Weg sucht, dann freut man sich über jedes Licht. Der absolute Horror aber ist, wenn die U-Bahn im Tunnel steckenbleibt und das Licht ausgeht. Finsternis kann man auch heute noch in unserer vom künstlichen Licht erfüllten Welt als eine Ursache von Angst erfahren.

Vor allem kennen wir auch die Finsternis als Bild für die Situation der Aussichts- und Hoffnungslosigkeit. Wenn einer unheilbar krank ist, dann ist er in einer ganz tiefen Finsternis. Auch die seelischen Krankheiten gehören dazu. Menschen mit einer Depression haben manchmal das Gefühl, sie säßen in einem völlig dunklen Raum.

Die Welt sieht aber anders aus, wenn sie hell erleuchtet wird. Die Sonne weckt wieder das Leben, sie bewirkt Wachstum und Reife. Pflanzen brauchen das Licht, aber Tiere und Menschen brauchen es nicht weniger. Leben und Licht gehören zusammen.

So sieht es auch der Epheserbrief, wenn er sagt: „Ihr wart früher Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn!“ Wer „im Herrn“ ist, der ist gewissermaßen in einen Raum hineingestellt, in dem Licht ist. Diesen Raum kann man zwar nicht sichtbar abgrenzen. Aber man darf sich doch sicher sein, daß man in diesem Raum ist und daraus kräftige Folgerungen ziehen. Der Epheserbrief beschreibt diese Möglichkeiten mit den drei Stichworten: Wachheit, Wahrheit und Wachstum.

 

(1.) Wo Licht ist, da ist Wachheit: Die Aufforderung: „Stehe auf von den Toten!“ klingt wie ein Stück aus einem Taufgottesdienst. Die Taufe wird ja auch als „Wiedergeburt“ bezeichnet. Zumindest ist sie so etwas wie eine Adoption durch Gott.

Vorher gab es nur Finsternis. Damals wurden ja vorwiegend Erwachsene getauft. Ihnen war es auf einmal unverständlich, wie sie nur früher so hatten leben können, in Unglauben und Unsittlichkeit. Doch all das wurde ersetzt durch ein neues Lebensgefühl: Die Vergangenheit ist abgetan. Jetzt ist Gegenwart, jetzt sind wir im Licht. Und darin werden wir mit Gottes Hilfe auch bleiben.

Ein Stichwort dafür ist „Wachheit“. Entscheidungen kann man nur im Wachen treffen. Ein Träumender wird oft von seinen Träumen geplagt. Aber wer aufwacht, ergreift wieder das Steuer seines Daseins und schaut sich um in seinem Stück Welt. Er macht sich klar, was jetzt zu tun ist, Schritt für Schritt. Er trifft Entscheidungen, plant und handelt. Er ergreift die sich bietenden Möglichkeiten. Nur im Wachen nehmen wir auch Gefahren wahr. Und nur im Wachen können wir auch die Zukunft bedenken, soweit es möglich ist.

Allerdings kann es im Alltag trotz laufendem Betrieb dennoch zu Einbrüchen kommen, so wie ein übermüdeter Kraftfahrer hin und wieder in Sekundenschlaf verfällt. Man meint zwar, auf voller Drehzahl zu laufen, ist aber dabei innerlich verschlafen. Wir schlafen zum Beispiel, wenn wir uns vom „Lauf der Welt“ beeinflussen lassen, wenn wir auf das hören, was „man“ so tut, wenn wir den sogenannten „Sachzwängen“ folgen, wenn wir uns vom Gesetz des ge­ringsten Widerstandes treiben lassen. Dann schiebt man längst fällige Entscheidungen vor sich her. Man ist träge und läßt die anderen für sich denken. Oder man drückt sich vor einem Entschluß in der Hoffnung, das Problem werde sich von selber lösen.

Deshalb ist es gut, hin und wieder sein Leben kritisch zu durchdenken: „Nehmen wir nicht doch oft Rücksicht auf das, was Menschen von uns verlangen? Haben wir nicht oft die Auseinandersetzungen in der Firma, in der Schule, in der Öffentlichkeit satt?“ Wer schläft, muß es sich gefallen lassen, daß man mit ihm macht, was man will. In der Narkose werden ganz „einschneidende“ Dinge mit dem Menschen vorgenommen. In der Hypnose kann man ihn zu Dingen bringen, die er im Wachzustand nie gemacht hätte.

Ein Christ aber ist wach. Er ist auf der Höhe der Zeit. Er begräbt nicht seine Hoffnungen, son­dern hat noch Träume. Sein Lebensgefühl ist das des Morgens: ausgeruht und frisch, klar und nüchtern, tatenfroh und aktiv. Ein Christ läßt sich dabei auch nicht von dem beeindrucken, was vielleicht sein Leben verpfuscht hat. Vielmehr weiß er: „Ich habe eine Zukunft mit enormen Möglichkeiten!“

 

(2.) Wo Licht ist, da ist Wahrheit: Die Sünde braucht die Finsternis, das Verbrechen scheut das Licht. Und wo sich die Dinge nicht verbergen lassen, da werden sie hinter einer glänzenden Verpackung verborgen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Propaganda der Nazis, die den Menschen Größe und Anerkennung versprach und dabei primitivste Instinkte ansprach. Of­fen­bar war sie aber so wirksam, daß ihr bis heute Menschen erliegen und selbst junge Menschen sich davon anstecken lassen (Beispiele).

Man darf hier nicht zu selbstgewiß werden. Der Epheserbrief fordert zur Prüfung auf: „Prüfet, was dem Herrn wohlgefällig ist!“ Zu leicht geben wir unsre eigenen Wünsche als den Willen Gottes aus. Wir sind wahre Meister darin, unser törichtes Verlangen mit allen möglichen Grün­den zu rechtfertigen, auch mit Glaubensgründen. Liebe muß zwar auch einmal spontan handeln. Aber klare Überlegungen dürfen deswegen nicht fehlen. Wenn böse Folgen eintreten, dann sind wir nicht dadurch gerechtfertigt, daß wir es doch gut gemeint haben.

Deshalb gilt es, sorgfältig zu prüfen: uns selbst, die gegebene Situation, die zu erwartenden Folgen, die Wirkung im Einzelfall, die Beispielswirkung. Zum Prüfen gehört auch ein eingeübtes Unterscheidungsvermögen. Man sieht klarer, wenn man nicht immer nur im eigenen

Interesse handelt, sondern danach fragt, „was dem Herrn wohlgefällig ist“. Nur das macht frei

gegenüber den Meinungen der Menschen.

Das andere Stichwort lautet: „Deckt die unfruchtbaren Werke der Finsternis auf!“ Das Licht deckt auf, indem es ins Dunkle hineinleuchtet. Das Verbrechen zieht sich oft in dunkle Ecken zurück. Deshalb hat man schon in verschiedenen Städten Erfolge in der Verbrechensbekämpfung erreicht, wenn man nur die Szene tüchtig ausleuchtete. Im Licht wird das Böse aufgedeckt und ihm seine Gefährlichkeit genommen.

Gott zieht auch ans Licht, was wir bewußt verheimlichen. Er kennt die Unmenschlichkeiten, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren darf. Er weiß um die heimlichen Machenschaften und die Geschäfte hinter der vorgehaltenen Hand. Da fragt zum Beispiel einer in einer Gruppe von Jugendlichen: „Hat einer von euch eine Haftpflichtversicherung? Er könnte doch sagen, daß er meinen Computer heruntergeworfen hat und nicht ich, damit die Versicherung bezahlen muß!“ Für einen Christen kommt so ein Versicherungsbetrug nicht in Frage.

Es kann aber nicht darum gehen, den anderen immerzu „die Leviten zu lesen“. Meist übersehen wir dabei das Gute am anderen und das Kümmerliche und Skandalöse bei uns. Es ist leicht, andere „herunterzuputzen“, um dadurch vielleicht auch selber etwas höher zu rücken. Wichtiger ist, daß wir etwas tun für die Menschen, die Opfer der Gewalt, der Geschäftemacherei und des Rassenwahns werden.

Das Licht ist allerdings nicht nur unbarmherzig, indem es schonungslos aufdeckt. Was eben noch im Dunkeln war, fängt selbst an zu leuchten, wenn es vom Licht beschienen wird. Wer Vergebung kennt, kann sich vom Bösen lossagen und dann für das Gute eintreten. Weil uns Gott so viel geschenkt hat, können wir auch unendlich viel weiterschenken und Gottes Licht wie in einem Spiegel weitergeben.

 

(3.) Wo Licht ist, da ist Wachstum: Licht bewirkt Wachstum und damit Frucht. Pflanzen wachsen geradezu dem Licht entgegen. In der Finsternis können sie keine Früchte hervorbringen. Aber an den Früchten kann man sie erkennen - auch die Christen. Wer keine Früchte hervorbringt, dessen Glaube kann nicht echt sein.

Früchte kann man nicht „machen“. So kann auch kein Christ zum Beispiel Güte und Freundlichkeit machen. Eine gespielte Güte hat einen schlechten Beigeschmack. Der Graf Zinzendorf, der Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine, hat es so gesagt: „Gott mag die Früchte nicht, die erst auf die Bäume gebunden werden müssen. Nur wenn sie aus dem Saft des Baumes wachsen, sind sie ihm angenehm!“Deshalb können wir Gott nur bitten, daß gute Früchte bei uns zu finden sind: Nicht mehr Mißtrauen und Eigensucht, Rechthaberei und Sich-gehen-lassen, sondern Freude und Liebe, Verständnis und Zucht.

Das Erscheinungsbild der christlichen Gemeinde scheint dieses Ideal zu widerlegen. Es wäre nicht gut, wenn wir das zu vertuschen suchten. Man kann ruhig darüber sprechen, daß unser Istzustand nicht dem entspricht, was er nach seiner Bestimmung sein sollte. Vielleicht geht es ja auch um gar nichts anderes als die Hinkehr zum Normalen. Vielleicht brauchen wir nur das zu tun, was man von einem rechtschaffenen Menschen erwarten kann. Vielleicht genügt ein ganz normales Leben aus einem Guß.

Anfangen müssen wir dabei bei uns selbst. Aber wir haben auch eine Aufgabe an unseren Mitmenschen. Allerdings hier haben wir hier oft Hemmungen. Wir wollen nicht als überheblich erscheinen. Aber dadurch lassen wir den anderen in sein Unglück rennen.

Natürlich gibt es auch Dinge, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit gehören: Was zwischen

Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Seelsorger und Beichtendem vor

geht, darf nicht angetastet werden. Es ist auch nicht gemeint, daß wir uns von lichtscheuen Elementen fernhalten sollten. Gerade denen sollten wir ja helfen gegen die Finsternis, die sie bedrängt. Auch wenn sie uns unsympathisch sind, dürfen wir uns nicht von ihnen abkapseln, weil Christus sie liebhat. Nur wenn wir zum Freund dieser Menschen werden, können wir sie zu Christus führen.

Das Wort „Frucht“ meint etwas Gewachsenes, Gereiftes. Der Gegensatz wäre das Gemachte. nur Konstruierte, so eine Art Dressur. Wenn das Licht darauf scheint, dann entwickelt sich die Frucht von selbst. Doch wir dürfen wissen: Wir sind im Lichtkreis Christi. Hier strahlt die Liebe Gottes in uns ein. Wo er ist, da gedeiht das Böse nicht mehr.

 

 

 

Eph 6, 10 - 17 (21. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

Für die meisten Autofahrer ist es ein Alptraum, wenn sie auf einen Unfall stoßen sollten und nun gefordert sind zu helfen. Was soll man zuerst machen: um die Verletzten kümmern, den Krankenwagen rufen oder die Unfallstelle absichern? Viele haben mit recht Angst, in einer solchen Situation zu versagen. Deshalb muß man sich vorher mit einer solchen möglichen Situation auseinandersetzen und muß die Möglichkeiten im Geiste durchgespielt haben. Deshalb wird man ja auch bei der Fahrprüfung verpflichtet, einen Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen. Dann weiß man zumindest theoretisch, was eine stabile Seitenlage oder auch ein Druckverband ist.

Heute werden wir auf eine andere Situation vorbereitet, die immer wieder in unser Leben hereinbricht. Gemeint ist der Kampf mit den Mächten des Bösen, die überall in unserem Leben lauem. Auch darauf muß man sich geistig vorbereiten, gegen sie muß man sich wappnen und jederzeit wachsam sein.

Vielleicht sind wir aber doch etwas zusammengezuckt, als wir diesen Abschnitt aus dem Epheserbrief gehört haben. Zwar ist auch von dem „Evangelium des Friedens“ die Rede. Aber die Sprache ist alles andere als friedlich: „Legt die Waffenrüstung an, steht fest, gerüstet mit dem Panzer, ergreift den Schild, setzt den Helm auf und ergreift das Schwert!“ Da standen den Ephesern doch gleich die römischen Soldaten vor Augen, die schwerbewaffnet in ihrer Stadt auf Streife gingen.

Wir lieben solches Säbelrasseln nicht, auch wenn es nur mit Worten geschieht. Zu leidvoll sind die Erfahrungen der Kriege, die es ja leider auch heute immer noch gibt. Wir haben eine tiefe Abscheu gegen jede Gewaltausübung. Aber was das Bild uns sagen will, das ist sicher wichtig: „Wir müssen gut gerüstet sein für die vielen Anforderungen, die an uns gestellt werden!“

Wir kommen ja immer wieder in Situationen, denen wir uns nicht gewachsen fühlen und für die wir nicht hinreichend gerüstet sind: Da schwitzt ein Schüler über der Mathe-Arbeit, die er nicht bewältigen kann. Da wird ein Mann in der Firma mit Aufgaben überhäuft, die er nicht schaffen kann. Da hat sich ein Ehepaar mit dem Bau eines Hauses finanziell übernommen, als einer von ihnen arbeitslos wird.

Gerüstet sein für den Kampf des Lebens: Das gilt für jeden ohne Ausnahme, auch für den Christen. Auch wir fühlen uns oft genug schwach, wenn wir unser Christsein im Alltag leben wollen wie zum Beispiel bei einem Verkehrsunfall. Das gilt aber auch für die vielen zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, die am Ende in regelrechte Kriege ausarten können.

Kampf gibt es auch, wenn es um Vorurteile gegenüber sozial Schwachen, Suchtkranken oder ausländischen Nachbarn geht. Kampf gibt es bei den Konsumzwängen, denen man heutzutage kaum noch entrinnen kann. Und ein Problem ist auch, daß wir den Menschen meist nur noch nach seiner Leistung bewerten. Wer sich da gegen den Zeitgeist auflehnt, der wird sich oft schwach fühlen.

Aber gerade in dieser Lage gilt uns der aufmunternde Zuruf: „Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke!“ Wir brauchen ja gar nicht selber den starken Mann zu markieren, sondern wir dürfen menschlich und schwach sein. Denn unsere Stärke ist immer geliehen: Es ist die Stärke und die Macht Gottes! Luther hat es so ausgedrückt: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren!“ Nur durch die gnädige Zuwendung Gottes sind wir geschützt.

 

(1.) Wir haben einen übermächtigen Feind:

Wir haben nicht Menschen oder Gruppen von Menschen zu Gegnern. Der schlichte Alltag bringt uns mit Menschen in einen leider unvermeidlichen Konflikt: Andere denken politisch anders als wir. Wir können einem Prozeßgegner gegenüberstehen. Der andere hat eine andere Religion. Dieser sachliche Gegensatz mag unvermeidlich sein. Aber wir sind nicht gegen den Menschen, der uns gegenübersteht. Der andere Mensch ist nie der Teufel.

Wenn wir das denken, verfehlen wir unseren eigentlichen Gegner, den wirklichen Teufel. Wir werden alle von ein und demselben Gegner angegriffen. Der sieht es gern, wenn wir in dem anderen Menschen den Feind erblicken, so daß er als der eigentlich Böse im Hintergrund bleiben kann. Ihm ist es recht, wenn wir einander verklagen und verurteilen, herabsetzen und verachten. Er hat es aber nicht gern, wenn wir Gutes voneinander reden und alles zum Besten kehren.

 Deshalb befinden wir uns in der gleichen Lage wie unsere Mitmenschen, denn wir sind alle Versager und Verlorene. Wenn wir uns das klar machen, können unsere Auseinandersetzungen unerhört an Sachlichkeit gewinnen. Es geht um die Sache, nicht darum, den anderen persönlich zu treffen und herunterzumachen.

Beim ersten Hören denkt man vielleicht: „Das gibt es doch gar nicht, Teufel und böse Geister.“ Natürlich gibt es sie nicht und hat es auch nie gegeben, jedenfalls nicht in der Form, wie er im Kasperletheater erscheint: Ein Teufel mit Pferdefuß und Schwanz, mit Jägerhut und schwarzen Haaren und außerdem schon von weitem übelriechend. Wenn es so wäre, könnten wir ihn ja gleich erkennen und uns gegen ihn wappnen.

Der Teufel ist überhaupt keine persönliche Macht und auch kein zweiter Gott. Aber wir haben es mit einem jenseitigen Feind zu tun, der jedoch oft allzumenschliche Züge hat. Er läßt immer wieder unsere Leidenschaften durchschlagen und verdrängt die klare Überlegung. Er impft uns den Bazillus der Mutlosigkeit und der Angst ein. Er will uns bewegen, unser Ziel aufzugeben und unseren Plan zurückzuziehen. Er macht uns befangen und verbissen und läßt uns zerfallen mit Gott und aller Welt. Das Böse redet uns ein, alles bisher in Gott gesetzte Vertrauen sei nur eine Einbildung. Gott - wenn es ihn auch vielleicht gäbe - habe uns fallengelassen.

Der Lauf der Welt scheint uns zu bestätigen, daß aller Glaube sinnlos ist. Dann hat man nicht mehr die Kraft, sich der Versuchung zu widersetzen. Und dann gibt man leicht auf. Jeder von uns hat einmal einen schlechten oder gar einen bösen Tag: Da rechnet ein anderer mit unserer Hilfe und wir schauen weg. Da wäre ein klares Bekenntnis und ein Einsatz für einen Verachteten nötig und wir sind feige.

Dadurch wird aber deutlich: Was mit der kindlichen Vorstellung vom Teufel gemeint ist, das gibt es der Sache nach auch noch heute. Es sind nämlich immer Menschen da, die dem Bösen ihren Arm leihen, die gemein und brutal sind, voller Haß, und Gewissenlosigkeit. Doch das Schlimm­ste ist: Dieser Feind sitzt schon längst in uns selber drin. Der Feind kommt also gar nicht so sehr von außen, sondern er sitzt in unserem eigenen Inneren drin. Jeder Mensch hat in sich so eine Art Keller, zu dem man kaum Zugang hat. Die sichtbare Welt vermögen wir meist in Ordnung zu halten. Aber aus unserer „Kellerwelt“ steigen oft Gedanken auf, vor denen wir erschrecken und die uns bedrängen und gefährden.

Die Bibel redet da von den „listigen Anläufen des Teufels“. Solche Erfahrungen dürfen wir nicht geringachten oder gar leichtsinnig vom Tisch wischen. Man kann nicht sagen: „Ich weiß gar nicht, was eine Anfechtung ist. Ich lebe fröhlich und weiß mich geführt und behütet. Ich habe keine Angst!“ Hier sind Kräfte auf dem Plan, mit denen wir einen richtigen Lebenskampf auszufechten haben.

 

2. Wir haben einen noch viel mächtigeren Herrn: Ehe wir uns auf einen Kampf einlassen, müssen wir die Kräfte kennen, denen man in diesem Kampf begegnet. Ein Boxer wird sich vorher mit der körperlichen Verfassung, der Technik und den Eigenarten seines Gegners vertraut machen. Der Fußballtrainer beobachtet den nächsten Gegner und sieht sich Videos an. So läßt auch der Christ eine Gefahr nicht gelassen auf sich zukommen, sondern zieht rechtzeitig eine zuverlässige Rüstung über.

Doch mit der reinen Beobachtung ist es noch nicht getan, man muß auch die Folgerungen daraus ziehen. Der Boxer überlegt sich die Taktik, mit der er den Gegner auf die Bretter zwingen könnte. Der Fußballehrer spricht mit der Mannschaft über den Gegner und das eigene Vorgehen.

So müssen auch wir auf die gegnerischen Kräfte vorbereitet und ihnen mit Bedacht entgegentreten. Zumindest dürfen wir nicht von vornherein einfach die Waffen wegwerfen, weil der Feind angeblich zu mächtig ist. Deshalb heißt es hier: „So stehet nun!“ Ein Christ darf sich nicht aus Angst vor einem unheimlichen Widersacher verkriechen, sondern soll wie einst David dem bis an die Zähne bewaffneten Goliath gegenübertreten.

Wir sind dabei wie ein Soldat, der in vorderster Linie steht. Aber neben uns steht Jesus Christus an der gefährdetsten Stelle der Front. Und hinter uns steht Gott, der Feldherr, der die Strategie ausgearbeitet hat und den Überblick behält, der den Feind schon auf dem Rückzug sieht, auch wenn er jetzt noch zur Offensive bläst. Und Gott gibt auch die richtigen Waffen für den Kampf.

 Allerdings stark sind wir nur mit geistlichen Waffen. Der Panzer ist das Bild für die Gerechtigkeit, das Anerkanntwerden durch Gott. Da sind wir nicht mehr verwundbar durch unsere Schuld und andere Menschen können zwar auf unsere schwachen Stellen zeigen, aber wir versagen nicht mehr.

Das Schild ist der Glaube, der die giftigen Pfeile abhält. Ich darf Schwächen zeigen und Patzer machen, weil ich mich vertrauensvoll in Gottes Hand begeben habe und auf seinen Sieg vertrauen. Der Helm macht uns sicher, daß wir das Heil schon haben, also nicht erst gerettet werden müssen, sondern die Rettung durch Christus schon geschehen ist. Der Gürtel ist die Wahrheit, die alles zusammenhält. Wahrheit aber ist nicht ein System von Lehrsätzen, sondern das, was jede Lüge überwindet. Die Sandale ist ein Beispiel für die Beweglichkeit, die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen und das Wort Gottes weiterzusagen, damit die Kraft Gottes in unsere Welt einbrechen kann.

 Das Schwert des Geistes ist die einzige Waffe, die nicht nur der Verteidigung dient, sondern auch offensiv gebraucht werden könnte. Aber bei dem Schwert Gottes fließt kein Blut, sondern gemeint ist Gottes Wort, das gesprochen und meditiert sein will. Deshalb ist es schade, wenn unsere Konfirmanden so gut wie nichts mehr auswendig lernen.

Man kann ja auch in eine Situation kommen, daß der Blick auf Gott verstellt ist. Dann ist es hilfreich, wenn aus der Tiefe unseres Erinnerns sich das Wort als die Waffe einstellt. Je kritischer die Lage ist, desto weniger sind wir allein gelassen. Als der Pfarrer Paul Schneider ins Konzentrationslager Buchenwald kam, hielt er jeden Morgen für die Häftlinge in den benachbarten Zellen eine Morgenandacht. Am Ostermorgen rief er auf den Appellplatz hinaus: „So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!“ Ein anderes Mal rief er: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis!“ Er konnte meist nur einen Satz sprechen, dann stürzten sich die Aufseher auf ihn und schlugen ihn zusammen. Aber er hat vielen seiner Mithäftlinge Mut zum Durchhalten gemacht, allein durch das Wort, das nicht von ihm stammte, sondern von Gott.

Ich muß nicht mutlos sein, wenn ich Christus zum Freund habe. Die Traurigkeit braucht mich nicht niederzudrücken, wenn Christus mir Hoffnung gibt. Durch ihn bin ich immer überlegen.

 

 

Eph 6, 10 - 17 (21. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

In einem sportlichen Wettkampf geht es oft hart her im Kampf Mann gegen Mann. Aber es ist eben nur ein sportlicher Wettkampf, bei dem es nur um die Ehre geht. Doch hier in unserem Predigttext ist die Rede von einem Kampf auf Leben und Tod, und zwar unter Bedingungen, die über die Kraft eines Menschen gehen.

Zwei Heere stehen sich dabei gegenüber: Auf der einen Seite der Satan, das Böse mit all seinen Mächten und Hilfstruppen, die er in Reserve hält. Auf der anderen Seite die Macht und Rüstung Gottes. Sie liegen im Krieg miteinander und das Böse ist dabei in der Offensive begriffen; so hat es wenigstens den Anschein.

Wir als die Gefolgsleute Gottes spüren diesen Kampf durchaus, denn wir stehen mittendrin. Einerseits geht es ja um uns: In dem Kampf geht es darum, wem wir gehören können und sollen. Aber andererseits fordert Gott uns auch auf, daß wir auf seiner Seite in den Kampf ziehen.

Christen leben eben nicht mehr wie in einem Talkessel, der durch hohe Berge von der Außenwelt abgeschnitten ist und wo man ziemlich windgeschützt leben kann. Diese Zeiten sind längst vorbei, wenn es sie jemals gegeben hat. Auch wer äußerlich gesehen zwischen den Bergen lebt, die manchen Wind fernhalten, muß er doch. zugeben, daß die neue Zeit auch vor seinem Gebiet nicht haltgemacht hat. Im Gegenteil!

Wir wissen zwar, daß im Grunde jeder Mensch kämpfen muß und das ganze Leben ein Kampf ist. Aber für einen Christen ist die Lage heute noch verschärft und gewissermaßen steht er noch unter einem besonderen Druck. Es ist nämlich ein Feind am Werk, der es eigens auf die Christen abgesehen hat. Ein Mensch, der an Gott glaubt, befindet sich deshalb in einer äußersten Bedrohung.

Der Feind versucht, die Christen ins Wanken zu bringen. Und wenn einer erst einmal schwankt, dann ist er auch bald umgeworfen und bald verloren. Gleich der Anfang ist dabei entscheidend: denn der Feind auch nur eine kleine Schwäche bemerkt, dann setzt er gleich nach und versucht, seinen Vorteil auszubauen.

Wer da einmal an einer Stelle nachgibt, der muß sich schließlich immer schneller zurückziehen. Wenn erst einmal ein Einbruch erzielt ist, wird der ganze Damm weggespült. Deshalb gilt es, gleich von Anfang an fest zu bleiben, keine ängstlichen Kompromisse zu schließen und gleich die Zähne zu zeigen. Der erste Verdruß ist noch der beste und man erspart sich manchen Ärger und viel Aufregung und hat viel eher wieder seine Ruhe. Wenn der Gegner merkt: „Hier beiße ich ja doch auf Granit!“ dann gibt er es bald wieder auf.

Mancher denkt ja: Der Feind ist mir tausendfach überlegen. Kein vernünftiger Mensch würde sich mit ihm einlassen, sondern von vornherein kapitulieren. Und das tun dann auch viele und lassen es zu, daß die Welt zu einer großen Besatzungszone des Teufels wird. Wir können auch in der Tat die Verführer und Verfolger der Glaubenden nicht zu leicht nehmen. Sie sind ja nur die vorgeschobenen Hilfstruppen eines unsichtbaren Feindes.

Beim ersten Hören des Textes haben wir vielleicht gedacht: „Das gibt es doch gar nicht mehr, Teufel und böse Geister!“ Natürlich gibt es sie nicht und hat sie auch nie gegeben, jedenfalls nicht in der Form, wie der kleine Fritz sie sich vorstellt: etwa einen Teufel mit Pferdefuß und Schwanz, mit Jägerhut und schwarzen Haaren und außerdem noch übelriechend.

Doch was mit dieser kindlichen Vorstellung gemeint ist, das gibt es der Sache nach auch noch heute. Es sind nämlich immer Menschen da, die dem Bösen ihren Arm leihen, die gemein und brutal sind, voller Haß und Gewissenlosigkeit. Das Böse ist heute in vielen Formen anzutreffen: in Hunger und Krieg, in Atomrüstung und Unterdrückung.

