Inhalt: 

I.  Steuern, Einnahmen, Kommunales Abgabengesetz

II.  Haushaltssatzung, Haushaltsplan, Haushaltsstelle, Verwaltungshaushalt und Vermögenshaushalt, Finanzplanung, Funktionen des Haushaltsplans, Entstehung des Haushaltsplans, Haushaltsgrundsätze, Einnahmen, Veranschlagungsgrundsätze, Ermächtigung, Übertragbarkeit, Deckungsfähigkeit, Überplanmäßige Ausgaben, Nachtragshaushaltsplan, Vorläufige Haushaltsführung, Haushaltsausgleich, Gliederungsplan

III. Kommunale Selbstverwaltung, Aufgaben der Bundesländer, Gemeindevertretung und Gemeindevorstand, Kommunalwahl, Terminkalender der Kommunalwahl, Sitzverteilung, Verfahren nach der Wahl, Beschlüsse durch die Gemeindevertretung, Ausschüsse, Bürgermeister.

IV. Soziale Sicherung: Grundsätze, Hilfearten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Regelsätze, Bewilligung einmaliger Leistungen,. Hilfe in besonderen Lebenslagen, Einsatz des Einkommens und Vermögens und der Arbeitskraft, Überleitung von Ansprüchen, Darlehen, Hessisches Ausführungsgesetz, Landeswohlfahrtsverband, Jugendhilfe, Pflegeversicherung, Falllösungen

V. Personalwesen:

Beamte  (Rechtsgrundlagen, Anstellung, Einstellung, Laufbahnen, einfacher Dienst, mittlerer Dienst, Besoldung, Beendigung).

Angestellte (Begründung des Arbeitsverhältnisses, Arbeitnehmerpflichten, Arbeitgeberpflichten, Beschäftigungszeit, Dienstzeit, Tarifvertragsgesetz, Bundesangestelltentarifvertrag, Krankenbezüge, Urlaubsgeld, Personalvertretung. Beendigung des Arbeitsverhältnisse).

VI. Verwaltungsorganisation: Hierarchie, Verwaltungsträger, Verwaltungsgliederung, Behördenorganisation, bürokratische und kooperative Organisation, Ablauforganisation, Organisationsstelle, mündliche und schriftliche Organisation, Einsparen von Schreibarbeit, Begriffe des Geschäftsverkehrs, Aktenordnung, Empfehlungen zur Textverarbeitung, Arbeitsorganisation, Zeiteinteilung.

VI. Bürgerfreundlichkeit:  Gruppe, Kommunikation, Körpersprache, Überzeugungskraft, Mobbing, Gesprächsführung, Rollenspiele, Übermittlung von Botschaften, Gesprächslenkungstechniken, Konflikte, Briefverkehr, Amtsdeutsch.

 

Reich, Legitimation, Demokratie, Recht, Macht, totaler Staat, Widerstandsrecht, Unabhängigkeitserklärung, Rechtsstaat, Masse, Staat in der Bibel, Staat in der Philosophie, Staat in der Literatur, Alexis de Tocqueville.

 

 

 

 

 

Öffentliche Finanzwirtschaft

 

Die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden ist im Grundgesetz geregelt (Artikel 104 a -109). Dazu kommen die Hessische Gemeindeordnung § 92-134, die Gemeindehaushaltsordnung (GemHVO) und Gemeindekassenverordnung (GemKVO).

 

Arten und Verteilung der Steuern

Es gibt es ein Trennsystem und ein Verbundsystem

  • Trennsystem: Die Steuern fließen Bund oder Land  in voller Höhe zu:

Reine Bundesteuern:

Mineralölsteuer, Tabaksteuer, Branntweinabgaben, Versicherungssteuer, übrige Verkehrssteuern, (Börsenumsatzsteuer, Gesellschaftssteuer, Wechselsteuer), sonstige Bundessteuern (übrige Verbrauchssteuern, Anteil an Zolleinnahmen, Ergänzungsabgabe).

Reine Ländersteuern:

Kraftfahrzeugsteuer, Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer, Biersteuer, übrige Ländersteuern .

Gemeindesteuern: Gewerbesteuer (nach Ertrag und Kapital), Grundsteuer, sonstige Gemeindesteuern,  Gemeindeanteil an den Einkommensteuern.

  • Verbundsystem: Die Steuern werden aufgeteilt (Gemeinschaftliche Steuern):

Einkommensteuer: Lohnsteuer und  veranlagte Einkommensteuer (aufgeteilt zwischen Bund 42,5 %, Ländern 42,5 %, Gemeinden 15 %).

Körperschaftssteuer und Kapitalertragssteuer (aufgeteilt je zur Hälfte zwischen Bund und Ländern).

Umsatzsteuern (Anteil des Bundes 65 Prozent, aber davon geht der EU-Anteil ab): Mehrwertsteuer, Einfuhrumsatzsteuer, Gewerbesteuerumlage (aufgeteilt je zur Hälfte zwischen Bund und Ländern).

 

Einkommensteuer:

Einkommensteuer wird erhoben für Selbständige und Arbeitnehmer über einem bestimmten Einkommen, eine Familienteuer. Das kommende Jahr wird vorausgeschätzt und Abschlagszahlungen festgesetzt. Die Steuer wird am Wohnort erhoben, so daß auch dadurch einkom­men­starke und einkommenschwache Gemeinden entstehen. Seit 1970 (Einführung der Gewerbesteuerumlage) bekommen die Gemeinden einen Anteil an der Einkommensteuer in Höhe von 15 Prozent.

 

Mehrwertsteuer:

Sie fällt an, wo etwas umgesetzt wird, wird aber pro Kopf der Einwohner verteilt.

 

Grundsteuer:

Bemessungsgrundlage ist der Einheitswert, für ältere Bauten der von 1914, für neuere Bauten der von 1964.

 

Gewerbesteuer:

Sie ist eine Gemeinschaftsteuer und wird erhoben nach Ertrag und (Betriebs-) Kapital. Der wichtige Teil ist der Gewinn, von dem 4 Prozent zur Grundlage gemacht werden. Die Gemeinde legt in der Haushaltssatzung den Hebesatz fest (zum Beispiel 300 Prozent).

Die Gewerbesteuer wird aber nicht mehr dort gezahlt, wo der Gewinn entsteht, sondern die Unternehmen können bestimmen, wo sie zahlen.

Die Gewerbesteuer ist eine Gemeindesteuer, von ihrem Charakter her ist sie aber eine Gemeinschaftssteuer, denn die Aufsichtsbehörde muß den Hebesatz genehmigen.

Im Jahre 1970 wurde eine Gewerbesteuerumlage von 4 Prozent eingeführt, die je zur Hälfte dem Bund und dem Land zufließt

 

Körperschaftssteuer:

Sie wird von juristischen Personen gezahlt (AG, Vereine). Der Steuersatz ist 50 Prozent (ohne Progression, dazu kommen der Gewerbesteuersatz  und das Einkommen aus Kapital (Geldanlagen im Inland, sogenannte „Tafelgeschäfte“, kosten 3,5 Prozent Steuer auf die Zinserträge).

 

 

Einnahmen der Träger der öffentlichen Finanzwirtschaft:

Aus der Darstellung der Aufgaben der Träger der öffentlichen Finanzwirtschaft (oft auch als „öffentliche Hand“ bezeichnet), ergibt sich, daß sie einiges an Geld für ihre Tätigkeit benötigen. Den Gesamtbetrag an Ausgaben, der in einem bestimmten Zeitraum (in der Regel ein Haushaltsjahr) zur Erfüllung der Aufgaben geleistet werden muß, nennt man „Finanzbedarf“. Er wird durch Einnahmen der öffentlichen Hand gedeckt, die man auch als „Deckungsmittel“ bezeichnet. Die Einnahmen lassen sich wie folgt gliedern:

 

Vorrangige Deckungsmittel (müssen zuerst ausgeschöpft werden)

1. Entgelte für Leistungen: Gebühren, Beiträge, Miete

a. privat- rechtliche Entgelte: Miete (Vertrag)

Mieten und Pachten werden aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags erhoben, im Streitfall ist das Amtsgericht zuständig.

b. öffentlich-rechtliche Entgelte: Gebühr (Satzung), Beitrag (Verwaltungsakt).

2. Sonstige Einnahmen                     

a. Erträge aus dem Kapitalvermögen: Zinsen, Dividende

b. Entnahmen aus Rücklagen (allgemeine Rücklagen)                   

c.  Zuweisungen und Zuschüsse                   

 

Nachrangige Deckungsmittel (heute entscheidend)

3. Steuern      

4. Kredite.

 

Es dürfen Einnahmen aus Steuern nur beschafft werden, wenn die Entgelte für Leistungen und die sonstigen Einnahmen zur Deckung der Ausgaben nicht ausreichen. Kredite sind Fremdmittel, die mit der Verpflichtung zur Rückzahlung aufgenommen werden. Die Verschuldung muß das allerletzte Mittel bei der Aufgabenerfüllung bleiben, wenn eine andere Deckung nicht möglich ist oder unwirtschaftlich wäre.

Die Gemeinden sind zu Rücklagen verpflichtet (Liquiditätsreserve), denn künftige Investitionen sollen vorbereitet werden. Deshalb müssen Kredite aufgenommen werden. Diesen steht aber das damit erworbene Vermögen gegenüber, das eventuell auch Rendite bringt.

 

Kommunales Abgabengesetz (KAG)

1. Steuern  (§ 7 KAG):

(1) Die Gemeinden erheben Steuern nach Maßgabe der Gesetze.

(2) Soweit solche Gesetze nicht bestehen, können die Gemeinden örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern erheben, jedoch nicht Steuern, die vom Land erhoben werden oder den Landkreisen vorbehalten sind.

 

2. Satzungen:

Die Gemeinde kann nur Satzungen aufgrund eines Gesetzes erlassen.

Es gibt Verwaltungsgebühren und Benutzungsgebühren.

 

Verwaltungsgebühren (§ 9 KAG)

Die Gemeinden und Landkreise können als Gegenleistung für Amtshandlungen oder sonstige Verwaltungstätigkeiten, die sie auf Veranlassung oder überwiegend im Interesse einzelner vornehmen, Verwaltungsgebühren erheben. Die Gebühren sind unter Berücksichtigung des Interesses der Gebührenpflichtigen und nach dem Verwaltungsaufwand zu bemessen. Ihr Aufkommen soll in der Regel die Kosten des betreffenden Verwaltungszweiges decken.

 

Benutzungsgebühren (§ 10 KAG)

Die Gemeinden und Landkreise können als Gegenleistung für die Inanspruchnahme ihrer öffentlichen Einrichtungen Benutzungsgebühren erheben. Die Gebührensätze sind in der Regel so zu bemessen, daß die Kosten der Einrichtung gedeckt werden. Zu den Kosten zählen die Aufwendungen für die laufende Verwaltung und Unterhaltung, Entgelte für in Anspruch genommene Fremdleistungen, angemessene Abschreibungen sowie eine angemessene Verzinsung des Anlagekapitals.

 

Kurbeitrag (§ 13 KAG)

Die Gemeinden, denen vom Minister des Innern die Bezeichnung „Bad“ verliehen worden ist oder die vom Minister für Wirtschaft und Technik als Kur- oder Erholungsort anerkannt sind, können für die Schaffung, Erweiterung und Unterhaltung der zu Kur- und Erholungszwecken bereitgestellten Einrichtungen und für die zu diesen Zwecken durchgeführten Veranstaltungen einen Kurbeitrag (Kurtaxe) erheben.

Beitragspflichtig sind alle ortsfremden Personen, die sich nicht zur Ausübung ihres Berufes in der Gemeinde aufhalten und denen die Möglichkeit geboten wird, die Einrichtungen in Anspruch zu nehmen oder an den Veranstaltungen teilzunehmen.

Wer Personen gegen Entgelt beherbergt, kann durch die Satzung verpflichtet werden, die beherbergten Personen der Gemeinde zu melden. Er kann ferner verpflichtet werden, den Kur­beitrag einzuziehen und an die Gemeinde abzuliefern; er haftet insoweit für die rechtzeitige Einziehung und vollständige Ablieferung des Kurbeitrages. Dies gilt auch für die Inhaber von Sanatorien, Kuranstalten und ähnlichen Einrichtungen, soweit der Kurbeitrag von Personen erhoben wird, die diese Einrichtungen benutzen, ohne in der Gemeinde beherbergt zu werden.

 

Davon getrennt zu halten sind Erstattungen von Unkosten (zum Beispiel Hundemarke, Impfstoff, Formulare).

Erstattung der Kosten für Grundstücksanschlüsse (§ 12 KAG)

Die Gemeinden und Landkreise können bestimmen, daß ihnen die Aufwendungen für die Herstellung, Erneuerung, Veränderung und Beseitigung sowie die Kosten für die Unterhaltung eines Grundstücksanschlusses an Versorgungsleitungen und Entwässerungsanlagen in der tatsächlich entstandenen Höhe oder nach Einheitssätzen erstattet werden.

 

3. Beiträge:

Hier handelt es sich meist um Anliegerzahlungen (§ 11 KAG).

Die Gemeinden und Landkreise können zur Deckung des Aufwands für  die Schaffung, Erweiterung und Erneuerung  öffentlicher Einrichtungen Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser öffentlichen Einrichtungen nicht nur vorübergehende Vorteile bietet.

Zu dem Aufwand gehört auch der Wert, den die von der Gemeinde oder dem Landkreis bereitgestellten eigenen Grundstücke haben. Er kann nach den tatsächlichen Kosten oder nach Einheitssätzen berechnet werden.

Bei einem Um- und Ausbau von Straßen, Wegen und Plätzen, der über die Straßenunterhaltung und die Straßeninstandsetzung hinausgeht, bleiben bei der Bemessung des Beitrages mindestens 25 vom Hundert des Aufwands außer Ansatz, wenn diese Einrichtungen überwiegend dem Anliegerverkehr dienen, mindestens 50 vom Hundert, wenn sie überwiegend dem innerörtlichen Durchgangsverkehr dienen, und mindestens 75 vom Hundert, wenn sie überwiegend dem überörtlichen Durchgangsverkehr dienen.

Verteilungsmaßstäbe sind insbesondere die Art und das Maß der baulichen oder sonstigen Nutzung des Grundstücks, die Grundstücksflächen, die Grundstücksbreite. Die Verteilungsmaßstäbe können miteinander verbunden werden.

Das Kommunale Abgabengesetz ist ein Landesgesetz, die Abgabenordnung des Bundes ist höherrangig

 

Öffentlich-rechtliche Entgelte für Leistungen (Abgaben):

 

Amtshandlungen

 

Benutzung öffentlicher Einrichtungen

Schaffung, Erweiterung und Erneuerung öffentlicher Einrichtungen

Gebühren

Gesetzesgrundlage ist ein Gesetz, aufgrund dessen eine Satzung erlassen wird. Im Streitfall ist das Verwaltungsgericht zuständig

Beiträge

 

 

KAG

Bundesbaugesetz

Verwaltungsgebühren

 

Benutzungsgebühren

 

Anschlußbeiträge (Kanal/Wasser) Straßenbeitrag

Kurbeitrag

Erschließungsbeitrag

Deckung des Verwaltungsaufwan­des

Kostendeckungsprinzip,

„Äquivalenzprinzip“

Freiwillige

Erhebung

Pflicht zur Erhebung

 

 

 

 

Finanzausgleich (Zuweisungen des Landes an die Gemeinden):

Von dem Steueraufkommen des Landes werden 22,9 Prozent für den Finanzausgleich genommen, davon wird je ein Drittel ausgeschüttet als:


1. Allgemeine Zuweisungen:

Diese „Schlüsselzuweisungen“ gehen an Kreise, kreisfreie Städte, Gemeinden  und als direkte Zuweisung an den Landeswohlfahrtsverband. Verteilt werden sie nach der Steuerkraft der Gemeinden.

 

A.) Die Bedarfsmeßzahl (BMZ) wird ermittelt durch Multiplikation des Grundbetrags mit dem Gesamtansatzes (Hauptansatz und Ergänzungsansatz).

Bedarfsmeßzahl:  Gesamtansatz (GA) mal Grundbetrag

a.) Grundbetrag (§ 9 Absatz 4 Finanzausgleichgesetz)

b.) Gesamtansatz: Hauptansatz plus Ergänzungsansätze.

Hauptansatz: Anlage 1 Finanzausgleichsgesetz unter Berücksichtigung von    § 10 (wird jährlich vom Finanzminister vorgegeben)

Ergänzungssätze:

-   mehr als 50.000 Einwohner 15 Prozent vom Hauptansatz

-  Stationierungsstreitkräfte (Familienangehörige werden hinzugefügt)

-  Heilbäder (Kurgastübernachtungen geteilt durch 250)

-  Bevölkerungszuwachs in den letzten zehn Jahren (Anlage 2).

 

Beispiel: Gemeinde mit 7.000 Einwohnern (vor zehn Jahren 5.000 Einwohner)

Hauptansatz: 114 Prozent = 7.980 Einwohner.

Ergänzungsansatz: Bevölkerungszuwachs: 40 Prozent = 14 % vom Hauptansatz

= 1.117 Einwohner.

Gesamtansatz:  9.097 Einwohner.

Diese fiktive Einwohnerzahl macht deutlich, daß die Gemeinde höhere Zuschüsse braucht als nach ihrer tatsächlichen Einwohnerzahl. Diese wird dann mit dem Grundbetrag multipliziert.

 

B.) Steuerkraftmeßzahl (StMZ): Sie richtet sich nach der Steuerkraft der kreisangehörigen Gemeinde oder kreisfreien Stadt (bei den Landkreisen heißt das „Umlagekraftmeßzahl“)
Grundlagen:

 1.) Grundsteuer A - Meßbetrag, zum Beispiel 175 Prozent

2.) Grundsteuer B - Meßbetrag, zum Beispiel 200 Prozent

3.) Gewerbesteueraufkommen (Ist) - Meßbetrag 250 Prozent

4.) Anteil der Gemeinde an der Einkommensteuer zu 75 Prozent

5.) Gewerbesteuerumlage (abzüglich Soll) - Meßbetrag 300 Prozent

 

 

C.) Höhe der Schlüsselzuweisungen: 

Die Gemeinde erhält die Hälfte der Differenz von Bedarfsmeßzahl und Steuerkraftmeßzahl, aber mindestens 75 Prozent der Bedarfsmeßzahl als Summe von Steuerkraftmeßzahl und Schlüsselzuweisung.

 

Ist die Bedarfsmeßzahl  größer als Steuerkraftmeßzahl wird die Differenz geteilt durch zwei.

Die Schlüsselzuweisungen müssen jedoch zusammen mit der Steuerkraftmeßzahl mindestens 75 Prozent der Bedarfsmeßzahl  ergeben.

Ist die Bedarfsmeßzahl kleiner als Steuerkraftmeßzahl, gibt es Mindestschlüsselzuweisungen nach §§ 13, 15 und 19 des Finanzausgleichsgesetzes.

 

Beispiele:

Gemeinde mit 7.000 Einwohnern mit BMZ 1.000.000 Euro.

Bei einer Steuermeßzahl von …

a.)     600.000 Euro: Schlüsselzuweisung 200.000 Euro (Hälfte von 400.000

b.)     400.000 Euro: Schlüsselzuweisung 350.000 Euro, aber mindestens 75 Prozent

c.)     900.000 Euro: Schlüsselzuweisung 84.000 Euro Mindestzuweisungen.

(Zuweisung: Beide Partner sind öffentlich rechtlich, zum Bespiel Land an Gemeinde.

Zuschuß: Ein Partner ist privat, zum Beispiel Gemeinde an Verein.

 

2. Bedarfszuweisungen:

Für Schulen, Aufforstung, Personennahverkehr, Sozialhilfe, Theater, Aussiedlerheime, Museen, Straßen.

 

3. Investitionszuweisungen:

Besondere Finanzzuweisungen gibt es für  Investitionen. Manche Investitionen werden stärker berücksichtigt (andere aber gar nicht). Wenn die Mittel erschöpft sind, kommt der Antrag auf die Warteliste. Wird eine Investition bezuschußt, gibt es einen Bescheid. Natürlich muß über die Verwendung abgerechnet werden, die letzen zehn Prozent werden erst nach der Fertigstellung der Maßnahmen gezahlt. Diese Zuweisungen sind echte Zuschüsse.

Zusätzliche Kredite kann man aus dem Hessischen Investitionsfonds erhalten, der auch aus dem Steueraufkommen abgezweigt wurde und aus dem die Gemeinden zinslose Kredite erhalten können. Es gibt vom Staat geförderte Investitionen (Abteilung A) und Investitionen der Gemeinden (Ab­teilung B), zu denen diese aber erst einmal 25 Prozent angespart haben müssen.

Politische Akzente kann das Land nur durch diese Investitionszuweisungen setzen, zu den anderen Zahlungen ist es verpflichtet (zu Schlüsselzuweisungen sowieso und zu Bedarfszuweisungen meist durch Gesetz). Die Gefahr dabei ist aber, daß eine Gemeinde deshalb Investitionen macht, weil es Zuschüsse dafür gibt. Aber vom Land ist das so gewollt, weil es eben Akzente setzen will. Aber in vielen Gemeinden wird nur noch investiert, wenn es dafür auch Zuschüsse gibt.

 

Inhalt: Haushaltssatzung, Haushaltsplan, Haushaltsstelle, Verwaltungshaushalt und Vermögenshaushalt, Finanzplanung, Funktionen des Haushaltsplans, Entstehung des Haushaltsplans, Haushaltsgrundsätze, Einnahmen, Veranschlagungsgrundsätze, Ermächtigung, Übertragbarkeit, Deckungsfähigkeit, Überplanmäßige Ausgaben, Nachtragshaushaltsplan, Vorläufige Haushaltsführung, Haushaltsausgleich, Gliederungsplan

 

 

 

 

 

Haushaltsrecht

 

Die Haushaltssatzung wird beschlossen nach § 94 und 97 HGO, Muster 1 und 2, und der Gemeindehaushaltsverordnung. Sie enthält als Anlage den Haushaltsplan.

Anmerkung: In diesem Abschnitt wird immer wieder  einmal zwischen den Bezeichnungen in kleinen und großen Gemeinden gewechselt. Der Gemeinde entspricht die Stadt, der Gemeindevertretung entspricht die Stadtver­ordnetenversammlung, dem Gemeindevorstand entspricht der Magistrat.

Die Haushaltssatzung gilt in der Regel ein Jahr (es gibt aber auch Doppelhaushalte). Längerfristige Bestimmungen werden in Satzungen  geregelt (zum Beispiel in der Hauptsatzung), die bis auf Widerruf gelten bzw. durch Gesetz geändert werden. Die Haushaltssatzung tritt auch rückwirkend in Kraft, wenn sie erst im Laufe des Jahres beschlossen wurde (was aber nicht sein soll)

Eine Gemeinde kann auch eine Nachtragshaushaltsatzung herausgeben. Das kommt vor allem vor, wenn sich im Laufe eines Jahres herausstellt, daß das Geld nicht reicht und weitere Kredite aufgenommen werden müssen.

 

 

H a u s h a l t s s a t z u n g  (§ 94 Hessische Gemeindeordnung)

 

§ 1: Verabschiedet wird eine Haushaltssatzung, der Haushaltsplan ist dann eine Anlage zur Haushaltssatzung. Angegeben werden muß der Gesamtbetrag der Einnahmen und Ausgaben, getrennt nach Verwaltungshaushalt und Vermögenshaushalt. 

 

§2: Hier muß in jedem Fall eine Aussage über Kredite stehen. Die Regelung der Kreditaufnahme geschieht in § 103. Umschuldungen sind nur in §1 des Musters aufgeführt. Der § 2 berücksichtigt also nur echte neue Kredite. Die Kreditermächtigung gilt bis ins nächste Jahr (Teile der Haushaltssatzung gelten also über den 31.Dezermber hinaus, notfalls bis zur Haushaltssatzung des übernächsten Jahres).

 

§ 3: Verpflichtungsermächtigungen (§ 94): Alle Verpflichtungen der Gemeinde müssen haushaltsmäßig abgedeckt sein. Aber manche Ausgaben können erst im folgenden  Jahr umgesetzt werden. Doch einen Auftrag kann man nur vergeben, wenn im laufenden Jahr die Mittel bewilligt sind. Deshalb gibt es die Verpflichtungsermächtigung. Aufgrund einer Verpflichtungsermächtigung darf schon im laufenden Jahr der Auftrag erteilt werden. Der Betrag darf aber erst im nächsten Jahr ausgegeben werden und muß auch dann wieder in den Haushalt eingestellt werden. Damit wird die Kontinuität von Baumaßnahmen auch über drei Jahre gesichert. Aber  im dritten Jahr verfällt sie am 31. Dezember. Verpflichtungsermächtigungen gibt es nur im Vermögenshaushalt in den Plänen 0 bis 8 (nie in 9) und nur für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen. Bei laufenden Ausgaben braucht man einen Planansatz.

 

§ 4: Kassenkredite (§ 94,2 HGO):

Die Kassenliquidität soll gesichert werden durch einen Überziehungskredit. Das ist entweder ein teurer Dispositionskredit, der nur  ein negatives  Konto bewirkt, aber nicht im Haushalt erscheint. Oder es ist ein kurzfristiger Kredit: Dieser geht mit einem festen Vertrag über ein Jahr und hat möglichst günstigen Bedingungen. Aber die Zinsen müssen auf die ganze Summe gezahlt werden, auch wenn sie gar nicht voll benötigt wurde.  Kassenkredite sind keine Deckungsmittel, sondern Verwahrgelder, nur die Zinsen sind im Haushalt enthalten.

Kredite können bis zu einem Fünftel  (20 Prozent) des Verwaltungshaushalts ohne Genehmigung aufgenommen werden. Gerechnet wird dabei aber die Summe aus beiden Krediten, also aus Dispositionskrediten und gewöhnlichen Krediten. In diesem Paragraphen wird der Höchstbetrag der Kassenkredite festgelegt.

 

§ 5: Steuersätze:

Jährlich neu festgesetzt werden…

Grundsteuer A:  Landwirtschaftliche Grundstücke

Grundsteuer B:  Als Bauland erschlossenes Gebiet mit Bebauungsplan

Gewerbesteuer: Zahlung der Gewerbetreibenden an die Gemeinde (nach Gewinn und Gewerbekapital).

Grundsteuer wird erhoben nach dem Einheitswert (bei älteren Gebäuden von 1914, bei neueren Gebäuden von 1964) und dem Hebesatz (ein Hebesatz von  250 Prozent  ist das Zweieinhalbfache des Einheitswerts).

§ 6: Stellenplan.

Die Paragraphen 2 bis 4 sind an sich genehmigungspflichtig, es sei denn es werden keine Kredite aufgenommen oder die Kassenkredite bleiben unter einem Fünftel des Verwaltungshaushalts.

 

 

H a u s h a l t s p l a n   § 95 HGO und § 1 GemHVO

Für den Haushaltsplan ist ein bestimmtes Muster vorgeschrieben, das Muster 1 der Gemeindehaushaltsverordnung. Dieses richtet sich nach den sechs Paragraphen des § 94 HGO. Die Gemeinden können in einem § 7 weitere Festlegungen treffen (Haushaltssperre, Stellenbesetzungssperre).

 

Bestandteile

a.) Gesamtplan mit seinen vier Übersichten (§ 4 GemHVO):

1. Zusammenstellung der Einnahmen, Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen der Einzelpläne des Verwaltungs- und Vermögenshaushalts: Er zeigt die Planansätze des Planjahres und Vorjahres einschließlich der Rechnungsergebnisse nach weit gefaßten Aufgabenbereichen (Muster 6, Gliederungsplan Muster 10 )

2.) Haushaltsquerschnitt: Er ergibt sich aus der Verbindung  von Aufgabenbereich und Gruppierungsübersicht: Nach einem Schachbrettsystem werden die einzelnen Einnahme- und Ausgabearten nach Gruppen zusammengefaßt und den einzelnen Aufgabenbereichen in einer tieferen Gliederung (Abschnitte) gegenübergestellt. Dadurch lassen sich wertvolle Vergleichszahlen gewinnen (Muster 7)

3.)  Gruppierungsübersicht. Sie zeigt detailliert die Zusammensetzung der Einnahmen nach dem Entstehungsgrund und die Zusammensetzung der Ausgaben nach dem Verwendungszweck auf (Muster 8)

4.) Finanzierungsübersicht: Sie gibt Auskunft darüber, ob der erzielte Haushaltsausgleich rein formaler Art ist. Dies geschieht durch die Aussonderung von besonderen Finanzierungsvorgängen, die finanzwirtschaftlich einer anderen Haushaltsperiode zugerechnet werden (Muster 9).

 

b.) Einzelpläne des Verwaltungs- und Vermögenshaushalts: Sie zeigen mit ihrer Tiefengliederung in Abschnitte und  Unterabschnitte die einzelnen Einnahme- und Ausgabearten dieser Bereiche nacheinander.

 

c.) Sammelnachweise: Sie fassen gleichartige Einnahmen und Ausgaben quer über alle Aufgabenbereiche zusammen und bilden die unmittelbare Veranschlagungsstelle. Häufig werden dies  Mittel auch von einer zentralen Stelle bewirtschaftet (§ 8 GemHVO).

d.) Stellenplan: Er ist die Grundlage für die Personalwirtschaft, er fächert die Stellen der Beamten, Angestellten und Arbeiter nach Einsatzbereichen und Einstufung auf (§ 6 GemHVO - Muster 14).

 

Anlagen:        

a.) Vorbericht: Er gibt in prägnanter sachlicher Zusammenfassung einen Gesamtüberblick über die Entwicklung und den Stand der Haushaltswirtschaft (§ 3 GemHVO).

b.) Finanzplan mit Investitionsprogramm: Die derzeit und in den nächsten Jahren geplanten Investitionen und ihre Finanzierung weist der Finanzplan mit Investitionsprogramm in einzelnen Aufgabenbereichen geordnet aus (§ 101 HGO und § 24 GemHVO).

c) Übersicht über die Verpflichtungsermächtigungen: Hieraus lassen sich die Belastungen zukünftiger Haushaltsjahre mit bereits eingegangenen Verpflichtungen für Investitionen nach Jahren verteilt ablesen (§ 102 HGO und § 9 GemHVO,  Muster 3).

d.) Übersicht über den Stand der Schulden: Die Schuldendienstbelastung in den künftigen Jahren, den Schuldenstand und die Kreditgeber kann man aus der Übersicht  über den Schuldenstand ablesen (§§ 103HGO,  §§ 20 und 21 GemHVO , Muster  und 5).

e.) Rücklagenübersicht: Die Rücklagen zu Beginn des Haushaltjahres (§ 106 HGO).

f.) Wirtschaftspläne bzw. Jahresergebnisse der Sondervermögen mit Sonderrechnung und öffentlichen Unternehmen

 

Man unterscheidet die Teilhaushalte „Verwaltungshaushalt“ und „Vermögenshaushalt“.

Außerdem gibt es noch durchlaufende Gelder, die „Verwahrgelder“ (Strafgelder eines Vollziehungsbeamten für andere öffentlich-rechtliche Stellen) und „Vorschüsse“ genannt werden.

Dazu gehören aber auch Steuern, Sozialabgaben der Bediensteten oder Darlehen an Bedienstete.

 

Haushaltsstelle

Die Haushaltspläne bauen sich auf den 10 Einzelplänen (0 bis 9).

Die erste Stelle bei der Haushaltsstelle ist also der Einzelplan, die weiteren Stellen bezeichnen den Abschnitt und den Unterabschnitt. So entsteht die Gliederungsziffer mit drei bis fünf Stellen. Zur Haushaltsstelle gehört aber auch die Gruppierungsziffer, die sich zusammensetzt aus Hauptgruppe, Gruppe, Untergruppe. Die Gliederungsziffer hat nur drei Stellen. Die Ziffer „111“ bedeutet zum Beispiel: Öffentliche Sicherheit und Ordnung (1), Ordnungsamt (11), Paßwesen (111). Gliederungsnummer und Gruppierungsnummer bilden die Haushaltsstelle.

 

Eine Haushaltstelle sieht dann folgendermaßen aus:

Gemeindekennziffer              Teilhaushalt     Haushaltstelle           mit Ergänzungsziffern

       01                                             1                        020 00                     414.000.001.

 

Gliederungsziffer:

In dem Beispiel ist „020“  die Gliederungsziffer, also der Aufgabenbereich (hier Hauptamt), und „414“ ist die Gruppierungsziffer, also Einnahme oder Ausgabe, hier Angestelltenvergütung. In der Haushaltsstelle werden also der Aufgabenbereich und die Einnahme- oder Ausgabeart zu­sammengeführt.

Vorgeschrieben ist die Zählung bis zur zweiten Stelle, zum Beispiel 02 = Hauptverwaltung.

Kleinere Gemeinden kommen mit zwei Stellen aus, aber man hängt für Unterrichtszwecke noch eine Null dran.  Zum Teil sind aber auch Unterabschnitte vorgeschrieben, etwa UA 4 = Soziale Sicherung.

 

Beispiele für Gliederungsziffer:

-   Zuschuß an den Verband der Kleingärtner                      780

-  Einrichtung einer Beratungsstelle für Suchtkranke         540

-  Landeszuweisung für Schulwanderungen             

Hauptschule                                                    210

Fachoberschule                                               245

-  Errichtung eines Tierheims                                                  110

-  Zinsen für Darlehen an private Unternehmer                  790

-- Bestellung neuen Arbeitsmaterials                                    312

-  Basar zur Förderung des Fremdenverkehrs                      790

-  Bilanzgewinn der Stadtsparkasse                                       870

-  Neues Fußballstadion                                                           560

 

Gruppierungsziffer:

Es gibt wieder die Hauptgruppen 0 bis 9, die aber etwas anders aussagen als bei der Gliederungsziffer. Doch das System ist ähnlich: Hauptgruppe (HGr), Gruppe (G) und Untergruppe (Ugr). Hier gibt es aber gleich die Unterscheidung von Einnahme und Ausgabe:

0 - 2   Einnahmen Verwaltungshaushalt

     3   Einnahmen Vermögenshaushalt

4 - 8    Ausgaben Verwaltungshaushalt

      9   Ausgaben  Vermögenshaushalt.

 

Beispiele für Gruppierungsziffern:

0200 . 4141     Vergütung Büro Stadtverordnetenversammlung

           4441     Arbeitsgeberanteil zur Sozialversicherung

9000 . 0001     Grundsteuer für landwirtschaftliche  Grundstücke

           0031     Gewerbesteuer

2100 . 9404     Baumaßnahme an der Grundschule

           9350     Inventar der Grundschule

  720 . 1100     Müllgebühr.

Bei weiteren Untergruppen ist die Zahl zu ergänzen nach dem vorgegebenen Schema, zum Beispiel:

2100 . 361       Zuweisung des Landes für die Schule

2100 . 366       Spende eines Privatbetriebs für die Schule.

 

Eine (weitere) Untergliederung nimmt man besser bei der Gruppierungsziffer vor, weil im Haushaltsplan und in der Rechnung immer nach Unterabschnitten summiert wird. Bei einer Untergliederung bei der Gliederungsziffer entstünden jeweils neue Unterabschnitte, die den Haushalt aufblähen würden.

Der Aufbau des Haushaltsplanes ist zugleich Kontenrahmen für die Sachbücher der Gemeindekasse.  Im Sachbuch für den Verwaltungshaushalt und den Vermögenshaushalt sind die Einnahmen und Ausgaben noch der Ordnung des Haushaltsplanes zu buchen.

 

Verwaltungshaushalt und Vermögenshaushalt

Der Vermögenshaushalt umfaßt die Investitionen und alle Veränderungen des Vermögens. Zum Verwaltungshaushalt gehört alles andere, zum Beispiel laufende nicht vermögenswirksame Einnahmen und Ausgaben (Aufwand, Verbrauch, Transferzahlungen). Ausgaben für die Erhaltung des Sachvermögens in einem ordnungsgemäßen Zustand  ist Erhaltungsaufwand, sie werden im Verwaltungshaushalt veranschlagt!

 

Aus dem Verwaltungshaushalt müssen an sich Überschüsse bleiben, die dann dem Vermögenshaushalt zugeführt werden. Der Verwaltungshaushalt ist der Sockel des Vermögenshaushalts (so sollte es sein). Die Trennung erfolgt, um die Gemeinden zu zwingen, nicht über ihre Verhältnisse zu leben, die Investitionen klar auszuweisen und die Folgekosten für den Verwaltungshaushalt zu bedenken und die Kreditaufnahme zu beschränken. Kredite dürfen nur für Investitionen oder Investitionsförderungsmaßnahmen aufgenommen werde und sind von der Aufsichtsbehörde zu genehmigen (für Frankfurt und Wiesbaden der Innenminister, für Gemeinden über 50.000 Einwohner das Regierungspräsidium, unterste Aufsichtsbehörde ist der Landrat). Tilgungsraten gehören in den Vermögenshaushalt, Zinsen in den Verwaltungsaushalt. Erstausstattung gehört immer in den Vermögenshaushalt (auch bei einem geringen Wert).

 

Einnahmeseite des Vermögenshaushalts (§ 1 GemHVO):

-  Zuführung vom Verwaltungshaushalt

-  Einnahmen aus der Veränderung des Anlagevermögens (Verkauf)

-  Entnahmen aus Rücklagen (allgemeine Rücklagen)

-  Einnahmen aus aufgenommenen Krediten

-  Rückflüsse von Darlehen

-  Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen,  Förderung von Investitionen Dritter

-  Beiträge und ähnliche Entgelte (Anliegerbeiträge)

-  Einnahmen aus Krediten und Inneren Darlehen  (Kredit ist Einnahme für die Gemeinde).

-  Vermögenswirksame Einnahmen.

-  Veräußerungserlös für ein Grundstück

-  Zuweisung des Landes für den Kindergartenbau

-  Verkauf eines Lastkraftwagens

 

Ausgabenseite des Vermögenshaushalts:

1. Bewegliche Sachen des Anlagevermögens:

Die Anschaffungskosten für den einzelnen selbständig bewertungs- und benutzungsfähigen Gegenstand (Wirtschaftsgut ) über einem bestimmten Wert (zum Beispiel 500 Euro). Handelt es sich um Sachgesamtheiten, d.h. um technisch oder wirtschaftlich so miteinander verbundene Gegenstände, die von ihrer Bestimmung her nur in dieser Verbindung genutzt werden können, so sind diese auch dann im Vermögenshaushalt zu veranschlagen, wenn zwar der jeweilige Einzelwert unter, der Gesamtwert der Geringfügigkeitsstufe liegt (zum Beispiel die Bestuhlung in einer Versammlungshalle).

2. Hochbaumaßnahmen und Tiefbaumaßnahmen:

Es ist zu unterscheiden zwischen den Ausgaben für Investitionen (Herstellungsaufwand ) und den Ausgaben für die Unterhaltung (Erhaltungsaufwand ). Letzterer ist im Verwaltungshaushalt abzuwickeln (Schönheitsreparaturen, aber auch Sanierung).

3. Eine Investition ist bei Hochbauten anzunehmen, wenn das Bauwerk in seiner Substanz vermehrt, in seinem Wesen verändert oder über seinen bisherigen Zustand hinaus erheblich verbessert wird (Anbauten, Umbau, Aufzüge). Nicht zum Herstellungsaufwand zählt der Erhaltungsaufwand, der dazu dient, das Grundstück in ordnungsgemäßen Zustand zu halten. Hauptmerkmal hierfür ist, wenn der Aufwand durch die gewöhnliche Nutzung verursacht wird und in mehr oder weniger großen Zeitabständen regelmäßig wiederkehrt, wobei die Größenordnung keine Rolle spielt.

4. Zuweisungen und Zuschüsse:

-  Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen

-  Tilgung von Krediten

-  Rückzahlung Innerer Darlehen

-  Ablösung von Dauerlasten

-  Förderung der Investitionen Dritter

-  Verpflichtungsermächtigungen

-  Zuführung zur Allgemeinen Rücklage

-  Deckung von Fehlbeträgen aus Vorjahren

-  Zuführung zum Verwaltungshaushalt

-  Erwerb einer Beteiligung.

-  Vermögenswirksame Ausgaben

-  Kreditbeschaffungskosten  (Disagio) werden verlangt in Hochzinszeiten bei langfristigen Krediten. Dabei kann man nur niedrige Zinsen verlangen, durch die Gebühr holt man sich wieder, was man will. Zum Teil wird auch einfach eine Gebühr erhoben; diese ist aber 2014 verboten worden. Beispiel: Ein Kredit von 100.00 Euro muß in voller Höhe im Vermögenshaushalt verbucht werden. Ausgezahlt werden aber nur 98.00 Euro, weil zwei Prozent Disagio verlangt werden. Zinsen sind aber auf die 100.000 Euro zu zahlen).

-  Gewährung eines Darlehens

-  Grundstückserwerb

-  Schulbaumaßnahme

-  Zuschuß an eine Wohnungsbaugenossenschaft

 

Anlagevermögen, das dauernd der Aufgabenerfüllung dienet (§ 45GemHVO):

-  Grundstücke ( bebaut und unbebaut)

-  Bewegliche Sachen mit einem gewissen Anschaffungswert

-  Dingliche Rechte ( Pfandrechte Nießbrauch, usw.)

-  Beteiligungen sowie Wertpapiere zum Zwecke der Beteiligung

-  Forderungen aus Darlehen, die aus Mitteln des Haushalts gewährt wurde

-  Kapitaleinlagen der Gemeinde in kommunalen Zusammenschlüssen

-  Eigenkapital im Sondervermögen (zum Beispiel Stadtwerke).

 

Einnahmen und Ausgaben sind vermögenswirksam, weil damit eine Änderung des Standes des Vermögens oder der Schulden verbunden ist:

-  Vermögensabgang: Verkauf von Grundstücken

-  Schuldenzugang: Aufnahme von Krediten

-  Vermögenszugang: Kauf von Grundstücken

-  Schuldenabgang: Rückzahlung von Krediten 

 

Veranschlagung von beweglichen Sachen im Haushaltsplan:

Zu unterscheiden sind folgende Begriffe:

-  Einzelsache: Ein selbständig bewertungsfähiges und nutzungsfähiges Wirtschaftsgut, welches nicht zu einer Sachgesamtheit gehört.

-  Technisch miteinander verbundenes Wirtschaftsgut: Es entsteht, wenn aus selbständigen Einzelsachen durch             eine technische Verbindung ein neues einheitliches Wirtschaftsgut entsteht ( Kamera + Objektive =Fotoausrüstung)

-  Wirtschaftlich miteinander verbundenes  Wirtschaftsgut: Wenn aus selbständigen Einzelsachen durch eine wirtschaftliche Verbindung ein neues Wirtschaftsgut entsteht (zusammengestellte Rollschränke = Schrankwand.

-  Sachgesamtheiten: Einzelsachen oder technisch oder wirtschaftlich miteinander  verbundene Wirtschaftsgüter, die nach ihrer Nutzung  und  Zweckbestimmung in einem engen Sachzusammenhang stehen.  Keine Sachgesamtheit liegt vor bei beweglichen Sachen,  die dem Verbrauch dienen und eine Lebensdauer von weniger als drei Jahren haben. Die Frage, ob sie in Bestandverzeichnissen nachzuweisen sind, ist hier nicht entscheidend (Werktisch, Maschinen, Geräte, Schränke, Schreibtisch, Stühle, Regale, Aktenschränke, Büromaschinen, Tische, Stühle, Tafeln, Schränke, Lehrmittel).

 

Beispiele für Verbrauchsgüter sind Büromaterialien, kleinere Werkzeuge, Textilien, Geschirr, Bücher, Filme, Tonträger, Spiel-und Sportgegenstände, Lehr-und Lernmaterial. Geringwertiges Wirtschaftsgut wird im Verwaltungshaushalt veranschlagt (bewegliche Sachen des Anlagevermögens dagegen im Vermögenshaushalt).

 

Einnahmen des Verwaltungshaushalts:

-  Gewerbesteuer

-  Verkaufserlöse aus Verbrauchsmitteln

-  Allgemeine Zuweisung und Zuschüsse des Landes für laufende Zwecke

-  Zinseinnahmen

-  Gewinnanteile der Stadtwerke

-  Mieteinnahmen.

-  Schuldendiensthilfen (Zinsleistungen).

 

Ausgaben des Verwaltungshaushalts:

-  Aufwendungen für ehrenamtliche Tätigkeit

-  Unterhaltungskosten für ein Gebäude

-  Zinsausgaben

-  Benzinkosten für Dienstfahrzeuge

-  Zahlung von Sozialhilfe

-  Personalausgaben

-  Gewerbesteuerumlage an Bund und Land

-  Bürokosten.

 

Finanzplanung

1. Das Investitionsprogramm:

Hier werden die geplanten Ausgaben für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen aufgeführt. Es enthält alle im Planungszeitraum fortzuführenden und neuen Investitionen. Die auf die einzelnen Jahre entfallenden Teilbeträge werden aufgeführt. Unbedeutende Maßnahmen können zusammengefaßt werden. Das Programm ist Grundlage  für die Finanzplanung. Das Programm wird von der Gemeindevertretung beschlossen bzw. von ihr geändert. Dabei wird auch verlangt, daß alle Folgekosten erfaßt werden (bei einem Kindergarten außer der Investition auch Personalkosten, Unterhaltung und Sachkosten). Das Investitionsprogramm ist also die Voraussetzung für den Finanzplan, weil die Folgekosten ja in den Verwaltungshaushalt eingestellt werden müssen.

2. Finanzplan (§ 101 HGO und § 24 GemHVO):

 Der Finanzplan erstreckt sich über fünf Jahre, wird aber jedes Jahr neu erstellt, also fortgeschrieben.  Er enthält den Planansatz des Vorjahres, den Planansatz des laufenden Jahres und die Verpflichtungsermächtigungen für drei Jahre, also insgesamt fünf Jahre. Im Finanzplan findet man unter Nummer 37 die Angabe, ob in einem drei folgenden Jahre ein Kredit aufgenommen werden soll (für den eine Genehmigung erforderlich ist).

Wenn Geld fehlt, kann eine Maßnahme gestrichen werden oder gestreckt werden, solange diese Maßnahme noch nicht begonnen wurde. Es können auch neue Maßnahmen hinzukommen. Im Finanzplan sind umfassend alle finanziellen Auswirkungen enthalten, alle voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben in verdichteter Form.

Die kommunale Finanzplanung wird unterstützt durch die Orientierungsdaten für die Finanzplanung, die vom Finanzministerium des Landes herausgegeben wird.  Darin werden angegeben die geschätzten Steuereinnahmen für die Gemeinden, die Schlüsselzuweisungen, die Investitionspauschalen und die Umlagen für Kreis und Verband.

 

Funktionen des Haushaltsplanes

Der öffentliche Haushaltsplan (Budget) ist nach der Gemeindehaushaltsverordnung die nach den Vorschriften der Hessischen Gemeindeordnung und der Gemeindehaushaltsverordnung für die Wirtschaftführung der Gemeinde maßgebende (normgebende) Zusammenstellung der für einen festgelegten Planungszeitraum (Rechnungsjahr, Haushaltsjahr) geplanten Einnahmen und Ausgaben. Er ist die Grundlage der Haushaltswirtschaft der Gemeinde.

 

I. Finanzwirtschaftliche Planungsfunktion:

Der Haushaltsplan beinhaltet die übersichtliche und rationale Handhabung der öffentlichen Finanzen, wobei durch eine planmäßige Vorausschau der Ausgaben und Einnahmen eine Kommune in die Lage versetzt wird, die gestellten Aufgaben finanziell durchzuführen.

Dabei soll durch den finanziellen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben die Wirt­schaftlichkeit im öffentlichen Bereich gesteigert werden (Bedarfsdeckungsprinzip).

 

II. Politische Planungsfunktion:

Das Ergebnis zahlreicher Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb des Rates und der Verwaltung findet ihren Niederschlag in der Beschlußfassung über die Haushaltssatzung und den Haushaltsplan. Im Haushaltsplan sind somit auch Mittel zur Verwirklichung von politischen Programmen und Zielen enthalten.

 

III. Administrative Kontrollfunktion:

Durch den Haushaltsplan wird der Kommunalverwaltung ein finanzieller Handlungsrahmen gesteckt, den sie bezüglich der Ausgaben und Verpflichtungen einhalten muß. Anhand des Haushaltsplanes wird dem Parlament (Rat) ein Instrument gegeben, um die Handlungen der Verwaltung überprüfen zu können.

 

IV. Gesamtwirtschaftliche Budgetfunktion:

Der Haushaltsplan soll eine Steuerungs- und Lenkungsfunktion innerhalb der öffentlichen

Finanzwirtschaft erfüllen. Bei der Planung und Durchführung ihrer Haushaltswirtschaft haben sich die Gemeinden an den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu orientieren (Artikel 109 GG).

 

V.   Sozialstaatliche Gestaltungsfunktion:

Die sozialstaatliche Gestaltungsfunktion berücksichtigt die zunehmende Umverteilung der

privaten Einkommen und Vermögen unter politisch-sozialen Gesichtspunkten mit dem Ziel der Erhaltung und Steigerung des Lebensstandards und einer sozial gerechten Versorgung

 

VI. Rechtliche Funktion

Der Haushaltsplan gibt den Verwaltungsorganen die Vollmacht und die Bindung, nach seinen Ansätzen und Zwecken zu wirtschaften

 

VII. Haushaltsrechtliche Kontrollfunktion:

Der Haushaltsplan bietet die Grundlage und die Kontrollfunktion für die Buchführung, die haushalts- und kassenmäßige Rechnungslegung, die überörtliche Rechnungsprüfung sowie die Entlastung durch den Rat.

 

VIII. Ordnung- und Vergleichsfunktion

Der Haushaltsplan ist Ordnungsgrundlage  für alle weiteren Organisationspläne der Gemeinde (zum Beispiel Stellenplan) und ermöglicht eine Vergleichbarkeit mit den Haushaltsplänen anderer Kommunen.

 

 

Entstehung eines Haushaltsplans

1. Die städtischen Dienststellen und Ämter melden ihren Bedarf bei der Kämmerei an.

2. Der Stadtkämmerer und seine Mitarbeiter in der Kämmerei ermitteln den gesamten Geldbedarf, suchen nach Einsparungsmöglichkeiten, stellen die möglichen Einnahmen fest und erarbeiten einen Haushaltsplanentwurf.

3. Der Magistrat berät in nicht-öffentlicher Sitzung und stellt den Haushaltsplanentwurf fest.  Der Stadtkämmerer kann eine abweichende Meinung vortragen, während sonst nur der Bürgermeister für den Magistrat reden kann.

4. Der Entwurf mit Anlagen wird zur Unterrichtung der Bürger öffentlich ausgelegt an sieben Werktagen, spätestens 12 Tage vor der Beschlußfassung durch die Stadtverordnetenversammlung. Eine Anhörung der Ortsbeiräte erfolgt.

5. Der Haushaltsplanentwurf wird durch den Stadtkämmerer in die  Stadtverordnetenversammlung eingebracht (Mündliche Erläuterung des Plans in einer Haushaltsrede und Überweisung an die Ausschüsse). Der Entwurf geht schriftlich an den Magistrat

6. Öffentliche Beratung des Haushalts in den einzelnen Fachausschüssen der Stadtverordnetenversammlung. Zwingend vorgeschrieben ist das aber nur für den Finanzausschuß.

7 . Beratung und Beschlußfassung durch die Stadtverordnetenversammlung in öffentlicher Sitzung.

8. Enthält die Haushaltssatzung keine genehmigungspflichtigen Teile, so kann sie nach der Beschlußfassung vom Magistrat ausgefertigt und gleich bekannt gemacht und der Haushaltsplan an sieben Tagen ausgelegt werden. Die Vorlage an die Aufsichtsbehörde zwecks Aus­übung der Rechtskontrolle muß aber immer erfolgen.

Enthält die Haushaltssatzung genehmigungspflichtige Teile (Kredite, Verpflichtungsermächtigung, Höchstbetrag der Kassenkredite) geschieht die Genehmigung durch die Aufsichtsbehörde, erst danach erfolgt eine  öffentliche Bekanntmachung und Auslegung. Jeder Bürger hat die Möglichkeit den Haushaltsplan einzusehen.  Danach tritt die Rechtswirksamkeit ein.

 

                       

Allgemeine Haushaltsgrundsätze (§ 93 HGO)

Die allgemeinen Haushaltsgrundsätze beziehen sich auf die gesamte Haushaltswirtschaft der Gemeinden. Diese umfaßt  unter anderem die Aufstellung des Haushaltsplanes, dessen Ausführung, die Rechnungslegung sowie die Finanzplanung.

 

I. Stetige Aufgabenerfüllung:

Die Gemeinde hat ihre Haushaltswirtschaft so zu planen und zu führen, daß die stetige Erfüllung der kommunalen Aufgaben gesichert ist. Planung geschieht durch Ermittlung des Finanzbedarfs, Schaffung von Finanzquellen, Aufstellung der Satzung und des Haushaltsplans, durch Finanzplanung und Rücklagen. Aber das  Ausmaß der Kommunalaufgaben, deren stetige Erfüllung zur Förderung des Allgemeinwohls zu sichern ist, wird im Kommunalverfassungsrecht nicht näher erläutert. Das Ausführen geschieht durch das Einziehen der Einnahmen und Bewirtschaftung der Ausgaben. Die Einnahmebeschaffung (§ 93) geschieht durch Zuweisungen, Kostenerstattungen, Zinserträge, Entgelte für Leistungen, Steuern  (aber nur, wenn die vorrangigen Deckungsmittel nicht reichen) und Kredite.

 

II. Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts:

Die Berücksichtigung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts betont die Bedeutung der wirtschaftspolitischen Gesichtspunkte auch für die kommunale Haushaltswirtschaft (Artikel 109 II GG). Gefordert ist also ein antizyklisches Konjunkturverhalten

Eine Interpretation dieses Grundsatzes enthält § 1 des Stabilitätswirtschaftsgesetzes, wonach die Maßnahmen zur Erzielung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts so zu treffen sind, daß zur Stabilität des Preis­niveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand, zu außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und zu stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum („Magisches Viereck“) beige­tragen wird.

Diesem Zweck dient das „Gesetz zur Förderung von Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (Stabilitätsgesetz)“. Ziel des Gesetzes ist das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht. Dazu gehören Stabilität des Preisniveaus, hoher Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und angemessenes und stetiges Wirtschaftswachstum.

Die Konjunktur kann auch durch haushaltswirtschaftliche Maßnahmen der öffentlichen Hand beeinflußt werden. Eine Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden ist dazu notwendig. Eine Planung für einen längeren Zeitraum als ein Haushaltsjahr ist notwendig (mittelfristige Finanzplanung). Empfehlungen für das Verhalten aller am Wirtschaftsleben beteiligten Kreise sind nützlich (zeitweise hieß das „konzertierte Aktion“)..

 

III.  Sparsame und wirtschaftliche Haushaltsführung (beides „Muß“-Vorschrift):

Die Verpflichtung zu einer sparsamen Haushaltswirtschaft spricht das Verhältnis von Einnahmen und Ausgaben an, wobei die Ausgaben möglichst gering zu  halten sind, ohne jedoch die Aufgabenerfüllung zu  vernachlässigen. Die Verpflichtung zur wirtschaftlichen Haushaltsführung bezieht sich insbesondere auf das Verhältnis von Aufwand und Nutzen (Nutzen-Kosten-Analyse): Ein Auto kann billig sein, aber viel Kraftstoff verbrauchen.

Minimalprinzip: Mit dem geringsten Aufwand ein vorgegebenes Ziel erreichen.

Maximalprinzip: Mit gegebenen Mitteln den größtmöglichen Erfolg erzielen.

 

IV. Haushaltsausgleich:

Für eine geordnete Finanzwirtschaft ist es selbstverständlich, daß sich Einnahmen und Ausgaben ausgleichen. Da der Haushaltausgleich auch die Haushaltsrechnung umfaßt, ist der Haushaltsplan so auszuführen, daß beim Jahresabschluß keine Fehlbeträge entstehen. Es heißt nur noch: „Der Haushaltsplan  s o l l  in jedem Jahr ausgeglichen sein!“ (früher stand hier „muß“, § 92 HGO). Notfalls muß eine Haushaltssperre verhängt werden.

 

Zur stetigen Aufgabenverteilung gehören:

1.  Freiwillige Aufgaben: Hierzu zählen alle Aufgaben, zu deren Wahrnehmung die Gemeinde gesetzlich nicht verpflichtet ist (zum Beispiel kulturelle Aufgaben).

 

2. Weisungsfreie  Pflichtaufgaben: Die Art und Weise der Erfüllung der Aufgaben, zu deren Wahrnehmung die Gemeinde verpflichtet ist, ist freigestellt, unterliegt jedoch der Aufsicht durch die Aufsichtsbehörde (z. B. Jugendhilfe,. Sozialhilfe.

 

3.  Weisungsgebundene Pflichtaufgaben: Die Gemeinden sind nicht nur zur Aufgabenerfüllung verpflichtet, sondern auch die Art und Weise der Aufgabenerfüllung ist vorgeschrieben (z. B. Aufgaben der örtlichen Ordnungsbehörde).

 

4. Auftragsangelegenheiten: Das sind Aufgaben, die grundsätzlich in der Zuständigkeit und der Trägerschaft von Bund und Land liegen. Die kommunalen Behörden werden nur mit der Erledigung dieser Aufgaben betraut (Wohngeld, Kindergeld).

 

Kon-

junktur-phase

Finanz-situation

Ziel der Maß-nahme

Zu ergreifende Maßnahmen

 

Öffentliche Hand

Bundesbank

Steuerpolitik

Aufschwung

Hochkonjunktur           

gut

Dämpfung des Aufschwung

weniger investieren,

weniger Schulden *, zusätzlich tilgen, sparen, Konjunktur Ausgleichsrücklage*

Diskontsatz und Mindestreserven erhöhen, Wertpapiere verkaufen

Steuern erhöhen *,  Sonderabschreibungen ausschließen

Abschwung (Rezession)

schlecht

Belebung der Konjunktur

Mehr investieren, Rücklagen verwenden und/oder Schulden machen *

Diskontsatz senken, Mindestreserven senken, Wertpapiere kaufen

Steuern senken *, Steuererleichte­r­ungen für Investitionen gewähren

* Diese Maßnahmen können von der Bundesregierung durch  Rechtsverordnungen geregelt werden (mit Zustimmung des Bundesrates und des Rundestages).

 

Modell einer konjunkturgerechten Wirtschaftspolitik: siehe Schaubild

 

Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften

 

Eigener Wirkungskreis,

Selbstverwaltungsaufgaben

 

Übertragener Wirkungskreis, Weisungsaufgaben

Pflichtaufgaben

Freiwillige Aufgaben

 

Gemeinden

Gemeinde/Landkreise

Gemeinden

Bau und Unterhaltung von Gemeindestraßen, örtlicher Brandschutz, Mülleinsammlung, Bauleitplanung, Abwasserbeseitigung

Soziale Einrichtungen (Kindergärten. Jugend- und Altenstätten), Sportanlagen, Bürgerhäuser, Büchereien, Theater, Museen, Förderung von Vereinen und Verbänden

Meldewesen, gewerberechtliche Angelegenheiten, Obdachlosenunterbringung, Paß-, Ausweiswesen, Personenstandswesen

 

Landkreise und kreisfreie Städte

Sozialhilfe, Jugendwohlfahrt, Schulträgerschaft, überörtlicher Brandschutz, Mülldeponierung

 

Bauaufsicht, Gesundheitsamt, Lastenausgleich, Wohngeld, Berufsausbildungsförderung

 

Einnahmen der Träger der öffentlichen Finanzwirtschaft

Die Träger der öffentlichen Finanzwirtschaft („öffentliche Hand“) benötigen einiges an Geld für ihre Tätigkeit. Den Gesamtbetrag an Ausgaben, der in einem bestimmten Zeitraum (in der Regel ein Haushaltsjahr) zur Erfüllung der Aufgaben geleistet werden muß, nennt man „Finanzbedarf“. Er wird durch Einnahmen der öffentlichen Hand gedeckt, die man auch als „Deckungsmittel“ bezeichnet. Die Einnahmen lassen sich wie folgt gliedern:

 

Entgelte für Leistungen:

Privatrechtliche Entgelte

Öffentlich-rechtliche Entgelte

 

 

 

Vorrangige Deckungsmittel

 

Sonstige Einnahmen

Erträge aus dem Kapitalvermögen

Entnahmen aus Rücklagen

Zuweisungen und Zuschüsse

 

Steuern

Kredite

Nachrangige Deckungsmittel

 

 

Die vorgenannte Reihenfolge entspricht der Rangfolge, die bei der Beschaffung der Einnahmen durch die Gemeinden nach § 93 HGO zu beachten ist. So dürfen Einnahmen aus Steuern nur beschafft werden, wenn die Entgelte für Leistungen und die sonstigen Einnahmen zur Deckung der Ausgaben nicht ausreichen. Kredite sind Fremdmittel, die mit der Verpflichtung zur Rückzahlung aufgenommen werden. Die Verschuldung muß das allerletzte Mittel bei der Aufgabenerfüllung bleiben, wenn eine andere Deckung nicht möglich ist oder unwirtschaftlich wäre.

 

Beispiele:

1. Im Rahmen der Aufstellung des Haushaltsplanes will die Kämmerei einer Gemeinde folgende Finanzierungen in Erwägung ziehen. Für die Unterhaltung der Gemeindestraßen gewährt das Land eine erhebliche zweckgebundene Zuweisung, die allerdings mit zumutbaren Auflagen verbunden ist (Sonstige Einnahme). Um - auch für die zukünftigen Jahre - von Auflagen unabhängig zu sein, soll auf die Zuweisung verzichtet werden und der dadurch entstehende Einnahmeausfall durch eine Anhebung der Grundsteuern gedeckt werden.            Das geht aber nicht, denn sonstige Einnahmen müssen vor den Steuern herangezogen werden und die Auflagen sind zumutbar.

2. Bei den öffentlichen Einrichtungen Bäder, Theater und Büchereien sollen Gebühren erhoben werden, die bei weitem nicht die Kosten der Einrichtungen decken. Im Rahmen der Gesamtdeckung wird die Finanzierung durch sonstige Einnahmen und Steuern sichergestellt.

Wenn die Höhe der Entgelte vertretbar hoch ist und die sonstigen Einnahmen ausreichen, kann auf die Erhöhung verzichtet werden.

3. Für den Bau des Schulzentrums werden der Gemeinde Kredite durch das Land mit einer Verzinsung von 4,5 % (feststehend) angeboten. Das notwendige Kapital steht allerdings auch in der Rücklage (Guthabenzinsen 2,5 %) bereit. Die Gemeinde gibt der Kreditfinanzierung den Vorzug und will die Rücklagemittel für eine andere Investitionsmaßnahme im folgenden Haushaltsjahr einsetzen. Das ist nicht möglich, denn die Rücklagen bringen zwar   2,5 %  Zinsen, aber die Kredite würden 4 % kosten. Also sind die Rücklagen aufzulösen. Außerdem kommen Rücklagen sowieso vor den Krediten.

 

 

Veranschlagungsgrundsätze (§ 7 GemHVO)

1. Kassenwirksamkeit:

Beim jeweiligen Haushaltsansatz dürfen nur diejenigen Einnahmen und Ausgaben veranschlagt werden, die im Haushaltsjahr voraussichtlich auch tatsächlich eingehen bzw. zu leisten sind. Die Veranschlagung wird damit nicht mehr unmittelbar von der Fälligkeit abhängig gemacht, sondern davon, wann die Beträge kassenwirksam werden. Ausnahmen: Personalausgaben, Zuführung eines Überschusses, Rechnungsabgrenzungskosten.

 

2. Bruttoveranschlagung:

Vorwegabzüge und Aufrechnungen von Einnahmen und Ausgaben sind nicht gestattet (Neues Auto voll in die Ausgabe, Erlös für das alte Auto in die Einnahme). Ausnahmen: Rückzahlung von Abgaben, Veranschlagung des Ertrags von kommunalen Eigenbetrieben.

 

3. Einzelveranschlagung: Die Einnahmen sind einzeln nach ihrem Entstehungsgrund, die  Ausgaben nach Einzelzwecken zu veranschlagen. Durch diese Bestimmung wird ausgeschlossen, daß die Einnahmen und Ausgaben in großen  Pauschalgruppenzusammengefaßt werden.

Ausnahmen: Zusammenfassung von geringfügigen Beträgen als „vermischte Einnahmen“,

Veranschlagung von Verfügungsmitteln (z.B. des Bürgermeisters) und Deckungsreserve

 

4. Haushaltswahrheit - Haushaltsklarheit:

Die im Haushaltsplan veranschlagten Einnahmen und Ausgaben sollen ein klares und der Wirklichkeit möglichst nahe kommendes Bild der finanziellen Mittel ergeben. Sollte die Festsetzung der einzelnen Haushaltsansätze nicht errechenbar sein, so sind sie gewissenhaft und sorgfältig zu schätzen. Die reine Zahlenangabe mit dem Haushaltsstellentext ermöglicht es in der Regel nicht, auf die genaue Verwendung der veranschlagten Mittel zu schließen. Daher sind die wesentlichsten Positionen entsprechend zu erläutern.

5.Vollständigkeit

Die gesamte kommunale Haushaltswirtschaft muß sich aus dem Haushaltsplan ergeben, soweit keine sondergesetzlichen Regelungen Ausnahmen zulassen. Ausnahmen: Eigenbetriebe, Krankenanstalten, durchlaufende Gelder und fremde Mittel.

 

Abschreibung (Gruppierungsziffer 270 Einnahme und 680 Ausgabe:

Das sind nur kalkulatorische Kosten, alles geschieht nur buchmäßig. Aber die Einnahme (270) muß vom Verwaltungshaushalt in den Vermögenshaushalt übertragen werden, weil der Wertverlust zur Schaffung neuer Werte führen muß. Es ist aber nicht so, daß für eine Neuanschaffung schon angespart wird, das Geld wird ja zur Deckung des Vermögenshaushalts verwendet.

 

Zweckfreie Haushaltsansätze:

-  vermischte Einnahmen und Ausgaben: geringfügige Beträge für verschiedene Zwecke

-  Deckungsreserve: Allgemeine Deckungsreserve und Deckungsreserve für Personalausgaben

-  Verfügungsmittel Mittel für unvorhersehbare persönlich nicht zumutbare dienstliche Aufwendungen für Bürgermeister, Erster Stadtrat, Stadtverordnetenvorsteher.

 

 

M ö g l i c h k e i t e n  e i n e r   b e w e g l i c h e n  H a u s h a l t s f ü h r u n g

 

Vorbemerkung: Haushaltsvermerke:

•  Zweckbindungsvermerk:

-  Typischer Zweckbindungsvermerk, der sich aus Gesetz  oder aus Natur oder Herkunft

    ergibt (§ 17,1 GemHVO).

-  Unechter Deckungsvermerk, speziell Entgelte und insbesondere Benutzungsgebühren                                                                                     (§ 17,2 GemHVO).

• Deckungsreserve

-   Einseitiger oder gegenseitiger Deckungsvermerk, sachlich enger Zusammenhang

                                                                                                          (§ 18,2)

-  Gegenseitiger Deckungsvermerk, gleicher Abschnitt oder Unterabschnitt (§ 18,3).

• Übertragbarkeitsvermerk: Forderung einer sparsamen Bewirtschaftung (§ 19,3 GemHVO)

• Sperrvermerk: Sachlicher Grund für Vorbehalte (§ 46, Nummer 11 GemHVO).

 

Ermächtigungen und ihre Grenzen

Zeitlich: Bindung an das Haushaltsjahr. Nicht verausgabte Planansätze verfallen und gelten als erspart. Ausnahme: Übertragbarkeit  gemäß § 19 GemHVO. Im Vermögenshaushaltbleiben die Mittel verfügbar bei Baumaßnahmen und Beschaffungen, längstens aber zwei Jahre (Übertragbarkeit kraft Gesetz außer Plan 9). Im Verwaltungshaushalt nur ein Jahr in Ausnahmefällen, aber nur mit Genehmigungsvermerk (auf Vorschlag der Verwaltung von der Gemeindevertretung beschlossen).

 

Sachlich: Bindung an den im Haushaltsplan veranschlagten Zweck. Ersparte Ausgaben.  Ausnahme: Echte Deckungsfähigkeit gemäß § 18 GemHVO (bei Sammelnachweisen und Personalausgaben).                 

 

Betragsmäßig: Ansätze für Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen sind Obergrenzen, d.h. nicht überschreitbare Höchstwerte. Ausnahme: Möglichkeiten der flexiblen Haushaltsführung - insbesondere § 100 HGO. Die Ansätze der Einnahmen sind hingegen Richtwerte, sie können jederzeit überschritten werden

 

 

Übertragbarkeit (§ 19 GemHVO)

Übertragbarkeit ist die durch Gesetz oder Haushaltsvermerk ausgesprochene Befugnis, die bis zum Ende des folgenden Haushaltsjahres nicht angeordneten Mittel zur späteren Verwendung in das nächste Haushaltsjahr zu übertragen.

Die Übertragung der Haushaltsmittel geht durch die Bildung von Haushaltsresten vor sich. Haushaltsreste sind Einnahme- und Ausgabeansätze, die in das  folgende Jahr übertragen werden. Die Bildung und Inanspruchnahme von Haushaltsausgaberesten ist nur zulässig, soweit der Zweck der Ausgaben fortdauert, ein sachliches Bedürfnis besteht und die  Ausgaben bei wirtschaftlicher und sparsamer Verwaltung erforderlich  sind. Ist eine erneute Veranschlagung von übertragbaren Ausgaben in ein späteres Haushaltsjahr zweckmäßiger, so ist von der Bildung von Ausgaberesten abzusehen.

In der Haushaltsrechnung ist festzustellen, welche übertragbaren Ausgabemittel noch verfügbar sind und in welcher Höhe sie als Haushaltsausgabereste in das folgende Jahr übertragen werden. Die Haushaltsreste werden im folgenden Jahr als Haushaltsreste aus Vorjahren bei den für die gleiche Zweckbestimmung veranschlagten  Ansätzen vorgetragen und verstärken dann entsprechend die dort verfügbaren Haushaltsmittel. Eine  Veranschlagung im Haushaltsplan  findet zwangsläufig nicht statt.

 

Verfahren:

In der Praxis ist die Entscheidung über die Bildung von Haushaltsresten überwiegend der für die Finanzwirtschaft der Gemeinde zuständigen Dienststelle, der Kämmerei, übertragen. Diese wird tätig aufgrund eines Antrages des Fachamtes.

1. Überlegungen des Fachamtes:

-  Entscheidung, ob die Mittel noch benötigt werden

-  Ermittlung des unter dem Ansatz noch benötigten Betrages

-  Entscheidung anhand des Haushaltsüberwachungskontos, ob Haushaltsmittel  noch verfüg-

   bar sind (über- und außerplanmäßige Ausgaben und Ausgabeberechtigungen im Rahmen

   der unechten Deckungsfähigkeit können nicht übertragen werden)

-  Prüfung, ob die Haushaltsmittel übertragbar sind.

-  Fertigung eines Antrages an die Kämmerei

2. Die Kämmerei prüft, ob die Einnahmen wie geplant zur Verfügung stehen. Übertragen werden dürfen nur Mittel, wenn der Haushalt am Jahresende ausgeglichen war. Ist dies nicht der Fall, muß auf den Haushaltsrest verzichtet werden, eine Übertragung ist nicht möglich.

Beim Ausgleich geht es aber nicht darum, was tatsächlich in der Kasse ist, sondern daß haushaltstechnisch ein Ausgleich möglich ist. Bewilligte Zusagen zum Beispiel sind schon haushaltswirksam, auch wenn sie noch nicht in der Kasse sind. Es geht immer um den Ausgleich des gesamten Haushalts

3. Die Entscheidung fällt der Gemeindevorstand, eine Anordnung wird erstellt. Im alten Haushaltsjahr wird vermerkt: „Die Mittel wurden übertragen“. Im neuen Haushaltsjahr werden die Mittel vorgetragen als zusätzliche Investitionsmaßnahmen über mehrere Jahre.

Wenn zum Beispiel durch ein günstigeres Angebot ein Betrag eingespart wurde, so darf dieser nicht noch schnell zusätzlich ausgegeben werden. Darüber kann nur die Gemeindevertretung beschließen, nicht die Verwaltung. Ansonsten verfällt der eingesparte Betrag.

 

Es gibt Übertragbarkeit kraft Gesetz bei Ausgaben  im Vermögenshaushalt (§ 10 GemHVO) und bei Einnahmen aus der Kreditaufnahme, so daß ein Haushaltsausgaberest gebildet werden darf. . Dazu muß aber erst eine Verfügung getroffen werden.

Es gibt Übertragbarkeit kraft Vermerk bei Ausgaben im Verwaltungshaushalt (ausnahmsweise), so daß ein Haushaltsausgaberest gebildet werden darf. Bei zweckgebundenen Einnahmen darf dieser Haushaltsausgaberest erst gebildet werden bei Rotabsetzung.

 

Arten:

Ausgaben des Verwaltungshaushalts dürfen nur in Ausnahmefällen übertragen werden, denn die  sparsame Bewirtschaftung muß gefördert werden. Ein Übertragungsvermerk ist erforderlich (nachträgliche Anbringung oder Aufhebung im Nachtragshaushaltsplan ist möglich).

Alle Ansätze des Vermögenshaushalts dürfen übertragen werden mit der Ausnahme: Deckung von Fehlbeträgen, Zuführungen an Verwaltungshaushalt und Verpflichtungsermächtigungen.

Es ist kein Übertragungsvermerk erforderlich, denn die Übertragung geschieht kraft Gesetz, aber eine Verfügung ist erforderlich. Einnahme-Haushaltsreste gibt es nur im Vermögenshaushalt für Einnahme aus der Aufnahme von Krediten, soweit die Kreditaufnahme im folgenden Jahr gesichert ist.

 

Die Übertragung erfolgt durch…

-  Bildung von Haushaltsausgaberesten in der Haushaltsrechnung (Deckung im Abschlußergebnis)

-  Vortrag als Haushaltsausgabereste aus Vorjahren in die Haushaltsüberwachungslisten oder Sachbücher der für die gleiche Zweckbestimmung veranschlagten Ausgaben.

 

Im Verwaltungshaushalt erfolgt eine Verstärkung der Ausgabeermächtigung oder selbständige Ausgabeermächtigung, verfügbar bis zum Ende des folgenden Haushaltsjahres.

Im Vermögenshaushalt erfolgt die Verstärkung der Ausgabeermächtigung oder selbständige Ausgabeermächtigung, verfügbar bis zur Fälligkeit der letzten Zahlung oder bei Baumaßnahmen und Beschaffungen längstens zwei Jahre nach Schluß des Haushaltsjahres, in dem der Bau oder Gegenstand in seinen wesentlichsten Teilen in Benutzung genommen worden ist.

Nach Ablauf der Verfügbarkeit gelten nicht verwendete Mittel als erspart !

 

 

Echte Deckungsfähigkeit (§ 18 GemHVO)

Deckungsfähigkeit gibt es nur bei Ausgabehaushaltsstellen, das heißt man darf Ausgaben in gewissem Rahmen auch für andere Zwecke ausgeben als im Haushaltsplan vorgesehen. Die Vermerke werden mit dem Haushaltsplan genehmigt.

 

Arten der Deckungsfähigkeit:

Gegenseitige Deckungsfähigkeit:

Zwei oder mehrere Ausgabehaushaltsstellen sind untereinander sowohl deckungsberechtigt (empfangen) als auch deckungsverpflichtet (abgeben), also Mehrausgaben zu Lasten von Minderausgaben zu tätigen. Deckungsverpflichtet ist die Haushaltsstelle, bei der Mittel eingespart werden können. Es muß aber feststehen, daß diese eingesparten Mittel tatsächlich bis zum Bücherabschluß am 31. Dezember nicht mehr für ihren eigentlich veranschlagten Zweck benötigt werden. Deckungsberechtigt ist die Haushaltsstelle, bei der die im Haushaltsplan veranschlagten Mittel nicht ausreichen.

Einseitige Deckungsfähigkeit:

Hier ist eine Ausgabehaushaltsstelle zugunsten einer oder mehrerer anderer Haushaltsstellen deckungsverpflichtet. Sie ist aber nicht deckungsberechtigt. Die einseitige Deckungsfähigkeit ist im Vermögenshaushalt ausgeschlossen.

 

Deckungsfähigkeit kraft Gesetz  (geborene Deckungsfähigkeit):

-  Ausgaben, die in Sammelnachweisen (§ 8 GemHVO) zusammengefaßt sind. Sammelnachweise haben außer der gleichen Hauptgruppe  auch die gleiche Gruppe oder es besteht ein enger sachlicher Zusammenhang.

-  Personalausgaben, auch wenn sie nicht im Sammelnachweis veranschlagt sind.  Personalausgaben sind eine Form des Sammelnachweises, der die Hauptgruppe 4 umfaßt.

Hier ist kein Vermerk im Haushaltsplan erforderlich, es sei denn, die Gemeindevertretung will die kraft Gesetz wirkende Deckungsfähigkeit einschränken. Die Deckungsfähigkeit kraft Gesetz ist immer gegenseitig (also immer möglich).

 

Deckungsfähigkeit kraft Vermerk im Haushaltsplan (gekorene Deckungsfähigkeit):

Sie kann eine gegenseitige oder einseitige sein. Gegenseitige Deckungsfähigkeit ist im Verwaltungshaushalt möglich, wenn ein sachlich enger Zusammenhang besteht. Der enge sachliche Zusammenhang besteht bei Ausgaben, die von der Verwendung her gleichartig sind. Dies trifft immer dann zu, wenn sie gleichen Gruppen  nach dem Gruppierungsplan angehören.  Es ist immer zu überprüfen, ob Unterabschnitte verbindlich vorgeschrieben sind. Trifft dies zu, so können innerhalb jedes einzelnen Unterabschnitts die Ausgaben für gegenseitig deckungsfähig erklärt werden. Weist der Gliederungsplan keine Unterabschnitte aus, so können die Ausgaben eines Abschnitts für gegenseitig deckungsfähig erklärt werden.

Verfügungsmittel können nicht für deckungsfähig erklärt werden.

 

Echte Deckungsfähigkeit

Kraft Gesetz

Kraft Vermerk

gegenseitig

gegenseitig oder einseitig

Verwaltungshaushalt

Verwaltungshaushalt: Ausgaben, die sachlich eng zusammengehören (gleiche Gruppe)

- Sammelnachweise

- Personalausgaben

Vermögenshaushalt: Ausgaben eines Abschnitts oder verbindlichen Unterabschnitts,

nur gegenseitig

 

Beispiele für Deckungsfähigkeit:

Verwaltungshaushalt:

Personalausgaben (Hauptgruppe 4) : alle untereinander deckungsfähig

210 . 414 Grundschule, Angestelltenvergütung

030 . 410 Beamte der Kämmerei

771 . 415 Arbeiter

210 . 444 Sozialversicherung für Angestellte

Sammelnachweise:

230. 500

230..520

7Nicht deckungsfähig

230 . 541 230 . 542 230 . 550 230 . 522

 

Vermögenshaushalt:  Untereinader deckungsfähig, weil gleiche Gliederungsziffer

210.932 210 . 935 210.950 210 . 982           

Sammelnachweis: Unterhalt von Grundstücken

 

Gegenseitige Deckungsfähigkeit innerhalb der gleichen Zweckbestimmung (z.B. 540),

gegenseitige Deckungsfähigkeit der verschiedenen Zweckbestimmungen untereinander (z.B. 540.541.542) , aber die geplante Endsumme des Sammelnachweises muß bleiben!

 

Beachte: Wird der Deckungsvermerk in Anspruch genommen und entsprechend verfügt, dann ist bei b e i d e n Haushaltstellen ein Vermerk zu machen, daß vom Plan abgewichen wurde.

Wenn beide Stellen ihre Mittel benötigen, greift die Deckungsfähigkeit nicht, da hilft höch­stens noch der Nachtragshaushalt.

 

Beispiel:

Mitte Oktober 1992 erkennt der Haushaltssachbearbeiter bei der Prüfung der Haushaltsüberwachungslisten, daß der Haushaltsansatz bei der Haushaltsstelle 410.730 (Hilfe zur Pflege ) bis Jahrsende nicht ausreicht. Da unerwartete Pflegefälle eingetreten sind muß mit Mehrausgaben in Höhe von 5.000 Eurogerechnet werden. Das Haushaltssoll bei der Haushaltsstelle 410.730 beträgt 90.000 Euro. Bei der Haushaltsstelle 410.732 (Krankenhilfe) können dagegen bis zum Ende des Jahres mit Sicherheit etwa 8.500 Euro eingespart werden, da die Zahl der Krankenhilfeempfänger wider Erwarten zurückgegangen ist. Das Haushaltssoll dieser Haushaltsstelle beträgt 60.000 Euro. Hier gilt die echte Deckungsfähigkeit kraft Vermerk.

 

 

Unechte Deckungsfähigkeit (Zweckbindungsvermerk (§ 17 GemHVO):

Eine unechte Deckungsfähigkeit gibt es bei gleicher Zweckbestimmung (gleiche Gliederungsziffer). Diese kommt zustande durch gleiche Herkunft (zum Beispiel Spende) oder durch Gesetz (zum Beispiel Mittel zur Asylantenbetreuung). Dann dürfen Mehreinnahmen zugunsten von Mehrausgaben verwendet werden, aber die Mittel müssen jeweils im laufenden Jahr verbraucht werden.

Die zweite Möglichkeit für unechte Deckungsfähigkeit sind die Einnahmen für Entgelte in den Gebührenhaushalten (Mehreinnahme bei der Müllabfuhr dürfen für Mehrausgaben verwendet werden).

Beim echten Deckungsvermerk gleicht man Ausgaben untereinander aus, beim unechten Deckungsvermerk  sind eine oder mehrere Einnahmestellen auf eine (verwandte) Ausgabestelle bezogen.

Aber auch bei unechter Deckungsfähigkeit ist ein Vermerk im Haushaltsplan erforderlich. Wenn er fehlt, ist eine Genehmigung durch den Nachtragshaushalt erforderlich. Gleichen sich Einnahmen und Ausgaben aus und liegt ein unechter Deckungsvermerk vor, braucht man keinen Nachtragshaushalt und keinen Beschluß gemäß § 100 HGO (außerplanmäßige Ausgaben). Die unechte Deckungsfähigkeit gibt so die Möglichkeit zu einer beweglichen Haushaltsführung, so daß kein Beschluß über eine überplanmäßige Ausgabe notwendig ist. Voraussetzung ist aber:

-  Der zweckbestimmte Ausgabeansatz ist erschöpft

-  Eine unechte Deckungsfähigkeit ist möglich (gleiche Zweckbestimmung)

-  Ein Zweckbindungsvermerk ist im Haushaltsplan angebracht

-  Die Mehreinnahme bei der zweckgebundenen Einnahme ist tatsächlich vorhanden

-  Es liegt kein negativer unechter Deckungsvermerk vor

-  Die Erhöhung der Ausgabeermächtigung wird in der Haushaltsüberwachungsliste

   vermerkt.

Eine echte Deckungsmöglichkeit geht  v  o r  dem unechten Deckungsvermerk. Mit der echten Deckungsfähigkeit ist man auch flexibler. Unechte Deckungsvermerke sollen die Ausnahme bleiben. Sie sind nur möglich, wenn die Herkunft es gestattet oder ein Gebührenhaushalt vorliegt.

 

Beispiel aus dem Vermögenshaushalt:

Einnahme: 220 . 367  =   2.500 Euro Spende der Eltern

Ausgabe:   220 . 932  = 10.000 Echter Deckungsvermerk für die drei Abschnitte 220.

                  220 .  935  =   5.000 Unechter Deckungsvermerk von 220.367 zu 220.935

                 220.  950    = 120.000 (nur aus dem Sachverhalt geht hervor, daß es um die gleiche Sache geht).

 

Die Berechtigung zur Ausgabe bedeutet nicht, daß ausgegeben werden muß. Wenn man etwas Preiswerteres erhält, hat man gespart. Wenn mit eine echten Deckungsvermerk das Problem zu lösen ist, macht man das so. Wird der unechte Deckungsvermerk gebraucht, wird er herangezogen. Geht eine Spende ein, die nicht verbraucht wird, kommt sie dem Gesamthaushalt zugute, falls nicht ein Spender das ausdrücklich ausgeschlossen hat. Falsch ist es jedoch, die Spende auf ein Verwahrkonto zu nehmen, denn dieses ist nur für durchlaufende Gelder.

 

Beispiele:

1. Wenn bei einer Anschaffung von 3.000 Euro nur 2.500 Euro an Spenden eingehen, müssen 500 Euro aus allgemeinen Mitteln bestritten werden. Kostet die Anschaffung dann 4.000 Euro, so bleibt der Haushaltsansatz von 3.000 Euro bestehen. Gehen aber 3.500 Euro ein, so können diese auch ausgegeben werden. Hat die Gemeinde 3.000 Euro zugesagt und 2.000 Euro sollen durch Spenden aufgebracht werden, bleibt es bei den 3.000 Euro Zuschuß, auch wenn 2.500 Euro eingehen (der Zuschuß wird nicht gekürzt). Es dürfen also 5.500 Euro ausgegeben werden. Falls aber nur 5.000 Euro ausgegeben werden können, vermindert sich der Zuschuß der Gemeinde.

2.  Die Eltern von Schülern der Realschule haben für die Beschaffung eines Beamers der Schule im 2.500 Euro zur Verfügung gestellt. Die Ausgaben für die Anschaffung betragen 3.950 Euro. Im ersten Nachtragshaushaltsplan werden deshalb 3.950 Euro in der Ausgabe und 2.500 Euro in der Einnahme veranschlagt. Die Gemeindevertretung hat den Zweckbindungsvermerk mit dem Haushaltsplan beschlossen. Kurze Zeit später überweisen die Eltern weitere 400 Euro, die sie bei einem Schulfest eingenommen haben. Sie bitten, für diesen Betrag ein Zusatzgerät zu kaufen. Für diesen Betrag muß nicht die Zustimmung zur Leistung einer überplanmäßigen Ausgabe eingeholt werden, weil ja ein unechter Deckungsvermerk vorliegt.

Der Vermerk wurde vorsorglich angebracht, obwohl noch gar nicht feststand, ob Spenden eingehen. Der Planansatz ermächtigte aber zu der Ausgabe, unabhängig von den Einnahmen. Wenn der unechte Deckungsvermerk fehlt und es gehen mehr als 2.500 Euro ein, so geht der überschüssige Betrag im Gesamthaushalt unter. Ist aber der Deckungsvermerk gemacht, kann der Mehrbetrag zusätzlich ausgegeben werden, zum Beispiel für ein Zusatzgerät (aber nicht für einen ganz anderen Zweck).

 

 

Über - oder außerplanmäßigen Ausgaben

Man unterscheidet außerplanmäßige Ausgaben, für deren Zweck im Haushaltsplan keine Mittel veranschlagt und keime Haushaltsreste verfügbar sind, und überplanmäßige Ausgaben, die die im Haushaltsplan veranschlagten Beträge und die Haushaltsreste übersteigen.

Es besteht das Gesamtdeckungsprinzip (§ 16). Aber erst der Gesamthaushalt muß ausgeglichen sein, nicht jeder Unterabschnitt. Im Verwaltungshaushalt gibt es immer in den Einzelplänen 0 bis 8 einen Mehrbedarf (eine Mehreinnahme aber sind die Kredite, die aber nicht für ein bestimmtes Projekt aufgenommen werden, sondern im Einzelplan 9 gebucht werden).

 

Voraussetzungen für die Leistung  von zusätzlichen Ausgaben (§ 100 HGO):

Mehrbedarf nur bei einzelnen Haushaltsstellen

1. Sie müssen unvorhergesehen sein (nach Verabschiedung des  Haushaltsplans, zum Beispiel Auto durch Unfall zerstört).        

2. Sie müssen unabweisbar sein (zum Beispiel wenn die Gemeinde sich vertraglich verpflichtet hat, die Hälfte der Kosten zu tragen, oder in einem Katastrophenfall, also wenn die Ausgabe nicht ohne Schaden für die Gemeinde aufgeschoben werden kann)

-  unabwendbar: sachliche Notwendigkeit zur Durchführung der Maßnahme

-  unaufschiebbar: zeitlich nicht verschiebbar.

3. Die Deckung muß gewährleistet sein:

-  Verwaltungshaushalt: Mehreinnahmen, Ausgabeeinsparung, Deckungsreserve.

-  Vermögenshaushalt: Mehreinnahmen (ohne Zweckbindungsvermerk), Einsparungen.

 

Deckungsreserven gibt es nur im Verwaltungshaushalt, und zwar für Personalkosten (914.470) und für übrige Ausgaben (914.850). Die Mittel bleiben hier aber stehen. Die Ausgaben werden zwar höher, aber die Einnahmeansätze werden nicht erhöht. Einnahmen und Ausgaben gleichen sich nur insgesamt im Haushalt aus.

 

Verfahren:

Das Fachamt stellt eine Antrag an die Kämmerei. Diese prüft, ob noch eine Deckungsreserve vorhanden ist. Ein Beschluß muß gefaßt werden, sobald der Sachverhalt bekannt ist und bevor die Ausgabe getätigt wurde. Und alle haushaltsrechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, auch wenn in der Praxis zwei Drittel der Beschlüsse nachträglich gefaßt werden.

Entscheidungsbefugnis hat der Gemeindevorstand, sofern die Gemeindevertretung keine andere Regelung trifft, zum Beispiel im § 7 der Haushaltssatzung. Entscheidet der Gemeindevorstand, so ist die Gemeindevertretung davon alsbald in Kenntnis zu setzen, zum Beispiel vierteljährlich

Wenn die Ausgaben nach Umfang oder Bedeutung erheblich sind, muß die Gemeindevertretung zustimmen. In der Hauptsatzung oder im § 7 der Haushaltssatzung kann festgelegt werden, bis zu welcher Höhe außerplanmäßige oder überplanmäßige Ausgaben als unerheblich anzusehen sind.

Ein Beschluß nach § 100 HGO  ist auch im Vermögenshaushalt möglich, aber dort gibt es keine Deckungsreserve.

 

Begonnene Investition (§ 100,2):

Eine überplanmäßige Ausgabe ist zulässig, wenn die Investition schon begonnen wurde und die Fortsetzung im nächsten Jahr im Finanzplan eingeplant ist. Günstig ist, wenn eine Deckung im Vermögenshaushalt möglich ist. Dann muß aber bei einer anderen Investition ein Betrag echt eingespart worden sein. Wurde ein Betrag nicht ausgegeben, der im nächsten Jahr gebraucht wird, so muß dafür ein Haushaltsrest gebildet werden. Dieser kann kassenmäßig zur Deckung eines Fehlbetrags genommen werden, um einen Kassenkredit zu ersparen; aber buchmäßig bleibt der Fehlbetrag. Dann muß entweder der Fehlbetrag in der Rechnung stehen bleiben und im folgenden Jahr gedeckt werden. Oder es muß doch ein Kassenkredit aufgenommen werden.

 

Beispiel:

Die Gemeinde hat seit Jahren einen Vertrag mit einem Privatunternehmen für die Reinigung des Rathauses. Auf der Haushaltsstelle 060.543 sind im Haushaltsplan dem geltenden Vertrag entsprechend  96.000 Euro veranschlagt. Der Unternehmer teilt der Gemeinde im Februar des Jahres mit, daß sich auf Grund neuer Tarifverträge und Materialverteuerungen die Reinigungskosten ab dem 1. April um monatlich 500 Euro erhöhen auf 4.500 Euro. Rechtlich ist dagegen nichts einzuwenden, der Vertrag soll nicht gekündigt werden.

Im Rathaus sollen in diesem Jahr auch noch Schönheitsreparaturen durchgeführt werden. Dafür sind auf der Haushaltsstelle 60.500 Euro veranschlagt. Aufträge sind bisher noch nicht vergeben worden.

Die veranschlagten Mittel für die Reinigung reichen noch bis Ende November aus. Aber es entsteht bezüglich der Reinigungskosten eine überplanmäßige Ausgabe. Die Haushaltssatzung enthält die Festsetzung, daß über planmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bis zu einem Betrag von 15.000 Euro als unerheblich gelten.

Das Fachamt beantragt eine Beschluß nach § 100 HGO, weil keine Deckungsfähigkeit gegeben ist. Die Kämmerei prüft  ob: unvorhergesehen (erst im Februar mitgeteilt), unabweisbar (es gibt keine billigere Firma) und Deckung (die Schönheitsreparatur ist verschiebbar, kann also herangezogen werden). Die Genehmigung erfolgt durch den Gemeindevorstand, weil der Betrag unter 15.000 Euro liegt. Aber es wird vierteljährlich eine Mitteilung an die Gemeindevertretung gemacht. In der Regel wird man die Haushaltsstelle „Schönheitsreparaturen“ ganz streichen, um Luft haben für weitere Mehrausgaben [Das ist eine beliebte Praxis, Titel einzustellen, die sowieso nicht umgesetzt werden sollen, damit man frei Hand hat für andere Pläne].

 

 

Nachtragshaushaltssatzung (§ 9i8 HGO)

Der Erlaß einer Nachtragssatzung erforderlich, wenn…

-  trotz echtem und unechtem Deckungsvermerk noch ein Fehlbetrag bleibt

-   bisher nicht veranschlagte oder zusätzliche Ausgaben bei einzelnen Haushaltsstellen in    einen Verhältnis zu den gesamten Ausgaben in erheblichem Umfang geleistet werden

-   für bisher nicht veranschlagte Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen noch    Ausgaben geleistet werden sollen

-  Neu-Einstellung ohne Stelle im Stellenplan.

Eine Nachtragshaushaltssatzung hebt die bisherige Satzung auf. Es ist das gleiche Verfahren wie bei der Haushaltssatzung erforderlich. Nur kann die Beschlußfassung bis zum 31. Dezember erfolgen. Aufgeführt werden nur die Haushaltsstellen, die geändert werden sollen. In der Satzung heißt es dann nur „vermehrt“ oder „vermindert“.

 

Die Verpflichtung zum unverzüglichen Erlaß besteht…

  • bei erheblichem Fehlbetrag, der nur durch Änderung der Haushaltssatzung beseitigt werden kann, etwa Erhöhung der Kreditaufnahmen im Vermögenshaushalt oder Erhöhung der Hebesätze für Realsteuern (nur bis 30. Juni), Einführung einer noch nicht erhobenen Realsteuer
  • bei nicht veranschlagten oder zusätzlichen Ausgaben, die als erheblich im Verhältnis zu den gesamten Ausgaben des Haushaltsplans anzusehen sind.  Die Betonung liegt auf „Ausgaben“. Jede Gemeinde entscheidet selbst, was sie unter „erheblich“ versteht.
  • für bisher nicht veranschlagte Ausgaben für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen (Betonung auf „Investitionen“)
  • bei Einstellung von Beamten, Angestellten und Arbeitern, bei deren Beförderung oder  Einstufung in eine höhere Vergütungs- oder  Lohngruppe und der Stellenplan die hierzu notwendigen Stellen nicht ausweist.

 

Ein Nachtragshaushaltsplan wird nicht erlassen…

  • bei Anordnung einer haushaltswirtschaftlichen Sperre nach § 107 HGO im Ausgabebereich -  bei Erhöhung von anderen Einnahmen

•     für unabweisbare Instandsetzungen an Bauten, auch wenn sie erheblich sind

  • im Vermögenshaushalt bei dem Erwerb von beweglichen Sachen des Anlagevermögens und für Baumaßnahmen, aber nur dann, wenn sie unerheblich sind
  • bei Änderung des Stellenplanes und der Leistung von überplanmäßigen erheblichen Mehrausgaben, die auf Grund von Änderungen des Besoldungs- und Tarifrechts erforderlich werden.
  • Umschuldung von Krediten.

 

Beispiele für eine Nachtragssatzung:

Eine Nachtragssatzung ist nicht möglich…..

1. Aufgrund der gestiegenen Bewirtschaftungskosten soll der Betriebszuschuß für das Altenheim der Katholischen Kirche von 50.000 Euro auf 65.000 Euro erhöht werden.

Kein Nachtrag, die überplanmäßige Ausgabe von nicht erheblicher Höhe (wie im Haushaltsplan festgelegt).

2. Der Gesamtansatz für die Dienst- und Versorgungsbezüge beträgt 40.000 Euro. Durch eine Änderung der Besoldung und des Angestelltentarifs entstehen Mehrausgaben von 1.800 Euro. Überplanmäßige Ausgabe.

3. Für die Berufsfeuerwehr soll ein zweites Notstromaggregat angeschafft werden.

Die Kosten hierfür belaufen sich auf  6.500 Euro. Die Mittel hierfür sind im Haushaltsplan nicht vorgesehen. Außerplanmäßige Investition

4. Der dem Deutschen Roten Kreuz  zugesagte Zuschuß für den Bau eines neuen Vereinsheim soll von 45.000 Euro auf 60.000 Euro erhöht werden. Überplanmäßige Ausgabe.

5. Bei einer routinemäßigen Kontrolle des Dachstuhls des Rathauses werden erhebliche Mängel festgestellt. Schnelle Abhilfe ist erforderlich, da sonst Einsturzgefahr besteht. Nach eingehender Prüfung sind zur Beseitigung der Schäden rund  375.000 Euro erforderlich. Für die Unterhaltung des Rathauses waren 300.000 Euro veranschlagt und bis auf 15.000 Euro bereits verausgabt. Die Instandsetzungsarbeiten sind zwar erheblich, aber unabweisbar.

6. Vor der Gesamtschule soll eine Schulbus-Wartehalle eingerichtet werden. Für diese Investitionsmaßnahme entstehen Kosten in Höhe von 18.000 Euro. Mittel hierfür sind im Haushaltsplan nicht vorgesehen Außerplanmäßige Investition, aber unerheblich

7.  Die Ausgaben für Fortbildungsmaßnahmen sollen von 350.000 Euro auf 420.000 Euro  erhöht werden. Überplanmäßige Ausgabe, aber unerheblich

 

Eine Nachtragssatzung ist erforderlich:

1. Für den Bau des Sportzentrums sind im Haushaltsplan 9 Millionen Euro veranschlagt. Durch Baukostensteigerung werden sich die Kosten für diese Investition auf 9, 5 Millionen erhöhen. Überplanmäßige Ausgabe über der Erheblichkeitsgrenze.

2. Zum Transport von Behinderten soll für die zuständige Fachstelle des Sozialamtes ein entsprechendes Spezialfahrzeug beschafft werden. Nach den eingeholten Unterlagen sind hierfür etwa. 37.000Euro erforderlich. Mittel hierfür sind im Vermögenshaushalt nicht veranschlagt. Investition über 25.000 Euro.  Erhebliche Investition

3.   Die für den Erwerb von Grundstücken eingeplanten Mittel in Höhe von 7.500.000 Euro reichen - durch Preissteigerungen bedingt - nicht aus. Es werden weitere 500.000 Euro benötigt.

 

Regelungen, die im § 7 der Haushaltssatzung festgelegt werden können

1.)  Allgemeine Ausgabesperren und Regelungen über Stellenbesetzungen.

Einwilligung des Gemeindevorstands erforderlich bei

a) Inanspruchnahme von Ausgabeansätzen

b) Inanspruchnahme von Verpflichtungsermächtigungen

c) Besetzung von Planstellen

 

2.) Festlegung von Erheblichkeitsgrenzen:

a)  Unerhebliche Ausgaben für bewegliche Sachen des Anlagevermögens und Baumaßnahmen (Untergruppe 940 bis 960) als Ausnahme von der zwingenden Vorschrift zum Erlaß einer Nachtragssatzung ( § 98 Absatz 3 Nr. 1 HGO).

b.) Ausgaben bei einzelnen  Haushaltsstellen in erheblichem Umfang, die zum Erlaß einer Nachtragssatzung zwingen (§ 98 Absatz 2 Nr.2)

c) Über- oder außerplanmäßige Ausgaben, die nach Umfang (Höhe des Betrags) oder Bedeutung (unabhängig von der Betragshöhe)  die Zustimmung der Gemeindevertretung erforderlich machen (§ 100 Absatz 1, Satz 3).

3.) Die Feststellung des Stellenplanes ist gemäß Muster 1 und 2 zur Gemeindehaushaltsverordnung im § 6 der Haushaltssatzung zwingend vorgeschrieben.

 

Solche Regelungen sind getroffen worden, damit der Gemeindevorstand nicht macht, was er will, sonst erklärt er auch die Ausgaben von einer Million als unerheblich. Es geht bei den Möglichkeiten zu einer beweglichen Haushaltsführung um einen vernünftigen Kompromiß zwischen den Rechten des Parlaments und der Praktikabilität des Haushalts.

 

 

Vorläufige Haushaltsführung

Die Haushaltssatzung soll vor Beginn des neuen Haushaltsjahres beschlossen sein und einen Monat vor Beginn des Haushaltsjahres der Aufsichtsbehörde vorliegen (Prinzip der Vorherig­keit). Wenn die neue Haushaltssatzung bei Beginn des Haushaltsjahres noch nicht bekannt­gemacht ist, besteht in der Gemeinde  keine gültige Haushaltssatzung und kein verbindlicher Haushaltsplan mehr. Die Haushaltswirtschaft muß dann vorläufig weitergeführt werden. Damit auch weiterhin die Erfüllung der gemeindlichen Aufgaben sichergestellt ist, sind gewisse Nachwirkungen der alten Haushaltssatzung und Vorgriffe auf die neue Haushaltssatzung möglich.

In dieser haushaltslosen Zeit bestehen folgende haushaltsrechtliche Ermächtigungen:

  • Die Gemeinde darf Ausgaben leisten, zu denen sie rechtlich verpflichtet ist oder die für die Weiterführung notwendiger Aufgaben unaufschiebbar sind. Rechtlich verpflichtet heißt:: durch Gesetz, Vertrag, Satzung oder sonstige privatrechtliche oder öffentlich rechtliche Vereinbarungen. Unaufschiebbar heißt: Die Zahlung muß zeitlich während der vorläufigen Haushaltsführung geleistet werden. Kann die Zahlung ohne Nachteile für die Gemeinde nach der Bekanntmachung der Haushaltssatzung erfolgen, gilt sie als aufschiebbar. Dazu gehört auch die Fortsetzung von Maßnahmen des Vermögenshaushalts, für die im Haushaltsplan eines Vorjahres Beträge vorgesehen waren, aber neuen Investitionen sind nicht möglich.
  • Die Abgaben dürfen nach den Sätzen des Vorjahres erhoben werden. Die  Steuerhebesätze gemäß § 5 der Vorjahressatzung wirken also nach. Rückwirkende höhere Steuerhebesätze dürfen bis 30. Juni beschlossen werden.
  • Kredite, die in den vergangenen Jahren für Investitionen und Investitionsförderungsmaßnahmen aufgenommen wurden, dürfen umgeschuldet werden.
  • Falls die Deckungsmittel für die Fortsetzung der Leistungen des Vermögenshaushalts ausreichen, darf die Gemeinde mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde  Kredite bis zu einem  Viertel des Gesamtbetrages der in der Haushaltssatzung des Vorjahres festgesetzten Kredite aufnehmen.
  • Die Kreditermächtigungen  der Vorjahressatzung gelten wegen der Zweijährigkeit dieser Ermächtigung auch weiterhin. Ferner darf die Gemeinde noch nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen aus der Haushaltssatzung des vorvorherigen Jahres ausnutzen.
  • Verpflichtungsermächtigungen nach der Vorjahressatzung dürfen ebenfalls noch in Anspruch genommen werden
  • Falls eine Verstärkung des Kassenbestandes erforderlich ist, dürfen im Rahmen der Ermächtigung nach der Vorjahressatzung auch Kassenkredite aufgenommen werden.

Die nach diesen Ermächtigungen geleisteten Ausgaben, erhobenen Einnahmen und aufgenommenen Kredite werden auf die Beträge angerechnet, die in der noch zu erlassenden neuen Haushaltssatzung festgesetzt werden. Es ist also erforderlich, daß die neue Satzung mindestens in dieser Höhe auch tatsächlich Ermächtigungen vorsieht

 

 

Haushaltsausgleich

Der Haushalt der Gemeinde soll nach § 92 HGO bei der Planung und auch bei der Ausführung in jedem Haushaltsjahr in Einnahme und Ausgabe ausgeglichen sein. Gleiches gilt

auch für den Finanzplan der mittelfristigen Finanzplanung. Nur wenn auf Dauer sichergestellt werden kann, daß die erreichbaren Einnahmen zur Deckung der erforderlichen Ausgaben ausreichen, ist die stetige Erfüllung der Aufgaben der Gemeinde gesichert.

Wenn bei der Aufstellung des Haushaltsplans der Haushaltsausgleich gefährdet ist, sind die Ausgaben auf das unbedingt notwendige Maß zu beschranken. Die zur Deckung der erforderlichen Ausgaben benötigten Einnahmen hat die Gemeinde zu beschaffen. Zur Deckung möglicher Ausgabeüberschreitungen im Verwaltungshaushalt kann vorsorglich eine Deckungsreserve veranschlagt werden

Bei der Ausführung des Haushaltsplans im Laufe des Haushaltsplanes muß darauf geachtet werden, daß der Ausgleich  zwischen Einnahmen und Ausgaben beibehalten wird. Die veranschlagten Betrage müssen deshalb planmüßig bewirtschaftet werden. Zu diesem Zweck sind die im folgenden Abschnitt behandelten besonderen Vorschriften zu beachten. Über- und außerplanmäßige Ausgaben dürfen nur bewilligt werden, wenn dir Deckung gewährleistet ist Falls trotz Ausnutzung jeder Sparmöglichkeit ein erheblicher Fehlbetrag droht, muß eventuell eine Nachtragssatzung erlassen werden

Der Ausgleich des Haushalts wird im Rahmen des  Gesamtdeckungsprinzips wird gesondert für den Verwaltungs- und Vermögenshaushalt herbeigeführt. Zu diesem Zweck sind Ausgleichsverrechnungen zwischen dem Verwaltungshaushalt, dem Vermögenshaushalt und der allgemeinen Rücklage zu veranschlagen und durchzuführen. 

 

Behandlung von Überschüssen:

Normalerweise wird der Verwaltungshaushalt einen Einnahmeüberschuß haben. Die im Verwaltungshaushalt zur Deckung der Ausgaben nicht  benötigten Einnahmen sind dem Vermögenshaushalt zuzuführen. Die Zuführung muß mindestens so hoch sein, daß damit die Kreditbeschaffungskosten und die ordentliche Tilgung gedeckt werden können, soweit für diese Ausgaben keine Einnahmen des Vermögenshaushalts mit Ausnahme der Einnahmen aus Krediten und inneren Darlehen zur Verfügung stehen. Durch diese Mindestzuführung soll sichergestellt werden, daß keine neuen Kredite zur Finanzierung der Kreditbeschaffungskosten und der ordentlichen Tilgung herangezogen werden. Die Zuführung soll ferner die Ansammlung von Rücklagen ermöglichen und mindestens den aus speziellem Entgehen gedeckten Abschreibungen bei kostenrechnenden Einrichtungen entsprechen.

Die im Vermögenshaushalt zur Deckung der Ausgaben nicht benötigten Einnahmen sind der allgemeinen Rücklage zuzuführen Ein beim Rechnungsabschluß ermittelter Überschuß ist noch in der abzuschließenden Jahresrechnung an die allgemeine Rücklage abzuführen. Die Ausweisung eines Überschusses ist also weder bei der Planung noch bei der Rechnungslegung zulässig

 

Vermeidung von Fehlbeträgen:

Zur Deckung des Ausgabebedarfs  des Vermögenshaushalts dürfen - soweit möglich -Mittel aus der allgemeinen Rücklage entnommen werden. Dabei ist jedoch zu beachten. daß der zur Sicherung der Zahlungsbereitschaft der Gemeindekasse vorgeschriebene Mindestbestand nicht; unterschritten wird. Im Übrigen ist unter den Voraussetzungen der §§ 93 und 72 Kreditaufnahmen in Höhe der bestehenden Deckungslücke zulässig.

Wenn der  Ausgleich  des Verwaltungshaushalts trotz Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten und Ausnutzung jeder Sparmöglichkeit nicht erreicht werden kann, dürfen die Mittel der allgemeinen Rücklage nach § 22 GemHVO auch für Zwecke des Verwaltungshaushalts herangezogen werden. Voraussetzung ist jedoch, daß die Mittel nicht für die unabweisbare Fortführung begonnener Maßnahmen benötigt werden und die Kassenliquidität nicht beein­trächtigt wird. Die Entnahmen aus der Rücklage müssen auch in diesem Falle nach der zwingenden Vorschrift des § 1, Absatz 1 GemHVO als Einnahmen im Vermögenshaushalt veranschlagt und dann an den Verwaltungshaushalt abgeliefert werden.

Unter den genannten Voraussetzungen können eventuell auch Erlöse aus der Veräußerung von Vermögensgegenständen zum Ausgleich des Verwaltungshaushalts herangezogen werden, wobei jedoch einer ausreichenden Ansammlung der allgemeinen Rücklage der Vorzug zu geben ist. Im Übrigen ist zu beachten. daß auch bei Gefährdung des Haushaltsausgleichs die Mindestzuführung des Verwaltungshaushalts an den Vermögenshaushalt durchgeführt werden muß

Fehlbeträge sind also möglichst zu vermeiden, aber weder im Verwaltungshaushalt noch im Vermögenshaushalt absolut auszuschließen Dem trägt auch die Gemeindeordnung dadurch Rechnung, daß der Grundsatz des Haushaltsausgleichs nicht als Mußvorschrift. sondern nur als Sollvorschrift bezeichnet worden ist

 

Deckung von Fehlbeträgen:

Ein Fehlbetrag entsteht dann, wenn in der Haushaltsrechnung  die Sollausgaben unter Einbeziehung der Haushaltsausgabereste höher sind als die Solleinnahmen unter Berücksichtigung der Haushaltseinnahmereste. In Höhe dieses Fehlbetrages sind die Ausgaben des Haushaltsjahres nicht durch Einnahmen gedeckt. Es muß sichergestellt werden, daß die Deckung des Fehlbetrages unverzüglich durch die Einnahmen eines folgenden Haushaltsjahres nachgeholt wird.  Nach § 23 GemHVO muß deshalb der Fehlbetrag spätestens im zweiten, bei einer Haushaltssatzung für zwei Jahre spätestens im dritten dem Haushaltsjahr folgenden Jahr als Ausgabe im Haushaltsplan veranschlagt und anschließend buchungsmäßig abgewickelt werden.

Da sich der Fehlbetrag erst beim Rechnungsabschluß ergibt und das neue Haushaltsjahr dann schon begonnen hat, ist die Veranschlagung frühestens in einem Nachtragsplan des Folgejahres möglich. Falls der Fehlbetrag durch überplanmäßige Ausgaben bei fortzusetzenden Investitionsmaßnahmen entstanden ist, muß er bereits im  folgenden Jahr abgedeckt werden.

 

[In diesen Vorschriften wird sehr schön beschrieben, wie es mit der Haushaltsführung sein sollte. Aber in der Praxis wird das längst anders gehandhabt, denn fast alle Gemeinden sind hochverschuldet. Den Aufsichtsbehörden bleibt gar nichts übrig, als trotz immer höher werdenden Defizits zu genehmigen. Die Haushalte werden oft erst am Ende des vorhergehenden Jahres oder auch erst im laufenden Jahr verabschiedet. Es kommt zur vorläufigen Haushaltsführung, die das Leben in der Gemeinde teilweise lähmt. Aber das Problem wird dadurch nicht besser.

Die Hessische Landesregierung hat deshalb im Jahr 2013 besonders verschuldeten Gemeinden einen „Schutzschirm“ angeboten: Das Land übernimmt dabei die Hälfte der Kosten, macht aber harte  Auflagen für die Zukunft. Manche Gemeinden, die es nötig gehabt hätten, haben aber den Schutzschirm abgelehnt wegen der Auflagen. Aber bei ihnen wird auf die Dauer auch eine Lösung gefunden werden müssen. Nur leider denkt man dabei meist nicht an die Einschränkung der Ausgaben, sondern greift zum Mittel der Erhöhung der (Gemeinde-- Steuern und Gebühren].

 

 

 

Anhang:

Gliederungsplan für die Haushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände

§ 5, Absatz 3 GemHVO, Muster 10 (leicht gekürzt)

 

Einstellung der Einzelpläne:

0  Allgemeine Verwaltung

1   Öffentliche Sicherheit und Ordnung

2   Schulen

3   Wissenschaft. Forschung, Kulturpflege

4   Soziale Sicherung

5   Gesundheit, Sport, Erholung

6   Bau- und Wohnungswesen, Verkehr

7   Öffentliche Einrichtungen, Wirtschaftsförderung

8   Wirtschaftliche Unternehmen, allgemeine Grund- und Sondervermögen

9   Allgemeine Finanzwirtschaft

 

           

Einzelplan

Abschnitt

U- Abschn.

Bezeichnung

0

 

Allgemeine Verwaltung

 

00

 

Gemeindeorgane

 

01

 

Rechnungsprüfung

 

02

 

Hauptverwaltung

 

03

 

Finanzverwaltung, Steueramt

 

05

 

Besondere Dienststellen der allgem. Verwaltung

 

06

 

Einrichtungen für die gesamte Verwaltung

 

08

 

Einrichtungen für Verwaltungsangehörige

 

1

 

Öffentliche Sicherheit und Ordnung

 

11

 

Öffentliche Ordnung

 

13

 

Feuerschutz

 

14

 

Katastrophenschutz

 

15

 

Verteidigungslasten-Verwaltung

 

2

 

Schulen

 

20

 

Schulverwaltung

 

21

 

Grund- und Hauptschulen

 

22

 

Realschulen

 

23

 

Gymnasien

 

24

 

Berufliche Schulen

 

 

240

Berufliche Schulzentren

 

 

241

Berufsschulen

 

 

242

Berufsaufbauschulen

 

 

243

Berufsfachschulen

 

 

244

Fachschulen

 

 

245

Fachoberschulen

 

 

246

Berufliche Gymnasien

 

27

 

Sonderschulen

 

28

 

Gesamtschulen

 

29

 

Sonstiges

 

 

290

Schülerbeförderung

 

 

291

Ausbildungsförderung

 

 

292

Übrige schulische Aufgaben

 

 

294

Schullastenausgleich nach dem FAG

 

3

 

Wissenschaft, Forschung. Kulturpflege

 

30

 

Verwaltung kultureller Angelegenheiten

 

31

 

Wissenschaft, Forschung

 

 

310

Wissenschaftliche Museen und Sammlungen

 

 

311

Wissenschaftliche Bibliotheken

 

 

312

Sonstige Wissenschaft und Forschung

 

32

 

Museen, Sammlungen, Ausstellungen

 

33

 

Theater, Konzerte, Musikpflege

 

34

 

Sonstige Kunstpflege Volksbildung

 

35

 

Volksbildung

 

 

350

Volkshochschulen

 

 

352

Öffentliche Büchereien

 

 

355

Sonstige Volksbildung

 

36

 

Heimatpflege

 

37

 

Kirchen

 

4

 

Soziale Sicherung

 

40

 

Verwaltung der sozialen Angelegenheiten

 

 

400

Allgemeine Sozialverwaltung („Sozialamt“),

ohne Jugendhilfe, Lastenausgleich, Versicherung

 

 

407

Verwaltung der Jugendhilfe („Jugendamt“)

 

 

408

Versicherungsamt

 

 

409

Lastenausgleichsverwaltung

 

41

 

Sozialhilfe nach dem BSHG (ohne Zugewanderte)

 

 

410

Sozialhilfe, örtlicher Träger (ohne Zugewanderte)

 

 

412

Sozialhilfe, überörtlicher Träger (ohne Zugew.)

 

 

414

Tbc-Hilfe mit Bundesbeteiligung

 

 

415

Tbc-Hilfe ohne Bundesbeteiligung

 

 

416

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland, überörtlich

 

 

417

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland - Bund -—

 

 

418

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland, Aufstockung

 

42

Sozialhilfe nach dem BSHG für Zugewanderte und Ungarn

 

43

 

Einrichtungen der Sozialhilfe, Kriegsopferfürsorge

 

45

 

Jugendhilfe nach dem JWG

 

 

450

Freiwillige Erziehungshilfe

 

 

451

Fürsorgeerziehung

 

 

454

Sonstige Jugendfürsorge

 

 

456

Jugendpflege

 

46

 

Einrichtungen der Jugendhilfe

 

47

 

Förderung von anderen Trägern

 

 

470

Förderung der Wohlfahrtspflege

 

 

475

Förderung der Jugendhilfe

 

48

 

Weitere soziale Bereiche

 

 

480

Lastenausgleich

 

 

481

Allgemeine Kriegsfolgenlasten

 

 

483

Unterhaltssicherung

 

49

 

Sonstige soziale Angelegenheiten

 

5

 

Gesundheit, Sport, Erholung

 

50

 

Gesundheitsverwaltung

 

51

 

Krankenhäuser

 

54

 

Sonstige Einrichtungen der Gesundheitspflege

 

55

 

Förderung des Sports

 

56

 

Eigene Sportstätten

 

57

 

Schwimm- und Badeeinrichtungen

 

58

 

Park- und Gartenanlagen

 

59

 

Sonstige Erholungseinrichtungen

 

6

 

Bau- und Wohnungswesen und Verkehr

 

60

 

Bauverwaltung

 

61

 

Städteplanung, Vermessung, Bauordnung

 

62

 

Wohnungsbauförderung

 

63

 

Gemeindestraßen

 

65

 

Kreisstraßen

 

66

 

Bundes- und Landesstraßen

 

67

 

Straßenbeleuchtung und -reinigung

 

68

 

Parkeinrichtungen (Parkhäuser)

 

69

 

Wasserläufe, Wasserbau

 

7

 

 

Öffentliche Einrichtungen, Wirtschaftsförderung

 

70

 

Abwasserbeseitigung

 

72

 

Abfallbeseitigung

 

73

 

Märkte

 

74

 

Schlacht- und Viehhöfe

 

75

 

Bestattungswesen

 

76

 

Sonstige öffentliche Einrichtungen

 

77

 

Hilfsbetriebe der Verwaltung

 

78

 

Förderung der Land- und Forstwirtschaft

 

79

 

Fremdenverkehr, sonstige Förderung

 

8

 

 

Wirtschaftliche Unternehmen,  allgemeines Grund- und Sondervermögen

 

80

 

Verwaltung der wirtschaftlichen Unternehmen

 

81

 

Versorgungsunternehmen

 

 

810

Elektrizitätsversorgung

 

 

813

Gasversorgung

 

 

815

Wasserversorgung

 

 

816

Fernwärmeversorgung

 

 

817

Kombinierte Versorgungsunternehmen

 

82

 

Verkehrsunternehmen

 

83

 

Kombinierte Versorgungs- und Verkehrsunternehmen .

