Die drei Evangelien (Synoptiker)

 

Gestaltung der Gemeinde und der Evangelisten

 

Worterklärungen:

Allegorie:

Wo die Sache ein komplexer Sachverhalt ist, also eigentlich von mehreren Sachverhalten gesprochen wird, die miteinander verbunden werden, ist eine „Allegorie“ gegeben. Hierbei wird jeder einzelne Sachverhalt des Gesamtkomplexes durch ein Bild (oder eine Metapher) ersetzt. Das Bild ergibt in sich noch kein verstehbares Geschehen, die Bildhälfte stimmt meist nicht (Mt 13, 36-43). Erst wo die Entschlüsselung der einzelnen Bilder vorgenommen ist, ist auch das Gesamtgeschehen verstehbar. Die Einheit der Allegorie liegt demnach in der Sache, nicht im Bild. Zur Entschlüsselung braucht es den richtigen Schlüssel.

 

Apologie: Rede oder Schrift zur Verteidigung des Glaubens

 

Apophthegma:

Jesuswort, das einen kurzen Rahmen erhalten hat und zu einer Szene gestaltet wurde.

 

Apokalypse, Apokalyptik:

Aus dem Judentum kommende Endzeiterwartung. Diese spezifisch jüdische Literaturgattung ist schon im Alten Testament vertreten (Jes 24-27 und Sach 9-10 und Hes 40-48). Aber daraus entwickelten sich dann weitere jüdische Apokalypsen. Deren Ansichten drangen dann auch massiv in den Glauben des Volkes ein und später auch in die Anschauungen der Christen. Inhalt ist durchweg die Schilderung der Endereignisse und der Vorzeichen dafür; oft sind Apokalypsen auch politisch eingestellt. Die christliche Apokalypse unterscheidet sich davon nur durch die Überzeugung, daß in Jesus die Endzeit angebrochen ist. - Die Endzeiterwartung des Neuen Testaments wird deshalb besser als „Eschatologie“ bezeichnet, die aber ohne die Apokalyptik nicht möglich gewesen wäre.

 

Exil, exilisch, nachexilisch:

Verbannung der jüdischen Oberschicht nach Babylon 587 bis etwa 535.

 

Gnosis, gnostisch:

Eine weltanschauliche Bewegung, die stark mit dem Christentum im Wettbewerb stand und deren Einflüsse bis ins Neue Testament reichen. Nähere Beschreibung im Kapitel „Johannesevangelium“.

 

Heidenchristen:

Christ, der früher ein „Heide“ war und nicht erst über den Umweg des Judentums zum Christen wurde. Es gab judenchristliche Gemeinden, die also aus frühen Juden bestanden, und heidenchristliche Gemeinden, aus Anhängern anderer Religionen entstanden waren.

 

Hellenismus, hellenistisch:

Dieser Begriff wurde hier meist mit „griechisch“ oder „griechisch geprägt“ oder „griechisch beeinflußt“ wiedergegeben. Es handelt sich jedoch nicht um die klassische griechische Kultur, sondern deren Weiterentwicklung in der Zeit nach Alexander dem Großen, bei der auch orientalische Einflüsse mit aufgenommen wurden. Diese Zeit nennt man „Hellenismus“ und die Weltanschauungen „hellenistisch“. Entsprechend gibt es auch „hellenistische Gemeinden“.

 

Historisch:

Das Wort ist fast das Gleiche wie „geschichtlich“. Nur wird bei „historisch“ mehr betont, daß man die Geschichtlichkeit auch wissenschaftlich erforscht hat bzw. wissenschaftlich gesehen anzweifelt.

 

Judenchrist:

Früherer Jude, der Christ geworden ist. Es gab judenchristliche Gemeinden, die also aus frühen Juden bestanden, und heidenchristliche Gemeinden, aus Anhängern anderer Religionen entstanden waren.

 

Kerygma:

Ursprünglich war damit gemeint die Verkündigung, die einem Taufbewerber zuteil wurde, bevor er getauft wurde. Heute sind damit ganz allgemein der Inhalt und die Verkündigung des Evangeliums gemeint. Speziell geht es um die Verkündigung von Tod und Auferstehung Jesu. Rudolf Bultmann hat den Gegensatz aufgestellt zwischen dem historischen Jesus und dem kerygmatischen Christus. Damit will er sagen: Der verkündigte Christus ist etwas anderes als der historische Jesus, aber er geht natürlich auf dessen Wirken zurück. Das Wort „Kerygma“ bezeichnet an sich die Kernaussage des Neuen Testaments. Aber die Maßstäbe für die Abgrenzung dürfen nur aus dem Neuen Testament selbst genommen werden, auch wenn es dafür verschiedene Zentren gibt. Gelegentlich wird es dabei nicht ohne Kritik und Wertung und auch Abwertung abgehen.

 

Logion (Mehrzahl: Logien):

Wörtliche Bedeutung „Wort, Spruch“. In der Theologie jedoch speziell Wort oder Aussage Jesu, besonders auch sogenannte „echte“ Jesusworte.

 

Metapher:

Wenn die Sachhälfte schon in die Bildhälfte drängt, handelt es sich nicht mehr um ein reines Bild, sondern um eine Metapher (Perlen sind kein Schweinefutter). Nicht die Sache wird verglichen, sondern die Einstellung zu ihr, der geheime Hintersinn muß erst entziffert werden (die Perlen bedeuten etwas anderes).

 

Mythos, mythologisch:

Eine Erzählung vom Wirken der Götter auf die Menschenwelt. Es gibt einen gnostischen Erlöser-Mythos (Göttergeschichte vom Himmelsmenschen, der von der Gott­heit in die Welt gesandt wurde, um sie zu erlösen) und den „Urmenschmythos“ der Manichäer (Der Urmensch ist verstrickt in die Welt, wird aber zusammen mit den geistbegabten Menschen erlöst). Im Neuen Testament kommen mythische Elemente nur selten vor, zum Beispiel bei der Verklärung Jesu.

 

Paränese: Ermahnung der Gemeinde.

 

Passah:

Fest der Juden, bei dem sie sich in die Zeit des Auszugs aus Ägypten zurückversetzen, ein Lamm schlachten und ungesäuertes Brot mitnehmen und so dieses geschichtliche Ereignis für ihre Zeit übernehmen. Jesus zog zum Passahfest nach Jerusalem und wurde im Umfeld dieses Festes gekreuzigt, so daß er für die Christen zum „Lamm Gottes“ wurde.

 

Pharisäer:

Bewegung frommer, strenggläubiger Juden, die oft zusammen mit den Schriftgelehrten als Gegner Jesu auftreten.

 

Polemik:

Auseinandersetzung mit Andersdenkenden in mehr oder weniger scharfer Form.

 

Rabbiner, rabbinisch:

Jüdischer Ausleger der (hebräischen) Bibel und anderer jüdischer Schriften, vor allem Lehrer des Gesetzes.

 

Redaktion, redaktionell, Redaktor:

Die biblischen Bücher alten und neuen Testaments wurden meist von einem Bearbeiter „verbessert“, dem „Redaktor“ (nicht:„Redakteur“). Im Neuen Testament waren schon die Evan­gelisten solche Redaktoren, aber es ist auch noch mit späterer Redaktion zu rechnen, vor allem auch bei den Briefen. Davon sind noch einmal zu unterscheiden die Abschreiber, die entweder aus Versehen eine Änderung hineinbrachten oder bewußt an einzelnen Stellen etwas „verbessern“ wollten.

 

Sakrament:

Eine heilige Handlung, bei der äußerlich gesehen eine Handlung vorgenommen wird, aber innerlich auch bestimmte Gnadengüter übermittelt werden. In der evangelischen Kirche gibt es Taufe (Wasser) und Abendmahl (Brot und Wein) als Sakramente.

 

Sekundär:

Bibelwort, das nicht zum alten Bestand der Überlieferung gehört, sondern diese oftmals verändert oder gar verfälscht.

 

Synoptiker:

Die drei Evangelienverfasser Matthäus, Markus und Lukas, die über große Strecken übereinstimmend das Leben Jesu beschreiben. Weil man sie zusammensehen kann, bezeichnet man sie mit dem griechischen Wort „Synoptiker“.

 

Tradition: Überlieferung der Gemeinde, meist im Gegensatz zur späteren Bearbeitung.

 

 

Einleitung

Nach den jüdisch bestimmten Endzeiterwartungen und der griechisch beeinflußten Gottes­vorstellung kommt im literarischen Evangelium wieder die Jesustradition hoch und wird in die Verkündigung und das Bekenntnis eingebaut, so daß die literarische Form des Evangeliums entsteht. Dabei bedient man sich auch des Schriftbeweises, um die Jesustradition in das griechisch beeinflußte Evangelium von Erlösung und Auferstehung einzubauen. Anhand des Schriftbeweises wurde so das Leben Jesu ausgestaltet, vor allem in der Leidensgeschichte. Die Evangelisten zeichnen Jesus ja nicht als Erhöhten, sondern zunächst als den Gekreuzigten.

Wort Gottes ist immer Anrede. Aber diese haben wir heute nicht mehr in der Person des historischen Jesus, sondern im literarischen Evangelium. Durch den lebendigmachenden Geist erscheint plötzlich im literarischen Evangelium die Stimme Jesu, die eine Zeit versickert war. Jesus wurde nun  zum aufgeschriebenen Inhalt der Verkündigung des Wortes Gottes, die Offenbarung wurde nun wieder sichtbar. Heute ist die Kirche die um den Text versammelte Gemeinde Gottes.

Die Überlieferung von Jesus wurde schon durch die christliche Gemeinde überformt und weitergestaltet, um auf die Fragen der späteren Zeit eine Antwort zu geben. Die Evangelien beantworten die Frage nach Jesus nicht historisch, sondern bereits dogmatisch. Die Evangelisten haben dann noch einmal ihre eigenen theologischen Ansichten mit hineingearbeitet, und zwar jeder Evangelist auf seine Weise. Manchmal gerieten sie dabei sogar in Widerspruch zu dem, was Jesus gemeint hat. Schließlich hat auch noch der eine oder andere Abschreiber (Redaktor) eine „Verbesserung“ anbringen wollen. Deshalb gilt es, diesen Mantel nach Möglichkeit wieder abzustreifen und zu der ursprünglichen Aussage zurückzukehren.

Trotz aller Überarbeitung können wir jedoch noch Vieles von dem Ursprünglichen herausarbeiten: Bei den Evangelisten brauchen wir sie nur untereinander zu vergleichen. Und die Abschreiber verraten sich durch die unterschiedlichen überlieferten Abschriften.

So können wir in den Evangelien immer noch auf Tatsachen zugreifen. Das Geschehene ist zwar vergangen, auch für die Augenzeugen ist es Erinnerung geworden. Aber es ist doch unverlierbarer Besitz geblieben, den man nun weitergeben kann. Die später Geborenen sollen nicht weniger haben als die Zeitgenossen. Dafür können wir den Evangelisten heute noch nicht genug danken. Sie haben uns ein lebendiges Bild Jesu übermittelt, so daß wir alles wie in einem Film vor uns sehen könnten.

Die Evangelisten sind aber nicht Geschichtsschreiber in unserem Sinne. Das Wort „historisch“ hat auch noch eine mehr menschliche Bedeutung. Es kann sich nämlich um etwas handeln, was wirklich geschehen ist, wie unbegreiflich es uns auch vorkommen mag. Historisch ist nicht nur das von der methodisch-kritischen Geschichtswissenschaft einigermaßen Gesicherte. Aber eine nicht wissenschaftlich feststellbare Geschichte kann dennoch wahre Geschichte sein. Man darf sie nicht rein historisch im Sinne der Geschichtswissenschaft betrachten.

 

Literaturgattung

Die Literaturgattung und der Name „Evangelium“ sind neu, es gibt nichts Entsprechendes im Judentum oder der griechischen Welt. „Evangelium“ ist die Botschaft, die von Jesus handelt und die Botschaft, die Jesus verkündet. Das bedeutet aber, daß Jesu Person von der Botschaft nicht zu trennen ist. Das griechische Wort bedeutet „Botenlohn“ oder „Siegesbotschaft“, es stammt aber nicht aus dem Kaiserkult. Im religiösen Umfeld bedeutet das Wort meist nur „Botschaft“.

Schon Markus stand vor der Aufgabe, den Glauben an Christus mit dem historischen Jesus zu vereinigen. Deshalb hat er sein Evangelium geschrieben. Sein Material dafür war aber schon von der Tradition geprägt. Ausgangspunkt ist das mündliche Evangelium. Aber nach dem Tod des Petrus in der Verfolgung unter Nero konnte man die Botschaft nicht mehr direkt aus dem Mund des Apostels hören. Deshalb schrieb sie sein Mitarbeiter Markus auf (so berichtet es jedenfalls der Schriftsteller Papias).

Das Markusevangelium hatte keinen literarischen Ehrgeiz, erregte aber ungeheures Aufsehen und fand bald Nachahmer. Aber die Christen damals waren sich dieser Vielfalt nicht bewußt, denn jede Provinz hatte ihr je eigenes Evangelium. Es gibt also mehr „Evangelien“ als die, die in das Neue Testament aufgenommen wurden. Weil aber auch viele von der Bewegung der Gnosis beeinflußte Evangelien entstanden, war die Kirche gezwungen, die rechtgläubigen Evangelien für das Neue Testament festzulegen.

Die Evangelien sind zwar ein Dokument der christlichen Predigt, aber wir dürfen sie auch nicht so absolut sehen, daß wir in ihnen nur das Glaubenszeugnis von Menschen sehen, denn sie übermitteln uns auch die Person Jesu und seine Worte. Wenn wir sagen, wir hätten Christus nur in den Zeugnissen seiner Gemeinde, so wäre damit das Wort „Zeugnis“ überlastet (denn die Bibel ist nicht ausschließlich Zeugnis) und auch der Geltungsbereich des menschlichen Zeugnisses wäre erweitert.

 

 

Synoptiker

In ihrem ursprünglichen Wortlaut sind die Evangelien sicherlich nicht erhalten. Es gibt allerdings aramäische Vorstufen der griechischen Evangelienschriften, vor allem in der mündlichen Tradition.

Um sich einer ursprünglichen Form annähern zu können, haben wir zum Glück vier Evangelien, die man gut nebeneinander stellen und dann gemeinsam betrachten kann. Man vergleicht sie aber nicht nur, um die ur­sprünglichste Fassung einer Erzählung zu ergründen, sondern man will auch die Besonderheiten des jeweiligen Verfassers erkennen. Dann fällt zum Beispiel auf, daß nur Markus bei der Taufe Jesu erwähnt, Jesus sei sündlos gewesen und hätte deshalb die Taufe zur Vergebung der Sünden gar nicht nötig gehabt. Schon erkennt man hier schon etwas von der Theologie des Markus.

Bei Matthäus zum Beispiel erkennt man die eigenen („redaktionellen“) Aussagen des Evange­listen aus dem Vergleich mit den Quellen Markus und Spruchquelle. Man muß aber auch mit dem Einfluß mündlicher Tradition rechnen (grundsätzlich ist aber die Einheit von Tradition und Redaktion anzuerkennen). Dazu kommt die Übernahme alttestamentlicher Zitate. Dabei muß man natürlich unterscheiden zwischen dem ursprünglichen Inhalt und dem Motiv des Evangelisten für die Übernahme. Nur der eigene Beitrag des Evangelisten kann etwas aussagen über seine theologischen Ansichten.

Man kann aber im Grunde nicht von „synoptischen Evangelien“ reden, weil jeder Evangelist sein eigenes Werk vollbracht hat. Wollte man sie zusammenfassen, käme eine „Evangelienharmonie“ heraus, also ein fünftes Evangelium, das den Stoff wieder unter den Gesichtspunkten des „neuen Schriftstellers“ zusammenfaßt (dennoch habe ich das unter „Bibel für Einsteiger“ versucht, um dem Leser einen schnelleren Überblick zu geben).

Manchmal ergänzen sich auch die Synoptiker: Bei Lukas wird die Frage der Jünger nach ihrem Lohn nicht direkt ausgesprochen (Lk 18,28). Sie findet sich aber in der Paral­lel­stelle bei Matthäus (Mt 19,27) und steht sicher auch bei Lukas im Hintergrund. Auch bei ihm ginge es um ein Geschäft mit dem Himmel.

Das synoptische Problem besteht darin, daß es einerseits weitgehende Übereinstimmungen gibt. Diese erstreckt sich sowohl auf die grobe Anordnung des Stoffes als auch zum Teil bis in den Wortlaut, vor allem auch auf Nebensächlichkeiten. Zugleich gibt es andererseits tiefgreifende Verschiedenheiten zwischen den drei ersten Evangelien. Die Frage lautet: In welchem literarischen Verhältnis stehen die drei ersten Evangelien, die „Synoptiker“ zueinander? Das Problem ist das Nebeneinander von gemeinsamem Stoff und eigener Überlieferung. Manches wurde wörtlich aus Markus übernommen, bei anderem aber gibt es Abweichungen.

 

Zur Erklärung gab es folgende Ansätze, bei denen keine unmittelbare literarische Abhängigkeit voneinander angenommen wird:

1. Ur-Evangeliums-Hypothese:

Es gab ein in aramäischer Sprache abgefaßtes Urevangelium. Die heutigen Evangelien sind verschiedene Übersetzungen und Auszüge aus dieser alten aramäischen Apostelschrift, dem Evangelium der Nazarener.

2. Fragmenten-Hypothese (Diegesenhypothese):

Am Anfang gab es ein Vielerlei von Aufzeichnungen, aus denen die Evangelien unabhängig voneinander entstanden: Ein Aufzeichner habe Wundergeschichten, einer Reden, ein dritter die Leidensgeschichte zusammengestellt. Matthäus und Lukas sind aus Aufzeichnungen über einzelne Tage des Wirkens Jesu erwachsen.

3.Traditions-Hypothese:

Bei den Aposteln in Jerusalem hat sich für Zwecke der Predigt ein mündliches aramäisches Evangelium herausgebildet, das dann bald zwei griechische Formen erhielt. Alle Evangelisten schöpfen unmittelbar aus der Überlieferung.

4. Benutzungs-Hypothese:

Die Evangelisten haben die anderen Evangelien gekannt. Möglich wäre dann, daß Markus entweder ein Auszug aus Matthäus oder eine Zusammenfassung aus Matthäus und Lukas war.

Oder aber die Evangelien sind in der Reihenfolge Markus - Matthäus - Lukas entstanden. Jeder Evangelist hat seine Vorgänger gekannt. Matthäus und Lukas gehen in der Reihenfolge nur dann zusammen, wenn sie dieselbe Reihenfolge wie Markus haben. Matthäus und Lukas benutzen darüber hinaus die sogenannte „Redenquelle“ und außerdem jeweils Sondergut. Auch Johannes hat danach die Synoptiker benutzt

5. Formgeschichte (Erforschung der Vorgeschichte des Evangelienstoffs):

Die Erzählungs- und Wortüberlieferung geht auf Jesus selber zurück, der seinen Jüngern wie ein Rabbi den zu überliefernden Stoff in fester Formulierung übergeben hat. Die einzelne Form oder Gattung entsteht unter gewissen geschichtlichen Voraussetzungen und hat eine „Sitz im Leben“. Der Rahmen der Erzählung ist dann Werk des Schriftstellers. Aber es ging ihm nicht um eine Biographie Jesu, sondern Anlaß war die Predigt. Das älteste Traditionsgut ist vielfach verändert worden durch Motive der Lehre (Dogmatik), Verteidigung (Apologetik), Ermahnung (Paränese) und Gemeindedisziplin innerhalb der palästinensischen und hellenistischen Gemeinde, auch durch Aufnahme von fremden Stoffen aus der Umwelt und durch die Einführung von Orts- und Zeitangaben.

Nach Eberhard Jüngel hat jede Perikope sogar zwei Sitze im Leben:

1. Im Leben des historischen Jesus (Jüngerunterweisung, Sündergemeinschaft)

2. Im Leben der Gemeinde (Streitgespräche, Predigt, usw.)

 

Heute geht man von der „Zwei-Quellen-Theorie“ aus: Markus ist die Grundlage für Matthäus und Lukas, aber beide haben noch eine Redenquelle benutzt (auch „Logienquelle“, abgekürzt „Q“). Daneben aber hat jeder Evangelist noch Sondergut. In England ist verbreitet die Vierquellentheorie, nach der es neben Markus und der Redenquelle noch Quellen für das Sondergut des Matthäus und Lukas gab.

 

 

Matthäus  83 S

Markus  52 S

Lukas  91,5 S

       Mt - Mk  24,25

 

 

 

Gemeinsamer Stoff  20,25 S

 

 

Mk - Lk  4 S

Sondergut des Matthäus

Einschließlich Redenquelle

38 S

     Sondergut des Markus

3 S

Sondergut des Lukas einschließlich Redenquelle

67, 24 S

 

A. Vorrang des Markus:

  • Der Stoff des Markus begegnet fast vollständig auch bei Matthäus und Lukas. Nur drei kürzere Berichte (Gleichnis von der von selbst wachsenden Saat Mk 4,26-19 und die Heilung eines Taubstummen Mk7,31-37 und der Blinde von Bethsaida Mk 8,22-26) und drei kurze Texte (Jesu Verwandte halten ihn für verrückt Mk.3,20-21 und Salzen mit Feuer Mk 9,49 und der fliehende nackte Jüngling Mk 14,51-52) finden sich weder bei Matthäus noch bei Lukas. Die genannten Überschüsse lassen sich gut als bewußte Auslassung durch Matthäus und Lukas verstehen: Zumeist werden anstößige oder unverständliche Stellen ausgelassen.
  • Entscheidend ist der Vergleich der Reihenfolge der Erzählungen: Matthäus und Lukas stimmen innerhalb des mit Markus gemeinsamen Stoffes in der Reihenfolge nur soweit überein, als sie mit Markus übereinstimmen: Wo sie von Markus abweichen, geht jeder seinen eigenen Weg. Die Abweichungen in der Reihenfolge des Matthäus und Lukas von Markus beschränken sich auf Markus 1,1 - 6,6 und lassen sich ziemlich gut aus kompositionellen Motiven des Matthäus und des Lukas verstehen (zum Beispiel wird die Predigt in Nazareth aus Mk 6 in Lk 4,6-30 als richtungweisende Szene der Wirksamkeit Jesu vorangestellt).
  • Die Übereinstimmungen im Wortlaut innerhalb der Matthäus und Lukas gemeinsamen Texte ist teilweise sehr weitgehend. Das über Markus hinausschießende Redengut ist aber in völlig verschiedener Weise in den Markusrahmen eingefügt.
  • Der sprachliche und sachliche Vergleich ergibt ferner, daß Matthäus und Lukas gegen­über Markus vielfältige Verbesserungen vornehmen. So wird die Wortwahl verbessert, indem volkstümliche oder semitisch gefärbte Wendungen zu besserem Griechisch um­gestaltet werden. Auch anstößige Wendungen werden geändert.
  • Daneben gibt einige logische Probleme bei Matthäus und Lukas, die sich aber dann gut verstehen lassen, wenn der Markus-Vorrang angenommen wird: Mt 9,2 spricht zum Beispiel vom Glauben der Menschen, die den Gelähmten bringen. Das ist aber erst richtig verständlich, wenn wie bei Markus noch zuvor erzählt wird, daß diese das Dach abdeckten.
  • Markus ist also von Matthäus und Lukas als Quelle benutzt worden. Außerdem haben diese noch eine weitere gemeinsame Quelle, die allgemein „Redenquelle“ genannt wird (abgekürzt „Q“).

 

B. Die Spruchquelle („Logienquelle“):

Die vielen Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas in den Stoff, den sie nicht mit Markus gemeinsam haben, lassen sich nicht aus dem Markus-Vorrang verstehen. Zur Erklärung dieser Tatsache gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Daß die beiden Evangelien Matthäus und Lukas voneinander abhängig sind, ist so gut wie ausgeschlossen. Es ist kaum verständlich, warum Matthäus oder Lukas die nur beiden gemeinsamen Stücke nicht ein einziges Mal (abgesehen von den Täufer­texten und der Versuchungsgeschichte!) an derselben Stelle im Markus-Aufbau bringen. Ferner wäre es auch kaum verständlich, warum zum Beispiel Lukas die Bergpredigt der­artig zerschlagen sollte, oder Matthäus die vielen Gleichnisse im Sondergut des Lukas nicht übernommen hätte. Auch die völlige Nichtübereinstimmung in Vorgeschichte und Berichten über Erscheinungen nach Ostern (die bei Markus ja fehlen) spricht eindeutig dafür, daß Matthäus und Lukas keine Berührungen miteinander haben.
  • Matthäus und Lukas verwenden eine gemeinsame Quelle, die allgemein als „Logien­quelle“ (hier aber „Spruchquelle“) bezeichnet wird. Man kann sie nur aus den Über­einstimmungen bei Matthäus und Lukas wiederherstellen. Sie enthielt nicht nur Reden Jesu, sondern auch die Verkündigung des Täufers Johannes, die Versuchungsgeschichte, die Erzählung vom Hauptmann von Kapernaum und die Anfrage des Täufers (Mt 11). Die nicht aus Markus stammenden Redestücke in Matthäus und Lukas stimmen zum Teil bis in den Wortlaut überein (Mt 11,25-27 mit Lk 20, 21-22), teils weichen sie erheblich voneinander ab (Mt 25, 14-30 und Lk 19,16-27). Zum Teil sind die Unterschiede so bedeutend, daß man die Benutzung einer gemeinsamen Quelle bezweifelt hat (Mt 22,1-14 und Lk 14, 16-24). Diese Unterschiede können bei der mündlichen Überlieferung entstanden sein (Königliche Hochzeit Mt 22,1-14), sie können aber auch auf eine schriftstellerischen Eingriff zurückgehen (Versuchungsgeschichte bei Lukas Lk 4).
  • Es ist umstritten, ob es diese Spruchquelle nur mündlich gab oder ob sie schriftlich in Sprache vorlag. Für die nur mündliche Überlieferung spricht, daß die Einzelverse („Logien“) in verschiedenen Stichwortzusammenhängen stehen. Eine schriftliche Vorlage läßt sich folgendermaßen begründen:

- Die Übereinstimmungen im Wortlaut innerhalb der nur Matthäus und Lukas gemeinsamen Texte sind teilweise so weitgehend, daß die Annahme einer gemeinsamen Vorlage sich aufdrängt. Teilweise allerdings sind sie auch sehr gering. Insgesamt sind sie geringer als bei den Übereinstimmungen mit Markus.

- Matthäus und Lukas haben das beiden gemeinsame Redengut auf sehr verschiedene Weise in den Markus-Aufbau eingefügt. Matthäus bietet große Redenabschnitte. Lukas bietet fast den ganzen Quellen-Stoff in der kleinen Einschaltung (6,20-8,3) und der großen Einschaltung (9,51-18,14). Dennoch läßt sich trotz der sehr verschiedenen Kompositionsmethode doch eine weitgehende Übereinstimmung in der Reihenfolge der dargebotenen Einheiten erkennen. Solche Übereinstimmung kann kein Zufall sein und weist auf eine gemeinsame, schriftliche Quelle.

- Den entscheidenden Beweis für eine gemeinsame schriftliche Quelle liefen aber die Dubletten (Texte, die zweimal bei einem Evangelisten vorkommen) und Doppelüberlieferungen (Texte, die in abweichender Form bei zwei Evangelisten begegnen). Die wich­tigste Dubletten sind: Die Aussendung und Rückkehr der Jünger in Lukas 9 und 10 erinnert einmal eher an Mk 6,7-13, das andere Mal ist sie eher mit Mt 10 parallel. Auch die Abwehr des Dämonenvor­wurfs ist doppelt in Mk. 3,23-27 und Lk 11, 17-25.

Weiter findet sich eine Reihe von Worten Jesu bei Matthäus und Lukas je zweimal, einmal in einem Zusammenhang wie bei Markus und ein zweites Mal in Redestücken, die nur Matthäus und Lukas haben. Dubletten sind dann am ehesten verständlich, wenn zwei Quellen zusammengearbeitet werden, die beide das betreffende Stück  enthalten.

- Die Redenquelle wurde aber wohl mehrfach ins Griechische übersetzt und lag Matthäus und Lukas in verschiedenen Übersetzungen vor, in die auch hellenistisches Gut eingedrungen war. Sie war jedoch kein vollständiges Evangelium und muß nicht un­bedingt Erzählungen enthalten haben. Matthäus hat den Redenquellen-Stoff über sein ganzes Evangelium verstreut, während Lukas ihn hauptsächlich in zwei großen Blöcken bringt und damit die Reihenfolge von Q wahrscheinlich besser bewahrt hat.

 

Bei genauerer Betrachtung der Zwei-Quellen-Theorie gibt es dann aber immer noch folgendes Problem: Es ist zu fragen, ob Lukas und Matthäus das Markus-Evangelium in der heutigen Gestalt oder doch ein kürzeres Evangelium, den sogenannten „Urmarkus“, vor sich hatten. Dafür spricht:

- Das Fehlen von Mk 6,45-8,26 bei Lukas, die sogenannte „große Lücke“: Fehlte sie

  vielleicht in der Markus-Vorlage des Lukas? Andererseits ist festzustellen, daß Lukas

  auch an anderen Stellen Markusabschnitte ausläßt.

- Es gibt einige Übereinstimmungen zwischen Matthäus und Lukas in den mit Markus

  gemeinsamen Stücken, die aber von Markus abweichen. Diese Übereinstimmungen

  sind teilweise als Textmanipulationen (Angleichung) oder Verbesserung von Gram-

  matik und Wortwahl durch Matthäus und Lukas erklärbar, die zufällig in derselben

  Weise erfolgten. Andere Übereinstimmungen lassen sich durch den Einfluß der

  mündlichen Tradition erklären und reichen nicht aus, um die Hypothese eines

 Urmarkus zu rechtfertigen.

- Auch die sowohl bei Matthäus und Lukas gemeinsam begegnenden Auslassungen

  könnten für einen kürzeren Urmarkus sprechen. Doch sind diese Auslassungen

  durchaus auch aus der Überarbeitung erklärbar.

- Aus diesen Beobachtungen ergibt sich ferner, daß die Vorlage des Matthäus und

  Lukas sehr nahe bei Markus steht oder gar mit Markus übereinstimmend sein muß.

  Daß Markus selbst eine Kürzung eines längeren Urmarkus ist, ist kaum anzunehmen.

- Gelegentlich war ein Wort Jesu zweimal, nämlich bei Markus und der Spruch­quelle

  vorhanden (zum Beispiel Wort von der Ehescheidung). Lukas hat dann gern beide

  nebeneinander gestellt, während Matthaus mehr zusammenfaßte.

 

Die Spruchquelle war sicher eine griechische Quelle. Wäre sie aramäisch verfaßt, wären die vielen wörtlichen Übereinstimmungen kaum zu erklären. Daß die Spruchquelle in Palästina entstanden ist, ist wahrscheinlich, weil hier offensichtlich noch viel Anklang an die mündliche Tradition der Jesus-Worte vorliegt. Der Verfasser der Spruchquelle ist völlig unbekannt.

Die bei dem Kirchenvater Euse­bius überlieferten Nachrichten des Papias über die Entstehung des Markus und des Matthäus sind ohne Bedeutung für die Lösung der synoptischen Frage. Papias nennt einen Presbyter Johannes als Gewährsmann, der ihm berichtet hätte, daß Markus ein Übersetzer oder Ausleger des Petrus gewesen wäre und Herrenberichte aus dem Mund des Petrus gesammelt hätte, die dieser bei verschiedenen Gelegenheiten je nach Anlaß wiedergegeben hätte. Matthäus dagegen hätte seine Berichte in hebräischer Sprache zusammengestellt. Demnach wäre Matthäus der Verfasser eines hebräischen Ur-Evangeliums gewesen. Doch sind die Nachrichten des Papias zu widerspruchsvoll, als daß sie zur Stützung der Urevangeliums-Hypothese gebraucht werden könnten.

 

Ein Vergleich der Markus und der Spruchquelle gemeinsamen Texte läßt nicht erkennen, daß durchweg Markus oder die Spruchquelle ältere Überlieferung enthält. Ein Überlieferungszu­sammenhang zwischen den gemeinsamen Texten (nur ein Bruchteil des Markus-Materials!) läßt sich durchaus in der mündlichen Traditionsbildung verankern. Eine literarische Abhängigkeit läßt sich nicht erkennen.

Auch eine Datierung der Spruchquelle durch die Erwähnung des Sacharja (Sohn des Berech­ja), dessen Ermordung im Jahre 68 von dem Geschichtsschreiber Josephus berichtet wird, ist nicht möglich. Bei dieser Namensangabe handelt es sich höchst­wahrscheinlich um eine Hinzufügung von Matthäus. So fehlt jede Möglichkeit zu einer genaueren Datierung der Spruchquelle. Doch ist es unwahrscheinlich, daß diese Schrift später als etwa 50 bis 70 abgeschlossen worden ist.

Die Spruchquelle war sicherlich eine Sammlung von Jesusworten, die aus ermahnendem Interesse vorgenommen worden ist. Doch welche Lehre von Christus vertrat sie? Kann aus dem Fehlen der Passionsgeschichte geschlossen werden, daß sie gar keine Lehre, sondern lediglich eine Jesuserzählung (Jesulogie) vertrat, die Worte Jesu von der Nähe des Gottesreiches zu deren Weiterverkündigung aufzeichnete? Das ist eigentlich kaum denkbar, da die Leidens- und Osterverkündigung (Kerygma) derart alt ist. Vielmehr setzt die Spruchquelle die Leidensgeschichte voraus. Die Spruchquelle soll dann wohl den Glaubenden mit den Worten Jesu Anweisungen für ihre Missionsverkündigung und das Leben in der Nachfolge Jesu geben. Die theologische Bewältigung Todes und der Auferstehung Jesu ist demnach Voraussetzung der Spruchquelle.

 

 

Die Arbeit der Evangelisten

Wie die Evangelisten an der Überlieferung arbeiten, zeigen folgende Beispiele (Weitere Beispiele finden sich bei den einzelnen Evangelien):

 

Bußpredigt des Johannes: Lk 3,1-20

Da kommen Zollbeamte und Soldaten und fragen: „Was sollen w i r denn tun? Die Verhältnisse zwingen uns doch einfach, die Leute zu betrügen oder zu töten!“ Sie meinen, ihre Welt stünde unter anderen Gesetzen und sie könnten nichts dagegen machen. Der Täufer aber meint, es gebe auch unter mißlichen äußeren Umständen genügend Möglichkeiten zur Umkehr. Er gibt aber nicht den Rat, daß sie ihren Beruf aufgeben oder die Waffen wegwerfen und desertieren. Er fragt nur danach, wie sie sich innerhalb des Gegebenen verhalten. Die Zöllner sollen ihr Amt in Zukunft korrekt und in menschlicher Weise führen und damit eine Wendung zum Neuen vollziehen. Am Beispiel des Zöllners Zachäus schildert Lukas dann später, wie so etwas konkret aussieht. Auch das Soldatsein läßt Johannes gelten. Er erörtert nicht, in wessen Dienst sie stehen. Aber er ruft sie zur Menschlichkeit auf, vor allen Dingen, wo sie nicht im Kriegseinsatz sind.

 

Die Rolle des Täufers:

Johannes war zunächst eine eigenständige Figur, er hatte seine eigenen Jünger und seine eigene Lehre und Botschaft. Auch Jesus ließ sich von ihm taufen (eine der sichersten Tatsachen aus dem Leben Jesu). Matthäus stellt es zwar so dar, als habe sich Johannes gescheut, diese Taufe zu vollziehen. Aber hier merkt man schon den Einfluß der christlichen Gemeinde bei der Wiedergabe des Geschehens. Jesus von Nazareth war erfolgreicher: Einige der Johannesjünger liefen zu Jesus über, seine Anhängerschaft war größer, seine Botschaft freundlicher. So wurde Johannes der Täufer zum Vorläufer Jesu gemacht. Wenn Johannes sagt: „Er muß wach­sen, ich aber muß abnehmen!“ dann ist das die Rolle, die ihm die christliche Gemeinde zugewiesen hat. Johannes hat nur noch auf den Kommenden hingewiesen und dessen Wesen im Voraus abgebildet. Und darum wird er auf dem Isenheimer Altar dargestellt, wie er mit übergroßem Zeigefinger auf Jesus zeigt!

 

Versuchung Jesu: Mt 4,1-11:

In dieser Erzählung hat die Gemeinde beispielhaft gestaltet, welche Probleme Jesus hatte. Sie hat aber gleichzeitig die Versuchungen ihrer eigenen Zeit mit in diese Geschichte hineingebracht und eine Antwort darauf gesucht. Und sie hat sie damit auch die Frage für die Christen aller Zeiten aufgeworfen: Inwieweit sind das auch unsre eigenen Versuchungen?

Bei der ersten Versuchung, ist richtig erkannt, daß Jesus Macht hat über die Kräfte der Natur. Aber er darf sie niemals für seine persönlichen Zwecke mißbrauchen, weder um den eigenen Hunger zu stillen und auch nicht den der ganzen Welt.

In der zweiten Versuchung ist richtig erkannt, daß man in der Tat auf Gott vertrauen kann. Sicherlich wären die Massen begeistert gewesen, wenn Jesus von der Zinne des Tempels gesprungen wäre. Er hätte ein Schauspiel geboten und sie hätten vielleicht auch geglaubt, daß er der Messias ist.

In der dritten Versuchung schließlich geht es um den entscheidenden Punkt: Wird Jesus auch die Wünsche und Ideale seiner Zeit anbeten? Wird er zum Volksführer, wie die Leute ihn ha­ben wollen? Wird er ihnen nur angenehme und bequeme Dinge sagen? Dann wären sie ihm sicher gefolgt; aber dann hätte er seinen Auftrag, der Gott ihm gegeben hatte, verleugnen müssen.

Jesus ist so bibelfest, daß er den Angreifer mit seinen eigenen Waffen schlägt. Er versteht die Bibelworte nicht wörtlich, sondern ihrem Sinn nach. Man muß schon auf dieses Wort Gottes hören, wie es in der Bibel niedergelegt ist und in der Kirche verkündet wird. Das Hören auf die sogenannte innere Stimmen genügt nicht, weil da nicht zu entscheiden ist, ob Gott zu uns spricht oder der Versucher.

 

Berufung der Jünger: Mk 1,17

Die neuen Jünger sollen „Menschenfischer“ sein. Im Markusevangelium ist allein dieses Wort überliefert. Lukas hat es gewissermaßen illustriert durch den Fischfang. Bei Johannes schließlich wird das Ganze erst in die Zeit nach Ostern verlegt. Lassen wir ruhig die Frage offen, wo dieses Wort eher hingehört: zu der ersten Berufung der Jünger oder zu der zweiten Berufung nach Ostern. Deutlich ist doch in jedem Fall: Wer Menschen für Jesus gewinnen will, der ist immer auf i h n angewiesen, der kann es nicht aus sich selber tun, sondern nur mit diesem Herrn im Rücken.

 

Berufung des Levi (Mk 2,13-17) bzw. des Matthäus (Mt 9,9-13):

An sich könnte der Abschnitt mit dem ersten Satz in Vers 17 enden, wie man bei Matthäus sieht, kann er gut für sich allein stehen. Das mehr allgemeine Urteil Jesu über die Art seiner Sendung wird aber eine Formulierung der Gemeinde sein. Matthäus aber hat Jesu Antwort noch mehr erweitert durch das bei ihm beliebte Zitat aus Hosea (Mt 9,13). Die Evangelisten haben Jesu Worte also nicht nur überliefert, sondern selber Zusätze gemacht, die mehr als eine Anmerkung sind. Es mag sein, daß diese ganze Beschwerde der Schriftgelehrten gar nicht im Zusammengang der Berufung eines Jüngers vorgebracht wurde. Trotzdem werden hier die geschichtlichen Kräfte treu dargestellt und es wird von Jesus und seinen Gegnern ein treffendes Bild gegeben.

 

Ein Tag in Kapernaum: Mk 1, 32-39

In diesem Bibelabschnitt schildert uns Markus, wie nach seiner Meinung der Tageslauf Jesu in Kapernaum ausgesehen hat. Wir würden heute sagen: Es geht Jesus wie einem vielbeschäftigten Arzt. Die Leute können es gar nicht abwarten, bis die Feiertagsruhe wieder vorüber ist, schon bringen sie wieder die Kranken an. Jesus war höchst aktiv in seinem Wirken für die Menschen. Aber er fand auch Zeit, einmal ganz allein zu sein und mit Gott zu reden. Er löst sich aus allen irdisch-menschlichen Bindungen. Er läßt alle Aufgaben, die doch sicher auch wichtig sind, einfach einmal sein und hat Zeit für Gott.

 

Zehn Jungfrauen: Mt 25,1-13

Die dritte Generation nach Jesus wartete auch sehnlichst auf das Ende der Welt, wie es Jesus angekündigt .hatte. Aber es geschah nichts. Hatte sich Jesus getäuscht oder hatten sie sich getäuscht? Es entstand Unruhe in den Gemeinden. Viele wurden von dem ewigen Warten verzehrt; so wie das Öl in einer Lampe verzehrt wird, so nahm auch ihr Glaube an die Wiederkunft Christi ab. Bis dann eines Tages ein Prediger die Rede Jesu vom nahen Gottesreich neu auslegte. Er erzählte das Gleichnis von den Zehn Jungfrauen und machte damit deutlich: Gott hatte es anders vor, als wir es immer verstanden haben. Wir müssen noch mit einem gewissen Zeitraum rechnen. Aber das ist kein Grund, in der Wachsamkeit nachzulassen oder gar die Hoffnung (das klassische Beispiel für die legitime Anpassung der Botschaft Jesu an die veränderte Zeit).

 

Anklage gegen Jesus

Um eine Anklage gegen Jesus vorzubereiten, bedienen sich die Evangelisten unterschiedlicher Mittel: Mt 12, 10-14 stellt eine zunächst selbständige Heilungserzählung voran, obwohl es doch an sich sinnlos ist, etwas gegen eine Heilung zu sagen.  Lukas 11,54 stellt Wehrufe gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten voran. Und Joh 11,53 geht die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus voraus. Mit solchen schriftstellerischen Mitteln sollen größere Zu­sam­menhänge erhellt werden, auch wenn der Verfasser das nicht ausdrücklich ausspricht. Wenn man die ursprüngliche Form der Überlieferung feststellen will, darf man nicht bei den Einzelheiten stehen bleiben, sondern muß den Leitgedanken der Komposition bedenken. Man kann nicht fragen, welche der Fassungen den „historischen Verlauf“ wiedergibt, sondern die Evangelisten wollen Zusammenhänge aufdecken und predigen.

 

Die Absicht der Evangelisten

Die Evangelien haben das Wort Jesu mit der Grundüberzeugung der frühen Kirche (Kerygma) verbunden. Die christlichen Quellen wollen aber keinen historischen Bericht von Jesus von Nazareth geben, sondern zum Glauben an den erhöhten Herrn aufrufen. Dadurch ergibt sich die grundlegende Frage, was in der Darstellung auf den geschichtlichen Jesus zurückgeht und was vom Bekenntnis der Gemeinde geprägt ist.

Die Evangelien berichten nicht von einem historischen Jesus, sondern von einem vom Glauben überformten („kerygmatischen“) Christus. Beides ist heute vermischt. Die Menschen damals waren gar nicht fähig, das wieder zu trennen - auch gar nicht willens dazu. Aber heute ist es unsere Aufgabe, unter der Maske des Glaubens den historischen Jesus wieder zu erkennen.

Die Kirche darf dabei nicht von vornherein sagen, was in der Bibel steht, ist allein verbindlich. Sie kann nur sagen, daß Gott in der Bibel redet, aber den Inhalt kann man erst aus dem Text selber wissen. Die Aufgabe ist theologisch, die Methode ist geschichtlich (historisch). Theologische Fragen werden zunächst erst einmal geschichtlich (historisch) gelöst. Erst dann kann man auch fragen, wie der Glaube das sieht.

 

Am Beginn der Kirchengeschichte entsteht das Problem des Zusammenhangs (Kontinuität) zwischen dem Reden Jesu über Gott und dem Reden der Urgemeinde über Gott. Ernst Fuchs spricht in diesem Zusammenhang von der „Sprachlichkeit der Existenz“ und der „Sprachlehre des Glaubens“ und dem „Sprachphänomen“. Rudolf Bultmann hat das als „Sprachereignis“ bezeichnet, Gerhard Ebeling als „Wortgesche­hen“. Die Kirche ist nicht nur eine soziologische Erscheinung, sondern eine sprachliche Erscheinung - und das Neue Testament ist das Dokument dazu.

Damit war ein Wettstreit entwickelt zwischen der biblischen Hermeneutik und der Logik. Dies­e geht auf Alternativen aus, sie will mit Hilfe von These und Gegenthese gut und schlagkräftig formulieren. Der hörende Glaube drängt aber zum Tun. Das Wort macht den Glauben zum Werkzeug des Worts. Es handelt sich um eine Einheit von Wort und Glaube. Wo aber das Neue Testament diese Einheit preisgibt, ist auch Sachkritik am Neuen Testament zu üben, zum Beispiel durch die „Entmythologisierung“.

Diese ist zum Ausgangspunkt für die hermeneutischen Fragen geworden. Es geht aber auch um das Denken des Menschen, das aber vom Glauben gelenkt wird. Wir müssen das Neue Testament wissenschaftlich lesen. Wie will man auf diese Art und Weise aber die Rechtfertigungslehre verstehen?

Wir können die „mythologischen“ Texte schlecht von den existentiellen trennen. Das Herz und der Leib gehören mit dazu. Wenn Paulus an die Auferstehung glaubt, dann nicht weil er die Vorstellungen seiner Zeit übernommen hätte, sondern weil er es in seinem Herzen fühlt. Der Leib ist so etwas wie eine Bindung an einen Ort, wo sowohl die Ansprechbarkeit des Menschen wie auch die Gottes gegeben ist. Deshalb mußte Gott sich einen Ort suchen, an dem er ansprechbar ist. Er schafft sich seinen Leib in den Menschen, und vor allem in seinem Sohn Jesus Christus. In Christus werden wir neu ansprechbar und Gott wird als Schöpfer neu in uns ansprechbar.

Das Neue Testament ist zwar auch eine religionsgeschichtliche Quelle und wird deshalb auch von Religionsgeschichtlern und Nichtchristen erforscht. Aber für den Christen hat es eine eigene Aussage und ist Quelle und Grund des Glaubens. Aufgabe des Auslegers ist es nicht, zunächst nur das herauszustellen, was der Verfasser seiner Zeit sagen wollte, um dann daraus das herzuleiten, was für uns wichtig ist. Die Schriften des Neuen Testaments sind geschichtliche Urkunden u n d Träger der göttlichen Offenbarung. Theologische Auslegung aber ist die zu Ende geführte geschichtliche Auslegung.

Die Verfasser des Neuen Testaments sagen nicht alle dasselbe, sondern die Theologie hat schon im Urchristentum eine Geschichte. Die biblische Theologie betrachtet nicht einzelne Texte, sondern versucht eine Zusammenschau. Die Evangelien sind theologisch geformtes Ergebnis einer langen Entwicklung. Man kann aber nicht versuchen, die ältesten Quellen zu rekonstruieren und eine psychologisch einleuchtende Entwicklung darstellen (wie das die liberale Theologie gemacht hat).

Die „existentiale Interpretation“ will die Sprachlichkeit der menschlichen Existenz bearbeiten. Sie achtet besonders auf die Freiheit zum Wort, die ein Mensch haben oder verlieren kann. Er wird gefragt, wie er sich bewußt oder unbewußt versteht, wenn er an diesem Maßstab gemessen wird. Die existentiale Interpretation bedient sich der Freiheit zum Wort, die jeder Predigt vorausliegt. Sie wird ihren Beitrag insbesondere bei der Frage nach dem Verständnis seiner Worte leisten müssen.

Die Jesus vom Glauben beigelegten Würdetitel und selbst das Glaubensbekenntnis werden auch in Zukunft nicht ausreichen, um das geschichtliche Wesen des historischen Jesus zu verdeutlichen. Das rechte Bekenntnis zu ihm bleibt auch in Zukunft dem konkreten Glauben vorbehalten. Zwar hat sich schon der erste Glaube gewandelt in den Glauben an ihn. Aber auch der Glaube an ihn wird immer aufs Neue in den Ruf zum Glauben zurückverwandelt werden müssen. Man kann die Wahrheit nicht in ein Glaubensbekenntnis abschieben, statt den Glauben an ihre Macht zu wagen.

Die positive historische Bibelwissenschaft nimmt dem Prediger nicht das Zeugnis von Jesus ab, sondern sie versucht, den Text für den Prediger so durchsichtig zu machen, daß er die Bibel übersetzen kann in dem Sinne der verstehenden Wiederholung in die Sprache der Menschen von heute. Jede Auslegung unterliegt aber der Verlegenheit, daß sie den Text durch die Auslegung verfestigt, während der Text doch gerade durch die Auslegung an Leben gewinnen sollte.

 

Zuerst wurden die Erzählungen über Jesus in der frühen Gemeinde geformt. Ein vom Glauben freies Jesusbild hat es nie gegeben. Und wenn man nach Jesus fragt, trifft man immer zuerst auf die Urgemeinde und ihr Zeugnis, das immer wieder neu Glauben wecken soll. Bericht und Bekenntnis sind zu einer unlöslichen Einheit verbunden. Aber die Botschaft darin möchte wieder vergegenwärtigt werden.

Entscheidendes Motiv für die Formung und Erhaltung der Tradition war die Predigt. Aber die nachösterliche Verkündigung ist nichts anderes als die Bestätigung des vorösterlichen Jesus. Der Glaube hat seinen Anhalt an Jesus, denn er begann mit Jesus von Nazareth.

 

Die Einzelstoffe durchliefen dann noch eine Redaktion. Die Evangelisten sind keine Schrift­steller, die ihren schriftstellerischen Eigenarten einen Ausdruck verleihen wollen, sondern sie sind Vertreter („Exponenten“) ihrer Gemeinde. Indem sie sich den überlieferten Formen anschließen, sind ihre Stilmittel weithin unpersönlich. Andererseits ist die Abfassung eines Evangeliums von einem Plan bestimmt, der sich durch Auswahl, Kürzung und Erweiterung des Traditionsstoffes zeigt. Man sammelte und ordnete sie nach Sachgruppen, vermehrte sie aber auch und verkehrte auch Manches dabei.

Der „Erfinder“ der Literaturgattung „Evangelium“ war Markus. Er hatte noch keine fortlaufende Verknüpfung eines „Lebens Jesu“ vorliegen. Deshalb mußte er zunächst einmal rückwärts „komponieren“. Nachdem die Form des Evangeliums aber nun einmal da war, konnten die Nachfolger diesen Aufriß übernehmen und bis in ihre Gegenwart verlängern.

Das junge Christentum und besonders Markus haben sich für den historischen Jesus entschieden - damit aber auch für sein Leiden. Weil sie am historischen Jesus festhielten und ihn nicht zu einem gnostischen Geistwesen hochstilisierten, mußte sie auch sein Leiden annehmen. Die Jesus­traditon stand in der Gefahr, unter lauter Endzeiterwartung und Griechentum unterzugehen.

Durch die Evangelisten kommt die Jesustradition wieder hoch im geschriebenen Evangelium. Statt der Endzeiterwartung wird nun wieder Jesustradition in den Kern der Verkündigung eingebaut. Auch mit Hilfe des Schriftbeweises (Nachweis der Vorhersage schon im Alten Testament) wurde die Jesustradition in das griechisch bestimmte Evangelium eingebaut. Das Alte Testament setzte die Jesustradition in die griechisch denkende Gemeinde ein. Damit setzt sie aber auch das Evangelium vom AltenTestament ab und macht es zu einem neuen Evangelium.

Matthäus hat ein schriftgelehrtes und kirchliches Interesse, seine Gemeinde ist judenchristlich geprägt. Lukas hat ein geschichtliches Interesse. Er macht das Ausbleiben des Endes zum Thema, die Ansage des nahen Gottesreichs tritt zurück. Aber auch Lukas ist kein Geschichtswissenschaftler, sondern Evangelist und Theologe. Gerade an den Stellen, wo der Evangelist charakteristisch ändert, kann man seine eigene Theologie feststellen.

Die redaktionsgeschichtliche Forschung will die Texte auch von der Redaktion der Evangelisten her auslegen. Diese ist nicht unwichtig oder nur späterer Zusatz, sondern Teil der Predigt, aber abgehoben vom Ursinn des Wortes.

 

Vergleich der Parallelen: Kindersegnung ( Mk 3,31-35 mit Mt 12,46-52) und Lk 8,19 - 21):

Matthäus hat einen etwas abgewandelten Text. Er erwähnt gleich zu Beginn, daß Jesus die Hände auf die Kinder legen und sie segnen soll. Der Unwille Jesu wird auch bei ihm nicht besonders hervorgehoben. Bei ihm fehlt das gewichtige, mit „Amen“ eingeleitete Herrenwort. Er kennt es allerdings, denn er überliefert es in etwas erweiterter Form an anderer Stelle (Mt 18,3) bei der Erörterung der Rangordnung im Reich Gottes. Dadurch wird der Modellcharakter gedämpft und das Gleichnishafte und Polemische abgeschwächt. Dadurch stellt Matthäus eine Erzählung her, wie Jesus sich nicht hindern läßt, den Kindern das Reich Gottes zuzu­eignen. Es geht nicht mehr um die Rechtfertigung des Sünders vor Gott. Von ihm ist der Sprung zu einer Kindergeschichte, die von Geborgenheit und göttlicher Bestätigung spricht, nicht mehr weit.

Lukas behält trotz Kürzung des Markustextes dessen radikalere Grundform bei. Er erzählt den Vorgang der Segnung gar nicht, sondern schließt mit der an die Erwachsenen gerichteten allgemeinen Forderung. Das Herbeibringen der Kinder ist nur noch Anlaß zu Jesu Gerichtswort über den geistlichen Hochmut der Frommen. Lukas erwähnt nicht den Unwillen Jesu über das Verhalten der Kinder und verwendet für die Kinder einen Ausdruck, der das kleinere Kind meint.

Den Mittelpunkt der Perikope bildet wohl der in Mk 10,14 stehende Satz. Markus und Lukas haben ein weiteres Herrenwort angefügt, das auch Matthäus und Johannes bekannt war, von ihnen aber in anderem Zusammenhang eingefügt wunde. Es handelt sich im Ganzen weniger um die Wiedergabe einer Begebenheit, sondern um eine Lehraussage.

 

Änderungen der Abschreiber

Auch die Abschreiber wollten den ihnen vorliegenden Text noch „verbessern“. Ein Bespiel ist die Reaktion Jesu auf den Anblick des Kranken in der Geschichte von der Heilung des Aussätzigen (Mk 1,40-45). Nach der einen Lesart wurde er „von Erbarmen erfaßt“, in der anderer heißt es: „Er wurde von Zorn erfaßt“. Der Bibeltext ist hier in den verschiedenen Handschriften unterschiedlich überliefert. Ursprünglicher scheint der Zorn zu sein, denn eine solche Reaktion ist ungewöhnlicher und rätselhafter bei Jesus. Ein späterer Abschreiber hat da mildern wollen und nach dem Vorbild anderer Heilungsgeschichten vom Erbarmen Jesu geschrieben.

 

Entstehungsgeschichte der Evangelien nach Rudolf Bultmann

Die Sammlung des Überlieferungsstoffes begann in der palästinensischen Urgemeinde. Verteidigung des Glaubens und Auseinandersetzung mit Andersdenkenden führten zur Sammlung und Erzeugung apophthegmatischer Stücke (wo ein Bildwort von einer Szene umgeben ist). Aus dem Bedürfnis der Erbauung und aus der Lebendigkeit des Geistes Gottes in der Gemeinde ergab sich, daß man prophetische und endzeitliche Herrenworte überlieferte, sammelte und hervorbrachte. Weitere Sammlungen erwuchsen aus den Bedürfnissen der Ermahnung und der Gemeindedisziplin.

Aber dadurch wurde noch nicht ein Evangelium geschaffen, sondern es kam nur zur Überlieferung von Einzelstücken. Während aber in den rabbinischen Sammlungen verschiedene Lehrmeinungen zusammengestellt sind, hat die frühe Christenheit die Jesus-Überlieferung ganz isoliert und allein gelten lassen.

Der Typus des Evangeliums wurde von Markus geschaffen. Es ist eine Schöpfung der hellenistischen Gemeinde. Das judenchristliche Element war allerdings vor allem anfangs noch stark in ihr vertreten. Doch sie wollte Jesus nicht nur als Kultgottheit, sondern auch als Lehrer haben. Wenn man die Verbindung der Kultgottheit mit der geschichtlichen Person Jesu festhalten wollte, bedurfte man einer genaueren Überlieferung über die Geschichte Jesu. Je mehr der Reichtum der mündlichen Überlieferung versiegt, desto mehr brauchte man nun mehr vollständige und abschließende Sammlungen.

Zur Ergänzung und Veranschaulichung des Glaubensbekenntnisses mußte das Evangelium dienen. Der Christus, der verkündet wird, ist nicht der historische Jesus, sondern der Christus des Glaubens und des Kultus. Im Vordergrund stehen deshalb Tod und Auferstehung Jesu Christi, als die Heilstatsachen, die im Glauben bekannt und in Taufe und Herrenmahl für den Glaubenden wirksam werden. Das Christusbekenntnis ist also Kultuslegende und die Evangelien sind erweiterte Kultuslegenden. Der Schwerpunkt muß dabei auf den Schluß der Darstellung fallen, auf Leiden und Auferstehung.

Den Evangelien fehlt das historisch-biogra­ph­ische Interesse. Sie berichten deshalb nichts von Jesu menschlicher Persönlichkeit, seiner Erscheinung, seinem Charakter, seiner Herkunft, seiner Bildung und Entwicklung. Sie ähneln den Büchern der antiken „Kleinliteratur“, in denen Episoden einen volkstümliche Helden wie Äsop oder einen Wundertäter wie Apollonius von Tyana gesammelt sind.

Die Entstehung der Evangelien kann aber nur begriffen werden, weil es ein Glaubensbekenntnis gibt, das einen im Fleisch lebenden Menschen als den Herrn verkündet. Aber die literarische Form als solche hat kein Eigenleben gewonnen, sondern diese Werke stehen ganz im Dienste des christlichen Glaubens.

 

 

 

Markus

 

Das Markus-Evangelium ist das „Buch der geheimen Epiphanien“ (Erscheinungen). Werner Georg Kümmel umschreibt das so: „Schilderung des verborgen sein wollenden und nicht verborgen bleiben könnenden Menschensohns aus dem Glauben heraus, der im irdischen Jesus die verborgene Würde des Gottessohnes erkennt“. Das Evangelium beginnt mit dem Bericht über Johannes den Täufer und endet mit dem Ausblick auf die Wiederkunft Christi, rechnet aber schon mit einem längeren Zeitraum zwischen Gegenwart und Wiederkunft, in dem das Evangelium der ganzen Welt zu predigen ist.

Die Verbindung von Geschichten und Wort ist gar nicht so selbstverständlich. Markus nahm auch nur diejenigen Worte auf, die sich zu Geschichten umformen ließen. Seine Schrift enthält damit nicht nur die Belege, sondern wird selber zur christlichen Ver­kündigung. Aber der Fluß der Überlieferung erstarrte immer mehr zum schriftlichen Evangelium.

Markus hat keine Quelle benutzt, die schon ein durchgängig verknüpftes Leben Jesu dargestellt hat, die man schon als „Evangelium“ bezeichnen könnte. Bei ihm ist noch deutlich zu erkennen, daß die älteste Überlieferung aus Einzelstücken bestand. Der Evangelist hat sie dann mit Einleitung und Ausleitung versehen. Die Angaben, die für die Geschichte eine Voraussetzung sind, gehören aber zum Grundbestand. Wenn zwei Motive in der Einleitung stehen, dann wurden hier Überlieferung (Tradition) und Überarbeitung) (Redaktion) verbunden. In der Regel ist der geographische Schauplatz für eine Geschichte gleichgültig und hat kaum ursprünglich an ihr gehaftet, auch die Zeitangaben sind vom Bearbeiter. Die Verbindungen werden aber gelegentlich auch zu Schilderungen ausgeweitet (Mk 1,22 und 39).

Markus will das hellenistische Glaubensbekenntnis von Christus („Christusmythos“ Phil 2,6-11 und Röm 3,24) mit der Überlieferung über die Geschichte Jesu verbinden. Zwar steigert er das mythische Element oft ins Wunderhafte, doch im Gesamtaufriß tritt der Christusmythos hinter dem Bild des auf Erden wirkenden Jesus zurück. Markus folgt aber nicht dem Schema des Glaubensbekenntnisses, sondern läßt sich vom zeitlichen Aufriß leiten (Taufe, erstes Auftreten, Wirksamkeit, Jerusalem).

 

Arbeitsweise::

Markus hat ein geographisches Gliederungsprinzip, das Erinnerungen an die Wirksamkeit des geschichtlichen Jesus wiedergeben dürfte. Zwei Blöcke beschreiben zwei verschiedene Epochen des Auftretens Jesu:

  • Galiläa (Markus 1 - 9): „Jesu Wirken in Galiläa als verhüllte Aktion“. Dazu kommt Markus 10 als Bindeglied (Jesu Reise nach Jerusalem). Jesu Wirken spielt sich vor allem in Galiläa ab. Kapernaum und der See Genezareth bilden den Mittelpunkt, aber auch das Bethaus und der Berg sind Stätten seines Wirkens. Jesus ist lehrend und heilend gedacht. Die Volksmenge strömt zu Jesus. Jesus predigt und heilt, er tut Wunder, er ist vom Geheimnis umgeben, erst nach der Auferstehung kann er verstanden werden. Mit dem Bekenntnis des Petrus beginnt nicht die Zeit der offenen Bekanntmachung des Messias, sondern die Leidensgeschichte.
  • Jerusalem (Markus 11 - 15): „Jesus in Jerusalem und sein Leiden“. Dazu kommt Markus 16,1-8 als Abschlußkapitel: Hier enthüllt Jesus sein Wesen vor der Öffentlichkeit, indem er als Davidsohn in die Stadt einzieht. Aber das Zentrum der Religion enthüllt sich als Sitz der äußersten Feind­schaft.

Es fällt sofort auf, daß der zweite Teil gemessen am dargestellten Geschehen übergroß ist. Auf die Darstellung der Leidensgeschichte entfällt mehr als ein Drittel des Buches. Dies verleitete Martin Kähler dazu, Markus und die anderen Evangelien als „Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung“ zu charakterisieren. Diese einseitige Sicht übersieht aber, daß die Worte und Taten Jesu vor der Passion in allen Evangelien eine eigene Bedeutung haben und nicht einfach als Einleitung anzusehen sind.

Die unterschiedliche Bedeutung, die Galiläa und Jerusalem im Markusevangelium haben, könnte eine Wiederspiegelung sein auf das Verhältnis zwischen Christen und Juden, das Markus erlebt:

• Galiläa als Ort der überwiegend positiven Aufnahme und der Auferstehung steht für den Glauben der Heiden (Ausgangspunkt der Heidenmission).

• Jerusalem als Ort der endgültigen Offenbarung der Gottessohnschaft - aber auch der Ablehnung - steht für den Unglauben der Juden. Ein heidnischer Hauptmann ist, es, der unter dem Kreuz Jesus als den Gottessohn bekennt.

 

Der Evangelist gliedert aber auch formal (Gleichnisse, Streitgespräche) und sachlich (vor allem 8,27 - 10,54). Die Perikopen sind locker verknüpft, der Erzählstil ist volks­tümlich (vgl. 9,3). Markus hat die Redenquelle nicht benutzt, sondern benutzte eine eigene Überlieferung ungerahmter Worte Jesu (Sämann, Senfkorn).

 

Ein weiteres Kompositionsprinzip des Markus ist die sich schrittweise vollziehende Offenbarung Jesu als Sohn Gottes, In 1,1 wird sie für den Leser das Ziel der Offenbarung genannt:

• Mk 1,11 bei der Taufe wird die Gottessohnschaft Jesu deutlich, jedoch nicht für die 

  Öffentlichkeit.

• Mk 1,24 und 3,11 und 5,7 bezeichnen Dämonen Jesus als Sohn (des höchsten) Gottes

 oder als Heiligen Gottes (nur für den Leser?)

• Mk 8,29 bekennt Petrus Jesus als den Messias (Jüngerkreis)

• Mk 9,7 bei der Verklärung nennt die Stimme aus der Wolke Jesus den Gottessohn

 (Jüngerkreis)

• Mk 14,61 nennt sich Jesus im Verhör zum ersten und einzigen Mal selbst „Messias“

 und „Sohn Gottes“ (Hoher Rat)

• Mk 15,39 bekennt der römische Hauptmann unter dem Kreuz, daß Jesus wahrhaftig

 der Gottessohn gewesen ist (Öffentlichkeit!)

 

Markus hat zweifelsohne schriftliche Quellen neben mündlicher Tradition verarbeitet: Zum Beispiel lag das Gleichnis vom Sämann dem Markus bereits einschließlich der Deutung Vers 13-20 vor, die „Gleichnistheorie“ in Vers 10-12 ist aber deutlich als nachträgliche Erweiterung durch Markus zu erkennen. Eine umfassende Wiederherstellung der von Markus verendeten Vorlagen ist nicht möglich, über ihren Umfang kann man nur mutmaßen. Man wird sich mit der Beobachtung zufrieden geben müssen, daß einzelne Erzählungen des Markus bereits schriftlich vorlagen.

Die frühe Formgeschichte verstand Markus bloß als Sammler, Überlieferer und Bearbeiter ohne einen eigenen Plan. Jedoch zeigt sich, daß Markus seine vorgegebene Tradition sehr bewußt gestaltet. Er versteht es, erzählerische Kunstmittel einzusetzen, wie zum Beispiel die Verschachtelung mehrerer Erzählungen (in die Szene von Jesus und seiner Familie ist ein Streitgespräch und das Wort über die unvergebbare Sünde eingeschoben Mk 3,20-35). Er schafft Zusammenfassungen („Summare“). Markus war also Theologe, dessen Auffassung man durchaus vom Bekenntnis der Urgemeinde (Kerygma) abheben kann.

Nach der Urmarkus-Theorie gab es eine gemeinsame schriftliche Vorlage für Matthäus und Lukas. Damit könnte man die Gemeinsamkeiten von Matthäus und Lukas erklären, die sie gegen Markus haben. Aber man muß damit rechnen, daß die mündliche Überlieferung auch nach der schriftlichen Festlegung weiter lief. Man kannte sie auswendig und verwandte sie in der Predigt. Die Abweichungen erklären sich also aus der mündlichen Tradition und auch die Übereinstimmungen beruhen auf der gleichen mündlichen Tradition.

 

Sondergut:

   3,20-21                    Jesus und seine Familie (zu kraß für Matthäus und Lukas)

   4,26-29                    Gleichnis von der wachsenden Saat (Urmarkus?)

   7,31-37                    Heilung eines Taubstummen in der Dekapolis

   8,22-26                    Heilung eines Blinden in Bethsaida

   9,49-50                    Worte vom Salz

  12,22-34                   Das größte Gebot

  14,51-52                   Der fliehende Jüngling (Augenzeuge? Verfasser?)

(13,34-36)                  Gleichnis vom Türhüter

 

Verfasser und Abfassungszeit:

Nach der Notiz des Papias ist Verfasser ein Johannes Markus, der in der Apostelgeschichte erwähnt wird. Aber das ist unhistorisch. Der Verfasser ist auch kein Augenzeuge (dessen Name man schwerlich erfunden hätte). Er ist ein Heidenchrist ohne geographische Kenntnis. Er ist mit der Geographie Palästinas nicht vertraut, ebensowenig kennt er die örtlichen Gegebenheiten in und um Jerusalem. Jüdische Sitten sind ihm fremd.

Die Theologen des Paulus und des Petrus sind ohne Einfluß. Er kann kein Begleiter des Paulus gewesen sein. Aber auch eine besondere Beziehung zur Petrus-Tradition läßt sich für Markus nicht nachweisen.

Mit Sicherheit kann man nur sagen, daß der Verfasser des Markus ein sonst nicht näher bekannter ehemaliger Heide ist. Markus schrieb für Christen, die früher Heiden waren, mit scharfer Stoßrichtung gegen die Juden. Er schrieb für Leser in der westlichen Welt und hat das Evangelium vielleicht in Rom verfaßt.

Das Problem der Abfassungszeit ist verknüpft mit dem Urteil darüber, ob man in der endzeitlichen Rede Markus 13 die Zerstörung Jerusalems vorausgesetzt sieht oder diese erst für die nahe Zukunft erwartet wird. Die sinnvollste Angabe für die Abfassungszeit ist wohl „um das Jahr 70“. Wenn man die Zerstörung Jerusalems voraussetzt, dann war die Abfassung nach dem Jahr 70.

 

Theologie:

Markus ist das älteste Evangelium: Schon in Mk 1, 1 heißt es „Evangelium Jesu Christi“. Damit ist einmal die.Frohbot­schaft gemeint, aber auch das Evangelienbuch. Worte und Taten Jesu werden hier verbunden mit der Missionspredigt von Tod und Auferstehung Jesu. Es ist eine Missionspredigt in Gestalt eines historischen Berichts oder eine Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung (Kähler), es ist die Vereinigung des griechisch beeinflußten (hellenistischen) Glaubensbekenntnisses (Kerygmas) von Christus mit der Tradition über die Geschichte Jesu (Bultmann).

 

Das Messiasgeheimnis:

Einerseits ist das ganze Leben Jesu als eine Folge von Offenbarungen dargestellt: Taufe, Verklärung, Sturmstillung, Seewandel, Austreibung der Dämonen, geheime Jüngerbelehrungen. Aber in den Dämonenaustreibungen, in denen Dämonen Jesus als „Sohn Gottes“ anreden, befiehlt Jesus den Dämonen zu schweigen (1,25+34 und 3,12). Ebenso den Jüngern, die ihn als „Gottessohn“ erkennen (8,29 und 9,9). Auch den Menschen, die Jesus heilt, verbietet er gelegentlich von ihrer Heilung zu berichten. Doch obwohl Jesus verbietet, von den Heilungen zu berichten, verbreitet sich ihre Kunde unaufhaltsam.

Die Jünger verstehen Jesu Messianität, die sich in den Heilungen und Wundern äußert, zunächst nicht. Dazu gehören auch die Petrus­verleug­nung und die Erzählungen vom Rangstreit unter den Jüngern. Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß auch in der Gemeinde nicht immer alle den vollen Glauben besitzen, aber dennoch in der Gemeinde bleiben können. Als sie ihn als Messias erkannt haben, verstehen sie nicht die Notwendigkeit des Leidens (8,32). Dies hat aber weniger mit dem Thema „Messias­geheim­nis“ als mit dem Motiv des „Jünger­unver­ständ­­nisses“ zu tun. Zwar gibt es eine von der öffentlichen Wirksamkeit unterschiedene private Jünger­belehrung und der verhüllte Sinn der Gleichnisse wird nur den Jüngern offenbart. Doch die Jünger verstehen dennoch nicht. Vielleicht soll dadurch das Motiv des Jünger­unverständ­nisses verstärkt werden

 

Andererseits ist ein Schleier des Geheimnisses über die Offenbarungen gebreitet: Die Jünger dürfen das Gehörte nicht erzählen bis zur Auferstehung. Dafür kann es zwei Gründe geben: Antwort auf die Frage, weshalb Jesus nicht allgemein als Messias anerkannt wurde. Oder die Verschleierung der Tatsache, daß Jesu Messianität erst seit dem Glauben an die Auferstehung besteht (Meinung Bult­manns).

Nach der Theorie des Markus sahen die Jünger erst aufgrund der Ostererscheinungen, daß Jesus der Messias war, aber in seinem Leben hielt er das geheim. Doch das war nicht ein Kunstgriff des Evangelisten oder eine Verlegenheitstheologie, sondern es ging um das Verständnis der Offenbarung überhaupt.

Mit dem Begriff „Messiasgeheim­nis“ wird in der Forschung seit William Wrede die Offenbarung der Messianität Jesu bezeichnet: Markus habe durch diese Theorie das unmessianische Leben Jesu und seine geringe Wirkung erklären wollen. Seit William Wrede wird gesagt: Jesus habe nicht gelehrt, daß er der Messias sei. Die Jünger erinnerten sich nach Ostern daran, daß in seinem Leben von Messia­nität nichts zu sehen war.

Von der Erscheinung des Auferstandenen her glaubten sie aber an ihn als den Messias. Sie versuchten deshalb, geschichtliche Erinnerung und gegenwärtigen Glauben anzugleichen, und entwickelten die Theorie, Jesus habe sich zu seinen Lebzeiten als Messias gewußt, habe dies aber absichtlich geheimgehalten. Das Messiasgeheimnis spiegelt folglich eine gewisse Verlegenheit der Gemeinde des Markus und ist ein Ausgleich zwischen geschichtlicher Wirklichkeit und dem Glaubensgrundsatz.

Die Theorie vom Messiasgeheimnis ist aber auch auf Kritik gestoßen: Das „Messiasgeheimnis“ gehört nicht zur Tradition, sondern ist als ausgearbeiteter theologischer Entwurf eine Leistung des Markus. So hat Markus das Messiasgeheimnis auch dort eingefügt, wo es dem logischen Gang der Handlung gera­dezu widerspricht (Mk 5,43 und 7,36). Außerdem gab es wohl zu keiner Zeit eine unmessianische Jesustradition; vor allem die Wunderüberlieferung sieht in Jesus den „Gottesmann“. Das Messiasgeheimnis ist dem gegenüber eine sekundäre, bewußt theologisch gestaltete Theorie, die nicht entstand, als die Messianität Jesu behauptet wurde. Das Messiasgeheimnis ist demnach als kompositionelles Element der Redaktion des Markus und als grundlegend für die Theologie des Markus-Evangeliums anzusehen.           