Nur nimmt der Teufel eben immer menschliche Gestalt an. Deshalb ist es so schwierig, das Böse zu erkennen, weil in jedem Menschen Gutes und Böses miteinander vermischt sind. Aber eins ist wenigstens deutlich: Der sogenannte Teufel begegnet uns in dem anderen Menschen, der uns von Gott abbringen will oder der unseren Glauben lächerlich machen will. Dem haben wir zu widerstehen, so gut wir das eben können.

Nun sagt uns jedoch die Bibel: „Jesus Christus hat schon längst die Weltherrschaft angetreten. Warum gibt es denn da immer noch Kampf? Grundsätzlich ist die Entscheidung in der Tat gefallen. Aber in dem Herzen eines jeden Menschen geht der Kampf noch weiter, da versucht das Böse noch, Gott wieder die Stellung streitig zu machen.

Dieser Feind Gottes ist schon eine Wirklichkeit, im Grunde eine übermenschliche Macht. Und diese Macht hat sogar noch einen Stützpunkt im Menschen selbst. Das Böse ist nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern es ist unsere eigene dunkelste Möglichkeit und kommt aus uns selber heraus.

Deshalb überfällt es uns auch so unerwartet. Es ist wie ein Vulkan, der lange Jahre geruht hat; man hat schon gemeint, er sei erloschen. Aber plötzlich bricht er wieder auf mit einer ungeahnten Urgewalt und zermalmt alles, was im Wege ist.

So unerwartet bricht auch oft das Böse in uns hervor und wir sind oft nicht dagegen gewappnet, haben auch kein Gegenmittel.

Nach dem Ersten Weltkrieg hätte auch niemand geahnt, was deutsche Menschen einmal fertigbringen würden. Und doch war 20 Jahre später fast ein ganzes Volk geradezu besessen von dem Willen zur Zerstörung und Vernichtung der anderen. Und wer weiß, was heute in 20 Jahren einmal möglich sein wird?! Natürlich trifft jede Gesellschaft gewisse Schutzmaßnahmen. Aber auch das hat seine Grenze. Es kommt ja sogar vor, daß einer zum Handlanger des Bösen wird, ohne es zu merken.

Was sollen wir aber denn nun tun gegen den Feind in uns selber? Zumindest sollen wir nicht einfach von vornherein die Waffen wegwerfen, weil der Feind zu mächtig ist. Feigheit gilt nicht, ganz gleich, wie stark der andere ist. Wir sollen uns vielmehr ein Herz fassen zum Widerstand. Wir m ü s s e n nicht Opfer und Handlanger des Feindes werden.

Deshalb heißt es hier: „So stehet nun!“ Von einem Christen wird eben erwartet, daß er nicht kapituliert. Er darf sich nicht aus Angst vor seinem unheimlichen Widersacher verkriechen, sondern soll wie einst David dem bis an die Zähne bewaffneten Goliath gegenübertreten.

Es gilt, dem Feind ins Auge zu schauen und ihn genau zu erkennen. Wer den Feind kennt, ist schon nicht mehr so wehrlos. Vor allen Dingen hat er Zeit, sich schon vorher zu überlegen, wie er ihm begegnen will. Wenn ich schon vermuten kann: „Da wird mich sicher einer zur

Lüge oder zum Schwindel anstiften wolle!“ dann kann ich mir schon vorher überlegen: „Was wirst du antworten?“ Wenn es zu überraschend kommt, lassen wir uns schnell überfahren, weil wir in der Eile nichts zu antworten wissen und lieber mitmachen.

Doch wir kennen nicht nur von vornherein den Feind, sondern auch den, der stärker ist als er. Wir werden hier aufgefordert: „Seid stark in dem Herrn“. Das ist nicht ein Aufruf an unsere eigene sittliche Widerstandskraft, der vielleicht nur ein christliches Mäntelchen umgehängt worden ist. Angesichts des übermenschlichen Feindes reicht die Kraft eines Menschen gar nicht aus. Wir müssen vielmehr sagen: „Wir sind nur stark in dem Herrn!“ Allein auf Gottes Kraft können wir vertrauen, nicht auf unsre. Vor allem das Gebet wird uns hier sicherlich Stärke geben.

Wir sind dabei wie ein Soldat, der in vorderster Linie steht; der Feldherr aber ist hinten. Wir stehen im heißen Kampf. Aber der Herr gibt uns die Mittel und die Kraft dazu. Er hat den Willen zu siegen und reißt uns mit. Vor allem aber gibt er uns die richtigen Waffen zum Kampf in die Hand.

Diese Waffen sind: Die Wahrheit, die jede Lüge überwindet; Gerechtigkeit, die alle Selbstgerechtigkeit zerschlägt; Glaube, der völlig auf den Sieg Jesu vertraut; Heil in einer heillosen Welt; und schließlich der Geist Gottes, der uns Kraft gibt, zu reden, wo wir reden sollen. Eine ganze Rüstung voll Waffen sollen wir anlegen, um gegen den Feind gewappnet zu sein. Doch vergessen wir nicht: Es ist G o t t e s Rüstung, die wir anlegen sollen. Und es ist Jesus Christus, der an unsere Seite tritt und für uns streitet an den gefährdetsten Stellen der Front. Gott allein weiß auch, daß der Feind schon im Rückzug sich befindet, auch wenn er im Augenblick noch einmal zur Offensive bläst.

Deshalb brauchen wir noch nicht von triumphierenden Siegen zu träumen. Zunächst kommt es nur darauf an, die dargereichte Rüstung auch anzulegen. Es kommt darauf an, standzuhalten und zu überstehen. Stiefel sollen wir anziehen und auf den Straßen der Welt das Evangelium des Friedens zu verkünden.

 

 

 

Kolosser

 

Kol 3, 12 - 17 (Kantate, Variante 1):

„Wo man singt, da laß dich ruhig nieder - böse Menschen haben keine Lieder!“ So sagt das Sprichwort. Auch eine christliche Gemeinde müßte man eigentlich daran erkennen, daß sie oft und gerne Lieder singt. Jeder Sonntag ist ja eigentlich ein Festtag für Christen, und jeder Gottesdienst ist ein Fest: Man zieht ein Festgewand an, man trifft sich zu einem netten Zusammensein und ist in einer innerlich gelösten Stimmung über den Alltag erhoben. Und zu dem Fest gehört dann auch der Gesang.

Die Lieder sind doch nicht nur eine Umrahmung der Predigt, sondern sie sind gelebter Glaube. Die Predigt kann uns unverständlich sein und kalt lassen. Das gesprochene Wort erreicht oft nur unseren Kopf. Aber bei den Liedern tut sich das Herz auf und wir sind selber mit beteiligt.

In unserem Gesangbuch steht ja eine Fülle herrlicher Lieder, gerade die Gesänge der Osterzeit gehören doch dazu. Mancher hat sich in besonderen Situationen noch rechtzeitig an ein Lied erinnert, das er einmal gelernt hat. Kranke und Sterbende zehren in ihren schweren Stunden von ihrem Vorrat an Liedern. Oft werden dadurch Erinnerungen geweckt, wird ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit vermittelt.

Deshalb kann man das Singen auch nicht befehlen, wenn man Enttäuschung und Müdigkeit, Versagen und Unglück erfährt. Man hat gefragt: „Kann man nach Auschwitz noch singen?“ Singt vielleicht der moderne Mensch so wenig, weil in seinem Leben vieles nicht in Ordnung ist? Doch wir sollten auch sehen, daß manche Liederdichter uns gerade in den schweren Abschnitten ihres Lebens die wertvollsten Lieder geschenkt haben.

Aber manchmal stöhnen wir auch über die unverständlichen Worte. Oder die Melodien sind so schwer. Wir wollen doch von ganzem Herzen mitsingen können! Deshalb sind in den letzen Jahren (oder schon Jahrzehnten) neue Kirchenlieder entstanden, deren Melodien sich ähnlich wie Schlager anhören. Die Kirchenmusiker stehen ihnen teilweise noch kritisch gegenüber. Aber die Gemeinden singen sie gerne, und nicht nur die Jugendlichen in ihnen. Warum sollte man sie auch nicht singen, wenn sie in unserem Mund zu einem Bekenntnis des Glaubens werden?! „Singet Gott dankbar in euren Herzen!“ heißt es in dem Predigttext für den heutigen Singe-Sonntag. Die Hauptsache ist doch: Die Lieder machen Spaß und sie bringen Lob und Dank gegenüber Gott zum Ausdruck.

Muß es denn immer so ernst und steif in unsren Gottesdiensten zugehen? Muß man denn immer stumm auf seinem Platz sitzen, starr nach vorne schauen und mit würdiger Haltung wieder davongehen? Bei einem Fest wird gesungen und gelacht und es ist ein großes Erlebnis für alle Beteiligten. Unsere Gottesdienste können ruhig etwas mehr atmen von der Stimmung bei den Festen, die wir sonst feiern. Hier könnte sich unser Christsein spiegeln und anderen deutlich machen, was wir von unserem Glauben an Gott haben. „An ihren Liedern könnt ihr sie erkennen!“ müßte es von den Christen heißen. Nicht durch ihre Altmodischkeit sollten unsere Lieder auffallen, sondern durch ihren Inhalt und durch die Freude, mit der sie gesungen werden. Aber die Lieder allein tun es noch nicht. Der Kolosserbrief zählt noch andere Dinge auf, an denen man einen Christen erkennen kann.

 

I. Als erstes heißt es: „Ziehet an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld!“ Wir sagen vielleicht: „Das ist doch etwas zu viel verlangt. Unser Leben ist so voller Konflikte und Schwierigkeiten, da kann man sich manchmal nur mit den Ellbogen durchsetzen. Heutzutage muß man eben alle Tricks und Schliche kennen!“

So sieht unser Leben aus: Es ist wie ein schmutziges und zerlumptes Kleid, das schleunigst ausgewechselt werden müßte. Schmutzige Kleider stoßen andere Menschen ab. Sie sind wie ein Panzer, der uns von den Mitmenschen und von Gott trennt. Wenn eine Raupe sich verpuppt hat, dann wird ihr eines Tages ihr Gewand zu eng: sie streift es ab und ein schöner Schmetterling kommt daraus hervor. So müssen wir auch unsre Unbarmherzigkeit und unsren Zorn abstreifen, weil sie nicht mehr modern sind.

Vielleicht kommt dann darunter schon ganz von selbst das neue Kleid zum Vorschein. Vielleicht müssen wir aber auch erst ein neues Kleid anziehen, um freundlich und hilfsbereit, geduldig und zuvorkommend zu werden. Ein neues Kleid verändert oft auch unser ganzes Lebensgefühl. Doch dieses Kleid können wir uns nicht selber schneidern oder im Laden kaufen: Gott schenkt es uns, und wir brauchen es nur anzuziehen.

Unser Christsein darf nicht in der Garderobe abgegeben oder im Spind versteckt werden. Sanftmut und Geduld sind eine Arbeitskleidung, die durchaus harten Belastungsproben ausgesetzt werden kann. Vielleicht ist alles in der Tat nicht schwerer als das Wechseln eines Kleides, wenn nur das neue Kleid schon da ist. Christus ist dabei unser Vorbild. Er hat Frieden gestiftet zwischen Gott und uns.

Wenn wir bedenken, „was Gott an uns gewendet hat“ (Wochenlied), dann gilt es Folgerungen zu ziehen. Wer immer nur den Flecken auf dem Anzug des anderen sieht, wird davon selber noch nicht besser. Dem anderen kann vielleicht schon mit Fleckenwasser geholfen werden. Aber der eigene Anzug gehört vielleicht gleich in die chemische Reinigung.

 

II. Wie können wir es aber schaffen, daß unser Leben wieder sauber wird? Als zweites werden die Mittel aufgezählt, durch die wir anders werden können, nämlich Liebe und Friede. Die Liebe ist wie ein Gürtel, der die verschiedenen Kleidungsstücke zusammenrafft und dadurch erst zu einem Kleid zusammenfügt. Es geht also nicht darum, verschiedene einzelne Tugenden zu üben, sondern die Liebe Christi insgesamt anzuziehen.

Doch wir tun uns alle schwer damit. „Mit den Engeln im Himmel kann man sich leicht vertragen; mit dem wirklichen Nebenmann ist es schwerer!“ Es gibt auch unter uns Christen Reibungen und Schwierigkeiten, sogar unter den Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern.

Die Gründe sind meist die gleichen: Wir wollen, der andere solle zuerst nachgeben. Wir stellen Bedingungen, die er nicht erfüllen kann. Wir betonen unseren guten Willen und verlangen vom anderen Beweise seiner Ehrlichkeit. Im Grunde aber will unser eigenes Ich der Schiedsrichter sein.

Gott aber will, daß der Friede Christi der Schiedsrichter ist und die Probleme zwischen den Menschen entscheidet. Wieviel änderte sich doch in der Welt, wenn nur e i n Mensch sich diesen Frieden Christi schenken läßt! Das strahlt doch aus und weckt Kräfte, die wir nicht geahnt hätten. Vor allem in der Kirche muß Frieden herrschen. Wir als Christen müssen zeigen, daß Frieden in der Welt möglich ist - dann wird auch Friede sein.

 

III. Drittens heißt es deshalb: „Laßt das Wort Christi reichlich wohnen in euch!“ Aber das ist leichter gesagt als getan. Kinder nehmen es noch bitter ernst, wenn sie beten: „Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein!“ Aber bei uns ist er nur gelegentlich zu Gast und spielt nur eine Gastrolle.

Wir schieben ihn dann ist Gästezimmer ab, in dem man alles Unbrauchbare abstellt, wo man aber selber nicht wohnt. Wenn wir Jesus nicht in unser Wohnzimmer oder gar in unsre Küche führen können, wird er nie eine Rolle spielen in unserem wirklichen Leben. Doch wir sagen: „Ich habe zu wenig Platz!“ Oder: „Es ist alles unaufgeräumt“ oder „Es sind Bekannte da, die wir Jesus lieber nicht zeigen möchten!“ Doch nur wenn er tatsächlich immer bei uns wohnt, kann er uns von innen heraus erneuern

Auf drei Wegen will er bei uns einziehen und sich heimisch machen:

1. Erstens durch die Lehre, wie sie uns in Predigt und Unterricht, bei Gemeindeveranstaltungen und Amtshandlungen erreicht und wie sie hoffentlich auch von Eltern und Paten an die Kinder weitergegeben wird.

2. Zweitens kommt er zu uns durch das gegenseitige Ermahnen. Weil im Leib Christi jeder für jeden verantwortlich ist, sollte man nicht nur bei einem vorliegenden Notstand miteinander reden, sondern sich ständig umeinander kümmern.

3. Drittens aber kommt das Wort Gottes auch zu uns durch das Singen. Wenn viel geglaubt wird, dann wird auch viel gesungen. Eine Gemeinde ohne Lieder oder mit einem lahmen Gesang ist krank, da wohnt Christus nicht wirklich.

Deshalb werden wir am Sonntag Kantate zum fröhlichen Singen aufgefordert. Entscheidend ist dabei nur, ob bei diesem Singen das Wort Christi zum Ausdruck kommt und unser Dank an Gott deutlich wird.

Für einen Kirchenchor zum Beispiel kann es nicht allein darum gehen, ein Kunstwerk zu bieten, sondern mitzuhelfen bei der Verkündigung des Wortes Gottes. Wer in diesem Sinne das Lob Gottes besingt, der wird davon auch innerlich geprägt werden.

In einem zweiten Schritt wird das dann auch in unsren Alltag hineinwirken: Dann werden auch die zwischenmenschlichen Beziehungen geregelt, dann kann man auch bei der Arbeit singen und braucht nicht vor sich hinzubrummeln. Die Worte ziehen die Werke nach sich. Sonntag und Alltag, Gottesdienst und Leben, Begegnung mit Gott und Begegnung mit den Mitmenschen gehören dann zusammen.

Schon Bonhoeffer hat gesagt: „Nur derjenige hat das Recht gregorianisch zu singen, der auch für die Juden zu schreien bereit ist!“ Auch heute darf nur der in der Kirche singen, der sowohl für die Ärmsten in der Welt eintritt als auch für die, die bei uns immer wieder zu kurz kommen. Wer alles in dem Namen des Herrn Jesus tut und Gott dankt, der wird dann schon ganz von selber merken, wie er sich verhalten soll.

 

Zusatz:

Zum Zusammenhalt der Gemeinde gehört unbedingt der Gottesdienst dazu. Es gibt ja auch die Möglichkeit, daß Gemeindeglieder den Gottesdienst übernehmen, unter fachlicher Anleitung des Pfarrers. Aber ausfallen darf ein Gottesdienst nicht. Das Wort Gottes muß reichlich angeboten werden, sonst fällt die Gemeinde auseinander.

Allerdings wird es heute nicht nur in Form des üblichen Gottesdienstes angeboten, sondern auch durch eine Reihe anderer Veranstaltungen im Laufe der Woche. Aber viele Leute gehen nicht so gern ins Gemeindehaus. In der Kirche ist alles anonymer und unverbindlicher, da kann man schnell einmal hingehen, ist aber auch schnell wieder weg. Das Gemeindehaus ist dagegen in den Augen vieler Leute mehr etwas für die ganz Frommen. Da muß man näher zusammenrücken und muß sich vielleicht auch selber beteiligen. Das scheuen aber eben manche Menschen: Wenn eine Sache für sie verbindlich zu werden droht, ziehen sie sich lieber zurück.

Die Gemeinde Gottes kann aber auch zusammengehalten werden kann, wenn sie den Satz aus dem Kolosserbrief beherzigt: „Lehret und vermahnet euch selbst in aller Weisheit!“ Wo gibt es das heute noch unter uns, daß wir uns gegenseitig auf den rechten Glauben und ein rechtes christliches Leben hinweisen? Meist finden wir das heute nur noch in kleinen Gruppen von Christen, in den Freikirchen und natürlich auch bei den Sekten. Da wird zum Teil noch auf strenge Zucht geachtet und durchaus auch dem anderen in seine Sache hineingeredet.

Sollen wir uns das auch wünschen, daß die Gemeinde in solche kleinen Gruppen zerteilt wird oder soweit schrumpft, daß nur noch eine kleine Gruppe übrigbleibt? Manche Christen wünschen sich ja geradezu diese Zeit herbei, in der die Volkskirche zerfallen sein wird. Eine „Religion ohne Entscheidung“ wird es dann nicht mehr geben, sondern nur noch bewußte Christen; die Gemeinden würden dann wieder so wie zur Zeit des Urchristentums.

Nun ist natürlich in einer kleinen Gruppe das brüderliche Gespräch leichter. Da kann man dann auch einmal ein Wort der Kritik wagen, wenn es mit Liebe gesagt ist. Aber man darf auch die sogenannte „Volkskirche“ nicht schlecht machen. Es hatte sicherlich auch sein Gutes, wenn die Kirchen voll waren und das öffentliche Leben stark vom Christentum geprägt war. Volkskirche bedeutete vor allem, daß die Türen offen waren für alle Menschen des Volkes. Eine kleine Gruppe schließt sich leicht in sich selber ab und ist sich dann selbst genug. Sie läßt keinen anderen mehr dazukommen und versteht sich als die alleinige Gruppe der Auserwählten.

Das Beste ist sicher der Mittelweg. Wir können auch in einer großen Gemeinde das Gespräch miteinander suchen, uns gegenseitig trösten und ermahnen, unter dem Wort Gottes zu­sam­men­­bleiben.

 

Kol 3, 12 - 16  (Kantate, Variante 2):

Es geht es ganz schön steif zu in unseren Gottesdiensten: Man setzt sich stumm auf seinen Platz, schaut starr nach vorne      und geht in würdiger Haltung wieder davon. Darf man in der Kirche nicht auch einmal lachen? Bei einer Trauung ist es einmal passiert: Die beiden Mädchen, die Blumen gestreut haben, sitzen auf den Stufen zum Altarraum. Plötzlich steht die eine auf, geht hin zum Pfarrer, hebt ihm den Talar hoch und guckt drunter. Wieder zu der anderen zurückgekehrt, sagt sie laut und vernehmlich: „Siehst du,         er hat doch Hosen drunter an!“ Für diese Mädchen gab es nur e i n e wichtige Frage bei dieser Trauung. Sie haben den würdevollen Gottesdienst gestört, aber es war für sie ein großes Erlebnis.          

Manchmal wünscht man sich direkt etwas unvorhergesehen im Gottesdienst, damit man einmal spürt: „Hier geht es nicht um eine tieftraurige Angelegenheit, die man in schwarzen Kleidern und mit tieftraurigen Gesichtern erlebt, sondern hier geschieht etwas, das mit unserem ganz gewöhnlichen Alltag zu tun hat.         

Doch das ist schon schwierig, wenn  wir die Lieder in unserem Gesangbuch sehen. Der heutige Sonntag heißt „Kantate - Singet!“ Ja, was sollen wir denn singen? Die Lieder, deren Text erst noch einmal durch eine Fußnote erklärt werden muß? Die Lieder, die plötzlich eine ganz andere Melodie haben als früher? Wir wollen doch von ganzem Herzen mitsingen können. Die Lieder sind doch nicht eine liturgische Umrahmung der Predigt, sondern im Grunde Gebete. Von der oft hochgeistigen Predigt werden wir vielleicht nicht angesprochen. Aber unser Glaube lebt in den         Liedern und Psalmen unsrer Kirche. In der Kriegsgefangenschaft             war mancher froh über die Lieder, die er im Konfirmandenunterricht gelernt hatte. Hier war etwas, an das man sich halten konnte und das Trost gab. Auch heute steht in unserm Gesangbuch eine Fülle herrlicher Lieder, gerade die Osterlieder gehören dazu.  

Es wurden auch wieder Kirchenlieder moderner Art gedichtet. Mancher meint dann aber, wenn er einen Fernsehgottesdienst gesehen hat: „Nur die Musik war so komisch. Ichglaube, es war sogar Jazzmusik!“ Jazz in der Kirche, moderne Schlagermelodien!  Warum denn nicht, wenn sie das Herz anrühren und in unserem Mund zu einem Bekenntnis unseres Glaubens werden? „Singet dem Herrn in euren Herzen!“ ruft uns der Predigttext für den heutigen Singe-Sonntag zu. Wie sich der im Gottesdienst gesungene und ausgesprochene Glaube im Leben zeigt, wollen uns noch überlegen:

 

(1.) Unser Christsein reicht in den Alltag hinein:

All die Lieder helfen uns nicht, wenn sie nicht auch Lieder für unseren Alltag sind. In einem Aufbaulager war ein Graben für die Abwasserleitung eines Jugendheimes auszuheben. Auf einmal bei dir Arbeit summte einer die Melodie des Liedes „Wir wollen alle fröhlich sein“, das bei der Morgenandacht gesungen worden war. Warum denn nicht? Die Kirchenlieder gehören in unseren Alltag, nicht nur in festliche Stunden. Sie gehören in die Familie und an den Arbeitsplatz. Wie arm sind doch die Familien, in denen nicht einmal am Heiligabend noch gesungen wird! Wie schwer muß doch die Arbeit sein, bei der man nicht mehr singen kann, sondern nur so vor sich hinbrummelt.

Heute werden wir jedoch aufgefordert: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des Herrn Jesus und danket Gott, dem Vater, durch ihn!“ Auch unsere Arbeit geschieht im Namen des Herrn Jesus. Wir sind nicht nur hier im Gottesdienst beieinan­der als Gemeinde, sondern auch draußen in den Fabriken und Büros.

Wer hier in der Kirche mit dem anderen auf einer Bank zusammensitzt, der muß ihm auch draußen beihalten. Gottesdienst und Alltagsleben gehören zusammen. Wenn nur einige ernst machen mit dem, was sie hier hören, wird das schon ein großer Gewinn für unseren Ort sein.

Für all unser Tun aber, in Gottesdienst und Alltag, gibt es nur einen Maßstab: „Können wir Gott dafür danken?“ Wenn unsre Lieder Danklieder sind, wenn unsre Arbeit, unsere Hilfe, unsere Worte ein Dank an Gott sind, liegen wir richtig. Also immer erst überlegen: „Könntest du für dieses Wort, für diese Tat, nachher auch Gott danken?“ Wie werden wir denn zu solchen Menschen, die in jedem Augenblick an Gott denken?

 

(2.) Unser Christsein steht unter dem Wort Gottes: Doch das ist leichter gesagt als getan. In einem Kindergebet heißt es: „Ich bin klein, mein Herz sei rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein!“ Kinder nehmen so etwas noch erfreulich ernst. Aber in unseren Herzen wohnt manches andere, nur nicht Jesus. Oder wir haben nur einen Abstellraum für ihn. Im Religionsunterricht sagte einmal ein Junge: „Bei uns hätte das Jesuskind nicht in einem Stall geboren werden müssen. Wir haben noch viel Platz auf dem Dachboden“ Da springt einer auf: „Auf dem Dachboden ist auch nicht besser als Stall! Ich hätte ihm mein eigenes Bett gegeben!“

Es gibt aber auch das andere: Jesus wird wie ein hoher Besuch in die „gute Stube“ geführt. Dort ist er dann unser Gast. Aber wir selber leben gar nicht in dieser Stube, sie ist nur für ganz besondere Anlässe da. Wenn wir Jesus nicht auch in unsere Küche führen können, wird er immer nur eine Gastrolle bei besonderen Gelegenheiten spielen. Aber er wird nie eine Rolle spielen in unserem wirklichen Leben.

Vielleicht können wir Jesus aber nicht in die Küche führen, weil es dort in unserem Alltagsleben so unaufgeräumt und so schmutzig ist und allerhand gute Bekannte sich dort aufhalten, die wir Jesus lieber nicht zeigen möchten. Wir sagen: „Komm Herr Jesus, sei du unser Gast!“ Hätte er aber wirklich heute Abend mit am Abendbrottisch sein können? Wie kann es uns gelingen, wieder Ordnung in unser Leben zu bringen, so daß Christus sich daran freuen kann?

 

(3.) Unser Christsein zeigt sich im Anziehen der neuen Kleider: Wir haben zu viele schmutzige und zerlumpte Kleider an. Jesus will, daß wir sie schleunigst ausziehen. Runter mit der

Erbarmungslosigkeit und herzliches Erbarmen angezogen! Vertauscht Unfreundlichkeit mit Freundlichkeit, Raffgier mit Bescheidenheit, Gewalttätigkeit mit Sanftmut und Ungeduld mit Langmut. Diese neuen Kleider gibt es allerdings nicht im Supermarkt zu kaufen. Aber Gott schenkt sie uns. Wir brauchen sie nicht selbst zu schneidern. Sie sind schon da und würden uns ganz gut stehen. „Kleider machen Leute“, sagt man. Vor allem, wenn wir Gottes Kleider anziehen.

Nur müssen wir sie auch anziehen. Wenn meine Tante wir ein Hemd schenkte, dann sagte meine Mutter häufig: „Das wird aber erst einmal in den Schrank gelegt und noch aufgehoben“ Doch die Tante sagte dann: „Er soll es ruhig anziehen, dafür ist es ja da, es ist doch ein Alltagshemd!“ So geht es aber vielen Christen: Wenn es in den Alltag geht, wird der Glaube an der Garderobe abgegeben oder im Spind versteckt. Sanftmut und Geduld sind aber Arbeitskleidung, die durchaus auch den Stürmen der Welt ausgesetzt werden kann.

 

(4.) Unser Christsein ist uns schon von Christus gegeben: Erst einmal ist uns etwas gegeben worden. Wir werden angesprochen als die Verwalter Gottes, wir sind Heilige und Geliebte.

