Taufe

 

„Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder!“ (Röm 3,14)

Wir werden von manchen Dingen getrieben in unserem Leben. Da sind unsere Pflichten und Aufgaben, Beruf, Familie und Gesellschaft fordern alles von uns. Die Zeit vergeht so schnell, jeden Tag ist etwas anderes. Wir werden getrieben und gehetzt von einem zum anderen.

Auch so ein kleines Kind wird schon getrieben. Es hat Hunger, es will sauber gemacht werden und gepflegt werden. Es stellt seine Anspräche an die Eltern und möchte deren Liebe und Zuwendung spüren. Auch so ein Kind kennt schon Leid und Schmerz und wird getrieben von den Notwendigkeiten des Lebens.

Und nun spricht Paulus davon, daß auch der Geist Gottes einen Menschen treibt. Was ist denn das eigentlich der „Geist Gottes“? Man kann das vielleicht an ehesten zeigen am Leben des Paulus selbst: Der wurde auch erst umgetrieben vom Haß auf Christus und die Christen, er war einer der schlimmsten Verfolger der Gemeinde und sah darin sein Lebenswerk.

Aber dann hat Christus ihn in der Stunde vor Damaskus umgedreht und in die andere Richtung getrieben. Nun eilte er durch die ganze Welt, um Menschen für Christus zu gewinnen. Jetzt hatte er seine wahre Lebensaufgabe gefunden. Die Kraft Gottes, der Geist Gottes, hatte ihn dazu getrieben.

Wir heute leben ja in einer vorwiegend christlichen Umwelt, trotz allem. Wir erleben nur noch selten so eine Bekehrung wie die des Paulus. Bei uns werden schon die kleinen Kinder getauft und werden so vom Anfang ihres Lebens an vom Geist Gottes bestimmt.

Damit sie aber auch wirklich in die Gemeinde hineinwachsen, haben die Eltern und die Paten die Aufgabe, dem Kind von seiner Taufe zu erzählen und ihm die Bedeutung der Taufe zu erklären. Paulus sagt: Wer getauft ist und sich vom Geist Gottes bestimmen läßt, der ist ein Kind Gottes. Er wird nicht gehetzt von Gott, sondern darf sich zuversichtlich in seinen Schutz begeben. Wer zum Kind Gottes geworden ist, der läßt sich von nichts anderem in der Welt mehr treiben als von Gott.

Kinder hören ja zunächst einmal auch nur auf ihre Eltern. Deshalb wird auch ein rechtes Gotteskind nur auf seinen himmlischen Vater hören und ihm gehorchen. Die Eltern haben ihm gehorcht, indem sie das Kind hierher zur Taufe gebracht haben. Nun soll auch ihr Kind zu einem Kind Gottes werden in der Taufe. Gott nimmt das Kind damit nicht weg. Er sagt nur: „Es darf jetzt auch mein Kind sein!“

Auf diese Zusage darf dieses Kind ganz fest vertrauen, sein Leben lang. Gott will es beschützen und will ihm Kraft und Hilfe schicken in allen Nöten und Gefahren. Es kommt nur darauf an, ob sich dieses Kind auch vom Geist Gottes treiben lassen w i 1 1.

 

„Freuet euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind!“ (Lk 10,2b)

Es ist immer eine schöne Sache, wenn ein Kind geboren wird und es wird dann hier zur Taufe gebracht. Wir wissen ja: Kinder sind ein Geschenk Gottes! Und deshalb haben wir auch allen Grund, Gott dafür zu danken und sie in der Taufe ihm wieder gewissermaßen zurückzugeben.

Es gibt bei uns ja auch den Brauch der Namensgebung. Ich frage mich aber immer, was denn der Sinn dieser Handlung sein soll. Den Namen erhält das Kind doch am Tage der Geburt von seinen Eltern. Dann geht der Vater zum Standesamt und meldet stolz die Geburt seines Sohnes und sagt: „…. „soll er heißen!“ Das ist ein ganz selbstverständlicher Akt, den man nicht noch einmal später zu feiern braucht, am Ende erst nach ein oder zwei Jahren.

Natürlich ist der Name schon etwas Wichtiges. Er unterscheidet uns ja von allen anderen Menschen und sagt uns immer: Dieser eine bestimmte Mensch ist gemeint, unverwechselbar und unveränderlich. Der Name ist schon etwas kostbares, es ist nicht gleichgültig, ob wir einen guten Namen haben oder ob unser Name im Dorf verachtet ist.

Doch bei der Taufe geht es nicht mehr um die Namensgebung. Die Taufe ist die Aufnahme in die christliche Gemeinde, in den Bereich, wo der Name des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes angerufen wird. Es geht nicht um Geld und Geschenke. Aber bei der Taufe wird uns die Verheißung Gottes mitgegeben. Die Namensgebung ist nur ein einmaliger Akt und nachher ist gar nichts mehr - es ist überhaupt nichts anders geworden mit dem Kind. Mit der

Taufe aber soll es erst richtig losgehen.

Gott hat Ihnen, den Eltern, dieses Kind geschenkt. Und nun will er es auch zu  s e i n e m Kind machen. Deshalb wird ja auch nach dem Namen gefragt, damit jeder weiß: dieses eine bestimmte Kind ist gemeint, mit dem Gott nun etwas vorhat. Deshalb ja auch das Zeichen des Wassers, damit das Kind es merkt und die Umstehenden es sehen: „Du bist gemeint, dieses bestimmte Kind!“ An diesem Kind hat Gott gehandelt und an ihm will er weiter handeln.

Natürlich ist damit nicht gemeint, daß ein getauftes Kind nun besser gedeiht und schneller wächst als die anderen. Es kann natürlich einmal sein, daß da ein Zusammenhang zu bestehen scheint.

In Schleswig-Holstein fragte einmal ein Pfarrer einen reichen und stolzen Bauern: „Wie geht es Ihren Kindern?“ - „Danke, gut!“ war die Antwort, „die sind ja auch nicht getauft!“ Und kurz darauf bildet sich bei dem ältesten Kind ein Wasserkopf und es verblödet. Der Vater hat bald darauf Geburtstag. Er äußert nur einen Wunsch: „Holt den Pfarrer, die Kinder sollen getauft werden!“ Ja, so kann es sein, aber es muß nicht so sein.

Aber wir wissen ja auch, daß dieses Kind einmal ungehorsam sein wird: nicht nur gegenüber den Eltern, sondern vor allem gegenüber Gott. Die Bibel nennt das dann „Sünde“. Sie meint nicht, daß die Sünde schon von den Eltern auf das Kind weitervererbt wird; aber wir wissen

ja auch, daß jeder Mensch immer wieder einmal gegen den erklärten Willen Gottes verstößt und sich damit von Gott entfernt.

Hier will ihm die Taufe nun eine Hilfe sein, damit er immer wissen kann: Gott hat dich lieb, er läßt dich nicht im Stich, du kannst immer wieder zu ihm zurückkehren. Diese Gabe der Taufe kann keinem Menschen mehr genommen werden.

Deshalb ist es so wichtig, daß die Eltern und Paten dem Kind immer wieder von seiner Taufe erzählen und ihm vormachen, wie man als Christ lebt. Es ist selbstverständlich, daß  Eltern, die ihr Kind zur Taufe gebracht haben, dieses dann auch zum kirchlichen Unterricht und zum Kindergottesdienst schicken. Aber zuallererst haben sie selbst die Aufgabe, das Kind ganz allmählich, aber ganz von selbst, in die Gemeinde hineinwachsen zu lassen.

Mit der Taufe ist dazu erst der Grundstein gelegt. Gott hat als erster an diesem Kind gehandelt und ihm die Verheißung gegeben: „Dein Name ist im Himmel aufgeschrieben!“ nicht nur im Kirchenbuch. Du gehörst schon zu Gott, auch wenn du in dieser Welt lebst. Du hast nicht nur von den Eltern einen Namen erhalten, sondern Gott hat dir den Namen „Christ“ gegeben, du gehörst von jetzt an zu seiner Gemeinde.

Auf diese Zusage kann sich jeder von uns verlassen, auch wenn die Stürme des Lebens kommen und es manchmal schlecht um uns zu stehen scheint. Gott verläßt uns nicht. „Freuet euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind!“

 

„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“

(Joh 16, 33)

Es gibt ja Menschen, die überlegen sich ernsthaft, ob sie es verantworten können, Kinder zur Welt zu bringen. Sie meinen, es sei gar nicht mehr so angenehm, in dieser Welt zu leben, so wie sie ist. Vielleicht gibt es wieder Krieg. Oder schreckliche Krankheiten. Oder Enttäu­schungen.

Denken wir einmal an das, was den Kindern heute in der Schule zugemutet wird und an das, was täglich auf sie einstürmt. Wie oft müssen Kinder leiden und werden nicht verstanden. In der Welt der Erwachsenen kommen sie immer zu kurz. Da braucht man sich nicht zu wundern, wenn Eltern sich fragen: „Ist es unter dieser Umständen nicht besser, überhaupt keine Kinder zu haben?“

Ibn der Bibelvers heißt es deshalb auch: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ Die Bibel weiß aber auch, da die Angst nicht allein in der Welt ihre Ursache hat, sondern auch im Herzen der Menschen. In jedem Menschen steckt das Böse schon drin. Jeder Mensch handelt einmal gegen den  Willen Gottes und ist deshalb ein Sünder. Es  gibt so vieles, was uns das Leben mit anderen Menschen und die Gemeinschaft mit Gott so schwer macht.

Auch ihr Kind wird es nicht leicht haben im Leben. Sie werden es lange Jahre versorgen und behüten müssen und nachher auch noch in vielen Dingen begleiten und beraten. Aber eins wird es immer wissen dürfen: Es darf immer des Beistands Gottes gewiß sein. Die Taufe und der Taufspruch sollen uns und diesem Kind das ganz fest versichern. Was auch im Leben kommen mag, welche Menschen und Kräfte auch an uns herumziehen und uns von Gott abbringen wollen: Gott läßt nicht von uns!

Durch die Taufe wird auch dieses Kind aus dem Machtbereich weltlicher Herrscher und Mächte herausgenommen. Es wird hineingenommen in die Gemeinde Gottes, wo es unter dem besonderen Schutz Gottes steht und Stärkung durch die Gemeinschaft mit anderen Christen finden kann. Es lebt nun in einem Kraftfeld, in dem nur noch der Name Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes gilt und angerufen wird.

Äußerlich gesehen wird dadurch allerdings nichts leichter in der Welt. Im Gegenteil: Wer den Namen Gottes anruft, kommt eher noch in besondere Bedrängnis, weil der Name Gottes heute von vielen Seiten angefeindet wird.

Aber er darf doch von Jesus hören: „Ich habe die Welt überwunden!“ Die Taufe ist zwar keine Lebensversicherung, aber sie gibt uns die Gewißheit: Jesus ist der Herr auch dieses Kindes. Er wird es führen und leitet durch alle gefährlichen Zonen dieser Welt hindurch. Und er wird am Ende der Sieger bleiben über alle Gefahren dieser Welt!

 

„Laßt die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen ist das Reich Gottes!“                                                                                                          (Mk 10,13-14)

Wenn wir das Kruzifix sehen, die Darstellung des gekreuzigten Jesus auf unserem Altar, dann wissen zwar die Erwachsenen Bescheid, aber die Kinder wissen oft nichts damit anzufangen. Ein Kind war einmal mit seinem Vater in der Kirche. Vor dem Altar fragte es: „Vater, was macht denn der Mann da?“ Der Vater wußte zunächst auch nicht gleich, was er antworten sollte, wie er es seinem Kind erklären sollte. Aber da sprach das Kind von sich aus schon weiter: „Ach, ich weiß es. Der macht:  Komm in meine Arme!"

Besser könnte man es kaum ausdrücken. So haben Vater und Mutter es oft mit ihm gemacht. Es wußte: Bei den Eltern ist man sicher! Wenn sie dich in die Arme nehmen, dann kann dir niemand mehr etwas anhaben wollen.  So wie Eltern es mit ihrem Kind machen, so macht es aber auch Jesus mit allen, die zu ihm gehören. Er sagt: „Laßt sie zu mir kommen!“ Vor allem sagt er das über die Kinder.

Man muß nun wissen, daß die Kinder und übrigens auch die Frauen zur Zeit Jesu nicht für voll genommen wurden. Es ging ihnen so, wie man es heute immer noch manchmal im Laden beobachten kann: Die Kinder werden beiseite gedrängelt und die Erwachsenen sagen auch

noch: „Die Kinder haben ja Zeit!“ Zur Zeit Jesu wurden sie erst gar nicht beachtet.

Jesus aber hat sich um sie gekümmert. Kein Mensch ist ihm zu gering, als daß er sich nicht mit ihm befaßt hätte. Selbst als er nach einem langen Tag schon ziemlich abgekämpft ist, sagt er noch: „Laßt die Kinder zu mir kommen!“ Seine Jünger wollten ihn davon verschonen und ihm endlich Ruhe verschaffen. Aber ihm ist es nicht zuviel, jetzt auch noch die Kinder zu segnen.

Er sagt: „Die Kinder begreifen noch am besten, wie es mit dem Reich Gottes ist. Sie vertrauen allein auf Gott. Und wer das tut, der darf auch zu ihm kommen. Und wer nicht ebenso wie ein Kind von Gott alles erwartet, der kann nicht zu ihm kommen!“

Das gilt auch heute noch genauso. Zur Taufe können selbst kleine Säuglinge gebracht werden, die doch noch nichts davon verstehen. Aber es geht doch gar nicht darum, daß wir das verstehen, sondern daß Jesus gesagt hat: „Laßt die Kinder zu mir kommen!“ Er will sie bei sich ha­ben und will sie segnen. Sie können ihm nichts bieten, aber er nimmt sie aus freien Stücken in die Familie Gottes mit hinein.

Auch nachher dürfen und sollen die Kinder zu Jesus kommen. Sie dürfen zu ihm beten und sie dürfen zum Kindergottesdienst kommen. Niemand darf das verwehren. Die Eltern und Paten helfen mit, daß das Kind überhaupt etwas von Jesus erfährt und dann später immer wieder zu ihm hinfinden kann.

Es ist nicht schön, wenn etwa die Eltern fast jeden Sonntag sagen: „Wir haben heute etwas anderes vor!“ Ein getaufter Christ gehört nun einmal in den Gottesdienst oder zumindest irgendwie in die Verbindung mit Gott. Manchmal sagen auch andere Leute, zum Beispiel Kinder in der Schule: „Man geht doch nicht in den Religionsunterricht!“ und von denen, die hingehen, kann man manchmal auch hören: „Ich habe heute mal keine Lust!“

.Aber Jesus sagt: „Laßt die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen ist das Reich Gottes!“ Jesus ist nie zu müde und hat immer Zeit für uns. Er breitet seine Arme aus und lädt uns ein. Die Kinder verstehen das vielleicht noch am leichtesten. Sie sehnen sich nicht nur nach den offenen Armen der Eltern, sondern auch zu Jesus. Weil sie aber bei Jesus sein möchten, sagt er über sie: „Sie gehören jetzt schon zu Gott!“ Damit wir daran fest glauben können, werden wir in der Taufe äußerlich sichtbar in die Gemeinde Gottes aufgenommen.

 

Ab jetzt werden die Ansprachen nur noch in Stichworten wiedergegeben

 

Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein! (1. Mose 12,2)

Der erste Teil der Taufe geschieht durch Gott: Er verspricht seinen Segen, aber nicht magisch oder automatisch. Aber freiwillige Zusage Gottes, mit beim Leben dieses Menschen dabei zu sein. Das muß sich nicht äußerlich zeigen: Gesundheit, Wohlstand, Lernfähigkeit, Glück im Leben. Aber bei allen Gefahren und Schwächen ist er mit dabei, ein Tröster und Helfer. Aber Gott ist auch in den glücklichen Stunden neben uns. Dank nicht vergessen! Der zweite Teil ist dann unsere Sache, nicht um zu ergänzen, sondern um Folgerungen zu ziehen: Getaufte sollen anderen zum Segen werden, sollen ihnen helfen und sie trösten, deshalb sind wir getauft.

 

Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen! (Jes 12,3)

Zur Taufe wird Wasser verwandt. Wasser ist Lebensmittel, Reinigungsmittel, Heilmittel (also Taufe). Wozu Taufe, man kann doch auch so leben als Mensch? Aber  nicht als Christ.

Mit Freuden zu Gott gehören: Gibt Schutz, zeigt Sinn des Lebens, erhält unser Leben.

Taufe ist freudiges Ereignis: Dank an Gott. Weiterhin Kraft holen aus der Taufe, so wie man Wasser schöpft zur Erquickung. Es kommen auch schwere Tage (Krankheit), dafür braucht man eine Stärkung.

 

Weiset meine Kinder und das Werk meiner Hände zu mir! (Jes 45,11)

Wieso „meine Kinder“? Sie sind doch „Werk“ der Eltern! Kinder sind Geschenk, nicht jedem ist es vergönnt. Eltern sind nur Treuhänder, Gott verantwortlich, auch für den Glauben. Erster Schritt. Taufe, Kinder zurückbringen zu Gott und in Gottes Hand legen, damit er beschützt. Ganze Schöpfung ist Gottes Werk, besonders aber ein Kind. Wie ist es wunderbar gemacht - gerade dieses Kind! Eltern haben die Aufgabe, es in der Gemeinschaft Gottes zu halten. Er möchte es, wir auch? So wie irdische Eltern ihr Kind fördern und beschützen.

 

 

Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen! (Jes 54,10)

Es ist Gnade, wenn man ein Kind haben darf und es groß ziehen kann. Taufe ist Verheißung, egal was kommt: Einwirkungen von außen, Ungehorsam von unserer Seite, auch Zweifel. Wir wissen, daß Berge nicht weichen. Genauso fest auf Gottes Gnade vertrauen. Höchstens am Ende der Tage weichen die Berge (so weit geht er Blick). Aber auch dann bleibt der Taufbund erhalten. Heute nur ein kleiner Anfang. Aber großes herrliches Ende. Wir haben es nicht verdient. Aber Gott ist so.

 

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein! (Jes 43,1)

Vor vielen Dingen kann man sich fürchten. Was wir dem Kind alles zustoßen? Gott sagt: Ich befreie dich von vornherein von diesen Mächten, schütze dich vor Gefahren. Gott ruft jeden Menschen mit Namen. Name ist wichtig, macht unverwechselbar. Wenn ein Kind verloren geh und weiß seinen Namen, kann es wieder nach Hause gebracht werden. Wir können nicht verlorengehen, weil wir Gottes Kinder sind. Bei der Taufe wird das Eigentumszeichen aufgeprägt: Bekenntnis gegenüber anderen, aber auch Schutzzeichen (Wie ein Ehering. Hier hat niemand anderes etwa zu suchen).

 

Der Herr ist bei mir wie ein starker Held! (Jer 20,11)

Wir möchten, daß dieses Kind ein starker Held wird: Stärke, Ellbogen, Durchsetzungsvermögen, Sportler, tüchtiger Arbeiter. Wir brauchen Menschen, zu denen wir aufschauen (nur so Ziel, Ansporn, Vorbild). Warum nicht auch zu Gott aufschauen? Er ist der wahre Held. So wie ein Kind zu seinem Vater aufschaut, so soll es auch lernen, zu Gott aufzuschauen. Gott schafft uns Bahn für unser Leben, verteidigt uns, ist unser Vorbild. Wenn wir uns zu ihm halten, werden wir selber ein Held, gutes Vorbild, einer der anderen helfen kann. Das macht auch stark gegen die innere Gefahr, die zum Beispiel vom Glauben abbringen will (Zweifel, Verzagtheit). Wenn Gott bei uns, bleibt Glaube erhalten und wird gestärkt.

 

Ich will einen ewigen Bund mit ihnen machen, daß ich nicht will ablassen, ihnen Gutes zu tun! (Jer 32,40)

Wir kennen den Begriff „Bund“: Staatenbund, Ehebund, Freundschaftsbund - nun auch Taufbund. Allerdings kein Vertrag zwischen gleichberechtigten Partnern, sondern Gott gewährt den Bund; wir können nichts bieten (Kind ist unscheinbar). Aber ewiger Bund, der von seiner Seite aus nicht gebrochen wird. Wenn wir auch ausbrechen, tut er doch Gutes, damit wir wieder zurückfinden. Immer wieder ist das Gute zu spüren: a.) Nahrung, Kleidung, Wohnung, b.) Gesundheit, Glück, Freunde, Liebe, c.) Glaube, Jesus Christus, Gott.  Das wird in der Taufe versprochen, wir sollen dankbar sein und uns dessen als würdig erweisen.

 

 

Herr, frühe wollest du meine Stimme hören; frühe will ich mich zu dir schicken und aufmerken!“ (Ps 5,4)

Kindertaufe ist heute umstritten, selbst Pfarrer lassen ihre Kinder nicht taufen, weil sie noch nichts verstehen. Doch Taufe ist Geschenk Gottes, unabhängig vom Empfänger (vgl. Patengeschenke). Taufe ist das größte Geschenk („Gott gelobt sich uns an“). Nicht nur Eltern hören in der Frühe das Geschrei des Kindes, auch Gott hört auf die Stimme so eines kleinen Menschen, er hört unser Flehen und Klagen. Aber auch: Wir sollen uns früh zu ihm aufmachen und auf sein Wort hören. Der Psalm ist ein Morgenpsalm: Soll jeden Morgen an die Taufe erinnern, an Verheißung und Auftrag.

Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen!“ (Ps 8,2)

Mißverständnis der Taufe als Namensgebung. Es geht um den Namen Gottes (!), der mit unserem Namen verbunden wird. Sein Name ist herrlich, bei uns und in der ganzen Welt. Taufe hilft zur Ausbreitung des Namens. Wenn Name bekannt, dann auch Person und Sache gegenwärtig. Gott will Herrscher sein über die Welt und die Menschen, auch über dieses Kind. Der große Gott beugt sich herab. Wir sind dankbar, daß wir zu ihm gehören. Aber auch Aufgabe: Kind soll den Namen Gottes erfahren.

 

Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott! (Ps 8,5-6)

Ein Kind stellt nichts dar. Im Leben der Erwachsenen ist es nicht geachtet. Der „Materialwert“ des Menschen ist gering.  Dennoch ist er sehr viel mehr: Für Eltern ist das Kind mehr als eine Ansammlung von Molekülen. So ist es auch der Mensch vor Gott. In der Taufe wird er ein Kind Gottes, um das er sich kümmern will. Er ist Stellvertreter Gottes und kommt gleich nach ihm, aber er ist nicht selber Gott. Wir sind eingeordnet, das sollten wir erkennen: Ehrung und Verpflichtung. Möge dies Kind in diesem Sinne aufwachsen.

 

Meine Augen sehen stets zu dem Herrn, denn er wird meinen Fuß aus dem Netz ziehen (Ps 25,15)

Augen wichtig für Menschen: Lernt Welt kennen. Freude der Eltern, wenn das Kind bewußt zu blicken beginnt. Auch auf Gott sehen! Intensiv suchen. Er sieht auf uns, deshalb Taufe. Wir auf ihn sehen. „Stets“: Wir sehen auch auf Anderes, Verlockendes. Fuß im Netz gefangen: Sünde wird kommen, Weltanschauungen nach dem Kind greifen. Da hilft der Blick auf Gott und Gemeinschaft der Kirche. Aufgabe der Eltern und Paten: Großartiges Angebot. Hilft aus Gefahren, wenn wir uns helfen lassen wollen.

 

Wie köstlich ist deine Güte Gott, daß Menschenkinder unter dem Schatten deiner Flügel Zuflucht haben! (Ps 36,8)

Geburt Zeichen der Güte Gottes: gesund, fröhlich, Fortschritte. Nicht selbstverständlich. Hat Beter  des Psalms erfahren: Allerhand Anfeindungen erfahren. Auch diesem Kind wird es nicht anders ergehen. Aber unter die Fittiche wie Vogel seine Jungen, wie Eltern ihre Kinder. Wenn die nicht helfen können, dann bei Gott Geborgenheit und Zuflucht. Kirche (und Taufe) wie Burg (Kirchenburg). Dorthin flüchten, wenn es ganz schlimm kommt im Leben. Taufe Versprechen Gottes, Eigentumszeichen. Unter diesem Schutz kann Glaube wachsen.

 

Bei dir ist die Quelle des Lebens, und in deinem Licht sehen wir das Licht! (Ps 36,10)

Zwei Ding brauchen wir zum Leben: Wasser und Licht. Gott gibt sie uns. Bei der Taufe: Taufwasser und Wort (= Quelle und Licht). Hilft uns zum Leben, kann uns aber auch ge­fährlich werden: Wasserflut und Sonne bedrohen uns. Taufe ist das Absterben des alten Menschen, aber vor allem: ein neues Leben in Gott. Erst im Licht Gottes sehen wir alles richtig. Die Taufe will uns dazu eine Hilfe sein.

 

Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben! (Ps 46,2)

Große Nöte haben uns getroffen und werden uns treffen. Aber im Augenblick haben wir Freude. Was hilft da - wer hilft in Not? Eltern können Kind nicht bewahren. Wer ist heute stark?  Auf wen können wir uns verlassen? Wer ist ein Helfer. Vergleich mit einer Burg: Zufluchtsstätte. Taufe ist Schutzherrschaft. Heute keine Sicherheit durch Bunker, Versicherung, usw. Gott allein hat Leben in der Hand (nicht automatisch-magisch oder leichtsinnig sein). Leben getragen vom Vertrauen auf Gott. Leichter, sicherer, zuversichtlicher durchs Leben.

 

Gott der Herr ist Sonne und Schild, der Herr gibt Gnade und Ehre; er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen! (Ps 84,12)

Sonne gibt Wärme und Leben. Schild schützt vor Pfeilen. Wir brauchen diesen Gott und vertrauen ihm die Kinder an in der Taufe. Wir suchen Ehre. Gnade ist etwas anderes. Was ist das „Gute“? Nur für die Frommen (= Glaubenden)? Wie eine kleine Pflanze die Sonne braucht, so auch ein Kind die Liebe der Eltern, aber auch die Hilfe Gottes, damit der Glaube wächst. Dazu hilft die Taufe.

 

Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser Leben lang!“ (Ps 90,14)

Schon kleines Kind darf Gnade Gottes spüren: Taufe! Säuglingstaufe hat Sinn. Kinderevangelium. Bei der Taufe auch andere Geschenke. Doch Hauptgeschenk: Gnade Gottes. Brauchen wir. „Frühe“ bedeutet auch: alle Morgen neu, das ist notwendig. Psalm gibt auch Ausblick auf das Ende („siebzig Jahre“). Lebenslang darauf angewiesen: Spannungsbogen. Was jetzt geschieht hat dauernde Bedeutung. Deshalb kann man auch fröhlich sein und Gott rühmen (Verpflichtung des Christen). Christen sind fröhlich und dankbar, weil sie zu Gott gehören.

 

Er hat seinen Engeln befohlen über dir, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen, daß sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest!

(Ps 91, 11-12)

„Kinder haben Schutzengel“, wenn sie in großer Gefahr sind (Bild: Kinder gehen über Steg, Schutzengel dahinter). Aber  nicht Geistwesen schützt, sondern Gott selber. Taufe aber keine Lebensversicherung, aber Schutz, so wie etwa die Ritter auf einer Burg das Dorf beschützten. Gott geht mit auf den Wegen dieses Kindes. Vielleicht schwierige und verschlungene Wege mit gefährlichen Steinen. Aber Gottes Hände führen daran vorbei: Verheißung der Taufe.

 

Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder! (Ps 98,1)

Wir singen, wenn wir uns freuen, oftmals ohne daß wir es uns erklären können. Grund wäre: Dankbarkeit für Gottes Wunder, zum Beispiel Geburt-Taufe-Geleit durchs Leben. Mehr als alle Wunder dieser  Welt, denn es hilft, mit der Welt fertig zu werden. Taufe läßt sich nicht kaufen, aber ist größere Hilfe als alle Güter dieser Welt, die unser Leben nicht sichern. Davon dem Kind später erzählen (Eltern, Paten). Im Grunde altes Lied und gleiches Wunder, muß aber in unserer Zeit neu gesagt werden.

 

 

Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen; lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat! (Ps 103,1-2)

Wir haben Grund, Gott zu loben: Verheiratet, Kind - gesund, macht Fortschritte. Nicht unser Verdienst, können gar nichts dazu tun, ein Wunder. Kind macht Mühe, will Liebe empfangen, nehmen wir gern in Kauf. Taufe ist die nächste Tat Gottes, für die wir ihn loben: Aufnahme in die Gemeinde, Schutz vor Bösem, ewige Gemeinschaft. Dieses Gute nie vergessen. Aufgabe der Eltern und Paten. Kind soll später einmal in das Lob einstimmen und begreifen, wofür es dankbar sein kann.

 

Ich will dem Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin!

(Ps 104,33)

Wenn man singt: Ausdruck der Freude und der Dankbarkeit. Wofür danken? Kind, Gesundheit, Bildung, Wohlstand, Leben. Auch Taufe? Bringt in Verbindung mit Gott. Ist das Grund zum Singen? Eher Nachteile: Schwierigkeiten bei Menschen oder bei Gott? Taufe eine Hilfe zum Leben. Schutz Gottes (nicht automatisch), keine Angst, zu einer Gemeinschaft gehören, Sinn des Lebens finden. Aber auch Aufgabe: anderen davon weitersagen, andere damit anstecken, Freude in die Welt bringen. Ganzes Leben über. Gott hat es möglich gemacht.

 

Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewiglich! (Ps 106,1)

Dank für das Kind. Nicht selbstverständlich. Manchmal auch unerwünscht. Dank, daß man eine Aufgabe hat, wenn auch Sorgen. Etwas anderes als Fabrikarbeit, gibt Leben einen Sinn. Stütze für das Alter. Wir haben täglich für Vieles zu danken: Wohnung, Kleidung, Nahrung. Gott versorgt mit allem, was wir brauchen -  und mehr. Er ist freundlich, nicht ein furchterregender Gott. Seine Güte gilt auch für die Zukunft. Das verspricht er heute und besiegelt es durch Wort und Zeichen.  Schon einem kleinen Kind mitgeben bis ans Lebensende. Aufgabe der Eltern!

 

Der Herr segne euch je mehr und mehr, euch und eure Kinder! (Ps 115,14)

Segen bedeutet: Gott drückt dem Kind seinen Stempel auf (gehört zu ihm, ist von ihm geprägt). Jesus legt ihm die Hand auf (Kinderevangelium). Taufe ist Zusage des Segens. Aber es soll weitergehen („mehr und mehr“). Aufgabe der Eltern. Wer bei Gott bleibt, wird den Segen erfahren. Segen für die ganze Familie, wenn sie unter dem Wort Gottes bleibt. Vorbild der Eltern und Geschwister. Wirkungen auf andere Familien (brauchen wir!). Taufe will uns des Segens versichern und an unsere Aufgabe erinnern.

 

Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit! (Ps 121,7-8)

Manches Übel kommt über einen Menschen: Äußere Not, Krankheit, Mißerfolg. Nicht nur unverbindlicher Wunsch, sondern Segen. Noch wichtiger: Bewahrung der Seele. Mächte, die um die Seele eines Menschen kämpfen: Schule, Massenmedien, Beruf, Eltern, Kirche, Gott (?).  Sicher ist: Gott behütet den Eingang (deshalb Taufe!). Über den Ausgang entscheiden wir mit: Ob wir bei Gott geblieben sind. Aufgabe der Eltern und Paten, aber zuerst wirkt Gott an uns.

 

Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich! (Ps 126,3)

Der große Gott hat mit so einem hilflosen Kind zu tun! Taufe ist Aufnahme in den Bund Gottes. Damalige Bedeutung eines Bundes: Geschenk des Stärkeren, nicht Partnerschaft. Deshalb fröhlich. So wie Eltern sich um Kind kümmern, so kümmert sich Gott um uns alle. Ein natürliches Verhältnis, verwandtschaftliche Verpflichtung. Unter Menschen tut kaum einer etwas uneigennützig. Gott aber will sich um uns kümmern. Wir aber sollen Antwort geben. Echte Freude, die aus dem Tun Gottes kommt.

 

Siehe, Kinder sind eine Gabe des Herrn! (Ps 127, 3a)

Nicht in jedem Fall erfreut über diese Gabe, zum Beispiel Zwillinge (Viel Arbeit, große Umstellung). Manche Ehen bleiben kinderlos. Deshalb Dank. Jedes Kind eine eigene Persönlichkeit, mit jedem eine eigene Freude, bis ins Alter. Gott kann die Gabe wieder zurückfordern. Aber bei der Taufe hören wir: Gott schenkt uns zur Freude und will behüten und bewahren. Kinder sind nicht eine Last, sondern stehen unter dem besonderen Schutz Gottes. Eltern schützen auch. Aber Gott hat auch ein Interesse daran. Er will, daß wir gut damit umgehen. Aufgabe der Eltern und Paten.

 

Laß mich frühe hören deine Gnade, denn ich hoffe auf dich. Tue mir kund den Weg, darauf ich gehen soll, denn mich verlangt nach dir!“ Ps 143,8)

Schon ein kleines Kind darf das Geschenk der Gnade empfangen: Geldgeschenk zur Taufe, erst später läßt sich damit etwas anfangen. Eltern sind Verwalter dieses Geschenks, auch Verwalter der Taufe. Das Kind soll bei Gott gehalten werden. Taufe nur Anfang der Gnade. Von Gott dürfen wir alles erhoffen. Er zeigt uns auch den Weg, auf dem wir gehen sollen. Dieser Weg ist nicht ungewiß. Wer nach Gott verlangt und auf ihn hofft, der erfährt auch Hilfe.

 

Freue dich und sei fröhlich, du Tochter Zion! Denn siehe ich komme und will bei dir wohnen, spricht der Herr (Sach 2,14)

Wir freuen uns: über Kind, auf Weihnachten, das „Fest der Kinder“. Wissen die Kinder um den Sinn des Festes? Freude, weil der Gottessohn geboren ist (Aufgabe für Eltern und Paten). Er will zu uns kommen. Haben wir Platz in unserer Wohnung, in unserem Herzen? Taufe: Er klopft bei uns an! Wenn er aber bei uns ist, steht er uns auch bei. Nicht ein Schamrotzer, der nur auf unsere Kosten leben will, sondern ein guter Freund. Ihm können wir öffnen!

 

Also ist’s auch bei eurem Vater im Himmel nicht der Wille, daß eines von diesen Kleinen verloren gehe (Mt 18,14)

Kind in der Stadt verloren gegangen. Es weint, Eltern in Sorge. Menschen fragen nach dem Namen. In Taufe erhalten wir den Namen eines Christen (unser Name und Gottes Name zusammen). Gott kann uns rufen, Menschen können uns zurückbringen. Wir gehen oft mutwillig von Gott weg. Taufe will uns versichern: Ihr kommt wieder zurück! Kein Vater gibt sein Kind auf. Wir können uns  immer wieder in die Arme des Vaters flüchten. Wir sind alle nur klein und schutzbedürftig. Aber bei dem Vater sind wir sicher.

 

Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen (Mt 5,8)

Kindergebet: „Herz ist rein“, richtiger: „mach rein“. Keiner behält reines Herz. Dennoch nicht von Gott getrennt. Dessen will uns die Taufe gewiß machen. Äußerlich geschieht nicht viel, aber Reinwaschung von Sünden. Ein reines Herz, wenn wir uns an Gott halten. E r macht es rein. Dann wird man auch Gott im Leben erfahren: in Krankheit, Schule, Verfolgung, Beruf, Familie, zuletzt im Tod. Erst dann Gott ganz schauen. Taufe ist Anzahlung auf das ewige Leben, aber weitere „Zahlungen“ nur, wenn mit reinem Herzen bei Gott.

 

Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen (Mt 5,9)

Frieden brauchen wir: Zusammenleben im Kleinen (Familie, Arbeitsplatz, Schule), Leben der Völker. Nicht immer leicht, dafür zu wirken. Aber ohne das geht die Welt zugrunde. Brauchen Menschen, die zum Frieden bereit sind, auch wenn andere nicht Frieden halten. Wir haben Vorleistungen zu bringen. Glaube und Taufe wollen helfen, dazu Kraft geben. Eltern und Paten helfen, daß Kind es lernt, Gott und die Menschen zu lieben, d.h. auch Frieden.

Verheißung: Gottes Kinder! Dazu macht Taufe. Kinder erweisen sich des Vaters würdig. Gott will Frieden, Sohn zu den Menschen gesandt. Durch Taufe Geschenk der Kindschaft, Friedfertigkeit möglich, auch für dieses Kind.

 

 

 

Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zur Erlösung für viele (Mt 20,28)

Eltern seufzen manchmal über ihre Kinder, die sie bedienen müssen. Wenn Kinder größer, wollen sie helfen. Aber letztlich Aufgabe der Eltern. So will auch Gott uns dienen: Er will das Böse von uns nehmen, das an uns kommt. Wir werden uns zwar auch mühen, aber wir schaffen es nicht. Taufe versichert uns: Gott wird helfen und das Entscheidende tun. Wir können nicht über ihn verfügen, nicht etwas von ihm verlangen. Aber er tut es von sich aus, so wie Eltern für ihre Kinder sorgen.

 

 

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur, das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden (2. Kor 5, 17)

Durch die Taufe sind wir „in Christus“, aber nicht magisch, sondern Aneignung. Schon kleines Kind! Durch Taufe wird zunächst nichts anders. Dennoch: Wir sind nicht nur Mensch, sondern auch Christ. Mit Gott verbunden, in glücklichen und schweren Zeiten. Aber warum muß Kind neu werden? Immer erneute Sünde. Kind ist neue Kreatur, aber auch am inneren Menschen immer wieder neu werden. Brauchen wir nötig, daß wir einen Neuanfang setzen: Gott schenkt ihn uns durch die Vergebung. Wichtig für Zusammenleben: Ehe (neuer Anfang nach begangenen Fehlern), Eltern - Kind (Ausgleich des Verhältnisses). Entscheidend wichtig: Gott hat uns zuerst vergeben. Durch die Taufe wird uns das zugesichert, wir dürfen immer wieder neu sein. Forderungen Gottes leichter zu erfüllen, weil täglicher Neubeginn. Mit diesem Gott fröhlich durch die Welt

 

Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen

 (Mk 10,15)

Kinder gelten noch nichts. Bei Jesus aber Vorbild: Gläubiges Vertrauen, Verständnis, Gefühl. Erwachsene wollen erwerben, erkämpfen - Kinder lassen sich beschenken, freuen sich.    Deshalb jetzt schon getauft, von Anfang an zur Kirche. Was in den noch ungeprägten Menschen eingesenkt wird, bleibt erhalten. Aufgabe der Eltern und Paten. Unter Umständen  ernsthaftere und tiefere Beziehung zum Glauben als Eltern: Diese von Kindern lernen.

Ziel für beide: Reich Gottes. Wollen wir hineinkommen? Taufe ist Anfang, bringt Verheißung.

 

Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden;  wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden (Mk 16,16)

Warum Taufe? Weil Sitte, weil Grund zum Feiern. Taufe zum Heil (= Leben im Sinne Gottes). Ist das notwendig,  hilft das für’s Leben? Schutz Gottes, Sinn des Lebens (man weiß, wohin man gehört). Aber: Glaube gehört dazu! Kindertaufe? Nicht magisch mißverstehen: Man kann Geschenk der Taufe wieder verlieren. Es hängt nicht nur an der äußeren Handlung (Gott kann auch ungetauftes Kind annehmen). Aber sie ist Hilfe zum Glauben: Macht Verheißung deutlich.

 

Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden (Lk 1,30)

Vielleicht Bedenken, Kind in Welt zu setzen: Wohnung, Lebensstandard, Liebe und Zuwendung. Gefahren: vom Straßenverkehr bis zu Gewalttätigkeiten. Vor allem Gefahr für den Glauben. Eltern sollen christliche Erziehung versprechen. Glaube ist angefochten. Kinder gehen eigenen Weg, nicht immer in der Macht der Eltern. Dennoch: Fürchte dich nicht, Gnade bei Gott. Gott verspricht Hilfe vor Gefahren für Leib und Leben, aber vor allem in Glaubensdingen. Durch Taufe gehören wir ihm, niemand kann wegreißen, gibt Möglichkeit zum Glauben. Gnade bei Gott: Maria ist Werkzeug und Helfer Gottes. Auch dieses Kind hat in der Taufe Fähigkeit zur Dienerin Gottes erhalten. Schön, daß eine solche Verheißung.

 

Fürchtet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren (Lk 2,10-11)

Man muß vieles fürchten in der Welt: Krankheit, andere Menschen, Krieg, Elend, persönliches Leid. Aber Gott sagt: Große Freude (Weihnachten!). Jesus bringt Freude, weil er stärker ist als alles, wovor wir uns fürchten müßten. Sie wird allem Volk widerfahren, auch diesem Kind:  I h m  ist  h e u t e  der Heiland geboren durch die Taufe: Bringt in Verbindung mit dem, der alles heil macht, äußerlich und innerlich. Aber dazu muß er in jedem wiedergeboren werden. Doch Taufe ist die beste Voraussetzung dafür: Gott hat seinen Teil erfüllt.

 

Johannes spricht: Ich taufe euch mit Wasser; es kommt aber ein Stärkerer nach mir, der wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen (Lk 3,16)

Vielleicht verstehen Kinder mehr vom Reich Gottes als wir (gläubiges Vertrauen in der Weihnachtszeit). Wassertaufe bewahrt vor Feuertaufe, ist aber gleichzeitig (freiwilliges ) Gericht. Taufe hat Folgen: Von Gott her („er gelobt sich uns an“) und von Seiten des Menschen (christliche Erziehung). Vorbereitung auf das Kommen der entscheidende Punkt. Gefragt: Bedeutet Gott dir etwas? Gott könnte wie eine Lawine kommen. Taufe aber sicherer Ort, will uns bewahren. Wir können Gott nicht entgegentreten, an sich sind wir bankrott. Aber Gott kommt von sich aus, Zusage: Er kommt zu diesem Kind!

 

Wer dies Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat (Lk 9, 48)

Kinderfeindliche Welt, alle sollen gleich Erwachsene sein. Eltern müssen das Kind nehmen, wie es ist. Auch die Umwelt muß es aufnehmen. Wer dem Kind Liebe erweist, nimmt Jesus auf. Aber das Kind soll auch Jesus aufnehmen. Taufe als Hilfe. Wechselseitiges Verhältnis. In Jesus haben wir Gott. Er hat die Kinder aufgenommen, so wie Gott sie annimmt. Zu diesem Gott soll auch dies Kind gehören. Eltern und Paten ein Vorbild, indem sie sich auch zu Gott halten.

 

Wer dies Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat (Lk 9, 48)

Eltern nehmen ihr Kind gern auf! Nehmen wir auch kranke Kinder auf, oder von anderen Leuten? Lassen wir Kinder gelten, wie sie sind? Kinder sind eigene Person. Nehmen wir andere Menschen an im Namen Gottes? Wer es fertigbringt, anderen Gutes zu tun, tut es für Gott. Rangstreit der Jünger: Auch um die Geringen kümmern, denn Gott achtet sie hoch. Gilt auch für dieses Kind: Ihm alles Gute tun, besonders christliche Erziehung.

 

Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborene Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Joh 3,16)

Weihnachten gute Gelegenheit zur Taufe: Geht um die Geburt eines Kindes. Jeder freut sich. Aber Gott hat ihn wieder hergeben müssen. Auch wir? Kinder nur Leihgabe! Gottes Eigentum. Wer an Gott glaubt, wird nicht verloren sein, auch wenn er stirbt. Taufe ist Anrecht. Muß auch realisiert werden. Gott hat sein Teil getan: Liebt auch dieses Kind, ist selber so ein Menschlein geworden. Wer sich auf die Seite Gottes stellt, geht nicht verloren.

 

Der Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer denn alles; und niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen (Joh 10,29)

Alle Menschen gehören Gott, auch die Kinder. Gott ist größer als alle Mächte der Welt. Es werden Hände nach diesem Kind greifen: Macht, Geld, Weltanschauungen, Krankheit, das Böse. Aber Gott hält seine schützende Hand darüber wie eine Mutter über ihr Kind (Windzug, der eine Kerze bedroht), er verteidigt dieses Menschenkind wie Eltern ihre Kinder. Aber manchmal gehen Menschen von sich aus weg. Aufgabe der Eltern und Paten. Hauptsache: Gott schützt!

 

Ich lebe, und ihr sollt auch leben (Joh 14,19)

Kinder sind schnell krank, haben es aber auch schnell überwunden, sagt man. Kinder sterben auch. Hier aber wird gesagt: „Ich lebe!“An Ostern ist Jesus auferstanden. Traditioneller Tauftag: Taufe gibt Anrecht auf das ewige Leben. Allerdings nicht automatisch, muß von uns verwirklicht werden (Aufgabe der Eltern und Paten). Vergleich mit Geldschein: Geld brauchen wir zum Leben. Taufe brauchen wir auch! Jünger Jesu hatten das Sakrament nicht nötig, waren ja bei ihm. Aber wir haben die Taufe als sichtbares Zeichen, damit das Leben uns gewiß ist. Wer getauft ist gehört zu denen, die bei Gott leben werden.

 

Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen (Joh 3,5)

Mit der biologischen Geburt eines Menschen ist es nicht getan. Christliche Eltern bringen ihr Kind zur Taufe. Dabei sichtbar mit Wasser in Berührung, aber auch unsichtbar mit dem Geist Gottes (=Gott). Äußerliche Handlung ist Sinnbild für unsichtbares Geschehen, an das wir glauben. Aufgaben des Wassers: 1. „Lebensmittel“, 2. Reinigungsmittel, 3. Heilmittel. Entsprechend bei der Taufe: Verbindung mit Gott. Grundvoraussetzung (Ausnahmen sind Gott möglich), die aber erst nachher verwirklicht werden muß; wirkt nicht automatisch, erfordert unseren Glauben. Mithilfe der Eltern und Paten.

 

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun (Joh 15,5)

Trauben schmecken nur, wenn sie vorher am  Stock saßen. Ohne Weinstock nützt alle Sonne, Düngung, Pflege nicht. Taufe: Kind wird Rebe an dem Weinstock Jesus Christus. Das ist die eigentliche Kraftquelle. Ohne das nützt Essen und Pflege nichts. Als Kaiser Friedrich II. verfügte, daß die Pflegerinnen nicht mit den Kindern sprechen sollten, starben  diese. Noch wichtiger als die Mutterliebe ist die Gottesliebe. Aber die ist uns zugesagt: „Wer in mir bleibt!“ Jesus bleibt bei uns, aber wir bei ihm? Kind! Früchte der Taufe, Früchte des Glaubens. Ohne Gott keine sinnvolle Frucht (nur hohl und faul). Dieses Kind aber hat die Möglichkeit, Frucht zu bringen.

 

Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt (Joh 15,16)

Kinder kann man sich nicht aussuchen: Junge-Mädchen, hübsch-häßlich, klug-dumm, gesund-krank. Wir nehmen sie aus Gottes Hand, so wie er sie geschaffen hat. Wir können uns nicht Gott aussuchen (liebender Gott für uns oder strafender Gott für die anderen; Nothelfer; Wettergott). Gott hat uns ausgesucht, will unser Herr sein, so wie Jesus seine Jünger auswählte. Auch dieses Kind zu seinem Kind erwählt, soll zu seiner Gemeinde gehören. Gott wird für es sorgen, Selbstverpflichtung Gottes.

 

Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein (Röm 8,31 b)

Ein Kind wird in eine ihm lebensfeindliche Umwelt geboren, braucht die Hilfe der Erwachsenen (Eltern, Arzt). Aber auch später manche Feinde (persönlich, sachlich). Auch in Glaubensdingen Gegner. Jedoch nichts anderes verheißen: Jesus hatte Feinde. Solcher Feinde braucht man sich nicht zu schämen. Aber am Glauben sollen sie Anstoß nehmen, nicht an äußerlichen Dingen. Wo es um den Glauben geht, ist Gott auf unserer Seite. Taufe macht uns dessen gewiß, Gottes Versprechen. Unsere Aufgabe: in diesem Glauben leben und  wachsen.

 

So sind wir mit Christus begraben durch die Taufe in den Tod, damit - gleichwie Christus ist auferweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters - also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln (Röm 6,3-4)

Großer Taufstein, Kinder untergetaucht. Luther: Alten Mensch ersäufen. Nicht Böses getan. Du gehörst zu Gott. Jeden Tag neu werden. Abwaschen: äußerlich und innerlich (Reinheit). Handeln Gottes an e i n e m Menschen gegenwärtig. Alte absterben lassen (Lebensgemein­schaft- Todesgemeinschaft). Wasser ist Leben und Tod. Lebensspendende Kraft: Kann gar nicht mehr anders (vgl. Predigt 6.Sonntag, Reihe II).

 

 

Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben…..mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn (Röm 8,38-39 i.A.)

Taufe bringt uns mit Gott in Berührung: Kind Gottes! Schon kleines Kind darf die Liebe Gottes spüren. Nötig für das ganze Leben. Aber es kommt viel Böses dazwischen (im Bibeltext lange Aufzählung). Doch das kann nicht von Gott trennen. Nicht einmal der Tod, der ist nur Rückkehr zu Gott. Bogen von Taufe bis Tod unter der Liebe Gottes. Jesus ging den gleichen Weg zu Gott. Taufe gibt Gewißheit, daß zu Gott gehörig. Luther schrieb in schwierigen Zeiten an die Wand: „Ich bin getauft!“

 

Der Gott aber des Friedens sei mit euch allen (Röm 15,33)

Wir sehnen uns nach Frieden, gerade weil es so viele Kriege gibt. Menschen versuchen, Frieden zu machen, treffen aber Kriegsvorbereitungen. Taufe: Gott hat Frieden mit uns gemacht. Grund zum Unfrieden gibt das Böse in uns. Aber Gott will dennoch mit uns zu tun haben. Taufe ist das Unterpfand dafür (Versprechen). Frieden unter den Menschen nur wenn Frieden mit Gott. Gott hat sein Teil getan. Aber den Menschen fehlt oft der Glaube. Taufe verspricht Glauben. Aber jeder muß ihn bei sich vervollkommnen. Die eigentliche Aufgabe der Taufe kommt erst noch.

 

Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn (1. Kor 1,9)

Mit der Treue der Menschen ist es nicht so weit her, erleben Enttäuschung im Leben. Jeder macht Erfahrung. Gott aber ist treu. Beruft uns in der Taufe in seine Gemeinde und hält auf jeden Fall daran fest. Gefahr: unser Ungehorsam, Gottesleugner, Gleichgültigkeit. Nichts und niemand kann Taufe rückgängig machen. Werden auf die gleiche Stufe gestellt wie Jesus, nämlich Kinder Gottes. Dieser Stellung würdig erweisen. Berufung lehnt man nicht ab. Taufe ist eine Ehre, die Gott uns antut. Dankbar. Gottes Treue mit unserer Treue beantworten.

 

Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unseren Herr Jesus Christus (1. Kor 15,57)

Leben ein Kampf, von Anfang bis Ende. Beklemmung, wenn man am Anfang steht: Krankheit, Weltanschauung, mißgünstige Menschen, Beruf, Alter, selbst innerhalb der Familie. Eine Spannung wie vor einem Fußballspiel. Aber hier: Kampf schon entschieden. Müssen nicht allein kämpfen, Christus bei uns. Dessen soll uns die Taufe gewiß machen. Aber Kampf nicht erlassen, wir müssen ihn durchstehen. Können Sieg nicht selber erringen: Christus hilft. Aber deshalb umso sicherer. Aber christliche Erziehung nötig. Dank für Taufe und den sicheren Sieg, der schon einem kleinen Kind verheißen wird.

 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen (1. Kor 13,13)

Man gibt dem Kind bei der Taufe Glückwünsche mit, zum Beispiel „Hauptdache gesund!“

(Stimmt das?). Hier wird dem Kind etwas anderes gewünscht von Gott: Gnade als Vergebung für Sünden, die das Kind begehen wird, unverdientes Durchstreichen der Schuld. Liebe, wie Eltern ihr Kind lieben, auch wenn es unartig oder schmutzig oder abweisend ist. Das wird uns bei der Taufe zugesagt. Aber dazu gehört die Gemeinschaft mit der Kirche (= Aufnahme in die Gemeinde), sonst wie glühende Kohle im Schnee, die bald verlöscht. Unser aller Aufgabe.

 

Wie viele von euch auf Christus getauft sind, die haben Christus angezogen (Gal 3,27)

Zur Taufe hat man ein Taufkleid. Können alle sehen. Unsichtbar: Christus übergezogen. Neue Haut wie bei einer Schlange. Nötig zum Leben! Taufe streift das Böse, das an uns kommen wird, wieder ab und macht uns neu, das ganze Leben über. Nicht nur äußerlich, wirkt nach innen. Taufe nicht Formsache, sondern haftet immer an. Allerdings muß man in dieses Gewand erst noch hineinwachsen (wie in andere Geschenke). Aufgabe der Eltern und Paten. Aber dieser Christus dann auch wie eine richtige Haut, die untrennbar zum Körper gehört, ohne die man stirbt.

 

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen (Eph 2,19).

Schlimm, wenn man Fremdling ist (Flüchtlinge). Besser schon, wenn man als Gast eingeladen wird. Gott aber sagt: 1. Mitbürger der Heiligen (= Glied der Gemeinde, Nachbar und Bekannter), 2.Gottes Hausgenossen (einer, der wie ein guter Freund oder Verwandter im Haus aufgenommen wird und sich dort zu Hause fühlt. Taufe = in Gottes Haus wohnen: 1. Kann zum Gotteshaus gehen. 2. Gehört zur Gemeinde. Mithilfe der Eltern und Paten, damit das Kind heimisch wird, ihm selbstverständlich wird.

 

Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird euch auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi (Phil 1,6)

Gott hat das Werk angefangen: Geburt! Welch ein Wunder ist so ein Kind. Gott fängt aber noch mehr an: Taufe. Er ist der Vater und übernimmt auch die Verantwortung bis ans Ende unseres Lebens, bis die Welt ein Ende hat. Der Anfang ist manchmal (meist) entscheidend. Hier die richtigen Weichen stellen, dann ans Ziel. Hauptsache: Gott fängt an. Er stellt Ziel sicher, garantiert das Erreichen.

 

Ihr wißt, daß ihn wandeln solltet würdig des Gottes, der euch berufen hat zu seinem Reich und zu seiner Herrlichkeit (1.Thess 2,11-12 i.A.)

Eltern möchten ihr Kind zu anständigen Menschen erziehen. Erwarten das, dürfen es auch erwarten: sorgen für das Kind, dürfen Gehorsam verlangen. Wieviel mehr Gott! Hat uns berufen. Im Reich Gottes bestimmte Erwartungen. Taufe: Versprechen Gottes, daß wir zu ihm kommen. Jetzt wir an der Reihe. Nicht nur Wohlanständigkeit, sondern Glaube, der dann Auswirkungen hat auf Lebenswandel. Kinder wollen Eltern keine Schande machen. Gottes Kinder? Jeder als Kind der Eltern und Gottes verstehen. Dazu soll die Taufe helfen.

 

Der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Argen (2. Thess 3,3)

Es gibt viel Arges: Krankheit, Elend. Eltern können ihr Kind  nicht bewahren, auch nicht vor bösen Einflüssen. Brauchen  die Hilfe Gottes, der sie beschützt vor den Gewalten, die um sie ringen: Sie sind Gottes Eigentum, deshalb kümmert er sich um sie, er ist treu (zuverlässig). Zum Teil nur stärken, zum Teil auch bewahren vor dem Argen. Taufe ist das Versprechen Gottes, daß er dieses Kind behüten wird.

 

Als aber erschien die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes, unseres Heilandes, rettete er uns, nicht um der Werke willen der Gerechtigkeit, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit durch das Band der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist (Tit 3, 4-5)

Wo ist Freundlichkeit zu finden? Jesus (Zachäus), Christen. Durch Taufe gehören wir zu diesen Menschen. Alles geschenkt. Gratis: Zweite Geburt. Ohne Wasser nicht leben. Tägliche Taufgnade. Eigentliches Weihnachtsgeschenk. Gleichwertiges? Herz, das ihm vertraut; Liebe, die dem Bruder hilft. Aufgabe der Eltern. Gott hat alles getan (vgl. Predigt zu Christfest I).

 

Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk  (1. Petr 2,9)

Ist das nicht zu viel gesagt angesichts eines solchen hilflosen Kindes? Taufe ist das Versprechen, zum auserwählten Geschlecht zu gehören, äußeres Zeichen für unsichtbares Geschehen: Nicht nur Glied des Volkes, sondern weltweite Gemeinschaft. Deutlich bei Treffen mit anderen. Aber kein Hochmut, sondern Verpflichtung: Priester sein (= Mittler zwischen Gott und Volk und zwischen Gottes Volk und anderen Völkern). Heiliges Volk (= ganz zu Gott gehören, auch in Anfechtungen und Sorgen. Aufgabe der Eltern! Verheißung Gottes: Ihr seid es schon, verwirklicht es.

 

Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm (1. Joh 4,16)

Eltern haben ihr Kind lieb, auch behindertes Kind. Aber wahre Liebe erst von Seiten Gottes. Sein Vorbild spornt uns zur Liebe an. Wer bei Gott bleiben will, soll Liebe üben. Kein Gegensatz: Glaube-Mitmenschlichkeit. Taufe eine Hilfe dabei. Gott erklärt sich für uns. Zeigt seine Liebe einem schwachen Kind, Gottes Liebe bleibt unverändert, das ganze Leben. Eltern sollen Hilfe geben, daß Kind die Liebe lernt. Aber entscheidend Gottes Liebe (vorleben). Antwort jetzt auf der Seite der Menschen.

 

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erzeigt, daß wir Gottes Kinder sollen heißen (1. Joh 3,1)

Eltern lieben ihr Kind, ob 1. oder 4. Kind. Aber auch Gott liebt jedes Kind, jeden Menschen. Irdische Eltern, himmlischer Vater. Nicht selbstverständlich, daß Gott sich um uns kümmert (auch Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmern). Doch in seiner Liebe ist er für uns da. Eltern erziehen auch mit Strenge, zum Guten der Kinder. Wer weiß, was Gott mit diesen Kindern vorhat. Aber eins ist gewiß: Seit der Taufe Gottes Kind (nicht nur „heißen“). Gott beschützt es, so wie Eltern ihr Kind schützen.

 

Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat (1.Joh 5,4)

Hohe r Anspruch, viele Weltanschauungen. Aber dieses Selbstbewußtsein dürfen wir haben, denn nicht unsere Sache, sondern Gottes Verheißung. Was ist überwunden und besiegt? Angst vor dem Leben, vor Zukunft, vor Tod. Sucht nach Lebensstandard und Genuß, Abhängigkeit von anderen Leuten, von Geld und Erfolg. Versuchung zum Unglauben und Gleichgültigkeit. Taufe will Stärkung sein, um diesen Gefahren zu begegnen. Gibt Verheißung, daß Gott den Sieg behält gegen die Mächte der Welt. Aber Mithilfe der Eltern und Paten und  der Gemeinde im Vertrauen auf Gottes siegende Kraft.

 

Es ist ein köstlich Dinge, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade (Hebr 13,9)

Herz kann verhärtet sein gegen Christus. Herz kann zu weich sein gegen fremde Einflüsse. Fest werden = standhaft und treu! Hebräerbrief: Falsche Lehre. Was ist das heute: Konsumdenken, Gleichgültigkeit, Weltanschauung. Gott will, daß unser Inneres fest bleibt gegen all das und bei ihm bleiben, bei dem Glauben, auf den getauft. Taufe ist Verbindung mit Gott. Zusage, daß Verbindung nicht abreißt. Elternamt. Aber es ist Gnade, wenn wir so sein können. An einem hilflosen Kind besonders deutlich: Gott handelt! Wir brauchen nur bei ihm zu bleiben.

 

Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende, der da ist und der da war und der da kommt (Offb 1,8)

Weißes Taufkleid - weißes Sterbehemd. Jesus will am Anfang und am Ende stehen. Nicht nur Anfang - nicht nur am Ende. Ende gut, alles gut! Verheißung: Jesus will belgeiten auf dem Lebensweg. Unser Leben nur ein kleines Stück gegenüber dem, der schon immer war und sein wird. Der große Gott hat mit uns Gemeinschaft. Heute mit Taufe Anfang gemacht (so eine Art Zündung). Aber Bogen über das ganze Leben. Dieses hat damit ein Ziel (wichtig für Erziehung). Nur diesem Herrn allein folgen.

 

Weitere Taufsprüche

Wie sich ein Vater über Kinder erbarmt, so erbarmt sich der Herr über die, die ihn fürchten (Ps 103,13)

Laßt uns ihn lieben, denn er hat uns zuerst geliebt (1. Joh 4,19)

Gott sei uns gnädig und segne uns, er lasse uns sein Angesicht leuchten (Ps 67,2)

 

Bild für Taufe: „Mit allen Wassern gewaschen“

 

 

 

Taufgedächtnis:

1.Einführung:

Der eigenen Taufe zu gedenken, ist in ökumenischer Sicht mindestens ebenso wichtig und verbreitet wie das Gedenken an den eigenen Geburtstag. In den evangelischen Kirchen des deutschen Sprachraums ist dies aber nicht mehr selbstverständlich. Kein Wunder, daß die Bedeutsamkeit der Taufe bei Kindern und Erwachsenen weithin dem Bewußtsein entschwunden ist. Eine Wiederbelebung sakramentaler Frömmigkeit in unseren evangelischen Kirchen ist aber nur möglich, wenn bereits die Gabe der Taufe gebührend zur Kenntnis und ernst genommen wird. Zwar werden die Taufen jetzt schon weithin im Rahmen der Gemeindegottesdienste - also im Angesicht der versammelten Gemeinde - geführt, aber dies sind im Allgemeinen seltene Anlässe.

Von Kindheit an sollte darum das jährliche „Taufgedächtnis“ in Familien und Gemeinden begangen werden. Eine Hilfe und Erinnerungsstütze bieten bereits jene Kirchengemeinden, die auf Grund der Eintragungen im Kirchenbuch und in der Gemeindekartei monatlich einmal - etwa regelmäßig am letzten Sonntag im Monat - alle getauften Kinder (einschließlich Kleinstkinder) bis hinauf zum Konfirmationsalter und ihre Eltern sowie ortsansässigen Paten zum Taufgedächtnis in den Gottesdienst der Gemeinde einladen. Eine solche Einladung zum Gottesdienst enthält, nach einem kurzen Hinweis auf die Bedeutung der Taufe, die Bitte, die bei der Taufe des Kindes empfangene Symbolkerze mitzubringen - andernfalls würde das Kind eine neue Kerze empfangen, welche an der großen Osterkerze entzündet wird, die auf einem Osterleuchter - links vom Altar bzw. Taufstein - steht.

Besonders eindrucksvoll dürfte den Kindern das „Taufgedächtnis“ sein, wenn in diesem Gottesdienst danach auch eine Taufe vollzogen wird, bei der das getaufte Kind seine erste Kerze erhält, und die „Taufgedächtnis-Kinder“ richtig zuschauen können, wie es bei ihrer Taufe einst war. Selbstverständlich sind auch alle Familiengottesdienste besonders geeignet, Taufgedächtnis zu halten. Man sollte aber auch nicht davor zurückschrecken, das Taufgedächtnis in einem vollen Abendmahlsgottesdienst zu begehen.

Die Handlung des Taufgedächtnisses sollte sich sinnvoller Weise an das Glaubensbekenntnis anschließen, aber sie kann auch dem allgemeinen Fürbittengottesdienst vorangehen. Wird eine Taufe im Gottesdienst vollzogen, so geht das Taufgedächtnis der Taufhandlung Gründen voran.

 

2. Die Handlung

-Der Pfarrer wendet sich der Gemeinde zu mit den Worten: „Liebe Gemeinde. Seht, welch eine Liebe hat uns Gott, der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder heißen sollen und es auch sind. Darum halten wir heute Taufgedächtnis der Kinder unserer Gemeinde, die in diesem Monat einst die Heilige Taufe empfangen haben und wollen aus diesem Anlaß auch der wunderbaren Gabe unserer Taufe gedenken. Eingeladen waren darum folgende Kinder und werden gebeten, von den Altar zu treten:

N. N.“ (Es folgen die Namen der Eingeladenen, auch wenn nicht alle erschienen sind)

Nachdem ein Gemeindeältester die mitgebrachten oder die neuen Symbolkerzen der Kinder an der Christuskerze entzündet hat, überreicht der Pfarrer jedem einzelnen Kind - wenn das Kind noch zu klein ist, dem, der es trägt - die ihm zugedachte Kerze und spricht außer dem Namen des Kindes: „N. N. Jesus Christus spricht: Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Danach sagt er allen Kindern die Worte: „Freut euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind (Lukas 10,20)“.

Es folgt ein der Kirchenjahreszeit angepaßtes Gebet etwa folgenden Inhalts (z. B. für die Epiphaniaszeit): „Herr unser Gott, Du hast durch Geburt und Leiden, Tod und Auferstehung deines Sohnes Jesus Christus ein helles Licht auf Erden angezündet, das Licht der Wahrheit und der Liebe, und Du willst, daß es weiterbrenne in denen, die auf Seinen Namen getauft sind. Wir bitten Dich, erleuchte die Herzen dieser Kinder, die heute des Tages ihrer Taufe gedenken. Gib ihnen allezeit das Licht Deines Wortes auf ihren Lebensweg und laß es wiederstrahlen in ihrem Bekenntnis zu Dir und in ihrem Leben unter den Menschen; auf daß Dein Licht sich ausbreite unter allen Menschen - auch unter denen, die Dich nicht kennen und die im Dunkel leben - damit sie mit uns hoffen lernen auf Deinen kommenden Tag; durch Jesus Christus, unsern Herrn, Amen“.

Der Pfarrer wendet sich wieder den Kindern zu und sagt ihnen einen Segenswunsch etwa mit folgenden Worten: „Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch, daß euer Geist, ganz samt Seele und Leib möge bewahrt werden unsträflich bis auf den Tag der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Getreu ist er, der euch ruft. Er wird's auch tun. Gehet hin in Frieden, Gottes Engel geleite euch!“ (Eine gleichzeitige Handauflegung ist wegen der brennenden Kerzen leider nicht möglich). Die Handlung schließt mit einem Tauflied. Die Kinder löschen ihre Kerzen und begeben sich auf ihre Plätze.

„Symbolkerzen“ kann man selber anfertigen. Falls der Handel keine mittelgroßen Kerzen liefert, kann man Haushaltskerzen mit rotem oder violettem „Zierwachs“ belegen.  Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn die Kinder auch noch ein Gedenkblatt oder eine geeignete Spruchkarte erhalten, aber die Kerze sollte nicht fehlen.

 

 

 

Trauung

 

„Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine Gehilfin machen,

die um ihn sei!“                                                                                            (1. Mose 2,18)

Es ist nicht schön, wenn der Mensch allein ist. Solange man noch jung ist, wird man die Einsamkeit nicht so spüren. Kinder vermissen wohl etwas, wenn sie ohne Vater oder ohne Geschwister aufwachsen. Aber schon Jugendliche sind oft froh, wenn sie allein sind; sie wollen zu sich selber finden und sich von niemandem irgendwelche Vorschriften machen lassen. Bedrückend wird die Einsamkeit aber wieder im Alter, wenn man keinen Menschen mehr hat, mit dem man sich aussprechen kann, wenn man sich nutzlos vorkommt und das Leben keinen Sinn mehr zu haben scheint.

Deshalb ist es gut, wenn man beizeiten vorsorgt, damit man im Alter nicht allein ist. In der Ehe darf man viele Jahre ein gemeinsames Leben führen, für die man nur dankbar sein kann. Wer verheiratet ist, hat es jedenfalls viel schöner.

Aber es ist auch nicht gut, wenn der Mensch allein ist. Wir sehen das an manchen alleinstehen­den Menschen, die keinen Lebenspartner gefunden haben. Sie werden leicht sonderbar und eigenartig, sie kommen uns so einseitig vor und man hält sie leicht für ein bißchen verrückt. Das hängt sicher damit zusammen, daß sie niemanden hatten der sie immer einmal korrigierte, auf den sie sich einstellen müßten und auf den sie dabei auch Rücksicht nehmen mußten.

Die Ehe soll solche Fehlentwicklungen verhindern oder doch zumindest abmildern. Sie ist das Spielfeld, wo man das Miteinanderleben unter Menschen üben kann, wo man erfahren kann, was Nächstenliebe ist und wie man sich auf andere Menschen einstellt. Deshalb sollten wir dankbar sein für diese Einrichtung.

Die Bibel sagt uns: Die Ehe ist von Gott eingesetzt als eine Hilfe für die Menschen. Es wird dort aber auch noch eine andere Begründung gegeben: Dem Menschen ist es zu langweilig, als er noch allein ist. Er hat niemanden, mit dem er sich unterhalten kann und mit dem er seine Gedanken austauschen kann. Die Tiere, die ihm Gott gegeben hat, sind ja keine Partner für ihn. Deshalb macht Gott ihm die Frau, damit er sich mit ihr freuen und eine Gespielin habe.

Das ist also die ganz einfache Begründung der Bibel für die Ehe: Mann und Frau sollen sich gegenseitig zur Freude verhelfen und die Einsamkeit überwinden. Das ist Gottes Wille gewesen, als er die Menschen in zwei Geschlechtern erschuf und doch beide aneinander gewiesen hat.

Es mag natürlich auch sein, daß man den anderen einmal über hat. Man kann sich ja eigentlich nur wundern, wie man ein ganzes Leben so eng mit einem anderen Menschen zusammenleben kann ohne dabei durchzudrehen. Aber daran zeigt sich eben, daß die Ehe eine gute Einrichtung Gottes ist, zu der er auch heute noch seinen Segen gibt. Und wenn es vielleicht auch. manchmal hart hergehen mag, so kommt doch alles darauf an, daß man sich wieder zusammen rauft.

Dann ist eine Belastungsprobe nicht gefährlich, sondern führt nur zu einer Vertiefung und Festigung. Der Himmel ist da auch manchmal mit Wolken bedeckt, manchmal scheint die Sonne, aber immer ist es der gleiche Himmel. So ist es auch mit der Liebe und Ehe: nichts soll sie zerstören, weil sie von Anfang der Schöpfung an so eingerichtet ist.     

Das Wort „Gehilfin“ brauchen wir nicht zu eng zu verstehen, so als müßte die Frau den gleichen Beruf und die gleiche Tätigkeit und den gleichen Arbeitsplatz haben wie der Mann. Das war früher die Regel, ist aber heute die Ausnahme. Das „Gehilfin sein“ drückt sich auch noch ganz anders aus: Sie soll Gehilfin sein zur Freude, soll ihrem Mann in allen Nöten und Schwierigkeiten beistehen, soll das ausgleichende Element sein, soll trösten und Rat geben können, in beruflichen, gesellschaftlichen und persönlichen Dingen. Und selbstverständlich gilt das Gleiche auch umgekehrt für den Mann: Er soll seiner Frau eine Stütze und ein liebevoller Partner sein.

Dine Bibeln sagt uns dazu: Gott will das so. Er hat das absichtlich von Anfang an so eingerichtet, daß einer dem anderen helfen kann. Wer diesen Auftrag Gottes annimmt, der darf dann auch der Segen Gottes spüren. Nach der Zustimmung Gottes fragen wir doch an diesem. Tag. Wenn wir bereit sind, auf seine Vorschläge einzugehen, dann ist er auch auf unsrer Seite. Dieser Gott, der die Welt und uns geschaffen hat, der auch die Ehe zwischen Mann und Frau eingesetzt hat, der macht Ihnen heute ein Angebot: Er will bei Ihrer Ehe mit dabei sein und seine Hand schützend darüber halten.

An Ihnen wird es nun liegen, dieses Angebot zu verwirklichen. Gottes Hand ist ausgestreckt. Er bietet sich als Gehilfe an. Wenn Sie ihn dabei haben, werden Sie sich auch untereinander helfen können und Gottes Schöpfungsauftrag verwirklichen und seines Segens gewiß sein.

 

„Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein!“                                 (1. Mose. 12,2)

Bei einer Trauung denken wir darüber nach, was der Glaube mit der Ehe zu tun hat. Eine Eheschließung ist ja zunächst einmal ein „weltliches Geschäft“, wie es Luther gesagt hat. Aber es ist natürlich richtig und gut, wenn man bei einem solchen wichtigen Schritt im Leben nach Gottes Wort und Willen fragt.

Andererseits verheißt Gott uns dann auch seinen Segen für die Ehe. Das ist ja eigentlich die Hauptsache an der Trauung, dann man seine Ehe mit dem Segen Gottes beginnt. Gleich zu Anfang darf man auf diese Weise sicher sein, daß Gottes Hilfe und Beistand mit dabei ist und alles zu einem guten Ende kommen soll.

Der Segen Gottes ist mehr als ein unverbindlicher Glückwunsch der Menschen. Glückwünsche sind gut und richtig; aber sie sind eben nur ein Wunsch. Der Segen Gottes aber zieht auch gleich ein Handeln nach sich. Da kommt man in den Bereich einer Kraft, die das Leben von nun an bestimmen und auch verändern kann. Wer unter dem Segen Gottes steht, der spürt auch, daß Gott über seinem Leben waltet und es in seine Hand genommen hat.

Wir hoffen alle, daß sich dieser Segen in vielfältiger Weise an Ihnen verwirklichen möge. Er zeigt sich zum Beispiel in Ihrem ganz persönlichen Zusammenleben. Hier können Sie Hilfsbereitschaft und Verständnis füreinander üben, die für das Zusammenleben der Menschen überhaupt wichtig ist und die schließlich ihren letzten Grund in der Liebe Gottes zu den Menschen haben.

Der Segen Gottes zeigt sich auch im Zusammenleben als Familie. Wenn Sie erst einmal Kinder haben werden, dann werden Sie merken, wie schön es ist, am Schöpfungswerk Gottes beteiligt zu sein. Sie werden Verantwortung übernehmen müssen, aber auch eine große Bereicherung für Ihr Leben erfahren. Man hat große Aufgaben, aber man wird auch eine vielfache Freude erfahren.

Der Segen Gottes kann sich auch in Beruf und Freizeit zeigen. Sicherlich muß das nicht bedeuten, daß man viel Geld verdient und einen schnellen Aufstieg schafft. Aber das Geld allein macht es ja auch nicht. Viel wichtiger ist die Freude am Beruf und die Achtung und Aner­ken­nung der Mitarbeiter. Dazu will Gott Ihnen helfen, wenn Sie nach seinem Willen leben und ganz fest darauf vertrauen, daß er mit seinen Zusagen wahr machen wird.

Am meisten aber will sich der Segen Gottes auswirken in unserem Glaubensleben. Es macht sicher einen Unterschied, ob man so dahinlebt wie ein Tier oder ob man die Möglichkeit nutzt, die nur dem Menschen gegeben ist, nämlich in Verbindung mit Gott zu treten. Er recht uns die Hand hin; von seiner Seite her ist alles getan. Er sagt: „Ich will dich segnen!“ Wir haben alle die Möglichkeit, ein festes Vertrauen zu Gott zu gewinnen, Gott will uns zum Glauben helfen

Die Trauung soll eine zusätzliche Stärkung für diesen Glauben sein. An einem entscheidenden Wendepunkt des Lebens dürfen wir uns hier des Segens Gottes versichern, des Segens im Bereich des Glaubens, aber auch in vielen Dingen unseres äußeren Lebens.

Gott erwartet andererseits von uns, daß wir nun ein Segen für andere werden. Sein Segen soll sich noch weiter ausbreiten über andere Menschen. Er braucht immer Menschen, die Träger seines Segens werden, eine Atmosphäre des Segens um sich verbreiten und so den Segen auf andere übertragen.

Aber Gott hat dabei zuerst gehandelt. Zuerst heißt es: „Ich will dich segnen!“ und dann erst kommt: „Du sollst ein Segen sein!“ Beides gehört untrennbar zusammen. Aber die Reihenfolge ist nicht umkehrbar. Erst hat Gott immer gehandelt und unser Handeln folgt ihm nur nach.

Wie können wir nun den Segen Gottes an andere weitergeben? Das geschieht schon allein dadurch, daß wir anderen ein gutes Vorbild geben. Sie können in Ihrem Zusammenleben zeigen, wie man als christliches Ehepaar miteinander umgeht. Sie können Ihren Kindern alle Fürsorge und Liebe angedeihen lassen und Ihre Mitarbeiter im Beruf durch Fachwissen und Fleiß überzeugen.

Wenn dies so ist, dann hat der Segen Gottes erst seine eigentliche Absicht erreicht und ist zu seiner Vollendung gekommen. Es geht auch bei einer Ehe nicht nur um unser persönliches Glück, sondern um ein gutes Zusammenwirken mit allen Menschen. Ihr Handeln und Denken sollte hier vorbildhaft sein und andere zur Nachahmung anregen. Sie sind deshalb zu zweit, damit Sie diese Aufgabe gemeinsam und mit mehr Erfolg anpacken können. Gott verheißt Ihnen am Tag Ihrer Trauung seinen Beistand dazu, heute und für alle Tage. „Wenn Sie sich von ihm helfen lassen wollen, dann werden Sie seinen Segen spüren und ihn an andere weitergeben können.

 

„Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir und will dich segnen!“      (1.Mose 26,24)

Der Weg in eine Ehe ist immer ein Wagnis. Einen solchen Schritt wird man sich gut überlegen. Schließlich handelt es sich ja nicht um einen kurzen Spaziergang, sondern um eine Reise, die durchs ganze Leben führt. Und die Ehe ist nicht nur etwas für ein paar Festtage, sondern gerade für den Alltag.

Aber trotz aller ernsthaften Bemühungen und Selbstprüfungen wird man sich vielleicht doch etwas besorgt fragen: War unser Schritt richtig? Sind wir wirklich füreinander bestimmt? Werden wir immer gut miteinander auskommen? Wird alles so kommen‚ wie wir es uns vorgestellt haben?     

Da ist es gut, wenn man gleich zu Anfang gesagt bekommt: „Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir und will dich segnen!“ Ein solches Wort kann Mut machen und Zuversicht geben. Man geht immer ein Wagnis ein. Aber dieses ist vertretbar, weil es ein Wagnis mit Gott ist, weil Gott mit seinem Segen bei dieser Ehe dabei sein will.        

Im 1. Mosebuch ist dieses Wort dem Isaak gesagt worden. Dem haben die Nachbarn immer wieder Schwierigkeiten bei der Arbeit gemacht. Aber mit Gottes Hilfe hat er doch alles durchgestanden. Und Gott sagt ihm dazu: „Fürchte dich nicht!“

Fürchte dich vor keinem Menschen und auch vor keiner Gefahr. Du wirst deinen Weg schon gehen, denn ich stehe auf deiner Seite. Ich will dich nicht nur vor Gefahren beschützen, sondern dir auch für alle sichtbar meinen Segen mitgeben.

Dieses Bibelwort wird Ihnen nun auch zum Beginn Ihrer Ehe gesagt. Es soll Ihnen Mut machet‚ daß Sie unbeirrt Ihren Weg durchs Leben gehen. Keine Schwierigkeit soll sie aus der Bahn werfen und keine Gefahr ängsten können. Sie sollen sieh immer sicher sein, daß Gott Sie auf Ihrem Weg begleiten wird.

Gott ist der Führer auf unserem Weg. Er kennt den Weg und weiß das Ziel. Wenn wir uns ihm anvertrauen, werden wir nicht fehlgehen. Er ist aber auch der Beschützer vor den Gefahren, die links und rechts von unserem Wege lauern. Entweder er führt uns an ihnen vorbei oder er schirmt uns dagegen ab oder er gibt uns die Kraft‚ damit fertigzuwerden.

So werden wir dann mit Gottes Hilfe auch unser Ziel gelangen. Vergessen wir nicht: Gott muß dabei sein! Allein aus eigener Kraft werden wir nichts erreichen. Gott allein ermöglicht uns einen sicheren Weg durchs Leben. Er hat uns ins Leben gerufen, da wird er es uns auch weiter erhalten und uns beschützen.

Etwas wird allerdings anders sein als früher: Bis jetzt sind Sie zwei weitgehend getrennte Wege gegangen. Nun aber sind diese Wege zusammengekommen und es gibt nur noch einen einzigen breiten Weg für sie. Das bedeutet, daß auch Gott Sie jetzt nimmer als Einheit sieht Sein Segen gilt nun nicht mehr zwei Einzelmenschen, sondern dem Ehepaar. Nur in dieser Gemeinsamkeit dürfen Sie das Segenswort auf sich beziehen und darauf dann auch vertrauen. Deshalb ist es sicher auch berechtigt, das Bibelwort in die Mehrzahl umzuformen: „Fürchtet euch nicht, denn ich bin mit euch und will euch segnen!“

Gott hat vom Anfang der Schöpfung an die Ehe eingerichtet als die Möglichkeit, wie Mann und Frau in enger Gemeinschaft miteinander leben sollen. Die Ehe entspricht dem Willen Gottes, denn er hat gesagt: „Es ist sehr gut!“

An Ihnen liegt es nun, diesen äußeren Rahmen mit Leben zu erfüllen. Gott hat etwas geschenkt, aber im Leben soll es verwirklicht werden. So ist Gott eben: Er stellt uns alle Möglichkeiten zur Verfügung und überläßt es uns, was wir damit anfangen. Er zwingt uns nicht; aber er möchte, daß wir uns in seinem Sinne entscheiden.

Das aber tun wir, wenn wir alles von ihm erhoffen, indem wir zu ihm beten und uns immer wieder seiner Gemeinschaft versichern. Gott bietet uns seine Hilfe an. Es ist unser Schade, wenn wir sie ausschlagen. Wer sich aber von Gott helfen läßt, der wird gut mit ihm fahren. Er darf seinen Weg von Gott behütet wissen und wird seinen Segen täglich neu erfahren. Das verspricht Gott Ihnen heute, und darauf dürfen Sie sich ihr ganzes Leben über verlassen.

 

„Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst!“     (1. Mose 28,15)

Wenn man in eine fremde Gegend zieht oder eine große Reise vorhat. Dann hat man manchmal Beklemmungen. Natürlich lockt auch das Ungewohnte und das Ungewöhnliche. Man weiß ja nie, was kommt: Welche Gefahren, welche Zwischenfälle drohen, welche Pannen sich ereignen. Deshalb ist man in der Regel auch etwas aufgeregt, ehe es losgeht. Doch zum Glück gibt sich das dann wieder, wenn man erst einmal drin ist.

So ist auch eine Ehe zunächst einmal Neuland, auch wenn man sich vorher noch so gut kennt. Man kann schon etwas Beklemmungen dabei haben, weil die Zukunft ja ungewiß bleibt. Man weiß noch nicht, wohin das alles führen wird. Deshalb wird man vielleicht auch einsehen, daß man den Schutz eines Höheren braucht.

Gerade der Start ist manchmal schwierig, deshalb ist man auch aufgeregt dabei. Aber oftmals ist der Start auch entscheidend: Wenn er mißglückt, dann kann schon das ganze Rennen negativ entschieden sein. Allerdings ist eine Ehe kein Kurzstreckenrennen sondern eher ein Langstreckeckenrennen. Wenn man da den Start verpatzt hat, kann man doch auf die Länge der Zeit noch manches ausbügeln. In der Ehe ist Zeit gegeben, miteinander und aneinander zu lernen.

Es ist auch klar, daß ein Ehepartner den anderen zu behüten sucht. Wir Menschen tun ja Manches, um Unheil von einem anderen abzuwenden. Aber manchmal versagen wir auch oder müssen die Grenzen unserer Macht erkennen. In manchen Dingen kann nur noch Gott uns wirklich helfen.

Da ist es gut, wenn Gott Ihnen heute für Ihre Ehe sagt: „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten!“n So ein Versprechen ist viel wert, denn wir können Gott darauf „festnageln“, schließlich hat er es ja freiwillig gegeben. In der Ehe binden sich nicht nur zwei Menschen aneinander, sondern auch Gott bindet sich an die Eheleute.

Den Schutz Gottes braucht man auch notwendig. Viele schwere Dinge können in einer Ehe kommen, zum Beispiel Krankheit oder Trennung. Es ist uns nicht versrochen, daß wir davor bewahrt werden. Aber Gott will uns helfen, solche schwierigen Lagen zu bestehen.

Wenn wir in einer engen Schlucht an einem rauschenden Wildbach entlanggehen, dann sind wir froh, wenn ein Geländer da ist, das uns vor den reißenden Fluten bewahrt. Wir können das Wasser und die Gefahr nicht beseitigen, aber wir können davor bewahrt werden, hinein zu fallen.

So hat auch Gott uns durch sein Wort und durch seine Gebote ein Geländer gebaut, das uns vor Schlimmerem bewahrt. Wer trotzdem mutwillig über dieses Geländer klettert, der wird dann auch die Folgen zu tragen haben.        

Gott aber möchte uns eine Hilfe geben mit seiner Verheißung: „Siehe, ich bin bei dir und will dich behüten, wo du hinziehst!“ Ursprünglich ist dieses Wort ja dem Jakob gesagt worden, der seine Heimat verlassen mußte, weil er einen Streit mit seinem Bruder hatte. In dieser entscheidenden Stunde seines Lebens gibt Gott ihm die Zusage, daß er ihn behüten und beschützen will auch in der Fremde. Als für den Menschen die Zukunft noch ungewiß ist, hat Gott sie schon unter einen guten Stern gestellt.

Eine Hochzeit ist ja nun auch ein entscheidender Punkt im Leben. Da fragt man schon einmal nach einem Wort Gottes‚ das den weiteren Lebensweg begleiten soll und das einem ruhig auch einmal einfallen kann, wenn man nach so einem Wort sucht.

Gott läßt uns erst einmal viel Freiheit und läßt uns hinziehen in das Land, das wir uns erobern sollen. Oftmals sind es sehr weite Wege, die man dann zu gehen hat und sicher sind auch manche Irrwege dabei. Das ist das Risiko unseres Lebens.

Doch Gott läßt uns niemals aus den Augen. Wir können ihm nicht entfliehen. Wir können nichts gegen seinen Willen tun und er hält uns schon im Zaum. Aber dafür steht er auch bereit, wenn es wirklich einmal schlimm um uns steht und wir Hilfe brauchen. Das Zweite ist dabei das Entscheidende: Wo immer wir such sind, ist Gott uns nah. Auch wenn wir uns ganz allein und einsam fühlen, ist er doch da. Er sagt: „Siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst!“ Im Vertrauen auf dieses Wort dürfen Sie Ihren gemeinsamen Weg gehen.

 

„Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Sei getrost und unverzagt!“

(Jos 1‚ 5-6)

Als das Volk Israel kurz vor dem gelobten Land stand, da darf sein Führer Josua diese Worte hören. Jahrelang waren sie durch die Wüste geirrt. Nun sollen sie bald ihr Ziel erreichen. Da erneuert Gott seine Verheißung; „Ich will dich nicht verlassen!“

Es hat sicher gut getan, an einem derart entscheidenden Punkt diese Worte zu hören. Man ist doch etwas unsicher und zaghaft, weil man nicht weiß, was die Zukunft bringen wird. Da sucht man dann schon einmal nach einem Wort Gottes.

Sie, liebes Ehepaar, stehen jetzt auch an so einem wichtigen Punkt. Man hält Rückschau auf das Vergangene und blickt erst recht in die Zukunft. Erst ist jeder seinen eigenen Weg gegangen und hat sein Leben für sich allein geführt. Doch dann haben sich die beiden Wege gekreuzt und sind ein Stück nebeneinander gelaufen. Und nun ist der Punkt erreicht, wo festgestellt wird: Unser Weg soll nun für immer gemeinsam verlaufen!

Doch das ist nun nicht nur eine private Vereinbarung, sondern es wird in einem feierlichen öffentlichen Akt bekannt gemacht. Deshalb hat auch Gott etwas zu sagen, deshalb kann auch hier eine Trauung stattfinden, in der Gottes Wort über die Ehe verkündet wird. Was bisher

im Stillen geschehen ist, tritt nun an das Licht der Öffentlichkeit. Und es wird mit einem Bund besiegelt. Diese äußeren Formen gehören durchaus dazu, denn nur so wird alles rechtskräftig.

Es genügt nicht, einfach nur zusammenzuziehen. Angeblich ist das Zeichen einer modernen Einstellung und fördert die Gleichberechtigung der Frau. Aber in der meisten Fällen steht dahinter nur Eigensucht und man will sich noch ein Hintertürchen offenhalten. Doch wenn man sich wirklich liebt, kann man auch heiraten. Gerade wo viele heute so vereinzelt sind, sollte man ein Stück Gemeinschaft dagegen setzen.

Ein Bund zwischen zwei Menschen wie ihn die Ehe darstellt, beginnt mit dem Bundesversprechen, also in diesem Falle mit der Verlobung. Die Hochzeit ist dann der endgültige Bundesschluß auf Lebenszeit. Weil das so eine wichtige Sache ist, wird auch ein Fest gefeiert, man zieht Festkleider an und hält ein Festmahl. Das äußere Zeichen des Bundes ist der Ring. Er verbindet zwei Menschen äußerlich miteinander und deutet jedem Dritten an: „Hier darfst du nicht einbrechen!“ Wenn aber so ein Bund dennoch gebrochen wird, dann ist das ein sehr trauriges Ende für einen Ehebund.

Gott hat auch einen Bund geschlossen mit dem Volk Israel am Berge Sinai. Es sollte ein ewiger Bund sein, der auch mit einem Fest gefeiert wurde. Und das äußere Zeichen waren die Gebote, die Gott den Menschen gab, um sie zu beschützen, damit niemand in die Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch einbrechen kann.

Doch wie traurig sah es mit diesem Bund von seiten der Menschen aus: Gleich bei der nächsten Gelegenheit wurde er gebrochen! Gott hatte diesem armen Volk, das es nicht verdient hatte, seinen Bund geschenkt. Aber sie haben das Geschenk nicht gewürdigt. Doch Gott sagt immer wieder: „Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen! Sei getrost und unverzagt!“

Der Ehebund kann uns nun zum Sinnbild werden für den Gottesbund. Auch in der Ehe muß einer dem anderen viel vergeben. Aber dennoch bleibt der Bund bestehen. Gott jedoch hat noch mehr Geduld mit uns als ein Mensch es haben könnte. Wir dürfen immer wieder zu ihm zurück kehren und neu seine Aufforderung hören „Sei getrost und unverzagt!“

So ist dann der Ehebund umschlossen von dem Gottesbund. Und sicher ist der Gottesbund entscheidend wichtig für den Lebensbund der Menschen. Wir wollen nicht vergessen, daß zu unserem Leben ganz entscheidend der Bund mit Gott dazugehört. .

Aber auf der anderen Seite ist dann auch klar: Wer fest in diesem Gottesbund steht, der wird auch die Hilfe Gottes erfahren. So wie Gott dem Josua an einem entscheidenden Punkt seine Hilfe verspricht, so verspricht Gott heute auch Ihnen, die sie Ihre Ehe beginnen: „Ich will dich nicht verlassen noch vor dir weichen. Sei getrost und unverzagt!“ Wer sich auf Gott verläßt, der ist nicht verlassen: Er wird Trost finden im Leid und neuen Mut, wenn er einmal verzagt ist.

Im Vertrauen auf diese Verheißung Gottes dürfen Sie heute Ihren gemeinsamen Lebensweg beginnen. Er reicht Ihnen die Hand fürs Leben und will Sie begleiten auf dem Weg in ein noch unbekanntes Land. Wenn man seinen Weg mit Gott beginnt, dann kann man ruhig bleiben und voller Zuversicht in die Zukunft blicken.

 

„Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen!“                                           (Jos 24,15)

Mit der Hochzeit werden zwei Menschen zu einer Familie, oder wie es, in der Bibel noch altertümlich heißt: „zu einem Haus.“Mit diesem Haus ist nicht das Wohngebäude gemeint, sondern zum „Haus“ gehören alle, die in einer Haus- und Familiengemeinschaft wohnen.

Früher war das meist eine ganze Anzahl von Personen. Mehrere Generationen wohnten unter einem Dach, und einer konnte dem anderen helfen. Familie und Arbeitsplatz waren noch nicht getrennt. Das ganze Leben war mehr einen Einheit.

Heute hat sich da Manches geändert. Wir haben Kleinfamilien mit wenigen Kindern. Jede Generation lebt möglichst für sich, wenn auch oft noch unter einem Dach mit den Eltern. Doch man zieht sich gern auf den eigenen kleinen Bereich zurück und möchte gern ganz privat sein.

Auch die persönlichen Entscheidungen werden nicht mehr nach Beratung mit der ganzen Verwandtschaft getroffen, sondern jeder entscheidet für sich selber. So sind es die jungen Leute von heute gewohnt, so soll es auch sein. Es wird manchmal schwer sein für die Eltern, wenn sie ihre Kinder innerlich freigeben sollen. Aber anders geht es nicht.

Aber auch für die jungen Leute wird durch die Ehe manches anders. Nun heißt es, Rücksicht nehmen auf den anderen. Man kann nicht mehr allein entscheiden, sondern muß sich immer mit dem anderen absprechen. Jede Frage kommt ja auf beide zu und jede Entscheidung hat ja

auf beide ihre Auswirkungen.

Aber das ist natürlich auch eine Hilfe für den Einzelnen. Nur steht nicht allein, die Last der Entscheidung liegt nicht nur auf ihm, sondern die Verantwortung wird gemeinsam getragen. Dafür hat Gott ja die Ehe eingesetzt, damit eins dem anderen helfen kann. Zu zweit geht vieles 1eichter. Man ist dann sicherer und hat mehr Zuversicht für die Zukunft.      

Bei der Entscheidung, um die es hier im Josuabuch geht, handelt es sich auch gleich um eine sehr gewichtige Sache. Das Volk Israel steht .nach dem Zug durch die Wüste kurz vor dem gelobten Land. Josua legt dem Volk die Frage vor: „Wollt ihr weiterhin zu dem Gott gehören, der euch aus Ägypten herausgeführt hat, oder wollt ihr es nicht?“

Für Josua steht die Entscheidung schon fest. Er legt hier gleich sein persönliches Bekenntnis ab: „Auch wenn ihr euch anders entscheiden solltet: Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen!“

Das ist eine gewichtige Frage, die man sich immer wieder in seinem Leben vorlegen muß.

Besonders aber in der Ehe ist die Frage des Glaubens entscheidend wichtig. Man kann dieses Gebiet nicht ausklammern, sondern muß hier gleich von Anfang an die nötige Klarheit schaffen. Meist ist es dann ja auch so, daß man sich gemeinsam einheitlich entscheidet, entweder so oder so.

Eine Ehe ist nun einmal eine Lebensgemeinschaft, in der es möglichst keine Trennung geben sollte. Zumindest wäre das gleich von vornherein eine schwere. Belastung. Vielleicht würde man bei unterschiedlichem Denken über Glaubensfragen zu keiner vollen, inneren Gemeinschaft finden.

Andererseits kann es eine große Hilfe sein für die Ehe, wenn man sich auch in dieser Hinsicht einig ist. Der gemeinsame Glaube, der gemeinsame Gottesdienstbesuch, das gemeinsame Gebet sind ein starkes Band zwischen zwei Menschen. Was die anderen in dieser Frage machen, kann uns - wie dem Josua auch - gleichgültig sein. Es wird jeder nur nach dem gefragt, wie e r sich verhalten hat.

Heute, am Tag Ihrer Trauung, werden Sie deshalb auch gefragt, ob Sie sich zu diesem, Gott halten wollen. Doch allein die Tatsache der Trauung selbst ist ja schon ein Bekenntnis. Hier wird ja öffentlich kundgetan: Uns ist der Segen Gottes für unsere Ehe schon wichtig; wir wollen gleich der. ersten Tag im Namen Gottes beginnen.

Heute werden Sie nun, als eine christliche Familie, als ein „christliches Haus“, in die Gemeinde eingefügt. Sie dürfen damit in der großen Gemeinschaft der christlichen Familien stehen, die schon vor Ihnen hier an diesem Altar den Segen Gottes empfangen haben. Auch die Gemeinde will Ihnen zur Seite stehen und bietet Ihnen manche Hilfe an.

Aber noch wichtiger ist die Hilfe Gottes, die Ihnen heute zugesprochen wird. Er will Sie auf Ihrem Weg begleiten in ein unbekanntes Land. Wenn Sie das Bekenntnis des Josua nachsprechen können: „Ich aber und mein Haus wollen dem Herrn dienen!“dann werden nicht nur Sie dienen, sondern Gott wird auch Ihnen dienen.

Wenn wir uns auf die Seite Gottes stellen, dann bindet er sich an uns, dann können wir uns auch auf ihn verlassen Nehmen Sie das deshalb heute als Verheißung für Ihre Ehe mit: Unser aller Gott, der Gott Israels und der Vater Jesu Christi, ist auch Ihr Gott. Er steht Ihnen zur Seite, wohin Sie auch gehen. Er führt Sie ins Unbekannte, aber er hilft Ihnen auch bei den neuen Aufgaben. Mit diesem. Gott können Sie es wagen!          

 

„Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Der Herr tue mir dies und das, nur der Tod wird dich und mich scheiden!“                                                   (Ruth 1,16-17)

Dieser Spruch ist sehr beliebt bei Trauungen. Aber man kann auch wiederum Hemmungen haben, ihn zu verwenden. Denn wo trifft das denn wirklich einmal zu, daß man wirklich mit dem Ehepartner ins Ausland und in die völlige Fremde geht?

Es muß sich doch kaum einer wegen einer Heirat ganz von seiner bisherigen Familie losreißen. Die meisten bleiben doch auch heute noch am Ort oder ganz in der Nähe wohnen und der Kontakt mit den Angehörigen ist ohne weiteres möglich. Oft weiß man das gar nicht einmal zu schätzen.

Doch die Ruth hier geht sogar in ein fremdes Land. Es ist die Heimat ihrer Schwiegermutter, wo gerade eine Hungersnot überstanden ist. Ruth wäre nicht verpflichtet gewesen, nach dem Tod ihres Mannes mit der Schwiegermutter zu gehen‚ sie hätte wieder in ihre alte Familie zurückkehren können. Aber sie sagt: „Ich gehöre nun einmal zu der Familie meines Mannes, da will ich auch meine Schwiegermutter nicht allein lassen, wo sie nun alt geworden ist und meine Hilfe braucht!“

Leicht ist das sicher nicht wenn man so alle Brücken hinter sich abbrechen muß und in ein Land kommt, wo man zunächst einmal als Fremde angesehen wird, wo einem auch sonst manches fremd ist - man kann schon etwas Beklemmungen dabei haben. Vor allem hat ihr ja auch der Ehepartner gefehlt, der ihr das Einleben erleichtert hätte und ihr eher zu einer Anerkennung bei den Leuten der neuen Umgebung, verholfen hätte.

Zu zweit kann man eine solche Umstellung schon viel leichter bewältigen. Das ist eben das Gute an der Ehe, daß einer dem anderen helfen kann. Deshalb können wir dieses Bibelwort auch einmal auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau anwenden: „Wo du hingehst da will ich auch hingeben; wo du bleibst, da bleibe ich auch!“ Bei der Liebe zweier Menschen ist eine Kraft am Werk, die größer ist als alles Trennende und Schwierige. Wenn man sich einmal füreinander entschieden hat, dann wird man auch zusammenhalten, was auch immer kommen mag. Keiner wird verspielen, was errungen wurde.

„Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott!“ heißt es weiter im Buch Ruth: Auch ein paar Dörfer weiter leben Menschen wie wir. Man wird sich schon in die neue Umgebung und die neue Verwandtschaft einleben können. Wenn vielleicht auch manche Bräuche anders sind oder sprachliche Besonderheiten bestehen - aus der Welt ist man ja nicht.

Vor allem gibt es anderswo den gleichen Gott wie hier und natürlich auch eine christliche Gemeinde. In diese Gemeinde sollen Sie hineinwachsen, nun nicht mehr als zwei Einzelne, sondern als eine Familie. Von heute an werden Sie immer zusammen gesehen, auch von Gott. Er fragt nicht nach der Herkunft des Einzelnen, sondern wie er sich jetzt gerade verhält.

Dieser Gott wird Ihnen auch helfen, die Aufgaben Ihrer Ehe zu meistern. An ihn dürfen Sie sich wenden, wenn Sie nach Trost und Hilfe suchen. Ihm dürfen Sie danken für all das, was er Ihnen geschenkt hat.

Es kommen aber auch einmal schwere Zeiten, wo man nach Rat und Schutz Ausschau hält. Aber bei Gott dürfen Sie sich geborgen wissen bis an Ihr Lebensende. Ja, eine Ehe ist auf Dauer geschlossen, soll bis zum Ende halten. Nur der Tod kann zwei Menschen voneinander scheiden, aber dann wird man neu vereint sein mit Gott.

Vor Ihnen liegt nun das ganze weite Feld einer Ehe, das Sie sich nun erobern wollen. Man kann eine solche Aufgabe natürlich auch ohne Gott anpacken. Aber wenn Sie hier um seinen Segen bitten, dann dürfen Sie sicher sein: er läßt Sie nicht allein. So wie er andere Ehepaare vor Ihnen nicht allein gelassen hat, so wird er auch Ihnen beistehen.

Wir wollen jedenfalls in diesem Gottesdienst für Sie beten, und um den Segen Gottes für Sie bitten. Die Ruth, von der uns in der Bibel berichtet wird, hat auch auf Gott vertraut und ist dabei nicht schlecht gefahren Auch wir können uns auf diesen Gott verlassen, denn er verläßt uns nicht, wo immer wir auch sind. Überall ist Gottes Welt und überall sind wir ihm nahe und er ist uns nahe.

So mögen Sie dann Ihre Ehe im Namen dieses Gottes beginnen und unter seinem Schutz und Segen weiterführen. Was Gott heute mit Ihnen angefangen hat, das wird er auch zu einem guten Ende führen.

 

„Gott ist mein Hort, auf den ich traue, mein Schild und Berg meines Heils, mein Schutz und meine Zuflucht, mein Heiland!“                                                              (2. Sam 22,3)

Zunächst einmal vertrauen wir doch alle auf unsere eigene Kraft und Stärke. Wir spüren unsere Fähigkeiten und möchten sie anwenden. Ehe man andere belästigt, versucht man erst einmal selber durchzukommen. Da ist ja auch etwas Wahres dran, es soll ja keiner auf Kosten der anderen leben, sondern er ist verpflichtet, sich erst einmal selber anzustrengen.

Auch wenn man heiratet, erscheint das erst einmal als eine rein menschliche Angelegenheit. Zwei Menschen haben sich gefunden und versuchen, ihr Glück in die eigenen Hände zu nehmen. Vielfach wird man ja schon gleich am Anfang einer Ehe in allerhand Aufgaben und Probleme gestürzt, daß man gar nicht recht zur Besinnung kommt: Einrichtung der Wohnung, Abschluß der Berufsausbildung, Einleben in die neue Verwandtschaft, eventuell Sorge für ein Kind.

Es ist sicher auch gar nicht schlecht, wenn man sich Manches erst gemeinsam erringen muß. Aber es ist auch gut, wenn man darüber nicht vergißt, daß es auch noch Höheres und Wich­tigeres gibt. Der Spruch aus dem zweiten Samuelbuch, aus einem Dankpsalm, will Sie daran erinnern. Er verweist auf Gott, der Helfer und Beistand in einer Ehe sein will.

Es wird von ihm gesagt, daß man auf ihn vertrauen kann. Wer heiratet, muß auch seinem Partner voll und ganz vertrauen. Da kann er nicht bestimmte Dinge ausklammern und denken: „Ach, es wird sich schon einrenken!“ Da kann man nichts verschweigen oder dazutun, sondern rückhaltlose Offenheit ist erforderlich. Und man muß wissen: Der andere wird mit mir durch dick und dünn gehen!

Er wird mich nicht allein lassen, wenn ich einmal in irgendeiner Sache versagt habe. Er wird mir beistehen in Krankheit und Leid. Er wird mir alles zugutekommen lassen, was ihm selber Freude gemacht .hat.

Wenn kein Vertrauen da ist, läßt man es besser sein mit dem Heiraten. Es wird nichts, wenn man schon den Gedanken hat: Wenn es nicht klappt, kann man ja immer noch wechseln. Eine Ehe ist auf Dauer angelegt, für das ganze Leben. Wer dazu nicht bereit ist, der ist eben nicht reif dafür.

Auf Gott aber kann man vertrauen. Menschen enttäuschen uns manchmal. Aber Gott läßt keiner im Stich. Er ist unser Helfer und Beistand in Freude und Leid, in guten wie in schweren Tagen. Er denkt immer nur das Beste von uns und hält große Stücke auf uns. Wenn es eine Enttäuschung gibt, dann liegt die. Schuld immer auf Seiten der Menschen.

Hier wird Gott verglichen mit einer Burg, mit einem schützenden Schild und mit einem Berg, auf den man flüchten kann. Es ist immer gut, wenn man so etwas im Hintergrund hat. Man wird oft lange Zeit sein Leben führen, ohne daß man Gott besonders braucht. Wenn Friede herrscht und alles gut läuft‚ dann braucht man keine Burg, so denkt man jedenfalls.

Aber sowie Gefahr droht, erinnert man sich daran daß ja eine Zuflucht da ist. Es ist gut‚ wenn man der Weg nach dort schon kennt. Das bedeutet aber: auch in den guten Zeiten sollte man Verbindung haben zu dem Ort, wo man Rettung finden kann.

So sollten wir auch immer Gott über unserem Leben und unserer Ehe wissen. Und wenn wir ihn gerade einmal nicht als Helfer brauchen, dann sollten wir uns mit unserem Dank an Ihn wenden. Auch wann unser Leben ganz normal verläuft, nicht besonders aufregend und ohne besondere Schwierigkeiten, dann haben wir doch Grund zur Dankbarkeit.

Auch dieser Gottesdienst ist eine Gelegenheit, Gott zu danken. Sie haben einen bestimmten Punkt in Ihrem Leben erreicht und schauen voll Zuversicht in die Zukunft. Es kann ein guter Weg werden, wenn Sie ihn mit Gott gehen.

Es werden auch einmal Tage kommen, wo sie nicht mehr so recht weiter wissen. Dann werden Sie erst Ihre vollen Erfahrungen mit Gott machen. Dann wird er sich als Schutz und Zufluchtsort erweisen. Dann werden Sie merken, wie er zum Heiland werden kann.

„Heiland“, das heißt doch: Er kann das Leben wieder heil machen, kann Wunden verbinden und Kraft zu einem Neuanfang geben. Er kann Menschen wieder zusammenführen und ihrem Leben immer wieder einen Sinn geben. Es ist gut, daß wir diesen Gotthaben. Wir brauchen nicht allein oder zu auch zu zweit durchs Leben zu gehen, sondern wir haben einen Beschützer und Helfer. Wenn Sie sich immer wieder an ihn wenden, werden Sie es leichter im Leben und in der Ehe haben.

 

Glaubet an den Herrn, euren Gott, so werdet ihr sicher sein; und glaubt seinen

Propheten, so werdet ihr Glück haben                                                       (2. Chron 20,20)

Wir wollen doch alle Glück haben und glücklich werden. Gerade an Beginn einer Ehe erwartet man das doch. Auch die Leute wünschen Glück und Segen und alles scheint in bester Ordnung zu sein. Natürlich hat man auch Grund, an solch einem Tag glücklich zu sein. Schließlich ist es ja ein freudiger Anlaß, wenn sich zwei Menschen miteinander verbinden.

Und es ist ganz selbstverständlich, daß sie glücklich sind, weil sie für immer zusammengehören dürfen.

Aber was stellen wir uns im Einzelnen unter „Glück“ vor? Daß wir im Lotto gewinnen? Daß wir an einem Unfall gerade noch einmal vorbeikommen? Daß wir Glück in der Liebe haben? Daß wir gesund bleiben? Ist das schon alles, was zum Glück gehört?

Wie macht man das überhaupt, daß man glücklich wird? Nun: Wer glücklich werden will, der soll erst einmal andere glücklich machen. Glücklich wollen sie alle werden. Aber es kommt zunächst einmal darauf an, nicht etwas für sich haben zu wollen, sondern für andere dazu sein. Dann kommt auch das Glück ganz von selbst, ohne daß man noch viel dazu tun muß.

Denken wir an Menschen, die sich schon in ihrem. Beruf für andere einsetzen, vielfach unter Zurückstellung der persönlichen Wünsche. Aber wieviel Freude und Befriedigung kann man finden, wenn man die Dankbarkeit der Menschen sieht, um die man sich kümmert. Natürlich gibt es auch Unzufriedene, denen es keiner recht machen kann. Aber in der Regel wird es doch so sein, daß glücklich ist, wer andere glücklich macht.

Die Ehe ist die beste Gelegenheit, wo man üben kann, wie man als Mensch mit einem anderen Menschen umgehen soll. Zwei Menschen, die sich lieben, bringen doch die besten Voraussetzungen mit, um miteinander glücklich zu werden. Einer soll den anderen glücklich machen. Man kann nicht erwarten, daß der andere einen glücklich macht, sondern jeder sollte sich bemühen, zuerst an den anderen zu denken, daß e r glücklich werden kann.

Was man in der Ehegelernt hat, das kann man dann in der großen Gemeinschaft der Menschen anwenden. Mit dem heutigen Tag werden Sie ja als eine Familie in den großen Verband der Gesellschaft eingefügt. Sie stehen auch als eine christliche Familie in der Gemeinschaft und sind nun mit ein Glied am Leib der Kirche und haben dort ihre Aufgaben.

Deshalb ist es nun mit eine Ihrer Aufgaben, nicht nur einander glücklich zu machen, sondern auch gemeinsam andere Menschen glücklich zu machen. Sie können sich ja jetzt gegenseitig dabei helfen. Zu zweit gelingt manches besser als wenn man allein ist. Das ist der Segen, der über der Ehe liegt.

Doch das ist nun noch nicht alles. Der Spruch heißt ja: „Glaubet an den Herrn, euren Gott, so werdet ihr sicher sein; und glaubet seinen Propheten, so werdet ihr Glück haben!“ Nur im Glauben an Gott kann man diese Aufgabe schaffen.

Glück zu haben ist ja ein sehr vordergründiger und sehr menschlicher Wunsch. Doch das wird hier nicht schlecht gemacht, solche Wünsche sind schon berechtigt. Wir dürfen uns ruhig nach dem Glück sehnen. Dieser Spruch stammt ja aus dem Alten Testament, wo man besonders am Glück interessiert war und sehr weltlich und sehr diesseitig von diesem Glück sprach.

Aber man wußte auch: Glück kann man nur haben, wenn man sich auf die Seite Gottes stellt Wer an Gott glaubt, der wird sicher sein vor allen Gefahren. Und wer auf seine Boten hört, der wird Glück haben!

Unser Glück hängt nicht von Menschen ab, denn die denken immer nur zuerst an sich selbst. Unser Glück hängt allein von Gottes Schutz ab. Auch in einer Ehe können Gefahren und schwere Zeiten kommen. Aber bei Gott ist man geborgen und sicher.

Das ist eine große Verheißung, die Ihren heute mit auf den Weg gegeben wird. Wenn Sie sich unter dem Schutz Gottes stellen, dann werden Sie ihr Glück finden. Und dabei könnte dann vielleicht auch das geschehen was Luther als den Sinn der Ehe angesehen hat, nämlich daß eins das andere in den Himmel bringe. Aber es geht nicht um den siebten Himmel der Liebe, sondern es geht darum, zu Gott zu kommen, der unser Herr ist und der auch der Herr Ihrer Ehe sein wird.

 

„Bekümmert euch nicht; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke!“     (Neh 8,10)

Dieser Bibelspruch war einmal die Losung unserer Kirche für ein Jahr. Er kann aber auch sehr gut die Losung sein für ein ganzes Leben, besonders für ein Leben zu zweit in der Ehe. Am Beginn eines wichtigen Lebensabschnittes sucht man ja doch vielleicht nach einem Bibelwort, das einem Wegweisung und Hilfe sein kann. Gewiß ist die Bibel kein Orakelbuch. Aber sie enthält doch viele gute Worte, an die man sich halten kann, wenn man einmal nach einem solchen Wort sucht. In diesem Sinn wollen wir auch diesen Ihren Trauspruch verstehen und beherzigen.

Am Anfang einer Ehe erscheint natürlich alles im besten Licht. Das ist ja auch gut und richtig so. Man muß so einen wichtigen Schritt mit Freude tun und auch mit einem guten Schuß an Zuversicht und Selbstvertrauen. Die Bibel fordert uns ja auch mit diesem Spruch dazu auf: „Bekümmert euch nicht!“

Kummer wollen wir an einem solchen Tag nicht haben, obwohl wir doch auch wissen, wie schwer es im Leben und in einer Ehe werden kann. Da gibt es viel Kampf gegen äußere und innere Widerstände. Es kann Krankheit kommen oder berufliche Schwierigkeiten. Es geht nicht immer alles so glatt, wie man sich das vielleicht vorgestellt hat.

In einer jungen Ehe gibt es auch erst einmal Einspielungsschwierigkeiten. Vieles muß sich erst so ergeben oder miteinander abgesprochen werden. Wenn dann noch äußere ungünstige Umstände dazukommen, wird es doppelt schwer.    

Mancher könnte daraus den Schluß ziehen: Dann ist es wohl besser, erst überhaupt keine Ehe ins Auge zu fassen. Aus lauter Angst vor Bekümmernis würde er jeden Schritt in dieser Richtung unterlassen. So aber soll es ja gerade nicht sein. Die Ehe will im Gegenteil helfen, mit solchen Ängsten und Gefahren besser fertigwerden zu können.

Wenn zwei Menschen sich zusammentun, wollen sie doch besser vorankommen. Deshalb hat Gott ja den Ehestand eingesetzt. Er will nicht, daß der Mensch allein sei. Wenigstens e i n e n Partnersoll er haben, der ihm hilft‚ mit den Schwierigkeiten des Lebens fertig zu werden. So ist die Ehe eine gute Ordnung Gottes, die uns hilft, gemeinsam durchs Leben zu gehen. Dadurch wird dann doch Vieles leichter werden.

Wenn man aber erst einmal in dieser Ordnung drinsteht, kann man ihr nicht mehr ohne großen Schaden entfliehen. Dann muß man sich eben gemeinsam allen Problemen stellen und auch gemeinsam mit ihnen fertigwerden. Wenn man aber zu zweit ist und Gott um seinen Segen gebeten hat, dann darf man eine solche Aufgabe mit Freude in Angriff nehmen.

Wer seine Ehe nämlich im Namen Gottes beginnt, der steht auch unter der Verheißung Gottes. Er darf auch sicher sein, daß Gottes Hilfe ihn begleitet. Durch die Trauung sagt Gott uns seinen Beistand zu, und da dürfen wir auch sicher sein, daß er uns nicht allein läßt. Erfahrene Eheleute können vielleicht schon die Wahrheit dieses Bibelspruches bezeugen. Manchmal offen, manchmal verborgen, darf man immer wieder die Hilfe Gottes erfahren, besonders in der Ehe.    

Sie ist schon ein Wagnis, aber ein schönes Wagnis. Deshalb darf man auch mit Freude daran gehen ‚weil Gott uns diese Freude schenkt. Wir müssen uns nicht mit Gewalt in eine solche Freude hineinsteigern oder gar noch irgendwelche Mittel zur Nachhilfe verwenden. Unsere Stärke ist, daß echte Freude uns von Gott geschenkt wird, eine Freude, die auch andauert und die uns hilft, über alle Gefahren und Bekümmernisse hinwegzukommen.

Am heutigen Tag muß man es ganz laut sagen: Wenn man sich auf Gott verläßt, ist man nicht verlassen; dann kann man die Gefahren des Lebens bestehen und immer enger zusam­men­wachsen. Zunächst einmal werden Eheleute mehr die Freude aneinander im Auge haben. Aber erst die gemeinsame Freude an Herrn wird stark machen. Der Glaube, das feste Stehen in der Gemeinde, das Weiterentwickeln dessen, was man gelernt und geübt hat - all das kann ein festes Band werden, das dem gemeinsamen Leben Dauer und Festigkeit gibt.

Die Ehe ist eine zarte, aber schöne Pflanze. Wir müssen sie immer wieder begießen und pflegen. Sie braucht Liebe und Freude. Aber dann blüht sie auch und wird von Tag zu Tag schöner und stärker. Wir Menschen müssen unseren Teil dazu tun. Aber Gott gibt das Gedeihen. Heute und alle Tag Ihrer Ehe ruft er Ihnen zu: „Bekümmert euch nicht; denn die Freude am Herrn ist eure Stärke!“

 

„Verlaßt euch auf den Herrn ewiglich; denn Gott, der Herr, ist ein Fels ewiglich!“

                                                                                                                                  (Jes 26,4)

Wenn man durch die Berge wandert, dann trifft man hin und wieder auf große Felsen. Sie scheinen wie für die Ewigkeit gemacht zu sein, unverrückbar und fest. Die Felsen sind uns ein Symbol für das Beständige, das alle Zeiten überdauert.

Aber genauso fest und beständig ist auch Gott in seiner Liebe zu uns. Er will uns begleiten auf unserem Weg durchs Leben, er will uns beschützen und er will uns helfen, wo es nötig ist. Auf ihn können wir uns verlassen‚ wenn wir Unterstützung brauchen.

Außer den Felsen findet man in den Bergen nur Geröll und weichen Waldboden, manchmal sogar auch ein schwankendes Sumpfloch, das nur einen sehr trügerischen Halt geben kann. Aber auf den Felsen hat man einen sicheren Stand, da kann nichts passieren.

So ist es auch oft mit der Treue der Menschen: sie kommt leicht ins Rutschen wie eine Geröllhalde, sie gibt nach wie der Waldboden und sie zerbricht wie die Oberfläche eines Sumpfes. Gottes Treue aber steht fest wie für die Ewigkeit, sie läßt sich durch nichts erschüttern, sie ist jeden Tag gleichbleibend und zuverlässig.

Solch ein herausragender Felsen ist uns aber auch oft ein guter Orientierungspunkt. Wenn uns die Gegend unbekannt ist und die Wegweiser fehlen, halten wir gern Ausschau nach einem markanten Punkt, der uns die Richtung weist. So brauchen wir auch für die Ehe gewisse Richtpunkte und Ziele, die uns weiterhelfen und den richtigen Weg weisen.

Sicherlich werden Ihnen an einem Tag wie heute manche gute Ratschläge und Wünsche mit auf den Weg gegeben. Das ist auch nur gut so und kann eine Hilfe sein. Aber den Weg müssen Sie immer allein finden und vor allen Dingen allein gehen. Das kann Ihnen niemand abnehmen und das ist ja auch Ihr Wunsch.

Aber Ihr Weg wird leichter und sicherer sein, wenn Sie sich an Gottes Wort halten, in engem Kontakt mit ihm bleiben und ihm Ihr Geschick anvertrauen. Deshalb bleibt doch immer noch genug Raum für die eigene Entscheidung. Gott will uns ja nicht einschränken durch kleinliche Vorschriften.

Auch in der Ehe geht es nicht um einen harten Zwang, sondern mehr um die Möglichkeiten, die Gott uns eröffnet. Nur zur Hilfe und damit es nicht zu schwer für uns wird, hat er einige Regeln aufgestellt für das Zusammenleben der Menschen, die natürlich ganz besonders für das Leben zu zweit in der Ehe gelten.

Zu diesen Regeln gehört etwa das sechste Gebot, das uns den Bruch der Treue verbietet. Dazu gehört aber noch viel mehr die Aufforderung, einander zu lieben und mit Liebe auch die Schwierigkeiten zu meistern. Da wird uns gesagt, daß Mann und Frau gleich wert geschaffen sind und daß sie sich als Partner begegnen sollen und zusammenarbeiten sollen.

Vielleicht wird sich das auch mancher ganz von selber sagen können. Aber mit unseren guten Vorsätzen ist das ja immer so, daß wir sie sehr leicht wieder über Bord werfen. Gott dagegen können wir nicht so einfach abschieben‚ so wie wir ja auch einen Felsen nicht einfach beiseite räumen können. Aber das ist nur von Vorteil für uns. Denn nachher sehen wir vielleicht doch ein, daß wir nur einen Fehler gemacht hätten, wenn wir nach unsren eigenen Vorstellungen gegangen wären.

Deshalb wird Ihnen am Beginn Ihrer Ehe die Empfehlung gegeben: „Verlaßt euch auf den Herrn ewiglich!“ Vertraut nicht nur jetzt einmal auf ihn, sondern laßt ihn die ganze Ehe über mit dabei sein. Ein kurzes Strohfeuer nutzt nicht viel. Erst auf die Länge der Zeit kann man Erfahrungen mit Gott machen. Aber wer sich auf Gott verläßt, der ist dann auch nicht von ihm verlassen. Menschen machen uns oft Zusagen und lassen uns dann im Stich. Bei Gott ist das nicht so. Er freut sich im Gegenteil, wenn wir etwas von ihm erwarten und uns helfen lassen wollen.

Wir brauchen auch durchaus den Beistand Gottes. Es wird nicht immer leicht werden in der Ehe. Es kommen auch einmal schwere Tage, wo man mit Trauer erfüllt ist oder unsicher wird. Da sucht man dann nach einem Halt und einem Ausweg. Aber diese Hilfe ist längst schon da, wenn wir sie nur ergreifen.

Heute macht Ihnen Gott in der Trauung die Zusage, daß Sie sich auf ihn verlassen können. Er steht Ihnen bei, was Ihnen das Leben auch bringen wird. Seine feste Hand ist ausgestreckt, um Sie zu führen. Sie brauchen diese Hand nur zu ergreifen, dann wird es Ihnen gut gehen.

 

 „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden!“                                                                                                                        (Jes 40,31)

Sie sind nicht die Ersten, die die Ehe geschlossen haben und nun getraut werden. Vor Ihnen haben auch schon andere hier gestanden‚ um Gottes Segen für ihre Ehe zu- erbitten. Sie sind

 heute nicht allein. Gott ist mit ihnen in allem, was Sie tun.

Und hinter Ihnen steht die christliche Gemeinde, in die Sie nun eingefügt werden als eine christliche Familie. Mit Ihren Gang zur Kirche haben Sie allen gezeigt: Unsere Heirat beruht nicht auf einer privaten Übereinkunft, sondern hat für uns etwas mit Gott zu tun: Deshalb werden Sie nun auch getragen sein von der übergreifenden Ordnung Gottes. Er hat die Ehe eingesetzt und gesagt: „Es ist gilt so!“

Deshalb dürfen Sie sich heute der Zustimmung Gottes gewiß sein. Und wenn Sie ihn um Hilfe bitten, wird Gott Sie auch beschützen auf Ihrem Lebensweg. Sie werden „laufen und nicht matt werden, sie werden wandeln und nicht müde werden“.

Es gibt Manches, was uns den Mut zum Leben nehmen kann. Da sind zunächst einmal die äußeren Schwierigkeiten, bis man sich ein Heim geschaffen hat und die wirtschaftlichen Dinge nicht mehr so eine Rolle spielen. Da muß man Zufriedenheit in seinem Beruf und bei seinen sonstigen Aufgaben finden. Da muß man sich mit den Menschen gut verstehen und in die neue Verwandtschaft einfügen: Das persönliche Leben muß sich erst noch aufeinander einspielen, man muß erst noch zusammenwachsen.

Heute ist natürlich erst' einmal ein Tag der Freude. Heute sind Sie erst einmal am Ziel Ihrer Wünsche und können neuen Mut fassen. Aber in einigen Tagen sind Sie schon wieder eins der vielen Ehepaare, die im harten Lebenskampf stehen und ihren Weg durch diese Welt erst finden müssen.

Sehr viel Neues wird auf Sie einstürmen. Sie werden viel Kraft brauchen, um das alles zu bewältigen. Vielleicht werden Sie die ganze Ehe damit zu tun haben, den immer neuen Anforderungen gerecht zu werden. Es können ja auch einmal Leid und Krankheit kommen,

wo man sehr fest zusammenstehen muß, um alles zu bewältigen. Doch gerade dann sollen Sie sich an diesen Bibelspruch erinnern, der Ihr Trauspruch ist: „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft!“

Aber erwarten wir denn eigentlich tatsächlich etwas von Gott? Ist er nicht doch mehr so etwas wie eine Verzierung an unserem Leben, die sein, kann, die man aber auch lassen kann? Vielleicht muß man erst einmal die Erfahrung gemacht haben‚ daß Gott tatsächlich mehr ist, daß er helfen, kann und Halt gibt.

Eine Ehe beginnt immer mit großen Erwartungen. Am meisten erwartet man von dem Menschen, den man liebhat. Man hat Gemeinschaft mit ihm gefunden und verspricht sich viel vor der gegenseitigen Hilfe. Das ist ja auch gut und schön so, das ist ja mit ein Hauptzweck der Ehe, auch nach der Bibel.

Aber können wir nicht auch etwas von Gott erwarten? Können wir nicht vielleicht noch mehr von ihm erwarten als von einen Menschen, auch wenn es der liebste Mensch für uns auf Erden ist? „Die auf den H e r r n harren, kriegen neue Kraft!“ Wenn Sie einmal ganz verzweifelt und mutlos. sind, werden Sie schon merken, wie sehr Sie Kraft von Gott brauchen.

Vor allen Dingen k a n n Gott auch Kraft geben, wenn man nur etwas von ihm erwartet. Wir müssen ihn nur bitten und ihm auch alles zutrauen. Dann kann man auch erfahren, daß da eine Kraft ist, die über unser menschliches Vermögen hinausreicht und uns weiter bringt als alle menschliche Hilfe.

Man kann natürlich auch sagen: „Wir schaffen alles alleine, ohne den Rat der Eltern und Verwandten und auch ohne Gott!“ Wer so denkt, macht es sich unnötig schwer im Leben. Man kann ihn natürlich auch nicht auf einen solchen Bibelspruch hinweisen‚ denn er wird ihm nichts bedeuten.     

Wer aber sein Leben von Gott als Geschenk in Empfang nimmt, dem ist solch ein Spruch doch Trost und Hilfe. Er ist ja. nicht nur für die Stunden der Not gedacht, sondern gerade für einen Tag wie heute: Wer im Namen Gottes seine Sache beginnt, der spürt die große Freude und Zugereicht, die uns mit der Hoffnung auf Gott gegeben ist.

Mögen Sie doch. auch etwas erfahren von der Leichtigkeit des Lebens unter Gottes Hand. Mögen Sie doch auch „auffahren mit Flügeln wie Adler“ und von oben her die Dinge dieser Welt betrachten. Ein Adler steigt sehr hoch hinauf und kann deshalb viel überblicken. Er sieht erst alles im rechten Licht und unter den richtigen Größenverhältnissen.

Als Christen stehen wir mit Gott Hilfe genauso über der Dingen. Und daß auch Sie in Ihrer Ehe immer wieder die herrliche Freiheit der Kinder Gottes erfahren mögen, wünschen wir Ihnen alle und erbitten es von Gott im Gebet. Denn: „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft!“

 

„Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott!“        (Jes 41,10)

Es gibt viele Dinge, die man im Leben fürchten wird. Auch am Beginn einer Ehe hat man vielleicht noch Angst vor dem Neuen. Das ist ganz natürlich und niemand findet etwas dabei. Zwei Menschen stehen am Ufer und blicken hinüber auf die andere Seite, zu neuen Ufern. Dort drüben ist Neuland, das man sich erst erobern muß, das man erst kennenlernen muß und das man erst liebgewinnen wird.

Allerdings: So ganz neu wird es auch nicht sein. Man hat sich ja schon vorher gekannt und Pläne gemacht. Aber wenn es dann ernst wird, sieht alles noch einmal ganz anders aus. Wenn man erst einmal im richtigen Wasser schwimmen muß, dann ist das etwas anderes als alle Trockenschwimmübungen vorher. Deshalb darf sich jeder freuen, der sich in das neue Element gestürzt hat.

Das Schöne dabei ist: Es geht nicht allein! Sicher hat es auch seine Vorteile, wenn man allein und ungebunden ist und auf niemanden Rücksicht zu nehmen braucht.

Aber dann ist man halt auch allein, wenn man einmal einen anderen Menschen braucht; dann ist man eben einsam und hat niemanden, mit dem man sich über alles aussprechen kann.

Mancher wird das sehr oft spüren und deshalb Ergänzung und Austausch mit einem Partner suchen. Ein anderer dagegen meint, er begehe einen Fehler, wenn er eine Ehe eingeht, weil er dann sein Ungebundensein aufgibt.

Ein Glück nur, daß doch immer wieder Menschen diesen Fehler machen und schließlich doch in den Hafen der Ehe einlaufen. Denn in der Ehe werden sie schon bald eines Besseren belehrt: Es läßt sich doch alles besser durchstehen‚ wenn man zu zweit ist, sowohl in Freude

wie in Leid.