 

84

 

Unternehmen der Wirtschaftsförderung

 

85

 

Land- und forstwirtschaftliche Unternehmen

 

86

 

Kur- und Badebetriebe

 

87

 

Sonstige wirtschaftliche Unternehmen (Sparkasse)

 

88

 

Allgemeines Grundvermögen

 

89

 

Allgemeines Sondervermögen

 

9

 

 

Allgemeine Finanzwirtschaft

 

90

 

Steuern, allgemeine Zuweisungen und Umlagen

 

91

 

Sonstige allgemeine Finanzwirtschaft

 

92

 

Abwicklung der Vorjahre

                       

           

 

 

Gruppierungsplan für die  Haushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände

§ 5, Absatz 3 GemHVO, Muster 11  (leicht gekürzt)

 

Einteilung der Hauptgruppen:

Einnahmen:

0    Steuern, allgemeine Zuweisungen

1    Einnahmen aus Verwaltung und Betrieb

2    Sonstige Finanzeinnahmen

3    Einnahmen des Vermögenshaushalts

Ausgaben:

4     Personalausgaben

5/6  Sächlicher Verwaltungs- und Betriebsaufwand

7     Zuweisungen und Zuschüsse (nicht für Investitionen)

8     Sonstige Finanzausgaben

9     Ausgaben des Vermögenshaushalts

 

                       

Hauptgruppe

Gruppe

Unter-gruppe

Bezeichnung

0

 

Steuern, allgemeine Zuweisungen

 

00

 

Realsteuern

 

 

000

Grundsteuer A

 

 

001

Grundsteuer B

 

 

002

Grundsteuerbeteiligung

 

 

003

Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital

 

 

004

Lohnsummensteuer

 

01

 

Gemeindeanteil an der Einkommensteuer

 

02

 

Andere Steuern

 

 

020

Vergnügungssteuer

 

 

022

Hundesteuer

 

 

023

Getränkesteuer und Speiseeissteuer

 

 

024

Zuschlag zur Grunderwerbsteuer

 

 

025

Schankerlaubnissteuer

 

 

026

Jagd- und Fischereisteuer

 

 

027

Sonstige Steuern

 

03

 

Steuerähnliche Einnahmen

 

 

031

Abgaben von Spielbanken

 

 

032

sonstige steuerähnliche Einnahmen

 

04

 

Schlüsselzuweisungen

 

05

 

Bedarfszuweisungen

 

06

 

Sonstige allgemeine Zuweisungen

 

07

 

Allgemeine Umlagen

 

1

 

Einnahmen aus Verwaltung und Betrieb

 

10

 

Verwaltungsgebühren

 

11

 

Benutzungsgebühren  und ähnliche Entgelte

 

12

 

Zweckgebundene Abgaben

 

13

 

Einnahmen aus Verkauf

 

14

 

Mieten und Pachten

 

15

 

Sonstige Verwaltungs- und Betriebseinnahmen

 

16

 

Erstattungen von Verwaltungs-/Betriebsausgaben

 

17

 

Zuweisungen und Zuschüsse für laufende Zwecke

 

2

 

Sonstige Finanzeinnahmen

 

20

 

Zinseinnahmen

 

21

 

Gewinnanteile (Unternehmen und Beteiligungen)

 

22

 

Konzessionsabgaben

 

23

 

Schuldendiensthilfen

 

24

 

Ersatz von sozialen

 

25

 

Ersatz von sozialen Leistungen in Einrichtungen

 

26

 

Weitere Finanzeinnahmen

 

27

 

Kalkulatorische Einnahmen

 

 

270

Abschreibungen

 

 

275

Verzinsung des Anlagekapitals

 

28

 

Zuführung vom Vermögenshaushalt

 

29

 

Abwicklung der Vorjahre

 

3

 

Einnahmen des Vermögenshaushalts

 

30

 

Zuführung vorn Verwaltungshaushalt

 

31

 

Entnahmen aus Rücklagen

 

32

 

Rückflüsse von Darlehen

 

33

 

Einnahmen aus der Veräußerung von Beteiligungen und Rückflüsse von Kapitaleinlagen

 

34

 

Einnahmen aus der Veräußerung von Sachen des

Anlagevermögens

 

 

340

Grundstücke

 

 

345

bewegliche Sachen

 

35

 

Beiträge und ähnliche Entgelte

 

36

 

Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen und

Investitionsförderungsmaßnahmen

 

37

 

Einnahmen aus Krediten und inneren Darlehen

 

4

 

Personalausgaben

 

40

 

Aufwendungen für ehrenamtliche Tätigkeit

 

41

 

Dienstbezüge und dergleichen.

 

 

410

Beamte

 

 

414

Angestellte

 

 

415

Arbeiter

 

 

416

Beschäftigungsentgelte und dergleichen.

 

42

 

Versorgungsbezüge und dergleichen

 

 

420

Beamte

 

 

424

Angestellte

 

 

425

Arbeiter

 

 

428

Sonstige

 

43

 

Beiträge zu Versorgungskassen

 

 

430

Beamte

 

 

434

Angestellte

 

 

435

Arbeiter

 

 

438

Sonstige

 

44

 

Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung

 

 

440

Beamte

 

 

444

Angestellte

 

 

445

Arbeiter

 

 

448

Sonstige

 

45

 

Beihilfen, Unterstützungen und dergleichen

 

46

 

Personal-Nebenausgaben

 

47

 

Deckungsreserve für Personalausgaben

 

 

470

Vorsorglich veranschlagte Mittel (§ 11 GemHVO)

 

 

471

Deckungsreserve (§ 33 Absatz 2 GemHVO)

 

5/6

 

Sächlicher Verwaltungs- und Betriebsaufwand

 

50

 

Unterhaltung der Grundstücke und baulichen Anlagen

 

51

 

Unterhaltung des sonstigen unbeweglichen Vermögens

 

52

 

Geräte, Ausstattungs- und Ausrüstungsgegenstände, sonstige Gebrauchsgegenstände

 

53

 

Mieten und Pachten

 

54

 

Bewirtschaftung der Grundstücke und Bauten 

 

55

 

Haltung von Fahrzeugen

 

56

 

Besondere Aufwendungen für Bedienstete

 

57/63

 

Weitere Verwaltungs- und Betriebsausgaben

 

64

 

Steuern, Versicherungen, Schadensfälle

 

65

 

Geschäftsausgaben, Bürobedarf

 

 

651

Zeitschriften

 

 

652

Fernsprechgebühren

 

 

654

Dienstreisen

 

 

656

Gerichtskosten

 

66

 

Weitere allgemeine sachliche Ausgaben

 

 

660

Verfügungsmittel

 

 

661

Mitgliedsbeiträge an Verbände, Vereine, usw.

 

 

662

Sonstige

 

67

 

Erstattungen Verwaltungs- und Betriebsausgaben

 

68

 

Kalkulatorische Kosten

 

 

680

Abschreibungen

 

 

685

Verzinsung des Anlagekapitals

 

7

 

Zuweisungen und Zuschüsse (nicht für Investitionen)

 

70

 

Zuschüsse für laufende Zwecke an soziale oder ähnliche Einrichtungen

 

 

71

Zuweisungen und sonstige Zuschüsse für laufende Zwecke

 

 

72

Schuldendiensthilfen

 

 

73

Leistungen der Sozialhilfe an natürliche Personen

außerhalb von Einrichtungen

 

 

74

Leistungen der Sozialhilfe an natürliche Personen in Einrichtungen

 

 

75

Leistungen an Kriegsopfer  und ähnliche Anspruchsberechtigte

 

 

76

Leistungen der Jugendhilfe außerhalb von Einrichtungen

 

 

77

Leistungen der Jugendhilfe in Einrichtungen

 

 

78

Sonstige soziale Leistungen

 

8

 

Sonstige Finanzausgaben

 

80

 

Zinsausgaben

 

81

 

Steuerbeteiligungen

 

 

810

Gewerbesteuerumlage

 

 

815

Grundsteuerausgleich

 

82

 

Allgemeine Zuweisungen

 

83

 

Allgemeine Umlagen

 

84

 

Weitere Finanzausgaben

 

85

 

Deckungsreserve

 

 

850

Vorsorglich veranschlagte Mittel (§ 11 GemHVO)

 

 

851

Deckungsreserve (§ § 33 Abschnitt 2 GemHVO)

 

86

 

Zuführung zum Vermögenshaushalt

 

89

 

Abwicklung der Vorjahre

 

9

 

Ausgaben des Vermögenshaushalts

 

90

 

Zuführung zum Verwaltungshaushalt

 

91

 

Zuführungen an Rücklagen

 

92

 

Gewährung von Darlehen

 

93

 

Vermögenserwerb

 

 

930

Erwerb von Beteiligungen, Kapitaleinlagen

 

 

932

Erwerb von Grundstücken

 

 

935

Erwerb von beweglichen Sachen

 

 

94, 95, 96

Baumaßnahmen

 

97

 

Tilgung von Krediten, Rückzahlung von Darlehen

 

 

977

ordentliche Tilgung

 

 

978

außerordentliche Tilgung, Umschuldung

 

98

 

Zuweisungen und Zuschüsse für Investitionen

 

99

 

Sonstiges

 

 

990

Kreditbeschaffungskosten

 

 

991

Ablösung von Dauerlasten

 

 

992

Deckung von Fehlbeträgen

 

 

995

frei für abschlußtechnische Vorgänge

           

 

 

 

Inhalt: Kommunale Selbstverwaltung, Aufgaben der Bundesländer, Gemeindevertretung und Gemeindevorstand, Kommunalwahl, Terminkalender der Kommunalwahl, Sitzverteilung, Verfahren nach der Wahl, Beschlüsse durch die Gemeindevertretung, Ausschüsse, Bürgermeister.

 

 

Kommunalrecht

 

Eine Gemeinde hat ein Gebiet, Einwohner, Organe, Aufgaben

 

Einwohner ist jeder, der mit Wohnsitz gemeldet ist. Man kann also in mehreren Orten ein Einwohner sein. Bürger ist, wer Deutscher ist und mit Hauptwohnsitz sei mindestens drei Monaten in der Gemeinde gemeldet ist (§ 8 und 30).

Nach den Maastrichter Verträgen gibt es auch ein kommunales Wahlrecht für EU-Ausländer. Es gibt Ausländerbeiräte oder die kommunale Ausländervertretung (bei 1.000 Ausländern müssen sie eingerichtet werden).

 

Rechte der Einwohner: Aus Satzungen (§5), Benutzung öffentlicher Einrichtungen (§ 19 - 22) 20), Bürgerversammlung (§ 8a), Ehrenbürgerrecht (§ 28), Hinzuziehung zu Ausschüssen (§ 62), Mitgliedschaft in Kommissionen (§ 72).

Pflichten der Einwohner: Aus Satzungen, Anschlußzwang an Kanalisation, Finanzierung der Einrichtungen, persönliche Dienste (zum Beispiel im Katastrophenfall).

Für Bürger gelten weitere Recht und Pflichten:

Rechte der Bürger: Wahlrecht (§ 30.32.39.82), eine Bürgerversammlung pro Jahr  (§ 8a), Bürgerbegehren, Bürgerentscheid (§ 8b), Verleihung von Ehrenbezeichnungen (§ 28), Rechenschaftsbericht (§ 66,2).

Pflichten der Bürger: Wahrnehmung ehrenamtlicher Tätigkeiten (§ 21): Wahlhelfer, Schöffe, ehrenamtlicher Stadtrat, Standesbeamter, Bürgermeister, Helfer bei statistischen Erhebungen, Kommissionsmitglied, Schriftführer, Ortsbeirat, Ortsvorsteher.

 

Im Jahre 1968 gab es in Hessen 2.684 Gemeinden. Davon hatten 26 Prozent unter 1.000 Einwohner. Im Jahre 1989 waren es 427 Gemeinden und über 35 Prozent hatten mehr als 10.000 Einwohner. Das ist Folge der Gebietsreform in den Siebziger Jahren. Vorher kostete die Verwaltung viel Gel, war wenig effektiv und lokal beschränkt. Vieles wurde ehrenamtlich gemacht und es gab Vetternwirtschaft. Fachlich waren die Mitarbeiter vielfach überfordert.

Als ideale Größe wurden 10.000 Einwohner angenommen. Damit kann man über den örtlichen Bereich hinausgehen, man kann Fachleute anstellen und der Bürger wird gut und richtig  beraten.  Nachteile  sind die Anonymität und die langen Wege. Doch dafür gibt es Verwaltungsstellen und Sprechstunden. Selbst die alten Ortsnamen dürfen wieder an erster Stelle auf dem Ortseingangsschilder erscheinen.

 

Kommunale Selbstverwaltung

Eine Gemeinde „fördert das Wohl ihrer Einwohner in freier Selbstverwaltung“. Im Prinzip regelt die Gemeinde ihre Angelegenheiten selbständig, aber natürlich muß sie die Gesetze beachten. In der Urgesellschaft gab es eine Selbstverwaltung der Dorfgenossen. Durch die Arbeitsteilung hörte aber auch die Selbstverwaltung auf, die Menschen wurden Leibeigene. Freiheit gab es nur in den Städten. Aber auch dort gab es die Selbstverwaltung nur für die Patrizier. Diese hatten mehr Rechte durch Geburt oder durch Geld. Ganz  ausgeschlossen von der Mitbestimmung waren die Frauen (bis 1918).

In Preußen gab es seit 1808 die Preußische Städteordnung des Freiherrn vom Stein, die schon Organe der Selbstverwaltung kannte. Aber Demokratie muß von unten gemacht werden, denn die Menschen interessieren sich nur für ihr unmittelbares Umfeld.

In der Weimarer Republik versuchte man, eine Deutsche Gemeindeordnung zu schaffen. Sie trat auch 1935 in Kraft, war aber schon auf das Führerprinzip ausgerichtet und die Gemeinden waren gleichgeschaltet. Nach 1945 war Hessen amerikanisch besetzt und übernahm das kommunale Verfassungssystem der Amerikaner bzw. durfte auch selber eine Ordnung entwerfen. Dabei griff man auf die preußische Städteordnung zurück (Bezeichnungen, ehrenamtliche Mitarbeit).

Heute gilt in Hessen die unechte Magistratsverfassung mit Landkreisen (= Gemeindeverbände). Die Selbstverwaltung ist festgelegt in Artikel 137 und 138. Doch der Artikel 138 wurde dahingehend geändert, daß jetzt Bürgermeister und Landräte direkt gewählt werden und der Bürgermeister jetzt sagen darf, daß er anderer Meinung ist als der Magistrat (bei dieser Gelegenheit wurde auch der „Bürgerentscheid“ eingeführt).

 

Aufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften:

 

Eigener Wirkungskreis (Selbstverwaltungsaufgaben)

 

                                              (Kopfbogen „Kreisausschuß“)

Übertragener Wirkungskreis, Weisungsaufgaben

 (Kopfbogen: Landrat)

Pflichtaufgaben

Freiwillige Aufgaben

 

Gemeinden

Gemeinden/Landkreise

Gemeinden

Bau und Unterhaltung von Gemeindestraßen, örtlicher Brandschutz, Mülleinsammlung, Bauleitplanung, Abwasserbeseitigung

Soziale Einrichtungen (Kindergärten, Jugend- und Altenstätten), Sportanlagen, Bürgerhäuser, Büchereien, Theater, Museen, Förderung von Vereinen und Verbänden

Meldewesen, gewerberechtliche Angelegenheiten, Obdachlosenunterbringung, Paß-, Ausweiswesen, Personenstandswesen, Wehrerfassung

 

 

 

Landkreise / kreisfreie Städte

 

 

Landkreise/ kreisfreie Städte

Sozialhilfe, Jugendwohlfahrt, Schulträgerschaft, überörtlicher Brandschutz, Mülldeponierung

 

Bauaufsicht, Gesundheitsamt, Lastenausgleich, Wohngeld, Berufsausbildungsförderung

 

Unter kommunaler Selbstverwaltung versteht man, das den Gemeinden und Gemeindeverbänden (Landkreisen)

1. verfassungsmäßig garantierte Recht (Artikel28 GG, Artikel 137 HV, § 1 HGO)

2. alle Angelegenheiten (Artikel 28,2 GG, §§ 2 und 4 HGO)

3. der örtlichen Gemeinschaft (Artikel 28,2 GG, § 1 HGO)

4. auf sozialem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet (§§ 2 und 4 HGO)

5. durch eigene Organe (Artikel 28,1 GG, § 1 HGO)

6. im Rahmen der Gesetze (Artikel 28,2 GG, §§ 2 bis 4a HGO)

7. unter Aufsicht des Staates (Artikel 137 HV, Artikel 93 GG, §§ 11 und 135 ff. HGO)

8. bei Bereitstellung der finanziellen Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs

(Artikel 137,5 HV)

9. eigenverantwortlich zu erledigen. (Artikel 28,2 GG, § 2 HGO)

 

Die Gemeinde ist für die Grundbedürfnisse zuständig:

1. Wohnung: Bauland ausweisen, Baugenehmigungen.

2. Kommunikation: Versammlungsräume, Jugendräume

3. Versorgung. Entsorgung (Müllabfuhr, Friedhof)

4. Arbeit: Infrastruktur, Ansiedlung von Industrie

5. Bildung: Kindergarten, Kulturveranstaltungen, Bücherei

6. Erholung: Schwimmbad, Sportanlagen, Park

7. Fortbewegung: Öffentlicher Nahverkehr, Straßen

8.Sicherheit: Hilfspolizei, Sicherheitsdienst, Beleuchtung, Feuerwehr.

 

Rechtlich geordnet werden diese Aufgaben:

a. ) Aufgaben im natürlichen Sinn (§19 HGO): Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Einrichtungen.

b.) Aufgaben im rechtlichen Sinn: Selbstverwaltungsaufgaben (freiwillige und pflichtige), Weisungsaufgaben, Staatsaufgaben (Schulamt, Veterinäramt).

 

Selbstverwaltungsaufgaben

 

Freiwillig

(Ermessen)

Pflichtig

(Gesetz, Wohl)

Weisungsaufgaben

Definition

Alle Aufgaben im eigenen Wirkungskreis

(wirtschaftlich, sozial, kulturell)

Staatliche Aufgaben,

den Gemeinden

übertragen

Gesetzliche

Grundlage

Artikel 28 Grundgesetz, Artikel 137 Hessische Verfassung, § 1-3 Hessische Gemeindeordnung

Artikel 137 HV

oder § 4 HGO

oder spezielles  Gesetz

Beispiele

Schwimmbad,

Theater,

Beihilfen,

besonders Kultur

und Soziales

Müllabfuhr,

Straßenreinigung,

Sozialhilfe, 

Wohl: Wasserversorgung,

Beleuchtung

Paßwesen,

Standesamtswesen

Zuständiges Organ

Gemeindevertretung  bzw. Stadtverord-

netenversammlung

Gemeindevorstand

bzw. Magistrat

Entscheidungs-

spielraum

Ob überhaupt, danach wo, wie, wann

Wo, wie

Entfällt (zum Schutz der Bürger)

Aufsichtsbehörd-

liche Über­prüfung

Allgemeine Kommunalaufsicht (prüft Rechtmäßigkeit), bei Gemeinden der Landrat, bei Städten der Regierungspräsident

Recht- und Fachaufsicht des zuständigen Fachministeriums

 

Zuerst müssen die Weisungsaufgaben erledigt werden, danach die pflichtigen Aufgaben. Die Tendenz geht dahin, daß die Weisungsaufgaben steigen  (heute bis 70 Prozent der Kapazität). Dadurch bleibt für die freiwilligen Aufgaben wenig Raum.

 

Einnahmequellen für die Gemeinden sind die 15 Prozent Lohnsteuer, die an die Wohnsitzgemeinde gehen. Es lohnt sich also, die Gemeinde als Wohnort attraktiv zu machen. An zweiter Stelle steht die Gewerbeansiedlung, die Gewerbesteuer bringt. Schließlich gibt es noch die Grundsteuer und die kleinen Gemeindesteuern.

 

Vertretungsorgane

 

Bezeichnung

Vorsitzender

Mitglieder

Gemeinden

Gemeindevertreter

Vorsitzender der Gemeindevertretung

Gemeindevertreter

Städte

Stadtverordneten­versammlung

Stadtverordnetenvorsteher

Stadtverordnete

Landkreise

Kreistag

Kreistagsvorsitzender

 

 

Verwaltungsorgane

 

Bezeichnung

Vorsitzender

Mitglieder

Gemeinden

Gemeindevorstand

Bürgermeister

Beigeordnete

Städte

Magistrat

 (Ober-) Bürgermeister

Stadtrat

Landkreise

Kreisausschuß

Landrat

Beigeordnete

 

Das oberste Organ ist das Vertretungsorgan. Deshalb steht der Stadtverordnetenvorsteher auch über dem Bürgermeister. Der Erste Beigeordnete (bzw. Erster Stadtrat) ist der Vertreter des Bürgermeisters (bzw. Landrats). In Städten mit Oberbürgermeister ist der Bürgermeister der Stellvertreter.

 

Beispiel:

Ein neuer Bürgermeister macht folgende Einsparvorschläge:

1.) Zur Einsparung von Personalkosten sollen die Aufgaben der Standesamtlichen Beurkundung und die Ausstellung und Verlängerung von Bundespersonalausweisen und Reisepässen

vom Land erledigt werden. Das geht nicht, weil es sich um Weisungsaufgaben handelt.

2.) Das kleine Hallenbad der Gemeinde soll künftig nur an zwei Wochentagen geöffnet sein.

Das geht, weil es sich um eine freiwillige Aufgabe handelt.

3.) Der gemeindeeigene Sportplatz wird den Vereinen künftig nur noch gegen eine angemessene Benutzungsgebühr zur Verfügung gestellt werden. Das geht, weil es sich um eine freiwillige Aufgabe handelt.

4.) Die Straßenbeleuchtung wird nur noch in den Monaten Oktober bis März eingeschaltet.

Das geht nicht, weil es sich um eine pflichtige Aufgabe handelt, die dem Wohl dient.

5.) Der Gesang- und der Musikverein erhalten ab sofort keine Zuschüsse mehr. Das geht, weil es sich um eine freiwillige Aufgabe handelt.

6.) Die Beseitigung ihres Abfalls sollen die Einwohner künftig selbst vornehmen: die Gemeinde stellt ein brachliegendes Grundstück als Müllhalde zur Verfügung. Das geht nicht, weil es sich um eine pflichtige Aufgabe handelt, die vom Gesetz vorgeschrieben ist.

 

Die Aufgaben der Länder

Die Länder haben als Gliedstaaten der Bundesrepublik Deutschland für ihren Bereich eigene staatliche Aufgaben. Über den Bundesrat beeinflussen sie           außerdem Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes.

Die Trennung der verschiedenen Staatsgewalten ist ein tragendes Prinzip jedes demokratischen Rechtsstaates: Gesetzgebung, Gesetzesausführung und Rechtsprechung dürfen nicht in den gleichen Händen liegen, sie müssen unabhängig voneinander sein. Dies schützt den Bürger vor der geballten Macht des Staates, wie sie Diktaturen eigen ist. In einer föderativen Ordnung, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland besteht, tritt neben diese  „klassische“ Gewaltenteilung die Zerlegung und Trennung der staatlichen Gewalt in die des Gesamtstaates und die der Gliedstaaten. Man spricht hier auch von einer doppelten Gewaltenteilung. Die Wirkung: Bund und Länder beschränken sich gegenseitig, sie hemmen sich wechselseitig in der Ausübung und vor allem Ausweitung von staatlicher Herrschaftsmacht. Diese gegenseitige Kontrolle unter dem ständigen Zwang zur Zusammenarbeit stärkt den Rechtsstaat, stärkt die. Freiheit und Rechtssicherheit des Bürgers.

 

Gesetzgebung

Soweit der Bund kein Recht zur Gesetzgebung erhalten hat, steht dieses Recht den Ländern zu. Das gilt zum Beispiel für die Bereiche Polizei, Kultur, einschließlich Schule, Landesplanung, Gemeinderecht. Landesgesetze sind außerdem für solche Sachgebiete möglich, in denen der

Bund seine Befugnisse bisher nicht ausgeübt oder in denen er nur Rahmengesetze geschaffen hat. Gesetzgebung ist nach der Zuständigkeitsverteilung des Grundgesetzes weitestgehend Sache des Bundes.

 

Verwaltung    

Die Landesregierung hat Führungs- und Leitungsaufgaben in den Sachbereichen, die der Landdesgesetzgeber oder Landesverwaltung unterliegen. Sie entsendet aus ihrer Mitte Mitglieder in den Bundesrat, entscheidet dort mit und nimmt so unmittelbaren Einfluß auf die Gesetzgebung und Verwaltung des Bundes.

Verwaltung ist im allgemeinen Angelegenheit der Länder. Der Bund hat nur in ganz wenigen Bereichen Verwaltungsbehörden bis in die unterste Instanz.

Die Länder führen sowohl Bundesrecht wie Landesrecht aus

Und haben im Bereich der Planung und Leistungsverwaltung vielfältige Aufgaben und Möglichkeiten (Kindergärten, Schulen, Jugendzentren, Fremdenverkehrswerbung, Förderung des Sports, Industrieansiedlung, Beratungsstellen). Die Landesverwaltung besteht aus Landesministerien mit einem Verwaltungsunterbau. Bezirksregierungen als Mittelbehörden

 (nicht in allen Ländern) und Landratsämter bzw. Gemeinden las untere staatliche Behörden. Zur Landesverwaltung im weiteren Sinne gehören aber auch die Gemeinden und Landkreise

Sowie landeseigene Körperschaften oder Anstalten des öffentlichen Rechts.

 

Rechtsprechung:

Die Gerichtshoheit zwischen dem Bund und den Ländern ist so verteilt, daß in jedem Gerichtszweig die obersten Gerichtshöfe nur Bundesgerichte, alle übrigen Gerichte (mit wenigen Ausnahmen) Ländergerichte sind. Hinzu kommen das Bundesverfassungsgericht und die Verfassungsgerichte der Länder, die in einigen Ländern Staatsgerichtshof heißen.

 

Die Aufsicht des Staates über die Gemeinden:

§ 135 HGO: Die Aufsicht des Staates über die Gemeinden soll sicherstellen, daß die Gemeinden im Einklang mit  den Gesetzen verwaltet und daß die im Rahmen der Gesetze erteilten Weisungen befolgt werden. Die Aufsicht soll so gehandhabt werden, daß die Entschlußkraft und Verantwortungsfreudigkeit der Gemeinden nicht beeinträchtigt werden.

 

Ebene der Aufsicht

Aufsichtsregelung gem. § 136 HGO für

 

die Städte Wiesbaden und Frankfurt a.M.

Gemeinden mehr als 50.000 Einwohner

alle übrigen

Gemeinden

Oberste Aufsichtsbehörde

 

 

Hessisches Ministerium des Inneren

Obere Aufsichtsbehörde

 

Hessisches Ministerium des Innern

Regierungspräsident

Aufsichtsbehörde

Hessisches Ministerium des Innern

Regierungspräsident

Landrat

                       

Aufsichtsmittel sind:

-           Unterrichtung (§ 137 HGO)

-           Beanstandung (§ 138 HGO)

-           Anweisungen (§ 139 HGO)

-           Ersatzvornahme (§ 140 HGO)

-           Bestellung eines Beauftragten (§ 141 HGO)

-           Auflösung der Gemeindevertretung ( 141a HGO)

-           Genehmigung (§ 143 HGO)

 

 

                               

Vergleich der Organe Gemeindevertretung und Gemeindevorstand

 

 

Gemeindevertretung

Gemeindevorstand

Stellung

Oberstes, beschließendes und überwachendes Organ

Ausführendes Verwaltungsorgan

Aufgaben

ausschließliche Zuständigkeit für alle in § 51 genannten Aufgaben; andere Aufgaben sind delegierbar an Gemeindevorstand, Ausschüsse, Ortsbeiräte

Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse der Gemeinevertretung, laufende Verwaltung,   Information der Bürger (§ 66), Personalangelegenheiten (§ 73)

Mitglieder

Gemeindevertreter

Stadtverordnete        

(Ober-) Bürgermeister und Beigeordnete / Stadträte (hauptamtlich oder ehrenamtlich

Vorsitz

 

Vorsitzender der Gemeindevertretung / Stadtverordnetenvorsteher  

(Ober-) Bürgermeister

Vertreter: Bürgermeister / Erster Stadtrat

Stellung der Mitglieder

Ehrenamtlich Tätige (§§ 21 und 23 gelten nicht!). Freies Mandat

Ehrenbeamte bzw. (wenn hauptamtlich) Beamte auf Zeit

Anzahl der Mitglieder

15 bis 93 (entsprechend der Einwohnerzahl § 38) 

(Ober-) Bürgermeister und mindestens zwei Beigeordnete

Wahlzeit

4 Jahre            (jeweils ab 1. April)

hauptamtlich 6, ehrenamtlich 4 Jahre

Wahl durch…

Bürger (Kommunalwahl)

Gemeindevertretung (Beigeordnete); Direktwahl durch Bürger (OB/BM)

Sitzungseinberufung

Erste Sitzung Bürgermeister, sonst Vorsitzender

(Ober-) Bürgermeister (oder Vertreter)

Sitzungsturnus

Erste Sitzung binnen eines Monats nach Beginn der Wahlzeit, ansonsten mindestens alle zwei Monate         

In der Regel einmal wöchentlich

Ladefrist

Zwischen Zugang der Ladung und Sitzungstag müssen drei Tage liegen

Zwischen Zugang der Ladung und Sitzungstag müssen drei Tage liegen

Tagesordnung

Vorsitzender (im Benehmen - nicht Einvernehmen - mit dem Gemeindevorstand)

(Ober-) Bürgermeister oder Vertreter

Sitzungsleitung

Vorsitzender   (1. Sitzung: Alterspräsident)

Ober-) Bürgermeister oder Vertreter

Sitzungsart

öffentlich

nicht öffentlich, aber Fachleute aus der Verwaltung und Schriftführer

Beschlußfassung

offene Abstimmung (geheim auf Antrag und bei Wahl)

kollegiale Zusammenarbeit, offene Abstimmung

Beschlußfähigkeit

bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der gesetzlichen  Zahl der Vertreter

bei Anwesenheit von mehr als der Hälfte der gesetzlichen  Zahl der Vertreter

Sachabstimmung

Grundsätzlich: einfache Mehrheit (nur Ja- und Nein-Stimme), Stimmengleichheit bedeutet Ablehnung;

Analog wie Gemeindevertretung, aber bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag

Sachabstimmung

Qualifizierte Mehrheiten: Hauptsatzung, Abberufungen, Ergänzung der Tagesordnung, Disziplinarverfahren 

Analog wie Gemeindevertretung, aber bei Stimmengleichheit  gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag

Wahlen

Verhältniswahl bei Besetzung mehrerer, gleichartiger, unbesoldeter Stellen,

Analog zur Gemeindevertretung

Wahlen

Mehrheitswahl (bis zu drei Wahlgängen), wenn nur eine Stelle zu besetzen ist bzw. die Position besoldet ist  

Analog zur Gemeindevertretung

Hilfsorgane

Ausschüsse (bestehend aus Gemeindevertretern); Pflichtausschüsse: Finanzausschuß und Wahlvorbereitungsausschuß

Kommissionen, bestehend aus Bürgermeister, Mitgliedern des Gemeinevorstandes und der Gemeindevertretung und eventuell sachkundigen Einwohnern

Beschlußbeanstandung

Bei Rechtsverletzung bzw. Gefährdung des Wohls der Gemeinde: Widerspruch, Beanstandung des Beschlusses, ansonsten Aufsichtsbehörde

Bei Rechtsverletzung bzw. Gefährdung des Wohls der Gemeinde: Widerspruch, Anrufung der Gemeindevertretung,

ansonsten Aufsichtsbehörde

Ausscheiden

Auf Wunsch jederzeit möglich (freies Mandat; ansonsten bei Verlust der Wählbarkeit

Ehrenamtlich: analog Gemeindevertretung; hauptamtlich: Ablauf der Amtszeit oder Abberufung oder Entlassung

                       

 

Ehrenamt

Ein „Ehrenamt“ ist auf Dauer angelegt, es gibt aber auch kurzzeitige „ehrenamtliche Tätigkeiten“. Ein Ehrenamt kann man unter Umständen ablehnen, indem man die Ernennungsurkunde nicht annimmt. Die ehrenamtlkichen Tätigkeiten kann man nicht ablehnen.

Durch ehrenamtliche Tätigkeiten sollen die Bürger am Staatswesen interessiert werden. Aber es mangelt oft an Sachkenntnis, die ehrenamtliche Tätigkeit hat auch ihre Grenzen. Es kann auch zu einer Überforderung kommen, schon rein zeitlich. Die Folge ist, daß vorwiegend Rentner, Hausfrauen und Lehrer ehrenamtliche Stadträte sind.

Daß man sich allgemeinen Ansehens erfreut und das Vertrauen der Mitbürger genießt, wird unterstellt, solange nichts anderes bekannt ist. Es ist problematisch, alles ohne Bezahlung zu verlangen.

§ 21: Bedingungen der Übertragung

         Verpflichtung durch den Gemeindevorstand

         Unparteiische und gewissenhafte Wahrnehmung

§ 23: Ablehnungsgründe oder Ausscheiden aus wichtigem Grund

§ 24  Verschwiegenheitspflicht (darauf wird verpflichtet)

§ 25: Widerstreit der Interessen  (bei Befangenheit Saal verlassen)

§ 26: Treuepflicht (Stadtrat nicht Rechtsanwalt gegen die Stadt)

§ 27: Verdienstausfall und Fahrtkosten und Aufwandsentschädigung.

                       

 

 

Kommunalwahl

Was wird gewählt?

1. Gemeindevertretung und Stadtverordnetenversammlung

2. Kreistagsabgeordnete in kreisangehörigen Städten und Gemeinden.

3. Ortsbeiräte, soweit solche in der Stadt vertreten sind

4. Abgeordnete des Umlandverbandes.

Oberbürgermeister und Bürgermeister werden  bei der Kommunalwahl nicht gewählt, sondern in eigener Wahl bestimmt.

 

Wann wird gewählt?

Alle vier Jahre, immer im März und immer an einem Sonntag (Bekanntgabe im Gesetz- und Verordnungsblatt).

 

Wie wird gewählt? Die Wahlrechtsgrundsätze:

1. frei                  : unbeeinflußte Stimmabgabe, keine Wahlpflicht  

2. gleich             : jeder hat eine Stimme und jede Stimme zählt gleich

3. geheim          : die Stimme wird unbeobachtet abgegeben

4. unmittelbar  : der Wähler stimmt direkt ab, nicht über Wahlmänner

5. allgemein      : jeder darf wählen, niemand darf ausgeschlossen sein (Frauen!).

 

Gewählt wird nach der Verhältniswahl: Mit der einen Stimme des Wählers wird die Partei oder Wählergruppe gewählt, nicht die Personen, die auf den Wahlplakaten herausgestellt werden. Geht nur  e i n Wahlvorschlag ein, gibt es eine Mehrheitswahl (das ist aber in der Praxis noch nicht vorgekommen).

 

Wo wird gewählt?

Die Gemeinde bildet den Wahlkreis, der in Wahlbezirke eingeteilt wird, in dem Wahlbezirke eingerichtet sind. Zuständig im Wahlkreis ist der Wahlausschuß mit dem Wahlleiter, im Wahlbezirk der Wahlvorstand mit dem Wahlvorsteher.

 

Wer darf wählen und gewählt werden?

Wählen dürfen alle Wahlberechtigten. Diese sind Deutsche im Sinne des § 116 GG, mindestens 18 Jahre alt und mindestens drei Monate in der Gemeinde ansässig (Wer die letzen drei Monate zugezogen ist, darf nirgendwo wählen, wer innerhalb des Kreises umgezogen ist, darf den Kreistag wählen). Ausgeschlossen ist auch, wer nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte oder entmündigt ist.

Gewählt werden darf, wer wahlberechtigt ist, aber er muß seinen Wohnsitz schon sechs Monate im Ort haben. Der Bürgermeister darf als Spitzenkandidat auftreten, weil er ja wählbar ist. Er darf auch nicht gehindert werden, ein Mandat anzunehmen. Aber er kann nicht gleichzeitig Abgeordneter und Bürgermeister sein, d.h. er wird sein Mandat nicht annehmen. Wenn der Bürgermeister nicht ablehnt, wird er aus dem Beamtenverhältnis entlassen und ist Abgeordneter. Auch Angestellte der Gemeinde können kein Mandat annehmen, es sei denn, sie weisen die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach.

 

Voraussetzungen für die Kandidatur zur Kommunalwahl:

1. Mitgliederversammlung: Das Programm wird aufgestellt und die Namen der Kandidaten festgestellt. Alle Kandidaten müssen wählbar sein, sie müssen schriftlich zustimmen, daß sie zur Kandidatur bereit sind. Dann wird  die Reihenfolge der Kandidaten aufgestellt. Die Reihenfolge wird ausgehandelt, es gibt keine Abstimmung über die Ränge: Über die gesamte Liste wird in geheimer Abstimmung entschieden.

Parteien unterliegen dem Parteiengesetz, müssen zu Wahlen antreten, zumindest in der überwiegenden Zahl der Wahlkreise. Wählergemeinschaften gibt es nur bei Kommunalwahlen (Kreis, Gemeinde),  meist sind sie wegen konkreter Probleme entstanden.

2. Unterstützungsunterschriften für den Wahlvorschlag: Bei den großen bisher im Parlament vertretenen Parteien genügen fünf Unterzeichner. Neue Gruppen brauchen die doppelte Anzahl der Sitze in der Gemeindevertretung. Die Unterschriften werden überprüft, auch ob die Unterstützer in der Gemeinde wahlberechtigt sind. Die Unterstützer müssen aber die Partei nicht wählen, denn die Wahl ist ja geheim.

3. Abgabe der Wahlvorschläge beim Wahlausschuß mit allen Unterlagen (zum Beispiel Bestätigung der Wählbarkeit durch das Einwohnermeldeamt). Die Einreichung des Programms ist nicht erforderlich.

4. Die Reihenfolge der Parteien auf dem Stimmzettel richtet sich nach dem Stimmenverhältnis im Landtag (!). Die Reihenfolge der anderen Parteien wird ausgelost. Gewählt wird die Partei. Aber diese personifiziert sich in Personen. Man stellt möglichst viele Kandidaten auf, schon aus optischen Gründen, um einen hohen Bekanntheitsgrad zu erreichen. Außerdem muß sie genügend Nachrücker haben, wenn Abgeordnete während der Wahlperiode ausscheiden. Ist der Wahlvorschlag erschöpft, bleibt der Sitz unbesetzt.  Aber eine Mindestzahl gibt es nicht.

5. Der Bürgermeister darf nicht Wahlleiter sein, wenn er selber kandidiert. Wenn auch der Vertreter kandidiert, wird ein Wahlleiter gewählt, meist der Leiter des Hauptamtes oder des Ord­nungsamtes.

6. Der Wahlausschuß entscheidet über die Zulassung der Wahlvorschläge. Die Auslegung des Wählerverzeichnisses muß öffentlich bekannt gemacht werden. Die Wahlbenachrichtigung wird versandt, das Wählerverzeichnis wird ausgelegt.

7. Wahlscheine können benutzt werden für die Briefwahl oder Wahl in einem anderen Wahllokal des Wahlkreises. Er wird bei der Wahl eingezogen, auch wenn man dann doch ins eigene Wahllokal geht.

 

Ablauf der Wahlhandlung:

Das Wahllokal darf nicht überfüllt sein. Wer die Wahlbenachrichtigung vorlegt, kann gleich die Stimmzettel erhalten, es muß nicht erst im Wählerverzeichnis nachgesehen werden. Wer das Wählerverzeichnis führt, muß immer in Kontakt sein mit dem Beisitzer an der Urne und darf den Haken erst machen, wenn der Stimmzettel auch eingeworfen wird.

Die Wahlhandlung ist öffentlich. Ein Besucher kann die ganze Zeit dabei sein, wenn er sich ruhig verhält. Wahlpropaganda darf nicht im Wahllokal gemacht werden, auch nicht im Umkreis von zehn  Metern vor der Tür des Gebäudes, in dem die Wahl stattfindet.

Wer das Kreuz nicht machen kann (zum Beispiel ein Blinder), darf sich einer Hilfe bedienen, also jemanden mitbringen oder jemand vom Wahlvorstand bitten.

Wer keine Wahlbenachrichtigung dabei hat, kann dennoch wählen, wenn er im Wählerverzeichnis steht und sich ausweisen kann bzw. einem Mitglied des Wahlvorstandes persönlich bekannt ist. Dann wird eine formlose Zählkarte von einem Mitglied des Wahlvorstands angefertigt.

Um 18 Uhr darf nur noch wählen, wer im Wahlraum anwesend ist. Die Auszählung ist öffentlich. Zuerst werden die Haken in der Wählerliste gezählt, dann die Stimmzettel (Briefumschläge werden nicht mehr verwandt).

Gültig ist ein Stimmzettel, wenn der Wählerwille klar erkennbar ist, auch wenn nicht im Kreis angekreuzt ist. Man muß den amtlichen Stimmzettel benutzen. Vorbehalte und Bemerkungen auf dem Stimmzettel sind nicht zulässig und manchen die Stimme ungültig. Verbesserungen sind zulässig, aber der Wille muß klar erkennbar sein (man kann sich auch einen neuen Stimmzettel geben lassen). Speziell darf an den Namen nichts geändert werden, das ist ein unzulässiger Vorbehalt.

Der Wahlvorstand entscheidet über die Gültigkeit der Stimme. Er muß sich an die Bestimmungen halten, aber das Leben ist vielfältiger als das Gesetz. Es gibt aber kein Obergremium über dem Wahlvorstand, er kann sich aber vom Wahlvorstand der Gemeinde beraten lassen.

 

Nach der Auszählung wird die Schnellmeldung gemacht und das Ergebnis zusammengezählt und die Sitzverteilung berechnet nach § 22 und dem Verfahren Hare-Niemeyer.

Das Ergebnis wird noch einmal innerhalb von sechs Tagen festgestellt, also noch einmal in Ruhe nachgerechnet. Das Ergebnis wird bekanntgemacht. Die Gewählten werden benachrichtigt und gefragt, ob sie das Mandat annehmen (innerhalb einer Woche muß man sich äußern, wer sich nicht regt, hat angenommen, Ablehnung muß man aber kundtun, auch ohne Begründung.

Dann läuft eine 14tägige Einspruchsfrist für alle Wähler (nicht Bürger). Vorgebracht werden können Mängel in der Person des Bewerbers (noch keine 18 Jahre), Unregelmäßigkeiten (Bedrohung eines Wählers bei der Stimmabgabe),  die zu einem andere Ergebnis und einer anderen Verteilung der Mandate hätten führen können.(dann ist eine Neuwahl im Wahlbezirk oder im Wahlkreis nötig) oder eine unrichtige Feststellung des Wahlergebnisses (Rechenfehler)(§ 26 KWG)..

Einspruch wird eingelegt beim Wahlleiter. Es entscheidet erst einmal der Wahlausschuß, aber nach dem Gesetz die gewählte Gemeindevertretung in ihrer ersten Sitzung. Diese wird in der Regle den Einspruch abweisen, damit die Sache vor Gericht geht. Es spielt dabei auch eine Rolle, ob eine neue Sitzverteilung hätte erfolgen können. Wenn nur e i n Wähler einen Ein­spruch erhebt, seine Stimme sei nicht zum Zuge gekommen, wird der Einspruch in der Regel abgewiesen.

Man kann auch während der Legislaturperiode auf das Mandat verzichten, man kann es verlieren durch Wegzug, durch Eintritt eines Hinderungsgrundes (zum Beispiel Aufnahme einer hauptamtlichen Tätigkeit in der Gemeinde), durch das Wahlprüfungsverfahren, durch ein Verbot der Partei durch das Bundesverfassungsgericht und schließlich durch Tod.

Beim Nachrücken gilt der einmal eingereichte Wahlvorschlag. Ist der Wahlvorschlag erschöpft, kann das Mandat nicht wahrgenommen werden, es kann kein Kandidat nachgeschoben werden. Meist wird deshalb eine höhere Zahl von Kandidaten als Vorschlag eingereicht

Wer aus seiner Partei austritt, behält sein Mandat, wenn er es nicht freiwillig aufgibt („zurückgibt“).

 

 

Terminkalender für eine Kommunalwahl

 

Termine vor der Wahl

Tage vor

Wahl

Was ist zu tun?

Wer handelt)

Gesetzliche

Vorschrift

47.

Öffentliche Aufforderung zur Einreichung von Wahlvorschlägen

Wahlleiter

§ 22 KWO

34.

18 Uhr

Ablauf der Frist zur Einreichung von Wahlvorschlägen

Parteien und Wählergruppen

§ 13,1  KWG

30.

Entscheidung über die Zulassung der Wahlvorschläge

Wahlausschuß           

§ 15,1  KWG

§ 25 KWO

24.

Öffentliche Bekanntmachung über die Auslegung des Wählerverzeichnisses

Wahlleiter

§ 8,2 KWG

§ 11,1  KWO

21.

Benachrichtigung der in das Wählerverzeichnis eingetragenen Wahlberechtigten und Übersendung eines Vordrucks für den Wahlscheinantrag

Gemeindevorstand

§ 10,1  KWO

20.-16.

Auslegung des Wählerverzeichnisses

Gemeindevorstand

§ 8,2 KWG

§ 12 KWO

20.

Öffentliche Bekanntmachung der zugelassenen Wahlvorschläge

Wahlleiter

§  15,4 KWG

bis 20.

Berufung der Wahlvorstände (§§ 21 und 23 HGO)  

Wahlleiter

§ 6 KWG

§ 4 KWO

6.

Wahlbekanntmachung

Wahlleiter

§§ 34,90 KWO

2.

Letzter Tag (bis 18.00 Uhr) zur Entgegennahme von Wahlscheinanträgen

Gemeindevorstand

§ 17,4 KWG

1.

Abschluß des Wählerverzeichnisses

Wahlleiter

§ 15 KWO

Wahltag

Wahlhandlung von 8.00 bis 18.00 Uhr

 

 

Termine nach der Wahl

6.

Feststellung des endgültigen Wahlergebnisses

Wahlausschuß           

§§ 22,40 KWG

§ 54 KWO

 

Benachrichtigung der Gewählten

Wahlleiter

§ 23,1,2 KWG § 56 KWO

 

Öffentliche Bekanntmachung des endgültigen Wahlergebnisses und der Gewählten

Wahlleiter

§ 23,1  KWG

§ 55,1  KWO

Eine  *

Woche

Ablauf der Frist zur Annahme oder Ablehnung des Mandats

die Gewählten

§§ 23,  24 KWG

 

Zwei **

Wochen

.          

Letzter Tag zur Einreichung von Einsprüchen gegen die Wahl         

Wahlberechtigte

§ 25,1 KWG

§ 55,1  KWO

         

* nach Zustellung der Benachrichtigung                 

** nach Bekanntmachung. des Wahlergebnisses.

 

Errechnung der Sitzverteilung (§ 22 KWG)

1. Feststellung der Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen

2. Wieviel Stimmen hiervon sind fünf Prozent?

3. Feststellung der Stimmanteile der einzelnen Parteien und Wählergruppen

4. Liegen Stimmanteile unter der Fünf-Prozent-Klausel?

5. In diesem Fall bereinigte Zahl der gültigen Stimmen feststellen

    (errechnete Zahl nach Nummer 1 abzüglich eventuelle Zahl nach Nummer 4)

7.. Berechnung:

Stimmanteil der Partei oder Wählergruppe   mal   Zahl der zu vergebenden Sitze

geteilt    durch die bereinigte Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen (System Hare-Niemeyer).

8. Zunächst Verteilung der Sitze nach ganzen Dezimalzahlen

9. Verteilung der restlichen Mandate in der Reihenfolge der höchsten Zahlenbruchteile

10. Falls eine Partei oder Wählergruppe die absolute Mehrheit der Stimmen (berechnet von der bereinigten Zahl der gültigen Stimmen), aber nicht die absolute Mehrheit an Sitzen hat, erhält sie ein „Bonus-Mandat“, unter Umständen zuungunsten einer Partei oder Wählergruppe, die aufgrund der Sitzverteilung nach Zahlenbruchteilen (Nr. 9) einen weiteren Sitz erhalten hatte [bei Prüfungen ist diese Frage immer anzusprechen].

11. Über die Zuteilung des letzten Sitzes entscheidet bei gleichen Zahlenbruchteilen das vom Wahlleiter zu ziehende Los (es wird gelost, wer einen Sitz verliert).

 

Beispiel für eine Berechnung der Sitzverteilung:

Partei  A          1.525   Stimmen

Partei  B             849   Stimmen

Partei  C             499   Stimmen

Partei  D            174   Stimmen

Partei  E               65   Stimmen

Abgegeben wurden 3.112 Stimmen. Davon fünf Prozent sind 155 Stimmen. Damit fällt die Partei E heraus. Die Summe der Stimmen für die Parteien A bis D sind 3.047 Stimmen.

Die Gemeinde hat bei 8.00 Einwohnern in der Gemeindevertretung 31 Sitze

 

Prozentzahl der Partei

Berechnung

Sitze nach ganzen Zahlen

Sitze nach Bruchzahlen

Sitze endgültig

A  =  50,05 Prozent

15,5155

15

 

15

B  =  27,86 Prozent

  8,6366

 8 

+ 1

  9

C  =  16,38

  5,0778

 5

 

  5

D  =    5,71

  1,770

 1 

+ 1

  3

100 Prozent

 

29 Sitze

 

31 Sitze

 

Beispiel für Losentscheid:

In einer Gemeinde mit 37.000 Einwohnern sind 45 Stadtverordnete zu wählen (§ 38 HGO) Die CDU hat 12 Sitze errungen, die Wählergemeinschaft (WG) 11,  die SPD 13, die REP 5 und die Grünen 4 Sitze. CDU und WG haben sich zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammengeschlossen und gemeinsam den Stadtverordnetenvorsteher gewählt (entgegen den parlamentarischen Gepflogenheiten, der stärksten Fraktion dieses Amt zu belassen). Auch  bei der Wahl der Ausschüsse halten sie zusammen. So ergibt sich folgende Situation:

 

CDU/WG            23 x 9  45 = 4,60 = 4 + 0 = 4 Sitze + 1 Sitz = 5 Sitze

SPD                     13 x 9  45 = 2,60 = 2 + 0 = 2 Sitze              = 2 Sitze

REP                       5 x 9  45 = 1,00 = 1 + 0 = 1 Sitz                 = 1 Sitz

Grüne                  4 x 9  45 = 0,80 = 0 + 1 = 1 Sitz                  = 1 Sitz

 

Bei der knappen Mehrheit der Listenverbindung CDU/WG  kommt die Regel zur Anwendung, wonach die an Stimmen stärkste Partei auch die absolute Mehrheit der Sitze haben muß („Bonusmandat“). Da aber CDU/WG  und SPD exakt die gleichen Zahlenbruchteile nach dem Komma haben, muß  über den neunten Sitz zunächst das Los entscheiden. Fällt dieses auf CDU/WG so ist die Sache klar, denn damit haben sie die absolute Mehrheit der Sitze in der Gemeindevertretung.

Fällt das Los auf die SPD, tritt nunmehr die Bonusregelung in Kraft. Dadurch erhalten CDU / WG  5 Sitze, die SPD erhält die 2 Sitze, die sich aus den ganzen Zahlen ergeben, ebenso behalten die REP ihren Sitz. Der neunte Sitz wird nach dem höchsten Zahlenbruchteil nach dem Komma vergeben und geht an die Grünen (auf Kosten der SPD, die also keinen Vorteil durch das Los hat). Somit spiegelt sich aber das Zahlenverhältnis im Parlament auch in den Ausschüssen.

Bestünden die Ausschüsse aber nur aus acht Mitgliedern, erhielten zunächst CDU/WG  vier Sitze, SPD zwei Sitze und REP und Grüne wegen der Zahlenbruchteile nach dem Komma je einen Sitz. Da die Listenverbindung wegen der Bonusregelung aber fünf Sitze bekommen muß, verlieren die Grünen ihren Sitz, weil sie den niedrigeren Zahlenbruchteil nach dem Komma hatten (Reihenfolge bei acht Sitzen:   4,088,   2,311,  0,888,  0,711). Die Zahl der zu vergebenden Sitze kann also die Wahl entscheidend beeinflussen.

 

 

Verfahren nach der Wahl

Nach der Wahlhandlung endet die Amtszeit der Gemeindevertreter zum Ende des Monats, in dem die Wahlzeit abläuft. Es folgt eine konstituierende Sitzung der neuen Gemeindevertretung. Diese wählt den Vorsitzenden (Gewohnheitsrecht: aus der stärksten Fraktion).

 

Wann?

Innerhalb eines Monats nach Beginn der Wahlzeit, also im April. Es muß aber erst das Wahlergebnis amtlich festgestellt sein durch den Wahlausschuß und eine Einspruchsfrist von 14 Tagen muß beachtet werden (§ 2 KWG), aber das kann ja schon vor dem 1. April geschehen.

 

Wer lädt ein?

Nicht der alte Vorsitzende und auch nicht der Wahlleiter, sondern der Bürgermeister (§ 56,2 HGO).

 

Wer wird eingeladen?

Während die Einspruchsfrist noch läuft, werden die Abgeordneten schon zur konstituierenden Sitzung eingeladen (daß sie das Amt annehmen, wurde schon vorher geklärt). Eingeladen wird auch der Gemeindevorstand, weil dieser Anträge stellen kann oder befragt werden kann. Auch die Öffentlichkeit wird eingeladen (durch öffentliche Bekanntmachung mit Tag, Ort und Tagesordnung). Eingeladen wird in einen öffentlich zugänglichen Raum, der so groß ist, daß auch Platz für die Öffentlichkeit ist. Zwischen Zugang der Ladung und dem Sitzungstag müssen drei Tage liegen.

 

 Was muß auf der Tagesordnung stehen?

1.Begrüßung durch den Bürgermeister (Oberbürgermeister).

2. Übergabe des Vorsitzes an das nach Lebensjahren älteste Mitglied der Gemeindevertretung

3. Überprüfung der Formalien und Regularien: Ordnungsgemäße Ladung, Beschlußfähigkeit, Änderungswünsche zur Tagesordnung.

4. Wahl des Stadtverordnetenvorstehers bzw. der Stadtverordnetenvorsteherin. Es ist nach Stimmenmehrheit zu wählen, den es geht nur um e i n e Person. Die Wahl ist schriftlich und geheim, es sei denn, alle sind mit dem Handaufheben einverstanden. Frage an den Gewählten, ob er die Wahl annimmt.

5. Der Gewählte übernimmt die Sitzungsleitung. Die Stellvertreter werden gewählt nach dem Verhältniswahlrecht (an sich schriftlich und geheim, es sei denn, es gibt einen einheitlichen Vorschlag). Die Zahl richtet sich nach der Hauptsatzung der Gemeinde.

6.Wahl der Schriftführer, ein offizieller Schriftführer und Stellvertreter, meist ein Bediensteter der Gemeinde, aber auch Stadtverordnete oder Bürger. Alle diese Wahlen müssen in der konstituierenden Sitzung stattfinden.

7. Entscheidung über eventuelle Einsprüche gegen die Gültigkeit der Wahl

8. Beschluß über die Gültigkeit der Kommunalwahl

9. Verschiedenes (hier kann aber nichts mehr beraten oder beschlossen werden).

 

Es können aber auch noch andere Dinge behandelt werden, die auch in der nächsten Sitzung noch hätten stattfinden können:

-  Wahl der ehrenamtlichen Mitglieder des Magistrats

-  Bildung von Ausschüssen

-  Aktuelles dringendes Sachthema:

 

Beschlüsse durch die Gemeindevertretung

Sachbeschlüsse (§ 54):

Offene Abstimmung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Stimmenthaltungen und ungültige Stimmen zählen nicht, Stimmengleichheit bedeutet Ablehnung.

Personalentscheidungen (§ 55):

Wahlen erfolgen schriftlich und geheim. Die erforderlichen Mehrheiten werden festgestellt  bei der Verhältniswahl nach § 22 KWG und bei Mehrheitswahl nach § 55,5 HGO.

Bei mehreren gleichartigen und unbesoldeten Stellen gilt die Verhältniswahl, bei nur einer Stelle oder bei unbesoldeten oder ungleichen Stellen gilt die Mehrheitswahl mit bis zu drei Wahlgängen. Im dritten Wahlgang erfolgt bei unentschiedenem Ausgang die Entscheidung durch Losentscheid.

Gewählt wird schriftlich und geheim, es sei denn, es  gibt einen einheitlichen Wahlvorschlag (dieser muß aber einstimmig angenommen werden) oder wenn niemand widerspricht, kann durch Handaufheben gewählt werden. Hauptamtliche Beigeordnete müssen jedoch schriftlich und geheim gewählt werden.

Sachbeschlüsse müssen offen gefaßt werden, damit der Bürger sehen kann, wie seine gewählten Vertreter abstimmen. Über eine geheime Sitzung (meist nur zu einem Tagesordnungspunkt) entscheidet die Gemeindevertretung, aber auch in der Geschäftsordnung kann schon eine entsprechende Festlegung getroffen sein.

Geheime Abstimmungen kann es aber auch in Sachfragen geben. Geheim wird abgestimmt bei Grundstücksverkäufen (damit nicht der Kaufpreis bekannt wird) und bei Skandalen in der Verwaltung (wegen des Schutzes des Persönlichkeitsrechtes).

Bei Abstimmungen zählt die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Enthaltungen (auch wenn Abgeordnete die Sitzung verlassen) oder ungültige Stimmen zählen nicht.

Die Beschlußfähigkeit gilt weiter, solange nicht der Antrag auf Neufeststellung der Beschlußfähigkeit gestellt wird. Ist die Versammlung nicht beschlußfähig, wird sie beendet, andere Punkte können nicht behandelt werden. Bei der nächsten Sitzung kann aber auf jeden Fall über diesen Punkt abgestimmt werden (§ 53,2).

 

Die hauptamtlichen Mitglieder des Gemeindevorstandes werden für sechs Jahre gewählt und sind unabhängig von der Wahlperiode. Die ehrenamtlichen Mitglieder werden jedoch für vier Jahre gewählt parallel zur Gemeindevertretung, die Wahlzeit ist also an die Wahlzeit der Gemeindevertretung gekoppelt.

Der Gemeindevorstand besteht aus mindestens drei Personen, nämlich dem Bürgermeister und zwei Beigeordneten. Die Zahl der hauptamtlichen Mitglieder darf nicht größer sein als die der ehrenamtlichen. Dabei zählt der Bürgermeister aber nicht mit, so daß von den Beigeordneten noch einer hauptamtlich sein könnte.

 

Ausschüsse

Sie bereiten die Sitzungen vor durch Beratung, Abstimmung und Abgabe einer Empfehlung. Der endgültige Beschluß erfolgt aber durch die Gemeindevertretung.  Diese kann aber auch teilweise auf ihre Rechte verzichten  und bestimmte Angelegenheiten widerruflich zur endgültigen Beschlußfassung übertragen (§ 62,1 HGO).  Das gilt jedoch nicht für Angelegenheiten, die nach § 51 ausschließlich in die Zuständigkeit der Gemeindevertretung fallen.

Für die Bildung von Ausschüssen gibt es drei Möglichkeiten:

1. Die Wahl (§ 55,1)  erfolgt nach Fraktionslisten im Verhältniswahlverfahren, schriftlich und geheim. Die Berechnung erfolgt nach § 22 KWG.

2. Das Benennungsverfahren (§ 62,2) setzt die zahlenmäßige Zusammensetzung nach dem Stärkeverhältnis der Fraktionen fest, anschließend gibt es die namentliche Benennung durch die Fraktionen.3. Ein Sachbeschluß (§ 55,2) ist ein einheitlicher (interfraktioneller) Wahlvorschlag, der einstimmig angenommen werden muß.

 

Dabei kann es aber durchaus kompliziert zugehen. In der konstituierenden Sitzung einer Stadtverordnetenversammlung war die Frage umstritten, ob die Zahl der Ausschußmitglieder auf neun heraufgesetzt werden sollte. Die eine Fraktion wollte gern je neun Mitglieder

haben, damit auch die Grünen in den Ausschüssen vertreten wären und man sich politisch mit ihnen auseinandersetzen könne. Der Bürgermeister meinte, daß auch bei acht Mitgliedern die Grünen vertreten sein könnten. Das ginge aber nur mit einem einheitlichen interfraktionellen Wahlvorschlag nach § 55,2  HOG, der einstimmig angenommen werden müßte.

Das würde aber voraussetzen, daß die Listenverbindungen CDU/Freie Wähler auf einen ihr zustehenden Sitz verzichten müßte (die SPD wird sich wohl kaum mit nur einem Sitz zufriedengeben wollen). Damit entstünde bei einer geraden Zahl von Mitgliedern ein Patt. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb die parlamentarische Mehrheit ohne Not die Mehrheit in den Ausschüssen aufgeben sollte.

Unter der Voraussetzung, daß alle 45 Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung gültige Stimmen abgeben und geschlossen nach Fraktionen abstimmen, ergibt sich folgendes Bild:

Bei acht Mitgliedern in den Ausschüssen:   

CDU/FW          23 x 8 : 45  =  4,088 = 4 + 0  =  4 Sitze + 1 Sitz = 5 Sitze

SPD                  13 x 8 : 45  =  2,311  = 2 + 0  = 2 Sitze               = 2 Sitze

REP                    5 x 8 : 45   = 0,888   = 0 + 1  = 1 Sitz                = 1 Sitz

Grüne               4 x 8 : 45   =  0,711  =  0 + 1 = 1 Sitz ( minus Bonus für die CDU)  = 0 Sitz

 

Bei neun Mitgliedern in den Ausschüssen:

CDU/FW          23 x 9 : 45    = 4,60  =  4 + 0  = 4 Sitze + 1 Sitz  = 5 Sitze

SPD                  13 x 9 : 45    = 2,60   =  2 + 0  = 2 Sitze               = 2 Sitze

REP                    5 x 9 : 45    = 1,00   =  1 + 0  = 1 Sitz                  = 1 Sitz

Grüne               4 x 9 : 45     =  0,80  =  0 + 1  = 1 Sitz                  = 1 Sitz

Bei der knappen Mehrheit der Listenverbindung CDU/FW kommt der § 22 (3) des Hessischen Kommunalwahlgesetzes in Anwendung, wonach die Fraktion mit der absoluten Mehrheit der Stimmen auch die absolute Mehrheit an Sitzen haben muß (das sogenannte „Bonusmandat“). In beiden Fällen (8 oder 9 Mitglieder) müssen CDU/FW dieses Bonusmandat erhalten. Bei acht Mitgliedern ginge das jedoch auf Kosten der Grünen.

Bei neun Mitgliedern ist die Vergabe des neunten Platzes komplizierter. Da CDU/FW und SPD exakt die gleichen Zahlenbruchteile nach dem Komma haben, muß nach § 22 (3) Satz 4 zunächst das Los entscheiden. Fällt dieses auf CDU/FW ist die Sache klar, denn nun ist die absolute Mehrheit der Sitze hergestellt. Fällt das Los dagegen auf die SPD, tritt die Bonusregelung nach § 22 (4) in Kraft. Somit erhalten CDU/FW wieder fünf Sitze, die SPD behält zunächst die zwei Sitze, die sich aus den ganzen Zahlen ergeben, ebenso behalten die REP

ihren Sitz. Der neunte Sitz wird nach 22 (3) Satz 3 vergeben.

Da jetzt die Grünen den höchsten Zahlenbruchteil nach dem Komma haben, erhalten sie diesen Sitz, die SPD verliert wieder den durch das Los errungenen Sitz. Aber auf alle Fälle sind die Grünen bei neun Sitzen mit in den Ausschüssen. So spiegelt sich das Zahlenverhältnis im Parlament auch in den Ausschüssen.

 

Aufgaben und Stellung des Bürgermeisters in der Gemeinde

Bürgermeister kann werden, wer deutscher Staatsbürger ist und mindestens 25 und am Beginn der Amtszeit nicht älter als 65 Jahre alt ist. Eine bestimmte Qualifikation muß er nicht haben, er muß nur gewählt werden. Er kann sich sogar selber aufstellen, wenn er genügend Unterstützungsunterschriften bekommt (als Kandidat einer Partei braucht er nur fünf Unterschriften). Gewählt wird er von den wahlberechtigen Einwohnern, die ihren Wohnsitz seit drei Monaten in der Gemeinde haben. Gewählt wird nach der Mehrheitswahl (unmittelbar, gleich, geheim, frei). Gewählt wird frühestens sechs Monate, spätestens drei Monate vor Ablauf der Amtszeit oder drei Monate nach unvorhergesehenem Ausscheiden. Die Wahl wird vorbereitet von einem Wahlausschuß. Der Wahltag wird von der Aufsichtsbehörde festgelegt, die Stichwahl ist zwei bis vier Wochen später. Bürgermeister ist man mit Aushändigung der Ernennungsurkunde als Wahlbeamter und Vereidigung vor der Gemeindevertretung, meist am Tag nach Ablauf der vorherigen Amtsperiode.

 

Der Bürgermeister ist grundsätzlich hauptamtlich tätig. In Gemeinden bis zu 1.500 Einwohnern kann die Hauptsatzung ehrenamtliche Verwaltung der Bürgermeisterstelle bestimmen (§ 44,1).

Der Bürgermeister oder Oberbürgermeister und im Kreis der Landrat wird erstmals ab 1. Mai 1993 von den Bürgern der Gemeinde in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt. Die Amtszeit beträgt für haupt- und ehrenamtliche Bürgermeister sechs Jahre.

Die in der Hessischen Gemeindeordnung genannten Aufgaben des Bürgermeisters beziehen sich im Wesentlichen auf seine Mitgliedschaft im Gemeindevorstand, die Verwaltung der Gemeinde und die Zusammenarbeit mit der  Gemeindevertretung. Darüber hinaus gibt es noch einige Sonderaufgaben.

 

Gemeindevorstand:

-  Vorsitz im Gemeindevorstand (§ 65,1); aber er ist nur „Gleicher und Gleichen“, nur bei Stimmengleichheit gibt seine Stimme den Ausschlag (§ 68,2);

-  Einberufung und Leitung der Sitzungen (§ 69,1);

-  Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse (§ 70,1);

-  Unterzeichnung der Sitzungsniederschrift  (§ 61,2);

-  Geschäftsverteilungskompetenz unter den Mitgliedern des Gemeindevorstandes, es sei denn, hauptamtliche Beigeordnete sind von der Gemeindevertretung für besondere Arbeitsgebiete gewählt worden (z.B. Kämmerer); der direkt gewählte Bürgermeister kann sich die Verwaltung der „Kernarbeitsgebiete“ persönlich vorbehalten.

-  Not- und Dringlichkeitsentscheidungsrecht (§ 70,3), wenn in dringenden Fällen die Entscheidung des Gemeindevorstandes nicht rechtzeitig eingeholt werden kann; der Gemeindevorstand ist anschließend unverzüglich zu unterrichten.

 

Verwaltung:

-  Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsganges der gesamten Verwaltung; Sorge für den

   geregelten Ablauf des Verwaltungsgeschäfte (§ 70,1);

-  grundsätzlich selbständige Erledigung der laufenden Verwaltungsangelegenheiten.

-  rechtliche Vertretung der Gemeinde, Abgabe von Erklärungen, Repräsentationsaufgaben.

-  Dienstvorgesetzter aller Beamten, Angestellten und Arbeiter der Gemeinde (mit Ausnahme

   der Beigeordneten); Dienstvorgesetzter des Bürgermeisters und der Beigeordneten ist die

    jeweilige Aufsichtsbehörde.

-  Unterzeichnung von Erklärungen, durch die die Gemeinde verpflichtet werden soll,

    zusammen mit einem weiteren Mitglied des Gemeindevorstandes (§ 71,2).

 

Gemeindevertretung:

-  Einladung zur konstituierenden Sitzung der Gemeindevertretung (Tagesordnung).

-  Einfluß auf die Tagesordnung der Sitzungen der Gemeindevertretung, weil der Vorsitzende

   das „Benehmen“ mit dem Gemeindevorstand herstellen muß (§ 58,5);

-  Vorbereitung und Ausführung der Beschlüsse der Gemeindevertretung (§ 66,1 Nr. 2);

-  Verpflichtung zur Teilnahme an den Sitzungen der Gemeindevertretung; dort Recht auf

   Anhörung aber auch Pflicht zur Auskunfterteilung (§ 59);

-  Sprecher des Gemeindevorstandes in den Sitzungen der Gemeindevertretung; der direkt

   gewählte Bürgermeister kann in den Sitzungen der Gemeindevertretung eine von der

   Auffassung des Gemeindevorstandes abweichende Meinung vertreten (§ 59).

 

Sonstiges:

-  Recht und Pflicht zum Widerspruch gegenüber dem Gemeindevorstand bzw. Anrufung der Entscheidung der Gemeindevertretung (§ 74,1);

-  subsidiäre Widerspruchs- und Beanstandungskompetenz gegenüber  der Gemeindevertretung (§ 74,2), wenn der Gemeindevorstand nach § 63 nicht tätig wird;

-  Vorsitzender in den Kommissionen (§ 72,3);

-  Wahlleiter und Vorsitzender des Wahlausschusses bei Kommunalwahlen und der Bürgermeisterwahl, sofern er nicht selbst als Bewerber an der Wahl teilnimmt (§ 5 KWG);

 

 

 

 

 

Inhalt: Grundsätze, Hilfearten, Hilfe zum Lebensunterhalt, Regelsätze, Bewilligung einmaliger Leistungen,. Hilfe in besonderen Lebenslagen, Einsatz des Einkommens und Vermögens und der Arbeitskraft, Überleitung von Ansprüchen, Darlehen, Hessisches Ausführungsgesetz, Landeswohlfahrtsverband, Jugendhilfe, Pflegeversicherung, Falllösungen.

 

Soziale Sicherung

 

Die Regelungen der  Sozialhilfe sind ständig im Fluß. Vor allem durch die Neufassung der Sozialgesetzbuches II sind große Änderungen eingetreten. Das beginnt schon bei der Wortwahl „Hilfe zum Lebensunterhalt“. Auch die Regelsätze werden natürlich ständig angepaßt. Deshalb können hier nur die grundsätzlichen Dinge angesprochen werden

 

Aus Artikel 20 GG leitet sich die Pflicht zur sozialen Sicherung ab. Über die Notlagen des Lebens kann man nicht kaltschnäuzig hinwegsehen, sondern es muß Vorsorge getroffen werden  für den Fall des Alters, der Krankheit und der Arbeitslosigkeit. Allerdings zahlen nur Arbeiter in die Arbeitslosenversicherung ein, Beamte sind durch ihren Dienstherrn abgesichert. Wer überhaupt nicht gearbeitet hat, erhält Sozialhilfe, entweder weil er keine Arbeit gefunden hat bzw. gar nicht arbeiten kann. Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz  der sozialen Sicherung. Geregelt ist die im Bundessozialhilfegesetz (BSHG).

Entwickelt hat sich die Sozialhilfe aus der Armenfürsorge der Kirchen oder Wohlfahrtsorganisationen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Recht abgesichert, von der Wohlfahrtspflege gerechte Leistungen zu erhalten. Durch das Bundessozialhilfegesetz wird ein Anspruch begründet, der nicht vom Willen des Sachbearbeiters abhängt. Der Anspruch ist beim Verwaltungsgericht einklagbar (nicht Sozialgericht).

Die Sozialhilfe soll die Führung eines menschenwürdigen Lebens ermöglichen. Menschenwürde ist aber mehr als Ernährung, Wohnung und Kleidung. Dazu gehören auch soziale Kontakte und kulturelle Bedürfnisse. Zur Geldüberweisung gehören flankierende Maßnahmen, zum Beispiel Ausbildung, Kontakte und Therapie. Es gibt spezielle Programme wie „Arbeit statt Sozialhilfe“. Aber der Hilfeempfänger  muß selber mitwirken und ist zu umfassender Auskunft verpflichtet, sonst wird es schwer, wieder aus der Sozialhilfe herauszukommen.

Auf Sozialhilfe besteht ein Recht. Sie ist eine gesetzliche Leistung, der Empfänger ist kein Bittsteller. Aber viele nehmen aus Scham die Leistung nicht in Anspruch. Wenn allerdings jeder seinen Anspruch geltend machte, bräche das System zusammen.

In wirtschaftlich schlechten Zeiten wird auch an der Sozialhilfe gespart, obwohl die da besonders notwendig wäre. Es wird halt immer bei denen zuerst gespart, die am wenigsten Widerstand leisten können. In guten Zeiten wird oft der soziale Dienst ausgeweitet, obwohl das gar nicht so nötig wäre. Dann werden zum Beispiel Kindergärten eingerichtet, aber nachher muß die Jugendhilfe die Kosten tragen.  Und wenn das dann auch nicht mehr möglich ist, dann geht wieder alles an die Gemeinde, die aber auch andere soziale Aufgaben hat.

 

Grundsätze der Sozialhilfe

Inhalt der Sozialhilfe:

Die Sozialhilfe umfaßt die Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) und die Hilfe in besonderen Lebenslagen (HbL). Es ist Aufgabe der Sozialhilfe, dem Hilfeempfänger die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Der Begriff  „Würde" unterliegt den Anschauungen der Zeit. Nicht zuletzt der allgemeine Lebensstandard der Bevölkerung ist Maßstab für die Zuordnung von Gütern und Dienstleistungen zum notwendigen Bedarf. Das nicht immer erreichbare Ziel der Sozialhilfe ist es, den Hilfeempfänger zu befähigen, unabhängig von ihr zu  leben. Insbesondere bei älteren Menschen (geringe Rente) ist mehrjährige Hilfegewährung die Regel.

Sozialhilfe erhält nicht, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält (Nachrang der Sozialhilfe). Unter Selbsthilfemöglichkeiten versteht man den Einsatz des Einkommens, des Vermögens und der Arbeitskraft

Hierbei ist es unerheblich, ob die Leistungen der anderen auf Grund einer gesetzlichen, vertraglichen oder sittlichen Verpflichtung oder völlig freiwillig gewährt werden. Die tatsächliche Hilfeleistung anderer ist bis zum Beweis des Gegenteils sogar zu unterstellen, wenn der Hilfesuchende mit Verwandten oder Verschwägerten in Haushaltsgemeinschaft oder in eheähnlicher Gemeinschaft lebt.

Wer also zum Haushalt von Verwandten gehört, muß von ihnen unterhalten werden. Eine eheähnliche Gemeinschaft darf nicht besser gestellt werden als eine Ehe. Wenn aber  die Gemeinschaft auseinandergeht oder der Partner arbeitslos wird, dann wird für den Bedürftigen die Sozialhilfe gezahlt.

Die Haushaltsgemeinschaft wird geprüft vom Ermittlungsdienst. Der befragt Nachbarn oder besichtigt die Wohnung. Im Zweifelsfall ist der  Antragsteller beweispflichtig. Er muß aber niemand in die Wohnung lassen. Wird eine eidesstattliche Erklärung vorgelegt, kann das Sozialamt nichts machen.

Unterhaltsverpflichtung besteht für Verwandte in gerader Linie und Ehegatten. Es wird geprüft, ob sie zum Aufwand beitragen können. Aber der mißratene Sohn oder die pflegebedürftige Mutter kann die Angehörigen nicht um Haus und Hof bringen. Das eigene Vermögen muß zwar eingesetzt werden, aber auch da gibt es Schutzvorschriften. Eine schnelle Schenkung vor Eintritt der Sozialhilfe muß aber rückgängig gemacht werden bzw. der Ertrag wird mit der Sozialhilfe verrechnet.

Die Sozialhilfe ist das unterste Netz im System der sozialen Sicherung der Bundesrepublik Deutschland. Sie greift immer dann, wenn vorrangige Leistungen nicht oder nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Vorrangig in Anspruch zu nehmen sind Arbeitslosigkeit, Rente, Wohngeld, Kindergeld, Krankengeld.

Trotz vorrangiger Ansprüche des Hilfesuchenden darf Sozialhilfe jedoch nicht versagt werden, wenn der Hilfesuchende außerstande ist, die Ansprüche rechtzeitig zu realisieren. Hier kann der Sozialhilfeträger den Anspruch auf sich überleiten bzw. einen Erstattungsanspruch anmelden.

Art, Form und Maß der Hilfe richtet sich nach der Besonderheit des Einzelfalles (Individualisierungsgrundsatz). Die Notlage soll ja bald überwunden werden. Die Hilfe ist vorbeugend oder nachgehend, sie soll in jedem Fall eine Notlage verhindern (§ 6). Den Wünschen des Hilfesuchenden soll entsprochen werden. Aber die Wünsche des Empfängers müssen angemessen sein und dürfen nicht mit unvertretbaren Mehrkosten verbunden sein. Hilfeformen sind die persönliche Hilfe (Beratung), Geldleistungen und Sachleistungen (§ 9). Alle drei Formen sollen zusammenwirken.

Die Sozialhilfe setzt ein, sobald die Voraussetzungen für die Gewährung vorliegen und wenn dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen die Notlage bekannt wird (der sich vielleicht schämt, einen Antrag zu stellen). Zur Erlangung von Sozialhilfe bedarf es nicht eines förmlichen Antrages. Das Amt muß sogar von sich aus Hilfe anbieten, wenn es die Notlage zum Beispiel durch die Zeitung erfährt. Aber aufgezwungen wird nichts. Wer aber ins Amt kommt, muß umfassend beraten werden. In jedem Fall muß ein Antrag ausgefüllt werden. Und wenn die beantragte Leistung abgelehnt wurde, muß auch über andere Hilfsmöglichkeiten informiert werden.

Wer durch eigenes Fehlverhalten die Notlage herbeigeführt hat, erhält keine Leistungen. Aber das sieht schon anders aus, wenn noch weitere Familienmitglieder abhängig sind. Aber man muß mit nicht mehr als zwei Prozent an Mißbrauch rechnen. Aber es gibt aber auch diejenigen, die mit dem Mercedes zum Amt kommen oder in Florida ihre Sozialhilfe genießen wollen. Wenn einer betrügt und es kommt heraus, wird er erstattungspflichtig gemacht. Der Tagessatz für die Nichtseßhaften wird nur zwischen 10.30 Uhr und  12. 00 Uhr ausgezahlt, damit der Betreffende möglichst nicht zwei Ämter aufsuchen kann.

Unter „Maß der Hilfe“ ist das Ergebnis zu verstehen, das sich aus der Gegenüberstellung von Bedarf und eigenen  Möglichkeiten des Hilfesuchenden als Sozialhilfeleistung ergibt. Die Besonderheiten des Einzelfalls können in der Person des Hilfeempfängers, in der Art seines Bedarfs und in den örtlichen Verhältnissen liegen. Besonderheiten, die in der Person des Hilfesuchenden liegen, sind zum Beispiel Alter, Familienstand, Krankheit, Charaktereigenschaften.

Der Grundsatz der Besonderheit des Einzelfalles muß dort seine Einschränkung erfahren, wo über eine größere Anzahl von gleichgelagerten Fällen unter Beachtung des  Gleichheitsgrundsatzes  zu entscheiden ist.

Der Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7) bedarf besonderer Betonung, da es aus rechts­systematischen Gründen notwendig war, die Hilfe auf die Einzelperson und nicht mehr auf die Familie abzustellen. Familiengerechte Hilfe ist nicht allein mit Geld zu erreichen, es ist auch Fachpersonal nötig. Die Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur familiengerechten Hilfe erstreckt sich nicht nur auf die Zubilligung und Bemessung von Leistungen, sondern auf die Regelung des Sozialhilfefalles im Ganzen. Gesichtspunkte der familiengerechten Gestaltung der Hilfe können daher auch Platz greifen bei der Heranziehung von Einkommen und Vermögen, bei der Bemessung von Kostenerstattungsansprüchen und bei der Heranziehung Unterhaltspflichtiger (insbesondere ist hier zu berücksichtigen, ob durch die Heranziehung eine nachhaltige Störung des Familienfriedens zu befürchten ist).

 

Rechtsanspruch auf Sozialhilfe:

Nach § 4 BSHG besteht auf Sozialhilfe ein Anspruch,  soweit das Gesetz es bestimmt, daß die Hilfe zu gewähren  ist. Der Anspruch kann nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden. Über Form und Maß der Sozialhilfe ist nach pflichtmäßigem Ermessen zu entscheiden, soweit das BSHG das Ermessen nicht ausschließt.

 

Rechtscharakter von Leistungen: Bei Sollbestimmungen  besteht grundsätzlich die Verpflichtung, nach der Bestimmung zu verfahren. Ein Abweichen hiervon ist nach der Rechtsprechung im Einzelfall nur möglich, wenn dies nach besonderen Umständen unter Berücksichtigung auch fürsorgerischer Erwägungen geboten erscheint („gebundenes Ermessen“). Im Fall der Kann-Bestimmung ist der Sozialhilfeträger in seiner Entscheidung grundsätzlich frei. Die Grenzen des freien Ermessens liegen im Widerspruch zum Gesetzeszweck und im Gleichheitsgrundsatz nach dem Grundgesetz. Das Verwaltungshandeln unterliegt insoweit der vollen verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. Die Rechtsprechung räumt den Trägern der Sozialhilfe allerdings einen sogenannten Beurteilungsspielraum ein.

 

Anspruchsberechtigter: Wem der Anspruch zusteht, bestimmt das Gesetz bei den Hilfearten ausdrücklich oder es ergibt sich aus dem Zusammenhang. Ein Anspruch auf Sozialhilfe erlischt grundsätzlich mit der Überwindung oder Beendigung der Notlage  (etwa durch Tod des Hilfesuchenden

 

Verwirkung des Sozialhilfeanspruchs: Verletzt der Hilfesuchende  Pflichten, die ihm nach dem Gesetz obliegen, so kann sich der Hilfesuchende selbst dann nicht auf einen Anspruch berufen, wenn das Gesetz die Hilfe nicht ausdrücklich versagt. Das gleiche gilt für den Fall, daß der Hilfesuchende durch sein Verhalten eine Durchführung von Hilfsmaßnahmen unmöglich macht.

 

Einstellung laufender Leistungen: Die Sozialhilfe ist keine rentenähnliche Leistung mit Dauerwirkung. Die Fortzahlung über den jeweiligen Zahlungsabschnitt muß erst neu entschieden werden  (nicht Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsaktes). Hiergegen kann der Hilfesuchende nur mit Verpflichtungsklage vorgehen. Der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Für eine vorläufige Weiterleistung der laufenden Hilfe muß der Hilfesuchende eine einstweilige Anordnung erwirken.

 

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland: Deutsche, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und im Ausland der Hilfe bedürfen, soll Hilfe zum Lebensunterhalt,  Krankenhilfe und Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen gewährt werden. Sonstige Sozialhilfe kann ihnen gewährt werden, wenn die besondere Lage des Einzelfalles dies rechtfertigt (das wurde aber in der Praxis stark eingeschränkt).

 

Sozialhilfe für Ausländer in Deutschland: Grundsätzlich haben auch Ausländer und  Staatenlose Anspruch auf Leistungen. Die Hilfe kann versagt werden, wenn sich der Hilfesuchende in das Bundesgebiet begeben hat, nur um Sozialhilfe zu erlangen. Es kann auch sein, daß die Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängert wird.

Soweit Asylbewerber nicht aufgrund besonderer Leistungsgesetze der Länder unterstützt werden, ist ihnen Sozialhilfe zu gewähren. Die Hilfe kann auf das zum Lebensunterhalt Unerläßliche eingeschränkt werden.

 

Verfahren zur Ermittlung von Fakten:

Zur objektiven Klärung der Notlage des Hilfesuchenden  muß deshalb in aller Regel ein Gespräch mit dem Hilfesuchenden und seinen Angehörigen geführt, Stellungnahmen des sozialen Dienstes, gegebenenfalls auch  ärztliche oder amtsärztliche Gutachten eingeholt und Nachweise  über Einkommen, Vermögen, Mieten und dergleichen gesammelt bzw. beschafft werden. Läßt sich nicht klären, ob eine Bedürftigkeit vorliegt, so geht das zu Lasten desjenigen, der Ansprüche auf Sozialhilfe geltend macht.

 

Hilfearten

 

1. H i l f e  z u m  L e b e n s u n t e r h a l t:

Dies ist das Kernstück der Sozialhilfe und kommt am häufigsten vor. Sie muß dem gewährt werden, der den notwendigen Lebensunterhalt nicht allein bestreiten kann oder bei dem die eigenen Mittel nicht ausreichen. Das wird nachgewiesen durch Kontoauszug, Arbeitslosigkeitsnachweis oder Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit.

Der notwendige Lebensunterhalt umfaßt die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz,    d. h. die Bedürfnisse, die ständig vorhanden sind oder jedenfalls mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederkehren, so daß sie einen unerläßlichen Teil der Daseinsvorsorge jedes einzelnen darstellen. Der Begriff des menschenwürdigen Lebens  läßt sich nicht allein als eine Formel für das physiologisch Notwendige umschreiben. Es wird auf die jeweils herrschenden Lebensgewohnheiten und Erfahrungen verwiesen. Der unbestimmte Rechtsbegriff „notwendiger Lebensunterhalt“ ermöglicht eine ständige Anpassung an  die wirtschaftliche und gesellschaftliche  Entwicklung. Damit ist sichergestellt, daß die Empfänger von Sozialhilfe an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung teilhaben können.

 

Übernahme von Krankenversicherungsbeiträgen:

Als Pflichtleistung ist die Übernahme von Beiträgen zu einer Krankenversicherung bei Weiterversicherten, bei Rentenantragstellern  und bei Hilfesuchenden vorgesehen, denen laufende Hilfe zum Lebensunterhalt voraussichtlich nur für kurze Dauer zu gewähren ist. In allen anderen Fällen ist die Übernahme freiwilliger Krankenversicherungsbeiträge nur als Kann-Leist­ung möglich, soweit die Beträge angemessen sind (dann geht man davon aus, daß sowieso dauernd Hilfeleistung gewährt werden muß). Im anderen Fall müßte ja das Sozialamt die Krankenhilfe leisten.

 

Übernahme von Kosten zur Alterssicherung:

Insbesondere können freiwillige Beiträge  zur Arbeiterrenten- und Angestelltenversicherung übernommen werden. Aber die Beiträge werden nur geleistet, wenn das Rentenalter bald bevorsteht.

 

Übernahme von Bestattungskosten:

Eine würdige Bestattung soll sichergestellt werden. Zu übernehmen sind die Kosten für ein ortsübliches, angemessenes Begräbnis, insbesondere die Kosten der Leichenschau und Leichenbeförderung, die Leichenhausgebühren, die Aufwendungen für Waschen und Kleiden, sowie Einsargen der Leiche und für die Leichenträger, die Grabgebühren, den Sarg und das erstmalige Herrichten des Grabes einschließlich eines Grabschmuckes und eines einfachen, aber würdigen Grabsteins. Ferner die Übernahme der Kosten des Orgelspiels (In der Praxis wird aber nur eine Billigbeerdigung gewährt, zum Beispiel ohne Redner).

 

Hilfen zur Sicherung der Unterkunft:

Hierunter fallen insbesondere die  Übernahme von Mietrückständen,  von Mietvorauszahlungen als Sicherheitsleistung für den Vermieter, von Schuldentilgungsleistungen für ein Eigenheim, auch in Form der Übernahme von Verpflichtungen aus Leibrenten, aus dem Kauf eines Hausgrundstückes, ferner Maklergebühren und Gerichtskosten und Übernahme rückständiger Forderungen von Energieversorgungsunternehmen.

 

Umfang des notwendigen Lebensunterhaltes:

Ernährung:

Die Ernährung umfaßt den Regelbedarfe der nach Regelsätzen bemessen wird sowie einen etwaigen Sonderbedarf  für bestimmte Personengruppen oder nach den individuellen Verhältnissen Die  besondere Krankenkost ist Bestandteil der Hilfe zum Lebensunterhalt.

Unterkunft:

Als Aufwendungen für die Unterkunft sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft  einzusetzen, soweit sie nicht unangemessen hoch sind. Auch in diesem Fall sind jedoch die tatsächlichen Kosten zu berücksichtigen, wenn dem Hilfesuchenden ein Wohnungswechsel oder die Senkung seiner Aufwendungen durch  Untervermietung  usw. im Augenblick nicht möglich oder zumutbar ist. Eingehende Untermieten sind als Einkommen anzurechnen, wobei ein angemessener Abzug für Reinigung, Wäsche, Heizung usw. notwendig ist. Auch die Mietnebenkosten sind Bestandteil des Unterkunftsbedarfs.

Kleidung:

Bei der Ausstattung von Hilfesuchenden mit Kleidung muß vermieden werden, daß der  Hilfeempfänger sich rein äußerlich negativ von der übrigen Bevölkerung abhebt. Insbesondere bei Kindern ist dieser Gesichtspunkt von besonderer Bedeutung.

Körperpflege:

Kosten der Körperreinigung, aber auch die individuellen Kosten der Körperpflege, wie Reinigung der Leibwäsche. Sie werden pauschal durch den Regelsatz abgegolten.

Hausrat.

In diesem Bereich hat sich aber in den letzten Jahren durch die Entwicklung des allgemeinen Lebensstandards der Bevölkerung eine erhebliche Anhebung und Ausdehnung  des anzuerkennenden Bedarfs  ergeben. In langdauernden Bedarfsfällen muß in der Regel auch eine entsprechend bessere und vollständigere Ausstattung gewährt werden.

Heizung.

Die Heizung umfaßt lediglich den sogenannten Winterbrand. Der Bedarf an sonstigem Heizmaterial für Kochen, Baden  usw. wird durch die Regelsätze abgegolten. Der besondere Heizbedarf bei Kleinkindern und bei pflegebedürftigen Personen muß berücksichtigt werden.

 

Persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens:

-  Unterrichtung über das Tagesgeschehen (Rundfunk, Tageszeitung)

-  Beschaffung von Genußmitteln in beschränktem Umfang (Tabakwaren usw.)

-  Teilnahme am kulturellen Leben und an Veranstaltungen  in vertretbarem Umfang:

     Der Bedarf ist bei der Bemessung der Regelsätze zu berücksichtigen.

 

Bemessung der Hilfe zum Lebensunterhalt.

a.. Grundsatz der Besonderheit des Einzelfalles:

Die Festsetzung des Bedarfs richtet sich nach der Besonderheit des Einzelfalles. Hierbei ist vor allem nach der Person des Hilfeempfängers nach der Art seines Bedarfs  und den örtlichen Verhältnissen zu urteilen. Wünschen des Hilfesuchenden, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, soll entsprochen werden, soweit sie angemessen sind und keine unvertretbaren Mehrkosten verursachen.

Das Individualitätsprinzip unterscheidet die Sozialhilfe von den anderen Zweigen des Sozialrechts. Seine Anwendung muß einerseits eine im Einzelfall optimale und andererseits  eine in  gleichgelagerten Fällen übereinstimmende  Hilfe  gewährleisten. Aus diesem Grund mußte der Gesetzgeber dort, wo gleichmäßige Sachverhalte zu unterstellen sind, das Individualitätsprinzip einschränken.

 

b.. Die Regelsätze in der Sozialhilfe

Die Grundbedürfnisse werden durch Regelsätze abgegolten (gewisse Einschränkung des Individualitätsgrundsatzes). Bei der Festsetzung der Regelsätze sind die tatsächlichen Lebenshaltungskosten und örtlichen Unterschiede zu berücksichtigen. Darüber haben die obersten Gerichte mehrfach entschieden. Der Bundesinnenminister erläßt dazu eine Regelsatzverordnung.

Dabei werden der Familienstand und das Alter des Hilfesuchenden durch  unterschiedlich festgelegte Regelsätze berücksichtigt.

Die Regelsatzverordnung unterscheidet zwischen Haushaltsvorständen, Haushaltsangehörigen

(erhöhter Bedarf der Heranwachsenden) und Alleinstehende (Regelsatz eines Haushaltsvorstandes). Bei den Kindern wird gestaffelt nach dem Alter, bis 7. Lebensjahr, 8. bis 14 Jahr, 15. bis  18. Jahr und ab 19. Lebensjahr. Das Kindergeld wird aber angerechnet (also von der Leistung abgezogen.

 

c.. Aufbau der Regelsätze

Zum 1. Juli 1990 wurden die Regelsätze vom „Warenkorb“-Modell auf das „Statistik“-Modell umgestellt. Sie sind orientiert an den durchschnittlichen Ausgaben und am Verbrauchsverhalten von Haushalten (ermittelt nach den Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe).

Der durch den Regelsatz abgedeckte Bedarf bestimmt sich in den drei Bereichen „Ernährung“, „Hauswirtschaftlicher Bedarf“ und „Persönliche Bedürfnisse“ nach den Ausgabenpositionen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Für den Teilbereich „Haushaltsenergie“ liegen dem Bedarfsbemessungssystem die Verbrauchsdaten der Haushaltskundenbefragung der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) zugrunde.

Nach dem neuen Bedarfsbemessungssystem sind in der Regel alle einbezogenen Ausgabenpositionen pauschal durch den Regelsatz abgedeckt. Wird ein Mehraufwand geltend gemacht,

ist zu prüfen, ob es geboten ist, den Regelsatz abweichend  nach  den Besonderheiten des  Einzelfalls zu bemessen. Zuständige Landesbehörde in Hessen ist das Sozialministerium. Es setzt die Regelsätze im Einvernehmen mit dem Innen- und dem Finanzministerium fest.

 

d.. Mehrbedarfszuschläge § 23, Absatz 4 BSHG)

Ein Mehrbedarf von 20 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes ist anzuerkennen für Personen, die das 60. Lebensjahr vollendet haben, für Personen unter 60 Jahren, die erwerbsunfähig im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung sind, für werdende Mütter vom Beginn des sechsten Schwangerschaftsmonats an und für Tuberkulosekranke während der Dauer der Heilbehandlung.

Für Personen, die mit einem Kind unter sieben Jahren oder die mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben und  allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf von 20 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht; bei vier oder  mehr Kindern erhöht sich der Mehrbedarf auf 40 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes.

Für Behinderte, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und denen Eingliederungshilfe gewährt wird, ist ein Mehrbedarf von 40 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes anzuerkennen, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.

Ferner ist ein Mehrbedarf anzuerkennen bei Erwerbstätigen und Personen, die einer  kostenaufwendigeren Ernährung  bedürfen.

 

I. Berechnung bei Erwerbstätigen ohne beschränktes Leistungsvermögen

1. Der Grundbetrag ist ein Viertel des Regelsatzes für den Haushaltsvorstand

2. Der erhöhte Mehrbedarf  wird berechnet aus dem bereinigten Nettoerwerbseinkommen abzüglich Grundbetrag und davon dann 20 Prozent.

3. Gesamtmehrbedarf ist dann die Summe aus Grundbetrag und erhöhtem Mehrbetrag,    aber nicht höher als zwei Drittel des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes.

 

II. Berechnung bei Erwerbstätigen mit beschränktem Leistungsvermögen:

1. Der Grundbetrag ist ein Drittel des Regelsatzes für den Haushaltsvorstand

2. Der erhöhte Mehrbedarf  wird berechnet aus dem bereinigten Nettoerwerbseinkommen abzüglich Grundbetrag und davon dann 25 Prozent.

3. Gesamtmehrbedarf ist dann die Summe aus Grundbetrag und erhöhtem Mehrbetrag, aber nicht höher als drei Viertel des Regelsatzes eines Haushaltsvorstandes.

Wenn aber jemand mit beschränktem Leistungsvermögen (zum Beispiel eine alleinstehende Mutter) einer Erwerbstätigkeit nachgeht, erhält er einen höheren Mehrbetrag, auch bei Teilzeitarbeit.

 

Bewilligung einmaliger Leistungen:

Empfänger von laufender Hilfe  erhalten alle notwendigen und möglichen einmaligen

Leistungen (zum Beispiel Bekleidung, Hausrat, Übernahme von Renovierungskosten).

Einmalige Leistungen sind aber auch zu gewähren, wenn der Hilfesuchende zwar keine laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt benötigt, den Lebensunterhalt jedoch aus  eigenen Kräften und Mitteln nicht voll beschaffen kann. Ein Anspruch dürfte in der Regel gegeben sein, wenn das verfügbare Einkommen den laufenden Bedarf um nicht mehr als 10 vom

Hundert übersteigt. Bei Überschreitung dieser Einkommensgrenze ist ein Anspruch nicht völlig ausgeschlossen. Hier ist im Einzelfall auf die Höhe des Einkommens und die Art des Bedarfs abzustellen.

Wer nur eine bestimmte Hilfe braucht (zum Beispiel für bestimmte Arbeiten im Haushalt), dem sollte Hilfe vermittelt werden, aber er muß sich an den Kosten teilweise oder ganz beteiligen, wenn er dazu in der Lage ist.

Mehrbedarf: Bei mehreren Mitgliedern der Familie und mehreren Anlässen wird der Mehrbedarf auch nebeneinander gewährt, zum Beispiel Vater über 60 Jahre und Mutter hat Tuberkulose.

Schulden werden nicht übernommen, darauf bleiben die Gläubiger sitzen. Wenn aber eine Räumungsklage bevorsteht, wird die Miete übernommen, damit die Wohnung erhalten bleibt, denn grundsätzlich geht es immer um die Sicherung der Zukunft. Wohngeld wird zunächst einmal gezahlt für die vorhandene Wohnung, solange keine kleinere Wohnung beschafft werden kann oder nichts untervermietet werden kann.

 

 

2.  H i l f e  i n  b e s o n d e r e n  L e b e n s l a g e n  (§§ 27folgende):

Wer keine laufenden Leistungen erhält, aber gerade so an der Grenze liegt, kann einmalige Leistungen erhalten. Während die Hilfe zum Lebensunterhalt der Sicherung des Existenzminimums dient, erfaßt die Hilfe in besonderen Lebenslagen qualifizierte Bedarfssituationen. Diese Hilfe soll Personen zugute kommen, die zwar für ihren normalen Lebensunterhalt selbst sorgen können, aber infolge besonderer Verhältnisse trotzdem der Hilfe durch die Allgemeinheit bedürfen. Entscheidend für die Hilfe in besonderen Lebenslagen sind die besonderen Einkommensgrenzen, die den Einkommenseinsatz begrenzen bzw. den Hilfesuchenden hiervon völlig freistellen. Das Einkommen spielt nur eine Rolle bei  der Frage, inwieweit der Betreffende mit zu den Kosten beitragen muß.

 

Einzelne Hilfearten:

  • Hilfe zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage (für beruflich  Selbständige nach entsprechender Prüfung der Aussichten der Existenzgründung). Die Hilfe wird als Darlehen gewährt oder als Zuschuß. Ziel ist es an sich, dauernd von Sozialhilfe unabhängig zu machen. Beispiel: Kleiner Zirkus braucht Motor für Traktor.
  • Vorbeugende Gesundheitshilfe, Krankenhilfe, Hilfe zur Familienplanung, Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen (wenn bei Versicherten Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht oder nicht  in ausreichender Höhe gewährt werden kann). Dies ist gedacht für Personen, die nicht in der Krankenkasse sind. Das kann bis zu Kuren gehen, wenn diese zur Erhaltung der Gesundheit notwendig sind.
  • Kleidung (etwa in Höhe eines Monatssatzes) oder Winterbrand
  • Eingliederungshilfe für Behinderte (§ 39). Den Behinderten soll ein „normales Leben“ ermöglicht werden („Teilnahme am Leben der Gemeinschaft“). Nur wenn vorrangige Leistungen nicht oder nicht in ausreichendem Umfang zum Tragen kommen, setzt die Sozialhilfe ein.
  • Beispiel: Behindertengerechte Ausstattung der Wohnung und des Arbeitsplatzes. Die wirtschaftliche Situation behinderter Kinder soll ohne Rücksicht auf das Einkommen und das Vermögen der Eltern verbessert werden. Die Eingliederungshilfe bildet einen Schwerpunkt der Sozialhilfe. Sie soll den Behinderten befähigen, sein Leben selbst zu gestalten und auf Dauer möglichst unabhängig von öffentlicher Hilfe zu leben.
  • Blindenhilfe, zum Beispiel die Aufwendungen für eine Begleitperson.
  • Hilfe zur Pflege: Hilfe zur Pflege ist Personen zu gewähren, die infolge  Krankheit oder Behinderung so  hilflos sind, daß sie nicht ohne Wartung und Pflege bleiben können. Zu unterscheiden ist die stationäre (auch teilstationäre) und die ambulante Hilfe zur Pflege. Die ambulante Pflege ist an sich der Schwerpunkt. Die Hilfe zur Pflege in stationären Einrichtungen umfaßt auch ein angemessenes Taschengeld sowie Bekleidungsbeihilfen. Dazu werden auch Vereinbarungen mit privaten Trägern getroffen.
  • Die häusliche Pflege und das Pflegegeld ist in § 69 BSHG geregelt. Aus Kostengründen und aus dem Bestreben heraus, dem Pflegling den Verbleib in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen, ist ihr stets der Vorzug einzuräumen. Die häuslichen Verhältnisse (Beschaffenheit der Wohnung), der Grad der Pflegebedürftigkeit wie auch die Motivation und die gesundheitliche Verfassung der Pflegeperson können eine stationäre Unterbringung unumgänglich machen.
  • Es ist zwischen der  leichten, der qualifizierten und der außergewöhnlichen Pflegebedürftigkeit zu unterscheiden. Der Grad der Pflegebedürftigkeit ist Ausgangspunkt für die Höhe des Pflegegeldes und die anzuwendenden Einkommensgrenzen.
  • Das (pauschalierte) Pflegegeld  hat die Aufgabe, den Bedarf des Hilfesuchenden abzudecken und die Pflegebereitschaft naher Angehöriger zu erhalten. Daneben können Fremdpflegekräfte  in Anspruch genommen werden, wenn die Pflege durch nahe Angehörige nicht ausreicht. Die hierdurch entstehenden Kosten werden in voller Höhe als Bedarf berücksichtigt.
  • Wird neben dem pauschalierten Pflegegeld der Aufwand für die Fremdpflege übernommen, so kann das pauschalierte Pflegegeld bis zu 7 vom Hundert gekürzt werden.
  • Hilfe zur Weiterführung des Haushalts während des vorübergehenden Ausfalls der hierzu berufenen Kraft, regelmäßig der Hausfrau und Mutter. Vorrangig sind aber die Leistungen der Krankenkasse in Anspruch zu nehmen (zahlt zehn Tage Verdienstausfall für jeden Elternteil mit Kindern bis 14 Jahren). Andernfalls müßten die Kinder zur Pflege gegeben werden oder in  eine Einrichtung aufgenommen werden.
  • Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (sogenannte „Randgruppen“:
  • Berufliche und soziale Integration von Nichtseßhaften, Eingliederungshilfen für Haftentlassene und ehemalige Prosituierte). Oft geht es aber auch nur um eine einmalige Hilfe für Kleidung und Schlafsack, eventuell ist stationäre Krankenhilfe nötig.
  • Altenhilfe: Hilfe bei der Beschaffung  und zur Erhaltung einer Wohnung, in allen Fragen der Aufnahme in eine Betreuungs-Einrichtung, Beschaffung eines geeigneten Platzes, Essen auf Rädern, Besuchsdienst, Besuch von Veranstaltungen oder Einrichtungen, die der Geselligkeit, der Unterhaltung, der Bildung oder den kulturellen  Bedürfnissen alter Menschen dienen, Verbindung mit nahestehenden Personen ermöglicht, Hilfe zu einer Betätigung,  wenn sie vom alten Menschen gewünscht wird. Alte Menschen haben oft kein Betätigungsfeld mehr. Aber sie sollen auch ein erträgliches Lebe erhalten. Es werden auch Altentreffs organisiert und Heime gebaut.

Die Hilfe in besonderen Lebenslagen kann auch über eine längere Zeit gezahlt werden, zum Beispiel für eine Pflegekraft. Die Ausgaben müssen aber unausweichlich sein und der Hilfsbedürftige muß aus seinem Einkommen mit dazu beitragen.

 

 

Einsatz des Einkommens, des Vermögens und der Arbeitskraft

 

Einsatz des Einkommens:

Grundsätzlich sind alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert ein Einkommen im Sinne des BSHG. Dabei spielen Herkunft und Rechtsnatur und der Umstand, ob sie zu den Einkunftsarten nach dem Einkommenssteuergesetz gehören und der Steuerpflicht unterliegen, keine Rolle. Bei Leistungen in Geldeswert handelt es sich um Natural- und Sachbezüge, zum Beispiel um  freie Kost und Verpflegung  als Teil des Arbeitseinkommens, um Deputate oder um Bezüge aus dem sogenannten Altenteil.

Nicht zum Einkommen im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes zählen:

-  Leistungen nach dem BSHG selbst.

-  Grundrente nach dem  Bundesversorgungsgesetz und vergleichbare Leistungen

-  Freiwillige Zuwendungen der freien Wohlfahrtspflege und anderer.

-  Sonstige Einkünfte, die ausdrücklich nicht angesetzt werden dürfen (z. B  Erziehungsgeld).

 

Der Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt richtet sich nach dem Einkommen des Hilfesuchenden oder  seines Ehegatten oder seiner  Eltern (eines Elternteils). Das Einkommen ist voll einzusetzen. Vor  Gewährung von Hilfe in besonderen Lebenslagen ist das Einkommen der weiteren Personen in einer Bedarfsgemeinschaft nur in zumutbarem Maße zur Bedarfsdeckung einzusetzen. Die „Bedarfsgemeinschaft“ umfaßt dabei Ehegatten und minderjährige unverheiratete Kinder.

 

Einsatz des Vermögens:

Grundsätzlich ist vor der Inanspruchnahme von Sozialhilfe das verwertbare Vermögen einzusetzen. In welchem Umfang das Vermögen geschützt ist, sagt eine Verordnung zu § 88: „Schonvermögen“ ist die selbstgenutzte Eigentumswohnung (einschließlich Zinsaufwand für Kredite und Unterhaltungskosten), ein kleines und selbstgenutztes Hausgrundstück, Hausrat in angemessenem Umfang,  kleineres Sparguthaben oder Bargeldbetrag (zum Beispiel 2.000 Euro), Erbstücke. Vom Einsatz des Vermögens ist abzusehen, wenn dies eine Härte bedeuten würde, zum Beispiel wenn eine angemessene Lebensführung  oder die Aufrechterhaltung  einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert  würde. Dann wird die Sozialhilfe oft als Darlehen gewährt.

Zum notwendigen Lebensunterhalt gehört nicht das Auto, von Sonderfällen abgesehen, zum Beispiel für die Fahrt zur Arbeitsstelle an einem abgelegenen Ort oder wenn Behinderte in der Familie sind. Aber auch dann kann es sich nur um ein einfaches Auto älterer Bauart handeln.

 

Einsatz der Arbeitskraft:

Zu den Selbsthilfemöglichkeiten zählt insbesondere auch der Einsatz der Arbeitskraft. Hierzu ist grundsätzlich jeder Hilfesuchende verpflichtet (§ 18). Die Arbeitsagentur bescheinigt, daß man sich bemüht hat und zur Vermittlung zur Verfügung steht.

Die Arbeit muß zumutbar sein. Bei der Sozialhilfe ist aber alles zumutbar, während man bei der Arbeitsagentur nur eine Stufe tiefer gehen muß. Eine Arbeit ist insbesondere nicht allein deshalb unzumutbar, weil sie nicht einer früheren beruflichen Tätigkeit entspricht, sie im Hinblick auf die Ausbildung als  geringwertig anzusehen ist, der Beschäftigungsort vom Wohnort weiter entfernt ist als ein früherer Beschäftigungs- oder Ausbildungsort und die Arbeitsbedingungen  ungünstiger sind als bei den bisherigen Beschäftigungen des Hilfesuchenden.

Dem Hilfesuchenden darf eine Arbeit aber nicht zugemutet werden, wenn er geistig und körperlich hierzu nicht in der  Lage ist oder wenn ihm die künftige Ausübung seiner bisherigen überwiegenden Tätigkeit wesentlich erschwert würde oder wenn der Arbeit ein sonstiger wichtiger Grund entgegensteht. Ihm darf eine Arbeit vor allem nicht zugemutet werden, soweit dadurch die  geordnete Erziehung eines Kindes gefährdet würde; auch sonst sind die Pflichten zu berücksichtigen, die dem Hilfesuchenden die Führung eines  Haushalts oder die Pflege eines Angehörigen auferlegt. Nach höchstrichterlicher Entscheidung ist ein Studium  kein wichtiger Grund, der einen Hilfesuchenden von der Verpflichtung zum Einsatz seiner Arbeitskraft freistellen könnte.

Für Hilfesuchende bzw. Hilfeempfänger, die von der Arbeitsagentur auf dem freien  Arbeitsmarkt nicht vermittelt  werden können, soll der Träger der Sozialhilfe Gelegenheit zur Verrichtung geeigneter Arbeiten schaffen (sogenannte „Arbeitsgelegenheiten“), für die es auch noch eine kleine Vergütung gibt. Entweder bietet der Träger der Sozialhilfe bzw. die von ihm beauftragen Stellen dem Hilfesuchenden ein (in der Regel zeitlich befristetes) sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis an oder er verpflichtet den Hilfesuchenden  zu einer Arbeitsleistung  (gemeinnützige Arbeit) und gewährt ihm neben der Hilfe zum Lebensunterhalt eine Entschädigung für Mehraufwendungen.

In der Praxis wird aber selten zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen, weil man sich nicht dem Vorwurf aussetzen will, es würden nur regulären Arbeitsplätze eingespart. Durch gemeinnützige Arbeit soll aber vor allem die Arbeitsbereitschaft geprüft werden und an reguläre Arbeit gewöhnt werden. Aber das durch­gängige Bild des Sozialhilfeempfängers ist nicht der Penner. Viele Hilfeempfänger sind alte Menschen mit zu geringer Rente oder auch Menschen in einen regulären Arbeitsverhältnis mit zu geringem Einkommen („Aufstocker“). Auch Scheidung mit Kindern führt zur Sozialhilfe oder die Erhöhung der Mieten.

 

 

Nachträgliche Realisierung des Nachranggrundsatzes der Sozialhilfe

 

Überleitung von Ansprüchen:

Der Sozialhilfe träger kann sich an dem an sich Verpflichteten schadlos zu halten, der die Leistungen nicht oder nicht rechtzeitig erbringt. Der Sozialhilfeträger kann durch schriftliche Anzeige  (Verwaltungsakt) an den Verpflichteten die Ansprüche des Hilfeempfängers auf sich  überleiten. Es gibt aber Ausnahmetatbestände:

  • Ein Unterhaltsanspruch darf nur insoweit übergeleitet werden, als der Unterhaltspflichtige nach seinem Einkommen und Vermögen keine  Sozialhilfe erhalten würde,  wenn er selbst Anspruch auf die gleiche Hilfe erheben könnte, die dem Hilfeempfänger gewährt wird.
  • Der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch gegen einen Unterhaltspflichtigen, der mit dem Hilfeempfänger im zweiten oder in  einem entfernteren Grade  verwandt ist, darf nicht übergeleitet werden
  • Der  Unterhaltsanspruch eines Behinderten, eines von  Behinderung Bedrohten oder  eines Pflegebedürftigen gegenüber seinen Eltern soll nicht übergeleitet werden, soweit der Hilfeempfänger Eingliederungshilfe für Behinderte oder Hilfe zur Pflege erhält und der Hilfeempfänger das 21. Lebensjahr vollendet hat.
  • Ein bürgerlich-rechtlicher Unterhaltsanspruch soll nur übergeleitet werden, wenn dies keine besondere Härte für den Unterhaltspflichtigen bedeutet.
  • Von der Überleitung eines Unterhaltsanspruchs kann abgesehen werden, wenn anzunehmen ist, daß der mit der Inanspruchnahme verbundene Verwaltungsaufwand in  keinem angemessenen Verhältnis zu der Unterhaltsleistung stehen wird.

 

Darlehensweise Hilfegewährung:

Bei nur vorübergehender Gewährung laufender  Leistungen zum Lebensunterhalt kann die Hilfe als Darlehen  gewährt werden. Das beruht auf der Überlegung, daß in solchen Fällen vorübergehender Bedürftigkeit nachträglich wieder Einkommensverhältnisse eintreten können. Das Darlehen kann aber auch in einen verlorenen Zuschuß umgewandelt werden.

Ein Erbe des Hilfeempfängers ist zum Ersatz der Sozialhilfeaufwendungen verpflichtet,

wenn der Hilfeempfänger über geschütztes Vermögen (zum Beispiel kleines Sparguthaben, Eigentumswohnung) verfügte. In diesen Fällen hat der Erbe die in den letzten zehn Jahren gewährte Hilfe zu ersetzen, maximal in Höhe des Nachlasses. Dem Erben wird auf jeden Fall ein Schonbetrag belassen.

 

                                  

Hessisches Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz (HAG BSHG)                                                       

Örtliche Träger der Sozialhilfe sind die kreisfreien Städte und die Landkreise; sie führen die Sozialhilfe als Selbstverwaltungsangelegenheit durch. Überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist der Landeswohlfahrtsverband Hessen, er führt die Sozialhilfe als  Selbstverwaltungsangelegenheit durch.                                                       

 

Der überörtliche Träger ist auch sachlich zuständig für….

1. bei Nichtseßhaften für die Hilfe zum Lebensunterhalt oder in besonderen Lebenslagen außerhalb einer Anstalt oder einer gleichartigen Einrichtung, wenn die Hilfe zur Seßhaftma­chung bestimmt ist,           

2. bei Krebskranken für die Krankenhilfe, die Hilfe zur Pflege und die Hilfe zur Weiterführung des  Haushalts.           

 

Es gibt auch Verbände der freien Wohlfahrtpflege („freie Träger“) wie Arbeiterwohlfahrt, Diakonisches Werk, Caritas, Rotes Kreuz. Diese ergänzen die Arbeit des Sozialamtes in guter Weise und sind auch Träger von Einrichtungen (Altenheime, Pflegheime).

 

Die Landkreise können auf Antrag kreisangehöriger Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohnern bestimmen, daß  diese Gemeinden den Landkreisen als örtlichen Trägern obliegende Aufgaben ganz oder teilweise durchführen und dabei selbständig entscheiden. Zur Durchführung  aller Aufgaben sollen in der Regel nur Gemeinden mit mehr als 7.500 Einwohnern herangezogen werden. Den kreisangehörigen Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern gelten alle Aufgaben als übertragen. Damit werden den Bürgern längere Wege erspart und die örtliche Behörde kennt die Verhältnisse besser. Erstattet werden der Gemeinde aber nur der Sachaufwand, nicht die Personalkosten. Aber meist wird dort großzügiger gezahlt, weil es ja nicht um das eigene Geld geht.

Die Landkreise können für die Durchführung der Aufgaben Weisungen erteilen. Die Weisungen sollen sich auf allgemeine Anordnungen beschränken und in der Regel nicht in die Einzelausführung eingreifen.                                                      

Die Heranziehung einer kreisangehörigen Gemeinde ist auf deren Antrag aufzuheben.  Die Heranziehung kreisangehöriger Gemeinden mit mehr als 50.000 Einwohnern kann nur mit deren Zustimmung aufgehoben werden.

Ein Antrag auf Sozialhilfe kann außer bei dem zuständigen Träger auch bei der kreisangehörigen Gemeinde gestellt werden, in welcher der Hilfesuchende sich tatsachlich aufhält.  Die Gemeinde leitet den Antrag unverzüglich dem örtlichen Träger zu, falls sie nicht selbst die Aufgabe durchführt. Der örtliche Träger leitet einen Antrag, über den der überörtliche Träger zu entscheiden hat, unverzüglich diesem zu.

Steht nicht fest, welcher Träger der Sozialhilfe sachlich zuständig ist, hat der örtliche Träger, in dessen Bereich der Hilfesuchende sich tatsächlich aufhält, bis zur Klärung der sachlichen Zuständigkeit einzutreten. Das gilt auch, wenn der überörtliche Träger nicht rechtzeitig tätig werden kann, die Gewinnung der Hilfe aber keinen Aufschub duldet. Der örtliche Träger hat den überörtlichen Träger unverzüglich über seine Maßnahmen zu unterrichten. Dieser hat die aufgewendeten Kosten zu erstatten.

Die kreisangehörigen Gemeinden haben vorläufig die unerläßlich notwendigen Maßnahmen zu treffen, wenn der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig tätig werden kann, die Gewährung der Hilfe aber keinen Aufschub duldet. Er behält aber die sachliche Zuständigkeit und muß die Kosten übernehmen und ist deshalb unverzüglich über die Maßnahmen zu unterrichten. Der Träger der Sozialhilfe hat die aufgewendeten Kosten zu erstatten.

 

Landeswohlfahrtverband:

Träger der Sozialhilfe sind die Landkreise und kreisfreien Städte und für bestimmte Aufgaben der Landeswohlfahrtsverband. Dieser wird auch von den  Gemeinden gebildet, die eine Um­lage zahlen müssen. Die örtlichen Träger der Sozialhilfe stellen nur Räume und Fachpersonal zur Verfügung. Dort werden die Anträge entgegengenommen, aber berechnet und gezahlt wird vom Landkreis oder Landeswohlfahrtsverband. Der Landeswohlfahrtsverband hat eine  Verbandsversammlung und viel Fachpersonal. Aber die Jugendhilfe und die Altenhilfe für über 65Jährige in Einrichtungen ist wieder an die örtlichen Träger zurückgegangen.

Jugendhilfe

Die Jugendhilfe wird geleistet vom Sozialamt oder Jugendamt. Sie ist ein gesetzlicher Auftrag, schon nach Artikel 6 GG. Eltern haben das Recht zur Erziehung der Kinder. Aber wenn sie versagen, muß die staatliche Gemeinschaft ihnen zum Recht verhelfen. Konkret ist das Sorgerecht geregelt im Bürgerlichen Gesetzbuch. Die  Wächterfunktion haben dabei die Jugendämter als die öffentlichen Jugendhilfeträger. Ihre Aufgabe ist geregelt im Kinder- und Jugendhilfegesetz (8. Buch des Sozialgesetzbuches, abgekürzt KJHG).

Es gibt aber auch das Jugendarbeitsschutzgesetz (überwacht vom Gewerbeaufsichtsamt) und das Jugendgerichtsgesetz (Jugendgerichtshilfe, Hilfe zur Erziehung im Heim, Betreuung beim selbständigen Wohnen für Heranwachsende). Es wird ab einem Alter von 14 Jahren angewandt.

Jugendämter sind gebildet bei den Landkreisen und kreisfreien Städten. Das Jugendamt besteht aus einer Verwaltung und dem Jugendhilfeausschuß (Kommission im Sinne der HGO), der bei der Besetzung der Stelle des Leiters des Jugendamts mitspricht.

Es gibt auch frei Träger der Jugendhilfe wie Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz und die Kirchen. Diese sind im Jugendhilfeausschuß zu 40 Prozent vertreten, damit sachgerecht und gleichartig gehandelt wird. Aber der Ausschuß hat nicht Einzelfälle zu entscheiden, sondern allgemeine Richtlinien herauszugeben. Aber die Verwaltung hat natürlich einen Informationsvorsprung, ihr Gewicht ist in der Praxis stärker. Meist wacht der Ausschuß nur darüber, daß die Fördermittel gerecht auf ihre Verbände verteilt werden.

Hauptaufgabe der Jugendämter ist die Jugenderziehungshilfe (auch für junge Erwachsene), meist in Form der Heimunterbringung. Dazu kommen Gutachten über das Sorgerecht in Scheidungsfällen. Heute berät das Jugendamt nur die Eltern, damit sie einvernehmlich das Sorgerecht und Besuchsrecht regeln (aber oft stimmen die Eltern zu, um die Scheidung zu erreichen, aber hinterher geht der Streit weiter). Schließlich gibt es auch Hilfe für alleinreisende ausländische Jugendliche.