Christus hat u n s vergeben, und deshalb sollen wir auch den anderen vergeben. Christus verträgt sich mit uns, auch wenn wir ihn andauernd quälen, weil wir unsere Macht gegenüber unseren Mitmenschen ausspielen. Er vergibt uns, auch wenn wir immer die besten Brocken für uns haben wollen. Wir dürfen nie vergessen, „was Gott an uns gewendet hat“, wie es im Wochenlied heißt.

Weil wir aber alle auf der gleichen Stufe stehen, sollten wir alle gegenseitigen Vorwürfe aufgeben? Wenn wir nur den Flecken auf dem Anzug des anderen sehen, wird es mit u n s nicht besser. Dem anderen ist vielleicht schon mit Fleckenwasser geholfen. Aber unser eigener Anzug gehört am besten gleich in die chemische Reinigung. Mit Fleckenwasser ist da schon nichts mehr zu machen. - Ja, welches ist denn nun das Mittel, das eine solche Reinigungskraft hat? Gleich zwei Mittel werden hier aufgezählt.

 

(5.) Unser Christsein wird gekrönt durch Liebe und Friede: Doch schon in der christlichen Gemeinde tut man sich schwer damit. „Mit den Engeln im Himmel kann man sich leicht vertragen. Mit dem wirklichen Nebenmann ist es schwerer!" Es gibt auch unser uns Christen Reibungen und Schwierigkeiten, sogar unter den Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern. Häufig liegt das nur daran, daß wir unbedingt wollen, der andere solle sich z u e r s t entschuldigen. Wir stellen Bedingungen, die der andere nicht erfüllen kenn. Wir verlangen erst Beweise der Ehrlichkeit von anderen und betonen unseren guten Willen. Aber im Grunde will unser

eigenes Ich Schiedsrichter sein. Dabei hat Gott doch zuerst Frieden mit uns geschlossen. Deshalb soll nun der Friede Christi auch unter uns herrschen. Wenn nur e i n Mensch sich diesen Frieden schenken läßt und ihn an seine Welt weiter gibt dann strahlt etwas aus und weckt Kräfte, die wir nie geahnt hätten.

Vor allem in der Kirche mag Frieden herrschen. Es nutzt uns doch nichts, wenn wir nach außen ein schönes Gewand tragen, aber innendrin steckt ein schlechter Kerl. Es nutzt uns nichts, wenn unser Herz dem Mund, den Händen, den Füßen schlechte Dinge befiehlt und alles durcheinander kommt. Wir sind alle e i n Leib, in dem alle aufeinander angewiesen sind und übereinstimmen müssen, sonst stolpern wir und fallen in den Dreck und die anderen lachen schadenfroh, weil unsre vorbildliche Fassade beschmutzt ist.

Wir haben gehört: Unser Christsein reicht in den Alltag hinein, wenn es unter dem Wort Gottes steht. Es zeigt sich im Anziehen der neuen Kleider, die uns schon von Christus gegeben sind. Und der schönste Schmuck des Christen sind Liebe und Friede. Aber das kann man nicht mit Gewalt erlangen oder mit griesgrämigem Gesicht, sondern das geht gleichsam nur spielerisch.

Vielleicht sollten wir noch viel mehr miteinander singen und Feste feiern in unserer Gemeinde. „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder!“ Wenn einer singt, dann kann er damit nur Gott loben. Lob- und Danklieder gehören in unsere Herzen, nicht Haßgesänge und Parolen. Wer G o t t lobt und ihm dankt, der wird ganz von selbst merken, wie er sich in seinem Leben verhalten soll.

 

 

Kol 3, 16: „Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch!“

Die meisten von uns werden das eine oder. andere markante Worte im Gedächtnis haben, das ihm einmal in einer besonderen Situation gesagt worden ist. Es kann sich dabei um ein Wort der Eltern oder Großeltern handeln. Aber wir denken auch an Worte bei besonderen Lebensabschnitten wie Schulabschluß oder Eheschließung. Und nicht zuletzt denken wir an Worte der Bibel wie sie uns etwa bei der Konfirmation oder Trauung mitgegeben wurden. Das ist ja der Sinn dieser Bibelworte: Sie sollen einen begleiten, sollen einem wieder einfallen, wenn man mal nach einem Halt sucht, sie sollen trösten und aufrichten. Viele kennen auch tatsächlich ihren Konfirmations- oder Trauspruch.

Wir haben jetzt allerdings nur an helfende Worte gedacht. Aber es gibt natürlich auch giftige Worte, die wir schlucken mußten und die uns nicht aus dem Gedächtnis gehen. Und schließlich gibt es auch Worte, die nicht gesagt wurden, obwohl sie hätten gesagt werden müssen: Wir hätten auf ein klärendes oder vergebendes Wort gehofft, aber es ist nicht gesagt worden.

Das Wort Gottes aber wird uns auf alle Fälle gesagt.

Schon die erste Schöpfungserzählung erwähnt immer wieder: „Gott sprach!“ Durch das Wort hat er alles geschaffen. Dann hat er zu Abraham gesagt: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein!“ Danach hat er durch den Mund der Propheten gesprochen. Immer war „das Wort“ dabei, nichteins von vielen Wörtern, kein Geschwätz, das uns bald über ist, sondern das Wort, das Leben schafft und Kraft hat, weil es von Gott ausgeht.

Am deutlichsten aber hat Gott zu den Menschen gesprochen in Jesus. Er ist das lebendig gewordene Wort Gottes, Gottes Anrede an uns. Wenn wir Menschen uns verständigen wollen, dann sind wir auf Worte angewiesen. Weil Gott in Jesus zum Wort geworden ist - sozusagen einen Mund erhalten hat - können wir ihn nun mit unseren Sinnen aufnehmen und hoffentlich auch verstehen.

Von diesem Jesus sagt der Kolosserbrief im Kapitel 3: „Christus ist den von Gott verordneten Weg folgerichtig zu Ende gegangen. Deshalb hat Gott ihn von den Toten auferweckt. Nun braucht ihr euch in eurer Gemeinde nur ihm anzuvertrauen, denn er hat euch erlöst. Dann werdet ihr euch selbst überwinden und wieder zu euch selbst finden. Ihr werdet wieder so sein, wie ihr eigentlich als Ebenbild Gottes geschaffen worden seid. Ihr werdet wieder neue Menschen sein, wie ihr eigentlich unmittelbar nach der Schöpfung gewesen seid.

Der Gipfel dieser Ausführungen ist dann dieser Satz: Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch!“ Damit ist gemeint: „Die Kraft zu einem neuen Leben findet ihr in der Gemeinde und in den Gottesdiensten, in denen das Wort Christi verkündet wird. Ihr braucht es nur bei euch wohnen lassen, dann wird es euch schon neu machen und den Weg durchs Leben zeigen und euch recht leiten.

Betont wird gesagt: „Dieses Wort bietet den ganzen Reichtum, es ist vollständig und braucht nicht ergänzt zu werden!“ Das ist damals so gesagt worden gegenüber einer weitverbreiteten Irrlehre, der auch die Kolosser zu erliegen drohten. Ihnen wird gesagt: „Der Glaube ist schon vollkommen, alle weiteren Zutaten sind unnütz. Das Wort Christi, wie es seine Jünger weitererzählt und aufgeschrieben haben, ist eindeutig und zuverlässig. Jesus hat keine Lügengeschichten erzählt, die wie eine Seifenblase zerplatzen, sondern seine Worte verändern etwas: zu seinen Worten gehören auch seine Taten“

An vielen Geschichten kann uns in der Bibel deutlich werden, wie Jesu Wort den Menschen Freude und Glück gebracht hat: Dem Zachäus hat er gesagt: „Ich muß heute bei dir einkehren, denn deinem Haus ist Heil widerfahren. Daraufhin hatte Zachäus die Kraft, sein Leben zu ändern. Sein Wort hat dem Blinden die Augen geöffnet und dem Lahmen wieder auf die Beine geholfen. In der Bergpredigt hat er aufgezählt, wie wir glücklich und reich werden können durch Gott.

Wo dieses Wort erst einmal eingewurzelt ist, da ist es zum Schatz geworden, den man nicht mehr hergeben will. So haben vor rund 300 Jahren die evangelischen Christen im Bistum Salzburg lieber ihre Heimat verlassen als daß sie zum katholischen Glauben übergetreten wären. Auf Befehl des Erzbischofs Leopold Anton von Firmian sollten sie 1731 alle Bibeln abgeben, also nicht mehr Gottes Wort unter sich wohnen lassen, sondern nur auf die Predigt der (katholischen) Kirche angewiesen sein. Da verließen nach und nach 22.000 Salzburger mitten im Winter ihre Heimat und fanden in Preußen eine neue Bleibe.

Daran sieht man, daß das Wort nicht nur eine theoretische Bezeichnung ist, sondern daß die Tat damit zusammenhängt. „Der Worte sind genug gewechselt, so laßt uns Taten sehen!“ Diesen Satz kann man mehr im Sinne eines Seufzers verstehen: „Alles Reden führt zu nichts, die Predigt geht zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Worte bringen uns nicht weiter!“

Man kann es aber auch so verstehen: „Jetzt ist alles ausgesprochen. Man weiß, woran man ist, die Diskussion war hilfreich, das Gespräch klärend. Jetzt können wir endlich an die Verwirklichung dessen gehen, was wir erkannt haben. In diesem Sinne sollte das Wort Gottes unter uns wohnen, daß wir es nicht nur hören, sondern auch danach tun.

Die Worte der Menschen sind ja sowieso oft von Taten begleitet. Wir sprechen ja nicht nur mit Worten, sondern mit dem ganzen Körper, mit dem Gesicht, mit Händen und Füßen. Eine Mutter kann sich zum Beispiel ihrem kleinen Kind mitteilen, obwohl dieses noch gar nicht sprechen kann. Das Kind nimmt den Klang der Stimme wahr, den Gesichtsausdruck und die Bewegungen und reagiert darauf auch mit seinem ganzen Körper. So wird eine Beziehung zwischen Mutter und Kind aufgebaut, die noch vor dem gesprochenen Wort da ist und das ganze Leben über halt.

Auf vielfältige Weise sprechen wir mit dem ganzen Körper: Wir werden rot oder blaß, uns treten Tränen in die Augen, wir verschränken die Arme, weichem dem Blick des anderen aus oder runzeln die Stirn. Oft geschieht das ganz unbewußt. Aber es ist oft deutlicher als gesprochene Worte. An der Art, wie einer den anderen begrüßt, kann mag sehr viel über die Beziehung zueinander ablesen: ob der Chef hinter dem Schreibtisch bleibt, wenn er einen Angestellten empfängt oder ob er die Hand gibt oder vielleicht seiner Frau um den Hals fällt, die ihn besuchen kommt.

Allerdings ist die Körpersprache nicht immer eindeutig. Deshalb muß manchmal auch das gesprochene Wort dazu kommen. Es hilft zum Beispiel dem anderen nicht viel, wenn ich ein böses Gesicht mache und ihm nicht sage, was mich geärgert hat. Die Körpersprache gibt dann nur das Signal, das das Wort herausfordert.

So hat auch Gott nicht nur durch ein Buch gesprochen, sondern er hat seinen Sohn leibhaftig zu den Menschen geschickt. „Das Wort ward Fleisch!“ heißt es im Johannesevangelium. Doch verständlich wurde das alles erst, als Jesus von seiner Aufgabe gesprochen hat. Er hat auch vieles durch die Körpersprache ausgedrückt: Er hat dem Kranken die Hand aufgelegt, die Kinder gedrückt, dem Blinden einen Brei auf die Augen gelegt, dem Tauben die Finger in die Ohren gesteckt und die Händler aus dem Tempel hinausgepeitscht. Aber meist wurde die Handlung erst eindeutig, wenn er sie auch durch das Wort erklärt hatte.

Das verständliche Wort muß auch solche Zeichenhandlungen wie Taufe und Abendmahl begleiten, damit man sie nicht mit alltäglichen Handlungen verwechselt. Anfangs wurde ja noch getauft, indem der Täufling mit dem ganzen Körper untergetaucht wurde. Da erlebte er dann, wie sein ganzes bisheriges Leben versank und aus diesem Sterben ein neues Leben hervorging. Auch das Essen und Trinken beim Abendmahl kann man so verstehen, daß Gott jetzt durch Brot und Wein in uns wohnt.

Wir können gar nicht genug Verbindungsmöglichkeiten mit Gott haben. Er spricht zu uns durch Wort und Zeichen. Wenn wir ihn bei uns wohnen lassen mit all seinem Reichtum, dann

 

Timotheus

 

1. Tim 1, 12 – 17 (1. Sonntag nach Trinitatis):

Wir sind alle Menschen mit einer Vergangenheit. Nicht nur, daß wir Zeit hinter uns gebracht haben, wir haben die Zeit oft auch zu unguten Dingen verwandt. Mit den Worten der Bibel gesagt: Wir sind Sünder! Und diese Sünde klebt uns an und muß wie ein Klotz am Bein mitgezogen werden. Das eigentlich ist unsere Vergangenheit.

Aber in unsrer Welt darf man eigentlich eine solche Vergangenheit nicht haben. Wenn sich nach über 30 Jahren herausstellt, welche Rolle einer in der Nazizeit gespielt hat, dann ist er dran. Lange Zeit hat er seine Vergangenheit verbergen können, aber er hat sie nicht ungeschehen machen können. Und nun ist er schlimmer dran als diejenigen, die gleich umgeschwenkt sind.

In unsrer Welt muß alles bis zur äußersten Vollkommenheit klappen. Ein Mensch der Fehler macht und versagt, hat in dieser Welt kaum einen oder nur einen geringen Stellenwert. Heute gibt es eben Maschinen, die mit äußerster Genauigkeit arbeiten und denen der Mensch einfach unterlegen ist. Wenn er nur einigermaßen mithalten will, dann darf er keine Fehler und Schwä­chen zeigen.

Ganz anders erfahren wir es im 1.Timotheusbrief. Hier spricht ein Mensch, der nicht nur Fehler gemacht hat, sondern ein Sünder ist. Er stellt sogar den Modellfall für einen Sünder dar. Wir wissen auch, welcher bestimmte Mensch damit gemeint war. Der 1.Timotheusbrief ist ja so geschrieben, als stammte er von dem Apostel Paulus. Wir wissen allerdings, daß er in Wirklichkeit von einem Paulus-Schüler stammt, also aus einer späteren Zeit. Aber der Verfasser tritt bescheiden zurück. Er will sich nicht selber einen Namen machen, sondern seinen Lesern sagen: Wenn Paulus heute noch da wäre, dann würde er so schreiben. So werden wir ruhig den Verfasser „Paulus“ nennen und darauf achten, was denn nun inhaltlich in diesem Brief steht.

In der Christengemeinde in Ephesus traten Irrlehrer auf, mit denen der Paulusschüler Timotheus sich auseinandersetzen mußte. Dieser berief sich dabei auf seinen Lehrer Paulus, was der ihm aufgetragen hatte. Aber er mußte damit rechnen, daß sie ihn dann auf die antichristliche Vergangenheit des Paulus hinweisen würden. Solchen Angriffen will „Paulus“ von vornherein das Wasser abgraben, er steht offen zu seiner Schuld.

Paulus ist ja tatsächlich ein Lästerer und Verfolger der Gemeinde gewesen. Er war sogar ein besonders schwerer Sünder. Da wird nichts vertuscht. Das wird ihm jedenfalls deutlich, wenn er daran denkt, daß er sich vor Gottes Gericht dafür wird verantworten müssen.

Vielleicht würden wir selbst den Paulus gar nicht so schlimm beurteilen, wie er selbst es tut. Aber es geht hier gar nicht um ein Mehr oder Weniger. Paulus war natürlich nie Atheist, sondern er hat im Namen Gottes die Christen verfolgt. Gerade weil er es mit dem Glauben so ernst nahm, wandte er sich gegen die neue Lehre der Christen. Nach jüdischen Maßstäben war er ein vollkommener Heiliger.

Aber wie viele Untaten sind im Laufe der Menschheitsgeschichte aus „edelsten“ Beweggründen geschehen. So meinte auch Paulus um Gottes willen diesem Jesus und seiner Gemeinde widerstehen zu müssen. Er wurde zum Verfolger und brutalen Gewaltmenschen. Und damit hat er Jesus direkt geschmäht und verfolgt und geschunden.

Es geht hier nicht darum, daß Paulus einmal in einer schwachen Stunde einen Fehltritt getan hat, nur einmal entgleist ist und dem Gemeinen nachgegeben hat. Das verstehen wir ja meist unter Sünde. Aber all das ist ja nur ein Anzeichen für einen viel tieferen Schaden. Diesen gilt es erst einmal zu erkennen und innerlich anzunehmen.

Paulus weist zwar darauf hin, daß er in Unwissenheit gehandelt hat. Aber damit kann er sich nicht entschuldigen oder mildernde Umstände geltend machen. Auch seine Unwissenheit war ja Sünde. Und Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. So verschleiert Paulus seine Vergangenheit nicht, er erzählt ohne Furcht davon. Er bewahrt sogar seine Vergangenheit bewußt im Gedächtnis auf, um so die Größe der erfahrenen Güte deutlich machen zu können.

Paulus sagt im Kernsatz dieses Abschnitts: „Jesus Christus ist gekommen in die Welt, die Sünder selig zu machen!“ Er wartet nicht, bis er gefunden wird, sondern er sucht selbst, zum Beispiel in diesem Gottesdienst. Auch Paulus wurde zum Gegenstand seines Erbarmens. Auch so ein aussichtsloser und verfahrener Fall wie der des Christenverfolgers Paulus konnte ihn nicht in seinem Rettungswerk irre machen.

Jesus hätte seinen leidenschaftlichen Verfolger ja auch ausschalten und zur Strecke bringen können. Aber er hat sich seiner erbarmt, hat ihn überwunden und gerettet. Wie eine Art Überschwemmung ist die Gnade Jesu Christi dann über Paulus gekommen. Im schlimmsten Fall, nämlich an Paulus selber, können wir ablesen, daß Jesus gekommen ist, zu suchen und zu retten.

Da sollten wir in der Kirche auch niemandem seine Vergangenheit vorrechnen, niemand sollte sie verheimlichen müssen. Ich denke noch daran, wie einmal jemand als Kandidat für den Kirchenvorstand vorgeschlagen wurde, der einmal eine Zeitlang aus der Kirche ausgetreten war. Doch die schon Mitglieder im Kirchenvorstand waren, sagten ganz eindeutig: „Das war früher, wir gehen nach dem, was jetzt ist!“ Es war sicherlich keine Fehlentscheidung, der Mann hat sich nachher sehr bewährt. So etwas ist eben in einer christlichen Gemeinde möglich, die aus der Vergebung lebt.

Da gibt allerdings auch den umgedrehten Fall, daß einer mit seiner Vergangenheit kokettiert

und gern und betont von seiner Bekehrung redet, nach dem Schema: Früher war ich ein schlimmer Sünder, aber jetzt bin ich ein frommer Gerechter. Paulus sprich nur von seiner Vergangenheit, um deutlich zu machen: Ich habe das auch durchgemacht und auf diese Art und Weise ist es bewältigt worden.

Am überzeugendsten ist der Erdkundelehrer, der sagen kann: Ich bin selber dort gewesen! Vor einer Operation hilft nicht ein Doktorbuch, sondern die Ermunterung eines Menschen, der die Operation schon hinter sich hat. So wird euch ein Ungläubiger am ehesten überwunden durch die Begegnung m:it einem Menschen, der zum Glauben gekommen ist. Aber wo das wirklich der Fall, da wird man nur mit sparsamen Worten davon reden, dafür umso mehr im Leben darstellen, was man glaubt.

Heute gibt es jenes „Vorher“ und „Nachher“ nur noch selten. Meist -geht es um ein Miteinander und eine gewisse Gleichgültigkeit. Verstehen wir uns denn als solche, die die Gnade Gottes nötig haben? Wenn einer sagt: „Ja, ich bin ein Sünder!“ dann braucht das für ihn noch keine Folgen zu haben, das ist zunächst nur einmal eine verstandesmäßige Einsicht. Aber es sieht schon anders aus, wenn man ihm konkret sagt: „Ja, du bist ein Sünder, wenn man bedenkt,

wie du mit deiner Schwiegertochter umgehst!“ Dann ist der Betreffende oft entrüstet, weil man ihm das auf den Kopf zugesagt hat.

Da jeder Mensch ein Selbstwertgefühl hat, redet er sich dauernd ein, er sei im Grund ein ganz anständiger Mensch. Durch die Bibel können uns die Augen geöffnet werden für unsre schwachen Stellen. Diese sind ja nicht nur „Schönheitsfehler“, sondern eine grundsätzliche Verderbnis.

Fertig werden kann man damit vielleicht nur, wenn man sich so wie Paulus gleich wieder zum Dienst einsetzen läßt. „Gnade und Apostelamt“ kann er nur in einem Atemzug nennen. Das Überströmen der Gnade ist zugleich Einsetzung in den Dienst. Er kann überhaupt nicht Christ sein, ohne für den Herrn etwas zu tun. Aber das kommt nicht aus ihm selber heraus. Christus kam nicht in die Welt, um sich eine Elite zu sammeln. Er braucht nicht nur die Bewährten, die Starken, die Jungen, die Frommen. Oftmals wählt er sich gerade die aus, die vor Gott und der Welt versagt haben. Christus baut seine Gemeinde mit ungeeigneten Werkzeugen, er arbeitet mit Durchgefallenen. Vor Gott bedeuten sie nämlich etwas. Deswegen werden sie von ihm auch stark und fähig gemacht, seine Boten zu sein

Paulus ist da nur ein Modellfall. Die Gemeinde besteht aus lauter solchen Menschen, die sich nur darüber wundern können, daß ihr Herr etwas mit ihnen anfangen will. Paulus will an seinem Beispiel deutlich machen, was Christus auch noch mit anderen vorhat: aus Sündern sollen Mitarbeiter werden.

Dieses Wunder überwältigt ihn so, daß er nur in einen gewaltigen Lobpreis ausbrechen kann.

Das Schema des Abschnitts lautet: Sünde - Gnade - Dank. Auch wir können Gott nur danken, daß er uns für taugliche Werkzeuge hält. Wir wollen anderen predigen und sind doch selber schwach. Nein, wir sind eben nicht schwach, sondern wir können und dürfen anderen Mut machen, die Gnade Gottes anzunehmen.

Es spricht alles gegen uns - aber Gott ist für uns. Es ist viel Schlimmes gewesen - aber wir sind dennoch vertrauenswürdig. Wenn wir glauben: Gott gibt uns die Kraft, dann h a b e n wir sie auch. Christus bedient sich eben untüchtiger und unmöglicher Menschen; nur deswegen können wir als Sünder anderen von der Gnade Gottes predigen. Vielleicht ist dieser „Artikel“ bei der „Kundschaft'“ nicht so gefragt. Aber wir haben ihn immer wieder anzubieten. Vielleicht wird dadurch das Begehren geweckt.

Wissen dürfen wir aber auf jeden Fall: Wir s i n d etwas, wir k ö n n e n etwas. Aber das ist kein Grund, sich etwas darauf einzubilden, sondern vielmehr ein Grund, Gott zu loben und zu preisen.

 

 

1. Tim 2, 1 - 6 a (Rogate):

Eine Landkarte enthält eine Fülle von Informationen über eine Gegend, über die Dörfer und Straßen und Berge und Ausflugsziele. Bei fast jeder Ortschaft ist auch ein Kreuz eingezeichnet, weil dort eine Kirche steht. So wird auf der Landkarte sichtbar, daß ein ganzes Netz von Kirchen vorhanden ist. Dort ist dann natürlich auch Gottesdienst. Und dort wird auch regelmäßig Fürbitte gehalten für die Menschen, die um die Kirche wohnen und die in dem ganzen Land leben. Die kleinen Kreuze auf der Karte sind wie kleine Lampen, die ihre Umgebung hell machen und für die Menschen im Umkreis leuchten.

Aber das Gebet für andere Menschen ist nicht auf den Sonntag und nicht auf die Kirche beschränkt. Auch in den Häusern beten Christen für andere Menschen. Wollte man diese Häuser alle kennzeichnen, dann müßten noch viele Lampen aufleuchten. Ein ganzes Netz von Fürbitte durchzieht unser Land. Das Fürbittengebet im Gottesdienst aber ist der Knoten im Netz, der die Fäden zusammenhält.

Unsre Aufgabe ist es, daß dieses Netz nicht zerreißt, sondern durch uns noch gestärkt wird. Es nutzt ja nichts, wenn man eine Kirche als kulturelle Leistung einer vergangenen Zeit wahrnimmt, aber nicht am heutigen Leben in der Kirche teilnimmt. Manche betreten einen mittelalterlichen Dom oder eine alte Dorfkirche mit dem Wissen: So haben die vor uns geglaubt und gebetet, so haben sie sich selbst verstanden und Gott verehrt. Das Alte will uns auch für das Heute verpflichten. Der Glaube fängt ja nicht mit uns an, sondern wir gehen in den Spuren anderer. Aber es genügt nicht, den Naumburger Dom zu besichtigen. Was Kirche ist, versteht man nur, wenn man auch zur Gemeinde Kontakt hat.

Diese Gemeinde steht immer wieder in Verdacht, einen frommen Müßiggang zu betreiben. Sicherlich soll der Glaube auch Gestalt gewinnen in der Liebe; das ist seine Ausdehnung in der Waagrechten. Aber zu ihm gehört auch die Senkrechte, nämlich das Gebet, das Hinein­gezogensein in die Beziehung zu Gott. Hier betet die ganze Gemeinde für die Welt. Damit leistet sie einen wichtigen Dienst, den sie tun soll, den sie tun darf und den sie auch tun kann.

 

(1.) Wir sollen beten: Beten ist ein Stück Arbeit, nämlich Arbeit der Herzen. Das sollten wir uns vor Augen halten, wenn wir vielleicht stöhnen, daß nach der Predigt noch ein langes Fürbittengebet kommt. Hier haben wir ein wichtiges Amt, das wir auch stellvertretend für andere wahrzunehmen haben.

Sicherlich geht es nicht so, wie in einer Anzeige im „Singener Wochenblatt“ zu lesen war. Da bietet einer an: „Ich bete täglich für Sie gegen Geldspende im Brief!“ Das sind Leute, die angeblich andere gesundbeten können. Aber für Geld geht das sicherlich nicht. Solche Leute sind einfach Betrüger, die aber sicherlich auch Gutgläubige finden.

Wer betet, ist aus der eigensüchtigen Isolierung befreit. Er ist eingebunden in die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern. Aber diese Gemeinde ist nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sondern sie ist für die ganze Welt da. Zwar weiß sich die Gemeinde von Gott besonders genommen. Aber sie weiß auch: „Was wir haben, das haben die anderen einstweilen noch nicht; aber sie werden einmal das sein, was wir jetzt schon sind!“ So hat die Gemeinde einen besonderen Auftrag für die ganze Menschheit.

Die Gemeinde bringt stellvertretend den, Dank der vielen vor Gott, die zwar alle aus Gottes Güte leben, es aber noch nicht entdeckt haben. Sie bringt aber auch stellvertretend die Bitten vor Gott, deren Erfüllung allen zugute kommen soll, auch denen, die nichts von Gott wissen wollen.

Gott will ja gebeten sein. Wegen unseres Gebets sollen Dinge geschehen, die sonst nicht geschehen würden. Die Naturgesetze müssen dem nicht entgegenstehen. Gott weiß die Welt schon so zu handhaben, daß unsre Bitten nicht sinnlos und vergeblich sind. Gott kann unsere Anliegen in sein Weltregiment einbeziehen, ohne seine Göttlichkeit dranzugeben und ohne seine höhere Weisheit auszuschalten.

Deshalb ist es nicht recht, wenn man im Gottesdienst gelangweilt abschaltet, wenn Gebete verlesen werden. Eigentlich müßte man unter Einsatz aller Kräfte des Herzens dabei sein und wie bei einem im Schlamm festgefahrenen Wagen in die Speichen greifen, damit etwas vorangebracht wird.