Doch das ist noch nicht alles. Eine Ehe ist nicht nur eine Privatangelegenheit zweier Menschen .Gott will mit dabei sein in Freude und Leid: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir!“ sagt er uns hier: Er will sich damit nicht aufdrängen. Aber er bietet seine Hilfe denen an, die darauf warten. Gott steht uns bei, wenn wir nicht mehr weiter wissen; er will uns helfen, gerade die schwierigen Situationen zu meistern.

Diese Hilfe kann sicher jeder für seine Ehe gebrauchen. Es ist nicht leicht, in der Welt von heute zu bestehen. Vom Beruf her kommen starke Anforderungen, die Beziehungen zu anderen Menschen und zur Gesellschaft müssen           ausgewogen sein, man möchte etwas Vergnügen und Erholung    finden. Unser Glaube ist da ein Angebot, mit all diesen Fragen fertig zu werden.          

Keiner braucht sich zu fürchten vor den Anforderungen, die auch in der Ehe auf ihn einstürmen. Gott steht denen zur Seite, die auf ihn vertrauen. Wir dürfen uns im Gebet mit allen Dingen an ihr wenden. Wenn wir selbst nicht mehr weiterkönnen, dann dürfen wir uns doch bei ihm neue Kraft holen.    

Er fordert uns auf: „Weiche nicht, denn ich bin dein Gott!“ Man kann manchen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, indem man ihnen ausweicht. Gott aber sagt: „Bleib stehen, ich helfe dir schon!“ Auf Gott können            wir uns verlassen.      

Aber auf der anderen Seite wird uns damit auch gesagt: Gott kannst du nicht entweichen! Du bist ihm verantwortlich für alles, was du tust in deinem Leben. Jeder Ehepartner ist für den anderen verantwortlich vor Gott. Luther hat es so ausgedrückt: „Eins soll das andere in den Himmel bringen!“Das gilt in guten wie in bösen Tagen, in Freude und Leid. Da gibt es keine Ausreden: „Der andre war schuld!“ Jeder muß seinen Teil an Verantwortung selber übernehmen.       

Sie aber haben Ihre Ehe unter den Schutz Gottes gestellt. Sie sind hierher gekommen, um sich trauen zu lassen und den Segen Gottes für Ihre Ehe zu empfangen. Nun erwartet    man auch etwas von Ihnen. Wer sich auf die Seite Gottes stellt, der muß auch so leben, wie es sich bei Gott gehört, das ist ganz selbstverständlich. Sie sind von heute an nicht nur irgendeine Familie, sondern eine christliche Familie, über der als Verheißung und Auftrag stehen soll: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott!“     

Vor allem die Verheißung wollen wir heute hören. Wir brauchen immer wieder viel Schwung, schon für den Anfang, aber auch für das Durchstehen. Gott kann Ihnen diese Kraft schenken. Wir wollen ihn in unserem Gebet immer wieder darum bitten.

 

„Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen!“                                                                                                             (Jes 54,10)

Es ist eine Gnade Gottes, daß es Mann und Frau gibt und daß beide aneinander gewiesen sind. Das macht uns die Bibel deutlich, wenn sie am Anfang in einer anschaulichen Geschichte etwas deutlich machen will vom Wesen des Menschen. Da heißt es nämlich: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. Ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei!“

Damit der Mensch sich nicht allein durchs Leben schlagen muß und damit er sich nicht so einsam fühlt, wird ihm der Ehepartner gegeben. Das ist nach diesen Geschichten am Anfang der Bibel der Sinn der Ehe. Wenigstens e i n e n Menschen soll man haben, der zu einem hält. „Gott hat das extra so eingerichtet!“ bekennen die Menschen, die diese Geschichten erzählt haben. Damit machen sie auch uns heute deutlich: Die Ehe ist eine gute Schöpfungs­ordnung Gottes, die wir voller Dankbarkeit hinnehmen sollten.

Aber man kann es auch als eine besondere Grade verstehen, wenn gerade diese zwei Menschen sich gefunden haben Sicherlich war es zunächst nur Ihre ganz persönliche Entscheidung, bei der Sie nicht weiter nach Gott gefragt haben. Aber vielleicht kann man es doch jetzt nachträglich so verstehen: Gott hat mir ganz bewußt den anderen gegeben als Gefährten und Gehilfen! Mit diesem Menschen soll ich nun zurechtkommen und ein ganzes Leben zusammensein.

Das ist auch wieder so eine Gnadentat Gottes: Man darf sich auf ein ganzes Leben einrichten! Eine Ehe ist immer auf Dauer angelegt und entwickelt sich erst mit der Zeit so richtig. Man muß nicht gleich wieder auseinanderlaufen, wenn es einmal Einspielungsschwierigkeiten gibt. Man hat vielmehr Zeit, sich aufeinander einzustellen und einander immer besser kennenzulernen.

Manche Menschen behaupten, die lebenslange Ein-Ehe sei ein unerträglicher Zwang und heute altmodisch und überholt. Aber eher ist das Gegenteil der Fall: Gerade wo heute die mit­menschlichen Beziehungen so zu verflachen drohen, hat man einen Menschen nötig, dem man ganz vertrauen kann. Und Vertrauen kann nur richtig wachsen, wenn man ständig zusammen ist.

So wollen wir also an diesem Tage dankbar sein, daß Gott so etwas möglich macht. Er läßt uns in dieser engen Gemeinschaft leben und sagt: „Ich gebe meinen Segen zu eurem Tun! Ihr dürft wissen, daß Ihr das Rechte tut!“

Gott sagt: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen!“ Wir wissen, daß die Berge nicht von ihrem Fleck weichen werden. Aber noch sicherer als diese Tatsache ist uns die Gnade Gottes. Er hält doch ganz unverrückbar zu uns.

Es mag ja manches kommen, das unser Verhältnis zu Gott stört. Denken wir vielleicht an Einwirkungen von außen, an Menschen, die uns von Gott abbringen wollen oder auch Menschen, die uns auf ihre Seite ziehen wollen. Dazu kommt, dann noch der Ungehorsam von unsrer Seite. Wir tun doch so Manches, was nicht dem Willen Gottes entspricht und ihm nicht gefallen kann.

Vielleicht zweifeln wir auch hin und wieder an der Macht Gottes. Es geschieht so Manches in der Welt, das den Anschein in uns erwecken könnte, es gäbe keinen Gott oder Gott sei machtlos. Auch in mancher Ehe wird man vielfach nichts von Gott verspüren. Dann liegt es nahe, an Gottes Macht irre zu werden.      

Doch Gott sagt: „Meine Gerade soll nicht von dir weichen!“ Sie soll auch nicht von Ihnen weichen, die Sie heute die Ehe geschlossen haben, denn dieses Bibelwort wird gerade Ihnen am heutigen Tage ganz besonders gesagt.

Oftmals hätten wir es sicher nicht verdient, daß Gott sich so um uns kümmert. Aber er ist eben so. Er will sich auch mit einem solchen Ehepaar befassen, das nun seinen gemeinsamen Weg beginnt. Vielleicht wird dieser Weg nicht immer leicht sein. Aber es wird entscheidend darauf ankommen ob es ein Weg mit Gott sein wird.

Er macht Ihnen heute dieses Angebot, daß er seine Gnade nicht von Ihren weichen lassen will. Es liegt nun an Ihnen, ob Sie sich von ihm helfen lassen wollen. Vielleicht meint man, ihn im Augenblick nicht so nötig zu haben. Aber es können ja auch einmal andere Zeiten kommen, wo man nach einem Wort Gottes sehnt, das Trost geben kann und das einen wieder aufrichten will.

Da soll Ihnen etwa Ihr Trauspruch einfallen: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen!“

So wünschen wir Ihnen hier alle, daß Sie sich oft auf diese Gnade Gottes verlassen. Wir wollen für Sie beten und die Nähe Gottes auf Sie herabflehen. Und wir wollen Sie und ihre Ehe dem anbefehlen, der der Herr aller Menschen ist und er auch Sie in Ihrer Ehe führen und leiten kann zu einem guten Ende.

 

 „So ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr!“                                                                        (Jer 29,13-14)

An wichtigen Punkten des Lehens ist es gut, sich einmal etwas Zeit zu nehmen und über alles nachzudenken. Man kann sich erinnern an das, was gewesen ist, was gelungen oder danebengegangen ist. Man wird aber vor allem auch Pläne machen für die Zukunft und überlegen, wie es weitergehen soll.

Die Hochzeit ist so ein wichtiger Einschnitt. Man verspricht sich gegenseitig, in Zukunft gemeinsam durchs Leben zu gehen. Man will versuchen‚ die eigenen Vorteile auch dem anderen zugute kommen zu lassen. Und man hofft darauf, daß er helfen kann, die eigenen Nachteile etwas zu mildern. Es ist gut, wenn man wenigstens noch einen Menschen neben sich hat, der mit einem durch Dick und Dünn geht, auf dem man sich verlassen kann und der einem auf jeden Fall beisteht.

Dazu ist ja die Ehe da. So steht es schon in der Bibel: Der Mensch soll nicht allein sein, er soll einen Gefährten haben, einen Partner. Wenn Mann und Frau in der Ehe zusammen leben, dann gibt Gott seinen Segen dazu. Das gemeinsame Leben bekommt einen tieferen Sinn, weil es unter den Augen Gottes geschieht.

Es ist gut, wenn man sich diese Tatsache gleich zu Beginn einer Ehe vor Augen hält. Gott will jedem Ehepaar, das in der Kirche getraut wird, mit seinem Schutz und Segen begleiten. Diese Verheißung Gottes soll auch von heute an über Ihnen stehen. Gott macht uns ein schönes Geschenk mit der Ehe. Es liegt an uns, ob wir es recht gebrauchen.

Eine gewisse Beklemmung und Unsicherheit wird man ja vielleicht doch haben, wenn man einen solchen Schritt wagt. Man fragt sich: „Wird auch alles gut gehen? Wird es so werden‚ wie wir uns das so vorgestellt haben? Werden wir gesund bleiben‚ werden wir arbeiten können und Geld verdienen? Werden wir uns wohlfühlen in der Gemeinschaft anderer Menschen?“

Aber es gibt auch noch andere Fragen, die im Zusammenhang mit der Heirat auftauchen. Viele Dinge müssen nun gemeinsam entschieden werden. Man muß vielfach erst herausfinden, was der andere denkt. und mag und vorhat. Manches spielt sich dann mit der Zeit ein. Aber es wird immer wieder auch Neues geben, wo man sich erst neu einigen muß. Manchmal werden auch beide Partner nicht so recht wissen, was sie tun sollen, ob es so oder so richtig ist. Dann werden sie vielleicht erst lange nach einer Lösung suchen.

Da wird man vielleicht auch anderswo Rat und Hilfe suchen. Da gibt es Verwandte und Freunde, die manchen guten Hinweis geben können. In Sachfragen wird man sich an Fachleute werden. Es gibt Bücher und andere Hilfsmittel. Aber vergessen wir nicht, daß auch Gott da ist, der gerade einem jungen Ehepaar helfen will. Wenn man noch auf den Suche ist, wenn man sich noch etwas unsicher auf dem neuen Feld bewegt, dann hat man doch in Gott einen verläßlichen Führer und Beistand.

Schon zur Zeit Jeremias sagte Gott zu seinem Volk: „So ihr mir von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen!“ Es ging ihnen nicht gut und sie brauchten Hilfe. Aber der Retter war da, sie brauchten sich nur an ihn zu wenden, er wollte und konnte auch eingreifen.

Auch in einer Ehe können einmal dunkle Tage kommen, wo man an die Grenzen seiner Macht gerät, wo Menschen dann nicht mehr helfen können. Da hilft es auch nicht, wenn man als ein Ehepaar zusammensteht, da muß ein Höherer eingreifen Zum Glück haben wir einen Gott, der über unserem Leben wacht und der uns dabei führen und geleiten will auf guten Wegen.

Aber er erwartet von uns, daß wir ihn von ganzem Herzen suchen. Es ist nicht damit getan, daß wir in die Kirche kommen und uns trauen lassen. Gott möchte, daß wir ihr wirklich brauchen und nach ihm Ausschau halten und ihn in allen Dingen, in großen und in kleinen, anrufen.

Der Glaube ist nicht eine Theorie, sondern etwas sehr Praktisches, das unser Leben voranbringt und eine Ehe entscheidend prägen kann.

Mann und Frau sind auch deswegen. in der Ehe zusammengefügt, damit "eins das andere in den Himmel bringt", wie Luther gesagt hat. Die Trauung will Ihnen wieder einmal einen Anstoß geben, in dieser Richtung Schwung zu nehmen. Eheleute haben auch die Aufgabe, im Glauben einander zu fördern und gemeinsam Fortschritte zu machen.        

Gott jedenfalls sagt uns allen zu, daß er sich finden lassen wird, wenn wir ihn nur von ganzem Herzen suchen. Er entzieht sich uns nicht, gerade dann, wenn wir ihn am meisten brauchen. Er freut sich vielmehr, wenn wir uns zu ihm aufmachen und um seine Hilfe bitten. Er will heute einen Bund schließen mit dem Ehepaar, das getraut wird. Er wird diesen Bund halten, da können wir sicher sein. Unsere Aufgabe wird es nur sein, in diesem Bund drin zu bleiben und uns von ihm tragen und stärken zu lassen.

 

„Freue dich und sei fröhlich; denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen!“

(Sach 2,14}

Wir wissen nicht so genau, wann eine Ehe denn eigentlich beginnt auf dem Standesamt oder in der Kirche, mit der Verlobung oder schon mit dem Verliebtsein? Eine Ehe wird nicht von dem Leiter des Standesamtes und auch nicht vom Pfarrer geschlossen, sondern - wenn schon - dann von Gott und v o r Gott. Es gibt ja nicht zu unrecht die Redensart: „Ehen werden im Himmel geschlossen!“ Aber es ist sicher auch viel Menschliches dabei; es geht doch auch immer um die ganz persönliche Entscheidung.

Aber wir wissen nicht so genau, wann aus dem Verliebtsein eine Liebe und aus der Liebe eine Ehe wird. Das stellt man eines schönen Tages plötzlich fest. Es ist so ähnlich wie mit der Geburt eines Kindes: Wir wissen nicht so genau, wann das neue Leben beginnt. Aber eines Tages steht es dann fest. Doch es muß noch lange heranwachsen und heranreifen.

So muß auch eine Ehe in der Verlobungszeit heranreifen. Sie ist schon länger da, aber doch nicht allen sichtbar Mit dem heutigen Tag, mit der Eheschließung und der Trauung tritt sie nun an das Licht der Öffentlichkeit: Heute ist der Geburtstag ihrer Ehe! So wie mit der Geburt eines Kindes das Leben erst eigentlich losgeht, so geht es nun auch mit Ihrer Ehe erst richtig los. Man muß sich an den neuen Zustand erst gewöhnen es gibt Arbeit und Sorgen, man muß Opfer bringen. Aber es gibt auch viel Freude, viel Neues zu entdecken und viel gelgenseitige Hilfe.

Deshalb ist dieser Tag ein fröhlicher Tag. Im ersten Teil Ihres Trauspruchs heißt es deshalb auch: „Freue dich und sei fröhlich!“ Deshalb gehört zur Hochzeit auch ein Fest, ein unvergeßlicher Eindruck, der das ganze Leben über bleibt. Sie sollen ja an den Geburtstag Ihrer Ehe immer mit Freuden zurückdenken können und sollen immer das Versprechen im Ohr behalten, das Sie sich heute gegeben haben.

Denn es können auch einmal schwere Stunden in ihrer Ehe kommen. Denken wir

nur daran, was die Generationen vor uns alles mitgemacht haben und welch großen Belastungen die Ehe damals unterworfen waren Wir können nicht dankbar genug dafür sein, daß heute manches besser ist. Und sie persönlich dürfen dankbar dafür sein, daß Sie es in manchen Dingen besser haben als andere Ehepaare.

Aber auch wenn einmal schlechtere Zeiten kommen sollten, dann' heißt es immer noch: „Freue dich und sei fröhlich!“ Die Freude, die Gott einem jeden von uns mit auf den Weg gibt, die kann uns über die vielen Schwierigkeiten unseres Lebens hinweghelfen, die doch immer wieder kommen werden

Außerdem dürfen Sie ja nun zu zweit Ihren Lebensweg fortsetzen, um sich in allen Dingen gegenseitig helfen. Es ist doch so, daß jeder bestimmter Vorzug hat, seine starken Seiten, wo er dem anderen überlegen ist. Das kann nun dem Partner mit zugutekommen, kann ihn zurecht­rücken und anspornen. Das ist der Segen und die Verheißung über der Ehe. Das werden Sie nun auch verspüren können. Dafür dürfen Sie immer wieder dankbar sein.

Aus diesem Gefühl der Sicherheit heraus kann dann auch letztlich eine Zufriedenheit und Freude wachsen. Doch das ist nicht einfach ein psychologischer Vorgang, der sich auf rein menschlicher Ebene abspielt. Der Spruch aus Sacharja gibt eine andere Begründung: „Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen!“ Dieses Bibelwort dürfen wir sicher auch einmal auf eine Ehe anwenden und unter diesem Blickwinkel sehen.

Wir dürfen ans freuen und fröhlich sein, weil Gott zu uns kommen will! Er will auch der Herr Ihrer Ehe sein und will bei Ihnen wohn en. Das ist durchaus ganz konkret zu verstehen: Gott möchte mit an Ihrem Tisch sitzen können, er möchte ihr Gebet hören können, er möchte eine Bibel bei Ihnen finden.

Mit Ihrer Trauung sind Sie zu einer christlichen Familie geworden, zu einem christlichen „Haus“, in dem Gott wohnen darf. Wenn Sie ihm immer genügend Platz einräumen, ja eigentlich sogar a 1 1 e n Platz, dann werden auch Freude und Fröhlichkeit in ihrem Haus sein.

Besonders nahe will er uns sein im Abendmahl. Hier darf man ganz .persönlich spüren, daß man eine Verbindung mit Gott hat, trotz aller Dinge, die sich trennend zwischen ihn und uns stellen könnten. Das ist eine große Sache, daß Gott uns immer wieder seine Hand reicht. Heute und alle Tage gilt es, diese Hand zu ergreifen und sich von ihr führen und leiten zu lassen. Daß wir einen solchen Gott haben, das macht und dankbar und gibt uns Grund zur Freude und läßt uns fröhlich sein.

 

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln“                                              (Ps 23,1)

Früher waren die Rollen in' der Ehe meist wie folgt verteilt: „Der Mann muß hinaus ins feind­liche Leben, drinnen waltet die züchtige Hausfrau!“ Das bedeutete Der Mann ging außer Haus einer Arbeit nach, er vertrat die Familie nach außen, er hatte Teil am gesellschaftlichen Leben. Die Frau dagegen war meist ans Haus gefesselt, hatte in jeder Hinsicht für den Mann dazusein und die Kinder großzuziehen.

Das ist heute zum Glück nicht mehr so: Mann und Frau haben einen Beruf, sie sind in der Ehe gleichberechtigt und teilen die Aufgaben untereinander auf. Da kann es dann durchaus auch so sein, daß man bei den Aufgabengebieten untereinander abwechselt und zum Beispiel auch die Frau die Familie nach außen vertritt oder der Mann die Hausarbeit macht.

Wir haben heute partnerschaftliche Vorstellungen von der Ehe. Das mag auch eine Folge jener alten Geschichte vom Anfang der Bibel sein, wonach Mann und Frau den gleichen Ursprung haben und gleichberechtigt nebeneinander leben.

Das Bild vom Hirten und der Herde aus dem 23. Psalm könnte wieder die gegenteilige Vorstellung nahelegen: Der kluge Hirte führt das dumme Schaf dorthin, wo er es für gut hält. Doch das sind mehr Auslegungen aus unserer Zeit.

In biblischer Zeit mußten Hirten ganze Kerle sein. Sie mußten die ihnen anvertrauten Schafe gegen alle Gefahren verteidigen, gegen wilde Tiere und Räuber. Sie suchten immer die besten Weiden für sie aus und das frischeste Wasser. Ein Hirte war also durchaus eine positive Gestalt.

Deshalb konnte auch Gott mit einem guten Hirten verglichen werden. Mit dem „Herrn“ ist ja nicht der Mann gemeint, sondern der himmlische Vater, der über Mann und Frau steht. Von ihm wird gesagt, daß er für alles sorgt, was wir zum Leben brauchen, so daß es uns an nichts mangeln wird.

Allerdings könnte das so aussehen‚ als sei Gott der Supermann und Über-Vater, der die Menschen unmündig und abhängig hält. Er wird ja immer als Mann vorgestellt und dabei denkt man vielleicht an Chef, Polizist, Regierung - an eine übergeordnete Macht.

In der Tat gibt es kein Verhältnis zwischen Gott und den Menschen, in denen der Mensch ein gleichberechtigter Partner Gottes sein könnte. Das ist halt anders als in der Ehe, eher so wie das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Aber da wissen wir ja auch, daß Eltern alles-für ihre Kinder tun. Die Kinder haben es gut, solange sie bei den Eltern bleiben und ihnen vertrauen.

Allerdings wissen wir auch, daß Kinder sich immer mehr von den Eltern lösen, sich auf eigene Beine stellen - und immer mehr zu Partnern der Eltern werden. Die Hochzeit ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Die Eltern sollten ihren Kindern die Freiheit geben, ihren eigenen Weg zu finden, um so eher werden sie erkennen, was sie auch weiterhin an den Eltern haben können.

Auch Gott läßt uns die Freiheit, die wir brauchen. Er läßt es sogar zu, daß wir von ihm fortgehen. Er möchte uns nicht zu Knechten machen, sondern zu Menschen, die gerne auf ihn hören und ihm folgen. Er als der Größere und Stärkere bietet uns seine Freundschaft an, wir brauchen nur in seine Hand einzuschlagen.

Bei ihm wird es uns an nichts mangeln. Das soll nicht heißen, daß wir nun in einem Schlaraffenland leben würden. Vieles können wir ja auch durchaus selber tun. Die Ehe soll ja dazu helfen, daß es gemeinsam besser geht und man mehr erreichen kann.

Es ist auch nicht gesagt, daß alle Gefahren und Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Im Psalm ist von. Feinden die Rede und vom finsteren Tal, durch das man manchmal wandern muß. Auch eine Ehe wird davon nicht frei bleiben.

Doch wir dürfen darauf vertrauen, daß Gott uns durch alle Gefahren hindurchführen wird. Er sieht auf uns, er wacht über uns, sein Segen geht mit uns. Heute will er sich an Sie binden, Ihnen sein Versprechen geben, daß er dabei sein will bei allem, was nun kommen soll. Auf ihn-können Sie rechnen.

Es wird nun darauf ankommen, daß Sie sich dieses Vertrauens als würdig erweisen. Gott erwartet, daß wir uns gern von ihm führen lassen und seine Geschenke in Anspruch nehmen. Dann wird das in Erfüllung gehen, was am Ende dieses 23. Psalms steht: „Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen ein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar!“

 

„Herr, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige. Denn du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich dein!“                                                                              (Ps 25,4-5)

Bei einer Hochzeit werden einem viele Glückwünsche mit auf den Weg gegeben, aber auch allerhand gute Ratschläge. Das ist auch gar nicht verkehrt, denn dadurch wird uns die Anteilnahme anderer Menschen deutlich. Nur muß man eben bedenken, daß es nur Ratschläge sind und keine Bevormundung; entscheiden muß sich schon jeder selber.

Auch Gott nimmt Anteil an dem heutigen Geschehen. Deshalb gibt es außer der Eheschließung auch noch die Trauung in der Kirche. Hier sollen Ihnen nun nicht nur rein menschliche Ratschläge mitgegeben werden, sondern hier wird Gottes Wort ausgelegt und etwas über Ehe und Familie gesagt. In einer Formulierung für die Trauung wird mit vier Begriffen der Inhalt des Wortes Gottes kurz umschrieben: vertrauen und hoffen, vergeben und lieben.

Es ist sicher deutlich, daß man diese vier Dinge gut für eine Ehe gebrauchen kann. Man muß sich dem anderen bedingungslos anvertrauen, sonst kann man keine Ehe eingehen. Man muß hoffen, daß es immer nur besser werden kann und daß man lange beisammen sein darf. Man muß bereit sein zur Vergebung, wenn einmal etwas schief gelaufen ist. Und man muß sich lieben und füreinander da sein, sonst hat ja alles keinen Sinn.

Das sind einige Dinge, die Gott uns über die Ehe sagt. Es handelt sich dabei auch wieder um Ratschläge, die man annehmen oder nicht annehmen kann. Allerdings sind sie doch verbindlicher als menschliche Meinungen, denn hier steht ja doch der Wille Gottes dahinter, hier spricht letztlich Gott zu uns.

Wenn einer also wie im 25. Psalm bittet: „Her, zeige mir deine Wege und lehre mich deine Steige!“ dann zeigen uns solche Hinweise der Bibel schon die Richtung, in der Gottes Weg verläuft. Wenn Gott uns etwas rät, dann können wir sicher sein, daß er uns auf den richtigen Weg führt. Wer sich ihm anvertraut, der wird auch ans Ziel gelangen

Hierin unterscheidet sich Gottes Rat von allen menschlichen Meinungen. Menschen können sich täuschen und wir selber können uns auch täuschen. Aber Gott weiß den Weg, den er für uns bestimmt hat in unserer Ehe und in unserem Leben. Wir brauchen ihr gar erst zu bitten, daß er uns den richtigen Weg führt. Sein Weg ist richtig. Wir müssen nur der Weg erkennen und dann auch gehen.

Deshalb heißt es auch in Psalm 25: „Du bist der Gott, der mir hilft; täglich harre ich dein!“ Gott gibt uns also nicht nur gute Ratschläge durch sein Wort, sondern er steht uns auch mit der Tat bei in allen Lebenslagen. Deshalb geht es auch bei der Trauung nicht darum, daß viele Worte gemacht werden. Hier wird uns vielmehr der Segen Gottes zugesichert und durch die Einsegnung ganz deutlich gemacht.

Wie kann der Segen Gottes uns aber helfen in unsrer Ehe? Der Segen ist mehr als nur ein unverbindlicher Glückwünsch, wie ihn Menschen aussprechen. Der Segen hat tatsächlich seine Folgen und wirkt sich an dem betreffenden Menschen aus. Allerdings dürfen wir das nicht so verstehen, als liefe hier automatisch etwas ab wie bei einem Zauber. Man kann sich den Segen auch wieder verscherzen, wenn man ihn mißachtet oder sich von Gott abwendet.

In der Ehe wird dieser Segen zunächst einmal deutlich im Zusammenleben der Ehepartner. Ihr Verhältnis zueinander wird gleich anders sein, wenn sie ihre Ehe unter den Augen Gottes führen. Sie werden fester zusammenstehen und auch Schwierigkeiten besser meistern können. Sie wissen ja: Gott steht uns zur Seite. Das wirkt sich sicherlich auch auf die ganze Umgebung aus.

Man spürt es einer Familie gleich ab, ob sie vom Segen Gottes bestimmt ist: Da gibt es kein häßliches Wort und kein Vordrängen der eigenen Person, sondern Verständnis und Hilfe für den anderen. Da gibt es keine Hetze und das Jagen nach Geld, sondern Ruhe und das Vertrauen auf Gottes Hilfe.

Daß Sie das alles in Ihrer Ehe erfahren mögen, wünschen wir Ihnen heute alle. Sie werden es erfahren wenn Sie tatsächlich alles von Gott erwarten und wenn Sie auch sagen können: „Täglich harre ich dein°!“ Gott will nicht nur am Tag Ihrer Trauung und bei einigen wenigen anderen Gelegenheiten mit Ihnen zu tun haben, sondern jeden Tag neu.

An Ihnen liegt es nun, was Sie aus diesem Angebot Gottes machen. Gott hat von seiner Seite her alles zu Ihrem Glück getan. Er zeigt Ihren den Weg zum Leben und hilft Ihnen, wo es nötig ist. Aber er erwartet auch. daß Sie täglich alles von ihm erhoffen und mit seiner Hilfe rechnen. Dann wird der heutige Tag und der heutige Gottesdienst nicht vergeblich gewesen sein, sondern seinen Segen an allen Tagen auswirken.

 

„Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß!“ (Ps 33,4)

Das Wort, das sich Eheleute bei der Trauung geben, ist wahrhaftig: Das dürfen wir doch annehme n. Man kann ja nur in die Ehe gehen, wenn man es ernst meint und dem anderen auch vertrauen kann. Sonst sollte man es lieber sein lassen: Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit und Offenheit sind die Grundlagen für eine gute und dauerhafte Ehe. 

Manchmal kann allerdings Wahrhaftigkeit sogar wehtun: wenn nämlich einer dem anderen die Meinung sagt und dabei auch unangenehme Dinge zur Sprache bringt. Das hat auch in einer Ehe Raum und gehört mit zu den Aufgaben einer Ehe. Sie soll ja eine Hilfe für den anderen bedeuten: Er hat nun einen Partner erhalten, der ihn korrigieren kann.

Manchmal sagt man ja: Der Ehepartner kann gar nicht objektiv urteilen, weil er den anderen doch nur in den Himmel hebt und vor lauter Liebe für die Wirklichkeit blind ist. Aber wenn er seine Aufgabe ernst nimmt und wahrhaftig ist, wird er schon dem anderen helfen und ihn zurechtrücken.

Natürlich geht das nicht schulmeisterlieh und vom hohen Roß herab. Wir wissen alle, daß wir Fehler haben. Und um die etwas auszugleichen, ist uns von Gott ein Partner geschenkt‚ der uns vor schlimmen Abweichungen bewahren soll. Vier Augen sehen mehr als zwei, und zwei Leute haben mehr gute Gedanken als nur einer. Wenn sie gut zusammenarbeiten und sich gut verstehen, kann das eine große Hilfe für beide sein.

Nun heißt es aber in diesem Spruch: „Des H e r r n  Wort ist wahrhaft!“ Gott will der Dritte mit im Bunde sein. Erst dann ist sichergestellt, daß es wirklich wahrhaftig zugeht. Gottes Maßstab ist unbestechlich. Er deckt uns schonungslos die Wahrheit auf, wo wir Menschen immer noch etwas beschönigen.

Gott bietet Ihnen heute als einem jungverheirateten Paar seine Hilfe an. Er sagt Ihnen: Über allen menschlichen Einrichtungen und Versuchen gibt es noch die Ordnung Gottes, in die Sie mit dem heutigen Tag hineingestellt werden. Diese übergreifende Hilfestellung Gottes will ihnen Halt geben‚ gerade bei dem noch unsicheren Anfang einer Ehe. Gott will Ihnen auch zur echten Wahrhaftigkeit helfen.

Wir Menschen täuschen uns ja manchmal. Das läßt sich nicht anders machen. Manchmal sind wir auch enttäuscht. Aber auf Gott kann man sich verlassen: Er hält sein Wort, das er Ihnen heute gibt und das er Ihnen immer wieder ins Gedächtnis rufen will. Der Vers: „De- Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß!“ war ja einmal die Losung unsrer Kirche für ein Jahr. Er könnte auch gut zu einer Ehe passen und die Losung für das gemeinsame Leben werden.          

Was ist es nur, das Gott Ihnen zusagt und das er Ihnen halten will:' Er sichert- Ihnen seinen Schutz und seine Hilfe zu. In Bibel, Gottesdiensten und Gemeindeabenden legt er Ihnen sein Wort vor. Er will auch diese junge Ehe begleiten mit seinem Segen: Auch die Gemeinde, kann und will für Sie da sein.

Das ist ein großes Angebot, das Ihnen da gemacht wird. Wo gibt es denn so etwas noch in unsrer Welt, in der jeder auf sich selber gestellt ist? Natürlich muß man vieles allein ausstehen, wo einem keiner helfen kann. Aber Gott-will Ihnen dazu Maßstäbe und Hinweise geben.

Sein Segen ist nicht einfach eine leere Versprechung oder ein unverbindlicher Glückwunsch, wie ihn viele bei einer Hochzeit aussprechen. Nein, hinter Gottes Segen steht eine Macht, die ein Leben verändern kann.

Und deshalb unterscheidet sich eine christlich eingesegnete Ehe auch von einer anderen Ehe. Sie steht unter den Augen Gottes und unter seinem Willen. Aber sie darf auch seiner Begleitung und Hilfe sicher sein.

An Ihnen liegt es nun, was Sie aus dieser Zusage machen. Gott hat seinen Teil zu Ihrer Ehe beigetragen. Jetzt sind Sie dran, Ihre ganze Ehe über die Antwort darauf zu geben in Ihren Gedanken, Worten und Taten. An Ihnen liegt es, ob Sie dieses Geschenk annehmen und gebrauchen oder ob Sie es achtlos liegenlassen. Bei allem aber soll dieser Spruch Sie begleiten und zur Losung für Ihre Ehe werden: „Des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß!“

 

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird‘s wohl machen!“  (Ps 37,5)

Wenn man früher eine Reise vorhatte, dann begann man sie mit einem Gebet. Damals war das Reisen noch viel gefährlicher als heute und vielen Menschen war diese Gefahr auch bewußt. Sie wollten deshalb ihren Weg unter den Schutz Gottes stellen. Sicherlich sind sie auch nicht schlecht damit gefahren.

Natürlich kann man auch heute beten, ehe man auf große Fahrt geht. Auch heute ist das Reisen noch gefährlich, ob es nun mit dem Auto, der Bahn‚ dem Schiff oder dem Flugzeug ist. Zwar muß man nicht mehr unbedingt mit Räubern rechnen. Aber dafür hat die moderne Zeit neue Gefahren mit sich gebracht. Deshalb ist es auch heute noch sinnvoll, vor einer Reise den Segen Gottes zu erbitten.

Man weiß ja trotzallem nie, ob man ankommt bzw. ob man gut ankommt. Natürlich rechnet man immer damit. Aber wir wissen ja, wieviel dazwischen kommen kann. Oft sind unsere Pläne sehr schnell über den Haufen geworden und es kommt alles anders, als man denkt. Aber auch wenn es gut geht, ist es doch besser, wenn Gott dabei ist. Dann haben wir wenigstens Grund, ihm zu danken und ihn zu loben.

Sie beginnen ja nun heute auch einen Weg, ihren gemeinsamen Lebensweg. Bisher sind Sie zwei verschiedene Wege gegangen, jeder hatte seine eigener Ziele und Wünsche und Absichten. Dann haben sich irgendwann einmal Ihre Wege gekreuzt, und Sie haben beschlossen, in Zukunft gemeinsam zu gehen.

Das wird sicher ein Vorteil sein. Wenn man auf der Wanderschaft ist, freut man sich auch über Gesellschaft und Unterhaltung. Da kann man sich gegenseitig beistehen, wenn einmal eine Gefahr kommt oder wenn man nicht mehr weiter kann. Zu zweit ist das Leben eben doch einfacher, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht‚ sondern vor allem, was die gegenseitige menschliche Hilfe angeht.

Das ist ja auch nach dem Zeugnis der Bibel der Segen einer Ehe: Der Mann braucht die Frau, damit er nicht allein ist und eine Gehilfin hat, die ihm nicht nur die Zeit vertreibt, sondern auch sonst in allen Dingen eine Stütze ist. Und das gilt natürlich auch umgekehrt für die Frau: Auch sie hat in dem Mann einen Partner und einen Halt.

Doch wir wissen, daß auch heute die Ehe ein Wagnis ist. Gewiß, viele äußerliche Dinge sind heute gut geregelt, vielleicht auch besser als früher. Und wenn man dazu noch eine eigene Wohnung hat und sein Auskommen, dann sind viele Schwierigkeiten schon ausgeräumt. Aber die eigentlich menschlichen Probleme werden immer bestehenbleiben.

Vielleicht fragt man sich doch: Sind wir wirklich füreinander bestimmt? Werden wir uns immer einigen können? Werden wir die Gefahren und Schwierigkeiten bestehen können? Doch da wird Ihnen mit Ihrem Trauspruch gesagt: Nur keine Angst! Vertraut nur auf Gott, er wird's schon wohl machen,

Gott hat uns in seinem Wort, in seinen Verheißungen und Geboten, Wegweiser an unseren Weg gestellt. Wir brauchen nur seinen Vorschlägen zu folgen, dann werden wir nicht in die Irre gehen sondern das gewünschte Ziel erreichen, eben mit Gottes Hilfe.

Das ist gemeint, wenn es am Beginn dieses Psalms heißt: „Befiehl dem Herrn deine Wege!“ Das gilt für jeden, ob er nun verheiratet ist oder nicht: Wer auf Gottes Wegen geht, wird sicher gehen. Er braucht sich nicht vor Gefahren zu fürchten, er muß auch keine Angst haben, sein Ziel zu verfehlen. Wenn wir unsere Wege Gott anbefehlen, dann übernimmt er ja die Verantwortung und führt alles richtig zum guten Ende.

Es mögen Menschen kommen, die Sie etwas anderes lehren wollen. Vielleicht werden Sie sich oft auch selber helfen wollen. Aber einfacher werden Sie es haben, wenn Sie sich gleich auf Gott verlassen, nicht erst selber einen Weg suchen wollen, der dann doch ein Irrweg ist oder in einer Sackgasse endet.

Gott macht Ihnen ein Angebot, das Sie nicht ausschlagen sollten. Heute ist eine günstige Gelegenheit für Sie, die Ihr ganzes Leben mit entscheiden kann. An Ihnen wird es nun liegen, was Sie aus diesem Angebot machen. Ich kann Ihnen nur im Auftrag Gottes sagen: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn; er wird's wohl machen!“

 

„Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge, der du zugesagt hast mir zu helfen; denn du bist mein Fels und meine Burg!“                                    (Ps 71,3)

Wir erleben heute einen Tag der Freude und des Glücks. Wenn zwei Menschen sich gefunden haben und für ihr ganzes Leben beisammen bleiben wollen, dann freuen sich die Verwandten und Nachbarn mit, da ist das auch ein Ereignis für die Öffentlichkeit.

Man kann ja auch nur dankbar sei, wenn man in der Ehe zusammen sein darf. Vieles läßt sich eben doch zu zweit leichter bewältigen: Man hat einmal eine Arbeit, mit der man nicht allein zurechtkommt man ist unsicher in einer Frage und möchte gern den Rat eines anderen hören; man hat eine Freude erlebt und möchte das gern einem anderen mitteilen - in der Ehe hat man diesen Partner, der einem in Freude und Leid zur Seite stehen will.

Auch mit schweren Stunden müssen wir ja rechnen. Hier wird die Ehe erst ihre Kraft und Zuverlässigkeit erweisen müssen, hier werden erst ihre Vorteile voll zur Geltung kommen. Hier wird aber auch bald deutlich werden: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren!“ Da ist es gut, wenn wir auch auf die Hilfe Gottes hoffen dürfen.

Gewiß können wir uns auch als Menschen sehr viel helfen. Die Ehe ist ja gerade eine solche Hilfseinrichtung auf Gegenseitigkeit. Und Sie dürfen sicher auch mit der Hilfe der Verwandten und Bekannten rechnen. Aber irgendwann kommt man damit einmal an eine Grenze, wo nur noch Gott helfen kann.

Aber dann dürfen wir sagen mit den Worten des 71. Psalm: „Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen möge!“ Wenn wir Angst bekommen, wenn uns eine Gefahr zu mächtig zu sein scheint, dann dürfen wir uns doch immer zu Gott flüchten: Er wird uns dann schon beschützen und nur das an uns heranlassen, was wir bewältigen können.

Die Ehe ist also nicht nur eine Privatsache zweier Menschen, nicht ein Vertrag und auch nicht nur eine unverbindliche Abmachung. Gott will mit im Bunde sein. Er stellt die -Regeln auf für diesen Bund, er ist beim Bundesschluß mit dabei und er will auch diesen Bund beschützen.

Er will Sie, liebe Eheleute beschützen vor den Gefahren, die von außen kommen, vor Menschen und Dingen, die Ihnen. überwollen und Sie und Ihre Ehe gefährden könnten. Er will Ihnen aber auch helfen gegen die Gefahren, die von innen heraus kommen. Es könnte ja doch einmal Gleichgültigkeit und Unzufriedenheit aufkommen.

Aber mit all diesen äußeren und inneren Problemen dürfen Sie sich an Gott wenden und Sie werden von ihm Hilfe erfahren. Er hat ja zugesagt, daß er helfen wird. Das ist zum ersten Mal geschehen bei der Taufe. Es wurde bestätigt bei der Konfirmation und es soll auch heute wieder deutlich werden.

Gott will Sie auch in der Ehe mit seinem Schutz und Segen begleiten. Man muß sich nur an ihn wenden und ihn um Hilfe bitten. Wenn Sie auf sein Wort hören und in Verbindung mit ihm bleiben, werden Sie einen starken Beistand an ihm haben. Vor Ihnen haben schon viele andere das erfahren und sie sind gut mit Gott gefahren. Sie haben von heute an die Möglichkeit, in gleicher Weise Ihre Ehe in seinem Namen zu beginnen und zu führen.

Was Gott zusagt, das hält er auch ein. Mit zwei Bildern macht uns das der Psalmvers deutlich: „Du bist mein Fels und meine Burg!“ Ein Fels ist das Sinnbild für etwas Dauerhaftes und Beständiges: Er wird kaum vom Wetter verändert und er bleibt fest an seinem Platz. So ist auch die Zuverlässigkeit Gottes unantastbar. Auf ihn kann man' sich bei allen Stürmen des Lebens

und bei jeder Erschütterung verlassen.

Gott ist wie eine Burg, hinter deren schützende Mauern man sich flüchten kann. Wir können uns dieses Bild ja noch einmal näher vor Augen halten. Manche Burg ist niemals erobert worden. Aber sie ist zerfallen, weil sich niemand mehr um sie gekümmert hat, weil keine Menschen da waren, die sie erhalten hätten.

So könnte auch unser Glaube an Gott und das Vertrauen auf seine Hilfe zerfallen, wenn wir uns nicht um ihn kümmern. Es sind gar nicht einmal so sehr die Einwirkungen von außen als vielmehr unsre eigene Gleichgültigkeit, wenn der Glaube an Gott schwach wird. Wenn wir aber die Verbindung zu ihm aufrechterhalten und noch weiter ausbauen, dann können wir bei Gott immer unsere Zuflucht finden.

Es wird mit eine der Aufgaben der Ehe sein, daß einer den anderen auch im Glauben stärkt. Wer aber Gottes Liebe und Treue zu den Menschen erkannt und gespürt hat, der wird sie sich zum Vorbild nehmen für das eigene Leben. Gerade in der Ehe werden Sie erfahren können, wie menschliche Liebe umfangen ist von der größeren Liebe Gottes, die wir dann in unserem Leben abbilden sollen. Daß Sie diese Liebe jeden Tag neu und von Tag zu Tag mehr erfahren mögen, das wünschen wir Ihnen heute und das wollen wir vor allem von Gott im Gebet erbitten.

 

„Gott der Herr ist Sonne und Schild; der Herr gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen!“                                                               (Ps 84,12)

Wenn eine Pflanze wachsen soll, dann braucht sie dazu Licht und Sonne. Und die Ehe ist auch so eine Pflanze, die langsam heranwächst und erst allmählich sich zu ihrer vollen Größe und Pracht entfaltet. Heute wollen Sie, liebes Ehepaar, einen großen Schritt auf diesem Wege tun. Aber es liegt auch noch ein langer Weg vor Ihnen, auf dem Sie immer mehr die Vorzüge einer Ehe entdecken und auskosten können.

Gott jedenfalls möchte, daß es mit jeder Ehe gut geht. Er hat sie eingerichtet, damit der Mensch nicht mehr allein ist. Gott möchte jede Ehe auch fördern, damit sie sich zu ihrer wahrem Bestimmung entfalten kann. Ein Ehepartner soll dabei dem anderen helfen, den vorerst noch bescheidenen Anfang immer weiter fortzuentwickeln, damit alle Segenskräfte auch zur Geltung kommen. Gottes Segen jedenfalls ist wie die Sonne, die allem erst das Gedeihen gibt. Er hat auch Ihre Ehe gewollt und möchte Sie auch in Zukunft begleiten. Das wird vor allem auch daran deutlich, daß er wie ein Schutzschild über Ihrer Ehe sein will.

Es gibt ja Manches, das eine Ehe gefährden kann. Einmal sind es mehr allgemeine Ideen, die gerade in unserer Zeit die Einrichtung der Ehe in Frage stellen. Man versucht, neue Formen des Zusammenlebens zu finden. Doch die gute alte Ehe ist damit noch längst nicht überholt und im Gegenteil nötiger denn je.

Zum anderen sind es die Probleme, die es immer schon gab und auch noch weiterhin geben wird. Da sind die Menschen, die sich in eine Ehe hineindrängen wollen, um sie zu zerstören. Da sind die Arbeit und die Pflichten des Alltags, die das Miteinanderleben in der Ehe zu kurz kommen lassen. Da sind die Eigensucht und die Bequemlichkeit eines jeden von uns, die die guten Seiten der Ehe wieder verdecken und ihren Sinn manchmal in'' Frage zu stellen' scheinen.

Gott will uns davor bewahren. Er hat uns das Gebot gegeben: „Liebe deine Nächsten wie dich selbst!“ In der Ehe, dieser engstem Gemeinschaft der Menschen, kann man das am ehesten üben. Man kann alle Vorzüge eines Lebens zu zweit genießen. Aber man muß mit Gottes Hilfe auch mit den Schwierigkeiten fertigwerden. Nur wo wir ganz versagen würden, da hält Gott mit seinem Schutzschild die Gefahren von uns fern und verhilft uns zu einem sicheren Weg durchs Leben.

In dem Psalmvers heißt es ja: „Der Herr gibt Gnade und Ehre!“ Es ist schon eine Gnade, daß man nicht allein durchs Leben gehen muß, sondern mindestens noch einen Menschen hat, der zu einem hält. Und das alles wiederum steht unter dem höheren Schutz Gottes. Oft können wir uns unter dem Wort „Gnade“ nur wenig; vorstellen. Aber wenn es in einer Ehe gut geht, dann haben wir ein gutes Beispiel dafür, wie sich Gottes Gnade sichtbar an Menschen auswirkt.

Es ist auch Gnade, wenn uns sonst so allerhand im Leben gelingt: wenn wir im Beruf vorankommen, wenn wir gute Freunde haben, wenn wir mit den Verwandten gut auskommen, wenn wir gesund bleiben, wenn man Kinder haben darf. Es wird für Sie darauf ankommen, auf solche Gnadenzeichen zu achten und Gott Ihre Dankbarkeit dafür zu zeigen.

Damit ehren wir Gott und werden auch selber geehrt. Es ist keine Schande, wenn man sich auf die Hilfe eines Größeren verläßt. Gerade Gott gegenüber ehrt es den Menschen, wenn er seine Grenzen erkennt und alles in Gottes Hände legt. Letztlieh wird diese Haltung auch von anderen Menschen anerkannt werden. Sie werden einem solchen Ehepaar mit Ehrerbietung entgegentreten und einem solchen Vorbild nacheifern wollen.

Es braucht sich keiner zu schämen, daß er aus Anlaß der Eheschließung in die Kirche geht und diesen Tag mit einem Gottesdienst begeht. Es ist im Gegenteil eine große Ehre, wenn man hier im Angesicht der Gemeinde als christliches Ehepaar eingesegnet wird. Das hat seine Auswirkungen auf das ganze Klima in der Ehe und wird manches leichter machen, im Verhältnis der Eheleute zueinander wie auch im Verhältnis zu anderen Menschen.

Wer es mit dem Glauben und mit der Trauung ernst meint, für den gilt auch die Verheißung: „Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen!“Ein „Frommer“ ist nicht ein Mensch, der sich aus der Welt zurückzieht und mit den Freuden des Lebens nichts zu tun haben will, sondern ein Mensch, der sich zu Gott hält und von ihm alles Gute erwartet.

Wenn Sie in diesem Sinne „fromm“ sein wollen, dann wird es Ihnen auch nicht an' Gutem in Ihrer Ehe fehlen. Das verheißt Gott Ihnen heute am Tag Ihrer Trauung, damit Sie sich alle Tage Ihrer Ehe darauf verlassen können: „Gott der Herr ist Sonne und Schild; der Herr gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen!“

 

 

„Weise mir, Herr, deinen Weg, daß ich wandle in deiner Wahrheit; erhalte mein Herz bei dem einen, daß ich deinen Namen fürchte!“                                                (Ps 86,11)

An bestimmten Wendepunkten des Lebens überlegt man sich schon, wie es weitergehen soll. Auch wenn man manchmal ziemlich in den Tag hinein lebt, so muß man doch gelegentlich einmal innehalten und über alles nachdenken. Schließlich sind wir ja Marschen, die bewußt leben und ihr Leben selbst gestalten können und dürfen.

Die Eheschließung ist eine solche Weichenstellung. Einen solchen Schritt tut man nicht unüberlegt. Aber man muß dabei auch schon ein Stück in die Zukunft sehen, muß sich Pläne für die Zukunft machen. Vielleicht hören Sie auch manchen guten Rat in diesen Tagen, manchen gutgemeinten H:inweis und viele gute Wünsche. Schließlich nimmt ja doch mancher Anteil an Ihrem persönlichen Schritt.

Sie dürfen dankbar sein, wenn sich auch andere um Sie kümmern. Aber letztlich muß man sich doch immer selbst entscheiden. Das Psalmwort aber spricht von einem, der auch mitreden will und sogar auch mitreden darf: Es spricht von Gott, dem Herrn, der uns geschaffen hat und der uns auch die Ehe gegeben hat, damit wir es leichter haben sollen im Leben. Gott will nicht, daß der Mensch allein sei. Er soll zumindest noch einen Partner haben, auf den er sich auf alle Fälle verlassen kann.

Die Ehe ist also ein Geschenk und eine Hilfe Gottes. Doch zunächst einmal ist sie mehr ein Angebot. Was wir daraus machen, ist mit in unsre Hand gelegt. Richtig werden wir es wohl machen, wenn wir Gott tatsächlich bitten: „Weise mir, Herr, deinen Weg!“ Gott will nicht nur einmal an einem solchen Punkt wie einer Hochzeit mit uns zu tun haben, sondern er will uns begleiten an jedem Tag unserer Ehe.

Gott will uns auf s e i n e n Weg führen. Dieser wird nicht immer mit unseren Vorstellungen übereinstimmen. Wir haben oft so unsere eigenen Ansichten und Päane. Aber diese müssen nicht immer die richtigen sein. Gott weiß besser, was gut für uns ist und wovor wir uns besser hüten sollten. Eine Richtschnur sind seine Gebote und überhaupt‚ was seinem Wort gesagt ist. Deshalb wollen wir heute besonders auf dieses Wort Gottes hören. Es gibt uns etwas, das über unsere menschlichen Wünsche hinausgeht und was zuverlässiger ist als das Wort der Menschen.

Allerdings werden uns keine Einzelanweisungen für jeden Fall gegeben. Wir werden immer wieder fragen müssen, was denn nun wahr ist, was die Wahrheit Gottes ist. Gott will uns ja nicht unfrei machen, sondern an den Entscheidungen beteiligen. Er hat uns ja so geschaffen, daß wir nicht irgendwelchen Trieben und Instinkten folgen‚ sondern mit Verstand und Überlegung an die Dinge herangehen.

Mit anderen Worten: Gott läßt uns eine große Freiheit. Er setzt Grenzwerte, gibt uns Richtlinien; aber erst einmal läßt er uns viel freie Hand. Das gilt auch besonders für einen Ehe. Da gibt es viele Dinge, die von dem Ehepartner nach rein menschlich-praktischen Gesichtspunkten entschieden werden. Aber man kommt auch an grundsätzliche Fragen, wo es nicht mehr nach menschlichem Gutdünken gehen kann.

Es wäre nicht recht, wenn man im gegenseitigen Einvernehmen übereinkäme: „Wir sehen die Ehe nur als eine Formsache an‚ jeder kann auch weiterhin seiner Wege gehen, und mit der Treue nehmen wir es nicht so ernst!“ Das würde nicht nur gegen den Geist einer Ehe verstoßen‚ sondern vor allem auch gegen den Willen Gottes. Gott weiß, weshalb er uns vor solchen Experimenten warnt. Dadurch würden wir uns selbst zerstören und das Geschenk Gottes miß­achten. Besser ist es, wenn wir uns die Bitte des Psalms zu eigen machen: „Erhalte mein Herz bei dem einen!“

Wer im Sinne Gottes leben will, der richtet sich nach Gottes Willen. Damit wird er gut fahren in seinem Leben und in seiner Ehe. Und wenn es einmal schwierig wird, dann dürfen wir Gott anrufen und ihn um Hilfe bitten. Wenn man einen Höheren über sich weiß, wird man die Ichsucht leichter überwinden können und auch einmal auf einen anderen eingehen.   

Gottes Namen fürchten wir dann, wenn wir ihm danken für all das Gute in unserem Leben‚ aber auch wenn wir ihm unsere Probleme vorlegen im Gebet und ihm die Zukunft anbefehlen. Gott freut sich sicher, wenn Menschen da sind, die nach ihm fragen und sich von ihm helfen lassen wollen.  

Im Vertrauen auf diesen Gott dürfen auch Sie Ihren Weg gehen. Er wird Ihnen den richtigen Weg zeigen, der zur Wahrheit führt. Mit Gott wird Vieles leichter gehen. Gewiß wird er nicht alle Steine aus dem Weg räumen. Aber er wird über manche Berge hinweghelfen. Auf diesen Gott können wir uns verlassen, auf ihn dürfen wir vertrauen

 

„Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich und seine Wahrheit verkündigen mit meinem Munde für und für!“                                                                          (Ps 89,2)

Es ist schon eine Gnade des Herrn, wenn man hier vor den Altar treten darf, um auf Gottes Wort zu hören, um zu beten und um den Segen Gottes für seine Ehe zu empfangen. Den an­deren, die nicht getraut werden, entgeht da wirklich etwas, das eine Hilfe für ihre Ehe sein kann.

Aber allein das ist schon eine Gnade, daß man überhaupt einen Menschen finden darf, der zu einem hält. Natürlich kam mal sich auch all ein durchs Leben schlagen. Viele müssen es ja. Aber sie werden sicher davon erzählen können, wie schwer das ist. Man braucht doch einen Menschen, mit dem man sich aussprechen kann, den man um Rat fragen kann und der einem in schwierigen Fällen zur Seite steht.

Wie schlimm muß das für einen alleinstehenden Menschen sein, wenn er abends nach Hause kommt und die Wohnung ist leer und kein Mensch da, mit dem man einmal reden könnte. Dann ist das Leben doch so öde, daß man beinahe keinen Sinn mehr darin sieht.

Doch Sie haben die Ehe geschlossen und damit öffentlich kundgetan: Wir wollen immer beieinander bleiben! Und in der Trauung wird nun noch gesagt: „Der Ehepartner ist dir von Gott armvertraut!“ Man muß sich einmal überlegen, was das bedeutet: Diese ganz persönliche menschliche Entscheidung soll aus dem Willen Gottes kommen!? Doch das muß sich nicht widersprechen: Wir können unsere persönliche Wahl ja als ein, Handeln Gottes verstehen, zumindest nachträglich.

Wenn wir aber anerkennen, daß Gott im Hintergrund steht, dann haben wir auch Grund, ihm zu danken. Zunächst einmal dafür, daß er uns den Richtigen und die Richtige hat finden lassen. Aber dann auch für die Hilfe und das Geleit; das er uns bei der Trauung anbietet. Gott gibt Ihnen heute aus freien Stücken sein Versprechen, daß er Sie an jedem Tag Ihrer Ehe unterstützen will.

Wo gibt es das denn sonst noch in der Welt, daß einer etwas gibt, ohne etwas dafür zu verlangen? Unter uns Menschen heißt es: Gleiche Ware, gleiches Geld. Aber wir wissen ja: Schon unter Partnern kann man nicht so denken und sich gegenseitig die Verdienste aufrechnen.

Wieviel mehr wird das dann bei Gott so sein, dem wir nichts bieten können und der uns doch alles schenken will, gerade für ein so schwieriges Unternehmen wie eine Ehe.

Deshalb werden Sie nun aufgefordert, von der Gnade des Herrn, zu singen und zu sagen. Und das nicht nur an einem Tag, wie heute, an dem man frohgestimmt ist und an dem einem zum Singen zumute ist, sondern an jedem Tag Ihrer Ehe. Es können ja auch einmal schwere Tage kommen, wo man nicht mehr singen möchte.

Aber irgendwo ist dann immer noch etwas Erfreuliches. Grund zum Danken hat man trotz allem an jedem Tag. Wenn wir nur die Augen aufmachen und nicht alles als selbstverständlich hinnehmen‚ werden wir vieles entdecken, was uns Mut zum Singen macht.

Das ist die Wahrheit, die wir jeden Tag zu verkündigen haben: Gott ist ein gnädiger Gott, der uns bewahren will vor dem Argen und der uns auf den richtigen Weg führen will. Wenn wir um seine Hilfe bitten und seinen Segen erflehen‚ dann läßt er uns nicht im Stich.

Wer das in seinem Leben erfahren hat, der hat dann aber auch die Pflicht anderen davon weiterzuerzählen. Noch wichtiger ist aber, daß wir mit unserem ganzen Lebenswandel deutlich machen, zu wem wir gehören und wem wir alles verdanken. Das wirkt mehr als alle Predigt und ist anschaulicher als alle blassen Worte.

Sie müssen damit rechnen, daß andere Menschen Sie danach beurteilen, wie Sie Ihre Ehe führen: ob es nur ein Leben zu zweit ist, wie es auch Ungläubige miteinander haben, oder ob Gott mit dabei ist und erst allem die Richtung gibt. Wer hier getraut ist, an den werden ganz andere Maßstäbe angelegt: Er wird gefragt, ob er seinen Glauben nicht nur äußerlich demonstriert, sondern ob er ihn auch lebt. Erst in unserem Alltagsleben wird das ja konkret und anschaulich, was wir sonst nur reden oder hören.

Ein berühmter Theologe hat einmal gesagt: „Die Ehe ist das erste Spielfeld der Mitmensch­lichkeit!“ Hier kann man denn nicht mehr nur von Mitmenschlichkeit reden, sondern man muß sie auch leben. Hier kann man auch üben, wie man dann mit anderen Menschen auskommen will.

Aber hier kann man auch üben, wie man nun gemeinsam Gott loben kann. Wenn Ihnen Ihre Trauung etwas bedeutet, dann machen Sie Ihr ganzes Leben zu einem einzigen Lob Gottes. Gerade in kleinen Dingen zeigt sich, wie ernst wir Gott nehmen.

Auf der anderen Seite aber dürfen wir wissen: Gott gibt uns Grund zum Loben. Seine Treue und Hilfe will uns zu dem Bekenntnis führen: „Ich will singen von der Gnade des Herrn ewiglich!“

 

„Wer unter dem Schirm des Höchsten sitzt und unter dem chatten des Allmächtigen bleibt, der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!“                                                                                                            (Ps 91,1-2)

Gott hatte schon längst mit uns zu tun, ehe wir etwas davon wußten. Er hat uns ins Leben gerufen er hat uns in der Taufe zu seinem Kind angenommen. Wir können deshalb mit den Worten dieses Psalms sagen, daß wir unter dem Schirm des Höchsten sitzen. Ein Schirm behütet uns vor den Unannehmlichkeiten der Witterung, vor Wind und Regen. Und so will Gott uns auch vielfach vor den Stürmen des Lebens schützen, will seine Hand schützend über uns halten wie ein Schirm, damit uns nichts zustößt.

Der zweite Satz sagt noch einmal das Gleiche aus: „Wer unter dem Schatten des Allmächtigen bleibt!“ Aber hier ist nun das Bleiben bei Gott betont. Es nutzt uns ja nichts, wenn wir einmal mit Gott in Berührung gekommen sind und nachher passiert lange nichts mehr; dann war ja eigentlich auch der Anfang vergeblich gewesen. Es kommt auch darauf an, daß wir an Gott dranbleiben.

Die Trauung ist eine Gelegenheit, wieder einmal mit Gott in Berührung zu kommen. Hier hören wir Gottes Wort und beten zu ihm; hier wird uns auch ganz persönlich sein Segen zugesprochen. Die Trauung ist deshalb ein Bekenntnis zu dem Gott‚ der unser Leben schon immer begleitet hat und noch erhält.

Wenn wir bei ihm bleiben, dann bleibt er auch bei uns. Ja, selbst wenn wir einmal von ihm weggegangen sind, dann geht er uns doch nach und will uns wieder für sich gewinnen. Gottes Schirm bleibt immer bestehen; nur wenn wir von ihm fortlaufen werden wir nicht mehr von ihm beschützt werden.

Deshalb ist es gut, wenn man sich bei einem so wichtigen Ereignis wie der Hochzeit dorthin begibt, wo Gott sicher zu finden ist. Wer hier im Gotteshaus ist, der möchte auch unter der Hand Gottes bleiben. Mit der Trauung ist man auf dem richtigen Weg, das fortzuführen, was mit der Taufe begonnen hat.

Wer sein Leben in diesem Sinne einrichtet, der kann dann auch sagen: „Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe!“ Hier haben wir nun ein drittes Bild, um zu beschreiben‚ was Gott für uns bedeutet: Gott ist wie eine Burg, hinter deren starken Mauern man bei Gefahr Zuflucht finden kann.

Es gibt auch Kirchen, die gleichzeitig Wehrburgen waren. Daran kann man sich noch deutlicher machen, daß Gott ein Schutz ist gegen die äußeren und inneren Gefahren die unser Leben bedrohen.

Doch wir wollen das nicht verstehen im Sinne des Satzes „Mein Haus ist meine Burg!“ Es wäre schlecht, wenn man sich als Ehepaar einigelte und nur noch die privaten Interessen im Auge hätte. Wir leben zusammen mit anderen Menschen, mit der Verwandtschaft, Nachbarschaft, mit Freunden und Kollegen. Ein christlich getrautes Ehepaar ist auch immer Teil einer christlichen Gemeinde und darf sich eingebettet wissen in die Gemeinschaft derer, die auch schon an diesem Altar gestanden haben und den Segen Gottes für ihre Ehe empfangen haben.

In der christlichen Gemeinde wird auch vieles von dem konkret, was Gott Ihnen heute verspricht. Dort kann man Gottes Wort hören, das doch vielfach schon Wegweisung und Hilfe gibt. Dort kann man aber unter Umständen auch Menschen finden, die aus ihrem Glauben heraus einmal einen persönlichen Rat geben können. In der Kirche geht es um Vergebung und Neuanfang - al es Dinge, die man auch für das Zusammenleben in der Ehe braucht.

Es ist nicht immer einfach im Leben. Aber im Glauben hat man einen festen Halt, eine Zufluchtsstätte, wo man sich wieder erholen und aufrichten kann. Auf andere Dinge und Menschen kann man sich oft nicht verlassen. Gott aber bleibt immer derselbe. Mit seiner Güte und Treue bleibt er immer den Menschen zugewandt. Gerade auch wenn man so etwas Neues beginnt wie eine Ehe will Gott mit seinem Beistand nahe sein. Wie eine Burg will er das gemeinsame Leben zweier Menschen umschließen und gegen Angriffe von außen schützen.

Wer seine Zuversicht auf diesen Gott setzt‚ der wird es gut bei ihm haben. Er kann ohne Angst der Zukunft entgegensehen und darf sein Leben und seine Ehe in der Hand Gottes geborgen wissen. Heute beginnt ein neuer Abschnitt in ihrem Leben. Möge es auch ein Leben mit Gott sein!

 

 

„Herr, mich verlangt nach deinem Heil, und ich habe Lust an deinem Gesetz. La0 meine Seele leben, daß sie dich lobe und deine Rechte mir helfe!“             (Ps 119,174-175)

 Sicherlich freut Gott sich darüber, wenn einer nach seinem Heil fragt. Und sicherlich freut er sich auch darüber, wenn jemand getraut werden möchte. Man kann ja auch ohne Gott eine Ehe führen und muß sich dabei nicht einmal unbedingt daneben benehmen. Viele gehen diesen Weg und sind doch von den anderen geachtet.

Wer aber getraut wird, fragt nach Gott und nach dem Heil Gottes. Ja, der braucht es sogar zum Leben wie das tägliche Brot. Es sind so viele Dinge, nach denen wir verlangen: Glück und Zufriedenheit, Ruhe und Wohlstand. Alles ist gut und nützlich für unser Leben. Aber was nützt es uns, wenn wir an dem Heil Gottes vorübergehen? Doch umgedreht läßt sich auch sagen: Wer nach dem Heil Gottes verlangt, dem wird all das andere auch zuteil.

All das andere kann uns ja doch nicht helfen. Wir sagen zwar: Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt! Doch Sicherheit Kann es uns nicht geben. Das Gleiche gilt vom Besitz oder von der Gesundheit. Sehr schnell kann alles dahin sein und dann zählt nur noch das, was wir an Gott haben.

Gott verspricht uns seinen Beistand in den Gefahren des Lebens. Man weiß ja nie, was der nächste Tag bringen wird Aber wir dürfen nimmer wissen, daß Gott dann da ist und uns begleiten will und uns durch sein Wort dann Rat und Weisung geben will. Besonders deutlich wird das ja am Beispiel der Ehe und dem, was am Anfang der Bibel darüber gesagt ist. Dort heißt es: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei! Gott gibt uns den Gefährten, damit wir nicht so einsam sind und auch immer einen menschlichen Helfer haben.

Aber Gott gibt den Menschen auch seine Gebote. Er gibt ihnen sogar speziell ein Gebot für die Ehe. Diese Weisungen sind nicht harte Vorschriften, sondern zu unserem eigenen Schutz eingerichtet: sie sollen uns vor anderen und vor uns selber schützen.

Wir haben sie dann richtig verstanden, wenn wir wie hier in diesem Psalm sagen können: „Ich habe Lust an deinem Gesetz!“' Meist verstehen wir es doch umgekehrt: daß das Gesetz etwas Starres und Totes ist und unser Leben nur behindert. Aber der Beter dieses Psalms sieht es anders: Das Gesetz ermöglicht uns ein menschenwürdiges Leben, das außerdem auch noch Gott wohlgefällt. Wenn wir uns an diese Richtschnur halten, dann wird unser Weg auch richtig verlaufen, weil er ein Weg mit Gott ist.

Wenn wir in diesen Sinne uns verhalten, dann werden wir auch leben können. Dann wird sich auch dieser Wunsch erfüllen: „Laß meine Seele leben, daß sie dich lobe!“ Keiner weiß, wie lange er noch zu leben nat. Aber wenn das so ist, dann kommt es umso mehr darauf an, daß es ein Leben mit Gott war und dem Lob Gottes diente.

Man kann Gott loben mit Worten, mit Liedern, mit Bildern und mit vielem anderen Man kann ihn aber auch loben mit seinem ganzen Leben. Man kann ihn zum Beispiel loben mit seinem Verhalten in der Ehe. Wer hier in der Kirche getraut wurde, der muß damit rechnen, daß viele Leute ihn kritisch unter die Lupe nehmen. Wer sich hier öffentlich zu Gott bekannt hat, den wird man dann auch nachher danach fragen, ob er im Sinne Gottes gelebt hat oder ob er sich nachher nichts mehr daraus machte.

Umgedreht kann ein gottesfürchtiges Leben auch andere von der Wahrheit der göttlichen Botschaft überzeugen. Vielleicht .haben wir aber manchmal den Eindruck, als hätten wir bisher noch nicht sehr viel auf diesem Gebiet geleistet. Dann ist jetzt Zeit und Gelegenheit zu einem Neuanfang.

Der Beter des Psalms jedenfalls bittet darum, daß Gott ihm noch viele Jahre geben möge, damit er das Lob Gottes verwirklichen kann. Alle unsre Jahre nehmen wir als ein Geschenk von Gott in Empfang. Mögen sie nur alle erfüllt sein vom Lob Gottes, dann haben sie Sinn gehabt; andernfalls hat es sich nicht gelohnt, so lange zu leben.          

Der Beter des Psalms weiß aber auch, daß Gott dazu helfen muß. Er will sich ja gern an das Wort Gottes halten. Aber er bittet auch darum, daß das Recht Gottes ihm hilft und ihm Gerechtigkeit widerfährt. Wir als Christen wissen heute besser, was Recht und Gerechtigkeit bedeutet. Dazu gehört nicht nur der strafende Zorn Gottes, sondern vor allem auch seine nicht endende Liebe. Gott läßt uns Gerechtigkeit widerfahren, indem er uns von sich aus zu Gerechtfertigten macht.

Wenn wir das wissen, können wir ihn auch loben und mit ruhigem Gewissen unser Leben führen. Gott vernichtet uns nicht und gibt uns nicht dem Tode preis, sondern er läßt uns leben, wie es seinem Willen und meist auch unsren Wünschen entspricht. Gott will uns nicht kleinliche Vorschriften machen, sondern er will uns frei machen. Die Ehe aber ist das Spielfeld, wo wir diese Freiheit im Angesicht Gottes leben dürfen.

 

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt. Meine Hilfe kommt vor dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!“                                   (Ps 121,1-2)

„Wozu braucht man die Hilfe anderer, wenn man heiratet?“ wird sich mancher fragen. Das ist doch ganz und gar eine Privatsache, die man auch ganz allein bewältigen kann. Da braucht man keinen anderen Menschen dazu, da braucht man auch Gott nicht dazu. So denken sicher viele und handeln auch danach.

Sicherlich beruht eine Eheschließung zunächst einmal auf dem Willen zweier Menschen. Sie haben sich gefunden und haben beschlossen: Wir wollen zusammenbleiben! Und doch kann man diese höchst persönliche Entscheidung nachher als eine Fügung Gottes verstehen und glauben: Gott hat es so gewollt, daß gerade diese zwei sie gefunden haben.

Aber mit der Hochzeit ist es ja nicht getan, sondern da geht es erst richtig los. Sehr schnell wird man spüren, daß man hier Hilfe gebrauchen kann. Es wird noch einmal alles anders als in der Zeit vorher. Dann ist wieder Alltag. Das Hochzeitsfest geht bald vorüber. Aber der Alltag ist erst das Schöne in der Ehe, weil sie hier erst ihre Kraft beweisen muß.

Die Bewährung zeigt sich in dem kleinen Freuden und Laste n eines jeden Tages. Aber gerade bei dem täglichen Kleinkram kann man erst langsam zusammenwachsen und immer wieder Neues an dem anderen entdecken. Gerade wenn es anfangs noch schwer ist, wird man viel von dem anderen kennenlernen. Vielleicht sind noch große Anschaffungen zu machen (Wohnung), so Vieles ist erst noch zu erringen, was eben zu einer Ehe gehört. Trotzdem sollte keiner Angst haben vor diesem Schritt. Manchmal ist es ganz gut, wenn einem die gebratenen Tauben nicht gleich in den Mund fliegen, sondern man sich alles erst erringen muß. Das schweißt zusammen für die Zeit danach. Das zeigt erst, wo die Vorteile einer Ehe liegen, nämlich im gemeinsamen Bewältigen die Schwierigkeiten und Aufgaben.

Es werden auch einmal harte Tage kommen, vielleicht Krankheit oder wirtschaftliche Not. Man muß erst noch seinen Platz finden, an den man gehört: den Platz im Verhältnis der Ehepartner untereinander, aber auch den gemeinsamen Platz der Eheleute in der Verwandtschaft und Gesellschaft. Das wird sich erst langsam alles einspielen.

Dann ist es vielleicht verständlich, daß man sehr wohl die Hilfe Gottes zu seiner Ehe brauchen kann. Wenn man vielleicht auch am Anfang meinen könnte, er sei nicht so nötig, so wird er doch sehr bald nötig werden. Und deshalb ist es gut, die Ehe gleich von Anfang an unter den Schutz Gottes zu stellen.

Es braucht keiner zu schwarz zu sehen. Es mag manche Stürme im Leben geben. Aber Gott steht auf unsrer Seite. Der erste Satz dieses Bibelspruches, der Ihr Trauspruch sein soll, lautet ja: „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von welchen mir Hilfe kommt!“Gemeint ist damit: „Ich halte Ausschau nach Gott, denn nur von dort her kann mir entscheidende Hilfe kommen!“

Man kann diesen Satz auch anders übersetzen, nämlich: „Woher kommt mir Hilfe?“ Es mag wirklich für manchen noch unklar sein, woher ihm Hilfe kommen könnte und wer das ist, der uns in unserer Ehe und in unserem ganzen Leben helfen könnte. Sicherlich bietet Ihnen auch mancher seine Hilfe an. Es ist auch schön, wenn man Eltern und Schwiegereltern hat, die mit ihrem Rat und ihrer Erfahrung helfen können. Es ist schön, wenn man sich. Im Kreis von Freunden wohlfühlen darf, wenn man Menschen hat, den mag und vertrauen kann und die manchem wichtigen Hinweis geben.

Aber wir wissen doch alle, daß man sich im Gespräch von Mensch zu Mensch unter vier Augen am ehesten für alles öffnen kann, was einen selber und was den anderen bedrückt. Deshalb hat Gott ja die Ehe eingesetzt, damit man vor e i n e m Menschen keine Geheimnisse zu haben braucht und damit man wenigstens von einem Menschen immer Hilfe durch Rat und Tat erfahren wird.

Sie können sich aber nur wirklich untereinander helfen, wenn Sie sich von Gott helfen lassen. Der zweite Satz dieses Spruches lautet ja: „Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!“ Das ist das Bekenntnis eines Menschen, der solche Hilfe wirklich erfahren hat. Er weiß genau: Hilfe kommt nicht von irgendeinem, der sich als unser Herr aufspielt, sondern von Gott, der nicht nur Himmel und Erde, sondern auch uns gemacht hat und erhält. Versuchen Sie es doch einmal auch in Ihrer Ehe mit diesem Gott, der Ihnen Kraft und Hilfe geben kann. Bringen Sie Ihre Bitten im Gebet vor ihn und danken Sie ihm für alles, was er Ihnen täglich schenken wird.

 

„Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!“(Ps 124,8)

Wenn man eine Ehe eingeht, dann beruht das zunächst einmal auf einem ganz persönlichen Entschluß der Ehepartner. Sie haben sich eben gefunden und mit Gott scheint das überhaupt nichts zu tun zu haben. Also könnte man auch die Ehe beginnen, ohne daß man nach Gott fragt. Selbst Luther hat ja einmal gesagt: „Die Ehe ist ein weltliches Geschäft!“

Dennoch begehen wir diesen Tag auch in der Kirche. Bei der Trauung wird eine schon be­stehende Ehe - auch wenn sie erst einige Stunden alt ist - dem besonderen Schutz Gottes unterstellt. Man kann natürlich auch ohne Gott seine Ehe führen und es kann durchaus auch eine gute Ehe sein. Aber wenn man getraut wird, hat man eine zusätzliche Hilfe. Das ist einmal ein großes Geschenk, das Ihnen da am Anfang Ihrer Ehe gemacht wird, mehr als alle Hochzeitsgeschenke, die man an so einem Tag kriegt. Gott stellt sich aus freien Stücken hinter Sie und will Ihrer Ehe Halt und Freude geben. Wir können uns das nicht selber verdienen; aber Gott handelt eben so, daß er sich für uns erklärt und uns beistehen will.

Zum anderen bringt das aber auch eine Verpflichtung mit sich. Wer hier getraut wird, legt damit indirekt ein offenes Bekenntnis ab zu dem Gott, der Himmel und Erde gemacht hat und der unser aller Gott ist. Er bring damit zum Ausdruck: Wir sehen unsre Ehe nicht allein als eine menschliche Privatangelegenheit an, sondern wir wollen sie gleich von Anfang an im Namen Gottes beginnen.  

Natürlich kann man auch anderswo  Anlehnung und Hilfe suchen. Da sind zunächst einmal die Eltern und Schwiegereltern. Auch wenn die natürlich nicht in die Ehe hineinregieren wollen und dürfen wird man doch ihren Rat gern annehmen. Dann hat aber auch jeder gute Freunde und Bekannte, an die man sich wenden kann. Schließlich gibt es sogar staatliche und kirchliche Eheberatungsstellen, wo man sich notwendige Fachkenntnisse holen kann.

Viele Dinge muß man aber auch mit sich selber abmachen, weil sie so privat sind, daß niemand anders sie erfahren darf. Das gibt es natürlich auch und das muß so sein. Es gehört ja gerade mit zum Leben der Ehe, daß man zwar Geheimnisse gegenüber anderen hat, aber keine Geheimnisse untereinander.

Nur vor Gott können und sollen wir keine Geheimnisse haben. Vor ihn gehört aller Dank, den wir in schönen Stunden empfinden. Vor ihn gehört aber auch alle Sorge, die uns .manchmal das Herz schwer macht. Hier ist noch ein Dritter mit im Bunde, der uns über unsre begrenzte persönliche Sicht hinweghilft.      

Eigentlich ist es verwunderlich, daß ausgerechnet Gott sich um die kleinen Probleme der Menschen kümmern soll. Aber es ist nun einmal so: Der Herr, der Himmel und Erde gemacht hat, kommt sich nicht zu groß vor, als daß. er sich nicht um jeden einzelnen Menschen kümmern könnte. Im Gegenteil: Wer so etwas Großes geschaffen. hat, der müßte doch auch mit den kleinen Dingen unseres Alltags fertigwerden. So einen Gott haben wir eben, dem das Große nicht zu groß und das Kleine nicht zu klein ist.

Diesem Gott wollen Sie sich nun anvertrauen. Vielleicht kann dieser Psalmvers auch zu ihrem persönlichen .Bekenntnis werden: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat!“ Andere mögen sich. anderswo Hilfe holen. Aber die letzte und sicherste Hilfe kommt von Gott.

Wir wissen ja nicht, was einmal alles über diese Ehe kommen wird. Auf jeden Fall werden auch einmal trübe Tage kommen und Schwierigkeiten auftauchen. Dann aber dürfen Sie ihre Sorgen ganz unbekümmert vor Gott bringen - er wird Ihnen schon weiterhelfen.

Heute aber wollen wir .zunächst einmal danken für all das, was so einem jungen Ehepaar alles von Gott versprochen wird. Sie dürfen dafür danken, daß Gott Sie zusammengeführt hat und Sie nun zu einem Ehepaar zusammenwachsen dürfen. Sie haben nun die Möglichkeit, einander zu helfen ihre starken Seiten dem anderen zur Verfügung zu stellen und an schwachen Stellen sich vom anderen helfen zu lassen. Aber außerdem wird auch Gott .bei Ihnen sein in allem, was Sie tun.

Auf den Namen dieses Gottes sind Sie getauft worden. In seinem Namen sind Sie konfirmiert worden. Nun soll auch Ihre Ehe unter seine gnädige Hand gestellt werden. Deshalb dürfen Sie auch getrost und mit Zuversicht in die Zukunft schauen. Der Gott, der sich heute an Sie bindet, der wird Sie auch begleiten ein Leben lang. Ihm dürfen Sie sich anvertrauen und alles unterstellen. Er wird es schon richtig machen.

 

„Wo der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen!“     (Ps 127,1)

Sie haben vor, ein Haus zu bauen und sich somit eine Wohnung zu schaffen. Wir wissen alle, wie schwierig ein solches Unternehmen ist. Aber wenn es notwendig ist, hilft ja alles nichts, dann muß man diese Mühen eben auf sich nehmen.

Wir wissen aber nun alle: Ein Haus braucht ein gutes Fundament. Wenn man da nicht sorgfältig genug ist, nutzt der ganze Hausbau nichts. Wenn man da schnell machen und Geld sparen will, wird nachher nur alles umzog komplizierter. Erst muß ein richtiger Grund gelegt werden. dann wird auch das andere etwas.

Das Gleiche gilt aber nun auch für eine Ehe: Sie muß von Anfang an das richtige Fundament haben, sonst läuft alles schief. Wenn man den richtigen Anfang verfehlt hat, kann auch das Ende nicht gut werden.

Es gibt ja Vieles, was man zur Grundlage für eine Ehe machen kann. Immer wieder werden empfohlen: Gegenseitige Liebe, Achtung und Treue. Oder: Übereinstimmung in den Lebensansichten. Oder: Gleiche Meinung über Ehe und Familie, über Verwandtschaft und Kinder.

Oder es heißt: Nicht zu große, aber auch nicht zu kleine Spannung der Temperamente. Früher war auch oft das Geld die Grundlage für eine Ehe oder eben der Wille der jeweiligen Eltern. Heute ist das zum Glück nicht mehr so. Aber umzog notwendiger ist es, sich nach neuen und tragfähigen Grundlagen umzusehen.

Die Bibel empfiehlt uns da, auch den Glauben mit in die Ehe einzubeziehen. In dem Psalmvers heißt es: „Wenn der Herr nicht das Haus mit baut, dann ist alle Arbeit der Menschen umsonst!“ Wir können viel tun für eine Ehe, daß sie gut und harmonisch verläuft. Und es gibt ja auch viele gute Ehen von Menschen, die nichts von Gott wissen wollen. Aber so richtig rund wird die Sache doch erst, wenn Gott mit dabei ist.

Wenn man früher ein Haus baute, dann gehörte zur Grundsteinlegung und zum Richtfest ein Gebet dazu. Und in manchen Häusern hängt bis heute ein Bibelspruch an der Wand. Oftmals mag es nur eine schöne alte Sitte sein, bei der man sich weiter nichts denkt. Aber es wird hier doch etwas davon deutlich, daß das ganze Haus unter dem Segen Gottes stehen soll, daß Gott in diesem Haus ein und aus gehen kann.

Das Wort „Haus“ hat ja in der Bibel eine doppelte Bedeutung: Einmal ist das Gebäude damit gemeint, zum anderen aber auch die Bewohner des Hauses, die Familie. Auch beim Zusam­men­wachsen einer Familie will Gott einen Halt geben und Hilfestellung leisten. Sie dürfen ab heute als ein christliches „Haus“, als eine christliche Familie, zur Gemeinde Gottes gehören und von dieser Gemeinde auch Hilfe und Unterstützung erwarten.

Man steht ja als Ehepaar nie ganz allein. Da sind die Verwandten, die Freunde, die Bekannten. Da sind andere Ehepaare, die in der gleicher Lage sind und mit denen man sich vielleicht gut versteht. Da sind auch die anderen Christen, die an dem Geschick so einer Ehe mittragen.

Niemand fängt ganz neu an, sondern wir leben immer auch von dem Erbe unsrer Vorfahren. Kein Mensch fängt ganz von vorne an, sondern er übernimmt zunächst einmal nur. Zunächst richtet er sich nach der Erfahrungen der Vorfahren. Erst allmählich macht er dann auch eigene Erfahrungen

Das Wichtigste aber, das wir vor unseren Vätern übernehmen können, ist der Glaube. Sie sind gut damit gefahren. Und was sich bewährt hat, ist es wert, auch in die Zukunft hinein zu dauern. So wie Sie sind ja schon viele Ehepaare hier an diesem Altar getraut worden und haben den Segen Gottes für ihre Ehe empfangen. Sie hätten das bestimmt nicht getan, wenn nicht doch etwas dran wäre an dem Glauben an Gott.

Sie können es jetzt ja gemeinsam ausprobieren und nachprüfen, ob der Glaube eine Hilfe für das Zusammenleben ist. Die Bibel jedenfalls meint: Man braucht Gott zum Leben. Wenn er nicht mit dabei ist, ist alles andere umsonst; es entsteht dann vielleicht auch ein glänzender Bau, aber in Wirklichkeit ist er hohl und brüchig, seine Benutzung gefährlich.

Deshalb werden Sie heute bei Ihrer Trauung aufgefordert: Fangen Sie ihre Ehe im Namen Gottes an! Werden Sie zu einem „christlichen Haus“, zu einer christlichen Familie. Setzen Sie Ihr Vertrauen ganz auf den Herrn, der zu allem guten Werk seinen Segen geben will! Lassen Sie sich von ihm fördern und leiten, dann wird Ihr Weg auch richtig. Gott jedenfalls macht Ihnen heute die Zusage, daß er mit an Ihrem Leben bauen will. Sie brauchen diese Verheißung nur zu ergreifen und in Ihrem Leben wirken zu lassen.

 

„Der Herr ist nahe allen, die ihn anrufen. Er tut, was die Gottesfürchtigen begehren. Der Herr behütet alle, die ihn lieben!“                                             (Ps 145,18a.19a.20a)

Solange man Kind ist, steht man unter dem Schutz der Eltern. Sie haben die Verantwortung, haben für die. Kinder zu sorgen und setzen Manches ein und bringen viele Opfer. Aber die Kinder wachsen auch heran, können sich selber helfen und machen sich immer mehr selbständig. Das ist nun einmal der Lauf der Welt und auch ganz natürlich und auch von Gott gewollt.

Umso wichtiger aber ist es dann, daß man noch einen Höheren über sich weiß. Daß man nicht mehr unter der Gewalt der Eltern steht heißt ja nicht, daß man nun tun und lassen könnte, was man wollte. Gott als unser himmlischer Vater nimmt uns ja noch mehr in Pflicht. Er möchte, daß wir ihm gehorsam sind und seine Gebote einhalten, nicht nur sein Gebot über die Ehe, sondern auch das Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“

Wer Gott ehrt der wird auch seinen Ehepartner und seine Eltern und überhaupt alle Menschen ehren. Die Liebe zu Gott zeigt sich auch darin, wie wir uns anderen Menschen gegenüber verhalten. Man kann ja Gott nicht direkt etwas Liebes tun. Aber im Verhalten zu den Menschen wird anschaulich, wie wir zu Gott stehen. Wenn wir zu ihm gut stehen, dann werden wir uns auch zu den Menschen gut stellen wollen und ihnen Liebes erweisen.

Die Liebe zweier Menschen zueinander kann für uns Sinnbild für die Liebe Gottes zu den Menschen sein. Oder sagen wir es anders: Weil Gott die Menschen liebhat, ist auch menschliche Liebe möglich. Gott hat uns gezeigt, wie man Menschen liebhaben kann: mit ihren Vorzügen und Fehlern, mit ihren starken und schwachen Seiten. Gott kennt uns so, wie wir wirklich sind, ungeschminkt und wahrhaftig.

So sollten sich auch Ehepartner gegenseitig sehen. Ihre Liebe wird auch die kleinen Schwächen des anderen ertragen können und die guten Seiten zu fördern versuchen. Sie wird bereit sein zur Vergebung und zum Mutmachen, zu gemeinsamer Arbeit und gemeinsamer Freude. Sie wird auch helfen zu einem festen Glauben an Gott und zur gegenseitigen Förderung in Glaubensdingen.

Denn darüber sollten wir uns im Klaren sein: Die menschliche Liebe erhält ihre Kraft aus der Liebe Gottes. Unsere Liebe ist umfangen von der Zuwendung Gottes zu uns. Er möchte uns das Vorbild geben und auch Rückenstärkung. Er will jetzt der Hüter über uns sein, wenn die Eltern es nicht mehr tun können.

Allerdings sollten wir nicht meinen, es könne uns gar nichts passieren. Wenn Gott uns auch behütet, so baut er uns doch nicht eine Autobahn durchs Leben, auf der es schnell und bequem vorangehen kann. Gott räumt uns nicht alle Hindernisse aus dem Weg. Wir müssen auch an Krankheit und Enttäuschungen und eigene Fehler denke n. Auch ein Mensch, der es mit Gott hält‚ bleibt vor Unglück und Widerwärtigkeiten nicht versschont.

Aber er wird von Gott Hilfe erfahren, um alles bewältigen zu können. Deshalb hat Gott ja zum Beispiel die Ehe eingerichtet, daß einer dem anderen helfen kann. Der Mensch soll nicht allein sein, sondern mit einem Partner durchs Leben gehen. Aber manchmal reicht menschliche Hilfe auch nicht aus. Dann dürfen wir besonders den Beistand Gottes spüren.      

Gott will ihren heute seinen Segen mitgeben. Sie dürfen sich darauf verlassen, daß das nicht eine Formsache ist, sondern wirklich eine Kraft dahinter steht. Das werden Sie sicher im Laufe der Zeit immer mehr spüren können. Gott hält, was er verspricht. Er erfüllt nicht immer all unsre Wünsche, aber alle seine Verheißungen. Heute verheißt er Ihnen, daß er Ihre Ehe mit seinem Segen begleiten will.

Allerdings wird auch eine Bedingung gemacht: Nur wer Gott liebt, wird auch von ihm behütet werden! Wer sich nicht um Gott kümmert, braucht auch nicht auf Hilfe zu warten, wenn er sie- einmal nötig hätte und ihm dann Gott einfällt. Gott möchte, daß wir ständig mit ihm zu tun haben und in guten und in bösen Tagen alles von ihm erwarten. Er will uns Mut machen, uns an ihn zu wenden und ihn zu bitten.

Er will Ihnen auch Mut machen zu Ihrer Ehe. Sie betreten hier ja Neuland, das sicher noch viele Überraschungen und schöne Seiten mit sich bringen. wird. Vielleicht ist Ihnen auch etwas bange davor. Da sollen Sie sich aufrichten können an diesem Bibelwort: „Der Herr behütet alle, die ihn lieben!“

Wenn wir uns von diesem Wort leiten lassen, werden wir unser Leben leichter bewältigen können mit Gottes Hilfe. Es wird nun an Ihnen liegen, wieviel Sie von dem Angebot Gottes in Anspruch nehmen. Heute ist ein erster Schritt dazu gemacht. Gott möchte Sie ja gerne behüten. Und er wird es tun, wenn Sie ihn lieben und ehren.

 

 

„Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt!“"                                                                                                               (Spr 16,9)

Wenn ein Mensch ins Leben tritt dann haben die Eltern so ihre Pläne mit ihm. Das Kind soll es einmal besser haben und möglichst mehr erreichen als die Eltern. Nachher, wenn der Mensch heranwächst, hat er seine eigenen Pläne. Er denkt sich aus, wie alles einmal werde- soll. Meist will er es dann ganz anders machen als die Eltern‚ will einen eigenen Weg gehen.

Das ist auch sicher notwendig für die Selbstfindung.

Für die Eltern ist das nicht immer leicht, ihr Kind innerlich loszulassen. Man fragt sich je doch immer: „Werden die Kinder auch den richtigen Weg finden!“ Man hat ja schließlich allerhand Lebenserfahrung, die man weitergeben möchte. Aber in Grunde muß doch jeder selbst seinen Weg finden.

Doch da geschieht es dann auch, daß sich zwei Lebenswege kreuzen und aus dem Alleinsein eine Ehe wird. Man kann das als eine rein persönliche Entscheidung ansehen: Man hat sich eben kennengelernt, hat sich zunächst nur sympathisch gefunden, dann ist Liebe daraus geworden und der Wunsch, für immer beisammen zu bleiben.

Man kann aber auch sagen: „Gott hat uns den Weg geführt!“ Sicher denkt man bei seiner Wahl zunächst nicht an Gott. Aber zumindest nachträglich kann man es doch-so verstehen: Gott hat es so gewollt, daß wir uns gefunden haben. Wir brauchen uns ja nicht vorzustellen, als greife Gott immer wieder mit großen Aktionen in unser Leben ein. In der Regel wirkt er

in den ganz alltäglichen Vorgängen.

Man denkt vielleicht zunächst gar nicht daran, daß das auch etwas mit Gott zu tun habe könnte. Aber in unsren menschlichen Entscheidungen wirkt Gott mit. Deshalb ist auch heute Grund, ihm zu danken für seine Führung und um weitere Hilfe zu bitten.

Sicher sind auch unsere Phantasie und unser Einsatz nötig. Wir können nicht die Hände in den Schoß legen und sagen: „Der Herr wird' s schon machen!“ Wir sollen, schondenken und unseren Weg plane denn dazu hat uns Gott ja unseren Verstand gegeben. Aber wir werden auch merken, daß wir auch den Beistand eines Größeren brauchen. Wozu sollen wir uns auch allein durchs Leben schlagen, wenn wir doch mit der Hilfe Gottes rechnen können. Er will uns ja gern helfen und bei unserem Leben mit dabei sein.

„Der Herr allein lenkt seinen Schritt!“ Was sich von unseren Plänen verwirklichen läßt, das bestimmt allein Gott. Kleine Kinder wollen ja auch manchmal wohin, wo es für sie gar nicht gut ist. Dann lenken die Eltern sie behutsam um, damit ihnen nichts passiert.

So ist es auch mit den Erwachsenen. Sie wollen auch manchmal einen Weg gehen, den sie zwar für richtig halten, der aber doch irgendwann einmal zum Schaden gereichen würde. Gott sieht schon weiter voraus und kann uns deshalb besser vor Fehltritten bewahren. Auch wenn es manchmal schwer für uns ist‚ alle Führungen Gottes zu verstehen: Wir dürfen doch darauf vertrauen, daß er uns den richtigen Weg führt.

Deshalb dürfen Sie auch entschlossen Ihre Ehe und das Leben in der Familie in die Hand nehmen. Sie dürfen- darauf vertrauen, daß Gott die Ehe will und auch Ihre Ehe will. Ein wenig Ungewißheit ist immer dabei, wenn man so einen Schritt tut. Die Zukunft liegt ja für uns im Dunkel. Man kann sich schon fragen: „Werden wir alles bewältigen, Freude und Leid, Erfolge und Mißerfolge, Neues und Altes?

Aber Gott will unseren Weg erhellen. Sein Wort gibt uns Wegweisung, die Gemeinschaft seiner Kirche stärkt uns, wir erlangen immer wieder Vergebung und die Chance zu einem neuen Anfang. Dadurch wird unser Leben immer wieder befreit und froh und zuversichtlich.

Wenn sich einmal ein Plan nicht hat verwirklichen lassen, dann soll uns das nicht gleich aus der Bahn werfen. Gott wird schon wissen‚ weshalb das alles so ist. Man muß nur darauf vertrauen, daß er das Beste für uns will.

Deshalb können Sie auch unbekümmert in den Alltag Ihrer Ehe hineingehen Mit Gott wird es sicher ein gutes Leben. Viele Einzelheiten werden Sie erst noch miteinander absprechen müssen. Gott schreibt uns ja nicht jeden einzelnen Schritt vor, sondern gibt uns auch viel Freiheit. Aber die große Linie und das Ziel soll und muß er schon bestimmen dürfen.

Wenn wir das anerkennen, wird auch unser Weg gesegnet sein. Dann werden unsere Pläne auch immer mehr in Übereinstimmung mit Gott kommen. Und wenn einmal etwas anders kommt, als wir es gewollt haben, dann werden wir uns auch dem Willen Gottes fügen und einsehen, daß es letztlich gut so für uns ist. Gott will das Beste für uns. Darauf dürfen wir vertrauen und sollten unsere Schritte von ihm lenken lassen.

 

„Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen“                                                                                                        (Mt 6,33)

Sie kommen gerade vom Standesamt. Dort wurde etwas bestätigt, was eigentlich schon länger feststand. Kennengelernt haben Sie sich ja schon früher und haben dabei Ihren Partner fürs Leben gefunden. Das ist wie bei einer politischen Wahl: Das Eigentliche geschieht schon vorher, da fallen die Entscheidungen; der Wahlakt ist dann nur noch eine Formsache, aber er ist dennoch notwendig.

So ist auch der Akt der Erschließung nicht allein das Entscheidende, aber er ist erforderlich. Es wird dadurch ja auch etwas anders, und zwar nach zwei Seiten: Das gemeinsame Leben bringt gewiß viel Schönes mit sich; die gegenseitigen Gaben sollen sich ja ergänzen und so erst zu voller Blüte gebracht werden. Aber es werden auch gewiß viele neue Fragen und Probleme und Schwierigkeiten auftauchen.

Da ruft Ihnen Ihr Trauspruch zu: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen!“ Das hat Jesus gesagt, als es um die Frage ging: „Was werden wir essen, was werden wir anziehen?“ Und Jesus meint dazu: „Bemüht euch lieber in erster Linie darum, zum Reich Gottes zu gehören, dann wird sich das andere von selbst erledigen!“

Für uns heute sind diese äußerlichen Fragen des Lebens auch nicht mehr so wichtig, weil sie in der Regel so einigermaßen gelöst sind. Wir fragen eher: „Wie wird es mit der Aufgabenverteilung in der Ehe? Wie gestalten wir unsere Freizeit? Was wird, wenn wir einmal verschiedener Meinung sind oder uns verkrachen?“

Für solche Fälle gibt es ja sogar Ehe- und-Familienberatungsstellen. Aber auch Gott und Gottes Wort können helfen, die Freuden und Fragen einer Ehe zu bewältigen. Ein solcher Ratschlag ist zum Beispiel Ihr Trauspruch: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes!“ Wie er sich praktisch auswirken könnte, wollen wir uns einmal an einem Beispiel überlegen.          

In dem Spruch kommt das Wort „Gerechtigkeit“ vor. Das ist nicht dasselbe wie „Recht“. Wenn es nach dem Recht geht, dann geht es nach dem Buchstaben des Gesetzes: Wenn 100 Mark Geldstrafe vorgesehen sind, dann wird auch soviel verhängt; wenn einer den anderen umbringt, dann muß er wieder umgebracht werden.

Aber so denkt heute kein Gericht mehr. Es fragt vielmehr nach mildernden Umständen, es berücksichtigt Lebenslauf und Umwelt des Angeklagten, es fragt: „Wie können wir ihn am besten wieder auf den richtigen Weg bringen?“

Wenn es nach dem Gesetz geht, dann kann man fein säuberlich trennen zwischen Recht und Unrecht, zwischen verboten und erlaubt. Aber mit dem Gesetz kann man keine Ehe führen. Die Ehe ist doch auf Liebe aufgebaut. Und die Liebe spricht nicht Recht wie ein übergenauer Richter, sondern fragt: „Was ist hier gerecht? Wie müssen wir uns einigen, damit jede Seite gerecht behandelt wird?“

Mit einem Fremdwort nennen wir das „Kompromiß“. Meist haben wir dabei den Ausdruck „fauler Kompromiß“ im Ohr. Doch in Wirklichkeit geht es um eine lobenswerte Tugend, ohne die man auch in der Ehe nicht auskommen kann. Manchmal muß man zurückstecken, obwohl man im Recht ist. Nicht die Behauptung des eigenen Standpunkts ist die Aufgabe, sondern die Gerechtigkeit. Diese gilt es in der Ehe zu üben. Hier zeigt sich, ob man sich die Gerechtigkeit Gottes zum Vorbild nimmt und nach Gerechtigkeit trachtet oder nach dem vermeintlichen Recht.

Nach dem „Reich Gottes“ sollen wir trachten. Das ist nicht irgendein ferner Bezirk, in den wir hineingelangen müßten. Das Reich Gottes ist da, wo Gottes Liebe, Friede, Gerechtigkeit und Wahrheit unter den Menschen wirklich werden. Dabei können wir alle mithelfen.

Gerade im Alltag der Ehe fallen da die wichtigsten Entscheidungen. Man kann ja nach Vielem trachten: Geld, Lebensstandard, Berufszufriedenheit, Anerkennung, Vergnügen. Das ist alles wichtig, ohne das können wir nicht leben. Aber es muß alles eingeordnet sein in die Frage nach dem Sinn des Lebens und der Ehe.

Gott will uns keine harten Vorschriften machen. Das Gewicht liegt auf der. Fortsetzung des Spruches: „... so wird euch das alles zufallen!“ Dann wird sich alles bewältigen lassen, was an ungelösten Fragen und Problemen kommt. Wichtiger als Gottes Gebot ist seine Verheißung, auch in der Ehe. Was wir dann daraus machen, liegt in unserer Verantwortung. Gott macht ein Angebot: Ihre Liebe darf umschlossen sein von der Liebe Gottes, die sich in seiner Gerechtigkeit zeigt. Mögen auch Sie in Ihrer Ehe die Liebe Gottes spüren, die Ihrer Liebe immer neue Kraft und Zuversicht geben kann!

 

„Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen!“                                                                                                                              (Mt 18,20)

Der Tag der Hochzeit kann einem vorkommen wie der Gipfel eines Berges. Man ist nicht gleich oben, sondern es braucht alles seine Zeit und man muß schon Geduld haben. Es ist auch alles mit Mühen und Arbeit verbunden und es kostet schon allerhand Schweiß. Aber das läßt sich alles gut überstehen, weil man sich auf das Ziel freut.

Doch wenn man den Gipfel erreicht hat, dann ist damit noch längst nicht alles zuende. Im Gegenteil: Nun soll es doch erst richtig losgehen! Man klettert doch nicht auf der einen Seite einen Berg hoch und rast gleich wieder auf der anderen Seite hinunter. Man behauptet ja, daß das bei vielen so kommt, wenn erst einmal die Flitterwochen vorbei sind.

Wir wollen aber lieber unsren Blick nicht wieder zurück ins Tal lenken, sondern nach vorne in die Zukunft. Heute haben Sie nämlich erst einen ersten Gipfel erreicht. Aber danach kommen noch sehr viel mehr. Jeder Gipfel ist mit neuen Anstrengungen verbunden, aber auch mit neuen Freuden; denn je weiter und höher man kommt, desto besser wird die Aussicht.

Doch von einem Gipfel zum anderen führt nur ein schmaler Weg, ein scharfer Grat, auf dem man entlang balancieren muß. Leicht kann man daneben treten und abstürzen und alles war vergebens. Es ist nicht leicht, auf dem richtigen Weg zu bleiben, aber es ist notwendig und- hilfreich.

Doch was soll man tun, wenn nun doch einer abstürzt? Beide Wanderer sind ja durch ein Seil aneinander gekettet. Wenn einer fällt, droht er den anderen mitzureißen. Da hilft dann nur eins: Auf der anderen Seite hinunterzuspringen - und dann darauf zu vertrauen, daß das Seil hält.

Die Ehe können wir vergleichen mit einer Gratwanderung durchs Gebirge von einem Gipfel zum anderen. Sie stehen erst am Anfang dieser Wanderung. Aber Sie sind vom heutigen Tag an untrennbar miteinander verknüpft: Wenn dem einen etwas zustößt, betrifft es den anderen auch; und wenn der eine etwas Schönes erlebt, dann ist der andere mit dabei. Nun werden Freude und Leid geteilt, nun wird auch einer für den anderen einstehen und gerade das Schwere wird sich leichter bewältigen lassen. Jeder Mensch hat da seine eigenen Gaben. Wenn man die Fähigkeiten zweier Menschen zusammentut, dann erreicht man mehr, als wenn jeder nur für sich allein ist.

Doch eine Ehe ist nicht nur die Privatsache zweier Menschen. Gott will mit dabei sein, sonst brauchte man sich ja auch gar nicht trauen zu lassen. Er ruft Ihnen heute zu: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen!“ Gott ist bei uns, wenn wir hier den Gottesdienst feiern. Er will aber nicht nur am Anfang Ihrer Ehe mit dabei sein, sondern Sie auf Ihrem ganzen Weg begleiten.

Das Großartige daran ist: Gott kümmert sich auch dann um seine Leute, wenn es nur zwei sind. Gerade wenn es nur zwei sind, dann haben sie die Hilfe Gottes besonders nötig. Aber Gott sagt aus freien Stücken: „Ich bin mitten unter ihnen!“ Doch das gilt nicht für jede Ehe schlechthin. Es heißt hier ausdrücklich: „Nur wenn die zwei im Namen Gottes versammelt sind!“

Doch Sie haben heute damit einen Anfang gemacht. Nun können Sie auch auf diesem Wege weitergehen. Mit dem heutigen Tag sind Sie nicht nur eine Familie geworden, sondern auch eine christliche Familie. Nun erwartet man etwas von Ihnen und schätzt Sie entsprechend ein. Aber Sie dürfen auch die Verheißung Gottes hören, die allen gilt, die sich zu ihm halten: „Ich bin mitten unter euch!“

Sie sind auf Ihrer Gratwanderung durch das Leben nicht allein. Wenn es gefährlich wird, können Sie sich nicht nur auf die Unterstützung Ihres Ehepartners verlassen, sondern auch die Hilfe Gottes ist Ihnen sicher. Vielleicht wird er Sie sogar vor einem Stolpern und einem Absturz überhaupt bewahren.

Das Ziel, das auch Ihnen gesteckt ist, ist hoch. Wir wandern alle den gleichen Weg hin zur Ewigkeit Gottes. Der letzte Gipfel ist das Leben bei Gott. Sie stehen heute noch am Anfang Ihres Weges. Aber gerade an diesem wichtigen Punkt dürfen Sie die Verheißung Gottes hören: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen!“

Deshalb wird Ihnen auch heute die Frage gestellt: „Wollen Sie in diesem Namen Gottes bleiben und Ihr Leben und Ihre Ehe in seinem Namen führen, durch alle Höhen und Tiefen hindurch?“ Gott hat sein Wort schon gesprochen. Sie brauchen ihm nur Ihr Ja-Wort zu geben und seine Hilfe zu erbitten, dann werden Sie Schutz und Beistand erfahren.

 

„Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“        (Mt 19,6)

Man wird nicht so leicht einsehen, daß Gott ein Ehepaar zusammengefügt hat. Man hat sich doch irgendwo kennengelernt, man fand sich nett und es ist Liebe daraus geworden. Und eines Tages hat man den Entschluß gefaßt, für immer beieinander zu bleiben und zu heiraten. An Gott denkt man dabei in der Regel nicht. Man entscheidet und handelt rein nach menschlichen Gesichtspunkten. Das soll ja auch zunächst so sein. Gott läßt uns die Freiheit, uns nach unseren menschlichen Wünschen zu entscheiden.

Eine Trauung ist nicht unbedingt notwendig. Sie ist kein Sakrament wie die Taufe oder das Abendmahl. Und wenn einer nicht in der Kirche getraut ist, dann wird seine Ehe doch kirchlich anerkannt. Man muß nicht getraut sein. Aber es ist doch gut, wenn man getraut worden ist.

Schließlich ist die Eheschließung ja doch ein wichtiger Schritt im Leben. Sie ist eine gute Sache, denn sie bringt viele Vorteile mit sich. Man gewinnt dadurch einen Partner fürs Leben, der versprochen hat, einem immer beizustehen. Es ist auch gut, wenn das alles eine offizielle und öffentliche Form erhält und man nach althergebrachter Weise die Ehe schließt. Zum Glück sind auch die jungen Leute von heute immer noch so altmodisch, richtig zu heiraten und nicht nur einfach zusammenzuziehen.

Leider ist man aber vielfach nicht so altmodisch, wenn man wieder auseinandergehen will. Das wird heute ja auch viel zu leicht gemacht. Das führt dann dazu, daß man sich gar nicht mehr ernsthaft genug prüft, sondern oftmals in eine sogenannte „Ehe“ hineinstolpert mit dem Gedanken: Notfalls gehen wir wieder auseinander.

Hier klaffen eben menschliches und göttliches Recht weit auseinander. Nach der Bibel gibt es keine Scheidung. Und dieses entschiedene Verbot ist sicherlich zu unserem Nutzen erlassen. Man kann zwar nicht sagen, daß Gott sich beim Zusammenfügen geirrt haben muß, denn eine Scheidung ist immer Schuld der Menschen. Aber man muß doch sagen, daß ein solcher Schritt dem Willen Gottes ins Gesicht schlägt. Gott läßt uns zwar die Freiheit, sein Geschenk auch auszuschlagen. Aber jeder muß sich dann darüber im Klaren sein, daß er dabei Schuld auf sich lädt und versucht, in den Willen Gottes einzugreifen.

Dem Willen Gottes entspricht es aber, wenn Eheleute versuchen, im Sinne Gottes zusammenzuleben. Dazu gehört als Erstes, daß man seine rein menschliche Entscheidung füreinander nachträglich als eine Tat Gottes versteht. Wir dürfen Gott ja nicht so verstehen, als würde er würfeln oder als hätte er einen Computer, mit dem er die Menschen zusammenfügt. Er legt vieles in die Hand der Menschen. Aber im Handeln der Menschen ist er oft unerkannt auch selbst am Werk.

Wenn man sich das klar macht, wird man nicht leichtfertig mit dem umgehen, was geworden ist. Wenn Gott hinter allem steht, wird man sich noch mehr seiner Verantwortung bewußt sein. Die Ehe ist eine gute Ordnung Gottes, ein Rahmen, den man sich nicht selber bauen muß, sondern der schon vorgegeben ist und in der man sich nur hineinzustellen braucht.

Wenn man dann drinsteht, wird man auch davon getragen. Man wird nicht jede Entscheidung nach Gutdünken neu fällen müssen, sondern nach den Willen Gottes fragen und entsprechend handeln. Es ist ein weiter Rahmen, in den Gott uns stellt. In ihm können wir uns frei bewegen. Einer hat einmal die Zehn Gebote Gottes als die „Zehn großen Freiheiten“ beschrieben; und da ist tatsächlich etwas Wahres dran.

Auch in der Ehe läßt er uns viel Freiheit, das Leben nach unseren Wünschen und Bedürfnissen einzurichten. Zuerst einmal sollten wir heute auf das sehen, was uns doch mit der Ehe geschenkt und ermöglicht ist. Aber irgendwo gibt es dann natürlich auch eire Grenze. Da ruft uns Gott ein „Halt“ zu und uns deutlich: Wenn ihr hier weitergeht, verspielt ihr alles, was euch bisher solche Freude gemacht hat.

Gottes Gebot ist eine Hilfe, eine Warnungstafel vor den Gefahren, die auch am Rande einer Ehe lauern. Wer aber nach Gott fragt und gleich den ersten Tag seiner Ehe in seinem Namen beginnt, der wird auch auf jene Hinweise Gottes achten und dadurch Hilfe erfahren. Wenn man sich immer vor Augen hält: Letztlieh ist Gott es doch, der uns zusammengeführt hat! dann wird man ganz anders zueinander stehen.

Heute am Tag Ihrer Trauung soll ihren das ganz deutlich vor Augen gestellt sein. Aber dieses Wissen soll Sie auch jeden Tag Ihrer Ehe begleiten. Dann werden Sie den Segen Gottes in Ihrer Ehe und in ihrem Leben verspüren können und durch Freude und Leid hindurch getragen werden zu Glück und einem guter Miteinander.

 

„Euer Vater weiß, was ihr braucht. Sorgt euch nur darum, daß ihr euch der Herrschaft Gottes unterstellt. Dann wird er euch mit allem versorgen, was ihr braucht!“

   (Lk 12,30-31)

Wir streben alle nach Glück und Erfolg im Leben. Jeder Mensch möchte etwas vom Leben haben, möchte sich etwas leisten können und es zu etwas bringen. Das ist durchaus menschlich, und auch Gott hat sicher Verständnis dafür. Gott hat ja dieses Streben erst in unser Inneres hineingelegt, er hat uns auch die Fähigkeiten gegeben, unsere Wünsche in die Tat umzusetzen.

Bei einer Hochzeit zum Beispiel wünscht man sich: Eine Wohnung, die man schön einrichten kann, gute Arbeit und guter Verdienst, Verständnis mit der Verwandtschaft, gute Freunde viele schöne Erlebnisse und immer wieder nur Freude und Wohlgefallen.

Aber wir wissen auch, daß nicht immer alles so läuft, wie wir es uns gedacht haben. Sehr schnell können uns die materiellen Güter dieser Welt wieder genommen werden. Sehr schnell kann das Glück unseres Lebens zerstört sein. Sehr schnell kommt man sich hilflos und verlassen vor.

Dann ist es gut, wenn man noch einen anderen Halt im Leben hat. Dann braucht man sich nicht nur um die äußeren Dinge des Lebens zu kümmern, sondern hat auch noch etwas, was über die Zeit dieser Welt hinausreicht. Davon spricht auch die Bibel und davon soll auch heute besonders die Rede sein.

Wir feiern heute eine Hochzeit. Aber es ist eben nicht nur ein Familienfest, bei dem man zusammenkommt, um zu essen und zu trinken und um fröhlich zu sein. Wir sind auch in der Kirche zusammengekommen, um diesen Tag mit einem Gottesdienst zu begehen. Dadurch wird schon rein äußerlich deutlich, was wir für unser Leben brauchen: nicht nur Essen und Trinken für unseren Leib, sondern auch die innere Nahrung, die Verbindung mit Gott und der Zuspruch aus seinem Wort.

Gott hat wohl Verständnis dafür, daß wir uns erst einmal um unser äußerliches Leben Sorgen machen und uns da sichern wollen. Ausdrücklich heißt es hier: „Euer Vater weiß, was ihr braucht!“ Aber er will uns auch darauf hinweisen, daß es noch anderes Wichtiges gibt, das wir auch nötig zum Leben brauchen, wenn es ein gelungenes Leben werden soll: die Verbindung mit Gott, das Gespräch mit ihm, das Vertrauen zu ihm in jeder Hinsicht.

Wer sich nur um Essen und Trinken sorgt, der ist nicht anders als einer, der nicht an Gott glaubt. Er wird es vielleicht in den Augen der Menschen zu etwas bringen. Aber er wird sich auch abhetzen und immer noch mehr haben wollen, und schließlich sein Leben vertan haben, weil er ja doch nichts von seinen Schätzen mitnehmen kann aus dieser Welt.

Wer sein Leben aber an Gott ausrichtet, der wird all diese Dinge in die richtige Rangordnung bringen können und sich fragen: „Wie lebe ich so, daß es Gott gefällt?“ Die Bibel drückt das aus mit der Aufforderung: „Sorgt euch nur darum, daß ihr euch der Herrschaft Gottes unterstellt!“ oder wie es bei Luther heißt: „Trachtet nach seinem Reich!“ Versucht also Gott in allen Dingen eures alltäglichen Lebens zur Richtschnur und zum Maßstab zu machen, dann wird euer Leben auch gut gelingen.

Gott läßt die nicht im Stich, die sich zu ihm halten. Wer sich einmal für ihn entschieden hat, der wird auch seinen Segen in seinem Leben verspüren können, auch bis in die kleinen Alltäglichkeiten hinein. Gewiß wird nicht alles so gehen, wie wir es uns vielleicht gewünscht haben. Man muß auch immer mit Schwerem im Leben rechnen. Aber im Lichte Gottes gesehen sieht doch manches anders aus und läßt sich von uns leichter bewältigen.

Heute aber wollen wir aus diesen Bibelversen besonders die Verheißung heraushören: Wer sich an Gott hält, dem wird all das zufallen, was er für sein Leben braucht. Gott ist nicht kleinlich und gönnt uns auch unser menschliches Glück. Er möchte, daß wir es gut haben und uns in unserem Leben wohl fühlen.

Dazu gehört auch, daß wir gelassen sein können. Wir sollten nicht meinen, wir könnten mit unseren Anstrengungen etwas erzwingen. Er schenkt uns alles, was wir brauchen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wer das weiß, für den hat das Leben die richtige Ordnung. Der sieht auch jedem Tag wieder mit Freude entgegen, tut seine Arbeit im Vertrauen auf Gottes Beistand und sucht ein gutes Verhältnis zu seinen Mitmenschen.

Daß Sie das alles in Ihrer Ehe und in ihrem Leben erfahren mögen, das wünschen wir Ihnen heute alle. Dafür wollen wir auch zu Gott beten. Gott will Sie vom heutigen Tag an führen und leiten und ihnen beistehen in allen Wechselfällen des Lebens. Mit ihm werden Sie einen guten Weg gehen.

 

„Von seiner Fülle haben wir genommen Gnade um Gnade!“             (Joh 1 16)

Menschen aus der Wüste Marokkos kamen einmal an einen Wasserfall im Atlasgebirge. Staunend standen sie vor der Flut von Wasser. Soviel Wasser auf einmal hatten sie noch nicht gesehen. Sie konnten sich gar nicht mehr von diesem Anblick trennen. Immer wieder sagten sie: „Wir wollen warten, bis es aufhört!“

Von solcher Fülle ist auch die Gnade Gottes. Manchmal mag es uns so vorkommen, als sei diese Gnade nur wie eine unbedeutende Wasserstelle in der Wüste. Wir könnten meinen, daß wir meist ohne sie auskommen müßten. Nur wenn es ganz schlimm wird, sozusagen kurz vor dem Verdursten, da würde uns auch wieder einmal die Gnade Gottes zuteil.

Aber in Wirklichkeit ist das nicht so. Gott gibt uns nicht nur den Tropfen auf den heißen Stein, sondern bei ihm ist die Fülle. Bei Gott ist soviel Überfluß, daß er gar nicht alles für sich behalten kann. Er gibt uns ab von seiner Fülle und läßt uns teilhaben an seinem Segen. Vergegenwärtigen wir uns zunächst einmal in einer Rückschau, wo wir im Leben schon diese Gnade Gottes haben verspüren können.

Schon daß wir ins Leben traten, verdanken wir Gott. Er hat gewollt, daß wir leben. Er hat jeden Menschen geschaffen, mit all seinen äußeren Kennzeichen und Fähigkeiten, einmal und unverwechselbar, ein Mensch, den er liebt und den er das ganze Leben über auch begleiten will.

In der Taufe hat er uns dann zu seinem Kind angenommen. Erst hat er den Eltern ein Kind geschenkt. Nun bringen sie es wieder zu ihm zurück und sagen: „Es soll auch dein Kind sein!“ Gott darf das Kind sozusagen adoptieren und ist nun auch mit dafür verantwortlich. Deshalb verspricht er auch für die Zeit des Lebens, daß er mit seiner Gnaden bei diesem Menschen sein will.

Gerade bei der Taufe eines Kindes wird deutlich, daß Gott hier alles tut. So ein Kind stellt in den Augen der Menschen doch noch nichts dar. Aber Gott achtet es so hoch, daß er sich schon um ein so unscheinbares Wesen kümmert und ihm seine ganze. Liebe und Fürsorge zuwendet, ehe das Kind es begreifen kann. Erst der heranwachsende Mensch kann verstehen, was Gott da an ihm getan hat. Er wird ja immer mehr mit den Problemen dieses Lebens belastet und muß seinen Mann im Leben stehen. Da ist zum Beispiel die Frage des Berufs .Nicht immer kann man das tun, was man sich gewünscht hat. Aber jeder hat doch seine Aufgabe.

Und schließlich ist eine der entscheidensten Fragen im Leben, ob man einen Lebenspartner findet, der zu einem paßt. Wie zufällig und wie verwickelt geht es doch manchmal zu, wenn man sich so kennenlernt. Und doch darf man nachträglich die Gnade und Führung Gottes dahinter sehen. Im Grunde ist nichts zufällig in unserem Leben, sondern nur Ausfluß der Gnade Gottes.

Diese kann sich nun an zwei Menschen gemeinsam auswirken. Gott sieht Sie seit Ihrer Eheschließung und Trauung nicht mehr als Einzelmenschen, sondern immer gleich als ein Ehepaar. Seine Gnade will sich nun auch darin zeigen, wie Sie als Eheleute miteinander umgehen und Ihr Leben gestalten.

Man muß ja auch damit rechnen, daß es einmal zu inneren Spannungen und zu äußerlichen Schwierigkeiten kommt. Aber gerade dann wird sich Gottes Gnade bewähren, dann erst zeigt sie ihre Kraft und Zuverlässigkeit. Gott hat noch nie versagt. Wenn wir uns an ihn halten, wird auch alles seinen guten Fortgang nehmen.

Wenn man doch schon so viele gute Erfahrungen mit Gott hat machen können, so darf man doch auch darauf vertrauen, daß es einen. guten Fortgang nehmen wird. Heute, am Tag Ihrer Trauung, dürfen Sie besonders hören, daß Gott es gut mit Ihren meint. Er ist noch nicht an das Ende seiner Möglichkeiten gekommen, sondern will sie jetzt gerade erweisen.

Wir sollten nicht meinen, Gottes Fülle könne sich eines Tages einmal erschöpfen, wenn er uns teilhaben läßt an seiner Fülle, dann verliert er selber nichts dabei. Das ist ja das Wunderbare an Gott: Er kann uns alle reich beschenken, und doch bleibt seine ganze Fülle für uns erhalten.

Doch es wäre falsch gedacht, wenn wir meinten, wir hätten einen Anspruch auf Gottes Hilfe. Die Formulierung dieses Bibelverses könnte ein solches Mißverständnis ja nahelegen. Aber in Wirklichkeit können wir von Gott ja gar nichts nehmen. Er ist es immer, der uns beschenkt, und wir sind nur die Empfangenden. Aber so wie die Kinder von ihrer Eltern immer nur Gutes empfangen, so dürfen wir auch als die Kinder Gottes seiner Gnade gewiß sein, heute und an allen Tagen unseres Lebens.

So dürfen Sie nun auch Ihre Ehe im Namen Gottes beginnen. Sie dürfen teilhaben an der Fülle der Gnade Gottes. Immer mehr werden Sie im Laufe Ihrer Ehe dieses Geschenk Gottes erfahren dürfen Niemals werden Sie fürchten müssen, daß es damit aufhört: Sie brauchen sich nur für das Tun Gottes offenhalten, dann werden Sie Gnade um Gnade aus seiner Fülle empfangen.

 

„Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!“        (Joh 6,68)

An einem wichtigen Punkt des Lebens überlegt man sich natürlich, wie es nun weitergehen soll. Man blickt zwar auch zurück, aber noch mehr denkt man auch an die Zukunft. Was wird alles noch kommen? Werden wir das Neue bestehen können? Werden wir viel Freude oder viel Leid erfahren müssen?

Die Hochzeit ist so ein Punkt, der einen tiefen Einschnitt im Leben bedeutet. Mit welchen Erwartungen geht man doch einem solchen Tag entgegen! Man empfindet Freude, aber auch ein wenig Angst vor dem Neuen und Unbekannten. Wird es wirklich so werden, wie wir es uns erhofft haben?

Sicher ist es da auch eine Hilfe, wenn man sich über diese Fragen nicht nur allein den Kopf zerbricht, sondern nach Gottes Wort fragt und von dort Hilfe und Antwort erhofft. Natürlich kann mal auch heiraten, ohne nach Gott zu fragen. Aber wer hier getraut wird, darf an diesem wichtigen Tag seines Lebens ganz besonders auf Gottes Wort hören und auch einen Bibelspruch mit auf den weiteren Weg nehmen.

Ja, unser Leben gleicht in der Tat einem langen Weg. Doch ehe man sich auf diesen Weg begibt, muß man schon erst einige Dinge überlegen. Zunächst einmal: Man nimmt nichts Unnötiges mit auf die Reise, sondern nur das, was man wirklich tragen kann. Es ist auch gut, wenn man ab und zu einmal überprüft, was man alles ablegen kann, weil es doch nur sinnlos belastet.

So sollte man auch in die Ehe nichts mitnehmen, was den weiteren Weg nur hindert. Gott eröffnet uns immer wieder die Möglichkeit der Vergebung. Und so sollen auch wir untereinander immer wieder vergeben. Und es wird auch in der Ehe immer wieder vorkommen, daß wir einmal abladen müssen, um wieder neu beginnen zu können. Es ist immer Gelegenheit dazu.

Zweitens überlegt man sich: Wen nimmt man mit auf die Reise? Natürlich kann man sich auch allein aufmachen. Aber schöner ist es, wenn man zu zweit ist. Dann kann man miteinander fröhlich sein und sich gegenseitig helfen: dann übersteht man Gefahren leichter und es wird nicht langweilig. Gott hat uns das Geschenk der Ehe gegeben, damit wir uns nicht allein durch die Welt kämpfen müssen, sondern einen Lebensgefährten und einen Gehilfen haben. Mann und Frau sind ja wie zur Ergänzung geschaffen und sind sich die idealen Helfer auf dem Weg durchs Leben.

Und drittens: Man muß auch ein Ziel für die gemeinsame Reise wissen. Es soll doch keine Fahrt ins Blaue werden, sondern man will doch wissen, wohin die Reise geht. - Ja, was ist nun das Ziel einer Ehe und eines Lebens? Luther hat einmal sehr schön gesagt: die Ehe ist dazu da, „daß eins das andere in der Himmel führe!“ Das Ziel der Ehe ist Gott. Er soll am Ende des gemeinsamen Weges durchs Leben stehen.

Aber da taucht nun die Schwierigkeit auf: Wie findet man den richtigen Weg zum Ziel? „Herr, wohin sollen wir gehen?“ fragen die. Jünger Jesu ihren Meister. Man kommt immer wieder einmal an Weggabelungen, wo man sich entscheiden muß: Willst du von Gott weggehen und willst du weiter auf dem Weg bleiben zu dem Ziel, das Gott dir zeigt.

An dieser Scheidepunkten stehen nämlich gewissermaßen Wegweiser: Worte, die zum ewigen Leben führen. Gott läßt uns nicht einfach erraten, welches denn nun der richtige Weg ist. Nein, er gibt uns sein Wort, das uns Wegweiser und Richtschnur sein will. Es gehört nur dazu, daß man immer an diesem Wort dranbleibt, sich immer wieder informiert und nach dem handelt, was dort geschrieben steht. Lesen können wir doch alle. Und es wäre doch sträflicher Leichtsinn, wenn man den Hinweisen eines Wegweisers nicht folgte. n

An diesem Tag dürfen Sie Gott dankbar sein. Er gibt Ihnen die Möglichkeit, nur das weiterzutragen, was notwendig ist. Er gibt Ihnen einen Lebensgefährten mit auf die Bahn. Und er zeigt Ihnen auch, wohin dieser Weg führen soll. Gott läßt Sie nicht allein am Tage Ihrer Hochzeit, sondern er will Sie auf Ihrem ganzen Weg begleiten.

Wir, die Gemeinde, wollen für dieses Ehepaar beten. Und die zwei, die heute hier wie so viele vor ihnen um den Segen des Herrn bitten, dürfen ganz persönlich hören, daß Gottes Gnade Ihnen nahe ist. Gottes Wort möge Ihren Weg erleuchten.

Mögen Sie, die Sie heute hier am Beginn eines Weges stehen, doch am Ende sagen können: „Herr, wohin hätten wir denn sonst gehen sollen? Nur du hast Worte des ewigen Lebens!“

 

„Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben!“                                                                                                   (Joh 8,12)

Sie beginnen einen gemeinsamen Weg. Deshalb müssen Sie sich überlegen, wie Sie diesen Weg einrichten wollen. Man kann sich etwa die Vernunft und den gesunder Menschenverstand als Richtschnur wählen und versuchen, sein Leben streng nach wissenschaftlichen Grundsätzen zu führen. Man kann aber auch mehr nach dem Gefühl gehen und alles mehr dem Zufall überlassen. Vielleicht fährt man dabei auch gar nicht mal so schlecht.

Uns Christen aber ist noch eine andere Möglichkeit gewiesen. Wir sind von vornherein auf den Weg Gottes gestellt. Die Taufe ist der Anfang des Weges mit Gott. Durch sie werden wir aufgefordert, im Sinne Jesu Christi zu leben. Und es wird uns versprochen: Wer diesen Weg geht, dessen Leben wird ein Ziel haben und er wird einen Sinn darin sehen. Wer aber einen anderen Weg gehen will, der wird durch die Finsternis stolpern und das Ziel seines Lebens verfehlen.

Diese Sicht mag uns vielleicht überraschend vorkommen. Viele Leute meinen doch, der Weg Gottes sei schwer zu gehen und anderswo könnte man es leichter haben. Gott würde nur harte Vorschriften geben, und wenn die nicht eingehalten werden, folgt die Strafe auf dem Fuß. Mancher erwartet auch von einer Trau-Ansprache, daß dort den Eheleuten tüchtig ins Gewissen geredet wird.

Doch in der Bibel wird ein anderer Weg versucht. Da wir erst einmal die Verheißung herausgestellt, das was Gott uns verspricht: „Wer mir nachfolgt, der wird das Licht des Lebens haben!“ Erst daraus ergibt sich dann, was von uns erwartet wird.

Überall im Leben geht es nicht ohne Spielregeln ab. Wenn man eine Ehe schließt, dann hat man dabei in erste Linie die Vorteile im Blick, die das gemeinsame Leben mit sich bringt. Man freut sich an dem, was die neue Gemeinschaft bringt. Aber es ergibt sich auch ganz von selbst die Verpflichtung, auf den Partner Rücksicht zu nehmen. Wer die Ehe ernst nimmt, der wird sich ganz von selbst so verhalten, wie es der Ehe gemäß ist.

So ist es aber auch mit Gott: Er ist nicht ein drohender und strafender Gott, sondern einer, der helfen und beschützen will. Erst einmal bietet er seine Hilfe an, danach erst ergibt sich von selbst die Verpflichtung für uns.

Die Bibel enthält viele solcher verheißungsvoller Sprüche, die wir alle auf uns beziehen dürfen. Ihnen soll heute besonders dieser Spruch gesagt sein, der von Gott als dem Licht des Lebens spricht. Er meint es gut mit jedem Ehepaar, das hier vor den Altar tritt. Er hat Mann und Frau ausdrücklich aneinander gewiesen‚ damit sie sich gegenseitig helfen und ergänzen, damit man mehr Freude im Leben hat und das Leben gemeinsam besser meistern kann.

So richtig deutlich wird das aber erst, wenn man einmal in eine schwierige Lage kommt. Es kommt ja doch vor, daß wir einmal in der Finsternis herumtappen, entweder durch eigene Schuld oder durch das Versagen anderer Menschen.