Klassische Aufgabe des Jugendamtes ist die Wahrnehmung der Aufgabe der Amtspflege. Wenn die Mutter volljährig ist und das Erziehungsrecht wahrnehmen kann, erhält das Kind nur einen Pflege, der Unterhalt, Namensgebung und Erbrecht sichert. Ist die Mutter aber noch minderjährig erhält das Kind einen Amtsvormund. Man kann aber auch schon im Vorfeld beantragen, daß die Amtspflegschaft nicht eintritt, zum Beispiel wenn ein fester Partner vorhanden ist.

Bei einer unehelichen Geburt macht das Standesamt eine Mitteilung an das Jugendamt. Die Mutter wird vorgeladen. Sie kann erklären, daß sie selber für das Kind sorgen kann. Nachgeprüft wird das von Amtswegen nicht (wie ja auch in anderen Familien nicht). Die Pflegschaft ist nur ein Hilfsangebot.

Gibt die Mutter den Vater an, wird dieser vorgeladen. Gibt er die Vaterschaft zu, wird eine entsprechende Urkunde aufgenommen und der Vater verpflichtet sich zum Unterhalt. Rechte hat er deswegen noch nicht, er kann zum Beispiel nicht in eine neue Familie der Mutter hineinreden. Aber der Vater ist mit dem Kind verwandt, das  Kind ist erbberechtigt, es gibt sogar einen vorzeitigen Erbausgleich, damit der Vater sein Vermögen nicht absichtlich durchbringt (aber nur zwischen dem 21. und 25. Lebensjahr).

Gibt er die Vaterschaft nicht zu, wird vom Amtspfleger beim Gericht die Feststellung der Vaterschaft beantragt. Viele Väter leugnen erst einmal, denn die Anerkennung kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, auch wenn sie nachträglich herausstellt, daß er nicht der Vater ist. Nur in der Ehe kann man innerhalb einer Frist die Ehelichkeit des Kindes anfechten.

Die heutigen wissenschaftlichen Gutachten des Bluttests sind so genau, daß auch positiv ausgesagt werden kann, daß ein Mann der Vater ist (früher konnte man nur negativ sagen, daß jemand nicht der Vater ist).

Der Regelunterhalt wird festgesetzt. Er ist dann vom Tag der Geburt an zu zahlen. Die Gerichtskosten muß der Vater zahlen. Dann muß nur noch überwacht werden, daß das Geld pünktlich eingeht und notfalls mit Zwangsmaßnahmen und Strafantrag nachgeholfen werden. Es besteht auch die Möglichkeit einer einmaligen Abfindung.

 

 

Pflegeversicherung:

unter dem Dach der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)

 

Notwendig geworden war die Pflegeversicherung aus mehreren Gründen: Der Anteil der älteren Menschen an der Bevölkerung ist gewachsen (und wird weiter wachsen), die Zahl der Pflegebedürftigen nimmt zu. Gleichzeitig sind die Kosten für Pflegeleistungen in Pflegeheimen stark angestiegen. Wer nur eine kleine Rente hat, war bisher auf finanzielle Hilfe von Verwandten oder auf Sozialhilfe angewiesen.

Eine Pflegeversicherung war auch deshalb nötig, weil die Pflegekosen die Sozialhilfe stark belasteten. Auch häusliche Pflege sollte personell und finanziell gestärkt werden, damit die Kosten für die Heimunterbringung gering gehalten werden. Ambulante Pflege ist billiger als Pflege in einer Einrichtung. Nur ist die ambulante Pflege eine Aufgabe der örtlichen Träger, während für die Heimunterbringung der Landeswohlfahrtsverband zuständig ist. So werden Menschen in Heime gedrängt, die durchaus noch zu Hause hätten bleiben können.

 

Betroffene:

Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung (auch freiwillige), ihre nichtberufstätigen Ehepartner und Kinder sind Mitglieder in der sozialen Pflegeversicherung, Privatversicherte und Beamte sind in einer privaten Pflegeversicherung.

 

Finanzierung:

Beitragssatz zunächst 1,7 Prozent des monatlichen Bruttoeinkommens, aber höchstens bis zur  Beitragsbemessungsgrenze in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen je die Hälfte. Das bedeutet eine finanzielle Entlastung der Arbeitgeber. Eingeführt wurden dabei zwei Karenztage je Krankheitsfall (maximal sechs Tage pro Jahr); wahlweise auf den Urlaub anrechenbar. Bei Schwangerschaft, Betriebsunfall oder Berufs­krankheit gibt es keine Karenztage.

Die neue Versicherung wurde nur stufenweise verwirklicht:

Ab 1994: Häusliche Pflege, Beitragssatz zunächst 1 Prozent des Bruttoeinkommens.

Ab 1996: Auch stationäre Pflege, Beitragssatz dann 1,7 Prozent des Bruttoeinkommens.

 

Leistungen je nach Pflegebedürftigkeit:

Die Leistungen richten sich nach dem Grad der Pflegebedürftigkeit (erheblich, schwer oder schwerst) sowie danach, ob ambulante, teilstationäre oder stationäre Pflege erforderlich ist.

Bei häuslicher Pflege kann der Pflegebedürftige wählen zwischen

1.  einem Pflegegeld bei Versorgung durch Angehörige, Freunde oder Nachbarn oder

2. Sachleistung (Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung) durch 25 bis 75 Einsätze einer Sozialstation. Auch eine Kombination von Geld- und Sachleistungen ist möglich. Häusliche Pflegekräfte sind in die Renten- und Unfallversicherung einbezogen. Kosten einer Urlaubsvertretung für die häusliche Pflegeperson werden bis zu vier Wochen einmal jährlich übernommen.

Bei stationärer Pflege werden die reinen Pflegekosten erstattet bis zu einem bestimmten Betrag je nach Pflegestufe. Kosten für Unterkunft und Verpflegung trägt der Versicherte. Die Einrichtung erhält pro betreute Person einen Pflegesatz. Dieser wird berechnet nach den Selbstkosten (Fläche, Personalschlüssel). Die täglichen Kosten pro Platz ergeben den Pflegesatz, den der Kostenträger der Sozialhilfe zahlen muß. Nicht enthalten ist der Barbetrag an den Heimbewohner.  Abgerechnet wird monatlich rückwirkend. Es gibt einen Pflegesatzausschuß, der den Betreuungsschlüssel festlegt (paritätisch besetzt mit Kostenträgern und Heimvertretern). Renten werden auf das Sozialamt übergeleitet und Unterhaltsverpflichtete werden herangezogen.

 

In den folgenden Fällen ist noch mehrfach von der Arbeitsagentur die Rede, bei der man den Antrag auf Arbeitslosengeld stellen müsse. Seit Neufassung des Sozialgesetzbuches II („Hartz IV“) sind diese Fälle jetzt aber der Arbeitsagentur überwiesen. Wer noch berufstätig sein könnte, wird von dort betreut oder von einem „Jobcenter“, das manche Landkreise eingerichtet haben. Unter dem Leitwort „fordern und fördern“ sollen Arbeitsfähige wieder in den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Beim Sozialamt verbleiben nur diejenigen, die dem Arbeitsmarkt aus den verschiedensten Gründen  nicht zur Verfügung stehen

 

Falllösungen

 

Schema für Fall-Lösung:

  • Zuständigkeit: Feststellung mit Hilfe des Personalausweises, ob der Hilfesuchende aus einer kreisangehörigen Gemeinde stammt. Damit ist das Sozialamt örtlich zuständig. Ob es auch sachlich zuständig ist, richtet sich nach der Leistungsart (§ 97-100). Der überörtliche Träger könnte in bestimmten Fällen zuständig sein für die Hilfe in besonderen Lebenslagen (für die Hilfe zum Lebensunterhalt ist aber immer der örtliche Träger zuständig).
  • Anspruch: Gehört der Antragsteller zum berechtigten Personenkreis? Wer gehört zur Bedarfsgemeinschaft (beide Ehegatten und Kinder, aber auch Haushaltsgemeinschaft und eheähnliche Gemeinschaft)?
  • Berechnung nach den Regelsätzen: Dazu kommen Mehrbedarfszuschläge, Krankenversicherung, Kosten der Unterkunft. Diesen werden gegenübergestellt das Einkommen, Kindergeld, Wohngeld, Sonstige Einnahmen, Vermögen.
  • Ansprüche auf einmalige Leistungen (Kleidung) oder Sonderleistungen  (Mietrückstand, Alterssicherung, Bestattungskosten).
  • Zeitpunkt der Hilfegewährung (ab Bekanntwerden bei der Behörde)
  • Form: Barbetrag, Sachleistung, Darlehen.
  • Sicherung von Drittleistungen und anderen Ansprüchen.

 

 

Beispiel: „Plötzliche Arbeitslosigkeit“:

Frau Mathilde Müller, 26 Jahre, geschieden, spricht beim Sozialamt vor und schildert folgende Situation: Ich lebe seit Jahren in einer Drei-Zimmer-Neubauwohnung, für die ich monatlich 750 Euro kalt zahle, zuzüglich 210, Euro für Heizung und  Wasser. Mit mir leben meine zwei Kinder Christian, 4 Jahre, und Christine, 5 Jahre. Bis vor zwei Monaten war ich vorwiegend in den Abendstunden als Bardame in einem Club der US-Army tätig und konnte locker meinen Lebensunterhalt bestreiten. Durch die Schließung des Standorts ist dies nun nicht länger möglich. Meine Ersparnisse sind aufgebraucht, ich weiß finanziell nicht mehr weiter, zumal mir zu allem Überfluß mein Porsche zu Bruch ging (Hinterachse) und ich eine offene Reparaturrechnung in Höhe von 4.382 Euro zu zahlen habe.

 

Lösung:

1.  Nachrang: Es könnte Arbeitslosengeld und Wohngeld beantragt werden. Für zwei Kinder wird Kindergeld gezahlt. Geprüft werden müssen Unterhaltsansprüche an den Ex-Ehemann. Alle Ansprüche müssen gesichert und an das Sozialamt übergeleitet werden.

2. Bedarfsberechnung: Es wird zunächst einmal der Höchstbetrag ausgezahlt. Aber nach drei Monaten steht fest, daß Arbeitslosengeld und Wohngeld gezahlt werden. Für die zurückliegenden drei Monate geht dieses Geld aber an das Sozialamt: In Zukunft gehen Arbeitslosengeld und Wohngeld an die  Hilfesuchende, vom Sozialamt erhält sie nur den Differenzbetrag. Dieser setzt sich zusammen aus dem Betrag für den Haushaltsvorstand, zwei Kinder, Mehrbedarf, Miete und Heizung. Davon geht das Kindergeld ab.

3. Der Porsche muß als verwertbares Vermögen verkauft werden. Dabei bleibt ein gewisser Betrag ansatzfrei, nämlich der „geringe Geldbetrag“ für Haushaltsvorstand und Kinder (§ 88). Der Rest wird solange eingesetzt (der monatliche Differenzbetrag), bis er aufgebraucht ist, dann setzt die Sozialhilfe ein. Wenn aber die Frau das Geld schnell durchbringt, wird der Regelsatz um 20 Prozent gekürzt (§ 25), nur die Kinder erhalten den vollen Satz.

 

 

Fall „Trennung vom Lebensgefährten“:

Claudia W. ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern im Alter von 5 und 11 Jahren. Der Vater der ältesten Tochter zahlt einen monatlichen Unterhalt von 238 Euro, die Vaterschaft des jüngsten Sohnes ist noch nicht geklärt. Das zuständige Jugendamt als Amtspfleger führt einen Vaterschaftsprozeß, der kurz vor dem Abschluß steht. Derzeit verfügt Frau W. lediglich noch über das monatliche Kindergeld, zuzüglich eines Zuschlages. Von diesen Einkünften ist sie nicht in der Lage, die angemietete Drei-Zimmer-Wohnung zu bezahlen, die monatlich 1.100 Euro einschließlich Umlagen kostet. Zur Aufbesserung ihrer beschränkten Mittel hat sie ein Zimmer im letzten Monat an einen Studenten untervermietet für 250 Euro monatlich einschließlich Beteiligung an den Umlagen.

Bei der Vorsprache beim Sozialamt erwähnt sie, daß die Situation sich im vergangenen Monat für sie verschärft habe, als ihr bisheriger Lebensgefährte (der klaglos den Unterhalt der Gesamtfamilie bestritt) sie verließ. Aus dieser Zeit rührt auch noch eine freiwillige Krankenversicherung bei der AOK für sie selbst und die Kinder her, die monatlich 264 Euro Beitrag erfordert; der Beitrag für Juni steht noch aus, gleichfalls der Restbetrag der Heizkostenabrechnung aus dem vergangenen Jahr, nach dem sie noch 384 Euro zu zahlen habe.

Frau W. teilt weiter mit, daß sie ab dem 1. August eine Anstellung als Schulsekretärin in Aussicht habe; die schriftliche Zusage liege vor, der Anstellungsvertrag wird derzeit ausgefertigt. Insofern bedürfe sie aller Voraussicht nach nur der vorübergehenden Hilfe. Geklärt werden muß noch die Frage der Betreuung der Kinder während der Berufstätigkeit. Da beide Kinder mit der Kirchengemeinde in eine Freizeit fahren sollen, bedarf es noch der Anschaffung von Kleidern, Koffern und Schuhen im Gesamtwert von etwa 380 Euro.

 

Lösung:

Der Kreis ist örtlich und sachlich zuständig, wie es um Hilfe zum Lebensunterhalt geht. Die Frau gehört zu dem Personenkreis, der in § 11 umschrieben ist.

Der Bedarf errechnet sich aus dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand und zwei Kinder, dazu Mehrbedarf und Miete, abzüglich Kindergeld. Als einmalige Leistungen  kommen in Frage: Heizkosten (384 Euro), Kleidergeld (380 Euro, §§ 21-22) und Krankenversicherung  (264 Euro, § 13). Die einmaligen Leistungen werden mit dem Regelbedarf für Juni überwiesen. Die Krankenversicherung wird voll übernommen und an die Hilfsbedürftige ausgezahlt im Vertrauen darauf, daß sie das Geld auch weiterleitet.

Der Betrag wird nur als Darlehen gezahlt, weil die Hilfsbedürftigkeit von kurzer Dauer (bis sechs Monate) besteht. Am 1. August wird aber geprüft, ob auf die Rückzahlung des Darlehens verzichtet wird (auf die einmaligen Leistungen wird sowieso verzichtet).

Folgende Ansprüche sind noch zu sichern:

1. Der Hilfsbedürftige muß einen Antrag auf Wohngeld stellen, das Sozialamt macht den Anspruch beim Wohnungsamt geltend.

2. Hinweis an den Amtspfleger für den jüngsten Sohn, daß der Unterhalt an das Sozialamt gezahlt werden muß.

3. Für den früheren Lebensgefährten besteht keine Unterhaltsverpflichtung, vor allem wenn Gütertrennung behauptet wird. Wenn die eheähnliche Gemeinschaft aber weiterbesteht, wird die Miete umgelegt.

4. Mit dem Jugendamt wird Kontakt aufgenommen, daß die Kinder im Hort und Kindergarten aufgenommen werden.

 

 

Fall: „Chef ist geflohen“:

Der 64jährige Karl F. spricht beim Sozialamt vor und schildert folgende Situation: Ich habe gestern, am 10. Juni, die Kündigung meines Arbeitsverhältnisses erhalten. Ich war seit meinem 15. Lebensjahr ohne Unterbrechung als Maurer bei verschiedenen Firmen tätig. Mein letzter Arbeitgeber hat sich mit allen verfügbaren Mitteln ins Ausland abgesetzt, und der Zwangsverwalter löst jetzt die Firma auf. Für Juni erhalte ich kein Geld mehr; Ansprüche bei der Arbeitsagentur sind angemeldet, die Bearbeitung bis zur ersten Auszahlung wird sich bis mindestens August hinziehen. Gleichzeitig habe ich die Rente eingereicht.

Da diese unangenehme Situation recht plötzlich kam, habe ich keinerlei Vorsorge treffen können. Ich habe recht spät geheiratet, meine Frau ist 44 Jahre, nicht berufstätig, sie versorgt unsere Kinder, ein Zwillingspärchen, 9 Jahre, und den ältesten, der zur Zeit  noch 13 Jahre ist. Wir bewohnen ein ererbtes Gehöft, für dessen Renovierung ich monatliche Belastungen in Höhe von 475 Euro Zinsaufwand zu erbringen habe. Über sonstige Einkünfte oder Ersparnisse verfügen wir nicht, da alle verfügbaren Mittel in die Renovierung und den Erhalt des Hauses gesteckt wurden.

Für meine Mutter, die bis zu ihrem Tod am 20. April mit bei uns lebte, liegt die Bestattungskostenrechnung vor über 2.938 Euro vor, die von uns zu zahlen ist. Darüber hinaus habe ich Ratenverpflichtungen für ein Gerät in Höhe von monatlich 120 Euro, Stromkosten in Höhe von 98 Euro monatlich sowie hausbedingte Abgaben (Wasser, Kanal, Schornsteinfeger, Müllabfuhr) in Höhe von monatlich 198 Euro zu erbringen.

Zu allem Überfluß nimmt unser Großer an einer Klassenfahrt nach England teil, für die er schon im Februar angemeldet wurde. Hierfür sind noch 480 Euro Beitrag zu zahlen. Darüber hinaus benötigt er noch Kleidung in einem Umfang von 250 Euro, wie meine Frau sagt.

 

Lösung:

Die Sozialhilfe setzt erst vom Zeitpunkt des Bekanntwerdens ein. Wenn der Mann vom 1. bis 9. Juni keinen Lohn erhalten hat, erhält er für diese Zeit keine Leistungen. Antrag auf Arbeitslosengeld und Rente muß gestellt werden. Die Frau ist nicht berufstätig ist, andere Verwandte sind nicht da. Die Familie erhält 100 Prozent des Regelsatzes, dazu die Zinsen für die Renovierung und die Nebenkosten. Einmalige Zahlungen sind die Bestattungskosten, die Klassenfahrt und die Kleidung (einmalige Zahlung außerhalb des Regelbedarfs nach pflichtgemäßem Ermessen. Aber hierfür muß jeweils ein Antrag gestellt werden. Wenn der Bescheid über das Arbeitslosengeld kommt, werden die Auslagen des Sozialamtes ersetzt, allerdings nur zeitgleiche Ansprüche bis zur Höhe der Leistung des Sozialamts. Oft ist aber trotz  Arbeitslosengeld noch ergänzende Sozialhilfe notwendig.

 

 

 

Fall „Frau davongelaufen“:

Am 14. April spricht beim Sozialamt des Kreises Herr Gustaf Gustafson vor und berichtet aufgeregt und lautstark folgendes: Ich war gestern Vormittag gerade mal eben am Kiosk auf einen Frühschoppen und um Zigaretten zu holen, wobei es etwas später wurde. Als ich um etwa 15 Uhr nach Hause kam, war nicht nur kein Mittagessen für mich gerichtet, nein, meine Frau Eva samt der beiden großen Kinder Karin (14) und Sven (16) waren nicht mehr da. Lediglich der jüngste Sohn meiner Ehefrau Kevin (2) dessen Vaterschaft ich jedoch massiv bestreite, lag schlafend im Bett. Ich fand einen Zettel mit der Nachricht, daß meine Frau mein Lotterleben satt habe und auch nicht länger meine Prügel hinnehmen wolle. Ich weiß nun nicht mehr ein und aus. Ich habe zum 1. April meine Arbeit bei einer namhaften Möbelfirma verloren weil ich als Kraftfahrer öfter mal nach Bier gerochen habe. Meine letzte Lohnzahlung, die ich gestern erhielt, hat der Kioskwirt gleich abkassiert als ich zur Toilette war, da ich bei ihm noch ordentlich in der Kreide stehe. Mein Hauswirt teilt mir mit, daß wir mit der Miete vier Monate einschließlich des laufenden Monats im Rückstand sind und er Räumungsklage erhoben hat.

Ich weiß nicht mehr wie es weiter gehen soll, ich verfüge über keinen Pfennig Bares. Zur Regelung meiner Belange bin ich absolut außerstande - derart lästige Dinge hat bisher meine Frau erledigt. Deswegen und weil ich sie auch sonst liebe will ich meine Eva auch unbedingt wieder zurückhaben.

 

Lösung:

Ein Anspruch besteht, auch wenn die Arbeitslosigkeit nicht ganz unverschuldet ist. Die Lebensverhältnisse der Frau sind zu klären, ob sie vielleicht unterhaltspflichtig ist, denn sie könnte ja Geld verdienen, weil die Kinder groß sind. Sie müßte für den Mann aufkommen, denn sie sind nicht geschieden. Gezahlt werden müßte an sich ab 14. April (der Regelsatz für die ganze Familie geteilt durch drei). In der Praxis wird man aber 100 Euro Vorschuß auf das Arbeitslosengeld geben und eventuell die Auszahlung davon abhängig machen von der  Stellung des Antrags. Der Mietrückstand wird direkt an den Eigentümer überwiesen. Arbeitsagentur und Wohngeldstelle werden benachrichtigt und eine Überleitung in Höhe der Leistung des Sozialamtes angefordert. Ansonsten wird bar gezahlt. Sachleistungen gibt es aber nicht gleich beim  ersten Antrag. Auch das Jugendamt muß verständigt werden, damit geprüft wird, ob der Vater das Kind versorgt. Das Kind gilt als ehelich, solange die Vaterschaft vor Gericht  nicht angezweifelt wird

 

Fall „Mann davongelaufen“:

Frau Carla Schneider spricht am 1. März beim Sozialamt vor und schildert folgende Situation: Am 15. Januar hat mich mein Ehemann Hugo verlassen, um fortan mit seiner langjährigen Sekretärin zusammenzuleben. Damit mich die Situation nicht zu hart trifft, ließ er mir 1.500 Euro  zurück, um weiterhin für mich und unsere Kinder Anna (12 Jahre), Andreas (8 Jahre) und Alfred (5 Jahre) den Lebensunterhalt bestreiten zu können, bis ich anderweitig selbst dafür sorgen kann.

Zur Lösung unserer finanziellen Probleme verwies er mich an meinen nicht unvermögenden, in Hamburg lebenden ledigen Bruder. Ich folgte seinem Rat, und tatsächlich unterstützt mich mein Bruder ab 1.Februar. mit monatlich 200 Euro. Weiterhin erhalte ich Kindergeld. Für unsere Wohnung (3 Zimmer, Küche, Bad) zahle ich monatlich 950, Euro zuzüglich Heizkostenpauschale in Höhe von 95 Euro monatlich.

Bereits am 29. Januar war ich einmal hier, schilderte die Situation, hinterließ Kopien aller Unterlagen, und die Dame, die seinerzeit die Unterlagen entgegennahm, sicherte mir zu, Entsprechendes zu veranlassen. Bitte helfen Sie mir und meinen Kindern. Die Überprüfung ergibt, daß die Aussagen bezüglich der ersten Vorsprache stimmen, die Unterlagen finden sich, abgelegt unter falschem Aktenzeichen; getan wurde nichts wegen der kurzfristigen Erkrankung der damaligen Kollegin. Wie gehen Sie in diesem Fall vor, unter Berücksichtigung aller Aspekte?

 

Lösung:

Es gibt eine Unterhaltspflicht zwischen Eltern und Kindern und zwischen Ehegatten (auch wenn sie getrennt leben). Der Ehemann erhält eine Rechtsverwahrungsanzeige, die ihn darauf hinweist, daß er unterhaltspflichtig ist und daß er seine wirtschaftlichen Verhältnisse offenlegen muß. Als Abteilungsleiter hat er einen monatlichen Nettoverdienst von 3.600 Euro.

Ein gewisser Betrag  nach der „Düsseldorfer Tabelle“ wird als Eigenbedarf angesetzt. Die Miete in Höhe von 1.600 Euro muß natürlich zwischen ihm und der Freundin geteilt werden (wenn noch andere Personen mit in der Wohnung sind, wird  deren Mietanteil mit berechnet.

Es bleibt ein Betrag offen, auf den in voller Höhe zurückgegriffen werden kann. Wenn der Mann diesen Betrag an die Frau überweist, zahlt das Sozialamt nur die Differenz. Besser ist es aber, wenn die Frau in voller Höhe die Sozialhilfe erhält und das Sozialamt zieht den Betrag von dem Mann ein. Beide Ehegatten haben dann fast gleich viel Geld, aber die Frau hat die Kinder.

Die Zahlungspflicht besteht seit Zugang der Rechtswahrungsanzeige bei dem Vater. Wenn er nicht zahlt, mahnt das Sozialamt zweimal, dann geht es in die Vollstreckung. Eine Lohnpfändung kann allerdings abgewiesen werden, weil es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Forderung handelt. Die privatrechtliche Forderung muß vor dem Gericht eingeklagt werden. die Frau müßte einen Schuldtitel erwirken, gegen den aber wieder Einspruch möglich ist. Der Gerichtsvollzieher müßte tätig werden (nicht der Pfandmeister der Stadtkasse). Die Frau müßte den Prozeß selber führen. Den Anwalt zahlt die Prozeßkostenhilfe. Aber gezwungen werden kann die Frau nicht, dann muß das Sozialamt selber den Prozeß führen.

Solange das Verfahren läuft, kann die Unterhaltsvorschußkasse des Jugendamtes in Anspruch genommen werden, die dann bei Verurteilung und Zahlung des Unterhaltspflichtigen ihren Anteil zurückerhält. Die Frau kann auf ihre Unterhaltsansprüche verzichten. Aber wenn sie nicht mitwirkt, kann die Sozialhilfe um 20 Prozent gekürzt werden („auf das unerläßliche Maß“). Wenn sie allein steht, würde sie gar keine Hilfe erhalten bzw. die Hilfe würde nach § 25 gekürzt werden.

Die Bedarfsgemeinschaft umfaßt die Frau und drei Kinder. Der Anspruch besteht seit dem 29. Januar. Ab Februar zahlen der Bruder und das Sozialamt nur die Differenz. Ein Antrag auf Wohngeld wird gestellt. Ein Antrag auf einen Kindergartenplatz wird gestellt. Der Vater muß auch die Krankenversicherung absichern, weil er ja verdient. Die Auszahlung erfolgt in bar, aber als Darlehen. Über die Möglichkeit. von Beihilfen (§21) wird aufgeklärt. Das Sozialamt kann auch nur einen gewissen Betrag überleiten. Ist die Unterhaltsverpflichtung aber höher, muß beim Gericht eine Unterhaltsklage eingereicht werden.

Der Bruder ist nicht zum Unterhalt verpflichtet, aber seine freiwillige Zahlung ist Einkommen für die Frau. Zum Unterhalt verpflichtet sind nur die Verwandten in gerader Linie, also Eltern und Kinder sowie Ehegatten, aber nicht Großeltern und Enkel. Bei einer Scheidung muß der Vater auf alle Fälle für die Kinder sorgen, auf Beschluß des Gerichts auch für seine Frau

 

 

Fall „Vater unbekannt verzogen“:

Die ledige Frau Klein wohnt mit ihren beiden Söhnen Horst (9 Jahre) und Siegfried (13 Jahre) in der kreisangehörigen Gemeinde Schauenburg im Landkreis Kassel. Der frühere Lebensgefährte und Vater beider Kinder lebt mittlerweile unbekannten Aufenthaltes in Südamerika und zahlt keinerlei Unterhalt. Frau Klein ist halbtags erwerbstätig und erzielt einen Bruttoverdienst von 1.380 Euro monatlich. Außerdem verfügt die Familie an Einkünften über das Kindergeld in gesetzlicher Höhe, über ein monatliches Wohngeld von 219 Euro und für den Sohn Horst einen monatlichen Unterhaltsvorschuß durch das Jugendamt in Höhe von 318 Euro nach dem Unterhaltsvorschußgesetz (Einkommen im Sinne des § 76 Bundessozialhilfegesetz).

Frau Klein macht folgende monatliche Belastungen geltend:

Lohn- und Kirchensteuer                81 Euro

 Sozialversicherungsbeiträge   220 Euro

Strom                                             70 Euro

Fahrtkosten zur Arbeit                   80 Euro (Monatsfahrkarte)

Privathaftpflichtversicherung     12 Euro.

Miete                                           600 Euro

Heizkostenpauschale       150 Euro.

Frau Klein weist durch ärztliches Attest nach, daß ihr Sohn Siegfried wegen einer Zuckererkrankung einer kostenaufwendigeren Ernährung bedarf. Durch den Amtsarzt wird ein Bedarf in Höhe von monatlich 60 Euro bestätigt. Verwertbares Vermögen ist nicht vorhanden.

 

Lösung:

Das Einkommen besteht aus Nettolohn, Unterhaltsvorschuß, Wohngeld und Kindergeld. Die Differenz von Bedarf und Einnahme ergibt die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt, die ab 1. April gezahlt wird.

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt:

Beamte: Rechtsgrundlagen, Anstellung, Einstellung, Laufbahnen, einfacher Dienst, mittlerer Dienst, Besoldung, Beendigung.

Angestellte: Begründung des Arbeitsverhältnisses, Arbeitnehmerpflichten, Arbeitgeberpflichten, Beschäftigungszeit, Dienstzeit, Tarifvertragsgesetz, Bundesangestelltentarifvertrag, Krankenbezüge, Urlaubsgeld, Personalvertretung. Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

 

Personalwesen

 

In der deutschen Rechtsordnung gibt es immer wieder die Unterscheidung der Rechtsgebiete in die beiden großen Bereiche „Privatrecht“ und „öffentliches Recht“. Sie ist wichtig vor allem für die Frage, ob für die Entscheidung eines Falles ein Zivilgericht (Privatrecht) oder ein Verwaltungsgericht (öffentlichen Recht zuständig ist.

Das Privatrecht regelt die Beziehungen zwischen den Bürgern. Das öffentliche Recht umfaßt alle Rechtsbeziehungen, die auf den Staat oder andere mit hoheitlicher Gewalt ausgestattete Stellen hin ausgerichtet sind. Das sind vor allem die Bereiche, in denen der Staat zum Zwecke des Gemeinwohls tätig wird. Zum öffentlichen Recht gehören zum Beispiel das Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Strafrecht, Prozeßrecht, Völkerrecht, Kirchenrecht, Richterrecht, Polizeirecht, Schulrecht, Sozialrecht, Steuerrecht und Wirtschaftsverwaltungsrecht und eben auch das Beamtenrecht.

 

Das öffentliche Recht wirkt aber ins Privatrecht, zum Beispiel beim Mutterschutzgesetz, Jugendschutzgesetz, Schwerbehindertengesetz. Und das Angestelltenrecht ist auch öffentliches Recht, zum Beispiel im Kündigungsschutzgesetz.

 

Im Personalbestand des öffentlichen Dienstes sind Beamte und Angestellte tätig. Oft üben diese gleiche Arbeit aus und sind gleich belastet.  Beide Beschäftigtengruppen sind zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben tätig. Dennoch gibt es rechtliche Unterschiede

 

 

Beamte

Angestellte

öffentliches Recht

privates Recht

Anerkennung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung

Prinzip der Über-Unterordnung

(Subordination)

Prinzip der Gleichordnung

 (Koordination)

Persönliche Einstellungsvoraussetzungen: Deutscher, Vorbildung, Alter, usw.

Schulausbildung, Berufsausbildung

Begründung eines Beamtenverhältnisses durch Aushändigung einer Urkunde, in der die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis“ enthalten sein müssen

Begründung des Arbeitsverhältnisses durch Abschluß  eines Arbeitsvertrages durch

übereinstimmende Willenserklärung

Dienstvorgesetzter

Arbeitgeber

Diensteid

Gelöbnis, Arbeitsvertrag

Erledigung hoheitsrechtlicher Aufgaben

Erledigung vereinbarter Tätigkeit

Festsetzung der Arbeits- und Wirtschafts­bedingungen durch  den Gesetzgeber

Aushandlung der Arbeits- und Wirt­schafts­bedingungen durch  Tarifvertragsparteien

Festgesetzte „Besoldung“

Ausgehandelte „Vergütung“

Pflichten, die über den Pflichtenkreis des Angestellten hinausgehen (volle Hingabe, Mehrarbeit)

Rechte und Pflichten ergeben sich aus dem Arbeitsvertrag bzw. Tarifvertrag

Kein Streikrecht nach den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums

Streikrecht aus positiver oder negativer Koalitionsfreiheit

Streitigkeiten aus dem Beamtenverhältnis werden vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgetragen

Streitigkeiten werden vor der Arbeitsgerichtsbarkeit ausgetragen

 

Pensionsanspruch gegen den Dienstherrn, Beihilfe bei Krankheitskosten

Versicherungspflicht Rentenanspruch, Sozialversicherungsbeiträge, Krankenversicherungspflicht

Keine  Kündigungsmöglichkeit (Beamtenverhältnis auf Lebenszeit), aber Auflösung  durch Disziplinarverfahren und Entlassung auf eigenen Wunsch

Kündigung  (ordentlich oder außerordentlich)

 

 

 

 

 

 

Laufbahnen von Beamten und Angestellten

 

Beamte

 

 

Angestellte BAT

 

Einfacher

Dienst

A 1

Amtsgehilfe

 

A 2

Oberamtsgehilfe

 X

A 3

Hauptamtsgehilfe

IX a

A 4

Amtsmeister

IX

A 5

Oberamtsmeister

VIII

 

Mittlerer

Dienst

A 5

Assistent

 

A 6

Sekretär

VII

A 7

Obersekretär

VI b

A 8

Hauptsekretär

V c

A 9

Amtsinspektor

 

 

Gehobener

Dienst

A 9

Inspektor

V b

A 10

Ober-Inspektor

IV b

A 11

Amtmann

IV a

A 12

Amtsrat

III

A 13

Oberamtsrat

 

 

Höherer

Dienst

A 13

Magistratsrat

II

A 14

Magistratsoberrat

I b

A 15

Magistratsdirektor

I a

A 16

Leitender Magistratsdirektor

I

 

Wenn in zwei Laufbahnen die gleiche Besoldungsgruppe vorkommt, so ist sie einmal das Spitzenamt der einen Laufbahn, zum anderen aber das Verzahnungsamt der höheren Laufbahn

 

B e a m t e

Das Berufsbeamtentum gibt es seit Friedrich Wilhelm I. von Preußen; danach war der Beamte nur dem König verpflichtet. Seit 1873 gibt es das Reichsbeamtengesetz, nach dem Beamte als Staatsdiener in einem öffentliche Dienst- und Treueverhältnis stehen. Sie haben  kein Streikrecht und dürfen nicht einmal „Dienst nach Vorschrift“ machen. Der Beamte hat sich voll und ganz dem Dienst zu widmen, er hat Überstunden ohne Bezahlung zu leisten und hat nur eine Anspruch auf Freizeitausgleich (Beim Angestellten können Überstunden in Geld abgegolten werden).
 

„Bewerber für den öffentlichen Dienst müssen die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten. Sie bekräftigen ihre Pflicht zur Verfassungstreue (§ 7 Absatz 1 Hessisches Beamtengesetz) mit ihrer Eidesleistung (Gelöbnis), daß sie das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Landes Hessen sowie alle in Hessen geltenden Gesetze wahren werde.“ (Abschnitt II der Grundsätze

und Verfahrensregeln).

Nach    67 Absatz 2 des Hessischen Beamtengesetzes ist der Beamte verpflichtet, sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung  im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung des  Landes Hessen zu bekennen  und für deren Erhaltung einzutreten. Dementsprechend darf in das Beamtenverhältnis nur berufen werden, wer die Gewähr bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Hessen eintritt. Die Pflicht, sich zur freiheitlichen . demokratischen Grundordnung zu bekennen, ergibt sich für Angestellte aus  §.8 Absatz 1 BAT und für Arbeiter aus § 9 Absatz 9 Manteltarifvertrag II.

Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes. ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung  auf der  Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind insbesondere zu rechnen:

-           Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten,

vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung,

-           die Volkssouveränität,

-           die Gewaltenteilung,

-           die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung,

-           die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,

-           die Unabhängigkeit der Gerichte,

-           das Mehrparteienprinzip,

-           die Chancengleichheit für alle politischen Parteien,

-           das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.

 

Beamte haben sich innerhalb und außerhalb des Dienstes eines ordentlichen Lebenswandels zu befleißigen: Alkohol am Steuer ist ein schweres Dienstvergehen, die Strafverfolgungsbehörden haben dem Dienstherren eine Mitteilung zu machen, es gibt eine Abmahnung und ein Disziplinarverfahren, die Vergütung im Krankheitsfall fällt weg,

Ein Minister hat ein öffentlich-rechtliches Amtsverhältnis (nicht ein Dienst- und Treueverhältnis). Er hat aber nach einer gewissen Zeit  einen Anspruch auf Versorgung.

 

Arten des Beamtenverhältnisses (§6 HBG)

1. Beamtenanwärter = Assistentenanwärter = Beamter auf Widerruf (§ 6, Absatz1, Nr. 4 HBG).

Widerruf wegen mangelnder Leistung oder Verletzung der Dienstpflicht oder dauernder Dienstunfähigkeit wegen Krankheit

2. Beamter auf Probe = Assistent zur Anstellung (z.A.) nach Bewährung und Ablegung der Laufbahnprüfung. Danach „Beamter auf Probe zur Anstellung“. Im mittleren Dienst Probezeit von einem Jahr, Beurteilung durch den Vorgesetzten, notfalls Verlängerung bis zu zwei Jahren.

3. Beamter auf Probe = Assistent unter Wegfall des „zur Anstellung“. Bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Eine Entlassung ist jetzt schwieriger, Beförderungen sind aber möglich.

Aber nach fünf Jahren muß eine Ernennung erfolgt sein, wenn das 27. Lebensjahr erreicht wurde. Aber ab 27 Jahre kann auf Lebenszeit angestellt werden.

4. Beamter auf Lebenszeit

5. Beamter auf Zeit (Wahlbeamte wie Bürgermeister)

6. Ehrenbeamter (Schiedsmänner, Ortsgerichtsvorsteher).

 

Rechte der Beamten

Fürsorge und Schutz                           §§ 92-96 HBG

Amtsbezeichnung                                  § 97 HBG

Dienst - und Versorgungbezüge          § 98 - 10 HBG

Reise- und Umzugskosten                  § 105 HBG

Urlaub                                                    § 106 HBG

Personalakten                                       § 107 HBG

Dienstzeugnis                                       § 109 HBG

(Arbeitsbescheinigung, einfaches Zeugnis, qualifiziertes Zeugnis)

 

 Pflichten der Beamten       

Treuepflicht                                         § 67 HBG

 Gehorsamspflicht.                            § 70 HBG

Amtsverschwiegenheit.                    § 75 HBG

Unparteilichkeit                                 § 67 HBG

Uneigennützigkeit                             § 69 HBG

Unbestechlichkeit                              § 84 HBG

Dienstpflicht                                       § 86 HBG

 

 

Rechtsgrundlagen

1. Grundgesetz:

Rechtsgrundlage für Beamte und Angestellte ist das Grundgesetz, aber für die Grundsätze auch noch das Reichsbeamtengesetz von 1873 und die Weimarer Verfassung.  In § 33, Absatz 4 und 5 des Grundgesetzes heißt es: „ Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln.“ Das Grundgesetz spielt aber auch eine Rolle wenn es um Fragen geht wie Staatsbürgerschaft, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Verschwiegenheit (Artikel 5), Postgeheimnis (Artikel 6), Streikrecht (Artikel 9), Residenzpflicht und Versetzung (Artikel 11). Wenn ein Beamter eines der Grundrechte verwirkt, endet das Beamtenverhältnis.

Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebung nur für die Beamten des Bundes, hat aber Beamtenrechtsrahmengesetz und ein Gesetz über die Personalvertretung erlassen.

2. Länderverfassung:

In Artikel 29 der Hessischen Verfassung heißt es: „Für alle Angestellten, Arbeiter und Beamten ist ein einheitliches Arbeitsrecht zu schaffen.“ Diese Verfassung ist älter als das Grundgesetz (vom 1. Dezember 1946), aber Bundesrecht bricht Landesrecht. Die Länder führen die Bundesgesetze weiter aus. In Hessen wurde durch eine Ermächtigung eine Laufbahnverordnung geschaffen, aus der wiederum die Ausbildungs- und Prüfungsordnung erwachsen ist.

Auch die Rechtsprechung hat wesentlichen Anteil an der Rechtsordnung, besonders  im Arbeitsrecht und Streikrecht.

Die Landesregierung ernennt die Landesbeamten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Sie kann die Befugnis auf andere Stellen übertragen (Artikel 108).

3. Hessisches Beamtengesetz: (gekürzte Auswahl)

§ 5:

(1) Die Berufung in das Beamtenverhältnis ist nur zulässig zur Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Aufgaben oder solcher Aufgaben, die aus Gründen der Sicherung des Staates oder des öffentlichen Lebens nicht ausschließlich Personen übertragen werden dürfen, die in einem privatrechtlichen Arbeitsverhältnis stehen.

(2) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe ist in der Regel Beamten zu übertragen.

§ 12:

Die Landesregierung ernennt die Landesbeamten auf Vorschlag des zuständigen Ministers, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Sie kann die Befugnis auf andere Stellen übertragen.  Die Landesregierung kann die Minister ermächtigen, die ihnen übertragene Befugnis, Beamte zu ernennen, auf ihnen unmittelbar nachgeordnete Behörden weiter zu übertragen.

Die Beamten der Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts werden von den nach Gesetz, Verordnung oder Satzung zuständigen Stellen ernannt.

 

§ 67:

(1)  Der Beamte dient dem ganzen Volke, nicht einer Partei. Er hat seine Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und sein Amt zum Wohle der Allgemeinheit zu führen.

(2) Der Beamte muß sich durch sein gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Hessens bekennen und für deren Erhaltung eintreten.

§ 68:

Der Beamte hat bei Ausübung seines Rechts auf politische Betätigung  diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus seiner Stellung gegenüber der Gesamtheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten seines Amts ergeben.

§ 69:

Der Beamte hat sich mit voller Hingabe seinem Beruf zu widmen. Er hat sein Amt uneigennützig nach bestem Gewissen zu verwalten. Sein Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes muß der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die sein Beruf erfordert.

§70:

Der Beamte hat seine Vorgesetzten zu beraten und zu unterstützen. Er ist verpflichtet, die von ihnen erlassenen Anordnungen auszuführen und ihre allgemeinen Richtlinien zu befolgen. Dies gilt nicht für Beamte, die nach besonderer gesetzlicher Vorschrift an Weisungen nicht gebunden und nur dem Gesetz unterworfen sind.

§ 75:

 (1) Der Beamte hat auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses über die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten  Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Mitteilungen im dienstlichen Verkehr oder über Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.

(2) Der Beamte darf ohne Genehmigung über Angelegenheiten nach Absatz 1 Satz 1 weder vor Gericht noch außergerichtlich aussagen oder Erklärungen abgebe'. Die Genehmigung erteilt der Dienstvorgesetzte oder, wenn das Beamtenverhältnis beendet ist, der letzte Dienstvorgesetzte. Hat sich der Vorgang, der den Gegenstand der Äußerung bildet, bei einem anderen Dienstherrn ereignet, so darf die Genehmigung nur mit dessen Zustimmung erteilt werden.

(3) Der Beamte hat, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses auf Verlangen des Dienstvorgesetzten oder des letzten Dienstvorgesetzten amtliche Schriftstücke, Zeichnungen, bildliche Darstellungen sowie Aufzeichnungen jeder Art über dienstliche Vorgänge, auch soweit es sich um Wiedergaben handelt, herauszugeben. Die gleiche Verpflichtung trifft seine Hinterbliebenen und seine Erben.

(4) Unberührt bleibt die gesetzlich begründete Pflicht des Beamten, Straftaten anzuzeigen und bei Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung für deren Erhaltung einzutreten.

§ 76:

(1) Die Genehmigung, als  Zeuge auszusagen, darf nur versagt werden, wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde.

 (2) Die Genehmigung, ein Gutachten zu erstatten, kann versagt werden, wenn die Erstattung den dienstlichen Interessen Nachteile bereiten würde.

(3) Ist der Beamte Partei oder Beschuldigter in einem gerichtlicher Verfahren oder soll sein Vorbringen der Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen dienen, so darf die Genehmigung auch dann, wenn die Voraussetzungen des Absatz 1 erfüllt sind, nur versagt werden, wenn die dienstlicher Rücksichten dies unabweisbar erfordern. Wird sie versagt, so ist den. Beamten der Schutz zu gewähren, den die dienstlichen Rücksichten zulassen.

(4) Über die Versagung der Genehmigung entscheidet die oberste Dienstbehörde.

§84:

Der Beamte darf, auch nach Beendigung des Beamtenverhältnisses, Belohnungen oder Geschenke' in bezug auf sein Amt nur mit Zustimmung der obersten oder der letzten obersten Dienstbehörde annehmen. Die Befugnis zur Zustimmung kann auf andere Behörden übertragen werden.

§ 86:

(1) Der Beamte darf dem Dienst nicht ohne Genehmigung seines Dienstvorgesetzten fernbleiben, es sei denn, daß er wegen Krankheit oder aus sonstigen Gründen unfähig oder auf Grund einer vorgehenden gesetzlichen Verpflichtung gehindert ist, seine Dienstpflichten zu erfüllen. Der Beamte hat seinen Dienstvorgesetzten unverzüglich von seiner Verhinderung zu unterrichten. Die auf Krankheit beruhende Unfähigkeit zur Erfüllung der Dienstpflichten ist auf Verlangen nachzuweisen.

(2) Verliert der Beamte wegen unentschuldigten Fernbleibens vom Dienst nach dem Bundesbesoldungsgesetz seinen Anspruch auf Bezüge, so wird dadurch eine disziplinarrechtliche Verfolgung nicht ausgeschlossen.

 

Gemeindeordnung (§ 73):

Der Gemeindevorstand stellt die  Gemeindebediensteten an, er befördert und entläßt sie. Der Stellenplan und die von der Gemeindevertretung gegebenen Richtlinien sind dabei einzuhalten, Abweichungen sind nur zulässig. soweit sie auf Grund des Besoldungs- oder Tarifrechts zwingend erforderlich sind

Der Bürgermeister ist Dienstvorgesetzter aller Beamten. Angestellten und  Arbeiter der Gemeinde mit Ausnahme  der Beigeordneten. Durch Verordnung der Landesregierung wird bestimmt wer die Obliegenheiten des Dienstvorgesetzten gegenüber dem Bürgermeister und den Beigeordneten wahrnimmt, wer oberste Dienstbehörde und wer Einleitungsbehörde im Sinne des Disziplinarrechts für Gemeindebedienstete ist.

 

Landkreisordnung (§ 46):

Der Kreisausschuß stellt die Kreisbediensteten an, er befördert und entläßt  sie. Der Stellenplan und die von dem Kreistag gegebenen Richtlinien sind dabei einzuhalten; Abweichungen sind nur zulässig, soweit sie auf Grund des Besoldungs- oder Tarifrechts zwingend erforderlich sind.

Der Landrat ist Dienstvorgesetzter aller Beamten, Angestellten und Arbeiter des Kreises mit Ausnahme der Kreisbeigeordneten. Durch Verordnung der Landesregierung wird bestimmt, wer die Obliegenheiten des Dienstvorgesetzten gegenüber dem Landrat und den Kreisbeigeordneten wahrnimmt, wer oberste Dienstbehörde und wer Einleitungsbehörde im Sinne des Disziplinarrechts für Kreisbedienstete ist.

 

 

Begründung des Beamtenverhältnisses

Einstellung:

Einstellung ist die Begründung eines Beamtenverhältnisses, Probezeit ist die Zeit, während der sich ein Beamter auf Probe nach Erwerb oder nach Feststellung der Befähigung für seine Laufbahn bewähren soll. Die Probezeit dauert im einfachen Dienst sechs Monate, im mittleren Dienst ein Jahr, im gehobenen Dienst zwei Jahre und im höheren Dienst drei Jahre (HLVO).

 

Vorbereitungsdienst (§ 8 (HLVO):

Die Bewerber werden als Beamte auf Widerruf in den Vorbereitungsdienst der betreffenden Laufbahnen eingestellt. Die Beamten führen während des Vorbereitungsdienstes die Dienstbezeichnung „Anwärter“, in Laufbahnen des höheren Dienstes die Dienstbezeichnung „Referendar“. jeweils mit einem die Laufbahn oder die Fachrichtung bezeichnenden Zusatz. Die oberste Dienstbehörde kann den regelmäßigen Vorbereitungsdienst um höchstens zwei Jahre verlängern, wenn der Anwärter das Ausbildungsziel noch nicht erreicht hat oder wenn aus besonderen Gründen eine Verlängerung angebracht erscheint.

 

Dienstbezeichnung bis zur Anstellung

Während des Beamtenverhältnisses zur Probe bis zur Anstellung führt der Beamte als Dienstbezeichnung die Amtsbezeichnung des Eingangsamtes  seiner Laufbahn mit dem Zusatz „zur  Anstellung“ Z.A.) (§ 4 HLVO.

 

Laufbahnprüfung:

Die Laufbahnprüfung soll am Ende des Vorbereitungsdienstes abgelegt werden; einzelne Teile der Prüfung können vorweggenommen werden. Bis zur Prüfung dauert der Vorbereitungsdienst fort. Eine nicht bestandene oder als nicht bestanden geltende Laufbahnprüfung darf frühestens nach sechs Monaten einmal wiederholt werden  (§ 9 HLVO, Ausbildungs- und Prüfungsordnungen  in§ 10 HLVO).

Die Eignungsprüfung dient der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bewerbers und soll darüber hinaus einen Eindruck von der Gesamtpersönlichkeit vermitteln (§ 7 HLVO).

 

 

Anstellung

 (1) Das Beamtenverhältnis kann begründet werden

1. auf Lebenszeit, wenn der Beamte dauernd für Aufgaben im Sinne des § 5 verwendet werden soll,

2. auf Zeit, wenn gesetzlich oder durch Satzung bestimmt ist, daß der Beamte auf bestimmte Dauer für Aufgaben im Sinne des § 5 verwendet werden soll,

3. auf Probe, wenn der Beamte zur späteren Verwendung auf Lebenszeit eine Probezeit zurückzulegen hat,

4. auf Widerruf (zum Beispiel Vorbereitungsdienst).

Das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit ist die Regel.

(2) Als Ehrenbeamter kann berufen werden, wer Aufgaben im Sinne des § 5 ehrenamtlich wahrnehmen soll (§ 6 HBG).

 

 (1) In das Beamtenverhältnis darf nur berufen werden, wer

1. Deutscher  im Sinne des Artikel 116 des Grundgesetzes ist,

2. die Gewähr dafür bietet, daß er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung des Landes Hessen eintritt,

3. die gesetzliche Altersgrenze noch nicht erreicht hat und

4. die für seine Laufbahn vorgeschriebene oder mangels solcher Vorschriften übliche Vorbildung besitzt (Laufbahnbewerber). In das Beamtenverhältnis kann auch berufen werden, wer die erforderliche Befähigung durch Lebens- und  Berufserfahrung innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes erworben hat (anderer Bewerber) (§ 7 HBG).

 

Die Auslese der Bewerber und die Ernennung der Beamten sind nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht. Abstammung, Rasse, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Herkunft oder Beziehungen vorzunehmen. Für Bewerber können Eignungsprüfungen  abgehalten werden.  (2) Die Bewerber sollen durch Stellenausschreibungen  ermittelt werden (§ 8 HBG).

Die Laufbahnvorschriften setzen Höchstaltersgrenzen für die Einstellung in den Vorbereitungsdienst fest, soweit dieser nicht Voraussetzung für die Ausübung eines Berufs außerhalb des öffentlichen Dienstes ist, und bestimmen, inwieweit Zeiten einer für die Ausbildung des Beamten förderlichen Tätigkeit auf den Vorbereitungsdienst angerechnet werden können (§ 24 HBG).

 

 

Ernennung (§ 9 HBG)

Einer Ernennung bedarf es….

  • zur Begründung des Beamtenverhältnisses als, Beamter auf Widerruf, Beamter auf Probe, Beamter auf Lebenszeit, Beamter auf Zeit und Ehrenbeamter.
  • zur Umwandlung des Beamtenverhältnisses in ein solches anderer Art (§ 6),

„auf Widerruf“ in „auf Probe“

„ auf Probe“ in „auf Lebenszeit“

„auf Zeit“ in „auf Lebenszeit“

  •  zur ersten Verleihung eines Amtes (Anstellung)          
  •  zur Verleihung eines anderen Amts mit anderem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung,
  •  zur Verleihung eines anderen Amts mit anderer Amtsbezeichnung beim Wechsel der Laufbahngruppe.

 

Die Ernennung erfolgt durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde. In der Urkunde müssen enthalten sein

  •  Dienstherrnbezeichnung
  •  Personalien des zu Ernennenden
  •  bei der Begründung des Beamtenverhältnisses die Worte „unter Berufung in das Beamtenverhältnis“ mit dem die Art des Beamtenverhältnisses bestimmenden Zusatz „auf Lebenszeit“, „auf Zeit“ mit der Aufgabe der Dauer der Berufung ‚Auf Probe“, „auf Widerruf“ oder „als Ehrenbeamter“ (Erste Verleihung eines Amtes).
  • bei der Umwandlung des Beamtenverhältnisses in ein solches anderer Art die neue Amtsbezeichnung (Beförderung und Laufbahnwechsel).
  •  Art des  Beamtenverhältnisses
  • Kann-Inhalt: Hinweise auf die Verfassungstreue
  • eine  Unterschrift im Staatsbereich, zwei Unterschriften im Kommunalbereich       

Die Ernennung ist ein Verwaltungsakt, der rechtsgestaltend wirkt (Verhältnis begründet oder verändert), mitwirkungsbedürftig ist (Einverständnis des Beamten, Quittung über Erhalt der Urkunde) und Formvorschriften (Behörde, Name, Amt „unter Berufung“, Unterschrift, Siegel) unterliegt.

 

 

Kann-Ernennung:

Zum Beamten auf Lebenszeit darf nur ernannt werden, wer

1. das siebenundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat und

2. sich als Laufbahnbewerber nach Ableistung des vorgeschriebenen oder üblichen Vorbereitungsdienstes und Ablegung der vorgeschriebenen oder üblichen Prüfungen oder als anderer Bewerber  in einer Probezeit bewährt hat (§ 10 HBG).

Muß-Ernennung:

Ein Beamter auf Probe muß spätestens nach fünf Jahren zum Beamten auf Lebenszeit ernannt werden, wenn er die beamtenrechtlichen Voraussetzungen erfüllt (§ 11 HBG).

 

Weitere Bestimmungen:

 (1) Die Landesregierung ernennt  die Landesbeamten auf Vorschlag des zuständigen Ministers. Sie kann die Befugnis auf andere Stellen übertragen. Dies gilt entsprechend für Abordnung oder Versetzung eines Beamten in den Dienst des Landes, Entlassung, Ruhestandsversetzung, Entlassung von Professoren.

Die Beamten der Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts werden von den nach Gesetz, Verordnung oder Satzung zuständigen Stellen ernannt.      

Die Ernennung wird mit dem Tage wirksam, an dem die Ernennungsurkunde ausgehändigt wird (§ 12).

(1) Eine Ernennung ist nichtig. wenn sie von einer sachlich unzuständigen Behörde oder ohne die Mitwirkung einer nach diesem Gesetz oder einer Laufbahnverordnung zu beteiligenden Stelle ausgesprochen wurde (§ 13).     

Eine Ernennung ist zurückzunehmen, wenn sie durch Zwang, arglistige Täuschung oder Bestechung herbeigeführt wurde oder wenn nicht bekannt war, daß der Ernannte ein Verbrechen oder Vergehen begangen hatte, das ihn der Berufung in das Beamtenverhältnis unwürdig erscheinen läßt und er deswegen rechtskräftig zu einer Strafe verurteilt war oder wird (§ 14).

 

Laufbahnen

Die Landesregierung erläßt durch Rechtsverordnung Vorschriften über die Laufbahnen und die für die Übertragung eines Amts erforderliche Vorbildung_ und Ausbildung der Beamten nach den Grundsätzen der §§ 18 bis 29. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen werden…. von dem Fachminister im Einvernehmen mit dem Direktor des Landespersonalamts und der Landespersonalkommission erlassen (§ 17 HBG).

Eine Laufbahn umfaßt alle Ämter derselben Fachrichtung, die eine gleiche Vorbildung und Ausbildung voraussetzen…. Die Laufbahnen gehören zu den Laufbahngruppen des einfachen, des mittleren, des gehobenen oder des höheren Dienstes. Die Zugehörigkeit zu einer Laufbahngruppe bestimmt sich nach dem Eingangsamt (§ 18 HBG).

 

a..) Laufbahnbewerber

Für die Zulassung zu den Laufbahnen werden die Bildungsgänge den Laufbahnen in Übereinstimmung mit dem beamtenrechtlichen Grundsatz der funktionsbezogenen Bewertung zugeordnet (§ 19a).

Für die Laufbahnen des einfachen Dienstes sind mindestens zu fordern der erfolgreiche Besuch einer Hauptschule oder ein als gleichwertig anerkannter Bildungsstand und  ein Vorbereitungsdienst von in der Regel sechs Monate (§ 20).

Für die Laufbahn des mittleren Dienstes sind mindestens zu fordern, der Abschluß einer Realschule oder der erfolgreiche Besuch einer Hauptschule und eine förderliche abgeschlossene Berufsausbildung oder ein als gleichwertig anerkannter Bildungsstand sowie ein Vorbereitungsdienst von eineinhalb Jahren und die Ablegung der Laufbahnprüfung (§ 21).

Für die Laufbahnen des gehobenen Dienstes  sind zu fordern eine zu einem Hochschulstudium berechtigende Schulbildung oder ein als gleichwertig anerkannter Bildungsstand, ein Vorbereitungsdienst von drei Jahren und die Ablegung der Laufbahnprüfung. Der Vorbereitungsdienst vermittelt in einem Studiengang einer Fachhochschule oder in einem gleichstehenden Studiengang den Beamten die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Methoden sowie die berufspraktischen Fähigkeiten und Kenntnisse, die zur Erfüllung der Aufgaben in ihrer Laufbahn erforderlich sind (§ 22).

Für die Laufbahnen des höheren Dienstes sind zu fordern ein geeignetes, mindestens dreijähriges mit einer Prüfung abgeschlossenes Studium an einer Hochschule, ein Vorbereitungsdienst von mindestens zwei Jahren und die Ablegung der Laufbahnprüfung oder einer die Befähigung für die Laufbahn vermittelnden zweiten Prüfung (§ 23).

 

b.) Andere Bewerber

Die Befähigung der Bewerber ist durch den Direktor des Landespersonalamts im Einvernehmen mit dem Fachminister und im Benehmen mit der Landespersonalkommission festzustellen (§ 26 HBG).

Der Bewerber darf bei der Begründung des Beamtenverhältnisses das fünfzigste Lebensjahr nicht überschritten haben (§ 27).

 

Abordnung und Versetzung

 (1) Der Beamte kann, wenn ein dienstliches Bedürfnis besteht, vorübergehend zu einer seinem Amt entsprechenden Tätigkeit an eine andere Dienststelle, auch zu einem anderen Dienstherrn, abgeordnet werden. Die Abordnung  bedarf der Zustimmung des Beamten, wenn sie die Dauer eines Jahres übersteigt. Im Bereich der Schulverwaltung gelten Schulen inner­halb einer Gemeinde als eine Dienststelle (§ 28 HBG).

Der Beamte kann in ein anderes Amt einer Laufbahn, für die er die Befähigung besitzt, versetzt werden,  wenn er es beantragt oder ein dienstliches Bedürfnis besteht. Ohne seine Zustimmung ist eine Versetzung nur zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört  und derselben oder einer gleichwertigen Laufbahn angehört wie das bisherige Amt und mit mindestens demselben Endgrundgehalt verbunden ist. Mit schriftlicher Zustimmung des Beamten ist seine Versetzung  auch in ein Amt eines anderen Dienstherrn zulässig (§ 29).

Abordnung:  Wechsel der Dienststelle

Versetzung: Wechsel des Dienstortes

Umsetzung. Innerhalb der Gehaltsgruppe oder Wechsel auf eine Außenstelle.

 

Beförderung

Beförderung  ist die Verleihung eines anderen Amts mit höherem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung (HLVO). Die Anstellung des Beamten ist nur in dem Eingangsamt seiner Laufbahn zulässig. Im Falle der Wiederbegründung eines Beamtenverhältnisses kann der Beamte in dem Amt angestellt werden, dessen Übertragung im früheren Beamtenverhältnis zulässig gewesen wäre.

Während der Probezeit, vor Ablauf eines Jahres nach der Anstellung oder der letzten Beförderung im einfachen und mittleren Dienst, vor Ablauf von zwei Jahren nach der Anstellung oder der letzten Beförderung im gehobenen und höheren Dienst und innerhalb von zwei Jahren vor Erreichen der Altersgrenze darf der Beamte nicht befördert werden (§ 19 HBG).

Im mittleren Dienst ist eine Beförderung nach einem Jahr möglich, im gehobenen und höheren Dienst erst nach zwei Jahren; das ist eine Mindestzeit, aber die Beförderung muß nicht erfolgen.

 

Es gibt auch eine Rangherabsetzung: Verleihung eines anderen Amtes mit niedrigerem Endgrundgehalt und anderer Amtsbezeichnung

 

 

Einfacher Dienst

Vorbereitungsdienst

In den Vorbereitungsdienst einer Laufbahn des einfachen Dienstes kann eingestellt werden, wer höchstens vierzig Jahre alt ist (§ 12 HBG). Satz 1 gilt nicht, soweit der Vorbereitungsdienst Voraussetzung für die Ausübung eines Beruft außerhalb des öffentlichen Dienstes ist.

Angestellte, die sich mindestens drei Jahre im öffentlichen Dienst bewährt haben, sowie Schwerbehinderte können bis zum vierzigsten Lebensjahr in den Vorbereitungsdienst eingestellt werden. Nach näherer Bestimmung der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen können Bewerber zu einem Praktikum zugelassen werden.

Der Vorbereitungsdienst kann auf eine Ausbildung  in fachbezogenen Schwerpunktbereichen der Laufbahnaufgaben beschränkt werden, wenn der Erwerb der wissenschaftlichen Erkennt­nisse und Methoden, die zur Erfüllung der Aufgaben in der Laufbahn erforderlich sind. durch eine insoweit geeignete Prüfung als Abschluß eines Studienganges einer Hochschule nachgewiesen worden ist. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung bestimmt, welche Prüfungen geeignet sind. Der Vorbereitungsdienst nach Satz 1 dauert mindestens ein Jahr und höchstens ein Jahr und sechs Monate. Eine entsprechende hauptberufliche Tätigkeit von mindestens drei Jahren ist nachzuweisen. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnungen können höhere Anforderungen festlegen, soweit die besonderen Verhältnisse einer Laufbahn es erfordern.

 

Mittlerer Dienst

Die Dauer des Vorbereitungsdienstes ist mindestens ein Jahr sechs Monate (§ 29 HBG)

Im allgemeinen Verwaltungsdienst dauert er in der Regel zwei Jahre  (§ 13 HLVO)

Ablegung der Laufbahnprüfung (§ 21,1-2 HBG) möglichst mit „sehr gut“ (§ 10 HLVO)

Ernennung „zur Anstellung“ als Assistent oder Inspektor (§ 9,1-2 HBG).

„Beamtenverhältnis auf Widerruf“ wird umgewandelt in „Beamtenverhältnis auf Probe“

Probezeit nach Erwerb oder Feststellung der Befähigung (§6,1-3 HBG und §3 HLVO)

           

Bei besserer oder befriedigender Leistung (2,99) wird die Probezeit verkürzt (§ 25 HBG) oder Verdienstzeiten werden angerechnet. Bei mangelnden Leistungen gibt es eine einmalige Verlängerung der Probezeit, sonst erfolgt die Entlassung (§ 42 HBG), aber es gibt nicht unbedingt eine Weiterbeschäftigung im Angestelltenverhältnis.

 

Werdegang eines Beamten des mittleren Dienstes:

1. Schulabschluß: Realschulabschluß                                     § 21 HBG

2. Stellenausschreibung (Tagespresse, Fachliteratur) .       §   8 Absatz 2 HBG

3. Bewerbung

4. Erfüllung persönlicher Einstellungsvoraussetzungen_    §  7 HBG

-  Deutscher im Sinne des Artikel 116 GG

-  Verfassungstreue (siehe Urteil des BVG))

-   Altersgrenze nicht überschritten

-  Vorbildung vorhanden

-  Dienstfähigkeit (Gesundheit)

-  Keine Vorstrafen oder Entmündigung

-  Recht zur Bekleidung öffentlicher Ämter

-  geordnete wirtschaftliche Verhältnisse (hohe Wettschulden).

5. Dienstherr muß sachliche Voraussetzungen erfüllen:

-   Dienstherrnfähigkeit muß gegeben sein             

-   Beamter muß künftig hoheitsrechtliche Aufgaben erfüllen                  

-  Planstelle muß vorhanden sein     

-  Sekundäre Dienstherrenfähigkeit bei Köperschaften, Anstalten, Stiftungen

6. Auslese der Bewerber                                                                  § 8, Absatz 1 HBG

7. Eignungsprüfung                                                                           § 7 HLVO

8. Ernennung 

-  Einstellung ist die Begründung eines Beamtenverhältnisses                               § 1 HLVO

-  zur Begründung eines Beamtenverhältnisses bedarf es einer Ernennung        § 9

-  die Ernennung erfolgt durch Aushändigung einer Ernennungsurkunde            § 9

-   Formvorschriften der Urkunde sind zu beachten                                                  § 9

-  Beamtenverhältnis auf Widerruf, da Vorbereitungsdienst                        § 6, Absatz 1 HBG

9. Beginn des Vorbereitungsdienstes                                                                § 8 HLVO

10. Dauer des Vorbereitungsdienstes:

-  im mittleren Dienst mindestens 1 Jahr 6 Monate                        § 21 HBG

-  im allgemeinen Verwaltungsdienst zwei Jahre                             § 13 HLVO

-   Anrechnungsmöglichkeiten von förderlichen Tätigkeiten

-   Verlängerungsmöglichkeit um höchstens zwei Jahre, wenn das Ausbildungsziel

     nicht erreicht ist (zum Beispiel mangelnde Leistung).

 

11. Ernennung zum Assistenten (z.A.) nach erfolgreicher Ablegung der Verwaltungsprüfung

12. Beamtenverhältnis auf Probe                                                                § 6, Absatz 1

13. Beginn der Probezeit                                                                               § 3 HLVO

14. Dauer der Probezeit im mittleren Dienst ein Jahr                              § 3 Absatz 2

-  Möglichkeit der Anrechnung von Vordienstzeiten                    § 3, Absatz 5

-  Abkürzungsmöglichkeit aufgrund guter Leistungen                  § 3 HLVO

-   Verlängerungsmöglichkeit der Probezeit                                   § 3, Absatz 5 HLVO

 

16. Beamtenverhältnis auf Probe

-  Prüfung, in welchem Lebensalter befindet sich der Beamte

-  eventuell Kann-Ernennung zum Lebenszeitbeamten

-  Prüfung, ob Muß-Ernennung” erforderlich.

 

Aufstiegsbeamte (§ 14-19 HBG)

 Beamte des einfachen Dienstes können zu einer Laufbahn des mittleren Dienstes zugelassen werden, wenn sie unter Berücksichtigung ihrer Bewährung in ihrer gegenwärtigen Laufbahn dafür geeignet erscheinen. In den Vorbereitungsdienst einer Laufbahn des gehobenen Dienstes kann eingestellt werden, wer höchstens fünfunddreißig Jahre alt ist.

 (1) Beamte des mittleren Dienstes, die unter Berücksichtigung ihrer Bewährung in der bisherigen Laufbahn für den gehobenen Dienst geeignet erscheinen, können zu einer Laufbahn des gehobenen Dienstes derselben Fachrichtung zugelassen werden (Zeitraum je nach Prüfungsnoten). In den Vorbereitungsdienst einer Laufbahn des höheren Dienstes kann eingestellt werden, wer höchstens fünfunddreißig Jahre  alt ist.

 (1) Der Direktor des Landespersonalamts kann im Einvernehmen mit dem Fachminister den Aufstieg eines Beamten des gehobenen Dienstes in den höheren Dienst zulassen, wenn dieser sich mindestens ein Jahr in einer Tätigkeit des höheren Dienstes seiner Fachrichtung bewährt hat.

 

 

Beamtenbesoldungsgesetz (BBesG)

Geltungsbereich:

(1) Dieses Gesetz regelt die Besoldung der

-   Bundesbeamten, der Beamten der Länder, der Gemeinden, der Gemeindeverbände

    sowie der sonstigen der Aufsicht eines Landes unterstehenden Körperschaften,

    Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts; ausgenommen sind die Ehren-

    beamten und die Beamten auf Widerruf, die nebenbei verwendet werden,

 -  Richter des Bundes und der Länder; ausgenommen sind die ehrenamtlichen Richter,

 -  Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit.

 (2) Zur Besoldung gehören folgende Dienstbezüge:

-  Grundgehalt,

-  Zuschüsse zum Grundgehalt für Professoren an Hochschulen,

-  Zulagen,

-  Vergütungen,

-  Auslandsdienstbezüge.      

(3) Zur Besoldung gehören ferner folgende sonstige Bezüge (kein Kindergeld):

 -  Anwärterbezüge,

-   jährliche Sonderzuwendungen,

-  vermögenswirksame Leistungen,

 

Besoldungsdienstalter:

(1) Das Besoldungsdienstalter beginnt am Ersten des Monats, in dem der Beamte oder Soldat das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat.

 (2) Der Beginn des Besoldungsdienstalters nach Absatz 1 wird um Zeiten nach Vollendung des einunddreißigsten Lebensjahres,  in denen kein Anspruch auf Besoldung bestand, hinausgeschoben, und zwar um ein Viertel  der Zeit bis zum vollendeten fünfunddreißigsten Lebensjahr und um die Hälfte der weiteren Zeit. Bei Beamten und Soldaten in Laufbahnen mit einem Eingangsamt der Besoldungsgruppe A 13 oder A 14 tritt an die Stelle des einunddreißigsten das fünfunddreißigste Lebensjahr. Die Zeiten werden auf volle Monate abgerundet. Der Besoldung im Sinne des Satzes 1 stehen Bezüge aus einer hauptberuflichen Tätigkeit im Dienst eines öffentlich- rechtlichen Dienstherrn sowie eines sonstigen Arbeitgebers, der die im öffentlichen Dienst geltenden Tarifverträge oder Tarifverträge wesentlich gleichen Inhalts anwendet, gleich.

(3) Absatz 2 gilt nicht für Zeiten einer Kinderbetreuung bis zu drei Jahren für jedes Kind und für Zeiten einer Beurlaubung ohne Dienstbezüge, wenn die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle schriftlich anerkannt hat, daß der Urlaub dienstlichen Interessen oder öffentlichen Belangen dient.

(4) Hat der Beamte oder Soldat an dem Tage, von dem an er nach § 3 Dienstbezüge zu erhalten hat, das einundzwanzigste Lebensjahr noch nicht  vollendet, erhält er das Anfangsgrundgehalt seiner Besoldungsgruppe (§ 2  HBG).

 

Bei der Errechnung der Vergütung eines Beamten spielen Besoldungsgruppe, Geburtsdatum und Zeitpunkt der Ernennung eine Rolle. Zum Grundgehalt gehörten früher auch Ortszuschlag und Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Diese wurden jedoch 1997 abgeschafft  und in das Grundgehalt eingebaut. Verheiratete Beamte erhalten aber einen Verheiratetenzuschlag und Beamte mit Kindern erhalten einen Familienzuschlag. Es gibt auch noch Zulagen und Beiträge zur Vermögensbildung.

 

 

Beendigung des Beamtenverhältnisses (§ 38 - 49):

Das Beamtenverhältnis endet außer durch Tod durch…

1. Entlassung:

Der Beamte ist entlassen kraft Gesetz, wenn er ……

-  die Eigenschaft als Deutscher im Sinne des Artikel 116 des Grundgesetzes verliert

-  den Wohnsitz ohne Zustimmung ins Ausland verlegt

-  zum Beamten auf Zeit beim gleichen Dienstherrn ernannt wird  (Politiker wird)

-  als Beamter auf Zeit im Anschluß an seine Amtszeit weder erneut in dasselbe Amt für eine weitere Amtszeit berufen wird noch in den Ruhestand tritt.

- in ein öffentlich-rechtliches Dienst- oder Amtsverhältnis zu einem anderen Dienstherrn oder in ein Richterverhältnis zum gleichen Dienstherrn tritt, sofern im Gesetz nichts anderes bestimmt ist; dies gilt nicht für den Eintritt in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf, als Ehrenbeamter oder in ein ehrenamtliches Richterverhältnis

-  zum Berufssoldaten, Soldaten auf Zeit, berufsmäßigen Angehörigen oder Angehörigen auf Zeit des Zivilschutzkorps ernannt wird; die Entlassung gilt als Entlassung auf eigenen Antrag

 

Der Beamte ist entlassen kraft Verfügung….

-  bei Weigerung, den Diensteid abzulegen

-  als Beamter auf Probe oder Widerruf bei Dienstunfähigkeit (Gesundheit)

-  als Beamter auf Probe bei Nichtversetzung in den Ruhestand

-  bei einem Beamte auf Probe bei Erreichen der Altersgrenze (Ende des Monats).

 

Die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Behörde entscheidet darüber, ob die Voraussetzungen des Absatz 1 vorliegen und stellt den Tag der Beendigung des Beamtenverhältnisses fest. In den Fällen des Absatz 1 Nr. 3 kann sie im Einvernehmen mit dem Direktor des Landespersonalamts und dem neuen Dienstherrn die Fortdauer des Beamtenverhältnisses neben dem neuen Dienstoder Amtsverhältnis anordnen.

Beamte auf Widerruf können jederzeit entlassen werden, Beamte auf Probe bei einem förmlichen Disziplinarverfahren oder wenn keine Bewährung in der Probezeit erfolgte.

 

2. Verlust der Beamtenrechte bei…..

-  ordentlichem Strafverfahren mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe

-  Vorsatz wie Hochverrat, Landesverrat, Gefährdung des Rechtsstaats

-  Verlust der Befähigung zur Bekleidung öffentlicher Ämter

-  Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

3. Entfernung nach d r Hessischen Disziplinarordnung  bei Rechtskraft des Urteils

4. Eintritt des Ruhestandes:

-  Erreichung der Altersgrenze

-  Dienstunfähigkeit: Ohne Nachweis eventuell mit Abschlag auf die Pension oder

   Schwerbehinderung ab 60 Jahre.

-  in den einstweiligen Ruhestand können versetzt werden Staatssekretäre,

   Regierungspräsidenten und Polizeipräsidenten

5. Auf eigenen Antrag, dem nach drei Monaten stattgegeben werden muß.

 

Fälle

(1.) Otto Strebsam, geboren am 4. März 1991, beendet am 31.Juli 2012 seine Schulausbildung mit der mittleren Reife. Er beabsichtigt, als Beamter im allgemeinen Verwaltungsdienst schnell Karriere zu machen. Er schreibt den Regierungspräsidenten in Darmstadt an und bittet um Auskunft, unter welchen Voraussetzungen er als Beamter eingestellt werden kann, in welcher Position er sich dann befindet und um Schilderung seines künftigen Berufswerdegangs.

Insbesondere bittet er noch um Auskunft, zu welchem Zeitpunkt er sich in einer gesicherten Position als Beamter befindet.

Lösung:

Er befindet sich zunächst in der Position § 6, Absatz 1, Nummer  (Vorbereitungsdienst, Beamtenverhältnis auf Widerruf). Die entsprechenden Gesetzesparagraphen sind zu zitieren wegen der Widerspruchsmöglichkeit. Zeugnisse des Bewerbers sind vorzulegen.

 

 

(2) Der Kreisausschuß des Wetteraukreises stellte am 1.September 2010 Herrn Martin Oberländer, geboren am 20. August 993, als Assistentenbewerber ein.

Lösung:

Persönliche und laufbahnrechtliche Voraussetzungen: Zehnklassenabschluß, Vorbereitungsdienst, Laufbahnprüfung.

Unter den vielen Arten des Beamtenverhältnisses wird er  als „Beamter auf Widerruf“ eingestellt.

Die Einzelnen Arten der Ernennung sind zu schildern und eine Ernennungsurkunde zu entwerfen (Ernennung am 1.September 2010).

Der Wetteraukreis hat sachliche Voraussetzungen zu erfüllen.

 

(3.) Obersekretär Bodo Bleifuß, geboren am 20. Februar 1987, beschäftigt bei der Stadtverwaltung, hat vom 1.September 2004 bis 31. August 2006 seinen Vorbereitungsdienst abgeleistet (Ausbildungszeit, Beamter auf Widerruf). Seit dem 1. September 2006 ist er ins Beamtenverhältnis auf Probe. Er bittet seinen Vorgesetzten, ihn zum Beamten auf Lebenszeit zu ernennen, schließlich ist er schon über sechs Jahre ein Beamter.

Lösung:

Über seine Ernennung entscheidet der Gemeindevorstand (§ 12 HBG)     5 Punkte

Sein Dienstvorgesetzter ist der Oberbürgermeister                                               5 Punkte

Er ist aber noch keine 27 Jahre alt (§ 10 und 11 HBG). Zwar hat er fünf Jahre Probezeit, aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet. Sowie er dieses erreicht, muß er ernannt werden.

                                                                                                                                 10 Punkte

Ernennungsurkunden hat er bekommen (jeweils im September):

2004 Einstellung als Beamter auf Widerruf (Assistentenanwärter)

2006  Assistent Zur Anstellung (Beamter auf Probe)

2007 Assistent (erste Verleihung eines Amtes)

2008 Sekretär

2009  Obersekretär                                                                                      35 Punkte

 

 

(4.) Assistentenanwärter Schlitzohr wird nach Beendigung des Vorbereitungsdienstes zum Sekretär zur Anstellung ernannt. Richtig wäre gewesen, ihn erst zum Assistenten zur Anstellung zu ernennen. Die Ernennung ist aber wirksam, auch wenn die ernennende Stelle einen Fehler gemacht hat. Eine Rücknahme ist nur aus Gründen des § 13 und 14 möglich, aber aus dem Sachverhalt gehen solche Gründe nicht hervor.

 

(5.) Der am 18. Oktober 1983 geborene Ingo Bauer legte im Sommer 2002 die Reifeprüfung ab. Anschließend leistete er vom 1. Oktober 2002 bis 31. März 2003 seinen Grundwehrdienst. Auf seine Bewerbung vom Januar 2004 wurde er mit Wirkung vom 1. April 2004 als Inspektoranwärter im Beamtenverhältnis auf Widerruf eingestellt. Seine Ernennung zum Inspektor zur Anstellung erfolgte mit Wirkung vom 1. April 2007. Herr Bauer wartet auf seine Ernennung zum Inspektor und dann Oberinspektor und als Beamter auf Lebenszeit.

Lösung: Jeweils am 1. April

Inspektorenanwärter (Beamter auf Wiederruf) 2004                     = 20 Jahre alt

Inspektor zur Anstellung  (Beamter auf Probe) 1987                       = 23 Jahre alt

Inspektor (Beamter auf  Probe)                                                        = 25 Jahre alt.

Am 17. Oktober 2010  Vollendung des 27. Lebensjahrs:

Entweder „Kann-Ernennung“ oder „Muß-Ernennung“ am 1.April 20128

Oberinspektor 20111, Beamter auf Lebenszeit voraussichtlich am 17. Oktober 2010, spätestens am 1. April 2012.

 

 

 

 

A n g e s t e l l t e

 

Arbeitsrecht ist teils Privatrecht, teils öffentliches Recht: Im Arbeitsvertrag verspricht einer eine Dienstleistung und einer verspricht Bezahlung. Das öffentliche Recht regelt Jugendschutz, Mutterschutz, Sozialversicherung.

 

Begründung eines Arbeitsverhältnisses

 

1. Einstellungsverhandlungen:         

Pflichten des Arbeitgebers

-           Unterrichtung  über die Anforderungen des vorgesehenen Arbeitsplatzes

            (großer Arbeitsanfall, Wochenendarbeit, Spitzenzeiten, Gesundheitsrisiken)

-           überdurchschnittliche Anforderungen

-           besondere gesundheitliche Anforderungen

-           Keine falschen Erwartungen erwecken

-           Bewerbungsunterlagen sorgfältig behandeln und aufbewahren

-           Wenn kein Vertrag, sind diese dem Arbeitnehmer wieder auszuhändigen

-           Stillschweigen über den Inhalt der Bewerbungsunterlagen bewahren

-           eventuell  entstandene Vorstellungskosten ersetzen

 

Pflichten des Arbeitnehmers

-           Offenbarungspflichten des Arbeitnehmers

-           Unterrichtung über Hindernisse ( länger fehlende Berufspraxis)

-           zum vorgesehenen Anstellungstermin Arbeitsaufnahme nicht möglich (Kur)

-           wahrheitsgemäße Antwort auf die Fragen

 

-           rechtliche Hinderung der  Arbeitsaufnahme (zum Beispiel Wettbewerbsverbot Innerhalb einer bestimmten Frist darf man nicht bei einer Konkurrenzfirma arbeiten).

 

Fragerecht des Arbeitgebers:

In geziemender Weise mündlich oder durch den Personalfragebogen, jedoch Beachtung des „Persönlichkeitsrechts“, nur solche Fragen, die mit dem Arbeitsplatz oder der zu leistenden Arbeit im Zusammenhang stehen. Zum beruflichen Werdegang besteht ein uneingeschränktes Fragerecht, weil so die Auswahl unter mehreren Bewerbern möglich ist.

Zur  Gewerkschaftszugehörigkeit eventuell nach Einstellung wegen der Tarifgebundenheit

Unzulässig: Fragen zu einer beabsichtigten Heirat, Familienplanung, usw.

Fragen zu Vorstrafen sind zulässig, wenn die künftige Tätigkeit dies erfordert (zum Beispiel Einstellung als Leiter einer Stadtkasse). Das polizeiliche Führungszeugnis gibt nur Auskunft über „vorbestraft“ oder „nicht vorbestraft“-

Schwerbehindertengenschaft muß auf Befragen offenbart werden. Ohne Befragen nur, wenn der Arbeitnehmer erkennen muß, daß er auf Grund der Behinderung die vorgesehen Arbeit nicht leisten kann.

 

Ärztliche Untersuchung:

Der Angestellte hat auf Verlangen des Arbeitgebers vor seiner Einstellung seine körperliche Eignung (Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit) durch das Zeugnis eines vom Arbeitgeber bestimmten Arztes nachzuweisen. (2) Der Arbeitgeber kann bei gegebener Veranlassung durch einen Vertrauensarzt oder das Gesundheitsamt feststellen lassen, ob der Angestellte dienstfähig oder frei von ansteckenden oder ekelerregenden Krankheiten ist. Von der Befugnis darf nicht willkürlich Gebrauch gemacht werden. Angestellte, die besonderen Ansteckungsgefahren ausgesetzt oder in gesundheitsgefährdenden Betrieben beschäftigt oder mit der Zubereitung von Speisen beauftragt sind, sind in regelmäßigen Zeitabständen ärztlich zu untersuchen.  Die Kosten der Untersuchung trägt der Arbeitgeber (§ 7).

 

 

2.  Abschluß eines Arbeitsvertrages  (Abschlußfreiheit und die Einschränkungen)

Grundsätzlich steht es im Ermessen der Parteien, ob sie überhaupt einen Arbeitsvertrag abschließen wollen. Aber es gilt § 611 BGB: „Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.“


Arbeitnehmer:

Für alle Deutsche ist die freie Wahl des Arbeitsplatzes als Grundrecht garantiert (Artikel 12 Grundgesetzes). Deshalb ist der Arbeitnehmer frei, ein Arbeitsverhältnis einzugehen oder nicht.

Einschränkung:

-  Im Spannungs- und Verteidigungsfall kann durch Arbeitssicherstellungsgesetz eine Verpflichtung in ein Arbeitsverhältnis erfolgen.

-  Bei Arbeitslosigkeit ist der Arbeitnehmer gehalten, jede ihm von der Arbeitsverwaltung nachgewiesene zumutbare Beschäftigung aufzunehmen (Arbeitsförderungsgesetz).

 

Arbeitgeber:

In der Regel ist auch der Arbeitsgeber in der Entscheidung frei, ob er ein Arbeitsverhältnis begründen will oder nicht. Der Arbeitgeber kann es in der Regel sowohl aus….

-   sachlichen Gründen (zum Beispiel mangelnde Fähigkeit oder Erfahrung des Bewerbers)

-   unsachlichen Gründen (zum Beispiel Haarfarbe oder mangelnde Sympathie)

…….ablehnen, einen Bewerber einzustellen.

Anders im öffentlichen Dienst. Nach Artikel 33 Grundgesetz hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung einen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Dies gilt auch für Bewerber um eine Stelle als Arbeitnehmer einer Behörde.

Für den Arbeitsgeber ergibt sich die Abschlußfreiheit aus der allgemeinen Handlungsfreiheit des Artikel 2  Grundgesetz.

 

Einschränkung:

-  Bei mehr als 16 Arbeitsplätzen ist der Arbeitgeber verpflichtet, auf wenigstens sechs Prozent dieser Arbeitsplätze Schwerbehindert zu beschäftigen. Der einzelne Schwerbehinderte hat jedoch keinen individuellen Einstellungsanspruch gegen den Arbeitgeber. Bei Nichtbeschäftigung von Schwerbehinderte ist eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Das ist manchen Firmen lieber als die Anstellung eines Schwerbehinderten. In manchen Firmen ist wegen der besonderen Gefahren (Chemie!) die Anstellung eines Schwerbeschädigten nicht möglich.

Jährlich muß eine Meldung an das Gewerbeaufsichtsamt zu machen, wie viele Arbeitsplätze die Firma hat und wie viele Schwerbeschädigte sie angestellt hat. Im öffentlichen Dienst gibt es einen Erlaß über die Fürsorge von Schwerbehinderte.

-   Mit  Kindern dürfen in keine Arbeitsverträge geschlossen werden, Geschäftsfähigkeit ist zu beachten. Solange die Zustimmung des Erziehungsberechtigten fehlt, ist de r Vertrag schwebend unwirksam. Für einen Berufsausbildungsplan gibt es einen Katalog der Punkte, die geregelt werden müssen.

-  Ausländer bedürfen zur Arbeitsaufnahme grundsätzlich einen gültigen Paß oder Paßersatz, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung. Ausnahmen: Angehörige von EG-Staaten  bedürfen keiner Arbeitserlaubnis (seit 1. April 2014 ist das auch für Rumänen und Bulgaren möglich).

 

3. Formen eines Arbeitsvertrages (zur Formfreiheit und die Einschränkungen):

In der Regel unterliegt ein Arbeitsvertrag keinen Formvorschriften. Er kann also rechtsgültig auch mündlich, telefonisch, stillschweigend abgeschlossen werden. Ausnahmen gelten für sogenannte Dienstordnungs-Angestellte der gesetzlichen Krankenkassen und der Berufsgenossenschaften. Allerdings empfiehlt sich die Schriftform um bei etwaigen Meinungsverschiedenheiten Beweisschwierigkeiten zu vermeiden.

Der Vertrag muß schriftlich geschlossen werden, wenn gesetzliche Vorschriften die Schriftform vorsehen oder der Tarifvertrag. Fehlt die vorgeschriebene oder vorgesehene Form bedeutet dies die Nichtigkeit

 

4. Gestaltung eines Arbeitsvertrages (Gestaltungsfreiheit und  die Einschränkungen)

Grundsätzlich sind die Vertragspartner des Arbeitsverhältnisses frei, welchen Inhalt sie dem  Arbeitsvertrag geben. Insbesondere hinsichtlich der Vereinbarung über Lohn, Urlaub, Arbeitszeit usw.

Es liegt jedoch im Wesen des Arbeitsrechts und ist sein Zweck diese Vertragsfreiheit zum Schutz des Arbeitnehmers einzuschränken. Denn die geschichtliche Erfahrung lehrt, daß ohne Schutz durch Arbeitsgesetzgebung und Tarifverträge der einzelne Arbeitnehmer dem Arbeitgeber unterlegen und oft unfairen und inhumanen Arbeitsbedingungen, unzureichenden Schutz vor Arbeitsunfällen, überlangen Arbeitszeiten usw. ausgesetzt war.

Heute ist die freie Gestaltung des Arbeitsvertrages eingeschränkt durch Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen. Widersprechen sich diese Rechtsquellen so geht die höhere der niedrigen und im Allgemeinen die dem Arbeitnehmer  günstigeren der ungünstigeren vor.

 

5. Anhörung des Schwerbeschädigtenobmanns

6. Anhörung des Personalrats (Mitbestimmung)

7. Soldaten auf Zeit haben einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung im öffentlichen Dienst, jede zehnte Stelle muß dafür freigehalten werden.

 

 

Musterarbeitsvertrag für den öffentlichen Dienst:   (auswendig lernen]

§ 1:  Regelt die Einstellung

§ 2: Gibt den Tarifvertrag an, nach dem sich das Arbeitsverhältnis regelt

§ 3: Probezeit (Kündigungsmöglichkeit ohne Angabe von Gründen)

§ 4: Vergütung (notfalls muß man sich über diesen Punkt informieren)

§ 5: Nebenabreden (zum Beispiel zweites Arbeitsverhältnis)

§ 6: Nur schriftliche Änderungen (§ 4,2 BAT)

Unterschrift: Im Kommunalbereich zwei, im Staatsbereich eine.

 

 

 

 

Arbeitnehmerpflichten  (§ 611 BGB, § 86 HBG, §15 BAT)

  • Allgemeine Pflichten:

Der Angestellte hat sich so zu verhalten, wie es von den Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Er muß sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen. Der Angestellte ist verpflichtet, den dienstlichen Anordnungen nachzukommen. Beim Vollzug einer dienstlichen Anordnung trifft die Verantwortung denjenigen, der die Anordnung gegeben hat. Der Angestellte hat Anordnungen, deren Ausführungen - ihm erkennbar - den Strafgesetzen zuwiderlaufen würde, nicht zu befolgen. Die Vorschrift gilt auch für das Verhalten des Angestellten außerhalb des Dienstes (§ 8).

  • Dienstleistungspflicht:

Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste verpflichtet. Die Dienstpflicht hat höchstpersönlichen Charakter, das heißt der zur Dienstleistung Verpflichtete hat die Dienste höchstpersönlich zu leisten. Er kann also keinen Ersatzmann stellen, der für ihn die Dienste erfüllen soll. Ein Arbeitnehmer braucht im Falle einer Arbeitsunfähigkeit aber auch keine Ersatzkraft stellen.

  • Gehorsamspflicht:

Es ist die Pflicht des Arbeitnehmers, den Dienstanweisungen des Arbeitgebers schlechthin nachzukommen. Die Gehorsamspflicht erstreckt sich aber grundsätzlich nur auf das Arbeitsverhältnis, dagegen nicht auf das außerbetriebliche Verhalten.

Der Arbeitgeber kann bestimmen, welche Arbeiten  der Arbeitnehmer an welchem Ort zu verrichten hat (Betrieb, Behörde). Sie dürfen nicht vertragswidrig, schikanös, unsittlich, strafbar oder gesundheitsschädlich sein (Weisungsrecht des Arbeitgebers).

Im öffentlichen Dienst hat auch der Angestellte hat sich so zu verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird (Beachtung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen, zum Beispiel kein Alkoholgenuß beim Führen eines Kraftfahrzeuges). Er muß sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen (§ 8 BAT).

  • Treuepflicht:

Diese Pflicht ergibt sich aus dem personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sie kann heute so verstanden werden, daß der Arbeitnehmer seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag so zu erfüllen, seine Rechte so ausüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren hat, wie dies von ihm auf Grund des Arbeitsvertrages und seiner Stellung im Betrieb billigerweise von ihm erwartet werden kann. Die Bedeutung der Treuepflicht richtet sich besonders nach den Bindungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Je näher die persönliche Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist, umso ausgeprägter wird auch die Treuepflicht sein.

Verboten sind zum Beispiel Schwarzarbeit oder der Verrat von Betriebsgeheimnissen.

Inhalt der Treuepflicht:

-  Unterlassungspflichten (Verschwiegenheit, Unbestechlichkeit, unlauterer Wettbewerb)

-  Verhaltenspflichten (Offenbarungs- und Auskunftspflicht bei Vorverhandlungen, Meldung von drohenden Schäden oder Störungen oder bereits eingetretener Schäden, Verfehlungen von Arbeitskollegen werden nur gemeldet werden müssen von „Aufsichtspersonen“).

Das Dienst- und Treueverhältnis gilt beim Angestellten wie beim Beamten, doch er ist nach dem Bundesangestelltentarif mit einem privatrechtlichen Arbeitsvertrag angestellt.

  • Gelöbnis:

Der Angestellte hat dem Arbeitgeber die gewissenhafte Diensterfüllung und die Wahrung der Gesetze zu geloben. Das Gelöbnis wird durch Nachsprechen der folgenden Worte abgelegt und durch Handschlag bekräftigt: „Ich gelobe: Ich werde meine Dienstobliegenheiten gewissenhaft erfüllen und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland sowie die Gesetze wahren“. Über das Gelöbnis ist eine von dem Angestellten mitzuunterzeichnende Niederschrift zu fertigen (§ 6).

  • Verschwiegenheit:
  • Der Angestellte hat über Angelegenheiten der Verwaltung oder des Betriebes, deren Geheimhaltung durch gesetzliche Vorschriften vorgesehen oder auf Weisung des Arbeitgebers angeordnet ist, Verschwiegenheit zu bewahren (§ 9) Der Angestellte hat auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses über Angelegenheiten, die der Schweigepflicht unterliegen, Verschwiegenheit zu bewahren.
  • Herausgabe:

Ohne Genehmigung des Arbeitgebers darf der Angestellte von dienstlichen Schriftstücken, Formeln, Zeichnungen, bildlichen Darstellungen, chemischen Stoffen oder Werkstoffen, Herstellungsverfahren, Maschinenteilen oder anderen geformten Körpern zu außerdienstlichen Zwecken weder sich noch einem anderen Kenntnis, Abschriften, Ab- oder Nachbildungen, Proben oder Probestücke verschaffen. Diesem Verbot unterliegen die Angestellten bezüglich der sie persönlich betreffenden Vorgänge nicht, es sei denn, daß deren Geheimhaltung durch Gesetz oder dienstliche Anordnung vorgeschrieben ist. Der Angestellte hat auf Verlangen des Arbeitgebers dienstliche Schriftstücke, Zeichnungen, bildliche Darstellungen usw. sowie Aufzeichnungen über Vorgänge der Verwaltung oder des Betriebes herauszugeben.

  • Der Angestellte darf Belohnungen oder Geschenke in bezug auf seine dienstliche Tätigkeit nur mit Zustimmung des Arbeitgebers annehmen (§ 10). Werden dem Angestellten Belohnungen oder Geschenke in bezug auf seine dienstliche Tätigkeit angeboten, so hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich und unaufgefordert mitzuteilen. Je nach Lage des Einzelfalles besteht ein Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die tarifliche Regelung gilt nur für die Zeit des Bestehens des Arbeitsverhältnisses

 

 Arbeitgeberpflichten

  • Entlohnungspflicht:

Die Entlohnungspflicht legt dem Arbeitgeber auf, den vereinbarten oder tarifmäßigen Lohn oder die Vergütung dem Arbeitnehmer zu zahlen. Heute wird in der Regel nur noch Geldlohn  gezahlt Naturallohn (Sachlohn) kommt nur noch selten vor (zum Beispiel bei landwirtschaftlichen Arbeitern). Höhe und Art des Lohnes, Vergütung ergeben sich heute weitgehend aus den Tarifverträgen. Die Tarifverträge regeln auch weitgehend den Lohnvergütungszahlungszeitpunkt. Auch ein Umzug im Interesse des Arbeitgebers ist zu bezahlen. Auch die Dienstwohnung gehört zur Entlohnung und ist als geldwerter Vorteil zu versteuern.

  • Fürsorgepflicht:

Der Arbeitsvertrag ist ein „personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis“. Die Fürsorgepflicht beruht auf dem öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz und auf dem Arbeitsverhältnis als soziale Grundlage. Die Fürsorgepflicht beruht auf dem Grundsatz von Treu und Glauben (jeder steht in Treue zu seinem gegebenen Wort und darf das Vertrauen nicht enttäuschen oder mißbrauchen, er hat sich also so zu verhalten, wie das unter redlich denkenden Verkehrsteilnehmer billigerweise erwartet werden kann).

Im Rahmen der Fürsorgepflicht hat der Arbeitgeber besonders auf Leben und Gesundheit des Arbeitnehmers zu achten (menschenwürdiger Arbeitsplatz, gute Geräte, Sicherheitsvorrichtungen).

Alle Arbeitnehmer sind gleich zu behandeln, vor allem auch Mann und Frau

  • Urlaubspflicht:

Urlaub ist die Freistellung von der Arbeit zum Zwecke der Erholung unter Fortzahlung Der Arbeitnehmer darf daher während des Urlaubes keiner anderen Erwerbstätigkeit nachgehen, da der Urlaub vornehmlich der Erholung und Entspannung dienen soll. Schwerbehinderte erhalten  Zusatzurlaub von fünf Arbeitstagen jährlich. Jugendliche erhalten Urlaub nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz.

  • Nachwirkungspflichten:

Erteilung eines Zeugnisses nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Arbeitsbescheinigung oder qualifiziertes Zeugnis), Herausgabe der Arbeitspapiere.

 

Beschäftigungszeit und Dienstzeit

Der Umfang bestimmter Tarifansprüche der öffentlichen Angestellten wird von der Länge abgeleisteter Beschäftigungs- oder Dienstzeiten abhängig gemacht.

  • Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis (nicht Ausbildung)  zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen wurde (§ 19).  Davon hängt die Länge der Kün­digungsfrist und die Erreichung der Unkündbarkeit ab (Bei einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren und dem Erreichen des 40. Lebensjahres ist keine Kündigung mehr möglich. Sinn ist dabei auch die Bindung an den Arbeitgeber).

Im öffentlichen Dienst sind Arbeitgeber alle Arbeitgeber im öffentlichen Dienst. Doch Bund, Länder (Tarifgemeinschaft der Länder) und Gemeinden (Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände) sind  jeweils andere Arbeitgeber. Wehrdienst wird gerechnet, wenn der Arbeitnehmer vorher und nachher bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war.

 

  • Dienstzeit: Einige weitere Ansprüche werden von der bei tarifgebundenen Arbeitgebern zurückgelegten Zeit abhängig gemacht. Die Dienstzeit umfaßt die Beschäftigungszeit und die im folgenden genannten Zeiten einer früheren Beschäftigung, soweit diese nicht schon bei der Berechnung der Beschäftigungszeit berücksichtigt sind § 20

Anzurechnen sind die Zeiten einer nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres beruflich im Beamten-, Angestellten- oder Arbeiterverhältnis verbrachten Tätigkeit

  • beim Bund, bei den Ländern, bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Bereich der Bundesrepublik und sonstigen Mitgliedern der Arbeitgeberverbände, die der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände angehören
  • bei kommunalen Spitzenverbänden
  • bei Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechtes, die diesen oder
  • die Zeiten erfüllter Dienstpflicht in der Bundeswehr  sowie Zeiten des zivilen Ersatzdienstes sowie Zeiten einer Tätigkeit als Entwicklungshelfer, soweit diese vom Wehr- oder Zivildienst befreit.
  • die bei einem Arbeitgeber außerhalb der Bundesrepublik nach dem 8. Mai 1945 und nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres im deutschen öffentlichen Dienst zurückgelegten Zeiten im Beamten-, Angestellten- und Arbeiterverhältnis können angerechnet werden
  • Die Zeit anderer beruflicher Tätigkeit nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres kann ganz oder teilweise angerechnet werden, wenn die Tätigkeit Voraussetzung für die Einstellung war.

Die Zeiten werden aber nicht angerechnet, wenn der Angestellte das Arbeitsverhältnis gekündigt oder vorzeitig aufgelöst hat, oder wenn es aus einem von ihm verschuldeten Grunde beendet worden ist. Dies gilt nicht, wenn der Angestellte im Anschluß an das bisherige Arbeitsverhältnis zu einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers oder zu einem anderen Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes übergetreten ist oder wenn er das Arbeitsverhältnis wegen eines mit Sicherheit erwarteten Personalabbaues oder wegen Unfähigkeit zur Fortsetzung der Arbeit infolge einer Körperbeschädigung oder einer in Ausübung oder infolge seiner Arbeit erlittenen Gesundheitsschädigung aufgelöst hat oder die Nichtanrechnung eine unbillige Härte darstellen würde.

Übernimmt ein Arbeitgeber eine Dienststelle oder geschlossene Teile einer solchen von einem Arbeitgeber, der von diesem Tarifvertrag erfaßt wird oder diesen oder einen Tarifvertrag wesentlich gleichen Inhalts anwendet, so werden die bei der Dienststelle bis zur Übernahme zurückgelegten Zeiten nach Maßgabe der vorstehenden Sätze als Beschäftigungszeit angerechnet (Diese Zeiten werden gerechnet, wenn der Angestellte im Anschluß an das bisherige Arbeitsverhältnis zu einer anderen Dienststelle desselben Arbeitgebers oder zu einem anderen Arbeitgeber des öffentliche Dienstes gewechselt ist).

 

Von der Dienstzeit hängt zunächst die Fortdauer der Zahlung von Krankenbezügen ab: Sechs Wochen sind immer zu zahlen. Aber bei längerer Dienstzeit gelten längere Fristen. Besteht jedoch in drei Jahren in 78 Wochen eine Krankheit, dann muß Rente gezahlt werden (es muß sich aber immer um die gleiche Krankheit handeln). Bei einem Arbeitsversuch nach einer Krankheit müssen Arbeiten von wirtschaftlicher Bedeutung geleistet werden (nicht nur Kopieren, um den neuesten Wissensstand zu erreichen).

Weiterhin hängen von der Dienstzeit ab Übergangsgeld, Rentenbezug und der Zeitpunkt von Jubiläen. In Hessen gilt jedoch die Dienstjubiläumsverordnung, die schon vor dem BAT bestand Danach zählen alle Zeiten im öffentliche Dienst - auch wenn dabei unterbrochen wurde -  und auch die Ausbildungszeit.

 

Tarifvertragsgesetz

Basis für die Arbeit der Tarifvertragsparteien ist das Tarifvertragsgesetz (TVG). Auf dieser Rechtsgrundlage sind die Tarifvertragsparteien (Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern und  Zusammenschlüsse von Gewerkschaften) aufgerufen, Rechtsnormen zu vereinbaren, die den Inhalt, den Abschluß und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen ordnen können. Diese Rechtsnormen nennt man Tarifverträge. Sie bedürfen der Schriftform und binden die Mitglieder der Tarifvertragsparteien, bis der Tarifvertrag endet.

Die Rechtsnormen des Tarifvertrages gelten unmittelbar und zwingend zwischen den beiderseits Tarifgebundenen, die unter den Geltungsbereich eines Tarifvertrages fallen. Die tariflichen Regelungen sind Mindestbedingungen. Abweichende Abmachungen im Arbeitsvertrag sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten. Es ist danach also nicht möglich, daß ein tarifgebundener Arbeitgeber mit einem tarifgebundenen Arbeitnehmer eine arbeitsvertragliche Vereinbarung trifft, wonach der Arbeitnehmer eine niedrigere als die tariflich zustehende Vergütung erhalten soll. Eine solche Vereinbarung wäre nichtig.

Tarifvertragliche Vereinbarungen sind nach den Grundsätzen über die Auslegung von Rechtsnormen auszulegen. Gibt der Wortlaut keinen eindeutigen Aufschluß und fehlt es an einer gesetzlichen Bestimmung des in Frage stehenden Begriffs, ist für die Auslegung von dem Sinn und Zweck des Tarifvertrages auszugehen, also der wirkliche Wille der Tarifpartner, insbesondere der wirtschaftliche und soziale Zweck der getroffenen Regelung ist zu erforschen.

Beim Abschluß von tariflichen Vereinbarungen haben die Tarifvertragsparteien selbstverständlich die geltenden gesetzlichen Regelungen, die zum Schutz der Arbeitnehmer erlassen sind, zu beachten. Hingewiesen sei zum Beispiel auf das Kündigungsschutzgesetz, Schwerbehindertengesetz, Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer, Mutterschutzgesetz.

Nach Ablauf des Tarifvertrages gelten seine Rechtsnormen weiter, bis sie durch andere Abmachungen ersetzt werden. Kommt eine solche neue Abmachung nicht zustande und werden die Tarifverhandlungen von mindestens einer Tarifvertragspartei für gescheitert erklärt, sind die Tarifpartner des öffentlichen Dienstes gehalten, die bestehenden Meinungsverschiedenheiten mit Hilfe eines Schlichtungsverfahrens auszuräumen.

Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuß auf Antrag einer Tarifvertragspartei für allgemeinverbindlich erklären, wenn die taufgebundenen Arbeitgeber nicht weniger als 50 vom Hundert der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmer beschäftigen und die All­gemein­verbindlicherklärung im öffentlichen Interesse geboten erscheint.

 

 

Bundesangestelltentarifvertrag (BAT)

Abschnitt I: Geltungsbereich

§ 1 Allgemeiner Geltungsbereich

§ 2 Sonderregelungen

§ 3 Ausnahmen vom Geltungsbereich

Abschnitt II: Arbeitsvertrag

§ 4 Schriftform, Nebenabreden

§ 5 Probezeit

Abschnitt III: Allgemeine Arbeitsbedingungen

§ 6 Gelöbnis

§ 7 Ärztliche Untersuchung

§ 8 Allgemeine Pflichten

§ 9 Schweigepflicht

§ 10 Belohnungen und Geschenke

§ 11 Nebentätigkeit

§ 12 Versetzung und Abordnung

§ 13 Personalakten

§ 14 Haftung

Abschnitt IV: Arbeitszeit

§ 15 Regelmäßige Arbeitszeit

§ 15a Arbeitszeitverkürzung durch freie Tage

§ 16 Arbeitszeit an Samstagen und Vorfesttagen

§ 16a Nichtdienstplanmäßige Arbeit

§ 17 Überstunden

§ 18 Arbeitsversäumnis

Abschnitt V: Beschäftigungszeit, Dienstzeit

§ 19 Beschäftigungszeit

§ 20 Dienstzeit

§ 21 Ausschlußfrist

Abschnitt VI: Eingruppierung

§ 22 Eingruppierung

§ 23 Eingruppierung in besonderen Fällen

§ 23a Bewährungsaufstieg im Bereich des Bundes und der Länder

§ 23b Fallgruppenaufstieg

§ 24 Vorübergehende Ausübung einer höherwertige Tätigkeit

§ 25 Prüfungserfordernis

Abschnitt VII: Vergütung

§ 26 Bestandteile der Vergütung

§ 26a Bemessungsgrundsätze für die Grundvergütungen

          im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände

§ 27 Grundvergütung

§ 28 Grundvergütung der Angestellt zwischen 18  und  21 bzw. 23 Jahren

§ 29 Ortszuschlag

§ 31 aufgehoben

§ 32 aufgehoben

§ 33 Zulagen

§ 34 Vergütung Nichtvollbeschäftigter

§ 35 Zeitzuschläge, Überstundenvergütung

§ 36 Berechnung und Auszahlung der Bezüge, Vorschüsse

Abschnitt VIII: Sozialbezüge

§ 37 Krankenbezüge

§ 38 Krankenbezüge bei Schadensersatzansprüchen gegen Dritte

§ 39 Jubiläumszuwendungen

§ 40 Beihilfen bei Geburts-, Krankheits- und Todesfällen, Unterstützungen

§ 41 Sterbegeld

Abschnitt IX: Reisekostenvergütung, Umzugskostenvergütung, Trennungsentschädigung

§ 42 Reisekostenvergütung

§ 43 Besondere Entschädigung bei Dienstreisen an Sonn- und Feiertagen

§ 44 Umzugskostenvergütung, Trennungsentschädigung (Trennungsgeld)

§ 45 aufgehoben

Abschnitt X: Zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung

§ 46 Zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung

Abschnitt XI: Urlaub, Arbeitsbefreiung

§ 47 Erholungsurlaub

§ 48 Dauer des Erholungsurlaubs

§ 48a Zusatzurlaub für Wechselschichtarbeit, Schichtarbeit und Nachtarbeit

§ 49 Zusatzurlaub

§ 50 Sonderurlaub

§ 51 Urlaubsabgeltung

§ 52 Arbeitsbefreiung

§ 52a Fortzahlung der Vergütung bei Arbeitsausfall in besonderen Fällen

Abschnitt III: Beendigung des Arbeitsverhältnisses

§ 53 Ordentliche Kündigung

§ 54 Außerordentliche Kündigung

§ 55 Unkündbare Angestellte

§ 56 Ausgleichszulage bei Arbeitsunfall und Berufskrankheit

§ 57 Schriftform der Kündigung

§ 58 Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung

§ 59 Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Berufsunfähigkeit und Erwerbsunfähigkeit

§ 60 Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Erreichung der Altersgrenze, Weiterbeschäftigung

§ 61 Zeugnisse und Arbeitsbescheinigungen

Abschnitt XIII: Übergangsgeld

§ 62 Voraussetzungen für die Zahlung des Übergangsgeldes

§ 63 Bemessung des Übergangsgeldes

§ 64 Auszahlung des Übergangsgeldes

Abschnitt XIV: Besondere Vorschriften

§ 65 Dienstwohnungen (Werksdienstwohnungen)

§ 66 Schutzkleidung

§ 67 Dienstkleidung

§ 68 Sachleistungen

§ 69 Anwendung beamtenrechtlicher Vorschriften im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände

§ 70 Ausschlußfristen

Abschnitt XV: Übergangs- und Schlußvorschriften

§ 71 Besitzstandswahrung

§ 72 Übergangsregelungen

§ 73 Schlußvorschriften

§ 74 Inkrafttreten und Laufzeit des Tarifvertrages

 

 

Grundvergütung in den Gemeinden Hessens

1. Bei Einstellung ist das 21. Lebensjahr nicht überschritten:

Der Angestellte wird der ersten Stufe der Grundvergütung seiner Vergütungsgruppe zugeordnet.

2. Bei Einstellung nach Vollendung des 21. Lebensjahres: Ermittlung des Lebensalters.

3. Ablesen der Grundvergütung der entsprechenden Stufe in der nächstniedrigeren Vergütungsgruppe: Im Alter von 21. Jahren Stufe 1, dann alle zwei Jahre einen Stufe höher.

3. Ermittlung  des Unterschiedsbetrages zwischen der Vergütungsgruppe VII und VIII in der 1. Stufe (sogenannter Garantiebetrag)

4. Addition der Grundvergütung und des Garantiebetrages          

5.  Bei der Einstellungsgruppe (BAT VII soll eingestellt werden), welcher Tabellenbetrag dem Betrag von 4. am nächsten kommt, bzw. diesen beinhaltet = Stufe 6.

6. Der nächstniedrigere Tabellenbetrag in BAT VII  (Einstellungsgruppe) wird als Grundvergütung gewährt.

 

Krankenbezüge

Dem Angestellten werden im Falle einer durch Unfall, durch Krankheit, durch nicht rechtswidrige Sterilisation oder durch nicht rechtswidrigen Abbruch der Schwangerschaft verursachten Arbeitsunfähigkeit Krankenbezüge gezahlt, es sei denn, daß er sich den Unfall oder die Krankheit vorsätzlich, grob fahrlässig oder bei einer nicht genehmigten Nebentätigkeit zugezogen hat.

Krankenbezüge werden bis zur Dauer von sechs Wochen gezahlt. Sie werden nach einer Dienstzeit von mindestens

zwei Jahren bis zum Ende der 9. Woche,

drei Jahren bis zum Ende der 12. Woche,

fünf Jahren bis zum Ende der 15. Woche,

acht Jahren bis zum Ende der 18. Woche,

zehn Jahren bis zum Ende der 26. Woche

seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit gezahlt.

Bei der jeweils ersten Arbeitsunfähigkeit, die durch einen bei dem Arbeitgeber erlittenen Arbeitsunfall oder durch eine bei dem Arbeitgeber zugezogene Berufskrankheit verursacht ist, werden die Krankenbezüge ohne Rücksicht auf die Dienstzeit bis zum Ende der 26. Woche seit dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit gezahlt, wenn der zuständige Unfallversicherungsträger den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit anerkennt.

Krankenbezüge werden nicht gezahlt über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus und  über den Zeitpunkt hinaus, von dem an der Angestellte Bezüge - ausgenommen eine Hinterbliebenenrente - aus der gesetzlichen Rentenversicherung- oder aus einer zusätzlichen Alters- und Hinterbliebenenversorgung erhält.

 

Urlaub

Beim Bund richtet sich der Urlaubsanspruch nach § 48 BAT. Beim Land und den Gemeinden geht es nach den beamtenrechtlichen Bestimmungen, die bei dem  jeweiligen Arbeitgeber gelten. Bei teilweiser Beschäftigung wird pro Monat ein Zwölftel gerechnet, Bruchteile werden nach oben aufgerundet. In  der Probezeit besteht kein Anspruch auf Urlaub zu einem bestimmten Termin  (auch nicht bei gebuchtem Urlaubsplatz).

 

Fälle

(1.) Herr Michael Marbach, geboren am 30. Januar 1960 in Fulda soll ab 1.Oktober 2012 als Verwaltungsangestellter bei der Stadtverwaltung Bad Homburg v.d.H. eingestellt werden. Herr Marbach ist verheiratet und hat ein Kind. Die Vergütung soll nach der Vergütungsgruppe VII BAT erfolgen. Seine Ehefrau ist beim Landratsamt Bad Homburg v.d.H. halbtags als Sekretärin tätig. Das Kindergeld soll der Ehemann beziehen. Sein bisheriger beruflicher Werdegang gestaltet sich nach den Bewerbungsunterlagen wie folgt:

01.09.1976  - 31.08.1979: Auszubildender für den Beruf eines kaufmännischen

          Angestellten bei Firma Müller, Bad Homburg v.d.H.

          (kein Arbeitsverhältnis, weil keine 18 Jahre)

01.09.19 - 30.09.1979:      Kaufmännischer Angestellter bei der Firma Müller

01.10.1979 - 31.03.1982:  Ableistung der Wehrpflicht bei der Bundeswehr

01.04.1981 - 31.12.1990:  Verwaltungsangestellter bei der Stadtverwaltung Frankfurt

(Beendigung des Arbeitsverhältnisses  wegen Verbesserung bei einem neuen Arbeitgeber).

01.011991 . 30.06.1999:  Versicherungssachbearbeiter bei der LV-Sorgenfrei in

                                            Frankfurt (Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen

                                            Zunehmender Verschlechterung des Betriebsklimas).

01.01.199 - 31.12.2005:   Verwaltungsangestellter beim Landratsamt in Friedberg

         (Kündigung  wegen vermehrtem EDV-Einsatz und damit

                                             verbundenem Personalabbaues).

01.01.2006 - 30.09.2012: Angestellter bei der LV-Sorgenfrei in Frankfurt am Main

                                 (Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Verbesse-

                                 rung der Arbeitsbedingungen. Kein öffentlicher Arbeitgeber).

Lösung: Keine Beschäftigungszeit, Dienstzeit: Bundeswehr und Landratsamt Friedberg.

Berechnung der Bruttovergütung: Alter 52 Jahre, BAT VIII, Stufe 11. Garantiebetrag: Differenz zwischen Stufe 1 der Anstellungsgruppe VII und Stufe 1 der nächstniedrigeren Vergütungsgruppe.

 

(2) Aufgabe „Neu-Isenburg“:

Bei der Gemeinde Neu-Isenburg wird zum 1. Juni dieses Jahres eine 25-jährige Stenosekretärin, Frau Mopp, eingestellt. Sie soll Vergütungsgruppe VII BAT erhalten. Aus den Bewerbungsunterlagen geht hervor, daß Frau Mopp nach einer Scheidung vor fünf Jahren bei der Firma Kohlstruck AG beschäftigt war. Inzwischen ist sie wieder verheiratet und Hausfrau. Außerdem ist sie Mutter von Zwillingen. Da ihr Ehemann zur Zeit arbeitslos ist, hat sich Frau Mopp bei der Gemeinde beworben. Wie hoch wird ihre Brutto-Vergütung ab 1. Juni sein?

Lösung: Nach Vollendung des 21. Lebensjahr, nämlich 25 Jahre. Stufe III, BAT VIII,

zum Beispiel 1.631 Euro, Differenz Stufe VII und VIIII 121 Euro, also insgesamt 1752 Euro.

Nächster Tabellenbetrag 1.777 Euro, nächstniedrigere Tabellenbetrag 1.703.

 

Höhergruppierung

Grundvergütung nach BAT plus Garantiebetrag plus Aufstockung bis zur nächsthöheren Stufe in der neuen Vergütungsgruppe (die Summe ist enthalten in der nächsthöheren Stufe).

BAT § 27: „in der Aufrückungsgruppe die Grundvergütung der Stufe, deren Satz mindestens um den Garantiebetrag höher ist als seine bisherige Grundvergütung“. „Mindestens“ heißt: höher als Grundvergütung der vorhergehende Stufe plus Garantiebetrag.

 

Urlaubsgeld

Der Angestellte erhält in jedem Kalenderjahr ein Urlaubsgeld,  wenn er

  • am 1. Juli im Arbeitsverhältnis steht  und
  • seit dem 1. Januar ununterbrochen als Angestellter, Arbeiter, Beamter, Richter, Soldat auf Zeit, Berufssoldat, Arzt im Praktikum, Auszubildender, Praktikant, Schülerin/Schüler in der Krankenpflege, Kinderkrankenpflege oder Krankenpflegehilfe oder Hebammenschülerin / Schüler in der Entbindungspflege im öffentlichen Dienst gestanden hat und
  • mindestens für einen Teil des Monats Juli Anspruch auf Vergütung, Urlaubsvergütung oder Krankenbezüge hat.

Ist nur wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld oder wegen der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz auch die Voraussetzung des Unterabsatzes 2 nicht erfüllt, ist dies unschädlich, wenn die Arbeit in unmittelbarem Anschluß an den Ablauf der Schutzfristen bzw. an den Erziehungsurlaub - oder lediglich wegen Arbeitsunfähigkeit oder Erholungsurlaubs später als am ersten Arbeitstag nach Ablauf der Schutzfristen bzw. des Erziehungsurlaubs - in diesem Kalenderjahr wieder aufgenommen wird.

 

 

Personalvertretung

Das Personalvertretungsgesetz regelt das Recht der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber. Seit März 1992 gilt eine Neufassung des Gesetzes (größere Beteiligung der Frauen). Das Gesetz gilt auch für Beamte. Die Vertretung erfolgt durch gewählte Vertreter, den „Personalrat“.  Die Anzahl der Vertreter richtet sich nach der Zahl der Beschäftigten in der Dienststelle.

 

§ 41:

Der Personalrat kann Sprechstunden  während der Arbeitszeit einrichten. Zeit und Ort bestimmt er im Einvernehmen mit lern Leiter der Dienststelle.

