Christ und Arbeit
Inhalt: Arbeit, Erster Mai, Sonntag, Berufswahl, Automation, Leistung, Betriebsklima, Arm und Reich, Erzählkungen.
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Viele Menschen brechen aus der Arbeitswelt aus bzw. nehmen eine bewußte Protesthaltung dagegen ein. Sie verweigern sich, indem sie Arbeit nur sehen als ein Mittel persönlich leben zu können. Der Fleiß, die Arbeitsmoral der Väter wird. abgelehnt. Typische Aussprüche: „Ich arbeite doch nicht für andere“, „Ich will leben und mich nicht ein Leben lang abschinden“, „Ich will nicht Sklave meines Wohlstandes werden", „Durch meine Arbeit unterstütze ich nur eine Gesellschaft, die zum Krieg rüstet,“ , „Was gehen mich die anderen an?“
Unsere eigene Einstellung: Wir Stöhnen unter der Arbeit/ Streß. Wir verfluchen sie so manchesmal und lieben sie doch. Wir hängen uns ganz und gar an die Arbeit. Wir wollen weniger Arbeitszeit, um in der gewonnenen Freizeit doch wieder nur erneut zu arbeiten. Deshalb fragen wir die Bibel nach dem Sinn der Arbeit.
Gehört zur Arbeit Glaube?
1. Man kann auch ohne Gott arbeiten. Der Nationalsozialismus und der Kommunismus haben Großartiges geleistet. Und auch in der heutigen westlichen Welt geschieht die Arbeit vielfach ohne Gott. Manchmal ist es sogar ganz vorteilhaft, wenn man bei der Arbeit ohne Glauben handelt.
2. Arbeit ist eine Sache, Glaube ist eine andere. Im Alltag sind wir Menschen dieser Welt und leben und arbeiten in dieser Welt. Ich verlasse mich auf mich selber und bin selbstsicher, auch wenn ich gegen das Pech nicht ankann. Glaube aber ist Privatsache, für den Sonntag und so. Da haben wir auch Zeit für Gott.
3. Bei mancher Arbeit ist der Glaube sogar hinderlich: Man wird von der Kollegen verlacht und verspottet und nicht für voll genommen (wenn man etwa beim Essen betet). Ein Kellner soll die Leute zum Alkoholkonsum animieren, zumindest aber nicht abraten. Ein Chef läßt sich oft durch Angestellte verleugnen, es gibt Lügen gegenüber den. Kunden und Mitarbeitern. Soll man solche Berufe meiden?
Warum arbeiten wir denn überhaupt?
1. Selbsterhaltungstrieb, um dem Fortschritt und der Zukunft zu dienen. Ohne ein Muß zur Arbeit ist die Entwicklung der Technik kaum denkbar
2. Existenzgründung, Schaffung einer Lebensgrundlage, Lebensstandard, Unterhalt der Familie, Ruhm der Familie, Kinder sollen es besser haben
3. Selbstbestätigung und Selbstbefriedigung, gegen die Langeweile, „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ „Sich regen bringt Segen“.
4. Freude an der Arbeit, deshalb „wählt“ man der Beruf (Goethe: „Arbeite nur, die Freude kommt vor selbst!“
5. Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft und der Gesellschaft.
Arbeit ist Mittel zu Geldverdienen, Erfüllung, Stolz, Freude, Verantwortung, gesellschaftliche Notwendigkeit, das Gefühl, gebraucht zu werden. Um ein richtiges (d. h. für uns Christen: ein biblisch begründetes) Verhältnis zur Arbeit zu gewinnen, sind einige grundsätzliche Überlegungen zur Arbeit anzustellen: Die Arbeit gehört zu den ursprünglichsten Lebensäußerungen des Menschen. Im Prozeß der Arbeit, in der Herstellung und Verfeinerung seiner Werkzeuge und Instrumente hat der Mensch seine geistigen Fähigkeiten entwickelt. Ohne die Arbeit wäre er niemals vom Anthropoiden zum homo sapiens geworden, der sich durch sein zielgerichtetes Wesen vom Tier unterscheidet.
Dem Experiment der „Arbeiterpfarrer“ kann man nur skeptisch gegenüber stehen, also studierte Theologen, die dann aber in Vollzeit in einem weltlichen Beruf arbeiten. Sie werden anderswo vielleicht viel nötiger gebraucht. Was anderes sind Praktika von Theologiestudenten, die sind ganz nützlich und hilfreich.
Gebraucht werden aber in der Arbeitswelt vor allem Menschen, die nicht studiert haben, sondern als Arbeiter wie jeder andere mit ihren Kollegen reden. Sie haben die Aufgabe, jene Vorurteile abzubauen, um erst einmalwieder den Menschen freizulegen, damit ihn Gottes Wort erreichen kann. Um aber diese Aufgabe übernehmen zu können, müssen sie ausgebildet sein. Dafür nun sind wieder die Pfarrer da, sie haben sich den Kopf zu zerbrechen, was man auf die Fragen und Vorwürfe der anderen antworten kann. Die Laien sind dann die Kontaktstellen, wo sich dieser ganze Kampf abspielt, sie haben dem Pfarrer den „Befund“ mitzuteilen und dessen Antwort dann wieder weiterzugeben. Und sie haben außerdem die Aufgabe, den Pfarrer sehr genau über die „Welt“ zu unterrichten und über die Wirkung seiner Worte, damit er nicht weltfremd wird und nur theoretisierende Antworten gibt. Der Pfarrer ist also die Umschlagstelle, die Gottes Wort in unsere Welt hineinzuinterpretieren hat, er hat die Erfahrungen der Laien zu sammeln und auszutauschen, er ist die Stelle, wo man alles abladen und neuauftanken kann.
Arbeit - Fluch oder Segen?
Die Bibel:
Gott ist der Arbeiter: 1. Mose 1, Ps 8,4. In Jesus ist er am Werk.
Der Mensch als Ebenbild Gottes ist zur Arbeit berufen (1.Mose 1,25ff; 2,15; 2.Mose 20,9)
Zusammenhang von Arbeit und Ruhe bei Gott und Mensch (1.Mose 2,2-3; 2.Mose 20,8-11)
Die Arbeit unter dem Fluch der Sünde: Gen 3,17-19; Ps 90,10; Jer 22,13)
Die Arbeit unter der Gnade und dem Erlösungswerk Jesu (Gal 5,22; Eph5,1)
Zusammenhang von Arbeit und Gottesdienst: Röm 12,1ff; Jak 1,26f
Zusammenhang von Arbeit und Lohn: Weish 3,15; Jer 22,13; Apk 22,12; Mt 25,40; 2.Kor 5,10; Röm 4,4f; Mt 20,1ff; Röm6,23.
Fluch und Segen wirken in unsrer Arbeit:
a. Die Menschen stöhnen über die mühevolle Arbeit. Wer aber längere Zeit (Krankheit, Gefängnis) nicht arbeiten konnte, sagt dann: „Es ist schlimm, nicht arbeiten zu können!“ (Arbeitslosigkeit!). In der Arbeit liegt auch ein Segen.
b. Einige achten die Arbeit wenig und sehen sie als notwendiges Übel an und fangen bei nächster Gelegenheit etwas ganz Neues an, weil es da mehr zu verdienen gibt. Andere nehmen lieber den geringsten Löhn in Kauf, wenn sie nur bei ihrer geliebten, segensreichen Arbeit bleiben können.
c. Mancher beklagt sich, die Arbeit sei so dreckig. Und doch trägt mancher Schornsteinfeger während seiner Arbeit stolz den Ruß zur Schau, weil er die Zierde seines Berufes ist.
d. Die eintönige Fabrikarbeit muß nicht unbedingt verdummen. Im Zeitalter der Industrialisierung ist die Menschheit erheblich aufgeweckter geworden ist. Viele Arbeiter zeigen in den Betrieben stolz ihren Arbeitsplatz und streicheln liebevoll ihre Maschinen.
e. In der Geschichte der Menschheit wurden ganze Bevölkerungsschicht um der Arbeit willen gnadenlos zu Arbeitsvieh herabgewürdigt. Andere haben in Freude und oft noch mehr gearbeitet und Segen darin gefunden, weil sie zur Ehre Gottes arbeiteten.
f. Arbeit bringt Segen, läßt Leid überwinden, hilft mit den Anfechtungen fertig werden. Wo ein Werk gelungen ist, macht es Freude. Arbeit unter dem Fluch dagegen macht Mühe und bringt Not. Menschliches Leben ist entweder zur Arbeit verpflichtet oder mit Arbeit gesegnet Wir müssen uns fragen: Woher kommt der Segen, woher kommt der Fluch. Bei Beerdigungsanmeldungen hört man oft: „Der Verstorbene hat sein ganzes Lebens nur gearbeitet. Er kannte nur die Arbeit!“ Viel Hast und Sorge und Unrast war da, kaum ein Feiertag und kaum Segen. Sollen wir so enden wie der reiche Kornbauer?
Woher kommen Fluch und Segen? Liegt es an Verdienst, Freizeit, am rechten Arbeitgeber? Auch wenn es damit schlecht steht, kann es dennoch gesegnete Arbeit geben und umgekehrt: Fluch und Segen kommen aus der Sünde: Wer sich von Gott und seinem Dienst trennt, dessen Leben kommt an der Wurzel in Unordnung. Die Arbeit ist aber ein entscheidendes Stück unsres Lebens. Darum suche den Dienst Gottes in jedem Beruf nicht nur im kirchlichen!
Gottes Dienst segnet deine Arbeit:
Arbeit ist nichts Schlechtes, schon gar kein Fluch .Gott selber ist der hilfreichste und unermüdlichste Arbeiter. Er beruft dich als sein Kind zu seinem Mitarbeiter. Wie sehr sich Gott an uns hingibt, sehen wir an Jesu: Er herrscht durch Dienst.
Jesus ist der rechte Vorarbeiter der Christenheit: Sein Dienst war hart, er hatte wenig Zeit, sein Tod war schwer. Aber in nur dreijähriger Arbeit veränderte er die Welt und brachte ihr Gottes Segen. Nicht gnadenlose Abrechnung nach den Werken, sondern Gnadenlohn haben wir von diesem Herrn zu erwarten (Röm 4,4f; Mt 20,1ff).
Wo du den Dienst Gottes annimmst, wirst du in deiner Arbeit auch deine Ruhe und deinen Feiertag haben. Nimm den Dienst Gottes an und geh zum Gottesdienst: Feiertag, Gottesdienst und eine gesegnete Arbeitswoche gehören zusammen. Eines ist nicht ohne das andere. Arbeit wird zum Gottesdienst. Bete und arbeite - nicht umgekehrt, sonst kommst du nie zum Beten und zum Segen. Gottes Dienst trägt und segnet dich in deiner Arbeit. Alle Arbeit mündet wieder im Lobpreis Gottes, im Gottesdienst.
Unsere Arbeit in der Sicht der Bibel
Einstieg:
a) Viele Menschen brechen aus der Arbeitswelt aus bzw. nehmen eine bewußte Protesthaltung dagegen ein. Sie verweigern sich, indem sie Arbeit nur sehen als ein Mittel persönlich leben zu können. Der Fleiß, die Arbeitsmoral der Väter wird. abgelehnt. Typische Aussprüche: „Ich arbeite doch nicht für andere“, „Ich will leben und mich nicht ein Leben lang abschinden“, „Ich will nicht Sklave meines Wohlstandes werden“ „Durch meine Arbeit unterstütze ich nur eine Gesellschaft, die zum Krieg rüstet,“ , „Was gehen mich die anderen an?“ Auch wir selber stöhnen unter der Arbeit/ Streß. Wir verfluchen sie so manches Mal und lieben sie doch. Wir hängen uns ganz und gar an die Arbeit. Wir wollen weniger Arbeitszeit, um in der gewonnenen Freizeit doch wieder nur erneut zu arbeiten. Deshalb fragen wir die Bibel nach dem Sinn der Arbeit.
In 1. Mose 1,28 wird dem Menschen von Gott der Auftrag zur Arbeit gegeben und zugleich das Ziel seiner Arbeit bestimmt: „Macht euch die Erde untertan und herrscht über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Nach diesem Auftrag ist der Mensch in die Welt gestellt, um ihre Kräfte unter seine Kontrolle zu bringen und die in ihr angelegten tausendfältigen Entwicklungsansätze zu koordinieren und zu ihrer Vollendung zu bringen. Bei der Arbeit geht es um ein mitschöpferisches Tun des Menschen. Es ist keine Schöpfung aus dem Nichts, aber es ist ein Schaffen von Neuem auf Grund der ersten Schöpfung Gottes. In dem, was der Mensch in göttlichem Auftrag erarbeitet, entsteht jenes Abbild der himmlischen Welt, das den Menschen, der Jesus Christus anerkennt, an jene Welt erinnert. Unsere Arbeit hat mit Gott zu tun: Wir existieren nur als Menschen vor Gott und das gilt auch für die Arbeit. Wir sollen die Erde ordnen und sie nicht wie ein Herrscher unter die Füße treten.
In 1. Mose 3 wird die Arbeit in der Geschichte vom Sündenfall in ein besonderes Licht gerückt. Hier wird erzählt, daß der Mensch durch seinen Ungehorsam die ursprüngliche Gottesgemeinschaft zerstört und Gott daraufhin das Arbeitsfeld (nicht die Arbeit) mit einem Fluch belegt habe. Infolge dieses Fluches bringt die Erde Dornen und Disteln hervor (widersetzt sich also dem Arbeitsziel), so daß der Mensch nur noch im Schweiße seines Angesichts der Erde die Nahrung abringen kann. Nach dieser Erzählung ist es Folge der Sünde, daß die Arbeit zur schmerzlichen Anstrengung geworden ist und Mühsalcharakter angenommen hat. Ganz sicher ist damit nicht gemeint, daß es zu irgendeinem Zeitpunkt Arbeit ohne jede Mühe und Anstrengung gegeben habe, wohl aber soll damit gesagt werden, daß durch die Einwirkung der Sünde (= Egoismus, Trägheit und Herrschsucht) der ursprüngliche Charakter der Arbeit als freies, schöpferisches Mitgestalten mit Gott verdorben wird.
An einigen Stellen des Neuen Testaments wird die Arbeit als Dienst am Mitmenschen charakterisiert. Durch seine Arbeit soll der Christ helfen, die für ihn selbst und andere notwendigen Dinge (Nahrung, Kleidung, Wohnung) zu beschaffen. Es wird ihm ausdrücklich verwehrt, der Gemeinde oder anderen verantwortungslos zur Last zu fallen.
Schon im Neuen Testament sind die Modelle entworfen, nach denen der Mensch in der arbeitsteiligen Gesellschaft den Weg zu wahrem Menschentum finden kann. Es ist das Modell der Urgemeinde, die Paulus mit dem Leib vergleicht, in dem jedes Glied seinen Beitrag zum Ganzen leistet, aber auch vom Ganzen mitgetragen und respektiert wird.
Lukas 12, 13 - 21: Wenn Arbeit nur dem Verdienen diesen soll, dann ist sie nur Job, d. h. egal wie - nur Geldverdienen! Folgen sind: Betrug am Kunden, Berechnung nicht geleisteter Arbeitsstunden, qualitativ schlechte Arbeit, Handel mit gestohlenen Waren, Korruption blüht, Diebstahl („Privat geht vor Katastrophe!“). Das Verdienen soll nicht schlecht gemacht werden, sondern es ist zu zeigen, wie unser Zusammenleben, das gesellschaftliche Gefüge gestört und zerstört wird, wenn Verdienen der einzige Beweggrund zur Arbeit ist. Es muß aber auch vermieden werden, das Dienen gegen das Verdienen auszuspielen. Beides gehört zusammen.
Verdienen (materieller Anreiz) darf aber nicht der einzige Gesichtspunkt der Arbeit sein. Mit besonderer Anerkennung und Popularität werden wir mit dieser Ansicht nicht rechnen können.
Arbeit und Wirtschaft sind eine Ordnung Gottes, mit der er uns Leben erhält. Wir alle sind in diese Ordnung hineingestellt, unabhängig von unserem Bekenntnis und der Weltanschauung. Durch diese Ordnung will Gott, daß „eine Welt entstehen soll, die (darum wissend oder nicht) auf Christus ausgerichtet ist, für Christus offen ist, ihm dient und ihn verherrlicht“ (D. Bonhoeffer)
Matthäus 22, 21 und 17, 24 - 27: Die Arbeit dient dem Nächsten, der Familie und muß in der -Verpflichtung mit der Gesellschaft gesehen. Werden
Apostelgeschichte 20, 33 - 35: Arbeit ist zugleich Selbsterhaltung und Dienst am Nächsten. Die Bibel fordert alle arbeitsfähigen Menschen auf, kein Schmarotzerleben zu führen, sondern sich den Lebensunterhalt zu verdienen.
1. Thessalonicher: 4, 9 - 12 und 2. Thessalonicher 3, 6 - 12): Gemeindeglieder in Thessalonich hatten in Erwartung des nahen Endes die Arbeit aufgegeben und ließen sich von anderen durchschleppen. Diese fordert Paulus auf, mit stillem Wesen zu arbeiten und ihr eigen Brot zu essen, und mit großem Ernst sagt er ihnen: „So jemand nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen“ (2. Thess. 3,10). Durch die Arbeit der Gläubigen sollen die Armen unterstützt werden, Arbeitsunfähigen (Kranken und Alten) soll durch ihren Beistand die Existenz ermöglicht werden.
Nach Eph. 4,28 ist die Unterstützung der Notleidenden ein wesentliches Arbeitsmotiv für den Christen: Hier wie an anderen Stellen des Neuen Testaments wird die Arbeitspflicht aus der Nächstenliebe hergeleitet.
Weitere Bibelstellen: 1. Kor 12 und Jakobus 5, 1 - 6 und Philipper 4, 8
Kol 3,17 „Alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des Herrn Jesus und danket Gott, dem Vater, durch ihn!“ Ein Christ ist auch in der Arbeit Gott gehorsam. Schon die alten Mönche sagten: „Bete und arbeite!“ Und von Luther wird überliefert: „Arbeite, als wenn alles Beten nichts hilft. Bete, als wenn alle Arbeit nichts nützt!“
Wenn man sich Gott gegenüber verantwortlich fühlt, hat man auch im Beruf Verantwortung. Und man hat eine Verantwortung gegenüber dem Nächsten. Eine Trennung ist da nicht möglich, ein Christ ist überall und in jeder Beziehung ein Christ.
Ein Christ hat eine besondere Verpflichtung, seine Arbeit gewissenhaft auszuführen. Er arbeitet nicht nur dann gewissenhaft, wenn ein Kontrolleur zusieht. Wir sind es unsrem Herrn schuldig, daß wir keine Pfuscharbeit leisten: Die Schraube wird in jedem Fall sorgfältig angezogen und die Frühstückspause nicht unnötig ausgedehnt (vgl. 2.Thess 3,11-12).
Es gehören schon Mut und eine Portion „Rückgrat“ dazu, sich nicht in der Strudel der Gleichgültigkeit, Stumpfheit und Gedankenlosigkeit hineinziehen zu lassen. Nur Arbeit, die mit Sorgfalt und Verantwortungsgefühl getan wird, wird ihre Früchte tragen und Freude machen.
Dennoch kann man bei seiner Arbeit schuldig werden. Man hat nichts gewonnen, wenn man solche Arbeit an andere abschiebt. Dann ist es besser, daß der Christ die Arbeit tut, weil er von der Vergebung weiß. Er weiß auch, daß nie eine Maschine Macht über ihn haben kann. Denn für einen Christen gibt es nur einen Herrn, und das ist nicht die Maschine, sondern Christus.
Geschichte:
Wo jeder nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist, wo der Stärkere den Schwachen unterdrückt, dort verfällt die Arbeit zur Fron. Diese an sich richtige Erkenntnis hat in der Kirchengeschichte eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Da man ohnehin damit rechnete, daß die Arbeit durch die Sünde ihre eigentliche Bestimmung verloren habe, war man blind dafür, daß im Prozeß der aufkommenden Industrialisierung die Arbeit durch rücksichtslose Ausbeutung zur Ware entartete (und damit ihrer Bestimmung noch tiefer entfremdet wurde). Man sah nicht, daß der Arbeiter seiner schöpferischen Tätigkeit beraubt und nicht mehr als Person, sondern nur noch als Träger eines bestimmten Arbeitsvermögens gewertet wurde. Ein so unmenschlicher Begriff wie Arbeitsmarkt macht das deutlich.
Karl Marx hat das Verdienst, diese Verkehrung und Verfremdung der Arbeit aufgedeckt und wirksame Maßnahmen zu ihrer Überwindung aufgezeigt zu haben. Durch eine radikale „Ent-Mammonisierung“ der Arbeit sucht er ihr den ursprünglichen Sinn als schöpferischen Prozeß zur Selbstverwirklichung des Menschen wiederzugeben und sie aus ihrer Zwangsrolle als käuflichen Marktwert zu befreien. Es ist ein schmerzliches geschichtliches Faktum, daß die Kirchen des 19. Jahrhunderts die sittliche Bedeutung dieser Forderung nicht erkannt und den Kampf um die Ent-Mammonisierung der Arbeit nicht wirksam unterstützt haben. Dadurch sind sie an der Arbeiterschaft schuldig geworden und haben den Anstoß dazu gegeben, daß sich weite Kreise der Arbeiter von der Kirche entfernten.
Passivität gegenüber der Verkehrung und Verknechtung der Arbeit durch Ausbeutung kann nicht christliche Haltung sein. Ihrem ethischen Ansatz entsprechend gehören die Christen auf die Seite derer, die dafür kämpfen, daß die Entfremdung der Arbeit überwunden wird. Auch wenn Christen wissen, daß auf dem Arbeitsfeld Dornen und Disteln wachsen, dürfen sie nicht zögern, das „Humanum“ der Nächstenliebe auch in der Arbeitswelt verwirklichen zu helfen und gegen alle Form der Ausbeutung, der Entpersonalisierung und der Verfälschung der Arbeit energisch anzugehen.
Arbeit wird verdorben durch Schuld:
Die Bibel erzählt, wie der Mensch immer wieder Gott den schuldigen Gehorsam aufkündigt, Davon kann auch die Arbeit nicht unberührt bleiben. Deshalb gehören für die Bibel Arbeit und Schuld eng zusammen, aus dem göttlichen Auftrag zur Arbeit wird Götzendienst.
Folgende zwei Bibelstellen können diese Tatsachen illustrieren: Lukas 12, 15 - 21 und Matthäus 6, 24
Die Namen der Götzen unserer Zeit müssen klar herausgearbeitet werden. Sie tragen folgende Namen: Wohlstand, Luxus, Genuß, Lebensunterhalt, Lebensmittel usw. Die Vergötzung bringt es mit sich, daß sich auch die negativen Eigenschaften verstärken und. unser Zusammenleben empfindlich stören (Habgier, Geiz, Neid u. ä.).
Wir leben nicht mehr im Paradies und deshalb schafft unsere Arbeit nicht das Paradies und ist auch nicht eine paradiesische Einrichtung. Sie gehört zur Gottesferne des Menschen. Um diesen Problemkreis anzugehen, empfiehlt es sich, solche Redensarten unter die Lupe nehmen:
„Mein Glück machen“ - „Erfolg haben im Leben“ - „Sicherheit anstreben, und das heißt für viele: ein großes Bankkonto besitzen. Bei unserem ständigen Suchen nach Glück kommen wir nicht zur Ruhe, sondern schleppen uns ständig von einer Unzufriedenheit zur anderen. Um davon frei zu werden, brauchen wir auch für unsere Arbeit die Erlösung durch Christus.
Erlösung durch Christus auch für die Arbeit:
Wenn wir akzeptieren, daß Arbeit und Schuld zusammengehören, dann gehört auch das Begriffspaar „Arbeit und Erlösung“ zusammen. Es gibt für uns alle keine Aufteilung in einen privaten Bereich, wo wir alles ansiedeln können, was mit Religion zu tun hat, und einen öffentlichen, wo die Arbeit zu Hause ist. Wir leben nicht nur am Sonntag von den großen Taten Gottes, sondern gerade auch im Alltag. Für uns heißt das: Mit Christus brauchen wir nicht mehr unser Verhältnis zu Gott mit Hilfe der Arbeit zu klären.
Wie sollen wir die Verbindung von Arbeit (unser Werk) und Segen (Werk Gottes) verstehen? Was geschieht, wenn der Segen Gottes ausbleibt?
Als Christ bin ich frei von der Angst um mich selbst. Keiner braucht sich mehr den Himmel zu verdienen, den bekommen wir geschenkt. Wir können frei sein zum Dienen und zur Dankbarkeit (vgl. Lukas 17, 10).
Die kritische Funktion der biblischen Aussagen:
Wir fragen uns: Lassen wir Gott über unsere Arbeit und ihrem Ertrag den Herrn sein?
Folgende drei Komplexe sind dabei wichtig:
1. Die heutige Arbeitsmoral. Welche Mißstände sind vorhanden und wie können wir sie überwinden?
2. Die Christen der Bibel. lebten in einer Gesellschaftsform, die wir Sklaverei nennen. Sie übernahmen diese zunächst als eine nicht zu verändernde Gesellschaftsstruktur. Sie fanden darin die Möglichkeit, die Arbeit als Gottesauftrag zu übernehmen und frei zu bejahen.