Gott will uns dann sein Licht leuchten lassen, damit wir wieder auf der richtigen Weg zurückfinden. Und sein Licht, das ist sein Wort, das er uns immer wieder sagt, wenn wir nur hören wollen.

Hier liegt der entscheidende Punkt, aus dem sich dann alles erst ergibt. Wenn wir zu Gott gehören wollen, dann werden wir alle ganz von selber spüren, wie wir unser Leben und unsere Ehe einzurichten haben. Dann wird uns das Licht Gottes ganz erfüllen und sogar noch auf andere weiterstrahlen.

Sie übernehmen eine große Verantwortung, wenn Sie sieh hier trauen lassen. Andere werden die Christen und den Sinn einer christlichen Ehe danach beurteilen, wie Sie in der Ehe miteinander leben. Doch vielleicht werden Sie ja in der Tat ein gutes Vorbild sein, ohne große

Worte zu machen.

Unser aller Vorbild aber ist Jesus Christus. Ihm gilt es nachzufolgen, was auch kommen mag. Er hat viele Menschen, die krank oder ausgestoßen waren, wieder in die menschliche Gemeinschaft zurückgeführt. Er hat denen, die verzweifelt. und in der Finsternis waren, wieder Freude geschenkt.

Auch heute können wir durch den Glauben an Jesus Christus wieder froh werden. Und wir können andere froh machen, die noch nichts von diesem Jesus wissen. Vielleicht ist das noch mit der beste Weg, um selber froh zu werden und selber das Licht Gottes zu empfinden. Wir wünschen Ihnen das und erbitten es von Gott, daß er Ihnen beistehe auf Ihrem Weg und Ihnen die Gewißheit schenke: „Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben?“

 

 

„Jesus spricht: Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen!“                                                                                                                                 (Joh 8,32)

In einer Ehe geht es nicht ohne Wahrhaftigkeit ab. Wenn man schon eine so enge Lebensgemeinschaft eingeht, dann muß sie auch offen und ehrlich sein und sich über alle Bereiche des Lebens erstrecken. Man kann dann keine Geheimnisse mehr voreinander haben, sondern muß sieh dem anderen ganz und gar ausliefern.

Gewiß ist es nicht so, daß man nun jede Kleinigkeit miteinander austauschen kann. Mann und Frau sind an verschiedenen Orten berufstätig und erleben viele Dinge nur getrennt. Aber man wird das Wichtigste doch gegenseitig erzählen. Und wenn der andere nach einer bestimmten Sache fragt, wird er Antwort erhalten. Manche Dinge sind aber so unwichtig, daß man sie nicht berichten wird. Aber ansonsten ist alles gemeinsam. Gott will uns zu dieser Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit verhelfen. Sein Gebot zur Wahrheit gilt zwar in allen Fällen‚ aber besonders in der Ehe. Diese ist ja von Gott eingesetzt zur Hilfe für den Menschen. Er soll nicht allein sein, sondern noch einen Lebenspartner haben, der ihm in allen Lagen beisteht.

Wenn das aber gelingen soll, dann gehört dazu eine bedingungslose Offenheit zueinander. Schon am Anfang der Bibel ist sehr schön beschrieben, wie Gott sich das Verhältnis beider Ehepartner vorstellt. Da spürt man die Freude heraus, daß sich zwei gleichartige Wesen miteinander verbinden. Der Mann freut sich, daß er eine Partnerin hat, die Fleisch von seinem Fleisch ist.

Deshalb streben sie auch danach, immer mehr zu einer Einheit zu werden. Eine bedingungslose Offenheit zueinander gehört unbedingt als Voraussetzung mit dazu. Das Äußere wie das Innere liegen vor dem Ehepartner offen. Man liefert sieh ihm damit aus. Aber noch mehr gewinnt man dadurch. Man hat doch wenigsten einen Menschen, der einen versteht, dem man alles sagen kann und der auch am besten einen Rat geben kann.

Sicherlich fällt einem das nicht gleich alles in den Schoß. Wenn man noch am Beginn einer Ehe steht, werden sich noch manche Probleme ergeben. Man muß erst vieles im gegenseitigen Einvernehmen regeln, muß sich erst einigen auf bestimmte Gewohnheiten und so nach und nach sein gemeinsames Leben bewußt gestalten. Vergessen wir nicht, daß auch jeder ein Stück seines bisherigen Lebens aufgeben muß zugunsten der gemeinsamen Sache. Man kann sich nun nicht mehr so frei und ungezwungen sich entscheiden, sondern muß Rücksicht neh­­men.

Aber was man auf der einen Seite aufgibt, erhält man auf der anderen vielfach wieder: Freiheit bedeutet ja nicht, daß man tun und lassen kann, was man will. Damit würde man ja nur anderen und letztlich auch sich selber schaden. Gerade in der Ehe findet die eigene Freiheit ja ihre Grenze an dem Recht des anderen. Freiheit wird man nur haben können wenn, man freiwillig bereit ist, sich etwas einzuschränken.

Dennoch will Gott, daß wir frei sein können. Jesus verheißt uns ja hier die Freiheit, wenn wir die Wahrheit erkannt haben. „Wahrheit“ aber bedeutet in diesem Zusammenhang: die Liebe Gottes zu uns und seinen Willen zu erkennen. Nur wenn wir uns an Gott halten, werden wir recht frei werden.

Wer nichts von Gott hält, der wird sich zwar frei fühlen von Einfluß Gottes, wird aber sehr leicht unter den Einfluß anderer Mächte geraten. Gott aber möchte, daß wir auf ihn hören: denn er läßt uns Freiheit und beschränkt uns nur, wo es für uns gut ist und wo wir vor Schaden bewahrt werden müssen.

Gott öffnet uns die Augen für die Gefahren, die auf unsrem Weg lauern. Er möchte, daß wir uns nur an ihn binden und ihn den Herrn sein lassen. Dann zieht er uns mit sich hinauf, so daß wir über den Dingen stehen und uns von nichts mehr gefangennehmen lassen. Wir haben dann zwar noch einen Herrn über uns: aber der ist dann auch der einzige.

So will Gott auch der Herr Ihrer Ehe sein. Er bietet ihnen an, daß Sie bei ihm die Wahrheit erkennen: die Wahrheit über Gott, über die Welt und über sich selbst. Wer zu Gott gehört, kann sich erst richtig frei fühlen und sich seines Lebens freuen. Wir wünschen Ihnen‚ daß Sie diese Freiheit eines Christenmenschen und die Freude eines Lebens unter den Augen Gottes in Ihrer Ehe immer wieder erfahren mögen.

Dieser Vers aus dem Johannesevangelium: „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen!“ war einmal die Losung unsrer Kirche für ein ganzes Jahr. Möge es auch zur Losung für Ihre Ehe werden und Sie Ihr ganzes Leben über begleiten.

 

„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun!“                  (Joh 15,5)

Kein Mensch steht für sich allein. Ein jeder hat wenigstens seine Eltern oder Geschwister und sonstige Verwandte. Meist hat man dazu noch gute Nachbarn und Freunde, vielleicht auch Schulkameraden und Arbeitskollegen.

Man kann ja auch gar nicht für sich allein existieren. Der Mensch braucht einfach das Gespräch mit anderen und den lebendigen Gedankenaustausch. Das unterscheidet ihn ja von den Tieren, daß er in eine persönliche Beziehung zu anderen Menschen treten kann. Man hat des halb gesagt: Der Mensch ist ein soziales Wesen, er lebt immer in einer Gemeinschaft.

Aber zum Wesen des Menschen gehört eben auch seine Beziehung zu Gott. Das macht uns ja eigentlich erst zu Menschen, daß wir einen Gott haben, der mit uns in Gemeinschaft treten will. Wir Menschen können nicht immer nur in unserem kleinen Kreis bleiben, sondern haben es immer auch mit Gott zu tun.

Jesus macht uns das hier deutlich an dem Bild vom Weinstock: Wenn eine Rebe vom Weinstock abgeschnitten wird vertrocknet sie bald, ohne Frucht gebracht zu haben. Sie braucht immer neue Kraft aus dem Stamm, sonst kann sie sich nicht halten. Eine einzelne Rebe kann sich nicht selbständig machen, das wäre ihr Tod. Aber in Gemeinschaft mit anderen und mit dem Kraftquell ihres Lebens hat sie Bestand.

In der Ehe geht es ja nun auch ums Zusammenkommen und Zusammenbleiben. Jetzt muß man nicht mehr allein stehen, sondern gewinnt neue menschliche Verbindungen hinzu. Ein Ehepaar hat sogar den Vorteil, gleich zwei Verbindungen auf einmal aufzunehmen: Das eine ist die Gemeinschaft, die Mann und Frau miteinander haben; aber auch das Zusammenwachsen zweier Familien und Verwandtschaftsgruppen, die nun am gleichen Strang ziehen. Das andere ist die neue Beziehung zu Gott, der Sie nun als ein Ehepaar sieht und Ihnen in der Trauung ganz speziell seine Hilfe zusagt.

Es liegt nun an Ihnen, was Sie aus diesen Angeboten machen. Man kann sich natürlich auch von seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft zurückziehen und ein Leben für sich führen. Aber das wäre sicher zum Schaden für die Ehe und für das Leben eines jeden Einzelnen. Man hat ja dem anderen nicht bloß zu geben, sondern man empfängt ja auch viel von ihm.

Auch in der Ehe kommt es auf ein wechselseitiges Geben und Nehmen an. Es hat doch jeder seine Vorzüge, aber auch seine Schwächen. Damit sich das etwas ausgleicht, hat Gott uns die Ehe geschenkt, damit einer dem anderen beistehen kann.

Aber auch er selber will mit seinem Schutz und Segen dabei sein. Es wäre doch unklug, wenn wir dieses Angebot ausschlagen würden. Gar mancher wird diesen Satz natürlich bestreiten“ „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ Natürlich kann man sehr viel tun ohne Gott, das beweisen ja all die, die nichts von Gott halten. Man kann auch eine Ehe schließen, ohne nach Gott zu fragen.

Aber es geht ja auch um das, was dabei herauskommt, um die „Frucht“, wie es bei Johannes heißt. Wer seine Ehe unter den Schutz Gottes stellt, der weiß: Wir sind umfangen von der größeren Ordnung Gottes. Wir sind eingefügt in die Gemeinde Gottes; und zwar nicht mehr als Einzelne, sondern als ein Paar.       

Wenn es auch einmal schwer wird, wenn man den Mut zu verlieren droht und es nicht mehr weiterzugehen scheint, dann steht man doch in dieser Ehe drin und wird von ihr getragen. In der Bibel wird gesagt, daß es die Ehe schon von Anfang an gab, daß sie also zur guten Schöpfungsordnung Gottes gehört. Und was Gott gut gemacht hat, das wird uns auch eine Hilfe sein.

Gott will uns ganz besonders eng aneinander ketten, damit nicht einer leichtsinnig vor dem anderen davonläuft. Wer einmal als Rebe an dem Weinstock dran ist, kann sich nicht wie­der von ihm trennen, es sei denn, er wolle sich selber aufgeben. Wer einmal in dieser lebendigen Verbindung gestanden hat, kommt nicht wieder ohne Schaden aus ihr heraus.

So geht es aber auch mit Gott: Wer sich wieder von ihm losreißen möchte, wird großen Schaden an seiner Seele nehmen. Wer einmal zu Gott gehört hat, der ist auch immer auf ihn angewiesen. Und das ist nur gut so! Gott will uns ja helfen und auch bei einer solchen Ehe dabei sein. Er will väterlich über diesen Bund zweier Menschen wachen und der Dritte mit im Bunde sein.

Halten Sie sich nur an diesen Gott, und Sie werden gut mit ihm fahren. Von ihm kann Ihnen immer wieder neue Kraft zuströmen für Ihre Ehe und ihr ganzes Leben. Sie werden zur Hochzeit manches Geschenk erhalten. Aber das wichtigste Geschenk will Ihnen Gott geben: seine Hilfe und seinen Schutz!

 

„Es ist in keinem anderen Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden!“                                    (Apg 4,12)

Manche Eltern schließen für ihre Kinder schon bei der Geburt eine Heiratsversicherung ab. Damit ist nicht gemeint‚ daß die Versicherungssumme fällig wird, wenn es zu keiner Eheschließung kommt, sondern es handelt sich um eine Art Sparkasse. Wer so etwas für richtig hält, soll es ruhig machen. Schaden wird es bestimmt nichts. Ob es aber etwas nützt, ist noch die Frage. Es wäre nicht das erste Mal, daß alles gesparte Geld verloren war und mancher mit nichts dastand.

Man kann sein Leben nicht auf lange Zeit sichern und sagen: „So, nun kann mir nichts mehr passieren!“ Wir können unser Leben nicht durch materiellen Besitz sichern. Gott kann uns mit einem Schlag all diese Stützen wegnehmen und damit zeigen: Ihr könnt euch selbst nicht erhalten! Wenn ihr euer Heil in den Dingen dieser Weit sucht, dann werdet ihr bitter enttäuscht werden und alles verlieren. Es ist in keinem anderen das Heil als in Gott.

Natürlich sorgen wir auch für die Zukunft vor. Man kann auch heute keine Ehe beginnen, oh­ne nicht wenigstens eine gewisse materielle Grundlage zu haben. Man kann nicht von vornherein mit großen äußerlichen Schwierigkeiten seine Ehe belasten. Man muß nicht immer alles gleich vollständig haben. Es ist auch gut, wenn man sich erst gemeinsam etwas erringen kann. Aber man muß wenigstens eine Möglichkeit haben‚ schon ein Ziel vor sich sehen.

Aber in all dem liegt noch nicht das Heil für uns. Niemand kann sich für alle Zeiten sichern,

so daß ihm nichts mehr passieren kann. Eine Ehe besteht auch nicht darin, daß man eine gemeinsame Wohnung und eine gemeinsame Kasse hat.

Eine Ehe ist aufgebaut auf gegenseitiger Liebe, Achtung und Treue, wie es manchmal auf dem Standesamt so schön heißt. Dazu kommt eine gewisse Übereinstimmung in den Ansichten, im Temperament und in der Lebensart. So, weit so gut, eigentlich ganz vernünftige Aussagen. Aber eben alles nur Dinge, die man vom gesunden Menschenverstand her sagt und die mit dem Glauben noch nichts zu tun haben.

Wem der Glaube aber etwas bedeutet, der fragt nach dem Heil, der fragt nach Gott. Das ist der Gesichtspunkt, um den es uns ja hier bei der Trauung geht. Die beste Grundlage für eine Ehe ist die Beziehung zu Gott. Aber dieser Grund ist wenigstens auch zuverlässig und tragfähig.    

Man kann natürlich an vielen Stellen sein Heil versuchen. Dem einen ist es das Geld, das ihm Sicherheit geben soll. Ein anderer erwartet alles von seinem Beruf und den Leistungen, die er darin bringt. Ein anderer wieder vertraut auf seine Verwandten und Bekannten, daß die ihm im Notfall helfen.

Aber wer sicher gehen will, der verläßt sich nur auf Gott. Sie müssen sich ja jetzt entscheiden, unter welchen Gesichtspunkten Sie Ihre Ehe führen wollen und welche Rolle Gott dabei spielen soll. Dieser Gott droht nicht und zwingt niemanden auf seinen Weg. Aber er macht Ihnen mit dem heutigen Tag ein Angebot. Er sagt: „Wenn euer Leben wirklich einen Sinn haben soll und ihr nach der ewigen Seligkeit fragt, dann sucht euer Heil nicht irgendwo in der Fremde, sondern kommt zu mir. Ich will euch helfen und beschützen, vor allem vor den Gefahren, die eure Seele bedrohen!“

Unser Leben kann durch viele Dinge verdorben werden. Denken wir nur an die Unzufrie­denheit und Undankbarkeit, an die Sucht nach immer neuen Sensationen und Aufregungen, an das Zutrauen und die Uneinigkeit. Dagegen gibt es keine Versicherung, damit muß jeder selber fertigwerden. Aber Gott will dabei helfen.

Er kann uns das unvergängliche Heil schenken. Und wenn wir das haben‚ dann kommen auch all die anderen Dinge in Ordnung, die unser Leben oft so vergiften. Wer von Gott alles erwartet, der darf auch seinen Beistand in den ganz äußerlichen und praktischen Dingen des Alltags erwarten.

Als Eheleute sollen Sie einander helfen‚ das Vertrauen auf' Gott zu stärken. Wenn Sie sich auf Gott verlassen, werden Sie an seinem Heil im äußerlichen und im inneren Sinne nicht vorbeigehen. Gott macht Ihnen heute das Angebot, Ihr Helfer und Beschützer zu sein. Wenn er sagt: „Es ist in keinem andern das Heil!“ dann bedeutet das: Niemand muß erst noch anderswo suchen, Gottes Heil genügt für eine Ehe und für ein ganzes Leben.

 

„Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig!“       (Apg 16,31)

Heute ist es nicht mehr so einfach, an den Herrn Jesus zu glauben. Unsere Welt ist in einem raschen Umbruch begriffen. Das naturwissenschaftliche und technische Denken ist auf dem Vormarsch. Das ist ja auch nur gut so, denn schließlich verdanken wir ihm viel. Aber es kann eine Gefahr für den Glauben mit sich bringen und manchen von Gott wegziehen.

In der Wissenschaft muß man nämlich ohne Gott denken, als ob es Gott nicht gäbe. Anders könnte man gar keine Wissenschaft treiben. Das verführt natürlich dazu, Gott auch auf den Gebieten auszuklammern, wo er mit uns zu tun haben will. Wie wir zum Beispiel unser persönliches Leben führen, das ist Gott durchaus nicht gleichgültig, da können wir ihn auch nicht beiseiteschieben.

Aber die Menschen sind eigentlich dumm, die meinen, das wissenschaftliche Weltbild habe den Glauben überflüssig gemacht oder ein Wissenschaftler könne kein gläubiger Christ sein. Wer erst einmal tief in die Geheimnisse der Wissenschaft eingedrungen ist, der wird umso mehr die Größe Gottes erkennen können. Und umgedreht sollte sich ein Christ bei seiner Arbeit um ein klares wissenschaftliches Denken bemühen, aber den nicht vergessen, der über allem steht.

Anderen wieder macht es Schwierigkeiten, daß es in der Welt oft sehr trübe aussieht. Da gibt es Kriege und Gewaltherrschaft, Naturkatastrophen und schwere Unglücksfälle. Und oft trifft es dabei noch völlig Unschuldige. Da taucht dann die Frage auf: Wie kann Gott das zulassen? Wenn er allmächtig ist, warum greift er nicht ein? Das sind Dinge, die uns schon zu schaffen machen, und Fragen, die wir nicht so einfach beantworten können, die wir nur im Glauben überwinden können.

Aber mit diesen mehr verstandesmäßigen Zweifeln kann man noch fertigwerden. Schwerwiegender ist es schon, wenn man nicht auf Gott vertrauen kann Man erkennt zwar an, daß es Gott geben muß. Aber man kann nicht glauben, daß er sich gerade mit einem einzelnen Menschen und seinen Fragen und Problemen abgeben wird. Gott schon - aber nicht ein Gott für mich.

Doch Sie haben den Vorteil, es ganz genau wissen zu können. In der Trauung sagt Ihnen Gott nämlich zu, daß er sich ganz persönlich um Sie kümmern will. Heute wird allein für Sie gebetet, Ihnen allein wird die Verheißung Gottes zugesagt und es wird ein eigener Gottesdienst aus Anlaß Ihrer Hochzeit gehalten. So wichtig ist für Gott dieses Ereignis, daß er sich Ihnen heute ganz besonders zuwenden will.

Doch das bedeutet nun nicht: Einmal und nicht wieder! Die ganze Ehe über will Gott Sie begleiten. Sie sollen nach seinem Wort fragen, auf seinen Willen hören und an ihn glauben. Dann wird er Ihnen auch nahe sein. Genausowenig wie man ohne weiteres aus einer Ehe entfliehen kann, genausowenig kann man sich auch aus der Beziehung zu Gott zurückziehen. Es ist schon gut, daß es die Ehe gibt, daß die Beziehung zwischen Mann und Frau eine feste Form hat, die man nicht so leicht umstoßen kann. Ebenso ist es gut, daß wir auch in einer festen Beziehung zu Gott stehen. In der Taufe hat er sich an uns gebunden. Und nun dürfen Sie in der Trauung erneut die Bestätigung dieses Bundes erfahren.

Er verheißt Ihnen die Seligkeit, wenn Sie sich zu ihm halten. Damit ist nicht ein Schlaraffenland gemeint oder so etwas wie eine stille Insel der Seligen, sondern ein Leben in Gemeinschaft mit Gott. Etwas von dieser Seligkeit kann sich auch schon in Ihrer Ehe darstellen, denn das Glück zweier Menschen kann für manchen schon die höchste Seligkeit sein.

Aber Gott will noch mehr dazugeben. Sie dürfen Ihre Gemeinschaft umschlossen wissen von der Hilfe und dem Beistand Gottes. Es wird nicht immer alles nur Zuckerlecken geben. Aber Gott wird Ihnen in allen Schwierigkeiten nahe sein. Glück und Zufriedenheit werden sich nur einstellen, wenn man sich das Entscheidende in der Ehe von Gott schenken läßt.

Die Zusage Gottesgilt aber nun nicht nur Ihnen, sondern auch Ihrer Familie dem „Haus“). Mit dem heutigen Tag stehen Sie ja nicht mehr nur als Einzelne in der Welt, sondern werden immer als ein Paar zusammengesehen. Alle Freuden werden ihnen nun gemeinsam gelten, aber auch alle Aufgaben und Schwierigkeiten werden nun auf Sie beide und die Ihren zukommen.

Von Ihnen kann der Segen Gottes auf Ihre ganze Umgebung ausstrahlen. Gott hat von seiner Seite her alles getan, um Sie zu einem „seligen Haus“ zu machen, zu einer Familie, die in der Verantwortung vor Gott lebt. Sie sind aufgefordert, sich dieses Vertrauens als würdig zu erweisen und Ihre Ehe im Sinne Gottes zu führen. Dann wird niemand Sie erschrecken können und Sie werden den Beistand Gottes erfahren.

 

 „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet!“   (Röm 12,12)

Fröhlich kann man an einem solchen Tag schon sein. Was vor einiger Zeit mehr zufällig begonnen hat, ist heute zu einem vorläufigen Abschluß gekommen, ein neuer Abschnitt beginnt. Da ist es gut, wenn man sich einen Augenblick der Besinnung gönnt und über sein Leben und die Beziehung zu Gott nachdenkt.

Wenn Hochzeit ist, dann freuen sich alle. Nicht nur Sie, die Sie sich vor dem Standesamt in der Öffentlichkeit ihr Jawort gegeben haben. Auch die Eltern und Geschwister freuen sich mit - und sicherlich auch viele ihrer Freunde und Bekannten und Nachbarn. Ganz sicher freut sich auch Gott mit, weil sich zwei Menschen gefunden haben, die er füreinander bestimmt hat.

Natürlich wird mancher sagen: „Das ist doch allein meine Sache, wen ich mir zum Ehepartner aussuche!“ Das stimmt schon in gewisser Hinsicht: Sie haben Ihr Geschick in die eigene Hand genommen und dürfen auch stolz darauf sein. Aber eine Ehe ist nicht nur gegründet

auf gegenseitige Liebe, Achtung und Treue, wie das auf dem Standesamt heißt. Die Ehe steht nicht allein unter dem Schutz des Staates, sondern vor allen Dingen unter der Verheißung unseres Gottes.

Es könnte ja doch sein, daß man da doch etwas unsicher wird, weil man sich auf etwas Neues eingelassen hat. Doch dann ruft uns Gott in seinen Wort zu: „Seid fröhlich in Hoffnung! Nun laßt einmal eure Bedenken fallen und hofft auf das, was Gott euch versprochen hat!“

Viele Hoffnungen werden sich an diesen Tag knüpfen: die Hoffnung auf ein ständiges Zusammensein, auf ein glückliches Miteinanderleben im Austausch der Gedanken und Erlebnisse, die Hoffnung auf gute Freunde. Jetzt soll das Leben erst seinen richtigen Sinn erhalten, erst noch einmal losgehen.

Gott will Ihnen dazu Mut machen. Von der Hoffnung kann man 1ange leben. Von der Hilfe Gottes aber kann man noch länger leben. Weil Gott die Macht hat, all unsere Hoffnungen zu erfüllen, können wir erst richtig fröhlich sein. Wenn Hochzeit ist, dann gibt es ein Fest. Aber der tiefste Grund aller Festfreude ist Gott, der uns alle so reich beschenkt hat.

Es ist immer wieder ein Wunder, wenn aus den vielen Menschen sich gerade zwei finden und beieinander bleiben wollen. Dafür kann man nur Gott danken und seinen Segen für die Zukunft erbitten.

Wir wissen heute nicht, was noch alles auf Sie zukommen kann. Einige Dinge sind geklärt, andere stehen noch aus. Familie und Beruf werden sicherlich gerade in der erste Zeit ihre Anforderungen stellen. Aber warum sollte man es nicht wagen, wo Gott seine Verheißung dazu gibt? Man muß auch einmal im Vertrauen auf Gott so einen Schritt tun. Gott wird schon helfen.

Vielleicht kommt auch einmal Schweres über Sie. Aber da sagt der zweite Teil des Spruches: „Seid geduldig in Trübsal“. Es kann auch manche Trübsal über Sie kommen. Denken Sie nur daran, was frühere Generationen mitgemacht haben. Da mahnt der Spruch zur Geduld. Alles Schwere hat einmal ein Ende.

Ein bestimmter Teil Gottvertrauen gehört schon dazu, wenn man sich für sein ganzes Leben das Jawort gibt. Aber man sollte auch nicht zu zaghaft sein und einmal entschlossen etwas wagen. Sie haben es gewagt! Und Gott will Ihnen eine Hilfe dabei anbieten:

Der dritte Teil des Spruches lautet ja: „Haltet an am Gebet!“ Es ist heute auch unter Christen nicht mehr selbstverständlich, daß sie zu Gott beten und ihn bitten. Natürlich, im Gottesdienst kommt das Gebet dran. Doch unsere persönlichen Sorgen soll Gott doch auch erfahren, denn nur so kann er helfen.

So ist das Gebet eine gute Lebenshilfe in der Ehe. Hier dürfen wir unsere Freude und Hoffnung, unsere Geduld und Trübsal vor Gott bringen. Hier erst beginnt die tiefste Gemeinsamkeit in der Ehe, über die gemeinsamen Interessen in Beruf und Freizeit hinaus. Hier erst liegen die innere Mitte und auch der Punkt außerhalb, auf den wir uns alle beziehen.

Gott bietet Ihnen heute und hier seine Hilfe an. Sie können sie ausschlagen. Aber Sie können sie auch freudig und dankbar annehmen. Sie werden dann schon erfahren, wie Gott Ihnen in allen Dingen zur Seite steht. Heute, wo sie voller Hoffnung sind, sollen Sie die Gewißheit mitnehmen: Auch Trübsal kann uns nicht umwerfen, wenn wir uns im Gebet auf Gott verlassen. Heute und alle Zeit gilt die Aufforderung: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, haltet an am Gebet!“

 

„Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. So ist nun die Liebe des Gesetzes Erfüllung!“                                                                                                                               (Röm 13,10)

Man kann versuchen, sein Leben nach strengen Regeln einzurichten. Menschen, die in ihren Auffassungen unsicher sind, machen das gern. Sie brauchen Gesetze und Regeln, an denen sie sich wie an einem Geländer festhalten können. Weil sie Angst haben, etwas falsch zu machen, werden sie dann kleinlich und kommen erst recht nicht mehr mit anderen zurecht.

So braucht es unter Christen nicht zu sein. Wir sind von Gott zur Freiheit berufen. Alle Gesetze sind damit für uns abgetan. Wir haben nur noch eine Richtschnur: Die Liebe zu den Menschen und zu Gott! Ganz ohne Regeln kann man nicht leben. Aber es dürfen keine starren Gesetze sein, die stur durchgesetzt werden. Gott will, daß wir uns anpassen und auf die Umstände achthaben und alle Regeln sinngemäß anwenden.

Meist wird man ja sagen: Mann und Frau haben in der Ehe die gleichen Rechte und Pflichten. Wenn nun aber zum Beispiel die Frau krank wird, kann man ja nicht das Gleiche von ihr erwarten wie vorher. Ihr Mann wird aus Liebe besondere Rücksicht nehmen und alle Pflichten selber übernehmen. Am besten ist es natürlich, man hat gleich von vornherein alle Pflichten geteilt, so daß es nicht so schwer ist, dem Teil des anderen mit zu übernehmen.

Ähnlich ist es auch mit den Rechten. In einer Ehe kann keiner mehr auf sein „Recht“ pochen. Wer mit Gewalt sein vermeintliches Recht durchsetzen will, der wird bald scheitern. Wer aber auf sein Recht verzichten kann, dem wird alles zufallen, was er gerne haben möchte. Nur wenn man sich untereinander einig ist, kommt jeder zu seinem Recht.

Es ist selbstverständlich in einer Ehe, daß keiner dem anderen Böses tut. Wenn es nach dem Gesetz geht, dann kommt so etwas schon einmal vor. Im Namen des Gesetzes ist schon manches Unrecht verübt worden, auch wenn das Gesetz natürlich dazu da ist, das Böse im Prinzip zu verhindern.  

Das Gesetz will das Beste für den Menschen erreichen. Aber es kann nur das Zweitbeste bieten. Es behandelt zwar jeden gleich, aber es kann nicht auf den Einzelfall eingehen. Das aber tut die Liebe. Sie sieht auch die Schwächen des anderen und hat Verständnis und hilft, wo es nur geht. So ist die Liebe eben mehr als das Gesetz.

Diese Liebe kommt vor Gott. Jesus Christus hat sie uns vorgelebt. Und wir sind aufgefordert, ihr nachzueifern, gerade in der Ehe. Hier können wir am ehesten zeigen, ob wir Gottes Willen begriffen haben und bereit sind, ihn in die Tat umzusetzen. Es ist nicht immer leicht, Gottes Willen zu tun. Es ist ja auch nicht immer leicht den anderen Menschen zu lieben. Manchmal ärgert man sich auch über ihn, oder man ist mit etwas nicht zufrieden.

Wer sich aber nach Gott richtet, der wird auch Gottes Segen im Leben verspüren können. Dann wird auch manches im Leben wieder ins Reine kommen, was man sonst nur schwer würde überwinden können. Wer sich von Gott gehalten weiß, wird auch seine menschlichen Dinge in Ordnung bringen können.

Gott hat sich von Anfang der Welt an den Menschen in Liebe zugewandt. Er hat auch gewollt, daß Mann und Frau in der Ehe zusammenleben. Er will auch heute unser Leben führen und leiten. Wir dürfen uns vertrauensvoll ihn wenden und Hilfe von ihm erwarten. Er wird auch in Zukunft unser Herr und Helfer sein.

Viele Hoffnungen verbinden sich mit einem Tag wie heute. Wir hoffen auf äußeres Wohlergehen, auf Zufriedenheit im Beruf, auf ein gutes Verständnis mit Verwandten und Freunden und noch auf viele Dinge mehr. Niemals aber können wir wissen, ob all diese Hoffnungen in Erfüllung gehen.

Eins aber ist uns sicher: Auf Gott dürfen wir unsre Hoffnung setzen, und er wird uns nicht enttäuschen. Er wird auch bei ihrer Ehe mit dabei sein, und Ihnen durch sein Wort auch Hilfe und Trost geben. Es werden nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Aber mit Gottes Hilfe werden Sie doch alle Gefahren bestehen können.

Vor allem aber dürfen Sie der Liebe Gottes gewiß sein. Sie will Ihre Liebe umschließen und sie erst zur Vollendung führen. Gottes Liebe bleibt auch, wenn wir ihn einmal enttäuscht haben. Wir können daraus lernen, daß auch menschliche Liebe nicht zu zerbrechen braucht, wenn einmal etwas schief gelaufen ist. Gott will, daß auch unsere menschliche Liebe bleibt.

Das wird am ehesten gelingen, wenn wir nichts Böses tun, sondern dem Ehepartner und überhaupt allen Menschen mit Liebe begegnen. Gott will uns zu solcher Liebe anleiten. Im Vertrauen auf ihn dürfen Sie ihren weiteren Weg gemeinsam gehen.

 

„Nehmt einander an, wie Christus uns angenommen hat zu Gottes Lob!“         (Röm 15,7)

Dieses Bibelwort war einmal die Losung unserer Kirche für ein Jahr. Es läßt sich auf sehr vieles im Leben beziehen: auf das Verhältnis zwischen Christen und Nichtchristen, zwischen Handarbeitern und Geistesarbeitern, Einheimischen und Fremden, Alten und Jungen. Aber vor allem läßt es sich auch beziehen auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Ehe: Eheleute müssen ja besonders aufeinander zugehen und den anderen einfach so annehmen, wie er ist.

An diesem Tag nun ist es soweit. Zwei Menschen haben sich das Jawort für ihr ganzes Leben gegeben, nun kann ein Neuanfang gesetzt werden. Vielleicht hat man sich vorher noch gefragt: „Ist das nun wirklich der richtige Partner für mich? Werde ich ein ganzes Leben mit ihm auskommen können? Werden wir auch solche Belastungen wie Krankheitszeiten durchstehen können?“

Doch Sie haben solche Fragen entschlossen beiseite geschoben. Sie wollen es nun einfach wagen und in eigener Tat und Verantwortung ein Neuland für ihr Leben erobern. So dürfen Sie nur stolz sein, daß Sie das Steuer Ihres Lebens in die Hand genommen haben und Ihres eigenen Glückes Schmied werden wollen.

Glücklich ist man schon an so einem Tag. Aber Sie tragen jetzt auch allein die Verantwortung für Ihr Glück und Ihre Zukunft. Morgen oder übermorgen aber beginnt wieder der Alltag. Da muß sich dann die Liebe, die Sie heute füreinander empfinden, umsetzen in die kleine Münze der täglichen Sorgen und Freuden; dann muß sich bewähren, was in den vergangenen Jahren und in der Verlobungszeit gewachsen ist.

Ihr Trauspruch ruft ihnen da zu: „Nehmt einander an!“ Nehmen Sie den anderen an und auf, wie er ist. Sie haben sich ja. gegenseitig genügend geprüft und sind dabei geblieben: „Wir gehören, zusammen!“ Diese Feststellung können Sie nicht mehr rückgängig machen, auch wenn Sie einmal eine kleine oder große Enttäuschung mit dem anderen erleben sollten: Sie haben nun einmal „Ja“ gesagt, da müssen Sie den anderer auch so annehmen, wie er ist, nicht nur mit seinen guten Seiten und Vorzügen, sondern auch mit seiner Schwächer und seiner ärgerlichen Seiten.

Auch Gott hat „Ja“ gesagt zu ihrer Verbindung. Gott will aus der Liebe eine Ehe schaffen. Sie werden bald merken, daß nun manches anders wird als in der Verlobungszeit. Sie werden viel mehr Freude aneinander finden‚ sie werden viel mehr zusammen sein können. Auch vor den anderen gehören Sie jetzt zusammen. Das festigt auch das Verhältnis zueinander.

Aber manches wird vielleicht auch schwerer werden. Es kann auch sein, daß sie dem Menschen sehr weh tut, den man am meisten liebt. Gott sagt Ihnen da: „Nehmt einander aus, so wie ihr seid mit allen Vorzügen und Nachteilen. „Nehmt den einen unverwechselbaren Menschen an, dem Ihr nun einmal das Jawort gegeben habt!“

Gott bietet Ihnen dazu auch seine Hilfe an: „Nehmt einander an, wie uns Christus hat angenommen!“ Wir stehen ja immer wieder in der Gefahr, uns von Christus abzuwenden. Aber wir dürfen doch immer wieder zu ihm gehören‚ weil Christus uns wieder in die Gemeinschaft Gottes aufgenommen hat.

Weil Sie nun beide wissen, daß Sie die Vergebung Gottes nötig haben, sollen Sie sich auch untereinander vergeben, wenn einmal etwas schief gelaufen ist, wenn Sie sich über den anderen geärgert haben oder Ihre Pläne nicht verwirklichen konnten: Weil Gott uns angenommen hat, dürfen Sie auch immer wieder einander annehmen.

Am Schluß dieses Spruches stehen noch drei Worte: „zu Gottes Lob“. Alles, was die ganzen Monate schon zwischen Ihnen geschehen ist - aber noch mehr: was nun geschehen soll, das geschieht zu Gottes Lob. Mit ihrer Liebe standen Sie allein, das war nur Ihre Privatsache. Durch die Ehe aber sind Sie ein Glied in der Kette von Familien, die auch vor Gott gestanden

haben, um seinen Segen zu erbitten.

Sie sollen nun eine christliche Familie werden, wo man Zuflucht vor den Stürmen dieser Zeit finden kann. Hier soll die Frau Geborgenheit und Schutz und Entspannung und Erfüllung finden und natürlich umgekehrt. Ihre Familie ist eine Gründung Gottes in der Welt, auf der Gottes Segen ruht und auf die die anderen sehen „Darum nehmt einander an, wie uns Christus hat angenommen zu Gottes Lob!“

 

„Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr völlige Hoffnung habt durch die Kraft des Heiligen Geistes!“                   (Röm 15,13)

Viele Hoffnungen verbinden sich mit einem solchen Tag. Ein gemeinsames Leben beginnt, das alles bringen soll, was das Herz begehrt. Was dem einen noch fehlt, soll der andere ergänzen. Jeder soll an den guten Gaben des anderen teilhaben. Viel Gemeinsames wartet auf Sie, nachdem Sie nun die Ehe geschlossen haben.

Eigentlich kann doch alles nur besser werden. Aus diesem Grunde haben Sie ja geheiratet. Jeder Mensch hat auch sein Recht auf solche Hoffnungen. Das liebt in jedem Menschen drin und ist nur ganz natürlich. Ohne Hoffnung könnten wir gar nicht leben. Man muß doch immer ein Ziel vor Augen haben und um den Sinn seines Lebens und seiner Zukunft wissen.

Nun steht hier in Römer 15,13: „.Der Gott der Hoffnung!“ Wir hören daraus: Nur Gott kann Hoffnung geben und Mut zur Zukunft machen. Wie viele Menschen haben den anderen Hoffnungen machen wollen. Vor allem in schlechten Zeiten blühen solche Hoffnungen auf und fallen wieder in sich zusammen.

Versprechungen hat man schnell gemacht; aber das           Erfüllen steht auf einem anderen Blatt. Das gilt nicht nur zum Beispiel für die Politiker, sondern auch für unser persönliches Leben. Auch Sie werden in Ihrer Ehe gar manches Mal zurückstecken müssen und Hoffnungen begraben müssen. Auf Gott aber können wir immer unsere Hoffnung setzen, denn er wird sie erfüllen.

Er kann vor allem zwei Dinge schenken: „Freude und Frieden“! Freude gehört doch mit zu einem solchen Tag wie heute. Aber unser Leben wird nicht eitel Freude und Wonne sein. Es kommen auch einmal schlimme Zeiten, die man gemeinsam meistern muß.

Denken wir nur an das nächste Stichwort: „Friede!“ Es ist kein Friede unter den Völkern und unter den Menschen. Auch in unserem kleinen, begrenzten Lebenskreis ist es oft schwer, Frieden mit den Menschen in der Verwandtschaft und Nachbarschaft zu halten. Manchmal tut

man sogar dem Menschen am meisten weh, den man am meisten liebt und den man gar nicht weh tun möchte.

Am schwersten ist es aber vielleicht noch, Frieden mit Gott zu haben. Unser Verhältnis ist noch nicht in Ordnung, wenn wir sagen: „Ich lasse ihn in Ruhe, dann habe ich Frieden mit Gott!“ Wer einmal getauft ist, den beansprucht Gott sein ganzes Leben. Auch Sie will er nun als ein Ehepaar in seinen Dienst stellen.

Gott rechnet damit, daß Sie als eine christliche Familie Ihren Glauber so in die Tat umsetzen, daß auch andere an Gott glauben können. Der Segenswunsch, den Paulus hier ausspricht‚ wird sich ja nur an deren erfüllen, die an Gott glauben: „Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben!“ Daß Gott Hoffnung schenkt, daß er Freude und Frieden gibt, das weiß nur der, der an ihn glaubt. Aber er darf dann auch völlige Hoffnung haben, Hoffnung die mehr ist als unsre rein menschliche Hoffnung und auch erfüllt wird.

Wir wissen doch alle, wie oft unsere menschlichen Hoffnungen auf Sand gebaut waren und wie ein Kartenhaus zerfielen. Wer auf Gott vertraut, der hat auf keinen Sand gebaut, denn hinter ihm steht die Kraft des Heiligen Geistes. Gottes Kraft kann alle Wünsche erfüllen, die wir heute haben. Vielleicht wird er uns nicht gleich alle äußeren Dinge in den Schoß fallenlassen. Aber er kann uns Freude und Frieden geben, wenn wir an ihn glauben.

Ohne den festen Glauben an Gott kann man niemals eine Hoffnung haben, ohne Glauben an den Gott der Hoffnung kann man keine Kraft empfangen, ohne Glauber an die Kraft des Heiligen Geistes ist unser Leben einfach sinnlos.

In einer Ehe braucht man viel Kraft. Deshalb sollte man gleich am Anfang viel mitnehmen. Aber man muß auch zwischendurch immer wieder einmal auftanken, im Gottesdienst und im Gebet. Man braucht auch Zeiten der Besinnung, Zeit für sich selbst und Zeit für Gott, sonst hat alles keinen Sinn.

Arbeit ist nur das halbe Leben, und bald ist das Leben um. Dann soll es doch viel Freude und Frieden gebracht haben. Deshalb kommt es jetzt darauf an, daß Sie sich auf Ihrem weiteren Lebensweg besinnen. Sie können viel für das Gelingen ihres Weges tun. Aber Sie brauchen dazu auch den Segen Gottes.

Der aber wird ihrer heute verheißen mit den Worten: „Der Gott aber der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr völlige Hoffnung habt durch die Kraft des Heiligen Geistes!“

 

„Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes!“     ( 1. Kor 3,22 - 23 )

Gott hat den Menschen eine große Freiheit gegeben. Welche Regierung würde ihren Untertanen wohl sagen: „Alles ist euer, ihr dürft alles tun und dürft alles benutzen, was euch unter die Finger kommt!?“ Welche E1tern würden ihren kleinen Kindern alles erlauben und ihnen sagen: „Ihr könnt über alles im Haus frei verfügen!?“ Oder welcher Meister fordert seine Lehrlinge auf: „Nehmt nur ruhig soviel Werkzeug und Material mit, wie ihr braucht!?“ Das tut kein Mensch.

Gott aber ist so großzügig. Er hat den Menschen auf die Erde gesetzt und gesagt: „Das alles schenke ich euch! Macht damit, was ihr wollt. Macht euch die Erde untertan. Tut alles dafür, daß. es schöner und besser wird und die Erde euch zu einer Heimat wird. Nutzt dazu alle eure Fähigkeiten aus und benutzt alle technischen Mittel, denn ich habe sie euch gegeben!“

Gott hat auch ausdrücklich Mann und Frau zusammengefügt, damit sie gemeinsam an diese Aufgabe gehen. Gott hat nicht nur den Mann erschaffen, sondern den Menschen, der aus Mann und .Frau besteht. Und er hat absichtlich jedem unterschiedliche Gaben mitgegeben, damit sie sich gegenseitig ergänzen können.

 

Auch die Ehe hat Gott den Menschen gegeben, damit sie sie zu ihrem Vorteil gebrauchen. Er hat diese Ehe in die Hände der Menschen gegeben und gesagt: „So, nun seht zu, was ihr daraus macht! Es liegt alles bei euch, etwas Gutes oder etwas Böses daraus zu machen!“

Die Ehe ist also zunächst einmal ein sehr weltliches Geschäft und sie läuft auch in vielen Dingen nach rein weltlichen Regeln. Gott traut einfach jedem Menschen so viel zu, daß er diese Sache in die eigene Hand nehmen kann. Aber er hält schützend die Hand darüber und will helfen, wo es nötig ist.

Man hat ja behauptet, der christliche Glaube mache unfrei. Gott habe alles zu bestimmen und zu lenken, er mache seinen Leuten nur Vorschriften und enge sie ein. Er verlange nur, aber er habe nichts zu bieten.

Paulus denkt offensichtlich anders. „Alles ist euer!“ Das ist die groß Vorleistung, die Gott erst einmal bringt. Bei einer Trauung wollen wir vor allem erst einmal auf die Verheißung Gottes hören, die er mit seinem Segen verbunden hat .Zuerst will die Trauung eine Hilfe sein, die Zusage Gottes, daß er über der Ehe wacht und daß man seine Schwierigkeiten vor ihm ausbreiten darf. Er wird schon Rat und Hilfe schicken.

Mit einem Geschenk geht man nun aber in der Regel gut um. Man tritt es nicht gleich in den Dreck, sondern schont es: Man versieht doch, es gut zu nutzen und es zu vermehren. Jedem Ehepaar ist dieses Geschenk anvertraut, damit sie es behüten und bewahren, sich immer mehr hineinleben und dadurch eine Hilfe für ihr Leben erfahren.

Der zweite Teil des Satzes stellt schon sicher, da die Freiheit Gottes nicht mißverstanden wird: „Ihr aber seid Christi!“ Wer zu diesem Christus gehört, der verhält sich schon so, wie es sich im Bereich dieses Christus gehört.

Kein Kind will seinen Eltern Schande bereiten. Da wird auch kein Christ seinen Herrn verleugnen. Wer hier getraut wird, der legt damit ganz gewiß ein Bekenntnis zu Christus ab. Er stellt seine Ehe unter den Schutz Gottes. Aber er verspricht auch, sie im Sinne Christi zu führen.

Und drittens heißt es nun: „Christus aber ist Gottes!“ Wenn wir an das denken, was uns geschenkt ist, dann werden wir auf Christus verwiesen, zu dem wir gehören und der für uns sorgt. Und von dort geht der Weg dann weiter zu Gott. Dort endet die Kette dann, denn das Ziel der Ehe ist Gott.

Wir wünschen jedem Ehepaar, daß es recht lange zusammenbleiben darf, daß es die silberne und die goldene Hochzeit und noch mehr erleben darf. Aber am Ende steht dann auch die Frage: „War es ein Weg zu Gott?“

Luther hat den Sinn der Ehe einmal so umschrieben: „Eins soll das andere in den Himmel führen!“ Wer die Verbindung zu Christus hält, der kommt auch zu Gott.

Das ist doch eine schöne Aufgabe, die ihnen da gestellt ist: Sie beginnen nicht nur ihren gemeinsamen Lebensweg, sondern es soll auch ein Weg zu Gott werden. Alle Voraussetzungen dazu sind erfüllt. Es liegt nun an Ihnen, was sie daraus machen!

 

„Die Liebe verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles!“ (1. Kor 13,7)

Wenn man heiratet, gehört Liebe dazu, Wenn das nicht der Fall ist, kann man es auch gleich sein lassen. Möglichst viel Verbindendes und Geneinsames sollte man doch haben. Aber die Liebe ist die Grundvoraussetzung.

Heiraten bedeutet nicht, daß man zwei Haushalte zusammenlegt. Das wäre etwas wenig und wäre zu nüchtern und zu sachlich. Heiraten bedeutet aber auch nicht automatisch den Himmel auf Erden und die Lösung aller Probleme. Das wäre romantisch und weltfremd.

In der Mitte zwischen beiden wird die Wahrheit liegen. Und am besten drückt das Wort „Liebe“ aus, wie Mann und Frau in der Ehe zueinander stehen. Liebe macht sich keine Illusionen. Aber sie schenkt auch die Freude aneinander und am gemeinsamen Leben. Die Liebe ist

schon vor der Ehe da, sie erfüllt diese und hört hoffentlich nie auf.

Die Bibel sagt auch etwas zum Thema „Liebe“. Allerdings meint Paulus in diesem 13. Kapitel des 1.Korintherbriefs die Liebe zu Gott bzw. die Liebe, die Gott gegenüber uns zeigt. Aber empfängt die menschliche Liebe nicht ihre Kraft vor der Liebe Gottes zu den Menschen? Ist Gottes Liebe nicht das Urbild aller menschlichen Liebe?

Sicher wird es erlaubt sein, Aussagen über die Liebe Gottes auch einmal auf die Liebe zwischen zwei Menschen anzuwenden. Als erstes steht da: „Die Liebe verträgt alles!“ Wer weiß denn heute, was das Leben alles einmal bringen wird?

Vielleicht werden Sie Vieles zu schlucken und zu verdauen haben, woran heute noch keiner denkt: Es kann Krankheit kommen und persönliches Leid. Es kann einmal Mißverständnisse geben, mit anderen oder auch untereinander. Trotzdem muß man sich immer wieder vertragen und miteinander auskommen. Es soll hier ja nicht schwarzgemalt werden. Wenn man heiratet, dann ist man fröhlich und macht sich weiter keine Gedanken darüber, daß auch einmal etwas Schweres kommen könnte.

Vor allen Dingen haben wir auch keinen Grund zur Schwarzmalerei, weil Gott Ihnen doch gerade in der Trauung seine Hilfe zusagt. Wir müssen zwar realistisch sein und mit allem Möglichen rechnen. Aber genauso wissen wir auch mit Gott rechnen, der uns über alle Schwierigkeiten hinweghelfen will. Das ist ja sein großes Geschenk zur Trauung: Er verspricht uns aus freien Stücken seine Unterstützung.

Gott verträgt sich mit uns, auch wenn wir Manches getan haben, was ihm nicht so paßt. Er hofft auf uns, wenn wir ihn auch enttäuscht haben. Er vertraut auf uns, auch wenn wir einmal wankend werden. Dieses Vorbild unseres Gottes sollte uns Kraft geben, daß wir uns auch untereinander vertragen und vertrauen. Gott macht es uns vor. Jesus Christus hat es uns anschaulich vor Augen gestellt, wie man als Mensch mit Menschen umgeht. Es gibt diese Möglichkeit, Jesus hat es bewiesen. Da sollten wir doch auch fähig sein, wenigstens zu einem Teil ähnlich zu leben und zu handeln.

Gerade in der Ehe kommt man doch nicht ohne Verträglichkeit und Vertrauen aus. Was gäbe es denn, wenn man sich nicht einmal alles glauben kann? Paulus sagt: „Die Liebe glaubt alles!“ In dieser Welt gibt es viel Mißtrauen und Betrug. Aber wenigstens in einer so engen

Gemeinschaft wie zwischen Mann und Frau sollte es anders zugehen, sonst wird das die Hölle auf Erden. Wir sind alle aufgefordert, an unserem Ort ein Stück dieses Vertrauens zu verwirklichen, blind zu vertrauen, auch wenn wir es nicht nachprüfen können.

Ma sagt ja: „Liebe macht blind!“Aber das stimmt ja nicht, es gehen einem eher die Augen auf, wie groß dieses Geschenk der Gemeinschaft zwischen Mann und Frau ist. Aber zur Liebe gehört einfach, daß man blind vertraut und nicht nach Beweisen fragt. Es ist doch eigentlich schön, wenn man wenigstens einem Menschen vertrauen darf und weiß: Auf den kann man sich ganz bestimmt verlassen.

Dann heilt es hier: „Die Liebe hofft alles!“ Sie dürfen sich heute wirklich große Hoffnungen machen, für ihre Ehe und für Ihr ganzes weiteres Lehen. Wir leben oftmals nur davon, daß wir uns Hoffnungen machen und uns auf ein Ziel ausrichten. Wer ein Ziel vor Augen sieht, der strengt sich dann auch an, dieses Ziel zu erreichen. Dazu werden Sie heute auch aufgefordert, sich ein Ziel zu setzen und es anzustreben. Und Ziel könnte unter anderem sein, so zu leben, wie Gott es von uns erwartet.

Das Letzte schließlich: „Die Liebe duldet alles!“ Wer liebt, der ist bereit, auch einmal etwas hinzunehmen, Opfer zu bringen und zu verzeihen. Gott schenkt und allen seine Vergebung, da können wir auch dazu bereit sein. Er möge Ihnen die Kraft geben, das zu verwirklichen, was Ihnen im Trauspruch gesagt ist: „Die Liebe verträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles!“

 

„Sorget nichts, sondern in allen Dingen laßt eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden!“                                                                                 (Phil 4,6)

Eine Hochzeit ist ein freudiger Anlaß. Man hat lange darauf gewartet und den Tag herbeigesehnt. Nun wird öffentlich kundgetan, was schon in langer Gemeinsamkeit gewachsen ist: Wir wollen auch in Zukunft zueinander gehören und für immer beieinander bleiben.

An so einem Tag hat man nur freudige Gedanken und macht sich weiter keine Sorgen, was die Zukunft angeht. Warum auch Sorgen machen, wenn doch die Sonne scheint und alles in guter Ordnung ist

Aber wir wissen alle, daß nicht immer die Sonne scheinen kann, sondern auch einmal trübe Tage kommen. Auch in einer Ehe bleibt das nicht aus. Schon morgen oder übermorgen beginnt der Alltag wieder und dann tun sich ganz neue Fragen und Aufgaben auf. Es kann ja auch nicht immer Festtag sein. Erst durch den Unterschied zum Alltag wird ja deutlich, wie schön der Festtag ist. Und daß man auch im Alltag zusammenhalten darf und die Aufgaben gemeinsam angehen kann, das macht erst die richtige Freude.

Wenn dann auch einmal Sorgen und Mühen kommen, dann fordert Gottes Wort auf: „Sorget nichts!“ Mit dem Sorgen kommt man ja doch nicht weiter, sondern nur wenn man Vertrauen auf Gott hat. Wer sich auf Gott verläßt, der braucht sich keine Sorgen zu machen, weil Gott stärker ist als all unsre Sorgen.

Welche Sorgen könnten denn über ein Ehepaar kommen? Zunächst denken wir doch dabei an Krankheit und Schmerzen, wie sie über jeden Menschen kommen können. Kein Mensch ist sicher davor, auch wenn er sich heute noch so wohl fühlt. Aber eine Ehe geht auch dann weiter, wenn einer der beiden Ehepartner krank wird. Ja, erst dann wird sie ihre Festigkeit beweisen. Dazu hat Gott ja die Ehe eingerichtet, daß einer dem anderen auch in einer schweren Zeit helfen kann.

Man könnte auch an wirtschaftliche Not denken, vielleicht auch wieder hervorgerufen durch Krankheit oder besondere äußere Umstände. Oder denken wir an Krieg oder Naturkatastrophen, die auch schon viel Leid über die Menschen und über manches Ehepaar gebracht haben. Denken wir auch an berufliche Schwierigkeiten oder sonstige Mißerfolge im Leben. Es ist vieles, was einem am Beginn einer Ehe doch schon Sorgen machen könnte.

Doch Gott ruft Ihnen heute zu: „Sorget nichts!“ Macht euch keine Sorgen um all diese Dinge, so schwerwiegend sie vielleicht auch erscheinen könnten. Weil Sie um den Segen Gottes für Ihre Ehe gebeten haben, dürfen Sie dieses Segens auch sicher sein. Gott will Sie behüten und bewahren in all diesen Gefahren, heute und an jedem Tag Ihrer Ehe.

Es heißt ausdrücklich: „In allen Dingen laßt eure Bitten vor Gott kund werden!“ Diese Fragen des äußeren Lebens sind bei Gott nicht zweitrangig, so daß wir ihn damit nicht belästigen dürften. Nein, Gott will, daß wir alle Dinge vor ihn bringen und unser ganzes Leben ihm unterstellen. Gott nimmt uns ernst, auch mit unsren kleinen Sorgen, die wir haben. Gerade in Kleinigkeiten bewährt Gott seine Treue.

Aber Gott muß natürlich auch Bescheid wissen über das, was uns bedrückt. Deshalb müssen ihm unsere Bitten erst einmal im Gebet und Flehen kund werden. Nur wer betet, wird keine Sorgen mehr haben, denn er hat dann all seine Sorgen bei Gott abgeladen und ihm anvertraut. Dann ist Gott mit dafür verantwortlich - und er hat zugesagt, daß er dann auch helfen wird.

Doch auch den letzten Punkt in diesem Bibelwort wollen wir nicht vergessen: die Danksagung. Man darf gerade in einer Ehe viel Schönes erleben. Gar manches Mal kann man die Durchhilfe Gottes sehr deutlich spüren. Da sollte man dann auch den Dank nicht auslassen. Schon unter Menschen ist das so üblich; wieviel mehr haben wir da Grund, auch Gott Dank zu sagen.

Ein Gebet sollte eigentlich immer mit dem Dank beginnen. Jeder Mensch hat etwas, wofür er danken kann, auch wenn es ihm noch so schlecht zu gehen scheint. Wer gedankt hat, darf dann auch bitten und flehen und wird dann Gehör finden.

Paulus schreibt dieses Wort aus dem Gefängnis. Er ist also auch nicht gerade in einer erfreulichen Lage. Aber dennoch kann er die anderen trösten und ihnen Mut zusprechen. Gerade wenn es ihm schlecht geht, wachsen ihm Kräfte zu, noch für andere da zu sein.

So soll es aber in der Ehe auch sein: Wenn einer einmal mutlos und verzagt ist, dann hat er den anderen, der ihm weiterhelfen kann. Und über beiden steht Gott, der helfen will und gesagt hat: „Sorget nichts, sondern in allen Dingen laßt eure Bitten im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kund werden!“

 

„Über alles ziehet aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit; und der Friede Christi regiere in euren Herzen!“                                (Kol 3,14-15)

Bei einer Hochzeit stehen die Braut und das Brautkleid meist im Mittelpunkt des Interesses. Man spricht ja vom „Brautpaar“, so als ob es nur um die Braut ginge und der Bräutigam nur ein Anhängsel wäre. Für viele Bräute sind auch weißes Kleid und Schleier - vielfach auch der Gang zur Kirche unter Glockengeläut und Orgelklang - der Inbegriff des Schönen.

Der Kolosserbrief aber weist uns darauf hin, daß es noch einen schöneren Schmuck für ein Ehepaar gibt: „Ziehet an die Liebe“. Diese kann man zwar nicht sehen, aber sie ist viel wichtiger als das, was den neugierigen Zuschauern ins Auge fällt. Man kann sie auch nicht anziehen (oder wieder ausziehen), wie man das mit einen Kleid tun kann; sie wächst unsichtbar, sie ist einfach da und verschwindet hoffentlich nicht wieder.

Die Liebe ist auch nichts für die Öffentlichkeit. Wie zwei Menschen zueinander stehen, geht nur sie etwas an - und Gott, der die Herzen der Menschen kennt. Er möchte, daß die Menschen in Liebe miteinander verbunden sind: Alle Menschen in der Welt sollen sich mit Liebe begegnen, besonders aber ein Ehepaar.

In der Ehe als der kleinsten Keimzelle der menschlichen Gemeinschaft kann beispielhaft deutlich werden, was Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe ist. Davon kann eine Vorbildwirkung ausgehen, so daß auch die anderen Lust bekommen, dem nachzueifern und ebenso zu werden. Wenn es aber schon im kleinen Bereich nicht klappt, wie soll es da zu einem guten Miteinander mit anderen Menschen kommen?

An Ihnen wird es liegen, ob Sie zu einem Vorbild einer christlichen Ehe werden. Wenn Sie sich bemühen, nach dem Wort und Willen Gottes zu leben, dann werden Sie einen großen Gewinn für Ihr Leben und Ihre Ehe haben. Nur muß man sicher dann auch mit seinem ganzen Leben hinter allem stehen.

Dann wird auch die Liebe zweier Menschen nach außen sichtbar. Wenn man sie anzieht wie ein Kleid, dann wird man gewissermaßen ein neuer Mensch. Mann und Frau erscheinen dann als eine neue Einheit, auch wenn jeder für sich noch eine Einzelpersönlichkeit bleibt. Aber wenn man von einem redet, wird man auch gleich den anderen mitdenken.

Noch schöner aber ist es, wenn auch gleich die Beziehung zu Gott mit deutlich wird. Die menschliche Liebe ist doch umschlossen von der Liebe Gottes. Diese ist Richtschnur und Vorbild, sie erst gibt der menschlichen Liebe Kraft und Ausdauer. Weil Gott uns liebt, können wir uns auch untereinander lieben.

Wieder im Bild gesprochen: Das Kleid der Liebe brauchen wir uns nicht selbst zu schneidern, sondern es wird uns von Gott geschenkt. Wir brauchen es nur anzuziehen und es gebrauchen, dann können wir uns auch daran freuen und unseren Anteil davon haben.

So wird die Liebe zu einem Band der Vollkommenheit, zu einem festen Band, das Mann und Frau miteinander verbindet, so daß sie weitgehend eins werden. Die Liebe bindet aber auch all die anderen Vorzüge und Stärken eines Menschen zusammen, sie ist gewissermaßen die höchste Tugend, die das Bild abrundet und alles zur Vollkommenheit emporhebt.

Ähnliches gilt aber auch von dem Frieden Gottes, der in unseren Herzen regieren soll. Daß Mann und Frau auch Frieden miteinander halten, dürfte ja wohl selbstverständlich sein. Zwar lassen sich Spannungen und Meinungsverschiedenheiten nicht ganz ausschließen, dazu ist je­der doch ein sehr eigen geprägter Mensch. Aber zu einem Kleinkrieg darf es deswegen dann nicht kommen.

Gott will Frieden unter den Menschen haben. Wer sich von ihm leiten läßt, wird Frieden haben. Wenn Gott im Herzen eines jeden Menschen regiert, dann werden sie auch ihre Probleme friedlich lösen und gut miteinander leben.

Das gilt im Großen wie im Kleinen. Ihre Aufgabe wird es sein, andere zum Frieden anzuleiten, indem sie ein gutes Vorbild abgeben und auch direkt zum Frieden mahnen. Es wäre schön, wenn Sie eine Atmosphäre des Friedens in ihrem Heim schaffen könnten, die auch auf andere ausstrahlt.

Gott will Ihren dazu helfen, mit sich selber und mit Ihren Beziehungen zu anderen Marschen zurechtzukommen. Heute will er Ihnen seinen Segen zur Stärkung mit auf den Weg geben. Die Kraft dieses Segens werden Sie erfahren, wenn Sie ihn an sich wirken lassen. Gott will uns allen helfen auf dem Weg durchs Leben. Wir brauchen uns ihm nur anzuvertrauen.

 

„Lasset uns wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus!“                                                                                          (Eph 4,15)

Wenn man sich heiratet, dann liebt man sich. Das dürfte doch wohl selbstverständlich sein. Zwei Menschen haben sich gegenseitig anziehend gefunden, sie sind öfter zusammengewesen, es ist Liebe daraus geworden. .Jetzt soll das durch die Hochzeit öffentlich gezeigt und auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden.

Man kann das nicht erklären, wie Liebe zustande kommt. Wer sich liebt, der weiß eben, was das ist. Aber auf jeden Fall ist Liebe die Voraussetzung für das Leben in der Ehe. Mit der gegenseitigen Zuneigung fängt es an. Ohne sie kann man es gleich sein lassen.

In der Ehe kann man lernen, wie ein Mensch mit dem anderen umgeht. Auf dieser kleinsten Zelle der menschlichen Gemeinschaft baut sich die ganze Gesellschaft auf. Wenn es hier nicht klappt, wie soll es da im Großen und Ganzen klappen?

Hier kann man üben, was Mitmenschlichkeit ist. Jeder muß seine Wünsche ein wenig zurückstecken, wenn sie nicht mit den Wünschen des anderen übereinstimmen. Damit muß man ja rechnen, auch wenn man sich liebt. Es sind und bleiben ja doch zwei unterschiedliche Menschen, die sich heiraten. Sie können gar nicht in allen Dingen übereinstimmen.

Aber da kommt es darauf an, daß man sich einigt und Kompromisse findet. Wenn man sich liebt, sollte das am besten möglich sein. Da ist man am ehesten bereit, auch einmal nachzugeben um der gemeinsamen Sache willen, da findet man schon wieder eine neue Basis.

Es geht nicht, daß einer das Haupt in der Ehe sein will. Früher war das automatisch der Mann. Als der Ernährer der Familie und oftmals auch als der Hausbesitzer war er von vornherein im Vorteil, seine führende Rolle wurde unbestritten anerkannt.

Heute geht es aber nur in einer Partnerschaft. Mann und Frau sind schon von Gott gleichwertig geschaffen. Erst beide zusammen ergeben den Menschen. Nicht der Mann ist die Krone der Schöpfung, sondern erst Mann und Frau zusammen. Das soll auch in der Ehe deutlich werden, indem sich beide gegenseitig ergänzen und ihre starken Seiten auch dem anderen zugutekommen lassen und ihre schwachen Seiten etwas zurückdrängen.

Damit es aber zu einer echten Partnerschaft kommen kann gehört auch der Glaube dazu, die Beziehung zu Christus. Er ist das Haupt der Gemeinde, er sollte auch das Haupt in der Ehe sein.

Die christliche Gemeinde wird hier verglichen mit dem menschlichen Körper, wo jeder Teil seine Funktionen hat und jeder irgendwie wichtig ist. Das Zusammenspiel muß klappen, sonst wird es nichts. Aber gelenkt wird das alles vom Haupt. Aber nicht der Pfarrer ist das Haupt der Gemeinde, sondern Christus. Er allein hat das Sagen.

So kann auch in der Ehe weder der Mann noch die Frau das Haupt sein, sondern beide haben sich unterzuordnen unter Christus. Wenn er das Haupt ist, der gemeinsame Herr, dann wird auch das Verhältnis der Eheleute untereinander ins rechte Lot kommen.

Deshalb ist der Glaube eine wichtige Komponente im Leben und in der Ehe. Im Epheserbrief heißt es sogar: „Lasset uns wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist!“ Das bedeutet doch: Man kann sich immer noch qualifizieren, immer noch dazulernen. Auch in der Liebe kann man sich immer noch vervollkommnen. Die Hochzeit ist nur ein Anfang. Danach soll es mit der Liebe nicht immer mehr bergab gehen. Vielmehr ist sie immer noch entwicklungsfähig.

Deshalb sollten wir uns nicht zufrieden geben mit dem Erreichten, sondern immer noch nach mehr streben. Die Liebe ist wie eine Pflanze, die Nährstoffe und Wasser und Sonne braucht. So muß auch die Liebe gepflegt werden damit sie wachsen kann. Dann wird sie sich immer mehr entfalten und ihre Kraft erweisen.

Gott verheißt Ihnen jedenfalls heute seinen Segen, wenn Sie es mit ihm wagen. Er will Ihnen helfen, mit sich selber, mit Ihrem Leben und mit anderen Menschen zurechtzukommen. Mit ihm haben Sie einen guten Anfang gemacht, Nun wird er Ihnen auch helfen, immer weiter zu wachsen, aneinander und miteinander zu wachsen und ihn das Haupt sein zu lassen.

 

„Wandelt in der Liebe, wie Christus euch hat geliebt!“                                        (Eph 5,2)

Wenn man heiratet, dann ist es klar, daß man sich immer lieben wird. An so einem Tag hängt der Himmel voller Geigen und alles ist in ein rosiges Lieht getaucht. Warum auch nicht?! Hochzeit ist nur einmal, und da darf man ruhig das Beste erhoffen. Warum sollte die Liebe nicht alles überbrücken, was an Schwierigkeiten einmal kommen könnte?

„Wieso Schwierigkeiten?“ wird mancher fragen. Wer denkt denn in diesem Augenblick daran? Aber wir brauchen ja nur an die vorhergehenden Generationen zu denken. Sie sind ja nicht die ersten, die hier getraut werden. Vor ihnen haben andere hier gestanden, die genauso freudig ihre Ehe begonnen haben. Aber viele haben Krieg und Not und Elend mitmachen müssen und dabei auch sehr schwere Zeiten für ihre Ehe erlebt.

Wir hoffen alle, daß Ihnen und uns ein Neuanfang am Nullpunkt erspart bleibt. Sie haben eine Wohnung, ihre berufliche Existenz ist gesichert, es wurde alles getan, was den Menschen möglich ist. Aber man muß auch nüchtern mit schwereren Zeiten rechnen. Umgedreht: Wenn alles gut geht, hat man umzog mehr Grund, dankbar zu sein.

Aber Sie werden sich heute vielleicht doch fragen: Wie finden wir den richtigen Weg? Wie soll es weitergehen? Wo sind unsere Vorbilder. und wer kann uns unter Umständen helfen? Vielleicht ist man in einem solchen Augenblick doch noch etwas zaghaft und kann erst einmal nur unsichere Schritte tun.

Es wird jetzt sicher anders sein als in der Verlobungszeit, weil Sie nun genau wissen, daß Sie für immer zueinander gehören. Das kann Ihnen einen noch engeren Zusammenhalt nach innen und nach außen geben. Sie gehören jetzt stärker zusammen als das alle Bindungen vorher ausdrücken konnten. Ihre Liebe ist das Bindemittel, das sie gegen alle Spaltungsversuche widerstandsfähig macht.

All das ist im Blick, wenn es hier heißt: „Wandelt in der Liebe!“ Gewiß ist das zunächst einmal allen Christen gesagt. Aber für ein christliches Ehepaar gilt es ganz besonders. In der Ehe kann man nämlich noch am besten üben, wie man in Liebe miteinander umgeht. Wenn es in diesem kleinen Rahmen gut geht, dann wird es auch leichter sein, mit anderen Menschen auszukommen. Wer Liebe von klein auf gelernt hat, wird sie dann auch im großen Rahmen üben können.

Die Ehe ist ja nicht nur eine Privatsache. Staat und Gesellschaft wollen alles richtig geordnet wissen. Ihre Angehörigen nehmen großen Anteil daran. Bekannte und Schulkameraden befassen sich damit. Man wird einfach in einen weiteren Kreis hineingestellt. Manchem mag es lästig sein, aber es hat auch wieder seine gewissen Vorteile.

Vor allen Dingen hat die Eheschließung auch etwas mit Gott zu tun. Das haben Sie ja dadurch zum Ausdruck gebracht, daß Sie hier zur Kirche gekommen sind, um getraut zu werden. Es wird sicher eine große Hilfe sein, wenn man bei einem solchen wichtigen Schritt um den Segen Gottes bittet. Man kann nur dann echt in der Liebe wandeln, wenn man sich von der Liebe Gottes umschlossen weiß und sich von ihr tragen läßt.

Deshalb heißt es ja auch in dem Bibelspruch: „Wandelt in der Liebe, wie Christus euch hat geliebt!“ Es gibt noch mehr als die Liebe von Mensch zu Mensch, nämlich die Liebe zu Christus. Aber er hat uns zuerst geliebt, um uns zur Liebe anzureizen.

Daß Sie beide die Liebe Christi jeden Tag neu erfahren mögen, wünschen wir Ihnen von ganzem Herzen. Daß Gott Ihnen der Bezugspunkt Ihrer Ehe werden möge, dafür wollen wir alle beten. In Ihrer menschlichen Liebe mag es auch einmal Eintrübungen geben. Die Beziehungen zu anderen Menschen mögen kurz vor dem Abbruch stehen, trotz aller Belastungen von unserer Seite.

Wir treten ja doch oftmals die Liebe Gottes mit Füßen. Manchmal tut man dem am meisten weh, den man am meisten lieb hat oder von dem man an meisten geliebt wird. Dann sind wir alle nur Menschen und sind auf die Vergebung Gottes und die gegenseitige Verzeihung angewiesen.

Weil Christus uns zuerst geliebt hat, können und dürfen wir auch die anderen lieben und etwas von unserer Liebe an sie weitergeben. Etwas von Ihrer Liebe, die Sie als Eheleute füreinander empfinden, soll auch auf Ihre Angehörigen und Bekannten ausstrahlen, damit sich alle wie eine große Familie fühlen können.

Auch in der christlichen Gemeinde können Sie eine besondere Heimat finden. Sie stehen nicht allein, sondern sind mitgetragen von einer großen Schar von Menschen, die Ihnen auch einmal mit äußerem und innerem Rat zur Hilfe stehen können. Aber das Entscheidende, worauf Sie Ihre Ehe gründen können ist allein die Liebe füreinander und die Liebe Christi zu Ihnen.

„Wandelt in der Liebe, wie Christus euch hat geliebt!“

 

„Der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Argen!“ (2. Thess 3,3)

„Hab ich nur deine Liebe, nach Treue frag ich nicht!“ heißt es in einem Lied. Aber wenn man einmal heute Eheleute fragen würde, die wären wahrscheinlich nicht mit diesem Satz einverstanden. Zur Liebe gehört euch unbedingt Treue dazu. Alles andre ist nur Liebelei, etwas

Unverbindliches, das man jeden Tag wieder rückgängig machen kann.

Liebe und Treue muß einfach auf Dauer angelegt sein, man muß sich einfach dem anderen bedingungslos hingeben, sonst kann man es nicht ehrlich meinen. Wenn man das eben nicht kann, sollte man auch nicht von Liebe sprechen.

Nun heißt es aber hier in diesem Spruch: „Der Herr ist treu!“ Das bedeutet doch wohl: Mit unserer menschlichen Treue ist es manchmal nicht so sehr weit her, da gibt es manche Enttäuschungen trotz aller gegenteiligen Beteuerungen. Wie mancher hat schon ewige Treue

Geschworen und vierzehn Tage später war alles vergessen. Aber Gott läßt uns nicht sitzen, und was er einmal versprochen hat, das wird er auch halten.

Ihnen will er heute bei Ihrer Trauung ganz besonders seinen Segen und seine Treue versprechen. Gleich zu Beginn Ihrer Ehe dürfen Sie hören: Gott will Sie auch weiter auf Ihrem gemeinsamenWeg begleiten. Das ist ein großes Geschenk, das Ihnen da gemacht wird. An Ihnen wird es jetzt liegen, was Sie daraus machen.

Gott gibt sein Versprechen ja, ohne vorher Gegenleistungen zu verlangen. Aber dann ist es doch eigentlich für uns selbstverständlich, daß wir uns dieser Treue als würdig erweisen und so leben, wie er es eigentlich von uns erwartet. Gott stellt heute seine Forderungen an Sie. Aber wer sein Handeln begriffen hat, der weiß, was er jetzt zu tun hat.

Überlegen Sie doch einmal, worin diese Treue Gottes besteht? Hier in unsrem Vers steht: „Der wird euch stärken uni bewahren vor dem Argen!" Sicherlich wird auch manches Arge in ihrer Ehe kommen. Denken wir vielleicht an eine lange und schwere Krankheit. Vielleicht verspüren Sie Neid der Nachbarn oder kommen im Beruf in Schwierigkeiten. Vielleicht kommt einmal wirtschaftliche Not oder das Leben wird aus sonst einem Grunde unruhig. Wir müssen einfach damit rechnen, daß nicht alle Tage Sonnenschein ist.

Natürlich werden wir an so einem Tag nicht schwarzmalen. Es gibt ja auch viel Schönes, das man in einer Ehe erleben darf. Und hoffentlich können Sie dann zur Goldenen Hochzeit sagen: „Das Schöne hat doch überwogen!“ Aber man muß auch nüchtern sein und sich recht zeitig auf alles einstellen, das kommen kann.

Sie haben von nun an den Vorteil, alles gemeinsam erleben zu dürfen, Freude und Leid. Ihre beiderseitigen Gaben können sich ergänzen und die jeweiligen Schwächen können von dem anderen ausgeglichen werden. Das ist die erste Gabe, die Gott Ihnen mit der Ehe schenkt: gegenseitige Unterstützung.

Aber wir wissen alle, daß Menschen mit ihren Möglichkeiten an eine Grenze kommen, so daß höchstens Gott noch helfen kann. Aber es ist nun euch nicht so, daß Gott uns alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Es heißt hier zunächst nur: „Er wird euch stärken!“ Ihr werdet

eine Kraft von Gott empfangen, damit ihr das Schwere durchstehen könnt; aber ihr müßt es selber durchstehen.

Es steht aber auch dann da: „Er wird euch bewahren!“ Also Manches wird Gott in der Tat fernhalten, weil es zu viel für uns würde. Aber die Entscheidung darüber liegt bei ihm, er weiß ja besser als wir, was er uns zumuten kann und was nicht.

Wir können Gott immer wieder bitten, daß er das Arge von uns nimmt oder uns Kraft gibt, es zu bestehen. Auch darauf will die Trauung hinweisen: Wir haben einen Herrn, der über allem steht und an den wir uns immer wenden können: einmal um uns für die erfahrene Hilfe zu bedanken, aber auch, um ihn für die Zukunft zu bitten. Gott hat immer ein Ohr für uns, das sagt er Ihnen heute ganz persönlich zu.

Auf diesen Gott können wir uns verlassen. Daran will Sie Ihr Trauspruch immer wieder erinnern. Er soll eine Hilfe sein in schweren Tagen, aber auch darauf hinweisen, wieviel wir unserem Gott zu verdanken haben. „Gott ist treu, der wird euch stärken und bewahren vor dem Argen!“

 

„Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Zucht!“                                                                          (2. Tim 1 7)

Auch der stärkste Mann empfindet irgendwann im Leben einmal Furcht. E i n e schwache Seite hat jeder, wo man ihn angreifen und in die Enge treiben kann. Vielleicht sonnt er sich im Augenblick noch im Gefühl seiner Stärke, aber im nächsten Augenblick ist er schon klein und hilflos.

Manchmal ist es die Furcht vor einer deutlich sichtbaren Gefahr. Manchmal aber auch ist es eine untergründige Angst, deren Ursache man nicht kennt. Man ahnt nur: Da ist etwas, das mich in Schwierigkeiten bringen kann, aber ich weiß nicht, wie ich ihm begegnen soll oder könnte.

Mit solchen Dingen müssen Sie auch in Ihrer Ehe rechnen. Es wird keinem Menschen leichtgemacht im Leben, jeder hat seine Hindernisse zu überwinden. Denken Sie nur daran, was frühere Generationen alles haben durchmachen müssen, vor allem in den Kriegen. Da dürfen wir froh sein, wenn wir jetzt ruhigere Zeiten haben und nicht gleich mit großen Sorgen und Belastungen in eine Ehe zu gehen brauchen.

Doch erspart wird auch heute niemandem etwas. Natürlich können wir nicht in die Zukunft schauen. Aber man muß auch ganz nüchtern mit allem Möglichen rechnen. Selbstverständlich wollen wir an einem Tag wie heute nicht schwarz malen. Aber es wird sicher nicht nur eitel Freude und Sonnenschein geben.

Deshalb wird uns in diesem Bibelspruch auch gesagt: „Laßt euch nicht von der Furcht überwältigen .Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht. Gott will nicht, daß auch nur eins seiner Menschenkinder Angst haben müßte!“

Doch wer solche Zuversicht von uns verlangt, der muß auch die Macht haben, uns im entscheidenden Augenblick zu beschützen. Man hat gut reden: „Seid nicht furchtsam!“ wenn man selber im ruhigen Hafen sitzt und einem niemand etwas anhaben kann.

Aber Gott k a n n uns beschützen in den mannigfachen Gefahren dieses Lebens. Er hat sich nicht einfach in einen stillen Winkel zurückgezogen, um von dort aus das Weltgeschehen und das Ergehen der Menschen zu beobachten. Er ist vielmehr mitten unter uns und bei den Entscheidungen unseres Lebens mit dabei. Er kann uns auch helfen, wenn wir einmal aus Furcht vor einer Gefahr zurückweichen wollen. Er stärkt uns dann den Rücken und gibt uns einen unbeschwerten Geist.

Dazu gehören nun aber auch drei Dinge von unsrer Seite, die hier aufgezählt werden: Kraft, Liebe und Zucht! All das ist auch für eine Ehe notwendig und hilft mit dazu, alle Furcht und Zaghaftigkeit zu überwinden und zuversichtlich in die Zukunft zu sehen.

Zunächst das Stichwort „Kraft“. Wenn zwei Menschen sich zusammentun, dann haben sie mehr Kraft als je einer allein. Das ist ja das große Geschenk, das Ihnen in der Ehe mitgegeben wird: Sie können sich gegenseitig unterstützen und helfen. Und Sie werden auch viel Kraft brauchen, um mit allen Schwierigkeiten fertig zu werden. Dazu gehört ein unermüdliches Training, um den immer neuen Anforderungen gerecht zu werden.

Dazu gehört aber auch die Unterstützung Gottes, der erst die letzte Sicherheit des Sieges geben kann. Um zusammenstehen zu können zum gemeinsamen Werk braucht man aber auch viel Liebe. Bei Eheleuten sollte das je auch wohl die erste Voraussetzung sein. Die Liebe bringt es fertig, auch einmal über die Fehler des anderen hinwegzusehen und ihm im Versagen wieder aufzuhelfen. Die Liebe freut sich aber auch mit den Erfolgen des anderen und bestärkt ihn noch in allen Fortschritten. Und schließlich kann sie auch trösten, wenn einmal etwas schief gelaufen ist. Vielleicht kann auch die Liebe noch am ehesten alle Furcht überwinden. In der Bibel heißt es einmal: „Völlige Liebe treibt die Furcht aus!“

Das Dritte schließlich wäre das Wort „Zucht“. Wir hören es vielleicht nicht gern. Wir wollen lieber tun und lassen können, was wir wollen, anstatt uns in Zucht zu nehmen. Aber Verzicht und Beherrschung sind eben auch nötig, wenn es gut gehen soll. Wer trainiert, muß auf manches verzichten; aber er wird dann auch umso eher den Sieg erringen. Wer etwas haben will, muß auch etwas geben. Auch das Glück in der Ehe muß man sich erst erringen. Aber verheißen ist es eben jedem.

Wenn Sie sich jetzt auf den Weg machen in Ihre Ehe, dann denken Sie immer an dieses Wort Gottes: „Keine Furcht, sondern Kraft, Liebe und Zucht“. Wer so lebt, dem ist Gottes Hilfe sicher. Lassen Sie sich deshalb in diesem Sinne von Gott führen. Das wird dann ihrem Leben Richtung und Sinn geben.

 

Dienet einander, ein jeglicher mit der Gabe, die er empfangen hat!       (1. Petr. 4,10)

Dieser Spruch war einmal die Losung unsrer Kirche für ein Jahr. Er kann aber auch zur Losung für eine Ehe werden. An so wichtigen Punkten des Lebens sucht man ja manchmal nach einem Bibelwort, das einem Weisung und Hilfe geben kann.

Zunächst klingt es allerdings so wie ein Befehl, dieses: „Dienet einander!“ Wir denken dann an „Diener“ und „Dienstmann“ und verstehen darunter: nichts zu sagen haben, untergeordnet sein, tun müssen, was andere einem vorschreiben.

So wollen wir aber die Ehe nicht verstehen, daß einer dem anderen etwas vorschreibt. Es geht doch nicht, daß sich einer immer nur bedienen läßt und den anderen nach seiner Pfeife tanzen läßt. Wir sprechen doch heute von Partnerschaft, vom gegenseitigen Einsatz füreinander und von gegenseitiger Hilfe, von gleichberechtigten Mitbestimmung beider Partner.

Die Ehe ist doch das erste Spielfeld der Mitmenschlichkeit. Dort können wir üben, was Partnerschaft und Nächstenliebe ist. Wo zwei Menschen in Liebe miteinander leben, da werden sie auch mit anderen Menschen gut auskommen. Wenn es aber schon zu zweit nicht klappt, wie werden sie da mit anderen in Frieden leben können?

Deshalb ist jeder aufgefordert, seine Vorzüge und Stärken in die Ehe mit einzubringen. Das ist ja mit ein Sinn der Ehe: Zwei Menschen tun sich zusammen, um zu zweit besser durchs Leben zu kommen, um sich gegenseitig zu helfen und um sich ergänzen zu können.

Nur wer bereit ist, auch selber etwas zu tun, wird etwas empfangen. Wer viel leistet, kann auch vielerwarten. Deshalb geht es in der Ehe nicht ums Bedienen. Man muß sich die Ehe erst verdienen. Das ist schon ein ganzes Stück Arbeit: Wer sich immer nur bedienen läßt, wird nichts vom Segen der Ehe verspüren.

Einem jeden sind Gaben mitgegeben, die er als Anteil in die Ehe einbringt. Bei aller Gleich­berechtigung gibt es doch nach traditioneller Weise bestimmte Aufgaben, die mehr dem Mann oder mehr der Frau zukommen. Der eine ist vielleicht mehr der Steuermann der dafür verantwortlich ist, daß das Schiff der Ehe auf dem richtigen Kurs bleibt. Und der andere sorgt mehr dafür, daß es eine angenehme Fahrt ist, die man gern mitmacht.

Jeder wird schon selber seine Gaben und Vorzüge kennen. Er wird auch die guten Seiten des anderen kennen, denn die haben ihn ja so anziehend gemacht. So kann einer dem anderen helfen. Der Mann ist vielleicht ein bißchen ruhig und kann ab und zu einmal einen Rippenstoß gebrauchen. Die Frau aber ist vielleicht etwas zu lebendig und aufgeregt, da tut ihr die besonnene Art des Mannes ganz gut. Und selbstverständlich kann es auch genau umgedreht sein. Aber wenn nun beide allein geblieben wären, hätten sich die Anlagen des Einzelnen einseitig weiterentwickelt. So aber können sich die Ecken und Kanten des Einzelnen mit der Zeit abschleifen, zum eigenen Vorteil und zum Wohl der Umwelt.

Wir wollen aus diesem Spruch: „Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat!“ nicht einen harten Befehl heraushören. Wir wollen vielmehr die Verheißung begreifen lernen: Gott hat uns viele Gaben mitgegeben, die wir zum Wohle für den anderen und damit auch zum eigenen Nutzen anwenden dürfen. Wir brauchen uns nicht allein durch die Welt zu schlagen, sondern wir dürfen die Hilfe des Ehepartners erfahren.

Doch das ist noch nicht alles. Es gibt natürlich auch Dinge, wo Menschen nicht wehr weiterhelfen können. Da sind wir dann auf den Beistand Gottes angewiesen. Die Ehe ist natürlich erst einmal ein sehr weltliches und menschliches Geschäft. Aber wer darum bittet, der darf den Segen Gates für diese Aufgabe mitnehmen.

In der Fortsetzung des Spruches heißt es dann: „Dienet einander als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes!“ Gott hat uns manche Gnadengabe mitgegeben. Wir sollen sieverwalten und weitergeben. Auch die Ehe ist solch ein Geschenk, das Gott in unsere Hände gelegt hat. Er will es uns dadurch leichter machen. Er will aber auch als der Dritte mit dabei sein, wenn wir nur seine Hilfe annehmen.

Sie sind heute gefragt, ob Sie dieses Geschenk der Ehe recht verwalten wollen. Sie können das Beste daraus machen. Sie können aber auch den Auftrag Gottes verfehlen. Nur eins steht fest: Wer sich auf Gott verläßt, der wird vielfältige Hilfe von Gott erfahren. Im Vertrauen darauf dürfen Sie Ihren Weg beginnen!

 

„Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorgt für euch!“              (1.Petr 5,7)

Jeder Mensch hat seine Sorgen im Leben: Das fängt an bei den kleinen Kindern, die Hunger haben und versorgt werden wollen von der Mutter, und die heulen, wenn man ihnen Unrecht getan hat oder sie in die Ecke gedrückt hat. Es ist durchaus nicht so, daß die Kinder nur froh und glücklich wären, sie haben auch schon ihre Sorgen und Probleme.

Bei Erwachsenen sieht die Sorge dann meist etwas anders aus: Er hat viel mit seinem Beruf zu tun, muß seinen Mann im Leben stehen und wird von vielen Seiten gefordert und bean­sprucht. Ein erwachsener Mensch weiß auch um sein Versagen, seine Fehler und seine Schwächen. Er spürt sein Unvermögen und ist darüber beunruhigt und sucht immer nach besseren Wegen.

Und ein alter Mensch hat dann auch wieder seine Sorge: Er fühlt sich oftmals überflüssig und nicht mehr geachtet. Die körperlichen Kräfte lassen nach, und auch die Gedenken sind nicht mehr so vorwärtsstrebend wie früher. Man überlegt sich, wie alles weitergehen wird, ob das eigene Leben nicht vergeblich gewesen ist und ob man auch den letzten Gang seines Lebens wird bestehen können.

Kein Lebensalter ist von Sorgen ausgeschlossen. Und selbst bei einem so freudigen Anlaß wie einer Hochzeit bleibt doch noch ein bißchen Ungewißheit. Man macht sich doch immer seine Pläne und möchte, daß alles möglichst schön wird.

Aber wir wissen doch alle, daß wir unser Leben nicht in der Hand haben. Sicherlich können wir viel zu unserem Glück beitragen und manches selber regeln. Aber das letzte Gelingen steht nicht zu unsrer Verfügung. Deshalb sind wir unsicher und blicken oft auch mit Sorgen in die Zukunft.

Doch Gott ruft Ihnen da heute zu; „Alle eure Sorge werfet auf ihn, denn er sorget für euch!“ Wir dürfen alles, was uns belastet, bei Gott abladen und sind es damit ein für allemal los. Deshalb ist ja Jesus für uns gestorben, damit nicht wir alle Last tragen müssen, sondern frei und unbeschwert unser Leben führen können. Wir brauchen auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn wir Gott unsere Sorgen vortragen .Dafür ist er ja da, er will uns ja gerne helfen und bietet uns seine Hilfe extra an.

Eine Hilfe ist natürlich auch‚ daß: Gott Mann und Frau füreinander geschaffen hat. Sie sollen nun in der Ehe einander helfen und beistehen in allen Dingen dieses Lebens. Wir müssen in unserem Leben nicht allein bleiben‚ sondern haben immer einen Menschen bei uns, der uns die Last des Lebens tragen hilft und uns Freude-und Vertrauen schenkt.

Gott will aber auch, daß in der Ehe einer den anderen achtet und ehrt, trägt und duldet. Wir erfüllen dann Gottes Willen, wenn wir in guten und schweren Tagen zusammenstehen und Freude und Leid, Erfolg und Enttäuschung miteinander teilen. Wir können dann auch Gefahren und Versuchungen gemeinsam bestehen und aller Uneinigkeit wehren. Gott fordert auch, daß wir einander vergeben, wenn das nötig ist.

Die Ehe gilt für die Zeit des Lebens. Deshalb will Gott auch, daß die Eheleute Liebe und Treue zueinander haben. Er verspricht Ihnen seine Treue für Ihr ganzes Leben. Deshalb erwartet er auch, daß Sie ihm Treue halten und auch untereinander treu sind.

Gott hat zuerst für uns gesorgt. Deshalb sollen wir auch füreinander sorgen, nicht nur die Eheleute füreinander, sondern auch für andere. Eine Ehe hat noch nicht ihren Sinn erfüllt, wenn sich zwei Menschen miteinander abkapseln‚ sondern nur wenn sie offen sind für andere und ihnen zu Hilfe kommen.

Dazu sind wir am ehesten in der Lage‚ wenn wir uns gemeinsam an Gottes Wort halten und am Gemeindeleben teilnehmen und wenn wir anderen Menschen in der Gemeinde und in der Welt dienen, je nach den Fähigkeiten, die man hat, als Einzelner oder auch gemeinsam als Ehepaar. Wer das beherzigt, braucht nicht sorgenvoll in die Zukunft zu sehen. Gewiß, Gott räumt uns nicht alle Steine aus dem Weg. Er ist nicht dazu da um es uns nur leicht und bequem zu machen. Aber wenn wir auf ihn vertrauen, werden wir es mit seiner Hilfe schon schaffen.

Wir als christliche Gemeinde wollen für Sie, das Ehepaar, beten. Wir wissen, daß Sie keinen leichten Weg gehen. Aber wir vertrauen darauf, daß Sie die Gnade Gottes nicht verspielen und daß Sie den Weg finden, der Ihnen nach Gottes Willen vorbestimmt ist. Nur mit Gott wird es ein guter Weg sein. Aber wenn Sie sich zu ihm halten, dann dürfen Sie gewiß sein, daß sich dieser Bibelspruch bewahrheitet und eine Hilfe sein wird: „Alle eure Sorge werfet auf ihn‚ denn er sorget für euch!“

 

„Hat uns Gott geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben!“      (1. Joh 4,11 )

„Warum geht es in der Welt denn so zu?“ fragen wir uns doch oft. „Warum muß es Krieg geben zwischen den Völkern und Streit zwischen den Menschen? Warum machen wir uns denn das Leben gegenseitig so schwer? Es könnte doch auch anders gehen, mit etwas mehr Verständnis und Zuvorkommenheit?

Woran liegt es wohl, daß kein Friede auf Erden ist? Weil die wenigstens Menschen begriffen haben, daß Gott schon Frieden mit uns geschlossen hat. Weil er aber keinen Streit mit uns sucht, sollten wir uns auch untereinander vertragen können. Gott will nicht, daß es Streit unter den Menschen gibt, weil er uns liebhat: „Hat uns Gott geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben!“

Unsere menschliche Liebe steht also nicht im luftleeren Raum, sondern sie ist umschlossen von der Liebe Gottes. Wir können nicht sagen: „Liebe ist unsre Privatsache und unsere eigene Erfindung!“ Sondern nur weil Gott uns geliebt hat, können wir uns auch untereinander lieben.

Wenn wir im Winter eine feurige Kohle in den Schnee werfen, dann ist sie bald verglüht, die Kälte bringt sie schnell zum Verlöschen. Wenn sie weiterbrennen soll, braucht sie andere glühende Kohlen. Aber allein ist sie verloren.

So ist es auch mit unserer menschlichen Liebe: Sie muß sich an der Liebe anderer Menschen erwärmen können, und sie muß immer wieder neue Nahrung von Gott her erhalten, sonst verkümmert sie und erlöscht. Gerade in einer Ehe wird das ja deutlich: zwei Menschen tun sich zusammen, um sich gegenseitig helfen zu können und um gegenseitig diese Liebe üben zu können. Die Ehe ist das erste Spielfeld der Mitmenschlichkeit. Das ist eben die Verheißung, die einer Ehe mitgegeben wird: Gott hat das von Anfang an so eingerichtet, damit niemand allein in der Welt zu stehen braucht. In der Ehe dürfen wir die Fürsorge Gottes ganz besonders erfahren.

Aber dann wollen wir dieses Geschenk Gottes auch achten und bewahren und nicht mutwillig Wasser auf die Glut schütten. Gott hat uns mit der Ehe auch eine große Verantwortung auferlegt, die wir nicht von uns aus abschieben können.

Aber auch rein aus Vernunftgründen wäre das dumm: Unsere Welt ist kalt und frostig genug. Da sollten wir es nicht von uns aus noch schlimmer machen, sondern uns über die warmen Feuerstellen freuen und über sie wachen. Mit einem Geschenk geht man sorgfältig um - oder man wird es wieder verlieren.

Gottes größtes Geschenk haben wir an Weihnachten erhalten: Die Geburt seines Sohnes. Hier hat Gott seine ganze Liebe gezeigt, als er sich diese kalte Welt hineinbegab, um den Menschen wieder Wärme und Geborgenheit zu bringen.

Er kam aber auch, um uns die Vergebung Gottes zu übereignen. Deshalb sollen auch wir Vergebung untereinander üben. Gerade in einer Ehe ist das immer wieder notwendig. Aber wenn Gott den ersten Schritt getan hat, dann können wir auch den zweiten tun.

Drei Dinge haben wir nun bedacht, die Gott uns Menschen schenkt, die er gerade auch Ihnen für Ihre Ehe schenken will: seinen Frieden, seine Liebe und seine Vergebung. Jedem Ehepaar gibt er diese Verheißung mit. Das ist sein Kapital, das er für die Ehe einzahlt. Darauf können Sie sich ganz fest verlassen, das steht Ihnen zur Verfügung. Gott hat seinen Teil dazu beigetragen. Nun sind Sie gefragt, ob Sie sich in diese gute Ordnung Gottes hineinstellen wollen und sich auch von ihr tragen leasen wollen.

Ihnen gilt heute die Zusage: „Gott hat uns geliebt und liebt uns auch jetzt noch!“ Gott will bei dieser Ehe dabei sein. Seine Liebe soll Ihnen helfen, Ihre menschliche Liebe zu festigen und zu bewähren. Ohne ihn wird alles nur schwerer, aber mit ihm haben Sie eine große Hilfe. So möge Sie denn dieser Trauspruch ihre ganze Ehe über begleiten: „Hat uns Gott geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben!“

 

„Werfet euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat!“   (Hebr.10,35)

Im Zusammenleben der Menschen geht es nicht ohne Vertrauen ab. Man kann ja nicht alles kontrollieren, man kann nicht hinter jeden noch einen Polizisten stellen. Jeder Vorgesetzte muß einfach Vertrauen zu seinen Angestellten haben. Gewiß kann er manches auch kontrollieren und er kann Stichproben machen .Aber er muß doch auch das Zutrauen haben, daß es auch so ehrlich und zu vierlässig zugeht.

Ebenso müssen die Eltern ihren Kindern Vertrauen schenken. Schon in der Schule hat man sie nicht mehr unter den Augen. Je größer die Kinder werden desto mehr sind sie auf sich selbst gestellt und müssen in die Freiheit entlassen werden. Die ganze Erziehung hat ja eigentlich nur die Aufgabe, heranwachsende Menschen zu verantwortungsbewußten und selbständigen Gliedern der Gesellschaft machen. Das geht aber nur, wenn sie es lernen, sich des Vertrauens der Eltern als würdig zu erweisen.

Erst recht ist das Vertrauen aber nötig in der Ehe. Da kann ein Ehepartner unmöglich den anderen mit Hilfe eines Detektivs überwachen. Wenn das geschieht, dann ist die Ehe zerbrochen. Wenn man schon heiratet‚ dann muß man sich bedingungslos einander anvertrauen, sonst läßt man es lieber sein.

Sicherlich wird sich im Laufe einer Ehe manches ändern. Aber das dürfte sich nicht auf das Vertrauen erstrecken, das soll doch immer gleich bleiben. Es kann sein, daß man seine Ansicht ändert, daß man immer noch viel Neues entdeckt und die guten und die schlechten Seiten des Ehepartners immer besser erkennt. Aber das Vertrauen bleibt sich immer gleich.

Die heutige Zeit bringt es nun einmal mit sich, daß Mann und Frau öfters getrennt sind. Meist haben sie getrennte Arbeitsstätten und oftmals muß einer aus beruflichen Gründen ganz außerhalb sein. Dort kommt er dann auch mit anderen Menschen zusammen und stellt vielleicht Vergleiche an. Aber dennoch muß sich hier einer auf den anderen verlassen können. Er muß ganz sicher wissen: er (oder sie) bleibt mir treu! Wenn dieses Vertrauen nicht da ist oder nicht mehr da ist, dann ist die Ehe praktisch zerbrochen.

Aber genauso wichtig ist, daß wir auch Vertrauen zu Gott haben. Er wirbt um unsere Zuneigung und verspricht uns dazu seine Hilfe. Vielleicht ist ein Vertrauen in der Ehe nur möglich, wenn man auch Vertrauen zu Gott hat. Oder vielleicht muß man es auch umgedreht sagen: Nur wer im menschlichen Bereich Vertrauen erfahren hat, wird auch Vertrauen zu Gott fassen können.

Beides hängt wahrscheinlich doch miteinander zusammen und bedingt einander. Aber sicherlich ist es eine große Hilfe für unsre menschlichen Probleme, wenn diese Beziehung zu Gott mit da ist. Man bleibt dann nicht nur im kleinen eigenen Bereich stecken‚ sondern weiß sich umfangen von der größeren Ordnung Gottes.

Gott hat auch Sie in Ihre Ehe hineingestellt und will Ihnen für Ihr Unternehmen seine Hilfe zusagen. Es ist sicherlich nicht immer einfach in einer Ehe. Es kommen auch einmal schwere Stunden, wo man Belastungen und Schwierigkeit er ausgesetzt ist. Diese muß man dann gemeinsam bewältigen.

Aber sicherlich wird vieles leichter, wenn man dann noch einen Dritten dazu hat, den man gemeinsam ins Vertrauen ziehen kann .Das ist schon so, wenn Sie einen Menschen aus Ihrer Verwandtschaft oder Bekanntschaft finden, der diese Aufgabe mit übernehmen kann. Aber vor allen Dingen können Sie immer auf Gott rechnen. Wir dürfen ihm unsere Fragen und Anliegen im Gebet unterbreiten, und er wird sie hören.

„Werfet euer Vertrauen nicht weg!“ Das heißt doch, daß wir immer auf Gott vertrauen dürfen. Wer an seiner Zuverlässigkeit zweifelt, der wirft sein Vertrauen weg, so wie man eine leere Pappschachtel achtlos auf den Müll wirft.

Aber umgedreht gilt auch: Wer sein Leben von Gott bestimmt sein läßt, der wird auch eine große Belohnung dafür erhalten. Sicher hat ein Ehepaar, das in der Kirche getraut wurde, keine materiellen Vorteile. Aber es hat eine Richtschnur für sein Leben und die Ehe. Man muß nicht blindlings in der Welt herumtapsen, sondern darf im Vertrauen auf Gott seinen Weg gehen. Gott vertraut darauf, daß Sie sich als Ehepaar seiner würdig erweisen. Und wenn Sie das tun, dann wird vielleicht auch ganz äußerlich sichtbar der Segen Gottes auf Ihnen ruhen.

 

„Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade!“                                           (Heb. 13,9)

Es ist nicht gut, wenn man ein zu weiches Herz hat, denn dann wird man leicht von den anderen ausgenutzt. Wer immer nur nachgibt und alles duldet oder erduldet, der vernachlässigt seine Aufgaben. Liebe ist nicht, daß man alles auf sich nimmt und zu allem still ist, sondern wenn man gemeinsam das Richtige sucht.

Man kann nicht mit dem Mantel der christlichen Liebe das zudecken wollen, was eigentlich durchgestanden werden muß. Wenn einer sich etwas hat zuschulden kommen lassen, dann kann man nicht stillschweigend darüber hinweggehen. Damit wäre den Betreffenden ja nicht geholfen und es würde beim nächsten Mal nur schlimmer. Man muß auch einmal etwas sagen können und darf nicht zu weich sein.

Umgedreht ist es aber auch nicht gut, wenn man ein hartes Herz hat. Manche Menschen weiden sich gerade daran, wenn sie einen anderen quälen können. Sie haben kein Erbarmen mit der Not und den Schwierigkeiten der anderen und gehen rücksichtslos vor. Hart ist auch der, der gleichgültig geworden ist gegenüber dem Menschen neben sich, der alles zu selbstverständlich hinnimmt und keine Dankbarkeit und keine Gegenleistung zeigt. Manchen ist auch gar nicht bewußt, wie sehr er einem anderen auf die Nerven fällt oder Druck auf ihn ausübt. Er meint es ja nur gut ist aber in Wirklichkeit ein schlimmer Tyrann.

Diese Erscheinungen kennt man auch von der Ehe, daß einer ein zu weiches oder ein hartes Herz hat. Dadurch wird aber das Zusammenleben sehr erschwert, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Deshalb lohnt es sich sicher, an Beginn einer Ehe über diese Fragen nachzudenken.

Der Hebräerbrief empfiehlt ein festes Herz. Wer ein festes Herz hat, der geht die notwendigen Kompromisse ein und sucht einen gesunden Mittelweg. Gerade in einer Ehe hat man Zeit und Gelegenheit, gewissermaßen spielerisch herauszufinden, was sachgemäß ist. In vielen Fällen wird man aber erst noch das richtige Gespür für die besten Möglichkeiten finden.

Wer ein festes Herz hat, der nimmt einen sicheren Standpunkt ein. Er läßt sich nicht gleich von jeder Schwierigkeit umwerfen oder von einem anderen beeinflussen. Da gilt es fest zu bleiben gegenüber Einmischungsversuchen von außen und die eigenen Pläne fest verfolgen.

Sicher werden wir aus besserer Einsicht heraus dann doch manche Abstriche machen müssen. Wir werden auch auf den Rat anderer hören. Aber die Entscheidung wird niemandem ab­genommen.

Natürlich will jeder auch immer ein wenig seinen eigenen Standpunkt behaupten. Das ist auch bei Eheleuten so. Jeder Mensch ist doch einmalig und unverwechselbar, er kann gar nicht so werden wie der andere oder in allen Dingen mit ihm übereinstimmen. Aber das ist ja auch gar nicht nötig. Sie sollen nur aufeinander zugehen, sich gegenseitig beeinflussen, das Für und Wider gegeneinander abwägen und dann am Ende auch zu einer gemeinsamen Entscheidung finden.

Es ist auch schön, wenn man an dem anderen immer noch Neues entdecken kann, wenn er nie langweilig wird, sondern immer noch überraschend ist. Hoffentlich bleibt der andere immer noch das unbekannte Wesen, auch wenn man soviel von ihm kennt wie kein anderer Mensch. Man darf vieles gemeinsam haben in der Ehe. Aber man muß doch immer die eigene Persönlichkeit des anderen achten.

Wenn Sie nach dieser Regel verfahren -fest, aber nicht hart, Verständnis und nicht Rechthaberei - werden Sie es gut im Leben haben. Das verheißt Ihnen heute der, der der Herr alles Lebens und aller Menschen ist. Er will bei Ihrer Ehe mit dabei sein und will Ihnen dieses feste Herz geben.

Nicht ohne Grund heißt es am Schluß des Verses: "welches geschieht durch Gnade!“ Wenn wir aus eigener Vollmacht unser Herz fest machen wollen, dann wird es sich verhärten und zu nichts mehr taugen. Diese rechte Einstellung muß uns schon von Gott geschenkt werden, sonst werden wir sie nicht erlangen. Gott steht über den Dingen. Wir stecken zu sehr mitten­drin, daß es uns an dem rechten Überblick fehlt und wir leicht einseitig werden.

Gott aber will uns davor bewahren. Das ist das Schöne, das Sie heute erfahren: Gott verspricht Ihnen seine Hilfe, weil er weiß, daß man das nicht allein schaffen kann. Es wird Ihnen heute also ein Angebot gemacht. Wenn Sie leichtfertig daran vorbeigehen, werden Sie es schwerer haben.

Sie werden aber seinen Segen spüren dürfen. Ihr Leben lang, wenn Sie sich diesem Gott anvertrauen. Er hat schon vielen vor Ihnen geholfen. Seine Gnade hat auch heute noch kein Ende. Er will Sie immer aufs Neue in seine Gemeinschaft rufen. Unter seinem Schutz werden Sie sicher gehen bis an Ihr Lebensende.

 

 

„Der Gott des Friedens mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was vor ihm gefällig ist durch Jesus Christus!“                (Hebr. 13,21)

Tun wir den Willen Gottes wenn wir eine Ehe schließen? Ja, sagt die Bibel: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, ich will ihm eine Gehilfin machen!“ Aber mit dieser Tatsache allein ist es noch nicht getan. Gott hat zwar eine äußere Ordnung aufgerichtet und gesagt:" „Es war sehr gut so!“ Aber dieses Gehäuse muß erst noch mit Leben erfüllt werden; die Menschen, die in dieser Ehe stehen, müssen sie erst nach dem Willen Gottes ausgestalten Wie sieht dieser Wille Gottes aus? Vielleicht kann uns dieser Vers aus dem Hebräerbrief einen Hinweis dazu geben.

Es geht zunächst um zwei Begriffe: „Frieden“ und „das Gute“. Gott ist ein Gott des Friedens. Er will Frieden haben zwischen den Völkern, Kollegen, Verwandten und auch zwischen Eheleuten. Sie haben jetzt als Eheleute die große Möglichkeit, den Frieden Gottes in ihrer Ehe beispielhaft darzustellen. Wenn das im kleinen Raum der Ehe nicht gelingt. Wie soll es dann im größeren Rahmen klappen?! Umgekehrt werden von einem guter Zusammenleben in der -Ehe starke Kräfte in die Umwelt ausstrahlen.

„Der Weg zu Gottes Frieden fängt mit kleinen Schritten an!“" heißt es in einem Lied. Sie haben jetzt die Möglichkeit, einige Schritte auf diesem Weg zu gehen. Eheleute kennen sich gut, sie wissen am ehesten, was der andere braucht und was er nicht leiden kann. Deshalb können sie auch am ehesten das Gute tun.

Gott will das Gute von uns. Er hat dem Menschen viele gute Kräfte gegeben, damit er für sich und für andere das Gute tue. Er hat uns die Augen gegeben, damit wir uns an dem anderen freuen, aber auch seine Not erkennen. Er hat uns die Hände gegeben, damit wir uns selber helfen können, aber auch dem anderen in Schwierigkeiten beistehen können. Er hat uns die Füße gegeben, damit sie uns tragen, wohin wir wollen, aber auch um für andere einen Weg zu erledigen.

Gott hat uns aber auch ein liebendes Herz gegeben, damit wir überhaupt erst einmal fähig sind zum Frieden und zum Guten. Das liegt nicht von Anfang an im Menschen drin. In der Bibel heißt es im Gegenteil: „Das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an!“ Gott aber will, daß wir das Böse in uns überwinden. Und er gibt uns auch die Möglichkeit und die Kraft dazu. Ja, er gibt uns sogar noch einen zweiten Menschen dazu, damit er helfen kann bei dieser gemeinsamen Aufgabe. Eine Ehe hat viele Aufgaben; aber diese ist eine besonders wichtige.

Allerdings muß Gott uns erst tüchtig dazu machen. Aus eigener Macht würden wir gar nichts erreichen. Im Gegenteil: dann verrennt man sich nur immer mehr. Eine Ehe kann man deshalb immer nur beginnen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Sie ist nicht nur eine Privatabmachung zwischen zwei Menschen, sondern sie vollzieht sich unter de- Augen Gottes. Er hat seine Vorstellungen und Forderungen, aber er will Sie auch, auf Ihrem Weg begleiten, wenn Sie sich von ihm führen lassen.

Wenn Sie den Schutz Gottes begehren, dann wird er auch mit seinem Segen bei Ihnen sein. Wer seinen Willen tut, der wird dann auch tüchtig sein in allem Guten. Die Möglichkeiten dafür liegen für uns offen, man braucht sie nur zu ergreifen. Gott hat das Seine getan. Der nächste Schritt liegt nun auf Ihrer Seite.

Aber dann kann auch in der Ehe entstehen, was vor Gott wohlgefällig ist. Gott will, daß Sie einander lieben, daß Sie sich beistehen in aller Not und Gefahr. Er will, daß Sie ein Vorbild sind für andere als christliche Eheleute so leben, daß andere dadurch gestärkt und vor einer solchen Lebensweise angezogen werden.

Natürlich ist das nicht immer leicht. Wir sind alle nur schwache Menschen, die mit Fehlern belastet sind. Manches gelingt auch bei allem guten Willen nicht. Damit muß man rechnen,

darf sich aber dadurch nicht dadurch aus der Bahn werfen lassen. Gottes Güte reicht weiter als unsere Schuld und unser Versagen.

Es gibt auch viele Menschen, die ein solches Ehepaar mit ihrer Fürbitte geleiten. Sehr oft wird im Gottesdienst für die Eheleute gebetet und zu deren dürfen Sie sich ja nun auch rechnen. Vielleicht schließt auch der eine oder andere aus der Verwandtschaft Sie ins Gebet mit ein.

Jedenfalls rechnen wir alle, die wir hier aus Anlaß ihrer Eheschließung zu einem Gottesdienst versammelt sind, daß sich dieses Wort aus dem Hebräerbrief an ihnen und in Ihrer Ehe erfülle: „Der Gott des Friedens mache euch tüchtig in allem Guten, zu tun seinen Willen, und schaffe in uns, was vor ihm gefällig ist durch Jesus Christus!“

 

 

Ehejubiläum

 

„Bis hierher hat der Herr uns geholfen!“    (1. Sam 7, 12)

Natürlich halten wir an einem solchen Tag Rückschau auf ein halbes Jahrhundert einer Ehe. Nicht alle von denen, die damals getraut wurden, dürfen diesen Tag erleben. Es war damals sicher keine leichte Zeit.... und die Zukunft war ungewiß.

Aber aus einer solchen Lage heraus wurde dieses Bibelwort gesprochen: „Bis hierher hat der Herr uns geholfen!“ Die Israeliten sind von ihren Nachbarn überfallen worden; sie sind verloren, wenn Gott ihnen nicht hilft. Da bitten sie den Propheten Samuel: „Bete zu Gott, schreie zu ihm, daß er uns helfe aus der Hand der Feinde!“ Und nun hatte Gott geholfen, Israel hatte gesiegt. Zum Dank stellt Samuel den „Stein der Hilfe“ auf und sagt: „Bis hierher hat der Herr uns geholfen!“

Zweierlei können wir aus diesem Vorgang lernen: Wenn man in Not ist, dann hilft nichts anderes als beten. Gott muß die Not kennen, dann kann er sie auch wenden. Natürlich heißt das nicht, daß wir die Hände in den Schoß legen sollen und gar nichts tun. Das haben Sie sicher auch nicht getan, wenn es einmal Schwierigkeiten zu meistern gab.

Aber vielleicht haben Sie dabei doch auch gespürt: Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren!“ Wir können uns noch so mühen und abplagen - wenn Gott seinen Segen nicht dazu gibt, ist alles vergeblich.

Nach 50 Jahren zieht man Bilanz und fragt sich: „Was habe ich erreicht im Leben? Kann ich zufrieden sein?“ Man nimmt sich doch manches vor, wenn man jung ist. Aber vieles läßt sich dann eben nicht verwirklichen. Von hinten her sieht manches anders aus, da muß man das Scheitern mancher Pläne zugeben.

Aber man hat auch manches erreichen können, wenn auch oft nur noch großem Kampf und vielen Mühen. Vielleicht wäre es auch gar nicht so schön, wenn einem alles in den Schoß fiele. Aber am Ende darf man dann dankbar bekennen: Mit Gottes Hilfe haben wir den heutigen Tag erreicht. Wir wollen das nicht als selbstverständlich hinnehmen, sondern sagen: „Bis hierher hat der Herr uns geholfen!“

Sicher hat jeder sich auch selber viel helfen können. Bei anderen Dingen hat der Ehepartner und nachher die Kinder helfen können. Dazu ist die Familie ja da, daß man sich gegenseitig hilft. Manchmal hat man auch getreue Nachbarn und Freunde, die mit einspringen, wenn einmal Not am Mann ist. Aber man darf sich glücklich schätzen, wenn man Gott zum Beistand hat und dankbar bekennen kann: „Er hat mir auch geholfen!“Dann hat man eigentlich die richtige Hilfe erfahren.

Wenn man aber solche guten Erfahrungen gemacht hat, dann wird man sich auch weiter auf diesen Herrn verlassen. Dann wird man gleich vor vornherein die eigene Schwäche erkennen und einsehen und sich von Anfang an auf Gott verlassen.

Doch auch der Dank nach der geschehenen Hilfe sollte man nicht vergessen. Viele lassen sich ja gerne helfen. Aber sie nehmen die Hilfe als selbstverständlich hin und begreifen gar nicht, daß sie ein unverdientes Geschenk ist. Dankbarkeit ist aber nicht nur eine Sache der Höflichkeit, sondern ein inneres Bedürfnis, wenn man die Hilfe Gottes erfahren hat.

Vielleicht könnten Sie jetzt manches erzählen von den Schwierigkeiten, in denen Sie gestanden haben, seien sie wirtschaftlicher, beruflicher oder familiärer Art.

Vielleicht könnten Sie aber auch erzählen, wie oft Gott Ihnen durch alle Nöte und Schwierigkeiten hindurchgeholfen hat.

Und vielleicht könnten Sie davon auch weitersagen an Ihre Kinder und Enkel. Die ältere Generation hat ja vor allem die Aufgabe‚ ihre guten und schlechten Erfahrungen auch Jüngeren weiterzugeben, damit diese dann eines Tages auch einmal das Gleiche sagen können.

Damit sind wir bei einem dritten Punkt. Zuerst hatten wir gesagt: „In Not kann uns nur Gott helfen“ und „Wir sollen ihm dafür danken!“ Aber er verspricht uns auch für die Zukunft seine Begleitung. An so einem Tag wie heute wollen wir auch den Blick nach vorne richten und unsre Zuversicht weiter auf den Herrn setzen.           

Der Gott, der Sie 50 Jahre lang durch die Ehe begleitet hat, der wird Sie auch weiter führen. Heute erneuert er mit ihnen den Bund, den er Ihnen vor einem halben Jahrhundert zugesagt hat. Was sich bewährt hat, sollte man auch weiter beibehalten. Gott jedenfalls möchte weiter ihr Gott sein. Er möchte mit Ihnen zu tun haben und Ihnen nahe sein. An Ihnen liegt es, ob Sie in seinem Bund bleiben wollen und was sie aus dieser Zusage machen. Eins steht fest: Mit diesen Gott können Sie es wagen!

 

„Wer bin ich, Herr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast!“                                                                                                               (2. Sam 7 ,18 )

Wenn man heiratet, dann wünscht mach sich natürlich, daß man möglichst lange beisammen bleiben kann. Das ist ja eigentlich der Hauptsinn der Ehe: Man ist nicht mehr allein, sondern darf mit einem anderen zusammen alle Probleme angehen. Und eigentlich soll das doch

nie ein Ende nehmen.

Dennoch wagt bei der Hochzeit kaum einer schon an die Goldene Hochzeit zu denken. Wir wissen ja auch, daß es nur verhältnismäßig wenigen vergönnt ist, ein halbes Jahrhundert in der Ehe zusammenzuleben. Zuviele Lücken werden durch den Tod gerissen. Keiner kann sicher sein, ob er das Alter von 70 oder 80 Jahren erreicht.

Deshalb darf man Gott umso dankbarer sein, wenn man dieses Fest der Goldenen Hochzeit erleben darf. Und man kann sich schon fragen: „Wer bin ich, Herr, und was ist mein Haus, daß du mich bis hierher gebracht hast!“

Man kann nur staunen, wenn man so sehr die Gnade Gottes verspürt hat. Verdient hat es nämlich keiner, im Gegenteil: Manchmal wäre es vielleicht besser, wenn unserem Leben ein Ende gesetzt würde, damit sich nicht noch mehr Böses bei uns aufhäuft.

Wenn uns aber trotzdem noch Zeit gelassen wird, dann sollten wir das ausnutzen. Und so ein Tag zum Gedächtnis der Trauung ist auch mit dazu da, daß man seinen vergangenen und seinen künftigen Lebensweg überdenkt und in Zukunft vielleicht doch noch manches anders macht als bisher. Gott gibt uns jedenfalls die Möglichkeit, immer noch einmal alles zu überprüfen.

Für jeden sind dabei die Chancen gleich. Gott behandelt nicht alle Menschen gleich, wenn es um die Zahl der Lebensjahre geht. Da gibt es Unterschiede, die wir nicht erklären können und die ihren Grund in einem Beschluß Gottes haben. Aber gleich ist für jeden die Möglichkeit, in jedem Augenblick seines Lebens neu mit Gott anzufangen. Dazu ist keiner zu jung und keiner zu alt.

Gott führt uns manchmal sonderbare Wege. Manchmal macht er solche Umwege, daß man meint, er komme nie an sein Ziel. Aber eines Tages hat er den Menschen doch eingeholt und nimmt ihn in seinen' Dienst. Umgedreht kann er einen Menschen auch verschlungene Wege führen und am Ende sagt der Betreffende doch: „ Es war richtig so!“

Sie, liebes Jubelpaar, haben neben vieler Freude sicher auch manches Leid erfahren. Wir staunen oft darüber, wo Gott uns in unserem Leben hinbringt. Zunächst mag manches wie ein Nachteil aussehen. Aber dann spüren wir doch, welch großes Geschenk uns da gemacht wird. Und wir wundern uns darüber, daß wir für würdig gefunden wurden, dieses Geschenk zu empfangen.

Wir können ja nichts dazu tun. Wir können unser Glück nicht sichern und wir können unser Leben nicht sichern. Wir können uns höchstens so verhalten, daß wir dem Handeln Gottes nicht entgegenarbeiten. Dann wird uns Gott schon dahin bringen, wo er uns hinhaben will und wo es am besten für uns ist.

Gott will aber nicht nur mit einem Einzelnen zu tun haben, sondern mit dem ganzen „Haus“, d.h. mit der ganzen Familie. Er sieht uns immer in der Verbindung zu anderen Menschen. Gerade bei der Goldenen Hochzeit wird das ja deutlich, wie Gott immer z w e i Menschen durchs Leben geführt hat.

Wir dürfen froh sein, daß wir einen solchen Gott haben, der nicht nach unseren Verdiensten und Leistungen fragt, sondern uns so nimmt, wie wir sind. Das wollen wir ihm nie vergessen.

Heute erneuert er den Bund, den er vor 50 Jahren mit Ihnen geschlossen hat. Aber auch Sie sollen ihm wieder ihr Jawort geben. Wenn man begriffen hat, was Gott für uns tut, dann sollte das doch nicht zu schwer fallen.

Wir wissen nicht, was die nächsten Jahre bringen werden. Aber eins wissen wir: Es können Jahre mit Gotte sein, wenn wir uns jetzt wieder seines Beistandes versichern. Gott will uns helfen, er will uns und alle unsre Lieben führen und geleiten. Er streckt uns immer wieder seine Hand entgegen und wir brauchen sie nur zu ergreifen und uns führen lassen.

Wir sind schon etwas bei Gott. Wir sind nicht nur eine Nummer, sondern von ihm geliebte Menschen. Er denkt groß von uns. Da sollten wir uns auch dieses Vertrauens als würdig erweisen und uns zu ihm halten. Es wird uns nicht schlecht dabei ergehen.

 

 „Unser Gott, wir danken dir und rühmen deinen herrlichen Namen. Von dir ist alles gekommen und von deiner Hand haben wir dir's gegeben!“ (1. Chron 29,13-14)

Vielleicht sieht nicht jeder ein, daß man nach 50jähriger Ehe auch Grund hat zum danken. Mancher wird sagen: „Was ich mir im Leben geschaffen habe, das ist doch alles mein Werk. Da hat mir kein Gott und kein Mensch geholfen! Ich werde auch weiterhin alles allein schaffen!“

Doch Sie sind hierher zum Gotteshaus gekommen, um Gott zu danken für alle seine Wohltaten. Sie sind ja in einer Zeit getraut worden‚ als es nicht leicht war. „Wie gewonnen, so zerronnen!“ konnte man sicher manches Mal von den Dingen sagen, die man sich erworben hatte. Aber irgendwie ist es doch immer wieder weitergegangen, hat sich doch noch ein Weg gefunden.

Das war auch ein Werk unsres Gottes, der keinen allein läßt, der ihn braucht. Er hat doch immer wieder weitergeholfen und alles noch zu einem guten Ende geführt. Heute hat er Ihnen nun diesen Tag beschert.

In der heutigen Zeit ist ein solches Fest nicht mehr ganz so selten wie früher. Aber es ist doch immer ein ganz großes Geschenk der Gnade Gottes, wenn man einen solchen Tag erleben darf. Sehr viele Ehepaare sind längst auseinandergerissen worden. Sie aber dürfen im Kreise Ihrer Lieben und hier im Gotteshaus ein solches Jubelfest begehen.

Allerdings wollen wir auch nicht die schweren Tage vergessen. Keiner hat es nur leicht gehabt im Leben. Aber heute haben doch immerhin den Vorteil, daß sie alles gemeinsam tragen und bewältigen können. Und schließlich ist ja auch Gott da, der Hilfe und Stärkung in den schweren Zeiten gibt. Auch wenn sich natürlich das Alter bemerkbar macht und die Gesundheit nicht mehr ganz so ist wie früher, so dürfen Sie dennoch dankbar sein, auch für all die anderen Dinge, die in Ordnung sind; alles auf einmal kann man eben selten haben.

Diese Bibelworte aus dem 1. Chronikbuch: „Unser Gott, wir danken dir und rühmen deinen herrlichen Namen. Von dir ist alles gekommen und von deiner Hand haben wir dir's gegeben!“ stehen in einem Dankgebet des Königs David. Er hatte zu Spenden aufgerufen für den Bau eines Tempels. Die Gemeinde hatte tüchtig gegeben. Der König bedankt sich aber nicht nur bei den einzelnen Spendern, sondern bei Gott, der ihnen erst die Möglichkeit zum Opfer gegeben hat.

Das eine schließt also das andere nicht aus. Wenn wir etwas geleistet haben im Leben können wir uns für uns selber freuen. Aber wir sollten auch dem Dank an Gott nicht vergessen, der uns das erst alles ermöglicht hat.

Gott verurteilt uns nicht zur Untätigkeit. Er will unseren Einsatz und unser Bemühen. Aber letztlich müssen wir wie David sagen: „Was bin ich schon? Von dir ist alles gekommen! Und was wir dir geben, das haben wir doch alles nur von dir empfangen!“ Alles, was wir sind und haben‚ kommt doch von Gott. Wir geben nur weiter, was er uns zuvor gegeben hat.

Das ist wie bei einem Kind, das seinen Eltern etwas schenkt. Die Mittel dafür hat es doch vorher von den Eltern erhalten. Nun verzichtet es auf einen Teil davon und gibt ihn voller Dankbarkeit zurück. Die Eltern freuen sich sehr darüber, obwohl sie doch im Grunde nur das Eigene wieder erhalten. Aber inzwischen ist es eben doch durch die Liebe des Kindes angereichert worden und zu einem echten Geschenk geworden.

So freut sich auch Gott über jeden kleinsten Dank, den wir ihm aussprechen. Schon dieser Gottesdienst zum Gedächtnis der Trauung ist ein solches Zeichen des Dankes. Aber auch sonst haben wir sicher im Leben vielfach Gelegenheit, unseren Dank zum Ausdruck zu bringen: in Gesprächen, in unserem Handeln, in unserem Denken - alles kann zum Zeichen des Dankes werden.

Der Dank ist auch nicht nur eine bloße Höflichkeit, sondern ein Herzensbedürfnis, jedenfalls wenn er ernst gemeint ist. Gerade wenn man sich schwach und hilflos vorkommt, wird man das so empfinden, wird man sich zum Dank gedrängt fühlen. Aber in Wahrheit sind wir ja gar nicht schwach. Gott steht ja auf unserer Seite und will uns von Tag zu Tag geleiten und helfen.

Ohne diesen Gott wären wir tatsächlich nichts. Unser Leben wäre nur ein flüchtiger Augenblick im Ablauf der Weltgeschichte, auch wenn es noch so lange dauerte. Aber ehe wir da waren, kannte er uns schon; und er wird auch dann noch bei uns sein, wenn wir nicht mehr auf dieser Erde sind.

So wie wir täglich etwas essen müssen, so brauchen wir auch Gott an jedem Tag für unser Leben. Er gibt uns aber auch alles, was wir brauchen. Wenn unser Leben auch in Ewigkeit gesichert sein soll, dann gilt es, sich zu diesem Gott zu halten. Er hat noch viel mit Ihnen und mit uns allen vor, wenn wir Menschen sind, die dankbar alles aus seiner Hand nehmen und seinen Namen rühmen.

 

„Die auf der Herrn harren‚ kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden, daß sie wandeln und nicht müde werden!“ (Jes 40,31)

Wen man älter wird, dann lassen die Kräfte nach Und man kann nicht mehr so wie früher. Das ist der Lauf der Welt, daran läßt sich nichts ändern. Am besten schickt man sich in diese- Entwicklung hinein und trauert nicht lange der Vergangenheit nach.

Im Gegenteil: An einem solchen Tag wie heute denkt man voll Dankbarkeit zurück auf das, was gewesen ist. Fünfzig Jahre lang haben Sie sich in der Ehe helfen können, haben Freude und Leid miteinander geteilt und sind miteinander älter geworden. Da gibt es dann auch von vielem Schönen und Guten zu berichten, hinter dem man doch die gnädige Hand Gottes spüren kann.

Es wäre schade, wenn man sein ganzes Leben nur als reiner Abstieg betrachten wollte. Jedes Lebensalter hat seine guten Seiten, es hat seinen Sinn und seine Aufgaben. Wenn man eine Stufe erreicht hat, dann kann man nicht so tun, als sei man noch in einer früheren Stufe. Man kann nur froh sein‚ daß man weitergekommen ist, und dankbar auf die Vergangenheit schauen.

„Die auf der Herrn harren, kriegen neue Kraft!“ rief der-Prophet Jesaja seinem Volk zu, das in der Gefangenschaft war und nicht mehr an eine gute Zukunft glaubte. Viele hatten sich schon innerlich aufgegeben und mit ihrem Schicksal abgefunden. Aber Gott hat immer noch Wege, wo wir keine Auswege sehen.

Wenn man älter wird, dann wird die zur Verfügung stehende Zeit zwar knapp, aber das heißt nicht, daß man keine Zukunft mehr hätte. Gott hat noch seine Pläne mit uns, bis ins hohe Alter hinein, er gibt uns noch die Zukunft, die wir brauchen.

Mit den körperlichen Kräften wird es zwar weniger werden. Aber es kommt beim Menschen ja nicht darauf an, daß er ein Kraftprotz ist, sondern daß er auch in seinem Inneren heranwächst und eine in sich gereifte Persönlichkeit wird. Für einen Christen wird es darauf ankommen, auch im Glauben heranzureifen, wenn er das Ziel seines Lebens erreichen will.