 

§ 45:

Der Personalrat hat mindestens einmal im Kalenderjahr in einer Personalversammlung einen Tätigkeitsbericht zu erstatten. Der Personalrat ist berechtigt und auf Wunsch des Leiters der Dienststelle oder eines Viertels der wahlberechtigten Beschäftigten  verpflichtet, eine Personalversammlung einzuberufen und den Gegenstand, dessen Beratung beantragt ist, auf die Tagesordnung zu setzen.

 

§ 47:

Die Personalversammlung kann dem Personalrat Anträge unterbreiten und zu seinen Beschlüssen Stellung nehmen. Sie darf alle Angelegenheiten behandeln, die die Dienststelle oder ihre Beschäftigten betreffen, insbesondere die aktuelle Entwicklung von Tarif, Besoldungs- und Sozialangelegenheiten sowie Fragen der Gleichstellung von Frau und Mann.

 

§ 62:

Der Personalrat hat folgende allgemeine Aufgaben:

  • Maßnahmen, die der Dienststelle und ihren Angehörigen dienen, zu beantragen
  • darüber zu wachen, daß die zugunsten der Beschäftigten geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden
  • die Eingliederung und berufliche Entwicklung Schwerbehinderter und sonstiger Schutzbedürftiger, insbesondere älterer Personen, zu fördern
  • Maßnahmen zur beruflichen Förderung Schwerbehinderter zu beantragen
  • Maßnahmen zu beantragen, die der Gleichstellung und Förderung der Frauen, der Eingliederung ausländischer Arbeitskräfte  dienen
  • mit der Jugend- und Auszubildendenvertretung eng zusammenzuarbeiten.

§ 63:

Der Personalrat hat mitzubestimmen, wenn eine Dienststelle die Verwaltungsanordnungen für die innerdienstlichen sozialen und personellen Angelegenheiten der Beschäftigten ihres Geschäftsbereichs erlassen will.

 

§ 69:

Der Personalrat kann in allen Angelegenheiten, die seiner Mitbestimmung unterliegen, Maßnahmen beantragen. Der Personalrat hat seine Anträge dem Leiter der Dienststelle schriftlich zu unterbreiten. Der Leiter der Dienststelle hat dem Personalrat eine Entscheidung innerhalb von vier Wochen nach Abschluß der Erörterung schriftlich mitzuteilen.

 

 

§ 71:

Der Personalrat hat mitzubestimmen bei Einführung neuer Arbeitsmethoden, Aufstellung von allgemeinen Grundsätzen für die Bemessung des Personalbedarfs, Einführung von technischen Rationalisierungsmaßnahmen und Einführung automatisierter Verarbeitung personbezogener  Daten der Beschäftigten


§ 74:

Der Personalrat hat, soweit nicht eine Regelung durch Gesetz oder Tarif erfolgt, gegebenenfalls durch Abschluß von Dienstvereinbarungen in sozialen Angelegenheiten mitzubestimmen, insbesondere über

  • Gewährung von Unterstützungen und entsprechenden sozialen Zuwendungen
  • Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und zur Erleichterung des Arbeitsablaufs
  • Maßnahmen zur Verhütung von Dienst-  und Arbeitsunfähigkeit und sonstigen Gesundheitsschädigungen
  • Regelungen der Ordnung und des Verhaltens der Beschäftigten
  • Grundsätze der Berufsausbildung und Fortbildung
  • Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit einschließlich der Pausen und Regelung zur Festsetzung von Kurz- und Mehrarbeit
  • Gestaltung der Arbeitsplätze

 

§ 77: Der Personalrat bestimmt mit

1. in Personalangelegenheiten der Beamten bei Einstellung, Anstellung, Beförderung, Übertragung eines höheren Amtes oder einer anderen Tätigkeit, Versetzung, Umsetzung, Abordnung, vorzeitiger Versetzung in den Ruhestand, Entlassung, sowie

in Personalangelegenheiten der Angestellten und Arbeiter bei Einstellung, Übertragung einer höher oder niedriger zu bewertenden Tätigkeit, Höher- oder Rückgruppierung, Eingruppierung, Versetzung zu einer anderen Dienststelle, Umsetzung innerhalb der Dienststelle, wenn sie mit einem Wechsel des Dienstortes verbunden ist, Abordnung zu einer anderen Dienststelle für eine Dauer von mehr als drei Monaten, Ablehnung eines Antrags auf Teilzeitbeschäftigung, Weiterbeschäftigung über die Altersgrenze hinaus, ordentlicher Kündigung.

 

(2) Der Personalrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, gegebenenfalls durch Abschluß von Dienstvereinbarungen mitzubestimmen über

1. Inhalt von Personalfragebogen,

2. Beurteilungsrichtlinien.

3. Erlaß von Richtlinien über die personelle Auswahl bei Einstellungen, Versetzungen, Beförderungen, Umgruppierungen und Kündigungen.

(3) Vor fristlosen Entlassungen. außerordentlichen Kündigungen und vor Kündigungen während der Probezeit ist der Personalrat anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, so hat er sie unter Angabe der Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen schriftlich mitzuteilen.

 

 

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Automatische Beendigung:

  • Tod: Automatische Beendigung, aber Zahlung rückständigen Lohns an die Rechts­nachfolger, Abführung der Sozialversicherungsbeiträge. Ein Sterbegeld gibt es nicht mehr.
  • Tod des Arbeitgebers: Das Arbeitsverhältnis endet nur bei einer persönlichen Dienstleistung an den Arbeitgeber, zum Beispiel bei einer Pflege.  Beim Tod des Inhabers einer Firma endet das Arbeitsverhältnis nur, wenn die Firma nicht von einem anderen weitergeführt wird. Aber Stillegung des Unternehmens ist kein automatischer Endigungsgrund. Vielmehr bedarf es in diesem Fall einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist. Die Kündigung wird dann allerdings fast immer sozial gerechtfertigt, weil durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt sein, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Unternehmen entgegenstehen
  • Ablauf der Befristung: Zeitlich mit dem Erreichen des Termins, sachlich bei Erfüllung des Zwecks. Eine beabsichtigte Eheschließung oder der Eintritt der Schwangerschaft ist kein Befristungsgrund.
  • Beendigung durch Verwaltungsakt, zum Beispiel Schließung einer Gaststätte  wegen Ablauf der Konzession oder Hygieneverstößen.
  • Berufs- und Erwerbsunfähigkeit: Die Feststellung erfolgt durch die Rentenversicherung. Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des Monats, in dem der Rentenbescheid zugestellt wurde. Diese Rente wird meist rückwirkend gewährt, eventuell gezahlte Bezüge werden vom Arbeitgeber zurückgefordert
  • Erreichend der Altersgrenze: Bei Männern und Frauen lag sie bisher bei 65 Jahren, sie wird aber stufenweise auf 67 Jahre heraufgesetzt. Der Arbeitsvertrag endet automatisch ohne Kündigung.
  • Eintritt in ein öffentlich-rechtliches Arbeitsverhältnis, also Übernahme in das Beamtenverhältnis.

 

Beendigung durch Kündigung:

  • Auflösungsvertrag im gegenseitigen Einvernehmen, auch ohne Einhalten einer Kündigungsfrist.
  • Abmahnung: Bei einem Fehlverhalten gibt es zunächst einmal eine Abmahnung, zunächst mündlich einmal oder zweimal mit Hinweis auf die Folgen, dann schriftlich unter Angabe der Gründe und Hinweis auf mündliche Abmahnungen. Eventuell gehört dazu auch ein Hinweis auf die Schädigung des Ansehens des öffentlichen Dienstes (Besuch des Spielkasinos während der Dienstzeit) oder der Hinweis auf die Pflichten und eine Mahnung für den Wiederholungsfall und schließlich Androhung der Kündigung für den Wiederholungsfall.
  • Kündigung: „Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige und bedingungsfeindliche Willenserklärung“. Das Recht zur Kündigung steht beiden Vertragspartnern zu, aber beim Arbeitsgeber ist sie schwieriger (Kündigungsschutzgesetz, Mütterschutzgesetz, Schwerbehindertengesetz, Personalratsgesetz).

Bei der ordentlichen Kündigung gibt es eine Kündigungsfrist:

Innerhalb der Probezeit beträgt die Kündigungsfrist zwei Wochen zum Monatsschluß.

Im Übrigen beträgt die Kündigungsfrist bei einer Beschäftigungszeit

bis zu 1 Jahr 1 Monat                                          zum Monatsschluß,

nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 1 Jahr       6 Wochen,

von mindestens 5 Jahren                                                3 Monate,

von mindestens 8 Jahren                                                4 Monate,

von mindestens 10 Jahren                                              5 Monate,

von mindestens 12 Jahren                                              6 Monate.

zum Schluß eines Kalendervierteljahres.

Die Kündigungsfristen gelten auch für den Arbeitnehmer, es sei denn, der Arbeitgeber stimmt einem Auflösungsvertrag zu oder der Arbeitnehmer kündigt außerordentlich bei Vorliegen wichtiger Gründe, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen.

Die Angabe von Gründen ist bei der ordentlichen Kündigung gesetzlich nicht vorgeschrieben. Das Unterlassen kann jedoch zum Schadensersatz verpflichten. Ein Schaden kann dem Arbeitnehmer: aus dem Unterlassen der Angabe des Kündigungsgrundes zum Beispiel dadurch entstehen, daß er gegen die Kündigung erfolglos Klage erhebt, die er bei Kenntnis des Grundes und verständiger Würdigung nicht erhoben hätte.

Abgesehen vom Berufsausbildungsverhältnis bedarf die Kündigung keiner Form, kann also auch mündlich erfolgen. Allerdings kann durch Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Einzelvertrag Schriftform oder eine andere Form für die Kündigung vereinbart sein.

  • Außerordentliche Kündigung: Eine fristlose Kündigung, für die aber wichtige Gründe vorliegen müssen und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist unzumutbar. Es geht um die Wiederholung eines Fehlverhaltens (das im Einzelfall nicht zur Kündigung führt) oder die Störung des Betriebsablaufs, so daß zum Beispiel die Kollegen einspringen müssen. Gründe sind zum Beispiel: Unterschlagung von Geldern, Alkoholmißbrauch am Arbeitsplatz, Vorteilsnahme im Amt, wiederholte Arbeitsverweigerung, Datenschutzverstöße.

Angabe der Kündigungsgründe: Die Angabe von Gründen ist bei der ordentlichen Kündigung gesetzlich nicht vorgeschrieben. Das Unterlassen kann jedoch zum Schadensersatz verpflichten. Ein Schaden kann dem Arbeitnehmer: aus dem Unterlassen der Angabe des Kündigungsgrundes zum Beispiel dadurch entstehen, daß er gegen die Kündigung erfolglos Klage erhebt, die er bei Kenntnis des Grundes und verständiger Würdigung nicht erhoben hätte.

  • Unterschlagung von Geldern, Alkoholmißbrauch am Arbeitsplatz, Vorteilsnahme im Amt, wiederholte Arbeitsverweigerung, Datenschutzverstöße.

Für die Wirksamkeit der außerordentlichen (fristlosen) Kündigung ist gesetzlich nicht die Angabe von Gründen vorgeschrieben. Jedoch muß der Kündigende dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, schriftlich mitteilen. Unterläßt er das, so ist zwar die Kündigung nicht nichtig, aber der Kündigende ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der sich daraus ergibt.

  • Für jede Kündigung ist die Zustimmung des Personalrats erforderlich, bei einer außerordentlichen Kündigung besteht allerdings rein rechtlich nur ein Anhörungsrecht.
  • Nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des vierzigsten Lebensjahres, ist der Angestellte unkündbar. Außerdem gibt es noch spezialgesetzliche Regelungen im Mutterschutzgesetz, Schwerbehindertengesetz, usw.
  • Bei Schwerbehinderung muß bei jeder Art der Kündigung grundsätzlich die Hauptfürsorgestelle des Landeswohlfahrtsverbandes ihre Zustimmung geben (das Fehlverhalten könnte ja auch aus der Behinderung entstehen). Aber im Prinzip kann auch einem Schwerbehinderten gekündigt werden, auch fristlos und auch bei einem Personalabbau.

 

Inhalt des Kündigungsschreibens:

1. Absender (Vertragspartner)

2. Datum

3. Kündigungsfrist

4. Angabe des Grundes (Abmahnung mit Schreiben vom…)

5. Zustimmung des Personalrats

6. Unterschrift (nur eine Unterschrift, weil laufendes Geschäft).

Zustellung gegen Empfangsbestätigung durch Boten oder Postzustellungsurkunde.

 

Arbeitsgericht:

-  Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers innerhalb von drei Wochen

-  Güteverhandlung vor einem Berufsrichter

-  Kammergericht (mit zwei ehrenamtlichen Richtern beider Seiten)

-  Urteil (falls nicht vorher eine Einigung erfolgte)

-  Berufung vor dem Landesarbeitsgericht (ein Berufsrichter, zwei ehrenamtliche)

-  Revision vor dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt.

 

Übersicht:

Ordentliche Kündigung

Außerordentliche Kündigung

Beachtung der Kündigungsfrist

Angabe von Gründen

Zustimmung des Personalrats

Kündigungsschutz:

Sozial gerechtfertigt

Personenbezogen (keine Arbeitsfähigkeit)

Verhaltensbedingt (Fehlzeiten)

Betriebsbedingt (Rationalisierung)

Vorzeitig ohne Beachtung der Fristen

Angabe von wichtigen Gründen

(unzumutbar, alle Mittel erschöpft))

Sofortige Wirkung

Anhörung des Personalrats

Klagemöglichkeit in allen Fällen

 

 

Fälle

(1.) Beispiel für die Kündigung eines Arbeitsvertrags:

Wir kündigen Ihnen  den Arbeitsvertrag zum 31. März, nachdem Sie wiederholt zu spät gekommen sind und die Mittagspause überzogen haben. Vorausgegangen sind Abmahnungen am….   und ….. mit der Drohung einer Kündigung im Wiederholungsfall. Nachdem im November wieder Fehlzeiten vorkamen, kündigen wir mit sofortiger Wirkung den Arbeitsvertrag. Der Personalrat ist dazu gehört worden und hat zugestimmt, weil durch Ihr Verhalten und eine Störung des Betriebsablaufs erfolgte und die Kollegen einspringen mußten. Rückständiger Lohn wird noch ausgezahlt, eine Arbeitsbescheinigung wird ausgehändigt.

 

(2) Herr Volker Schmidt, geboren am 15. Januar 1980, wird mit Wirkung vom 1. März 2013 als Verwaltungsangestellter in den öffentlichen Dienst eingestellt. Die Vergütung richtet sich nach Vergütungsgruppe VII Bundes-Angestelltentarifvertrag. Herr Schmidt hat bereits vor seiner Einstellung für die Zeit vom 2. August bis 20. Juni 2013 eine Urlaubsreise gebucht. Von seinem letzten privaten Arbeitgeber hat Herr S. für die Monate Januar und Februar 2013 keinen anteiligen Erholungsurlaub erhalten.

Lösung:

Die Stufe der Grundvergütung bei Einstellung: 31 Jahre, also 5. Stufe.

In der Probezeit hat er keinen Anspruch auf Urlaub.

Da er erst am 1.März angestellt wurde (und nicht am 1. Januar) hat er keinen Anspruch auf Urlaubsgeld.

 

3.) Der Büroangestellte Meier wird am 1. Januar 2013 in den Dienst der Stadtverwaltung Wiesbaden eingestellt. Seine wahrzunehmende Aufgaben entsprechen den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppe IV b BAT. Sein Arbeitsvertrag lautet auch auf IV b BAT.

Am 1. Januar 2015 stellt der Gehaltssachbearbeiter mit Entsetzen fest, daß dem Angestellten versehentlich seit zwei Jahren Grundgehalt nach Vergütungsgruppe IV a BAT gezahlt wird. Das gesamte Gehalt hat der Mitarbeiter inzwischen ausgegeben.

Lösung

Ein Anspruch besteht nur entsprechend den Tätigkeitsmerkmalen = Vergütungsgruppe  IV b

Es handelt sich um eine ungerechtfertigte Bereicherung gemäß §§ 812 ff. BGB

Aber aus Billigkeitsgründen kann von der Rückforderung abgesehen werden. Die  Entscheidung trifft die oberste Dienstbehörde (bei Bund und Ländern das Ministerium)

In Hessen erfolgt keine Rückforderung, wenn Überzahlungsbetrag pro Monat nicht mehr als zehn Prozent oder insgesamt nicht mehr als 100 Euro ausmacht.

Bei einer Rückforderung ist die Ausschlußfrist ist (§ 70 BAT) zu beachten, im vorliegenden Fall also sechs Monate rückwirkend, wenn nicht die Entreicherung (§ 813 Absatz 3 BGB) geltend gemacht wird.

 

(4.) Angestellter Schulz ist nach Vergütungsgruppe VI b BAT bezahlt. Ab 1. Januar 2012 übernimmt er die Krankheitsvertretung des nach Vergütungsgruppe V c BAT bezahlten Büroangestellten Konrad. Am 1. Dezember 2012 fragt er an, ob eine vorübergehende Bezahlung nach Vergütungsgruppe V c BAT möglich ist.

Lösung:

Gemäß § 24 Absatz 2 BAT ist ab dem dritten. Monat eine persönliche Zulage in Höhe des maßgebenden Unterschiedsbetrages zu gewähren, wenn die Vertretung länger als drei Monate dauert. Der Mitarbeiter hätte unter Beachtung der Ausschlußfrist den Anspruch innerhalb von sechs Monaten geltend machen müssen. Demnach gibt es eine Nachzahlung nur ab 1. Juni 2012.

 

(5.) Der Leiter des Versorgungsamtes Frankfurt sucht zur Erledigung der ihm obliegenden Aufgaben noch Arbeitskräfte. Auf dem Weg zum Dienst spricht er an der U-Bahn-Haltestelle die siebzehnjährige Maria Fleißig an,  ob sie an einem dauerhaften Arbeitsplatz interessiert sei. Frau Fleißig bejaht dies.

Bei dem anschließenden Vorstellungsgespräch bittet sie der dynamische Verwaltungsleiter, sofort mit der Arbeit zu beginnen und bemerkt: „Die Formalitäten holen wir in den nächsten Tagen nach“. Frau Fleißig nimmt daraufhin - ohne daß weiteres vereinbart wird - ihre Tätigkeit auf.

Lösung:

Folgende „Formalitäten“ sind noch nachzuholen: Arbeitsvertrag, persönliche Unterlagen, Führungszeugnis, betriebsärztliche Untersuchung, Informationen über den Arbeitsplatz, Arbeitsanweisung, Zustimmung des Personalrats, Arbeitsschutz (Jugendarbeitsschutz), Anmeldung bei der Sozialversicherung, Zustimmung des gesetzlichen Vertreters, Gelöbnis.

Der Arbeitsvertrag ist schon rechtsgültig abgeschlossen, allerdings nur befristet. Es empfiehlt sich aber die Schriftform, bzw. im öffentlichen Dienst ist sie sogar vorgeschrieben.

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt: Hierarchie, Verwaltungsträger, Verwaltungsgliederung, Behördenorganisation, bürokratische und kooperative Organisation, Ablauforganisation, Organisationsstelle, mündliche und schriftliche Organisation, Einsparen von Schreibarbeit, Begriffe des Geschäftsverkehrs, Aktenordnung, Empfehlungen zur Textverarbeitung, Arbeitsorganisation, Zeiteinteilung.

 

 

 

Verwaltungsorganisation

 

Organisation muß auch in der Arbeitswelt sein. Mit einem Minimum kann man zum Erfolg kommen, aber auch mit einem Maximum. Aber auch mit beidem kann man Mißerfolg haben.

 

Definition

Verwaltung ist ein System, in dem Menschen, Aufgaben und Sachmittel zur Erreichung eines Zwecks zusammengeführt werden.

Jede Verwaltung ist ein System. Dieses kommt in Gang durch eine Eingabe (Anruf, schriftlicher Auftrag). Dadurch wird ein Ablauf in Gang gesetzt. Aufgaben, Menschen und Sachmittel werden zusammengebracht. Am Ende steht die Ausgabe.

Zu beachten sind dabei aber auch die Rahmenbedingungen und die gesellschaftliche Umwelt (Parteien, Personen, Bürgerinitiative)

Aus den Zielen einer Organisation erwachsen Hauptaufgaben, die so weit in Aufgaben, Teilaufgaben und Tätigkeiten untergliedert werden, bis jedem Mitarbeiter eine bestimmte Arbeit zugeteilt ist.

 

Hierarchie der Verwaltung

Jeder Sachgebietsleiter sollte nur vier bis acht nachgeordnete Angestellte betreuen, je nach Technik, Routine, Ausbildung. Grundsatz ist aber: Möglichst wenig Stufen, wenig Zwischeninstanzen.  Wenn aber die Aufgaben zwischen den Fachleuten nicht gut aufgeteilt sind, entstehen Schwierigkeiten. Jurist, Ingenieur, Verwaltungsangestellter und Sozialarbeiter müssen gut zusammenarbeiten.

Ein besonderes Problem ist die Unterschriftbefugnis: Kann die Entscheidungsbefugnis delegiert werden auf den Sachbearbeiter? Bringt die Kontrolle durch d en Vorgesetzten wirklich etwas? Geht es wirklich darum, daß der  Brief juristisch exakt abgefaßt ist, oder geht es nur um-Stilfragen („Verbal-Erotiker“).

Abgeordnete lösen oft viel Arbeit aus, wenn sie Anfragen stellen. Aber das hat politisch einen hohen Wert.

 

Welche Sachverhalte beeinflussen das Verhalten von Mitarbeitern?

-  Hierarchie, Kompetenzen, Begründung der angeordneten Maßnahme.

-  Informationen sollten automatisch gegeben werden, aber man kann auch fragen.

-  Man braucht eine Organisationsplan und eine allgemeine Geschäftsanweisung.

-  Prestigedenken: Der Amtsleiter möchte gern gut dastehen

-  Büroumgebung: Bilder, Pflanzen, gute Möbel

-  Kantine (es gibt immer noch Beispiele für schlimme Zustände)

 

 

Verwaltungsträger

 

Verwaltungsaufbau:

Der Verwaltungsaufbau richtet sich nach dem Territorialsystem:

Bundesverwaltung

Landesverwaltung (Flächenstaaten,. Stadtstaaten)

Bezirksverwaltung (Regierungspräsident)

Umlandverband

Kreisverwaltung

Gemeindeverwaltung

 

 

Juristische Personen des öffentlichen Rechts (Verwaltungsträger):

 

Körperschaften

Anstalten

Stiftungen

Personenvereinigung

Mitglieder

Verwaltungseinrichtung Benutzer

Vermögensmasse Nutznießer

Gebietskörperschaften

Personalkörperschaften

 

 

Allmitgliedschaft Allzuständigkeit

 

Einzelmitgliedschaft Einzelzuständigkeit

 

 

Bund

Länder

Gemeinden

Ärztekammer Krankenkassen Berufsgenossenschaften

Rundfunkanstalten Städt. Sparkassen Kliniken

Deutsche Bundesbank

Stiftung preußischer Kulturbesitz

Stiftung Volkswagenwerk

Finanzierung: Steuern

 

Finanzierung:     Gebühren

Auch Privat

 

Auch privatrechtlich geformte Verwaltungsträger (zum Beispiel Vereine) können tätig werden, wenn sie mit hoheitlicher Verwaltungsbefugnis beliehen sind (sogenannte „beliehene öffentliche Unternehmer“),  zum Beispiel: Schornsteinfeger, Schiffs- und Flugkapitäne, Notare, Jagdaufseher, Fleischbeschauer, technische Überwachungsvereine.

 

 

2. Grundsätze der äußeren Verwaltungsgliederung

Unitarismus -Föderalismus:  

a) Unitarismus = das Schwergewicht der staatlichen Aufgaben liegt bei den Organen des Gesamtstaates (zum Beispiel Eisenbahn, Post, Luftverkehr)         

b) Föderalismus = das Schwergewicht der staatlichen Aufgaben liegt bei den Organen der Gliedstaaten (zum Beispiel Schulverwaltung, Gewerbeaufsicht, Forstverwaltung). Besonders in der Sozialverwaltung gibt es aber auch Mischformen.

 

Zentralisation - Dezentralisation:

a) Zentralisation = Erledigung einzelner Verwaltungsaufgaben durch staatliche obere und mittlere Behörden (zum Beispiel Landesversorgungsamt, Regierungs-Präsident)

b) Dezentralisation = Erledigung der Verwaltungsaufgaben untere staatliche Behörden oder Selbstverwaltungsträger zum Beispiel Sozialamt,).

 

 Konzentration -  Dekonzentration:

a) Konzentration = Zusammenfassen möglichst vieler Aufgaben in einem Bezirk bei einer Behörde der  „allgemeinen inneren Verwaltung“ (zum Beispiel Gemeinde-/Stadt-/Kreisverwaltung)

b) Dekonzentration = Bildung von Sonderbehörden in einem Bezirk für verschiedene fachliche Aufgabe (zum Beispiel Arbeitsamt, Finanzamt, Versorgungsamt).

Die Aufteilung in Bezirke ((Meldestellen, Sozialämter) ist keine Dekonzentration, denn es handelt sich nur um e i n   Amt, das nur in verschiedenen Gebäuden untergebracht ist.

 

Ordnungsverwaltung - Leistungsverwaltung -  Planende Verwaltung:

a) Ordnungsverwaltung = dient der Gefahrenabwehr und der Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung (zum Beispiel Gesundheitsverwaltung, Polizeiverwaltung, Gewerbeaufsichtsverwaltung, Bauaufsicht). Meist Pflichtaufgabe.

b) Leistungsverwaltung = dient der allgemeinen Daseinsvorsorge und gewährt Leistungen

(zum Beispiel Straßenbau, Mütterberatung, Theater, Grünanalgenbau). Meist freiwillige Aufgaben.

c) planende Verwaltung = bereitet Maßnahmen der Zukunftssicherung vor (zum Beispiel Stadtplanungsamt, Umlandverband).

 

Territorialsystem - Realsystem:

a) Territorialsystem = Aufgabenverteilung nach Bezirken (/regionalen Aspekten)

b) Realsystem = Aufgabenverteilung nach Fachgebieten

 

Monokratische Leitung - kollegiale Leitung:

a) monokratische Leitung = als verantwortliche Behördenleitung fungiert eine Einzelperson (zum Beispiel Ministerium, Regierungspräsident)

b) kollegiale Leitung = als verantwortliche Behördenleitung fungiert eine Mehrheit von Personen (Fachleute und Laien bzw. hauptamtlich und ehrenamtlich).

 

Freie Verwaltung - gebundene Verwaltung:

Die freie Verwaltung kann tätig werden, die gebundene muß tätig werden.

 

Allgemeine innere Verwaltung - Sonderverwaltung:

Hoheitliche Verwaltung - fiskalische Verwaltung.

 

An sich ist die Gemeindeverwaltung für alles zuständig, soweit nicht andere Gebietskörperschaften zuständig sind. Bis in die sechziger Jahre überwog die Ordnungsverwaltung. Heute überwiegt die Leistungsverwaltung (80 : 20Prozent). In Zukunft wird die planende Verwaltung größere Bedeutung erlangen.

Im Bund gibt es fünf klassische Aufgaben der Verwaltung: Inneres, Finanzen, Äußeres, Justiz, Militär. Heute ist der Hauptteil der Verwaltung aus der inneren Verwaltung erwachsen.

 

 

Verwaltungsgliederungsplan

 

1.  Allgemeine Verwaltung

01        Büro der Stadtverordnetenversammlung

02        Büro des Oberbürgermeisters

10        Hauptamt

11        Personal- und Organisationsamt

11/D    Referat Datenschutz

11/F     Frauenreferat

11 /P   Personalberatungsstelle

11/1    Amt für Aus- und Fortbildung

11/2    Zusatzversorgungskasse

12        Amt für Statistik, Wahlen und Einwohnerwesen

13        Presse- und Informationsamt

14        Revisionsamt

15        Amt für Beschaffungs- und Vergabewesen

16        Amt für Informations- und  Kommunikationstechnik

19        Referat zur Betreuung ausländischer Institutionen

 

2.   Finanzverwaltung

20        Stadtkämmerei

21        Stadtkasse

22        Stadtsteueramt

23        Liegenschaftsamt

29        Referat Beteiligungen

 

3.   Rechts-, Sicherheits- und Ordnungsverwaltung

30        Rechtsamt

32        Ordnungsamt

34        Standesamt

35        Versicherungsamt

36        Verkehrsüberwachung und -regelung

37        Branddirektion

 

4.   Schul- und Kulturverwaltung

40        Stadtschulamt

-  Schulen

-  Kindertagesstätten

-  Amt für Ausbildungsförderung

41        Amt für Wissenschaft und Kunst

42        Stadt- und Universitätsbibliothek

43        Amt für Volksbildung/Volkshochschule

44        Stadtbücherei

45        Museen

46        Schauspiel und Oper

 

5.  Sozial-, Jugend- und Gesundheitsverwaltung

56        Dezernatsverwaltungsamt Soziales, Jugend und Wohnungswesen

50        Sozialamt

51        Jugendamt

52        Sport- und Badeamt

53        Stadtgesundheitsamt

54        Städtische Kliniken

55        Ausgleichsamt

 

6 .  Bauverwaltung

60        Dezernatsamt Planung

60/1    Erschließungsamt

60/D    Denkmalamt

60/2    Bauverwaltungsamt

61        Amt für kommunale Gesamtentwicklung und Stadtplanung

62        Stadtvermessungsamt

63        Bauaufsichtsbehörde

64        Amt für Wohnungswesen

65        Hochbauamt

66        Straßenbauamt

67        Garten- und Friedhofsamt

68        Stadtentwässerungsamt

69        Stadtbahnbauamt

 

7.   Verwaltung für öffentliche Einrichtungen

70        Amt für Abfallwirtschaft und Stadtreinigung

71        Städtisches Fleischhygieneamt

76        Städtische Küchenbetriebe

77        Zoologischer Garten

78        Palmengarten

79        Umweltamt

 

8.   Verwaltung für Wirtschaft und Verkehr

80        Verkehrsamt

81        Stadtwerke

- Strom und Wärme

- Wasser

- Nahverkehr

82        Forstamt

83        Hafenbetriebe

84        Marktbetriebe

85        Städtisches Weingut

87        Referat Wirtschaft

 

 

 

Organisationsbegriff im engeren Sinne:

Organisation ist die dauerhaft wirksame Ordnung des Systems „Verwaltung“.

oder:

Organisation ist die dauerhaft wirksame Struktur (= Zustand, Aufbauorganisation, institutionelle Organisation).

Organisieren heißt das Anordnen  von Regeln für die Beziehungen zwischen den Elementen: Aufgaben, Mensch, Mitte.

oder:

Organisation ist dauerhaft wirksames Strukturieren (= Tätigkeit, Ablauforganisation, funktionelle Organisation).

 

Hartmut Kübler:

Die Behörde  i s t  eine Organisation

Die Behörde  h a t  ein Organisation

Organisation ist gestaltendes Handeln.

Organisation ist Gestalten des Handelns.

 

Organisation muß sein, denn es geht um viele Menschen (die  Stadt Frankfurt hat 20.000 Mitarbeiter ohne die Stadtwerke), es geht um viele Aufgaben (die Stadt Frankfurt hat 2.000 Aufgaben) und es geht um viele Abläufe.

 

Innere Behördenorganisation

Die vielfachen Aufgaben einer Behörde erfordern  das Zusammenwirken vieler Mitarbeiter und bedürfen der Ordnung. Bewältigt wird diese Aufgabe mit Hilfe der Verwaltungsorganisation. Bei der Planung und Durchführung von Maßnahmen zur einfachsten, zweckmäßigsten und wirtschaftlichsten Erledigung der Aufgaben (= Organisation) wird unterschieden zwischen der Organisation des Verwaltungsablaufs (funktionale Organisation) und der Organisation des Verwaltungsaufbaus (institutionelle Organisation).

Wenn es im Inneren des Systems nicht stimmt)(zum Beispiel zu wenig Arbeitsmittel, wenig Motivation), entsteht ein ungeordneter Zustand. Ziel der Organisation ist es, einen zielstrebigen, geraden Ablauf zu erreichen, damit die Aufgaben bewältigt werden.

 

Ordnungsgrundlagen:

Aufbauorganisation:

Aufgabengliederungsplan

Verwaltungsgliederungsplan (Wie viele Ämter)

Dezernatsverteilungsplan (je nach der politischen Führung)

(Haushaltsplan) (aus dem Finanzwesen)

 (Stellenbeschreibungen)(Arbeitsverteilungsplan)

 

Ablauforganisation:

Allgemeine Geschäftsanweisung      AGA I

Besondere Geschäftsanweisungen AGA II und III

Arbeitsrichtlinien

Aktenordnung / Aktenpläne

Stellenbeschreibungen

(Dienstvereinbarungen).

 

Ziele der Organisation

  • Sicherstellen optimaler Aufgabenerfüllung:

- rechtlich einwandfrei

- sparsam und wirtschaftlich wirkungsvoll

- planmäßig (nach Art und Form berechenbar)

- verständlich und nachvollziehbar

- Aufgabenerfüllung in Krisenfällen

  • Schaffung humaner Arbeitsbedingungen
  • Beachtung der sich ändernden Bedingungen

            - wirksame Formen der Bürgerbeteiligung

- Aufgabenüberprüfung (kritisch, periodisch)

-  neue Technologie.

Die Ziele sind alle gleichrangig.

 

 

Bürokratische Organisation und kooperative Organisation

Weder die bürokratische noch die kooperative Organisationsstruktur ist immer und überall richtig. Eine ideale, für alle Verwaltungsaufgaben effektive Organisationsform läßt sich nicht finden, weil die Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung sehr unterschiedlich sind und zum Teil Unvereinbares erwartet wird.

Es ist eine ständig steigende Zahl umfangreicher und schwieriger Gemeinschaftsaufgaben zu erfüllen. Dabei ertönt teils der Ruf nach dem Staat, teils herrscht Angst vor der Macht  der Verwaltung und vor der Abhängigkeit von Staat und Verwaltung.

Es gibt gegensätzliche Aufgabenarten: leisten, gestalten, planen, ausgleichen, überzeugen, aber auch: befehlen, eingreifen, zwingen, umverteilen.

Oft gilt es, schnell zu handeln, aber dabei alle Umstände gegeneinander abzuwägen und überlegt zu handeln. Man darf nicht parteiisch handeln, aber dennoch entgegenkommend und die Ausnahmen.

Es muß  nach straffem Recht geführt werden, aber die Eigeninitiative der Beschäftigten ist zu fördern. Es muß nach dem Dienst- und Besoldungsrecht gearbeitet werden, das aber wenig Veränderungen zuläßt. Es muß nach Haushaltsvorschriften gehandelt werden, die manchmal schnellem und wirtschaftlichem Handeln entgegenstehen. Due Verwaltung soll stetig und berechenbar sein, aber doch der Forderung nach ständiger Erneuerung entsprechend berücksichtigend.

 

Bürokratische Organisation

Kooperative Organisation

Feststehende Hierarchie (Über- und Unterordnung, Befugnisse nehmen ab)

Gleichordnung im System (kreisförmig)

 

Feste Arbeitsteilung (Spezialisierung), klare Abgrenzung gegen andere Bereiche

Aufgabenteilung in gegenseitiger Abstimmung

Aufsteigende und absteigende Kommunikation, Einhaltung des Dienstwegs

netzartige Kommunikation auf dienstlichem Weg

Schriftliche Kommunikation (Aktenmäßigkeit der Vorgänge)

mündliche Kommunikation

 

Vernunftbetonte Einstellung zu den Weisungen von oben ohne Diskussion

Einsicht in die Ziele der Verwaltung

 

Befehl und Rückmeldung ohne Diskussion

 

Gespräch (Rat, Gedankenaustausch, Teilhabe an der Entscheidung)

Entscheidungszentralisation und Einzelverantwortung. Wer an der Spitze ist, kann es besser als alle Mitarbeiter zusammen, hat aber auch die Verantwortung.

 Gruppenentscheidung und Gruppenverantwortung (Delegation)

 

 

 Fachleute als Vorgesetzte, ein guter Fachmann ist auch ein guter Vorgesetzter

Kein Gegenstück, weil keine Vorgesetzte

 

 Das ursprüngliche Modell der Organisation war das bürokratische. Es herrschte bis zum Ende der sechziger Jahre. Dann wurde die kooperative Organisationsstruktur einseitig bevorzugt. Seit etwa 1980 sucht man nach einer ganzheitlichen Organisation. Aber heute gibt es auch Mischformen. Es wird heute viel beraten, aber am Ende trifft oft dann doch einer die Entscheidung. In bestimmten Fällen ist bürokratisches Handeln gut, in anderen wieder kooperatives Handeln.

 

Ablauforganisation

Die „allgemeine Geschäftsanweisung“ (AGA) regelt alle Rechte und Pflichten (Formen und Verfahren), für alle Mitarbeiter (vom Oberbürgermeister bis zum Mülllader), für alle Geschäftsvorfälle, die in den Ämtern vorkommen.

Sie ist eine innerdienstliche Anweisung und bindet die Mitarbeiter nur im Innenverhältnis. Besonders greift sie in Problemfällen (solange nichts passiert, wird sie nicht weiter beachtet und studiert). Zweck ist die Vereinheitlichung und Rationalisierung des Dienstablaufs.

 

Beispiel: Regelung von Posteingang

Die eine Möglichkeit ist, daß zunächst der Amtsleiter oder dessen  Stellvertreter (das ist auch eine Frage der Größe) die Posteingänge erhält. Er sieht sie durch, bringt Verarbeitungsvermerke an und leitet sie über das Geschäftszimmer an die Sachbearbeiter weiter. Die andere Möglichkeit ist, daß die Sachbearbeiter die Posteingänge direkt von der Poststelle (des Amtes bzw. der Verwaltung erhalten). Sie informieren ihren Vorgesetzten über wichtige Angelegenheiten. Aber das ist selten. Aber an sich wäre das sinnvoll, weil ja die abgehende Post kontrolliert wird. An sich würde die Regelung zweier Punkte genügen: Wer kriegt welche Information und wer darf welche Entscheidung fällen? Die abgehende Post wird vom Sachbearbeiter vorbereitet und von einem Vorgesetzten unterschrieben. Das sichert den Sachbearbeiter ab, aber bei der Unterschrift kann sowieso nicht viel überprüft werden, wenn der Vorgesetzte alles überprüfen will, ist er überfordert.

Entscheidungsbefugnis

 

Beispiel: Regelung der Unterschriftsberechtigung:

Die eine Möglichkeit ist, daß die Sachbearbeiter ihre Briefentwürfe (auch Verfügung, Bescheid o.ä.) dem Vorgesetzten zur Unterzeichnung vorlegen. Die andere Möglichkeit ist,

daß die Verfasser eines Briefes (auch Verfügung, Bescheid o.ä.) die von ihnen verfaßten Texte unterzeichnen. Sie informieren den Vorgesetzten über wichtige Angelegenheiten.

 

AGA 2 und 3:

Besondere Geschäftsanweisungen und, Regeln für bestimmte Mitarbeitergruppen (Hilfspolizei, Schulhausmeister), bestimmte Geschäftsvorfälle (Vergaberichtlinien, öffentliche Bekanntmachungen) und bestimmte Organisationseinheiten (Rechtsamt, Kasse, Revisionsamt).

 

 

Aufgaben der Organisationsstelle

1. Organisation der Verwaltung:

-  Aufgabengliederung, räumliche und sachliche Verwaltungsgliederung, Standortfestlegungen (zum Beispiel Feuerwache).)

-  Regelung und Überwachung des allgemeinen Dienstbetriebes (AGA)

-  Zentrale Aufgaben des Datenschutzes

-   Allgemeine Regelung und Pflege der Information (zum Beispiel Zeitschriftenumlauf).

-  Arbeitsorganisation und Rationalisierung: Organisationsberatung, Planung und Einführung wirtschaftlicher Arbeitstechniken und Arbeitsabläufe, auch Standardisierung, Mechanisierung und Automation, Organisationsentwicklung und -untersuchungen, Mitwirkung bei Raumprogrammen, Planung des Datenverarbeitungssystems, Betriebliches Vorschlagswesen (mit Prämiensystem)..

2. Stellenbedarf, Stellenbewertung, und Aufstellung des Stellenplans

3. Übertragung besonderer Befugnisse (Unterschriftsbefugnis)

4. Bauherrenfunktion bei Verwaltungsneubauten und Verwaltung der Gebäude

5. Bedarfsfeststellung und Beschaffung (Beschaffungsamt)

6. Regelung der Benutzung der  öffentlichen und privaten Verkehrsmittel

7. Planung, Organisation und Durchführung technischer Dienste

8. Fahrdienst, Post- und Botendienst

9. Regelung der Reinigung von Dienstgebäuden

10. Herausgabe innerdienstlicher Mitteilungen

 

 

Mündliche und schriftliche Kommunikation und deren Vorteile und Nachteile

                                   

 

Mündliche Kommunikation

Schriftliche Kommunikation

 

V

O

R

T

E

I

L

E

Zweiseitige Kommunikation möglich

Nachlesen möglich (Gedächtnisstütze)

Beidseitige Rückmeldung möglich

Längere Vorbereitung möglich

Flexibilität durch direkte Rückmeldung

Kontrollmöglichkeit

Unklarheiten lassen sich sofort klären

Höhere Informationsdichte

Alles ist auf den Hörer abgestimmt

Komprimierung

Neue Ideen lassen sich entwickeln

Alles wird genau durchdacht

Kompromißbereitschaft wird gefördert

Höhere Verbindlichkeit

Verwendung von Gesprächstechniken

Höheres Gewicht

Bessere Beeinflussung des Partners

 

Richtiges Erfassen leichter überprüfbar

 

 

 

 

N

A

C

H

T

E

I

L

E

Schnelles Vergessen

Einwegkommunikation

Keine Beweisführung möglich

Zeitraubende Rückfragen

Manipulierbar, schwer nachprüfbar

Zeit- und Arbeitsaufwand

Überredungstechniken

Mißverständnis spät aufgedeckt

Aufmerksamkeit überstrapaziert

Keine Flexibilität

Konzentration überstrapaziert

Kein Eingegen auf spezifische Belange

 

Endgültigkeit

 

 

 

 

 

Die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sind aufgefordert, die zweckmäßige Form für die Abwicklung des Geschäftsverkehrs zu suchen. Sie müssen entscheiden, ob der mündliche oder schriftliche Geschäftsverkehr vorteilhafter ist.                    

 

Einsparen von Schreibarbeit

Die kurze Form verlangt einfache Wörter:

statt:                                                                            besser:

aus diesem Grunde                                                   deshalb

Rückäußerung                                                            Antwort

die aufgetretene Störung                                         Störung

der telefonische Anruf                                              Anruf

 in Erwägung ziehen                                                  erwägen

zur Auslieferung bringen                                          ausliefern

Kostenaufwand verursachen                                   kosten

Unterstützung gewähren                                         unterstützen

einer Überprüfung unterziehen                              prüfen

der Abnutzung unterliegen                                      sich abnutzen

in Abzug bringen                                                        abziehen

in der Anlage erhalten sie                                         liegt bei

am gestrigen Tage                                                      gestern

bedauerlicherweise                                                   leider

Vorschriften für die Lieferung                                  Liefervorschriften

 nebensächlicher Punkt                                             Nebenpunkt

Es ist von Ihnen angeordnet worden                      Sie haben angeordnet

Die Rechnung, die gestern geprüft wurde             die gestern geprüfte Rechnung

Die Abbildung, die in der Anlage beigefügt ist      Die Abbildung liegt bei.

 

Viele Briefe sind zu umfangreich. Die modernen Möglichkeiten der Textverarbeitung verführen ja auch dazu, weil man leicht einen Text kopieren kann. Die eigentliche Information oder Entscheidung steht dann erst ganz am Schluß und ist aus all dem Material gar nicht so leicht zu erkennen. Wenn jemand beim Schwarzfahren erwischt wurde, genügt der Text: „Beachten Sie bitte  in Zukunft die Hinweise auf den Bahnhöfen. In Ihrem besonderen Fall verzichten wir auf die Strafe und überweisen Sie bitte nur die Gebühren von sechs Euro!“

Um weniger schreiben zu müssen (Briefe sind sehr teuer),

-   erledigt man mehr mündlich oder telefonisch

- Texte sind kurz zu fassen

-  der Sachbearbeiter schreibt lieber selber (statt der Schreibdienst)

-  Urschriftverkehr wird genutzt (bei der E-Mail sehr erleichtert)

-  Vordrucke werden verwende

-  Schreibfehler werden akzeptier

-  Fensterbriefumschläge werden verwendet

-  Keine Verbesserung aus Stilgründen, wenn der Inhalt sachlich in Ordnung.

 

 

Begriffe des Geschäftsverkehrs

 

  1. Bearbeitungshinweis: Rücksprache (R oder bR)             Kurze Beantwortung einer Frage

  2. Bearbeitungshinweis Vortrag (V oder bV)                       Umfassende Darstellung des Sachverhalts

  3. Erlaß                                 Äußerung von Ministerien (auch unveröffentlicht)

  4. Runderlaß                        Äußerung von Ministerien an mehrere Empfänger

  5. Verfügung (mehrere Auslegungen möglich)

                                       Festlegung über die weitere Bearbeitung der Sache

Jede Mitteilung der Aufsichtsbehörde

Einnahmeverfügung / Aufgabeverfügung (auch „Anordnung“)

  6. Bericht (mehrere Auslegungen möglich)

                                     Schriftliche Darstellung eines Sachverhalts (Vortrag ist mündlich)

Mitteilung an übergeordnete Behörden („…berichten wir wie folgt..“)

  7. Bescheid                                        Anordnung oder Entscheidung einer Behörde

  8. ZdA („zu den Akten“)                  Ablage nach Abschluß der Bearbeitung

  9. Wegl. (Weglegesache)                Schriftgut von kurzzeitiger Bedeutung

10. Zur Sammlung (zS)                       Zur Sammlung von Gesetzblättern usw.

       Zum Vorgang (zV)                        Sammlung von Äußerungen und Schriftstücken

11. Wv. am….                                      Festlegung eines Termins bis zur letzten Bearbeitung

12. UR (Urschriftlicher Verkehr)      Eingangsschreiben gleich Ausgangsschreiben (s.u.)

13. Vermerk, Aktenvermerk             Schriftliche Darstellung eines Sachverhalts

14. Amtliche Bekanntmachung       Behördeninformation an die Bürger

15. Beglaubigung                               Übereinstimmung eines Schriftstücks mit dem Original

16. Beurkundung                               Tatsächliches Ereignis in Form einer Niederschrift festgehalten.

 

 

Aktenordnung und Aktenplan

Die Aktenordnung enthält die Grundsätze für eine zweckmäßige Ordnung und wirtschaftliche Verwaltung des Schriftguts in der Verwaltung. Sie soll helfen, das Schriftgut schnell und sicher aufzufinden, um dadurch den Dienstbetrieb zu erleichtern und zu beschleunigen. Die Aktenordnung gilt für die gesamte Verwaltung mit Ausnahme des Archivs. Gesetzliche Vorschriften sind zu beachten (zum Beispiel Verschlußsachen).

 

1. Zweck und Geltungsbereich der Aktenordnung

2. Schriftgutarten

-           Akten (Hauptakten, Einzelakten

-           Weglegesachen (nicht dauerhaft aufzubewahren)

-           Sonstiges Schriftgut (Urkunden, Verträge, Kassenbelege, Datenträger).

 

3. Äußere Ordnung der Akten

-           Ablagesysteme (am Arbeitsplatz, zentral, dezentral)

-           Aktenplan (Systematik, Aktenzeichen) nach dem Dezimalsystem

-           Beschriften der Aktenbehälter

-           Aktenbehälter

4. Innere Ordnung der Akten

-           Auszeichnen des Schriftgutes (Personalakten nach Geburtsdatum)          

-           Einordnen des Schriftgutes   

-           Numerieren der Aktenblätter

-           Inhaltsverzeichnis

5. Aktenverwaltung

-           Aktenverwalter

-           Wiedervorlagen

-           Akteneinsicht

-           Aktenausleihe, Aktenvorlage an Gerichte

-           Aufbewahrungsvorschriften (Fristen, Überwachen der Fristen)

Aussondern, Prüfen der Archivwürdigkeit, Vernichten von Akten)

 

 

 

Empfehlungen für die Textverarbeitung (Einsparen von Schreibarbeit)

Herausgegeben vom Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Nachdruck Juni 1979

 

1. Mitarbeit der Verwaltungskräfte:

Die Empfehlungen für die Textverarbeitung gehen davon aus, daß die „Textgestaltung“ (das Erarbeiten und Verfassen der Texte durch die Verwaltungskräfte)  und die „Textverarbeitung“ (das Diktieren, Schreiben, Korrigieren und Vervielfältigen der Texte durch die Verwaltungs- und Schreibkräfte) Teile eines Arbeitsablaufes sind. Einfache, wirksame und wirtschaftliche Verfahren der Textverarbeitung können nur gefunden und in der gesamten öffentlichen Verwaltung angewandt werden, wenn alle an dem Arbeitsablauf Beteiligten verständnisvoll und sachkundig zusammenarbeiten.

Schon am Anfang des Arbeitsablaufes wird meist entschieden, welches Textverarbeitungsverfahren zur Anwendung kommt:

-  ob Vorgänge mündlich, fernmündlich oder schriftlich erledigt werden

-  ob Entwürfe von den Verwaltungskräften selbst geschrieben werden

- ob kostspielige Gerätevoll ausgenutzt werden.

-  ob das arbeitssparende Durchschreibverfahren oder das aufwendige Entwurfsverfahren angewendet wird

3. Am Beginn der Bearbeitung zahlreicher Fälle stehen die Verwaltungskräfte vor der Frage. ob sie anstelle der arbeitsaufwendigen Textgestaltung und Textverarbeitung nicht besser den mündlichen oder fernmündlichen Geschäftsverkehr wählen.

4. Die folgenden Ausführungen sollen den Verwaltungskräften im Einzelfall die Entscheidung erleichtern helfen, welche Art des Geschäftsverkehrs und der Textgestaltung und -verarbeitung voraussichtlich für sie selbst die einfachste und für die Verwaltung die wirksamste und wirtschaftlichste ist.

 

Mündlicher und fernmündlicher Geschäftsverkehr:

1. Wenn es die Bearbeitung einer Sache zuläßt, ist der mündliche oder fernmündliche

    der Regel nicht wichtig! Umfangreiche Schreibarbeiten können eingespart werden, besonders wenn ein Sachverhalt geklärt werden muß oder ein Gedankenaustausch notwendig ist.

2. Dies gilt auch für Ferngespräche, wenn sie nicht länger als unbedingt notwendig geführt werden. Grundsätzlich sollte man alle fernmündlichen Gespräche nach dem Leitsatz „Fasse dich kurz“ führen, besonders während der arbeitstäglichen Spitzenverkehrszeiten, um ankommende andere Gespräche nicht zu behindern.

 

Ein Telefongespräch hat eine Vorbereitungsphase, eine (Durch) Führungsphase und eine

Nachbereitungsphase.

 

Die dreigeteilte Telefonnotiz

vorher

während

nachher

Was will ich erreichen?

Zuhören:

Aktives Zuhören

Was habe ich erreicht?

 

Wen will ich anrufen?

Notieren:

Alles

Was ist zu veranlassen? von wem? warum? wo? wann?

Wann will ich anrufen?

Sprechen:

Am Telefon „lächeln“

Wo lagen meine

Schwachstellen

Welche Unterlagen benötige ich?

…benötigt mein Partner?

 

 

Wie kann ich meinen Partner motivieren?

 

 

Wie kann ich argumentieren?

 

 

Welche Einwände habe ich zu erwarten

 

 

Wie kann ich sie vorher entkräften?

 

 

Welche Kompromisse oder Zugeständnisse kann ich machen?

 

 

 

Vorbereiten eines Telefongespräches:

-  Unterlagen bereit halten, die Gegenstände des Gespräches sein können.

-  Vor Gesprächen, die mehrere Gegenstände betreffen, Stichwörter notieren.

-  Roten Faden überlegen

-  Schreibzeug bereithalten

-  Nummer und Namen des Gesprächspartners ermitteln

-  Telefongünstige Zeit aussuchen (10 - 11 Uhr)

-  Was muß vereinbart werden?

-  Was muß am Schluß klar sein?

 

Führen des Gespräches:

-  Meldet sich der Angerufene: Vorstellung und Begrüßung (Name und Dienststelle)

-  Ist der Angerufene nicht zuständig, sogleich den Namen und gegebenenfalls die Durchwahlnummer des zuständigen Bearbeiters erfragen. Erst dann Gespräch durch den Angerufenen weiterverbinden lassen oder erneut anrufen.

-  Braucht der Angerufene für die Beantwortung einer Anfrage eine Vorbereitungszeit, dann   neue Anrufzeit vereinbaren, gegebenenfalls Durchwahlnummer erfragen und Gespräch beenden.

-  Hat man angerufen. dann sollte der Signalton viermal abgewartet werden (lange Töne mit langem Zwischenraum). Das bedeutet. daß bei dem Anzurufenden das Klingelzeichen viermal ertönt. Meldet sich hiernach der Anzurufende nicht, dann ist der Anruf sogleich zu beenden.

-   Kommt mehrmals keine Verbindung zu einer Durchwahl-Nebenstelle zustande. dann kann  es sich empfehlen, die Vermittlung anzurufen und - unter Hinweis auf das Nichtzustande  kommen der Durchwahlverbindung - eine Verbindung mit der Nebenstelle zu erbitten.

-   Telefongespräche sollten möglichst nicht während der vormittäglichen Spitzenverkehrszeit geführt werden.  Das gilt auch während der Hauptmittagszeit, weil die Anzurufenden dann oft nicht an ihren Plätzen sind. Hiernach empfehlen sich für Gespräche folgende Zeiten: bis 9 Uhr, von 11.30 bis 12.15 Uhr und nach 13.30 Uhr.

 

-  Bezug angeben

-  Sachverhalt schildern

-  Auf den Kern der Sache kommen

-  Sachlich bleiben

-  Bei Bitte um telefonischen Rückruf: Es kostet Ihre Zeit, aber schließlich ist es der andere,

   der etwas will. Für ihn ist es dringend, aber nicht für Sie!

-  Vor Beendigung eines Gespräches Ergebnisse nochmals kurz zusammenfassen und den Angerufenen bitten, sie zu vermerken.

 

Nach dem Gespräch

-  Vermerk während des Gesprächs machen

-  Vermerk nach dem Gespräch ausformulieren

-  das Vereinbarte veranlassen

 

Selbstschreiben durch die Verfasser:

Texte sollen von den Verfassern nur dann selbst geschrieben werden, wenn dadurch Verwaltungsarbeit eingespart wird oder wenn es aus Gründen der Dringlichkeit notwendig ist.

Schreibarbeiten dürfen grundsätzlich nicht nur zur Entlastung des Schreibdienstes auf die Verfasser verlagert werden.

Für das Selbstschreiben durch die Verfasser kommen hiernach vor allem folgende Texte in Frage:

-           kurze Vermerke auf Vorgängen oder in den Akten

-           kurze Vermerke über Besprechungen oder fernmündliche Gespräche

-           Texte des Urschriftverkehrs

-           Eintragungen in Vordrucke, die von den Bearbeitern ausgefüllt werden.

 

Urschriftverkehr:

Bei Schreiben, die kurze Antworten (Sachstandsbericht. Stellungnahme) zulassen, kann für Anfrage und Antwort dasselbe Schreiben oder derselbe Vordruck benutzt werden. so daß dem Empfänger Schreibarbeit erspart wird. Hierbei wird auch der Absender zu rationeller Arbeitsweise angehalten.

Zusätzlich kann erreicht werden, daß durch die bessere Übersichtlichkeit des Schreibens (Frage und Antwort auf denselben Schriftstücken) die Beantwortung erleichtert wird. Korrespondenz (Anschrift,  Betreff und Bezug).

Der Urschriftverkehr beschleunigt erheblich die Erledigung und spart Schreibarbeit ein, denn Anschriften auf der Urschrift können in abgekürzter Form geschrieben und Bezug und Betreff weggelassen werden.

 

Anwendungsverfahren:

-  Beim Urschriftverkehr auf dem Vorgang wird der Schriftverkehr ohne Fertigung eines Entwurfs durch eine Verfügung auf dem letzten Schreiben eines Vorgangs oder aber auch auf einem zusätzlichen Blatt in Kurzform abgewickelt.

-   Urschriftverkehr mittels Begleitzettel vereinfacht den Schriftverkehr, indem ein besonderer Vordruck verwendet wird, der Kästchen haben soll und auch Raum für Kurzantworten vorsehen kann.

-   Beim Urschriftverkehr mit Rückantwort wird in einem Vordruck Raum für den Text des Absenders und für die Antwort des Empfängers vorgesehen. Er kann als Vordrucksatz gestaltet werden oder als Pendelbrief

 

Herstellen von Reinschrift und Entwurf in einem Arbeitsgang (Durchschreibverfahren)

Allgemeines

Dieses Verfahren spielt heute so gut wie keine Rolle mehr, weil am Computer leicht Kopien hergestellt werden können bzw. der ganze Schriftverkehr elektronisch durchgeführt wird.

Das Durchschreibverfahren bestand darin, Durchschriften von Reinschriften werden als Entwürfe der Schreiben, die für die eigenen Akten gebraucht werden, verwandt. Durch dieses Verfahren kann gegenüber dem Entwurfsverfahren, bei dem zunächst Entwürfe und erst hiernach Reinschriften geschrieben werden, erhebliche Schreib- und Lesearbeit eingespart werden.

Änderungen der Erstschrift können vermindert werden, wenn

-  abgehende Schriftstücke auf keiner zu hohen Ebene schlußgezeichnet werden

-  das Mitzeichnen von Schriftstücken auf das notwendige Ausmaß beschränkt wird

-  Sachfragen möglichst im Voraus mit den Zeichnern geklärt werden

-  Änderungen. die nicht aus sachlichen Gründen geboten sind, unterbleiben.

-  geringfügige Änderungen in Reinschriften im Einzelfall hingenommen werden.

 

Verwenden von Vordrucken:

Vordrucke sind Informationsträger zur Ordnung, Vereinfachung, Steuerung und Beschleunigung von Arbeitsabläufen. Sie erleichtern das Aufnehmen, Verarbeiten und Weitergeben von Informationen bei der Bearbeitung von Regel- und Massenfällen und sichern die Vollständigkeit der benötigten Informationen. Sie ersparen Schreibarbeit.

Vordrucke erfüllen ihren Zweck, Schreibarbeit einzusparen, nur dann, wenn sie schreibgerecht sind; dazu gehört:

-  Alle bei der Bearbeitung der Fälle gleichbleibenden Texte und Textteile müssen vorge

   druckt sein.

-  Für alternative Texte oder Textteile, die regelmäßig gebraucht werden, sind Auswahlfelder

   vorzusehen. damit die zutreffenden Aussagen angekreuzt werden können.

-  Die Felder zum Eintragen von Wörtern, Zahlen oder Zeichen (Schreibfelder) müssen so

   groß sein, daß sie für vollständige Eintragungen in gut lesbarer Schrift ausreichen.

-  Müssen in zwei oder mehr gleiche oder unterschiedliche Vordrucke gleichzeitig dieselben

   Eintragungen gemacht werden, dann sind Vordrucksätze zu verwenden, wenn dies wirtschaftlicher ist.

Folgende Mängel sind besonders häufig:

-  Die Vordrucke sind für die Ausfüller nicht ausreichend verständlich und werden daher un richtig oder unvollständig ausgefüllt.

-  Die Vordrucke entsprechen nicht dem günstigsten Arbeitsablauf.

-  Die Vordrucke führen zu Schwierigkeiten beim Gebrauch der Arbeits- und Organisations mittel oder bei der Eingangs- oder Abgangsbearbeitung.

-  Die ausgefüllten Vordrucke sind für die Empfänger nicht ausreichend verständlich, so daß Rückfragen häufig sind.

 

 

Arbeitsorganisation und Selbstmanagement

Leistungskurve:

Allgemeine Kurve: Hoch um 10 Uhr, dann gegen 12 Uhr ein Abfall, langsamer Anstieg bis 14 Uhr, ab 15 Uhr abwärts, tiefster Punkt um 2 Uhr .

Morgenmensch: Ein Hoch von 8 bis 11 Uhr, aber mit einem leichten Absacken und 10 Uhr, um 13 Uhr ein starkes Nachlassen, von 18 bis 17 Uhr noch einmal hoch, aber nur die Hälfte der vollen Leistung, um 21 Uhr dann schlagkaputt, aber insgesamt drei Hochs.

„Morgen-Menschen“ sollten früh mit ihrer Arbeit anfangen (möglichst vor Eintreffen der Mitarbeiter); als erstes die wichtigste Aufgabe erledigen (was sie jetzt nicht schaffen, bleibt liegen);      Routineaufgaben nachmittags erledigen.

Abendmensch: Kommt erst gegen 11-12 Uhr in Schwung, dann läßt er wieder nach, gegen 16 Uhr der absolute Höhepunkt, dann wieder weniger gegen 20 Uhr und um 22 Uhr noch einmal Höchststand. Mittags haben alle ein Tief. „Abend-Menschen“ sollten wichtige Aufgaben im Leistungshoch am Nachmittag erledigen; auf eine Balance zwischen Beruf und Feierabend achten.

 

Arbeiten, die die höchste Konzentration erfordern, in die Leistungsspitzen verlegen.

-  Das Frühstück sollte auf alle Fälle zuhause eingenommen werden, in Ruhe und ohne Hektik, damit der Tag gut beginnt. Man ist dann gepanzert, für den ganzen Tag, es kommt nicht alles an einen ran.

-  Sortierarbeiten lieber am Morgen vor der Publikumszeit machen. Wer dazu Kaffee trinken und essen will, sollte sein Brot schon zuhause zurechtgemacht haben. Nach der Mittagspause dann den Arbeitsschwerpunkt erledigen.

-  Punktuelle Erlebnisse werden leicht verallgemeinert. Rückstände kommen dann angeblich daher, daß „die“ dauernd frühstücken und „die anderen“ kommen und gehen wann sie wollen. Zu solchen Meinungen sollte man keinen Anlaß geben. Einiges wird dabei allerdings leichter akzeptiert, zum Beispiel eine Raucherpause. Anderes dagegen wird nicht geduldet, zum Beispiel eine Verschnaufpause, während andere Schalterdienst haben.

 

Zeiteinteilung und Planung / Zeitmanagement

Zeitmanagement bedeutet eine optimale Gestaltung der zur Verfügung stehenden Zeit unter Einsatz konsequenter Planung, sinnvoller Arbeitsmethodik und erheblicher Selbstdisziplin. Zeitmanagement ist damit immer auch Selbstmanagement und läßt sich demzufolge definieren als: die konsequente-zielorientierte Anwendung von Arbeits- und Führungstechniken

auf die eigene Person.

 

Die meisten Menschen verplanen sämtliche Zeit, die ihnen zur Verfügung steht. Meist kommt aber etwas dazwischen und alles wird über den Haufen geworfen. Deshalb sollte man nur 60 Prozent der Zeit verplanen und den Rest zu gleichen Teilen aufteilen in Unvorhergesehenes und Spontanes. Sonst ist man enttäuscht, wenn man das geplante Pensum nicht geschafft hat. Auch privat sollte man das durchhalten.

Planung ist Strukturierung der Zeit, hat aber auch ein Ziel vor Augen. Nur wenn man sich konkret etwas vornimmt und einen festen Termin setzt, verwirklicht man es auch. Sinnvoll ist es, die Planung am Vortag zu machen, dann aber abzuschalten. Aufschreiben ist hilfreich. Den Plan nur im Kopf zu haben, ist verheerend, weil das belastet und durcheinanderbringt. Doch Pläne dürfen auch nicht zum Zwang werden: Wenn schönes Wetter ist, geht man raus und bügelt nicht erst noch die Wäsche fertig.

Durch das Aufstellen einer Liste lernt man abzuspecken; es bleibt nur, was man schaffen kann. Zeitgewinn ist nicht dazu da, daß mehr gearbeitet wird, sondern daß man für sich selber einen Gewinn hat und zum Beispiel in Ruhe eine Arbeit machen kann, die immer wieder verschoben wurde.

 

Erstaunlich viele Dinge (40Prozent) erledigen sich durch Liegenlassen! Bei den meisten Sachen darf man nicht zu schnell aktiv werden!

In 20 Prozent der zur Verfügung stehenden Zeit werden Arbeiten erledigt, die zu 80 Prozent zur Zielerreichung beitragen. Demgegenüber werden 80 Prozent der Zeit auf Aufgaben verschwendet, die nur zu 20 Prozent zur Zielerreichung beitragen.

Die persönliche Tätigkeitsverteilung ist optimal, wenn Sie von Ihrer täglichen Arbeitszeit für

A-Aufgaben 65 Prozent

B-Aufgaben 20Przent

C-Aufgaben 15 Prozent verwenden. 

In der Praxis macht man meist mehr B-Aufgaben als A-Aufgaben. Aber bei 90 Prozent A-Aufgaben ist man überlastet.

 

Analyse der Arbeitssituation: (Was sich jeder Mitarbeiter fragen sollte)

1. Werde ich von außen gestört?

2. Werde ich bei der Arbeit unterbrochen? 

3. Bin ich bei der Arbeit abhängig von

Vorarbeiten anderer?           

Mitwirkung anderer?

Informationen anderer?       

Entscheidungen anderer?

4. Was setzt mich besonders unter Druck

zeitweilige Arbeitsspitzen?   

unvorhergesehene Arbeiten?

Sofortaufträge?

Terminaufträge?

5. Wird meine Arbeit durch organisatorische Anweisungen beeinträchtigt?

6. Wird meine Arbeit beeinträchtigt, weil rationelle Arbeitsmittel fehlen?

 

 

Persönlicher Arbeitsstil: (Was sich jeder Mitarbeiter fragen sollte)

1. Unangenehme Aufgaben schiebe ich gerne auf.

2. Unangenehme Arbeiten schiebe ich gerne an andere ab.         

3. Bei schwierigen Aufgaben neige ich zum Aufgeben.      

4. Initiative entfalte ich erst auf Anstoß.     

5. Bei schwierigen oder unpopulären Entscheidungen suche ich gerne „Rückendeckung“

6. Fällige, aber unangenehme Entscheidungen zögere ich erst einmal hinaus.    

7. Bei schwierigen Problemen beginne ich gerne mm Schluß oder in der Mitte. 

8. Ich neige dazu, alles selbst zu tun.           

9. Ich beginne mit der Arbeit, die mir am meisten Spaß macht

10. Ich lasse Arbeiten angefangen liegen, ohne sie zu beenden

11. Habe ich eine Arbeit begonnen, arbeite ich blindlings geradeaus

12. Um andere Dinge zu tun, unterbreche ich auch schon begonnene Arbeiten.

13. Ich neige dazu, unkonzentriert zu arbeiten.      

14. Ich neige dazu, stundenlang ohne Pause zu arbeiten.  

15. Ich ertappe mich, daß ich mit Nebensächlichkeiten wertvolle Zeit vertrödele.         

16. Perfektion strebe ich auch dort an, wo sie gar nicht nötig ist.

17. Ich nutze nicht alle verfügbaren rationellen Arbeitsmittel.     

18. Ich erledige Aufgaben wenn sie mich interessieren auch dann, wenn sie nicht hundertprozentig zu meinen Aufgaben gehören.   

 

 

Zeitfallen:

 

Zeitfalle

Mögliche Ursachen

Gegenmaßnahmen

Unpünktlicher Beginn

Überziehen der Pausen

Eigene Bequemlichkeit

Mangelnde Disziplin

 

Wunsch, etwas anderes tun zu wollen

Einförmige Arbeit, die wenig fordert

 

Bedürfnisse der Kollegen

Nicht zu vermeiden

Etwas für die Pause

Anpassung an Tempo der Kollegen

Angst, mehr machen zu müssen

Miteinander klären

Dienstbesprechungen 

Zu langatmig

Straffe Gesprächsführung

Fortbildungen

 

 

Feiern (Geburtstag)

 

 

Zu lange Arbeitseinheiten

Öfterer Wechsel

Mehr kurze Pausen

Vorgeschriebene Arbeitseinteilung

Freiheit zur Einteilung lassen

 

Vertrödeln des Schlusses

Zu späte Mittagspause

 

Essen-Zubereitung, private Telefonate, Zigarettenpause, Kaffeepause, Einkäufe, Kantine. Für Pausen braucht man einen Grund, der anerkannt wird! (z.B. Essen, Toilette).

Mehrere Arbeiten gleichzeitig, Suchaktionen, Computerausfall, wiederholte Fragen in gleicher Sache, Fragen auf dem Flur, andere Gedanken

Nacheinander arbeiten, Listen führen, Vermerke, Bündelung von Fragen, Mitarbeiterbesprechungen, Infoschalter, andere Fragen nicht unterdrücken.

 

Gerade bei Streß gilt es, alles aufzuschreiben, was nicht vergessen werden darf. Bei Verdrängung kommt es wieder und verlangsamt das Tempo.

 

 

Möglichkeiten der Selbstentlastung

Zeitmanagement heißt, Zeit für das Wesentliche zu haben bzw. zu schaffen. Voraussetzung dafür ist der Blick für das wirklich wesentliche, sonst greifen alle noch so effektiven Arbeitstechniken nicht. Konzentrieren Sie sich deshalb nur auf das wirklich Wichtige und verzetteln Sie sich nicht mit Einzelheiten, die vielleicht interessant, aber nicht bedeutsam sind. Um diese Konzentration zu erreichen, stellen sie mit den folgenden vier Schlüsselfragen zunächst einmal alle Aufgaben und Tätigkeiten grundsätzlich in Frage und beantworten Sie diese ehrlich!

1. Warum muß die Tätigkeit überhaupt erledigt werden?                  Eliminieren   

2. Warum muß gerade ich die Tätigkeit erledigen?                              Delegieren

3. Warum muß die Tätigkeit unbedingt jetzt erledigt werden?         Terminieren

4. Warum muß die Tätigkeit gerade auf diese Art erledigt werden? Rationalisieren

 

Regeln zum Zeit-Gewinnen:

1. Fangen Sie morgens richtig an

2. Machen Sie sinnvolle Tagespläne

3. Machen Sie Unerledigtes sichtbar

4. Organisieren Sie Ihren eigenen Arbeitsplatz

5. Arbeiten Sie mit Checklisten

6. Arbeiten Sie mit Aktionsprogrammen

7. Arbeiten Sie mit „muß“ und „kann“

8. Nutzen Sie wissenschaftliche Erkenntnisse

9. Lernen Sie zu delegieren

10. Lernen Sie erfolgreich im Team zu arbeiten

11. Lernen Sie sachbezogene Fehlersuche

12. Erkennen Sie gute Arbeit richtig an

13. Kritisieren Sie konstruktiv

14. Lernen Sie Ihre guten Zeiten zu nutzen

15. Schließen Sie Ihren Arbeitstag vernünftig ab

 

Delegieren von Aufgaben:

1. Erledige ich Dinge, die auch andere tun könnten?

2. Gebe ich Arbeit erst, wenn es nicht mehr anders geht? Warum?

3. Bin ich wirklich zuständig?

4. Verhindere ich Rückdelegation?

5. Hänge ich an „Lieblingsaufgaben“? An welchen?

6. Habe ich Angst, andere könnten die Aufgabe genauso gut oder sogar besser erledigen?

7. Überschätze ich Bedeutung und Schwierigkeitsgrad von Aufgaben?

8. Befasse ich mich mit Dingen, die mich gar nichts angehen? Mit welchen?

9. Unterschätze ich die Qualifikation und Leistungsfähigkeit anderer Mitarbeiter?

10. Unterschätze ich die Leistungsbereitschaft meiner Mitarbeiter?

11. Habe ich zuwenig Vertrauen zu meinen Kollegen?

12. Nehme ich mir Zeit zur Einweisung neuer Mitarbeiter?

 

Aufschieben:

Das Aufschieben ist ein weitverbreiteter Arbeitsstil, der in der Regel zu Frustration, Unzufriedenheit und letztendlich Zeitdruck und Streß bei der unausweichlichen Erledigung der Aufgabe führt. Hier eine Anleitung zur Verbesserung:

1. Schritt: Erstellen Sie eine Liste aller aufgeschobenen Aufgaben, die Sie belasten.

2.Schritt: Fragen Sie sich bei jeder Aufgabe, ob Sie sie noch erledigen wollen

(Was länger als einen Monat liegt, wird nicht mehr bearbeitet).

3. Schritt: Ziehen Sie Bilanz:  Welche Gründe gibt es für den Aufschub?

Welche Vorteile bietet die abschließende Erledigung?

4. Schritt: „Salami-Taktik“ zur Erledigung: Zerlegen Sie die Aufgabe in kleine festumrissene und durchführbare Einzelschritte. Setzen Sie sich für jeden Einzelschritt einen Erledigungstermin.

5. Schritt: Belohnen Sie sich für die Erledigung jedes Einzelschrittes (zum Beispiel mit einem

interessanten Buch, einem schönen Spaziergang usw.)

Beziehen Sie zur Kontrolle Familienangehörige und Freunde, gegebenenfalls auch Mitarbeiter mit ein. Alle neuen „Verschiebe - Aufgaben“ sind  sofort erledigen!

 

 

Noch einige Zitate:

Ziel der Arbeit ist es nicht, daß Sie abends müde nach Hause gehen!

Jede Arbeit dauert solange, wie Zeit dafür ist! (gilt vor allem für Besprechungen)

Wenn einer auf seine langjährige Erfahrung verweist, dann antwortet man ihm: „Dann wird es Zeit, etwas zu verändern!“

Meistens gibt es über die geringsten Fehler den meisten Aufstand!

Alles was funktioniert, wird nicht verbessert. Erst wenn große Rückstände liegenbleiben, entsteht Handlungsbedarf!

Es ist nicht Ihr Problem, wenn jemand so dusselig ist, sein Anliegen nicht gleich vorzubringen!

Sie müssen sich selber auf die Schulter klopfen, Sie können nicht erwarten, daß andere es tun.

Sobald Sie Angst haben, triumphiert der andere und Sie haben verloren!

 

 

 

 

 

 

Inhalt: Gruppe, Kommunikation, Körpersprache, Überzeugungskraft, Mobbing, Gesprächsführung, Rollenspiele, Übermittlung von Botschaften, Gesprächslenkungstechniken, Konflikte, Briefverkehr, Amtsdeutsch.

 

Bürgerfreundlichkeit

 

Wir können uns ändern, ehe wir andere ändern können. Dazu helfen Verhaltenspsychologie und das soziale Verhalten, also die Sozialpsychologie. Dabei ist Psychologie die Wissenschaft von den Erscheinungen und Zuständen des bewußten und es unbewußten Seelenlebens.

 

Menschen finden sich ja in verschiedenen Zusammenhängen:

Menge: neutral, gemeinsame Motivation, Masse wird oft zur Menge

Masse: negativ, ungeordnet, größere Zahl, spontanes Zusammentreffen

Die Familie ist die Primärgruppe, die kleinste Zelle der Gemeinschaft.

Die Clique gilt emotional als negativ (im Freundeskreis aber positiv).

Das Team ist stärker strukturiert, mehr aufs gemeinsame Ziel ausgerichtet.

Gruppe: positiv, geordnet, Regeln; über Ziel und Kontrolle wird gesprochen.

Zur Gruppe gehört ein Gruppenbewußtsein (Wir-Gefühl), aber es besteht die Gefahr der Abschottung. Es gibt Normen (auch Tabus), Sprachregelung, Arbeitsteilung und Rollendifferenzierung (Sprecher, Buhmann, Kasper).

 

Jeder Mensch hat Verhaltensweisen, die von dem Gegenüber abhängig sind. Man kommt zwangsläufig in eine Rolle oder es wird eine Rolle aufgezwängt. Manches Verhalten ist überall gleich, anderes ergibt sich nur in einer bestimmten Situation.

Zuerst werden negative Seiten gesehen: Wenn drei Mathematikaufgaben zu lösen waren, sagt man: „Eine Lösung ist falsch“, anstatt „Zwei Lösungen sind richtig“.

Ein Mensch wird nicht so sehr als Individuum gesehen, sondern als Gruppenmitglied. Er wird auch anders gesehen, wenn er als Gruppenmitglied erscheint.

Folgende Rollen entwickeln sich in einer Gruppe:

 

Beliebte                                                                                            Schweiger

 

          \                                                                                    

 

Führer             ¬        Mitläufer                   

                                                                          

  

∕                                                                                                                         

Tüchtige                                                                             Kasper

 

                                                                                            

 

   Oppositioneller                   ®        Sündenbock

 

                                                           ­

Außenseiter

 

 

 

Die Gruppe

Für eine Gruppe ist entscheidend, ob alle Meinungen als gleichwertig berücksichtigt werden oder die Meinung einzelner unterdrückt und somit eine echte Gruppenlösung verhindert wird.

Aber auch zum Unterdrücken gehören zwei,           derjenige, der unterdrückt und derjenige, der sich unterdrücken läßt. Deshalb sollte man sich immer fragen: Welche Entscheidungen habe ich getroffen, welche Entscheidungen hat die Gruppe getroffen und wie habe ich mich dabei gefühlt.

Bestimmte Verhaltensweisen (autoritär, freundlich, schüchtern) beruhen immer auf einer sozialen Beziehung zwischen mindestens zwei Personen. Solche Beziehungen beziehungsweise deren Verlauf bezeichnet man als „Interaktion“.

Der Verlauf solcher Interaktion bestimmt auch das Verhalten und die Leistung von Gruppen.

Auch ein bloßes Nicht-Hinhören oder ein Übergehen einer Äußerung in der Hitze der Diskussion ist eine Form der Interaktion, die eine erfolgreiche Teamarbeit sehr behindern kann.

Es ist somit nicht möglich, nicht zu kommunizieren

 

Verhalten in der Gruppe:

Eine Gruppe ist nicht nur eine Ansammlung von Individuen, die sich zufällig im gleichen Raum befinden. Ein Mensch in einer Gruppe gerät sofort in wechselseitige Abhängigkeit.

Er beeinflußt die Gruppe  und er wird von der Gruppe in seinem Verhalten beeinflußt.

Deshalb verhält sich ein Individuum in der Gruppe anders als als Einzelperson. Entsprechend muß man ein Individuum in einer Gruppe anders behandeln.

 

Ein Individuum in einer Gruppe befindet sich in einem Konfliktfeld, denn es ist mehr oder weniger stark den folgenden Polaritäten ausgesetzt:

>          Zwang nach Anpassung - Suche nach Geborgenheit

(Unterordnung unter die Gruppennormen oder Gruppe als Ort sozialer

Gebor­genheit)

>          Selbstbild - Fremdbild

(Jeder Einzelne versucht, sein Selbstbild in der Gruppe zu bewahren oder die

 Gruppe  stellt dieses Bild ganz oder teilweise in Frage.

>          Rollenübernahme - Rollenzuweisung

(Wunsch, eine bestimmte Aufgabe oder Rolle zu übernehmen oder die

Gruppe weist  jedem Mitglied im Laufe der Entwicklung (s)eine Rolle zu.

>          Abhängigkeit - Gegenabhängigkeit

(Auf wichtige Personen in der Gruppe (Gruppenführer) werden frühkindliche

Verhaltensweisen und frühkindliche Strategien der Konfliktaustragung übertragen.

>          Individuelle - kollektive Entscheidungs- und Zielfindung Jedes Gruppenmitglied ist bestrebt, seine eigenen, individuellen Ziele durchzusetzen oder An-

            schluß an eine Gruppe, um Unterstützung zu erhalten.

Bei „Zwangsmitgliedern“ besteht die Tendenz, sich zurückzuziehen (Fluchtverhalten), das Unbeteiligtsein wird durch Schweigen demonstriert. Versuche, sich zusammenzuschließen, um die eigenen Ziele gegenüber der Gruppe besser durchzusetzen, führen zur Paar- oder Cliquenbildung oder das Beharren auf offizieller oder inoffizieller Machtposition (Vorgesetzter).

 

Ablauf einer Besprechung:

Problemphase: Ziel und Verlauf klären

Lösungsphase: Vorschläge und Ideen sammeln, ergänzen, ordnen, dann bewerten, auswählen

Entschlußphase:  Einigung, Entscheidung zum weiteren  Vorgehen.

Die Einigung kann eine Formsache sein oder das Ausspielen einer Position.

Entscheidung Die Die Entscheidung erfolgt durch den Besprechungsleiter oder durch Mehrheitsbeschluß.

Es kann auch einen Pseudo-Entschluß oder Absprachen geben. Wenn man vertagen muß, dann stellen sich die Fragen: War es der falsche Teilnehmerkreis und war das Ziel klar?

 

Zusammenarbeit der Gruppe:

Für eine zielorientierte Gruppenarbeit muß das Besprechungsziel klar sein.

Es gibt entweder ein verträgliches Besprechungsklima oder dieses ist angespannt.

Es geht darum, ob es ein Wir-Gefühl gibt oder Einzelinteressen verfolgt werden.

Bei den Teilnehmern in der Gruppe kann es zu interner Gruppenbildung kommen, es gibt Außenseiter und Teilnehmer mit Führungsansprüchen .Findet der Besprechungsleiter Anerkennung durch die Gruppe? Wird das Zusammenhaltend er Gruppe betont, gibt es ein zielorientiertes Führen der Gruppe, um Entschlüsse herbeizuführen und Nachfolgeaktivitäten veranlassen

 

Kommunikation

Den Austausch mit anderen Menschen nennt man „Kommunikation“. Das Verstehen des anderen gehört mit dazu. Ab er der andere hört nur, was er wahrnimmt. Man hört die Botschaft so, wie man auf sie eingestellt ist. Oft ist die Doppelbödigkeit schon in die Botschaft mit hineingelegt („Das hat du aber gut gemacht“ kann ironisch gemeint sein).

Das Doppelbödige kann bewußt sein, vielleicht sogar angekündigt werden, meist aber ist es unbewußt. Man kann das nicht steuern, aber man behandelt einen Menschen anders, wenn man unbewußt etwas gegen ihn hat (und wenn es nur die Kleidung ist. Meist denkt man dabei aber nicht daran, wie man auf den anderen wirken könnte.

Kommunikation kann einseitig sein, unecht zweiseitig und wirklich zweiseitig (so daß der andere wirklich versteht und genau rückfragen kann).

Das technische Modell der Kommunikation ist: Einer sagt etwas und der andere versteht es oder der eine versteht es und der andere antwortet.

 

Es gibt fünf Grundsätze in der Kommunikationslehre:

1. Menschen können nicht „nicht-kommunizieren“ trotz ablehnender Körperhaltung

2. In der Botschaft sind immer zwei Grundsätze enthalten

3. Die Kommunikation ist abhängig von dem, mit dem man kommuniziert

4. Kommunikation läuft in bestimmten Abläufen an(„aufschaukeln“)

5. Kommunikation ist gleichberechtigt oder asymetrisch (Lehrer-Schüler).

Kommunikation ist der Prozeß der Übermittlung von Informationen zwischen verschiedenen Stellen (Personen oder Objekten)(Althoff/Thielepape). Kommunikation ist die allgemeine und umfassende Bezeichnung für Prozesse, die einen Sender (Initiator), einen Empfänger (Recipient), einen Kommunikationsmodus oder Kanal (zum Beispiel Sprache), eine inhaltlich bestimmbare Botschaft oder Nachricht (Message) und eine auf Empfang erfolgende Verhaltensänderung oder allgemein einen Effekt gleichwertiger Art als analytische Einheiten aufweisen (Drever/Fröhlich).

 

Menschliche Kommunikation verläuft gleichzeitig auf zwei Ebenen, auf der (thematischen) Inhaltsebene und der (zwischenmenschlichen) Beziehungsebene. Ist die Beziehungsebene ungestört, gibt es auch eine gute Inhaltsebene. Die Beziehungsebene bestimmt die Inhaltsebene. Mit anderen Worten: Störungen auf der Beziehungsebene wirken sich negativ auf die Inhaltsebene aus.

Wesentlich ist nicht, ob der andere angegriffen wird, sondern lediglich, ob er sich angegriffen fühlt! Der andere Gesprächspartner reagiert seinerseits mit Abwehr.

Daraus läßt sich die Regel ableiten: Ein Abwehrmanöver wird meistens mit weiteren Abwehrmanövern beantwortet. Solange die Kommunikation weitere Abwehr enthält, ist sie nicht optimal. Statt das Selbstwertgefühl des anderen zu erhalten, zu verteidigen oder aufzubauen, wird es angegriffen. Mit dem Resultat, daß der andere genauso versucht, mein eigenes Selbstwertgefühl  anzugreifen. Also wurde die Kommunikation zu einem Wortgefecht. Bei dem es immer darum geht, zu siegen.

In einer optimalen Kommunikation haben alle Beteiligten einen Gewinn. In einer von Abwehr gezeichneten Kommunikation jedoch gibt es nur Verlierer und Schein-Sieger. Optimal kommunizieren heißt: Auf Abwehrmanöver des anderen nicht mit Abwehr seinerseits zu reagieren.

Schwierigkeiten in der Kommunikation gibt es bei der Aussage: „Ich bin OK - Du bist nicht OK“. Dann  besteht die Möglichkeit der Überheblichkeit. Hier ist die Gefahr sehr groß, daß der andere sich angegriffen fühlt. So kann es sein, daß die Ich-bin-OK-Nachricht des einen  den anderen veranlaßt, Abwehrmanöver einzusetzen, da er sich bedroht fühlt. Stärke, die man unter Beweis stellen muß, besitzt man nicht! Wenn man es schafft, nicht mit Abwehr zu reagieren, erweckt man den Eindruck, so groß (stark, OK) zu sein, daß man seine Größe nicht mehr beweisen muß.

 

Schwierigkeiten in der Kommunikation gibt es aber auch bei der Aussage: „Ich bin nicht OK - Du bist OK“. Hier besteht die Gefahr, daß der eine sich seinerseits von dem anderen bedroht fühlt, so daß auch hier wieder eine Abwehr hervorgerufen wird. Wenn man sich „Nicht-OK“ fühlt, aber meint, der andere sei OK (also größer), reagiert man meist mit einem von vier Abwehrmanövern.

Variante 1: Sich noch kleiner machen und den Kampf aufgeben

Sich noch kleiner machen, bewirkt zumeist, daß der andere sich nun schuldig fühlt, denn so klein wollte er den Gesprächspartner (meist) ja auch wieder nicht machen! Sich schuldig fühlen heißt: sich nicht OK fühlen.

Wenn jemand sich entschuldigt, dann bedeutet dies nicht, daß Sie ihn angegriffen (beschuldigt) haben, sondern, daß sich der andere angegriffen fühlt! Wenn Ihnen dies nicht klar ist, kann es Ihnen passieren, daß Sie sich nun ihrerseits schuldig fühlen. Das Schuldgefühl greift dann Ihr eigenes Selbstwertgefühl an. Somit besteht die große Gefahr, daß Sie nun anfangen, sich zu verteidigen bzw. den anderen anzugreifen.

 

Variante 2: Sich größer machen und zur Scheingröße aufblasen

Sich größer machen (aufblasen, angeben) bewirkt zumeist, daß der andere sich nun angegriffen fühlt. Nun wird der andere seinerseits zu beweisen trachten, daß er trotzdem OK ist. Dies kann dann ein endloses Spiel von Mein-Bruder-ist-größer-als-deiner geben.

Wenn sich jemand größer macht, so bedeutet das nicht, daß er Sie für klein hält, sondern genau das Gegenteil. Wenn Sie sich aber darüber ärgern, daß er sich größer macht, dann bedeutet dies, daß er Erfolg hatte, weil Sie sich jetzt klein fühlen. Darüber ärgern Sie sich. Und nun werden Sie wieder defensiv.

Wenn Ihnen dies nicht klar ist, besteht die Gefahr, daß Sie sich ihrerseits von seiner (Schein-) Größe bedroht fühlen. Dann werden Sie defensiv und greifen zur Abwehr. Merke aber: Ein Angeber hat‘s wirklich nötig! Jemand, der sich über einen Angeber aufregt, beweist nur, daß er sich von der (durch Aufblasen entstandenen) Größe des anderen bedroht fühlt. Ärger ist ein Teil von Abwehr. Denn er verleitet uns, Abwehrmanöver einzusetzen.

 

Variante 3: Sich zurückziehen und sich dem Kampf entziehen

Sich der Situation entziehen bewirkt zumeist, daß der andere die Flucht als eine indirekte Du-bist-nicht-OK-Nachricht auslegt, daß er sich also nun angegriffen fühlt. Auch hier können Schuldgefühle im anderen vorkommen.

Wenn sich jemand (von Ihnen) zurückzieht, so bedeutet das nicht unbedingt, daß er Sie nicht mag (Sie für nicht-OK hält). Es kann ebenso bedeuten, daß er sich nicht OK fühlt, daß er meint, Ihnen (oder der Situation) nicht gewachsen zu sein. Wenn Ihnen dies nicht klar ist, besteht die Gefahr, daß Sie sich defensiv verhalten, obwohl der andere sich ja von Ihnen bedroht fühlt.

Variante 4:  Den anderen kleiner machen und von seiner Höhe herunterholen.

Den anderen kleiner machen bewirkt zumeist, daß dieser sich nun verteidigen wird. So gibt dann wieder ein Abwehrmanöver das andere, wenn man den Teufelskreis nicht unterbrechen kann.

Wenn jemand Sie angreift, so bedeutet das nicht, daß er Sie wirklich für unfähig (nicht-OK, dumm, klein) hält, sondern, daß er sich nicht OK (unsicher, angegriffen, bedroht) fühlt!

Wenn Ihnen dies nicht klar ist, kann es passieren, daß Sie sich durch seinen Angriff bedroht fühlen und selbst nun auf defensives Verhalten zurückgreifen.

 

Ideal wäre also die Position: „Ich bin OK - Du bist OK“ für optimale Kommunikation. Da die meisten Menschen in ihrem Selbstwertgefühl nicht allzu sicher sind, ist die Gefahr sehr groß, daß einer von zwei (oder mehr) Gesprächspartnern sich und den anderen beweisen möchte, wie groß er ist, oder daß er direkte Angriffe startet, weil die Größe der anderen ihn herausfordert.

Deshalb können wir unsere Kommunikation unerhört verbessern, wenn man die Anti-Abwehrmanöver-Technik beherrscht. Denn damit unterbricht man die Kette von „Ich-bin-besser-als-du-Manövern“, die ja nur dazu dienen, ein gefährdetes Selbstwertgefühl neu abzusichern. Die Anti-Abwehr-Manöver-Technik:

1. Wenn der andere in mir ein „Ich-bin-nicht-OK-Gefühl“ ausgelöst hat, dann bedeutet das nicht, daß ich wirklich nicht OK bin, sondern: daß ich mich momentan unterlegen fühle.

2. Wenn ich nun zu Abwehrmanövern greife, fülle ich die Kommunikation mit Ballast und fordere mein Gegenüber heraus, seinerseits mit Abwehr zu reagieren.

3. Wenn ich dies klar erkennen kann, liegt es an mir, die Kommunikation zu verbessern. Der Klügere (d. h., der die Situation des anderen durchschaut hat) gibt nach.

 

Daraus lassen sich folgende Grundsätze ableiten:

1.  Wahr ist nicht, was man sagt. Wahr ist, was der andere hört!

2. Es gibt keinerlei Garantie, daß der andere das hört, was Sie sagen wollten.

3. Nur, wenn ich dem anderen helfe, sein gefährdetes Selbstwertgefühl zu verbessern, ist eine erfolgreiche Kommunikation möglich!

4. Was man mit dem Wissen anfängt, kann Macht bedeuten.

(nach Vera Birkenbihl: Kommunikationstraining).

 

Gespräche werden geführt, um etwas zu erreichen, und wenn es nur die reine Information ist. Es gibt keine neutralen Gespräche. Wer die Information empfängt, fühlt sich als der Unterlegene. Die gleiche Situation kann man ganz unterschiedlich aufnehmen: Wenn man  nicht so gut drauf ist, ist man gereizter oder fühlt sich unterlegener.

Auch wenn man nur den Frust aushält, ist das Problem in der Gesprächssituation noch da. Manches ist nur „im Spaß“ gesagt, aber in Wirklichkeit steht doch Aggression dahinter. Auch wer sich zurückhält, ist vielleicht frustriert. Der andere fühlt sich als Sieger, er ist es vielleicht auch wirklich. Aber das Aus-dem-Weg-gehen ist nicht immer richtig. Der andere muß sich dann ja immer wieder neu beweisen, es gibt keine Lösung auf Dauer.

 

Modell menschlicher Kommunikation

Ein Sender möchte etwas mitteilen und verschlüsselt dies zur Nachricht. Die Nachricht sind die vom Sender verschlüsselten Gedanken, die er dem Empfänger mitteilen möchte. Der Empfänger entschlüsselt die empfangene Nachricht.

Die Gefahr ist aber, daß die Nachricht beim Empfänger nicht so an kommt, wie es vom Sender beabsichtigt war. Ursache: Keine gemeinsame Sprache, undeutliche Aussprache, nicht genügend Aufmerksamkeit beim Empfänger, Erwartungshaltungen beim Empfänger (noch veränderbar) und Vorurteile gegenüber Sender oder der Nachricht (stabiler Zustand).

 

Die vier Seiten einer Nachricht:

Jede Nachricht enthält gleichzeitig mehrere Botschaften. Um die Vielfalt der verschiedenen Botschaften, die in einer Nachricht stecken, werden vier seelisch bedeutsame Seiten unterschieden werden.

1. Sachinhalt - die eigentliche Information:

Jede Nachricht enthält eine Sachinformation, die immer dann im Vordergrund steht, wenn es „um die Sache“ selbst geht. Das ist aber nur ein Teil dessen, was sich während der Kommunikation zwischen Sender und Empfänger abspielt.

 

2. Selbstoffenbarung - Informationen über das Selbst:

Über die reine Sachinformation hinaus stecken in jeder Nachricht auch Informationen über die Person des Senders, zum Beispiel seine Fähigkeiten, seine Art zu kommunizieren, seine Befindlichkeit. Infolgedessen fließt immer auch gewollte Selbstdarstellung wie auch unfreiwillige Selbstenthüllung mit ein. Gewollte Selbstdarstellung meint alle Bestrebungen, einen „guten Eindruck“ zu machen gegenüber unbewußten Informationen beispielsweise durch die Körpersprache. Mit dieser Seite der Nachricht sind viele Probleme der zwischenmenschlichen Kommunikation verbunden, da sie das Selbstwertgefühl des Senders stark berührt.

 

3. Beziehung - was hält der Sender vom Empfänger:

Aus der Nachricht geht weiter hervor, wie der Sender zum Empfänger steht, was er von ihm hält. Das zeigt sich oft in Formulierung, Tonfall und non-verbalen Begleitsignalen. Für diese Seite der Nachricht ist der Empfänger besonders sensibel denn er fühlt sich als Person gut oder schlecht behandelt. Eine Nachricht zu senden heißt also auch immer, zu dem Angesprochenen eine bestimmte Art der Beziehung auszudrücken bzw. ihm eine bestimmte Art der Beziehung anzubieten.

Der Empfänger ist aber nun nicht ausgeliefert, sondern hat vier Möglichkeiten auf das Beziehungsangebot zu reagieren: Er kann akzeptieren, er kann es „durchgehen lassen“, er kann zurückweisen und er kann nicht zur Kenntnis nehmen und damit den Sender entwerten.

 

4. Appell - was der Empfänger tun soll:

Fast alle Nachrichten haben die Aufgabe, Einfluß auf den Empfänger zu nehmen. Sie dienen also auch dazu, den Empfänger zu veranlassen, bestimmte Dinge zu tun oder zu lassen, zu denken oder zu fühlen. Dieser Versuch, Einfluß zu nehmen, kann mehr oder minder offen oder versteckt sein. Im letzten Fall spricht man von Manipulation. Hier scheut sich der Sender nicht, auch die drei anderen Aspekte der Nachricht in den Dienst der Beeinflussung zu stellen. Sie werden funktionalisiert, sind also nicht mehr reiner Ausdruck dessen, was ist. So wird etwa die Sachinformation tendenziös, die Beziehung soll „bei Laune“ halten und die Selbstoffenbarung soll eine bestimmte Wirkung erzielen. Es darf aber darüber nicht vergessen werden, daß der Appell ein durchaus legitimer Bestandteil der Nachricht ist, denn Kommunikation ist kein Selbstzweck, sondern will etwas bewirken.

 

Deshalb ist es oft gut, auf eine Rückmeldung zu warten  (eventuell wiederholen: „Sie müssen mir also überbringen..“). Oft kann auch die Selbstoffenbarung oder der Appell das andere überdecken. Indirekte Appelle des Senders vertragen sich nicht mit einem Empfänger, der direkte Appelle gewohnt ist: Er hört dann nur die Sachinformation und nicht den Appell.

Sachinformationen spielen zwar eine große Rolle, die Hauptprobleme gibt es aber bei den Beziehungen.

Wenn die Wertschätzung nicht geklärt ist, gelingt auch die Sachinformation nicht: Dann läßt man den anderen „auflaufen“ und sabotiert die Sache. Oft muß man dann sagen: „Moment mal, wir wollen doch vernünftig bleiben!“ Der andere muß aber sein Gesicht wahren können, er darf nicht niedergemacht werden (den meisten ist es ja auch dann peinlich, daß sie getobt haben).

Man sollte nicht immer gleich Ratschläge geben. Man kann nicht alle Fragen der Welt lösen. Erst wenn der andere ein anderes Gefühl kriegt, kann er auch wieder seien Einstellung ändern. Jeder muß und kann seine Probleme selber lösen. Der Zuhörer bringt nur etwas in Gang, er kann nur raten oder eigene Erfahrungen wiedergeben.

 

Die Partnerzentrierte Kommunikation:

Der Begriff bezeichnet eine Gesprächsform, die zunächst angewandt wurde im psychotherapeutischen Bereich, bald auch in fast allen anderen Bereichen, in denen Gespräche stattfinden eingesetzt wurde und sich als erfolgreich erwiesen hat. Diese Form der Gesprächsführung bedeutet einfach nur, daß der Gesprächspartner im Mittelpunkt steht, das Gespräch ganz auf ihn konzentriert ist: Ich höre zu, ich versuche zu verstehen und ich versetze mich in die Lage des anderen.

Es müssen aber folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

-  Vertrauen zueinander

-  Öffnungsbereitschaft

-  Beherrschen von Techniken.

 

Als Folge der partnerzentrierten Kommunikation fallen negative Symptome des Gesprächspartners weg und es entwickelt sich ein Klima des Vertrauens und echter Partnerschaft. Der Gesprächspartner fühlt sich angenommen und akzeptiert und entwickelt ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, das Schutzschilder überflüssig macht.

 

„Aktives Zuhören“ ist ein wesentlicher Pfeiler der Partnerzentrierten Kommunikation. Der Begriff meint die ständige Überprüfung, ob die Information richtig entschlüsselt und damit verstanden wurde. Für die Prüfung gibt es nun zwei Hilfsmittel: Das Verbalisieren und das Paraphrasieren

 

Das Paraphrasieren: Den sachlichen Gehalt der Sprecheraussagen mit eigenen Worten zu wiederholen.  Dies Verfahren benötigt viel Zeit, letztendlich aber doch weniger Zeit, als durch Mißverständnisse vergeudet wird.

 

Das Verbalisieren: Den emotionalen Gehalt der Sprecheraussage mit eigenen Worten zu wiederholen. In unserem Kulturkreis sind Emotionen weitgehend tabuisiert, es ist unfein, Gefühle zu zeigen. Gleichzeitig aber ist der Mensch ein gefühlsbetontes Wesen, dessen Handlungen stark von Gefühlen beeinflußt werden. Dennoch versucht er, diese Gefühle zu verbergen und schämt sich ihrer oftmals. Deshalb können Wir auch in Gesprächen selten erwarten, daß unser Partner Gefühle direkt in Worte kleidet. Vielmehr schwingen die Gefühle nur mit.

Wenn wir also in einem Gespräch spüren, daß bei dem Partner Gefühle mitschwingen, sollten wir ihm helfen, weiter auf diese Gefühle einzugehen und das Gespräch nicht auf der sicher einfacheren sachlichen Schiene belassen. Der Vorteil besteht darin, daß die Atmosphäre entemotionalisiert wird, der Partner sich öffnet und Gelegenheit hat, weiter über eigene Probleme nachzudenken.

 

Kommunikationssperren:      

Hierbei handelt es sich um meist wohlmeinende Äußerungen, die aber den Kernpunkt der Botschaft des Gesprächspartners unberührt lassen oder umgehen. Kommunikationssperren treten besonders in Problemgesprächen auf, dann nämlich wenn der Sender eigene Probleme offenbart und der Empfänger sich eher hilflos fühlt. Statt dem Partner Gelegenheit zu geben, über sein Problem zu reden und so vielleicht schon eine Lösung zu finden, meint der Hörer er selbst sei nun aufgefordert, Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Dies dokumentiert sich dann in nachfolgenden Verhaltensweisen, denen allen eines gemeinsam ist - sie wollen den Gesprächspartner auf den „richtigen“" Weg bringen.

  • Befehlen - anordnen - auffordern
  • Verhören - forschen - fragen.
  • Lösungen präsentieren.
  • Durch Logik überzeugen - Gründe anführen.
  • Kritisieren - urteilen - Vorwürfe machen - warnen - drohen.
  • Moralisieren - predigen - beschwören.
  • Interpretieren - analysieren - diagnostizieren.
  • Beruhigen - trösten - Sympathie äußern.
  • Loben - zustimmen - schmeicheln.
  • Ablenken - ausweichen - aufziehen.

Alle diese Verhaltensweisen beenden ein Gespräch oder eine Diskussion sehr schnell und verhindern erneute Gespräche weil sie bei dem „Opfer“ das Gefühl hinterlassen, nicht verstanden zu werden.

 

Killerphrasen: Sätze, die die Kommunikation beenden:

So geht das nicht, das ist ja unmöglich.

Theoretisch ist das ja ganz gut und schön, aber praktisch.

So simpel ist das nicht!

Da haben Sie eine völlig falsche Vorstellung

Diese Unterlagen waren schon immer erforderlich!

Klingt ja ganz gut, aber ...

Das haben wir schon immer so gemacht.

Hat sich Ihr Vorschlag schon irgendwo mal bewährt?

Das sehen Sie völlig falsch. Wie stellen Sie sich das vor?

Dafür sind wir doch gar nicht zuständig.

In Wirklichkeit ist es doch so, daß...

Glauben Sie vielleicht, es macht mir Spaß, daß.. .

Es ist doch allgemein bekannt, daß...

Wir haben jetzt doch keine Zeit für lange Palaver.

Das ist doch (rechtlich, verwaltungstechnisch, ) gar nicht machbar!

Das gehört nicht hierher.

Das geht uns nichts an.

Kommen wir doch endlich zur Sache.

Das sind doch Hirngespinste!

Bei uns geht das nicht!

Blödsinn, Bla-Bla, lächerlich, unmöglich, Quatsch, Mist, Gequassel

Das ist schon längst überholt!

Davon haben Sie keine Ahnung!

Das nimmt Ihnen doch keiner ab!

Das läßt sich nicht durchsetzen!

Das ist viel zu teuer!

Meinen Sie das im Ernst?

Dazu haben wir (jetzt) keine Zeit!

Wenn Sie richtig zugehört hätten. .

Haben wir alles schon versucht!

Wenn die Idee was taugte, wäre doch längst jemand draufgekommen.

Welcher Traumtänzer hat denn das gesagt?

Dafür sollten wir einen Ausschuß einsetzen.

Wir sollten da erst noch die Entwicklung abwarten!

Das ist gegen die Vorschriften!

Die werden denken, wir sind nicht ganz dicht!

 

 

Körpersprache (nonverbale Kommunikation)

Kommunikation ist verbal (mündlich oder schriftlich) oder non-verbal (Körperhaltung, Abstand); diese kann begleiten oder auch die verbale Kommunikation ersetzen.

Was bedeuten Ihrer Meinung nach die folgenden Körpersignale:

 

-  die Brille hastig abnehmen                        Verwirrung, Zorn, Erregung

-  die Brille hochschieben                              Nachdenklichkeit, Zeitgewinn.

-  häufiges Bewegen der Lider                      Nervosität

-  die Augenbrauen heben                             Erstaunen, Schreck, Zweifel

-  die Augenbrauen zusammenziehen         Unverständnis, Ärger

-  keinen Blickkontakt mehr halten               Unaufrichtigkeit, Langeweile, Verlegenheit

-  guten Blickkontakt halten                           Selbstsicherheit

-  die Stirn runzeln                                            Kritik, Entrüstung

-  mit der Hand über die Stirn streichen       Verlegenheit, Sorgen vertreiben

-  den Kopf einziehen                                       Angst, Unsicherheit, Schuldbewußtsein

-  den Kopf zurückwerfen                                Auflehnung, Überlegenheit

- den Kopf senken                                             Unsicherheit, Schuldbewußtsein

-  sich kurz an die Nase greifen                       Verlegenheit, Sich-ertappt fühlen, Abwehr

-  die Finger zum Mund nehmen                  

kurz:    zum Schweigen auffordern, auch Unsicherheit

längere Zeit:   nachdenklich, überlegend

-  Hand vor den Mund nehmen

während des Sprechens        will etwas offenbaren, ist aber unsicher

 nach dem Sprechen  etwas offenbart, möchte es zurückholen

-  immer leiser (langsamer) sprechen          ist unsicher, wünscht Aufschub

-  die Oberlippe hochziehen                          Verachtung des anderen

-  die Unterlippe hochziehen                         zweifeln oder schmollen

-  das Kinn streicheln                                       Nachdenklichkeit, eingebildet, zufrieden

-  den Kopf einziehen (Schultern hoch)       Angst, sich ducken

-  die Arme verschränken                              bei Männern: Kraft zeigen

                                                             bei Frauen: Ablehnung, Rückzug

-  die Fingerkuppen aneinander pressen  Konfrontation, genau ausdrücken wollen

-  mit den Fingern trommeln                       nervös oder gelangweilt

-  ein Spitzdach mit den Händen formen   überheblich, arrogant sein

-  sich die Hände reiben                                schadenfroh (oder er friert einfach)

-  mit dem Bleistift spielen                            gelangweilt, nervös, haltsuchend

-   weite Armbewegung machen                  Angeberei, Sicherheit

-  enge Armbewegung machen                    Unsicherheit (besonders bei Frauen)

-  mit dem Finger zeigen: Sie sind...             anklagend, aggressiv

-  die Hand zur Faust verkrampft                  drohend, wütend, er „kocht“

- mit dem Oberkörper beim Sitzen weit nach vorne kommen

                                                                            Anteilnahme oder Aufdringlichkeit

-  den Oberkörper weit zurücklehnen          Langeweile, Distanzierung, Überlegenheit

-  die Beine übereinanderschlagen zum Gesprächspartner hin

                                                                           Hinwendung, besonders bei Wechsel der Beine

-  die Beine übereinanderschlagen vom der Gesprächspartner weg

                                                                            Abwendung, besonders bei Wechsel der Beine

-  Beine verschränkt                                        verklemmt, unsicher, zurückziehend.

-  die Füße um die Stuhlbeine legen             Halt suchen, Verkrampftheit

- die Füße nach hinten nehmen                    Auf dem Sprung sein, ertappt fühlen

-  mit den Füßen im Stehen wippen             Ungeduld, Nervosität

 

Im Allgemeinen bedienen wir uns der Sprache als Verständigungsmittel. Demgegenüber gibt es aber noch einen zweiten Informationskanal, der begleitend zu jeder Kommunikation zusätzliche Information liefert. Dies ist der non-verbale Kanal, der sich des menschlichen Verhaltens als Ausdrucksmittel bedient.

Nonverbale Kommunikation umfaßt also Signale auf Verhaltensebene, die einen kommunikativen Wert besitzen. Hier kann man zwischen Signalen unterscheiden, die als Sprachersatz fungieren, und solchen, die vom Sender unbeabsichtigt sind und im Allgemeinen unbewußt zusätzliche Information geben. Während Signale (Zum Beispiel den Vogel zeigen) eine eindeutige Information beinhalten sind die unbeabsichtigten Signale nicht übersetzbar. Sie werden direkt auf der nonverbalen Ebene weiterverarbeitet und ziehen Reaktionen nach sich.

 

Nonverbale Signale begleiten die sprachliche Kommunikation und geben dem Gegenüber Information über den Sprecher selbst, dessen Befindlichkeit, Einstellungen usw. Diese Signale sind dem Sender selbst meist unbewußt und verborgen, werden aber vom Empfänger ganz bewußt wahrgenommen und bestimmen sein Verhalten mit. Ein wesentlicher Teil dieser Signale ist dem Menschen als entwicklungsgeschichtliches Erbe mitgegeben, d.h. ist angeboren. Dies sind Signale, wie zum Beispiel das Lächeln, die in jedem Kulturkreis gleiche Bedeutung haben. Andere Signale werden im Laufe der der persönlichen Entwicklung und Sozialisation erlernt und sind somit immer Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und auch des gesellschaftlichen Umfeldes.

 

Dimensionen der Körpersprache:

Mimik

Alle Erscheinungen im Gesicht wie Kopfbewegungen, Erröten, Erblassen, Augenbewegung.

Gestik

Die Sprache der Hände und Arme von kleinen Gesten bis hin zu großen Gebärden: Haltung, Bewegung und Stellung der Arme und Hände in Bezug zum Körper.

Körperhaltung

Haltungsmerkmale wie „gerade“ oder „gebeugt“, aber auch die Stellungen und Bewegungen des Körpers. Hier wird unterteilt in die Haltung im Sitzen, Stehen und Gehen.

Raumverhalten

In erster Linie die verschiedenen Distanzen und Orientierungen, die Menschen in verschiedenen Situationen zueinander einnehmen.

 

Regeln zur Beobachtung der Körpersprache:

1. Ein Signal allein hat keine Aussagekraft! (Ausnahme: plötzliche Haltungs-

    änderungen).

2. Die plötzliche Veränderung der äußeren Haltung spiegelt immer eine Veränderung 

    der inneren Haltung wider.

3. Blickkontakt heißt „Blickkontakt“ weil er Kontakt schafft!

4. Je höher der Status einer Person, desto größer wird die „Intimzone“.

5. Wenn zwei Personen einen Tisch teilen, beansprucht zunächst eine jede den

    halben Tisch.

6. Abstands-Signale signalisieren den Wunsch nach mehr Freiraum, sowohl räumlich

    als auch seelisch!

 

Kontrollfragen zum aktiven Körpersprechen:

1. Sehe ich andere aufmerksam an, wenn sie mit mir sprechen

2. Ist mein Mund entspannt oder verspannt?

3. Ist meine Haltung eher offen oder verschlossen?

4. Lächle ich , wenn ich mich verärgert, gereizt oder deprimiert fühle?

5. Ist meine Gestik überzeugend, passend zum Inhalt sowie zur Person?

6. Ist mein Tonfall aggressiv-ärgerlich, belehrend, gereizt, nörgelnd, ruhig-

    beruhigend, sachlich freundlich, laut, leise, deutlich?

7. Neige ich dazu, zu schnell zu sprechen?

8. Signalisiere ich Mißmut, Ungeduld, Langeweile, ohne Situation

10. Überprüfe ich meine eigenen Signale ab und zu, um etwaigen Kommunikations-

      problemen, die ich vielleicht selbst auslöse, auf die Spur zu kommen?

 

Distanz:

Unser Eindruck vom anderen Menschen ist auch bestimmt von der Körpersprache, die der andere ausstrahlt. Auch der Abstand beim Gespräch ist bedeutungsvoll. Ein bestimmter Abstand ist ideal. Wenn einer zu nahe kommt, wird das als unangenehm empfunden (Beispiel: voller Aufzug).

Persönliche Distanz:   60 bis 100 Zentimeter

Private Distanz:                      100 bis 180 Zentimeter (Arbeitskollege)

Gesellschaftliche Distanz:      200 Zentimeter (Lehrer)

Öffentliche Distanz:                Mehr als 200 Zentimeter (Politiker).

Publikumsverkehr:                 180 bis 250 Zentimeter.

Wenn ein Bürger am Tisch zu nahe rückt, dann rückt man selber etwas zurück.

 

Non-verbale Kommunikation bewirkt

1. Rückmeldung (Bestätigung)

2. Unterstreichung (mit Händen und Füßen).

3. Einstellung zum Gesprächspartner

4. Steuerung des Gesprächsablaufs.

 

Überzeugungskraft

Keine Fähigkeit wird heute so geschätzt und gleichzeitig gefürchtet, wie die Fähigkeit, überzeugend reden zu können. Aber auch kaum eine Fähigkeit trägt mehr zu Selbstsicherheit und Selbstvertrauen bei, als die, eigene Ansichten, Ideen und Bedürfnisse glaubhaft vertreten zu können. Überzeugen können, überzeugend sein ist heute in allen Bereichen die Voraussetzung für Erfolg.

Überzeugen heißt, einen Partner mittels Erklärung und Argumenten dahingehend zu beeinflussen, daß er aus eigenem Antrieb meinen Aussagen zustimmt und wenn erforderlich sich auch entsprechend verhält. Das heißt also auch, daß ich erreichen muß, daß der Partner meine Gedanken nachvollziehen und für gut befinden kann. Verwechseln wir überzeugen bitte nicht mit „totreden“, in diesem Fall stimmt der Partner lediglich um des „lieben Friedens willen“ und damit halbherzig zu.

Ist es uns nun gelungen den Gesprächspartner von einer Sache zu überzeugen so kann man davon ausgehen, daß wir Überzeugungskraft besitzen. Nun muß man aber feststellen, daß es Menschen gibt, denen Überzeugung des anderen sehr schnell gelingt, und andere Menschen, die sehr viel mehr Energie einsetzen müssen um gleichermaßen zu überzeugen. Wir müssen also davon ausgehen, daß die Menschen ganz offensichtlich über unterschiedlich große Überzeugungskraft verfügen    („ Charisma“).

 

Im wesentlich sind das zwei Voraussetzungen, die ein Mensch erfüllen muß, wenn er überzeugen will: Er muß einerseits glaubwürdig sein, andererseits muß er für uns aber auch attraktiv im weitesten Sinne sein. Die notwendigen Voraussetzungen sind sowohl rationaler (Glaubwürdigkeit) als auch emotionaler (Attraktivität) Natur.

 

Überzeugungskraft ist Glaubwürdigkeit + Attraktivität

 

Glaubwürdigkeit:

Die Glaubwürdigkeit ist der rationale Bestandteil der Überzeugungskraft. Hier geht es um Wissen, Einsicht und Kenntnisse des Sprechers. Von vornherein geben wir jedem Gesprächspartner schon einen Vorschuß an Glaubwürdigkeit, indem wir ihm unterstellen, daß er über Wissen zu dem Thema verfügt. Das heißt, wir unterstellen ihm eine Expertenschaft: Aufgrund seines Berufes, seiner Bildung, seines Fachwissens eventuell auch aufgrund seines sozialen Status ist ihm ein Expertenstatus zuzuerkennen. Dies ist ein Bonus den jeder im Allgemeinen von vornherein besitzt.

Objektivität ist ein weiterer Bestandteil der Glaubwürdigkeit: Ein Gesprächspartner wird von uns dann als objektiv anerkannt, wenn er auch Informationen gibt, die zunächst gegen ihn sprechen könnten bzw. seinen Standpunkt schwächen. Man könnte also sagen, immer dann wenn uns der Sprecher Informationen liefert, die er eigentlich nicht liefern müßte (Schattenseiten eines Produktes), dann gestehen wir ihm Objektivität zu und sind bereit, seinen Aussagen eher zu glauben, als jemand anderem.

 

Glaubwürdigkeit ist Expertenschaft + Objektivität

 

Attraktivität:

Es scheint zunächst, als könne man hier nur wenig Einfluß nehmen, da sich Attraktivität im landläufigen Sinne nur auf das Aussehen bezieht. Betrachten wir die drei Bestandteile der Attraktivität, dann sehen wir sehr schnell, daß wir doch eine ganze Menge Möglichkeiten haben, für den Gesprächspartner attraktiv zu werden.

1. Ein erster Faktor ist die Vertrauenswürdigkeit. Sie ist nicht zu verwechseln mit der Glaubwürdigkeit, denn die bezieht sich nur auf die sachlichen Inhalte einer Aussage. Vertrauenswürdigkeit hingegen bezieht sich auf die Art und Weise des Umgangs. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um die Ehrlichkeit des Sprechers gegenüber dem Partner. Das heißt, daß Mißverständnis, die der Sprecher erkannt hat, auch dann aufgeklärt werden, wenn es für ihn eine bessere Position bedeutet, wenn dieses Mißverständnis bestehen bliebe.

2. Sympathie. Sie ist die positive Wirkung, die der Sprecher erzielt. Die ist bestimmt durch die äußere Erscheinung und durch das Verhalten. Aber Vorsicht: nur äußerliche Attribute reichen nicht aus oder können sogar ins Gegenteil umschlagen. Das ist dann der Fall, wenn sehr „gutes Aussehen“ gepaart mit fachlicher Brillanz und anderen Persönlichkeitsmerkmalen (zum Beispiel Selbstsicherheit) den Eindruck von Vollkommenheit erweckt und der Partner keinen „menschlichen“ Anknüpfungspunkt beim Sprecher findet. Dann ergibt sich daraus eine meist eine unüberwindbare Distanz. Überzeugung ist nicht mehr möglich.

3. Soziale Anerkennung: Hiermit ist gemeint die Wertschätzung des Gesprächspartners als gleichwertige Person. Bedenken wir einmal wie häufig wir unterbrechen, weil „wir schon wissen was er sagen will“ oder weil wir schon erkennen, „daß er sich verrennt“ oder weil wir einfach unbedingt unsere Meinung „loswerden müssen“. Dies sind nur einige Beispiele aus dem verbalen Bereich, aber auch nonverbal können wir Wertschätzung übermitteln oder entziehen (zum Beispiel wenn wir Männchen malen wenn der andere redet, oder indem wir ihn unnötig warten lassen)

Soziale Anerkennung ist also eine Bestätigung und eine positive Wertung oder Verstärkung dessen, was die Person spricht oder tut. Darunter fällt als oberstes Gebot, daß Kommunikation immer umkehrbar sein sollte. Das heißt, das Verhalten, das ich dem Partner gegenüber zeige, sollte auch er mir gegenüber zeigen dürfen. Zur Sozialen Anerkennung gehört außerdem, daß dem Gesprächspartner immer eine Chance bleiben muß, sein „Gesicht zu wahren“.

 

Attraktivität ist Vertrauenswürdigkeit + Sympathie + Soziale Anerkennung

 

 

 

Mobbing

Seit den achtziger Jahren befaßt sich Dr. Heinz Leymann vom Nationalen Institut für Berufsgesundheit in Stockholm mit psychosozialen Problemen am Arbeitsplatz. Den Begriff „Mobbing“ hat er für besonders gestörte Beziehungen am Arbeitsplatz entwickelt, um sie von „normalen Konflikten“ unterscheiden zu können. Mobbing wird ausgeübt, wenn feindliche Handlungen gegen einzelne Kolleginnen oder Vorgesetzte systematisch, mindestens einmal pro Woche über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr erfolgen. Der „Mob“ (die Meute) jagt den Sündenbock mit einer breiten Palette von Angriffen. Fast fünfzig verschiedene Handlungen benennt Leymann. Dazu gehören Anschreien, Ignorieren und Ausgrenzen, Drohungen ausstoßen, sich lustig machen oder gezielte Bosheiten äußern.