Wir leben in einer freiheitlichen Gesellschaftsform. Aber ist unsere Situation nicht ähnlich? (Komplexe zum Nach denken: Unser Verhältnis zum Eigentum der anderen, unsere Stellung zu den Vorgesetzten, Verantwortung, Unterschiede im Einkommen, ungerechte Prämienverteilung u. s. w.)
3. In unserer Gesellschaft wird alles nach der Leistung bewertet, die wir erbringen. Was ist daran richtig? Wann wird das zum Unrecht? Wann wird Leistung (biblisch gesprochen) zum Götzen?
Der 1. Mai
Ab und zu fällt der 1. Mai auf einen Sonntag. Hier treffen die Welt des Werktags und des Sonntags sichtbar zusammen. Aber es handelt sich hier nicht um gegensätzliche Welten, wobei man sich gegenseitig den Vorwurf macht, die anderen vernachlässigten das Irdische bzw. das Göttliche.
In ländlichen Gegenden wird das Landschaftsbild noch sehr von den Kirchtürmen geprägt. Fast in jedem Dorf stellt der Kirchturm das höchste Gebäude dar und scheint als Zeichen der Sonntagswelt anzudeuten, was im Leben von wirklich überragender Bedeutung ist. Aber im Industrierevier verstellen Riesenschornsteine, Abraumhalden und rauchiger Dunst den Ausblick. Die Industrie überwuchert die Stätten des Gottesdienstes, die Oasen des Sonntags bedeuten offenbar nicht viel.
Viele Christen sehen deshalb in der Industrialisierung den Feind des Glaubens. Sie hängen ihr Herz an ein Idealbild ländlicher Frömmigkeit und beobachten mißtrauisch, wie sich die Zivilisation der Städte weiter ausbreitet.
Nun weist der 1. Mai ja darauf hin, daß man schon. mißtrauisch gegenüber manchen Erscheinungen des Industrie-Zeitalters sein mußte. Aber wir sollten nicht meinen, daß Gott sich durch Maschinen, rauchende Schornsteine und grauen Arbeitsalltag vertreiben läßt. Wenn sich menschliche Schöpferkraft entfaltet, dann freut er sich genauso wie ein irdischer Vater, der seinen kleinen Sohn sinnvoll mit Bausteinen spielen sieht. Als kluger Vater läßt er das Kind selbständig wirken. Und neuer babylonischer Türme wird er sich schon zu erwehren wissen.
Vielmehr sind wir Christen gefragt, ob wir den neuen Verhältnissen gewachsen sind. Vor allem geht es dabei um die Rolle der Arbeit, die uns oft hindert, die Anwesenheit Gottes wirkungsvoll zu verkünden.
Einmal begegnet uns eine maßlose Überschätzung der Arbeit. Ein Mensch scheint seinen Lebenssinn erfüllt zu haben, wenn er rastlos gearbeitet hat. Das scheint das Höchste zu sein, was an einem Menschen gerühmt werden kann, und sein Leben ist damit schon angeblich gerechtfertigt. Nicht wichtig scheint zu sein, ob eine gewisse Menschlichkeit bei der Arbeit zu beobachten war, ob auch Zeit für die Familie da war, für andere Menschen und für Gott. Wenn Arbeit und Pflicht schon ein Leben rechtfertigen, dann weiß man natürlich nicht viel von dem rechtfertigenden Gott.
Die Anwesenheit Gottes findet aber auch keine Beachtung, wenn die Arbeit unterschätzt wird. Man hält dann die schmutzigen Bezirke nicht für würdig, mit Gott in einem Atemzug genannt zu werden. Man begreife nicht, daß der Mensch dort zu Hause ist und den Übergang in die feierliche Andersartigkeit des Kirchenraumes nicht leicht finden kann.
Wir dürfen die Arbeit nicht vergöttern, aber auch nicht verteufeln. Arbeit ist ein Mittel zum Leben, nicht um das Leben anderer in die Hand zu bekommen. Gott hat Menschen geschaffen und nicht Maschinen, die auf den Schrotthaufen geworfen werden, wenn sie abgenutzt sind. Arbeit kann nicht frei machen, weil die ganze Welt unter dem Gesetz der Sünde steht. Arbeit kann auch eine Last sein. Deshalb ist eine neue Welt erforderlich, die Gott uns eröffnen will.
In der alten Welt sollten wir schon entschlossen auf das Ziel zugehen. Unsere Weggenossen sind dabei auch Nichtchristen, deren irdische Hoffnungen uns allerdings auch nicht fremd sind. Nur wenn sie Entschlossenheit, Tatkraft, Freude und einen Abglanz des Göttlichen auf unseren Gesichtern lesen, werden wir ihnen Künder einer neuen Schöpfung Gottes sein.
Predigt zu 2.Thess 3,6-13
Ein Franzose war einmal in Deutschland zu Besuch und hat sich das Leben dort sehr genau angesehen. Sein Urteil war dann: „Ihr in Deutschland lebt, um zu arbeiten. Wir in Frankreich arbeiten, um zu leben!“ Er hat also sehr genau gespürt, was für viele Deutsche der einzige Sinn des Lebens ist: Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Wir loben doch heute alle den Menschen, der tüchtig arbeitet. Wenn einer gestorben ist, weiß man oft nicht mehr zu sagen als: „Er hat immer nur gearbeitet und für seine Familie gesorgt. Nächstes Jahr wollte er aufhören und sich noch ein paar schöne Tage machen. Jetzt ist er schon früher gestorben!“
Wir verurteilen heute jeden, der nicht arbeitet. Vor allen Dingen aber entrüsten sich die guten Bürger über die Nichtstuer und Gammler, die jene Sucht nach Lebensstandard nicht mitmachen, sondern sich sagen:„Die Abfälle dieser Leistungsgesellschaft genügen mir!“ - „Oder ich arbeite nur, wenn es unbedingt sein muß. Ich stelle keine hohen Ansprüche, aber ich will auch das Leben genießen!“
Vielleicht sind diese Menschen wirklich glücklicher und zufriedener als die anderen, die sich ihr ganzes Leben über nur abrackern. Zum Leben gehört doch auch das Genießen. Vielen fehlt aber heute die Fähigkeit zum Genuß. Sie verkonsumieren zwar allerhand, können sich Vieles leisten, aber es macht ihnen doch keine rechte Freude: Der Genuß ist nur eine andere Form der Arbeit für Sie, sie sind wie bei der Arbeit auch gehetzt und getrieben von dem Gedanken: „Immer noch mehr haben, nur nicht aufhören, das Ziel meines Lebens liegt noch vor mir!“
Die Aufforderungen nach mehr Arbeit gehen ja nicht nur von den Arbeitgebern aus, sondern kommen ja auch einem Bedürfnis der arbeitenden Menschen selber entgegen. Sie wollen ja alle arbeiten, sie wollen ja Geld verdienen, und oftmals mehr, als unmittelbar für die Familie nötig ist. Das sieht man bei manchen mitarbeitenden Frauen, an der Samstag- und Sonntagsarbeit, an den Überstunden bis in die Nacht hinein. Mancher verliert da jedes Maß und schadet sich selber unheimlich damit. Nicht nur daß die Gesundheit draufgeht, sondern auch die Familie und sein eigener Lebensgenuß leiden darunter.
Einem solchen Menschen müßte man ganz im Gegensatz zu unsrem Predigttext sagen: „Arbeite weniger. Laß die Arbeit mal Arbeit sein und genieße nun auch einmal den Ertrag deiner Arbeit, zusammen mit deiner Familie und guten Freunden. Die 14 Tage Urlaub sind noch
kein Genuß. Eher schon das, was Goethe so formuliert hat: „Tages Arbeit, abends Gäste, saure Wochen, frohe Feste!“ Das ist auch Gottes Wille für unser Leben, und das muß auch die Firma und die Wirtschaft heute respektieren!
Paulus selber hat auch gearbeitet, obwohl er ein Recht auf Unterhalt durch die Gemeinde hatte. Er stellt ihr doch den Hauptteil seiner Kraft zur Verfügung, da hat er auch Anspruch auf Ausgleich. Trotzdem will er unabhängig sein, den anderen nicht zur Last fallen, nicht den Verdacht erwecken, als wolle er sich als Apostel und Prediger nur ein schönes Leben machen.
Manche Leute scheinen das ja heute noch vom Pfarrer anzunehmen. Wenn der Pfarrer einmal im Garten den Spaten schwingt, kann es passieren, daß einer stehenbleibt und sagt: „Ach, Herr Pfarrer, Sie arbeiten ja auch einmal!“
Jeder sieht seinen Beruf als ein sinnerfülltes Leben an. Auch die mehr geistige Arbeit ist eben Arbeit und nicht bequemer als Handarbeit. Ein Elektriker, der den Aufstieg zum Angestellten geschafft hatte, beklagte sein Los: „Meine früheren Kollegen, die haben es gut: eine geregelte Arbeitszeit, Überstunden werden bezahlt, nur Lohnsteuer, keine Verantwortung - ein Arbeiter hat es viel besser als ein Angestellter!“ Seine ehemaligen Kollegen sagen aber genau das Entgegengesetzte: „Der läuft jetzt mit einem weißen Kittel herum oder er sitzt bequem auf seinem Stuhl, kann sich einmal eine Tasse Kaffee leisten, während wir hier gehetzt werden!“ Beides geht sicher an der Wahrheit vorbei.
Den Sinn seines Lebens und Zufriedenheit kann man in beidem finden. Entscheidend ist nur, daß man Herr über die Arbeit bleibt und sich nicht immer weiter voranhetzen läßt. Paulus hat nur gearbeitet, um frei zu sein für die Verkündigung, aber nicht, um a 1 1 e s zu haben; dennoch hat er nicht eine Kümmerexistenz geführt und sich überhaupt nichts geleistet. Es gilt auch für uns, hier die richtige Mitte zu finden.
Der Gemeinde in Thessalonich von damals hat Paulus gesagt: „Übertreibt nichts, indem ihr gar nichts tut!“ Uns heute würde er sicherlich die entgegengesetzte Weisung geben: „Übertreibt nicht, indem ihr euch tot arbeitet!“ Wir sehen hier einmal, daß man nicht jede Anweisung der Bibel wörtlich nehmen darf. Ein hart arbeitender Mensch von heute würde es als Beleidigung empfinden, wenn man ihm in der Kirche sagte: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen!“ Er würde sagen: „Ihr spinnt ja. Noch mehr arbeiten. Das ist doch unmöglich!“ Die Arbeit ist schon eine Tugend. Aber sie kann zum Laster werden, wenn man sie übertreibt. Wer übertreibt, der wird unfrei. Es gilt aber, über den Dingen zu stehen und die Freiheit des Evangeliums zu leben. Wer aus der Freiheit Gottes lebt, wird dann auch schon die Weisung für seinen speziellen Fall empfangen.
Zur Zeit des Paulus waren nämlich die Verhältnisse in Thessalonich ganz anders, deshalb mußte auch seine Anweisung entsprechend aussehen. In Thessalonich hatte man offenbar die Ankündigung des Paulus „Der Herr ist nahe“ gründlich mißverstanden. Viele meinten: Dann ist die Arbeit doch sinnlos, wenn sowieso bald die Welt untergeht. Paulus hat uns geraten, lieber nicht mehr zu heiraten; da können wir doch nur die Folgerung ziehen: Jetzt brauchen wir auch nicht mehr zu arbeiten!“
Das muß nicht heißen, daß sie überhaupt nichts mehr getan haben. Man kann auch demonstrativ geschäftig hin und her rennen und doch nichts tun. Man redet nur immerzu von der Arbeit, macht sich immerzu wichtig, aber man beschäftigt sich nur mit dem, das einem liegt und Spaß macht und im übrigen macht man einen großen Bogen um die Arbeit. Oder denken wir an die Zeit kurz vor Freitagabend, wenn zwar auch alles noch arbeitet aber doch nichts rechtes mehr geschafft wird: so ähnlich muß es den Thessalonichern damals zumute gewesen sein: „Es ist bald Feierabend, was sollen wir uns da noch die Beine ausreißen!“
Paulus stellt demgegenüber: Auch eure Arbeit hat etwas mit dem Glauben zu tun. Der Glaube hat nicht nur mit inneren, geistlichen Dingen zu tun, sondern er will alle Gebiete des Lebens durchdringen und prägen. Christus ist der Herr auch über unsere höchst weltliche Arbeit in Haus und Beruf. Unsere Einstellung zur Arbeit hängt durchaus mit der Einstellung zu Christus zusammen. Auch mit der Arbeit macht ein Christ seinem Herrn Ehre oder Unehre. Da wo ich hingestellt werde, habe ich mein Christsein zu bewähren! Unser Christusgehorsam vollzieht sich in den Ordnungen dieser Welt!
Das kann uns vor zwei Irrwegen bewahren: Wir dürfen die Arbeit nicht überhöhen und in ihr den einzigen Sinn des Lebens sehen. Arbeit ist nur das halbe Leben .Sie hilft auch nicht, das Reich Gottes herbeizuführen, genausowenig wie sie es überflüssig macht.
Zum anderen ist die Arbeit nicht einfach ein Fluch. Dieses Mißverständnis wird ja durch die Erzählung von der Vertreibung aus dem Paradies nahegelegt: Arbeit scheint dort nicht nur ein notwendiges Übel, sondern sogar eine Strafe für die Menschheit zu sein.
Viele sehen zu viel in der Arbeit, andere empfinden sie nur als Fluch. Beiden Gruppen wird hier ganz nüchtern gesagt: Gott hat uns die Arbeit befohlen, darum sollen wir sie tun. Die Arbeit kann uns nicht erlösen, sie ist aber auch kein Fluch. Der Mensch ist der Statthalter Gottes auf der Erde und soll sie sich untertan machen. Das aber tut er in der Arbeit. Nur im Auftrag Gottes tun wir unsere Arbeit und die Arbeit ist nichts Göttliches an sich. Sie gehört vielmehr der vergänglichen Welt an und wird mit ihr vergehen. Aber vorerst ist sie noch so selbstverständlich wie das Essen.
Das wird uns nur nötigen Distanz gegenüber der Arbeit verhelfen: Mit der Arbeit können wir uns nicht das Paradies auf Erden schaffen und unsrem Leben auch noch nicht einen Sinn geben. Aber auf der anderen Seite steht auch eine stumpfsinnige Arbeit unter dem Auftrag Gottes, selbst wenn wir den Eindruck haben, sie ist nutzlos und hier werden durch Fehlplanung nur das Geld und meine Arbeitskraft verschleudert. Beiden Gruppen von Menschen soll mit dieser nüchternen Einschätzung der Arbeit geholfen werden: die die Arbeit vergotten und die sie herabwürdigen.
Die Arbeit ist nicht dazu da, um sich mal was leisten zu können, um so viel zu haben wie andere, um aus Langeweile die Zeit totzuschlagen - sie dient zunächst einmal dazu, unser Leben zu fristen. Das gilt auch für den, der im Augenblick keinen Sinn in seiner Arbeit sehen kann, der über der täglichen Mühe den Mut verliert und es satt hat bis obenhin. Ihm wird gesagt: Die Arbeit ist eine Möglichkeit, um Gutes zu tun. Schon allein durch den Arbeitsvollzug an sich helfe ich den 'anderen, weil ich Dinge für sie herstelle oder ihnen Dienstleistungen bringe. Das verdiente Geld kann wiederum Gutes bewirken, indem ich es für einen guten Zweck ausgebe. Und schließlich ist die Arbeit gut, weil man damit nicht anderen auf der Tasche liegt, wie das etwa bei vielen Jugendlichen noch ist, die zwar voll verdienen, aber zuhause nichts abliefern, sondern ganz den Eltern zur Last fallen, was die Kosten und auch die Arbeitskraft angeht.
Wir müssen uns schon überlegen, wozu wir denn eigentlich arbeiten. Und da heißt es hier: „Aus Liebe zu den anderen, damit wir ihnen nicht beschwerlich fallen!“ Die stärkste Triebkraft für unsre Arbeit ist die Liebe. Wir arbeiten, um zu leben und um anderen zum Leben zu verhelfen. - nicht umgekehrt!
Die Liebe verbietet es, Arbeit auf die Schultern der anderen abzuwälzen. Wenn man alt und krank ist, das ist etwas anderes, weil man da nicht mehr arbeiten k a n n. Es heißt hier ja nicht wie bei Lenin: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ sondern ausdrücklich: „Wer nicht arbeiten w i 1 l, soll auch nicht essen!“
Heute gibt es für Notfälle ja Krankengeld, Rente, Sozialfürsorge und Ähnliches. Es muß keiner betteln gehen, wenn er nicht mehr arbeiten kann. Aber es gibt auch heute noch genügend Möglichkeiten, sich als Christ den anderen gegenüber hilfreich zu erweisen. Die Anstalten und Heime der Diakonie bieten genug Gelegenheit dazu. Aber auch die Unterstützung der notleidenden Menschen in anderen Ländern wie zum Beispiel durch die Aktion „Brot für die Welt“.
Der Wille zur Arbeit ist in unserem Volke da. Aber es fragt sich, ob er auch immer aus der Liebe kommt. Man kann auch arbeiten, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen, weshalb man arbeitet. Es ist aber nicht Aufgabe der Hausfrau, daß die Gardinen sauber und die Fußböden blitzblank sind, sondern daß sich die Familie im sauberen Zimmer wohlfühlen kann. Es ist nicht Aufgabe eines Arbeiters, Anzüge und Schuhe oder so etwas herzustellen, sondern mitzuwirken, daß die Menschen sich anständig kleiden können. Es geht nicht darum, eine Fabrik neben die andere zu bauen, sondern mitzuhelfen, daß sich viele Menschen am Leben freuen können. Ein total überarbeiteter Kraftfahrer liegt zwar niemandem auf der Tasche, aber wenn er als Nervenbündel heimkommt, kann er doch Frau und Kindern sehr beschwerlich werden und hat somit den Sinn der Arbeit verfehlt.
Bei aller Arbeit geht es um den Menschen und um das Leben, aber auch um das Vertrauen zu Gott. Durch keine Arbeit können wir uns unsere Zukunft sichern. Was wir haben, das langt uns, wir sind nicht gezwungen, immer noch weiter machen zu müssen. Christus sagt: „Sorget nicht! Arbeitet, aber geht die Sicherung eures Lebens in Gottes Hand!“
Predigt II zu 2.Thess 3,6-13:
Was das Anliegen des Internationalen Tages der Arbeit war, hätte an sich auch das Anliegen der Kirche sein müssen. Doch wir wissen, wie wenig die Kirche im 19. Jahrhundert die Probleme der Industrie-Arbeiterschaft im Blick hatte. Johann Hinrich Wichern hat zwar die Innere Mission ins Leben gerufen; aber die hat damals nachträglich die Folgen zu lindern versucht, anstatt das Übel bei der Wurzel zu bekämpfen. Weil die Kirche erst um die Jahrhundertwende begann sich die Kirche auch um die Arbeiter zu kümmern, als es vielfach schon zu spät war. Vielfach wurde ein „Evangelischer Arbeiterverein“ gegründet.
Damit wollte man der Sozialdemokratie das Wasser abgraben. Deswegen war man kaisertreu und vaterländisch. Aber das hatte nach 1918 keine Zukunft mehr. Heute ist das Verhältnis zwischen Arbeiterschaft und Kirche sicherlich besser.
In der Bibel kommt das Wort „Arbeit“ oder „arbeiten“ sehr häufig vor, praktisch von der ersten bis zur letzten Seite. Da ist die Rede vom gerechten Lohn für die geleistete Arbeit (Jer 22,13). Aber es wird auch auf den Feiertag und die nötige Ruhe für Gott hingewiesen (2.Mose 23,12). Denn wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen (Ps 127,1). .Es wird dazu aufgefordert, für die Gottesfurcht zu kämpfen und arbeiten (1.Tim 4,10), den Herrn ein Leben lang zu fürchten (Ps 128,1-2) und selig im Herrn zu sterben (Offb. 14,13), weil nur so die Arbeit einen Sinn gehabt hat und man schließlich im Frieden von aller Arbeit ruhen kann.
Der Glaube an Gott hilft uns, einen Sinn in unsrer Arbeit zu sehen. Warum arbeiten wir denn überhaupt? Einmal steht doch unser Selbsterhaltungstrieb dahinter wir müssen etwas für die Familie und zur Sicherung eines gewissen Lebensstandards tun. Aber die Arbeit bringt auch Selbstbestätigung und Freude. Und schließlich kann man noch an die Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft und der Gesellschaft denken.
Aber letztlich ist Gott es, der will, daß wir arbeiten. Paulus hat mehrfach betont, daß er mit seiner eigenen Hände Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient hat. An sich hätte er beanspruchen können, von den Gemeinden unterhalten zu werden; aber er wollte nicht mit manchen Wanderpredigern verwechselt werden, die nur für Geld ihre Lehre verkündeten.
Einige Leute in der Gemeinde haben nicht mehr gearbeitet, weil sie das Ende der Welt für nahe hielten. Ihnen wird ganz hart gesagt: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ So etwas kann man natürlich nicht einem Kranken oder einem, Rentner sagen. Aber es gilt allen, die sich nur auf die faule Haut legen wollen und sich nicht entsprechend ihren Fähigkeiten einsetzen wollen.
Es muß ja auch manche unangenehme Arbeit gemacht werden. Keiner will bei der Müllabfuhr arbeiten, aber jeder will, daß diese Arbeit gemacht wird Auch dort wird ein Auftrag Gottes ausgeführt. Mancher wird meinen: Solche schmutzigen Bereiche dürften doch nicht mit Gott in einem Atemzug genannt werden. Aber auch hier geht es um Gottes Schöpfung und um Menschen, die Gottes Geschöpfe sind. Wir würden die Arbeit unterschätzen, wenn wir nicht beachteten, daß Gott auch dort anwesend ist.
Andererseits überschätzen wir die Arbeit, wenn sie der einzige Lebenssinn sein soll. Viele Menschen stöhnen zwar über die mühevolle Arbeit. Aber wenn sie einmal krank sind und nicht arbeiten können, dann ist es auch nicht recht. Es scheint das Höchste zu sein, wenn man von einem Menschen rühmt, er habe rastlos gearbeitet. Dabei ist doch auch wichtig, ob eine gewisse Menschlichkeit bei der Arbeit zu beobachten war, ob auch Zeit für die Familie, für andere Menschen und für Gott da war.
Wir dürfen die Arbeit nicht vergöttern, aber auch nicht verteufeln. Arbeit ist nur ein Mittel zum Leben. Aber sie rechtfertigt uns nicht vor Gott und macht uns nicht zu freien Menschen. Sie kann auch eine Last und ein Fluch sein. Wo sie aber mit Gott und im Auftrag Gottes getan wird, da macht sie Freude und wird zum Segen.
Natürlich kann man auch ohne Gott arbeiten. Das erleben wir ja täglich in unserer Umwelt, da wird wirklich Großartiges geleistet. Viele Christen wollen sich in dieser Situation so helfen, daß sie sagen: Arbeit ist die eine Sache, und der Glaube ist eine andere. Im Alltag sind wir Menschen dieser Welt und leben und arbeiten in dieser Welt. Glaube aber ist eine Privatsache, für den Sonntag und so. Da habe ich dann auch Zeit für Gott.
Man wird auch schon die Erfahrung gemacht haben, daß bei mancher Arbeit der Glaube nur hinderlich ist. Da soll man lügen gegenüber den Kunden und der Mitarbeitern. Da läßt der Chef sich durch seine Angestellten verleugnen. Da soll ein Kellner zum Alkoholgenuß anregen. Kann ein Christ bei so etwas mitmachen. Kann er wirklich mit seinem Glauben im Alltag ernst machen?
Aber es wird nichts anderes übrigbleiben, wenn man es mit dem Glauben ernst nimmt. Wer sich Gott gegenüber verantwortlich fühlt, hat auch eine Verantwortung im Beruf und gegenüber dem Mitmenschen. Eine Trennung ist da nicht möglich, ein Christ ist überall und in jeder Beziehung ein Christ.
Er hat auch eine besondere Verpflichtung, seine Arbeit gewissenhaft auszuführen. Er arbeitet auch dann gewissenhaft, wenn kein Kontrolleur zusieht. Er ist es seinem Herrn schuldig, keine Pfuscharbeit zu leisten und die Schraube in jedem Fall sorgfältig anzuziehen und die Frühstückspause nicht unnötig auszudehnen.
Wer unordentlich lebt und unnütze Dinge treibt, stimmt nicht mit der Bibel und dem 2. Thessalonicherbrief überein. Eine gewisse Portion Mut und Rückgrat gehören schon dazu, sich nicht in den allgemeinen Strudel der Gleichgültigkeit und Gedankenlosigkeit hineinziehen zu lassen. Aber nur eine Arbeit, die mit Verantwortungsgefühl getan wird, gefällt Gott wohl und wird auch Freude machen.