 

Schlüssel für die Deutung des Messiasgeheimnisses auf theologischer Ebene sind die Leidensweissagungen (Mk 8,31-33 und 9,30-32 und 10,32-34): Nachdem die Jünger erkannt haben, daß Jesus der Gottessohn ist, wird das Leiden angekündigt und die Reise nach Jerusalem aufgenommen. Die Verbindung von Petrusbekenntnis und erste Leidensankündigung verknüpft die Themen „Messianität“ und „Leiden Jesu“. Die geographische Gliederung geht damit der christologischen Gliederung parallel: Galiläa ist der Ort der verborgenen Messianität (Erfolg Jesu), die Reise nach Jerusalem und der dortige Aufenthalt ist der Ort der offenbaren Messianität (Ablehnung).

Im heutigen Evangelium haben die Worte und Wunder Jesu das Übergewicht, die Passionsgeschichte erscheint fast wie ein Anhang. Da es aber auf sie entscheidend ankommt, verklammert Markus sie in Mk 3,6 mit der Tradition von den Worten und Taten Jesu. Diese werden außerdem noch abgewertet durch die Theorie vom Messiasgeheimnis: Erst am Schluß in Tod und Auferstehung zeigt sich das Wesen Jesu (9,9-10). Aber es gibt keine Erscheinungen des Auferstandenen.

Die Theorie vom Messiasgeheimnis (besonders 1,44 und 4,10-12) besagt, daß man nicht Worte und Taten Jesu ohne Tod und Auferstehung hat. Aber selbst nach Ostern bleibt der Erhöhte in gewisser Weise verhüllt, dennoch ist er zugleich der Irdische. Die Gottessohnschaft Jesu ist nicht abgesehen von seinem Kreuzestod zu erkennen. Erst wo auf diesen Kreuzestod vorausgeblickt wird, kann Jesus zu seiner Messianität stehen (Mk 8,29 und 9,7-8 und 14,24) bzw. kann sie öffentlich ausgesprochen werden (Mk 15,39).

Damit wird deutlich, daß Jesu Messianität nicht in einer machtvollen Rettungstat, sondern gerade in seinem Leiden besteht. Die Kreuzestheologie ist demnach aufs Engste mit der Gottessohn-Theologie verbunden. Diese Betonung der Kreuzestheologie kann als theologische Mitte des Markus bezeichnet werden. Von hier aus läßt sich dann auch klar erkennen, daß die von Markus eingefügten Leidensweissagungen redaktionell und damit später nachgetragene Voraussagen (vaticina ex eventu) sind.

Daß Jesus seinen Tod vorausgesehen hat, ist allerdings dennoch durchaus möglich. In ihrer jetzigen Stellung sind die Leidensweissagungen besonders mit Nachfolgeworten und Aus­einandersetzungen über Rangstreitigkeiten unter den Jüngern verbunden. Hier geht es also darum, Macht, Ansehen und Sicherheit wie Jesus aufzugeben und ihm in seiner Erniedrigung nachzufolgen.

 

Lehre von Christus und von der Kirche:

Der Sohn Gottes (1,11; 8,31; 9,9; 14,61; 15,39) erweist sich durch Wunder (Sieg über den Satan), hat aber menschliche Züge (9,19 und 23; 10,21; 15,34 Schrei). In Galiläa wirkte der historische Jesus, dort ist der Ort der zukünftigen Erscheinung. Markus ist in der Zeit der Um­orientierung der Urgemeinde von Jerusalem nach Galiläa, denn der jüdische Krieg ist im Gange. Die Apostel tun das Gleiche wie Jesus (3,15 und 6,12-13), erleiden aber auch das gleiche Geschick (8,34 -38 und 13,11-13), sie zeigen Unverständnis und Unglaube. Die Kirche ist bedroht, hat aber Hoffnung (Mk 13). Es gibt eine Heidenmission (7,24-30 und 13,10).

 

Geschichtsverständnis:

Geschichte ist die Wechselwirkung zweier Kräfte, nämlich der Kampf zwischen Geist und Satan seit der Taufe Jesu (1,12-13). Markus entmythologisiert dabei die kosmische Rede  (1,1-13) historisierend zu Dämonen­austrei­bun­gen (1,14 - 9,29) und zu Streitgesprächen (9,30 - 13 ,37). Durch die Rahmung wird der Kampf auch auf die Herrenworte übertragen (Gleichnis, apokalyptische Rede). So entsteht erfüllte Geschichte.

In der Passion täuscht Jesus den Satan durch seine Niedrigkeit (Gethsemane) und überwindet ihn so. Die .Auferstehung ist Rechtfertigung Jesu, die Wiederkunft ist der endgültige Erweis. Der Kampf geht aber weiter in Kirche und Mission. Das Heil liegt in der aktiven Teilnahme am Kampf.

 

Weitere typische Stellen zur Theologie:

1,14-15           Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes herbeigekommen

3,6                   Plan zur Tötung Jesu (Logien gehören zur Passion)

4,10-12           Euch ist es gegeben, das Geheimnis des Reiches zu wissen

8,27-30           „Wer sagt ihr, daß ich sei?“- „Du bist Christus!“

9,9                   Jesus verbot ihnen, daß sie niemand sagen sollten

14,61               „Bist du Christus?“ - „Ich bin es!“ (Menschensohn)

15,39               Hauptmann: „Dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“

 

Schon Markus stand vor der Aufgabe, den Glauben an Christus mit der Tradition über den historischen Jesus zu vereinigen. Er will die im kultischen Raum gültig gewordene liturgische Gestalt Jesu als auch die Tradition bestimmende Gestalt literarisch darstellen. Damit ist Markus ein frühkatholisches Evangelium, weil es alles in der Kirche Vorfindliche auf den historischen Jesus zurückführen will. Markus glaubt dabei, daß derjenige Jesus, an den wir glauben, der Urheber der ganzen Jesustradition ist. Doch schon vorher haben die Bedürfnisse des Kultes, des Glaubens und der Gemeindedisziplin eingewirkt (Ernst Fuchs).

 

Einzelne Abschnitte:

Johannes der Täufer, Mk 1,1-8:

Der Täufer eröffnet das Evangelium als Vorläufer, aber nicht ideengeschichtlich, denn das hätte Jesus an Johannes angeknüpft, sondern heilsgeschichtlich. Es besteht kein Zusammenhang mit den Essener bzw. der Sekte von Qumran: Der Taufakt ist einmalig und es wird keine Gruppe gesammelt. Das ausdrückliche Bekenntnis vor der Taufe durch Johannes ist vielleicht vom Erzähler nach christlichem Vorbild eingetragen worden. Die Reinigung des Johannes hatte keinen Sakramentscharakter. Es gab auch keine Beziehung zwischen dem Täufer und dem Getauften wie in den Mysterien­religionen. Es geschieht keine Selbsttaufe Jesu in Gegen­wart des Täufers, sondern er läßt sich taufen wie die anderen auch.

Die Ankündigung des kommenden Stärkeren könnte christliche Auslegung sein, Johannes könnte Gott gemeint haben oder erwartete tatsächlich den Messias. Der Vergleich der beiden Taufen ist christliches Gut: Es soll die zusätzliche Geistbegabung herausgestrichen werden. Die Spruchquelle spricht von der „Feuertaufe“ als symbolischer Umschreibung des Gerichts, das dürfte wahrscheinlicher sein.

Die Verse 15-18 sind auch aus christlicher Sicht geschrieben: Johannes ist nicht der Messias, er gibt es selber zu. Er steht nur am Ende der Propheten. Der Messias kommt nicht einmal hinter ihm. Die Gefangennahme des Johannes ist unorganisch eingesetzt, denn in der nächsten Szene tritt er wieder auf. Aber mit der nächsten Szene beginnt dann die Geschichte Jesu, in der der Täufer kaum noch eine Rolle spielt. Lukas hat den Tod des Johannes ausgelassen.

 

Taufe Jesu, Mk 1,9-13:

Die Taufe Jesu durch Johannes ist sicher wirklich so geschehen, aber sie wird hier legendenhaft geschildert: Eine Schauung (Vision) wird verbunden mit einem Hörereignis (Audition). Aber das „Sehen“ ist ein objektiver Vorgang, nicht ein inneres Erlebnis. In unser Weltbild kann man das nicht übersetzen. Der Blick ins Innere des Himmels wird nicht freigegeben. Für Christen ist nur wichtig, was hier über Jesus gesagt wird. Warum der Geist „in Gestalt einer Taube“ kam, ist nicht geklärt, vielleicht ist es ein Märchenmotiv. Bei Matthäus wird betont, daß der Geist auch blieb.

„Sohn“ war schon früh ein christlicher Titel. Hier ist der gemeint, der mit göttlicher Kraft begabt ist. Jesus aber hat sich selbst nicht so verstanden. Hier handelt es sich also um ein Bekenntnis der Gemeinde. Der Zeitpunkt der Einsetzung in die Sohnschaft wird im Neuen Testament unterschiedlich gesehen:

-  Auferstehung (Röm 1,4 b)

-  Verklärung (Mt 17 und Lk 9)

-  Taufe (Mk 1)

-  Geburt (Matthäus und Lukas)

-  Existenz von Anfang an (Johannes, Philipper).

Die Versuchung Jesu ist nur kurz erwähnt (Mk 1,13).

 

Thema der Botschaft, Mk 1,14-15:

Bei Matthäus und Johannes überschneidet sich die Predigt von Johannes und Jesus, bei Markus aber wird heilsgeschichtlich getrennt, denn Galiläa beherrscht den ganzen ersten Teil des Evangeliums und wird dem Leiden in Jerusalem gegenübergestellt. Es handelt sich um eine Formulierung der Gemeinde. Die von Gott bestimmte Zeit („kairos) ist abgelaufen, das Heil ist da, das Problem der Endzeiterwartung kommt hier schon in den Blick.

Unter dem „Reich Gottes“ („basileia“) verstand man in der liberalen Theologie eine innere Größe oder einen idealen Endzustand nach dem Ablauf der Geschichte. Die religionsgeschichtliche Schule hielt es für einen überweltlichen Zustand, der in die Welt einbricht. Nach Albert Schweitzer rechnete Jesus nur noch mit Wochen und verkündete deshalb seine Ethik für die Zwischenzeit („Interimsethik“), vom Reich Gottes blieb also nur noch die Ethik. Werner Georg Kümmel sah in der Spannung von Gegenwärtigkeit und Künftigkeit das Wesen der Endzeiterwartung Jesu.

Das Judentum zur Zeit Jesu meinte: Gott regiert schon jetzt, man kann sich für ihn entscheiden, aber wenn er kommt, ist die Frist vorbei. Aber mit dem Messias hat man das nicht verknüpft. Jesus nimmt diese Erwartung auf und verschärft sie durch das „nahe herbeigekommen“. Man kann nichts dafür tun, sondern nur dafür beten. Die Folgerung ist aber die Umkehr, denn das Kommen wird mit dem Gericht verbunden, das Heil wird geschenkt, aber nicht nachgeworfen. Dem Glaubenden wird es angeboten. In der Stellungnahme zu Jesus entscheidet sich alles für die künftige Gottesherrschaft. Es ist aber schon so nahe, daß man gar nicht mehr nach der Frist fragen kann, in der man sich doch einrichtet, ohne mit der Herrschaft zu rechnen. Jesus stellt klar: Nur jetzt ist die Chance.

 

Berufung der Jünger, Mk 1,16-20:

 Jesu erste Tat ist die Berufung der Jünger. Er ist sofort von diesem Kreis umgeben, aber das Zwölferschema ist spätere Redaktion. Zugleich wird die Vollmacht Jesu gezeigt. Die Zusam­men­fassung am Schluß dient der Deutung des Geschehenen. Markus erzählt die einzelnen Geschichten so, als seien sie alle an einem Tag geschehen („Ein Tag in Kapernaum“).

Matthäus schildert (Mt 4, 12-25), wie Jesus die Stadt Kapernaum zu seinem ständigen Wohnsitz macht. Der Rückbezug durch das Zitat aus dem Alten Testament deutet den widersprüchlichen Charakter der Botschaft an: Gerade die im Dunkeln sehen das Licht. Aber für Matthäus ist alles schon eingetroffen, er ersetzt das Futur durch das Imperfekt. Nach der Berufung der Jünger bringt er eine Zusammenfassung mit einer katechismusartigen Zusammenfassung der Lehre Jesu, hat also ein kirchliches Interesse. Matthäus gibt nur eine Zusammenfassung und macht dann mit der Bergpredigt weiter

Lukas (Lk 4,14-37) spricht von der Ausbreitung des Rufs und hat einen ausgeführten Bericht über die Botschaft (V. 16- 21). Aber er fügt auch gleich die Taten an (V. 31-37). Es kommt nicht allein auf die Lehre an, sondern auf das Auftreten Jesu als Beginn der Heilszeit („Heute ist dieses Wort erfüllt vor euren Ohren“, Vers 21). Eine Berufung der Jünger kommt erst nach der Lehre (Fischzug des Petrus, Lk 5, nach dem in Lk 4, 38-43 schon von der Schwiegermutter des Petrus die Rede war). Das Wunder wird noch betont durch die vorausgehende Erfolglosigkeit. Der Glaube des Petrus wird viel stärker betont. Das Sündenbekenntnis paßt nicht zur Wundergeschichte. Die Söhne des Zebedäus wurden erst nachträglich zugefügt. Das Wort von den Menschenfischern ist ein zusätzlicher Höhepunkt.

In der späteren Überlieferung werden die Jünger als ständige Begleitung Jesu vorausgesetzt, aber in vielen tritt Jesus (zunächst) allein auf. Ursprünglich sind gar nicht die Zwölf gemeint, sondern ein fließender Kreis von Anhängern. Aber Überlieferungsstücke, in denen einzelne Jünger mit Namen genannt sind, könnten aus der frühen Zeit stammen.

 

Die erste Teufelssaustreibung, Mk 1,21-28:

Hier wird die Macht des Wortes hervorgehoben durch das Erschrecken. Der Vergleich mit den Schriftgelehrten wurde aber von Markus hinzugefügt. Hier sind alle typischen Punkte einer Wundergeschichte enthalten: Problemdarstellung, der Dämon spürt den Stärkeren, Rückwirkung Jesu auf den Dämonen, Erfolg, Bestätigung durch Beweis, Wirkung auf die Zu­schauer (aber Christus als der Offenbarer Gottes wird nur im Glauben erkannt).

Die Zusammenfassung Mk 1,32-34 enthält keinen konkreten Stoff und vermittelt nur einen Gesamteindruck und will nur die einzelnen Geschichten auslegen. Typisch bei Markus ist die Geheimnistheorie, daß sich die „ganze Stadt“ versammelt und auch der Wortlaut. Es ist die Rede von „vielen Heilungen“, um zu sagen, daß die Krankheit als solche bekämpft wird. Es wird unterschieden zwischen Krankenheilungen (bei Lukas immer durch Handauflegung) und Geistervertreibungen.

 

Heilung des Gelähmten, Mk 2, 1-20:

Die Wundergeschichte wird durch ein Gespräch unterbrochen, weil damit die Gemeinde ihre Praxis der Sündenvergebung rechtfertigt. Jesus selber hat nur die Sündenvergebung durch Gott zugesprochen. In dieser Erzählung aber wird sie von Jesus gültig vollzogen, so wie das auch die Gemeinde gemacht hat.

 

Berufung des Levi, Mk 2,13-17:

In der ersten Szene wird ein Zöllner berufen, weil das Heil auch zu den Sündern kommt. In der zweiten Szene wird das verdeutlich, indem Jesus in das Haus des Zöllners geht. Bei Lukas hat Levi alles verlassen, dann aber lädt er wieder in sein Haus ein. Das zeigt, daß ursprünglich Jesus in sein Haus eingeladen hatte. Wenn die Jünger von den Pharisäern gefragt werden, dann steht dahinter die Frage der Gemeinde, die von ihrer jüdischen Umwelt gefragt wird und hier eine Antwort erhalten soll. Matthäus ersetzt den Namen Levi durch Matthäus, weil Levi sonst nie in den Jüngerlisten genannt wird, aber auch um dem Leser einen Hinweis darauf zu geben, unter welchem Namen das Evangelium bekannt gemacht werden soll.

 

Fastenfrage und Sabbatfrage, Mk 2,18-22 und 23-28:

Jesus hat nicht gefastet bzw. niemand darauf verpflichtet. Die Antwort Jesu ist nach Vers 19a: „Jetzt ist Freudenzeit, da wird nicht gefastet!“ Aber durch Vers 19b ändert sich der Sinn und das Bild paßt nicht mehr: „In der Zukunft wird wieder Trauerzeit sein!“ Die Zwischenzeit ist schon bewußt, aber sie wird noch nicht gefüllt durch den Gedanken an die Kirche. Sie gewinnt aber Kraft durch das Anschauen des Bildes vom Bräutigam. Es geht also um die Bewältigung des Lebens in der Welt nach Ostern. Trauer und Freude stehen hier noch eng beieinander, die Gemeinde fühlt die Anfechtung, findet aber Kraft.

Gefastet hat die Gemeinde allerdings nach Ostern. Doch die Betonung liegt auf dem ersten Teil des Doppelspruchs Mk 2,21-22: Man fastet nicht mehr in Fortführung der jüdischen Sitte, sondern weil Jesus gestorben ist. Bei den Bildern vom Kleid und vom Wein wird nur die Unvereinbarkeit von alt und neu ausgesagt, es wird nicht gefordert, sich zu entscheiden zwischen alt und neu. Letztlich aber geht es darum, ob man den Zusammenhang mit Israel aufrecht erhalten will über die Gruppe ehemaliger Juden in der Gemeinde.

Auch bei der Frage nach der Einhaltung des Feiertags (Sabbat) fragt Jesus, ob man auf diesem Weg völligen Gehorsam erreichen kann. Der Sabbat ist ja das nach außen sichtbare Symbol des Judentums. Jesus hat den Feiertag gehalten, aber die Einzelfalldiskussion abgelehnt. Gerechtfertigt wird das durch den Hunger und den Verweis auf das Alte Testament. Die Kirche aber hat den Sonntag gefeiert.

 

Berufung der zwölf Apostel, Mk 3,13-19:

Hier handelt es sich um eine leicht eingekleidete Apostelliste („Apostelkatalog“). Aber aus der Doppelung muß man nicht auf zwei Quellen schließen: Die Zwölf bleiben bei Jesus und sind Augenzeugen, während die anderen ausziehen und damit die spätere Mission der Gemeinde abbilden. Apostel und Missionare sind also zwei verschiedene Kreise (nur Petrus hat auch missioniert). Aber hier bei Markus werden beide Kreise schon verschmolzen. Der engere Kreis der Apostel ist nicht das Zeichen für das nahende Ende, denn dieses hat für Jesus die Bildung einer Organisation ausgeschlossen. Wer aber dazu gehört, das entscheidet sich an der Predigt. Dadurch kündigt Jesus die Gottesherrschaft an, nicht durch eine auf die Endzeit ausgerichtete Gruppe. Wahrscheinlich ist der Zwölferkreis erst bei den Ostererscheinungen entstanden, denn sie werden schon im frühen Glaubensbekenntnis erwähnt einschließlich des Verräters Judas.

 

Erste Leidensankündigung, Petrusbekenntnis, Mk 8,27-33:

Hier liegt ein Knotenpunkt bei Markus, jetzt geschieht eine Wandlung im Auftreten Jesu, denn jetzt erfolgt der Übergang nach Jerusalem. Cäsarea Philippi (nicht: Cäsarea am Meer) wird erwähnt, weil diese Erzählung in der dortigen christlichen Gemeinde überliefert wurde. Hier ist also kein Hinweis auf die Geschichtlichkeit der Erzählung zu finden. Es geht auch nicht um den Zug in die Einsamkeit und an die Grenze zum Heidenland, um sich dort zu entscheiden, ob er nicht vielleicht doch ins Ausland gehen soll. Es wird auch von keiner Krise berichtet (das ist nur bei Johannes so). Eine Belehrung im engeren Kreis hat es auch schon vorher gegeben.

Die Frage Jesu ist eine schriftstellerische Einkleidung der Einleitung, die die richtige Antwort hervorlocken soll. Hier handelt es sich um eine Katechismusfrage an die Gemeinde, die durch den Mund des Petrus mit der üblichen kirchlichen Bekenntnisformel antwortet. Gesagt werden soll hier aber: Weil Petrus damals so sprach, bekennt die heutige Gemeinde den gleichen Glauben.

Aber Petrus ist hier nur Stellvertreter aller Jünger. Erst nach Ostern wurde er der Wegbereiter des Glaubens an Jesus, nicht schon zu Lebzeiten Jesu. Klar wird: Ehe Jesus nach Judäa geht, muß seine Messianität klar sein. Aber die Öffentlichkeit soll es noch nicht erfahren, weil zur Messianität auch unabdingbar das Leiden dazugehört.

Aber ohne die Leidensankündigung könnte die Erzählung durchaus auf ein Ereignis im Leben Jesu zurückgehen. Es geht hier um lehrhafte Überlegungen in erzählerischer Einkleidung. Zielpunkt ist die Antwort des Petrus, die der heutige Leser nachvollziehen soll. Es geht um das jetzige Bekenntnis, nicht ein zukünftiges. Das Leiden ist kein Einwand gegen die Messianität, sondern gerade ihr Beweis, denn nach Psalm 22 und Jesaja 53 gehört das Leiden mit dazu: Weil Jesus gelitten hat, ist er der Messias. Gedeutet wird das dann noch durch die Formel „gestorben für uns“. Die Leidensweissagungen sind erst aus dem späteren tatsächlichen Geschehen in das Leben Jesu zurückübertragen worden. Sie sind nicht für das Selbstbewußtsein Jesu auszuwerten („Jesus mußte sich klar darüber gewesen sein, daß sein Handeln zum Verderben führt“).

Bei Matthäus sind die Verse Mt 16,17-19 das umstrittendste Wort in seinem Evangelium, denn hiermit der Vorrang des Petrus und seiner angeblichen Nachfolger in Rom begründet. Selbst ein echtes Jesuswort könnte aber den Vorrang des Papstes nicht rechtfertigen. Petrus wird auch nicht zum Türhüter eingesetzt, sondern ihm wird Vollmacht übergeben, über den Eintritt in das endzeitliche Reich zu entscheiden.

Hier wird die Kirche als Organisation vorausgesetzt. Sie ist eine Organisation, die bindet und löst, aber noch in der alten Welt. Aber die Gründung der Kirche ist nicht zurückzuführen auf eine Anordnung des irdischen Jesus, auch nicht nach der Auferstehung. Jesus hat für keine Zeit nach seinem Tod gesorgt. Das Wort wurde wohl von einer Gruppe gebildet, die Jesus verehrte, aus der ersten Generation nach Petrus. Wir heute müssen fragen, ob das Werk Jesu durch die Kirche richtig fortgeführt wurde. Die Offenbarung muß ja aktualisiert werden in der Predigt, deren Ort die Kirche ist.

Der Abschnitt Mk 8,27 - 10,52 (beginnend mit dem Petrusbekenntnis) nimmt eine besondere Stellung ein, hier hat das Glaubensbekenntnis den stärksten Einfluß auf die Darstellung genommen.

 

Leidensnachfolge, Mk 8,34-9,1:

Markus hat das Gottesreich (besser: Gottesherrschaft) als sichtbares Reich noch in seiner Zeit erwartet. Manche Ausleger nehmen an, Jesus habe die Gottesherrschaft doch nicht so nahe erwartet, und ein unerfülltes Wort wie Mk 9,1 habe man nicht erfinden können. Andere dagegen haben eingewandt, das Wort sei in einer Zeit entstanden, als sich die Wiederkunft verzögerte, aber noch als nahe erwartet wurde; deshalb sei es hier eingefügt worden. Matthäus ersetzt da „Reich Gottes“ durch das Kommen des Menschensohns (Mt 16,28) und spricht vom „Reich des Menschensohns“, ein Begriff, den er dem „Reich Gottes“ nachgebildet hat.

 

Verklärung, Mk 9,2-10:

Der Abschnitt scheint eine Einsprengung in den früheren Zusammenhang zu sein. Einzigartig sind die sechs Tage, die wohl aus 2. Mose 24,15 übernommen wurden, wo Mose sechs Tage von einer Wolke verdeckt wird. Die Geschichte soll dem Leser vermitteln: Das Leiden ist nur eine Durchgangsstation. Aber sie wetteifert auch mit der Tauferzählung, denn sie erzählt an sich die erstmalige Einsetzung in die Gottesherrschaft. Der ursprüngliche Sinn ist aber die Erscheinung in göttlicher Gestalt („Epiphanie“). Das zeigt die Häufung von „Epiphanie­motiven“ wie Verwandlung, Wolke, Berg, Kleid, Himmels­stimme, Engelwesen.

Aber hinter der Erscheinung bleibt immer noch ein Geheimnis. Es ist aber keine ursprüngliche Ostergeschichte, denn Jesus geht selbst mit zum Erscheinungsort, die Himmelstimme paßt nicht, der Erhöhte bestätigt sich selbst, an Ostern treten Engel nur auf, wenn Jesus nicht da ist.

Zunächst leuchtet nur das Kleid, später hat man dann das Leuchten des Gesichts hinzugefügt. Elia ist der Wegbereiter, er wird Israel in die richtige Verfassung bringen, um Gott zu empfangen. Mose ist die Vorabbildung des Messias: Gott wird eine Messias schicken wie Mose. Neu ist die Vorstellung, daß beide zusammenauftreten. Die Wolke ist auch ein Zeichen der Gotteserscheinung und später Teil der Himmelfahrtserzählung. Die Stimme verkündet die rechtmäßige Einsetzung in die Gottessohnschaft, ist hier aber auch Ausrufung für die Zuhörer.

Der Titel „Gottessohn“ ist im Judentum nicht gebräuchlich wegen der Abgrenzung gegen die heidnischen Göttersöhne. Aber schon früh nahm die christliche Gemeinde den Titel in Anknüpfung an Psalm 2 auf und betonte dabei sein Dasein von Anfang an und seine Einsetzung zum Sohn auf dem Wege der Adoption.

Lukas eröffnet hier seinen Reisebericht, für den das Leiden noch nicht nahe ist, aber doch schon im Hintergrund steht. Das Gebet Jesu erinnert bei Lukas an die Tauferzählung und die Ölbergszene. Die Leidensweissagung wird noch einmal bestätigt, weil Lukas nicht aufgepaßt hat und die Leidensweissagung bei ihm hinter die Verklärung gehörte. Er hat alles in zwei Szene zerlegt: Bei der ersten schlafen die Jünger und es wird nur berichtet, was mit Jesus geschah. Man darf nicht fragen, woher die Jünger das Gespräch mit Jesus kannten, wo sie doch schliefen. Als Mose und Elia verschwunden sind, kommt viel zu spät der Vorschlag des Petrus, doch Hütten zu bauen.

Das Gespräch beim Abstieg (Mk 9,9-13) schloß ursprünglich nicht an die Verklärung an, denn Vers 11 schließt an Vers 1 an. Jetzt wird ein Problem der Gemeinde behandelt: Wie ist die Stellung des Elia? Antwort: Er war schon als der Vorläufer da im Täufer, also muß Jesus dann der Messias sein.

 

Zweite Leidensankündigung, Mk 9,30-32:

Diese Leidensankündigung ist nur eine Variante der ersten Leidensankündigung und faßt die Leidenserzählung zusammen. Markus hat hier den verborgenen Zug durch Galiläa eingebracht, den Matthäus und Lukas wieder beseitigen.

 

Rangstreit, Mk 9,33-41:

Eine ideale Szene wird gestaltet. Plötzlich tauchen Kinder auf. Es handelt sich um eine Art Katechismus wie die Bergpredigt. Es geht nicht um den Streit, wer jetzt größer ist, sondern um die künftige Gottesherrschaft. Jesus leugnet nicht die Unterschiede, aber er löst diese Frage von den guten Werken, damit keine Berechnung möglich ist.

Eingeschoben ist die Geschichte von dem Teufelsaustreiber. Die Spitze liegt im Vers 40, der aber erst nachträglich ergänzt wurde, um Vers 39b zu unterstreichen (Mt 12,30 ist gegenteilig formuliert). Doch hier darf man nicht die moderne Toleranzidee eintragen. Es geht vielmehr um die Gemeinde, die sich nicht aus der Welt zurückzieht, sondern ihr sagt. Ihr könnt nicht neutral sein, denn wenn ihr es versucht, seid ihr für uns!

 

Segnung der Kinder, Mk 10,13-16:

Wir können nicht einfach voraussetzen, diese Geschichte habe sich so abgespielt, wie sie Markus erzählt. Die Erzählung ist aber nicht ganz und gar als Gemeindebildung anzusehen. Sie enthält keine der erst nach Ostern aufgekommenen Hoheitstitel für Jesus und wird weder von späteren kirchlichen Bedürfnissen noch von dem Problem der sich verzögernden Wiederkunft Jesu (Parusieverzögerung), beherrscht. Zwar enthält die heutige Gestalt der Erzählung Anzeichen späterer Bearbeitung, aber die Darstellung steht und fällt nicht mit ihnen. Wir können also einen Grundbestand voraussetzen, der aus der Zeit des irdischen Jesus stammt, genauer gesagt: die Erzählung enthält einen Grundbestand, der auf einen vorösterlichen Augenzeugen Jesu zurückgeht.

Daß es sich bei Vers 13a um einen sekundären Zug handelt, wird noch durch einen Blick auf den Unwillen Jesu und das „Wehret ihnen nicht“ verstärkt, die ja auf Gedeih und Verderb mit 13a zusammenhängen. Klostermann macht auf das Fehlen des „und“ vor dem „wehret ihnen nicht“ in den Handschriften( mit Ausnahme der Handschrift des Kodex Sinaiticus und des ohnehin nicht übermäßig vertrauenswürdigen westlichen Textes) aufmerksam. Dieses Fehlen ist aber ein sprachlicher Bruch, also ein Hinweis auf eine Überarbeitung.

Der so anschaulich wirkende Vers 13b wird uns auch sogleich fraglich erscheinen - was seine Zugehörigkeit zur ältesten Fassung betrifft. Das gilt dann natürlich auch für die Wendungen: „…wurde er unwillig“ sowie: „…und wehret ihnen nicht" in Vers 14, denn sie beziehen sich ja auf Vers 13b. Der Höhepunkt liegt allein in dem Wort Jesu. Vers 14 ist aber nur die symbolische Darstellung der Aufforderung an die Gemeinde: „Kommt in die Gottesherrschaft!“ Zunächst wird nur gesagt: „Die Gottesherrschaft ist für die Kinder da, denn die Herrschaft ist Geschenk und wird denen gegeben, die nichts getan haben!“ Der Vers 15 ist ein selbständiges Wort, das von Erwachsenen handelt und die Bedingung für die Aufnahme der Erwachsenen bezeichnet. Zu dem, was der Augenzeuge berichtet hat, wird Vers 15 nicht gehört haben. Dieser Vers bringt einen andern Gedanken in die Erzählung.

So wenig wir freilich völlige Sicherheit gewinnen können, ist es doch nötig, festzuhalten, wie die älteste Fassung ausgesehen haben könnte, etwa so: „Sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie berühre. Als Jesus sie sah, sprach er: ‚Laßt die Kinder zu mir kommen, denn ihnen gehört die Herrschaft Gottes!‘ Dann drückte er sie an sich und segnete sie unter Auflegen der Hände!“

Daß Vers 15 nicht zum ursprünglichen Bestand der Perikope gehört, ist heutzutage eine fast allgemeine Überzeugung der Ausleger. Dieser Vers führt nämlich einen neuen Zielpunkt (Skopus) ein: es geht nicht mehr um die Kinder, sondern um die Erwachsenen. Sie können nicht in die Herrschaft Gottes eintreten, wenn sie meinen, sie hätten dafür etwas aufzuweisen. Was für die Kinder - eben weil sie Kinder sind - selbstverständlich ist, wird für die Erwachsenen zum Vorbild. Der Vers gehört also inhaltlich in den großen Bereich der Geschichten, die Jesus als Sünderheiland zeigen und zu den Gleichnissen vom Verlorenen. Er ist eine Aufforderung, umzukehren zum Stande eines Kindes.

Man würde allerdings das Konto dieses Verses gefährlich überziehen, wenn durch ihn den immer wieder um sich greifenden Irrationalismus bestätigt sähe. Paulus hat 1. Kor. 14,20 hierfür einen Maßstab gesetzt, der stets beachtet werden sollte. Der Spruch Markus 10,15 kann übrigens sehr wohl aus dem Munde des Irdischen stammen, hat aber eine andere Überlieferungsgeschichte. Darauf weist schon die Tatsache, daß Matthäus ihn nicht hier zitiert, sondern 18,3. Dort steht er im Zusammenhang mit der Mahnung, die Geringen (in der Gemeinde) nicht zu verachten, hat also einen betont kirchlichen (ekklesiologischen) Sinn bekommen. Bultmann hält den Vers zwar auch für sekundär im Zusammenhang von Markus 10,13-16, setzt aber voraus, daß Matthäus ihn aus Markus 10,15 an seinen Platz Matthäus 18,3 versetzt habe. Dagegen spricht aber die erheblich abweichende sprachliche Gestalt von Matthäus 18.3. Es ist also wahrscheinlicher, daß Matthäus ihn in dieser Gestalt in einer andern Sammlung gefunden hat. Da er ihn schon 18,3 verwandt hatte, hat er den Spruch, als er ihn in Markus 10,15 noch einmal fand, in seiner Bearbeitung von Markus 10,13-16 nicht noch einmal verwandt.

Wir befinden uns hier bereits im Stadium der (nachösterlichen) Gemeindeüberlieferung. Wir müssen nämlich bedenken, daß die Geschichten, die man von Jesus kannte oder bildete, (d.h. erfand)nicht aus Lust am Fabulieren in den Gemeinden weitererzählt wurden, sondern weil sie für die überliefernden Gemeinden zu irgendeinem praktischen Zweck des Gemeindelebens wichtig waren. Diese Aufgabe, die sie im Gemeindeleben zu erfüllen hatten, nennt man „Sitz im Leben“.

Unsere Geschichte dürfte der Beantwortung der Frage gedient haben, ob auch Kinder in das Gottesreich gelangen. Gegenüber einem Rückfall in Gesetzlichkeit der Pharisäer konnte sich mit dieser Erzählung auf Jesus berufen. In dieser nachösterlichen Situation hat der oben erörterte Widerspruch der Jünger einen einfachen Sinn: die Jünger verkörpern - wie auch anderswo - die Gemeinde, die von Jesus zurechtgewiesen wird.

Markus widerspricht in Kapitel 13 der Ansicht, daß das Endheil, die Gottesherrschaft unmittelbar bevorstehe, da der Fall der heiligen Stadt der letzte Akt vor dem Ende sei. Demgegenüber erklärt Markus, zunächst müsse noch der ganze Weltkreis (Ökumene) evangelisiert werden (13,10), auch sei außer irdisch-politischen Veränderungen noch die kosmische Katastrophe zu erwarten (13,25). Er wehrt also einer überstürzten Naherwartung, verschiebt aber das Endheil nicht in eine ferne Zukunft. Vielmehr werden nach seiner Meinung noch Zeitgenossen des irdischen Jesus das Endheil erleben (9,1; 13,30). In 13,30 ist die Rede von „dieser Generation“. Das sind Jesu Zeitgenossen, die ihm widersprechen oder ihn nicht verstehen, einschließlich seiner Jünger (8,12; 9,19; 8,38).

Dabei handelt es sich um Erwachsene. Sie stehen unter der Drohung Jesu. In 13,30 ist von „dieser Generation“, aber nicht von der Gottesherrschaft die Rede. Das heißt: Einige der zur Zeit des Irdischen lebende Erwachsene werden auch das Ende noch erleben, ob zu ihrem Heil oder Unheil, wird nicht gesagt. Dagegen redet der Evangelist 9,1 vom Sehen der Gottesherrschaft durch Zeitgenossen, gebraucht aber nicht den Ausdruck „diese Generation“. Da sind also solche gemeint, die ihn weder mißverstanden noch abgelehnt haben.

 

Der reiche Jüngling: Mk 10, 17-31:

Die Verse 17-25 sind an sich ein in sich abgeschlossenes Beispiel. Vielleicht endeten sie auch schon mit Vers 22, dann in dem vorangehenden Abschnitt lassen sich keine Zusätze herauslösen. Jesus lehnt die Bezeichnung „gut“ (Vers 18) ab, denn man darf Gottesbezeichnungen nicht auf Menschen übertragen.

Der Vers 21 zeigt, daß Jesus die alte Ethik verschärft. Jesus macht keine Zusätze zur jüdischen Lehre, sondern er fordert qualitativ mehr. Er will kein Armutsideal wie Franz von Assisi. Aber im Augenblick kann es geboten sein, alles wegzugeben. Es geht immer nur um den einen, der jetzt in die Nachfolge berufen wird, von uns kann Jesus anderes fordern.

Warum erschrecken die Jünger, sie sind doch ohne Reichtum? Es geht hier um die Kirche und die Gefahr, in der sie steht. Ziel ist die Frage in Vers 26. Aber das mit dem Kamel und dem Nadelöhr ist ein ernstgemeintes, wenn auch übersteigertes Bildwort, man kann nicht „vernünftige“ Auslegungen dafür suchen wollen. Der Besitz ist nicht böse, sondern verführerisch. Die Gemeinde hat also Besitz, aber der Christ soll sich selber in seinem Verhältnis zum Besitz durchschauen.

 

Dritte Leidensankündigung: Mk 10, 32-34:

Hier war nicht ein Wendepunkt im Leben Jesu, an dem er nach der Enttäuschung in Galiläa es nun in Jerusalem versuchen wollte. Diese Krise gibt es nur im Johannesevangelium. Mit diesem Erzählstück werden Einzelgeschichten zusammengefaßt und im Blick auf den Glauben an Jesus ausgelegt: Der Menschensohn mußte viel leiden! Das ist der Schlüssel zur Leidensgeschichte, damit aber auch eine Auslegung und Einfügung der Gemeinde.

 

Die Söhne des Zebedäus, Mk 10,35-45:

Jakobus wurde im Jahr 44 enthauptet, aber Johannes starb im hohen Alter in Ephesus. Man kann nicht sagen, ob diese Tatsachen erst nachträglich in das Evangelium zurückverlegt wurden oder ob hier eine Weissagung vorliegt, die sich vielleicht getäuscht hat. Die Ansicht der Gemeinde von Christus sieht ihn untergeordnet, denn Jesu weiß nicht um den Zeitpunkt der Wiederkunft und es wird auch ein Unterschied gemacht zwischen Jesus und dem Erhöhten.

Von der Sühnekraft des Todes Jesu wird nur im Abendmahlsbericht und hier gesprochen. Paulus hat diese Anschauung der Gemeinde nur übernommen (er sieht aber nicht so sehr die Sühne für ergangene Sünden, sondern sieht in die Zukunft und erwartet die Rechtfertigung von der Macht der Sünde).

 

Endzeitschilderung, Mk 13:

Die Endzeitschilderung („Apokalypse“) in Markus 13 ist vom Evangelisten selber zusammen­gestellt worden. Dazu verwendete er in den Versen 7-8. und 12 und 14-22 und 26-27 andere jüdische oder christliche Endzeitentwürfe (Apokalypsen) und dazu weitere Stoffe aus der syn­optischen Tradition im engeren Sinne.

Markus zieht ganz bewußt Jesus in die Endzeiterwartung ein (die Christologie zieht er in die Eschatologie). Zunächst wird die Zwischenzeit negativ bestimmt durch die Abwesenheit des Bräutigams und der Erhöhte wird noch als der Kommende gesehen. Markus sieht nicht nur auf die sich dehnende Zeit, sondern verbindet die Aussagen über Jesus mit Aussagen über die Vergangenheit und Zukunft. Doch man merkt schon etwas von der Verzögerung der Wiederkunft. Es fehlt aber ein Hinweis auf das Leiden, denn die Rede von den letzten Dingen schließt das Wirken Jesu ab und leitet zum Leiden über.

Markus gliedert die Ereignisse auf in eine letzte Epoche der Weltgeschichte, in der aber die Drangsal im Rahmen der Geschichte bleibt, und eine abschließende weltweite Katastrophe, in der menschliches Handeln auch für Gläubigen zu Ende ist, sie werden nur noch als Erwählte gesammelt. So werden die zeitgeschichtlichen spekulierenden Annahmen abgewehrt und die Grenze des möglichen Wissens von den letzten Dingen abgesteckt. Aber es wird auch eine positive Belehrung gegeben, die zur Klärung der Situation der Kirche in der Welt verhilft.

Es gibt keinen gleitenden Übergang in die Zukunft. Aber der geschichtliche Jesus war ja schon da und sichert so den Zusammenhalt zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das Ende aber kommt plötzlich, so daß man sich dann nicht mehr einstellen kann. Jetzt muß nur noch die richtige Haltung für die Zwischenzeit eingeübt werden.

Aber die Naherwartung kann Markus nur festhalten mit Hilfe der Feststellung, daß der Zeitpunkt unbekannt sei. Kriege sind zwar ein Zeichen, aber noch nicht das Ende. Vers 10 ist ein Einschub des Markus: Ehe das Ende kommt, muß erst die Welt­mission vollendet werden. Die Kirche verbindet jetzt Vergangenheit und Zukunft, das Problem der Verzögerung der Wiederkunft ist damit gelöst. Vers 11 ist wegen des Stichworts „Geist“ nur eine Bildung der Gemeinde.

Markus führt eine zeitliche Gliederung ein. Der „Greuel der Verwüstung“ stammt aus Daniel 11,31, aber hier könnte angespielt sein auf Kaiser Caligula, der seine Statue im Tempel aufstellen lassen wollte. Eher geht es aber um die Gestalt des Antichrist. Der Tempel wird entweiht, aber nicht zerstört, erst nach dem Jahr 70 verstand man das so. Die Verse 21-23 sind christliche Auslegung: Erst geht es wieder um den Antichrist, dann aber mehr um geschichtliche Gestalten wie Irrlehrer. Aber der wahre Messias kommt vom Himmel, und wenn er kommt, wir die Scheidung schon erfüllt sein.

Erst in den Versen 24-27 wird das Weltende behandelt. Jetzt kommt es zum Einbruch des Chaos in die Welt. Aber dieses ist Zeichen der Wiederkunft des Menschensohns. Im Alten Testament gibt es für diese Vorstellung von der Wiederkunft nur eine schmale Überlieferung. Aber im Christentum wurde sie umgewandelt auf die Wiederkunft des schon Dagewesenen. Letzter Akt ist die Sammlung der Erwählten, es kommt zum Akt der Scheidung und die Erwählten werden erhöht.

 

Markusschluß, Mk 16:

Das ursprüngliche Markusevangelium schloß mit „…denn sie fürchteten sich sehr“. Vielleicht brach Markus hier absichtlich ab, weil nun Geheimnisse folgten, die nur die Gemeinde etwas angingen. Das Werk des Markus ist mit dem Mk 16,8 a an sich abgeschlossen, denn er erwar­tete das nahe Ende. Aber wenige Jahre später war die Naherwartung schon überholt.

Doch Markus weist aus der Gegenwart über den ursprünglichen Abschluß hinaus, denn der Blick wird auf Galiläa ausgerichtet. So ergab sich für die späteren Abschreiber die Notwendigkeit, einen Schluß anzufügen. Mit einem solchen Schluß bekommt aber das ganze Evangelium einen anderen Charakter: Es wird Matthäus und Lukas angeglichen. Aber die späteren Evangelien wollten das Markusevangelium nicht bekämpfen, sie wollten es nur „besser“ machen, gemessen an den Bedürfnissen einer späteren Zeit.

Der unechte Markusschluß könnte von einem Galiläer sein, denn er spricht ja von einer Wiederkunft in Galiläa. Aber dann müßte auch Mk 16,7 von diesem stammen, der ein Überbleibsel einer Erzählung über eine Erscheinung in Galiläa ist. Wie wäre dieser Vers in den Text Mk 16,1-8 gekommen? In dem weggebrochenen Markusschluß müßte den Jüngern der Geist Gottes gegeben worden sein.

 

Dazu noch ein Witz: Der Pfarrer beginnt seine Predigt mit den Worten: „Ich hatte euch doch die Hausaufgabe gegeben, das 17. Kapitel des Markusevangeliums zu lesen. Wer hat das gemacht?“ Sofort gehen alle Hände nach oben. Da fährt der Pfarrer fort: „Da sieht man, wie nötig die heutige Predigt über die Lüge ist, denn das Markusevangelium hat nur 16 Kapitel!“

 

Der Auferstehungs- und Himmelfahrtsbericht am Ende des Markusevangeliums war nicht ursprünglich ein Bestandteil des Evangeliums. Er ist eine stark von Lukas abhängige geschlossene Komposition und muß schon im zweiten Jahrhundert entstanden sein. Einige Handschriften haben andere Schlüsse.

Man hatte offenbar schon früh das Empfinden, das Markusevangelium könne doch nicht mit Mk 16,8 enden, zumal in 14,28 und 16,7 die Schau des Auferstandenen in Galiläa vorausgesetzt wird. Freilich hat noch niemand einleuchtend machen können, wie ein ursprünglich vorhandener Schluß verlorenging.

Deshalb neigt man heute eher der Meinung zu, daß Mk 16,8 der ursprüngliche Schluß sei, denn der Hinweis auf die Furcht der Frauen ist als Betonung der Engelbotschaft Mk 16,6 ein durchaus sachgemäßer Abschluß.

 

 

 

 

Matthäus

 

Das Matthäus-Evangelium steigert den Gedanken des Markus von Galiläa als dem erwählten Land noch durch den Schriftbeweis. Das Wesen des Offenbarers ist tafelartig dargestellt in den Seligpreisungen. Das Prinzip „Verheißung und Erfüllung“ durchzieht das ganze Buch.

 

Arbeitsweise:

Matthäus vereinigt die Darstellung des Markus mit dem Stoff der Redenquelle und dem Sondergut. Allerlei legendarischer Stoff wird hinzugefügt: Vorgeschichte (mit Genealogie), Passionsgeschichte und Ostergeschichten (14,28-31 und 17, 24-27). Aber es blieb der Grundriß: Jesu Wirksamkeit in Galiläa und die Tage in Jerusalem.

Jesus ist auch hier heilend und lehrend gedacht, die Volksmassen strömen ihm zu. Die geschickte Einfügung des Redenstoffs schafft den systematischen Charakter eines Lehrbuchs oder Katechismus. Das Matthäusevangelium ist ein Gemeindebuch. Vielleicht wurde es auch liturgisch benutzt. Matthäus hat den Ton kirchlicher Gläubigkeit (16,17-19; 18,15-20; 28, 18-20). Er schafft eine gelehrte Arbeit und ist so etwas wie ein christlicher Rabbi (Gesetzeslehrer).

Die Gliederung erfolgt nach sachlichen Gesichtspunkten in großen Reden: 5 - 7, 10, 13, 18, 23, 24 - 25. Dabei wird in 8 - 10 der Markusaufriß zerstört. Auch das Mes­siasgeheimnnis des Markus wird nicht übernommen. Markus wird sprachlich verbessert und gestrafft (Verknüpfung). Es gibt sachliche Korrekturen (9,23-25 Enthelle­ni­sierung des Wunders).

Matthäus hat Schwierigkeiten, einen Zusammenhang der Überlieferung herzustellen: Die ersten Tage Jesu sind vollgepackt. Aber der Gesamtaufriß ist nicht wesentlich anders gestaltet worden als bei Markus. Auf die große Lehrrede Mt 5 - 7 folgen die Wunder Mt 8 - 9, die aber nur die Lehre stützen. Matthäus hebt aber die öffentliche Lehre Jesu von der besonderen Unterweisung der Jünger ab, fordert aber keine Geheimhaltung. Auch die Lehre vom Weltende ist nicht geheim. Die Frage ist nur, ob sie gehört und verstanden wird: Es wird ausschließlich nach den Werken gerichtet.

Theologiegeschichtlich ist es später einzuordnen als Markus: Es rechnet mit einem ferneren Ende (Umstellung des endzeitlichen Stoffes von Mk 13,9-13 hinter die Aussendungsrede Mt 10).

 

Sondergut:

Antithesen vom Töten, Ehebruch, Schwören                       5,21-30.33-37

Frömmigkeitsregeln: Almosen, Beten, Fasten                      6,1-18 b (ohne 9-15)

Perlen vor die Säue                                                                   7,6

Heilungen (zwei Blinde, Teufelsaustreibung)                       9,27-36

Aussendung und Schicksal der Jünger                                  10,5-8, 17-25,40-42

Heilandsruf, Gottesknecht                                                       11,28-30; 12, 15-21

Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen mit Deutung   13,24-30.36-43

Gleichnis vom Schatz im Acker, kostbare Perle, Fischnetz  13,44-52

Gleichnis vom großen Schuldner       (mit 18,16-20)            18,23-25

Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg                             20,1-16

Gleichnis von den ungleichen Söhnen                                    21,28-32

 

Zitate aus dem AltenTestament (Reflexionszitate):

 1,23                = Jes 7,14       

 2,6                  = Mich 5,1.3

 2,15                = Hos 11 (Num 23,22)

 2,18                = Jer 31,5

 3,3                  = Jes 40,30

 4,15                = Jes 8,23-9,1

 8,17                = Jes 53,4

11,10               = Mal 3,1 (Hes 23,20)           

12,18-21         = Jes 42,1-4

13,14-15         = Jes 6,9

13,45               = Ps 785,2

15,8                 = Jes 29,13 und Ps 78,36

21,5                 = Sach 98,9 (Jes 62,11)

26,9                 = Sach 11,12 (Jer 18,2-12

 

Bis in Einzelheiten wird die Erfüllung der Weissagungen beschrieben, das Leben Jesu - das schon in der Ferne liegt - wird historisierend gestaltet.

Vorlage ist eine schriftliche Sammlung prophetischer Weissagungen, also eine Überlieferung vor Markus oder neben ihm.

Die Zitate stammen vor allem aus dem prophetischen Teil der Schrift. Dieser wird den Parallelen aus dem Pentateuch vorgezogen. Vor allem Jesaja ist oft zitiert (vgl. Lk 4,17 und Apg 8,30).

Abfassungszeit:

Die Abfassung erfolgte zwischen der Zerstörung des Tempels (Mt 22,7) und dem Jahr 115 (Ignatius, Smyrna1,1). Es gibt noch die Zugehörigkeit der Christen zum Synagogenver­band (anders Lk 6,22), aber es ist nach dem Jahre 70, weil die Pharisäer schon eine führende Stellung haben (23,2-3). Man merkt ein Ringen um theologische und juristische Selbstbehauptung. Petrus wird betont. Es wird keine Umkehr der Pharisäer mehr erwartet. Es gibt eine eigene Lehrgewalt und Gemeinderegeln und Kirchenzucht. Das Matthäus-Evange­lium ist für griechisch sprechende Leser geschrieben, die in mehrheitlich jüdischer Umgebung und in Auseinandersetzung mit dem Judentum leben.

Da Matthäus von Markus abhängig ist, kann eine Entstehung vor dem Jahre 70 ausgeschlossen werden. Dies ist auch daran zu erkennen, daß Matthäus die Zerstörung Jerusalems voraussetzt (zum Beispiel die nachträgliche Allegorisierung in Mt 22,7).

Also ist eine Entstehung zwischen 80 und 90 oder 85 und 95 nCh möglich. Die Benutzung durch Ignatius im Jahre 110 bezeichnet den letzen Zeitpunkt für die Datierung. Eine Abfassung in Palästina ist daher eher unwahrscheinlich. Eine Abfassung in Alexandrien, Antio­chien (Ignatius von Antiochien benutzt es), Syrien oder Phönizien ist allerdings nicht zu belegen.

 

Verfasser:

Das Evangelium selbst enthält keinen Hinweis auf seinen Verfasser. Allerdings ist die Geschichte von der Berufung des Levi in eine Berufung des Matthäus umgeformt. Papias nennt einen Matthäus, der ein hebräisches Evangelium ins Griechische. übersetzt habe. Doch verbirgt sich dahinter wahrscheinlich keine Auskunft über ein hebräisches Urevangelium oder gar die Spruchquelle, sondern bereits die Vermutung des Papias. Diese weist auf den Namen Matthäus, der sich auch in der Liste der Zwölf befindet, der aber nur Mt 9,9-13 und 10,3 als Zöllner bezeichnet wird. Gegen eine Autorschaft eines jüdischen Zöllners und Jüngers Jesu spricht allerdings die griechische Abfassung und die spätapostolische Haltung.

Das jüdische Gedankengut zeigt noch eine ältere Entwicklungsstufe des Gemeindelebens (23,3 und 19,9). Der Einfluß zeigt sich besonders in juristischen und liturgischen Aussagen.

Es ist umstritten, ob er ein Judenchrist und vielleicht sogar früher ein jüdischer Schriftgelehrter war, worauf der der Gebrauch rabbinischer Formeln („Reich der Himmel“) und die Zitierung des Alten Testaments nach dem hebräische Text deutet.

Er könnte auch ein heidenchristlicher Schriftgelehrter sein („eure Synagoge“, 15.1-20). Er vertritt einen Universalismus ohne das Zeremonialgesetz. Die Sprache ist gräzisiert (gegenüber Mk 3,17 und 7,11). Die Zitate aus der Septuaginta werden angeglichen (19,5.8). Werner Georg Kümmel dagegen sieht in ihm eine Judenchristen, der gegen die pharisäische Gesetzesauslegung ist.

 

Theologie:

Zeitanschauung:

Die Zeit Jesu ist durch die Offenbarung des „Weges der Gerechtigkeit“ (21,32) gekennzeichnet. Der Zeitpunkt (kairos) ist Gegenwart (1,15) und Zukunft (13,33), er kennzeichnet die Dialektik des „Schon jetzt“ und „Noch nicht“. Er setzt sich fort bis zur Endvollendung und ist aus der eschatologischen Spannung herausgenommen (8,29).

Jesu Geburt (nicht erst seine Verkündigung) ist Beginn eines Neuen. Die un­wie­derhol­bare Zeit Jesu gab dem jüdischen Volk die Möglichkeit sich zu entscheiden. Doch es wies den Bußruf zurück und wurde mit dem Tode Jesu heilsgeschichtlich abgelöst (21,4 und 22,9-10). Matthäus blickt schon auf diese Zeit zurück. Das Judentum wird von seinen Verheißungen getrennt. Israels Vergangenheit wird zur Vergangenheit der Kirche (nach Strecker).

 

Judentum:

Die eigentlichen Gegner sind die Pharisäer und die Gesetzesgegner (Antinomisten). Der Antinomismus wird abgelehnt (5,17-20 und 7,15.21-22), aber der Pharisäismus überboten (5,21-48 und 6,1-18) unter Beibehaltung der Torah, also des Dekalogs und des Liebesgebots.

Das Gesetz ist gültig, aber die richtige Auslegung ist wichtiger als der Kanon (15,20). Es geht um die Erfüllung des Gesetzes durch das Liebesgebot (12.8.12), das nämlich das ganze Gesetz auf einen Punkt konzentriert (22,36). So wird die Gemeinde vollkommen in der (Leidens-Nachfolge (10,24-25).

Der Sinn des Gesetzes wird ausgelegt durch das Liebesgebot, die jüdische Tradition ist nicht Einübung, sondern Umgehung des Gebots. Das Verhältnis zu den Juden einerseits und die Notwendigkeit des Einrichtens in der Welt andererseits führen zur Aufstellung von Ordnungen der Lehre wie der Disziplin.

Die Gegner sind keine Ultrapaulinisten, denn die berufen sich auf den Glauben (wie die in Jakobus bekämpften Gruppen). Sie sind auch keine Gnostiker, gegen die man sich nicht auf da s Alte Testament berufen könnte. Die Gegner des Matthäus sagen: Die Gültigkeit des Gesetzes ist seit Christus zu Ende (7,215-23).

Die Streitgespräche haben bei Markus noch christologischen Charakter, bei Matthäus sind sie Rechtfertigung der kirchlichen Gesetzesauslegung (9,1-23), bei der Christologie und Torah verschärft werden.

Das Verhältnis zu Tempel und Opferkult ist konservativ. Die Tempelzerstörung ist Strafe für die Ablehnung der Osterbotschaft (Mt 22,7 und Mt 23-24 deuten sich gegenseitig). Die Gemeinde braucht den Tempel nicht mehr, weil sie Jesus hat (Zitierung von Hos 6,6 nur bei Matthäus). Die Zöllner, Dirnen und Heiden stehen zwar auch für das offizielle Judentum, sind aber ebenso Hinweis auf die Annahme der Heiden (nach Hummel).

 

Christologie:

Der Davidssohntitel ist an die historische Situation der Zeit Jesu gebunden. Doch die Epoche der Niedrigkeit während des Wirkens unter den Juden wird mit der Erhöhung beendet. Die Niedrigkeitssaussagen werden zugunsten der Hoheitsaussagen ausgeschieden und diese dann auf den irdischen Jesus bezogen (Steigerung der Wunder 21,19-20). Es überwiegt der Kyrios-Titel, dazu die Titel „König Israels“ und „Herr der Völker“.

Matthäus steigert Jesu Gestalt ins Göttliche , indem er Worte des Erhöhten dem menschlichen Jeus in den Mund legt ( Mt 5,11-12 oder 16, 17-19). Das ganze Buch ist durchzogen von Hinweisen auf die Erfüllung der Weissagungen, die dem Buch eine besondere Stimmung geben.

Im Vordergrund steht die Lehre, die aber den Entscheidungsruf einschließt (3,1-2). Der Indikativ ist mit dem Imperativ identisch: Die Lehre ist Entscheidungsruf wie auch das Wunder (11,20-24). Deshalb ist „Evangelium“ auch nicht mit dem Buch identisch, sondern in dem Buch enthalten. Es meint die Botschaft, die Jesus verkündet und die ihn zum Inhalt hat (16,13).

Doch die Verkündigung Jesu wird ethisiert und praktikabel gemacht (5,22). Das alttestamentliche Gesetz wird positiv aufgenommen (5,17), aber doch mit Veränderungen (5,21-28). Das Gesetz (samt Liebesgebot) gilt dadurch als erfüllbar (11,28-30), darin liegt ja gerade der Vorwurf gegen die Pharisäer (23,28).

Die Gerechtigkeit (dikaiosyne) ist die der ethischen Forderung entsprechende Tat des Menschen. Die gegenwärtige Vollkommenheit ist schon Gerechtigkeit Gottes. Sie ist eine gegenwärtige Größe und Bedingung für die Gottesherrschaft, primär also eine zukünftige Größe (Folge der Gerechtigkeit).

Gerechtigkeit ist aber nicht gesetzlich gemeint. In 3,14-15 ist sie gleich dem Leidens­weg, eine Tat des Gehorsams, aber doch göttliches Muß. Die Gerechtigkeit ist Forderung und Gabe und die Predigt des Gesetzes macht den Erhöhten gegenwärtig 28,20). Das Bekenntnis zu Jesus ist auch nicht eine Frage der Schrifterkenntnis, sondern des guten Herzens (12,33-36) und der Nachfolge (der „Selbstverleugnung“).

Jesus stellt die eschatologische Botschaft in seinem Leben vorbildhaft dar. Er ist der Bringer der Gerechtigkeit, er ist ein Gerechter und Vorbild des Gebets (26,42). Sein Leiden ist die Vorabbildung des Leidens der Gemeinde. Schon der Täufer kam auf dem Weg der Gerechtigkeit (21,32), er gehört zu Jesus.

Das Charakteristische an Jesus war für Matthäus:

1. Verkündigung und vorbildhaftes Handeln

2. Gottes Forderung wird ausgedrückt in Wort und Tat

3. Jesu ist der Messias des Wortes (5-7) und der Tat (8-9) (nach Strecker).

 

Wundergeschichten:

Markus kürzt zur Erreichung einer Konzentration auf das Christologische und den Glauben (2,2-3; 9,18b und 22), während Matthäus erweitert zur Verbindung mit dem Glauben (8,11 und 15,28), um auch den Heiden einen Anteil am messianischen Heil zu geben. Jesus ist nicht mehr ein profaner Wundertäter: Markus 7,31-37 und 8,22-26 sind ausgelassen, weil sie keine Möglichkeit theologischer Interpretation bieten (außerdem werden die Augen und die Ohren der Jünger nicht erst bei Cäsarea geöffnet).

Jetzt werden die Wunder neu erzählt zur Unterweisung der Kirche. Allein das Gespräch mit Jesus ist noch wichtig, Ziel ist das Wunderwort, das fast immer ein Wort vom Glauben ist (8,13; 9.22; 15,28). Die Wunder beglaubigen nicht, vielmehr müssen sie erst selbst beglaubigt werden, sie haben nur christologische Bedeutung, weil sie durch die Schrift erwiesen sind als Wille Gottes (8,17)

Die Heilungswunder werden als Gespräche stilisiert und ihrer Form nach den Streit- und Schulgesprächen angeglichen:

8,19-22  Wundergeschichte wird zur Jüngergeschichte

14,28-31 Jesus gibt die Vollmacht zur Nachfolge

Beachte: Mk 10,46-52 ® Mt 20,31-33 ® Mt 9,29 (nach Held).

 

Lehre von der Endzeit:

Der eschatologische Aspekt der Gottesherrschaft (Gericht nach den Werken) verschärft die Forderung und begründet die Notwendigkeit des Gehorsams. Doch der Lohn ist rein jenseitig (10,10b /Lk 10,7). Die Gottesherrschaft erscheint im Auftreten Jesu als gegenwärtige Herrschaft Gottes (11,12; 12,8; 21,43), aber ihre Verwirklichung als räumliche Größe ist erst zukünftig. Deshalb wird Galiläa zur rein geographischen Größe (Historisierung) und der Berg wird durch die Verkündigung zum Ort des eschatologischen Geschehens. Es gibt eine Nah- und Fernerwartung. Die Gemeinde wird nie aus dem eschatologischen Aspekt entlassen, denn das Ende ist nicht zu berechnen.

 

Lehre von der Kirche:

Die Gemeinde des Matthäusevangeliums steht in aktueller Auseinandersetzung mit dem Judentum, aber er ist deswegen nicht „gesetzlich“ und vertritt einen universalistischen Kirchengedanken: Die Kirche ist das wahre Israel. Aber die judenchristliche Gemeinde des Matthäus tritt nicht aus dem jüdischen Rechtsverband aus, sondern ringt mit den Juden um den Anspruch, das wahre Gottesvolk zu sein.

Mit der Dehnung der Zeit wird das Problem der Kirche sichtbar. Sie ist eine durch Amt und Ordnung bestimmte Größe (16,18 und 181,17). Sie ist nicht identisch mit dem Reich Gottes, vor dem erst das Gericht erfolgt. Jünger sind nur die Zwölf, sie sind Zeugen des Irdischen. In Petrus konkretisiert sich das Christsein des Einzelnen (Nebeneinander von negativen und positiven Eigenschaften). Die anderen werden durch Unterweisung zu Jüngern gemacht (28,18-20).

Die Kirche ist in der Welt bedroht durch Verfolgung von außen und durch Irrlehre im Inneren. Aber sie darf deswegen nicht zur Sekte werden. Die Gemeindeversammlung hat die Macht, zu binden und zu lösen in Lehr- und Disziplinsachen, ihre Entscheidungen werden auch im Him­mel gelten. Was bei Paulus die Gerechtigkeit ist, das ist bei Matthäus das Reich Gottes.

Aufgabe der Jünger sind Verkündigung und Heilung (Ideologisierung). Sie tun das Werk Jesu (4,17; 9,35; 10,7-8) und vergegenwärtigen so die noch ausstehende Gottesherrschaft. Die Weitergabe und Verwirklichung der endzeitlichen Forderung macht die Gemeinde zur heilsgeschichtlichen Größe.

Die Taufe als Initiationsakt und das Herrenmahl sind Gehorsamsleistung gegenüber der escha­tologischen Rechtsforderung, unter der die Kirche als gemischte Gemeinschaft (corpus mixtum) ständig steht (7,21) bis zur endgültigen Scheidung (13,24).

Es besteht ein gewisses kirchliches Interesse (Missionsbefehl, Gleichnis vom Unkraut und vom Fischnetz). Doch Jesus übt seine eschatologische Herrscherstellung schon in der Zeit der Kirche aus (von Ostern bis zur Parusie) und gibt Anteil an seiner Vollmacht (16,19; 18,18; 17,19-20; 14,28-31; 9,8).

Dazu gehört auch die Sündenvergebungsgewalt (9,8; 26,26), festgeschrieben (institutionalisiert) im Herrenmahl. Es gibt weiterhin die Einzelübertretung (hamartia), aber es gibt keinen Unglauben (apistia), sondern nur Kleinglauben (oligopistia).

Glaube heißt nun betont „Vertrauen“: Das Verstehen ist da, aber Glaube und Wollen fehlen. Auch sonst werden die Jünger entschuldigt (20,20), sie sind die „Kleinen“ von Mt 18,3-4. Das Jüngerunverständnis wird also beseitigt (13,16-17) bzw. ausgelegt als Kleinglaube (8,16; 14,31; 16,8; 17,20), nachdem das grundsätzliche Bekenntnis zu Jesus erfolgt ist. Durch das Gebet ist weiterhin Begegnung mit dem Herrn und Nachfolge möglich (8,23-27; 14,22-33).

Matthäus ist Überlieferer (Tradent) u n d Ausleger (Interpret). Wenn er die Überlieferung aber auslegt, so bleibt doch die Auslegung gebunden an die Tradition (Held).

 

Redaktion und Theologie des Matthäus:

Fast das ganze Markusevangelium kehrt bei Matthäus wieder (nur ein Siebtel fehlt). Er verarbeitet aber auch die Spruchquelle (etwa ein Neuntel von Matthäus) und Sondergut (etwa drei Neuntel). Umstritten ist, ob und welcher Teil des Sonderguts bereits in der Spruchquelle stand. Doch ist diese Frage methodisch kaum zu klären. Daß das Sondergut aus nur einer Quelle stammt, ist eher unwahrscheinlich, da es einfach zu ungleichartig ist. So ist das Sondergut wahrscheinlich auf verschiedenste, wohl auch mündliche Weise dem Matthäus zugewachsen.

Matthäus hat die Einzelgeschichten („Perikopen“) besser verknüpft durch Zeitangaben und Ortsangaben. Er hat aber nur ziemlich wenige Erzählungen, alles andere sind Sprüche. Breite Stellen hat er gekürzt zur Straffung und er hat die Samm­lung von Wundergeschichten (8,1 - 9,34) zusammengestellt. Der Gesamtaufriß des Lebens Jesu ist aber unverändert geblieben. Insofern ist das Matthäusevangelium ein erweitertes Markusevangelium, das von ihm fast auf den doppelten Umfang gebracht wurde.

Häufig verwendet Matthäus dabei Zitate aus dem Alten Testament („Reflexionszitate“) mit der Formel: „.. auf daß erfüllt würde“. Umstritten ist, ob die Zitate aus dem Alten Testament einer eigenen Quelle entstammen. Sie sind besonders charakteristisch für das Verständnis der Heilsgeschichte bei Matthäus: Vorgänge im Leben Jesu, seine Verkündigung und sein Verhalten werden als Erfüllung von Weissagungen aus dem Alten Testament gedeutet. Als „Reflexionszitat“ werden dabei nur die Zitate gewertet, die mit einer Einleitung (etwa „Das geschah, damit erfüllt werde...“) versehen sind und nur bei Matthäus vorkommen. Sie sind - anders als die anderen Zitate aus dem Alten Testament weniger an der griechischen Bibel orientiert und könnten vielleicht eigenständige Übersetzungen aus dem Hebräischen darstellen.

Die Texte des Markus werden häufig gekürzt und auf ihren Höhepunkt zugespitzt. Bei Heilungen werden oft die konkreten Einzelzüge (vor allem das therapeutische Verfahren) weggekürzt. Matthäus benutzt mehr die Schriftsprache, aber er hat die Worte Jesu geschont. Sein Stil ist gepflegter als bei Markus. Stoffe werden systematisch geordnet (Reden, Gleichnisse, Wunder, usw.). Lockere Verknüpfungen zwischen den Abschnitten werden vermehrt. Hauptsächlich werden die Erzählungen verändert, kaum allerdings die Worte Jesu. Die Darstellung der Gestalt Jesu ist stärker an den Glauben an den erhöhten Gottessohn angeglichen, indem Gemütsbewegungen Jesu und anstößige Züge gestrichen oder geändert werden und Jesus als „Herr“ angeredet wird.

Matthäus setzt ein mit Stammbaum Jesu (Abstammung von Erzvätern und David), Geburtsgeschichte (Jungfrauengeburt) und einigen Kindheitserzählungen. Es geht ihm in dieser Vorgeschichte darum, Jesus in der Erfüllung der Verheißungen des Alten Testaments als wesenhaften Gottessohn darzustellen. Die Abwehr von Adoptionsvorstellungen zeigt sich auch in der Veränderung der Markus-Vorlage in Mt 3,17 (gegen Mk 1,11): Die Adoptionsformel wird zu einer Mitteilungsformel.

Die Hauptmasse des Stoffs hat er zu sechs großen Reden zusammengestellt. Sie zeigen Jesus als den neuen Mose (Bergpredigt 5 - 7), den Messias (Gleichnisrede 13), den Herrn der Jünger (Aussendungsrede 10) und den Herrn der Gemeinde (Anweisung an die Gemeindeleiter 18); dazu kommen, Phari­säerrede (23) und Rede über die letzten Dinge (Abschlußrede 24 - 25). Die Reden gliedern das Evangelium und machen deutlich, daß Matthäus Jesus vornehmlich als Lehrer versteht. Im Anschluß an Reden werden oft Taten Jesu berichtet. Sie sollen die Vollmacht Jesu bekräftigen, die in den Reden in Anspruch genommen wird. Wenn man die beiden letzten Reden zusammenfaßt, kommt man auf eine Fünfzahl der Reden. Daß dies aber ein Anklang an die die fünf Bücher Mose und Jesus als Verkünder des neuen Gesetzes gesehen werde (Predigt auf dem Berg), ist allerdings doch etwas weit hergeholt.

Besonders markant ist die Redaktionsarbeit des Matthäus am ersten Durchgang, der von den gleichlautenden Zusammenfassungen (Summarien) 4,23-25 und 9,35 über die Wirksamkeit Jesu gerahmt wird: Der Markus-Faden wird mit 4,13 verlassen. Es folgt die Bergpredigt als katechismusartige Summe der Ermahnungen. In Kapitel 8 finden sich dann Erzählungen über Taten Jesu. Ab 9,1 geht Matthäus wieder entsprechend der Markus-Vorlage vor, in die Stoff aus der Spruchquelle und Sondergut erweiternd eingefügt ist. Sie werden so eingearbeitet, daß möglichst wenige Umstellungen vorkommen, aber dennoch die Absicht klar ausgedrückt wird.

Auch Matthäus kennt eine geographische Gliederung, die allerdings nicht derart theologisch ausgelegt wird wie bei Markus: Nach der Vorgeschichte, der Taufe und der Versuchung Jesu, beginnt ab Mt 4,12 die öffentliche Wirksamkeit Jesu. Sie hat drei geographisch gegliederte Abschnitte:

• 4,12 - 18.3  : Jesus in Galiläa, wo sich Ankündigung der Propheten erfüllt

• 19,1 -2 0,34 : Jesu Wanderungen durch Galiläa und Judäa

• 21,1 - 27,50 : Jesus in Jerusalem (Vollendung des Schicksals am Kreuz).

Es gibt aber auch eine inhaltliche Gliederung der Wirksamkeit Jesu, angezeigt durch die zwei gleichlautenden Formulierungen in Mt 4,17 und 16,21 „von da an begann Jesus“. Die erste leitet Jesu Wirksamkeit in Galiläa ein, die zweite steht unmittelbar vor der ersten Leidensankündigungen und kündigt den Weg zum Kreuz an.

 

Das Matthäusevangelium gilt gewöhnlich als Dokument der Theologie ehemaliger Juden oder es ist an Menschen, die in jüdischer Umgebung leben, gerichtet. Dies zeigt sich in folgenden Punkten:

  • Durch die Reflexionszitate und die anderen Verweise auf das Alte Testament wird Jesus als die Erfüllung der Verheißungen des Alten Testaments gekennzeichnet.
  • Die Pharisäer sind die wichtigsten Gesprächspartner Jesu. Auch werden deren Dialogmuster aufgenommen zur Gestaltung von Dialogen (19,3 gegen Mk10,2).
  • Die Ausdrucksweise erinnert an jüdische Formelsprache („Himmelreich“ statt „Gottesreich“)
  • Das von den Jüngern geforderte Verhalten wird nur bei Matthäus als „Gerechtigkeit“ bezeichnet
  • Die Siebenzahl der Bitten im Vaterunser und die Formulierung der Verge­bensbitte ist eine Annäherung an liturgischen Brauch des Judentums
  • Jesus wird als der nur zu den Israeliten gekommene Messias gekennzeichnet und auch die Jünger werden nur zu Israeliten gesandt.
  • Die Diskussion um die Tempelsteuer (17,2-11)
  • Hebräische Ausdrücke werden nicht übersetzt und jüdische Gebräuche, Ordnungen und Redensarten nicht erklärt.

Die Gemeinde des Matthäus versteht sich als das Volk, in dem das Gesetz wirklich gehalten wird und in keinem Punkt aufgelöst wird.

 

Doch gegen eine solche Auslegung spricht wiederum

  • der universalistische Auftrag zur weltweiten Mission, der keinen Übertritt zum  Judentum fordert
  • die Rede von „ihren Schriftgelehrten“ oder „euren Synagogen“ (die Gemeinde hat sich bereits vom jüdischen Synagogenverband getrennt)
  • die Rede von der endgültigen Verwerfung der Juden.