Durch den psychischen Terror werden bei den Betroffenen psychosomatische Erkrankungen ausgelöst, die häufig mit längerer Arbeitsunfähigkeit bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes oder der Frühverrentung verbunden sind und zu Depressionen, erhöhtem Drogenkonsum (Tabletten, Alkohol) und im Extremfall zum Selbstmord führen können.

Nach Leymanns Untersuchungen waren insgesamt etwa 3,5 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Schweden von diesem Psychoterror betroffen (heute sind es mehr). Die Kosten für den dadurch entstandenen Produktionsausfall schätzte er vorsichtig auf etwa 6 Milliarden Mark pro Jahr.

Welches sind die Ursachen? Leymann fand bisher keine übereinstimmenden Persönlichkeitsmerkmale bei Mobbing-Opfern und warnt davor, das Problem auf einzelne zurückzuführen. Zwar seien die „Coping-Ressourcen“ - also das, was und wie die Betroffenen diesen Psychoterror aushalten oder bewältigen können-  individuell verschieden. Aber „der Terror kommt vor, weil er vorkommen darf“ und deshalb seien die wesentlichen Ursachen in der Organisation, der Leitung und dem Inhalt der Arbeit zu suchen. Leymann hält es für eine Managementaufgabe, Psychoterror am Arbeitsplatz zu verhindern und forderte von den Führungskräften, daß frühzeitig durch Information und Aufklärung der Mitarbeiterinnen und bestimmte Maßnahmen dagegen eingeschritten wird.

 

Kontakte

Selbsthilfegruppe Psychoterror (Mobbing) Kiss-Altona, Gaußstraße 21,  Hamburg.

Institut für Arbeitspsychologie und Arbeitspädagogik, Freschenhausener Weg 35,  Seevetal

Kooperationsstelle Hamburg, Besenbinderhof 60, Hamburg.

Kirchlicher Dienst in der Arbeitsweit (KDA), Wartenau, Hamburg.

 

 

Zielgerichtete Gesprächsführung

Regeln:

1. Zuhören:     Aufmerksamkeit schenken und durch Aufmerksamkeitsreaktionen (nicken, hm, ja) dem Gesprächspartner zeigen, daß man ihn gehört und verstanden hat.

2. Aktiv Zuhören: Die Äußerungen des Bürgers paraphrasieren und verbalisieren, um mit dieser Rückmeldung das richtige Verständnis sicherzustellen („Sie meinen also……, Sie brauchen also…)

3. Gespräch lenken: Das Gespräch durch nachfragen, interpretieren, beraten und zusammenfassen zu einem sinnvollen Ergebnis führen. Lenkung kann auch schon in der sprachlichen Unterstützung bei etwas unbeholfenen Bürgern bestehen. Nicht endlos Unwichtiges erzählen lassen. Wichtig ist, sich zu überzeugen, daß mit der Lenkung auch tatsächlich die Ziele des Bürgers erreicht wurden, sonst entsteht doppelte Arbeit.

4. Abschluß. Gesprächsergebnis zusammenfassen und die zu ergreifenden Maßnahmen (seitens des Bürgers und seitens der Verwaltung) festlegen. Nächsten Termin vereinbaren („Wir sind uns also einig, daß Sie…“).

 

Todsünden im Gespräch:      

1. Den Gesprächspartner als Mensch nicht wertschätzen

2. Alles-besser-wissen!

3. Aufmerksamkeit nicht uneingeschränkt beim Bürger!

4. Nicht ausreden lassen!

5. Den Gesprächspartner lächerlich machen!

6. Laut und aggressiv werden!

7. Widersprechen und sich als übergeordnet darstellen!

8. Bedürfnisse des Gesprächspartners nicht akzeptieren!

9. Eigene Vorstellungen durchsetzen!

 

Die Zehn  Gebote guten Zuhörens:

1. Nicht Sprechen! Man kann nicht zuhören wenn man spricht.

2. Den Gesprächspartner entspannen! Eine „erlaubende“ Umgebung schaffen.

3. Zeigen Sie, daß Sie zuhören wollen! Keine Post während des Gesprächs lesen

4. Halten Sie Ablenkung fern! Keine Kritzeleien, kein Durchblättern, geschlossene Tür.

5. Stellen Sie sich auf den Partner ein! In seine Situation versetzen, Standpunkt verstehen!

6. Geduld! Unterbrechen Sie nicht! Nicht auf dem Sprung sein!

7. Beherrschen Sie sich! Vielleicht interpretieren Sie den anderen falsch.

8. Lassen Sie sich durch Vorwürfe und Kritik nicht aus dem Gleichgewicht bringen!

9. Fragen Sie! Das ermutigt und demonstriert Ihr Interesse.

10. Nicht sprechen! Man kann nicht gut zuhören solange man spricht!

Die Natur gab dem Menschen zwei Ohren, aber nur eine Zunge - dies ist ein sanfter Hinweis darauf, daß man mehr hören als sprechen sollte.

 

Übliche Sprechweisen, die in der Regel das Gespräch töten:

1.egozenrisch: „Ich habe das auch einmal gehabt“ (zum BeispielKrankheit)

2. dominierend-ratgebend: „Ich an deiner Stelle würde aber...“

3. belehrend: „Hättest du einmal darüber nachgedacht, wäre das....“

4. rationalisierend-vernünftig: „Wie Sie ja wissen, muß man...“

5. befehlend: „Da gehen Sie mal morgen da hin und machen...“

6. angreifend: „Also wissen Sie, das hätte ich nicht von Ihnen gedacht!“

Oft lobt man den anderen erst, läßt ihm aber damit keine Widerspruchsmöglichkeit. Eine positive Beziehung ist dann nicht möglich, weil man gereizt wird. Vom Gefühl her gibt es da

nur Ablehnung, erst später denkt man vielleicht darüber nach.

Positives Beispiel: „Ehe es jetzt weitergeht, brauche ich jetzt Paßbilder. Was halten Sie davon, wenn Sie gleich welche machen lassen. Dann könnten Sie auch nachher gleich wieder hereinkommen!“ Objektiv hat der andere damit nicht mehr Entscheidungsmöglichkeiten, weil er den Paß ja braucht. Aber er fühlt sich besser und hat sogar noch den Eindruck, daß er jetzt bevorzugt behandelt wird. Es entsteht das Gefühl des Zusammenarbeitens. Vieles kommt dabei aber auch auf den Ton an.

Sehr schwer ist es, wenn man sich entschuldigen müßte. Da hat man einen Bürger hinausge­jagt, weil er keine Nummer gezogen hatte. Wenn er dann aber dran ist, kann man sagen: „Vorhin hatte ich viel zu tun, aber jetzt habe ich Zeit für Sie!“ Der Bürger kommt nur einmal in zehn Jahren. Er wird sich vielleicht den Ärger merken, aber der Sachbearbeiter kann ihn sich nicht merken.

Größere Probleme gibt es mit den Kollegen, die man alle Tage um sich hat. Aggressionen unter den Angestellten wirken sich aber auch auf das Verhalten zum Publikum aus. Dennoch sollte man sich bemühen, einen neuen Einsatz zu finden, wenn man dem Bürger gegenübersitzt. Das ist vielleicht auch eine Frage des Alters, ob man schon ein dickes Fell hat. Natürlich spielt auch der Tonfall eine Rolle: „Heute bist du aber aggressiv!“ kann ganz locker dahingesagt sein. Und: „Gehen Sie mal und besorgen sich Bilder“ kann freundlich gesagt sein. Wenn aber ein Bürger sagt: „Heute sind sie aber aggressiv!“ dann kann man antworten: „Wie meinen Sie das?“ Eventuell kann man dann sagen: „So war das doch nicht gemeint!“

Die Aggression liegt an sich dem Menschen. Aber nicht jeder löst auch Aggressionen aus, sondern überspielt durch seine an sich angenehme Art vieles. Und umgedreht kann Freundlichkeit eine aufgesetzte Maske sein. Und manche Menschen sind so schüchtern, daß sie aufgestachelt werden müssen, ihr Recht zu behaupten.

Vielleicht sollte man alles auch gar nicht so sehr problematisieren. Aufgabe ist es, daß der Bürger einigermaßen zufrieden nach Hause geht (irgendwann kriegt er ja sein Papier). Vielleicht wird sich beim Angestellten nicht alles umwerfend ändern. Aber keiner sollte sich neuen Erkenntnissen verschließen. Durch Wissensvermittlung zu lernen ist besser, als durch Erfahrung zu lernen.

 

 

Rollenspiele: Ich beantrage einen Reisepaß

Wohnsitzloser will einen Personalausweis:

(Tür öffnet sich, ein Wohnsitzloser kommt)

Sachbearbeiterin: Oooh (zur Kollegin: „Auch das noch. Jetzt kommt der wieder. Heute trifft es mich aber wieder besonders!“).

Bürger: Gebt mir einen Personalausweis und einen Reisepaß!

Sachbearbeiterin: Setzen Sie sich erst einmal (setzt sich).

Also nun mal der Reihe nach: Was wollen Sie?

Bürger: Es genügt ja schon so ein vorläufiges Papier, nur damit ich Geld vom Sozialamt bekomme!

Sachbearbeiterin: Haben Sie ihren alten Ausweis dabei?

Bürger: Den habe ich verloren! Er war auch schon lange abgelaufen!

Sachbearbeiterin: So etwas haben wir gern. Da laufen Sie schon jahrelang ohne gültige Ausweispapiere herum, aber jetzt wollen Sie gleich etwas haben. Das gibt eine Ordnungswidrigkeitenanzeige, Sie haben sich strafbar gemacht, wissen Sie das?

Bürger: (Keine Antwort)

Sachbearbeiterin: War der Personalausweis denn aus Frankfurt?

Bürger: Das weiß ich nicht. Aber ich habe schon einmal einen aus Frankfurt gehabt!

Sachbearbeiterin: Schreiben Sie einmal ihren Namen und ihr Geburtsdatum auf!

(Bürger (schreibt,  Sachbearbeiterin  vielsagender Blick zu Kollegin, leichtes Stöhnen).

Sachbearbeiterin (Gibt Daten in den  Computer): Ja, hier steht „Wegzug“. Haben Sie sich denn anderswo einmal angemeldet?

Bürger: „Nein, ich hab halt mal da und mal da gewohnt!

Sachbearbeiterin: Und eine Geburtsurkunde haben Sie auch nicht! Da habe ich keine Identität von ihnen. Sie können doch noch im Wartezimmer mit jemand anders ausgemacht  haben, daß Sie ihre Namen und Daten austauschen. Ich brauche etwas mit Lichtbild. Ich sehe einmal in der Registratur nach, ob wir etwas haben (geht in die Registratur).

Sachbearbeiterin (zur Kollegin in der Registratur): Ich hab da wieder so einen Penner sitzen, das ist unmöglich. Haben nichts dabei, aber gleich ein Papier wollen sie haben!

 

Flugreisender braucht schnell einen Paß:

Auswertung des Rollenspiels: Ich beantrage einen vorläufigen Reisepaß!

Ein Bürger kommt, will schnell ein Reisedokument, in zwei Stunden geht das Flugzeug. Die Einleitung könnte dennoch locker sein: „Ich weiß, daß Sie in Zeitdruck sind. Wir wollen einmal sehen, was wir schnell für Sie machen können. Aber Sie müssen mir auch dabei helfen!“

Der Bürger hat alle Dokumente verloren, also keine Identität. Zuerst fragen: „Wohin wollen Sie reisen?“ Eventuell langt ein vorläufiger Personalausweis, aber in der Regel dürfte ein vorläufiger Reisepaß günstiger sein.

Die nächste Frage: „War der Reisepaß aus Frankfurt?“ Dann die Verlustanzeige ausfüllen lassen und inzwischen in den Unterlagen nachsehen. Eventuell noch fragen, wie alt der Paß war, aber an sich sieht man schon im Computer, ob schon ein neues Papier ausgestellt wurde.

Es stellt sich heraus, daß der Bürger in der Aufregung die Anfertigung von Paßbildern vergessen hat. Dann nutzt es gar nichts, ihn beruhigen zu wollen. Er braucht eine Information, was jetzt zu machen sei. Dazu kann man die Informationen aus dem Gespräch für die eigene Situation nutzen: „Sie kommen doch gar nicht durch den Flughafen ohne Bild. Sie müssen jetzt Paßbilder besorgen, ich kümmere mich inzwischen um die Unterlagen!“ Nur ein kleiner Schritt ist jetzt präzise zu beschreiben, aber auch ganz genau, wo der Fotograf zu finden ist.

Keine pauschale Zusage machen, daß dann gleich das Dokument ausgestellt wird. Vielmehr sagen: „Wenn dann alles in Ordnung ist, kriegen Sie Ihren Reisepaß!“ Der Begriff „sofort“ ist nämlich sehr dehnbar, er kann bedeuten: stehenden Fußes oder erst morgen. Man kann auch öfter die namentliche Anrede verwenden, denn man kennt den Namen ja jetzt.

Zur Körperhaltung ist zu bemerken: den eigenen Stuhl etwas schräg stellen, um die Konfrontationshaltung zu vermeiden. Vielleicht den Stuhl etwas nach hinten rücken und den Oberkörper nach vorne, um Zuwendung zu signalisieren. Bei längerem Erzählen des Bürgers kann man auch einmal die Beine übereinanderschlagen und die Arme offen auf die Lehne legen, Hände nie geschlossen.

Inzwischen ist der Bürger mit den Bildern wiedergekommen. Aber sein alter Antrag hat sich nicht angefunden, weil er eben nicht in der Registratur ist. Dann den Satz nicht mit „leider“ beginnen, weil dann sogleich die Klappe fällt. Richtig ist: „Es sind Schwierigkeiten aufgetaucht!“ Dann den Sachverhalt schildern.

Dann weiter: „Wir müssen eine andere Lösung finden. Haben Sie jemanden, der sie kennt und den wir schnell mit dem Taxi herholen können?“ Man kann schon zugeben, daß etwas falsch gelaufen ist, zum Beispieldaß die Karteikarte nicht mehr da ist bzw. man den Datensatz nicht im Computer gefunden hat. Wenn dann der Vorwurf kommt: „Das hätten Sie mir gleich sagen können!“ dann kann man antworten: „Ich wollte, daß es schnell geht und habe gesucht, während Sie fort waren!“ Notfalls muß man die Diskussion auch abschneiden und stattdessen auffordern, das Notwendige zu tun.

So ein Fachwort wie  „Identität“ sollte auch erläutert werden. Nicht sagen: „Sie können die Geburtsurkunde ja irgendwo gefunden haben und mir nun vorlegen!“ sondern: „Sie möchten doch auch, daß niemand mit Ihrer Urkunde Mißbrauch treibt. Deshalb sind wir in jedem Fall verpflichtet zu prüfen, ob die vorsprechende Person diejenige ist, die auf der Urkunde steht!“

Es kostet nichts, etwas zu erklären. Es kostet höchstens kurzfristig Zeit, aber der Bürger ist eher zufrieden und fragt nicht immer wieder, so daß am Ende doch Zeit gespart ist. Unter Umständen muß man ihn auch reden lassen. Dann aber wieder gezielt fragen: „Rufen Sie sofort an, daß ein Verwandter kommt. Sie wollen doch schnell fort. Und es gibt nur diesen Weg!“

 

Wie antworte ich auf Fragen des Publikums:

1. Der Bürger sagt: „Das müssen Sie ja machen!“ Antwort: „Ja, ich helfe Ihnen auch!“ Der Bürger erwartet Kampf. Aber so nimmt man ihm den Wind aus den Segeln. Doch es wird wieder kritisch, wenn er dann sagt: „Ich warte so lange, bis Sie mir die Sache gegeben haben!“ Nicht zeigen, daß man Angst hat, denn wer Angst signalisiert, wird angegriffen. Erst den Betreffenden toben lassen, bis sein Adrenalinspiegel gesunken ist (so schnell wird das Adrenalin gar nicht neu produziert). Wenn man eine Gasspraydose im Hintergrund hat, tritt man schon ganz anders auf, auch wenn man sie nie gebraucht. Es ist auch ein Unterschied, ob man die ganze Welt als bedrohlich empfindet oder ihr eher positiv gegenübersteht: Es kann gar nicht jeder verunglücken oder bestohlen werden. Die Leute, die Schläge androhen, schlagen in den seltensten Fällen.

2. „Ich habe ein Problem!“ Darauf muß man nicht unbedingt antworten (etwa: „Ich habe auch Probleme“), denn meist ist das nur ein Gesprächseinstieg. Man kann auffordern: „Dann erzählen Sie mal!“

3. „Ich habe nur ein Frage!" (Der Betreffende ist unaufgefordert hereingekommen). Antwort: „Ich bin gerade bei einem Gespräch. Wenn Sie dran sind, wollen Sie doch auch, daß ich mich Ihnen voll widme!“Auf keinen Fall zum Fragen auffordern. Wichtig wäre eine Informationsstelle, die solche Dinge abfängt. Nicht sagen: „Ich habe keine Zeit!“ sondern: „Ich möchte mir doch nachher auch für Sie richtig Zeit nehmen!“ Wenn dann die patzige Antwort kommt: „Sind Sie aber freundlich!“ dann lieber darüber hinweghören, man muß nicht alles hören, nicht hochschaukeln lassen.

4. „Warum wird der Paß nicht verlängert?“ Antwort: „Wenn Sie jetzt schnell ein Papier haben wollen, dann nehmen Sie den Paß, den ich Ihnen empfehle!“ Nicht alle Möglichkeiten schildern, weil das nur verwirrt. Die Leute eher auf den Europaß orientieren mit dem Argument: „Beim Einchequen auf dem Flugplatz geht es schneller!“ Argument: „Das ist aber teuer!“ Antwort: „Das sind der Euro im Jahr!“

5. „Warum muß ich persönlich kommen?“ Antwort: „Wegen der Identität und der Unterschrift!“. Frage: „Warum muß ich den alten Ausweis abgeben?“ Antwort: „Er ist Eigentum der Bundesrepublik. Bezahlt werden nur die Verwaltungskoten. Außerdem soll Mißbrauch verhindert werden (auch durch andere)!“  Auf solche Fragen wie  „Wie müssen die Bilder sein?“ und „Gilt der Europaß nur für Europa?“ ist sachlich Auskunft zu geben. Wenn nach der zuständigen Meldestelle gefragt wird, verweist man darauf, daß der Bürger sich dort angemeldet hat.

 

Manche Dinge sollte man vielleicht gar nicht hören. Wenn einer schon aggressiv kommt, darf man sich nicht persönlich angesprochen fühlen. Der andere meint das Amt, die Bürokratie, die Bestimmungen, nicht den Menschen.

Man antwortet ruhig und freundlich. Auch wenn der andere kocht, darf der Angestellte nicht kochen. Die Wut des anderen muß kanalisiert werden. Er darf nicht mehr meinen, der Sachbearbeiter wolle ja nur nicht. Aber die Vorgaben der gesetzlichen Bestimmungen müssen natürlich beachtet werden.

Man sollte aber nicht sagen: „Ich bin zwar auch Ihrer Meinung, aber die Bestimmungen sind nun einmal so!“ Es gilt, sachlich und fest aufzutreten und deutlich zu machen, daß man auch dahintersteht.

Es ist besser, der Bürger ärgert sich einmal, als daß sich der Sachbearbeiter immer wieder ärgert und ein Magengeschwür davon kriegt. Bürgerfreundliche Verwaltung bedeutet nicht, daß man sich alles gefallen lassen muß.

 

 

Übermittlung von Botschaften im Gespräch

Man hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten, um dem Partner eine Information, eine Botschaft zu übermitteln:

 

Die Sie-Botschaft:

Sie sagen Ihrem Partner: „Sie sind ein aggressiver Typ, mit Ihnen kann man nicht zusammenarbeiten.“ Er fühlt sich angegriffen und wird gereizt antworten; die Folge ist eine Auseinandersetzung, aber kein Gespräch. Sie-Botschaften bringen uns nicht weiter, sie führen nicht zum Gespräch, sondern nur zur Konfrontation. Es ist ja auch naheliegend, daß Ihr Partner Sie-Botschaften nicht annimmt (wie Sie im umgekehrten Falle ja auch nicht.):

  •             Menschen lassen sich nicht gerne bevormunden. Wir wollen uns freiwillig ändern. Beispiel: „Bei den vielen Tippfehlern müssen Sie den Brief noch einmal schreiben.“ Die Mitarbeiterin kann damit nicht freiwillig den Brief schreiben. Sie kann nicht zeigen, daß sie mündig und selbstverantwortlich handelt.
  • Sie-Botschaften kommen oft als Vorwurf an: „Sie sind schlecht und helfen mir nicht“, d.h., durch eine Sie-Botschaft tue ich so, als ob der andere meine Bedürfnisse (nach einem exakten Brief) nicht befriedigen wollte. In Wirklichkeit will er seine eigenen Bedürfnisse befriedigen (er will mit dem Brief schnell fertig sein).
  • Sie-Botschaften sind auch von der Kommunikationstheorie her unsinnig, denn nicht der andere hat das Problem, sondern ich habe das Problem (der Brief ist mir nicht exakt genug geschrieben). Sie-Botschaften sagen aber nichts über die Gefühle desjenigen aus, der das Problem besitzt, also wird meine Lage nicht entsprechend geschildert.
  • Durch eine Sie-Botschaft fühlen wir uns in unserem Selbstwertgefühl angegriffen. Ein zentrales Bedürfnis nach Anerkennung und Akzeptanz des Empfängers bleibt unbefriedigt wird sogar noch frustriert. Der Empfänger reagiert deshalb mit einem Abwehrmechanismus, zum Beispiel mit verbaler Aggression. Diese Aggression wird wieder in Sie-Botschaften gesendet. Zum Beispiel „Sie sollen erst einmal sehen, wie faul Sie sind“ Damit ist der Streit programmiert; zumindest kommt es zu keinem Gespräch.

Die Sie-Botschaft des Senders („Sie sind faul") wirkt wie der „erhobener Zeigefinger“ der kritischen Eltern aus der Kindheit; der Partner (Empfänger) fühlt sich wie ein „dummes Kind“ behandelt und getroffen („oh weh, was habe ich wieder falsch gemacht“) und wehrt sich entsprechend dagegen

Das heißt, Sie-Botschaften treffen den Menschen sehr tief:

  • Sie verursachen Schuldgefühle.
  • Sie werden als Tadel, Herabsetzung, Kritik, Ablehnung empfunden.
  • Der andere fühlt sich nicht geachtet.
  • Sie provozieren Vergeltungsmaßnahmen.
  • Sie greifen die Selbstachtung des Empfängers an.
  • Sie erzeugen Widerstand.
  • Sie können den Partner verletzen.
  • Sie werden oftmals als bestrafend empfunden.

Es ist schon eigenartig, daß, obwohl wir alle wissen, daß Gespräche durch Sie-Botschaften keinen positiven Verlauf nehmen, wir also auf diesem Wege unser Gesprächsziel nicht erreichen, wir trotzdem immer wieder Sie-Botschaften verwenden.

 

Die Ich-Botschaft:

Besser wäre es im obengenannten Fall, wenn Sie die Aussage in eine Ich-Botschaft kleiden würden. Eine ausführliche Ich-Botschaft enthält drei Aussagen:

1. eine Verhaltens-Aussage d.h. eine Beschreibung des Verhaltens, das einen stört

2. eine Gefühls-Aussage d.h. das Verbalisieren des Gefühls, das man empfindet

3. eine Wirkungs-Aussage, d.h. die Aussage, welche Wirkung das Verhalten des Partners auf mich hat und weshalb ich ihn um die Änderung seines Verhaltens bitte.

Beispiel:

„Ich empfinde Ihr Schreien als aggressiv und kann dann überhaupt nicht mehr schreiben!“ oder „Sie wirken auf mich aggressiv!“ Dies wird den Partner neugierig machen, es wird ihn anregen zu fragen, „wieso wirke ich auf Sie aggressiv?“ Dann können Sie Ihre Gründe darlegen und sind mitten im Gespräch.

Was aber, wenn der Gesprächspartner die Ich-Botschaft („Ich empfinde Sie aggressiv“)            nicht annimmt, wenn er entgegen der oben geäußerten Erwartung Frage reagiert mit der Sie-Botschaft: „Sie sollten erst einmal sehen, wie aggressiv Sie sind!“ Jetzt besteht die Gefahr, daß Sie sich seinen Stil aufzwingen lassen und auch Sie-Botschaften senden; das Ende ist dann der Streit.

Besser wäre es, Sie würden „umschalten“, das heißt: Sie fordern ihn durch eine Frage zu einer Stellungnahme heraus. So sollten Sie zum Beispiel fragen: „Wieso verhalte ich mich aggressiv?“ Hierauf wird er mit einer Stellungnahme antworten, und Sie sind dann mitten in dem angestrebten Gespräch.

 

Wie alle Verhaltensweisen, so müssen auch Ich-Botschaften geübt werden, so daß sie ins eigene Verhaltensrepertoire aufgenommen werden. Immer wieder senden wir Botschaften, die der Partner nicht versteht, wir sagen etwas in der Hoffnung, daß der Gesprächspartner sein Verhalten ändert. Tut er es nicht, sind wir über ihn erbost, enttäuscht oder resignieren. In Wirklichkeit konnte er sein Verhalten nicht ändern, weil wir eine mangelhafte Botschaft gesendet haben, die er als solche gar nicht verstehen konnte.

 

Gesprächsführer sendet

Gesprächspartner sendet

Ergebnis

Sie-Botschaft

 Ich-Botschaft

Ich-Botschaft

Sie-Botschaft

Ich-Botschaft

Sie-Botschaft

 

Streit

Gespräch

Gesprächsführer muß „umschalten“ mit der Frage: „Wie kommen Sie zu dieser Aussage?“ Der Gesprächspartner wird ermuntert zu schildern, wie er das Problem sieht.

 

Wenn man sagt: „Das hat mich gekränkt!“ gibt man dem anderen die Möglichkeit, es immer wieder zu tun und so Macht auszuüben. Leichter ist die Sie-Botschaft: „Sie sind ein Nörgler!“ Da zeigt man nicht das eigene Innere. Aber dadurch kann sich der andere nicht ändern, weil er ja nicht weiß, was er ändern soll.

Bei einer Ich-Aussage möchte man aber eine Rückmeldung. Der andere wird nachdenklich. Und da kein Mensch im Grunde dem anderen Böses will, wird der andere sich vielleicht doch ändern. Ziel ist eine akzeptierende Sprechweise (Akzeptanz, Einfühlung, Echtheit). Sie bewirkt, daß die Aggression verfliegt.

 

 

Gesprächslenkungstechniken

Bei den Gesprächs-Lenkungstechniken wird das Gespräch bewußt in eine bestimmte Richtung gelenkt. Dabei liegt das Ziel nur allgemein fest! Eine Gesprächslenkung ist immer eine Beeinflussung. Die Lenkung kann offen erfolgen, oder so, daß der Gesprächspartner nicht merkt, daß er gelenkt wird (denken Sie an die akzeptierende Sprechweise). Die gängigsten Lenkungstechniken sind:

  • Fragen stellen: Was, wann, wohin, evtl. auch: Wo wohnen Sie? Warum kommen Sie erst jetzt? Worum geht es denn bitte? Haben Sie Paßbilder dabei? Haben Sie Unterlagen (bisheriger Paß)? Es gibt offene Fragen, auf die man nicht mit „Ja“ oder „Nein“ antworten kann, und geschlossene Fragen (Alternativfragen), auf die man nur mit „Ja“ oder „Nein“ antworten kann Fragen zentrieren das Gespräch. Der Bürger spricht viel und unverständlich. Sie stellen die entscheidenden Fragen, um das Gespräch schnell, kundenorientiert und für alle Seiten zufriedenstellend abzuschließen.
  • Zusammenfassen: Der Gesprächspartner faßt sich nicht kurz, er schweift immer wieder ab. Jetzt ist es Ihre Aufgabe, das Wesentliche (zum Beispiel das Problem des Bürgers; der Wunsch des Bürgers; usw.) zu erkennen und es ihm mit der Bitte um Bestätigung zu nennen. Beispiele: „Sie wollen also,....?“ - „Habe ich Sie recht verstanden, daß Sie…?“ - „Ich kann also in die Wege leiten?“ Was der Bürger langatmig erzählt hat, muß irgendwann einmal zusammengefaßt werden. Man kann ja sagen: „Geben Sie mir bitte Ihre Unterlagen, dann können Sie ja weitererzählen!“ Aber manchmal muß man es auch aufgeben, weil der Bürger unbedingt etwas loswerden will; wenn der erste Versuch zur Unterbrechung nicht gelungen ist, lieber reden lassen, sonst dauert es noch länger.
  • Interpretieren: Der Gesprächspartner kann oder will sich nicht konkret äußern, er spricht um das Problem, um seine Absicht herum. Sie müssen aus dem, was er bisher geäußert hat, seine Absicht herauslesen, Sie interpretieren das, was gesagt wurde im Hinblick auf den wohl beabsichtigten Wunsch des Bürgers. Ihre Interpretation müssen Sie sich wieder ihm bestätigen lassen. Gehen Sie bitte vorsichtig mit der Interpretation um. Sehr leicht fühlt sich der Bürger mißverstanden und das müssen Sie unter allen Umständen vermeiden.

Dieses Mittel ist einzusetzen, wenn der Bürger sich nicht deutlich ausdrückt oder nicht äußert, was er will. Dann muß das herausgefunden werden, was der andere nicht gesagt hat. Beispiel: „Machen wir also ..., weil Sie ja ....brauchen!“ oder „Wenn Sie einverstanden sind, mache ich ....!“

Nutzen Sie die Interpretation nur zur Klarstellung und zur informativen Nachfrage, um ihm zu helfen, seine Absicht sprachlich besser ausdrücken zu können. Beispiele: „Sind Sie einverstanden, wenn ich …für Sie unternehme?“ „Sie möchten also gerne....?“ - „Oder habe ich das falsch verstanden?“

  • Verstärken - Bestätigen: Diese Lenkungstechnik ist ein ausgesprochen wichtiges Mittel, um dem Gesprächspartner Wertschätzung und Anerkennung mitzuteilen. Mit dieser Technik steuern Sie nicht nur ein Gespräch, sondern Sie beruhigen den Bürger und vermitteln ihm das Gefühl, gut aufgehoben zu sein. Dieses allgemeine Ziel ist, wie Sie wissen, überaus wichtig.

Die Verstärkung besteht in kleinen, unscheinbaren Worten und Sätzen mit nachhaltiger Wirkung. Sie sollen dem Bürger danken für seine Nachricht - wie immer Sie das ausdrücken möchten. Auch wenn er sich bitter über irgendetwas beschwert, danken Sie ihm. Die Wirkung beim Bürger ist, daß er den Eindruck hat, er habe Ihnen geholfen (was in gewisser Weise ja vollkommen richtig ist). Jeder, der schon einmal einem anderen geholfen hat, weiß, daß man sich für diese Person dann mehr verantwortlich fühlt als vorher. So geht es in übertragenem Sinne auch dem Bürger - er fühlt sich Ihnen mehr verbunden als vorher.

Schon das Gefühl des Bürgers, daß alles für ihn getan wurde, beruhigt ihn und macht ihn zufrieden. Wenn er sagt: „Da bin ich ja beruhigt und kann reisen!“ dann hat man es richtig gemacht. Wichtig ist das Lob, wenn einer alle Unterlagen dabei hatte oder wenn es sich um Randgruppen handelt.

Manchmal ist es schon notwendig, den wahren Grund der Verzögerung zu sagen: „Die Bundesdruckerei hat noch nicht geliefert!“ oder „Wir haben keine Schreibkräfte!“ Auch: „Die Meldestelle hat Ihnen das falsch gesagt, Sie haben schon recht gehabt!“ Aber man darf auch nicht jedes Problem gleich auf andere abschieben, vor allem wenn sie nicht schuld sind.

Wenn wieder einmal einer im letzten Augenblick kommt, sagt man: „Zum Glück haben Sie ja alles Nötige dabei!“ Aber nicht sollte man sagen: „Zum Glück haben Sie nicht alles dabei und ich kann Sie wieder heimschicken; und bis Sie wieder da sind, ist sowieso schon zu!“

 

Diese Einflußnahme auf den Gesprächspartner bezeichnet man auch als „Bonbon-Technik“: Als Antwort auf die Kritik erhält der Bürger zum Dank „ein Bonbon“ (= das „Danke...“).

Aber:   Die Verstärkung soll nicht bei jedem Anrufer automatisch erfolgen. Empfehlens-

wert ist dagegen der Einsatz bei schwierigeren Gesprächen. Wichtig ist, daß Sie sich auf den Dank beschränken - bitte nicht gleichzeitig einen vermeintlichen Fehler oder Versagen des Unternehmens zugestehen. Also nicht: „Danke für Ihren Hinweis auf Fehler unseres Amtes“,  sondern nur: „Herzlichen Dank (für Ihren Anruf)!“

 

Ziele der Gesprächslenkungstechniken:

1. Wünsche des Bürgers

2. Information, Aufklärung, Alternativen

3. Bearbeitung (mit Zwischenfragen)

4. Abschluß, Zusammenfassung, Ausblick

Die Lenkung ist notwendig zum Finden des wirklichen Themas, zur Beratung und Aufklärung und zur Zeitersparnis. Übergeordnetes Ziel ist: Geborgenheit vermitteln, Leistung der Verwaltung und des Sachbearbeiters positiv darstellen, Hilfsbereitschaft und Mitmenschlichkeit.

 

 

Konflikte

Der Begriff „Konflikt“ ist sehr vielschichtig und es lassen sich sehr viele verschiedene Definitionen nachlesen. An dieser Stelle soll nun eine Begriffsbestimmung versucht werden, indem die einzelnen Elemente des Konfliktes betrachtet werden.

 

Konflikt - Elemente:

• Inhalte: die Inhalte von Konflikten sind objektive oder subjektive Gegensätze.

• Verhalten: Konfliktverhalten ist aggressive Auseinandersetzung, wobei das Ausmaß der Aggression variiert.

• Dauer: Konflikte sind langfristige Auseinandersetzungen oder auch Kämpfe.

• Kontrahenten: Dies können sowohl Einzelpersonen, Gruppen aber auch Motive und Bedürfnisse in einer Person sein.

 

Definition:      

Ein Konflikt ist eine länger andauernde, mehr oder minder aggressive Auseinandersetzung in oder zwischen Personen. Dieser Auseinandersetzung liegen subjektive oder objektive Gegensätze zugrunde. Aufgrund dieser Komplexität ist es notwendig, zwischen zwei verschiedenen Konflikttypen, den intrapersonellen und den interpersonellen Konflikten zu unterscheiden.

 

Intrapersonelle Konflikte:

Diese spielen sich in einer Person ab. Hier liegen kontroverse oder gar unvereinbare Bedürfnisse und Motive miteinander im Widerstreit. Diese Wünsche können entweder gleich attraktiv sein, dann ist das der berühmte Esel zwischen den beiden Heuhaufen, oder es gibt da auch eine negative Seite. Im letzten Fall konkurriert dann also der Wunsch, etwas zu tun, mit dem Wunsch etwas nicht zu tun. Beispielsweise ein gemütlicher Abend mit Freunden gegenüber der Aussicht, zu Hause ein spannendes Buch zu Ende zu lesen.

 

Interpersonelle Konflikte:

Hier handelt es sich um Konflikte, die zwischen verschiedenen Personen ausgetragen werden. Die streitenden Parteien können dann Einzelpersonen sein, zum Beispiel Kollegen untereinander. Es können aber auch einzelne Personen innerhalb von Gruppen Konflikte miteinander haben. Daraus ergibt sich dann wieder eine andere Situation. Zuletzt können aber auch zwischen verschiedenen Gruppen als Ganzes Konflikte entstehen. Man denke an verschiedene lnteressengruppen, zum Beispiel Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände.

Diese Unterscheidung orientiert sich an den Kontrahenten, ein weiteres Unterscheidungskriterium ist der Inhalt. Hier kann man grob in zwei Konfliktarten unterteilen - Rollenkonflikte und Zielkonflikte.

 

Rollenkonflikte:

Rollenkonflikte sind meist im Individuum selbst begründet und ergeben sich aus Erwartungen der Außenwelt, die mit der eigenen Rollendefinition unvereinbar sind. Diese Konflikte entstehen beispielsweise bei Vorgesetzten die einen kooperativen Führungsstil bevorzugen, deren Mitarbeiter aber autoritäres Verhalten erwarten und wünschen.

 

Zielkonflikte:

Diese Konfliktart ist etwas komplizierter und es ist nicht immer ganz leicht zu erkennen, worin nun die eigentliche Kontroverse besteht. Folgende Möglichkeiten der Uneinigkeit bestehen:

- Die Ziele verschiedener Personen oder Gruppen divergieren.

- Die Ziele sind identisch, werden aber unterschiedlich gewichtet.

- Die Realisierungsmöglichkeiten der Ziele sind kontrovers.

- Verschiedene Ansichten darüber, welche Mittel eingesetzt werden müssen, um zum Ziel zu gelangen.

 

Konflikte entstehen nur dann, wenn objektiv vorhandene Gegensätze von der Person selbst wahrgenommen werden! Allgemein werden Konflikte als negativ und unerwünscht angesehen. Diese Einschätzung ist aber nicht generell haltbar, denn Konflikte sind ein Zeichen für Weiterentwicklung und aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt, sei es nun die betriebliche oder private Umwelt. Jede Veränderung, alles Neue ist immer konfliktträchtig, da ja auch immer Unsicherheit und Ängste damit verbunden sind. Das birgt aber auch eine große Chance dann, wenn Konflikte offen ausgetragen werden können. Dann können sie zum Beispiel die Leistung anspornen. Werden Sie allerdings nicht ausgetragen, so verhärten sich leicht die Positionen, der Konflikt eskaliert und die Leistung vermindert sich.

Treten in Unternehmen keine Konflikte auf, so ist das in der Regel ein Warnsignal, deutet es doch auf Stagnation hin. Noch problematischer ist es jedoch wenn Konflikte verdrängt werden und dann lediglich im Arbeitsverhalten auswirken. Unterdrückte Konflikte schaffen Ressentiments und vergiften die Atmosphäre da eine allgemeine Unzufriedenheit verbreitet wird, die sich in destruktivem Meckern, Klatsch und Tratsch äußert.

Eskalation oder auch die Entstehung schwerwiegender Konflikte kann durch geeignete Prävention vermieden werden. Dazu gehört eine offene Informationspolitik, Mitarbeiterbesprechungen und ein Klima, das die Kommunikation fördert.

 

Konfliktlösungsstrategien:

Ist ein Konflikt erst einmal vorhanden, verlangt er auch nach einer Lösung. Betrachtet man die üblichen Methoden, so können sie alle nicht ganz befriedigen. Man findet:

•  Nachgeben nach dem Motto „der Klügere gibt nach“. Auch dies ist keine adäquate Methode, da sie langfristig zu Strukturlosigkeit führt.

•  Durchsetzung mittels Machtanwendung. Die dabei entstehenden negativen Auswirkungen sind nicht akzeptabel.

•  Kompromißlösungen, die am weitesten verbreitete Lösungsstrategie. Auch hier kann nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Betrachtet man solche Kompromisse genauer, so

stellt sich meist heraus, daß eine wirkliche alle Seiten befriedigende Lösung nicht gesucht wird.

Die verhandelnden Parteien gehen von vornherein davon aus, daß jede Seite zu Abstrichen Bereit sein muß. Das hat die Folge, daß im Allgemeinen die eigenen Forderungen höher angesetzt werden, damit die Einbußen nicht zu groß werden. Dies ist kein sinnvoller Umgang mit Konflikten, da lediglich gewährleistet ist, daß auf beiden Seiten gleichmäßig Forderungen aufgegeben werden und damit der Sinn für Gerechtigkeit befriedigt ist, nicht aber auch zwangsläufig die eigentlichen Bedürfnisse der Kontrahenten.

 

Kooperative Konfliktlösungsmethode:

Diese geht von einem anderen Ansatz aus. Hier werden die eigentlichen Bedürfnisse in den Mittelpunkt gerückt. Geprägt ist diese Strategie von Offenheit, Ehrlichkeit und Achtung des Partners. Der eigentliche Unterschied zu den übrigen Verfahrensweisen liegt darin, daß zunächst der Konflikt offen dargelegt wird und dann nicht darum verhandelt wird, ob und wie etwas getan wird, sondern darüber, was getan werden muß, um alle Beteiligten zufriedenzustellen.

Vorteile der kooperativen Konfliktlösung liegen auf der Hand. Die Entscheidungen die gefällt werden sind besser und werden auch von allen Beteiligten getragen, da eine größere Verpflichtung besteht. Darüber hinaus wird die Zusammenarbeit langfristig positiv beeinflußt. Ein anderer wesentlicher Vorteil liegt aber auch darin, daß immer zu dem eigentlichen Kern des Konfliktes vorgedrungen wird und nicht vordergründige Probleme gelöst werden, während der eigentliche Konflikt weiter schwelt.

 

Stufen kooperativer Konfliktlösung

1. Identifikation und Definition des Konfliktes. „Wo genau liegen die Probleme?“

2. Mögliche Lösungen entwickeln: „Welche unterschiedlichen Lösungen sehen die

    Konflikt-Partner?"

3. Bewertung der Lösungsmöglichkeiten: „Was spricht für  oder gegen die einzelnen

    Lösungen?“

4. Entscheidung für die beste annehmbare Lösung. „Wie sieht die beste Lösung

    genau aus?“

5. Wege zur Ausführung der Entscheidung ausarbeiten: „Wie wird die Lösung durch

    gesetzt?“

6. Spätere Untersuchung der Funktionsfähigkeit der Lösung und der Einhaltung der

    Absprachen: „War die getroffenen Entscheidung zur Lösung des Konfliktes 

    richtig?“

 

Daß Konflikte auch etwas Positives haben, ist eine erstaunliche Aussage. Intrapersonale und interpersonelle Konflikte wirken dabei aufeinander ein. Rollenkonflikte entstehen, wenn der Vorgesetzte meint, seine Mitarbeiter wüßten alles oder wenn er alles laufen läßt. Aber manches muß auch entschieden werden, vor allem bei wichtigen Dingen. Doch dann muß darüber gesprochen werden und eine klare Regelung dabei herauskommen. Wenn aber angeordnet wird, dann muß eine Begründung gegeben werden und eventuell gesagt werden: „Beim nächsten Mal wird es aus Gründen der Gerechtigkeit anders gemacht!“

Das gilt auch gegenüber Antragstellern. Der Bürger braucht etwas, die Behörde braucht aber auch Unterlagen. Dann muß man Begründungen für die Forderung geben. Dann besteht die Aufgabe, Lösungswege zu finden. Wenn die Behörde selber einen Fehler gemacht hat, muß sie ihn auch selber ausbügeln. Sie darf also nicht vom Bürger verlangen, daß er eine Geburtsurkunde beibringt, sondern muß selber beim Standesamt anrufen.

Aber gerade dieses Beispiel zeigt, wie dieser Konflikt mit dem Bürger zu einem Konflikt innerhalb der Abteilung führen kann: Da hört einer von diesem Einzelfall und erzählt gleich weiter, wie die anderen es neuerdings angeblich machen. Viele Konflikte entstehen, weil jeder meint, er mache es richtig.

Bei Zielkonflikten sollte man erst einmal herausstellen, welches die Gemeinsamkeiten sind. Man kann sich darauf verständigen, daß Bürgerfreundlichkeit das oberste Ziel ist. Aber man könnte auch das Ziel haben, daß keine Rückstände entstehen oder daß man die Sache einigermaßen über die Bühne bringen will. Erst wenn das Ziel klar ist, sollte man fragen: Wo liegt der Konflikt wirklich? Aber dazu muß man sich Zeit nehmen.

 

Beispiele für Konfliktlösungen:

1. Ein Kollege sagt: „Du bist ein blöder Hund, eine blöde Kuh!“ Wenn man verblüfft ist und die Worte fehlen, kann man das ruhig sagen: „Jetzt bin ich aber platt!“ Die nächste Frage wäre dann: „Kannst du mir einmal sagen, wie du darauf kommst?“ Ironisch könnte man antworten: „Das finde ich gar nicht. Du bist selber blöd!“ oder auch: „Das ist dein Problem“

2. Ein Bürger ruft: „Was ist das denn hier für ein Saustall!“ Zunächst einmal sagt man ihm: „Moment mal, nicht in diesem Ton!“ Dann: „Wir wollen einmal nachsehen, was da los ist. Lassen Sie mich doch erst einmal erklären (nicht: Lassen Sie sich erklären). Ich bin gern für Sie da, aber nicht in diesem Ton!“ Wenn man sofort die richtige Erklärung hat, diese auch sagen. Wenn man die Sache auf etwas anderes abschieben kann, hat man sich erst einmal Luft verschafft. Aber man kann nicht sagen: „Warten Sie, wir klären das nachher!“ weil er sich ja gerade beschwert hat, daß es zu langsam geht.

3. Ein Bürger behauptet: „Ihre Kollegin hat das aber nicht so umständlich gemacht!“ Da kann man zurückfragen: „Wieso? Was finden Sie denn umständlich?“ Oder etwas ausführlicher: „Es mag ja sein, daß Sie diesen Eindruck haben, aber ich habe eben meinen eigenen Arbeitsstil!“ Oder auch: „Ich mache das nach den Vorschriften. Diese haben sich inzwischen geändert. Und so wie ich das mache, geht es eigentlich am schnellsten!“ Man darf nicht gleich eine Behauptung als Tatsache nehmen. Man vermeidet Ausdrücke wie „sehr wahrscheinlich, eigentlich, irgendwie“, weil die Leute dafür ein Gehör haben und sich gleich darauf stürzen. Man sagt auch nicht: „Ich denke, daß...“, sondern: „Ich bin überzeugt, daß Sie nachher zufrieden sein werden!“ In der Lautstärke darf man dabei nicht leiser werden. Aber man sollte auch nicht das Kinn zu hoch halten, weil das als Überheblichkeit ausgelegt wird.

4. Der Vorgesetzte kritisiert einen Mitarbeiter vor dem Publikum. Angriffe braucht man sich nicht gefallen zu lassen. Aber die Frage ist, wie man sie abwehrt. Man kann sagen: „Das können wir vielleicht an anderer Stelle klären, aber nicht hier vor anderen Leuten!“ Aber man sagt nicht: „Wenn Sie mich kritisieren wollen, dann haben Sie mir das unter vier Augen zu sagen!“ sondern: „Rufen Sie mich bitte in Ihr Zimmer!“ Wiederum gilt: Man muß nicht gleich annehmen, daß die Behauptung stimmt. Etwas problematisch ist die Retourkutsche:" „Dann haben Sie es mir wohl nicht richtig erklärt!“ Die Auseinandersetzung sollte man nicht auf später verschieben, weil man dann vor dem Publikum als unvermögend erscheint; die Zuständigkeit muß wiederhergestellt werden!

 

 

Briefverkehr

Form eines Briefes:

1.   Danken Sie für alles, was Ihnen dankenswert erscheint.                     

2.   Geizen Sie nicht mit Anerkennung.         - Bitten Sie, statt zu fordern.            

3.   Geben Sie Fehler zu und entschuldigen Sie sich dafür.             

4.   Freuen Sie sich mit Ihrem Partner.                    

5.  Verletzen Sie Ihren Partner nicht, er muß sein Gesicht wahren können.

5.  Sagen Sie Unangenehmes angenehm.               

7.   Formulieren Sie positiv.              

8.   Belehren Sie nicht („Wie Sie ja wissen“)

9.   Schreiben Sie mehr „Sie“ statt „wir/ich“ („Sie erhalten hiermit..“).

10. So höflich wie nötig und so freundlich wie möglich.

 

Ratschläge für lesegerecht Briefe:

-  Schreiben Sie wie Sie sprechen.

-  Benutzen Sie Verben statt Substantiva.

-  Schreiben Sie aktiv („Ich schicke Ihnen..“)

-  Wählen Sie die Gegenwart („ich freu mich…“)

-  Benutzen Sie den Indikativ ,

-  Vermeiden Sie „Korrespondenzwörter“ (hiermit, alsbald)

-  Vermeiden Sie „weiße Schimmel“ (telefonsicher Anruf)

-  Paragraphen und Satzungen: so wenig wie möglich, so viel wie nötig.

-  Schreiben Sie immer so, wie Sie wünschen, daß man Ihnen schreibt!

 

Optische Gliederungsmöglichkeiten:

Seitenumbrüche

Absätze

Zeilenabstände

Hervorhebungen

- Großbuchstaben

- gesperrt

- fett

- unterstreichen

 - Schriftwechsel

- Farbwechsel

Einrückungen

Informationsreihung durch Spiegelstriche

 

Merke: Immer nur eine Hervorhebungsart verwenden!

Jede Information wird klarer und leichter faßbar,

wenn Sie sie richtig strukturieren.

 

Vier Faktoren der Verständlichkeit:

1. Einfachheit: gebräuchliche Worte, kurze Sätze (9-14 Wörter), wenig Fremdwörter und Fachwörter (Original beilegen)

2. Gliederung und Ordnung: Optisch gute Gliederung, innere Ordnung des Textes, roter Faden, logische Abfolge

3. Kürze und Prägnanz: Treffende Formulierungen, aber nicht so kurz wie in Gesetzestexten

4. Stimulans und Würze: Etwas Nettes, das das Lesen erleichtert, zum Beispiel Wechsel im Satzbau oder Beispiele.

Bei Ablehnungen die Sache an den Anfang stellen und dann Alternativen aufzeigen. Positive Dinge eher an den Schluß, damit das Vorherige auch gelesen wird. Im Gedächtnis haftet besonders, was am Anfang und am Ende steht. Nicht mit „leider“ anfangen, sondern „Es tut mir leid“ oder „bedauerlicherweise“ irgendwo im Text.

 

Einsparen von Schreibarbeit:

Die kurze Form verlangt einfache Wörter:

statt:                                                                            besser:

aus diesem Grunde                                                   deshalb

Rückäußerung                                                            Antwort

die aufgetretene Störung                                          Störung

der telefonische Anruf                                              Anruf

die überwiegende Mehrheit                                    „Mehrheit“ oder „überwiegende Zahl“

 in Erwägung ziehen                                                  erwägen

gewöhnlich pflegen wir                                            „gewöhnlich“ oder „Wir pflegen zu tun“

zur Auslieferung bringen                                          ausliefern

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Viele Briefe sind zu umfangreich. Die modernen Möglichkeiten der Textverarbeitung verführen ja auch dazu, weil man leicht einen Text kopieren kann. Die eigentliche Information oder Entscheidung steht dann erst ganz am Schluß und ist aus all dem Material gar nicht so leicht zu erkennen. Wenn jemand beim Schwarzfahren erwischt wurde, genügt der Text: „Beachten Sie bitte  in Zukunft die Hinweise auf den Bahnhöfen. In Ihrem besonderen Fall verzichten wir auf die Strafe und überweisen Sie bitte nur die Gebühren von sechs Euro!“

Um weniger schreiben zu müssen (Briefe sind sehr teuer),

-   erledigt man mehr mündlich oder telefonisch

- Texte sind kurz zu fassen

-  der Sachbearbeiter schreibt lieber selber (statt der Schreibdienst)

-  Urschriftverkehr wird genutzt (bei der E-Mail sehr erleichtert)

-  Vordrucke werden verwende

-  Schreibfehler werden akzeptier

-  Fensterbriefumschläge werden verwendet

-  Keine Verbesserung aus Stilgründen, wenn der Inhalt sachlich in Ordnung.

 

 

Beispiel für die Abfassung eines Textes („Amtsdeutsch“)

„Einführung in die Unfallversicherung“

 

Original-Text:

Das Gesetz über die Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten ist die angemessene Antwort des Gesetzgebers auf eine mittlerweile oft zitierte Bemerkung des Bundesgerichtshofes, wonach es einem sozialen Rechtsstaat sehr wohl anstünde, einem ihm mit der Einschulung anvertrauten Schulkind in geeigneter Weise Fürsorge zuteil werden zu lassen und dafür zu sorgen, daß bei durch schulische Maßnahmen (Turnunterricht) erlittenen Körperschäden eine angemessene öffentlich-rechtliche Entschädigung gewährt wird.

Die Einbeziehung von rund 12 Millionen Personen, das ist ein Fünftel der Bevölkerung der Bundesrepublik, in die gesetzliche Unfallversicherung wirft für die mit dem Gesetzesvollzug betrauten Versicherungsträger sie gehören fast ausschließlich der Bundesarbeitsgemeinschaft der gemeindlichen Unfallversicherungsträger e. V. als Mitglieder an - eine Reihe von Problemen auf. Einmal von der Altersschichtung des versicherten Personenkreises her, erfaßt die Versicherung nunmehr ebenso den 3 Jahre alten Kindergartenbesucher wie den Studenten von 25 und mehr Jahren. Zum anderen werden die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Kriterien des Versicherungsschutzes, die primär auf das Arbeitsleben abgestellt sind, nicht in jedem Fall und nicht ohne weiteres auf die Schülerunfallversicherung übernommen werden können. Hier gilt es - unbeschadet mancher Anlaufschwierigkeiten, die sowohl kaum vermeidbar sein werden - den rechten Weg zu finden, der das als sozialen Fortschritt konzipierte Gesetz auch in seiner Verwirklichung zu einem Gewinn für die Allgemeinheit, die letztlich die Finanzierung der Schülerunfallversicherung zu tragen hat, werden läßt.

Es kann ernsthaft nicht in Zweifel gezogen werden, daß die Leistungen der sozialen Unfallversicherung auch dem jungen Menschen den vom Bundesgerichtshof so sehr vermißten ausreichenden Schutz bieten. Auch für die Schülerunfallversicherung gelten die in § 537 der Reichsversicherungsordnung statuierten Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung, nämlich Unfälle zu verhüten sowie den Unfallverletzten durch Wiederherstellung seiner Erwerbstätigkeit, durch Berufsförderung, durch Erleichterung der Verletzungsfolgen und schließlich durch Leistungen in Geld zu entschädigen.

Gerade die Unfallverhütung, die schon im jungen Menschen das Sicherheitsbewußtsein wecken und bilden, ihm die Gefahren der Umwelt in einer immer mehr der Technisierung zustrebenden Zeit deutlich machen und ihn zugleich vor deren Unbilden schützen soll, ist ein nicht hoch genug zu wertendes humanitäres, letztlich aber auch volkswirtschaftlich bedeutsames und somit der Allgemeinheit frommendes Anliegen. Ihm werden die Träger der Schülerunfallversicherung ihre besondere Aufmerksamkeit zu widmen haben.

 

Vorschlag:

In dieser Einführung wird beschrieben, welche Bedeutung das neue Gesetz hat. Außerdem wird im zweiten Teil auf einige Schwierigkeiten bei der praktischen Durchführung hingewiesen.

I.  Bedeutung:

Das neue Gesetz besagt: Studenten, Schüler und Kindergartenkinder sind künftig gegen Unfälle versichert. Das ist ein sozialer Fortschritt. Denn Jugendliche sollten angemessen entschädigt werden, wenn sie während der Ausbildung (zum Beispiel im Turnunterricht) einen Schaden erleiden. Dafür hat ein sozialer Rechtsstaat zu sorgen, wenn man ihm die Ausbildung anvertraut. Dieser Auffassung war auch der Bundesgerichtshof schon längst.

Zweifellos wird das neue Gesetz den jungen Menschen ausreichend schützen. Wie jede Unfallversicherung hat auch die neue Schülerunfallversicherung folgende Aufgaben: Entschädigung von Verletzten und Verhütung von Unfällen. Diese beiden Aufgaben sollen kurz erläutert werden:

Entschädigung von Verletzten: Verletzte sollen nicht nur durch Geld entschädigt werden, sondern auch durch Wiederherstellung ihrer Erwerbsfähigkeit, durch Berufsförderung und durch Erleichterung ihrer Verletzungsfolgen.

Verhütung von Unfällen: Diese Aufgabe ist besonders wichtig. Denn der junge Mensch ist heute mehr Gefahren ausgesetzt als früher. Durch aktive Unfallverhütung führt man dem Jugendlichen diese Gefahren vor Augen, so daß er die eigene Sicherheit zu schätzen lernt. Man tut also ein gutes Werk und spart auch noch Geld dabei. Die Versicherungsgesellschaften sollten deshalb hierauf besonders achten.

II. Schwierigkeiten:

Den Nutzen von dem neuen Gesetz haben 12 Millionen Personen. Das ist ein Fünftel der Bevölkerung der Bundesrepublik. Die Versicherungsgesellschaften haben jetzt gesetzlich die Aufgabe, so vielen Menschen den Unfallschutz zu gewähren. Dabei treffen sie auf folgende Schwierigkeiten:

1. Die Versicherten haben ein sehr unterschiedliches Lebensalter: Kindergartenkinder sind zum Teil noch nicht einmal 3, Studenten dagegen häufig über 25 Jahre alt.

2. Bisher war es üblich, daß nur Menschen unfallversichert waren, die im Arbeitsleben stehen. Alle geltenden Gesetze und Regelungen sind hierauf abgestimmt und lassen sich nicht so einfach auf Schüler übertragen.

Diese unvermeidlichen Anfangsschwierigkeiten müssen überwunden werden. Nur dann kann unser neues Gesetz wirklich der Allgemeinheit nützen - immerhin bezahlt die Allgemeinheit ja die Schülerunfallversicherung.

 

Persönlicher Vorschlag:

Ein neues Gesetz über die Unfallversicherung für Schüler, Studenten und Kindergartenkinder ist herausgekommen. Damit antwortet der Gesetzgeber auf folgende Bemerkung des Bundes­gerichtshofs: „Es dient dem guten Ruf des Rechtsstaats, wenn er dem Schulkind seine Fürsor­ge zuteil werden läßt! Wenn in der Schule körperliche Schäden entstanden sind, so muß der Staat eine angemessene Entschädigung zahlen!“

Wenn 12 Millionen Menschen (ein Fünftel der Bevölkerung) neu in die gesetzliche Unfallversicherung aufgenommen werden, wirft das für die Versicherungen natürlich Probleme auf. Das Alter der Versicherten reicht ja von 3 bis 25 und mehr Jahren. Außerdem könne die Regeln des Versicherungsschutzes nicht einfach vom Arbeitsleben auf die Unfallversicherung der Schüler übernommen werden. Anlaufschwierigkeiten werden wohl kam vermeidbar sein. Hier gilt es, den rechten Weg zu finden, um das Gesetz zu einem Gewinn für die Allgemeinheit zu machen; sie muß ja schließlich die Unfallversicherung der Schüler tragen.

Zweifellos bieten die Leistungen der sozialen Unfallversicherung auch den jungen Menschen ausreichenden Schutz, der ja vom Bundesgerichtshof so sehr vermißt wurde. Auch für die Unfallversicherung der Schüler gelten die übliche Aufgaben der gesetzlichen Unfallversicherung: Verhütung von Unfällen, Entschädigung der Verletzten durch Wiederherstellung der Gesundheit, Berufsförderung, Erleichterung der Folgen der Verletzung und schließlich auch Leistungen in Geld.

Gerade die Unfallverhütung ist ein nicht hoch genug zu wertendes menschliches Anliegen; außerdem ist sie volkswirtschaftlich bedeutsam und somit ein Anliegen der Allgemeinheit. Sie soll schon im jungen Menschen das Sicherheitsbewußtsein wecken, ihm die Gefahren in einer immer mehr technisierten Umwelt deutlich machen und ihn vor deren Gefahren schützen. Diesem Ziel werden die Träger der Unfallversicherung der Schüler ihre besondere Auf­merksamkeit zu widmen haben.

 

 

Weitere Ausführungen zum Thema Staat" und "Demokratie"

(nicht mehr Stoff für Verwaltungslehre)

 

Inhalt: Reich, Legitimation, Demokratie, Recht, Macht, totaler Staat, Widerstandsrecht, Unabhängigkeitserklärung, Rechtsstaat, Masse, Staat in der Bibel, Staat in der Philosophie, Staat in der Literatur, Alexis de Tocqueville.

 

Der Staat

 

Die Philosophen haben je verschiedene Ausgangspunkte, sie setzen selbst ihren Standpunkt fest. Die Theologen jedoch haben alle den gleichen Ausgangspunkt bei Gott, ihre Basis ist die Bibel und die geschichtliche Person Jesus Christus. Von dort aus sucht der Theologe nun die Gegenwart zu ergründen.

Er kann etwa die Bibel als Maßstab anlegen für die heutige Zeit und er kann dann heutige Tatsachen mit der Bibel vergleichen (Barmer Erklärung). Oder aber es brechen beim Studium der Bibel Probleme auf, deren Auswirkungen in der heutigen Zeit man nun untersuchen will. Man sollte sich jedoch nicht grundsätzlich auf einen Weg festlegen.

Ist nun der reformatorische-neutestamentliche Obrigkeitsgedanke noch in der heutigen demokratischen oder totalitär-ideologischen Welt verwendbar? Der alte Obrigkeitsbegriff birgt in sich ein personales Gegenüber von Regierenden und Regierten. Luther konnte so noch schreiben „An den christlichen Adel!“ Der Landesherr bildete eine Personalunion zwischen dem obrigkeitlichen Amt und der Gliedschaft in der Kirche. Er steht als bewußter Christ mit der größten politischen Macht in der Ausübung seines Amtes vor Gott. Er kann so seinen Mitchristen an besten helfen und er kann deshalb nie im absoluten Sinne autoritär unter pragmatischen Gesichtspunkten nach eigenem Ermessen Ordnungen geben; dem Staat ist damit eine anonyme eigengesetzliche Totalität genommen.

Für Paulus hat auch der nichtchristliche Staat von Gott die Vollmacht, das Gute zu lohnen und das Böse zu strafen. An dieser theologischen Realität des Staates ändert ein christliches oder atheistisches Selbstverständnis nichts. Das Amt bleibt von Gott eingesetzt; es kann allerdings nicht eine Existenz schaffen oder eine andere angreifen.

Der neue Obrigkeitsbegriff birgt in sich ein formales Gegenüber, dadurch daß Obrigkeit und Untertan eine Gruppe darstellen, in der der Einzelne „partielle Obrigkeit“ ist.

 

 

Das Reich

 

Wurzeln des Reichs sind das Judentum, das Römische Reich und das germanisches Verständnis der Gemeinschaft. Das Christentum kam aus dem Judentum (vom Gesetz bestimmt), es trat ein in das römische Reich (von der Macht bestimmt), aber erst durch die Verschmelzung mit dem germanischen Erbe konnte das „Heilige römische Reich deutscher Nation“ entstehen.

In allen politischen Gemeinschaften geht es um Ordnung und Herrschaft: Bei den mythischen Völkern ist die Ordnung gesetzt durch den Lebensraum (Polis). Diese „Polis“ ist der Raum, wo die Götter herrschen, die damit auch die Herrschaft regeln. Innerhalb dieses Raumes gilt das göttliche Gesetz unverbrüchlich. Verließ das Volk seinen Raum und damit seine Götter, dann brach die Ordnung zusammen und es bestand nicht mehr die Möglichkeit zum gemeinsamen Leben des Volkes. Außerhalb der Grenze droht das Verderben, durch eine Wanderung aus der Heimat und Mischung mit anderen Völkern gerät die Lebensordnung in höchste Gefahr.

Es handelt sich also um einen bäuerlichen Lebensraum mit der Kraft der Beharrung und Erhaltung: Der Bauer schweift nicht herum, sondern lebt unter dem beständigen Gesetz der Ernte und des Erbes. Seine Aufgabe ist es, den Boden zu warten, die Sitte zu hüten und die Grenze zu wahren. Der Bauer kehrte darum an der Grenze des Reiches um, denn er hatte nur zu wehren. Nur wenn das Reich einen Heerzug befiehlt, folgen die Bauern dem König auch über die Grenze.

In der Gestalt dieses Königs wird die Herrschaft mythisch beschrieben. Diese Herrschaft ist aber immer Versuchung, die Grenzen zu überschreiten. Es zeigt sich dann hier das Spannungsverhältnis zwischen Bauer und Krieger, durch das erst politische Geschichte wird. Bauer und Krieger stammen zwar aus demselben Volk, leben aber doch nach verschiedenen Gesetzen: Der Krieger ist auf Abenteuer und Beute angelegt, er achtet die Grenze nicht, wartet den Boden nicht und er setzt über die die Sitten den freien Befehl. Aber mit dem Ausbruch in den politischen Raum versiegen die quellenden Kräfte der Heimat. Ein solches Volk ist abenteuerlich, ohne Vergangenheit und Zukunft, ohne Vollmacht (wenn auch im Augenblick eine schreckerregende Macht!), es ist geschichtlich und politisch unfruchtbar (Hunnen, Mongolen, Türken).

Nur im römischen Reich trat das Heidentum lebenskräftig und vollmächtig in den politischen Raum. Hier war es mehr als ein Abenteuer, nämlich ein Herrschaft, die sich ihrer selbst in der Geschichte bewußt war. Mit der Herrschaft kam auch eine Ordnung, und man handelte nicht mehr aus einer überschäumenden kriegerischen Vitalität, sondern baute ein Reich. Damit schuf man ein Prinzip, das nicht mehr an den Segen der Götter gebunden war, sondern rein aus sich selbst lebte und Herrschaft aus reiner Macht setzte. Damit entstand der Staat, ohne Bindung an Sitte, Volk oder Heimat. Er ist uniform, tyrannisch und zentralistisch, denn die einzige Bindung ist die Macht. Er mußte die Substanz der Völker au zehren und setzte an ihre Stelle die Macht. Im Staat vergingen aber auch damit alle Heidengötter, man beugte sich nur noch vor der personifizierten Staatsallmacht des Cäsars, der damit die letzte Zuflucht des Heidentums wurde.

 

Auch das Judentum vollendete sich. Die Juden standen ja einzigartig im Kreis der Völker, denn sie hatten nicht Heimat und Sitte, sondern ein Gesetz( Dekalog). In der Fremde wurden sie zum Volk. Ordnung und Sitte wurden von dem Gesetz des einen Gottes bestimmt, das unter jedem Himmel und auf jeder Erde allgemeingültig ist.

Im jüdischen Volk wird die Geschichte des einen wahren Gottes mit den Völkern der Erde stellvertretend ausgehandelt; es verkörpert den Anspruch Gottes auf alle Völker. Damit ist an die Stelle der aus dem Boden erwachsenen Naturreligionen das offenbarte Gesetz getreten, offenbart in diesem Volk der Juden. Sendung des Volkes war es, den Anspruch Gottes auf die Herrschaft zu verkündigen. Diese Sendung wurde jedoch vertan, als das Volk an die eigene Weltherrschaft glaubte und am Messias vorbeiging.

Das Christentum trat weder die Nachfolge der Cäsaren an, noch sah es zurück nach Jerusalem. Das Christentum ging als etwas unverstandenes Neues durch die Wüste, in der heidnische Götter umkamen und das alte Gottesvolk heimatlos umherwanderte.

Die Völker jedoch gewannen neue Kraft, im Glauben an Christus lebendige Geschichte zu leben. In den Hohlraum der entgötterten Welt tritt das Reich des Mittealters.

 

Das Reich konstituierende Elemente:

Das Reich lebte und wuchs nicht aus einem Gesetz, sondern aus der Ordnung der Schöpfung. Es steht im Streit wider das Böse und nimmt damit die Stelle des Königs ein: Wehrend und schirmend die Ordnung zu bewahren und zu erfüllen, die Gott gegen die Finsternis geschaffen und erhalten hat. - Zum Reich gehören drei Momente: Ordnung, Herrschaft, Hoheit.

 

Ordnung: Ordnung ist lebendig, denn sie ist gegründet in der Schöpfung, sie ist das Gegebene und Gültige, sie ist in ihrer Mannigfaltigkeit die Fülle der Schöpfung und ihr Maß.

Das Maß weist jedem seinen Platz zu, alles hat seine Bedeutung und seine Raum zur Entfaltung. Es gab also keine Satrapien und Provinzen, sondern Marken und Herrentümer in Eigenständigkeit (im Gegensatz zum römischen Imperium), in denen Handel und Seefahrt wesenhaft in die politische Ordnung einbezogen waren (Reichsstädte, Hanse). Vom Standpunkt des Gesetzes jedoch wäre diese Mannigfaltigkeit nichts anderes als Unordnung.

Herrschaft: Alle Ordnung ist auf Herrschaft angelegt. Aber Herrschaft im Reich ist nicht primär eine Machtfrage (wie im Staat), sondern das Wesen der Herrschaft ist hier die Hoheit.

Hoheit: Hoheit ist mehr als der Glanz über den Dingen, denn sie hat eine reale Mächtigkeit: Sie entzieht sich jeder rationalen Beherrschung, sie ist kein politischer Programmpunkt (wie die Machtergreifung).

 

Hoheit: Die Hoheit hat ihre Wesensmerkmale nicht aus der von der Ratio durchwalteten Wirklichkeit, sondern aus dem Reich des Geistes selbst. Sie ist begründet in der Freiheit, dem bewältigten Abgrund, dem Schweben über dem Abgrund - in Hoheit (daraus die Autorität!), die von der Mitte der Schöpfung ausgeht und mit Hilfe des erkennenden und vermittelnden Geistes herrscht. Hoheit ist der Mensch, der seinen alten Auftrag wahrnimmt, gegen die Finsternis zu stehen und die „immanente Negation“ zu bewältigen. Hoheit ist hier Majestät.

 

Im Reich ist die Spannung zwischen Bauer und Krieger aufgehoben, es ist nicht kriegerisch, sondern wehrhaft. Das Reich kannte noch die Ursache des Kampfes: Das Wehren gegen die Finsternis. Die Grundform dieser wehrhaften Gemeinschaft ist der Heerbann, der mehr dem Bäuerlichen zugewandt ist: Die Ritter waren nicht nur Krieger, sondern auch Grundherren. Auch die Bauern folgten im Heerbann bis zur Grenze; der Ritter war Erbe seiner Burg.

Die Herrschaftsform des kriegerischen Volkes ist der Staat. Die Herrschaftsform des wehrhaften Volkes ist das Reich.

Nur die Hoheit macht den Mann zum Herren. Die Hoheit des Reichs fand Gestalt in der Person des deutschen Königs, der unauflöslich mit dem Reich verbunden ist. Der König ist nicht nur Schützer, sondern „Mehrer“ des Reichs, besonders auch des geistigen Reiches gegen die „immanente Negation“. Er ist die Wahrheit der Schöpfung und kann Probleme lösen, indem er die „immanente Negation“ aufhebt und damit einen Zustand schafft, der dem Schöpfungszustand entspricht: Er schafft ein Reich des Frieden und damit ein Stück verwirklichter Schöpfungsordnung; es geht also nicht um einen „imperialistischen“ Landgewinn, sondern um die Mehrung des Friedens. Es handelt sich also mehr um eine geistige Macht. Das zeigt auch die Aussage über den Hausfriedensbruch: Der Hausfriede muß so stark und rein sein, daß durch einen Seidenfaden alles Üble abgewehrt werden kann; ein Bruch des Hausfriedens jedoch konnte nur mit dem Tode gesühnt werden.

 

Ziel und Aufgabe des Reichs:

Das Banner des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation trug das Bild des Erzengels Michael Daher der „deutsche Michel“). Damit stellte sich das Reich in den apokalyptischen Raum, denn seit Christus geht die Geschichte ihren Weg zu den letzten Dingen (dieses Wissen hat unsere Zeit verloren!).

Das Reich ist eine irdische Aufgabe, ein Kampf auf Leben und Tod mit der Hölle, den Drachen und den Mächten der Finsternis. Deshalb ruft das „heilige“ römische Reich deutscher Nation die anderen Völker zur Ordnung - durch sein Bekenntnis zur Ordnung und zur Schöpfung. Indem es aufstand gegen die Auflösung aller Ordnung, wurde es Autorität für die Welt, ja, es schuldet der Welt die schirmende Hoheit.

Je größer jedoch der Auftrag ist, desto gefährlicher und tiefer sind die Versuchungen. Auch das deutsche Volk hat seinen geheimen Auftrag verwechselt mit einem imperialen. Damit hat es den Geist selbst verraten und ist in einen schrecklichen Abgrund gestürzt, aus dem es nur den Weg harter Buße gibt. Das deutsche Volk ist seit einiger Zeit in eine ungeheure Lüge hineingeraten, die es zu überwinden gilt.

Das preußische Königtum kann jedoch nicht ursprünglich als Grund für diese Lüge angeboten werden. Es leitet sich ab von dem Hochmeister des deutschen Ritterordens, der ein mächtiger Grenzwächter war - damit seine Aufgabe erfüllte! - und deshalb sehr absolut regieren mußte. Preußen hat diese Regierungsform dann übernommen, besonders natürlich den militärischen Geist.

 

Das Mittelalter endet erst jetzt:

Nach den orientalischen Frühkulturen (mathematische Spekulationen), dem Hellenismus (der Freiheit bringen wollte, aber schließlich im überspitzten Individualismus endete), nach Rom (das ein diszipliniertes Recht und den Staat als Ordnungsmacht einführte) ertönt plötzlich

im Abendland ein völlig neues Bekenntnis zum „Vater im Himmel“, der die „Mühseligen und Beladenen“ durch erbarmende Liebe erlöst; nun trat das menschliche ICH in eine unmittelbare persönliche Beziehung zum Jenseits.

Der Sieg des Christentums und der des germanischen Nordens erfolgten gleichzeitig, denn beide setzten das ICH in den      Mittelpunkt. Die Germanen nahmen den christlichen Glauben aber nur gleichgültig an, ihnen war nur das mystische Element begrifflich, die Ethik hielten sie kaum einmal für verpflichtendes Gebot: Sie brachten vor allem den urgermanischen Glauben an Vorrechte (der Fürst kann „Mannentreue“ verlangen) und Verpflichtungen (Verantwortung für die Seinen) mit.

Dieser germanische Glaube hat aber immer über den christlichen von der Gleichheit aller Menschen vor Gott gesiegt. Er führte dann auch zur Disziplinierung der germanischen Völker. Der Feudalismus mit dem Glauben an die Unabänderlichkeit der sozialen Ordnung ist die beherrschende Feudalidee der abendländischen Geschichte. Bis 1789 gab es nur einen Aufstand: die Bauerkriege. Es bedurfte keiner despotischen Gewalt!

 

Die Verbindung mit dem Christentum geht auf den Emporkömmling Pippin zurück, der die den Merowingern entrissene Königskrone durch eine Idee sanktionieren wollte: Der Papst segnete diesen Bund durch die Kaiserkrönung. Das „erste“ Reich begann mit Heinrich I. im Jahre 919 (nicht früher?) und erlosch 1918 mit Karl I. von Österreich und Wilhelm II von Deutschland, wenn es auch von 1806 bis 1871 in Deutschland keinen Kaiser gab.

So lange dauerte aber auch das Mittelalter in bezug auf die Regierungsform. Auch die Reformation - bei der man gewöhnlich den Beginn der Neuzeit ansetzt - hat keinen Zeitwandel gebracht, der Protestantismus läßt hoch-feudalistische Motive erkennen (Erhaltung des Kirchengutes!). Das Fazit war der entartete fürstliche Absolutismus des Barock, der den Sonnenkönig nachäffte, aber zum Teil auch landesväterliche Verantwortung kannte (Preußen, Bayern, Pfalz).

 

Gewiß begann gleichzeitig mit der Reformation das Zeitalter der Entdeckungen, der Buchdruckerkunst, der Renaissance, des Humanismus. Aber die Kugelgestalt der Erde und den Kompaß kannte man schon früher, die Renaissance begann schon mit der Scholastik und der damaligen Wiedergeburt der Antike. Der Frauendienst unterschied sich nur durch das Gewand von der Mätressenkultur des Barock, ein Troubadour beklagt sogar, daß er sich in der Hölle nicht mit seinesgleichen amüsieren darf.

Albertus Magnus war der erste Aufklärer, Meister Eckhard beeinflußte Luther (besonders in der Sprache). Nikolaus Cusanus bewies die Drehung der Erde um die Sonne und er entlarvte den Schwindel der „Konstantinischen Schenkung“. Drei Jahrhunderte Umweg hätte man sich sparen können, aber Giordano Bruno wurde verbrannt, Galilei mußte abschwören, das Tridentinum beendete die Toleranzepoche, Calvin verdammte seine Widersacher zum Feuertod, der

Humanismus artete in Haarspaltereien aus, der fürstliche Feudalismus überschlug sich in dem Satz: „Cuius regio, eius religio!"

 

Nur in dieser Zeit des übersteigerten ICH-Gefühls, im Zeichen einer absterbenden Kultur, konnte es zu dem Inferno des 30jährigen Krieges kommen, der als einziges Ergebnis die Wiedererstarkung des Feudalismus mit sich brachte. Die darauffolgende Aufklärung knüpfte nur an Cues, Magnus, Bruno an, und der Klassizismus ist eine unmittelbare Anknüpfung an den Humanismus.

Auch die Französische Revolution brachte nur die napoleonische Feudalherrschaft hervor. Nur den nationalen Gedanken hat man davon in Deutschland übernommen. Aber das „Kommunistische Manifest“ wurde als Utopie abgetan, die Paulskirchenverfassung wollte einen Kaiser als Staatsoberhaupt. Bs auf unsere Tage blieb die Feudalordnung das Leitmotiv in Deutschland, wenn sie auch vielfach zur Lächerlichkeit entartete. Man war „Untertan“ trotz des „Bürgerstolzes vor Königsthronen“; erst 1918 fand diese Epoche ihr Ende.

Die Feststellung der Zäsur von 1517 stammt aus dem 18. Jahrhundert, die Feststellung derjenigen von 1789 stammt aus dem 19.Jahrhundert. Es wird Zeit, daß man sich im 20. Jahrhundert anders besinnt und das vermeintliche Mittelalter mit dem Untergang seiner gestaltenden Feudal-Idee im Jahre 1918 enden läßt. Man kann auch den Mai 1945 als Endtermin wählen, als der Pseudofeudalismus Adolf Hitlers in Blut und Tränen unterging.

 

Dann müßte man ja nach jeder feudalartigen Epoche die Zäsur weiter vorwärts schieben. Aber was war dann „dazwischen“? Und auf diese Art kann man ja alles als Wiederaufleben des Feudalismus erklären und sagen: „Wir sind immer noch im Mittelalter, weil es wieder einmal Erinnerungen an den Feudalismus gab. Man kann eine Epoche nicht damit abtun, weil es so ähnlich schon einmal war: Es war alles schon einmal da seit den Griechen!

Mit dem Erlöschen der Feudalordnung verlor das Mittelalter seinen äußerlichen Halt. Aber geistig wurzeln wir noch im unfruchtbaren Erdreich der Vergangenheit: Bolschewismus, Faschismus, Nationalsozialismus sind finsteres Mittelalter in apokalyptischer Übersteigerung Gab es im Mittelalter einen Appell an die niedersten Masseninstinkte, gab es einen Bereicherungstrieb, Rassenwahn, Kollektivsadismus usw. wie heute?)

Gewiß ist es absurd, den Menschen des 20. Jahrhunderts mit dem des 16. Jahrhunderts gleichzusetzen: Die Bevölkerung hat sich vervielfacht, die Technik hat unsere Lebensweise ruckartig verändert, die Entfernungen sind zusammengeschrumpft. Aber hat das alles mehr als eine

Erleichterung des täglichen Lebenslaufs gebracht? Wurden neue Kräfte entbunden, um der Menschheit einen neuen im Geist gegründeten Inhalt zu geben. Die Antriebe unserer gesellschaftlichen Struktur sind im Großen noch die gleichen.

Wir leben in einem paradiesisch erleichterten Dasein. Aber die früher in der Abwehr von Gefahr und Hunger gebundenen Geisteskräfte wurden nicht zu schöpferischer Gestaltung frei. Wir haben uns vielmehr in neue, nicht minder erbitterte Existenzkämpfe gestürzt! Der neue Zwang in der Arbeitswelt mindert unsere Freiheit. In der „Öffentlichkeit“ haben wir uns ein neues Zwangsmittel geschaffen („Publicity“-Sucht). Der mittelalterliche Mensch hat vielleicht den seinen Verhältnissen angepaßten Zwang viel besser ertragen als wir.

Sind wir vielleicht menschlicher geworden? Es gibt nicht nur unmenschliche Kriege, Foltern und Gaskammern. Der Einzelne liebt auch seinen Nächsten noch weniger, er beseitigt ihn heute allerdings mit Hilfe des Bankkontos, Wettbewerb und Leistungsprinzip sind inhumaner als das Mittelalter. Auch der Siegeszug des Christentums ist nur von der Mystik her zu verstehen, nicht von der Ethik. Nur der Glaube an Himmel und Hölle hat disziplinierend gewirkt. Das Bedürfnis nach Mystik ist sogar noch größer geworden (Aberglaube!), Rücksicht auf den Nächsten nimmt man nur aus Publicitygründen. Wir sind Egoisten, sogar die religiöse Hingabe ist nur egoistische Furcht oder Heilserwartung. Sogar unser Weltbild spiegelt -

selbst im Streben nach äußerster Objektivität - immer nur die eigene Erlenkenntnis wider (das ist ja gerade die „Objektivität“‚ wenn man den Menschen als Faktor mit in die Formel hineinnimmt!).

 

 

 

 

Die Legitimationen

 

1.) Endgültige Legitimation

Nur Gott kann legitimieren, besonders aber endgültig legitimieren. Die Kirche kann nicht legitimieren, denn sie ist nicht Gott. Der Staat kann nicht legitimieren, denn er ist nicht Gott.

Endgültig legitimiert von Gott sind David (durch die Nathanverheißung), Jesus Christus, sein Sohn (siehe Psalm 82) und die Kirche.

Jesus Christus war der letzte von Gott endgültig legitimierte König, der auch den Weltherrschaftsanspruch stellen durfte. Er verzichtet aber auf die physische Ausübung der Macht

und erkennt Pilatus ausdrücklich als vorläufig legitimiert (siehe unten) an: „Du hättest nicht Macht über mich, wenn sie dir nicht gegeben wäre von meinen Vater!“ (Auch wichtig für das Widerstandsrecht der Kirche!). Daher kann sich kein Herrscher und keine Regierung jemals mehr auf eine endgültige Legitimation durch Gott berufen. Man mußte also die Begründung seiner Legitimation anders suchen. Im Mittelalter waren daher die Könige angeblich

durch „Blut und Boden“ legitimiert, d.h. durch die Naturgottheiten. Diese Vorstellung von den Naturgottheiten war jedoch um das Jahr 1100 erledigt. Da die Natur nicht mehr heilbringende Macht ist, sucht man Ideologien zur Legitimation der Herrschaft zu finden.

 

2.) Vorläufige Legitimation

Der Staat hat eine vorläufige Legitimation (relative Legitimation), auf der Erde Ordnung zu schaffen. Er ist aber von Gott legitimiert, nicht von der Kirche, denn diese ist ja selber legitimiert. Die Kirche hat aber oft behauptet, von Gott über Jesus Christus die Macht zur Legitimation des Staates zu haben. Damit beansprucht sie aber selber die Weltherrschaft (das war der Fehler Gregors VII., der zwar das Heilskönigtun zerstörte, für sich selber aber eine zu große Macht beanspruchte!). Der Staat hat also völlig recht, wenn er sich von Gott direkt vorläufig legitimiert fühlt. Die Kirche kann nur verkünden, daß Gott den Staat legitimiert,

sie kann bestenfalls urteilen, ob der Staat sich dieser Legitimation würdig erwiesen hat, sie kann aber nicht legitimieren.

a.) Die Regierung ist sich bewußt, daß sie vorläufig legitimiert ist. Dann stimmt er auch mit der Auffassung der Kirche überein, er ist von der Kirche aus gesehen legitimiert (wenn auch vorläufig

b.) Die Regierung sieht sich selber als endgültig legitimiert an. Dann ist sie, von der Kirche aus gesehen, „illegitim legitimiert“.

Die vorläufige Legitimation darf nicht vom Staat als endgültig angesehen werden. Die Tendenz zielt natürlich darauf hin. Die Kirche hat hier die Aufgabe zu bremsen, den Staat zu warnen und ihn in seine Schranken zu weisen.

Trotzdem bleibt die einmal verliehene vorläufige Legitimation für immer bestehen, sie kann nicht von einer Regierung weggenommen werden, auch wenn sie sich gegen den von Gott gegebenen Auftrag wenden sollte.

 

3. Der König im Altertum und seine Legitimation

Der König:

Mitte - Maß - Gestalt waren in alter Zeit personifiziert im König. Dieser steht „vor Ort“, er kann noch die Ur-Sache des Menschen vollziehen: Scheidung von Licht und Finsternis. Der König ist reinen Ursprungs, er ist im Sprung aus der reinen Lichtmitte hervorgekommen. Deshalb steht er „auf der Warte", er ist noch Gegen-Wart gegen die Finsternis. Er stammt deshalb aus dem ältesten Geschlecht, das dem ungefallenen Menschen noch am nächsten steht, in lebendiger Beziehung zur Mitte (nicht biologisch „Blut“).

Der König als der Reine ist noch in der Lage, für sein Volk die Ur-Teilung zu vollziehen, Urteile auszusprechen, er kann sein „Blut“ rein erhalten. Er kann den Frieden wahren, Frieden als das Gleichgewicht, in dem die Finsternis ausgeschieden ist.

Der König kann Wildnis in heilige Städte verwandeln. Der König kann dies jedoch nur tun durch das Wort der Wahrheit, durch den „Logos“. .Er ist ja noch eins mit der Wahrheit, er kann auf das Wort der Wahrheit der Wahrheit zurückgreifen durch die Sprache (bei der Urteilssprechung durfte er sich nicht versprechen), die Ausdruck der Wahrheit ist.

Der König steht für sein Volk: Er ist durch das Blut mit ihm verbunden, er ist Hüter des Bodens, er redet in der Sprache des Volkes, das Volk sieht sich in seinem König.

Der König ist die Mitte des Volkes (Verkörperung der Einheit). Er ist die Vorwegnahme des Ziels in seinem Volke, seine Gesetze sind die Gestalt des Volkes.

Die Bedrohung des Volkes ist der Fall des Geistes in die Materie. Das rein biologisch verstandene Blut wird dann zum obersten Wert, das Leben ist „Kampf des Blutes“ (nicht mehr gegen die Finsternis) gegen „minderwertiges“ Blut. Die Reinerhaltung des Blutes ist der Zweck im Kampf gegen andere Rassen; man ist rein durch sein Blut (nicht durch die Verbindung zur Schöpfungsmitte).

 

Legitimation durch Gott:

Mit Jesus Christus und seinem Verzicht auf die Weltherrschaft scheidet die Legitimation von Gott her aus. Das Recht der Legitimierung des Staates beanspruchte im Mittelalter die Kirche, die sie an den Kaiser weitergeben wollte. Der Kaiser beansprucht aber die direkte Legitimation von Gott her, und er hat damit ganz recht, denn die Kirche kann nicht legitimieren. Der Staat kann nur von Gott legitimiert werden (Die mittelalterlichen Kaiser waren allerdings nicht legitimiert zum Heils-Kaisertum. Her hatte der Papst wieder recht).

Der Staat darf sich aber auch nicht von den Staatsbürgern legitimieren lassen (zumal diese sich nicht schädigen lassen wollen, genauso wie ein Vater sich nicht durch seinen Sohn legitimieren läßt). Die Wahlen sind nur nötig, um eine Entscheidung über die Führung des Staates zu erhalten. Die gewählte Regierung wird dann von Gott legitimiert. Allerdings kann auch ein Führer nicht von sich aus erklären: „Ich bin legitimiert von Gott! Ich brauche euch nicht zu fragen!“

 

Oberster Wert:

Die oberste Autorität beruht in der Hauptsache auf den Zehn Geboten, mit Ausnahme der ersten beiden! So sagte einer in der Diskussion. Und es ist auch anzunehmen, daß ein gewisses christliches Gedanken gut in jeder Gemeinschaft vorhanden ist, also eine Art unveräußerliche Menschenrechte.

Aber ein oberster Wert liegt immer zwischen zwei Extremen (etwa Autorität und Freiheit). Wo man einen Mittelweg gefunden haben will, hat die Regierungsform nur eine relative Legitimität, denn der Wert kann sich ändern. Wer entscheidet aber, ob man mehr Freiheit geben soll oder mehr Autorität verlangen muß? Es geht jedenfalls nicht, daß die Staatsbürger entscheiden, denn sie würden ihre Regierung andauernd nach ihrem Willen beeinflussen.

 

Das Hakenkreuz:

Wie das Kreuz ist das Hakenkreuz ein altes Zeichen, das seit der Steinzeit immer wieder auftaucht, obwohl es manchmal für Jahrhunderte verschwindet. Trotz des Wechsels der Völker blieb das Zeichen des Hakenkreuzes doch erhalten: Die neue Kultur überlagerte vielleicht vieles, aber dann tauchten die alten Symbole doch wieder auf. Es muß sich also um ein echtes und sehr bedeutendes Zeichen gehandelt haben. Manche Sippen haben sich das Hakenkreuz sogar als Sippenzeichen gewählt; es muß sich dann allerdings um eine sehr große und mächtige Sippe gehandelt haben.

Die Nationalsozialisten erklärten das Hakenkreuz zum Sonnensymbol und zum Symbol der Bewegung. Aber das Hakenkreuz ist ja doch gerade das Symbol der Ruhe! Außerdem kann es gar kein Sonnensymbol geben, denn die Sonne selber ist Symbol. Im Nationalsozialismus wurde jedoch das Hakenkreuz, dieses Zeichen der Fülle und Ruhe, zum Symbol der ruhelosen Bewegung aus der Leere in die Leere.

 

Siehe auch Bibel und „Richard III.“

 

 

 

Die Demokratie

 

(a) Philosophische Interpretation

Die Idee der Demokratie, daß das Volk der Staatsträger ist, besagt noch nicht, daß das Volk die Ordnung der Staatlichkeit produziert. Das ist nur der Fall, wenn der Staat auf einen aus dem Willen des Menschen hervorgegangenen „Vertrag“ zurückgeführt wird.

Hobbes:

Staat ist Selbsthilfeprodukt, um sich vor den Gefahren der eigenen Natur zu schützen (Zähmungsmaßnahme).

Rousseau: Der Staat ist ein gewolltes Heilfieber zur Entwicklung, der an sich gute Mensch soll aber nicht in seiner Entwicklung gehemmt werden. Beide sehen den Staat als Menschenwerk an!

Kant: Er lehnt eine historische Sicht und Erklärung der Autorität des Staates wegen der daraus sich ergebenden Aufhebung der Autonomie des Menschen ab (Autonomie als Würde der Persönlichkeit, nicht im Sinne einer überheblichen Selbstbestimmung).

Nur die in einer Idee des praktischen Vernunftprinzips gegründete Staatsautorität kann in Verbindung mit der menschlichen Autonomie stehen, da beide ihren Grund im sittlichen Bewußtsein haben. Die aus dem verantwortlichen Tun des Menschen erwachsene konkrete empirische Form und Gesetzlichkeit des Staates ist selbständig von dem Urphänomen der Staatsidee zu unterscheiden und an ihr zu messen. Aber durch Erziehung wird der Staat einmal überflüssig werden.

Fichte: Auch Fichte betont die Übereinstimmung der überpersönlichen Vorgegebenheit des Staates mit der Autonomie des Menschen, indem der Vertrag die Idee des Staates nur formuliert und nicht bewirkt. Der Staat als „zwingende Urgewalt“ stellt das Recht selbst dar, dient der Sittlichkeit und erzieht auf das Ziel hin, sich selbst überflüssig zu machen.

 

b) Theologische Interpretation:

Der Staat ist die institutionelle Form des göttlichen Einhaltegebotes an die Welt, deren Selbstzerstörung mit dem Sündenfall einsetzte mit dem Ziel, sie wieder in die gottgebundene Geborgenheit zurückzuführen (Staat also keine Schöpfungsordnung, sondern eine gnädige Notverordnung Gottes. Gott gebietet der Selbstzerstörung der Menschen Einhalt, indem er ihnen eine Probezeit gibt; aus dieser Hilfestellung ist der Staat aus Gnade entstanden).

Die Einzeichnung des Staates in die Heilsgeschichte macht ihn nun nicht als Frucht theokratischer Weisung zu einer eigenständigen Größe (Gott behält den Staat nicht weiter in der Hand in Form einer Theokratie), sondern er ist nur ein zur weiteren Veranlassung in die Hand des Menschen gegebene Form, durch die das Verhältnis der Menschen untereinander mittels der Vernunft geregelt werden soll (der Staat der Vernunft der Menschen übergeben).

Die durch die Träger des Staats repräsentierte menschliche Vernunft hat aber ihre Würde und Grenze.

Würde: Die Vernunft empfängt das Wunder der Staatswerdung aus der Hand Gottes, um den Staat als Mandat Gottes nach ihrem eigenen Ermessen verantwortungsvoll zu verwalten.

Grenze: Das Wissen um ihre nur technische (!) Autonomie, ist die Grenze. Die Vernunft läßt sich ihre Aufgabe stellen von Gott, und nicht im Übermut (Hybris) der Selbstbevollmächtigung zwecks Sinngebung des Staates, der dann eine Weltanschauung erzeugt (ontologische Autonomie).

 

Demokratie bedeutet dann: Die Bürger verfügen kraft der Vernunft über den Staat nur so, daß er ihnen zur Verfügung gestellt ist. Die Vernunft erzeugt nämlich weder die Idee des Staates, noch produziert sie ihn durch einen Vertrag, sondern empfängt beides zur verantwortungsvollen Arbeit. Deshalb sind die moderne Demokratie und die frühere „Obrigkeit“ nur verschiedene Adressierungen (Bezeichnungen) innerhalb der einen göttlichen Delegierung.

 

„Was gibt uns das Recht, die Demokratie für die einzig legitime Regierungsform zu halten?“

 

Die Rechte der Minderheit:

Es ließe sich vorstellen, daß es Menschen gibt, die sagen: „Mir ist meine persönliche Freiheit gleichgültig, ich kann auch in einer Diktatur leben!“ Er kann dann aber nicht, vielleicht mit einigen-Gesinnungsgenossen einen neuen Staat gründen denn jeder Mensch unterscheidet sich in einigen Punkten von den anderen, und das Endergebnis wäre eine tausendfältige Spaltung.

Eine Minderheit darf jedoch in der Demokratie weiter ihre Meinung im Volk äußern. Dann besteht ja die Möglichkeit, daß ein Gesetz wieder geändert wird, wenn sich genügend Anhänger für die Änderung finden. Weitere Rechte kann man einer Minderheit nicht einräumen. Das Recht der Minderheit wird aber nur gewährt innerhalb der Demokratie, aber nicht, wenn sich jemand außerhalb der Gemeinschaft gestellt hat.

 

Aufhebung der Macht:

Wenn eine Regierung auf vier Jahre gewählt ist, dann kann sie vor dieser Frist nicht abberufen werden, wenn der Einzelne auch noch so wenig mit den Entscheidungen der Regierung einverstanden ist. Nur wenn leichtsinniges Handeln der Regierung die eigene Existenz gefährden könnte, dann ist vielleicht auch ein Gewaltakt berechtigt. Das ist aber nicht der Fall, wenn man nur Unbequemlichkeiten aus dem Weg gehen möchte.

 

Parlament oder Führerpersönlichkeit:

Wenn nur ein Mann an der Spitze eines Staates steht, besteht die Möglichkeit, daß es ein Wahnsinniger ist und daß er so zum Schaden eines ganzen Volkes herrscht. Wenn aber die Staatsführung auf 500 Leute verteilt ist, besteht eine sehr viel größere Möglichkeit, daß sie im Großen und Ganzen sehr viel vernünftiger sind als einer (Ist aber dieses Abwälzen der Verantwortung auf viele Leute nicht ein Fliehen vor der Verantwortung?).

Aber es ist auch schwerer, in einem Parlament eine gemeinsame Entscheidung zu finden. Der Parlamentarismus kann sogar eine Entscheidung sehr hemmen, wenn eine schnelle Entscheidung not tut. Dann wäre wieder eine starke Führerpersönlichkeit nötig.

Im Grunde genommen ist es nur eine Frage der Zweckmäßigkeit, welche Regierungsform gewählt wird. Wenn ein autoritärer Herrscher mir das Maß an Freiheit garantiert, das für meine Begriffe ausreichend ist, dann kann ich ihn anerkennen (siehe de Gaulle in Frankreich). Ein Hitler konnte an die Macht kommen, weil die Demokratie versagt hatte und nach der Mehrheit des Volkes (Reichstages) nicht mehr die zweckmäßige Regierungsform war, jedenfalls nicht mehr in der vorherigen Form ohne die NSDAP.

 

Wertung der Demokratie:

Durch das oben gesagte soll aber nicht gesagt werden: Der Zweck heiligt die Mittel, die Notwendigkeit der Rettung des Staates rechtfertigt die Diktatur. Die Demokratie ist nicht immer richtig. Demokratie ist eine schlechte Staatsform. Aber es gibt noch schlimmere Staatsformen, die sich nicht bewährt haben. Man kann sich bessere denken als die Demokratie. Aber die Ausführung der anderen Staatsformen ist bisher nur wenig gelungen. Deshalb ist doch die Demokratie trotz aller Schwächen die beste Staatsform.

 

 

Die Demokratie verlangt Verschiedenheit, die Demokratie kann sich nicht engen mit der Uniformität, mit der Konformität. Die Demokratie setzt voraus, daß eine Verschiedenartigkeit gewollt wird. Die Demokratie geht davon aus, daß die Menschen verschieden sind und Verschiedenes beizutragen haben. Und daß die günstigste Wirkung für die Gesamtheit aus der Zusammenfassung und Respektierung der vielen verschiedenen Beiträge entsteht. Aber die Einsicht, daß Ideale immer nur teilweise realisiert werden können, muß von den Bürgern einer Demokratie verstanden werden, damit diese funktionieren kann. Demokratie ist auch nicht zu verwechseln mit Anarchie.

Die Demokratie findet aus den vielen Einzelwillen den Gesamtwillen durch Mehrheitsentscheidung. Dennoch ist die Mehrheitsentscheidung nicht mehr als das allein charakteristische der Demokratie anzusehen. Die modernen Diktaturen manipulieren gerne Mehrheiten zur moralischen Stützung ihres Regimes.

Was ist Mehrheit? Die Engländer sagen: Mehrheit ist von 51 bis 85 Prozent. Was darüber ist, das ist Schwindel, Betrug oder Irrtum. Keine irdische Sache ist so gut, daß nicht wenigstens 15 Prozent einen Grund hätten, dagegen zu sein, jedenfalls, wenn sie richtig im Bilde sind über die Sache. Und wir dürfen wirklich überall, bei Völkern oder bei einzelnen Gemeinschaften damit rechnen, daß es mangelnde Orientierung, Irrtum, Lüge oder Betrug ist, wenn wir Abstimmungen haben, bei denen mehr als 85 Prozent dafür sind.

Aber selbst diese einschränkende Skepsis gegenüber der Mehrheit ist noch nicht ausschlaggebend für die Demokratie, sondern vielmehr das Recht der Minderheit, die man nicht aus­schließen kann oder darf. Die Minderheit oder Opposition muß alle Möglichkeiten haben, an der Meinungs- und Willensbildung mitzuwirken, garantiert erhalten, unter der stetigen Voraussetzung, daß sie Mehrheit und damit Regierung werden kann. Es ist Pflicht der Opposition, sich in einen solchen Zustand zu bringen, daß sie immer Mehrheit und Regierung werden kann.

Eine weitere Voraussetzung für die Demokratie ist der Grundsatz, daß nie der Zweck die Mittel heiligt. Die ausschließlich erlaubten Mittel müssen durch eine Verfassung festgelegt werden und deren Einhaltung muß institutionell gesichert werden. Dem dient vor allem die Teilung der Gewalten, in Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung. Mit der Gewaltentrennung ist die Erwartung verbunden, daß eine Machtzusammenballung in der Hand des Einzelnen oder einer einzelnen Gruppe verhindert.

Insbesondere die Unabhängigkeit der Richter, der Rechtsprechung, von den beiden anderen Gewalten hat erhebliche Bedeutung. Allerdings sollte nicht übersehen werden, daß Montesquieu die Trennung der Gewalten für eine Monarchie vorsah, allerdings für eine konstitutionelle. Dort hat sie faktisch bessere Voraussetzungen als in der republikanischen Demokratie.

Je größer die Rolle der Parteien wird, umso mehr kann die Partei als Brücke die Gewalten so zusammenführen, daß von einer Trennung nur noch im äußerlichen Sinne die Rede sein kann. Als Beispiel haben wir für den Extremfall die NSDAP vor Augen.

Man soll aber auf gar keinen Fall ein politisches Weltbild pflegen, wonach die Totalitären die vollendeten Bösewichtes und die Demokraten die vollendeten Tugendbolde wären. Alle Fehler der Totalitären sind bei den Demokraten auch vorhanden, glücklicherweise gewöhnlich dem Grade nach milder,

Die Fähigkeit des Menschen, gerecht zu sein, macht Demokratie möglich, die Neigung des Menschen ungerecht zu sein, macht Demokratie nötig“ (Niebuhr). Diesem Satz liegt ein Menschenbild zugrunde, das sowohl mit unserer christlichen Vorstellung von der Fehlbarkeit des Menschen, als auch mit unserer politischen Erfahrung übereinstimmt. Die Demokratie beschneidet die Neigung, Macht zu mißbrauchen.

Mit diesem realistisch gesehenem Menschen ist aber die Demokratie ständig der Gefahr der Entartung ausgesetzt. Wenn man sie also als eine wünschenswerte Form des staatlichen Zusammenlebens erhalten will, müssen ihre Bürger bewußt ständig die Kräfte ihres Verstandes und ihres Herzens dafür zur Verfügung stellen.

Es muß ein dauernder Prozeß der demokratischen Erziehung aufrecht erhalten werden. Das ist am wenigsten ein Problem des staatsbürgerlichen Unterrichtes bei Kindern und Jugendlichen. Hier gilt das Rezept „lernen durch tun“. Das Schulkind in der Schülermitverwaltung, der Gemeindebürger in der Selbstverwaltung der Gemeinden und der abhängige Arbeitnehmer in der Mitbestimmung der Wirtschaft, lernen in kleineren überschaubaren Bereichen, was sie für den Staat können oder doch wenigstens beurteilen können sollten. Auch das Organisations- und Vereinsleben kann dafür Chancen bieten, insbesondere auch dafür, wie schnell und leicht unter Umständen eine lebendige Demokratie ersetzt werden kann.

Der Arbeitnehmer in den Großbetrieben wird allerdings der Verantwortung entwöhnt. Der technische Zweck der Betriebe verlangt, Ein- und Unterordnung und Organisation von oben nach unten. Es muß der Betrieb auch als Arbeitsstätte von Menschen und Mitbürgern gesehen werden, in dem ein Optimum an freiem und berechtigtem Miteinander geübt wird.

Eine weitere Gefährdung der Demokratie liegt in der Tatsache, daß die Demokratie besser für den Frieden, jedoch die Alleinherrschaft besser für den Krieg geeignet ist. Das republikanische Rom schon hat seinen Konsuln - allerdings nur jeweils für ein Jahr     - im Kriege diktatorische Rechte gegeben, also nur für eine bestimmte Aufgabe und nur auf einem einzigen Gebiet.

Das gilt aber nicht nur für den Fall, daß der demokratisch regierte Staat selbst aggressive Absichten hat, sondern auch, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt. In der „geschrumpften“ Welt des 20. Jahrhunderts hat aber jeder jeden zum Nachbarn, also auch den vermeintlich oder tatsächlich bösen. Dazu leben wir in einem Jahrhundert der sozialen und nationalen Revolutionen oder in einem Jahrhundert der erwachenden Völker. In dieser Erkenntnis liegen ganz harte, auch sehr praktische Probleme. Vielleicht muß die Folgerung lauten: Macht eure Präsidenten stark, laßt sie zu Führern werden, aber erlaubt ihnen auf keinen Fall das Führerprinzip.

Demokratie ist in der Gegenwart unvermeidlich Parteienherrschaft. Am günstigsten ist wohl die Zweizahl. Schon wenn eine dritte vorhanden ist, kann diese als Zünglein an der Waage eine ganz unangemessene Stellung erhalten. Die Parteien dürften aber auch keine reinen Interessentenparteien und ebenso keine reinen Weltanschauungsparteien sein, weil zwischen solchen der notwendige Wechsel nicht funktionieren kann, denn der Arbeiter wählt dann nur die Arbeiterpartei.

Unter Christenmenschen gibt es hier keine einheitlichen Antworten. Die Antworten reichen von der völligen Ablehnung jeder Verantwortung für das öffentliche Leben bis zu einer größenwahnsinnigen Überforderung des Einzelnen. Man könnte aber eine Regierungsform unterstützen, in der dem obersten Gebot: „Du sollst Gott mehr gehorchen, als den Menschen“ entsprochen werden kann, ohne daß es für fast alle Mitbürger zu einer völligen Überforderung wird.

Die Rechtfertigung der Demokratie liegt darin, daß sie die in jedem Menschen vorhandenen unveräußerlichen Sätze der Ethik am weitestestgehenden verwirklichen hilft. Hie kann das Gute gut gedeihen, das Böse schlecht. Die allgemeine Ansicht über Menschentum läßt sich am Besten verwirklichen in der Demokratie, aber nicht ausschließlich in ihr. In einer Diktatur ist das aber nur schwer möglich, besonders da, wo es um den Satz geht „Du sollst Gott mehr gehorchen!“

Es wird auch dann noch schwer genug bleiben. An diesem Maßstab gemessen ist die Demokratie nicht legitim, sondern zweckmäßig. Die Frage nach der Legitimität im Zusammenhang mit einer Staatsform ist unangemessen im Lichte der historischen Erfahrungen.

 

Vorteil der Demokratie:

In der Demokratie besteht die Möglichkeit der begrenzten Legitimität. Eine für vier Jahre gewählte Regierung ist für diese Zeit unbedingt legitim, vom Volk und von Gott .her-gesehen. Nach dieser Zeit muß sie allerdings zunächst einmal zurücktreten und kann durch eine andere, vom Volk gewählten und von Gott legitimierte Regierung ersetzt werden.

 

Die Demokratie in der Krise:

Zur Demokratie gehören Wahlen, gesetzgebende Körperschaften, Verantwortung der Regierung vor dem Parlament, Unabhängigkeit der Justiz und Gleichheit vor dem Gesetz - Demokratie ist Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Gleichheit.

Aber das Gesetz schafft noch nicht Gleichheit. Zwar war in der französischen Revolution und im ersten deutschen Reich ein Eingriff in die Privatsphäre nur möglich aufgrund eines Gesetzes, aber diese Gesetze machte dann das Bürgertum selbst. Aber jedenfalls gehören zu einem Gesetz seitdem die Diskussion im Parlament und die Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Die Preisgabe dieser Rechte führt zum Totalitarismus (Ausschaltung der Justiz, des Parlaments, der Öffentlichkeit).

Auch in der Krise übt die liberale Demokratie eine gewisse Macht aus. Das zeigen die Bestimmungen über den Ausnahmezustand, die der Exekutive mehr Macht geben. Wichtig sind hier nur eine parlamentarische Kontrolle und eine zeitliche Begrenzung. In der Geschichte wurden diese Rechte jedoch meist von den Gegnern der Demokratie mißbraucht. Dieses System funktionierte aber dort, wo man im Parlament und im Volk die Verfassung als die ureigenste Sache ansieht (England, USA) und für ihre Verteidigung kämpft.

Die Entwicklung der Wirtschaft zu internationalen Großkonzernen bewirkte, daß man von Seiten der Konzerne die Parlamente nicht mehr als eigene Interessenvertretung ansah und selbst zum Machtfaktor ohne parlamentarische Kontrolle wurde. Deshalb muß man in die Wirtschaft eingreifen durch Programmierung, um Krisen zu vermeiden. Dazu muß aber schnell gehandelt werden.

Häufig kann die bisherige Demokratie diese Anforderungen nicht erfüllen. Ebenfalls fehlt die direkte parlamentarische Kontrolle der internationalen Gremien (Nato, EU), obwohl diese immer mehr entscheidende Macht erhalten. Erst recht ist keine Kontrolle möglich über das Militär und die Geheimdienste.

Durch Wirtschaft, Organisation und Militär ist heute die liberale Demokratie gefährdet. Der Marxist antwortet darauf mit Sozialisierung, Arbeiterbewegung und Pazifismus. Gibt es aber eine solche Organisation, die diese Forderungen verwirklicht? Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung hatte kein klares Konzept und ist gescheitert. Der Pazifismus versagte gegenüber dem Faschismus. Dem Faschismus kann man nur mit Gewalt begegnen. Das war die Lehre der Jahre nach 1933 in Europa.

Die Intellektuellen haben in der Demokratie eine wichtige Rolle, gerade das Bündnis mit der Arbeiterbewegung schafft eine wirklich reale Macht. Kleine Gruppen und streikende Massen haben hier ihre Aufgabe. Dazu kommt ein neues Verständnis des internationalen Verhältnisses, bewirkt durch den Tourismus und internationale Konferenzen. Auch in Bezug auf den Pazifismus geht es seit der Atombombe neue Wege, etwa das Atomtestabkommen und die nachfolgende Reduzierung der Atomwaffen.

Die entscheidende Aufgabe ist jedoch die Beseitigung der hierarchischen Organisation in Betrieb, Militär, Staat, die ersetzt werden muß durch eine Kooperation und Mitbestimmung. Das aber ist möglich ohne Gesetze. Die Arbeiterbewegung muß nicht erst die Macht ergreifen, sondern sie ist jetzt schon aufgerufen, am Abbau der hierarchischen Strukturen mitzuwirken.

 

 

 

 

Das Recht

 

Soll man immer sein Recht verteidigen?

Einen sehr strengen Standpunkt nimmt Kant ein in seiner „Metaphysik“ der Sitten. „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Bürger Einstimmung auflöst, z.B. daß eine Insel bewohnende Volksgemeinschaft beschlösse, auseinanderzugehen und sich in alle Welt

zu zerstreuen, müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind, und die Blutschuld auf dem Volke nicht hafte. Denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben.“

Dagegen ist Radbruch in seiner „Einführung in die Rechtswissenschaft“ versöhnlicher: „...angesichts der Verschwendung von Geld, Nerven und Arbeitskraft in einer erschreckenden Jahresziffer von Prozessen ist uns heute die entgegengesetzte Predigt der Versöhnlichkeit viel mehr vonnöten. Steht hoch über der plebejischen Stumpfheit‚ die Unbill fühllos hinnimmt, die Empfindlichkeit‚ welcher jede Rechtsverletzung zugleich Ehrverletzung dünkt, so steht ebenso hoch über dieser Empfindlichkeit die vornehme Gelassenheit, die Lappalien mit dem Ehrgefühl gar nicht in Berührung kommen läßt. Und da die Rechtsordnung zugleich Friedensordnung ist, wird ihr in mancher Bagatellsache am besten gedient, wenn um des ‚lieben Friedens willen‘ auch auf das ‚gute Recht‘ verzichtet wird!“

 

Recht und Gewalt.

Gegen Unfreiheit muß man immer vorgehen! R. v. Ihering schreibt darüber in „Der Kampf uns Reich“: „Der Widerstand gegen ein schnödes, die Person selbst in die Schranken forderndes Unrecht (d.h. gegen eine Verletzung des Rechts, die den Charakter einer Mißachtung und persönlichen Kränkung trägt), ist Pflicht. Es ist die Pflicht des Berechtigten gegen sich selber - denn es ist ein Gebot der moralischen Selbsterhaltung. Es ist Pflicht gegen das Gemeinwesen, denn es ist nötig, damit das Recht reale Wahrheit sei. Wer nicht einmal gewohnt gewesen ist, sein eigenes Recht mutig zu verteidigen, wie soll er den Drang empfinden für das der Gesamtheit willig sein Leben und seine Habe einzusetzen? Wer kein Verständnis gezeigt hat für den ideellen Schaden, den er an seiner Ehre und seiner Person erlitt, indem er aus Bequemlichkeit und Feigheit sein gutes Recht preisgab, wer gewohnt war, in Dingen des Rechts bloß den Maßstab des materiellen Interesses anzulegen, wie kann man von dem erwarten, daß er einen anderen Maßstab zur Anwendung bringen und anders empfinde, wenn es das Recht und die Ehre der Nation gilt?

Das Ziel des Rechts ist der Friede, das Mittel dazu der Kampf. Solange sich das Recht auf den Angriff von seiten des Unrechts gefaßt halten muß - und dies wird dauern, solange die Welt steht - wird ihm der Kampf nicht erspart bleiben. Das Leben des Rechts ist der Kampf, ein Kampf der Völker, der Staatsgewalt, der Stände, der Individuen. Alles Recht in der Welt ist erstritten worden, jeder wichtige Rechtssatz hat erst denen, die sich widersetzen, abgerungen werden müssen, und jedes Recht, sowohl das Recht eines Volkes wie das eines Einzelnen, setzt die stetige Bereitschaft zu seiner Behauptung voraus.

Das Recht ist nicht bloßer Gedanke, sondern lebendige Kraft. Darum führt die Gerechtigkeit in der einen Hand die Waagschale, mit der sie das Recht abwägt, in der anderen das Schwert, mit dem sie es behauptet. Das Schwert ohne die Waage ist die nackte Gewalt, die Waage ohne das Schwert die Ohnmacht des Rechts. Beide gehören zusammen, und ein vollkommener Rechtszustand herrscht nur da, wo die Kraft, mit der die Gerechtigkeit das Schwert führt, der Geschicklichkeit gleichkommt, mit der sie die Waage handhabt!“    

 

Recht und Moral:

Aus der Bergpredigt: „Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig. Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt ist: Du sollst nicht ehebrechen. Ich aber sage euch: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon die Ehe gebrochen in seinem Herzen!“ Dem gegenüber steht das Sprichwort: „Fürs Denken kann man niemand henken“ "

Jedenfalls zeigt sich: Die Moralgesetze gehen sehr viel weiter als das Recht. Sie verurteilen vor allen Dingen schon den Gedanken an ein Verbrechen. Eine Strafe dagegen wird nur für transzendente Zeiten angedroht, eine Übertretung der Moralgesetze wird kaum vom Staat geahndet, erst dann, wenn dadurch auch gültige Rechtssätze verletzt werden; und das Gesetz verurteilt meist nur die begangene Tat.

Flaubert mahnt aber in seinen „Lettres à George Sand“ bei den Begriffen Moral und Gnade nicht zu vergessen, daß zur Moral auch die Gerechtigkeit gehört: „Ich suche bei Ihnen ein Wort, das ich nirgends finde: Gerechtigkeit. All unser Unglück kommt davon her, daß wir diesen Grundbegriff der Moral vollkommen vergessen haben, einen Begriff, welcher meiner Meinung nach die ganze Moral ausmacht. Ich bin von dieser Wahrheit mehr und mehr überzeugt: die Lehre von der Gnade hat uns so sehr durchdrungen, daß der Sinn für Gerechtigkeit verschwunden ist.“

 

Die Verschiedenartigkeit der Rechtsordnungen:

Nicht jedes Volk kann dieselben Rechte haben. Die Gesetze müssen dem geistigen Stand des Volkes, seiner Gesellschaftsordnung und vielleicht auch Gesellschaftsstruktur angepaßt sein. Als man Solon fragte, ob er seinen Bürgern die besten Gesetze gegeben habe, antwortete er: „Die besten schlechterdings nun freilich nicht, aber doch die besten, deren sie fähig waren!“

Auch die geographischen Bedingungen lassen andere Gesetze entstehen, wenn damit aber auch wieder nicht gesagt werden soll, daß es unbedingt so sein muß. Raum und Zeit üben aber jedenfalls einen großen Einfluß aus. Pascal schreibt darüber: „Es gibt fast nichts Gerechtes und Ungerechtes, dessen Eigenschaften nicht mit dem Wechsel des Klimas wechselt. Drei Breitengrade weiter vom Pol stürzt die ganze Jurisprudenz um, ein Meridian entscheidet über die Wahrheit, ein paar Jahre über den Besitz. Die Grundgesetze wechseln: Das Recht hat seine Zeitalter. Komische Gerechtigkeit, der ein Fluß oder ein Gebirge Grenzen setzt! Wahrheit diesseits der Pyrenäen, Irrtum jenseits!“ (oder umgekehrt!).

 

Kontinuität der gesetzlichen Ordnung?

Da die Gerechtigkeit immer nur dieselbe ist und dieselbe bleibt - es gibt nur eine absolute Gerechtigkeit - müßten eigentlich auch die Gesetze immer dieselben sein. Das ist aber zum Glück nicht der Fall, denn die Gerechtigkeit bestimmt nicht allein über die Abfassung eines Rechtsgrundsatzes. Die Grundrechte werden gewiß immer dieselben bleiben, sie werden ja auch nicht oder kaum geändert. Doch die vielen Einzelheiten in der Auslegung dieser Gesetze müssen immer wieder geändert werden, um überhaupt zu garantieren, daß diese Gesetze die allgemeinverbindlich sind, auch klar und eindeutig ausgelegt werden und den veränderten Bedingungen angepaßt werden.

Deshalb hat Mephistopheles in Goethes „Faust“ unrecht, wenn er sich beklagt: „

„ Es erben sich Gesetz‘ und Rechte wie eine ew‘ge Krankheit fort,

sie schleppen von Geschlecht sich zu Geschlecht und rücken sacht von Ort zu Ort.

Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage; Weh‘ dir, daß du ein Enkel bist!

Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem ist leider nie die Frage…“

Dieses Recht kann es gar nicht geben: Jede Generation kann sich nicht ein neues Gesetz schaffen. Sie kann immer nur das alte und bewährte übernehmen (vorausgesetzt, daß es auf den Menschenrechten aufgebaut ist) und es seinen Bedürfnissen und Gegebenheiten anpassen. Die Menschenrechte sind nun einmal für ein freiheitliches Staatswesen verbindlich, sie gewähren jedem Bürger auch eine gewisse Rechtssicherheit.

 

Recht und Kompromiß:

Ist es dein Recht‚ wenn Frucht dein Acker trägt?

Wenn du nicht hinfällst, tot zu dieser Frist, ist es dein Recht auf Leben und Atem?

Ich sehe überall Gnade, Wohltat nur

in allem, was das All für alle füllt,

und diese Würmer sprechen mir von Recht?

Daß du dem Dürft'gen hilfst, den Bruder liebst,

das ist dein Recht, vielmehr, ist deine Pflicht.

Vergleicht euch! Sonst zieh‘ ich das Streitgut ein

und lasse Disteln säen drauf und Dornen

mit der Überschrift: Hier wohnt das Recht! (Grillparzer).

 

 

Liebe und Gerechtigkeit:

„Das Begnadigungsrecht für den Verbrecher ist wohl unter allen Rechten des Souveräns das schlüpfrigste, um den Glanz seiner Hoheit zu beweisen und dadurch doch in hohem Grade Unrecht zu tun!“ Mit Recht warnt hier Kant in seiner „Metaphysik der Sitten“ vor einer ungerechtfertigten Anwendung der Gnade, besonders wenn sie aus egoistischen Motiven geübt wird oder jemand Unrecht dadurch getan wird, einmal dem Verbrecher selbst - der ein „Anrecht“ auf Strafe hat, weil er sich in dieser Zeit ja bessern soll -zum anderen aber auch der Umwelt des Verbrechers, die ein Recht darauf hat, vor einem nicht geänderten Verbrecher geschützt zu werden.