Der 1. Mai weist uns darauf hin, daß wir auch heute noch mißtrauisch gegenüber manchen Erscheinungen des Industriezeitalters sein müssen. Die Industrialisierung ist nicht unbedingt der Feind des Glaubens. Zwar fällt in den Industriegebieten unter all den Schornsteinen
und Großbauten ein Kirchturm kaum noch auf, aber Gott wird gerade in dieser modernen Landschaft gebraucht. Die neue Zeit ist eine Herausforderung an unseren Glauben, sich in dieser Welt erst recht zu bewähren. Gott läßt sich nicht durch rauchende Schornsteine, laute Maschinen und einen grauen Arbeitsalltag vertreiben. Gerade hier will er uns beistehen, damit wir mit unseren Problemen und den Problemen unsrer Welt besser fertig werden.
Es wäre schade, wenn wir in der Welt des Alltags und in der Welt des Sonntags einen Gegensatz sähen. Es wäre schade, wenn die Sozialisten den Christen den Vorwurf machten würden, sie vernachlässigten das Irdische, und wenn die Christen den Sozialisten den Vorwurf machen müßten, die vernachlässigten das Göttliche. Der 1. Mai, der auf einen Sonntag fällt, kann uns zeigen, wie sehr beides zusammengehört.
Die Mönche des Mittelalters hatten den Wahlspruch: „Bete und arbeite!“Manche haben auch nur gebetet und auf Kosten der anderen gelebt, das wird ihnen ja heute noch vorgeworfen. Aber typisch war das nicht. Die meisten Mönche haben auch tüchtig gearbeitet und sehr viel für die Kultur und die Zivilisation und den Fortschritt getan. Aber sie haben bei aller Arbeit doch nicht das Beten vergessen.
Sie wußten auch, daß wir Gott brauchen, wenn die Welt neu werden soll. Das hat sich bis heute nicht geändert. Wir haben die Aufgabe, schon heute entschlossen für diese neue Welt zu arbeiten. Unsere Weggenossen sind dabei auch Nichtchristen. Ihre irdischen Hoffnungen sind weitgehend auch die unseren. Nur wissen wir, daß wir sie nur mit Gott verwirklichen können. Wenn sie aber einen Abglanz des Göttlichen auf unsren Gesichtern lesen können, dann wird es ihnen leichter werden, auch an Gott zu glauben und von ihm Alles zu erwarten.
Sonntag
Was bedeutet uns der Sonntag?
Woran liegt es, daß wir am Montag unsere Arbeit so sauer verrichten, anstatt sie fröhlich aufnehmen zu können? Viele sagen: „Der Sonntag ist der schlimmste Tag der Woche, weil man nicht weiß, was man da tun soll! Da aber der Müßiggang aller Laster Anfang ist, geschehen auch am Wochenende die meisten Verbrechen, einschließlich Selbstmord.
„Der Sonntag ist für mich der langweiligste Tag der Woche. Klar, ich kann mal ausschlafen, aber was dann? Meine Mutter nörgelt dauernd an mir herum, sie hätte früher besser gewußt, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollten. Aber was sie mir dann vorschlägt: Mit meinen Geschwistern spielen, unsere alte Tante besuchen, das reizt mich auch nicht. Was soll ich denn bei ihr? Nur anhören, wie unpraktisch ich bin. Außerdem tutet sie dann mit Mutter ins gleiche Horn von weger Aussteuer und Namen sticken, so ein Quatsch. So was könnte sie ja mal Uschi vorschlagen! Überhaupt Uschi: Für die ist der Sonntag gerettet, seit sie Fred kennt. Sie ist den ganzen Sonntag beschäftigt. Vormittags muß sie sich zu Recht putzen. Nachmittags ist sie unterwegs mit dem Motorrad oder im Kiro, natürlich mit Fred. Und ich sitze immer nur rum^“
Der „Blaue Montag“ ist eigentlich der beste Beweis für die Not des Sonntags. In manchen Betrieben sinkt die Arbeitsleistung am Montag schon, wenn der heimische Fußballverein verloren hat. Peter Rosegger sagt dazu: „Gebt der Seele einen Sonntag!“ So hieß es früher. Jetzt heißt es: „Gebt dem Sonntag eine Seele!“ Wir wollen uns überlegen, wie wir den Sonntag sinnvoll nutzen.
Dazu aber erst die Frage: Wie haben Sie denn den vergangenen Sonntag verbracht? Hat die Konfirmandin recht, die klagte: „Ich brauche einfach den Sonntagmorgen zum Ausschlafen. Andererseits möchte ich aber auch am Samstag einmal länger fernsehen. Meine Mutter sagt immer: Schule ist das Wichtigste! Entweder kein Fernsehen oder kein Gottesdienstbesuch! Sonntag um 10 Uhr ist für mich zu früh!“
Zunächst einmal sollten wir sehen, daß der Sonntag eine gute Sache ist: Frei von Arbeit und Schule, Essen und Trinken und Ausschlafen nach Herzenslust, Zeit für Vergnügungen und Liebhaberbeschäftigungen. Selbst das kann schön sein, am Sonntag eine Arbeit zu tun, die sonst nichtgetan werden kann.
Auch in der Bibel wird gesagt: Der Feiertag ist der vor Gott gestiftete Ruhetag. Hier sollen wir Kräfte und Freude sammeln für die Arbeit der kommenden Woche. So wird das dritte Gebot begründet mit der Ruhe Gottes am siebten Tag der Schöpfung und genauso müßten auch Mensch und Vieh ausruhen.
Im Neuen Testament ist uns das Wort Jesu überliefert: „Der Sabbat ist um des Menschen willen da und nicht der Mensch um des Sabbat willen!“ Die Christen allerdings haben den Sonntag als Feiertag genommen, weil er der Auferstehungstag ist.
So können wir als Artwort sagen: Der Sonntag ist ein Geschenk unseres Gottes, für das wir ihm von Herzen dankbar sein wollen. Er bietet uns eine Chance, einmal etwas zu tun, was Ausgleich und Ergänzung zum Alltag sein kann. Wichtig ist vor allen Dingen, daß wir die Möglichkeit wahrnehmen, ein bißchen schöpferisch tätig zu sein, entweder allein oder in Gemeinschaft.
Entscheidend ist dabei nicht einmal die äußere Gestaltung des Sonntags. Luther sagt: „Sonntagsruh ist aber nicht so gemeint, daß man hinter dem Ofer sitze und keine große Arbeit tue oder seine besten Kleider antue, sondern daß man nach Gottes Wort handle und sich
darin übe!“ Wenn einer nur säuft und nachher Frau und Kinder schlägt, hat er noch nicht den Feiertag geheiligt.
Sonntagsruhe bedeutet ja nicht, daß man am Sonntag überhaupt nichts tun darf. Wenn die Witterung die ganze Woche über schlecht war und es am Sonntag schön ist, muß man einfach an die Ernte gehen. Oder wenn eine Lieferfrist in einer Firma einzuhalten ist, dann nutzt es gar nichts, wenn einer sich weigert und die Kollegen müssen dafür nur mehr arbeiten. Gefährlich aber wird es, wenn das zur Dauereinrichtung. Wenn jeden Sonntag gearbeitet wird, leidet die Gesundheit Schaden.
Für uns Christen aber ist noch entscheidender, ob wir der Sonntag für der Gottesdienst oder die Beschäftigung mit Gottes Wort genutzt haben. Ein Sonntag, der uns keine Möglichkeit gibt auf Gottes Wort zu hören und ihn den Herrn sein zu lassen, ist ein verlorener Sonntag. Wenn wir diesen Tag als ein besonderes Geschenk des himmlischen Vaters hinnehmen und zum Beispiel den Gottesdienst besucht haben, dann wird es wohl auch nichts ausmachen, wenn wir ausnahmsweise einmal etwas arbeiten oder uns mit einer Sache beschäftigen, die uns Spaß macht, selbst wenn andere sie als Arbeit ansehen.
Was gefährdet den Sonntag?
a) Die Arbeit die einfach weitergeht! Viele Männer, viele berufstätige Frauen müssen einen großen Teil ihrer Sonntage in ihrem Betrieb arbeiten, der nicht stillstehen darf. Viele Hausfrauen und berufstätige Frauen und Männer tun am Sonntag das, wozu die Zeit am Alltag nicht ausreicht, sei es etwas „Notwendiges“ oder eine Lieblingsarbeit.
b) Viele Menschen verbringen die Wochentage zwischen ihren vier Wänden, andere bei eintöniger Arbeit. Nun soll der Sonntag ihnen als Ausgleich möglichst bunte und bewegte Abwechslung in fröhlichem Kreise bringen: Sport, Tanz, Ausflug, auch Kino. Man will sich einmal gehenlassen, austoben und - verliert dabei oft Selbstbeherrschung, Rechtlichkeit, Gesundheit und Leben.
c) Wir nehmen von uns aus am Sonntag allerlei Arbeit vor oder suchen Zerstreuung, weil es uns schwer- ja oft geradezu unmöglich - ist, Ruhe zu halten? Das ruhige Beisammensein, die Unterhaltung im Familienkreis, erst recht das Alleinsein oder eine Tätigkeit, bei der Leib und Seele sich stille halten, sich sammeln, kommt uns öde, langweilig, leer vor. Wir können das nicht ertragen, es macht uns „nervös“. Wir springen bald auf, um etwas zu unternehmen. Und auf einen weiteren „ruhigen Sonntag“ lassen wir uns gewiß nicht wieder ein, selbst wenn wir nach einem „unruhigen“ Sonntag am Montag - und vielleicht die ganze Woche - noch zerschlagen und unzufrieden sind.
d) Wir sind ruhelos und suchen am Sonntag Beschäftigung und Zerstreuung, auch nach einer gerüttelt und geschüttelt vollen Arbeitswoche, weil wir Angst vor der Stille haben. Angst vor der Stille aber ist Angst vor uns selber, ist Angst vor Gott. Wir haben die Ruhe, die Erquickung, die Freude des Sonntags verloren, weil wir Gott verloren haben. Ohne Gott ist der Sonntag kein Sonntag, sondern ein freier Tag, mit dessen Freiheit wir nichts anzufangen wissen, dessen Freiheit wir notgedrungen mißbrauchen.
d) Der Gottesdienst schenkt uns Geborgenheit, Freiheit und Hoffnung in Gott und damit Frieden, Stille, Ruhe. Ist nun dazu ein besonderer, aus allen andern Tagen herausgenommener Tag nötig? Luther sagt, um der Not und um der Liebe willen sei er nötig. Es ist nötig, daß alle Menschen an demselben Tag miteinander frei haben, damit sie miteinander Gottesdienst halten können. Es ist nötig, daß sie einen ganzen Tag zwischen zwei Nächten frei haben, damit sie sich lösen aus Alltagshetze und Alltagsmühe. Es ist nötig, daß dieser Tag von dem ganzen Volke als Feiertag empfunden werde, damit er ein Zeugnis bleibt für die Hinschafft Gottes und Jesu Christi über diese Welt.
Wie gewinnen wir die Gottesgabe des Sonntags für uns zurück?
Von dem Sonntag her, der als Tag des Herrn gefeiert wird, steht die ganze Woche unter Gottes gnädigem Handeln. Denn wer den Gottesdienst recht mitfeiert, betet und singt auch in der Woche, greift auch in der Woche nach Gottes Wort. Von einem recht gefeierten Sonntag her kommen auch unser leibliches Leben und unser irdisches Handeln in rechte Bahnen. Aber wie gewinnen wir Gottes Gabe, die in unserm Volke, in unseren Familien so gefährdet, ja für viele verloren ist, zurück?
Luther gibt uns einen Wink zur „Rückeroberung des Sonntags“ in seiner Erklärung zum dritten Gebot: „Daß wir die Predigt und Gottes Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen!“ Unser Alltagsleben gehört unter Gottes Wort (Tischgebet, Hausandacht bzw. Morgen- und Abendlied, Bibellese). Dann werden wir recht bereitet, recht „eingestellt“ auf den Sonntag. Dann unterbleibt am Sonntag jede nicht unbedingt notwendige (d. h. „Not-wendende“) Arbeit, dann findet man, wenn ein Familienglied am Sonntag arbeiten muß, eine „Sonntagsecke“ und eine „Sonntagsstunde“ am Sonnabend (Wochenschlußandacht, u. U. in der Kirche), am Sonntagmorgen oder am Sonntagabend oder auch an einem Wochentag. Dann wird jeder Sonntag mit den „freien“ Familiengliedern und jeder für alle freie Sonntag doppelt gefeiert.
Auf welche Weise geschieht das? Im Gottesdienst der Gemeinde von jedem, der es eben ermöglichen kann. Im Beisammensein in der Familie und mit wenigen echten Freunden. In der Freude an Gottes Schöpfung und an seinen Gaben in der Kultur und Kunst - und in Dankbarkeit für dies alles. Dies ruhige Feiern ist die wirkliche Entspannung und Erquickung für Leib und Seele.
Hinweise für die Gestaltung eines sinnvollen Sonntags:
a.) in geistlicher Hinsicht: Bibellesen, Gottesdienstbesuch, Dienst am Nächsten, Gespräch mit Nachbarn (alle Arbeit für den Nächsten ist vor Gott recht, auch wenn sie am Sonntag geschieht)
b.) in der Familie: Neues Kennenlernen, Tag großer Ehrlichkeit voreinander, Gesellschaftsspiel, Geselligkeit (Wo man Vertrauen zueinander hat, kann man auch über die Not der vergangenen Woche miteinander reden)
c.) ganz privat: Treffen mit Freund oder Freundin, was die gemeinsamen Interessen fördert. Lesen, Musikhören, Schlafen - alles hat hier seinen Platz. Aber besonders Zeit sollte auch sein für die persönliche Bibellese und das Abendgebet.
d.) im Jugendkreis: Wanderung, Nachbarschaftstreffen.
Die Geschichte vom armen, heimatlosen Sonntag
Es war wieder einmal Samstagabend geworden. und der Sonntag machte sich auf den Weg, um in die Dörfer und Städte der Menschen einzuziehen. Die Glocken läuteten und aus den Kirchenfenstern schimmerte der Schein der brennenden Altarkerzen, doch die Glocken wurden übertönt vom Hupen der Autos, vom Kreischen der Züge und vom Lachen und Schelten der Menschen. Und die Kirchentüre blieb still, denn niemand wollte durch sie eintreten und die Bänke standen leer und verlassen im dämmrigen Abendschein.
Dabei waren die Straßen überfüllt von Menschen. Da sah man sie festlich gekleidet zur Bahn und zu den Autos eilen, da sah man müde, abgearbeitete Gestalten heimwärts ziehen, Mütter in großer Eile zu den Geschäften hasten und Gruppen, die mit viel Lachen und Geschrei verabredeten, was Sonntag getan werden sollte. Dem Sonntag schien es so, als ob die vielen Menschen ganz vergessen hätten, daß er vor der Tür stand und gerne eintreten wollte, er fand keine gefegten Straßen, kein stilles, ruhiges Haus, nur Unordnung, Lärm und Hast.
Da trat er in die Kirche und setzte sich in eine der Bänke, um den Morgen zu erwarten. Doch mit dem ersten Morgenstrahl stand er auf. „Ich habe den Menschen so viel zu bringen“, so sagte er sich, „ich will mich früh auf den Weg machen“.
Gleich vor der Kirche traf er einen Mann, der anscheinend hinaus wollte aufs freie Feld. „Guten Morgen, ich bin der Sonntag“, sprach er ihn an, „darf ich mit Ihnen über die Felder gehen, ich habe Ihnen dabei so viel zu zeigen und zu sagen“. Doch der Mann lachte nur kurz auf „Der Sonntag kann mir zu Hause bleiben. Heute schneide ich die Gerste, und wenn sie den ganzen Tag von allen Türmen zusammenläuten. Wer weiß, ob das Wetter morgen noch hält. Und Unterhalter brauche ich keinen, auf Wiedersehen!“ Damit schritt der Mann rüstig aus und schaute nicht mehr zurück.
„Der arme Mann“, sagte der Sonntag leise. Dann ging er weiter zum nächsten Haus, in welchem er eine Frau erspäht hatte, die am Waschtrog stand. „Sie waren sicher krank, daß Sie so schwere Arbeit heute tun müssen“, so begrüßte er sie teilnahmsvoll. „Kümmern Sie sich nicht um fremder Leute Angelegenheiten, sagen Sie mir lieber, wann ich sonst waschen und plätten soll. putzen und scheuern soll, wenn ich die ganze Woche über im Geschäft stehe. Kommen Sie mir bloß nicht mit diesen überlieferten Worten wie Sonntagsheiligung und so, der Sonntag ist tot!“ - „Nein, liebe Frau“, rief da unser Sonntag, „nehmen Sie mich auf, und Sie werden spüren, daß der Sonntag auch heute noch die Kraft zu geben vermag, mit der ihn Gott gesegnet hat, zum Wohl der Menschen!“
Aber nun wurde die Frau ernstlich böse. „Das fehlte mir noch“, rief sie, „Auch noch Besuch! Wenn man schon so nicht weiß, wo aus und ein mit der Arbeit. Am Sonntag will ich allein sein, will tun und machen, was ich will, nicht auch noch auftragen, aufmerken und zuhören. Ich bleib für mich und die andern sollen das Gleiche tun. Dann hat jedes seinen Frieden!“ -
„Der Frieden kommt mit mir, das was Sie meinen, ist die Leere, das Alleinsein. Nehmen Sie mich auf.“ Doch die Frau warf wütend die Tür zu.
Im nächsten Haus war es ganz ruhig und sonntäglich still. Doch plötzlich vernahm der Sonntag Schnarchtöne. Schnell trat er ein. „Entschuldigung“, so sagte er, „aber ich meine, jetzt wäre es Zeit zum Aufstehen, es reicht sonst nicht mehr zum Gottesdienst!“ Da kam er aber böse an. Von allen Seiten prasselten die Rufe auf ihn ein: „Wie kommen Sie uns vor, schließlich ist der Sonntag doch zum Ausschlafen da! Ein Vergnügen wird man doch wohl noch haben dürfen, und das ist wahrhaftig ein kleines! Wozu hat man denn heutzutage ein Radio, da kommt doch auch ein Gottesdienst! Die, die dauernd zu Kirche rennen, sind auch nicht besser als wir!“
Er wußte gar nicht, wie er auf die vielen Zurufe antworten sollte, aber da wurde er auch schon ziemlich unsanft aus der Türe geschoben und der Schlüssel drehte sich hinter ihm im Schloß.
Nun war er doch schon ein wenig müde geworden, wie gerne hätte er irgendwo Rast gemacht. Wie schön, vor ihm liegt das Pfarrhaus, schnellen Schrittes geht er darauf zu. Da war auch schon die kräftige Stimme des Pfarrers zu vernehmen, aber, o Schreck, sie klang gar nicht sonntäglich. „Zum Kuckuck, wo ist denn jetzt wieder das Gesangbuch, da hab ich doch den Abkündigungszettel drin liegen, und Manschettenknöpfe sind auch mal wieder nirgends zu finden! Hans, los jetzt, aufgestanden, bring mal den Blumenschmuck auf dem Altar etwas in Ordnung. Jeden Sonntag diese Hetzerei!“
Dem Sonntag war, als hörte er nicht recht. Zur Sicherheit fragte er den Jungen, der gerade die Treppe herunterstürmte: „Sag mal, dies ist doch das Pfarrhaus, oder nicht? Geht ihr heute alle zur Kirche?“ Mürrisch entgegnete der Junge: „Ja, wir sind das Pfarrhaus, und deshalb müssen wir auch alle Sonntag zum Gottesdienst gehen. Meine Kameraden sind schon fort zum Schwimmen und wieder andere trainieren auf dem Fußballplatz, bloß wir müssen immer erst zur Kirche!“
Da wurde der Sonntag recht traurig und schlich sich leise aus dem Hause fort. Am liebsten hätte er seine Wanderung aufgegeben, aber Gott hatte ihn einst um der Menschen willen geschaffen, er war ein Geschenk, ein Angebot Gottes an die Welt und nur Gott selbst durfte ihn von dieser Erde abberufen. Und so zog er weiter, forschend und suchend, wo er eine Heimstatt finden könne. Wer weiß, vielleicht kommt er heute in unseren Ort. Was fangen wir mit ihm an?
Sonntagsruhe: Leben braucht Halt und Rhythmus
Der Sonntagsschutz sei ein Rückschritt titelte am 11. Dezember 2009 die „Berliner Morgenpost“. Sie reagierte damit auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das in wesentlichen Teilen einer Klage der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg und der schlesischen Oberlausitz sowie dem katholischen Bistum Berlin stattgibt. Die Kirchen hatten vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Ladenöffnung an allen vier Adventssonntagen geklagt, die durch den Berliner Senat gestattet worden war.
Das Urteil legt fest, eine Gesellschaft brauche eine geordnete Abfolge aus Arbeitstagen und arbeitsfreier Zeit. Das Gericht urteilt dabei nicht in der Folge der jüdisch-christlichen Tradition des Sabbats - des Sonntags - als Ausdruck der Schöpfungsruhe Gottes gemäß den Schöpfungsberichten des Alten Testamentes. Um diese Wurzel wissend urteilt das Bundesverfassungsgericht dennoch nicht religiös. Eine Gesellschaft ohne weitgehend synchrone freie Zeit wäre einen wesentlichen Schritt auf dem Weg zu gesellschaftlicher Instabilität vorangekommen.
Ladenöffnung auch am Sonntag?
Das im Kern starre Ladenschlußgesetz hat in den vergangenen Jahren eine Fülle von teilweise absurden Ausnahmeregelungen produziert. Längst verkaufen nicht nur Tankstellen und Bahnhofskioske bis spät in die Nacht Shampoo oder Schampus. Eifrig erfinden die Kommunen auch Märkte und Messen bis hin zum „Mantel-Sonntag“ in Worms, auf denen dem Konsum gefrönt werden darf. Im engeren City-Areal um Kuhdamm und Friedrichstraße gestattete Berlin Läden ohne Personal von montags bis samstags den lizensierten Spätverkauf bis 24 Uhr - eigentlich nur für touristische Ware. Darunter aber fällt nach Meinung des Senats „alles, was ein Tourist tragen kann“. Weshalb ein Buchhändler, nachdem er seine Angestellten kurzerhand zu Prokuristen beförderte, zu später Stunde Schmöker und CD's absetzen darf.
Für den Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist der Fall klar. Es sei ein „Skandal, daß Geschäftsleute öffentlich zum Rechtsbruch auffordern!“
Doch vielerorts öffnen die Geschäfte schon jetzt sonntags ganz legal. Zunutze machen sich dabei viele Einzelhändler einen Passus des Ladenschlußgesetzes, der in Kur-, Ausflugs-, Erholungs- und Wallfahrtsorten „mit besonders starkem Fremdenverkehr" an bis zu 40 Sonn- und Feiertagen pro Jahr den Sonntagsverkauf zuläßt. Dabei erlaubt das Gesetz den Verkauf von „Badegegenständen, Devotionalien, frischen Früchten, alkoholfreien Getränken, Milch- und Milcherzeugnissen, Süßwaren, Tabakwaren, Blumen und Zeitungen". Auch Waren, „die für diese Orte kennzeichnend sind“, dürfen angeboten werden. Nach Ansicht des Bayerischen Obersten Landesgerichts zählt dazu auch alles, was ortsgebunden oder landschaftlich typisch ist, also zum Beispiel Aale am Steinhuder Meer, Elfenbeinschnitzereien im Odenwald oder Kuckucksuhren und Trachten im Schwarzwald.
In Baden-Württemberg haben sich nach einer Übersicht des Sozialministeriums 350 Orte die Lizenz zum Sonntagsverkauf geben lassen - wenngleich längst nicht alle diese Möglichkeiten
nutzen. In Baden-Baden sind die kleinen Geschäfte vor dem Kurhaus jeden Sonntag offen. Ärger mit den Gewerkschaften gibt es dabei nicht: In der Regel stehen die Ladenbesitzer selbst hinter der Verkaufstheke. Wenn zwei bis dreimal im Jahr bei großen Kongressen die Geschäfte der Innenstadt sonntags geöffnet sind, machen fast alle mit.
In Mecklenburg-Vorpommern machen inzwischen sogar rund 190 Orte und Stadtzentren von einer seit 1992 geltenden Bäderregelung Gebrauch. Sie erlaubt in touristischen Gebieten an Sonn- und Feiertagen die Ladenöffnung. In Berlin sind am Sonntag „traditionelle Feste“ der Anlaß, die Geschäfte zu öffnen. Die Feste finden allerdings zum ersten Mal statt. In der Gegend um den Berliner Ostbahnhof werden am Sonntag Plastikpalmen zwischen den Plattenbauten sprießen: Zwölf Läden feiern die „Tropical Beach Party“. Von 12 bis 17 Uhr bieten die Händler ihr komplettes Sortiment an - und das mit Erlaubnis des Senats. Schließlich handele es sich bei der erstmals veranstalteten „Tropical Beach Party“ um ein „traditionelles Fest“ und der Bahnhof sei „Ausgangspunkt für Reisen in ferne Länder und besonders die Tropen“.