Matthäus ist in starkem Maß von der Auseinandersetzung zwischen Judentum und christlicher Gemeinde betroffen. Es fehlt jedoch eine grundsätzliche Ablehnung der gesetzesstrengen jüdischen Haltung. Matthäus vertrat aber auch nicht die Ansicht, daß Heiden zuerst Juden werden müßten, bevor sie Christen werden können (wie das die sogenannten „Judaisten“ forderten). Er war jüdischer Herkunft mit genauer Kenntnis des Judentums. Aber seine Heilslehre ist dennoch weltweit (universal).

Die Spannung löst er innerhalb seines Evangeliums, indem er klarmacht, daß Jesu Sendung auf Israel bezogen war. Israel hat ihn aber abgelehnt und deshalb wurde das Heil den Heiden zuteil. An die Stelle der ungläubigen Juden tritt das endzeitliche Gottesvolk, das durch das Früchte-Hervorbringen gekennzeichnet ist, ohne daß darin der Unterschied von Juden und Heiden zentral wäre. Heiden gehören schon selbstverständlich zur Gemeinde, aber es besteht noch Hoffnung, die Juden zu gewinnen (23, 39). Der bekämpfte Gegner ist also nicht ein gesetzesfreies Heidenchristentum, sondern das pharisäische-rabbinische Judentum.

 

In keinem Evangelium spielt die Lehre von der Kirche („Ekklesiologie“) eine derart zentrale Rolle:

  • Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen mit Deutung. Hier zeigt sich, daß Matthäus die christliche Gemeinde noch nicht als Sammlung der Auserwählten, sondern noch bis zum Endgericht als eine durchmischte Körperschaft betrachtet
  • Bei Matthäus stehen die Junger eindeutig auf der Seite Jesu: sie sind es jetzt, die den Willen des Vaters tun. Sie werden positiver als bei Markus gesehen. Einige der recht negativen Berichte in Markus werden gestrichen oder umgearbeitet
  • In den sieben Reich-Gottes-Gleichnissen in Kapitel 13 zeigt sich eine Verbindung von kirchlichen und endzeitlichen Motiven
  • Wort an Petrus (16,17-19): Der Spruch ist zweifellos nachösterlich und Hinweis auf das Kirchenverständnis der frühen palästinensischen Gemeinde (Schlüsselgewalt des Petrus zwischen Ostern und Wiederkunft). Die Kirche wird innerhalb der Synoptiker nur hier und in Mt 18,17 erwähnt.
  • Aufenthalt in Jerusalem und Passion sind deutlich als Orte der Scheidung zwischen glaubender Gemeinde und ungläubigem Israel gesehen.
  • Missionsbefehl: Zusammenfassung des Evangeliums (Weltherrschaft des Auferstandenen und universale Aufgabe der Jünger: Lehre und Taufe) und endzeitlicher Schluß.

Matthäus hängt nicht einem Judenchristentum an, das die Heidenkirche in Frage stellt. Aber es hat die radikale Kritik Jesu am Gesetz abgeschwächt im Sinne einer Betonung der bleibenden Geltung des Gesetzes. Aber Gegner sind nicht die Heidenchristen, sondern
Gegner ist die Gesetzesauslegung der Pharisäer.

 

Die Lehre des Matthäus von der Kirche läßt sich folgendermaßen charakterisieren: Die Gemeinde ist das „Volk, das Früchte bringt“. Gottes Gottsein hängt für Matthäus an seiner Treue zu Israel. Gott ist daher auch in Jesus noch Israel treu geblieben. Jesus geht nicht ins heidnische Land. Die Sonderstellung Israels als erwähltes Volk bleibt. Aber die Gemeinde wird nicht einfach zum neuen Israel. Das alte Volk Israel bleibt das Volk (laos), während Gemeinde das andere Volk (ethnos) Gottes ist, das Früchte trägt, wo das erwählte Volk versagt. Die Mission wird auf die Völker ausgedehnt, gilt aber wohl auch Israel.

Die Betonung der Gemeinde als Gemeinschaft, die das Gesetz hält, soll die Gemeinde auch für Juden anziehend machen. Denn für Matthäus wie für die Mehrzahl seiner jüdischen Zeitgenossen ist das Gesetz die gute Gabe Gottes an Israel. Folglich wird auch Jesus als Lehrer des Gesetzes dargestellt.

Die Lehre von Christus ist die Grundlage der Lehre von der Kirche: Jesus erscheint oft wie ein jüdischer Lehrer, der nur eine neue Auslegung bringt, aber seine unerhörte Freiheit bei der Deutung (Mt 5,21-48) geht eben weit über die Rolle des reinen Auslegers hinaus. Das „Erfüllen“ des Gesetzes geschieht nicht nur im Lehren, sondern im ganzen Verhalten und Geschick Jesu und später seiner Jünger. Darum kann an Stelle des Namens „Jesus“ der Begriff „Gerechtigkeit“ treten.

Matthäus übernimmt nicht das Messiasgeheimnis. Er will nicht Wesen Jesu verhüllen, sondern auf den Widerspruch hinweisen, daß seine Offenbarung in Niedrigkeit geschieht. Die Endzeiterwartung tritt zurück. Statt dessen wird Problem der Irrlehrer bedeutender. Der Kleinglaube der Jünger wird gerügt, nicht mehr ihr Unglaube wie bei Markus. Dem Zurücktreten der Naherwartung geht parallel eine Hervorhebung des Gerichtsgedankens. Beispielhaft zeigt sich dies im Bild vom Weltgericht: Jesus als der Menschensohn richtet die Menschen nach ihrem irdischen Verhalten. Weit stärker als bei Markus erscheint Jesus als der Menschensohn-Richter.

 

Einzelne Abschnitte:

Versuchung Jesu, Mt 4,1-10:

Die Geschichte ist gestaltet nach Art der Lebensberichte über heilige Männer. Es gibt aber keinen Hintergrund aus alten Göttergeschichten. Matthäus hat die ursprüngliche Reihenfolge der Versuchungen mit einer deutlichen Steigerung (Lukas will die Linie nach Galiläa ausziehen). Er gibt die Gebirgswüste als Ort der Versuchung an, die aber nicht Ort geistlicher Übungen (Meditation) ist. Jesus hat auch nichts über sein Innenleben berichtet. Nach den 40 Tagen des Fastens geschieht die Versuchung. Der Hunger gibt die Anknüpfung für die erste Versuchung.

 

Hauptmann von Kapernaum, Mt 8,5-13:

Matthäus unterstreicht durch ein Drohwort, aber er hat nicht die Mission im Blick, denn die Heiden kommen am Ende der Zeit ja selber. Gesagt wird: Volkszugehörigkeit macht nicht selig, sondern nur der Glaube (ein so radikales Wort kann nur von Jesus stammen). Lukas betont die Demut des Hauptmanns, aber Knackpunkt ist der Glaube des Nicht-Juden. In Lukas 7,1 -10 kommen die Ältesten der Juden im Auftrag des Hauptmanns. Jesus ist schon auf dem Weg zum Hauptmann, als dieser durch weitere Boten seinen Glauben an die Kraft des Wortes Jesu zum Ausdruck bringen läßt. Die Grenzen zwischen den Juden und den dem jüdischen Volk wohlwollenden Heiden sind etwas aufgeweicht. Jesus hat die jüdischen Ältesten auf seiner Seite. Matthäus hat demgegenüber die Verse 11- 12 aus der Redenquelle eingefügt.

In Johannes 4,46 - 53 steht die Krankenheilung im Mittelpunkt, der Dialog ist fortgelassen. Der Hilfesuchende ist ein Jude. Man vermißt ein Glaubenswort des Bittstellers. Im Mittelpunkt steht der Glaube Jesu, der über eine Entfernung von 27 Kilometer hinweg das Heilungswunder vollbringt. So wird der königliche Beamte zum echten Glauben geführt (vorher nur anfängliches Zutrauen).

So ist aus der Erzählung vom vorbildlichen Glauben eine Geschichte vom Christus als dem Spender des Glaubens geworden: Nur in der Begegnung mit Jesus kann es zum wahren Glauben kommen. Für Matthäus ist der gläubige römische Hauptmann der Schrittmacher der Heidenkirche Jesus gibt nicht nur die erbetene Hilfe, sondern der Glaubende wird auch Gemeinschaft mit Gott haben. Jesu Wort an die, die ihm nachfolgen, wird aber auch zum Bußruf an die Kirche, die durchaus keine Sammlung der Auserwählten ist. Dem erstaunlichen Glauben der Fremden wird das Heil verheißen, dem Kleinglauben der mit Gott Vertrauten wird das Gericht angedroht (Lk 8,40-56).

 

Stillung des Seesturms, Mt 8, 23-27: 

(Vergleich der Matthäusfassung mit Mk 4,35-41 und Lk 8,22-25).

Der erste Eindruck: Der Markusabschnitt ist umfangreicher und weit anschaulicher. Es fehlt nicht an belebenden Einzelheiten in der Schilderung. Man merkt noch die Nähe zu anderen Wundergeschichten der Antike. Es soll die unvergleichliche Macht des Helden dargestellt werden, er soll damit auch Staunen und Bewunderung hervorrufen.

Der Evangelist Matthäus gestaltet die Geschichte mehr wie ein Bild. Er erzählt sie als Geschichte von der Not und Herrlichkeit der Nachfolge Jesu Christi. Er malt gewisser­maßen ein Plakat, auf dem alles enthalten sein soll, was sich zuträgt, wenn man mit Jesus geht. Dadurch wandelt die Geschichte ihre Eigenart doch sehr stark. Man muß sich das ja so vorstellen: Einer verfolgten Gemeinde predigt der Evangelist Markus von der Macht ihres Herrn. Matthäus hat das dann etwa 15 bis 20 Jahre später erneut für die Gemeinde seiner Zeit ausgelegt. Und wir haben nur die Aufgabe, beide Geschichten wieder für unsere Zeit auszulegen und dabei das Handeln Jesu und die Predigten der beiden Evangelisten zu beachten (übrigens hat auch Lukas die Geschichte, weicht aber kaum von Markus ab).

Bei Markus steht die Sturmstillurg nach einer Reihe von Gleichnissen. Nach ihr folgt eine Heilungsgeschichte und die Erweckung der Tochter des Jairus: Jesus predigt und handelt, er hat etwas Neues zu sagen und seine Worte haben Kraft. Auf die Rede folgen die Taten, die Jesus zeigen als den Herrn über die Naturmächte, über Krankheit und Tod. Jesus ist der Helfer, der alle Macht hat und sie gebraucht. An der Gemeinde ist das noch nicht abzulesen, sie wird weiter verfolgt, aber eine solche Geschichte macht ihr Mut.

Markus konzentriert das Geschehen auf Jesus und seine Jünger. Sie sind wohl mit denen gemeint, zu denen Jesus sagt: „Laßt uns hinüberfahren!“ Das Volk wird entlassen, es gibt keine Zuschauer am Ufer. Mit mehreren Booten fahren sie über den See, weil nicht alle Jünger in ein Boot gehen.

Ein Wirbelwind, der von den Bergen herunterfällt, bringt das Boot in Seenot. Nur Jesu Tun soll beachtet werden: Sein Beschwörungswort wird wörtlich wiedergegeben, ein Wort genügt, und die Mächte verstummen.

Die Jünger sind von Jesus befremdet. Sie werfen ihm vor, ihm liege nichts an ihnen. Es wird eine Spannung zwischen Jesus und der Jüngern deutlich. Jesus ist für die Jünger nur der Lehrer und Meister, noch nicht der „Herr". Von einem auch nur schwach erkennbaren Glauben ist nicht die Rede. Es ist nur von ihrer Furcht die Rede, die aber von der Todesangst übergeht in die Furcht vor dem gewaltigen Wundertäter: An die Stelle der Angst tritt nicht der Glaube an den Helfer, sondern die „große Furcht“.

Selbst nach Jesu Tun sind die Jünger unfähig, ihn wirklich zu erkennen. Das ist typisch für Markus: Die Jünger begreifen trotz allem nicht, wer Jesus ist (Erst nach Ostern wird ihnen alles klar werden). Jesu Herrlichkeit bleibt noch verborgen, sie läßt sich auch auf Erden nicht direkt anschaulich machen. Selbst der Vollzug einer Krafttat hilft nicht weiter. Diese hebt Jesus nicht über den Kreis der anderen Wundertäter hinaus und macht ihn den gewöhnlichen Menschen nur unheimlich und verdächtig.

Bei Matthäus wird die Geschichte urmittelbar hinter zwei Berichten über die Nachfolge eingeordnet; im größerer Zusammenhang wird von Heilungen berichtet. Der Text ist kürzer und auf das Wesentliche konzentriert, zum Teil auch klarer verständlich.

Zunächst heißt es, daß nicht die Jünger Jesus mit in das Schiff nehmen, sondern er tritt in das Schiff und die Jünger folgen ihm; er ist der Herr, die Jünger folgen ihm. Für der Sturm wird das Wort „Erdbeben“ (bei Luther „Ungestüm“) verwendet. Dieses Wort ist für die Bezeichnung eines Seesturms ungewöhnlich, findet sich aber häufig bei der Beschreibung endzeitlicher (apokalyptischer) Ereignisse. Die Not der Jünger auf dem See wird damit zum Sinnbild der Bedrängnis der Jüngerschaft überhaupt. Das Schiff wird von den Wellen verdeckt. Der Betrachter steht nicht mit im Schiff (wie bei Markus), sondern er scheint außerhalb des Schiffes zu stehen, also am Ufer, es scheint stärker um das Schiff als um die Menschen in ihm zu gehen.

Da Jesus schläft, wecken ihr die Jünger auf. Sie erheben keiner Vorwurf gegen ihn, sondern reden ihn ehrfurchtsvoll mit „Herr“ (kyrios) an (so wie man Gott oder den auferstandenen Christus nachher anredete). Ihr Hilferuf ist ein Stoßgebet.

Ehe Jesus eingreift, spricht er erst zu den Jüngern. Seine Hilfe liegt in seinen Worten (bei Markus handelt er zuerst), der Sturm tobt zunächst noch weiter. Statt vom Unglauben spricht Jesus vom „Kleinglauben“ (wie das für Matthäus charakteristische Wort heißt). Beim Kleinglauben ist schon Glaube vorhanden, aber er versagt eben in bestimmten Lagen. Dadurch wird die spezielle Situation der Jünger in Seenot zu einer typischer Situation der Jüngerschaft über­haupt. In dem Wort Kleinglauben liegt das „Jesusartige“ der Sturmstillungsgeschichte, zumindest nach Matthäus.

Am Schluß heißt es: „Die Menschen verwunderter sich!“ Welche Menschen sind denn damit gemeint, es waren doch bisher keine erwähnt? Damit sind wohl die gemeint, die später die Geschichte hören. Sie können sich nur wundern über diesen Jesus und ihm zustimmen. So öffnet sich die Szene zu einer Darstellung der Nachfolge und zu einem Ruf in die Jüngerschaft. Diese ist unter Umständen eine lebensgefährliche Sache. Angesichts der Stürme schrumpft der Glaube leicht zum Kleinglauben zusammen. Aber mitten in allen Nöten dürfen Christen fest damit rechnen, daß Christus mit im Schiff ist, auch wenn er zu schlafen scheint. Entscheidend ist immer, daß der Glaubende auf den blickt, der der Herr über alle Mächte ist. Im Gebet zu ihm gewinnt er neue Kraft und wesentliche Hilfe. Die äußere Hilfe mag manchmal ausbleiben. Aber Jesus kann dennoch wunderbar erretten und damit immer wieder unsren Kleinglauben beschämen.

Die Hilfe liegt nicht so sehr in der Tat, sondern in der Gegenwart Jesu; seine Gegenwart im Wort ist Hilfe genug. Es geht nicht wie bei Markus um die Messianität Jesu, der alle Macht hat und sie auch gebraucht, sondern bei Matthäus ist die Geschichte ein Gleichnis für die Not und Herrlichkeit der Nachfolge.

 

Heilung des Gelähmten, Mt 9,1-8 (Vergleich mit Mk 2):

Das Neue Testament hat den Text gleich zweimal in zwei Evangelienbüchern (in Lukas wird er nicht erwähnt). Beide Erzählungen weichen etwas voneinander ab. Das ist nicht verwunderlich. Wenn sich irgendwo ein Verkehrsunfall ereignet hat und die Polizei befragt die Zeugen, dann kommt es auch oft zu widersprüchlichen Aussagen. Jeder hat auf etwas anderes geachtet, jedem ist etwas anderes wichtig gewesen. Wir wissen auch alle, daß eine Aussage schnell interessengefärbt ist. Wenn einer selber an dem Unfall schuld war, wird er ihn anders darstellen als der Geschädigte. Was man nicht wahrhaben will, blendet man ab. Was den eigenen Wünschen entgegenkommt, wird dagegen groß herausgestrichen.

Wenn eine Familie etwa ein Auto kaufen will, dann haben die einzelnen Familienmitglieder auch unterschiedliche Fragen und Wünsche: Der elfjährige Andreas interessiert sich für Spitzengeschwindigkeit, Motor, Art des Antriebs, Parkleuchten usw. Die Mutter möchte alles wissen über Farbe, Federung, Polsterung, große Scheiben, Autoradio, Kofferraum. Der Vater wird nach Lebensdauer, Benzinverbrauch und Preis fragen. Wenn sie dann nach Hause kommen und der Oma erzählen, wird jeder etwas anderes wissen, obwohl sie doch alle von dem gleichen Auto erzählen.

So wird auch im Neuen Testament das gleiche Ereignis unterschiedlich dargestellt. In diesem Fall wird uns vielleicht die Markusfassung besser gefallen. Aber vielleicht gefällt uns auch an der Art des Matthäus das eine oder andere. Wir wollen einmal die beiden Geschichten nebeneinander halten und genau vergleichen, um so hinter die Eigenart der beiden Evangelisten zu kommen.

Zunächst ist auf den Zusammenhang zu achten: Matthäus stellt die drei Streitgespräche in Matthäus 9 zwischen zwei große Blöcke, die Jesus als Gebieter über Sturm und Dämonen und nachher als Herrn über Krankheit und Tod zeigen. In dem Mittelteil ist nicht die Heilung des Gelähmten das eigentliche Anliegen, sondern der Zuspruch der Sündenvergebung.

Es geht um Fragen der Lehre und des Rechts und die Auseinandersetzung mit der Schriftgelehrten. Markus hat solche scharfen Gegensätze nicht. Vor allem folgt nicht urmittelbar eine ausgesprochen sichtbare Tat Jesu. Bei ihm stehen Sündenvergebung und Krankenheilung stärker nebeneinander, mehr im Gleichgewicht.

 

Nach Matthäus (V.1) kehrt Jesus in „seine eigene Stadt“ zurück. Dort ist er zu Hause, dort hat er Bürgerrecht. Matthäus ist mit den Verhältnissen im Lande vertraut und kann deshalb so schreiben. Klar ist ihm und seiner Lesern, daß damit nur Kapernaum gemeint sein kann. Markus ist nicht so landeskundig und erwähnt deshalb extra der Namen der Stadt, nämlich Kapernaum.

Doch gerade diese Stadt wird in Matthäus 11,25-24 von Jesus verdammt, weil sie nicht auf die großen Taten Jesu geachtet hat, die in ihren Mauern geschehen sind. Es gab zwar auch einige Glaubende in ihr, wie gerade diese Geschichte zeigt. Aber das wird ihr nicht angerechnet. Viel schwerer wiegt, daß es auch in dieser Stadt manche Schriftgelehrten gab, die Material für ein Todesurteil gegen Jesus zusam­menzutragen halfen. Insofern ist Kaperraum ein galiläisches Gegenstück zu Jerusalem.

Bei Matthäus ereignet sich alles am Wege. Jesus kehrt vor einer Überfahrt zurück und ist auf dem Wege in die Stadt. Die einzelnen Gruppen von Menschen kommen (allerdings schnell nacheinander) hinzu (Krankenträger, Schriftgelehrte, Leute). Es fehlt die Predigt Jesu und vor allem die interessante Einzelheit mit dem Aufgraben des Daches (Matthäus ist also der erste Kritiker dieser Geschichte mit dem Dach). Auf den Kranken wird keine ungewöhnliche Aufmerksamkeit gelenkt, er ist nur der Anlaß für ein Lehrgespräch. Das Eingangsstück wird zu einer knappen Einleitung, nicht einmal die Zahl der Träger wird genannt.

Das Wort Jesu an den Kranken lautet bei beiden Evangelisten gleich: „Mein Sohn, dir sind deine Sünden vergeben!“ Aber Matthäus setzt noch davor: „Sei getrost!“ Dieses Wort findet sich noch bei der Heilung der blutflüssigen Frau ( Mt 9,22) und als Zuruf an die Jünger, die in Seenot geraten sind (Mt 14,27). Markus hat diesen Zuruf nur als Wort der Volksmenge an den blinden Bartimäus (Mk 10,49). Matthäus läßt es in dieser Geschichte aus, so daß dieses Wort nur im Munde Jesu vorkommt.

Dieses Wort richtet sich nicht eigentlich an Kranke, sondern es unterstreicht die Vollmacht Jesu zur Sündenvergebung. Wo es um die Lossprechung von Sünden geht, da hat Matthäus mehr geschrieben als Markus, darauf kommt es ihm also an; er ist seelsorgerlicher und innerlicher.

Der Vers 3 beginnt wie Vers 2 mit „Und siehe“. Dadurch werden die beiden Gruppen der Hilfsbedürftigen und der Ankläger scharf gegeneinander gestellt. Matthäus führt nur die mittlere Anklage des Markus an, die schwerste im Volk Israel mögliche Anklage: „Dieser lästert Gott!“ Auch die Antwort Jesu ist schärfer. Bei Markus bleibt offen, ob die Schriftgelehrten sich nicht doch noch eines Besseren belehren lassen. Bei Matthäus aber sieht Jesus, daß die Schriftgelehrten nur Böses in ihrem Herzen planen; sie haben den Beschluß gefaßt, den Gotteslästerer zu beseitigen. Sie sind Feinde Jesu, die satanischen Mächten zum Opfer gefallen sind.

Jesus fragt knapper und bedrängt seine Gegner stärker. In Vers 5 hat Matthäus gekürzt und sowohl „dem Gelähmten“ als auch „nimm dein Bett“ ausgelassen. In Vers 6 stellt er „auf Erden“ voran, um zu betonen: Die Vergebung der Sünden ist nicht erst der Entscheidung eines künftigen Gerichts vorbehalten. Das Recht der Gemeinde, die Sündenvergebung zuzusprechen, wird damit unterstrichen.

Der Abschluß der Geschichte ist bei Matthäus anders. Es tritt noch einmal eine neue Gruppe auf, das „Volk“. Diese allein „fürchten“ sich, die Schriftgelehrter haben sich auf jeden Fall dem Gotteslob entzogen. Markus bleibt im alltäglichen Bereich, es geht nur um die Heilung, denn mehr haben die Leute ja nicht gesehen. Bei Matthäus aber sagen die Leute etwas von geistlichem Gewicht, sie preisen Gott, der seiner Gemeinde die Vollmacht gegeben hat, die Sünden zu vergeben. Während Markus ausführlicher ist und gewissermaßen ein Bild malt, ist Matthäus kürzer und theologischer, hat mehr die Kirche im Blick. Beide wollen aber das Gleiche erzählen, nur jeder etwas anders.

 

Aussendungsrede, Mt 9,35 - 10,16: 

Das Wort von der Ernte stammt aus der Gemeinde, die um die Ausbreitung der Mission besorgt war. Markus hat die Aussendung nach der Nazareth-Erzählung, aber sie steht nicht mit der dortigen Enttäuschung im Zusammenhang. Das Bild des Aussendenden ist hoffnungsvoll. Lukas hat die Aussendung der Zwölf und die Aussendung der Siebzig, hat also aus Markus und der Spruchquelle geschöpft. Die Zwölf werden hier zu einem Ideal der Mission gemacht - die sie in Wirklichkeit gar nicht waren - und stehen auch im Wettstreit mit dem Missionsbefehl.

Schon Markus macht deutlich, daß die Anweisungen nicht mehr in die Zeit der missionierenden Kirche passen. Lukas aber übernimmt die Anweisungen in der verschärften Form aus der Spruchquelle und hält sie für echte Anweisungen. In der Zeit Jesu hatten die Jünger keine Ausrüstung nötig, aber zur Zeit des Lukas sollte man die Missionare wegen der Gefahr anders ausrüsten.

Matthäus bringt schon hier die Apostelliste, die Petrus und die Berufung des Levi betont. Die Verse 5 - 6 sind eine Stelle von ehemaligen Juden, denn Jesus hat die Heidenmission nicht ausdrücklich abgelehnt. Matthäus aber teilt in zwei Zeiträume: Zur Zeit Jesu gibt es Mission nur bei den Juden, nachher aber bei den Heiden.

 

Schicksal der Jünger, Mt 10, 17-25:

Vorlage ist Mk 13,9-13, das eine Epoche der Kirchenverfolgungen aus den Endereignissen herausnimmt. Die Kirche wird danach noch zur alten Welt gezählt, die Geschichte wird gegliedert und von den Endzeitereignissen abgekoppelt. Die Gemeinde befindet sich noch im jüdischen Rechtsverband. Aber durch die Verfolgung erfahren die Christen die Wahrheit des Evangeliums. Ein Angeklagter wird sich verteidigen, aber er wird nicht den Märtyrertod suchen. Aber der Sinn ist nicht das Leiden, sondern das Zeugnis für Christus. Matthäus will die Lage seiner verfolgten Gemeinde deuten. Dazu nimmt er Stoff, der an sich gar nicht hierher paßt. Aber die dort geschilderten endzeitliche Ereignisse sieht er in seiner Zeit eingetreten.

 

Furchtloses Bekenntnis, Mt 10,26-33:

Markus verwendet ein allgemeines Sprichwort und verbindet es mit seiner Geheimnistheorie (die Enthüllung ist doch wieder verhüllt, nur durch die Predigt wird es enthüllt). Matthäus baut den Ansatz aus zu zwei Epochen der Heilsgeschichte: Die Kirche soll verkündigen ohne Furcht. Der Handlungsspielraum der Verfolger reicht nicht bis zum eigentlichen Menschen, aber der Leib wird vielleicht getötet. Markus hat nur die zweite Drohung des Doppelwortes, das „schämen“ paßt nun nicht mehr. Jesus wird hier als der kommende Menschensohn gesehen. Aber das Wort ist einzigartig bei den Synoptikern und spiegelt die Lage der verfolgten Gemeinde.

 

Bildwort von den Kindern, Mt 11,16-19:

Das Verhalten der Kinder wird hier verglichen: die einen wollen tanzen, die anderen Begräbnis spielen. Dies wurde dann mit dem Traditionsstück über Johannes verbunden. Jesus wird diesem wieder übergeordnet, das Stück ist also eine Gemeindebildung. Gegen die Echtheit spricht auch der Rückblick auf das abgeschlossene Leben Jesu. Außerdem ist fraglich, ob Jesus die Bezeichnung „Menschensohn“ für sich gebraucht hat.

 

Tod des Johannes, Mt 14, 1-12:

Die Erzählung vom Tod des Johannes ist eine märchenhafte Vorstellung, der Tanz ist unmöglich, die Personen sind durcheinander gebracht (Philippus war mit der Frau verheiratet). Im Hintergrund stehen Vorstellungen von Prophetentötungen aus spätjüdischer Zeit.

 

Tempelsteuer, Mt 17, 24-27:

Eine Frage der Gemeinde wird hier eingekleidet in eine kleine Erzählung, die um ein Jesuswort herum gebildet wurde (Apophthegma). Die Gemeinde spricht hier ihre grundsätzliche Freiheit aus, aber gleichzeitig auch die Bereitschaft, die Tempelsteuer zu bezahlen, um die Verbindung mit dem Judentum aufrecht zu erhalten und kein Ärgernis zu erregen. Daß man die Steuer bezahlen kann zeigt, daß die Diskussion vor dem Jahr 70 entstand. Am Schluß steht ein Märchenmotiv, das auch im „Ring des Polykrates“ vorkommt.

 

Vom Verlorenen, Mt 18,10-14:

Der „Schutzengel“ ist eine jüdische Vorstellung von einem Doppelgänger des Menschen im Himmel. „Das Angesicht schauen“ ist aus dem orientalischen Königszeremoniell und bedeutet „beim König stehen“. Doch die Vorstellung vom Schutzengel ist für uns heute nicht nachzuvollziehen, sie sollte daher aufgegeben werden. Wichtig ist allein die Aussage: „Der Geringe ist mein Bruder vor Gott!“ Diese Aussage ist wichtig, nicht die Engelvorstellung.

Lukas 15,4 zieht den Hörer mit in das Gleichnis hinein. Es ist nicht mehr an die Jünger gerichtet, sondern an die Gegner. Es wird gesagt: Erst im konkreten Fall wird der andere mir zum Bruder! Matthäus macht eine Lebensregel daraus. Jede Anwendung ist aber eine Verengung: Lukas weist auf die Freude im Himmel hin, die Buße ist schon ein wenig die vom Menschen zu leistende Bedingung, aber Lukas spottet nicht, er meint schon, daß es Gerechte gibt.

 

 

 

Lukas

 

Arbeitsweise und Gliederung:

Nur Lukas hat Vorworte („Proömium“), die seine Werke zeitlich einordnen. So versucht er, ein „Leben Jesu“ zu gestalten, aber aus dem geschichtlichen Abstand heraus. Wenn er aber von den „vielen anderen Evangelien“ spricht, so muß man das nicht so ernst nehmen. Er hat auch keine Evangelien kritisch gesichtet, sondern hier handelt es sich mehr um einen üblichen Brauch, solche Angaben zu machen.

Lukas arbeitet nicht wie Matthäus die Quellen zusammen. Er vermehrt den Stoff des Markus um das Material der Redenquelle und fügt Sondergut hinzu. Er nimmt nur die knappe Hälfte des Markus auf und stellt dessen Stoff und seinen Stoff blockartig nebeneinander (zwei Aussendungsreden, zwei Pharisäerreden).

 

Neuer Stoff

Markusstoff

1,5 - 4,30

 

 

4,31 - 6,11 (außer 5,1-11)

6,12 - 8,3 (außer 6,17-19)

 

 

8,4 - 9,50

9,51 - 18,14

 

 

18,15 - 43

19, 1-44 (außer 19,29-36)

 

 

19,45 - 22,13 (außer 21,18, 34-36)

22,14 - 24,53

 

 

Wegen des Abwechselns der Quellen bringt er einen ganz neuen Zeitabschnitt in das Leben Jesu: den Reisebericht Lk 9,51 bis 18,34. Dadurch wird der geheime („esoterische“) Teil des Markus (Mk 8,27 - 10,45) aufgespalten: Das Petrusbekenntnis und zwei Leidensankündigungen fallen vor die Reise, die dritte Leidensweissagung kommt an das Ende der Reise. Auch bei Lukas wird Jesus als lehrend und heilend gedacht. Die Begleitung durch die Jünger ist selbstverständlich.

Lukas bemüht sich um eine geschichtlich fortlaufende und verknüpfte Darstellung und um Herstellung einer eindeutigen geographisch-chronologischen Folge. Er stellt Jesu Auftreten in Nazareth an den Anfang seiner Wirksamkeit. Er bringt Vaterunser und Rang­streit als Situation im Leben Jesu unter. Lukas ist der einzige Schriftsteller unter den Synoptikern Dibelius), der erste christliche Historiker, vor allem aber auch Theologe (Con­zelmann).

 

Im Einzelnen hat Lukas….

- Vorgeschichten vorangestellt (aber andere als Matthäus)

- einen kleinen Einschub: 6,20 - 8,3 (Feldrede, Hauptmann, Johannes, Sünderin)

- einen großen Einschub: 9,51 - 1814 (19,27) (Lukanischer Reisebericht)

- eine Nachgeschichte angefügt (Emmausjünger, Erscheinung, Himmelfahrt)

- Mk 6,45 - 8,20 ist ausgelassen..

 

Umstellungen gegenüber Markus:

Gefangennahme des Täufers                      Lk 3,19-20                   Mk 6,14-29

Antrittspredigt in Nazareth                              4,16-30                         6,1-6

Sünderin in Simons Haus                                  7,36-50                       14,3-9

Frage nach dem größten Gebot                      10,25-28                     12,28-31

Rangstreit der Jünger                                       22,24-30                     10,42-45

Gleichnis vom Senfkorn                                   13,18-21                       4,30-32

 

Auslassungen aus Markus:

Rede gegen die Ehescheidung                      Mk 10,1-12

Jüngerunverständnis                                                8,32-33

Gespräch nach der Verklärung                               9,9-13

Verfluchung des Feigenbaums                            11,12-14 und 20-21

Vor allem ist der Teil „Jesus auf dem Weg zu Leiden“ restlos zerstört und durch den Reisebericht ersetzt worden.

 

Dubletten im Lukasevangelium:

Aussendung der Jünger                      9,1-6 und 10,1-16

Reden gegen die Pharisäer               11,37-53 und 16,14-15 und 20,45-47

Worte vom Ende                                12,49-56 und 17,30-37 und 21,5-36

Rangstreit der Jünger                          9,46-48 und 22,24-30

 

Sondergut im Lukasevangelium.                                                     

Standespredigt                                  3,10-14          Wachsame Knechte   12,235-38

Antrittspredigt in Nazareth              4,16-30          Bußruf                         13,1-9

Fischzug des Petrus                           5,1-11             Verkrümmte Frau      13,10-17

Jüngling zu Nain                                 7,11-17          Wassersüchtiger        14,1-6

Dienende Frauen                                8,1-3              Gastmahlsreden         14,7-14

Ablehnung der Samaritaner              9,51-56          Jüngerschaft               14,25-35

Barmherziger Samariter                   10,29-37         Amer Lazarus             16,19-31

Maria und Martha                             10,38-42         Zehn Aussätzige         17,11-19

Bittender Freund                               11,5-8             Reich Gottes               17,20-21

Seligpreisung Marias                        11,27-28         Zachäus                       19,1-10

Törichter Reicher                              12,13-21         Jesus vor Herodes      23,6-16

 

Offensichtlich hat Lukas das Markus-Evangelium verwendet. Er hat Markus mit größter Sorgfalt bearbeitet und die Sprache auf eine höhere Ebene gehoben. In seinen Rahmenstücken wollte er besonders verdeutlichen. Die zwei Blöcke Lk 6,12 - 8,3 und 9,51- 18,14 haben keine Parallele bei Markus. Dafür wurde Mk 6,45- 8,26 ausgelassen. Gegen die Vermutung, dieser Abschnitt habe in der Vorlage gefehlt, spricht, daß Matthäus diesen Text offensichtlich kennt. Lukas will offensichtlich die „Auslandsreise“ Jesu nach Tyrus und in die nichtgaliläischen Städte am See Genezareth streichen.

Lukas hat den Ehrgeiz, eine auch gebildete griechische Lesern beeindruckende Geschichtsdarstellung zu schreiben unter Herstellung der „richtigen“ Reihenfolge. Lieblingsgedanken sind: Vorliebe für die Armen, Vorliebe für Frauen, Neigung zur Verteidigung vor allem in der Leidensgeschichte (aber auch Entschuldigung der Römer), Steigerung des Wunderhaften, Vorliebe für Legenden, Steigerung der Person Jesu ins Göttliche.

Lukas betont immer wieder: Jesus war für alle da, er war ein Licht zu erleuchten die Heiden, er war da für die Verlorenen (Schaf, Groschen, Sohn), er kümmerte sich um die Zöllner (Zachäus), Witwen und den Verbrecher am Kreuz. Die Juden kommen dabei schlecht weg (Barmherziger Samariter, zehn Aussätzige). Häufig werden Frau­en erwähnt (Maria und Martha, Erscheinungen des Auferstandenen). Oft wendet sich Jesus gegen das Kapital („Mammon“: Reicher Kornbauer, Armer Lazarus, Reicher Jüngling). Sondergut sind die vollständige Aufzählung der Reisegeschichte Lk 951 bis 18,14, der Fischzug, der Jüngling zu Nain und das letze Wort am Kreuz: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“.

Aus den fünf neuen Stücken mit einem eigenen Passionsteil könnte man sogar ein vollständiges Evangelium („Ur-Lukas“) wiederherstellen. Hier kommt vor allem die Liebe Jesu zu den Entrechteten zur Geltung, die Liebe zu den Armen, das Interesse an den Samaritern und viele Abschnitte, die von Frauen handeln. Die „Protolukastheorie“ behauptet sogar, dieser sei vor dem Markusstoff entstanden, Markus habe nur ergänzend eingefügt. Aber das ist alles doch wohl zu viel spekuliert.

 

Verfasser und Abfassungszeit:

Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte sind von demselben Verfasser (gleiche Widmung an Theophilus, Anknüpfung von Apg 1,1-11 an Lk 24, Übereinstimmung in Sprache, Stil und theologischer Haltung). Der nirgends genannte Verfasser wird in der altkirchlichen Tradition mit dem aus Philemon 24 bekannten Arzt Lukas gleichgesetzt. Dagegen spricht jedoch, daß Lukas praktisch keine typisch paulinischen Glaubenslehren (Rechtfertigung und Kreuz) kennt, wie es für einen Paulusbegleiter zu erwarten wäre, sondern mit Paulus nur allgemein urchristliche Themen teilt. Auch besonderes medizinisches Spezialwissen findet sich im Lukasevangelium nicht häufiger als in vergleichbarer Literatur.

Lukas schafft eine Historisierung und Psychologisierung (Jüngerberufung aufgrund des Wirkens Jesu, Passionsgeschichte ausgestaltet zum Bild des Martyriums, zum Beispiel Worte Jesu am Kreuz und Worte des Stephanus).

Die Wirksamkeit Jesu wird auf jüdisches Gebiet beschränkt. Jerusalem ist der Ort der Passion Jesu, aber auch der Ort der Erscheinung des Auferstandenen. Erscheinungen gibt es nur in Jerusalem und Umgebung (dogmatische Topographie).

Lukas war wohl ein früherer Heide, da er keine Kenntnis von der Landschaft Palästinas besitzt und semitische Ausdrücke vermeidet. Das Lukasevangelium blickt auf den Untergang Jerusalems in Jahre 70 zurück (Lk 13,34-35). Es ist außerhalb Palästinas in den Jahren 70 bis 90 geschrieben.

 

Theologie:

Das Lukas-Evangelium ist der erste Teil des zweibändigen Werkes Lukas und Apostelgeschichte, das nicht mehr mit der baldigen Parusie rechnet (21,19) und deshalb auch die Kirche in den heilgeschichtlichen Ablauf einbauen muß und die Frage der christlichen Ethik (3,10-14) behandeln muß. Es ist der erste Teil eines auch die Kirche und Mission umfassenden Geschichtswerks. „Entwurf von der gegliederten Kontinuität der Heilsgeschichte nach Gottes Plan“ (Conzelmann).

Lukas übernimmt aus dem Markusevangelium das Motiv der Reise. So entstand eine völlig neue Gesamtgliederung: Aus Markus 10 wurde ein neuer großer Reisebericht. Allerdings schließt sich Lukas erst am Schluß an den Reisebericht des Markus an, am Anfang benutzt er nur Sondergut. Geformt sind die Reisenotizen aber von Lukas, er benutzt keine Sondergutquelle. Deshalb läßt sich der Reisebericht auch erst hinter Lk 19,27 abtrennen.

Nach Conzelmann („Die Mitte der Zeit, 1954) soll Lukas eine Dreiteilung der Geschichte kennen (vgl. Lk 16,16 - Mt 11,12):

• Die Zeit Israels (bis einschließlich Johannes der Täufer)

• Die Zeit Jesu als die „Mitte der Zeit“

• Die Zeit der Kirche, die auf die Heilszeit mit Jesu Wirksamkeit zurückblickt.

Auffallend ist, daß sich Lukas bemüht, die Geschichte Jesu als Teil (und Zentrum) der Weltgeschichte zu beschreiben. Das Auftreten Jesu wird in ein weitgespanntes Heilsgeschehen gestellt. Die Wie­derkunft wird noch vorwärts in die Zukunft gerückt, das Leben Jesu in die Vergangenheit. Lukas gibt damit ein Mittel, die Zwischenzeit auszuhalten als Zeit der Kirche. So beantwortet die Geschichtstheologie des Lukas die Frage nach dem Verständnis der Geschichte mit Hilfe der Christologie: Christus ist Mitte bzw. Ende der Geschichte.

Damit sind die Zeit Jesu und die Zeit der Kirche verschiedene Epochen eines umfassenden heilsgeschichtlichen Ablaufs. Damit gelten aber die Weisungen der damaligen Zeit in der Kirche nicht mehr (Lk 22,35-37). Die jetzige Kirche soll nicht mehr nach dem Vorbild der damaligen reformiert werden (keine Verfallstheorie). Die Aussendungsrede zeigt die damalige (!) messianische Behütung der Boten. Heute ist wieder Bedrängnis vorhanden, der man mit Geduld begegnet. Nachfolge zur Zeit Jesu und heute ist zweierlei.

Um die Verbindung der Epochen zu wahren, wird das heilsgeschichtliche Schema aufgestellt. Die Zeit der Kirche ist darin die Zeit der Erhöhung des Herrn. Sie empfing den Geist (Apg 1,8) und treibt deshalb Mission (Lk 4,17-21). Die Wiederkunft Christi ist keine neue Stufe der Entwicklung, sondern das Ende (der andere Grenzpunkt ist die Schöpfung)(nach Hans Conzelmann)..

Die Zeit Jesu ist noch einmal untergliedert in drei Stufen (mit dem Täufer als Vorspiel, 1,5-3,20). Dabei entspricht die Art des Unterwegsseins immer einer bestimmten Verkündigung:

 

Taufe  

I

Verklärung

II

 Einzug

III

 

Wanderung in Galiläa und Judäa

 

Reise   nach Jerusalem,

„Mitte der Zeit“

 

Aufenthalt in Jerusalem ,

Passion

3,21-22

4,14 - 9,50

9,28-36

9,51 - 19,27

19,28-40

19,41 - 24,53

 

Messias­bewußtsein

 

Leidens­bewußtsein

 

Königs­bewußtsein

 

Man hat den Eindruck, als seien alle drei Perioden gleich lang. Diese Epochen enthalten drei Christologien. Diese werden jeweils eröffnet durch eine Erscheinungserzählung (Epiphanie): Taufe, Verklärung, Einzug in Jerusalem bzw. Gebet in Gethsemane. Die Erscheinung ist dabei mit einem Gebet verbunden.

Bei Lukas wirkt Jesus von Anfang an auch in Judäa. Galiläa verliert seinen Rang als Land der geheimen Erscheinung. Besonders herausgehoben ist die „Mitte der Zeit“ zwischen Versuchung und Leidensgeschichte, in der der Satan vertrieben ist und das Heil sich rein darstellen kann.

Doch Jesus befindet sich beim zweiten Durchgang im Grunde gar nicht auf einer Reise, denn er berührt immer wieder die gleichen Orte wie während der Wanderung. Von einer Ortsveränderung ist weniger zu merken als vorher. Die Reise wird in Lk 9,51 stark angekündigt und durch die Aussendung vorbereitet, aber es ist gar keine wirkliche Reise mit Ortsveränderung. Auch kennt sich Lukas nicht im Lande aus: Jesus kommt nach Jericho, obwohl er wie die galiläische Festpilger über Samaria reist. Doch Lukas denkt sich Jesus nicht in Samaria, für ihn haben Galiläa und Judäa eine gemeinsame Grenze.

Das Wesen der Reise ist nicht im Lebenslauf (im Biographischen) zu suchen, sondern von der Lehre über Christus her zu verstehen, Jesus wirkt nicht anderswo, sondern anders. Conzel­mann formuliert: „Jesus wandert nicht geographisch, sondern christologisch!“ Das Lukas-Evangelium stellt die „innere“ Darstellung des Lebens Jesu in einen äußeren Rahmen, die „Mitte der Zeit“ (Hans Conzelmann).

I.) Der Täufer:

Johannes wirkt allein im Jordangebiet und hat keinen Zulauf aus Juda. Er bringt nur die Buß­predigt (16,16), nicht die Verkündigung der Gottesherrschaft. Er ist nicht der Anbruch einer neuen Epoche, sondern markiert nur den Einschnitt zwischen zwei Epochen. Er ist der größte Prophet, aber nicht eschatologisch zu deuten (7,23-30). Bei Jesus aber wird die Bußpredigt zur Reichspredigt und die Bußtaufe zur Geisttaufe.

 

II.) Die Wanderung:

Jesus geht nicht in die Wüste, die ja der Ort der Versuchung ist. In Lk 4,5 ist der Berg gestrichen, weil er Ort der geheimen Erscheinungen ist, während sonst der See der Ort der Erscheinungen ist, die die Macht Jesu zeigen (5,4) und die Grenze gegen die Dämonen (8,22-39).

Jesus geht sofort nach Galiläa (4,14). Es ist neben Judäa das Gebiet des Wirkens Jesu, ist aber nicht heilsgeschichtlich qualifiziert (26,6 keine Erscheinung). Bei Lukas beginnt Jesus mit einer Antrittspredigt in Nazareth (4,15), bei der er Jes 61,1-2 auslegt: „Heute ist diese Schrift erfüllt!“ Heute ist die Zeit des Heils, in der es keinen Satan gibt (er verläßt Jesus in 4,13 und taucht erst wieder bei der Passion auf in 22,3). Doch erst kommt es in Nazareth zur Abweisung. Daraufhin sammelt er die Jünger, die später die „Zeugen“ sein werden (5,1-11).

 

III.) Die Reise:

Die Wanderung geht bis Lk 9,50. Sie ist eine wirkliche Ortsveränderung und darum qualitativ geschieden von der „Reise“, die der Darstellung einer christologischen Entwicklungsstufe dient: Sie ist der Weg zum Leiden! Daraus aber entsteht das Jün­ger­­miß­verständnis (nicht mehr Unverständnis). Die Jünger erwarten in Jerusalem die Parusie (es geht um das Wie der Messianität). Jesu Leidensbewußtsein wird also als „Reise“ ausgedrückt („er wandert anders“).

Seit dieser „Mitte der Zeit“ ist Jesus auf doppelte Weise gegenwärtig:

a.) als der Lebendige im Himmel (Himmelfahrt)

b.) als der Vergangene durch das Bild der Überlieferung.

Die Darstellung des Lebens Jesu ist deshalb bei Lukas die Abfolge von Geschehnissen einer qualifizierten Zeit.

 

IV.) Passion:

Seit dem Einzug lehrt Jesus tagsüber im Tempel und betet nachts am Ölberg. Jetzt ist das Christsein wieder Kampf. Aber die Apostel bleiben bei Jesus bzw. in Jerusalem (22,28), wenn auch in Anfechtung (22,31), aber sie haben ja die Waffe des Gebets (22,40 und 46). Das Ende des tatsächlichen Daseins Jesu (Realpräsenz) ist die Himmelfahrt, mit der die Zeit der Kirche eröffnet wird. Aber sie ist erst vorletzter Akt, es folgt noch die Parusie.

 

Lehre von Christus:

Die Heilsbedeutung des Kreuzestods tritt bei Lukas zurück. Öfters wird der Tod lediglich als Gottes Willen gemäß dargestellt. Allerdings findet sich nur bei Lukas eine der­art heilsmäßige Deutung der Einsetzungsworte (22,19-20). Für Lukas ist Jesus von seiner Geburt an der mit Geist begnadete Gottessohn. Dies zeigt sich in der Vorgeschichte und in dem Verzicht auf die Messias-Geheimnis-Tradition des Markus Bei Lukas nennt sich Jesus schon zu Beginn seiner Wirksamkeit „Messias“). Folglich wird auch der irdische Jesus schon von seinen Jüngern als „Herr“ angesprochen und vom Evangelisten in Erzählungen so genannt. In dieser Linie ist wohl auch die Änderung der letzten Worte Jesu zu sehen („Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“). Betonter als bei Markus und Matthäus treten die Liebe Gottes zu den Verachteten und Sündern hervor. Der Reichtum wird stärker abgelehnt.

 

Lehre von der Kirche:

Die Auferstehung ist die Voraussetzung für das Vorhandensein der Kirche. Diese hat nun die Heilsbotschaft zu vermitteln, um dadurch die Entfernung des Einzelnen von dem vergangenen und zukünftigen Ereignisisen unwichtig zu machen. Außerdem schließt die Bindung an die alttestamentlichen Verheißungen eine weltweite Missionsaufgabe ein.

Die Kirche ist das wahre Israel, denn der Auferstandene erscheint in Jerusalem und bindet die Apostel vorläufig an die Stadt. Aber die Kirche muß sich auf eine lange Zeit bis zum Eintreffen des Endes einstellen. Doch der Ausblick auf die Wiederkunft wird verklammert mit dem Rückblick auf Jesus. Jesus hat dieses Reich angekündigt, an ihm läßt sich ablesen, was das Reich ist. Das Werk Jesu aber ist geschichtlich einmalig. Nach seinem Entschwinden herrschen für die Kirche neue Bedingungen in der Welt.

 

Die frühe Zeit der Kirche ist Darstellung eines Ideals (Augenzeugenbegriff, Gesetzesbeachtung, Gütergemeinschaft), das aber in der Jetztzeit vergangen ist. Nur die Bewährung in der Verfolgung ist noch Vorbild. Die Ämter der Frühzeit (Apostel, Zeugen) sind nicht wiederholbar, jedoch geschichtliche Grundlage der Kirche. Die Einheit der Kirche besteht in der Übereinstimmung der Botschaft und der Sakramente. Die Botschaft deckt dabei das Sündersein auf und teilt den Weg zum Heil mit: Buße führt zur Vergebung und diese zum Leben.

Da Lukas als Vertreter der zweiten oder dritten Generation sich auf die apostolischen Augenzeugen und die von ihnen stammende Überlieferung beruft, wird er (seit Käse­mann, 1949) oft als Vertreter des „Frühkatholizismus“ angesehen. Doch kennt er weder eine frühkatholische Ämternachfolge noch ein in Stufen gegliedertes Amtsverständnis. Kirche wird noch nicht als Heilsanstalt gesehen, sakramentales Priestertum und amtliche Schriftauslegung sind Lukas unbekannt.

Lehre und Geist sind noch nicht an eine kirchliche Organisation gebunden. Der Geist wirkt durch das Wort. Deshalb ist auch eine Bewahrung der apostolischen Wortverkündigung vor Verfälschung notwendig. Lukas versucht die Einheit der Kirche nicht auf frühkatholischem Weg über Ämter, sondern durch die Abfassung seines Evangeliums herzustellen.

Das Fortlaufende (Kontinuität) der Heilsgeschichte zeigt sich am Gesetz: Die erste Epoche ist die Zeit des Gesetzes und der Propheten. Dann entfaltet Jesus das Gesetz durch seine Bußpredigt und seine Gebote. Für die Kirche bleiben diese in Kraft. Aber jetzt ist ihr zusätzlich die Predigt vom Reich Gottes geschenkt, dazu dann noch der Geist.

 

Lehre von der Endzeit:

Die „letzten Tage“ sind zu einer längeren Epoche zerdehnt (12,38-48). Der Geist ist nur vorläufiger Ersatz für den Besitz des endgültigen Heils. Er ermöglicht auch die Existenz der Gläubigen in der fortdauernden Welt (Verfolgung!) und schenkt Kraft zur Mission und zum Durchhalten (8,13 und 15).

Das aktuell-eschatologische Überlieferungsgut wird historisiert. Überliefern läßt sich nur die Vorstellung des Erwarteten, nicht die Erwartung selbst (9,27)

  • Bedrängnis (tlipsis) wird zur Versuchung (peirasmos) (Mk 4,17 zu Lk 8,13)
  • Muße (metanoia) führt zum Wandel der Gesinnung
  • Umkehr wird zur Bekehrung des Lebenswandels (= Werke).
  • Buße wird zur Bedingung der einmaligen Sündenvergebung in der Taufe.

An die Stelle der kollektiv-kosmologischen Hoffnung tritt für den Einzelnen die persönliche Auferstehung (aber: Alle stehen auf, nicht nur die Gerechten). Das Reich Christi ist nicht identisch mit dem Reich Gottes oder der Kirche. Die apokalyptische Berechnung wird Lehre von der Endzeit, speziell der Verbindung mit dem Schicksal Jerusalems (19,11 und 21,7) oder der Auferstehung (17,20). Das Reich wird von Jesus gepredigt, aber sein Kommen ist zukünftig. Deshalb erfolgt die Mahnung zum christlichen Leben auch in der Verfolgung. Die Plötzlichkeit des Einbruchs wird betont, aber nicht der Zeitpunkt, sonder das D a ß des Gerichts begründet die Dringlichkeit des Appells.

Sicher gibt es bei Lukas ein Zurücktreten der Naherwartung. Immer wieder wird eingeschärft, daß sich der Zeitpunkt der Wiederkunft keinesfalls errechnen läßt. Ferner werden Endgericht und innergeschichtliches Unheil in den endzeitlichen Aussagen stärker voneinander getrennt. Die Verkündigung Jesu setzt nicht mit dem „Das Gottesreich ist nahe“, sondern mit „Heute ist diese Schrift erfüllt“.

Dennoch findet sich auch Stellen, an den Lukas die Naherwartung aus seinen Vorlagen auskorrigiert übernimmt bzw. sogar erst hinzufügt (10,11). Die Naherwartung ist also nicht vollständig aufgegeben. Ein Zurücktreten findet sich aber durchaus, da die Gegenwart bereits stärker als Heilszeit verstanden wird und die Geschichte seit Jesu stärker unter den Blickwinkel der Heilsgeschichte gerät (statt als Zeit der ausbleibenden Wiederkunft negativ gewertet zu sein). Dennoch hat Lukas nicht die Heilsgeschichte erfunden, auch bei Paulus finden sich zum Beispiel heilsgeschichtliche Einteilungen in Zeitabschnitte.

Zu behaupten, die Naherwartung sei durch einen heilsgeschichtlichen Entwurf ersetzt (wie Conzelmann), dürfte allerdings beide Vorstellungen in zu krassen Gegensatz setzen. Auch die Vermutung, daß Lukas auf das Leben Jesu als vergangene Heilszeit zurückblickt und deshalb als erster Geschichtsschreiber ein Leben Jesu schreibe (Haenchen, Apostelgeschichte), berücksichtigt nicht, daß auch die gegenwärtige Zeit der Kirche für Lukas eine Heilszeit darstellt.

 

Verhältnis zu Römern und Juden:

Jesu ist unpolitisch (4,11). Die Schwierigkeiten sind nur Umtriebe der Juden. Die Römer verhalten sich einwandfrei (23,22). Die Juden sollten bestraft werden, aber Christen haben nichts mit ihnen zu tun (Apg 24,14). Die Juden sind gerufen, „Israel“ zu werden oder eben „Juden“ (Apg 13,46). Vielleicht handeln sie nur in Unkenntnis, dann müssen sie sich von den Führern trennen (Apg 3,17-18).

Daß Lukas den Römer Pilatus von der Schuld am Kreuzestod freispricht und vor allem die Juden belastet, hat wohl eine entschuldigende Aufgabe gegenüber den römischen Behörden: Der Herrschaftsanspruch Jesu zielt nicht auf politische Herrschaft und ist also nicht verschwörerisch.

Zusammenfassend kann man sagen:

Den Römern gegenüber: „Dem Kaiser, was des Kaisers ist“ (20,25).

Den Juden gegenüber: „Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 4,19 und 5, 29).

 

Einzelne Abschnitte:

Taufe Jesu, Lk 3,21-22:

Lukas erweitert die Tauferzählung durch die sogenannte „Standespredigt“, in der bestimmten Berufsgruppen gesagt wird, was sie tun sollen. Eine bürgerliche Ethik („Begnüge dich mit deinem Sold“) ist Inhalt der christlichen Missionspredigt.

 

Erste Predigt in Nazareth, Lk 4,16-22:

Die Angabe, daß Jesus der „Sohn des Zimmermanns“ ist, wurde auch in den Handschriften nicht gestrichen, obwohl die Angabe doch im Widerspruch zur Jungfrauengeburt zu stehen scheint. Aber man könnte natürlich auch denken: Die haben Jesus nur deshalb nicht begriffen, weil sie in ihm nur den Sohn Josephs sehen.

Lukas übergeht das Rachewort aus Jesaja 61,1-2 und betont: „Heute ist das Wort erfüllt!“ Damit wird das Wort aus dem Alten Testament von der Gemeinde ausgelegt. Diese verstand darunter nicht ein übernatürliches Gottesreich, sondern dachte an die Wandlung der noch bestehenden Welt von dort her. Lukas versteht diese Sätze aber historisch und sieht darin das Bild der reinen Heilszeit in der „Mitte der Zeit“ verwirklicht, so daß sich die Kirche in den gegenwärtigen Verfolgungen trösten lassen kann. Wenn von der Verstoßung Jesu berichtet wird, dann denkt sie an ihr eigenes Verhältnis zu den Juden.

 

Von der Nachfolge, Lk 9,57-62:

Von den drei Beispielen ist eins zusätzlich gebildet, um auf die Dreizahl zu kommen.

I. Die Szene ist erst zur Illustration zu dem Einzelwort gebildet worden (Apophthegma) . Dieses ist aber nicht ein allgemeines Sprichwort im Sinn der Weisheit des Alten Testaments, sondern von Anfang an ein Menschensohnwort der Gemeinde, die hier rückschauend den Weg Jesu schildert und deutet. Aber Nachfolge bedeutet auch Leiden für die Gemeinde.

II. Eine ideale Szene mit Ähnlichkeit zu griechischen Sätzen.

III. Die dritte Szene ist ganz radikal, denn in 1. Kön 19,20 darf sich Elisa immerhin noch von seinen Eltern verabschieden.

 

Maria und Martha, Lk 10,38-42:

Lukas hat noch die ursprüngliche Stufe der Tradition. Aber in den Handschriften wurde der längere Text gekürzt, damit Martha besser wegkommt und das Dienen doch etwas gilt. Johannes scheint sehr viel mehr über die Frauen zu wissen.

 

Vom Kommen des Menschensohns, Lk 17,20-21

In Lukas 17,11 findet sich eine kurze Reisenotiz. Aber entweder heißt es dort „mitten durch“, dann stimmt die Reihenfolge Galiläa-Samaria nicht. Oder es heißt „zwischen durch“, dann aber stimmt die Geographie nicht. Lukas kannte sich in Palästina nicht aus.

Die Verse 20-37 hat man auch die „Logienapokalypse“ genannt, weil sie aus der Spruchquelle stammt und Traditionsgut aus dem Judentum über die Endzeit übernimmt. Nach Jesu Tod kamen diese Dinge in den Gemeinde mit ehemaligen Juden wieder hoch. Aber jetzt wird das Traditionelle christlich verändert, denn es wird unterschieden in geschichtliche und endzeitliche Ereignisse.

Lukas baut die Kirche dann in sein System ein und verzichtet entschlossen auf die Naherwartung. Wann das Reich kommt, ist unbekannt, man muß nur wissen, daß das Heil kommt. Es geht nicht darum, wie die Gottesherrschaft kommt, sondern es geht um die Verhältnisbestimmung zur Zukunft: Man muß sich entscheiden, solange es Zeit ist.

Die Zeichen sind zweideutig und können übersehen werden. Jesus und seine Botschaft sind das Zeichen, es kommt kein zukünftiges Zeichen mehr. Das „mitten unter euch“ ist natürlich aus dem Aramäischen übersetzt, der Übersetzer hat schon ausgelegt mit der Verwendung der Präposition „mitten“. Es ist heute zu übersetzen „im Bereich von…“. Die Gottesherrschaft muß zukünftig sein, aber die Entscheidung ist gegenwärtig. Als Jesus „in den Himmel fuhr“, hinterließ er das Bild seines Wirkens. Indem man dieses ansieht, hat man die Gottesherrschaft. Aber Jesus ist nicht die Herrschaft, nur die Vorabbildung. In diesem Sinne spricht Lukas von der Gegenwart der Herrschaft.

Matthäus vergleicht den Blitz mit der Wiederkunft (Lukas mit dem Menschensohn), er spielt auf die Wüstenideologie an und vielleicht auch auf den verborgenen Messias. Die Menschen­sohn­worte sind zwar alle eine Bildung der Gemeinde, aber sie wurden schon immer mit Jesus gleichgesetzt. Deshalb braucht sich die Gemeinde nicht zu fürchten, sie kennt ja Jesus und wird ihn sofort erkennen. Die Verbindung von Leiden und Wiederkunft ist allerdings sekundär, das ursprüngliche Bekenntnis hatte nur Tod und Auferstehung.

Vers 34 gibt das Verhalten am Ende vor. Markus spricht vom Anfangspunkt der Krisenzeit, so daß man noch entkommen kann. Lukas spricht vom Endpunkt vor der Wiederkunft, so daß man nicht mehr fliehen kann (das könnte ursprünglicher sein).

Mit Lk 18,15 schließt sich Lukas wieder an Markus an, aber das ist noch nicht das Ende seines Reiseberichts. Er kommt jetzt nur an das Ende des Reiseberichts bei Markus, den er durch sein Material stark erweitert hat. Aber die Kindersegnung hat an sich nichts mit der Reise zu tun, sie kann überall gewesen sein.

 

Zachäus, Lk 19,1-10

Hier haben wir das Beispiel einer Bekehrung, nach der Jesus in das Haus des Bekehrten tritt. Vers 8 ist eine Ergänzung des Lukas. Der ursprüngliche Ablauf ist: Jesus weist das Murren ab mit den Worten: „Heute ist diesem Hause Heil wiederfahren!“ Die Begründung „…denn auch er ist ein Sohn Abrahams“ zeigt, daß hier eine Tradition ehemaliger Juden vorliegt. Das Christliche besteht in der Aufnahme des Sünders.

 

 

 

Geburt Jesu

 

Geburtstag Jesu:

Wie das mit seiner Geburt und Kindheit gewesen ist, hat man später nicht mehr gewußt. Wir würden sicher in Verlegenheit kommen, wenn wir eine Geburtsurkunde Jesu schreiben sollten, die hieb- und stichfest ist. Seinen Namen könnten wir angeben, zumindest seinen Vornamen. Aber schon bei der Bezeichnung „Christus“ würde der Standesbeamte stocken: Das ist doch eine Behauptung, daß er der Gesalbte Gottes sein soll.

Vollends schwierig wird es mit dem Geburtsdatum. Der 24. Dezember ist ja nur eine spätere Festlegung für den Tag, an dem wir die Geburt feiern, der aber nicht der tatsächliche Geburtstag sein muß. Daß es sich nicht um das tatsächliche Datum handelt, sieht man allein schon daran, daß die orthodoxen Kirchen den 6. Januar als Geburtstag Jesu feiern. Im Westen des römischen Reiches legte man den Tag in die Zeit der Wintersonnenwende, in der schon die Römer das „Fest der unbesiegten Sonne“ gefeiert hatten, um damit zum Ausdruck zu bringen: Jesus ist die wahre Sonne, das Licht der Welt!

Ebenso wurde das Jahr der Geburt Jesu erst Jahrhunderte später festgelegt. Ein Mönch setzte sich hin und versuchte aus den verschiedenen Angaben der Regierungszeiten der Herrscher das Geburtsjahr Jesu zu errechnen. Sein Jahr „Null“ allerdings stimmt nicht mit den anderen geschichtlichen Angaben überein: König Herodes starb schon im Jahr 4 vor Christus. Aber Lk 1,5 und Mt 2,1 geben an, Jesus sei zur Zeit des Herodes des Großen geboren (37- 4 vCh).

Der „Stern von Bethlehem“ könnte auch schon vor Christi Geburt erschienen sein.

Wie seit den Überlegungen von Johannes Kepler allgemein üblich wird der Stern von Bethlehem mit der großen Konjunktion der Planeten Jupiter und Saturn in Verbindung gebracht. Dieses nur in größeren zeitlichen Abständen auftretende Ereignis habe in der Abenddämmerung des 12. November des Jahres 7 vor Christus zum Aufleuchten eines neuen Sterns geführt - eben des Sterns von Bethlehem. Saturn (der Stern der Juden) und Jupiter (der Stern eines Königs) haben damals von Jerusalem aus gesehen in Richtung Bethlehem ganz nah beieinander gestanden, so daß sie wie ein Stern erschienen.

Die moderne Astronomie hat freilich inzwischen festgestellt, daß ein solcher Zusam­menhang zwischen dem Planetenstand am irdischen Himmel und dem Entstehen von Nova-Ausbrüchen physikalisch gar nicht möglich ist. Man fand jedoch Keplers Annahme in anderer Weise berechtigt: Die sogenannte große Konjunktion der beiden hellsten Wandelsterne unseres Sonnensystems war für die antiken Sterndeuter ein so auffallendes Ereignis, daß diese Himmelserscheinung selbst als „Stern von Bethlehem“ bezeichnet werden konnte. Man muß dabei bedenken, daß der ungetrübte orientalische Himmel die Sterne viel eindrücklicher erscheinen läßt, als wir es gewohnt sind. Hinzu kommt, daß sich zur Zeit das Ringsystem des Saturns uns na­he­zu nur von der Kante zeigt, so daß die Helligkeit des Gestirns wahrscheinlich schwächer ist als im Jahre 7 vor Christus.

Amerikanische Astronomen haben neue Berechnungen angestellt und zweifeln daran, daß die dreifache Konjunktion von Jupiter und Saturn im Jahre 7 vCh tatsächlich als Bethlehemstern angesehen werden kann. Sie haben nach anderen auffallenden Himmelsereignissen in dieser Zeit gesucht, von denen sich vermuten läßt, daß sie die „Weisen aus dem Morgenland“ zu ihrer Reise nach Bethlehem veranlaßt haben könnten.

Nach ihren Berechnungen zog der Planet Jupiter in den Jahren 3 und 2 vCh insgesamt dreimal an Regulus (dem Hauptstern des Sternbildes Löwe) vorbei. „Regulus“ heißt „der kleine König“, und der Löwe galt bei den babylonischen Astrologen als das Sternbild des jüdischen Volkes. In 1. Mose 49,9 heißt es: „Juda ist ein junger Löwe“; der „Löwe von Juda“ war sprichwörtlich.

Die astronomisch-astrologische Überlegung geht jedoch noch weiter. Auch die Venus, der Stern der Göttin der Fruchtbarkeit, kommt noch ins Spiel. Die amerikanischen Astronomen berechneten, daß einige Wochen vor der ersten Begegnung Jupiters mit Regulus der Planet Venus dem Jupiter bis auf etwa einen halben Vollmonddurchmesser nahegekommen war. Wochen nach der Jupiter-Regulus-Begegnung betrug der Abstand zwischen Jupiter und Venus sogar nicht mehr als drei Minuten, eine Entfernung, die für das Auge kaum noch aufzulösen war.

Die Festlegung des „Sterns von Bethlehem“ auf das Jahr 2 vCh würde nicht nur den Fehler in der Ansetzung des christlichen, heute allgemein üblichen Kalenders, geringer erscheinen lassen als bisher. Auch andere historische Tatsachen ließen sich dann besser einordnen. So soll zum Beispiel Herodes der Große im Anschluß an eine Mondfinsternis gestorben sein. Dafür böte sich die totale Mondfinsternis in der Nacht vom 9. auf den 10. Januar des Jahres 1 vCh an.

Es könnte aber auch, daß in Mt 2,9 nicht eine reale astronomische Erscheinung wird, sondern ein wandernder Wunderstern.

• Eine reichsweite Volkszählung ist überhaupt nicht bekannt. Nach dem Geschichts­schreiber Josephus fand eine allgemeine Volkszählung (die sich aber nur auf Judäa beschränkte) im Jahr 6 nCh statt, nachdem der Stadthalter Archelaos abgesetzt und an seiner Stelle Kyrenios eingesetzt worden war. Das Motiv der Volkszählung geht auf Lukas zurück, der die geschichtliche Tradition (Nazareth) mit der legendarischen (Bethlehem) verbinden wollte und sie zugleich in den Zusam­men­hang der Weltgeschichte stellen wollte.

• Nach Lk 3,23 war Jesus zu Beginn seiner öffentlichen Wirksamkeit etwa 30 Jahre alt. In Zusammenhang mit Lk 3,1 (Datierung der Wirksamkeit des Täufers in das 15. Regierungsjahr des Kaisers Tiberius - also 28 nCh) müßte Jesus dann einige Jahre vor der Zeitenwende geboren sein.

Die Widersprüche in der Datierung der Geburt Jesu sind ein Hinweis darauf, daß die Weihnachtserzählungen erst viel später entstanden sind unter Verwendung von aller­hand geschichtlichen Ereignissen. Es ist müßig, nach möglichen Stellungen der Sterne zu fragen. Da die Geschichte sowieso nur erfunden ist, um eine Glaubensaussage anschaulich zu machen, spielen tatsächliche Ereignisse keine Rolle.

Was aber bleibt, das ist die weltweite Zählung der Jahre nach Christi Geburt. Manche Völker haben zwar auch eine andere Zählung (zum Beispiel natürlich die Juden). Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß in der wissenschaftlichen Welt die einmal vom christlichen Europa eingeführte Zählung verwendet wird.

Teilweise hat man versucht, den Namen „Christus“ zu vermeiden, indem man „vor unserer Zeitrechnung“ oder „unserer Zeitrechnung“ sagt („nach unserer Zeitrechnung“ ist Unsinn). Doch das ändert nichts an der Tatsache, daß diese Zeit­rech­nung sich nach der Geburt Christi richtet.

 

Geburtsort Jesu:

Auch der Geburtsort Jesu steht nicht so fest, wie wir das wohl annehmen. Schließlich heißt er „Jesus von Nazareth“! Er ist in Nazareth aufgewachsen, aber er soll in Bethlehem geboren sein. Möglich ist natürlich die Reise nach Bethlehem und die Geburt in diesem Ort, wie sie Lukas schildert. Doch in der Hauptsache geht es um theologische Gründe: Bethlehem war die Stadt Davids, und nur aus dieser Stadt konnte der verheißene Messias kommen. Nach Matthäus und Lukas wird Jesus in Bethlehem geboren. Dies dürfte aber ein Ausgleich mit dem Messiasglauben sein, denn nach jüdischer Tradition kommt der Messias aus Bethlehem.

Doch die anderen Evangelisten kennen Jesus nur als „Jesus von Nazareth“. Matthäus macht gar keine Angabe zum Geburtsort Jesu. Lukas geht davon aus, daß die Eltern in Nazareth wohnten. Aber dann zieht er die Volkszählung heran, damit die Eltern zufällig in Bethlehem sind. Doch wurden Steuererhebungen in der römischen Praxis stets am Wohn- und Arbeitsort vorgenommen.

Wenn bei dieser Zählung alle in den Herkunftsort ihrer Familie (nicht ihren Geburtsort) hätten kommen sollen, dann wäre dieses Verfahren sicher umständlich gewesen. Aber damit wurde wenigstens erklärt, daß der Jesus von Nazareth doch ein legitimer Nachkommen des Königs David und deshalb der Messias war. Nach allem ist wahrscheinlicher, daß Jesus in Nazareth geboren wurde. Zumindest lebte er dort so lange, daß die Bezeichnung „Jesus von Nazareth“ entstehen konnte.

Aber kommt es denn so sehr darauf an, wann und wo Jesus geboren ist? Entscheidend ist doch nur, daß Gott in diesem Jesus von Nazareth ein Mensch wurde. Auch wenn Jesus in Wirklichkeit in Nazareth geboren wurde, dann ist er doch der Sohn Gottes.

 

In Bethlehem gibt es eine Geburtskirche, die angeblich über dem „Stall von Bethlehem“ errichtet worden sein soll. Ebenso gibt es in Jerusalem einen Raum, in dem das letzte Abendmahl stattgefunden haben soll und natürlich eine Grabeskirche. Doch die Angaben zu diesen Gebäuden muß man nicht so ernst nehmen. Es ist nicht wichtig, daß dieses oder jenes Gebäude „echt“ ist und das Ereignis tatsächlich dort stattgefunden hat. Es geht darum, daß man hier einen Ort hat, an dem an ein bestimmtes Ereignis denkt und davon erzählt.

Das gilt auch für weitere Beispiele: Am See Genezareth gibt es den „Berg der Seligpreisungen“, wo Jesu Bergpredigt stattgefunden haben soll. Doch hier könnte man höchstens 100 Menschen mit der menschlichen Stimme erreichen. Aber das ist gar nicht das Problem. Die sogenannte „Bergpredigt“ enthält zwar fast nur Jesusworte. Aber diese sind nicht in der heute vorliegenden Reihenfolge an dieser Stelle von dem historischen Jesus gesprochen worden. Diese Rede ist vom Evangelisten (oder besser gesagt: von seiner Redenquelle Q) zusammengestellt worden aus einzeln überlieferten Jesusworten. Diese sind durch die Zusammenstellung in einer „Predigt“ deshalb nicht weniger wert, sondern es kommt auf den Inhalt an und nicht auf den äußeren Rahmen.

In Nazareth gibt es drei „Brunnen der Verkündigung“. In der Bibel ist von so einem Brunnen gar nicht die Rede. Aber wenn die Touristen mit den Bussen auf drei verschiedenen Parkplätzen ankommen, dann werden sie auf verschiedenen Wegen in die Stadt geführt. Dabei kommen sie jedesmal an einem anderen „Brunnen der Verkündigung“ vorbei. Doch entscheidend ist nicht die Frage, ob Jesus an so einem Brunnen gepredigt hat, sondern wichtig ist nur, daß hier an den Prediger Jesus erinnert wird und daß er in seinem Heimatort mit seiner Predigt nur wenig Erfolg gehabt hat („Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande“).

 

Evangelienharmonie:

In unserem Bewußtsein sind die verschiedenen Weihnachtsgeschichten längst zu einer Einheit zusammengewachsen. Doch die Engel kommen nur bei Lukas vor, die Weisen aus dem Morgenland („Heilige drei Könige“) nur bei Matthäus. Matthäus richtet sich vor allem an Juden und will nachweisen, daß Jesus der im Alten Testament verheißene Messias ist. Lukas dagegen richtet sich an die ganze Welt und stellt Jesus als den König der Welt vor, der aber doch aus einfachen Verhältnissen gekommen ist.