Die Gebete im Gottesdienst sind nur Modelle. Wem sie zu allgemein sind, der kann sie ja für sich selber konkretisieren. Wir lassen ja dazu extra Raum für ein stilles Gebet. Das ist nicht nur ein Pausenfüller, sondern ein ganz wichtiger Teil des Gottesdienstes, weil da jeder noch einmal persönlich zum Zug kommen kann.

Der Timotheusbrief spricht auch von der konkreten und der allgemeinen Bitte, von Fürbitte und Danksagung. Damit sind die Hauptformen des Gebets beschrieben. Heute wird man aber auch denken an das Nachdenken über Gott in der Meditation, an fröhliche Lieder, Psalmen, Stoßseufzer und auch einfach das Schweigen. Beten ist aber mehr als ein gelegentlicher einzelner Akt, sondern eine Grundhaltung. Es ist immer auch auf alle Menschen ausgerichtet, umfaßt Freunde und Feinde, Nächste und Fernste.

Die Fürbittengebete am Schluß des Gottesdienstes haben nach alter Tradition meist vier Themen: Kirche - Obrigkeit - Familie - besondere Notstände. Im Timotheusbrief wird besonders der zweite Punkt hervorgehoben: die Fürbitte für die Hauptverantwortungsträger im Staat, für die Politiker, Wirtschaftsführer, Wissenschaftler. So unverständlich es manchmal auch für uns sein mag: Auch für sie dürfen wir beten!

 

(2.) Wir dürfen beten: Schon damals waren die Christen durch die vom Kaiser verlangte göttliche Verehrung in schwerer Bedrängnis. Da mußte man sich schon fragen: „Wie kann man für eine Regierung beten, die keinen Gott mehr über sich duldet?“ Sicherlich hat man sich mit dem Kaiserkult nicht abgefunden.

Aber man wußte: „Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt!“ Aber es läßt Raum für die Ordnungen der Welt. In dieser muß Macht ausgeübt werden, damit das Leben in der Welt ermöglicht wird bis zum großen Tag Jesu Christi. Das ist schon Grund genug, für die Regierenden zu beten. Man tut es ohne Augenzwinkern, sondern ehrlich im Sinne einer ernstgemeinten Bitte an Gott.

Aber jeder Kaiser ist nur ein Mensch. Als Christen beten wir für diesen Menschen, den wir unter Gottes Auftrag und in Gottes Hand wissen. G o t t hat den Kaiser zu dem gemacht, was er ist. Gott allein beschließt, was der Kaiser leisten kann und was nicht. Aber die Gottheit gebührt nur dem, dem sie zusteht. Gott allein ist unser Heiland, nicht der Kaiser in Rom oder sonstwo.

Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Die Welt ist noch nicht selig, aber Gott will sie selig machen. Deshalb sieht der Christ immer in seinen nichtchristlichen Mitmenschen immer mögliche Brüder und Schwestern.

 

(3.) Wir können beten: Das Gebet ist nicht selbstverständlich. Manche stöhnen, sie hätten keine Zeit und wüßten gar nicht, was sie alles zuerst machen sollen: Man ist eingedeckt von Arbeit, man ist umstellt von Menschen, die einen brauchen. Wie soll man da noch Zeit finden zum Gebet? Der Timotheusbrief aber ermahnt zum Gebet „vor allen anderen Dingen“. Deshalb fängt ein Christ den Tag nicht ohne Gebet an. Eine Maschine wird morgens angestellt und abends abgestellt. Ein Christ aber betritt den Tag durch die Tür des Gebets. Und mit einem Gebet schließt er abends die Tür wieder zu und schiebt den Riegel vor. Das ist eine gute Gewohnheit.

Doch es gibt auch innere Gründe, die vom Gebet abhalten: Mancher hat Enttäuschungen erfahren, hat keinem Kontakt verspürt. Der tiefste Grund lag aber vielleicht darin, daß die Verbindung zu Gott gestört war, denn unversöhnt kann man nicht beten.

Vielleicht muß man auch erst wieder lernen, wie man richtig betet. In einer Gemeinde wird vor das Gebet ein Nachrichtenteil gesetzt. Dafür suchen mehrere Gemeindeglieder Nachrichten aus Kirche und Welt aus, damit dann auch für „die da oben“ und „die irgendwo dahinten“ gebetet werden kann. Aber beten kann man nicht auf eigene Faust. Das Gebet findet seine Mitte immer in Gott. Wir beten „durch Jesus Christus, unseren Herrn“. .Er ist der eigentliche Beter, wir sind nur Mitbeter in seinem Gefolge. Weil er auferstanden und gegenwärtig ist, können wir noch beten.

Im Abendmahl ist er mitten unter uns gegenwärtig. Weil er sich für uns geopfert hat, sind wir im Gebet für die Welt da. Auf diesen Mittler können wir uns berufen, wenn wir für uns selber und für andere beten.

 

 

 

2. Tim 1, 7 – 10 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Manche Menschen wollen alles selber packen und sich nicht helfen lassen. Wenn man etwas Handwerkliches macht, will er es erst einmal probieren, ob man es nicht allein hinkriegt. Vor allem, wenn man ein Werkzeug noch nicht kennt oder wenn ein Möbelstück zusammenzusetzen ist, befaßt man sich erst einmal mit der Anleitung und probiert aus, ehe man dann vielleicht doch jemand zu Hilfe holt.

Es gibt aber auch Fälle, da geht es nicht ohne die Hilfe anderer: Aus einem brennenden Haus kann oft nur noch die Feuerwehr retten. Eine in ein Unwetter geratene Bergsteigergruppe braucht die Bergwacht mit ihrem Hubschrauber. Wer am Verbluten ist, kann nur noch durch den Chirurgen gerettet werden.

 Wie ist es aber im Dienst Gottes? Kann man da seinen Glauben allein bewahren oder braucht

man da auch die Hilfe anderer? Glaube ist doch so etwas Persönliches, da redet man nicht gerne mit anderen darüber! Wir sind doch alle ein wenig schüchtern und denken eher: „Glaube ist doch Privatsache, weshalb soll ich meine Einstellung denn jedem auf die Nase binden, das geht doch niemanden etwas an!“

Aber dieser Zweite Timotheusbrief spricht noch in eine verschärfte Situation: Der Verfasser schlüpft in die Rolle des Paulus, der in Rom in Gefangenschaft ist und dort seinen Glauben rechtfertigen soll. Doch ihm steht auch Timotheus vor Augen, der Mitarbeiter des Paulus, der sowieso von Natur aus etwas zurückhaltend war und das gleiche Schicksal fürchtet wie Paulus.

Ja, auch die Amtsträger der Kirche sind manchmal in ihrem Glauben angefochten und brauchen Zuspruch. Wir erwarten manchmal, daß sie wahre Helden des Glaubens sind, unbeirrbar und mit den richtigen Argumenten versehen, um den Glauben zu beweisen und zu verteidigen. Da ist es dann schon zu viel, wenn einer in der Predigt das Wörtchen „vielleicht“ verwendet. Damit verunsichere man die Gemeinde, sagen Manche. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob es grundsätzliche Zweifel gibt oder ob man nur in einer bestimmten Frage unsicher ist, wie die Bibel auszulegen ist.

Im Dienst Gottes sind aber nicht nur die Amtsträger, sondern alle, die zu ihm gehören. Sie werden durch den Zweiten Timotheusbrief auch heute ermutigt, unbeirrt am Glauben festzuhalten. Dabei können sie sich auf die Kraft des Heiligen Geistes verlassen, sie können weiter seinem Ruf folgen und sie dürfen in der Erwartung des unvergänglichen Lebens die gegenwärtigen Probleme ihres Lebens bewältigen.

 

(1.) Wir dürfen uns auf die Kraft des Geistes Gottes verlassen: Wenn ein Außenstehender sieht, wie es einem Christen unter Umständen ergehen kann, wird er sich vielleicht überlegen, ob er sich dieser Gemeinschaft anschließt. Bei uns besteht zum Glück keine Gefahr. Aber es ist noch nicht so lange her, da war auch bei uns für bekennende Christen der Weg in bestimmte Berufe verschlossen, und zwar sowohl bei den Nationalsozialisten wie bei den Kommunisten. Und es gibt bis heute Staaten in der Welt, da müssen Christen um ihr Leben fürchten, weil sie nicht nur von bestimmten religiösen Gruppen bedrängt werden, sondern auch von ihrem Staat.

Der Brief aber spricht in die entgegengesetzte Richtung: „Geh in meinen Spuren! Leide mit dem Evangelium, denn im Grunde leidest ja nicht du, sondern das Evangelium!“ Die Lage wird nicht verharmlost: Ein Christ wird sich immer auf das Kreuz seines Herrn einstellen müssen. Aber Jesus erwartet, daß wir uns nicht schämen, zu ihm zu gehören.

Timotheus wird ganz einfach an seinen Auftrag erinnert. Er hat nicht einen Job übernommen, den man leicht gegen einen anderen austauschen kann, sondern er wurde von Gott für einen bestimmen Dienst in Anspruch genommen. Bei einem Amtsträger der Kirche wird das sogar in einer besonderen Handlung zum Ausdruck gebracht: Bei einem Pfarrer ist das die Ordination, bei den Kirchenvorstehern oder anderen Mitarbeitern die Einführung. Aber im Grunde sind wir alle durch die Taufe beauftragt und in den Dienst gestellt. Nicht alle haben die gleiche Gabe, aber es gibt keinen, der nicht irgendwie eine Gabe hätte. Und jeder hat die Gabe, die er für die Ausrichtung s e i n e s Dienstes braucht.

Timotheus wird hier gesagt: „Entfache wieder den Funken, der unter der Asche glüht, zu einer neuen Flamme! Laß wieder aufflammen, was als Gabe Gottes in dir glimmt! Und vor allem

darfst du dich auf den Geist Gottes verlassen. Das ist kein Geist der Furcht, sondern ein Geist

der Kraft und der Liebe und der beherrschten Klarheit!“

Es ist eine Kraft, die von Gott kommt, nicht aus mir selbst heraus. Sie treibt in Bewegung, so daß man das sichere Versteck verläßt und sich mutig den Anforderungen seiner Umgebung stellt. Sie hilft uns, die Rufe des Alltags zu übertönen. Es geht ja nicht darum, daß wir uns einmal sehen lassen und damit den anderen zeigen, daß die Kirche noch da ist. Vielmehr wird unsere Sehnsucht gestillt, aus dieser Kraft heraus einmal wirklich unseren Glauben bekennen zu können.

Aus dieser Kraft erwächst eine Liebe, die den Blick weg richtet von der eigenen Person auf den Mitmenschen. Die Liebe schont sich nicht, wenn es um die Sache des anderen geht. Sie folgt nicht augenblicklichen Stimmungen, sondern aus der Erfahrung mit Jesus ist die Gewißheit entstanden, daß wir von Gott seit aller Ewigkeit geliebt sind.

Die Klarheit schließlich will verhindern, daß wir im Zustand der Ekstase die Kontrolle über uns selbst verlieren. Sie will uns seelisch gesund machen, daß wir wach und nüchtern bleiben. Sie will auch verhindern, daß wir plötzlich alle Hemmungen hinwerfen und ganz aus der Rolle fallen, nur weil wir unsre eigenen Ziele im Blick haben.

 

(2.) Wir dürfen dem Ruf des Geistes Gottes folgen: Wer Christ ist, hat den Ruf Gottes in irgendeiner Weise gehört. Christsein ist nicht Sache einer Religionszugehörigkeit, sondern in dem Ruf Gottes hat man seinen eigenen Namen vernommen und wurde von außen her angesprochen, so daß man jetzt sich zu diesem Gott bekennt. Der Anruf Gottes ist nicht eine Zutat zu einem an sich guten Leben. Das Wort Gottes, das in der Kirche gepredigt wird, ist nicht Rede ü b e r Gott, sondern Gottes eigene Rede.

Gott läßt Gemeinschaft entstehen zwischen sich und uns. Er selbst hat den Kontakt zu uns

aufgenommen: Dadurch hat er eine Gemeinschaft geschaffen wie zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern oder Freunden und Kollegen untereinander. Aus dieser Gewißheit heraus können wir auf andere Menschen zugehen und ihnen auch von dieser frohmachenden Gewißheit erzählen.

 

(3.) Wir dürfen auf das unvergängliche Leben warten: Dem Timotheus wird Mut gemacht trotz seiner aussichtslosen Lage. Er erwartet doch immer das unvergängliche Leben, das Jesus Christus ans Licht gebracht hat - für sich und damit auch für uns. Wir sind nicht Zufallsprodukte, sondern Geschöpfe der Liebe Gottes. Deshalb dürfen wir nicht zu eng von unserem Leben denken. Ein Menschenleben mit einer stattlichen Anzahl von Jahren ist schon viel. Aber wir können ein Menschenleben nicht lediglich von dem her beurteilen, was sozusagen unseren Lebenslauf ausmacht. Am Ende müßten wir ja doch nur klein beigeben, weil uns nichts anderes übrigbleibt.

Weil aber Gott mit uns redet, ist der Todeshorizont schon aufgebrochen. Wer sich von Gott geliebt weiß, der kann auch sterbend nur in seine gnädigen Hände fallen. An der Erfahrung mit Jesus ist die Gewißheit entstanden, daß wir von Gott seit aller Ewigkeit geliebt sind. Jesus hat den Tod nicht ausgeschaltet, aber er hat ihn entmachtet. Gottes Weg führt weiter und führt zum Leben und unverfänglichen Wesen. Weil es dieses letzte Ziel gibt, dürfen wir uns nicht aufgeben und mutlos werden. Wer Christus kennt, der ist auch in schwieriger Lage zuversichtlich und guter Dinge. Uns braucht - wie immer Gott es mit uns machen wird - nicht bange zu sein. Heute und an jedem Tag wollen wir Gott bitten um Kraft aus seinem Wort, um Liebe aus seiner Liebe und um den Geist der Klarheit und Besonnenheit.

 

 

Titus 2, 11 - 14 (Christnacht, Variante 1)

Heute ist die Kirche in ein besonderes Licht getaucht. So kommt es uns jedenfalls vor. Wir haben uns schon lange wieder einmal nach so etwas gesehnt, wir brauchen Licht in unserer Finsternis. Nach all den Ängsten dieses Jahres und nach der Hetze vor dem Fest wollen wir jetzt zur Ruhe kommen. In einer solchen Stunde muß man behutsam sprechen, in Ruhe Atem holen und auch die Gefühle und geheimen Nöte und Wünsche zu ihrem Recht kommen lassen.

„Die Gnade Gottes ist hell aufgegangen und gibt allen Menschen Licht!“ Das hören wir gern, das tut gut. Wir sind alle Menschen, die Licht brauchen. Unter uns ist keiner, der nicht aus er Finsternis käme, der nicht dann und wann den Weg aus den Augen verloren hätte. Wo aber Licht ist, da ist das Leben und ein Ziel. Wo kein Licht ist, da stößt man zusammen und bekommt Angst. Wir sprechen nicht gern von unserer Furcht. Aber dadurch wird sie nicht kleiner.

Sie kann nur überwunden werden durch das Licht des Kindes von Bethlehem. Dieses scheint allen Menschen. Keiner ist davon ausgeschlossen, wie finster die Welt auch sein mag, aus der er kommt. Gerade die „geistlich Armen“ sollen es erfahren, die nichts von der Nähe Gotte zu spüren meinen. Zu ihnen werden wir alle uns irgendwie zu rechnen haben. Es ist jedenfalls keinem zu wünschen, daß er meint, er gehöre nicht dazu. Aber Gott verachtet keinen der „geistlich Armen“, er will sich gerade ja um sie kümmern.

Für sie ist er auf der Erde erschienen. Damals dachte man bei dem Wort „erscheinen“ an eine Gottheit, die aus der unsichtbaren Welt ins Sichtbare kommt. Oder man dachte an einen irdischen Herrscher, der geboren wurde oder die Regierung antrat oder eine Stadt oder eine Provinz besuchte. Wenn ein Kaiser sich irgendwo in seinem Reich sehen ließ, dann war das eine „Erscheinung“. Wenn er in eine Stadt einzog, dann hieß es jedesmal: „Hier bin ich der Herr und habe zu sagen!“

Jesus aber war ein anderer Heilbringer, ein wirklicher Erretter: Er hat sein Volk nicht mit Macht und Pracht gewonnen, sondern dadurch, daß er sich selbst hingegeben hat. In einer überfüllten Behelfsunterkunft ist er zur Welt gekommen. Er will damit sagen: „Da habt ihr mich! Ihr seid nicht zu mir gekommen, nun komme ich zu euch! Jetzt habt ihr keinen weiten Weg mehr zu mir!“ Das sagt er besonders denen, die sich innerlich am weitesten weg von dem fühlen, was hier gespielt wird. Aber gerade dem ist Christus besonders nahe, ohne daß er es bisher wußte. Er ist so nah, weil er die menschgewordene Gnade Gottes ist, heilsam für              a l l e Menschen.

Gott könnte natürlich auch anders. Er könnte sein Volk reinigen, wie man das mit Rebellen und Aufständischen zu tun pflegt. Aber er 1äß seine Gnade erscheinen. Er gewinnt die schon verlorene Welt wieder, indem er seine Gnade sichtbar werden läßt. Er setzt das einzige Mittel ein, mit dem er uns von innen her gewinnen kann: sein herzgewinnendes Wesen, die spontane Liebe, die sich still und geduldig um uns bemüht und sich von fehlender Gegenliebe nicht beirren läßt.

Gott hat es sich schwer gemacht, uns zu gewinnen. Das macht ihn vertrauenswürdig. Der Kaiser Augustus und seine Nachfolger haben sich ihr Volk bereitet durch Prunk und Machtentfaltung, aber auch durch viel Blutvergießen unter den Untertanen. Bei Jesus ist alles anders. Auch bei ihm wird Blut vergossen - aber sein eigenes Blut, das Blut des Königs. Über der Krippe steht schon das Kreuz. Aber mit der Krippe hat alles angefangen, da begann die Liebe Gottes zu den Menschen deutlich zu werden.

Wenn einer sich selbst für uns dahingegeben ha, da kann man doch nicht unbeteiligt bleiben. Da wird man doch betroffen aufwache und sich fragen müssen, was das für das eigene Leben zu bedeuten hat. Das hat auch immer wieder Menschen verändert und in Bewegung gebracht. Darin unterscheidet sich die wirkliche Weihnacht von einer bloßen Weihnachtsfeier: die Feier vergeht und läßt uns im neuen Jahr die alten Menschen bleiben. Aber die wirkliche Weihnacht bewirkt eine neue Weise, Mensch zu sein.

Im Titusbrief heißt es: „Die Gnade Gottes will uns erziehen!“ Dieses Wort hatte früher einen schlechten Klang, weil Erziehung meist mit Hilfe von Prügeln geschah. Deshalb sagen wir besser: „Die Gnade Gottes arbeitet an uns. Sie will uns formen und bilden und will etwas aus uns machen“

Das wirkt sich auch sichtbar an unserem Leben aus. Das bedeutet allerdings nicht, daß uns die Freude an Gottes Schöpfung verwehrt wäre. Wir dürfen uns sicher auch am Lichterbaum, an den Liedern, am Krippenspiel erfreuen. Ein Christ muß sich nicht aus der Welt zurückziehen, denn sie ist ja Gottes Welt. Durch die Menschwerdung Gottes ist sie ja gerade aufgewertet worden. Es geht auch nicht darum, daß wir uns nun vornehmen, an uns selber zu arbeiten. Kinder sagen manchmal „alleine machen“. Aber wir wissen auch, wie schnell so etwas schief gehen kann, und stehen lieber daneben, bis alles geklappt hat.

Auch die Erwachsenen wollen oft alles alleine machen, nur daß bei ihnen das Risiko noch größer geworden ist. Aber manchmal fährt man sich dabei so fest, daß es nicht mehr vorwärts oder rückwärts geht. Oft sieht man sich erst dann nach Hilfe um, so wie ein Autofahrer, der im Schlamm eines Feldwegs oder im Schnee steckengeblieben ist.

Wir brauchen einen Partner im Leben. Und dieser Partner ist das Kind von Bethlehem. Wir tun gut daran, uns den Dienst dieses Bruders gefallen zu lassen. Er bindet uns auch mit den anderen zusammen, macht uns aus Einzelmenschen zu Weggenossen, die gemeinsann der Zukunft Gottes entgegengehen

Doch das ist dann nicht unser Verdienst, sondern Werk der Gnade Gottes, die an uns arbeitet. Sie fördert ein ganz normales Leben im Sinne Gottes. Sie gibt uns das rechte Augenmaß, das rechte Verhältnis zu Gott. Wo sie wirkt, da hat Gott den ihm gebührenden Platz im Denken, Wünschen und Hoffen.

Und das nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr über. In der Zeit vor Weihnachten werden die Nerven ja manchmal ganz schön strapaziert. Das Wetter schlägt einem aufs Gemüt. Man will sich beherrschen, und doch tut man anderen Menschen weh. Wenn aber das Fest selber da ist, wird man wieder milder. Man wünscht sich ein „gesegnetes Christfest“ und hat Verständnis für die Schwächen anderer. Warum kann das nicht immer so sein? Warum ist dieser Zustand meist nur von kurzer Dauer?

Die Gnade Gottes arbeitet an uns, damit es nicht bei einem milden Lächeln und einem vor­übergehenden Burgfrieden bleibt. Gott will uns durch seinen Sohn völlig umkrempeln, so daß wir ein neues Verhältnis zum Mitmenschen gewinnen. Die große Weltgeschichte folgt anschei­nend noch ihren eigenen Gesetzen und Zwangläufigkeiten. Aber für den Einzelnen kann die große Verwandlung schon heute beginnen durch die Macht der Gnade Gottes.

Christus kommt nicht mit der Unwiderstehlichkeit seiner göttlichen Macht zu uns, solange wir noch unverwandelt, unbearbeitet, unerzogen sind. Er könnte das natürlich. Die Herrscher dieser Welt haben es so versucht, haben die Völker unterworfen und die Herzen der Menschen nur verbittert. Aber so kann man nicht verändern und gewinnen. Die Gnade Gottes aber will uns innerlich gewinnen, so daß wir uns von selber ändern. Sie will uns heute schon überzeugen, ehe sie einmal aus ihrer Verborgenheit heraustritt, um uns ganz zu vollenden.

 

Tit 2, 11 - 14 (Christvesper, Variante 2)

Am Abend nach einem großen, entscheidenden Fußballspiel überfluten Gruppen von Jugendlichen den Zug. Laut lärmend feiern sie den Sieg ihrer Mannschaft. Einer von ihnen, offenbar der Wortführer, tut sich besonders hervor. Die anderen Mitreisenden schimpfen. Es droht eine Auseinandersetzung mit dem Zugpersonal. Plötzlich aber wird es still im Wagen: Der junge Mann hat ein Kind auf dem Arm und fährt ihm zärtlich mit der Hand über den Kopf. Eine Fa­milie mit einem kleinen Kind war zugestiegen. Es hat die lärmende Menge verwandelt; die Augen des Jungen leuchten, seine Stimme ist nur noch ein Flüstern.

So will auch Gott uns wandeln. Er bedient sich dazu eines kleinen Kindes, das in der Heiligen Nacht geboren wurde. Aber aus dem Kind wird ein Mann werden, der einen klaren Weg weist und um das Vertrauen seiner Mitmenschen wirbt. Mit seinem Leben steht er für sein Wort ein und gibt am Ende sogar dieses Leben hin. Schutzlos, aber entschlossen und freundlich geht er auf die Menschen zu, um sie zu verwandeln.

In der Heiligen Nacht hat das alles seinen Anfang genommen. Wenn es hier im Titusbrief heißt: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen!“ dann wissen wir eben: „Christ ist erschienen, uns zu versühnen!“ Bei dem Wort „erschienen“ denken wir sofort an eine Person, an Jesus von Nazareth.

Zu seiner Zeit allerdings dachte man zunächst an jemand anders: Da ließ sich der Kaiser aus Rom plötzlich in irgendeiner Provinz seines Reiches sehen Die Menschen fielen vor ihm nieder und riefen: „Herr, erbarme dich!“ Wie ein Gott wurde der Kaiser Augustus verehrt. Und er fühlte sich auch selber als der Beherrscher der Welt. Dabei war er ein grausamer Gewaltherrscher, der nur durch seine überlegene Militärmacht einen sogenannten „Frieden“ hergestellt hatte. Die Völker und jeder Einzelne mußte sich vor ihm beugen und mit verlogenen Schmeicheleien ihm huldigen. Der Personenkult stand in vollster Blüte.

Aber gerade deswegen hatte ein Kaiser Augustus keine Ahnung, wem die Welt in Wahrheit gehört: Sie gehört ihrem Schöpfer und ihrer Erlöser. Er begibt sich in seine Welt hinein, um ihr eine Bekanntmachung mitzuteilen‚ die die Menschen erleichtern, erfreuen und verändern muß. Er kommt nicht im Triumphzug, aber gerade deshalb umso wirksamer.

Doch da werden wir jetzt fragen: „Wo wird. Jesus Christus denn heute wirksam?“ Still ist es jetzt doch nur in unserer Kirche und in all den anderen Kirchen, wo sie Weihnachten feiern. Aber sonst schimpfen wir laut mit den Kindern, wenn wir unsere Ruhe haben wollen. Wir üben Druck aus, um unsre Wünsche oder die anderer Leute durchzusetzen. Wir machen uns fix und fertig, um besser dazustehen als der Mitschüler oder Kollege. Es gibt viel Unruhe in unserem Leben, die wir auch mit in diesen Gottesdienst hereingebracht haben.

Dennoch lohnt es sich, darüber nachzudenken, inwieweit das Kind in der Krippe uns verändern kann. Wenn in einer Familie ein kleines Kind da ist, dann nehmen alle anderen Rücksicht auf es. Dann kann man nicht mehr so laut sein, wenn das Kleine schläft. Man wird auch auf Manches verzichten müssen, weil das Kind nicht allein gelassen werden darf. So ein kleines Kind kann das Leben und das Zusammenleben einer Familie schon ganz schön verändern und bestimmen.

Und wenn Gott der ganzen Menschheit so ein kleines Kind in die Krippe legt, dann will er damit erreichen, daß die Menschen auch von manchen Dingen Abstand nehmen. Wir könnten etwa an Silvester etwas weniger lautstark und aufwendig sein, so daß kein Nachbar gestört wird. Oder wir könnten uns vornehmen, nichts mehr mit halbem Herzen zu tun, nur weil wir die Ungnade eines Menschen nicht herausfordern wollen.

In der damaligen DDR wurden von den Schülern verlangt, daß sie den Text der Internationale auswendig lernen und zu Papier bringen. Aber christliche Kinder wollten den zweiten Vers

nicht schreiben, weil es da heißt: „Uns rettet kein höheres Wesen, nicht Gott, nicht Kaiser und Tribun!“ Sie haben den Vers geschrieben, um zu zeigen, daß sie ihn gelernt hatten. Aber sie haben das „k“ eingeklammert, so daß es jetzt hieß: „Uns rettet ein höheres Wesen“. Damit haben sie deutlich gemacht, daß der eigentliche Text nicht ihre persönliche Meinung ist. Sie haben deswegen eine schlechtere Note gekriegt, wurden sogar aus der Klasse herausgeholt und im Lehrerzimmer vom Parteisekretär verhört und gerügt.

Solche pädagogischen Entgleisungen waren damals die Regel. Aber auf der anderen Seite konnte die christliche Gemeinde nur stolz sein auf diese jungen Christen, die es so ernst genommen haben mit ihrem Glauben. Sie hätten ja auch denken können: „Wie es in mir drinnen aussieht, geht niemand was an!“ Aber sie meinten, selbst in der Schule einen atheistischen Text nicht ohne Kommentar zitieren zu sollen.