Selbstverständlich wird nämlich auch der Kaufhof am Alex wieder mit von der Partie sein. Vor seinen Toren steigt das „Traditionelle Brunnenfest“. Geschäftsführer Günter Biere rechnet mit mehr als 50.000 Kunden: „Wir wollen die Politiker zwingen, sich mit dem Verbraucherprotest zu beschäftigen!“ Eine Strafe muß der Kaufhof dieses Mal ebenso wenig fürchten wie der Elektroriese Saturn, der Brillenhändler Fielmann oder die Wohlthat'sche Buchhandlung am Alex - das löcherige Ladenschlußgesetz macht es möglich. Dessen Paragraph 10 erlaubte es dem Berliner Senat bereits, weite Teile der City zum Ausflugsgebiet zu erklären. Allerdings dürfen hier sonntags nur Touristen-Artikel verhökert werden, wogegen der Kaufhof mit seinem Komplettangebot nach Meinung des Berliner Oberverwaltungsgerichts verstieß. Dieses Mal aber greift Paragraph 23, der den Wochenendverkauf bei Feste „ im öffentlichen Interesse“ erlaubt. Um die Pointe vorwegzunehmen: Nach Paragraph 14 gelten weitere Ausnahmen bei Märkten und Messen, weshalb in der gesamten Hauptstadt am 19. und 26. September, 17. Oktober und November die Kassen klingeln dürfen.
Eigentlich genehmigt der Senat Festverkäufe nur einmal im Jahr. Doch öfters wird auch davon eine Ausnahme gemacht: Die Händler am Potsdamer Platz dürfen „wegen der überörtlichen Bedeutung für den Kulturstandort Berlin“ am Sonntag ein umsatzsteigerndes Amerika-Fest begehen, obwohl sie im Frühjahr schon zum Jazz-Shopping luden. Biere fordert gleiche Rechte: „Ich lasse mir was einfallen.“ Beobachter tippen auf „Sibirisches Eisbärfest“ am Alex.
Die Berliner Richter betonten, durch das bloße Anbringen von Aufklebern an Waren jeglicher Art lasse sich der geforderte Ortsbezug nicht herstellen. Das Kaufhaus hatte am vergangenen Sonntag allen verkauften Waren einen Aufkleber mit dem Aufdruck „Berlin-Souvenir“ verpaßt. Das Oberverwaltungsgericht erklärte, der derzeitige rechtspolitische Streit um eine weitere Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten berühre das zur Zeit geltende Recht und das Interesse seiner Durchsetzung nicht.
Der frühere Wirtschaftsminister Rolf Eggert (SPD) von Mecklenburg-Vorpommern empfahl dagegen am Freitag, das Ladenschlußgesetz ganz abzuschaffen. „Ich meine, daß die Länder dann über die Feiertagsgesetze eigene Regelungen treffen können“, sagte er. In Mecklenburg-
Vorpommern habe man eine andere Situation als etwa in Bayern, wo die Kirche eine viel größere Rolle spiele. Daß der Ladenschluß vor allem im Osten so hemmungslos untergraben wird, ist kein Zufall. Zum einen ist hier die konfessionelle Bindung der Kunden und damit der Respekt vor der Sonntagsruhe deutlich schwächer ausgeprägt als im Westen. Dann haben sich massiv Einkaufszentren auf der grünen Wiese angesiedelt.
Keineswegs drängen jedoch nur liberalisierungswütige Politiker und umsatzorientierte Konzerne in West und Ost auf mehr Freiheit beim Einkaufen. Offenbar gibt es einen Bedarf in der Bevölkerung. Berufstätige Mütter und Singles leiden unter den starren Öffnungszeiten. Und immer mehr Menschen, die einmal in London oder New York einkaufen waren, wissen die Annehmlichkeiten des Shoppings in Dienstleistungskulturen zu schätzen (doch solche Öffnungszeiten gibt es nicht überall in den USA).
Dem stemmen sich die Gewerkschaften massiv entgegen: Maximal 20 Prozent der Bevölkerung wollen längere Öffnungszeiten. Dafür kann man nicht die Interessen von 2,8 Millionen Beschäftigten opfern! Für eine Änderung des Gesetzes gebe es „keinerlei Notwendigkeit“. Soweit die offizielle Linie. Sollte man eine Aufweichung des Gesetzes nicht verhindern können, dann würde es eben um neue Arbeitszeitsysteme, höhere Zuschläge und Beschäftigungssicherung gehen. Genau dieser Weg wurde beim Berliner Kaufhof gewählt, wo in einer Betriebsvereinbarung als Ausgleich für die Sonntagsarbeit 45 zusätzliche Stellen, eine Beschäftigungsgarantie und ein Bonus festgeklopft wurden.
Doch nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch die Kirchen und Teile des Handels lehnen eine völlige Freigabe der Verkaufszeiten ab. Während katholische und evangelische Würdenträger vor allem auf die verfassungsmäßig garantierte Sonntagsruhe der Gottesdienst-Besucher pochen, geht im Mittelstand die ernst zu nehmende Angst vor einer weiteren Beschleunigung des Konzentrationsprozesses im Handel um.
Angesichts des Wettbewerbsdrucks könnten höhere Personalkosten durch längere Öffnungszeiten manchem Mittelständler das Genick brechen. Andererseits würde eine Liberalisierung gerade kleineren, serviceorientierten Firmen die Chance zu mehr Flexibilität und Nischen-Angeboten geben. Dazu aber müßten sie vom Gesetzgeber bevorzugt werden. Die Grünen favorisieren daher ein Modell, das Kleinbetrieben die Öffnung völlig freistellt und für größere Läden zunächst die bestehenden Schußzeiten beibehält. Differenzieren möchte auch der Deutsche Städtetag: Um die urbanen Zentren zu beleben, regt er eine Bevorzugung der dort ansässigen Geschäfte gegenüber den Einkaufszentren auf der grünen Wiese an.
Bundestagsabgeordneter Bernd Reuter:
„Eine Ausweitung der Ladenöffnungszeiten auf die Sonntage wurde unsere Gesellschaft dramatisch verändern. Wir brauchen einen Tag der Besinnung, der sich von der hektischen Betriebsamkeit der Wochentage abhebt. Wenn sich eine so weitgehende Lockerung der Öffnungszeiten durchsetze, bedeute dies für viele Bürger einen großen Verlust an Lebensqualität. Die Verbraucher, die unbedingt auch sonntags einkaufen möchten, ignorieren dabei das Verkaufspersonal, das seine Zeit nicht mit der Familie, Freunden oder mit einem Hobby verbringen kann.“
Auch aus wirtschaftlicher Sicht habe die seit 1996 angestrebte Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten keines der gesteckten Ziele erreicht. Weder der Umsatz sei gestiegen, noch seien ausreichend neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Eher stagnierende Umsätze und Erträge haben die Einzelhandelsverbände verzeichnet, weshalb viele Geschäftsleute ihre Läden unter der Woche wieder früher schließen.
Für den Fall, daß die Bundesbürger nun auch an Sonntagen durch die Geschäfte schlendern könnten, werde sich daran nichts ändern. „Wer sonntags einkauft, wird es am Mittwoch eben nicht tun.“ Daher ist Bernd Reuter überzeugt, daß die auch an diesen Tagen geöffneten Geschäfte kein Umsatzplus verzeichnen werden.
Bernd Reuter warnt vor dem Druck, den große Unternehmen und Handelsketten auf ihre Mitarbeiter ausüben werden, wenn es darum geht, auch am Sonntag den Dienst anzutreten. „Wer nicht spurt, der kann gehen.“ Die kleineren Händler würden von den verkaufsoffenen Sonntagen ebensowenig profitieren wie von den abendlichen Öffnungszeiten, meint Reuter. Viele Kunden würden ohnehin die großen Handelsketten und Einkaufsmetropolen aufsuchen und ihre Einkäufe dort tätigen.
Würde das Ladenschlußgesetz völlig ausgehebelt, so ginge dies zu Lasten der mittelständischen Strukturen, schließt er sich der Argumentation des lokalen Einzelhandelsverbandes an. Dieser habe zu bedenken gegeben, daß der verkaufsoffene Sonntag schnell an Attraktivität verlieren würde, sobald er allgemein eingeführt und damit nichts Neues mehr sei.
Christliche Auffassung :
So kamen denn auch Bedenken dieser Art gegen die Opferung des Sonntags auf dem Altar des Ladentisches, wie auch die Proteste derer, die dann nicht nur werktags länger, sondern sogar noch sonntags arbeiten müssen, die Familien und Freundschaften, die Hobbys und Freizeit, deren Gesundheit und Lebensfreude noch mehr leiden würden.
Es gibt auch ohne die totale Sonntagsöffnung der Kaufhäuser und Geschäfte schon zu viele Berufsgruppen, die unter der Sonntagsarbeit leiden. Doch es wäre zu wenig, wenn man die Gedanken über den Sonntag nur auf das Thema „offene Geschäfte oder nicht“ verengen würde. Der Sonntag ist eine Institution, eine Einrichtung, die eine uralte Tradition hat.
Die ersten, die der Meinung waren, daß der Mensch mehr ist als nur Arbeitstier, waren die Juden. Im jüdischen Gesetz des Alten Testaments wurde er Sabbat als fester Bestand des Lebens festgeschrieben: „Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun" (Ex 20, 9-10).
Dieser Ruhetag für Gott, den Herrn, war ein Ruhetag, ein Erholungstag zum Luft holen, zum Kraftschöpfen für die Menschen. Sie sollen einmal Zeit haben für sich, für die Familie und Freunde, fürs Nachdenken und für das Gebet, das Gespräch mit Gott. Der Sabbat war heilig, weil er dem Heil des Menschen diente. (Der Sabbat ist der Ursprung unseres Urlaubs - und wer würde schon sei Urlaub dem Geschäft opfern wollen?).
Doch für uns Christen ist der Ruhetag der Woche nicht der Sabbat (Samstag), sondern der Sonntag. Es ist der Ostertag jeder Woche, der Tag der Auferstehung Jesu und damit der Tag unseres Lebens, der Tag unseres Glaubens daran, daß Christus uns von all dem erlöst hat, was uns das Leben schwer macht.
Wer jedoch wenigstens am Sonntag Gott, seiner Familie, seinen Freunden und sich selbst die Ehre gibt, der erkennt, daß die Freude, die wirklich satt macht und trägt, nicht im Materiellen, sondern im Ideellen, nicht im Besitzen, sondern im Sein, nicht im Portemonnaie, sondern im Herzen besteht.
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ (Mt 19,19), sagt uns Christus kurz und bündig und doch umfassend als Lebensregel für den Umgang miteinander. Das darf man durchaus erst einmal egoistisch sehen: „Liebe dich selbst! Liebe das, was dir selbst dient, was dir innere Ruhe, Frieden, was dir Zufriedenheit und seelische Gesundheit bringt. Kann man sich denn mit Geld Frieden, Gesundheit und Leben kaufen?“
Doch wenn ich den anderen lieben soll (darf) wie mich selbst, würde ich ihm dann zumuten - um beim Thema zu bleiben - nicht nur werktags, sondern auch noch sonntags hinter der Ladentheke, dem Wühltisch oder der Kassen zu stehen? Stellen Sie sich einmal vor, Ihre Frau/ Ihr Mann, Ihre Freundin/Ihr Freund müßte sonntags arbeiten, während das gerade Ihr freier Tag ist, würde Ihnen das gefallen? Würde Ihre Beziehung nicht leiden, wenn Sie frei haben, aber der den Sie lieben, mit dem Sie die Freizeit verbringen möchten, muß neugierige, nörgelnde, gelangweilte oder bloß schauende und bummelnde Kunden bediene?
Nicht nur die Freude, die Gemeinschaft, die Mitmenschlichkeit stehen bei Geld und Kaufsonntagen auf dem Spiel, mit ihr auch kurz-, mittel- und langfristig unsere Gesundheit, unsere Kultur, unser Seelenleben und unser Glaube (den so viele, Gott sei Dank, im Herzen tragen) und auch unsere Zukunft.
Sicher, ein verkaufsoffener Sonntag ist noch nicht der Untergang unserer Kultur, der Gemeinschaft und des Lebens. Doch wenn es Schule macht, wenn nicht mehr der Mensch, sondern nur noch das Geld zählt, dann ist es endgültig mit der Ruhe für Leib und Seele, die doch jeder von uns sucht, vorbei, Deshalb meine Bitte: Boykottieren Sie die Kommerz-Sonntage - wehret den Anfängen - reden Sie miteinander darüber und nehmen Sie nicht alles so gedankenlos und schweigend hin, überzeugen Sie Ihre Mitmenschen, daß Ihnen das Geschenk des Sonntags wertvoll ist, der zum Glück (noch?) vom Grundgesetz geschützt ist, und beten Sie (vielleicht gerade sonntags in der Kirche) darum, daß die Menschen Gott und sich selbst die Ehre geben und nicht das Geld noch mehr unser Götze wird.
Der frühere EKD-Ratsvorsitzender Manfred Kock sprach sich für eine juristische Klärung aus: „Deshalb, um unsere Erlösung, unsere Freude, unser Glück ja unser Leben zu feiern, werden wir jeden Sonntag zum Gottesdienst eingeladen, um Gott zu danken, ihn zu loben und so selbst zu der Gewißheit zu wachsen, daß Gott für uns da ist, Gott für uns, wir für ihn und wir füreinander. Der Sonntag ist der Tag der Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinschaft der Menschen untereinander, der Tag, der so dem Heil der Menschen für Leib und Seele dient.
Die Befürworter der Sonntagsöffnung machen ökonomische Gründe geltend.
Abgesehen davon, daß diese selbst von Teilen der Wirtschaft bestritten werden, sind die Argumente der Kirchen in diesem Streit schwerwiegender. Man kann sie gar nicht oft genug in Erinnerung rufen: Der Sonntag ist ein wertvolles Kulturgut der jüdisch-christlichen Tradition. Der regelmäßige Rhythmus von Arbeit und Ruhe tut dem Menschen und der Gesellschaft gut, die Unterbrechung der Arbeit durch den Sonntag ist heilsam. Der Tag des Gottesdienstes verdient besonderen Schutz. Politik und Gesellschaft sollten sich gut überlegen, welchen Preis sie zugunsten wirtschaftlicher Erwägungen zu zahlen bereit sind.
Ich sage es klipp und klar: Wer den Schutz des Sonntags nicht achtet, versündigt sich am biblischen Gebot „Du sollst den Feiertag heiligen“. In unserem Staat ist der Sonntag durch das Grundgesetz als allgemeiner „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ geschützt. Und wenn unsere guten Gründe für den Schutz des Sonntags kaltlächelnd abgetan werden, ist es nur folgerichtig, wenn die betroffenen Landeskirchen sich gegen Regelungen, welche die Substanz der Sonntagsruhe gefährden, mit rechtlichen Mitteln wehren. Dafür haben sie die ausdrückliche Unterstützung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Sonntags nie
Pfarrer arbeiten doch nur sonntags - diesen Spruch, oft verbunden mit einem breiten Grinsen, quittiere ich mit einem grimmigen Lachen. Arbeiten, wenn die anderen in Büros, Werkhallen oder hinterm Ladentisch schwitzen, aber auch wenn sie Feierabend haben, davon können nicht nur Pfarrer ein Lied singen. Und der Chor wird immer größer.
„Du sollst den Feiertag heiligen“ heißt das Dritte Gebot. Sogar Gott ruhte am siebten Tag, „und er segnete den siebten Tag und er heiligte ihn“. Gott griff nicht zum Rasenmäher oder zum Poliertuch, um sein Werk zu verschönern und zu pflegen, und er öffnete auch keinen Laden. Seine Ruhe, das Zurücklehnen mit gutem Gewissen gönnt er auch uns. Ist Konsum noch entspannender als Ruhe? Oder sollten wir unseren Vorfahren nicht dankbar sein, daß es ihnen gelungen ist, den Sonntag als Ruhetag für alle arbeitsfrei zu halten? Im Grundgesetz ist der Sonntag als allgemeiner „Tag der Arbeitsruhe und seelischen Erhebung“ verankert. Und weil das so wichtig ist, wird dieser Artikel ausdrücklich noch mal in Landesverfassungen und Kirchenverträgen mit den Bundesländern wiederholt.
Der „Salamitaktik gegen die Ruhe“ ist bereits ein kirchlicher Feiertag zum Opfer gefallen. Für die geforderte Entschlackungskur des Ladenschlußgesetzes steht genügend Zeit zur Verfügung - aber eben nicht der Sonntag als allgemeine Verschnaufpause für eigene Interessen, für die Familie, für Freunde, für gemeinsame Unternehmungen, für den Gottesdienst. Denn mein Dienst als Pastorin am Sonntag ist nicht nur Arbeit, sondern ich feiere und nutze den siebten Tag, wie es mir und allen anderen das Gesetz garantiert: zur Arbeitsruhe und seelischen Erhebung (Karin Bertheau).
Leserbrief: Karfreitag abschaffen?
Am Karsamstag konnte der Tagesanzeiger nicht von besonderen Veranstaltungen an Karfreitag berichten. Stattdessen war viel die Rede von Gottesdiensten, Jubelkonfirmationen, Kultur und sozialen Projekten. Das ist auch gut so, daß die Zeitung auf die Gefühle christlicher Leser Rücksicht nimmt. Auch das Fernsehen hat es an diesem Tag schwer. Das Privatfernsehen nimmt überhaupt keine Rücksichten auf irgendwelche Feiertage, da ist jeden Tag nur Alltag. Aber die öffentlich-rechtlichen Sender bringen oft religiöse Themen (auch wenn die Quizsendung im HR-Fernsehen ziemlich daneben war).
In Frankfurt und Mainz aber mußten einige „Tanzwütige“ an Gründonnerstag unbedingt ulkige Verrenkungen machen, die sie als „Tanzen“ bezeichneten, um gegen das Tanzverbot an Karfreitag zu demonstrieren: Das Feiertagsgesetz von 1953 sei nicht mehr „zeitgemäß“! Wenn schon ein Feiertag sei, dann müsse man auch feiern können, und dann müsse die Disco auch geöffnet sein. In einem Kurort in Thüringen mußte auf eine Beschwerde eines Kurgastes hin eine Verkaufsveranstaltung an Karfreitag verboten werden.
Im Gesetz ist allerdings nur der Karfreitag als gesetzlich geschützter Tag erwähnt. Das hat einige Ungeduldige veranlaßt, erst Mitternacht abzuwarten und dann loszulegen - als ob nicht das ganze Jahr über Gelegenheit zum Tanzen wäre. Dabei ist natürlich auch der Karsamstag ein ernster Tag. „Feiertag“ muß nicht heißen, daß man dann nur feiert, es gibt auch ernste Feiertage. Besser würde man sie als „Gedenktage“ bezeichnen. So werden ja auch der Volkstrauertag und der Ewigkeitssonntag (Totensonntag) begangen.
Dieses Jahr haben wir 363 Tage zum Tanzen, da wird man doch einmal eine Tag auslassen können. Aber an Ostern geht es halt um die vier zusammenhängenden Tage, die die Spaßgesellschaft in vollen Zügen genießen will, nicht nur an den zwei Ostertagen. Auf andere Religionen in unserer Gesellschaft nehmen wir ja auch Rücksicht. Da können die sogenannten „Atheisten“ doch auch einmal im Jahr auf die Gefühle der Christen Rücksicht nehmen.
Wenn Karfreitag nicht mehr zeitgemäß ist, dann könnte man ihn doch als arbeitsfreien Tag abschaffen - und den Ostermontag gleich mit. Nur wer am Vormittag zum Gottesdienst gehen möchte, der bekommt frei - so wie in der damaligen DDR. Die Gewerkschaften würden da nicht mitmachen, nicht aus Liebe zur Kirche, sondern weil es sich bei den arbeitsfreien Tagen um eine soziale Errungenschaft handelt.
Das Hauptproblem ist natürlich, daß es Menschen gibt, die gar nichts mehr achten. Wenn niemand mehr hinginge zu solchen Veranstaltungen, wäre die Sache erledigt.
Peter Heckert, Maulbeerweg 21
Sonntagsheiligung:
Nach dem Reformationsggedenken 2017 mit dem 31. Oktober als gesetzlicher Feiertag kam die Idee auf, diesen Tag allgemein zum Feiertag zu machen. Hamburg und Bremen haben das gleich umgesetzt, Schleswig-Holstein und Niedersachen überlegen noch. Wahrscheinlich wollten sie mit dieser Aktion ein Gegengewicht zu der größeren Zahl der gesetzlichen Feiertage in den südlichen bundesländern schaffen.
Widerstand kanm von den Arbeitsgebern, die wegen des Produktionsausfalls schon beinahe in den Ruin getrieben wurden.sie rechnen den Schaden natürlich extrem hoch,während unabhängige Institute den Ausfall auf 0,12 Prozent berechnen. Außerdem verweisen sie drauf, daß die Arbeitnehmer in den Tagen vor und nach dem Feiertag mehr leisten aus Freude über den freienTag. Bayern und Baden –Württemberg haben zwei Feiertage mehr und die beste Wirtschaftleistung (aber angeblich hängt das daran, daß dort die Betriebe größer sind).
Unverständlich ist die Kritik der jüdsichen Gemeinden: Man könne doch nicht dem „Judenhasser“ Martin Luther einen eigenen Feiertag widmen. Doch man kann natürlich Luther nicht auf seine Judenfeindschaft in den späten Lebensjahren reduzieren. Und es geht bei so einem Gedenktag nicht um die Person Luther, sondern um das Gedenken an die Reformation.
Die Moslems haben sichb natürlich auch gemeldet und das Zuckerfest als gesetzlichen Feuetag vorgeschlagen. Andere Vorschläge sidnd er 8. Mai (Gedenktag der Befreiung), 23. Mai (Verabschiedung des Grundgesetzes) und der 17. Juni (Volksaufstand im Osten).
Für die Kirche aber gilt. Ein Feiertag ist ein Feiertag, auch wenn er nicht arbeitsfrei ist. Es gibt andere kirchliche Feiertage, andenen auch Gottesdienst ist, auch wenn das an einem Werktag am Abend ist.
Beruf und Berufswahl
In unserer Gesellschaft wird immer ein unversöhnlicher Klassengegensatz bleiben, der unbarmherziger ist als der Gegensatz zwischen Herren und Knechten: der Gegensatz zwischen dem Menschen, der in seiner Arbeit selbst einen Sinn findet und dem Menschen, der die Arbeit nur für Geld tut. Der eine sieht innerlich auch auf sein Werk und ist ganz daran beteilig - der andere sieht nur auf die Uhr, wann es nun endlich fünf ist, um die Arbeit zu beenden,
er sieht nur auf den Kalender, wann es denn endlich Freitag wird. Natürlich liegt in jedem Menschen etwas von beidem; aber es kommt darauf an, wo das Gewicht liegt - und hier unterscheidet sich die Menschheit.
Wer nur für das Geld allein arbeitet, ist nämlich ein Sklave, ganz gleich, welche Stellung er hat. Durch keine Arbeiterbewegung oder soziale Revolution, durch keine Abschaffung der Sklaverei kann er aus seiner Knechtschaft erlöst werden. Er kann sich nur selber befreien.
Früher blieb dem Menschen gar keine Wahl. Er wurde einfach in den Beruf seiner Väter hineingeboren. Der Sohn des Bauern führte den Hof weiter, der Sohn des Handwerkers übernahm das Geschäft. Im 19.Jahrhundert bildeten sich dann Modell-Lebenswege, die von der Wiege bis zur Bahre bei vielen Menschen gleich waren: Der „Gewerbliche“ besuchte die Acht-Klassen-Volksschule, ging dann drei Jahre in die Lehre und wurde Geselle seines Faches. Der „kaufmännische“ Modellbürger besuchte die Schule bis zur mittleren Reife, ging drei Jahre in die kaufmännische Lehre und wurde dann Handlungsgehilfe, Bevollmächtigter oder gar Prokurist, je nach Glück und Begabung.
Auch heute ist die Berufswahl sehr oft durch objektive Gegebenheiten vorausbestimmt. Vor allem entscheiden die Zahl der vorhandenen Lehrstellen und die sonstigen Ausbildungsmöglichkeiten. Dazu kommt der Bedarf der Wirtschaft. Dennoch sollte man die Berufsfindung nicht allein der Berufsberatung und Berufslenkung überlassen, sondern sollte mit klaren Vorstellung über seine Berufswünsche zur Berufsberatung gehen, sein Berufsziel vortragen und darauf dringen, zumindest einen ähnlichen Beruf zu erhalten.
Eine falsche Berufswahl kann den Menschen schwer belasten, manchmal sein ganzes Leben zerstören. Der Beruf soll nicht als Last empfunden werden, sondern er soll Freude bringen. Es geht nicht nur um die Bezahlung. Eine gute, abgeschlossene Berufsausbildung ist die beste Grundlage für einen dauerhaften Erfolg. Nicht der ist der Klügste, der möglichst schnell möglichst viel Geld verdienen will, sondern der sich einen Gesamtplan macht und ihm unbeirrt nachgeht. Allerdings muß er nicht nur Neigung mitbringen, sondern auch Begabung für den von ihm gewählten Beruf.
Gesichtspunkte bei der Berufswahl:
1. Die erste Frage ist immer: Wünsche ich mir einen Beruf, der es mit Maschinen zu tun hat, oder einen Beruf, der es mit Menschen zu tun hat. Der eine braucht das lebendige Gegenüber bei der Arbeit, eine abwechslungsreiche, den ganzen Menschen ansprechende Tätigkeit, auch wenn sie viel Kraft und Einsatz erfordert.