Früher hat man solche „Evangelienharmonien“ auch zusammengestellt und gedruckt. Aber dieses Verfahren ist sehr umstritten, weil dadurch die Eigenart der einzelnen Evangelisten verlorengeht. Dennoch habe ich in meiner Datei „Bibel für Einsteiger“ eine solche Evangelienharmonie versucht, damit man sich (als Einsteiger) schneller über den Inhalt der Evangelien unterrichten kann.

Wir müssen allerdings damit rechnen, daß in den Evangelien mit der Zeit manches dazugekommen ist, was nicht auf tatsächliche Begebenheiten zurückgeht, aber doch Typisches für Jesus aussagt. Dazu gehören auch alle die schönen Weihnachtsgeschichten, an denen wir so hängen. Aber erst der erwachsene Jesus ist ja an das Licht der Öffentlichkeit getreten. Als nachdem man zunächst seine Worte und Taten gesammelt hatte, fragte man auch nach seinem Anfang.

 

Jungfrauengeburt:

Die römisch-katholische Kirche legt großen Wert darauf, daß Jesus von einer „Jung­frau“ geboren sein soll - und das in einem biologischen Sinn. Maria soll sogar nach der Geburt Jesu noch Jungfrau gewesen sein („immerwährende Jungfrau“), das Jungfernhäutchen soll nicht verletzt worden sein. Doch diese Behauptungen sind einfach krampfhaft. Viel sinnvoller ist es da, nach dem Sinn dieser Aussage von der Jungfrauengeburt zu fragen.

Im Altertum war es üblich, einer bestimmten Person das Prädikat „geboren von einer Jung­frau“ beizulegen. So war der Kaiser Augustus angeblich ein Jungfrauensohn. Aber jeder wußte damals, daß das nicht im biologischen Sinn gemeint war, sondern nur die besondere Stellung dieser Person unterstreichen sollte.

So muß man auch das „geboren von der Jungfrau Maria“ im Glaubensbekenntnis verstehen. Im Grunde bedeutet es heute nur noch: Jesus wurde geboren wie jeder andere Mensch, und seine Mutter war zu diesem Zeitpunkt noch jung. Deshalb ist er nicht weniger der Sohn Gottes, das Sohnsein hängt nicht von dem Jungfrausein ab. Es geht nur darum, den Gegensatz „ganzer Gott“ und „ganzer Mensch“ zu unterstreichen.

Die ganze Marienverehrung der römisch-katholischen Kirche ist im Grunde nur ein Nachhall der antiken Verehrung einer Muttergöttin, die es rund um das Mittelmeer gab. Diese wurde dargestellt, wie sie auf einer Mondsichel steht, und die meisten Marienfiguren haben das geerbt. Letztlich wird neben den männlich vorgestellten Gott noch eine weibliche Gottheit gesetzt, wenn man Maria als Fürbitterin bei ihrem Sohn verehrt.

Evangelische Christen haben aber keine Vermittlerin nötig, sondern sie wissen, daß sie sich an Gott direkt wenden dürfen. Als ein Zeichen weist die Jungfrauengeburt darauf hin, daß das Heil allein von Gott kommt. Der Mensch ist dabei nicht schöpferisch beteiligt. Der Mensch kann auch keine besonderen eigenen Qualitäten vorweisen, sondern wird aus Gnade eines Handelns Gottes gewürdigt. Aber der Mensch erschließt sich im Glauben dem Kommen Gottes. Gott will den Menschen nicht als totes Gerät, sondern als Partner in Freiheit. Er kommt aus Gnaden. Und empfangen werden will er im Glauben.

 

Zum Thema noch ein Witz: Josef und Maria stehen in Bethlehem vor der Herberge. Aber der Wirt sagt: „Tut mir leid, alles ist ausgebucht!“ Josef fleht: „Helfen Sie uns, meine Frau ist hochschwanger!“ Doch der Wirt antwortet: „Dafür kann ich doch nichts!“ Daraufhin Josef trocken: „Meinen Sie etwa, ich könnte etwas dafür?“

 

Bildliche Darstellungen:

Die Phantasie spielt bei dieser bekannten biblischen Erzählung eine große Rolle. Das liegt auch daran, daß viele Maler sie dargestellt haben. Dabei haben sie die Erzählung aus dem Orient in ihre Zeit und ihre Umwelt versetzt. Das ist auch durchaus erlaubt, denn dadurch soll ja zum Ausdruck kommen, daß Jesus in jede Zeit und Welt hineingeboren ist.

Wenn man die Erzählung sachgemäß in ein Bild umsetzen will, dann muß man bedenken: Es war natürlich kein Winter und es lag kein Schnee. Die „Herberge“ war das Gästehaus des Dorfes, das schon belegt war. Es geht also nicht um ein Gasthaus und einen hartherzigen Wirt, son­dern es lagen objektive Gründe vor. Der „Stall“ ist nur aus der Bemerkung her ausgesponnen, daß das Kind in eine Krippe gelegt wurde. Aber das war wohl kein Stall wie in unseren Breiten, sondern eher eine Höhle, wie sie auf vielen ostkirchlichen Bildern dargestellt ist. Und natürlich waren auch nicht Ochs und Esel dabei, denn sie sind eine Zutat der Maler, die damit zum Ausdruck bringen wollten: Auch für die Tierwelt ist Jesus geboren!

Die Maler hatten ja recht, die das Jesuskind darstellten, wie es mit der Weltkugel und dem Kreuz darauf spielt. Im Mittelalter hatten ja die Kaiser einen solchen Reichsapfel als Zeichen ihrer Macht in der Hand. Aber Jesus war natürlich noch mehr als alle Persönlichkeiten dieser Welt. Nur soll eben schon bei dem Kind deutlich werden: Es hält die ganze Welt in seiner Hand, Jesus hat Macht über die Welt und die Menschen.

 

Fazit:

Man muß nicht jede Einzelheit der Geburtserzählungen glauben. Wichtig ist allein der theologische Gehalt, nämlich die Aussage: „Jesus wurde geboren wie jeder andere Mensch, aber er ist dennoch der Sohn Gottes!“ Das Entscheidende an Weihnachten ist nicht, daß Gott ein Kind wurde, sondern daß er Mensch wurde.

Die Kindheitsgeschichten Jesu sind verdichtetes Glaubenszeugnis. Die Jungfrauen­geburt ist dabei eine vereinzelte Tradition (nur Lk 1 und zum Teil Mt 1). Durch diese Aussage wird deutlich gemacht: Dieses Kind gehört ganz auf die Seite der Menschen (Sohn der Maria). - und dieses Kind gehört ganz auf die Seite Gottes (Sohn des Höch­sten).

 

 

Kindheitsgeschichte nach Matthäus:

Wenn Jesus die Erfüllung der Geschichte ist, dann muß er auch Nachkomme Abrahams und Davids sein. Deshalb werden die Stammbäume aufgestellt. Geschichtlich zuverlässig ist der Stammbaum bei Matthäus nicht, denn er stimmt schon nicht mit dem Alten Testament überein. Man darf auch nicht behaupten, Matthäus habe den Stammbaum Josephs und Lukas den der Maria überliefert.

Der Titel „Davidsohn“ muß nicht unbedingt als eine leibliche Abstammung verstanden werden. Wenn Jesus aber auch der „Jungfrauensohn“ ist, dann kann Joseph (der Davidsnach­komme) nicht sein Vater sein. Doch die Jospehstradition ist ursprünglicher, erst später kam aus dem griechischen Raum die Rede von der Jungfrauengeburt dazu, die aber schon von Matthäus übernommen wurde. Die frühen Schichten des Neuen Testaments und auch die Verwandten wissen nichts davon.

Die Sache mit dem Stern hat keinen geschichtlichen Kern, etwa eine besondere Planetenstellung. Hier ist von nur e i n e m Stern die Rede, einem Wunderstern, der also nicht für die Berechnung des Geburtsjahres Jesu zu verwenden ist.

Die Gefährdung des Götterkindes und die Gefährdung des Retters im Kindesalter war in vielen Völkern ein gängiges Motiv. Auch das Schema stimmt überein: Der Herrscher erfährt von der Geburt und ergreift Gegenmaßnahmen, die Eltern fliehen mit dem Kind und andere werden umgebracht. Schon von Mose wurde das ähnlich erzählt.

Aber der Kindermord ist nicht wirklich geschehen, denn Herodes hatte kein Inter­esse an den unschuldigen Kindern. Man kann auch nicht behaupten, der Kindermord passe zum Charakter des Herodes, der ständig Nebenbuhler fürchtete. Auch archäologische Funde würden nicht die Wahrheit dieser Legende beweisen. Es geht auch hier wieder nur darum, die Sendung durch Gott zu erweisen.

Zum anderen geht es darum, daß die Verheißung des Propheten Hosea erfüllt wird: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen!“ Mt 2,15). Außerdem war damit erklärt, daß die Eltern nach der Rückkehr aus Ägypten in Nazareth lebten.

Die Geschichte vom Kindermord hat aber einen guten Sinn im Neuen Testament. Jesus hält es nicht mit dem Mächtigen, aber er steht ganz inmitten seines Volkes. Die Zitate aus dem Alten Testament machen deutlich: Jesus steht mit seinem Volk in einer Schicksalsgemeinschaft, so daß sich in seinem Leben noch einmal die Geschichte des Gottesvolkes nachzeichnet. Nach Ägypten ist schon Joseph verkauft worden, seine Brüder sind in der Zeit der Hungersnot nach dort gezogen und schließlich auch noch der Stammvater Jakob. Das Volk Israel war ein Fremd­ling in Ägypten, so wie Jesus auch. Aber dann gab Gott das Zeichen zur Rückkehr. Wie einst Israel, so zieht schließlich Jesus mit seinen Eltern ins Land der Verheißung.

Aber nicht weil Jesus gekommen ist, sind die Kinder von Bethlehem umgebracht wor­den, sondern weil immer wieder Kinder ermordet werde, ist Jesus in die Welt gekom­men. Der Kindermord von Bethlehem ist nur e i n e Tat der Grausamkeit in einer grausamer Welt. Alle Augenblicke geschehen auf unsrer Erde die entsetzlichsten Dinge. Und in diese Welt voller Angst und Leid und Grausamkeit kommt Jesus und bringt ihr die Liebe Gottes. Er bleibt auch nicht nur am Rande dieser Welt stehen, wo das Leben noch erträglich ist. Vielmehr kommt er mitten hinein in Leid und Elend dieser Welt und hat am Leiden der Menschen teil.

 

Kindheitsgeschichte nach Lukas:

Im Vorwort spricht Lukas zwar davon, daß Dinge „unter uns“ geschehen sind, aber er ist kein Augenzeuge. Er faßt nur die Berichte zusammen, die vom Auftreten Jesu erzählen. Er ist ein Vertreter der dritten Generation und Empfänger der Überlieferung, die auf Augenzeugenberichte zurückgeht. Das Glaubensbekenntnis (Kerygma) war längst formelhaft geworden. Das Evangelium gibt nun die geschichtliche Begrün­dung für das Glaubensbekenntnis, das der angeredete Theophilos ja kennt.

Die Täufergeschichte und die Jesusgeschichte sind getrennt zu verstehen, denn erst durch die Verschlingung bei Lukas wurden sie einander zugeordnet. In der Täufer­geschichte wird keine Andeutung gemacht, daß Johannes nur der Vorläufer gewesen sein soll, sondern Jesus ist der Vorläufer Gottes. Die ursprüngliche Erzählung der Johannesgruppe verherrlichte Johannes als den Messias. Die christliche Gemeinde nahm dann dieses Material auf und formte es um, in dem sie den Täufer Johannes unterordnete.

Die Ankündigung der Geburt Jesu ist von der vorausgehenden Szene unabhängig und mit ihr nur durch Lk 1,26 verknüpft. Aber diese (redaktionelle) Notiz wurde dann bedeutsam für das Kirchenjahr: Ein halbes Jahr vor der Geburt Jesu war die Geburt des Johannes, also am 24. Juni, wenn das Licht wieder abzunehmen beginnt, während ab dem 24. Dezember das Licht wieder zunimmt.

Die Erzählung von der Geburt des Täufers kennt keine Unterordnung unter einen Größeren, ursprünglich wurde nur die wunderbare Geburt des Johannes geschildert. Der Psalm ist unabhängig von der Szene entstanden, vielleicht war er ein Täufer­psalm, den Lukas hier eingebaut hat.

Der einzige Wohnort Jesu ist Nazareth. Bethlehem wird erst in Lk 2 aus einer anderen Tradition heraus bedeutsam. Auch wenn Joseph nur eine Randfigur ist, so geht die Abstammung Jesu von David doch über Joseph (schon in der Tradition vor Lukas).

Die Vorstellung von der Geburt des Erlösers aus einer Jungfrau gehört nicht zur messianischen Vorstellung und ist ein aus dem Griechentum kommendes Motiv, das schon durch die griechische Übersetzung des Alten Testaments in Jes 7,14 eingetragen wurde.

Das Motiv von der Volkszählung paßt nicht zur Hirtenlegende und verschwindet nachher auch aus der Geschichte.

Das Erkennungszeichen für das Kind darf nicht gefühlvoll betrachtet werden. Man kann nicht auf die Armut der Familie und auch nicht auf die Jahreszeit schließen. Man legt das Kind in die Krippe, weil sie der einzige Platz in dem einzigen Raum des Hauses war.

Die Hirten besehen das Kind nicht nur, sondern verbreiten auch die Kunde von der Engelsbot­schaft. Sie stellen das Volk dar, das in seiner Gesamtheit noch nicht in Aktion treten konnte.

 

Zwischen Lukas 1 und 2 bestand ursprünglich kein Zusammenhang: Der Täufer und seine Eltern spielen in Lukas 2 keine Rolle mehr. Die Motive der Engelverheißung finden in Lk 2 keine Fortsetzung. Die in Lk 1 in Aussicht gestellte Hochzeit wird in Lk 2 vorausgesetzt. Kapitel 2 ist auch ohne Kapitel 1 völlig aus sich verständlich. Die Vorgeschichte des Täufers ist erst nachträglich mit der Weissagung der Geburt Jesu verbunden worden, denn der Täufer selbst galt als der Wegbereiter Gottes.

 

Zwölfjähriger Jesus im Tempel:

Der Zielpunkt der Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel ist einmal die überraschende Weisheit des jugendlichen Jesus, aber auch sein Verweilen im Tempel.

 

Ein persönliches Wort:

Als ich diese Ausführungen in der Vorlesung von Hans Conzelmann in Göttingen hörte, da war ich schon etwas geschockt. All die schönen Vorstellungen aus der Kindheit wurden über den Haufen geworfen. Von so einer Auslegung hatte ich noch nie etwas gehört. Ich erinnerte mich auch an einen Vortrag von Hans Graß in Marburg, in dem er die Erzählung vom ungläubigen Thomas wiedergab und dann die Frage stellte: „Ist das nun alles so passiert?“ Ich er­wartete natürlich von einem Theologieprofessor, daß er jetzt mit klugen Gründen die Wahrheit dieser Geschichte beweist. Aber er sagte nur trocken „Nein!“ und legte sie dann im Sinne der historisch-kritischen Theologie aus.

Hans Conzelmann verdanke ich, daß er nach all diesen Zertrümmerungen die Sache wieder zusammensetzte und ein neues Haus aufbaute. Er sagte: „In der Predigt kann an den Legendecharakter nicht übergehen, denn anders kann man den Sinn dieser Erzählungen gar nicht finden. Nicht durch den Rückzug kommt man weiter, sondern nur durch ein positives Heilswort. Heute regiert derselbe Herr, der damals in Form von Legenden bezeugt wurde. Der Sinn ist die Erscheinung Gottes, die nicht aus dem Weltgeschehen ableitbar ist, sondern in die Welt hineinbricht. Inhalt des Glaubens sind nicht solche Erzählungen, sondern die heutige Weitergabe des heutigen Christus. Auch im Glaubensbekenntnis bekennen wir uns nur zu dem gleichen Glauben, den die Kirche von damals in den Formen des apostolischen Glaubensbekennt­nisses ausdrückte. Aber wir müssen nicht den Wortlaut glauben. Sätze sind nicht Glaubensinhalte. Sie können den Glauben nur auslegen, und zwar in jeder Zeit anders.“

 

 

 

Lehre Jesu

 

Bergpredigt:

Die sogenannte „Bergpredigt“ (Mt 5 - 7) ist nicht wirklich so gehalten worden. Bei Lukas erscheint sie auch als „Feldrede“ (Lk 6). Vielmehr hat man hier verschiedene einzeln überlieferte Aussprüche Jesu zusammengestellt und programmatisch an den Anfang seines Predigens gesetzt. Die Sprüche sind gar nicht einmal original von Jesus, sondern es gibt viele Entsprechungen zu ihnen im Judentum und den anderen Religionen der damaligen Zeit (zum Beispiel über die Freiheit von Sorgen). Aber das heißt natürlich nicht, daß diese Worte nicht von dem historischen Jesus gesprochen sein könnten. Vor allem die Zusammenstellung macht sie zu einer eigenen Größe.

 

Die Bergpredigt als Komposition des Matthäus:

Formal ist die Bergpredigt eine Sammlung von Jesusworten, die durch stark hervortretende Gliederungsprinzipien die Gestalt einer Rede gewonnen hat. Der Grundstock des überlieferten Materials entstammt der Spruchquelle, wurde aber ganz wesentlich durch Material aus dem Sondergut des Matthäus ergänzt. Matthäus hat in der Spruchquelle eine Redekomposition vorgefunden, wie aus der Parallele bei Lukas (Lk 6,20-49, „Feldrede“) zu sehen ist.

Das Material aus der Spruchquelle umfaßt:

  1. Vier Seligpreisungen (Mt5, 3-12 parallel Lk 6,20-23) die von Matthäus auf acht Selig­preisungen ergänzt wurden
  2. Das Gebot der Feindesliebe (Mt 5,43-18 parallel Lk 6,27-28 und 32-36), das von Matthäus. in die Form der Entgegenstellungen (Antithesen) gebracht wurde
  3. Die Warnung vor dem Richten (Mt7,1-5 parallel Lk 6,37-42)
  4. Die Mahnung zum Fruchtbringen und tätigen Gehorsam (Mt 7,15-27 parallel Lk 6,43-49). Es ist also ersichtlich, daß der Rahmen durch die Spruchquelle geliefert wurde, während die Füllung durch gegliederte Einzelabschnitte Werk des Matthäus ist.

Matthäus hat seine Vorlagen bearbeitet und aus dem Sondergut seiner Gemeinde weitere Antithesen und auch das Vaterunser eingefügt. Die Spruchquelle verheißt noch eine Entschädigung im Reich Gottes im Rahmen der aus­gleichenden Gerechtigkeit, bei Matthäus aber wird Lohn für eine Leistung verheißen (vergeltende Gerechtigkeit).

 

Seligpreisungen, Mt 5,3-12:

In der dritten Person sind abgefaßt Mt 5,3-10, in der zweiten Person Mt 5,11-12 (und Lukas). Die Verse 11-12 sind aktuelle Anwendung des Matthäus auf seine Zeit, auch der Vers von den Sanftmütigen (Vers 7) ist wohl als Zitat auszuscheiden. Es bleiben also sieben Seligpreisungen, vielleicht aus einer geschlossenen Dreierkomposition.

 

Stellung zum Gesetz, Mt 5,17-20:

Dieser Kommentar ist typisch für das Gesetzesverständnis des Matthäus, denn er steht gegen die Anschauungen Jesu, nach denen das Gesetz nicht verbindlich ist. Die jüdischen Gesetzeslehrer haben immer neue Zusätze an das Gesetz des Mose angefügt. Die Leute der Qumran­sekte haben sich als erlesener Kreis zusammengeschlossen, der das Gesetz vorbildlich halten will. Jesus aber sagt, das Gesetz lege sich selber aus. Für Paulus ist Christus das Ende jedes Heilswegs, aber die Forderung Gottes wird deshalb noch nicht aufgegeben. Matthäus denkt zunächst noch in der Problematik des Judentums, aber auch bei ihm sind die Werke kein Heilsweg, den der Mensch einschlagen kann.

In den „ Antithesen“ (Mt 5, 21-48) werden konkrete Beispiele der Gesetzesauslegung gegeben. Die Antithesen der Bergpredigt (ab 5,21) überbieten formal den Wortlaut der jüdischen Lehre und des jüdischen Gesetzes, wie es an sich ein jüdischer Lehrer auch tun könnte. Aber Jesus beansprucht eine Autorität, die neben oder gegen diejenige des Mose tritt. Damit aber hat er sich aus dem Verband des Judentums gelöst.

Jedoch stammen nur drei der Antithesen von Jesus (Vom Töten, vom Ehebrechen und vom Schwören, aber die dritte Antithese über die Ehescheidung Vers 31-32 ist erst sekundär). Wir heute können ein Gesetz über die Ehescheidung nicht mit dem Evangelium rechtfertigen. Eine Rechtsordnung soll sachgemäß sein, nicht unbedingt christlich. Aber das Christentum hat zu verkünden: Die Ehe ist unauflöslich, nur mit diesem Vorsatz kann man in die Ehe gehen, davon befreit auch kein Gesetz, das die Scheidung erlaubt

 

Vom Beten, Mt 6,5-15:

Durch die Verse 6-7 wird nicht das vorformulierte Gebet abgelehnt, sondern nur des­sen Mißbrauch. Auch das als andere Möglichkeit genannte Vaterunser kann zum Wortemachen werden. Die Bitte um ein eigenes christliches Gebet setzt schon eine kirchliche Organisation voraus. Bei der Formulierung des Vaterunser wird Lukas älter sein (Matthäus strebte halt immer die Siebenzahl an), aber eine Urfassung ist nicht mehr zu gewinnen. Der Lobpreis am Schluß ist erst in der frühkirchlichen Schrift „Didache“ belegt.

 

Vom Sorgen, Mt 6,25-34:

Während Lukas den Sachverhalt an dem Beispiel vom reichen Kornbauern verdeutlicht, gibt Matthäus eine Zusammenfassung von ermahnenden Gedanken, die er aus der jüdischen Weisheit hat. Das Christliche liegt nur in der Begründung „wegen der Gottesherrschaft“.

 

Goldene Regel, Mt 7,12:

Diese weltliche Lebensweisheit ist nicht eine neue Ethik, sondern muß vom Ganzen der Predigt her bestimmt werden: „Mache dein Verhalten zu deinem Mitmenschen von dem abhängig, was du von ihm erwartest!“ Lukas gibt hier Antwort auf ein Zen­tralproblem der jüdischen Endzeiterwartung und auch der Gemeinde: „Wie viele werden gerettet? Welche Bedingungen gibt es?“ Es wird aber keine Zahl der Erwählten genannt, sondern ermahnt mit einem für jedermann verständlichen Bild: Man spaziert nicht in den Himmel hinein! Matthäus baut das Bild aus zur Zwei-Wege-Vorstellung. Der schmale Weg ist dabei das Bild für die Bedrängnis der Nachfolge.

 

Vom Hausbau, Mt 7,24-27:

Das Gleichnis ist Abschluß der Lehrrede. Bei Matthäus ist die Gegenüberstellung deutlicher und er betont Hören und Tun. Lukas 6,49 stellt eher die Form der Bekehrung dar in Kommen, Hören und Tun. Matthäus spricht vom Fundament, Lukas von der Arbeit des Fundamentierens. Matthäus schildert eindrücklich den Wind, Lukas spricht nur von einer Überschwemmung. Jesus stellt durch dieses Gleichnis vor die Entscheidung, die an seiner Person fällt.

 

 

Die Verkündigung des erbarmenden Gottes:

• Jesu Rede von Gott und seine Gottesanrede: Entsprechend der (traditionell jüdischen) ehrfürchtigen Haltung gegenüber Gott wird der Gottesname vielfach durch andere Ausdrucksweisen umschrieben: Das Gottesreich heißt auch „Reich der Himmel“. Doch steht nicht Abstand zu Gott, sondern Nähe in Jesu Gottesverhältnis im Vordergrund. Im zeitgenössischen Judentum begegnet die Anrede Gottes als „Vater“ vor allem in liturgischen Gebeten, die die Gemeinde spricht (jedoch eher selten). In Gebeten des Einzelnen wurde sie kaum verwendet. Gott als Vater wird also immer im Gegenüber zur ganzen Volksgemeinde angesehen. Jesus verwendet die Vater-Anrede in neuer Weise. Gott ist nicht nur Vater Israels, sondern aller Geschöpfe: Er sorgt für die Lilien auf dem Feld (Mt6,26-29), er läßt seine Sonne aufgehen über Gerechte und Ungerechte (Mt5,45). Dabei fällt die Schlichtheit Jesu auf, volltönige Wendungen werden vermieden, dagegen das kindliche „Abba“ verwendet.

• Die Nähe des barmherzigen Gottes: Nach jüdischem Verständnis gibt es aufgrund des Tun –Ergehens - Zusammenhangs einen wechselseitigen Zusammenhang zwischen Schuld - Sünde und Strafe - Leid. Wer Leid erfährt, muß irgendwie schuldig geworden sein. Jesus bestreitet einen Zusammenhang nicht, aber er widerspricht der geläufigen Ansicht, daß dieser Zusam­menhang im konkreten Fall eines menschlichen Schicksals aufweisbar und nachprüfbar sein könnte (Lk 13,2-5). Die Nähe des barmherzigen Gottes wird von Jesus wahrscheinlich auch durch die vollmächtige Sündenvergebung zum Ausdruck gebracht.

 

Die Verkündigung der nahen Gottesherrschaft:

Zwar ist Matthäus 1,15 eine Formulierung des Evangelisten: „Die Zeit ist erfüllt und die Herrschaft Gottes nahe herbeigekommen!“ Doch hat er mit der Ankündigung der Herrschaft Gottes und dem Aufruf zur Umkehr die Predigt Jesu zutreffend auf den Punkt gebracht. Das „Reich der Himmel“ ist aber kein abgegrenzter Bereich gemeint (in unserem Sinne von „Königreich“), sondern gemeint ist das königliche Regieren Gottes.

Jesus hat das endzeitliche Bewußtsein gewaltig gesteigert (Lk 17,20-21), aber die Berechnung des Endes abgewehrt. Doch sein eigentliches Anliegen ist die Entscheidung von Für und Wider im Ruf zur Buße und Umkehr (Lk 13,1-9). Dieses Entweder-Oder durchzieht die ganze Verkündigung (Lk 10, 38-42). Der Ruf gilt dem Einzelnen (Mk 8,34-38) und Freude steht hier gegen Verdrießlichkeit (Mk 10,15).

Jesus hat „entapokalyptisiert“ (apokalyptische Vorstellungen ausgeschieden), um eine „konsequente Eschatologie“ zu seinem Programm zu machen. Jesus nimmt so aus der vielfältigen endzeitlichen Erwartung des Judentums den Begriff der „Gottesherrschaft“ auf, gibt ihm aber eine neue inhaltliche Prägung:

• Obwohl Jesus den Begriff „Gottesherrschaft“ verwendet, spricht er dennoch nie von Gott als König.

• Das Kommen der Gottesherrschaft ist nicht - wie nach jüdischem Verständnis - an Bedingungen gebunden. Weder wird es abhängig gemacht vom Ablauf einer bestimmten Folge endzeitlicher Ereignisse noch vom Gehorsam Israels gegen das Gesetz, der den Beginn der Messiaszeit beschleunigen könnte.

• Das Kommen der Gottesherrschaft wird an der Verknüpfung mit Israels Zukunft gelöst: Mit keinem Wort ist von der Niederwerfung der fremden Gewalten oder vom Triumph über die Heiden die Rede. Dennoch ist zu sagen: Das Reich Gottes, das Jesus wollte, war auch eine politische Sache im Sinne von „auf die Gestaltung des Gemeinwesens bezogen“. Aber eine Änderung der Verhältnisse hat Jesus nicht verlangt, weder durch Aufstand von unten noch durch mehr Gerechtigkeit oder Reformen von oben, so nötig sie waren. Jesus dachte das Reich Gottes nicht wie ein Reich, sondern wie ein Dorf. Beziehungen darin konnten personal geregelt werden.

Jesus entwickelte er keine ausdrückliche Lehre vom Ablauf der endzeitlichen Ereignisse. Die „ Apokalypse“ Markus 13 ist wohl Gemeindebildung. In den Taten Jesu gehen die prophetischen Verheißungen über die Endzeit in Erfüllung. Jesus sagt von der Gottesherrschaft, sie sei nahe herbeigekommen, unmittelbar bevorstehend. Sie ist damit teils schon Wirklichkeit, teils noch Verheißung: Daß sie eine zukünftige ist, das geht aus den Sprüchen hervor, die vom Eingehen in die Gottesherrschaft handeln. Das Kommen der Gottesherrschaft kündigt sich bereits an. Indem Krankheit und Leiden gebannt werden, leuchtet zeichenhaft die Veränderung auf, die mit der Ausrufung der Gottesherrschaft beginnt.

Weil die Gottesherrschaft kommt, darum wird jetzt zur Umkehr gerufen. Jesu Ruf zur Umkehr wird nicht wie in der Predigt des Johannes mit dem Hinweis auf das nahende Zorngericht begründet, sondern als die einzig mögliche Folgerung genannt, die man aus der Ansage der nahenden Gottesherrschaft ziehen kann. Jesu Botschaft bedeutet Freude, um deren willen man alles hingibt (Schatz im Acker und kostbare Perle). Der Ruf der Stunde ist zu begreifen.

Weder in der traditionellen Reich-Gottes-Erwartung noch bei Jesus selbst ist der Begriff des Gottesreiches mit einem endzeitlichen Heilsbringer verbunden. Auch der Menschensohn-Titel verbindet sich nie mit den Reich-Gottes-Aussagen. In Jesu Verkündigung vom Reich Gottes war für einen Messias bzw. Menschensohn gar kein Platz. Allerdings war in Jesu Person und in seinem Handeln die Gottesherrschaft schon Gegenwart.

 

Hoheitstitel:

Die christliche Gemeinde hat von Anfang an Jesus als den „Christus“, das heißt den „Messias“ (Gesalbter Gottes) bekannt und daher alle vom Judentum geprägten Hoheitstitel auf den Gekreuzigten und Auferstandenen bezogen. Damit wollte sie zeigen, daß in ihm alle Hoffnung und Verheißung in Erfüllung gegangen ist. Von diesem Bekenntnis ist jedoch die Frage zu unterscheiden, ob der historische Jesus selbst den einen oder anderen Hoheitstitel in seiner Verkündigung gebrauchte oder auf sich angewendet hat. Ein Titel würde ja auch bewirken, daß man gleich in eine Schublade eingesetzt wird.

• „Messias“ spielt im Wirken Jesu keine Rolle.

• „Davidssohn“ wurde nur von der urchristlichen Gemeinde verwandt (Mk 12, 35-37)

• „Knecht Gottes“ wird von Jesus nicht gebraucht, auch wenn er so wirkte.

• „Gottessohn“ erscheint fast nur in Christusgeschichten, die überwiegend gemeindlich geprägt sind (Taufe, Versuchung, Verklärung). In Einzelworten erscheint das absolute „der Sohn“ (Mk13,32), aber da ist sehr umstritten, ob diese Bezeichnung auf Jesus direkt zurückgeht oder zur Sprache der Gemeinde gehört. Jesus hat sich nie als „Sohn Gottes bezeichnet. Er sprach Gott in einzigartiger Weise an, er nannte Gott zwar „Vater“, aber seine Jünger schloß er nie in das „unser Vater“ ein, denn „Söhne Gottes“ waren sie nur durch ihn.

Es ist schwer auf einen Begriff zu bringen, was Jesus sein wollte. Er selber hat es offenbar auch nicht versucht. Er hat sich eher als Prophet gesehen und wurde so gesehen. Einem Propheten traute man auch Wunder und Weisungen zu, wie sie Jesus kennzeichneten.

Wenn Jesus überhaupt einen Hoheitstitel als Selbstbezeichnung aufgenommen haben sollte, dann könnte es der „Menschensohn“ sein. Dieser Titel enthielt keine eindeutige Festlegung und war nach verschiedenen Seiten hin offen. Jesus konnte aber mit diesem Titel seine einmalige endzeitliche Aufgabe zum Ausdruck bringen und gleichzeitig die Verborgenheit in der Gegenwart andeuten. Die Befürworter der Verwendung dieses Titels sagen: Wenn er die Gottesherrschaft ausrief, dann mußte er auch die Frage nach dem Verhältnis seiner eigenen Person zu dieser Botschaft beantworten. Er hat es mit dem Titel „Menschensohn“ getan.

Der Titel „Menschensohn“ kommt nur in den Evangelien häufig vor und stammt mit einiger Wahrscheinlichkeit aus älterer Überlieferung. Damit soll aber nicht ausgesagt werden, daß Jesus auch der Sohn von Menschen war, sondern im Hintergrund steht die Vorstellung von einer Gottheit, die „Mensch“ heißt. Es gibt Worte des kommenden Menschensohns, und vom gegenwärtigen (gekommenen) Menschensohn und vom leidenden Menschensohn. Die drei Formen stehen jedoch unverbunden nebeneinander, es steht noch keine Lehre von Christus dahinter und es gibt auch noch keine Verbindung von Menschensohn und Reich Gottes. Es handelt sich um einen Titel der Gemeinde, der nicht von Jesus gebraucht wurde, auch nicht in dem Sinne, daß er von einem anderen spricht.

 

Ethik

Jesus will nicht ein neues Gesetz aufrichten, sondern erst einmal wird die Gültigkeit des Gesetzes festgestellt. Jesus radikalisiert aber an einigen Stellen das überlieferte Gesetz, an anderen Stellen entschärft er es aber auch. Gemeinsam mit der jüdischen Tradition sieht Jesus das Doppelgebot der Liebe (Mk 12,28) im Zentrum des Gesetzes. Auch die goldene Regel (Mt 7,12) war den jüdischen Lehrern bekannt und galt ihnen als Zusammenfassung des Gesetzes.

Dennoch gibt es grundlegende Unterschiede zur Gesetzes-Auslegung anderer jüdischer Gruppen:

• Jesus lehnt jede Anweisung für den Einzelfall (Kasuistik) ab, die das Gesetz auf alle Fälle des menschlichen Lebens anwendbar machen soll. Jesus verwendet zwar kasuistische Fragemuster, führt sie aber ins Absurde: Die Frage nach dem Nächsten wird in eine Beispielgeschichte vom barmherzigen Samariter (Lk l0,29-37) verkehrt, in der nicht mehr die Erfüllung des Gebotes, sondern die Wahrnehmung des Nächsten im Vordergrund steht.

• Jesus stützt seine Gesetzes-Auslegung nicht auf die Tradition, sondern auf seine persönliche Autorität: „Er lehrte wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie ihre Schriftgelehrten!“ (Mt7,29). Dies zeigt sich auch darin, daß er Mose (die Gesetzes-Autorität schlechthin) kritisieren konnte (Mk 10, 1-12). Jesus nimmt dadurch für sich in Anspruch, einen unmittelbaren Zugang zum Willen Gottes zu haben, der ihn von dem Rückgriff auf die Tradition entbindet. Erst von hier aus ergibt sich für ihn die Möglichkeit zur Kritik der Tradition, aber auch die Möglichkeit, das Gesetz wahrhaft in Geltung zu setzen.

• Grundvoraussetzung für die Radikalisierung des Gesetzes ist das unmittelbar bevorstehende Gottesreich. Die endzeitliche Erwartung regt dazu an, nicht mehr auf eigenen Vorteil und eigene Sicherheit zu achten, sondern ganz offen zu sein für die Situation und sich zu verhalten, als ob das Gottesreich schon Wirklichkeit wäre. Wo Gott endzeitlich zur Herrschaft kommt, um alles zu erneuern, da kann auch sein Wille wieder voll und ohne Abstriche umsetzbar werden. Das Verhalten der Jünger soll ein Zeichen der Gottesherrschaft in der dem Ende zulaufenden Welt sein. Dieser Gottesherrschaft zu entsprechen - nicht soziale Gerechtigkeit oder erfülltes Leben - ist Zentrum von Gottes Willen.

• In der endzeitlichen Ausrichtung der Ethik Jesu liegt der eigentliche Grund dafür, daß Jesus kein ethisches System entwickelt, sondern zu jeweils konkreten Anlässen sagt, was Gottes Wille hier und jetzt ist. Jesu Ethik ist also nicht in erster Linie unter der Frage „Was sollen wir tun?“ zu sehen, sondern unter dem Blickwinkel „Wie kommt es dazu, daß wir Gottes Willen tun können?“ Jesus geht verwirft in seinem Verständnis des Gesetzes nicht nur die „Auslegungen“ und fügt auch von sich aus dem Gesetz keine eigenen Auslegungen hinzu. Er konzentriert sich auf ein „punktuelles Gesamtverständnis“ (Conzel­mann). Er fragt zurück nach dem ursprünglichen Willen Gottes, der aber dem Wortlaut des Gesetzes und der tatsächlichen Gesetzespraxis vollkommen entgegengesetzt sein kann (Beispiel: Bewilligung der Ehescheidung). Durch die äußere Erfüllung des Gesetzes wird dessen Kern geradezu verhüllt und verdunkelt, denn dieses Innerste kann nur im Herzen erfüllt werden.

 • Rechtes Verhalten kann nicht den Zugang zu Gottes Reich erzwingen. Lediglich gibt es falsches Verhalten, durch das Menschen sich vom Gottesreich ausschließen. Vom Lohn ist also in grundsätzlich anderer Weise als im Zu­sam­menhang mit gesetzlicher Lehre und Frömmigkeit gesprochen, wo die Tat durch den Lohn begründet werden soll. Lohn wird nicht zugerechnet nach Verdienst, sondern nach Gottes Barmherzigkeit (Mt 20,1-15). Lohn wird eher unerwartet empfangen (Mt 25,37-46). Hier findet sich eine starke Differenz zum Judentum der Pharisäer. Jesus denkt nicht daran, das Gesetz abzuschaffen, wohl aber greift er die Heuchelei der Vertreter der gesetzlichen Frömmigkeit scharf an.

• Der Wille Gottes steht über den Gesetz. Dies ist Zeichen der schon vorhandenen Gottesherrschaft und des künftigen Himmelreichs. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Jesus seinen Mund auftut, gilt da alte Gesetz. Dann lehrt er die „bessere Gerechtigkeit“, die das Gesetz erst erfüllt, bis das Himmelreich kommt. Wichtiger ist die Erfüllung des Gesetzes, also die unbedingte Nachfolge Jesu.

 

Auf dem Hintergrund dieser Grundsätze ist nun die konkrete Gesetzes-Predigt Jesu zu verstehen:

• Reinheitsvorschriften: Nicht die rituelle Reinheit, sondern die Reinheit des Herzens ist entscheidend (Mt 5,8). Eine grundsätzliche Abschaffung der Reinheitsgebote findet sich bei Jesus allerdings nicht.

• Ebenso selbstverständlich setzt er Tempelkult und Opfer voraus. Doch in gut alttestament­licher Weise heißt es „Gehorsam statt Opfer“: Die Versöhnung mit dem Mitmenschen geht vor (Mt 5,23).

• Der Feiertag (Sabbat) wird von Jesus weder nach vorne geschoben noch grundsätzlich außer Kraft gesetzt. Doch findet das Sabbatgebot am Liebesgebot seine Grenze: „Der Sabbat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Sabbats willen“ (Mk 2,27).

• Die Feindesliebe wird als äußerste Konsequenz des Liebesgebotes gefordert (Mt5, 43-48). Wenn dabei behauptet wird, daß in der jüdischen Tradition der Feindeshaß geboten wäre, so findet sich nur bei der Sekte von Qumran, nicht aber im Alten Testament hierfür ein Beleg. Das Gebot der Feindesliebe macht deutlich, daß es keine Grenze der Nächstenliebe gibt.

• Jesus verbot die Ehescheidung und auch die Wiederheirat nach Scheidung. In der jüdischen Tradition war Scheidung fast nur als Entlassung der Frau durch den Ehemann und nach überwiegender Auffassung aus beliebigem Grund möglich (zwangsweise nach Ehebruch der Frau). Jesus war der Auffassung, daß eine Ehe unlösbar sei, und begründete das mit dem Rückgriff auf die Schöpfung.

• Zur Frauenfrage ist von Jesus kein Wort überliefert, aber auch kein frauenfeindliches. Er erlaubte Frauen aber für damalige Zeiten einen unerhört engen Umgang mit ihm und nahm sie als Hörerinnen, Gastgeber und Jüngerinnen ernst. Auch heilte er Frauen.

• Auch Kinder wurden so von Jesus wirklich ernst genommen (Mk 10,13-16) und als Vorbilder herausgestellt (Mk 9, 37).

• Die Sklaverei wurde von Jesus nicht angesprochen, wahrscheinlich gab es in Galiläa auch nicht viel Sklaverei.

• Jesus brandmarkte den Reichtum und forderte, ihn zugunsten der Armen herzugeben. Reichtum war bereits alles, was über das Existenznotwendige hinausgeht. Alles Eigentum aufzugeben verlangte er wohl nur von angehenden Jüngern. Eine Neuverteilung der Produktionsmittel forderte Jesus nicht. Betrug sollte aber rückgängig gemacht werden (Zachäus Lk 19,8) und die Armen wo möglich unterstützt werden (Reicher Jüngling Mk10,17-22).

• Ausdrückliche Weisungen, sich Verrufener und Ausgestoßener anzunehmen, sind nicht überliefert, wohl hat Jesus hier aber beispielhaft gehandelt und dies verteidigt. Hier ragt vor allem der Umgang mit Zöllnern und Sündern (Prostituierten) hervor. Auch Aussätzige wurden von Jesus geheilt. Samaritaner werden von ihm als beispielhaft dargestellt. Ferner gebot Jesus die Versorgung der alten Eltern, Almosen und Fürsorge für Hungrige, Nackte, Fremde, Kranke und Gefangene

• In der Steuerfrage (Mk12,13-17) wird Jesus in eine mißliche Situation gebracht. Hier zeigt Jesus eine „seltsame Gelassenheit“, auch dem Kaiser Steuern zahlen zu können, fordert aber andererseits das ganze Leben Gott zu übergeben. Mit seiner Ankündigung der nahenden Gottesherrschaft setzte sich Jesus in Widerspruch zu den politischen und religiösen Aktivisten seiner Zeit. Die Zeloten meinten. mit Gewalt der Wiederherstellung des Davidreiches Bahn brechen zu können. Die Pharisäer hofften, durch religiöses Bemühen und streng befolgten Gesetzesgehorsam darauf einwirken zu können, daß die göttlichen Verheißungen sich erfüllen. Jesus aber erteilte beiden Programmen eine Absage, indem er erklärte, daß die entscheidende Wende nicht durch menschliches Handeln her­beigeführt werden kann, sondern daß sie von Gott allein kommt. Menschen können deshalb die Gottesherrschaft nur erbitten (wie im Vaterunser). Erst aufgrund von Gottes vorauslaufendem Handeln erfolgt menschliche Umkehr und Zuwendung zu Gott.

• In Markus Mk 2,18-22 wird Jesus kritisiert, weil seine Jünger im Gegensatz zu den Pharisäern und Anhängern des Johannes nicht fasten. In Mt 6,16-18 aber erscheint es wieder als ein verdienst­volles Werk, das dann auch die judenchristliche Gemeinde wiederaufgenommen hat. Die Hoffnung, durch bestimmte Leistungen einen Lohn von Gott zu erhalten, hat mit Jesus nichts zu tun. Gott ist nicht der Vergeltergott, den man durch Leistungen gnädig stimmen muß. .Jesus sieht in Gott den gütigen Geber, der unverdiente Gnade schenkt und sich nichts abkaufen läßt.

Nicht jedes Jesus zugeschriebene Wort ist auch von Jesus. Diese Wahrheit müssen sich auch die Theologen klarmachen, die jedes im Neuen Testament überlieferte Jesuswort mit Klauen und Zähnen verteidigen.

 

 

 

 

Gleichnisse Jesu

 

In einem Gleichnis wird ein Bildwort verwendet. Dabei geht es aber nicht um eine Veranschaulichung für Dumme, sondern um eine Verdeutlichung von etwas, zu dem man keine Einstellung hat. Das Verhältnis zwischen Bild und Sache kann auf verschiedene Weise gestaltet sein. Entsprechend werden verschiedene Gattungen unterschieden.

 

Gattungen:

  • Bild: Beim Bildwort stehen Bild und Sache ohne Vergleichspartikel („wie“) nebeneinander (Mt 5,14 „Stadt auf dem Berg“). Das Bild ist in sich einsichtig, eine Anwendung kann deshalb verfehlen. Es kann aber ins Widersprüchliche (Paradoxe) gesteigert werden (Kamel durch Nadelöhr).
  • Metapher: Das ist ein abgekürzter Vergleich, bei dem auch die Vergleichspartikel („wie“) fehlt (Mt 7,3-5). Wenn die Bildhälfte schon in die Bildhälfte drängt, handelt es sich nicht mehr um ein reines Bild, sondern um eine Metapher (Perlen sind kein Schweinefutter). Nicht die Sache wird verglichen, sondern die Einstellung zu ihr, der geheime Hintersinn muß erst entziffert werden (die Perlen bedeuten etwas anderes)
  • Allegorie: Wo die Sache ein vielschichtiger Sachverhalt ist, also eigentlich von mehreren Sachverhalten gesprochen wird, die miteinander verbunden werden, ist eine „Allegorie“ gegeben. Hierbei wird jeder einzelne Sachverhalt des Gesamtkomplexes durch eine Metapher ersetzt. Das Bild ergibt in sich noch kein verstehbares Geschehen, die Bildhälfte stimmt meist nicht (Mt 13, 36-43). Erst wo die Entschlüsselung der einzelnen Metaphern vorgenommen ist, ist auch das Gesamtgeschehen verstehbar. Die Einheit der Allegorie liegt demnach in der Sache, nicht im Bild.

Zur Entschlüsselung braucht es den richtigen Schlüssel. Die Allegorie ist daher ausschließend, weil sie jene, die den Schlüssel nicht kennen, ausschließt. Beispiel für eine für eine Allegorie ist Hes.17,1-10 (Fabel von der Zeder und den beiden Adlern). Vor allem die jüdische Endzeiterwartung bedient sich der Allegorie. In der Allegorie geht es um geheimnisvolle oder phantastische spielende Verkleidung eines Sachverhalts, die der Weissagung oder anderen Zwecken dienen kann. Es besteht die Neigung, die Gleichnisse durch allegorische Züge zu erweitern bzw. die überhaupt als Allegorien aufzufassen (Mk 4,14-20).

  • Gleichnis: Wo die bildhaft dargestellte Sache dagegen einliniger ist und nur ein einziger Sachverhalt zum Ausdruck kommt, ist vom Gleichnis im eigentlichen Sinn zu sprechen. Eigentliche Gleichnisse sind solche Bildungen, die sich von diesen anderen Formen nur durch die Ausführlichkeit, mit der das Bild gestaltet wird, unterscheiden Hier findet sich die Einheit nicht nur in der Sache, sondern auch im Bild. Das Gleichnis ist ein ausführliches Bildwort. Das Bild wird aber in einer ausgeführten Erzählung wiedergegeben, die einen alltäglichen, allgemein einsichtigen und auch selbstverständlichen Vorgang beschreibt. Sie sind der jedermann zugänglichen Wirklichkeit entnommen.           

Allgemein wird in der Gegenwart (Präsens) erzählt und eher aufgrund eines bestehenden Einvernehmens argumentiert (an die Übereinstimmung in der Bildaussage wird angeknüpft (wie im Gleichnis vom Sauerteig oder Senfkorn). Die Selbstverständlichkeit der in den Gleichnissen erzählten Vorgänge wird oft dadurch unterstrichen, daß sie durch die rhetorische Frage „Wer unter euch...?“ eingeleitet werden.

Im Gleichnis erfolgt die Übertragung eines (an neutralem Stoff gewonnenen) Urteils auf ein anderes, zur Diskussion stehendes Gebiet. Die Gleichnisse sind Selbstzeugnis Jesu. Er verbirgt sich im Gleichnis und gibt seine Person ungeschützt dem Verständnis der Hörer preis.

Ein echtes Gleichnis Jesu wird man am ehesten vor sich haben, wo der Ge­gen­satz zur jüdischen Moral und Frömmigkeit und die besondere endzeitliche Stimmung Jesu zum Ausdruck kommt und wo sich andererseits keine spezifisch christlichen Züge der späteren Gemeinde finden.

Das Gleichnis fordert ein Urteil heraus. Allegorische Züge sind meist erst eingedrungen, aber Jesus könnte auch allegorisch geredet haben (aber man braucht keinen geheimen Hintersinn zu suchen, wo keiner ist). Die Gleichnisse wollen enthüllen und nicht verhüllen, wie es die Evangelisten teilweise dargestellt haben. Die Vorstellungswelt der Bildhälfte ist sehr lebendig und spiegelt vor allem das Leben in der Natur und in den unteren Volksschichten. Der Inhalt der Sachhälfte ist dagegen oft von der jüdischen Endzeiterwartung bestimmt, wenn es um das „Reich Gottes“ geht. Manchmal macht Jesus eine Aussage über sich selbst (Unkraut unter dem Weizen), manchmal äußert er religiös-sittliche Gedanken (Klugheit der Weltkinder).

Es gibt auch Erweiterungen und Kombinationen: Im Gleichnis vom treuen und untreuen Knecht (Lk 12,42-48) wird durch Kombination mit einem Bildwort (Vers 47-48) der Sinn verengt. Das Gastmahlsgleichnis (Mt 22, 1-10) wird in den Versen 11-14 um einen allegorischen Anhang vermehrt. Es gibt auch Doppelgleichnisse (Lk 15,4-11) und Gleichnissammlungen (Mk 4,1-34 und 2, 18-22), die auch mit der Zeit noch wachsen, und Zusammenfügungen (Mt 22,1-14).

  • Vom Gleichnis unterscheidet man die Parabel, die nicht zwei Sachverhalte nebeneinander stellt, sondern den als Gleichnis dienenden Sachverhalt in Erzählung umsetzt und eine inter­essierenden Einzelfall bringt (Lk 15,11-32); aber die Übergänge sind fließend. Hier wird das Bild ebenfalls in einer Erzählung gebracht, das Bild wird erzählerisch ausgestaltet, hat aber keinen verborgenen Sinn. Allerdings verwendet sie einen einmaligen, durch seine Umstände und Handlungsweise der beteiligten Personen aus dem Rahmen fallenden Vorfall. Eine nicht alltägliche Geschichte wird erzählt, ein nicht typischer Zustand wird beschrieben. Die Spitze (Pointe) liegt oft bei einem unerwarteten oder gar anstößigen Einzelzug. Allgemein wird in der Vergangenheit (Präteritum) erzählt und gegen eine Übereinstimmung argumentiert (Betrügerischer Verwalter, Verlorener Sohn). Die ermahnenden Parabeln hängen mit den endzeitlichen zusammen. Darin kommt die Einheit der Verkündigung Jesu zum Ausdruck, denn weil die Gottesherrschaft zu den Menschen kommt, fordert sie die Tat des ganzen Menschen.
  • Beispielerzählung: Eng verwandt mit der Parabel ist die Beispielserzählung, auch wenn ihnen das Element des Bildlichen fehlt (zum Beispiel Lk 10,30-37). Hier wird eine vorbildhafte Handlung erzählt, so daß es keine Doppelung in Sache und Bild gibt. Die Beispielerzählung hat ihren „Sitz im Leben“ in der ethischen Unterweisung. Nicht zufällig endet Lk 10,29-37 (Barmherziger Samariter) mit „So geh auch du hin und tue genauso!“ Häufiger findet sich allerdings die abschreckende Beispielerzählung, wo ein negatives Beispiel zur Lehre werden soll: Lk 12,16-21 (Reicher Kornbauer) oder Lk 16,19-31 (Reicher Mann und armer Lazarus). Vorbildhaftes und abschreckendes Element verbindet sich in der Erzählung von Pharisäer und vom Zöllner (Lk 18,9-14).

Diese im Neuen Testament enthaltenen vier Beispielerzählungen entstammen alle dem Sondergut des Lukas

 

Eigenart der Gleichnisse:

Außerhalb der Evangelien wird diese Form nicht in der christlichen Literatur gepflegt. Die Gleichnisform verschwindet bald in der Gemeinde, während die Einzelworte neu gebildet wurden. In den Gleichnissen fehlt die griechische Weltkultur. Im Gegensatz zu den jüdischen Gleichnissen haben die Gleichnisse des Neuen Testaments eine volkstümliche Sehweise, es geht ihnen um Anschaulichkeit und nicht um den moralischen Gehalt.

Die Einleitung erfolgt oft durch Fragen oder Vergleiche. Es gibt auch feste Einleitungsformeln wie „Es verhält sich mit der Gottesherrschaft wie in der Geschichte, die jetzt erzählt wird“.

In den Gleichnissen treten möglichst wenige Personen auf, nicht mehr als drei gleichzeitig. Es erscheinen auch Gruppen. Aber meist handelt es sich um Typen, keine Einzelperson hebt sich aus der Gruppe hervor. Es gibt keine Überschneidungen im Dialog, kein Ineinandergreifen der Schauplätze und Ereignisse.

Am Schluß steht oft eine Frage oder eine herausgehobener Höhepunkt (Pointe) oder die Anwendung .Wenn diese allerdings fehlte, weil das Bild in sich klar war, hat man später oft noch eine Anwendung hinzugefügt, die gar nicht Bezug nimmt auf das Bild, sondern auf den Zusammenhang des Evangelisten.

 

Veränderung der Gleichnisse:

Der Wechsel der Situation vom vorösterlichen Wirken Jesu zur nachösterlichen Gemeinde hat in der Gleichnis-Überlieferung tiefe Spuren hinterlassen, die bei der Gleichnisauslegung zu berücksichtigen sind:

• Die Gleichnisse wurden in ihrem Wortlaut bewahrt, doch kamen sie in neue Situation, in die sie gesprochen worden sein sollen, da die ursprünglichen Situationen so nicht mehr gegeben waren. Zum Beispiel war die Auseinandersetzung mit jüdischen Gegnern für Heidenchristen wohl kein Problem mehr.

• Der Zuhörerkreis hatte sich gewandelt: Die Gleichnisse wurden jetzt zur innergemeindlichen Unterweisung eingesetzt. Anstelle der Eröffnung der Nähe der Gottesherrschaft trat nun die Einübung und Befestigung im Glauben an Jesus Christus.

 

Folglich gab es zwei Entwicklungen:

• Es kam zur Allegorisierung der Gleichnisse. Sie wurden nun als geheime Lehre, die Außenstehenden unverständlich war, verstanden. Die bereits Wissenden fanden darin Bestätigung und Vertiefung ihres Wissens. Die sogenannte „Parabeltheorie“ Mk 4,11-12 und 33 ist die ausgeprägteste Formulierung dieses Ansatzes. Hier wird die Alle­gorisierung auf den historischen Jesus zurückgeworfen. Zwei allegorische Gleichnis­deutungen sind überliefert: Beim Sämann-Gleichnis (Mk4,13-20) und beim Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,37-43). Andere Gleichnisse sind durch Erweiterungen des Textes für allegorische Deutung zugänglich gemacht worden (Mt22,2-10 gegen Lk 14,16-24).

Beispiel für die Allegorisierung: Gleichnis vom großen Abendmahl (Mt 22,1-14 im Vergleich zu Lukas 14,16-24): Bei Matthäus bringt eine Gruppe die Einladung und erinnert damit an die Propheten des Alten Testaments. Die andere Gruppe ruft zum Mahl und läßt an die christlichen Missionare denken. Die Sendung auf die Straßen meint natürlich die Heidenmission. Beim Mahl ist an das Mahl der Heilszeit gedacht, die Prüfung der Gäste ist das Gericht, die äußerte Finsternis ist die Hölle. So wird durch die Allegorisierung ein ganzer Abriß der Heilsgeschichte ausgestaltet.

• Es kam ferner zur Umbildung in Ermahnung (Paränetisierung). So sind eine Reihe von Gleichnissen durch redaktionelle Zusätze zu Beispielerzählungen umgestaltet worden. Zum Beispiel wird das Gleichnis vom verlorenen Schaf (Mt18,12-14 gegen Lk 15,4-7) durch Hinzufügung von 18,14 zu einer Verhaltensregel für Gemeindeleiter. Gleichnisse, die ein anstößiges Verhalten erzählen, werden dabei zur negativen Beispielgeschichte (Lk 16,1-8 und die Zusätze nach Vers 8b).

 

In der Vergangenheit haben sich zwei Forscher besonders mit den Gleichnissen beschäftig. Adolf Jülicher hat mit der allegorischen Auslegung gebrochen. Aber seine Ansicht war falsch, man dürfe nur jeweils einen und möglichst allgemein zufassenden Gedanken entnehmen (die weiteste Anwendung trifft das Richtige): Jesu war kein Weisheitslehrer oder Fortschrittsapostel. Das Gleichnis ist erst dann verstanden, wenn wir einen Bezug auf uns sehen. Es geht nicht um zeitlos-ideale Anweisungen. Jesu Gleichnisse sind nicht in erster Linie literarische Kunstwerke und wollen auch nicht allgemeine Grundsätze einprägen, sondern sie sind eine Streitwaffe und fordern eine Antwort. Das Gleichnis will vergleichen und veranschaulichen. Der Vergleich aber fordert ein Urteil ab.

Joachim Jeremias kritisiert die Verfälschung der Gleichnisse durch das Urchristentum und fordert, die Gleichnisse allein aus der Verkündigungssituation des geschichtlichen Jesus zu verstehen. Er meinte, man könne aus den Gleichnissen selber noch auf die historische Situation schließen. Aber die christliche Überlieferung nahm die Gleichnisse ja gerade aus der Situation heraus, wir können sie nur in ihrem heutigen Zusammenhang auslegen.

 

Bei Jesus findet sich keine Allegorie. Die wenigen allegorischen Texte im Neuen Testament sind deutlich Gemeindebildungen. Dies zeigt, daß es Jesus nicht auf einen abgeschlossenen Jüngerkreis, sondern um die Verkündigung des Gottesreiches für alle Menschen ging. Jesus wollte nicht verhüllen, sondern verständlich machen (anders dagegen die Gleichnis­theorie des Markus und die spätere Auslegungspraxis der Kirche). Dagegen finden sich einzelne allegorische Elemente in Gleichnissen. Es handelt sich dabei um eine Reihe bildlicher Züge, die durchweg der religiösen Sprache Israels entstammen und daher für die Zuhörer Jesu verständlich waren. Sie erleichtern das Verständnis der Gleichnisse. So stehen „Vater“ und „Hirte“ für Gott; und der „Ölbaum“ und „Weinberg“ für Israel und die „Ernte“ für das „Weltgericht“ usw.

 

Echtheit:

Die Echtheit ist wahrscheinlich

  • wenn Gedanken der späteren Kirche fehlen und sie aus der Botschaft Jesu verständlich sind
  • wenn griechisch geprägter Elemente fehlen (obwohl die Gleichnisse in der griechisch bestimmten Gemeinde überliefert wurden)
  • wenn sie nicht so einförmig sind wie Gleichnisse der jüdischen Lehrer.

Die Gleichnisse sind ein Stück Urgestein der Überlieferung von Jesus. Es ist im Großen und Ganzen damit zu rechnen, daß wir in den Gleichnissen den sichersten Bestand der Überlieferung von Jesus haben. In den Gleichnissen finden wir weitgehend den „echten“ Jesus, vor allem in den leicht zu behaltenden Einzelworten (Logien). Die Abweichungen in den einzelnen Evangelien erklären sich aus der mündlichen Überlieferung der Gleichnisse. Aber besonders der Rahmen des Gleichnisses und die Situationsangabe sind oft nicht ursprünglich. Und Gleichnisse, die angeblich an die Geg­ner gerichtet waren, sollten in Wirklichkeit den Jüngern gelten.

 

 

„Sitz im Leben“:

Der „Sitz im Leben“ ist nicht nur für die Bildhälfte, sondern hauptsächlich für die Sachhälfte zu suchen. Die Gleichnisse haben einen zweifachen Sitz im Leben: Die einmalige Situation bei der Wirksamkeit Jesu und die Situation der Urkirche. Bei Zweigipflichkeit liegt die Betonung immer auf dem zweiten Gipfel. Das Gleichnis von den „Arbeiter im Weinberg“ (Mt 20,1-16) zum Beispiel handelt zunächst von der Miete der Arbeiter und der Anweisung zur Lohnauszahlung, dann aber auch von der Empörung der Benachteiligten. Ursprünglich war das Gleichnis den Pharisäern und Schriftgelehrten gesagt. Der zweite Sitz im Leben ist dann die Rechtfertigung der Botschaft der Kirche gegenüber den Kritikern.

 

Auf den zweiten Sitz im Leben deuten vor allem:

• Verzögerung der Wiederkunft: Vor allem die Verzögerung der Wiederkunft Christi führte immer wieder zu Änderungen an den Gleichnissen (Nächtlicher Einbrecher, Zehn Jungfrauen, Türhüter, Anvertraute Gelder).

• Mission: Aus ihren missionarischen Erfahrungen mußte die Kirche auch Gleichnisse erweitern und verdeutlichen: Beim Gleichnis vom großen Abendmahl (Mt 22,1-14) denkt man schon an die Mission unter den Heiden.

• Ermahnung an die Gemeinde: Aber im Laufe der Zeit kommt es zu einer Verschiebung von dem Blick auf die Endzeit auf die Ermahnungen an die Gemeinde (vom Eschatologischen zum Paränetischen), weil die Gemeinde nach dem Ausbleiben der Wiederkunft Christi nun Anweisungen für die Lebensführung brauchte (Gang zum Richter Mt 5,25-26 und ungerechter Haushalter Lk 16,1-9).

 

Umformung:

Es gibt bestimmte Gesetze der Umformung:

• Freude an der Ausschmückung (große Zahlen).

• Tendenz zur Umformung zu Jüngergleichnissen.

• Wechsel der Zuhörerschaft (Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg ist bei Markus eine Belehrung über die Gleichheit des Lohns bei Gott, bei Matthäus geht es um die Umkehrung der Rangordnung am jüngsten Tag, das Neue Testament macht es durch Vers 12b zum Gerichtsgleichnis, die Kirche sah darin einen Ruf in den Weinberg Gottes am Beginn der Fastenzeit und heute hätten wir vielleicht Mitgefühl mit den Familien, die Geld brauchen. Die Gleichnisse an die Gegner werden auf die Gemeinde angewandt.

• Verschiebung vom Eschatologischen auf das Paränetische (s.o.).

• Umdeutung auf die konkrete Situation der Urkirche und Erweiterung.

• Stärkere allegorische Deutung aus Gründen der Ermahnung.

• Sammlung und Zusammenlegung von Gleichnissen.

• Der Rahmen bewirkt oft eine Verschiebung des Sinnes, besonders geben die verallgemeinernden Schlüsse einen allgemeingültigen Sinn.

• Der Rahmen schafft oft einen sekundären Umgebungstext, er enthält neue Situationsangaben und die folgenschwerste Überarbeitung immer am Schluß (Erweiterung oder Umdeutung (zum Beispiel Lk 5,39 oder Lk 16,8a). Meist werden die Kampfeshandlung und der Weckruf umgeformt in eine allgemeine Ermahnung, weil man die Gleichnisse für die Gemeinde brauchbar machen wollte.

• Die Gleichnisse von der Wiederkunft Christi brauchten eine Deutung, je länger die Wiederkunft ausblieb. Dann mußte dem Hörer neu Augen und Ohren geöffnet werden für die Zeichen des Endes. Sinn ist aber nicht, daß der Verstand alles begreift, sondern daß das Herz brennt.

• Die Gemeinde sieht in allen Gleichnissen eine Beziehung zu dem Erhöhten und erhält von dort Weisung für ihre Lage. Manchmal kann man deshalb eine Gemeindeschicht abheben. Aber weil wir die Situation nicht kennen, in die das Gleichnis gesprochen wurde, können wir den ursprünglichen Sinn nicht mehr feststellen. Der Gemeinde ging es um Antwort und Verarbeitung für ihre Zeit.

• Ein Teil der Anwendungen gehörte von Anfang an zu den Gleichnissen. In vielen Fällen sind sie aber nur dem späteren Leser als Hilfe zum Verstehen gegeben; meist handelt es sich dabei um ein Jesuswort, das von den anderen Evangelisten an anderer Stelle überliefert ist (Lk 18,14 und 14,11). Mitunter läßt auch eine mangelhafte Entsprechung zwischen Gleichnis und Wunder erkennen, daß die Anwendung erst nachträglich zugewachsen ist (ein Zöllner konnte sich damals nicht selbst erniedrigen und ein Pharisäer nicht erhöhen).

Gleichnisse vollziehen die Nähe der Gottesherrschaft, in dem die Gottesherrschaft im Gleichnis zur Sprache kommt. Insofern sind sie nicht nur Illustration der Botschaft Jesu, sondern eigener Teil seiner Wirkung, der seiner sonstigen Wirkung wesenhaft entspricht. Jesu Gleichnisse wetteifern mit dem jüdischen Gesetz.

Jesus vermittelt in den Gleichnissen eine Beziehung zu Gott oder zum Gottesreich, die im Gleichnis vor den Hörern aufgebaut wird, die aber auf Anerkennung bei den Hörern angewiesen ist. Das heißt: Die Gleichnisse fordern zur Stellungnahme heraus. Eine positive Stellungnahme kann bedeuten, daß bisherige Vorverständnisse über Gott und sein Reich aufgegeben werden müssen. Eine negative Stellungnahme findet oft das dargebotene Gottesbild unangemessen oder gar gotteslästerlich. Diese Funktion führt manchmal dazu, daß in den Gleichnissen der Einspruch der Hörer selbst zum Thema gemacht wird (zum Beispiel Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Mt 20). Die Situation des Hörers wird gleichfalls mit der im Gleichnis geschilderten verschränkt.

Diese scheidende Funktion haben die Gleichnisse mit den anderen Formen des Wirkens Jesu gemeinsam: Jesus nimmt in den Gleichnissen Gottes Autorität ebenso in Anspruch wie in seiner Gesetzesverkündigung und in seinen Heilungen. Jesu Verhalten ist der „Kommentar“ seiner Gleichnisse. Jesu Verhalten erklärt den Willen Gottes mit einer an Jesu Verhalten ablesbaren Parabel. Nach Jesu Tod fehlte dieser stumme Kommentar, so daß die Gemeinde selber die Gleichnisse kommentieren mußte.

 

 

Einzelne Gleichnisse:

Sämann, Mk 4, 1-20:

Bei der Predigt des Evangeliums muß man erhebliche Verlustquoten feststellen. Die Menschen verschließen sich und Gott kommt mit dem ganzen Aufgebot seiner Liebe nicht an diese verschlossene Welt heran. Dennoch will dieses Gleichnis von seinem Ende her verstanden sein. Es macht deutlich: Die Herrschaft Gottes kommt gewiß, mit derselben Naturnotwendigkeit und Unwiderstehlichkeit, die in dem Wachstum eines Saatkorns innewohnt. Allerdings bleibt das ein Wunder, das wir nicht beobachten können.

An das Gleichnis vom Sämann Mk 4,1-9 wird in den Versen 11 bis 12 noch eine Spruchreihe angeschlossen, ehe dann in den Versen 13 bis 20 das Gleichnis vom Sämann „ausgelegt“ wird. Aber die Hörer des Gleichnisses kannten nur das Gleichnis selbst. Es ist durchaus verständlich, daß Jesu Zuhörer ihn nach dem Sinn des Gleichnisses fragen (Dabei hieß es ursprünglich an dieser Stelle, daß „die um ihn“ fragen; erst später, als man sich Jesus ständig von den Zwölf umgeben dachte, trug man den vermeintlichen Fehler nach).

Ursprünglich wurde hier wohl nur nach dem Sinn dieses einen Gleichnisses gefragt. Aber jetzt fragen die Jünger nicht nach „dem Gleichnis“, sondern nach „den Gleichnissen“. Sie wollen dabei nicht nach einer Mehrzahl von Gleichnissen fragen, sondern nach dem „Zweck der Gleichnisrede“. Sie wollen die Absicht Jesu kennenlernen, die ihn in unverständlichen Rätselworten sprechen läßt. Aber es ist ganz klar, daß die nun folgende Auslegung eine Bildung der Gemeinde ist: Während es bei Jesus noch am das Schicksal des Samens ging und die tröstliche Zusage, daß immer noch genug Frucht kommen wird, betrachtet die Auslegung die Qualität des Bodens und mahnt die Zuhörer, eine gute Qualität bereitzustellen.

So wie man schon den geheimen Sinn des Alten Testaments, versuchte man das auch mit den Rätselworten Jesu. Dabei verwendete man die „allegorische Methode“. Dabei soll jedes Wort einen verborgenen Hintersinn haben, wobei viele Möglichkeiten der Deutung offen blieben. Aber um den rechten Weg zu finden, brauchte man die göttliche Erleuchtung. Der Evangelist stellte es so dar, daß Jesus selber - wenn auch nur in einigen Fällen - seinen Jüngern den geheimen Sinn seiner Worte mitgeteilt habe. Aber eigentlich sind es Deutungen von Christen, die sich vom Herrn erleuchtet glaubten und darum ihre Deutung dem Herrn selbst in den Mund legten.

In der „Gleichnistheorie“ in Markus 4,10-12 behauptet Markus, daß der Sinn der Gleich­nis­reden nicht erkannt werden soll oder nur von denen, denen das Geheimnis offenbart wurde. Der Vers 10 paßt nicht zur Szenerie von Vers 1, wo Jesus ja mit den Jüngern in der Einsamkeit ist (Vers 1 und 2 sind allerdings auch von Markus). Eine unbestimmte Zahl von Menschen fragt nach dem Sinn aller Gleichnisse (nicht nur nach dem eben gerade gehörten). Markus sagt: Die Gleichnisse sind grundsätzlich unverständlich, man ist auf Aufklärung (Offenbarung) angewiesen. Es liegt nicht an den Jüngern, sondern Glaube ist notwendig. Das Nichtverstehen ist bei Markus der Zweck der Gleichnisse (bei Matthäus ist es der Grund der Gleichnisrede). In der Gemeinde aber ist der Sinn aufgedeckt, der Leser weiß, daß er eingeweiht ist, wenn er zur Gemeinde gehört. Die Jünger werden selig gepriesen, weil sie nicht verstockt sind und jetzt die Enthüllung bekommen. Verstockung wird erst dann zur Schuld, wenn man nach der Auferstehung die Mission der Kirche ablehnt.

Bei der Deutung des Gleichnisses in Markus 4,13-20 spielt die Geheimnistheorie keine Rolle mehr, an „die draußen“ ist nicht mehr gedacht. Die Deutung betont das Verhalten der Bodenarten (= Menschen) zu dem Samen. Die Ermahnung ist entworfen aus der Missionserfahrung (Wirkens des Satans). In den Versen 21 bis 25 wird dann noch eine Aufforderung zu einem Christentum der Tat angefügt. Mit den folgenden Versen haben sie nichts zu tun. Auf Vers 9 folgten ursprünglich die Verse 26 bis 29 und Vers 33 schloß das Ganze ab.

 

Selbstwachsende Saat, Mk 4,26-29:

In diesem einzigen Sondergutgleichnis des Markus wird die Gottesherrschaft verglichen mit einem Mann, der sich nicht um die von ihm gesäte Frucht kümmert. Höhepunkt ist die untrügliche Sicherheit des Kommens der Gottesherrschaft und die Mahnung zur Sorglosigkeit in Bezug auf das Kommen des Endes. Die Gottesherrschaft („das Reich Gottes“) macht nicht eine innerweltlich Entwicklung. Am Wachstum der Kirche und der Sittlichkeit kann man nicht das Wachsen der Herrschaft feststellen

 

Senfkorngleichnis, Mk 4,30-32:

Markus bildet ein Gleichnis, in der Spruchquelle stand eine Parabel und Matthäus vermischt beides. Schon vor Markus wurde das Gleichnis von der Doppelfrage eingeleitet und auf die Gottesherrschaft bezogen, wie der Vergleich mit Matthäus und Lukas zeigt. Zielpunkt ist das wunderbare Wachsen. Das kann man aber höchstens auf die Ausbreitung der Botschaft beziehen, das Kommen der Gottesherrschaft ist dann noch einmal etwas anderes.

 

Schätzesammeln, Mt 6,25-34:

Der Hinweis auf die Vögel und die Blumen darf uns nicht täuschen. Hier geht es nicht um eine Entsprechung, bei der Punkt für Punkt alles gleich ist. Vielmehr geht es um einen Schluß vom Geringeren zum Größeren: „Wenn schon die nicht-arbeitenden Geschöpfe von Gott erhalten werden, wieviel mehr dann ihr, die ihr arbeitet!“ Hier wird das praktisch, was die frohe Botschaft Gottes an uns ist: Wir dürfen unser Leben ganz der Fürsorge Gottes anvertrauen. Allerdings werden wir hier nicht mit den Vögeln und Blumen verglichen, es geht nicht darum, daß wir so leben wie sie. Der Vergleichspunkt ist vielmehr: Gottes Fürsorge gilt nicht nur den Pflanzen und Tieren, sondern noch viel mehr uns Menschen, weil wir ihm noch wertvoller und wichtiger sind.

 

Unkraut unter dem Weizen, Mt 13, 24-30 und 36-43:

Mit dem Gleichnis vom Fischnetz stimmt das vom Unkraut unter dem Weizen genau überein. Das Unkrautgleichnis ist allerdings mehr ausgeführt, eher eine Novelle, während das Fischnetzgleichnis eher ein Paradigma ist. Das Unkrautgleichnis hebt nur die Trennung beim Gericht hervor, schweigt aber zu der Frage, ob die Knechte das Unkraut sofort einsammeln sollen. Und natürlich wußte jeder Knecht auch selber die Antwort. Doch die Antwort des Bauern zielt auf den Leser, dem klargemacht werden soll, weshalb die Bösen immer noch ihr Wesen treiben dürfen und nicht ausgerottet werden.