Wer von Gott alles erwartet hat und sich auch in Zukunft auf ihn verlassen will, der wird dann auch neue Kraft von Gott erhalten. Nicht eine Kraft, mit der man dann Bäume ausreißen kann, aber eine innere Kraft, die hilft, das Leben zu bewältigen.

Gerade wenn es einmal schwerer wird und Probleme im Leben auftauchen, dann braucht man diese Kraft von Gott, um mit allem fertig zu werden. Es ist etwas Schönes um Menschen, die im Laufe ihres Lebens an Weisheit gewonnen haben und im Glauben gereift sind. Die haben viel gewonnen und können glücklicher sein als einer, der nur das Äußere sieht. Sie sind dann auch mit einer Kraft erfüllt, die wieder mitreißen kann und somit segensreich für die ganze Umgebung wirkt.

Der Prophet spricht davon, daß man mit einer solchen Kraft hochfliegen kann wie ein Adler und daß man damit laufen kann und doch nicht müde wird. Hieran sieht man schon, daß es sich nicht um eine körperliche Kraft handelt, sondern um eine Gabe Gottes für das innere Leben, die man sich immer wieder erbitten muß. 

So ist auch der Glaube an Gott etwas, das unser Leben beflügelt. Wer an Gott glaubt, der zweifelt nicht am Sinn des Lebens, sondern wird zuversichtlich durchs Leben gehen. Er wird sich nicht durch Schwierigkeiten aus der Bahn werfen lassen, sondern auf Gottes Hilfe vertrauen. Er wird die freudige Stunde dankbar aus Gottes Hand nehmen und wissen, daß alles nur Gnade ist.

Sie‚ liebes goldenes Hochzeitspaar, haben vielleicht auch manchmal eine solche Stunde des Gottvertrauens gehabt. Vielleicht empfinden Sie auch den heutigen Tag als einen solchen Augenblick, wo ihnen neue Kraft geschenkt wird.

Gott möchte Ihnen gerne helfen. Wer in Verbindung mit ihm bleibt, der wird auch immer wieder seine Hilfe erfahren. Gott möchte ja so gerne einem jeden helfen. Wer bereit ist, die ausgestreckte Hand Gottes zu ergreifen, den wird er auch halten und führen von einem Tag zum anderen.       

Wenn wir heute dankbar zurückschauen in die Vergangenheit, so wollen wir doch auch den Blick nach vorne richten. Wir wollen auf das hoffen, was Gott noch mit uns vorhat. Wir wollen ihm vertrauen, daß er es richtig mit uns macht. Und wir wollen uns täglich neu wieder die Kraft von ihm schenken lassen.

 

„Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott!“        (Jes 41,10)

Es gibt viele Dinge, die man im Leben fürchten wird. Auch am Beginn einer Ehe hat man vielleicht noch Angst vor dem Neuen. Das ist ganz natürlich und niemand findet etwas dabei. Zwei Menschen stehen am Ufer und blicken hinüber auf die andere Seite, zu neuen Ufern. Dort drüben ist Neuland, das man sich erst erobern muß, das man erst kennenlernen muß und das man erst liebgewinnen wird.

Allerdings: So ganz neu wird es auch nicht sein. Man hat sich ja schon vorher gekannt und Pläne gemacht. Aber wenn es dann ernst wird, sieht alles noch einmal ganz anders aus. Wenn man erst einmal im richtigen Wasser schwimmen muß, dann ist das etwas anderes als alle Trockenschwimmübungen vorher. Deshalb darf sich jeder freuen, der sich in das neue Element gestürzt hat.

Das Schöne dabei ist: Es geht nicht allein! Sicher hat es auch seine Vorteile, wenn man allein und ungebunden ist und auf niemanden Rücksicht zu nehmen braucht.

Aber dann ist man halt auch allein, wenn man einmal einen anderen Menschen braucht; dann ist man eben einsam und hat niemanden, mit dem man sich über alles aussprechen kann.

Mancher wird das sehr oft spüren und deshalb Ergänzung und Austausch mit einem Partner suchen. Ein anderer dagegen meint, er begehe einen Fehler, wenn er eine Ehe eingeht, weil er dann sein Ungebundensein aufgibt.

Ein Glück nur, daß doch immer wieder Menschen diesen Fehler machen und schließlich doch in den Hafen der Ehe einlaufen. Denn in der Ehe werden sie schon bald eines Besseren belehrt: Es läßt sich doch alles besser durchstehen‚ wenn man zu zweit ist, sowohl in Freude

wie in Leid.

Doch das ist noch nicht alles. Eine Ehe ist nicht nur eine Privatangelegenheit zweier Menschen .Gott will mit dabei sein in Freude und Leid: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir!“ sagt er uns hier: Er will sich damit nic.ht aufdrängen .Aber er bietet seine Hilfe denen an, die darauf warten. Gott steht uns bei, wenn wir nicht mehr weiter wissen; er will uns helfen, gerade die schwierigen Situationen zu meistern.

Diese Hilfe kann sicher jeder für seine Ehe gebrauchen. Es ist nicht leicht, in der Welt von heute zu bestehen. Vom Beruf her kommen starke Anforderungen, die Beziehungen zu anderen Menschen und zur Gesellschaft müssen           ausgewogen sein, man möchte etwas Vergnügen und Erholung    finden. Unser Glaube ist da ein Angebot, mit all diesen Fragen fertig zu werden.          

Keiner braucht sich zu fürchten vor den Anforderungen, die auch in der Ehe auf ihn einstürmen. Gott steht denen zur Seite, die auf ihn vertrauen. Wir dürfen uns im Gebet mit allen Dingen an ihr wenden. Wenn wir selbst nicht mehr weiterkönnen, dann dürfen wir uns doch bei ihm neue Kraft holen.    

Er fordert uns auf: „Weiche nicht, denn ich bin dein Gott!“ Man kann manchen Schwierigkeiten aus dem Weg gehen, indem man ihnen ausweicht. Gott aber sagt: „Bleib stehen, ich helfe dir schon!“ Auf Gott können            wir uns verlassen.      

Aber auf der anderen Seite wird uns damit auch gesagt: Gott kannst du nicht entweichen! Du bist ihm verantwortlich für alles, was du tust in deinem Leben. Jeder Ehepartner ist für den anderen verantwortlich vor Gott. Luther hat es so ausgedrückt: „Eins soll das andere in den Himmel bringen!“Das gilt in guten wie in bösen Tagen, in Freude und Leid. Da gibt es keine Ausreden: „Der andre war schuld!“ Jeder muß seinen Teil an Verantwortung selber übernehmen.       

Sie aber haben Ihre Ehe unter den Schutz Gottes gestellt. Sie sind hierher gekommen, um sich trauen zu lassen und den Segen Gottes für Ihre Ehe zu empfangen. Nun erwartet    man auch etwas von Ihnen. Wer sich auf die Seite Gottes stellt, der muß auch so leben, wie es sich bei Gott gehört, das ist ganz selbstverständlich. Sie sind von heute an nicht nur irgendeine Familie, sondern eine christliche Familie, über der als Verheißung und Auftrag stehen soll: „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott!“     

Vor allem die Verheißung wollen wir heute hören. Wir brauchen immer wieder viel Schwung, schon für den Anfang, aber auch für das Durchstehen. Gott kann Ihnen diese Kraft schenken. Wir wollen ihn in unserem Gebet immer wieder darum bitten.

 

 

 

 

„Ich will euch tragen. bis ins Alter und bis ihr grau werdet. Ich will es tun, ich will heben und tragen und erretten!“                              (Jes 46,4)

Als wir klein waren, hat uns die Mutter auf den Armen getragen. Wir waren noch ganz auf die Pflege der Eltern angewiesen und waren völlig von ihnen abhängig. Ohne Eltern kann kein kleiner Mensch existieren. Er braucht einfach jemanden, der sich um ihn kümmert. Dazu gehören nicht nur Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, sondern zum Leben brauchen wir ja noch mehr.

Überlegen wir uns doch einmal, wann eine Mutter ihr Kind auf die Arme nimmt? Sie tut es, wenn sie dem Kind ihre Liebe zeigen will, wenn sie zum Ausdruck bringen will: „Du gehörst zu mir und ich würde dich niemals hergeben!“

Aber sie nimmt das Kind auch, wenn es getröstet werden muß. Die Mutter soll helfen, über alles hinwegzukommen. Dazu trägt sie das Kind auf den Armen, um es wieder zu beruhigen.

Später ist man dann selber Vater und Mutter geworden und hat die eigenen Kinder auf den Armen getragen. Und mancher darf auch noch Enkelkinder auf dem Arm haben. Und immer geht es dabei um die gleiche Aufgabe: beschützen und bewahren, trösten und wieder aufrichten.

Und nun sagt uns die Bibel: „Gott will uns so tragen, wie die Eltern ihr Kind tragen!“ Es ist sogar ein ganzes Volk, das von Gott getragen wird. Als die Israeliten aus Ägypten befreit sind, sagt Gott zu ihnen: „Ich habe euch getragen auf Adlersflügeln und habe euch zu mir gebracht!“ Und als das Volk erneut in Babylon in der Gefangenschaft sitzt, heißt es wieder: „Ich will euch tragen bis ins Alter!“ Das Volk wird nicht ein unrühmliches Ende fern von der Heimat finden, sondern Gott wird es weiter erhalten, so wie er das bisher getan hat und in alle Zeit weiter tun wird.

Diese Verheißung gilt aber auch für das Leben des einzelnen Menschen oder auch eines Ehepaares: Sie gilt auch für unsere Zeit. Wer einmal mit diesem Gott in Verbindung getreten ist, der bleibt auch für immer mit ihm verbunden. In der Taufe wurde dieser Bund geschlossen. In der Trauung wurde er bestätigt. Und bewähren können hat er sich nun schon ein ganzes Leben lang.

Sicher haben Sie in diesen ….. .Jahren öfter die Hilfe Gottes verspüren dürfen. Gewiß, manchmal ist einem nicht gleich so deutlich. Manchmal erkennt man erst in der Rückschau, wie Gott aus allem herausgeholfen hat.

Gerede wenn man älter wird, erkennt man immer mehr, wie sehr Gott geholfen hat. Aber man erkennt auch, was man alles falsch gemacht hat im Leben, was man versäumt hat und wo man in manchen Dingen zu voreilig gewesen ist. Es mag sein, daß einem das auch an so einem Tag vor Augen steht und man daß man denkt: „Das könnte sich zwischen mich und Gott schieben!“

Aber solche Gedanken sollen uns nicht irre machen können an Gott. Er hat .gesagt: „Ich will euch tragen bis ins Alter!“ Gott hört nicht mittendrin wieder auf und läßt uns einfach fallen. Er wirft uns nicht gleich weg, wenn wir versagt haben. Im Gegenteil: Wenn wir gefallen sind, dann' hilft er uns wieder auf und trägt uns und errettet uns.

Gott zeigt uns immer wieder seine Liebe, auch wenn wir sie nicht verdient hätten. Eltern ärgern sich ja auch manchmal über ihre Kinder. Und doch haben sie sie lieb und verzeihen ihnen wieder. Wenn das Kind in Not ist, dann helfen die Eltern, ganz gleich, was vorher gewesen ist. So hilft uns aber auch Gott, wenn wir ihr brauchen und uns an ihn wenden. Er weist uns dann nicht ab, denn er hat uns versprochen, uns zu retten.

Bis ins Alter und bis wir grau werden will Gott unser Gott sein. Ja, man müßte sagen: Gerade dann will er es sein. Gerade wenn die Kräfte abnehmen, wenn wir auf Hilfe angewiesen sind, dann haben wir auch einen Helfer. Wen wir jung sind, fühlen wir uns oft noch stark und fragen nicht immer gleich nach Gott. Aber wenn wir grau werden, dann ist es uns lieb, wenn er an uns festgehalten hat. Heute dürfen Sie erneut hören, daß Gott ihnen beistehen will. Am Gedenktag Ihrer Trauung verheißt er Ihnen /erneut auch für die Zukunft seinen Beistand. Keiner weiß wie viele Jahre seines Lebens ihm noch geschenkt sind. Aber jeder darf wissen, daß es Jahre mit Gott sein können.

Es liegt an uns, ob wir dieses Angebot Gottes annehmen. Entscheiden müssen wir uns immer wieder für ihn, genauso wie am ersten Tag. Aber er hilft uns dann auch wie am ersten Tag. Auch wenn unsere Tage jetzt vielleicht beschwerlicher werden, wenn uns das Alter Mühe macht, dann bleibt Gott doch ewig jung und kräftig genug, um uns zu tragen.

Wir waren nicht immer auf Rosen gebettet. Aber er hat uns doch immer auf Händen getragen. Es gab schwere Stunden, aber auch viel Schönes. Für beides wollen wir dankbar sein und uns erneut unserem Gott zuwenden .Er hat alles in den Händen, die Welt, die Menschen und uns.

Was er mit uns vorhat, das führt er zum guten Ende.

 

„Suchet mich, so werdet ihr leben“                                                            (Am 5,4)

Wir suchen so vieles in unserem Leben: Anerkennung durch die Menschen, Erfolg im Beruf, eine gute Familiengemeinschaft, ein bißchen Glück und Freude. Das ist ganz natürlich so, und das ist bei jedem Menschen so. Immer wieder sind wir auf der Suche.

Am heutigen Tag werden Sie sich erinnern an den Tag Ihrer Hochzeit. Mit großen Hoffnungen geht man in die Ehe. Es soll gut und immer noch besser werden. Man sucht nach neuen Wegen, sucht Verbündete und Helfer, sucht das Glück.

Aber eigentlich hat unser Leben nur dann einen Sinn gehabt, wenn wir nach Gott suchen. Gott hat uns seit unserer Taufe dazu aufgefordert, hat uns eingeladen, ihn zu suchen. Er ist auch nicht schwer zu finden. Gott versteckt sich nicht vor uns, sondern er will sich finden lassen.

Immer wieder stoßen wir auf ihn. Durch Gottesdienst und Gemeindeabende, durch Rundfunk und Zeitung begegnet uns sein Wort. Manches wird auch von Mund zu Mund weitergesagt. Auch das Gedächtnis der Trauung ist so eine Gelegenheit, wieder intensiv mit ihm in Berührung zu kommen. Keiner kann heute sagen, er wüßte nichts von Gott, nicht einmal die, die nichts mit ihm zu tun haben wollen.

Gott fordert auch uns auf, daß wir ihn wirklich suchen. Er weiß, daß wir nicht unbedingt von ganz alleine kommen. Aber er sagt es uns, weil er uns auf sein Geschenk hinweisen will. Gott hat ja etwas zu bieten? Er gibt uns seine Verheißung mit, er bietet uns seine Hilfe und seinen Beistand an. Damit wir nicht aus Unachtsamkeit daran vorbeigehen, weist er uns extra noch einmal darauf hin.

Gott will uns das Leben schenken! Wir möchten doch alle leben und haben direkt einen Hunger nach Leben. Was tun wir nicht alles, um etwas vom Leben zu haben, um das Leben zu genießen und um das Leben noch etwas zu verlängern. Wir meinen, der Herr unseres Lebens zu sein und darüber frei zu verfügen. Und doch können wir das wahre Leben nirgends anders finden als bei Gott, vor allem das Leben, das den Zeitraum unsres irdischen Lebens überdauern soll.

Mancher sucht erst noch etwas anderes, das vermeintlich besser ist. So wie man in der Ehe erst seinen Weg suchen und finden muß, so wird man vielleicht auch zunächst nicht so besonders mit Gott zurechtkommen. Aber wenn dann die Stürme des Lebens kommen, wenn Angst und Leid kommen, dann ist man doch froh, wenn man sich zu Gott flüchten kann. Dann macht man die Erfahrungen, die dann für das ganze Leben Bestand haben.

Wenn wir einen falschen Weg zu gehen drohen, dann sucht und findet Gott u n s und nimmt uns sogar in seinen Dienst. Gott geht uns nach und läßt uns nicht verkommen. Wir bleiben immer seine Kinder, die er liebt und die er bei sich haben möchte.

Nur Gott gibt uns das Leben, das lebenswert ist. Vielleicht haben Sie in den 50 Jahren ihrer Ehe viel davon gespürt. Sie haben sicher viele schöne Tage gehabt, sind glücklich und zufrieden gewesen, durften dankbar und hilfsbereit sein.

Aber Sie haben sicher auch Tage gehabt, an denen Sie verzweifelt waren und keinen Ausweg mehr sahen. Manche Hoffnungen haben sich zerschlagen, Pläne ließen sich nicht verwirklichen, manches ist schiefgelaufen.          

Aber heute am Tag Ihrer Goldenen Hochzeit dürfen Sie sicher auch mit Dankbarkeit zurückschauen und Ihr Versprechen von damals erneuern. Heute ist Gelegenheit, erneut auf Gottes Wort zu hören‚ miteinander zu beten und erneut den Segen Gottes zu empfangen.

Gott will Sie auch weiter auf Ihrem Lebensweg begleiten. Der Sie bisher geleitet hat, wird auch in Zukunft bei Ihnen sein. Gottes Geschichte mit Ihnen geht noch weiter. Sie dürfen noch viel von ihm erhoffen. Und dieser Spruch aus dem Amosbuch kann auch in Zukunft über Ihnen stehen: „Suchet mich, so werdet ihr leben!“

 

„Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen und erzähle alle deine Wunder. Ich freue mich und bin fröhlich in dir und lobe deinen Namen, du Allerhöchster!   (Ps 9, 2-3)

Warum begehen wir den 50. Hochzeitstag mit einem Gottesdienst in der Kirche? Soll das nur der feierliche Auftakt zu einem Familienfest sein? Ist es nur eine alte Tradition, die man halt so mitmacht? Oder verbinden wir nicht doch höhere Erwartungen mit einem solchen Tag?

Dieser Gottesdienst soll unseren Dank gegenüber Gott ausdrücken, der Sie 50 Jahre lang in der Ehe behütet und begleitet hat.

Schon alleine, daß man einen solchen Gottesdienst wünscht, ist doch ein Bekenntnis zu Gott, dem Schöpfer und Erhalter. Wenn man ins Gotteshaus geht, dann macht man damit ja schon deutlich, daß ein solcher Tag mit Gott zu tun hat. Wenn wir einen Gottesdienst halten, dann tun wir damit ja nicht Gott einen Dienst. Er kann auch ohne unseren Dank und unsere Anbetung auskommen. Wenn wir ins Gotteshaus kommen, dann tut uns Gott damit einen Dienst. Er läßt uns erkennen, was wir ihm verdanken, und er will uns aufs Neue seine Hilfe versichern.

Wir können ja Gott nichts bieten. Das merkt man sicher, je älter man wird. Wenn die Kräfte nachlassen und sich allerhand Beschwerden einstellen, dann ist man doch auf die Hilfe anderer Menschen und den Trost und den Beistand Gottes angewiesen.

Gott aber begleitet uns ein ganzes Leben hindurch, in guten wie in bösen Tagen. Sie haben ja auf sicherlich viele gute und schöne Tage erleben dürfen. Gott hilft aber gerade auch in den schwe­ren Zeiten und gibt die Kraft, mit allem fertig zu werden, was einem so zustößt. Wenn es einmal schwer wird, dann hilft nicht das Wehklagen und die Niedergeschlagenheit, sondern nur der Dank an Gott. Es mag widersprüchlich klingen, aber es ist tatsächlich gemeint, daß der Dank dann noch am bester hilft. Beim Danken erinnert man sich an die Wohltaten Gottes in der Vergangenheit. So heißt es ja auch in dem Psalmvers: „Ich danke dem Herrn von ganzem Herzen und erzähle alle deine Wunder!“

Aus diesem Dank heraus wächst dann auch die Zuversicht, daß es auch in Zukunft gut weitergehen wird. Wer danken kann, für den ist die Welt kein Jammertal, sondern der Ort, wo er die Hilfe Gottes erfahren hat und auch in Zukunft erfahren wird. Dann kann man sogar anderen davon erzählen und auch ihnen Mut zum Leben machen. Wenn man sich von den eigenen Schwierigkeiten wegwendet und seine Aufgabe gegenüber anderen Menschen erkennt, dann wird man noch am ehesten mit allem fertig.

Wenn Sie sich heute freuen und glücklich sind, dann liegt das ja nicht allein daran, daß Sie diesen seltenen Tag der Goldenen Hochzeit erleben durften. In dieser Freude kommt vielmehr der Dank an Gott zum Ausdruck; denn ihm allein verdanken wir es, daß wir heute diesen Tag begehen können. Keiner von uns hat es in der Hand, wen er zum Ehepartner kriegt. Wir können viel dazu tun, daß die Ehe gelingt. Aber ob sie wirklich der „Himmel auf Erden“ wird, das liegt auch mit am Segen Gottes.

Dieser Segen ist Ihnen bei der Trauung zugesprochen worden. Er soll Ihnen auch heute erneut wieder zugesagt werden. Gott ist noch nicht am Ende seiner Wege mit Ihnen. Deshalb können Sie auch am heutigen Tage fröhlich sein und Gott loben. Wir hoffen noch auf viele gemeinsame Jahre. Ob alles gut gehen wird, wissen wir nicht. Aber Sie können sicher sein, daß Gott auch weiterhin mit dabei sein wird. Wenn Sie weiterhin dankbar sind, dann werden Sie auch fröhlich sein können. Gott wird Sie führen und leiten zu dem Ziel, das er uns bestimmt hat.

 

 

„Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser!“                    (Ps 23,1-2)

Wir können uns heute kaum noch vorstellen, was ein guter Hirte ist. Den Beruf gibt es kaum noch, aber auch die Sache, die in diesem Psalm damit gemeint ist. Gedacht ist an einen Menschen, der sich ganz gar einsetzt sowie ein Hirte für seine Schafe.

Ein Hirte hatte früher einen gefährlichen Beruf. Er mußte nicht nur seine Herde zusammenhalten, sondern mußte sie auch gegen wilde Tiere und Räber verteidigen, d.h. er mußte oft seine eigene Sicherheit und Bequemlichkeit zurückstellen und für die ihm anvertrauten Schafe kämpfen.

Heute gibt es eine solche Einstellung nur noch selten unter den Menschen. Doch in dem Psalm heißt es: „Gott ist mein Hirte“ in dem guten alten Sinne des Wortes „Hirte“. Was wir vielleicht bei den Menschen nicht mehr finden, das ist bei Gott noch ganz da: Er verteidigt uns gegen die Gefahren des Lebens und sieht zu, daß uns nichts Böses widerfahren kann. Wenn wir schon keinen Menschen zum Beistand haben, dann dürfen wir uns doch auf Gott verlassen.

Bei diesem Gott wird es uns an nichts mangeln. Überlegen wir uns doch einmal, was Gott uns im Laufe eines langen Lebens schenkt: Dazu gehören doch nicht nur Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, sondern auch ein bißchen Freude im Leben, Glück und Gesundheit. Das brauchen wir doch auch unbedingt zu unserem Leben dazu. Sicher hat auch jeder einmal schöne Stunden in seinem Leben gehabt, wenn auch sonst vielleicht manches Schwere auf

ihn zugekommen ist.

Denken wir nur an den Anfang dieser Ehe. Es war eine schlechte Zeit und sicherlich äußerlich gesehen kein guter Start. Aber auch die Jahre danach waren von Sorgen erfüllt, bis eigentlich fast zur Silberhochzeit. Dazu kommt all das, was so das Leben eines Menschen ausmacht: die Sorgen um das tägliche Brot, um die Kinder, um die Gesundheit.

Da ist es gut, wenn man nicht allein ist, wenn man noch einen Ehepartner hat, der einem beisteht. Auch Mann und Frau können einander so etwas wie ein guter Hirte sein. Das ist ja mit ein Sinn der Ehe, daß man nicht allein steht, sondern wenigstens noch einen Menschen an seiner Seite hat.

Es gibt sehr viele Anlässe, bei denen man den anderen braucht: Das fängt an bei kleinen Handgriffen, die der andere vielleicht besser ausführen kann oder wo man von vornherein zwei Leute dazu braucht. Einmal übernimmt der eine bestimmte Aufgabe, dann wieder

der andere, je nachdem, wer besser geeignet ist. Vor allem aber kommt es auch auf den inneren Beistand an. Man kann sich besser freuen, wenn der andere sich mitfreut. Aber man kann auch Sorgen leichter tragen, wenn man sie mit einem anderen teilt. Im tagtäglichen Mit­einan­der geschieht hier viel Hilfe, ohne daß man viele Worte darum machen müßte. Dafür dürfen sie nur dankbar sein.

Aber Gott gehört auch mit zu unsrem Leben dazu. Auf ihn können wir uns verlassen und nachsprechen: „Der Herr ist mein Hirte!“ Gerade wenn man es schwer hat, darf man die Führung und die Hilfe Gottes verspüren. Er führt uns zu den frischen Weiden‚ die wir für unser Leben brauchen.

Das soll nicht heißen, daß er uns alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt. Gott ist nicht nur dazu da, uns das Leben bequem zu machen. Unser Einsatz ist schon auch gefordert. Aber wir sollen dabei auch erkennen, daß wir nicht allein hinkommen, sondern Gott als den guten Hirten brauchen.          

Mit dem „frischen Wasser“ sind wiederum nicht nur Essen und Trinken gemeint und all das, was wir zum äußeren Leben brauchen. Auch unser innerer Mensch braucht Nahrung und eine frische Quelle. Zum rechten Leben gehört auch das Wort Gottes, das unserem Leben erst die richtige Richtung gibt.

Gott läßt es uns daran nicht mangeln. Er bietet uns sein Wort immer wieder an. Ein ganzes langes Leben lang haben wir Gelegenheit, uns von diesem frischen Wasser stärken zu lassen. Heute ist wieder Gelegenheit dazu.

Es ist recht, wenn man an einem solchen Tag in die Kirche kommt und Gott dankt für viele Jahre gnädiger Bewahrung. So wie sie unseren Gott bisher als den guten Hirten erfahren haben, so wird er auch in Zukunft bleiben. Er erneuert Ihnen das Versprechen, das er Ihnen vor

50 Jahren gegeben hat. Im Vertrauen auf ihn dürfen Sie Ihren Weg weitergehen.

 

„Du aber, Herr, wollest deine Barmherzigkeit vor mir nicht wenden; laß deine Güte und Treue allewege mich behüten!“                                   (Ps 40,12)

Natürlich halten wir an einem solchen Tag Rückschau. Wir denken an die vielen Jahrzehnte einer Ehe, die nun vergangen sind. Man könnte manchmal neidisch werden, wenn man sieht, wie lange doch ein Ehepaar zusammen sein darf. Es weiß ja keiner von uns, ob er einmal ein solches Fest erleben wird.

Doch leicht haben Sie es sicher auch nicht gehabt. Denken wir nur einmal an den Anfang Ihrer Ehe. Das war eine schlechte Zeit mit wirtschaftlicher Not und manchem Elend. Da gehörte nicht nur Mut dazu, sondern auch Gottvertrauen, um eine Ehe zu schließen. Sie haben es gewagt und haben dabei die Barmherzigkeit Gottes erfahren dürfen. Sie waren nicht die einziger in jener Zeit und haben so wie viele andere immer wieder die Durchhilfe Gottes verspüren dürfen. Gerade wenn unsere menschliche Kraft nicht mehr ausreicht, dürfen wir die Hilfe Gottes besonders erfahren und werden sie auch zu würdigen wissen.

Voller Dankbarkeit dürfen Sie auf die Vergangenheit zurückschauen. Neben all den Schweren (…….) hat Gott Ihnen doch auch viel Schönes geschickt. Je älter man wird, desto mehr verblassen doch die schlimmen Eindrücke und vorwiegend das Schöne bleibt im Gedächtnis. So soll es ja sein, und so ist es sicherlich auch eine Hilfe Gottes, daß man vieles einfach vergißt.

Aber der Blick in die Vergangenheit soll uns nicht nur eine schöne Erinnerung sein, sondern auch ein Anlaß zur Freude und zur Dankbarkeit gegenüber Gott. Keiner hat sich das Schöne allein errungen, sondern es ist ihm von Gott geschenkt worden. Seine Barmherzigkeit ist jeden Morgen neu und Sie haben sie sicher oft spüren können.

Der Beter dieses Psalms darf dankbar bekennen: Gottes Barmherzigkeit war oft in meinem Leben zu spüren. Es waren Höhen und Tiefen da. Aber immer ist es wieder weiter gegangen. Manchmal hat man sich gefreut und gemeint, es müsse immer so weitergehen. Aber dann kam wieder ein Schlag und man war am Boden zerstört. Aber auch das ging mit Gottes Hilfe vorbei. Letztlieh bin ich doch gut gefahren unter dem Schutz Gottes. Nun blicke ich voller Dankbarkeit zurück und bitte Gott: „Bleibe nur weiter bei mir und wende dich nicht ab!“

Aber sein Blick geht auch in die Zukunft. Er denkt an die Gefahren und Nöte, die noch kommen können. Deshalb bittet er: „Laß deine Güte und Treue allewege mich behüten!“ Er denkt an seinen weiteren Lebensweg und fragt sich: „Wie wird er wohl aussehen? Werde ich alles bestehen könnten? Muß Ich ihm vielleicht allein gehen? Was wird noch alles kommen?“

Mancher Weg ist ja in der Tat steinig und holprig. Er läßt sich nicht nur schwer gehen, sondern er ist auch gefährlich. Leicht kann man in ein Loch treten oder in einen Graben fallen. Manchmal tauchen auch Feinde an diesem Weg auf, die einem schon das Leben ganz schön schwer machen können.

Es könnte aber auch sein, daß man ganz auf dem falschen Weg ist, ohne es zunächst zu merken. Am Ende kommt man ganz woanders hin oder man endet in einer Sackgasse. Wievielmal muß man doch im Leben erkennen, daß man etwas falsch gemacht hat! Man möchte umkehren und wieder von vorne anfangen. Aber dann erkennt man, daß es zu spät ist.

Deshalb steht in diesem Psalm die Bitte um Schutz und Bewahrung auf dem Lebensweg. Die Güte und Treue Gottes sind wie zwei Mauern, die links und rechts von unserem Weg stehen. Sie zeigen uns den richtigen Weg, sie schützen uns vor Gefahren und behüten und vor einem Fehltritt. Wenn wir uns auf die Güte und Treue Gottes verlassen, verläuft unser Weg auch richtig.

Allerdings werden die Gefahren damit nicht weggenommen. Sowie man sich nicht mehr innerhalb der Güte und Treue Gottes bewegt, gerät man sofort in den Bereich der Gefahr. Die Aufgabe in der Ehe ist es deshalb, daß einer den anderen warnt, damit er die Grenze nicht überschreitet. Wenn man seinen Weg auf diese Weise gemeinsam geht und ihn unter den Schutz Gottes stellt, wird er sicherlich auch gut verlaufen.

Mögen Sie deshalb auch sicher unter dem Schutz Gottes auf Ihrem Lebensweg weitergehen. So wie Gott Sie bisher geleitet hat, so will er Sie auch weiter führen. Heute erneuert er sein Versprechen, das er Ihnen vor …....Jahren gegeben hat. Und Sie sollen ihm auch erneut Ihr Jawort geben, damit Ihr Weg tatsächlich gesegnet sein möge. So dürfen Sie im Vertrauen auf Gott weitermachen.

 

 

„Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder“                                                            (Ps 71 ,17)

Die meisten unsrer älteren Gemeindeglieder können noch viele Dinge auswendig hersagen, die sie einmal in der Schule oder im Konfirmandenunterricht über den christlichen Glauben gelernt haben. All die Lieder, Bibelsprüche und Katechismusstücke sind für viele ein unverlierbares Gut und Trost und Stärkung in vielen Wechselfällen des Lebens.

Aber vielleicht haben Sie, liebes Goldenes Hochzeitspaar, doch auch im Laufe ihres Lebens gemerkt, daß das Auswendiglernen allein noch nichts nützt. In zunehmendem Maße kommt es heute vor, daß man gefragt wird und über seinen Glauben Auskunft geben soll. Da genügt es nicht mehr, wenn man einige auswendig gelernte Sätze hersagt, sondern man muß es mit den Worten unsrer Zeit sagen können und vor allem auch selber dahinter stehen.

Aber das, was wir in der Jugend gelernt haben, das kann uns eine Hilfe für das ganze Leben sein. Viele schöpfen noch heute aus dem Schatz dessen, was sie einst gelernt haben, und verkünden auch heute noch die Wunder Gottes. Doch mit dem Reden allein ist es auch nicht getan. Man muß heute auch mit seinem ganzen Leben dahinterstehen.

Das haben Sie selber in vieler Hinsicht zeigen können. Vor 50 Jahren war es noch nichts besonderes‚ wenn man in der Kirche getraut wurde. Heute kommt es schon einem Bekenntnis gleich, wenn man aus einem solchen Anlaß auch in die Kirche geht. Heute haben Sie nun den Gang von damals wiederholt. Ein halbes Jahrhundert sind Sie in Treue als Eheleute miteinander verbunden gewesen, in guten und in schweren Zeiten.

Schon allein diese Tatsache der langen Verbundenheit miteinander kann vielen jungen Leuten von heute ein Vorbild sein. Aber Vorbild ist noch mehr, vor allem geht es auch darum, Vorbild im Glauben zu sein. Es genügt nicht, nur einmal bei der Trauung in die Kirche zu gehen, sondern es kommt darauf an, ständig in Verbindung mit Gott und seiner Kirche zu bleiben, bis hin zum tatkräftigen Einsatz für Gottes Sache. Der Besuch des Gottesdienstes ist sicher eine Hilfe für die Ehe und das Leben. Aus Gottes Wort kommen doch erst die Kräfte, die uns helfen, unser Leben zu meistern. Da wird vieles abgehalten, was einem sonst Schwierigkeiten macht.

Vielleicht ist es nicht jedermanns Sache, Gottes Wort selber weiterzusagen. Doch auch das stille Vorbild ist eine deutliche Verkündigung und heute nötiger denn je. Wir brauchen heute gerade Leute, die nicht nur Worte machen, sondern auch mit der Tat hinter allem stehen und die Worte dadurch unterstreichen.

Man kann nur dankbar sein, wenn man mit seinen bescheidenen Kräften hier etwas hat tun können für die Sache Gottes in der Welt. Aber man kann sich natürlich auch freuen, daß man einen solchen Ehrentag hat erleben dürfen, und kann nur dankbar dafür sein. Es ist nicht selbstverständlich, daß man einen solchen Tag erleben darf. Deshalb ist heute eine gute Gelegenheit, im Kreise der Verwandten in großer Dankbarkeit miteinander zu feiern und Gottes Wunder weiterzusagen.

Aber Gott schickt uns nicht nur Schönes, sondern auch schwere Dinge, an denen wir hart zu tragen haben. Auch das kann man im Grunde nur im Glauben an Gott aushalten. Doch auch davon könnte man berichten, wie man schwere Zeiten mit der Hilfe Gottes durchgestanden hat. Es ist immer ein Wunder, wenn wir trotz allem haben weiterleben dürfen und vorangekommen sind und nun Gelegenheit haben, Gottes Taten weiterzusagen.

Unser Blick sollte mehr auf die schönen Stunden unseres Lebens ausgerichtet sein. Dadurch kann all das andere in den Hintergrund treten und uns Mut für die Zukunft geben: Wir brauchen solche schönen Stunden und solche Festtage wie heute, um über alles andere hinwegzukommen. Wir sollten aber immer wissen, daß wir all das Schöne nur Gott zu verdanken haben.   

Dafür wollen wir immer danken und Kraft daraus schöpfen für unsere Zukunft. Gott will Sie auch weiter begleiten auf Ihrem Lebensweg. Vielleicht hat er noch viel mit Ihnen vor und braucht Sie noch für manches. Seine Gnade, die er Ihnen vor 50 Jahren zugesagt hat, gilt Ihnen auch heute noch. Dieser Gott, der Sie durch lange Jahre geführt und begleitet hat, der wird auch in Zukunft bei Ihnen sein und wird Ihnen helfen, daß Sie jenen Bibelspruch nur noch immer fester bejahen können: „Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder!“

 

„Verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde, bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindern und deine Kraft allen, die noch kommen sollen!“                                                                                                                                                                                                                                                                        (Ps 71,18)

Wenn man.....Jahre verheiratet ist und seine ....... Hochzeit feiern kann, dann ist das zunächst einmal Grund zur Freude und zur Dankbarkeit. Die Gedanken gehen zurück auf das, was gewesen ist. Es sind nicht immer gute Zeiten gewesen. Es gab persönliches Leid in der Familie.

Wenn man so lange hat zusammensein dürfen, dann hat man auch viel miteinander durchgemacht .Doch Sie haben sich dabei auch gegenseitig eine Hilfe sein können. Das ist ja mit der Segen, der über einer Ehe liegt: Man muß nicht allein durchs Leben gehen, sondern hat mindestens noch einen Menschen, der mit Rat und Tat zur Seite steht.

Aber noch wichtiger ist eigentlich der Beistand Gottes. Sie haben ihn damals vor .....Jahren um seine Hilfe und seinen Segen gebeten. Heute könnten Sie sicher manches erzählen von dem, was Sie mit diesem Gott erlebt haben. Ja, es ist sogar Ihre Aufgabe, immer wieder davon zu erzählen.

Vielleicht hat Gott Sie nur so alt werden lassen und diesen seltenen Tag erleben lassen, weil er Sie noch braucht und ihnen ein, Aufgabe zugedacht hat. Hier in dem Psalmvers heißt es: „Bis ich deinen Arm verkündige Kindeskindern und deine Kraft allen, die noch kommen sollen!“ Ein, alter Mensch ist zwar körperlich vielleicht schwach. Aber er ist deshalb noch nicht nutzlos und nur noch gut für den Schrottplatz.

In unsrer heutigen Leistungsgesellschaft besteht natürlich sehr schnell die Gefahr, alte Menschen abzuschreiben. Wer nicht mehr produktiv tätig ist, wird leicht als nutzlos und überflüssig betrachtet. Gott aber denkt nicht so. Er hat jedem von uns seine Aufgabe zugedacht, auch einem alten und selbst einem kranken Menschen. Niemand ist so alt und schwach, daß er nicht doch noch von der Güte Gottes weitersagen könnte.

Gottes Macht und Kraft soll auch den nachfolgenden Generationen deutlich werden, die vielleicht noch nicht solche Erfahrungen mit Gott gemacht haben. Solange man jung ist, verläßt man sich noch gern auf die eigene Kraft. Aber wenn man älter wird, braucht man immer mehr die Macht Gottes.

Diese Erkenntnis sollen Sie noch weitergeben. Gott braucht Sie noch, damit sein Reich wachsen kann. Der Glaube der kommenden Generationen lebt immer von den Traditionen der Vorfahren, von dem, was sie an ihre Kinder und Enkel weitergegeben haben. Es kann uns sicher nicht gleichgültig sein, wie die junge Generation einmal über den Glauben denkt. Es genügt nicht, wenn wir vielleicht das Heil gewinnen‚ aber die anderen gehen daran vorbei. Deshalb hat jeder von uns die Aufgabe, von den großen Taten Gottes zu erzählen, die er in seinem Leben erfahren hat.

Aber an so einer Tag richten wir natürlich auch den Blick nach vorne. Wir wissen, daß wir auch dann noch die Hilfe Gottes noch brauchen werden. Deshalb heißt es ja auch hier in diesem Psalmvers: „Verlaß mich nicht, Gott, im Alter, wenn ich grau werde!“ Wer sein Leben über gut mit Gott gefahren ist, der möchte ihn auch weiterhin bei sich haben. Es könnte ja sein, daß uns die Menschen im Alter verlassen. Einmal müssen wir manchen lieben Verwandten oder Bekannten hergeben an den Tod. Andere können uns vielleicht nicht mehr besuchen wegen körperlicher Gebrechen oder aus anderen Gründen. Da kann es leicht einsam werden. Nur wird man dann umso dankbarer sein, wenn man wenigstens einige der nächsten Angehörigen noch mit im Haus oder in der Nähe haben darf. Und man darf vor allem dankbar sein, daß Gott uns nie und nimmer allein läßt.

Heute am Gedenktag Ihrer Trauung, sagt er ihnen das erneut zu. Er will sein Versprechen von damals bestätigen und erneuern. Er sagt: „Ich verlasse Euch nicht im Alter!“ Wir sprechen ja nicht umsonst von einem Ehebund; es ist der Bund, den Gott mit einem Ehepaar schließt. Dieser Bund wurde nun jahrzehntelang praktiziert, und es könnte ja stillschweigend alles so weiterlaufen. Aber es ist doch gut, wenn man an solch einem Jubiläumstag wieder einmal zusammenkommt und seine Zufriedenheit mit diesem Bund zum Ausdruck bringt: einmal in der Form des Dankes, zum anderen auch als Bitte für die Zukunft.

Sie werden Gott auch in Ihrem weiteren Leben brauchen. Vor allem werden Sie einen Beistand brauchen‚ wenn dieses Leben einmal ein Ende hat. Aber auch dann will er Sie nicht verlassen, sondern erst recht Ihr Helfer und Beschützer sein. Zu ihm dürfen Sie sich flüchten, so wie ein Kind sich in die Arme der Mutter oder des Vaters flüchtet. Er wird Sie nicht abweisen, sondern sagen: „Komm her, mein Kind, ich verlaß dich nicht!“

 

„Er hat seinen Engeln befohlen, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen!“               (Ps 91,11)

Die Hochzeit ist ein wichtiger Schritt in unserem Leben, neben der Berufswahl vielleicht der entscheidenste Punkt. Dabei legt man sich ja nicht nur für ein paar Tage fest, sondern für das ganze Leben. Deswegen muß man sich das gut überlegen. Eine falsche Berufswahl kann man immer noch einmal korrigieren, eine fasche Ehe - jedenfalls nach Gottes Willen - nicht mehr. Leider nimmt man es heute damit nicht mehr so genau. Bei manchen hat man den Eindruck, sie heiraten erst einmal „ins Unreine“. Früher hatte man darüber andere Ansichten, und viele haben sie auch heute noch.

Wenn wir heute das 50jährige Gedächtnis der Trauung begehen dürfen, dann ist das doch auch ein Zeichen der Liebe und Treue zweier Eheleute zueinander. Sie haben gezeigt, daß man so lange miteinander leben und gut zusammenleben kann. Insofern werden Sie ein Vorbild sein für viele jüngere Leute.

Vielleicht hat eine Ehe aber gerade dann Bestand, wenn man manches in ihr durchzumachen

hat. Das klingt widersprüchlich. Aber gemeinsam getragenes Leid und gemeinsam erlebte Freude verbindet doch und festigen das Band der Ehe. Deswegen hat man ja geheiratet, daß man leichter durchs Leben kommt. Man hat wenigstens einen Menschen, der einem beistehen will, komme was da wolle. Es sind oftmals hohe Belastungen, denen ein Ehepaar von außen her ausgesetzt ist. Krankheit und Tod greifen in das Leben ein, es gibt Sorgen um das tägliche Brot und Auseinandersetzungen mit anderen Menschen. Da ist es gut, wenn man zusammensteht und bei solchen Ereignissen auch immer mehr zusammenwächst. Das Schwere im Leben hat dann durchaus auch seine guten Seiten.

Aber die Goldene Hochzeit ist auch ein Zeichen für die Liebe und Treue Gottes zu uns. Er ist unser Schöpfer und Erhalter, er hat auch Sie diesen Tag erleben lassen. Es ist ja nicht selbst­verständlich, wenn man ein solches Alter und einen solchen Tag erreicht. Alles, was wir sind und haben, verdanken wir ja doch nur letztlich diesem Gott. Deswegen soll unser Dank am heutigen Tag vor allem ihm gelten. Und wie könnte man diesen Dank besser zum Ausdruck bringen als durch einen Gottesdienst in der Kirche?

Heute will Gott noch einmal bestätigen, daß er Sie mit seinem Segen begleiten will. In dem Psalmwort ist die Rede von den Engeln, die uns behüte sollen. Das ist eine Ausdrucksweise der damaligen Zeit. Gemeint ist aber doch, daß er selber uns auf unserem Lebensweg begleitet. Er selber ist ja unser wahrer Schutzengel, der uns warnt vor manchen Gefahren des Lebens und der uns wieder zurechtbringt, wenn wir uns verlaufen haben.

Gott hat alle Fäden in der Hand. Allerdings nicht so wie ein Marionettenspieler, der die Puppen tanzen läßt. Gott gibt den Menschen auch Freiheit. Wir können uns auch gegen seinen Willen entscheiden. Allerdings müssen wir dann auch die Folgen tragen. Das kann man auch in vielfältiger Hinsicht im Leben feststellen. Sie werden heute vielleicht auch an manches Versagen und manchen Fehlschlag zurückdenken.

Aber wir haben ja auch einen Gott, der uns vergeben will. Er streicht immer wieder unsere Schuld durch und ermöglicht uns einen neuen Anfang. Dessen dürfen wir uns immer wieder versichern, wenn wir nur auf Gottes Wort hören. Auch heute ist so ein Tag, an dem wir besonders mit Gott in Berührung kommen sollen.

Das Schönste wäre doch, wenn Sie heute bekennen könnten: „Ja, er hat uns behütet auf allen unseren Wegen!“ Gottes Wege mit uns sind manchmal verschlungen, so wie das Leben überhaupt kompliziert ist. Aber wenn wir dann an einem Ziel angekommen sind, dann erkennen wir: Gott hat uns doch den richtigen Weg geführt!

Sie haben heute einen Abschnitt auf ihrem Lebensweg erreicht. Aber es wird ja noch weitergehen. Deshalb können Sie im Vertrauen auf Gott in die Zukunft blicken. Gott, der Sie bis hierher geführt hat, wird auch weiter bei Ihnen sein, so wie er mit uns allen ist. Er wird nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumen. Da bleiben manche Steine liegen, an denen wir unseren Fuß stoßen können. Da bleiben Löcher und Gräben. Aber Gott wird uns durch alles gut hindurchführen.

Heute haben Sie erst einmal Grund zur Dankbarkeit. Diese wird Ihnen Kraft geben, auch weiterhin auf Gott zu vertrauen. Er freut sich darüber, wenn er jemand auf seinem Weg behüten kann, wenn Menschen da sind, die auf ihr hören wollen. Wenn Sie sich ihm anvertrauen, wird er auch weiter bei ihnen sein und sie auch in Zukunft führen und leiten.

 

„Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist seinen heiligen Namen! Lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat!“     (Ps 103,1-2)

Ein solcher Bibelspruch hört sich bei einer Goldenen Hochzeit anders an als zur Trauung. Damals wäre er eine Aufforderung gewesen, die Dankbarkeit nicht zu vergessen. Heute aber dürfen Sie voller Dankbarkeit zurückschauen auf einen gemeinsamen langen Weg. Heute brauchen Sie nicht mehr dazu aufgefordert werden, sondern da kommt der Gedanke an die Dankbarkeit ganz von selber.

Nicht viele dürfen diesen Tag der Goldenen Hochzeit erleben. Zwar ist die Lebenserwartung gegen früher gestiegen und das Fest der Goldenen Hochzeit häufiger als früher. Aber es sind doch immer noch wenige, die so lange zusammenbleiben dürfen. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, wenn man gemeinsam ein solches Alter erreichen darf und voller Dankbarkeit zurückschauen kann.

Wofür können wir nun dankbar sein? Viele würden als erstes sagen: „Für die Gesundheit!“ Jeder ist in seinem Leben einmal krank gewesen‚ vielleicht auch schwer krank. Jede Krankheit macht uns Mühe, weil sie uns am ruhigen Leben hindert, und uns Schmerzen und Sorgen bereitet. Deshalb sind wir froh und dankbar, wenn es vorüber ist. Wir erkennen dann erst richtig, wie wichtig dieses Gut der Gesundheit doch ist.

Ein anderer wieder ist dankbar für die Kinder und Enkel, die ihm geschenkt wurden. Es ist doch schön, wenn man auf seine alten Tage nicht allein sein muß, sondern im Rahmen der Familie etwas Abwechslung und auch noch eine Aufgabe hat. Es ist ja auch nicht selbstverständlich, daß man Kinder haben darf und sich an Enkeln erfreuen kann. Manche Ehe bleibt ja kinderlos; und dann empfindet man vor allem im Alter doch einen Mangel. Wenn man aber Kinder haben darf, dann ist das über die Gemeinschaft von Mann und trau hinaus doch ein zusätzliches Geschenk, für das man dankbar sein darf.

Man könnte auch dankbar sein, wenn es in wirtschaftlicher Hinsicht einigermaßen gegangen ist. Sicherlich waren auch schwere Zeiten in diesen fünfzig Jahren dabei, wo man sich sogar Sorgen um das tägliche Brot machen mußte, um den Arbeitsplatz und um Wohnung und Kleidung. Doch verhungert ist Keiner. Auch diese Zeit ist vorübergegangen und wir können uns heute doch eines gesicherten Lebens erfreuen, was so die äußeren Dinge des Lebens angeht.

„Vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat!“ Dazu gehören auch diese ganz äußerlichen Dinge des Lebens. Wir sollten sie nicht zweitrangig ansehen oder meinen, das hätte doch nichts mit Gott zu tun. Gott will, daß wir ihm auch dafür danken und nicht alles als selbstverständlich hinnehmen. Oft ist es doch so: Wenn wir in Not sind und uns etwas fehlt, dann denken wir an Gott, dann bitten wir ihn auch, dann erwarten wir etwas von ihm. Wenn es aber dann eingetroffen ist, vergessen wir leicht, wie es gewesen ist. Und oft vergessen wir dann auch das Danken.

Sie, liebes Goldenes Hochzeitspaar, wollen es anders machen. Dieser Gottesdienst ist ja ein Dankgottesdienst für all das Gute, das Sie in Ihrem bisherigen Leben von Gott empfangen haben. Sie erfüllen den Willen Gottes, wenn Sie ihm hier danken wollen. Sie bekennen sich damit zu dem Gott, in dessen Namen Sie damals eingesegnet worden sind und der Ihren Lebensweg mit seinem Segen und seiner Hilfe begleitet hat.

Das wäre nun ein weiterer Punkt, für den Sie dankbar sein können. Ja, ich denke, hier kommen wir an den entscheidenden Punkt: Vor allem dürfen wir auch dankbar dafür sein, daß Gott uns im. Glauben erhalten hat. Auch der Glaube ist ein Geschenk Gottes, das wir gebrauchen und anwenden sollen. Sehr oft wäre, die Gelegenheit, von Gott wegzugehen und eigene Wege zu suchen. Wer aber dankbar ist, der kehrt immer wieder zu Gott zurück. Die Dankbarkeit ist das beste Mittel, um bei Gott bleiben zu können.

Gerade wenn man älter und wieder schwächer wird, erkennt man doch, wie sehr man Grund zur Dankbarkeit hat. Und dabei sind wirklich alle Dinge zur Dankbarkeit geeignet, sowohl die ganz äußerliche als auch die zutiefst persönlichen Fragen wie zum Beispiel alles, was mit dem Glauben zusammenhängt. Gott klammert kein Gebiet aus, er ist für alles zuständig. Deshalb sollten wir auch nichts beim Danken auslassen.

Der heutige Gottesdienst aus Anlaß der Goldenen Hochzeit soll dazu wieder einmal Gelegenheit geben. Nutzen Sie diese Möglichkeit aus, danken Sie mit uns unserem Gott, der schon so vielen Menschen geholfen hat und der auch Ihnen beigestanden hat - und Ihnen beistehen wird. Dann werden Sie erneut auch für die Zukunft seinen Segen verspüren können.

 

 „Lobe den Herrn, der dein Leben vom Verderben erlöst, der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit!“                                                                                    (Ps 103,4)

Über einen Tag wie den heutigen kann man sich nur freuen. Es ist nicht selbstverständlich, daß man die Goldene Hochzeit erleben darf. Fünf Jahrzehnte haben Sie zusammen bleiben dürfen, haben Freude und Leid miteinander geteilt und vieles gemeinsam erlebt. Sie haben die Kinder großgezogen und dürfen sich nun an den Enkeln freuen. Sie haben Befriedigung und Freude in Ihrem Beruf finden können und eine geachtete Stellung erworben. All das kann dazu beitragen, heute einen schönen Tag zu verleben.

Aber es geht ja dicht nur darum, heute ein menschliches Jubiläum zu begehen. Wir wollen vor allem auch den Dank an Gott aussprechen, der das letztlich alles geschenkt hat. Deshalb ist es gut‚ wenn man an einem solchen Tag ins Gotteshaus geht, um auf Gottes Wort zu hören, mit­einander zu beten und den Segen Gottes zu empfangen, so wie vor 50 Jahren.

Als Sie damals eingesegnet wurden, da blickten Sie noch vorwiegend in die Zukunft, wie in ein neues unbekanntes Land. Heute haben Sie dieses Land zu einem großen Teil durchschritten und können schon Rückschau halten. Nicht alles wird so gewesen sein, wie Sie es sich gewünscht haben. Nicht alle Pläne haben sich verwirklicht und manches ist auch direkt mißlungen.  

Aber sicherlich werden Sie auch von viel-Schönem berichten können, von Erfolgen und guten Erfahrungen, von freudigen Ereignissen und glücklichen Stunden. Dafür können Sie nur dankbar sein. Manches werden Sie sich auch selber zu verdanken haben. Aber letztlich gebührt aller Dank doch Gott, der uns das Leben gegeben hat, der uns die Ehe als Ort gemeinsamen Lebens gegeben hat, der uns jeden Tag neu beschützt und erhält.

Wir können ihn nur loben, weil er sich um unser Geschick kümmert und uns persönlich seine Liebe und Fürsorge zuwendet. Er ist der große Gott und wir, sind nur kleine Menschen. Er braucht uns nicht aber wir brauchen ihn. Er läßt uns nicht alleine dahin wursteln, sondern er gibt uns sein Wort als Hilfe mit auf den Weg, wir dürfen uns im Gebet an ihn wenden, wir können (manchmal offen, manchmal verdeckt) seine Hilfe erfahren.

Sicherlich gibt es auch manche Beispiele in Ihrem Leben, die das belegen könnten. Wenn man so lange hat zusammen sein dürfen, da hat man manches mitgemacht und da kann man was erzählen.

In dem Psalm heißt es: „Der dein Leben vom Verderben erlöst!“ Sicher stehen wir oftmals in der Gefahr, ins Verderben zu laufen oder von einem Verderben überfallen zu werden. Gott aber will uns davor bewahren bzw. wieder daraus befreien. „Erlösen“ heißt ja: einen Gebundenen wieder losmachen? Wenn wir schon Schweres durchmachen mußten, dann will Gott uns doch immer wieder daraus befreien.

Andere Menschen. kommen uns dabei zu Hilfe. Deswegen stellt er uns ja den Ehepartner zur Seite, damit immer wenigstens einer in der Nähe ist, der helfen kann. Unter diesem Gesichts­punkt könnte man die Ehe auch einmal sehen. Sie ist eine gute Ordnung Gottes, nicht nur ein menschlicher Vertrag; sie .ist eine Art und Weise, wie Gott uns hilft.

Gott braucht uns Menschen ja als seine Helfer. Der Ehepartner ist vorzüglich dazu geeignet, ein solcher Helfer zu werden. Wir sollten die Ehe auch einmal unter diesem Blickwinkel sehen: Alles, was wir dem anderen an Gutem und Liebem tun, das geschieht auch im Auftrag Gottes.

Er will daß wir selber Hilfe erfahren, aber auch umgedreht bereit sind, anderen zu helfen und so seine Diener werden. Dadurch wird das Verderben in der Welt zurückgedrängt und ein Stück vom Himmel auf Erden sichtbar.

Dadurch wird auch deutlich, daß Gott uns krönt mit Gnade und Barmherzigkeit. Zur Goldenen Hochzeit trägt man oft ein Kränzchen im Haar. Das könnte auch Hinweis sein auf den, der uns eine unsichtbare Krone aufsetzt. Es ist ja nicht unser Verdienst, wenn wir einen solchen Tag erleben dürfen .Wir können nur immer wieder darauf hinweisen: Gott ist es, der das alles vollbracht hat. Seine Gnade und Barmherzigkeit haben wir viele Tage erfahren dürfen und erfahren sie alle Tage wieder neu.

Wir werden sie auch in Zukunft brauchen. Gottes Werk ist ja noch nicht zu Ende. Es soll ja noch weitergehen und auch in Zukunft an den Eheleute und ihrer Familie sich wirksam erweisen. Gott sagt Ihnen heute erneut seine Hilfe zu. Er will Sie auch weiter begleiten mit seiner Gnade und Barmherzigkeit. Auf ihn dürfen Sie vertrauen, was auch noch kommen mag.

So wünschen wir Ihre heute ein schönes Fest im Kreise Ihrer Lieben. Aber vor allem wünschen wir Ihnen die Gnade und Barmherzigkeit des Herrn‚ der unser Leben vom Verderben erlöst und dem wir darum nur immer wieder danken können und den wir loben sollen unser Leben lang

 

„Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die er an mir tut? Ich will den Kelch des Heils nehme und des Herrn Nahmen anrufen. Ich will meine Gelübde dem Herrn erfüllen vor all seinem Volk!“                                                    (Ps 116,12-14)

Gott tut an jedem Menschen Wohltaten. Sicherlich, keinem fliegen die gebratenen Tauben in den Mund. Jeder hat einmal klein anfangen müssen, jeder hat einmal schwere Zeiten durch­gemacht, jeder war einmal verzweifelt. Das bleibt keinem Menschen erspart und das gehört einfach mit zum Leben dazu.

Aber wir haben auch immer wieder Gelegenheit, die Wohltaten Gottes zu erfahren. Gerade wenn es einem schlecht geht, wird man umso mehr erkennen, daß nur noch Gott helfen kann. Manche sagen: „Du hast halt noch einmal Glück gehabt!“ Aber wer an Gott glaubt, der erkennt hier die schützende und wieder aufhelfende Hand Gottes. Wenn man nur darauf achtet, wird man viele Hilfestellungen Gottes bemerken können.

Wenn nun hier gefragt wird: „Wie soll ich dem Herrn vergelten alle seine Wohltat, die er an mir tut?“ dann ist die Antwort eigentlich sehr einfach: „Gar nicht sollen wir vergelten! Wir können es ja auch gar nicht!“

Wie sollten wir Gott etwas anbieten können? Er braucht doch gar nichts, und schon gar nicht von uns, die wir doch selber nichts haben, sondern auf seine Hilfe angewiesen sind. Bei Gott geht es nicht nach dem Grundsatz: „Gibst du mir, geb ich dir!“ sondern es ist alles nur Gnade und Geschenk.

Zwischen Gott und den Menschen geht es nicht zu wie zwischen Geschäftspartnern, sondern wie zwischen Eltern und Kindern. Wie könnten denn Kinder jemals das wieder gutmachen, was die Eitern an ihnen getan haben? Gewiß, sie werden für die Eltern sorgen, wenn diese

alt geworden sind. Aber es bleibt doch immer ein Rest, der sich nicht aufrechnen läßt und der immer als eine Wohltat im Gedächtnis haften bleibt. Entscheidend wird nur sein, daß wir die Wohltat auch als Wohltat erkennen. Mancher ist ja nachher undankbar und hat schon wieder alles vergessen. Er schreibt die Erfolge sich selber zu und schiebt die Mißerfolge am Ende noch Gott in die Schuhe.

Sie aber wollen es nicht so machen. Sie wollen Ihren Ehrentag als einen Tag der Freude und des Dankes hier in der Kirche begehen. Man kann natürlich solch einen Tag auch sang- und klanglos vorübergehen lassen.

Aber wer die Zusammenhänge durchschaut, der begreift auch, daß man an einem solchen Tag durchaus Grund hat, Gott zu loben und zu preisen für seine Wohltaten. Deshalb geht man an einem solchen Tag in die Kirche und bringt damit zum Ausdruck: Wir wollen Gott heute danken.

Sie dürfen auch in Zukunft auf diesen Gott vertrauen. Wenn man Gott seine Wohltaten vergelten will, dann nur so, wie es in diesem Psalm heißt „Ich will den Kelch des Heils nehmen und des Herrn Namen anrufen!“ Sie können Ihre Dankbarkeit am Besten zeigen, indem Sie Gott auch weiterhin Ihre Bitten vortragen und den Kelch des Abendmahls nehmen. Gott immer wieder um dasselbe zu bitten, das heißt, ihm die schuldige Ehre antun.

Sie haben heute Gelegenheit‚ Ihr Versprechen von vor 50 Jahren zu bestätigen und zu erneu­ern. In dem Psalm heißt es ja: „Ich will meine Gelübde dem Herrn erfüllen vor all seinem Volk!“ Damals haben Sie sich nicht nur einander das Versprechen gegeben, immer beieinander bleiben zu wollen. Sie haben auch Gott versprochen, als ein Ehepaar bei ihm zu bleiben.

Heute zeigt sich nun, daß Sie sich daran gehalten haben. Sie zeigen es hier vor Ihren Angehörigen und vor der Gemeinde, daß Ihnen am Segen Gottes durchaus etwas liegt und daß Sie ein einmal gegebenes Versprechen halten wollen.

Allerdings müßte man auch hier wieder sagen: Es geht ja gar nicht um ein Gelübde, das wir Gott gegenüber leisten könnten. Luther hat einmal gesagt: „Wenn du etwas geloben willst, dann versprich, dir nicht die Nase abzubeißen, denn das kannst du halten!“ Er hat damit sagen wollen: Man darf von keinem Menschen ein wirkliches Gelübde verlangen, denn keiner könnte es hundertprozentig halten. Es soll nur jeder seinen ehrlichen Wille erklären, aber auch damit rechnen, daß er einmal versagen wird.

Luther betont demgegenüber: „In Wirklichkeit gelobt Gott sich uns an. Er leistet ein Gelübde, daß er uns auch halten wird. Er allein bindet sich an uns!“ Das dürfen Sie auch heute wieder hören, wo Sie hier am Altar stehen. Gott verspricht Ihnen erneut, daß er Sie führen wird bis an Ihr Lebensende. Das Entscheidende ist nicht so sehr der Bund zwischen zwei Menschen, sondern der Bund Gottes mit Ihnen.

 

„Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege!“   (Ps 119, 105)

Früher gab es keine Straßenbeleuchtung und es war nachts völlig dunkel auf den Straßen. Man war daran gewöhnt, es ging auch ohne. Aber es war eben doch sehr schwierig, besonders für ältere Menschen. Als dann die Beleuchtung eingeführt wurde, war das doch eine große Erleichterung und rief große Freude hervor.

So ist es auch in unserem Leben, ein Unterschied, ob wir eine hell erleuchtete Straße zu gehen haben oder durch ein dunkles Tal. Wenn man einen fragte, dann würde er sicher sagen „Ich gehe lieber auf der hellen Straße!“ Aber in Wirklichkeit suchen viele auch die dunklen Ecken und tun Dinge in ihrem Leben, die das Licht zu scheuen haben.

Man kann es natürlich auch auf dunklem Weg versuchen. Aber dabei macht man es sich unnötig schwer. Und man geht das Risiko ein, den richtigen Weg verfehlen zu können. Manchmal scheint der dunkle Weg der kürzere zu sein. Aber am Ende ist er dann doch oft der beschwerlichere gewesen.

Gott will es uns leichter machen im Leben. Er gibt uns sein Wort, damit wir uns zurechtfinden. In seinen Verheißungen stellt er uns vor Augen, was er uns schenken will. In seinen Geboten gibt er uns Hinweise, wie wir es machen müssen, daß wir auf seinem Weg bleiben.

Beides gehört zusammen: Gottes Gabe und Gottes Forderung. Erst sollten wir uns aber klar machen, was Gott uns schenkt. Und wenn wir das begriffen haben, dann wird uns ganz von selber deutlich, was Gott von uns dann auch erwartet.

Gerade in einer Ehe kann man das erleben. Ihnen, liebes Jubelpaar wurde sicher vor …..Jahren die Gnade Gottes vor Augen gestellt. Gerade dieser Psalmvers macht ja deutlich, daß Gott uns auf unserem Weg durchs Leben und in der Ehe begleiten will. Gott mutet uns ja gar nicht zu, daß wir uns alleine durchkämpfen, sondern er bietet uns seine Hilfe an.

Heute könnten Sie in der Rückschau sicher manches erzählen, was die Führung und das Geleit Gottes deutlich macht. Dem soll ja besonders dieser Tag und diese Feier dienen: Wir wollen unseren Dank ausdrücken für viele Jahre gemeinsamen Lebens, für manche gnädige Bewahrung und für manchen schönen Erfolg. Wenn wir es recht überlegen, ist sicherlich viel Grund zum Danken.

Aber es könnte auch sein, daß wir einmal eine dunkle Straße geführt wurden und nichts vom Licht Gottes zu erkennen meinten. Es geht nicht immer alles so glatt im Leben so wie wir uns das vorgestellt und eingeplant haben. Manchmal kann uns dann sogar Gott dunkel werden und sein Wille unverständlich.      

Dann kann uns nur eins helfen: Das Hören aufn Gottes Wort, das uns immer wieder seinen guten und gnädigen Willen deutlich machen will. Gott will immer das Beste für uns. Nur erkennen wir es nicht gleich immer, sondern halten etwas anderes für besser. So werden wir oft einen Weg geführt, den wir zunächst für einen Umweg oder gar für falsch halten, der sich dann aber doch als der Weg Gottes herausstellt.

Bei einer (goldenen) Hochzeit kann man sicher schon ganz gut seinen bisherigen Lebensweg beurteilen. Und es wäre doch schön, wenn man sagen könnte: „So, wie mein Leben verlaufen ist, mußte es verlaufen, ich hätte es nicht anders haben wollen!“ Damit sagt man dann auch aus: Gott hat es gut gemacht mit uns, wir können ihm nur danken und um weiteren Beistand bitten.

Heute wollen wir auch den Blick nach vorne richten, auf das, was noch kommen soll. Unser künftiger Lebensweg liegt im Dunkel. Nur die nächsten Schritte sind vielleicht schon teilweise erleuchtet. Aber wir dürfen sicher sein: Gott geht mit uns, er erleuchtet immer wieder das nächste Stück Wegs vor uns. Wo das alles am Ende noch einmal hinführen wird, brauchen wir nicht unbedingt zu wissen. Nur das Grundsätzliche steht fest, daß Gott uns nämlich ans richtige Ziel bringt. Und eben die nächsten Schritte möchten wir schon wissen können.

Aber das genügt ja auch für uns. Im Vertrauen auf Gott dürfen wir so unseren Weg gehen. Heute erneuert er sein Versprechen, daß er Sie auch weiterhin begleiten will. Wenn Sie mit ihm in Verbindung bleiben und sich durch sein Wort bestimmen lassen, dann wird Ihr Weg auch weiterhin gesegnet sein.

 

 „Ihr seid teuer erkauft; darum preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes!“                                                     (1. Kor 6, 20)

Als erstes dürfen Sie heute hören‚ was Gott für Sie und für uns alle getan hat. „Ihr seid teuer erkauft!“ Es ist gar nicht so selbstverständlich, daß wir zu Gott gehören dürfen. Es ist gar nicht selbstverständlich, daß nach der Eheschließung noch die Trauung kommt und man an einem solchen Tag auch mit Gott zu tun bekommt.

Gott hat es sich schon etwas kosten lassen, daß wir zu ihrs gehören dürfen. Er hat seinen eigenen Sohn in den Tod gegeben, damit wir gerettet würden So hat er uns von allen bösen Mächten freigekauft. Nun kann niemand mehr über uns verfügen als Gott allein. Deshalb-steht auch die Ehe zweier Menschen ganz unter dem Schutz und der Hilfe Gottes.

Wenn wir uns in der Bäckerei ein Brot kaufen, dann dürfen wir damit machen, was wir wollen. Dann kann der Bäcker nicht noch nachträglich kommen und sagen: „Ich will das Brot selber essen!“ Verkauft ist eben verkauft So hat uns auch Gott gekauft, und wir sind voll und ganz sein Eigentum.

Auch auf eine Ehe kann kein anderer Anspruch erheben. Da darf sich kein Dritter hin eindrängen. Da darf auch keiner diesen zwei Menschen Böses zufügen. Sie stehen ja unter dem Schutz Gottes, der Ihre Ehe sichern will nach innen und außen. Er hilft bei dem menschlichen Zusammenhalt und wehrt Gefahren von außen ab, die kommen könnten.      

Wer seine Ehe unter den Schutz Gottes stellt und ihm alles zutraut, der wird auch seinen Segen erfahren. Wir sind ihm ja so ans Herz gewachsen, daß er uns nicht wieder hergeben will. So wie sich zwei Leute lieben, so liebt er uns auch. Man muß das nur erst einmal ausprobiert haben, wie das ist, wenn man sich auf Gott verläßt und ihm allein vertraut.       

Der Spruch geht dann weiter mit der Aufforderung: „Darum preiset Gott an eurem Leibe!“ Weil Gott. Uns hilft, sollen wir ihn preisen. Es mag für uns überraschend sein, wenn es hier heißt: Auch unser Leib dient dem Lobpreis Gottes! Viele sehen darin doch nur etwas, was auf die weltliche Seite unsres Lebens gehört, aber nichts mit Gott zu tun hat.

Gott hat auch unsren Leib gekauft, und wir sollen ihn nun zu seinem Ruhm einsetzen. Unsere Hände sind zum Beispiel dazu da, anderen Menschen viel Gutes zu tun. Das fängt an beim Kohlenholen für die Frau und beim Knopfannnähen für den Mann. All unsere Berufsarbeit dient dem Wohl anderer Menschen. Mancher kann sogar durch seine Freizeitbetätigung noch anderen Freude bereiten.

Wir dürfen Gott aber auch danken, daß er den anderen Menschen so schön geschaffen hat zu unserer Freude. Wir dürfen uns zu ihm hingezogen fühlen und eng mit ihm zusammensein. Auch dabei können wir Gott preisen, der dem Menschen soviel Schönes schenkt. Aber wir müssen auch mit Krankheit und Not rechnen. Auch dann sind unsre Hände dazu da, um zu helfen und zu bewahren und zu stärken.

Paulus redet hier sehr nüchtern von ganz menschlichen Dingen. Er bringt sie aber alle in Verbindung mit Gott. Ein späterer Leser seines Briefes dachte dann: Das ist doch etwas wenig, wenn wir Gott nur mit unserem Leib preisen sollen. Deshalb hat er noch hinzugefügt: „Preiset Gott an eurem Leibe und in eurem Geiste, welche sind Gottes!“ So steht es noch in der alten Lutherbibel! Heute ist dieser Zusatz weggelassen, um den ursprünglichen Text herzustellen.

Dennoch lohnt es sich auch-heute noch, den Sinn dieses Zusatzes zu überdenken: Auch unsre Gedanken gehören Gott. Wieviel schlechte Gedanken kommen doch in uns auf, wenn wir so unseren Tageslauf bedenken. Aber wir könnten Gott auch auf diesem Gebiet loben und preisen: durch ein liebes Wort an den anderen, durch tröstenden Zuspruch, durch ein offenes Bekenntnis zu Gott, der uns Gutes getan-hat.

Unser Leib und unser Geist gehören beide Gott. Mit der Trauung unterstellen wir sie ihm. Er soll sie unter seine Verantwortung nehmen, und seinen Segen auf uns wenden. Wir dürfen darauf vertrauen, daß Gott mit uns geht durchs Leben und uns hilft, den richtigen Weg zu finden .Dann werden wir auch Gott mit großer Freude loben können in dem Bewußtsein: „Ihr seid teuer erkauft, darum preiset Gott an eurem Leibe und an eurem Geiste, welche sind Gottes!“

 

„Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist!“                                                                       (1. Kor 15,10)

Ein Mensch stellt doch vieles dar. Was hat man doch alles geleistet in einem langen Leben. Viele Menschen haben den Nutzen und die Freude davon gehabt. Auch was die Frau zuhause geleistet hat, ist doch der ganzen Familie zugutegekommen. Und man darf sicher dankbar sein für alle diese Jahre.

Man kann überhaupt nur dankbar sein, wenn man ein solches Fest erleben darf. Nur wenigen Eheleuten ist es ja vergönnt, bis ins Alter zusammenzubleiben. Sehr oft ist es anders gekommen, als man es sich bei der Hochzeit gewünscht hat.

Sie aber dürfen heute am Tag des Gedächtnisses Ihrer Trauung sagen: „Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin!“ Keiner von uns kann sein Leben sichern oder verlängern. Alle Mittel der ärztlichen Kunst helfen nicht, wenn Gott es anders bestimmt hat.

Wir verdanken es aber auch der Gnade Gottes, wenn wir Kinder haben dürfen, wenn wir ein Haus haben, wenn wir Freunde haben. Wir wissen ja auch, wie schnell alles einmal wieder genommen werden kann, so daß man wieder vor dem Nichts steht.

 

Mancher versucht ja mit Gewalt etwas im Leben zu erreichen. Er vertraut auf seine Kraft und auf seine guten Beziehungen. Vielleicht kann man damit auch Augenblickserfolge erringen. Aber letztlich ist man doch zum Scheitern verurteilt, wenn der Segen Gottes fehlt.

Auch im Glauben haben wir alles unsrem Gott zu verdanken. Von uns aus sind wir ja denkbar schlecht zum Glauben geeignet. Es liegt uns eher, ohne Gott zu leben und unser Leben nach eigenem Gutdünken zu führen. Gott müßte uns eigentlich bestrafen, weil wir nicht so sind, wie er es von uns erwartet. Er müßte uns s gen: „Du bist untauglich, ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!“

Aber Gott ist nicht so. Es geschieht das Unfaßbare, das keiner erwarten konnte: Gott erkennt uns trotzdem als seine geliebten Kinder an! Er läßt uns alle Rechte und wendet uns ganz seine Liebe zu. Das ist so, wie wenn einer dauernd in seinem Beruf versagt hat und dann doch noch einen findet, der ihn nimmt und wo es dann auch gut geht.

Vielleicht haben Sie, liebes Goldenes Hochzeitspaar, auch manchmal in ihrem Leben diese Gnade Gottes verspüren können. Gerade wenn man ganz am Ende ist und nicht mehr weiterkann, zeigt er doch immer wieder einen Ausweg. Gottes Wege sind zahlreicher, als wir es uns denken können.

Wenn man das begriffen hat, ist die Gnade Gottes nicht vergeblich gewesen. Er wendet sie allen Menschen zu. Aber nicht alle nehmen sie an. Dann war sie eben vergeblich für diese Menschen. Wenn sie aber ein offenes Tor bei den Menschen findet, dann kann sie auch ihren Segen auswirken. Es kommt also für uns nur darauf an, dieser Gnade Gottes nicht entgegenzuwirken.

Es ist doch schön, wenn man sagen kamen: „Ich habe nichts allein erreicht in meinem Leben. Es war nur möglich durch die Gnade Gottes, die mit mir war und mit mir ist!“ Paulus konnte von sich selber mit Recht sagen: „Ich habe mehr gearbeitet als sie alle!“ Aber er schreibt das nicht seinen eigenen Fähigkeiten zu, sondern der Hilfe Gottes. In den Augen der Menschen mögen wir schon viel geleistet haben; aber in Wahrheit zeigt sich hier nur das Wirken Gottes an uns.

Diese Gnade Gottes soll Sie auch weiterhin auf ihrem gemeinsamen Weg geleiten. Ein großes Stück dieses Weges haben Sie nun schon hinter sich. Aber das ist längst nicht alles, was Gott mit Ihnen vorhat. Heute soll ihnen erneut zugesagt werden, daß Gottes Gnade Sie begleiten will.

An sich ist uns das ja sowieso sicher. Seit der Taufe hat Gott uns dies Versprechen gegeben. Aber es ist doch sicher auch gut, wenn uns dies hin und wieder an besonderen Punkten des Lebens ganz persönlich gesagt wird. Gott will an diesem Tag in ganz besonderer Weise mit Ihnen in Berührung kommen.

Das geschieht, wenn wir ihm dankbar sind für die Vergangenheit und wenn wir ihn bitten für die Zukunft. Wir dürfen ihm auch bitten; er wartet ja direkt darauf. Er hat einen solchen Reichtum an Gnade, daß er ihn gern loswerden möchte.

Heute ist Gelegenheit, viel davon mitzunehmen für den weiteren Weg. Dann wird das eine gute Sache sein. Dann wird sich auch dieser Spruch noch mehr bewahrheiten: „Von Gottes Gnade bin ich, was ich bin!“

 

 „Seid dankbar in allen Dingen; denn' das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch!“                                                                                                      (1. Thess 5, 18)

Ein solcher Spruch hört sich anders an, wenn man ihn mehr am Anfang des Lebens hört; dann ist er eine Aufforderung, die Dankbarkeit nicht zu vergessen. Etwas anders wird man ihn sehen an einem Tag wie heute, wo man Voller Dankbarkeit zurückschauen darf auf einen gemeinsamen Weg. Sie brauchen gar nicht erst aufgefordert zu werden, denn der Gedanke an die Dankbarkeit kommt ganz von selber.

Nicht viele dürfen diesen Tag der Goldenen Hochzeit erleben. Zwar ist die Lebenserwartung gegenüber früher gestiegen und so ein Fest häufiger als früher. Aber es sind doch immer noch wenige, die solange zusammenbleiben dürfen. Gar mancher stirbt schon im frühen Alter. Es ist durchaus nicht selbstverständlich, wenn man gemeinsam ein solches Alter erreichen darf und voller Dankbarkeit zurückschauen kann.

Wofür wollen wir nun dankbar sein? Viele würden als erstes sagen: „Für die Gesundheit!“ Jeder ist in seinem Leben einmal krank gewesen, vielleicht auch schwerer krank. Jede Krankheit macht uns Unruhe, weil sie uns am ruhigen Leben hindert und uns Schmerzen und Sorgen bereitet. Deshalb sind wir froh und dankbar, wenn es vorüber ist. Wir erkennen dann erst richtig, wie wichtig dieses Gut der Gesundheit doch ist.

Ein anderer wieder ist dankbar für die Kinder und Enkel, die ihm geschenkt wurden. Es ist doch schön, wenn man auf seine alten Tage nicht allein sein muß, sondern im Rahmen der Familie etwas Abwechslung und auch noch eine Aufgabe hat. Manche Ehe bleibt ja auch kinderlos, und das empfindet man besonders im Alter als Mangel. Aber wenn man Nachkommen hat, dann ist das über die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau hinaus doch ein zusätzliches Geschenk, für das man dankbar sein darf.

Man könnte auch dankbar sein, wenn es in wirtschaftlicher Hinsicht einigermaßen gegangen ist. Sicherlich waren auch schwere Zeiten in diesen 50 Jahren dabei, wo man sich Sorgen um das tägliche Brot machten mußte, Sorgen um den Arbeitsplatz und um die Wohnung und Kleidung. Doch verhungert ist keiner. Auch diese Zeit ist vorübergegangen und wir können uns heute doch eines gesicherten Lebens erfreuen‚ was so die äußeren Dinge des Lebens angeht.

„Seid dankbar in allen Dingen!“ sagt das Bibelwort. Dazu gehören auch die ganz äußerlichen Dinge des Lebens. Wir sollten sie nicht zweitrangig ansehen oder meinen, das hätte doch nichts mit Gott zu tun. Gott will, daß wir ihm auch dafür danken und nicht alles als selbstverständlich hinnehmen. Oft ist es doch so: Wenn wir in Not sind und uns etwas fehlt, dann denken wir an Gott, dann bitten wir ihn auch, dann erwarten wir etwas von ihm. Wenn es aber dann eingetroffen ist, vergessen wir leicht, wie es gewesen ist. Und oft vergessen wir dann auch das Danken.

Sie, liebes goldenes Hochzeitspaar, wollen es anders machen. Dieser Gottesdienst ist ja ein Dankgottesdienst für all das Gute, das Sie in ihrem bisherigen Leben von Gott empfangen haben. Sie erfüllen den Willen Gottes, wenn Sie ihm hier danken wollen. Sie bekennen sich damit zu dem Gott, in dessen Namen Sie damals eingesegnet wurden und wer Ihren Lebensweg mit seinem Segen und seiner Hilfe begleitet hat.

Das wäre ein weiterer Punkt, für den Sie dankbar sein können. Hier kommen wir an den entscheidenden Punkt: Vor allem dürfen wir auch dankbar dafür sein, daß Gott uns im Glauben erhalten hat. Auch der Glaube ist ein Geschenk Gottes, das wir gebrauchen und anwenden sollen. Sehr oft wäre die Gelegenheit, von Gott wegzugehen und eigene Wege zu suchen. Wer aber dankbar ist‚ der kehrt immer wieder zu Gott zurück. Die Dankbarkeit ist das beste Mittel, um bei Gott bleiben zu können.

Gerade wenn man älter wird, erkennt man doch, wie sehr man Grund zur Dankbarkeit hat. Und dabei sind wirklich a 1 1 e Dingen zur Dankbarkeit geeignet, sowohl die ganz äußerlichen als auch die zutiefst persönlichen Fragen wie zum Beispiel alles‚ was mit dem Glaube zusam­men­hängt. Gott klammert kein Gebiet aus, er ist für alles zuständig. Deshalb sollten wir auch nichts beim Danken auslassen.

Der heutige Gottesdienst aus Anlaß der Goldenen Hochzeit soll dazu wieder einmal Gelegenheit geben. Nutzen Sie diese Möglichkeit aus, danken Sie mit uns unserem Gott, der schon so vielen Menschen geholfen hat und der auch Ihnen beigestanden hat und Ihren auch weiter beistehen wird. Dann werden Sie erneut auch für die Zukunft seinen Segen verspüren können.

 

 

 

Erzählungen

 

Vorsichtshalber

[Junge will beim Fahrradfahrenlernen immer gehalten werden]

Francois, der eben erst fünf Jahre alt geworden ist, hat ein neues Fahrrad erhalten, zu Weihnachten, ein Kinderfahrrad mit nur zwei Rädern, er muß also Radfahren lernen, das Gleichgewicht halten und so, was halt dazugehört zum richtigen Radfahren.

Da der Vater von Francois den ganzen Tag an der Universität zu tun hat, werde ich als Vertreter gebeten, ihm diese Kunst beizubringen, nach Ostern, als das Wetter besser geworden ist, die Straßen frei sind von Schnee und Matsch und Nässe, und die Sonne dann und wann scheint. Ein Vatervertreter bin ich nicht so recht, ich bin eher der Opa von Francois, und ich fühle mich sehr wohl in dieser Rolle. Der Sport bekommt mir, wenn es auch nicht einfach ist, den ganzen Vormittag auf einer zwar einsamen und verkehrsarmen, dafür aber sehr langen Straße einem sehr niedrigen Fahrrad hinterherzurennen, immer in gebückter Haltung, denn ich muß es am Sattel festhalten, damit es nicht umkippt während des Fahrens mit seiner kostbaren Last. Die Schelte bekäme ich ja, wer sonst?

Wenn man auf die Sechzig zugeht, ist so ein Dauersport von etlichen Kilometern am Tage, immer in gebückter Haltung, nicht nur ein Spaß, und ich muß Francois, der immer nur radeln will, öfter als einmal anhalten, um mir den Schweiß abzuwischen und Luft zu holen, die im Alter so leicht nicht mehr zu haben ist. Francois fährt schon ganz ausgezeichnet, und ich kann die meiste Zeit die Hände vom Sattel wegnehmen. Nur umdrehen darf er sich nicht, sonst verlöre er das Gleichgewicht - er ist der festen Überzeugung, daß ich ihn halte, und nur mit diesem Vertrauen hält er sich im Gleichgewicht. Trotzdem, der Sport bekommt mir, das merke ich an meinem Schlaf.

Nun will ich freilich die materiellen Vorzüge auch mit den geistigen verbinden, mit den geistlichen, und ich beginne mit einem geistlichen Gespräch. „Das mit dem Radfahren-Lernen ist wie mit dem lieben Gott“, sage ich. „Erst hält er dich fest an der Hand und führt dich, aber wenn du es erst einmal alleine kannst und genügend Selbstvertrauen besitzt und das Gleichgewicht halten kannst, dann zieht er seine Hand weg und läßt dich alleine fahren, ganz alleine. Und er tut bloß noch so, als ob er dich festhält.“

„Aber du nimmst die Hand doch nicht weg, Opa?“ fragt Francois besorgt und tritt etwas langsamer in die Pedalen. Er kann es ja nicht wissen: vielleicht macht der Opa es genauso wie der liebe Gott!

„Wo denkst du hin“, lüge ich, und das kann ich, weil Francois sich noch so unsicher auf dem Fahrrad bewegt, daß er sich nicht umzudrehen traut. „Erst wenn du ganz richtig fahren kannst. nehme ich meine Hand weg.“ - „Wann kann ich denn richtig fahren?“ - „Wenn ich die Hand wegnehme!“ - „Aber jetzt noch nicht, bitte Opa, ich kann es nämlich wirklich noch nicht richtig!“

„Solange du es noch nicht richtig kannst, nehme ich die Hand auch nicht weg“, lüge ich noch einmal, dann mache ich allerdings die Einschränkung: „Höchstens für einen Augenblick!“ - „Auch nicht für einen Augenblick“, bittet Francois, immer noch fahrend, „sonst fall ich runter!“ Fahren kann er, aber er besitzt noch nicht genügend Selbstvertrauen. Und das kann wichtiger sein als das Fahrenkönnen. „Na gut“, gebe ich mich geschlagen, aber nur in Worten, denn in Wirklichkeit lasse ich die Hand schon für viele Augenblicke los, aber ich muß, um den Schein zu wahren, immer ganz dicht hinter dem Fahrrad her rennen, damit ich die Hand gleich wieder an den Sattel legen kann, wenn Francois sich doch einmal umdrehen sollte - sonst liegt er auf der Nase, und das Fahrrad neben oder über ihm.

Eines Abends sind seine Eltern auswärts, und Francois übernachtet bei uns. Wir wollen aber auch noch ausgehen, meine Frau und ich, in einen religiösen Vortrag der Pfarrgemeinde. und ich versuche den Jungen zu überreden, allein zu bleiben, aber es gelingt mir nicht. ..Du brauchst doch keine Angst zu haben, der liebe Gott bleibt da und paßt auf dich auf. Er ist ja immer da!“ - „Aber bleib du lieber auch da, Opa“, wendet Francois ein, „vorsichtshalber, bei dir weiß ich nämlich, daß du mich festhältst, aber beim lieben Gott kann man ja nie wissen, ob er bloß so tut!“ Natürlich bleibe ich da. Als Opa, der einen Enkel zu betreuen hat?           (Alfred Kumpf)

 

Die Brücke der Gerechten

[Gewalttäter auf der eisernen Brücke und Gerechte auf der Brücke aus Papier]

„Erzähl, Maminka, erzähl!“ bestürmte ich allabendlich die Mutter. Und kein Winterabend verging, an dem sich Mutter, die den Tag über hart an der Nähmaschine gearbeitet hatte, nicht erweichen ließ. Von allen Geschichten, die sie mir hundertmal erzählen mußte und die sie meisterhaft zu variieren verstand, gab es eine, die mich stärker als alle anderen beeindruckte. Und auch Mutter schien eine besondere Vorliebe für sie zu hegen. Jedenfalls wußte sie sofort, welche Geschichte ich meinte, wenn ich bettelte: „Erzähl doch noch einmal eine, du weißt schon ...!“ „Ja, ich weiß“, lächelte Mutter, während ich mir's unter der Decke bequem machte und ganz Ohr wurde. Und die Mutter begann:

Einmal wird eine Zeit kommen, in der die Menschen für immer Einzug halten im Land des ewigen Friedens und der Gerechtigkeit. Doch der Weg in dieses Land wird sie über den Sambatjon-Fluß führen, der sechs Tage lang Pech und Schwefel speit und nur am Sabbat, wie die Väter erzählen, Ruhe gibt. Aber es werden nicht alle Menschen in das Land gelangen, denn nicht alle werden die Probe bestehen. Der Fluß wird wild sein und toben, und die Menschen werden furchtsam sein und nicht wissen, wie hinübergelangen. Und während sie noch überlegen und rätseln, werden sich wie durch ein Wunder zwei Brücken über dem Fluß beweisen: die eine aus Eisen, die andere aus Papier.

Da werden die einen, die es gewohnt sind, sich alles mit Gewalt zu nehmen, die eiserne Brücke bestürmen, so daß die Gerechten das Nachsehen haben und ihnen nichts anderes übrigbleibt, als ihr Vertrauen und ihre Schritte auf die Brücke aus Papier zu setzen. Und die Leute auf der eisernen Brücke werden ihnen dabei zusehen und sich vor Gelächter nicht zu halten wissen. „Nun wird sich zeigen“, werden sie rufen, „was eure guten Taten wiegen!“ Ihr spöttisches Rufen und Gejohle wird übergehen in ausgelassenes Springen und Tanzen. Aber plötzlich wird die eiserne Brücke, noch bevor sie der erste verlassen hat, mittlings entzweibrechen. Und der Strom wird alle verschlingen, die sich ihrer so sicher wähnten.

Die Gerechten jedoch werden auf der papiernen Brücke sicher ins Land der Verheißung gelangen, und nicht einer wird sein, den die Brücke nicht trägt ....

So ging die Geschichte, die ich nicht genug hören konnte und an der mich mehr als alles andere die Brücke aus Papier ins Nachdenken brachte. „Wird die Brücke wirklich nur aus einfachem Papier sein?“ unterbrach ich Mutter jedesmal beim Erzählen.

„Ja, mein Kind!“ bestätigte sie. „Das Papier der Brücke wird von gleicher Art sein wie jenes, aus dem du dir Mützen und Schiffchen faltest. Und es wird sich genauso leicht in hundert Stücke reißen lassen. Denn es ist nicht das Papier, dem die Brücke ihre Festigkeit und Stärke verdankt. Es sind die Gerechten, die über sie hinschreiten.“ (Mark Rasumny).

 

 

Des Landvogts salomonisches Urteil

[Mann will seine Frau nicht öffentlich verspotten lassen, sie aber will es mit ihm so manchen

Ein Bauer von Maur, namens Gretler, beklagte sich bei dem Landvogt von Greifensee über die Unvertragsamkeit seiner Frau, die immerfort mit ihm zanke, ihn mißhandle und ihm sogar

in ihrer Wut eine Schale siedenden Kaffee in die Brust gegossen habe, wovon die Spuren wirklich noch sichtbar waren.

Landolt ließ sich mit diesem Manne in eine lange Unterredung ein, ohne mit sich selbst einig werden zu können, wer von beiden Eheleuten eigentlich der bösere Teil sein möchte. Endlich sprach er: „Ich sehe wohl, daß du ein geplagter Hiob bist und will dir Recht schaffen. Künftigen Sonntag lasse ich dein Weib in die Drille - einen drehbaren Holzkäfig - sperren, und dann kannst du den giftigen Satan vor der ganzen versammelten Gemeinde drillen, solange es dir gefällt!“

Der Bauer erschrak und beteuerte dem Landvogt, dazu könne er sich unmöglich verstehen. Wenn auch böse, so sei sie doch seine Frau, und es stehe ihm nicht an, dieselbe vor den Augen aller Welt der Schande preiszugeben. Er hatte eigentlich nur gewünscht, der Herr Landvogt möchte ihr einen kräftigen Zuspruch halten.

Landolt ließ ihn abtreten und die Frau rufen. „Ich höre“, begann er zu dieser, „Du lebest in einer schlimmen Ehe und geratest öfters in einen heftigen Wortwechsel mit Deinem Manne. Es muß wohl ein nichtsnutziger Kerl sein!“

„Jawohl ist er das“, erwiderte das Weib und fing an, sich mit geläufiger Zunge in einen ganzen Strom bitterer Klagen über des Mannes Fehler zu ergießen. „Wenn dem so ist“, sprach Landolt, „so werde ich Dir wohl Ruhe verschaffen müssen. Weißt Du was? Wir lassen den Schwerenöter am Sonntag in die Drille setzen, und dann kannst Du ihn selber nach Herzenslust kuranzen!“

Jetzt funkelten die Augen der Xanthippe, und freudig rief sie aus: „Ja, ja, Herr Landvogt! Das will ich mit tausend Freuden tun; ich will ihn drillen, daß er an mich denken soll!“

Nun wußte Landolt, wen er vor sich hatte und ließ die Zänkerin zwar nicht drillen, aber doch für ein paar Tage bei Wasser und Brot einsperren, bis sie mürbe geworden war  (David Hess, 1770-1843).

 

Gustav

[Geistig Behinderter paßt auf die Kinder im Dorf auf]

Jemand erzählt aus seiner Kindheit: In unserem Dorf gab es einen Mann, der hieß Gustav. Man sah schon von weitem, daß mit ihm nicht alles in Ordnung war. Er grinste immer, auch wenn es nichts zu grinsen gab, und wo er auch war, sprach er mit sich selber. „Der hat's gut gehabt“, sagten die Kinder, „der ist nie in die Schule gegangen, weil er zu dumm war!“

Ein kleiner Junge klappte sein Lesebuch auf und hielt es Gustav dicht vor die Augen. „Lies!“ sagte er und zeigt auf das Wort „Hahn“. Er zeigte auf den Hahn, der neben dem Wort gezeichnet war, und sagte: „Kikeriki“. Da lachten wir alle ganz fürchterlich und schrien: „Er kann nicht lesen!“ Dann rannten wir hinter ihm her und sagten: „Schrumm, schrumm, schrumm, wir sind schlau und du bist dumm!“

„Hört auf Kinder“, sagte meine Großmutter. „Warum sollen wir aufhören“, antwortete ich. „Das macht doch Spaß!“ Aber sie rief mich ins Haus und sagte: „Wenn du dabei noch einmal mitmachst, hau ich dir eins hinter die Ohren. Gustav war auch so schlau wie du, aber noch bevor er in die Schule kam, hatte er eine Hirnhautentzündung. Seitdem ist er so.“

„Und warum geht er nicht zum Doktor?“ fragte ich. „Seine Mutter war mit ihm bei vieler Ärzten, aber da ist nichts mehr zu machen“, sagte die Großmutter. Gustav tat der ganzen Tag nichts: Er trottete hin, wo es etwas zu sehen gab, und grinste denen zu, die vorüberkamen. Er beugte sich über alle Kinderwagen und streichelte Katzen und Hunde. Manchmal führte er ein dickes kleines Mädchen an der Hand. Sobald die Sonne unterging, verschwand er in seinem Zimmer.

„Er taugt zu nichts“, sagte mein Onkel, der etwas im Dorf zu sagen hatte. „Er ist ein unnützer Esser. Früher hat er der Leute Holz gehackt, aber jetzt haben sie alle elektrische Herde, da brauchen sie nicht mehr so viel Holz. Und für die Feldarbeit ist er zu langsam. Man hätte ihm gleich eine Arbeit beibringen sollen, als er noch jung war.“

„Seine Mutter“, sagte die Großmutter, „wollte ihn zu einem Korbmacher in die Lehre geben, aber sie starb, als er vierzehn Jahre alt war. Dann hat sich niemand mehr recht um ihn gekümmert. Jetzt ist er schon fast fünfzig!“ „Er fällt allen zur Last“, sagte mein Onkel. „Aber die Hunde und Katzen mögen ihn“, antwortete die Großmutter.

Im Dorf wurde ein Spielplatz für die kleinen Kinder eingerichtet. Wir Großen schauten den

Männern zu, die einen Sandkasten anlegten“. Sie stellten auch ein Klettergerät und eine kleine Schaukel auf. Der Zaun wunde bunt gestrichen. „Wann wird der Spielplatz eröffnet“, fragte ich den Onkel. „Noch nicht“, antwortete er, „wir haben noch keinen, der auf die Kleinen aufpaßt. Man braucht viel Geduld dazu!“

„Ich wüßte jemand“, sagte die Großmutter. „Den Gustav!“- „Was“, rief der Onkel, „dieser Trottel!“ - „Mit Hunden und Katzen versteht er's. Warum sollte er's nicht auch mit den Kindern verstehen? Ich habe ihn manchmal mit Willrichs kleiner Enkelin spielen sehen. Er geht mit ihr spazieren, obwohl sie noch nicht gut laufen kann. Er hat Geduld mit ihr. Er spricht mit ihr. Geh doch mal hin und erkundige dich!“ Der Onkel ging und kam nach einer Weile wieder. „Sie sagen, es gäbe kein besseres Kindermädchen als ihn!“

Am Nachmittag sah ich den Onkel mit Gustav auf dem Spielplatz stehen. Gustav grinste und nickte. Und am nächsten Morgen stand das Tor weit offen. Die Kleinen durften hineingehen und spielen. Gustav war auch da. Er hatte sogar eine Krawatte um. Er nahm einen Jungen auf den Arm, einen ganz kleinen, der sich vor den vielen Kindern fürchtete.

Er setzte ein Mädchen auf die Schaukel und schubste es vorsichtig an, bis es vor Vergnügen jauchzte. Er zog zwei Zankhähne im Sandkasten auseinander. Als ein Hund hineingelaufen kam, jagte er ihn hinaus.

Ein paar Mütter schauten zu. „Er macht es gut“, sagten sie. Am Abend gaben ihm nicht nur die Kinder die Hand, sondern auch die Erwachsenen. Sie sagten: „Danke, Gustav, komm morgen wieder! Du hast es großartig gemacht!“ Gustav war sehr stolz. Er nickte und grinste. Niemand sagte mehr: „Da kommt der Trottel!“ Alle grüßten ihn und waren freundlich. Als Gustav einmal zwei Tage lang krank war, fragte des ganze Dorf nach ihm, und der Onkel jammerte: „Was machen wir ohne ihn?“ - Siehst du“, sagte die Großmutter.

 

Fragen:

1. Woran merken die Leute, daß Gustav so anders ist?

2. Wie ist es dazu gekommen?

3. Warum möchte der Onkel nicht, daß Gustav auf die Kleinen aufpaßt?

4. Warum hat das Verhalten der Großmutter im Dorf etwas verändert?

Die Großmutter hat gesehen, wie er mit Kindern und Tieren umgeht. Sie hat gehört, wie er mit Kindern redet und wie andere mit ihm reden, sie hat gehört, wie es ihm ergangen ist. Sie hat gehandelt, wie Jesus gehandelt hätte.

 

 

Der kleine florentinische Schreiber

[Junge hilft seinem Vater beim Kopieren, damit dieser mehr Geld verdient]

 In Florenz, einer großen Stadt in Italien, wohnte ein armer Bahnbeamter, der eine große Familie hatte. So fleißig der Vater auch arbeitete - das Geld wollte doch oft nicht zum Nötigsten reichen. Die Eltern hofften nun darauf, daß der Älteste, der zwölf­jährige begabte Giulio, sie bald einmal unterstützen könnte. Darum sollte er so schnell wie möglich etwas Ordentliches lernen.

Obwohl der Vater ziemlich alt war, übernahm er doch neben seinem schweren Dienst noch manche zusätzliche Schreibarbeit, die er nachts erledigte. Einmal hatte er von einem Verlag den Auftrag bekommen, regelmäßig Adressen. zu schreiben. Für 500 Stück bekam er drei Lire (eine Lira war vor dem Kriege soviel wert wie dreizehn Pfennige in Deutschland). Da sagte Giulio schließlich einmal zu ihm: „Vater, laß mich an deiner Stelle arbeiten. Du weißt, ich schreibe ganz genau wie du!“ Aber der Vater wollte es nicht erlauben. Giulio sollte genügend Zeit für seine Schularbeiten haben.

Aber der Junge faßte einen Plan. Er wußte, daß der Vater immer genau nach Mitternacht aufhörte zu schreiben. Da wartete Giulio, bis der Vater ins Bett gegangen war, setzte sich an den Schreibtisch, drehte die Lampe an und fing, an zu schreiben. Dabei gab er sich Mühe, die Schrift seines Vaters genau nachzuahmen. Als er 160 Adressen geschrieben hatte, legte er den Federhalter glücklich beiseite: „Eine Lira!“ dachte er, löschte die Lampe und ging zu Bett.

Am nächsten Tag setzte sich der Vater fröhlich zum Essen. Er hatte nicht gemerkt, daß Giulio aufgestanden war und dachte, er habe selbst so viele Adressen geschafft. Er zählte nämlich niemals während des Schreibens. Giulio freute sich mit dem Vater und nahm sich vor, regelmäßig zu helfen.

So ging das viele Nächte hindurch. Eines Tages sagte der Vater beim Essen: „Es ist doch merkwürdig, wieviel Licht wir seit einiger Zeit brauchen!“ Giulio erschrak. Aber er sagte nichts dazu. Allmählich merkte er aber, wie ihn die Nachtarbeit anstrengte. Er war am Tage müde und zerstreut und schlief manchmal sogar bei den Schularbeiten ein. Da wurde der Vater böse und sagte schließlich: „Giulio, du hältst dein Wort nicht. Denke daran, daß die ganze Familie ihre Hoffnungen auf dich setzt. Ich bin unzufrieden mit dir, verstehst du!“

Giulio nahm sich vor, den Betrug aufzudecken. Aber am selben Abend sagte der Vater zufrieden: „Diesen Monat habe ich mit den Adressen 32 Lire mehr verdient als im letzten!“ Mit diesen Worten zog er eine Schachtel Süßigkeiten hervor, mit der er den Kindern eine besondere Freude machen wollte. Da konnte sich Giulio nicht entschließen, dem Vater alles zu sagen, und er half heimlich weiter, so gut er konnte.

Aber mit seiner Ermüdung wurde es immer schlimmer. Auch der Lehrer beschwerte sich schließlich über seine Unaufmerksamkeit. Daraufhin machte ihm der Vater ernstliche Vorwürfe. Giulio brach in Tränen aus und war schon dabei, alles zu entdecken. Aber da unterbrach ihn der Vater und sagte: „Du kennst die Verhältnisse, in denen wir leben, und weißt, daß guter Wille und Opfergeist von uns allen nötig ist. Ich selbst, siehst du, sollte doppelt soviel arbeiten. Ich zählte diesen Monat auf eine Lohnerhöhung von hundert Lire bei den Eisenbahnen, und heute früh habe ich erfahren, daß ich nichts bekommen werde!“

Da brachte Giulio es wieder nicht übers Herz, dem Vater alles zu sagen, und er quälte sich weiter mit seiner Nachtarbeit. Dabei wurde er aber immer blasser und magerer. Er wußte auch, daß er diese Anstrengung nicht mehr lange aushalten würde. Jeden Tag nahm er sich vor: „Heute nacht stehe ich nicht mehr auf!“ Aber dann dachte daran, daß jede Lira für die Familie wichtig sei, und ging doch wieder an.

Arbeit.

Eines Abends sagte die Mutter: „Was ist nur mit Giulio los? Er sieht so krank aus!“ Der Vater warf nur einen flüchtigen Blick auf den Jungen und antwortete: „Das schlechte Gewissen verdirbt ihm die Gesundheit. Es ging ihm besser, als er noch ein fleißiger Schüler und ein anhänglicher Sohn war!“ - „Aber er ist krank“, rief die Mutter aus. „Das ist mir jetzt gleichgültig“, erwiderte der Vater. Das traf den Jungen wie ein schwerer Schlag. Sein Vater hatte ihn nicht mehr lieb! Etwas Schlimmeres konnte sich Giulio nicht denken.

Er nahm sich fest vor, mit dem Adressenschreiben aufzuhören. Nur noch einmal wollte er in der Nacht aufstehen und ein paar Minuten in dem Zimmer sein, in dem er bei seiner Arbeit so glücklich gewesen war. Als er am Schreibtisch saß, griff er doch wieder heftig nach der Feder, um die gewohnte Arbeit aufzunehmen. Aber da stieß er aus Versehen an ein Buch, und es fiel zu Boden. Giulio wurde starr vor Schreck. Er lauschte - aber nichts regte sich. Da fing er wieder an zu schreiben. Draußen hörte man einen Wagen rollen. Ein Hund bellte. Giulio schrieb, ohne aufzusehen.

Währenddessen stand sein Vater hinter ihm. Er hatte das Buch fallen hören, war aber erst eine Weile später hereingekommen, als das Geräusch des Wagens seine Schritte übertönte. Und nun hatte er alles begriffen.

Plötzlich stieß Giulio einen Schrei aus - zwei Arme hatten ihn fest umschlungen. „Vater, Vater - verzeih mir!“ - „Nein, du mußt mir verzeihen, du lieber Kerl!“

Und nun brachte der Vater Giulio ins Bett und blieb die ganze Nacht bei ihm sitzen. So gut wie in dieser Nacht hatte Giulio lange nicht geschlafen (nach einer Erzählung von Edmondo de Amicis. Die Erzählung läßt sich auch in Spielszenen umsetzen).

 

 

Die Moritat von der guten alten Zeit

Der Bänkelsänger (singt):

Was ich heute euch berichte, liegt es wirklich schon so weit?

Freunde, hört nun die Geschichte von der guten, alten Zeit!  (Er spricht):

Unser Küster beispielsweise rechnet zwar zu seiner Pflicht

auch den Dienst am Jugendkreise; aber leicht fällt es ihm nicht.

 

Der Küster (spricht):

Fürchtet ihr nichts fürs Bekenntnis und fürs Kirchenregiment

von dem falschen Weltverständnis, das man Jugendarbeit nennt?

Hörte man schon unter Christen - wenigstens zu meiner Zeit -

daß die Werk- und Arbeitsrüsten nötig sind zur Seligkeit?

Keines Jugendwerks Bestreben hat uns je den Blick getrübt,

denn wir sind ins Christenleben seit der Taufe eingeübt.

Jugendarbeit! Die Vokabel macht mir eine Gänsehaut.

Denkt nur an den Turm zu Babel, eh' ihr selber einen baut!

 

Der Chor der Jugend (singt):

Lieber Küster, nur kein Grollen; such' uns bitte zu versteh'n!

Wenn wir auf dich hören sollen, darfst auch du nicht überseh'n:

 

Einer aus dem Chor der Jugend (spricht):

Wieviel immer neue Moden haben schon die Welt beglückt;

- wechseln wir auch die Methoden, bleibt das Ziel doch unverrückt.

 

Der Bänkelsänger (singt):

Was ich heute euch berichte, liegt es wirklich schon so weit?

Freunde, hört noch die Geschichte von der guten, alten Zeit!  (Er spricht):

Eine Mutter hat mir neulich kummervoll das Herz bewegt;

vieles fand sie ganz abscheulich, was die Jugend heute trägt.

 

Die Mutter (spricht):

Von der Mode spracht ihr eben: unbeständig soll sie sein.

Nun, wir stehen auch im Leben und wir sehen manches ein,

und wir können viel verstehen, denn wir waren auch mal jung;

aber was wir heute sehen, grenzt schon fast an Lästerung.

Perlon steht zwar vielen Frauen, doch zugleich sind sie bedroht;

und mit ernster Sorge schauen wir auf manchen Petticoat.

Aber eins muß uns erbosen, weil's der Sitte widerspricht:

Wollte Gott die Frau in Hosen? Ich für mein Teil glaub es nicht.

 

Der Chor der Jugend (singt):

Liebe Mutter, nur kein Grollen; such' uns bitte zu versteh'n!

Wenn wir auf dich hören sollen, darfst auch du nicht überseh'n:

 

Eine aus dem Chor der Jugend (spricht):

Wer, um Frau und Mann zu kleiden, nicht des Paradies vergißt,

weiß: heut steht die Hose beiden, einfach, weil sie praktisch ist.

 

Der Bänkelsänger (singt):

Was ich heute euch berichte, liegt es wirklich schon so weit?

Freunde, hört noch die Geschichte von der guten, alten Zeit!   (Er spricht):

Auch ein Lehrer hatte Sorgen, der, das wurde mir bald klar,

zwar kein Mann von übermorgen, doch auch nicht von gestern war.

 

Der Lehrer (spricht):

Praktisch nennt ihr Mädchenhosen, und ich weiß, das geht so fort:

Lippenstift und Puderdosen, Fahrt und Lager, Spiel und Sport.

Zwar bin ich bestimmt der letzte, der euch zu verzärteln heißt;

im gesunden Körper schätzte ich von je gesunden Geist.

Mit dem Medizinball trieben wir beim Wandervogel Sport.

Was ist heute noch geblieben? Nur die Sucht nach dem Rekord.

Früher Wanderfahrt und Zelten, Mopedfahrt und Camping jetzt;

das Natürliche wird selten, wenn uns erst die Technik hetzt.

 

Der Chor der Jugend (singt):

Lieber Lehrer, nur kein Grollen; such' uns bitte zu versteh'n!

Wenn wir auf dich hören sollen, darfst auch du nicht überseh'n:

 

Einer aus dem Chor der Jugend (spricht):

Lange hat man uns bemuttert, und jetzt reißt uns die Geduld;

wer sich dabei überfuttert, der ist selber daran schuld.

 

Der Bänkelsänger (singt):

Was ich heute euch berichte, liegt es wirklich schon so weit?

Freunde, hört noch die Geschichte von der guten, alten Zeit!  (Er spricht):

Doch das gute, alte Schema reicht nicht her und reicht nicht hin;

und nun spricht zu diesem Thema eine Jugendleiterin.

 

Die Jugendleiterin (spricht):

Bei dem Thema Mädchenhose hat der Lehrer schon gesagt,

daß ihm auch die Puderdose keineswegs so recht behagt.

Und daß ich es nur gestehe: es ist auch nicht mein Geschmack,

wenn ich euer Make-up sehe, Lippenstift und Nagellack.

Zwar ich hab euch nichts verboten und auch selbst schon was versucht,

denn ich weiß, den blonden Knoten nennt ihr heimlich „Glaubensfrucht“.

Wenn ich euch auch nicht gefalle, und wenn keine mich begriff:

zehnmal lieber sind mir alle ohne Toilettenkniff.

 

Der Chor der Jugend (singt):

Liebe Hanna, nur kein Grollen; such' uns bitte zu versteh'n!

wenn wir auf dich hören sollen, darfst auch du nicht überseh'n,

 

Eine aus dem Chor der Jugend (spricht):

Daß nun mal in unsern Zeiten ein Make-up, das keinen stört,

zu den Selbstverständlichkeiten in Beruf und Amt gehört.

 

Der Bänkelsänger (singt):

Was ich heute euch berichte, liegt es wirklich schon so weit?

Freunde, hört noch die Geschichte von der guten, alten Zeit!  (Er spricht):

Wozu uns das Lippenröten und das Schminken noch verführt,

weiß ein Pfarrer, der in Nöten einen wunden Punkt berührt.

Der Pfarrer (spricht):

Da wir schon von Schminke reden, fast als ob ein Stichwort fiel:

eigentlich betrifft doch jeden heut das Stichwort „Laienspiel“.

Oft schon schien es fest beschlossen, daß das Spielunwesen stirbt;

doch es ist ins Kraut geschossen, sie sind mir nicht mehr fürchterlich:

Draußen steht der Homo ludens, in der Kirche stehe ich!

 

Der Bänkelsänger (singt):

Dieses war nun die Geschichte von der guten, alten Zeit.

Liegt der Anlaß der Berichte heute wirklich schon so weit?

 

Der Chor der Jugend (singt):

Liebe Freunde, nur kein Grollen; doch ihr dürft nicht überseh'n:

wenn wir auf euch hören sollen, sucht uns bitte zu verstehe!                    (Gerhard Valentin)

 

[An Zutaten braucht je nach den Möglichkeiten nicht gespart zu werden: Leierkasten oder andere Instrumente zur Begleitung des Bänkelsängers, Zeigestock und schauerlich handgemalte Moritatenbilder, aber eventuell auch Glasbilder im gleichen Stil, die auf eine Leinwand projiziert werden, bieten sich geradezu an. Der Bänkelsänger und vor allem die wechselnden sprechenden Personen sollten Spaß an einer typischen Kleidung haben] (nach Gerhard Valentin).

 

 

Der Arme und der Reiche

[Armer Mann nimmt Gott unwissend bei sich auf, der reiche Nachbar will es ihm nachtun]

Vor alten Zeiten, als der liebe Gott selber auf Erden unter den Menschen wandelte, trug es sich zu, daß er eines Abends müde war und ihn die Nacht überfiel, ehe er zu einer Herberge kommen konnte. Da standen auf dem Weg vor ihm zwei Häuser gegenüber, eines groß und schön, das andere klein und ärmlich anzusehen, und gehörte das eine einem reichen und das andere einem armen Manne.

Unser Herrgott dachte: „Dem Reichen werde ich nicht beschwerlich fallen“, und er klopfte bei ihm an der Tür. Da machte der Reiche sein Fester auf und fragte, was er wolle. „Ein Nachtlager!“. Der Reiche guckte Ihn an vom Haupt bis zu den Füßen und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf und sprach: „Ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Samen; und sollte ich jedermann aufnehmen, der an meine Tür klopft, so müßte ich bald selber fortgehen. Sucht euch anderswo ein Auskommen!“ Damit schlug er sein Fenster zu und ließ den lieben Gott stehen.

Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken, ging hinüber zu dem kleinen Haus und klopfte an. Kaum hatte er angeklopft, klinkte auch schon der Arme sein Türchen auf und bat den Wundermann, einzutreten und bei ihm die Nacht über zu bleiben. „Es ist schon finster", sagte er, „und heute könnt Ihr doch nicht weiterkommen!“ Da gefiel es dem lieben Gott, und er trat ein. Die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen und sagte, er möchte es sich bequem machen und vorlieb nehmen; sie hätten nicht viel , aber was es wäre, gäben sie von Herzen gern. Dann setzte sie die Kartoffeln aufs Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein bißchen Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott zu ihnen und aß mit. Die schlechte Kost schmeckte ihm gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei.

Wenn sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau heimlich ihren Mann und sprach: „Hör, lieber Mann, wir wollen uns heut' Nacht eine Streu dahin machen, damit der arme Wanderer sich in unser Bett lege und ausruhen kann: Er ist den ganzer Tag über gegangen, da wird einer müd!“ - „Von Herzen gern" sprach der Mann, „ich will es ihm sagen!“ Er ging zu dem lieben Gott und bat ihn, wenn es ihm recht wäre, möcht' er sich in ihr Bett legen und seine Glieder ordentlich ausruhen. Der liebe Gott wollte den beiden Alten ihr Lager nicht nehmen, aber sie ließen nicht ab, bis er es endlich tat und sich in ihr Bett legte; sie aber machten sich eine Streu auf die Erde.

Am anderen Morgen vor Tag standen sie schon auf und kochten ihm ein warmes Frühstück. Als nun die Sonne durchs Fensterlein hereinschien und der liebe Gott aufgestanden war, aß er wieder mit ihnen und wollte dann seines Weges ziehen. Doch als er in der Tür stand, sprach er: „Weil ihr so mitleidig und fromm seid, so wünscht euch dreierlei, das will ich euch erfüllen!“ Da sagte der Arme „Was soll ich mir sonst wünschen als die ewige Seligkeit und daß wir zwei - solange wir leben- gesund sind und unser notdürftiges tägliches Brot haben. Fürs dritte weiß ich nichts zu wünschen!“ Der liebe Gott sprach: „Willst du dir nicht ein neues Haus für das alte wünschen?“ Da sagte der Mann, ja, wenn das ginge, wäre es ihm wohl lieb. Alsbald erfüllte der liebe Gott ihre Wünsche und verwandelte ihr altes Haus in ein schönes neues und verließ sie darauf.

Als es nun voller Tag war und der Reiche aufstand und sich ins Fenster legte, sah er gegenüber ein schönes neues Haus stehen statt der alten Hütte. Da machte er Augen, rief seine Frau und sprach: „Frau, sieh einmal, wie ist das zugegangen? Gestern Abend stand dort eine elende Hütte, und nun ist es ein schönes neues Haus. Lauf doch einmal hinüber und hör', wie das gekommen ist!“

 

 

„Was hätte ich sonst tun sollen?“

[Verkehrspolizist bekreuzigt sich bei der Verkehrsregelung auf der Kreuzung]

Wir zelteten in einer kleinen Bucht weit draußen vor Saloniki. Dicht bei unseren

Zelten gab es einige Siedlungshäuser in diesem Vorort Kalamaria. Und in einem dieser kleinen weißen Häuser wohnte Theodoros mit seiner Mutter. Gleich am ersten Mittag, als die Sonne glühendheiß über dem Sand stand und die blauen Wasser der Ägäis an das hohe Felsenufer der griechischen Küste klatschten, stand Theodoros neben uns. Er zeigte uns den kleinen Einstieg am Felsen, von wo aus man herrlich schnell ins Wasser gelangen und dann unbehelligt von den Algen und Schwämmen weit hinaus ins Meer schwimmen konnte.

Theodoros war Polizist. Dort, wo mitten in der Stadt die breite Avenue über jene Straße führte, die von der großen neuen Kirche des heiligen Georg herunterkam, hatte unser junger Freund sein Podest. Mitten in dem brandenden Verkehr, denn von der anderen Seite brachte die Straße die Autos vom Kai herein in das Zentrum der Stadt.

Aber Theodoros stand völlig ruhig in seinem weißen Anzug mit dem weißen, sonnenabschirmenden Helm dort auf seinem Platz. Er hatte uns gleich am ersten Tag unserer Bekanntschaft aufgefordert, ihn doch dort einmal zu besuchen. Und so kreuzten wir dann auch immer, wenn wir mit unserem Wagen durch die große Stadt fahren mußten, den Knotenpunkt, winkten aus allen Fenstern heraus, und Theodoros grüßte zu uns herab.

Eines Tages, wir kamen vom Burgberg herab, rollten wir wieder einmal auf der breiten Hauptstraße unserem Freund entgegen. Schnellere Wagen überholten uns immer wieder und flitzten an uns vorbei. In Saloniki war Messe, und besonders die amerikanischen Wagen lagen breit auf der Straße. Der Verkehr war unübersehbar geworden. Aber unser Theodoros würde das schon bewältigen, da hatten wir keinen Zweifel! Wir wußten ja, solchem Ansturm gegenüber blieb er völlig gelassen. Ruhig schaltete er die Lichter seiner Ampel: rot und grün. Er achtete darauf, daß die Wagen in ziemlich gleichen Abständen wieder freie Fahrt bekamen. Theodoros, der Polizist, drückte auf den Knopf: rot - grün - rot - grün.

Da plötzlich - wir waren dicht vor der Kreuzung und konnten den Platz nicht übersehen - passierte das, worauf sich Theodoros, als wir abends mit ihm darüber sprachen, nicht mehr entsinnen konnte. Wie war das überhaupt möglich? Hatte er vielleicht einen Augenblick daran gedacht, daß uns seine Mutter abends zum Essen gebeten hatte und daß er noch Apfelsinen und Nüsse einkaufen wollte? Hatten ihn vielleicht doch die anbrausenden großen 'Wagen, die von der Messe zurück in die Stadt fluteten, verwirrt? Er wußte es nicht. Er starrte nur wie gebannt auf den Platz, der völlig leer dalag. Nicht ein einziger Wagen überquerte ihn.

Was war passiert? Theodoros, der Polizist, hatte für alle Straßen „rot“ eingeschaltet. Die Fahrer an den vier Straßen gaben ungeduldig Signal. „Verrückter Polizist da oben, was fällt ihm ein?“ Die Geschäftsleute, erschöpft von dem hinter ihnen liegenden Messetag, schimpften laut über die Straße hinweg. Entsetzt schaute Theodoros über seinen Platz, unfähig eines vernünftigen Gedankens darüber, was er jetzt tun sollte. Seine Hand, die sonst mit sicherem Griff den Verkehrsschalter bediente, schien wie gelähmt.

Und während die Sekunden wie lange Minuten dahin schlichen, hatte Theodoros doch den besten Gedanken, den er nur haben konnte. Hilflos, dem brandenden signalgebenden Verkehr gegenüber, stand der kleine Polizist im weißen Anzug auf -seinem Podest und - alle auf den vier Straßen konnten es deutlich sehen! - faltete einfach die Hände über der Brust. Er senkte den Kopf. Auch das dauerte nur Sekunden. Dann berührte er die Stirn, Brust und Schultern mit den Fingerspitzen der rechten Hand und - schaute wieder fest nach allen Seiten! Ruhig drückte er den Schaltknopf. Erst rot, dann grün ...

Theodoros, der Polizist, hatte gebetet. In seiner absoluten Hilflosigkeit, in einem Augenblick, da seine Nerven dem anstürmenden Lärm nicht mehr gewachsen waren, hatte er das für ihn einzig Mögliche getan: Er hatte um Kraft gebetet, Verkehrsknäuel wieder entwirren zu können.

Nicht ein einziger Fahrer hatte während der wenigen Augenblicke, da der Polizist auf seinem Podest inmitten des leeren Platzes betete, Signal gegeben. Und als die einzelnen Richtungen dann wieder freie Fahrt hatten, glitten die Wagen fast lautlos und ganz behutsam, so, als wollten sie sich entschuldigen für ihre Ungeduld, aber wohl auch mit einer gewissen Bewunderung, an dem kleinen weißen Polizisten vorüber. „Ja, das ist die kindliche Frömmigkeit der Orthodoxen“, sagte unser Fahrer, als wir an Theodoros - diesmal ohne uns bemerkbar zu machen - vorübergefahren waren und schon zum Galeriusbogen kamen.

Abends, nachdem wir uns die gefüllten Paprikaschoten mit Eierfrucht und Reis, die Theodoros so vortrefflich anzurichten wußte, hatten schmecken lassen, kamen wir noch einmal auf das Geschehen dieses Nachmittags zu sprechen. Theodoros war erstaunt, daß wir sein Beten noch einmal erwähnten. „Was hätte ich denn sonst anderes tun sollen?“ war seine schlichte Frage an uns.         (H. Gordon).

 

Eine Geschichte über den Fleiß

Es war einmal ein Holzfäller, der bei einer Holzgesellschaft um Arbeit vorsprach. Das Gehalt

war in Ordnung, die Arbeitsbedingungen verlockend, also wollte der Holzfäller einen guten

Eindruck hinterlassen.

Am ersten Tag meldete er sich beim Vorarbeiter, der ihm eine Axt gab und ihm einen bestimmten Bereich im Wald zuwies. Begeistert machte sich der Holzfäller an seine Arbeit.

An einem einzigen Tag fällte er 18 Bäume. „Herzlichen Glückwunsch“, sagte der Vorarbeiter. „Weiter so!“

Angestachelt von den Worten des Vorarbeiters, beschloß der Holzfäller, am nächsten Tag das

Ergebnis seiner Arbeit noch zu übertreffen. Also legte er sich in dieser Nacht früh ins Bett.

Am nächsten Morgen stand er vor allen anderen auf und ging in den Wald.

Trotz aller Anstrengung gelang es ihm nicht, mehr als 15 Bäume zu fällen. „Ich muß müde sein“, dachte er. Und beschloß, an diesem Abend gleich nach Sonnenuntergang schlafen zu gehen.

Im Morgengrauen erwachte er mit dem festen Entschluß, heute seine Marke von 18 Bäumen

zu übertreffen. Er schaffte noch nicht einmal die Hälfte. Am nächsten Tag waren es nur sieben Bäume, am übernächsten fünf, seinen letzten Tag verbrachte er fast vollständig damit, einen zweiten Baum zu fällen.

In Sorge darüber, was wohl der Vorarbeiter dazu sagen würde, trat der Holzfäller vor ihn hin,

erzählte, was passiert war, und schwor Stein und Bein, daß er geschuftet hatte bis zum Umfallen.

Der Vorarbeiter fragte ihn: „Wann hast du denn deine Axt das letzte Mal geschärft?“ - „Die Axt schärfen? Dazu hatte ich keine Zeit, ich war zu sehr damit beschäftigt, Bäume zu

fällen!“                                   (Aus: Jorge Bucay, Komm, ich erzähl dir eine Geschichte).

 

Variante:

Wenn eine Axt stumpf geworden ist.

 Zwei Holzfäller, der eine jünger, der andere älter, wollten wissen, wer von ihnen an einem Tag mehr Bäume fällen kann als der andere. Sogleich machten sie sich an die Arbeit. Am Ende des Tages war leicht zu erkennen, wer gesiegt hatte: der Ältere!

Der Jüngere konnte es kaum begreifen, wie so etwas geschehen konnte. Fragend wandte er sich an seinen Kollegen: „Ich habe doch gesehen, wie du dich jede Stunde hingesetzt und ausgeruht hast, während ich unermüdlich weiterarbeitete!“ Der ältere Holzfäller antwortete mit einem Lächeln: „Während du dachtest, daß ich eine Pause machte, habe ich meine Axt geschärft. Warum hast du es nicht genauso gemacht?“

Die Bibel sagt (Prediger 10,10): „Wenn eine Axt stumpf geworden ist und man die Schneide nicht schärft, dann muß man umso mehr Kraft anwenden!“

Wir sind keine Holzfäller, aber uns leuchtet das Bild von der scharfen Axt ein. Wir wundern uns manchmal, warum so wenig bei dem herauskommt, was wir anfangen. Wir sind erschöpft, ohne daß die Ergebnisse viel davon zeigen, wo die Kraft geblieben ist. Der Tip aus Gottes Wort kann uns dabei helfen: Die Axt muß geschärft werden!

 Wir können bei Gott Pause machen und uns den neusten Schliff holen.

 Dann haben wir anschließend wieder die nötige „Schärfe“ für unseren Alltag.

Dabei geht es um etwas anderes, als wieder und wieder neue Informationen aus Gottes Wort zu sammeln. Vielmehr geht es darum, daß wir uns sammeln und umgestalten lassen. Manchen mag diese Lebensweisheit aus dem Predigerbuch lästig und unzeitgemäß erscheinen.

Doch der Erfolg spricht eindeutig für diesen Tip.

 Nicht wer dauernd am Klopfen ist, kommt zu guten Ergebnissen, sondern wer gezielt und mit Schärfe seine Schläge ansetzt. Lassen wir uns von Gottes Wort Effektivität schenken!

Als ein Mann im Wald spazierengeht kommt er an einer Lichtung vorbei, wo ein Waldarbeiter gerade Holz hackt. Er sieht ihm eine Weile zu und bemerkt dabei, daß der Ärmste sich recht abrackert, müht und plagt, nur weil seine Axt recht stumpf zu sein scheint.

Schließlich gibt er sich einen Ruck und spricht ihn an: „Hallo! Warum schärft Ihr denn Eure Axt nicht? Die ist ja total stumpf.“ Der Holzfäller sieht kurz auf und antwortet außer Atem: „Was? Die Axt schärfen? Nein - ausgeschlossen, dazu habe ich keine Zeit - ich muß noch soviel Holz hacken!“

Der Holzfäller sieht nichts als seine Arbeit. Er erkennt nicht, daß das Schärfen der Axt zwar kurzfristig ihn von seiner Arbeit abhält, aber er dadurch später insgesamt viel schneller und leichter vorankommt. Es geht also vorerst um seine eingeschränkte Sichtweise. Diese wird aber durch den Spaziergänger erweitert - der Holzfäller kennt also unter Umständen die Zusammenhänge. Danach geht es nur noch um die nötige Konsequenz, dieses Wissen auch anzuwenden - und nicht irgendwelche scheinbar wichtigen Gründe als Ausrede „vorzuschieben“.

 

 

 

Für zehn Mark Vertrauen

[Eine Frau hat zehn Mark verloren, aber die Hausbewohner bringen jeder einen Zehnmarkschein]

Plinganser Straße 152a - kein sonderlich schönes Haus, in das sie da vor drei Monaten eingezogen war! Doch damit konnte sie sich schließlich abfinden; denn die Wohnung, Zimmer, Kabinett und Küche, entsprach ganz ihren Wünschen.

Woran sie sich aber nicht gewöhnen konnte, waren die Leute, die in diesem Haus wohnten, eine Zufallswahl unsympathischer Menschen, wie sie sich eben in solchen Mietshäusern gelegentlich zusammenfindet: der alte, verschrobene Oberst a. D. Karl Lagarde, der immer nur mit Frau, Tochter und Dogge ausging, dann ein gewisser Vinzenz Pröbstl, „Vertreter“ wie auf dem Türschild stand. Nun, man weiß ja, was sich unter dieser Berufsbezeichnung mitunter herumtreibt; denn „vertreten“ läßt sich schließlich alles.

Und nebenan protzige Leute, ein Oberlehrer Scheibelberger, dessen Frau sie schon mehrmals zum Fernsehen eingeladen hatte, vermutlich nur, um mit dem neuen Apparat den nötigen Eindruck zu machen.

Sie hatte natürlich abgelehnt. Das Beste war überhaupt, sich gar nicht um die einzelnen Mietparteien zu kümmern und so zu tun, als ob man in diesem Haus allein wäre. Dies aber hieß: sich gegen alle mit Mißtrauen zu wappnen und rechtzeitig die Sperrkette einzulegen.

So ging dann alles nach ihrem Wunsch, bis sie eines Tages mit einer Tasche voll Kartoffeln vom Viktualienmarkt heimkam, erschrocken feststellte, daß ihr jener Zehnmarkschein fehlte, den sie eben in der Trambahn noch in der Hand gehabt hatte.