Der andere arbeitet lieber für sich allein an einer Maschine ohne die ständigen Aufregungen, die ein anderer Mensch mit sich bringen kann. Dazu gibt es natürlich noch eine Reihe von Berufen, die beides miteinander verbinden.
2. Wichtig ist die Frage nach den eigenen Fähigkeiten. Ohne Begabung gibt es keinen Erfolg und auch keine Zufriedenheit. Manchmal werden bei der Berufsfindung Tests durchgeführt. Aber auch unabhängig davon sollte man schon während der Schulzeit einmal probeweise in dem gewünschten Beruf gearbeitet haben oder zugesehen haben, damit man sich eine klare Vorstellung davon machen kann. Oftmals sind auch die Schulzeugnisse ein Gradmesser, wenn auch der Beruf ganz andere Anforderungen stellt als die Schule.
3. Schließlich entscheiden dann noch die Lebensumstände: Ist ein Arbeitsplatz in der Nähe? Kann ich meinen Eltern die lange Belastung zumuten? Hat der gewünschte Beruf überhaupt eine Zukunft? Gibt mir der Beruf eine gute Grundlage für weitere Berufe, kann ich mich qualifizieren und aufsteigen? Wie groß ist die Verantwortung, die ich dabei übernehmen muß? Welche gesellschaftlichen Forderungen sind mit diesem Beruf verbunden?
Die meisten jungen Leute von heute vollziehen ihre Berufswahl als „Wahl ins Blaue“. Sie wählen ihren Beruf nach Gesichtspunkten, die sie in der Schule, im Familienleben oder in der Freizeit gewonnen haben. Der künftige Beruf soll ihnen eine Selbstbestätigung geben, er soll helfen, im Leben weiterzukommen und bestimmte Lebensansprüche zu befriedigen. Arbeit hat keinen Eigenwert, sondern ist Mittel zum Zweck, sich das Leben so schön und angenehm wie nur irgend möglich zu machen.
Aber auch Eltern und Verwandte, Freunde und Berufsberater kommen mit zahlreichen Vorschlägen: „Sieh zu, daß du möglichst schnell viel Geld verdienst!“Andere aber sagen: „Arbeit muß Freude machen!“ Wieder ein anderer gibt zu bedenken: „Sicherheit ist allein entscheidend“ Nicht jeder findet einen Beruf, der seinen Begabungen und Neigungen entspricht. Jeder aber kann in seinem Beruf glücklich werden!
Eigentlich sollte der Beruf ja eine „Berufung“ sein. Luther hat uns darauf hingewiesen, daß nicht nur der Beruf des Pfarrers und Mönchs eine Berufung ist, sondern jeder Beruf eine Berufung hat und jeder Beruf für Gott gleich angenehm ist. Zwar gehören zur Berufswahl auch vernunftmäßige Überlegungen. Aber jeder sollte in sich den Zwang verspüren, diesen Beruf ergreifen zu müssen. Man sollte sich auch überlegen, daß man sich auch für Werte einsetzen kann, die nicht von allen geachtet werden, aber ethisch und gesellschaftlich wertvoll sind; ein bißchen Idealismus gehört zu jedem Beruf.
Es könnte aber auch sein, daß sich einer ganz in den Dienst der christlichen Gemeinde stellen will. Manche wenden sich von Anfang an einem kirchlichen Beruf zu, andere entschließen sich erst später dazu: Friedrich vor Bodelschwingh war erst Landwirt. Er hörte einen Vortrag über den Mangel an Predigern in Asien und Afrika. Er beschließt, Theologie zu studieren. Er geht dann zwar nicht nach Afrika, aber er hilft Kranken und Heimatlosen durch die Gründung der Anstalten in Bethel bei Bielefeld.
Beruf oder Job?
Unter „Job“ versteht man eine geldeinbringende Beschäftigung, die man nach einer gewissen Einarbeitungszeit übernimmt. Sie muß nicht unbedingt die ganze Persönlichkeit ausfüllen, ist aber eine anspruchsvollere Beschäftigung als die Tätigkeit eines Hilfsarbeiters. Man kann aber jedenfalls jederzeit in einem anderen Job überwechseln. In der modernen Wirtschaft bestehen dazu viele Möglichkeiten. Aber es sind auch große Fähigkeiten und eine große Beweglichkeit notwendig.
Als Job kann man bezeichnen die Arbeit in der Verwaltung und Leitung eines Betriebes oder eine Tätigkeit bei der Rationalisierung der Produktionsmethoden. Vor allem muß die Fähigkeit vorhanden sein, sofort zu erkennen, wo noch etwas verbessert werden kann. Ein „Job-Mensch“ ist also so etwas wie ein Genie in den praktischen Bereichen des Lebens. Das kann man nicht eigentlich lernen oder sich als Berufsziel setzen, dazu muß man einfach geboren sein.
Die Gefahren beim Job sind: Die soziale Sicherung fehlt, die beim Beruf vorhanden ist, auch wenn man sich nicht berufen fühlt. Man arbeitet oft nur, um Geld zu verdienen. Eine Selbstfindung und Selbstbestätigung des Menschen ist oft nicht gegeben.
In einer Gesellschaft muß jedoch ein gesundes Verhältnis zwischen Beruf und Job herrschen. Man braucht auch vitale Menschen, die sich für jeden Job eignen. Aber eine gewisse Stabilität durch den Beruf muß auch gegeben sein.
Lohnt sich eine Weiterbildung?
Es gibt begabte Menschen, die das Angebot einer kostenlosen beruflichen Weiterbildung ausschlagen, weil sie sich in ihrer gegenwärtigen Position befriedigt fühlen und zu keiner neuen Anstrengung in ihrer Berufsausbildung geneigt sind. Dabei wächst der Bedarf an qualifizierten Kräften. Während man früher auf durchschnittlich 200 Arbeiter einen Ingenieur rechnete, wird heute für 50 einer veranschlagt, an manchen Stellen schon für 10. Ähnlich verläuft die Entwicklung im Verhältnis zwischen Facharbeitern und ungelernten Arbeitern. So mechanisch und serienmäßig, wie man um 1930 noch die ganze Technik ansah, ist heute nur noch die Bürokratie.
Natürlich wird es auch weiterhin das Fließband geben. Es liegt nicht nur am Menschen und seiner Trägheit, sondern auch an der Sache selbst, daß mancher eine Tätigkeit nur des Lohnes wegen betreibt. Dann schaltet man eben die Arbeit unter Umgehung von Herz und Hirn „übers Rückenmark“ und denkt inzwischen an seine Familie, den Urlaub, das Rendezvous oder sonst etwas.
Aber das ist heute nicht mehr das Sinnbild der Technik. Sie wirkt heute nicht mehr vermassend, sondern erfordert eine persönliche Ausgliederung. Die Technik ist heute kompliziert. Ihr Sinnbild sind nicht mehr Hammer und Amboß, sondern Flugzeugmotor und Raketentriebwerk. Nicht die Arbeitermassen, sondern der hochspezialisierte Facharbeiter sind ihr Typus.
Die Technik fordert heute alle Fähigkeiten heraus.
Gott hat gesagt: „Macht euch die Erde untertan!“ Dazu gehört auch, daß wir alle Fähigkeiten und Gaben, die Gott in uns gelegt hat, zur vollen Reife entfalten. Es gibt natürlich Menschen, die erstreben einen ruhigen Angestelltenposten, wo sie vom Kampf ums Dasein verschont werden, wo die intellektuellen Fähigkeiten nicht so gefordert sind und wo man doch ein sicheres Einkommen hat. Vor allem die Minderbegabten streben solch eine Position an. Doch das ist nicht Gottes Schöpferwille, der uns so geschaffen hat, daß wir all unsere Fähigkeiten einsetzen.
Welche Berufe haben Zukunft?
Die Berufe mit dem größten Sozialprestige sind heute Jurist, Mediziner und Naturwissenschaftler. Diese sind auch heute noch die Domäne der gebildeten Schichten. Die mittleren Bildungsschichten dagegen lenken die Berufswünsche ihrer Kinder in mehr praktische Bahnen: Techniker, Volkswirte, Journalisten. Ausnahme sind nur die Künstler, denn sie kommen in der Mehrzahl aus den Familien des geistigen Mittelstandes.
In Holland ergab eine Befragung folgende Stufenleiter des gesellschaftlichen Ansehens: Hochschulprofessor, Arzt, Stadtbürgermeister, Richter, Ingenieur, Notar, Rechtsanwalt, Zahnarzt, Betriebsleiter (über 500 Beschäftigte), Tierarzt, Dorfbürgermeister, Pfarrer, Gymnasiallehrer, Priester, Offizier. Journalisten stehen an 21. Stelle, Polizeibeamte auf dem 38. Platz. Unter ferner liefen sind die Gastwirte und Künstler.
Allein Bildungsgang, Kenntnisreichtum, persönliche Leistung und gesellschaftlicher Nutzen geben heute den Ausschlag für das soziale und berufliche Ansehen.
Doch all diese Stufungen können bald wieder über den Haufen geworfen werden. Mancher Beruf wandelt sich oder wird gar überflüssig. Doch kann man heute schon die Tendenz der Berufsumschichtung angeben, weil sie überall auf der Welt gleich sind:
1. Primäre Berufe: Im Jahre 1750 arbeiteten mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in der Land-, Jagd- und Forstwirtschaft, in den sogenannten „primären Berufen“. Doch 1950 sind es in den USA nur noch 8 Prozent gewesen. Das Schwergewicht verlagert sich also immer mehr auf die abgeleiteten Berufe. In den USA reichen 5 Prozent der Bevölkerung aus, um die gesamte Bevölkerung zu ernähren. Bei uns werden es wegen der schlechteren Bodenverhältnisse etwas mehr sein.
2. Sekundäre Berufe: In der industriellen und handwerklichen Produktion sowie in der Energieerzeugung hat die Entwicklung seit dem Zweiten Weltkrieg ihren Scheitelpunkt überschritten. Während 1753 nur 11 Prozent in diesen Berufen beschäftigt waren, sind es im 20. Jahrhundert in einigen Staaten über 50 Prozent. Aber durch die Automation ist dieser Anteil schon wieder stark zurückgegangen; vielleicht wird er bis auf 10 Prozent zurückgehen.
3. Tertiäre Berufe: Verwaltung, Handel und Verkehr haben seit dem Zweiten Weltkrieg einen erheblichen Zulauf bekommen. Dort sind mehr als 30 Prozent beschäftigt. Doch mit der Automation, die jetzt in den großen Verwaltungen ihren Einzug hält, wird die Entwicklung auch wieder rückläufig werden.
4. Quartäre Berufe: Die Zukunft liegt bei den Berufen der Erziehung, Ausbildung und Forschung sowie bei den Freizeit-und Erholungsberufen [Diese Zahlen könne sich ständig ändern].
Darf man noch einmal umsatteln im Beruf?
In einem großen Hüttenwerk arbeitete ein Viertel der gewerblichen Belegschaft als Facharbeiter. Die restlichen drei Viertel waren „Angelernte“ und setzen sich aus den folgenden Lehrberufen zusammen, die einmal für ein ganzes Leben gedacht waren:
4.260 Metallhandwerker, 260 Zimmerleute, 220 Bäcker, 200 kaufmännische Gehilfen,110 Anstreicher, 110 Maurer, 90 Metzger, 90 Schneider und Schuster, 50 Dachdecker, 40 Gärtner, 4 Sattler; 40 Frisöre, 20 Köche und Kellner. Sie hatten alle ihre Lehrabschlußprüfungen, aber ihre Ausbildung war weggeworfene Zeit.
Ungefähr jeder zweite männliche Arbeitnehmer in der gewerblichen, Wirtschaft übt heute keinen Dauer- oder Lebensberuf mehr aus, sondern wechselt seine berufliche Tätigkeit ein oder mehrere Male. Im industriellen Bereich ist der Hang zum Berufswechsel häufiger zu verzeichnen als in den übrigen Berufszweigen, vor allem in den jüngeren Jahrgängen. Meist erfolgt die Verlagerung von der gelernten Arbeit zur ungelernten Tätigkeit. Gründe für
die Aufgabe des meist handwerklichen Berufes sind der Drang zum Großbetrieb, die verbesserten Verdienstchancen und eine erhöhte Sicherheit. Heute allerdings herrscht auch wieder Facharbeitermangel,
Im Untertagebergbau flieht man aber euch zu Recht aus dem schweren Beruf. Als Gründe für den Berufswechsel wurden angegeben: die Härte der Arbeit, die Unfallgefahr, Gesundheitsgefährdung durch Staub, Schmutz und Hitze, der rauhe Kommandoton, die Trennung von
der Familie, die weiten Anmarschwege und die mangelnden Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung.
Auch die Abneigung gegen das Verbleiben in landwirtschaftlicher Arbeit wächst. Gründe hierfür sind unfreundliches Betriebsklima, rauher Umgangston, fehlender Heranziehung zu verantwortlicher Arbeit, wenig vorbildliche Berufsauffassung der Vorgesetzten, mangelnde Hygiene und Freizeitfürsorge.
Aber auch durch die wachsende Automation müssen immer mehr Menschen den Arbeitsplatz und den Beruf wechseln. Dadurch wird eine Ausbildung, die auf ein ganzes Leben ausgerichtet ist, nicht nur wertlos, sondern auch schädlich: Der größte Teil der heute betriebenen Berufsausbildung erschwert den Berufswechsel, anstatt ihn zu erleichtern. Das 9. und 10. Schuljahr sollte nicht dem fortgeschrittenen ABC- Wissen dienen, sondern einer sinnvollen Berufsvorbereitung Es geht also um eine technische Grundausbildung, die längere Lehrzeiten unnötig macht und das wiederholte Umsteigen in andere Berufe erleichtert.
Auch eine Änderung des Bewußtseins ist dazu notwendig. Die Ansicht muß sich erst durchsetzen, daß mehrfacher Berufswechsel nicht Schande und Makel sind, sondern notwendige Anpassung. Wer rechtzeitig das erste Mal aus der Bahn geworfen wird, der übt sich frühzeitig im Berufswechsel. Morgen müssen die meisten geübt sein, unbeschädigt aus der Bahn zu fliegen.
Darf aber auch ein Familienvater noch einmal umsatteln?
Wer auf einer Abendschule seinen Ingenieur nachmachen will, kann keine Überstunden mehr machen. Dafür müssen Schulbücher angeschafft werden. Oft muß nun auch wieder die Frau mitarbeiten. Jede Familie muß sich deshalb fragen, ob sie eine solche zusätzliche Belastung auf sich nehmen will und kann. Doch wenn sie ihren Anteil an dieser Aufgebe übernimmt, wird sie auch voll am Erfolg teilhaben.
Und wenn es dann geschafft ist, gesellt sich zu dem Stolz des Mannes auf die Leistung der Stolz auf die Kameradin, die alle Mühen und Entbehrungen mitgetragen hat. Die Ehe wird durch das tapfere Durchhalten der Frau inniger und fester werden. Freilich muß ein festumrissenes, greifbares Ziel da sein, das wirkliche Befriedigung und eine bessere Position verspricht. Wer leichtsinnig eine sichere Stellung aufgibt und die Versorgung für die Familie gefährdet, handelt verantwortungslos. Das wäre falscher Ehrgeiz, den man in allen Fällen bitter bezahlen muß.
Sollen auch Mädchen einen Beruf lernen?
Nach vorindustrieller Tradition ist die Frau in ihrem Element, wenn sie mit Kochtöpfen hantiert, Kinder großzieht und dem Mann untertan ist. In der heutigen Wirklichkeit dagegen arbeitet sie bereits in allen Lebensbezirken als mündige und selbständige Person.
Wozu sollen die Mädchen denn nun eigentlich erzogen werden: Für die Familie oder für den Beruf? Manche Eltern sind immer noch der Ansicht, daß Mädchen eigentlich gar keinen Beruf brauchen, eine Erwerbstätigkeit genüge. Das Geld für die Ausbildung sei hinausgeworfen und in der Aussteuer besser angelegt. Als ob die Tochter bestimmt heiratet und als ob mit
der Heirat jede Lebensproblematik und Anforderung aufhöre!
Heute ist eine gute Berufsausbildung die beste Aussteuer! Heute ist die Stellung eines Menschen nicht mehr von der Stellung des Vaters bestimmt, sondern in hohem Maße von der Bildung und Ausbildung des Mädchens. Eine Tochter, die ihren Neigungen in ihrem geliebten Beruf nachgehen kann, wird in der Partnerwahl überlegener und sorgfältiger sein.
Aber die Berufsausbildung lohnt sich auch in einem späteren Lebensabschnitt. Immer mehr tauchen im Berufsleben die jungen Großmütter auf. Die größte Zahl von berufstätigen Müttern findet sich in der Altersgruppe der 35 - 40 jährigen (der niedrigste Anteil übrigens bei den 30 - 35 jährigen).
Meist kann man für jedes junge Mädchen folgenden ungefähren Lebensplan entwerfen, wenn man davon ausgeht, daß jedes Mädchen einen Beruf ergreift und daß jedes Mädchen heiratet:
Die erste Phase ist die Schul- und Berufsausbildung sowie die Berufsausübung bis zum Beginn der zwanziger Jahre. Die zweite Phase spielt sich im Hause ab, ist der Geburt und Erziehung der Kinder gewidmet. Es sollte selbstverständlich sein, daß die Mutter während der ersten Lebensjahre eines jeden Kindes nicht außerhalb des Hauses arbeitet. Meist wird die Mutter bis zum Schuleintritt des letzten Kindes nicht berufstätig sein.
Aber wenn sich dann die Kinder aus dem Elternhaus zu lösen beginnen, wird es das Leben der ganzen Familie erleichtern, wenn die Frau sich neue Aufgaben und eine sinnvolle Beschäftigung für das nächste und übernächste Jahrzehnt sucht. Die Lebenserwartung der Frau liegt bei über 80 Jahren.
In den ersten Jahren ihres Berufslebens hat sie noch um des Lebensstandards willen gearbeitet, um die nötigen Anschaffungen bezahlen zu können. Nun aber wird sie von 40 ab etliche Stunden am Tag (oder einige Tage in der Woche) und mit 45 dann wieder voll in ihre Arbeit zurückkehren, um die Leere in ihrem eigenen Leben auszufüllen.
Doch diese Rückkehr der älteren Frauen in das Berufsleben bedarf der Unterstützung der Arbeitgeber, des Gesetzgebers und der Bildungseinrichtungen. Wichtig ist auch die Erhaltung des Berufskontaktes in der Zeit, wo sich die Frau hauptsächlich der Familie widmet. Teilzeitarbeit kann auch hier sinnvoll überbrücken.
Da die Arbeitswelt die immer künstlicher wird, würde sie ohne die Frauen und ihre spezifische Lebenseinstellung einer Katastrophe anheimfallen. Die Humanisierung der Arbeitswelt ist eine unserer großen Zukunftsaufgaben.
Kirchenmann oder Kirchenfrau
Zuerst die kirchlichen Berufe für junge Mädchen und Frauen:
a) Krankenschwester
b) Säuglingsschwester
c) Kinderdiakonin/Kindergärtnerin
d) Diakonisse
e) Gemeindehelferin
f) Kirchliche Fürsorgerin
g) Wirtschaftsschwester
h) Diakoniepflegerin
i) Paramentikerin
j) Kirchenmusikerin
k) Katechetin
1) Theologin/Pastorin.
Für junge Männer eignen sich besonders folgende kirchliche Berufe:
a) Diakon/Jugendwart
b) Theologe, Pfarrer
c) Prediger/Pfarrvikar
d) Katechet
e) Kirchenmusiker
f) Verwaltungsangestellter
g) Küster/Kirchmeister
h) Krankenpfleger.
Automation
Wir beobachten heute eine allgemeine Umschichtung der Berufe. Während 1750 noch über 80 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt waren, sind es heute in den USA nur noch 8 Prozent (primäre Berufe); dort reichen 51 Prozent der Bevölkerung aus, um die gesamte Bevölkerung zu ernähren. Bei uns werden es wegen der ungünstigeren Bodenverhältnisse mehr sein. Aber gerade in Gebirgsgegenden wird sich die Landwirtschaft je länger je weniger lohnen.
Die sekundären Berufe (Industriearbeiter, Handwerk, Energie) hatten ihren Höhepunkt bis zum Zweiten Weltkrieg (mit zum Teil über 50 Prozent aller Beschäftigten). Durch die Automation und Mechanisierung geht aber seitdem der Anteil zurück und wird vielleicht einmal nur noch 10 Prozent der Beschäftigten ausmachen.
Die tertiären Berufe (Verwaltung, Handel, Verkehr) haben seit dem Weltkrieg einen erheblichen Zuwachs bekommen. Aber gerade in diesem Bereich bricht heute die Automation ein mit dem Einsatz von großen Datenverarbeitungsmaschinen. So verschiebt sich das Schwergewicht in den nächsten Jahrzehnten immer mehr auf die quartären Berufe (Erziehung, Ausbildung, Forschung, Freizeit- und Erholungsberufe).
Gegenwärtig aber stehen wir roch in der Phase der Umschichtung von der sekundären zu den tertiären Berufen.
Durch der Einsatz besserer Maschinenwerden jährlich Arbeitsplätze frei. Das muß nicht zu Entlassungen führen, denn die Leute werden anderswo eingesetzt, so daß die Produktion aber noch weiter erhöht wird. Es könnte aber einmal der Zeitpunkt kommen, wo die industrielle Produktion nicht mehr ausgeweitet werden kann, wenn der Konsum der Bevölkerung nicht mehr gesteigert werden kann und der Export nur noch im gewissen Umfang möglich ist, weil alle Länder gleichmäßig entwickelt sind. Da hilft an sich nur eine Verringerung der Arbeitszeit, so daß der Fortschritt auch den Arbeitnehmern zugute käme. Eine 25-Stunden-Woche ist nicht utopisch (bei gleichem Verdienst wie früher, versteht sich!). Mehr Urlaub und ein früheres Rentenalter kommen noch dazu. Das Gespenst der Arbeitslosigkeit braucht uns bei vernünftiger Planung nicht zu schrecken.
Die Automation schien zunächst den ungelernten Arbeiter brotlos zu machen Aber heute sind auch die klassischen Facharbeiter gefährdet. Vor allem aber die mittleren Angestellten haben Einbußen zu erwarten, während die höherer Angestellten und die nur angelernten Angestellten gute Chancen haben.
Es werden neue Arbeitskräfte für den Bau der Apparate und Maschinen gebraucht. Facharbeiter auf diesem Gebiet müssen heute halbe Ingenieure sein; sie müssen sich auskennen in Mechanik, Physik, Chemie, Werkstoffkunde, Maschinenbau und müssen mit dem Mikroskop genauso umgehen können wie mit Feile und Hammer. Der Bereich der Ausbildung wird dazu weiter ausgedehnt werden müssen.
Die Arbeit wird in Zukunft weniger Muskeln als Köpfchen verlangen. Ungelernte Arbeiter werden also ausgebildet werden müssen für bessere, produktivere Tätigkeiten. Dazu braucht man aber wieder reue Ausbilder aus den tertiären Berufen.
Schwieriger wird es mit den veränderten Arbeitsbedingungen sein. Stellen wir uns einen Kontrolleur in einer Bierbrauerei vor, der Fehler in der Füllung der Flaschen finden soll. Er sitzt in seinem peinlich sauberen Raum in einem gepolsterten Lehnstuhl und fühlt sich unnütz: der Apparat funktioniert so genau, daß er keine Aufsicht braucht. Der Arbeiter kriegt sogar mehr Geld als vorher, weil er mit der Maschine allein sein muß, also eine Art „Einsamkeitszuschlag“. Wo früher 200 Arbeiter waren, arbeiteten heute nur noch zwei. Es gibt heute Maschinen, die fünfhundert Arbeitsgänge erledigen, aber nur einen Mann zur Bedienung brauchen.
In leeren Werkhallen aber hört der gesellschaftliche Prozeß auf. Die sozialen Grundbedürfnisse des Menschen (Gespräche, Hilfe, Anerkennung) lassen sich nicht mehr erfüllen. Mancher fühlt sich allerdings auch unter dem berechenbaren Zwang der Maschine wohler als unter dem Zwang der Vorgesetzten und sucht die Erfüllung seines Lebens außerhalb des Betriebs.
Ähnliche Erscheinungen zeigten sich schon beim Übergang vom Handwerk zur industriellen Produktion und bei der Ausweitung der Arbeitsteilung. Im Handwerk ist Maschinenarbeit nur ein Teil des Arbeitsvorgangs.
Mit der Hand aber wird mit Phantasie und Anpassungsfähigkeit das Werkstück vollendet.
Auch der Arbeiter hat Verlangen nach wechselnden Beschäftigungen und wechselndem Arbeitstempo. Präzision wird auch von ihm verlangt, aber bei den immer gleichen Handgriffen. Das nimmt die Lust an der Arbeit und oft am Leben, Arbeit wird nur für Geld getan.