Die Aussage ist: Man kann das Unkraut nicht ausreißen, ohne auch den Weizen auszureißen. Die Scheidung wird vorgenommen, aber erst in Zukunft. Doch das Gericht wird durchaus verschärft, es kommt erst noch. Wenn Jesus schon gerichtet hätte, wäre er ein Sektenstifter geworden, der eine Gruppe von Erwählten sammelt. Das wäre aber Mißtrauen gegenüber Gottes Urteil („vorsichtshalber“ nimmt man Gottes Gericht voraus). Das Gericht gehört Gott. Die Kirche verkündet das nur, und Gott verheißt ihr, daß sie die Gemeinde der Heiligen ist - auch ohne eigene Abgrenzung.

Die römisch-katholische Kirche hat Gottes Gericht in die eigene Regie genommen, denn ihr Hoheitsakt hat ewige Gültigkeit, Gott kann nur noch den Spruch der Kirche bestätigen. Die Kirche ist aber auf die Gnade Gottes angewiesen, sie darf trotz ihrer Fragwürdigkeit die Gemeinde Gottes sein. Die Verkündigung dieser Hoffnung ist Aufgabe der Kirche.

In der Gemeinde blieb das Problem, daß Gute und Böse noch in ihrer Mitte beisammen waren. Deshalb deutet Matthäus: An Ende der Weltzeit wird der Menschensohn die Bösen aussondern (Mt 13,41). Aber das „Reich des Menschensohns“ war für ihn die Kirche, und die ist zu unterscheiden vom Herrlichkeitsreich Gottes.

 

Schatz und Perle, Mt 13,44-46:

Die Bilder kommen aus verschiedenen Lebenskreisen: Einmal ist das Finden zufällig, einmal geht ein Suchen voraus. Aber der Sinn ist gleich: Um des Kostbaren willen wird alles drangegeben. Das ist der einzige Vergleichspunkt, es geht nicht um die Frage, ob man etwa den Fund abgeben muß. Es geht auch nicht um ein Opfer für die Gottesherrschaft. Diese wird angeboten, sie ist nicht durch Einsatz zu erlangen. Es ist nicht von der Nähe der Gottesherrschaft die Rede, sondern von ihrem Wert, der die Entscheidung erfordert.

 

Vom Fischnetz, Mt 13,47-50:

Hier wird gesagt, daß die Scheidung sicher kommt, während das Unkrautgleichnis sagt „in Zukunft“. Die Anwendung ist vielleicht aus dem Unkrautgleichnis genommen, denn das Feuer paßt nicht zu den Fischen. Ohne die Anwendung kann man deuten: Die Gottesherrschaft ist gegenwärtig und an Jesu Predigt erfolgt die Scheidung. Aber es geht dennoch nicht um die Kirche, sondern um die Scheidung am Ende, auch ohne die Anwendung des Gleichnisses.

 

Gleichnis vom Schalksknecht, Mt 18, 21-35:

Hier wird die Forderung der Vergebung illustriert: Gottes Vergebung führt nicht zum Zwang und nicht zu frommer Selbstherrlichkeit. Matthäus hat die Neigung zu Königsgleichnissen, aber nachher ist nur von dem „Herrn“ die Rede. Der Geldbetrag ist eine Phantasiesumme (200 Talente sind schon ein Königseinkommen). Der Vers 35 gibt die Anwendung des Matthäus wieder, in der er den ganzen Sachzusammenhang der Vergebung vor Augen stellt. Aber wenn man den Satz als allgemeine Wahrheit versteht, führt er zur Werkgerechtigkeit („Wenn ich barmherzig bin, habe ich Anspruch auf Gottes Barmherzigkeit!“). Aber es wird nicht der richtende Gott durch den gnädigen Gott ersetzt. Das Gericht wird nicht aufgehoben, aber es ist nicht zwangsläufig.

 

Arbeiter im Weinberg, Mt 20,1-16:

Das Gleichnis darf man nicht allegorisch deuten: Besitzer = Gott, Verwalter = Christus usw. Hier wird die Frage nach der Gerechtigkeit szenisch in Form eines Zwiegesprächs über die Länge und Schwere der Arbeit dargestellt. Die versprochene Norm wird eingehalten, aber dann durch die Güte überboten: Die Letzten erhalten ein Geschenk. Aber Anspruch auf Lohn haben alle, und ein unterschiedlicher Lohn ist vielleicht auch gerechtfertigt. Den Lohn kann man verlangen, nicht aber die Gnade.

Der Mensch weiß auch von sich aus, was Gerechtigkeit ist. Das Evangelium wendet sich nur dagegen, daß man die Gerechtigkeit als Weg zum Heil ansieht. Nach römisch-katholischer Lehre wird Gott auch in seiner Gnade durch einen Vertrag gebunden und belohnt schon den Willen zur Leistung. Der ursprüngliche Zielpunkt ist die schenkende Güte, die die Unterschiede einebnet: Im Himmel gibt es kein Ersten und Letzten. Matthäus sieht den Zielpunkt in Vers 8b: Im Jenseits werden die Verhältnisse umgekehrt, denn wer sich auf das Erstersein beruft, wird es verlieren.

Wenn man das Gleichnis auf Gott bezieht, müßte man von der Güte Gottes reden. Wenn man es aber auf Jesus bezieht, dann veranschaulicht Gott an Jesus, daß er in aller Strenge ein gütiger Gott ist. An Jesus wird deutlich, wie Gottes Güte wirkt. Jesus mußte den Jüngern den Weg Gottes an seiner Person verdeutlichen. Da das aber erst in Zukunft geschehen würde, mußte er geheimnisvoll bleiben (Mk 4,10-12). Jesu Schicksal vollendet erst die Gleichnisse.

 

Barmherzige Samariter, Lk 10,25-37:

In dem Abschnitt Lk 10, 25-29 (Frage des Schriftgelehrten) liegt einer der wenigen Fälle vor, wo im Lukas-Sondergut ein Stück aus Markus steht. Lukas übergeht ihn dann, als er im Markuszusammenhang auf ihn trifft. Wahrscheinlich hat Lukas diese Geschichte erst in den Rahmen eingeschoben, weil er in dem Abschnitt von dem Doppelgebot der Liebe (10,27) zu wenig Christliches fand und meinte, sich gegen das Jüdische absetzen zu müssen

Das Gleichnis ist in den Zusammenhang einer Frage eines Schriftgelehrten gestellt, der Gott liebt und nur nicht weiß, wer denn nun sein „Nächster“ (Mitmensch) ist. Es kommt gar nicht auf die theoretische Frage an, wer denn der Nächste ist, sondern es geht darum, daß man handelt.

Hier wird den Pharisäern nicht der Vorwurf der Scheinheiligkeit gemacht, sondern daß die Frommen (Pharisäer) sich auf ihre eigene Gerechtigkeit berufen. Der Schriftgelehrte will das Gesetz erst auslegen, ehe er hilft. Jesus aber erklärt: Das Gesetz ist in sich selbst verständlich. Mit der Frage, was man tun soll, entzieht man sich schon wieder dem Gebot. Er fragt ja im Grunde: „Wen muß ich nicht lieben?“ Und er will dann nicht lieben, wenn er nicht vom Gesetz her muß.

Jesus wird gefragt, wo er innerhalb des Volkes die Grenze der Liebespflicht zieht. Der Samariter wird nicht gefeiert, weil er einem Juden hilft, sondern weil er einem hilflosen Fremden hilft. Die Motive vom Priester und Tempeldiener (Levit) sind an sich unwichtig. Dennoch ist der Gegensatz unentbehrlich. Jesus wählt absichtlich so ein außergewöhnliches Beispiel, damit die Hörer am Versagen der Diener Gottes und an der Selbstlosigkeit des verhaßten Nachbarn die Grenzenlosigkeit des Liebesgebots ermessen

Doch Jesus setzt nicht die Priesterschaft herab (ihnen war die Berührung eines Toten ja verboten) noch hebt er den Samariter hoch, er stellt nur einen liebevollen Samariter über einen lieblosen Priester. Nur der Samariter tut das Notwendige, aber er vernachlässigt auch nicht seine Pflichten, sondern zieht nach der ersten Hilfe weiter. Aber Hintergrund der Feindschaft zwischen Juden und Samaritaners ist unter anderen, daß die Samaritaner im Jahr 9 nCh den Tempelplatz durch das Ausstreuen menschlicher Knochen verunreinigt hatten. Die Geschichte könnte in Jerusalem erzählt worden sein in der Gruppe, die die Samaritermission befürwortete, aber sie ist dennoch von Jesus.

 

Reicher Kornbauer, Lk 12,13-21:

Es geht nicht gegen den Reichtum, sondern gegen die Torheit. Es handelt sich um ein echtes Jesuswort. Aber Lukas moralisiert in Vers 15 und 21. Es geht nicht darum, daß der Reiche auch an die Armen hätte denken müssen, sondern es geht gegen die Sorglosigkeit in Bezug auf die Zukunft.

 

Verlorenes Schaf, Lk 15,1-7:

Hier braucht man nicht zu erörtern, ob im wirklichen Leben ein Hirte dem verlorenen Schaf nachgehen würde, sondern es soll nur gesagt werden, wie Gott ist. Hier wirkt die Bildhälfte des Gleichnisses schon in die Sachhälfte hinein.

 

Verlorene Söhne, Lk 15,11-32:

Man stellt sich gern vor, die Geschichte habe sich so ereignet und Jesus habe davon erfahren und sie als Beispiel in seinem Gleichnis verwendet. Doch die Geschichte hat sich Jesus ausgedacht, um eine Aussage über den Glauben zu machen. Allerdings ist die Geschichte nicht unrealistisch, sie könnte so passiert sein. Der jüngere Sohn ist auch nicht frech, sondern es ist nicht ungewöhnlich, daß er sich selber eine Existenz schaffen will, er handelt auch nicht leichtsinnig. Er hat halt Pech gehabt und sich von „guten“ Freunden und Freundinnen verführen lassen. Er verkommt und wird Schweinehirte, eine furchtbare Strafe für einen Juden. Aber er darf nicht einmal vom Futter für die Schweine essen, und stehlen wollte er es wohl auch nicht.

Aber da kommt er wieder zu sich. Wieder beim Vater kommt er gar nicht dazu, seine vorher zurechtgelegten Worte auszusprechen. Der Vater spricht gar nicht, sondern handelt nur. Der ältere Sohn meint selbstgerecht, seine Sohnespflicht erfüllt zu haben und wirft dem Vater ein Bevorzugen des Nichtsnutzes vor.

Man geht am Sinn des Gleichnisses vorbei, wenn man fragt, ob die Schilderung des Vaters realistisch ist, ob es so einen Vater gibt. Es ist auch nicht wichtig, woher der ältere Sohn wußte, daß das Mastkalb geschlachtet worden war. Es geht allein darum wie Gott ist. Hier schlägt wieder die Bildhälfte in die Sachhälfte durch: Das Gleichnis wird so erzählt, weil es bestimmte Aussagen über Gott machen will.

Wenn er „Vater“ sagt, so hat es jetzt einen bittenden Ton. Er bekennt: „Ich habe gesündigt ge­gen Gott“ (gegen den Himmel“). Alles ist dann auf die Freude des Vaters gerichtet, der dem Bekenntnis des Sohnes zuvorkommt. Das Bereuen ist zwar die Voraussetzung, aber der Vater stellt keine Bedingung für das künftige Leben im Haus.

Das Gleichnis müßte eigentlich heißen „Die Liebe des Vaters“, denn dieser steht im Mittelpunkt, nicht der heimkehrende Sohn. Und natürlich ist auch der daheimgebliebene Sohn ein verlorener Sohn, weil er sich nicht mit dem Vater freuen will und nicht erkennt, daß der Vater auch ihn liebt. In diesem Gleichnis soll Jesus gerechtfertigt werden, der die Zöllner und Sünder annimmt. Die Aussage des ersten Teil heißt: Reue schafft Erkenntnis. Aber im zweiten Teil wird die Geschichte nicht verfälschend weitergesponnen, sondern es werden zwei Typen gegenüber gestellt, die aber beide die Vergebung Gottes nötig haben.

Es handelt sich nicht um eine Botschaft an die Armen, sondern um die Rechtfertigung der Frohbotschaft (des Evangeliums) gegenüber den Kritikern. Jesu Hörer sind in der Lage des älteren Sohnes. Jesus bricht nicht den Stab über sie, er will ihnen helfen, daß sie das für sie Ärgerliche am Evangelium überwinden. Gott gestattet keinem „Gerechten“, sich darüber zu beschweren, wenn er die Sünder annimmt. Das im ersten Teil Beschriebene wird ja im zweiten Teil durchaus verteidigt. Wenn auch der Sünder einen Zugang zu Gott hat, dann wird dadurch der Gerechte nicht ausgeschlossen.

Der andere Sohn ist abweisend. Als der Vater ihn fragt, zeigt sich, was sich in ihm angestaut hat. Er rechnet sich seinen Gehorsam als Verdienst an und rügt Bruder und Vater und sagt sich von ihnen los. Er fordert, daß der Vater erst die Reue des Bruders prüft. Er ist nur prinzipiell gerecht und stellt das über die Beziehung zum Mitmenschen.

Der Vater bedauert den Mangel an Liebe und Freude bei dem älteren Sohn, der es an sich bei dem Vater besser gehabt hat. Der zweite Teil gehört unbedingt zum Gleichnis dazu, aber der Ton liegt auf dem ersten Teil

Es gibt ein ähnliches Gleichnis im Judentum, aber dort geht es mehr um das Gesetz, während Jesus von Gottes Liebe spricht. Jesus bedient sich durchaus der gleichen Ausdrucksweise wie die jüdischen Lehrer, denn er war ja selber auch Jude. Es muß aber nicht unbedingt eine direkte Abhängigkeit bestehen, nur ist eben das Gleichnis Jesu nicht alleinstehend.

 

Untreuer Haushalter, Lk 16,1-7:

Jesus will nicht den ungerechten Haushalter loben. Es geht ihm nur um die Klugheit, die man braucht, um in das Reich Gottes zu gelangen. Es geht nicht um den Menschen, der immer mehr der Macht des Geldes verfällt. Die Moral des Verwalters wird nicht beachtet. Er hat nicht betrogen, er hat nur schlecht verwaltet und wird erst dann zum Betrüger. Er fürchtet um seinen Lebensstandard. Aber auf einmal sagt er: „Ich hab’s!“ Es werden absichtlich hohe Summen genannt und der Prozentsatz ist unterschiedlich, um in der Erzählung etwas abzuwechseln. Die Frage nach der Summe ist auf den Leser berechnet, denn der Verwalter weiß sie ja.

Der Vers 8a wurde wohl von vornherein zusammen mit dem Gleichnis überliefert. Mit dem „Herrn“ dürfte zunächst der Gutsherr gemeint gewesen sein, der seinen Verwalter lobt. Aber Lukas meint damit auch Jesus. Das Lob wird eingeschränkt. Und Vers 9 gibt eine Anwendung, die den Wert des Geldes auf diese Welt einschränkt und den Reichtum als verwerflich wertet. Aber letztlich ist dieser Vers eine Aufforderung an die Kirche: „Seid so klug wie die Kinder der Welt untereinander!“ Doch diese Anwendung läßt die Gemeinde noch nicht zur Ruhe kommen und löst weitere Deutungen aus, um das Gleichnis vollends zu entschärfen: Das ist ja nur ein abschreckendes Beispiel, die Parabel ist gegenteilig zu verstehen. Vers 14-15 ist eine Überleitung des Lukas, die das Gleichnis auf die Pharisäer anwendet, die sich selbst rechtfertigen.

 

Die bittende Witwe, Lk 18, 1-8:

Im jetzigen Zusammenhang gibt das Gleichnis eine Anweisung für die Zwischenzeit: Da es noch lange dauert, betet ohne Unterlaß. Der Richter ist als Typ beschrieben, die Witwe ist Beispiel der Hilfsbedürftigkeit, doch sie fordert ihr Recht (nicht die Rache). Die Anwendung in Vers 6a - 8a zeigt die Endzeiterwartung der Gemeinde. Vers 7 spricht jedoch von denen, die jetzt rufen in der Zeit der Verfolgung der Kirche. Der Vers 8 widerspricht der Lehre des Lukas von der Endzeit; vielleicht wurde er aus Versehen stehen gelassen oder das „in Kürze“ wurde verstanden als „plötzlich“. Der Sinn ist: Gott wird die Gläubigen nicht warten lassen.

 

Pharisäer und Zöllner, Lk 18,9-13:

Lukas erkennt die Gerechtigkeit der Pharisäer an, falsch ist nur, daß sie sich etwas darauf einbilden. Der Pharisäer hat sein Plus, aber er darf Gott nicht darauf hinweisen und die Gemeinschaft mit dem Zöllner aufsagen. Er dankt nicht Gott, sondern seiner Gerechtigkeit, er hat nicht das Gefühl, auf Gnade angewiesen zu sein. Er ist sogar übereifrig und verläßt sich nicht auf die Angaben des Verkäufers, sondern verzehntet alles noch einmal. Aber auch der Zöllner darf sich nichts auf seine Demut einbilden, er darf sich nicht selber demütigen, um damit Gott zu gefallen.

Weitere Gleichnisse werden unter „Leiden und Auferstehen“ besprochen.

 

Beispielerzählung Zachäus, Lk 19,1-10:

Man darf nicht fragen, wie man mit der Hälfte des Vermögens einen Schaden in vierfacher Höhe wieder gut machen kann. Rechnerisch geht das nicht. So eine Frage würde von dem eigentliche Anliegen der Erzählung ablenken. Was hier theologisch ausgesagt werden soll (Vergebung durch Jesus ohne Vorleistung, Bitte um Vergebung durch Wiedergutmachung) wirkt schon in die Sachhälfte hinein und sollte nicht von dem Eigentlichen ablenken.

Zachäus hängt nicht seinen Zöllnerberuf an den Nagel. Das haben die frommen Pharisäer von einem verlangt, der zum Gottesvolk gehören wollte. Aber Jesus sagt: „Du mußt in den Verhältnissen gehorsam sein, in denen du nun einmal lebst. Du kannst nicht warten, bis die Welt anders geworden ist, sondern du mußt dich in ihr ändern!“ Jesus verlangt nicht, daß er sich erst vom Besitz löst und dann will er ihm vergeben. Nein, erst vergibt er ihm und gibt ihm damit einen Neuanfang.

 

 

 

 

Wirken Jesu

 

Das Leben Jesu

Der Erzählungsstoff über das Leben Jesu besteht aus Wundergeschichten, Legenden, Leidensgeschichte und Ostergeschichte

 

Geburt und Herkunft Jesu: Siehe Kapitel „Geburt Jesu“.

 

Jesus und Johannes der Täufer:

Entscheidenden Einfluß erfuhr Jesus wohl durch Johannes den Täufer. Jesus selbst kam zu Johannes zur Taufe. Mit dieser Angabe ist zweifellos eine geschichtliche Tatsache festgehalten, denn in der christlichen Gemeinde wurde offensichtlich schnell die Frage gestellt, weshalb Jesus die Umkehrtaufe überhaupt an sich vollziehen ließ. Antwort: Johannes wehrt zunächst ab, doch Jesus fordert, es solle so geschehen, damit alle Gerechtigkeit erfüllt werde (Mt 3,14-15). Jesus stellt sich so in die Gemeinschaft der Sünder.

Nach Markus und Matthäus tritt Jesus erst nach der Gefangennahme des Johannes öffentlich auf. Johannes sagt, daß sich die Verkündigung für eine gewisse Zeit nebeneinander vollzogen habe. Im Johannes-Evangelium wird Jesus (unter den Johannes-Jüngern?) vom Täufer „entdeckt“  und machte sich mit einigen anderen Johannes-Jüngern ohne großen Bruch von Johannes selbständig. Es könnte so gewesen sein, daß die Jesus-Bewegung tatsächlich mit einer Abspaltung unter den Johannesjüngern in Judäa begann, die Gruppe sich dann in ihre Heimat Galiläa begab, vielleicht weil der Täufer verhaftet wurde, und Jesus dort einen neuen Anfang  machte.

 

Die Jünger:

Entscheidend für Jesu Wirkung waren die Jünger. Zusammen mit ihm bildeten sie die Jesusbewegung. Über ihre Herkunft wissen wir: Diese Gruppe um Jesus umfaßte mehr Personen als den Zwölferkreis, dennoch war es wohl eine überschaubare Gruppe. Wahrscheinlich hat Jesus selbst die Zwölfergruppe bestimmt. Dafür spricht, daß der Zwölferkreis bereits im frühesten Glaubensbekenntnis auftaucht (1. Kor 15,3-5) und daß es verwunderlich wäre, wie Judas Ischariot in einen nachösterlichen Zwölferkreis gekommen wäre. Die Zwölfergruppe symbolisiert dann wohl die endzeitliche Wiederherstellung Israels.

 

Tätigkeit Jesu:

In Galiläa begann Jesus aus eigenem Antrieb zu predigen und Jünger um sich zu sammeln. Nach Lk 3,1 ist das Auftreten des Täufers in das Jahr 28 nCh. zu datieren. Unsicher ist, in welchem zeitlichen dazu Abstand Jesus auftrat. „Vermutlich war dieser Abstand ziemlich gering, so daß sich sagen läßt, daß Jesu öffentliche Wirksamkeit in die Zeit um das Jahr 30 fällt.

Jesu Wirksamkeit umfaßte:

- die Predigt vom nahegekommenen und zukünftig kommenden Gottesreich

- die Verkündigung des Erbarmens Gottes

- die Proklamation des Willens Gottes

- die Tätigkeit als Geisterbeschwörer (Exorzist) und Wunderheiler.

 

 

Wundererzählungen

Weil man vom Messias Wunder erwartete (Jes 61,1), hat man schon in der palästinensischen Gemeinde  auch Wunder Jesu erzählt. Die eine oder andere Wundergeschichte könnte aus in das Leben Jesu zurückverlegten Ostergeschichten  oder aus einem Jesuswort entstanden sein. Viel wahrscheinlicher ist, daß volkstümliche Wundergeschichten in die mündliche Überlie­ferung eingedrungen sind (Mk 5,1-21).

Die meisten Wundergeschichten werden hellenistischen Ursprungs sein, denn in der  Redenquelle fehlen sie fast ganz, weil Jesus der endzeitliche Buß- und Heilverkündiger ist, der Gesetzes- und Weisheitslehrer. (bei Markus ist er schon der über die Erde wandelnde Gottessohn).

 

Die Überlieferungsgeschichte der Wundererzählungen:

Die Wundergeschichten wandeln sich im Laufe, der Überlieferung vielfältig. Dabei lassen sich vor allem beobachten:

• Entstehung und Wachstum von Wunderüberlieferungen (oft sekundäres Eindringen wunder­hafter Züge): Steigerungen (Mk 8,9: 4000, aber Mk 6,34: 5000  und Mt 14,21: 5000) ohne Frauen und Kinder).

Die Wundergeschichten haben in der Überlieferung eine Tradition: Motive wandern,      Varianten entstehen, Steigerungen kommen dazu (vor alle in den Zusammenfassungen wie Mk 1,32-34).

• Bildworte Jesu wurden in Erzählung umgesetzt und durch wunderhafte Züge veranschaulicht (Lk 13,6-9, aber Mk 11,12-13 und Mk und 1,17 und Lk 5,1-11).

• Übertragung verbreiteter Märchen der Umwelt auf Jesus (Mt 17,24 = Ring des Polykrates; Lk 7,11-17 = ein Wunder des Apolonius von Tyana).

• Wundermotive dienen zur Veranschaulichung theologischer Bezüge (Jesu Speisungswunder stellen einen Bezug zu Elia / Elisa her mit der Absicht, den prophetischen Geistes wieder aufleben zu lassen). Wachstum und Steigerungen müssen nicht nur der christlichen Propaganda entstammen, sondern können auch Ausdruck der sich steigernden Erkenntnis Jesu sein, die nach Ostern geschehen ist.

• Der Stil ist meist gleich. Es gibt  unveränderliche Elemente, die vor allem in griechischen Lobpreisungen eines Helden (Aretalogien) auftauchen. Bultmann unterscheidet:

            - Exposition (Krankheitsgeschichte)

- Darstellung des Heilungsvorgangs (wirkkräftige Manipulation des Wundertäters)     

- Erzählungsabschluß (öffentliche Demonstration des Erfolges).

 

Gattungseinteilung:

- Teufelsaustreibungen (Exorzismen) mit einem Dämon als eigentlichem Gegenüber

- Heilungen (leidender Mensch in seiner Not als Gegenüber)

- Rettungswunder (Rettung aus akuter Not, Wunder geschieht Wind und Wellen)

- Naturwunder

- Totenerweckungen.

 

Typen des Wunderverständnisses in der neueren Theologie:

• Rationalistische Erklärung: Zurückführung der Wunder auf natürliche, rational erklärbare Vorgänge. Die Texte werden dabei aber zu pauschal als historische Urkunden verstanden

• Mythologische Erklärung: Wunder als Mittel des erzählerischen Hinweises. Wundermotive der Umwelt wurden auf Jesus übertragen, um seine Bedeutung zum Ausdruck zu bringen

• Anthropologische Erklärung: Wundergeschichten als Übertragung) unerfüllbarer Wünsche

• Innerneutestamentliche Relativierung (Herabminderung durch den Vergleich): Minderung des Gewichts der Wunder durch Hinweis auf Wunderkritik im Neuen Testament (zum Beispiel Kritik der Wunderfreudigkeit des Markus bei Matthäus und Lukas).

 

Fazit:

Es gehört zum Wesen des Evangeliums, daß es Wundergeschichten enthält (Joh 20,30-31).  Allgemein gilt: Je stärker sich in einer Wundergeschichte örtliche Elemente häufen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß sie eine späte Bildung ist.

Die Wundergeschichten haben eine größere Nähe zum Glaubensbekenntnis als die Wortverkündigung, denn sie tragen österlichen Charakter. Was vor Ostern die Dämonen wußten, das weiß aber nun der Glaube, der aber den Umweg über das Übersinnliche nun nicht mehr nötig hat.

 

Barth, Bultmann und Sölle sitzen im Boot auf dem See Genezareth.  Als ein Sturm losbricht, kentert das Boot. Barth geht über das Wasser zum Land. Bultmann tut es ebenso. Sölle betritt den See und geht unter. Darauf Bultmann zu Barth:  „Hätten wir ihr nicht doch sagen sollen, wo die Steine liegen?“ Darauf Barth zu Bultmann: „ Welche Steine?“

 

 

Einzelne Wunder:

Sturmstillung, Mk 4, 35-41:

Es geht um die Erscheinung der Macht (mit der Gefahr als drohendem Hintergrund) und um Jesus und die Seinen. Es ist keine Urform wiederherzustellen, aber es gibt den Einfluß von anderen, nichtchristlichen Sturmstillungsgeschichten. Es geht nicht um eine persönliche Erinnerung an Jesus. Hier soll dargestellt werden, daß Jesus auch der Natur gebietet. Wenn Jesus da ist, dann ist Angst nicht möglich. Das soll der Leser mitnehmen.

Hier wird Jesus wie ein Zauberer dargestellt, der es auch mit den Meeres- und Winddämonen aufnehmen kann. Entscheidend ist aber das Wort Jesu an die Jünger, durch das ihre Angst gebrochen wird. Das Vertrauen zu Jesus war wieder hergestellt und der Sturm war für sie nicht mehr das, was er vorher war. In einer wundergläubigen Zeit hat man den Vorgang so weitererzählt, daß der Sturm sich gelegt habe und eine große Stille eintrat. Ob das wirklich so war, ist aber gar nicht so wichtig, entscheidend ist das Wort Jesu an die Jünger.

Die Abänderungen bei Matthäus und Lukas sind verhältnismäßig gering. Auch die Fest­schreibung einer Erzählung in einem Evangelium bewahrt sie also nicht vor Abwandlungen. Aber diese sind ja nur die letzten in einer Entwicklung, deren erster und größter Teil uns unbekannt ist

Matthäus kürzt und stellt das Thema „Nachfolge“ symbolisch dar (er geht vor ihnen her). Die Kirche soll erfahren, daß ihr geholfen wird. Jesus rettet das Schiff der Kirche. Er macht aus der Wundergeschichte eine Geschichte vom kleinen Glauben der Jünger gemacht. Unter der Hand ist so eine Geschichte daraus geworden, die für alle Zeiten uns etwas zu sagen hat; denn das hat die Kirche immer wieder erfahren müssen, daß sie den Stürmen der Welt ausgesetzt war und Angst und manch­mal auch Verzweiflung gekannt hat. Lukas hat die Sturmschilderung verstärkt und den Vorwurf gemildert in eine Frage.

 

Der Besessene, Mk 5,1-20:

Hier handelt es sich um eine besonders ausführliche Novelle. Eine Szenenfolge baut eine unheimliche Stimmung auf, um als Hintergrund für das Auftreten des Mächtigen in der Fremde zu bilden.  Der Evangelist denkt dabei sowohl an das umfassende Wirken Jesu wie auch an und die Mission seiner Kirche. Markus will zeigen, daß Jesus auch ohne die Kenntnis des Namens der Dämonen die Macht hat. Die Vielzahl der Dämonen soll dabei die Größe der Macht Jesu zeigen. Aber nachher verschwinden die Dämonen wieder und nur die Schweine zeigen, daß die Austreibung vollständig war. Das Ganze erinnert mehr an das Auftreten eines jüdischen Teufelsaustreibers im Heidenland. Erst am Schluß kommt eine christliche Überleitung, mit der Markus zur Mission in dem genannten Gebiet der Zehn Städte auffordert.

Matthäus gibt als Ort des Geschehens die Stadt Gadara an, nur zehn Kilometer vom See Genezareth, während Gerasa etwa 50 Kilometer entfernt liegt.

 

Tochter des Jairus, Mk 5,21-43:

Die ausführliche Novelle nennt Namen und Rang des Jairus. Lukas meidet die Strandszene. Matthäus hat das Mahl mit der Fastenfrage als Umfeld. Das Volk ist wichtig für die einge­schobene Geschichte. Die Verzögerung des Eintreffens am Krankenbett soll die Spannung erhöhen und das Wunder steigern.

Die Vorstellung von der Heilung durch Berührung kommt in einer neuen Spielart vor. Der Wundertäter ist ganz mit Kraft geladen, sogar die Kleider sind davon erfüllt und Jesus merkt, daß die Kraft von ihm weggeht. Angesichts der Macht Jesu ist auch der Tod nicht beständig. Das Zeichen ist aber nur auf den jetzigen Augenblick bezogen (es wird nicht darüber nachgedacht, daß das Mädchen ja doch einmal sterben wird). Aber historisch ist diese Erweckung nicht.

 

Speisung der Fünftausend, Mk 6,30-44 und Mt 14, 13-21:

Viele kluge Leute haben sich Gedanken gemacht, wie so eine Speisung möglich war: Jesus hätte in der Nähe in einer Höhle ein Vorratslager gehabt, aus dem er nun alles herbeischaffen ließ. Oder die Leute hätten ja das Essen mit im Rucksack gehabt, aber vor lauter Zuhören das Essen vergessen. Oder die einen, die etwas dabei hatten, hätten nicht mit den anderen teilen wollen und deshalb erst gar nicht ausgepackt; erst Jesus habe sie dazu gebracht, zu teilen und miteinander zu essen.

Doch all diese Erklärungsversuche gehen an dem Eigentlichen vorbei. Es geht ja um ein Zeichen, das man mit keiner Fernsehkamera hätte erfassen können. Man kommt der Sache schon näher, wenn man diese Erzählung versteht als ein Gleichnis für die Erntegaben, die Gott uns jedes Jahr auf den Feldern schenkt. Im Gebet wendet sich Jesus an den Schöpfer und wirkt auch selber als Schöpfer. Er macht uns deutlich, wer der Geber aller guten und vollkommenen Gabe ist, dem wir alles verdanken.

Es geht hier nicht um ein messianisches Mahl. Hier wird auch kein Sakrament gefeiert und keine geschlossene Gemeinde gebildet  (Brotbrechen gehört ja zu jeder jüdischen Mahlzeit). Und doch kann man diese Geschichte heute als Vorabbildung des Abendmahls sehen. Heute dürfen wir auch so aus der Hand Jesu das Abendmahl in Empfang nehmen als Stärkung für unser äußeres und inneres Leben. Deshalb könnte man den Sinn dieser Geschichte auch mit einem Wort Jesu aus dem Johannesevangelium ausdrücken: „Ich bin das Brot des Lebens!“

Nur hier gebraucht Markus den Aposteltitel. Aber die Geschichte wurde in der Gemeinde entworfen, es gibt keine konkrete Nachricht der Apostel, auch Jesus hat inzwischen nichts getan. Das Wunder wird nur festgestellt, nicht beschrieben.

Parallelen sind die Speisung der Viertausend (Mk 8,1-10) und die Speisung der Fünftausend bei Johannes (Joh 6,1-15). Johannes gibt die neue Deutung: „Ich bin das Brot des Lebens!“ Heute kann man keinen Wunderglauben erzeugen. Aber man sollte sein Fehlen nicht dadurch tarnen, daß man jene Wunder für historisch hält.

 

Seewandel, Mk 6,45-52 und Mt 14, 22-33 und Joh 6,16-21:

Eine Zeitlang hat man versucht, die „Wunder“ Jesu mit Vernunft zu erklären: Die Jünger hätten gemeint, erst in der Mitte des Sees zu sein, aber in Wirklichkeit wären sie schon am anderen Ufer gewesen.

In der Erzählung geht es aber darum, daß Jesus seine Jüngergemeinde allein gelassen hat, sie sollen auch ohne ihn auskommen können. Aber es dauert nicht lange, da kommen sie in schwere Bedrängnis und haben mit widrigen Gewalten zu kämpfen. Eben noch hatten die Jünger erfahren, wieviel sie mit wenigen Mitteln ausrichten können: Das bißchen Brot hat für Viele gereicht. Das hat ihnen Mut und Hoffnung gegeben, auch ohne Jesus weiterkommen zu können, wenn sie nur von seinem Vertrauen getragen wird. Und auf einmal ist die Angst wieder da. Da bläst ihnen ein Gegenwind ins Gesicht, der alle Mühe aussichtslos macht. Verschwunden sind alle Gewißheit und aller Mut, zu spüren ist gar nichts als Wasser und Dunkel und Angst, als Verlassenheit und Verzweiflung.

Die Verse 47-48 passen nicht zu Vers 35 und 46. Es handelt sich hier um zwei Schichten: um die Erscheinung und um die Rettung. Der ursprüngliche Anfang war in Vers 46. Der Sturm wird erst nachträglich erwähnt, so daß aus der göttlichen Erscheinung nun noch eine Rettung wird. Das Vorübergehen ist die göttliche Erscheinung, die bei den Jüngern das Erschrecken auslöst. Die Angst wegen des Sturms ist sekundär. Der Vers 52 ist dann (als dritte Schicht) die Redaktion des Markus, in der er wieder sein Messiasgeheimnis einträgt.

Matthäus fügt die Begebenheit vom sinkenden Petrus dazu, die an Joh 21,7 erinnert (wo Petrus sinkt, als er auf das Wasser sieht, aber durch die Hand Jesu gerettet wird - nicht durch die Konzentration auf den Meister wie in einer buddhistischen Parallele). Das eigentliche Wunder geschieht, als Jesus seinen Jünger ergreift und sie steigen beide ins Boot. Petrus macht nicht nur die Erfahrung des Versinkens, sondern auch die Erfahrung des Gehaltenwerdens. So muß auch Jesus immer wieder unseren Glauben tragen. Allein müßten wir versagen so wie Petrus. Christsein lebt nicht von dem, was wir selbst aufzuweisen haben, sondern von der Hand des Herrn, die nach uns greift.

Es kommt gar nicht so sehr auf die Frage an, die sich viele stellen: „Ist er denn wirklich auf dem Wasser gegangen?“ Es kommt nicht darauf an, welches tatsächliche Ereignis aus den Erdetagen Jesu hinter dem hier Erzählten stehen mag. Die Gemeinde drückt mit dieser Geschichte  aus, was immer gilt: worauf sie sich gefaßt machen muß und woher sie Hilfe zu erwarten hat. Das ist aber auch unsre Selbsterfahrung und Welterfahrung. So geht es auch uns als der Gemeinde Christi in der Welt. Auch wir haben mit Wind und Wellen zu kämpfen. Und Jesus scheint dann unerreichbar fern bei Gott zu sein.     

Das Symbol der ökumenischen Bewegung, der Vereinigung aller Christen in der Welt, ist das Schiff mit einem Kreuz, das auf den Wellen fährt. Aber nun ist es interessant, daß man diese Wellen manchmal höher, manchmal flacher gezeichnet hat, je nachdem, wie man die Lage der Kirche in der Welt eingeschätzt hat. Aber diese biblische Geschichte versichert uns: „Christus kommt zu seiner bedrängten Kirche! Das Schlimme an so einer Situation ist ja, daß man zur völligen Passivität verurteilt ist. Man kann nur warten, bis alles sich von selber löst. Man hofft bis zum letztes Augenblick, aber das rettende Tor scheint immer enger zu werden. Und je länger es dauert, desto wehrloser fühlt mag sich. Es geht dabei ja nicht um eine Nothilfe, wenn einer einmal ins Wasser gefallen ist, sondern um die ganze Existenz.

Wir brauchen uns des Wunderbaren nicht zu schämen, denn es zeigt nur, wie die Botschaft damals verstanden wurde. Diese Auffassung von Glauben ist uns aber unzugänglich, denn für uns beruht der Glaube nicht mehr auf dem Wunder.  Verstehen können wir nur noch die Absicht, Macht und Hilfe Jesu zu zeigen. Wir müssen nicht beweisen, daß ein Wunder wirklich so geschehen ist, sondern wir sprechen vom Kleinglauben der Jünger und der Gemeinden (zu der auch wie gehören), der gestützt wird durch die Predigt, daß Gott uns stützt.

 

Warum Jesus zu Fuß über den See ging, will ein Witz erklären: „Ein Tourist fragt einen Boots­verleiher am See Genezareth nach dem Preis für eine Fahrt über den See. Der antwortet: „50 Dollar!“ Der Tourist regt sich auf: „Eine Unverschämtheit. Der Bootsverleiher aber will sich rechtfertigen: „Bedenken Sie, daß Jesus hier zu Fuß über das Wasser gewandelt ist!“ Daraufhin der Tourist kopfschüttelnd: „Kein Wunder! Bei den Preisen!“

 

Syrophönizierin, Mk 7, 24-30:

Der Erzählung war ursprünglich selbständig, hier wird sie durch die Diskussion über die grundsätzliche Frage von „Rein und Unrein“ (Mk 7,1-23) vorbereitet. Die Reiseroute ist nur konstruiert aus der Angabe, es handele sich um eine Heidin. Der Sinn liegt in dem Gespräch, es geht nicht um eine grundsätzliche Ablehnung, die Antwort Jesu ist schon angelegt auf den Einwurf der Frau. Deutlich wird aber: Nach Jesu Tod geht die Kirche zu den Völkern.

Die Matthäusfassung ist nicht älter, weil  die Gemeinde des Matthäus am Anfang stärker jüdisch geprägt gewesen  wäre (der sogenannte „Judaismus“ wurde erst angestachelt als Gegenkraft zu dem entstehenden Heidenchristentum). Es wird gezeigt: Auch den Heiden wird der Zugang zum Glauben eröffnet.

 

Der Blinde von Bethsaida, Mk 8,22-26:

Endlich ist das in Mk 6,45 angegebene Ziel erreicht. Der Ortsname wird erst später hinzugefügt (in Vers 26 irgendein Dorf), weil Ort  mit einer christlichen Gemeinde solche Traditionen an sich zogen. Die Heilung wird in zwei Abschnitten geschildert. Dabei wurde aber nicht bedacht, daß ein Blinder gar nicht wissen kann, wie Menschen und Bäume aussehen. An sich hat die Geschichte keine christlichen Züge, es geht nur um eine Heilung durch einen Wundermann.  Der christliche Sinn komm erst durch den Zusammenhang, der diese Heilung als ein Zeichen der Heilszeit verstehen läßt, zu der gehört, daß auch Blinde sehen. 

 

Heilung des epileptischen Knaben, Mk 9,14-29:

In Vers 14 schwanken die Handschriften: Streiten die Jünger mit dem Volk und Jesus kommt hinzu oder kommt Jesus mit den Jüngern?  Über die Jünger sind nachher nicht mehr wichtig, der Vater wird die Hauptperson. Die Verse 23-24 sind eine Frage der Gemeinde: Wie kann man glauben? Antwort: Man braucht den Glauben nicht vorauszusetzen, wenn an so betet wie der Vater. Die Verse 28-29 sind eine Sonderbelehrung für die Jünger.

 

Heilung des Bartimäus, Mk 10,46-52:

Es fehlen wichtige Elemente der Heilungsgeschichten, die Demonstration des Wunders ist nur angedeutet. Aber der Zielpunkt ist deshalb nicht das Vertrauen des Blinden. Matthäus hat zwei Blinde und hat die Wundergeschichte ausgebaut und wie üblich das Erbarmen betont. Lukas verlegt die Szene an den Ortsanfang, weil er in seinem Sondergut noch die Geschichte von Zachäus hat.

 

Hauptmann von Kapernaum, Mt 8,5-13 und  Joh 4, 46-53:

In dieser Erzählung geht es gegen Gewalten, die sich gegen Gott auflehnen und seine Schöpfung zerstören wollen: Krankheit und Tod. Hier geht es um den ständiger Kampf zwischen Gott und dem ihm feindlichen Mächten. Gott aber wird der Sieger bleiben. Er hat es zwar so eingerichtet, daß es Krankheit und Tod gibt. Das sind seine Naturgesetze. Aber er geht souverän damit um. Er hat dieses Instrument geschaffen, aber was er auf diesem Instrument spielt, ist seine Sache. Aber die Geschichte kommt erst da ans Ziel, wo eine ganze Familie zum Glauben findet. Hier bildet sich eine Hausgemeinde,  in der Jesus fortan der Mittelpunkt des Lebens ist. Aus einer punktuellen Beziehung wird eine ganzheitliche.

 

Heilung der verdorrten Hand, Lk 13, 10-17:

Der Vergleich zwischen dem Ochsen, der auch am Feiertag zur Tränke geführt wird, und der Heilung der verdorrten Hand,  ist etwas gewaltsam. Vermutlich ist hier eine früher selbständige Heilungserzählung schon im Laufe der mündlichen Überlieferung nachträglich zur Erzählung von einem Feiertagskonflikt geworden. Diese Erzählungen wurden erst „fest“, als sie schriftlich festgehalten wurden. Die alten Erzähler waren nicht sklavisch an den Wortlaut gebunden. Je besser einer die Geschichte erzählen konnte, umso richtiger wurde sie. Dabei färbten auch andere Erzählungen ab und wirkten ein. Ob der Kranke nun die Wassersucht hat  oder eine verdorrte Hand oder einen krummen Rücken, das sind alles keine wichtigen Unterschiede. Die Hauptsache: Jesu Recht auf Heilung am Feiertag wird deutlich und über jeden Zweifel erhaben.

 

Auferweckung des Lazarus, Joh  11,1 und  3 und 17 - 27:

Was hier von den beiden Schwestern in Bethanien geschildert wird, das geschieht tagtäglich in unserer Umgebung. Auch bei uns stirbt Lazarus immerzu, einmal in diesem, einmal im anderen Haus. Jedesmal ist es einer, den wir liebhaben und den auch Gott liebhat. Aber warum läßt er ihn dann sterben? Hier tun sich dann die gleichen Fragen auf wie damals.

Aber die Antwort ist auch immer noch dieselbe. Wir sprechen auch heute dann immer wieder von der Auferstehung der Toten. Nur bringt Johannes darüber nicht eine lange theoretische Abhandlung, sondern er kleidet alles in eine dramatisch ablaufende Erzählung ein. Dadurch wird uns anschaulich vor Augen gestellt, was die Überzeugung des ganzen Neuen Testaments ist: „Jesus kann vom Tode erwecken!“ Der Evangelist will also nicht etwas Aufregendes berichten, das sich in Jesu Erdentagen einmal zugetragen hat, sondern er will uns heute zum Glauben an die Auferstehung rufen. Es geht nicht um Lazarus und Bethanien, sondern es geht um uns und um die Menschen in unserem Ort.

Es gab aber damals auch die entgegengesetzte Haltung. Es gab Irrlehrer, die sagten: „Die Auferstehung am Jüngsten Tag ist uns gleichgültig. Wir fühlen uns jetzt schon als Auferstandene. Auch wenn wir äußerlich gesehen sterben müssen, so macht uns das nichts aus!“ Gegen diese Meinung richtet sich die Geschichte von der Auferstehung des Lazarus, die ja das steilste Wunder dieser Art im Neuen Testament ist und sich am unwahrscheinlichsten anhört. Sie wendet sich gegen die Vergeistigung der Auferstehung und macht deutlich, daß das etwas mit dem Leib zu tun hat.

Deshalb sagte man früher im Glaubensbekenntnis „Auferstehung des Fleisches“ und heute „Auferstehung der Toten“, aber nicht „Auferstehung der Seele“, so als hätte nur die Seele etwas mit Gott zu tun. Es geht hier auch nicht darum, nur zum eigenen Sterben ein neues Verhältnis zu gewinnen, sondern hier wird der wirkliche Tod überwunden.

Das soll aber andererseits nicht heißen, daß sich die Auferstehung so vollzieht, wie es hier bei Lazarus in einer anschaulichen Geschichte geschildert wird, daß sich die Gräber auftun und die Toten in ihren Sterbehemden herauskommen. Es geht hier nicht um ein Geschehen, das mit der Filmkamera festzuhalten wäre, sondern um ein Leben in der Unverweslichkeit.

 

Zum Verständnis der Wundererzählungen:

In einer Erzählung wie die von der Heilung des Taubstummen (Mk 7,31-37) wird beispielhaft deutlich: Christus hilft als Arzt! Es gibt Krankheiten‚ die können wirklich auf eine Art geheilt werden, die für uns wunderbar ist. Und es gibt Menschen, die diese Gabe zur Krankenheilung haben. Jesus hatte sie sicherlich, sonst hätten nicht so viele Heilungsgeschichten von ihm erzählt werden können.

Allerdings ist manche Einzelheit später ausgemalt und übertrieben worden. Und es mag manche Geschichte im Neuen Testament stehen, die gar kein besonderes Ereignis im Leben Jesu zur Grundlage hat, sondern anderen Geschichten nachgebildet wurde. Aber all diese Heilungsgeschichten wollten doch sagen: „Jesus ist der Herr über Leiden und Krankheit. Die bösen Mächte werden nicht das letzte Wort über Gottes Schöpfung behalten. Jesus erweist seine Barmherzigkeit auch gegenüber diesem armen, Staubstürmen Mann im Heidenland, dessen letzte Rettung der Wundermann Jesus war!“

Auch Jesus hat nicht alle Kranken gesund gemacht. Er wollte kein Wundermann sein, sondern nur einige Zeichen aufrichten, die andeuten: So wird es einmal in der kommende Gotteswelt sein. Ein Stück des Gottesreiches hat jetzt schon begonnen, aber es ist nur ein Anfang. Wer diese Zeichen versteht, den ermutigen sie zu großer Hoffnung, auch dann, wenn er geschädigt und krank ist. Wenn die  überirdischen Gegenspieler Jesu verschwinden, dann ist das der Beweis für die Gottessohnschaft Jesu.

Mit den Dämonenaustreibungen kann man aber nicht fertig werden, indem man sie erklärt als Folge eines Traumas oder einer Geisteskrankheit. Jesus hat auf diesem speziellen Gebiet wohl eine Gabe gehabt und konnte seelische Krankheiten heilen. Von diesen Heilungserzählungen wurde dann aber die Macht Jesu übertragen auf andere Bereiche. Jetzt wurde auch von körperlichen Heilungen gesprochen. Die  Sturmstillung will sagen, daß er auch Herr über die Natur ist. Und die Totenauferweckungen zeigen Jesus als Herrn über den Tod.

Eine moderne Deutung aber wird von manchen Bibellesern als typischer Ausdruck des modernen Unglaubens abgelehnt. Dieses läßt sich nicht verhindern, genauso wie nicht das starre Festhalten am „biblischen Weltbild“, das doch nur das antike Weltbild ist. Das Festhalten an einem alten Weltbild hat nicht verhindert, daß immer weitere Kreise aus dem Christentum ausgewandert sind.

Die Wunder Jesu sind aber kein Beweis seiner Gottessohnschaft. Selbst das Neue Testament setzt voraus, daß auch Nichtchristen irgend­welche Wunder tun können (Mk 13,22), die aber nur  zweideutig sind. Jesu Taten bezeugen vielmehr seine Verbundenheit  und die daraus strömende Hilfe, sie wurden also zu Zeugnissen für Gottes Taten. Der Wunderglaube des Neuen Testaments war genau zeitbedingt wie die Erwartung des nahen Weltendes. Und den vielleicht größten Schaden hat das Verständnis des Wunders als „Durchbrechung der Naturgesetze“ angerichtet. Es geht nicht um den modernen Begriff des Naturgesetzes, sondern um eine „Machttat“ Gottes.

 

 

 

 

Das Ende Jesu

 

Reise nach Jerusalem:

Erst zu einem späteren Zeitpunkt beschloß Jesus nach Jerusalem zu wandern, vielleicht weil er (und seine ausgesandten Jünger) ganz Galiläa erreicht hatten und nun die Gelegenheit des Passahfestes benutzen wollten, um ganz Israel zu erreichen, und weil er in Galiläa auf immer mehr Ablehnung stieß (z.B. Weherufe gegen Chorazim. Bethsaida und Kapernaum).Offenbar wollte Jesus nicht zurückkommen. Ab einem gewissen Zeitpunkt riskierte Jesus bewußt seinen Tod. Ob er jedoch schon mit dem Bewußtsein, in Jerusalem zu sterben, aus Galiläa aufbrach, ist unsicher.

Nach der Überlieferung war Jesus nur wenige Tage in Jerusalem, übernachtete anscheinend aber außerhalb in Bethanien. Er lehrte im Tempelbezirk und veranstaltete mit der Tempelreinigung dort wohl auch eine Zeichenhandlung. Dabei kann es sich um keine große Aktion gehandelt haben, da sonst die Tempelwache eingegriffen hätte.

 

Tod Jesu:

Nicht die ganze Judenschaft war gegen Jesus, auch nicht alle gesetzestreuen Juden, auch wenn vielleicht einige „Kreuzige!“ schrien. Die Überlieferung der Leidens-Geschichte verlagert die Schuld ja immer mehr zu den Juden hin und entlastet zunehmend die Römer. Verantwortlich war aber der römische Statthalter (Präfekt) Pilatus, in dessen Befugnis Todesstrafen als vorbeugender Ordnungsmaßnahmen durchaus möglich waren. Jesus ist aufgrund der Angst vor einem Aufstand gestorben. Einem Justizmord ist Jesus also nicht zum Opfer gefallen. Spätestens seit seinen den letzten Tagen in Jerusalem mußte er mit seinem Tod rechnen.

Rudolf Bultmann meint, der Tod Jesu stehe in keinem erkennbaren Zusammenhang zu Jesu Wirken. Die Hinrichtung sei vielmehr geschehen, weil man sein Wirken als politisch bestimmt mißverstanden hat. Die Hinrichtung wäre dann - historisch gesprochen - ein sinnloses Schicksal gewesen. Ob oder wie Jesus in ihm einen Sinn gefunden hat, können wir nicht wissen. Die Möglichkeit, daß er zusammengebrochen ist, darf man sich nicht verschleiern.

Bei dieser Beurteilung scheint allerdings Bultmanns Grundüberzeugung durchzuschimmern, daß der geschichtliche Jesus für den christlichen Glauben keinerlei Bedeutung habe. Der Tod Jesu ist jedoch im Zusammenhang mit seinem Wirken zu verstehen. Er war Folge des Konflikts zwischen Jesus und den Pharisäern bzw. anderen jüdischen Gruppen.

 

 

 

 

 

Johannesevangelium

 

Das Johannesevangelium ist das „Buch der Epiphanien“: Jesus erscheint sofort als Gottessohn. In der Form wird es am stärksten von der theologischen Grundhaltung geprägt. Thema ist die Menschwerdung (Inkarnation) des göttlichen Wortes (Logos) in Jesus von Nazareth. Scheidung zwischen Glaube und Unglaube erfolgt am Wort Jesu. Es ist eine Entscheidung über Leben und Tod (= Gericht) (1,1-18 und 20,30-31). Das Buch ersetzte schließlich die Predigt, der Fluß der Überlieferung erstarrte immer mehr zum schriftlichen Evangelium (Dibelius).

„Evangelium“ ist ein literaturgeschichtlicher Begriff für die schriftlich niedergelegte Form der christlichen Predigt. Es ist geschrieben in Form einer Erzählung und wurde deshalb verstanden als Nachricht von geschichtlichen Tatsachen. Man hat zwar gemerkt, daß zwischen den Synoptikern und dem Johannesevangelium ein Widerspruch bestand, aber man versuchte ihn durch eine Zusammenziehung zu beseitigen. Es ist falsch, das Johannesevangelium nach den Synoptikern beurteilen zu wollen: Johannes steht für sich!

Wenn auch vielleicht die Synoptiker benutzt wurden, so ist doch die Sprache ganz anders. Der Jesus der drei ersten Evangelien redet gewichtig, der Christus des Johannes in langen Reden und mit Wiederholungen. Jedem Traditionsstück wurde die Sprache des Evangelisten aufgeprägt, nicht nur bei den Worten Jesu, sondern in der ganzen Erzählung.

Alle Personen sprechen die gleiche Sprache, die Grenze zwischen den Jesusworten und den Formulierungen der Gemeinde wir nicht gezogen. Jesus verkündet das Nahen des Reiches, der Christus des Johannes hat nur ein Thema, nämlich sich selbst. Die drei Evangelien stellen die menschliche Seite dar, das Johannesevangelium die geistliche Seite. Berührungen zwischen dem Johannesevangelium und den Synop­tikern gibt es im Täuferabschnitt, bei der Tempelreinigung und am engsten in der Passionserzählung. Schmal ist die Berührung bei Einzelworten.

Das Johannesevangelium will Geschichte erzählen. Zu diesem Zweck steigert er das Wunder (Auferweckung des Lazarus). Doch es will nicht korrekt ein Ereignis beschreiben, sondern schreibt vom Glauben der Gemeinde her. Das Zeugnis Jesu wird als Zeugnis der Gemeinde von Jesus weitergegeben. Im Gegensatz zu den Synoptikern schreibt das Johannesevangelium vom Glauben der Gemeinde her. Es beschreibt aber nicht, wer Jesus wirklich war, sondern schildert, was die Christen an ihm haben.

Die großen Reden gliedern sich in zwei Gruppen: die öffentlichen Reden und die Abschiedsreden vor dem Kreis der Jünger. Aber man kann wohl doch keine schriftlichen „Offenbarungsreden“ annehmen, die von der Lehre der „Gnosis“ bestimmt gewesen wären: Der Verfasser des Evangeliums hat die Reden selber geschaffen. Nachdem er im Prolog den Sinn der Menschwerdung im Ganzen dargelegt hat, deutet er durch die Reden den Sinn der Wunder Jesu (zusammengefaßt in den „Ich-bin-Worten“) und den Sinn des Todes Jesu (Abschiedsreden).

Die Sakramente verschwinden bis auf geringe Spuren. Es fehlt die Rechtfertigung, dafür wird alles auf Christus konzentriert. Es fehlt die wirklich in die Zukunft gerichtete Endzeiterwartung (futurische Eschatologie)(vgl. 3,5; 5,28-29; 6,39-40.44b.54; 10,9; 12,32.48; 14,3; 17,24). Außerdem fehlen die ethischen Begriffe des Paulus. Das Evangelium hat nichts zu tun mit der Lehre von Qumran (Dualismus, Christologie, neuer Bund fehlen).

 

Verhältnis zwischen Johannes und den Synoptikern:

Es ist unumstritten, ob Johannes die vorliegenden Synoptiker oder einen Teil von ihnen gekannt hat. Vielleicht verwendet er eine schriftliche Quelle, die sich von der synoptischen Fassung unterscheidet, die gemeinsamen Jesusworte scheint er aus mündlicher Tradition übernommen zu haben.

An Gemeinsamkeiten treten hervor:

  • Der Gesamtaufriß entspricht in großen Zügen dem der Synoptiker: Der erste Teil handelt vom öffentlichen Auftreten Jesu, der zweite Teil von seinem Leiden in Jerusalem.
  • Johannes verwendet auch die Gattung Evangelium, die nach dem Prolog mit der Wirkung des Täufers einsetzt, dann von Jesu Verkündigung und Wirksamkeit erzählt und schließlich mit Passions- und Osterberichten schließt.
  • Gemeinsames Erzählmaterial:
  • Tempelreinigung (Joh 2,13-16 vgl. Mk11,15-17)
  • Hauptmann von Kapernaum (Joh 4,43-54 vgl. Lk7,1-10)
  • Speisung und Seewandel (Joh 6,1-15+16-21 vgl. Mk6.30-)
  • Salbung in Bethanien (Joh 12,1-8 vgl. Mk14.3-9)
  • Einzug in Jerusalem (Joh12.12-19 vgl. Mk11,1-)
  • Passionserzählung (ab Joh 18,1)
  • Wunderbarer Fischzug des Petrus (21,1-14 vgl. Lk 5, 1-11)
  • Daneben gibt es einen Bestand an gemeinsamen Sprüchen.

 

Es gibt jedoch auch grundlegende Unterschiede:

  • Bei Johannes erstreckt sich Jesu Wirken auf Judäa, Galiläa und Samaria und dabei wird von mehreren Reisen nach Jerusalem berichtet. Es gibt eine andere zeitliche Abfolge (drei Reisen, Tod am Passahfest 14. Nisan). Jesus wirkt mehr als zwei Jahre, der Aufenthalt in Jerusalem etwa ein halbes Jahr
  • Eine zusammenhängende Quelle ist aufgrund sprachlicher und stilistischer Argumente schwer möglich, auch nicht eine „Zeichenquelle“ oder eine zu­sammenhängende Sonderüberlieferung der Leidensgeschichte. Der Verfasser kennt aber die anderen Evangelien und hat auch Traditionen übernommen, vor allem im Prolog (Joh 1,1-18).
  • Während bei den Synoptikern die Lehre Jesu in Form von Sprüchen und Gleichnissen überliefert ist und selbst bei einer Zusammenfassung zu größeren Einheiten ihre ursprüngliche Selbständigkeit erkennbar ist, sind die Reden bei Johannes deutlich als in sich geschlossene größere Einheiten entworfen (größere Redekompositionen).
  • Öfter sind doppeldeutige oder gleichnishaft gebrauchte Begriffe Ausgangspunkt des Gesprächs. Die Technik des Mißverständnisses hält das Gespräch in Gang.
  • Gleichnisse fehlen bei Johannes völlig, es gibt lediglich zwei Bildreden (Guter Hirte Joh 10 und Weinstock Joh 15), die sich aber stilistisch erheblich von Gleichnissen absetzen
  • Während bei Johannes alle sonstigen Typen von Wundererzählungen auftreten, finden sich bei ihm aber keine Geisteraustreibungen. Eigenständige Wundererzählungen sind: Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11), Lahmenheilung am Teich Bethesda (Joh 5,1-9), Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) und Auferweckung des Lazarus (Joh 11). Die Wunder gewinnen einen symbolischen Sinn. Sie sind Ausgangspunkt für Reden und Diskussionen. Die Wundergeschichten wurden mit Reden verknüpft (Brotrede). Für die Wundergeschichten benutzt Johannes eine Quelle, in der das wunderhafte Element drastisch gesteigert wird (Auferweckung des Lazarus). Aber die Wunder sind nur „Zeichen“, also Hinweis auf Höheres. Eine ähnliche Spannung zwischen massivem Realismus und spiritualer Deutung herrscht in den Ostergeschichten: Die Kreuzigung ist selbst schon die Erhöhung.
  • Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern (Abendmahlsperikope) fehlt, ihr letztes Zusammensein ist Ausgangspunkt für lange Abschiedsreden
  • Bei Johannes erscheint Jesus weder als der Lehrer, der über Gesetzesfragen diskutiert, noch als der Prophet, der die hereinbrechende Gottesherrschaft verkündet. Jesus redet nur von seiner Person als vom Offenbarer, den Gott gesandt hat. Er kämpft nicht gegen Selbstgerechtigkeit und Unwahrhaftigkeit, sondern gegen den Unglauben an seine Person.
  • Hoherpriester bei Johannes ist allein Hannas.
  • Vom Erzählungsstoff der Synoptiker bringt Johannes nur ein Minimum mit Ausnahme der Passionsgeschichte. Die Gleichnisse fehlen fast ganz, nur Hirte und Weinstock sind „johanneische Gleichnisse“.
  • Der Stil verschieden, denn der johanneische Jesus spricht in Sprüchen und symbolgefüllten Reden. Auch die Thematik ist verschieden: Jesus sagt nicht das Kommen des Gottesreiches an, sondern das jetzige Gericht.

 

 

Synoptische Entsprechungen: (außerhalb von Passions:- und Ostergeschichten)

 

Johannes

Markus

Matthäus

Lukas

P e r i k o p e n

Johannes der Täufer

1,19-28

  1,2-8

  3,1-6

  3,1-6

Taufe Jesu

1,29-34

  1,9-11

  3,13-17

  3,21-22

Berufung der ersten Jünger

1,35-51

  1,16-20

  4,18-22

(5,1-11)

Tempelreinigung

2,13-24

11,15-19

21,10-17

19,45-48

Sohn des Königischen

4,47-54

 

  8,5-13

  7,2-10

Speisung der Fünftausend

6,1-21

  6,30-56

14,13-21

  9,10-17

Petrusbekenntnis

6,60-71

  8,26

16,13-20

  9,18-21

Salbung Jesu

12,1-11

14.3-9

26,6-13

  7,36-50

Einzug in Jerusalem

12,12-19

11,1-11

21,1-9

19,28-38

Bevollmächtigung der Jünger

20,21-23

 

16,19 und 18,18

Erscheinung am See

21,1-23

 

 

(5,1-11)

S p r ü c h e

Niemand hat Gott je gesehen

1,18

 

11,27

 

Du bist Gottes Sohn

1,49

 

14,33

 

Brecht diesen Tempel ab

2,19

 

26,61

 

Vater hat ihm alles gegeben

3,35

 

11,27a

 

Prophet gilt nichts daheim

4,44

  6,4

13,57

  4,24

Die Schrift zeugt von mir

5,39

 

 

24,27

Wenn Schriften nicht glaubt

5,47

 

 

16,31

Wer zu mir kommt...

6,37

 

11,28

 

Ist er nicht Josephs Sohn?

6,42

 

 

  4,22

Sohn des lebendigen Gottes

6,69

 

16,16

 

Christus aus Bethlehem

7,42

 

  2,5-6

 

Wer sein Leben lieb hat

12,25

 

10,39

17,33

Meine Seele ist betrübt

12,27

 

26,38

 

Zitat Jesaja 6,9-10

12,39

 

13,14-15

 

Teufel im Herz des Judas

13,2

 

 

22,3

Knecht nicht größer

13,16 und 15,20

10,24

 

Wer mich aufnimmt

13,20

20,23

 

10,40

 

 

Die Sprüche übernimmt Johannes ausnahmslos aus Matthäus und Lukas (oder der Redenquelle). Er scheint aber auch Markus zu kennen (von Joh 1,19-34 übernimmt er Mk 1,2-11, nicht die erweiterte Form des Matthäus) und Lukas, läßt aber dann die marcinische Bildung 1,13-15 aus) und Lukas (in Joh 6 übernimmt er Lk 9,10-21, fügt aber in die „große Lücke“ seine Brotrede ein; außerdem hat er die Salbung wie Lukas vom Ostermahl weggenommen). Zu prüfen wäre noch die Abhängigkeit in der Passionsgeschichte, etwa bei den Abend­mahls­worten.

Wenn Johannes keinen der Synoptiker kennen würde, wäre zu erklären, weshalb er dann auch die Gattung „Evangelium“ kennt. Hat er sie selbst neu erfunden oder kennt er sie aus mündlicher Tradition (Lesungen im Gottesdienst, Erzählungen), ohne daß ihm jedoch eines der anderen Evangelien schriftlich vorlag. Die Gemeinsamkeiten reichen nicht aus, um eine literarische Abhängigkeit begründet anzunehmen. Sie können durchaus traditionsgeschichtlich bedingt sein (gemeinchristliche mündliche Überlieferung).

Erzählgut und Sprüche weichen nicht unerheblich von den Synoptikern ab (zum Beispiel stehen im Johannesevangelium die mit den Synoptikern gemeinsamen Sprüche stets in einer anderen Umgebung im Text). Dies gilt sowohl für eine mögliche Zeichen-Quelle wie auch für die Leidensgeschichte und die anderen Schichten oder Teile des Evangeliums. Die engste Berührung gibt es in der Leidensgeschichte. Doch auch hier wäre denkbar, daß Johannes eine (wohl bereits schriftliche) Überlieferung kennt, die noch von den Synoptikern unabhängig ist. Das Johannesevangelium muß als eigenständiges Evangelium ausgelegt werden. Wenn Johannes einen oder mehrere Synoptiker kannte, hat er sie wohl kaum als Quelle benutzt.

 

Quellen:

Der Evangelist griff auf verschiedene bereits schriftlich festgehaltene Quellen zurück:

Sieben - Zeichen - Quelle (Semeia-Quelle) mit Joh 20,30a als Schluß:

  • Hochzeit zu Kana
  • Tempelreinigung
  • Sohn des Königischen
  • Der Gelähmte am Teich
  • Speisung der Fünftausend
  • Heilung des Blindgeborenen
  • Auferweckung des Lazarus.

 

Offenbarungsreden:

  • Selbstprädikation des Offenbarers
  • Ruf zur Entscheidung (3.5.6.10.14.15.16)
  • Verheißung (und Drohung)
  • Lichtrede: 8,12; 9,4-5; 11,9-10; 12,35-36 und.44-50.

 

Sieben Ich-bin-Worte:

  • 6,35 und 48     Brot des Lebens: Wer zu mir kommt, der wird nicht hungern
  • 8,12                 Licht der Welt: Wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln
  • 10,12               Guter Hirte. Der gute Hirte läßt sein Leben für die Schafe
  • 10,7 und 9       Tür zu den Schafen, Alle, die vor mir kommen, sind Diebe
  • 11,25               Die Auferstehung und das Leben: Wer an mich glaubt, der…
  • 14,6                 Weg, Wahrheit, Leben: Niemand kommt zum Vater, denn ….
  • 15,5 und 1       Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.

 

 

Literarkritik beim Johannes-Evangelium:

Es finden sich einige Brüche und Spannungen:

  • Die Aufforderung nach Judäa zu gehen, als sei Jesus vorher nie dort gewesen (7,21).
  • Nach Kapitel 5 ist Jesus in Jerusalem, zieht aber in Joh 6,1 an die andere Seite des Sees. Dabei wird die geographische Situation von Joh 4,43-54 vorausgesetzt.
  • Umgekehrt scheint Joh 7,1 (bzw. 7,15) an Joh 5 und nicht an Joh 6 anzuknüpfen.
  • Am Ende der ersten, in sich sehr geschlossenen Abschiedsrede, schlösse sich an Joh 14,31 bestens der Vers Joh 18,1 an. Doch stehen dazwischen die Abschiedsreden 15 - 17.
  • Ein eindeutiger Buchschluß ist schon in Joh 20,30-31 gegeben, aber es folgt in Joh 21 ein Nachtrag.
  • Ähnlich erscheint Joh 12,44-50 als Nachtrag zum ersten Hauptteil.
  • Als Glossen oder kürzere Zusätze könnten Stellen verstanden werden wie „Christus ist das Lamm Gottes“ (Joh 1,29b) und „Das Heil kommt von den Juden“ (Joh 4,22b).
  • Joh 10,22 erst Einleitung zur Rede vom Hirten
  • Joh 14,31b ist nicht Schluß der Abschiedsreden.

 

Zur Erklärung dieser Brüche hat man eine Blattvertauschung angenommen. Unord­nungen in Handschriften des Altertums sind mehrfach belegt. Drei Ursachen sind möglich:

 - Zufällige mechanische Blattvertauschung

 - Die Nachlaßverwalter standen vor einem unvollendeten Werk

- Bearbeiter haben aus inhaltlichen Gründen eine Umstellung vorgenommen.

Aber im Laufe der Zeit wurde man zurückhaltender mit Umstellungen und schlug die Reihenfolge vor: 4,1-54 und 6,1-71 und 5,1-47 und 7,15-24 und 7,1-14. Vor allem enthält das Kapitel 5 fünfmal 759 Buchstaben und Joh7,14-24 einmal 763 Buchstaben. Es könnte sich also gerade um fünf bzw. ein Blatt gehandelt haben, die aufgrund eines Versehens vertauscht wurden. Aber bei einer Blattvertauschung müßte doch jedes Blatt gleichviel Buchstaben haben und immer mit einem neuen Satz anfangen.

Johannes scheint auch sonst nicht viel von thematischer Ordnung zu halten, oft setzen neue Stücke schlagartig ein. Die „Unordnung“ müßte schon bei der Herausgabe des Originals entstanden sein, da eine derartige Häufung von Blattvertauschungen in der späteren Textüberlieferung unmöglich ist. Diese Beobachtung wird oft mit der These verbunden, daß das Johannesevangelium von einem Herausgeber, der Joh 21 und andere Abschnitte einfügte, überarbeitet worden sei. Die älteste Handschrift P 52 um das Jahr 120 kennt (mit Ausnahme von 7,53 - 8,1l) bereits die heutige Ordnung des Textes.

 

Die Legende besagt. Der greise Johanes hatte sein Buch auf Patmos schon fast fertig geschrieben, als er starb. Doch ein Windstoß mußte alle Blätter durcheinander gebracht haben. Jedenfalls konnten die Jünger nicht mehr die richtige Ordnung finden. Doch da erscholl eine Stimme vom Himmel: „Macht euch nichts draus, in 1800 Jahren wird in Marburg ein gewisser Bultmann kommen und alles wieder richtig ordnen!“

 

Redaktion:

Bultmann sah darüber hinaus einen „kirchlichen Redaktor“ am Werk, eine Bearbeitung durch den Verfasser und eine Ordnung durch einen Herausgeber. Redaktion soll vor allem das sein, was die Endzeit erst in die Zukunft verlegt und auf Taufe und Abendmahl anspielt:

  • Täufer                                                      1,22-24+27+32
  • Wasser und Geist                                  3,5
  • Johannes noch nicht im Gefängnis    3,24
  • Keine Taufe durch Jesus                       4,2
  • Auferstehung                                         5,28-29
  • „Abendmahl“                                         6,51b-58
  • Maria                                                      11,2
  • Blut und Wasser                                    19,34b-35 (und Augenzeuge)
  • Ostern                                                     21

Man kann hier eine Anpassung an die kirchliche Lehre wirksam sehen: Um die endzeitliche Predigt Jesu nicht zu verlieren, habe sie das für ihre Anschauung gefährliche Johannesevangelium nur übernommen, in dem sie es überarbeitete und die traditionelle Endzeiterwartung und zum Beispiel das Abendmahl eingefügt.

Doch das ist umstritten:

  • Joh 21 hat deutlich den Charakter eines Nachtrags (20,30-31 ursprüngliches Ende)
  • Joh 5,28-29 und 6.40+41+44+54: Eintrag der futurischen Endzeiterwartung
  • Joh 6,51c-58: Einfügung der Abendmahlslehre nach der Brotrede
  • Joh 3,31-36 : Offenbarungsrede, dem Täufer in den Mund gelegt.
  • Joh 10,1-18 : Der gute Hirte (nicht mit dem Kontext verbunden).
  • Joh 12,44-50: An den ersten Hauptteil angehängt nach dessen inhaltlichen Abschluß.

Ins ganzen ist aber festzuhalten, daß die Redaktion nicht im Widerspruch zum Evangelium steht, sondern dieses lediglich (in kirchlichem Sinne) ergänzt und Betonungen leicht verschiebt. Es ist durchaus denkbar. daß dies durch Schüler oder Mitglieder des johanneischen Gemeindeverbandes geschah, die Theologie ihrer Schule bzw. der Gemeinde grundsätzlich teilten. Dieser Prozeß muß schon recht bald vollendet worden sein, da er sich nicht mehr in den Handschriften niederschlägt (mit Ausnahme die Erzählung von Jesus und die Ehebrecherin Joh 7,53-8,11, die sich nicht in allen Handschriften findet).

Die synoptische und johanneische Darstellung können aber nicht miteinander ausgeglichen werden, der geschichtliche Jesus kann nicht so oder so gepredigt haben.

Eine literarkritische Übereinstimmung gibt es zur Zeit nicht, da die verschiedenen Vermutungen über die Entstehung des Evangeliums sich zu sehr unterscheiden. Brauchbar erweist sich daher die der Lehrsatz, das Johannesevangelium auf die Arbeit einer Schule zurückzuführen, die über eine längere Zeit und mit zum Teil verändertem Blickwinkel am Evangelium gearbeitet hat, im wesentlichen aber eine gleichbleibende Theologie vertritt.

 

Aufbau:

• Prolog Joh1,1-18:   

Durch den Prolog beginnt das Johannes-Evangelium statt mit einer Geburts- oder Kindheitserzählung mit der Lehre, daß Jesus der menschgewordene Gottessohn sei (Inkarnation). Damit wird die göttliche Sendung Jesu und seine Gottheit von Anfang an festgehalten. Sie wird nicht erst erworben, sie ist wesenhaft von Anfang der Welt an („Präexistenz“).