Der Titusbrief fordert uns auf, das „ungöttliche Wesen“ zu verleugnen. Damit ist das Böse in uns selber gemeint, aber auch der Atheismus, der von außen auf uns eindringt. Danach haben jene Konfirmanden gehandelt. Sie haben auch in der Schule das Recht beansprucht, sich zu einem religiösen, Glauben zu bekennen. Dieses Bekenntnis wird eine große Stärkung ihres Glaubens bedeuten, auch wenn sie dafür Nachteile einstecken mußten.

Aber sie dürfen sicher sein: Jesus Christus ist bei ihnen! Die Gnade Gottes wird nicht mehr - wie im Alten Testament - nur angekündigt, sondern sie ist erschienen. Zunächst wird noch nicht viel geredet, so ein kleines Kind kann zunächst nur schreien. Aber es ist schon da, das ist die Hauptsache. Gott verläßt seine himmlische Seligkeit, seine Sicherheit und Ruhe, und lebt unser Leben.

Jetzt ist er bei allen Menschen. Er ist bei denen, die heute Abend hier im Gottesdienst sind. Und er ist bei denen, die Weihnachten noch ohne ihn feiern. Er hat sich für alle gegeben. Das geschah an Weihnachten. Da macht er deutlich: „Nichts Menschliches ist mir mehr fremd. Ich teile eure Freuden. Ich kenne das, was euch Kummer macht. Ihr habt nicht einen Gott, der sich das Leben der Menschen nur von ferne anschaut, sondern ich bin bei euch!“

Aber er hat sich auch an Karfreitag für uns gegeben. Auch daran müssen wir heute denken, denn nur so wird deutlich, weshalb das Wunder der Menschwerdung geschehen ist. Die Menschwerdung war für ihn fürwahr kein Vergnügungsausflug. Vielmehr wurde die Feindschaft mancher Menschen gegen ihn erst deutlich, wo er in ihrer Mitte erscheint. Sie wollen weiterhin das alleine beheben, was den Menschen bange macht; aber in Wahrheit vergrößern sie nur die Angst und das Leiden der Menschen.

Gott wurde Mensch in Jesus Christus, damit er sich selbst ein Volk zum Eigentum schuf. Auch die römischen Kaiser wollten sich ein Volk schaffen, das ihren zujubelt und sie wie ein Gott verehrt. Dazu haben sie die äußeren Feinde vernichtet und nach innen Prunk und Macht entfaltet. Jesus geht den anderen Weg der Ärmlichkeit, Ohnmacht und Unscheinbarkeit. Auch bei ihm ging es nicht ohne Blutvergießen ab, aber es wurde sein eigenes Blut vergossen. Er hat sich geopfert, um sich ein Volk zu erwerben.

Wenn wir aber nun einmal Gottes Volk sind, dann gilt es, uns dessen als würdig zu erweisen. Gottes Gnade will uns erziehen, will an uns arbeiten, uns formen und bilden. Gerade weil wir aus Jesus das tiefe Erbarmen Gottes heraus­spüren, gewinnt er unser Herz. Er darf von uns erwarten, daß wir alles Ausgefallene und seelisch Kranke sein lassen und uns um ein zuchtvolles und frommes Leben bemühen.

Damit werden wir an die Pflichten unseres Alltags gewiesen. Das Fest geht einmal vorüber. Aber das Christstein wird ja gerade schwer im Alltag, an der Maschine, am Kochherd, am Ladentisch, im Lastwagen, in der Schule. Heute dürfen wir uns noch einmal die Ruhe des Festes gönnen. Aber Gott ist ja gerade deshalb in diese Welt gekommen, damit sie ganz zum Bereich seines Herrseins und seines Heilandswirkens werde.

Damit soll uns nicht zu all unseren Aufgaben noch eine andere Pflicht auferlegt werden. Es geht nicht um aufsehenerregende Worte und große Aktionen, sondern ums Beten und das Tun des Gerechten, wie es Bonhoeffer gesagt hat. Besonnenheit, das ist eine gute Tugend für Christen. Manchmal wollen wir doch mit dem Kopf durch die Wand, dann wieder ist uns alles egal. Bei Gott aber sind wir dennoch wertgeschätzt, sind in jedem Fall Ziel seiner Liebe. Deshalb brauchen wir weder über die Stränge zu schlagen noch aufzugeben.

Aus dem Glauben und dem Gebet heraus erwachsen uns die Kräfte, die wir für ein sinnvolles Leben und für gute Aktionen brauchen. Wenn wir etwa für ein Kinderkrankenhaus spenden, dann können wir etwas tun, das im Sinne des menschgewordenen Gottes ist. Damit nehmen wir eine Verantwortung wahr, die dem Willen des Gottes entspricht, der einst erneut auf dieser Erde erscheinen wird. Die erste Erscheinung Christi geschah noch in Niedrigkeit und Verhüllung. Die zweite aber wird in Herrlichkeit geschehen. Wer sich heute nicht an seiner Niedrigkeit stößt, wird auch seinen Lichtglanz sehen. Wer aber glaubt‚ der wird euch heute schon etwas vom Lichtglanz Gottes in unserer Welt wahrnehmen und sich selber daran beteiligen, dieses Licht auszubreiten.

 

 

Tit 3, 4 – 71 (1. Christtag):

Eigentlich ist es doch unglaublich, daß Gott ein Mensch werden soll. Unter „Gott“ stellen wir uns doch gerade das Gegenteil vor: Fern von den Menschen in einem Himmel wohnend und von dort aus die Geschicke der Menschen lenkend. Für viele ist Gott der schicksal­spielen­de Scharfrichter. Sie fühlen sich ihm gegenüber völlig unzulänglich und fürchten, eines Tages werde sie die gerechte Strafe ereilen, als Krankheit, als Unfall oder als Schicksalsschlag. Nur durch Geschenke und gute Werke kann man ihn besänftigen. So stellen sich viele Heiden ihren selbstgemachten Gott vor. Aber untergründig steckt dieses Bild auch immer noch in uns drin.

Heute aber hören wir: „Die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes unseres Heilandes ist erschienen!“ Gott ist nicht eine ferne Macht, sondern er ist uns ganz nahe, man kommt leicht an ihn heran und die Leute sind gern um ihn, weil er freundlich ist. Gott verharrt nicht in seiner Unzugänglichkeit und Unsichtbarkeit, sondern er ist menschenfreundlich und umgänglich, so daß man etwas mit ihm anfangen kann.

Gelegentlich kann es einem passieren, daß man zu einer hochgestellten Persönlichkeit vorgeladen wird. Man hat Angst vor der Begegnung und ginge ihr am liebsten aus dem Weg. Zwar hat man sich etwas besser angezogen als sonst, aber dadurch wird die Sache eher noch schwerer. Aber wenn es dann soweit ist und es zu der Begegnung kommt, dann sind wir vielleicht ganz angenehm überrascht. Der gestrenge Herr entpuppt sich als ein Mensch wie andere auch: höflich und verständnisvoll, so daß man sogar Vertrauen zu ihm fassen kann. Erleichtert geht man wieder, es war alles nicht so schlimm.

So geht es uns auch oft mit Gott: Erst erscheint er uns fremd und unnahbar, aber dann ist er doch lieb und freundlich. Spätestens seit Weihnachten wissen wir das. Da ist Gott uns in Jesus ganz nahe gekommen. Jesus ist das menschliche Antlitz Gottes. In einer Haltung schöpferischer Liebe wendet er sich jedem zu. Keiner ist ausgeschlossen. Keiner braucht sich übergangen zu fühlen.

Das wird vielleicht besonders deutlich an einem Ereignis aus dem Leben des erwachsenen Jesus: Er zieht in die Stadt Jericho ein und sagt zu dem Zöllner Zachäus: „Ich muß heute bei dir einkehren!“ Dieser Mann war von allen gehaßt und verachtet. Er hatte keine Freunde und wurde von allen gemieden. Er war grenzenlos einsam und allein.

Doch Jesus kennt die Lage dieses Mannes. Er weiß, wie es ist, wenn man von allen ausgestoßen wird. Er hat es ja selber erlebt, als er in die Welt geboren wurde. Deshalb kümmert er sich nun auch um diesen Zachäus, ist freundlich zu ihm und tut ihm die große Ehre an, in sein Haus zu gehen.

Jesus paßte nicht so recht in diese Welt hinein. Die Menschen waren sich einig in der Abneigung gegen ihn. Doch dann war es, wie wenn eine Tür aufgeht und gerade der trat herein, über den, sie gelästert haben. Sofort verstummt das Gespräch, sie sind nicht mehr unter sich. Doch Jesus kommt in Güte und Menschenfreundlichkeit. Keiner muß erschreckt zusammenfahren, wird überrumpelt oder unterworfen. Er kann es in seiner Liebe nicht unterlassen, sich um uns zu bemühen. Ohne daß er aufhörte Gott zu sein, kommt er doch ganz menschlich zu uns. Dieses Kind in der Krippe ist doch so richtig zum Liebhaben. Später ist er ein Mensch unter Menschen und sucht nicht das Seine, sondern die Menschen.

 Aber wir fragen, vielleicht: „Wo ist denn heute dieser freundliche Gott zu finden?“ Da gilt auch heute: In Jesus ist er für uns erschienen. Und er zeigt sich auch heute noch in den Menschen, die zu ihm gehören. Man erkennt sie daran, daß sie den anderen Menschen freundlich begegnen und ein Abbild ihres Gottes sein wollen.

Es ist nicht die Freundlichkeit, bei der man dem anderen ins Gesicht lacht, ihm aber gleichzeitig ein Bein stellt. Es ist auch nicht die dienstliche Freundlichkeit eines Verkäufers, der mich bei Laune halten will. Vielmehr ist es eine Freundlichkeit, die entgegenkommend und einfühl­sam ist, interessiert und geduldig; und sie verweilt lange bei dem Menschen, den sie anblickt, und sie nimmt ihn an, trotz aller Schwächen.

Bei den Menschen, die nichts von Gott wissen wollen, geht es anders zu. „Einst waren wir un­verständig, ungehorsam, einander hassend!“ steht im Vers vorher. Es ist wirklich so, wie es in dem Lied heißt: „Welt ging verloren, Christ ist geboren! Christ ist erschienen, uns zu ver­süh­nen!“

Auch unsre Gemeinden sind noch weit von dem entfernt, was sie sein müßten. Es geht meist förmlich und höflich zu. Gelegentlich auch einmal herzlich. Aber die Kontakte bleiben ober­flächlich, die Gespräche hängen zwischen Tür und Angel, wir sehen zu, daß wir rasch weiterkommen. Meist wollen wir uns doch auf den anderen nicht richtig einlassen oder uns ernsthaft mit ihm beschäftigen.

Wer aber möchte, daß es anders wird, der sollte sich auf Gott einlassen, der sich an Weihnachten mit den Menschen eingelassen hat. Allerdings ist in diesem Bibelabschnitt gar nicht von Weihnachten die Rede. Er spricht von der Wiedergeburt der Christen, aber nicht von der Geburt Christi. Er paßte vielleicht besser zu Ostern als zu Weihnachten. Doch die Auferstehung Jesu ist wie ein Scheinwerfer, der das ganze vorangegangene Leben Jesu im Licht Gottes erscheinen läßt. Von Ostern her wird klar, daß Gottes Güte und Menschen1iebe mit der Geburt Jesu in Erscheinung getreten ist.

Die Menschenfreundlichkeit Gottes ist nicht von Menschen zu verwirklichen. Es geht nicht darum, daß Sünder sich eines Besseren besinnen und durch eine neue Gewissenhaftigkeit das Neue in Gang bringen. Das neue Leben hat mit der Taufe begonnen. Weihnachten geht alle Menschen an, weil Gott da zu allen Menschen gekommen ist. Aber zu dem einzelnen Menschen kommt Gott in der Taufe. Da hat jeder die Freundlichkeit Gottes zu spüren bekommen. Da hat Gott zu ihm gesagt: „Ich kann ohne dich nicht sein!“ So hat er unser von Gott abgewandtes heilloses Leben an sich gezogen und hat es heil gemacht.

Nun wartet er auf meinen Glauben und weckt ihn. Dabei soll nicht einfach der alte Mensch umfunktioniert werden auf bessere Gedanken und Wünsche, Ziele und Verhaltensweisen, Vielmehr geht es um eine Erneuerung von Grund auf: die Taufe ist eine Neuschöpfung, eine zweite Geburt, das Leben fängt erst richtig an.

Das Christfest könnte ein Anlaß sein für ein Bad der Wiedergeburt und Erneuerung. Das ganze Jahr über kommt man ja doch kaum dazu. Jetzt aber an diesen freien Tagen könnten wir ein Bad nehmen in der Barmherzigkeit Gottes. Das ist gut angesichts der kalten Duschen, denen wir oft genug ausgesetzt sind. An Weihnachten machen wir reinen Tisch. Wir gießen unser Leben durch den reinigenden Filter der Worte Gottes und öffnen uns der Barmherzigkeit Gottes. So werden wir neu.

Es geht dabei nicht nur um eine äußerliche Abwaschung der Sünden. Wasser ist nicht nur zum Waschen da, sondern es erhält auch unser Leben. So soll auch das Wasser der Taufe zur Erquickung und Erneuerung des inneren Menschen dienen. Da erhält man dann auch Antriebskräfte, den allgemeinen Überzeugungen unserer Tage zu widerstehen: dem Hang zur Untreue in der Ehe, zur Selbstbehauptung, zur religiösen Gleichgültigkeit, zur Anpassung an Tagesmeinungen. Wir könnten auch wieder Schwung bekommen, damit der Tag nicht so dahin­läppert, sondern zum Beispiel endlich der Brief geschrieben wird und der Besuch gemacht wird.

Dabei dürfen wir nicht vergessen: Das eigentliche Weihnachtsgeschenk ist der Sohn Gottes. Von daher ergibt sich erst, daß auch wir Menschen untereinander Geschenke austausehen. Der Unterschied ist nur: Gott schenkt uns keine vergänglichen Gegenstände, sondern er schenkt sich selbst. Wir brauchen ihm auch nichts wiederzuschenken. Wir könnten es ja auch gar nicht, weil wir dem Geschenk Gottes nichts Gleichwertiges entgegensetzen können. Wir können ihm nur eins geben: ein Herz, das ihm vertraut und sich immer wieder von ihm er­neuern läßt, und dazu eine Liebe, die dem Bruder hilft und ihn nicht vergißt.

Doch dieses Schenken ist nicht an Weihnachten gebunden. Das ganze Jahr über ist Zeit zum Schenken. Allerdings sollten wir echt schenken und nicht nur einer Pflicht nachkommen oder gar etwas verdecken wollen. So machte es jener Mann, der seiner Frau immer wieder viele gute Sachen schenkte. An Heiligabend brachte er sogar teuren Schmuck. Aber am Tag darauf erfuhr die Frau, daß er sie seit einem Jahr mit einer anderen betrügt. Wenn er ihr nur nichts von all dem äußerlichen Kram geschenkt hätte. Zum Heiligen Abend hätte viel besser gepaßt, wenn er ihr die Treue gehalten hätte.

Wer an Gottes Menschenfreundlichkeit glaubt, der sollte auch diese Freundlichkeit im Verhältnis zwischen Mensch und Mensch nachbilden. Wie soll denn ein anderer auf Gott vertrauen können, wenn er nirgendwo etwas von der Freundlichkeit dieses Gottes erfahren

kann? Er soll doch an den Christen sehen, welchen Gott sie haben. Hier werden wir oft schuldig und versagen.

Bei dem „Fest des Friedens“ geht es nicht nur um den Frieden unter den Völkern. Vielmehr geht es um den Frieden, den Gott mit allen Menschen geschlossen hat. Dazu hat er seinen Sohn in die Welt kommen lassen, dazu hat er uns getauft, damit unser Leben neu werden kann. Frieden können wir nur haben, wenn     wir Gott zu uns kommen lassen. Gott hat Frieden mit uns gemacht. Haben wir auch Frieden mit I H M ?

 

 

 

 

 

Katholische Briefe

 

Hebr 1, 1 – 4 (2. Christtag):

Unser ganzes Leben über begleitet uns die Personalakte: Die Firma hat eine, die Polizei hat eine, und vielleicht stellen wir uns auch vor, daß Gott so eine Akte über uns habe. Wir bekommen diese Akten praktisch nie zu sehen. Aber wir wissen genau: So ein Papier veraltet nie, was da einmal drinsteht, kommt nur schwer wieder heraus. Deshalb fühlen wir uns dadurch belastet und eingeengt.

Es begleitet uns aber auch noch eine andere Akte. Diese bekommen wir zu lesen, ja wir sollen sie sogar lesen. Sie sagt nicht nur etwas aus über den Menschen allgemein, sondern sie sagt auch etwas über die Herkunft und das Ziel der Menschen. Ich meine das Wort Gottes, das so etwas wie die Personalakte der Menschheit ist. Doch diese Akte will uns nicht belasten, sondern entlasten. Sie sagt als Erstes:

 

1.) Gott hat geredet: Manchmal werden wir diesen Satz anzweifeln. Wir machen gelegentlich die bittere Erfahrung: Der Gott, zu dem wir gehören, schweigt. Wir haben so viele Probleme, um deren Lösung wir uns bemühen. Wir machen uns Sorgen und quälen uns mit Entscheidungen. Wenn Gott da doch einmal mit uns redete und uns einen Hinweis gäbe!

Wir brauchten ein Wort Gottes und seine Hilfe.

Da aber oft nichts zu geschehen scheint, schleichen sich Zweifel ein: Gibt es Gott überhaupt? Lohnt sich die Mühe, auf ihn zu warten? Sollten wir nicht besser unseren eigenen Weg gehen und uns vom christlichen Glauben lossagen? Doch wer hier zum Gottesdienst gekommen ist, hat diese Fragen an sich schon beantwortet. Er hat ja die Zuversicht, daß Gott reden und helfen wird.

Der Hebräerbrief wendet sich an eine Gemeinde, die auch verzweifelt nach Gott fragte. Andere Mächte machten sich überlaut bemerkbar. Aber Gott schien zu schweigen. Würde es sich da lohnen, den Weg mit dieser Gemeinde zu gehen? Da wird dieser Gemeinde gesagt: „Gott hat geredet! Darauf könnt ihr euch fest verlassen!“

Gott hat schon immer zu den Menschen Verbindung gesucht. Zunächst hat er durch die Propheten geredet. Sie haben schon auf einen hingewiesen, der kommen wird, um die Welt zu erlösen. Ihre Stimmen waren sehr vielgestaltig. So etwas könnte man zwar als Reichtum ansehen, aber hier hofft man eher darauf, daß diese Vielfalt übertoten und überholt wird. Auf jeden Fall deuten alle Weissagungen der Propheten auf den einen hin, der alle Vorankündigungen überbieten wird.

 

(2.) Gott hat geredet durch Christus:

Die Ankündigungen der Propheten waren zwar so etwas wie eine Garantie. Aber jede Garan­tie-Urkunde ist befristet, sie veraltet und verliert ihren Wert. Es sei denn, sie wird verlängert und erneuert. Jesus Christus ist die Erneuerung der alten Garantien Gottes. In Jesus kommt Gottes Reden zu einem letzten Höhepunkt, der alles überbietet.

Der kleine Raum des Notquartiers in Bethlehem scheint allerdings wenig geeignet zu sein, die Größe Jesu zu demonstrieren Holz und Stroh eignen sich wenig, die Überlegenheit der Person Jesu zu erweisen. Aber wirkliche Größe zeigt sich nicht darin, daß man viel Geld ausgeben oder Macht ausüben kann. Gottes Sohn ist erschienen in Einfachheit und Natürlichkeit. Aber was die Engel in der Heiligen Nacht gesungen haben, gilt der ganzen Welt. Und das Krippenkind ist der menschgewordene Gott.

Jesus ist damit mehr als die Propheten, er ist mehr als der höchste Gipfel in einem Gebirgszug, er ist das Gebirge selbst. Die Zeitgenossen haben in Jesu vielfach nur einen Propheten gesehen, ein Mensch, der von Gott in Dienst genommen wurde wie ein Werkzeug. Er redet

nicht aus eigenem Wissen und Nachdenken oder eigener Erfahrung, sondern nur das, was er von Gott gehört hat. Daß Gott tatsächlich durch Propheten redet‚ war damals unumstritten.

Aber nun galt ja die Prophetie seit dem Propheten Maleachi als erloschen. Man erwartete sie erst wieder für die letzte Zeit. Wenn Jesus nun als „der Prophet“ bezeichnet wird, dann ist damit schon etwas Unerhörtes gesagt. Aber Jesus wäre dann nur ein Geistträger unter anderen, ein Mensch wie andere auch. Er würde sich nur vor den Anderen auszeichnen, weil er den Geist Gottes hat und einen besonderen Auftrag vor ihm hat.

Jesus aber ist der „Sohn“, sozusagen die der Welt zugekehrte Seite Gottes selbst. Es ist nicht so, daß der unsichtbare und unzugängliche Gott uns durch Jesus eine Nachricht hat zugehen lassen, sondern er selbst ist mitten unter uns da. Gott teilt uns nicht etwas mit, sondern er gibt sich selbst.

Zu einer Brieffreundschaft gehört, daß man sich auch persönlich sieht, möglichst gleich zu Anfang, aber auch zwischendrin immer wieder einmal. Zum Wort gehört auch der, der es spricht oder schreibt. Die Propheten waren der Brief Gottes. Aber durch sie hat er ankündigen lassen, daß er selber einmal in Erscheinung treten wird. Ohne ihn selbst würde das Wort in der Luft hängen.

Auch heute haben wir nur das Wort Gottes. Aber wir wissen doch, daß der unter uns w a r, der dieses Wort gesprochen hat. Weil der Sohn gekommen ist, hat das Wort Gottes eine ganz neue Qualität bekommen. In Jesus ist der Unterschied zwischen Schöpfer und Schöpfung aufgehoben. „Den aller Welt Kreis nie beschloß, der liegt in Marien Schoß!“

Dieser Sohn hat sich einer Menschheit eingegliedert, die mit einem ungeheuren Schuldkonto belastet ist. Sie muß von ihren Sünden gereinigt werden und erst wieder erworben und gewon­nen werden, wie es Luther in seiner Erklärung zum zweiten Artikel sagt. Er will nicht über eine „verbrannte“ Erde herrschen, sondern mit Menschen zu tun haben, für die er der Herr sein kann.

So trägt er alle Dinge mit seinem kräftigen Wort. Er trägt sie so, wie nach antiker Auffassung der Riese Atlas das Himmelsgewölbe trägt. Er trägt sie in priesterlicher Sorge und Hingabe. Er opfert sich sogar auf, um die Welt reinigen zu können. Die Weltgeschichte ist durch den Eintritt Jesu in die Welt rein äußerlich noch nicht viel verändert worden. Aber das Verhältnis Gottes zur Welt hat sich doch verändert. Die Geschichte steht nicht still. Aber Christus wird durch keinen anderen mehr überboten werden.

Jesus Christus ist Gott selber! Die Tragweite dieses Satzes wird man wohl nie ganz begreifen. Jesus ist der Abglanz der Herrlichkeit Gottes, so wie ein Stempelabdruck ein Spiegelbild des Originals ist. Im Menschenantlitz Jesu kann man den Glanz und die Charakterzüge des Vaters erkennen.

Und Sohn ist er nicht erst geworden, seitdem er zur Rechten Gottes sitzt, wie es auf den ersten Blick aussehen könnte. So wurde es noch in den ältesten Schriften des Neuen Testaments verstanden. Aber es hat auch eine Geschichte des Christusbekenntnisses gegeben, die Entwicklung ist weitergegangen. Doch es war nicht so, daß fromme Menschen diesem Jesus immer neue Würdenamen beigelegt haben. Vielmehr haben sie erst nach und nach erkannt und entdeckt, wer Jesus immer schon war. Und vor allem wurde ihnen immer mehr deutlich, daß dieser Jesus einer für uns ist.

 

(3.) Gott hat geredet durch Christus für uns: Im Sohn ist der ganze Gott zugänglich und verstehbar geworden. Gott will uns nicht mehr fremd sein, und wir sollen ihm nicht entfremdet bleiben. Durch sein Reden will er Gemeinschaft mit uns herstellen. Und er redet nicht nur davon, sondern er handelt auch danach.

Jesus hat unter den Menschen gewohnt, ist auf ihren Straßen gegangen, und in ihre Häuser eingekehrt. Er saß nachts beim Sturm mit im Boot, er zitterte und weinte und feierte bei der Hochzeit mit. Wäre er nicht in dieser Weide Mensch geworden, könnten wir nicht so mit ihm verbunden sein. Er wollte nicht nur in Hör- und Sichtweite sein, sondern wirklich in Reichweite. Unmittelbarer als im Sohn kann Gott uns nicht anreden.

Und dabei ist Jesus nur der Abglanz einer viel größeren Herrlichkeit. Aber er bringt uns tatsächlich auch etwas Herrliches, das einzige wahre Weihnachtsgeschenk. Denn meine Schuld und mein Versagen kann ich nicht mit irgendwelchen Geschenken zudecken. Wenn ich ein Geschwür mit einer Binde und goldenen Schleife zubinde, ist noch nichts heil geworden. Im Laufe eines Jahres ist vieles, was gut begonnen hat, zur Plage geworden. Viele Pläne sind steckengeblieben, und Kraft und Zuversicht sind geschwunden. Aber durch den Glauben lassen wir uns hinweisen auf die Vollkommenheit Gottes. Er wird uns herausführen aus unserer Not und uns eine neue Zukunft geben.

Es ist schön, wenn man einen großen Bruder hat, bei dem man sich geborgen wissen kann. Man muß auch eine Hoffnung haben, daß alles wieder einmal in Ordnung kommt. Manchmal hat man nicht mehr die Kraft, dieses oder jenes zu ordnen; manches vergißt man auch einfach. Da ist es gut, wenn man weiß: Jesus ist gekommen, er ist da! Er sitzt zwar jetzt „zur Rechten Gottes“. Aber das heißt doch nur, daß er die Macht hat, unser Leben neu zu ordnen. Er schenkt uns Geborgenheit und gibt unserem Leben festen Halt.

 

 

Heb 4, 9 - 13 (Sexagesimä):

In Bad Wildungen in Nordhessen steht eine Kirche in einem Neubaugebiet, die die Form eines Zeltes hat. Das heißt. Das Dach ist fast bis auf den Boden herabgezogen, und unter diesem Dach sind der gottesdienstliche Raum sowie Unterrichts- und Gemeinderäume vereinigt. Neben der Kirche stehen noch Pfarrhaus und Kindergarten. Die Kirche hat aber keinen hochaufragenden Turm, sondern sie fügt sich in das Bild der umliegenden Häuser ein.

Das kann uns zum Gleichnis werden für die Stellung der Kirche heute in der Welt: Sie ist nicht mehr eine Einrichtung, die ü b e r allen steht, sondern nur eine neben vielen anderen. Neben dem gottesdienstlichen Versammlungsraum braucht sie auch Gemeinderäume, Kindergarten und anderes, um ihren Auftrag in der Welt von heute auszuführen.

Vor allem aber baut man keine Kirchenburg mehr, die zum Symbol für das Feststehende und Beharrende geworden ist, sondern ein Zelt, das ein Zeichen ist für das wandernde Gottesvolk. An manchen Notkirchen der Nachkriegszeit wird das noch deutlicher: Die sahen fast alle aus wie ein Zelt, konnten auch schnell abgebaut werden wie ein Zelt und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Die Kirche kann sich eben nicht mehr behaglich in dieser Welt einrichten, sondern sie muß bereit sein zum Aufbruch.