 Zunächst geht es erst einmal um die Gerechtigkeit, dann um die Gnade (siehe Flaubert) Aber wir können nicht darauf hoffen, daß wir begnadigt werden:

„Suchst du um Recht schon an, erwäge dies:

daß nach dem Lauf des Rechtes unser keiner

zum Heile käm‘; wir beten all um Gnade

und dies Gebet muß uns der Gnade Taten

auch üben lehren!“ (Shakespeare: „Der Kaufmann             von Venedig!“

Gnade verpflichtet auch den, dem Gnade widerfahren ist, gegenüber seinen Mitmenschen, ebenso zu handeln.

Die Gerechtigkeit steht höher. Aber da das Recht es ja mit Menschen zu tun hat, kann das Recht des Menschen auf Menschlichkeit nicht vernachlässigt werden. Das Recht darf nicht starr sein, denn es ist für Menschen gemacht. Emil Brunner schreibt darüber: „Die Gerechtigkeit gehört in die Ordnungswelt, nicht in die Personenwelt. Darum aber, weil die Person selbst höher ist als alle Ordnungen in denen sie steht, darum, weil alle Ordnungen um der Person willen, aber nie die Person um der Ordnungen willen da sind, ist die Liebe höher als die Gerechtigkeit! Und doch ist die Gerechtigkeit an ihrem Ort das Höchste. Innerhalb der Ordnung als solcher kann es gar nichts Höheres geben; denn die Liebe weiß nichts von der Ordnung.“

 

Aufgabe der Christen in der Gesellschaft:

Dem Christen ist eine Flucht aus der Welt nicht möglich, weil seine spezifische Christenaufgabe darin besteht, der „natürlichen“ Welt das Zeugnis von dem Sterben und Auferstehen unseres Herrn Jesus Christus zu geben. Welche Ansatzpunkte hat die Gemeinde in der Öffentlichkeit für diesen Dienst und in welcher Weise kann sie dort ihren Auftrag erfüllen?

1. Die Schule: Außer Kirche und Familie ist die Schule die Institution, die allein schon durch ihren umfassenden Bildungsanspruch am zentralsten in den Bildungsvorgang eingreift. Man braucht gar nicht in die hohe Schulpolitik zu wandern, um zu begreifen, daß Inhalt und Form der Unterrichtsstoffes, daß das Schul- und Klassengeschehen, daß der Klassenkamerad und die verschiedenen Lehrer bis hin zur Gesamtatmosphäre, die sich aus diesem allen entwickelt, Fragen sind, die auf die Antworten der Gemeinde warten.

2. Die Straße: Die Öffentlichkeit der Straße nimmt heute jeden in Beschlag. Ihr können wir ebenso wenig entweichen wie den Realitäten der Schule. Waren- und Menschenangebotes die Märkte, die Verkehrsampeln, es ist die Mode, und es sind die Menschen, die sie tragen, es sind die Kinos, die Händler, die Tanzbars und Zeitungen, die Magazine, Kabaretts und Polizisten das Fernsehen, das Theaters das Konzert, das Kino und es ist das Fernsehen und der Privatdetektiv des Warenhauses - das alles ist die Straße.

Das Eigentümliche dieses „unverbindlichen“ Ortes Straße ist, daß sie tausenderlei Antworten auf alle Lebensfragen hat. Ob das nun wirkliche Antworten sind, darüber läßt sich eine ganze Menge sagen - aber die Welt glaubt doch allem Anschein nach diesen Antworten der Straße, warum wohl sonst würde sie ihr Leben weitgehend in die Straße verlagern?

Und die Gemeinde steht nun mitten auf dieser Straße. Sie hört die Frage und sie hört die Antworten. Sie nimmt zur Kenntnis, daß Tausende und aber Tausende von Menschen jene Antworten annehmen, zumindest sich aber mit ihnen begnügen.

Vielen werden aber falsche Antworten durch die Medien einer modernen Technik und Re­klame so erbarmungslos und pausenlos eingehämmert, daß sie alle menschliche Freiheit verlieren, sich den angebotenen Antworten bedingungslos und kritiklos unterordnen und das Ganze noch als Akt menschlicher Freiheit bezeichnen. Wir spüren irgendwie, daß die Sprache Kanaans nicht ausreicht, um der Straße zu antworten. Und das treibt uns zur Flucht entweder in die Idylle unserer Gemeinde oder aber in christliches Funktionärsdasein, das auch auf der Straße mit von der Partie sein möchte.

3. Der politische Raum: So wenig faßbar „die Straße“ erscheint, so konkret sehen wir im politischen Raum die Institutionen, die Verbände, die Gruppen und die Maßnahmen. Dort werden nicht allein Menschenbilder, sondern Menschen geprägt. Zuallermeist werden hier mehr oder minder örtlich begrenzte Weichen gestellt, die eine ganze Generation in ihrem Fühlen, Denken und Handeln, in ihren Lebensbewußtsein und ihren Lebensinhalten einpolen.

Ist uns dieser Ruf „Mensch wo bist Du“ vielleicht deshalb gleichgültig, weil er hinter der Maske einer jungen, säkularisierten Welt hervorgestoßen wird. Diesem Ruf hat die Gemeinde Antwort zu geben.

4. Der Staat: Endlich ist die christliche Gemeinde in den Stand gesetzt, ohne Unterdrückung in freier Verantwortung dem Partner Staat in seinen verschiedenen menschlichen Vertretern nicht nur zu begegnen, sondern sich von ihm fragen zu lassen. Das heißt auch hier wieder: Bereit sein, Antworten zu geben.

a) Zunächst muß ich fragen, was sagt mir das Wort Gottes zu dieser Sachlage. Das ist ja nun garnicht so einfach. Paulus und auch Jesus haben nicht zu allen Fragen auch Stellung genommen. Wir befinden uns also in der scheinbar peinlichen Lage, daß im Alten und Neuen Testament nichts „geregelt“ ist. Und dennoch wissen wir, daß das Evangelium auf jede Frage sehr konkrete Antwort hat, eine Antwort allerdings, die immer nur aus dem Geist und nicht ein einziges Mal aus der formalen „Übertragung“ zu erfolgen hat.

b) Es erfolgt dann als zweiter Schritt: Was müßte in dieser oder jener Frage sein, damit von mir, der Gemeinde oder der Öffentlichkeit, die bestimmte Angelegenheit so wird, wie es meiner am Wort des Herrn geprüften und erfahrenen Antwort entspricht.

c) In dieses Vorhaben habe ich nun die gegebene Wirklichkeit einzuplanen und meine Antwort so klar und eindringlich als nur möglich zu geben. In Gebet und Meditation habe ich dies alles im stillen Kämmerlein sowohl als auch in der Gemeinde in das Zentrum meines Glaubenslebens mit aufzunehmen, um von hier aus meine Verantwortung ständig neu zu sehen und zu korrigieren. Es kann nun sein, daß man vor dieser Aufgabe nicht nur erschreckt, sondern sich zugleich resignierend zurückzieht, weil deutlich ist: Das alles kann die Gemeinde ja gar nicht bewältigen. Es ist dies ja wohl immer die Situation der Gemeinde in dieser Welt, daß ihr Aufgaben gegeben sind, daß sie zu bezeugen hat und dann erleben muß, daß sie dies alles immer nur aus Gnade und doch nie vollkommen tun kann. Dieses Wissen aber kann nun nicht zur Resignation führen, sondern auch hier haben wir wieder im Spiegel von Golgatha und Ostern zu leben. Es ist doch wohl keine Frage, daß die Antwort, die Jesus auf Golgatha der Weltöffentlichkeit gibt, ganz menschlich gesehen, weder überzeugend und außerdem auch stümperhaft war. Die Reaktion im Volke ist ja auch demnach. Und dennoch ist Jesus diesen Weg gegangen. Er hat der Welt eindeutig geantwortet bis zur Hingabe seines Lebens.

 

 

Macht

 

Die These, daß Macht immer Macht Gottes ist, richtet sich gegen den Hochmut des Menschen, der da meint, in jedem Akt der Machtausübung (Gashebel!) seine eigene Macht auszuüben. Das Verhältnis zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Kind (= unser bewußtes Leben) ist immer schon getragen von Grundentscheidungen, es steht fest als Liebe zum Vater, zur Frau usw. Aber das Verhältnis von Macht Gottes und Macht des Menschen ist schwer zu bestimmen: Entweder ist Macht immer Macht Gottes, dann ist der Mensch „Brunnenröhre“ und nie schuldig - oder Macht ist wirklich Macht des Menschen, dann gibt es keinen Gott und auch keine Schuld.

 

Macht und Machtmittel.

Unser moderner Sprachgebrauch setzt Macht gleich mit „Machtmittel“. Man sagt: Die Großmächte haben große Macht, weil sie Machtmittel größten Ausmaßes besitzen. Macht wäre danach also identisch mit dem Gashebel - und nicht mit der Person, die den Gashebel drückt.

Die positive, auf den Menschen bezogene Definition der Macht lautet: „Macht ist Möglichkeit zu verfügen.“

 

Der Zweck heiligt die Mittel

Vier Männer, die einen Zweck verfolgten:

Tschingis Khan:             Einheit und Friede, Eroberung Pekings

Alexander der Große: Eroberung, Friede zwischen den Kulturen

Augustus:                      Friede durch Festigung des Weltreichs

Adolf Hitler:                  Einheit im Volk, Friede in Europa, Weltherrschaft.

Alle haben sie einen Ehrgeiz, überall führt ihr Weg über Leichen, überall hat es Widerstandskämpfer gegeben. Bei Augustus bestand die Aufgabe, ein neu entstandenes Weltreich sinnvoll zu verwalten. Der Senat war aber dazu unfähig. Weil aber Augustus seine Aufgabe erfüllt hat, war man zum Schweigen verurteilt, denn er hatte Erfolg, wenn es auch durch rücksichtslose Ausrottung im Jahre 15 nCh keine Widerstandskämpfer mehr gab. Auch für Hitler lag die Aufgabe in der Luft, die Einheit Europas zu schaffen. Er ist dann allerdings zu schnell vorgegangen, hat Fehler über Fehler begangen und hat so seine Aufgabe nicht erfüllt, weil er sie aus dem Blick verloren hat; er wird heute verurteilt. Wenn er aber seinen Zweck erreicht hätte, wäre es sehr schwer gewesen, gegen ihn vorzugehen. Wenn die Aufgabe erfüllt ist, dann ist das wie ein helles Licht, das auf den Täter fällt, dann ist er kein Bösewicht gewesen?

Welche Einwände gibt es eigentlich gegen folgenden Satz: „Das Erfüllen einer geschichtlichen Aufgabe heiligt die Mittel!“? (Hier ist schon eingeschränkt, denn statt „Zweck“ steht „Erfüllen einer geschichtlichen Aufgabe“). Der „Zweck“ heiligt die Mittel, nicht aber die Person. Obiger Satz gilt; aber wehe, wer sich darauf verläßt! Man gebraucht ihn nämlich gerne als Ausrede. Man kann ihn aber besonders nicht als Ausrede gebrauchen, wenn man noch am Anfang steht. Der Mensch muß sich klar sein: Ich bin schuldig! Wer ans Steuer will, muß wissen daß nichts ihn entschuldigt. Und besonders in Krisenzeiten gilt es, ganz real Politik zu treiben und nicht irgendwelche Hintertürchen zu suchen.

Man muß hier scharf unterscheiden zwischen Person, Mittel und Zweck. Die Person Wilhelm Tell entscheidet sich für das Mittel „Mord“ an Geßler (dem Vertreter einer familienfeindlichen Tyrannei) um des Zweckes willen „Erhaltung der Familie“. Die Frage nun ins Große übertragen heißt nun: Steht der Zweck „Frieden auf Erden“ höher als der Mord von Tausenden von Menschen? [In der Praxis kommt aber immer nur größeres Leid und größere Schuld heraus].

Für die Person gibt es keine Entschuldigung. Das Volk kann vielleicht verzeihen; aber wie ist es mit den anderen Völkern, wie mit den Toten, wie mit dem Richter über alle Taten? Nebukadnezar erfüllte die von Gott gestellt geschichtliche Aufgabe, die Juden zu vernichten. Aber damit ist er als Person noch lange nicht entschuldigt; das wird ausdrücklich betont.

Kann man die Aufgabe ablehnen?

Bewegungen wie Kosmopolitismus, Idealismus und Romantik kann man nicht verstehen, wenn man sich die politische Karte besieht, trotz Eisenbahn und industrieller Revolution. Hier lag eine historische Aufgabe. Es ist also genausogut Schuld, wenn man die Aufgabe nicht erfüllt.

Der Politiker von heute muß natürlich mehr Schuld auf sich laden als ein Straßenkehrer, denn er hat einen größeren Bereich. Weil er aber nichts weiß von Vergebung, will er die Schuld abschieben auf das Parlament, die Ausschüsse usw. Aber die hohe Stellung als Politiker will er natürlich genießen. Der höher im Rang stehende hat mehr Schuld. Aber die Gnade ist ja nicht abhängig von der Höhe der Schuld. Das ist gemeint mit: „Im jüngsten Gericht sind alle gleich!“

 

Beherrschen uns die Dinge?

Verfügen nicht die Dinge über den Menschen? Ist nicht der Mensch, von den Maßstäben der Dinge aus gesehen, eine Fehlkonstruktion? Üben heute nicht die Dinge allein Macht aus über den Menschen (zu Ende gedacht in George Orwells „1984“)? Im Bewußtsein des Menschen mag wohl die These von seiner Verfügungsgewalt über die Dinge vorhanden sein, er mag sie hundertmal am Tage aussprechen, und dennoch kann er nicht, ohne es zu wissen, doch den Dingen verfallen sein.

 

Zur Machtausübung gehört Freiheit.

Die Möglichkeit zu verfügen, setzt Freiheit voraus. Sind aber dann die Dinge gleichsam mythische Wesen, etwa Götter, die in Freiheit handeln können? Offensichtlich nicht. Vielmehr ist die Macht, die die Dinge über den Menschen ausüben, delegierte Macht, vom Menschen den Dingen gegebene Macht (dann handelt also der Mensch wie Gott!). Die Dinge sind also Brunnenröhre, sie sind unschuldiges Medium der Macht

 

Will der Mensch die Schuld abwälzen?

Der Mensch delegiert, gibt Macht weiter an die Dinge, die die Macht nicht verantworten können. Der Mensch zieht die Dinge aber ständig zur Verantwortung und sagt: „Die Dinge sind schuldig!“So delegiert der Mensch Macht, weil er unschuldig werden will. Die Mythisierung der Dinge - Macht der Technik usw. - ist also der raffinierteste Versuch des Menschen, das Problem der Probleme - die Frage der Schuld - auf die einfachste Weise zu lösen.

Die Frage des Menschen ist nicht zu lösen dadurch daß man die Dinge verschiebt (Marx), aber ebensowenig dadurch, daß man den Menschen von den Dingen ablöst und sich nur um die Seele kümmert, weil da die Entscheidung falle. Die Entscheidung fällt im Verhältnis des Menschen zu den Dingen, in der Übernahme des Schuldcharakters durch die Dinge. Daß es überhaupt Dinge gibt und der Mensch immer neue Dinge neu schaffen muß, ist geradezu eine Offenbarung seiner Schuld, ein Beweis seiner Schuld. Aber ohne des Menschen Schuld gäbe es keine Dinge, also keine Kultur, keine Technik.

 

Der Mensch hat nur vorletzte Macht.         

Außer Gott hat keine „Macht“ irgendwelche Gewalt über das Zentrum des Menschen. Nicht einmal der Mensch kann über seine eigne Mitte verfügen, wieviel weniger kann er es da bei einem anderen Menschen! Der Mensch kann letztlich nicht über den Menschen herrschen. Man kann deshalb auch einen Menschen nicht zum Glauben bringen, nicht einmal der Mensch Jesus Christus konnte das (siehe NT). Aber auch deshalb wird das Experiment von 1984 fehlschlagen, es ist nur Utopie und wird nie Wirklichkeit.

Alle Macht ist Gottes Macht. Die Macht, die der Mensch ausübt, ist darum immer nur vorletzte Macht, die über alles vorletzte verfügen kann, nur nicht über das Letzte: das Herz. Wenn Gott also wirklich dem Menschen Macht delegiert, dann immer nur diese vorletzte; die letzte behält er sich selbst vor.

Gott kann jedoch nach seinem Willen identisch werden mit dem Herzen des Menschen und mit dem Tun des Menschen, sich identifizieren; davon zeugen die Wunder (Petrus und der Lahme, Moses und das Rote Meer). Zu dieser Mitte des Menschen kann kein Mensch vordringen. Das ist die ungeheure Macht des Menschen!

 

Die vorletzte Macht in der Praxis.

Vorletzte Macht herrscht über Willen, Denken, Unterbewußtsein (Werbung), Körper. Sie ist die staatliche Macht, aber immer nur als übergebene Macht. Sie ist auch nicht voll identisch mit der Macht Gottes, bzw. die Macht Gottes ist nicht voll identisch mit der vorletzten Macht. Deshalb ist die Geschichte, ist der Krieg, auch nur vorletzte Macht. Von der Verfügungsgewalt Gottes über das Herz kann man aber auch Gott nicht beweisen, denn auch das Böse kommt von dort.

 

Gott in mir.

Gott ist nicht identisch mit dem Herzen des Menschen, denn das wäre satanisch, das wäre Auflösung des Menschen in Gott oder Gottes in den Menschen. Auflösung aber ist Sache des Nichts. Hier ist nicht von Identität, sondern von personaler Gemeinschaft zu reden: Gott in mir und ich in Gott (Johannes 14,11). Das besagt: Die unendliche, unbegrenzte Tiefendimension wird erfüllt von Gott (Joh.14,10): Gott in mir. Wiederum aber hat diese Person ihre Wohnung in Gott (Wohnung = Stätte, siehe Vers 1ff).

Der Vollzug dieses „Ich in ihm und er in mir“ ist nur dreipersonal möglich. Es geschieht per spiritum sanctum, im Heiligen Geist. Durch ihn ist es möglich, Jesus Christus zu lieben. Durch diesen ist es möglich, zum Vater zu kommen und von dort zum Mitmenschen. Darum ist denn der Gott, den die Kirche verkündet, im Unterschied zu allen Göttern anderer Religionen, der eine unteilbare Gott in dreipersonaler Gemeinschaft. Der Gott der Kirche ist Gemeinschaft.

 

Das große Geheimnis.

All diese Gedanken hören sich an, als seien sie gänzlich jedem Verstehen, jedem vernünftigen Verstehen, unzugänglich und verschlossen. Das ist richtig, denn es ist ein Mysterium, ein Geheimnis, das Geheimnis aller Geheimnisse, das Geheimnis Gottes. Aber die Vernunft wird sich daran immer die Zähne ausbeißen, denn der eigentliche Zugang zum Geheimnis ist der Glaube an Jesus: Im Gehen mit Jesus - der der Weg ist - offenbart sich das Geheimnis; aber immer so, daß unser Nachdenken des Geheimnisses lächerliches Stückwerk ist, und daß

unser Nachdenken einmündet in den Lobpreis dieses Gottes( Römer 11,33ff).

Jesus ist schuldlos, ist der eine Mensch ohne Sünde. Aber diese Schuldlosigkeit ist nicht zu beweisen. Für uns kommt es darauf an, in diese dreipersonale Gemeinschaft hineinzukommen. Das geschieht im Glauben.

 

Die Freiheit des Menschen.

Eigentlich verfügt noch nicht einmal Gott über das Herz des Menschen, denn dadurch würde er den Menschen doch zur Marionette, zur Brunnenröhre machen. Gott achtet aber die Freiheit und das Herz des Menschen, er tastet das Herz nicht an, weil es die letzte Freiheit des Menschen ist.       Man muß zwei Satzreihen nebeneinander betrachten:

1.) Der Mensch ist frei geschaffen! Gott will, daß der Mensch frei eintritt in seine Gemeinschaft, echt glaubt liebt, vom Herzen her. Darum kann nur der Mensch sagen: „Ich glaube.“ Hier ist der Mensch unvertretbar, weder von Gott noch von einem Menschen vertretbar. So sehr schätzt Gott die Freiheit des Menschen. Er will, daß der Mensch ihn „von Herzen“ liebt. Das ist letztlich Geheimnis.

2.) Nur Gott( das ist seine letzte Macht) kann das menschliche Herz befreien aus der Macht der Sünde, unter die der Mensch geraten ist. Er allein kann die Verknotung „Sünde-Herz“ lösen und also freistellen.

 

Die Gesetzmäßigkeit bei der Macht.

Der Satz: „Wer die Macht ergreift, untersteht ihr!“ ist eigentlich keine Definition der Macht, sondern zeigt nur ein Gesetz auf, das für die Ausübung der Macht besteht (dargestellt an „Macbeth“). Man würde auch besser sagen: „Was der Mensch als Macht ergreift, dem untersteht er!“

 

Kann man durch eine Machtergreifung frei werden?

Wenn man sagt: „Nur der Freie hat die Möglichkeit, zu verfügen, über den Unfreien wird verfügt!“dann ist es unmöglich, daß man durch die Ergreifung der Macht frei wird, so daß man gerade dann, wenn man dieser Macht untersteht, erst frei ist. Ist aber Macht wesentlich Macht der dreipersonalen Liebe, dann wird der Mensch frei und bleibt frei. Wer die Liebe ergreift, untersteht ihr und ist so frei. Wer Gott, wer die Wahrheit ergreift, untersteht ihr, untersteht IHM, und bleibt so frei; er hat so die Möglichkeit, über die ganze Wirklichkeit zu verfügen und diese Verfügung zu verantworten.

 

Schuld:

Verschlossenheit bedeutet immer den Versuch, auf keinen Fall schuldig zu werden. Das ist schon an sich eine Utopie. Wer aber verschlossen ist, muß seine Stellung in der Wirklichkeit und zur Wirklichkeit immer wieder verteidigen. Wer jedoch offen ist, der kann seine ganzen Pläne zu jeder Zeit wieder umstürzen lassen.

Der Mensch ist jedoch aufgefordert, vorletzte Dinge zu tun (und also vor dem Abitur zu lernen) ‚ muß aber dabei immer offen bleiben, er darf nicht auf irgendeine unbestimmte Hilfe hoffen (wenn er faul war)‚ muß aber die Grundentscheidung gefällt haben, offen bleiben zu wollen. Die Einzelheiten kommen dann mit hinein; diese zusätzlichen Dinge im Bereich der Wirklichkeit sind aber nicht eine Ergänzung des Offenseins, sondern sie sind ein Teil des Betens, Wartens, Suchens, Hoffens.

 

Die Aufforderung der Bibel.

„Und wer verläßt Häuser oder Brüder oder Schwestern oder Vater oder Mutter oder Kinder oder Äcker um meines Namens willen, der wird‘s hundertfältig nahmen und das ewige Leben ererben“ (Matth.19,29). „So jemand zu mir kommt und hasset nicht Vater, Mutter, Weib, Kinder, Brüder, Schwestern, auch dazu sein eigen Leben, der kann nicht mein Jünger sein“ (Luk.14,26). Dieses Verlassen der Wirklichkeit kann bis zum Haß der Wirklichkeit gehen.

 

Die Wissenschaft.

So haben Tausende von Menschen die Wirklichkeit verlassen oder auch gehaßt und sind auf die Suche der Wahrheit gegangen, von Sokrates angefangen über die Mönche bis zu den Forschern der letzten 400 Jahre. Manche haben die Wahrheit gefunden, manche nicht. Nicht gefunden haben sie die Forscher der letzten 400 Jahre, denn sie suchten nicht Wirklichkeit, sondern die absolute Wahrheit, obwohl sie nur die unendliche Fülle der Wirklichkeit finden können. Manche Forscher sind auch heute noch der Meinung, Wahrheit finden zu können, die modernen Naturwissenschaftler haben diesen Anspruch zu einem großen Teil wieder aufgegeben.

 

Die Wirklichkeit als Spielfeld Gottes.

Gott ist im Menschen, der Mensch ist in Gott, die Macht ist im Menschen. Dann ist also die Wirklichkeit das Spielfeld Gottes mit dem Menschen. Natürlich bestehen nun auch bestimmte Spielregeln; die sind aber schon wieder unwichtig, denn es besteht ja eine Übereinstimmung zwischen Gott und Mensch, ihre Spielregeln sind dieselben (Freiheit als Gehorsam). Und für „Spielfeld“ kann man nun sagen: die Wirklichkeit als Feld freier Verfügung Gottes mit dem Menschen und damit auch als Feld freier Verfügung für den Menschen.

 

Das Arbeiten ist Teil der Wirklichkeit.

Es ist nun eine Selbstverständlichkeit, daß eine Lateinarbeit, daß das Abitur gründlich vorbereitet wird - denn die Wirklichkeit ist ja Spielfeld, das Spielfeld, in dem der Offene in der Wahrheit ja verbleibt. Aber weder die Arbeit, noch das Abitur bestätigen den Offenen als Menschen, höchstens als Fleißigen oder Faulen. Er wird als der bestätigt, der er in Wirklichkeit ist. Aber damit ist nichts darüber ausgesagt, ob er in der Wahrheit ist oder in der Lüge.

Der Mensch muß schuldig werden.

In einem Dilemmafall ist es klar, daß der Mensch schuldig werden muß. Die Gestapo stellt vor die Entscheidung: Entweder du erschießt deinen Vater oder wir erschießen deine Schwestern. Damit will sie den Menschen nicht nur in seiner Existenz bedrohen, sondern auch vernichten.

Aber wer in der Wahrheit ist, murmelt sein: „Herr erbarme dich!“ und überlegt nüchtern und gelassen, wer leben bleiben soll. Eines steht fest: Schuldig werden muß er in jedem Fall. Aber er übernimmt nur Verantwortung über die Wirklichkeit der vor ihm stehenden Menschen. Ihm sind sie in die Hand gegeben in ihrer Wirklichkeit - niemals in ihrer Wahrheit, denn der Körper ist immer nur Wirklichkeit.

Er entscheidet nun gegen den Vater und für die Schwestern und erschießt ihn mit den Worten: „Herr, vergib den Gestapoleuten, denn sie wissen nicht, was sie tun“. Er wird schuldig am irdischen Leben des Vaters. Es ist durchaus möglich, daß ihm das die eigenen Schwestern und andere Leute sein Leben lang vorwerfen.

In dem Augenblick, da die Tat getan ist und genau dann fängt ja erst die Schuld an, gegen den Täter wirksam zu werden als Anklage. In diesem Augenblick gibt sich aber der Mensch ganz Gott hin, genau dann, wenn die Anklage beginnen soll, geschieht das Sich-finden des Menschen in Gott und Gottes in der Wirklichkeit. „Herr, erbarme dich meiner!“ heißt es, und es kommt das Lamm, das der Welt Sünde trägt und trägt die Schuld am Mord des Vaters hinweg: Seliger Austausch, wie Hieronymus sagt am Ende seines Gespräches mit dem Kindlein Jesus in der Krippe: „Ich dachte, du wolltest was Gutes haben, du aber willst alles, was bei mir böse ist, haben (Sünde, böses Gewissen und Verdammnis). Nimm hin, was mein ist, gib mir, was dein ist, so bin ich der Sünde los und des ewigen Lebens gewiß!“

Der Mensch wird schuldig, wenn er das Spielfeld der Wirklichkeit betritt, aber ehe die Schuld noch wirksam werden kann (und immer wieder, wenn sie wirksam werden will) tritt Jesus, die Wahrheit, herbei und trägt die Schuld hinweg.

Natürlich ist diese Lage als solche grauenhaft und es läßt sich schneller darüber reden, als darin handeln. Aber man muß wissen, was los ist im Feld der Wirklichkeit, denn im dritten Reich sind Tausende in diesen Situationen zerbrochen, weil sie die Wahrheit nicht kannten. Eine solche Entscheidung geschieht auch nicht aus Herzlosigkeit und mit Gefühlskälte, sondern es ist eine Entscheidung in Liebe.

 

Arbeit und Spiel.

Das Suchen‚ Forschen, Fragen ist Arbeit, ist ernsteste Arbeit, denn hier geht es um das Letzte überhaupt, um die Wahrheit. Hier gilt es, es sich etwas kosten zu lassen an Opfern und Entbehrungen. Dem entspricht die Aussage der Wahrheit: Mir hast du Arbeit gemacht mit deinen Sünden und Mühe mit deinen Missetaten und die Wahrheit hat es sich etwas kosten lassen, nämlich das Eintauchen und Untertauchen unter die Wirklichkeit, denn Christus ist am Kreuz gestorben.

Aber wo das Sich-Finden geschieht, das Offensein, das In-der-Wahrheit-Sein, da geht es im letzten nicht mehr um Arbeit, weil es ja nicht mehr um Letztes geht, sondern um Spiel. Das Spielfeld ist die Wirklichkeit, auf dem der Offene spielt und von der Wahrheit mit sich spielen läßt (siehe die Geschichte mit der Gestapo: Da tritt das Mitsichspielenlassen ein und der oben geschilderte Mensch spielt mit und spielt es gut). Auch das Fragen bekommt hier anderen, eben spielerischen Charakter, denn zur Wirklichkeit gehören auch die Begriffe, mit denen der Offene spielt und in immer neuen Begriffen immer dasselbe sagt, nämlich Wahrheit. Der Suchende steht unter der Notwendigkeit, die Wahrheit finden zu müssen, um überhaupt Mensch zu sein. Der Gefundene spielt frei.

 

Wahrheit:

Wie bleibt man in der Wahrheit?

Das In-der-Wahrheit-Bleiben versteht sich nicht von selbst. Der Mensch muß dazu in der ganzen Wirklichkeit bleiben, zu der besonders Altes Testament, Neues Testament und Kirche gehören, wenn sie auch einen Sondercharakter haben. Denn: Die anderen Verkörperungen der Wahrheit in der Wirklichkeit (Gashebel) sind aus sich stumm. Nur der offene Mensch bringt sie zum Reden. Das Offenbleiben kann durch den Gashebel nicht geschehen. Vielmehr taucht her die diabolische Verwechslung auf: der Mensch meint, die Wahrheit im Gashebel bestätigt ihn als Mensch; dabei ist es dann doch wieder die Wirklichkeit.

Nur in der dreifachen Wirklichkeit Altes Testament, Neues Testament, Kirche redet die Wahrheit und bestätigt den Menschen als Menschen in Gott: Dir sind Deine Sünden vergeben, gehe hin in Frieden. Und nur im Sakrament (Wasser, Wein, Brot) bleibt die Wahrheit als offenes Geheimnis für den Menschen da.

Nur im Abendmahl finden sich der Suchende und die Wahrheit als Suchender in der Wirklichkeit seines Leibes und seines Zusammenlebens mit anderen und als Wahrheit in der Wirklichkeit von Brot und Wein: Das ist wahres Sich-finden (Hochzeit) in der Wirklichkeit, seliger Wechsel, Austausch, wie Luther sagt. In der Wahrheit bleiben heißt darum schlicht: An der dem Menschen im Namen der Wahrheit vergebenden Autorität, am Wort und am Sakrament bleiben.

 

Das Suchen nach Wahrheit.

Ein Mensch macht sich auf die Suche nach der Wahrheit, er kann noch nicht glauben, will aber zum Glauben kommen. Weil es ihm aber nur um die Wahrheit geht, braucht er keine Bestätigung durch die vorletzte Wirklichkeit, die Wirklichkeit wird nun auch wirklich vorletzt, denn der Mensch wird gleichgültig gegenüber der Wirklichkeit. Das kann sich natürlich später rächen (Lateinarbeit), aber es heißt auch: „Suchet, so werdet ihr finden!“

Es besteht die Möglichkeit und sehr große Wahrscheinlichkeit, daß sich Wahrheit und Mensch finden, denn auch die Wahrheit sucht. Das Finden der Wahrheit ist so eigentlich und zutiefst ein Sich-finden (Die Bilder sind dann dafür: Braut und Bräutigam finden sich zur Hochzeit).Man kann also nicht den Anteil des Suchenden und den der Wahrheit auseinanderteilen.

Das Suchen aber ist anhebende Gemeinschaft mit der Wahrheit. Es erhält seine Kraft, in der es dieses ja oft genug zermürbende Suchen durchhält, durch die Wahrheit, die ja auch auf der Suche ist.

 

Das Finden der Wahrheit.

Der Mensch betet, wartet, fragt, sucht, er ist gleichgültig gegenüber der Wirklichkeit, er erhält seine Bestätigung von der Wahrheit, von Gott, er ist nur offen für Gott. Ist der Mensch aber in Gott (und hat also das Ziel erreicht), dann hat er auch wieder die Möglichkeit, der Wirklichkeit gegenüber offen zu sein. Wer offen war und ist für Gott, der ist auch nun offen für

die Wirklichkeit; wer in Gott ist, der ist offen für die Wirklichkeit (Das ist letztlich die Berechtigung für „Freiheit als Gehorsam“). Die Gott suchen, verlassen die Welt, so zum Beispiel die Mönche. Wer gefunden hat, geht in die Welt hinein, so wie es die evangelische Kirche zu tun bestrebt ist. Man darf aber auf der anderen Seite auch nicht sagen: „Ich muß in die Welt gehen, um behaupten zu können, ich habe Gott gefunden!“

 

Macht des Menschen über die Wirklichkeit.

Die Wirklichkeit wird beherrscht von Gott. Gott ist aber im Menschen, falls dieser ihn gefunden hat. Der Mensch übt aber Macht aus. Also hat der Mensch auch Macht über die Wirklichkeit in der Wirklichkeit. So gilt also: Macht ist immer nur Macht Gottes. Der Mensch ist identisch mit dem Willen Gottes. Der Mensch hat Macht über die Wirklichkeit

Der Mensch kann verfügen über die Möglichkeiten der Wirklichkeit. Die Macht ist nun in ihm und nicht über ihm oder höher als er. So wird der Mensch also frei, weil er in Gott ist und Gott über sich verfügen läßt.

 

Gott als die Mitte der Wirklichkeit.

Aus dem bewußten Offenhalten für die Wahrheit wird so ein Offensein für die Wahrheit in der Wirklichkeit. Denn die Wahrheit ist auch in der Wirklichkeit, sie ist Mitte der Wirklichkeit.

Dann heißt es also: „So spricht der Herr: Wenn du auf den Gashebel drückst, so bin ICH da!“ In dieser einfachen Handlung erkennt der Mensch Gott, obwohl es aussieht, als übe er nur Macht über ein Ding aus. Man kann diesen Satz vielleicht ganz einfach verstehen als Auslegung des Wortes: „Siehe ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“Ich bin bei euch in der Wirklichkeit. So versteht es jedenfalls auch Paulus im Epheser- und im Kolosserbrief.

Eines steht nun jedoch fest: Die uns vertrauten Dinge mit denen wir täglich umgehen und die wir zu kennen meinten, werden uns plötzlich fremd durch dieses: „So bin ICH da!“ Und das alles sind doch Dinge, die wir selbst gemacht, hergestellt haben, deren Herstellungsprozeß wir bis ins Einzelne kennen oder jedenfalls kennenlernen können.

Die Wirklichkeit des Gashebels kennen wir also, aber wir kennen nicht die Wahrheit, denn die ist Gott. Erfaßbar ist er nie (siehe Korinther 13), aber man kann suchen. Das neue ist nun nur: Man kann Gott nicht nur in der Natur finden, sondern auch in der Technik - auch in der Atombombe. So ist Jesus auch durch die Technik bei uns „alle Tage bis an der Welt Ende!“

 

 

 

 

Der totale Staat

 

 

Der totale Staat in der Bibel

Die Bibel beschreibt den totalen Staat in Offenbarung 13. Der totale Staat damals war das römische Weltreich; deshalb kommt auch das Tier von Westen aus dem Meer und aus der „Tiefe“, die das Symbol für Rom ist). Das Tier hat Hörner und Kronen, es kann Wunder tun usw. Es bedient sich also göttlicher Symbole und göttlicher Macht. Es verbrämt sich religiös und verlangt, daß man an es glaubt und es anbetet.

Auch das zweite Tier ist nur sein Beauftragter (Vers 11), nun aber in Gestalt des Lammes, also sehr religiös gefärbt und ganz ungefährlich aussehend. Es redet jedoch einschmeichelnd und treibt Propaganda.

In der Ausübung der Macht ist dieses Tier bestialisch (Tiersymbole), es sucht aber eine Rechtfertigung durch die Justiz und gibt sich einen Schein des Rechts. Jedoch nur, wer sich im ganz hingibt (Vers 17), wer die Weltanschauung des Tiers annimmt und das Malzeichen des Tiers erhält, kann noch kaufen und verkaufen, kann überhaupt noch leben in diesem Staat.

 

Der totalitäre Staat

Der totalitäre Staat macht die wilden, chaotischen Kräfte und Triebe frei, lenkt sie aber nun auf Ziele, die seinem Vernichtungsdrang genehm sind. Unter Ausnutzung des im Menschen angelegten Machttriebs, der sich hier ungehindert entfalten darf, läßt sich der Staat vergötzen, er wird zum Ersatzgott und seine Politik zu einer Ersatzreligion.

Damit aber hat sich der Nihilismus des Souveränitätsbegriffes bemächtigt („Wer kann, der darf!“).Der totalitäre Staat ist antihuman bis ins Letzte. Der totalitäre Mensch aber ist ein Mensch ohne metaphysische Angst, nur überzeugt von der absoluten Unfehlbarkeit der Partei, ihres Willens und Urteils, er ist ohne Ahnungen und Skrupel, er würde sein Leben ohne Zögern der „Geschichte“ opfern.

Die Staatsideologie ist zwar nur ein Produkt unausgereifter Überlegung, ein halbfertiges Gedankensystem, das mit Schlagwörtern und Vereinfachungen arbeitet, aber sie erhebt den Anspruch auf Absolutheit und ist gerade deshalb bei der Masse beliebt, weil diese ja nach einem „geschlossenen“ Weltbild sucht. Aber unter dem Deckmantel dieser Ideologie vollzieht sich die Vernichtung des Menschen und des Menschlichen.

Aber auch die „Intellektuellen“ verfallen dem Opium der Weltanschauung, weil sie an bevorzugter Stelle am „Tun“ (= in der Praxis, die den Intellektuellen doch so fehlt und nach der sie sich sehnen) teilhaben dürfen, sie sind Experten und politische Funktionäre zugleich, die Schriftsteller werden zu „Ingenieuren der Seele“.

Das Recht (Naturrecht und positives Recht) wird in eine „Bedarfsposition“ hineingedrängt. Vollzugsorgan ist die Geheimpolizei, die den „objektiven Gegner“ zu vernichten hat. Zwar ist sie kein Staat im Staat, weil sie an Weisungen gebunden ist, aber sie hat doch Macht, weil sie zuerst von den Liquidierungsabsichten erfährt. Durch sie werden auch Märtyrer abgeschafft, denn „bei Nacht und Nebel“ wird die „Endlösung“ gefunden, entweder im Lager oder durch bürokratischen Terror. Sie bringt es auch fertig, den Menschen unter Wissenschaftlich exakten Bedingungen in eine Sache zu verwandeln, mit der man tun und lassen kann, was man will.

Auch die Verwaltung nimmt die Form des „Apparats“ an, der bald hierhin, bald dorthin gestellt werden kann, ein leeres Gehäuse. Der Einzelne ist nur Posten in der Statistik, Antragsteller, Nummer, man weiß von ihm nur, was auf Personalbogen und Karteikarte steht. Schließlich wird sich der Apparat sogar zum Selbstzweck, die Gesellschaft ist ihm nur Objekt für seine Gesetze usw.‚ die unermüdlich und angeblich zwangsläufig ausgestoßen werden.

Im legislativen Wirrwarr kann man dann der Bürokratie nur noch entgegentreten im Rahmen einer Organisation oder eines Interessenverbandes, der dann immer mehr zum Staat im Staat wird (Theodor Eschenburg).

Schließlich trennt der Beamte Volk und Regierung ganz, aber er wird immer nötiger, um das Chaos zu verhüten. Allerdings ist aber gerade der Beamte fähig, gegen Befehle von Oben Widerstand zu leisten. Die Manager (denen die Planung nach den Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit unterliegt) müssen sich dagegen nicht unbedingt zum „Regime der Manager“ entwickeln, sie können noch kontrolliert werden.

 

Kommunismus

a) Wenn es im Marxismus-Leninismus den Begriff des totalen Staates als festes Endziel nicht gibt, so aber als Übergangsphase in diktatorischer Intensivierung (mit dem christlichen Verständnis jedoch gemeinsam die Ansicht von der Vergänglichkeit des Staates). Der Staat ist hier eine Organisation von den zu Klasseninteressen sich verdichtenden Privatinteressen, um die Herrschaft einer Klasse über die andere aufrecht zu erhalten. Ziel der Geschichte ist die Überwindung der Gegensätze und damit das Erlöschen der Funktion des Staates in einer klassenlosen Gesellschaft, indem die Thesis der Staatsdiktatur die Antithesis der Unstaatlichkeit hervorruft.

Der bolschewistische Staat ist ein Weltanschauungsstaat, der alle Lebensgebiete in sich zu vereinigen sucht, also auch den Menschen. Er ist kein Organismus, sondern ein Mechanismus, und damit ein Angriff auf die von Gott gesetzte Freiheit und Ebenbildlichkeit des Menschen. Er umkleidet sich zwar religiös, muß aber danach seinem Wesen nach atheistisch sein. Wenn zum Beispiel die Klassengegensätze als „Motor“ der Geschichte beseitigt sind, dann wird auch die Ideologie nicht mehr von der Gesellschaft abhängig sein, sondern Ideologie und Gesellschaft werden sich gegenseitig dialektisch fördern und so die Geschichte nun vorantreiben. Es treten dabei qualitative Sprünge auf, um dieses „Perpetuum mobile“ in Gang zu halten (Der Christ wird fragen: Wer aber ermöglicht diese „Sprünge“? und er wird antworten: Die Stoßkraft kommt von „oben“, von Gott).

Durch den Versuch, die innerweltlichen Erscheinungen auf allen Lebensgebieten unter einem Gesichtspunkt zu vereinigen, ist der totale Staat ein Weltanschauungsstaat, in dem es keine staatsfreien Bezirke mehr gibt. Durch die damit verbundene totale Beanspruchung des Menschen ist der Staat nicht mehr ein Organismus gemeinschaftlich aufeinander bezogener Menschen, sondern ein Mechanismus kollektiv gleichgeschalteter Glieder, der sich an der Gottesebenbildlichkeit des Menschen vergreift und deshalb atheistisch ist, auch wenn er eine Gottesidee als Form metaphysischer Selbstbestätigung aufrechthält (Nationalsozialismus).

Der totale Staat erhebt Anspruch auf eine eigenmächtige Sinngebung der Welt, indem die in ihm wirksame menschliche Vernunft ihre Aufgabe selbst stellt. Die Lehrmeinungen des totalen Staates werden Ideologien genannt, weil sie nach der materialistischen Auffassung als Bewußtseinsformen des gesellschaftlichen Lebensprozesses nur reflektierte Spiegelbilder des materiellen Grundgeschehens sind und sich selbst relativieren.

Das einseitige Abhängigkeitsverhältnis von dem materiellen Unterbau und dem ideololo­gischen Oberbau verwandelt sich im Blick auf den klassenlosen Endzustand allmählich in ein wechselseitiges Hin und Her, wobei der anfangs in reiner Abhängigkeit vom Unterbau gestanden habende Überbau durch die in seinem Bereiche festgelegten Werte und sich abspielenden Vorgänge eine eigene Mächtigkeit erhält.

Konzentrierter Ausgangspunkt aller nun „von oben“ erfolgenden Impulse war zum Beispiel der Sowjetstaat als offizieller Repräsentant der klassenlosen Gesellschaft und seiner bolschewistischen Doktrin, die als ursprünglicher Reflex des gesellschaftlichen Zustandes langsam selbst eine Aufgabe an diesem Zustand erhält. Damit erklärt der Marxismus-Leninismus seine Doktrin als eine Ideologie, deren Zurückwirkung als Reflex des gesellschaftlichen Entwicklungsfortschrittes kein Fortschritt einer Erkenntnis (nur vom Ziel her gesehen).

Um dem Vorwurf der eigenen Relativierung zu entgehen, schafft man aus der Antinomie einer neutralen, allgemeingültigen Objektivität und einer geforderten dynamischen Zielsetzung eine Synthese, indem das Postulat der klassenlosen Gesellschaft rückwirkend als Mittel zur Ermöglichung der Objektivität benutzt (nur bei einer solchen „Vorwegnahme“ stimmt das System) und damit als Produkt eines objektiven Denkens ausgelegt wird.

Ideologien sind nicht einer über den Menschen verfügenden Wahrheit verantwortlich, sondern nur dem Zweck, dem sie dienen. Infolge ihres Absolutheitsanspruches haben sie den Willen zur Macht zu legitimieren und sich dieser Macht zur Selbsterhaltung zu bedienen.

In dieses Machtstreben ist Wissenschaft und Recht als Mittel zum Zweck eingespannt. Die Wissenschaft soll die Natur nicht in erster Linie entdecken, sondern verändern und sie zur nachträglichen Legitimierung der Ideologie verwenden, zum Beispiel durch die infolge der Lebensbedingungsregulierung erfolgende Beeinflussung der Vererbungseigenschaften bei Pflanzen und Tieren soll die Biologie beweisen, daß der Mensch als Produkt des gesellschaftlichen Milieus durch Umwelteinflüsse geformt wird.

Das Recht in seiner pragmatischen Ausrichtung soll im Zeremoniell einer ordentlichen Rechts­sprechung als moralisches Mittel zum Schuldbekenntnis der Opposition führen, denn diese ist nicht eine feindliche Front, sondern nur eine Gruppe innerhalb der einen Sache, wobei die eine ihrer beiden Seelen durch die Anklage ständig zermürbend gestört wird. Weil bei einem Interessendisput jede Gruppe auf die Einheit der Partei als einzige Machtgarantie bestehen muß, kommt es zur Kapitulation des Unterlegenen („Ihr wollte doch dasselbe wie wir! Was stellt ihr euch da in dieser Frage gegen uns?“).

 

Der Marxismus-Leninismus betrachtet auch das Christentum unter pragmatischen Gesichtspunkten. Es ist sein Gegner, denn er sagt:           

(1) Das Christentum ist eine Ideologie veralteter Gesellschaftsverhältnisse, es hemmt die Entwicklung und den Fortschritt

(2) Das Christentum ist der Feind des Marxismus-Leninismus, weil jeder Christ einen anderen Absolutheitsanspruch anerkennt.

Es geht dem Kommunisten nicht um eine Überredung oder das Hinüberziehen zu seiner Überzeugung, sondern um eine Überrumpelung und Ausschaltung des Gegners, um einen Kampf auf Leben und Tod gegen einen funktional-dynamischen Vertreter der Gegenmacht (nicht um den Menschen, der diese Macht vertritt; nur weil er das tut, ist er Gegner).

Für den Kommunisten ist ja auch der Mensch keine Persönlichkeit mit freier Entscheidungsgewalt. Deshalb kann man als „Abendländer“ der östlichen Ideologie auch nicht mit einer christlichen „Ideologie“ begegnen (das macht man aber häufig, indem man Kommunismus und Christentum entgegenstellt), sondern man kann dem Kommunismus nur gegenübertreten als Zeuge Jesu Christi, denn dann steht man im Kraftfeld Gottes und ist unüberwindlich.

 

 

Zur Überwindung des Nationalsozialismus und des Antisemitismus:

Welche Vorstellungen kursieren heutzutage bei dem Durchschnittsbürger über das Geschehen zwischen 1933 und 1945 in Deutschland? Wie stellt man sich heute zur Frage der Juden? Man klagt so viel über die Unkenntnis der Jugend, aber wie ist es denn mit den Erwachsenen bestellt?

Da kann man zum Beispiel hören: „Was glaubt ihr denn, mit wessen Geld die großen Geschäftshäuser in Frankfurt gebaut worden sind? Da steckt doch ganz sicher wieder jüdisches Kapital dahinter!“ Und wenn es so wäre, warum sollten sich die Juden nicht an unseren Geschäften beteiligen? Sind sie denn immer noch eine „minderwertige Rasse“? Sie sind doch Menschen, die genauso wie wir ihr Geld anlegen dürfen. Und schließlich waren es ja die „Christen“, die sie im Mittelalter zwangen, Kaufleute zu werden.

Und da kann man hören: „Ich verstehe nicht, warum man da so ein Aufhebens macht um das Judenmädchen Anne Frank. Sie war doch nicht die einzige, die unter dem Nationalsozialismus zu leiden hatte. Vielen Deutschen ist es doch genauso oder noch schlimmer ergangen!“ Dabei verkennt man jedoch ganz die Absicht der Leute, die dieses Tagebuch herausgaben. Es geht nicht darum, den Märtyrergang der jüdischen Rasse in einem Dokument festzuhalten. Es ist überhaupt nur ein Zufall, daß es eine junge Jüdin war, die sich hingesetzt hat, um ihre Erlebnisse niederzuschreiben. Es ging ihr vielleicht gar nicht darum, dieses Dokument der Nachwelt zu hinterlassen.

Es handelt sich vielmehr um ein Dokument allgemein menschlichen Leidens (vielleicht auch unter anderen Systemen). Es kommt nicht darauf an, daß es ein „Judenmädchen“ war, sondern daß es ein Mensch war, der hier litt. Und dann ist es gleichgültig, wenn dieses Werk „vom literarischen Standpunkt gesehen“ ein minderwertiges Machwerk ist, eine „Rassenschnulze“, wie ein Studienrat in Lübeck meinte. Es ist schade um den, der den feinen Ton des Leids und der Hoffnung nicht empfinden kann.

Aber da stellt sich ein Landrat bei der Einweihung eines Mahnmals für die Opfer des Krieges hin und sagt: „Durch dieses Mahnmal sollen aber nicht nur wir gemahnt werden, sondern auch die anderen, denn auch die anderen haben viel Unrecht begangen!“ So können wir es nie anders und besser machen, so wird es bald wieder zu Geschichtsfälschungen kommen, dann glauben wir am Ende auch wirklich noch, daß das „System daran schuld war“, wie jener Landrat sagte. Man beginnt schon wieder zu vergessen, daß es ganz eindeutig ein Überfall Hitlerdeutschlands war, der 1939 gegen Polen erfolgte. Nicht Deutschland und Rußland haben Polen überfallen, sondern nur Deutschland (auch wenn Bundeskanzler Adenauer durch diese Theorie die Polen gegen die Russen ausspielen will). Deshalb sind wir alle schuld daran, denn wir haben es zugelassen. Man kann keinen verurteilen, der damals auch für Hitler gestimmt hat. Aber er soll so seine Schuld wenigstens eingestehen, denn nur so kann man sie vielleicht überwinden.

Aber in einem Leserbrief an die Wochenzeitschrift „Neue Politik“ schreibt ein gewisser Herr H. Otto aus Hamburg-Wandsbek: „Wir sollen es den anderen überlassen, vor ihrer eigenen Tür zu kehren. Ja, kehren sie denn? Wird den bei den anderen nicht immer noch mit Genugtuung verzeichnet, daß wir kollektiv Asche auf unser Haupt streuen und die deutsche Schuld am Zweiten Weltkrieg betrauern? Wir sollten uns über die Fehler unseres Nationalcharakters und über das Versagen unserer Politik, die zu der deutschen Mitschuld führten, klar werden und aus ihnen lernen. Aber wir sollten uns doch energisch dagegen zur Wehr setzen, daß uns die Alleinschuld angelastet wird; eine solche These kann einer ernsthaften Geschichtsbeurteilung nicht standhalten!“

Man hört hier immer nur: „die anderen“. Dabei haben wir es durchaus nötig, „kollektiv Asche auf unser Haupt zu streuen“, denn erst durch unseren Überfall wurden viele Schandtaten der anderen bewirkt. Aber damit fertig zu werden ist ihre Sache, und wenn sie über uns frohlocken, dann laden sie vielleicht noch mehr Schuld auf sich. Aber das entbindet uns nicht von der Verantwortung. Wir müssen mit unserer unbewältigten Schuld ins Reine zu kommen versuchen.

 

Kollektivschuld: Schuld kann man angeblich immer nur einem Individuum zuordnen, das die Tat getan hat oder sie bejahte, jeder, der für Hitler stimmte, obwohl man um die Zustände in den Konzentrationslagern und gewisse andere Hintergründe wußte. Wer jedoch geschwiegen hat, ist nach Meinung der Erwachsenen ohne Schuld (ist ja auch so bequem!). Wir sollen uns als Individuum entdecken, denn nur so ist überhaupt Demokratie möglich.

Man erkennt vielleicht auch noch an, daß wir für die Taten an den Juden haften(!), daß wir sie materiell (!) wiedergutmachen müssen. Natürlich muß alles irgendwie in Geld umgerechnet werden, anders ist die Schuld nicht abzugelten. Aber durch Geld wird angeblich a l l e (!) Schuld abgegolten, es ist dann nicht mehr nötig, daß auch noch die „Kollektivschuld“ hinzukommt, um die Wiedergutmachung „wertvoller“ zu machen.

Natürlich kann man eine Wiedergutmachung nicht „wertvoller“ mache. Im Grunde gibt es ja überhaupt keine Wiedergutmachung, denn ein Mord ist nicht mehr wiedergutzumachen, denn der Mensch ist tot. Daß wir seinen Angehörigen und Nachkommen finanziell helfen, um wenigstens das Unheil nicht noch größer werden zu lassen, das ist unsere ganz einfache Menschenpflicht und nur eine kleine, teilweise, äußerliche Wiedergutmachung.

Natürlich sollen wir keine „kollektiven Schuldgefühle“!) haben. Gefühle nützen nichts, und sie können zur Mode werden, wenn man nämlich die Scham zur Vorschrift macht, wenn man sich an die Brust schlägt und sagt: „Was bin ich doch für ein guter Mensch, daß ich allen Juden gegenüber Schuldgefühle habe und nun wieder gut Freund mit ihnen bin!“

Die Juden wollen gar nicht, daß wir ihnen mit Gefühlen entgegentreten und sie so in den Himmel heben, als seien sie keine minderwertige Rasse - wie man es früher behauptet hat - sondern eine zu Unrecht verfolgte (die vielleicht sogar besser ist), die man nun besonders gut schützen muß; die Juden wollen nichts anderes sein als andere Menschen auch. Überschwengliche Gefühle ihnen gegenüber sind nicht angebracht, praktische Hilfe mit voller Bewußtseinsklarheit ist nötig.

Es ist selbstverständlich, daß wir uns den Juden gegenüber als wahrhafte Demokraten verhalten. Und wir müssen das sein im Bewußtsein (!) unserer Schuld: Wir müssen zugeben, daß damals Unrecht geschehen ist, damit wir gleiche Taten nicht noch einmal gut heißen. Deshalb müssen wir immer im Bewußtsein dieses Unrechts leben und uns eine entsprechende Geschichtskenntnis aneignen.

Die „Gefühle“ sollen also auf die positive Seite gewendet werden, wir sollen der „nicht-offiziellen“ Meinung in Deutschland und den Beschönigungen, die immer noch zu hören sind, bewußt und offen entgegentreten. Das können wir aber nur, wenn wir über jene Zeit auch Bescheid wissen. Nur so können wir das Übel und die Krankheit wieder aus unserem Volk ausscheiden und eine wahrhafte Demokratie aufbauen: Im Vergleich mit jener Zeit wollen wir Verantwortung und Mitarbeit für unsere Demokratie wecken und bewußte Demokraten werden!

 

Viele haben wohl gedacht: Der Nationalsozialismus ist abgetan und man kann ihn vergessen.

Es gibt durchaus noch Nationalsozialisten in Deutschland, die massive Propaganda in zwölf langen Jahren läßt sich nicht so ohne weiteres ausrotten: diese Schlagwörter spuken noch in den Köpfen vieler Leute herum. Bezeichnend für diese Gruppe ist ein Witz, der in den Nachkriegsjahren die Runde machte. Er charakterisiert die Leute, die sich zwar an sich ruhig verhalten, aber doch mit einem Wiederaufleben des Nationalsozialismus rechnen, entweder, um dann wieder mitmachen zu können, oder von großer Furcht erfüllt, jedoch immer im Glauben an diese Möglichkeit, anstatt über solche Vorstellungen zu lachen.

Hier der Wirz: Es wird Winter und ein Landstreicher sucht sich einen warmen Platz im Gefängnis zu verschaffen, also etwa einen Aufenthalt von etwa drei Monaten, damit er im Frühjahr wieder weiterziehen kann. Er geht also in die nächste Bürgermeisterei, steht stramm, hebt die Hand zum deutschen Gruß und brüllt „'Heil Hitler!“ Der Bürgermeister reißt sich nach der ersten Verblüffung zusammen und brüllt in strammer Haltung zurück: „Heil Hitler!“ und murmelt noch leise hinterher: „Ist es schon wieder so weit?'!“.

 

Man könnte Nazi-Schmierereien nicht allzu dramatisch nehmen und ihnen etwa durch eine Bundestagsdebatte eine zu große Bedeutung zumessen, denn nirgends steht das Volk hinter diesen Schmierfinken. Früher konnte man sagen: Da die Erwachsenen dieses Problem noch nicht gelöst haben, da sie den Antisemitismus nicht über wunden haben, müssen sich nun auch die Jungen damit auseinandersetzen und müssen mithelfen, den Haß in unserem Volk auszurotten!“ Aber heute sind es eher die Jungen, die sich haben verführen lassen, von älteren Menschen oder aus der Literatur oder aus dem Internet.

Es gilt, der „nicht-öffentlichen Meinung“ in Deutschland entgegenzutreten, die immer noch meint: „Im dritten Reich herrschte wenigstens Ordnung, und wir hatten Arbeit und Brot.usw. Hitler hätte keinen Krieg anfangen sollen, dann ging es uns heute noch gut. Wir wären Weltmacht. Zumindest hätte Hitler mit dem Krieg warten sollen, bis die ‚Wunderwaffen‘ fertig waren. Und die Amerikaner hätten die Gewehre der deutschen Soldaten herumdrehen sollen und gemeinsam gegen Rußland marschieren sollen!“ „, um sich vor der Übernahme der Schuld zu drücken. Man sollte zwar keine (möglichst noch künstlich erzeugten) kollektiven Schuldgefühle haben („Was bin ich doch ein guter Mensch, daß ich mich jetzt so gut

mit den Juden vertrage. Es muß noch mehr getan werden, um unsere Schuld zu tilgen“). Aber wir müssen uns unserer Schuld immer bewußt (!) sein. Dadurch wird unsere vordergründige Wiedergutmachung nicht wertvoller, aber diese „innere Wiedergutmachung“ ist unsere deutsche Aufgabe.

Aber nicht nur den Juden gegenüber sollen wir uns wie wahrhafte Demokraten (oder gute Christen) verhalten, sondern auch unseren farbigen Mitmenschen gegenüber. Ein Jude unterscheidet sich in seinem Äußeren kaum von einem Mitteleuropäer - deshalb hat man ihnen einen Davidsstern angeheftet! Aber einem Afrikaner sieht man es auf hundert Meter Entfernung an, daß er ein Schwarzer ist, obwohl natürlich biologisch kein Unterschied festzustellen ist (auch in der Intelligenz) und obwohl man bei einem Weißen nicht feststellen kann, ob er „Negerblut“ hat.

Aber es ist falsch, daß die sogenannte „arische“ Rasse den anderen überlegen sei. Das sieht vielleicht optisch so aus, weil die Weißen in den letzten fünfhundert Jahren so bißchen was erfunden haben. Aber die Schwarzen sind gerade im Kommen: In Amerika sind sie schon viel weiter, sie sind sogar in leitenden Stellen und befehlen über Weiße. Außerdem sollte man sich nur einmal ansehen was die Weißen auch geleistet haben, welche Grausamkeiten von Weißen begangen wurden, besonders auch den Schwarzen gegenüber. Und man sollte damit einmal vergleichen, wie die Weißen etwa in Ghana behandelt werden, wo die Schwarzen in der Mehrheit sind: Die Schwarzen werden wohl kaum einen Weißen gelyncht haben (Mau-Mau arbeitete mit Methoden der Weißen! und das war kein Rassenkampf, sondern ein Unabhängigkeitskampf!). In unserem Verhältnis zu den Schwarzen geht es nicht nur um die Frage, ob wir sie persönlich für gleichwertige Menschen ansehen wollen, sondern auch darum, ob wir die Vorurteile der Umwelt ertragen wollen.

 

Die Rolle der Bekennenden Kirche:

Das Stuttgarter Schuldbekenntnis war vielleicht Lüge. Man hätte die Schuld der ganzen Kirche übernehmen sollen, die Bekennende Kirche war auch für die Deutschen Christen verantwortlich. Sie haben auf ihre Verdienste gepocht: „Wir haben Widerstand geleistet, wir haben etwas getan, während die anderen abgefallen sind!“ Es war nur noch nicht genug.

Man hütete sich also wohlweislich, die Stellung des Phärisäers einzunehmen .Man wurde aber auch nicht voll zum Zöllner, sondern man sagte: „Wir sind nicht so gewesen, wir sind ohne Schuld!“ Diese Distanzierung ist jedoch genau Lüge: Die Schuld ist nur ungeteilt zu übernehmen und zu bewältigen.

Die Bekennende Kirche wollte sogar nach dem Krieg von ihrem Widerstand ein Privileg ableiten, sie wollte das geistige Leben mit ihrer Ideologie erfüllen; das war aber auch Lüge. Vielleicht befand sich die Kirche auch hier im „Zwischen“ zwischen Pharisäer und Zöllner Die Deutschen Christen hätten zum Zöllner werden können. Sie haben ihre Schuld nicht übernommen, die Bekennende Kirche hat es aber auch nicht getan.

Könnte es sein, daß der Kampf gegen Hitler nicht ganz im Namen Jesu geführt wurde? Oder daß man „Jesus“ sagte, aber die Rettung der Organisation und der eigenen Position meinte? Ging es um die Kirche oder um Christus? Der Maßstab ist oft der Erfolg, aber im Namen Jesu Christi!

Man hat nicht die Totale Lüge in Hitler erkannt, sondern nur die kleine Schuld der Kirche gesehen. Ebenso wie der kleine Mann in Hitler nicht den Lügner gesehen hat, sondern nur den Mann, der Brot gab, Autobahnen baute und für Ordnung sorgte. Ebenso hat die Kirche diesen Hitler nicht als totalen Verführer entlarvt, sondern nur auf sich und ihre Schuld gesehen.

Aber „weil wir zu wenig geliebt und bezeugt haben“, errichten wir nun nach dem Krieg ein Hilfswerk, ein Männerwerk usw. Doch die Funktionäre der einzelnen Werke intrigieren gegeneinander, die Kirche wird durch Organisation erstickt, um damit auch das schlechte Gewissen zu ersticken. Man sucht all das zu entschuldigen: „Ein Christ ist auch nur ein Mensch!“

Aber wo ist der Pfarrer, der nicht nur organisiert, sondern das auch lebt, was er sagt? Vielfach wird nur organisiert, um sich vor dem Leben in der Wahrheit drücken zu können! Wo sind aber die Menschen, die um der Wahrheit willen auf etwas verzichten? (Nicht spicken, nicht Finanzamt anführen, nicht Chef verleugnen usw.). Wo wird in der Erziehung der Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge klargemacht? Bei uns ist immer noch das „Kavaliersdelikt“ erlaubt!!! Es gibt sogar eine „christliche“ Demokratie, und man geht mit dem christlichen Namen hausieren. Man organisiert sogar von dieser Seite die Furcht vor dem Kommunismus und von der anderen, die Furcht vor der Atombombe, um sie durch eine größere Furcht zu vertreiben, auszutreiben.

In Hitler wurde die Lüge zur Gestalt. Hier hatte das deutsche Volk die große Chance, die Lüge offen zu erkennen, zu bewältigen und dienstbar zu machen und so den Riß in unserem Volk wieder zu heilen.

Mit jedem Menschen, der in der Wahrheit zu leben beginnt, wird die Lüge mehr bewältigt. In jedem Einzelnen muß die Lüge sterben! Und hier könnte auch eine Schuld der jungen Generation liegen!

 

 

 

Das Widerstandsrecht

 

Die Lage nach einer gewaltsamen Revolution: Eine Regierung kommt durch Gewalt zur Macht und ist nun legitimiert. Sie hat aber damit eine andere Legitimation zerstört, aus einer illegitimen Revolution entsteht plötzlich nur durch den Erfolg eine legitime Regierung? Und die Legitimation wird plötzlich von einem auf den anderen übertragen?

Hier taucht die Frage auf: Ist denn ein gewaltsamer Widerstand überhaupt erlaubt? Eine Regierung wird von oben legitimiert. Aber sie muß sich nun auch nach den Vorschriften der höheren Autorität richten und sich des Vertrauens, das man in sie gesetzt hatte, würdig erweisen. Wenn sie aber das Amt mißbraucht ist sie illegitim, d.h. „ohne Legitimierung“. Nicht die Staatsform ist legitimiert, auch nicht die Person, sondern nur das Amt.

 

Was hat man sich aber bei einer Revolution zu fragen?

(Voraussetzung: Ein Unrecht des Staates an der Allgemeinheit, nicht am Einzelnen!)

1.) Der Bürger:

Wird durch die Revolution nicht das Chaos noch größer?

Hat die Revolution Aussicht auf Erfolg, steht das Volk dahinter)?

Sind die Menschenopfer nicht zu groß?

 

Die Haltung des Bürgers:

a) Er schimpft, tut aber nichts

b) Er schimpft, ergreift aber auch Maßnahmen

aa) Geistiger Widerstand

ab) Physischer Widerstand.

Die Rechtfertigung des Bürgers: Verhinderung eines großen Verbrechens, indem man ein kleineres begeht

 

2.) Die Kirche: (als Gesamtheit und Sprachrohr der Christen):

(Voraussetzung: Nicht nur die Kirche ist betroffen, sondern die Allgemeinheit der Bürger).

Stellungnahme: Eine Regierung verspielt nicht ihre Legitimation durch unrechtmäßiges Handeln gegen das Gebot Gotte. Die Legitimation ist unerschütterlich, sie wird verliehen beim Regierungsantritt, ist ein einmaliger Akt, braucht nicht immer bestätigt zu werden. Die „Legitimation ist nicht anzugreifen, auch nicht mit geistigen Waffen.

Die Legitimität (ob eine Regierung wirklich sich der Legitimation als würdig erweist) stellt sich jedoch erst später heraus. Man kann also sagen: Eben ist die Legitimität nicht mehr gegeben. Angreifen kann man aber auch die Legitimität nicht‚ man kann nur das unrechte Handeln angreifen!

Das Widerstandsrecht der Kirche:

Eine Regierung ist nicht Gott, sie weiß nicht, was gut und was böse ist, sie muß schuldig werden. Durch die Legitimation ist die Regierung noch nicht zur Erlösung vorausbestimmt. Schon deshalb ist Widerstand erlaubt.

Die Kirche hat die Waffe des Wortes. Sie hat die Pflicht, Widerstand zu leisten, aber nicht mit Gewalt, sondern durch die Verkündigung des Wortes Gottes. An dieser Verkündigung wird sich der Staat stoßen, umso mehr, je mehr die Kirche das Wort Gottes verkündet. Die Kirche leistet jedoch nicht Widerstand - jedenfalls nicht offiziell - aber der Staat wird die Verkündigung als Widerstand empfinden und auslegen (Indirekter Widerstand, indirekter Angriff!).

Die Kirche darf jedoch nicht Märtyrer sein wollen und den Staat angreifen. Ein Verkünder des Wortes Gottes ist auf jeden Fall rechtmäßig. Aber ein politischer Mord könnte jedoch von Gott als Unrecht angesehen werden, wird es sogar wohl (5.Gebot). Der Mensch kann nicht entscheiden, was der Wille Gottes ist, er darf nicht für sich in einer so schwierigen Frage wie einem Mord die Vermessenheit beanspruchen, hier nun entscheiden zu können. Schon von diesem Punkt her ist Vorsicht geboten. Die Kritik der Kirche darf und soll sehr handfest sein, um wegen der Legitimation die Legitimität wiederherzustellen (auch die Rolle der parlamentarischen Opposition!).

Auch wenn ein Herrscher durch einen obersten Wert (etwa der Freiheit) nicht legitimiert ist, so ist er doch vom Christentum her legitim. Ein Ulbricht ist zunächst einmal legitim. Es wäre, nun allerding schön, wenn zur göttlichen Legitimität auch noch die Fähigkeit zu menschenwürdigem Regieren käme. Das ist aber bei Ulbricht nicht der Fall. Deshalb hat der Christ auch jederzeit die Aufgabe, nicht zu schlafen. Auch wenn man dafür von der legitimen Regierung illegitim umgebracht wird (legitim heißt nicht „ohne Schuld“), hat man die Pflicht zum Widerstand.

 

3.) Der einzelne Christ:

Für den Einzelnen gilt zunächst einmal dasselbe wie für die Kirche in der Gesamtheit, die sich in der Organisation darstellt. Aber der Einzelne hat die Möglichkeit, sich einer Partei anzuschließen. Damit bietet sich auch noch eine andere Möglichkeit zum Widerstand (die für die Kirche nichtbesteht!): der passive Widerstand, der bis zum Generalstreik gehen kann, falls dieser Aussicht auf Erfolg hat.

Auch wenn bei geistigem Widerstand ein absoluter Staat von dem Einzelnen eine unrechte Tat fordert, ist kein gewaltsamer Widerstand erlaubt, besonders natürlich keinen physischen Widerstandgegen den Polizisten(gedacht ist an die Auslieferung eines Unschuldigen, dessen Anwesenheit bekannt ist. Hier darf man sich nicht gegen die Verhaftung wehren!).

Wenn man als Einzelner dennoch gewaltsamen Widerstand leistet, so handelt man illegitim. Der Betreffende muß die Tat auf eigene Verantwortung ausführen - auch wenn sie zum Wohl des Volkes ist - er tut es ohne den Schutz der göttlichen Normen und geht in den Raum der Unsicherheit, über dem das Nein Gottes steht.

Der Widerstand gegen eine Regierung ist nur mit geistigen Mitteln zu führen. Die Kirche hat einem tyrannischen Herrscher, ohne auf die Gefahr zu achten, den Willen Gottes zu verkünden. Da das Amt des Regierenden legitim ist, ist auch die Person legitim, denn man kann Amt und Persönlichkeit nicht voneinander trennen. .Also darf auch die Person nicht abgeschafft werden. Wenn man trotzdem ein Staatsoberhaupt umbringt, muß man das vor Gott verantworten; man kann dabei schuldig werden. Jeder Herrscher sollte sich jedoch des Vertrauens bewußt sein, das Gott ihm gegeben hat, als er ihn einsetzte.

 

Verbrecherischer Befehl ist unverbindlich

Der Bundesdisziplinarhof, die höchste deutsche Instanz für die Aburteilung von Dienstvergehen der Beamten, hatte sich mit dem Geheimbefehl des ehemaligen „Reichssicherheitshauptamtes" vom 4. Juli 1944 zu beschäftigen. In diesem Befehl war die Polizei angewiesen worden, alle aufgegriffenen „Feindflieger“ zu erschießen.

Anlaß für das jetzige Disziplinarverfahren bot der Fall eines Kriminalsekretärs. Der Polizeibeamte hatte auf Befehl des ihm vorgesetzten Kriminalrats zusammen mit zwei anderen Polizeibeamten drei amerikanische Flieger erschossen. Die Amerikaner waren bei einem Bombenangriff auf Magdeburg am 8. Juli 1944 mit dem Fallschirm abgesprungen und dann gefangengenommen worden. Der Kriminalsekretär, der als Dienstältester das Erschießungskommando geführt hatte, war 1946 von einem amerikanischen Militärgericht zum Tode verurteilt, jedoch nach Umwandlung der Todesstrafe in lebenslängliche Haft am 1. Juli 1955 begnadigt und aus der Haft entlassen worden.

In dem vom Bundesinnenministerium eingeleiteten förmlichen Disziplinarverfahren erkannte der Bundesdisziplinarhof dem jetzt 63 Jahre alten Kriminalsekretär die Rechte aus dem 131er-Gesetz ab. Der Bundesdisziplinarhof, der nicht öffentlich verhandelte, verhängte damit die höchste Dienststrafe.

Der Bundesdisziplinarhof stellte fest, daß die abgesprungenen Flieger als Kriegsgefangene hätten behandelt werden müssen. Sie hätten nach den Bestimmungen der Haager Land­kriegs­ordnung und des Genfer Abkommens über die Behandlung von Kriegsgefangenen im Falle strafbarer Handlungen nur in einem ordnungsgemäßen Gerichtsverfahren nach Gewährung des rechtlichen Gehörs abgeurteilt werden dürfen.

Ein nicht veröffentlichter Geheimbefehl des Reichssicherheits-Hauptamtes habe, selbst wenn er auf einen „Führerbefehl“ zurückgegangen sei, weder das geltende deutsche Recht noch das Völkerrecht abändern können und sei nicht geeignet gewesen, ungesetzliche Erschießungen von Kriegsgefangenen zu rechtfertigen.

Der Beschuldigte hatte sich mit der Erklärung verteidigt, er habe als Polizeibeamter zu gehorchen gehabt, „wenn er nicht das eigene Leben oder bei der damals herrschenden Sippenhaft das seiner Familie hätte aufs Spiel setzen wollen“. Der Bundesdisziplinarhof stellte demgegenüber fest, bei Nichtausführung des Erschießungsbefehls habe für den Beschuldigten keine ernsthafte Gefahr für Leib oder Leben bestanden. Harte Disziplinarstrafen seien damals nur in Fällen verhängt worden, in denen die Unrechtmäßigkeit des Befehls nicht auf der Hand lag.

Dem. Beschuldigten sei zwar nicht zuzumuten gewesen, dem Erschießungsbefehl aktiven Widerstand entgegenzusetzen. Er hätte jedoch bei seinem unmittelbaren Dienstvorgesetzten Gegenvorstellungen erheben und versuchen können, sich von der Ausführung des Befehls entbinden zu lassen. Diese Versuche hätten nach Ansicht des Disziplinarhofes jedenfalls Klarheit darüber geschaffen, ob der Vorgesetzte gewillt war, mit schärfsten Mitteln gegen solche Untergebene einzuschreiten, die sich dem Tötungsbefehl widersetzt hätten.

Auch hätte sich der Beschuldigte mit einer nahegelegenen Wehrmachtdienststelle (einem Fliegerhorst) in Verbindung setzen können. Da der Erschießungsbefehl des „Reichssicherheits-Hauptamtes“ nicht für die Wehrmacht galt, hätte die Wehrmachtstelle möglicherweise eingegriffen und die Verantwortung für das Leben der amerikanischen Kriegsgefangenen übernommen.

„Entscheidend bei dem Beschuldigten war hingegen das Gefühl des blinden Gehorsams, das sich bei zahlreichen unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen. Unrechtstaten schädlich ausgewirkt hat, aber in so offenkundig schweren Fällen den gehorchenden Untergebenen nicht in vollem Umfang von der Verantwortung befreien kann“, heißt es in dem Urteil.

Als Milderungsgrund erwähnt das Urteil die „große Verbitterung“, die im deutschen Volk damals über „die grausame Führung des Luftkrieges durch die Alliierten“ herrschte. Der Beschuldigte habe beruflich mit der Identifizierung der Opfer des Bombenkrieges zu tun gehabt und dessen Schrecken hierbei an der Quelle erlebt. „Infolge der grausamen Kriegführung hatten sich die Grenzen für Recht und Unrecht verwischt.“

 

Strafrecht kennt keine Kollektivschuld:

Das Bielefelder Schwurgericht sprach den 57 Jahre alten früheren Gestaposekretär Ewald Sudau aus Minden von der Anklage der Beihilfe zum Mord frei. Sudau war vorgeworfen worden, kurz nach Beginn des Rußlandfeldzuges im Sommer 1941 in Augustowo in Polen bei zwei Massenerschießungen von 130 bis 150 Juden und Kommunisten mitgewirkt zu haben. Der Staatsanwalt hatte drei Jahre Zuchthaus als gesetzliche Mindeststrafe gegen Sudau beantragt. Bei dem Bielefelder Prozeß ging es um Teile der Vorgänge, die im „Einsatzkommando-Prozeß“ vor dem Schwurgericht Ulm im Sommer 1958 verhandelt worden sind. Das Ulmer Urteil war zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht worden.

In der Urteilsbegründung sagte der Vorsitzende des Gerichts, Landgerichtsdirektor Bendler, es stehe fest, daß die Gestapostelle Tilsit, der der Angeklagte angehörte, zu Beginn des Rußlandfeldzuges den Befehl erhalten habe, den litauischen Grenzstreifen von „potentiellen Gegnern“ zu säubern, wobei rund 5.000 Menschen getötet worden seien. Die Angabe Sudaus. daß er nur bei einem Kommando dabei war, das ein Erholungsheim in Augustowo beschlagnahmen sollte, sei ebenso unwiderlegbar, wie auch seine Darstellung, daß er lediglich die später freigelassenen Angehörigen des Hauspersonals überprüft habe.

Die Gäste des Heimes, deren Zahl nicht genau festgestellt werden konnte, waren nach den Feststellungen des Gerichts von anderen Gestapobeamten überprüft und anschließend von einem SS-Kommando erschossen worden. Wenn man den Angeklagten auch für diese Todesopfer verantwortlich machen wolle, dann würde das auf eine Anerkennung einer Kollektivschuld hinauslaufen, die es im deutschen Strafrecht nicht gibt, sagte der Vorsitzende.

 

Der Christ im Staat und sein Widerstandsrecht:

Das Wissen um den Staat als eine von Gott gesetzte Ordnung und als einen Schutzwall gegen die teuflischen Mächte der Zerstörung sowie die Einsicht in die Beziehungen des am weltlichen Naturrecht ausgerichteten staatlichen Gesetzes zum göttlichen Rechtswillen verpflichten den Christen, dem Staat und seinen Gesetzen freiwillig und unabhängig von den dem Staat zu Gebote stehenden Zwangsmitteln zu gehorchen. Der Rechtstitel für diesen Gehorsam ist das göttliche Liebesgesetz, und dieser Rechtstitel ist viel umfassender und wirksamer als der Rechtstitel der staatlichen Zwangsgewalt.

Die Loyalität, die der Christ dem Staat schuldet, hat dieser Lehre und vor allem der lutherischen Kirche den Vorwurf einer blinden Obrigkeitsgläubigkeit und Staatsunterwürfigkeit eingetragen. Die geschichtliche Entwicklung, insbesondere das landesherrliche Kirchenregiment in Deutschland und das Staatskirchentum in Skandinavien, schienen diesen Vorwurf zu rechtfertigen. Da zwangen die Erfahrungen der Nazizeit, in denen der Staat weithin zum apokalyptischen Ungeheuer entartete, zur Besinnung. Der norwegische Bischof Bergrav stellte die These auf, der Christ schulde dem Staate nur so lange Gehorsam als er Rechtsstaat sei. (ähnlich Bischof Dibelius)

 Der Münchener Kirchenrechtslehrer J. Heckel ging in der Frage des Widerstandsrechts in der Theologie Luthers näher nach. Auszugehen ist davon, daß ein Widerstandsrecht, ja eine Wi­derstandspflicht für den Christen dann gegeben ist, wenn sich die Inhaber der Staatsgewalt gegen das weltliche Naturrecht und den Grundsatz der allgemeinen Menschenliebe auflehnen. Verschiedene Fälle sind dabei denkbar.

So kann der Staat seine Grenzen überschreiten, indem er die Kirche und ihre Lehre unterdrückt und verfolgt. Hier ist der Christ zum kompromißlosen Widerstand aufgerufen, der sich im unbeugsamen Festhalten am Evangelium bis zum Erleiden des Martyriums zu bewähren hat, also ein aktiver geistlicher und zugleich passiver leiblicher Widerstand ist, während ein aktiver leiblicher Widerstand als ungeistliches und darum untaugliches Mittel in diesem Zusammenhang abzulehnen ist. Der Kirchenkampf hat die Wirksamkeit dieses passiven Widerstandes gezeigt.

Ein weiterer Fall ist der Rechtsbruch innerhalb der staatlichen Ordnung (Rechtsordnung) selbst. Es ist denkbar, daß ein Emporkömmling widerrechtlich der rechtmäßigen Obrigkeit die Macht entreißt. Hingegen ist dem Christen auf Grund der Gehorsamspflicht gegenüber der rechtmäßigen Obrigkeit der aktive und gewaltsame leibliche Widerstand gestattet.

Wenn hingegen die an sich rechtmäßige Obrigkeit selbst das Recht bricht und dadurch ihr Amt mißbraucht, so ist einerseits der passive leibliche Widerstand nicht ausreichend, andererseits der gewaltsame Widerstand versagt. Hier hat der Christ den Inhaber der Staatsgewalt den Gehorsam öffentlich aufzukündigen ohne Rücksicht wie diese darauf reagieren. Das ist ein „aktiver, aber gewaltloser leiblicher Widerstand“ (Heckel).

Endlich ist an den Fall zu denken, daß der Staat zum alles vernichtenden und verschlingenden Ungeheuer entartet, wie es von der jetzigen Generation in furchtbarster Weise erlebt wurde. Hier wird das Naturrecht nicht nur gebrochen, sondern frivol mit Füßen getreten. In diesem Fall ist dem Christen jede Form des Widerstandes erlaubt und es ist jedes Mittel einschließlich der Revolution zulässig.

Um es nicht zu Entgleisungen kommen zu lassen, ist der Christ aufgerufen, Verantwortung im politischen Leben zu übernehmen und so den Willen Gottes auf der Erde durchzusetzen helfen.

 

Widerstand der Kirche im Dritten Reich:

Aus der Botschaft der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Berlin-Dahlem am 19./20.Oktober 1934:

Uns ist die letzte Möglichkeit einer an den bisherigen Zustand anknüpfenden Erneuerung der kirchlichen Ordnung genommen worden. Damit tritt das kirchliche Notrecht ein: Die Männer, die sich der Kirchenleitung im Reich und in den Ländern bemächtigten, haben sich durch ihr Handeln von der christlichen Kirche geschieden. Auf Grund des kirchlichen Notrechts schafft die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche neue Organe der Leitung. Wir fordern die christlichen Gemeinden, ihre Pfarrer und Ältesten auf, von der bisherigen Reichskirchenregierung und ihren Behörden keine Weisungen entgegenzunehmen und sich von der Zusammenarbeit mit denen zurückzuziehen, die diesem Kirchenregiment weiterhin gehorsam sein wollen.

 

Bermer Theologische Erklärung: Sechs biblische Sätze über das wahre Evangelium:

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und müsse die Kirche als Quelle der Verkündigung außer und neben dem Worte Gottes auch noch andere Ereignisse und Mächte, Gestalten und Wahrheiten als Gottes Offenbarung anerkennen.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugung überlassen.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst an der Gemeinde besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestatte Führer geben oder geben lassen

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne sich die Kirche über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und staatliche Würde aneignen und damit selbst zu einem Organ des Staates werden.          Die Schrift sagt uns, daß der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnungen an, sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne die Kirche in menschlicher Selbstherrlichkeit das Wort und Werk des Herrn in den Dienst irgendwelcher eigenmächtig gewählter Wünsche, Zwecke und Pläne stellen.

 

Bekenntnissynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union:

Der Staat hat seine Hoheit und Gewalt durch das Gebot und die gnädige Anordnung Gottes, der allein alle menschliche Autorität begründet und begrenzt. Das irdische Recht verkennt seinen himmlischen Richter und Hüter, und der Staat selbst verliert seine Vollmacht, wenn er sich mit der Würde eines ewigen Reiches bekleiden läßt und seine Autorität zu der obersten und letzten auf allen Gebieten macht. Gehorsam und dankbar erkennt die Kirche die durch Gottes Wort begründete und begrenzte Autorität des Staates an. Darum darf sie sich nicht dem die Gewissen bindenden Totalitätsanspruch beugen, den die neue Religion dem Staate zuschreibt. Gebunden an Gottes Wort ist die Kirche verpflichtet, vor Staat und Volk die Alleinherrschaft Jesu Christi zu bezeugen.

 

Nationalsozialistisches Recht:

Der Richter ist nicht als Hoheitsträger des Staates über den Staatsbürger gesetzt, sondern er steht als Glied in der lebendigen Gemeinschaft des deutschen Volkes. Es ist nicht seine Aufgabe, einer über der Volksgemeinschaft stehenden Rechtsordnung zur Anwendung zu verhelfen oder allgemeine Wertvorstellungen durchzusetzen, vielmehr hat er die konkrete völkische Gemeinschaftsordnung zu wahren, Schädlinge auszumerzen, gemeinschaftswidriges Verhalten zu ahnden und Streit unter Gemeinschaftsgliedern zu schlichten. Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist die nationalsozialistische Weltanschauung, wie sie insbesondere in dem Parteiprogramm und den Äußerungen unseres Führers ihren Ausdruck. findet. Gegenüber Führerentscheidungen, die in die Form eines Gesetzes oder einer Verordnung gekleidet sind, steht dem Richter kein Prüfungsrecht zu. Auch an sonstige Entscheidungen des Führers ist der Richter gebunden, sofern in ihnen der Wille, Recht zu setzen, unzweideutig zum Ausdruck kommt.

Der Führer. schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr unmittelbar Recht schafft. Aus dem Führertum fließt das Richtertum. Wer beides voneinander trennen oder gar entgegensetzen will, macht den Richter entweder zum Gegenführer oder zum Werkzeug eines Gegenführers und sucht den Staat mit Hilfe der Justiz aus den Angeln zu heben

 

Die Widerstandsbewegung gegen Hitler:

Ulrich von Hassell: Im Ganzen war es Schachts Ansicht, daß ein Staat der auf so unmoralischen Grundlagen arbeite, nicht mehr lange bestehen könne. Ich wandte ein, daß viele unmoralische Regime sehr lange bestanden hätten. Das bestritt er insofern, als Korruption usw. in diesen Systemen zwar geübt, grundsätzlich aber doch verurteilt worden sei,

so daß also der Staat an sich die sittlichen Normen anerkenne. Bei uns liege aber jetzt ein Regime vor, das zum Beispiel in der Justiz unsittliche Grundsätze offiziell aufstelle.

Dietrich Bonhoeffer: Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt. Das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer überlieferten ethischen Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend. Wir Deutschen haben in einer langen Geschichte die Notwendigkeit und die Kraft des Gehorsams lernen müssen! In der Unterordnung aller persönlichen Wünsche und Gedanken unter den uns gewordenen Auftrag sahen wir Sinn und Größe unseres Lebens. Seine Freiheit aber wahrte der Deutsche darin, daß er sich vom Eigenwillen zu befreien suchte im Dienst am Ganzen. Aber er hatte damit die Welt verkannt; er hatte nicht damit gerechnet, daß seine Bereitschaft zur Unterordnung, zum Lebenseinsatz für den Auftrag mißbraucht werden könnte zum Bösen. Es mußte sich herausstellen, daß eine entscheidende Grunderkenntnis dem Deutschen noch fehlte: die von der Notwendigkeit der freien, verantwortlichen Tat auch gegen Beruf und Auftrag. An ihre Stelle trat einerseits verantwortungslose Skrupellosigkeit‚ andererseits selbstquälerische Skrupelhaftigkeit, die nie zur Tat führte. Die Deutschen fangen erst heute an zu entdecken, was freie Verantwortung heißt. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht....  

Kurt Huber: Es gibt für alle äußere Legalität eine letzte Grenze, wo sie unwahrhaftig und unsittlich wird. Dann nämlich wenn sie zum Deckmantel einer Feigheit wird, die sich nicht getraut, gegen offenkundige Rechtsverletzung aufzutreten. Ein Staat, der jegliche freie Mei­nungsäußerung unterbindet und jede sittlich berechtigte Kritik als Vorbereitung zum Hochverrat bestraft, bricht ein ungeschriebenes Recht, das im gesunden Volksempfinden noch immer lebendig war und bleiben muß.

Ludwig Beck: Ich halte mich heute verpflichtet - im Bewußtsein der Tragweite eines derartigen Schrittes, aber unter Berufung auf die mir nach meiner Dienstanweisung für die Vorbereitung und Ausführung eines Krieges erwachsende Verantwortung - die dringende Bitte auszusprechen, den Obersten Befehlshaber der Wehrmacht zu veranlassen, die von ihm befohlenen Kriegsvorbereitungen einzustellen. Es stehen hier letzte Entscheidungen über den Bestand der Nationen auf dem Spiele. Die Geschichte wird diese Führer mit einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen, ihr Gewissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehls verbietet. Es ist ein Mangel an Größe und Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung in solchen Zeiten seine Pflichten und Aufgaben nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufträge sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem-gesamten Volk bewußt zu werden. Außergewöhnliche Zeiten verlangen außergewöhnliche Handlungen!

 

Die Männer des 20.Juli: „Nicht vom deutschen Volk gerufen, sondern durch Intrigen schlimm­ster Art an die Spitze der Regierung gekommen, hat er durch dämonische Künste und Lügen, durch ungeheuerliche Verschwendung, die allen Vorteile zu bringen schien, in Wahrheit aber das deutsche Volk in gewaltige Schulden gestürzt haben, Verwirrung angerichtet. Um sich in der Macht zu halten, hat er damit eine zügellose Schreckensherrschaft verbunden, das Recht zerstört, den Anstand in acht erklärt, die göttlichen. Gebote reinen Menschentums verhöhnt und das Glück von Millionen von Menschen vernichtet. Hitler hat seinen vor zehn Jahren dem Volke geleisteten Eid durch Verletzungen göttlichen und menschlichen Rechts unzählige Male gebrochen. Daher ist kein Soldat, kein Bürger ihm mehr durch Eid verpflichtet. Wir wollen Gottesfurcht an Stelle von Selbstvergottung, Recht und Freiheit an Stelle von Gewalt und Terror, Wahrheit und Sauberkeit an Stelle von Lüge und Eigennutz. Sie bedürfen keiner Rechtfertigung!“

Die Empörer hatten erkannt, daß die Erfüllung der beschworenen Plicht sie selbst und ungezählte andere, für die sie sich verantwortlich fühlten, zu Handlungen nötigte, die ihr Gewissen als Verbrechen bezeichnete. Das Einzigartige und -um ein oft mißbrauchtes Wort in seinem strengen Sinne anzuwenden - das Tragische ihrer Lage bestand darin, daß ein Ausweg nur möglich erschien, wenn sie selbst durch einen Akt der Gewalt das Odium des Eid-, Treu- und Rechtsbruches auf sich nahmen. Sonst blieb nur der Weg offen, in dumpfer .Resignation den Dingen ihren Lauf zu lassen und allenfalls bestrebt zu sein, sich wenigstens persönlich nicht mit Verbrechen zu belasten. Diese Männer nahmen als Einzelne für die Allgemeinheit eine Tat auf sich, die in ihrer Anfechtbarkeit, aber auch in ihrer unausweichlichen Notwendigkeit ihnen klar vor Augen stand. Diese Männer haben es sich nicht leicht gemacht. Selbst einleuchtende Rechtfertigungen wie die, daß Hitler selbst der Eidbrüchige sei, daß er selbst niemand die Treue halte, die er doch von allen forderte, ja. erzwang, hörte man kaum aus ihrem Munde. Wenn etwas in neuerer Geschichte so muß ihre Tat als ein Opfer bezeichnet werden: Sie nahmen wissend ein Verbrechen auf sich, um ungeheure Verbrechen, deren Zeuge sie waren, aus der Welt zu schaffen. Wer heute aufrichtig sein Gewissen prüft, muß erkennen, daß es unendlich viel bequemer war, sich als Christ auf den Katechismus, als Soldat auf die-Heiligkeit des Eides oder die Gehorsamspflicht gegen einen gegebenen Befehl zurückzuziehen, als sich durch eine Tat aufzulehnen. Das mindeste, das wir alle, die wir in dem großen Zwiespalt des vergangenen Krieges die letzte Entscheidung umgangen haben, denen schulden, die sich ihr stellten, ist doch wohl Schweigen. Jene bedürfen keiner Rechtfertigung, und der Versuch, gegen sie zu sein und ihre Tat anzuzweifeln, richtet den, der ihn unternimmt

Grundsätze für die Neuordnung Deutschlands: Entwurf des Kreißauer Kreises 1943:

1.) Das zertretene Recht muß wieder aufgerichtet und zur Herrschaft über alle Ordnungen des menschlichen Lebens gebracht werden. Unter dem Schutz gewissenhafter, unabhängiger und von Menschenfurcht freier Richter ist es Grundlage für alle zukünftige Friedensgestalt

2.) Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wird gewährleistet. Bestehende Gesetze und Anordnungen, die gegen diese Grundsätze verstoßen, werden sofort aufgehoben.

3. ) Brechung des totalitären Gewissenszwangs und Anerkennung der unverletzlichen Würde der menschlichen Person als Grundlage der zu Rechts und Friedensordnung. Jedermann wirkt in voller Verantwortung an den verschiedenen sozialen, politischen und internationalen Lebensbereichen mit. Das Recht auf Arbeit und Eigentum steht ohne Ansehen der Rassen-, Volks- und Glaubenszugehörigkeit unter öffentlichem Schutz.

4.) Die Grundeinheit friedlichen Zusammenlebens ist die Familie. Sie steht unter öffentlichem Schutz, der neben der Erziehung auch die äußeren Lebensgüter Nahrung, Kleidung, Wohnung, Garten und Gesundheit sichern soll.

5.) Die Arbeit muß so gestaltet werden, daß sie die persönliche Verantwortungsfreudigkeit fördert und nicht verkümmern läßt. Neben der Gestaltung der materiellen Arbeitsbedingungen und fortbildender Berufsschulung gehört dazu eine wirksame Mitverantwortung eines jeden an dem Betrieb und darüber hinaus an dem allgemeinen Wirtschaftszusammenhang, zu dem seine Arbeit beiträgt.

Hierdurch soll er am Wachstum einer gesunden und dauerhaften Lebensordnung mitwirken, in der der einzelne, seine Familie und die Gemeinschaften in ausgeglichenen Wirtschaftsräumen ihre organische Entfaltung finden können. Die Wirtschaftsführung muß diese Grunderfordernisse gewährleisten.

6.) Die persönliche politische Verantwortung eines jeden erfordert seine mitbestimmende Beteiligung an der neu zu belebenden Selbstverwaltung der kleinen und überschaubaren Gemeinschaften. In ihnen verwurzelt und bewährt, muß seine Mitbestimmung im Staat und in der Völkergemeinschaft durch selbstgewählte Vertreter gesichert und ihm so die lebendige Überzeugung der Mitverantwortung für das politische Gesamtgeschehen vermittelt werden.

7.) Die besondere Verantwortung und Treue, die jeder einzelne seinem nationalen Ursprung, seiner Sprache, der geistigen und geschichtlichen Überlieferung seines Volkes schuldet, muß geachtet und geschützt werden. Sie darf jedoch nicht zur politischen Machtzusammenballung, zur Herabwürdigung, Verfolgung oder Unterdrückung fremden Volkstums mißbraucht werden. Die freie und friedliche Entfaltung nationaler Kultur ist mit der Aufrechterhaltung absoluter einzelstaatlicher Souveränität nicht mehr zu vereinbaren. Der Friede erfordert die Schaffung einer die einzelnen Staaten umfassenden Ordnung. Sobald die freie Zustimmung aller beteiligten Völker gewährleistet ist, muß den Trägern dieser Ordnung das Recht zustehen, auch von jedem einzelnen Gehorsam, Ehrfurcht, notfalls auch den Einsatz von Leben und Eigentum für die höchste politische Autorität der Völkergemeinschaft zu fordern          

 

 

 

Declaration of Independence (Thomas Jefferson)

When, in the course of human events, it becomes necessary for one people to dissolve the political bands, which have connected them with another, and to assume, among the powers of the earth, the separate and equal station, to which the laws of nature and of nature's God (Naturrecht und Gesetze des Gottes der Natur) entitle them (berechtigen) a decent respect to the opinions of mankind requires (erfordert), that they should declare the causes, which impel them to the separation.

We hold these truths to be self-evident:

- That all men are created equal; that they are endowed by their Creator with certain unalienable rights; that among these are life, liberty and the pursuit of happiness. That to secure these rights governments are instituted among men, deriving their just powers from the consent of the governed; that, whenever any form of government, laying its foundation on such principles, and organizing its mowers in such form, as to them shall seem most likely to effect their safety and happiness. Prudence, indeed, will dictate, that governments - long established - should not be changed for light and transient (vorübergehend) causes; and accordingly all experience hath shown, that mankind are more disposed to suffer while (solange) evils are sufferable, than to right themselves by abolishing the forms, to which they are accustomed. But when a long train of abuses and usurpations (Machtanmaßung), pursuing invariably

the same object, evinces a design (den Plan klar sehen) to reduce them - under absolute despotism, it is their right, it is their duty, to throw off such government and to provide new guards for their future security.

Such has been the patient sufferance of these colonies: and such is now the necessity, which constrains (zwingt) them to alter their former system of government. We must therefore, acquiesce (einstellen auf) in the necessity, which denounces (hervorruft) our separation, and hold them, as we hold the rest of mankind, enemies in war, in peace friends.

We, therefore, the representatives of the United States of America, in General Congress assembled, appealing to the Supreme Judge of the world for the rectitude (Rechtschaffenheit) of our intentions, do, in the name and by the authority of the good people of these colonies, solemnly publish (feierlich veröffentlichen) and declare, that these United Colonies are, and of right ought to be, free and independent states; that they are absolved from all allegiance (Treueverpflichtung) to the British crown, and that all political connection between them and the state of Great Britain is, and ought to be, totally dissolved; and that, as free and independent states, they have the full power to levy (erklären) war, conclude peace, contract alliances, establish commerce, and do all other acts and things, which independent states may of right (von rechtswegen) do. And for the support of this declaration, with a firm reliance on the protection of Divine Providence (Vorsehung), we mutually (gegenseitig) pledge (verpfänden) to each other our lives, our fortunes, and our sacred honor.  (Fortune hier gleich Vermögen)

 

 

 

Der Rechtsstaat

 

Demokratie ist die „Regierung des Volkes durch das Volk für das Volk“ (Lincoln). Im modernen, größeren Staatsauparat hat man jedoch nicht eine direkte, sondern eine repräsentative Demokratie, die von gewählten Abgeordneten ausgeübt wird.

Es besteht jedoch eine Souveränität des Volkes, obwohl man heute geneigt ist, einen Teil der äußeren Souveränität übergeordneten Begriffen (Europa, UNO) abzugeben.

Die Repräsentanten und die Regierung sind dem Volk Rechenschaft schuldig und werden vom Volk kontrolliert (bei uns allerdings keine strenge Gewaltenteilung: Ein Beamter der Exekutive kann Mitglied des Bundestages werden; die Führung, der stärksten Partei und die Regierung ist in der Hand derselben Leute).  

 

Kontrolle des Staates:

1.) Schutz gewisser Freiheitsrechte

2.) Bindung des Staates an das Recht

 

Voraussetzungen des Rechtsstaates:

1.) Prinzip der Gewaltenteilung (am stärksten in den USA !)

2.) Bindung der Verwaltung an das Gesetz (Verwaltungsgericht!)

3.) Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung

4.) Nachprüfbarkeit der Tätigkeit der Regierung (Verwaltungs- und Bundesverfassungsgericht.

Die Anerkennung und Durchführung dieser Prinzipien mit der Sicherstellung der Grund- und Menschenrechte machen in der modernen Demokratie das Wesen des Rechtsstaates aus.

 

Zunächst hatte man dem Willkürstaat den „Nachtwächterstatt“ entgegengestellt, der aus dem extremen Liberalismus mit der völligen Freisetzung des Individuums entstand. Der Staat hatte hier nur Pflichten, der Bürger nur Rechte. Der Staat durfte nur das Individuum schützen gegen das andere Individuum (aber nur bei groben Verstößen, die offen zutage lagen) und gegen den Gegner von außen.

So geht es jedoch nicht. Adam Smith hatte gesagt: „Die Wirtschaft wird sich bald eingespielt haben, denn der Mensch wird seine Vernunft gebrauchen“ (Optimismus der Aufklärer). Das Ergebnis war der Kapitalismus und die Ausbeutung des Menschen. Das Individuum existiert aber nicht für sich allein, es ist ein soziales Wesen, ein Wesen der Gemeinschaft. Diese Polarität ist aber erst da seit der Stoa und besonders das Christentum „Jeder Mensch ist gleich wertvoll vor Gott“. Die Ansprüche des Individuums widersprechen oft den Ansprüchen des anderen Individuums, und jeder Mensch muß Rücksicht nehmen auf den anderen, der nicht so stark ist.

Auch der Staat steht unter dem Gesetz. Das Gesetz soll eine objektive Rechtsordnung sein, das die äußere Ordnung aufrecht erhält (es kümmert sich nicht um die Sittlichkeit, ob ein Mensch innerlich gut oder schlecht ist!). Das Recht, das in den Gesetzen niedergelegt wird, muß aber auch erzwingbar sein. Diese Autorität übt der Staat aus, nicht aber der Einzelne (Michael Kohlhaas!).

Es besteht eine Wechselbeziehung zwischen Rechtsordnung und Sittlichkeit: Die Rechtsordnung darf nicht gegen die Sittlichkeit verstoßen und die Sittlichkeit stützt die Rechtsordnung, indem sie die Einhaltung der Gesetze fordert.

Die Einhaltung des Rechts wird überwacht durch die Gerichte: Öffentliches Recht: Ahndung der Straftaten und Verhältnis Staat -Individuum. Privates Recht: Schlichtung von Streitigkeiten zweier Parteien. Der Rechtsstaat darf aber nicht zum Gerichtsstaat werden, wo der Richter die Macht hat und die Juristen die Verwaltung ausführen.

 

Erste Formulierungen der Menschenrechte waren die „Virginia Declaration“ (gegen ein Parlament) und die Forderungen der französischen Revolution (gegen die Monarchie). Diese waren aber nicht gegen die Staatsform, sondern gegen die Regierung gerichtet

Diese Formulierungen wurden etwa 1848 um das Recht der Arbeiter auf Arbeit erweitert (erst nach der Entwicklung des Arbeiterstandes möglich!).

 

 

Verteilende Gerechtigkeit des Herrschers

Im Gegensatz zur Tauschgerechtigkeit (kommutative Gerechtigkeit), die bei jedem Tauschgeschäft geübt wird und bei der die Werte von einem Dritten geschätzt werden können, stehen sich bei der zuteilenden Gerechtigkeit (distributive Gerechtigkeit) der Führer der Gemeinschaft und der Einzelne als Teil des Ganzen sich gegenüber. Dabei ist klar, daß der Einzelne nur in demselben Verhältnis bedacht werden kann wie die anderen bzw. in einem gerechten Verhältnis zu ihnen (Beispiel: Entschädigungen nach einem Krieg: Es wird nicht alles ersetzt, sondern nur ein bestimmter Prozentsatz, der entweder für alle gleich ist oder jedem ein gewisses Existenzminimum garantiert) und wobei die Verteilung der Lasten auch gerecht erfolgen sollte. Man hat jedoch als Staatsbürger zunächst keinen klar umrissenen Anspruch auf Leistungen der verteilenden Gerechtigkeit, denn nicht immer ist die Gemeinschaft in der Lage, für alle in angemessener Weise zu sorgen. Sie ist zur Leistung verpflichtet, kann aber nicht zu einer bestimmten Leistung gezwungen werden, denn es gibt keine höhere Instanz, die diese Autorität hätte. Auch ein Gericht prüft nur die Auslegung der Gesetze; wenn man mit diesen nicht einverstanden ist, bleibt nur der Widerstand.

Deshalb muß der Herrscher das Recht halten, oder es entsteht Ungerechtigkeit. Und wir dürfen es nicht als Utopie ansehen, daß man ein gewisses Gefühl für Gerechtigkeit anerziehen kann, und wir müssen ein Vorbild als Maßstab für den guten Herrscher lehren. Der Herrscher sollte eine hohe Verkörperung der Tugend sein, er sollte sowohl guter Mensch als auch. guter Bürger sein.

Es ist jedoch eine nahezu übermenschliche Schwierigkeit, die verteilende Gerechtigkeit zu verwirklichen. Die Gerechtigkeit ist zwar vorhanden, aber sie ist nicht jederzeit (sogar meist) nicht deutlich erkennbar, denn dafür sind wir Menschen. Wir besitzen keine neutrale Schieds­stelle, die eindeutig festlegen kann, was gerecht ist. Die Gerechtigkeit ist nicht bis zu ihrem höchstens Ideal zu verwirklichen. Es muß jedenfalls ein Ausgleich zwischen dem allgemeinen Wohl und einzelnen Interessen etwa einer Partei stattfinden. Das ist jedoch nicht immer berechtigt. Man kann nicht von einem Arbeiter verlangen, daß er bei einer Streik-Urabstimmung in erster Linie das allgemeine Wohl im Auge hat, wenn er dadurch sehr einschneidend beeinträchtigt wird. Partikulare Interessen müssen manchmal anerkannt werden, wenn es auch keine bestimmte Grenze gibt, sondern nur bestimmte Marken, die die Rechte ungefähr abstecken.

An der Gerechtigkeit des Herrschers nimmt auch der Beherrschte durch seine Zustimmung teil. Diese Zustimmung darf jedoch nicht aus einer gewissen biedermännischen Haltung und dem Gefühl der unbedingten Loyalität gegenüber dem Herrscher (besonders, wenn es ein Monarch ist) entstehen. Der Staatsbürger darf jederzeit Kritik. üben, die jedoch nicht aus Prinzip geäußert werden darf. Wenn die Beherrschten dem Herrscher innerlich zustimmen und sich der legalen Macht fügen, ist der Herrscher legitim.

 

 

 

Die Masse

Ortega y Gasset: Masse.       

Was Masse ist, wird am deutlichsten, wenn man diesen Begriff dem der Menge gegenüberstellt: Unter Menge versteht man eine Ansammlung von Menschen, die außer ihrem Menschsein nichts miteinander verbindet. Masse wird eine größere Zahl von Menschen genannt, die -wenn auch nur vorübergehend und unter bestimmten, zeitlich bedingten gefühlsmäßig gebundenen Voraussetzungen - durch ein Gemeinsames (Leidenschaft, Erregung, Hoffnung, Augenblicksziel) zu einer Einheit zusammengeschlossen werden. Während „Menge“ also ein quantitativer Begriff ist, verbindet sich mit dem wesentlich inhaltsreicheren der „Masse“ die Vorstellung von einer Anzahl von Menschen, die unter bestimmten psychologischen Voraussetzungen zu plötzlichen Affekthandlungen verführt werden können.

Die wissenschaftliche Erforschung des Phänomens Masse ist heute Gegenstand sowohl der Psychologie und der Anthropologie als auch der politischen Wissenschaften, der Geschichte und der Nationalökonomie. Denn alle diese Wissenschaften befassen sich mit den konkreten Voraussetzungen, unter denen Menschen in großer Zahl gemeinsam emotionell zu reagieren pflegen. Der Psychologie und der Tiefenpsychologie fällt dabei eine führende Rolle zu. Denn wir haben erkannt, daß der einzelne, wenn er in bestimmten historischen Situationen - seien dieser kultureller, nationalökonomischer, politischer oder sonstiger Art - Teil einer Masse wird, in den Bann bestimmter Leidenschaften gerät. Das Triebhafte undIrrationale gewinnt die Oberhand.

Typische Merkmale der Massenmenschen sind:

1.) Anonymität: Die individuelle Verhaltensweise verflüchtigt sich unter dem Bann der Leidenschaften, die alle ergreifen, und wird durch nur triebhaftes, instinktmäßiges Reagieren ersetzt.

2). Gefühlsbestimmtheit: An die Stelle der Vernunft treten Gefühl und Trieb. Daher die große Beeinflußbarkeit der Massen, die nicht aus Überlegung und Einsicht handeln, sondern allein durch Emotion gelenkt werden.

3.) Schwinden der Intelligenz: Die Intelligenz der Masse sinkt unter das Niveau der einzelnen, die sie bilden. Wer sich den Beifall der Masse sichern will, wird sich an der unteren Intelligenzgrenze orientieren und auf logisches Argumentieren verzichten. Ein Erlebnis mit anderen zu teilen, steigert die Erregung. Die Masse ist leichtgläubig und gibt sich kritiklos einander ablösenden Rednern hin, mögen ihre Aussagen einander auch noch so sehr widersprechen.

4.) Schwinden der persönlichen Verantwortung: In dem Maß, in dem der einzelne die Kontrolle über die eigenen Leidenschaften aufgibt, verliert er sein Verantwortungsgefühl und kann zu Taten hingerissen werden, die er, allein im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehend, nie begehen würde.

 

Die Massenpsychologie muß also die Gefühle und Reaktionen der Menschen kennen, die unter dem Bann bestimmter Leidenschaften stehen. Beispiele praktischer Anwendung massenpsychologischer Erkenntnisse sind - um zwei Extreme zu nennen - die moderne Werbung zugunsten bestimmter Handelsartikel und die Propaganda, wie sie etwa von und zugunsten

von Führern totalitärer Staaten betrieben wird.

Seit Freud wieder nachwies, daß der Mensch keineswegs nur rational handelt, sondern überwiegend durch irrationale, gefühlsbetonte Motive zu Taten getrieben wird, hat sich für massenmsychologische Untersuchungen ein ganz neuer Aspekt ergeben. Die moderne Massenpsychologie stützt sich bewußt auf die Begriffe der Psychoanalyse.

Warum die Massen in alles eingreifen und warum sie nur mit Gewalt eingreifen:

In der europäischen Geschichte hat sich bis zum heutigen Tag das Volk noch niemals eingebildet, „Ideen“ über irgendetwas zu haben. Es hat Glaubenslehren, Überlieferungen, Erfahrungen, Sprichwörter, Denkgewohnheiten. Es hielt sich ungeeignet zum theoretischen Denken und stimmte nur über die Entscheidungen der Politiker ab, suchte ihnen aber nicht eigene Ideen zu vermitteln.

Heute dagegen hat der Durchschnittsmensch die deutlichsten Vorstellungen von allem, was in der Welt geschieht und zu geschehen hat. Dadurch ist ihm der Gebrauch des Gehörs abhanden gekommen. Wozu hören, wenn er schon alles, was not tut, selber weiß? Es ist nicht mehr an der Zeit zu lauschen, sondern zu urteilen, zu befinden, zu entscheiden.

Diese „Bildung“ der Massen bedeutet jedoch keinen Fortschritt, denn die Ideen sind keine Ideen, man benutzt sie nur, um sie der Wahrheit entgegenzusetzen. Mit dem Faschismus erscheint zum Beispiel in Europa zum erstenmal ein Menschentypus, der darauf verzichtet, Gründe anzugeben, der sich schlechtweg entschlossen zeigt, seine Meinung durchzusetzen. Der durchschnittliche Mensch entdeckt „Gedanken“ in sich, aber er kann nicht denken. Er will „meinen“, aber er will die Bedingungen und Voraussetzungen alles Meinens nicht anerkennen.

Wer eine Idee hat, glaubt an die Begründbarkeit dieser Ideen, er glaubt an eine Instanz, die über die Wahrheit entscheidet, und er sucht die Wahrheit im Zwiegespräch und auf Vernunftgründen aufgebaut zu finden. Der Massenmensch schreckt jedoch instinktiv zurück vor der Diskussion, weil er die höchste objektive Instanz nicht anerkennt. Man macht also mit der Diskussion Schluß und fällt so in die Barbarei zurück.

Gewalt ist dann nur noch „ultima ratio“, die Fortsetzung der Diskussion mit anderen Mitteln. Die direkte Aktion dagegen macht sie nun sogar zur „prima ratio“ und zur „unica ratio“. Und wenn die Masse in das öffentliche Leben eingreift, dann nur durch direkte Aktion

 

Die größte Gefahr - der Staat.

Die Masse ist der Teil des Gemeinwesens, der nicht aus sich selbst handelt. Sie wird geführt, beeinflußt, vertreten, gegliedert. Sie kann das nicht selber tun, sie muß sich auf höhere Instanzen beziehen. Wer aus eigener Kraft seine Autorität findet, der gehört zu dieser Elite. Wer nicht, muß die Autorität von der Elite empfangen. Erhebt die Masse Anspruch auf selbständiges Handeln, so steht sie gegen ihr eigenes Schicksal auf. Wenn die Masse selbständig handelt, tut sie es nur auf eine Art: sie lyncht.

Die alten Staaten krankten an dem enormen Niveauunterschied zwischen der Stärke der Gesellschaft und der öffentlichen Gewalt. Mit der Revolution aber bemächtigte sich das Bürgertum der öffentlichen Gewalt und schuf eine eigene mächtige Organisation, die mit den Revolutionen aufräumte. Staatliche und soziale Gewalt hatten sich ausgeglichen. Nur das Gegenteil der Revolution ist noch möglich: der Staatsstreich, der allerdings auch als Revolution getarnt ist.

Der Massenmensch bewundert diese anonyme Macht „Staat“, er ist sich nicht bewußt, wer den Staat geschaffen hat und wer eigentlich „Staat“ ist. Man verläßt sich auch zu sehr auf den Staat, wenn man in Gefahr ist. Diese Wundermaschine bedeutet eine ständige Versuchung, und nur zu oft wendet man sie an. Alles Leben ist nur Dienst am Staate. Damit aber Sicherheit herrscht, braucht man ein großes Heer (nach außen) und eine genau eingespielte Bürokratie (nach innen). Die Gesellschaft wollte sich ein Instrument schaffen, um besser leben zu können. Dieses Werk macht sich aber selbständig und stellt sich über sie, und alles muß nur noch dem Staate leben „"Alles für den Staat; nichts außer dem Staat, nichts gegen den Staat“ (Mussolini).

 

Was kann man gegen die Vermassung tun?

Definitionen:

Menge: Menschenansammlung.das Verbindende ist ihr Menschsein, sonst nichts.

Masse: Durch ein gemeinsames Ziel zusammengeschlossene Menge.

Gesellschaft: Zusammenschluß der „Vielen“, dauerhafter Zusammenhalt. Jeder an seinem Platz und mit seinem Recht, fast eine „Gemeinschaft“. Eine Gesellschaft besteht, wenn Menschen in den verschiedensten Formen zusammenleben (Familie, Verbände, Staat). Denken aber über die Gesellschaft nicht die Politiker und die Volks­wirtschaftler nach? Den Staat muß man doch nach der Zweckmäßigkeit beurteilen, und da sind solche Leute gerade die richtigen? Wenn der Staat aber einen Zweck hat, dann muß er auch ein Ziel haben (etwa die Macht), dann muß man seine Ethik betrachten; das tut die Philosophie. Die Realität des Staates dagegen untersucht die Ontologie. Der Staat hat eine Realität: Wer sich dauernd gegen die Gesellschaft stellt, wird in eine Heilanstalt eingewiesen (es sei denn, er hätte GeldIndividualismus: Jeder Einzelne ist doch „Gesellschaft“, er allein sieht, daß er i s t; wirklich sind immer nur die Einzelmenschen, die dann einen Vertrag schließen, der aber jederzeit wieder zu lösen ist.

Die Industriegesellschaft ist der Versuch des Menschen, sich im Zwischen einzurichten; aber auch sie könnte eine Wahrheit haben. Hier können wir jedoch nur tasten und zum Teil vor­wegnehmen. Wir dürfen nur nicht in die Spekulation einer Konkretion verfallen.

Die Mitte der neuen Gesellschaft ist die Einheit der Menschheit auf der Ebene aller Völker und Rassen. Indem jedes Volk seine Mitte findet, kommt es in die Urwahrheit und trägt somit zur neuen Gesellschaft bei. Mitte der neuen Gesellschaft ist aber auch der Mensch als wahrer Herrscher, der „Boden“ schafft, das Wort als „Geist“ spricht und in sich das Auseinander der Gesellschaft bewältigt.

Das Maß der neuen Gesellschaft ist so der Mensch und die Art und Weise, wie er die Gesellschaft bewältigt und zur Wahrheit führt, weil er selbst ja Einheit ist. Die Gestalt dieser neuen Wahrheit ist dann die heile befriedete Gesellschaft als Herrschertum des Menschen. Wir versuchen heute auch die Einheit der Menschheit zu schaffen. Wir befinden uns jedoch im „Tal“, und deshalb kann es nichts werden:

Der Mensch kann nicht Herrscher werden, sondern reduziert zum berechenbaren Arbeitswesen (er ist reif, wenn er in der Gesellschaft funktioniert). Es besteht schon eine Einheit, denn „Arbeiter sein“ ist überall gleich. Aber dieser neue Mensch ist nicht Herr, sondern Knecht, der sich als Herr dünkt. Das Maß ist die Ratio, die Einheit der Sprache besteht in der Formelsprache (nicht Sprache des Geistes), die Gestalt ist die totale Organisation, der Apparat.

Ein Ende der Geschichte kann es aber erst geben, wenn der Vollzug der Wahrheit eine Wirklichkeit geworden ist. Das wird dann auch das Ende des alten Menschen sein, der neue wird kommen als eine vollkommene Gestalt im Lichte der Wahrheit.

Es geht also in erster Linie darum, daß unser Volk sich selbst findet und seine Vergangenheit bewältigt zum Sprung in die neue Gesellschaft, zur Aufhebung der Industriegesellschaft in ihre eigene Wahrheit.

 

Gemeinschaft: Für uns ist das Verständnis des Wortes „Gemeinschaft“ sehr schwer, denn wer sich im „Tal“ befindet, bekommt die „Gemeinschaft“ gar nicht in den Blick. Jede Stufe der Entwicklung des Menschen hat ihr Ziel: Einmal besteht dieses Ziel im Sprung zur nächsten Stufe, zum anderen aber auch in der Ausfüllung eines jeden Lebenskreises (Werden - Sein). Nur wenn dieses Ziel erreicht ist, der Lebenskreis bewältigt ist und seine volle Gestalt erreicht hat, kann der Sprung zur nächsten Stufe erfolgen.

Überträgt man nun dieses Prinzip des Werdens auf die Geschichte, so sieht man, daß sich auch hier verschiedene Gemeinschaftsformen ausgebildet haben: Stamm, Volk, Reich, Nation, Gesellschaft (Goten, Germanen, Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation, Nationalstaaten, moderne Industriegesellschaft). Die neuen Gemeinschaftsformen waren aber nur

zu erreichen durch den Tod der vorhergehenden.

Das dritte Reich Hitlers jedoch war ein Versuch der Flucht vor dem Sterben: Man sah alle Werte durch die Industrie bedroht, man fürchtete, die gerade gefundene Gestalt könne wieder zerbrechen, und so floh man in die Vergangenheit, bis zu Germanen und Mythos, weil man glaubte, dort noch Gestalt zu finden. Folgen davon waren Passivität und Furcht vor dem Aufbauen einer neuen Ordnung. Nachdem diese Gestalt eines dritten Reiches nun wieder zerbrochen ist, fliehen wir nun nach vorne und suchen die neue Gesellschaft in eigener Machtvollkommenheit zu erzwingen.