Sie durchsuchte ihre Einkaufstasche - der Schein war nicht da. Also konnte sie ihn nur im Stiegenhaus verloren haben; denn die Trambahn hielt unmittelbar vor dem Haus. Sie ging nochmals die Stiege hinunter, suchte lange und genau - der Schein war nicht mehr zu finden. Das bedeutete, daß jemand im Haus diesen Zehnmarkschein gefunden haben mußte, gefunden und selbstverständlich an sich genommen, wie das von dieser „Zufallsauswahl unerfreulicher Menschen“ gar nicht anders zu erwarten war.

Aber die Leute sollten, bei Gott, nicht glauben, daß sie sich damit leichthin abfinden ließ. Also schrieb sie einen Zettel und befestigte ihn neben dem Eingang an der Haustür. Da stand nun schwarz auf weiß: „Zehnmarkschein im Stiegenhaus verloren, Melanie Marbach, Revi­dentenswitwe, dritter Stock links.“

Sie ersparte sich die üblichen Worte wie „Der ehrliche Finder wird gebeten ...“, Worte, die bei diesen Leuten gewiß unangebracht waren. Immerhin aber konnte der, den es betraf, sehen, was sie mit diesem Zettel sagen wollte! Ich weiß genau, was geschehen ist! Ich kenne euch! Mich, Melanie Marbach, könnt ihr nicht hintergehen.  

Die Kartoffeln standen noch auf dem Herd, als auf der Stiege Gebell zu hören war, und schon klingelte es. „Also der Oberst“, dachte sie. „Hat ihn doch das Gewissen gedrückt.“ Da stand er schon, die Dogge neben sich, in seiner ganzen Größe im Türrahmen und salutierte militärisch. „Gefunden!“ rief er schmetternd und hielt ihr den Zehnmarkschein entgegen. Sie nahm den Schein an sich, bedankte sich, etwas verwirrt, tat noch ein Übriges, streichelte die Dogge und sagte: „Ein schönes Tier!“

Der Oberst, sichtlich erfreut, salutierte wieder und empfahl sich. Doch auf der Stiege drehte er sich nochmals um. „Eine Frage, Gnädigste: Spielen Sie Bridge?“ Daraufhin konnte sie ehrlicherweise nur mit „Ja“ antworten, fügte aber vorsichtshalber „gelegentlich“ hinzu, obwohl sie eigentlich hätte sagen müssen: „Leidenschaftlich gern!“ Der Oberst ging. „Doch ein anständiger Mensch in diesem Haus“, dachte sie, „und eigentlich gar nicht so unsympathisch!“

 

Als sie bei ihrer bescheidenen Kartoffelsuppe saß, ging abermals die Klingel. Draußen stand der kleine, rothaarige Vinzenz Pröbstl. Gewohnt, an jeder Tür, die sich ihm öffnete, soviel Worte zu machen als darin Platz hatten, begann er sogleich: „Verehrteste Dame! Ich habe Ihre Ankündigung im Hausflur gelesen. Sie haben zehn Mark verloren. Sehr bedauerlich! Zehn Mark, das ist wenig und doch wieder viel, je nachdem, wie man es nimmt. Im Stiegenhaus, schreiben Sie. Ihr Glück, Verehrteste! Denn was auf der Straße verlorengeht, ist verloren für immer. Im Stiegenhaus aber kommt nichts unter fremde Leute, da bleibt es sozusagen ,unter uns'.

Um es kurz zu machen: Ich parke meinen Wagen im Hof, trete beim Hintereingang in das Haus und gehe über die Stiege. Was liegt da? Ein blaues Stück Papier. Ich kann es nicht genau erkennen; denn ich bin leider etwas kurzsichtig. Meine Frau sagt, ich sollte mir eine Brille anschaffen. Aber ein Vertreter mit Brille ist nur mehr ein halber Vertreter. Sie glauben gar nicht, Verehrteste, was in unserem Beruf das äußere Erscheinungsbild bedeutet, der ,Aspekt' sozusagen! Die Kunden wollen dem Mann, der an ihre Tür kommt, nicht auf die funkelnde Brille, sondern in das offene Auge sehen können. Keine Brille also!

Doch wo war ich? Ach ja, bei dem blauen Papier, das auf der Stiege lag. Um es kurz zu machen: Ich hebe es auf. Oh, was sehe ich? einen richtigen Zehnmarkschein! Wenig, aber viel für den, der ihn findet. ,Hast du zehn Mark verloren, Katinka?' fragte ich meine Frau. Ich nenne sie Katinka, obwohl sie aus Tegernsee stammt und eigentlich Katharina heißt. Aber ich habe sie als Wehrmachtshelferin in Woronesch kennengelernt. Dortzulande sagt man Katinka. Ein hübscher Name, nicht wahr?

,Nein', sagte sie, ,aber die stille Frau im dritten Stock, du weißt schon, wen ich meine, hat unten einen Zettel angeschlagen!' Um es kurz zu machen, Verehrteste, ich gehe nochmals die Stiege hinab, um den Anschlag zu lesen, von dem Katinka gesprochen hat. Richtig! Da steht es zu lesen, schwarz auf weiß. Ich nehme also den Zehnmarkschein und ...“

Vergebens suchte sie seinen Redefluß zu hemmen. Erst als sie den Zehnmarkschein, den der Oberst zurückgebracht hatte, vor seinen Augen hin und her schwenkte, stoppte er seine Rede.

„Ah, schon zu spät!“ meinte er verlegen, errötete wie ein Schuljunge, der bei einem mißlungenen Streich ertappt worden ist, und zeigte lächelnd seine goldenen Zähne - der „Aspekt“ dachte sie! - „Schon zu spät! Wer ist mir da zuvorgekommen? Der Oberst Lagarde vermutlich. Kann ich verstehen! Schließlich ist er Oberst, und ich war bloß Gefreiter! Somit, um es militärisch zu sagen: Ich bitte, wegtreten zu dürfen, Verehrteste!“

Offen gestanden, sie war gerührt und wollte dem guten Mann noch etwas Angenehmes sagen.

„Was vertreten Sie eigentlich, Herr Pröbstl?“ Eine überflüssige Frage! Sie sah doch, was er immer in seinem Wagen verstaute, Haushaltgeräte, Staubsauger, Küchenmaschinen und dergleichen. Doch Vinzenz Pröbstl schluckte heftig auf und sagte schnell: „Rasierapparate!“ um ja nicht in Verdacht zu kommen, diese private Vorsprache mit geschäftlichen Absichten zu vermengen. „Ein aufreibender Beruf!“

„Gewiß, gewiß! Aber wenn man dann wieder gemütlich daheim ist - übrigens Katinka läßt Sie bestens grüßen, Verehrteste, und ich soll Sie fragen, ob Sie nicht einmal zu uns kommen möchten, unsere Diapositive anzusehen, Portofino, Rapallo, Pisa, Florenz. Hin und wieder verreise ich nämlich auch privat, mit Katinka meine ich.“

 

Am Abend dieses ereignisreichen 12. März erschienen noch Herr und Frau Scheibelberger an der Wohnungstür. Der Oberlehrer warf sich in die Brust, holte tief Atem und streckte gewohnheitsmäßig den Zeigefinger nach ihr aus. „Ich bitte Sie, Frau Revident, überzeugt zu sein, daß der Verlust, den Sie erlitten haben, uns überaus schmerzlich berührt. Wir haben uns daraufhin entschlossen, das ganze Stiegenhaus eingehend zu durchsuchen, leider ohne Erfolg. Doch am Ende sagte meine Frau: „Alois“, sagte sie, „vielleicht geht es Frau Revident schlecht. Frau Revident sieht immer so blaß aus, und nun hat Frau Revident außerdem noch zehn Mark verloren. Wie wäre es, Alois, wenn du der Frau Revident diese zehn Mark ...“.

„Das Geld ist doch schon gefunden, Herr Oberlehrer!“

„Oh, das bedaure ich sehr, Frau Revident, das heißt, ich will sagen, natürlich, Gott sei Dank, daß es schon gefunden worden ist. Aber könnte man das nicht feiern, Frau Revident oder, wenn ich mir die Freiheit nehmen darf, Frau Nachbarin. Ich darf Sie doch so nennen? Vielleicht haben wir Glück mit dem Fernsehen, falls Sie zu uns herüberkommen wollten, Frau Nachbarin, es tröstet manches Mal, das Fernsehen, zumindest, es lenkt ab, wenn man einen schmerzlichen Verlust erlitten hat.“

Um es, wie Herr Pröbstl, kurz zu machen: Die gesamte „Zufallsauswahl unangenehmer Menschen“ im Hause Plingaser Straße 15z a war an ihrem Mißgeschick beteiligt, das eigentlich gar keines war; denn als sie am nächsten Tage das Fahrscheinheft für die Trambahn hervorsuchte, entdeckte sie sogleich den Zehnmarkschein wieder, der neben dem Heft im Etui steckte.

Also mußte sie wohl oder übel einen Stock tiefer gehen, um dem Oberst das Geld zurückzugeben. Für alle Fälle nahm sie dabei auch ihre Bridgekarten mit; denn ist man gezwungen, zum erstemal mit fremden Menschen Bridge zu spielen, empfiehlt es sich, zur Sicherheit die eigenen Karten zu verwenden. (Karl Springenschmid).       

 

 

Das Erkennen

Ein Wanderbursch, mit dem Stab in der Hand,

 kommt wieder heim aus dem fremden Land.

Sein Haar ist bestäubt, sein Antlitz verbrannt;

von wem wird der Bursch wohl zuerst erkannt?

So tritt er ins Städtchen durchs alte Tor,

am Schlagbaum lehnt just der Zöllner davor.

Der Zöllner, der war ihm ein lieber Freund,

oft hatte der Becher die beiden vereint.

Doch sieh, Freund Zollmann erkennt ihn nicht,

zu sehr hat die Sonn' ihm verbrannt das Gesicht.

Und weiter wandert nach kurzem Gruß

der Bursche und schüttelt den Staub vom Fuß.

Da schaut aus dem Fenster sein Schätzel fromm:

„Du blühende Jungfrau, viel schönen Willkomm!"

Doch sieh, auch das Mägdlein erkennt ihn nicht,

die Sonn' hat zu sehr ihm verbrannt das Gesicht.

Und weiter geht er die Straße entlang,

ein Tränlein ihm hängt an der braunen Wang'.

Da wankt von dem Kirchsteig sein Mütterchen her.

„Gott grüß Euch!“ so spricht er und sonst nichts mehr.

Doch sieh, das Mütterlein schluchzet voll Lust:

„Mein Sohn!“ und sinkt an des Burschen Brust.

Wie sehr auch die Sonne sein Antlitz verbrannt

das Mutteraug' hat ihn doch gleich erkannt.

Johann Nepomuk Vogl (1846)

 

 

Wo Liebe ist, da ist auch Gott

In einer Stadt wohnte ein Schuster, der hieß Martin Awdjeitsch. Er wohnte im Keller in einem einfenstrigen Stübchen. Das Fenster ging nach der Straße. Durch das Fenster konnte man sehen, wie die Leute vorübergingen. Obgleich nur die Füße zu sehen waren, erkannte Martin Awdjeitsch die Menschen an den Stiefeln.

Martin Awdjeitsch wohnte schon lange an derselben Stelle und kannte viele Menschen. Es gab wenige Stiefel im Stadtteil, die er nicht ein- oder zweimal in seinen Händen gehabt hätte. Die einen besohlte er, auf andere setzte er Riester, andere wurden gesteppt, noch andere vorgeschuht. Und oft sah er durchs Fenster seiner Hände Werk. Awdjeitsch hatte viel zu tun, weil er solide arbeitete, gutes Leder verwandte, nicht zu teuer war und sein Wort hielt. Konnte er zur rechten Zeit liefern, so nahm er den Auftrag an; konnte er das nicht, so täuschte er die Leute nicht, sondern sagte im voraus Bescheid. Und alle kannten Awdjeitsch, und er hatte reichlich zu tun.

Awdjeitsch war stets ein guter Mensch gewesen, als er aber älter wurde, begann er mehr an sein Seelenheil zu denken und sich Gott zuzuwenden. Als Martin noch beim Meister wohnte, war seine Frau gestorben. Seine Frau hatte ihm einen Knaben von drei Jahren hinterlassen. Kinder hatten sie weiter nicht. Die älteren waren alle früher gestorben. Martin wollte das Söhnchen zuerst zu seiner Schwester gehen, die auf dem Lande wohnte, dann tat es ihm leid - er dachte: es wird meinem Kapitoschka schwerfallen, bei fremden Leuten groß zu werden, ich lasse ihn bei mir.

Awdjeitsch ging von dem Meister fort und wohnte mit seinem Söhnchen zur Miete. Aber Gott gab Awdjeitsch in seinen Kindern kein Glück. Der Knabe war kaum herangewachsen und be­gann dem Vater zu helfen, so daß dieser schon seine Freude daran hatte, da befiel Kapitosch­ka eine Krankheit, der Knabe legte sich zu Bett, fieberte eine kleine Woche und starb. Martin begrub den Sohn und geriet in Verzweiflung. Und seine Verzweiflung war so heftig, daß er gegen Gott zu murren begann.

Ihn überkam ein solcher Trübsinn, daß er mehr als einmal Gott um den Tod bat und Gott vorwarf, daß er nicht ihn, den alten Mann, sondern den geliebten einzigen Sohn zu sich genommen hätte. Awdjeitsch ging auch nicht mehr zur Kirche. Einst kam vom Troizki-Kloster ein Landsmann, ein Greis, der schon im achten Jahre pilgerte, zu Awdjeitsch. Mit dem unterhielt sich Awdjeitsch und klagte ihm seinen Kummer: „Nicht mal zum Leben“, sagte er, „hat ein Christenmensch mehr Lust. Möchte sterben. Das ist das einzige, um was ich Gott bitte. Hab jetzt alle Hoffnung verloren.“

Der Landsmann sprach zu ihm: „Du redest nicht gut, Martin. Wir dürfen über Gottes Werke nicht urteilen. Nicht unser Verstand, sondern Gottes Hand! Gott hat bestimmt, daß dein Sohn sterben soll, du aber - leben. Also ist es besser so. Daß du verzweifelst, kommt daher, weil du zu deiner Freude leben willst.“

„Wozu soll ich sonst leben?“ fragte Martin. Und der Alte sagte: „Für Gott, Martin, muß man leben. Er gibt dir das Leben, für ihn muß man leben. Wenn du für ihn lebst, wirst du dich um nichts grämen, und alles wird dir leicht vorkommen.“ Martin schwieg einen Augenblick und sagte dann: „Aber wie kann man für Gott leben?“ Und der Alte sagte: „Wie man für Gott lebt, das hat Christus uns gezeigt. Kannst du lesen? Kauf dir das Evangelium und lies, da wirst du erfahren, wie man für Gott lebt. Da wird dir alles gezeigt.“

Und diese Worte fielen in Awdjeitschs Herz, und er ging am selben Tage hin und kaufte sich das Neue Testament in großem Druck und begann zu lesen. Awdjeitsch wollte nur an Feiertagen lesen, aber als er anfing zu lesen, wurde ihm so wohl ums Herz, daß er jeden Tag las. Bisweilen vertiefte er sich so ins Lesen, daß er sich von dem Buche gar nicht losreißen konnte, obwohl in der Lampe alles Petroleum verbrannt war. Und so las Awdjeitsch jeden Abend. Und je mehr er las, umso klarer wurde ihm, was Gott von ihm wollte und wie man für Gott leben müsse, und es ward ihm immer leichter und leichter ums Herz. Wenn er sich früher zum Schlafen niederlegte, stöhnte und jammerte er oft und dachte immer an Kapitoschka, jetzt aber sagte er nur: „Preis sei dir, preis sei dir, Herr! Dein Wille geschehe!“

Von der Zeit an veränderte sich Martins ganzes Leben. Früher kehrte er an Feiertagen bisweilen im Wirtshaus ein, um Tee zu trinken, und wies auch ein Schnäpschen nicht zurück. Er trank bisweilen mit Bekannten, und wenn er auch nicht betrunken war, so kam er doch ange­heitert aus dem Wirtshaus und redete dummes Zeug: er besprach seine Nebenmenschen und beurteilte sie hart. Jetzt hatte er alle diese Eigenschaften abgelegt. Sein Leben floß gleichmäßig und heiter dahin. Frühmorgens geht er an die Arbeit, schafft sein Tagewerk, nimmt die kleine Lampe vom Haken, stellt sie auf den Tisch, nimmt das Buch vom Bord, schlägt es auf und setzt sich zum Lesen nieder. Und je mehr er liest, um so mehr begreift er und umso klarer und heiterer wird es in ihm.

Martin hatte sich wieder einmal bis spät in die Nacht in sein Buch vertieft. Er las das Evangelium Lukas. Las das sechste Kapitel, und zwar die Verse: Und wer dich auf einen Backen schlägt, dem reiche auch den andern; und dem, der dir den Mantel nimmt, verweigere auch den Rock nicht. Gib jedem, der dich bittet; und wer das Deine nimmt, von dem fordere es nicht wieder. Und wie ihr wollt, das euch die Leute tun, so tut auch ihr ihnen.

Er las weiter die Verse, wo der Herr spricht: „Warum sprecht ihr zu mir: Herr, Herr! und tut nicht. was ich sage? Jeder, der zu mir kommt und meine Rede hört, und sie tut, wem dieser gleich ist, das will ich euch zeigen. Er ist gleich einem Manne, der ein Haus baute, der tief eingrub, und den Grund auf einen Felsen legte. Als nun eine Überschwemmung kam, stieß der Strom an jenes Haus und konnte es nicht bewegen; denn es war auf einen Felsen gegründet. Wer aber hört und nicht tut, der ist gleich einem Menschen, der sein Haus ohne Grund auf die Erde hinbaute; wider dieses Haus stieß der Strom, und es fiel sogleich; und der Fall desselben Hauses war groß.“

Awdjeitsch las diese Worte, und es wurde ihm fröhlich ums Herz. Er nahm die Brille ab, legte sie auf das Buch, stützte die Ellbogen auf den Tisch und dachte nach. Und er begann sein Leben mit diesen Worten zu vergleichen. Und dachte bei sich: „Wie steht es mit meinem Hause - ist es auf Fels oder Sand gebaut? Gut, wenn es auf Fels steht, es ist so leicht, wenn man allein ist, es scheint einem, als hätte man selber alles getan, was Gott befohlen; zerstreut man sich aber, so sündigt man wieder. Ich will mich stets zum Besten bemühen. Das ist sehr schön. Hilf mit, Herr!“

Mit diesem Gedanken wollte er sich hinlegen, aber es tat ihm leid, sich von dem Buche loszureißen, und er begann noch das siebente Kapitel zu lesen. Er las von dem Knechte des Haupt­manns, vom Sohn der Witwe, las die Antwort, die den Jüngern des Johannes erteilt wurde, und kam bis zu der Stelle, wo der reiche Pharisäer den Herrn bei sich zu Gaste bat; und las weiter, wie ein sündiges Weib seine Füße salbte und sie mit Tränen benetzte und wie er sie rechtfertigte; und er kam bis zum vierundzwanzigsten Verse und las:

„Dann wandte er sich zu dem Weibe und sprach zu Simon: Siehst du dieses Weib? Ich kam in dein Haus, und du gabst mir kein Wasser für meine Füße; diese aber benetzte meine Füße mit Tränen und trocknete sie mit ihren Haaren. Du gabst mir keinen Kuß; sie aber hörte nicht auf, seit sie hereingekommen ist, meine Füße zu küssen. Du salbtest mein Haupt nicht mit Öl; diese aber salbte mit Salbe meine Füße.“

Er las diese Worte und dachte: „Der hat kein Wasser für die Füße gegeben, hat keinen Kuß gegeben, das Haupt nicht mit Öl gesalbt.“ Wieder nahm Awdjeitsch die Brille ab, legte sie aufs Buch und dachte wieder nach: Der Pharisäer war offenbar so einer wie ich. Auch ich habe nur an mich gedacht. Daß ich meinen Tee trinken kann, daß ich im Warmen sitze und es sauber habe; an einen Gast aber denke ich nicht. Wer ist aber der Gast? Der Herr selbst. Kehrte er bei mir ein, würde ich wohl so handeln?“

Awdjeitsch stützte den Kopf auf beide Hände und bemerkte nicht, wie er einschlief. „Martin!“ klang es plötzlich wie ein Hauch an sein Ohr. Martin fuhr aus dem Schlummer auf: „Wer ist das?“ Er wandte sich um, blickte nach der Tür - da war niemand. Dann schlummerte er wieder ein.

Plötzlich hörte er deutlich: „„Martin! Aber Martin! Sieh morgen auf die Straße, ich werde kommen.“ Martin erwachte, stand vom Stuhl auf und fing an, sich die Augen zu reiben. Er wußte selbst nicht - hatte er die Worte im Traume oder im Wachen gehört. Dann drehte er die Lampe aus und legte sich schlafen.

Am anderen Morgen vor Tagesanbruch erhob sich Awdjeitsch, betete zu Gott, heizte den Ofen an, setzte Kohlsuppe und Buchweizengrütze ans Feuer, brachte die Teemaschine in Ordnung, band seine Schürze um und setzte sich zur Arbeit ans Fenster. Als Awdjeitsch so dasitzt und arbeitet, fällt ihm plötzlich ein, was gestern geschehen ist, bald glaubt er, er hätte geträumt, bald, er hätte wirklich die Stimme gehört. Ach was, denkt er, das ist schon vorgekommen.

Martin sitzt am Fenster und blickt mehr durchs Fenster als er arbeitet, und wenn jemand in Stiefeln vorüberkommt, die er nicht kennt, biegt er sich vor, um nicht nur die Füße, sondern auch das Gesicht zu sehen. Da ging der Hausknecht in Filzstiefeln vorüber, dann der Wasserträger, dann erschien der alte Soldat, der unter Nikolaus gedient, in alten geflickten Filzstiefeln, mit einer Schaufel in der Hand, vor dem Fenster.

An den Filzstiefeln erkannte Awd­jeitsch ihn. Der Alte heißt Stjepanytsch und wohnte bei einem Kaufmann in der Nachbarschaft, der ihm aus Barmherzigkeit Obdach gewährte. Seine Arbeit bestand darin, daß er dem Hausknecht half. Stjepanytsch begann vor Awdjeitschs Fenster den Schnee wegzuschaffen.

Awdjeitsch sah ihn an und machte sich wieder an seine Arbeit. „Bin vor Alter närrisch geworden“, lachte Awdjeitsch über sich selbst. „Stjepanytsch schafft den Schnee weg, und ich denke: Christus kommt zu mir. Bist wirklich närrisch geworden, alter Kerl!“ Höchstens ein Dutzend Stiche hat Awdjeitsch gemacht, da drängt es ihn wieder, durchs Fenster zu sehen. Er sah wieder durchs Fenster und schaut: Stjepanytsch hatte die Schaufel gegen die Wand gelehnt und wärmte sich oder ruhte aus.

Ein alter, gebrochener Mann! Hatte offenbar nicht einmal Kraft, Schnee zu schaufeln. Awd­jeitsch dachte: „Soll ich ihm nicht Tee zu trinken geben?“ Der Samowar kocht so schon über. Awdjeitsch steckte die Ahle ein, stand auf, stellte den Samowar auf den Tisch, goß Tee ein und klopfte an die Fensterscheibe. Stjepanytsch wandte sich um und trat ans Fenster. Awd­jeitsch winkte ihm und ging die Tür öffnen.

„Komm herein, wärm dich etwas“, sagte er - „bist wohl durchgefroren, was? Komm, setz dich, und trink Tee.“ Awdjeitsch goß zwei Glas ein, schob eins dem Gast hin, goß sein Glas in die Untertasse und begann zu pusten. Stjepanytsch trank sein Glas aus, stellte es mit dem Boden nach oben hin, legte das Stückchen Zucker, von dem er abgebissen, darauf und bedankte sich. Man sah aber deutlich, daß er gern noch mehr gehabt hätte. „Trink noch eins“, sagte Awdjeitsch und goß sich und dem Gaste noch ein Glas ein.

Awdjeitsch trinkt seinen Tee und blickt dabei heimlich auf die Straße. „Du erwartest wohl jemand?" fragte der Gast. „Ob ich jemand erwarte? Ich mag nicht einmal sagen, auf wen ich warte. Ich warte und wart auch nicht, mir ist da ein Wort ins Herz gedrungen. Ist es Einbildung oder nicht, ich weiß selbst nicht. Siehst du, Bruder; ich hab gestern das Evangelium vom Väterchen Christus gelesen, wie er gelitten hat, wie er auf Erden wandelte. Du hast wohl davon gehört?“

 „Gehört wohl“, erwiderte Stjepanytsch, „aber unsereins ist ungebildet, wir können nicht lesen.“ - „Nun, ich habe gerade gelesen, wie er auf Erden wandelte. Ich lese da, weißt du, wie er zum Pharisäer kam und der ihm keinen richtigen Empfang bereitet. Als ich gestern so las, da denke ich so bei mir: wie wenig feierlich hat der unseren Herrn Christus empfangen! Passierte das zum Beispiel mir, oder wem sonst, ich glaube, ich wüßte gar nicht, was ich alles täte, um ihn zu empfangen. Jener aber hat ihm gar keinen Empfang bereitet! So dachte ich und schlief ein. Und wie ich so schlafe, höre ich mich beim Namen gerufen. Ich erhebe mich und höre eine Stimme, als wenn jemand flüstert: ‚Wart nur, ich komme morgen.‘ Und das war zweimal. Willst du wohl glauben: mir hat sich das in den Kopf gesetzt, ich mache mir selbst darüber Vorwürfe, aber ich kann nicht anders, ich warte immer auf den Herrn!“

Stjepanytsch schüttelte den Kopf, sagte nichts, trank aber das Glas leer und stürzte es um. Awdjeitsch stellte es aber wieder aufrecht hin und goß noch einmal ein. „Trink zur Gesundheit! Ich glaube doch, als der Herr noch auf Erden wandelte, hat er keinen verachtet und ist meistens mit einfachen Leuten umgegangen. Stets wandelte er unter dem Volke einher und wählte seine Jünger meistens unter Leuten, wie wir sündigen, unter Arbeitern. ‚Wer sich selbst erhöht', sagt er, ‚der soll erniedrigt werden, wer sich aber erniedrigt, der soll erhöht werden. Ihr nennt mich Herr; und ich will euch die Füße waschen. Wer der erste sein will', der soll allein ein Diener sein‘. Deswegen sagt er: ,Gesegnet sind die Armen, die Demütigen, die Sanftmütigen, die reinen Herzens sind'."

Stjepanytsch vergaß seinen Tee. Er war ein alter, weichherziger Mann, der leicht weinte; er sitzt, hört zu, und über sein Gesicht fließen Tränen. „Nun, trink doch“, sagte Awdjeitsch. Aber Stjepanytsch bekreuzigte sich, dankte und stand auf. „Ich danke dir, Martin Aw­djeitsch“, sagt er, .,du hast mich bewirtet und Leib und Seele erquickt.“ „Geh mit Gott und sprich wieder einmal vor; bist mir stets willkommen“, sagte Awdjeitsch.

Stjepanytsch ging fort, Martin aber goß sich den Rest Tee ein, trank aus, räumte das Geschirr ab und setzte sich wieder zum Fenster an die Arbeit, einen Absatz zu steppen. Er steppt und blickt fortwährend durchs Fenster - er wartet auf Christus. denkt immer an ihn und an seine Werke. Und durch seine Gedanken gehen allerhand Reden des Heilands.

Gingen zwei Soldaten vorüber, einer in Dienststiefeln, der andere in eigenem Schuhwerk, dann kam der eigene Hausherr von nebenan in sauberen Überschuhen und ein Bäcker mit einem Korbe. Alle gingen vorbei, und dann erschien vor dem Fenster noch ein Weib in wollenen Strümpfen und Bauernschuhen. Sie ging am Fenster vorüber und blieb an der Mauer zwischen den Fenstern stehen. Awdjeitsch guckte von unten auf durchs Fenster nach ihr hin, sieht das fremde Weib in schlechter Kleidung mit einem Kinde; sie hat den Rücken gegen den Wind gekehrt und hüllt das Kind ein, hat aber nichts rechtes zum Einhüllen. Ihr Kleid ist für den Sommer gemacht und schlecht. Und Awdjeitsch hört, wie das Kind vor dem Fenster schreit; die Frau will das Kind beruhigen, bringt es aber nicht fertig. Da stand Awdjeitsch auf, trat durch die Tür auf die Treppe und rief: „Liebe Frau, hört doch einmal!“

Die Frau hörte und wandte sich um. „Was stehst du da so mit dem Kinde in der Kälte? Komm ins Zimmer, in der Wärme kommst du besser mit ihm zurecht. Hierher, hier!“ Das Weib wunderte sich. Sie blickt hin und sieht den Alten in der Schürze, mit der Brille auf der Nase, der sie zu sich ruft. Sie folgte ihm.

Sie stiegen die Treppe hinunter, traten in die Stube, und der Alte führte das Weib zum Bett.

„Da setz dich hin, gute Frau“, sagte er, „dichter an den Ofen, wärm dich, und dann nährst du das Kind.“ „Ich habe keine Milch in der Brust, habe seit heute morgen nichts gegessen“, sagt das Weib, legte aber das Kind dennoch an die Brust.

Awdjeitsch schüttelte den Kopf, trat zum Tisch, holte Brot und eine Tasse, öffnete die Ofentür und goß Kohlsuppe in die Tasse. Dann nahm er auch den Topf mit Buchweizengrütze heraus, aber sie war noch nicht ganz gar geworden, so goß er nur Kohlsuppe ein und stellte sie auf den Tisch, legte Brot hin, nahm das Handtuch vom Haken und breitete es auf den Tisch aus.

„Setz dich“, sagt er - „iß, liebe Frau, ich setze mich mit dem Kinde hin. Hab selbst Kinder gehabt - versteh mit ihnen umzugehen.“

Die Frau bekreuzigte sich, setzte sich an den Tisch und begann zu essen. Awdjeitsch aber setzte sich mit dem Kinde aufs Bett. Er schmatzte fortwährend mit den Lippen, aber das ging schlecht, er hatte keine Zähne. Das Kind schrie fortwährend. Da wollte Awdjeitsch es mit dem Finger zur Ruhe bringen, machte mit ihm „die Maus kommt“, mit dem Finger gerade auf den Mund zu und zog ihn dann zurück. In den Mund steckte er den Finger nicht, weil er schwarz, mit Pech besudelt war. Und das Kind sah den Finger an und wurde still, und dann begann es zu lachen. Und Awdjeitsch freute sich darüber. Das Weib aber ißt und erzählt dabei, wer sie ist und wohin sie wollte.

„Ich bin eine Soldatenfrau“ sagte sie. „Meinen Mann hat man vor acht Monaten weit fortgejagt, und ich habe nichts wieder von ihm gehört. War Köchin und habe geboren. Mit dem Kinde wollte man mich nicht länger behalten. Jetzt plage ich mich schon den dritten Monat ohne Stelle. Hab alles verzehrt. Wollte als Amme gehen - aber man nimmt mich nicht - bin zu mager, sagen sie. Da ging ich zu einer Kaufmannsfrau, bei der wohnt eine Bekannte, und da versprach man, mich zu nehmen. Ich glaubte es ganz sicher, aber die Frau sagte mir, ich sollte nächste Woche wiederkommen. Und sie wohnt so weit. Bin ganz erschöpft und hab' das Kind zu sehr gequält. Gott sei Dank, die Wirtin behält uns um Christi willen in der Wohnung.“

 

Awdjeitsch seufzte und sagte: „Hast du denn keine warme Kleidung?“ - „Lieber Freund, wie sollte ich wohl warme Kleidung haben! Gestern habe ich das letzte Tuch für zwanzig Kopeken verpfändet.“ Dann trat das Weib zum Bett, nahm das Kind auf, Awdjeitsch aber stand auf, trat zur Wand, reckte sich auf und brachte ein altes Unterkleid. „Da nimm“, sagte er - „ist zwar ein schlechtes Stück, aber immer noch gut, um sich einzuwickeln.“

Das Weib sah das Unterkleid an, sah den Alten an, nahm das Kleid und fing an zu weinen. Awdjeitsch wandte sich ab; kroch dann unters Bett und zog einen Kasten heraus, wühlte darin herum und setzte sich wieder der Frau gegenüber. Und das Weib sprach: „Dich soll der Herr segnen, Väterchen. Er hat mich offenbar vor dein Fensterchen geschickt. Sonst wär mir mein Kind erfroren. Als ich hinauskam, war es warmes Wetter, jetzt ist aber solche Kälte gekommen. Er, der Herr, hat dich geheißen, durchs Fenster zu blicken und dich meiner im Elend anzunehmen.“

Awdjeitsch lächelte und sagte: „Wirklich, er hat mich geheißen. Ich sehe nicht umsonst zum Fenster hinaus, liebe Frau.“ Und Martin erzählte der Soldatenfrau seinen Traum, wie er eine Stimme gehört, die versprochen hat, daß heute der Herr zu ihm kommen würde.

„Ist alles möglich“, sagte das Weib, stand auf, warf das Kleid um, wickelte das Kind darin ein, verneigte sich und bedankte sich nochmals bei Awdjeitsch. „Nimm das um Christi willen“, sagte Awdjeitsch und gab ihr ein Zwanzigkopekenstück, „kannst das Tuch dafür einlösen.“ Das Weib bekreuzigte sich, Awdjeitsch ebenfalls und begleitete dann das Weib hinaus.

Sie ging fort.

Awdjeitsch aß die Suppe auf, räumte ab und setzte sich wieder an die Arbeit. Während er so arbeitet, denkt er immer ans Fenster - wie es dunkel wird, blickt er hin. Da gingen Bekannte und Fremde vorüber, und es war nichts Besonderes.

Jetzt sieht Awdjeitsch, wie vor seinem Fenster ein altes Hökerweib stehenbleibt, sie trägt einen Korb aus Baumrinde mit Äpfeln. Sind nur noch wenige übrig, offenbar hat sie fast alle verkauft; und auf der Schulter hat sie einen Sack mit Spänen. Wahrscheinlich hat sie irgendwo auf einem Bau gesammelt und geht jetzt nach Hause. Man sieht, wie der Sack ihr die Schulter niederdrückt; sie will ihn auf die andere Schulter legen, setzt ihn auf das Pflaster, stellt den Korb mit Äpfeln auf einen Sockel und beginnt die Späne im Sack zusammenzu­schütteln.

Und während sie den Sack durchschüttelt, kommt, hast du nicht gesehen! ein Junge mit zerrissener Mütze angerannt, nimmt einen Apfel aus dem Korb und will davonlaufen. Aber die Alte bemerkt es, dreht sich um und hält das Jungchen am Ärmel fest. Der Junge fängt an zu schlagen und will sich losreißen, aber die Alte packt ihn mit beiden Händen, schlägt ihm die Mütze vom Kopf und reißt ihn an den Haaren. Der Junge schreit, die Alte schimpft. Awdjeitsch hatte nicht einmal Zeit, die Ahle einzustechen, er warf sie auf den Fußboden, sprang zur Tür, stolperte sogar auf der Treppe und ließ die Brille fallen.

Wie Aw­djeitsch auf die Straße gelaufen kommt, packt die Alte den Jungen gerade am Schopf und schilt, sie will ihn zur Polizei bringen; der Kleine verteidigt sich und lügt: „Ich habe ihn nicht genommen“, sagt er, „warum schlägst du mich, laß mich los!“ Awdjeitsch brachte sie auseinander, nahm den Knaben am Arm und sagte: „Gib ihn frei, Mütterchen, verzeih ihm um Christi willen!“ „Ich werd's ihm so geben, daß er ein Jahr dran denken soll! Ich bring den Spitzbuben zur Polizei.“

Awdjeitsch begann die Alte zu bitten: „Mütterchen, laß ihn laufen“, sagt er, „er wird es nicht wieder tun. Laß ihn um Christi willen laufen. Die Alte ließ ihn los, der Knabe wollte weglaufen, Awdjeitsch hielt ihn aber fest. „Bitt die Frau um Verzeihung“, sagt er, „und tu das nicht wieder; ich habe gesehen, wie du ihn genommen hast.“

Der Junge fing an zu weinen und bat um Verzeihung. „Siehst du wohl! Und jetzt nimm den Apfel, er ist dein.“ Awdjeitsch nahm ihn aus dem Korb und gab ihn dem Jungen. „Ich bezahl ihn, Mütterchen“, sagte er zur Alten. „So verdirbst du die Taugenichtse“, sagte die Alte. „man muß ihn so belohnen, daß er eine Woche dran denkt.“

„Ach, Mütterchen, Mütterchen“, sagt Awdjeitsch, „so denken wir wohl, aber Gott denkt anders. Wenn man ihn wegen des Apfels auspeitschen wollte, was müßte dann wohl mit uns wegen unserer Sünden geschehen?“ Die Alte schwieg.

Und Awdjeitsch erzählte ihr das Gleichnis, wie der Herr dem Knecht seine ganze Schuld erließ, wie der Knecht aber hinging und seinen Mitknecht zu würgen begann. Die Alte hörte zu, und der Knabe stand dabei und hörte auch zu.

„Gott hat befohlen, Vergebung zu üben“, sagte Awdjeitsch, „sonst wird auch uns nicht vergeben werden. Wir müssen allen vergeben, den Unvernünftigen noch mehr.“ Die Alte schüttelte den Kopf und seufzte: „Ja, ja, so ist es“, sagte sie, „aber sie sind wirklich zu ausgelassen.“

Und die Alte erzählte, wo und wie sie bei ihrer Tochter wohnte und wieviel Enkel sie hätte. „Meine Kraft langt zwar nicht mehr weit“, sagte sie, „aber ich quäle mich wenigstens. Die Enkel tun mir leid, und es sind auch gute Kinder; niemand ist so gut zu mir wie sie. Aksjutka geht zu niemandem als zu mir. ‚Großmutter, liebe Großmutter, Herzensgroßmutter!' ...“Und die Alte wurde ganz weich.

„Ja, Kinder sind Kinder. Na denn, in Gott's Namen“, sagte die Alte, auf den Jungen deutend.

Eben wollte sie den Sack auf die Schulter heben, da sprang der Junge herzu und sagte: „Laß mich tragen, Großmütterchen; hab denselben Weg.“ Die Alte nickte und lud dem Jungen den Sack auf.

Und dann gingen sie nebeneinander die Straße entlang, und die Alte hatte vergessen, das Geld für den Apfel von Awdjeitsch zu fordern. Awdjeitsch stand da, betrachtete sie lange und hörte, wie sie im Gehen immer miteinander sprachen, und kehrte nach Hause zurück. Auf der Treppe fand er die Brille, sie war nicht zerbrochen, hob die Ahle auf und setzte sich wieder an die Arbeit.

Als er ein wenig gearbeitet hatte, konnte er schon nicht mehr einfädeln und sieht, wie der Laternenanzünder vorbeigeht und die Laternen ansteckt. Muß Licht machen, dachte er, machte die Lampe zurecht, hängte sie auf und begann wieder zu arbeiten. Einen Stiefel machte er ganz fertig; er betrachtete ihn von allen Seiten, er war gut. Nun legte er sein Werkzeug beiseite, fegte die Abfälle zusammen, sammelte Borsten, Spitzen und Pfriemen, nahm die Lampe, stellte sie auf den Tisch und langte das Evangelium vom Bord.

Er wollte das Buch an der Stelle aufschlagen, wo er gestern ein Stück Saffianleder als Lesezeichen eingelegt hatte, das Buch öffnete sich aber an einer anderen Stelle. Und als Aw­djeitsch beim Aufschlagen war, fiel ihm der gestrige Traum ein. Und als er gerade daran dachte, hörte er plötzlich ein Geräusch, als wenn sich jemand hinter ihm rührte und ginge. Awdjeitsch drehte sich um und sah: da stehen wirklich Leute in der dunklen Ecke - stehen Leute da; er kann aber nicht erkennen, wer sie sind. Und eine Stimme flüstert ihm ins Ohr:

„Martin! aber Martin! hast du mich nicht erkannt?“ - „Wen“, sagte Awdjeitsch. „Mich“, sagte die Stimme. „Ich bin es ja.“

Und aus der dunklen Ecke trat Stjepanytsch, lächelte und verging wie eine Wolke ... „Und das bin ich“, sagte eine Stimme - und aus der dunklen Ecke trat ein Weib mit einem Kinde, und das Weib lachte und das Kind lächelte, und sie verschwanden ebenfalls. „Und das bin ich“, sagte eine Stimme. Und die Alte und der Junge traten aus der dunklen Ecke hervor, und die Frau lächelte, und der Junge lachte, und auch sie verschwanden.

Und Awdjeitsch wurde fröhlich ums Herz. Er bekreuzigte sich, setzte die Brille auf und las im Evangelium an der Stelle, wo es aufgeschlagen war. Und oben auf der Seite las er:

Denn Ich war hungrig, und ihr habt Mich gespeist;

Ich war durstig, und ihr habt Mich getränkt;

Ich war ein Fremdling, und ihr habt Mich beherbergt ...

Und unten auf der Seite las er noch:

Was ihr einem dieser Meiner geringsten Brüder getan habt,

das habt ihr Mir getan (Mt 25).

Und Awdjeitsch begriff, daß der Traum ihn nicht betrogen, daß eben an diesem Tage sein Heiland zu ihm gekommen war, und daß gerade er ihn empfangen hatte (Leo Tolstoi).

 

 

Zwei Männer

[Vergleich der Noahgeschichte mit zwei Männern in Argentinien, die vom Hochwasser des Parana bedroht werden]

Als der Wolkenbruch, den sich der argentinische Himmel damals im Februar leistete, ein Ende gefunden hatte, stand das ganze Land unter Wasser. Und unter Wasser standen die Hoffnungen des Pflanzers von Santa Sabina. Wo ein saftgrünes Vermögen in Gestalt von endlosen Teefeldern mit mannshohen Yerbabüschen gestanden hatte, dehnte sich morgens ein endloses Meer. Der Farmer war vernichtet, das wußte er. Er saß auf einer Maiskiste neben seinem Haus und zählte die fetten Blasen, die an seine Schuhe trieben und dort zerplatzten. Das Maisfeld glich einem See. Der Rancho des Peons war darin verschwunden. Sein Schilfdach trieb im Strom davon, eine nickende Straußenleiche vor sich herschiebend.

Der Peon hatte sich zu seinem Herrn geflüchtet und saß neben ihm. Er war ein Indio, der mit breitem, eisernem Gesicht ins Leere starrte. Seine Frau war ertrunken, als sie sich losriß, um ihre Hände zur Madonna zu erheben. Der Peon hatte drei Blasen gezählt. Ihre Hand hatte die letzte Blase zerschlagen.

Der Farmer hatte seine Frau in der Stadt. Sie würde vergeblich auf seinen Schritt vor der Tür warten. Denn der Farmer gab sich noch eine Nacht. Es ist unter Männern Brauch, daß man sich in gewissen Lagen die letzte Zigarette teilt. Der Farmer, im Begriff nach des Mannes Art zu handeln, wurde von seinem Peon unterbrochen. „Herr!“ rief der Indio, „der Parana! Der Strom kommt ...!“

Er hatte recht. Man hörte in der Ferne ein furchtbares Donnern. Der Parana, angeschwollen von Wasser und Wind, brach in die Teeprovinzen ein. Parana, das heißt der größte Strom Argentiniens. Dieses Donnern war das Todesurteil für die Männer von Santa Sabina. Sie verstanden sich auf diese Sprache, die Männer. Sie hatten tausendmal dem Tod ins Auge gesehen. Sie hatten das Weiße im Auge des Pumas gesehen und der Korallenschlange ins kaltstrahlende Gesicht. Sie hatten dem Jaguar gegenübergestanden und der großen Kobra, die sich blähte. Sie hatten alle diese Begegnungen für sich entschieden, denn ihr Auge war kalt, und gelassen ihre Hand.

Jetzt aber halfen keine Patronen und kein scharfes Auge. Dieser Feind hier, das Wasser, war bösartig wie hundert Schlangen, die heranzischten, und todesdurstig wie der größte Puma auf dem Ast. Man konnte das Wasser schlagen, es wuchs. Man konnte hineinschießen, es griff an. Es biß nicht, es stach nicht, das Wasser, es suchte sich nur eine Stelle am Mann, seinen Mund, um ihn anzufüllen, bis Blasen aus der Lunge quollen. Das Wasser war gelb und lautlos. Und man sah vor Regen den Himmel nicht.

Auf einer kleinen Insel, halb unsichtbar in der triefenden Finsternis, saß der Farmer mit seinem Peon vor seinem Haus. Dann kam der große Parana. Er kam nicht mit Pauken und Posaunen. Nein, man merkte ihn gar nicht.

Aber plötzlich stand der Schuh des Farmers im Wasser. Er zog ihn zurück. Aber nach einer Weile stand der Schuh wieder im Wasser, weiß der Teufel ... Und wenn man die Maiskisten zurücksetzte, so mußte man sie bald noch ein wenig zurücksetzen, denn kein Mann sitzt gern im Wasser. Das war alles, aber das war der Parana.

Gegen Abend fiel das Hühnerhaus um. Man hörte das halberstickte Kreischen der Vögel, dann war es wieder still. Später zischte es plötzlich im Wohnhaus auf, denn das Wasser war in den Herd gedrungen.

Als es dunkel wurde, standen der Farmer und Peon bereits bis zum Bauch im Wasser. Sie kletterten auf das Schilfdach. Dort auf dem Gipfel saßen sie schweigend, dunkle Schatten in der dunkelsten aller Nächte, indes Töpfe und Kästen aus den Häusern hinausschwammen. Ein Stuhl stieß unten das Glasfenster in Scherben. Das Wasser rauschte. Die Blasen platzten. Ein totes Huhn schwamm im Kreise vor der Haustür. Als das Wasser das Dach erreicht hatte, stieß es die Hausmauern nachlässig um. Das Dach stürzte von den gebrochenen Pfosten, schaukelte und krachte, dann drehte es sich um sich selbst und trieb in die rauschende Finsternis hinaus.

Das Dach ging einen langen Weg. Es fuhr kreisend zu Tal. Es trieb am Rande der großen Urwälder vorbei. Es segelte durch eine Herde von Rindern, die mit himmelwärts gestreckten Beinen totenstill auf dem wirbelnden Wasser trieben. Glotzäugige Fische schossen vor dem Schatten des Daches davon. Schwarze Aasgeier trieben, traubenweise an ein Pferd gekrallt, den Strom hinab. Sie blickten mordlustigen Auges herüber ...Blüten, Möbel und Leichen vereinigten sich zu einem Zug des Todes, der talwärts fuhr, einem undurchsichtigen Ende entgegen.

Gegen Morgen richtete sich der Farmer auf und befahl seinem Peon, nicht einzuschlafen. Der Indio verwunderte sich über die harte Stimme seines Herrn. Er wäre bedenkenlos dem Farmer um die Erde gefolgt. Er war Indio und wußte, was ein Mann ist. Aber er wußte auch, daß ein Mann ein schweres Gewicht hat. Wenn nur ein Mann auf dem Dach sitzt, so hält es natürlich länger, nicht wahr, als wenn es unter dem schweren Gewicht zweier Männer auseinanderbricht und versinkt. Und dann gute Nacht ...

Er glaubte nicht, daß der Farmer gutwillig das Dach verlassen würde, aber man konnte ihn hinunterkippen, denn es ging hier um Leben und Tod. Das dachte der Indio, und er rückte näher. Sein Gesicht war steinern, es troff von Regen. Das Dach würde auf keinen Fall mehr bis zum Morgen schwimmen. Jetzt schon brachen einzelne Bündel ab und schwammen nebenher. Die Männer mitten auf dem furchtbaren Strom wußten nicht, wo sie waren. Dichter Nebel fuhr mit ihnen. Ringsum das Wasser schien stillzustehen. Fuhren sie im Kreis? Sie wußten es nicht. Sie sahen sich an.

Da folgte der Farmer dem Brauch aller Männer, zog seine letzte Zigarette, brach sie in zwei Teile und bot dem Indio eines an. Sie rissen das Papier ab und kauten den Tabak, da sie kein Feuer hatten. Er ist ein guter Kamerad, dachte der Peon. Es hat keinen Zweck. Es soll alles seinen Weg gehen. Als er den würzigen Geschmack des Tabaks fühlte, wurde aus der Feindschaft langsam ein Gefühl der Treue.

Was willst du? Der Peon hatte seine Frau verloren und sein Kind. Sie hatte die letzte Blase ihres Atems mit ihrer Hand zerschlagen. Er hatte nichts mehr, was ihn zu leben verlockte. Das Schilfdach sank immer tiefer. Wenn er selbst ins Wasser sprang, hielt das Dach vielleicht noch und trug seinen Herrn bis zum Morgen. Der Dienst ist aus, adios, Senor! Der Peon kletterte über den Giebel bis an den Rand des Daches, als er plötzlich im dunklen Wasser Kal­mane rauschen sah, Jaquaures, die ihn aufmerksam anstarrten. Zum erstemal verzog der Indio sein Gesicht, dann hielt er den Atem an und sprang. Aber er wurde im selben Moment von seinem Herrn gehalten, der ihn wieder aus dem Wasser zog und seinen Peon zornglühend anschrie. Kreideweiß, mit rotgeränderten Augen und triefenden Haaren, beugte sich der Farmer über ihn, nannte ihn den Vater allen Unsinns und rüttelte ihn. Dann befahl er ihm, seinen Platz einzunehmen und den Mut nicht zu verlieren, verdammt noch mal ...!

Gegen Morgen trieben sie an Land, sprangen über Baumäste und warteten stundenlang, bis sie ins Trockene kamen. Sie klopften den Boden mit Stöcken nach Schlangen ab, und ehe sie sich zum Schlafen in das Maisfeld legten, sagte der Farmer: „Morgen gehen wir zurück und fangen wieder an.“ „Bueno“, sagte der Indio. Der Regen hörte auf (Günter Weisenborn).

 

[Vergleichen mit 1. Mose 7,17-23. Es gibt Ähnlichkeiten. In der biblischen Geschichte wird aber etwas erzählt, was über dieses Bild hinausgeht. Kapitel 8,1-2 lesen. Inwiefern können die Erfahrungen der beiden Männer zugleich auch Erfahrungen mit Gott sein (Gott gedachte — Gott kümmert sich usw.)? Die Parallele zu der Geschichte der zwei Männer ist die, daß es hier wie dort zu einem guten Ende kommt. Vers 20a: „Noah aber baute dem Herrn einen Altar!“ Diese Aussagen vergleichen wir mit dem vorletzten Satz der Geschichte: „Morgen gehen wir zurück und fangen wieder an.“

 

Wie von dem alten biblischen Text, so läßt sich auch von der modernen Geschichte Gottes Nähe und Hilfe ablesen. Sie hilft den Menschen in beiden Geschichten zu einem mutigen Neuanfang, auch wenn nur der Glaubende seinen Dank gegen Gott zum Ausdruck bringt].

 

 

Alles für die Familie

[Ein biederer Ehemann wird zum Einbrecher, um für die Familie zu sorgen]

Nach dem Vorfall in jener Nacht ließ ich mich bei Federicos Familie nicht mehr sehen. Ich muß schon sagen, ich war ganz fassungslos. Worüber? Daß ein tüchtiger Facharbeiter, Vater von zwei Töchtern, ein Mann wie er, groß, stark, ruhig, heiter, bei dessen bloßem Anblick man schon Vertrauen faßte, ein Doppelleben geführt haben soll.

Und was für ein Doppelleben: Tagsüber war er Mechaniker und nachts Dieb. Tagsüber war er mit mir und den anderen zusammen oder in der Familie mit Frau und Töchtern; nachts soll er mit einer Verbrecherbande in einem gestohlenen Wagen herumgefahren sein und innerhalb von zwei Jahren sieben bis acht Geschäfte ausgeraubt haben, wie es heißt. Ehrlich, fleißig und tüchtig am Tage; Gauner bei Nacht, mit einem schwarzen Tuch vor dem Gesicht, dem Brecheisen in der Tasche und der Pistole im Gürtel.

Wahrhaftig, hätte ich nicht sein Bild in den Zeitungen gesehen, eins dieser Bilder, wie sie im Gefängnis gemacht werden, ohne Kragen und Krawatte, mit vorgestrecktem Kinn und aufgerissenen Augen - ich hätte es nie und nimmer geglaubt. Kurz, ich war nicht völlig überzeugt. Und deshalb - teils, weil ich mich so sehr wunderte, daß ich die Hoffnung nicht ganz aufgab, es sei vielleicht doch nicht wahr, teils, weil es mich nicht nur fassungslos machte, sondern geradezu beleidigte - ging ich nicht zu seiner Familie, was ich bei jedem andern Unglücksfall selbstverständlich getan hätte.

Meine Frau war es, die mich dann herum bekam. Ich wollte also nicht hin und sagte: „Federico hätte mir das nicht antun dürfen. Wie konnte er mir zwei Jahre lang verheimlichen, daß er ein Doppelleben führte!“ Darauf meine Frau: „Und wenn er es dir gesagt hätte, was hättest du getan?“ - „Wie meinst du das?“ - „Was hättest du getan? Hättest du ihn angezeigt?“ - Na hör mal, bin ich ein Spitzel?“ „Also, da siehst du es“, sagte meine Frau triumphierend, „wenn er es dir gesagt hätte, hättest du ihn nicht ins Gefängnis gebracht. Jetzt aber, wo er im Gefängnis sitzt, verurteilst du ihn. Merkst du nicht, wie du dir widersprichst?“ Ich begann mich unsicher zu fühlen, und sie fügte hinzu: „Geh hin. Außerdem tust du ein gutes Werk.“ Der letzte Grund schien mir der Beste zu sein, und deshalb entschloß ich mich, hinzugehen.

Zufällig war am nächsten Tag das Fest des heiligen Giuseppe, und Federicos Frau hieß Giuseppina. In der Bar unten in unserem Haus kaufte ich zwanzig Stückchen Cremegebäck, und dann ging ich zur Straßenbahn.

Ich wohne in der Via Giulia und Federico in einem neuen Mietshaus in der Gegend von San Paolo. Ich saß in der Bahn, das Päckchen mit dem Gebäck auf den Knien, und dachte noch einmal über Federico nach. Ich verstand es wirklich nicht. Vor allem gelang es mir nicht, die Tatsache, daß Federico ein so guter Vater und zärtlicher Ehemann war, mit der anderen Tatsache zu vereinbaren, daß er nachts unterwegs gewesen sein sollte, um die Schaufenster der Geschäfte auszuplündern. Verdammt noch mal, dachte ich, man ist es oder man ist es nicht; und wer ein guter Familienvater ist, müßte logischerweise auch ein anständiger Mensch sein. Falls er das nicht ist, so. bedeutete das, daß er an nichts glaubt; aber wie bringt er es dann fertig, ein guter Familienvater zu sein? Inzwischen fuhr die Bahn den Lungotevere entlang. Am Bahnhof von Ostia stieg ich aus und nahm den Omnibus nach San Paolo.

Das Haus, in dem Federico wohnte, war nicht weit vom Tiber entfernt und stand inmitten einer Gruppe gleicher, ganz neuer Häuser, die mit ihren vorspringenden Balkonen wie Kommoden mit lauter offenen Schubladen aussahen. Für San Giuseppe war es ein schöner Tag: ein leuchtendblauer Himmel voller Sonne; Kinder liefen in den grünen Gärten umher und spielten Ball; die Wäschestücke, die auf allen Balkonen zum Trocknen aufgehängt waren, flatterten im Frühlingswind wie Fahnen.

Als ich die Treppe hinaufstieg, mußte ich an den armen Federico denken, der an einem Tag wie heute, statt im Schoße der Familie zu sein, in Regina Coeli saß, hinter Eisengittern. Ich kam zum Treppenabsatz und läutete. Das größere der Mädchen, Lucetta, öffnete mir. Es war wie immer sehr sauber, in frischgebügeltem Kleidchen, weißen Strümpfen und geputzten schwarzen Schuhen. Ich fragte: „Ist die Mama da?“ Sofort antwortete mir eine aggressive, schleppende Stimme: „Jaja, die Mama ist da. Hier ist die Mama.“

Ich schaute auf und war überrascht, denn fast hätte ich Giuseppina nicht mehr wiedererkannt, so hatte sie sich verändert. Das Gesicht, das früher rund und voll gewesen war, schien jetzt in die Länge gezogen und plattgedrückt, die Augen, die tief in den eingefallenen Höhlen lagen, hatten einen seltsamen Glanz, wie zwei Dochte verlöschender Kerzen, die einen letzten Lichtschein werfen, bevor sie im Wachs ertrinken. Ihr Haar war aufgelöst und bedeckte die Wangen, und Kleid wie Haare schienen leblos an ihr zu hängen. Obendrein ließ die Art, wie sie sich an den Türpfosten der Küche lehnte, die Schultern zurück und den Leib vorgestreckt, darauf schließen, daß sie auch noch schwanger war.

Ich sagte verlegen: „Giuseppina, heute ist San Giuseppe, herzliche Glückwünsche! Ich hab dir auch ein paar Süßigkeiten mitgebracht.“ - „Danke, danke. Für mich gibt es keine Feste und keine Heiligen mehr. Komm hier herein. Und du geh in die Küche und putz den Salat.“ Mißmutig schob sie das Kind in die Küche; mich führte sie in das Eßzimmer, das sie auch als Wohnzimmer verwendeten.

Das Licht im Zimmer war sehr stark, da das Fenster keine Gardinen hatte und über den Tiber hinweg direkt in den Himmel blickte. Geblendet setzte ich mich neben sie und legte das Päckchen mit den Süßigkeiten auf den Tisch. Zuerst sagten wir beide nichts; ich schaute sie an, und sie sah zum Fenster hinaus. Endlich sagte ich: „Hast du ihn besucht?“ Schnell wie eine Viper drehte sie sich um: „Ja, ich bin dort gewesen, ja.“ - „Und wie ging es ihm?" - „Es ging ihm gut, vom Standpunkt derjenigen aus gesehen, die ihn lieber tot sehen möchten, ja, es ging ihm gut.“

Wieder sah ich sie an; sie schien mir etwas exaltiert. Jetzt trommelte sie mit den Fingern auf den Tisch. Ich fragte weiter: „Und wann machen sie ihm den Prozeß?“ Mit lauter und entrüsteter Stimme antwortete sie: „Ach, wer weiß! Aber die ihm übelwollen, die brauchen keine Angst zu haben ... Sie werden ihn verurteilen, bestimmt werden sie ihn zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilen, da brauchen die gar keine Angst zu haben.“

Ich fragte: „Und was sagt er?“ Sie hob die Schultern. „Was soll er schon sagen. Er sitzt und wartet auf den Prozeß, das ist alles.“ Ich nahm an, sie habe mich nicht verstanden. „Nein, ich meine, wie er das Vorgefallene erklärt?“

Ihr Blick streifte mich. „Was soll er da erklären. Er sagt, es sei ein Verhängnis gewesen: Wenn ihr Wagen nicht wegen einer Pfütze ins Rutschen gekommen und gegen einen Baum gefahren wäre, hätte man sie nicht erwischt.“ Zum ersten Male kam mir in den Sinn, daß Giuseppina vielleicht die Komplizin ihres Mannes war und die ganze Zeit gewußt hatte, daß Federico sich nachts in einen Gangster verwandelte.

Beunruhigt fragte ich: „Aber du - wußtest du, daß er .. , ich meine, daß er nachts unterwegs war, um diese Sachen zu machen?“ Sie schaute mich mit aufgerissenen Augen an. „Nein, ich wußten es nicht! Aber ich will dir mal was sagen: Hätte ich es gewußt, dann hätte ich zu ihm gesagt: Das machst du gut, nur weiter so und immer noch mehr. Das hätte ich ihm gesagt!“

Ich war sehr unangenehm berührt. Ich sagte: „Das sind aber doch Dinge, zu denen man wirklich niemanden ermutigen sollte.“

Sie fiel mir ins Wort, mit weinerlicher Stimme: „Ach, Alfred, du kannst dir nicht vorstellen, was ich durchgemacht habe - auf der ganzen Welt gibt es keine unglücklichere Frau als mich!“' Verlegen sagte ich: „Nun, das versteht man ja ...“. "

Doch sie geriet plötzlich in Wut: „Nicht das geringste versteht man. Man versteht gar nichts! Ich war so glücklich; und jetzt bin ich hinuntergestürzt in das schwärzeste Unglück. Warum, frage ich, aus welchem Grunde?“

Diesmal blieb ich still: Ich wußte den Grund, doch ich dachte, es sei besser, das nicht auszusprechen. Sie fuhr fort: „Ich habe Federico geliebt, und Federico hat mich geliebt. Und wir beide haben die Kinder geliebt. Und er hat dafür gesorgt, daß es uns an nichts fehlte, er dachte nur an uns, wirklich, er tat alles für die Familie.“

Ich sagte verlegen: „Nun ja, natürlich, die Familie, das ist eine wichtige und schöne Sache.“

Sie schrie: „Ja, aber unsere Familie war nicht wie andere Familien, Alfred. Sie war eine besondere Familie. So eine Familie hat es nie gegeben und wird es auch nie wieder geben. Ach ja, das kann man schon sagen, Alfredo, eine Familie wie unsere, in der sich alle so lieben, gibt es auf der ganzen Welt nicht mehr.“

Sie schwieg eine Weile und sah aus dem Fenster, das voller Himmel war; als sie merkte, daß ich kein Sterbenswörtchen sagte, fuhr sie fort: „Man kann sich nicht vorstellen, wie gut dieser Mann ist. An manchen Abenden, hier an diesem Tisch, nachdem ich die Kinder zu Bett gebracht hatte, machte er Pläne für die Zukunft. Nicht ein einziges Mal sprach er von sich selber, immer dachte er nur an die Familie. Er sagte beispielsweise“ - und unwillkürlich bekam sie eine weiche Stimme, während ihr Mund fast die Form eines Herzens annahm, um seine Worte wiederzugeben -, „er sagte: ,Jetzt haben wir das Motorrad: aber wenn weiter alles gut geht, werden wir uns bald einen kleinen, Wagen kaufen. Denn. du weißt doch, wie gut es für dich und die Kinder ist, wenn ihr nach Ostia oder nach Fregene fahren könnt, um gesunde Luft zu atmen, meinetwegen jeden Tag! Ach, wo findet man noch einen Mann wie Federico, Alfredo? Ich frage dich!“

Ich weiß nicht, wie es kam, daß ich plötzlich in Zorn geriet; vielleicht, weil ich mir überlegte, woher, er das Geld genommen hätte, um einen Kleinwagen zu kaufen. Ich sagte trocken: „Gut, Giuseppina, es ist verständlich, du liebst deinen Mann. Du mußt aber schließlich zugeben ...“ - „Was?“ - „Daß er ein Dieb ist.“

Hätte ich das doch nicht gesagt. Mit hervorquellenden Augen und gesträubten Haaren schleuderte sie mir entgegen: „Nicht einmal sprechen darfst du über Federico! Wehe dir, wenn du noch einmal von ihm. sprichst!“ - „Aber ich ...“ - „Du darfst nicht mal von ihm sprechen, du bist es nicht wert, du bist es nicht wert, den Boden unter seinen Füßen zu küssen!“

Ich war sprachlos. Ohne mich anzusehen, redete sie in die Luft: „Federico ist ein Mann, wie es keinen zweiten auf der Welt gibt, ja, das ist er! Nein, nein, nein, niemand darf über Federico auch nur sprechen, nur ich kann sagen, was er ist: ein Heiliger.“

Verblüfft rief ich aus: „Aber Giuseppina! Du weißt doch wohl, was ein Heiliger ist!“ Und sie immer exaltierter: „Sicher, weiß ich das, ich habe ja zwölf Jahre mit einem gelebt, Federico ist ein Heiliger.“

Ich dachte: Ein Heiliger mit der Maschinenpistole im Arm und dem Brecheisen in der Tasche. Aber ich sagte nichts, um sie nicht noch weiter zu reizen. Jetzt weinte sie, und sie schluckte ihre Tränen, da sie den Kopf gesenkt hielt und auf den Tisch blickte. Plötzlich schrie sie mit so schriller Stimme, daß ich zusammenfuhr: „Und jetzt haben sie ihn mir genommen, sie haben ihn ins Gefängnis gesperrt, sie haben ihn mir entrissen, haben ihn seinen Kindern entrissen, sie haben eine Familie zerstört - und warum das alles? Ich fragte: Warum?“

Ich sagte: „Aber du weißt doch, warum, Giuseppina ...“ Und sie: „Natürlich weiß ich es: um Böses zu tun, um alles das, was gut und schön ist, zu zerstören, um zu verhindern, daß wir glücklich sind:  „Vielleicht gibt es auch noch andere Gründe.“ „Nein, es gibt keine anderen Gründe! Der Neid ist der Grund, der Neid. Oh, ich fühle, daß ich nie mehr so glücklich sein werde, wie ich es während der letzten Jahre mit Federico war.“

Nach diesen Worten fing sie wieder an zu weinen, und da ich nicht wußte, was ich sagen sollte, schlug ich vor: „Giuseppina, iß doch ein bißchen von dem Gebäck, das versüßt dir den Mund.“ Sie schüttelte den Kopf: „Das wird nichts nützen, mein Mund wird von jetzt an bitter bleiben. Trotzdem danke, Alfredo ... du bist gut, du hast etwas von Federico, du bist vielleicht der einzige, der Federico verstehen kann, weil du ihm ähnlich bist.“

Ich konnte nichts tun, als undeutlich zu widersprechen: „Ich bin allerdings kein Heiliger.“ Doch sie hörte mich nicht; sie war dabei, das Päckchen mit dem Gebäck zu öffnen. Sie nahm ein Stück und fing an zu essen. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt und schaute mit einem Ausdruck von Trauer und Erstaunen zu Boden. Ein Rest gelber Creme blieb in ihrem Mundwinkel zurück, doch sie bemerkte es nicht. Dann putzte sie sich die Nase, und als sie das Taschentuch vom Gesicht nahm, war der Rest verschwunden.     

Ich stand auf und sagte: „Gut, Giuseppina, ich gehe. Wir sehen uns wieder ...“. Sie erhob sich und folgte mir wortlos in den Korridor, und beim Abschied fragte sie mich mit angstvoller Unruhe: „Was meinst du, werden sie ihn mir verurteilen?“ - „Nun ja, sie müssen wohl, ich glaube, ja.“        

„Da haben wir die Gerechtigkeit“, schrie sie, während ich mich anschickte, die Treppen hinunterzugehen, „eine schöne Gerechtigkeit ist das! Die Leute, die eine Familie Hungers sterben lassen, gehen draußen spazieren. Er, der für die Familie sorgte, muß hinein. Und dann? Nichts mehr, nichts! Muß er dann nicht mehr für die Familie sorgen?“ Diesmal antwortete ich ihr nicht. Rasch ging ich die Treppe hinunter (Alberto Moravia).

 

 

Die letzte Schicht

[Rentner findet eine neue Aufgabe, indem er sich um einen Jungen kümmert]

Dies war also meine letzte Schicht. Frühschicht wie die ganze Woche. ,Na denn - mach's gut, alter Junge!“ sagte der Meister und klopfte mir auf die Schulter. Patenter Kerl, der Meister, ich mag ihn gern. Er ist noch drei Jahre älter als ich. Merkwürdig, diesmal ärgerte ich mich fast darüber. Zum ersten Male. Man sieht ihm seine fast Siebzig nicht an. Mir auch nicht - das nebenbei. Aber das Herz! Das Herz will nicht mehr.

Komisches Gefühl, so am Werk vorbeizugehen mit der letzten Lohntüte in der Tasche. Die Maschinen summen hören und selbst nicht mehr dahinter stehen. Einundvierzig Jahre sind eine lange Zeit. Da gehst du hin, einundvierzig Jahre lang, Tag für Tag - und keine Maschine bleibt stehen, wenn du nicht mehr kommst. Als wärst du nie dagewesen.

Ich solle mir eine kleine Arbeit suchen, rieten die Kumpels mir. Keine richtige Arbeit, mehr eine Beschäftigung. Das bekomme einem besser als das plötzliche Nichtstun. Die hatten gut reden! Eine Beschäftigung, sagten sie, vielleicht Zeitungen austragen oder Pförtnerdienst irgendwo. Aber sie rechneten nicht mit meinem Herzen. Irgendwann kommt so ein Anfall, ganz plötzlich, wie aus heiterem Himmel sozusagen, und dann falle ich aus. Aber man kann nicht so mir nichts dir nichts wegbleiben, wenn man Zeitungen austragen oder Pförtner sein soll. Nein, das darf man nicht.

Es war Mittag, als ich das Werk verließ, hoher Mittag. Die nächste Schicht trat an, und ich dachte so bei mir: zu denen wirst du nun nie mehr gehören. Sonne lag über der Stadt; die Luft war so leicht und rein wie selten. Ich hatte keinen Mantel an. Ich fror nicht; aber es war mir auch nicht zu warm. In den Bäumen raschelten die roten und braunen und gelben Blätter.

Ich ging nicht nach Hause. Ich weiß nicht warum. Anna wartete nicht auf mich. Sie wollte noch einiges einkaufen und dann zum Friseur gehen, hatte sie gesagt. Ich glaube nicht, daß es so nötig war. Ich glaube eher, daß sie Angst hatte, wie ich - vor dem Augenblick, da ich in der Tür stehen würde und sagen: „So. Ja, so. Da bin ich. Da hast du mich.“

Wir fürchteten uns beide davor. Seltsam ist das. Da hat man sich immer liebgehabt, all die Jahre hindurch. Sie ist ein guter Mensch, die Anna. Früher, als wir noch ganz jung waren, da haben wir es uns oft ausgemalt, wie es sein würde, wenn wir einmal ganz füreinander dasein würden. Wir träumten gern ein bißchen, die Anna und ich. Wer tut das nicht, wenn er jung ist und die Nachtigallen schluchzen im Mai? Jetzt sind die Nachtigallen still und die Blüten verwelkt. Durch die Nebel sickert der Herbst.

Ich ging ein Stück am Fluß entlang. Ich tat es gern. Oft, wenn die Sonne schien, ging ich diesen Weg. Es war ein bißchen weiter; aber was hatte das zu sagen? Es tat gut, den herben Geruch des Wassers zu schmecken, wenn die Lungen noch voller Werkstaub waren. Aber nun würde ich nie wieder den Staub des Werks in meine Lungen ziehen; ich würde jeden Morgen zum Fluß gehen können und dort mit anderen Opas auf einer Bank sitzen und klönen. Ach ja, als ich so ging, war der Tag mit einemmal gar nicht mehr golden. Die Sonne ärgerte mich; denn es war nichts mehr da, das sie hätte hinwegtragen können.

Nur meine Lohntüte, die letzte, war voll. Alles andere blieb leer: die Uferstraße zur späten Mittagszeit, die Luft in ihrer gläsernen Durchsichtigkeit, in der nicht einmal mehr die Gerüche von Staub und Wasser hingen, der ganze Tag - alles oder irgendetwas war leer geworden.

Vielleicht war es mein Leben.

Ich hatte nur einmal solche unheimliche Leere erlebt: damals, als die Nachricht von unserem Jungen kam. Auch damals war unser Leben plötzlich leer geworden. Aber wir lebten es weiter. Ich hatte meine Arbeit und Anna die ihre, und immer wieder war etwas da, etwas Freundliches oder Feindliches, und rief uns an.

Heute rief nichts nach mir. Abgeschrieben, vorbei. Niemand, nichts wartet auf mich. Nicht einmal Anna. Sie war so feige wie ich. Nur die Kastanien purzelten raschelnd von den Bäumen am Ufer und sprangen platzend auf. Ihre braunglänzenden Früchte kullerten auf Fahrbahn und Fußweg. Einige rollten in den Fluß. Er trug sie leise und plätschernd mit sich zu Tal.

Eine traf mich am Hinterkopf. Beinahe hätte ich aufgeschrien. Sie war nicht vom Baum gefallen. Ich weiß nicht, war es ein guter Wurf oder ein schlechter. Ich schimpfte nicht. Ich wandte mich nur um.

Da stand er, auf der andern Straßenseite: ein Rotzig, wie man die Kerle in unserer Stadt nennt. Kein schönes Wort, so ein bißchen derb, wie es sich hierzulande gehört. In Berlin gibt es Gören, und anderswo werden sie andere Namen haben. Er sah aus, wie so ein Lümmel aussehen muß: rötliches, wirres Haar, Sommersprossen und schmutzige Finger. Er grinste mich an.

„Na, Opa, Krach mit Oma jehabt? Sieht aus, als wär' ihm 'ne Laus över de Leber jekrabbelt!“

Ich hätte ihn ohrfeigen mögen. So ein Rotzig! Aber dazu war er zu weit weg. Dazu war er zu jung und ich zu alt. Ich hätte ihn nie erreicht. Ich rieb mir den Hinterkopf und ging auf ihn zu. Er lief nicht weg. Breitbeinig stand er da und wartete auf mich. Dabei blitzten seine Augen über die Fahrbahn hin, als müßte er mich jeden Augenblick vor einem hereinbrechenden Unglück retten.

Dann stand er vor mir und ich vor ihm. Er sah mich an. Wie er mich ansah! Ich kann es nicht sagen, wie. „Was meinst du wohl, was dein Vater dazu sagt, wenn er hört, wie du hier alten Leuten Kastanien an den Kopf schnippst?“ Er lachte. Aber wie er lachte!

„Min Vadder! Mensch, Opa, wenn ich wüßte, wo auf der Welt min Vadder 'rumwirbelt, ha! Un min Modder - jeh' man in die Altstadt, in so'n paar schöne Kneipe, da findste se bestimmt irjendwo! Wat min Modder is, Opa, die is man froh, wenn ich se bloß in Ruh' loß, dat se jehn kann, wohin se will.“ Er hatte so schnoddrig und frech angefangen, daß ich ihm am liebsten wieder eine geklebt hätte.

Aber jetzt, als er mich wieder ansah, erschrak ich plötzlich vor seinem Gesicht. Warum ich erschrak? Wenn ich das sagen könnte! Aber ich wußte jetzt etwas anderes: wie er mich angesehen hatte. Dieser Blick, dieser nicht freche, nicht ängstliche Blick - ich kannte ihn; ich kannte ihn nur zu gut. Mein Junge sah mich an! Sah mich an in diesem schmutzigen, rothaarigen Rotzigen, den ich kaum anzurühren wagte. Aber seine Augen. seine Augen sahen mit einem mal wie die Augen meines Emil aus.

„Jung', haste dein' Schulaufgaben schon?“ fragte ich und wußte nicht, warum. „Wat denkste denn, Opa? An so'n scheen' Herbstdag! Keen Spur, Alder!“ Er hatte seinen halbzerfledderten, schmuddeligen Schulranzen noch auf dem Rücken. „Und Mittagessen haste wohl auch noch nicht?“ - „Ooch, ja, ich han so'n bißje wat jejesse uf'n Markt vorhin ... Ich han do so ne Mann, weeste, der jitt mer schon mal wat ab.“

Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, ihn mit heimzunehmen. Ich weiß nicht, wie er dazu kam, mit mir zu gehen. Er wunderte sich nur erst und meinte, ich wolle ihn nach Hause bringen, weil er nämlich ganz in unserer Nähe wohnt. Aber ich hatte ihn nie zuvor gesehen. Wer kennt schon alle Leute von „um die Ecke“, selbst wenn er an die vierzig Jahre in der Straße wohnt?

Er ging mit mir. Er wusch sich dann die Hände und sogar das Gesicht; er strich sich seine struppige Mähne zurecht, während ich Spiegeleier und Bratkartoffeln für uns zurechtbruzzelte.

Wir aßen zusammen, und dann spülten wir. Er konnte ganz geschickt abtrocknen, wenn auch manchmal doch ein paar Tropfen hängenblieben. Ich räumte die Teller in den Schrank und stellte die Pfanne weg. Er wischte den Tisch sauber, und dann machten wir Schularbeiten.

Ja, es stimmt schon, wir machten Schularbeiten. Der Junge staunte, was so ein alter Hase noch alles weiß, und ich staunte auch. Dreisatzrechnungen, eine Niederschrift über das Himalaja­gebirge. Mit den neuen Ländernamen und Grenzen kam ich nicht mehr zurecht; aber das erklärte er mir rasch.

Zuletzt kam noch ein Aufsatz. Das ging schon schlechter. Er kaute am Federhalter; aber mir schien, als wollte er mir doch zeigen, was er alles konnte. Wenn ich ihm helfen wollte, sah er mich nur wieder an mit diesem rätselhaft fremden und doch so vertrauten Grinsen: ein wenig überlegen und ein wenig unsicher zugleich - was für ein Junge!

Nee, Opa, haste jedacht! So schreibt doch heut' keen Mensch mehr, so'n altmodisch' Jequassel -..“. Seltsam, ich ärgerte mich gar nicht über den Kerl, obgleich er nicht gerade höflich war. Höflich? Nein, ganz gewiß nicht! Gut erzogen? Von Erziehung keine Spur! Aber nach den Schularbeiten - der Aufsatz war nachlässig und fehlerhaft niedergeschmiert; aber das schien ihn nicht im geringsten zu stören - nach den Schularbeiten sah er sich noch ein bißchen in unserer Wohnung um.

„Zeig mich mal, wo ihr euer' Kohlen habt!“ sagte er und hatte schon den Eimer in der Hand. „Ich kann dat besser als du, Opa!“ Es half nichts; ich mußte ihm den Kohlenkeller zeigen, und er schleppte keuchend drei Eimer voll herauf. „Das reicht ja bis übermorgen!“ mußte ich lachen. „Macht nix“, sagte er, „denn kommste morje wenigstens nit uf den Jedanke, selbst welche zu hole'.“

Dann musterte er die Goldfische im Aquarium und plauderte noch ein bißchen mit Hansi unserm Wellensittich. Dann warf er mit einem Schwung den Tornister auf den Rücken. „Ich jeh' jetzt noch'n bißche raus, Opa. Haste wat zu besorje?“ Ich hatte nichts zu besorgen. Anna wollte ja einkaufen. „Na denn, mach's jut, Opa! Un daß du mir nit de Kohle aus'm Keller schleppst, morje, verstehste! Det is' nit jut für et Herz.“ Er grinste wieder. „Von weje de Bratkartoffle. War'n prima - Klasse!“ Damit hatte er die Tür schon in der Hand. Ehe er die Treppe hinunterpolterte, drehte er sich noch mal um. „Na denn danke schön, Opa - für dat jute Esse un ...“

Er sprach nicht weiter. Aber er ging auch nicht. Er sah mich nur wieder an. Mit diesem Blick!

„Willst du morgen wieder Schularbeiten bei mir machen?“fragte ich. Da strahlte es auf in seinen Augen. Solange ich lebe, werde ich dieses Strahlen nicht vergessen. „Bist 'n Engel, Opa!“

Ich dachte schon, jetzt gibt er mir auf der Stelle einen Kuß. Aber das tat er denn doch nicht.

„Na, 'n Engel sieht wohl bißchen anders aus!“ lachte ich. Da kniff er plötzlich die Augen zusammen. „Hm - Opa, wat meenste, wat die Oma wohl dazu sagt?“ Ach so, die Anna! Fast hatte ich sie vergessen. Aber was sollte sie wohl sagen?

„Komm man ruhig, Jung'!“ Er stürmte ins Freie.

 

Als ich vor Emils Bildern in der Stube stand, vor dem Soldaten- und vor dem Kinderbild, kam Anna. Sie schnupperte in der Luft. Ich lachte. „Spiegelei mit Bratkartoffeln“, sagte ich, und sie wurde ein wenig rot und verlegen wie einst als junges Mädchen.

„Sieh mal einer an, was du auf deine alten Tage noch lernst!“ Ich kicherte wieder. „Ich hatte sogar Besuch", sagte ich, „-und morgen wird er wiederkommen.“ Während ich Anna erzählte, schien draußen die Sonne. Sie hatte zwar die ganze Zeit geschienen; aber jetzt erst spürte ich es. Und mit einemmal freute ich mich daran.

Anna sagte: „Wie schön!“ Und es klang beinah wie damals, als ich die Stelle bei Weber & Co. gefunden hatte, kurz bevor der Emil geboren wurde. Und dann gingen wir noch ein bißchen an den Fluß, setzten uns auf eine Bank, sahen den spielenden Wellen zu, wie wir das als junge Leute so gern getan hatten, und hielten uns an den Händen, bis es kühl wurde und wir nach Hause gingen. „Morgen kommt er wieder“, sagte ich zu Anna, und sie wußte, wen ich meinte.

Plötzlich entdeckte ich ihn mitten in einer Horde johlender und tobender Gassenjungen. Er war nicht besser und nicht schlechter als die andern. Wahrscheinlich wäre mein Emil nicht so wild gewesen, damals. Ich wollte ihm pfeifen, wie ich das manchmal mit meinem Emil getan hatte vor vielen Jahren. Aber Anna hielt mich zurück.

In diesem Augenblick schien er mich ebenfalls entdeckt zu haben. Ich dachte, er winkt uns jetzt. Aber blitzschnell verschwand er hinter der nächsten Ecke. Soll einer sich auskennen bei diesen Kerlen! Aber ich weiß nicht, ob er vor mir verschwand. Denn gleichzeitig tauchte aus einer Nebengasse ein unbeschreiblich aufgedonnertes Frauenzimmer auf, und eine keifende Stimme rief: „Emil! Emil!“

Die ganze Meute war wie vom Erdboden verschluckt. Da fiel mir ein, daß ich ihn nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte. „Morgen kommt er wieder“, sagte ich zu Anna, und ich weiß nicht, warum ich auf einmal den Arm um sie legte; „freust du dich, Mutter?“ Ich wußte gar nicht, wie schön Anna noch immer ist, wenn sie lächelt. Die Abendsonne verwan­delte ihr weites Haar, daß es aussah wie das Gold ihrer Mädchenjahre. Die Abendsonne ... Auf einmal begriff ich, daß auch der Abend schön sein kann. Ich hatte es oft bemerkt. Aber jetzt erst wußte ich es                                                    (Wilma Klevinghaus).

 

 

Ich freue mich für Sie!

[Frau trägt ihr drittes Kind doch noch aus]

Frau Hadwig legte den Brief ihres Mannes beiseite. Er war zu einem Studienaufenthalt in die Sowjetunion gefahren und schrieb ganz erfüllt von den Eindrücken der letzten Wochen in Leningrad. Die Stadt an der Newa mit ihren vielen Kanälen und Brücken, den hellen Nächten des herannahenden Sommers hatte es ihm angetan. Er bedauerte sehr, sie nicht bei sich zu haben.

Bei diesem Satz hatte Frau Hadwig mit den Tränen kämpfen müssen. Es war nicht nur die große Entfernung - sie fühlte sich allein gelassen in einem Augenblick, wo sie ihn sehr nötig hatte. Und vor anderthalb Monaten konnte sie ihn nicht zurückerwarten. Die Ahnung, die sie seit sechs Wochen beunruhigte, fand sich bestätigt. Sie erwartete ein Kind. Das war der Grund für ihre Apathie und das leichte Schwindelgefühl. Sie wußte, daß das Ungeborene gerade am Anfang viel Kraft beanspruchte.

Was sie aber zutiefst erschreckte, war die Tatsache, daß sie diesmal keine Bereitschaft hatte, das kleine Wesen anzunehmen und auszutragen. Die beiden anderen Kinder waren schon schulpflichtig. Die Umstellung auf einen Säugling, der den Ablauf des Tages bestimmte, schien ihr ungeheuer. Sie würde ihre Tätigkeit als Sekretärin wenigstens vorübergehend aufgeben müssen. Die Zweieinhalbzimmerwohnung würde für die Familie viel zu klein sein. Ein Umzug drohte. In ihrer Vorstellung häuften sich die Schwierigkeiten zu einer unüberwindlichen Hürde.

Vorgestern hatte sie das Gespräch mit ihrer Freundin endgültig aus der Fassung gebracht. Jutta war wie immer fröhlich und mit verschmitztem Lächeln hereingekommen und hatte ihre Freundin in trübseliger Verfassung vorgefunden. Bald kannte sie die Ursache und versuchte, sie aufzumuntern: „Du nimmst alles gleich so tragisch! Ich an deiner Stelle würde das Kind nicht austragen. Da die Möglichkeit besteht, die Schwangerschaft zu unterbrechen, würde ich Gebrauch davon machen.“

„Aber Jutta, ist das dein Ernst?“ - „Ja doch. Ein Kind, an dem man keine Freude hat, sollte man rechtzeitig aus der Welt schaffen. Im embryonalen Zustand lebt es doch noch ganz unbewußt. Es tut mir leid, daß du so unmodern bist und dir das Leben unnütz schwer machst. Du mußt dir eine sachlichere Einstellung zur Liebe und zur Mutterschaft zulegen.“

Damit war das Gespräch beendet. Es war ein Stachel zurückgeblieben, und ihr Herz schwankte zwischen Zweifel und Hoffnung, von ihrem Zustand wieder freizukommen. Heute war sie beim Arzt gewesen. Er wollte ihrem Wunsch entsprechen und war bereit, ihr ein Bett in der gynäkologischen Klinik frei zu halten. Hedwig trat ans Fenster und öffnete es weit. Der Duft blühender Sträucher und Bäume wehte herein. Im Garten lärmten die Vögel. Doch die junge Frau empfand keine Freude. Ihre Gedanken kreisten immer um das gleiche.

Es klingelte. Sie ging öffnen und war richtig erschrocken, daß ihre Schwiegermutter in der Tür stand. Sie hatte ein gutes Verhältnis zu ihr, aber jetzt konnte sie sie nicht brauchen. Hedwig war sehr blaß. .,Mutter, du?“, sagte sie lustlos. Der Eintretenden blieb das Erschrecken nicht verborgen. „Was ist mit dir? Ist etwas mit Herbert?“ - „Nein, alles bestens. Ich habe heute Post bekommen. Ich bin nur überrascht über den plötzlichen Besuch.“

Hadwig versuchte nicht, ihren Unmut zu verbergen. Sie hatte immer eine gewisse Scheu vor der Überlegenheit der Älteren, und dieses Mal war ihre Unsicherheit besonders groß. Schweigend gab sie ihr einen Teil der Briefe und war fest entschlossen, nichts von ihrem inneren Konflikt preiszugeben.

Frau“ Gertrud freute sich sichtlich über die guten Nachrichten und fragte dann: „Wie lange muß Herbert noch bleiben?“ - „Schätzungsweise noch sechs Wochen.“ - „Das ist lange bei deiner jetzigen Verfassung!“ - „Was meinst du damit?“ Die Schwiegermutter faltete die Bogen zusammen und blickte Hedwig an. „Ich habe das Gefühl, daß du guter Hoffnung bist. Es kann natürlich auch ein Irrtum sein. Eigentlich bin ich gekommen, um nach dir zu sehen. Du hast mir in der letzten Zeit nicht gefallen.“

Jetzt war es vorbei mit Hadwigs Fassung. Sie fiel in einen Sessel und schluchzte. „Ja, ich bin guter Hoffnung, wie man das in alter Zeit so schön nannte. Aber für mich ist es keine Hoffnung, sondern ein Kreuz. Ich will das Kind nicht austragen.“ Es war merkwürdig, mit welcher Gelassenheit die alte Frau den Ausbruch hinnahm. Nichts von Ungeduld oder Empörung. Nur die Augen blickten ernst. „Und warum nicht?“, fragte sie. „Weil ein drittes Kind unser bisheriges Leben verändern würde. Ich müßte mit aller Mühsal von vorn anfangen.“

„Das ist mir klar. Aber dafür wird der Familie ein neuer Mensch geschenkt. Ist das nichts?“ -

„Ich weiß nicht. Ich bin jedenfalls sehr unglücklich. Du kannst mich nicht verstehen. Du hast dich auf alle Kinder gefreut und warst die geborene Mutter.“ - „Woher weißt du das?“ entgegnete Frau Gertrud. „Ich war damals auch jung, und für die Mutterschaft muß man erst reif werden. Man ist es als junger Mensch nur ganz selten. Aber etwas anderes: Du liebst doch deinen Mann?“

 „Und ob!“ - „Du weißt, daß Herbert das vierte Kind ist. Damals war Krieg. Mein Mann stand im Felde. Dann die Bombennächte. Fast jede Nacht mußte ich mit meinen drei kleinen Kindern in den Luftschutzkeller. Damals war ich sehr elend. Mein Hausarzt, ein gewissenhafter und verständnisvoller Mensch, fürchtete für meine Gesundheit. Jene Tage nach der Konsultation gehören zu den schwersten meines Lebens. Ich trug allein die Verantwortung für das Ungeborene, für die ganze Familie. Trotzdem konnte ich mich nicht zu diesem Schritt entschließen. Ich hatte einerseits Furcht vor dem Eingriff, zum andern betrachtete ich das kleine Wesen als ein Stück meines Lebens, das ich nun freiwillig hergeben sollte. Wie oft habe ich dafür gedankt, daß ich damals die Kraft zum Durchstehen hatte. Kannst du dir vorstellen, daß es Herbert nicht geben würde?“

Hadwig war sehr still geworden. Sie betrachtete plötzlich die Schwiegermutter mit anderen Augen, mit einer Bewunderung, die sie sich nicht eingestehen wollte. Diese saß da, den inneren Blick in die Vergangenheit gerichtet. Das üppige, schlohweiße Haar umrahmte ihr schmales Gesicht. Die Augen waren voller Verstehen.

„Weiß Herbert etwas davon?“ fragte sie. „Nein, noch nicht.“ - „Schreib ihm doch. Ich glaube schon, daß er sich über die Nachricht freuen wird und dir Mut macht.“ Hadwig sah sie verwundert an: „Warum glaubst du das?“ - „Er hat es mir vor Jahren gesagt. Er wünschte sich noch ein drittes Kind, wollte es dir aber nicht zumuten.“ - „Hat er das wirklich gesagt?“

Die alte Frau nickte. Dann sorgte sie dafür, daß Hadwig sich hinlegte. Sie deckte ihre Schwiegertochter zu und beredete sie, ein wenig zu schlafen.

Hadwig lag ganz still. Sie hatte nach langer Zeit wieder das Gefühl einer Entspannung, die in Schlaf überging. Wie von fern hörte sie, daß die Kinder nach Hause kamen und von der Großmutter zur Ruhe gemahnt wurden. Sie hörte noch ihr Plantschen im Bad, und sie hatte das Gefühl, selbst noch ein Kind zu sein und für nichts verantwortlich. Am nächsten Morgen rief sie in der Klinik an. Schwester Hilde, eine Bekannte, meldete sich. Frau Hadwig bat sie, Dr. Bimber zu benachrichtigen, daß sie es sich anders überlegt hätte und das Bett nicht beanspruchen würde. Schwester Hildes Stimme klang fröhlich, als sie sagte: „Ich freue mich für Sie!“                                                                                                                                                                                                                           (Margarete Schultz, Heiligenstadt).

 

Die heldenmütige Frau Beruria

[Kinder sind nur von Gott geliehen]

Vom Geiste seines Lehrers Akiba beseelt, führte auch Meir den Wahlspruch: „Was Gott tut, ist nur zum Guten!“ Selbst den Tod nannte er „gut“, weil er den Menschen in ein besseres Leben einführe; schon darum dürfe der Mensch sich gegen Gottes Ratschluß nicht auflehnen. Diese seine Lehre lebte seine schöne und hochgelehrte Frau Beruria. An einem Sabbat Nachmittag, als der Rabbi wieder in seinem Lehrhaus das Wort der Lehre austeilte, war in sein Haus der Tod eingekehrt und raffte erbarmungslos die beiden hoffnungsvollen Söhne hinweg. Mit zitternden Händen breitete die fromme Mutter das Totentuch über das Sterbebett ihrer Kinder. Aber dann ging sie aufgerichteten Hauptes, als ob nichts vorgefallen wäre, in das angrenzende Gemach, die Heimkehr des ahnungslosen Gatten zu erwarten.

Als dieser kam und nach den Kindern fragte, äußerte auch sie ihr Befremden über deren Fortbleiben, beruhigte ihn aber und meinte, sie würden wohl nach Kinderart auf dem Heimweg sich verweilt haben. Dann unterhielt sie das Gespräch über mancherlei bis zum Ausgang des Sabbats hin und erzählte unter anderem wie beiläufig, daß ein Mann, der ihr vor Tagen kostbare Juwelen aufzubewahren gegeben habe„ sie plötzlich von ihr zurückverlangt hätte.

„So gib sie ihm doch zurück“, sprach der Gatte, „wie kannst du es mit deinem Gewissen vereinbaren, ein dir anvertrautes Unterpfand seinem Eigentümer vorzuenthalten?“ - „Das habe ich auch getan“, erwiderte die tapfere Frau. Und was tat sie nun? Sie nahm ihren Mann bei der Hand und führte ihn in die Kammer, wo die Leichen der Kinder aufgebahrt lagen: „Hier sind die uns anvertrauten Pfande, die nun der Eigentümer zurückverlangt hat.“

Und als bei diesem Anblick der erschütterte Vater bitterlich zu weinen anfing, erinnerte Beruria ihn an seine Lehre von der ewigen Güte Gottes auch im Dunkel der Menschenwege, und beide zusammen sprachen in der Einheit des Geistes und des Herzens wie einst Hiob: „Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gepriesen!“ Und dann, nach einer Weile, fuhr der Rabbi fort: „Und dreimal mehr sei er gepriesen, denn er hat mir ein tugendhaftes Weib beschieden, das mein Trost in diesem Unglück ist.“

Auf Beruria ist das Wort des Weisen anzuwenden: „Die Frau ist dem Manne eine Gehilfin, wenn er es verdient.“ Und er verdiente es.                                 (Aus Palästinas Legendenschatz)

 

 

Die Löffel

[Der Himmel ist, wenn Menschen sich gegenseitig füttern]

Ein frommer Mensch kommt zu Gott und bittet: „Herr, ich möchte die Hölle sehen und den Himmel.“- „Nimm Elia als Führer“, spricht Gott, „er wird dir beide zeigen.“ Der Prophet führt den Frommen in einen großen Raum. Ringsum sitzen Menschen, die große Löffel mit langen Stielen in den Händen haben. In der Mitte des Raumes steht auf einem Feuer ein Topf mit einem köstlichen Gericht.

Alle in der Runde schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf. Trotzdem sehen sie mager aus, blaß und elend. Kein Wunder: Ihre Löffel sind viel zu lang. Sie können sie nicht zum Mund führen, das herrliche Essen nicht genießen. „Welch seltsamer Raum war denn das?“, fragt der Mensch beim Hinausgehen. Elia antwortet: „Die Hölle:“

Sie betreten einen anderen Raum. Alles ist genauso wie im ersten. Ringsum Menschen mit langem Löffeln. Inder Mitte auf einem Feuer kochend ein Topf mit einem köstlichen Gericht. Alle schöpfen mit ihren langen Löffeln aus dem Topf. Die Menschen hier sehen gesund aus, gut genährt und glücklich. Der Besucher wundert sich und schaut genau hin. Da sieht er, wie die Menschen sich gegenseitig die Löffel in den Mund schieben. Sie geben einander zu essen. Einer füttert den anderen. Und der Mensch weiß: Das ist der Himmel (Russisches Märchen).

 

 

Die Äpfel der Versöhnung

[Junge fährt Äpfel von der Apothekersfrau zur Arztfrau und versöhnt dadurch beide]

Ich war vier Jahre alt und hatte von den Großeltern zum Geburtstag einen Schubkarren bekommen, auf den ich mächtig stolz war. Er war außen gelb gestrichen und innen rot, und wenn er genügend beladen war, knarrte sogar das Rad richtig, und ich erzielte auf dem holprigen Pflaster unseres Städtchens damit einen Lärm, der mein Herz erfreute.

So zog ich denn oft tatendurstig aus mit meinem Fahrzeug und suchte nach geeigneter Last. Steine lagen nicht genügend lose herum, und als ich versuchte, einen aus dem Straßenpflaster zu lösen, war ein Schutzmann mit großem Säbel vorbeigekommen und hatte sich furchterregend geräuspert. Meine kleine Schwester aber, die ein Jahr alt war und ganz gut in den Schubkarren gepaßt hätte, wenn man die Karre in der Mitte ein wenig zusammenbog, sträubte sich brüllend gegen die Verladung. Es war also wirklich nicht leicht, außer den seltenen Einkäufen für meine Mutter, für mein junges Fuhrunternehmen Fracht zu bekommen.

Bei meinen Streifzügen kam ich oft am Doktorhaus vorbei. Da lag auf der Terrasse fast immer, in einem Liegestuhl und in Decken gehüllt, die Doktorsfrau. Ich fragte sie einmal, warum sie immer so daliege. Sie sagte, daß sie krank sei. Das war wohl nur ein paar Wochen lang, aber in meinem Kinderherzen schien es mir wie ein ganzes Leben, und ich hätte großes Mitleid mit ihr, zumal sie weder etwas zum Spielen noch zum Essen hatte, was das Kranksein erst lohnend macht.

Ein Stück weiter war die Apotheke. Dort schloß sich an das Haus eine hohe Gartenmauer an mit einer kleinen grünen Pforte. Der Garten war voller Apfelbäume, und an den hohen Zweigen hingen große rotbäckige Äpfel. Leider hingen sie sehr hoch, und selten war die grüne Pforte offen. Die Frau Apotheker kannte ich gut, sie kam manchmal aus der Tür der Apotheke und schenkte mir Lakritzen.

An einem Morgen war die Gartenpforte sperrangelweit geöffnet. Der junge Mann aus der Apotheke stellte eine Leiter an den größten Baum, dann kamen die Frau Apotheker und das Mädchen mit großen Körben. „Nun, kleiner Mann, willst du mit Äpfel pflücken?“ wurde ich gefragt. „Nein, aber einfahren“, sagte ich und wies stolz auf meinen Schubkarren. „Ja, darf ich?“ Die Frau Apotheker erlaubte es und lachte.

Dann ging sie wieder ins Haus. Das Mädchen hielt dem jungen Mann die Leiter und nahm den Pflückkorb an, den er von Zeit zu Zeit an einem Strick herunterließ. Dann füllte sie die beiden großen Körbe und meinen Karren, und wir zogen hintereinander aus der Gartenpforte und um die Apotheke nach dem Hauseingang, wo uns die Frau Apotheker in einer Kammer zu ebener Erde die Äpfel abnahm und auf Holzgestelle legte. Ich war sehr stolz auf meine Tätigkeit.

Allmählich aber wurde es mir langweilig, immer zu warten, bis die beiden großen Körbe voll waren, denn mein Kasten war viel rascher beladen. Also fuhr ich beim drittenmal, kaum daß ich meine Last beisammen hatte, auf eigene Faust durchs Pförtchen. Die Äpfel mit ihren roten Backen nahmen sich wunderschön aus in meinem bunten Karren.

Auf einmal mußte ich an die arme kranke Frau denken, die nichts zum Spielen hatte, und ich bog statt links zum Hauseingang der Apotheke nach rechts zum Doktorhaus ab. Die Tür zu dem schmalen Vorgarten war nur angelehnt. Ich schob meinen Karren bis zu der niedrigen Terrasse. Die Kranke lag da und schlief. Vorsichtig legte ich meine Äpfel in zwei Reihen auf einen Gartenstuhl neben ihr und schob den leeren Karren ganz leise wieder fort.

Im Apfelgarten lachte das Mädchen mit dem jungen Mann, der von der Leiter herabgestiegen war, und die beiden grollen Körbe standen voll neben ihnen. Sie achteten nicht darauf, daß ich gleich noch einmal die schönsten Äpfel aus beiden Körben auf meinen Schubkarren lud. Als ich das zweite Mal zu der Kranken kam, schlief sie immer noch. Ich legte die zweiten Äpfel zu den ersten, daß fast der ganze Stuhl belegt war, und dann ordnete ich alles noch einmal um, weil es so schöner aussah. Darüber erwachte die Schläferin. Sie fragte mich erstaunt, wo die Äpfel herkämen. „Von Frau Apotheker!“ sagte ich, was in einem weiten Sinne ja auch stimmte. Da machte die Doktorsfrau so sonderbare Augen, wurde rot im Gesicht und fragte mich so dringend, ob sie wirklich von dort seien, daß mir der Rückzug geraten schien, wobei ich zur Bekräftigung noch einmal heftig nickte. Auf der Straße draußen fiel mir ein, daß ich nun genug geholt hätte, und ich schob meinen leeren Karren nach Hause.

Nach Tagen oder Wochen - ich hatte die Äpfel längst vergessen - besuchte uns die Frau Doktor, die nun nicht mehr krank war; sie war sehr nett zu mir, gab mir Schokolade und dankte mir noch für die Äpfel, die ich aus der Apotheke zu ihr gefahren. Es war mir peinlich, an meinen Schubkarren erinnert zu werden, denn er lebte schon nicht mehr.

Erst später, als ich größer war, erfuhr ich, was ich damals angerichtet hatte. Es war ein langer böser Streit zwischen dem Doktor und dem Apotheker gewesen, was in einer kleinen Stadt besonders schlimm ist. Sie hätten sich schließlich auch ganz gern versöhnt, nur konnte sich keiner zum ersten Schritt entschließen, und keiner erlaubte ihn seiner Frau, bis die ungewollte großartige Apfelspende die Bresche schlug.

Dafür mußte denn doch, sobald sie genesen war, die Doktorsfrau einen Dankeschön-Besuch abstatten. Und die gute Frau Apotheker war klug genug, nicht gleich den guten Willen zu verleugnen, der ihr zugeschrieben wurde. Erst bei wieder gefestigter Freundschaft verriet sie den Sachverhalt, und so kam ich zu Dank und Schokolade. „Kinder haben eine größere Gerechtigkeit“, sagte die Frau Doktor. Ich weiß es noch heute. Und ich wunderte mich sehr, weil ich glaubte, etwas Unrechtes getan zu haben.                                                        (Wolfgang Zenker)

 

 

Zu viel Geld

[Junge hat Mühe, 20 Mark auszugeben]

Ich war neun Jahre alt, als mich zum ersten und zum letzten Male in meinem Leben der Besitz einer Geldsumme zur Verzweiflung brachte, weil ich nicht damit fertigwerden konnte. Mit meiner Schwester Elfriede war ich vorübergehend bei drei Großtanten untergebracht. Ich fürchtete die drei Tanten, weil ich von ihnen erzogen wurde und trotz aller Mühe immer alles falsch machte. An Elfriede war nichts zu erziehen, sie war rundherum musterhaft und unentwegt ehrenamtlich tätig. In der Schule durfte sie die Landkarten aufhängen, ausgestopfte Tiere in den Zeichensaal bringen und der Klassenlehrerin die Hefte nach Hause tragen.

Elfriede und ich hatten unsere Sparschweine von daheim mitgenommen. Unter kleinen und kleinsten Münzen beherbergte mein Sparschwein einen zusammengefalteten Zwanzigmarkschein. Ein großzügiger Onkel hatte ihn mir geschenkt, als ich mir zu Weihnachten ein Flugzeug gewünscht hatte. Als die Sparschweine voll waren, wurden sie zu meiner Empörung und Enttäuschung von den Tanten beschlagnahmt, um uns für den Inhalt später einmal etwas Nützliches anzuschaffen.

Ich sah mich vor die unerhörte Aufgabe gestellt, mein eigenes Geld stehlen zu müssen. Heimlich angelte ich mit einer Haarnadel den Zwanzigmarkschein aus dem Schwein. Nachmittags verführte ich Elfriede dazu, mit mir zu kommen, um das Geld zu verprassen. Zwar war ich von Elfriedes Vertrauenswürdigkeit nicht überzeugt, aber das gemeinsame Exil hatte sie meinem Empfinden nähergebracht und mich ihr gegenüber leichtfertig werden lassen. Eine dumpfe Ahnung warnte mich, Elfriede den Diebstahl an mir selber einzugestehen, und ich erzählte ihr eine sehr schöne Geschichte von einem Schulrat, der mit einer gläsernen Kutsche in den Schulhof gefahren war und mir das Geld gegeben hatte, ich solle es mit meiner Schwester verbrauchen.

Es war natürlich dumm von mir, gerade Elfriede an meinem Abenteuer teilnehmen zu lassen. Vielleicht fühlte ich mich gesichert, wenn ich sie mitschuldig machte. Vielleicht reizte mich, die erhöhte Gefahr, die mir durch sie entstehen mußte. Vielleicht trieb mich ein Dämon, die ewig Artige in das Gewirr dunkler Sünden zu verstricken und das Erhabene in den Staub zu ziehen. Vielleicht wählte ich Elfriede auch nur, weil ich zufällig kein anderes Kind zur Verfügung hatte.

Elfriede war ein Jahr älter als ich, aber der Besitz der zwanzig Mark gab mir vorübergehende Überlegenheit. Zuerst führte ich Elfriede an eine Limonadenbude, wo es Flaschen mit roten, gelben, grünen Getränken gab. Wir tranken sämtliche Farben. Elfriedes moralische Widerstandskraft war gebrochen, meine Unternehmungsgier riß sie mit. Der Verschluß der Selter­wasserflasche bestand aus einer kleinen gläsernen Kugel. Schon oft hatte ich vergebens versucht, diese Kugel aus der Flasche zu entfernen.

Ich wünschte mir sehnlichst gerade diese Glaskugel. In meinem Limonadenrausch kaufte ich eine Flasche, um sie mitzunehmen. Unter Herzklopfen und mit den Gefühlen eines Mörders, der heimlich eine Leiche beiseite schafft, zerschmetterte ich die Flasche an einer Bordschwelle. Ich hatte die Kugel. Welche Wunder ich mir von ihr erhoffte, wußte ich nicht. Wahrscheinlich gar keine. Die Kugel war Wunder an sich. Aus ihrem gläsernen Gefängnis hatte ich sie befreit, einen gläsernen Körper ihretwegen gewaltsam ermordet. Es hatte mich Überwindung gekostet, denn alles irdisch Vorhandene lebte für mich. Einem Blatt Papier glaubte ich wehzutun, wenn ich es zerriß.

Dem Zauber der Kugel gesellte sich der Zauber des Geldes. Ich hatte gefürchtet, der Zwanzigmarkschein hätte für die Orgie an der Limonadenbude nicht gereicht. Noch nie hatte ich eine Flasche Limonade allein trinken dürfen und sie immer für etwas sehr Teures und Kostbares gehalten. Furchtsam hatte ich den Schein dem Verkäufer hingehalten, und der hatte mir einen überwältigenden Haufen von Scheinen und Münzen zurückgegeben.

Ich ging mit Elfriede zu einem Eiswagen. Wir lebten aus dem Vollen und legten uns keinerlei Einschränkungen auf. Wie oft hatte ich geträumt, einmal so viel Eis essen zu dürfen, wie ich wollte und konnte. Elfriede übertraf noch meine beachtliche Leistungsfähigkeit. Sie fraß verbissen und schien seelisch weder abgelenkt noch erregt. Wieder zahlte ich mit einem Schein, und wieder bekam ich Geld zurück. Abermals hatte das Geld sich vermehrt.

Ich kaufte Salmiakstangen, Himbeerbonbons, saure Drops, zwanzig Hauchbildchen und mehrere Rollen Pfefferminzpastillen. Das Geld wurde nicht weniger. Im Gegenteil. Das Taschentuch, in das ich es gesammelt hatte, platzte fast vor lauter Münzen. Elfriede wurde schlapp

und weinerlich, und mich beschlich das Gefühl, unter einem Fluch zu leben.

Auf dem Rummelplatz fuhr ich mit Elfriede Schiffschaukel und Karussell. Nach dem fünften Male mußte sich Elfriede übergeben. Sie wollte nach Hause. Das ging nicht. Erst mußte das Geld alle sein. Ich sah keine Möglichkeit, so viel Geld zu Hause zu verbergen. Unauffällig versuchte ich, einige Münzen zu verlieren. Elfriede merkte es und sammelte sie trotz ihres hinfälligen Zustandes wieder auf. „Geld wirft man nicht fort“, tadelte sie nicht zu Unrecht, „wir wollen es den Tanten geben.“

Damit war ich nicht einverstanden. Hätte ich das Geld offiziell verbrauchen dürfen, würde ich Goldfische, Rollschuhe oder einen Wellensittich erstanden haben. So aber konnte ich das nicht. Krampfhaft überlegte ich, auf welche Weise sich das Geld noch verjubeln ließe. Mir fiel nichts ein. Ich muß eine spärliche Phantasie gehabt haben. Soweit sie überhaupt vorhanden war, wurde sie auch noch durch Elfriede gelähmt.

Ich kam auf den vernünftigen Gedanken, das Geld einem Bettler zu schenken. Dagegen konnte Elfriede nichts haben. Noch zu jeder Zeit bisher hatte es Bettler gegeben in Hülle und Rille. Jetzt, wo ich dringend einen brauchte, fand ich keinen. Vergeblich schleifte ich Elfriede eine halbe Stunde lang durch die Stadt. Ich erwog den Plan, in eine Konditorei zu gehen, traute mich aber nicht, aus Angst, dort vielleicht verhaftet zu werden. Aus einem Automaten zog ich zehn Päckchen gebrannte Mandeln. Die zehn Groschen machten mich nicht merklich ärmer. Außerdem war ich jetzt auch noch verpflichtet, den Haufen gebrannter Mandeln runterzu­würgen. Elfriedes Beistand war nichts wert.

Übrigens hätten wir längst zu Hause sein müssen. Unsere Verspätung würde eine verschärfte Kontrolle bedeuten. Vorübergehend spielte ich mit dem Gedanken, das Geld unter einem Baum zu vergraben, aber ich hatte keinen Spaten oder ähnliches und wußte auch keinen passenden Baum in der Nähe. Das Geld in einen einsamen Hausflur oder in einen Briefkasten zu werfen, duldete Elfriede nicht. Der einzige Vorschlag, den sie beisteuerte, war, das Geld mit Hilfe der Tanten in neue Sparschweine zu stopfen. Am liebsten hätte ich sie verprügelt, aber ich hoffte immer noch, sie zu dauerndem Schweigen überreden zu können. Zuletzt entschloß ich mich, das Geld bei der Obstfrau in unserer Straße abzuladen. Ich hatte keineswegs das Gefühl, der Frau damit einen Gefallen zu tun. Ich hoffte nur, sie würde mir vielleicht ein Opfer bringen und das Geld nehmen, denn sie war immer nett zu mir gewesen.

Ich entleerte mein Taschentuch auf dem Ladentisch der Obstfrau und verschwand schuldbewußt, eilig und ohne Erklärung. Vor der Tür würgte Elfriede an einer gebrannten Mandel, die sie aus Versehen unzerkaut verschluckt hatte.

Eine halbe Stunde später hatte Elfriede den Tanten eine lückenlose Darstellung meiner Delikte gegeben, soweit sie ihr bekannt waren, und vergoß Tränen der Reue über ihr eigenes strafbares Verhalten. Da ich selbst im Augenblick nicht mehr genau wußte, was wahr und was gelogen war, schwieg ich. Die Geschichte von dem segenspendenden Schulrat in der gläsernen Kutsche wollten die Tanten nicht glauben. Schließlich erschien auch noch die Obstfrau, um zu erfahren, was sie für das Geld liefern sollte, das ich ohne weitere Anweisung gebracht hatte.

Sie war der Meinung, ich wäre im Auftrag der Tanten zu ihr gekommen. Zu spät fiel mir ein, daß ich von dem Geld eine Fahrkarte hätte kaufen können, um nach Haus zu meiner Mutter zu fahren. Das Geld hat mir mein beleidigendes Verhalten bis zum heutigen Tage nicht verziehen. Ich habe nie mehr zuviel gehabt, aber sehr oft zuwenig. Und das ist auch nicht schön.   (Irmgard Keun)

Im Wartezimmer

[Frau ist erleichtert, daß es bei ihrem Mann nur der Blinddarm war]

Sie sitzt im Wartezimmer und hält ihren alten schwarzen Schirm so fest in der Faust, daß die braunen Knöchel ganz weiß werden. Dabei blickt sie unverwandt auf das große gerahmte Bild neben dem Fenster, auf das rahmgelbe Weizenfeld mit dem roten Mohn und den blauen Korn­blumen am Rain. Und ihre Lippen bewegen sich kaum merklich in immerwährendem Ge­stam­mel, in einem Gebet, das über die Anfangsworte nicht hinauskommt und dennoch das dringlichste, das innigste ihres ganzen Lebens ist. „Mein Gott, tu mir das nicht an! Barmherziger Gott, tu mir das nicht an!“

..Hübsches Bild“, sagt der junge Mann mit dem geschienten Unterarm, der schon vor ihr im Wartezimmer saß. „So recht beruhigend, das Korn und die Blumen, nicht wahr? Wo die Leute hier doch meistens Angst haben.“ - „Ja, ja“, nickt sie, ohne die Augen von dem Bild zu lassen, „ja, da haben Sie recht.“ Sie fährt mit dem Taschentuch einmal rasch über die Stirn, packt ihren großen baumwollnen Schirm wieder fester und bewegt von neuem lautlos den Mund: ,,Allmächtiger Gott, tu mir das nicht an.“

Später kommen noch mehr Leute herein, ein junges Mädchen, eine Frau mit einem Kopfverband, ein blasses Schulkind. Sie setzen sich, nehmen eine Zeitschrift vom Tisch oder sprechen gedämpften Tones miteinander. Sie scheinen sich schon zu kennen. „Die Frau Wegener im Vierbettzimmer ist gestern gestorben, wissen Sie schon?“ - „Ach nein, die Frau Wegener! Sie war ja auch nur Haut und Knochen.“

Die Frau blickt auf das gemalte Weizenfeld, das gelb und üppig unter einem tintenblauen Himmel auf und nieder zu wogen scheint, auf und nieder, auf und nieder. „Mein Gott, mein Gott, tu mir das nicht an ... !“ Einundvierzig Jahre sind sie nun verheiratet, und es ist nicht immer eitel Sonnenschein bei ihnen gewesen. Besonders in der letzten Zeit. Sie hat über dies und jenes gebrummt, hat ihn kurzgehalten und auch manchmal kräftig losgeschimpft, wenn er so lange draußen herumhantierte bei seinen Stallhasen. So waren der guten Worte allmählich weniger, der scharfen und galligen dagegen immer mehr geworden - wie das eben so geht in einundvierzig Jahren. Die Liebe bleibt nicht so lange jung und heiß. Sorgen kommen, die tägliche Mühsal, die kleinen, gewöhnlichen Dinge und dazwischen hin und wieder auch ein schwerer Schlag.

Die Kinder sind nun aus dem Haus. Sie, die Eltern, sind wieder allein wie im Anfang, nur vier Jahrzehnte älter, gebeugt und etwas müde von aller Arbeit. Und die Liebe, die junge von ehe­mals, war mit gealtert, mit verblüht, war unansehnlich und grau geworden wie der alte, aus der Mode gekommene Schirm.

So hatte es denn hier und da einen mürrischen Blick gegeben, ein verdrossenes Schweigen, ein Türenschlagen, ein paar grobe Worte, gröber und härter, als gut war für sie beide. Es hätte behutsamer und milder sein können so manches Mal. Erst gestern Abend wieder, als sie ihn zum Nachtessen rief und er nicht gleich hereinkam von seinen Hasenställen, da hätte sie ihn nicht so anfahren sollen: „Ist das ein Kreuz mit dir, wirst noch rein närrisch mit dem Viehzeug. Das frißt Tag und Nacht und bringt nichts ein.“ Dabei mußte sie ja doch im Stillen zugeben, daß die Tiere eine ganz gute Hilfe waren zur Rente.

Zuviel Liebe macht blind, sagt man immer, aber zuwenig Liebe macht obendrein noch ungerecht und taub. Sonst hätte sie gestern Abend sehen und hören müssen, daß ihm nicht gut war. Sie hätte es nicht erst beim Zubettgehen merken dürfen, daß er sich krümmte vor Schmerzen und Übelkeit.

Jetzt ist ihr das Schelten denn freilich vergangen, aller Ärger, alle Verdrießlichkeit dazu. Nur die Angst ist geblieben und immerzu noch gewachsen, die schreckliche Angst, daß er sterben müsse; daß er auf einmal nicht mehr da sein werde, ihr Franz! Oh, diese Angst, dieses plötzliche Begreifen, wie nebensächlich doch alles war, woran sie sich gestoßen und geärgert hatte, wie klein und erbärmlich, nicht eines Wortes noch eines Gedankens wert. Dagegen wie kostbar, wie unersetzlich das andere: daß er nur da war, lebte, daß sie beieinander bleiben durften in Eintracht und Frieden. ..Mein Gott, tu mir das nicht an ... !“

Seit das weiße Auto mit dem roten Kreuz ihn aufnahm, kann sie nichts anderes mehr denken, ihr Mann, auf der Trage liegend, mit zerwühlten Haaren, weiß wie die Leinentücher, die so scharf nach Karbol und Äther rochen…Kommen Sie morgen früh wieder“, sagte der Doktor, während die Sanitäter ihren Franz durch die große Glastür davonfuhren, „morgen früh kann ich Ihnen Auskunft geben.“ Und nun sitzt sie hier, hält den alten Schirm fest wie einen Rettungsbalken und starrt auf das gemalte Weizenfeld. „Barmherziger Gott, tu mir das nicht an!“

Der junge Mann mit dem Schienenverband ist schon hereingerufen worden. Die Frau und das Mädchen unterhalten sich immer noch über Frau Wegener.

„Das ist nun schon die Zweite in dieser Woche. Bei beiden soll es Krebs gewesen sein.“ -

„Tu mir das nicht an, mein Gott ...“. Sie blickt auf das Bild, und ihr dünner, faltiger Mund ist ganz verkrampft von dem stimmlosen Gewisper. Ihre Lider brennen, denn sie hat kein Auge geschlossen in dieser Nacht, da Gott sie erkennen ließ, daß die Liebe zwar staubig und müde geworden, aber doch nicht gestorben ist.

Nein, im Gegenteil, sie ist nur tief hinabgesunken, tief hinabgewachsen in das alte Herz. Die Jahre haben ihre Runzeln darübergelegt, die Mühsal ihre Schwielen. Jetzt aber in der Angst und Ohnmacht dieser Nacht brach das alles auf, blätterte ab wie die rauhe, schrundige Schale von einer reifen Frucht. Und nun soll alles vorüber sein und nichts mehr gutzumachen?

„Tu mir das nicht an, mein Gott!“

Als der Arzt sie ruft, greift sie zitternd nach ihrer Tasche und stolpert beinah über den Schirm.

„Nun, Frau Nachmann, keine Sorge. Wir haben den Blinddarm herausgenommen, den Störenfried. War aber auch hohe Zeit!“ Sie behält diese wenigen Worte im Gedächtnis, so genau und sicher wie den Tag ihrer Trauung und die Namen der Kinder. Sie wird sie noch oft wiederholen und weitererzählen.

Fast andächtig, als sei sie in der Kirche, betritt sie nachher den Krankensaal, und an des Alten Bett sitzt sie so schüchtern und befangen, als seien die letzten einundvierzig Jahre nicht schon vergangen, sondern stünden erst vor der Tür, die guten, die schweren, die gesegneten Jahre.

„Nur einen Augenblick!“ hatte die Schwester gesagt, und so erhebt sie sich bald wieder, berührt unbeholfen die knotige Hand auf der Decke und wappnet sich von neuem mit Tasche und Schirm.

„Bis morgen, Vater, muß jetzt bloß rasch nach Hause, die Hasen füttern!“ Gescheiteres fällt ihr im Augenblick nicht ein. Es scheint, daß harte Worte immer rascher zur Hand sind als die sanften und heilenden. Fortan aber, und das gelobt sie sich auf dem Heimweg wohl hundertmal, fortan sollen Milde und Freundlichkeit ihr ganz geläufig werden   (Herta Grandt).

 

 

 

 

Wenn ...

Wenn ich groß bin,

werde ich auch Kosmonaut,

sagte der Junge.

Wenn ich groß bin, möchte ich viele Kinder haben,

sagte das Mädchen.

Wenn ich das Examen hinter mir habe, will ich froh sein,

sagte der Student.

Wenn ich wieder gesund bin, sieht sich alles anders an,

sagte der Kranke.

Wenn meine Mutter noch lebte, könnte ich sie um Rat fragen, sagte die junge Frau.

Wenn ich noch zehn Jahre jünger wäre, könnte ich die Aufgabe übernehmen,

sagte der Ingenieur.

Wenn ich Rentner bin, habe ich Zeit für mein Hobby,

sagte der Berufstätige.

Wenn ich Urlaub habe, will ich mich richtig erholen,

sagte der Abteilungsleiter.

Wenn ich nur wüßte, was ich tun soll,

sagte der Ratlose.

Wenn es einen Gott gäbe, dürfte es nicht so viel Leid geben,

sagte der Zweifler.

Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,

will ich mich von euch finden lassen,

spricht Gott.                                                                                      (Hans-Georg Haberecht)

 

 

Und er ging zu ihnen

[Pfarrer holt die Männer, die vor der Kirche stehen]

Der Pfarrer war alt geworden. Schlohweiß und gebeugt. Denn der Herzensboden, auf dem seine Gemeinde wuchs, war steinig. Was die guten Früchte anging, die er tragen sollte, so war recht wenig davon zu sehen, es sei denn, das Auge des lieben Gottes hätte mehr entdeckt, als der Blick des Pfarrers wahrnahm. Doch möchte ich den guten Leuten sowenig unrecht tun, wie ich sie zu verteidigen gedenke. Denn einige von ihnen kannte ich recht gut. Und da mir auch der Pfarrer bei mancher Gelegenheit etwas nähergekommen war, glaube ich sagen zu dürfen, daß die Schuld an den zweifellos vielen Unseligkeiten sich nicht allein auf einer Seite türmte. Wobei ich versichere, daß ich weder dem Hirten noch der Herde die Schuld des bösen Willens unterschieben kann. Sie paßten ganz einfach nicht zueinander.

Schließlich war es soweit. Der Pfarrer war müde geworden. Vergrämt bat er seinen Bischof, das Amt von ihm zu nehmen. Ein Neuer trat an seine Stelle. Dessen Wesen setzte sich ein bißchen anders zusammen als das seines Vorgängers, und er hatte das große Gottesgeschenk, die einzelnen recht anzusprechen; weshalb er bald als volkstümlich galt und allgemeine Beliebtheit genoß - obwohl er es den Leuten keineswegs leichter machte als der alte Pfarrer.

 

Von da an ereigneten sich Dinge in der Gemeinde, an die man zuvor im Traum nicht zu denken gewagt hätte. Um nur eines davon zu berichten: Wenn der frühere Pfarrer predigte, konnte er fest darauf zählen, daß seine Zuhörer zu neunzig Prozent Zuhörerinnen waren. Die Hauptmacht der Männer stand bis nach der Predigt an der Mauer gegenüber der Kirche und geruhte erst dann, sich im Portalgang unter dem Kirchturm einzufinden, wenn die Opfermesse begann. Sooft der alte Pfarrer von der Kanzel darüber wetterte, traf sein Donner die Verkehrten, denn die Gemeinten waren - wie gesagt - außer Reichweite. Das war ungeschriebenes Gesetz und unabänderlich. - Der Neue kam und studierte dieses Gesetz sehr gründlich. Doch am Ende seiner Studien hatte er keineswegs, wie man erwarten sollte, die Gewitterpredigt beieinander. Nein, er lächelte nur. Dieses Lächeln war aber so undurchdringlich wie eine Wolkenwand, hinter der sich Unabsehbares zusammenbraut. Und tatsächlich, eines schönen Sonntagmorgens blitzte es. Doch anders, als es bei anderen blitzt. Daran werden die Männer zeitlebens denken.

Die Glocken hatten ausgeläutet, und der Pfarrer schritt mit dem Weihwasserwedel zum Asperges (Austeilung des Weihwassers vor Beginn des Gottesdienstes) durchs Kirchenschiff.

Hinten angelangt, vergaß er die übliche Kehrtwendung und wies den Küster an, das Portal weit aufzusperren. Der Küster zog ein verstörtes Gesicht. Doch Pfarrer ist Pfarrer. Und dann gingen Pfarrer und Küster würdigen Schrittes bis zur Stadtmauer hinüber, wo mehr denn zwei Dutzend Männer liebend gern in den Erdboden versunken wären. Der Pfarrer übersah ihre Verlegenheit.

Er lächelte sein bekanntes Lächeln, besprühte die im bildhaftesten Sinne des Worts Abständigen und erklärte mit entwaffnender Selbstverständlichkeit: „Wenn ihr nicht zu mir kommt, dann komme ich eben zu euch.“ - Sagte es, kehrte um und zog, von über zwei Dutzend reuiger Sünder gefolgt, wieder ins Gotteshaus ein. Von da an betrug der Anteil der Predigthörerinnen nur noch sechzig Prozent.

Als man dem früheren Pfarrer bei gelegentlichem Besuch davon erzählte, schüttelte er verständnislos den Kopf und meinte, im Dorf sei ein Wunder geschehen. Dieser vermeintlichen Wunder gab es manche. Und wer ihr Geheimnis ergründen wollte, brauchte nur auf das Aufleuchten der Augen zu achten, wenn in der Gemeinde der Name dieses Priesters genannt wurde, der zu den Menschen ging, um ihnen die Liebe Christi zu bringen  (Erwin Kleine).

Der Läufer

[Junge kann Wettlauf nicht gewinnen und stolpert deshalb absichtlich]

Er kam herein wie einer, dem alles, was er sich vorgenommen hatte, gelungen war; aber um seine Mundwinkel lag ein Zug leichter Bitterkeit, den er mir, der ich sein Gesicht kannte wie keines sonst, nicht verheimlichen konnte. „Wie war es“, fragte ich nur so nebenher. „Gut“, sagte er und setzte sich.

Ich blickte ihm ins Gesicht. Er schwieg, versuchte zu lächeln. Dann sah ich sein Knie. Er hatte das Taschentuch um das Knie gebunden. Die Ränder des Taschentuches hatten rote Flecken. „Laß sehen“, sagte ich und löste das Taschentuch von seinem Knie. Er biß die Zähne zusammen. „Tut es sehr weh?“ - „Es geht“, sagte er, „nicht besonders.“ - „Bist du gestürzt?“ - „Ja!“ - „Vor oder hinter dem Ziel?“ - „Vorher!“- „Ach so!“

Ich zog einen zweiten Stuhl heran, hob seine Beine hoch und legte sie behutsam auf den Stuhl. „Ich werde es mit Jod einreiben“, sagte ich. „Aber das wird ein bißchen weh tun. Hältst du das aus?“ Er nickte. Ich hatte das Jod geholt. Die Tinktur roch stark und verbreitete eine Art Krankenhausatmosphäre im Zimmer. Ich hatte den Pinsel in die Flasche getaucht. „Noch nicht“, bat er. „Gut“, sagte ich und stellte die Flasche auf den Tisch.

„Weißt du“, sagte er, „wenn ich nicht gestürzt wäre, hätte ich es geschafft!“ - „Glaubst du?“ - „Bestimmt. Der, der gewonnen hat, kann niemals solche Zeit auf hundert Meter laufen wie ich!“ - „Und woran hat es gelegen?“ - „.Am Start. Weißt du, mein Herz klopft mir immer im Halse, wenn ich im Startloch kniee und darauf warte, daß es endlich losgehen soll!“ - „Er hat eben die besseren Nerven gehabt“, sagte ich. Er schwieg.

Ich nahm die Jodflasche vom Tisch. „Wollen wir?“ - „Nein, noch nicht“, sagte er. Und nach einer Weile: „Hauptsächlich ist es ja wegen der Urkunde. Ich hatte schon einen Platz dafür!“ -„Wo denn?“ - „Über deinem Schreibtisch!“ „Kleiner“, sagte ich, „wenn es deswegen ist, mach dir nichts draus. Ich weiß, daß du ein großartiger Läufer bist!“ - „Aber wenn ich gewonnen hätte, hätte ich eine Urkunde bekommen und wäre der beste Läufer aller Elfjährigen unserer Schule!“ - „Das stimmt schon“, sagte ich, „aber im Augenblick ist es wichtiger, daß dein Knie wieder in Ordnung komm!“

„Weißt du“, sagte er, „bevor es losging, da haben sie mich schon als Sieger gesehen, und alle standen um mich herum, klopften mir auf die Schultern und wollten meine Freunde sein!“ -„Und nachher?“ - „Sie dachten, ich würde heulen?“ „Das haben sie von dir gedacht“ - „Ja, aber ich habe gelächelt, und dann habe ich so vor mich hin gepfiffen!“ - „Gepfiffen, das war gut, das war schon viel, schon beinahe alles?“ - „Wie meinst du das?“ - „Ich finde, du hast dich großartig benommen!“ - „Wirklich?“ - Bestimmt, und jetzt wollen wir uns endlich um das verletzte Knie kümmern, nicht wahr?“

„Gleich?“ Er wehrte mit beiden Händen ab. Ich sah ein verdächtiges Zucken um seinen Mund. Ich blickte zur Seite, rührte in der Jodflasche herum und tat so, als ob das im Augenblick das Wichtigste von der Welt sei.