Natürlich sehen auch heute noch viele in der Kirche ein Element des Ruhenden inmitten einer in Bewegung geratenen Welt. Wenn alles unsicher und fließend wird, dann soll doch wenigstens die Kirche am Althergebrachten festhalten. Aber das         widerspricht dem Wesen der Kirche.

In der Bibel wird sie uns als das wandernde Gottesvolk beschrieben, das heute hier und morgen da sein Lager aufschlägt, das hinter sich läßt, was gestern war, und das noch nicht weiß, was morgen sein wird. Nirgends gibt es Ruhe, immer nur Kampf und Mühen, Hoffnungen und Enttäuschungen, Erfolg und Versagen. Ehe das Ziel nicht erreicht ist, zeichnet sich kein Ende des Wartens ab.

Denken wir einmal an das Volk Israel, wie es da durch die Wüste zog. Wie groß war doch die Versuchung, sich in einer der Oasen häuslich niederzulassen. Da ging es ihren doch gut, sie konnten doch zufrieden sein. Aber es war eben noch nicht das Land der Verheißung. Gott wollte ihnen eben noch mehr geben als nur eine Oase. Deshalb mußten sie immer wieder aufbrechen hinaus in die Ungesichertheit. Sie konnten sich mit dem Erreichten noch nicht zufriedengeben, weil die ganz große Erfüllung noch ausstand.

Und als sie sich dann in ihrem Land niedergelassen hatten, da traten die Propheten auf und machten ihnen die Sicherheit wieder fraglich. Sie verkündigten Gottes Zorn über sein Volk. Und die beiden israelitischen Staaten wurden ja dann auch von den Feinden erobert und

das Volk mußte in die Gefangenschaft nach Babylon. Aber auch daraus hat Gott sie wieder befreit, sie zogen wieder zurück nach Israel. Aber erst durch viele Leiden wurde deutlich, daß Gott diesem Volk nicht nationalistische Ansprüche garantiert, daß er nicht ein sehr weltliches Heil verschaffen will, sondern allen Menschen eine neue Welt verheißt.

Im Neuen Testament kehren die alten Erwartungen Israels wieder. Aber nun ist die Rede vom ewigen Leben, vom Reich Gottes, vom unverwelklichen Erbe. Wenn Jesus zu seinen Jüngern sagt, wie wir es im Evangelium dieses Sonntags gehört haben: „Wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist!“ dann dachten die Jünger: „Jetzt wird das Reich Davids wieder von Jesus errichtet!“

Jesus aber hat solche falschen, weltlichen Hoffnungen zurückgewiesen. Der Hebräerbrief tut im Grunde das Gleiche. Er spricht zu hoffnungslosen, schon wieder zerbröckelnden Gemeinden, denen das Warten zu schwer wird. Sie hatten sich das Christsein anders gedacht und waren nun der Meinung: „Ohne Christus lebt es sich's leichter!“ Einige haben die Gemeinde schon wieder verlassen.

Der Brief preist ihnen nun nicht das Christsein als eine mühelose, bequeme, gefahrlose Sache an. Er versucht nicht, ihnen die Müdigkeit und Lustlosigkeit auszureden. Er beschönigt nichts und sagt ganz offen und ehrlich: „Wir sind immer noch in der Lage des wandernden Gottesvolkes, wir haben die große Ruhe Gottes immer noch vor uns, wir können noch alles gewinnen oder alles verlieren!“

Aber in dieser Welt gibt es kein menschliches Ansehen oder eine Sicherheit. Ein Christ muß sich im Gegenteil oft dahin begeben, wo er aus den anderen herausragt und allen preisgegeben ist, wo ihn wirklich nichts anderes mehr retten kann als ein Wunder Gottes.

Dennoch sollen wir ein gehorsames „Ja“ finden zu dieser Situation des Unterwegsseins. Natürlich kann man in der Wüste nur mühsam leben: Da gibt es keine bleibende Stadt, da ist es oft weit bis zur nächsten Oase, und wenn man hinkommt, kann die Quelle bitter sein. Da gibt es keine festen Burgen und Wälle und der Feind hat es leicht. Man läuft sich die Füße wund

und meint, man müsse umfallen vor Erschöpfung.

Aber wer aufregend lebt, schläft wenigstens nicht ein. Jesus braucht solche Leute, die bereit sind, etwas dranzugeben, und die mit ihm durch dick und dünn gehen. Natürlich gibt es Durst­strecken und Gefahren. Aber wenn man das nicht mitmacht, erfährt man auch nicht, wie Gott hilft. Wenn es für uns nicht weiterzugehen scheint, dann ist Gott noch lange nicht am Ende. Wenn wir auf ihn vertrauen, kommen wir schon wieder heraus.

Natürlich trifft man eine gewisse Vorsorge, wenn man in die Wüste geht. Und so planen wir als Gemeinde auch für die Zukunft. Wir setzen unsere Gebäude instand, wir stellen gewisse Ordnungen auf, wir schließen Verträge. Aber all das kann uns nicht in dieser Welt sichern.

Wir müssen damit rechnen, daß wir all diese Stützen unserer wirtschaftlichen Existenz verlieren und dennoch weiterleben müssen.

Den Gemeinden sagt man immer wieder, sie brauchten den Schutz einer großen Landeskirche. Aber wenn wir es recht betrachten, dann kann uns auch im Ernstfall kein Bischof beschützen und kein Landeskirchenrat, hinter dem angeblich eine Million Christen stehen. Im Notfall kann uns nur unser Herr Jesus Christus schützen und sonst niemand.

Aber weil er uns schützt, können wir auch zuversichtlich in die Zukunft sehen. Der Hebräerbrief mahnt uns immer wieder, alles dranzusetzen, um in die Ruhe Gottes hineinzukommen.

Aber was sehen wir stattdessen oft? Auch bei uns gibt es Leute, die im Begriff sind, das unbequeme und kostspielige Christsein über Bord zu werfen. Auch bei uns gibt es verstockte

Herzen, wenn Gott redet, Verbitterung und den Versuch, Gott auf die Probe zu stellen. Viele sagen dann auch noch: „Was kann ich denn dagegen machen, wenn ich ein ungläubiges Herz habe?“

Aber Gott billigt Faulheit, Leidensschau, Weichheit und Unbeherrschtheit durchaus nicht. Es ist nicht gesagt, daß wir alle automatisch in das Land der Verheißung gelangen. Gott gönnt zwar allen das Heil. Aber gar mancher verscherzt es sich. Wer auf der Wanderung ist, bekommt nichts geschenkt.

Das „Zur- Ruhe-kommen“ meint ja nicht ein Untätigsein, sondern die ungefährdete und ungestörte Gemeinschaft mit Gott. Er hat uns zwar die Ruhe in seiner Wohnung versprochen. Aber er darf doch wohl erwarten, daß wir uns dafür interessieren und stark machen und uns so dafür einsetzen wie wir vieles andere, das wir ungeheuer ernst nehmen und wofür wir viel aufwenden, obwohl es weniger lohnt.

 Wer bei der Predigt schläft, wird vielleicht eines Tages einmal unsanft aufwachen. Gottes 7Wort will nämlich nicht beruhigen und einschläfern. Uns wird nicht eingeredet, man brauche sich nicht gar zu viel Gedanken und Mühe zu machen, das Happy-End komme sowieso. In der Redewendung heißt es: „Abwarten und Tee trinken“ oder man sagt: „Es muß doch Frühling werden!“ Nun, der Frühling ist eine Naturtatsache, er kommt, ohne daß wir etwas dazu tun. Wo es aber um Gott geht, da werden wir zu einer persönlichen Entscheidung aufgefordert, da liegt es allein an uns.

Gottes Wort wird hier mit einem zweischneidigen Schwert verglichen. Wenn einer damit zuschlägt, dann kann es nicht vorkommen, daß er dabei versehentlich die falsche Seite erwischt. Das Wort Gottes tut auf alle Fälle, was es soll: es schafft und vernichtet, es .ist kraftgeladen, es „hat es in sich“; es kann uns festhalten, wo wir gehen wollten; und es kann uns in Marsch setzen, wo wir zu bleiben gedachten.

Gott möchte natürlich lieber heilen als Wunden schlagen. Er muß aber mit dem Schwert dreinschlagen, weil wir uns zu oft nach außen verschließen, uns tarnen und verbarrikadieren. Das ist nämlich unser Ideal von Ruhe, daß wir nämlich in Ruhe gelassen werden.

Gott aber geht uns zu Leibe, er dringt durch das dicke Fell und durch alle tarnende Verkleidung hindurch, er dringt auch in die mit peinlicher Vorsicht abgeschirmten Bereiche unseres Lebens, selbst in die unaufgeräumten Winkel.

Gott macht sich diese Mühe, weil er um uns bangt. Er macht es sich selbst nicht leicht. Sonst müßte sein Sohn nicht hinauf nach Jerusalem ziehen. Im Wochenlied haben wir vorhin gesungen: „Lasset uns mit Jesu ziehen!“ Aber wir wollen den Mund nicht zu voll nehmen. Wir müssen ja nicht einen Weg gehen, der nur annähernd so schwer ist wie der Weg Jesu.

Aber wir werden eben auch viel Unruhe und Mühen auf unserem Weg als Christen erleben. Doch am Ende der Wanderung winkt uns auch das Ziel, die Ruhe bei Gott. Was wollen wir uns mit Trostpreisen zufriedengeben, wenn wir den Hauptgewinn haben können? Wir müssen nur lange genug aushalten. Dann ist auch noch eine Ruhe vorhanden dem Volk Gottes.

 

 

 

Hebr 4, 14 -16 (Invokavit):

Zwei Jungen haben Fußball gespielt. Natürlich landet der Fall im Fenster des Nachbarn. Der kommt wütend herausgestürzt, um die Übeltäter zu verhauen. Doch der Schuldige rennt schnell nach Hause, um Schutz bei den Eltern zu suchen. Hastig erklärt er dem Vater, was vorgefallen ist. Der Vater tritt dem wütenden Nachbarn auch ruhig entgegen und sagt: „Ich lasse es wieder in Ordnung bringen!“ Damit ist diesem der Wind aus den Segeln genommen: Er schimpft zwar noch, aber er zieht doch wieder ab.

Der Vater hat sich schützend vor seinen Sohn gestellt. Dadurch ist zwar das Fester nicht wieder ganz geworden, die Schuld bleibt bestehen und der Vater ist sicher böse auf seinen Spröß­ling. Aber der Sohn muß nicht die Folgen seiner Tat tragen, weil der Vater für ihn eintritt. Er könnte ja auch den Schaden gar nicht wieder gut machen. Da muß schon ein Größerer kommen, der ihm hilft. Deshalb ist es so schön, wenn man einen Vater hat, der einem die Kastanien aus dem Feuer holt.

Der Hebräerbrief spricht von einem, der sich schützend vor die Menschen stellt: der Hohepriester. Er hatte in der israelitischen Religion die Aufgabe, das Tieropfer darzubringen, durch das Gott mit den Menschen versöhnt wurde. Schon bei heidnischen Völkern setzte man für die Ver­mittlung zwischen Gott und den Menschen Priester ein. Sie waren nach der Meinung ihrer Mitmenschen besonders dafür begabt und hatten auch die richtige Technik für diesen Dienst gelernt. Vor allem sollten sie durch Darbringung von Opfern die Götter günstig stimmen.

Im alten Israel hatte man auch solche Priester. Aber man wußte in diesem Volk schon daß

durch die Schuld der Menschen der Graben zwischen Gott und den Menschen ein Graben zwischen ihnen und Gott aufgerissen war. Gott selber hatte deshalb den Opferdienst eingesetzt, um seinem Volk die Möglichkeit zu geben, wieder mit Gott ins Reine zu kommen.

Doch oftmals führte diese Hilfe Gottes zu einer falschen Sicherheit im Volk. Man lebte, wie man wollte, ohne nach Gott zu fragen. Das Opfer des Priesters sollte ja automatisch die Vergebung bewirken. Aber auch wenn man sein Leben änderte und die Hand hilfesuchend nach Gott ausstreckte, dann blieb es doch immer noch seine Sache, ob er die Hand ergriff oder nicht.

Erst durch Christus hat die Unvollkommenheit des priesterlichen Dienstes ein Ende gefunden. Er ist der Hohepriester, der ein für allemal die Brücke zwischen Gott und den Menschen geschlagen hat. „Priester“ heißt auf lateinisch „pontifex“. Wenn man das Wort genau übersetzt, so bedeutet es „Brückenbauer“. Stellen wir und eine tiefe Schlucht vor. Wir möchten gern auf die andere Seite kommen, aber es ist unmöglich, ohne fremde Hilfe wird es nicht gelingen. Da muß schon ein Brückenbauer kommen, der den Bogen über den Abgrund schlägt, damit wir gut und sicher hinüberkommen.

Jesus war ja selbst das Opfer, das alle anderen Opfer überflüssig machte. Er heißt bewußt der „große“ Hohepriester, weil er das tat, was der israelitische Hohepriester nicht vollbringen konnte: Er steht für andere vor Gott ein, indem er sich selbst zum Opfer hingibt.

Einen besseren Fürsprecher könnten wir uns nicht denken. Er hat nämlich die Himmel durchschritten, jene kosmischen Räume über der Erde, wo nach der Anschauung der Alten die bösen Mächte wohnten, die sich gegen Gott empört haben. Als Jesus aber starb und erhöht wurde, da hat er diese Sperrzone durchbrochen, die die Welt von ihrem Gott trennt. Die bösen Mächte konnten ihn dort nicht festhalten. Jetzt sitzt er zur Rechten Gottes und übt seine Aufgabe als Fürbitter für die Menschen aus.

Durch ihn dürfen wir Gott alles sagen. Das ist anders als bei den Israeliten: Dort war das Allerheiligste im Tempel durch einen Vorhang verdeckt. Nur der Hohepriester hatte dort Zutritt, und das auch nur einmal im Jahr. Aber für uns ist der Vorhang des Tempels zerrissen. Der Weg zu Gott ist frei, und wir dürfen ganz unbefangen kommen.

Wenn inan zum Staatspräsidenten will, dann wird man nicht so ohne weiteres vorgelassen. Da sin d sehr viele Vorzimmer, und in ihnen Leute, die einen nicht durchlassen. Die Frau oder die Kinder des Präsidenten werden aber jederzeit vorgelassen, sie haben ein Recht, bei ihm zu sein. So sind wir auch alle Kinder Gottes, denen niemand den Zugang zum Vater verwehren darf.

Er ist ja nicht jenseits unseres Sonnensystems und auch nicht hinter einem der unzähligen Milchstraßensysteme. Er ist vielmehr mitten unter uns, in Taufe und Abendmahl greifbar und im Glauben erfahrbar. Wenn wir an den Altar herantreten, dann ist Gott bei uns und wir sind in seinem Heiligtum versammelt und einbezogen in dem himmlischen Gottesdienst. Das kann uns helfen gegen alle Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit. So sollte schon durch den Hebräerbrief die Gemeinde dazu gebracht werden, bei Christus bleiben und nicht preiszugeben, was man bei ihm gewonnen hat.

Deshalb werden sie aufgefordert: „Laßt uns festhalten am Bekenntnis!“ Wir sprechen jeden Sonntag ein Glaubensbekenntnis. Aber haben wir uns schon einmal wirklich überlegt, was das bedeutet? Zum Beispiel: „Ich glaube an die Vergebung der Sünden!“

Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain erzählt in einem Kinderbuch folgende Geschichte: Ein Mädchen hat in der Schule versehentlich ein Buch zerrissen, das dem Lehrer gehört. Der Lehrer fragt jedes Kind der Klasse: „Bist du es gewesen?“ Wir können uns sicher das Beklemmende dieser Situation vorstellen. Das Mädchen vergeht fast vor Angst. Als der Lehrer sie fragen will, das steht ihr Freund Tom auf und sagt: „Ich bin es gewesen!“

Wenn wir zu Gott kommen, dann ist Jesus Christus als unser Hohepriester schon da. Wenn wir am meisten Angst haben, wird er sich vor uns stellen und die Strafe auf sich nehmen. Die Menschen haben ihn ausgestoßen und dadurch ist er zu seinem himmlischen Vater zurückgekehrt. Doch er freut sich nicht, daß er es nun gut hat und die Menschen in ihrem alten Leben bleiben. Vielmehr hat er all unsere Schwachheiten mit sich genommen und trägt sie bis in alle Ewigkeit, damit wir sie nicht zu tragen haben.

„Schwachheit“ ist nur ein freundlicher Deckname für unser verkehrtes Leben. Wir sind doch manchen Versuchungen ausgesetzt. Auch bei unserem Glauben geht manches daneben. Jeder von uns weiß ja selber, was bei ihm nicht stimmt. Und Jesus hat uns ja gelehrt, daß auch schon böse Gedanken und Wünsche eine Sünde sind. Mit der Versuchung geht es also schon früh los, es muß erst gar nicht zur Tat kommen.

Kann Jesus für so etwas Verständnis haben? Wir haben ja gesagt, daß er weit über uns Men­schen steht und jetzt zur Rechten Gottes sitzt. Aber er hat ja selber alle menschlichen Versuchungen mitgemacht. Schon gleich nach der Taufe ging es los (wir haben es im Evangelium vorhin gehört). Immer wieder haben Menschen ihn auf Abwege locken wollen. Und schließlich kurz vor seinem Tode im Garten Gethsemane hat er vielleicht die schwerste Stunde mit­gemacht, als er zitterte vor Angst und sich vielleicht noch ganz gern aus dem Staub gemacht hätte.

Er war nicht besser gewappnet gegen die Versuchung als wir auch. Zum Wesen des Menschen gehören Schwachheit und Versuchlichkeit mit dazu. Auch Jesus ist davon betroffen worden. Auch er mußte harte Versuchungen durchstehen, weil er nur auf diese Weise uns wirklich nahe sein konnte, weil er nur so uns verstehen und verteidigen konnte. Nichts Menschliches ist ihm fremd.

Jesus ist eben nicht als unwirkliches Gottwesen über die Erde gegangen, wie mit einem unverletzlichen Panzer ausgestattet und erhaben über alles Böse und Gottwidrige. Dann wäre er ja nicht unser Bruder gewesen. Und wenn uns gut zureden wollte, dann könnten wir ihn ja zurückweisen: „Du bist ja nicht in unserer Lage! Du weißt nicht, was uns täglich gefährlich wird und auf uns einstürmt, von außen und von innen, vom Leib her und aus den Tiefen der Seele! Du kennst ja nicht den unsichtbaren Feind, mit dem wir uns tattäglich herumschlagen müssen!“

Aber keine Sorge! So ist es ja nicht. Jesus kennt den Feind und kennt unsere Lage. Er hat sich ja gerade in Herrschaftsbereich des Bösen begeben, um dort das Recht Gottes geltend zu machen. Um unseretwillen hat er sich nichts erspart. Nur: Er ist stark geblieben. An ihm ist der Versucher abgeprallt. Er hat zwar wie wir die Anfechtung erfahren. Aber die Strafe hat er allein getragen für uns.

Er hat aber nicht wie ein Anwalt zu seinen Vater gesprochen: „Wenn du wüßtest, wie schwer die es haben, würdest du ihnen nichts übelnehmen!“ Er hat uns nicht entschuldigt, sondern er hat sich für uns geopfert. Ein Anwalt tut vor Gericht sein Bestes, um den Angeklagten herauszupauken. Wenn aber das Urteil gefällt ist und die Strafe verhängt ist, dann geht der Anwalt unbehelligt nach Hause. Der Verurteilte aber wird in seine Zelle abgeführt. Aber bei Jesus ist das anders: Da verbüßt der Anwalt die Strafe und der Angeklagte ist frei. Jesus geht nicht von unserer Seite, auch wenn der Böse zum letzten und vernichtenden Schlag ausholt.

Weil Jesus den Durchbruch geschafft hat, unterliegen wir nicht mehr dem Zwang gottwidriger Mächte. Jetzt dürfen wir respektlos allem gegenübertreten, was uns zugrunde richtet und von Gott abbringen will. Wir müssen nicht mehr sündigen. Es gibt ja Stunden, die wir gern aus unserem Leben ausradieren möchten: Da haben wir uns einer Situation nicht gewachsen gezeigt, waren zu sehr auf uns selbst bedacht oder jähzornig oder feige.

Das sind dann Zeiten, wo wir besonders nötig Hilfe brauchen. Es ist natürlich nicht besonders schön, wenn man nur nach Gott schreit, wenn Not am Mann ist. Aber bei Gott werden wir auch dann noch Gnade finden. Er ist immer da, wenn wir ihn brauchen. Daß er für uns unsichtbar ist, braucht uns nicht zu beirren. Er ist uns näher als einer, der mit uns in dieser Welt lebt. Man kann sich auf ihn verlassen. Er sieht uns als die Seinem an. Er weiß, was wir hinter uns haben. Aber deswegen wird er erst recht für uns sein.

Wir aber sollten immer wieder zu ihm hingehen, „herantreten an den Gnadenthron“, wie es der Hebräerbrief sagt. Mit dem Christwerden muß man jeden Tag wieder neu anfangen. Es werden immer wieder neue Aufgaben gestellt und Pläne gemacht. Unser Glaube wird verfallen, wenn er nicht immer wieder erneuert wird. Aber wir dürfen ja gerne täglich wieder zu Gott kommen, der uns allein helfen kann.

 

 

Hebr. 5, 7 - 9 (Judika):

In einer Familie ist eine Mutter in relativ jungen Jahren gestorben. Ein Sohn ist im Lehrlingswohnheim untergebracht. Aber es sind auch noch zwei kleine Kinder da, die noch in die Schule gehen. Der Vater kann sich nicht um sie kümmern. Auch den Haushalt würde er nicht bewältigen. Verwandte sind nicht da, die die Kinder nehmen könnten. Es bleibt nur eine Möglichkeit: die schon erwachsene Tochter, die in einer Großstadt studiert.

Der Vater bittet sie, zu Hause zu bleiben, den Haushalt zu führen und die kleineren Geschwister zu versorgen. Was soll sie tun? Soll sie ihr Studium aufgeben? Es hat viel Mühe gekostet, soweit zu kommen. Sie hat noch zwei Jahre. Soll sie alle ihre Chancen begraben, auf den gewünschten Beruf verzichten? Hinterher wird sie nicht wieder reinkommen.

An einem solchen Beispiel können wir sehen, wie schwer der Gehorsam manchmal sein kann. Die eigenen Möglichkeiten fahren lassen und nur für andere da zu sein, das ist nicht leicht. Der Vater hatte es der Tochter ja nicht befohlen, er hätte sie ja auch gar nicht zwingen können. Aber eine Bitte wiegt vielleicht noch schwerer und läßt sich nicht so einfach vom Tisch fegen.

So war es wohl auch im Verhältnis zwischen Gott und Jesus. An sich hätte Gott mit Gewalt den Gehorsam seines Sohnes erzwingen können. Es hätte ja auch sein können, daß der Sohn zwar grundsätzlich den Gehorsam versprochen hätte, im letzten Augenblick aber doch noch schwach geworden wäre. Dann hätte Gott sagen können: „Du hast es ja freiwillig versprochen, jetzt halte es auch ein!“ Und wenn Jesus dann immer noch nicht gewollt hätte, dann wäre er eben gezwungen worden.

Dieser Abschnitt aus dem Hebräerbrief bezieht sich auf die Stunde im Garten Gethsemane kurz vor der Verhaftung Jesu. In dieser Stunde mußte Jesus das innerlich bewältigen, was auf ihn zukommt. Jetzt stand alles noch einmal - zum letzten Mal - auf des Messers Schneide. Jetzt mußte eine Entscheidung gefällt werden, die keine andere Möglichkeit mehr offen läßt. Und das alles, wo das Gefühl der Gottverlassenheit übermächtig wurde, wo der Bosheit der Menschen freier Lauf gelassen wurde, wo der Gehorsam noch einmal besonders schwer gemacht wurde.

Das Wort „Gehorsam“ steht bei uns nicht in hohem Ansehen. Wir haben böse Erfahrungen gemacht mit einem Staat, der unbedingten Gehorsam von seinen Bürgern forderte: „Du bist nichts, dein Volk ist alles!“ hieß es damals. Aber das Volk hatte ja auch nichts zu sagen, sondern nur der Führer, der sich an seine Spitze gesetzt hatte. Und wer da nicht mitmachte, der kam ins Konzentrationslager.

Aber auch sonst liegt das in jedem Staat drin, daß die Leute an den Schalthebeln der Macht sich als Befehlsgeber verstehen und in den anderen nur Befehlsempfänger sehen. Da sitzen dann die Bürokraten hinter ihren Schreibtischen und entscheiden die Dinge nach der Theorie oder ihrem Gutdünken, anstatt erst einmal auf die Praktiker vor Ort zu hören oder ihnen die Sache überhaupt zu überlassen. Es ist schwer, die Anordnungen dann doch auszuführen, auch wenn man genau weiß, daß sie falsch sind.

Manchmal wäre Ungehorsam die größere Tugend als der Gehorsam. Aber auf der anderen Seite wird auch wieder auf Gehorsam verzichtet, wo er besser erzwungen würde. Eltern lassen ihren Kindern oftmals viel zu früh freien Lauf und nehmen nicht einmal ihre gesetzlichen Pflichten wahr. Dann braucht es niemand zu wundern, wenn die Kinder nachher auf niemanden hören wollen; sie haben es ja niemals gelernt oder einen Zwang verspürt.

Weil die Forderung nach Gehorsam mißbraucht worden ist und auch heute sicher noch mißbraucht wird, wollen wir es gern anders machen. Auch Gott soll nicht mehr gebieten dürfen. Mancher will nicht einsehen, daß Gott ihn an seinen Platz gestellt hat, auf dem er nun

auch unter schwierigsten Bedingungen gehorsam ausharren soll.

Jesus aber hat gesagt: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst!“ Er hat gern gepredigt und Kranke geheilt, da war der Gehorsam nicht schwer! Aber jetzt wird es ganz hart für ihn. Wir sollten nicht meinen, es sei leichter für ihn, weil er ja Gottes Sohn war. Sein Leiden und Tod war seine persönliche Leistung, bei der er sich solange unter den göttlichen Willen beugte, bis sein Wille ganz mit dem des Vaters eins wurde. Dabei hat er sein Schicksal nicht passiv hingenommen und sich auch nicht fluchend ins Unvermeidliche geschickt, sondern er hat sich durchgerungen zu einem freien „Ja“.

Jesus hat diesen Gehorsam auch erst lernen müssen. Das zeigt eben, daß er kein Himmelswesen war, sondern ein wirklicher Mensch. Der letzte Gehorsam lernt sich erst im Kampf mit dem, wovor wir gern ausweichen möchten. Aber das können die großen Stunden im Leben eines Menschen werden, wenn an diesem Punkt weiterkommt. Wir sind dabei nicht in schlech­ter Gesellschaft, nur ist bei Jesus alles noch dramatischer als bei irgendeinem von uns.

Jesus hat hier seine Hölle erlebt. Er hat die Auswirkungen der Sünde der ganzen Welt am eigenen Leibe zu spüren bekommen und in der Seele ausstehen müssen. Gott hat seine helfende Hand dabei zurückgezogen und der Sohn an den Auswirkungen des Bösen zugrunde gehen lassen. So wurde er zum Blitzableiter des Zornes Gottes: Er hat auf sich genommen, was uns zugedacht war!

Gott hat auf seine Forderung nach Gehorsam nicht verzichtet. Er hat nicht gesagt, wenn er auf eine Sünde stieß: „Macht nichts, kleine Fische - darüber sehen wir gnädig hinweg!“ Er hat nicht gute Miene zum bösen Spiel und die Sünde sich weiter austoben lassen an seiner Schöpfung. Gottes Gesetz bleibt bestehen. Er will den Sünder nicht annehmen, ohne die Sünde zu richten. Deshalb wurde Jesus preisgegeben und mußte alles allein aushalten. Deshalb war es so schwer für ihn.