 

 

 

Gemeinschaft und Gemeinde

Gemeinschaft:

Der Mensch lebt von der Schöpfung her in der Gemeinschaft. Schon der erste Mensch ist Gemeinschaft, er ist das Ziel der nachherigen Gesellschaft und kann wieder die Rückbildung sein der zerfallenen Gemeinschaft (Individualismus!). Es gibt zwei große Formen der Gemeinschaft

(1.) Hausgemeinschaft, in die man hineingeboren ist

(2.) Kultgemeinde, der man sich freiwillig anschließt.

Wille ist, was auf Grund der Freiheit geschieht. Nur freie Menschen haben einen Willen, denn nur beim freien, schwebenden Geist sind Wunsch und Ausführung dasselbe, nämlich Wille. Das bedeutet: Es handelt sich um eine Bruderschaft, die analog gebildet ist zur Hausgemeinschaft. Sie wird durch Eid befestigt. Sie geht sogar soweit, daß ein gemeinsames Gastmahl den Frieden wiederherstellt und sogar Blutschuld aufhebt.

In dieser Gemeinschaft geht es um Werte, die Mitte ist die Autorität. Deshalb ist die Verbindung der Menschen eine menschliche Aufgabe, denn sie ist Aufhebung des Auseinander. Sie ist gegründet in der Treue zur Mitte und zu den anderen Menschen.

Gemeinschaft ist nie Summe der Mitglieder, sondern Gesamtperson. Sie ist nicht abhängig vom Kommen und Gehen der Einzelnen, denn sogar noch die Toten gehören zu dieser Gemeinschaft. Gemeinschaft ist Gesamtbürgschaft, jeder steht für den anderen ein. Gemeinschaft ist aber auch Gesamtschuld. Es kommt auf die Besserung der Gesamtgemeinschaft an und auf das Übernehmen der Schuld für den anderen. Deshalb kommen Mörder zur Gemeinschaft und bitten um Bestrafung, um die Gemeinschaft zu bessern, denn ein unentdecktes Verbrechen ist die furchtbarste Krankheit der Gemeinschaft.

Einzelgänger sind nur der auf seine eigne Kraft vertrauende Recke und der Geächtete, der nicht mehr in der Gemeinschaft zählt, dessen Frau eine Witwe ist. Er ist ein Wolf, der unbedingt getötet werden muß, denn er ist kein Mensch mehr. Mensch ist er nur in der Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft muß in ihm sichtbar werden, sie „tönt“ im Einzelnen durch („personare“).

 

Gemeinde:

Nach 1.Petrus 2,9-10 ist die Gemeinde als „Volk Gottes“ in seiner Gesamtheit auserwählt. Es fällt jedoch auf, daß im Neuen Testament nur Einzelne erwählt werden, nicht auf Grund einer Übereinkunft der Individuen, sondern von Gott.

Auch die Gemeinde ist von Gott gesetzt. Sie ist Eigentum Gottes, der in ihr wohnt. Die Gemeinde ist Gestalt Christi, wo Gemeinde ist da ist auch Christus. Sie ist der Raum, in dem Christus seine Fülle ausgießt. Er hat dadurch die Einheit der Menschheit wiederhergestellt, in ihm ist die Menschheit wieder Mensch (Offenbarung 1,5-6).

Durch die Taufe wird man Glied des Leibes (1.Kor 12,13 und Röm 6,4), durch das Abendmahl bleibt man in der Gemeinde. Hier wird der Leib Christi gebrochen. Die Gemeinde wird also „gebrochen“, sie übernimmt mit Christus Schuld und wird mit ihm gekreuzigt. Sie ist ja selber Leib und nimmt damit den Auftrag an, sich selbst zu opfern. Das Blut der Gemeinde wird vergossen, um die Einheit wiederherzustellen.

(1.) Gemeinschaft wird immer wieder vollzogen. Sie ist bereit, mit Christus zu sterben

(2.) Das Eingeständnis der Schuld wird vollzogen, damit vollzieht die Gemeinde ein Priesteramt, ihr Sein ist auch gleichzeitig ein Akt, ihre Sammlung in der Mitte ist auch Sendung.

Daraus ergeben sich drei Lebensmerkmale der Gemeinde:

(1.) Leiturgia: Gottesdienst der Gemeinde

(2.) Diakonia: Dienst für die Welt, miteinander im Spiel

(3.) Martyria: Zeugnis von der Mitte

Diese Merkmale sind aber immer miteinander im Spiel.

 

Das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinde:

(1.) „Das höchste Glück der Erden ist doch die Persönlichkeit“ (Goethe)

2.) „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ (Hitler).

Im Neuen Testament:.

(1.) Christus sucht den Einzelnen, ihn ruft er heraus aus der Masse

(2.) Er spricht auch von „heiliges Volk“ und „auserwähltes Volk“.

Das ist kein Widerspruch, denn der Einzelne wird Glied mit einem speziellen Auftrag zum Wohle der Gemeinde und baut somit mit am Leib der Gemeinde. Seine „Mitte“ ist identisch mit der „Mitte“ der Gemeinschaft, stimmt also voll mit der Gemeinde überein.

Wer in der Gemeinde ist, ist Christ; wer in Christus ist, ist in der Gemeinde; wer in der Gemeinde ist, ist in der Menschheit; wer in der Menschheit ist , ist Mensch. Aber auch der Einzelne in Christus kann durchaus zu einer neuen Zelle der Gemeinde werden! In der Spätzeit des Griechentums (Hellenismus) fühlte sich der Einzelne als nicht mehr in die Polis geboren, sondern er wächst heran als Kosmopolit und als Individuum. Diese Lage traf das Christentum an und es mußte nun den Einzelnen ansprechen.

Christus will die Einheit wiederherstellen durch die Liebe untereinander, er gibt dem Einzelnen erst seine wahre Bedeutung. Es besteht aber durchaus die Möglichkeit des Ausschlusses: „Ärgert dich die Hand, dann schlag sie ab!“ Es geht ja um die Erhaltung des Leibes. Die Frage ist, ob eine Besserung des Gliedes noch möglich ist. Ist das aber nicht mehr möglich, dann erfolgt der Ausstoß, der immer Schuld bedeutet.

 

Man redet von „Masse“ oder „Masseninstinkten“ - an sich sind das schlechte Ausdrücke, die aber das Negative und Bedrohende, das mitschwingt‚ auszudrücken. Gegensatz ist das Individuum. Doch in der Masse ist jeder für sich allein. Die Masse wird oft von Gefühlen geleitet, die durch einen Anstoß ausgelöst werden (Modetorheiten!). Deshalb ist sie leicht zu beherrschen: Ein Demagoge fühlt sich in die Masse ein, beherrscht sie dann durch den Apparat. In allen Staatsformen kann „Masse“ entstehen. Utopisch ist aber die „klassenloser Gesellschaft“, in der alle „Masse“ wären.

 

In der mittelalterlichen Gesellschaft war jeder gebunden an Staat oder Kirche, an Lehnsherr oder Vasall. Auch die Wissenschaft war gebunden an die Autorität antiker Denker.

Aber heute ist es anders:

1) Keine Autorität mehr, weder bei der Erziehung noch gegenüber dem Staat.

2) Die Demokratie gibt jedem den gleichen Ausgangspunkt, mit der Möglichkeit, sich voll zu entfalten, es geht nicht um Gleichmacherei.

3) Dennoch gerade hier Zusammenschluß zu Großverbänden, „Dachorganisationen“, Großräumen. Europa ist jedoch kein Massenstaat.

4) Gewisse Gesellschaftsschichten verschwanden. Es gibt nur noch eine Klasse, allerdings nicht das revolutionäre Proletariat, sondern ein Bürgertum mit Ruhebedürfnis und Gewinnstreben.

5) Technik: Die Arbeitsteilung ist kein „Sündenfall“, die Rationalisierung ist heute nötig, weil alles schneller und billiger geht. Die gesteigerten Verkehrsmöglichkeiten gleichen weltweite

Unterschiede aus.

 

Aber Massenkommunikation ermöglicht Massenbeieinflussung; das bewirkt oft gleiche Meinung. Der überwältigende Eindruck der Technik läßt den Menschen in Vergessenheit geraten. Er muß immer die Leistungen seiner Vorfahren nachholen, der Weg dorthin wird immer länger und schwerer

Da gibt man es soft von vornherein auf und wird gleichgültig. Man will keine Entscheidungen mehr fällen, keine Verantwortung haben. Wenn man auf eine Herausforderung aber nicht antwortet, macht sich diese selbständig und bedroht den Menschen. Man fragt auch nicht mehr nach dem Mitmenschen, jeder ist allein und will mit dem anderen nichts mehr zu tun haben.

 

 Was tue ich gegen die Vermassung?

Bei einer Massenveranstaltung will ich nicht unbedingt mitschreien, aber im Grunde kann ich mich nicht davon nicht zu lösen, weil die Masse ja das Unterbewußte anspricht. Um von vornherein die Gefahren zu erkennen (Voraussetzung für Bewältigung!) und ihnen begegnen zu können, muß ich mich bewußt einschränken.

1.) Meine Erziehung hatte kritisches Denken zum Ziel,- ein gutes Mittel. Aber nötig ist auch eine bewußte Abhebung, nicht aus Überheblichkeit, sondern Betonung des Andersseins (nicht: besser), um nicht Masse zu werden.

2.) Einseitigkeit bedeutet auch Vermassung: Man liest einen (!) Denker, begeistert sich dafür und versucht alles diesen Ideen anzupassen, etwas anderes ist falsch („Modephilosoph“).

3.) Totalität ist als Ziel des Menschen nicht mehr möglich. Deshalb muß man aus der Not eine Tugend machen und Arbeitsgemeinschaften bilden, die noch übersichtlich und persönlich sind. Außerdem bedeuten sie eine gegenseitige Kontrolle, und es kommt zu einer Beleuchtung von verschiedenen Seiten durch Spezialisten.

4.) Persönlichkeit ist vielleicht nicht mehr möglich. Heute gibt es jedoch auch den Angriff auf die „Person“ (Dostojewskij: Großinquisitor; Orwell: 1984). Deshalb ist erst einmal die Person wieder zu erringen und sichern, aber Ziel ist die Persönlichkeit.

5.) Rückbesinnung des Menschen auf sich selbst, irgendwo muß er einen Ort haben, von dem aus er wieder neue Kräfte schöpfen kann, irgendwo muß er noch Mensch sein können.

 

Wie helfe ich anderen, die Vermassung zu überwinden?

1.) Ich kann andere nur immer wieder aufrufen, Einseitigkeit zu überwinden und offen zu sein. Das ist auch die vornehmste Aufgabe der Dichter und Denker: den unbewußten Zwang bewußt zu machen.

2.) Trotz einer manchmal nötigen Abhebung gegen die Masse muß man doch offen sein für den „Gegenüber“. Dieses kann nicht die unpersönliche Masse sein, sondern nur ein Mensch, ein Freund.

 

Zusammenfassend ist zu sagen:

Man sollte nicht zu pessimistisch sein: Es gibt noch Menschen, die denken. Es wäre auch falsch zu denken: „Es ist jetzt Mode, kein Massenmensch zu sein. Also tue ich all das, was die Masse nicht tut!“ Ein solcher falsch verstandener Individualismus würde alles noch schlimmer machen.

 

 

 

 

Bibel

 

Der König im Altertum und seine Legitimation

1. Ein naheliegendes Beispiel für die Könige des Altertums ist König David. Doch er unterscheidet sich sofort von anderen Königen des Altertums darin, daß man nichts von einem Stammbaum hört, in dem das Geschlecht Davids auf die Götter zurückgeführt wird. Damit entfällt für den israelitischen König eine Legitimation, die bei fast allen Königen in der übrigen Welt des Altertums entscheidend ist. Jeder König, der die Herrschaft über ein Volk oder ein Reich übernimmt und das Königtum auf seinen Sohn vererben, muß durch einen Stammbaum seinen göttlichen Ursprung nachzuweisen suchen und damit also sich selbst als einen Sohn der Götter, zum Beispiel Tschingis Khan.

Am konsequentesten ist diese Legitimation in einer bestimmten Periode Ägyptens ausgebaut worden, in der nicht nur der Stammbaum auf Gott zurückgeführt wird, sondern jeder einzelne König verstanden wurde als ein von Gott Amun mit der jeweiligen Königmutter gezeugten direkten Sohn Gottes.

Israel kennt diese Legitimation eines Königs sicher, scheidet sie aber aus als unmögliche, nicht annehmbare Legitimation. Im Gegenteil: Israel legt großen Wert darauf, .David als Menschen in seiner ganzen Rätselhaftigkeit und nur als einen Menschen in seiner Erinnerung festzuhalten. Ja, es geht sogar einen Schritt weiter. Das Buch Ruth geht dieser Frage des Stammbaumes nach. Es hält fest, daß David noch nicht einmal rein israelitischer Abstammung ist, sondern daß in seinen Adern, von seiner Urgroßmutter her, heidnisches Blut fließt.

Aber es entspricht der Vorstellung der Israeliten von ihrem Gott, daß Gott sich die Menschen, mit denen er in dieser Welt etwas ausrichten will, aus dem Raum der Verachteten wählt. David konnte nichts für seine niedere Geburt und mußte auf seine Chance warten. David ist der aus dem Raum der Verachtung von Gott frei erwählte. Da diese Legitimation aber aufs 8anze gesehen zu Lebzeiten des Königs bzw. des erwählten nicht zum Zuge kommt, müssen wir uns nach einer weiteren Legitimation umsehen.

 

2. Der Aufstieg Davids, vom Hirtenjungen zum König ist nicht zu denken ohne seine Beliebtheit, seine Klugheit, Tüchtigkeit und sein politisches Fingerspitzengefühl. Er konnte warten, bis die Zeit reif war für eine politische Aktion. Als er vor Saul floh, konnte er es sich leisten, zu den Erbfeinden Israels überzugehen, zu den Philistern, ohne den Kontakt mit den Judäern zu verlieren. Wer diese menschlichen Eigenschaften hat, ist dadurch noch lange nicht als König legitimiert.

Aber bei der Frage der Legitimation Davids dürfen diese menschlichen persönlichen Dinge auch nicht völlig aus dem Blickfeld geraten. Er muß seine Legitimation gleichsam von innen her, vom menschlichen, persönlichen her erfüllt. An ihn sind von vorne herein viel härtere Forderungen gestellt als an den Göttersohnkönig. Die andere Seite dazu lautet: Dieser König in Israel kann eine Legitimation viel schneller und gründlicher verwirtschaften, aushöhlen durch Dummheit, Schwachheit und politische Instinktlosigkeit. Diese Tatsache ist heute zu einem Hauptargument gegen das erbliche Königtum geworden.

 

3. Durch kluges Taktieren erreicht David es, daß er nach dem Tod König Sauls das Volk Israel mit seiner Mannschaft nicht zu erobern braucht. Er hatte gute Vorarbeit, unter anderem durch Bestechung, getan. Er wartete und tatsächlich kamen die Südstämme und salbten ihn zum König über Juda und drei Jahre später die Nordstämme und salbten ihn zum König über Israel. Was hier mit dem Wort „sie salbten ihn“ beschrieben wird, ist ein rein politisch-rechtlicher Vorgang.

David schließt einen Bund, einen Vertrag mit den jeweiligen Stämmen. Der „Bund“, der Vertrag wird wie jeder andere Vertrag in Israel vor Gott geschlossenen. Deshalb sieht der König auch Gott als den obersten Wert an, nicht das Volk, das ihn gewählt hat. Dann wird David zum König ausgerufen und endlich wird er an einem Heiligtum in Mamre von einem Priester zum König gesalbt, geweiht. David ist deswegen legitim und rechtmäßiger König über Israel, weil er vom Volk bzw. den Ältesten des Volkes gewählt wurde. Noch schärfer: Er ist legitim, weil er sein Amt im Auftrag des Volkes ausübt. Als der eigentliche Souverän erscheint dabei das Volk. (Volkssouveränität).

Auch heute sagen wir: „Alle Gewalt geht vom Volke aus!“ Die Wahl der Regierung durch das Volk (die Demokratie) scheint uns deshalb als legitim, weil sie nach unserer Meinung die einzige Staatsform ist, die diese Freiheit und die von ihr gegebenen Normen der Menschenwürde und der freien Entfaltung aller persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Kräfte zur Erreichung des Zieles „gehobener Lebensstandard“ respektiert.

Zur Legitimation eines Herrschaftsanspruches gehört, daß sich der Herrscher der vom Volk anerkannten letzten Autorität, nämlich Gott und den von dieser Autorität gegebenen Rechtsnormen und Rechtsprinzipien oder Menschenrechten unterwirft und also bereit ist sein Handeln von da her messen zu lassen.

Nur die Herrschaftsgewalt, welche die verborgenen und in jeder Gemeinschaft vorhandenen Werte und Prinzipien verwirklicht, kann als legitim und damit als für alle bindend gelten. Also so muß alles staatliche Handeln, das den. Anspruch auf Legitimität erheben will wertgebunden sein. Es muß sich nach den Regeln richten, welche jene, die gehorchen, ohne Diskussion anzunehmen bereit sind. Erst dann kann es der Herrschaftsgewalt gelingen, die Beherrschten in eine Willens- und Wertegemeinschaft einzubeziehen, die ihrem Machtanspruch honoriert (relative Legitimität).

Die Legitimation Davids des Königs über Israel und Juda besteht also nicht darin, daß das Volk ihn jeweils gewählt hatte, sondern darin, daß König und Volk, einen Bund vor Gott geschlossen haben. Diese Formel „vor Gott“ besagt einmal, daß beide Vertragspartner sich der obersten Autorität, dem Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs und dem von ihm gegebenen Normen unterwerfen, und zum anderen, daß sie bereit sind ihre jeweiligen Aufgaben in dem so gegebenen und begrenzten Raum auszuführen. Die darauffolgende Salbung durch den Priester am Heiligtum unterstreicht diesen Tatbestand nur noch für den einen der beiden Vertragspartner, den König.

Wo ist aber die dritte Instanz, die die Einhaltung dieses Bundes kontrolliert und an diese man sich in Zweifelsfäll wenden kann en? Diese unsere Frage nach der dritten Instanz ist ganz natürlich in dem Augenblick, in dem Gott durch einen obersten Wert ersetzt worden ist, sei es nun Volk oder Freiheit. Solche „Oberste“ können nicht handeln, nicht eingreifen um die Einhaltung des Vertrages zu garantieren. Deshalb müssen die Menschen selber die Aufgabe der Kontrolle übernehmen. Sie schaffen ein kompliziertes und immer komplizierteres System von Sicherungen, die vor einem Mißbrauch der Macht schützen sollen. In der Bundesrepublik ist dies das Bundesverfassungsgericht, das eine im m er größere Rolle spielt. Es muß Gott ersetzen, der in Israel sehr aktiv die Rolle der dritten Instanz übernimmt und eifersüchtig über die von ihm gegebenen Normen wacht. „Eine unsichere Sache, diese dritte Instanz“, sagt der moderne Mensch und er muß das sagen, wenn dieser Gott nicht mehr die letzte Autorität, wenn Gott für ihn tot oder ein lieber ferner alter Mann ist.

4. Aber damit sind wir immer noch nicht bei dem Letzten, was über die Legitimation des Königs in Israel zu sagen ist. Denn die Initiative zu dem Bundesschluß ging ja vom Volk bzw. seinen Ältesten aus, denn sie wollten David zum König haben. Die eigentliche Legitimation Davids und seiner Nachkommen ging aber vom Gott Israels selber aus.

Der Prophet Nathan spricht zu David: „Wenn nun deine Zeit hin ist, daß du mit deinen Vätern schlafen liegst, will ich den Samen nach dir erwecken, der von deinem Leibe kommen soll, dem will ich sein Reich bestätigen, der soll meinem Namen ein Haus bauen und ich will den Stuhl seines Königreiches bestätigen ewiglich. Ich will sein Vater sein und er soll mein Sohn sein. Wenn er eine Missetat tut, so will ich ihn mit Menschenruten und mit der Menschenkinder Schlägen strafen, aber meine Barmherzigkeit soll nicht von ihm entwandt werden, wie ich sie entwandt habe von Saul. Aber dein Haus und dein Königreich sollen beständig sein ewiglich vor dir und dein Königstuhl soll ewiglich bestehen!“

An diesem Wort ist zweierlei erstaunlich. 1. Es kommt ja nicht direkt von Gott zu David, sondern durch den Propheten Nathan. Was uns erstaunt ist die Bereitschaft Israel, das Wort dieses Mannes als göttliche Legitimation Davids und seiner Nachfolger zur Herrschaft über Israel anzuerkennen. Wir sind deshalb erstaunt, weil wir nicht mehr viel vom Wort halten. Wir trauen es dem Menschenwort nicht mehr zu, daß es Gotteswort sein kann. Uns liegt es sehr nahe, nach Beweisen zu fragen. Der eigentliche Grund für unser Erstaunen liegt wiederum darin, daß dieser Gott Israels für uns keine kraftvoll handelnde lebendige Wirklichkeit mehr ist.

Der Gott Israels aber liebt es, indirekt, mittelbar zu handeln, in diesem Fall durch den Propheten Nathan. Wenn man so will, fordert er dadurch den Unglauben geradezu heraus. Streng formuliert: Die Nathan-Verheißung ist nicht gültig, weil Nathan sie ausgesprochen hat oder weil sie in der Bibel steht, sondern deshalb, weil Gott ihre Gültigkeit bis heute garantiert. Nun setzt jede Legitimation und ihre Anerkennung den Glauben voraus, entweder an die Götter oder an die Freiheit oder an die Nation. Für Israel aber kann der Glaube an den allein wahren Gott Israels vorausgesetzt werden. Deshalb machte ihnen diese Nathan-Verheißung nicht dieselben Schwierigkeiten wie uns. Noch dazu war ja Nathan weithin anerkannt, als ein vom Geist Gottes ergriffener Prophet.

Aber - und damit kommen wir zum zweiten - auch für Israel selbst war dieses Wort Gottes erstaunlich. Und eine nicht kleine Gruppe in Israel hat sich dieser Verheißung gegenüber quer gestellt. Und es mag sogar sein, daß innerhalb dieser Gruppe der Prophet Nathan als Lügenprophet hingestellt wurde. Das taten sie nicht, weil sie etwa gar Gott ist nicht an den Gott Israels glaubten, sondern gerade weil sie an ihn glaubten, zur Verteidigung seiner Ehre, die sie durch den König David und durch die Einrichtung des Königtums überhaupt geschmälert sahen. Verdächtig war ihnen ja schon die Begründung, mit der damals zu Samuels Zeiten das Volk einen König vom Propheten Samuel forderte: „Wir wollen auch einen König wie die Heiden!“ So sah diese ablehnende Gruppe mit dem Königtum ein heidnisches Element in das Volk Gottes eindringen und die Rede Gottes an Samuel war ihnen aus dem Herzen gesprochen.

Zwar ging Gott damals auf den Ungehorsam des Volkes ein, gab ihnen König Saul. Der aber versagte und wurde von Gott verworfen. Damit schien nun die Königsfrage in Israel endgültig erledigt zu sein. Entweder Gott als König damit legitim. Oder Mensch als König über Israel und damit legitim und heidnisch. Ein drittes war in Israel ihrer Meinung nach nicht möglich. Und nun kommt dazu diese Nathan-Verheißung, dieses neue Wort Gottes, durch das der König, dieser menschliche König von Gott an Sohnes statt angenommen wird: „Ich will sein Vater sein und er soll mein Sohn sein!“ Hier wird von Gott her durch einen einseitigen Rechtsakt eine völlig neue rechtliche Lage geschaffen. Stand der Sinaibund unter der Devise, „Ihr sollt mein Volk sein“, so wird nun in diesem neuen Davidsbund ein Mensch herausgenommen aus dem Volk und mit ihm ein besonderer Bund geschlossen „Sohn - Vater“. Man nennt ihn den „Davidsbund“.

 

Damit werden wir auf ein Problem aufmerksam, daß die Frommen in Israel und in der Kirche in jeder Generation neu quält und beunruhigt hat. Die Frommen wollen Gott immer festlegen auf das, was er einmal gesagt und getan hat. Damit haben sie einen klaren Maßstab in den Händen, nach dem sie urteilen können. Das Verwirrende aber ist, daß der Gott Israels immer größer ist als sein Volk annimmt. Daß er, um einmal im Bilde zu reden, hineingreift in den heidnischen Raum und eine ganz heidnische Institution, wie es das Königtum ist, hineinholt in den Raum Israels, sie dort legitimiert und gleichsam. unter der Hand verwandelt. Denn das ist deutlich, und wir werden es noch sehen, diese Institution kann in Israel nicht mehr dasselbe sein wie bei den Heiden.

Aber ebenso deutlich ist die Grenze zwischen israelitisch auf der einen Seite und heidnisch auf der anderen Seite,            ist viel schwieriger zu verstehen und stellt vor eine Fülle verwirrender Probleme, die in dem alten Entweder-Oder-Schema nicht bestehen. Wir verstehen also, warum diese innerste Legitimation des Königs Israels bei einer Gruppe von Menschen auf Ablehnung gestoßen ist und von ihr mit wachen und kritischen Augen verfolgt wurde.

 

6. Was aber besagt diese Legitimation nun inhaltlich: „Ich will sein Vater sein, und er soll mein Sohn sein!“ Wir kommen nun wirklich in die äußerste Nähe der anderen alten Könige, die sich als Göttersöhne. auszuweisen hatten. Und zugleich ein erster Unterschied: Die am Tage der Thronbesteigung des israelitischen Königs gesprochene Nathan-Verheißung sagt, daß Gott den König eben jetzt, bei dem Aussprechen der Verheißung an Sohnes statt annimmt und in die Rechte und Pflichten des Sohnes einsetzt. Er ist also nicht kraft seines Blutes, kraft seiner Abstammung Sohn, sondern kraft göttlicher Rechtsetzung und Einsetzung am Thronbesteigungstag.

Der König sollte sich als Göttersohn ausweisen, weil er als Bürge von Kriegsglück, Erntesegen und innerem Frieden galt. Die symbolische Gestalt für die Kenntnis des mythischen Menschen ist der König, der „wehren“ kann, der aus der „Wildnis“ eine Stadt (Polis) schaffen kann. Er vollzieht Rechtssordnung und Krieg, er hat Frieden zu halten; er kann heilen. Er ist dem nicht gefallenen Menschen noch am nächsten, er ist noch weitgehend „gegenwärtig“.

Auf moderne Verhältnisse übertragen müßte man sagen: 1. äußere Sicherheit durch außenpolitisches Ansehen, 2. Arbeit und Brot oder größtmögliches Glück für die größtmögliche Anzahl von Menschen, Lebensstandard, 3. sozialer Friede und soziale Sicherheit. Diese Dreiheit kann man in dem Wort „Herr“ zusammenfassen.

Der König ist dann Heilskönig und als solcher der Mittler des Heils von den Göttern hin zu den Menschen. Darum wird er bei dem Regierungsantritt von seinem Volk mit Heilsrufen begrüßt. Damit dieses Heil Wirklichkeit werde, muß der König ein Göttersohn sein. Denn nur als solcher ist er Bürge des Heils. Nur von ihm gehen die göttlichen Heilskräfte aus, die Kriegsglück, reiche Ernte und inneren Frieden und damit das Heil verwirklichen.

Es wundert uns nicht, daß wir all diese Anschauungen nun auch in Israel wiederfinden, im jerusalemischen Königsritual, von dem uns die Königspsalmen Kunde geben. Aber es dauerte 70 Jahre, bis der Prophet Elia auftrat und den anderen Göttern einen unerbittlichen Kampf ansagte mit d r Aussage: „Gott will sein Volk für sich allein haben!“ Hier liegt der Unterschied zum heidnischen Königtum: Alles kultische Bemühen war bei ihnen darauf gerichtet, daß jenes dreifache Heil herrschte.

Jeder Umschwung des Jahres - vom Frühling über Sommer und Herbst zum Winter - soll seine ewige Ordnung haben. Durch Schuld der Menschen sollten keine Störungen eintreten oder sofort beseitigt werden, das ist das Bemühen des Königs und seines Volkes.

Das Alte Testament läßt keinen Zweifel daran, daß das auch von seinem Gott her recht und billig ist. Daß dieses dreifache Heil wirklich eine große und entscheidende Rolle spielt, ja daß Gott selber sich dafür einsetzt, daran läßt das Alte Testament und lassen insbesondere die Propheten keinen Zweifel.

Aber daß dieses irdisches Heil nicht das Letzte ist, vielmehr ist das Letzte, um das es geht, Gott selber. Er will sein Volk allein für sich haben. Wer will, daß sein Sohn, der König,

ihn von Herzen liebt und gehorcht. Als ein solcher von Herzen gehorsamer Sohn soll er seinen Hernschaftsauftrag ausführen über sein Volk. Ebenso wird vom Volk die Liebe zu Gott und der Gehorsam des Herzens gefordert. So gibt es eine Geschichte Gottes mit seinem Volk. Diese Geschichte hat einen Sinn, nämlich Gott als Heil selbst.

Je genauer und schärfer das in Laufe der Zeit erkannt und ausgesprochen wird, desto schärfer profiliert muß auch das Bild des Königs werden, wie Gott ihn will. Je schärfer die Spannung zwischen diesem Bild und den tatschlichen Königen wurde, desto schärfer mußte auch die Kritik am jeweiligen König ausfallen.

Aber dieses Königsamt, mochte der Träger dieses Amtes auch in aller Härte kritisiert werden, war unantastbar, solange Jerusalem selbständig war und einen König hatte. Einst wird die Geschichte Gottes mit Israel zu ihren Ziel kommen und die Aussage „Gott ist unser Heil“ und das irdische Heil nahtlos ineinander über gehen.

 

7. Es fehlt aber noch eine andere, nämlich die gerade in Vorderasien weitverbreitete Vorstellung von der Weltherrschaft. In Psalm 72 sind beide Vorstellungen - die des Heils und die der Weltherrschaft - miteinander verbunden: „Er schaffe Recht den Elenden im Volk. Er herrsche von Meer zu Meer. Vor ihm sollen knien seine Feinde

In den vorderasiatischen Reichen, (wir denken vor allen Dingen an das assyrische Reich), haben diese Formulierungen immerhin ihre politische Berechtigung gehabt. In dem kleinen Land Juda und seiner Hauptstadt Jerusalem aber müssen diese Formulierungen nahezu lächerlich gewirkt haben. Und doch waren sie legitim vom Ansatz, von der Nathan-Verheißung her.

Wenn Gott der König aller Könige, den König aus Davids Haus zum Sohn einsetzt, dann ist derselbe König auch Erbe der Weltherrschaft Gottes.

Die kühnste Formulierung aus der Sohnschaft des Königs spricht Psalm 110 aus, wo Gott sagt: „Setze dich zu meiner Rechten!“ Diese an jedem Thronbesteigungsfest des jüdischen Königs neu vorgetragenen Formulierungen haben also ihre Kraft nicht aus den politischen Verhältnissen, sondern aus der Wirklichkeit des Gottes, der als König aller Könige den jüdischen König an Sohnes statt einsetzt, neben sich auf seinem Weltherrschaftsthron.

Diese Spannung macht das Volk Israel zu einem Volk glühender Erwartung. Und diese Spannung verstärkt sich noch einmal, als der letzte, der erwartete König aus dem Hause Davids kommt, der dann am Kreuz endet.

Die Frage nach dem König im Altertum und seiner Legitimation spitzt sich also zu auf die Gottesfrage: Welcher ist der wahre Gott, der Gott Israels, der das Haus Davids zur Weltherrschaft legitimiert oder die anderen Götter und die modernen Götzen?

 

8. Dem König ist es aber ausdrücklich verboten, diesen Weltherrschaftsanspruch Gottes in der Welt durchzusetzen. In Jesus, dem letzten aller Könige, wird dieser Verzicht auf die Durchsetzung der Weltherrschaft durch Gewalt deutlich demonstriert. Einmal durch das Kreuz, das Ende des Lebens, zum anderen durch die Ablehnung des Versuchers: „Du sollst anbeten Gott deinen Herren und ihm allein dienen!“ Auch das dokumentiert Jesus noch Johannes vor Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!“ Mit diesem Verzicht scheidet der von Gott her legitime Weltherrschaftsanspruch des Hauses David endgültig aus der Politik aus.

 

Wenn nun die christlichen Kaiser - angefangen von Konstantin von Byzanz, die germanischen Kaiser, die russischen Zaren bis hin zu den europäischen Königen - die Königspsalmen des Alten Testamentes übernahmen und in ihre Königsliturgien einbauten, so geschah hier genau das umgekehrte, wie in der israelitischen Königszeit.

Dort geriet ein von Gott her legitimiertes Königsamt unter den Einfluß der heidnischen Heilsanschauungen. Und damit unter die Kritik der Propheten. Hier aber geschieht der Versuch das heidnische Heilskönigtum christlich zu legitimieren. Ist also in Israel die Amtsführung nicht in Ordnung, so hier die Legitimation des Amtes überhaupt.

Der jahrzehntelang tobende Kampf zwischen Arius und Athanasius ging es um diese Frage: Ist Jesus nun der letzte aller Könige (so Athanasius) oder kann nach ihm noch einer kommen, und die Königspsalmen auch für sich in Anspruch nehmen? (so Amius). Es ist typisch, daß alle Germanen mit ihrem Heilskönigtum zunächst arianisch werden und daß der Hof in Byzanz zu einer Hauptstütze der Arianer wird. Die anderen aber, die das athanasianische Bekenntnis annahmen, wie zum Beispiel die Franken, handeln durchweg weiter arianisch. Denn, das muß hinzugefügt werden, die eben aufgezeigten politischen Konsequenzen dieses Kampfes waren damals noch nicht offenbar.

Es sollte bald 600 Jahre dauern, bis ein Mann es wagte, den Kampf aufzunehmen mit dem Heilskönigtum und Heilskaisertum. Der Mann, der es wagte das Königsamt zu entsakralisieren, den Königen ihre Heilskraft zu nehmen, und der damit den Sieg der Wahrheit Gottes vorzutragen in den politischen Raum - das war Papst Gregor VII.

Die Exkommunikationen Gregors VII. haben aus dem heiligen Geblüts- und Weihekaiser (wie Heinrich IV sich nannte) den nackten Mann der Sünde gemacht: „Wir nehmen den Sieg von seinen Waffen, wir binden ihn nicht nur im Geiste, sondern auch in der naturhaften Welt.“.

Damit ist die alte Welt an ihrer Wurzel getroffen, die Welt, in der das dreifache Heil (Sieg über die Feinde, reicher Erntesegen und innerer Friede das Letzte ist. Es beginnt sichtbar wahr zu werden, daß das Reich Gottes unter seinem gekreuzigten König Jesus Christus nicht von dieser 7ielt.ist, daß also kein Reich auf Erden legitim christliches Reich sein kann und je sein wird. Kein Kaiser und kein König kann je von Gott her legitim Nachfolger Davids, zur Rechten Gottes, auf dem Throne Gottes, nur einer, der letzte aller Könige: Jesus Christus!

Es ist darum eine sachgemäße Folge dieses Verhaltens Gregors VII., daß das Heilige Reich, das christliche Abendland und natürlich auch das „Dritte Reich“ zerbrachen. Alle Reiche, die Heilsreiche sein wollen, zerbrechen, von innen her durch den Einsatz der Kirche Jesu Christi in der Nachfolge, von außen durch das Gericht Gottes, der nicht gewillt ist, den Platz zu seiner Rechten jemand anderem zu geben als dem, dem er gegeben ist.

Es ist weiter sachgemäß, daß hier wieder eine Legitimation zum Tragen kommt, die zum ersten Male in Jesaja 53 als Prophetie auftaucht und in Jesus Gestalt gewinnt: Der Verachtete, Geschmähte, Verspottete, Verlästerte und Gekreuzigte ist der wahre Heilsbringer und Weltherrscher. Und wer diesem Weg nachgeht, ist wahrhaft Zeuge der Wahrheit und Gerechtigkeit Gottes. Anders formuliert: Der wahre König wird gekreuzigt - das ist seine Legitimation. Diese Legitimation vom Ende her nimmt darum Gregor VII. für sich in Anspruch. Erstirbt, auf der Flucht aus Rom, mit den Worten: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Ungerechtigkeit gehaßt, deshalb sterbe ich in der Verbannung!“

Das deutsche Denken hat, von Otto von Freising an über Nikolaus von Cues zu Leibniz, Kant und Hegel, den Sturz des „heiligen“ Kaisers nicht verwinden können. Das zeigt bereits die auf den „Investiturstreit“ folgende Zeit: Die Staufer versuchen, das ehemalige Reich ihres Karlskaisers und der Ottonen, zu erneuern. Walther von der Vogelweide spricht den Haß breitester Volksschichten gegen den Papst aus, der die rechte Ordnung der Dinge verkehrt. Wolfram von Eschenbach sucht im Gralskönigtum das alte Geblütskönigtum mit der neuen geistlichen Ordnung zu versöhnen. Gottfried von Straßburg verhöhnt kaiserliche und kirchliche Heilsordnung als Lüge und Fiktion. Hildegard von Bingen sieht den völligen Sturz der Papstkirche voraus. Tiefste Verwehrung gegen das „neue Rom“ bekundet die deutsche Dichtung: Sie kennt vom 12.bis 19. Jahrhundert den Papst überhaupt nicht, kennt nicht den „heiligen Priester“, den „neuen Vater“. Während der Westen ihn akzeptiert, verweigert die deutsche Sprache dem Priester den Vaternamen. Das ist die letzte Absage an Gregor VII.

Unbedingt aber ist noch daraufhin zu weisen, daß die Päpste nun ihrerseits praktisch die Nathanverheißung für sich in Anspruch nehmen, ihrerseits die Weltherrschaft beanspruchen, ihrerseits ein Heilsreich aufbauen (mit Inquisition und Feuer). Sie stellen sich ihrerseits über Kaiser und Könige mit der These: „Kirchenrecht bricht Kaiserrecht.“ Mag auch historisch gesehen Profanisierung der Heilskaiser und Heilskönige gar nicht anders als durch diese Umkehrung möglich gewesen sein, so ist sie nun von Jesus her auch illegitim. Rund 700 Jahre lang wird Europa Sturm laufen gegen diesen illegitimen Weltherrschaftsanspruch. Erst Leo X. hat ihn in mehreren Enzyliken seit 1885 zurückgenommen.

 

Was sagt die Bibel zur Frage der Obrigkeit?

„Den Obersten in deinem Volk sollst du nicht lästern“ (2.Mose 22,27). Warum das? Sie sind von Gott legitimiert. Rein äußerlich geschieht das durch die Salbung oder früher durch das Handauflegen des alten Führers auf den alten. Dabei geht die Legitimation auf den neuen Führer über: „Mose hatte seine Hände auf ihn gelegt. Und die Kinder Israel gehorchten ihm, und taten, wie der Herr dem Mose geboten hatte!“ Das Volk gehorcht also auch diesem Anspruch des Führers. Heute in unserer modernen Demokratie ist das ja anders, aber es bedeutet auch, daß wir einem gewählten Nachfolger auch gehorchen. Ihm gebührt dieselbe Ehrung und Achtung wie einem seiner Vorgänger. Die Israeliten damals erkannten das auch an: „Alles, was du uns geboten hast, das wollen wir tun, und wo du uns hin sendest, da wollen wir hin gehen. Wie wir Mose gehorsam sind gewesen, so wollen wir dir auch gehorsam sein; allein, daß der Herr dein Gott, nur mit dir sei, wie er mit Mose war. Wer deinem Mund ungehorsam ist, und nicht gehorcht deinen Worten in allem, was du uns gebietest, soll sterben. Sei nur getrost und unverzagt!“ (Josua 1,16-18).

Merkwürdig ist hier die Aussage des Volkes, das gehorsam sein will, damit Gott mit Josua ist. Das wäre ja etwas wie eine Legitimierung vom Volke: Nachdem Gott durch Mose den Josua legitimiert hat erfolgt auch die Legitimierung durch das Volk, das Gehorsam verspricht, allerdings zu seinem eigenen Nutzen, denn wenn Gott mit Josua ist, dann ist er auch mit dem Volk. Diese von Gott legitimierte Obrigkeit muß sich aber immer bewußt sein, daß sie von Gott eingesetzt wurde. Erkannt hat das der Hauptmann von Kapernaum, der weiß, daß er zwar seinen Knechten befehlen kann, aber auf einem anderen Gebiete kann nur ein anderer befehlen, der höher ist (Matthäus 8,9).

Jede Obrigkeit ist von Gott, wer ihr widerstrebt‚ wendet sich gegen Gottes Ordnung, er wird seinem Urteil verfallen. Die Obrigkeit wird sich auch nicht gegen die wenden, die recht handeln, sondern nur gegen die Bösen und so die Ordnung aufrecht erhalten.

Wer sich also nicht vor der Obrigkeit fürchten will, der tue das Gute; dann wird sie ihn in Ruhe lassen. Wenn sie etwas unternimmt, dann nur zum Besten jedes einzelnen, denn sie ist Gottes Dienerin. Wer aber Böses tut, hat allen Grund, sich zu fürchten, denn sie Obrigkeit trägt das Richtschwert nicht umsonst: Sie vollzieht ja nur Gottes Zorn an dem Übeltäter. Deshalb muß man ihr untertan sein, nicht nur aus Furcht vor Gottes Zorn, sondern auch schon um des Gewissens willen. Die Beamten sind auch Gottes Dienstleute, sie sind für die Aufrecht­erhal­tung der Ordnung unablässig und man muß ihnen die Steuern entrichten. Lasset allen zukom­men, was ihr ihnen schuldig seid: die Steuer, wem die Steuer gebührt, den Zoll, wem der Zoll zukommt, und die Ehre, wem die Ehre gebührt!“ (Frei nach Römer 13,1-7).

Auch einer Fremdherrschaft soll man gehorchen, denn auch sie bestraft den Bösen und belohnt den Guten. Es ist aber Gottes Wille, daß durch gutes Verhalten der Unverstand törichter Menschen zum Schweigen gebracht wird (1.Petrus 2,13-15). Nicht nur den gütigen und nachsichtigen Herren soll man untertan sein, sondern auch den wunderlichen, denn es ist wohlgefällig bei Gott, wenn jemand im Gedanken an Gott, Mißhandlungen geduldig erträgt, sofern er unschuldig leidet. Außerdem nützt es ja doch nichts, wenn man sich vergißt und sich wehrt, aber nachher umso stärker und härter bestraft wird.

Auch Christus hat unschuldig gelitten und durch sein Vorbild unaufgefordert es ebenso zu tun. Er hat nicht auch geschmäht, wenn ihn die anderen geschmäht haben, er hat keine Drohungen ausgestoßen, sondern hat das Urteil und seine Vollstreckung dem überlassen, der gerecht richtet(1. Petr 18/23). Die Trennung zwischen Kirche und Staat wird von Jesus übrigens selbst gefordert, als er sagt: „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ (Matthäus 22,21).

 

 

 

Philosophie

 

Die Denker haben sie aus verschiedenen Gründen mit dem Staat und nach dem idealen Staat gefragt:

1.) Die Staatengebilde als ein Teil des täglichen Lebens waren auch ein Objekt der philosophischen Betrachtung und die Gedanken darüber waren nur ein Teil einer umfassenderen Philosophie.

2.) Rechtfertigung einer bestehenden staatlichen Ordnung oder von Wandlungen in dieser Ordnung (John Locke, Glorious Revolution).

3.) Rechtfertigung einer Revolution, also eines gewaltsamen Umsturzes.

Es geht dabei um das Verhältnis zwischen Individuum. und Kollektiv. Im Liberalismus gab man dem Individuum zu viele Rechte, in den totalitären Staaten betont man das Kollektiv (Hitler: „Du bist nichts, dein Volk ist alles“).

Zwischen diesen Extremen steht die Demokratie. Hier hat man erkannt: Der Einzelne hat Rechte und der der Staat hat Rechte. Beide haben also Werte und müssen einen Kompromiß miteinander schließen.

 

Was ist der Staat?

1.) Ein aus sich natürlich gewachsener Organismus.

2.) Eine künstliche Ordnung, weil der Mensch nach Gesellschaft strebt.

3.) Ein Gesellschaftsvertrag zwischen Regierung und Regierten.

 

Die einzelnen Staatstheorien:

Plato: Der oberste Stand sind die Philosophen, der weiseste unter ihnen ist der Herrscher. Der zweite Stand sind die Krieger, die Beschützer. Der dritte Stand sind die Gewerbetreibenden, die Ernährer. - - - In der Praxis sind derartige Versuche mißlungen.

 

Plato

Die Gründung einer idealen Stadt:

Auf der Suche nach dem Wesen der Gerechtigkeit macht Sokrates den Vorschlag, erst einmal einen Staat mit vollkommener Gerechtigkeit zu konstruieren, um von dort dann auf die Gerechtigkeit beim Menschen schließen zu können. „Es entsteht eine Stadt, wie ich glaube, weil jeder einzelne von uns sich selbst nicht genügt, sondern vieler bedarf!“ Der Mensch braucht Nahrung, Wohnung, Kleidung. Diese Bedürfnisse könnten schon vier bis fünf Mann befriedigen (Bauer, Maurer, Weber usw.).

Nun ist aber jeder einzelne von Natur aus andersgeartet, und ein Bauer hätte in dieser Gemeinschaft auch zweifellos mehr zu tun als die übrigen. Es wird darum alles schöner und leichter zustandekommen, wenn jeder nur eines seiner Natur gemäß und zur rechten Zeit verrichtet und nicht durch andere Dinge abgelenkt wird.

Die Stadt wird also schon größer. Sie braucht aber auch Zufuhr von außerhalb und um Tauschhandel treiben zu können, muß man selber Exportgüter herstellen. Und man braucht Handelsleute, die die Waren austauschen. Kauf und Verkauf werden jedoch von den körperlich Schwächsten verrichtet, die zu keinem anderen Geschäft taugen. Diese müssen auf dem Markt warten, bis einer etwas anbietet, und diese Güter dann später wieder verkaufen (damit nicht jeder einzelne zu warten braucht!). Andere Leute sind zwar nicht mit großen Geistesgaben bedacht, haben jedoch große Körperkräfte, die sie verkaufen können gegen Lohn, sie werden als Tagelöhner eingesetzt.

Immer mehr entsteht eine üppige Stadt:“Industrien“ für Malerei, bunte Weberei, Gold- und Elfenbeinverarbeitung entstehen, Dichter, Schauspieler und Tänzer werden in der Stadt verlangt, und neue Berufe entstehen wie Kinderwärter, Putzmacher, usw.

Mit dem Wachstum der Stadt wird aber nun der Grund und Boden zu klein werden und man wird sich neues Land erobern müssen. (Das ist der Ursprung des Krieges!). Diese Arbeit kann aber nicht jeder selbst übernehmen, denn es ist unmöglich, daß einer zugleich viele Künste ausüben kann bzw. eine solche Arbeit würde nichts rechtes, wenn man sich nicht von Kindheit an damit beschäftigt hat.

Damit ist der neue Stand eines „Wehrmannes“ entstanden. Diese Leute müssen eine gute Wahrnehmungsgabe haben, den. Feind ergreifen und die Gefangenen verteidigen können. Er muß also tapfer sein und eifrig in seinem Haß gegen die Feinde, aber auch sanft gegenüber allen Befreundeten. Es ist durchaus nicht widernatürlich, daß es solche Naturen gibt, die dieses Entgegengesetzte in sich vereinigen. Wenn es Hunde gibt, die diese Eigenschaft haben, dann wird man auch einen solchen Wehrmann finden. Er muß aber vor allem philosophisch (und damit lernbegierig) sein, damit er Freund und Feind unterscheiden kann.

Bei ihrer Erziehung soll man die althergebrachten Methoden beibehalten: für den Leib die Gymnastik und für die Seele die Musik (zu der auch das Reden gehört!). Es gilt also, zunächst einmal die Neudichtung und Verbreitung von Sagen und Märchen zu überwachen.

Es geht nicht an, daß alle möglichen Schandtaten von den Göttern erzählt werden, denn dann könnte sich jeder Gesetzesübertreter darauf berufen: Die Götter haben es auch nicht besser gemacht! Schilderungen im Stile Homers sind also denkbar ungeeignet, mag nun ein verborgener Sinn dahinter stecken oder auch keiner. Denn der Jüngling ist nicht imstande zu unterscheiden, was dieser verborgene Sinn ist und was nicht. Aber was er in diesen Jahren in seine Vorstellung aufnimmt, das pflegt schwer auszuwaschen und umzuändern sein.

(Es folgen nun die Abschnitte, die von der Götterlehre .handeln: Gott ist gut und einzig Ursache von Gutem, Urheber von Strafen, unveränderlich und völlig ohne Trug)(aus dem zweiten Buch der Politik).

 

1. Verbot für die Dichter, die Schrecken der Unterwelt darzustellen

2. Abschaffung der Wehklagen von ausgezeichneten Männern

3. Schädlichkeit der Lachlust und der Unwahrhaftigkeit.

4. Von großen Männern berichtete Unbeherrschtheit, Geldgier und Übermut ist den Dichtern nicht zu glauben

5. Ruchlosigkeiten der Göttersöhne und Heroen sind nicht anzunehmen.

8. Allein die Darstellung des Männlichen, Besonnenen und Guten ist den Wächtern erlaubt:

Sie dürfen kein Weib darstellen, keine Knechte und Mägde, keine schlechten Männer und Wahnsinnige. Kennen muß man freilich solche Menschen, dichten aber und darstellen darf man nichts von ihnen. Darstellen kann man überhaupt nur gute Menschen. Schlechtes dagegen kann man nicht darstellen, wenn man nicht in ungewohnte Formen gepreßt werden will und sich schämen muß, weil man deshalb schlecht spielt.

9. Zulassung nur jener Vortragsweise im Staat, die tugendhaft ist

10. Auswahl zuzulassender Tonarten und Musikinstrumente

11. Erwägungen über den Rhythmus

12. Sinn und Ziel musikalischer Erziehung.

17. Sinn der gymnastischen Erziehung und ihr Verhältnis zur Muse

18. Das Mutige und das Wißbegierige in uns als wahres Objekt

19. Eigenschaften der Wächter, die Herrscher sein sollen (aus dem dritten Buch der Politik).

 

Die Wächter:

Die Wächter dürfen gleich von ihrer Kindheit an nur tapfere, besonnene, fromme und edelmütige Männer darstellen, Unedles aber weder verrichten noch zur Nachahmung aufgefordert sein, damit nicht aus dem Spiel nachher Wirklichkeit wird.

Die Wächter müssen eine vollkommene Seele haben, um durch ihre Tugend den Leib aufs bestmögliche ausbilden zu können, denn. es wäre freilich lächerlich, wenn der Hüter selbst eines Hüters bedürfte. Sie dürfen auch nicht zärtlich sein von Gesundheit und nicht allzu hohe Forderungen an den Speisezettel stellen, denn im Felde werden ja auch erhöhte Forderungen an sie gestellt.

Deshalb ist es ein sicheres Zeichen für schlechte und verwerfliche Sitten in der Stadt, wenn nicht nur einfache Leute es mit Ärzten und Richtern zu tun haben, sondern auch die Angesehenen und auf edlere Weise Gebildeten; besonders wenn das noch geschieht, um zu zeigen, wie durch die Maschen des Gesetzes schlüpfen kann oder wenn man wegen seiner Faulheit oder unordentlicher Lebensweise zum Arzt muß. Es ist auch nicht die Aufgabe des Arztes, dem Menschen noch ein paar zusätzliche Lebensjahre zu verschaffen, die doch nur eine verlängerte Qual bedeuten. Entweder man hat eine unbedeutende Krankheit und findet keine Zeit, sich zu pflegen, und wird ohne Arzt wieder gesund, oder man ist schwerer krank und stirbt und ist aller Händel ledig. Kopfschmerzen beeinträchtigen einen Mann sowieso in seiner Leistungsfähigkeit. Und wenn er in dieser Zeit noch Kinder kriegt, dann war es ein Verbrechen an diesen Kindern, wenn diese nun auch schwächlich sind.

Ein Arzt nun sollte in seinem Leben mit allen Krankheiten Bekanntschaft gemacht haben und gar nicht von besonders gesundem Körperbau sein, denn dann wird sich ja erweisen, ob seine Seele den Leib zu überwinden mag, ob sie also gut gewesen ist. Der Richter jedoch gebietet mit der Seele über die Seele und sie muß daher in ihrer Jugend unvermischt gehalten worden sein mit schlechten Sitten, damit sie gut und edel über das Recht entscheiden kann. Denn wer eine gute Seele hat, ist gut. Ein ethisch tiefer Stehender wird aber sofort unsicher werden, wenn er über die Gesinnung eines höher Stehenderen urteilen soll, aber von dieser Gesinnung kein Ebenbild in sich trägt.

Die Wächter müssen älter sein als die Gehorchenden, dazu verständig. und tüchtig und auf das Wohl der Stadt bedacht und mit allem Eifer tun, was sie der Stadt förderlich erachten, jedoch strikt ablehnen, was gegen die Interessen der Stadt spricht. Es kommt also darauf an, sie zu beobachten und zu sehen, ob sie auch durch nichts von ihrem Ideal abgebracht werden können. Wenn sie freiwillig ihre falsche Meinung ändern, ist das zwar richtig, aber sie dürfen auf keinen Fall ihre wahre Meinung wider ihren Willen aufgeben, entweder durch Überredung, aus Vergeßlichkeit durch einen Schmerz oder aus Lust oder vor Furcht.

Schon in frühester Jugend muß man also die zukünftigen Wächter) testen, indem man sie in schwer zu widerstehende Versuchungen führt und sieht, wer am standhaftesten ist, indem man sie bald in Angst, bald in Lust versetzt. Wer sich hier bewährt, soll eine verantwortliche Stellung in der Verteidigung der Stadt haben (nach außen und innen), er soll wahrhafter Wächter sein, während die anderen als Wehrmänner ihnen unterstellt werden.

Diese scharfe Trennung in Führerschicht, Soldaten und Volk bringt aber auch Verpflichtungen mit sich, besonders natürlich für die Führer. Vor allen Dingen müssen sie darauf achten, daß ihr Stand rein erhalten bleibt. Wenn einer ihrer Nachkommen minderwertiger wird,

soll man in keiner Weise Mitleid mit ihm haben, sondern die ihm von Natur gebührende Stelle anweisen (möglich bei staatlicher Kindererziehung).

Damit aber die stärkeren Wächter nicht über ihre eigenen Mitbürger herfallen, kann man als Sperre in erster Linie nur eine gute und treffliche Erziehung einbauen. Dazu aber dürfen die Wächter kein eigenes Vermögen besitzen; sie werden aus Vorratsmagazinen versorgt, die allen zugänglich sind, die aber nur soviel liefern, daß sie sich nichts für das nächste Jahr sparen können. „Gold und Silber haben sie von den Göttern göttliches immer in der Seele und bedürfen gar nicht auch noch des menschlichen!“ (aus dem dritten Buch der Politik).

 

Bei der Einrichtung der Stadt kommt es gar nicht darauf an, daß ein Stand besonders glücklich ist, sondern die ganze Stadt soll so viel wie möglich glücklich sein, denn dort kann man am ehesten die Gerechtigkeit finden. Um aber der ganzen Stadt die Glückseligkeit zu bringen, muß man Reichtum und Armut von ihren Bürgern nehmen. Der Reichtum wird auch gar nicht nötig sein, denn die Stadt wird doch in der Lage sein, Krieg zu führen und sogar gegen reichere Gegner zu bestehen, denn ihre Krieger werden den anderen ja an Ausbildung überlegen sein, weil sie das Kriegshandwerk als Beruf ausüben. Und wenn es in einer Stadt nichts zu holen gibt, wird man sie auch nicht angreifen, sondern sich höchstens mit ihr verbünden und gegen andere reiche Gegner zu Felde ziehen; auf diese Art wird also die „arme“ Stadt doch die größte und mächtigste werden.

Die Herrscher haben in der Stadt darüber zu wachen, daß dieser genügsame Lebensstandard gewahrt wird und daß die Stadt sich nicht so weit ausdehnt, daß sie sich teilt. Gewähr aber für diese Tugenden der Wächter kann nur die Erziehung geben. Dann braucht man auch ihnen nicht besonders vorzuschreiben durch Gesetze, wie sie die Stadt einzurichten haben. Das heißt aber, daß man an der bestehenden Verfassung nicht rütteln darf oder sollte. Es gibt natürlich Leute, die durch die Gesetze die Welt immer mehr verbessern wollen. Aber das ist nutzloses Beginnen und außerdem wird daran immer jemand als eine Richtschnur finden und das andere ergibt sich aus den bestehenden Institutionen von selbst. Es bleibt nur noch übrig, die religiöse Gesetzgebung (Tempel, Opfer, Verehrung, Totenfeier) dem Delphischen Apollo zu übertragen.

 

An die Stadt werden vier Forderungen gestellt: Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit, wobei die Gerechtigkeit das ist, was nach der Betrachtung der übrigen drei noch übrigbleibt.

Weisheit: Weisheit ist nicht nur in der Verwaltung der Stadt nötig, sondern besonders in der Außenpolitik; man wird sie deshalb auch den Wächtern übertragen. Diese Elitegrupp wird also die Weisheit der Stadt ausmachen, denn es wird natürlich viel mehr einfache Arbeiter

geben.

Tapferkeit: Auch das Urteil über die Tapferkeit der Stadt wird von dieser Elitetruppe abhängen. Für sie kommt es darauf an, die Gesetze vollständig in sich aufzusaugen, und anzunehmen, damit sie eine rechte Vorstellung von allem Furchtbaren haben, denn sie allein haben die rechte Natur und Erziehung, daß man ihnen das Gesetz nicht austreiben kann, durch nichts! Diese Kraft und beständige Aufrechterhaltung der Vorstellung vom Bösen, nenne ich Tapferkeit.

Besonnenheit: Stärker als er selbst nennt man einen Menschen, in dessen Seele das von Natur Bessere über das Schlechtere Gewalt hat. Solch mäßige Leute wird man aber nur bei den Bestgearteten und Besterzogenen finden? Im Gegensatz zu Weisheit und Tapferkeit hat sich die Besonnenheit über alle Schichten zu erstrecken, die Stärksten, Schwächsten und Mittleren sollen sich zusammenstimmen, sollen einen Kompromiß finden zwischen stark und schwach. Diese Einmütigkeit sei Besonnenheit.

Gerechtigkeit: „Gerechtigkeit ist, wenn jeder das Seinige verrichtet!“ Diese Definition ist etwas zu einfach, denn die Gerechtigkeit sollte ja alles Übrige umfassen. Aber diese Eigenschaft wird mit den anderen Tugenden wetteifern, und nur die Gerechtigkeit wird in der Lage sein, den Wettbewerb zu bestehen. Deshalb kann auch nur der Herrscher die Rechtssachen schlichten. Wer aber diese Ordnung in drei Stände (Handwerker, Krieger, Herrscher) durchbrechen will, der tut Unrecht. Die Gerechtigkeit im einzelnen Menschen wird dieser Gerechtigkeit ähnlich sein und wird auch dieselbe Bezeichnung haben.

Obige Definition der Gerechtigkeit ist aber nur eine Hilfskonstruktion, eine Art von Schattenbild. In Wahrheit aber ist die Gerechtigkeit zwar etwas von dieser Art. Aber es kommt nicht auf die äußeren Handlungen an in bezug auf das, was dem Menschen gehört, sondern auf die innere Tätigkeit in Absicht auf sich selbst und das Seinige, indem einer nämlich jegliches in ihm nicht Fremdes verrichte:. läßt, noch die verschiedenen Kräfte seiner Seele sich gegenseitig

in ihre Geschäfte einmischen, sondern jeglicher sein wahrhaft Angehöriges beilegt und sich selbst beherrscht und ordnet und Freund seiner selbst ist!“

Ungerechtigkeit ist ein Zwiespalt der drei ersten Eigenschaften und ein Aufstand irgendeines Teils gegen das Ganze der Seele, um in ihr zu herrschen, obwohl es ihm nicht zukommt. Deshalb gilt es immer, die Regungen in der Seele in ein naturgemäßes Verhältnis zu bringen zwischen Herrschaft und Voneinander-Beherrschtwerden. Die Gerechtigkeit ist aber zweckmäßiger als Unrechttun, denn mit der Ungerechtigkeit kann man nicht leben und es ist schwer, sich dann wieder von der Ungerechtigkeit abzuwenden, wenn man das eingesehen hat (aus dem vierten Buch der Politik).

 

Weiber- und Kindergemeinschaft als Grundlage der Einheit:

Trotz einer Verschiedenheit der männlichen und weiblichen Natur bejaht man doch die prinzipielle Gleichheit der männlichen und weiblichen Anlagen. Es kommt nur auf eine gleiche Erziehung an. Zunächst einmal wird man für die Wächter nur solche Frauen auswählen, die ihnen wesensmäßig schon verwandt sind. Dann wird man sie in Musik und Gymnastik gemeinsam erziehen, damit auch die Frauen die besten ihres Geschlechts werden.

Die Frauen sollen jedoch nicht einem persönlich gehören, sondern allen Männern gemeinsam sein, ebenso natürlich auch die Kinder. Damit aber kein Streit entsteht, muß der Staat sehr stark eingreifen: Er wählt die Frauen aus und richtet die Hochzeiten ein. Er nimmt auch „minderwertigere“ Kinder der Gemeinschaft heimlich fort und täuscht sie auf manche Weise, zu ihrem eigenen Nutzen. Um aber die Zahl der vortrefflichen Männer gleichgroß zu halten (sie darf nicht zu groß und nicht zu klein werden), bestimmt der Staat auch die Anzahl der Hochzeiten, und bevorzugt werden dabei die Tapfersten, Kräftigsten und Edelsten.

Sofort nach der Geburt werden die Kinder den Müttern weggenommen und in staatlichen Kinderhorten aufgezogen, mißratene Kinder werden dabei gleich von den anderen getrennt im Verborgenen aufgezogen. Es sind also Methoden, die schlimmer sind als beim Vieh.

Vor allen Dingen muß verhindert werden, daß Mütter ihr Kind wiedererkennen. Wenn Männer und Frauen aber ihre Pflicht gegenüber dem Staat erfüllt haben, läßt man sie zwar laufen, aber Kinder die dann noch geboren werden, müssen ausgesetzt werden, falls man nicht die Abtreibung vorgezogen hat.

Diese- Weiber- und Kindergemeinschaft ist aber wichtig für die Einheit des Staates. Als größtes Unglück wird man in diesem Staat eine Teilung ansehen. Deshalb muß man alle gemeinsamen Tendenzen ausnutzen und verstärken. Die Bürger freuen sich alle nur gemeinsam oder sind betrübt, denn die Gemeinschaft fühlt und leidet mit dem Einzelnen, denn jeder ist ja mit jedem „verwandt“, weil keiner weiß, mit wem er wirklich verwandt ist. Zudem wird es keinen Streit um materielle Güter geben, zumal ja auch Gütergemeinschaft herrscht. Persönliche Streitigkeiten werden von den Älteren verhindert, die man als disziplinarische Vorgesetzte über die Jüngeren gesetzt hat. Und diese werden sich aus Scham (Eltern ehren!) und Furcht (die anderen wären gegen die Angreifer!} hüten, Widerstand zu leisten.

Die Wächter werden jedoch das glückseligste Leben führen, denn ihnen werden noch mehr Ehren zuteil als den olympischen Siegern. Ihr Sieg dient dem Heil des ganzen Staates, der sie nun reichlich mit allen Gütern des Lebens ausstatten wird und ihnen eine würdige Bestattung sichert. Dies alles wird den Verlust des Privateigentums bei weitem aufwiegen.

Im Krieg löst man die Aufgabe der Kinderbeaufsichtigung, indem man die Kinder mitnimmt, sie wie bei einem Handwerk schon anzulernen und sie zur Unterstützung der älteren heran-zuziehen. Außerdem werden die Erwachsenen dann verbissener kämpfen, wenn sie ihre Kinder zu verteidigen haben. Natürlich wird man die Kinder nur in weniger gefährliche Kriegszüge mitnehmen und man wird dafür sorgen, daß sie notfalls fliehen und sich retten können, indem man ihnen gleich in frühester Jugend das Reiten beibringt und sie zuverlässigen, folgsamen und schnellen Pferden anvertraut.

Die Frage nach der Verwirklichung eines solchen Staates (man ist übrigens nicht absolut, sondern sucht nur möglichst viel zu erreichen) wirft die neue Frage auf: „Warum ist es bei uns nicht so?“ Die Antwort: „Entweder die Philosophen werden unsere Könige oder die Könige lernen philosophieren!“Damit sie sich aber in ihrem doppelten Amt als Philosophen und Anführer durchsetzen können, müssen sie in Wahrheit weisheitsliebend sein, das heißt, sie müssen nach der absoluten Weisheit trachten, indem sie willig und unersättlich nach neuer Erkenntnis trachten und jegliches Seiende sogar lieben bei diesem Streben (Aus dem fünften Buch der Politik).

 

Die Philosophen:

Führer des Staates sollen die Philosophen sein. Sie sollen irgendein Urbild des Staates in ihrer Seele haben und dieses nun wie ein Maler ein Bild malt in die Wirklichkeit übertragen, sie sollen neue Erkenntnisse aufzeichnen und das alte erhalten. Sie müssen also einerseits alles erkennen können, aber auch genügend Erfahrung und Übung besitzen, um es anzuwenden.

Sie müssen also alle Erkenntnisse lieben, die ihnen etwas offenbaren von diesem Sein, sie müssen nach dem Absoluten streben und dürfen sich nicht mit kleinerem oder größerem abgeben. Von Jugend an aber müssen sie nach der Wahrheit streben. Oberstes Ziel ist weiterhin die Mäßigung und die gleichmäßige Arbeit auf allen Gebieten, es darf zu keiner Schwerpunktbildung oder Vernachlässigung kommen. Den Mittelweg gilt es auch zu finden im Streben nach Geld und zwischen Kleinlichkeit und Großzügigkeit.

Ein Philosoph muß seinen Beruf für den Staat lieben, damit der Dienst ihm nicht Widerwillen bereitet und er nichts vollbringt. Er darf nicht vergeßlich sein, muß lernen wollen und von solcher Gemütsart sein, daß er sich gern und natürlich hinführen läßt zur Idee des Seins. Ein wahrer Philosoph ist nie prahlerisch, habsüchtig, unedel, feige, großtuerisch, haßt die Lüge und trachtet in allem nach einer gesunden und mäßigen Gemütsart, mit der dann auch Besonnenheit verbunden ist.

In der Praxis hat sich nur herausgestellt, daß die Philosophen sich hier sehr abgeschmackt geraten sind, daß sie zumindest für den Staatsdienst unbrauchbar geworden sind. Philosophische Systeme werden sie wohl noch entwerfen können, aber im harten politischen Leben wird man sie bald in die Enge getrieben haben. Man wirft jedoch ein: Noch hat keiner es gewagt, ein Experiment mit den Philosophen als Staatslenkern zu wagen, denn ein Steuermann wird schwerlich seine Passagiere bitten, sich von ihm regieren zu lassen, noch wird ein Weiser bei den Reichen betteln gehen.

Vieles nun kann die Seele des Philosophen verderben und ihn von seiner eigentlichen Aufgabe abziehen: Schönheit, Reichtum, Leibesstärke, Verwandtschaftsbeziehungen. Besonders aber werden die jungen Leute von den Sophisten verdorben, die Tadel und Lob immer übermäßig laut ausschreien. Auf die Jünglinge macht das natürlich Eindruck und sie geben die Meinung der Sophisten dann auch für ihre eigene Überzeugung aus, obwohl diese auch nur die Strömungen der Masse aufgenommen haben und dies nun aber Weisheit nennen.

Die Menge aber ist nicht philosophisch und wird immer die Philosophen tadeln. Aber sie wird schon den Jünglingen schmeicheln, die später einmal Philosophen werden sollen. Dadurch aber wird der Jüngling eingebildet und meint wunder, was er vermag und welche Fähigkeiten er hat. Wenn aber ein wahrer Philosoph ihm das mitteilen wird, dann wird das Volk wiederum sich gegen den Philosophen stellen, ihm nachstellen und vor dem Volke verklagen, und dem Jüngling einreden, er solle ja nicht auf diesen hören.

Groß ist auch die Gefahr, daß jeder, der nur irgendetwas auf sich hält, nach diesem Amte drängt, denn die Philosophie wird immer etwas höher geachtet werden als jede andere Kunst( die Politik wird es auf jeden Fall!). Dadurch wird natürlich die Gefahr des Mißbrauchs dieser Stellung sehr groß.- Es wird dann nur noch wenig Raum sein für echte Philosophen. Ein solcher hätte aber immer viel Arbeit, diese „Pseudophilosophen“ ständig abzuwehren und wird sich also lieber ruhig verhalten und nur um das Seinige bekümmern, um wenigstens sein Leben rein von Ungerechtigkeit und unheiligen Werken zu halten. Das ist zu bedauern, weil er in einem tauglichen Staat sich noch mehr hätte entfalten können und auch seinem Volk geholfen hätte.

Von den damaligen Staatswesen war keines für die Philosophen geeignet; das war auch der Grund, warum sich die Staatsformen dauernd änderten! Es muß aber immer etwas dasein, das die Absichten des Gesetzgebers festhält und den folgenden Generationen weitergibt. Das Schöne und Große zu tun, ist natürlich schön. Aber damit die Philosophen ihre Aufgabe besser erfüllen können, wird eine „Arbeitsteilung“ vorgeschlagen: In ihrer Jugend sollen sie sich ausschließlich ihrer körperlichen Entwicklung widmen, im Alter aber ungestört der geistigen Entwicklung.

Aber man glaubt doch fest an die Möglichkeit, daß einer der jetzigen Philosophen in den Staatsdienst geht oder daß einer der Söhne von Herrschern von philosophischer Einsicht ergriffen wird, denn sonst wäre es ja müßig, sich über einen solchen „Idealstaat“ zu unterhalten. Man wird natürlich immer versuchen, solche Leute zu verderben für ihre Aufgabe, aber einer würde schon genügen fürs erste. Schon das wäre schwierig, aber nicht unmöglich.

Der Philosoph, der mit dem Göttlichen und Geregelten umgeht, wird so weit wie möglich auch immer geregelter und göttlicher werden. Wenn die Staatsbürger das erst einmal eingesehen haben und man ihnen auch sagt, daß eine „Philosophenregierung“ die glücklichste Lösung für einen Staat ist, dann werden sie auch gehorchen. Ehe das nicht geschieht, wird sich die hier entworfene Verfassung nicht verwirklichen lassen und wird des Unheils kein Ende sein.

Die Philosophen aber müssen sich bemühen, sowohl auf das Gerechte, Schöne, Besonnene zu sehen, aber auch ihre Aufgabe, dieses in die Menschen hineinzubilden und zu mischen, und möglichst viele Sitten gottgefällig zu machen.

Weiterhin wird von ihnen verlangt: Sie müssen auch schwerste Versuchungen und Prüfungen aushalten und sich nicht scheuen, auch den weiteren Weg zu gehen in ihrem Forschen und in 444den Leibesübungen. Er muß aber in allen Dingen immer gleich das Ganze sehen. Denn es ist lächerlich, Kleinigkeiten sehr genau auszuführen, während man im Großen versagt. Das höchste aber ist die Idee des Guten, durch die erst das Gerechte und alles andere nützlich und heilsam werden. Es hilft nichts, alle Habe zu haben, nur die gute nicht (aus dem sechsten Buch der Politik).

Aufgabe und Auswahl der Philosophen:                  

Um die Aufgabe des Philosophen deutlich zu machen, erzählt Platon das Höhlengleichnis: Seit ihrer Kindheit sind Menschen in einer Höhle gefesselt, die nur einen gegen das Licht geöffneten Zugang hat. Diese Menschen müssen jedoch in das Innere der Höhle schauen und können sich nicht umdrehen zum Licht hin. Dort oben nach dem Eingang zu brennt auch ein Feuer und erhellt die Höhle; es trifft die Gefangenen etwas von oben herunter. Zwischen dem Feuer und diesen Menschen ist nun eine Mauer aufgeführt, längs der nun allerhand Geräte, Bildsäulen und steinerne oder hölzerne Bilder getragen werden, die die Mauer überragen.

Die Gefangenen sehen davon aber nur die Schatten, die auf die gegenüberliegende Wand geworfen werden. Sie geben ihnen Namen, sie nehmen an, diese Schatten sprächen, während es in Wirklichkeit die Träger der Bilder sind, und sie halten diese Schatten für das allein Wahre. Wenn man nun einen von ihnen entfesselte und ihm diese wirklichen Bilder zeigte, ihm auch sagte, er habe damals nur Nichtiges gesehen und sei nun dem Seienden näher, dann wird er gewiß glauben, das damals Gezeigte sie viel wirklicher.

Wenn ihn nun gar einer den steilen Weg zum Licht hinaufschleppen würde, würde er sich wohl nur sehr ungern schleppen lassen und große Schmerzen haben, weil er ins Licht schauen muß. Nur langsam wird er sich daran gewöhnen. Und schließlich wird er sogar die Sonne. selbst, nicht nur Bilder von ihr im Wasser sehen können. Und dann wird er auch erkennen, daß sie allein die Ursache alles Seienden ist, daß sie schon immer war und alles ordnet.

Dieser eine Bevorzugte wird aber lieber alles über sich ergehen lassen, als wieder solche Vorstellungen zu haben wie seine ehemaligen Mitgefangenen und so zu leben wie sie. Er hat nämlich drei Stufen der Erkenntnis durchgemacht und nun die höchste erreicht. Die erste war die Wirklichkeit der Schatten, die zweite die der Figuren und die dritte schließlich die Sonne als Sinnbild des Seins alles Seienden.

Wenn er nun wieder hinunterstiege, dann würde er im ersten Augenblick nicht nur nichts sehen, sondern man würde ihn auch auslachen und würde sagen, er sei mit verdorbenen Augen zurückgekommen. Seine Mitgefangenen wären aber bestimmt der Meinung, es lohne sich nicht, dort hinaufzusteigen und sie würden jeden mit dem Tode bedrohen, der ihre Fesseln lösen wollte, um sie hinaufzubringen.

Mit der Höhle ist das Gesichtsfeld des gewöhnlichen gemeint, die Sonne dagegen ist die Verkörperung des Guten, und sie wird auch gleich als solches anerkannt, wenn man sie nur erst einmal geschaut hat. Sie allein bringt Wahrheit und Vernunft hervor, und wer vernünftig handeln will, muß sie erst gesehen haben. Wer also aus diesem Stadium wieder zurückkehrt, der muß sich übel gebärden und lächerlich erscheinen, weil er die neue Umgebung doch nicht gewohnt ist.

Um ihn aber erst einmal zum Licht zu bringen, muß er mit seiner ganzen Seele umgelenkt werden, bis er das wirklich Seiende und die Sonne, also die Idee des Guten, sehen kann. Man muß ihm also von Kindheit an das der Zeitlichkeit Verwandte herausschneiden; dies zeigt also die Bedeutung der Erziehung, eine schwierige Aufgabe.

Denn zur Leitung des Staates kann man nicht die Unkundigen. gebrauchen, denn sie haben kein Ziel ihres Handelns, aber auch nicht die Wissenschaftler, denn diese sind der Meinung, noch lebend auf die Insel der Seligen versetzt worden zu sein (Wissenschaftler = Gefangene die nur Marionetten sehen). Man muß also die trefflichsten Bürger auswählen, damit sie den Weg zur Wahrheit antreten zum Wohle der anderen, auch wenn sie nicht wollen. Dann wird der Staat sie nämlich zwingen, denn es ist nur gerecht, wenn sie die Sorgen der anderen tragen müssen und die Obhut über die Bürger ihnen auferlegt ist. Dafür hat man ihnen ja auch allerhand Vorteile zu gute kommen lassen. Dies hat übrigens noch den anderen Vorteil, daß sie sich nicht um Geldes willen um öffentliche Ämter reißen, sondern auch ohne hohes Gehalt aus eigenem Reichtum, den sie vorher natürlich auf Kosten anderer erworben haben, nun regieren.

Die Wächter müssen nicht nur fest und tapfer, edel und mutig sein, sondern auch schon die Anlagen zu der erstrebten Erziehung haben. Scharfblick, gutes Gedächtnis, große Arbeitslust, Beschäftigung mit Philosophie, Gewandtheit in Leibesübungen, Lernbegierde, Besonnenheit, Tapferkeit, Großmut und alle Teile der Tugend, Geschicklichkeit (damit sie sich als Philosophen nicht lächerlich machen!) und jugendliches Alter voller Spannkraft sind solche Eigenschaften. Die Ausbildung muß im Allgemeinen sehr frei sein, weil man Kenntnis nicht auf

knechtische Art lernen kann, zumindest aber keine bleibende Kenntnis. Spielend soll sich schon der Knabe mit ihnen beschäftigen, auch deshalb, weil man dann am besten seine Neigungen erkennen kann. Über das Erlernte aber ist Buch zu führen. Vom 20. Lebensjahr an aber werden die bisher zerstreut vorgetragenen Kenntnisse systematisch zusammengefaßte, damit eine Zusammenschau möglich wird. Dann kommt die praktisch Erprobung und Bewährung im Krieg, und nach 15 Jahren dann die Philosophie. Unter der Schar der Philosophen werden dann immer einige erwählt, die die Regierungsgeschäfte zu übernehmen haben (aus dem siebten Buch der Politik).

 

Die vier Arten von Verfassungen:

Nach Plato gab es zu seiner vier Arten von Verfassungen. Die fünfte war seine entworfene Idealverfassung, die einer Aristokratie ähnelt. Plato zeigt nun, wie sich daraus nacheinander Timokratie, Oligarchie, Demokratie und Tyrannei entwickeln können, und er untersucht auch gleich die Menschen, die in solchen Staaten leben und weist den Zusammenhang zwischen Staatsform und Menschen auf.

Eine Änderung der Verfassung kann nur von der herrschenden Kaste ausgehen, wenn in ihr Zwietracht entstanden ist. Bleibt sie aber einig, dann ist es schwer, daß in einen solchen Staat Bewegung gerät. Weil aber allem Entstandenen doch der Untergang bevorsteht, so wird sich auch diese Einrichtung mit der Zeit auflösen. Schon wenn schlechtes Erbgut in die Familien kommt, wird die Dekadenz der herrschenden Klasse eintreten. Sie werden ihre Untergebenen vernachlässigen und gar nicht mehr die Eigenschaften der Wächter haben. In ihnen werden immer zwei Naturen streiten und am Schluß werden sie das öffentliche Eigentum für sich beanspruchen, also zur Geldaristokratie werden, um es dann wieder an die Untergebenen verteilen, die aber nun zu Untertanen und Pächtern werden.

Mit der ersten Form der Verfassung wird die Timokratie gemeinsam haben die Ehrerbietung der Untergebenen, die Arbeitsteilung in Krieger, Bauern und Handwerker, die Betonung der Leibesübungen und der kriegerischen Spiele und die gemeinsame Verpflegung. Eigene „Errungenschaften“ sind jedoch die Angst dieser Kriegerkaste vor den Philosophen die Hinneigung zu den Zornartigen und Einfacheren und die Neigung zum beständigen Kriegführen.

Zur Oligarchie dagegen gehören schon die folgenden Eigenschaften: Geldgierige Verehrung des Geldes und Hortung des Geldes in gesicherten Schatzkammern.

 

Es handelt sich also hier um eine recht gemischte Verfassung, die sich nur auszeichnet durch Wetteifer und Ehrsucht. Die Menschen werden darum auch voll Wetteifer sein, sehr eingenommen von sich selbst, aber in den Werken der Muse wenig geübt, wenn auch Liebhaber derelben. Sie werden zwar gern zuhören, aber nicht rednerisch sein. Er wird scharf über seine Knechte wachen, denn er gibt sich auch mit ihnen ab, was ein völlig Gebildeter auf keinen Fall (aus Verachtung!) tut. Der Obrigkeit gegenüber wird er sehr unterwürfig sein und voll Ehrgeiz nach Ämtern streben, aber nicht um der Politik willen, sondern um Gelegenheit zu kriegerischen Taten zu haben. Mit zunehmendem Alter wird er das Geld mehr lieben, weil er von seinem vollkommensten Wächter im Stich gelassen wurde, von der mit Musik vereinigten Rede, die allein die Tugend lebenslang bewahren kann.

Er ist kein schlechter Mann, käme aber doch der schlechten Gesellschaft der anderen nicht entgehen und wird so in die Mitte gezogen, zum Streitsüchtigen und Zornartigen und wird so hochmütig und ehrsüchtig.

Wo die Reichen herrschen, die Armen aber keinen Anteil an der Regierung haben, da haben wir eine Oligarchie. Die Geldkammer wird zum einzig bestimmenden Prinzip, dem auch die Gesetze angepaßt werden. Schlechte Beispiele verderben gute Sitten und bald werden alle so sein. Mit der wachsenden Liebe zum Gelderwerb legt man immer weniger Wert auf die Tugend. Aus hochstrebenden und ehrsüchtigen Menschen werden zuletzt erwerbslustige und geldliebende, die sich ihren politischen Einfluß sichern, indem sie die Berechtigung zur Bekleidung von Staatsämtern abhängig machen von einer bestimmten Vermögensgrenze.

Diese Staatsform hat jedoch eine Reihe von Fehlern:

1.) Arme können nicht am Staatsleben teilhaben, auch bei besseren Fähigkeiten.

2.) Der Staat zerfällt in Arme und Reiche, die Feinde sind.

3.) Kriegführen ist unmöglich: Die Reichen allein sind zu schwach gegen äußere Feinde , auf die Hilfe der Volksmassen können sie nicht rechnen, sie wollen in einem Krieg nicht ihr Geld verlieren.

4.) Wenn der Reiche sein Gut vertut und verschwendet, bleibt er dennoch unnützer Staatsbürger, entweder krimineller Landstreicher oder Bettler.

5.) Schlechte Erziehung und Bildung verstärken noch das Heer der Bettler.

Wenn einer sich ehrlich müht, jedoch am Staat wie an einer Klippe scheitert (ungerechter Richterspruch!), wird er sich vielleicht aus der Armut langsam wieder hocharbeiten, indem er kärglich lebt und emsig spart; die Folge davon ist aber ganz natürlich Begehrlichkeit und Liebe zum Besitz und Verehrung des Reichtums und der Reichen.

Darin ist er also dem oligarchischen Staat schon ähnlich. Weiterhin kommt hinzu, daß er sich aus Sparsamkeit und Arbeitsamkeit nur die notwendigen Begierden zugute tut. Er bemüht sich nicht um Bildung, was wiederum bettelhafte oder bösartige Begierden in ihm entstehen läßt. Die anderen hält er durch zweckmäßige Überlegung, nicht aus Vernunft zurück.

Er wird also nicht frei von Zweispalt sein, wenn es auch noch positiv zu werten ist, daß die besseren Begierden in ihm über die schlechteren herrschen; aber wahre Tugend einer mit sich selbst einigen und wohlgestimmten Seele ist ihm fremd. Auch ist er ein schlechter Mitbewerber um den Sieg oder einen Ehrenpreis, weil er um des bloßen Ruhmes willen kein Geld aufwenden will.

Die Oligarchien haben den Fehler, daß sie Zügellosigkeiten übersehen und so oft Menschen unverschuldet in Armut hineindrängen, die dann den Reichen auflauern und nach Neuerung streben. Die Regierenden nun lassen ihre Söhne verweichlichen; diese werden zu geistigen

und leiblichen Anstrengungen untüchtig und träge, wenn es gilt, sich gegen Lust oder Unlust zu wehren. Im Krieg jedoch macht sich das nachteilig bemerkbar, und der kräftige Arme, der danebensteht, wird sich sehr bald fragen, ob es nicht an seiner eignen Feigheit und der seiner Gefährten liegt, daß jene über sie herrschen. Bald wird dann die Parole ausgegeben: In unserer Hand sind diese Männer, sie taugen nämlich nichts! Der Staat entzweit sich also selbst, es kommt zum Kampf und die Reichen werden hingerichtet und vertrieben, unter die übrigen jedoch werden gleicher Anteil an Bürgerrecht und Verwaltung verteilt.

Zuerst wird man in den so entstandenen demokratischen Staat viel Freiheit lassen und es werden viele Menschen der verschiedensten Art hier zusammenkommen, zumal in der Demokratie aufgrund der Freiheit alle Verfassungen beschlossen sind. Die Nachteile zeigen sich nur dann, wenn zwar durch Gesetz etwas verboten ist, an das sich aber keiner hält, wenn einer zum Tode verurteilt wird, aber nicht hingerichtet werden kann, „weil er nicht will“, denn der Staat fragt großmütig über alles hinwegschreitend nicht mehr danach.

 

Für spätere Betrachtungen macht Plato nun den Unterschied zwischen notwendigen und nicht notwendigen Begierden klar. Notwendige Begierden kann man nicht abweisen, etwas den Hunger, denn man muß Gesundheit und Stärker erhalten. Nicht notwendig dagegen sind Leckereien, denn diese Begierde kann man sich abgewöhnen, zumal sie noch dem Körper schädlich sind und den Geist hindern.

In der Lebensweise eines demokratischen Mannes werden zuerst die nicht notwendigen Begierden die Oberhand haben, zumal wenn er in schlechte gerät, die alle Erziehungsversuche von Seiten der Eltern und Erzieher fehlschlagen läßt. Wenn er jedoch etwas älter geworden ist, dann nimmt er die damals vertriebenen guten Tugenden wieder auf und gibt sich den Begierden nicht mehr gänzlich hin: So wird er dann in einem gewissen ruhigeren Gleichgewicht der Lüste leben, indem er der Reihe nach jeder einzelnen einmal etwas nachgibt, um sie zu befriedigen, sie aber alle gleichmäßig pflegt. Er ist damit ein Mann, der die mannigfaltigsten Sitten und Gemütsstimmungen in sich vereinigt und ebenso bunt ist wie der Staat, in dem er lebt.

Wie bei der Oligarchie die Übertreibung eines Prinzips zum Untergang führt, so geht es auch mit der Demokratie: Die Freiheit ist die größte Gefahr der Demokratie, denn sie kann zur Tyrannei führen. Der dem Trunk durch übergroße Freiheit verfallene Mensch wird die Obrigkeit, die gegen ihn vorgeht, als bösartig und oligarchisch anklagen. Die Obrigkeiten gehorchen, das Volk mißhandelt sie. Aber „nur Obrigkeiten, welche sich wie Untergebene und Untergebene, die sich wie Obrigkeiten anstellen, werden gelobt und geehrt!“

Die Freiheit erstreckt sich notwendig überall hin, ein Vater wird seinen Söhnen ähnlich und fürchtet sich vor ihnen, und der Sohn wird den Eltern ähnlich, damit er sich nicht mehr vor ihnen zu scheuen braucht und ja recht frei ist. Lehrer und Schüler, Alte und Junge gleichen sich so an, und sogar die Tiere sind hier freier als anderwärts. Die Seele der Bürger wird dadurch jedoch immer zarter und keiner will sich mehr Zwang auferlegen, denn das kann er nicht vertragen und wird gleich unwillig.

Das äußerste Tun in irgendetwas pflegt immer eine große Hinneigung zum Gegenteil zu bewirken, die äußerste Freiheit wird umschlagen in wildeste und strengste Knechtschaft umschlagen

 

In der Demokratie leben zunächst einmal drei Arten von Menschen:

1.) Die faulen Verschwender, die im Gegensatz zur Oligarchie überwiegen.

2). Ehrbare Bürger, die es zu großem Reichtum gebracht haben.

3.) Die große Masse bildet jedoch das Volk, das nur von der Arbeit seiner Hände lebt.

Diese Masse ist aber nicht leicht zusammenzuhalten, es sei denn, die Herrschenden gäben ihnen jedesmal etwas von dem eroberten Reichtum ab. Die Beraubten jedoch werden sich nicht wehren. Sie werden sich jedoch damit gegen das Volk stellen und als oligarchisch angeklagt werden. Da man sie verleumdet, wird ihnen nichts anderes übrigbleiben, als nun auch wirklich oligarchisch zu werden.

Das Volk ergreift nun wieder Gegenmaßnahmen, indem es einen an die Spitze stellt, den es hegt und groß macht. Dieser jedoch wird bald seine Machtbefugnisse überschreiten, jedoch aus dem Exil mit Waffengewalt als gemachter Tyrann zurückkehren. Er muß nun jedoch für sein Leben fürchten und braucht eine Leibwache. Die Reichen jedoch werden seinen Staat verlassen, die Tyrannei ist vollkommen.

Zuerst wird er behaupten, er sei gar kein Tyrann, er wird Schuld erlassen und Äcker verteilen. Aber wenn außenpolitisch keine Aufgaben mehr vorhanden sind, dann wird er sie schaffen: Er fängt einen Krieg an, damit das Volk die Notwendigkeit eines Anführers einsieht. Außerdem verarmt das Volk durch die Kriegslasten, muß schwer arbeiten und denkt somit nicht an Revolution; und ganz nebenbei kann man persönlich und sachliche Feinde an die Front abkommandieren oder den Feinden preisgeben. Auf diese Weise muß sich der Tyrann auch seiner ehemaligen Freunde entledigen, die es noch gewagt haben ihm zu widersprechen, und nur die Anhänglichkeit der gekauften Söldner seiner Leibwache verschafft ihm noch Glückseligkeit. Er wird zuerst von den Tempelgütern leben, dann sich vom Volk versorgen lassen, nachdem er ihm vorsorglich die Waffen abgenommen hat, und somit ist es statt jener übergroßen Freiheit in die unerträglichste und bitterste Knechtschaft gezogen worden.

 

Kritik Platos durch Aristoteles:

Der Ort zumindest ist im Staat allen gemeinsam, aber es ist die Frage, ob von anderen Dingen möglichst viel gemeinsam ist oder nur einiges. Je größer ein Staat wird, desto mehr wird er sich differenzieren. Kleinere Einheiten wie Familie und Individuum sind darum mehr „Einheit“ als der Staat. Der Staat jedoch kann dieses Ziel der Einheit nicht anstreben, denn sein Vorteil liegt ja gerade darin, daß möglichst viele da sind, die sich in ihrer Arbeit vorteilhaft ergänzen können.

Die Bestandteile, woraus eine Einheit werden soll, müssen darum der Art nach verschieden sein, denn gegenseitiges Geben und Nehmen hält den Staat zusammen. Dies ist aber nur möglich unter freien Menschen, weshalb unter ihnen auch ein Wechsel der Herrschaft nötig ist. Die völlige Einheit im Staat jedoch würde ihn aufheben und unnütz machen.

Im Einheitsstaat können nicht alle zugleich sagen „mein“ oder „nicht mein“, wenn sie für sich allein sprechen, denn es gehört ja allen (gegen Plato 462 C). Was aber sehr vielen gemeinsam zugehört, für das wird am wenigsten Sorge getragen. Zuerst denkt man an die eigenen Angelegenheiten und an die allgemeinen nur so weit, wie sie die eigenen berühren, denn man denkt immer, der „andere“ werde schon dafür sorgen.

Überträgt man jedoch diese Vorstellungen auf das Familienleben, dann wird es unvorstellbar, wenn sich das „mein“ zum Beispiel auf Tausend oder mehr Väter beziehen kann, zudem werden bald die Verwandtschaftsbeziehungen unklar sein (welche Sperren hat Plato dagegen?), auch wenn man vielleicht aus der äußeren Ähnlichkeit erraten kann, wer die Eltern oder Geschwister sind. Aber wenn man nicht weiß, wer die Eltern sind, dann wird man sich auch gegen alle möglichen „Eltern“ so benehmen, als seien sie Fremde und man wird sogar Verbrechen gegen sie begehen.

Weiber- und Kindergemeinschaft wären sehr viel angebrachter bei den Bauern, damit unter ihnen keine Freundschaft entstehen kann, die wieder Ursache zum organisierten Ungehorsam sein kann (also bewußte Zerstörung der Familie!). Für die Wächter jedoch ist gerade dieses Ziel der Freundschaft anzustreben, denn bei den Gebildeten wird dadurch ein Aufstand verhindert werden (stimmt das? Sparta?). Außerdem aber ist es ein Unding, die Kinder der einen Klasse in die andere zu versetzen, denn dann sind sie nicht mehr unter Verwandten und neigen noch eher zu Gewalttätigkeiten.

Wie steht es aber nun mit dem Besitz? Sollen die Grundstücke Privateigentum sein, die Erzeugnisse jedoch Gemeingut, oder sollen das Land und die Bestellung gemeinsam sein, der Ertrag aber verteilt werden, oder soll man gar Grundstücke u n d Erzeugnisse zum Allgemeingut machen?

Die Fragen wären leicht zu lösen, wenn man Sklaven zur Bearbeitung des Landes hätte. So aber wird sich bei dieser Gütergemeinschaft der Fleißige über den Faulen beschweren, der dann doch den gleichen Anteil kriegt wie er (wie ist es aber mit den natürlichen, aber doch unterschiedlichen Anlagen jedes einzelnen Menschen und dem Begriff der Gerechtigkeit im Sinne von Aristoteles? Kann man denn wirkliches Unvermögen und Faulheit unterscheiden?).

Wenn aber jeder für seinen eigenen Vorteil arbeitet, wenn jeder also genügend Privateigentum hat, dann wird es keine Beschwerden geben. Dann ist es auch möglich, einen Teil seines Eigentums abzugeben oder fremdes in Benutzung zu nehmen. Solche Hilfe, die nämlich Freunde verschafft, kann man aber nur erweisen, wenn man Eigentum hat (und wie gesagt: „Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft!“).

Die Streitigkeiten innerhalb der menschlichen Gemeinschaft entstanden nicht wegen der fehlenden Gütergemeinschaft, sondern wegen der menschlichen Schlechtigkeit (Lehre für den Kommunismus!). Andererseits wird aber auch in Platos Staat nicht eitel Freundschaft herrschen, denn gerade die nicht geordneten Eigentumsverhältnisse werden immer wieder Anlaß zu Streitigkeiten geben.

Freilich muß der Staat im gewissen Sinne eins sein, aber er darf es nicht ganz und gar sein!

Durch Erziehung muß man ihn zu einer Gemeinschaft und Einheit machen, aber man darf es nicht übertreiben. - Warum hat man denn eine solche Verfassung nicht längst eingeführt? (Sie mußte ja erst konstruiert werden!). Es würde sich dann nämlich herausstellen, was ihre Vorteile und Nachteile sind.

Nichts wird aber bei Plato darüber gesagt, ob sich die Gütergemeinschaft auch auf die Bauern beziehen soll, also auf die größere Masse des Volkes. Aber falls man das machen wollte, was würde denn dann noch die Bauern von den Wächtern unterscheiden? Man hätte zwei Staaten geschaffen, die sich feindlich gegenüberstehen, weil der eine, die herrschende Klasse und die Besatzungstruppe bilden würde.

Es ist in diesem Staat von vornherein unmöglich, den ganzen Staat glücklich zu machen und damit die aristotelische Hauptforderung zu verwirklichen. Hier können es nur die Wächter sein. Ihnen allein läßt man eine gute Erziehung angedeihen. Was aber geschieht mit den Bauern? Bei ihnen werden Unehrlichkeit und Verbrechen immer weiter zunehmen, weil man sich um diesen Stand nicht kümmert. Überhaupt ist über diesen Stand wenig bei Plato ausgesagt, obwohl es für die Wächter nicht unbedeutend ist, welche Qualität der dritte Stand hat. Plato mußte aber zu diesem Schluß kommen, weil das „von den Göttern kommende Gold, die Anlage zur Philosophie, immer nur bei denselben vorhanden sein kann.

Plato hat neben seiner „Politik“ auch noch sogenannte „Gesetze“ herausgegeben, in denen er aber den bestehenden Verfassungen wieder sehr nahe kommt, bis auf die Gütergemeinschaft. Hier wird auch eine genaue Zahl von Wächtern angegeben, nämlich fünftausend. Aristoteles meint nun, es bedürfe eines Riesenreiches wie Babylonien, um 5.000 Müßiggänger zu finden.

Weiterhin rügt er, daß der Gesetzgeber bei Auswahl der Gesetze nur auf Land und Leute achten soll, nicht auch auf die Nachbargebiete, denn der Staat muß durch eine genügend große Streitmacht auch einen Erfolg nach draußen verteidigen können und sichern.

In Bezug auf Vermögen kann man nach Aristoteles nur zwei Tugenden anwenden: Freigiebigkeit und Mäßigkeit. Diese beiden Tugenden soll man bei der Verteilung der Güter anwenden, damit in einem solchen Staat nicht nur ein mäßiges Leben möglich wird, sondern ein mäßiges u n d freigiebiges.

Jeder Bürger sollte hier aber doch nun die gleiche Menge Besitz haben. Über die Anzahl der Bürger wird jedoch nichts ausgesagt. Das wäre aber wichtig, denn die Güter bleiben unteilbar, zum Beispiel auch, wenn die Bevölkerungszahl steigt (die Frage ist hier nur, ob Plato richtig interpretiert wurde. Mir erscheint das spitzfindig, denn er wird wohl auch an eine Neuverteilung von Zeit zu Zeit gedacht haben).

Platos Staatsform will weder eine Demokratie noch ein Oligarchie sein, sondern sie will eine „Politeia“ sein, die einmal zur allgemeinen Staatsform werden soll. Daß sie aber die beste ist, streitet Aristoteles ab. Er befürwortet Verfassungen, die aus mehreren zusammengesetzt sind, nicht allerdings aus Demokratie und Tyrannei, die er als die schlechtesten ansieht (Plato wollte allerdings auch einen Mittelweg, seine Verfassung hat eher etwas aristokratisches an sich als oligarchisches, wie Aristoteles später behauptet).

Während Plato schon zum Teil dialektisch vorgeht und eine Begriffsentwicklung aus dem Gegensatz vornimmt, ist Aristoteles ganz streng der traditionelle Logiker. Er baut eins auf dem anderen auf, schaltet einiges aus, verharrt, fügt einige Bausteine ein und stellt ein Programm für die weitere Untersuchung auf; dadurch ist alles gut gegliedert.

Plato ist reiner Idealist, der etwas völlig neues konstruieren will und sich dabei in Hirngespinste versteigt (Großkindergarten!). Aristoteles jedoch steht mit beiden Beinen auf der Erde und gibt Rezepte für das praktische Verhalten im Staat. Er blickt nach den Sternen und will

über das Seiende hinweg, aber nicht über das Ziel hinaus. Er bemüht sich in allem das Schöne und Gute hervorzubringen, er ist nicht abstrakter Moralprediger, sondern er stellt als Ziel das „Seinsollen“ des Menschen auf.

 

 

Aristoteles

Leben und Werk:       

Wer sich mit Aristoteles befassen will, muß bedenken, welche Wirkungen er auf das Mittelalter hatte (Richtungsweisend für die Scholastik: Augustinus, Thomas) und welche er heute noch hat. Aber nur im Zusammenhang mit der modernen Zeit ist Aristoteles diskussionswürdig.

Aristoteles wurde 383/84 in Stagera als Sohn eines Arztes geboren, wurde aber schon früh Waise. Er besuchte die philosophisch-rhetorisch-staatsrechtliche Hochschule in Athen, die unter der Leitung Platons stand. Dort wurde er auch bald Lehrer, obwohl er selbst noch lernte, und blieb dort 20 Jahre. Er war jedoch nicht ein Epigone, sondern entwickelte bald eigenen Gedanken und wurde deswegen oft angegriffen. Nach dem Tode Platons war er fünf Jahre Hauslehrer Alexanders des Großen und kehrte dann wieder nach Athen zurück. Er wollte sich aber nicht dem neuen Leiter der Akademie unterstellen, der Platon und ihm feindlich gesinnt war, weil er die ihm liebgewordenen Gedanken nicht aufgeben wollte (er war an sich ein friedlicher Mensch!). Er gründete also eine eigene Akademie, mußte aber nach ihrer Auflösung fliehen und starb 322. Wir wissen so wenig über sein Leben, weil die Griechen nicht viel von Lebensbeschreibungen hielten und nicht die Kunst der Biographie pflegten.

Aristoteles war ein „Universalgenie“ mit einer unheimlichen Wissenskapazität. Er schrieb Bücher über Physik, Botanik, Zoologie, Dichtkunst, Musik, Medizin, Astronomie. Man unterscheidet drei Schaffensperioden, die sich in seinen Werken widerspiegeln:

1.) Bruchstückhaft erhaltene Werke aus seiner Schulzeit.

2.) Quantitativ gesehen magere Werke, aber voll reifer Gedanken

3.) Schöpferischste Zeit als er selber Direktor seiner Akademie ist (im Alter von 50 bis 60 Jahren).

Das Hauptanliegen des Sollens hat er niedergelegt in seiner „Nikomachischen Ethik“ (übrigens wahrscheinlich so genannt nach seinem Sohn Nikomachos, obwohl auch sein Vater so hieß!). In zehn Büchern stellt er hier nicht ein Moralgesetz auf, sondern gibt vor allen Dingen gute Tips für viele Lebensfragen. Er war jedoch der stärkste Interpret seiner Zeit in Staatsrechtslehre, die er in seinem grundlegensten Werk „Die Politik“ niedergelegt hat. Dieses Buch

befaßt sich nicht nur mit den Staatsformen und Institutionen, sondern setzt sich auseinander mit den Fragen des Gemeinwesens.

Seine Ethik ist jedoch die Präambel für die Politik: „Jedes praktische Können und jede wissenschaftliche Untersuchung ebenso alles Handeln und Wählen strebt nach einem Gut, wie allgemein angenommen wird!“ Daher die richtige Bestimmung von „Gut“ als das Ziel, zu dem alles strebt. „Das Handeln - auch in der Politik - hängt zusammen mit der ethischen Grundvoraussetzung. Aristoteles macht sich also zunächst einmal lustig über verschiedene Menschentypen und geißelt minderwertige Dinge. Die drei Menschentypen:

1.) Genuß, Streben nach „Eudämonie“ als höchstes Ziel

2.) Ehre und Name als aktiver Politiker in verantwortlicher Lage

3.) Philosoph, der sich nur mit der Lehre befaßt (nur Berater!).

Aristoteles sieht die zweite Haltung als die wertvollste an. Er versteht jedoch darunter nicht ein Leben als untergeordneter Beamter in geruhsamer und risikoloser Stellung, sondern Betätigung als „politischer Mensch“ (zoon politikon).

Aus seiner Ethik leitet sich auch ab, daß nicht das Gesetz die äußerste Grenze ist, sondern man muß schon bei Sitte, Ehre und Anstand als einem inneren Kreis haltmachen. Auch unter „Glück“ versteht er nicht den Genuß äußerlicher Dinge, sondern das Befassen mit geistigen Dingen.

 

„Die Politik“:

Der Staat ist die vornehmste Gemeinschaft. Er erstrebt das Gute. Die kleinsten (nicht aber frühesten) menschlichen Gemeinschaften sind entstanden aus Individuen, die ohne einander nicht sein können; es sind dies Mann und Frau (zum Zwecke der Fortpflanzung), Herrscher und Beherrschter (Sklave). Dabei gibt es unter den Griechen im Gegensatz zu den Barbaren eine „Familie“, denn Frau und Sklave stehen nicht auf einer Stufe.

Familien gruppieren sich zu Dorfgemeinschaften, in denen nach dem Vorbild der Hausgemeinschaft das patriarchalische Prinzip herrscht, verkörpert durch den König (die Götter haben darum auch einen König!). Endlich entsteht eine aus mehreren Dorfgemeinschaften gebildete vollkommene Gesellschaft, „die gleichsam das Ziel vollendeter Selbstgenügsamkeit erreicht hat, die um des Lebens willen entstanden ist und um des vollkommenen Lebens willen besteht!“ Der Staat ist darum das natürliche Ziel des Menschen, nach dem er immer wieder strebt.

Der Staat ist ein von Natur bestehendes Gebilde und der Mensch von Natur ein staatliches Wesen. Wer außerhalb lebt, ist entweder schlechter (Tier) oder besser (Gott) als der Mensch, der Staat aber ist gut; deshalb schließt sich ihm der Mensch an. Die Gemeinschaftlichkeit der Sprache und das Unterscheidungsvermögen für Gut und Böse, für gerecht und ungerecht begründet die Familie und den Staat. Da das Ganze aber immer früher ist als das Teil, war der Staat auch früher als die Familie. Diese nun setzt sich aus Freien und Sklaven zusammen, die Beziehungen zwischen ihnen werden geregelt nach dem Herrenrecht, dem Eherecht und dem elterlichen Recht.

 

Das Herrenrecht:

Der Sklave ist ein beseeltes Werkzeug, das nötig ist, um die toten Werkzeuge zu bedienen. Er ist von Natur nicht sein, sondern eines anderen, aber doch ein Mensch - und darum von Natur ein Sklave. Er ist organisches Teil seines Herrn, aber nicht Besitzstück, denn er besteht nicht getrennt für sich.

Der Gegensatz zwischen herrschen und dienen tritt überall da auf, wo etwas aus mehreren Teilen besteht, aber doch eine Einheit ist. Zum Beispiel besteht der Mensch aus Leib und Seele. Bei einem Menschen in bester Verfassung herrscht die Seele despotisch über den Leib. Und das ist gut so, damit beide bewahrt und erhalten bleiben. Herrschen und dienen ist darum nicht nur notwendig, sondern auch nützlich.  

Bei Leuten mit großen Körperkräften, wo die Seele weit absteht vom Leib, ist es besser, wenn sie Sklaven sind (moderner Arbeiter als Ausgleich für ihre schwachen Geisteskräfte verdienen sie es, der Sklave des Besseren zu sein, denn dieser hilft ihnen ja nun. Die Herrschaft soll nämlich gut sein, zwischen Herr und Sklave soll ein Freundschaftsverhältnis bestehen, damit beiden genützt ist (Lehnsstaat des Mittelalters)

Es hat aber auch immer Sklaverei auf Grund eines Gesetzes nach einem siegreichen Krieg gegeben, denn der Sieger hatte eben etwas mehr an Tugend. Auch bei zu Unrecht angefangenen Kriegen sollte man doch nicht vergessen, daß auch einmal Adlige von niedrigerer Tugend sein können und sich nun unterzuordnen haben.

 

Familienrecht:

Die Herrschaft über Freie oder Sklaven ist etwas andere als die Alleinherrschaft des Hausvaters. Er hat auf Grund seiner Stellung die Fähigkeit, Sklaven zu verwenden, nicht aber sie auszubilden. Ihm steht es auch zu, nach Art eines freistaatlichen Herrschers über seine Frau zu herrschen, nach Art eines Königs über die Kinder, denn das Männliche ist zum Führen veranlagt (Schöpfungsordnung!). Während sich aber im Freistaat Beherrschtes und Herrschendes abwechseln, ist der Vater den Kindern auf Grund der Liebe und des Alters voran, er ist von ihnen durch seine natürlichen Vorzüge geschieden und darf übe sie herrschen. Aber er wird sich auch in erster Linie um sie kümmern, nicht um seinen toten Besitz. - Herrscher und Beherrschte haben je an der Tugend nur soweit teil, wie es für ihre besondere Aufgabe nötig ist. Der Herrscher hat also die höchste Tugend, er verhilft dem Sklaven zu standesgemäßer Tugend (nicht der Ausbilder!). Er befiehlt also nicht nur, sondern befleißigt sich auch des vernünftigen Zuspruchs. Man muß sie sogar noch mehr ermahnen als Kinder.

 

Wer ist Staatsbürger?

Man ist nicht schon dadurch Bürger eines Staates daß man irgendwo seinen Wohnsitz hat (Sklaven!), auch nicht, wenn man nur an der Gerichtsbarkeit teilhat, denn das kann auch durch Vertrag zustandekommen. Bürger ist, wer für sein ganzes Leben am Gericht und wer zeitweilig an der Regierung teilnimmt, wer also diese „unbestimmte Regierungsgewalt“ ausübt (Aristoteles sieht diese beiden nur zusammen, weiß aber keinen Oberbegriff für sie und führt deshalb einen neuen ein), die sich vorwiegend in der Demokratie findet, aber auch anderswo. Allerdings kann ein Einzelner diese Gewalt nicht allein ausüben, ihm steht es nur zu, an der beratenden oder richterlichen Gewalt teilzunehmen.           

Für die heutige Praxis jedoch bezeichnet man als Bürger, der väterlicher- und mütterlicherseits von Bürgern abstammt (nur wenn man eine höhere Bevölkerungszahl will, nimmt man auch Sklaven und sogar Fremde auf).

Wer durch ein Gesetz, etwa eine Verfassungsänderung mit Erweiterung des Bürgerrechts zum Bürger gemacht wird, ist es auch, auch wenn das Gesetz vielleicht von einem Gewaltherrscher zu Unrecht erlassen wurde (Annexionen Hitlers!). Der Nachfolgestaat muß auch alle Lasten seines Vorgängers übernehmen, denn die Verfassung beruht nicht darauf, wer die Macht ausübt, sondern hat das allgemeine Beste zum Zweck.

Die Frage ist nur, ob der Staat derselbe geblieben ist. Den Ort kann man hier nicht in Erwägung ziehen, denn es kann durchaus sein, daß in Krieg ein Staat zum Teil schon von anderen beherrscht wird und darum de facto nicht mehr derselbe ist, wohl aber noch als Staatsgebilde, das sich als Gemeinschaft versteht. Auch bloßer Handel zwischen örtlich naheliegenden Staaten schafft noch keinen gemeinsamen Staat; auch Verträge tun das nicht (Begründung weiter unten).

Auch wenn die Menschen dieselben bleiben (ununterbrochene Geschlechterfolge!), kann doch der Staat ein anderer werden, nämlich dann, wenn sich die Verfassung ändert; auch wenn sich die Menschen unter einer Verfassung ändern, bleibt der Staat doch der derselbe.

 

Tugend des Staatsbürgers:

Die einzelnen Bürger sehen trotz ihrer Verschiedenheit ihre Aufgabe im Wohle der Gemeinschaft. Eine andere Tugend der Bürger bewirkt auch eine andere Verfassung. Ein trefflicher Bürger kann sich nämlich unter den vielen Tugenden eine auswählen, die er befolgen will (etwa Geld ansammeln); ein tugendhafter Mensch allerdings hat nur eine Tugend, nämlich die Klugheit. Ein Staat nun kann unmöglich nur aus guten Menschen bestehen, wohl aber aus guten Bürgern, von denen nun jeder ein anderes „höchstes    Ziel“ hat. Ein König hat natürlich die höchste Tugend, ein guter Bürger kann sie vielleicht auch haben. Aber man muß noch einen Unterschied machen zwischen dem Erlernen eines Handwerkberufs und dem Erlernen der Fähigkeit zur politischen Herrschaft. Hier wird der Herrscher unterrichtet, indem er vorher selber beherrscht wird (dann könnte also jeder Bürger zum Herrscher werden, dann wären auch alle „unausgebildeten“ Politiker gerechtfertigt, falls dieser Satz stimmt, daß man gut befehlen kann, wenn man gehorchen gelernt hat). Ein trefflicher Mensch wird jedoch dieses können, denn seine Tugend umfaßt Herrschen und Beherrschtwerden. Niedere Stände, die damals also kein Bürgerrecht hatten, können diese Tugend nicht haben, denn sonst wären sie ja Bürger (So kann man es auch sagen! Was ist aber, wenn sie von den anderen mit Gewalt ausgeschlossen werden). In manchen Verfassungen dagegen haben diese „Banausen“ noch Bürgerrecht, in einer aristokratischen jedoch nicht mehr.

 

Die Verfassung:

Unter Verfassung versteht man die Ordnung des Staates in bezug auf die Gewalten überhaupt und besonders in bezug auf die oberste von allen. An den Regierungen kann man also schon die Art der Verfassung ablesen.

Das Gemeinschaftsgefühl, der gemeinsame Nutzen und die Anhänglichkeit an das Leben führen die Menschen zusammen. Man wechselt sich in der Regierung ab, auch einmal dem etwas zugute kommen zu lassen der bisher Gutes getan hat. Wenn jedoch einer aus dem Amt Vorteile ziehen will und es nicht mehr abgeben möchte, dann ist die Verfassung fehlerhaft (oder der Mensch! Es ist aber gemeint: Wenn dies möglich ist). Alle Verfassungen jedoch, die auf den allgemeinen Nutzen abzielen, sind richtig, denn der Staat ist eine Gemeinschaft freier Leute.

Das ist also das Kriterium einer guten Verfassung. Wenn also der Beste oder die Besten zum allgemeinen Besten regieren, dann handelt es sich um ein Königtum oder um eine Aristokratie; wenn das Volk regiert, dann ist das eine „Politie“. Ausartungen dazu sind: Tyrannis (Königtum), Oligarchie( Aristokratie ) und Demokratie (Politie), denn hier verfolgt jeder der Regierenden seinen eigenen Vorteil(in der Demokratie sind es die Armen!). Die Abgrenzung dieser Formen ist jedoch nicht leicht, denn in einer ehemaligen „Armendemokratie“ könnte es ja mit der Zeit mehr Reiche als Arme geben. Armut und Reichtum geben also den Ausschlag, ob es sich um eine Oligarchie (Herrschaft der Reichen) oder um eine Demokratie (Herrschaft der Armen) handelt.

 

Verteilung der Macht:

Reichtum haben aber nun nur wenige, Freiheit wollen aber alle haben. In diesem Streit ist es nun zuerst nötig, sich über den Begriff des Rechts besonders im Zusammenhang mit der Verteilung der Macht klar zu werden!). Ein Freigeborener wird sich gegenüber dem anderen Freigeborenen für gleich erachten und sagen: „Meine Stellung besteht zu Recht!“ Ein Armer jedoch wird sagen: „Es ist Unrecht, daß andere mehr Geld haben als ich!“ Einmal wird hier rein zahlenmäßig verglichen, zum anderen aber betrachtet man auch den Menschen mit und seine Rechte im Vergleich zu seinen Bedürfnissen und denen der anderen. Aber der Staat entstand ja nicht um des Besitzes willen, denn dann hätten ja die Verfechter der Oligarchie recht, daß der Anteil am Staat so groß sein muß wie der Anteil am Besitz.

Wenn man Verträge, etwa Nichtangriffspakte untereinander abschließt, dann entsteht dadurch noch kein gemeinsamer Staat, denn sie mischen sich nicht untereinander in die Angelegenheiten des anderen ein, wo sich doch der Staat der Pflege der Tugend annehmen muß (Deutschland ist also n i c h t ein Staat). Als Staat kann erst gelten „die Gemeinschaft in einem guten Leben zum Zwecke eines vollkommenen und sich selbst genügenden Daseins.“ Die staatliche Gemeinschaft besteht also nicht um des Zusammenlebens willen, sondern wegen der tugendhaften Handlungen. Darum haben auch die am meisten Teil am Staate, die am meisten zu dieser Gemeinschaft beitragen, nicht wer durch Reichtum oder Geburt ausgezeichnet wird. Das also ist Recht.

 

Die ausschlaggebende Gewalt:

Bei der Vergebung der obersten Ämter kommt es zu Schwierigkeiten. Abgesehen davon, daß eine solche Einstufung die anderen als „ehrlos“ diskriminieren würde, bereichern sich auf der anderen Seite die Herrschenden auf Kosten der anderen. Dabei ist die Menge als Ganzes, als Summe vieler kleiner Tugenden, immer der kleineren Gruppe von „Besten“ überlegen. Aber es ist auf der anderen Seite auch wieder gefährlich, einzelne unter ihnen zur Herrschaft zuzulassen, denn diesen mangelt es ja an Klugheit. Man kann sie aber am Beraten und Richten teilnehmen lassen( Wahl der Beamten, Entgegennahme der Rechenschaftsberichte, aber keine Einzelämter, nur als Schöffen).

Als Mitglied der Volksversammlung wird so jeder ein Mitberater. Wenn sich also viele „Wenigerwissende“ zusammentun, sind sie auch nicht schlechter als etwa „Fachleute“ in Politik, denn auch derjenige, der eine Einrichtung in Benutzung nimmt, kann sich ein Urteil darüber bilden (womit wieder einmal unser demokratisches Wahlrecht gerettet wäre!).

Man gibt jedoch allen gleiches Recht, nur nach der Leistung geht die Verteilung der Ämter. Es ist jedoch zur Schaffung eines vollkommenen Lebens gut, wenn Bildung und Tugend den Vorrang behaupten (er schränkt also doch wieder ein).

 

Das „Genie“ in der Gesellschaft:

Soll man ein Gesetz nach dem Nutzen der Besseren einrichten oder nach dem der Mehrheit? „Richtig“ ist, was zum Nutzen des ganzen Staates gereicht. Sollte der seltene Fall eintreten, daß einer oder einige wenige vorzüglicher sind als alle anderen zusammen, dann gehören sie nicht mehr zu diesem Staat und müßten ein Gott sein. Nur für Gleiche kann es ein Gesetz geben, solche Männer aber sind sich selbst Gesetz.

In der Demokratie nun strebt man nach Gleichheit, und deshalb vertreibt man solche Leute von Zeit zu Zeit durch das Scherbengericht; dieses Verfahren findet sich also nicht nur in den Diktaturen. Die Demokratien kommen jedoch nicht ohne das aus - im eigenen Interesse - denn sie müßten ja dann die Herrschaft dieses Einzelnenn anerkennen. Es besteht allerdings aber auch sehr die Gefahr, daß diese Einrichtung des Scherbengerichts zu Parteizwecken mißbraucht wird. Wenn jedoch einer nicht nur durch irgendwelche Vorzüge sehr herausragt, sondern auch an Tugend allen überlegen ist, dann wäre es ungerecht, ihn zu verbannen oder zu beherrschen. Dann muß man sich ihm gern unterordnen und lebenslänglich zum König machen (bei uns hält sich nicht der Beste, sondern der politisch erfolgreiche).

 

Gesetz oder Einzelner:

Soll man vom besten Mann oder von den besten Gesetzen beherrscht werden? Die Gesetze sind sehr allgemein, bei ihnen geht es um den Buchstaben, sie sind aber ohne Leidenschaften, und das ist ihr Vorteil, auch wenn der Einzelne genauer überlegen kann. Wo aber die Gesetze das Richtige verfehlen, dürfen sie nicht gelten. Wo ein Gesetz überhaupt nicht oder nur schlecht entscheiden kann, soll bei dem Besten die Entscheidung stehen.

Bei einer Gruppe von Herrschenden muß man darauf achten, daß alle gleich sind, damit nicht die Gefahr einer Teilung besteht. Der Mangel an genügend gleichen Leuten war wohl die Ursache für das Königtum in den kleinen Staaten der Frühzeit (ein Führer ist also nur dann möglich, wenn sich ihm nicht genügend gleich starke Leute entgegenstellen!). Soll der König aber nun nur bestehende Gesetze ausführen, dann ist das keine besondere Staatsform; solche Ämter gibt es auch in anderen Verfassungen. Aber ein Vollkönigtum über Gleiche wäre auch ungerecht.

Es ist also besser, daß keiner herrscht bzw. daß sie sich abwechseln. Dies wird aber geregelt durch Gesetz und darum ist es wünschenswerter, daß das Gesetz herrsche, auch wenn es nicht alles erfassen kann. Auch ein Mensch kann nicht alles wissen. Das Gesetz gibt dem Beamten nur die Schulung, das andere entscheiden sie, so gut die können. Schon aus Gerechtigkeitssinn sucht man nach einer überparteilichen Instanz, denn der Einzelne ist immer subjektiv und in eigener Sache befangen. Deshalb ist es weder nützlich noch gerecht, wenn nur Einer herrscht. Man wehrt sich nicht dagegen, daß das Gesetz herrschen soll, sondern dagegen, daß nur einer herrscht.