„Weißt du“, sagte er leise, stockend, „ich bin gar nicht gestürzt, der andere war nämlich schneller als ich. Es war einfach nicht zu schaffen, und da tat ich so, als ob ich ins Stolpern geraten wäre, und fiel hin!“

„Bitte, halt das Bein ganz locker. Ich werde jetzt Jod auf dein Knie streichen. Das wird sicher sehr weh tun. Wenn du weinen mußt, wein ruhig. Glaub mir, ich habe schon Männer gesehen, die dabei geweint haben?“ Ich sah, daß die ersten Tränen bereits über sein Gesicht liefen. Ich mußte mich beeilen, das zerschlagene Knie einzureiben                    (Erich Junge).

 

 

Halte dich an mich

[Junge stiehlt Brot im Kriegsgefangenenlager, aber der Bestohlene gibt ihm noch etwas von seiner Ration ab]

Als wir im Mai 1945 gesammelt und in langen Lastwagenkolonnen in ein großes Lager gebracht wurden, waren die meisten zuversichtlich, bald nach Hause zu kommen. Als jedoch die Tage wie rieselnder Sand sich zu Wochen häuften, wurde dieses Hoffen bei vielen verschüttet. Die erste Zeit standen wir, so nahe es erlaubt war, am Zaun - und dahinter blühten die Pfingstrosen, und die Menschen gruben in den Schrebergärten. Später wehte der Wind Schwaden von Korngeruch durch das Lager, in dem Männer, deren Zahl zur Bevölkerung einer mittleren Stadt ausgereicht hätte, sich in ihren mit den Händen gegrabenen Löchern vor der Glut der endlosen Tage und vor den kalten Nächten zu schützen suchten. Wer noch Zigaretten hatte, rauchte sie, so heimlich es ging, wenn er rücksichtsvoll war. Aber verhindern konnte er nicht, daß der gierigen Blicke aus den Nachbarlöchern ständig mehr wurden. In einem waren schon alle gleichgestellt: im Durst. Dann folgte der Hunger.

Als die Erntewagen fuhren, rollten wir in offenen Güterzügen durch das Neckartal in ein neues Lager, in dem es Zelte gab. Mir waren die Gesichter fremd im Waggon. Aber auch unter solchen niederdrückenden Zwangsgemeinschaften tauchten immer wieder Gesichter auf, die naherückten. Ich kam mit einem Älteren ins Gespräch. Er stand neben mir. Er hieß Konrad und hatte ein fast viereckiges Gesicht. Weil mir seine Augen gefielen, störte es mich bald nicht mehr, daß er in regelmäßigem Abstand die Luft durch die etwas vorstehenden Zähne einsog. Auch war es mir angenehm, daß er fast so ruhig war wie ich. Seinem Alter nach hätte er mein Vater sein können.

Während der vielstündigen Fahrt standen wir dichtgedrängt und begannen, uns aneinander zu lehnen. Konrad sprach wenig, erzählte aber doch manches Persönliche. Vom Beruf Postangestellter, hatte er seinen Dienst in einer Feldpoststelle getan. Er hatte spät geheiratet, und es wirkte auf mich, der ich noch sehr jung war, komisch, wie er in einer für sein Alter ungewöhnlichen Hingabe vom Glück seiner Ehe sprach. Seinen dreijährigen Sohn hatte er nur kurz nach der Geburt gesehen. Schließlich meinte er noch: „Im letzten Lager sind die Pfingstrosen verblüht, im nächsten werden die Christrosen verblühen. Aber halte dich nur an mich, wir werden es schon schaffen!“ Er sagte das wie alles leise, fast flüsternd. Er hatte eine Halsverletzung aus dem ersten Weltkrieg.

Als wir zum Marsch in das Lager antraten, spielte er seine väterliche Rolle so vortrefflich, daß ich gar nicht dazu kam, mich nach ihm umzusehen. Er war immer da, schob mich, hielt mich, rief mich, bis wir unter einem der langen Dachzelte standen, die Reihe neben Reihe an einem Hang errichtet waren. Ein schmaler Laufgang teilte jedes Zelt. Zu beiden Seiten lagen je zwan­zig Mann auf frischem Klee, auf dessen dünner Schicht man wie auf dem Erdboden schlief. Doch war der Geruch des welkenden Klees in den ersten Tagen eine gute Hilfe, in den Schlaf zu sinken und allein zu sein, sehr weit fort. Die ersten Fröste waren gekommen. Die Kälte erwies sich als eine gute Verbündete des Hungers. Wir schliefen zu dritt unter den Decken. Es war so eng, daß wir uns nur gemeinsam drehen konnten. Aber wir froren nicht. Dennoch war ich bedrückt. Sich in äußerer Raumnot genügend inneren Raum zu schaffen, vermögen nur wenige.

Im Laufe der Monate war Konrad immer stiller geworden. Ich hatte den Eindruck, daß er die meiste Zeit vor sich hin träumte. Seine gleichbleibende Sanftmut begann mich zu stören. Ich stieß mich besonders daran, wenn er mich in meiner Niedergeschlagenheit aufmuntern wollte. Brauste ich dann auf, strich er mir über den Kopf und sagte nichts. Das ärgerte mich noch mehr. Ich wollte nicht wie ein Kind behandelt sein.

Ich zog mich zurück und dämmerte vor mich hin, und je winterlicher es wurde, umso schmerzlicher quälten mich die Gedanken an zu Hause. Ich sah die Fichten verschneit und die runden Buchsbäume vor dem Haus und hörte an der Hoftoreiche den Buntspecht klopfen. An den Stufen schlug ich den Schnee von den Schuhen. Ich trat in die Wohnstube. Der Hund erhob sich von seinem Ofenplatz und kam langsam auf mich zu.

Die Vorstellung vom Augenblick des Schneeabschlagens bis zum Eintritt in das Zimmer konnte ich in ständiger Wiederholung so stark erleben, daß mein Lebendigsein dort zu sein schien, wo der Körper nicht war. Umso ernüchternder wurde dann das Erwachen, wenn wir, noch in der Finsternis des Morgens, bei Kerzenlicht unsere Suppe erhielten und die Zeitdecke innen dick mit glitzerndem Reif überzogen war. Am Abend wurde das Brot ausgegeben, das manche sehr verspielt in viele kleine Scheiben zerteilten, um die Einbildung einer größeren Menge zu haben; andere wieder verschlangen den Kanten in einem Stück; wieder andere hoben sich etwas auf, um eine Reserve zu haben.

An einem Dezembertage wurden Freiwillige für eine Arbeit außerhalb des Lagers gesucht. Konrad meldete sich als einer der ersten. Er wollte mich überreden mitzukommen, doch ich blieb. Mein Gereiztsein ihm gegenüber war so weit gediehen, daß ich dachte: Er hofft ja nur, sich irgendeinen Vorteil zu verschaffen.

Es war dunkel, als sie zurückkamen. Konrad kniete sich auf seinen Platz neben mich, sah mich an wie Sankt Nikolaus und der Weihnachtsmann in einem, öffnete behutsam den Mantel und drückte mir einen Fichtenzweig in die Hand. „So, nun feiern wir Advent“, sagte er, „fast wie zu Hause!“ Das klang ohne jede Ironie. Mich rührte diese Geste, ich bedankte mich. „Du mußt das Stück in die Kerze halten, das riecht gut.“

Ich tat es, und die Tränen waren mir selten so nahe wie in diesem Augenblick, als ich die verknisternden Nadeln roch. Dabei bemerkte ich, wie Konrad - unruhig in seinen Sachen wühlend - den Kopf schüttelte und mit seiner heiseren Stimme flüsterte: „Das ist unmöglich, einfach ausgeschlossen“!“ Auf meine Frage nach dem Grund seines nervösen Suchens in den wenigen Habseligkeiten schwieg er und sah mich nur an. Ich wußte nicht, war das Traurigkeit in seinen Augen oder Entsetzen über etwas Ungeheuerliches. Mit angezogenen Beinen saß er dann und starrte vor sich hin. Ich wiederholte meine Frage.

Da beugte er sich nahe zu mir und raunte mir fast ins Ohr: „Sage nichts, aber mein Brot ist weg. das ich mir aufgehoben hatte!“ Ich weiß nicht, welche Regung zuerst in mir aufkam. Am meisten tat er mir wohl leid, wie er so neben mir saß, obgleich es mir unbegreiflich war, wie man sich von dieser Ration noch etwas zurücklegen konnte. Zugleich aber überkam mich ein leises Grauen. Das war der erste Diebstahl, den ich hinter dem Stacheldraht erlebte. Konrad beschwor mich: „Halte den Mund, sage nichts!“ Ich antwortete: „Nein“, und ich bemerkte den doppelten Sinn dieses Neins. Da wußte ich, daß ich es sagen würde.

Ich wartete, bis Konrad das Zelt verlassen hatte. Dann ging ich zum Zeitältesten, erzählte es ihm und deutete ihm auch meine Vermutung an. Ich bat ihn, mit dem Bestohlenen nicht darüber zu reden, weil ich unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen wollte. Sie war mir plötzlich wieder wichtig. Später beobachtete ich, wie der Zeltälteste mit verschiedenen sprach. Ich legte mich früher als gewöhnlich hin. Mir war es nicht ganz wohl in meiner Haut. Ich rollte mich allein in meine Decke und sagte etwas von Kopfschmerzen.

Ich erwachte von einem furchtbaren Geschrei. Zwischendurch hörte ich Konrads Stimme: „Was ist denn los? Seid ihr verrückt geworden?“ Ich wußte, was los war. Ein Schütteln durchlief meinen Körper. Das war die Justiz der Gefangenen, die ich später noch mehrmals erlebte. Aber nie wieder habe ich etwas dazu beigetragen. Ich weiß nicht, wie lange sie noch auf den Jungen eingeschlagen hätten, wenn sich Konrad nicht dazwischen geworfen und mit überstürzender und immer brüchiger werdender Stimme Einhalt geboten hätte. Die erregten Sachwalter des Prügelrechtes ließen schimpfend von ihrem Opfer ab: „Erschlagen müßte man dich, du Lump, Kameraden bestehlen, pfui Teufel!“

Das ganze Zelt war wach. Verschlafene Gesichter sahen schräg aus den Decken. Stimmen schwirrten durcheinander. Rufe nach Ruhe wurden laut. Konrad verschaffte sich mühsam Gehör: „Legt euch hin und schlaft. Ich mache das mit dem allein ab!“ Allmählich wurde es wieder still. Nur das leise Schluchzen des Geprügelten hörte ich noch lange Zeit, bis er sich in den Schlaf geweint zu haben schien. Er war Konrads übernächster Nachbar.

Konrad sagte kein Wort zu mir. Mir bangte vor dem Morgen. Er kann ja nicht stillschweigend, ohne Vorwurf, darüber hinweggehen, zumal er wissen muß, daß nur ich das eingerührt haben konnte. Schlaflos lag ich da. Mich fror. Da wendete er sich zu mir: „Wir wollen die Decken übereinanderlegen. Du frierst doch!“

Am Morgen war es wie immer. Nur der Junge lag auf seinem Platz, von allen unbeach­tet. Sein Kindergesicht schien noch kleiner geworden über Nacht. Als abends bei Kerzenlicht das Brot ausgegeben wurde, sah ich, wie Konrad seinen Kanten zerbrach und die eine Hälfte dem Jungen auf die Decke schob und auf dessen entsetzte Augen hin sagte: .,Iß, es ist gut!“

(Gottfried Unterdörfer)

 

Der unsichtbare Nachbar

[Ein Fremder winkt einem Jungen aus dem Zug und macht ihn dadurch glücklich]

Der Nachtportier hob bedauernd die Schultern: „Das ist die einzige Möglichkeit“, sagte er, „zu so später Stunde werden Sie nirgendwo ein Einzelzimmer bekommen. Es steht Ihnen natürlich frei, in anderen Hotels nachzufragen, aber ich kann Ihnen schon jetzt sagen, daß wir, wenn Sie ohne Ergebnis zurückehren, nicht mehr in der Lage sein werden, Ihnen zu dienen. Das freie Bett in dem Doppelzimmer, das Sie - ich weiß nicht aus welchen Gründen - nicht nehmen wollen, wird dann auch einen Müden gefunden haben!“

„Gut“', sagte Herr Schwamm, „ich nehme des Bett. Nur, wie Sie vielleicht verstehen werden, möchte ich wohl wissen, mit wem ich das Zimmer zu teilen habe. Nicht aus Vorsicht; gewiß nicht: denn ich habe nichts zu fürchten« Ist mein Partner - Leute, mit denen man eine Nacht im gleichen Zimmer verbringt, könnte man doch Partner nennen - schon im Hause?
„ - „Ja, er ist da und schläft!“ - „Er schläft?“ wiederholte Schwamm nachdenklich und ließ sich dann die Anmeldeformulare geben, füllte sie gewissenhaft aus und reichte sie dem

Nachtportier zurück: Als Schwamm zu seinem Zimmer hinaufging, hatte er ein merkwürdiges Gefühl; es war ihm zumute, als müßte er in einen Brunnen hinabspringen, dessen Boden nicht zu sehn war und der in der Dunkelheit mancherlei Geheimnisse bereithalten mochte. Unwillkürlich verlangsamte er seine Schritte, als er sich dem Zimmer näherte und hielt den Atem an in der Hoffnung, Geräusche zu hören. Er beugte sich sogar zum Schlüsselloch hinab. Das Zimmer war dunkel. Als er jemand die Treppe heraufkommen hörte, drückte er schnell die Klinke und trat ein.

Das Zimmer war tatsächlich dunkel. Er schloß die Tür und tastete klopfenden Herzens nach dem Lichtschalter. Plötzlich hielt er in seiner Bewegung inne: Neben ihm, wo also die Betten stehen mußten, sagte jemand mit einer dunklen, aber auch energischen Stimme: „Bitte, machen Sie kein Licht! Sie würden mir einen Gefallen erweisen, wenn Sie das Zimmer dunkel ließen!“

„Haben Sie auf mich gewartet?“ fragte Schwamm erschreckt. Auf diese Frage erhielt er keine Antwort. Stattdessen sagte der Fremde: „Stolpern Sie nicht über meine Krücken, und seien Sie vorsichtig, daß Sie nicht über meinen Koffer fallen, der ungefähr in der Mitte des Zimmers steht. Ich werde Sie sicher zu Ihrem Bett dirigieren. Gehen Sie drei Schritte an der Wand entlang, dann wenden Sie sich nach links, und wieder nach drei Schritten werden Sie den Bettpfosten berühren können!“

Auf diese Weise erreichte Schwamm sein Bett, entkleidete Sieh und schlüpfte unter die Decke. Er hörte die Atemzüge des anderen und spürte, daß er vorerst nicht würde einschlafen können.

„Übrigens“, sagte Schwamm zögernd nach einer Weile, „mein Name ist Schwamm“ - „So“, sagte der andere. „Sind Sie zu einem Kongreß hergekommen?“ - „Nein, und Sie?“ - „Auch nicht!“- „Geschäftlich?“ - „Das kann man nicht sagen!“ -„Ich habe wahrscheinlich den merkwürdigsten Grund, den je ein Mensch hatte, um in die Stadt zu fahren“, sagte Schwamm. „Wollen Sie in der Stadt Selbstmord begehen?“ fragte der andere. „Nein“, sagte Schwamm, „sehe ich so aus?“ - „Ich weiß nicht, wie Sie aussehen“, sagte der andere, „es ist dunkel!“ Schwamm erklärte: „Ich habe einen Sohn, Herr ...(der andere nannte seinen Namen nicht), einen kleinen Lausejungen, und seinetwegen bin ich hierhergefahren!“ -„Ist er im Krankenhaus?“ - „Wieso denn? Er ist gesund; ein bißchen blaß, das mag sein, aber ein guter Schüler. Aber ich wollte Ihnen den Grund nennen, warum ich hier bin, hier bei Ihnen, in diesem Zimmer. Wie ich schon sagte, hängt das mit meinem Jungen zusammen. Er ist äußerst sensibel, mimosenhaft, reagiert bereits, wenn ein Schatten auf ihn fällt!“

„Also ist er doch im Krankenhaus?“ - „Nein“, rief Schwamm, „ich sagte Ihnen schon, daß er gesund ist, wohlauf in jeder Hinsicht, bis jetzt jedenfalls. Aber er ist gefährdet, dieser kleine Bengel hat ein Glas-Seelchen, und darum ist er bedroht. „Warum begeht er nicht Selbstmord?“ fragt der andere. „Aber hören Sie ein Kind wie er. Wie kommen Sie darauf? Nein, mein Junge ist aus folgenden Gründen gefährdet: Jeden Morgen, wenn er zur Schule geht - er geht übrigens immer allein dorthin -, jeden Morgen muß er vor einer Schranke stehenbleiben und warten, bis der Frühzug vorbei ist. Er steht dann da, der kleine Kerl, und winkt, winkt heftig und freundlich und verzweifelt!“ - „Ja, und?“ - „Dann geht er in die Schule, und wenn er nach Hause kommt, ist er verstört und manchmal weint er auch. Er ist nicht imstande, seine Schularbeiten richtig zu machen, er mag nicht spielen und nicht sprechen. Das geht nun schon seit Monaten so, jeden lieben Tag. Der Junge geht mir kaputt, er verwelkt mir unter meinen Blicken!“- „Aber warum denn nur?“

„Sehen Sie“, sagte Schwamm, „das ist so merkwürdig: Der Junge winkt, und wie er zu Tode betrübt feststellt, winkt ihm keiner der Reisenden zurück. Und das nimmt er sich so zu Herzen, daß wir, meine Frau und ich, die größten Befürchtungen haben. Er winkt, und keiner winkt zu zück. Natürlich kann man die Reisenden nicht dazu zwingen, und es wäre absurd, ihnen Vorschriften zu machen, aber ....“

„Und. Sie, Herr Schwamm, wollen nun dem Elend Ihres Jungen ein Ende machen, indem Sie morgen den Frühzug nehmen und dem Kleinen zuwinken?“ - „So ist es, Herr. „Mich“, sagte der Fremde, „gehen Kinder nichts an. Ich hasse sie und weiche ihnen aus, denn ihretwegen habe ich - wenn man's genau nimmt - meine Frau verloren. Sie ist bei ihrer ersten Geburt gestorben!“

„Wie furchtbar“, sagte Herr Schwamm und stützte sich im Bett auf. Dann spürte er auf einmal, daß er jetzt würde einschlafen können.

Der andere fragte: „Sie fahren nach Kurzbach, nicht wahr?“ - „Ja!“- „Und kommen Ihnen keine Bedenken bei Ihrem Vorhaben? Offener gesagt: Sie schämen sich nicht, Ihren Jungen zu betrügen? Denn was. Sie da vorhaben -Sie müssen es zugeben - ist doch ein glatter Betrug, eine Hintergehung!“

Schwamm war ganz aufgebracht: „Was erlauben Sie sich, ich bitte Sie, wie kommen Sie dazu?“ Er ließ sich fallen, zog die Decke über den Kopf und schlief, zumal der andere auch nicht mehr sprach, rasch ein.

Als er am nächsten Morgen erwachte, stellte er fest, daß er sich allein im Zimmer befand. Er blickte, auf die Uhr und erschrak: bis zum Morgenzug blieben noch fünf Minuten, es war ausgeschlossen, daß er ihn noch erreichten

Am Nachmittag - er konnte es sich nicht leisten, noch eine Nacht in der Stadt zu bleiben - kam er niedergeschlagen und enttäuscht nach Hause. Sein Junge öffnete ihm die Tür, Feuer des Glücks in den Augen, ausgelassen und munter. Er warf sich ihm entgegen, hämmerte mit den kleinen Fäusten gegen seine Schenkel und rief: „Einer hat gewinkt, Vati, einer hat ganz

Lange und ganz doll gewinkt!“ - „Mit einem Stock?“ fragte Schwamm. „Ja, und zuletzt hat er sein Taschentuch an den Stock gebunden und es so lange aus dem Fenster gehalten, bis ich es nicht mehr sehen konnte!“              (Siegfried Lenz)

 

 

 

Das wandernde Brot

[Jeder schenkt ein Stück Brot weiter, bis es wieder bei dem Ersten ankommt]

Als der Geheime Medizinalrat Professor Breitenbach in S. gestorben war, gingen seine drei Söhne, selbst schon reife Männer, an das traurige und wehmütige Geschäft, den Nachlaß ihres Vaters, getreu seinem letzten Willen, unter sich zu verteilen. Es waren alte, handgeschnitzte Eichenmöbel, schwere Teppiche, kostbare Gemälde. Und dann war da eine Vitrine, ein schmaler, hoher Glasschrank mit geschliffenen Scheiben. In diesem Schrank, den der Medizinalrat bei Lebzeiten wie ein Heiligtum hütete, waren kleine Kostbarkeiten und seltsame Erinnerungsstücke aufbewahrt. Behutsam nahmen die Brüder den Inhalt heraus.

Plötzlich stutzten sie. Einer von ihnen hatte ein merkwürdiges Gebilde entdeckt, einen grauen, verschrumpften, knochenharten Klumpen. Vorsichtig nahm er es heraus im Glauben, eine besondere Kostbarkeit in Händen zu haben. Doch wie groß war das Erstaunen, als man erkannte, daß es sich um nichts anderes handelte als um ein vertrocknetes Stück Brot. Ratlos sahen sie einander an. Ahnend, daß der Vater nichts aufbewahrt hätte, was nicht von besonderem Wert für ihn gewesen wäre, begannen sie lange herumzurätseln.

Endlich befragten sie die alte Haushälterin. Die brauchte sich nicht lange zu besinnen: In den Hungersjahren nach dem Weltkrieg hatte der alte Herr einmal schwerkrank darniedergelegen. Zu der akuten Erkrankung war ein allgemeiner Erschöpfungszustand getreten, so daß die Ärzte bedenklich die Stirn runzelten, etwas von kräftiger Kost murmelten und dann resigniert die Achseln zuckten. Damals hatte ein Bekannter ein halbes Brot geschickt mit dem Wunsch, der Medizinalrat möge es getrost essen, damit er ein wenig zu Kräften komme.

Zu dieser Zeit habe aber im Nachbarhaus die kleine Tochter des Lehrers krank gelegen, und der Medizinalrat hat verschmäht, das Brot selbst zu essen, sondern es den Lehrersleuten hinübergeschickt. „Was liegt an mir altem Mann“, habe er dazu gesagt, „das junge Leben dort braucht es nötiger!“ Wie sich aber später herausstellte, hatte auch die Lehrersfrau das Brot nicht behalten wollen, sondern an die alte Witwe weitergegeben, die in einer Dachstube ein Notquartier gefunden hatte.

Aber auch damit war die seltsame Reise des Brotes nicht zu Ende. Die Alte mochte ebenfalls nichts davon essen und trug es zu ihrer Tochter, die nicht weit von ihr mit ihren beiden Kindern in einer kümmerlichen Kellerwohnung Zuflucht gefunden hatte. Die hingegen erinnerte sich daran, daß ein paar Häuser weiter der alte Medizinalrat krank lag, der einen ihrer Buben kürzlich in schwerer Krankheit behandelt hatte, ohne etwas dafür zu fordern.

„Nun ist die Gelegenheit da“, so dachte sie, „daß ich mich bei dem freundlichen alten Herrn bedanke!“ Sprach's, nahm das halbe Brot unter den Arm und ging damit zur Wohnung des Medizinalrates. „Wir haben es sogleich wiedererkannt“, schloß die Haushälterin, „an der Marke, die auf dem Boden des Brotes klebte und ein buntes Bildchen zeigte!“ Als der Medizinalrat sein eigenes Stück Brot wieder in Händen hielt, war er sehr erschüttert und sagte: „Solange noch die Liebe unter uns ist, die ihr letztes Stück Brot teilt, solange habe ich keine Furcht um uns alle!“

Das Brot hat er nicht gegessen. Vielmehr sagte er zu mir: „Wir wollen es gut aufheben, und wenn wir einmal kleinmütig werden wollen, dann müssen wir es anschauen. Dieses Brot hat viele Menschen satt gemacht, ohne daß ein einziger davon gegessen hätte. Es ist wie ein heiliges Brot, das zum sichtbaren Willen Gottes wurde und zum Beweis dafür, daß sein Wort auf guten Boden gefallen ist!“ Damals legte der Medizinalrat das Brot in die Vitrine, und ich weiß, daß er es oft angeschaut hat.          

Als die Haushälterin geendet hatte, schwiegen die Brüder lange Zeit. Endlich sagte der Älteste: „Ich denke, wir sollten das Brot unter uns aufteilen. Ein jeder mag ein Stück davon nehmen und aufbewahren zum Andenken an unseren Vater und zur Erinnerung an jene verborgene Kraft, die den Menschen auch in der bittersten Notzeit, als jeder an jedem zu verzweifeln drohte, das Wort vom Brotbrechen lebendig erhielt und so zum Hüter wurde des Wortes von der Liebe zum anderen.“

 

 

           

Das Beichtgeheimnis

[Beichte im Betrieb beim Vorgesetzten]

Seit den letzten schönen Tagen im Spätherbst, an denen wir in den Mittagspausen auf meiner Bank aus Kistenbrettern hinter der Werkhalle saßen, sehe ich Sebastian nur noch selten. Wir essen dann gemeinsam, und wenn er gerade einmal vorbeikommt, verplaudern wir ein paar Minuten im Büro.

Ich vertrete mir vor dem Fenster ein bißchen die Beine und sehe Sebastian über den Hof gehen. Wenig später betritt er würdigen Schrittes mein Zimmer. Er läßt sich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch nieder, schlägt die Beine übereinander und sieht mich herausfordernd an.

Sebastian hat sich gemausert: vom Hilfsarbeiter, der nur Späne kehrte und Transportkarren schob, zum Gabelstaplerfahrer. Vor kurzem habe ich gehört, er wolle auch noch die Kranfahrerprüfung ablegen. Sebastian ist außerdem Brigadeleiter der Transportbrigade in Halle II und kassiert in seiner Abteilung die Gewerkschaftsbeiträge.

„Kollege Kaderleiter“, sagte er, und ich winke ab. „Ich weiß, du bist nur Sachbearbeiter, aber ich nehme an, du wirst es eines Tages genauso machen wie ich: die Qualifizierungsleiter Sprosse um Sprosse erklimmen. Du wirst im Zimmer nebenan landen, und ich muß mir dann die Finger waschen, mit deiner Sekretärin einen Termin ausmachen und einen Schlips umbinden, bevor ich dich besuchen kann!“ „Kollege“, entgegnete ich, „Leitungskader haben immer ein offenes Ohr für die Leute mit dreckigen Fingern!“

Sebastian holt tief Luft. „Junge, ich habe die Nase voll. Unsere Brigade hat doch eine Patenklasse, die 9 b in der ...!“- „Hast du mir schon erzählt“, sage ich. „Ja. Und die 9b hat morgen Vollversammlung mit Elternaktiv und Rechenschaftsbericht, und so weiter. Die Brigade hat eine Einladung bekommen, das heißt, man hat sie an mich geschickt. Ob du's glaubst oder nicht: Es läßt sich keiner breitschlagen, da mal hinzugehen. Fred und Karl-Heinz haben Probe im Blasorchester. Franz will zu irgendeinem Bekannten, ein Ferkel kaufen. Stell dir vor, der will ein Schwein großziehen und hat gar keinen Stall. Der bindet das Vieh bestimmt auf dem Balkon an. Die beiden Stifte kann ich nicht hinschicken, die sind ja selber erst aus der Schule." „Du hast doch eine Dame in der Brigade“, sage ich. „Warum müssen alles die Männer machen?“

„Das Weib das?“ fährt Sebastian hoch. „Helga stellt sich auf die Hinterbeine und sagt, sie könne nicht reden, und deshalb gehe sie nicht hin. Keiner hat gesagt, daß sie vor der Patenklasse eine Rede halten soll. Man braucht sich doch bloß für die Einladung zu bedanken und den Laden mal anzugucken. Nein - sie stellt sich stur. Aber ich werde der Bande was husten. Ich will auch mal Feierabend haben. Immer auf Lehrgängen herumhocken - und das nun auch noch. Ich pfeife auf die Patenklasse, wenn ich mich allein darum kümmern muß!“ Ohne eine Antwort abzuwarten steht Sebastian auf, rückt den Stuhl an seinen Platz, tippt an die Mütze und geht.

Ich sehe Sebastian beim Mittagessen wieder. Er macht einen zerknirschten Eindruck, redet kaum mit mir. Nach der Pause versuche ich ihn anzurufen, weil er seine beiden Lehrlinge in die Kaderabteilung schicken soll. Er sei nicht da, wird mir gesagt. Ich verlange Helga zu sprechen. Sie sei mit Sebastian weggegangen.

Kurz vor Arbeitsschluß besucht mich Sebastian schon wieder. Er sieht noch ernster aus als beim Mittagessen. „Ich komme mir vor wie ein Beichtvater“, sagt er. „Die Helga ist ein armes Luder. Sie hat mir so einiges von sich erzählt. Ihr Mann ist bei der Armee, und Helga versorgt ihre kranke Schwiegermutter. Die hat ein Haus, da wohnen die jungen Leute mit drin. Und die Schwiegermutter ...“. Ich unterbreche Sebastian. „Beichtgeheimnis, mein Freund! Normalerweise darfst du nicht mal der Polizei was erzählen.“

Sebastian sieht mich aus den Augenwinkeln an. „Daß du mir die Klappe hältst“, sagt er. „Ich will nicht, daß die anderen sich über Helga die Mäuler zerreißen. Jedenfalls schreibt die Schwiegermutter blödsinnige Briefe an ihren Sohn, Helga würde fremdgehen und solchen Käse. Wenn wir mal Brigadeversammlung haben, macht die Alte bei ihr zu Hause einen Mordsskandal. Helgas Mann glaubt offensichtlich seiner Mutter mehr als seiner Frau.“ „Nun bist du fertig“, sagte ich. „Ich lasse uns schnell einen Kaffee machen.“

 „Dich juckt sowas wohl nicht?“ fragt Sebastian. „Den ganzen Tag wühlst du in den Akten. Für dich ist der Arbeiter doch nur ein Stück Papier, das nach Alter, Beruf, Lohngruppe und Geschlecht in die Kartei einsortiert wird. Ich bin an der Basis, Kollege, ich schlage mich mit den Problemen meiner Mitmenschen herum!“ „Ein richtiger Schläger bist du.“- „Laß das bitte.“

„Mit welchem Erfolg schlägst du dich?“ - „Erfolg! Erfolg! Danach fragt doch keiner“, erwidert er böse. „Das ist doch unfair von der Alten. Die Schwiegertochter pflegt sie, und zum Dank dafür ...“. „Und zum Dank dafür gehst du nun in die Klassenversammlung, weil wegen Orchesterprobe, Ferkel, Minderjährigkeit und Schwiegermutter kein anderer gehen kann.“

„Du sagst es, Kollege Kaderleiter.“

Sebastian verläßt mich wieder, eine Wolke schlechten Tabakrauches hinterlassend. Ich weiß zwar, daß ihm jetzt wohler ist, weil er sich bei mir ein wenig abreagiert hat. Aber mich hat er ein bißchen beschämt. Er nimmt alles so ernst, wie es ist.

Ich rufe noch einmal in Halle II an, man holt ihn ans Telefon. „Hör mal, Sebastian“, sage ich, „wenn ich nun in die Klassenversammlung gehe. Ich bin zwar nicht in deiner Brigade, aber du könntest mich ja delegieren.“ - „Nein, nein“, sagt er, „jeder muß für seine eigenen Leute geradestehen“, und hängt ab. Ich halte für einen Moment den Hörer unentschlossen in der Hand, dann drücke ich auf die Gabel. Ich will zu Hause anrufen, daß ich heute später komme, wegen Überstunden         (Ulrich Drechsel)

 

Der kluge Nachbar oder Die drei Siebe      

Zu meinem Nachbarn kam einer, der sagte: „Hör, Feichten, ich muß dir erzählen, was dein Freund Kunz über dich ... !“

Mein Nachbar unterbrach: „Bevor du es mir erzählst, verrate mir, ob du das, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe geseiht hast.“ -„Durch welche drei Siebe?“ „Zuerst durch das Sieb der Wahrheit“, sagte mein Nachbar, „hast du geprüft, ob es wahr ist, was du mir erzählen willst?“ -„Nein. Ich hörte es nur. Man hat es mir erzählt!“

Der Nachbar nickte: „Dann hast du es sicher durch das zweite Sieb geseiht, durch das Sieb der Freude. Sicher ist das, was du mir erzählen willst, auch wenn es nicht wahr sein sollte, gut für mich und es macht mir Freude?“ - „Freude wird es dir kaum machen, Feichten!“

„Wenn es mir auch keine Freude macht, dann wird es wohl durch das dritte Sieb gelaufen sein, durch das Sieb der Nützlichkeit. Ist das, was du mir erzählen willst, mir dienlich und von Nutzen?“ - „Nein. Keineswegs.“ - Da sprach mein Nachbar: „„Wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr, noch erfreulich, noch nützlich ist, so behalte es für dich! Und vergiß es bald!“                                (Jo Hanns Rösler nach Sokrates)

 

 

Wer ist der Verräter?

Personen:

O'Connor: herrisch energisch, überlegen, unbedingter Mann der Tat, entschlossener Organisator.

Mac     : geht an der Krücke, ist vom Leiden gezeichnet, durch Verzicht auf eigenes Glück zu überlegener Ruhe gekommen.

Kelly    : impulsiv, fahrig, nervös, sehr beweglich, daher auch zweideutig wirkend. Schnell aufgeregt und dann aufbrausend.

Gwynn : der Jüngste der Vier. Zart, aber nicht weichlich. Vom schweren Schicksalen gehärtet, aber nicht verhärtet. Nach innen lauschend, von innen glühend.

 

Ein Büroraum. Im Hintergrund ein Fenster, rechts eine Tür und an der rechten Wand ein Telefon. Links ein Ofen. Ein kleiner Tisch, Stühle.

Mac und Gwynn sitzen am Ofen, Kelly läuft unruhig auf und ab, raucht dabei eine Zigarette.

Kelly (auf seine Uhr sehend): Fünf Uhr 17. Auf fünf Uhr hat er uns bestellt. Begreife nicht, wo er bleibt.

Mac : Er wird schon kommen.

Kelly : Warum ist er noch nicht da? Wieso läßt er uns hier warten ? Was bildet er sich eigentlich ein? Er befiehlt, und wir haben zu springen, was? Weshalb bestellt er uns überhaupt her? Es war doch ausdrücklich abgemacht, wir sollten nicht eher wieder zusammenkommen, bis….

Mac     : Sprich das nicht aus!

Kelly  : Es ist kein Mensch im Haus. Alle Büros sind geschlossen. Wir sind ganz allein.

Gwynn : Vielleicht hat sich die Lage geändert.

Kelly : Seit 750 Jahren ist die Lage gleich: Die Engländer sind die Herren, wir Iren die Knechte? Und wer dagegen angeht, wird erschossen oder gehängt oder kommt ins Zuchthaus.

Gwynn : Die neuen Verhandlungen in London sind noch nicht abgeschlossen.

Kelly : Sie verhandeln in London, - ja zum Schein. Hast du schon einmal einen Engländer gesehen, der nachgibt? Glaubst du, daß sie jemals in Indien nachgeben oder in Persien? Aber ehe der Gouverneur morgen begriffen hat, daß w i r nicht nachgeben, ist er tot.

Mac     : Vielleicht hat sich doch irgendetwas geändert.

Kelly  : Ich sage euch, da ändert sich nichts! Zehn Uhr 35 hält sein Wagen morgen vor der Akademie, der Gouverneur steigt aus, und in dem Augenblick, wo er die Säulenhalle betritt, schießen wir ihn nieder.

Mac     : Du sollst das nicht aussprechen!

Kelly  : Ich sage dir doch, es ist kein Mensch hier im Haus

Gwynn : Es kommt jemand die Treppe herauf.

Kelly (bleibt stehen, lauscht) Gwynn und Mac (lauschen)

Mac     : Das ist O'Connor (Die Tür wird energisch geöffnet. O'Connor tritt ein. Er wirft einen scharfen Blick auf die drei)

O'Connor: Alle da? Gut. Im letzten Augenblick hat mich Pat noch aufgehalten.

Kelly      : Was ist los, O'Connor?

O'Connor: Ich muß mit euch reden. Setz dich, Kelly.

Kelly      : Ob ich sitze oder stehe, das ist wohl meine Sache!

O'Connor (nimmt einen Stuhl in die Hand): Ich setze mich doch auch.

Gwynn   : Setz dich zu uns, O'Connor. Der Ofen ist noch warm.

O'Connor: Nein, ich setze mich hierher. (Er setzt sich so, daß er zwischen den dreien und der Tür sitzt)

Kelly    : Was soll das heißen? Das sieht ja so aus, als ob du uns den Weg zur Tür verlegen willst?!

O'Connor: Vielleicht habe ich meine Gründe dafür.

Kelly    : Und das laßt ihr euch gefallen?! O'Connor , ich sage dir: du bist unerträglich. Wir haben dich auf ein Jahr zum Leiter des Aktionskomitees gewählt, und das Jahr ist noch nicht um - gut. Aber wir sind nicht dazu da, daß du deine Launen an uns ausläßt! Du bestellst uns auf fünf Uhr her, und du selbst kommst, wann es dir beliebt -

O'Connor: Ich habe gesagt, daß Pat mich aufgehalten hat.

Kelly      : Ja, das habe ich gehört, aber davon, daß du dich entschuldigt

hättest, habe ich nichts gehört. Das hast du wohl auch nicht nötig, wie?

O'Connor: Kelly - (heftig). Ich bin noch nicht fertig, O'Connor. Das letzte Mal wird einstimmig beschlossen, daß wir erst nach dem Attentat wieder zusammen kommen, damit uns keiner vorher zusammen sieht - und dann als wäre das nichts, befiehlst du uns wieder alle hierher! Was soll denn das?

O'Connor: Du hast hier nicht zu fragen, sondern ich!

Kelly      : Das ist doch kein Verhör!

O'Connor: Es i s t ein Verhör!

Kelly (aufbegehrend) : Ein Verhör?!

Mac       : Laßt die Streiterei bis nach dem Attentat.

O'Connor: Das Attentat findet nicht statt.

Alle drei: Was ?

O'Connor: Der Gouverneur hat seinen Besuch bei der Akademie abgesagt.

Kelly      : Auf einmal?

Mac       : Und der Grund?

O'Connor: Das Attentat ist verraten.

Mac, Kelly: Verraten -?!

Gwynn    : Wer sagt das?

O'Connor : Hull hat mich angerufen.

Mac        : O'Connor, von dem Attentat haben nur wir vier gewußt und Hull!

O'Connor: Ganz richtig. Einer von uns ist ein Verräter. Einer von uns hat den Engländern das Attentat verpfiffen. Einer von uns hat die anderen an den Galgen geliefert.

Kelly      : Bist du wahnsinnig?! Weißt du überhaupt, was du sagst? Sieben Jahre habe ich im Zuchthaus gesessen für unsere Sache - sieben Jahre in Einzelhaft - Mac haben sie zum Krüppel geschossen, für unsere Sache - und Gwynn - jeder weiß, wie das mit Gwynn ist: und da soll einer von uns die Sache verraten?! Du hast dir für das Attentat die Vier ausgesucht auf die du dich unbedingt verlassen kannst - und jetzt sagst du, einer von uns hat die anderen verraten?! Das bringt kein Fenier fertig, O'Connor!

O'Connor: Einer hat es fertiggebracht

Mac       : Aber wer denn, wer?!

O‘Connor: Das stelle ich jetzt fest - und ich frage euch: Was geschieht mit dem Verräter?

Kelly (außer sich): Er geht nicht mehr lebend durch diese Tür.

Mac       : Er ist ein toter Mann.

Gwynn   : Ja. Das ist er - ein toter Mann.

O'Connor: Zum Tode verurteilt - einstimmig.

Kelly      : Aber wer ist es denn?! Wer bringt es fertig, seinen verschworenen Kameraden den Henkern auszuliefern?

O'Connor: Hull hat mich angerufen. Er wußte nicht, wer es ist - vielmehr: als er anrief, wußte er noch nicht, wer es ist -

Kelly       : Und wenn es Hull selber ist?

O‘Connor: Würde er mich angerufen haben? Dann hätte er uns ungewarnt verhaften lassen.

Mac       : Das ist richtig.

Gwynn  : Hull kann es nicht sein.

 

O'Connor: Der Mann, der uns verraten hat, sitzt hier in diesem Zimmer. (Schweigen) Kelly, warst du es?

Kelly    : Bei allen Heiligen, nein!

O'Connor: Mac, warst du es?

Mac     : Nein, O'Connor, ich war es nicht.

O'Connor: Gwynn, warst du es ?

Gwynn : Das ist meine Antwort, O'Connor: Mei en Vater haben sie an der Kirchhofsmauer von Lullamore erschossen und meine vier Brüder, einen nach dem anderen. Als meine Mutter starb, war das ihr letztes Wort ,Vergiß sie nie, die weiße Mauer von Lullamore!'

O'Connor: Du bist entlastet, Gwynn.

Kelly      : Und wer sagt denn, daß du es nicht selber warst, O'Connor?

O'Connor: Ich gebe zu, daß ich mich rechtfertigen muß wie jeder von uns Aber wenn ich euch an die Engländer verraten hätte, dann hätte ich wohl nicht so offen die Karten auf den Tisch gelegt.

Mac       : Das ist richtig.

Kelly      : O'Connor, ich bitt' dich! Das muß doch ganz anders liegen. Weshalb sollte das denn einer von uns verraten haben?!

Mac       : Ja ,O'Connor - weshalb denn?

Gwynn  : Weshalb -weshalb  

O'Connor: Weshalb? Vielleicht hat ihn die Angst gepackt plötzlich, die Angst vor dem Galgen. Die Wahrscheinlichkeit, daß wir nach dem Attentat davon kamen, war sehr gering. Mac (abwägend): Aus Angst? Meinst du wirklich aus Angst?

O'Connor: Vielleicht haben sie ihm Geld geboten -

Kelly (verächtlich): Geld - !

O'Connor: Vielleicht haben sie ihm sehr viel Geld geboten -

Gwynn    : Was denkst du denn von uns, O'Connor, wenn du meinst einer von uns könnte für Geld -

O'Connor: Es schert mich nicht, warum er's getan hat! Daß er's getan hat, steht fest - und daß er ein Lump ist, ohne Herz, ohne Hirn - - - nur Jauche im Schädel.

Kelly      : Hull war es nicht, und Gwynn war es nicht, und O'Connor war es nicht - wer bleibt denn dann noch übrig?

Mac     : Du und ich.

O'Connor: Ja - Mac und Kelly.

Kelly (zu Mac): Willst du damit sagen, daß ich der Verräter bin?

Mac     : Das sagst du selber - nicht ich.

Gwynn : Still doch - still doch! (Er ist aufgesprungen, zeigt nach der Tür. Alle lauschen)

O'Connor: Es ist jemand draußen.

Kelly (flüsternd): Polizei! Der Hund hat uns alle geliefert (Es klopft an der Tür)

Mac       : Wenn das die Polizei ist, sind wir erledigt.

Gwynn  : Machen wir auf?

O'Connor: Keiner verläßt seinen Platz! Wenn es die Polizei ist, dann wird der Verräter ihr die Tür aufmachen, damit er bei ihnen sicher ist. Wer die Tür aufmacht, bestimme ich!

(Es klopft wieder. O'Connor sieht von einem zum andern) Gwynn mach auf!

Gwynn (zögert einen Augenblick, atmet dann tief auf und geht. Er öffnet - im Türrahmen steht der Hausbesorger, einen Eimer in der Hand)

Kelly (bricht in hemmungsloses Gelächter aus)

Hausbesorger: Entschuldigen sie vielmals, meine Herren. Ich will nur die Kohleneimer füllen. Wenn ihrer leer ist, nehm' ich ihn gleich mit. Erst war mir so, als ob hier noch gesprochen wurde, aber wie ich dann horchte, war alles still.

O'Connor: Nehmen Sie den Eimer mit und setzen Sie ihn nachher vor die Tür. Wir wollen nicht gestört werden.

Hausbesorger: Jawohl ja. Jawohl ja. Entschuldigen sie nur vielmals, meine Herren. Und einen angenehmen Sonntag allerseits (Er geht ab, die Tür schließt sich)

Mac     : Wir müssen zu einem Ende kommen ,O'Connor.

Kelly    :Wir können doch nicht die ganze Nacht hier sitzen.

O'Connor (unerbittlich): Ich gehe nicht, ehe ich nicht weiß, woran ich bin. Ich gehe nicht, ehe ich nicht das Urteil vollstreckt habe (Er holt einen Revolver aus der Tasche und wiegt ihn in der Hand).

Kelly : Wir sind in einer Sackgasse, O'Connor. Das mußt du doch einsehen! Wir kommen so nicht weiter.

Mac  : Hör mal, O'Connor - wenn nun der Hull einfach einer falschen Nachricht aufgesessen ist?

Kelly : Donnerwetter -

Mac  : Wir wissen doch, wie das immer hin und her geht! Wenn das überhaupt nur ein Versuchsballon der Polizei ist?

Kelly : Natürlich , natürlich! Da hat sich ein Spitzel was ausgedacht und Hull ist darauf 'reingefallen.

O'Connor: Ist Hull der Mann, der eine Nachricht weitergibt, ohne sich zu vergewissern, daß sie stimmt?

Gwynn : Nein, das macht er nicht.

O'Connor: Und weshalb hat der Gouverneur seinen Besuch abgesagt?

Mac  :    Das allerdings -

O'Connor: Ich finde es merkwürdig, daß ihr beide versucht, die Sache auf Hull abzuschieben, Gibt es hier am Ende zwei Verräter?!

Kelly    :(schreit): O'Connor!!

Mac (ruhig): Man muß alle Möglichkeiten durchdenken, O'Connor.

Kelly    : Und man wird hier noch verrückt! Ich ersticke hier (Er springt auf, rennt zum Fenster)

O'Connor (zu den anderen, leise): Achtung! (Sie spannen auf das, was Kelly tut. O'Connor hält den Revolver schußbereit)

Kelly (öffnet das Fenster, beugt sich hinaus, holt tief Luft. Dann, wie er das Fenster schließen will, macht er eine Bewegung, als ob er seinen Zigarrenstummel hinauswerfen wolle)

O'Connor: Halt!

Kelly (wendet sich jäh): Ach so, du denkst, ich werfe einen glühenden Zigarrenstummel in den Hof, und das ist das verabredete Zeichen? Nicht schlecht, gar nicht schlecht - aber bitte sehr: meine Zigarre ist schon längst aus.

O'Connor: Geht in Ordnung, Kelly. Aber es ist am besten, hier bleibt jeder auf seinem Platz, bis die Sache klar ist

Kelly (setzt sich wieder)

Mac     : Ich mache einen Vorschlag, O'Connor. Ich nehme es dabei auf mich, daß ich mich damit in ein schiefes Licht setze.

O'Connor: Sag nur, was du zu sagen hast.

Kelly    : Wir müssen ja schließlich weiterkommen.

Mac     : Wer der Verräter ist, Mac oder ich, das kommt nicht klar. Ich meine, wir sollten dem Schuldigen eine Chance geben.

Gwynn : Eine Chance? Was hat er noch für eine Chance?

Mac     : Ich meine eine Frist. Er soll sich selbst melden, und dann soll er einfach gehen. Er soll durch die Türe da gehen und auch noch unten zum Haus hinaus - bis auf die Straße soll er sicher sein. Aber dann soll er sich hüten ,je wieder einem von uns zu begegnen.

Gwynn : Das ist vielleicht gar nicht schlecht.

Kelly    : Ja. Er hat einen Vorsprung, und wir sind sicher.

O'Connor: Nein, das sind wir nicht. Wer sagt uns denn, was er schon alles verraten hat - alle unsere Namen und alle Adressen?!

Mac     : Aber dann hätten die Hunde doch schon zugepackt?

O'Connor: Sie stehen vielleicht unten - sie warten nur darauf, daß wir aus dem Haus kommen!

Kelly    : Mach ein Ende, O'Connor, mach ein Ende! Ich halte das nicht mehr aus.

O'Connor: Wenn ihr's so wollt, gut! Ich gebe dem Kerl drei Minuten. Ich gebe ihm mein Wort, daß er dies Haus lebend verlassen kann - aber er soll sagen: Ich war es!

Kelly    : Damit wir wissen, woran wir sind!

Mac     Drei Minuten! (Alle, bis auf Gwynn, nehmen ihre Taschenuhr in die Hand oder sehen auf die Armbanduhr)

O'Connor: Jetzt!

Gwynn (schließt die Augen)

Kelly    : Es ist schrecklich, wie lange eine Minute ist, wenn das Leben daran hängt.

O'Connor: Eine Minute ist um.

Mac     : Ich meine, der kleine Zeiger rast - als ob er wüßte, daß es ums Leben geht.

O'Connor: Zwei Minuten sind um.

Gwynn  : Am Kirchturm von Lullamore war keine Uhr -

O'Connor: Drei Minuten - die Frist sind um.

Kelly (außer sich): Wir bringen es nicht heraus.

Mac     : Es gibt keinen Beweis!

Kelly    : Das ist es! Wir haben keinen Beweis!

(Das Telefon klingelt. Alle fahren zusammen. O'Connor legt den Revolver auf das Tischchen und geht an das Telefon)

O'Connor: Hier Miller - (dann zu den andern) Es ist Hull! Die anderen: Hull -

O'Connor:(mit erschrecktem Ton): Was?! Wer, sagst du?!

Kelly    : Hull sagt ihm, wer es war -

O'Connor (hängt ein. Bleibt am Telefon. Von da, ganz langsam): Hull hat ihn entdeckt. Er hat mir den Namen gesagt.

Gwynn : Jetzt - (er verbirgt sein Gesicht in den Händen)

Mac (sieht es und stürzt, seine Krücke im Stich lassend, zum Tischchen. Sein hopsendes Hinken hat etwas Gespenstisches. Er reißt den Revolver hoch): Hände hoch! Es geht ums Leben! Der Erste, der mir zu nahe kommt, ist ein toter Mann!

Gwynn : Mac -

Kelly  : Mac -

O'Connor: Ruhe! Es war nicht Hull, der anrief. Es war Pat. Ich hatte mit ihm genau abgemacht, wann er anrufen sollte. Es war ein Trick, und er ist geglückt. (Auf Mac zeigend) Da steht der Verräter!

Gwynn : Mac - Mac -

Mac     : Was liegt an mir! Gebt mir meine Krücke! Laßt mich hier raus - oder ich schieße euch alle über den Haufen!

O'Connor: Schieß doch! Sie ist ja nicht geladen!! Aber die hier -

(er reißt eine zweite Pistole aus der Tasche)

Gwynn(verzweifelt): Mac - -

(von draußen dumpfer Lärm, aber weiter weg)

Kelly    : Vorsicht, O'Connor! Was geht uns dieser Lump an! Da ist was los auf der Straße -

O'Connor :(horcht, hält aber immer noch den Revolver auf Mac gerichtet) Als ob die Straße voller Menschen wäre -

Kelly    : Und es schreit einer - nein, da schreien mehr als einer -

Gwynn : Zeitungsjungen - (Die Tür geht auf, der Hausbesorger eilig herein, ein Blatt Papier in der Hand)

Hausbesorger: Entschuldigen sie vielmals, meine Herren - Sie wollten ja nicht gestört sein - -aber das hier, das hier -!!

Auf der Straße fallen sich wildfremde Menschen um den Hals - es soll illuminiert werden -

[Der Schluß fehlt leider, aber offenbar geht es darum, daß England von sich aus die Auseinandersetzung beendet hat und den Iren die Freiheit gibt] (Herbert Kranz)..

 

 

Wieviel Erde braucht der Mensch?

 (Pachom, ein unersättlicher russischer Bauer, hat von einem Kaufmann gehört, daß man bei den Baschkiren billig Land kaufen kann).

Pachom erkundigte sich, wie man zu den Baschkiren käme, und kaum war der Kaufmann fortgefahren, so rüstete er selbst sich zur Reise. Das Haus vertraute er seiner Frau an, einen Knecht nahm er mit auf den Weg. Sie fuhren zur Stadt, kauften eine Kiste Tee, Geschenke, Wein - alles, wie der Kaufmann gesagt hatte. Sie fuhren und fuhren und legten etwa 500 Werst zurück. Am siebenten Tage langten sie im Baschkirenlager an und fanden alles so, wie der Kaufmann es geschildert hatte.

Kaum hatten die Baschkiren Pachom erblickt, als sie aus ihren Zelten heraus eilten und den Fremden umringten. Es fand sich ein Dolmetsch. Pachom sagte ihm, daß er des Landes wegen hergekommen sei. Die Baschkiren freuten sich, faßten Pachom bei den Händen, führten ihn in ein schönes Zelt, setzten ihn auf Teppiche und weiche Daunenpolster, ließen sich rings um ihn im Kreise nieder und bewirteten ihn mit Kumys und Tee. Sie schlachteten auch einen Hammel und setzten dem Gast das Fleisch vor. Pachom holte die Geschenke ans dem Wagen und verteilte sie unter die Baschkiren ; er bedachte jeden einzelnen mit einer Gabe und mit

Tee. Die Baschkiren waren voller Freude. Sie schwatzten und schwatzten miteinander und ließen dann den Dolmetsch sprechen.

„Sie lassen dir sagen“, erklärte der Dolmetsch, „daß sie dich liebgewonnen haben und daß bei uns die Sitte besteht, dem Gast jegliches Vergnügen zu bereiten und ihm für seine Geschenke durch Gegengeschenke zu danken. Du hast uns reich bedacht ; jetzt sag uns, was dir bei uns am besten gefällt, auf daß wir dies geben!“

„Am besten gefällt mir euer Land“, erwiderte Pachom. „Bei uns herrscht Mangel an Land, und der Boden ist bereits erschöpft. Ihr aber habt viel Land, und es ist so fruchtbar, wie ich noch nie welches gesehen!“

Der Dolmetsch übersetzte Pachoms Worte. Die Baschkiren sprachen eifrig untereinander. Pachom versteht nicht, was sie sagen, aber er sieht, daß sie lustig sind : sie schreien und lachen. Dann verstummen sie und blicken Pachom an, und der Dolmetsch spricht: „Sie lassen dir sagen, daß es sie freuen wird, dir zum Dank für deine Geschenke so viel Land zu geben als du nur haben willst. Zeig' nur mit der Hand, welches Land es sein soll, und es wird dein sein!“

Die Baschkiren sprachen wieder durcheinander und gerieten in Streit. Pachom fragte, weshalb sie stritten, und der Dolmetsch antwortete: „Die einen sagen, man müsse wegen des Landes den Ältesten fragen, man dürfe ohne ihn nichts entscheiden, und die andern meinen, es gehe auch ohne ihn!“

So streiten die Baschkiren hin und her; da kommt plötzlich ein Mann in einer Fuchsmütze gegangen. Alle verstummen und erheben sich, und der Dolmetsch sagt: „Das ist der Älteste selbst!“

Pachom holte sogleich den besten Schlafrock und überreichte ihn den Ältesten, dazu noch fünf Pfund Tee. Der Älteste nahm die Geschenke an und setzte sich auf den ersten Platz. Die Baschkiren begannen sich sofort etwas zu erzählen. Der Älteste hörte aufmerksam zu, gab ein Zeichen, daß sie schweigen sollten und sagte zu Pachom auf russisch: „Warum nicht, das läßt sich machen. Nimm, was dir gefällt. Land ist genug da!“

„Wie soll ich denn nehmen, was mir gefällt?“ denkt Pachom. „Das das muß doch irgendwie festgesetzt werden, sonst sagen sie erst: Es gehört dir, und nehmen mir's später wieder fort!“

„Ich danke euch für die guten Worte“, sprach er. „Ihr habt Land in Menge, ich aber brauche nur wenig. Ich muß nur wissen, welches Stück mir gehören soll. Man wird es doch irgendwie abmessen und festsetzen müssen. Denn sonst - Gott ist Herr über Leben und Tod - ihr guten Leute gebt mir’s, eure Kinder aber nehmen's vielleicht wieder zurück!“ „Du hast recht“, erwiderte der Älteste, „ man kann das festsetzen!“

Pachom begann wieder: „Ich hab' gehört, daß ein Kaufmann bei euch gewesen ist; dem habt ihr auch Land geschenkt, habt ihm aber einen Kaufbrief gegeben. Macht's mit mir ebenso!“

Der Älteste verstand alles. „Das läßt sich wohl machen,“ sagte er, „wir haben auch einen Schreiber, wir werden in die Stadt fahren und alles verschreiben und besiegeln!“

„Und wie wird der Preis sein?“ fragte Pachom. „Wir haben nur einen Preis : 1000 Rubel für den Tag!“ Pachom verstand nicht:“ Was ist das für ein Maß: ein Tag? „ fragte er. „Wieviel Morgen sind darin?`“

 „Das verstehen wir nicht zu berechnen“, erwiderte der Älteste, „wir verkaufen nach dem Tage: Wieviel Land du an einem Tage umgehen kannst, soviel gehört dir, und der Preis dafür ist 1000 Rubel!“

Pachom staunte. „Ja aber - „ meinte er , „an einem Tage kann man doch sehr viel Land umgehen!“ Der Älteste lachte. „Dann gehört's eben dir!“ sagte er , „nur eine Bedingung : Wenn du nicht am selben Tage an den Ort zurückkommst, von dem du ausgegangen bist, so ist dein Geld verfallen!“

„Und wie wird die Strecke, die ich zurücklege, bezeichnet“, fragte Pachom. „Wir stellen uns dort auf, von wo du dir das Land wählst. Wir bleiben stehen, du aber marschierst drauf los und umgehst ein Stück Land. Du nimmst eine Hacke mit, und wo es dir notwendig erscheint, machst du ein Zeichen. An den Ecken grab' kleine Gruben, wirf Rasenstücke auf. Wir ziehen dann von Grube zu Grube mit dem Pfluge eine Furche. Nimm den Bogen so Groß du willst, nur komm vor Sonnenuntergang zu der Stelle zurück, von welcher du ausgegangen bist. Alles Land, das du auf diese Weise umkreisen kannst, ist dein!“

Pachom freute sich. Man beschloß, früh morgens aufzubrechen. Es wurde noch eine Weile geschwatzt, Kumys getrunken, Hammelfleisch gegessen, Tee eingeschenkt, bis die Nacht herankam. Da betteten die Baschkiren ihren Gast auf weichen Pfühlen und gingen auseinander. Man verabredete, am nächsten Morgen in der Frühdämmerung zusammenzukommen und sich noch vor Sonnenaufgang an Ort und Stelle zu begeben.

Pachom liegt auf den weichen Daunenkissen und kann nicht schlafen, muß immer wieder an das Land denken. „ Ich will schon ein tüchtiges Stück erwischen!“ sagt er sich, „so gegen fünfzig Werst werde ich doch wohl an einem Tage umgehen! Der Tag ist jetzt lang wie ein Jahr. In fünfzig Werst aber steckt schon was drin! Das schlechtere Land werd' ich verkaufen oder den Bauern überlassen, das bessere wähle ich für mich selbst und mach' mich darauf ansässig. Ich schaffe mir zwei Ochsengespanne an und nehme mindestens zwei Knechte auf. Ein halbes Hundert Morgen bebaue ich, auf dem übrigen Lande lasse ich mein Vieh weiden.“

Die ganze Nacht konnte Pachom nicht schlafen, erst kurz vor der Morgendämmerung schlum­merte er ein. Eine Weile später fährt er plötzlich auf, blickt sich um und sieht durch die offene Tür den Morgen schimmern. „Man muß die Leute wecken“, sagt er sich, „es ist Zeit, aufzubrechen.“ Und Pachom stand auf, weckte seinen im Wagen schlafenden Knecht, befahl ihm, anzuspannen, und ging die Baschkiren wecken.

„ Es ist Zeit, in die Steppe zu fahren“, ruft er, „ und das Land abzumessen!“ Die Baschkiren standen auf und versammelten sich. Auch der Älteste kam. Wieder begannen sie, Kumys zu trinken, und wollten Pachom mit Tee bewirten, aber er hatte keine Geduld zum Warten.

„ Wenn gefahren werden soll, so fahren wir gleich“, sagte er, „ es ist Zeit !“

Die Baschkiren beeilten sich ; einige von ihnen bestiegen ihre Pferde, andere setzten sich in ihre Wagen, und man fuhr ab. Pachom saß mit seinem Knecht in seinem eigenen Wagen und hatte eine Hacke mitgenommen. Sie kamen in die Steppe, als das erste Morgenrot sich am Himmel zeigte. Auf einer kleinen Anhöhe, einem Schichan, wie die Baschkiren sagen, wurde Halt gemacht. Man stieg von den Pferden und kletterte aus den Wagen. Alle traten zu einer Gruppe zusammen.

Der Älteste schritt auf Pachom zu und deutete mit der Hand in die Steppe. „ So weit dein Auge reicht, ist das Land unser“ sagte er, „nun wähle, welches Stück du haben willst!“ Pachoms Augen strahlten: ringsumher Neuland, flach wie ein Handteller, schwarz wie Mohnsamen, wo aber eine kleine Vertiefung ist, wächst mannshohes Gras verschiedener Art.

Der Älteste nahm die Fuchsmütze ab und legte sie auf die Erde. „Das soll das Merkzeichen sein“, sagte er, „ von hier gehe aus, hierher komm' zurück. So viel Land du umgehst, soll dir gehören!“ Pachom zog das Geld hervor, legte es auf die Mütze, warf den langen Rock ab, so daß er nur die Weste anbehielt, zog den Gürtel fester um den Leib, reckte sich, schob ein Säckchen mit Brot zwischen Hemd und Weste, hing ein Fläschchen mit Wasser an den Gurt, zog die Stiefelschäfte hoch, nahm die Hacke aus den Händen des Arbeiters und stand nun zum Abmarsch bereit da.

Er überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte überall war's schön. „Es ist einerlei“», dachte er, „ ich gehe halt dem Aufgang der Sonne zu!“ Er stellte sich mit dem Gesicht gen Osten, reckte und streckte sich und wartete, daß die Sonne am Himmelsrande auftauche. „Keinen Augenblick will ich verlieren“, denkt er, „ in der Morgenfrische geht sich's auch leichter.“

Kaum zeigte sich der Rand der Sonnenscheibe am Horizonte, als Pachom die Hacke über die Schulter warf und in die Steppe hinauswanderte. Er ging weder langsam noch schnell. Als er etwa eine Werst gegangen war, blieb er stehen, grub ein kleines Loch und legte Rasenstückchen übereinander, um die Stelle deutlicher zu kennzeichnen. Dann ging er weiter. Er geriet immer mehr in Bewegung und machte schnellere Schritte. Nachdem er eine Zeitlang gegangen war, grub er das zweite Loch.

Pachom blickte sich um. Deutlich sah er den sonnigen Hügel und die Leute darauf ; die Eisen an den Wagenrädern glänzten im Sonnenschein. Pachom vermutete, daß er ungefähr fünf Werst gegangen sei. Ihm war warm geworden. Er zog die Weste aus, warf sie über die Schulter und schritt wieder vorwärts. Bald wurde es heiß. Pachom blickte zur Sonne auf : es war Zeit zum Frühstück.

„Eine Tagwache ist vorüber“, denkt Pachom, „aber der Tag hat ihrer vier. Noch ist's zu früh zum Einbiegen. Nur will ich mir die Stiefel ausziehen. „Er setzte sich, zog die Stiefel aus, hing sie an den Gürtel und ging weiter. Das Gehen war jetzt leicht. „Noch fünf Werst ungefähr will ich gehen“ denkt Pachom, „dann biege ich nach links ein. Hier ist der Boden gar so gut, es wäre schade, ihn aufzugeben. „Und je weiter er kam, um so besser wurde das Land. So ging er denn immer noch schnurstracks vorwärts. Als er sich umblickte, konnte er den Hügel kaum noch sehen. Die Leute bewegten sich darauf wie Ameisen und die Räder glänzten kaum mehr.

„Na“», denkt Pachom, „ in dieser Richtung ist es jetzt genug, - ich muß einbiegen Und wie ich in Schweiß geraten bin! Muß etwas trinken!“ Er blieb stehen, grub ein etwas größeres Loch, türmte die Rasenstücke aufeinander, band die Wasserflasche vom Gürtel, trank und bog im rechten Winkel nach links ein. Er ging und ging, das Gras wurde höher und die Hitze nahm zu.

Pachom begann zu ermüden. Er blickt zur Sonne auf: schon Mittagszeit. „Na“, denkt er, „dann muß man sich erholen!“ Er bleibt stehen, setzt sich nieder, ißt ein wenig Brot und trinkt Wasser dazu, wagt aber nicht, sich zu legen. „Wenn ich mich jetzt ausstrecke“, sagt er sich, „schlafe ich ein!“Er saß ein Weilchen still und ging dann wieder weiter. Anfangs fiel ihm das Gehen leicht, denn das Essen hatte ihn gestärkt. Aber es war schon gar so heiß und die Schläfrigkeit nahm ihm bald alle Kraft. Trotzdem ging er Vorwärts und immer vorwärts und dachte dabei : „Eine Stunde Leiden - ein Leben lang Freuden!“

So legte er denn auch in dieser Richtung eine große Strecke zurück. Schon wollte er wieder nach links einbiegen, als er an eine feuchte Talsenkung geriet, um die ihm leid war: Hier mußte der Flachs so gut gedeihen! Wieder ging er geradaus. Als er an der Talsenkung vorüber war, grub er das Merkloch und machte den zweiten Winkel. Er blickte zum Hügel hinüber: Der war in heißen Dunst gehüllt und nur undeutlich zu sehen; die Leute darauf bewegten sich wie im Nebel. „So“, denkt Pachom, „die Längsseite ist gemacht, - die nächste muß kürzer werden!“

Schneller noch als bisher schritt Pachom an der dritten Seite dahin. Die Sonne neigte sich bereits der Vesperzeit zu, und er hatte erst kaum zwei Werst von der dritten Seite zurückgelegt. Und bis ans Ziel waren es immer noch mindestens fünfzehn Werst. „Nein“, denkt Pachom, „wenn mein Landbesitz auch schief wird, ich muß schleunigst geradeaus marschieren. Ich brauche ja nichts Überflüssiges - und das Stück ist ohnedies groß genug!“ Schnell grub er das Loch und wandte sich dann direkt dem Hügel zu.

Pachom geht schnurstracks auf den Hügel zu, aber das Gehen fällt ihm schon schwer. Er ist in Schweiß gebadet, die nackten Füße sind zerschnitten und zerschunden, und die Beine knicken ihm ein. Er möchte gern ausruhen, doch es darf nicht sein, sonst kann er vor Sonnenuntergang das Ziel nicht erreichen. Die Sonne wartet nicht, sie sinkt tiefer und tiefer.

„Ach“, denkt er, „ hab' ich mich nicht am Ende geirrt und einen zu großen Bogen gemacht. Wie, wenn ich nicht zur Zeit hinkomme?“

Er blickt vorwärts zum Hügel hin und dann hinauf zur Sonne: Bis zum Ziel ist's noch weit, die Sonne aber ist nicht mehr fern vom Horizonte. Pachom eilt vorwärts, und so schwer es ihm fällt, so geht er doch schneller und immer schneller. Er geht und geht, - das Ziel rückt nicht näher. Da setzt er sich in Trab. Die Weste, die Stiefel, die Flasche, die Mütze hat er fortgeworfen, nur die Hacke hält er noch, um sich auf sie zu stützen.

„O weh!“ denkt er wieder, „ ich hab' zu viel begehrt und hab' dadurch alles verdorben, ich komme vor Sonnenuntergang nicht hin!“ Die Angst benimmt ihm den Atem; er rennt vorwärts, Hemd und Hosen kleben an seinem schweißtriefenden Körper, die Kehle ist ihm ausgetrocknet. In seiner Brust arbeitet es wie mit Schmiedebälgen und sein Herz klopft wie ein Hammer; die Füße versagen den Dienst, als gehörten sie gar nicht zu seinem Körper. Ihm wird angst und bange und der Gedanke kommt ihm, er könnte vor Überanstrengung sterben. Er fürchtet zu sterben, kann aber trotzdem nicht haltmachen.

„Soweit bin ich gelaufen“, sagt er sich, „wenn ich jetzt stehen bleibe, nennen sie mich einen Dummkopf!“

Er läuft und läuft. Nun ist er ganz nahe und hört: Die Baschkiren quieken und kreischen ihm entgegen, und ihr Geschrei läßt sein Herz noch heftiger schlagen. Er nimmt seine letzte Kraft zusammen. Die Sonne nähert sich bereits dem Himmelsrande, sie ist. in Nebel gehüllt, Groß und blutigrot. Gleich, gleich wird sie untergehen. Aber auch das Ziel ist nicht mehr fern. Pachom sieht schon, wie die Leute auf dem Hügel ihm winken, ihn durch Zeichen antreiben. Er sieht die Fuchsmütze und auf ihr das Geld; er sieht auch den Ältesten, der am Boden sitzt.

Pachom blickt zur Sonne empor: sie berührt schon die Erde, der untere Rand ist bereits verschwunden und sie bildet nur noch einen Bogen über dem Rande.

Pachom nimmt alle Kraft zusammen, vornübergebeugt rennt er vorwärts, so daß die Füße dem Oberkörper kaum folgen können. Er erreicht den Hügel - plötzlich wird's dunkel. Er blickt sich um: Die Sonne ist bereits untergegangen! Pachom stöhnt auf : „Vergebens war alle Mühe!“ denkt er und will stehen bleiben, da hört er, daß die Baschkiren ihm immer noch zurufen. Und es fällt ihm ein, daß es ihm wohl nur so scheint, als sei die Sonne schon untergegangen, daß man sie vorn Hügel aus aber wahrscheinlich noch sieht. Er schöpft tief Atem und stürmt den Hügel hinauf. Oben ist's noch hell. Pachom erreicht den Gipfel, sieht die Mütze und davor den Ältesten, der sich mit beiden Händen den Bauch hält und dröhnend lacht. Pachom stöhnt laut auf, stolpert und stürzt zu Boden, mit den ausgestreckten Händen die Mütze berührend.

„Ei, du wackerer Bursche!“ ruft der Älteste, „du hast dir viel Land erobert! „

Pachoms Knecht läuft herbei, um seinem Herrn aufzuhelfen, der aber liegt tot da und aus seinem Munde rieselt Blut. Die Baschkiren schnalzten zum Zeichen des Mitleids mit den Zungen. Der Knecht hob die Hacke auf und grub ein Grab, genau so lang, als der Tote von Kopf bis zu den Füssen war - drei Ellen - und begrub seinen Herrn.

(Nach einer Novelle von Leo Tolstoj)

Lieber Hoppelpoppel - wo bist du?

[Mann verschenkt den Stoffhund an einen fremden kleinen Jungen, obwohl er ihn für das eigene Kind braucht]

Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Thomas. Dem hatten seine Großeltern zum ersten Weihnachtsfest einen kleinen Hund aus schwarzem Plüsch geschenkt, mit Hängeohren und frechen braunen Augen, eine Art Dackeltier, aber auf Rädern. Und da die Achsen dieser Räder nicht im Mittelpunkt saßen, sondern seitlich, hoppelte und wogte das schwarze Stoffgeschöpf auf und nieder, als haste es wild und über alle Kraft imaginären Hasen nach. Darum taufte der Vater den Hund „Hoppelpoppel“, und als Thomas etwas älter geworden war und sprechen konnte, genehmigte auch er diesen Namen. Er liebte den Hund sehr, immer mußte er bei ihm sein, auch im Schlaf durfte er ihn nicht verlassen, und er wachte sehr genau darüber, daß die Eltern nicht nur ihrem Sohn, sondern auch dem Hoppelpoppel gute Nacht sagten. Es war eben eine richtige Liebe.

Nun geschah es, daß Toms Eltern an einen neuen Wohnsitz verzogen, weit, weit weg. Der kleine Thomas blieb während der Umzugstage bei der guten Tante .„Kunjä“, und mit ihm natürlich Hoppelpoppel - wie hätte Tom sonst bei Tante Kunjä schlafen können? Nach einer Weile war es dann so weit: Tante Kunjä fuhr mit Tom und dem Hund nach dem neuen Häuschen. Auf dem Bahnhof erwartete sie der Vater, und der kleine Tom war so selig und verlegen über dies Wiedersehen, daß er schnurstracks seinen Kopf durch des Vaters Beine steckte und so den abfahrenden Zug betrachtete.

Dann gingen die drei Hand in Hand durch den Wald zur Mummi ins neue Häuschen, und da kam plötzlich ein Augenblick. da Tante Kunjä angedonnert stehen blieb: „O Gott, habe ich nun doch den Hoppelpoppel in der Bahn liegengelassen!“ Der Vater machte rasch eine Kopfbewegung und sagte: „Still! Still! Hier hat der ‚Herr' so viel neue Eindrücke, daß er ‚ihn' einfach vergißt.“

Tom sagte noch gar nichts. Er marschierte stramm auf seinen Beinchen zwischen den beiden Großen und sah die herrlich hohen Bäume mit den Pieksenadeln an. Dann kam ein Zwinger mit einem Hund. und nun stand die Mummi unten auf einer Treppe und hielt die Arme weit auf. Sie gingen durch eine große Tür auf einen weiten Balkon. und plötzlich war da unten ein langes, langes Wasser, und ein Dampfer kam um die Waldecke, und ein Kahn, zwei Kähne, viele Kähne ...

Es wurde Abend, und der kleine Junge mußte ins Bett. Er war müde und selig aufgeregt, aber als ihn die Mutter über die Bettleiter hob, sagte er: .,Hoppelpoppel“. Der Vater sagte ernst: „Hoppelpoppel fährt mit der Puffbahn, Thomas. Hoppelpoppel kommt morgen.“ Das Kind sah seine Eltern fragend an, erst sagte es nichts, als aber dann das Licht ausgemacht wurde, bat es wieder, dringend: „Hoppelpoppel!“

„Thomas muß jetzt schlafen“, sagte die Mutter streng und machte die Tür von außen zu. Die Eltern standen atemlos und lauschten. Nein. kein Gebrüll, kein Weinen, sondern Stille.

„Er wird sich beruhigen“, sagte Mummi. „Aber besser ist doch. du gehst morgen zur Bahn und machst eine Verlustanzeige.“ - „Schön“, sagte der Mann. „Obgleich es keinen Zweck hat. Denn der Zug fährt weiter nach Polen, und die werden uns gerade einen Hoppelpoppel zurückschicken!“

Am nächsten Morgen machte der Vater seine Verlustanzeige, dann kam der Nachmittagsschlaf - aber nein, es kam kein Nachmittagsschlaf. „Hoppelpoppel!“ - „Hoppelpoppel kommt bald!“ -„Nun! Gleich!“- „Thomas muß schlafen!“ Gebrüll, Wut, Trostlosigkeit. Jammer, nur kein Schlaf. Und am Abend dasselbe. Das neue Häuserehen und das viele Wasser und der Garten und der Hund im Zwinger und die vielen Dampfer - alles nichts! Hoppelpoppel, lieber Hoppelpoppel - wo bist du? Hoppelpoppel. ein alberner. schwarzer Stoffhund, war eine finstere Wolke am Himmel. Nach drei Tagen überhing sie alles!

„Also ich fahre morgen nach Berlin und kaufe einen neuen Hoppelpoppel“, sagte der Vater zur Mummi. „Vielleicht kriegst du solch einen gar nicht?“ - „Soll das, bitte, hier so weitergehen?“ Der Vater fuhr also, und schließlich fand er auch seinen Stoffhund, er fand genau den Hoppelpoppel. Er war lange umhergelaufen. er hatte viel Fahrgeld ausgegeben, aber: Heute Nacht wird Tom endlich wieder ruhig schlafen.

Der Vater war so glücklich über den kleinen Hund, am liebsten hätte er aller Welt Gutes getan. Da war im Abteil ein Kind, es war natürlich kein Kind wie der Thomas, nein, sondern ein dunkles, blasses Kind. es war ein meckriges Kind, es war ein schwieriges, störendes Kind, aber es war ein Kind ... Es saßen noch zwei Herren im Abteil, das hielt den Vater nicht ab: Er machte Kuckuck mit dem Kind, er lenkte es ab, er half der Mutter. so gut er konnte, aber es verschlug nichts, es blieb ein schwieriges Kind.

Der Vater nahm aus dem Netz das kleine braune Paket, das Kind sah zu. Er schnürte langsam das Paket auf, das Kind sah genau hin. Was da wohl drin ist? Er faltete das Papier auf, ließ ein bißchen sehen. mehr ... „Hoppelpoppel“, sagte der Vater ernst. „Wauwau“, antwortete das Kind selig.

Es wurde nun doch eine sehr gute Bahnfahrt. Siehe. der dicke brummige Herr in der Ecke war ein rechter Großvater, er zog den Hoppelpoppel auf der leeren Bank zu sich hin. Hoppelpoppel hoppelte. Der Vater zog ihn am Schwanz zurück. Das Kind jauchzte. Manchmal ging eine kleine Sorgenwolke über des Vaters Herz. „Wie weit fahren Sie?“ „Bis Neu-Bentschen. Und Sie?“„Oh, ich muß viel früher raus. Ihr Junge wird ja den Hund bis dahin über haben.“

„Das weiß ich nicht", sagte die Frau. „Wenn er was liebt, dann liebt er es auch richtig.“

„Na, eine Weile fahren wir ja auch noch“, sagte der Vater nachdenklich und ließ den Hund bellen. Der Vater kramte das braune Papier wieder vor und den Bindfaden: „Nun paß auf, jetzt geht Hoppelpoppel schlafen.“

Das Kind sah aufmerksam zu, aber dann, als der Hund im Papier verschwand, fing es an zu weinen. „Hoppäpoppä“, sagte es klagend. Alle redeten auf das Kind ein, das Kind weinte stärker, der Vater sagte: „Ich brauche ihn ja schließlich nicht eingepackt mitzunehmen, er kann ihn ja noch den Augenblick halten ...“. Das Kind nahm den Hoppelpoppel in den Arm, es lächelte, es lächelte - lieber Himmel! es war doch ein sehr ähnliches Kind ...

Der Zug fuhr langsamer, der Zug hielt. „Nun gib dem Onkel den Hoppelpoppel.“ Das Kind

hielt den Hund fest. „Willst du wohl artig sein, gibst du - „. „Aussteigen!“ „Du sollst den Hund loslassen!“ - „Gib mir doch den Wauwau, bitte, bitte? Ich habe auch einen kleinen Jungen ...“- „Sie wollen noch 'raus? Bitte, beeilen!“

Alles ging durcheinander, das Kind weinte schmerzlich, der Schaffner schimpfte. Eine Hand (es war die Hand der Mutter) riß an der klammemden Kinderhand, das Weinen wurde lauter. Der Vater stand draußen mit seinem Hoppelpoppel, er dachte verwirrt: Wenn er was liebt, dann liebt er es auch richtig. Der Zug fuhr an, der Vater riß die Tür wieder auf, warf den Hund ins Abteil. Der Zug fuhr schneller, am Fenster waren Mutter und Kind zu sehen, das Kind hielt den Hoppelpoppel

Der Mann ging langsam durch den dunklen Wald nach Haus, er hatte es nicht eilig. Wenn er zu Haus ankommen würde, würde sein Junge gerade ins Bett gebracht werden, er würde sehnsüchtig betteln: Hoppelpoppel! Der Mann bereute nicht, der Mann schalt sich nicht, er war nur traurig. Irgendetwas war nicht in Ordnung auf dieser Welt. irgendetwas stimmte nicht: Dem einen geben, daß der andere weint?

Der Mann schloß die Tür auf, oben krähte der Tom. Der Mann ging langsam und leise die Treppe hinauf, er hing leise den Mantel fort, er zog seine Hausschuhe an ... schließlich mußte er doch die Tür aufmachen ... Da aß sein kleiner Sohn am Tischchen den Haferbrei. und auf dem Tischchen stand der Hoppelpoppel! Der Hoppelpoppel mit einem langen, langen Zettel am Hals. „Sieh nur, Mann“, sagte die Mummi. Auf dem Zettel standen viele bahnamtliche Vermerke, aber da stand auch: Zbaszyn (Bentschen). Kleine schwazze Hund, särr biee. Reißt ...“ - „Kleine schwarze Hund, särr biese ...“, sagte der Vater langsam. Komisch: Plötzlich war die Welt wieder in Ordnung.                                                                              (Hans Fallada)

 

 

 

 

Sors und Georg

[Junge gibt dem Kameraden Unkrautsamen für einen Blumenstrauß für dessen Mutter]

Eines Morgens war der Platz neben Georg besetzt. In der Bank saß ein kleiner, scheuer Knabe mit rotem Haare. Er nannte sich Sors. Das sollte Schorsch heißen, denn er konnte kein „sch“ sprechen. Georg war beleidigt; der Neue mißbrauchte seinen Namen. Georg mochte diesen Sors vom ersten Augenblick an nicht leiden.

Es schien, Sors sei das unglücklichste Menschenkind, das man sich denken konnte. Von allem möglichen Leid war ihm ein Teil aufgeladen worden: dieser Sprachfehler, der rostrote. filzige Haarbelag, die kurzen, krummen Beine! Auch sein Kopf war schwach. Sors war kein guter Schüler, das zeigte sich bald.

Einzig sein Herz schien schön und gut. Vielleicht war Sors sogar glücklich; ganz gewiß war er zufrieden und ließ sich nicht betrüben durch die Neckereien der Kameraden, die an ihm genug zu spotten fanden. Er lächelte, wenn sie über ihn lachten. Zu alledem kam hinzu, daß Sors keinen Vater und zu Hause stets eine kränkelnde Mutter hatte.

Dies wußte Georg, und Sors tat ihm leid; dennoch verachtete er den kleinen Wicht und war oft versucht, ihn zu quälen. Aber Georg war weder herzlos noch ungezogen; er gab sich Mühe, den stillen Kleinen zu übersehen, und wich ihm aus.

Einmal, ein einziges Mal, konnte er nicht widerstehen, der Kröte, die seinen Namen entehrte, einen Streich zu spielen. Georgs Eltern wohnten in einem schönen Haus. vor dessen Fenstern ein öffentlicher Park lag. Eines Tages flog ein Vogel auf den Schreibtisch von Georgs Vater. Es war ein Distelfink. Er blutete an der Schnabelwurzel. Der Vater setzte den Vogel in einen Bauer, und Georg wurde angewiesen, drüben im Park Samen von den Stauden zu lesen. Um den Abfallhaufen des Gärtners wuchsen genug Disteln und anderes sämendes Gestäud.

Als der Junge mit der vollen Tüte zurückkam, war der Fink schon verendet. Georg verwahrte die Futtersämchen in seiner Schlafkammer als Andenken an den kurzen Besuch, und vielleicht hoffte er, es fliege ihm bald wieder ein hungriger Vogel zu.

Das war Anfang des letzten Winters gewesen; nun war der Frühling bald vorbei. Georg wurde an die Samentüte erinnert, als er sah, wie der rote Sors von einem Schulausflug im Taschentuch Ackererde heimtrug. „Was hast du im Sinn, Rostfleck?“ fragte er den Kleinen. „Man darf keine Erde stehlen! Ich zeige dich an!“ Sors erschrak; er hatte geglaubt, die Erde gehöre allen Menschen. „Sag, was willst du damit“, fuhr ihn Georg an. „Kochen und auftischen, was?“ Georg vertrug es nicht, wenn einer so still und scheu und gar zu dumm war. Sors traute dem großen Georg nichts Arges zu und gestand, daß er eine Überraschung für die kranke Mutter vorbereitete. Er werde ein Kistchen mit Erde füllen und darin Blumen pflanzen zu ihrem Geburtstag.

„Hast du denn Pflanzen?“ fragte Georg. Jetzt dachte er an seinen Unkrautsamen, und er versprach dem arglosen Sors. ihn mit schönem Blumensamen zu beschenken. Am nächsten Tag brachte er vom Unkrautsamen eine bunte Tüte voll in die Schule, und Sors bedankte sich froh.

Georg konnte das Geheimnis nicht für sich behalten: Er machte einige Kameraden zu Vertrauten. Sie lobten den Streich, und ihre Schadenfreude übertönte sein Gewissen.

Der rote Sors berichtete nun täglich von seinen Gärtnerkünsten. Es machte ihn glücklich, mit dem großen Georg etwas Heimliches gemein zu haben. Er erzählte ihm flüsternd, das Kist­chen stehe auf der Hauszinne und er pflege die Pflänzchen ganz im geheimen, ohne daß die bettlägerige Mutter etwas davon wisse. Er meldete, wie hoch seine Pfleglinge gediehen waren, beschrieb ihre Formen und wie die einen bedächtig wüchsen, die anderen munter emporschössen und sich entfalteten. Georg hielt bei diesen Berichten das Lachen zurück, die eingeweihten Kameraden kicherten; aber ganz wohl war ihnen nicht, wenn sie den gutmütigen Eifer des glücklichen Sors bedachten.

Eines Tages beschrieb Sors seinen winzigen Kistengarten in einem Aufsatz; der Lehrer ließ die Arbeit durch Sors vorlesen. Georg errötete. als ihn ein anerkennender Blick des Lehrers traf. Sors hatte nämlich nicht verschwiegen, daß sein „Freund Georg“ ihm den Samen zu den wunderbaren Blumen geschenkt habe.

„Woher weißt du, daß es wunderbare Blumen sind?“ fragte Georg den kleinen Sors. Als sie allein waren. „Vielleicht ist es ja nur Unkraut!“ Sors sah den Kameraden ungläubig und mit lachenden Augen an, als wisse er, daß ein solcher Betrug unmöglich sei. Und nach einigen Tagen berichtete er, es habe sich die erste Blütenknospe gebildet, und er rechne, der Blütenflor öffne sich eben zur rechten Zeit: auf den Geburtstag der Mutter.

Georg hatte seitdem keinen ungetrübten Tag mehr. Es reute ihn, die Gutgläubigkeit des armen Kerlchens mißbraucht zu haben, und er hätte ihm und der kranken Mutter gern die Enttäuschung erspart. Jedoch Sors war unvermindert voller erwartender Freude und erzählte begeistert von der werdenden Pracht seines Treibbeetes im Kistchen.

..Wie sehen sie aus, deine Prachtblumen?“ fragte Georg. „Gelb, blau und alle Farben, und auch grün, grün am meisten“, sagte Sors strahlend. „Duften sie auch?“ - „Oh, herrlich, wie neue Seife.“ - „Bringst mir einmal eine in die Schule?“ - „Freilich, aber erst nach dem Geburtstag, gelt?“

„So zeichne mir jetzt eine: Ich möchte wissen, wie sie aussehen und heißen“, bat Georg.

Sors zeichnete große Blüten auf das Löschblatt. Aber Georg konnte sie nicht erkennen. „Einfach schön“, lobte Sors, „sie wird Freude dran haben, kannst ruhig sein.!“

Georg wurde daraus nicht klug. Was war geschehen? Er hatte dem Rostfleck Unkrautsamen gegeben, und daraus sollten nun Prunkblumen geworden sein? Ein Wunder? Oder war das etwa kein Unkrautsamen gewesen, was er für jenen Distelfinken im Park gerupft hatte? Nicht gemeine Sternmiere, Gras, Lattich und Disteln? Doch wohl nicht Phlox und Nelken, Petunien und Astern?

„Wann hat sie Geburtstag?“ - „Morgen, das Kistchen ist ein einziger Garten. ein Strauß! Sie hat gar nichts gemerkt. Am Abend hol ich's von der Zinne und stelle es am Morgen neben ihr Bett. Du mußt sie dann besuchen, nach vier Uhr. Ich lade dich ein. Dann darf sie für eine halbe Stunde aufstehen. Die Blumen sind ja eigentlich von dir!“

Es war Georg gar nicht recht, daß ihm am Nachmittag nach Schulschluß einige Kameraden folgten, als er Sors begleitete. Er hatte heimlich ein Markstück aus seiner Sparbüchse geschüttelt und wollte es der armen, enttäuschten Frau zustecken und damit Verzeihung für seinen Streich erkaufen. Zwar hatte Sors erzählt, die Mutter sei fast aus dem Häuschen geraten vor Freude über das Blumenkistchen. Aber Georg dachte, sie habe die Freude sicherlich geheuchelt, um ihren Jungen nicht zu enttäuschen; sie werde sich doch wohl von Unkraut nicht zu Tränen rühren lassen.

Die Kameraden warteten unten: Georg tat, als freue er sich wie sie auf den Spaß: Unkraut als Festbukett! Er stieg mit bedrücktem Herzen die vielen Treppen hinauf. Droben saß die kranke Frau unterm schrägen Fenster. Georg sah zuerst die kleine Kiste auf dem Tisch und errötete. Es war wirklich nur blühendes Unkraut darin: eine Flockenblume, Taubnesseln, Lattich, Gras, winzige blaue Katzenaugen und Disteln.

Die kleine Frau gab ihm gerührt beide harten Hände, dankte ihm und betastete dann sorgfältig die Blütchen in dem üppigen Gewucher der kleinen Kiste. „Mir ist, die Wiese sei zu mir gekommen“, sagte sie. „Buben, ihr habt mir eine große Freude gemacht.“

Georg sah beschämt an ihr vorbei. Bevor er wegging, legte er, ohne daß es die beiden anderen sahen, die Mark neben den kleinen Unkrautgarten. An der Holzwand des Kistchens stand in Schablonenschrift „Bleichsoda“.

Als er die Treppe hinunterging, war sein Kopf verwirrt, und er sah ständig das Wort „Bleichsoda“ vor sich. Er war traurig und wußte nicht warum; es war doch so gut ausgegangen! Unten warteten die Kameraden vor der Haustür. Georg stahl sich zur hinteren Tür hinaus und machte sich durch den Hof davon. Ihm war jetzt nicht zum Lachen                                          (Traugott Vogel)

 

Der kleine Prinz, Kapitel XXI

[Man sieht nur mit dem Herzen gut]

 „Guten Tag“, sagte der Fuchs. „Guten Tag“, antwortet höflich der kleine Prinz, der sich umdrehte, aber nichts sah. „Ich bin da“, sagte die Stimme, „unter dem Apfelbaum ...!“ - „Wer bist du?“ sagte der kleine Prinz. „Du bist sehr hübsch!“ - „Ich bin ein Fuchs“, sagte der Fuchs.

„Komm und spiel' mit mir“, schlug ihm der kleine Prinz vor. „Ich bin so traurig!“ - „Ich kann nicht mit dir spielen“, sagte der Fuchs. „Ich bin noch nicht gezähmt!“ - „Ach. Verzeihung!“ sagte der kleine Prinz.

Aber nach einiger Überlegung fügte er hinzu: „Was bedeutet das: ‚zähmen'?“ - „Du bist nicht von hier“, sagte der Fuchs. „Was suchst du?“ - „Ich suche die Menschen“, sagte der kleine Prinz.. „Was bedeutet ‚zähmen'?“ „Die Menschen“, sagte der Fuchs, „die haben Gewehre und schießen. Das ist sehr lästig. Sie ziehen auch Hühner auf. Das ist ihr einziges Interesse. Du suchst Hühner?“ - „Nein“, sagte der kleine Prinz, „ich suche Freunde. Was heißt ‚zähmen'?“

„Das ist eine in Vergessenheit geratene Sache“. sagte der Fuchs. „Es bedeutet: sich‚ vertraut machen'!“

 „Vertraut machen?“ - „Gewiß“, sagte der Fuchs. .,Du bist für mich noch nichts als ein kleiner Knabe, der hunderttausend kleinen Knaben völlig gleicht. Ich brauche dich nicht, und du brauchst mich ebensowenig. Ich bin für dich nur ein Fuchs, der hunderttausend Füchsen gleicht. Aber wenn du mich zähmst, werden wir einander brauchen. Du wirst für mich einzig sein in der Welt. Ich werde für dich einzig sein in der Welt!“

„Ich beginne zu verstehen“, sagte der kleine Prinz. „Es gibt eine Blume ... ich glaube, sie hat mich gezähmt!“ - „Das ist möglich“, sagte der Fuchs. „Man trifft auf der Erde alle möglichen Dinge!“ -„Oh, das ist nicht auf der Erde“, sagte der kleine Prinz.

Der Fuchs schien sehr aufgeregt: „Auf einem anderen Planeten?“ - „Ja.“- „Gibt es Jäger auf diesem Planeten?“- „Nein!“ - „Das ist interessant! Und Hühner?“ - „Nein.“ - „Nichts ist vollkommen!“ seufzte der Fuchs.

Aber der Fuchs kam auf seinen Gedanken zurück: „Mein Leben ist eintönig. Ich jage Hühner. die Menschen jagen mich. Alle Hühner gleichen einander, und alle Menschen gleichen einander. Ich langweile mich also ein wenig. Aber wenn du mich zähmst, wird mein Leben wie durchsonnt sein. Ich werde den Klang deines Schrittes kennen, der sich von allen anderen unterscheidet. Die anderen Schritte jagen mich unter die Erde. Der deine wird mich wie Musik aus dem Bau locken. Und dann schau! Du siehst da drüben die Weizenfelder? Ich esse kein Brot. Für mich ist der Weizen zwecklos. Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig. Aber du hast weizenblondes Haar. Oh. es wird wunderbar sein, wenn du mich einmal gezähmt hast. Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide liebgewinnen ...“.

Der Fuchs verstummte und schaute den Prinzen lange an: „Bitte ... zähme mich!“ sagte er.

„Ich möchte wohl“, antwortete der kleine Prinz, „aber ich habe nicht viel Zeit. Ich muß Freunde finden und viele Dinge kennenlernen.“ - „Man kennt nur die Dinge, die man zähmt“, sagte der Fuchs. „Die Menschen haben keine Zeit mehr, irgendetwas kennenzulernen. Sie kaufen sich alles fertig in den Geschäften. Aber da es keine Kaufläden für Freunde gibt, haben die Leute keine Freunde mehr. Wenn du einen Freund willst, so zähme mich!“

„Was muß ich da tun?“ fragte der kleine Prinz. „Du mußt sehr geduldig sein“, antwortete der Fuchs. „Du setzt dich zuerst ein wenig abseits von mir ins Gras. Ich werde dich so verstohlen, so aus dem Augenwinkel anschauen, und du wirst nichts sagen. Die Sprache ist die Quelle der Mißverständnisse. Aber jeden Tag wirst du dich ein bißchen näher setzen können!“

Am nächsten Morgen kam der kleine Prinz zurück. „Es wäre besser gewesen, du wärst zur selben Stunde wiedergekommen“, sagte der Fuchs. „Wenn du zum Beispiel um vier Uhr nachmittags kommst, kann ich um drei Uhr anfangen, glücklich zu sein. Je mehr die Zeit vergeht, umso glücklicher werde ich mich fühlen. Um vier Uhr werde ich mich schon aufregen und beunruhigen; ich werde erfahren, wie teuer das Glück ist. Wenn du aber irgendwann kommst, kann ich nie wissen, wann mein Herz da sein soll ... Es muß feste Bräuche geben.“

„Was heißt ‚fester Brauch'?“ sagte der kleine Prinz.

„Auch etwas in Vergessenheit Geratenes“, sagte der Fuchs. „Es ist das, was einen Tag vom anderen unterscheidet, eine Stunde von den anderen Stunden. Es gibt zum Beispiel einen Brauch bei meinen Jägern. Sie tanzen am Donnerstag mit den Mädchen des Dorfes. Daher ist der Donnerstag der wunderbare Tag. Ich gehe bis zum Weinberg spazieren. Wenn die Jäger irgendwann einmal zum Tanze gingen, wären die Tage alle gleich, und ich hätte niemals Ferien.“

So machte denn der kleine Prinz den Fuchs mit sich vertraut. Und als die Stunde des Abschieds nahe war: „Ach!“ sagte der Fuchs, „ich werde weinen.“ - „Das ist deine Schuld“, sagte der kleine Prinz, „ich wünschte mir nichts Übles, aber du hast gewollt, daß ich dich zähme!"“- „Gewiß“, sagte der Fuchs. „Aber nun wirst du weinen!“ sagte der kleine Prinz. „Bestimmt“, sagte der Fuchs. „So hast du also nichts gewonnen!“

„Ich habe“, sagte der Fuchs, „die Farbe des Weizens gewonnen!“ Dann fügte er hinzu: „Geh die Rosen wieder anschauen. Du wirst begreifen, daß die deine einzig ist in der Welt. Du wirst wiederkommen und mir Adieu sagen, und ich werde dir ein Geheimnis schenken!“

Der kleine Prinz ging. die Rosen wiederzusehen: „Ihr gleicht meiner Rose gar nicht, ihr seid doch nichts“, sagte er zu ihnen. „Niemand hat sich euch vertraut gemacht, und auch ihr habt euch niemandem vertraut gemacht. Ihr seid, wie mein Fuchs war. Der war nichts als ein Fuchs wie hunderttausend andere. Aber ich habe ihn zu meinem Freund gemacht, und jetzt ist er einzig in der Welt!“

Und die Rosen waren sehr beschämt. „Ihr seid schön, aber ihr seid leer“, sagte er noch. „Man kann für euch nicht sterben. Gewiß, ein Irgendwer, der vorübergeht, könnte glauben, meine Rose ähnle euch. Aber in sich selbst ist sie wichtiger als ihr alle. da sie es ist, die ich begossen habe. Da sie es ist, die ich unter den Glassturz gestellt habe. Da sie es ist, die ich mit dem Wandschirm geschützt habe. Da sie es ist, deren Raupen ich getötet habe (außer den zwei oder drei um der Schmetterlinge willen). Da sie es ist, die ich sagen oder sich rühmen gehört habe oder auch manchmal schweigen, da es meine Rose ist!“

Und er kam zum Fuchs zurück: „Adieu“. sagte er ... „Adieu“, sagte der Fuchs. „Hier mein Geheimnis. Es ist ganz einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar!“

„Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken. „Die Zeit, die du für deine Rose verloren hast, sie macht deine Rose so wichtig!“ -

„Die Zeit, die ich für meine Rose verloren habe“, sagte der kleine Prinz, um es sich zu merken.

„Die Menschen haben diese Wahrheit vergessen“, sagte der Fuchs. „Aber du darfst sie nicht vergessen. Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast. Du bist für deine Rose verantwortlich ...!“ Ich bin für meine Rose verantwortlich ...“, wiederholte der kleine Prinz, um es sich zu merken    (Antoine de Saint-Exupery)

 

 

Meine liebe Not mit dem Rowdy

[Junge muß auf seinen kleinen Bruder aufpassen]

„Du wirst doch mal auf deinen Bruder aufpassen können!“ so höre ich das nun jeden Tag. Es ist zum Verrücktwerden. Manchmal wünschte ich ihn mir auf den Mond. Denn auf Jens aufpassen ist schlimmer, als einen Sack Flöhe hüten. Mir fällt da immer die Geschichte von Hans Huckebein von Wilhelm Busch ein. Dieser verrückte Rabe macht auch nur Blödsinn. Jens tut alles, was er nicht tun soll. Oder er tut nichts, was er tun soll. Es ist zum Verzweifeln. Aber einer muß ihn ja erziehen, was soll sonst aus ihm werden?

Bei anderen ist Jens die reine Unschuld und tut, als wenn er nicht bis drei zählen könnte. Aber wenn ich mit ihm fertigwerden muß, dann geht alles drunter und drüber. Wenn es mir dann mal reicht und ich ihm eine Nuß gebe, dann petzt er. Und wer kriegt wieder das Fett ab? Ich. „Du bist der Große, du wirst doch wohl auf Jens aufpassen können!“

Und das sieht dann so aus: Wenn Mama Frühschicht oder Nachtschicht hat, muß ich eine halbe Stunde eher aufstehen und Jens in den Kindergarten bringen, ehe ich zur Schule gehe. Hat Mama Nachmittagsschicht. muß ich ihn aus dem Kindergarten holen. Gewiß, das reißt mich nicht um; aber ich bin dadurch immer angehängt, kann mir nie etwas Richtiges vornehmen. Das reinster Kindermädchen, dauernd habe ich ihn aufgehalst. Ich weiß kaum noch, wofür ich meine Fußballschuhe habe.

Manchmal wünschte ich mir, überhaupt keinen Bruder zu haben. Wenigstens nicht einen. der mir dauernd an den Fersen klebt. Dann überlege ich mir, daß ich es wahrscheinlich genauso machen würde, wenn ich einen um etliche Jahre älteren Bruder hätte. „Du wirst wohl mal auf deinen Bruder aufpassen können!“ Ja, sie haben gut reden. Papa ist auf Montage und die ganze Woche nicht da, und wenn er nach Hause kommt, ist alles eitel Sonnenschein bei dem Geldlohn. Zu mir jedoch heißt es: „Du bist der Ältere!“ und „Der Klügere gibt nach!“ Sie merken in den paar Stunden gar nicht, daß Jens auf dem besten Wege ist, ein Rowdy zu werden, wenn er es nicht vielleicht schon ist. Und manchmal denke ich: Nur allein deine Erziehung kann ihn davor retten, auf die schiefe Bahn zu kommen.

Am schlimmsten ist, daß man mit Jens nicht richtig spielen kann. Dauernd will er etwas anderes. Erst will er Indianer spielen. Dann stelle ich alles auf, wie er es haben will. Kaum bin ich fertig, da schmeißt er alles um und will was Neues. Es ist zum Auswachsen!

Doch manchmal hat er auch seine guten Seiten und entschädigt mich für vieles. Das sind die Stunden, in denen ich ihm Märchen vorlesen muß. Dann sitzt er auf meinen Beinen, legt einen Arm um meinen Hals und sieht mich an mit seinen großen, runden schwarzen Augen. Er verhält sich ganz still, und kaum bin ich mit einem Märchen am Ende, bettelt er: „Noch eins lesen! Noch eines!“, und ich lese solange, bis mir die Beine einschlafen und ich beim Aufstehen wie ein Betrunkener wanke.

Jener Freitag war ein wunderschöner Tag. wenigstens dem Wetter nach. Sonst aber wage ich nicht, an ihn zu denken. In der Schule fiel die Mathestunde aus, weil ein Lehrer erkrankt war, und wir durften eher nach Hause gehen. Nun lag der Kindergarten gleich am Weg. und ich dachte: Holst Jens gleich ab, dann brauchst du nachher nicht noch einmal loszumarschieren. „Ein artiger Junge“, sagte die Kindergärtnerin, und Jens blickte unschuldsvoll wie ein Lamm. Aber auf der Straße passierte es. Jens reißt sich von meiner Hand los, ich muß ihn am Kragen packen. Ich gebe zu, ich war etwas unsanft. Aber was hilft's.

Dann kommt Jens auf den Gedanken, auf einem Bein zu hüpfen. Ich sollte mitmachen. Warum, das habe ich gleich darauf gemerkt. Kaum hüpfe ich auf einem Bein, schmeißt er mich um, dann lacht er mich aus und rennt davon. Was sollte ich machen? Nichts wie hinterher. Und als ich ihn hatte, habe ich ihn tüchtig gebeutelt. Jens heult und sieht sich hilfesuchend nach Passanten um.

Da mischt sich auch schon ein Mann ein, und wer kriegt wieder alles ab? ich. „Wenn du meiner wärst! Sich an so einem Kleinen zu vergreifen!“ wiederholt er in einem fort. Als der Mann endlich weitergeht, streckt ihm Jens auch noch die Zunge raus. Aber das sieht der Mann nicht, sondern wie ich Jens ermahne. Da droht er noch einmal: „Laß ja den Kleinen in Ruhe!“

Zu Hause habe ich für Jens eine Schnitte gemacht und noch Himbeersirup mit Selters, weil er das so gerne trinkt, und dann an die Arbeit. Jens hat auf dem Hof mit dem Ball gespielt, und ich habe für Mama den Fußboden gewischt. Ganz schön beeilt habe ich mich. Fast war ich damit fertig und freute mich schon, daß ich noch ein wenig lesen kann.

Da riß Jens die Tür auf, rief: „Tor!“ und schoß den Ball ab, und ich bekam den Ball nicht zu fangen, und der Ball rollte bis in die äußerste Ecke und knallte gegen einen Stuhl und lief zurück. Der Ball hinterließ eine Dreckspur. und ein Teil meiner Arbeit war zunichte gemacht.

Mir platzte der Kragen. und ich war so in Rage, und ehe ich mich versah und ehe Jens sich versah, hatte ich ihm eine geklebt. Er stieß den Wassereimer um. und die Brühe lief durchs Zimmer.

Dann schrie er, er wolle mich nicht mehr sehen, heulte und heulte und schrie immerfort, daß er mich nicht mehr sehen wolle, und er ginge nun in den Kindergarten und käme nie wieder.

„Geh doch!“ rief ich aufgebracht. „Geh! Geh mir aus den Augen!“ Ich hörte sein Flennen die ganze Treppe hinab, und dann, während ich aufwischte, war es sehr still. Als sei über mich eine große Glasglocke gestülpt worden. Ich hörte nur mein Herz schlagen, und meinen Atem hörte ich, einen tiefen, schnellen Atem, wie bei einem Menschen, dem die Luft knapp wird.

 

Ich war dann endlich fertig, und es begann mir schon leid zu tun, daß ich mich hatte hinreißen lassen, als Schritte die Treppe herauf kamen, eilige Schritte. Und im nächsten Augenblick platzte eine Frau ins Zimmer, das Gesicht rot wie eine Runkelrübe. „Um Himmels willen, wo ist denn deine Mutter?“ Sie keuchte schwer. „Dein Bruder ...!“ Ich weiß nicht mehr, wie schnell ich die Treppe hin- untergerast bin. Erst habe ich überall im Hof gesucht. und dann bin ich auf die Straße gerannt. An der Ecke stehen eine Menge Leute zusammen. Ich frage nach einem kleinen Jungen, aber den hat man gerade ins Krankenhaus gebracht. „Das war wohl dein Bruder? Du konntest wohl nicht besser aufpassen?“ Mit zittern so sehr die Knie. daß ich das alles gar nicht richtig höre.

Am Sonntag ist Besuchszeit. Alle stehen wir um das weiße Bett herum. Papa wirft mir finstere Blicke zu und spricht von Verantwortung. Er hat gut reden, dachte ich. Was weiß er denn von uns? Die paar Stunden, die er zu Hause ist. Besuchszeit wie im Krankenhaus.

Am Mittwoch ging ich allein zu Jens. Papa ist wieder unterwegs, und Mama hat Schicht.

„Ach, mußtest du denn über die Straße laufen, ohne nach links und rechts zu sehen, alter Rowdy“" sagte ich und knuffte ihn ans Kinn. Er war gegen einen Mopedfahrer gerannt und hatte dabei Prellungen und Hautabschürfungen abbekommen. Es hätte auch schlimmer ausgehen können. Ich wage nicht, daran zu denken.

„Schwester Silvia gibt mir immer Himbeersirup“, vertraut Jens mir an. „Sie liest mir auch Märchen vor!“ O ja. er wurde von den Schwestern verwöhnt. Das gefiel ihm natürlich. „Ich habe dir auch Himbeersirup mitgebracht“, sagte ich und stellte die Flasche auf das Nachtschränkchen. Und dann zog ich noch ein Bilderbuch hervor, und Blumen hatte ich auch mit. Und auf dem Herweg war ich bei der Post drangewesen und hatte Briefmarken gekauft, zwei Sätze. mit wunderschönen Kakteen drauf. Ich zeigte sie Jens. und er wollte sie gleich haben, und ich gab ihm schweren Herzens den Satz. Den hat Jens, wie ich später erfuhr, Schwester Silvia geschenkt. Jetzt aber wollte er auch den anderen Satz. „Geht nicht“, sagte ich und steckte die Marken in die Aktentasche zurück. Dann ging ich eine Vase und Wasser für die Blumen holen, verabschiedete mich von Jens, und ich sah: der Schalk saß ihm schon wieder in den Augen.

Als ich nach Hause kam, war der eine Satz dieser wunderschönen Briefmarken zusammengeklebt von einem kleinen Schwupp Himbeersirup, den kein anderer als Jens über die Marken gegossen hatte. Da wußte ich, daß er sich wieder auf dem Weg der Besserung befand, wie es so schön heißt, und daß ich noch viel Arbeit mit ihm haben werde, damit er ein ordentlicher Mensch wird und kein Rowdy                                        (nach Siegfried Weinhold).

 

 

Des Kaisers neue Kleider

Vor vielen, vielen Jahren lebte einmal ein Kaiser, der so über die Maßen viel von schönen, neuen Kleidern hielt. daß er all sein Geld ausgab, um nur immer recht geputzt zu sein. Er küm­merte sich nicht um seine Soldaten, machte sich nichts aus Komödie und Spazierfahrten. als nur um seine neuen Kleider zu zeigen. Er hatte einen Rock für jede Stunde des Tages, und wenn man sonst von einem Könige sagt, er ist im Rate, so sagte man hier immer: „Der Kaiser ist in der Garderobe!“

In der großen Stadt, in welcher er wohnte, ging es lustig her, täglich kamen viele Fremde an. Und einmal kamen auch zwei Betrüger; die gaben sich für Weber aus und sagten, sie könnten ein Zeug weben, so schön, wie man's sich nur wünschen kann. Nicht allein Farben und Muster wären von ungewöhnlicher Schönheit, sondern die Kleider, welche man aus diesem Zeuge machte, hätten die wunderbare Eigenschaft, daß sie für jedermann unsichtbar wären, der entweder nicht für sein Amt paßte oder auch unaussprechlich dumm wäre.

„Das sind ja prächtige Kleider“. dachte der Kaiser, „wenn ich die anhabe, so kann ich ja leicht die Dummen von den Klugen unterscheiden und auch dahinter kommen, welche Leute in meinem Reiche für ihr Amt untauglich sind! Ja, das Zeug muß gleich für mich gewebt werden!“ Und er gab den beiden Betrügern viel Geld als Vorschuß, damit sie ungesäumt ihre Arbeit beginnen möchten.

Sie stellten also zwei Webstühle auf, taten, als wenn sie arbeiteten, aber hatten nicht einen Faden auf der Spule. Mir nichts, dir nichts verlangten sie die feinste Seide und das prächtigste Gold, das steckten sie aber in ihre eigene Tasche und arbeiteten mit leeren Webstühlen bis in die späte Nacht hinein.

„Ich möchte wohl wissen, wie weit sie mit dem Zeuge sind!“ dachte der Kaiser, aber es war ihm ordentlich ein bißchen wunderlich ums Herz. wenn er daran dachte, daß ein Dummer oder zu seinem Amte Untauglicher es nicht sehen könnte; nun meinte er zwar, für sich selbst brauchte er nicht bange zu sein, aber er wollte doch lieber erst jemanden hinschicken, ehe er selbst zusähe, wie es sich machte. Alle Menschen in der ganzen Stadt wußten, welche wun­derbare Eigenschaft das Zeug hatte, und alle waren begierig zu sehen, wie unbrauchbar oder dumm ihr Nachbar wäre.

„Ich will meinen alten, ehrlichen Minister zu den Webern senden!“ dachte der Kaiser, „der kann am besten sehen, wie das Zeug sich ausnimmt; denn er hat Verstand, und niemand führt sein Amt besser als er!“

Nun ging der brave, alte Minister in den Saal, wo die Betrüger saßen und an leeren Stühlen arbeiteten. „Hilf Himmel!“ dachte der alte Minister und riß die Augen auf, „ich kann ja nicht das mindeste sehen!“ Aber er sagte niemand etwas davon.

Beide Betrüger baten, er möge die Gewogenheit haben. näherzutreten, und fragten ihn, ob das Muster nicht schön, die Farben nicht prächtig wären. Sie zeigten dabei auf den leeren Webstuhl, und der arme, alte Minister riß noch immer die Augen auf, aber sehen konnte er nichts, denn es war nichts da. „Herr Gott!“ dachte er, „sollte ich dumm sein? Das hätte ich nimmer geglaubt, und das darf keine Seele erfahren. Oder sollte ich nicht zu meinem Amte taugen? Nein, ich darf's nicht sagen, daß ich das Zeug nicht sehen kann!“

„Nun, Sie sagen ja nichts?“ sagte der eine von den Webern. „Oh, es ist wundervoll! Ganz allerliebst!“ sagte der alte Minister und sah durch seine Brille, „dieses Muster, diese Farben! Ja, ich werde dem Kaiser berichten, daß es mir ganz außerordentlich gefällt!“

„Nun, das freut uns!“ sagten beide Weber und nannten die Farben mit Namen und beschrieben das seltsame Muster. Der alte Minister hörte genau zu, um dasselbe sagen zu können, wenn er zum Kaiser käme. Und das tat er auch.

Nun verlangten die Betrüger mehr Geld, mehr Seide und Gold, um es zur Weberei zu gebrauchen. Das steckten sie alles in ihre Taschen, auf den Webstuhl kam nicht ein Faden. aber sie fuhren fort, nach wie vor an den leeren Stühlen zu weben.

Der Kaiser sandte bald noch einen andern ehrlichen Beamten hin, um nachzusehen, wie es mit dem Gewebe stände und ob das Zeug nicht bald fertig wäre. Es ging dem Manne ebenso wie dem anderen, er sah und sah, aber weil nichts außer dem leeren Webstuhl da war, so konnte er auch nichts sehen. „Na, ist das nicht ein prächtiges Stück Zeug?“ fragten die beiden Betrüger und zeigten und erklärten das schöne Muster, das gar nicht da war.

„Dumm bin ich nicht!“ dachte der Mann, „mein gutes Amt muß also für mich nicht ganz paßlich sein! Das wäre lächerlich genug, aber so etwas muß man sich nicht merken lassen!“ Er lobte also das Zeug, welches er nicht sah, und versicherte ihnen seine Freude über die prächtigen Farben und das schöne Muster! „Ja, es ist ganz allerliebst!“ sagte er zum Kaiser.

Alle Leute in der Stadt sprachen von dem prächtigen Zeuge. Nun wollte der Kaiser es selbst besehen, während es noch auf dem Webstuhl war. Mit einer ganzen Schar auserlesener Männer, unter denen sich auch die beiden ehrlichen, alten Beamten befanden, die es schon besehen hatten, ging er zu den beiden listigen Betrügern, die nun aus allen Kräften webten, aber ohne Spule und ohne Faden.

„Nun, ist es nicht prachtvoll?“ sagten die beiden ehrlichen Beamten. „Wollen Euer Majestät nur sehen, welches Muster, welche Farben!“ Und dabei zeigten sie auf den leeren Webstuhl, denn sie glaubten, die andern könnten gewiß das Zeug sehen.

„Was zum Henker!“ dachte der Kaiser, „ich sehe nichts! Das ist ja schrecklich! Bin ich dumm? Tauge ich nicht zum Kaiser? Das wäre das Entsetzlichste, was mir begegnen könnte!“ - „Oh, es ist sehr schön!“ sagte der Kaiser. „und hat meinen allerhöchsten Beifall!“ und er nickte zufrieden und betrachtete den leeren Webstuhl. Daß er nichts sehen könnte, mochte er nicht sagen. Das ganze Gefolge, welches er bei sich hatte, sah und sah. aber sie konnten nicht mehr als alle andern heraussehen. Gleichwohl sagten sie, wie der Kaiser: „Oh, wie ist das schön!“ und rieten ihm, diese neuen, prächtigen Kleider bei der bevorstehenden großen Prozession zum ersten Male anzuziehen. „Es ist prachtvoll! allerliebst, ausgezeichnet!“ so ging's von Mund zu Mund, und alle waren von Herzen mit dem Gewebe zufrieden. Der Kaiser gab jedem der beiden Betrüger ein Ritterkreuz im Knopfloch zu tragen und verlieh ihnen den Rang und Titel von Weberjunkern.

Die ganze Nacht, welche dem Tage der Prozession voranging, saßen die Betrüger bei ihrer Arbeit und hatten sechzehn Lichte angezündet. Man konnte sehen, sie hatten alle Hände voll zu tun, um des Kaisers neue Kleider fertig zu bekommen. Sie taten, als nähmen sie das Zeug vom Webstuhl, schnitten mit großen Scheren in die Luft, nähten mit Nadeln ohne Zwirn und sagten zuletzt: „So, nun sind die Kleider fertig!“

Der Kaiser kam selbst mit seinen vornehmsten Kavalieren dorthin, und beide Betrüger hoben einen Arm in die Höhe, als ob sie etwas hielten, und sagten : „Sich da, das sind die Beinkleider! Das ist der Rock! Hier ist der Mantel!“ und so weiter. „Es ist so leicht, wie Spinngewebe! Man könnte glauben, man hätte gar nichts auf dem Leibe, aber das ist gerade das Schöne daran!“

„.Ja!“ sagten alle Kavaliere, aber schon konnten sie nichts, denn es war nichts da. „Wollen Eure kaiserliche Majestät allergnädigst geruhen, Ihre Kleider abzulegen!“ sagten die Betrüger. „so wollen wir Ihnen die neuen dort vor jenem großen Spiegel anlegen!“ Der Kaiser legte alle seine Kleider ab, und die Betrüger stellten sich, als legten sie ihm jedes Stück von den neuen an, und der Kaiser drehte und wandte sich vor dem Spiegel herum. „Gott, wie kleiden sie ihn schön! Wie trefflich sitzen sie!“ sagten alle zusammen. „Welches Muster! welche Farben. das ist ein kostbarer Anzug!“

„Draußen steht man mit dem Thronhimmel, der bei der Prozession über Eurer Majestät getragen werden soll!“ sagte der Oberzeremonienmeister. „Gut, ich bin bereit!“ sagte der Kaiser. „Sitzt es nicht gut?“ und noch einmal wandte er sich vor dem Spiegel rundherum, denn es sollte scheinen, als betrachtete er recht genau seinen Anzug.

Die Kammerherren, welche die Schleppe tragen sollten, tappten mit den Händen an der Erde herum, als wollten sie die Schleppe aufnehmen, und gingen mit vorgestreckten Armen, als trügen sie etwas. Daß sie aber nichts sehen konnten, durften sie sich nicht merken lassen. So ging der Kaiser in Prozession unter dem schönen Thronhimmel. Und alle Menschen auf den Straßen und in den Fenstern riefen: „Himmel, wie sind des Kaisers neue Kleider wundervoll schön! Welch eine prächtige Schleppe hat er am Mantel! Wie sitzt das Zeug unvergleichlich!“ Niemand wollte sich merken lassen, daß er nichts sähe, denn dann wäre er ja dumm oder untauglich für sein Amt gewesen. So viel Glück hatte noch keines von des Kaisers Kleidern gemacht.

„Aber er hat ja gar nichts an!“ sagte ein kleines Kind. „Herr Gott. hört die Stimme der Unschuld!“ sagte der Vater, und einer flüsterte dem andern zu. was das Kind gesagt hätte.

„Aber er hat ja gar nichts an!“ rief zuletzt das ganze Volk. Das ärgerte den Kaiser, denn es kam ihm vor, als hätten sie recht, aber er dachte: „Die Prozession muß ich nun wohl aushalten!“ Und die Kammerherren gingen und trugen die Schleppe, die gar nicht da war  (Hans Christian Andersen)

 

 

 

 

Kleiner Mann - was tun?

Abends, wenn ich munter bin, soll ich schlafen gehen.

Morgens, wenn ich müde bin. hab' ich aufzustehen.

Und so wie der Tag beginnt, geht er meistens weiter.

Wenn die andern fröhlich sind, bin ich gar nicht heiter.

Daß ich in der Schule schlafe, finden Lehrer schlecht.

Wenn ich aber munter tobe, ist es auch nicht recht.

Hilfsbereit zu sein, verlangt man. Doch im Unterricht

schwachen Schülern vorzusagen. das erlaubt man nicht.

Von den Nachbarn abzuschreiben, hat man mir verboten.

Wenn ich aber Fehler mache, krieg' ich schlechte Noten.

Fröhlich soll ich sein und singen. Wenn ich's aber tue -

und in Mathe fröhlich singe, schreit der Lehrer: Ruhe!

Meine Eltern sagen dauernd: Kind, du ißt zu schlecht!

Es' ich aber Süßigkeiten. ist es auch nicht recht.

Was ich mache, mach' ich falsch. und weiß nicht warum.

Sind die andern - oder bin ich etwa selber dumm?

                                                                                                                      (Peter Ensikat)

 

 

Semjons Leidensweg

[Bewohner einer Erziehungsanstalt soll Geld aus der Stadt holen]

Schere betrieb seine Sache mit Energie. Die Frühjahrsaussaat führte er nach der Sechs-Felder-Fruchtfolge durch und verstand es, diesen Plan zu einem wirklichen Erlebnis für die Zöglinge zu machen. Auf dem Felde, im Pferdestall, im Schweinekoben, in den Schlafräumen oder auch nur auf der Straße, auf der Fähre, in meiner Stube oder im Speisesaal - stets bildete sich um ihn ein landwirtschaftliches Praktikum.

Nicht immer nahmen die Jungen seine Anordnungen ohne Widerspruch entgegen. und Schere lehnte es auch nie ab, eine sachliche Entgegnung anzuhören: freundlich und trocken legte er in knappen Worten seine Argumente dar und schloß dann, jeden Widerspruch ausschließend: „Machen Sie es so, wie ich gesagt habe!“

Nach wie vor verbrachte er den ganzen Tag in angestrengter Arbeit, doch ohne Hast, nach wie vor war es schwer, mit ihm Schritt zu halten. Und doch konnte er zwei, drei Stunden geduldig vor einem Futtertrog stehen oder fünf Stunden hinter der Sämaschine einhergehen, auch alle zehn Minuten im Schweinestall erscheinen und den Schweinewärtern mit höflichen und hartnäckigen Fragen zusetzen. „Wann haben Sie den Ferkeln Kleie gegeben? Haben Sie auch nicht vergessen, es aufzuschreiben? Haben Sie es so aufgeschrieben, wie ich es Ihnen gezeigt habe? Haben Sie alles fürs Bad vorbereitet?“

Bei den Zöglingen bildete sich zu Schere ein Verhältnis zurückhaltender Begeisterung heraus. Für sie war es selbstverständlich, daß „unser Schere“ nur deshalb ein so famoser Kerl war, weil er zu uns gehörte, und daß er sich in jeder anderen Stelle nicht so auszeichnen würde. Diese Begeisterung äußerte sich in einer stillschweigenden Anerkennung seiner Autorität und in endlosen Gesprächen über das, was er gesagt hatte, über seine Manier, seine Unnahbarkeit und Kenntnisse ...

Schere hatte aber auch noch andere Fähigkeiten. Er verstand es, herrenloses Gut aufzuspüren, mit Wechseln umzugehen, überhaupt Kredite aufzunehmen. Daher tauchten in der Kolonie neue Wurzelschneider, Eggen. Sämaschinen, Zuchteber und sogar Kühe auf. Drei Kühe, man stelle sich das vor! Es begann nach Milch zu riechen. Die Kolonie wurde von einer richtigen Passion für die Landwirtschaft ergriffen. Nur die Jungen. die schon etwas in den Werkstätten gelernt hatten, zeigten wenig Interesse für die Feldarbeit. Auf dem Platz hinter der Schmiede hatte Schere Frühbeete angelegt, und in der Tischlerei wurden dazu Rahmen gefertigt. In der zweiten Kolonie wurde die Anlage von Frühbeeten in größtem Ausmaß betrieben.

Anfang Februar. unsere Passion für die Landwirtschaft hatte gerade den Höhepunkt erreicht, besuchte Karabanow die Kolonie. Die Jungen begrüßten ihn begeistert, umarmten und küßten ihn.

( Semjon Karabanow war in der Zeit der Konterrevolution Anfang der zwanziger Jahre als Bandit in die Kolonie eingewiesen worden. Der intelligente und bei den Zöglingen beliebte Junge geriet in den Einfluß von Mitjagin, einem unverbesserlichen Dieb. Beide organisierten Einbrüche und Raubzüge. Als Mitjagin aus der Kolonie verwiesen wird, findet sich bei ihm ein Revolver, der eigentlich Karabanow gehört. Im Zorn verläßt auch er die Kolonie und lebt bei seinem Vater.).

Mit Mühe befreite er sich von ihnen und kam zu mir: „Ich bin nur vorbeigekommen, um zu sehen, wie es Ihnen geht!“ Lächelnde und frohe Gesichter schauten in mein Arbeitszimmer: Zöglinge, Erzieher, Wäscherinnen.

„Oh, sieh da, Semjon! Guten Tag!“Semjon schlenderte bis zum Abend in der Kolonie umher und war auch auf dem Trepkeschen Gut. Traurig und wortkarg kam er abends zu mir. „Erzähle doch, Semjon, wie es dir geht!“ - „Ja, wie soll es mir gehen ... ich bin beim Vater.!“ Und wo ist Mitjagin?“ - „Soll ihn der Teufel holen! Ich habe mich von ihm getrennt. Ich glaube, er ist nach Moskau gefahren!“ - Und wie ist es beim Vater?“ - „Wie es so ist bei den Bauern. Vater ist noch rüstig ... meinen Bruder haben sie umgebracht ...!“. Wie kam das?“ - „Mein Bruder war Partisan, Petjura-Leute haben ihn erschlagen - in der Stadt auf der Straße!“ (Petjura - Führer einer konterrevolutionären Bewegung in der Ukraine).

„Und was willst du nun? Willst du beim Vater bleiben?“ -„Nein, beim Vater möcht ich nicht bleiben ... ich weiß nicht ..!“ Er machte eine unentschlossene Bewegung und rückte näher an mich heran. „Wissen Sie was, Anton Semjonowitsch?“ platzte er plötzlich heraus. „wie wäre es, wenn ich in der Kolonie bliebe - wie?“ Er warf mir schnell einen Blick zu und ließ dann den Kopf bis auf die Knie sinken.

Ich sagte ihm einfach froh: „Ja, warum nicht? Natürlich. Wir werden uns alle freuen!“ Semjon sprang vom Stuhl auf und zitterte vor verhaltener heißer Leidenschaft.

„Ich kann nicht - verstehen Sie - ich kann nicht! In den ersten Tagen ging es noch, aber dann - nun, ich kann einfach nicht! Ich gehe, arbeite. und wenn ich dann beim Mittagessen ... an alles denke, manchmal hätte ich am liebsten geheult ... Ich sag's Ihnen: Ich hänge so an der Kolonie - hab's selbst nicht gewußt; ich dachte, das gibt sich wieder, und dann: Na. gehst mal hin und schaust nach. Aber nun, wie ich herkam und sah, was hier alles los ist ... es ist ja so gut hier bei Ihnen . und Ihr Schere . .!“

„Nun, nimm's dir doch nicht so zu Herzen“, sagte ich. „Du hättest gleich kommen sollen. Warum sich erst so quälen?“ - „Das dachte ich auch, aber wenn ich an all die Gemeinheiten dachte, wie frech wir uns gegen Sie benommen haben, so ...!“ Er winkte mit der Hand ab und schwieg.

„Schon gut“,. sagte ich. „Laß das ruhen.!“ Semjon hob vorsichtig den Kopf. „Nur, vielleicht denken Sie wieder, vielleicht denken Sie, daß ich kokettiere, wie Sie früher manchmal sagten ... es ist wirklich nicht so. Oh. wenn Sie wüßten, was ich alles gelernt habe. Sagen Sie mir offen, vertrauen Sie mir?“ „Ja, ich vertraue dir", sagte ich ernst.

„Nein, sagen Sie die Wahrheit. vertrauen Sie mir wirklich?“ - „Geh zum Teufel“, sagte ich lachend. „Ich hoffe doch; daß die alten Geschichten nicht wieder vorkommen?“ „Sehen Sie. Sie trauen mir doch nicht ganz ..!“

„Es hat keinen Sinn, sich aufzuregen. Semjon. Ich vertraue jedem Menschen, nur dem einen mehr, dem anderen weniger: dem einen für einen Fünfer, dem anderen für einen Zehner!“ - „Und für wieviel vertrauen Sie mir?“ - „Dir, für hundert Rubel!“ - .Und ich ... ich glaube Ihnen überhaupt nichts“, fuhr Semjon hoch. „Nun hör mal einer an!“ - „Na, das macht nichts, ich werde es Ihnen noch beweisen!“ Damit ging er in den Schlafsaal.

Vom ersten Tage an wurde er Scheres rechte Hand. Er hatte eine ausgesprochen landwirtschaftliche Ader, wußte viel, und vieles lag ihm im Blut. „vom Großvater und Urgroßvater“ ererbte Steppenerfahrung. Gleichzeitig nahm er begierig die modernen Methoden der Landwirtschaft auf, die Schönheit und Planmäßigkeit der modernen landwirtschaftlichen Technik.

Semjon ließ keinen Blick von Schere und war bemüht, ihm zu beweisen, daß auch er die Müdigkeit überwinden konnte und fähig war, pausenlos zu arbeiten. Nur Scheres Ruhe konnte er nicht erwerben, er war immer aufgeregt; immer brodelte es in ihm - entweder vor Entrüstung, vor Begeisterung oder vor närrischer Freude.