Aber dadurch sind unsere Beziehungen zu Gott wieder normalisiert worden. Jesus hat wieder die Brücke über dem Abgrund gebaut, der uns von Gott trennt. Ohne fremde Hilfe hätten wir es nicht geschafft: Wir haben weder das Baumaterial noch die Fähigkeit, eine solche Brücke zu konstruieren und auszuführen. Gott mußte von seiner Seite aus die Brücke schlagen. Er tat es durch Jesus Christus. Er war der Brückenbauer und auch das Material, er hat sich selber über den Abgrund gelegt und wieder die Verbindung hergestellt. Jetzt können wir wieder hinüber gehen: die Brücke ist tragfähig und hält bis in alle Ewigkeit.

Unsere Aufgabe wäre es dann, nun unsererseits immer wieder Brücken zu anderen Menschen zu schlagen. Oftmals sind nur Zeit und etwas Erfindungsreichtum nötig, um zerstrittene Menschen wieder zusammenzubringen. Da kümmert sich ein Meister im Betrieb auch um die persönlichen Angelegenheiten seiner Mitarbeiter. Ein Kollege hat Streit mit seiner Frau, seit zwei Wochen haben sie nicht mehr miteinander geredet. Dem Mann tat es leid, der Frau auch, aber keiner wollte als erster nachgeben. Da erzählte der Mann dem Meister von der Sache und bat ihn um Hilfe.

Der Meister sagt: „Laß mich nur machen!“ Am Abend lädt er sich selber bei dem Ehepaar ein und tut so, als wüßte er von nichts und als sei bei ihnen alles in Ordnung. Bald unterhält er sich mit dem Mann, bald mit der Frau. Und auf einmal springt der Funke über: Die Frau zieht den Mann wieder mit ins Gespräch. Ohre daß es groß aufgefallen wäre, ist der Brückenschlag wieder gelungen. Als der Meister sich endlich wieder verabschiedet, sind die Eheleute wieder ganz miteinander versöhnt.

Wir brauchen solche Menschen, die zur Vermittlertätigkeit bereit sind. Dazu muß man selber immer und überall zur Versöhnung bereit sein. Man muß auch das Risiko eingehen, sich dabei zwischen alle Stühle zu setzen; es kann nämlich sehr leicht sein, daß sich die Gegner versöhnen und sich dann gemeinsam gegen den Vermittler wenden. Wir könnten uns auch vornehmen, uns jeweils für den Schwächeren einzusetzen, oder für den, der abwesend ist und sich nicht selber verteidigen kann.

Es gibt viele Möglichkeiten, im Sinne Gottes tätig zu werden. Es ist nicht immer leicht und man kann selber dabei Prügel beziehen. Aber dann ginge es uns nicht anders als unserem Herrn Jesus Christus auch, der uns vorgelebt hat, was Gehorsam und Versöhnung sind.

 

 

 

 

 

 

Jak 4, 13 - 15 (Neujahr):

Herzlichen Glückwunsch: heute haben wir alle etwas gewonnen, nämlich 365 Tage (in manchen Jahren auch 366 Tage). Es gibt eine Neujahrsglückwunschkarte, die als Scheck gestaltet ist. Heute wird uns allen ein Scheck über 365 Tage überreicht. Wir haben alle einen Spielraum voller Chancen gewonnen. Was im letzten Jahr schiefgelaufen ist, mag uns auch heute noch etwas belasten. Aber nun haben wir die Möglichkeit, alles anders zu machen. Wir können neue Kräfte gewinnen, neue Freunde, neue Anerkennung, größere Unabhängigkeit und materielle Sicherheit. Es soll ein Jahr des Vorankommens werden.

 

(1.) Ihr dürft nicht so tun, als ob es Gott nicht gäbe:

Als Beispiel werden die Kaufleute genannt, die sagen: „Heute oder Morgen wollen wir aufbrechen in diese oder jene Stadt; dort werden wir ein Jahr bleiben, Handel treiben und Gewinne erzielen!“ Aber das ist nur der Spezialfall einer weltlichen Gesinnung, wie man sie überall antreffen kann, auch unter Christen. Viele wollen doch eigenmächtig ihren Lebensentwurf machen und sind auf Gewinn und Erfolg aus. Und so könnte uns auch die Startsituation des Neujahrsmorgens dazu verführen, unsere Pläne ohne Gott zu machen.

Daß wir uns nicht falsch verstehen: Es ist uns keineswegs verboten, die Zukunft zu planen. Wir würden schuldig, wenn wir es nicht täten. Das war 1978 in einem niederländischen Dorf so, wo eine ganze Reihe Kinder an Kinderlähmung erkrankten. Der Grund war: In der konservativ eingestellten Kirchengemeinde hatte man die Schutzimpfung abgelehnt. Das ist wahrhaftig Gottvertrauen am falschen Ort. Hier hat man die notwendige und mögliche Planung in sträflichem Leichtsinn unterlassen.

Seine Verantwortung wird der am besten wahrnehmen, der am weitesten und kenntnisreichsten vorausdenkt. Und von seinen Erkenntnissen her wird er die heute schon fälligen Entschlüsse fassen. Wir können es uns nicht leisten, aufs Geratewohl zu leben. Der Staat muß planen, die Firmen haben einen Plan, und wir selber haben auch alle so etwas wie einen Plan für unser Leben.

Man muß sich die Ausbildung und den Berufsweg überlegen. Anschaffungen und deren Finanzierung wollen genau erwogen sein. Wir denken auch schon wieder an Urlaub. Wir nehmen uns vor, die Familie solle nicht mehr zu kurz kommen und zerbrechen uns den Kopf, wie wir Zeit einsparen können. Das alles will vorbedacht sein. Und es ist nicht christlich, einfach in den Tag hinein zu leben.

Aber es könnte sein, daß wir die Rechnung ohne den Wirt machen wollen. Der Jakobusbrief warnt uns davor, Pläne zu machen, in denen Gott gar nicht vorkommt. Für uns als Christen wird Gott schon im Grundsatz einen Platz in unserem Leben haben. Aber es könnte sein, wir haben ihn faktisch ausgeschaltet und abgeschafft. Unsere Wünsche und Vorbereitungen könnten ja quer zu dem stehen, was Gottes Wille ist. Wir wissen es genau, wollen es aber nicht wahr haben. Gott stört uns letztlich bei unseren Plänen. Deshalb tun wir gerne so, als hätten wir ihn nicht gehört

Oft sind wir aber auch nicht darauf gefaßt, daß Gott uns anders führen wird, als wir es uns gedacht und vorgenommen haben. Es könnte doch sein, daß Gott uns in den Weg tritt und unsere Pläne durchkreuzt. Er könnte uns die Sorge für einen Menschen auferlegen, so daß unser ganzes Jahresprogramm umgestoßen wird. Wenn einer krank wird, kann vielleicht der Urlaub nicht wie geplant durchgeführt werden. Oder bestimmte wirtschaftliche Ziele lassen sich nicht mehr erreichen. Wir können unsere Zukunft nicht in einen leeren Raum hinein entwerfen. Aber im Vorraum der Zukunft werden wir auf Menschen treffen und auf Dinge stoßen, die alle Pläne umwerfen. So können wir nun als Zweites sagen:

 

(2.) Ihr könnt nicht wissen, was morgen sein wird: Wir gehen ins Unbekannte. Das Leben ist immer ein Abenteuer. Wir schließen Versicherungen ab, aber damit gestehen wir ja gerade ein, daß ein Risiko vorhanden ist. Deshalb versuchen wir, die Entwicklung in den Griff zu bekommen. Alles Planen hat ja letztlich dieses Ziel. Angeblich sollen ja bestimmte Gesetzmäßigkeiten vorliegen, die man an der Vergangenheit studieren kann, um sie dann auf die Zukunft zu übertragen. Aber bestenfalls entscheiden wir heute mit darüber, was morgen sein wird. Wenn wir heute das Richtige und Notwendig tun, dann wird das der Zukunft zugutekommen.

Vielfach leben wir doch einfach von der Hand in den Mund. Um die kurzfristigen Interessen zu befriedigen, wird auf Kosten der Zukunft gelebt, auf Kosten der Kinder und Enkel. Es wird Raubbau mit dem Boden, dem Wald, der Luft, dem Wasser und den Rohstoffquellen getrieben. Unser Trieb des Besitzen- und Habenwollens kann damit vorerst noch befriedigt werden. Aber auf die Dauer wird dadurch das Leben gehemmt.

Deshalb gilt es, eine Zukunft zu planen und zu gestalten, die allen und nicht nur wenigen dient, in der auch künftige Generationen noch einen Platz haben und nicht nur wir heutigen. Wenn wir hier versagen, dann können wir in der Tat die Zukunft voraussehen, allerdings dann eine sehr düstere Zukunft.

Aber allgemein gilt, daß wir nicht wissen können, was kommt. Selbst die Journalisten, die doch das Gras wachsen hören, können ihre Zeitung nicht eine Woche im Voraus schreiben. Und die Experten, die vollmundig die Pläne für das neue Jahr verkünden, werden vielfach selber

nicht daran glauben, daß ihre Zahlen realistisch sind. Doch vielleicht muß man immer mehr fordern, um überhaupt etwas zu erreichen. Auch persönlich werden wir froh sein, wenn sich wenigstens etwas von unsren Plänen verwirklichen läßt.

In unsrem Terminkalender haben wir vielleicht schon allerhand Eintragungen für das neue Jahr. Aber im Grunde kennen wir doch auch, alle das Scherzwort: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!“

Doch die Zukunft bringt ja nicht nur Probleme und Schwierigkeiten. Wir dürfen ja auch auf beglückende Überraschungen und Geschenke hoffen. Neue Menschen und unerwartete Erlebnisse werden auf uns zukommen. Unser Leben bleibt ein Abenteuer, und wir werden noch manche Entdeckung machen können.

Nur gut, daß das Leben nicht immerzu nach bekannten Programmen verläuft. Wir können jede Einzelheit des Lebens voraussehen wie das Rücken des Zeigers und das Ausholen des Hammers zum Stundenschlag. Ehrlich gesagt: Die Gleichförmigkeit des Alltags ödet uns ja auch an. Nur das Unerwartete fasziniert und macht das Leben abwechslungsreich. Zum Glück ist Gottes Welt sehr reichhaltig und seine Gaben und Fügungen sind vielfältig.

Aber es wird auch Beschwerliches und Bedrückendes kommen. Das gehört auch mit zum Aben­teuer des Lebens hinzu. Gut, daß wir nicht alles voraussehen können. Gott meint es gut mit uns, wenn er uns die Belastungen nur von Fall zu Fall zuteilt. Wir brauchen nicht noch ein bedrückendes Wissen mit uns herumschleppen.

Das setzt allerdings voraus, daß wir uns wirklich von Tag zu Tag unser Pensum von Glück und Leid zuteilen lassen. So hat es ja Eduard Mörike in seinem Gedicht ausgedrückt:

Herr, schicke, was du willst, ein Liebes oder Leides.

Ich bin vergnügt, daß beides aus deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden, wollest mit Leiden

mich nicht überschütten.

Doch in der Mitten ist holdes Bescheiden.

Vor allem aber wissen wir, daß wir nicht das Ende unserer Tage wissen. Am Anfang eines Jahres können wir uns nur wundern, daß wir noch da sind, so wie etwa alte Menschen sagen: „Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal so alt werde!“ Jeder Morgen, den wir erleben, ist ein Geschenk des Schöpfers. Aber wir wissen um die Begrenztheit unserer Zeit. Wir sind nur ein Dampf, der bald verschwindet. Eines Tages - Gott weiß ihn schon - werden wir nicht mehr dabei sein. Diese Tatsache setzt unserer Eigenmächtigkeit die schärfste Grenze.

Als glaubende Menschen werden wir aber Gottes verborgene Fügungen annehmen. Er weiß, wie es sein wird. Es sollte immer heißen: „Wie Gott will!“ In der dritten Bitte des Vaterunser beten wir das ja immer. Wir sollten aus dann daran festhalten, wenn es einmal ganz schwer werden sollte. Dann werden wir uns nicht wundreiben an dem, was auf uns zukommt, sondern auf das eingehen, was uns zugedacht ist. Aber ein Drittes ist nun auch noch zu sagen:

 

(3.) Ihr sollt ausschöpfen, was Gottes Wille euch anbietet! Gottes Wille versperrt uns nicht nur Wege und schneidet nicht nur Möglichkeiten ab. Er eröffnet uns auch Möglichkeiten und schenkt uns Leben. Der Jakobusbrief fordert uns auf: „So solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dieses oder jenes tun!“ Wir dürfen damit rechnen, daß unser Herr tatsächlich will. Er will nur Gutes und gibt uns die Möglichkeit zum Wirken

Gott gibt uns sogar eine Fülle von Möglichkeiten. Er hat uns ja als freie Geschöpfe gewollt. Er gewährt uns viele Möglichkeiten. Innerhalb seines Freiraums dürfen wir uns entfalten

und wirksam werden.

So werden wir heute ermutigt zu einem neun Anfang unter dem guten Willen unseres Herrn. Er gewährt uns das Leben in der Zeit. Er läßt ans Pläne machen für das neue Jahr. Er fordert uns auf, eine Zukunft für alle zu gestalten, in der wir und andere überleben können. So gibt er uns die Chance, ihm und seinen Menschenbrüdern zu dienen.

 

 

Jak 5, 7 – 8 (2. Advent):

Vor Jahren haben Mitglieder einer islamischen Sekte die große Moschee in Mekka überfallen Sie wollten den Beging des Jahres 1400 nach islamischer Zeitrechnung dazu nutzen, um im höchsten Heiligtum des Islam einen neuen Propheten auszurufen. Der Anführer der Gruppe wurde aber lebend gefangen, während viele andere Menschen umkamen und beträchtlicher Sachschaden entstand. Die Leute jener Sekte konnten eben nicht warten. Vor lauter Ungeduld griffen sie zum Mittel der Gewalt.

Der Jakobusbrief dagegen mahnt: „Seid geduldig bis auf den Tag, an dem der Herr kommt!“ Das ist leichter gesagt als getan. Wenn man kurz vor Abfahrt eines Zuges auf den Bahnhof kommt und hat noch keine Fahrkarte und am Schalter oder am Automaten steht eine Schlange von Menschen - wie soll man da nicht die Nerven verlieren und von einem Bein aufs andere trippeln? Wir sind alle einmal ungeduldig, in unsrer schnellebigen Zeit noch mehr als früher. Keiner hat mehr Zeit, und doch muß jeder warten. Wenn der Handwerker nicht kommt, können wir ihn nicht herbeizwingen. Und wenn wir dringend ein Paket erwarten, dann kommt es auch nicht schneller, wenn wir jeden Tag auf die Post rennen.

Manchmal braucht man nicht nur Geduld, sondern auch Humor. Eine Kirchengemeinde wartete dringend auf einen neuen Ofen für die Kirche. Es war kalt und die Leute froren. Der Pfarrer fragte bei der Firma an. Dort hatten sie einen sachkundigen Mann für solche Dinge. Er schickte nur ein Telegramm mit folgendem kurzen Text: „Gesangbuch Nummer 9, Vers 6!“

Man schlug nach und las: „Er wird nun bald erscheinen in seiner Herrlichkeit, und all euer Klag und Weinen verwandeln ganz in Freud. Er ist's, der helfen kann; halt eure Lampen fertig und seid stets sein gewärtig, er ist schon auf der Bahn!“

Das Lied meint natürlich nicht einen Ofen oder sonst etwas Ähnliches, sondern Jesus Christus, den wiederkommenden Herrn. Aber warten wir denn eigentlich so auf ihn, wie wir auf all die notwendigen Dinge unseres täglichen Lebens warten? Haben wir nicht vielleicht schon aus unseren Erwartungen ausgeschieden, was die ersten Christen noch brennend erwartet haben? Dabei waren diese in ziemlicher Bedrängnis und hätten eine schnelle Änderung ihrer Verhältnisse dringend gebraucht.

Aber es wird ihnen gesagt: „Die Gerechten leisten keinen Widerstand! Habt Geduld, der Herr wird alles machen! Keine Revolution! Ihr werdet die Welt nicht wandeln durch die Kraft eures Hasses oder die Macht eurer Arme, sondern allein Gott wird die neue Welt heraufführen!“

Schon zur Zeit Jesu gab es ja schon allerhand Leute, die die Herrschaft Gottes herbeizwingen wollten. Da waren die Pharisäer, die es auf dem Weg über die Einhaltung des Gesetzes versuchten. Sie sagten: „Wenn das ganze Volk nur einen Tag lang einmal alle Gesetze Gottes einhält, dann kommt das Himmelreich!“. Dann gab es die Zeloten, eine Befreiungsbewegung, die mit Gewalt gegen die römische Besatzungsmacht kämpfte, um so einen allgemeinen Aufstand hervorzurufen, der das Eingreifen Gottes nötig machen würde. Und dann gab es die Mönche in dem Kloster Qumran am Toten Meer, die zum endzeitlichen Krieg gegen die Söhne der Finsternis rüsteten. Und schließlich gab es Johannes den Täufer und seine Jünger, die mit der Worfschaufel die Spreu vom Weizen trennen wollten.

Der Jakobusbrief aber hält nichts von einer solchen eifernden Naherwartung. Er hält nichts davon, daß man Gott die Tür einrennen will, damit er endlich selbst eingreift. Der Brief mahnt zur Geduld und sagt: „Laßt nicht eurer Leidenschaft den Lauf, sondern haltet sie über eine lange Zeit hin fest!“ Das Drängerische war nicht die Art Jesu, und schon gar nicht die Anwendung von Gewalt. Er war zwar radikal in seinen Forderungen und Mahnungen, er machte sich gerade zum Anwalt der Armen und Abgehängten, aber er drängte sich niemandem auf. Jesus selber hatte den „langen Atem“, vom dem auch der Jakobusbrief spricht. Er sprach zwar davon, daß jederzeit die Herrschaft Gottes anbrechen könne. Aber er sprach auch zuweilen von ihrem Ausbleiben und daß man Tag und Stunde nicht wissen könne.

So werden wir immer wachsam sein müssen, aber nicht fieberhaft und aufgeregt, sondern wach mit allen Sinnen und Gedanken. Keiner darf nur immerzu vom Künftigen träumen, sondern er ist auch der Gegenwart verpflichtet. Gerade weil man einen Ausblick auf die Zukunft Gottes hat, kann man in der Gegenwart guter Dinge sein. Als Christen schauen wir auf das Morgen und versäumen doch nicht das Heute.

Nur wissen wir im Gegensatz zu den Gottlosen: Die Zukunft liegt nicht in dieser Welt begründet, sondern bei Gott. Der Zustand der Verhülltheit wird einmal aufhören und Gott wird in all seiner Herrlichkeit da sein. Wir warten nicht auf irgendetwas, sondern auf den, den wir aus der Bibel kennen, der eine Person ist, zu der wir in Beziehung treten können. Ihn haben wir immer noch vor uns, wir haben immer noch einen, auf den wir uns freuen können und der uns noch einmal überraschen wird.

Heute gibt es Endzeiterwartungen auch in weltlicher Gestalt. Der weltweite Terrorismus hat etwas Drängerisches an sich; er kann nicht warten, sondern möchte sofort die Welt verändern. Auch der Sozialismus ist eine weltliche Form der Erwartung. Heute unterscheidet man zwar zwischen utopischem und wissenschaftlichem Sozialismus: Den ersten tut man als Schwärmerei ab, nur die zweite Form soll richtig sein. Aber wenn man manche Leute hört, dann schwär­men sie von einer neuen Welt, die der Sozialismus heraufführen soll. Man hofft, ein innerweltliches Paradies schaffen zu können, lieber heute als morgen.

Dabei wissen wir und erfahren es täglich neu, daß nicht jedes zu jeder Zeit zu verwirklichen ist. Wir müssen auf vieles warten, was wir doch so dringend wünschen. Es gibt ja alles, nur eben nicht immer und nicht überall. Hier sachlich und nüchtern zu sein, ist auch eine christliche Tugend. Man muß nicht immer alles aufs Beste haben. Als Christen sollten wir den Mut dazu haben, uns entsprechend einzurichten, weil für uns das Leben in dieser Welt nicht das Letzte ist, sondern überboten wird durch das Leben bei Gott.

Wir können unser Leben vergleichen mit einem Weg, sagen wir einmal mit einer Landstraße. Da stehen am Rand die Kilometersteine, die unsere Lebensjahre angeben. Wir wissen: Es geht immer vorvorwärts. Wer einmal 30 ist, kann nicht wieder 15 werden und sein Leben noch einmal leben. Es geht immer nur vorwä.rts in die Zukunft. Entscheidend wird aber sein, daß wir das Ziel kennen und den, der uns dort erwartet.

Eine Landstraße aber manchmal sehr lang werden. Da gilt es, nicht vorzeitig zu rasten oder gar aufzugeben. Erst am Ziel begegnen wir dem Herrn, zu dem wir wollen. Das Durchhalten kann unter Umständen eine anstrengende Sache sein, aber es lohnt sich, noch einmal alle Kräfte einzusetzen, so wie ein Marathonläufer, der in Stadion kommt und noch eine Runde zu laufen hat Es lohnt sich, für Gott wach zu bleiben und ihn in alles Wollen und Planen einzukalkulieren.

Jedes menschliche Drängen ist aber auch überflüssig, weil wir ja die gewisse Zuversicht haben, daß Christus kommt. Nicht wir müssen kommen, sondern e r kommt. Die Tage bis zum. Weihnachtsfest können wir berechnen, aber die Tage bis zur Wiederkunft Christi können wir nicht feststellen. Da gilt es, Geduld zu haben und wachsam zu bleiben.

Wenn ein Bauer gesät hat, dann muß er auch warten können. Wenn er durch irgendwelche Eingriffe den Wachstumsprozeß beschleunigen wollte, würde er ihn wahrscheinlieh nur stören. Er kann alles tun, um die Pflanze zu fördern und ihr zu helfen. Aber die Natur braucht ihre Zeit. Dem Bauern genügt ein Blick, um zu sehen: „Es ist noch nicht so weit!“ Das bedeutet aber für ihn:

Er kann noch andere Arbeit tun, die auch nötig ist. Er kann beruhigt an die andere Arbeit gehen, weil er ja weiß: Das Warten lohnt sich, die Ernte kommt bestimmt. Man holt keine unreifen Äpfel vom Baum, sondern wartet, bis sie ihre volle Pracht entfaltet haben.

So kann auch der Mensch für das Kommen der Herrschaft Gottes nichts tun. Aber er darf gewiß sein, daß Jesus kommt, und dann wird Erntezeit sein. Das soll aber nun nicht heißen, daß

man bis dahin gelähmt sein müßte. Es gibt viele Aufgaben in der Welt, und ihnen dürfen

wir ruhig und mit Überlegung nachgehen. Auch der Jakobusbrief hat sich laut für die Armen und gegen die Reihen ausgesprochen. Aber er sieht es unter dem Gesichtswinkel der letzten Ankunft Jesu Christi.

Wenn man kein Ziel vor Augen hat, dann sagt man: „Komm ich heut nicht, komm ich morgen!“ Wer aber weiß, daß er unter Umständen nicht mehr lange Zeit hat, lebt intensiver. Wer bald sein Leben zu verantworten hat, nimmt es ernster. Er wird seine Arbeit mit mehr Verantwortungsbewußtsein tun. Das Leben bekommt eine neue Qualität, wenn man es vom Advent Jesu Christi hersieht. Man wird sachlich und bescheiden und weiß: Gott läßt im Stillen eine Saat heranreifen, deren Früchte uns einmal zuteil werden sollen.

Die Schwärmer und Dränger sind nicht die geeigneten Leute, in der Welt Ordnung zu machen. Wer kämpft, als wollte er den Himmel auf die Erde holen, der dient nicht der Erde. Wer aber auf den Herrn Christus wartet, für den ist alles auf dieser Welt nur etwas Vorletztes.

Er wird auch Enttäuschungen ertragen und sich davon nicht umwerfen lassen. Er wird seine Verantwortung erkennen, aber auch eine große Hoffnung haben.

 

 

1. Petr. 1, 3 - 9 (Quasimodogeniti):

Heute dürfen wir einmal einen Blick nach „drüben“ tun. Wenn man einen Berg besteigen will, dann kann man ihr nur von e i n e r Seite her angehen. Erst wenn man auf dem Gipfel oder auf dem Grat ist, tut sich der Blick nach „drüben“ auf. Dann tut sich der neue Horizont auf, dann sieht man in eine neue Welt.

So ähnlich hat Martin Luther King empfunden. In seiner letzten Rede sagte er: „Ich habe den Berg erstiegen, ich habe das gelobte Land gesehen!“ Er meinte damit aber nicht nur eine jenseitige Welt, sondern er hat sich ja auch tatkräftig für eine Erneuerung dieser Welt eingesetzt, für Rassengleichheit und Menschenrechte.

Ein neuer Horizont tat sich auch für die Jünger Jesu auf, als sie Ostern erlebten. Auf einmal war alles wieder in Kraft, was sie mit Jesus verbunden hatte. Nachdem sie zunächst in ein finsteres Tal geraten waren, tat sich nun vor ihnen der weite Blick vom Gipfel auf. Aber sie hofften nicht nur auf eine bessere Zukunft, sie sahen nicht nur das „drüben“, sondern diese neue Welt bestimmte auch schon ihre Gegenwart: auch das „hüben“ stand nun in einem ganz anderen Licht.

Der 1. Petrusbrief hat dafür den Spezialausdruck „Wiedergeburt“. Geboren werden im biologischen Sinne kann man natürlich nur einmal. Aber hier ist das ja übertragen gemeint, daß man sich nämlich wie neugeboren fühlt (dies bedeutet ja der Name des heutigen Sonntags). So etwas könnte uns an sich mehrfach in unserem Leben widerfahren. Aber hier ist speziell gemeint: „in ein Verhältnis zu Gott treten“.

Wenn man geboren wird, beginnt das Menschsein. Aber damit allein ist es ja noch nicht getan. Gewiß kann man als Mensch existieren auch ohne daß man sich um Gott kümmert. Aber das ist nicht das, was die Bibel mit „Leben“ bezeichnet. Wirklich „leben“ kann man nur, wenn man mit Gott und Christus lebt. Dann erst ist man von neuem geboren, ist man wiedergeboren.

Doch wann beginnt dieses neue Leben? Viele werden sagen: „In dem Augenblick, in dem man sich bewußt zu Gott und zu Christus bekehrt!“ Der eine oder der andere meint sogar, genau Tag und Stunde dieser Bekehrung angeben zu können. Erst von da an beginnt für ihn das Christsein, oder doch wenigstens das wahre Christsein. So ganz unrecht hat man damit ja auch nicht.

Aber für den 1.Petrusbrief war der Zeitpunkt der Wiedergeburt die Taufe. Nun muß man allerdings dabei bedenken, daß damals meist nur Erwachsene getauft wurden. Für sie fielen Bekehrung und Taufe praktisch zusammen. Umso eher konnten sie aber auch die Tragweite

ihrer Entscheidung ermessen. Sie mußten damit ja ihren alten Göttern absagen, mußten sich allein dem einer Gott anvertrauen, der in Jesus Christus Mensch geworden war. Vielleicht bedeutete das Trennung von der Familie, Verlust des Arbeitsplatzes oder Verfolgung und Spott.