Der ehemals schöpferische Mensch wird zum Teilmensch. Muskeln und geistige Fähigkeiten verkümmern. Immer weniger Leute sind in der Lage, selber Maschinen zu bauen. Der Arbeiter ist zwar ausreichend beschäftigt, aber nie von seiner Beschäftigung so weit gefordert, daß er sein Bestes in der Arbeit verwirklichen kann. Wir möchten aber auch eine Persönlichkeit sein und in einem kleinen Bereich eine relative Eigenständigkeit gewinnen. Er möchte sein Werk ansehen können und sagen: „So, das hast du gut gemacht!“
Der „ Arbeitnehmer“ muß immer erst geben, ehe er nehmen kann. Aber er kann nicht das geben, was er gern möchte, seine ganzen Fähigkeiten und seinen Einsatz. Er karr sich auch nicht mehr als Ebenbild Gottes verstehen, weil er immer nur mit toten Dingen zu tun hat. Die Maschine, mit der der Arbeiter umgeht, bedeutet ihm nichts. Umso mehr kommt es ihm auf die Maschine an, die er sonst fährt, auf das Auto. Er will eine Maschine, die e r beherrscht hier kann er selbstherrlich schalten und walten.
Es ist auch nicht so, daß der Arbeiter sich an alles gewöhnt. Eher kommt es zu schwerwiegender Verarmungs- und Verkümmerungserscheinungen in der Persönlichkeit. Der Mensch wird eher Zufriedenheit heucheln oder sich einreden, weil er nicht zugeben möchte, daß er unzufrieden ist und gescheitert ist. Hier liegen Probleme vor, die unabhängig von der Gesellschaftsordnung sind und in jedem Fall einer Besserung oder gar Lösung bedürfen.
Zumindest muß das hergestellte Werkstück so groß sein, daß man seine Funktion erkennen kann. Kein Arbeiter kann ein ganzes Auto bauen, aber doch wenigstens eine Gelenkwelle oder eine Lagerbuchse für diese Gelenkwelle. Der Arbeiter fühlt im Gegenteil sehr stark die Verantwortung, die er übernommen hat. Er weiß, wie wichtig es ist, daß sein Einzelteil in Ordnung ist, er darf niemals unaufmerksam sein, keiner in der langen Kette von Arbeitsprozessen darf versagen. Durch einen Fehler würde er andere in Gefahr bringen und auch den Vorgesetzten in die Klemme bringen. Auch eine funkelnde Lagerbuchse kann den „Schöpfer“ befriedigen und hat für ihr weitgehend die Funktion eines Endprodukts. Er weiß, wie wichtig es ist, daß dieses Einzelteil in Ordnung ist.
Die kommunistische These von der Entfremdung ist damit widerlegt. Wenn ein Werk im Wesentlichen nur Antriebswellen für Autos herstellt, aber die Autos werden ganz woanders zusammengebaut und niemand sah also das fertige Erzeugnis seiner Arbeit sieht, so sieht jeder doch sein Einzelteil, das er hergestellt hat. Er ist stolz darauf, wenn jedes Einzelteil gelungen vor ihm liegt. Auch eine funkelnde Lagerbuchse kann den „Schöpfer“ befriedigen, sie hat für ihn weitgehend die Funktion eines Endprodukts. Nachher erkennt der Arbeiter die Antriebswelle wieder am fertigen Auto.
Das Verhältnis der Menschen untereinander wird davon nicht berührt. Wenn es zu Gegensätzen kommt, dann sind diese allgemein menschlicher Art, dann können diese genausogut in der Freizeit entstehen oder bei einer Arbeit, bei der man das Endprodukt vor sich sieht. Es mag sein, daß es in den Anfängen der industriellen Entwicklung eine Entfremdung gab, aber mittlerweile hat man gelernt, sich in den neuen Verhältnissen einzurichten.
Außerdem hat man heute erkannt, daß bei zunehmender Arbeitsteilung nicht unbedingt auch die Arbeitsproduktivität zunimmt. Wenn den Arbeitern die Arbeit nicht schmeckt, so zeigt sich das in Ermüdung, Fehlleistungen, Fehlschichten, Qualitätsabfall, gereizter Stimmung. Daraus entstehen ökonomische Verluste, die nur aufhören, wenn man die zu weit getriebene Arbeitsteilung rückgängig macht.
Deshalb atomisiert man den Arbeitsgang nicht mehr in viele kleine Schritte, sondern versucht eine planmäßige Ausweitung der Arbeitsaufgabe. Ein Beispiel kann das deutlich machen: Erst haben zehn Arbeiterinnen je zwei Minuten am Fließband gearbeitet. Als neun von ihnen plötzlich ausfallen, möchte eine Arbeiterin gern alle Arbeitsgänge nacheinander ausführen, so daß sie jeweils 20 Minuten für einen Arbeitstakt hat. Zunächst ist ihre Leistung geringer, weil sie sich erst an den anderen Plätzen einarbeiten muß. Aber nach der zehnten Woche ist ihre Leistung um 18 Prozent höher als die Leistungen ihrer Kolleginnen mit stark unterteilten Arbeiten.
Man versucht ja sowieso heute, wieder vom Fließband wegzukommen und selbstverantwortliche Betriebsgruppen zu schaffen. Etwa 20 Leute erhielten dadurch eine Aufgabe, die sie sich selber einteilen konnten. Die Leistung war höher als am Fließband.
Diese Umwälzungen werden ganz andere Charaktereigenschaften erfordern. Jeder Mensch ist durch familiäre und persönliche Bindungen, durch sein Haus usw. an einen Ort gebunden. In Zukunft werden wir aber alle sehr viel mobiler werden müssen, Berufe und Arbeitsstellen wechseln. Aber noch einschneidender wird sein, daß viele Arbeiter einfach die meiste Zeit dastehen werden und nichts tun, als gelegentlich die Automater kontrollieren. Sie werden nicht das Gefühl des Drückebergers haben dürfen und müssen auch nicht hektisch beschäftigt tun, wenn der Vorgesetzte in die Nähe kommt. Die Verteufelung des Müßiggangs wird aufhören, er ist kein Laster mehr, sondern unter Umständen eine Tugend. Denn bei wem sich das Arbeitsethos nicht wandelt, der wird schließlich Neurosen davon tragen.
Leistung
Wenn ein Kind zum ersten Mal den Kopf hebt, hat es schon eine Leistung vollbracht und wird dafür von Eltern und allen Anverwandten gelobt. Später bleibt die Anerkennung da oft aus, weil man alles als selbstverständlich hinnimmt. Vom guten Schüler werden noch bessere Leistungen verlangt, viel mehr als von dem schlechten.
Im Mannesalter wird die Leistung als eine Pflicht angesehen, weil man ja sein Leben sichern muß. Auch jetzt bedarf der Mensch der Bestätigung durch seine Umwelt, um ganz Mensch zu sein. Deshalb bringt er die geforderte Leistung. Allerdings geht es heute nicht nur um körperliche Leistungen, sondern auch um geistige. Die Selbstbestätigung ist heute ohne großes Wissen nicht mehr zu erlangen.
Selten hat die Leistung so hoch im Kurs gestanden wie in unserer Zeit. Nach dem Krieg war erst einmal ein gewaltiger Aufbau nötig. Dazu kamen die Erfordernisse der technischen Revolution. Und schließlich ist auch das Lebensgefühl anders geworden: der Leistungsmensch ist der Typ unserer Zeit.
Wenn ein Mensch nichts mehr leisten kann, also keinen Zugang mehr zu den Arbeitsmitteln hat, verliert er sein Ansehen und seinen Stolz. Ohne Arbeitsplatz ist der Mensch gesellschaftlich benachteiligt, selbst wenn er Rentner ist und doch eigentlich auf eine große Leistung zurückblicken kann.
Arbeit ist also schon deshalb notwendig, weil sie einfach zum Leben dazugehört(1. Mose 2,15. Sie dient dem Fortschritt und der Zukunft. Aber ich muß auch arbeiten, um mir eine Lebensgrundlage zu schaffen, um Geld zu verdienen für den Lebensunterhalt. Dann ist die Arbeit dazu da, daß ich nicht anderen zur Last falle, sondern selber anderen etwas geben kann. Außerdem ist die Arbeit gut gegen die Langeweile. Und schließlich soll es auch Menschen geben, denen die Arbeit Freude macht und die aus Freude an der Arbeit arbeiten.
Besondere Befriedigung kann die schöpferische Leistung geben. Dazu gehört auch schon die Freude am gelungenen Werkstück oder der Stolz über die Erreichung einer besonderen Güteklasse. Manche Dinge haben keinen direkten Nutzwert (Kunst, Unterhaltung), gehören aber doch zur Leistung, weil sie eine Steigerung der Lebensfreude bewirken. Eine Leistung besonderer Art ist es auch, die eigene Kraft und die Fähigkeiten anderen hinzugeben, sei es in diakonischen Berufen, sei es bei Feuerwehr, Rotem Kreuz, usw.
Allerdings kann der Mensch bei jeder Leistung sich selbst überfordern bzw. überfordert werden. Bei übersteigerter Leistung aus Ehrgeiz oder Überschätzung kann sehr leicht Lebensüberdruß an die Stelle von Befriedigung treten. Wer aber nichts mehr leisten kann und auf die Leistungen anderer angewiesen ist (wegen Krankheit Überarbeitung, Alter) hat Beklemmungen, weil er an nutzbringender Leistung für die Gesellschaft gehindert ist. Er wird aber noch am ehester zur Erkenntnis kommen, daß der Sinn unsres Daseins vom Leistungsbereich allein nicht erfüllt wird.
Wir arbeiten und leisten nicht nur um des Lohnes willen, sondern um der Liebe willen. Bei Gott sind nicht die Höhe des Lohnes und der Erfolg der Gradmesser der Leistung, sondern der Segen, der für andere aus einer Tätigkeit erwächst.
Hier ergibt sich eine Aufgabe für unser Verhältnis zu den Leistungsschwachen. Helfen wir ihm, auch wenn das ein Opfer an Zeit und Geld bedeutet? Stehen wir mit in vorderster Reihe, wenn die Brigade die Verpflichtung übernimmt, einem Kollegen in seinen privaten Schwierigkeiten zu helfen? Die Freude über die Hilfe am anderen ist tiefer als der Erfolg, der sich in der Lohntüte ausdrückt.
Die Bibel ist durchaus empfindlich gegenüber der Faulheit („Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“), der der Mensch soll sich ja die Welt untertan machen. Wer nicht arbeitet, hindert Gottes Werk. Die Bibel sagt aber nicht: „Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert!“ sondern: „Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert!“ Auf den Menschen kommt es an, denn er leistet mehr als die Maschine.
Für viele ist der Arbeitsplatz aber eine „Druckkammer“. Gefordert werden vom Arbeiter Schnelligkeit und Genauigkeit. Aber er kann auch nicht mehr geben, als er hat, und er darf die Unfallgefahr nicht steigern. Mar kann nicht nach dem Grundsatz handeln „Hauptsache, der Plan wird erfüllt“. Der Unfallschutz muß gewährleistet sein und das Gewissen des Arbeiters darf nicht belastet werden. Andererseits kommt es aber zu Transportpannen, Materialfehlern, Werkzeugmangel. All das ist nicht eingeplant und erfordert vom Arbeiter persönlichen Einsatz, d.h. er muß es durch erhöhte Leistung oft wieder herausholen.
Solche Pausen sind nicht eingeplant. Aber auch zwischenmenschlicher Verkehr ist nicht erlaubt; ein kleiner Schwatz mit dem Kollegen oder eine Hilfeleistung oder eine Zigarette sind aber auch einmal nötig. Der immer wieder neue Arbeitsdruck aber ist dazu da, solche kleine- Pausen auszuschalten.
Dennoch muß der Arbeiter solche Pausen herausschinden. Wenn einer kommt, der die Norm neu festsetzen soll, dann wird er eben getäuscht, soweit das möglich ist. Der Zeitnehmer kennt ja nur die Maschine genau, an der er selber einmal gearbeitet hat. Der Arbeiter kann also an seiner Maschine einfach etwas verstellen, es entstehen Funken, die Maschine muß langsamer laufen. Vielleicht kann man noch darauf hinweisen, daß die Maschine bei zu hoher Umdrehungszahl überbeansprucht wird, und schon wird die Norm günstiger festgesetzt. Nachher kann man ja wieder alles aus der Maschine herausholen. Wenn sie Schaden erleidet, muß das ja der Betrieb tragen.
Wer hier „ehrlich“ im überlieferter Sinne ist und wie verrückt schafft, ruiniert seine Gesundheit. Um seiner Gesundheit willen maß sich der Arbeiter Zeitreserven schaffen und seine Arbeit rhythmisch einteilen. Die Firma weiß das im Grunde ja auch. Er hat nur ein Interesse daran, daß dabei nicht übertrieben wird. Wer verantwortungslos ist und nur in die eigene Tasche arbeitet, wird damit auf die Dauer nicht durchkommen. Das wäre ja auch unfair gegenüber den Kollegen. Der Arbeiter muß also einen Spielraum haben, aber der darf nicht zu groß sein.
Es muß auch einmal möglich sein, einem anderen zu helfen, der gerade mit seiner Arbeit nicht zurechtkommt. Es kann sich auch keiner auf sein Recht berufen und sagen: „Ich habe vorgearbeitet, jetzt will ich mich ausruhen!“ Eine gewisse Ordnung muß sein. Aber wir leben auch davon, daß die Ordnung einmal durchbrochen wird.
Eingeplant ist das alles nicht, aber auch der kleine Schwatz wird dennoch gemacht. Das bringt aber mit sich, daß der Zeitnehmer getäuscht werden muß (wenn er sich täuschen läßt). Ein Betrieb lebt davon, daß verbotene Dinge getan werden. „Hauptsache es klappt“ ist dann oft der Wahlspruch. Aber dann ist der Versicherungsschutz nicht gewährleistet und das Gewissen des Arbeiters ist ständig belastet.
Voraussetzung zum „Mogeln“ ist, daß der Arbeiter nicht reiner Befehlsempfänger ist und daß er noch einen Spielraum hat. Andererseits kennt der Kalkulator auch immer nur eine Maschine genau, an der er selbst einmal gearbeitet hat. Der Arbeiter kann also an einer Maschine einfach etwas verstellen und schon gibt es Funken und die Maschine muß langsamer laufen. Auch kann man sich darauf berufen, daß die Maschine bei zu hoher Umdrehungszahl leicht überbeansprucht wird.
Vielfach wurde aber dem Arbeiter das Geheimnis seiner Arbeit geraubt. Deshalb versucht er das durch Mogeln auszugleichen. Dabei ist die persönliche Leistung des Arbeiters entscheidend, sie allein sichert die Produktivität, auch wenn die Leistung durch Mogeln erreicht wird. Der Arbeiter darf aber nicht zu stark betrügen und die Spielregeln übertreten, sonst fliegt er raus. Der Spielraum muß klein gehalten werden, damit der Einzelne nicht zu sehr in seine eigene Tasche arbeitet. Das Akkordsystem hindert das Menschsein. Die Bibel ist empfindlich gegen Faulheit, denn die Welt soll dem Menschen untertan gemacht werden. Wer nicht arbeitet, hindert Gottes Werk.
Aber es geht auch nicht, daß der Mensch der Maschine angepaßt wird. Die Bibel sagt nicht: „Jede Arbeit ist ihres Lohnes wert!“ sondern: „Jeder Arbeiter ist seines Lohnes wert!“ Denn der Mensch leistet mehr als eine Maschine. Überwunden werden sollte die sture Meinung, der Arbeiter solle immer ausgebeutet werden. Aber aufgehoben werden sollte auch das blinde Vertrauen, man muß auch einmal Abrechnung machen.
Hierhin gehören auch die Fragen der Überstunden, der gleitenden Arbeitswoche und der Sonntagsarbeit. Nun steht ja außer Frage, daß in bestimmten Berufszweigen auch am Sonntag gearbeitet werden muß, vor allem in den Versorgungsbetrieben, im Verkehrswesen und im Fremdenverkehr. Hier nimmt jeder als selbstverständlich an, daß die Menschen in diesen Wirtschaftszweigen auch am Sonntag auf ihrem Posten sind. Keiner hat Verständnis für die Leute aus einer Gaststäte, die auch einmal zum Gottesdienst wollen. Aber da fällt unangemeldet ein Reisebus über sie her - am Erde noch von einer Kirchengemeinde - und es ist wieder nichts damit.
Man wird vielleicht auch noch verstehen, wenn etwa Hochöfen immer in Betrieb sein müssen. Bei starken Temperaturschwankungen würden sie rissig und müssen deshalb auch sonntags geheizt werden. Da ist es tatschlich besser, auch gleich Stahl zu kochen. Die Arbeiter haben dafür eine kürzere Arbeitszeit und regelmäßig feste freie Tage, allerdings nur neun Sonntag im Jahr frei. In der Regel wird er nur dann mit der ganzen Familie zusammen sein können. Hier liegen erst die eigentlichen Gefahren.
Durch die Wochenend- und Freizeitindustrie werden allerdings wieder mehr Menschen am Wochenende beschäftigt. Es ist zwar schön, wenn die ganze Familie am Sonntag etwas unternehmen kann. Aber es ist doch die Frage, ob unbedingt ein Einkauf im Kaufhaus dazugehört, weil angeblich nur dann Zeit dazu hat.
Vorteile für die Produktion und bessere Bedingungen für die Arbeiter rechtfertigen nicht unbedingt die Abschaffung des Sonntags. Nur ein überzeugendes Allgemeininteresse rechtfertigt im Ausnahmefall die Sonntagsarbeit. Keine Begründung ist aber, daß die Maschinen ausgelastet werden sollen und die Produktion gesteigert werden soll. Das Wohl der arbeitenden Menschen sollte da höher stehen.
Es ist peinlich, wenn die Gewerkschaft eine 35-Stunden-Woche verlangt, die Arbeiter aber fleißig Überstunden machen. Sie haben davon den Vorteil, daß sie die Überstunden nun höher bezahlt kriegen als früher ihre gewöhnlichen Stunden. Wer samstags nicht arbeitet, wird manchmal sogar schief angesehen: „Wer samstags nicht arbeitet, der braucht montags gar nicht mehr wiederkommen!“ So die Aussage eines Arbeiters, der Unternehmer aber wirft niemanden raus, der samstags nicht kommet.
Betriebsklima
Viele mit Initiative begabte Menschen, die mit Phantasie und reichem Gestaltungswillen versehen sind, leider unter der Monotonie ihrer Arbeit. Sie wollen nicht in abhängiger Lebensstellung nach Anweisungen anderer arbeiten müssen. Andere wieder sind schwer verärgert, wenn sie nach jahrelang gleichen Handgriffen plötzlich an eine andere Arbeitsstelle gesetzt werden. Sie wollen das Gewohnte tun und ohne gehetzt zu werden unter Leitung anderer arbeiten.
Bei beiden Gruppen ist die Gefahr groß, daß die Arbeitszufriedenheit nachläßt. Die Folge davon sind steigender Krankenstand und häufiger Wechsel der Belegschaft in einem Betrieb. Beides gilt aber als Barometer für ein gutes oder schlechtes Betriebsklima. Wenn einem am Arbeitsplatz etwas nicht paßt, nimmt man sich eine Grippe und läßt sich krank schreiben (Rheuma, Magerschleimhautentzündung). Seelische Einflüsse wirken ja zum Teil auch tatsächlich auf das körperliche Wohlbefinden ein.
Das gilt nicht nur für Frauen, sondern auch für ganz harte Männer wie Stahlkocher oder Schmiede. Die haben nicht nur sonntags eine Seele, sondern reagieren sehr empfindlich auf Sorgen. In einem Betrieb ließ man einmal das Gerücht ausstreuen, es drohten Kurzarbeit und Entlassungen. Sofort stieg der Krankenstand sprunghaft an, sank aber sofort wieder, als man die Arbeiter entsprechend beruhigte und ihnen eine Perspektive gab.
Eine Unpäßlichkeit kann planvoll übersehen werden, wenn Stunden mit angenehmen Erlebnissen oder interessante Arbeit bevorstehen. Deshalb hat man bei monotoner Arbeit auch schon Musik eingesetzt, um das Wohlbefinden der Arbeiter zu steigern. Wer Langeweile hat, benötigt mehr Ruhe für die Arbeit. Die Spannung wird noch größer, wenn man sich nun mit Gewalt auf die Arbeit konzentrieren muß. Besonders in der Mitte zwischen den Pausen fällt die Leistungskurve stark ab. Gute Musik hilft das zu überbrücken.
Doch schon die Erwartung eines unangenehmen Ereignisses beeinträchtigt das Wohlbefinden und veranlaßt der Arbeiter, sich krank zu melden. Wenn die heimische Fußballmannschaft am Sonntag verloren hat, ist die Arbeitslust am Montag gering. Wenn der Betreffende doch kommt, leistet er wenig macht öfter Fehler und steckt mit seiner flauen Stimmung noch die anderen an.
Während im Herbst der Krankenstand in der Bevölkerung am höchsten ist, ist er bei den Postangestellte erstaunlich niedrig, obwohl sie doch oft bei Wind und Wetter draußen sein müssen. Aber in der Vorweihnachtszeit können sie es sich einfach nicht leisten, krank zu machen, weil die Bevölkerung auf sie vertraut.
Jeder Mensch möchte bestätigt werden und hören, daß seine Arbeit bedeutsam ist und seine Leistung von der Vorgesetzten gewürdigt wird. Mehr Geltung ist oftmals wichtiger als mehr Geld. Die Übernahme in das Angestelltenverhältnis, der weiße Kittel und das eigene Büro, steigern den Arbeitseifer schon sehr. Sichtbare Produktionssteigerungen gab es schon, als die Arbeiter nicht mehr die verhaßte Stempeluhr zu drücken brauchten.
Erfolg haben führt nicht unbedingt zur Managerkrankheit, sondern kann durchaus das Leben verlängern. Kleine Büroangestellte und gewöhnliche Arbeiter sterben eher als Leute mit hohem Einkommen. Diese brauchen keine Schwerarbeit zu leisten, kommen nicht in Unfallgefahr und können sich eher erholen. Berufliche Anerkennung hält gesund.
Jeder Mensch hat zwingende soziale Bedürfnisse: Zufriedenheit mit der Arbeit, guter Lohn, Anerkennung der Leistung, Lob, Aufstiegsmöglichkeiten, Sozialprestige Gefühl der Unsicherheit. Hier liegt die Gefahr automatisierter Betriebe, wo zu wenig Menschen sind, als daß man bei ihnen soziales Ansehen gewinnen könnte.
Bei vielen Arbeitern aber entsteht schon kurz nach der Lehrzeit ein seelischer Knick, den sie in ihrem Leben nie mehr verwinden. Sie finden keine befriedigende Stellung, passen sich nur an und sind nicht mehr fähig zum eigenen Gestalten. Wenn dann außerdem das Arbeitsklima nicht stimmt, schaltet man auf stur. Vor allem ist das der Fall, wenn man in der eigenen Gruppe und im Verhältnis zum Meister keine menschliche Geborgenheit, keine persönliche Anerkennung und Hilfsbereitschaft findet, sondern nur wie ein Maschinenteil eingesetzt und umgesetzt wird.
Oft geht schon viel kaputt, wenn ein Neuer in die Arbeitsgruppe kommt: da wird er erst ausgefragt und nachher wird über ihn geklatscht; im Befehlston werden ihm unbeliebte Aufgaben übertragen; Kunstgriffe werden nicht weitergesagt; er wird verulkt (etwa indem man ihm Zigarettenschachteln anhängt).
Entscheidend für das Wohlbefinden ist nicht das Verhältnis zu den Vorgesetzten, sondern daß man sich mit den Kollegen gut versteht. Dazu gehört aber auch, daß keiner aus der Reihe tanzt. Schor wenn einer Aufstiegschancen hat und andere zu verdrängen droht, gibt es böses Blut. Wenn gar ein ganz hohes Tier kommt, hat man Beklemmungen, redet sogar Hochdeutsch und verhält sich ganz anders. Kaum ist aber alles vorbei, dann redet man wieder vom „Alten“.
Angelockt werden die Arbeiter aber doch vor einem modern eingerichteten Betrieb, wo auch ein entsprechender Führungsstil herrscht. Weder ein Kommißton noch ein altväterliches Gehabe sind angebracht, sondern eine nüchterne und sachliche Atmosphäre. Das ist mehr wert als höherer Lohn. Neue Maschinen und Fertigungsmethoden erfordern auch mehr Sorge für das Betriebsklima.
Ein schlechter Chef kann dem Betrieb erheblich größeren Schaden zufügen als eine zu niedrig angesetzte Leistungsnorm. Wenn er etwa alles an sich reißt, nur Mitarbeiter um sich duldet, die ihm nicht gewachsen sind, nicht zu sprechen ist für Arbeiter, kostet er den Betrieb ein Vermögen. Es will auch gelernt sein, einen Teil der Verantwortung abgeben zu können, damit ein anderer unter Umständen sofort einspringen kann.
Um sich den Kommandoton abzugewöhnen, muß man Menschenführung gelernt haben. Dazu muß man Vertrauen in die Arbeitsweise der Mitarbeiter setzen, muß Entscheidungen mit ihnen abstimmen, muß Entscheidungen begründen, offen sein für Kritik der Mitarbeiter, auch mit Lob nicht sparen. Jeder Mensch ist ja überzeugt davon, daß seine Arbeit wichtig ist. Er will stolz auf sie sein, auch wenn sie schwer ist. Wenn aber geschimpft wird, wenn etwas nicht klappt, aber selbstverständlich hingenommen wird, wenn es geklappt hat, dann ist Unzufriedenheit da.