Eine Menge, die ein hervorragendes Geschlecht ertragen kann, ist auf das Königtum angelegt, auf die Aristokratie eine, die Vielheit verträgt und auf die Politie schließlich die Menge, die gleich gut zu befehlen und zu gehorchen weiß (Aristoteles macht also hier die Staatsform doch wieder von den Menschen und ihren Eigenschaften abhängig!)

 

Die Verfassungen:

Wer eine Verfassung beurteilen will, muß als Maßstab erst einmal die ideale, ursprüngliche Verfassung kennen. Es ist aber jedoch auch zu bedenken, welche möglich und leichter und im Einzelfall dem Staat entsprechender ist. Wenn aber ein Staatsmann es sich zur Aufgabe gesetzt hat, die Gesetze zu verbessern, so muß er erst einmal die bestehenden Verfassungen kennen, von denen ja die Gesetze abgeleitet sind. Es gibt mehrere Verfassungen, weil jeder Staat aus mehreren Teile (Familien, Berufsgruppen, Klassen) besteht. Es gibt so viele Verfassungen wie Gesellschaftsordnungen (was sagt der Marxismus darüber?). Jedoch kann man zwei Hauptrichtungen feststellen: die schlaffere, zuchtlosere, die Demokratie, und die straffere, despotischere, die Oligarchie.

 

Die Demokratie: Es ist keine Definition, wenn man sagt, eine Demokratie herrscht, wenn die „Masse“ befiehlt, denn das ist auch in der Oligarchie möglich. Eine Demokratie liegt zunächst einmal vor, wenn die Freien Herr sind, eine Oligarchie, wenn die Reichen Herr sind. Da es aber nun viele Freie, aber wenig Reiche gibt, liegt keine Demokratie vor, wenn einige wenige von diesen Freien über eine Mehrheit von Unfreien herrschen. Man hat vielmehr eine Demokratie, wenn die armen Freien als Mehrheit im Besitz der Herrschaft sind, und man hat eine Oligarchie, wenn die Reichen und Edleren als Minderheit herrschen.

Arten der Demokratie:

(1.) Angehörige niederer und höherer Stände gleich, Gleichheit am vollkommensten verwirklicht, nur die Gesetze herrschen, nur wenige Volksversammlungen, weil nur wenig Muße dafür.

(2.) Ärmere Leute werden durch einen sehr niedrigen Zensus ausgeschlossen, man muß, um Beamter zu werden, genügend Vermögen und Muße haben

(3.) Alle (!) Bürger haben Ämter, aber im Übrigen herrscht das Gesetz, denn weil alle reich geworden sind, haben alle Muße

 (4.) Allen Bürgern stehen Ämter offen, aber im Übrigen herrscht das Gesetz. Aber nicht jeder kann sein Amt wahrnehmen, weil das Geld fehlt

(5.) Nur die Menge ist Herr, nicht das Gesetz. Dann besteht sehr stark die Demagogengefahr, das Volk gebärdet sich dann wie ein Monarch, wird despotisch und läßt sich schmeicheln.

Kennzeichen jedoch der Demokratie ist die Freiheit, nicht die Bildung eines Mehrheitswillens, denn auch die Aristokraten stimmen unter sich nach der Mehrheit ab.

 

Arten der Oligarchie:

(1.) Die Herrschaft ist an das Geld gebunden, deshalb wird ein sehr hoher Zensus eingeführt. Aber es herrschen die Gesetze, denn man strebt von der Monarchie weg, die Verkörperung des Persönlichen ist.

(2.) Ein Zensus besteht, die Nachwahl der ausgeschiedenen Beamten erfolgt jedoch durch die verbliebenen Beamten selbst, die eine kleine Gemeinschaft bilden, die fest zusammenhält, aber doch nicht ganz ohne Gesetz ist, sondern zumindest das Wahlgesetz einhält.

(3.) Die Zahl der Herrschenden wird immer kleiner, die Vermögen werden immer größer; es gibt zwar noch ein Wahlgesetz, aber dieses besagt, daß die Beamtenstellen in dynastischer Erbfolge vergeben werde

(4). Nur die Herrscher herrschen, nicht das Gesetz, nahe der Monarchie.

 

Die Politie:

Im Staat streiten drei Qualitäten um das gleiche Recht: Freiheit, Reichtum, Tugend. Man kann sie auf viele Arten mischen kann: Reichtum und Armut zum Beispiel ergeben eine Politie mit einem mittleren Zensus. Die Mischung ist richtig, wenn man nicht mehr erkennen kann, ob es sich um eine Demokratie oder eine Oligarchie handelt, wie etwa in Sparta (gemeinsame Kindererziehung und Mahlzeiten usw., aber Ämter durch Wahl, Macht über Tod und Verbannung bei wenigen usw.)

 

Königtum:

Es gibt verschiedene Arten des Königtums: 

Feldherrnamt im Ausland (Standrecht) und Kulthandlungen

Sparta: Zuhause, das ist das eine Extrem, hier in Sparta.

Barbaren: Gesetzliche und traditionelle Tyrannis mit Willen der Bürger.

Alte Griechen: Traditionelle Wahltyrannis ohne gesetzliche Stütze

Heroenzeit: Gesetzliche Erbfolge seit dem ersten Einiger des Volkes

Stadtgemeinde: Regierung geordnet nach Art der Hausverwaltung

 

Die Tyrannis

(1.) Unumschränkte Monarchie(siehe diese)

(2.) Freiwillige Unterordnung unter einen Führer

(3.) Inhaber der Gewalt regiert ohne Verantwortlichkeit zum eignen Volk.

 

Der Mittelstand:

In allen Staaten gibt es drei Klassen von Bürgern: Sehr reiche, sehr arme und der gute Mittelstand. Nach den Grundsätzen der Nikomachischen Ethik ist aber das Gemäßigte und Mittlere das Beste, ein mittlerer Besitzstand gehorcht darum am leichtesten der Vernunft und kein Neid kommt auf.

Als Reicher ist man übermütig, selbstherrlich, ungehorsam, als Armer ist man unterwürfig und tückisch. In einem Staat mit solchen Gegensätzen könnte keine Gemeinschaft entstehen. Deshalb sollte man in einer guten Verfassung den Mittelstand möglichst stärken (Sehr aktuell! Mittelstandspolitik, um das Volk ruhig zu halten?). Außerdem verhindert er extreme Staatsformen, es gibt wenig Aufstände; die besten Gesetzgeber stammen aus dem Mittelstand (Solon, Lykurg). Wenn der außerhalb der Mitte stehende Volksteil die Herrschaft an sich bringt, dann entstehen entweder eine Demokratie oder Oligarchie.

Der Staat besteht aus Qualität( Freiheit, Reichtum, Bildung, Adel) und Quantität (Übergewicht der Zahl). Beides muß im rechten Verhältnis gemischt sein. Überwiegt die Quantität, dann gibt es eine Demokratie, überwiegt die Qualität, dann eine Oligarchie. Aber immer muß man den Mittelstand in der Gesetzgebung berücksichtigen, der unbedingt die Verfassung mitstützen muß, falls sie Bestand haben soll.

Deshalb sucht man ihm zu gefallen und macht ihm Zugeständnisse:

1.) Volksversammlung: Strafe für die Reichen bei Nichterscheinen in der Volksversammlung, nicht für die anderen

2.) Staatsämter: Nur die Armen dürfen Ämter ablehnen, nicht Leute mit entsprechendem Zensus

3.) Gerichte: Strafe für die Reichen, wenn sie sich weigern, als Geschworenenrichter aufzutreten.

4.) Bewaffnung: Strafe für die Reichen, wenn sie sich keine Waffen beschaffen, aber keine Verpflichtung für die Armen.

5.) Leibesübung: Strafe für die Reichen, wenn sie die Leibesübungen versäumen, denn Sport ist Kriegsdienst.

Dies sind die Mittel der Oligarchie, die Demokratie hat ähnliche Bestimmungen mit Strafen für die Armen.

 

Bestandteile der Verfassung:

Eine gute Verfassung hat drei Bestandteile, deren Unterschied auch den Unterschied der Verfassungen angibt: Beratende Gewalt, Magistratur( Exekutive) und Rechtspflege (Juristikative).

 

Die Legislative: Alle haben beratende Funktion:

1.) Ausübung von Ämtern der Reihe nach

2.) Kursorische Volksversammlungen

3.) Zusammentritt zur Wahl des Magistrators

4.) Einsetzung von Fachministern (Rechenschaftsberichte!)

5.) Direkte Demokratie mit Gutachten der Magistrate.

Es ist nicht vorteilhaft, wenn(wie in den Politien) wenige Privilegierte das Recht haben, ein Gesetz abzulehnen. Die Volksversammlung muß das Recht haben, ein Gesetz wieder an die Regierung zurückzuweisen.

 

Die Exekutive: Als Organ der Magistratur kann man verschiedene Aufgaben haben:

1.) Sorge um alle Bürger, etwa als Feldherr

2.) Sorge für bestimmte Bevölkerungsteile (Frauen)

3.) Ökonomische Aufgaben, etwa als Kornmesser

4.) Beamte und Bedienstete, also eine Art Fachminister).

In großen Staaten sollte man möglichst viele Ressorts schaffen, damit Spezialisten eingesetzt werden können und auch einmal andere zum Zug kommen (wie steht es damit bei uns?). In kleineren Gemeinwesen muß man jedoch viele Funktionen in einer Hand vereinigen, damit kein Nachwuchsmangel entsteht, weil alle schon am Amt einmal beteiligt waren.

Es ist jedoch auch zu überlegen, ob man nicht bestimmte Tätigkeiten, die überall wiederkehre, zentral zusammenfaßt, etwa alle Polizeifunktionen (sehr aktuell!).

Dem Volk dagegen soll man für seine Beratungen kein Honorar geben, denn dann haben die Leute genügend Muße und versammeln sich oft und entscheiden alles selbst (Hört, hört!).

 

Die Judikative: Der Personenkreis für Richter, ihr Zuständigkeitsbereich und die Art der Rechtsprechung bewirken den Unterschied der Gerichte in Gerichte für Tötungsangelegenheiten, Vergehen gegen das Gemeinwohl, Staatsverbrechen, Verwaltungsklagen, Privatklagen, Vertragsstreitigkeiten, Mordfälle und Ausländer. Dazu noch ein „Schiedsmann“

 

 

Die Formen der Gerechtigkeit:

Die Grundformen der Gerechtigkeit:           

Als ungerecht gilt....

...wer die Gesetze mißachtet

...wer die gleichmäßige Verteilung der Güter mißachtet.

Als gerecht gilt....

...wer das Gesetz achtet        (iustitia universalis)

...wer die bürgerliche Gleichheit achtet (iustitia particularis).

Aristoteles läßt aber die erste Art der Gerechtigkeit beiseite, weil sie zum Gebiet einer umfassenden Trefflichkeit gehört, also mit der Moral zusammenhängt.

 

Die Einteilung der „Iustitia particularis“:    

A.) Verteilung von öffentlichen Anerkennungen und Gütern (iustitia distributiva)

B.) Vertragliche Beziehungen von Mensch zu Mensch          (iustitia directiva)

1.) freiwillig: Kauf und Verkauf

2. ) unfreiwillig:

a.) heimlich: Diebstahl, Ehebruch, Meuchelmord

b.) gewaltsam: Mißhandlung, Totschlag, schwerer Raub.

Bei all diesen Handlungen soll Gerechtigkeit herrschen.

 

Was ist Gerechtigkeit?

Es steht fest, daß der Ungerechte die Gleichheit verletzt und daß die ungerechte Tat Ungleichheit bedeutet. Somit ist klar, daß es auch ein Mittleres zwischen den Extremen der Ungleichheit gibt. Das ist das Gleiche.

Das ist das Gerechte: das Proportionale. Und das Ungerechte ist der Verstoß gegen das Proportionale. Denn wer unrecht tut, bekommt zu viel; wer Unrecht erfährt, bekommt zu wenig von dem in Frage stehenden Gut.

Diese Proportion (wenn der eine zu viel hat, hat der andere zu wenig) ist nicht ausschlaggebend vor dem Gesetz: Das Gesetz schaut nur auf den Unterschied zwischen Höhe des Unrechts und des Schadens, betrachtet die Partner als gleich, versucht aber, die Gewinnseite an die Verlustseite anzugleichen indem es von dem ungerechten Gewinn des Täters wieder etwas wegnimmt. Das Gerechte als ein Regulierendes nichts anderes darum ist als die Mitte zwischen Verlust und Gewinn.

Wenn es daher Streitigkeiten gibt, so geht man zum Richter um Hilfe, denn der Richter ist der Mann, der in der Mitte steht. Das Recht ist also ein mittleres, es schafft einen Ausgleich der Güter. Die Gerechtigkeit bei der Verteilung öffentlicher Güter bezieht jedoch die Menschen mit ein, der Recht oder Unrecht tut.

Das ist der Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit. Bei der Gerechtigkeit gibt es auch die Strafe, ja man verlangt sogar, daß Tat und Strafe sich decken. Beim Recht geht es zunächst erst einmal um einen Ausgleich der Gegensätze (Zivilprozeß), erst in zweiter Linie vielleicht um eine Bestrafung (Strafprozeß). Aber die Widervergeltung ist nicht die Aufgabe der Gerechtigkeit und des Rechts, jedenfalls nicht in erster Linie. Man muß allerdings auch zugeben, daß nur die proportionale Vergeltung den Zusammenhang des Gemeinwesens gewährleistet.

 

Recht und Gerechtigkeit:

Ein Beispiel soll den Unterschied zwischen Recht und Gerechtigkeit erläutern: Eine Flasche mit Fruchtsaft soll unter drei Personen verteilt werden, Mutter, Sohn und Tochter. Wenn man nun nach dem Recht urteilt, dann erhält jeder gleichviel, nämlich ein Drittel der trinkbaren Flüssigkeitsmenge. Man betrachtet hierbei nur den Stoff und teilt ihn völlig mathematisch unter die Leute, die ihn brauchen. Dieses Verfahren wird bei jedem Handelsgeschäft angewandt: Einer macht ein Angebot, der andere hat einen Bedarf, und man gleicht beides aus (natürlich bei mehreren Artikeln, also ein Tauschgeschäft oder Kauf mit Hilfe von Geld).

Nun stellt sich aber heraus, daß die Bedürfnisse der Einzelnen verschieden sind. Es ist dabei noch gar nicht einmal ausschlaggebend, woher dieser Unterschied kommt, er ist aber vorhanden. Jedenfalls hat die Tochter sehr großen Durst, die Mutter hat etwas Durst und der Sohn hat kaum Durst. Plötzlich spielen auch die Personen und ihre Bedürfnisse eine Rolle. Man kann nicht mehr nur nach dem Recht vorgehen, nun geht es darum, Gerechtigkeit zu üben. Wer also den größten Durst hat (hoffentlich objektiv gesehen!), erhält den meisten Saft (also die Tochter); wer weniger Durst hat, erhält weniger Saft (die Mutter); wer kaum Durst hat, benötigt auch nur wenig Saft (der Sohn).

Bei dieser ungleichmäßigen, aber gerechten Verteilung des Gutes handelte es sich sogar um eine Frage, die die Gemeinschaft angeht: Der Fruchtsaft war nämlich ein Gut der Gemeinschaft, er gehörte allen und stand allen zu; er war nicht Besitz eines Einzelnen, etwa der Mutter, der ihn gegen ein anders Gut tauscht. Bei der Gerechtigkeit geht es um alle, beim Recht geht es nur um ein Geschäft zwischen zweien. Hierbei läßt sich auch ganz klar abschätzen, wie groß der Wert eines jeden Gutes ist, man kann sehr genau feststellen, was jedem zukommt. Man kann sogar einen Schiedsrichter einsetzen, der Recht spricht.

Bei der Gerechtigkeit kann es aber nun vorkommen, daß zwar Bedürfnisse vorhanden sind, aber nicht genügend Güter bereitstehen, sie zu befriedigen. Dann geht es darum, die zur Verfügung stehenden Güter anteilmäßig nach der Größe der Bedürfnisse zu verteilen. Damit wird zwar kein Bedürfnis voll gestillt werden, aber die Bedürfnisse aller werden in gleicher Weise (also gerecht) erleichtert.

Aristoteles schreibt dazu selbst in der „Definition der Charaktertugend“:

Unter „das Gleiche“ ist zu verstehen das Mittlere zwischen dem Zuviel und dem Zuwenig. Unter dem Mittleren des Dings (!) verstehe ich das, was von den beiden Enden gleichen Abstand hat und für alle Menschen eines ist und dasselbe. Mittleres hingegen in Hinsicht auf uns ist das, was weder zu viel ist noch zu wenig ist: dies jedoch ist nicht eines und dasselbe für alle.

Ein Beispiel: Wenn der Wert 10 zu viel ist und der Wert 2 zu wenig, so gilt 6 als das Mittlere in bezug auf die Sache, denn es übertrifft den einen Wert um denselben Betrag, um den es hinter anderen zurückbleibt; das ist das arithmetische Mittel. Das Mittlere jedoch in Hinsicht auf uns darf nicht so verstanden werden, denn wenn eine Eßration von 10 Minen für einen Einzelnen zu viel, eine solche von 2 Minen aber zu wenig ist, so wird deshalb der Trainer nicht gerade 6 Minen anordnen. Denn auch dieses Quantum könnte je nachdem zu groß oder zu klein sein: Für einen Modellathleten ist das zu wenig, für einen Anfänger in den Körperübungen dagegen zu viel.

So meidet also jeder Sachkundige das Übermaß und das Zuwenig und sucht nach dem Mittleren und dieses wählt er, allerdings nicht das rein quantitativ Mittlere, sondern das Mittlere in der Beziehung auf uns.

 

Der Begriff des Glücks:

Ethik hat es zu tun mit dem Seinsollen des Menschen. Sie fragt aber auch nach dem Glück für den Menschen, nach dem Sinn des Lebens und nach der Wahrheit. Es gibt auch eine Zweckethik, indem man etwa versucht, durch sie einen Staat zu ordnen etwa nach dem Prinzip: Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu!“ Aristoteles fragt jedoch: Entspricht die Ethik auch der Wirklichkeit?

Womit haben es nun die Philosophen zu tun?

1.) Der Philosoph muß der Wahrheit den Vorzug geben vor den Freunden. Dies drückt Aristoteles aus in seiner Kritik an Platon. Damit wird allerdings schon ein Totalitätsanspruch erhoben, der allerdings auch schon ein Moment des Glücks sein kann, das sogar den Tod aufhebt oder zumindest unbedeutend macht, weil die Ideen weiterleben, denn sie sind wahr.

2.) Es ist die Aufgabe des Philosophen, die Wahrheit auch zur Anwendung zu bringen. Eine Logik verpflichtet nicht zum Handeln! Aristoteles sagt jedoch: Diese Ethik hat Sinn, sie also im gewisse Sinne zweckgebunden. Er will sie auch politisch anwenden (nicht wie beim Kommunismus!).

3.) Das Ziel ist der philosophische Mensch, nicht als Politiker, sondern als Mensch des geistigen Lebens, als denkend-verantwortlicher Mensch. Und diesen Menschen werden die Götter auch belohnen, weil er so ist wie sie. Wo gibt es aber heute noch Philosophen? Man würde sie doch nur lächerlich finden, sie haben kein Gewicht.

Aristoteles gibt hier noch ein Gesamtsystem seiner Philosophie, das heute keine moderne Philosophie mehr besitzt, denn alle betrachten nur Einzelrichtungen. Gefährlich ist jedoch der Satz: „lieber eine schlechte Philosophie als gar keine!“ Das klingt wie: „Lieber ein schlechter Staat als gar keiner!“ Aber ein schlechter Staat wird auch noch im Allgemeinen ein Verbrechen unter Strafe stellen. Das ist allerdings kein Argument in der Ethik, denn darf man überhaupt „schlecht“ und „gar nicht“ in Beziehung setzen?

Wenn man sich ein Ziel setzt, dann gibt es dazu viele Stufen, die höchste gilt jedoch am meisten. Deshalb darf man jedoch nicht die Berufe, die sich mit niedrigeren Tätigkeiten befassen, nun minderwertiger ansehen, denn auch der untere ist nötig, weil alles aufeinander aufbaut.         

Aber nur wenn eine Tätigkeit auf ein Endziel hin bezogen ist, ist sie auch sinnvoll. Es geht jedoch nicht um das Ding, um das entstandene Endprodukt, sondern um das Verhalten des Menschen. Dieser soll immer das Ziel vor Augen haben und anstreben. Geehrt wird jedoch seine Tätigkeit, wie man in Olympia auch nicht den Schönsten auszeichnete, sondern den, der gekämpft hatte. Wenn aber das Endprodukt erreicht ist, dann ist dieses mehr wert als die Zwischenstufen.

Gewarnt wird übrigens auch noch vor dem Streben, hinter jedem Ziel noch mehr zu sehen: „Wie könnte es weitergehen?“ Der Mensch soll sich nur auf ein Ziel konzentrieren, denn der Mensch weiß doch nie, wie es weitergeht.

Höchstes Gut und Ziel ist jedoch das Glück in seinen drei Formen:

1.) Glück kommt nicht durch den Lottotreffer, auch nicht durch das, was man mit „Genuß ohne Reue“ bezeichnet, nicht Bier oder Kunstwerk.

2.) Mit Ehrung ist auch nicht die Ministerstellung gemeint, oder der Titel oder das Denkmal. Nicht auf die Anerkennung zur Selbstbestätigung kommt es an, sondern einzig und allein findet man sein Glück im bedingungslosen Dienst für den Staat.

 

Reichtum, Lust und Ehre sind nur Mittel für andere Zwecke. Glück ist jedoch das Endziel, das letzte. Glück ist die dem Menschen allein eigentümliche Haltung, das Einsetzen des Geistes zum Wohle vieler. Diese Wertkategorien soll man jedoch nicht zu absolut nehmen; es gilt vielmehr das Prinzip der richtigen Mitte zu finden. Und hier hat uns Aristoteles noch viel zu sagen!

Er geht von den bestehenden Staatsformen aus und stellt fest, daß jedes Volk eine andere Form nötig hat. Zwischen allen Formen besteht jedoch ein Zusammenhang: Sie wandeln sich und kehren über mannigfaltige Formen zum Ausgangspunkt zurück: Primitive Völker haben am besten einen König. Wenn der König nicht mehr gut ist, wird er zum Tyrannen. Dieser wird nun durch die Aristokratie beseitigt. Die Aristokratie entwickelt sich aber zu einer Oligarchie. Diese wird durchs Volk gestürzt und die Demokratie eingeführt. Dort gelangt aber der Pöbel an die Macht(Ochlokratie!). Ein König kommt und schafft wieder Ordnung.

 

Einige Verfassungen:

Sparta:

Die Herrscher müssen vor allen Dingen von der Sorge um den täglichen Lebensunterhalt frei gemacht werden. Den Spartanern waren aber nun alle Nachbarn feind, und diese unterstützten also alle Aufstandsbewegungen in Sparta, die von den unteren Klassen ausgingen. Die Behandlung der Untergebenen ist also schwierig: Läßt man ihnen zu viel Freiheit, werden sie frech, schränkt man sie zu sehr ein, werden sie feindselig und hinterlistig. Außerdem hat sich in Sparta der Gesetzgeber nur um die Sitten der Männer gekümmert‚ nicht um die Frauen, die (versteckt) oftmals die Zügel in der Hand hielten.

Auch leisteten die Mißstände mit den Weibern der Habsucht und Geldgier Vorschub. Viele Frauen haben eine Erbschaft gemacht oder eine große Aussteuer gehabt und so haben sich die Besitzverhältnisse bald verschoben. Das Land aber ernährte nicht mehr genügend Leute, weil einige zu viel Besitz hatten. Durch Kriege wurde zudem die Führerschicht stark vermindert und der Staat ging zugrunde. Man gab zwar Vergünstigungen an kinderreiche Familien (Väter mit drei Söhnen keinen Wehrdienst‚ mit vier gar keine Abgaben)‚ aber da nicht genügend Land da war, sanken sie zu Armen herab. Die geldgierigen, aber herrschenden Spartiaten nahmen es untereinander mit dem Abliefern der Steuern nicht so ernst, und deshalb war die Staatskasse fast immer leer.

Die Einrichtung der Ephoren war verfehlt, denn in dieses wichtige Amt konnten auch die armen Leute kommen, die käuflich waren. Ihre Macht jedoch war so groß, daß ihnen sogar die Könige schmeicheln mußten. Das Volk hat zwar dadurch an der Regierung teil und verhält sich ruhig, aber wenn eine Verfassung Bestand haben soll, dann müssen alle Teile des Staates wünschen, daß sie immer gleich bleiben soll. Da es sich bei der Ephorie um ungebildete Leute handelt (wer bildet heute die Politiker aus?)‚ wäre es in diesem Beruf besser, wenn diese Leute ihre Entscheidungen nicht nach eigenem Ermessen träfen, sondern nach geschriebenen Gesetzen (dann ist sie jedoch keine Volksvertretung mehr, sondern Jurisdikative!).

Auch die Mitglieder des Rats der Alten sind bestechlich; doch sie dürfen auf Lebenszeit wichtige Entscheidungen treffen (im Alter wird man blöd!), brauchen sich aber nicht zu verantworten, denn das würde wieder zu viel Macht für die Ephoren bedeuten. Aristoteles meint nun, man sollte sich auch nicht um ein Amt bewerben, sondern wer es verdient, sollte berufen werden (ist das in der Praxis möglich?). Und auch über die Wahl des Königs sollte nur der Lebenswandel entscheiden.

Man wollte mit den gemeinsamen Mahlzeiten eine demokratische Einrichtung schaffen, aber was nützen sie, wenn der Ärmere nicht daran teilhaben kann, weil er seinen Anteil nicht bezahlen kann (Bedeutung für die Volksaktie!)? Die Gesetzgebung des Lykurg hatte außerdem den Nachteil, daß sie zu sehr auf den Krieg abgestellt war, denn als die Spartaner die Hegemonie erreicht hatten, wußten sie nicht in Muße zu leben, weil sie in keiner vornehmeren Tugend geübt waren als in der kriegerischen (Adolf Hitler 1939: „Die Bewegung muß immer neue Aufgaben erhalten, sonst zerfällt sie!“).

 

Kreta:

Da es sich hier wahrscheinlich um einen Vorläufer der spartanischen Verfassung handelt, gibt es viele Gemeinsamkeiten. Hier jedoch werden alle auf öffentliche Kosten ernährt, gegen zu übermäßigen Genuß (etwa an Alkohol!) gibt es Sperrren. Mit den Kosmen ist es jedoch noch

schlimmer als mit den Ephoren: Man nimmt zunächst erst einmal die erst besten, die sich bewerben, aber leider nur aus bestimmten Geschlechtern und ehemaligen Beamten.

Es kommt jedoch nicht zu Unruhen, denn auf der Insel fern vom Ausland können diese Leute nicht bestochen werden. Sie dürfen jedoch nach Belieben ihr Amt niederlegen oder sie werden auch dazu von bestimmten Cliquen gezwungen. Schlimmster Unfug ist die Suspension des Kosmenamtes (Aufhebung des Beamtenverhältnisses während der gerichtlichen Untersuchung, um sich einer gerichtlichen Entscheidung zu entziehen. Im Ganzen handelt es sich bei dieser Verfassung um ein Dynastenregiment feindlicher Regentengruppen.

 

Karthago:

Hier erhält die Verfassung das Volk in der Anhänglichkeit für die Staatseinrichtungen, es gab dort keinen Aufstand und keinen Tyrannen (zur Zeit von Aristoteles!). Die „Volksvertretung“ besteht aus den edelsten Geschlechtern, die Könige werden durch Wahl ernannt. Wenn sich aber König und Geronten einig sind, brauchen sie ein Gesetz nicht mehr der Volksversammlung vorzulegen. Wenn man sich aber nicht einigt, dann entscheidet auch das Volk darüber, es darf sogar widersprechen und wirkliche Entscheidungen treffen.

Es ist jedoch Oligarchie, wenn sich die ebenfalls mächtigen Fünfer-Kollegien durch Wahl selber ergänzen und dennoch den Rat der Hundert zu wählen haben; es ist jedoch wieder aristokratisch, daß sie nicht durch Los bestimmt werden und keinen Sold erhalten. Bei den Wahlen - besonders der Magistrate- nimmt man jedoch Rücksicht auf das aristokratische Prinzip (Tüchtigkeit), aber auch leider auf das oligarchische (Geld, um Zeit für das Amt zu haben). Es wäre aber Aufgabe des Gesetzgebers, daß er den Besten auch Muße verschafft. So aber gibt man dem Reichtum höheres Ansehen als der Tüchtigkeit und macht den ganzen Staat geldgierig. Man wird unter anderem auch versuchen, aus dem Amt wieder Gewinn zu ziehen für die gemachten Auslagen.

Außerdem ist bei den Karthagern besonders der angesehen, der mehrere Ämter auf sich vereinigt. Man sollte jedoch darauf sehen, daß jeder nur ein Amt hat und dieses richtig ausführt, damit auch andere an der Regierung mitbeteiligt sind und später mitbeteiligt sind.        

Um das Volk aber zufrieden zu halten, sorgt man dafür, daß sie reich bleiben, indem man die Einzelnen von Zeit zu Zeit dorthin schickt, wo man Geld machen kann, nämlich in die Städte. Schutz gegen innere Unruhen müßte jedoch vielmehr die Verfassung geben, nicht der Zufall.

 

Griechenland:

Solon hat die allzu ausschließliche Oligarchie abgeschafft und mit weiser Mischung der Staatsform die alte Demokratie wiederhergestellt. Der Areopag ist nämlich das oligarchische Element, die Wahl der Beamten ein aristokratisches und die Gerichte ein demokratisches Element. Man hat ihn aber gerügt, weil diese Entwicklung schließlich zur Demokratie führte und man dem Volk immer mehr schmeichelte (diesen negativen Zug sah Aristoteles besonders, er nimmt ihn gegen die Demokratie ein). Allerdings führten die Umstände mehr dazu, denn nachdem das Volk in den Perserkriegen (Schiffsruderer!) seine Macht erkannt hatte, wurde es übermütig und folgte schlechten Demagogen.

 

Weitere Philosophen

Augustin: Der Staat soll durch die Kirche geführt werden („De civitate“)

Thomas Morus: Paradies ähnlich dem kommunistischen (Roman: „Utopia“)

Hobbes, Lo>Absolutismus: „Der Staat, das bin ich!“

Rousseau: Das Eigentum ist Grundlage des Staates; das ist aber schlecht, ein Aufstand ist also berechtigt.

Montesquieu: Gewaltenteilung, Menschenrechte.

Hegel: In den Schritten des Staates zeigt sich das Wirken der Weltvernunft, die Regierung vollstreckt nur den Volkswillen (deshalb haben die Nazis Hegel herausgestellt).

19. Jahrhundert: Trennung in Staatslehre und Gesellschaftslehre (Soziologie).

20. Jahrhundert: Bei einer Änderung der Gesellschaftsordnung muß auch die Staatsordnung geändert werden (Marxismus).

 

 

 

 

 

 

Literatur

 

 

Thomas More (Thomas Morus): Utopia.     

Thomas More (1478-1535), Vater Geschäftsmann, vornehme Familie ohne adlige Tradition; hartes Leben in Oxford, Jurastudium auf Befehl des Vaters; ab 1499 vier Jahre lang Mönch; großer Einfluß durch Erasmus, als dieser einmal nach England kommt; noch in jungem Alter über „De civitate Dei“; Unterhausabgeordneter, 1514 als Gesandter nach Flandern, neue Freunde, Anfänge der „Utopia“; beruflicher Aufstieg; Buch: „Die vier letzten Dinge“; als Heinrich VIII. sich von Rom löst, tritt More als Lordkanzler zurück (seit 1529 dieses Amt); Schriften gegen die Ketzer, denn für Einheit der Kirche; da More 1534 nicht den Eid ablegt, daß eine von Heinrichs Frauen, Katharina, unrechtmäßig des Königs Frau war, kommt er in den Tower, durch Meineid für schuldig erklärt, am 6. Juli 1535 durch Beil hingerichtet, 1935 heilig gesprochen.

In seinem Werk „Utopia“ ist besonders das zweite Buch wichtig: Um die Insel (!) der Nir­gend­länder liegt ein ruhiges Meer, in die guten Häfen können fremde Schiffe wegen der Riffe nicht ohne Lotsen. Alle 54 Städte und ihre Bürger sind sich gleich, das Land ist gleichmäßig verteilt, die Bestellung erfolgt abwechselnd durch die Bürger, jeder ein Jahr, Überschüsse werden exportiert.

In Nebelstadt, der Hauptstadt, werden wie überall alle zehn Jahre die Häuser getauscht (Reihenhäuser), sie stehen immer offen, denn Diebstahl ist sinnlos, weil es ja kein Privateigentum.

Je 30 Familien wählen einen Sippenvorsteher, diese wiederum Obersippenvertreter, und die obersten Führer wählen dann den Fürsten (nur bei Verdacht auf Tyrannei abgesetzt). Die Behörden sind nur ein Jahr im Amt.

Aus jeder Stadt treffen sich alle drei Tage drei Sachverständige, die dann auch die Ordnungsgewalt haben. Jedes Gesetz wird von den Sippenvertretern als der Legislative drei Tage lang beraten, außerhalb dieses Gremiums ist bei Todesstrafe keine Unterhaltung über Politik erlaubt. Jeder erlernt einen landwirtschaftlichen und einen handwerklichen Beruf, jeder kann sich seine gleichförmigen Kleider selber herstellen; man muß den Beruf des Vaters übernehmen oder in eine andere Familie überwechseln.

Sechs Stunden werden gearbeitet, auch die Frauen, jeder ist in den Produktionsprozeß eingespannt, es gibt keine Asozialen, Geistlichen, Adligen oder Krieger, es wird rationelle Arbeit geleistet, Luxusartikel gibt es nicht. In der Freizeit widmet man sich der Geistespflege, erzieherische Spiele werden sehr häufig geboten. Kinder aus kinderreichen Familien kommen in Familien mit wenigen Kindern. Wenn die Bevölkerung zu sehr steigt, dann legt man Kolonien an auf dem nahen Festland.

Auf dem Markt kann man alle Waren ohne Bezahlung erhalten, denn niemand verlangt mehr, als er braucht. Essen kann man in großen Speisehallen einnehmen, Tischordnung und -sitten sind genau festgelegt, vor den Mahlzeiten erfolgt eine erzieherische Vorlesung.

Grundsätzlich darf man nicht reisen (gegen Arbeitsunlust!). Es gibt keinen Alkohol und keine Vergnügungsstätten. Krieg wird durch Söldnerheere geführt (deshalb auch Staatsschatz).

Es gibt Sklaven, eigene Volksgenossen, die man auf diese Weise bestraft etwa für Ehebruch (Diebstahl ist ja sinnlos, andere Verbrechen will man durch Ehrungen und den damit verbundenen Anreiz zur Tugend einschränken). Es gibt eine gut geregelte Krankenpflege außerhalb der Stadt.

Beamte werden als Väter betrachtet, sie haben keine besondere Kleidung. Feste Gesetze gibt es nicht, damit kein Juristenstand entsteht. Ein Urteil wird nach dem gesunden Menschenverstand gefällt. Es gibt keine Bündnisse, denn gegenseitiges Wohlwollen ist besser als Verträge. Kriegsruhm gilt nichts, es gibt jedoch einen militärischen Drill. Es kommt nicht auf Kraft an, sondern auf geistige Überlegenheit.

Nur die Art der Religionsausübung ist nicht gleich. Deshalb muß man Toleranz üben. Man darf jedoch seinen Glauben nicht öffentlich verfechten. Auf 50.000 Einwohner kommen nur 13 Priester, es gibt Tempel und eine strenge Gottesdienstordnung.

 

Nicolo Machiavelli: „Il pricipe"        

Nicolo Machiavelli (1469-1527): Juristensohn in Florenz. Ab 1492 Vorsitzender in der 2 .Kanzlei (Kriegs- und Außenminister), Drang zum Realpolitiker, studierte Livius und wollte

geschichtliche Erfahrung auf seine Zeit übertragen, sucht den Grund aller Dinge („kausalitätsbesessen“); lernte Politik, Ränkespiele und andere Höfe kennen (Cesare Borgia).

Im Jahre 1512 wird der Staatspräsident abgesetzt, Medici zurück, Machiavelli abgesetzt. 1513 schrieb er in einem Dorf „Il principe“, ein Rezept für den Tyrannen, und „Discorsi“, Abhandlungen über Livius (Wie man den Tyrannen abschafft, wenn die „virtu“ des Volkes größer wird als die des Herrschers).

‚Er beschrieb nicht, wie die Macht sein soll, sondern wie sie ist. Er galt bald als das Sinnbild des Bösen in der Politik; aber alle lernten von ihm. Heute sagt man von ihm: „Was an ihm Böse erscheint ist das Böse in jeder Zeit schlechthin!“ Er hält den Tyrannen nicht für ideal, aber für notwendig im zerrütteten Staat.

 

Weltbild: Vernunft oberster Maßstab, der siegen wird. Er glaubt an die Wiederkehr jeder geschichtlichen Lage (Mensch immer gleich - Welt immer gleich). Das ist aber ungeschicht­lich: Der menschliche Charakter bleibt, die Situationen sind jedoch anders. Er sieht in der Geschichte keinen Heilsplan, sondern den Naturgesetzen und ihrem Lauf unterworfen, der Mensch ist Substanz der Welt, aber mit Vernunft.

Das Handeln des Menschen: „virtü“(= Jugend) und „fortuna“(= Schicksal) wirken auf den Menschen ein: Eine positive Kraft treibt den Menschen zum Guten, aber die Fortuna hindert ihn daran. Machiavelli ist jedoch kein Fatalist, denn je aktiver der Mensch ist, desto mehr schränkt er sie ein. Leute mit einem hohen Prozentsatz „virtu" sollten Politiker werden, denn er kann ja am Besten urteilen. Die Grenze des Möglichen ist jedoch die „necessita“, die man durch nichts einschränken kann.

 

Politik: Die Summe aller Mittel, zur Macht zu kommen, sie zu erhalten und den Staat zu erhalten. Dazu sind auch „unerlaubte“ Mittel gut. Als Politiker muß man die Moral abwerfen, sonst schadet man dem Staat, es geht um Sieg oder Niederlage, nicht um gut und böse, nach denen man meist nur im Privatleben bestehen kann. Der Politiker soll aber sittlich gut bleiben, nur im Notfall den Staat retten zu können. Aber wenn das Böse nützlich ist, wird es getan. Der Erfolg läßt die Tat böse bleiben (Zweck heiligt nicht die Mittel). Religion ist jedoch nur eine menschliche (!) Seinsordnung, die der Staatsräson unterworfen ist. Das ist gegen das Christentum und Bergpredigt. Wer sich selbst helfen kann, soll sich nicht auf Gott verlassen. Christentum ist eine Skiavenreligion für inaktive Leute ohne „virtu“

 

Monarchie: Sie ist konservativ und erhaltend, deshalb für einen Höhepunkt gut. Aber sie ist nicht schöpferisch, die Kräfte schwinden und sie wird sinnlos, wenn das Volk am Ende ist.

Republik: Sie fängt die schöpferischen Elemente, die durch Parteienkämpfe entstehen, auf. Ein Staat wird jedoch am besten durch einen Tyrannen aufgerichtet. Dieser soll jedoch selten sein, eine Übergangsform, weil die „virtu“ des Herrschers nachläßt und er vom Machtrausch besessen ist und zu viel Böses tut im Gegensatz zu seinen Leistungen.

Garantie des Staatslebens ist die Verfassung als Kodifikation des geringeren Übels, andere Meinungen werden durch sie unterdrückt. Sie muß kurzlebig sein, denn die Zustände im Staat ändern sich.

Durch Gesetze (kein Recht=Naturrecht) müssen die schlechten Regungen der Menschen streng eingeschränkt werden. Erst durch die Gesetze wird dem Bürger die Gerechtigkeit klargemacht, denn von sich aus ist der Mensch schlecht.

Im „Principe“ verteidigt Macchiavelli die Tyrannei, denn Florenz war sehr heruntergekommen, trotz eines Michelangelo, Bocaccio, Savanerola.

 

 

 

A. Toynbee: Über den Krieg:

Wir haben eine schreckliche Angst vor der unmittelbaren Zukunft, weil wir in der jüngsten Vergangenheit eine furchtbare Erfahrung gemacht haben. Und die Lehre, die uns diese Erfahrung als festen Besitz hinterlassen hat, ist in der Tat erschreckend. Das Schlimmste an dieser Furcht ist die unleugbare Tatsache, daß sie ihre Wurzeln nicht in unserem Gefühl, sondern in unserem Verstande hat. Unsere Generation hat durch Leiden zwei höchst bedeutsame Tatsachen erkannt: Erstens, daß in unserer abendländischen Welt die Einrichtung des Krieges noch in voller Kraft ist. Und zweitens, daß es unter den gegebenen technischen und sozialen Voraussetzungen in der abendländischen Welt keinen Krieg mehr geben kann, der nicht zu gegenseitige Vernichtung führt.

Aber das Unheilvollste an diesen Kriegen 1914/18 und 1939/45 ist die Tatsache, daß sie weder für sich allein stehen, noch etwas Erstmaliges sind. Sie waren vielmehr zwei Kriege in einer fortschreitenden Reihe. In der Geschichte unserer abendländischen Neuzeit ist Krieg auf Krieg in immer größerer Heftigkeit gefolgt. Wenn sich diese Reihe fortsetzt, wird auch diese Entwicklung unzweifelhaft immer weiter vorangetrieben werden. Und eines Tages werden die Schrecken des Krieges dermaßen ins Ungeheure gewachsen sein, daß ihnen die Selbstvernichtung der kriegführenden Gesellschaft ein Ende setzen wird.

Der angebliche Retter einer in Auflösung befindlichen Gesellschaft ist notwendig ein Retter mit dem Schwert. Aber ein Schwert kann entweder gezogen sein oder in der Scheide stecken, und der Träger des Schwertes kann ebenfalls zwei entsprechende Haltungen einnehmen: Entweder kann er mit blanker Waffe um sich schlagen; oder er kann stattlich dasitzen, ohne daß man die in die Scheide gesteckte Klinge sieht, wie ein Sieger, der alle seine Feinde unterworfen hat. Die letztere Haltung ist das Ziel, zu dem die erstere ein Mittel ist. Man schwingt das Schwert nur, wenn man hofft, daß man es zu einem guten Zweck führen kann, daß es schließlich nichts mehr zu tun hat.

Aber diese Hoffnung ist eine Illusion. Nur im Märchenand zerhauen die Schwerter gordische Knoten, welche die Finger nicht lösen können. „Wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen“ ist das unabänderliche Gesetz des wirklichen Lebens.

Der Krieger, der gewillt ist, bei der ersten Gelegenheit auf eine Waffe zu verzichten, die er überhaupt nur beiseite legen kann, weil er sie gerade so erfolgreich gebraucht hat, muß als Sieger auch ein Staatsmann und als Staatsmann etwas wie ein Weiser sein. Er muß ein großes Maß bewahrenden gesunden Menschenverstands haben und zumindest ein Körnchen der feineren Tugend der Selbstbeherrschung haben. Der Verzicht auf den Krieg als Mittel der Politik ist ein Entschluß, der ebenso nützlich sein verspricht, wie er edel und weise ist. Und wenn er aufrichtig gefaßt wird, gibt er immer Veranlassung zu großen Hoffnungen.

Ein Werkzeug, das einmal dazu benutzt worden ist, das Leben zu zerstören, kann nicht, wie es dem Benutzer gerade paßt, auch dazu verwandt werden, Leben zu bewahren. Der Zweck einer Waffe ist es, zu töten. Und ein Herrscher, der sich kein Gewissen daraus macht, „durch Blutvergießen auf den Thron zu gelangen“, wird erleben - wenn er versucht, seine Macht ohne weitere Inanspruchnahme der schrecklichen Waffen, mit denen er sie gewonnen hat, zuhalten- daß er früher oder später vor die Wahl gestellt wird, sich seine Macht entweder wieder entgleiten zu lassen oder durch weiteres Blutvergießen die Frist zu verlängern.

Der Gewaltmensch kann nicht zugleich seine Gewaltsamkeit aufrichtig bereuen und doch dauernden Nutzen daraus ziehen. „Alles kann man mit Bajonetten tun, nur nicht darauf sitzen!“ Die befleckte Waffe wird nicht in der Scheide bleiben, sondern immer das Gelüst haben, wieder herauszuspringen - als ob der von seinem Körper losgelöste Geist des sogenannten Retters, der zuerst zu diesem unheilvollen Werkzeug seine Zuflucht nahm, jetzt keine Ruhe finden könnte, bis seine Sünde, das Heil auf dem Wege des Verbrechens gesucht zu haben, eben durch die Tätigkeit der Waffen, welche er einst in verkehrter Weise gebraucht hatte, gesühnt worden ist. Ein Werkzeug, das nicht imstande ist zu retten, kann doch fähig sein zu bestrafen.

Das reumütig in die Scheide gesteckte Schwert wird immer noch danach dürsten, diese verwandte Aufgabe zu erfüllen. Und wenn die Zeit sein Verbündeter ist, wird es schließlich den Weg dazu finden. Das furchtbare Unheil kommt dann über ein Geschlecht, das in dem trügerischen Glauben großgeworden ist, daß die bösen Zeiten von ehedem für immer vorüber seien!

Der Krieg ist immer die unmittelbare Ursache des Niedergangs einer Kultur. Gewiß haben auch Sklaverei, Kastenwesen, Klassenkampf, wirtschaftliche Ungerechtigkeit und viele andere Erscheinungen des Gesellschaftslebens als Folge der Erbsünde ihre Rolle als Werkzeuge menschlicher Selbstquälerei gespielt. Der Krieg jedoch überragt sie alle an Bedeutung als Instrument der Selbstvernichtung des Menschen in sozialer und geistiger Hinsicht. In gewissem Sinne ist allerdings der Krieg ein Erzeugnis der Kultur, denn er erfordert ein Minimum an Technik, Organisation und Besitz über das zum bloßen Dasein Notwendige hinaus. Und diese Voraussetzungen waren beim primitiven Menschen noch nicht gegeben.

Auf der anderen Seite kennen wir aber keine Kultur (möglicherweise mit Ausnahme der Maya), in der der Krieg nicht bereits im frühesten Stadium ihrer Geschichte, soweit wir dies zurückverfolgen können, eine feste und vorherrschende Einrichtung war. Wie andere Übel hat der Krieg eine heimtückische Art, nicht untragbar zu erscheinen, bis er die ihm ergebenen so fest in der Gewalt hat, daß sie nicht mehr imstande sind, sich von ihm freizumachen, wenn sie erkannt haben, daß er zur Vernichtung führt.

In frühen Stadien einer Kultur scheint es so, als ob die Leiden und Zerstörungen des Krieges mehr als aufgewogen würden durch den Gewinn von Besitz und Macht und die Pflege der „soldatischen Tugenden“. Der Krieg fängt erst an, sich von seiner bösartigen Seite zu zeigen, wenn die kriegführende Gesellschaft ihre Wirtschaftskraft so weit gesteigert hat, daß sie die Natur in ihren Dienst stellen kann und die politische Fähigkeit entwickelt hat, die menschliche Arbeitskraft zu organisieren.

Aber sobald dies Stadium erreicht ist, erweist sich der Gott des Krieges als ein Moloch, der einen immer größeren Teil der sich mehrenden Früchte ihres Fleißes und ihrer Intelligenz verschlingt und einen immer höheren Tribut an Leben und Glück fordert. Und wenn die wachsende Leistungsfähigkeit der Gesellschaft einen Punkt erreicht hat, an dem sie imstande ist, eine tödlich wirkende Menge ihrer Kräfte und Hilfsmittel für den Krieg freizumachen, dann enthüllt sich dieser als ein Krebsgeschwür, das seinem Opfer zum Verhängnis werden muß, wenn es nicht herausgeschnitten und weggeworfen werden kann. Denn sein bösartiges Gewebe hat es jetzt gelernt, schneller zu wachsen als das gesunde Gewebe, das ihm als Nährboden dient.

Wenn in der Vergangenheit dieser Gefahrenpunkt im Verhältnis zwischen Krieg und Kultur erreicht und erkannt war, wurden hin und wieder ernsthafte Versuche gemacht, den Krieg zu bannen und die Gesellschaft zu retten. Eine leidenschaftliche und aufopferungsfähige Natur wird dazu neigen, für sich selbst Kriegsdienst jeder Art grundsätzlich zu verweigern, einerlei zu welchem Zweck und unter welchen Umständen der Staat den Krieg führt. Im Vergleich dazu ist die andere der beiden Möglichkeiten umständlich und wenig heldenhaft: Sie besteht darin zu versuchen die Regierungen in friedlicher Weise dazu zu überreden und daran gewöhnen, daß sie sich zu gemeinsamem Widerstand gegen mögliche Angriffe und zwecks Vermeidung bzw. Abstellung alles dessen, was Anlaß zu einem Kriege Leben könnte, zusammenschließen.

Nach Ansicht des Verfassers zeigt jedoch die bis heute gemachte Erfahrung unmißverständlich, daß die letztere dieser beiden - allerdings nicht leichten - Verhaltensweisen den größeren Erfolg verspricht. Die Pazifisten haben mit der folgenden Hauptschwierigkeit zu rechnen: Sollte ihre Tätigkeit in einem oder mehreren Staaten zum Erfolg führen, dann würden diese denjenigen gegenüber, in denen der Pazifismus sich nicht oder noch nicht durchgesetzt hat, benachteiligt, ja diesen gänzlich ausgeliefert sein. Und das hieße, daß im ersten Kapitel der Geschichte die gewissenlosesten Regierungen und die rückständigsten Militärstaaten sich zu Herren der Welt machen könnten. Die Bereitschaft, diesen Preis zu zahlen, ist die Wurzel der sogenannten „soldatischen Tugenden“. Ohne diese kann kein Krieg geführt werden. Und wenn sie nicht wären, hätte die öffentliche Meinung und das Empfinden einer Mehrheit in den Gesellschaften der Kulturen die die üble Einrichtung des Krieges nicht gutheißen können, wie das bis heute geschehen ist.

In einem Tugendwettstreit zwischen dem Krieger, der Gewalt anwendet, und dem Heiligen, der sie meidet, würde der Heilige heute einen moralischen Sieg davontragen, der morgen in der Praxis seine Früchte bringen würde. Leider sind die vorherrschenden Charaktere im Kampf zwischen Pazifismus und Krieg nicht ein Heiliger und ein Krieger in der gleichen Rüstung der Rechtschaffenheit.

Das sind vielmehr ein Krieger - tugendhaft oder lasterhaft -, der den Mut hat, sein Leben aufs Spiel zu setzen, und der gewöhnliche Sterbliche, der vor Mühsal und Gefahr zurückschreckt. Und wie wir 1939 und 1940 selbst festgestellt haben, täte der unheldnische Charakter, der aus der allgemeinen Schwäche der menschlichen Natur und nicht aus Abscheu vor einer Sünde vor dem Krieg zurückschreckt, besser daran, zu versuchen sich wenigstens auf das Niveau des Kriegers zu erheben, da er weiß, daß die Höhe des Heiligen unerreichbar für ihn ist. Indem sie sich in den Weltkriegen auf das Niveau des Kriegers erhoben, haben friedfertige Völker die Tugenden, auf die es im Kriege besonders ankommt, mit so guter Wirkung geübt, daß sie zweimal den lange vorbereiteten Versuch eines militaristischen Reiches, die Welt zu erobern, vereitelten.

Was die gegenwärtige Lage aber offensichtlich erfordert, ist eine freiwillige Vereinigung der friedliebenden Völker der Welt in genügender Stärke und mit ausreichendem Zusammenhalt, so daß sie unangreifbar wäre für jeden, der sich von diesem kollektiven Sicherheitspakt ausschließt oder ihn bricht. Und diese den Frieden erhaltende Weltmacht müßte nicht nur stark genug sein, um alle Angriffe auf sie zur Aussichtslosigkeit zu verurteilen. Sie müßte auch gerecht und weise genug sein im Gebrauch ihrer Macht, um es zu vermeiden, Veranlassung zu ernster Herausforderung ihrer Autorität zu geben.

Diese Aufgabe mag ungeheuer sein; aber sie geht nicht über unsere Kräfte. Es ist der Menschheit in der Vergangenheit bereits gelungen, souveräne, unabhängige Staaten zu freiwilliger Vereinigung zu veranlassen. Das ist eine Bürgschaft dafür, daß wir die Erfahrungen und die technischen Voraussetzungen besitzen, um das große politische Aufbauwerk, das heute von uns verlangt wird, durchführen zu können. Wir sind dazu fähig, wenn wir nur wollen. Unser Schicksal liegt in unserer Hand.

 

Stefan Andres: Wir sind Utopia:

Der Matrose Paco, exkommunizierter Priester, träumt nachts häufig von seiner Trauminsel Utopia, auf der Heiden und Christen einträchtig nebeneinander leben sollen: „Heiden und Christen wetteiferten in ihrem Gotterkennen, wiewohl das eine die Gottesbilder aus der Schöpfung, das andere sie aus dem Buch der Sehnsucht des einsamen Herzens und dem Geist der Geschichte empfangen hatte. Da man sich aber gegenseitig eifrig beobachtete, kam es, daß die Christen in ihrem Glauben vieles von den Heiden hatten und die Heiden umgekehrt von den Christen; und das mehr im Waagrechten verlaufende heidnische Denken und senkrecht in die Unendlichkeit aufsteigende der Christen kreuzte sich wie die Fäden am Webstuhl. Das Gotteskleid, das sie auf diese Weise woben, trug die Muster sehnsuchtsvollen Friedens und demütiger Güte!“

Pacos Beichtvater Padre Damiano knurrte nur: „Wechseln Sie die Zelle oder lassen sie ihre Insel zustreichen, oder noch besser: Fahren sie nicht mehr hinüber. Vergessen sie nicht: Noch keiner hat die Welt zu einem Utopia reformieren können, keiner, selbst Er nicht! Wenn sie bedenken, Padre Consalves, daß die ganze Welt eine Börse ist (Padre Damiano war früher ein bekannter Bankier gewesen)‚ und wenn sie sehen, wie schlecht die Aktien Gottes stehen

und sie trotzdem kaufen, dann denken sie also etwa heimlich: Wollen sehen, man kann nie wissen?

Ich kann ihnen sagen, sie spekulieren daneben! Kaum haben sie gekauft, schon sinkt der Kurs von neuem, sinkt, sinkt und sinkt, sie gelten allgemein als ein Trottel, man lacht sie aus. Sie behalten aber das Papier, sie behalten es, nun ja, weil sie es ohnehin nicht mehr anständig loswerden. Wegwerfen, ja, das wohl, aber verkaufen? Sie wissen ja, die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichts.

Und nun beginnen sie heimlich und leise, um ihre wertlos gewordene Aktie doch vielleicht wieder auf den Markt zu bringen, eine Utopia zu gründen, irgendwo, keiner hat's gesehen, aber sie erzählen davon, ach ja: Was das Christentum alles doch bewirken könne; und das Ergebnis: ein richtiger Bankkrach! Die Leute erfahren: Das gibt es ja gar nicht, dieses Utopia, diese erlösten, friedlichen Christen, diese losgelösten, nur nach dem Ewigen trachtenden Priester, überhaupt dies besondere Leben, das die Erde liebt, wie nur die Heiden es können, und zugleich für nichts erachtet, wie es den Christen aufgegeben ist, nein, dies besondere Leben, das gibt es ja nicht. Die Christen sind nichts anderes als die übrigen Menschen. Wenn das dann wieder neuerdings feststeht, muß ihr Utopia als ein Schwindelunternehmen angesehen werden, und was sind sie in diesem Fall? Und wo gehören sie hin? Ich sage ihnen, ins Gefängnis, genau wie dieses und jenes Finanzgenie, das am Mississippi oder in Alaska eine Gesellschaft gründet, die nur auf dem Papier existiert!“

„Christus hat doch gesagt, daß wir noch größere Zeichen und Wunder als er verrichten würden!“ Padre Damiano lachte grob: „O gewiß! Das größte Wunder ist nämlich, an diese scheinbar faule Aktie zu glauben, und nicht einmal, weil das in der Offenbarung steht - das könnte ja ebenfalls ein leeres Versprechen sein -, sondern weil unser Herz erkannt hat: Die Aktie ist echt. Hier ist der Weg, die Wahrheit und das Leben - und nicht da und nicht dort, wenigstens nicht für mich. Und nun sei treu und kühn, glaube, hoffe und vor allem liebe! Und deine Aktie gibt dir mehr als ein Utopia: Sie gibt dir den Mut, ein Mensch zu sein, dem nichts mehr schadet und den nichts mehr enttäuscht! Denn alles ist euer, sagt Paulus, ihr aber seid Gottes!“

„Ja, aber, Padre, wenn das eben der Christen sich in nichts unterscheidet von dem der anderen, wenn es nicht mehr und schönere Früchte trägt, ist dann noch eine Ursache vorhanden, die Wahrheit dieses Glaubens als verbürgt anzunehmen?“

„Wenn sie den Christen damit insgesamt einen Vorwurf machen, richtet sich dieser Vorwurf gegen die Majestät Gottes! Denn wir sind nach seinem Willen so, wie wir sind, wir Menschen insgesamt. Und merken sie sich, Padre Consalves, es gibt kein Innerhalb und Außerhalb der Kirche. Vor Gott gibt es nicht einmal die Hürden der Religionen, die wir Menschen aus mancherlei Gründen offensichtlich notwendig haben. Nur das eine ist unumstößlich: Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.

Die Liebe aber ist die diskreteste Tugend, und sie kann in Verwandlungen auftauchen, wo wir sie gar nicht mehr erkennen. Sie wollen die strahlenden Früchte der Christen sehen, die alles überstrahlenden! Ach, du lieber Himmel, wenn das so exakt statistisch festzustellen wäre, hätte die ungetaufte Menschheit alle Eile, innerhalb vierundzwanzig Stunden sich taufen zu lassen, aus lauter Tugendkonkurrenz.

Gottes Denken ist nicht so praktisch, so rechnerisch, so gewaltsam! Der Mensch ist nicht Buddhist, Mohammedaner oder Christ, weil in jeweils seiner Religion die hellsten Tugendfrüchte gezeitigt werden, sondern weil ihm dieses himmlische Gewand von den Eltern überliefert wurde, und vor allen Dingen, weil es ihm paßt: Er kann sich darin bewegen, es hält ihn warm, und er hat es gern; er hält es sauber und wirft es nicht weg: denn auch die Tradition verbindet mit Gott. Alle diese Gewänder aber sind aus ein und demselben Stoff gemacht: aus der Liebe Gottes und der Liebe zu Gott!

Gott geht nicht nach Utopia! Aber auf diese tränenfeuchte Erde kommt er - immer wieder! Denn hier ist unendliche Armut, unendlicher Hunger, unendliches Leid! Gott liebt das ihm ganz Andere, liebt den Abgrund, und er braucht - verstehen sie mich um seines heiligen Namens willen recht - braucht die Sünde. Er ergießt sich. Er erneuert, Gott schafft Götter. Der Kosmos ist sein geliebter Sohn, der von ihm, dem Vater, alles empfängt im Geist, in der Liebe. Und dieser Sohn wird so, wie der Vater es will! Gott liebt die Welt, weil sie unvollkommen ist. - Wir sind Gottes Utopia, aber eines im Werden!“   

Später ruft Padre Damiano aus: „Ja, wer möchte nicht so eine schöne Insel haben? Malaria ist ausgerottet oder war nie da. Schlangen keine, Tiger auch nicht! Sterblichkeit sehr heruntergesetzt, sterben alle im Patriarchenalter, sanft, in weißen Laken. Gute Verwaltung, blühende Gemeinden! Und vor allen Dingen kein Geld! Aber, was ist das eigentlich: Haben diese

Leute dort oben an der Decke eigentlich freien Willen, oder sind diese sanft, ergeben und lenkbar wie Schafe?“

„Doch, sie haben freien Willen, mehr als wir hier hinter diesem Gittern allüberall und mehr als die stumpfen Untertanen unter ihren Ausbeutern!“ - „Aber ihre Insulaner kommen doch wohl selten in die Lage, ihn zu gebrauchen, wie? Wenn die einmal sagen: Es muß etwas geschehen, nicht war, dann tun sie einen Sprung und noch einen, und ihre Welt ist genau wie zuvor: Wohltemperiert und in Ordnung, aber der Sprung war trotzdem eine Genugtuung, wie?“ Consalves will aus dem Kloster austreten: „Nehmen sie also die Blankovollmacht, die ihnen Gott ausgestellt hat, ich meine die Freiheit des Handelns, nehmen sie das himmlische Aktienstück zurück, es gehört ihnen? Aber vergessen sie nicht, das Kapital dahinter, das sind sie selber. Sie verfügen, mit göttlicher Genehmigung, über sich und alles, was sie sind und haben. Nur bin ich jetzt gespannt, an wen sie die einzelnen Blätter des Scheckbuches ausstellen werden, wo sie ihre Freiheit Stück für Stück abgeben. Sie werden sehen, das Buch wird zusehends dünner. Aber Passen sie auf: den letzten Scheck im Buch - es nimmt ein Ende -, den stellen sie auf die Liebe aus, in irgendeiner Form auf die Liebe, auf etwas, was nicht Sie sind - sondern das Sie braucht!“

 

Alexis de Tocqueville: Die Konzentration der staatlichen Gewalt

Demokratische Völker fassen gleichsam unbewußt die Idee einer einzigen zentralen Gewalt, die alle Bürger aus eigener Macht lenkt. Die einheitliche Gesetzgebung zeigt dem Bürger, wie wenig er sich von seinem Nachbarn unterscheidet. Sein Verstand nimmt daher an den geringsten Vorrechten Anstoß. Die Regierungen werden nicht müde, Bevölkerungsschichten, die sich noch durchaus nicht gleichen, die gleichen Gebräuche und die gleichen Gesetze aufzuerlegen.

Je mehr sich die gesellschaftlichen Bedingungen in einem Volk einander angleichen, umso kleiner erscheinen die Individuen und umso größer erscheint der Staat, oder vielmehr: Man erblickt nur noch das gewaltige und großartige Bild des Volkes im Ganzen. Daher haben die Menschen demokratischer Zeiten eine sehr hohe Meinung von den Vorrechten des Staates und nur eine sehr bescheidene von den Rechten des Einzelnen. Sie räumen unbedenklich ein, das Recht des Staates sei alles, das des Einzelnen gar nichts.

Bei allen verblaßt und verschwindet schließlich die Vorstellung vermittelnder Gewalten. Die Idee eines bestimmten Personen angeborenen Rechtes kommt sehr schnell völlig abhanden. An ihre Stelle tritt die Idee des unumschränkten und sozusagen ausschließlichen Rechts des Staates (Einheit, Allgegenwart und Allmacht der staatlichen Gewalt). Die Menschen unserer Tage hadern oft miteinander, in welche Hände die Souveränität zu legen sei. Über die Pflichten und Rechte der Souveränität aber einigen sie sich leicht.

In den Zeiten der Gleichheit machen die Gewohnheit und die Gefühle die Menschen dafür empfänglich, eine solche Gewalt auch anzuerkennen. Die Bürger demokratischer Staaten ziehen sich gern auf sich selbst zurück. Die Menschen reißen sich immer nur mühsam von ihren Privatgeschäften los, um sich den Aufgaben der Gemeinschaft zu widmen. Von Natur aus

neigen sie dazu, diese Sorge dem einzigen sichtbaren und dauernden Repräsentanten der kollektiven Interessen zu überlassen: dem Staat. Liebe zum Wohlstand und die Unbeständigkeit des Eigentums lösen Furcht aus vor äußerer Unsicherheit. Die Liebe für die öffentliche Ruhe ist häufig die einzige politische Leidenschaft der Völker. Daher verleihen die Bürger der Zentralgewalt immer neue Rechte.

Die Schwäche läßt den Menschen dann und wann das Bedürfnis nach fremder Hilfe verspüren, die er von niemand erwarten darf, da alle machtlos und gleichgültig sind. In dieser Notlage lenkt er seine Blicke ganz natürlich auf jenes gewaltige Wesen, das sich allein aus der allgemeinen Niedrigkeit erhebt. Diese Menschen geben - als allgemeinen Grundsatz - wohl zu, die öffentliche Gewalt dürfe sich nicht in die Privatgeschäfte einmischen. Jeder von ihnen hofft aber, sie werde gerade ihm in seinem besonderen Geschäft helfen, und jeder sucht die Unterstützung der Regierung für sich zu gewinnen, während er sie doch sonst überall ausschalten will.

Diese besondere Einstellung bewirkt, daß sich der Machtbereich der Zentralgewalt unmerklich nach allen Seiten ausbreitet, obgleich jeder einzelne ihn einschränken will. Eine demokratische Regierung vermehrt ihre Befugnisse allein schon dadurch, daß sie fortbesteht. Die Zeit wirkt für sie, jeder Zufall dient ihr.

Sind alle gesellschaftlichen Bedingungen ungleich, so verletzt keine hoch so große Ungleichheit den Blick des Betrachters. Inmitten allseitiger Gleichförmigkeit dagegen wirkt die kleinste Verschiedenheit anstößig. Der Souverän jedoch, notwendig und unangefochten allen Bürgern übergeordnet, erregt niemandes Neid, und jeder meint, seinesgleichen alle die Vorrechte zu entreißen, die er dem Souverän zugesteht.

Jede Zentralgewalt fördert die Gleichheit, denn die Gleichheit erleichtert einer solchen Zentralgewalt die Arbeit außerordentlich. Die Einheitlichkeit erspart ihr die Prüfung unübersehbar vieler Einzelfälle. So liebt die Regierung, was die Bürger lieben, und haßt von Natur was sie hassen. Diese Gemeinsamkeit im Fühlen, die bei den demokratischen Völkern jeden Einzelnen ständig mit dem Souverän in dem gleichen Denken eint, vergibt wegen ihrer gleichen Neigungen der Regierung ihre Fehler. Das öffentliche Vertrauen wendet sich trotz aller Ausschreitungen und Mißgriffe nur schwer von der Regierung ab und stellt sich, sobald zurückgerufen, wieder ein. Individuelle Unabhängigkeit und lokale Freiheiten werden immer das Ergebnis künstlicher Bestrebungen sein. Die natürliche Regierungsform wird die Zentralisation sein.

Entwickelt sich die Gleichheit bei einem Volk, das die Freiheit niemals gekannt hat oder das seit langem ihrer entwöhnt ist, dann erreicht der Staat mit einem Schlage die äußersten Grenzen seiner Macht. Wo sich die Gleichheit mit Hilfe einer gewaltsamen Revolution durchsetzte und die übrigbleibende bestürzte Masse zunächst weder die Organisation noch die Gewohnheit besaß, die Verwaltung der Staatsgeschäft in die Hand zu nehmen, war allein der Staat imstande, sich mit den ganzen Einzelheiten der Regierung zu befassen. Die Zentralisation entwickelt sich also auch nach der Art, in der sie sich durchsetzt.

Zu Beginn einer großen demokratischen Revolution bemüht sich das Volk, die öffentliche Gewalt in der Hand der Regierung zu zentralisieren, um der Aristokratie die Führung der lokalen Geschäfte zu entreißen. Am Ende dieser Revolution ist es dagegen gewöhnlich die besiegte Aristokratie, die versucht, den Staat die Leitung aller Geschäfte zu übertragen, da sie Tyrannei des Volkes fürchtet. Es ist daher nicht immer dieselbe Klasse, die sich für die Mehrung der Vorrechte der staatlichen Gewalt einsetzt.

Sind alle Menschen gleich, ist es einfach, eine einzige und allmächtige Regierung zu begründen. Es bedarf dagegen großer Einsicht und großen Wissens und Könnens, unter den gleichen Umständen Gewalten zweiter Ordnung einzurichten und aufrechtzuerhalten und - trotz der individuellen Unabhängigkeit und Schwäche der Bürger - freie Zusammenschlüsse zustande­zubringen, die gegen die Tyrannei anzukämpfen vermögen, ohne die Ordnung zu zerstören. Die Konzentration der Gewalten und die individuelle Knechtschaft nehmen entsprechend der Unwissenheit zu. Wie ungebildet ein demokratisches Volk auch sein mag, die zentrale Gewalt, die es regiert, ist nie bar aller Bildung, denn sie zieht das wenige davon, das sich im Lande finden läßt, leicht an sich und sucht notfalls außer Landes. Der Staat wird so allein zur Verwaltung fähig.

Eine zentralisierte staatliche Gewalt ist leicht imstande, zu gegebener Zeit und an einem bestimmten Punkt bedeutende Unternehmungen durchzuführen. Besonders im Kriege verspüren daher die Völker das Bedürfnis, ja oft die Not, die Vorrechte der Zentralgewalt zu verstärken (daher lieben alle zentralistischen Köpfe den Krieg).

Niemals aber ist ein Volk so bereit, die Befugnisse der Zentralgewalt zu erweitern, wie am Ende einer langen und blutigen Revolution, die - nachdem sie die Vermögen den alten Eigentümern entrissen hat - alle Überzeugungen erschüttert, die Nation mit wütendem Haß, widerstreitenden Interessen und einander bekämpfenden Parteien erfüllt hat. Die Sehnsucht nach öffentlicher Ruhe wird dann zur blinden Leidenschaft, und die Bürger verfallen leicht einer ganz zügellösen Begeisterung für die Ordnung.

Die erste, ja gewissermaßen die Grundbedingungen für die Zentralisation der öffentlichen Gewalt in einem demokratischen Staate ist: die Gleichheit zu lieben - oder sich diesen Anschein zu geben. So vereinfacht sich die bislang so verwickelte Lehre vom Despotismus: Sie reduziert sich sozusagen auf ein einziges Prinzip.

In Europa haben viele Revolutionen und Gegenrevolutionen die Gewalten zweiter Ordnung erschüttert und vernichtet. Die Fürsten haben alle Neuerungen, die die Revolution bei ihnen eingeführt hatte, verworfen, ausgenommen die Zentralisation: Diese allein waren sie beizu­behalten bereit. Allenthalben kommt der Staat immer mehr dahin, die geringsten Bürger selbst zu leiten und jeden von ihnen in den unbedeutendsten Angelegenheiten persönlich zu führen. Fast alle Wohltätigkeitseinrichtungen des alten Europa lagen in den Händen Einzelner oder privater Körperschaften. Heute jedoch hat sich der Staat zum fast einzigen Helfer in aller Not gemacht.

Erziehung und Wohltätigkeit liegen in der Hand des Staates. Sogar die Religion droht in die Hände der Regierung zu fallen: Der Priester wird zu einem Beamten gemacht (Ein Souverän herrscht jedoch auf zwei Arten: Den einen Teil der Bürger lenkt er durch die Furcht vor seinen Beamten, den anderen durch die Hoffnung, seine Beamten zu werden).

Unter den gleichen Umständen, unter denen ein Fürst früher eine neue Steuer eingeführt haben würde, nimmt man heute seine Zuflucht zu einer Anleihe. Durch Anleihen verschafft sich der Staat das Geld der Reichen, und durch die Sparkassen verfügt er nach Belieben noch über den letzten Pfennig der Armen. Bei einem demokratischen Volk flößt ja allein der Staat dem Einzelnen Vertrauen ein, weil nur der Staat ihm einige Macht und Dauer zu besitzen scheint.

Außerdem bemüht sich der Staat, neue, abhängigere Gerichte zu schaffen, deren besondere Aufgabe es ist, die Streitigkeiten zu entscheiden, die sich zwischen der öffentlichen Verwaltung und den Bürgern ergeben können. Die Unabhängigkeit wird gesichert, aber die Zuständigkeit wird eingeschränkt. Der Staat will immer mehr Geschäfte an sich ziehen und sie alle unkontrolliert und ohne Rechtsmittel selbst entscheiden.

Der Staat hat auch für sich das Recht in Anspruch genommen, die Bergwerke zu besitzen. Er setzt ihnen Regeln, schreibt Methoden vor, unterwirft sie einer ständigen Aufsicht. Auf diese Weise hat er aber auch die Bergleute in der Hand. Je demokratischer aber ein Land ist, umso schwieriger wird es für den Einzelnen, derartige Anlagen für sich zu errichten, und umso leichter wird es für den Staat (Staatskapitalismus). Auf der anderen Seite braucht aber auch der Staat eine immer größere Menge an industriellen Produkten, der Staat wird zum größten Industriellen.

Um den neuen Bedürfnissen und Interessen, welche die wachsende Gleichheit mit sich bringt, in der Regierung zum Durchbruch zu verhelfen, mußten die Menschen unserer Tage die alten Gewalten stürzen oder beschränken. Doch fast alle diese Änderungen sind von großer Anarchie und Zügellosigkeit begleitet gewesen, weil sie von dem ungebildetsten Teil der Nation gegen den gebildetsten durchgesetzt wurden. Solange die erste Begeisterung die demokratische Revolution trug, zeigten sich die Menschen, die mit der Zerstörung der alten aristokratischen, die Revolution bekämpfenden Gewalten beschäftigt waren, von einer tiefen Unabhängigkeitsliebe beseelt; je vollkommener aber der Sieg der Gleichheit wurde, um so mehr überließen sie sich nach und nach den natürlichen Neigungen, die eben diese Gleichheit auslöst, und stärkten und zentralisierten die staatliche Gewalt. Um gleich zu werden, hatten sie frei sein wollen, und je mehr sie sich nun die Gleichheit mit Hilfe der Freiheit durchsetzte, desto mehr erschwerte sie ihnen die Freiheit.

Ich persönlich setze gar kein Vertrauen in den Geist der Freiheit, der meine Zeitgenossen zu beseelen scheint. Ich sehe wohl, daß die Völker unserer Tage aufgewühlt sind; daß sie aber freiheitlich denken, erkenne ich noch nicht deutlich, und ich fürchte, am Ende dieser die Throne erschütternden Bewegungen werden die Herrscher mächtiger sein als je zuvor.

 

 

Alexis de Tocqueville: Die Gefahr eines besonderen Despotismus

Die Tyrannei vergangener Jahrhunderte erstreckte sieht nicht auf sehr viele, sondern nur auf einige große, hauptsächliche Opfer; sie war drückend, aber begrenzt. Der Despotismus bei den Demokraten dagegen dürfte ausgedehnter und milder sein und die Menschen erniedrigen, ohne sie zu quälen. Die Gleichheit, die den Despotismus begünstigt, mäßigt ihn auch. Sind alle Vermögen mittelgroß, so sind die Leidenschaften von Natur verhalten, die Einbildungskraft beschränkt und die Freuden einfach. Diese allgemeine Mäßigung mäßigt auch den Herrscher und hält die ungezügelte Triebkraft seiner Wünsche in gewissen Grenzen.

Ich sehe eine unübersehbare Menge ähnlicher und gleicher Menschen, die sich rastlos um sich selbst drehen, um sich kleine und gewöhnliche Freuden zu verschaffen. Jeder von ihnen ist ganz auf sich zurückgezogen, dem Schicksal aller anderen gegenüber völlig unbeteiligt. Was seine Mitbürger angeht, so ist er zwar bei ihnen, aber er sieht sie nicht; er lebt nur in sich und für sich selbst, ein Vaterland hat er nicht mehr.

Über diesen Bürgern erhebt sich eine gewaltige Vormundschaftsgewalt, die es allein übernimmt, ihr Behagen sicherzustellen und über ihr Schicksal zu wachen. Die Menschen sollen unwiderruflich in ihrer Kindheit festgehalten werden. Könnte man ihnen nicht vollends die Sorge zu denken abnehmen und die Mühe zu leben? Der Souverän bricht den Willen nicht, sondern er schwächt, beugt und leitet ihn. Er zerstört nicht, er hindert die Entstehung.

Unsere Zeitgenossen sind ständig von zwei widerstreitenden Leidenschaften geplagt: Sie fühlen das Bedürfnis, geführt zu werden, und dabei die Lust, frei zu bleiben. Sie stellen sich eine einzige, allmächtige, aber von den Bürgern gewählte Vormundschaftsgewalt vor. Sie verbinden die Zentralisation mit der Volkssouveränität. Sie verlassen für einen Augenblick ihre Abhängigkeit, um ihren Herrn zu bezeichnen, und fallen danach wieder in sie zurück.

Die Teilnahme des Einzelnen an den bedeutendsten Geschäften wird gesichert; in den unbedeutenden und den besonderen aber wird sie ausgeschaltet. Man vergißt, daß es vor allem gefährlich ist, die Menschen im Kleinen zu versklaven. Sie werden bald nicht mehr fähig sein, das große und einzige Privileg auszuüben. Handelt es sich um die Leitung der kleinen Geschäfte, zu denen der gesunde Menschenverstand ausreicht, so ist man der Meinung, die Bürger seinen dazu nicht fähig; handelt es sich um die Regierung des gesamten Staates, so vertraut man den Bürgern ungeheure Rechte an. Man wird aber niemand glauben machen können, eine freiheitliche Regierung könne jemals aus den Stimmen eines Volkes von Knechten hervorgehen.

Es gibt keinen so weisen und so mächtigen Gesetzgeber, der imstande wäre, freiheitliche Institutionen aufrechtzuerhalten, ohne die Gleichheit als oberstes Prinzip und Symbol zu nehmen. Alle werden scheitern, die die Herrschaft an eine einzige Klasse ziehen und sie ihr erhalten wollen (auch: „Diktatur des Proletariats“).

Es ist notwendig, daß die Zentralgewalt tätig und mächtig ist. Es handelt sich nur darum, sie daran zu hindern, ihre Rührigkeit und Macht zu mißbrauchen. Alle Verwaltungsbefugnisse, die man Körperschaften oder Adligen entreißt, häuft man nicht auf den Souverän, sondern man vertraut einen Teil davon Körperschaften zweiter Ordnung an, die vorübergehend aus einfachen Bürgern gebildet werden. Ein erbliches Beamtentum wäre ungerecht und unvernünftig. Aber die Wahl ist ein demokratisches Mittel, das die Unabhängigkeit des Beamten gegenüber der Zentralgewalt ebenso, ja noch besser sichert als es die Erblichkeit bei aristokratischen Völkern vermochte. Die einfachen Bürger können so, wenn sie sich zusammenschließen, eine sehr machtvolle, einflußreiche und starke Körperschaft bilden, mit einem Wort: aristokratische Personen sein.

Heutzutage hat ein Bürger, den man unterdrückt, nur ein Verteidigungsmittel: Er muß an die gesamte Nation appellieren und - wenn die ihn nicht hört - an die Menschheit. Dazu gibt es nur ein Mittel, die Presse. Die Gleichheit isoliert und schwächt die Menschen. Die Presse aber stellt jedem von ihnen eine sehr wirksame Waffe zur Seite.

Die Formen treten als Schranke zwischen den Starken und den Schwachen, zwischen die Regierenden und Regierten, um die einen aufzuhalten und den anderen Zeit zur Selbstbesinnung zu geben. So bedürfen die demokratischen Völker von Natur aus der Formen in stärkerem Maße als die anderen Völker - und achten sie von Natur aus geringer Die Menschen legen in genau dem Zeitpunkt weniger Wert auf die individuellen Rechte, da es am nötigsten wäre, das wenige, was von ihnen noch übrig ist, zu bewahren und zu verteidigen.

Hat eine Nation in einem kurzen Zeitraum mehrere Male ihre Staatsoberhäupter, Anschauungen und Gesetze gewechselt, so finden die Menschen, aus denen sie sich zusammensetzt, schließlich Gefallen an der ständigen Veränderung und gewöhnen sich daran, daß alle diese Veränderungen sich mit Hilfe der Gewalt rasch vollziehen. Da die gewöhnlichen Begriffe der Billigkeit und der Moral nicht mehr ausreichen, all das Neue, das die Revolution täglich her­vorbringt, zu erklären und zu rechtfertigen, tritt man dem Prinzip der sozialen Nützlichkeit bei, erfindet das Dogma von der politischen Notwendigkeit und gewöhnt sich bereitwillig da­ran, die Einzelinteressen bedenkenlos zu opfern und die individuellen Rechte mit Füßen zu treten, um das allgemeine Ziel, das man sich steckt, schneller zu erreichen.

Ich glaube aber, es gibt ehrenhaften Widerstand und legitime Auflehnung. Aber ich glaube, die Menschen demokratischer Zeiten haben alle Ursache, länger zu zögern als alle anderen, ehe sie sich dazu entschließen, und sie sollten lieber viele Mängel der bestehenden Ordnung hinnehmen, ehe sie auf eine so gefährliche Abhilfe zurückgreifen.

Wir müssen für neue Übel neue Abhilfe finden: Der staatliche: Gewalt weitere, aber sichtbare und unverrückliche Grenzen zu stecken; den Einzelnen gewisse Rechte einzuräumen und ihnen den unangefochtenen Genuß dieser Rechte zu garantieren; dem Individuum das bißchen Unabhängigkeit, Kraft und Originalität, das ihm verbleibt, zu bewahren. Ihm neben dem Staat seinen Platz anzuweisen und ihn gegenüber dem Staat zu schützen und zu stützen: das halte ich für die vornehmste Aufgabe des Gesetzgebers in der kommenden Zeit. Man möchte fast sagen, die Herrscher unserer Zeit hätten nichts im Sinn, als mit den Menschen große Dinge zu schaffen. Ich wünschte, sie würden etwas mehr daran denken, auch große Menschen zu schaffen.

Ich beobachte bei unseren Zeitgenossen zwei entgegengesetzte, aber in gleicher Weise gefährliche Vorstellungen: Die einen sehen in der Gleichheit nur die anarchischen Neigungen, die sie auslöst. Sie fürchten ihren eigenen Willen; sie haben Angst vor sich selbst. Die anderen haben den Weg entdeckt, der die Menschen unabweislich in die Knechtschaft zu führen scheint. Sie beugen ihre Seele dieser unumgänglichen Knechtschaft schon im Voraus und beten - da sie die Hoffnung verloren haben, frei zu bleiben - im Grunde ihres Herzens bereits den Herrn an, der bald kommen muß. Die ersten geben die Freiheit auf, weil sie sie für gefährlich halten, die zweiten, weil sie sie für unmöglich halten.

Die Menschen, die in den beginnenden Jahrhunderten der Gleichheit leben, haben von Natur den-Drang zur Unabhängigkeit. Die Norm ertragen sie nur widerwillig, die Dauer der bevorzugten Ordnung belästigt sie! Sie lieben die Gewalt; aber sie neigen dazu, den zu mißachten und zu hassen, der sie ausübt, und sie entschlüpfen seinem Zugriff gerade deswegen leicht, weil sie klein und beweglich sind. Hegen wir also vor der Zukunft jene heilsame Furcht, die uns wachen und kämpfen läßt, nicht jenen schwächlichen und müßigen Schrecken, der die Herzen niederdrückt und lähmt.

 

 

Jean Paul Sartre: Im Räderwerk

Der Diktator Jean will sein Volk zum Glück zwingen. Er hat als einziger erkannt, wie man der Kriegsdrohung der ausländischen Macht begegnen kann. Aber das Volk versteht ihn nicht. Das Volk sieht in ihm nur den grausamen Diktator, es zwingt ihn, noch härtere Maßnahmen zu ergreifen als das reaktionäre System vorher. Er hatte Vertrauen erhofft, das auch Belastungen im Übermaß aushalten kann. Aber die Umstände und das Unverständnis der anderen lassen ihn scheitern.

 

Rainer Maria Rilke: Wie der Verrat nach Rußland kam:

Der Zar hat uneingeschränkte Macht, er kann brutal vorgehen. Aber er ist seiner Zeit gegenüber gerechtfertigt, denn das Volk sieht seine Gewalt als berechtigt und unbedingt nötig an. Dann aber begeht der Zar einen Verrat. Die Untertanen bewerteten den brutalen, aber ehrlichen Menschen jedoch höher als den heimtückischen und betrügerischen.

 

Friedrich Hebbel: Agnes Bernauer:

Herzog Ernst scheidet menschliches und staatliches Denken; das staatliche Denken geht ihm jedoch über alles. Seine Rechtfertigung ist die Staatsräson, der Dienst für die Hausmacht; es darf nicht zu Erbstreitigkeiten kommen. Deshalb setzt er auch schließlich den schwächlichen Neffen als Nachfolger ein, nur damit der Staat zusammenbleibt. Für Ernst hat sich das Opfer, die Vernichtung des Sohnes, gelohnt, denn sein Geschlecht wird weiterleben, sein höchster Wert, das menschliche Ziel, ist durchgesetzt worden. Der Dichter sieht dieses positive Recht

als notwendig an, während in der „Antigone“(Sophokles) gezeigt wird, daß immer wieder Dichter gegen die Tyrannei aufstehen und das göttliche Recht verkünden.

 

Jean Anouilh: Antigone

„Ihr seid der König. Aber das könnt ihr nicht: Weder mich retten, noch zwingen.“

„Mein Handwerk erfordert es, daß ich dich zur Vernunft bringe. Ich bin gewissenhaft.

Was kann ich dafür, daß ich König bin?“

„Ich bin ungebunden. Du aber bist König! Deswegen bleibt dir nichts anderes übrig, als mich zu töten. Ihr werdet nicht aufhören zu bezahlen, weil Ihr Ja gesagt habt zu Eurem Handwerk.“ - „Da steht man vor dem Werk. Sie sagen, es ist eine schmutzige Arbeit. Aber wer soll sie tun?“ - Antigone läßt sich von Kreon überzeugen. Erst das Schreckgespenst „Haimon wird auch einmal so werden müssen!“ bringt sie wieder zu ihrer alten Meinung.

 

Shakespeare: Macbeth:

Hier greifen dämonische Mächte in das Leben eines Menschen ein und wecken seinen Ehrgeiz, der allerdings auch zu einer Tugend werden könnte. In Macbeth ist jedoch das Begehren geweckt, über seine Stellung hinauszukommen, und er überschreitet damit seine Grenze. Um sein Ziel zu erreichen, setzt er sich über sein Gewissen hinweg, er läßt sich vom Weg der Pflicht auf den Weg des Verbrechens drängen. Nach dem Mord des Duncan ist er nicht mehr frei, er wird zum Tyrannen und Scheusal. Aber es herrscht eine ausgleichende Gerechtigkeit in Form des Gewissens. So kommt auch der Mensch nicht weit, dem man anscheinend nicht Widerstand leistet.

 

Heinrich Kleist: Michael Kohlhaas:

Da Michael Kohlhaas gerecht ist, erwartet er auch von den anderen Gerechtigkeit. Dieser will er dann zum Ziele verhelfen, muß aber damit selber Ungerechtigkeiten begehen. Bevor es aber so weit kommt, prüft er erst sorgfältig, ob der andere nicht doch Recht hat. Als er aber überzeugt ist, daß sein Knecht betrogen wurde, wird es für ihn unumgänglich, daß er sich voll und ganz auf die Seite des Knechtes stellt. Kohlhaas geht es gar nicht um die Pferde, er will sie gar nicht wieder haben. Er will nur um jeden Preis Gerechtigkeit erlangen. Deshalb fühlt er sich auch als Vollstrecker der göttlichen Gerechtigkeit. Nun aber wird er ein leidenschaftlicher Mensch (Haß), denn er merkt genau, daß er mehr Unrecht begeht als seine Gegner. Gegen Schluß sieht er aber ein, daß seine Taten den Tod verlangen. Er merkt, daß ein Mensch, der sich selbst Gerechtigkeit verschaffen will (Faustrecht) scheitern muß. Seine Goldwaage stimmt wieder.

 

Shakespeare: König Richard der Dritte.       

Und darum, weil ich nicht als ein Verliebter

Kann kürzen diese fein beredten Tage

Bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden.

Müßt ich auch Eduards Witwe Schwester nennen,

Ich will's vollbringen, um Euch zu befrein.

Ja, leider wird der Adler eingesperrt,

Und Gei‘r und Habicht rauben frei indes.

Ermordt ich schon ihren Mann und Vater,

Der schnellste Weg, der Dirne g'nugzutun,

Ist, daß ich selber werd ihr Mann und Vater.

 

Du hattest Macht nur über seinen Leib,

Die Seel erlangst du nicht.

Und im Verzweifeln wärest du entschuldigt

Durch Übung würdger Rache an dir selbst,

Der du unwürdgen Mord an andern übtest.

 

Gloster:

Ich war gereizt von ihrer Lästerzunge,        

Die jener Schuld legt‘ auf mein schuldlos Haupt

Du warst gereizt von deinem blut‘gen Sinn,

Der nie von anderm träumt als Metzgereien.

Anna: Kennt ich doch nur dein Herz

Gloster: Auf meiner Zunge wohnt‘s.

Anna: Vielleicht sind beide falsch.

Rivers: Da hielten wir zu unserm Herrn und König,

Wie wir an Euch es täten, wenn Ihr‘s würdet.

 

Gloster:

Wenn ich es würde? Lieber ein Hausierer! 

Fern meinem Herzen sei‘s, es nur zu denken.

Margareta: Wer hoch steht, den kann mancher Windstoß treffen,

Und wenn er fällt, so wird er ganz zerschmettert.

Ich tu das Bös‘ und schreie selbst zuerst.

Das Unheil, das ich heimlich angestiftet,

 

Gloster:

Lieg ich den andern dann zur schweren Last.

Und so bekleid ich meine nackte Bosheit

Mit alten Fetzen, aus der Schrift gestohlen,

Und schein ein Heil‘ger, wo ich Teufel bin. 

Mörder: Ihn umzubringen, dazu hab ich ja die Vollmacht;

aber verdammt dafür zu werden,    

wovor mich keine Vollmacht schützen kann.

 

Wenn jemand unter dieser edeln Schar

Auf falschen Argwohn oder Eingebung

Mich hält für seinen Feind;

Wenn ich unwissend oder in der Wut

Etwas begangen, das mir irgendwer,

Hier gegenwärtig, nachträgt, so begehr ich,

In Fried und Freundschaft mich ihm auszusöhnen.

 

York:

Dann seh ich wohl, ihr schenkt nur leichte Gaben.

Bei Dingen von Gewicht sagt Ihr dem Bettler: „Nein!“

Gloster: Es hat zuviel Gewicht, für Euch zu tragen. 

Buckingham: Nun, Mylord, was solln wir tun, wenn wir verspüren,

Daß Hastings unsern Plänen sich nicht fügt?

Gloster: Den Kopf ihm abhaun, Freund: was muß geschehn.

Buckingham: Ich will mich auf Eu‘r Hoheit Wort berufen.

Gloster. Es soll dir freundlichst zugestanden werden.

 

Catesby:

Die Welt ist schwindlig, in der Tat, Mylord,

Und, glaub ich, wird auch niemals aufrecht stehn, 

Bevor nicht Richard trägt des Reiches Kranz.

Rivers: Heut wirst du einen Untertan sehn sterben,

Den Treu und Pflicht und Biederkeit verderben.

Wir kennen von Gesicht uns, doch die Herzen,

Buckingham: Da kennt er meins nicht mehr als Eures ich,

Noch seines ich, Mylord, als meines Ihr.

 

Hastings:

Ich denke, niemand in der Christenheit

Kann minder bergen Lieb und Haß wie er.

Was? Denkt Ihr, wir sei‘n Türken oder Heiden

Und würden, wider alle Form des Rechts,

So rasch verfahren mit des Schurken Tod,

Gloster: Wo nicht die dringende Gefahr des Falls,  

Der Frieden Englands, unsre Sicherheit

Und diese Hinrichtung hätt‘ abgenötigt?

Stellt Euch besorgt,

 

Buckingham:

Laßt Euch nicht sprechen als auf dringend Bitten

Und nehmt mir ein Gebetbuch in die Hand

Und habt, Mylord, zwei Geistliche zur Seite,

Denn daraus zieh ich heil‘ge Nutzanwendung.

 

Gloster.

Antwort ich nicht, so dächtet Ihr vielleicht,

Verschwiegner Ehrgeiz will‘ge stumm darein,

Der Oberherrschaft goldnes Joch zu tragen,

Das Ihr mir töricht auferlegen wollt.

Dennoch, so groß ist meine Geistesarmut,

So mächtig und so vielfach meine Mängel,

Ich bin ja nicht von Stein,

Durchdringlich eurem freundlichen Ersuchen,

Zwar wider mein Gewissen und Gemüt.

Wenn aber schwarzer Leumund, frecher Tadel

Erscheinet im Gefolge eures Auftrags,

So spricht mich euer förmlich Nötgen los

Von jedem Makel, jedem Fleck desselben.

Der hochgestiegene Buckingham wird schwierig.

Der tiefbedächtge, schlaue Buckingham

Soll nicht mehr Nachbar meines Rates sein.

Doch, wie ich einmal bin,

So tief in Blut, reißt Sünd in Sünde hin.

Beträntes Mitleid wohnt mir nicht im Auge.

Ich hab ‘ne Spur von Eurer Art, Frau Mutter,

Die nicht den Ton des Vorwurfs dulden kann.

 

Herzogin:

Blutig, das bist du; blutig wirst du enden:

Wie du dein Leben, wird dein Tod dich schänden.

Seht, was geschehn, steht jetzo nicht zu ändern.

Der Mensch geht manchmal unbedacht zu Werk,

Was ihm die Folge Zeit läßt zu bereuen.

Nahm Euren Söhnen ich das Königreich,

So geb ich‘s nun zum Ersatz Eurer Tochter.

Seid meiner Liebe Anwalt: Stellt ihr vor

Das, was ich sein will - nicht, was ich gewesen.

 

Blunt.

Er hat nur Freunde, die aus Furcht es sind.

Die werden ihn in tiefster Not verlassen.

Richard: Auch ist des Königs Nam‘ ein fester Turm,

woran der feindlichen Partei es fehlt.

Ein Mensch, der stets gewesen Gottes Feind!

Nun, fechtet ihr denn wider Gottes Feind,

So schirmt euch billig Gott als seine Krieger.

Dies wird ein schwarzer Tag für jemand werden.

Ei nun, was gilt das mir mehr als dem Richmond?

Gewissen ist ein Wort für Feige nur,

Zum Einhalt für den Starken erst erdacht:

Uns ist die Wehr Gewissen, Schwert Gesetz.

 

Michael Kohlhaas und Karl Moor:

Es ist nur sehr schwer, Karl Moor einen Vorwurf zu machen: Er hat eine Versöhnung mit dem Vater versucht, wenn er auch sich nicht persönlich aufmachte zu seinem Vater. Der Brief wird so zur alleinigen Grundlage seiner Entscheidung, er kann keine Rückfragen mehr stellen, er will sich auch nicht darum bemühen. Und als gefühlsbetonter Mensch läßt er sich natürlich sofort zu seinem Haß gegen die Menschheit hinreißen.

Kohlhaas dagegen versucht unausgesetzte die Forderungen der anderen zu erfüllen. Er nimmt es peinlichst genau, denn er will sich keine Ungerechtigkeit nachsagen lassen: Er bezahlt die Steuer, er will sich den Passierschein besorgen, er bietet den Rittern die Pferde zum Kauf an, er läßt sie sogar dann als Pfand zurück, er will sogar auf sie verzichten, wenn der Knecht Schuld haben sollte. Die Ansätze und die Bereitschaft zu einer gütlichen Übereinkunft sind da, aber er kann den letzten Schritt nicht tun. Er meint sogar, bei einem Verzicht noch dem anderen Unrecht zu tun. Ihm geht es besonders darum, seine Mitmenschen in Zukunft vor solchen Ausbeutern zu bewahren. Es ist seine „Pflicht“, sich für die ganze Menschheit zu opfern.

Auch Karl Moor opfert sich, er mordet ja nicht um materieller Vorteile willen, sondern aus Überzeugung. Karl Moor will dem Willen Gottes entsprechen. Die Christen jedoch sind alle Heuchler. Deshalb ist er ihnen auch nicht verantwortlich, sondern er will sich nur vor seinem höchsten Richter verantworten und hofft, dort bestehen zu können. Einstweilen jedoch führt er seinen Rachefeldzug gegen die Heuchler fort. Der Junker von Tronka ist nur der Inbegriff des Bösen, er ist „der allgemeine Feind aller (wahrhaften) Christen“.

Kohlhaas jedoch bezeichnet sich als einen „Statthalter Michaels, des Erzengels, der gekommen sei, alle, die in dieser Streitsache des Junkers Partei ergreifen würden, „mit Feuer und Schwert die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen“. Damit hat wie bei Karl Moor „eine unsichtbare Macht das Handwerk der Räuber geadelt“.

 Kohlhaas fühlt sich als das Werkzeug Gottes. Durch Vergebung hätte er jedoch eher dem Willen Gottes entsprochen. Persönlich will er ja vielleicht dem Junker vergeben, aber nun fühlt er sich ja als der Ausführende der göttlichen Gerechtigkeit. Er meint, schon sehr viel getan zu haben; aber er will sich selbst und seine Aufgebe nicht aufgeben. Deshalb ist er auch ganz stur: „Wer mir sein Wort einmal gebrochen hat, mit dem wechsle ich keins mehr!“

Die Frau des Kohlhaas zeigt einen Weg der Umkehr: „Vergib deinen Feinden!“ Und ebenso sagt der alte Moor von seinem Sohn Franz: „Verzeihung sei seine Strafe, meine Rache verdoppelte Liebe!“ Und seinem Retter sagt er: „Sei so glücklich, als du dich erbarmst. Wie köstlich ist‘s, wenn Brüder einträchtig beisammen wohnen. Lern diese Wollust verdienen. Dein Herz sei das Herz der unschuldigen Kindheit!“ Karl Moor wird durch die Bande auf einen anderen Weg gedrängt, Kohlhaas schlägt diese Möglichkeit der Rettung aus eigener Entscheidung aus.

Damit sind sie gebunden. Karl weiß: „Auch die Freiheit muß ihren Herrn haben!“Als Hauptmann der Bande muß er auch bei der Bande bleiben, um Schlimmes zu verhüten. Er versucht jedoch immer wieder, auf ehrliche Weise von der Bande loszukommen. Doch die Räuber stehen treu zu ihm und liefern ihn nicht aus, sie kämpfen tapfer gegen die Übermacht. Karl kann sie nicht im Stich lassen. Sein letzter verzweifelter Versuch erscheint ihm als Feigheit:

Selbst­mord ist Flucht! Karl Moor wünscht sich aber auch immer wieder: „Noch einmal wie ein Kind sein!“ und als er vor dem väterlichen Schloß steht wünscht er sich: „Nur für eine Stunde müßte alles ungeschehen sein!“

 

Kohlhaas verspricht Herse, ihm soll Gerechtigkeit widerfahren; damit ist er gebunden. Ebenso ist es mit seiner Frau: „Kohlhaas will der Welt zeigen, daß seine Frau in keinem ungerechten Handel umgekommen ist!"

Aus ganz äußerem Anlaß hat sich die verhängnisvolle Handlung entwickelt. Kohlhaas wollte eigentlich schon abziehen, da kommt zunächst der Vogt in den Burghof, dann der Junker mit Gefolge. Ein Fehlschlag zieht den anderen nach sich: Da der Junker nicht in Erlabrunn ist, muß ihn Kohlhaas in Wittenberg suchen; doch mittlerweile ist der Junker in Leipzig. Noch eine Möglichkeit der Lösung bietet sich, als Kohlhaas die Mähren als seine Pferde erkannt hat. Doch da bricht der Aufstand in der Stadt los, entzündet an dem einfachen Umstand, daß der Knecht nicht die entehrten Pferde berühren darf. Das Volk steht schon zu sehr auf der Seite des Kohlhaas, der Aufstand rollt über ihn hinweg. Das Böse muß fortwährend Böses gebären.

Auch an anderer Stelle ist das so. Denn inzwischen führt Johann Nagelschmidt den Kampf gegen die Obrigkeit weiter. Was Kohlhaas noch zu vertreten können glaubte, wird nun aus ganz anderen Beweggründen weitergeführt. Kohlhaas erklärt sich zwar gegen diese Mordbrenner, Nun aber können die Junker darauf hinweisen, wohin eine Amnestie eines Verbrechers führt: Andere Leute meinen, auch straffrei ausgehen zu können. Die Junker haben wieder die Oberhand und leugnen plötzlich alle Schuld.

Auch die Stimmung bei einem Teil des Volkes wandelte sich: „Man fand das Verhältnis des Kohlhaas zum Staat ganz unerträgliche und in Privathäusern und auf öffentlichen Plätzen erhob sich die Meinung, daß es besser sei, ein offenes Unrecht an ihm zu verüben und die ganze Sache von neuem niederzuschlagen, als ihm Gerechtigkeit - durch Gewalttaten ertrotzt - in einer so nichtigen Sache zur bloßen Befriedung seines rasenden Starrsinns zukommen zu lassen.“

Die Amnestie wird also gebrochen und Kohlhaas fühlt sich nun auch nicht mehr daran gebunden. Der Schatten Nagelschmidts, der ein Symbol des Bösen ist, verläßt ihn nie mehr. Indem er den Brief an Nagelschmidt schreibt, hat er sein Schicksal besiegelt. Hier allerdings fühlt er auch schon, daß er keine Rettung mehr geben kann und er will aufgeben.

Auch der alte Moor meint, sein Sehn solle „...hingehen, wohin ihn seine Schandtaten führen“. Karl spürt zum ersten Mal den „Rachefinger der Nemesis“, als er von dem Mordanschlag Spiegelbergs hört; gerade der hatte die Bande gegründet und alles ins Rollen gebracht. Der vermeintliche Fluch des Vaters beginnt aber erst zu wirken, weil Karl nun seinerseits unter der Voraussetzung handelt, der Fluch sei wirklich.

Karl wird zum Räuber, bleibt aber ein „edler Räuber“ und handelt persönlich nach einigen Grundgesetzen der Menschen. Aber nicht alle Mitglieder der Bande tun das. Wie Kohlhaas in Nagelschmidt so findet Karl in Schufterle einen Vollender und Fortführer seiner Schandtaten. Karl muß ihn ausschließen, denn er will nicht als Sammelpunkt der Mordbrenner angesehen werden. Er hat ja etwas anderes vor als diese Männer. Er kann aber sein Vorhaben nicht allein ausführen und braucht sie als Werkzeuge. Dieser Zwiespalt muß ganz gesetzmäßig seine „edlen Absichten“ verdunkeln.

Auf der anderen Seite muß Karl aber auch als „guter“ Räuber den Roller rächen, auch wenn seine Schandtaten immer größer werden; dessen ist er sich genauso bewußt wie Kohlhaas, der sogar genau weiß, daß er mehr Unrecht begehen muß als die anderen. Moor hat jedoch, nachdem er Hauptmann geworden ist, mehr das Heil der Bande im Sinn, während seine eigentliche „Aufgaben“ sein Vorhaben, in den Hintergrund tritt. Bei Kohlhaas dagegen spielt dieses Motiv gar keine Rolle, er verteidigt nur sein Recht, erfüllt also sein ursprüngliches Vorhaben. Für beide gilt jedoch: Wer einmal die Macht ergriffen hat, der untersteht ihr, sie rollt über ihn hinweg und er kann sie nicht mehr beherrschen.

Michael Kohlhaas und Karl Moor wollten der göttlichen Gerechtigkeit zum Siege verhelfen. Sie werden aber beide von einem Geistlichen in die Schranken gewiesen, also jeweils von einem Mann, der den Willen Gottes eher verkünden kann als die selbstherrlichen Weltverbesserer. Während jedoch der Pater nur eine Marionette ist, die man nur geschickt hat, weil ein anderer Unterhändler vielleicht für sein Leben fürchten muß, steht Luther mit der ganzen Kraft einer Persönlichkeit hinter seinen Ausführungen: „Das Schwert, das du führst, ist das Schwert des Raubes und der Mordlust, ein Rebell bist du und kein Krieger des gerechten Gottes!“ Luther betont auch, daß Kohlhaas der Mißklang in der Harmonie seiner Umwelt ist. Kohlhaas selber denkt ganz anders darüber. Von ihm wird gesagt: „Seine eigene Brust war nunmehr in Ordnung", die Welt aber in Unordnung. Aber auch er muß einsehen, wie ein Karl Moor der der Mißklang in der Harmonie ist.

Michael Kohlhaas und Karl Moor sind so zu Ausgestoßenen geworden. Karl Moor sagt zu Kosinsky: „Du trittst hier gleichsam aus dem Kreise der Menschheit - entweder mußt du ein höherer Mensch sein oder du bist ein Teufel!“ Auch Kohlhaas stellte sich bewußt außerhalb der menschlichen Gesellschaft, „weil ich in einem zivilem Lande, in welchem man mich in meinen Rechten nicht schützen will, nicht bleiben mag. Lieber ein Hund sein, wenn ich von Füßen getreten werden soll, als ein Mensch!“ Er will nicht in dieser Welt leben. Das wird

für ihn aber erst zum Problem, als diese Welt plötzlich gegen ihn steht.

Karl Moor dagegen steht schon von vornherein gegen die Welt, die nicht seinen Vorstellungen entspricht. Kohlhaas weiß, daß er Unrecht tut, aber er gibt die Schuld seiner Umwelt: „Der Krieg, den ich mit der Geneinheit der Menschen führe, ist eine Missetat, sobald ich aus ihr nicht, wie Ihr mir die Versicherung gegeben habt, verstoßen war (denn sie hat den Junker beschützt). Verstoßen nenne ich den, den der Schutz der Gesetze versagt ist. Wer mir ihn versagt, der stößt mich zu den Wilden der Einöde hinaus, er gibt mir wie wollt Ihr es leugnen. die Keule, die mich selbstschützt, in die Hand!“ Er „verteidigt“ sich also nur, und greift nicht von sich aus an, um die Welt zu verbessern.

Bei Kohlhaas spielt das Räubermotiv keine Rolle. Es ist gleichgültig, ob er ein „edler Räuber“ ist oder nicht. Ihm geht es um die Gerechtigkeit, bestenfalls um die Ehre. In dem Schauspiel „Die Räuber“ nimmt jedoch die Schilderung des Räuberlebens einen breiten Raum ein. Es wird erwähnt, daß Karl das geraubte Fleisch zum halben Preis verkauft hat und vor dem Pater weist er selbst darauf hin, von wem er die gestohlenen Ringe geraubt hat.

Karl Mohr lehnt jedes staatliche Gesetz ab: „Mit diesem Wort war das Gesetz unter meine Füße gerollt: Räuber, Mörder!“ Von seinem Standpunkt aus hemmt das Gesetz nur: „Das Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre!“ Wenn du mir irgendeinen eingeäscherten Weltkreis allein ließest, den du aus deinen Augen verbannt hast, wo die einsame Nacht und die ewige Wüste meine Aussichten sind? Ich würde dann die schweigende Öde mit meinen Phantasien bevölkern und hätte die Ewigkeit zur Muße, das verworrene Bild des allgemeinen Elends zu zergliedern!“

Seltsam ist jedoch seine Äuße­rung: „Aus Deutschland soll eine Republik werden!“ Karl Moor hat also auch ganz nebenbei auch politische Ziele, er will die Staatsform ändern, und meint, damit können man das Wesen des Menschen verändern. Von Kohlhaas wird gesagt: „Doch sein Rechtsgefühl, das einer Geldwaage glich, wankte noch!“ Auch Karl meint ein Gefühl für den Aufbau einer vernünftigen Ordnung zu haben. Kohlhaas bleibt jedoch auf dem Boden der Wirklichkeit, er kennt die bestehenden Gesetze an und will die Wirklichkeit mit diesen Gesetzen wieder in Einklang bringen. Karl dagegen hat nur eine abstrakte Vorstellung von Recht und Ordnung.

Kohlhaas kehrte „...ohne irgend weiter ein bitteres Gefühl als das der allgemeinen Not der Welt zur Tronkenburg zurück.“ Hier ist er noch sehr friedlich gestimmt; und das von der allgemeinen Not der Welt kann schließlich jeder Mensch sehen, es merkt doch jeder, daß in der Welt nicht alles so ist, wie es sein sollte. Kohlhaas hat aber keinen Haß auf die Welt und will sie nicht ändern. Er wird auch durchaus positiv gesehen und hat nur in einer Tugend ausgeschweift. Bei ihm ist es nur ein Einzelpunkt, nicht der Gesamtmensch und seine gesamten Anschauungen. Er sieht nur diese eine Aufgabe, die aber am Grundsätzlichen rüttelt und von dort aus entwickelt sich alles.

Die Institutionen, die das Recht verkörpern, weisen Kohlhaas ab. Nun muß bei ihm der abstrakte Rechtsbegriff kommen. Er ist zunächst aber noch völlig überzeugt, daß die Bittschrift an den Landesherrn Erfolg haben muß. Als er aber in der Antwort als „unnützer Querulant“ bezeichnet wird, geht es ihm „ums Prinzip“. Er würde es jetzt sogar bedauern, wenn man ihm die Pferde zurückbrächte. Auch mit der Zerstörung der Burg ist noch nichts erreicht; deshalb will er auf keinen Fall die Pferde haben.

Trotz aller Fragen um das Grundsätzliche hat jedoch Kohlhaas etwas Konkretes vor sich: die Gesetze. Er will die Wirklichkeit wieder mit diesen Gesetzen in Einklang bringen. Auch Karl Moor will nur einen Urzustand wiederberstellen, die Gegenwart zu einem früheren Zustand zurückführen. Dieser Zustand hat aber für ihn keine festumrissenen Formen. Er hat sich „nur“ die eine gewaltige Aufgabe gestellt: Das Wesen des Menschen zu ändern.

Bei ihm ist diese allgemeine Aufgabe schon vorhanden, sie wird durch einen Einzelfall ausgelöst und entwickelt sich immer weiter hin zu einem Einzelfall und endet schließlich in der Rache für den Vater, also in einem Einzelschicksal. Kohlhaas dagegen geht von einem Einzelfall aus, der sich immer weiter ausweitet und schließlich über alle Grenzen wächst. Bei ihm kann dieser aufgeblähte Ballon nur wieder in sich zusammenfallen, indem man die Spannung sehr plötzlich löst: durch den Tod des Kohlhaas. Aber auch Karl Moor kann der Strafe nicht entgehen, denn seine Taten sind ja nicht ungeschehen, auch wenn sie eine Verengung erfahren haben.

Bei dem Prozeß gegen Kohlhaas geht auch die andere Seite stur nach den Gesetzen, die Gesetzesmaschinerie ist nicht mehr aufzuhalten. Man erfüllt aber auch die Forderungen des Kohlhaas Punkt um Punkt und nach dem Buchstaben des Textes. Dann aber fordert auch die Gegenseite strenge Gerechtigkeit. Und das erkennt Kohlhaas nun an, er sieht, daß seine Taten den Tod verlangen. Nun stimmt seine Goldwaage wieder.

Kohlhaas hatte eine hohe Vorstellung von der Gerechtigkeit, er hatte ein Gefühl für Gerechtigkeit. Dieses stimmt jedoch nicht mit der Wirklichkeit überein. Sein Vertrauen zu seiner Umwelt wird dadurch zerstört, wenn er auch mit seinem Gewissen im Reinen bleibt. An diesem Widerstreit hätte er aber zerbrechen können; doch er ringt sich zu der Erkenntnis durch, daß eine menschliche Ordnung notwendig ist. Die Rache aber gehört einem anderen. Herse macht es richtig: Er wirft den Schwefelfaden weg, mit dem er die Burg anstecken wollte, und sagt: „Mag die Burg Gottes Blitz einäschern, ich will's nicht!“

Auch Karl Moor muß im Traum erkennen: Es gibt nur eine Wahrheit. Diese allein hat das Recht der Rache, alle weniger sicher feststehenden Wahrheiten sind nicht absolut, um voll und ganz die Berechtigung für sich in Anspruch nehmen zu können, Rache üben zu dürfen. Karl Moor ist zwar der Kläger gegen die Gottheit, fühlt sich aber auch als das Racheschwert Gottes, denn er will ja auch das Gericht schon auf dieser Erde vollstrecken. Er wollte das Böse ausrotten. Der eigentliche Anlaß, aus dem er böse wurde, besteht aber in Wirklichkeit nicht. Es entsteht aber fast genau da in krassester Form wieder in Form des Unrechts an dem Vater.

Karl Moor ist nicht der Herr des Bösen, er ahnt schon sehr früh seine Grenze: „....wenn ihm aber das fehlschlägt, was ihn den Göttern gleich macht? Oder ist hier die Mark seiner Bestimmung?“ Er kann vor allen Dingen bei seinen Taten nicht das Gute verschonen: „Wie beugt mich diese Tat! Sie hat meine schönsten Werke vergiftet!“ Er war ein Mann, der „...Pygmäen niederwarf, da er Titanen zerschmettern wollte!“ Er muß einsehen wie Kohlhaas: Der Mensch kann nicht das Urteil der ewigen Gerechtigkeit vollstrecken, ja er kann es noch nicht einmal hemmen, denn er ist ja Mensch. Das sagen die letzten Worte: „Oh über mich Narren, der ich wähnte, die Welt durch Greuel zu verschönern und die Gesetze durch Gesetzlosigkeit aufrecht zu halten! Ich nannte es Rache und Recht - da steh ich am Rande eines entsetzlichen Lebens und erfahre nun mit Zähneklappern und Heulen, daß zwei Menschen

wie ich den ganzen Bau der sittlichen Welt zugrunde richten würde. Gnade dem Knaben, der dir vorgreifen wollte, dein eigen allein ist die Rache. Du bedarfst nicht des Menschen Hand. Die Ordnung bedarf eines Opfers. Ich selbst muß für diese Ordnung des Todes sterben. Nicht

durch Selbstmord. Meint ihr wohl gar, eine Todsünde werde das Äquivalent gegen Todsünden sein? Meint ihr, die Harmonie der Welt werde durch diesen gottlosen Mißlaut gewinnen? Er soll nicht lebendig heben. Ich geh, mich selbst in die Hände der Justiz zu überliefern!“ Zum ersten Mal gebraucht er dieses Wort im Sinne von: „Gerechtigkeit, ausgeübt durch die irdische Autorität“. Er hat zu den Gesetzen zurückgefunden. Karl Moor stirbt mit dem Willen nach Gerechtigkeit.

Beide Männer wollten Großes schaffen. Einem Karl Mohr war von vornherein nicht mehr zu helfen, er konnte nur durch die Erfahrung belehrt werden. Kohlhaas steigerte sich erst in diese Haltung. Es ist jedoch zu überlegen, ob er nicht besser getan hätte, wenn er auf die wörtliche Erfüllung seiner etwas zu hohen Forderungen verzichtet hätte. Gewiß, er konnte dem Buch­staben nach so fordern. Aber der Mensch ist nicht Buchstabe, weder ein Kohlhaas noch die Gegenseite. Gerechtigkeit ist ein hohes Gut, aber sie ist nicht immer voll und ganz zu verwirklichen!

In der Theorie kann man vollständige Erfüllung verlangen. Das Zusammenleben der Menschen wird aber oft unnötig erschwert, wenn man das auch in der Praxis verlangt. Man verstehe nicht falsch: Es ist keineswegs zu befürworteten, daß man die Gerechtigkeit übergehen darf. Aber auf Kleinigkeiten hätte auch ein Kohlhaas verzichten können. Die Pferde wollte man ihm ja wieder zurückgeben. Wenn sie auch nicht in dem alten Zustand waren, so hätte er sie doch nehmen sollen, um durch dieses Beispiel die Gegenseite, die vielleicht nur absichtlich Streit suchte, zu beschämen. Das wäre jedenfalls ein größeres Menschentum als Mordbrennerei.

Noch einige bemerkenswerte Äußerungen:

Ein Räuber: „Ich kenne den Hauptmann. Wenn er dem Teufel sein Wort drauf gegeben hätte, in die Hölle zu fahren, würde nie beten, wenn er mit einem halben Vaterunser selig werden könnte!“

Karl Moor: „...denn über uns waltet ein unbeugsames Fatum!“ (zu Kosiesky): „Wieviel hast du schon getan, wobei du an Verantwortung gedacht hast?“

 

 

Richard III .

Dieser König ist mißgestaltet und entstellt. Deshalb haben alle gegen ihn reagiert. Sie konnten aber gar nicht anders reagieren, denn ein mißgestalteter König ist eine Unmöglichkeit im Heilskönigtum. Es gibt nämlich nach alter Auffassung eine zweifache Schöpfung. Der Teufel mischt also an der guten Schöpfung mit und es entsteht so ein mißgestalteter König. Wenn man dies aber gewähren läßt, dann bricht das Böse, das Chaos, ein. Man muß also das Werk des Bösen ausrotten im Namen des guten Prinzips. Seine Zeitgenossen konnten diesen Richard III. gar nicht lieben, denn er war nicht voll und ganz Gottes Schöpfung.

Der König konnte jedoch nicht damit fertigwerden, er will sich rächen: „...bin ich gewillt, ein Bösewicht zu werden“ Er kann das aber nur sagen, weil er schon vorher böse war. Er drückt diese Haltung allerdings nun erst offen aus und sucht nach Gründen, um sein Bösesein zu untermauern.

Diese Ansichten über das Heilskönigtum sind uns ein völlig fremdes Denken: Für uns ist der Teufel erledigt, wir können schon eher an eine gute Schöpfung glauben. Man darf also nicht mit unserem modernen Verständnis an dieses Drama herangehen. Der Dichter hat aber hierin schon Reformation und Humanismus verarbeitet, wo diese Anschauung umgestoßen wird. Dadurch aber tritt ein Zwiespalt auf zwischen alter und neuer Ansicht, nun erst wird es problematisch und nun erst kann ein Dichter wie Shakespeare eine Tragödie schreiben.

Richard will nicht einsehen, daß er überhaupt im Sinne von Heilskönig nicht König sein kann

Er ist aber auch nicht ein moderner Mensch, denn dann würde er darüber lachen und sich nichts aus der Meinung seiner Mitmenschen machen. Er aber tut das Böse.

Richard sagt nicht: „…und ich beschloß, Politiker zu werden!“ wie etwa Hitler, der auch Minderwertigkeitskomplexe hatte! Richard begeht „zum Zeitvertreib“ böse Werke, so wie andere sich dem Krieg oder der Liebe widmen. Als einer, der die Macht hat, hätte er doch diese Macht zum Guten anwenden können. Aber er will bewußt Bösewicht werden.

Um seinen Entschluß zu verwirklichen, bedient er sich erstens der Heuchelei, setzt aber auch im entscheidenden Augen blick immer sein ganzes Leben ein. Auf diese Weise erhält er eine ungeheure Macht sogar über seine schärfste Feindin, Anna, die er so auf seine Seite zieht. Er setzt „Alles gegen nichts!“ähnlich wie Hitler, der mit seinem sprunghaften Wesen die ganze Welt in Atem hielt, weil niemand wußte: Wie geht es weiter, was macht er jetzt? Und so stellten sich seine anfänglichen Erfolge ein, bis er dann dieses Prinzip zu stark übertrieb.

Bei Richard III muß man jedoch auch beachten: Es gibt Zeiten, in denen die Bosheit schon im Verborgenen schwelt und schließlich als Pestbeute in einer Person sich zeigt. Diese Person war hier Richard II. Er wurde zur Aufgabe für das Volk, und indem das Volk ihn überwindet, kommt es zu einer Erneuerung (Einen Hitler haben andere überwunden, er schwelt heute noch in unserem Volk).

 

 

 

 

 

 


 

 

 

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