Damals mußte man wirklich von einem Tag auf den anderen ein ganz neues Leben anfangen. Aber all das nahmen die Christen auf sich um der neuen Gemeinschaft willen, in die sie durch die Taufe gelangten. Sie empfanden wirklich die Taufe als eine Wiedergeburt. Jetzt erst wurden sie richtig geboren, waren nicht nur ein Mensch, sondern auch ein Christ. Die Geburt macht uns ja nur zu Menschen, aber die Taufe macht uns zu Christen.

Mancher wird nun denken: „Schön wäre es ja, wenn man einfach durch die Taufe schon ein Christ wäre!“ Aber bedenken wir doch einmal, wie die heutige Taufpraxis aussieht. Da soll also ein kleines Kind getauft werden. Für die Eltern und die Familie ist das der Anlaß zu einer Familienfeierlichkeit. Aber der Anlaß könnte genauso gut ausgetauscht werden. Ob es wohl allen Eltern wirklich darum geht, ihr Kind möglichst bald in die Gemeinschaft der Kirche mit hineinzunehmen? Da sich die Eltern immer länger Zeit lassen, ehe sie eine Taufe ins Auge fassen, kann man an sich nicht diesen Eindruck haben. Manche lassen ihr Kind auch gar nicht taufen.

Es gibt Eltern, die Kirchensteuer bezahlen - aber das Kind lassen sie nicht taufen. Ist das nur Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit? Oder hat man Scheu, das Kind durch die Taufe festzulegen? Will man erst einmal abwarten, wie sich alles noch entwickelt? Eine Taufe ist eben nicht nur eine Formalität, sondern ein schwerwiegender Schritt im Leben. Sie ist ein Sakrament, viel wichtiger also als Konfirmation, Trauung und Beerdigung.

Durch die Taufe wird uns das Leben noch einmal neu geschenkt. Nicht das alte Leben mit einigen Verbesserungen, nicht so wie wenn einem Todeskandidaten das alte Leben noch einmal geschenkt wird, sondern hier geht es um ein neues Leben mit einer ungeahnten Perspektive. Das Wort „Perspektive“ ist ja so etwas wie ein Modewort geworden. Noch moderner ist das Wort „Vision“. In der Bibel und auch in unserem Predigtabschnitt hat man dafür das Wort „lebendige Hoffnung“.

Als der italienische Dichter Dante die Hölle schilderte, da gab er als Inschrift über dem Höllentor an: „Laßt alle Hoffnung fahren!“ Es gibt auch eine tote Hoffnung, die nur falsche Erwartungen weckt, aber letztlich doch den Menschen zum Narren hält.

Ein Kranker, der nach menschlichem Ermessen sterben muß, klammert sich an die letzte Hoffnung, wieder gesund zu werden. Niemand wagt, ihm die Wahrheit zu sagen, weil das so wäre, als wenn man ihn im Voraus schon tötete. Aber der Kranke merkt im Grunde selber, daß

er an einer toten Hoffnung festhält. Christliche Hoffnung aber umfaßt diese und die zukünftige Welt. Wenn der Kranke aber auf die Auferstehung der Toten hofft und auf eine Begegnung mit dem auferstandenen Jesus in einem neuen Leben, dann kann er eine lebendige Hoffnung haben. Diese Hoffnung kann sogar noch die Angehörigen aufrichten und einen starken Halt geben.

Nur der Mensch, der noch nicht wiedergeboren ist, fürchtet sich vor Krankenhaus und Friedhof und will sein Altern noch vertuschen. Er stürzt sich in Jubel, Trubel, Heiterkeit, um nicht nachdenken zu müssen. Man sagt: „Der frühere Mensch konnte nicht recht leben, und der

heutige Mensch kann nicht recht sterben!“ Durch die Wiedergeburt aber wird man zum Realisten, hält man sich an den, der allein wahr und wirklich ist, an Gott den Schöpfer und Erhalter.

Doch mancher wird sagen: „Ich bin zwar einmal als Kind getauft worden, aber heute sagt mir das nichts, ich fühle mich nicht wiedergeboren!“ Vielleicht hat er auch Christen getroffen, die sind noch mehr Menschen alten Stils als andere: festgefahren, unfroh, menschenfeindlich, eigensinnig, ichbetont, geizig, feige, unaufrichtig, rechthaberisch, nur mit sich selbst beschäftigt. So etwas gibt es ja leider unter uns. Da ist dann nichts neu geworden, sondern der alte Mensch wurde nur mit einigen frommen Redensarten geschmückt.

Da hilft nur eine rechte Besinnung auf die Taufe. Wir haben uns nicht selber das Leben. geben können, wir haben uns auch nicht selber getauft. Gott ist es, dem wir das alles verdanken. Er hat mit der Taufe die Grundlage gelegt, daß wir neue Menschen werden können. Darauf dürfen wir uns verlassen, diese Zusage dürfen wir in Anspruch nehmen. Versuchen wir doch einmal, als neue Menschen zu leben, dann werden wir merken, daß es geht. Aus eigener Kraft allerdings werden wir nichts vermögen, sondern nur durch die Hoffnung, die aus der Auferstehung Jesu kommt.

Diese Auferstehung Jesu kommt uns allen zugute. Da haben wir eine Erbschaft gemacht, über die wir schon jetzt verfügen können. Manchmal kann ein Erbe natürlich auch eine Last sein, dann schlägt man es auch aus. Aber Gottes Erbe können wir nötig brauchen für unser Leben. Er gibt uns nicht nur alles, was er selbst besitzt, er will sich auch selber geben. Die ewige Se­ligkeit besteht nicht darin, daß wir alle Tage herrlich und in Freuden leben und im Übrigen den lieben Gott einen frommen Mann sein lassen: Er soll zwar liefern, aber sonst will man nichts mit ihm zu tun haben! Aber eine Erbschaft ohne Gott, wäre die Hölle.

An sich wissen wir ja alle, wie es sein müßte und was wir an Gott haben. Wir sind wie ein Baum, der zunächst nur Holzäpfel trug, aber dann veredelt wurde und gute Früchte hervorbringen kann. Doch die alten Triebe wachsen auch noch mit, die muß man immer wieder abschneiden. Nicht der ganze Baum muß abgehackt werden, das wäre schade um ihn. Aber Düngen und Schädlingsbekämpfung allein genügt auch nicht, er muß schon auch noch veredelt werden.

Gott gibt uns die Möglichkeit zu solcher Veredlung. Er will Christus in uns einpflanzen, damit wir neu werden können. Dieser Vorgang ist oft schmerzhaft. Der Predigttext spricht von Bewährung und Anfechtung. Diese kommt nicht immerzu, aber wenn es notwendig ist, dann

muß man diese Zeit der Prüfung schon durchstehen. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich ja erst, was einer wert ist. Man muß durch Schwierigkeiten hindurch, um nachher bewährt und gereinigt zu sein wie das Gold, das durchs Feuer geläutert wurde.

Damals war die Kirche in keiner guten Lage, sie mußte mit Verfolgungen rechnen. Dennoch meldeten sich neue Taufbewerber. Sie hätten sich ja auch fragen können: „Lohnt es sich denn, daß ich mich taufen lasse?“ So wie wir heute vielleicht auch fragen: „Lohnen sich die Opfer an Zeit und Geld für die Kirche? Lohnt es sich, auf manche Dinge im Leben zu verzichten, weil sie mit unserer Hoffnung nicht vereinbar sind?“

Damals war das offenbar keine Frage. Man freute sich ja auf ein lohnendes Ziel, so wie sich die Kinder auf Weihnachten freuen oder Brautleute auf die Hochzeit. Die Vorfreude auf die Heimat bei Gott hat alles andere beiseitegeschoben. Gewiß, die alte Welt bestand noch weiter. Aber seit der Auferstehung Jesu ist in ihr schon eine neue Wirklichkeit verborgen da. Die alte Welt läuft nur noch aus Eines Tages wird das Miteinander und Ineinander von Altem und Neuen zu Ende sein. Dann bleibt nur noch das Unvergängliche und Makellose übrig. Dann werden wir ganz „drüben“ sein und uns freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude.

 

 

1. Petr 2, 21 b - 25 (Miserikordias Domini):

„Wie du mir, so ich dir!“ lautet ein Sprichwort. Das ist eine altbekannte Lebensregel, nach der wir üblicherweise handeln: Wenn der Nachbar das Paket nicht angenommen hat, dann werde ich es auch nicht tun, wenn er einmal nicht da ist. Oder wenn einer etwas Nachteiliges über mich erzählt, dann packe ich auch die alten Sachen wieder aus, die ich ihm anhängen kann.

Auch im Zusammenleben der Völker ist das so. Sie kämpfen oftmals um Grenzen und Provinzen mit dem Kampfruf: „Recht muß doch Recht bleiben!“

Sie geben Unsummen für die Rüstung aus in der wahnsinnigen Vorstellung: „Wir wollen doch einmal sehen, wer hier der Stärkere ist!“ Hat der eine große Raketen, dann muß sich der andere nicht nur auch solche Raketen besorgen, sondern gleich auch noch ein paar kleinere zusätzlich. Dann meint aber auch der andere, nun nachziehen zu müssen: Er legt sich auch solche kleineren Raketen zu, die aber gleich wieder „verbessert“ und wirkungsvoller sind. Alle aber schreien: „Das Gleichgewicht muß doch gewahrt werden, sonst haben wir keine Sicherheit!“

„Undank ist der Welt Lohn!“ sagt ein anderes Sprichwort. Da hat sich zum Beispiel einer sehr um das Wohl seiner Mitmenschen verdient gemacht und nur für diese Aufgabe gelebt. Aber dann ändert sich auf einmal der Kurs und er wird mehr oder weniger sanft davongejagt. Andere kommen ans Ruder, die nichts mehr von jenen Verdiensten wissen, und bald ist alles vergessen.

Oder da haben Eltern alles Mögliche für ihre Kinder getan, haben ihnen alles geboten und alles erlaubt. Aber solche Kinder sind oft die Ersten, die auf die Eltern schimpfen und ihnen mehr oder weniger ins Gesicht schlagen. So sieht dann ihr Dank aus!

Jesus Christus hat eine andere Spur getreten. Das hat ihm freilich den Karfreitag eingebracht. Er hat die Sünde der Welt spüren müssen, als man ihn schmähte und beschimpfte, als man ihn auspeitschte und umbrachte. Aber er ließ sich nicht in dieses Schema der Vergeltung und Wie­dervergeltung hineinzwängen. Er hat nicht wiedergescholten, als er gescholten wurde. Er hat nicht gedroht, als er litt. Jüdische Märtyrer riefen laut zweitem Makkabäerbuch sterbend nach der Strafe für ihre Mörder. Jesus aber hat das Gericht seinem himmlischen Vater überlassen. Dem Bösen hat er die Vergebung entgegengesetzt und damit ein neues Gesetz in der Welt aufgestellt.

Wenn Jesus gelitten hat an den Zuständen der Welt von damals, an dem Versagen der Menschen und dem Undank der Welt, dann braucht es uns nicht zu wundern, wenn es uns ähnlich ergeht. Wir werden ja aufgefordert, ihm nachzufolgen und zu gleichem Leiden bereit zu sein.

Jesus hat uns ein Vorbild hinterlassen. Ursprünglich ist damit die Schreibvorlage gemeint. Wir können an einen Lehrer denken, der in gestochener Schrift einen Buchstaben an den Anfang einer Zeile schreibt, den dann der Schüler nachmalen soll. Oder wir können an ein Muster denken, auf das durchscheinendes Papier aufgelegt wird, so daß man die Linien nachziehen kann. Als Christen ziehen wir immer die Linien nach, die der Herr uns vorgeschrieben hat. Sein Vorbild hat mitreißende Kraft für uns.

Wir können uns auch das Bild von den Fußstapfen gut vorstellen. Im Winter stapft ein Vater durch den hohen Schnee, sein Sohn folgt ihm. Der Vater macht mit Absicht kleine Schritte, damit der Sohn auch in die Fußstapfen treten kann und ihm nachfolgen kann. Der Sohn wird klugerweise hinter dem Vater hergehen und sich nicht damit abmühen, eine neue Spur zu treten. Und wenn der Schnee dann zu hoch wird und die kleinen Beine ermüden, dann nimmt der Vater auch das Kind auf die Schultern und trägt es.

Der Petrusbrief drückt das in einem anderen Bild aus: Er spricht vom guten Hirten! Der gute Hirte stellt sich schützend vor seine Schafe und geht selbst einem einzelnen verirrten Schaf nach und nimmt das ermattete Tier auf die Schultern und trägt es heim zur Herde.

So hat auch Jesus für uns gearbeitet und gelitten. Er trägt uns auf seinen Schultern, wenn wir nicht mehr können. Und er lädt auch all das auf seine Schultern, was uns das Leben so schwer macht: unsre Ungeduld, unser Rechthabenwollen, unseren Selbstbetrug. Auch diese Last hat Jesus fortgetragen. Er hat sein Leben gegeben, damit wir leben können. Erst waren wir wie die irrenden Schafe. Aber jetzt haben wir einen, der für uns sorgt.

Leider aber zeigen wir nicht die nötige Dankbarkeit ihm gegenüber. In unserem menschlichen Zusammenleben gibt es manchmal ziemliche Spannungen und Zerrungen. Und wenn wir bessere Christen wären, dann würden wir sicherlich noch öfter anecken. Denken wir an die Sekretärin, die es ihrem Chef gegenüber ablehnt, am Telefon zu lügen. Hier lassen sich Widersprüche nicht vermeiden.

Wie werden solche Meinungsverschiedenheiten und Spannungen in der Regel ausgeglichen? Nach dem Grundsatz der Vergeltung! Das ist wie bei einer altmodischen Waage: Wenn mir einer etwas Gutes getan hat, dann wird meine Seite der Waage belastet und ich muß es wieder ausgleichen, indem ich ihm auch etwas Gutes tue. Wenn er mir aber Böses angetan hat, dann wird seine Seite belastet und ich muß es ihm wiedervergelten, damit wir quitt sind.

Jesus war da anders. Den Heuchlern hat er zwar auch ohne Scheu die Meinung gesagt; wenn es um Gott ging, war er unerbittlich und hat nicht mit sich rechten lassen. Aber als die Stunde des Leidens gekommen war, da blieb er still und duldete alles ohne Widerrede. Sein letztes Gebet war eine Bitte für seine Feinde. Mit solch geduldigem Leiden hat er die Welt überwunden. Er hat aufgehört mit dem Gesetz: „Auge um Auge, Zahn um Zahn!“ Wenn aber erst einmal e i n e r bewiesen hat, daß es geht, dann ist es auch für andere möglich.

Jesus hat die Gasse geöffnet, durch die wir zu solcher Freiheit finden. Keiner darf vorschnell aufgeben, indem er sagt: „Die Welt ist nun einmal so!“ Vielmehr soll er sich an das halten, was Christus „vor-geschrieben“ hat, wie der Lehrer, der den ersten Buchstaben als Muster hinschreibt. Je mehr wir Jesus vor Augen haben, desto öfter werden wir die Freiheit erfahren, die er uns vorgelebt hat und die er uns auch schenken will.

Das heißt aber: Jesus entlastet uns. Allerdings denkt der Petrusbrief da zuerst an die Entlastung von Sünden. Er ist ja an Sklaven gerichtet, und die werden wohl zunächst an eine andere Befreiung gedacht haben. Aber sie haben dann doch ihr Christsein gezeigt, indem sie Gutes taten an ihrer nichtchristlichen Umwelt. Und dabei blieben sie auch unbeirrt, auch wenn ihnen Unrecht geschah. Als Sklaven waren sie dennoch frei.

Nichts in der Welt ist so schlimm wie dies, daß wir Sünder sind. Ein belastetes Gewissen, ein verfehltes Leben, ein zerrüttetes Gottesverhältnis, ein böses Schuldkonto - das ist schlimmer als eine bescheidene soziale Stellung und ein bescheidenes Einkommen, schlimmer auch als eine angeschlagene Gesundheit und sogar schlimmer als unser körperlicher Tod.

Der letzte Grund für unsere Unfreiheit ist unsere Schuld. Damit können andere uns erpressen und sagen: „Ich habe es in der Hand, dein Konto aufzudecken!“ Mancher kann nur seine Herrschaft aufrechterhalten, weil er mit der Schuld der Beherrschten operiert. Jesus aber hat unsere Sünde an seinem Leib auf das Holz getragen. Er legt nicht Lasten auf, sondern er befreit. So begründet er sein Hirtenamt, das uns allein zugutekommt.

Er zieht das auf sich, was uns das Leben und die Seligkeit kosten würde. Was uns belastet, können und sollen wir ihm lassen, damit er es wegträgt. Danach kann es uns leichter werden, denn nun spricht nichts mehr gegen uns. Der Hieb, der uns galt, hat ihn getroffen. Darin hat er sich als unser guter Hirte erwiesen.

Nun dürfen wir uns zu ihm hinwenden und werden uns bei ihm geborgen fühlen dürfen. Es hat manche Stunde des Abirrens gegeben, die noch lange wie eine Zentnerlast auf uns liegt. So etwas gibt es auch, wo es oberflächlich gesehen an nichts fehlt, wo man sogar fromm und freundlich zu sein scheint. Aber das ist nun alles vergangen, nun dürfen wir uns ganz dem guten Hirten zuwenden und uns von ihm beschützen und helfen lassen. Das letzte Wort ist immer die Zusage der Barmherzigkeit des Herrn. Das dürfen wir glauben. Aber wir werden es nur glauben, wenn wir immer wieder auf sein Wort hören und uns im Gebet an ihn wenden. So werden wir erfahren, daß er lebendig ist und auch heute unser guter Hirte ist. Und wer Jesus Christus als dem guten Hirten erfahren hat, der wird auch für andere Menschen zu einem guten Hirten.

 

 

 

1. Petrus 5, 5 -11 (15. Sonntag nach Trinitatis).

Konfirmanden in der damaligen DDR wußten gleich, wer ihr Widersacher war, der umherging wie ein brüllender Löwe. Wenn sie nämlich auf eine weiterführende Schule gehen wollten, dann sagte man ihnen bei der Stellung des Antrags: „Aber dann darfst du dich nicht konfirmieren lassen!“ Oder wenn sie dann zum Militär eingezogen wurden und gern mit einem Freund in eine nahegelegene Garnison kommen wollten, dann hieß es: „Dann mußt du aber erst aus der Kirche austreten, sonst schicken wir dich ganz weit weg. Und wenn einer Betriebsleiter werden sollte, dann mußte er in der Partei sein, die aber schloß eine Kirchenzugehörigkeit aus.

Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Aber nüchtern und wachsam muß man auch heute sein, jedenfalls wenn man ernst macht mit dem Wort Jesu. Da gibt es zum Beispiel die „Ordensleuten für den Frieden“, seit Jahren vor der Deutschen Bank gegen die heutige Geldwirtschaft zu protestieren, die die Armen immer noch ärmer macht. Eine Frau hatte zusammen mit ihren Freunden einen Sitzstreik gemacht. Die Bank hatte die Polizei geholt und die Demonstranten angezeigt. Und weil aber die Frau zu Recht die auferlegte Geldstraße nicht zahlte, mußte sie für eine Woche ins Gefängnis. So ernst kann es auch bei uns werden. Wo Christen ihren Glauben ernst nahmen, haben sie in den seltensten Fällen im Windschatten gelebt.

 

(1.) Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes: Damit man solche Widerstandskraft erlangt, sind zwei Voraussetzungen nötig. Die erste lautet: „Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes!“ Das ist nicht so einfach zu verwirklichen. Schon im menschlichen Miteinander zum Beispiel zwischen Eltern und Kindern sind wir kaum bereit, uns wie ein Sklave die Schür­ze umzubinden und die Dreckarbeit zu machen. Das ist für die Meisten ein Kennzeichen einer vergangenen Zeit, in der die Männer und die Väter das Sagen hatten. Bei uns soll nämlich Gleich­berechtigung gelten, die Solidarität untereinander.

Das ist auch gut so. Aber im Verhältnis zu Gott sieht das noch einmal anders aus. Da muß man sich klar machen, daß selbst die Schwierigkeiten wegen des Glaubens letztlich aus der mächtigen Hand Gottes kommen. Die Bibel verwendet für diese Tatsache den Begriff „Anfechtung“. Sie kann so schwer sein, daß man nicht mehr die Hand vor Augen sieht und die gewaltige Hand Gottes zentnerschwer auf einem Menschen liegt. Dietrich Bonhoeffer hat das gespürt, als er zur Hinrichtung geführt wurde. Aber so ein schwerer Gang ist ja nicht die Regel.

Dieser Bibelabschnitt sieht den Schaden vor allem darin, daß wir nicht ernsthaft bereit sind, uns unter Gott zu beugen, auch nicht in den kleinen Schwierigkeiten unseres Lebens. Unsere Halbherzigkeit und das Bestreben, uns selbst zu schonen sind eine Form von Hochmut und Stolz. Oben sein wollen - das ist es! Unser alter Mensch will eben immer oben sein. Daß ich mich nicht für Gott und seine Menschen einsetze, daß ich für Gott nichts auf mich nehmen will, das bedeutet, daß ich mich seiner mächtigen Hand entziehen will. Viele Nichtchristen haben für ihre Sache größere Opfer gebracht als wir. Durch Feigheit und Leidensscheu haben wir sicher unsrem Herrn manchmal Schande gemacht.

Sich beugen - das heißt aber auch nicht unbedingt, sich entscheidungslos treiben zu lassen. Es heißt auch nicht, sich unkritisch in den Lauf der Welt einzufügen. So ein wenig „Fremdling“ wird man aber immer in der Welt bleiben, wenn man es mit dem Glauben ernst nimmt. Doch Christen geben vor der Welt zu erkennen, zu welchem Herrn sie gehören. Sie sind bereit, über ihren Glauben und ihre Hoffnung Auskunft zu geben. Sie werden auch Hartes und Beschwerliches auf sich nehmen, wenn es einmal nötig ist.

Doch vergessen wir nicht die andere Seite: Der Gott, der mir bestimmt hat, eine kleine Zeit zu leiden, der will mich auch fähig machen („fit machen“). Er will stärken und kräftigen, so daß man wieder Grund unter den Füßen bekommt. Und das nicht nur d u r c h das Leiden, sondern auch i m Leiden, so daß man Gottes Zuhilfekommen spürt. Gottes Hand kann drücken, aber auch halten. Gottes Hand belastet nicht nur, sie faßt auch fest zu und stärkt. Gottes Hand ist auch eine wunderbar rettende Hand.

 

(2.) Alle eure Sorge werft auf ihn: Die zweite Voraussetzung für die Widerstandskraft gegen den Widersacher lautet: „Alle eure Sorge werft auf ihn!“ Sorge ist die Haltung, in der man meint, auf Gott sei kein Verlaß (oder nicht genug Verlaß) und man müsse nun die Rolle Gottes selbst übernehmen. Doch das ist vergeblich und auch unnötig.

Da fragen wir vielleicht: „Was wird, wenn wegen meines Christseins vor mir eine Tür zufällt, weil ich die Schlechtigkeiten meines Chefs nicht mitgemacht habe? Wird sich vielleicht eine andere Tür öffnen? Werde ich wegen meines Glaubens einen Menschen verlieren, der mir lieb ist?“ Doch mit solchen Fragen bleiben wir immer nur bei uns selbst, haben nur unser Wohl und Fortkommen im Blick.

Der Preußenkönig Friedrich II. wollte es auch aus eigener Kraft schaffen. Er baute sich ein Schloß und nannte es „Sanssouci - Ohne Sorgen“. Dort wollte er dem geschäftigen Treiben der Hauptstadt entfliehen und draußen vor der Stadt in Potsdam inmitten der Natur alle Sorgen vergessen. Sicher ist ihm das nicht gelungen. Auch uns gelingt das nicht, wenn wir in den Garten gehen oder ins Wirtshaus oder in unser Wochenendhaus im Vogelsberg. Spätestens am Montagmorgen sind alle Sorgen wieder da.

Die Bibel aber will uns anleiten, von uns selber abzusehen. Sie sagt: „Nehmt eure Sorgen und werft sie auf Gott!“ Wirklich frei wird man nur, wenn man die Sorgen Gott anvertraut, wenn man sie wirklich auf ihn wirft, damit er sie davonträgt. Und das gilt für alle Arten von Sorgen, nicht nur die leichten.

Es gibt den Brauch, seine Sorgen und Hoffnungen auf einen Zettel zu schreiben und an ein Kreuz zu heften oder in eine Mauerritze zu schieben. So machen es die Juden an der Klagemauer in Jerusalem oder die Touristen auf dem jüdischen Friedhof in Prag am Grab des Rabbi Löw. So ganz abwegig ist das nicht, es erleichtert zumindest.

Mit so einem Wunschzettel ist natürlich nicht alles erledigt und die Angst beseitigt und das weitere Sorgen verboten. Unsre Anstrengungen, das Leben zu meistern, werden nicht als Zeichen des Unglaubens angesehen. Aber etwas von der Gnade Gottes hat uns schon gestreift. Im Griechischen hängt das Wort „Gnade“ mit „Freude“ zusammen. Wenn Gott uns ansieht, ist ein Strahl der Hoffnung zwischen uns und unsere Sorgen gekommen. Das ist, wie wenn einer uns zugelächelt: „Ich weiß, du schaffst es, sei tapfer!“ Das kann die Kraft verdoppeln und unseren Einsatz vergrößern. Weil Gott uns aufmunternd zulächelt, tragen wir die Gewißheit weiter, daß er allen Menschen zulächelt.

Aber es gilt nicht nur, das Auferlegte durchzustehen, sondern auch dem Widersacher im Glau­ben zu widerstehen. Das ist das Überraschende an diesem Bibelabschnitt, daß er nicht nur vom Beugen unter Gott spricht, sondern zum Widerstand auffordert. Unser Widerstand soll nicht Gott gelten, nicht gegen seine Schickungen haben wir uns zu sträuben, sondern dem unsichtbaren Widersacher Gottes gilt es zu widerstehen. Unsere Sorge kann es also nicht nur sein, was wir essen und trinken werden, sondern auch wie es mit uns gehen soll in Leiden und Kampf.

Wir kämpfen dabei aber nicht allein, sondern wir werden von Gott zum Kampf fähig gemacht und wir stehen in der Gemeinschaft mit anderen Christen. Ein Vater rief vor seinem Sterben seine sieben Söhne zu sich. In der Hand hatte er sieben Stäbe. Die gab er dem ältesten Sohn und forderte ihn auf, das ganze Bündel auf einmal zu zerbrechen. Doch das war unmöglich. Doch als der Vater jedem Sohn einen Stab einzeln reichte, ließ der sich spielend zerbrechen.

Damit wollte der Vater den Söhnen klar machen: Wenn ihr euch einig seid, wird euch

niemand zerbrechen können! So sind wir als einzelner Christ auch nur ein einzelner Stab. Wenn wir für uns bleiben, kann unser Glaube leicht zerbrochen werden. Aber wenn wir uns zur Gemeinde Gottes halten und mit anderen zusammen ein Bündel bilden, dann kann uns keiner überwinden.

Der Abschnitt schließt mit dem Segen und der Antwort der Gemeinde. Leitwort ist nicht die „Sorge“, wie sie im Evangelium des Sonntags im Vordergrund steht, sondern die Gnade. Diese Schlußverse sind nicht nur eine Formalität, sondern sie enthalten die stärksten evangelischen Aussagen des Textes. Vielleicht sind sie der Schluß eines Taufgottesdienstes für Erwachsene, so daß eine Verwendung bei der Konfirmation gar nicht so abwegig war.

Diese Schlußverse sind das Fundament der vorausgehenden ernsten Aufforderungen. Sie sagen, was man sich unter dem demütigen unter die gewaltige Hand Gottes vorstellen soll. Hinter allen Aufforderungen steht immer der Segenszuspruch: Gott wird euch stärken, kräftigen, gründen!

 

 

 

 

 

 

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