Jeder will auch wissen, was in der Firma passiert. Es soll nicht über ihn verfügt werden. Es soll Ordnung herrschen und Gerechtigkeit, sonst macht sich Unruhe und Unzufriedenheit breit.
Das gilt auch für die Kirchengemeinde. Die amerikanischen Kirchen machen uns und ihrer Nation vor, daß der Mensch heute nichts so sehr braucht wie eine Aufgabe, die ihn an irgendeiner Stelle persönlich fordert, seine Einsatzbereitschaft in Anspruch nimmt und seinen Gestaltungswillen anregt.
Auch in der Kirche will keiner nur passiver Empfänger sein oder allenfalls Arbeitnehmer für bestimmte Aufträge des Pfarrers. Wenn das so ist, gehen viele Gemeindeglieder einfach verloren und wandern ab.
Eine besondere Stellung nehmen die Frauen ein. Zwar werden an sie die gleichen Anforderungen gestellt wie an Männer, aber in ihrer Gegenwart nehmen sich die Männer doch oft noch zusammen und führen nicht so lockere Reden wie üblich. Schlimm wird es nur wenn die
Frauen ein einziges Mal mitgemacht haben oder die Männer nicht zurechtgewiesen haben. Schon ist für immer der Ton verdorben und die Reden werden nur noch anzüglicher.
Am Telefon hat man leicht gesagt: „Der Meister ist nicht da“, obwohl er daneben sitzt, denn es ist ja so bequem, im entscheidenden Augenblick die Ausrede des Meisters auch zu gebrauchen. Warum soll man aber nicht sagen können: „Er ist eben gerade bei einer schwierigen Arbeit, rufen Sie bitte in zehn Minuten noch einmal an!“
Macht und Autorität im Betrieb:
Das Streben eines kapitalistischen Betriebes ist es, die Steigerung des Gewinnes möglichst nicht zu stören. Deshalb versucht man sich in den Zeiten der Hochkonjunktur das Wohlverhalten des „Produktionsfaktors Mensch“ durch soziale Leistungen, angemessenem Lohn, Geschenke und anständige Behandlung zu erkaufen. Er ist neuerer Zeit führt die Hochkonjunktur nicht zu einer Besserung der Lage der Arbeiter, weil man jetzt den internationalen Wettbewerb vorschiebt, um die Gewinne zu vergrößern. Aber auch so wurde ein Wohlverhalten der Arbeitsgeber nicht allgemein erreicht. Die Gewerkschaften haben sich erfolgreich für Arbeitszeitverkürzung und erweiterte Mitbestimmung eingesetzt. Offenbar erwarten die Arbeiter mehr als anständige Löhne.
Der Mensch sucht heute im Betrieb einen gesellschaftlichen Standort zu finden, er sucht Nachbarschaft, Anerkennung, Geborgenheit. Mit einem Schlagwort nennt man das „Betriebsklima“, also eine Situation schaffen, in der der Einzelne seine gesellschaftlicher Bedürfnisse befriedigen kann, als Mitarbeiter ernstgenommen wird und das Gefühl haben kann, daß von seinem Tun und Lassen im Betrieb allerlei abhängt.
Früher herrschte in der Fabrik ein militärisches System. Man sagte: „Wem Gott ein Amt verleiht, dem gibt er auch der Verstand dazu!“ Damals war Autorität „von Gottes Gnaden“ und Widerspruch gegen sie ein Verbrechen.
Die jüngere Generation dagegen weiß, daß Anordnungen und Befehle nur dann nützlich sind, wenn die Mitarbeiter von deren Richtigkeit auch überzeugt sind. Vielleicht mag eine solche Zusammenarbeit einfach durch die Technik und Organisation der Arbeit direkt erzwungen werden; aber entscheidend ist, daß man zu einer freiwilligen Zusammenarbeit findet, die sich ausdrückt in solchen Begriffen wie Mitarbeiter, Mitdenken, Mitverantwortung, Mitbestimmen.
Im Mittelalter gab es nur die herrschaftliche und die genossenschaftliche Ordnung. Das Prinzip war, das heilige Recht zu erhalten. Erst die Kirche hat eine neue Ordnung eingeführt: im „dictatus Papae“ von Gregor VII. aus dem Jahre 1075 findet sich die Formel für das neue Verhalten: Der Papst kann „nach Lage der Umstände neue Gesetze geben“.
Es entstand die Organisation; an ihrer Spitze steht nur eine Person, die personale Freiheit zu sachlicher Entscheidung hat, die Gesetze und Normen schafft und diese dann mit Hilfe einer Hierarchie durchsetzt. Die breite Schicht der Beherrschten dagegen gehört nicht zur Organisation. Dieses Prinzip fand weitere Anwendungsbereiche im Staat (Kaisertum) und in der Wirtschaft (Unternehmertum).
Auch heute ist Organisation und Machtausübung notwendig; aber beides hat sich doch gewandelt. Heute ist nicht mehr der Staat allein die Klammer für große Ländermassen, sondern auch die Verbände und Wirtschaftsvereinigungen integrieren große Gebiete. In einer pluralistischen Gesellschaft muß jeder Verantwortung für die Gemeinschaft tragen. Dabei muß man immer wieder Kompromisse schließen, Satzungen werden von allen beschlossen, Macht wird durch Delegierte stellvertretend angewandt.
Bei der Macht geht es nicht mehr unbedingt um ein „oben und unten“, sondern Machtbildung geschieht zwischen gleichen Kräften in einem dialogischen Verhältnis, wo beide Seiten nachgeben. Macht ist an sich weder gut noch böse, sondern notwendig. Jedoch können wir nicht ein bedingungsloses „Ja“ zur Macht sagen, denn sie wird ja von Menschen ausgeübt. Das Schwergewicht der Verantwortung liegt heute bei der Person, die die Macht handhaben sollte in sachdisziplinierter Offenheit und Anerkennung des Partners.
Durch die Entwicklung von Wissenschaft und Schulwesen gibt es heute nicht mehr den „begrenzten Untertanenverstand“, sondern eine neue Machtstruktur hat sich ergeben. Zwar gibt es immer roch die Organisation, die sich den wechselnden Gegebenheiten anpassen muß. Aber die Entscheidungsbefugnis ist nicht mehr einer Person an der Spitze allein vorbehalten.
Der Führungsapparat hat zwar roch weitgehend die Form einer Pyramide. Aber bedeutende Teile der Führung stehen auch außerhalb dieses Schemas und die Querverbindungen gewinnen zunehmende Bedeutung. Die Trennung von Arbeitern und Angestellten verwischt sich immer mehr. Alle haben ein Interesse, ihre Erzeugnisse möglichst gut abzusetzen und jede Aufgabe ist für den Produktionszweck gleich wichtig. Auch die „Untergebenen“ haben heute Sachverstand.
An die Stelle des einfachen Machtverhältnisses ist heute ein Bündel vor sehr widersprüchlichen Verhältnissen getreten. Machtauseinandersetzungen müssen mit einem mächtigen Gegenüber von gleich zu gleich ausgetragen werden. Von der Machtposition aus wird heute nicht so sehr befohlen, als verhandelt. Von jeder Stelle aus wird schwächer oder stärker Macht auf das Ganze ausgeübt („politische Verantwortung!). Es ergibt sich ein Netz von Machtpositionen (nicht mehr Pyramide), in dem die einzelne Machtposition einer Knotenpunkt darstellt, der nach vielen Seiten Verbindungen unterhalten muß.
Damit ändern sich auch die ethischen Normen in einem Funktionsgefüge, wo alles mit allem zusammenhängt, wo jeder Person sein muß und jeder die Person des anderen achten muß und sich mit dem anderen gemeinsam der Sachforderung unterstellen muß. Zur Anerkennung des Partners gehört eben auch, daß man den anderen nicht verwirft, wenn er schuldig geworden ist (das tut der säkulare Humanismus, während das Evangelium gerade den Schuldigen meint). Nur so wird das „willenlose Rädchen“ zu einer Persönlichkeit, die alles in Frage stellen kann und Distanz in der Welt findet, zwar in dieser Welt steht, dieser aber nicht verfällt.
Ein Versuch, über die alter Machtstrukturen hinwegzukommen, ist die qualifizierte Mitbestimmung in der Industrie der Bundesrepublik. Hier werden die Aufsichtsräte paritätisch aus Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammengesetzt; hinzu kommt ein „neutraler“ Mann, über den sich beide Seiten verständigen. Den Vorständen gehört ein Arbeitsdirektor als gleichberechtigtes Mitglied an, der von den Gewerkschaften vorgeschlagen wird.
Nun könnte man natürlich annehmen, diese Männer seien „von oben gekauft“. Aber die Arbeiter sind durchaus damit einverstanden, daß der Arbeitsdirektor in jeder Beziehung der übrigen Vorstandsmitgliedern gleichgestellt wird, auch was die Bezüge, Autos und Häuser angeht; nur so werde er von der Belegschaft anerkannt und ernstgenommen.
Die Hauptsache ist: Der Arbeitsdirektor ist ein tüchtiger Mann. Einige Versager haben zuwenig betriebswirtschaftliche Kenntnisse und zu geringe praktische Erfahrung und nehmen sich nicht die Zeit, um in Vorbesprechungen das nötige Verständnis für aktuelle betriebliche Probleme zu gewinnen; aber das gilt mehr für die Arbeitnehmervertreter, die sich dann nicht genügend mit dem Arbeitsdirektor absprechen. Aber ganz übel wird genommen, wenn „die vergessen haben, wo sie hergekommen sind“, oder wenn sie ein zu autoritäres Gebaren an den Tag legen, nur weil sie als Betriebsratsmitglied gleichzeitig zum Arbeitsdirektor oder Arbeitnehmervertreter gewählt worden sind.
Herrschaft ist eine der schwierigsten Aufgaben für den Menschen. Man muß Herrschaft entweder von Gott oder vom Teufel lernen. Aber vor allem für ältere Menschen ist Machtausübung oft der einzige Genuß, der noch bleibt. Aber was hat man denn eigentlich davon, wenn ein anderer Mensch vor einem zittert?
Wer eine natürliche Begabung zur Herrschaft und Autorität hat, sollte vielleicht eine Stellung gar nicht annehmen, zu der die Herrschaft über andere gehört (Aber ein anderer herrscht vielleicht nur mit angemaßter Autorität1). Zumindest sollte man kühlen Abstand wahren, wenn einer nur so freundlich tut als ob menschliche Teilnahme ist nicht die alltägliche Umgangsform, aber wenn ein Untergebener Hilfe wirklich braucht, sollte man auch nicht ausweichen.
Der Meister steht zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft, er möchte und muß es jedem recht machen. Wenn seine Arbeiter etwas verpatzt haben, wird er von der Geschäftsleitung zur Verantwortung gezogen. Andererseits ist er aber auch kein Arbeiter mehr, sondern muß „die Interessen der Geschäftsleitung“ vertreten. Das geht vom Aushorchen der Arbeiter bis zum Antreiben zu fleißiger Arbeit. Auf der anderen Seite kann er es sich aber auch nicht leisten, seine Arbeiter zu verärgern, denn dann ist sein tägliches Zusammenleben mit ihnen eine Qual und sie werden dann jederzeit versuchen, ihm eins auszuwischen, etwa indem sie schlecht arbeiten. Der Meister hat also die Aufgabe, die beiderseitigen Extreme zu mildern, aber er droht zwischen den Steinen zermahlen zu werden und es wird wohl nicht ohne Schuldigwerden abgehen. Wie wichtig ist es also, daß hier ein Mann steht‚ der Menschen verantwortungsbewußt führen kann, aber auch Schuld überwinden kann.
Team: Ein „Team“ ist eine organisch gefügte, differenzierte Gemeinschaft hochwertiger Kräfte, die sich in freiwilliger Einordnung zum Dienste an einer Schaffensaufgabe zusammengeschlossen haben, die das Arbeitsvermögen eines einzelnen übersteigt! Zwischen den Mitarbeitern bestehen vielfältige, oft kaum bewußte menschliche Beziehungen, die dem Zusammenschluß erst seinen gruppenpsychologischen Untergrund geben. Die Zahl der Mitglieder muß dazu für den einzelnen noch sicher überblickbar sein.
In der Pionierzeit der Technik hat der geniale Einzelne das Bild bestimmt. Heute ist ein solches patriarchalisch-hierarchisches System höchstens noch in einer Armee möglich. Schon bei einem einfacher industriellen Konstruktionsbüro ist das nur noch schwer möglich. In einem Entwicklungsteam aber ist das Arbeiten nach dem Grundsatz von „Befehl und Gehorsam“ unfruchtbar und unmöglich.
Zum Teil hat man an der obersten Spitze auch eine kollektive Führung. Allerdings entstehen dann wieder Probleme der Koordination, so daß vielleicht doch wieder ein Mann die letzte Verantwortung haben muß. Auf jeden Fall werden in der Gruppe aber wiederum die Menschen entscheidend sein, die früher die einsamen Erfinder oder Leiter oder auch Künstler waren, die eben zu persönlicher schöpferischer Arbeit und Einzelleistung fähig sind.
Konflikte kann man am bester vermeiden, indem jeder Mitarbeiter anerkannt wird als Mensch und Fachmann. Durch Geld kann die fehlende Achtung nicht ersetzt werden. Respektierung des Freiheits- und Selbständigkeitsdranges wird aber fast stets mit einer Intensivierung des Einsatzes und einer Steigerung der unbewußten Schaffenskräfte gedankt; denn dann ist der Mitarbeiter von der Aufgabe selbst angesprochen und „gepackt“.
Konflikt: Vor allem im Wirtschaftsleben zeigen sich heute die Konflikte in der Gesellschaft. Es gibt manifeste Konflikte (offener Kampf zweier Gruppen), informelle Konflikte (Murren, Klatsch) und umgeleitete Konflikte (Steigerung von Krankenstand und Fluktuation). Meist werden aber meist nur aktuelle Einzelfälle gelöst. Doch es kommt darauf an, die Konflikte zu kanalisieren und zu manifesten Konflikten zu machen, damit sie dann ausgetragen werden können.
Man kann für eine Gesellschaft die Konsensus-Integrations-Theorie für gut halten. Dann sieht man die Gesellschaft als ein geschlossenes System, dessen Stabilität man erhalten will und wo man sich über die Wertskale einig ist. Wenn sich ein Faktor verändert, soll möglichst schnell ein Gleichgewicht wiederhergestellt werden. Außenseitertum wird als pathologisch angesehen und mit Gewalt unterdrückt.
Nach der Konflikt-Integrations-Theorie dagegen gilt die Statik als pathologisch und der Konflikt als ein Zeichen der Vitalität und des Fortschritts. Es hat keinen Sinn, einen Konflikt zu unterdrücken, weil er dadurch nur aufgeschoben wird. Aber eine echte Lösung von der Wurzel her dürfte wiederum Utopie sein. So bleibt nur eine Regelung des Konflikts möglich: Man erkennt das Gegenüber an und stellt bestimmte Spielregeln auf, um mit der Auswirkungen des Konflikts fertig zu werden. in diesem Sinne Frieden zu stiften ist eine Hauptaufgabe der Christen und der Kirche.
Früher hatte man die Gewerkschafter, um die Konflikte mit den Unternehmen zu regeln. Heute ist es eher so, daß von den Arbeitern die Betriebsführung doch wieder als „die da oben“ angesehen wird, obwohl ja eigentlich die Arbeiter die Fabriken in Besitz haben sollen. Auch wenn man versucht, die Konflikte zu regeln, bleiben doch immer noch welche übrig.
Wie bei einer Krankheit am Menschen kann man meist nur die Symptome behandeln. Aber dann tritt der Konflikt beim nächsten Menschen wieder auf oder er wird nur verlagert (Ost-West zu Nord-Süd).
Das Gleichgewichtsmodell kommt aus dem Kosmos- und Ordo-Denken und ist im Kommunismus nur säkularisiert und mit einer vergegenwärtigten Eschatologie versehen.- Das Konfliktsmodell dagegen ist christlich: Konflikte lassen sich nur lösen durch Erlösung, aber das ist erst ein eschatologisches Geschehen.
Armut und Reichtum
Wer ist arm, wer ist reich
Ein Blick auf den Armutsatlas zeigt: Der gesamte Osten ist rot. Die Schattierungen von Dunkelorange bis Dunkelrot signalisieren ein Problem mit sozialer Brisanz. Sie stehen für überdurchschnittlich hohe Anteile armer Menschen an der Gesamtbevölkerung. Denn wo es besonders wenig Arme gibt - wie im Süden der Republik - zeigt die Karte gelb oder beige.
Der Farbatlas ist neu. Erstmals wird darin das ganze Land seziert - nach Quoten relativer Armut, und zwar bis in die Regionen hinein. Als arm- gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens hat. Und das kommt - nicht überraschend - besonders häufig zwischen Kap Arkona und Erzgebirge vor
Bislang wurde in den amtlichen Werken die Armut bestenfalls nach Ost und West unterschieden. Mit groben Durchschnittswerten, die kaum Aussagekraft haben. Der Paritätische Gesamtverband hat die Zahlen bis auf die regionalen Ebenen heruntergebrochen, mit Unterstützung der Statistiker aus Bund und Ländern. Es gibt allerdings Einwände gegen die gewählte Dimension der Armut. Da die Armutsgrenze durch eine Prozentzahl festgelegt ist, ist sie immer relativ. So kann Armut per Definition nie verschwinden. Würden sich etwa die Einkommen aller Bundesbürger einschließlich jener der Armen verdoppeln, wären die Armen immer noch arm,- gemessen an den Reichen. Nun überrascht es nicht, daß der Anteil der Bedürftigen im Osten auch im 20. Jahr des Mauerfalls höher als im Westen ist. Wer sich die Arbeitslosigkeit und die Quoten für den Hartz-IV-Bezug anschaut, stellt schnell einen engen Zusammenhang fest. So ist Mecklenburg-Vorpommern zugleich das Land mit der höchsten Armutsquote (24,3 Prozent) und auch bei der Arbeitslosigkeit nah einer Quote von 15,0 Prozent einsame Spitze.
Umgekehrt gilt: Baden-Württemberg mit einer Arbeitslosenquote von (noch) 4,2 Prozent
glänzt auch mit der geringsten Armutsquote. Zehn Prozent sind ein von keinem anderen Bundesland erreichter Bestwert. Was überrascht, ist die enorme „Spreizung“. Immerhin unterscheiden sich die Quoten der besten Region (Schwarzwald-Baar-Henberg im äußersten Südwesten mit 7,4 Prozent) und der schlechtesten Region (Vorpommern mit 27,0 Prozent) fast um das Vierfache - mit zunehmender Tendenz.
Aus den Landstrichen mit hoher Armutsquote wandern immer mehr Menschen ab, weil sie dort keine Perspektive sehen. Diese Regionen drohen zu veröden, zum „Mezzogiorno“ Deutschlands zu werden. „Mit gleichwertigen Lebensverhältnissen hat das absolut nichts mehr zu tun“, kritisiert Schneider. Auch der designierte Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, sieht diese Gefahr. Kleinere Bundesländer gerieten immer mehr in Rückstand zu prosperierenden Regionen, sagte er. Die im Grundgesetz verankerte Forderung nach Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse stehe in Frage. Voßkuhle dringt deshalb darauf, die bundesstaatliche Ordnung auf den Prüfstand zu
stellen.
Dreigeteilt
Deutschland ist in der regionalen Verteilung von Besitz und Einkommen dreigeteilt. Das geht aus dem ersten Armutsatlas hervor, den der Paritätische Wohlfahrtsverband vorstellte. Am ärmsten ist der Osten, am wohlhabendsten der Süden, die west- und nordwestlichen Bundesländer liegen dazwischen. Die Spannweite ist in Westdeutschland insgesamt höher, sie reicht von einer Armutsquote von zehn Prozent in Baden-Württemberg bis zu 19,1 Prozent in Bremen. Die Sozialforscher des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes erarbeiteten den Atlas auf der Basis von Armutsquoten aus den Jahren 2005 bis 2007, also vor der Wirtschaftskrise. Die fast 20 Karten geben auch Aufschluß über die sehr unterschiedliche Verteilung von Besitz und Einkommen.
Nach offizieller Lesart lebt jeder achte Hesse in Armut
Als „arm“ gilt nach offizieller Lesart, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. Was dies für verschiedene Haushaltstypen monatlich in Euro bedeutet, geht aus der folgenden Übersicht hervor. Die Zahlen aus dem Armutsatlas des Paritätischen Gesamtverbandes (Stand 2007):
Single 764 Euro,
Alleinerziehende mit einem Kind: 994 Euro;
Alleinerziehende mit zwei Kindern 1.223 Euro,
Paar ohne Kind: 1.376 Euro;
Paar mit einem Kind: 1.605 Euro,
Paar mit zwei Kindern: 1.835 Euro,
Paar mit drei Kindern: 2.064 Euro.
Im reichen Bundesland Hessen gilt jeder achte Bürger als arm. Bei Arbeitslosen, Alleinerziehenden oder Menschen mit ausländischen Wurzeln ist der Anteil um ein Vielfaches höher. In den Städten ist er höher als auf dem Land. Bundesweit liege Hessen mit einem Armutsanteil von zwölf Prozent der Bevölkerung auf dem dritten Platz, nur die Einwohner von Ab den-Württemberg (zehn Prozent) und Bayern (elf Prozent) seien weniger von Armut betroffen, berichteten das Statistische Bundesamt in Wiesbaden und der Paritätische Gesamtverband auf der Grundlage des Mikrozensus 2007.
Die ärmste Region in Deutschland ist Vorpommern. Dort leben 27 Prozent der Bürger an oder unter der Armutsschwelle, das heißt ihr Einkommen ist niedriger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Im Bundesdurchschnitt sind 14,3 Prozent der Bürger von Armut betroffen
Die Armutsschwelle in Hessen sank nach Angaben des Paritätischen Gesamtverbandes von 2005 bis 2007 leicht um 0,7 Prozentpunkte. Diese leichte Verbesserung sei deutlich günstiger als die Entwicklung in Westdeutschland mit einer Abnahme von 0,3 Prozentpunkten.
Arbeitslosigkeit, Migrationshintergrund und Kindererziehung vergrößern das Armutsrisiko erheblich: Nach Angaben des statistischen Landesamts sind 44,5 Prozent der Arbeitslosen von Armut bedroht, jeder dritte (33,3 Prozent) der Alleinerziehendem und mehr als jeder Fünfte (23 Prozent) der Menschen mit Migrationshintergrund. Bei den Deutschen lag die Quote nur bei 8,3 Prozent.
Regional gibt es deutliche Unterschiede, der Norden ist stärker von Armut betroffen als der Süden, die Städte mehr als ländliche Gebiete. Im Rhein-Main-Gebiet leben zehn bis elf Prozent der Menschen an oder unterhalb der Armutsgrenze, im Norden fast 15 Prozent. Deutlich niedriger als im Landesschnitt war der Anteil der Armen im Hochtaunus-, Main-Taunus- und Rheingau-Taunus-Kreis mit 6,8 Prozent. Mehr als doppelt so hoch (14 Prozent) war er in den kreisfreien Städten Offenbach, Darmstadt und Wiesbaden. Der Main-Kinzig-Kreis bewegte sich im Mittelfeld. Den höchsten Anteil der Armen wiesen mit 15,9 Prozent die Stadt und der Landkreis Kassel sowie der Kreis Waldeck Frankenberg auf
Deutschlands Millionäre werden immer reicher
Nach der Vermögensteuerstatistik stieg die Zahl der Vermögensmillionäre auf .131 000. Ihre Zahl liegt nach Angaben der Experten jedoch noch höher, da Betriebsvermögen nur zum Teil und der Grundbesitz nur nach Einheitswerten von 1964 berücksichtigt würden.
Nach den vom DGB registrierten Gewinnsprüngen 1994/95 stiegen die Nettogewinne - nach Abzug der Gewinnsteuer - im vergangenen. Jahr nur um 0,5 Prozent. Im Vergleich zum Jahr 1980 haben. sie sich jedoch verdoppelt.
Die meisten Vermögensmillionäre gibt es nach diesen Angaben in den Städten, in denen - bezogen auf die Einwohner - auch die meisten Sozialhilfeempfänger leben: in Hamburg 35 Verniögensmillio0näre auf jeweils 10.000 Einwohner und in Berlin. Aufgegliedert nach Regionen führt Baden-Baden mit 77 Vernögensmillionären je 10.000 Einwohner vor Starnberg mit74 und dem Hochtaunuskreis mit 56.
Auch bei der Einkommensentwicklung geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Nach einer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) ausgewerteten Einkommensstatistik sind die realen, das heißt die um die Preissteigerungen bereinigten Nettolöhne und Nettogehälter je Arbeitnehmer im Laufe des vergangenen Jahres nur um 0,1 Prozent gestiegen.. Demnach lag die Massenkaufkraft nur um 1,2 Prozent über dem Niveau von 1980.
DGB-Vorstandsmitglied Michael Geuenich kommentierte diese Zahlen mit der Bemerkung, daß die zurückhaltende Lohnpolitik und die enorme Zunahme von Gewinnen und Unternehmensrentabilität den Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht haben verhindern können. Der Anteil der Löhne am Volkseinkommen sei auf den niedrigsten Stand seit Bestehen der Bundesrepublik zurückgefallen. Nun seien die Unternehmer am Zug, für mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze zu sorgen.