Nach etwa zwei Wochen rief ich Semjon zu mir und sagte ihm einfach: „Hier ist eine Vollmacht. Du holst vom Finanzamt fünfhundert Rubel!“ Semjon sperrte Mund und Nase auf, wurde bleich und grau, dann sagte er unbeholfen: „Fünfhundert Rubel? Und?“ - „Und weiter nichts“, sagte ich und sah dabei in den Tischkasten. „Das Geld bringst du mir!“ - „Soll ich reiten?“ - „Natürlich. Hier, für jeden Fall einen Revolver!“

Ich gab Semjon denselben Revolver, den ich im Herbst Mitjagin aus dem Hosenbund gezogen hatte, mit denselben drei Patronen. Mechanisch nahm Karabanow den Revolver in die Hand, sah ihn scheu an, schob ihn mit einer schnellen Bewegung in die Tasche und verließ ohne ein Wort zu sagen das Zimmer. Zehn Minuten später hörte ich das Klappern der Hufe auf dem Pflaster: An meinem Fenster flog in vollem Galopp ein Reiter vorbei.

Gegen Abend kam Semjon in mein Zimmer, straff gegürtet, in dem kurzen Schafpelz des Schmieds, schlank, gutaussehend, aber finster. Schweigend legte er ein Päckchen Banknoten und den Revolver auf den Tisch.

Ich nahm das Päckchen und fragte im gleichgültigsten Ton, dessen ich fähig war: „Hast du gezählt?“ - „Ja!“ Nachlässig warf ich das Päckchen in den Tischkasten. „Danke für deine Mühe. Geh jetzt essen!“ Karabanow schob den Gürtel seines Pelzes von links nach rechts, ging im Zimmer einige Male hin und her und sagte schließlich leise: „Gut!“ Und ging hinaus.

 

Es vergingen zwei Wochen. Wenn wir uns begegneten, grüßte Semjon etwas düster, als habe er eine Scheu vor mir. Ebenso düster nahm er meinen neuen Befehl entgegen. „Reit in die Stadt und hol zweitausend Rubel!“ Als er den Browning in die Tasche steckte, sah er mich lange und vorwurfsvoll an. Dann sagte er, jedes Wort unterstreichend: „Zweitausend? Und wenn ich das Geld nicht bringe?“ Ich sprang auf und brüllte ihn an: „Bitte keine idiotischen Reden! Wenn du einen Auftrag erhältst, geh und führ ihn aus! Hier gibt es keine psychopathischen Auftritte!“

Karabanow zuckte die Achseln und flüsterte unbestimmt: „Na. schön ...!“ Als er das Geld brachte, sagte er: „Zählen Sie nach!“ - „Wozu?“ - Zählen Sie nach, ich bitte Sie darum!“ - „Aber du hast es doch gezählt!“ - „Ich sage Ihnen, zählen Sie nach!“ - „Laß mich in Ruhe!“

Er griff sich nach dem Hals. als ob ihn etwas würge, dann riß er an seinem Kragen und schwankte. „Sie wollen mich verhöhnen. Es ist unmöglich, daß Sie mir soviel vertrauen. Das gibt es nicht! Hören Sie, das gibt es nicht! Sie riskieren absichtlich - ich weiß es… absichtlich!“

Ihm ging der Atem aus, und er setzte sich auf den Stuhl. „Für deinen Dienst muß ich teuer zahlen!“ - „Womit zahlen?“ sprang Semjon auf. „Nun, daß ich mir deine Hysterie anhören muß!“ Semjon hielt sich am Fensterbrett und brüllte: „Anton Semjonowitsch!“ - „Was ist dir?“ Ich war doch etwas erschrocken. „Wenn Sie wüßten - wenn Sie nur wüßten! Ich ritt und dachte: ‚Wenn es doch einen Gott gäbe, wenn Gott doch jemand schicken wollte, mich im Wald zu überfallen ... Und wenn es zehn wären oder sonst wieviel' ... Ich weiß nicht, ich hätte geschossen, gebissen und gerissen wie ein Hund, bis sie mich umgebracht hätten. Und wissen Sie, dabei hätte ich fast geheult ... Ich wußte doch, daß Sie hier sitzen und denken: ,Bringt er es. oder bringt er es nicht?' Sie haben doch riskiert, nicht wahr?“

„Du bist ein komischer Kauz, Semjon. Geld bedeutet immer Risiko. Geld ohne Risiko in die Kolonie zu bringen ist unmöglich. Aber ich halte es so: Wenn du das Geld holst, dann ist das Risiko nicht so groß. Du bist jung, kräftig, reitest ausgezeichnet und kannst allen Banditen davonlaufen. Aber mich würden sie leicht kriegen!“

Froh kniff Semjon ein Auge zu. „Oh, sind Sie aber schlau. Anton Semjonowitsdi!“ - „Wozu hätt ich es nötig, schlau zu sein? Jetzt weißt du, wie das Geld geholt wird, und wirst es auch weiter holen. Mit Schlauheit hat das nichts zu tun. Ich fürchte nichts, denn ich weiß, du bist genauso ehrlich wie ich. Ich wußte es auch früher schon, hast du's den nicht gemerkt?“ -„Nein, ich dachte, Sie wüßten es nicht“, sagte Semjon, ging aus dem Zimmer und brüllte, daß es in der ganzen Kolonie zu hören war: „_Adler flogen über steile Höhen ...!“ (leicht gekürzt nach Anton S. Makarenko).

 

 

Fahrerflucht

 „Ich habe nicht auf die neue Breite geachtet", dachte Ellebracht. „Nur deswegen ist es so gekommen!“ Der hemdsärmelige Mann hob die rechte Hand vom Lenkrad ab und wischte sich hastig über die Brust. Als er die Hand zurücklegte, spürte er, daß sie noch immer schweißig war, so schweißig. wie sein Gesicht und sein Körper. Schweißig vor Angst.

„Nur wegen der Breite ist alles gekommen“, dachte der Mann wieder. Er dachte es hastig. Er dachte es so, wie man stammelt. „Die Breite des Wagens, diese neue, unbekannte Breite. Ich hätte das bedenken sollen!“

Jäh drückte der Fuß Ellebrachts auf die Bremse. Der Wagen kreischte und stand. Eine Handbreit vor dem Rotlicht, das vor dem Eisenbahnübergang warnte. „Fehlte gerade noch!“ dachte Ellebracht. „Fehlte gerade noch, daß ich nun wegen einer so geringen Sache wie Überfahren des Stopplichts von der Polizei bemerkt werde. Das wäre entsetzlich. Nach der Sache von vorhin ...!“

Mit hohlem Heulen raste ein D-Zug vorbei. Ein paar zerrissene Lichtreflexe, ein Stuckern, ein verwehter Pfiff. Die Ampel klickte auf Grün um. Ellebracht ließ seinen Wagen nach vorn schießen. Als er aufgeregt den Schalthebel in den dritten Gang hineinstieß, hatte er die Kupplung zu nachlässig betätigt. Im Getriebe knirschte es häßlich.

Bei dem Geräusch bekam Ellebracht einen üblen Geschmack auf der Zunge. „Hört sich an wie vorhin“, dachte er. „Hört sich an wie vorhin, als ich die Breite des Wagens nicht richtig eingeschätzt hatte. Dadurch ist es passiert. Aber das wäre jedem so gegangen. Bis gestern hatte ich den Volkswagen gefahren. Immer nur den Volkswagen, sechs Jahre lang. Und heute morgen zum ersten Mal diesen breiten Straßenkreuzer. Mit dem VW wäre ich an dem Radfahrer glatt vorbeigekommen. Aber so ...“. „Fahr langsamer“, kommandierte Ellebracht sich selbst. „Schließlich passiert ein neues Unglück in den nächsten Minuten. Jetzt, wo du bald bei Karin bist und den Kindern!“

Karin und die Kinder. Ellebrachts Schläfen pochten. Er versuchte sich zu beruhigen: „Du mußtest weg von der Unfallstelle, gerade wegen Karin und der Kinder. Denn was wird, wenn du vor Gericht und ins Gefängnis mußt? Die vier Glas Bier, die du während der Konferenz getrunken hast, hätten bei der Blutprobe für deine Schuld gezeugt, und dann? Der Aufstieg deines Geschäfts wäre abgeknickt worden. Nicht etwa darum, weil man etwas Ehrenrühriges in deinem Unfall gesehen hätte. Wie hatte doch der Geschäftsführer von Walterscheid & Co gesagt, als er die alte Frau auf dem Zebrastreifen verletzt hatte? Kavaliersdelikt! Nein, nicht vor der Schädigung meines Rufes fürchte ich mich.

Aber die vier oder sechs Wochen, die ich vielleicht im Gefängnis sitzen muß, die verderben mir das Konzept! Während der Zeit schickt die Konkurrenz ganze Vertreterkolonnen in meinen Bezirk und würgt mich ab. Und was dann? Wie wird es dann mit diesem Wagen? Und mit dem neuen Haus? Und was sagt Ursula, die wir aufs Pensionat in die Schweiz schicken wollten?"

„Du hast richtig gehandelt!“ sagte Ellebracht jetzt laut, und er verstärkte den Druck auf das Gaspedal. „Du hast so gehandelt, wie man es als Familienvater von dir erwartet!“ „Verdammte Rotlichter!“ dachte Ellebracht weiter und brachte den Wagen zum Stehen. „Ich will nach Hause. Ich kann erst ruhig durchatmen. wenn der Wagen in der Garage steht und ich bei der Familie bin!“

„Und wann ist der Mann mit dem Fahrrad bei seiner Familie? Der Mann, der mit ausgebreiteten Armen wie ein Kreuz am Straßenrand gelegen hat? Der Mann, der nur ein wenig den Kopf herumdrehte - du hast es im Rückspiegel deutlich gesehen -, als du den bereits abgestoppten Wagen wieder anfahren ließest, weil dir die wahnsinnige Angst vor den Folgen dieses Unfalls im Nacken saß? Du, wann ist dieser Mann bei seiner Familie?"

„Jetzt werde bloß nicht sentimental!“ dachte Ellebracht. „Jetzt werd bloß nicht dramatisch! Bist doch ein nüchterner Geschäftsmann!“ Ellebracht sah stur nach vorn und erschrak. Da war ein Kreuz. Ein Kreuz an seinem Wagen. So ein Kreuz, wie es der Mann vorhin gewesen war.

Ellebracht versuchte zu grinsen. „Kriege dich bloß wieder ein“, dachte er. „Du siehst doch, was es ist. Das war mal das Firmenzeichen auf der Kühlerhaube. Es ist von dem Zusammenprall mit dem Fahrrad abgeknickt worden und hat sich zu einem Kreuz verbogen!“

Ellebracht konnte sich nicht helfen. Er mußte immerfort auf dieses Kreuz starren. „Ich steige aus“, dachte er. „Ich steige aus und biege das Ding wieder zurecht!“ Schon tastete seine Hand zum Türgriff, als er zusammenzuckte. Am Kreuz schillerte es, verstärkt durch das Licht der Signalampel.

„Ich muß nach Hause!“ stöhnte Ellebracht und schwitzte noch mehr. „Wann kommt denn endlich Grün?“ Die feuchten Finger zuckten zum Hemdkragen, versuchten den Knopf hinter der Krawatte zu lösen. Aber der Perlmutterknopf entglitt einige Male dem Zugriff. Grün. Der Schwitzende riß einfach den Hemdkragen auf und fuhr an. „Das Kreuz macht mich verrückt“, dachte er. kann das nicht mehr sehen! Und wie der Mann dalag. Ob man ihn jetzt schon gefunden hat? Ob er schon so kalt und starr ist wie das Kreuz vor mir?“

Ellebracht stoppte. Diesmal war kein Rotlicht da. Nichts. Nur das Kreuz. Nur das Kreuz, das einen riesigen Schatten warf in den Wagen hinein. Nur das Kreuz, das vor dem Hintergrund des Scheinwerferlichtes stand. „Ich kann so nicht nach Hause!“ flüsterte der Schwitzende. „Ich kann so nicht zu Karin und den Kindern zurück. Ich kann so zu niemanden zurück!“

Ein anderer Wagen überholte Ellebracht. Eine grelle Hupe schmerzte. „Ich kann das Kreuz nicht zurechtbiegen und dabei in das Blut greifen. Ich bringe das nicht fertig. Ich kann nicht eher zu irgendeinem zurück, bis ich bei dem Mann gewesen bin!“

Ellebracht spürte, wie seine Hände trocken wurden und sich fest um das Lenkrad legten. Ohne Mühe wendete der Mann den schweren Wagen und jagte die Straße zurück. Wieder die Signale, die Bahnübergänge, jetzt die Abbiegung, die Waldstraße.

Ein paar Steine schepperten gegen den Kotflügel. Ellebracht verlangsamte die Fahrt, und seine Augen durchdrangen mit den Scheinwerfern das Dunkel.

Da war der Haufen von verbogenem Blech und Stahl. Und da lag das menschliche Kreuz.

Als Ellebracht schon den Fuß auf der Erde hatte, sprang ihn wieder die Angst an. Aber dann schlug er die Tür hinter sich zu und rief. Jetzt kniete Ellebracht neben dem Verletzten und drehte ihn behutsam in das Scheinwerferlicht des Wagens.

Der blutende Mann schlug die Augen auf und griff zuerst wie abwehrend in das Gesicht Ellebrachts. Dann sagte der Verletzte: „Sie haben - angehalten. Danke !“ - „Ich habe nicht ... Ich - bin, ich bin nur zurückgekommen“, sagte Ellebracht                                    (Joseph Reding)

 

 

Dieteldatsch

[Barmherziger Samariter]

Ich will Dir eine Geschichte erzählen. Und am Ende werde ich fragen: Wer hat richtig gehandelt? Die Marion, der Michael, die Sabine oder der kleine Dieter, genannt Dieteldatsch. Na, ich denke. Dieteldatsch können wir gleich streichen. Er ist nämlich an dieser Geschichte schuld. Und wir müßten ihm sehr böse sein, wenn er nicht so klein wäre. An einem kalten, feuchten Märzsonntag ist er aus dem Dorf gelaufen. Und dann immer so im Straßengraben gepatscht! Schneematsch und Schlamm sind hoch aufgespritzt. Und Dieteldatsch hat gequiekt vor Vergnügen. Und sich bekleckert, na, das kannst Du Dir vorstellen. Schließlich aber wurde es ihm langweilig, das Spritzen und Quietschen. Es war ja keiner da, der es sehen und hören konnte. Und dann schmerzten ihm die Füße, und kalt war es ihm auch.

Da kuschelte sich Dieteldatsch im Straßengraben zusammen. Doch wurde es ihm nicht wärmer, sondern die Feuchtigkeit kroch in seinen Sachen hoch. Und nun hockte und winselte er: „Muttiiii, Muttiiiiii!“

Aber die Mutter hatte noch gar nicht gemerkt, daß Dieter weggelaufen war. Nun aber kam eine Rettung aus dem Nachbardorf. Sie hieß Sabine und wollte in den Kindergottesdienst. Ein bißchen spät war es freilich schon. Und Sabine hatte ihren besten Mantel an, das wollen wir nicht vergessen. Dieteldatsch verstummte, als er das Mädchen kommen sah. Und dadurch gelang es Sabine so zu tun, als sähe sie den kleinen, frierenden Schmutzfinken nicht. Sie guckte tatsächlich nicht richtig hin. Und außerdem hatte sie es ja eilig! Und als Dieteldatsch zu heulen anfing. setzten gerade die Kirchenglocken ein. Nun mußte sich das Mädchen noch mehr beeilen. Ja, was sollen wir zu Sabine sagen? Sie hatte die gute Absicht, in den Kindergottesdienst zu gehen, und dieser Dieteldatsch hätte ja nicht wegzulaufen brauchen! Doch sehen wir erst einmal weiter:

Nun näherte sich (und zwar aus Dieteldatschs Dorf) die Marion mit einem dicken Papierwickel in der Hand. Darin steckten, vor der Kälte geschützt, zarte Alpenveilchen. Marions Großmutter feierte nämlich an diesem Sonntag Geburtstag. Diesmal machte sich Dieteldatsch sofort bemerkbar. Marion blieb stehen, schnappte nach Luft und schimpfte: .,Wie siehst du denn aus. du Ferkel! Was hast du denn überhaupt hier zu suchen? Wart nur, wenn ich heute Abend heimkomme, erzähle ich alles deiner Mutter! Scher dich nach Hause! Ich habe jetzt keine Zeit für dich. Meine Großmutter wartet auf mich. Wenn ich nicht komme, macht sie sich Sorgen!“' Und mit diesen Worten ging Marion weiter. Hat sie recht? Läßt man eine Großmutter warten. weil ein kleines Ferkel im Straßengraben hockt?

Ich weiß nicht recht. Jedenfalls war dem Dieteldatsch so jämmerlich zumute, daß er noch mehr in sich zusammenkroch. Und um ein Haar hätte ihn Michael wirklich nicht gesehen. Dieser hatte gerade den großen Gang eingeschaltet und wollte aufs Dorf zu brausen. stolz über sein neues Fahrrad. Endlich war der Winter gewichen, und man konnte sich sehen lassen! Michael erblickte das jammernde Häufchen und bremste. Und wenn Du denkst, nun habe auch er seine Rede angefangen und den Ausreißer bedroht, so täuschst Du Dich. Und wenn Du meinst, Michael sei mit dem Lausbengel verwandt oder verschwägert gewesen, so bist Du in einem Irrtum befangen. Nichts dergleichen!

Er bremste, stieg ab, packte den Dieteldatsch und hob ihn auf seinen Esel, Unsinn, auf sein Fahrrad natürlich. Wie komme ich nur auf den Esel? Und weil er spürte. daß der Kleine zitterte, zog er seinen Anorak aus und stülpte ihn über den Schmutzfinken. Ja, das tat er und fuhr los und brachte den Dieteldatsch zu seinen Eltern. Das war das Ende

Und nun frage ich Dich: Wer hat richtig gehandelt? So, daß Jesus sagen könnte: Mach es genau so! Ja. das frage ich Dich!                                               (Joachim Schöne).

 

Die toten Augen

[Junge bestiehlt einen blinden Drehorgelspieler, der aber doch sehen kann]

„Als ich so ein Knirps von sechs Jahren war, lebte bei uns im Dorfe noch der Blinde. So nannten sie ihn hier alle. Er besaß keinen anderen Namen. Und wenn er ihn je gehabt hatte, so hatte ihn sein trübes Schicksal längst ausgelöscht. Ich war sogar weitläufig mit ihm verwandt. So sagte es mir eines Tages die Mutter, als sie mich zu ihm schickte. Ich sollte ihm nämlich etwas zur Hand gehen. wenn er am Nachmittag die Drehorgel durch das Dorf, gelegentlich auch in der Nachbarschaft umher schob.

Ja, dies sollte ich also, und ich tat es, ehrlich gesagt, nicht ungern. Denn die Drehorgel übte eine merkwürdige Anziehungskraft auf mich aus. Besonders im Herbst, wenn die Luft ganz still stand und das Laub geisterhaft auf die Erde herabschwebte - ohne jeden Laut. Da war es mir immer so bitter und so süß zugleich ums Herz, daß ich hätte losheulen können, und wußte doch nicht, warum und weshalb.

Als meine Mutter mich zum erstenmal zu dem Blinden schickte, sagte sie: „Adrien“, sagte sie, „du mußt nicht denken, daß alle Blinden gute Menschen wären. Ihr wißt ja, meine Mutter, Gott hab sie selig, stammte von den Inseln, und die Inselleute haben alle ein Guckloch durch den Vorhang, durch das sehen sie etwas mehr als wir anderen. So war das auch bei meiner Mutter!“ Darum sagte sie das von den Blinden.

„Es gibt solche und solche, Adrien,“ sagte sie zu mir. Welche, die haben stechende Augen, daß man sich richtig vor ihnen fürchten könnte. Sie sind voll böser Verzweiflung und am liebsten stächen sie sogar der lieben Sonne die Augen aus; eben weil sie selber blind sind. Mit denen mache dir nicht zu schaffen, Adrien,“ sagte sie.

Und dann sagte sie: „Es gibt aber auch welche, die haben den lauschenden Blick -, wundere dich darüber nicht, Adrien, aber passe gut auf, wenn dir einer von ihnen begegnet. Du erkennst sie schon daran. wie sie immer den Kopf ein wenig zur Seite neigen, so als lauschten sie auf jemanden, der ihnen den grauen Vorhang vor den Augen wegziehen solle. Sie sind ganz demütig von Erwartung. Die mußt du liebhaben, Adrien, und ihnen helfen. Und weil der Blinde einer von diesen ist, darum schicke ich dich zu ihm,“ sagte sie und gab mir einen Kuß. was sie sonst nie tat.

Ja. und dann bin ich also hingegangen und habe ihn überallhin begleitet, wenn er mit seiner Drehorgel herumzog. Ich sehe ihn noch heute deutlich vor mir, wie er die Leier drehte, barhäuptig, den verwitterten Kopf seitlich auf die Schulter gelegt, vor sich den alten kurzkrempigen Hut, in den die Sous hineinklapperten. Auf den ersten Blick merkte man gar nicht, daß er blind war.

Es dauerte nicht lange, so wußte ich alle Melodien auswendig, die auf den Walzen waren, und manchmal sang ich sogar mit, weil ich damals noch eine klare Stimme hatte. Dann hoben die Weiber ihre Schürzen gegen die Augen, und die Sous flossen noch reichlicher als sonst. So war es, genauso, wie ich euch sage.

Aber einmal kam ein böser Tag für mich, ich muß etwa zehn Jahre alt gewesen sein. Wir hatten eine gute Ernte von Sous eingebracht, denn der Fischfang um diese Zeit war nicht schlecht. Bisher hatte ich nie an die Geldmünzen gedacht. Abends gab mir der Blinde immer einige in Papier gewickelt mit, damit ich sie der Mutter zu Hause abgäbe, die sie in meine Sparbüchse steckte.

Aber an jenem Tag, von dem ich gerade spreche, fiel mein Blick zum erstenmal begehrlich auf die blinkende Menge von Sous, die sich vor mir in der Mütze häuften. Wenn du nur einen oder zwei davon hättest, dachte ich und fühlte, wie mir richtig die Hitze in die Backen schlug, dann könntest du dir bei dem Krämer eine kleine Tüte Bonbons kaufen, Zitronenbonbons, die sich so angenehm kühl auf die Zunge legten und den Durst löschten.

Es war auch ein verdammt heißer Tag, an dem die ausgedörrte Erde wie ein Backofen brannte, so daß man die nackten Füße kaum lange auf einem Fleck stehen lassen konnte; es schien, als sengte einem die Haut und das Fleisch von den Knochen! Vielleicht war es eben diese teuflische Hitze, die mich auf den dummen Gedanken brachte, der Blinde würde es ja nicht sehen, wenn ich ihm eine Kleinigkeit aus der Mütze stahl, die wie immer oben auf der Drehorgel lag. Dabei klopfte mir das Herz so bangig laut, daß ich meinte, es würde mich ihm verraten.

Aber nachdem es einmal soweit mit mir gekommen, ging ich ganz raffiniert vor, wirklich wie ein hartgesottener Bösewicht. Denn wenn man erst in der Brandung steckt, dann kommt man nicht so leicht mehr heraus. Die folgende Welle schlägt einen immer wieder zurück. Na ja, so ähnlich erging es mir jetzt auch; ich steckte schon in der nächsten Sekunde bis zum Hals drin.

Und da habe ich den Blinden erst genau beobachtet. Seine Augen flößten mir Angst ein. Weil - weil sie gar nicht so aussahen, als wären sie richtig blind.

Es ist ja keine Kleinigkeit, jemanden direkt unter seinen Augen zu bestehlen. Aber sie blickten so starr vor sich ins Leere, daß ich bald wieder Mut faßte. Ich fühlte, wie ich innerlich triumphierte. Und fast hätte ich laut herausgelacht. So schlau, so überlegen kam ich mir vor dem Blinden vor. Halt, dachte ich, um ihn zu täuschen, werde ich erst recht mitsingen, wenn er jetzt die nächste Walze einstellt. Und dann werde ich den Moment abpassen, wenn gerade eine Wolke die blendende Sonne verdeckt . . .

Ich sang so laut und übermütig, wie ich nur konnte, und als ich mich mit einem blitzschnellen Blick überzeugt hatte, daß gerade niemand aus dem Fenster guckte und daß zur rechten Zeit der Teufel die Wolke vor die Sonne geschoben hatte, - griff ich mit zitternder Hand in die Mütze und stahl zwei Sous aus ihr, ohne auch nur einen Atemzug lang mit dem Singsang aufzuhören. Dann sah ich wieder schnell auf den Blinden.

Er hatte nichts gemerkt. stellte ich mit hämischer Befriedigung fest, obwohl - aber das eigenartige Zucken auf seinem Gesicht kam sicher von der Fliege, die sich immer wieder lästig auf seine stoppligen Backen zu setzen versuchte. Ich steckte die gestohlenen Sous frech in meine Hosentasche. Ihr könnt euch denken, daß ich immer unverschämter wurde, da es mir einmal so gut gelungen war. Selbst die grelle Sonne scheute ich nicht mehr. Aber niemals nahm ich mehr als einen oder zwei Sous aus seiner Mütze .. .

Ja, so ging es dann also die Jahre fort, bis ich aus der Schule kam. Meine Mutter gab mich in die Lehre zu guten Leuten, eine Tagereise von unserem Dorf entfernt. Und eines Nachmittags ging ich noch einmal zu dem Blinden, um ich von ihm zu verabschieden. Er saß gerade in seinem Vorgärtchen, das vor dem kleinen Haus lag und das er so sehr liebte. In jedem Frühjahr machte es meine Mutter für ihn zurecht, und sie pflanzte viele Blumen darin.

Die Hauptsache war, daß sie stark und wohlriechend dufteten, denn der Blinde hatte sein eigenes Jahr, und er unterschied die wechselnden Zeiten nur nach dem verschiedenen Duft der Blumen, die in seinem Garten wuchsen. Er hatte darin eine kleine Bank und einen rohgezimmerten Holztisch, und wenn es irgendwie anging, verbrachte er dort seine Stunden, bis tief in den Herbst hinein. Erst wenn die Winterstürme kamen, kroch er in die Stube und hockte dicht am Herd, und es war dann immer so still um ihn. als läge er schon im Grab.

Aber an jenem Nachmittag saß er schon wieder im Garten, in seinen schäbigen zerflickten Mantel gehüllt, denn es war ein prächtiger Vorfrühlingstag. „Es riecht schon nach Frühling, Adrien“, rief er mir zu, als er meine Schritte hörte. Er konnte wahrhaftig alle Leute im Dorf an ihrem Schritt unterscheiden.

Vor ihm auf dem Tisch lag ein alter vergilbter Brief, den ich gut kannte. Er hatte ihn schon im Herbst bekommen; von seinem Sohn, der nach Amerika gegangen war und nur alle Jubeljahre einmal nach Hause schrieb. Den hütete er wie ein Heiligtum, und ich hatte ihn schon des öftern vorlesen müssen, langsam und mit Betonung, beinahe wie ein Gedicht. Aber wenn auch keiner da war, der ihn lesen konnte; legte er ihn gern vor sich auf den Tisch, und seine schmalen Finger strichen dann tastend darüber hin.

Wie gesagt, auch an jenem Nachmittag lag er wieder vor ihm, und ich weiß nicht, wie es kam -, als ich ihm die Hand reichte, flog das Blatt plötzlich vom Tisch auf ! Gewiß war es ein jäher, kühler Windstoß, wie er an Vorfrühlingstagen noch oft von der See heraufwehte. Der hob das federleichte Blatt empor und ließ es einen Augenblick lang dicht vor dem Gesicht des Blinden hin und her flattern. Ehe ich noch selber zufassen konnte, hatte er schon beide Hände ausgestreckt - ganz ähnlich, wie es unsere Frauen tun, wenn sie auf eine Motte Jagd machen - und hatte das wirbelnde Ding zwischen den Handflächen wieder eingefangen.

Ich war furchtbar erschrocken. „Wie, kannst du denn etwas sehen?“ fragte ich bestürzt und erinnerte mich, wie ein ertappter Verbrecher, sogleich an die gestohlenen Sous. „Wie, kannst du denn sehen -?“ wiederholte ich stockend und konnte es nicht verhindern, daß mir die Stim­me zitterte. Ich hatte auf einmal ein sehr schlechtes Gewissen.

Es dauerte eine ganze Weile, bevor der Blinde antwortete. Während er das Papier auf dem Tisch glättete, hatte er mir wieder den Kopf zugewendet. Er hielt ihn wie stets ein wenig zur Seite geneigt, und ich mußte an die Worte der Mutter denken, denn es sah genauso aus, als lausche er auf etwas. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, und ich trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Am liebsten hätte ich mich davongestohlen, aber das traute ich mich nun nicht mehr.

Ja, erwiderte er schließlich ruhig, in der Nähe sähe er noch immer etwas wie einen Schatten. „Donnerwetter“, entfuhr es mir, „dann - dann hast du doch …!“Ich starrte ihn entgeistert an. er Blinde nickte, ohne seine Haltung zu verändern. „Aber warum hast du dann all die Jahre nicht, gesagt?“ schrie ich, zwischen Furcht und Wut hin- und hergerissen. Ich war regelrecht empört. Heute kommt es mir komisch vor, daß ich zu allem auch noch so empört tat. So - als wäre nicht ich, sondern der Blinde an meiner Untreue schuld. Aber der wirkliche Grund war, daß ich mich so schrecklich vor ihm schämte, so, als stünde ich jetzt nackend vor ihm, obwohl er doch . . . aber nein, in diesem Augenblick war er alles weniger als blind. Ich weiß nicht, ob ihr das begreift …!“ „Warum hast du das getan?“ sagte ich wieder und kämpfte mit den Tränen.

Der Blinde antwortete auch diesmal lange nicht. Immer noch schien es, als lausche er auf irgendetwas. Und das Schlimmste war, ich bemerkte weder Zorn noch Verachtung auf seinem Gesicht. Er war ganz demütig, stellte ich wider Willen fest. Endlich sagte er sehr leise: „Ich bitte dich um Verzeihung, Adrien!“ Mir stockte der Atem; ich glaubte, nicht recht gehört zu haben. „Du bittest mich -? Aber ich - ich war es doch -", und nun heulte ich wie ein Schloßhund los. Hätte er mir doch den Krückstock auf dem Buckel zerhaun!

„Nein, weine nur nicht“, sagte er stattdessen wieder, „ich hätte es besser nicht tun sollen. Weine doch nicht so, Adrien. Ich habe nur immer gedacht, ich könnte dir eine Lehre für dein Leben mitgeben. Deshalb nur habe ich so lange gewartet, denn ich habe diese Stunde kommen sehen!“ - „Was für eine Lehre denn?“ schluchzte ich kleinlaut und spürte doch schon, wie sich die Neugier in mir regte. Nun, wie so ein Junge in diesem Alter eben ist.

Er tastete nach meiner Hand. „Du hast gemeint, weil ich schwieg, darum hätte ich nichts gemerkt. Du hast es am Ende genauso gemacht, wie es die Menschen alle machen. Gott hat tote Augen, sagen sie leichtfertig. Und sie lachen und treiben es immer ärger in der Welt. Gott hat tote Augen, so plärren es bereits die kleinen Kinder auf der Gasse. Aber nein, Gott kann wohl alles sehen und doch schweigen, so wie ich - der Blinde - geschwiegen habe, bis auf diese Stunde. Und Gott hat auch seine Stunde, verlaß dich darauf. Sie kommt, so wahr ich hier sitze und du meine Hand fühlen kannst. Was geschehen ist, das bleibt unter uns. Davon weiß nicht einmal deine Mutter, keiner außer uns beiden. Aber du solltest es dir wohl zur Lehre dienen lassen. Und ich denke - vergib mir Adrien, wenn ich gefehlt habe - aber ich denke doch, dies wird nicht die schlechteste Lehre gewesen sein .. ."           (gekürzt nach Karl Hüllweck).

 

 

Daniel der Gerechte

[Schuldirektor will einem Prüfling helfen, weil er gerecht sein will]

Solange es dunkel war, konnte die Frau, die neben ihm lag, sein Gesicht nicht sehen, und so war alles leichter zu ertragen. Sie redete seit einer Stunde auf ihn ein, und es war nicht anstrengend, immer wieder „ja“ oder „ja, natürlich“ oder „ja, du hast recht“ zu sagen. Es war seine Frau, die neben ihm lag, aber wenn er an sie dachte, dachte er immer: die Frau. Sie war sogar schön, und es gab Leute, die ihn um sie beneideten, und er hätte Grund zur Eifersucht gehabt - aber er war nicht eifersüchtig: Er war froh, daß die Dunkelheit ihm den Anblick ihres Gesichtes verbarg und es ihm erlaubte, sein Gesicht entspannt zu lassen; es gab nichts Anstrengenderes, als den ganzen Tag, solange Licht war, ein Gesicht aufzusetzen, und das Gesicht, das er am Tage zeigte, war ein aufgesetztes Gesicht.

„Wenn Uli nicht durchkommt“, sagte sie, „gibt's eine Katastrophe. Marie würde es nicht ertragen, du weißt ja, was sie alles durchgemacht hat. Nicht wahr?“ - „Ja, natürlich“, sagte er, „ich weiß es!“

„Sie hat trockenes Brot essen müssen, sie hat - es ist eigentlich unverständlich, wie sie es hat ertragen können - sie hat wochenlang in Betten gelegen, die nicht bezogen waren, und als sie Uli bekam, war Erich noch als vermißt gemeldet. Wenn das Kind die Aufnahmeprüfung nicht besteht: ich weiß nicht, was passiert. Hab ich recht?“ „Ja, du hast recht“, sagte er. „Sieh zu, daß du den Jungen siehst, bevor er die Klasse betritt, in der die Prüfung stattfindet - sag ihm ein paar nette Worte. Du wirst tun, was du kannst wie?“- „Ja“, sagte er.

An einem Frühlingstag vor dreißig Jahren war er selbst in die Stadt gekommen, um die Aufnahmeprüfung zu machen: rot war an diesem Abend das Sonnenlicht über die Straße gefallen, in der seine Tante wohnte, und dem Elfjährigen schien es, als kippe jemand Glut über die Dächer hin, und in Hunderten von Fenstern lag dieses Rot wie glühendes Metall.

Später, als sie beim Essen saßen, lag grünliche Dunkelheit in den Fensterhöhlen, für die halbe Stunde, in der die Frauen zögern, Licht anzuknipsen. Auch die Tante zögerte, und als sie am Schalter drehte, schien es, als habe sie das Signal für viele hundert Frauen gegeben: aus allen Fenstern stach plötzlich das gelbe Licht in die grüne Dunkelheit; wie harte Früchte mit langen gelben Stacheln hingen die Lichter in der Nacht. „Wirst du es schaffen?“ fragte die Tante, und der Onkel, der mit der Zeitung in der Hand am Fenster saß, schüttelte den Kopf, als halte er diese Frage für beleidigend.

Dann machte die Tante sein Bett auf der Küchenbank zurecht, eine Steppdecke war die Unterlage, der Onkel gab sein Oberbett, die Tante ein Kopfkissen her. „Bald wirst du ja dein eigenes Bettzeug hierhaben“, sagte die Tante, „und nun schlaf gut. Gute Nacht!“ - „Gute Nacht“, sagte er, und die Tante löschte das Licht und ging ins Schlafzimmer.

Der Onkel blieb und versuchte so zu tun, als suche er etwas; über das Gesicht des Jungen hinweg tasteten seine Hände zur Fensterbank hin, und die Hände, die nach Beize und Schellack rochen, kamen von der Fensterbank zurück und tasteten wieder über sein Gesicht; bleiern lag die Schüchternheit des Onkels in der Luft, und ohne gesagt zu haben, was er sagen wollte, verschwand er im Schlafzimmer.

„Ich werde es schaffen“, dachte der Junge, als er allein war, und er sah die Mutter vor sich, die jetzt zu Hause strickend am Herd saß, hin und wieder die Hände in den Schoßsinken ließ und ein Stoßgebet ausatmete zu einem der Heiligen hin, die sie verehrte: Judas Thaddäus - oder war für ihn, den Bauernjungen, der in die Stadt aufs Gymnasium sollte, Don Bosco zuständig? „Es gibt Dinge, die einfach nicht geschehen dürfen“, sagte die Frau neben ihm, und da sie auf Antwort zu warten schien, sagte er müde „ja“ und stellte verzweifelt fest, daß es dämmerte; der Tag kam und brachte ihm die schwerste aller Pflichten: sein Gesicht aufzusetzen.

„Nein“, dachte er, „es geschehen genug Dinge, die nicht geschehen dürften: Damals, im Dunkeln auf der Küchenbank, vor dreißig Jahren, war er so zuversichtlich gewesen: Er dachte an die Rechenaufgabe, dachte an den Aufsatz, und er war sicher, daß alles gut werden würde. Sicher würde das Aufsatzthema heißen: „Ein merkwürdiges Erlebnis“, und er wußte genau, was er beschreiben würde: den Besuch in der Anstalt, wo Onkel Thomas untergebracht war: grün-weiß gestreifte Stühle im Sprechzimmer, und der Onkel Thomas. der - was man auch immer zu ihm sagte - nur den einen Satz sprach: „Wenn es nur Gerechtigkeit auf dieser Welt gäbe!“

„Ich habe dir einen schönen roten Pullover gestrickt“, sagte seine Mutter, „du mochtest doch rote Sachen immer so gern!“ - „Wenn es nur Gerechtigkeit auf dieser Welt gäbe!“ Sie sprachen übers Wetter, über Kühe und ein wenig über Politik, und immer sagte Thomas nur den einen Satz: „Wenn es nur Gerechtigkeit auf dieser Welt gäbe!“ Und später, als sie durch den grüngetünchten Flur zurückgingen, sah er am Fenster einen schmalen Mann mit hängenden Schultern, der stumm in den Garten hinausblickte.

 

Kurz bevor sie die Pforte passierten, kam ein sehr freundlicher, liebenswürdig lächelnder Mann auf sie zu und sagte: „Madame, bitte vergessen Sie nicht. mich mit Majestät anzureden“, und die Mutter sagte leise zu dem Mann: „Majestät!“ Und als sie an der Straßenbahnstation standen, hatte er noch einmal zu dem grünen Haus, das zwischen den Bäumen verborgen lag, hingeblickt, den Mann mit den hängenden Schultern am Fenster gesehen, und ein Lachen klang durch den Garten hin, als zerschneide jemand Blech mit einer stumpfen Schere.

„Dein Kaffee wird kalt“, sagte die Frau, die seine Frau war, „und iß doch wenigstens eine Kleinigkeit." Er nahm die Kaffeetasse an den Mund und aß eine Kleinigkeit.

„Ich weiß nicht“, sagte die Frau und legte ihre Hand auf seine Schulter, „Ich weiß, daß du wieder über deine Gerechtigkeit nachgrübelst, aber kann es ungerecht sein, einem Kind ein wenig zu helfen? Du magst doch Uli?“- „Ja“, sagte er, und dieses Ja war aufrichtig: Er mochte Uli. Der Junge war zart, freundlich und auf seine Weise intelligent, aber es würde eine Qual für ihn sein, das Gymnasium zu besuchen: mit vielen Nachhilfestunden, angefeuert von einer ehrgeizigen Mutter, unter großen Anstrengungen und mit viel Fürsprache würde er immer nur ein mittelmäßiger Schüler sein. Er würde immer die Last eines Lebens, eines Anspruchs tragen müssen, der ihm nicht gemäß war.

„Du versprichst mir, etwas für Uli zu tun, nicht wahr?“ - „Ja“, sagte er, „ich werde etwas für ihn tun“, und er küßte das schöne Gesicht seiner Frau und verließ das Haus. Er ging langsam, steckte sich eine Zigarette in den Mund, lieb das aufgesetzte Gesicht fallen und genoß die Entspannung, sein eigenes Gesicht auf der Haut zu spüren. Er betrachtete es im Schaufenster eines Pelzladens; zwischen einem grauen Seehundfell und einer gefleckten Tigerhaut sah er sein Gesicht auf dem schwarzen Samt, mit dem die Auslage verkleidet war: das blasse, ein wenig gedunsene Gesicht eines Mannes um die Mitte Vierzig - das Gesicht eines Skeptikers, eines Zynikers vielleicht; weißlich kräuselte sich der Zigarettenqualm um das blasse gedunsene Gesicht herum. Alfred, sein Freund, der vor einem Jahr gestorben war, hatte immer gesagt: .Du bist nie über einige Ressentiments hinweggekommen - und alles, was du tust, ist zu sehr von Emotion bestimmt!“"

Alfred hatte das Beste gemeint, er hatte sogar etwas Richtiges sagen wollen. Aber mit Worten konnte man einen Menschen nie fassen, und für ihn stand fest, daß Ressentiments eines der billigsten, eins der bequemsten Worte war. Damals, vor dreißig Jahren, auf der Bank in der Küche der Tante, hatte er gedacht: Einen solchen Aufsatz wird keiner schreiben; ein so merkwürdiges Erlebnis hat bestimmt keiner gehabt, und bevor er einschlief, dachte er andere Dinge: Auf dieser Bank würde er neun Jahre lang schlafen, auf diesem Tisch seine Schulaufgaben machen, neun Jahre lang, und diese Ewigkeit hindurch würde die Mutter zu Hause am Herd sitzen, stricken und Stoßgebete ausatmen.

Im Zimmer nebenan hörte er Onkel und Tante miteinander sprechen, und aus dem Gemurmel wurde nur ein Wort deutlich, sein Name: „Daniel“. Sie sprachen also über ihn, und obwohl er sie nicht verstand, wußte er, daß sie gut über ihn sprachen. Sie mochten ihn, sie selbst hatten keine Kinder. Und dann befiel ihn plötzlich Angst: In zwei Jahren schon, dachte er beklommen, wird diese Bank zu kurz für mich - wo werde ich dann schlafen? Für einige Minuten beunruhigte ihn diese Vorstellung sehr, dann aber dachte er: Zwei Jahre, wie unendlich viel Zeit ist das; viel Dunkelheit, die sich Tag um Tag erhellen würde, und er fiel ganz plötzlich in das Stückchen Dunkelheit, das vor ihm lag: die Nacht vor der Prüfung, und im Traum verfolgte ihn das Bild, das zwischen Büfett und Fenster an der Wand hing: Männer mit grimmigen Gesichtern standen vor einem Fabriktor, und einer hielt eine ausgefranste rote Fahne in der Hand, und im Traum las das Kind deutlich, was es im Halbdunkel nur langsam hatte entziffern können: Streik.

Er trennte sich von seinem Gesicht, das blaß und eindringlich zwischen dem Seehundfell und der gefleckten Tigerhaut im Schaufenster hing, wie mit Silberstift auf schwarzes Tuch gezeichnet; er trennte sich zögernd, denn er sah das Kind, das er einmal gewesen war, hinter diesem Gesicht.

„Streik“, hatte dreizehn Jahre später der Schulrat zu ihm gesagt, „Streik halten Sie das für ein Aufsatzthema, das man Primanern geben sollte?“ Er hatte das Thema nicht gegeben, und das Bild hing damals, 1934, längst nicht mehr an der Wand in der Küche des Onkels.

Es blieb noch die Möglichkeit, Onkel Thomas in der Anstalt zu besuchen, auf einem der grüngestreiften Stühle zu sitzen, Zigarren zu rauchen und Thomas zuzuhören, der auf eine Litanei zu antworten schien, die nur er allein hörte: lauschend saß Thomas da - aber er lauschte nicht auf das, was die Besucher ihm erzählten -, er lauschte dem Klagegesang eines verborgenen Chores, der in den Kulissen dieser Welt versteckt eine Litanei herunterbetete, auf die es nur eine Antwort gab, Thomas' Antwort: „Wenn es nur Gerechtigkeit auf dieser Welt gäbe!“

Der Mann, der, immer am Fenster stehend, in den Garten blickte, hatte sich eines Tages - so mager war er geworden - durch das Gitter zwängen und in den Garten stürzen können: sein blechernes Lachen war über ihm selbst zusammengestürzt.

Aber die Majestät lebte noch, und Heemke hatte nie versäumt, auf ihn zuzugehen und ihm lächelnd zuzuflüstern: „Majestät!“ -„Diese Typen werden steinalt“, sagte der Wärter zu ihm, „den schmeißt so leicht nichts um!“ Aber sieben Jahre später lebte die Majestät nicht mehr, und auch Thomas war tot: Sie waren ermordet worden, und der Chor, der in den Kulissen der Welt versteckt seine Litanei her­unter­betete, dieser Chor wartete vergebens auf die Antwort, die nur Thomas ihm geben konnte.

Heemke betrat die Straße, in der die Schule lag, und erschrak, als er die vielen Prüflinge sah: mit Müttern, mit Vätern standen sie herum, und sie alle umgab jene unechte aufgeregte Heiterkeit, die vor Prüfungen wie eine Krankheit über die Menschen fällt: verzweifelte Heiterkeit lag wie Schminke auf den Gesichtern der Mütter, verzweifelte Gleichgültigkeit auf denen der Väter.

Ihm aber fiel ein Junge auf, der allein abseits auf der Schwelle eines zerstörten Hauses saß. Heemke blieb stehen und spürte, daß Schrecken in ihm hochstieg wie Feuchtigkeit in einem Schwamm: Vorsicht, dachte er, wenn ich nicht achtgebe, werde ich eines Tages dort sitzen, wo Onkel Thomas saß, und vielleicht werde ich denselben Spruch sagen. Das Kind, das auf der Türschwelle saß, glich ihm selbst, wie er sich dreißig Jahre jünger in Erinnerung hatte, so sehr, daß es ihm schien, als fielen die dreißig Jahre von ihm ab wie Staub, den man von einer Statue herunterpustet. Lärm, Lachen - die Sonne schien auf feuchte Dächer, von denen der Schnee weggeschmolzen war, und nur in den Schatten der Ruinen hatte sich der Schnee gehalten.

Der Onkel hatte ihn damals viel zu früh hierhergebracht. Sie waren mit der Straßenbahn über die Brücke gefahren, hatten kein Wort miteinander gesprochen, und während er auf die schwarzen Strümpfe des Jungen blickte, dachte er: Schüchternheit ist eine Krankheit, die man heilen sollte, wie man Keuchhusten heilt. Die Schüchternheit des Onkels damals, seine eigene dazu, hatte ihm die Luft abgeschnürt. Stumm, mit dem roten Schal um den Hals, die Kaffeeflasche in der rechten Rocktasche, so hatte der Onkel in der leeren Straße neben ihm gestanden, halte plötzlich etwas von „Arbeit gehen“ gemurmelt und war weggegangen, und er hatte sich auf eine Türschwelle gesetzt. Gemüsekarren rollten übers Pflaster, ein Bäckerjunge kam mit dem Brötchenkorb vorbei, und ein Mädchen ging mit einer Milchkanne von Haus zu Haus

und hinterließ auf jeder Schwelle eine kleine bläuliche Milchspur - sehr vornehm waren ihm die Häuser vorgekommen, in denen keiner zu wohnen schien, und jetzt noch konnte er an den Ruinen die gelbe Farbe sehen, die ihm damals so vornehm vorgekommen war. „Guten Morgen, Herr Direktor“, sagte jemand, der an ihm vorbeiging. Er nickte flüchtig, und er wußte, daß der Kollege drinnen sagen würde: „Der Alte spinnt wieder.!“

„Ich habe drei Möglichkeiten“, dachte er, „ich kann in das Kind fallen, das dort auf der Türschwelle sitzt, ich kann der Mann mit dem blassen, gedunsenen Gesicht bleiben, und ich kann Onkel Thomas werden!“ Die am wenigsten verlockende Möglichkeit war die, er selbst zu bleiben, die schwere Last, das auf gesetzte Gesicht zu tragen - nicht sehr verlockend war die, das Kind zu sein: Bücher, die er liebte, die er haßte, am Küchentisch verschlungen, gefressen hatte er sie, und es blieb jede Woche der Kampf ums Papier, um Kladden, die er mit Notizen, mit Berechnungen, mit Aufsatzproben füllte; jede Woche dreißig Pfennig, um die er kämpfen mußte, bis es dem Lehrer einfiel, aus uralten Schulheften, die im Keller der Schule lagen, ihn die leeren Seiten herausreißen zu lassen; aber er riß auch die heraus, die nur einseitig beschrieben waren, und nähte sie sich zu Hause mit schwarzem Zwirn zu dicken Heften zusammen - und jetzt schickte er jedes Jahr Blumen für das Grab des Lehrers ins Dorf.

„Niemand“, dachte er, „hat je erfahren, was es mich gekostet hat, kein Mensch, außer Alfred vielleicht, aber Alfred hatte nur ein sehr dummes Wort dazu gesagt, das Wort: „Ressentiment“. Es ist sinnlos, darüber zu sprechen, es irgendjemand zu erklären - am wenigsten würde die es verstehen, die mit ihrem schönen Gesicht immer neben mir im Bett liegt!“

Noch zögerte er für ein paar Augenblicke, in denen die Vergangenheit über ihm lag: Am verlockendsten war es, den Part von Onkel Thomas zu übernehmen, nur immer die eine, einzige Antwort auf die Litanei herunterzubeten, die der Chor in den Kulissen absang.

Nein, nicht wieder dieses Kind sein, es ist zu schwer: Welcher Junge trägt in der heutigen Zeit noch schwarze Strümpfe? Die mittlere Lösung war es, der Mann mit dem blassen gedunsenen Gesicht zu bleiben, und er hatte immer die mittleren Lösungen vorgezogen. Er ging auf den Jungen zu, und als sein Schatten über das Kind fiel, blickte es auf und sah ihn ängstlich an. „Wie heißt du?“ fragte Heemke. Der Junge stand hastig auf, und aus seinem geröteten Gesicht kam die Antwort: „Wierzek.“ - „Buchstabiere es mir, bitte“, sagte Heemke und zückte sein Notizbuch, und das Kind buchstabierte langsam: „W-i-e-r-z-e-k.“ - „Und wo kommst du her?“ - Aus Wollersheim“, sagte das Kind.

Gott sei Dank, dachte Heemke, ist er nicht aus meinem Heimatdorf und trägt nicht meinen Namen - ist nicht eins der Kinder von meinen vielen Vettern. „Und wo wirst du hier in der Stadt wohnen?“ - „Bei meiner Tante“, sagte Wierzek. „Schön“, sagte Heemke, „es wird schon gut gehen mit der Prüfung. Du hast gute Zeugnisse und eine gute Beurteilung von deinem Lehrer, nicht wahr?“ - „Ja, ich hatte immer gute Zeugnisse!“ - „Mach dir keine Angst“, sagte Heemke, „es wird schon klappen, du wirst…“. Er stockte, weil das, was Alfred „Emotion und Ressentiment“ genannt hätte, ihm die Kehle zuschnürte. „Erkälte dich nicht auf den kalten Steinen“, sagte er leise, wandte sich plötzlich ab und betrat die Schule durch die Hausmeisterwohnung, weil er Uli und Ulis Mutter ausweichen wollte.

Hinter dem Vorhang des Flurfensters verborgen, blickte er noch einmal auf die Kinder und ihre Eltern, die draußen warteten, und wie jedes Jahr an diesem Tag befiel ihn Schwermut: in den Gesichtern dieser Zehnjährigen glaubte er eine niederdrückende Zukunft zu lesen. Sie drängten sich vor dem Schultor wie eine Herde vor dem Stall: zwei oder drei von diesen siebzig Kindern würden mehr als mittelmäßig sein, und alle anderen würden nur den Hintergrund abgeben. Alfreds Zynismus ist tief in mich eingedrungen, dachte er, und blickte hilfesuchend zu dem kleinen Wierzek hin, der sich doch wieder gesetzt hatte und mit gesenktem Kopf zu brüten schien.

Ich habe mir damals eine schlimme Erkältung geholt, dachte Heemke. Dieses Kind wird bestehen, und wenn ich, wenn ich, - wenn ich, was? Ressentiment und Emotion, mein lieber Alfred, das sind nicht die Worte, die ausdrücken, was mich erfüllt.

Er ging ins Lehrerzimmer und begrüßte die Kollegen, die auf ihn gewartet hatten, und er sagte zum Hausmeister, der ihm den Mantel abnahm: „Lassen Sie die Kinder jetzt herein!“ An den Gesichtern der Kollegen konnte er ablesen, wie merkwürdig er sich benommen hatte. „Vielleicht“, dachte er, „habe ich eine halbe Stunde dort draußen auf der Straße gestanden und den kleinen Wierzek betrachtet“, und er blickte ängstlich auf die Uhr; aber es war erst vier Minuten nach acht.

„Meine Herren“, sagte er laut, „bedenken Sie, daß für manche dieser Kinder die Prüfung, der sie unterzogen werden, schwerwiegender und folgenreicher ist, als für einige von Ihnen in fünfzehn Jahren das Doktorexamen sein wird!“ Sie warteten auf mehr, und die, die ihn kannten, warteten auf das Wort, das er bei jeder Gelegenheit so gern sagte, auf das Wort „Gerechtigkeit“. Aber er sagte nichts mehr, wandte sich nur mit leiser Stimme an einen der Kollegen und fragte: „Wie heißt das Aufsatzthema für die Prüflinge?“ - „Ein merkwürdiges Erlebnis!“

Heemke blieb allein im Lehrerzimmer zurück.

Seine Sorge damals, daß die Küchenbank in zwei Jahren für ihn zu kurz sein würde, war überflüssig gewesen, denn er hatte die Aufnahmeprüfung nicht bestanden, obwohl das Aufsatzthema „Ein merkwürdiges Erlebnis“ hieß. Bis zu dem Augenblick, wo sie in die Schule eingelassen wurden, hatte er sich an seiner Zuversicht festgehalten, aber die Zuversicht war, als er die Schule betrat, dahingeschmolzen gewesen.

Als er den Aufsatz niederschreiben wollte, versuchte er vergebens, sich an Onkel Thomas festzuhalten. Thomas war plötzlich sehr nahe, zu nahe, als daß er über ihn einen Aufsatz hätte schreiben können; er schrieb die Überschrift hin „Ein merkwürdiges Erlebnis“, darunter schrieb er: „Wenn es nur Gerechtigkeit auf der Welt gäbe!“ - und er schrieb Gerechtigkeit statt des zweiten e mit ä, weil er sich dumpf daran erinnerte, daß alle Worte einen Stamm haben. und es schien ihm, als sei der Stamm von Gerechtigkeit Rache.

Mehr als zehn Jahre hatte er gebraucht, um, wenn er an Gerechtigkeit dachte, nicht an Rache zu denken.

Das schlimmste von diesen zehn Jahren war das Jahr nach der nichtbestandenen Prüfung gewesen; die, von denen man wegging in ein Leben hinein, das nur scheinbar ein besseres war, konnten ebenso hart sein wie die, die nichts ahnten und nichts wußten und denen ein Telefongespräch des Vaters ersparte, was sie selbst Monate des Schmerzes und der Anstrengung kostete; ein Lächeln der Mutter, ein Händedruck, sonntags nach der Messe gewechselt, und ein schnell hingeworfenes Wort: das war die Gerechtigkeit der Welt - und das andere, das er immer gewollt, aber nie erreicht hatte, war das, nach dem Onkel Thomas so heftig verlangt hatte. Der Wunsch, das zu erreichen, hatte ihm den Spitznamen „Daniel, der Gerechte“ eingebracht. Er erschrak, als die Tür aufging und der Hausmeister Ulis Mutter einließ.

„Marie“, sagte er, „was - warum - !“ -„Daniel“, sagte sie, „ ich..!“ Aber er unterbrach sie und sagte: „Ich habe keine Zeit, nicht eine Sekunde - nein“, sagte er heftig, und er verließ sein Zimmer und stieg zum ersten Stock hinauf: Hier oben hin drang der Lärm der wartenden Mütter nur gedämpft. Er trat an das Fenster, das zum Hof hin lag, steckte eine Zigarette in den Mund, vergaß aber, sie anzuzünden.

Dreißig Jahre habe ich gebraucht, um über alles hinwegzukommen und um eine Vorstellung von dem zu erlangen, was ich will. Ich habe die Rache aus meiner Gerechtigkeit entfernt; ich verdiene mein Geld, ich setze mein hartes Gesicht auf, und die meisten glauben, daß ich damit an meinem Ziel sei: Aber ich bin noch nicht am Ziel; jetzt erst starte ich - aber das harte Gesicht kann ich jetzt absetzen und wegtun, wie man einen Hut wegtut, der ausgedient hat; ich werde ein anderes Gesicht haben, vielleicht mein eigenes ...

Er würde Wierzeck dieses Jahr ersparen; kein Kind wollte er dem ausgesetzt wissen, dem er ausgesetzt gewesen war, kein Kind, am wenigsten aber dieses - dem er begegnet war wie sich selbst.                  (Heinrich Böll)

 

 

Nachts schlafen die Ratten doch

[Junge will auf einem Trümmergrundstück die Ratten vertreiben, damit sie seinen toten Bruder nicht anfressen]

Das hohle Fenster in der vereinsamten Mauer gähnte blaurot voll früher Abendsonne. Staub­gewölke flimmerte zwischen den steilgereckten Schornsteinresten. Die Schuttwüste döste.

Er hatte die Augen zu. Mit einmal wurde es noch dunkler. Er merkte, daß jemand gekommen war und nun vor ihm stand, dunkel, leise. „Jetzt haben sie mich!“ dachte er. Aber als er ein bißchen blinzelte, sah er nur zwei etwas ärmlich behoste Beine. Die standen ziemlich krumm vor ihm, daß er zwischen ihnen hindurchsehen konnte. Er riskierte ein kleines Geblinzel an den Hosenbeinen hoch und erkannte einen älteren Mann. Der hatte ein Messer und einen Korb in der Hand. Und etwas Erde an den Fingerspitzen.

„Du schläfst hier wohl, was?“ fragte der Mann und sah von oben auf das Haargestrüpp herunter. Jürgen blinzelte zwischen den Beinen des Mannes hindurch in die Sonne und sagte: „Nein, ich schlafe nicht. Ich muß hier aufpassen!“ Der Mann nickte: „So, dafür hast du wohl den großen Stock da?“- „Ja“, antwortete Jürgen mutig und hielt den Stock fest. „Worauf paßt du denn auf?“ - „Das kann ich nicht sagen!“ Er hielt die Hände fest um den Stock.

„Wohl auf Geld, was?“ Der Mann setzte den Korb ab und wischte das Messer an seinem Hosenboden hin und her. „Nein, auf Geld überhaupt nicht“, sagte Jürgen verächtlich. „Auf etwas ganz anderes!“ - „Na, was denn?“ -„Ich kann es nicht sagen. Was anderes eben!“ - „Na, denn nicht. Dann sage ich dir natürlich auch nicht, was ich hier im Korb habe!“ Der Mann stieß mit dem Fuß an den Korb und klappte das Messer zu. „Pah, kann mir denken, was in dem Korb ist“, meinte Jürgen geringschätzig, „Kaninchenfutter!“ „Donnerwetter, ja!“ sagte der Mann verwundert, „bist ja ein fixer Kerl. Wie alt bist du denn?“ - „Neun!“

„Oha“, denk mal an, „neun also. Dann weißt du ja auch, wieviel drei mal neun sind, wie?“

Klar, sagte Jürgen und um Zeit zu gewinnen, sagte er noch: „Das ist ja ganz leicht!“ Und er sah durch die Beine des Mannes hindurch. „Dreimal neun, nicht?“ fragte er noch mal, „siebenundzwanzig. Das wußte ich gleich!“ - „Stimmt“, sagte der Mann, „und genau soviel Kaninchen habe ich!“

Jürgen machte einen runden Mund: „Siebenundzwanzig?“ -„Du kannst sie sehen. Viele sind noch ganz jung. Willst du?“ - „Ich kann doch nicht. Ich muß doch aufpassen“, sagte Jürgen unsicher. „Immerzu?“ fragte der Mann, „nachts auch?“ - „Nachts auch. Immerzu. Immer!“ Jürgen sah an den krummen Beinen hoch. „Seit Sonnabend schon“ flüsterte er. „Aber gehst du denn gar nicht nach Hause? Du mußt doch essen!“ Jürgen hob einen Stein hoch. Da lag ein halbes Brot. Und eine Blechschachtel. „Du rauchst?“ fragte der Mann, „hast du denn eine Pfeife?“

Jürgen faßte seinen Stock fest an und sagte zaghaft: „Ich drehe. Pfeife mag ich nicht!“ - „Schade“, der Mann bückte sich zu seinem Korb: „Die Kaninchen hättest du ruhig mal ansehen können. Vor allem die Jungen. Vielleicht hättest du dir eines ausgesucht. Aber du kannst ja hier nicht weg!“ - „Nein“, sagte Jürgen traurig, „nein nein!“

Der Mann nahm den Korb hoch und richtete sich auf. „Na ja, wenn du hierbleiben mußt - schade!“ Und er drehte sich um. „Wenn du mich nicht verrätst“, sagte Jürgen da schnell, „es ist wegen der Ratten!“ Die krummen Beine kamen einen Schritt zurück: „Wegen der Ratten?“ - „Ja, die essen doch von Toten. Von Menschen. Da leben sie doch von!“ - „Wer sagt das?“ - „Unser Lehrer!“ - „Und du paßt nun auf die Ratten auf?“ fragte der Mann. „Auf die doch nicht!“

Und dann sagte er ganz leise: „ein Bruder, der liegt nämlich da unten!“ Da. Jürgen zeigte mit den Stock auf die zusammengesackten Mauern. Unser Haus kriegte eine Bombe. Mit einmal war das Licht weg im Keller. Und er auch. Wir haben noch gerufen. Er war viel kleiner als ich. Erst vier. Er muß hier ja noch sein. Er ist doch viel kleiner als ich!“

Der Mann sah von oben auf das Haargestrüpp. Aber dann sagte er plötzlich: „Ja, hat euer Lehrer euch denn nicht gesagt, daß die Ratten nachts schlafen?“- „Nein“, flüsterte Jürgen und sah mit einmal ganz müde aus, das hat er nicht gesagt. „Na, sagte der Mann, das ist aber ein Lehrer, wenn er das nicht mal weiß. Nachts schlafen die Ratten doch. Nachts kannst du ruhig nach Hause gehen. Nachts schlafen sie immer. Wenn es dunkel wird, schon!“

Jürgen machte mit seinem Stock kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Betten sind das, dachte er, alles kleine Betten. Da sagte der Mann (und seine krummen Beine waren ganz unruhig dabei): „Weißt du was? Jetzt füttere ich schnell meine Kaninchen, und wenn es dunkel wird, hole ich dich ab. Vielleicht kann ich eins mitbringen. Ein kleines oder, was meinst du?“

Jürgen machte kleine Kuhlen in den Schutt. Lauter kleine Kaninchen. Weiße. graue, weißgraue. „Ich weiß nicht“, sagte er leise und sah auf die krummen Beine, „wenn sie wirklich nachts schlafen!“

Der Mann stieg über die Mauerreste weg auf die Straße. „Natürlich“, sagte er von da, „euer Lehrer soll einpacken, wenn er das nicht mal weiß!“ Da stand Jürgen auf und fragte: „Wenn ich eins kriegen kann? Ein weißes vielleicht?“ - „Ich will mal versuchen“, rief der Mann schon im Weggehen, „aber du mußt hier solange warten. Ich gehe dann mit dir nach Hause, weißt du? Ich muß deinem Vater doch sagen, wie so ein Kaninchenstall gebaut wird. Denn das müßt ihr ja wissen!“

„Ja“, rief Jürgen, „ich warte. Ich muß ja noch aufpassen, bis es dunkel wird. Ich warte bestimmt!“ Und er rief: „Wir haben auch noch Bretter zu Hause. Kistenbretter“, rief er. Aber das hörte der Mann schon nicht mehr. Er lief mit seinen krummen Beinen auf die Sonne zu. Die war schon rot vom Abend und Jürgen konnte sehen, wie sie durch die Beine hindurch­schien, so krumm waren sie. Und der Korb schwenkte aufgeregt hin und her. Kaninchenfutter war da drin. Grünes Kaninchenfutter, das war etwas grau vom Schutt  (Wolfgang Borchert)

 

Die Nachbarn

[Streit, bis einer das Kind des Nachbarn rettet]

Sieler war schon in dem Dorf aufgewachsen. Bartel, sein Nachbar, hatte sich erst später hier angesiedelt. Sie lebten friedlich nebeneinander. Sieler war ein tüchtiger Imker. Er hatte am Ende seines Gartens ein Bienenhaus mit sechzehn Völkern stehen. Von dem Erlös des Honigs kaufte er Kleidung und Schuhe für sich und die Familie. In einem Jahr war die Tracht so gut, daß er eine kleine Reise zu Verwandten davon bestreiten konnte.

Bartel sah, was für Vorteile mit der Imkerei verbunden waren. Er bekam Lust, auch damit anzufangen. So bat er den Nachbarn um Rat. Sieler half ihm bei der Aufstellung des Bienenhauses, zeigte ihm, wie man die Kästen einrichten müsse, wie man die Schwärme einfängt und die Winterfütterung vornimmt. Bald hatte Bartel auch einen ansehnlichen Bienenstand. Anfangs lieh er sich die Honigschleuder vom Nachbarn. Später kaufte er sich eine eigene.

Als Sieler im Winter krank wurde, fütterte Bartel für ihn die Bienen mit. Wenn er in die Stadt fuhr und Besorgungen machte, kaufte er für den Nachbarn ein, was der brauchte. So half einer dem anderen, und die Frauen taten desgleichen.

Es war an einem Maiabend. Bartel hatte seinen Garten umgegraben, geharkt, die Wege ausgetreten, danach mit seiner Frau Bohnen gelegt und alles angegossen. Jetzt holte er den Klotz und das Beil aus dem Stall und fing an, Holz für den Winter zu spalten. Er wollte den Rest des Tageslichtes noch ausnützen.

Klingend sprangen die Holzstücke auseinander, manche fielen neben dem Klotz nieder und bildeten allmählich einen Haufen, andere flogen in die Luft und fielen ein ganzes Stück entfernt zu Boden.

„Geht weg!“ rief Bartel den Kindern zu, die auf dem Hof Verstecken spielten. Es war schon fast dunkel geworden. Jetzt lag ein großes Aststück auf dem Klotz. Er griff die Axt mit beiden Händen und hieb mit aller Wucht darauf. Ein Scheit flog krachend gegen die Stallwand, ein zweites traf Willi Sieler, den Siebenjährigen, an den Kopf. Heulend lief er zu seinem Vater. Die Stirn blutete. Sieler trat aus dem Haus. Er fragte Bartel, ob er sich nicht besser vorsehen könne. „Ich habe ihnen gesagt“, schalt Bartel, „daß sie weggehen sollen. Sie hören ja nicht!“ - „Du bist unvernünftig“, sagte Sieler, „Kinder sind Kinder. Es hätte das Auge treffen können!“

Bartel knurrte etwas vor sich hin, das Sieler nicht verstand.

Die Mutter wusch dem Jungen die Stirn, tat Zellstoff auf die Wunde und befestigte ihn mit einem Klebestreifen. „Er soll sein Holz hinter dem Stall hauen“, sagte Sieler, „nicht, wo die Kinder spielen. Ich habe es ihm schon oft genug gesagt!“ Am nächsten Tag kam Willi mit verbundenem Kopf aus der Schule. Der Lehrer hatte ihm einen richtigen Verband gemacht. „Sonst kommt Schmutz hinein“, hatte er gesagt.

Es war jetzt Mittagszeit. Die Bartelkinder spielten auf der Strafte mit einem Handwagen. Willi warf seine Schulmappe an den Zaun. „Setzt euch hinein!“ rief er. Er lief, den Wagen mit den Kindern hinter sich, um das Haus herum, über den Hof und wieder auf die Strafte. Immer schneller ging die Fahrt. Die Kinder jauchzten. Das Wägelchen rasselte und holperte. Als er um die Ecke von Bartels Stall kam, schlug das Gefährt um. Ein lautes Geschrei erhob sich.

Das kleinere der Kinder schien den Arm verstaucht zu haben. Es konnte ihn nicht bewegen. Bartel mußte es am Nachmittag in die Stadt bringen. Der Arzt sagte, der Arm sei gebrochen. Das Kind mußte im Krankenhaus bleiben.

Einige Tage später nahm Frau Sieler von dem selbstgebackenen Kuchen, tat Äpfel in eine Tüte und fuhr in die Stadt, das Kind besuchen. Als sie das Zimmer betrat, traf sie Bartel an.

Was sie hier wolle, fragte er, sie solle ihrer Wege gehen. Sie wollte etwas sagen, aber er wies ihr die Tür. Schließlich, als sie noch zögerte, faßte er sie am Arm und schob sie hinaus.

„Du hast recht“, sagte sie daheim zu ihrem Mann, „man kann mit ihm nicht in Frieden leben. Er hat mich hinausgeworfen!“ „Habe ich dir das nicht gleich gesagt“, antwortete er ärgerlich, „du hättest dich nicht so zu demütigen brauchen!“

Um die Heuernte kam die Mutter von Frau Sieler zu Besuch, Sie half in Haus und Garten. Sie erzählten ihr von dem Streit mit dem Nachbarn. „Ihr habt es falsch gemacht“, sagte sie. „Ihr hättet gleich hinübergehen und um Entschuldigung bitten sollen!“ „Hat er sich denn entschuldigt, als unserm Jungen das Holz an den Kopf flog?“ fragte Sieler. „Was er tut, ist seine Sache“, antwortete sie, „tut ihr, was das Eure ist!“ - „Aber sie weisen uns ab“, warf die junge Frau ein. „Man soll nicht gleich die Flinte ins Korn werfen!“

Frau Sieler dachte über die Worte der Mutter nach. Im Herzen gab sie ihr recht. Sie nahm sich vor, danach zu handeln. Aber sie hatte keine Macht über ihren Mann. Der nannte die Worte Weibergeschwätz. Die Kinder vertrugen sich schneller als die Erwachsenen. Sie spielten im Hof miteinander wie ehedem. Die Eltern hatten es ihnen verboten, aber sie konnten es auf die Dauer nicht hindern. Man wohnte zu nah beieinander.

Eines Tages hatten die Kinder in Bartels Stall einen „Laden“ aufgebaut. Willi Sieler war der Bäckermeister. Er hatte viele Kuchen aus Sand vor sich auf einem Brett stehen. Die andern Kinder kamen und kauften, bezahlten mit Kieselsteinen und gingen wieder.

Es war um die Stunde des Feierabends. Bartel kam von der Arbeit heim und ging an seinem Stall vorüber. Er sah den Nachbarsjungen. Am liebsten hätte er ihn gleich hinausgeprügelt. Aber er wollte sich nicht die Polizei auf den Hals holen. Er ging ins Haus, warf den Rock ab, schaute in die Küche und rief die Kinder zum Abendessen. Als sie nicht sofort kamen, tat er einen Pfiff aus dem Fenster. Sie wußten, was das bedeutete, liefen herbei, wuschen die Hände und setzten sich zu Tisch. Er komme, sagte Bartel, er wolle nur den Stall zuschließen. „Es hat dazu auch nach dem Essen Zeit“, sagte die Frau. Aber er achtete nicht darauf. Willi Sieler hörte die Schritte, bekam Angst und versteckte sich im Stall hinter einer Stellage. Bartel schloß den Stall zu und ging ins Haus zurück.

Der Junge schaute sich in dem dämmerigen Raum um. Er stieg die Leiter hinauf. Er prüfte das Fenster. Es ließ sich nicht öffnen. Allmählich wurde es dunkel. Er fing an, sich zu ängstigen. Der Stall lag nach dem Wald hinaus. Nach einer Weile hörte er seinen Namen rufen. Es war die Mutter, die ihn suchte. Er antwortete, aber der enge Raum erstickte seine Stimme. „Wenn er heimkommt, soll er sehen, was geschieht!“ schalt der Vater. „Du weißt nicht, wo er ist, und schiltst“, sagte die Frau, „wenn ihm nur nichts passiert ist!“

Eine Stunde verging eine zweite. Willi kam nicht. „Lieber Gott", sagte die Frau, „wo bleibt er nur." Sie lief durch das Dorf, zu Bekannten, bei denen der Junge aus und ein ging, und fragte nach ihm. Niemand wußte etwas.

Jetzt saß sie am Tisch und stützte den Kopf in die Hände. Sieler sprach kein Wort mehr.

Es war schon Mitternacht, als der Wächter vorüberging. Man kannte den Schritt. Er blieb stehen. Von irgendwoher hörte er eine Stimme, ein Gepolter, wie wenn jemand Holz gegen Holz schlägt. Er ging dem Ton nach. „Wer ist da?“ rief er vom Zaun her. Eine Knabenstimme antwortete. Der Wächter ging um das Gehöft herum und klopfte bei Bartel gegen die Fensterläden. Er solle den Stall aufschließen., sagte er. Bartel fuhr in die Hosen, kam heraus und schien auf. Wie der Bengel da hineingekommen sei, sagte er, wisse er nicht. Als der Wächter den Jungen heimbrachte, geriet Sieler in Wut. In der Nacht kam er nicht zur Ruhe. Wilde Gedanken jagten durch seinen Kopf. Spät schlief er ein.

Bartel hatte unten am See Fischreusen liegen. Er fuhr jeden Abend mit dem Rad dorthin. Das eine Bein war steif. Bergauf mußte er schieben. Bergab ging es wie der Wind. Es war ein gutes Stück bis zum See. Die Tage wurden schon kürzer. Wenn er heimkam, war es dunkel. Dann sah er den schmalen Radfahrweg zwischen den Bäumen nur wie einen blassen Streifen.

So war es auch heut. Die Räder spielten fast lautlos unter seinen Füßen, als er die Senke hinabfuhr. Plötzlich sah er etwas Dunkles vor sich auf dem Weg. Ein Sturz - er lag neben einem Baum. Der Schädel dröhnte ihm. Vergeblich versuchte er aufzustehen. Das Bein schmerzte. Er tastete vorsichtig über den Boden. Ein großer Stein nahm fast die Breite des Pfades ein. Bartel hätte schwören können, daß der Stein am Nachmittag noch nicht dort gelegen hatte. In einem Handwagen brachte man ihn heim.

Am Tag danach machte er der Polizei eine schriftliche Anzeige. Sieler wurde verhört. Er leugnete. Man konnte ihm nichts nachweisen. Am Nachmittag hatte ein Bauer Steine vom Feld gefahren. Konnte der Stein nicht vom Wagen gefallen sein?

Es wurde Herbst. Siel er arbeitete jetzt viel im Wald. Er bekam Holz dafür, mehr als er gebrauchen konnte. So beschloß er, davon zu verkaufen. Es gab mancherlei Anschaffungen. Das Dach mußte neu gedeckt werden. Man konnte das Geld gebrauchen. Das Holz lag geschichtet oben am Waldrand. Sieler fuhr hinauf und lud auf, soviel auf den Wagen ging. Es hatte an den Vortagen viel geregnet. Die Wege waren aufgeweicht. Der Wagen geriet in eine ausgewaschene Rinne, fiel zur Seite. Ein Rad brach. Man mußte das Holz wieder abladen.

Sieler warf die Kloben vom Wagen, als wollte er an jedem einzelnen seinen Zorn auslassen. Ihm wurde heiß bei der Arbeit. Über das Feld wehte ein kalter Wind. Die Nacht darauf hatte er Schmerzen. Am Morgen konnte er sich kaum bewegen. Dennoch machte er sich auf, das Holz hereinzuholen. Als er an den Platz kam, fand er statt der Kloben nur einen glimmenden Aschenhaufen. Wochenlang lag er krank. In seinen Fieberphantasien stieß er wilde Drohungen aus. Allmählich wurde er stiller.

Eines Morgens sagte er zu seiner Frau, er habe einen Traum gehabt. Er sei auf einer Wiese gegangen und habe ein totes Kind auf den Armen getragen. Es sei ein weiter Weg gewesen. Die Kräfte hätten ihm fast versagt. Am Eingang des Dorfes sei ihm ein Mann begegnet. Der habe auf das Kind gezeigt und dann ein Kreuz geschlagen. Er wisse nicht, was der Traum zu bedeuten habe. „Vielleicht wird Gott die Deutung geben“, sagte sie.

Von da an sprach Sieler nicht mehr von dem Streit mit dem Nachbarn. Der Winter ging schon zur Neige, als er das Bett verlassen konnte. Langsam ging er im Zimmer umher. Er machte den ersten Gang auf das Feld. Eines Tages ging er bis an den See hinunter.

Das Schilfrohr stand im abendlichen Schimmer. Es war ihm, als sähe er das alles zum ersten­mal: das Spiel der Insekten über dem Wasser, das Springen der Fische, die Spiegelung des Waldes. Er sah das Gebüsch und den Bootssteg dahinter. Und jetzt sah er, daß er nicht allein war. Ein Knabe saß am Steg und angelte. Eben zog er einen Fisch heraus. Dann wieder einen. Es war ein großer Fisch. Er zappelte gewaltig an der Leine. Der Knabe wollte ihn fassen,

dabei schlug er gegen das Gefäß mit dem Köder. Es rollte über den Rand des Stegs. Er wollte es halten, bekam das Übergewicht und stürzte ins Wasser. Der Kopf tauchte auf und verschwand wieder. Sieler war aufgesprungen. Die Knie zitterten ihm. Er lief zum See hinunter. Einen Augenblick stand er unschlüssig. Dann sprang er hinein. Er brachte den Bewußtlosen ans Land.

Wie er, den Jungen auf dem Arm, langsam den Weg zum Dorf ging, keuchend vor Anstrengung, kam ihm die Erinnerung an das nächtliche Gesicht. Er sah die kleine Gestalt, das nasse Haar - rostbraun wie das des Bartel. Er brachte das Kind zum Dorf hinauf, trug es beim Nachbarn durch die Tür und legte es auf das Bett. Eben schlug es die Augen auf. „Es fehlte nicht viel“, sagte Sieler. Er hielt sich am Türpfosten. Ihm wurde schwarz vor Augen. Langsam ging er zu seinem Hof hinüber.

Am nächsten Morgen hörte man, Sieler liege auf den Tod. Das erstemal seit langem ging Bartel zum Nachbarn. Leise klopfte er an die Tür. Nun stand er im Zimmer. Der Kranke starrte vor sich hin. Fieberröte stand in seinem Gesicht. Der Atem ging schwer. Jetzt sah er den Nachbarn stehn. Der trat an das Bett. „Ich danke dir“, sagte er.

Sieler schob den Kopf zu ihm herum: „Wie geht es dem Jungen?“ -„Es geht ihm gut!“

Der Kranke hustete ein paarmal. Er legte den Kopf zurück. Die Finger fuhren unruhig über die Bettdecke. „Bartel“, sagte er mit geschlossenen Augen, „ich bitte dich - verzeih mir - !“- „Ich habe wohl Ursache, dich darum zu bitten“, erwiderte der andere. Sieler streckte die heiße Hand dem Nachbarn entgegen. Der faßte sie und hielt sie fest.

Wochenlang schwebte der Kranke zwischen Tod und Leben. Bartel sah unterdes auf seinem Hof nach dem Rechten. Er fütterte die Bienen, kümmerte sich um das Vieh. Seine Frau nahm die Kinder der Nachbarin zu sich ins Haus. Eines Tages brachte er einen Zettel. „Wir haben ihn von der Försterei bekommen. Wir brauchen ihn nicht!“ Er legte den Holzschein auf das Bett des Kranken.

Als der Frühling kam, machte Bartel sich an die Arbeit und grub den Garten des Nachbarn um. „Er hat meinen Jungen gerettet“, sagte er. „Hätte er es nicht getan, er könnte längst wieder seine Arbeit tun. Ich muß ihm helfen!“ Und dann erschien Sieler das erstemal wieder im Garten. Zwischen den Gärten der Nachbarn hatte das Unkraut mannshoch gestanden. Niemand hatte sich darum gekümmert. Es hatte geblüht und Samen getragen und den Samen über das Land gestreut. Jetzt war die Wand verschwunden.

Drüben stand Bartel und grub das letzte Drittel seines Gartens. Nebel stiegen aus den aufgeworfenen Schollen. Er kam an den Zaun. „Bald werde ich es, will's Gott, selbst wieder anpacken können“, meinte Sieler. „Nur nicht zu früh!“

Sieler stand noch eine Weile und sah ihm zu. Bartel las die Peden aus, die Wurzeln und die Zasern, und warf sie auf den Weg. „Wenn man's ausreutet, solang es klein ist“, meinte Sieler, „hernach hat man die halbe Arbeit!“ - „Ja“, sagte Bartel. Drüben senkte sich der rote Sonnenball zum Horizont. Die ersten Tannenspitzen ragten eben in die Glut hinein. Es sah aus, als werde es am nächsten Tag gutes Wetter werden                         (Werner Preuß).

 

Die Waage der Baleks

[Großgrundbesitzer hat jahrelang die Pächter betrogen mit Hilfe einer falschen Waage]

In der Heimat meines Großvaters lebten die meisten Menschen von der Arbeit in den Flachsbrechen. Seit fünf Generationen atmeten sie den Staub ein, der den zerbrochenen Stengeln entsteigt, ließen sich langsam dahinmorden, geduldige und fröhliche Geschlechter, die Ziegenkäse aßen, Kartoffeln. manchmal ein Kaninchen schlachteten; abends spannen und strickten sie in ihren Stuben, sangen, tranken Pfefferminztee und waren glücklich. Tagsüber brachen sie den Flachs in altertümlichen Maschinen, schutzlos dem Staub preisgegeben und der Hitze, die den Trockenöfen entströmte.

Kamen die Kinder aus der Schule, mußten sie in die Wälder gehen und - je nach der Jahreszeit - Pilze sammeln und Kräuter: Waldmeister und Thymian, Kümmel und Pfefferminz, auch Fingerhut, und im Sommer, wenn sie das Heu von ihren mageren Wiesen geerntet hatten, sammelten sie die Heublumen. Einen Pfennig gab es fürs Kilo Heublumen, die in der Stadt in den Apotheken für zwanzig Pfennig das Kilo an nervöse Damen verkauft wurden. Kostbar waren die Pilze: sie brachten zwanzig Pfennig das Kilo und wurden in der Stadt in den Geschäften für eine Mark zwanzig gehandelt.

Die Wälder gehörten den Baleks, auch die Flachsbrechen, und die Baleks hatten im Heimatdorf meines Großvaters ein Schloß, und die Frau des Familienvorstandes jeweils hatte neben der Milchküche ein kleines Stübchen, in dem Pilze, Kräuter. Heublumen gewogen und bezahlt wurden.

Dort stand auf dem Tisch die große Waage der Baleks, ein altertümliches, verschnörkeltes, mit Goldbronze bemaltes Ding, vor dem die Großeltern meines Großvaters schon gestanden hatten, die Körbchen mit Pilzen. die Papiersäcke mit Heublumen in ihren schmutzigen Kinderhänden. gespannt zusehend, wieviel Gewichte Frau Balek auf die Waage werfen mußte, bis der pendelnde Zeiger genau auf dem schwarzen Strich stand, dieser dünnen Linie der Gerechtigkeit, die jedes Jahr neu gezogen werden mußte. Dann nahm Frau Balek das große Buch mit dem braunen Lederrücken, trug das Gewicht ein und zahlte das Geld aus.

Eines der Gesetze, die die Baleks dem Dorf gegeben hatten, hieß: Keiner darf eine Waage im Hause haben. Das Gesetz war schon so alt, daß keiner mehr darüber nachdachte, wann und warum es entstanden war, und es mußte geachtet werden, denn wer es brach, wurde aus den Flachsbrechen entlassen. Mein Großvater war der erste, der kühn genug war, die Gerechtigkeit der Baleks zu prüfen, die im Schloß wohnten, zwei Kutschen fuhren, die immer einem Jungen des Dorfes das Studium der Theologie im Prager Seminar bezahlten, bei denen der Pfarrer jeden Mittwoch zum Tarock war, denen der Bezirkshauptmann - das kaiserliche Wappen auf der Kutsche - zu Neujahr seinen Besuch abstattete, und denen der Kaiser zu Neujahr des Jahres 1900 den Adel verlieh.

Mein Großvater war fleißig und klug: Er kroch weiter in die Wälder hinein, als vor ihm die Kinder seiner Sippe gekrochen waren, er drang bis in das Dickicht vor, in dem der Sage nach Bilgan, der Riese, hausen sollte, der dort den Hort der Balderer bewacht. Aber mein Großvater hatte keine Furcht vor Bilgan: Er drang weit in das Dickicht vor, schon als Knabe, brachte große Beute an Pilzen mit, fand sogar Trüffeln. die Frau Balek mit dreißig Pfennig das Pfund berechnete.

Mein Großvater trug alles, was er den Baleks brachte. auf die Rückseite eines Kalenderblattes ein: jedes Pfund Pilze, jedes Gramm Thymian, und mit seiner Kinderschrift schrieb er rechts daneben, was er dafür bekommen hatte; jeden Pfennig kritzelte er hin, von seinem siebten bis zu seinem zwölften Jahr, und als er zwölf war, kam das Jahr 1900, und die Baleks schenkten jeder Familie im Dorf, weil der Kaiser sie geadelt hatte, ein Viertelpfund echten Kaffee, von dem, der aus Brasilien kommt; es gab auch Freibier und Tabak für die Männer, und im Schloß fand ein großes Fest statt: viele Kutschen standen in der Pappelallee, die vom Tor zum Schloß führt.

Aber am Tage vor dem Fest schon wurde der Kaffee ausgegeben in der kleinen Stube, in der seit fast hundert Jahren die Waage der Baleks stand, die jetzt Balek von Bilgan hießen, weil der Sage nach Bilgan, der Riese, dort ein großes Schloß gehabt haben soll, wo die Gebäude der Baleks stehen.

Mein Großvater hat mir oft erzählt, wie er nach der Schule dort hinging, um den Kaffee für vier Familien abzuholen: für die Cechs, die Weidlers, die Vohlas und für seine eigene, die Brüchers. Es war der Nachmittag vor Silvester: Die Stuben mußten geschmückt, es mußte gebacken werden, und man wollte nicht vier Jungen entbehren, jeden einzeln den Weg ins Schloß machen zu lassen, um ein Viertelpfund Kaffee zu holen.

Und so saß mein Großvater auf der kleinen, schmalen Holzbank im Stübchen, ließ sich von Gertrud, der Magd, die fertigen Achtelkilopakete Kaffee vorzählen, vier Stück, und blickte auf die Waage, auf deren linker Schale der Halbkilostein liegengeblieben war; Frau Balek von Bilgan war mit den Vorbereitungen fürs Fest beschäftigt. Und als Gertrud nun in das Glas mit den sauren Bonbons greifen wollte, um meinem Großvater eines zu geben, stellte sie fest, daß es leer war: es wurde jährlich einmal neu gefüllt, faßte ein Kilo von denen zu einer Mark.

Gertrud lachte, sagte: „Warte, ich hole die neuen“, und mein Großvater blieb mit den vier Achtelkilopaketen, die in der Fabrik verpackt und verklebt waren, vor der Waage stehen, auf der jemand den Halbkilostein liegengelassen hatte.

Und mein Großvater nahm die vier Kaffeepaketehen. legte sie auf die leere Waagschale. und sein Herz klopfte heftig, als er sah, wie der schwarze Zeiger der-Gerechtigkeit links neben dem Strich hängenblieb, die Schale mit dem Halbkilostein unten blieb und das halbe Kilo Kaffee ziemlich hoch in der Luft schwebte; sein Herz klopfte heftiger, als wenn er im Walde hinter einem Strauch gelegen, auf Bilgan, den Riesen, gewartet hätte, und er suchte aus seiner Tasche Kieselsteine, wie er sie immer bei sich trug, um mit der Schleuder nach den Spatzen zu schießen, die an den Kohlpflanzen seiner Mutter herumpickten - drei, vier, fünf Kieselsteine mußte er neben die vier Kaffeepakete legen, bis die Schale mit dem Halbkilostein sich hob und der Zeiger endlich scharf über dem schwarzen Strich lag.

Mein Großvater nahm den Kaffee von der Waage, wickelte die fünf Kieselsteine in sein Sacktuch, und als Gertrud mit der großen Kilotüte voll saurer Bonbons kam, die wieder für ein Jahr reichen mußten, um die Röte der Freude in die Gesichter der Kinder zu treiben, als Gertrud die Bonbons rasselnd ins Glas schüttete, stand der kleine blasse Bursche da. und nichts schien sich verändert zu haben. Mein Großvater nahm nur drei von den Paketen, und Gertrud blickte erstaunt und erschreckt auf den blassen Jungen, der den sauren Bonbon auf die Erde warf, ihm zertrat und sagte: „Ich will Frau Balek sprechen!“ - .,Balek von Bilgan, bitte“, sagte Gertrud. „Gut, Frau Balek von Bilgan“, aber Gertrud lachte ihn aus, und er ging im Dunkeln ins Dorf zurück, brachte den Cechs, den Weidlers, den Vohlas ihren Kaffee und gab vor, er müsse noch zum Pfarrer.

Aber er ging mit seinen fünf Kieselsteinen im Sacktuch in die dunkle Nacht. Er mußte weit gehen, bis er jemand fand, der eine Waage hatte, eine haben durfte. In den Dörfern Blaugau und Bernau hatte niemand eine, das wußte er. und er schritt durch sie hindurch, bis er nach zweistündigem Marsch in das kleine Städtchen Dielheim kam, wo der Apotheker Honig wohnte. Aus Honigs Haus kam der Geruch frischgebackener Pfannekuchen und Honigs Atem, als er dem verfrorenen Jungen öffnete, roch schon nach Punsch, und er hatte die nasse Zigarre zwischen seinen schmalen Lippen, hielt die kalten Hände des Jungen einen Augenblick fest und sagte: „Na, ist es schlimmer geworden mit der Lunge deines Vaters?“

„Nein, ich komme nicht um Medizin, ich wollte ...!“ Mein Großvater nestelte sein Sacktuch auf, nahm die fünf Kieselsteine heraus, hielt sie Honig hin und sagte: „Ich wollte das gewogen haben!“ Er blickte ängstlich in Honigs Gesicht, .aber als Honig nichts sagte, nicht zornig wurde, auch nicht fragte, sagte mein Großvater: „Es ist das, was an der Gerechtigkeit fehlt!“ und mein Großvater spürte jetzt, als er in die warme Stube kam, wie naß seine Füße waren. Der Schnee war durch die schlechten Schuhe gedrungen, und im Wald hatten die Zweige den Schnee über ihn geschüttelt, der jetzt schmolz, und er war müde und hungrig und fing plötzlich an zu weinen, weil ihm die vielen Pilze einfielen, die Kräuter, die Blumen, die auf der Waage gewogen worden waren, an der das Gewicht von fünf Kieselsteinen an der Gerechtigkeit fehlte.

Und als Honig den Kopf schüttelnd, die fünf Kieselsteine in der Hand, seine Frau rief, fielen meinem Großvater die Geschlechter seiner Eltern, seiner Großeltern ein, die alle ihre Pilze, ihre Blumen auf der Waage hatten wiegen lassen müssen, und es kam über ihn wie eine große Woge von Ungerechtigkeit, und er fing noch heftiger an zu weinen, setzte sich, ohne dazu aufgefordert zu sein: auf einen der Stühle in Honigs Stube, übersah den Pfannkuchen, die heiße Tasse Kaffee, die die gute und dicke Frau Honig ihm vorsetzte, und hörte erst auf zu weinen, als Honig selbst aus dem Laden vorne zurückkam und, die Kieselsteine in der Hand schüttelnd, leise zu seiner Frau sagte: „Fünfeinhalb Deka, genau!“

Mein Großvater ging die zwei Stunden durch den Wald zurück, ließ sich prügeln zu Hause, schwieg, als er nach dem Kaffee gefragt wurde, sagte kein Wort, rechnete den ganzen Abend an seinem Zettel herum, auf dem er alles notiert hatte, was er der jetzigen Frau Balek geliefert hatte, und als es Mitternacht schlug, vom Schloß die Böller zu hören waren, im ganzen Dorf das Geschrei, das Klappern der Rasseln erklang, als die Familie sich geküßt, sich umarmt hatte, sagte er in das folgende Schweigen des neuen Jahres hinein: „Baleks schulden mir achtzehn Mark und zweiunddreißig Pfennig!“ Und wieder dachte er an die vielen Kinder, die es im Dorf gab, dachte an seinen Bruder Fritz, der viele Pilze gesammelt hatte, an seine Schwester Ludmilla, dachte an die vielen hundert Kinder, die alle für die Baleks Pilze gesammelt hatten, Kräuter und Blumen, und er weinte diesmal nicht, sondern erzählte seinen Eltern. seinen Geschwistern von seiner Entdeckung.

Als die Baleks von Bilgan am Neujahrstage zum Hochamt in die Kirche kamen, das neue Wappen - einen Riesen, der unter einer Fichte kauert - schon in Blau und Gold auf ihrem Wagen, blickten sie in die harten und blassen Gesichter der Leute, die alle auf sie starrten. Sie hatten im Dorf Girlanden erwartet, am Morgen ein Ständchen, Hochrufe und Heilrufe, aber das Dorf war wie ausgestorben gewesen, als sie hindurchfuhren, und in der Kirche wandten sich die Gesichter der blassen Leute ihnen zu, stumm und feindlich, und als der Pfarrer auf die Kanzel stieg, um die Festpredigt zu halten, spürte er die Kälte der sonst so stillen und friedlichen Gesichter, und er stoppelte mühsam seine Predigt herunter und ging schweißtriefend zum Altar zurück.

Und als die Baleks von Bilgan nach der Messe die Kirche wieder verließen, gingen sie durch ein Spalier stummer, blasser Gesichter. Die junge Frau Balek von Bilgan aber blieb vorne bei den Kinderbänken stehen, suchte das Gesicht meines Großvaters, des kleinen blassen Franz Brücher, und fragte ihn in der Kirche: „Warum hast du den Kaffee für deine Mutter nicht mitgenommen?“ Und mein Großvater stand auf und sagte: „Weil Sie mir noch soviel Geld schulden wie fünf Kilo Kaffee kosten!“

Und er zog die fünf Kieselsteine aus seiner Tasche, hielt sie der jungen Frau hin und sagte: „So viel, fünfeinhalb Deka, fehlen auf ein halbes Kilo an Ihrer Gerechtigkeit“. Und noch ehe die Frau etwas sagen konnte, stimmten die Männer und Frauen in der Kirche das Lied an: „Gerechtigkeit der Erden, o Herr, hat Dich getötet .. !“

Während die Baleks in der Kirche waren, war Wilhelm Vohla, der Wilderer, in das kleine Stübchen eingedrungen, hatte die Waage gestohlen und das große, dicke, in Leder eingebundene Buch, in dem jedes Kilo Pilze, jedes Kilo Heublumen, alles eingetragen war, was von den Baleks im Dorf gekauft worden war, und den ganzen Nachmittag des Neujahrstages saßen die Männer des Dorfes in der Stube meiner Urgroßeltern und rechneten, rechneten elf Zehntel von allem, was gekauft worden.

Aber als sie schon viele tausend Taler errechnet hatten und noch immer nicht zu Ende waren, kamen die Gendarmen des Bezirkshauptmanns, drangen schießend und stechend in die Stube meines Urgroßvaters ein und holten mit Gewalt die Waage und das Buch heraus. Die Schwester meines Großvaters wurde getötet dabei, die kleine Ludmilla, ein paar Männer verletzt, und einer der Gendarmen wurde von Wilhelm Vohla, dem Wilderer, erstochen.

Es gab Aufruhr nicht nur in unserem Dorf, auch in Blaugau und Bernau, und fast eine Woche lang ruhte die Arbeit in den Flachsfabriken. Aber es kamen sehr viele Gendarmen, und die Männer und Frauen wurden mit Gefängnis bedroht, und die Baleks zwangen den Pfarrer, öffentlich in der Schule die Waage vorzuführen und zu beweisen, daß der Zeiger der Gerechtigkeit richtig auspendelte. Und die Männer und Frauen gingen wieder in die Flachsbrechen - aber niemand ging in die Schule, um den Pfarrer anzusehen: Er stand ganz allein da, hilflos und traurig mit seinen Gewichtssteinen, der Waage und den Kaffeetüten.

Und die Kinder sammelten wieder Pilze, sammelten wieder Thymian, Blumen und Fingerhut, aber jeden Sonntag wurde in der Kirche, sobald die Baleks sie betraten, das Lied angestimmt: „Gerechtigkeit der Erden, o Herr, hat Dich getötet“, bis der Bezirkshauptmann in allen Dörfern austrommeln ließ, das Singen dieses Liedes sei verboten.

Die Eltern meines Großvaters mußten das Dorf verlassen, das frische Grab ihrer kleinen Tochter, sie wurden Korbflechter, blieben an keinem Ort lange, weil sie es schmerzte, zuzusehen, wie in allen Orten das Pendel der Gerechtigkeit falsch ausschlug. Sie zogen hinter dem Wagen, der langsam über die Landstraße kroch, ihre magere Ziege mit, und wer an dem Wagen vorbeikam, konnte manchmal hören, wie drinnen gesungen wurde: „Gerechtigkeit der Erden, o Herr, hat Dich getötet“. Und wer ihnen zuhören wollte, konnte die Geschichte hören von den Baleks von Bilgan, an deren Gerechtigkeit ein Zehntel fehlte. Aber es hörte ihnen fast niemand zu                                                                                                                                                                                              (aus: Heinrich Böll „So ward Abend und Morgen“)

 

Tom, der Zettelschneider

[Behinderter Junge wirft Zettel mit Bibelsprüchen aus dem Fenster]

Was macht der kleine Tom da oben im Dachzimmer? In seinem buntbezogenen Bett sitzt er, hält seine Schere in den verkrüppelten Händen und schneidet kleine Zettel aus altem Papier.

Wie arm sieht es um ihn her aus! Ach, er wohnt ja in dem Elendsviertel Londons. So dunkel und unordentlich sieht es überall in den erbärmlichen Häusern dort aus. Eben kommt eine ältere Frau aus der Stube, geht auf die braune Kommode zu, kramt darin und geht wieder heraus. Keinen Blick, kein Wort hat sie für das verkrüppelte Kind. Es ist seine Tante Granny. Sie hieße besser „Tante Garstig“, denn sie war immer mürrisch und garstig zu dem kleinen Tom.

Das Kind war schon als Krüppel auf die Welt gekommen und hatte früh Vater und Mutter verloren. Es wurde von der wunderlichen Tante aufgenommen, die tagtäglich ihr gutes Werk bereute.

So saß Tom krank, einsam und unbeachtet im Dachstübchen in seinem Bett. Nur selten gab sich jemand mit ihm ab. Oft dachte er an seine Mutter zurück, die ihn liebgehabt hatte, ganz besonders auch, weil er so hilflos war. Sie hatte ihm auch das Lesen und Schreiben beigebracht und ihm allerlei von der Welt draußen erzählt. Nur von einem wußte sie ihm nichts zu sagen: von Jesus.

Aber hin und wieder fand er etwas von ihm in einem Beiblatt der damaligen Londoner Zeitung. Sogar Worte aus der Bibel waren angeführt. Was mag wohl sonst noch alles in diesem Buch stehen? dachte Tom. Wenn ich doch eine Bibel hätte!

„Tante Granny“, sagte er eines Tages, „ich möchte so gern einmal eine Bibel haben und

Darin mehr von Jesus lesen!“ „Waas? Eine Bibel?“ Die sonst so mürrische Tante lachte laut auf. „Ha, ha! Sonst hast du keinen Wunsch, als ausgerechnet eine Bibel?“ Tom schnitten die Worte ins Herz, und er wagte nicht mehr, seiner Tante mit dieser Bitte zu kommen. Ein Tag nach dem anderen verging.

Da, an einem Aprilmorgen knarren die Treppenstufen unter eiligen Schritten. Tom horcht auf. „Hallo, hallo, Tom!“ ruft eine Jungenstimme von draußen. Die Tür wird aufgerissen. Jack, sein einziger Freund, stürmt herein und setzt sich gleich auf Toms Bett. Nachdem er sich ein wenig verschnauft hat, beginnt er feierlich: „Heute besuche ich dich zum letzten Mal, Tom. Ich verlasse London und fahre nach Südengland. Dort fange ich als Hotelboy an. - Sei nicht traurig, Tom! Ich habe dir auch etwas mitgebracht!“ Damit griff Jack in die Hosentasche und holte ein kleines Etwas heraus, das in braunes Papier eingehüllt war.

Tom wickelte es aus, und ein blanker Schilling rollte auf sein Bett. „Kauf dir dafür etwas, was du gerne magst, Tom,“ sagte Jack. „Oder soll ich dir etwas besorgen? Hast du einen Wunsch?“ - „Ja, kauf mir dafür eine Bibel, Jack!“ - „Eine Bibel?? Bist du denn nicht mehr ganz gescheit? Wie kommst du nur, darauf? Denkst du etwa, ich hätte meine Moneten für solch ein altmodisches dummes Buch zusammengehratzt?“

Tom sah seinen Freund mit ernsten bittenden Augen an. „Jack, du gehst weg von hier, ich habe dann niemand mehr, der mich besucht. Sieh, ich bin immer ganz allein. Ich möchte doch gerne wissen, wer dieser Jesus ist. Hast du mich nicht nach meinem Wunsch gefragt?“

„Eigentlich sollte ich ihn dir nicht erfüllen, denn ich will nicht schuld daran sein, wenn du überschnappst. Aber weil es für mich dein letzter Wunsch ist, will ich nicht so sein!“ Jack verabschiedete sich und ging. Es dauerte nicht lange, da erschien er wieder in der Dachkammer. „Hier hast du deinen Wälzer! Der Buchhändler hatte gerade noch so ein verstaubtes Exemplar in seinem Regal!“

Kaum hatte Jack die Tür wieder hinter sich geschlossen, da begann Tom zu lesen. Alles verstand er freilich nicht. Aber er fand Jesus darin. Das war ihm das Schönste, und das ergriff ihn. Tom forschte mit großem Eifer, daß er bald Bescheid wußte in seinem teuren Bibelbuch. Ja, er wußte nicht nur viel, sondern er glaubte auch an das, was die Heilige Schrift sagte. Alles, was er las, redete zu ihm, und Tom wurde von Herzen froh.

„Wie mach ich's nur, daß ich anderen Menschen weitersage, was ich in diesem Buch gefunden habe?“ fragte sich Tom. Er hatte verstanden: Das erwartet der Herr Jesus von mir. Aber er kam doch aus seinem Dachstübchen nicht heraus und sah keinen anderen Menschen als nur Tante Granny! „Lieber Herr Jesus“, betete er, „zeig du mir doch, wie ich es anfangen soll!“ Und der Herr zeigte es ihm.

Tom suchte in der ganzen Stube nach Papier. Und bald fand er hier und da ein Stückchen

So saß er denn in seinem Bett, schnitt Zettel und schrieb Bibelworte darauf. Dann faltete

er kleine Briefchen und schrieb als Anschrift: „An Vorübergehende“. Zum Glück hatte die eine Fensterscheibe ein kleines Loch. Da hindurch schob er seine geheimnisvolle Post. Lustig

flatterten Toms Botschaften hinunter auf die belebte Straße. Eins nach dem anderen schaukelte im Wind vor den Fußgängern her. Wie viele hatte Tom schon abgeschickt! Eine Antwort konnte er ja nicht erwarten, das wußte er. Dennoch wollte er beinahe den Mut verlieren. „Das liest ja doch keiner“, dachte Tom eines Tages verzagt. Jeden Morgen kommt der Straßenfeger und kehrt sie weg. Aber er hörte nicht auf, seine Zettel durch die Fensterscheibe zu schieben. Sogar Opfer brachte Tom für seine Mission. Er verzichtete auf seine spärliche Milch und erbat sich Papier von seiner Tante.

Eines Tages hörte er derbe Schritte auf der Treppe. Kommt da wohl ein Straßenkehrer, um sich über die Zettel zu beschweren? Energisch klopfte es an die Brettertür. „Herein“, stößt Tom ängstlich hervor, und in der Tür steht ein riesiger Mann. „Bist du der kleine Tom, der immer die Zettel aus dem Fenster wirft?“ Was sollte Tom sagen? Er mußte bekennen. Aber die erwartete Strafrede kam nicht. „Ich will mich bei dir bedanken, mein Junge!“ sagte der Fremde mit freundlicher Miene. „Durch dich habe ich den Weg zu Gott gefunden!“

Tom war starr vor Staunen.

Aber der Gast rückte einen Holzschemel an das Bett des Jungen und begann zu erzählen:

„Vor einiger Zeit ging ich an diesem Haus vorbei. Ich war verärgert. Es wollte etwas nicht klappen in meiner Viehwirtschaft. Wie ich so verdrießlich vor mich hinsah, merkte ich, daß etwas auf meinen Hut fiel. Ich dachte, es wäre ein Vogel gewesen. Ich nahm den Hut ab,

und da lag ein Zettel darauf. „An Vorübergehende“ hieß die Adresse. Ich faltete das Papier auseinander und las das Bibelwort: „Ich muß wirken die Werke des, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann!“ Mißmutig wie ich war, steckte ich den Zettel. in die Tasche.

Doch als ich dann im Zug saß, mußte ich immer wieder an dieses Bibelwort denken und es nochmal und nochmal lesen. Da begann es in mir zu reden und zu wirken. Schließlich konnte ich nicht mehr anders: Ich schenkte dem Herrn Jesus Christus mein Herz. Und jetzt bin ich gekommen und bitte dich, daß du mit mir betest!“

Der große Mann kniete vor dem Bett des Kindes nieder, und Tom betete laut. Der Fremde betete danach auch noch und dankte Gott mit großer Freude. Ehe er ging, sagte er: „Tom, du hast mir zum Besten verholfen! Nun will ich dir auch helfen. Möchtest du nicht in ein schönes Kinderheim? Dort hast du Freunde, gutes Essen und bessere Pflege!“

Tom überlegte. Das war freilich verlockend. Aber dann wußte er gleich, was er antworten sollte: „Ich danke Ihnen! Das wäre ja sehr schön, aber ich möchte lieber hierbleiben. Dort kann ich nicht mehr Zettel aus dem Fenster werfen. Und dann hat der Onkel Doktor auch gesagt, ich werde den Winter wohl nicht mehr überleben. Bald werde ich beim Herrn Jesus sein!“

„Jack, ich werde wenigstens dafür sorgen, daß dich täglich eine Pflegerin besucht und dir deine Milch bringt. Oder hast du sonst noch einen Wunsch?“ . - „Ja, wenn diese Pflegerin mir genügend Papier besorgen könnte?“ Beglückt fuhr der Mann nach Hause. Er war Gutsbesitzer und ließ eine Scheune zu einem großen Saal umbauen. Darin wurde nun Gottes Wort verkündigt.

Als der Winter kam, fielen keine Zettel mehr aus dem Fenster. Tom war daheim beim Herrn Jesus. Einen großen Schatz hatte er hinterlassen, das war seine Bibel, deren Ränder er mit vielen eigenen Gedanken beschrieben hatte. Der Sohn des Gutsbesitzers erbte sie und wurde dadurch zum Heiland geführt. Heute arbeitet er als Missionar in Afrika und verkündigt den Afrikanern den Herrn Jesus. So hat Toms Dienst reiche Frucht gebracht. Haben wir es nicht viel einfacher, wenn wir etwas für Jesus tun wollen, als solch ein armes, verkrüppeltes Kind?                                                                                                  (Verfasser unbekannt)

 

 

In Windeln gewickelt

Behalten wird sie das Kind auf keinen Fall! - Mit diesem Entschluß hat sie an einem Maitage das Sprechzimmer der Ärztin verlassen. Unter dem gleichen Vorsatz auch ist sie vor Wochen in das Diakonissen-Krankenhaus gegangen, um sich zur Entbindung anzumelden. Jemand hat ihr verraten, die Kirche nähme Neugeborene, die ihren Müttern unerwünscht sind, an und sorge für Pflege und spätere Unterbringung. Das fromme Drum und Dran in solchem Hause müsse man freilich in Kauf nehmen. Seit einigen Stunden nun liegt sie in eben diesem Hause. Der vorwurfsvolle Blick der Diakonissen, den sie schon bei der Aufnahme erwartet hat, ist ihr bis jetzt nicht begegnet. Gähnend reckt sie sich unter der warmen Decke. Dann schaut sie durch das hohe Fenster den jagenden Wolken nach. Also hat man ihr sogar einen hübschen Fensterplatz gegönnt. Wie gütig!

Die beiden anderen Betten sind mit richtigen Ehefrauen belegt. Sie haben ihre Kinder schon und schlafen nun den Schlaf der Gerechten. Besonders der drüben an der Tür guckt die Wohlanständigkeit noch im Schlaf aus dem Gesicht. Und wie sehe ich dagegen aus? Sie fingert aus dem Beutel ihr Spiegelchen. Nicht übel! Nur die Fransen über der Stirn sind aus ihrer gepflegten Unordnung geraten. Bedächtig zupft sie daran und lächelt sich zufrieden zu. Keine Angst! Bei diesem Gesicht wird sich auch ein Mann zum Heiraten finden, sobald sie nur will. Schade zwar, daß sie den Meisterkurs verpaßt, der im Oktober begonnen hat. Aber auch damit eilt es nicht.

Nein, sie braucht sich nicht zu bedauern. Es wird alles weitergehen, wie es war, als wäre nichts gewesen. Die Kirche nimmt das Kind. Dies ist nun abgemacht. Gott sei Dank!

Leid tat ihr nur Karli. Er war drauf     und dran, sich scheiden zu lassen. Aber da hat sie ihm gehörig Bescheid gesagt. Eine Ehe will sie nicht kaputtmachen, wenigstens keine, an der Kinder hängen. Armer, dummer Karli! Ganz durcheinander hat sie ihn gebracht. Er tut ihr wirklich leid. Und leid tut ihr auch Tante Mami, nein, nicht „auch“, sondern viel mehr, ganz anders. Man darf gar nicht daran denken.

Wie sieht eigentlich das Wetter aus? Herrlich, so im Bett zu liegen und in die Wolken zu gucken! Der Mond kommt schon hervor, voll und rund - mein Gott, wirklich! - rund wie Tante Mamis Gesicht: mit dem Mittelscheitel über der Stirn und den Nudelhaaren hinter den Ohren; fehlt nur unter dem Kinn der blaue Wollschal. Hallo! Wo steckt denn das Taschentuch? Vielleicht hat sie es in den Morgenrock gesteckt. Übrigens kann man ja aufstehen und ein bißchen auf dem Gang herumbummeln.

Wütend zieht sie die Vorhänge zu. Dieser dämliche Mond! Nein, dämlich ist sie selber. Schließ­lich sieht er nur wie Tante Mami aus. Und von der soll mal einer sagen, sie hätte ein dämliches Gesicht! So ein gutes Gesicht gibt es überhaupt nicht wieder.

Der Gang wird gerade gebohnert. Vor dem Säuglingssaal will sie umkehren. Aber da tut sich die Tür auf, und zwei Schwesternschülerinnen schieben einen Rolltisch heraus, der mit einem Berg Windeln bepackt ist. Schnell wendet sie sich ab. Was ist denn nur los mit ihr? Windeln! Natürlich! Soll man ihr zuliebe die Säuglinge hier ohne Windeln liegenlassen?

Sie stützt sich auf das Fensterbrett. Da wartet wieder der Mond hinter den Zweigen und schaut sie an Tante Mami nickt ihr zu, „siehst du, Kindchen, das ist einmal für dich“, sagt sie und zieht aus der Dachbodennische etwas Verhülltes hervor, das auf vier hölzernen Rädern fährt. Und dann nehmen ihre Würstelfinger behutsam die Staubhülle ab, und ein Körbchen mit Windeln steht offen da, wie aus dem Schlaf gestört. „Siehst du, Kindchen“, flüstert Tante Mami, „das habe ich alles aufgehoben für dich. Zehn Jahre wartete ich und kriegte doch kein Kind. Da nahmen wir dich an. Dann starb Onkel Papi. Und seitdem habe ich nur dich. Siehst du, und wenn du einmal groß bist und hast einen guten Mann, und er schenkt dir ein Kind, dann bekommst du den Korb und die Windeln und die Jäckchen und die Gummiunterlage und alles. Denn für dich habe ich es nicht mehr gebraucht. Du warst schon sauber, als wir dich holten. Freust du dich?“
Nein, gefreut hat sie sich nicht. Das Herz hat ihr laut gepocht. Und Tante Mami sind die Tränen in den blauen Schal gelaufen. Sie hat der Tante einen Kuß gegeben, der salzig schmeckte, und ja gesagt. - Mein Gott, damals war sie fünfzehn Jahre. Sechs Jahre also ist es her. Im selben Jahr - es war das erste ihrer Lehrzeit im Damensalon- , da hat sie noch einmal vor dem Windelkerb gestanden, allein, mit den Fotos unter dem Hemd, die der Gehilfe ihr gab und die niemand sehen durfte. Sie hat sie in dem Windelkorb verstecken wollen. Aber ihre Hände haben ihr gezittert, als sie die Windeln aufdeckte, und ihr war, als wenn sie jemand tot mache, Tante Mami oder ein Kind, ein kleines. Da hat sie das Körbchen zugedeckt und die Bilder wieder mitgenommen und später verbrannt.

„Wollen sie nicht in ihr Zimmer gehen? Es ist zu kühl hier draußen!“Eine Schwester hat es ihr im Vorbeigehen zugerufen. Als sie ihr Zimmer betritt, wird der einen Mutter ihr Kind angelegt. Sie streift ihren Morgenrock ab und legt sich ins Bett.

Wenn nur erst alles vorüber wäre! Sicher kommen diese dummen Gedanken bloß von ihrem Zustand. Es läßt sich ja alles natürlich erklären. Nur nicht von Gefühlen unterkriegen. lassen! Fest bleiben! Behalten wird sie das Kind auf keinen Fall! Und wenn es das reine Wonnebaby wird - auf keinen Fall! Sie wird sich ihr Leben nicht verpfuschen lassen - auf keinen Fall. Sie ist jung und will etwas vom Leben heben - auf keinen Fall!

Und mag das Kind sie angucken wie Tante Mami - mit Augen und einem Mondgesicht wie Tante Mami - auf keinen Fall! Später hört sie ein Singen vor der Tür, aber sie nimmt es nicht auf. Gedankenlos ißt sie ihr Abendbrot. Nur schlafen! An nichts erinnert werden! Der neue Morgen bringt das Einerlei der Station. Schwestern kommen und gehen; eine Frau wischt den Fußboden; eine junge Ärztin fragt dieses und jenes, und man sagt „ja“ und „nein“ und denkt „Laß mich in Frieden!“

Jemand reicht ihr einen Brief, - ein Telegramm! Der Umschlag ist mehrfach beschrieben, korrigiert, nachgesandt! Sie reißt ihn auf. „Komme Heiligabend zu dir. Keine Umstände machen. Tante Mami!“

Immer wieder liest sie die Zeilen. Wenn Tante Mami wüßte, wo sie ist; was auf sie wartet! Sie darf es nicht erfahren - auf keinen Fall - auf keinen Fall! „Und wenn du einmal groß bist und hast einen guten Mann, und er schenkt dir ein Kind, dann…!“ Auf keinen Fall! Sie wirft sich den Morgenrock um und eilt die Treppe hinunter zur Aufnahme. „Ein Telegrammformular, bitte!“

Die Schwester gibt es ihr und einen Tinten-Stift dazu. „Besuch ausgeschlossen. Bin verreist. Brief folgt. Sei bitte nicht traurig, Steffi. Hier alles in Ordnung. Steffi!“ Schon nimmt die Schwester das Blatt entgegen, überfliegt es kurz und sagt, die Gebühr würde hier hinterlegt werden.

Steffi geht zur Tür und dreht sich noch einmal um. Aber die Schwester sieht ihr nicht nach; sie sitzt schon wieder an ihrem Karteikasten. Warum hat sie das Blatt nicht zurückgewiesen und gesagt, daß es doch eine Lüge ist? Nicht einmal ihr Blick verriet eine Frage oder gar ein Erschrecken. Umso besser! Man läßt sie in Ruhe. Besten Dank! Nun kann ja nichts schiefgehen.

Gegen Mittag setzen die Wehen ein. Ob das Telegramm schuld ist? Unsinn! Die Zeit ist ja schon fast überschritten. Im Kreißsaal begegnet sie dem Blick der Hebamme und erschrickt. Narkose ? Wenn es denn sein muß - Elf - zwölf - dreizehn - vierzehn - vierzehn - fünfzehn Mark und zwanzig - - zahlen! - Bitte, zahlen! - Kasse, bitte!“ Als sie aufwacht, liegt sie in ihrem Bett am Fenster. Ihre Nachbarin schläft. Sie richtet sich ein wenig auf.

„Hallo“, ruft sie leise hinüber zu der Frau an der Tür. „Ja, bitte?“ - „Was ist es denn? Ein Junge oder ein Mädchen?“ - „Ein Mädchen, wie ich hörte“, sagt die Frau. „So - ein Mädchen. Und hat die Schwester sonst nichts erzählt?“ - Nein“- „Aber wann kriege ich es denn zu sehen?“ - „Nun, sicher bald. Warten sie nur, bis die Schwester kommt. Dann wird man ihnen ihr Kind schon zeigen.“

Sie legt sich wieder zurück. Ein Mädchen, - das ist gut! Drei rosa Jäckchen liegen im Korb auf dem Boden. Unsinn! Sie behält es ja doch nicht. Es ist ja schon abgemacht. Sie sieht auf die Uhr ein Viertel nach sechs, „Wo bleibt denn das Abendbrot?“ fragt sie. „Abendbrot?“ lacht die andere. „Na, Sie sind gut! Es ist doch morgens! Übrigens haben wir heut Heiligabend.“

Heiligabend. Ob Tante Mami sehr traurig ist? - Ein Mädchen. Renate ist ein schöner Name. Wenn man sie fragt, wie es heißen soll. Wieso? Wird man sie denn fragen? Es gehört ihr doch gar nicht. Es ist ja schon abgemacht.

Die Schwester tritt mit dem Thermometer ein. „Guten Morgen°!“ Sie kommt zuerst zu ihr und winkt ihr mit dem Thermometer zu. „Ach, Schwester, sagen sie doch, warum ich in Narkose mußte. Bin ich gerissen?“ - „Nein, Fräulein. Es war nichts weiter. Fräulein Doktor wird es ihnen zur Visite sagen!“ -„Zur Visite? Kann ich vorher mein Kind sehen, Schwester?“ - „Nein“, antwortet die Schwester und öffnet schon die Tür. „Nein, die Neugeborenen müssen

doch auch versorgt werden!“

Nach dem Frühstück schläft sie wieder ein. Als sie erwacht, steht die Ärztin mit zwei Schwestern am ersten Bett. Endlich kommt man zu ihr. „Es war doch etwas schwierig“, sagt die Ärztin und lehnt sich an die Heizung. „Sie wollen das Kind nicht behalten?“ - „Nein. Aber sehen möchte ich es schon!“ Die Ärztin wendet sich der jüngeren Schwester zu. „Bringen sie das Kind, bitte!“ Sie zieht sich einen Stuhl ans Bett.

„Nun hören sie mir einmal ruhig zu“, bittet sie: „Geben sie sich keine Mühe, Fräulein Doktor! Ich nehme das Kind auf keinen Fall. Es ist schon abgemacht. Ich habe es nicht gewollt. Ich werde auch bezahlen!“

Geduldig wiederholt die Ärztin: „Bitte, jetzt lassen sie mich einmal sprechen. Sie werden das Kind nicht behalten. Ich weiß es. Es ist etwas anderes, was ich ihnen sagen muß. Gleich bekommen sie ihr Kind zu sehen. Nicht wahr, das wollten sie doch? Gut. Aber sie müssen es nicht sehen. Verstehen sie mich?“

Die Tür geht auf. Schnell winkt die Ärztin ab und wendet sich wieder der Mutter zu. Ein angstvoller Blick trifft. „Das Kind ist nicht gesund“", fährt die Ärztin fort und ergreift die Hand, die auf der Bettdecke hin und her irrt. „Das Kind hat eine Mißbildung“, sagt die Ärztin, eine Mißbildung der Mund- und Rachenhöhle. Aber beruhigen sie sich doch! Sie brauchen es nicht einmal zu sehen. Es wird ihnen auch nicht angelegt werden. Vorerst muß man es künstlich ernähren!“ - „Ich will es aber sehen“, verlangt die Mutter.

Die Stationsschwester, die am Fußende des Bettes steht, holt auf den Wink der Ärztin die andere Schwester herein. Man zeigt der Mutter das Kind. Sie preßt die Fäuste an die Schläfen und schluchzt auf. Mit zitternden Fingern streichelt sie über das Köpfchen und über die Stirn. Die Ärztin nickt der Schwester zu. Sie geht und trägt das Kind hinaus.

Das ist die Strafe, denkt sie, die Strafe! Aber sie läßt sich nicht bestrafen, auf keinen Fall - Wenn Tante Mami das wüßte! Doch sie weiß es nicht und wird es auch nie erfahren, auf keinen Fall! Nur, wenn sie hier wäre? Ob sie Vorwürfe machen würde? Ach nein, sie würde nur weinen und vielleicht das Kind nehmen wollen. Bestimmt!

Tante Mami würde das Kind nehmen. Aber nein, das könnte sie Tante Mami nicht antun, sie darf es nie und nimmer wissen! Auf keinen Fall! Und sie will auch das Kind nicht noch einmal sehen. Sie hat es gesehen, und nun Schluß! Es ist so abgemacht. Wenn sie nicht will, muß sie es nicht mehr sehen. Niemand kann sie dazu zwingen. Es ist nicht ihr Kind,. Jetzt ist alles vorbei und überstanden. Schlecht geträumt hat sie, weiter nichts. Ein paar Wochen weiter und sie steht wieder im Salon. Im Frühjahr meldet sie sich zum Meisterlehrgang, - Nicht einmal zu denken braucht sie an das Kind! „Bleiben Sie doch still liegen“, sagt die Frau vom Nebenbett. „Es schadet Ihnen, wenn sie sich immer so herumwerfen!“ Sie bemüht sich nun still zu liegen und an nichts zu denken.

Vom Gang her klingt ein Lied herein. Die Tür wird geöffnet. Mit brennenden Kerzen treten Schwestern und Schülerinnen ein und singen ein Weihnachtslied. Vom himmlischen Kind singen sie. Himmlisches Kind - denkt sie, und - Mißbildung der Mund- und Rachenhöhle. Die Schwestern gehen. Die Tür schließt sich. „Wollen sie nicht etwas lesen? Damit sie auf andere Gedanken kommen?“ fragt die Nachbarin und bietet ihr einen Stoß Zeitschriften an. - „Ja, danke!“

Die Nachtschwester tritt ein. Heut kommt also die Ablösung früher. Sie kennt die Nachtschwester schon. Ein. bißchen erinnert sie an Tante Mami. „Schwester Else, kann ich ein Schlafmittel haben?“ - „Versuchen sie erst einmal, so zu schlafen!“ - „Es wird nicht gehen!“ - „Mir tut es so leid“, sagt die Schwester Else und streicht ihr über das Haar, "um das Kind und um sie.!“ -„Um mich?“ fragt sie und lacht hart auf. „Tun sie doch nicht so, Schwester! Ihr denkt doch alle: das ist die gerechte Strafe für so eine, wie ich bin!“

Die Schwester setzt sich zu ihr. „Wer soll sie denn bestraft haben?“ fragt sie. „Ach, Schwester, machen sie keine Konfirmandenstunde mit mir! Sie wissen es ja selber, und sie glauben es wenigstens: euer Gott natürlich!“ - „Unser Gott? Der Gott der Diakonissen? - Ach, Kind, wenn es einen Gott gibt, so ist er wohl auch Ihr Gott!“ -„Richtig, Schwester: Wenn es einen gibt! Das ist es! Wenn es einen gibt, dann ist er nämlich auch ein Gott der Milchstraße, und da wird er sich gerade um eine kleine Friseuse kümmern!“

„Ja, doch!“ sagt die Schwester. „Um eine kleine Friseuse, gerade um die kümmert er sich, als sei sie sein einziges Kind!“- „Nein, Schwester! Wenn es einen Gott gibt, dann hat er mich in die Welt gesetzt und losrennen lassen wie aufgezogen. Aber gekümmert hat er sich um mich nicht. Jetzt hat es mich hingehauen. Aber ich stehe wieder auf. Darauf können sie sich verlassen! Ich stehe wieder auf auch ohne ihren Gott!“

 

Die Schwester sieht bekümmert vor sich hin, alt und müde Sie schüttelt den Kopf. „Das tut Gott nicht: losrennen lassen. Mit keinem Menschen tut er das. Jedem Kinde gibt er etwas mit, an das es sich halten kann, wenn die Versuchungen kommen!“ - „Schwester, wenn sie wüßten, was in einem Friseurladen los ist! Da kommen die Versuchungen gar nicht erst, Sie sitzen gleich drin, gucken aus jedem Spiegel, aus der Kasse, aus der Verkaufsvitrine!“

„Und eine Mutter haben sie nicht? - Auch keine Erinnerungen an irgendetwas Reines und Gutes? Ein liebes, kleines Geheimnis, an das sie sich hätten halten können?“ Trotzig schüttelt sie den Kopf. - „Du Lügnerin!“ schreit es in ihr. „Du hattest keine Mutter? War Tante Mami nicht mehr als eine Mütter?“

„Ach, Kind“, sagt die Schwester, „wenn es so um Sie steht, dann ist Gott selber ihnen so nah, wie kein Mensch es sein kann. Ich weiß schon, ihr jungen Leute wollt keine frommen Worte hören. Und auf eure Art habt ihr recht. Meint nur nicht, wir Älteren hätten nichts von euch gelernt oder wollten nichts von euch wissen! Aber glauben sie einer alten Schwestern Gott selber ist ihnen so nah, Kind, so nah, wie Windeln um ein Kleines!“ - „Windeln?“ fragt die junge Mutter. „Was hat denn Gott mit Windeln zu tun?“

Die Schwester ist aufgestanden und streicht ihre weiße Schürze glatt. „Viel hat er damit zu tun“, sagt sie. „Er hat selber in Windeln gelegen, ein Gott, in Windeln gewickelt. Wäre er das nicht, Kind, glauben sie, ich hätte es ausgehalten, über 40 Jahre Nachtschwester zu sein? Zu sehen, wie Menschen kommen und gehen, sterben und geboren werden?“ Sie öffnet die Fensterklappe. „Ich muß weiter. Aber wenn sie nicht schlafen können, klingen sie nur: Dann bringe ich ihnen eine Tablette. Gute Nacht!“

Lange liegt sie und rührt sich nicht. Der Wind bewegt die Vorhänge. „Windeln“, denkt sie, „ein Gott in Windeln. - Und ob ich eine Mutter hatte. Mein Gott, Tante Mami! Und ich habe getan, als hätte ich keine Mutter. - Und im Salon wollte ich nicht an Tante Mami denken, wenn ich Herrn bediente und wenn sie ihre Witze mit mir machten. - Windeln! - Ein kleines Geheimnis, etwas Reines, Gutes? Als hätte sie es gewußt, die alte Schwester. Die Windeln auf dem Boden. Ich hatte sie die Jahre hindurch. Aber ich wollte nicht an sie denken. - Gott ist um dich - hat sie gesagt - so nah wie Windeln um ein Kleines.

Mein Gott, ja, du warst um mich wie Windeln. Aber ich habe sie von mir gerissen, deine Windeln, Tante Mamis Hände und Blicke und ihre guten Worte. Es waren doch deine Windeln für mich. Und nun hast du mich hierher gelegt wie ein Kind, nicht wie eine Mutter in neue, reine Windeln, in die Hände eines Nachtschwester, einer Ärztin, in deine Windeln, Gott. Meine Windeln.

Aber mein Kind? Wo sind seine Windeln? Wenn es groß wird, mein Gott, es braucht doch viel mehr Windeln, deine Windeln, Menschenhände, starke, freundliche Hände, mein Gott! Es ist doch ein krankes Kind! Es muß doch eine Mutter haben, so nah wie Windeln. Mein Kind. Ich bin deine Mutter. Ich gebe dich nicht her. Auf keinen Fall! Ich bin deine Windel. Ich bin es und ich will es sein, sonst nichts. Eine Windel. Und Gott wird um dich sein - immer - um dich - um mich - um uns - eine Windel - der Gott in Windeln - in Windeln - in Windeln - -   Mitternacht sieht die Nachtschwester herein. Leise tritt sie an das Bett am Fenster. Eine Weile bleibt sie stehen. Dann zieht sie der Schlafenden die Decke über die Schulter (Johannes Schöne).