• Offenbarung Jesu vor der Welt Joh 1,19-12,50:   

Dieser Teil enthält sieben sich bis zur Totenauferweckung steigernde Wunder, die Anlaß zu den Offenbarungsreden sind, in denen Jesus seine Gottessohnschaft behauptet. Dazu kommt die sich immer mehr verschärfende Ablehnung der Juden, die vom zunächst aufgeschlossenen Nikodemus bis zur Zitierung des Verstockungsauftrags bei Jesaja in Joh 12, 40 führt. In der Zeit der ersten Christenheit wurden die Christen aus den jüdischen Gemeinden herausgestoßen und verloren damit den Schutz der staatlich zugelassenen Religion. Die Juden empfanden die Christen mehr und mehr als Konkurrenz und wollten sie durch Anklagen bei den heidnischen Behörden unschädlich machen. In diese Situation hinein wollte der Evangelist Johannes seiner Gemeinde Trost zusprechen. In der Zeit der ersten großen Verfolgungen legt der Evangelist seinem Herrn Worte in den Mund, die in seine damalige Zeit wirken sollen. Dabei wird (ähnlich wie bei den Synoptikern) Jerusalem und Galiläa symbolisch besetzt: Jerusalem ist der Ort der sich ständig steigernden Feindschaft und Verfolgung, Galiläa aber Stätte der Jüngerschaft und des Glaubens. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Judentum steht im Zentrum.

• Die Offenbarung Jesu vor den Jüngern (Abschiedsreden) Joh 13,1-17,26:

Dieser Teil steht an der Stelle, an der sich bei den Synoptikern die Apokalypse findet. Diese Offenbarungsreden sollen durch die Verheißung des „Trösters“ die Verbindung zwischen dem irdischem Jesus und nachösterlichen Gemeinde herstellen. Sie haben vor allem eine Trostaufgabe: Der angefochtenen Gemeinde wird es nicht anders gehen als Jesus selbst.

• Leiden und Auferstehung Joh18-20:          

Die Passionsgeschichte gestaltet Jesu Sterben als den Tod des unschuldigen Passah-Lamms Insgesamt ist eine Aufspaltung des einen Passah-Festes bei den Synoptikern auf drei Passa-Feste zu beobachten.

•Nachtrag Joh 21:     

Hier geht es vor allem um die Verleugnung des Petrus. Dieser hatte Jesus dreimal verleugnet, so wird er dreimal gefragt, ob er Jesus liebe.

 

 

Verfasser:

Der Verfasser sollte nach altkirchlicher Tradition der Jünger Johannes sein (der „Lieblingsjünger“, Joh 21,24), unter dessen Namen das Evangelium ja läuft. Ein Augenzeuge sollte die Recht­mäßig­keit der Theologie des Johannesevangeliums begründen. Doch dagegen spricht schon, daß im ganzen Evangelium die Namenlosigkeit des Lieblingsjüngers gewahrt wird. Ferner läßt sich diese Gestalt auch aus ihrer Rolle innerhalb der johanneischen Schule verstehen.

Weiter soll Johannes sein Evangelium in hohem Alter in Ephesus geschrieben haben. Doch dagegen spricht:

- Da der Synagogenausschluß bereits vollzogen ist, müßte der Zebedaide schon sehr

   alt gewesen sein. Nach Mk 10, 35-40 ist aber anzunehmen, daß dieser gegen 44 nCh

   unter Herodes Agrippa das Martyrium erlitt

- Wenn dieser Johannes der Verfasser sein sollte, wie könnte der große Unterschied

   zur synoptischen Tradition erklärbar sein, die doch die ursprüngliche Verkündigung

   Jesu eher wiedergibt

- Hinter dem Johannesevangelium steht ein längerer Traditionsprozeß (Verarbeitung

   von Quellenmaterial); dies wäre wohl kaum geschehen, wenn der Autor Augenzeuge

   gewesen wäre.

-  Es gibt keine Hinweise bei Ignatius, der bei einer Abfassung in Ephesus durch den

  Jünger Jesu diesen ja doch gekannt haben müßte.

Eine andere Ansicht ist: Der Verfasser ist nicht der Zebedaide, der Jünger Jesu, sondern der Alte Johannes, den Papias kennt (gnostische Sprache, gutes Griechisch, kein Augenzeuge: Juden, Zebedaidenperikopen).

Der Verfasser ist also nicht mit einer bestimmten Person gleichzusetzen und dem Namen nach unbekannt. Für die Entstehung des Johannesevangeliums ist mit der Wirksamkeit einer theologischen Schule zu rechnen. Der eigentliche Verfasser des Evangeliums dürfte ein hohes Ansehen innerhalb der johanneischen. Schule besessen haben.

 

 

Abfassungsort:

Gegen einen Abfassungsort in Palästina spricht:

- die gemischte Zusammensetzung der Gemeinde aus Juden und Heiden

-die ihnen gemeinsame griechische Sprache

- falsche Angaben über den jährlichen Wechsel im Hohepriesteramt.

Das Evangelium ist aber nicht aus dem Semitischen übersetzt worden, auch der Prolog ist eindeutig griechisch. Der Verfasser gehört jedoch in den semitischen Sprachraum, wenn er auch ein einwandfreies Griechisch spricht.

Traditionell ist der Abfassungsort Kleinasien (Apg 18). Wahrscheinlich ist aber ein Abfassungsort in Syrien (aber Ignatius kennt ihn nicht). Dafür spricht:

- Berührung mit mandäischen Schriften, Ignatius von Antiochien und den Oden

 Salomos

- Kampf gegen die Täufer und die Juden

- Kenntnis palästinensischer Geographie

- Kenntnis der Auslegung des Alten Testaments durch das Targum (jüdische Ausle

  gung)

 

Abfassungszeit:

Für den frühesten Zeitpunkt kann man Joh 12,42 heranziehen, wonach der Ausschluß der Christen aus der Synagoge (im Jahre 80 oder 85) noch nicht vollzogen ist. Es wird hier noch von heimlichen Anhängern innerhalb der Synagoge gesprochen. Allerdings bahnt sich der Ausschluß an (Joh 16,2) oder liegt sogar um einige Zeit zurück (Joh 9,22). Für das Letztere spricht auch die abweisende Rede von „eurem Gesetz“

Spätester Zeitpunkt ist der Papyrus P 52, der um 120 in Ägypten entstanden ist und ein Stück aus dem Johannesevangelium enthält. Seit dem Jahre 92 wird die verschärfte Religionspolitik des Kaisers Domitian auch die johanneischen Gemeinden getroffen und sie zum Kaiserkult gezwungen haben. Dem entspricht die Situation des Bekennens und Nicht-Verleugnens. Da Johannes das Lukasevangelium kennt, kann es nicht vor 80 bis 90 geschrieben sein. Es ergibt sich eine Entstehungszeit zwischen 80 und 100 bzw. 95 -110.

 

Theologie

Heilslehre des Johannes:

Das Heil, das Jesus bringt, ist untrennbar mit seiner Person verbunden. Jesus sagt nicht nur „Ich bringe die Wahrheit und das Leben!“ sondern er sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Dies ist durchgehend so in allen „Ich bin“- Worten:

Brot des Lebens                     Joh 6,35+48+51

Licht der Welt                        Joh 8,12

Tür (zu den Schafen)              Joh 10,7 und 9

Der gute Hirte                         Joh10,11

Auferstehung und Leben       Joh11,25

Weg, Wahrheit, Leben           Joh 14,6

Rechter Weinstock                 Joh 15,1.

Jesus knüpft hier an Grundbedürfnisse und Sehnsüchte der Menschen an. Das Heil, das Jesus bringt, ist also Erfüllung der menschlichen Wünsche nach Heil. Ausgehend von der Beobachtung, daß das Heil ausschließlich an die Person Jesu geknüpft ist, läßt sich die These aufstellen, daß Heil bestehe für Johannes in der Gottesgemeinschaft, die dadurch möglich ist, daß in Jesus (und später im Tröster) Gott selbst gegenwärtig ist (1,1 und 20,28). Es gibt die Vorstellung von einer Heilsbedeutung des Todes Jesu bei Johannes. Die Rechtfertigungslehre des Paulus könnte das Geistverständnis des Johannesevangeliums zurechtrücken.

 

Die Grundlinien der gnostischen Weltanschauung:

Im Hintergrund dieses Evangeliums steht die Weltanschauung der „Gnosis“. Diesen starken Mitbewerber für das junge Christentum will das Evangelium bekämpfen. Durch die Schriften der Mandäer weiß man gut Bescheid über die Vorstellungen dieser Bewegung:

• Die Gnosis geht aus von einem Gegensatz in der Welt („Dualismus“): Die erfahrbare Welt ist eine böse und feindliche Macht, die den Menschen gefangenhält. Daneben gibt es das rein jenseitige, entweltlichte Reich des Lichts, dessen Gott rein jenseitig ist und keinerlei Anteil an der Welt hat.

• Das wahre Selbst des Menschen (der innere Mensch, das Ich, das Selbst, die Seele) befindet sich in der Fremde, in feindlicher Umgebung. Es ist gefangen in der Welt und gefesselt an den Leib wie in einem Gefängnis. Die Welt hat die Absicht, den Menschen durch die Liebe zur Welt in seinem Gefängnis zu halten. Während die Welt so grundsätzlich Finsternis ist, wird der Mensch bzw. sein wahres Selbst als ein „Lichtfunken“ angesehen. als ein versprengter Teil der oberen Welt.

• Dies wird durch eine Entstehungsgeschichte erklärt: Ursprünglich war alles Licht ganz oben im Reich des Lichtes. Durch ein Versagen der Lichtwelt ist ein Teil des Lichtes verlorengegangen und wurde Anlaß zur Entstehung der Welt als einer Gestaltung der Finsternis. Im Verlaufe der Weltentstehung gelangte das verlorengegangene Licht schließlich als Seele oder Ich in den irdischen Leib.

• Die Befreiung der Lichtfunken und ihre Rückkehr in das obere Reich des Lichtes geschieht durch Erlösung. Sie besteht zunächst in der Erkenntnis der Verlorenheit und dann in der Kenntnis gewisser Spezialmittel zum Aufstieg ins Lichtreich. Die Seele wird aus dem menschlichen Körper befreit und erlöst und steigt an den Dämonen vorbei auf in den Himmel (eine Vorstellung, die heute noch weit verbreitet ist). Wenn alle Lichtfunken ihren Wiederaufstieg vollzogen haben, wird die Welt der Finsternis ins Nichts zurückfallen. Erlösung ist als Rückkehr in das Reich des Lichtes aber Auflösung des Einzelnen.

• Die Ethik der Gnosis läßt keine positive Verantwortung für die Welt zu. Demnach bleibt nur vollständiger Rückzug aus der Welt (Askese) oder der totale Gesetzlosigkeit

• Im Unterschied zu den Mysterien-Religionen kennt die Gnosis eine Wesensgleichheit des menschlichen Ich mit dem göttlichen Ursprung. In der Erlösung durch die Gnosis wird der Mensch, was er ursprünglich und eigentlich teilweise immer war. Im Mysterienglauben dagegen ereignet sich in der Vergottung eine Verwandlung. Der Mensch wird, was er vorher nicht war.

• Nach Hans Jonas gibt es zwei Typen der Gnosis:

A. Selbstverfinsterung und spontaner Abfall des Lichts (Syrien, Ägypten, Valentinian, Hermes, Origenes, Neuplatonimus).

B. Angriff der uranfänglichen Finsternis gegen das Licht, das zur Preisgabe seiner Unversehrtheit und Mischung genötigt wird (Iran, Manichäer, teilweise Mandäer).

Die Gnosis hat das Anstößige an Jesus abgestrichen. Aber das junge Christentum und besonders Markus haben sich entscheiden für den historischen Jesus und seien Leidensgeschichte (antignostische Tendenz des Markus).

 

Diese Parallelen zwischen Gnosis und christlichem Glauben erleichterten sicherlich eine gnostische Auslegung des Neuen Testaments, wie sie ab dem zweiten Jahrhundert belegt ist. Ein grundsätzlicher Unterschied besteht aber in der Wertung der Welt. Sieht die Gnosis diese durchgehend nur negativ, so ist er im Neuen Testament bei aller Einschätzung als Ort der Herrschaft der Sünde und der Finsternis doch der Ort der Schöpfung Gottes und des Heilsgeschehens.

Bultmann sieht in den mandäischen Texten den Schlüssel zum Verständnis des Johannesevangeliums. Hinter dem Titel „Sohn Gottes“ zum Beispiel steht die Göttergeschichte (Mythos) vom Himmelsmenschen, der von der Gottheit in die Welt gesandt wurde. Diese Vorstellung kam aber von den Mandäern. Dagegen spricht aber: Diese mandäischen Texte wurden erst im 8. Jahrhundert schriftlich festgehalten. Die Gestalt des Johannes des Täufers kommt nur in jüngeren Schichten vor, die Mandäer sind nicht Nachkommen der Täufergruppe. Für das Johannesevangelium ist jedoch auch die Geschichtlichkeit und Menschlichkeit Jesu wichtig, er steht in einem zeitlichen Geschehen. Nur die Ausdrucksweise erweckt den Anschein, als sei die Menschlichkeit Jesu vergessen.

 

Auch den „Urmenschmythos“ der Manichäer im Iran hat man herangezogen: Der Urmensch ist verstrickt in die Welt, wird aber zusammen mit den geistbegabten Menschen erlöst. Aber Urmensch und Erlöser im Johannesevangelium sind nicht gleichartig, die Erlösung setzt erst ein, wenn der Urmensch auftritt.

Der Gegensatz von Licht und Finsternis kommt auch bei der Sekte von Qumran vor, aber dort hängt er nicht mit zwei Ursubstanzen wie in der Gnosis zusammen. Wenn schon, dann hat das Johannesevangelium den Gegensatz von Licht und Finsternis nicht aus der Gnosis, sondern aus der Weltanschauung Palästinas übernommen.

 

Die johanneische Theologie in der Auslegung Rudolf Bultmanns:

Bultmann sieht das Johannes-Evangelium auf gnostischem Hintergrund. Mit der Gnosis gibt es folgende Berührungen: Die gnostischen Begriffe (Wahrheit (aletheia) und Leben (zoe) treten an die Stelle der Begriffe „Reich Gottes“ und „Gerechtigkeit Gottes“. Das jetzige Leben wird als ein Scheinleben verstanden, das in Wahrheit der Tod ist. Jesus wird als der vom Vater gesandte Erlöser bezeichnet.

Die Lehre von Christus beruht aber auf einem gnostischen Erlöser-Mythos (für Bultmann vorwiegend in der Offenbarungs-Reden-Quelle gegeben). Zwar fehlen die bei Johannes die gnostischen Ausführungen über die Erschaffung der Welt, aber dennoch erscheint Jesus wie in der gnostischen Lehre als der schon immer vorhandene Gottessohn, der in der Einheit mit dem Vater bleibt, obwohl er in der feindlichen Welt lebt.

 

I. Der johanneische Gegensatz („Dualismus“):

Die Verkündigung des Johannes besteht in der Botschaft: „So hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einziggeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verderbe, sondern das ewige Leben habe!“ (3,16).

 Die Welt (kosmos) wird zunächst als die Menschenwelt verstanden, weniger als die ganze Schöpfung. Über sie ist das Urteil gefällt, daß sie böse ist und ohne das Kommen des Sohnes verloren wäre. Das Wesen der Welt ist die Finsternis, aber die Menschen lieben diese Finsternis mehr als das Licht. Das Wesen der Welt ist Lüge, und Jesus bringt die Wahrheit. Die Wahrheit ist die Wirklichkeit Gottes, die von der Sünde befreit.

Die Welt ist dem Tode verfallen. Wer an Jesus glaubt ist dagegen schon vom Tode ins Leben hinübergeschritten. Jesus bringt das Wasser und das Brot des Lebens, er ist das Licht des Lebens. Daß die Welt einer bösen Macht verfallen ist, wird dabei vorausgesetzt, wo mit der Erkenntnis der Wahrheit die Freiheit verheißen wird. Die Knechtschaft unter dem Teufel ist gleichbedeutend mit der Knechtschaft unter der Sünde. Der Teufel verkörpert die Macht, in deren Herrschaft die Welt sich begeben hat, die Macht der Finsternis und Lüge, die Macht der Sünde und des Todes.

Die beiden Möglichkeiten des Menschen, im Bereich des Lichtes oder der Finsternis zu sein, werden im Johannesevangelium durch Wendungen wie „sein aus…“ zum Ausdruck gebracht: Man kann aus Gott sein oder aus der Welt. Der Mensch hat sich dabei nicht selbst in der Hand. Obwohl die Welt so negativ gesehen wird, ist sie nicht als durch ein tragisches Ereignis entstanden gedacht (so die Gnosis) und die Menschen sind durch ein Verhängnis in die Gewalt des Teufels geraten, sondern die Welt ist Schöpfung Gottes.

Dieser Gegensatz ist für Bultmann „existential“ zu interpretieren. Das bedeutet, daß die erwähnten Begriffe als Beschreibungen verschiedener Daseinshaltungen des Menschen zu verstehen sind: Das Licht ist für Bultmann „die Erhelltheit des Daseins, in der es sich selbst versteht, in der der Mensch ein Selbstverständnis gewinnt, das ihm seinen Weg erschließt, das all sein Handeln leitet, ihm die Klarheit und Sicherheit gibt ... daß er sich als Geschöpf versteht. Die Finsternis bedeutet dann, daß der Mensch die Möglichkeit nicht ergreift… daß er, statt sich als Geschöpf zu verstehen, sich eine Selbstherrlichkeit anmaßt, wie sie nur dem Schöpfer eigen ist!“ „Finsternis - Lüge - Tod - Sünde“ stehen für illusionäres Selbstverständnis, „Licht - Wahrheit -Leben“ für echtes Selbstverständnis. Durch die Offenbarung Gottes in Jesus steht der Mensch vor der Entscheidung für Gott oder gegen Gott. Aus dem kosmologischen Dualismus der Gnosis ist bei Johannes ein Entscheidungs-Dualismus geworden.

 

II. Der johanneische Vorherbestimmung („Determinismus“):

Soll es wirklich eine Entscheidungsmöglichkeit für die Menschen geben, so kann der Gegensatz zwischen Leben und Tod nicht vorherbestimmt (deterministisch) verstanden sein. Doch es heißt: „Nur, wen der Vater zieht, kommt zu Jesus!“(Joh 6,44) oder „Nur, dem es vom Vater gegeben ist, glaubt an ihn!“ (Joh 6,65). Jesus dagegen ruft und lädt ein zur Entscheidung. Dieser Widerspruch zwischen Entscheidungsruf und Vorherbestimmtheit löst sich, wo der Determinismus existential interpretiert wird und damit die mythologischen Vorstellungen (zum Beispiel „Herrschaft des Teufels“) entmythologisiert werden. Die deterministischen bzw. mythologischen Aussagen beziehen sich nicht auf die Natur des Menschen, sondern auf die Daseinshaltung des Menschen.

Die Glaubensentscheidung ist die Preisgabe der eigenen Sicherheit und Selbstbehauptung. Dies ist nicht meine eigene Möglichkeit, da ich von der Macht der Finsternis und des Todes gefangen bin (Allgemeinheit der Sünde), also nicht selbst aus eigenem Antrieb meine Sicherheit aufgeben kann, sondern nur möglich, wo Gott „zieht“.

Aber durch das Kommen des Lichtes wird an den Menschen die Frage gerichtet, ob er in der Finsternis und im Tode bleiben will. Gott hat also durch die Sendung des Sohnes die Welt gleichsam in den Zustand des Schwebens gebracht. Der Mensch kann nicht anders handeln, als er ist. Aber im Ruf des Offenbarers eröffnet sich ihm die Möglichkeit, anders zu sein.

 

III. Die Verkehrung der Schöpfung zur Welt:

Weil die Welt trotz ihrer Verkehrung zur Welt immer noch Schöpfung bleibt, gibt es bei den Menschen eine Sehnsucht nach Heil und Leben. Wenn Jesus sich Brot oder Wasser des Lebens oder Licht der Welt nennt, dann knüpft er gerade an diese Sehnsucht an. Die Frage nach dem wahren Leben ist demnach das grundlegende Vorverständnis zum Verständnis der Botschaft Jesu. Die Welt versucht diese Sehnsucht nach Leben aber von sich aus zu stillen: Die Menschen meinen sich selbst Leben geben zu können, sie „halten das Vorläufige für das Endgültige, das Uneigentliche für das Eigentliche, den Tod für das Leben. Diese Verkehrung geschieht, wo Menschen meinen, sich aus ihren eigenen Möglichkeiten eine Sicherheit verschaffen zu können, statt sich als Geschöpfe Gottes zu verstehen, die ihr wahres Leben allein Gott verdanken.

 

IV. Das Gericht über die Welt (Krisis):

Jesu Auftreten in der Welt muß als Gekommensein begriffen werden. Seinem Kommen entspricht seinen Fortgehen: Wie er vom Vater aus in die Welt kam, so wird er wieder zurück zum Vater gehen. Sein Kreuzestod wird demnach als Erhöhung oder Verherrlichung, als Wiedereingehen in die Herrlichkeit Gottes verstanden. Diese Sendung des Sohnes ist die Tat der Liebe Gottes. Die an Jesus glauben empfangen die Liebe Gottes.

Das Kommen und auch das Gehen Jesu ist das Gericht für die Welt. Dieses Gericht wird jedoch nicht als Strafgericht verstanden, sondern als Scheidung zwischen Glauben und Unglauben. Der Glaubende wird nicht gerichtet, der Unglaube aber bleibt in der Finsternis. Da Jesus die Vollmacht hat, die Toten zu erwecken und Gericht zu halten, erhält auch der das ewige Leben, der an ihn glaubt. Das Gericht ist also kein dramatisches kosmisches Ereignis, sondern es ereignet sich in dem Verhalten der Menschen zum Worte Jesu. Die Menschen, die Jesus aber ablehnen, merken gar nicht, daß bereits das endzeitliche Gericht zum Ereignis geworden ist.

Der Gottessohn kommt als Mensch in die Welt, ein bestimmter geschichtlicher Mensch, als Jesus von Nazareth. Die Menschheit des Gottessohnes ist eine echte. Folgende Klarstellungen ergeben sich darum:

- Der Erlösungsvorgang wird nicht wie in der Gnosis als ein kosmischer Vorgang beschrie­-

  ben, durch welchen die Verbindung der ihrem Wesen nach entgegengesetzten Naturen von

   Licht und Finsternis gelöst wird.

- Weil der Offenbarer ein wirklicher Mensch ist, kennt Johannes keine Theorie über die

  wunderbare Art des Eingangs des Vorherexistierenden in die Welt und über die Art seiner

  Vereinigung mit dem Menschen Jesus. Es finden sich weder Jungfrauengeburt noch andere

  Geburtsberichte.

- Die Wunder können nicht die Gottheit Jesu erweisen, weil sie mißverständlich sind. Sie

  weisen nur daraufhin, daß die Offenbarung kein weltliches, sondern ein überweltliches  

  Geschehen ist. Die Wundererzählungen werden als Symbolgeschichten gedeutet (zum Bei-

  spiel Blindenheilung als das Bringen des Lichts in die Finsternis). Wenn die Wunder aber

   (nur) als Symbole verstanden werden wollen, dann sind sie nicht als Hinweis auf Jesu

  Gottheit auszulegen. Ferner können die Wunder den Glauben an die Gottessohnschaft Jesu

  gar nicht begründen, da der Glaube, der sich auf die Wunder stützt, kein zuverlässiger

  Glau­be ist. Auch die Worte Jesu sind dem Mißverständnis preisgegeben. Diese Miß­ver­ständlichkeit der  Worte Jesu wird von Johannes geradezu als Aufbaumittel für die Gestaltung

  einiger Reden verwendet

 

V. Was sind die Werke, die Jesus im Auftrag und in der Vollmacht Gottes vollbringt?

- Der Tod Jesu hat nach Bultmann für Johannes keine ausgezeichnete Heilsbedeutung,

  sondern ist lediglich Vollendung des Werkes Jesu.

- Die Auferstehung Jesu kann kein Ereignis von besonderer Bedeutung sein, wenn der Tod am

  Kreuz schon die Erhöhung und Verherrlichung Jesu ist. In den Ostererzählungen sind die

 Erscheinungen des Auferstandenen offenbar auch als „Zeichen“ verstanden wie die Wunder

  Jesu.

- Ostern, Pfingsten und die Wiederkunft sind für Johannes nicht drei verschiedene Ereignisse,

  sondern ein und dasselbe. Dieses eine Ereignis ist kein äußeres Geschehen, sondern das

  innere: Jesus gewinnt den Sieg, indem sich im Menschen aus der Überwindung des

  Anstoßes der Glaube erhebt. Folglich kennt Johannes auch keine Endzeiterwartung für die

  Zukunft (futurische Eschatologie), da ja schon das Kommen Jesu das Gericht ist. Es fehlen

  die Weissagungen vom Kommen des Menschensohns. Dies ist die entmythologisierende und

  existentiale Deutung von Auferstehung, Pfingsten und Parusie nach Bultmann.

- Auch die Sakramente spielen keine Rolle. Zwar wird die Taufe vorausgesetzt, aber es wird

   ausdrücklich betont, daß Jesus nicht getauft habe. Auch das Herrenmahl fehlt im Leidens-

  bericht und wird ersetzt durch die Fußwaschung (erst von der kirchlichen Redaktion ist es im

  Zusammenhang mit dem Speisungswunder eingebracht worden).

Bei Johannes spielen die sogenannten „Heilstatsachen“ im traditionellen Sinne keine Rolle. Das ganze Heilsgeschehen - Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu, Pfingsten und Wiederkunft - ist in das eine Geschehen verlegt: die Offenbarung der Wahrheit Gottes im irdischen Wirken des Menschen Jesus und die Überwindung des Anstoßes im Glauben. Die Herrlichkeit Jesu offenbart sich gerade in dem anstößigen Anspruch, daß in seinem Wirken Gott begegne, nicht in irgendeinem konkreten Wie des Wirkens. Deshalb ist für Bultmann auch nur das Daß, nicht aber das Wie des Gekommen-Seins Jesu von Bedeutung.

 

VI. Was ist nun der Inhalt der Worte Jesu?

Jesus bezeugt das, was er beim Vater gesehen hat. Nun ist aber das Erstaunliche, daß Jesu

Worte nie etwas Spezielles und Konkretes mitteilen, was er beim Vater gesehen oder gehört hat. Thema seiner Rede ist immer nur das Eine, daß der Vater ihn gesandt hat, daß er gekommen ist, um das ewige Leben zu bringen, daß man dazu an ihn glauben muß und daß er wieder gehen wird.

 

Kritik an Bultmanns Ansatz:

Glaube ist für Bultmann das Anerkennen des widersprüchlichen Anspruches Jesu, er sei der Gottessohn, wobei die Glaubenden auf jede Beglaubigung dieses Anspruchs verzichten und so all ihre Sicherheit fahren lassen. Bultmann geht dabei von einem anthropologischen Grund­modell aus, das zwei Weisen menschlichen Daseins kennt. In diesem Grundmodell ist bereits aufgezeigt, daß nur durch die Aktion von außen ein Umschwung von dem falschen in das wahre Daseinsverständnis gewonnen werden kann. Dieses Modell wird nun an das Johannes-Evangelium herangetragen und durch die existentiale Deutung darin gefunden.

Doch grundlegend für dieses Modell und den darin beschriebenen Umschwung ist keine inhaltliche Füllung des von außen begegnenden, sondern allein, daß das von außen Begegnende eine Entscheidungsfrage stellt. Der Erlöser wird damit austauschbar.

Glaube ist Entweltlichung und immer nur aktuelle Existenz. Kann von hier aus überhaupt noch eine Beziehung zu weltlichen Problemen und Nöten gefunden werden? Kann dem, der sich um sein Brot für morgen sorgt, noch etwas anderes als die Glaubensforderung entgegen gehalten werden? Ist Preisgabe der Sicherheit und Entweltlichung wirklich das Heil?

 

Einzelne Abschnitte:

Prolog, Joh 1,1-18:

Allgemein anerkannt ist, daß der Evangelist hier ein Lied aus dem Gottesdienst der Gemeinde verwendet und es durch seine Anmerkungen erweitert. Aber auch die Gemeinde hat vielleicht ein Lied über das schon immer vorhandene Wort („logos“) übernommen. Aber der Evangelist bezieht dieses Wort schon von Vers 2 an („es war im Anfang bei Gott“) auf den fleischgewordenen Christus. Die Christen, die dieses Buch lasen, dachten bei diesem Wort sofort an Jesus Christus.

Die Christusvorstellung des Johannesevangeliums wird nicht vom Logos-Begriff bestimmt, sondern von den Titeln „Christus“ und „Sohn Gottes“. Der Logos ist nicht Gott, sondern nur „bei Gott“. Er wetteifert nicht mit dem jüdischen Gesetz, das man sich nie personhaft vorgestellt hat. Eine enge Verwandtschaft besteht aber mit der Vorstellung von der „Weisheit“ als Mitarbeiterin Gottes. Im Prolog des Johannesevangeliums wird die Logos-Vorstellung genutzt für die Deutung einer geschichtlichen Wirklichkeit, für das Kommen Jesu. Damit soll Unaus­sagbares sagbar gemacht werden. Doch nachher im Evangelium wird Jesus nicht als „Logos“ bezeichnet. Das Ende dieser Vorlage könnte Vers 12 sein, der Schluß wird aber auch dem Evangelisten zugeschrieben.

Die Verse 6 bis 8 und 15 über den Täufer Johannes werden als später eingefügt angesehen und fallen auch sonst aus dem Zusammenhang, werden aber auch dem Evangelisten zugeschrieben. Gehörten aber Vers 5 und 9 zusammen, wenn Vers 6 - 8 eingeschoben sind? Vers 9 könnte auch auf Vers 4 folgen.

Die Verse 14 - 18 sind im Wir-Stil abgefaßt und könnten ein Anhang sein. Auch Vers 15 könnte ein Einschub sein, denn Vers 16 schließt sich gut an Vers 14 an. Vers 17 über das Gesetz des Mose ist ein Einschub in Prosa-Form. Der Vers 18 schließt die Überlegungen ab und könnte wieder vom Evangelisten sein.

Die Verse 19 bis 27 sind ein angebliches Selbstzeugnis des Täufers von sich selbst, sind aber wohl von einem Bearbeiter eingefügt worden sein, denn sie enthalten die Ansicht der Gemeinde über den Täufer. Auch der folgende Abschnitt Joh 1,29-34 (Zeugnis des Täufers vom Lamm Gottes) ist später überarbeitet worden, denn er enthält viele Anklänge an die drei anderen Evangelien, um das Johannesevangelium nachträglich anzugleichen.

Man hat auch vermutet, daß die Verse 1 und 3 bis 4 den ersten Teil der Vorlage darstellen, die Vers 9 bis 11 dann den zweiten Teil und ab 14 würde dann der dritte Teil beginnen. Es ist also sehr umstritten, welches die Vorlage ist und welches Zusätze sind. Die Einfügungen sind aber nicht als ganz späte Zusätze („Interpolationen“) zu beseitigen, sondern sie sind die Erläuterungen des Evangelisten - in der Antike gab es ja keine unter den Text gesetzten Anmerkungen. Zu erklären (und zu predigen) ist aber natürlich immer der ganze Text.

 

Hochzeit zu Kana, Joh 2, 1-12:

Weinwunder zu Kana: Der Wein symbolisiert die neue Zeit der Freude und außerdem die Macht des Herrn über die Natur. Das Wasser ist an sich das kostbarere Gut (siehe Kapitel 4). Aber wenn Jesus Wasser in Wein verwandelt hat, dann kann man nur sagen: Davon teilen wir heute noch aus beim Abendmahl in der Kirche aus (so hat es jedenfalls der Kirchenvater Hieronymus formuliert). Die Erzählung entspricht der Aussage, daß Jesus der Weinstock ist.

 

Tempelreinigung, Joh 2, 13-21:

Logisch gehören Einzug und Tempelreinigung zusammen, aber bei Johannes ist die Tempel­reinigung programmatisch an den Anfang gestellt. Der Aufbau des Tempels in drei Tagen (Vers 20) ist natürlich nur im Märchen möglich. Aber in Vers 21 wird gleich der wahre Sinn dieses Wortes festgestellt: Jesus hat von sich selbst gesprochen, und der „Tempel“ bedeutet in Wirklichkeit seinen Leib, so daß das Wort sich auf seinen Tod und seine Auferstehung bezieht. Erst die Gemeinde versteht, worum es in dem Tempelwort geht. Der Vers 22 fügt noch hinzu, daß dies den Jüngern erst nach der Auferstehung aufging. Ihr Glaube fand so eine doppelte Stütze: in der Schrift und im Wort Jesu.

 

Jesus und Nikodemus, Joh 3 , 1-21:

Die Rede Jesu ist formal und inhaltlich sehr verwandt mit dem Prolog. Der Evangelist hat sie offenbar seiner Quelle der „Offenbarungsreden“ entnommen und durch eigene Zusätze erweitert. Die Quelle liefert gewissermaßen den Text für die Predigt des Evangelisten, indem dieser die Offenbarungsreden mit der Darstellung des Lebens Jesu zu verflechten sucht.

Schon die Synoptiker haben freie Worte Jesu in ihre Darstellung eingeflochten, indem sie eine überlieferte Geschichte als Rahmen benutzten oder einen Rahmen frei komponierten. Die gleiche Technik liegt in einer entwickelteren Form bei Johannes vor. Er scheint die Nikode­mus­szene selbst entworfen zu haben in Anlehnung an damals übliche Lehrgespräche, die oft in Form eines Gesprächs abliefen.

 

Der Sohn Gottes, Joh 5,19-30:

Der Wechsel zwischen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zeigt, daß das Sein des Sohnes beim Vater („Präexistenz“) nicht in einen Zustand verlegt werden kann und die Sendung des Sohnes nicht ein göttlicher („mythischer“) Vorgang war. Hier wird nur gesagt, daß Jesu Handeln und Wort von Gott her bestimmt war und er nicht im Augenblick einen Entschluß faßte.

Der Gedanke, daß Jesus schon immer beim Vater war, ist nur ein Bild. Es geht nicht darum, daß Jesus schon früher einmal etwas gehört und gesehen hat, denn es kann auch von dem allen in der Gegen­wart und in der Zukunft geredet werden. So ist die „Präexistenzvorstellung“ im Grunde „entmythologisiert“, man kann sie aber auch nicht durch psychologische Auslegung scheiden. Präexistenzaussagen können den Glauben nicht erleichtern, indem sie Jesu Worte auf einen zuverlässigen Ursprung zurückführen, sondern sie charakterisieren nur den Anspruch des Wortes..

 

Brotwort, Joh 6,51-58:

In Joh 6,51-58 wird das „Lebensbrot“ plötzlich als Teil einer heiligen Handlung gedeutet („Sakrament“), wie es im Abendmahl der Kirche gefeiert wurde. Hier liegt wohl ein kirchlicher Zusatz zum Vers 6,51 a vor, vielleicht wurde hier eine Predigt verwendet. Durch einen Zusatz wie diesen hat die Kirche das Johannesevangelium in ihre Schriften übernehmen können.

 

Fußwaschung, Joh 13, 1-21:

An die Handlung in den Versen 4 und 5 wird in den Versen 13 bis 20 eine Deutung angeschlossen. Hier wird wieder die literarische Form des „Apophthegma“ benutzt, wo zum herrenwort eine Handlung als Hintergrund gebildet wird. Zugrunde liegt das Wort Lk 22,27 oder eine Variante davon. Während dort aber ein Gespräch mit den Jüngern den Rahmen bildet, fügt Johannes eine eigene Deutung heute, indem er Jesu eigene Aktion das Wort hervorbringen läßt. Johannes will also nicht alte Deutung ausschalten, sondern nur neu begründen.

 

Verfolgung, Joh 15, 26 - 16, 4:

Der historische Jesus hat sich wohl keine großen Gedanken um eine spätere Kirche gemacht. Aber was hier als seine Rede angeführt wird, ist durchaus in seinem Sinne: „Zum Christsein gehört die Anfeindung und Verfolgung dazu!“

 

Abschiedsgebet, Joh 17:

Die Vergangenheit kann nicht festgehalten werden. Den Versuch, bei ihr zu verweilen, macht Jesus zuschanden, indem er sich von den Seinen trennt. Wer bei dem „historischen Jesus“ blei­ben will, wird bald merken, daß er ohne ihn ist. Der historische Jesus muß von dieser Welt scheiden, damit erfaßt wird, daß er der Offenbarer ist. Er ist nicht nur der Offenbarer, wenn er es bleibt. Er bleibt aber dadurch, daß er den Geist sendet. Den Geist kann er aber nur senden, wenn er gegangen ist (Joh 16,17).

 

Ungläubiger Thomas, Joh 20,24-31:  

Viele in der Gemeinde werden sagen: Wir haben doch gar keine Zweifel am Ostergeschehen, wir sind doch kein ungläubiger Thomas! Bei Johannes sind diese Geschichten herausgespon­nen aus der Bemerkung der Synoptiker „etliche aber zweifelten“. Haben wir heute wirklich keine Zweifel? Da sind Menschen selbstsicher und gläubig. Aber dann ist gerade ihr Sohn im Krieg gefallen und schon war der Zweifel da. Gleiches gilt, wenn Krankheit sich einstellt oder es zu einer Scheidung kommt, aber es geht auch bis hin zu Umweltproblemen.

Es geht hier also nicht um das intellektuelle Problem, ob eine Auferstehung möglich ist oder nicht, sondern um tiefe Fragen. Da kann man doch nur drei Tage betroffen daneben stehen wie Hiobs Freunde, ohne eine Patentlösung zu finden. Thomas hat keinen Theologenzweifel, sondern der Sinn des Ganzen ist ihm entfallen, es ist ihm „zum Kotzen“, er sieht keinen Ausweg und keine Hoffnung. Es geht also nicht nur um einen Auferstehungszweifel, sondern um den umfassenderen Zweifel.

 

Die johanneische Schule:

Es ist sehr wahrscheinlich, daß die johanneische Literatur (Johannesevangelium und Johannesbriefe) das Werk einer theologischen Schule ist. Dafür spricht:

• Die Theologie des Johannes unterscheidet sich stark von anderen Theologien, die im Neuen Testament überliefert ist. Eine solche Theologie ist nur innerhalb eines ziemlich abgegrenzten Gemeindeverbandes denkbar. Ein solcher Verband bedurfte wohl eines besonderen Theologenstandes, der Tradition weitergab und lehrte.

• Die verschiedenen Schichtungen im Johannesevangelium und die Weiterentwicklung der Theologie in den Johannes-Briefen kennen grundlegende durchgehende Übereinstimmungen mit Abweichungen und Entwicklungen an einigen Punkten (zum Beispiel argumentiert der 1. Johannesbrief gegen eine überhöhte Lehre von Christus, wogegen im Johannesevangelium eine solche Polemik nicht begegnet). Dies ist am ehesten in einer Schule denkbar. Eine solche Schule ist dann das soziologisch Beständige für die verschiedenen Entwicklungsstadien der johanneischen Theologie.

Wird von der johanneischen Schule ausgegangen, so lassen sich folgende Erscheinungen gut verstehen:

 • Die Gestalt des Lieblingsjüngers, der in die unmittelbare Nähe Jesu gerückt wird,

  aber nicht wirklich ein Augenzeuge ist, stellt den Zusammenhang zwischen der Zeit

  Jesu und der johanneischen Schule her

• Auffallend ist, daß zwar bei den anderen Jüngern Unverständnis und Unglaube

  betont wird, der Lieblingsjünger aber Jesus versteht und an seinem Wissen Anteil

  hat.   Daher ergibt sich eine Konkurrenz zu Petrus, aber auch zu Thomas, der erst

  sehen und dann glauben wollte (Joh 20,24-31). Das Kapitel 21 sieht in ihm eine

  wirkliche Person, die aber schon gestorben ist.

• Eventuell ist hier auch die Gestalt des „Trösters“ einzuordnen. Er steht in einer Art

  Fortsetzungsverhältnis mit Jesus und wird mit dem Geist, der in den Jüngern wirkt,

  gleichgesetzt. Die johanneische Schule könnte demnach die Tröster-Vorstellung

  benutzt haben, um ihre eigene Theologie zu rechtfertigen

Die Geschichte der johanneischen Schule und ihres Gemeindeverbandes läßt sich nicht mehr in Einzelheiten wiederherstellen. Folgendes läßt sich aber erkennen: Zur Zeit der Abfassung des Johannes-Evangeliums steht die Gemeinde in starker Auseinandersetzung mit dem in der Synagoge organisierten Judentum. Der Ausschluß aus der Synagoge ist bereits vollzogen (Joh 9,22 und 12,42 und 16,2). Die johanneischen Gemeinden mußten sich in dieser Zeit verselb­ständigen. Doch die Auseinandersetzung mit dem Judentum blieb, darauf lassen die Texte schließen.

 

 

 

 

Leiden und Auferstehen

 

Die einzelnen Abschnitte:

Leidensweissagungen:

Es handelt es sich bei den Leidensweissagungen nicht um einen Kniff. Man könnte ja auch sagen: „Weil das mit Jesus so geschehen war, hat man das nachträglich aus der Bibel herauslesen wollen. Wenn es anders gekommen wäre, hätte man die entsprechenden Stellen nicht auf Jesus gedeutet!“ Aber so ist es nicht: Das Leiden Jesu lag ganz im Plan Gottes.

Im Alten Testament wurde schon aus der Ferne auf den kommenden Christus hingewiesen. Es wurde auch angedeutet, daß Christus viel leiden und sterben muß. Wenn man die Heilige Schrift recht liest, wird man das auch verstehen. Dann wird man auch erkennen, daß Jesus hier seine Lebensaufgabe hatte und sie auch erfüllte.

Eine Besonderheit ist in diesem Zusammenhang der Streit der beiden sonst hoch angesehenen Jünger Jakobus und Johannes (Mk 10, 35-45). Sie liegen mit ihren Er­war­tungen völlig falsch. Von höchster Stelle muß ihnen die Abwegigkeit ihres Ansinnens bescheinigt werden. Diese Peinlichkeit ist sicher tatsächlich so passiert, man hat sie später nicht vertuschen können. Man hat sie aber auch später nicht erfinden können, denn nur Jakobus hat im Jahr 44 den Märtyrertod für die Sache Jesu erlitten, während Johannes wahrscheinlich überlebt hat.

 

Einzug in Jerusalem, Mk 11,1-11:

Die Szene erinnert an die Ankunft eines Herrschers in einer Stadt mit Jubel des Volks. Es wird noch kein Blick auf ein Leiden geworfen: Der Messias zieht in seine Residenz ein. Grundlage ist ein wirkliches Ereignis. Jesus wollte in der Hauptstadt die Entscheidung über seine Botschaft erzwingen. Es war aber nur eine Demonstration einer Gruppe von Anhängern, kein Ereignis für die ganze Stadt. Die Kleider wurden natürlich nicht auf dem ganzen Weg ausgebreitet, und bei Matthäus werden auch nur Zweige gestreut.

Matthäus arbeitet hier eine Vorausdarstellung der Wiederkunft heraus. Bei ihm sind es zwei Tiere, weil er das Zitat aus dem Alten Testament falsch verstanden hat (dort nur Wiederholung). Der Einziehende scheint aus Galiläa zu sein, die Jerusalemer ahnen nicht, daß er der Davidsohn aus Bethlehem ist. Lukas hält EinzugEin und Wiederkunft auseinander. Jesus erscheint als Herr des Tempels und die Christen sind das wahre Gottesvolk.

 

Tempelreinigung, Mk 11,15-19:

Durch den Wechsel zwischen Jesus und Bethanien kann Markus mehrere Geschichten einfügen. Die beiden anderen Evangelisten aber stellen einen glatteren Ablauf her und legen Einzug und Tempelreinigung zusammen, während Markus jedem Ereignis ein eigenes Gewicht geben will. Johannes stellt die Tempelreinigung an den Anfang des Wirkens Jesu und gibt ihr neben dem Zeichen in Kana eine programmatische Bedeutung.

Der Marktbetrieb dient der Ermöglichung des Tempelbetriebs. Doch Jesus will diesen Kult nicht angreifen, sondern eine Reinigungsvorschrift wieder einführen. Aufgabe des Tempels ist nur die Gottesverehrung. Am Ende soll dann die Sammlung der Völker erfolgen (die anderen Evangelisten streichen das, weil der Tempel inzwischen zerstört wurde).

Matthäus zeigt den Wiederhersteller des Tempels gleichzeitig als Heiland der Kranken. Es entsteht ein starker Gegensatz zu den Mächtigen, denen die Schwachen nichts bedeuten. Lukas kürzt und stellt den Ablauf Einzug-Reinigung-Vollmachtsfrage her und hat in Vers 47 das Schema Tempel-Ölberg.

 

Vollmachtsfrage, Mk 11,27-33:

Hier beginnt eine zweite Serie von fünf Streitgesprächen. Jede Geschichte ist aber ursprünglich selbständig und stand nicht im Zusammenhang der Leidensgeschichte. In dieser zeigen sie allerdings die Verschärfung der Lage. Jesus geht im Tempel umher, als sei keine Tempelreinigung geschehen. Wenn man diese allerdings mit heranzieht, dann geht es um die Frage: Woher nimmst du das Recht, so im Tempel aufzutreten? W e r gibt dir das Recht?

 

Gleichnis von den ungleichen Söhnen, Mt 21, 28-32:

Hier gibt es das Problem des richtigen Textes, denn es gibt unterschiedliche Handschriften:

1. Der Erste sagt „Nein“, tut es aber

2. Die Gefragten antworten, der Zweite tue den Willen des Vaters, sie sind aber verblendet

3. Der Erste sagt „ja“, handelt aber nicht.

Richtig ist die erst Lesart, denn nur so versteht man, warum der Vater sich noch an den zweiten Sohn wendet. Die Anrede des Ersten ist patzig, die des zweiten ehrfurchtsvoll. Aber es kommt nicht auf eine moralische Wertung an, sondern um das Evangelium für die, die moralisch nichts sind. Der Vers 32 ist von Matthäus, denn Lukas hat eine andere Antwort. Doch es geht nicht um den Umschwung im Gleichnis („Buße“), sondern der zweite Teil des Verses stellt nur den Anschluß an das Gleichnis her.

 

Gleichnis von den bösen Winzern, Mk 12, 1-12:

Der Inhalt des Gleichnisses ist aus dem Weinberglied Jesaja 5 genommen. Damit ist schon eine bestimmte Deutung gegeben: „Der Weinberg ist Israel!“ Das Verhalten des Herrn ist seltsam, aber folgerichtig. Erst Vers 5b ist eine Anspielung auf die Propheten, die alle leiden mußten, aber das ist dann eine spätere Bemerkung. Man kann aber nicht noch mehr in dieser Geschichte als Einfügung ausscheiden wollen, um eine Urform zu finden, die Jesus zugeschrieben werden kann.

Es kommt zu einer Steigerung im Verhalten des Besitzers und der Überlegung der Pächter: „Der ist der Sohn!“ Der Leser versteht gleich: „Jesus ist gemeint!“ (bei Markus wird er nur in der Tauferzählung und in der Verklärung so genannt). Er ist das letzte Angebot, danach kommt nur noch das Gericht.

Der Weinberg ist das Gottesvolk. Aber als Strafe für das Töten Jesu erfolgt nun der Übergang zu einem neuen Volk. Im Verhalten zu Jesus entscheidet sich, ob Israel Gottes Volk bleibt. Der Weinberg wird nicht zerstört, wohl aber die Pächter. Hier liegt das Geschichtsbild der Gemeinde vor: Jesus sieht die Strafe als Ablehnung seiner Predigt, die ja auch nach Ostern noch erfolgt. Weil es um eine Frage der nachösterlichen Gemeinde geht, ist dieser Abschnitt auch von dieser gestaltet.

 

Gleichnis vom Gastmahl, Mt 22,1-14 und Lk 14,16-24:

Lukas erweitert die Einladung an die Stadtarmen auf die die Landstreicher, die Einladung wird dringlicher. Für die römisch-katholische Kirche ist das bis heute die Begründung für den Zwang zu einem Glück, mit dem die Kirche die Gläubigen in die Heilsgeschichte bringt („Zwingt sie hereinzukommen“). Nach der Einladung an die geringen Leute kommt nun die Einladung an die Heiden. Es wird auch auf die Abendmahlserzählung angespielt.

Matthäus ist stärker auf das Gericht eingestellt, nachdem die ganze Geschichte Israels entwickelt wurde. Jetzt wird das Hochzeitsmahl des Königssohns geschildert. Mit den Knechten sind zunächst die Propheten gemeint, dann auch die christlichen Missionare. Der Herr zeigt eine unablässige Geduld. Die Geladenen aber gehen demonstrativ an ihre Arbeit (bei Lukas stecken sie zu sehr drin). Die Verse 6 -7 sprengen das Bild: Die Geladenen wohnen in einer fremden Stadt, weil Jerusalem beim Abfassen des Evangeliums inzwischen zerstört war.

In den Versen 11-14 steht dann eine Ergänzung des Matthäus: Jetzt wird eine Bedingung aufgestellt: das festliche Kleid. Hier ist die Kirche schon die reine Gemeinschaft. Das Gleichnis aber sagt: Es ist für alle Platz! Gottes Erwählung läßt keine Bedingungen zu. Wir heute haben alle einzuladen, ob einer wieder hinausgeworfen wird, steht bei dem Urteil Gottes. Aber die Erwählung ist ein Wunder, das nicht berechnet werden kann.

 

Gleichnis von den zehn Jungfrauen, Mt 25,1-13:

Der Vorgang ist unklar. Die Jungfrauen ziehen aus zur Einholung des Bräutigams, aber nach dem Hochzeitsbrauch wird die Braut vom Bräutigam geholt. Aber man kann das auch nicht bildhaft deuten auf die Begegnung mit Christus bei der Wiederkunft. Es wird betont: Es kommt überraschend, aber es dauert lange. Aber hier schlägt die Bildhälfte durch, denn bei einer Hochzeit kann man nicht von vornherein damit rechnen, daß der Bräutigam später kommt. Vers 13 paßt nicht mehr zum Gleichnis, nur zu der Verzögerung. Er meint aber auch die klugen Jungfrauen.

Die Erwartung, daß Jesus als der „Menschensohn“ und Weltenrichter bald wiederkommen wird, war Ausdruck des Glaubens, aber nur eine geschichtliche Gestalt des Glaubens, nicht der Glaube selber. Das zeigt sich daran, daß der Glaube nicht aufhörte, als Jahr um Jahr verging, ohne daß das Weltende kam. Man lernte das, worauf es ankam, anders zu verstehen und auszusagen. Der Glaube mußte sich lösen von der Erwartung, in der er zuerst Gestalt gewonnen hatte. In der Parabel von den Zehn Jungfrauen wird dem Versuch, die ursprüngliche Hochspannung künstlich zu konservieren, entgegengehalten, daß es töricht ist, mit einer längeren Wartezeit zu rechnen.

 

Pharisäerfrage nach dem „Zinsgroschen“, Mk 12,13-17:

Die Pharisäer sind die Gesetzeskundigen, die Herodianer vertreten die politische Seite, so daß Jesus auf alle Fälle bei einer der Gruppen Anstoß erregen muß: Er soll in einen Konflikt hineingezogen werden zwischen der Volksmeinung und der römischen Macht. Die Gegner wollen sich selber nicht binden, verlangen es aber von Jesus. Die Gegner wirtschaften mit dem Geld, aber wenn es um das Bezahlen der Steuer geht, dann schlägt das national-religiöse Gewissen. Vorausgesetzt ist die Meinung: Wessen Bild die Münze trägt, dem gehört sie. Für Jesus geht es um den Gehorsam gegenüber Gott: Wenn es nicht um das offene Bekenntnis geht, braucht man die Frage nicht zu stellen. Wenn es aber darum geht, dann gibt es nur das Bekenntnis.

 

Sadduzäerfrage zur Auferstehung, Mk 12,18-27:

Die Sadduzäer lehnen die Traditionen des jüdischen Glaubens ab, darunter jede Auferstehungsvorstellung. Sie sind eine Priesterpartei oder eine Gruppe der Pharisäer. Sie sind Juden und argumentieren mit dem Gesetz. Jesus sagt: Der Auferstehungsglaube ist eine Glaubensaussage und durch kein Menschenbild (Vorstellung von der Seele) oder Weltbild zu belegen. Der Mensch ist nicht gleichzusetzen mit einem Teil, das den Tod überleben würde. Der Tod wird nicht abgeschwächt, und die Übereinstimmung von altem und neuem Leib ist nur eine Hoffnung. Die Sadduzäer leugnen das Jenseits, weil sie es nur als eine Fortsetzung der Welt ansehen. In den Versen 25-26 kommt noch ein zweites Argument dazu durch die Gegen­überstellung einer anderen Schriftstelle in dem Abschnitt über den Dornbusch.

 

Frage nach dem großen Gebot, Mk 12, 28-34:

Auch die jüdischen Lehrer haben ähnliche Worte in dieser Sache wie Jesus, aber sie haben die Einzelfallbetrachtung (Kasuistik) nicht aufgegeben. Die Frage nach dem größten Gebot soll nicht das Gesetz zusammenfassen, sondern die Erfüllung des ganzen Gesetzes sichern: Um zwischen dem Feiertagsgebot und dem Hunger zu entscheiden braucht man ein höchstes Gebot. Das Gebot der Gottesliebe wird hier erweitert um das Gebot der Nächstenliebe (3. Mose 19). Aber es geht nicht um zweierlei Gebote, sondern die Gottesliebe schließt das Verhältnis zum Mitmenschen ein. Aber das bedeutet noch nicht, daß man Gott nur lieben kann im Mitmenschen. Man kann Gott auch direkt lieben, ohne daß er zum Heilszweck wird. „Du bist nicht weit vom Gottesreich“ meint nicht, daß die Herrschaft Gottes überall vorhanden ist, sondern: Wenn sie kommt, dann wirst du in sie hineinkommen.

 

Pharisäerrede, Mt 23,1-36:

Die Christen sollen sich der Disziplinargewalt der jüdischen Amtsträger beugen, auch wenn sie gegen die Christen vorgehen. Die Verse 8-10 sind eine Gemeinderegel: Die Schriftgelehrten werden nicht abgeschafft, aber sie haben in der Kirche nichts zu suchen. Es folgen sieben Weherufe. Ein „Proselyt“ tritt vollständig zum Judentum über, ein „Gottesfürchtiger“ befürwortet nur den Glauben an den einen Gott und einige Grundgesetze. Aber auch den Proselyten wird der Zugang erschwert durch die Pharisäer. Die Verse 16-22 sind von Matthäus, denn hier wird zweimal die Stellung der Gegner dargelegt und mit der Praxis des Schwörens wird fest gerechnet. In der Bergpredigt ging es noch um den Gottesnamen, hier aber will man die bindende Kraft des Eides umgehen. Es wird nach der Summe des Gesetzes gefragt. Aber mit dem Verzehnten kann man den zentralen Gehorsam nicht ersetzen.

 

Salbung und Verrat, Mk 14,1-11:

Die Zeitangabe ist an sich der Anfang der Leidensgeschichte (Markus hat die Salbung in Bethanien eingeschoben). Sie ist wichtig für die Datierung des Todestages. Die Synoptiker haben das Passahmahl am Vortag des Feiertags und die Kreuzigung am Freitag. Johannes hat kein Passahmahl und die Kreuzigung am Tag vor dem Passahfest, also kurz vor Sonnenuntergang am Donnerstag. Man ist geneigt, Johannes zu folgen, denn an einem hohen Festtag konnte man an sich keine Hinrichtung vornehmen. Die Synoptiker könnten die Kreuzigung bewußt auf den Passahtag gelegt haben, um auszudrücken: In der Kreuzigung Jesu wird der neue Bund geschlossen.

„Passah“ bezeichnet die Opferhandlung, dann aber auch das Fest am 14. Nisan, auf das die „Mazzenwoche“ folgt, in der man nur ungesäuertes Brot ißt. Aber Mk 14,12 irrt, denn die Lämmer wurden nicht am ersten „Tag der ungesäuerten Brote“ geschlachtet. Nach Johannes stirbt Jesus, als man die Lämmer schlachtet.

Aber Markus hat vielleicht bewußt den Tod Jesu aus heilsgeschichtlichen Gründen auf das Fest verlegt: Obwohl anders geplant, wurde Jesus doch am Fest gekreuzigt. Die Zeitangaben sind also nicht für eine Datierung auszuwerten, sondern sie sind theologisch bestimmt (die Gemeinde kennt ja nicht die Erwägungen des Hohen Rats (Mk 14,3). Judas wird als einer der Zwölf angeredet. Sein Verrat ist wohl wirklich so geschehen, aber er war nicht ein Mitglied des Zwölferkreises, denn dieser wurde erst nach den Erscheinungen festgelegt.

 

Einsetzung des Abendmahl,: Mk 14,17-25 :

Die älteste Bezeichnung für das Abendmahl ist „Herrenmahl“. Später setzte sich das Wort „Eucharistie“ durch, das ursprünglich nur das Dankgebet bezeichnete. Ursprünglich wurde das Sakrament (heilige Handlung) im Rahmen einer wirklichen Mahlzeit genossen, wo bei das Essen zwischen Brotgabe und Weingabe eingeschoben wurde. Aber schon zur Zeit des Paulus ist das Sakrament an das Ende der Mahlzeit gerückt.

Das Abendmahl war einerseits Gemeinschaftsfeier, bei der man an die Gemeinschaft mit Jesus in seinen Erdentagen denkt. Es war andererseits aber auch ein Sakrament, bei dem die Feier mit dem Tod Jesu und seinem Stiftungsakt verknüpft wurde. Die Einsetzungsworte sind an vier Stellen überliefert, in den Evangelien und bei Paulus (1. Kor11,23-26). Eine Urform wird man aber nicht mehr wiederherstellen können: Ging es ursprünglich um das Sühneopfer oder um den Bund oder um die Gemeinschaft?

Das Vorbild sind die Kultlegenden, die bei jeder Kultfeier verlesen wurden, um den Anfang dieses Brauchs zu begründen. Markus hat das „in der Nacht, da er verraten ward“ in Erzählung umgesetzt, aber er hat den Verräter noch nicht bezeichnet und auch das Weggehen nicht erwähnt. Es wird hier aber kein Passahmahl vorausgesetzt, denn dabei ißt jeder aus seiner eigenen Schüssel. Das Abendmahl ist nicht vom historischen Jesus gestiftet worden, das zeigt schon die Bezugnahme auf den Tod Jesu.

Heute gibt es vier Probleme:

  • Wie verhalten sich Wortgottesdienst und Mahlfeier? Jede Versammlung gipfelte in der Mahlfeier, aber es gab wohl keine Einheit, denn in Korinth gab es deswegen Probleme
  • Gibt es einen Typ der Urgemeinde und der paulinischen Gemeinden? Es ist schwierig, für die Urgemeinde schon die Bedeutung wie bei Paulus anzunehmen, denn bei ihm spielen Einflüsse der Mysterienreligionen eine Rolle: Bei Paulus ist das Mahl eine sakramentale Übermittlung wirkungskräftiger Stoffe
  • Wie sind die Einsetzungsworte auszulegen? Verschiedene Motive sind verbunden: Stiftung, Sühnegedanken, neuer Bund. Aber eine wörtlich festgelegte Urform ist aus den Texten nicht mehr wiederherzustellen. Die Urform sprach entweder vom Sühneopfer oder vom Bund oder war nur Deutung. Es ist unwahrscheinlich, daß man die Parallelität von Leib und Blut nachträglich durch „Einschübe“ gestört hätte. Lukas hat zwei Fassungen, aber der längere Text ist gekürzt worden. Weil Lukas den Text des Markus verwob mit einem konkurrierenden Bericht, wurde der Becher zweimal erwähnt und mußte einmal gestrichen werden.
  • Wie verhalten sich Mahlfeier und Liebesmahl (Agape)? Bei Markus ist die Mahlfeier am Ende, im 1.Kotinterbrief wird zwischen Brot und Wein das Liebesmahl eingeschoben. Erst bei dem Kirchenvater Justin sind Predigt und Mahlfeier verbunden, aber das Liebesmahl ist davon getrennt.

Für Jesus kam ein sakramentaler Sinn nicht in Frage. Wenn die Deuteworte von Jesus sind, dann muß man sie unsakramental verstehen. Doch die Gültigkeit des heutigen Sakraments hängt an Brot und Wein und nicht an der Einsetzung durch den historischen Jesus. Das Abendmahl wird nicht durch Brot und Wein zum Sakrament, sondern durch die Handlung (das Essen) und durch den in der Gemeinde gegenwärtigen Herrn. Was das Abendmahl heute ist, das hängt nicht davon ab, ob der historische Jesus diese Worte gesprochen hat, sondern nur davon, ob Jesus das Wort für die Welt ist.

 

Im Garten Gethsemane, Mk 14,32-42 und 43-52:

Der Vers 32 ist der ursprüngliche Anfang, die Verse 33-34 eine spätere Zufügung, die den geheimnisvollen Charakter zeigt. Die Verse 35-36 wirken wie Doppelungen, vielleicht wurden hier zwei Berichte zusammengeschoben. Der Kuß ist das Zeichen der üblichen Begrüßung. Bei Markus wendet sich Jesus nicht gegen das Abschlagen des Ohres. Da hier mehrere Jünger zugegen sind, ist Judas nur einer von ihnen und nicht unbedingt einer des Zwölferkreises.

 

Verhör und Verleugnung, Mk 14,53-72:

Hier wurden zwei Berichte ineinander geschoben, die ursprünglich selbständig waren. Der Verhörbericht zerreißt den Zusammenhang. Der Hohepriester Kaiphas ist erst spät in die Tradition eingedrungen, der eigentliche Handelnde war Hannas. Für die offizielle Sitzung des Hohen Rats gibt es natürlich keine Augenzeugen. Hier wird kein Verhandlungsprotokoll abgegeben, sondern hier drückt sich die Vorstellung der Gemeinde aus. Aber Jesus wurde durch die Römer wegen Hochverrat verurteilt und hingerichtet, auch wenn Pilatus vielleicht nur das Todesurteil der Juden wegen Gotteslästerung übernommen hat.

Der Grundbestand des Wortes über den Tempel dürfte echt sein, auch wenn die Zerstörung des alten Tempels und der Aufbau eines neuen endzeitlich gemeint waren. Die Frage des Hohenpriesters paßt nicht zu den falschen Zeugnissen, ist aber nur Vorbereitung des Höhepunkts: Die Lüftung des Messiasgeheimnisses. Hier haben wir eine Zusammenfassung der urchristlichen Begriffe zur Bedeutung Jesu. Alle sind aber sinngleich und legen sich gegenseitig aus:

- Messias: Der Heilskönig der national-jüdischen Hoffnung

- Gottessohn: König durch Adoption oder schon immer bei Gott vorhandener Sohn

- Menschensohn: Titel aus der Endzeiterwartung der Juden (Daniel 7).

Vers 63 bringt die Antwort der Hörer im Hohen Rat: Das war keine seelische Erregung, sondern die vorgeschriebene Handlung, wenn man eine Gotteslästerung gehört hat. An sich wurde der Gottesname ja gar nicht beschimpft, und der Messias ist ein Mensch. Aber es ging um die Feststellung: Die Juden haben den für sie bestimmten Messias getötet.

Die Verspottung ist eine szenische Darstellung der Absicht der Juden, die mit zum Verhör gehörte. Sie wurde nach alttestamentlichem Vorbild gestaltet. Das „prophezeie“ („weissage“) meint: Sage einen Prophetenspruch!

Die Verleugnung weist auf die Ostererscheinungen voraus und zeigt das Alleinsein Jesu. Bei Matthäus ist die Frage des Hohenpriesters eine Beschwörung, wobei ihm das Glaubensbekenntnis der Gemeinde in den Mund gelegt wurde. „Du sagst es“ ist bei Matthäus eine klare Bejahung. Lukas legt die beiden Szenen wieder auseinander, die Verleugnung ist vorangestellt, Jesus ist noch im Hof, die falschen Zeugen werden übergangen, weil Lukas keine Theorie vom Messiasgeheimnis hat. Bei Lukas deuten die Titel „Messias“ und „Menschensohn“ nur an, die eigentliche Bezeichnung ist „Gottessohn“.

 

Übergabe an Pilatus, Mk 15,1-5:

Pilatus wird bei den antiken Geschichtschreibern negativ gezeichnet, in den Evangelien ist er eher kompromißbereit und taktisch handelnd. Er regierte zeitweise in Jerusalem, nach mittelalterlicher Tradition in der Burg Antonia, nach Josephus aber im Palast in westlichen Teil der Stadt. Pilatus ist aber nicht ins Glaubensbekenntnis gekommen, um die Geschichtlichkeit der erzählten Vorgänge zu beweisen, sondern wegen des Schriftbeweises (Apg 4,27).

 

Kreuzigung:

Die spätere Gemeinde hat Jesus auch so dargestellt, daß Jesus sogar noch für die Zukunft seiner Kirche sorgt. Maria, die Mutter Jesu, ist Symbol für die Kirche, für die Gemeinde unter dem Kreuz, die vom Erhöhten das Heil erwartet. Sie wird dem Lieblingsjünger anvertraut, also dem, der angeblich das Johannesevangelium geschrieben hat. Man hat also nicht nur die Verheißungen aus dem Alten Testament, sondern auch den Zeugen aus dem Neuen Testament. An sein Wort kann man sich halten. Er verbürgt die Überlieferung von Jesus Christus und nimmt die Gemeinde in seine Obhut und Fürsorge.

Gleichzeitig werden die beiden Gruppen der Urchristenheit, die sich oft um den Vorrang miteinander gestritten haben - die Judenchristen und die Heidenchristen - aneinander gewiesen. Jesus weist in seiner letzten Stunde die Heidenchristen an, in der größeren Kirche ihre neue Heimat zu finden. Und er weist die Heidenchristen an, das Judenchristentum als die Mutter zu ehren, aus der sie hervorgegangen sind.

Jesu Tod kann man nicht psychologisch zerlegen wollen, so als sei Jesus am Kreuz zusammengebrochen. Er ist vielmehr existential auszulegen, also auf die Person des Menschen bezogen. Dann zeigt sich hier die Liebe, die mißhandelt und abgelehnt wurde.

 

„Judaslohn“, (Matthäus 27, 2 - 11:

Die Erzählung vom Lohn an Judas ist zunächst einmal entstanden aus dem Namen „Blutacker“ für ein bestimmtes Grundstück. Dieser Name war gut geeignet, in die Schilderung des Todes Jesu eingebaut zu werden. Schon die mündliche Überlieferung sprach in Anlehung an Sacharja 11,13 von der Rückgabe des Geldes durch Judas und dem Ackerkauf durch die jüdischen Behörden. Bei der Niederschrift schließt Matthäus eine Mischung aus Sacharja 11,13 und Jeremia-Worten an. Durch Erweiterungen wurde das Zitat verbunden mit dem vorangehenden Text. So zeigt sich hier wieder das Motiv des Matthäus, das Geschehene um Jesus als Erfüllung der Schrift darzustellen.

Das Ende des Judas (Mt 27,3-10) ist eine Legende, die mit Schriftbeweisen durchsetzt ist. Durch sie soll die Unschuld Jesu festgestellt werden. Die Apostelgeschichte bringt noch die christliche Deutung der Flurbezeichnung „Blutacker“.

 

Leidensgeschichte nach Johannes, Joh 18,28 - 19,16:

Das Verhör wird bis zum Mittag ausgedehnt. Die Juden wollen das heidnische Gebäude nicht betreten (da sind sie gesetzestreu, nicht aber beim Verbot des Tötens). Der Schauplatz wechselt, man ist auch im Haus, dazwischen gibt es zwei Vorführungen Jesu mit den berühmten Worten des Pilatus:„Ich wasche meine Hände in Unschuld!“

Pilatus schiebt die Verantwortung ab, aber auch die Juden befinden sich im Zwiespalt mit ihrem Gesetz, weil sie nicht zum Tode verurteilen dürfen. Johannes zeigt den unpolitischen Charakter des Königtums. Doch gerade die Niedrigkeit ist Jesu Größe. Hier liegen Einflüsse der Prozesse gegen Christen vor: So legen Christen Zeugnis vor Gericht ab. Die Pilatusfrage nach der Wahrheit zeigt das typische Verhalten des römischen Richters: Er will nur juristische Tatbestände wissen und nicht die absolute Wahrheitsfrage stellen.

In der Barabbasszene wird Pilatus selbst tätig. Geißelung und Verspottung sind bei Johannes vor dem Urteil: Pilatus will dadurch das Todesurteil verhindern, indem er Jesus lächerlich macht.

Das zweite Verhör zeigt die Angst des Pilatus, in Jesus könnte ein „göttlicher Mann“ stecken. Er hält seine Neutralität nicht durch und fragt nach der Wahrheit, um der Entscheidung zu entgehen. Aber gerade dadurch wird sie ihm aus der Hand genommen. Der letzte Trumpf der Juden ist die Drohung mit der Anschwärzung des Pilatus beim Kaiser. Von da an versucht Pilatus nur noch das Gesicht zu wahren. Die Juden haben ihren Willen durchgesetzt, allerdings auf Kosten eines Bekenntnisses zum Kaiser. Als Pilatus dann aber gegenüber Jesus mit seiner Macht droht, erhält er von Jesus die richtige Antwort: Alle Macht ist „von oben“ gegeben! Dreimal spricht Pilatus bei ihm die Unschuld Jesu aus. Jesus stirbt in der Stunde, in der die Passahlämmer geschlachtet werden.

Bei Lukas wird der Todeskampf noch mehr verkürzt als bei Markus. Lukas zeigt Jesus als den unpolitischen König. Und nicht Jesus wird verurteilt, sondern die Juden, denn ihr Tempel wurde zerstört.

 

Beurteilung von Bultmann:

In der Schilderung des Leidens Jesu haben wir zwar noch die verläßlichsten geschichtlichen Nachrichten, dennoch ist sie von Erweiterungen durchzogen

- auf den Todesplan und den Verrat des Judas hat man erst aus den Ereignissen geschlossen

- die Verhaftung (oder Hinrichtung) vor dem Fest ist sinnlos, die Zeit ist viel zu kurz

- die Salbung in Bethanien wird erst durch Vers 8 und 9 in die Leidensgeschichte eingefügt

- daß ein Tier vorausgeht und den Weg weist, ist ein Märchenmotiv (Mk 14,12-16)

- die Weissagung des Verrats ist aus Psalm 40,10 übernommen (Verrat durch Tischgenossen)

- das „letzte“ Mahl war kein Passahmahl, denn alle haben eine gemeinsame Schüssel

- der Hinweis auf den Verräter hat ursprünglich gefehlt, es gibt keine praktische Folgerung

- bei der Einsetzung des Abendmahls hat in Vers 22-25 eine hellenistische Kultuslegende die 

  Schilderung des auf Vers 12-16 folgenden Passahmals verdrängt:

- Passah und Kelch sind nicht parallel, der Kelch ist sowieso Teil der Mahlzeit

- beim Kelch fehlt der Hinweis auf Jesu Ende, ja überhaupt auf seine Person

- der Weg nach Gethsemane ist legendarisch gefärbter Geschichtsbericht

- Lukas 22,31-32 kennt die Verleugnung des Petrus nicht (er allein blieb treu)

- die Szene in Gethsemane ist ganz legendarisch (wer sollte das Gebet Jesu gehört haben?)

- die Verhaftung Jesu ist legendarisch gefärbt durch das Motiv des küssenden Verräters

- die Verhandlung vor dem Hohen Rat ist vielleicht nur aus Mk 15,1 herausgespon­nen

- die Übergabe an Pilatus zeigt, daß der Messiasanspruch Grund für die Hinrichtung war

- die Verspottung des Gekreuzigten entstammt aus dem Weissagungsbeweis (Ps 21,8)

- der Bericht von Jesu Tod ist stark von Legende entstellt (Schrei, Erdbeben)

- die Frauen brauchte man nur als Zeugen, weil die Jünger geflohen waren

Die Darstellung besteht wesentlich aus Einzelstücken, die unabhängig von einer zusammen­hängenden Darstellung der Leidensgeschichte entstand. Beweis dafür sind einmal die Dop­pelungen (Dubletten): Ankündigung des Verrats, zwei Schilderungen des letzten Mahles, Weissagung der Jüngerflucht. Dazu kommt, daß Matthäus und Lukas neue Einzelstücke eingefügt haben: Ende des Judas (Mt), Herodes-Episode bei der Verhandlung Lk), Erzählung von den Frauen Jerusalems beim Weg zum Kreuz (Lk), Grabeswache (Mt). Andererseits fehlen bei Lukas die Salbungsgeschichte, das Zeugenverhör und die Verspottung.

Es hat sich aber schon früh ein Zusammenhang herausgebildet, und zwar durch das Glaubensbekenntnis (Kerygma), wie es in den Leidens- und Auferstehungsweissagungen und in den Reden der Apostelgeschichte vorliegt. Dieses Glaubensbekenntnis wird man als die älteste zusammenhängende Überlieferung vom Leiden und Sterben Jesu betrachten müssen. Neben ihr bestand aber auch ein kurzer Bericht von Jesu Verhaftung, Verurteilung und Hinrichtung

Bultmann vermutet einen ursprünglich kurzen Bericht mit Verhaftung, Verurteilung durch den Hohen Rat und Pilatus, Abführung, Kreuzigung und Tod. Dieser wurde durch die Petrusgeschichte und den Komplex um das letzte Mahl erweitert. Noch später wurden Mk 14,3-9.32-42 und 55-64 eingeschaltet.

Gestalt wurde die Leidensgeschichte durch den Weissagungsbeweis, durch Verteidigungs­notwendigkeiten (Verrat des Judas, Grabeswache), durch novellenartige Motive (Erdbeben, Heilung des Ohrs, Begnadigung des Verbrechers), ermahnende Zwecke (Verbot des Widerstandes, Bitte für die Henker), Motive der Lehre (leidender Messias, Ruf des Hauptmanns) und schließlich kultische Motive (Passahmahl als Kultuslegende der christlichen Gemeinde).