Mit dieser Entwicklung hat die Bundesrepublik ihre Position als Export-Vizeweltmeister -
hinter den USA - untermauert. Pro Kopf der Bevölkerung liegt Deutschland jedoch unverändert an der Spitze.
Die bereinigte Lohnquote, die eine grobe Meßziffer für die Verteilung der gesamten Wertschöpfung auf die Faktoren Arbeit und Kapital darstellt, befindet sich mit weiter sinkender Tendenz auf einem historischen Tief. Zu ihren besten Zeiten lag sie bei immerhin 75,2 Prozent. Das war im Jahr 1975. Seitdem ist sie bis auf wenige Jahre stetig zurückgegangen: Im Jahr 1995 betrug sie noch 68,2 Prozent; für 1997 wird eine Quote von nur noch 67,7 Prozent erwartet. Aus diesen Zahlen wird deutlich, daß die Verbesserung der Verteilungsposition, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den siebziger Jahren durchsetzen konnten, in den achtziger und neunziger Jahren nicht nur wieder verlorengegangen ist, sondern sogar noch unter den Stand der siebziger Jahre zurückgefallen ist. Von der Verteilungsposition her befinden sich die abhängig Beschäftigten gewissermaßen wieder in der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Unter Abzug der Inflation stiegen die durchschnittlichen Arbeitseinkommen im Zeitraum 1980 bis 1995 gerade einmal um 3,1 Prozent, was im Mittel eine Steigerung von 0,2 Prozent pro Jahr bedeutet. Insofern kann - im Gegensatz zu den Unternehmensgewinnen - bei den Arbeitseinkommen von anhaltender Stagnation seit über 15 Jahren gesprochen werden.
Allein zwischen 1983 und 1993 ergaben sich als Folge von Steuerrechtsänderungen staatliche Mindereinnahmen. in Höhe von insgesamt rund 240 Mrd.. DM. Der Löwenanteil mit gut 170 Mrd. DM kam dem Unternehmenssektor zugute, während auf den Bereich der privaten Haushalte nur 70 Mrd. DM entfielen. Die Gewinnsteuerquote sank auf ein historisches Rekordtief, die Lohnsteuerquote stieg auf ein Rekordhoch.
Es bestätigte sich die These, daß hohe Gewinne keine hinreichende Bedingung für arbeitsplatzschaffende Investitionen sind. Soweit Gewinne nicht lukrativ auf den internationalen Finanzmärkten plaziert wurden, fanden sie vor allem für Rationalisierungszwecke Verwendung- also letztlich für die Vernichtung und 'nicht für: die Schaffung von Arbeitsplätzen,
Die einfache Gleichung „hohe Gewinne = hohe Investitionen = hohe unternehmerische Arbeitsnachfrage“ beschreibt längst nicht mehr die Wirklichkeit
[Die Zahlen sind zwar nicht mehr aktuell, aber an der Tendenz hat sich nichts geändert, daß die Reichen immer reicher und die Armen relativ immer ärmer wurden, egal welche Partei gerade in der Regierung war].
Ein einig Volk von Süchtigen
Wenn einer Gesellschaft schmerzliche Erkenntnisse und belastende Veränderungen bevorstehen, sollten die notwendigen politischen Entscheidungen nicht durch den Kampf um Mehrheiten abgeschwächt oder ganz und gar verhindert werden.
Die vom Wähler ermöglichte große Kraft in der „Großen Koalition“, die zentralen Aufgaben unseres Lebens anzupacken - Klimaschutz, Umweltschutz, Schuldenabbau, Vollbeschäftigung, Frieden, soziale Gerechtigkeit, Bildung, Kinderbetreuung - ist nicht gefunden und genutzt worden. Schlimmer noch: Die Krise des „real existierenden Kapitalismus“ führt nicht zu ernsthaften Bemühungen, die Ursachen zu erkennen und zu kurieren. Im Wesentlichen erfolgen irrwitzige symptomatische Maßnahmen, um die Folgen der Krise abzufedern, nicht aber ihre Ursachen zu beseitigen.
Als eine Quelle der irrationalen und virtuellen Spekulationsspiele, die zur Finanzkrise geführt haben, wird die genannt. Gier ist ein Symptom der Süchtigkeit. Natürlich ist es notwendig, daß die Banken reguliert und kontrolliert werden und auch für riskante Fehlspekulationen haften müssen. Aber wir dürfen nicht das unheilvolle Zusammenspiel mit der Gier der Kleinanleger übersehen. Das ist die erste bittere Erkenntnis, daß die Schuld nicht allein auf zockende Banker und gewissenlose Manager abgeschoben werden kann, sondern wir müssen in der Finanz- und Wirtschaftskrise die Folgen einer süchtigen Gesellschaft erkennen.
Eine zentrale Erkenntnis der Suchterkrankungen lautet: Nicht die Droge macht süchtig, sondern der süchtige Mensch sucht nach Mitteln, seine inneren Spannungen, Defizite und Unsicherheiten zu dämpfen. So kann auch Geld zur Droge werden. Wir sind durch Geld in eine Suchtkrise geraten, die zur Zeit durch noch mehr Geld bewältigt werden soll. Man braucht kein Suchttherapeut zu sein, um die Absurdität aller dieser Maßnahmen zu begreifen.
Viele Jahre haben die Ostdeutschen um den Anschluß an den vom Geld dominierten materiellen Wohlstand gerungen und dabei ideelle Werte unseres früheren Lebens verkauft. Dadurch sind viele Illusionen geplatzt und Ernüchterungen bis Enttäuschungen haben neue Vorurteile, Projektionen und Radikalisierungen befördert. Wenn Demokratie nur an materielle Werte gebunden bleibt und nicht als eine innerseelische Erfahrung und beziehungsdynamische Praxis gelebt wird, ist sie stark gefährdet.
„Innerseelische Demokratie“ meint eine Kultur, die es ermöglicht, auch Ängste, Schwächen, Unvermögen bei sich selbst zu erkennen und zu akzeptieren, um sich nicht verstellen zu müssen und den inneren Frust an Feindbildern und Sündenböcken abzuarbeiten. Und in einer demokratischen „beziehungsdynamischen“ Praxis wird nicht allein um Erfolg und Sieg gerungen, sondern auch das unvermeidbare Versagen und Verlieren werden akzeptiert und begründen durch Einsicht, Analyse und emotionale Verarbeitung eine Kultur der Begrenzung.
Das aber ist das letzte große Tabu unserer Gesellschaft. Daß alles Leben begrenzt ist und nicht nur vom Wachstum bestimmt sein kann, sondern auch vom Ende, vom Sterben und Vergehen, das wird natürlich gern verleugnet. Und kein Politiker kann es sich leisten, die Realität der Begrenzung zu vertreten, er hätte keine Chance, gewählt zu werden. Also auch das Volk - die Wähler - nötigen die Politiker zur einseitigen Darstellung, zur Phrase und wenn nötig auch zur Lüge.
Die Krise des Kapitalismus hat die deutsche Einheit vollendet, indem es nicht mehr vorrangig um Gewinner und Verlierer im Kampf um die Droge Geld geht, sondern um die Herausforderung, unsere Lebensform und Lebensziele kritisch zu überdenken. Was wir alle zu leisten haben, sind Antworten auf folgende Fragen zu finden:
- Wie können wir ohne materielles Wachstum gut leben?
- Wie können wir gerechter verteilen?
- Wie können wir zerstörerisches Handeln - Umweltzerstörung, Gewalt, Ausbeutung und
Kriege - vermindern?
- Wie können wir bei wirtschaftlicher und informativer Globalisierung auch globale
ethische Normen und Werte erreichen?
Es gibt keine einfachen Lösungen und schnelle Antworten auf diese Fragen. Aber der Umgang mit ihnen wird über unsere Zukunft bestimmen. Was wir nicht durch Erkenntnis, Sozialverhalten und Politik bewältigen, wird uns mit Gewalt überrollen. Wenn etwas Zerstörerisches und Belastendes den zukünftigen Generationen aufgebürdet wird oder unser Wohlleben mit Ausbeutung anderer Menschen erkauft wird, ist unser Leben prinzipiell falsch, verlogen und vergiftet. Deshalb ist immer soziales und politisches Engagement für ehrlichere, natürlichere und gerechtere Lebensformen gefordert.
Auch wenn wir feststellen, daß der persönliche Einfluß unerheblich ist, darf man immer auf eine unerwartete Entwicklung hoffen, in der plötzlich etwas in Erfüllung geht, was man nie für möglich gehalten hat. Das Jahr 1989 ist ein lebendiges Beispiel dafür. Dies war aber nur möglich, indem Einzelne aktiv geworden sind und dadurch schließlich eine Massenbewegung zustande gekommen ist. Darin liegt der bleibende Wert des persönlichen Engagements.
Aber unabhängig von solchen historisch bedeutsamen Ereignissen, bleibt die Verantwortung für das individuelle Leben bei jedem Einzelnen. Und die darf man nicht auf Politiker, Manager, Banker - nicht einmal auf Freunde und Partner - delegieren. Ich fasse diese Verantwortlichkeit mit dem Begriff der „Beziehungskultur“ zusammen. Es geht dabei um so wichtige Fragen, wie ich mit mir selbst und meinen ganz persönlichen Beziehungen zufrieden bin.
Weiß ich wirklich, wer ich bin und was ich will - auch außerhalb des elterlichen Einflusses, der ökonomischen Zwänge, der Mode und des Zeitgeistes? Und verfüge ich über Möglichkeiten, zwischen unvermeidbarer Anpassung und notwendiger Emanzipation, zwischen entlastender, aber vielleicht auch lähmender Abhängigkeit und befreiender, aber auch anstrengender Eigenständigkeit den individuellen Weg zu finden und die eigene Würde zu wahren? Ich würde so nicht fragen und sprechen, wenn ich nicht als Arzt und Psychotherapeut die erheblichen Schwierigkeiten vieler Menschen kennen würde, wirklich gut zu sich zu finden und nicht nur ein Leben zu führen, um es anderen recht zu machen und die erwarteten Normen und Werte zu erfüllen.
Ich glaube auch an heilsame Wirkungen einer Beziehungskultur, weil Menschen, die wieder lernen, sich ehrlich und unverstellt mitzuteilen und ihre Gefühle leben können, viel unabhängiger von äußeren Umständen leben und entlastende Befriedigung aus herzlichen mitmenschlichen Kontakten gewinnen. Aber eine solche Beziehungskultur steht nicht zur Wahl. Vielleicht war der Wahlkampf auch deshalb so träge und uninteressant, weil sich alle mehr oder weniger darin einig sind, die wirklichen Probleme unseres Lebens zu verleugnen.
Die notwendigen Veränderungen unserer Lebensweise sind in keinem Parteiprogramm zu finden. Ich gehe dennoch zur Wahl, um radikalen Gruppierungen keine relative Macht - zu überlassen und weil Nicht-Wähler bisher weder Beachtung noch Wirkung erzielen. Vor allem aber bleibt die individuelle Verpflichtung, außerparlamentarische Realitäten einer Beziehungskultur zu gestalten, die auch zu neuen politischen Wirklichkeiten führen können.
Die Frage, inwieweit Ostdeutsche in der Demokratie angekommen sind, läßt sich relativ leicht mit dem erreichten Wohlstand beantworten. Wem es materiell gut geht, der schätzt Demokratie, auch wenn er kein Demokrat ist. Wem es finanziell und sozial schlecht geht, der schimpft auf die Demokratie und neigt zu Vorurteilen und Radikalisierung. Und genau diese Abhängigkeit vom Geld macht die Gefahr für die Demokratie aus. Wenn die Droge knapp wird, drohen Entzugssymptome und die sind immer - nach innen und nach außen - zerstörerisch.
Über andere Lebensformen zu diskutieren und wertvolle Beziehungserfahrungen einzubringen, damit könnten Ostdeutsche in der Krise des Kapitalismus zur Geltung kommen. Im Mangel gut zu wirtschaften, in der Repression die Würde zu wahren, dem Verrat und der Korruption zu widerstehen und im menschlichen Kontakt sich zu öffnen und gegenseitig zu helfen, das sind krisenfeste Kompetenzen und eine gute Basis für eine Beziehungskultur, die das zur Gier führende Konkurrenzverhalten wesentlich vermindern helfen kann. Süchtigkeit kann nur in liebevollen, einfühlsamen und frei lassenden Beziehungen verhindert und geheilt werden.
(Der Hallenser Psychiater, Psychoanalytiker und Publizist Dr. med. Hans-Joachim Maaz war Chefarzt der Psychotherapeutischen und Psychosomatischen Klinik im Diakoniewerk Halle und ist seit Jahren ein kritischer Begleiter der Situation im wiedervereinigten Deutschland).
Erzählungen
Das Märchen vom Schlaraffenland
Ich werde euch jetzt von einem Land erzählen, in das alle fahren möchten, doch weiß niemand, wie man dorthin gelangt. Der Weg dorthin ist lang und führt steil bergauf, und es kommen nur jene dort an, denen im Winter heiß ist und die im Sommer vor Kälte zittern. Dieses Land heißt „Schlaraffenland“.
Dort in diesem Schlaraffenland haben die Häuser Dächer aas Eierkuchen, Wände und Türen sind dort aus Marzipan, die Balken aus Salami. Um jedes Haus ist ein Zaun aus Leberwürsten und Bratwürsten, schön gebraten oder gekocht, mit Meerrettich, wie es jeder nach
seinem Geschmack will. Überall stehen Pumpen mit Bier und Wein, und das rinnt direkt in den Mund, nur pumpen muß man ein wenig. Wer eine Schwäche hat für gutgelagertes Bier oder süßen Wein, der soll schnell hinlaufen.
In den Bächen fließt Milch, und auf den Weiden bei den Bächen wachsen frische Semmel und Hörnchen. Die Hörnchen fallen in die Milch, und wer das gerne hat, kann sich diese Hörnchen rasch aus der Milch herausfischen. Sie sind schon schön aufgeweicht. Und vergeßt nicht‚ den Schöpflöffel mitzunehmen!
Die Fische schwimmen im Schlaraffenland im Wasser schon gebraten oder gebacken, gekocht oder in Aspik. Es genügt, die Hand auszustrecken und der Fisch springt selbst hinein. Und wenn einer faul ist und er liegt am Ufer und will nicht aufstehen, der muß nur „pst, pst“ rufen und der Fisch springt aus dem Wasser und läuft bis zu ihm.
Und ob ihr es mir glaubt oder nicht, auch die Vögel fliegen dort schön gebraten in der Luft, Gänse und Enten, Tauben und Hühner, und dabei direkt in den Mund. Gebratene Spanferkel laufen einem zwischen den Beinen herum und haben in ihrem Rücken Messer und Gabel stecken, damit sich ein jeder abschneiden kann, wie es ihm beliebt.
Anstelle von Steinen sind überall Käse, Aufläufe und Pasteten. Wenn es regnet, so regnet es Honigtropfen, wenn es schneit schüttelt es Zucker. Und an Stelle von Pferdeäpfeln und Kuhfladen verliert das Vieh im Schlaraffenland Eier. Für einen Heller bekommt man dort ein ganzes Schock [60 Stück].
Im Schlaraffenland gibt es auch große Wälder, und auf den Bäumen wachsen dort Röcke, Westen, Überzieher, Hosen, schwarze, rote, gelbe, graue, blaue. Es wachsen dort auch Damenkleider aus Atlas‚ Samt und Taft. Nehmt nur einen Stein und schüttelt von den Bäumen, was ihr gerade braucht.
Das Gras besteht von Bändern aus allen Farben. Die Wacholderstöcke tragen Broschen und goldene Mantelnadeln, und ihre Beeren sind nicht schwarz, sondern echte Perlen. An den Tannen hängen Damenruhren und künstliche Ketten. Auf den Stauden wachsen Stiefel und Schuhe, auch Herren- und Damenhüte, Reisstrohhüte und Marabus und allerleiKopfputz mit Paradiesvögeln, Kolibris, Brillantkäfern, Perlen, Schmelz und Goldborden verziert.
Wenn jemand alt oder krank ist, geht er ins städtische Bad. Dort badet er, und schon ist er wieder jung und gesund wie ein Fisch. Wer eine alte Frau hat und mag sie nicht mehr, weil sie ihm nicht mehr jung genug und hübsch ist, der kann sie dort gegen eine junge und schönere vertauschen und bekommt noch ein Draufgeld.
Für jede Stunde, die der Mensch verschläft, zahlt man dort einen Dukaten, fürs Schnarchen gibt es noch einen Dukaten Zulage. Was bei uns einen Dukaten kostet, bekommt man dort für einen Heller Und das Geld wächst auch auf den Bäumen. In kurzer Zeit könnt ihr dort ein ganzes Vermögen herunterschütteln.
Um das Land aber ist ein großer Wall aus Reisbrei. Wer ins Schlaraffenland gelangen will, muß sich durch diesen Brei durchbeißen. So ein Land ist das, dieses Schlaraffenland (nach Ludwig Bechstein).
Arbeit macht das Leben süß
Pieter Bruegel, Maler des 16. Jahrhunderts, hat das Märchen vom Schlaraffenland gemalt: Die Menschen liegen wie hingemäht auf der Wiese. Sie sind Vertreter verschiedener Berufsgruppen: Der Wissenschaftler vorne rechts liegt auf einem kostbaren Pelz, ein verschlossenes Buch hat er neben sich, ein Schriftstück ist achtlos unter den Kopf geschoben („Ein voller Bauch studiert nicht gern!“). Der Bauer hat sich über seinen Dreschflegel hingeworfen, er braucht ihn nicht mehr. Auch der Soldat daneben schläft. Der umgestürzte Becher neben ihm erzählt, daß er reichlich vom Wein gekostet hat. Sein Speer liegt ihm zu Füßen, der eiserne Handschuh neben ihm ist Zeichen seiner früheren Tätigkeit. Nur der Ritter, der es sich in der Hütte bequem gemacht hat, überlegt wahrscheinlich, worauf er jetzt wohl Appetit hat. Rechts im Hintergrund hat sich gerade einer durch den Berg von Reisbrei hindurchgefressen undschwingt sich an einem Ast in das ersehnte Land.
Warum finden wir ein solches Schlaraffenland so verlockend? Man - Ferien ohne Ende!
Aber wollten, wir nach einem Jahr im Schlaraffenland nicht doch wieder zurück in die Welt der Menschen, die lernen und arbeiten, die immer Neues entdecken, Erfolge und Mißerfolge haben? Der gesunde Mensch, der frisch und leistungsfähig ist, will etwas schaffen. Er hätte ja sonst nichts zu essen. Auf die Dauer wäre es ihm zu langweilig. Er hat Freude daran, Werte zu schaffen und Erfolg zu sehen. Es macht ihm Spaß, seine Kräfte mit anderen zu messen.
Schon das kleine Kind „arbeitet“: Es baut Türme aus Holz und Burgen aus Sand. Jedes Klötzchen wird ihm zum Material, mit dem er etwas anfangen kann.
Die Schlaraffenlandsituation ist dann schön, wenn man müde ist und die Kräfte verbraucht sind. Aber nach dem Urlaub sehnt sich mancher wieder nach Hause und nach der Arbeit.
Wir könnten uns ja einmal die Folgen ausmalen, wenn die Menschheit bechlösse: Ab sofort tut niemand mehr einer Handschlag! Aber auch wenn einer nur für sich privat das Faulsein erwählte, so geht das nicht. Wir sind auch der Gemeinschaft verpflichtet: Jeder braucht das Können und die Kraft des anderen. Keiner ist ein Mensch für sich, wir alle sind von Geburt an zugleich Mitmenschen.
Der Wille zum Tun ist dem Menschen ebenso angeboren wie das Verlangen nach Essen, Trinken und Schlaf. Auch die Bibel spricht an vielen Stellen davon, daß die Arbeit eine gute Sache ist (zum Beispiel Prediger 5,11: „Wer arbeitet, dem ist der Schlaf süß!“).
Wir träumen gern einmal von einen Schlaraffenland. Aber dann stehen wir auch wieder mit beiden Beinen im Alltag, der unsere Kräfte erfordert. Die Wirklichkeit ist schöner als das Deshalb ist es auch durchaus gut, wenn wir Vorsorge treffen und für das zum Leben Notwendige sorgen. Damit ist aber nicht eine ängstliche Sorge um etwas gemeint. Davor will uns Mt 6,25-34 warnen. Unserer Sorge wird darin Gottes Fürsorge gegenübergestellt. Sorge ist Kleinglaube oder gar kein Glaube. Wer aber Gott vertraut, der sieht weg von sich selbst. Der sich der Tiere und Pflanzen annimmt der sorgt noch mehr für den Menschen, der ihm noch viel mehr wert ist.
Wir meinen oft, zuerst gehe es um die Erhaltung unseres leiblichen Lebens, erst müßten wir unser Leben gesichert haben und unsere Wünsche erfüllt, dann könne auch noch der Glaube dazukommen. Gott aber kehrt die Wertordnung um. Wenn wir Gott unseren Vater sein lassen, dann wird er auch für uns sorgen. Allerdings liegt das Maß der Fürsorge und unserer Sicherheit allein bei Gott.
Heinrich Lersch:
„Ich war mit allem zerfallen, mit dem Elternhaus, mit der Kirche, den Freunden, mit mir nichtsnutzig und überflüssig vor, und eigentlich ekelte mich all das verlumpte und verkommene Hafenvolk, mit dem ich verkehrte, an.
Eines Tages standen wir am Kai und sahen einen ganz neuen Ozeanriesen hinausfahren. Und da ging in meiner Phantasie Folgendes vor sich, es war mir aber, als wenn es Wirklichkeit wäre: Der stolze, gewaltige Dampfer kommt nun auf hohe See. Die Schiffswände unter Wasser bestehen aus einzelnen Metallplatten; jede vor ihnen ist festgenietet. Aber eine ist da, da sitzen die Nieten nicht, der Arbeiter hat lotterig gearbeitet - und ich war dieser Arbeiter!
Nun stößt das Meer unermüdlich gegen die schadhafte Stelle, lockert die schlecht genietete Planke, dringt ein - das Schiff geht unter mit Mann und Maus. Tausende müssen ertrinken. Da schrie ich - mitten in einem Haufen von Zuschauern stehend- laut auf: „Ich bin schuld!“ und raste davon. Die Leute hielten mich für verrückt.
Seher Sie, das war die Wende in meinem Leben. Nun wußte ich, wenn einer ludert, dann geht das Ganze zugrunde! Dann bin ich zu Hammer und Amboß zurückgekehrt und habe gearbeitet mit einer Lust und Freude wie noch nie in meinem Leben!
Erzählung: Sein Leben war Arbeit.
Bei der Beerdigung des Abteilungsleiters Heinz Müller sprach der Chef bewegende Abschiedsworte. Er sagte: „Das Leben unsres Freundes war Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Er hat der Firma seine ganze Zeit, seine ganze Kraft und sogar seine Gesundheit geschenkt. Allen Mitarbeitern unseres Betriebes wird er in seiner vorbildlichen Pflichterfüllung immer ein leuchtendes Vorbild sein!"
Seine Gattin aber dachte an die vielen Stunden, die sie allein zu Hause verbracht hatte und die vielen Sorgen, die sie allein mit sich herumgeschleppt hatte. Die Kinder dachten daran, wie oft er gesagt hatte „Ein andermal!“ wenn sie mit ihrem zerbrochenen Spielzeug oder mit Fragen kamen. Und die Kollegen fragten sich: „Wann hat er eigentlich einmal ein persönliches
Wort mit uns gesprochen?“ Er hatte sie nie richtig angehört, weil er immer keine Zeit hatte.
Als der Abteilungsleiter Heinz Müller nach seinem Tod die lange Wanderung in eine andere Welt antrat, wurde ihm an der Grenzübergangsstelle ein Fragebogen überreicht. Auf ihm mußte er angeben, wie er auf Erden seine Zeit verbracht hatte. Nur die Angaben nach der Konfirmation waren erforderlich als Unterlage für das Jüngste Gericht. Das Ergebnis:
Arbeit in der Firma 19 Jahre
Schlaf 15 Jahre
Mahlzeiten 4 Jahre 6 Monate
Kino / Sportplatz 1 Jahr 6 Monate
Gasthaus 2 Jahre
Mit der Frau 2 Monate
Spiel mit den Kindern -
Gottesdienst -
Gebet -
Hilfe für andere Menschen -
Lesen und Weiterbildung -
Reisen -
Arbeit zu Hause und im Garten 4 Jahre 6 Monate
Spaziergänge und Wanderungen 4 Monate
Zusammensein mit Freunden -
Sitzungen und Vereinszusammenkünfte 1 Jahr
Kein Verwendungszweck anzugeben 1 Jahr
Lebensjahre nach der Konfirmation: Summe 49 Jahre
Als Herr Abteilungsleiter Müller seinen Fragebogen bei dem Grenzbeamten abgab, schüttelte dieser nur den Kopf, seufzte und strich den ganzen Bogen ärgerlich durch. „Schlimm“, sagte er, während er ihn zu den Akten legte, „sehr schlimm! Der Nächste bitte!“