 

Sonst hätte es keinen Frieden gegeben

[Junge sagt nicht, daß er von einer Kugel getroffen wurde, damit die Familien nicht wieder aufeinander losgehen]

In Montenegro, im Land der schwarzen Berge, lebte in alter Zeit ein Knabe namens Blascho

Brajowitsch, ein Junge mit großen, fast schwarzen Augen, der als einziges Kind der näheren und weiteren Umgebung lesen und schreiben konnte, weil auf seinen eigenen Wunsch ein Pope es ihm beigebracht hatte. Während die anderen Knaben seines Alters sich danach sehnten, so schnell wie möglich Gewehr und Schnauzbart eines Mannes zu verdienen, hatte Blascho nur den einen Wunsch: ein kluger Mann zu werden, wenn möglich, so klug wie der Fürstbischof.

Blaschos Vater Rade, ein Hüne von zwei Zentnern, der die Pistole und die Flinte liebte wie ein anderer seine Pfeifen, pflegte seinen Sohn „das Lamm“ zu nennen. Oft fragte er sich sorgenvoll: „Was wird aus ihm, wenn die Wölfe kommen?“ Der große starke Mann meinte mit den Wölfen nicht etwa die Türken, gegen die in den montenegrischen Bergen seit undenklichen Zeiten ein immerwährender Kleinkrieg geführt wurde. Er meinte vielmehr Männer des eigenen Volkes, Männer aus Stämmen, die mit seinem Stamm verfeindet waren.

Denn zu jener Zeit gab es in Montenegro die Blutrache noch, die sich wie eine unheilbare Krankheit fortschleppte von Geschlecht zu Geschlecht. Das Heldenlied vom kleinen Volk, das in seinen Bergen der türkischen Übermacht widerstand, war zugleich das Trauerlied eines unter sich in Zwist und Hader zerrissenen Volkes. Man erschoß und erschlug Männer aus anderen Stämmen, weil jene zuvor Männer des eigenen Stammes umgebracht hatten. Mord zeugte Mord in einer Kette ohne Ende.

Da es nun als schimpflich galt, an Frauen und Kindern Rache zu üben, da nur ein erschlagener Mann der Blutrache Genüge tat, war es eine männermordende Zeit. Blaschos Mutter und seine beiden Schwestern unterbrachen ängstlich Gespräche oder Arbeit, wenn sie in den Bergen einen Schuß dröhnen hörten; denn es konnte sein, daß statt eines Bären oder Hasen Rade, der Mann und Vater, getroffen war.

Der Knabe Blascho hatte anfangs wie die Frauen gezittert, wenn das Echo eines Schusses von den Felswänden herübergeworfen worden war. Aber mit zunehmendem Alter und mit dem Fortschritt, den er im Leben und Schreiben machte, hatte die Angst um den Vater nachgelassen. Er hatte erkannt, daß sein Vater zwar wild und rasend wie ein Stier sein konnte, aber zugleich von füchsicher Vorsicht war: Er bangte nicht mehr um des Vaters Leben. Stattdessen machte er sich von Jahr zu Jahr mehr Gedanken über die Männer, die mit Pistolen und Flinten rächend durch das Gebirge zogen und Haus, Feld und Kinder den Frauen überließen.

 

Gewöhnlich lag er in seinem weißwollenen Hirtenmantel mit den schwarzen Säumen unter dem Granatapfelbaum im Gras und hatte die Bibel bei sich, das einzige Buch, das es im Hause gab. Blascho hatte in der Bibel Sätze gelesen, die er noch nie aus montenegrischem Munde gehört hatte, nicht einmal aus dem Munde des Fürstbischofs. Er hielt diese Sätze deshalb für Geheimnisse, die man nicht aussprechen durfte. In ihnen war die Rede davon, daß man seinen Feinden vergeben, ja, daß man sie sogar lieben solle: Es war die Rede von den Friedfertigen, die selig sind, und von denen, die in das Himmelreich kommen, wenn sie nur wie die Kinder werden,

Wenn Blascho, im Grase liegend, hinaufsah in das Grün des Granatapfelbaumes, dessen Früchte sich im steigenden Jahr langsam röteten, dann dachte er oft an den lustigen Onkel Peter, den Bruder seiner Mutter, der eines sonnigen Sonntag morgens schreiend und wie ein Betrunkener schwankend unter diesen Baum getaumelt war. Zwischen den Fingern seiner Hände, die er über dem Herzen gehalten hatte, war ein Strom Blut hervorgequollen und hatte Wams und Hose besudelt. Hier unter diesem Baum war Onkel Petar vornüber ins Gras gestürzt. Hier hatte er gerufen: „Rächt mich! Es waren ...!“ Die Stimme war gebrochen, ehe Onkel Petar seine Mörder genannt hatte, und er war gestorben, ehe die Frauen aus dem Haus gekommen waren.

Damals hatte den Knaben Blascho ein heiliger Zorn: gepackt. Wer die Mörder waren, hatte er gewußt. Auch wenn Onkel Peter den Namen nicht mehr hatte aussprechen können. Es konnten nur die Djuranowitschi gewesen sein, mit deren Stamm sein eigener Stamm in Blutsfehde lag.

Angesichts des toten Onkels hatte Blascho geschworen, später, wenn er Gewehr und Schnauzbart besaß, das Blut Onkel Petars mit Blut zu vergelten. Aber inzwischen war der Mörder gerichtet und der Tote gerächt. Blaschos eigener Vater hatte den Mörder erstochen,

als er ihm oben im Gebirge in einem Wald begegnet war. Dafür hatten die Djuranowitschi den jüngsten Bruder des Vaters erschlagen, den schönen Onkel Leka mit den schmalen Händen.

Nun war es nicht mehr Onkel Peter, sondern Onkel Leka, der gerächt werden mußte. Die blutige Fehde ging weiter ohne Hoffnung auf ein Ende, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Mann um Manns

Blascho, der Knabe, dachte jetzt mit Schaudern daran, daß er vielleicht eines Tages den kleinen Ivo erschlagen oder erschießen müßte. Ivo, mit dem er zusammen Forellen gegriffen hatte, ehe er erfuhr, daß Ivo zu den Djuranowitschi gehörte, mit denen sein Stamm in Blutsfehde lag.

Blascho fand keinen Sinn mehr in dem blutigen Ringelspiel. Er dachte an die geheimnisvollen Sätze in der Bibel, er träumte von einem Reich des Friedens. Er wollte nicht mitspielen in diesem Karussell der Rache. Deshalb schoß ihm vor freudiger Bestürzung wahrhaftig das Blut in den Kopf, als sein Vater eines Tages erklärte, an folgenden Freitag werde zwischen den beiden feindlichen Stämmen, den Djuranowitschi und den Brajowitschi, seinem eigenen Stamm, eine Verhandlung stattfinden, um die Blutrache zu beenden.

„Was ist den geschehen, Vater?“ fragte Blascho in atemloser Verwunderung. „Dein Großonkel Krso ist von einem Djuranowitsch erschossen worden. Ich hätte ihn noch am selben Tag rächen können …!“- „Aber du hast es nicht getan?“ unterbrach Blascho den Vater. „Nein, ich habe es nicht getan. Der Bruder des dreimal verfluchten Mörders, Hazmi, der den türkischen Glauben und einen türkischen Namen angenommen hat, küßte mir den Schuh und bat um Verzeihung und um Frieden zwischen unseren Häusern!“

„Und du hast Frieden gemacht!“ rief Blascho freudig erregt. „Nein, mein Sohn. Das habe ich nicht. Wie kann ich, ein einzelner, für das ganze Haus den Frieden schließen. Ich habe nur nachgezählt, wie viele Männer wir und die Djuranowitschi noch haben. Und ich habe festgestellt, daß unsere beiden Häuser bald ohne Stammhalter: sein werden, wenn die Fehde nicht aufhört. Deshalb müssen wir auf die Rache verzichten und Frieden machen. Ob es uns paßt oder nicht. Freitag ist die Verhandlung. Du führst mein Pferd!“ „Gern, Vater“, sagte Blascho. Und wieder schoß ihm Röte ins Gesicht.

Die Verhandlung fand auf einer Wiese statt, unterhalb einer schroffen Felswand. Es war gegen Mittag, Die Sonne stand hoch. Die Luft war heiß und trocken. Wie üblich kamen alle zur Verhandlung: die Frauen in Schwarz; die Kinder hell gekleidet, die Männer bunt und in bestickten Wämsern, manche mit zwei Pistolen in den Schärpen, Jede Familie erschien in der Ordnung, die die Sitte vorschrieb: Der Hausherr ritt, der älteste Sohn führte das Pferd, die übrige Familie folgte zu Fuß,

Widerwillig und fast als letzter kam so auch der hünenhafte Rade mit seiner Familie an. Hoch aufgerichtet saß er auf dem schwarzen Hengst, den Blascho führte: Bei den Brajowitschi, die links lagerten und deren Ältester er jetzt war, ließ er halten. Behend trotz seiner mehr als fünfzig Jahre sprang er vom Pferd und setzte sich auf einen Feldstein, den ein junger Mann bei seiner Ankunft wortlos geräumt hatte. Noch im Sitzen überragte er alle anderen Brajo­witschi.

Nach einem kurzen Gruß murmelte er mit einem Blick auf die Djuranowitschi, die auf der anderen Wiesenseite saßen: „Ich wünsche, sie führen alle zur Hölle!“ - „Dann fahren wir mit, Rade“, sagte ruhig ein alter Hirte, der unverheiratet und kinderlos und daher ohne Stimme im Rat war. Rade entgegnete ihm: „Ja, wir fahren mit zur Hölle, wenn die Fehde weitergeht. Deshalb sind wir ja hier. Gott sei's geklagt!“

Als die Verhandlung, die zwischen den verheirateten Männern geführt wurde, begann, machte Rade sich rasch zum Wortführer seines Hauses, und bald holte man ihn als Verhandlungsführer in die Mitte der Wiese.

Blascho sah, als sein Vater gerade zur Wiesenmitte schritt, zufällig Ivo, seinen einstigen Spielgefährten, auf der gegenüberliegenden Seite zwischen den Djuranowitschi sitzen und winkte ihm zu. Ivo machte große Augen, weil er entweder Blascho nicht gleich wiedererkannte oder weil der Gruß aus dem feindlichen Lager ihn überraschte. Dann aber winkte er zurück. Zwei Knaben schlossen Frieden, als die erwachsenen Männer noch weit von einem Friedensschluß entfernt waren.

Beide Häuser klagten noch um einen Toten, als man um Frieden verhandelte, denn dem Mord an Blaschos Onkel Krso war der Mord an einem Djuranowitsch vorausgegangen. So war für eine Verhandlung, die Vernunft und Mäßigung regierten, die Zeit nicht eben günstig. Schmerz und Trauer um die Toten waren noch frisch. Und der Zorn auf die Mörder, mühsam unterdrückt, konnte jeden Augenblick ausbrechen wie ein Stauwasser, das sein Wehr sprengt.

Doch Blaschos Vater Rade hielt, weil er den eigenen Zorn gemeistert hatte, einstweilen auch den Zorn der anderen im Zaum.

Als wieder und wieder Klagen um Väter, Männer oder Brüder laut wurden, als beide Seite gar anfingen, die Toten gegeneinander aufzurechnen, hob er die Hände, brachte auf beiden Seiten die Ankläger zum Schweigen und rief: „Wir sind hier nicht zusammengekommen, um Tote zu zählen und neuen Zorn zu wecken. Wir sind zu­sam­mengekommen, damit unsere Häuser nicht verderben wie ein Acker ohne Frucht. Seht euch doch um! Wie viele Frauen sind ohne Männer? Wie viele Kinder ohne Väter? Es gibt auf beiden Seiten genügend Gewehre und genügend sichere Hände, um auch die letzten Frauen noch zu Witwen, auch die letzten Kinder noch zu Waisen zu machen. Wir wollen nicht aus Angst und Schwäche Frieden schließen, sondern aus Überlegung und Vernunft. Wenn das Blut der Vergangenheit wieder über uns kommt, wenn wir mit den Gewehren statt mit Worten reden, wird es für beide Seiten keine Zukunft geben! Für keinen Djuranowitsch! Für keinen Brajowitsch! Dann sterben unsere Häuser aus, und letzten des Stammes werden zahnlose Witwen sein, die ihre Männer und Väter verfluchen bis ins letzte Glied!“

Blascho hatte, als der Vater redete, an dessen Lippen gehangen wie sonst nur an den Lippe des Fürstbischofs, wenn der an hohen Feiertagen predigte. Von der Vernunft als Lenkerin der Taten hatte er den Vater noch nie reden hören. Ihm war, als sprenge der Vater den fürchterlichen Ring der Blutrache, in den sie alle eingeschlossen waren. Er hätte aufspringen und seinen Vater umarmen mögen. Aber in dieser Welt der stolzen Männer hätte er sich damit nur lächerlich gemacht.

Es waren im übrigens nicht wenige unter den Versammelten, die Rade für die Rede dankbar waren. Als Rade die offenen Hände beiden Seiten hinhielt und ausrief: „Wer für den Frieden ist, der stehe auf!“ da sprangen viele der Versammelten sogleich auf die Beine, und nach und nach erhoben sich alle anderen, bis vor der Felswand wie ein ungemähtes Feld Kopf an Kopf die Mitglieder der beiden Häuser standen. „So sei denn Frieden!“ rief Rade mit erhobenen Händen.

Aber bevor er beim Senken der Hände das Kreuz schlagen konnte, schrie aus dem Lager der Djuranowitschi die alte Arija, die Mutter eines jüngst Erschlagenen: „Nein! Es wird kein Friede, ehe mein Sohn gerächt ist!“

„Aber  ist gerächt, Mutter!“ sagte ihr jüngster Sohn, der neben der immer noch am Boden Hockenden stand. „Ist er gerächt, wenn sein Mörder lebt?“ kreischte die Alte. „Ich kenne seinen Mörder. Dort steht er!“ Sie stand auf und zeigte auf einen jungen Mann im Lager der Brajowitschi. Dann hockte sie sich wieder hin und rief, Hohn auf dem faltigen Ziegengesicht, ihrem Sohn zu: „Ein Feigling, wer seinen Bruder nicht rächt! Ein Hundsfott, wer den Tod mehr fürchtet als die Schande!“

Die ganze Versammlung stand noch starr nach diesem plötzlichen Ausbruch der Alten, als der Sohn Andja blitzschnell die Pistole zog, anlegte, ohne lange zu zielen, und abdrückte. Der Knall des Schusses wurde von der Felswand zurück geworfen. Aber dar Aufschrei der Menge überdröhnte ihn. Hände fuhren an die Pistolen, Kinder weinten, Frauen packten die Hände ihrer Männer, um sie am Schießen zu hindern,

Ein Augenblick hätte genügt, den kaum gewonnenen Frieden wieder in blutigste Fehde zu verwandeln, wenn nicht Rade abermals die Arme hochgeworfen und - sich gegen seine eigenen Leute wendend - gebrüht hätte: „Wer ist getroffen?“ Die Frage hatte den beginnenden Tumult überdröhnt und war verstanden worden. Jetzt wurde es plötzlich still, weil jedermann auf Antwort wartete. Aber es kam keine Antwort. Die Stille wurde so tief, daß man aus der Ferne ein Schafblöken hörte,

Da wandte sich Rade den Djuranowitschi zu und sagte: „Wäre einer der Unseren getroffen worden, so lebte auch dein jüngster Sohn nicht mehr, Andja. Willst du, daß es so weitergeht? Willst du niemals Enkelkinder in Schlaf singen? Willst du ohne Nachkommenschaft sterben, als morscher Baumstumpf, der kein Blatt mehr treibt? Dein Sohn ist kein Feigling. Wir alle wissen es. Du hast ihm Krieg befohlen, und er hat geschossen. Nun befiehl ihm den Frieden. Steh auf!“

Mit verschlossenem Gesicht, in dem die kleinen Augen mißtrauisch die schweigend um sie versammelten Leute musterten, erhob die alte Frau sich ganz langsam aus ihrer Kauerstellung, Ihr Mund war zusammengepreßt. Sie sprach kein Wort. Aber sie stand auf. Als letzte. Nun wiederholte Rade, die offenen Handflächen den beiden Lagern hinhaltend: „So sei denn Friede!“ Dann schlug er langsam das Kreuz Der Frieden war geschlossen. Einige der Versammelten setzten sich wieder. Andere fingen stehend Gespräche an. Viele gingen hin und her, und auch von einem Lager zum anderen gab es Bewegung.

Die alte Andja brach, ohne mit ihrem Sohn ein Wort zu wechseln, als erste auf. Ihr folgten bald andere, die daheim bei Schnaps oder Wein den ereignisreichen Tag noch einmal besprechen wollten.

Die Familien, die noch Väter hatten, brachen in der vorgeschriebenen Ordnung auf: Der Hausherr ritt, der älteste Sohn führte das Pferd. Die übrige Familie folgte zu Fuß. In dieser Reihenfolge wollte auch Rade mit seiner Familie aufbrechen. Er rief seinen Sohn Blascho, daß er das Pferd übernehme. Aber der Junge antwortete: „Ich kann nicht, Vater, du mußt mich aufsitzen lassen!“

„Wie?“ Rade fuhr herum und sah erst jetzt seinen Sohn an, der ungewöhnlich blaß und nach vorn gekrümmt im Grase saß. „Was ist denn? Ist dir nicht gut?“ fragte er ungeduldig. Der große Mann haßte Krankheiten, bei anderen ebenso wie bei sich selbst. Aber der Junge sah wirklich schlecht aus. Das Gesicht war blutleer. Die Augen waren fiebrig.

„Was ist denn?“ wiederholte Rade. Diesmal stellte er die Frage weniger barsch. Er beugte sich sogar herab und legte eine Hand auf die Stirn des Knaben. Sie glühte. Blascho fieberte. Jetzt wurde Rade unruhig. „Was ist denn geschehen?“ fragte er zum drittenmal.

Da schlug sein Sohn den Hirtenmantel ein wenig zurück, und Rade sah, daß der Knabe unter dem Mantel seine Hand auf eine Wunde hielt. Die Finger und das Leinenhemd waren blutverschmiert. Rade richtete sich wieder auf, sah mit großen Augen und halboffenem Mund auf seinen Sohn nieder und fragte: „Bist du etwa ...?“- „Ja“, sagte Blascho. „Ich bin getroffen worden!“ Er schloß den Mantel wieder über seiner Wunde und fügte hinzu: „Aber es hat niemand gemerkt. Du brauchst es keinem zu sagen. Bring mich weg. Der Militärdoktor

von Podgoritza macht mich sicher schnell gesund!°“ Der Vater stand fassungslos vor seinem Sohn. Er hatte das dumpfe Gefühl, daß dieser Junge im Grase ein Held sei. Aber Helden, die leiden und schweigen, kannte er nicht. Zorn auf diesen Dulder und Schweiger wuchs in seinem Bauch. Und Zorn auf den Schützen, auf den Sohn der alten Andja. Und Zorn auf die Djuranowitschi. Und Zorn auf diesen Frieden, der ihn hinderte, das Gewehr zu nehmen und Rache zu üben für sein Kind, das getroffen war. Mit ungewöhnlich rauher Stimme fragte er: „Warum sagst du mir erst jetzt, daß du getroffen bist?“ - „Sonst hätte es keinen Frieden gegeben, Vater!“ - „Ein Frieden, der mit dem Blut eines Kindes erkauft ist, Blascho, ist das ein Frieden?“

„Der Militärarzt kuriert mich bestimmt, Vater. Und mein bißchen Blut spart so viel anderes Blut!“ Plötzlich merkte Rade,. daß der Junge, der schwer atmete, Schmerzen hatte und einer Ohnmacht nahe war. Er merkte, daß der Militärarzt jetzt wichtiger war als Ehre, Rache, Zorn und lange Reden. Ohne ein weiteres Wort hob er Blascho auf, setzte ihn in den Sattel seines Pferdes und fragte: „Kannst du dich mit, einer Hand halten?“ Blascho nickte.

Da rief Rade die Frauen heran, die sich in einiger Entfernung mit Nachbarinnen unterhielten, -und sagte zu ihnen: „Wir gehen. Achtet mir auf den Jungen. Er muß zum Doktor!“

Ehe die Frauen Zeit zu Fragen hatten, griff Rade in den Zaum des Hengstes und führte ihn von der Wiese. Wer noch auf dem Versammlungsplatz stand, sah mit Staunen, daß etwas Unerhörtes geschah: Der Älteste eines Hauses, ein großer stolzer Krieger vor dem Herrn, führte für seinen Sohn das Pferd, für einen Knaben, dem noch kein Flaum aus Kinn und Wangen sproß.

Ein Djuranowitsch, der sich für witzig hielt, rief: „Glaubst du, im Frieden müssen die Wölfe die Lämmer hüten, Rade?“ Rade antwortete im Weitergehen: „Dieses Lamm hat euren Frieden mit seinem Blut bezahlt, Djuranowitsch, Andjas Sohn hat ihn getroffen. Er aber hat keinen Laut von sich gegeben, damit du deinen faulen Frieden hast!“

Jetzt, da sie wußten, was geschehen war, schriee die drei Frauen auf. Die Männer ringsum aber betrachteten staunend oder bewundernd den Knaben auf dem Pferd. Als der alte kinderlose Hirte die Kappe vom Kopf zog, taten alle Männer es ihm nach (James Krüss).

 

Der Sprung ins Ungewisse

[Falsche und echte Mutprobe]

Von außen fiel kein Licht in den Raum. Im Flackerschein der auf    dem Boden angeklebten Kerzen lastete das Gewölbe des Kellers über den Mitgliedern der Bande und über Martin. Der Straßenlärm, gefiltert durch die meterdicken Mauern der ehemaligen Brauerei, drang dumpf. herein wie das Tosen eines unterirdischen Stroms....

Martin stand, die Hände im Rücken verkrampft, an der Wand - er fühlte die Feuchtigkeit des Salpeters an seinen Händen - und starrte in das Gesicht des Boß, das kalkweiß, von Schatten überspült, auf ihn zukam. Er grub die Fingernägel in seine Handflächen: Nein, er würde es nicht sagen. Wieder kam die Stimme des Boß, lauernd, erregt: „Nun, warum bist du nicht erschienen?“ Und drohend, heiser: „Ich frage zum letzten Mal!“

Martin schwieg. Er konnte, durfte Mutter nicht erwähnen. Alles konnte er sagen, nur das nicht. Er wußte, was sie von ihm hielten, seit der Turnstunde damals... Oh, er hatte kommen wollen! Er hatte ihnen beweisen wollen, daß er Mut hatte! Seit damals hatte er auf diese Gelegenheit gewartet. Gestern hätten sie ihn aufgenommen. Er hätte bestanden. Aber Mutter - er konnte ihr nicht widersprechen, seit er das wußte.... („Wissen Sie schon“, sagt Frau Strelow im Treppenhaus, „mit Frau Neumann? Es ist unheilbar!“ Und Frau Jansen sprach es aus: „Krebs“?). Jetzt wußten es alle im Haus. Und Vater wußte es und Martin. Nur Mutter wußte es nicht.

Er sah sie auf der Couch liegen unter der Decke mit den braunen Mäandern: „Martin, du mußt mir helfen heute Nachmittag: spülen, einkaufen.... Fine ist nicht gekommen, und Dr. Stocken kommt heute Abend zu Besuch!" Mutter verstand sonst alles. Aber wenn er gesagt hätte: „Laß mich gehn, bitte! Sie wollen mich in den Klub aufnehmen“, so hätte sie als erstes gefragt:. „Ist dieser Conny dabei? Du weißt, ich will nicht, daß du mit ihm verkehrst!“ Und Conny war der Boß..

„Schön, du willst nicht“, sagte der Boß, „dann also Tortur. He, G 3 und G 4 Tortur, erster Grad!“ Paul und Gerd, die unter ihren Kennziffern Angerufenen, sprangen auf, packten Martin an den Handgelenken, stießen ihn mit den Knien gegen die Oberschenkel, dreimal, viermal, fünfmal mit aller Kraft. Als sie ihn losließen, waren seine Beine taub, er mußte sich gegen die Wand lehnen. Der Boß grinste. Wieder kam seine Stimme, in verhohlenem Triumph: „Nun warum bist du nicht gekommen?“

Martin biß sich auf die Lippen und gab keine Antwort. Er kannte ihr Einstellung. Ein Gangster, der Geschirr spülte, mit dem Einkaufsnetz über die Straße ging war unmöglich. Er konnte vielleicht Zeitungen austragen, morgens, vor der Schule, um Geld zu machen,.

„Tortur, zweiter Grad!“ befahl der Boß. „G 5 und G 6!“ Während Paul und Gerd Martins Handgelenke umklammerten, schnürten Gerold und Hans mit einem Riemen seine Füße zusammen. Dann faßten sie sein Haar über den Schläfen zwischen Daumen und Zeigefinger und zogen nach oben.

Martin keuchte und stellte sich auf die Zehen, um den .Schmerz: abzufangen. Der Schmerz war betäubend. Und es gab kein Entkommen. Sie hatten ihn gepackt nach der Schule, wortlos, und mitgezerrt an ihren Versammlungsort. Er war der Schwächste in der Klasse. Mit keinem von ihnen hätte er es aufnehmen können. Aber hatten sie darum ein Recht, ihn zu quälen, bei jeder Gelegenheit? Sie sollten ihn in Ruhe lassen!.

Draußen schien jetzt die Sonne. Wenn er in seinem Zimmer war, froh, allein zu sein, sah er vom Fenster aus hinab auf den Schwanenspiegel, auf die blinkende, grünblaue Wasserfläche mit den dahingleitenden dickbäuchigen Ruderboten das Terrassencafés am Ufer mit, seinen weinroten, orangefarbenen, violetten Sonnenschirmen, das Silberschimmern der Pappeln. Tassengeklapper, Lachen, Zurufe der Ruderer, das Knirschen der Riemen in den verrosteten Lagern schallten über die Wipfel herauf, der Duft der Linden wehte herein, und am Abend, wenn sie Lampions anzündeten....

„Erscheinen unter allen Umständen! stand auf unsrer Nachricht“, sagte der Boß; und, mit zusammengekniffenen Augen: „Ich verlange absoluten Gehorsam! Schlechter Start für dich, mein Lieber!“

Martin hatte den Zettel noch in der Tasche: ein Blatt aua einem Rechenheft gerissen, das sie ihm in der der Mathematikstunde zugeschoben hatten, mit der Aufschrift: „Betr: Ihr Gesuch im Aufnahme. Erscheinen Sie heute Nachmittag um drei Uhr auf dem Trümmergrundstück Cassisusstraße 5 zwecks Ablegung der Mutprobe. Erscheinen pünktlich und unter allen Umständen! Die ‚Tiger der Nacht‘', gez. Conny Smeets (Boß).“ Darunter mit Tinte, zum Rand hin verwischt, der Daumenabdruck des Boß, und das Ganze umrahmt von einem Fries von Totenköpfen und gekreuzten Knochen. Das. Wert „Nachmittag“ in der Verbindung mit „heute“ war großgeschrieben.         

„Ich konnte nicht kommen!“ stieß Martin hervor - der Schmerz an den Schläfen war unerträglich - „ich konnte einfach nicht!“ - „Aufhören,“ sagte der Boß. Die andern traten von Martin zurück. „Du hast Schiß gehabt. Du bist ein Feigling“, sagte der Boß. „Denk, was du willst!“ sagte Martin. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn, der Schmerz hatte ihm den Schweiß aus den Poren getrieben. - Ob sie ihn jetzt gehen ließen?

„Schön“, sagte der Boß, „ich geb dir noch eine Chance!“ Er holte Zigaretten und Streichhölzer aus der Hosentasche, steckte sich eine Zigarette an und sagte grinsend: „Wir werden die Mutprobe nachholen.- Jetzt!“ Marti atmete tief ein. Er wußte nicht, was sie mit ihm vorhatten. Aber es war eine Chance. Er würde die Probe bestehen und sie würden keinen Grund haben, ihn weiter zu quälen.

„Alles herkommen!“ befahl der Boß, und, zu Martin gewandt: „Du bleibst da stehen!“ Während die Tiger sich um den Boß scharten und tuschelten, stand Martin allein und wartete. Nein, sie würden es ihm nicht leicht machen. Aber er wollte es ihnen zeigen! Endlich würden sie ihn anerkennen. Es hatte alles damit angefangen, daß er Conny für die Berichtigung sein Deutschheft geliehen hatte, das Heft, in dem sein Gedicht lag, das er in den Ferien bei Onkel Bernhard gemacht hatte, an dem Abend, als Mutter spät in der Dunkelheit mit ihm durch die Felder gegangen war. Die Kühe, die wiederkäuend auf der Weide lagen, sprangen auf, als sie lautlos auf dem hellschimmernden, sandigen Weg herankamen, galoppierten mit dumpfem Hufschlag schwerfällig neben ihnen her, den Zaun entlang, und als sie schon weit weg waren, standen sie noch auf der Hügelkuppe am Ende der Weide, schwarz vor dem silbergrauen Nachthimmel, unbeweglich, und sahen ihnen nach....

Conny hatte das Gedicht gefunden. In der Pause hatten sie ihn umlagert, Kopf an Kopf, eine johlende, brüllende Menge. „Dichter! Dichter!“ Von der Ecke des Schulhofs zur anderen hatten sie ihn verfolgt, die aus der Parallelklasse waren hinzugekommen, es war ein Schauspiel ohnegleichen. Beim Hinaufgehen zerrten sie ihn vor das Schwarze Brett. Da hing sein Gedicht, sein Nachtlied, zwischen der Ankündigung des Elternsprechtags und den Ergebnissen des Sportfestes....

Die Stimme des Boß riß ihn jäh aus seinen Gedanken. „Die Mutprobe lautet: Der Sprung ins Ungewisse!“ Martin fühlte sein Herz schlagen. Er wußte nicht, was sie ausgeheckt hatten. Man mußte anders sein, wenn man mit ihnen auskommen wollte. Man durfte nicht dichten. Was verstanden sie von Stimmungen, Farben, Klängen, Gerüchen....? Das verstand nur Mutter. Aber sie waren stärker. Man mußte sich gut mit ihnen stellen.

Rolf verband ihm die Augen mit einem Fetzen Sackleinen in der Dunkelheit, die ihn jäh umgab, hörte er den Befehl des Boß: „Los! Tragen!“ Bald hab ich's geschafft, bald, dachte er. Aber zugleich stieg Angst in ihm auf. Jemand packte ihn unter den Armen, ein anderer faßte. seine Füße, sie trugen ihn. Er lauschte. Nichts war zu hören als das Keuchen der Träger, das dumpfe Tosen des Straßenlärms von ferne und das Geräusch von Schritten, vieler Schritte, der Schritte der „Tiger“, die das Geleit gaben.

Es ging eine Treppe hinauf, der Straßenlärm schien näher zu kommen, die Schwärze vor seinen Augen hellte sich auf, sie mußten im Tageslicht sein jetzt. Die Schritte hallten wider, Sand knirschte unter den Schuhsohlen, das mußte der Betonboden der Maschinenhalle sein, in die sie aus dem Keller heraufgestiegen waren. Wieder wurde es heller. Ein warmes. Rot drang durch das Tuch auf ihn ein, Sonnenlicht. Er       spürte es auf seinen Armen und Beinen.-Vogelruf ringsum, Autohupen,   nur deutlich erkennbar aus der Vielfalt der verworren aus der Ferne hereindringenden Geräusche der Stadt,. Kollern von Steinen, Schutt, nun wußte er nicht mehr, wo er war. Das Licht verblaßte wieder. Eine Eisentreppe erklang, ein Treppenabsatz, Beton, wieder Eisenstufen, die Schritte der andern waren; nicht mehr zu hören. Rot flutete aufs Neue über seine Augen, endlich wurde er abgesetzt.

Man stützte ihn, bis er stand, faßte ihn an den Schultern, drehte ihn in eine bestimmte Richtung. Von irgendwoher kam die Stimme des Boß: „So! Stehenbleiben! Nicht von der Stelle, rühren, ehe ich es sage! Aufgepaßt! Einen halben Meter vor dir ist ein Abgrund. Du weißt nicht, wie tief. Verfolger sind hinter dir. Der Sprung ins Ungewisse ist deine einzige Rettung. Ich zähle bis drei. Bei drei' springst du! Verstanden?“

Martin nickte. Er spürte, wie sein Magen sich zusammenkrampfte, es war das gleiche Gefühl wie damals in der Turnstunde, als er aufgestemmt am Reck hin, diese nicht endenwollenden Sekunden lang, die Ringe, im Rücken, die weißgekalkten Wände der Halle ringsum, die Decke über sich, behangen mit leise schwingenden Ringen - Barren, Pferde, Böcke in den Ecken, Turnerinstrumente, eigens erfunden, ihn zu quälen. „Überschlag!“ befahl Dr. Hölzel. Martin zögerte und blickte starr geradeaus. Nun waren schon alle aufmerksam geworden. Er spürte ihre Blicke im Rücken, gleich würden sie lachen. - Warum mußte der Mensch Haltungen einnehmen, in denen er mit dem Kopf nach unten hing? Es gab keinen erklärbaren Grund dafür. Irgendjemand hatte es ausprobiert, seitdem mußten es alle können.

Und alle konnten es, außer Martin. Es war ihm zuwider. Jedesmal wurde ihm fast schlecht vor Angst. Seine Hände schwitzten und klebten am Eisen der Stange. Dr. Hölzel faßte ihn an den Füßen. „Los! Einfach kippen lassen!" Plötzlich kam der Boden, die Kokosmatte auf ihn zu, die rückwärtige Wand war auf einmal vor ihm, durchfuhr blitzschnell sein Blickfeld, und schwach, halb unterdrückt, kam sein Schrei: „Mutter!“, ausgestoßen wie in Todesangst und gleich überbrüllt von den Zurufen der anderen: „Feigling! Muttersöhnchen!“...

Wie damals spürte er jetzt den Druck auf seinem Magen, den Schweiß in seinen Handflächen.
„Er muß sich durchsetzen“, hatte Vater gesagt. Mehr als einmal hatte er das gehört. „Ich werde mich durchsetzen!“ dachte er. „Was ich jetzt mache, tu ich freiwillig, damit....!“ - „Du kannst noch einen halben Schritt vorgehen!“ rief der Boß. Seine Stimme schien von unten zu kom­men.

Martin tastete sich mit den Füßen nach vorn. Der Boden war eben und aus Stein. Dann stieß sein Fuß ins Leere. Er fühlte mit der Fußspitze nach, der Boden brach geradlinig vor ihm ab. Vielleicht stand er auf einer Mauerkrone, drei, vier, fünf Meter noch. Wie sah es unten aus? War Wasser da, Gebüsch, Schutt? .

„So, Dichter, jetzt laß sehn, was du kannst!“ Martin keuchte. Ich will nicht - ich will nicht, dachte er. Oh,...sein Zimmer jetzt in der Nachmittagsonne, die Boote auf dem Wasser, die Stimmen der Ruderer .... „Ich kommandiere!“ rief der Boß. Wenn er nun sehr      hoch stand! - Wenn ihm nun etwas passierte - wenn sie - wann sie es wollten! - Sie würden weglaufen, keiner von ihnen hatte ihn gesehen - und er - und Mutter - Nein, nicht Springen - nicht.

„Eins....“, zählte der Boß. Wie sie triumphieren würden, wenn er nicht sprang. „Zwei....!“ Nein! Dieser Triumph mußte ihm gehören. Er würde springen. Er würde sie besiegen, dies eine Mal, was immer sie auch vorhatten..- Er widerstand der Versuchung, in die Hocke zu gehen, damit der Sprung nicht so tief sein sollte - was würde das schon ändern -, straffte sich und stand, mit den Füßen wippend, aufrecht auf der Kante. „Drei!“ -

Abstoß, die Arme fliegen nach vorn, Wind saust an den Ohren - Mutter, die Decke mit den braunen Mäandern. „Er muß sich durchsetzen!“ , Sonnenschirme, rot, blau, gelb., Lampions. - jäh der Aufprall. Die Wucht reißt ihn nach vorn. Er fängt den Sturz mit den Armen ab, da dringen Schneiden in seine Handflächen, scharf und stechend. Blut läuft warm über seine Handballen, das 'Tuch herunter! Licht!

Ringsum hockten die „Tiger“ im Gras: Martin sah umher. Sie befanden sich im Garten hinter einer Ruine. Er war von einem Balkon der ersten Etage gesprungen. Zwei oder drei Meter tief. Dann begegnete er dem Blick des Boß. „Hallo, Conny“, sagte er zaghaft lächelnd noch klopfenden Herzens. Der Boß betrachtete ihn nachdenklich und kaute auf seinen Lippen. Er lächelte nicht zurück

„Das wär geleistet,“ sagte Rolf. „Halt' die Schnauze!“sagte der Boß. Er blickte Martin lauernd an und sagte langsam: „Ich mache das Bestehen der Probe noch abhängig von einer Bedingung: Du wirst jetzt sagen, warum du gestern nicht gekommen bist!“ - „Aber das hat doch mit der Mutprobe nichts zu tun“, sagte Rainer, „ich finde, er ist gesprungen, das genügt!“

„Schnauze!“ sagte der Boß und, zu Martin gewandt; „Nun?“

Martins .Lächeln erstarb. Nie würden sie ihn in Ruhe lassen. Alles würde so bleiben, wie es gewesen war. Er spürte den Schmerz in seinen Handflächen. Die Stelle, an der er aufgesprungen war, war mit Flaschenscherben besät. Sie hatten Flaschen zerschlagen und die Scherben verstreut, damit er hineinspringen sollte. Er leckte das Blut ab, des über seine Handflächen

lief, nahm sein Taschentuch, wickelte es um die Linke und preßte die Rechte darum. Als Rainer ihm eine Rolle Leukoplast hinhielt, stieß er seinen Arm zurück.

„Laß mich!“sagte er. Jäh überstürzt von Zorn, hob er den Kopf, blickte in das Gesicht des Boß, machte einen Schritt auf ihn zu und sagte mit bebenden Lippen, in der Helligkeit des Lichts, das auf ihn eindrang: „Ich verzichte auf die Aufnahme!“ Der Boß duckte den Kopf und kniff die Augen zusammen. „Du hast nicht bestanden“ sagte er. „Natürlich hat er bestanden“, sagte Rolf.

Martin wandte sich ab. Er stieg auf den Schuttberg drüben, am Eingang des Kellers, lag nach seine Schultasche. Sekundenlang stand er Oben auf dem Schutt, das Gesicht zur Straße gewandt, überflutet vom jähen Gefühl seiner selbst, sog die Luft ein, hörte die andern unten palavern und wußte, daß er bestanden hätte.. Der Klub - wie unwichtig war das auf einmal!

„Hau schon ab, du hast nicht bestanden!“ brüllte der Boß hinter ihm. Er hob einen halben Backstein auf und schleuderte ihn nach Martin, aber der Stein traf nicht.

Martin stieg den Schüttberg hinab in den Hof der Brauerei. Autohupen, das Bimmeln der Straßenbahn schallten herüber, die Sonne flimmerte weiß auf den unterliegenden Betonstücken, Vögel sangen in den Holunderbüschen, der Himmel war an diesem Nachmittag von bestürzender Klarheit und einem Blau, wie es sich in der Mittagszeit auf ruhig im Glanz der Sonne daliegenden Wasserflächen :spiegelt. Jetzt mußte es scharf sein am Schwanenspiegel, wo die Boote dahinglitten in der Hitze und die Stimmen der Ruderer leise geworden waren. -Er würde allein sein, wie immer, und sie würden ihn verspotten. Aber er hatte keine Angst mehr.

Als er die Moltkestraße hinabgegangen war und, die Schultasche unter den Arm geklemmt, die schmerzenden Hände zu Fäusten geschlossen, bei Dickels Eisdiele an der Ecke stand, hörte er seinen Namen rufen. Rolf und Rainer kamen hinter ihm die Straße herabgelaufen. „Martin! Martin!“ riefen sie, „warte mal!“

 

 

Erzählung: „Gott ist hier gewesen“ 

Verbissen ging Ralf die Straße entlang, die zum Dorf führte. Es regnete, und seine Sachen wurden immer nasser. Er selber war wütend und traurig zugleich. Man hatte ihm sein Fahrrad gestohlen. Und es war nicht mal angeschlossen gewesen. Er hatte es an die Pappeln beim Fußballplatz gelehnt, wie die anderen auch. Aber ausgerechnet seins war wag. Nun mußte er den weiten Weg von zu Hause bis zur Schule zu Fuß gehen.

Die Aussichten, daß er ein neues bekam, waren gering. Der Vater war Maler und verdiente nicht viel mit seinen Bildern. Wahrscheinlich mußte er für den Rest der Schulzeit laufen. Und das Fußballspieler konnte er nun auch aufgeben, denn der Sportplatz lag unerreichbar fern jenseits des Dorfes.

Am Kaufladen stand Klaus. „Hast du dein Rad immer noch nicht gefunden?“ fragte er teilnahmsvoll. „Doch, natürlich“, knurrte Half. „Ich komme bloß zu Fuß, weil es für mich nichts Schöneres gibt, als eine Stunde durch den Reger zu laufen!“ - „Nun sei doch nicht gleich so“, sagte Klaus, „ich wollte ja nur fragen!“ Schweigend gingen sie nebeneinander.

„Übrigens“, sagte Klaus nach einer Weile und sah Ralf vorsichtig vor der Seite an, „meine Oma hat einmal ihre Geldtasche verloren, da war ihr ganzes Geld für den Monat drin. Sie betete inständig, daß sie das Geld wiederfinden möge. Immer wieder betete sie das. Sie ließ nicht locker. Und als sie nach ein paar Tagen in den Garten ging, fand sie ihre Geldtasche im Blumenbeet. Sie war naß und schmutzig, aber das ganze Geld war noch drin!“

Die Geschichte ging Ralf nicht aus dem Kopf. Nach der Schule fragte er Klaus: „Soll ich es auch einmal so machen wie deine Oma? ich meine beten und so?“- „Warum denn nicht?“ sagte Klaus. „Schaden kann es auf keinen Fall. Gott hilft den Armen, sagt meine Oma!“- „Na, dann könnte er sich wirklich mal ein bißchen um mich kümmern. Ich finde, ich hätte es nötig!“

Klaus sagte: „Du solltest es wenigstens probieren. Schließlich ist Gott noch am ehesten derjenige, der einem bei so etwas helfen kann !“ - „Dann werd ich gleich heute abend anfangen mit Beten“ , rief Ralf eifrig. „Weißt du was“, schlug Klaus ihm vor. „Ich helfe dir, ich bete auch mit. Wenn zwei beten, geht es vielleicht schneller!“ - „Wirklich, willst du das für mich tun?“ Ralf war ganz gerührt. Er hatte gar nicht gewußt, daß Klaus so nett war.

An diesem Abend ging Ralf früher ins Bett als sonst. Den ganzen Tag hatte er darüber nach­gedacht, was er Gott sagen wollte. Jetzt konnte er es auswendig wie ein Gedicht für die Schule. Er flüsterte es so lange vor sich hin, bis er darüber einschlief.

Am anderen Morgen erwachte er früh und ging noch vor dem Frühstück hinunter in den Hof. Sein Fahrrad hatte immer in dem alten Schuppen hinter dem Haus gestanden. Und wenn Gott ihn erhört hatte, dann stand es jetzt vielleicht schon wieder dort, gerade so, als sei es niemals fort gewesen. Sein Herz klopfte vor Aufregung, als er den Riegel zur Seite schob und die Tür langsam öffnete.

Der Schuppen war leer bis auf Mutters Gartengeräte, die in einer Ecke zusammenstanden. Keine Spur vor einem Fahrrad! Enttäuscht sah Ralf sich um. Nichts! Als er Klaus später am Konsum traf, sagte der: „Wir sind ja nicht die einzigen, die etwas von Gott wollen. Sicher ist er sehr beschäftigt. Bei meiner Oma hat es auch ein paar Tage gedauert. Man darf nicht aufgeben!“ Also beschlossen sie, weiter zu beten. Jeden Tag lief Ralf mehrmals heimlich zum Schuppen und schaue nach. Aber kein Fahrrad war da.

Am Samstag nach der Schule sagte Klaus plötzlich: „Weißt du, was wir machen sollten? Wir sollten morgen in die Kirche gehen. Ich glaube, das ist überhaupt das Beste, was wir tun können. Da muß Gott uns einfach hören!“ Ralf war nicht gerade begeistert von der Aussicht, daß er nun auch noch sonntags der weiter Weg ins Dorf machen sollte. Aber er sah ein, daß man nichts unversucht lassen durfte.

So verabredeter sie sich für den anderen Tag vor der Kirche. „Hoffentlich kommen nicht allzuviel Leute und beten Gott die Ohren voll“, seufzte Ralf, „sonst kommen wir vielleicht wieder nicht dran!“ In der Kirche setzten sich Ralf und Klaus ganz vorne hin, damit Gott sie gut sehen konnte. Klaus berührte Ralf manchmal sanft am Ärmel und lächelte ihm zu; dann senkten beide die Köpfe und beteten jeder für sich.

Nach der Kirche rannte Ralf gleich zum Schuppen. Die Tür stand offen. Ob das wohl ein Zeichen war? Er spürte, wie sein Mund vor Aufregung ganz trocken wurde. Er mußte all seinen Mut zusammennehmen, ehe er es wagte hineinzusehen. Der Schuppen sah aus wie immer -leer. Ralf wollte es einfach nicht glauben. Vielleicht hatte Gott das Fahrrad anderswo hingestellt? Vielleicht wußte er gar nicht, wo das Fahrrad hingehörte. Obwohl man eigentlich annehmen sollte, daß Gott das wußte. Jedenfalls sah Ralf sich überall um. Aber kein Wunder war geschehen.

Allmählich fing er an, sich Sorgen um Gott zu machen. Er war doch nicht etwa krank geworden? Schließlich war er ja schon sehr alt, da konnte das schor vorkommen. Oder vielleicht machte er auch nichts mehr, so wie Opa Karl, der auch nicht mehr arbeiten ging, seit er 65 geworden war. Da kam sein Vater aus dem Haus. Er sah Ralf am Zaun sitzen und in den Himmel starrer. „Nanu, suchst du etwas da oben?“fragte er. Ralf wurde ein bißchen rot:" „Ach nein - doch. Ich habe gebetet, daß ich mein Fahrrad wiederbekomme, und nun…!“ - „Nun wartest du darauf, daß es vom Himmel fäll“ - „Naja, so vielleicht nicht gerade. Aber irgendwie…“

Der Vater lächelte: „Ein Gebet ist kein Zauberspruch. Und Gott ist kein Zauberer, der oben im Himmel sitzt mit einem langen weißer Bart und auf uns herabsieht und unsere Gebete belauscht und ab und zu ein Wunder tut. So mußt du dir das nicht vorstellen!“ - „Nein?“ fragte Ralf erstaunt. „Aber in Opa Karls Religionsbuch ist ein Bild, da sitzt Gott über der Wolken mit seinem langer Bart und einem Mantel und…“ - „Ich kenne das Bild. Als Junge habe ich auch immer geglaubt, Gott müßte so aussehen. Bis mir einfiel, daß der Maler doch gar nicht wissen konnte, wie Gott aussieht. Er hatte ihr ja nie gesehen. Niemand hat Gott je gesehen!“

- „Niemand?“ fragte Ralf erschrocken , „auch nicht die Menschen in der Bibel?“ - „Denen ist Gott in ihren Träumen erschienen. Aber gesehen haben sie ihn auch nicht. Man kann ihn nicht sehen!“

„Ja, aber wenn doch nie jemand Gott gesehen hat, woher weiß man dann überhaupt, daß es ihn gibt? Dann Könnte es ihn doch ebensogut überhaupt nicht geben. Dann ist das alles bloß wieder ausgedacht?“ -„Es ist wie mit dem Wind, weißt du: Man kann ihn nicht sehen, aber es gibt ihn doch. Niemand bezweifelt das. Du mußt nur die Bäume anschauen, daran erkennt du den Wind. Er verändert sie: Sie schwanken hin und her und biegen sich, nicht wahr?“ Ralf sagte: „Ja!“

„Genauso ist es mit Gott. Du mußt nur die Menschen anschauen. Wenn sie gut zueinander sind, anstatt sich zu hassen, wenn sie Mitleid miteinander haben und einander verzeihen können, dann ist da Gott. Er ist mitten in ihnen!“

„Ach“, sagte Ralf, „ist er in mir auch schon gewesen?“ - „Gewiß, immer wenn du einen Streit hattest und du hast nachgegeben, oder wenn dir einer Unrecht getan hat und du hast es ihm nicht nachgetragen. Oder wenn jemand in Not war, und da hast ihm geholfen. Du mußtest es einfach tun, vielleicht wußtest du selbst nicht warum. Dann ist jedesmal Gott hier gewesen!“ - „Und wo ist er gerade jetzt?“ - „Ich glaube, gerade jetzt ist er uns ziemlich nah. Und an vielen Stellen auf der Welt ist er auch, wo ein paar Menschen gut miteinander ausgehen, anstatt sich wehzutun und sich zu kränken.“

„Und warum war er nicht da, als mein Fahrrad geklaut wurde?“ - „Ich bin sicher, daß er Fahrräder nicht so wichtig nimmt Das hat irgendein Taugenichts genommen, oder vielleicht einer, der es nötiger brauchte als du!“- „Was?“ rief Ralf empört. „Nötiger als ich? Dann hätte er wenigstens Stefans Rad klauen können. Der hätte längst ein neues bekommen!“ - „Du wirst auch wieder eins bekommen. Sei doch nicht so ungeduldig. Warte nur, wenn ich wieder ein paar Bilder verkauft habe!“- „Bis dahin habe ich mir längst die Beine in der Bauch gelaufen!“ Ralf rannte wütend ins Haus.

Er hatte soviel Hoffnung auf Gott gesetzt . Aber nun gab es ihn wohl überhaupt nicht, jedenfalls nicht so, wie er ihn sich immer vorgestellt hatte. Alles war ungewiß und rätselhaft und schwer zu verstehen. Es gab keine Sicherheit auf der Welt. Man konnte sich auf nichts verlassen.

Am nächsten Morgen sprach er mit Klaus darüber: „Gott kümmert sich nicht um Fahrräder!“ sagte er. Darauf sagte Klaus nach einer Weile: „Wenn das so ist, dann müssen wir die Sache selbst in die Hand nehmen. Vielleicht sollten wir eine Anzeige in die Zeitung setzen: „Suche gebrauchtes Fahrrad! Das Geld dafür müssen wir uns einfach verdienen!“

Aber die meisten Leute lachten nur über die Jungen, die nach Arbeit fragten. Einmal gruben sie einer alter Frau für zwei Mark der Garten um. Und mit Altstoffsammeln war auch nicht viel, denn da hatten sie schon von der Schule aus alles abgeklappert. Nach einer Woche hatten sie gerade 4,50 Mark zusammen. „Da werde ich hundert Jahre alt, bis ich genug Geld beisammen habe“, sagte Ralf trübsinnig. „Weißt du was“, rief Klaus plötzlich, „nimm doch meins! Nimm doch einfach meins. ich gebe es dir, bis du selber wieder eins hast. Ich brauche es eigentlich gar nicht. Ich kann ebensogut das Rad meiner Schwester nehmen. Sie ist die ganze Woche nicht zu Hause!“

„Mensch, Klaus!“sagte Ralf, „würdest du das wirklich für mich tun? Das kann ich doch gar nicht annehmen. Warum tust du das?“ - „ Weiß ich nicht“, murmelte Klaus. „Fahr schon ab!“ Ralf trat in die Pedale, was das Zeug hielt. Der lange Weg vom Dorf nach Hause war nur ein Katzensprung.

„Ich hab ein Rad“, rief er, als er in den Hof einbog. Vater kam aus seiner Werkstatt, und Mutter guckte am Fenster. Ralf fuhr im Kreis herum und sang, bis er ganz außer Atem war. Als er endlich anhielt, sagte der Vater zu ihm: „Siehst du, ich wußte, daß du wieder eins bekommen wirst!“ -„Das konntest du überhaupt nicht wissen“, rief Ralf trotzig. „Es ist von Klaus. Er hat es mir gegeben, weil er Mitleid hatte!“ - „Sieh mal n“, lächelte der Vater. „Der Klaus! Einfach so! Weil er Mitleid hatte!“ Er schwieg und betrachtete das Fahrrad. Als Ralf anfing, Vaters langes Schweigen merkwürdig zu finden, fiel ihm etwas ein: „Oder glaubst du, das hat etwas mit Gott zu tun, weil wir gebetet haben?“ Der Vater nickte. Es war wie ein Geheimnis zwischen ihnen (nach einer unveröffentlichten Erzählung von Renate Schupp).

 

Deutung der Erzählung:

Die Glaubensaussage klingt in der Antwort des Vaters an: „Gott ist mitten unter uns. Wir erkennen ihn an den Wirkungen bei den Menschen!“ Es wird aber auch eine Reihe falscher Vorstellungen abgewehrt: Das Gebet wird wie ein Orakel gebraucht, um ein Rad zu bekommen. Es wird mechanisch aufgesagt wie ein Gedicht, genauso geleiert. Wenn man zu zweit betet, dann hat das eine größere Wirkung. In der Kirche (im „Gotteshaus“) muß Gott es auf alle Fälle hören.

Beten ist aber etwas anderes: Es ist die vertrauensvolle Auslieferung an Gott. Gott ist kein Zauberer und Erfüller aller unserer Wünsche. Er ist nicht weit weg über den Wolken. Er ist auch nicht ein Mensch, der alt und krank werden kann. Niemand hat ihn bisher sehen können. Er begegnet höchstens in Träumen. Er wirkt wie der Wind, so handelt er an den Menschen. Er verändert die Menschen. An den Menschen kann man Gott erkennen. Gott ist nicht weit weg, sondern er ist gern unter den Menschen. Er hat auch Klaus verändert. Als Ralf das erkennt, beginnt er zu verstehen. Aber es bleibt doch alles wie ein Geheimnis.

In den Erzählungen der frommer Juden (der „Chassidim“) wird ein Ausspruch des Rabbi Mosche Löb überliefert. Er sagte: Wenn einer zu dir kommt und von dir Hilfe fordert, dann kannst du ihm nicht mit frommem Munde empfehlen: „Habe Vertrauen und wirf deine Not auf Gott!“ sondern dann sollst du handeln, als wäre da kein Gott, sondern auf der ganzer Welt nur einer, der diesem Menschen helfen kann, nämlich du allein!

 

 

Eine Lektion von meinem Vater
[Wenn unser Herz immer bereit ist zu geben, ist unser Leben immer erfüllt]
Wir alle in unserer Familie sind die geborenen Geschäftsleute. Schon als Kinder arbeiteten wir alle sieben im väterlichen Geschäft mit dem wohlklingenden Namen „Unser Laden für Haushalts- und Eisenwaren“. Wir wohnten in einer kleinen Stadt in der Prärie von North Dakota. Am Anfang führten wir Kinder kleinere Arbeiten aus wie Staubwischen, Regale in Ordnung bringen und Waren einpacken. Erst später durften wir nach und nach auch Kunden bedienen. Während wir der Arbeit nachgingen und dabei Augen und Ohren offen hielten, lernten wir, daß man nicht nur arbeitet, um etwas zu verkaufen und zu überleben.
Eine Lektion ist mir noch heute gegenwärtig. Ich war in der achten Klasse und war am späten Nachmittag in der Spielzeugabteilung be­schäftigt. Ein kleiner Junge, fünf oder sechs Jahre alt, kam herein. Er trug eine zerlumpte braune Jacke mit abgewetzten Ärmeln und hatte struppige Haare. Seine Schuhe waren ab­getragen, ein Schnürsenkel war ganz zerrissen. Der Junge wirkte arm auf mich – zu arm, um sich irgendetwas leisten zu können. Er schaute sich in der Spielzeugabteilung um, nahm die­sen oder jenen Gegenstand aus dem Regal und stellte ihn jeweils wieder vorsichtig zurück.
Mein Vater kam die Stufen herunter und ging auf den Jungen zu. Seine stahlblauen Augen strahlten, als er den Jungen fragte, was er denn für ihn tun könne. Der Junge sagte, er suche ein Geschenk für seinen Bruder. Ich war beeindruckt, daß mein Vater ihn mit dem gleichen Respekt behandelte wie einen Erwachsenen. Er meinte zu ihm, er solle sich Zeit lassen und erst mal in Ruhe schauen. Was der Junge dann auch tat.
Nach ungefähr zwanzig Minuten nahm er vorsichtig ein Spielzeugflugzeug, ging zu meinem Vater und fragte: „Wie viel kostet das bitte?“ - „Wie viel Geld hast du denn bei dir?“ fragte mein Vater zurück. Der kleine Junge streckte seine Hand aus und öffnete sie. Seine schmut­zigen Finger waren ganz feucht, so sehr hatte er sein Geld umklammert. In seiner Hand lagen zwei Dimes, ein Nickel und zwei Pennys – zusammen siebenundzwanzig Cent. Der Preis des Flugzeuges, das er ausgesucht hatte, betrug fast vier Dollar.
„Das reicht gerade so“, sagte mein Vater und besiegelte das Geschäft. Seine Antwort klingt immer noch in meinen Ohren wieder. Als der kleine Junge aus dem Laden ging, achtete ich nicht mehr auf seine schmutzige, zerlumpte Jacke, sein struppiges Haar oder den zerrissenen Schnürsenkel. Ich sah stattdessen ein strahlendes Kind mit einem Schatz in den Händen.

 

 

Gott gesehen

Es war einmal ein kleiner Junge, der Gott besuchen wollte. In seinen Rucksack packte er ein paar Schokoriegel und Cola-Dosen für unterwegs. Dann ging er die Straße hinunter und kam in einen kleinen Park. Dort sah er eine alte Frau, die auf einer Parkbank saß und den Tauben zusah. Der Junge setzte sich neben sie und öffnete seinen Rucksack. Er wollte bloß eine Cola trinken, als er bemerkte, dass die Frau neben ihm hungrig aussah. Also bot er ihr einen Schokoriegel an. Die Frau nahm dankbar an und schenkte dem Jungen ein Lächeln. Dieses Lächeln war so überwältigend schön, dass der Junge es gern noch einmal sehen  wollte, also bot er der Frau eine Cola an. Wieder nahm sie an und lächelte. Der Junge war glücklich. So verbrachten sie den ganzen Nachmittag: Sie aßen, tranken, lächelten, sprachen aber kein Wort miteinander. Als die Dämmerung einbrach, spürte der Junge, dass er müde geworden war. Er umarmte die Frau zum Abschied und ging nach Hause.

„Was hat dich denn heute so glücklich gemacht?“, fragte seine Mutter. „Du strahlst ja über das ganze Gesicht“ „Ich habe mit Gott im Park Cola getrunken“, sagte der Junge. „und weißt du was? Sie hat das schönste Lächeln, das ich je gesehen habe.“

Zur selben Zeit war auch die alte Frau zu Hause angekommen. Ihr Sohn bemerkte ihren glücklichen Gesichtsausdruck und fragte: „Was hast du denn heute gemacht, dass du so fröhlich bist?“ Sie sagte: „Ich habe im Park mit Gott Schokoriegel gegessen. Er ist viel jünger, als ich erwartet hätte“ (Verfasser unbekannt)

 

 

 

 

 

Material für Ansprachen

 

Advent:

Wenn ein Staatsmann zu einem wichtigen Besuch im Ausland war, dann wird er gewöhnlich von der ganzen Regierung am Flugplatz abgeholt. Da kann sich dann keiner ausschließen und jeder muß alle anderen Termine absagen. Er muß sich gut anziehen und ein Sonntagsgesicht aufsetzen. Auch auf dem Flugplatz muß alles hergerichtet sein: roter Teppich, Blaskapelle, Scheinwerfer, Fernsehen, Kinder mit Blumen. Es wird da oft schon viel Aufwand getrieben, selbst wenn nur der eigene Regierungschef zurückkommt.

Natürlich will er dann auch wissen, was sich zuhause zugetragen hat. Sein Stellvertreter und die anderen Minister müssen kurz berichten. Er selber wird natürlich auch von seiner Reise erzählen, seine Erfahrungen und neuen Eindrücke mitteilen und vielleicht auch neue Richtlinien für die Politik geben.

Es kann aber auch sein, daß sich die Ankunft einmal verzögert. Da liegt etwa Nebel über dem Flugplatz. Oder die Abreise hatte sich schon verzögert. Oder es war starker Gegenwind und so hat alles etwas länger gedauert. Es gibt ja so viele Gründe, die eine Ankunft verzögern.

Eins nur ist klar: irgendwann wird der Chef wieder zurückkommen. Und deshalb kann keiner vorzeitig heimgehen oder eine andere Verpflichtung wahrnehmen. Das Empfangskomitee kann auch auf dem Flughafengelände nicht groß etwas anderes unternehmen. Es bleibt nichts anderes übrig als zu warten. Aber jeden Augenblick kann es so weit sein. Deshalb gilt es, auch immerzu bereit zu sein.

 

Weihnachten: Kaiser Augustus

Zur Ordnung dieser Welt gehörte auch der Kaiser Augustus. Wir müssen uns einmal deutlich machen‚ was das für einer war. Mit Gewalt war er an die Macht gekommen und mit Gewalt hielt er die Völker nieder. Er hatte Frieden auf Erden versprochen und er hat ihn auch auf seine Weise hergestellt. Doch dazu ist viel Blut geflossen, bis das römische Schwert allen Völkern klargemacht hatte, was unter „Frieden“ zu verstehen ist. Die Juden haben ja nachher selber erfahren müssen, wie die Römer jeden Aufstandsversuch mit Grausamkeit unterdrückten.

Es ist ganz gut, daß Lukas zunächst einmal die anderen Großen der damaligen Welt aufzählt, ehe er auf den wahren Herrn der Welt zu sprechen kommt. Damals gab es eben noch andere Heilande, die der Welt ein großes und ewiges Friedensreich versprachen. Aber in Wahrheit brachten sie nur Not und Unterdrückung für die Menschen mit sich.

Eine Volkszählung war eine Menschenschinderei. Die Bevölkerung wurde auf dem Marktplatz zusammengetrieben. Mit Folter und Stockschlägen wurde verhört. Auf Alter und Ge­sundheitszustand wurde keine Rücksicht genommen. Alles war erfüllt von Kummer und Jammergeschrei. Da gab es ein Durcheinander, in dem jeder sich selbst der Nächste war.

Und wozu das alles? Nur um noch mehr Steuer aus den, Leutenherauszupressen. Was Augustus tat, war einfach Ausbeutung. Er hatte ja die Macht, er nützte sie aus.

Wir wollen aber nicht überheblich den Kopf schütteln über die Zustände von damals. So etwas gibt es auch heute. Und nicht nur in anderen Ländern, sondern auch in unserem privaten Bereich. Müssen sich bei uns nicht auch die heranwachsenden jungen Leute vielfach der Macht der Erwachsenen beugen? Springt man nicht vielfach mit den alten Menschen beliebig um, weil sie wehrlos sind? Verzichtet denn bei uns einer auf seine Macht? Ist denn bei uns einer bereit, sein Wohlergehen und seine Vorteile mit anderen zu teilen?

 

Silvester

Der Name Silvester bezieht sich auf Papst Silvester L, der das Pontifikat von 314 bis an seinen Tod am 31. Dezember 335 innehatte. Bei seiner Heiligsprechung wurde dieser letzte Tag des Jahres sein Namenstag. Obwohl in seiner Amtszeit die Taufe des Kaisers Konstantin fällt, hatte er daran keinen Anteil. Bemerkenswert in heutiger Sicht ist seine Verordnung eines zweiten arbeitsfreien Tages in der Woche, wie dies die „Goldene Legende“ berichtet. Er verfügte den Donnerstag als arbeitsfrei, ihn so wie den Sonntag zu halten. „weil Christus an diesem Tag gen Himmel fuhr, weil er das Sakrament seines Leibes und Blutes am Donnerstag eingesetzt hat und weil die Kirche an diesem Tag das heilige Öl bereitet und weiht“. Aber lange hielt diese Verfügung nicht an.

Die Ikonographie zeigt den Heiligen häufig als Papst mit einem Buch in der Hand, da er um seiner sozialen Leistung willen gerühmt wird, nach seiner Papstwahl „der Witwen und Waisen und aller Armen Namen in ein Buch schrieb und sie mit aller Notdurft versah“. Obwohl historisch kein Nachweis für Einfluß oder Mitwirkung des Papstes bei Kaiser Konstantins Bekehrung und Taufe vorliegt, nimmt die bildende Kunst im 12. Jahrhundert doch gern das Motiv auf, daß Silvester in pontifikaler Meßkleidung den Kaiser tauft. Auch kann ein Stier zu seinen Füßen liegen, da er einen solchen legendär zum Leben erweckte.

Im Volksbrauch, ganz besonders im deutschen, eint sich an diesem letzten Tag des Jahres, gedrängt. zum Abend und zur Mitternacht, alles Unholdenwesen, das in anderen europäischen Ländern schon zur Weihnachtszeit zu karnevalistischem Treiben, auch auf deutschem Boden zur Vorweihnachtszeit und in den zwölf Nächten zu lautem und dröhnendem Jagen führt, zu Umzügen, in denen der Lärm eine wesentliche Rolle spielt.

Von den Böllerschüssen, die heute noch von den Alpenbergen her Abschied vom alten Jahr nehmen, das neue Jahr begrüßen, bis hin zu dem lauten Treiben in norddeutscher Tiefebene will der Lärm vordringlich die bösen Geister abwehren. Diese Absicht hat letzten Endes auch aller Mummenschanz, der in Dörfern und Städten die Straßen durchtobt. Wie Papst Silvester selber zu Lebzeiten, so wettert auch der Kirchenvater Augustinus (354 - 430) gegen solche lärmende Umtriebe in der Stadt Rom, erwähnt genauer, daß die so Rasenden als Hirschkuh, Hinde und altes Weib sich verkleiden. Knapp vierhundert Jahre später, im Jahr 745, berichtet Bonifatius von ähnlicher Aufmachung in seinem Missionsgebiet: „Die ungeschlachten, einfältigen Menschen, die Alemannen, Bajuwaren und Franken verkleiden sich mit Geweih und Fell des Hirsches zum Neujahrsbeginn….“

Während in ländlichen Gegenden sich noch teilweise am Nachmittag der Heischengang erhält, mit Singen freundliche Gaben einsammelnd, so drängt sich in den Städten alles einst kultisch getragene Lärmen und Toben öffentlich sichtbar in einer einzigen Darbietung zusammen in einem pyrotechnischen Spektakel von immer größerem Ausmaß. Staatlicherseits einzig an diesem Abend allgemein erlaubt, jagen vor vielen Häusern, aus vielen Gärten die Raketen in die Lüfte, zum Krachen auch ein buntes optisches Schauspiel bietend, nicht mehr so gewußt und gewollt, aber historisch doch vom gleichen Abwehrbann getragen, der einst sich gegen die bösen Geister wandte. Am Silvesterabend wird in der häuslichen Feier noch das Orakelspiel gepflegt, vornehmlich im Bleigießen. Aber auch der Traum in der Silvesternacht wird noch gehörig beachtet. Im Ganzen nähert sich der Silvesterabend immer mehr einem Karneval unterm Weihnachtsbaum.

Daß die Kirche mit Gottesdienst aus dem alten Jahr scheidet, ist eine erst sehr junge Ordnung, gemäß dem Prinzip, daß die Kirche nicht den Jahreskalender, sondern den der eigenen Festordnung respektiert. Enthält die Meßordnung keinerlei Gottesdienstanweisung für den Silvesterabend, so hat sich doch die Gewohnheit einer Andacht zum Jahresschluß entwickelt, unter dem preisenden Leitwort: „Der Herr krönt das Jahr mit seinem Segen.“ Auch die evangelische Agende kennt erst vom Ende des 19. Jahrhunderts an eine Andacht zum Jahresschluß. Selbst die Glocken läuteten früher nicht. Die Kirchen standen dunkel und schweigend, während draußen das Volk lärmte und feierte.

 

Predigt von Hosea Heckert zu Weihnachten:

Liebe weihnachtliche Gemeinde!

Vor einigen Tagen rief ich einen Mitarbeiter abends um viertel nach Zehn an, weil ich noch etwas besprechen wollte. Vorsichtig fragte ich, ob ich so spät denn überhaupt noch anrufen dürfte. Seine Antwort war, na normalerweise ist es zu spät, aber es ist schon ok, wegen „Weihnachten – und so…“

Jetzt geht meine Frage an Sie, was hat der damit gemeint? „Weihnachten – und so…!“ Kennen Sie das auch, man braucht es eigentlich nicht wirklich auszusprechen. Es langt diese kurze Andeutung mit den Worten „und so“ und jeder und jede weiß schon, was gemeint ist.

Na, liebe Gemeinde, was heißt denn nun „Weihnachten und so…“ bei Ihnen?

„Moment mal, ich hab doch noch ein Geschenk für mein Patenkind vergessen, also schnell auf zum Weihnachtsmarkt in die Stadt, da wird sich doch noch schnell was finden lassen!“

„Ist noch genügend Majonäse für den Kartoffelsalat am Heiligabend da?“

„Funktioniert die Weihnachtsbaumbeleuchtung eigentlich noch?“

„Wo in aller Welt ist das Packpapier für die Geschenke?“

„Jetzt vor Weihnachten haben wir mächtigen Druck, da ist bei uns der Teufel los, klagen die Firmen, die noch eine Leistung erbringen müssen.“

Es ist schon paradox, da wird es Weihnachten, wo Gott Mensch wird und dann ist bei uns der Teufel los. Und in mancher Familie kracht es vor dem leuchtenden Weihnachtsbaum und ein gehöriger Streit bricht los – „Weihnachten – und so…..!"

Jeder und jede hat seine eigenen Erlebnisse und doch braucht uns keiner erklären, was er mit „Weihnachten und so…“ meint.

Es scheint ein im wahrsten Sinne des Wortes geflügeltes Wort zu sein, was wie ein gehetzter Weihnachtsengel zwischen uns hin und her fliegt. Oder ist es eher ein gehörntes Teufelchen?

Aber, was ist denn Weihnachten eigentlich. Wann wird es denn Weihnachten bei mir?

Vielleicht, wenn ich alle Geschenke zusammen habe

oder wenn ich das Gefühl habe, für einen überschaubaren Betrag doch eine ganze Menge Geschenke bekommen zu haben,

wenn ich mich selbst hingesetzt habe und gebastelt und dann ist etwas Tolles fertig und die Augen des Beschenkten, der Beschenkten leuchten vor Dankbarkeit und Rührung!?

Irgendwann muß doch richtiges Weihnachten werden! Es kann doch nicht immer bei diesem „Weihnachten – und so …“ bleiben.

Am Mittwoch stand ich auf dem Domplatz inmitten des Weihnachtsmarktes, da gab es soviel zu schauen und zu riechen und zu sehen und zu kaufen, na Sie wissen schon: „Weihnachtsmarkt –und so…“. und nachdem ich einige Buden abgeklappert hatte kam zur Weihnachtskrippe des Holzschnitzers aus Oberammergau, der dieses Jahr seine Krippe in Erfurt aufgestellt hat. Umzingelt von Buden und Büdchen standen - doch etwas allein auf weiter Flur - die Figuren im Stall, nur wenige Leute blieben mal länger als ein paar Sekunden stehen, meistens waren es eher die Kinder…

Das Jesuskind mit Maria und Josef, die Hirten und die Könige kamen mir irgendwie verloren vor in dem ganzen Trubel des Weihnachtsmarktes. Dabei gibt es den Brauch des Schenkens ja auch nur deshalb, weil wir das große Geschenk, das Gott uns macht auch an andere weitergeben wollen, die wir eben lieben, so wie Gott uns liebt. Wir schenken ja auch besonders gerne denen etwas, die wir lieben.

Vergessen wir etwa über dem ganzen Schenken-Wollen und Geschenke-Suchen, daß wir, jeder und jede einzelne von uns es sind, die beschenkt werden von Gott?

Rechnen wir noch damit, daß es da einen gibt, der sich selbst geben will, der sich nicht zu schade ist, in unser kleines Leben einzusteigen, der einer von uns wird, weil er es nicht aushält, daß wir wegen „Weihnachten und so…“ an ihm vorbeirennen von Weihnachtsmarktbude zu Weihnachtsmarktbude, von Kaufhaus zu Kaufhaus, von Geschenk zu Geschenk.

Liebe Gemeinde, am Mittwoch vor der Krippe inmitten des Weihnachtsmarktes hatte ich das Gefühl, daß das Jesus aus der Krippe heraus rief und kaum einer hat es gehört.

Wenn wir Weihnachten Gottes großes Geschenk - die Geburt seines Sohnes unter uns - feiern, was feiern wir da eigentlich?

Was sind seine Gottes Geschenke? In den Evangelien im Neuen Testament sind einige aufgeschrieben:

Da hat der mittlerweile erwachsene Jesus eine anziehende Botschaft:

Ich komm zu euch, auch wenn ihr krank seid und rede mit euch, wenn die anderen euch links liegen lassen!

Bei mir mußt du nichts, aber auch gar nichts vorweisen können, ich mag dich einfach so, wie grade bist und ich bin bereit, dich auch auf deinen steinigen Wegen zu begleiten!

Meine Hand kannst du greifen, wenn du den Halt verlierst, bei mir darfst du ausruhen.

Aber höre ich diese Sätze den überhaupt, sind sie nicht schon spätestens dann wieder vergessen, wenn morgen bei uns zu Hause das Festessen auf dem Tisch steht?

Verstehen Sie mich bitte nicht maß, nichts gegen Advents- und Weihnachtsmärkte, schöne Stimmung und gutes Essen! Aber verdeckt das alles nicht viel zu oft unsere eigene Sehnsucht, die wir eigentlich haben, nach einem, der einerseits Mensch ist und sogar den Geruch des Mistes kennt, mit dem wir uns in unserem „Stall“ rumschlagen und andererseits aber auch irgendwie über allen Dingen steht und uns hochreißen kann, wenn wir verzweifelt sind.

Im Krippenspiel, was wir eben erlebt haben, schickt Gott mitten in den Schweinestall den Engel Gabriel, obwohl der ganz schön die Nase rümpft…Unser Leben scheint Gott nicht zu stinken!

Liebe Gemeinde in Vieselbach / Wallichen!

Ich werde jetzt mal unhöflich und wechsele vom Sie zum Du, das mach ich nur, wenn es ganz wichtig ist und ganz konkret werden soll und als Euer Pfarrer, Euer Seelsorger und Hirte möchte ich jetzt ganz konkret werden:

Gott ist vor 2000 Jahren für Euch Mensch geworden. Er wird heute in dieser Nacht Mensch für mich, für Euch alle, die Ihr Euch an diesem Tag auf den Weg in Gottes Haus gemacht habt. Vielleicht können wir das einmal ganz für uns allein durchbuchstabieren: Gott, der die Idee hatte, daß es mich geben soll, der kommt heute in meinen „Stall“. In den Stall, der gerade mein Leben ist. Wir wollen uns nicht heute an etwas Vergangenes erinnern, nein, gerade in dem Augenblick als jeder und jede einzelne von Euch selbst hier eingetreten ist, ist auch ER mitgekommen, denn ER ist ja immer und überall bei mir und wird mit mir und mit Euch auch wieder gehen in Euer Leben, das manchmal wie so ein armseliger Stall ist, wie wir es im Krippenspiel gehört haben.

Wir können IHM hier und jetzt wieder einmal ganz neu auf IHN aufmerksam werden und IHM begegnen.

Wenn wir das geschmeckt haben, dann wird aus Weihnachten eine Erfahrung, wie sie die Hirten machen. Sie kommen ganz anders aus dem Stall heraus laufen, als sie hinein gekommen sind, und obwohl sie wieder in den gleichen ärmlichen Verhältnissen ankommen, wo sie vorher losgezogen sind: Eines hat sich geändert! Sie wissen jetzt in ihrem Herzen: Gott ist einer von uns. Der hat nicht wie alle anderen gesagt, du bist doch der letzte, sondern: Du bist der erste, der es erfahren soll!

Ja das haben die Hirten erkannt: Gott ist da! Gott ist unser Freund. Wer kann da noch ernsthaft gegen uns sein?

Das ist mein Geschenk, was ich bekomme, was Ihr alle heute wie alle Jahre wieder bekommt. Das ist es weswegen Ihr gekommen seid, vielleicht sogar ohne es zu wissen. Das ist das Geschenk, das ich Euch als Euer Pfarrer, Euer Seelsorger heute am Heiligen Abend neu zeigen möchte.

Lassen wir diese Botschaft der Hirten nicht irgendwo hier in der Kirchenbank links liegen:

Gott ist einer von uns. Gott ist da! Gott ist unser Freund. Wer kann da noch ernsthaft gegen mich sein? So wird Weihnachten wirklich Weihnachten und nicht nur „Weihnachten – und so …“.

 

 

Neujahrstag : Lk 2, 21

Dieser eine Vers ist etwas seltsam als Predigttext für Neujahr. Was hat er denn eigentlich mit diesem Tag zu tun? Er leitet nur über zu der sogenannten „Darstellung Jesu im Tempel“, gehört also eigentlich mit zur Weihnachtsgeschichte und Kindheitsgeschichte Jesu. So sollte er eigentlich auch zuerst verstanden werden: Wir haben heute den ersten wichtigen Tag nach Weihnachten, den Tag der Beschneidung und Namensgebung des Herrn Jesus.

Neujahr ist ja ein bürgerliches Fest, einfach durch die Übereinkunft entstanden, auf diesen Tag den Jahresanfang zu legen. Mit dem Kirchenjahr hat dieser Tag so gut wie nichts zu tun. Und dennoch können wir an diesem Tag nicht so einfach vorbeigehen. Wir stehen ja in einer ähnlichen Situation wie am Anfang des Kirchenjahres, wie am Wechsel vom Ewigkeitssonntag zum 1. Advent. Das alte Jahr ist vergangen, und wir nehmen das neue Jahr als Gabe aus den Händen Gottes entgegen. Wir sehen darin ein Zeichen der Gnade Gottes, die uns immer noch einen neuen Anfang gewährt.

Doch nun wieder zu unserem Predigttext. Was sollen wir ihm am Neujahrsfest entnehmen? Im Mittelpunkt des Verses steht der Jesusname. Und dieser Name soll auch im Mittelpunkt des kommenden Jahres stehen. Eine Woche nach Weihnachten können wir das neue Jahr nicht anders als „im Namen Jesu“ beginnen.

„Jesus“ heißt: „Gott hilft“. Bei Matthäus wird das übersetzt und noch näher erläutert: „Er wird sein Volk retten von ihren Sünden!“ Das wäre doch eine schöne Überschrift über das kom­men­de Jahr: „Gott hilft!“ In manchen Häusern kann man diesen Spruch auf einer Holztafel an der Wand hängen sehen, damit man ihn immer vor Augen hat.

Man kann dabei einmal das erste Wort betonen: „G o t t hilft“, nicht all die anderen, die uns Hilfe versprechen und dabei doch nur an sich selbst denken, so daß man nachher verraten und verlassen ist. Man kann aber auch betonen: „Gott h i 1 f t“, auch wenn es zunächst nicht so auszusehen scheint und wenn die Hilfe dann nachher anders aussieht, als wir es erwartet haben. Nur Jesus allein ist der rechte Herr und Helfer.

Alles, was wir im kommenden Jahr erleben werden, die vorhersehbaren und die unvorhergesehenen Ereignisse und Widerfahrnisse, wollen uns mit immer neuer Dringlichkeit auf Jesus verweisen. Wir blicken an diesem Tage vorwärts, auf unsere Probleme, Aussichten und Aufgaben im persönlichen und beruflichen Leben. Blicken wir auch auf Jesus, der uns in all diesen erwarteten und befürchteten Schicksalen begegnen will?

Es liegt wieder ein langer Weg vor uns. An diesem Weg stehen Wegweiser und Kilometersteine. Und auf all diesen steht der Name „Jesus“ geschrieben, der uns das ganze Leben begleiten will.

Was er uns zu geben hat, das hat wenig zu tun mit all den treuherzigen Neujahrswünschen, die Freunde und Nachbarn einander an diesem Tag zurufen. Wahrscheinlich bleibt ja doch wieder alles beim Alten, das alte Leben geht weiter. Jesus aber will uns helfen, daß es nicht so kommt, daß wenigstens an einigen Stellen etwas neu wird. Allein Jesus ist imstande, das neue Jahr zu einem wahrhaft n e u e n zu machen.

Wir werden nicht zu schweren Entschlüssen und umwälzenden Vorsätzen aufgerufen. Wir sollen nur den Namen „Jesus“ - „Gott hilft“ über all unser Tun im neuen Jahr schreiben.

Das aber bringt die Verheißung mit sich: Auch bei uns kann ein Neues werden, wir sind nicht hoffnungslos im Netz unsrer Gewohnheiten, Täuschungen und Verstockungen gefangen. Diese Zusage dürfen wir glauben. Das sollte uns Mut machen, ein Neues zu beginnen.

 

29. Februar (zu Jes 55,6 und 8-11)

In diesem Monat werden wir noch eine Besonderheit erleben, nämlich den 29. Februar. Schalttage gibt es zwar alle vier Jahre, parallel zu den Olympischen Spielen. Aber in diesem Jahr fällt der 29. Februar auf einen Sonntag, so daß wir einmal einen Februar mit fünf Sonntagen haben.

Man kann daran allerhand praktische Überlegungen anknüpfen: Dieses Jahr gibt es einen Arbeitstag mehr, der bei Gehaltsempfängern nicht einmal extra vergütet wird, aber dennoch seine Kosten verursacht. Ein Arbeitstag mehr bedeutet aber auch eine Steigerung der Produktion und des Gewinns. Wir können aber auch sagen: Ein Tag mehr in unserem Leben bzw. ein Tag länger bis zur Ewigkeit - natürlich nicht in Wirklichkeit, aber doch in der Zählung unsrer Tage. Der Kalender erinnert uns daran, daß unsre Zeit vergeht und auch unsere Lebenszeit begrenzt ist.

Dabei ist das so eine komplizierte Sache mit dem Schaltjahr. Der römische Kaiser Julius Cäsar hatte einst seine Priester angewiesen, den durcheinandergeratenen Kalender doch wieder in Ordnung zu bringen: Alle vier Jahre sollte ein Schaltjahr eingefügt werden.

Die Priester rechneten jedoch nach römischer Gewohnheit das Ausgangsjahr mit und riefen schon nach drei Jahren ein Schaltjahr aus. Der uns auch aus der Weihnachtsgeschichte bekannte Kaiser Augustus hat das dann wieder in Ordnung gebracht. Das war im Jahre 8 nach Christi Geburt, das zum Ausgangspunkt der neuen Schaltordnung wurde; seitdem sind die Schaltjahre durch „4“ teilbar.

Papst Gregor, dessen Kalender man im 17.Jahrhundert einführte, hat dann darauf hingewiesen, daß bei allen durch 100 teilbaren Jahren das Schaltjahr wegfallen muß, bei allen durch 400 teilbaren Jahren aber wieder gehalten werden muß. Die Jahre 1700, 1800 und 1900 waren also keine Schaltjahre, das Jahr 2000 aber war ein Schaltjahr .Also eine ziemlich komplizierte Sache.

Die Juden im 6. Jahrhundert vor Christus hatten ein anderes Zeitproblem. Sie saßen in der Gefangenschaft in Babylon. Ihr Prophet Jesaja der Zweite (bzw. der Dritte) hatte ihnen die bevorstehende Erlösung und die Rückkehr in die Heimat angekündigt. Aber bisher war das nicht eingetroffen und seine Botschaft hatte sich als Täuschung erwiesen. Sie war nichts weiter als eine der vielen „Parolen“, die in Gefangenenlagern umgehen, damit noch ein kleines Flämmchen an Hoffnung bleibt.

 

 

 

Ostern:

Wenn ein Mensch gestorben ist‚ der nicht zur Kirche gehört, dann wird ja in der Regel euch eine Trauerfeier gehalten. Das ist dann keine kirchliche Trauerfeier, sondern eine weltliche. Es muß ja irgendetwas gesagt werden zum Problem des Todes. Das ist natürlich schwierig für einen, der nicht an Gott glaubt.

Andererseits ist aber die Todesfrage unsere wichtigste Lebensfrage. Wenn mit dem Tode alles aus ist‚ dann lohnt sich das Leben doch eigentlich nicht. Alle Mühe und alle Geduld, aller Einsatz und alle Hoffnungen wären vergeblich. Dann wäre es im Grunde doch besser, man hätte überhaupt nicht gelebt.

Dennoch sagen viele: „Mit dem Tod ist alles aus!“ Und noch mehr Menschen werden es denken. Selbst unter Christen kann man diese Meinung hören und viele werden es im Geheimen denken, auch wenn sie bei der Beerdigung singen: Jesus, meine Zuversicht“. Meist hilft man sich so, daß man sagt: „Der Tote lebt im Gedächtnis seiner Verwandten und Freunde weiter!“ Aber sind mir doch einmal ehrlich: Wie schnell ist ein Mensch doch ersetzt und wie schnell geht er vergessen. Nach einigen Wochen schon kann man sich oft sein Gesicht nicht mehr genau vorstellen. Das Leben geht weiter auch ohne die Toten. Nachher erinnert man sich oftmals kaum an den Todestag.

Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn man von Jesus Ähnliches behauptet. Er soll angeblich nur im Gedächtnis seiner Jünger weiterleben. Wenn man ein Fortleben nach dem Tod leugnet, muß man folgerichtig auch die Auferstehung Jesu leugnen. Oder umgedreht gesagt: Damit man nicht an die Auferstehung Jesu glauben muß, leugnet man die allgemeine

Auferstehung.

Dabei ist diese Theorie doch ganz unwahrscheinlich. Stellen wir uns das doch einmal in Einzelheiten vor: Da wären die Jünger Jesu zwei Tage nach Karfreitag in Jerusalem zusammengekommen. Sie hätten beraten, was nun nach dem Tode Jesu zu tun sei. Und dann hätten sie

beschlossen: „Nun wollen wir einmal eine neue Religion gründen. Wir behaupten einfach, Gott habe Jesus auferweckt und er lebe auch jetzt noch und wir hätten ihn gesehen!“

„Ganz unwahrscheinlich!“ kann man da nur sagen. Die Jünger rechneten in keiner Weise damit‚ daß sich am Tode Jesu noch einmal etwas ändern könnte. Sie waren überhaupt nicht irgendwie psychologisch darauf vorbereitet, daß Gott noch einmal eine Wende herbeiführen könnte.

 

Die Legende von Christopherus

[Die Geschichte paßt zum Beispiel zu Reihe II, Pfingstmontag, 1. Kor 12, 4-11].

Vor langer Zeit lebte im Lande Kanaan ein Mann namens Reprobus. Er war von gewaltiger Statur, besaß große Kraft und viel Verstand. Auf seinen starken Schultern konnte er ganz allein einen Baumstamm tragen. Viele Leute erzählten von Reprobus und bewunderten ihn sehr: Reprobus ist immer vergnügt und hilfsbereit, für wenig Geld fällt er eine Menge Holz und pflügt täglich fast ein Feld.

Eines Tages kam Reprobus ein besonderer Gedanke in den Sinn. Den wurde er nicht mehr los: „Ich will einen Herrn suchen und ihm mit all meiner großen Kraft dienen. Aber er muß der mächtigste Herr der ganzen Welt sein. Ob ich den finde?“ Reprobus machte sich auf den Weg. Er suchte den mächtigsten Herrn der ganzen Welt. Bald kam er in ein fremdes Land. Dort regierte ein König, von dem man erzählte, er sei der mächtigste auf der ganzen Welt. Reprobus bot hier seinen Dienst an. Gern nahm man ihn auf.

Eines Tages bekam der König Besuch von einem Spielmann, der ihn mit seinen neuesten Liedern erfreuen wollte. Oft nannte er in einem Lied den Namen des Teufels. Reprobus beobachtete, wie der König jedesmal ein Kreuz schlug, sooft der Name des Teufels genannt wurde. „Warum tust du das?“ fragte er den König. So recht wollte der König ihm nicht antworten. Reprobus forderte: „Sagst du es mir nicht, so bleibe ich nicht bei dir im Dienst!“

Da beugte sich der König zu seinem Diener und sagte leise: „Höre ich den Namen des Teufels, dann segne ich mich mit diesem Zeichen. Ich fürchte, daß der Teufel sonst Macht über mich bekommt!“ Reprobus erwiderte nachdenklich: „So habe ich mich also geirrt, du bist nicht der mächtigste Herr, sondern der Teufel ist mächtiger als du. Ich muß dich verlassen und mich in des Teufels Dienst begeben!“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Reprobus. Sosehr ihn der König auch zurückhielt, nichts konnte Reprobus von seinem Vorhaben abbringen.

Weit, weit ging er, um den Teufel zu finden. Auf einem öden Feld traf er eine große Schar Ritter. Einer von ihnen sah besonders schrecklich aus. Der sprach Reprobus an: „Wo kommst du denn her? Suchst du etwas?“ Jeder andere wäre vor dem schrecklichen Anblick dieses Ritters ausgerissen. Reprobus aber reichte ihm die Hand und antwortete: „Ich suche den Herrn Teufel. In seine Dienste will ich treten!“ Fürchterlich und laut lachte da der Ritter: „Ich bin's, den du suchst. In meinen Dienst kannst du sofort treten!“

Da freute sich Reprobus. Nun hatte er endlich den mächtigsten Herrn gefunden. Miteinander zogen sie dahin, bis sie am Wegrand ein großes Kreuz sahen. Blitzschnell riß der Teufel sein Pferd herum und galoppierte voll Furcht in einer anderen Richtung davon. Reprobus wunderte sich sehr darüber. Als er ihn eingeholt hatte, fragte er: „Warum bist du vor dem Kreuz weggaloppiert? Fürchtest du dich so sehr vor einem Kreuz?“ Mürrisch brummte der Teufel vor sich hin. Reprobus drängte weiter: „Sage mir, warum reißt du vor einem Kreuz aus?“ Endlich antwortete der Teufel: „Es war ein Mensch, Christus mit Namen. Gott hatte ihn gesandt, und er tat nie etwas Böses. Trotzdem schlug man ihn ans Kreuz. Seit dem Tage zeigt sich seine Macht auf Erden. Komme ich an einem Kreuz vorbei, dann bin ich machtlos und muß weichen!“ Das genügte Reprobus. Nein, auch nicht der Teufel war der mächtigste Herr, sondern einer mit Namen Christus. Wie sollte er den finden?

Auf seiner Suche gelangte er in die Hütte eines Einsiedlers. Freundlich wurde Reprobus aufgenommen. Endlich konnte er in Ruhe etwas über diesen Herrn Christus erfahren. Der Einsiedler sprach von Jesus, dem Sohn Gottes, der als ein König ohne Krone regiert. Reprobus erfuhr, wie Jesus gerade den Menschen in Not half und die Armen und Kranken nicht im Stich ließ. Er hörte auch, wie Jesus den Menschen Gottes Güte zeigte und ihnen die Angst wegnahm. Nun wußte Reprobus sicher: „Das ist der mächtigste Herr. Aber wie kann ich ihm dienen?“ Der Einsiedler schlug vor: „Du kannst vom Morgen bis zum Abend zu ihm beten!“ „Gibt es nichts anderes zu tun?“ erkundigte sich Reprobus. „Du kannst viel fasten, das sieht der Herr auch gern!“ entgegnete ihm der Einsiedler. Aber hiermit war Reprobus erst recht nicht einverstanden. „Fasten, wäre das nicht schade um die große Kraft, die ich habe? Kann ich mit dieser Kraft nicht dienen?“

Nach einer Weile des Überlegens hatte der Einsiedler einen neuen Vorschlag: „Hier in der Nähe gibt es einen wilden, reißenden Fluß. Jeder, der ihn überqueren muß, begibt sich in große Gefahr. Keine Brücke kann dort halten, kein Boot übersetzen. Schon viele Menschen ertranken dort. Du bist stark. Auf deinen Schultern kannst du die Menschen hinübertragen. Diesen Dienst sieht der Herr Christus gern. Er freut sich über jeden, der den Menschen dient!“„ Das war für Reprobus ganz neu. Schnell und freudig ging er ans Werk. Bald war seine Hütte am Ufer fertig. Tag für Tag und manchmal auch nachts trug er die Menschen durch den Fluß. Keiner mußte ertrinken. Gesund und trocken gelangten sie zum anderen Ufer. Oftmals war diese Arbeit nicht leicht für Reprobus. In diesem reißenden Fluß gab es viele Strudel. Er mußte aufpassen, daß er da nicht hineingeriet. Manchmal wurden ihm fast die Füße weggezogen von der Kraft des Wassers.

Reprobus freute sich über seine neue Arbeit, doch allzugern hätte er den Herrn selbst einmal gesehen. Eines Nachts tobte ein gewaltiger Sturm. Reprobus hörte in seiner Hütte von draußen die Stimme eines Kindes rufen: „Reprobus, komm heraus und trage mich über den Fluß!“ Als er aus seiner Hütte trat, sah er niemanden. Kaum war er wieder in seiner trockenen und warmen Hütte, hörte er die Stimme wieder, sah aber wieder niemanden. Erst als er die Stimme zum drittenmal vernahm, sah er am Ufer undeutlich in Nacht und Wind ein Kind stehen. Mit seiner kleinen Stimme bat es Reprobus: „Trage mich bitte über den Fluß!“

Schnell nahm Reprobus das Kind auf seine Schultern und sagte: „Viele Menschen trug ich schon auf meinem Rücken über den Fluß, die viel schwerer waren als du. Mit deiner leichten Last kommen wir schnell hinüber!“ Munter schritt er, auf seinen festen Stab gestützt, los. Doch was war das? Höher und höher stieg das Wasser an ihm hinauf. Das Kind auf seinen Schultern wurde schwer wie Blei. Der starke Reprobus bekam Angst. Er fürchtete um sein Leben. Immer stärker drückte die Last des Kindes ihn hinunter. Keuchend stieg er in kleinen Schritten durch das Wasser.

Endlich erreichte er mit zitternden Knien das andere Ufer, setzte sich erschöpft nieder, ließ das Kind von seinen Schultern herab und stöhnte: „Du hast mich in große Not gebracht, Kind. So schwer wurdest du mir, als hätte ich die ganze Welt auf dem Rücken getragen!“ Lächelnd sah ihn das Kind an: „Wundere dich nicht darüber, Reprobus. Du hast nicht nur die ganze Welt getragen, sondern den, der sie erschaffen hat. Ich bin Christus, dein Herr. Gern sehe ich, wie du mir dienst. Du hast mich mit großer Anstrengung getragen. Beuge dich nun her zu mir, daß ich dich taufe. Du sollst ganz zu mir gehören. Auch einen neuen Namen sollst du bekommen. Du Christusträger Reprobus heißt nun hinfort Christophorus. Damit du weißt, daß ich die Wahrheit sage, stecke deinen Stab neben deiner Hütte in die Erde. Am Morgen wird er blühen und Früchte tragen!“ Mit diesen Worten verschwand das Kind. Christophorus ging fröhlich zurück und pflanzte den Stab neben seiner Hütte ein. Als er am anderen Morgen aufstand, sah er den Stab grünen und blühen. (Nacherzählung unter Verwendung von ..Die Wolke der Zeugen“ von Jörg Erb, Berlin 1954, und  ,Christophorus, Martin, Georg und Nikolaus“ von Renate Vogel, Berlin 1978).

 

 

Zum 10. Sonntag nach Trinitatis:

Als der preußische König Friedrich II. einen seiner Generale fragte, ob er ihm einen einzigen unwiderlegten Gottesbeweis nennen könne, gab ihn Graf Reventlow zur Antwort: „Jawohl, Majestät, die Juden!“ Mit seiner Antwort hat der General ins Schwarze getroffen; denn die Tatsache, daß die Juden als solche noch immer da sind, bleibt ein Rätsel. sofern Gottes Eingreifen unberücksichtigt bleibt.

Nachdem im Jahre 70 nCh Jerusalem und der Tempel zerstört worden waren, wurden die Juden in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Die politische Existenz des jüdischen Volkes war zu Ende. Aber Jahrhunderte zuvor hatte es schon einmal ein ähnliches Schicksal erlitten. Mit der Zerstörung des Tempels (587 vCh) schien der Zusammenhalt des Volkes dahin zu sein. Die Verschleppten hatten sich aber im babylonischen Exil mit ihren Lehrhäusern, den Synagogen, in denen sie sich zum Gebet und zum Lesen der Heiligen Schrift versammelten, einen neuen Mittelpunkt geschaffen. Andere, die nach Ägypten geflohen waren, hatten sich dort in ähnlicher Weise eingerichtet.

Als den Verschleppten und den Flüchtlingen die Möglichkeit zur Heimkehr gegeben wurde, folgte nur ein kleiner Teil diesem Ruf. Die meisten blieben in Babylon oder Ägypten und lebten von nun an in der Zerstreuung. Die Vereinzelten sammelten sich in der Synagoge. Sie hielten am Gesetz des Mose und an den Verheißungen der Propheten fest. Sie wußten sich - auch in ihrer Vereinzelung - als Gottes erwähltes Volk.

Dieses Bewußtsein hat sie vor dem Untergang bewahrt. Ein anderes Volk, von ähnlichem Schicksal betroffen, hätte sich spätestens in der dritten Generation dem Volk in der Fremde angepaßt und wäre damit untergegangen. Die Juden sind durch die Jahrhunderte hindurch Juden geblieben - Gottes erwähltes Volk, „ein Volk, das, unbegreiflich genug, ganz anders als alle anderen Völker, sein besonderes Wesen gerade darin hat, so anonym, so glanzlos da zu sein, gerade kein Eigenes zu haben!“ (Karl Barth, Die Judenfrage und ihre christliche Beantwortung).

Mit Abrahams Berufung (1. Mose 12,1 - 4) hat die Erwählung eingesetzt. Mit ihr reißt Gott den Erwählten aus seiner Familie und seiner Heimat heraus und macht ihn einsam. Der Erwählte wird auf einen Weg geführt, dessen Ende er nicht kennt. Im unbedingten Gehorsam des Glaubens empfängt er Gottes Verheißung, ein großes Volk zu werden. Dabei kommen alle Völker der Erde in den Blick.

Von der Erwählung Israels wird im Alten Testament oft gesprochen, am meisten im 5. Buch Muse (z. B. 14,2) und bei Deuterojesaja (z. B. 41,8-10). Israel hat seine Erwählung nicht seinen Vorzügen oder seinen Leistungen zu verdanken, „sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielte, den er euren Vätern geschworen hat“ (5. Mose 7,8). Gott hat das Volk durch seine Erwählung aus der Völkerwelt herausgenommen, aber nicht, um das erwählte Volk in einer Absonderung zu lassen, sondern um es zum Licht der Heiden (Jes 42,6; 49,6) zu machen.

Als das erwählte Volk trägt Israel auch eine besondere Verantwortung. Darum will Gott auch an ihm „heimsuchen alle eure Sünde“ (Am 3,2). Doch solche Heimsuchung steht allein Gott zu. In dem Trostwort des zweiten Jesaja wird Jerusalem das Ende der Knechtschaft im babylonischen Exil angekündigt: „Sie hat doppelte Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden“ (Jes 40,2). Das erwählte Volk bleibt - trotz seines Ungehorsams - unter Gottes besonderem Schutz. Er sagt: „Wer euch antastet, der tastet meinen Augapfel an“ (Sach 2,12).

Die Erwählung wurde in Israel am tiefsten in der Zeit des drohenden Untergangs und des Exils erfahren. Der Erwählungsglaube wurde Israels letzter Halt und hat es durch den Untergang hindurchgerettet. Für die nachexilische Gemeinde wurde dieser Glaube zum Wegweiser. Die Gewißheit der göttlichen Erwählung hat der kleinen Volksgemeinde, die fast ständig fremden Mächten unterworfen war, hindurchgeholfen, auch wenn sie durch viel Leiden gehen mußte. Die Erwählung Israels verdichtet sich in dem einen Erwählten, Jesus von Nazareth. Er weiß sich „gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“.

 

Auch in Deutschland gab es viele Juden. Im Jahre 1925 hatte in Deutschland über eine Million luden gelebt. Im September 1944 waren es nur noch 14.000. Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges kehrten einzelne Juden in ihre deutsche Heimat zurück. Rabbiner Dr. Martin Riesenburger konnte 1953 die Berliner Synagoge in der Rykestraße, die während des Krieges als Lagerraum benutzt worden war, nach vollständiger Renovierung als Friedenstempel wieder einweihen. Die Zahl der Sitze ist den neuen Verhältnissen entsprechend auf 500 Männerplätze und 300 Frauenplätze verringert worden. Die Sabbatfeiern finden im ehemaligen Trausaal mit 50 Plätzen statt. Im Jahre 1978 gehörten 340 Mitglieder zur jüdischen Gemeinde in Berlin. Vor 1933 hatte es allein in Berlin nicht weniger als zwölf große Synagogen gegeben. In der DDR gab es acht jüdische Gemeinden mit ihren Gottesdienststätten in Berlin, Dresden, Erfurt, Halle, Chemnitz, Leipzig, Magdeburg und Schwerin.

Die Synode der EKD vom 23. - 27 April 1950 in Berlin-Weißensee stellte sich die Frage: „Was können die Kirchen für den Frieden tun?“ Der damalige Synodale Heinrich Vogel sagte dazu: „Wir erkannten, daß wir nicht legitimiert wären, als Kirche zur Friedensfrage zu sprechen, wenn wir als Kirche in Sachen der Schuld an Israel schwiege““. Die Synode beschloß einstimmig eine Erklärung zur Judenfrage.

Die römisch-katholische Kirche hat im 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) in ihrer Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen in Artikel 4 zur Judenfrage Stellung genommen und dabei u. a. betont: „Ein großer Teil der Juden hat das Evangelium nicht angenommen, ja, nicht wenige haben sich seiner Ausbreitung widersetzt. Nichts­destoweniger sind die Juden nach dem Zeugnis des Apostels immer noch Gottes Lieblinge um der Väter willen; sind doch seine Gnadengaben und seine Berufung unwiderruflich.“

Kurz vor seinem Tode, am 3. Juni 1963, hat Papst Johannes XXIII. das folgende Bußgebet verfaßt: „Wir erkennen nun, daß viele, viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen bedeckt haben, so daß wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen. Wir erkennen, daß das Kainszeichen auf unserer Stirn steht. Jahrhundertelang hat Abel darniedergelegen in Blut und Tränen, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns die Verfluchung, die wir zu Unrecht aussprachen über den Namen der Juden. Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fleische zum zweitenmal kreuzigten. Denn wir wußten nicht, was wir taten“.

An der Mauer des Warschauer Gettos stand geschrieben:

„Ich glaube an die Sonne, auch wenn sie nicht scheint.

Ich glaube an die Liebe, auch wenn ich sie nicht spüre.

Ich glaube an Gott, auch wenn ich ihn nicht sehe.“

 

Der Zeitpunkt der Wiederkunft Christi

Die ersten Christen rechneten sehr stark mit seinem Wiederkommen noch zu ihren Lebzeiten. Die Gemeinde in Jerusalem geriet in große Not, weil die Christen dort alles verkauften und täglich ihren Herrn wieder erwarteten. Paulus mußte in seinen Missionsgemeinden für die Jerusalemer betteln und sammeln.

Zu Luthers Zeiten lebte in Lochau bei Torgau ein Pastor und ehemaliger Mönch Michael Stiefel, der nach unermüdlichem Studium errechnete: Am 19. Oktober 1533 wird der Herr wie­derkommen! Die Randsiedlern lachen ihn aus, stehlen und morden. Die Frommen vernachlässigen ihre Arbeit und bereiten sich mit. Beten und Fasten auf die Ankunft des Herrn vor.

Tausend Menschen haben sich am „Jüngsten Tag“ nach. der Berechnung Stiefels in der Kirche von Lochau versammelt. Seit Mitternacht läuten die Glocken. Dann tritt Stille ein, die Gebete mischen sich mit dem Grölen der Betrunkenen im nahen Wirtshaus. Jetzt muß es geschehen: Michael Stiefel steht vor dem Altar, das Gesicht erhoben, lauschend und erwartungsvoll. Und nichts geschieht. Nur ein kleiner Zeisig fliegt durch das Kirchenschiff, zwitschert und setzt sich jubilierend auf das Schnitzwerk des Altars.

Als die erstarrte Menge sich auf dieser Erde wieder findet, ist das Schelmenlied plötzlich da: „Stiefel muß sterben, ist noch so jung, so jung...“

Mit der Berechnung der Wiederkunft Christi haben sich in unseren Tagen die „Zeugen Jehovas“ vielfach beschäftigt. Ihr Gründer hat das Jahr 1874 errechnet, dann die 3 1/2 Jahre Wirkungszeit Jesu hinzugerechnet und später 40 Jahre Erntezeit als Frist für die Auserwählung gegeben. Aber auch 1914 war ein ebenso falscher Termin wie die neue Berechnung auf das Jahr 1925. Der nächste Termin ist das Jahr 1975.

Aus diesen Beispielen ergibt sich: Über einen Termin können wir keine Aussage machen. Aber was gibt uns das Recht, an eine Wiederkunft Christi zu glauben?

 

 

Sondertext: 1. Thess 4, 13 - 18

Es ist immer wieder schwer für uns, wenn wir eine uns nahestehenden Menschen hergehen müssen an den Tod. Im ersten Augenblick kann man es gar nicht fassen. Eben noch hat sich der Mensch noch bewegt, wir haben noch mit ihm gesprochen, er hat uns noch angesehen. Aber dann ist es auf einmal aus und nichts ist mehr möglich.

Man kann sich erst gar nicht daran gewöhnen: Wenn man in das Zimmer kommt, in dem der Verstorbene sich meist aufhielt, sucht man ihn unwillkürlich und bemerkt schmerzlich die Lü>Und da heißt es nun in unserem Predigttext: „Seid nicht traurig wie die anderen, die keine Hoffnung haben!“ Das ist leichter gesagt als getan. Denn es geht uns doch so wie allen anderen Menschen: Der Tod eines nahen Verwandten nimmt uns schon mit und läßt uns nicht unbeeindruckt.

Aber sicherlich ist uns diese rein menschliche Trauer nicht verwehrt - das ist hier nicht gemeint. Im Gegenteil: Wir würden uns sehr wundern, wenn ein Sohn nicht betrübt wäre über den Tod seines Vaters. Aber so etwas soll es ja auch geben: Einmal Kinder, die froh sind, wenn der Alte endlich gestorben ist und unter die Erde gekommen ist, damit er keine Last mehr ist.

Aber es gab auch schon einen Vater, der betrunken zur Beerdigung seines Kindes kam und völlig teilnahmslos am Grab stand. Als man ihn deswegen fragte,           meinte er sehr derb: „Was soll ich um ein Kind weinen, das ich jeden Tag selber machen kann!“ Wer nicht durch den Tod berührt wird, der hat auch keinen Gott mehr. Aber die Regel ist solches herzloses Verhalten ja nicht.          

Aber wir sehen hier doch: Nicht überall, wo der Tod eingekehrt ist, sind auch Trauernde, die nach Hoffnung und Trost verlangen.  Zwischen denen, die keine Hoffnung haben, und denen, die in Hoffnung leben, verläuft die Grenze heute weithin unsichtbar mitten durch die christliche Gemeinde und durch das Herz eines jeden Einzelnen hindurch.   

Doch wenn nun einer wirklich betrübt ist, dann ist es ein schwacher Trost, wenn man ihm sagt: „Sei nicht traurig!“ Selbst der Hinweis   auf unseren Glauben, auf die Auferstehung, hilft manchmal nichts; denn der Schmerz bohrt ja j e t z t und alles andere ist eine Vertröstung auf die Zukunft.

Wir können da nicht an ein christliches Heldentum appellieren und sagen: „Es ist ja nur halb so schlimm. Wir müssen alle einmal sterben, aber wir werden auch alle einmal auferstehen!“ Das hilft für das konkrete Problem kaum etwas.

Aber dennoch gilt: Wir müssen nicht traurig sein wie die anderen, die keine Hoffnung haben! Denn wir haben eine Zusage, die Zusage Gottes, die uns auch über den Schmerz des Augenblicks hinaussehen läßt, auf das Ziel unsres irdischen Daseins: das Leben bei Gott! Das ist wirklich die einzige Hoffnung, die wir haben können, gerade angesichts des Todes.

 

Wer sind denn die, die keine Hoffnung haben? Es müssen nicht unbedingt die sein, die außerhalb der Kirche stehen. Bei einer Umfrage haben nur 37 Prozent der Evangelischen die Frage bejaht, ob es ein Leben nach dem Tode gebe; und unter den Kirchgängern waren es auch nur 65 Prozent, und bei Älteren und Jüngeren war der Anteil gleich, die Älteren haben nicht mehr Hoffnung als die Jüngeren auch.

Wir reden und hören alle nicht gern vom Tod. Vor allem jüngere Leute machen einen großen Bogen um den Friedhof und möchten nicht einmal bei der Beerdigung eines guten Bekannten teilnehmen, um nur ja nicht an den Tod erinnert zu werden.

Bei uns ist die Frage nach dem Tode nicht so besonders aktuell - ganz im Gegensatz zu den Fragen der Thessalonicher. Höchstens unterschwellig kommen die Gedanken wieder hoch bei einem Todesfall. Aber sonst möchten wir möglichst wenig zu tun haben mit dieser ganzen Sache. Für das praktische Leben spielt sie keine besondere Rolle, auch nicht an den letzten Sonntagen des Kirchenjahres. Meist sagen wir doch, auch als Trost für Trauernde; „Zeit heilt Wunden“ oder „Das Leben muß doch weitergehen!“ Das ist unsre ganz praktische Philosophie.

Und die, die nun überhaupt nicht an Gott glauben, haben noch einmal eine andere Antwort auf die Frage nach dem Problem des Todes, das heißt: eigentlich sind es drei Antworten, bei sogenannten „weltlichen Trauerfeiern“ kann man sie hören:

1. Wir leben weiter in unsren Kindern! Aber das stimmt ja nicht. Jedes Kind ist ein eigener Mensch. Die Kinder haben ihr eigenes Leben und setzen unser Leben nicht fort. Wir müssen sterben, aber sie werden leben.

2. Wir leben fort im Andenken der Menschen! Aber das ist einfach Einbildung und Heuchelei. Nichts geht schneller vergessen als ein toter Mensch. Schon nach wenigen Tagen hat man sein genaues Bild vergessen und von Tag zu Tag wird die Erinnerung schwächer. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen lebt nicht einmal unser Bild im Gedächtnis der Menschen weiter.

3. Wir leben weiter in unsrem Werk! Gewiß, wenn einer etwas Großartiges geschaffen hat, dann bleibt sein Name vielleicht 1ange mit dieser Leistung verbunden. Aber eben sein Werk besteht weiter und nicht er selbst. Und was soll der sagen, der nichts hinterlassen hat? Ist das Andenken an ihn mit dem Tag eines Todes weggewischt?

All diese drei Antworten können keinen Trost geben. Da hält man sich lieber an die Bibel. Wie schön ist hier beschrieben: „Die Toten schlafen nur!“ Aber einmal werden sie von Christus abgeholt werden von dieser Erde. Christus wird in all seiner Herrlichkeit kommen wie bei dem Staatsbesuch eines Herrschers. Und dann wird er alle, die an ihn glauben, mit sich

fortführen, damit sie bei Gott sind. Auch die schon „im Herrn entschlafen“ sind, sollen dann dazugehören.

Die Thessalonicher hatten bei Paulus angefragt: „Was wird denn mit den Gemeindegliedern, die schon verstorben sind?“ Man wundert sich eigentlich, daß sie so fragen, denn aus ihrem Taufunterricht kannten sie doch sicher die Lehre von der Auferstehung der Toten. Doch das war wohl alles in den Hintergrund gedrängt worden durch die Naherwartung der Ankunft des Herrn.

Sie nahmen an, sie würden nicht mehr sterben, sondern gleich zu Gott kommen. Aber nun waren sie beunruhigt, daß schon einige gestorben waren und nichts geschah. Doch Paulus kann sie beruhigen. Er teilt in diesem frühesten seiner Briefe noch ganz die Naherwartung der Thessalonicher. Aber er sagt: „Die Verstorbenen werden nichts versäumen, sondern sie werden genauso wie die Lebenden Anteil haben an dieser Heimholung durch Christus: Wer in Christus gestorben ist, dem ist die Auferstehung jetzt schon sicher. Er wird das Heil Gottes nicht versäumen, sondern für ihn wird durch ein Auferstehungswunder ganz speziell gesorgt werden!“

Doch das Bild, mit dem dieser Vorgang beschrieben wird, ist uns heute fremd: die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes - das Hingerücktwerden in den Wolken, dem Herrn entgegen in die Luft - das klingt uns doch alles so unwahrscheinlich und märchenhaft. Paulus verwendet hier einfach Vorstellungen der jüdischen Religion, die uns heute nicht mehr so ohne weiteres zugänglich sind.

Doch so viel ist deutlich: Die Entrückung in Wolken bedeutet Verhüllung und Verwandlung. Niemand wird feststellen können, was da eigentlich geschieht und was Gott vorhat, es bleibt sein Geheimnis.

Wir werden hier nicht belehrt über das christliche Verständnis des Todes. Der Text gibt uns auch nicht Antwort auf die Frage nach dem Sinn oder Unsinn des Todes. Für die Bibel ist das Problem des Todes sowieso nur eine Grenzfrage, denn in erster Linie schärft sie uns ein: Jeder Mensch steht vor Gott und ist ihm: verantwortlich. So soll uns auch hier nicht unsre Zukunft enthüllt werden, sondern hier wird uns nur die ewige Gemeinschaft mit Gott bezeugt - auch über den Tod hinaus.

Wir wissen: Christen müssen nicht ohne Hoffnung trauern. Wir dürfen Mut haben für unsre Zukunft, denn ihr wird auch durch den Tod keine Grenze gesetzt. Im Tod bewährt sich gerade erst die Gemeinschaft mit Gott.

Nun könnte man natürlich immer noch einer sagen: Diese Hoffnung über den Tod hinaus ist auch nur ein Teil des antiken Weltbildes, das heute vergangen ist, gewissermaßen nur die märchenhafte Einkleidung einer längst vergangenen Wunschvorstellung. Aber sicher wird man hier einen Unterschied machen müssen: Das mit der Posaune und dem Flug durch die Luft mag vielleicht vergangen sein, da können wir heute nicht mehr mit.

Aber was damit gemeint war, gilt bis heute noch, das kann uns keine Veränderung des Weltbildes nehmen „Wir werden mit dem Herrn sein allezeit!“ Schöner kann man es nicht sagen. Und wer mehr erfahren will und noch tiefer in die Geheimnisse Gottes eindringen will, wird nur weniger haben.

Nicht auf diese phantastischen Bilder von der Wiederkunft Christi wollen wir unseren Glauben bauen, sondern auf die tröstliche Zusage: „Jesus ist als Erster auferstanden und wir werden mit dem Herrn sein allezeit, im Leben und im Tod!

 

 

Stellung der Kirchen:

Früher war die Kirche ein Kulturfaktor und zum Teil sogar ein politischer Faktor. Da kam der Pfarrer vor dem Bürgermeister und der Bischof vor dem Staatsoberhaupt. Da kam es nicht in Frage, daß etwa am Karsamstag ein Tanz stattfand.

Heute befinden wir uns wieder in einer Talsohle der Entwicklung, jedenfalls von außen gesehen. Ein Sinnbild für die heutige Stellung der Kirchen ist, wenn die Kirchtürme überragt werden von Schornsteinen, Hochhäusern und Fernsehtürmen. In Berlin durfte früher das Rat­haus nicht höher sein als die Marienkirche. Heute steht unmittelbar neben der Marienkirche der Fernsehturm. Es ist vieles anders, als es früher einmal war. Aber mit der Kirche ist es deshalb noch längst nicht aus.

 

Ulrich Heilmann in „Potsdamer Kirche“:      

Versucht wie er, aber nicht ohne Sünde (zu Mt 4,1-1)

 

Als der Teufel den Herrn verlassen hatte, schüttelte er den Kopf, denn er verstand ihn nicht. Und er sprach zu sich selbst: „Ich verstehe ihn nicht. Ich habe ihm angeboten, daß er mit Gottes Hilfe satt werden könne, und er wählte den Mangel. Ich habe ihm Sicherheit angeboten, die Sicherheit, die die Engel bieten, und er wählte die Unsicherheit! Ich habe ihm Macht und Einfluß angeboten, und er wählte die Ohnmacht. Ich verstehe ihn nicht!“ Er konnte ihn nicht verstehen. Er war ja der Teufel.

Aber er hatte nur den Herrn verlassen und nicht die Welt. Und so sagte er weiter zu sich selbst: „Ich will mich an seine Jünger machen. Meine Fragen waren gut. Ich habe gesehen, wie er kämpfen mußte, um zu siegen. Ich werden seine Jünger versuchen!“" Und er verkleidete sich in einen Engel des Lichts, ging hin in die Länder und Jahrhunderte und versuchte die Christen. Und Gott, der Herr, ließ ihn gewähren eine Zeitlang.

Und er ging zu den Kirchen und sah die Einflußreichen bei der Beratung und hinter ihnen viele, viele Christen. Es waren da die vielen, die immer dasselbe dachten wie die Einflußreichen, und die anderen - und derer waren noch mehr - die nur sehr wenig nachdachten, aber immer das taten, was die Einflußreichen für sie gedacht hatten. Und der Teufel trat zu ihnen und sagte ihnen, daß sie hungrig, ungesichert und ohnmächtig nicht viel ausrichten würden in der Welt.

Er sagte: „Denn das Evangelium wird glaubwürdiger, wenn ihr es satt, sicher und mächtig in die Welt tragt!“ Da nickten die Einflußreichen mit dem Kopf, denn das hatten sie auch schon gedacht. Und die vielen, die immer dasselbe dachten wie sie, nickten auch mit dem Kopf, und die anderen nickten auch, weil die Einflußreichen genickt hatten. Und die Kirchen wurden satt, sicher und mächtig; und es waren wenige, die beim Herrn in seiner Schwachheit ausharren rollten.

Nachdem der Teufel schon viele Verträge mit vielen Kirchen abgeschlossen hatte, kam er neunzehn Jahrhunderte nach der Versuchung Jesu zu einer Kirche, deren Volk sehr schuldig geworden war. Und die Kirche war auch schuldig geworden und hatte es sogar zugegeben. Ihr Reich war zerschlagen, und ihre Kirche war auch zerstört. Sie waren eben dabei, die Kirche neu aufzubauen. Als der Teufel zu ihnen trat, saßen die Einflußreichen zusammen und erzählten einander, wie sie mit den Dämonen gerungen hätten. Und hinter ihnen sah der Teufel die vielen, die immer dasselbe dachten wie die Einflußreichen, und die anderen - und derer waren auch in diesem Lande und auch nach diesem Zusammenbruch die meisten - die selten nachdachten und immer das taten, was die Einflußreichen für sie gedacht hatten.

Und der Teufel sagte zu ihnen: „Ihr kennt nun den Mangel und wißt, wie er eure Arbeit hemmt. Es kommt nun darauf an, daß die Verkünder in Kleidung und Auftreten zeigen, daß man von Gottes Gnade gut leben kann. In eurem Volk wird das viel ausmachen.“ Da nickten die Einflußreichen, denn das leuchtete ihnen ein, und sie kannten ihr Volk. Und der Teufel sagte weiter: „Ihr habt erlebt, wie es ist, wenn eure Versammlungen behindert oder gar verboten werden können. Ihr müßt alles tun, daß niemand eure Arbeit stören kann!“

Da nickten sie alle sehr; nur d i e Sicherheit, die die Engel bieten, war ihnen zu unsicher, und sie wollten sich lieber mit Waffen schützen. Da gab ihnen der Teufel von ihm erfundene, sehr wirksame Waffen. Und sie waren es nun zufrieden, und er war es auch zufrieden. Und dann sagte er: „Ihr habt erlebt, wie eine gottlose Welt mit euch umgesprungen ist. Ihr müßt die Macht ergreifen in Wirtschaft und Politik, in Presse und Rundfunk, daß die Welt christlich wird!“ Das hatten sie auch schon gedacht, und so nickten sie.

Nur wenige unter den Einflußreichen und andere, die die Bibel gelesen hatten, gaben zu bedenken, daß Jesus in Matthäus 4 doch ganz anders entschieden hatte. Aber da sagte man Ihnen, sie verstünden eben nichts von Heilsgeschichte, und sie läsen die Bibel ganz falsch. Andere wieder sagten, das sei ja doch bloß ein Märchen und müsse existential interpretiert werden; und weil das kaum einer verstand, meinten sie alle, das bedeute, daß man in der Kirche keine Experimente machen dürfe und daß alles beim Alten bleiben sollte.

Und der Teufel gab ihnen viele Schriftstellen, und man konnte die Zitate prüfen, ob sie stimm­ten, und sie standen wirklich in der Bibel. Und als dann immer noch einige zweifelten, sagte der Teufel, sie seien eben Schwärmer; denn er wußte, daß man in diesem Lande jeden kirchlich erledigen konnte, wenn man ihn einen Schwärmer nannte. Und als der Tag der Entscheidung kam, hatten sie die Mehrheit. Man brauchte gar nicht erst zu zählen, so groß war die Mehrheit. Und auch diese Kirche wurde satt, sicher und mächtig; und es waren wenige, die beim Herrn in seiner Schwachheit ausharren wollten.

Und der Teufel zog in ein anderes Land, in dem dieselbe Sprache gesprochen wurde. Aber sonst war vieles anders: Die Kirche hatte Mangel und lebte in großer innerer und äußerer Unsicherheit und hatte fast keine Macht mehr. Es war ein atheistisches Land. .Da war der Teufel bestürzt, und er erschrak sehr - denn die Teufel können auch erschrecken, aber die meisten Menschen wissen das nicht. Und er sagte zu sich selbst: Wie soll ich sie von Jesus wegbringen? Sie haben nicht die leiseste Chance, bald satt, sicher und mächtig zu werden. Ich werde ein Meisterstück liefern müssen: Sie müssen mir ihre Seele verkaufen, ohne daß ich ihnen gebe, wonach ihr Herz sich sehnt.

Und er trat zu ihnen und sah, daß es auch in dieser Kirche die Einflußreichen gab und die vielen, die immer so dachten wie sie; aber auch hier dachten die meisten wenig nach, taten aber das, was die Einflußreichen für sie gedacht hatten. Und er sagte zu ihnen: „Ihr müßt immer über die Grenze blicken, damit ihr nicht vergeßt, wie das Evangelium richtig ausgerichtet wird: satt, sicher und mächtig. Ihr müßt darauf warten und euch immer danach sehnen, daß ihr es auch bald so habt!“ Denn er dachte: Wenn ich nur ihre Seele bekomme, dann bin ich schon zufrieden. Das ist eben so viel, als wären sie wirklich satt, sicher und mächtig. Und viele nickten dazu, denn sie hatten schon immer zur Grenze geblickt und ihre Sehnsucht hinüber gesandt.

Und der Teufel sagte weiter: „Ihr dürft aber nicht nur warten, sondern ihr müßt um euer Recht kämpfen. Die Kirche hat das Recht, ihre Botschaft satt, sicher und mächtig in die Welt zu tragen. Tut alles, damit die Rechte der Kirche nicht geschmälert werden können!“

 

Da nickten die Einflußreichen, denn das Wort „Recht“ gefiel ihnen sehr, und es tat so gut, sich im Recht zu wissen. Und die anderen nickten auch, teils weil sie auch so dachten, teils weil die Einflußreichen so dachten. Und nur wenige wiesen auf Matthäus 4 hin und sagten, sie könnten jetzt vieles in der Bibel besser verstehen als früher und es sei gewiß Gottes Gnade darin und sie seien Jesus näher in dem Mangel, der Unsicherheit und Ohnmacht.

Und einer sagte: „Laßt uns bei Jesus bleiben!“und ein anderer: „Es ist die Versuchung des Teufels in den Warten auf die Macht und in den Kampf um die Macht!“ Aber da lachten die anderen sie aus und sagten, das sei ja ganz abgeschmackt. Der Teufel sei doch auf der Seite der Atheisten und nicht in der Kirche, das wisse doch jedes Kind. Sie seien sicher bloß feige und wenigstens nicht entschieden genug. Das hatte ihnen der Teufel gesagt, denn er wußte, daß man in diesem Land jeden kirchlich erledigen konnte, indem man von ihm sagte, er sei nicht entschieden.

Und als der Tag der Entscheidung kam, hatten sie die Mehrheit. Denn es waren wenige, die gerne beim Herrn in seiner Schwachheit ausharren wollten. Der Teufel aber hatte sein Meisterstück vollbracht. Und nun du, der du das liest, du sagst vielleicht: „Das ist ja scheußlich, das ist ja nur ein Märchen und ein sehr durchsichtig konstruiertes dazu, es muß ja gar nicht so ausgehen!“ Und ich sage darauf: „Du magst recht haben, wenigstens mit dem Letzten hast du recht: Es muß nicht so ausgehen. Du kannst bei Jesus bleiben, und die Kirche kann auch bei Jesus bleiben. Er hat es uns gültig vorgemacht, wie man die Versuchung besteht. Wir können jetzt auch sagen: „Hebe dich weg von mir, Satan!“

Aber eins darfst du nicht sagen! Du darfst nicht sagen: „So ernst ist es ja gar nicht. Denn der Teufel geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, welchen er verschlinge. Und Gott, der Herr, läßt ihn noch gewähren eine Zeitlang!“

 

 

Bausteine für Predigten

 

Ostern: Hoffnung

Als die Botschaft erstmals zu den Papuas kam, konnten die Missionare sie nicht in die Sprache der Eingeborenen übersetzen. Denn die Menschen hatten kein Wort für Hoffnung. Sie kannten keine Hoffnung. Dann starb das Kind eines Missionars. Die kleine Christenschar sang Auferstehungslieder. Da kam ein alter Papua zu dem Vater des Kindes: „Jetzt wissen wir, was mit euch los ist - ihr könnt durch den Horizont hindurchsehen.“ Da wußte der Missionar, wie er Hoffnung zu übersetzen habe: der Blick durch den Hogjzont angesichts des Todes.

 

Der größte Narr:

Eine alte Sage berichtet von einem König, der seinem Hofnarren einen goldenen Narrenstab verlieh. Er sollteihn behalten dürfen, bis er einen noch größeren Narren finden würde, als er selber war. Nun lag der König im Sterben und der Narr kniete abschiednehmend an seinem Lager. „Wo gehst du hin, Herr?“, fragte der Narr. „In ein fernes unbekanntes Land“, erwiderte der König. „Wann kommst du wieder?“, setzte der Narr sein Fragen fort. „Ach, niemals, niemals“, klagte der König. „Oh“, sagte der Narr, „das ist eine weite Reise! Was hast du für Reisevorbereitungen getroffen?“ „Keine“, antwortete der König. Da nahm der Narr seinen Narrenstab, legte ihn auf des Königs Bett und sprach: „Da, nimm den Stab, ich bin nicht wert, ihn weiterhin zu tragen, denn du bist närrischer als ich“"

Nur eine alte, lächerliche Sage? Oder ist's im Grunde die Geschichte unserer eigenen Narretei? Wir wissen alle um die letzte Reise, die wir einmal antreten werden. Jeder endgültige Abschied von geliebten Menschen, jeder Todesfall, jeder Gang zu den Gräbern unserer Lieben - etwa am Ewigkeitssonntag - jedes Gedenken an unsere teuren Toten erinnert uns daran. Und doch leben die meisten - auch von uns Christen - so, als ob wir immer auf der Erde bleiben könnten.

 

 

Denkmal segnender Christus:

Der Auferstandene bringt Gottes Friedensmacht; sie überwindet und heilt das Zerstörte und alle zerstörerischen Mächte. Beispielhaft dafür steht in Südamerika, hoch auf dem Kamm des Andengebirges ein riesiges Denkmal, ein segnender Christus. Er steht auf der Grenze zwischen den beiden Ländern Argentinien und Chile. Weithin sichtbar breitet er seine Arme nach beiden Ländern aus. Dieses Denkmal wurde zu Anfang unsres Jahrhunderts aus dem Metall vieler Kanonen gegossen. Wie kam es dazu? Viele Jahre blutiger Feindschaft lagen zwischen beiden Ländern und Regierungen. Im Jahre 1900 drohte erneut ein Krieg. Da begannen zum Osterfest zwei katholische Bischöfe, ein argentinischer und ein chilenischer, jeweils in ihrem Land eine Friedensbewegung. Mit Predigten und Aufrufen zum Frieden im Namen des Auferstandenen eilten sie von Gemeinde zu Gemeinde durch das Land. Der Friede Christi gewann mehr und mehr Menschen. Schließlich gaben die Machthaber nach und einigten sich in Friedensverhandlungen. Der Krieg war abgewendet. Zur bleibenden Mahnung wurde das Christusdenkmal gebaut. An seinem Fuße reichten sich Menschen, die sich vorher gegenseitig zu Feinden erklärt hatten, die Hände zu einem Frieden im Geist Jesu Christi.

 

 

 

 

 

 

 

 

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