 

Bearbeitung:

Die ursprünglichen Stücke sind Verhaftung, Verurteilung, Abführung, Kreuzigung, Auferstehung. Da keine Umstellungen in diesem Ablauf möglich sind, konnte man nur kleine Einzelzüge erweitern (Engel in Gethsemane, Ohr des Kriegsknechts) oder eine ganze Szene einfügen, die aber gut in den Zusammenhang passen mußte (Salbung in Bethanien, Abendmahls­bericht).

Bei der Deutung des Geschehens gibt es verschiedene Stufen:

- Weissagungsbeweis: Verlosen des ungenähten Rockes aus Psalm 22

- Schuld der Juden: Sie wurde im Laufe der Tradition immer stärker betont

- Gestaltung der Verhöre: Die Konzentration auf die Christusfrage gibt aber nicht den histori-

  schen Verlauf wieder und es wird nichts gesagt über das Selbstbewußtsein Jesu, sondern es

  handelt sich nur um eine Zusammenstellung der Titel für Christus in der Theologie der

  Gemeinde.

 

Kreuzestheologie

Jesus hat nicht von seinem Tod und seiner Auferstehung als Heilstatsachen geredet. Das kann allerdings nicht hindern, daß andere sie als Heilstatsachen ansehen, an denen sie der göttliche Vergebung gewiß werden.

Unter existenzialphilosophischen Einflüssen hat die Berufung auf die Kreuzestheologie mit­unter insofern einen falschen Klang bekommen als sei es der theologischen Weisheit letzter Schluß, den Glauben aller „Sicherungen“ zu berauben und ihn darin erst als wahr zu erweisen, daß er „ins Nichts gestellt“ ist, daß er zu hoffen habe, wo doch nichts zu hoffen sei.

 

 

 

Auferstehung:

Wir feiern Ostern als das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Das Geschehen selbst hat freilich niemand miterlebt‚ das blieb das Geheimnis Gottes. Aber wir hören in den Evangelien von verschiedenen Menschen, die eine Begegnung mit dem auferstandenen Christus gehabt. haben. Historisch faßbar ist nur dieser Glaube an den Auferstandenen. Die Auswirkungen ließen sich feststellen, nicht aber der Grund der Freude. Das Ostergeschehen entzog sich von Anfang an der berichtenden Darstellung, weil es unaussagbares Wunder ist, das dennoch ausgesagt werden mußte.

Christus erschien nur einem kleinen Kreis in einer beschränkten Zeit, die mit den begeisternden Vorgängen an Pfingsten endete. Wer den Auferstandenen gesehen hat, ist zum Glauben gekommen. Nicht der Anblick des Kreuzes, sondern die Begegnung mit dem Auferstandenen ruft die ersten Zeugen in Dienst.

 

Wiederbelebung:

Allerdings sollten, wir nicht meinen‚ hier hätte es sich nur um ein biologisches Geschehen gehandelt. Jesus ist nicht durch irgendwelche Tricks wiederbelebt worden. Das hat man im 19. Jahrhundert noch ernsthaft vermutet: Jesus habe zur Gruppe der Essener gehört und die seien hervorragende Ärzte gewesen und hätten den klinisch toten Jesus nach der Kreuzi­gung schnell in eine Höhle geschafft, dort Wiederbelebungsversuche mit ihm gemacht und ihn wieder ins Leben zurückgeholt. Wenn man einen Film vom Sterben Jesu gemacht hätte, dann hätte man ihn praktisch nur rückwärts laufen lassen brauchen, um eine Auferstehung zu erleben. Aber ein solcher Erklärungsversuch geht an der Sache vorbei.

Für uns ist es zum Beispiel einfach undenkbar geworden, daß ein Toter noch hinterher irgendwelche Wirkungen auf die Lebenden haben kann. Aber mit den Geschichten von der Auferstehung ist ja auch nicht gemeint, daß ein toter Mensch wiederbelebt wurde, sondern daß er in anderer Art und Weise noch gegenwärtig war.

 

Historiker Johannes Fried beweist, dass Jesus die Kreuzigung überlebt hat:

Der Verdacht, bei Jesu Auferstehung sei Betrug im Spiel gewesen, ist so alt wie der Glaube an die Auferstehung selbst. Auch die Annahme, ein anderer sei an seiner Stelle gekreuzigt worden oder er habe seine Hinrichtung scheintot überlebt, ist ein alter Hut.

Jetzt legt Johannes Fried - bis zu seiner Emeritierung Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Frankfurt am Main - eine weitere Variante der Scheintod-Hypothese vor. In seiner Abhandlung „Kein Tod auf Golgatha“ erklärt er die Auferstehung medizinisch:

Infolge der Folterungen und der Kreuzigung sei Jesus in eine narkoseähnliche Ohnmacht gefallen, so dass man ihn für tot gehalten habe. Der Soldat, der ihm mit der Lanze die Seite öffnete, rettete ihm damit unabsichtlich das Leben: „Der Stich in die Seite [...] ließ das Wasser-Blut-

Sekret abfließen; er wirkte wie eine Entlastungspunktation und linderte die Atemnot. Die verzögerte Sauerstoffzufuhr im Hirn sorgte zwar für eine noch anhaltende Ohnmacht und ließ Jesus noch tot erscheinen…..Im Grab erwachte Jesus, erholte sich von seinen Verletzungen und zeigte sich den Jüngern.

Allerdings hatten die Christen für den leiblichen Jesus keine Verwendung mehr. Für sie war er ja in den Himmel aufgefahren. Fried vermutet, Jesus habe sich noch eine Weile als Wanderprediger jenseits der römischen Grenzen herumgetrieben. Womöglich haben sich seine Ideen im Orient verbreitet - wird nicht auch im Koran behauptet, er sei nicht am Kreuz gestorben? Fried erklärt nicht allein die Geburt des Christentums aus der Kohlendioxid-Narkose, im Nachgang hat Jesus auch gleich den Islam „auf die Schiene gesetzt“.

Zurück zur Scheintod-Hypothese: Für sich genommen ist Frieds Beweisführung durchaus schlüssig; Sherlock Holmes hätte seine Freude an ihm gehabt. Leider beruht sie auf reichlich fragwürdigen Voraussetzungen: Fried hält die Schilderung der Kreuzigung im Johannesevangelium für einen Augenzeugenbericht, und er glaubt, einen zweitausend Jahre alten Fall mit denkbar ungünstiger Überlieferungslage medizinisch rekonstruieren zu können.

Glaubt er das tatsächlich? Einerseits lässt Fried keine Gelegenheit aus, auf den spekulativen Charakter seiner Untersuchung hinzuweisen. Andererseits trägt er seine Erkenntnisse ziemlich apodiktisch, mit aufklärerischem Auftreten vor. Fried ist merklich verliebt in seinen eigenen Scharfsinn und gefällt sich in der Rolle des Advocatus Diaboli. Von seinem „Schriftchen“ erhofft er sich denn auch, wie er im Vorwort schreibt, „endlosen Widerspruch und Feindschaften«.

Doch bislang hat sich kein namhafter Historiker oder Theologe zu einem solchen Widerspruch hinreißen lassen. Warum auch? Der eigentliche Skandal besteht am Ende darin, dass ein so angesehener Verlag wie C. H. Beck sich nicht zu schade ist, einen derartigen Kokolores zu veröffentlichen. -Johannes Fried: Kein Tod auf Golgatha. Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus. München: C. H. Beck 2019. 192 S., 19,95 €.

 

 

Leeres Grab:

Die Jünger sind nicht mehr in Jerusalem, als das leere Grab entdeckt wurde (Mk 16,7 und 14,28). Die Osterereignisse beginnen in Galiläa, die Osterverkündigung jedoch in Jerusalem. Das Begrabenwerden drückt die Endgültigkeit des Todes Jesu aus. Doch wir haben einen Auferstehungsleib, der im Himmel bereit liegt (2.Kor 4,16). Nach dem Tod bleibt das Selbst nackt, bei der Wiederkunft Christi wird es dann angezogen. Für den Christen fällt aber seine Auferstehung mit der Wiederkunft zusammen. Paulus fragt nicht, ob die Gräber leer werden, er argumentiert nie mit dem leeren Grab Jesu. Es gibt also keine Wiederbelebung der alten Leiblichkeit, sondern Bildung einer neuen.

Vielleicht ist Jesus von den Seinen verlassen gestorben und nicht einmal ordnungsgemäß bestattet worden. Als die Jünger an Pfingsten zurückkehrten, wußte niemand etwas von dem Verbleib des Leichnams. Aber die Auferstehungsbotschaft stützte sich ja auf die Erfahrung des lebendigen Herrn: Es besteht zwar eine personhafte Identität zwischen dem irdischen und dem endzeitlichen Ich, aber nicht notwendig eine durchgehende Verbindung zwischen irdi­schem und himmlischem Leib. Wir glauben nicht an das leere Grab, sondern an den auferstandenen Herrn.

Ausgangspunkt für den Osterglauben waren allein die Erscheinungen Jesu vor den Jüngern. Paulus zum Beispiel ist ihm vor Damaskus begegnet und ist daraufhin ein Christ geworden. Paulus erwähnt an keiner Stelle das leere Grab Jesu, wahrscheinlich hat er die Erzählung vom leeren Grab gar nicht gekannt. Dennoch hat er natürlich an die Auferstehung geglaubt und erwähnt sie ausdrücklich in seinem Glaubensbekenntnis in 1. Korinther 15 (nicht aber das leere Grab).

Das leere Grab ist im Vergleich zu den Traditionsreihen sekundär: In 1. Kor 15 steht zwar ausdrücklich „begraben“, aber Paulus gründet den Auferstehungsglauben nicht auf das leere Grab. Im Bekenntnis hat diese Notiz einen heilsgeschichtliche Sinn: Die Tatsache ist der Tod, aber dieser geschah „nach der Schrift“. Das Begrabenwerden soll nur die Wirklichkeit des Todes begründen und ist nur Hintergrund für die Auferstehung.

Auch bei den Evangelisten ist der wichtigste Vers die Verkündigung des Engels an die Frauen: „Jesus ist auferstanden!“ (Mk 16,6) oder „Was sucht ihr den Lebenden bei der Toten? Er ist nicht hier. Er ist auferstanden!“ (Lk 24, 5-6). Jesus ist nicht mehr dort‚ wo der Tod ist, sondern mitten im gelebten Leben. Der Engel hält ihm nicht einen Nachruf, sondern er gibt eine Vorschau. Doch nur wer von ihm gehört hat, wird ihn auch sehen - nicht unbedingt mit den Augen, aber mit dem Herzen.

Das leere Grab soll nur die Wirklichkeit der Auferstehung erweisen. Die Erzählung vom leeren Grab ist aber ein Nebentrieb, der für das Glaubensbekenntnis keine Bedeutung hatte (Paulus kennt es nicht). Das liegt daran, daß ursprünglich zwischen Auferstehung und Erhöhung kein Unterschied bestand

Das Entscheidende an Ostern ist die Botschaft und nicht, daß man die Aufer­stehung mit eigenen Augen sehen kann. Davon wird nirgends im Neuen Testament erzählt; nur die Auswirkungen des Osterereignisses werden deutlich und die Osterbotschaft wird weitergesagt. Die die Botschaft hören, die sollen sie jetzt glauben. Nur ergänzend zeigt der Engel auf die Stelle, wo Jesus gelegen hat. Aber die Frauen hätten dem Engel auch geglaubt, wenn der Leichnam noch dagelegen hätte. Und wir würden es heute auch noch glauben. Vielleicht sogar noch eher glauben, wenn wir nicht an diese Geschichte vom leeren Grab glauben wollen.

Man kann also auch an die Auferstehung glauben, ohne dabei die Vorstellung von leeren Grab zu haben. Wir glauben aber nicht an das leere Grab, sondern an den auferstandenen Jesus. Nur wer weiß, daß Jesus lebt, dem ist die Erzählung vom leeren Grab eine zusätzliche Stütze für seinen Glauben. Aber ohne diesen Glauben kann man nur mit Kopfschütteln über eine solche Geschichte hinweggehen.

Entscheidend für unseren Glauben ist allein: Man kann Jesus auch heute begegnen. Aber dazu muß man sich nicht nach Jerusalem aufmachen, um ihn dort in der Nähe des leeren Grabes zu suchen. Inmitten in unserer Welt können wir ihm begegnen. Jesus ist nicht im Grab, sondern mitten in unserem Leben gegenwärtig. Jesus läßt sich nicht in ein Grab oder in eine Kirche einfangen. Jesus ist anders als die Pharaonen Ägyptens. Wir predigen nicht das leere Grab, sondern den auferstandenen Jesus Christus.        

Wir würden auch an den Auferstandenen glauben, wenn es keine Auferstehungserzählungen gäbe. Aber daß es sie gibt, ist wirklich kein Zufall. Es ist gut, daß unser Glaube daran einen Anhalt hat.

 

Wie Theologen das christliche Osterfest sehen:

Die Grabplatte ist weggeruckt, Soldaten liegen wie erschlagen neben dem offenen Grab. Darüber schwebt eine gleißende Lichtgestalt: Jesus, mit Wundmalen an Händen, Füßen und Seite, ist von den Toten auferstanden. So hat Matthias Grünewald Anfang des 16. Jahrhunderts die Osterszene auf den berühmten Isenheimer Altar gemalt.

Bis ins ausgehende Mittelalter war es für Christen kein Problem, an das Wunder der Auferstehung zu glauben. Berichte von übernatürlichen Phänomenen wurden kaum angezweifelt, schon gar nicht bei einer biblischen Geschichte. Erst mit der Aufklärung setzten Fragen ein: Kann das, was die Evangelien über Ostern berichten, wahr sein? Hat Jesus das Grab lebendig verlassen? Wie soll man mit diesem Geschehen umgehen, das allen Gesetzen der Naturwissenschaft widerspricht?

Die historisch kritische Erforschung des Neuen Testaments beginnt im 18. Jahrhundert. Es ist in erster Linie die Frage nach dem leeren Grab, die leidenschaftlich diskutiert wird. Der Hamburger Professor Reimarus (1694-1768) etwa vertritt die These, die Jünger Jesu hätten den Leichnam Jesu aus dem Grab gestohlen, um anschließend den auferstandenen Messias verkündigen zu können - ein Verdacht, der schon in der Bibel von den jüdischen Gegnern Jesu geäußert wird.

Jesus sei nur scheintot gewesen, als er bestattet wurde, und er sei anschließend kurzzeitig ins Leben zurückgekehrt. Das behauptete der Protestant Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und nach ihm viele andere bis hin zum katholischen Buchautor Franz Alt (1989). Die rationalistischen Deutungen gehen davon aus, daß das Grab tatsächlich leer war, Jesus aber nicht, wie die biblischen Zeugen berichten, auferstanden sei.

Vom leeren oder vollen Grab verlagerte sich das Theologeninteresse seit David Friedrich Strauß (1808-1874) auf die Erscheinungsgeschichten, in denen der auferstandene Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern begegnet. Für Strauß waren diese Begegnungen visionärer Art - er interpretierte sie als Wunschvorstellungen der frustrierten Jesus-Anhänger, die sich nicht mit dem Kreuzestod des Meisters abfinden wollten und ihn stattdessen imaginär weiterleben ließen und gottgleich erhöhten.

Ähnliches behauptet auch der ehemalige Göttinger Neutestamentler Gerd Lüdemann, der sich nach langjährigen Studien über die Historizitat der Ostergeschichte offiziell vom Christentum lossagte. Lüdemanns These: Jesu plötzlicher Tod habe den Trauerprozeß bei Petrus blockiert. Um seine Schuldgefühle gegenüber dem von ihm verratenen Toten zu bewältigen, sei seine Vision von der Begegnung entstanden, daraus wiederum eine Massensuggestion: Im Bewußtsein seiner Anhänger wurde Jesus lebendig.

Weitreichende Folgen für spätere Theologengenerationen hatte das Entmythologisierungsprogramm von Rudolf Bultmann, der bis 1951 in Marburg lehrte. Seine Deutung der Osterbotschaft geht davon aus, daß die mythischen Texte der Bibel eine Wahrheit vermitteln, die mit dem wissenschaftlichen Denken nicht vereinbar sei. „Auferstehung“ ist für ihn daher ein Begriff, der sich nicht auf reale Ereignisse, sondern auf den Glauben an ein zukünftiges Gottesreich bezieht.

Für heutige Kanzelverkündiger ist klar, daß jeder Versuch, die Auferstehung Jesu biologisch oder medizinisch erklären zu wollen, scheitern muß. „Auferstehung ist weniger ein Rätsel, als vielmehr ein Geheimnis“, stellt der bayerische Landesbischof Johannes Friedrich deshalb in einer Osterpredigt fest - und fragt aller wissenschaftlichen Erkenntnis zum Trotz: „Warum sollte es Gott nicht möglich sein, Jesus aus dem Grab zu holen, den Leichnam dort nicht verwesen zu lassen?“

„Ein Streit um des Kaisers Bart“ ist „das Gezerre um das leere Grab“ für den evangelischen Pfarrer und Bestsellerautor Jörg Zink. Er hat sich mit dem zentralen Ausgangspunkt des christlichen Glaubens beschäftigt und ist der Meinung, daß man durchaus nicht alles glauben müsse, aber daß es zum Glauben an die Auferstehung Christi keine Alternative gibt: „Glauben heißt nicht, daß, wer glaubt, nichts wüßte. Er weiß durchaus. Er geht, auch wo er keinen Weg sieht.“

 

 

Die einzelnen Evangelisten

Bei Markus liegt das Hauptgewicht auf der Begegnung mit dem göttlichen Boten. Der Schluß wurde weggebrochen zugunsten der Erscheinungen in Jerusalem. Die Frauen schweigen, um die Selbständigkeit der apostolischen Zeugen zu wahren und um das späte Auftauchen der Grabesgeschichte zu entschuldigen (gleicher Vorgang bei den Emmausjüngern). Die Erzählung von den Frauen am Ostermorgen (Mk 16,1-6) hängt nicht mit den bei Markus vorhergehenden Stücken zusammen. Der Zielpunkt ist dabei Wort des Engels, das aber auch den Auftrag enthält, nach Galiläa zu gehen. Der Vers 7 ist zu diesem Zweck erst eingesetzt worden, weil die Überlieferung von der Flucht der Jünger mach Galiläa erzählte. Die Geschichten von der Erscheinung des Auferstandenen wollen den Beweis erbringen, aber auch den Missionsauftrag ausrichten. Kernstück ist aber die Gewißheit, daß Jesus auferstanden ist und als der Auferstandene der kommende Messias ist.

 

Bei Johannes ist entscheidend die Begegnung mit dem Herrn (nicht Engel) auf dem Weg zur Herrlichkeit. Ostern und Pfingsten fallen zusammen. Die Augenzeugen werden nicht abgewertet (Thomas).

Grabes- und Erscheinungsgeschichten standen also unverbunden nebeneinander. Die Tendenz ist, den Zeitabstand zwischen der Auferstehung und den Erscheinungen zu verringern, ebenso ist es beim Ortsabstand. Daraus ergibt sich: Das leere Grab ist sekundär, der Osterglaube entstand aus den Erscheinungen des Herrn vor den Jüngern in Galiläa.

Paulus sichert den Vorrang des Augenzeugen des Petrus, Erscheinungen gibt es aber noch nach Pfingsten (Jakobus), die letzte Christuserscheinung ist dann vor Paulus. Im Gegensatz zu den leiblichen Erscheinungen vor den Jüngern hat Paulus eine bildhafte Erscheinung (Vision), verbunden mit einem Hör-Eerlebnis (Audtion). Aber die Begleiter sind von beidem ausgeschlossen. Verbunden damit ist der Auftrag, der den Auferstehungszeugen zum Apostel macht.

Alle Evangelien haben die Ostergeschichte zum Ziel. Während zwei Evangelien (Markus und Johannes) durchaus ohne Weihnachtsgeschichte auskommen, ist Ostern das Ziel (der „perspektivische Fluchtpunkt“) aller evangelischen Berichte.

 

Bearbeitung:

Es kam zu einem neuen Nachdenken über den Tod Jesu: Jesu ist nicht trotz des Leidens der Messias, sondern wegen des Leidens (Apg 17,3). Auch der Weissagungsbeweis aus dem Alten Testament hat häufig zu ganz neuen Szenen geführt.

Die ersten Aufzeichnungen sind wohl von Markus und überraschenderweise auch von Johanes. Johannes hat allerdings auch Stücke im johanneischen Stil, aber vielleicht benutzte er doch eine Quelle, die von Markus unabhängig ist. Die Übereinstimmungen zwischen Johannes und Lukas erklären sich aus gottesdienstlichen (liturgischen) Einflüssen und aus der Tradition, es gibt aber keine literarische Abhängigkeit.

Das Glaubensbekenntnis wirkt stark auf die Erzählungen ein, die zwar zum sichersten Bestand der Berichte über das Leben Jesu gehören, aber natürlich auch von der Gemeinde und den Evangelisten bearbeitet sind. Die Glaubensformel ist dabei immer wieder erweitert worden. Das zeigt die Entwicklung in der Apostelgeschichte:

- Gott hat ihn auferweckt Apg 3,15 (auch Apg 4,10)

- Er wurde ans Kreuz geheftet Apg 2,23

- Mitwirkung der Heiden Herodes und Pilatus Apg 4,27

Die Auferstehungserzählungen sind aus dem Bekenntnis entwickelt, aber jede Einzelgeschichte wollte das ganze Osterereignis darstellen. Durch die Zusammenfügung ergaben sich aber Schwierigkeiten. Es gibt zwei Traditionsreihen:

- Erhöhung: Himmelfahrt aus dem Grab in den Himmel und von dort her kamen dann die Erscheinungen

- Auferstehung: Ausgang aus dem Grab und später Auffahrt in den Himmel, Erscheinungen nach der Himmelfahrt vom Himmel her.

Diese Widersprüche sind nicht mit Mitteln der Vernunft aufzulösen (zum Beispiel Gewaltmärsche der Jünger zwischen Jerusalem und Galiläa),

Bei den Erscheinungsgeschichten gibt es zwei Typen: Die einen haben ihren Zielpunkt in dem Wort des Auferstandenen (Missionsbefehl), die anderen haben Erscheinungen, die die Überwindung des Todes zeigen. Aber beide Traditionen sind gleich alt.

 

Worte des Auferstandenen:

Die Worte des Auferstandenen, die die Bedeutung der Ostertatsache darlegen, sind aber Bildungen der gläubigen Gemeinde. Sie enthalten den Auftrag zur Christusverkündung. Auch von den Urzeugen ist der Glaube gefordert, aber sie dürfen zusätzlich auch sehen. Der Osterglaube der folgenden Generation gründet im Zeugnis der Apostel. Wir glauben aber nicht an den endzeitlichen Menschensohn, sondern an den gegenwärtigen Herrn. Die nachösterliche Überlegung versteht den Zusammenhang von Kreuz und Auferstehung tiefer. Sie bildet dabei auch Legenden. Doch wir würden auch an den Auferstandenen glauben, wenn es keine Nachrichten davon gäbe.

Ostern kann allerdings nicht ohne Hervorhebung des verkündenden („ kerygmatischen“) Charakters der Osterbotschaft begriffen werden. Die „Kunde“ von der Auferstehung ist früher als die Erscheinung des Auferstandenen, und es gereicht dem Thomas zum Vorwurf, daß er nicht der Botschaft geglaubt hat, sondern „sehen“ wollte (Joh 20,24-29). Die Auferstehung ist gewiß nicht einfach in die Verkündigung („ins Kerygma“) hinein aufzulösen, aber die „Geschichtlichkeit“ der Auferstehung gibt es nicht ohne den Bezug zur Verkündigung und nicht ohne den Glauben.

 

Die Galiläer:

Vielleicht steht hinter Markus und Johannes eine Gruppe, die in Jerusalem blieb, sich aber „die Galiläer“ nannte und enge Verbindungen zu den Zwölfen hielt. Von dieser Gruppe stammen die Erzählungen von den Erscheinungen in Jerusalem und die Himmelfahrtserzählung.

Es gab aber noch eine zweite Gruppe von „Galiläern“: Markus und Matthäus haben nur Erscheinungen in Galiläa. Johannes versucht in Kapitel 21 einen Ausgleich, aber die beiden Darstellungen wetteifern miteinander. Nach den Gesetzen der Heilsgeschichte müßte Jerusalem der erwählte Ort sein. Doch für die Gruppe hinter Markus und Matthäus ist Galiläa der Ort des endzeitlichen Heils.

 

Weiterleben nach dem Tod:

Paulus sagt in 1. Korinther 15: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben!“ Das ist hart, aber sicher richtig: Unser irdischer Körper wird einmal zerfallen und so wie heute nie wiedererstehen. Und eine „Seele“ - wie wir das immer verstehen - gibt es nicht.

Aber was ist denn da die Seele? Der Arzt Virchow hat gesagt: „Ich habe Hunderte von Menschen aufgeschnitten, aber nie eine Seele gefunden!“ Das konnte er auch gar nicht. Der Mensch hat nicht ein besonderes Körperorgan, das „Seele“ heißt.

Mit Seele ist etwas anderes gemeint als ein Körperorgan. Seele ist der ganze Mensch, das Wesen des Menschen, seine Person, mit der er schon immer Kontakt hat zu Gott. Darauf kommt es an: daß wir schon in unserem Leben Verbindung haben zu Gott. Dann wird er auch nach unserem Tode mit uns in Verbindung bleiben, so wie er mit Jesus in Verbindung blieb, auch nach der Kreuzigung. Die Geschichte Jesu Christi hat nicht mit dem Tod ein Ende gefunden. Mit Ostern beginnt sie erst eigentlich. Er lebt!

 

W i e das mit der Auferstehung vor sich gegangen ist, soll nicht unsere Sorge sein. Das können wir ruhig Gott überlassen. Wir werden vielleicht gewisse Vorstellungen davon haben. Wir können versuchen, durch Bilder und Vergleiche uns dies alles anschaulich zu machen. Aber wir sind ja nicht dabeigewesen damals in Jerusalem und in Galiläa. Wir wissen nur: Jesus ist auch nach seinem Tod noch seinen Jüngern erschienen und hat sie wieder froh gemacht. Auch uns heute will dieser himmlische Christus begegnen und uns seine Auferstehung verkündigen.

Aber es geht dabei auch immer um unsere eigene Auferstehung. Jesus war nicht der einzige, der es „geschafft“ hat und uns allein zurückgelassen hat in unserem Elend. Im Bergwerk kommt es manchmal vor, daß einige Bergleute verschüttet werden. Wenn aber einer den Weg freigeschaufelt hat, dann kommen auch die anderen hinterher. Nur einer muß es schaffen, wieder ans Licht des Tages zu kommen, dann sind alle gerettet. So hat auch Jesus die Finsternis unseres Todes überwunden und uns ans helle Licht Gottes gebracht.

Aber wie sollen wir uns nun unsere eigene Auferstehung vorstellen? Vielleicht kann man es durch ein Bild deutlich werden: Unser Körper besteht aus vielen einzelnen Zellen. Ständig sterben einige der Zellen ab. Sie werden durch neue ersetzt. Wir stellen das daran fest, daß der Mensch wächst und nachher altert. Etwa alle sieben Jahre ist dann der Körper völlig neu geworden.

Aber der Mensch ist deshalb doch derselbe gewesen. Als Säugling und als Greis hat er die gleiche Eltern‚ den gleichen Namen und den gleichen Geburtstag. Sein Personalausweis wird nicht alle sieben Jahre geändert und sein Lebenslauf wird nicht immerzu umgeschrieben, sondern nur ergänzt. Natürlich ändert sich auch das Innere des Menschen: Sein Verstand wächst (hoffentlich!), seine Ansichten und Gefühle wandeln sich. Aber er bleibt doch die gleiche Person.

Und diese Person allein tritt in Verbindung mit Gott und besteht auch über den Tod hinaus. Es gibt für uns ein Leben bei Gott, das unabhängig ist von äußeren Voraussetzungen. Mit dem Tod ändert sich unsere äußere Gestalt ein letztes Mal, denn nun werden keine neuen Zellen mehr gebildet. Aber das betrifft nur unseren äußerlich sichtbaren Körper. Gottes Handeln mit uns ist damit noch nicht zu Ende - eigentlich geht es dann erst richtig los.

Auferstehung ist also etwas Vergangenes, nämlich die Auferstehung Jesu Christi. Auferstehung ist aber auch etwas Zukünftiges, nämlich unsere eigene Auferstehung. Auferstehung ist aber auch etwas Gegenwärtiges, das jetzt schon unser Leben bestimmt. Wir leben mit einer Hoffnung. Wir brauchen uns vor dem Tod nicht zu fürchten und nicht ängstlich am zeitlichen Leben zu hängen. Es lebt sich aber gut in einer Welt, für die der Tag der Auferstehung der Toten bevorsteht. Unser Leben hat so heute und in Ewigkeit einen Sinn.

 

Der preußische König Friedrich II. war zwar ein Freigeist, aber auf das Gesuch einer pom­merschen Gemeinde um einen Pfarrer, die die Auferstehung des Fleisches nicht leugnet wie der gegenwärtige Pfarrer, schrieb er an den Rand: „Der Pfarrer bleibt. Wenn er am jüngsten Tag nicht mit auferstehen will, kann er ruhig liegen bleiben!“

 

Einzelne Erzählungen:

Ungläubiger Thomas, Joh 20,24-31:

Ein Professor für systematische Theologie hielt einen Bibelabend über die heutige Geschichte vom ungläubigen Thomas. Zunächst hat er alles kurz nacherzählt und dann die Frage gestellt: „Ist das denn alles so geschehen?“ Alle erwarteten natürlich: „Jetzt wird er uns Wort für Wort beweisen, daß alles so war - das ist doch die Aufgabe eines Professors der Theologie! Er wird schon allen Zweiflern eins aufs Dach geben!“

Aber da gab sich der Professor schon selbst die Antwort: „N e i n, diese Geschichte ist keine Tatsache wie etwa die Kreuzigung!“ Man kann sich vorstellen, daß viele Zuhörer erst einmal aus allen Wolken fielen. Sie waren felsenfest vom Gegenteil überzeugt und hatten all diese biblischen Geschichten als Tatsachenberichte genommen. Aber diese Erzählungen sind eben nicht geschichtlich in dem Sinne wie ein Zeitungsartikel über ein bestimmtes Ereignis.

Thomas könnte schon recht haben mit seinem Zweifel: Hätten wir denn die Geschichte geglaubt, so wie sie dasteht? Jesus kommt durch die verschlossene Tür. Das kann doch kein Mensch! Jesus war ja auch kein Mensch mehr; er war ja gestorben und wieder auferstanden, aber nicht mehr mit einem Leib wie vorher: Maria Magdalena hat ihn nicht berühren dürfen, als sie ihm im Garten begegnete. Die Jünger haben ihn nicht berührt. Und selbst Thomas verzichtet nachher darauf, obwohl er es doch so entschieden und stürmisch verlangt hatte. Auch Thomas hat gemerkt, daß mit Jesus etwas anders geworden ist. Deshalb kann er ja trotz verschlossener Türen bei ihnen sein.

Wir dürfen die Geschichte aber nicht so verstehen, als habe sich plötzlich aus der Wand eine Gestalt gelöst und sei auf die Jünger zugegangen, und das sei Jesus gewesen. Hier muß etwas anderes gemeint sein: Jesus war bei den Jüngern. Aber w i e, das können wir heute nicht mehr so genau feststellen. Andererseits ist Jesus immer noch derselbe, der Jesus, den sie früher gekannt haben. Sie erkennen ihn auch jetzt sofort wieder. Nur ist er jetzt anders bei ihnen als früher. Das mußten sie erst alle einsehen.

Im Grunde muß man doch allen Jüngern den Vorwurf machen: „Ihr glaubt nur, weil ihr gesehen habt!“ Doch eigentlich ist das gar kein Glaube, sondern ein Für-wahr-halten. Wir müßten das abschließende Wort Jesu so übersetzen: „Hältst du nur deshalb für wahr, weil du gesehen hast? Wohl denen, die nicht sehen und doch vertrauen!“ Es geht also darum, ob man dem Wort Jesu vertraut. Und dieses Vertrauen nennt Jesus „Glaube“. Wir sollen nicht einfach für wahr halten, daß Jesus durch eine verschlossene Tür geht; darauf kommt es bei dieser Geschichte gar nicht an. Wir sollen aber Jesus vertrauen: Er ist bei den Jüngern, obwohl alles verschlossen ist.

 

Der Auferstandene am See Tiberias, Joh 21,1-14:

Die Geschichte vom Fischzug wird hier noch einmal aufgenommen und in die Zeit nach Ostern verlegt. Damit aber ist gesagt: Auch heute noch wirft der Herr sein Netz aus und fängt einen reichen Fang. Auch wir könnten ihm ins Netz gehen und noch andere dabei mitziehen. Das wird nicht ohne Enttäuschungen und Rückschläge abgehen. Wenn wir jemanden zum Gottesdienst oder sonst einem Ereignis in der Kirche einladen, dann wird der Einladung nicht immer willig Folge geleistet. Und doch wird das Netz voll. Christus sorgt dafür, daß es voll wird und daß es auch zusammenhält. Immer wieder neu wird sein Netz voll. Jesus wird auch uns neu machen, wenn wir uns in seine Gemeinschaft rufen lassen und uns in seiner Dienst stellen lassen.

 

Himmelfahrt, Lk 24, 44-53:

Bei Lukas geht es vor allem um den Abschiedssegen Jesu, der alles besiegelt, was er gesagt und getan hat. Unter seinen erhobenen Händen steht der weitere Weg seiner Jüngerschar und seiner Gemeinde für alle Zeiten. Von Himmelfahrt ist bei ihm am Schluß seines Evangeliums nicht die Rede. Er spricht nur davon, daß Jesus auf einmal nicht mehr sichtbar ist und Gemeinschaft mit ihm nicht mehr über die leibliche Gegenwart möglich ist. Es bleibt offen, wo sich Jesus jetzt befindet.

Lukas will klarstellen: Der erhöhte Christus ist kein nebelhaftes Geistwesen, in Geheimerfahrungen dem einen so und dem anderen so erscheinend. Er hat ein Gesicht, denn es gab eine Zeit, wo er noch da war. Seine Worte fanden Deckung in seinem Tun. Die Botschaft ist nicht ablösbar von dem, was da wirklich geschehen ist. Es geht um das, was sich „im Fleisch“ ereignet hat. Und dazu braucht man die Zeugen.

Das ganze Gewicht liegt auf der Aussage, daß die neue Gemeinschaft des Auferstandenen mit den Jüngern unkündbar und unwiderrufbar ist. Auch wenn er leiblich abwesend ist, so bleibt er doch als der Herr gegenwärtig. Der Segen ist dabei die Brücke von damals zum Heute, ein Zeichen, dafür, daß wir zwar zurückgelassen, aber nicht allein gelassen sind.

Vielleicht kommen wir dann auch einmal von der Vorstellung weg, als sei Himmelfahrt so etwas wie eine Fahrt im Freiballon oder gar mit einer Rakete. Dieses ursprünglich heidnische Bild stellt die Auferstehung in den Schatten und macht die Hinwendung Gottes zur Welt zweifelhaft. Der Eindruck wird erweckt, Jesus sei nicht mehr in der Nähe und wir könnten unter Umständen tun, was wir wollten.

Das Bild vom segnenden Christus aber macht und deutlich: Wir haben keinen abwesenden Herrn, der nichts ausrichten kann, weil er außer Landes ist. Uns soll es nicht gehen wie „Hans-guck-in-die-Luft“, der nachher als begossener Pudel dasteht. Nicht wir müssen zum Himmel wachsen, sondern der Himmel kommt auf uns zu.

 

Gott ist in unsrer Zeit nicht in Wohnungsnot geraten. Wer allerdings noch dem Drei-Stock­werk -Weltbild anhängt (Himmel, Erde, Hölle), der wird dort nur noch schwer eine Wohnung für Gott finden können. Heute ist es doch schon Alltag geworden, daß Raketen in den Himmel fliegen, in dem man sich früher die Wohnung Gottes vorstellte. Heute richten sich dort Menschen für ein halbes Jahr häuslich ein. Start und Rückkehr geschehen mit großer Präzision und anscheinend unkompliziert. In diesem Weltbild scheint es keinen Platz mehr für Gott zu geben.

Ganz Kluge wollen allerdings doch noch ein Plätzchen für ihn gefunden haben. Die Astronomen vermuten, daß der Weltraum nicht nur dreidimensional ist (also aus Lage, Breite und Höhe besteht), sondern vierdimensional gekrümmt. Außer Länge, Breite und Höhe gäbe es also noch eine vierte Dimension, die wir aber mit unseren menschlichen Mitteln nicht erkennen kören. Man kann sie unter Umständen mathematisch berechnen, sich aber nicht vorstellen. Ganz schnelle Weltraumflieger könnten diese Dimension vielleicht durchqueren, ohne es zu bemerken; und wenn sie dann auf die Erde zurückkämen, sähen sie alles seitenverkehrt.

Für unsere Vorstellung klingt das etwas verrückt. Aber für manchen wissenschaftlich beschlagenen Christen wäre das doch eine elegante Lösung für das Wohnungsproblem Gottes. Man könnte doch sagen: „Dieser vierdimensionale Raum ist der Ort Gottes. Dieser Raum muß irgendwie da sein, aber er ist für uns unzugänglich und deshalb als Wohnung Gottes gut geeignet!“

Aber solche Überlegungen sind an sich alle überflüssig. Uns nutzt ja kein Gott, der sich in irgendwelchen fernen Weltenräumen aufhielte. Wir brauchen doch einen Gott, der uns nahe ist, der unter uns Menschen ist und nicht über den Sternen. Natürlich muß er auch irgendwie „außen“ sein. Er ist zwar in der Welt, aber nicht selber ein Stück Welt. Gott ist in den Menschen und Dingen, aber auch wieder von ihnen unterschieden. Doch wichtig wird für uns vor allem sein, daß er der Gott für uns ist.

 

Man hat bezweifelt, daß Jesus selber den Missionsbefehl gegeben habe. Die judenchristlichen Gemeinden haben ja mit der Heidenmission gezögert. Aber Lukas bezeichnet den Ausgangspunkt treffend: „Fangt an in Jerusalem!“ Die Jünger werden zu Zeugen, zu Gewährsleuten der Überlieferung und Überbringern der Botschaft, die mit ihrer Person für das einstehen, was sie bekunden.

Die Sache Jesu Christi muß allerdings einen mühsamen Weg in die Welt hinein gehen. Nur wo Menschen sich frei dem Evangelium öffnen, da tritt auch eine tatsächliche Sinnesänderung ein. Da ist jetzt viel Platz für die Kirche. Ein französischer Theologe hat einmal gesagt: „Jesus verkündete das Reich Gottes - und es kam die Kirche!“ Da ist etwas Wahres dran. Aber ist die Kirche nicht auch ein Stück vom Reich Gottes, das allerdings einmal überboten werden wird?

Von Mensch zu Mensch muß das Evangelium ausgebreitet werden. Buße zur Vergebung der Sünden soll allen Völkern gepredigt werden. Das ist kein leichtes Geschäft.

So wird die Gemeinde Christi durch seinen Weggang nicht vollkommen aktionsunfähig. Sie setzt ja das Wirken Jesu in der Welt fort. Er hat sie ja dazu angeleitet und unterstützt sie nun von höherer Stelle aus. Jetzt erst kann er ja die „größeren“ Werken tun, die nun allen Christen zugute kommen.

Mit der Himmelfahrt gewinnt das Wirken Jesu erst seine rechten Ausmaße. Jetzt wird sein Wirkungsbereich über die ganze Erde ausgeweitet. Seine Jünger durchbrechen die Enge des Heimatlandes Jesu und gehen hinaus in die Welt. Sie sind erfüllt vom Geist Christi und tun vielfach die gleichen Dinge wie er.

Jetzt kommst es erst zu einem Zusammenwirken zwischen himmlischem Christus und irdischer Gemeinde. Beide können sich nun erst recht ergänzen. Christus braucht die Christen als seine irdischen Werkzeuge. Und die Christen brauchen Christus, weil sie sonst in der

Welt verloren werden.

Um alles noch einmal zusammenzufassen: Jesus ist bei uns, auch wenn wir ihn nicht sehen. Er gibt uns die Vollmacht, sein Wort zu verkündigen. Er hat jedem von uns in der Taufe die Kraft des Heiligen Geistes gegeben, so daß wir heute ein Jünger Jesu und ein Bote Gottes sein können und uns vor nichts zu fürchten brauchen. Himmelfahrt bedeutet: Die Machtfrage in der Welt ist entschieden Entscheidend ist das Wort, das Jesus in den Mund gelegt wird: „Mir ist gegeben alle Gewalt!“

 

Noch ein Witz: Am Himmelfahrtsfest begegnet der Pfarrer einem Bauern, der mit seinem Traktor aufs Feld fährt. Entrüstet ruft er ihm zu: „Heut ist doch Himmelfahrt!“ Aber der Bauer gibt seelenruhig zur Antwort: „Ich fahr nicht mit…!“

 

Pfingsten:

Als das Johannesevangelium von der Verheißung des Heiligen Geistes schrieb (Joh 14, 15-26), da setzte die erste Welle der weltweiter Verfolgung der Christen ein. Ja, wenn Christus noch da wäre, dann könnte er sich jetzt für seine Gemeinde einsetzen. Aber wo ist er denn jetzt? So werden sich doch damals viele Christen gefragt haben. Dann hat ihnen das Johannesevangelium deutlich gemacht: Er ist noch bei uns, wenn auch auf andere Art und Weise. Gott der Vater und Jesus Christus der Sohn sind jetzt als Heiliger Geist bei euch. Und dieser Geist ist nicht nur so in euren Gedanken vorhanden, sondern ein wirklicher Helfer.

 

Trinitatis:

Der Sonntag Trinitatis erinnert an die Dreifaltigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Bis heute tun sich Menschen schwer damit. Seit dem Spätmittelalter setzte sich die Praxis durch, am Sonntag nach Pfingsten eine Messe zur Erinnerung an die Trinität zu feiern. Manches spricht dafür, daß die berühmte benedik­ti­nische Reformabtei Cluny zur Verbreitung dieses Brauchs mit ihrem Netzwerk von Klöstern in Europa massiv beigetragen hat. Auf diese Weise ergab sich eine schöne, quasi trinitarische Reihe des Gedenkens im Kirchenjahr: Zu Ostern bedachte man, daß der Vater den Sohn von den Toten auferweckt hat, zu Pfingsten befaßte man sich mit den Heiligen Geist als dem Band der Gemeinschaft zwischen Vater und Sohn und nach Pfingsten ging es noch einmal die ganze Trinität: Vater, Sohn und Heiliger Geist.

 

Die evangelische Kirche hat diese Praxis aus der spätmittelalterlichen Kirche übernommen und zählt sogar im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche, die sie aufgegeben hat, im Kirchenjahr fast dreißig Sonntage „nach Trinitatis“. Fachleute sprechen mit Blick auf „Trinitatis“ von einem „Ideenfest“, einem Fest zur Feier einer theologischen Lehrbildung. Im Spätmittelalter war es üblich, theologisches Denken auf diese Weise bekannt zu machen und auf diese Weise die hohe Theologie gleichsam unters Volk zu bringen.

Beim Trinitatisfest ist das aber nicht ganz so gut gelungen wie etwa bei Fronleichnam. Vermutlich geben sich die allermeisten Pfarrerinnen und Pfarrer am Sonntag Trinitatis viel Mühe, die Dreifaltigkeit verständlich zu machen, aber viele Menschen haben weiter ihre Schwierigkeiten mit dieser Idee. Und Judentum wie Islam empfinden das ohnehin als Dreigötterlehre und Abkehr vom strengen biblischen Monotheismus.

Dabei ist die Lehre von der Trinität nur entstanden, weil man theologisch bedenken wollte, daß Jesus von Nazareth auf eine ganz unvergleichlich direkte Art und Weise mit Gott verbunden war: Wenn er Menschen gesund machte, dann heilte er „mit dem Finger Gottes“ (Lukas 11,20). Gottes Gebote legte er so souverän aus, als habe er sie selbst gegeben. Und mit seinem Vater verkehrte er so vertraut, daß er seine Jüngerinnen und Jünger beten lehrte „Abba, lieber Vater“.

So verwundert es nicht, daß schon ganz früh Versuche beginnen, sein Verhältnis zum Vater zu beschreiben und seine bleibende Gegenwart in der Gemeinde als Geist zu verstehen: Das Johannesevangelium verwendet die jüdische Vorstellung, daß Gott sein ewiges Wort als Kraft bei der Erschaffung der Welt verwendete. Der Kolosserbrief formuliert, daß die Fülle der Gottheit in Christus leibhaft wohnte (2,9).

Im vierten Jahrhundert ist schließlich auf verschiedenen Synoden nach längeren Streitigkeiten in überraschender Einmütigkeit der Kompromiß formuliert worden, daß Vater, Sohn und Heiliger Geist drei besondere Seinsweisen des einen einzigen Gottes sind. Es handelt sich um eine synodale Kompromißformel, der immer wieder neues Leben eingehaucht werden muß: Beispielsweise dadurch, daß wir das Trinitatisfest beherzter feiern, dafür neue Lieder komponieren, sie singen lernen und auch sonst versuchen, nicht nur zu verstehen, sondern unser stückweises Verstehen auch ein wenig zu feiern (nach Christoph Markschies).

 

 

 

 

 

Apostelgeschichte

 

Literarkritik:

Zunächst treten die Spannungen zwischen Lk 24,50-53 und Apg l,l-12 hervor:

1. Doppelter Bericht von der Himmelfahrt (allerdings stellt Apg 1,2 fest, daß bereits

  das Lukasevangelium den Himmelfahrtsbericht enthielt).

2. Apg 1 geht von 40 Tagen zwischen Ostern und Pfingsten aus, Lk 23 datiert die

  Himmelfahrt auf den Ostersonntag selbst (24,1).

3. Lk.24,50 lokalisiert die Himmelfahrt in Bethanien, Apg 1,12 dagegen an den

  Ölberg.

Auch der Schluß der Apostelgeschichte verleitete zu vielfältigen Vermutungen, da er als unvermittelter Abbruch wahrgenommen wurde und nichts über den Ausgang des Verfahrens gegen Paulus berichtet wird. Das Buch hat keinen echten Schluß, aber schon der erste Vers des Buches hatte ja weitere Teile angekündigt, vielleicht ein Buch über Petrus, der ab Apg 15 nicht mehr auftritt.

Folgende Hypothesen wurden aufgestellt:

1. Die Apostelgeschichte sei vor Abschluß des Prozesses geschrieben worden, ja sogar

  die Verteidigungsschrift des Lukas für Paulus. Dagegen spricht: Es gibt keine

  Anhaltspunkte dafür, daß das Buch aus aktuellem Anlaß geschrieben wurde. Die

  Abschiedsrede in Apg 20 verdeutlicht eher die Annahme, daß Lukas vom Ende des

  Paulus weiß

2. Paulus sei freigesprochen worden und erst in einer zweiten Gefangenschaft umge-

  kommen. Hierfür wird auf die Pastoralbriefe (Timotheusbriefe und Titus) verwie-

  sen. Dagegen spricht: Die Pastoralbriefe gehören der nachpaulinischen Epoche an,

  sie kennen nur eine Gefangenschaft in Rom.

3. Es wurde ein drittes Buch vermutet oder ein zufälliger oder absichtlicher Textaus-

  fall, jedoch gibt es dafür keine Anhaltspunkte.

4. Lukas weiß sehr wohl, daß Paulus in Rom hingerichtet wurde. Aber erwähnt die

  Tatsache nicht, weil er entweder keinen Pauluslebenslauf, sondern die Gründungs-

  geschichte der Kirche habe schreiben wollen, oder aber der Meinung war, daß die

  Schilderung der Verurteilung des Paulus durch ein römisches Gericht könnte die an

  ihm verfolgte politische Verteidigung stören. Doch läßt sich der jetzige Schluß gut

  als Abschluß der Apostelgeschichte verstehen.

5. Da die Apostelgeschichte etwa gleich lang ist wie das Lukasevangelium kann man

  annehmen, daß mit Apg 28 die Buchrolle vollgeschrieben war und man mit einer

  neuen beginnen mußte.

 

Haenchen unterscheidet Material und Redaktion. Material seien nach Haenchen:

Berichte über Wundertaten der Apostel (ab Apg 2)

Überlieferungen von bestimmten Ereignissen (Apg 6 und 9 und 15)

Überlieferungen von bestimmten Personen (11,27-30 und 21,10- 14).

Reisetagebuch (Itinerar).

Die Zusammenarbeitung sei erfolgt durch Reden (Ausrichtung auf das Wesentliche) und die Deutung des Materials (Heidenmission durch Petrus begonnen).

 

Es gibt viele Quellen-Hypothesen. Man sprach von einer jerusalemisch-cäsaränischen Quelle oder einer antiochenische Quelle (Ab Kapitel 6 hat man eine Quelle aus Antiochia vermutet). Am häufigsten wird für den zweiten Teil der Apostelgeschichte eine Quelle angenommen. Durch den Wechsel von der dritten Person in die erste Person Plural könnte auch ein literar­kritisches Unterscheidungsmerkmal zur Verfügung stehen. Aber die Ausscheidung eines „Wir“-Berichts und einer antiochenischen Quelle hat sich nicht bewährt.

Folgende Texte sind im „Wir-Stil“ verfaßt:

Reise von Troas nach Philippi                        16,10-17

Reise von Philippi nach Milet                        20, 5-15

Reise von Milet nach Jerusalem                   21,1-18

Reise von Cäsaräa nach Rom                        27,1 - 28,16

Diese Wir-Stücke beginnen jeweils völlig unvermittelt innerhalb der Erzählung und hören ebenso unerwartet wieder auf. Sie berichten ausschließlich über Seereisen mit ihrem Anfang und Ende zu Lande. Auffallenderweise unterscheiden sich die Wir-Berichte stilistisch nicht von den anderen Erzählungen der Apostelgeschichte. Die Stücke fügen sich gut in die Apostelgeschichte ein.

In der sonstigen antiken Reiseliteratur redet der Verfasser in der ersten Person, wenn er Augenzeuge war. Da der Verfasser der Apostelgeschichte aber kein Missionsgefährte des Paulus sein kann, können die Wir-Berichte auch nicht so verstanden werden, daß der Verfasser der Apostelgeschichte durch das Wir deutlich machen wollte, daß er bei den entsprechenden Abschnitten persönlich zugegen war. Wenn also das „Wir“ mehr als (ein sehr unsystematisch verwendetes) Stilmittel ist, dann hat der Verfasser der Apostelgeschichte hier wohl Reiseaufzeichnungen eines Paulusbegleiters eingearbeitet.

Dafür spricht auch, daß es einige Ortsangaben gibt, die aber nicht mit Erzählungen verbunden sind. Dagegen spricht allerdings die Lückenhaftigkeit der Wir-Berichte und ihre wunderhaften Züge (Apg 16,16-17 und 20,7-11 und 28,3-4). In Zusammenhang mit Apostelgeschichte 27- 28 ist folgendes zu beachten: Bei dieser einzigen Schilderung einer wirklichen Reise lassen sich die Szenen, in denen Paulus auftritt, leicht herauslösen. In ihrer jetzigen Form wollen die Wir-Berichte sicher auch den Eindruck von Augenzeugenschaft vermitteln.

Doch ist sicher davon auszugehen, daß der Verfasser der Apostelgeschichte auf schriftliche Quellen zurückgegriffen hat (eventuell in der Stephanus-Rede, der Rede in Athen oder auch beim Aposteldekret). Nur so lassen sich verschiedene Stileigentümlichkeiten verstehen (zum Beispiel die Bezeichnung des Paulus und Barnabas als Apostel nur in Apg 14,4-5 und 14). Doch ist es bisher nicht gelungen, überzeugend zusammenhängende Quellen wiederherzustellen. So ist also davon auszugehen, daß der Verfasser in einen von ihm geschaffenen Rahmen ihm überlieferte Einzelgeschichten eingefügt hat.

Die Apostelgeschichte ist am ehesten mit antiken geschichtlichen Einzelschriften vergleichbar, jedoch werden die hierfür typischen Stilmittel (Reden, romanhafte Schilderungen, biographische Elemente) durch das besondere theologische Interesse umgestaltet. Auch die Nähe zu griechischen Schilderungen von Gottesmännern oder zur Missionsliteratur des griechisch beeinflußten Judentums ist nur begrenzt.

 

Besonderheiten der Textüberlieferung:

Die Apostelgeschichte ist geschrieben in Septuagintagriechisch (neun Zehntel des Wortschatzes) und kennt die antike Geschichtsschreibung. Sie ist in zwei Textgestalten („Rezensionen“) überliefert, in einer kürzeren mit Texten aus Ägypten (Text H) und einer längeren mit westlichen Texten (Text D) (zum Beispiel 12,10 und 16,39 und 19,9 und 20,15). Die heutige Bibel folgt dem ägyptischen Text und hält die Abweichungen des westlichen Textes im sogenannten „Apparat“ am Ende der Seiten fest.

Aus den beiden Ausgaben aber den Schluß zu ziehen, Lukas habe zwei Fassungen seiner Apostelgeschichte herausgegeben habe, ist aber unbegründet. Vielmehr handelt es sich bei fast allen Unterschieden um bewußte Berichtigungen, Ausgleich von Schwierigkeiten und Glättungen (die kultische Form des Aposteldekrets wird ins Ethische gewendet). Diese Tendenz zur Harmonisierung zeigt sich bei den betreffenden Handschriften auch im Lukasevangelium. Erleichtert wurden dies Bestrebungen auch dadurch, daß die Apostelgeschichte später Geltung im Verband des Neuen Testaments erlangte als das Lukasevangelium. Der „westliche Text“ (Text D) nimmt zum Beispiel an 6,8 und 8,37 und 15,29-30 eine sprachliche Glättung vor, er schmückt liturgisch-erbaulich aus, und ein sachlicher Eingriff liegt in Apg 15 vor. Er stellt nur einen ersten Kommentar zu dem Werk des Lukas dar.

 

Komposition und Theologie:

Lukas verwendet eine eigene schriftstellerische Technik: Aus Gründen der Erbaulichkeit wird oft eine vorgefundene historische Notiz umgesetzt in lebendige Szenen. Viele Szenen sind modellhaft gezeichnet. So zum Beispiel auch der Kontrast zwischen Herodes, der sich zum Gott machen läßt (Apg 12,22) und Paulus, der dies abwehrt (Apg 14,11).

 

Reden:

Eine Besonderheit sind die umfangreichen Reden. Die 24 Reden machen ein Drittel der Apostelgeschichte aus. Nach der Methode des Deuteronomisten im AltenTestament fügt Lukas an entscheidenden Stellen eine Rede ein. Die Verbindung der Zeiten vollzieht Lukas durch den Geist, der wirksam wird in den Reden der Apostel: Die Reden bringen die Handlung heilsgeschichtlich voran und sind außerdem Summarien der theologischen Konzeption des Lukas.

 

Reden an die Juden: 2 und 3 und 4 und 5 und 13

Schema nach Apostelgeschichte 13:

1. Anknüpfung an die jeweilige Situation        V. 16-22

2. Jesusverkündigung:                                         V. 23-26

    Schuldhaftes Handeln der Juden an Jesus   V. 27-29

    Errettendes Handeln Gottes an Jesus           V. 30-37                                 

3. Heilsverkündigung mit Bußruf                       V. 38-41.

 

Reden an die Heiden: 14 und 17

1. Bußruf                                (Abkehr vom Götzendienst)

2. Gerichtsankündigung      (Ende der Geduld Gottes)

3. Jesusverkündigung (als Begründung).

Fast ein Drittel des Buches ist durch 24 Reden gefüllt. Sie finden sich an allen entscheidenden Wendepunkten der Erzählung. Wichtige Tatbestände werden darin mehr als einmal vorgetragen. Sie sind das Mittel, die Situation zu verdeutlichen. Sie sind jedoch eine Zusammenstellung des Lukas, sozusagen Musterbeispiele von Predigten der Gemeinde (nur die Rede in Milet klingt stark nach Paulus), es handelt sich aber nicht um tatsächliche Predigten des Petrus (Apg 10) oder Paulus (Apg 17).

 

Folgende Typen von Reden sind zu unterscheiden:

1. Stephanusrede (Geschichtsrückblick): Apg 7 markiert die Verstockung der Juden

    (und damit in der Folge den Übergang zur Heidenmission).

2. Missionsrede vor Juden: Apg 2,14-36 und 3,12-26 und 4,9-22 und 5,30-33 und

   10,34 -43 (Petrus) und 13,16-41(Paulus). Die Ansicht der Missionsreden vor Juden

    über Christus ist vor allem durch das Schema des Gegensatzes und den damit ver-

    bundenen Bußruf gekennzeichnet. Hier finden sich häufig auch Schriftbeweise vor

   allem zum Thema Auferstehung).

3. Missionsrede (des Paulus) vor Heiden: Apg 13, 16-41 und 17,22-31. Auch hier gibt

    es feste Elemente: Aufruf zur Umkehr als Abkehr vom Götzendienst und Hinwen-

    dung zum Schöpfergott, dazu Weltgericht und Auferstehung.

4. Abschiedsrede (vor den Ältesten von Ephesus):Apg 20,18-38. Im Sinne des Verfas-

    sers markiert sie den Abschluß der Mission und gibt dem Hörer letzte Mahnungen

    und Hinweise für die weitere eigene Arbeit.

5. Verteidigungsrede (des Paulus): Apg 22,1-5 und 26,2-10. Sie sollen deutlich ma-

   chen, daß christlicher Glaube und römischer Staat einander nicht berühren und

    deshalb ohne weiteres nebeneinander bestehen können.

6. Angriffsrede (gegen die Juden): Apg.28,25-28.

Diese Reden sind - trotz ihres verschiedenen Typs - von demselben Verfasser und beziehen sich innerlich aufeinander (so braucht 13,35-36 die Darstellung von 2,15-36, um verständlich zu sein). Sie enthalten wohl nur in Einzelfällen geschichtliche Nachrichten über wirklich gehaltene Reden und die Theologie der Reden. Die Reden gehen viel stärker auf die Lage der Leser als auf die der konkret Beteiligten ein. Sie sind stark literarisch gestaltet.

 

Geschichts- und Zeitauffassung:

Eine geographische und eine sachliche Gliederung überlagern einander. So geht es gleichzeitig um eine regionale und sachliche Ausbreitung der Mission. Für die regionale Ausbreitung ist Apg 1,8 der Schlüssel. Dort wird davon gesprochen. daß die Apostel die Zeugen Christi in Jerusalem, Judäa, Samaria und bis an die Grenzen der Erde sein werden. Danach ergibt sich folgende Gliederung und Epocheneinteilung:

    I.  Apg 1-7   : Die Gemeinde in Jerusalem

                          (darin 6-7: die Verfolgung der Griechen)

  II.  Apg 8-9    : Die Mission in Judäa und Samaria (Ergebnis 9,31)

III.  Apg 10-28: Der Weg ins heidnische Cäsaräa und zu den Heiden.

Der Schluß der Apostelgeschichte ergibt sich dadurch, daß Paulus in Rom das Evangelium verkündet (Apg 28,30-31).

 

Anders als beim Lukas-Evangelium hatte der Verfasser der Apostelgeschichte kein durchgebendes Quellenmaterial. Er mußte also die Gliederung der Geschichte selbst entwerfen. Bei der Füllung seines Rahmens bevorzugt er allerdings Einzelbilder und exemplarische Erzählungen vor fortlaufenden Erzählungen. Wichtige geschichtliche Tastsachen werden nur gestreift (zum Beispiel Vorgehen des Herodes Agrippa gegen die Christen) oder ganz verschwiegen (zum Beispiel Konflikte des Paulus mit seinen christlichen Gegnern). Andere dem Verfasser wichtige Erzählungen werden dagegen wiederholt (zum Beispiel die Bekehrung des Paulus oder die Vision des Petrus). Damit gewinnt die Darstellung einen stark erbaulichen Charakter: Vorbildhaftes Verhalten wird dargestellt.

 

Die Zeitauffassung der Apostelgeschichte ist durch ein Zurücktreten der Naherwartung bestimmt. Doch es wird an der Wiederkunftserwartung festgehalten und die gegenwärtige Zeit als endzeitliche Heilszeit charakterisiert. So greift der Geist oder der Erhöhte auch immer wieder direkt in die Geschehnisse ein. Die Zeit zwischen Pfingsten und Wiederkunft ist demnach die Zeit des Geistes und der fortschreitenden Missionierung der Welt, also eine sich steigernde Heilsgeschichte.

Durch die (nicht wirklich so geschehene) Einleitung der Heidenmission durch Petrus und die konfliktarmen Verhandlungen auf dem Apostelkonzil soll die Zustimmung der ganzen Urgemeinde zur Heidenmission herausgestellt werden.

Die Missionspraxis des Paulus läuft nach einem festen Schema ab: Paulus wendet sich in einer fremden Stadt zunächst an die Juden. Anhand des Alten Testaments predigt er ihnen Jesus als den Christus. Früher oder später ruft er damit Widerspruch bei den Juden hervor, zugleich setzt ein starker Zustrom von heidnischen Hörern ein. Paulus wendet sich von den Juden ab und den Heiden zu (Beispielhaft ausgeführt Apg 13, später nur noch angedeutet). Hier liegt einerseits wohl geschichtliche Erinnerung zugrunde, dennoch wird hier andererseits das theologische Thema von der Verlagerung des Heils von den Juden zu den Heiden am Beispiel durchgeprobt (Apg 13,46).

 

Zusammenfassungen:

Unter anderem erweisen sich die Zusammenfassungen (Summarien) in Apg 2,42-47 und 4,32-36 und 5,12-16 als Ausdruck der Theologie des Verfassers. Sie sind wohl kaum aus einer Quelle übernommen (sprachliche Verwandtschaft der Texte untereinander). So können diese Sammelberichte zwar überlieferte Einzelnachrichten verwerten, bezeugen aber vor allem die Vorstellung des Verfassers von der Urgemeinde als der Idealgemeinde, die in völliger Eintracht und gemeinsamem Besitz ihr Leben des Gebets und der Mahlgemeinschaft führt, von jedermann geachtet und um ihrer Wundertaten willen geschätzt. Dabei ist auffällig, daß das erste Summarium zunächst alle Elemente nennt, die dann jeweils noch einmal ausgeführt werden:

Apg 2,42     entspricht 2,46-47: Lehre, Gemeinschaft, Brotbrechen, Einmütigkeit

Apg 2.43     entspricht 5,12-16 : Zeichen und Wunder

Apg 2,44-45 entspricht 4,32-37: Einmütigkeit und Gütergemeinschaft.

 

Das Thema steht in 1,8: Weg des Wortes Gottes von Jerusalem nach Rom (28,27). Hier liegt ein zweiter Teil eines Werks vor, in dem die Zeit der Kirche dargestellt wird: Die Periode der Apostel ist die Zeit der Kirche. Hier wird die Verbindung der „Mitte der Zeit“ mit der Zeit der Kirche vorgenommen, und zwar durch den Geist. Garanten der fortlaufenden Verbindung sind die Apostel, die weiterhin bestimmend bleiben (Apg 15).

Es ergibt sich ein neues Verhältnis zur Welt. Man grenzt sich von den Juden ab, gleicht sich aber den Pharisäern an und ist gegen die Sadduzäer. Petrus beginnt eine gesetzesfreie Heiden­mission. Paulus wird verteidigt als Gemeindegründer und wegen seiner Einigkeit mit Jerusalem. Das Buch treibt eine geschickte politische Rechtfertigung (Apologetik) gegenüber Rom und stellt das Christentum als eine erlaubte Religion dar (religio licita).

 

Verfasser und Abfassungszeit:

Die Apostelgeschichte wurde von Lukas verfaßt, der damit sein Evangelium ergänzen wollte. Es ist sicher ist, daß die Apostelgeschichte von demselben Verfasser wie das Lukasevangelium stammt: In Apg 1,1-2 wird auf Lk 1,1-4 zurückgegriffen (Widmung an Theophilus). Die Darstellung der Ereignisse knüpft an Lk 24 an. Stil und theologische Gedanken stimmen über­ein. Unterschiede sind durch den unterschiedlichen Stoff erklärbar.

Die altkirchliche Tradition sieht in ihm einen Mitarbeiter des Paulus, Begleiter auf der dritten Missionsreise, ein Arzt aus Antiochien, kein gebürtiger Jude, denn die örtliche Verhältnisse in Palästina sind ihm nicht bekannt (Phm 23 und Kol 4,14 und 2.Tim 4,11).

Doch daß der Verfasser der Apostelgeschichte kein Paulusbegleiter war (Kol 4,14 und Phlm 24), ist daraus ersichtlich, daß er

• keine genaue Kenntnis von der Biographie des Paulus hatte:

1. Die Apostelgeschichte erwähnt eine zweite Jerusalemreise des Paulus vor dem

    Apostelkonzil, die mit dem Bericht des Paulus in Gal 2 nicht vereinbar ist

2. Auch die Aussage, daß die Gemeinden in Judäa Paulus nicht persönlich gekannt

    hätten (Gal 1,22) widerspricht Apg 9,27-29

3. Nach Apg 10,1-11,18 wurde die Heidenmission durch Petrus selbst eingeleitet und

   in 15,7-21von Petrus und Jakobus auf dem Apostelkonzil verteidigt. Gal 2,l jedoch

   spricht davon, daß Paulus seine Heidenmission vor den „Säulen“ Petrus, Jakobus

   und- Johannes verteidigen mußte.

4. Der Bericht in Apg 15 über das Apostelkonzil verschweigt die Aufteilung der

   Missionsgebiete (Gal 2,9) und nennt als Beschluß das Aposteldekrets, daß Paulus

   doch etwas auferlegt wurde, was Gal.2,6 widerspricht das Aposteldekret selbst

   scheint aber Paulus unbekannt zu sein

• Keine Kenntnis der charakteristisch paulinischen Theologie besitzt:

1. Es findet sich in der Apostelgeschichte kein charakteristischer Gedanke des Paulus

    (Rechtfertigung aus Glauben, Gesetz, Gabenlehre, Kreuzestheologie). Die Heilsbe-

   deutung des Todes Jesu für die Glaubenden - bei Paulus so zentral - wird nur in Apg

   13,27-29 und 20,28 leicht gestreift. Vergleiche auch Röm 1,18-32 mit Apg 17)

2. Die Apostelgeschichte verweigert (außer 14,4+14) Paulus durchgehend den Apo-­

   stel­titel, den Paulus aber sehr nachdrücklich für sich in Anspruch genommen hatte

   Lediglich die Zwölf werden Apostel genannt, Paulus steht sehr deutlich daneben.

   Nur an zwei Stellen kommt das  Wort in der Bedeutung „Abgesandter der Gemein

   de“ vor)

3. In der Rede in Athen (Apg 17) wird Christus als endzeitlicher Richter dargestellt,

   dessen Bedeutung durch die Auferstehung einsichtig ist. Dies läßt sich kaum mit der

    Theologie des Paulus verbinden.

Der Verfasser der Apostelgeschichte war also kein Missionsgefährte des Paulus und deshalb auch nicht Lukas der Arzt.

 

Die Abfassungszeit ist nur sehr grob zu bestimmen. Sicher wurde die Apostelgeschichte als zweiter Teil des Doppelwerks des Lukas nach dem Evangelium geschrieben, hat aber einen sprachlichen Abstand zum Evangelium, die sprachlichen Differenzen verlangen wohl einen gewissen Abstand zwischen den beiden Schriften. Es besteht ein großer zeitlicher Abstand von Paulus. Das Werk dürfte zwischen 75 und 90 entstanden sein. Die Datierung zwischen 80 und 90 ist die wahrscheinlichste Annahme, aber eine Datierung zwischen 90 und 100 ist auch nicht ausgeschlossen. Der Abfassungsort ist nicht zu ermitteln.

Der Titel „Apostelgeschichte“ ist sicher sekundär. Er ist erst bei den Kirchenvätern bezeugt, und der Verfasser der Apostelgeschichte hätte ihn sicher nicht gewählt, da er Paulus ja nicht als Apostel bezeichnet, die zweite Hälfte aber ausschließlich von Paulus handelt.

 

Der Lebenslauf des Paulus siehe unter Paulusbriefe

 

Einzelne Abschnitte:

Pfingsten: Die Gabe des Heiligen Geistes

Lukas hatte eine schwierige Aufgebe, das Kommen des Geistes darzustellen: Er kommt vom Himmel, ist aber nichts Sinnenfälliges. Die Herkunft des Geistes machte er deutlich mit dem Bild des Windes; das war besonders für griechisch sprechende Menschen verständlich, denn im Griechischen sind „Pneuma“ (Geist) und „Pnoe“ (Windhauch) verwandte Begriffe. Aber wo der Geist hinzielt, daß er den einzelnen Jünger erfaßt, das konnte er nur mit Hilfe der jüdischen Pfingsttradition verdeutlichen durch den Bezug auf die Sinaigeschichte: Feuer brennt und greift um sich; es frißt alles weg, was sich ihm in den Weg stellt; es bleibt nicht verborgen, sondern tritt immer mächtiger hervor. So steckt auch der Heilige Geist andere in Brand, so daß sie in das öffentliche Lob der großen Taten Gottes einstimmen.

 

Die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem

Die Entstehung der nachösterlichen Gemeinde wird zwar bei den Synoptikern auf den irdischen Jesus zurückgeführt, doch dürfte dies sekundär sein. Dennoch gibt es eine durchgehende Verbindung von vorösterlicher Jüngergemeinschaft und nachösterlicher Kirche:

Die Erscheinungen des Auferstandenen (ob in Galiläa oder Jerusalem) führen zur Versammlung der an die Auferstehung Jesu Glaubenden in Jerusalem. Es bildet sich die Jerusalemer Urgemeinde, die sich als endzeitliches Gottesvolk versteht. Die Auferstehungserfahrungen führen also unmittelbar zu einer (neuen?) Gemeinschaft. Sie feiern gemeinsame Mahlzeiten unter endzeitlichem Jubel reihum in den Häusern. Sie nehmen am Tempelgottesdienst teil. Der Herr läßt die Gemeinde sehr rasch wachsen. Viele (Heilungs-) Wunder geschehen. Äußeres Zeichen ihrer Liebe ist die Gütergemeinschaft.

Prinzipiell war religiös begründete Gütergemeinschaft damals denkbar. Der Verkauf des Privateigentums zugunsten der Gemeinde dürfte aber eher der Einzelfall als die Regel gewesen sein, da solche Ereignisse besonders aufgezeichnet wurden. Auch die legendenhafte Ananias-Saphira- Erzählung (Apg 5,1-11) setzt voraus, daß der Besitz-Verzicht nicht allgemein üblich war.

 

Mit den Spenden für die Kirche ist das so eine Sache. Ein katholischer Priester, ein evangelischer Pfarrer und ein Rabbi tauschten sich einmal darüber aus, wie sie es mit den Kollekten halten. Der Priester sagt: „Ich ziehe einen großen Kreis auf den Boden und werfe das Geld in die Höhe. Was in den Kreis fällt, ist für die Gemeinde. Was außerhalb fällt, das nehme ich mir!“ Der Pfarrer sagt: „Ich mache es genau umgekehrt!“ Da lächelt der Rabbiner und sagt: „Ich mache es ein wenig anders: Ich werfe das Geld in die Höhe und rufe: Lieber Gott, nimm dir, was du brauchst, der Rest ist für mich!“

 

Das Gemeindeleben umfaßte gemeinsame Mahlzeiten in den Häusern der Gemeindeglieder, das Brotbrechen, das Gebet und die Lehrtätigkeit der Apostel. Der Gottesdienst folgte wahrscheinlich dem Vorbild der Synagoge, war also kein Opferkult. sondern ein Wortgottesdienst mit Gebeten, Schriftlesung und Lehre. Frühe liturgische Elemente sind wohl der Ruf „Maranatha“ (Komm Herr Jesus), die Gebetsanrede „Abba“ (Vater) und das Bekenntnis zu Christus. Taufe und Abendmahl reichen auch bis in die erste Zeit der Gemeinde zurück.

Die Leitungsstruktur der Jerusalemer Urgemeinde änderte sich im ersten Jahrhundert öfters. Es lassen sich folgende Etappen erkennen: Die Zwölf -  die Apostel - die Säulen - die Ältesten.

Zunächst war die Urgemeinde nicht vom Judentum geschieden. Man kam weiterhin im Tempel zusammen. Die Tempelsteuer wurde offensichtlich auch von den Christen bezahlt. Das Bekenntnis zu Jesus als dem Messias brauchte nicht zum Bruch mit dem Judentum führen, denn entscheidend für die Zugehörigkeit zum Judentum ist allein die Anerkennung der Verbindlichkeit des Gesetzes.

Die Jerusalemer Gemeinde blieb auch nach dem Apostelkonzil eine rein judenchristliche Gemeinde, die den Zusammenhang mit dem Judentum durch das Halten des Gesetzes zu wahren versuchte. Allerdings wird die Lage immer schwieriger, als der jüdische Nationalismus in der Zeit vor dem jüdischen Krieg stärker wird. Die Jerusalemer Gemeinde gerät nun in einen Konflikt: Den Zusammenhang mit dem internationalen, gesetzesfreien Heidenchristentum zu wahren und andererseits mit dem Judentum verbunden zu bleiben.

Dieser Konflikt und der Druck des Judentums auf die Gemeinde nehmen zu: Jakobus wird im Jahr 62 zur Steinigung verurteilt (als kein römischer Statthalter da war).Nach der Angabe des Kirchenvaters Euseb flieht die Gemeinde vier Jahre später zu Beginn des jüdischen Krieges nach Pella im Ostjordanland. Dort verlieren sich ihre Spuren.

Auf Seiten des Judentums wurde durch die Hineinnahme der Verfluchung der Abweichler in das Achtzehnbittengebet am Ende des ersten Jahrhunderts der Ausschluß der Christen aus der Synagoge vollzogen, da fortan kein aufrichtiger Christ mehr, dieser liturgische Gebet sprechen konnte (weiteres unter dem Thema „Urgemeinde“).

 

Das Apostelkonzil

Die erste Quelle für das „Apostelkonzil“ ist Galater 2,1-10. Die Nachricht in Apostelgeschichte 15,1-29 ist nur die zweitrangige Quelle. Das Apostelkonzil fand wohl im Jahr 48 (oder 49) statt. Der Anlaß war: Durch die Heidenmission entstand die grundsätzliche Frage, ob Heiden die Forderungen des jüdischen Gesetzes als heilsnotwendig anerkennen und erfüllen müssen (konkret: Beschneidung und Reinheitsgebote). Für die Notwendigkeit der Anerkennung des Gesetzes durch die Heiden konnte auf den Zusammenhang der Kirche mit Israel und auf die Gültigkeit des Alten Testaments für die Christen verwiesen werden.

Aufgrund des Protestes der „falschen Brüder“ (Gal 2,4) gegen die Gesetzesfreiheit der antiochenischen Heidenchristen geht Paulus mit Barnabas und Titus nach Jerusalem. Er nimmt den unbeschnittenen Heidenchristen Titus mit, damit in Jerusalem dessen Glaube anerkannt werde

Es kommt zur Einigung mit den drei „Säulen“ Jakobus, Petrus und Johannes. Die Missionsarbeit des Paulus wird anerkannt (Gal 2,9), er wird auch als Apostel gebilligt. Die Beachtung des Gesetzes wird den Heidenchristen nicht auferlegt (Gal 2,3). Damit gibt es freie Bahn für die Heidenmission und den Weg des Evangeliums zu allen Völkern. Damit war die Übereinstimmung des Evangeliums mit dem Evangelium der ehemaligen Juden festgestellt und zugleich das Kirche-Sein der gesetzesfreien Heidenchristen grundsätzlich zugestanden. Ferner wurde eine Aufteilung der Aufgaben vereinbart.

Paulus und Barnabas spielen nach der Apostelgeschichte nur eine untergeordnete Rolle. Die Entscheidung zugunsten der gesetzesfreien Heidenmission wird in der Apostelgeschichte durch Jakobus und Petrus herbeigeführt. Das Kapitel Galater 2 hebt dagegen die Rolle des Paulus hervor. Nur der Galaterbrief nennt das Apostolat des Paulus als Verhandlungsgegenstand. Die Kollekte wird in diesem Zusammenhang übergangen und erst in Apg 24,17 erwähnt.

Das Bild der Apostelgeschichte, das Paulus als Befehlsempfänger zeichnet, ist wohl von Lukas bestimmt, der der Urgemeinde die erste Position einräumt. Ferner verkürzt Lukas aus der verharmlosenden Sicht der zweiten heidenchristlichen Generation, für die das Problem des gesetzesfreien Christentuns längst gelöst ist.

Andererseits ist nicht zu vergessen, daß der paulinische Bericht vom Apostelkonzil auch in streitsüchtigem Zusammenhang geschieht: Paulus wird durch die Situation des Galaterbriefes veranlaßt, seine Unabhängigkeit und Gleichberechtigung mit den Jerusalemer Autoritäten stärker zu betonen.

Ferner ist zu fragen, ob der Jerusalemer Beschluß aus paulinischer Sicht nicht ein wankel­mütiger und nicht folgerichtiger Kompromiß war. Allerdings mußte auch für Paulus der Judenchrist sein Judentum nicht aufgeben (Beschneidung, Gesetz). Aber das Gesetz kam eben als Heilsweg nicht mehr in Frage. Von daher ist der Konzilsbeschluß kein Kompromiß, sondern volle Folgerung des Glaubensverständnisses.

 

Das Aposteldekret in der Apostelgeschichte ist ein Problem, denn gemäß Paulus kann dieses Dekret nicht auf dem Konzil erlassen worden sein, da nach Gal 2,6 jede Verpflichtung für Heiden ausgeschlossen wurde. Es ist in zwei abweichenden (Text-) Fassungen überliefert:

• Einmal enthielt es kultische Bestimmungen (Minimalforderungen an Nicht-Juden): Heidenchristen werden verpflichtet, auf Handlungen und Speisen zu verzichten, wie sie auch Fremden unter Israel verboten waren. Konkret sind gefordert: Enthaltung von Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und Unzucht.

• Das andere Mal werden ethische Forderungen vom „westlichen Text“ überliefert. Hier wird deutlich, daß in einer rein heidenchristlichen Umwelt die kultischen Bestimmungen des Aposteldekrets schon bald nicht mehr verständlich waren.

Das Dekret entstand wahrscheinlich in einem Raum, wo das Zusammenleben von Juden und Heiden in der christlichen Gemeinde durch die Beschlüsse des Konzils eben nicht gelöst worden war. Dort entstand die Frage: Dürfen Judenchristen in gemischten Gemeinden das Gesetz aufgeben und mit den Heidenchristen gesetzesfrei leben? Es kann geradezu sein, daß das Zusammenleben durch den Jerusalemer Beschluß erst zum Problem wurde, da nun die Juden wieder auf das strenge Einhalten des Gesetzes verpflichtet werden konnten. Erst dadurch gerieten sie in Konflikt mit den Heiden, wie er im sogenannten „antiochenischen Zwischenfall“ aufbricht (vgl. Gal 2,11-14). Diese Episode führte wohl zum Bruch des Paulus mit Barnabas und Antiochia. Die Trennung des Paulus von Antiochia führte auch dazu, daß in den Gemeinden des Paulus das Aposteldekret nicht bekannt war und eingeführt wurde.

• Durch den Beschluß wurde festgehalten an der Einheit der Kirche aus Juden und Heiden, auch wenn die judenchristliche Gemeinde bald keine Rolle mehr spielte. Die Heidenchristen blieben infolge dieser Entscheidung gebunden an die von Jerusalem herkommende Tradition, an die vergangene Geschichte Gottes mit Israel und an das Alte Testament. Das bedeutete eine wirksame Gegenkraft, die die Christusbotschaft aus dem alle religiösen Erscheinungen in sich hineinziehenden Strudel der Religionsvermischung heraushielt. Die Judenchristen aber waren - wenigstens zunächst - vor einem Verkümmern als jüdische Sekte bewahrt.

 

Die Entwicklung kirchlicher Ämter

In dem Maße, in dem die Kirche sich als eigenständige gesellschaftliche Größe begreifen lernte und eigene Lebensformen ausbildete, wuchs die Notwendigkeit der Schaffung fester Einrichtungen. Verfassungsstrukturen bildeten sich aus, Dienste und Aufgaben wurden an bestimmte Personen in der Gemeinde fest gebunden. Diese Entwicklung verlief ziemlich zögernd. Einer der ersten Auslöser war die Trennung der Kirche vom Judentum. Weiteren Schwung in die gleiche Richtung brachten das Zurücktreten der Naherwartung und das Abtreten der prägenden Gestalten der er­sten Generation. Dem entspricht die Beobachtung, daß es Ansätze zu einer theologischen Theoriebildung über die kirchlichen Ämter erst in der nachpaulinischen Zeit gibt.

Jesus hat keine Kirche gegründet und auch keine Amtsträger eingesetzt. Er hat jedoch Impulse gegeben, indem er zur Nachfolge aufrief, eine Jüngergemeinschaft begründete und zum Dienen aufforderte. Der Ruf in die Nachfolge traf im Gegensatz zur Aufforderung zur Umkehr nur ausgewählte Einzelne.

Unter den Jüngern treten besondere Gruppen hervor. So wird mehrfach die Dreiergruppe Petrus-Jakobus-Johannes hervorgehoben. Außerdem wird häufig die Zwölfzahl der Jünger genannt als Symbol für das Gottesvolk in seiner ursprünglichen Ganzheit. Die Zwölf repräsentierten den Anspruch Jesu auf ganz Israel und sollten Zeichen sein für die in seinem Wirken geschehende Erneuerung des Gottesvolkes.

 

Zwölferkreis:

Das älteste Leitungsgremium der Jerusalemer Gemeinde war der Zwölferkreis, in dem Petrus als Erster unter Gleichen wohl die Leitung innehatte. Das Bestehen eines Zwölferkreises vor Ostern wird allerdings auch bestritten. Für die Geschichtlichkeit spricht aber, daß der Verräter Judas in der ältesten Schicht des Passionsberichtes als einer der Zwölf erscheint (Mk 14, 10+ 20+43). Unwahrscheinlich ist hingegen, daß Petrus schon vor Ostern eine Sonderstellung hatte. Je weiter die Gemeinde sich von Tempel und Synagoge entfernte, desto mehr bedurfte sie eigener Organisationsstrukturen. Paulus fand bei seiner ersten Jerusalemreise (etwa 35-36) die Zwölf als Leitungsgremium nicht mehr vor und verhandelte mit Petrus als maßgeblichem Mann.

 

Dreiergremium:

Als Paulus etwa im Jahr 48 zum Apostelkonzil kam, hatte er es mit einem Dreiergremium zu tun: Jakobus, Petrus (Kephas) und Johannes, dem Sohn des Zebedäus. Die von Paulus ver­wendeten Bezeichnungen „die Angesehenen“ und „die Säulen“(Gal 2,6 und 9) scheinen offiziellen Charakter zu haben. Kurz nach dem Apostelkonzil wird nur noch Jakobus allein an der Spitze der Gemeinde genannt (Gal 2,12).

 

Älteste:

Auch die Anfänge des Amtes der Ältesten finden sich in Jerusalem. Ein jüdisches Verfassungsmodell war Vorbild: Der Ältestenrat in der Kommunal- und in der Synagogenverfas­sung. Der Älteste galt hier als Vertreter der Tradition, der die Beständigkeit der Gemeinschaft garantiert. Das Sieben-Männer-Gremium der Jerusalemer Hellenisten (Apg 6,1-6) dürfte ein solcher Ältestenrat gewesen sein. Die aramäisch sprechende Urgemeinde führte dieses Amt erst später ein. Sein Vorhandensein zur Zeit des Apostelkonzils ist unsicher, da sich Apg 15,4+6+22 und Gal 2 widersprechen. Die Nichterwähnung der Ältesten bei Paulus könnte aber auch darauf zurückzuführen sein, daß er sie nur als lokales Leitungsgremium ansah und nur den „Säulen“ gesamtkirchliche Zuständigkeit einräumte.

 

Propheten:

Ein weiteres Amt hatten die Propheten. Der urchristliche Prophet verkündigte die kommenden endzeitlichen Ereignisse und den Willen Christi für die Gemeinde. Besonders in der antiochenischen Gemeinde und ihrem Umfeld bildete sich eine prophetische Ordnung heraus: Apg 13,1-3 nennt als Gemeindeleiter eine Gruppe von Propheten und Lehrer.

 

Apostel:

Apostelgeschichte 14,4 und 14 bezeichnet Paulus und Barnabas in ihrer Eigenschaft als vom Geist bevollmächtigte Wandermissionare nunmehr als „Apostel“. Paulus hat erst später (Gal 2,8) dieses geistbegabte Wanderapostolat (Abgesandte der Gemeinde) vom Jerusalemer Christusapostolat (Abgesandte Christi) her neu ausgelegt. Das Apostolat des Paulus bleibt aber von dem Wanderapostolat beein­flußt: Wahrung der Freizügigkeit unter Ablehnung einer festen Bindung an eine Ortsgemeinde und Beibehaltung des Unterhaltsverzichts im Gegensatz zu den Jerusalemer Aposteln.

 

Die paulinischen Gemeinden:

Die Liste der Gnadengaben in 1. Kor 12,28-31 stellt als besondere Gruppe drei personengebundene Dienste voran: Apostel, Propheten und Lehrer. Dann folgen die unpersönlich gehaltenen weiteren Aufgaben. Lediglich der Apostel hat eine übergemeindliche Sonderstellung inne.

Die Dienste von Gemeindeleitung und -verwaltung haben sich zunächst aus aktuellem Bedürfnis entwickelt. Der Abschnitt 1. Kor 16,15-16 nennt Stephanas, der sich zum „Dienst an den Heiligen“ zur Verfügung stellt. Diesen Dienern soll sich die Gemeinde unterordnen. Aufgaben: Schlichtung von Streitigkeiten. Eingreifen bei elementaren Verstößen gegen die christlichen Lebensregeln („Vorsteher“).

Auf Dauer mußte darauf geachtet werden, daß bestimmte Dienste regelmäßig wahrgenommen wurden. Man konnte nicht darauf warten, daß mal wieder eine Gnadengabe ausbrach, damit man eine eben anstehende Aufgabe bewältigen konnte. Diese Phase der Entwicklung zeigt sich im Philipperbrief, wo in 1,1 „Bischöfe und Presbyter“ genannt werden. „Bischof“ bezeichnet im Profangriechisch den Aufseher oder Gemeindebeamten, stammt also aus der Verwaltungssprache. Dieses Wort wurde zur festen Amtsbezeichnung für die Träger der Hilfeleistungen, der Leitungsdienste und Träger des Vorsteheramtes. Aufgaben der Bischöfe waren Verwaltung, Wahrung gemeindlicher Ordnung und Leitung der Mahlversammlung.

„Diakon“ bedeutet ursprünglich „Tischdiener“. Das Amt ist es wohl aus einer Aufgabe beim Gemeindemahl entstanden. Nach Röm16,1 hatten die Diakone insbesondere karitative Aufgaben.

 

Zeit nach Paulus:

Die Bischofsverfassung bei Paulus verschmolz mit der palästinischen Ältestenverfassung. Dies war möglich, weil sich beide Verfassungen in ihrem äußeren Erscheinungsbild einander angepaßt hatten, und zwar bei beiden Leitungsgremien, wobei bei den Ältesten lediglich das patriarchalische Element und bei den Bischöfen das geistbegabte Element stärker betont wurde.

Der Epheserbrief vermittelt eine Dreiheit der Ämter: Evangelisten, Hirten und Lehrer (Eph 4,11). Dabei bleibt es aber fraglich, ob es sich hier um drei verschiedene Amtsträger handelt. Sachlich scheint das Hirtenamt durchaus dem Bischofsamt zu entsprechen.

Die Pastoralbriefe fügen in Gemeinden, in denen das Ältestenamt vorgegeben war, dieses in den Rahmen einer Bischofsordnung (1. Tim 3,1-7 und Tit 1,5-9). Das patriarchalische Element soll ausgeschaltet werden, indem nur solche Bewerber berufen werden, die hinreichend geeignet sind. Doch wird hier auch noch mit Ältesten gerechnet, die ohne Aufgaben auf Grund ihres Alters und Ansehens Älteste sind. Aufgaben des Bischofsamtes waren die Bewahrung der gesunden Lehre, Verkündigung und Lehre. Die Bischöfe sind hier allerdings noch als gleichberechtigter Kreis gedacht, noch sind nicht alle Aufgaben in einer Hand ver­eint.

Das leitende Interesse der Pastoralbriefe ist die Bewahrung der eindeutigen Gestalt des Evangeliums der Apostel. Deshalb ist es wichtig, daß in allen Generationen Leute da sind - die durch öffentlichen Amtsauftrag beglaubigt - als verantwortliche Wahrer des übertragenen Erbes wirken. Das Amt hat zwar keine Gewalt über das Evangelium, doch wird durch seine geordnete Struktur und kontrollierte Weitergabe die Übereinstimmung der Überlieferung gesichert.

In der starken Betonung von Tradition und Lehre geschieht eine Verengung, da das Moment des personhaften Dienens zu kurz kommt. Die Freiheit des Evangeliums gegenüber dem Amt bleibt aber noch gewahrt. Insofern ist die Schwelle zum Frühkatholizismus noch nicht überschritten.

Der öffentliche Einführungsakt der „Ordination“ als äußere Rechtfertigung des Amtes tritt erstmals in den Pastoralbriefen auf (1.Tim 4,14 und 2.Tim1,6). Modell ist die Ordination der jüdischen Schriftgelehrten. Die Ordinationshandlung bestand aus drei Teilen:

1. Übergabe einer Zusammenfassung der grundlegenden apostolischen Lehrtradition

2. Bekenntnis des Ordinanden vor Zeugen (Sprechen der Glaubensformel)

3. Verleihung der Gaben und des Auftrags durch Handauflegung der Bischöfe.

 

Heidenchristentum

Das Heidenchristentum hat seinen Ursprung im griechisch bestimmten (hellenistischen) Zweig der Jerusalemer Urgemeinde. Die „Hellenisten“ sind griechisch sprechende Judenchristen. In Jerusalem lebten viele aus der Zerstreuung gekommene Juden, und es ist gut denkbar, daß sich einige von ihnen schon früh der Gemeinde anschlossen.

Der Abschnitt Apostelgeschichte 6,1-7 spricht nun von einem Vorfall in der Armenversorgung der Gemeinde (die Witwen der Hellenisten wurden übersehen). Daraufhin werden sieben Diakone (alle mit ausschließlich griechischen Namen) zur Armenpflege eingesetzt. Doch dies scheint unwahrscheinlich, denn von diesen wird vielmehr berichtet, daß sie Verkündigungsaufgaben wahrnahmen. Philippus trägt gera­dezu den Titel „Evangelist“. Wahrscheinlich trieben die Sieben in den hellenistischen Synagogen von Jerusalem Mission; in diese Richtung weist jedenfalls auch die Tätigkeit des Philippus in Samaria nach der Vertreibung aus Jerusalem.

Es ist denkbar, daß sich analog zu den landsmannschaftlichen Synagogenverbänden auch innerhalb der christlichen Gemeinde von Jerusalem eine hellenistische Sondergruppe unter der Leitung des Stephanus bildete. Die Hellenisten unterschieden sich allerdings von der streng judenchristlichen Gemeinde darin, daß sie das Kultgesetz und den Tempelkult nicht mehr für verbindlich hielten. Die Sonderstellung der Gruppe wurde jedenfalls verhältnismäßig schnell erkannt, und die erste Verfolgung traf nur sie, mit Stephanus als erstem Märtyrer. Die Judenchristen konnten wohl in der Stadt bleiben. Die Vertreibung aus Jerusalem führte allerdings zur Verbreitung der Mission auch außerhalb Palästinas.

 

Die Missionsmethode des Paulus bestand darin, in den regionalen Zentren zu wirken und dort solange zu bleiben, bis es eine selbständige Gemeinde gab, die das Hinterland missionarisch durchdringen konnte. Nur so konnte er in Röm 15,23 sagen, er habe im Osten des Reichs kein Arbeitsfeld mehr. Paulus blieb nie lange Zeit, sondern entließ die junge Gemeinde ziemlich schnell in die Eigenverantwortung. Die Gemeinden tauschten dann die Briefe des Paulus untereinander aus.

In der Großstadt Antiochia entsteht das zweite große christliche Zentrum, in dem nicht mehr nur Judenmission getrieben, sondern auch Heiden in die Gemeinde aufgenommen wurden. Hier in Antiochia wird zugleich die Eigenart des Christentums gegenüber dem Judentum von der Öffentlichkeit erkannt: Sie erhalten möglicherweise von den römischen Behörden, den von „Christus“ abgeleiteten Namen „Christen“ (Christianoi).

 

 

 

 

Urgemeinde

 

Die Gemeinde ist natürlich entstanden aus dem Auftreten und der Lehre Jesu. Sie war die Voraussetzung für die Entstehung der Kirche. Aber Jesus hat keine Kirche gegründet (das Wort kommt nur einmal in Mt 16,18-19 vor). Die Ankündigung des nahen Gottesreichs vertrug sich nicht mit dem Gedanken an eine organisierte Kirche.

Erst nach Ostern ist die Kirche entstanden, ihr Dasein ist als von Anfang an mit der Auferstehung verknüpft. Aber sie blickt dabei auf das abgeschlossene irdische Leben Jesu zurück  und hielt seine Worte und Taten fest. Die Formgeschichte sprach der Urgemeinde dabei ein unwahrscheinlich schöpferisches Vermögen zu.  Man sah sie als ein anonyme Masse, die in aller Freiheit ihren Eingebungen folgt, ohne Zielrichtung und ohne Kontrolle.

Aber schon die frühe Kirche hatte sich qualifiziert mit  zwei Gefahren auseinanderzusetzen: Die Gnostiker wollten die Wahrheit in einer abgesonderten Geheimtruppe verschließen und deshalb mußte die Kirche ihre Weltlichkeit betonen, wie das in den Pastoralbriefen geschah. Gegen die Gefahr der Verweltlichung betonte die Kirche ihr Eigenart - nämlich die Abhängigkeit vom Heiligen Geist - in den Johannesbriefen, die sich an eine Gruppe richten, die im Rahmen der Kirche auftraten.

 

Methodisches zur Ermittlung des Bekenntnisses (Kerygmas) der ersten Christenheit

Die Verkündigung der ersten Christenheit ist durch keine direkten Quellen überliefert, sondern ist nur in ihrer Weitergabe und Umprägung der Schriftsteller des Neuen Testaments erhalten. Auf folgenden Wegen kann aber das Bekenntnis der Urgemeinde erschlossen werden:

  • Literarkritische Aussonderung vor allem von Bekenntnisbruchstücken (Röm 1,3-4)

   und liedhaften Stücken  (Phil 2,6-11).

  • Feste geprägte Wendungen (zum Beispiel Titel) übernehmen die Verfasser aus ihrer Tradition und schaffen sie nicht selbst
  • Rückschlüsse aus den Briefen und den Evangelien.

Von schlechtem Quellenwert ist die Apostelgeschichte, denn diese zeichnet das Bild, das man sich gegen Ende des ersten Jahrhunderts von den Anfängen der Kirche mach­te. Daher dürfen Informationen aus der Apostelgeschichte  nur in enger Verbindung mit den anderen Quellen ausgewertet werden.

 

Für das literarkritische Herauslösen von vor allem von hymnischen Texten aus ihrer Umgebung ergeben sich folgende Richtlinien:

  • „Prädikationsstil“: Taten und Eigenschaften der Gottheit werden preisend und rühmend aufgezählt.
  • Einfache satzhafte  Gedankenführung: Keine Beweisführung oder Begriffsbildung, sondern Aufruf. Folglich fehlen komplizierte Satzkonstruktionen.
  • Häufung von Partizipialkonstruktionen und Zurücktreten finiter Verbformen.
  • Rhythmus: Anders als in der griechischen Verslehre ist nicht die Menge, sondern die Anzahl der Hebungen und Senkungen entscheidend.
  • Kunstvoller Aufbau: Wiederkehr gleichlautender Wendungen und Gliederung in Strophen.

 

Die Ausgrenzung aus dem Umgebungstext wird erleichtert, wo Texte ausdrücklich als Zitat eingeleitet werden (oder durch Einleitungsformeln gekennzeichnet werden). Dazu kommen Brüchen im Umgebungstext, Sprache, Wortwahl und Stil.

Nachdem die Abgrenzung herausgestellt ist, müssen Zusätze, Umformulierungen anhand von ähnlichen Brüchen innerhalb des Hymnentextes erkannt werden, um den Hymnus endgültig wiederherzustellen. Ob Hymnen vollständig sind, läßt sich methodisch kaum entscheiden; lediglich ist oft erkennbar, daß der ursprüngliche Anfang fehlt, da die Hymnen mit einem Relativsatz angeschlossen werden.

 

Lehre von Christus

Für eine Darstellung der Entwicklung der Christologie im Urchristentum gibt es keine unmittelbaren Quellen. Bei Paulus ist sie bereits abgeschlossen. Lediglich finden sich Reste aus den verschiedenen Stufen im ganzen Neuen Testament verstreut. Folgende Vorbedingungen werden allgemein gesetzt, um diese in eine theologiegeschichtliche Entwicklung einzuordnen:

  • jüdisch-palästinische Vorstellungen sind älter als rein griechische.
  • da jüdisches Denken in erster Linie  (heils-) geschichtlich ausgerichtet ist, sind geschichtlich-biographische Aussagen älter als natur-raumhafte, die eher griechischem Denken entstammen.
  • im Laufe der Entwicklung wird immer stärker die Gottheit Jesu herausgestellt und seine Einsetzung zum Gottessohn immer weiter vorverlegt.

 

Entwicklungsstadien:

Auf diesem Hintergrund gibt es folgende Entwicklungsstadien der urchristlichen Lehre von Christus:

  • Zwei-Stufen-Christologie: Jesus Christus ist ein gewöhnlicher Mensch, wird aber durch Gottes Tat in der Auferweckung zum Sohn Gottes eingesetzt (Beispiel: Röm.1,3-4)
  • Die Lösung des Sohnestitels von der Erhöhungsstufe: Dabei sind mehrere Zwischenstufen denkbar: Adoption bei der Taufe (Mk1,11), Jungfrauengeburt (Lukas und Matthäus),  Gesandtenlehre (Röm 3, 3), wobei ein Dasein von Anfang an vorausgesetzt ist. Ziel dieser Vorverlagerung der Gottessohnschaft: Bereits im irdischen Wirken Jesu ist bereits derselbe wie der Erhöhte wirksam. Dieser Irdische ist ganz und gar dem Vater zuzuordnen und nicht von ihm zu trennen. Wo Jesus als Gesandter des Vaters verstanden wird, ist bereits im Rahmen griechischer Voraussetzungen gedacht: Man will zum Ausdruck bringen, daß Jesu Erscheinen ein Geschehen ist, durch das Gott die Welt gleichsam von außen her aufsprengt und das deshalb nicht dem Bereich innenweltlicher Heil- und Hoffnungslosigkeit entstammt.
  • Den Abschluß findet die Entwicklung dann in der Drei-Stufen-Lehre: Das erstmals in Phil 2,6-11 vorliegende Schema läßt sich religionsgeschichtlich nicht ableiten, ist aber am ehesten zu begreifen als eine Weiterführung des bereits im judenchristlichen Zwei-Stufen-Schema vorgegebenen Grundgedanken des Weges Jesu: Sein Weg ins Leiden wurde dabei als ein die Welt von außen in Frage stellendes Geschehen aufgefaßt: Jesus erscheint so als der schon immer Daseiende, der seinen Ursprung außerhalb der Welt hat und der Teilhaber des guten Schöpfungswerkes Gottes ist. Die Erhöhung wurde dann als Entmachtung der den Kosmos beherrschenden feindlichen Gewalten verstanden.

 

Jungfrauengeburt:

Die Jungfrauengeburt ist lediglich bei Matthäus und Lukas bekannt. Ihr Hintergrund ist in zwei Richtungen zu suchen:

  • Im griechisch bestimmten Judentum nahm man Vorstellungen der griechischen Umwelt auf und sprach von der wunderbaren Abkunft hervorragender Gottesmänner - wie zum Beispiel Mose.
  • Ferner dürfte die Übersetzung von Jesaja 7,14 in der griechischen Bibel, wo die „junge Frau“ mit „Jungfrau“ (parthenos) wiedergegeben wird, eine wesentliche Quelle für die neutesta­mentliche Jungfrauengeburt sein. Indem man von der „Jungfrauengeburt“ Jesu redete, wollte man aussagen, daß Jesus der Gottessohn ist. Im Unterschied zu griechischen Erzählungen von der heiligen Vereinigung einer Gottheit mit einem Menschen sind die Geschichten des Matthäus und Lukas überaus behutsam und zurückhaltend. Ihr Interesse liegt ausschließlich bei der Hervorhebung des Auftrags, den der Sohn Gottes erfüllen wird.

 

Dasein von Anfang an  (Präexistenz) und Drei-Stufen-Lehre von Christus (Christologie):

Eine Christologie eigener Prägung begegnet in den großen Christushymnen des Neuen Testaments:

  • Phil 2,6-11: Der Gottgleiche entäußert sich und wird Mensch, er ist gehorsam (bis zum Tod am Kreuz) und wird deshalb von Gott erhöht zum Herrscher über die ganze Schöpfung.
  • Kol 1,15-20: Das Ebenbild Gottes und der Erstgeborene der Schöpfung, durch den alles geschaffen ist, der das Haupt (der Kirche) ist, ist der Erstgeborene aus den Toten und versöhnt die Schöpfung mit Gott.
  • Joh 1,1-18: Das uranfängliche, göttliche Wort (Logos), in dem das Leben und Licht ist, kommt in seine finstere Welt (Kosmos) und gab allen, die an ihn glaubten, die Möglichkeit gerettet zu werden.
  • 1. Tim 3.16: „Er wurde offenbart im Fleisch, gerechtfertigt durch den Geist, geschaut von den Engeln, verkündet unter den Heiden, geglaubt in der Welt, aufgenommen in die Herrlichkeit“.
  • Hebr  l,3-4: „Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt; er ist um so viel erhabener geworden als die Engel. wie der Name, den er geerbt hat, ihre Namen überragt“.
  • 1. Petr 2,21-25: Christus, der sündlose, hat widerstandslos gelitten und damit unsere Sünden getragen.

Mit Ausnahme von 1. Petr 2,21-25 begegnet in allen diese Hymnen die sogenannte „Drei-Stufen-Christologie“, die den Weg Christi von dem Dasein von Anfang an über Erniedrigung zur Erhöhung zeigt.

Ferner haben die Hymnen einen Bezug zur Welt: Nicht die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Geschichte, sondern die nach seiner Stellung in der Welt bilden den Bezugsrahmen dieser Lehre.

Außerhalb einer expliziten Drei-Stufen-Christologie findet sich die Präexistenz-Vorstellung auch noch bei Paulus (1. Kor 8,6). Dort ist es der „Herr, durch den alle Dinge sind“. Auffallend ist allerdings, daß nirgendwo im Neuen Testament die Jungfrauengeburt und die Präexistenzvorstellung miteinander verbunden werden.

 

 

Auferstehung

Erzählungen vom leeren Grab:

Die älteste Darstellung liegt in Mk 16,1-8 vor und läßt folgende wichtige Elemente erkennen:

  • Zeitangabe (der Tag nach dem Sabbat) und Begründung des Grabbesuchs der Frauen.
  • Leerfindung des Grabes.
  • Erscheinung des Deute-Engels mit Auferstehungsbotschaft und Auftrag an die Jünger und an Petrus.
  • Flucht und Nichtbefolgung des Auftrags wegen Furcht.

Die Weiterentwicklung dieser Darstellung ist davon gekennzeichnet,

geschichtliche und theologische Schwierigkeiten zu beseitigen:

  • So wird die Geschichte vom leeren Grab mit der Erscheinung des Auferstandenen verbunden (Mt 28,9-19 und Joh20,14-18).
  • Die Nichtbefolgung des Auftrags wird in eine prompte Befolgung umgewandelt (Mt 28,8 und Lk 24,9 und Joh 20,18). Damit wird die Kenntnis der Jünger vom leeren Grab hervorgehoben.
  • Die unzureichende Zeugenfunktion der Frauen wird bei Johannes durch die Einführung des Petrus und des Lieblingsjüngers in die Geschichte behoben (Joh 20,3-10).

Alle diese Anstößigkeiten an der ältesten Version lassen vermuten, daß darin älteste Tradition mit einem historischen Kern verarbeitet ist.

 

Erzählungen von Erscheinungen vor dem Zwölferkreis (Gruppenerscheinungen):

Trotz der erheblichen Unterschiede läßt sich in Mt 28,16-20 und Lk 24,36-53 und Joh 20,19-23 ein gemeinsames Grundschema erkennen:

  • Der Auferstandene erscheint den ratlosen und furchtsamen Jüngern, die ihn zunächst nicht erkennen bzw. durch das Sehen in ihrer Ratlosigkeit und Furcht noch bestärkt werden.
  • Erst durch die Anrede kommt es zum Erkennen. Ist damit die Erscheinung als worthaftes Geschehen gekennzeichnet?
  • Mittelpunkt bzw. Abschluß bildet jeweils ein Sendungswort, das von der neuen Situation. der Erhöhung Jesu ausgeht. Es wird ein konkreter Auftrag erteilt und dazu Beistand verheißen.
  • Gegen die Meinung, Jesus sei nur ein Geistwesen gewesen, richtet sich das Motiv des Vorzeigens der Wundmale (nur Lk 24,39 und Joh20,20). das Betasten (Lk 24,39 und Joh 20,25) und das betonte Essen des Auferstandenen vor den Jüngern (Lk 24.41-43). Diese Motive sind wohl erst auf Bearbeitungen der Evangelisten zurückzuführen.

 

Erzählungen von Erscheinungen vor einzelnen Jüngern: Hierzu sind zu rechnen:

  • Emmaus-Geschichte (Lk 24,13-35): Jesu Tod und Auferstehung als Erfüllung des Alten Testaments.
  • Thomas-Erzählung (Joh 20,24-29): Problem der Augenzeugenschaft.
  • Petrus-Erzählung des Nachtragkapitels bei Johannes (Joh 21,15-23): Treue des Auferstandenen zum untreuen Jünger und fester Übergang zwischen Jüngerschaft und Kirche.

 

Gemeinsame Charakteristik verbindet diese Geschichten:

  • Sie sind novellistisch ausgestaltet mit hohem Interesse an den Widerfahrnissen der Handlungsträger.
  • Ihr erzählerisches Ziel ist die Gleichsetzung mit den Handlungsträgern: Die Leser sollen an den Erfahrungen und Lernprozessen der Menschen, von denen erzählt wird, Anteil haben.
  • Diese Erzählungen sind wohl ziemlich späte Bildungen, die bereits einen längeren theologischen Überlegungsprozeß voraussetzen. Allerdings ist damit zu rechnen, daß in ihnen wenigstens zum Teil Elemente älterer Traditionsstücke aufbewahrt sind. Die verschiedenen Überlieferungen sind schließlich im sekundären Markus-Schluß zu einer Art Evangelien-Harmonie verarbeitet worden.

 

Gemeinsamkeiten in allen Überlieferungsformen:

  • Interessant ist, daß es keine neutestamentliche Schilderung des Auferstehungsvorganges selbst gibt (erst im Petrus- Evangelium). Lediglich Mt 28, 2-3 bietet eine knappe Andeutung, daß sich ein großes Erdbeben ereignet habe und ein Engel vom Himmel gekommen sei und dem Stein beiseite gewälzt habe.
  • Die Erscheinungen sind ein Widerfahrnis. Es richtet sich an einen bestimmten Kreis von Menschen, um ihnen einen bestimmten Auftrag zu geben. Die Ostererscheinungen sind aus diesem Grunde auf einen festen Kreis von Zeugen ein­grenzbar
  • Die Auferstehungserfahrungen bearbeiten in einigen Fällen das gespannte Verhältnis der Jünger zu Jesus, so bei Petrus (Joh 21,15-18) und Paulus.

 

Zur geschichtlichen Rekonstruktion der Auferstehungserzählungen:

Übereinstimmend äußert sich die Auferstehung Jesu in allen Ostererzählungen in Form von Erscheinungen. Die Jünger berichten, sie haben den Auferstandenen leibhaftig gesehen. Erst diese Erscheinungen lassen das noch mehrdeutige leere Grab verstehen und begründen nach einhelligem Zeugnis den nachösterlichen Glauben. Geschichtlich läßt sich über die Art und Weise dieser Erscheinungen nichts mehr sagen. Alle Möglichkeiten zwischen reiner Einbildung bzw. Beeinflussung und übernatürlicher Gegenwart des Auferstandenen sind dabei denkbar.

Dennoch läßt sich einiges vermuten über die Bedeutung der Erscheinungen für die Jünger­gruppe nach Ostern und über ihre Lokalisierung:

• Die Erscheinungen lösen durchgehend Verwirrung, Furcht und Zweifel aus. Die Angst der

  Jünger nach der Kreuzigung, ihre Verstreuung und Enttäuschung wurde also durch eine neue

  Erfahrung mit ihrem Meister Jesus überwunden, die sie als nicht aus sich selbst hervorge-

  bracht, sondern von außen verursacht empfanden. Das spricht dagegen, die Ostergeschich­ten

  als bewußte Einbildung der Jünger anzusehen.

• Die älteste Ostergeschichte ist wohl die Erzählung vom leeren Grab. Ihre älteste Darstellung

  zeigt wohl Mk16,1-8. Über ihren geschichtlichen Wert gibt es unterschiedliche Meinungen:

  • Rudolf Bultmann hält sie für eine verteidigende (apologetische) Legende, die die Wirklichkeit der Auferstehung beweisen wolle
  • Andere (zum Beispiel Campenhausen und Wilckens) sehen in der Geschichte einen geschichtlichen Kern. Für diese Einstellung spricht folgendes:
    • Eine verteidigende Funktion der Geschichte kann schon aufgrund der mangelnden Zeugnisfähigkeit der Frauen nicht zentral sein.
    • Das leere Grab erregt Furcht und Verwirrung, nicht Glauben. Es kommt nicht zur Befolgung des Auftrags. Dies wären in einer verteidigenden Geschichte ungewöhnliche Züge.
    • Mk 16,1-8 kennt eine befremdliche örtliche und zeitliche Distanz zwischen der Findung des leeren Grabes und den Erscheinungen, die erst in der weiteren Ausgestaltung der Überlieferung überbrückt wird.

 

Es sind also einige eher unbequeme Züge an dieser Geschichte, die darauf schließen lassen, daß in ihr geschichtliche Erfahrungen mit dem Auffinden des leeren Grabes überliefert sind. Damit wäre das leere Grab ein Festpunkt für die Untersuchung der Ostererfahrungen:

  • Es gibt eine grundsätzliche Unterschiede in der Lokalisierung der Erscheinungen: Während Markus und Matthäus alle Erscheinungen (mit Ausnahme derer beim leeren Grab) in Galiläa ansiedeln, sind bei Lukas alle Ostergeschichten bei und in Jerusalem lokalisiert. Im Johannes-Evangelium sind beide Überlieferungsstränge miteinander verbunden: Kapitel 20 kennt die Jerusalemer Ortstradition und das Nachtragskapitel 21 die galiläischen Erscheinungen. Historisch wahrscheinlicher ist die Lokalisierung der Erscheinungen in Galiläa. Dafür spricht:

- Joh 21 setzt voraus, daß die Jünger wieder ihre alten Berufe aufgenommen

  hatten und dazu nach Galiläa gegangen waren. Dies paßt zu dem Motiv der

Furcht und der Flucht Dann müssen aber die ersten Erscheinungen in Galiläa

geschehen sein.

    - Die Erscheinungsberichte, die an die Erzählung vom leeren Grab anknüpfen,

 lassen sich gut als Verbesserung dieser anstößigen Erzählung verstehen. Hier

 wird also das Erscheinungs-Motiv sekundär mit dem leeren Grab und damit 

 Jerusalem verknüpft.

    - Die Konzeption des Lukas sieht Jerusalem als das durch die Heilsgeschichte

 bestimmte Bindeglied zwischen dem alttestamentlichen Gottesvolk, der Ge-

 schichte Jesu und dem Weg der Kirche, der in Jerusalem seinen Anfang

 nahm. Lukas hat damit ein klares Motiv für die Lokalisierung der Erschei-

 nungen in Jerusalem. Johannes scheint von  der Tradition des Lukas beein-

 flußt.

  • Zentraler Zeuge für die Auferstehung Jesu ist Petrus. Er wird sowohl in der Formel 1. Kor 15,5 als auch bei den Evangelisten (außer bei Matthäus) als hervorragender Auferstehungszeuge genannt. Sollte Petrus die erste Erscheinung gehabt haben?
  • Die Erscheinungs-Erzählungen sprechen immer wieder von einer Beauftragung zur Verkündigung, entweder an andere Jünger oder an die Welt.
  • Nach einigen Erscheinungen entschlossen sich die nach Galiläa zurückgekehrten Jünger wohl, erneut nach Jerusalem zu gehen und dort auf die weiteren Endzeitereignisse zu warten. Ist es denkbar, daß diese Rückkehr am Pfingstfest erfolgte und die Pfingsterfahrung in Apg 2 gleichzusetzen ist mit der in 1, Kor 15,6 erwähnten Selbstkundgabe des Auferstandenen vor einem Kreis von 500 Brüdern?
  • Durch Verbindung der Erscheinungen mit den Berichten vom leeren Grab kam es wohl (erst nachträglich) zur Datierung der Auferstehung auf den dritten Tag.
  • Die Reihe der Erscheinungen hat sich wohl über längere Zeit fortgesetzt. In späterer Zeit werden die Erscheinungen auf die kurze Zeit unmittelbar nach dem Tod Jesu konzentriert, bei Lukas werden sie durch die Himmelfahrt beendet.

 

Die Kirche

Das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde:

Die erste Christenheit versteht sich als das Israel Gottes, das heilige Gottesvolk der Endzeit, dem die Verheißungen der Schrift gelten und der Wille Gottes gesagt ist. Auch das griechisch geprägte Christentum hält an dieser Verwurzelung in jüdischer Heilsgeschichte fest.

  • Die Urgemeinde versammelt sich in Jerusalem, das heißt im Zentrum Israels.
  • Die Gemeinde erhebt ihren Anspruch, indem sie Bezeichnungen des Alten Testaments auf sich bezieht: Israel Gottes, Volk des Eigentums, königliche Priesterschar, heiliges Volk.
  • Eine wichtige Bezeichnung des Alten Testaments (kahal) wird aufgenommen. indem sich die Gemeinde als „Ekklesia“ (Versammlung) bezeichnet. Der urchristliche Sprachgebrauch macht keinen Unterschied zwischen der Gesamtkirche und den einzelnen Ortsgemeinden. Gemeint ist offenbar, daß sich die Kirche in den einzelnen Gemeinden konkretisiert.
  • Die Gemeinde versteht sich als die Gemeinde des neuen Bundes. Dadurch hat Gott die Verheißung der Propheten wahr gemacht.
  • Die kirchliche Organisation ist noch nicht durchstrukturiert. „Die Gemeinde in Jerusalem genießt zwar auch weithin ein besonderes Ansehen, aber ihr Rang ist nicht rechtlich festgelegt.  Die einzelnen Gemeinden wissen sich als Teil der einen Kirche, aber diese Einheit stellt sich nicht in einem organisatorischen Zusammenschluß dar.

 

Heidenmission:

Zunächst wurde nicht daran gedacht, auch außerhalb Israels zu missionieren. Die Jerusale­mer Urgemeinde verkündete zunächst den gekreuzigten und auferstandenen Christus als Messias Israels.  Dabei wurde wegen der Naherwartung nicht damit gerechnet, mit der Botschaft an alle Städte Israels rechtzeitig fertig zu werden (Mt 10,23). Petrus war offenbar der erste aus dem Zwölferkreis, der mit Heiden einen Kontakt hatte und die Erfahrung machte, daß auch ihnen der Geist verliehen wurde (Apg.10,1-11). Doch zu einer grundsätzlichen Entscheidung für eine Mission unter den Völkern führte dies noch nicht.

Ein erster Anstoß zur Mission unter den Heiden ging wohl vom griechisch geprägten Stephanus-Kreis in der Jerusalemer Urgemeinde aus, der auf Grund seiner Tempel- und Gesetzeskritik Jerusalem verlassen mußte. So kam es zur Ausbreitung des Evangeliums in Samaria, Syrien und Antiochia. Um die Synagogen  in fast allen Städten der damaligen Welt sammelten sich größere Kreise sogenannter „Gottesfürchtiger“, also Sympathisanten, die den Übertritt zum Judentum wegen der notwendigen Beschneidung und seinen Folgen scheuten. Viele von ihnen wandten sich der christlichen Botschaft zu.

Die Mission auch an den Heiden wird bald als Auftrag des Erhöhten verstanden. War der Irdische noch auf Israel begrenzt, so ist nach Verständnis der griechischen Gruppen nun Jesus der Herr über die ganze Welt. So folgt daraus auch die Mission unter allen Völkern.

 

Zusammenleben von Juden und Heiden:

Das Zusammenleben von Juden und Heiden in der christlichen Gemeinde mußte geregelt werden. Zunächst forderten die Judenchristen bei einer Bekehrung der Heiden, daß sie nicht nur die christliche Botschaft annahmen, sondern sich auch Israel eingliederten (Beschneidung und Gesetz). Dies entsprach der Vorstellung, daß Jesus als Messias Israels verstanden hatte. Doch dann wurde auch die Erfahrung gemacht, daß Heiden, die sich nicht beschneiden ließen, auch den Geist empfingen (Apg 10,1-11). Konnte also das Gesetz verbindlich auch für die Heiden sein?

Die Fassung des Apostelkonventes bei Lukas Apg 15,20-29 gibt hierzu die Lösung (Paulus kennt sie allerdings nicht): Es geht um Unterwerfung der Heiden unter gesetzliche Mindestforderungen (kein Götzenopfer, keine Hurerei, kein Genuß von Ersticktem und von Blut). Als später das Judenchristentum an Bedeutung verlor, wurde der Sinn dieser Bestimmungen nicht mehr verstanden. Eine endgültige Lösung wurde erst von Paulus gefunden.

 

 

Taufe

Es gibt bei der Taufe - wie in der Frage des Abendmahls - zwei Fragerichtungen:

  • Wiederherstellung der Anfänge und der ursprünglichen Bedeutung der Taufe
  • Auslegung der Taufe durch das frühe Christentum.

Für die Taufe fehlt eine Überlieferungsbasis, wie sie für das Abendmahl gegeben ist. Es findet sich keine ausdrückliche Tauflehre.

 

Die älteste Taufpraxis:

Die Taufe wurde von Anfang an in allen Gruppierungen des Urchristentums ausgeübt. So verbindet die Apostelgeschichte die ersten christlichen Taufen mit der Geistausgießung an Pfingsten und erzählt auch weiter von einer Reihe von Taufen. Dem entspricht, daß Paulus das Getauftsein aller Christen nicht nur in den von ihm gegründeten Gemeinden, sondern auch in der nicht von Aposteln gegründeten römischen Gemeinde  voraussetzt.

 

Äußerer Vollzug:

  • Es gab keine Selbsttaufe (wie bei den jüdischen Waschungen), sondern die Taufe wurde durch einen Täufer vollzogen.
  • Der Täufer hatte zu prüfen, ob ein Grund zur Verweigerung der Taufe vorlag.
  • Die Taufe erfolgte durch Untertauchen in Wasser und nur in Ausnahmen durch Übergießen des Kopfes mit Wasser.
  • Der Täufer rief dabei den Namen Jesu an; später wurde das erweitert zur dreigliedrigen Formel.
  • Der Täufling legte ein Taufbekenntnis ab, zunächst wohl nur die Formel: „Herr ist Jesus“. Der Taufunterricht scheint in der Anfangszeit keine Voraussetzung für die Taufe gewesen zu sein.
  • Zum Zeichen der Geistverleihung legte der Täufer dem Täufling die Hand auf, entweder vor dem Tauf­akt oder nach dem Taufakt.

 

Was geschieht in der Taufe:

Die zentralen Punkte nennt Apostelgeschichte 2, 38: „Kehrt um und lasse sich ein jeder von euch taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen:

  • Umkehr und Sündenvergebung: Berührung mit anderen religiösen Waschungen
  • Rückbezug auf Jesus: Formel „auf den Namen Jesu“ (Apg 10,38)
  • Gabe des Geistes
  • Eingliederung in das Gottesvolk der Endzeit: Taufe als Aufnahme- Ritus.

 

Der Ursprung der christlichen Taufe:

Eine Zurückführung auf den irdischen Jesus ist nicht möglich Er hat sich zwar von Johannes taufen lassen, doch haben er und seine Jünger während seines Wirkens nicht getauft. Grund: Jesu Verkündigung der Gottesherrschaft war nicht Gerichtsankündigung, sondern Heilszusage. In Jesus war die Erwartung, auf die die Johannestaufe zielte, erfüllt.

 

Die Taufe Jesu (Mk. 1,9-11):

Auch sie gibt keine hinreichenden Anhaltspunkte zur direkten Herleitung der Taufe von Jesus. Die Spitze des Stückes liegt eindeutig in der Aussage über Christus in den Versen 10 bis 11. Im Unterschied zu den Abendmahlsworten bei Markus fehlen diesem Abschnitt zudem alle Züge einer Herleitung eines Kultes. Das heißt: Es deutet nichts darauf hin, daß jemals die urgemeindliche Taufpraxis von ihr her begründet worden wäre. Dies gilt noch stärker für die anderen Evangelisten, die den eigentlichen Taufakt noch mehr in den Hintergrund drängen.

 

Der Auferstandene und sein Taufbefehl:

Die beiden Stellen Matthäus 29,19-20 und Markus 16,15  reichen zur Erklärung der Entstehung der Taufe nicht aus: Die Markus-Stelle gehört zum sogenannten „unechten Markus-Schluß“, der in wichtigen Handschriften fehlt. Die Matthäus-Stelle gehört zur feierlichen Schlußszene des Evangeliums, die stark redaktionell gestaltet ist. So mag sie zwar auf eine Erscheinung des Auferstandenen zurückführbar sein, doch ist die Erwähnung der Taufe sicher erst vom Evangelisten eingebracht worden unter Benutzung liturgischer Tradition. Matthäus 28 liefert keine geschichtliche Herleitung der Taufe, sondern eine theologische Begründung.

 

Verständnis der Gemeinde:

Die Urgemeinde hat die durch den Täufer als Vorbereitung auf das endzeitliche Kommen Gottes vorgeprägte Taufe nach Ostern aufgenommen und vom Christusgeschehen her mit einem neuen Inhalt gefüllt. Die Gemeinde lebte in der Gewißheit, daß mit Jesu Tod und Auferstehung die Endzeitereignisse angebrochen waren. Wollten sich die Gemeindeglieder dem unterstellen, so bot sich die Taufe als sichtbares Zeichen an. Dies lag schon deshalb nahe, weil Jesus die Johannestaufe als Zeichen der endzeitlichen Umkehr anerkannt hatte. Die Taufe war nun aber nicht mehr nur Vorbereitung auf das kommende Gericht, sondern Ausdruck an das in Jesus heilvoll Geschehene. So läßt sich vielleicht sagen, daß die Taufe nach Ostern an die Stelle des vorösterlichen Rufes in die Nachfolge trat.

 

Neues Testament und Kindertaufe:

Joachim Jeremias bemüht sich um eine Rechtfertigung der Kindertaufe durch den Nachweis einer entsprechenden Taufpraxis im Urchristentum aus den Texten:

  • Taufe eines ganzen „Hauses“ („Oikosformel“).
  • Taufe von ehemaligen Juden auch mit Kindern und Säuglingen.
  • Sitz im Leben der Kindersegnung (Mk 10,13-16) sei die Unterweisung über die Notwendigkeit der Kindertaufe.
  • Überall in der alten Kirche (außer Ostsyrien) sei im zweiten Jahrhundert die Kindertaufe ein alter und fester Brauch.

Kurt Aland macht demgegenüber geltend:

  • Keine der angeführten Stellen lasse erkennen, daß sich Kinder im Haus befanden
  • Rückschlüsse von der Taufe ehemaliger Juden sind für das erste Jahrhundert schon aus zeitlichen Gründen nicht gerechtfertigt.
  • Aus 1. Kor 7,14 sei zu schließen, daß Kinder von Christen generell als geheiligt und sündlos galten und darum nicht getauft wurden.
  • Die Schriften der Kirchenväter lassen erkennen, daß sich die Kindertaufe erst vom dritten Jahrhundert an entwickelte und sich erst im vierten Jahrhundert unter dem Eindruck der Erbsündenlehre des Augustinus allgemein durchgesetzt habe.
  • Eine Begründung der Kindertaufe könne nicht vom Wortlaut der Bibel, sondern nur theologisch erfolgen, das heißt vom Wesen der Taufe her.

 

Bei den Formeln vom „ganzen Haus“ (Oikos-Formeln) allerdings ist der Befund keineswegs eindeutig, da die Kleinkindertaufe im Neuen Testament kein Thema ist:

  • Die Taufe hatte ihren selbstverständlichen Ort im Zusammenhang mit der Bekehrung. Sie markierte den Übertritt aus dem Machtbereich der Finsternis in den Machtbereich Christi. Von daher ist es nicht unwahrscheinlich, daß bei der Bekehrung eines Hauses auch Kleinkinder mitgetauft wurden. Die antike Großfamilie war ein umfassender Lebens- und Erfahrungsraum. So ist es durchaus selbstverständlich, daß der Familienvater bestrebt war, sein ganzes „Haus“ unter das in Jesus gegebene Heil zu stellen. Nach 1. Kor 7,12-16 war dies jedoch nicht der Regelfall.
  • Dieselbe Bibelstelle zeigt auch, daß die Taufe der zweiten Generation nicht selbstverständlich war: Die Heiligkeit der Mutter strahle gleichsam auf das Kind aus.
  • Bis mindestens im zweiten Jahrhundert herrschte die Vorstellung vor, daß Kleinkinder sündlos seien. Erst als die Vorstellung von der umfassenden auch die Kinder beherrschenden Macht der Erbsünde sich durchsetzte,  kam es zur Taufe von Neugeborenen.
  •  

 

Das Abendmahl

Überlieferung der Abendmahlsworte:

Die Einsetzungsworte sind in zwei Fassungen überliefert: Markus und Matthäus sowie Paulus und Lukas (Mk14,22-25 und Mt26,26 -29 und Lk. 22,19-20 und 1. Kor  11,23-26). Keiner dieser voneinander unabhängigen Fassungen kann von vornherein ein höheres Alter zugesprochen werden. Zwar ist Paulus der älteste literarische Zeuge im Neuen Testament, die Markusformel aber ist in höherem Grad von semitischen Sprachvoraussetzungen bestimmt. Unterschiede:

  • Hinzufügung von „der für euch gegeben wird“ beim Brotwort. Markus und Matthäus dürften wohl älter sein, da eine Deutung auf die Heilsbedeutung  eher eingetragen als ausgelassen wird.
  • Der Wiederholungsbefehl fehlt bei Markus und Matthäus, da er unnötig ist, weil liturgische Handlungen immer wiederholt werden.
  • Nach dem Essen wird erst der Kelch genommen: Paulus und Lukas dürften hier älter sein, denn hier fehlt noch die liturgische Trennung von Abendmahl und Sättigungsmahl.
  • Das Becherwort ist sehr unterschiedlich überliefert: „Mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird“ (Markus) - „Mein Blut des neuen Testaments, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden“ (Matthäus) - „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, vergossen für viele“ (Lukas).

Welche der Fassungen älter ist, ist schwer zu entscheiden, sicher sind alle Hinzufügungen sekundär. Wenn das Kelchwort auf Jesus selbst zurückgeht, dann hat bereits er seinem Sterben eine Heilsbedeutung für andere zugemessen.

In der Praxis der Kirche hat man einen Mischtext geformt: „Unser Herr Jesus Christus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und gab’s seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird zur Vergebung der Sünde. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Abendmahl, dankte, gab ihnen den und sprach: Nehmt hin und trinket alle daraus. Dieser Kelch ist das Neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Solches tut, so oft ihrs trinket, zu meinem Gedächtnis“ (so steht es auch im Katechismus und so sollte auch jeder Pfarrer die Worte verwenden und nicht eigene Formulierungen mit hineinbringen).

 

Anfänge der nachösterlichen Mahlfeier:

Man hat den Schluß gezogen: Die Jerusalemer Gemeinde hat zunächst nach Ostern Gemeinschaftsmahle gehalten, die dem Modell jüdischer Festmahle folgten. Sie waren eine Fortsetzung der Mahlzeiten des irdischen Jesus mit seinen Jüngern im Lichte des Osterjubels. Die griechisch geprägten Gemeinden haben unter dem Einfluß heidnischer Mysterienkulte und Totengedächtnisfeiern eine andere Abendmahlsform entwickelt, in der die Gläubigen des Todes Jesu als ihrer Kultgottheit gedachten und die sakramentale Gemeinschaft mit seinem Fleisch und Blut vollzogen. Dagegen spricht aber:

  • Die These stützt sich zu stark auf Texte der Apostelgeschichte, ohne deren Quellenwert zu berücksichtigen.
  • Die Abendmahlstexte, die als Bildung der hellenistischen Gemeinde gelten, haben ein stark semitische Sprachfärbung, wenigstens die Grundelemente müssen auf palästinisch judenchristliche Überlieferung zurückgehen.
  • Paulus führt die Herrenmahlstradition ausdrücklich auf einen Überlieferungsvorgang zurück („Ich habe es nämlich vom Herrn empfangen, was ich euch auch überliefert habe...“ (1.Kor 11,23).
  • Weder für Markus noch für den 1. Korintherbrief ist das für die hellenistischen Mysterien grundlegende Motiv des Nachvollzugs des Schicksals der Kultgottheit aufweisbar, sondern das Mahl ist Erinnerung als Ankündigung eines vollzogenen Geschehens.
  • Gegen eine Entstehung im hellenistischen Raum spricht ferner, daß palästinische Tischsitten vorausgesetzt werden.

Die Erinnerung an den Tod des Herrn hat schon kurze Zeit nach Ostern grundlegende Bedeutung für das Mahl gewonnen. Daß Jesu letztes Mahl ein Passahmahl war, ist wahrscheinlich. Daß der besondere Charakter dieses Mahles aber in der Aufnahme und Neu-Auslegung von Passahmotiven bestand, läßt sich jedoch nicht belegen. Das Herrenmahl geht nicht auf eine Einsetzung durch Jesus selbst zurück, sondern ist erst in der Gemeinde entstanden.

Der Rückbezug auf den irdischen Jesus:

Die Mahlgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern - aber auch mit seinen Jüngern - gehört zu den charakteristischsten Zügen des Wirkens Jesu. Wenn Jesus Tischgemeinschaft gewährte, so bedeutete dies, daß dem Eingeladenen die Gemeinschaft mit Gott, Bejahung und Annahme zuteil wurde. Diese Mahlgemeinschaft war bereits in Vorwegnahme das Gottesvolk der Endzeit. Jesus gewährte Mahlgemeinschaft unter Berufung auf Gott und gegen den Widerstand maßgeblicher jüdischer Kreise.

Das Sterben Jesu brachte nicht nur den äußerlichen Abschluß dieser Gemeinschaft, sondern stellte sie zugleich sachlich in Frage. Durch seinen Kreuzestod war Jesus in der Öffentlichkeit als Gescheiterter und von Gott Verworfener angeprangert worden, der von ihm im Namen Gottes gewährten Gemeinschaft wurde also der Boden entzogen. Von diesem Standpunkt aus erhält die Mahlhandlung in der letzten Nacht einen positiv wirksamen Sinn: Jesus ermöglichte durch sie die Fortsetzung der Mahlgemeinschaft über seinen leiblichen Tod hinaus, indem er seinen Tod als ein von Gott bejahtes Geschehen in die Mahlgemeinschaft hineingab.

 

Die Entwicklung des Abendmahls bis zum Ende der apostolischen Zeit:

a.) Die äußere Gestalt: In Jerusalem war das Mahl vermutlich zunächst täglich begangen worden, in den griechischen Gemeinden bürgerte sich wohl die Feier am Herrentag (erster Tag der Woche) ein. Es wurde wechselweise in den Häusern der Gemeindeglieder gehalten (und hatte die Form eines Sättigungsmahles, das durch Brotbrechen und Brotwort eröffnet und durch den Segenskelch und das Becherwort abgeschlossen wurde.

Grundlegend ist der endzeitliche Bezug des Herrenmahls: Indem die Gemeinde der Wiederkunft entgegenblickt, bleibt sie sich dessen bewußt, daß sie sich auf der Wanderschaft befindet bis zu dem Tag, an dem sie mit ihrem Herrn vereint sein und mit ihm das messianische Freudenmahl feiern wird.

b.) Die Kontroverse des Paulus mit den Korinthern: In Analogie zu den Mysterienkulten bahnte sich in Korinth eine Sinnverschiebung des Mahls an. So sah man auch Fleisch und Blut des Herren als eine übernatürliche Speise, die dem Essenden und Trinkenden himmlische Tatsachen vermitteln konnte. Über dein Verständnis der Korinther, das Abendmahl sei wunderbare Speise für den Einzelnen, wurde der Gemeinschaftsbezug vergessen.

Die Stellungnahme des Paulus ist darum deutlich: Das Mahl ist nicht Sache des Einzelnen, sondern der Gemeinde. Eine Mahlfeier, bei der der Bruder übersehen wird, ist kein Herrenmahl, sondern eine eigenmächtige Veranstaltung zur eigenen Ehre. Da das Herrenmahl Eintritt in eine konkrete Lebens- und Gemeinschaftsform ist, ist auch die Teilnahme an heidnischen Kultmahlen ausgeschlossen. Durch die Anteilhabe am gemeinsamen Brot entsteht ein neues Sein: die Vielen werden zu einem.

c.) Die Trennung vom Sättigungsmahl: Mit der situationsbedingten Weisung in 1. Kor 11,4a setzte Paulus die Entwicklung in Gang, die zu der Trennung von Herrenmahl und Sättigungsmahl führte. In der Gemeinde des Markus (um 70) scheint diese Trennung vollzogen. Das Sättigungsmahl ging dem Herrenmahl voraus, das Motiv der Gemeinschaft verlagerte sich auf das erstere. Ende des zweiten Jahrhunderts. hat sich das Liebesmahl (Agape) ganz vom Herrenmahl gelöst, es war ein unregelmäßiges, gottesdienstliches Mahl ohne sakramentalen Charakter geworden. Diese Entwicklung bedeutete für das Herrenmahl, das sich bei ihm das Gewicht immer stärker auf das Kultisch-sakramentale verlagerte

d.) Im Johannes-Evangelium wird zwar keine Einsetzung des Herrenmahls überliefert, doch sind in den (sekundären?) Passagen der Brotrede deutliche Anklänge an das Abendmahl gegeben (Joh 6,53).

 

Lehre von der Endzeit (Eschatologie):

Die Erwartung des nahen Endes teilt die erste Christenheit mit dem geschichtlichen Jesus. Jedoch kommt es nach Ostern zu einer Umprägung. Verkündigte Jesus die Nähe der bereits in der Gegenwart anbrechenden Gottesherrschaft, bekannte nun die Urgemeinde: Die Herrschaft Gottes wird mit dem sichtbaren Erscheinen des wiederkommenden Herrn verwirklicht. Aus dem Verkündiger wird der Verkündigte.

Die Erwartung hatte dabei folgende Elemente:

  • Zentral war die Erwartung der Wiederkunft Christi (Phil 4,5) wie bei einer feierlichen Begrüßung eines Herrschers oder einer hochgestellten Persönlichkeit.
  • Es wird ein Wiedererscheinen vom Himmel her erwartet.
  • Mit der Wiederkunft verbunden sind die Auferstehung der Toten,  die Verwandlung der Lebenden - um an dieser zukünftigen Herrschaft teilzuhaben - und die Entrückung in den Himmel.
  • Jesus wird die an ihn Glaubenden aus dem zukünftigen Zorngericht retten.
  • Weil die Wiederkunft unmittelbar bevorsteht ruft Paulus zur Wachsamkeit.
  • Es gibt die Erwartung, daß die Wiederkunft noch zu Lebzeiten der ersten Generation der Christen stattfindet. Nachdem nun wohl einige Gemeindeglieder gestorben waren, gab dies ernsthafte Probleme, mit denen sich bereits Paulus auseinandersetzen mußte.

 

Für die folgende Generation gab es das das Problem der Verzögerung der Wiederkunft Christi.  Dieses Problem wird auf folgende Weise angegangen:

  • Das Kapitel 2. Thess 2 liest sich dabei wie ein Kommentar zu 1.Thessalonicher, der die Lehre vom Ende neu zu verstehen versucht: Eine Folge an Endereignissen wird nun der eigentlichen Wiederkunft vorgelagert. Damit aber gewinnen die Vorstellungen der Umwelt vom Ende der Welt (Apokalyptik) erhöhtes Gewicht.
  • Auch die synoptische Apokalypse (Mk 13,1-27 und M.24,1-31 und Lk.21,5-28) kennt vorausgehende Ereignisse: Zerstörung des Tempels, falsche Christusse, Kriege, Aufruhr in der ganzen Welt, Erdbeben und Hungersnöte. Dann aber auch Verfolgungen der Christen, Zwie­spalt in den Familien, Haß aller gegen die Christen, Verkündigung des Evangeliums an alle Völker, Entweihung der Heiligen Stätte und Eroberung Jerusalems, Verschleppung in die Verbannung, falsche Christusse und Propheten, Erschütterung der kosmischen Ordnung, Kommen des  Menschensohn auf den Wolken und Sammlung der Auserwählten. Wichtig ist dabei, daß bereits einige gegenwärtige Ereignisse als Teil dieses endzeitlichen Plans verstanden werden.

Auch die synoptische Apokalypse mündet in eine Mahnung zur Wachsamkeit und zum Ausharren bis zum Ende. Es gibt keine Anzeichen dafür. daß die Verzögerung eine Beunruhigung in den Gemeinden hervorgerufen hätte, weil die Gemeinde vom Glauben erfüllt war, daß schon jetzt Christus der Herr ist und die Seinen durch den Geist mit ihm verbunden sind. Diese Heils-Gewißheit war möglich, weil das Heil auch gegenwärtig erfahren wurde:

  • Mit seiner Erhöhung hat Christus über die Mächte und Gewalten triumphiert und sein Regiment angetreten.
  • Der Friede Gottes ist bereits angebrochen.
  • Die Gemeinde empfing den Geist Gottes, der sich in wunderbaren Erscheinungen, überspannten Wirkungen und Zungenreden zeigt. Es sind aber weniger die außerordentlichen Erfahrungen als vielmehr die Überzeugung, daß Gottes endzeitliche Verheißung in Erfüllung gegangen ist, die den Glauben der Urgemeinde bestimmt.

 

Notwendigkeit des Glaubens

Schon das älteste Glaubensbekenntnis 1. Kor 15 verweist nicht auf den Glauben der Zeugen, sondern auf die den Glauben begründenden Tatsachen, nämlich Tod und Auferweckung Jesu Christi. Die frohe Botschaft Jesu und das Glaubenszeugnis der Urkirche gehören unlöslich zusammen. Das Evangelium bleibt nur totes  Geschichtswissen ohne das Glaubenszeugnis der Kirche ein, die dieses Evangelium immer wieder weitergibt und neu bezeugt. Auch die christliche Botschaft kann nicht isoliert gesehen werden ohne Jesus, sonst wäre sie nur eine schöne Idee. Die Verkündigung der Kirche ist nicht selbst Offenbarung, sondern nur Hinführung zu ihr. Inhalt ist aber immer das Kreuz Christi. Es gibt keine ständige Offenbarung, sondern immer nur das eine Kreuz Jesu. Wer die Verkündigung Jesu isoliert, endet beim Menschen Jesus. Wer die Botschaft der Urkirche isoliert, endet bei Christus als einem reinen Himmelswesen.

 

 

 

 

 

Briefe im Neuen Testament

 

Wir besitzen keine Schriften aus der frühesten Kirche vor Paulus. Aber die später entstandenen Evangelien spiegeln natürlich aus einem gewissen Abstand heraus das Leben Jesu. Die zeitliche dazwischenliegende Redenquelle, die sich aus Matthäus und Lukas wiederherstellen läßt, überliefert keine geschichtlichen Daten, sondern nur die Lehre Jesu.

 

 

Paulusbriefe

 

Nicht alle Briefe sind wirklich von dem Apostel Paulus. Vielmehr hat es Schüler und Anhänger gegeben, die in seinem Sinne zu handeln meinten. Man hielt das nicht für ehrenrührig, sondern mit der Zuschreibung eines Textes auf eine berühmte Person wollte man diese ehren und selber zurücktreten. Nicht von Paulus sind die Briefe an Timotheus und Titus (die Pastoralbriefe), aber wahrscheinlich auch der Brief an die Kolosser und vielleicht auch an die Epheser (auch die anderen Briefe im Neuen Testament sind natürlich nicht von den dort genannten Verfassern).

Im Grunde ist es natürlich unerheblich, wer den Brief geschrieben hat, er ist in jedem Fall Verkündigung. Aber dann ist es doch auch nicht nötig, vom „Brief des Paulus an die Kolosser“ zu reden, sondern es genügt doch auch, wenn man die Frage nach dem Verfasser unerwähnt läßt und nur sagt: „Wir hören aus dem Brief an die Kolosser“ oder wenn man einfach vom „Verfasser“ spricht.

Schon gar nicht geht es, wenn man eine Stelle aus einem echten Paulusbrief erklären will mit einem Abschnitt aus der Apostelgeschichte. Diese stammt von Lukas und nicht von Paulus, und sie handelt zwar vom Leben des Paulus, aber doch aus der speziellen Sicht des Lukas.

 

 

Das Leben des Paulus

 

Quellen:

Höchsten Quellenwert haben die selbst geschrieben Berichte in den Paulusbriefen. Folgende Stellen sind hier von großer Bedeutung:

- Vom Verfolger der Gemeinde bis zum antiochenischen Zwischenfall Gal 1,10-2,14

- Eifer des Paulus für das Gesetz Phil 3,5-6

- Herkunft und Geschick des Paulus, dargestellt in der „Narrenrede“ 2. Kor 11,21-33

- Rückblick auf Reisen 2. Kor 1,15-2,13 und 7,5-7,16

- Die Pläne für die Zukunft Röm 15,22-33 und 1. Kor 16 und. Phil 2,19-30

- Auseinandersetzung mit theologischen Gegnern (Galaterbrief und Korintherbriefe).

 

Von weit geringerem Quellenwert dagegen ist die Apostelgeschichte, obwohl sie weit mehr Material für den Lebenslauf des Paulus bietet. Dies wird an einigen Punkten deutlich:

- die Apostelgeschichte verweigert dem Paulus den Rang und Titel des Apostels.

- die Schilderung des antiochenischen Konflikts ist völlig verschieden von der des Paulus

- die Theologie des Paulus ist unzutreffend wiedergegeben.

 

Ein Vergleich von gemeinsamen Reiseschilderungen in der Apostelgeschichte und in den Paulusbriefen zeigt, daß die Apostelgeschichte den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse zwar in etwa kennt, aber oft vereinfachend wiedergibt. Lukas kann aber eventuell an einigen Stellen auf zeitgenössische Quellen zurückgreifen. Die Apostelgeschichte muß daher kritisch betrachtet werden, wenn die Lücken im Lebenslauf des Paulus zu schließen sind. Ein Vergleich mit den verstreuten Notizen in den Briefen zeigt, daß die Apostelgeschichte oft nur eine oberflächliche und vergröbernde Kenntnis der Wirkung des Paulus kennt.

 

Herkunft und Bildung:

Paulus entstammt einer streng jüdischen Familie aus der Zerstreuung, aus der Stadt Tarsus in Kilikien (Apg 21,39 und 22,3), einer griechisch geprägten Stadt mit einer griechisch-orienta­li­schen Mischbevölkerung. Paulus war beschnitten und stammte aus dem Stamm Benjamin. Er gehörte nicht den niederen sozialen Schichten an, denn schon sein Vater besaß das städtische und römische Reichsbürgerrecht, das er seinem Sohn vererbte. Paulus war also ein römischer Bürger mit hellenistischer Bildung (Röm 1,18-20 und 1. Kor 6).

Deshalb erhält Paulus (wahrscheinlich schon bei seiner Geburt) seinen römischen Namen, mit dem er in seinen Briefen auftritt. Nur die Apostelgeschichte erwähnt auch seinen jüdischen Namen Saul bzw. Saulus. Die Redewendung „vom Saulus zum Paulus werden“ beschreibt zwar schön den Wandel des Paulus nach seiner Bekehrung, ist aber ungeschichtlich. Der Namenswechsel von Saulus zu Paulus fällt nicht mit der Bekehrung zusammen, sondern mit dem ersten Wunder auf der ersten Missionsreise (Apg 13,9).

Paulus wird Pharisäer und erhält seine Ausbildung zum Schriftgelehrten in Jerusalem. Er sagt selber, er sei ein Israelit (Röm 11,1 und 2. Kor 11,22 und Phil 3,5), sogar ein Pharisäer (Phil 3,5). Die schriftgelehrte Auslegung läßt sich in seinen späteren Schriften wiederfinden, es fehlt ihm aber die typische Besprechung einzelner Fälle. Ebenso hat diese Zugehörigkeit nicht seine griechisch geprägte Abkunft überdeckt, der er vor allem die Kenntnis von Begriffen und Gedanken der Philosophenschule Stoa verdankt (Freiheit, Knechtschaft, Gewissen, Tugend, Pflicht), sowie die Beherrschung gewisser rednerischer Kunstmittel und die Lehrform der volkstümlichen Abhandlung im Dialog („Diatribe“).

Wie andere Rabbinen hat er einen weltlichen Handwerks-Beruf ausgeübt, er war Zeltmacher oder Zeltsattler (1. Thess 2,9 und 1. Kor 9,6-7 und 2. Kor 11,2 und Apg 18,3). Dadurch hielt er sich bei seiner missionarischen Tätigkeit finanziell über Wasser (nur von der Gemeinde in Philippi nahm er Geldspenden entgegen).

 

Die Bekehrung des Paulus:

Paulus war Verfolger der Gemeinde (Gal 1,13 und 23; Phil 3,6; 1.Kor 15). Aber eine aktive Beteiligung an der Verfolgung in Jerusalem ist ausgeschlossen (Gal 1,22). Paulus hat Jesus wohl selbst nicht mehr gekannt, wurde aber im Eifer für Gesetz und Überlieferung der Väter zum Verfolger der christlichen Gemeinde. Die erste Verfolgung und Austreibung hat nur die gesetzesfreien Christen aus dem griechischen Raum getroffen, vor allem im Raum Damaskus. Hier hat auch Paulus gewirkt. Die Verfolgung hat aber wohl nicht in der in der Apostelgeschichte geschilderten heftigen Art stattgefunden, da Hohepriester nie eine derartige Gerichtsgewalt (Todesstrafe!). verhängen durften. Vielmehr ist an schwere Prügelstrafe, Bann und Synagogenausschluß zu denken. Der .Angriff auf das jüdische Gesetz war der entscheidende Anlaß für die Verfolgungen.

 

Paulus redet von seiner Bekehrung als Tat Gottes, die ihm durch die Offenbarung des Gottessohnes und Herrn Jesus Christus widerfuhr, im Sinne einer Christusschau) (Vision) (Gal1,15 und 1. Kor 9,1 und 15,8 und Rückblick in 1. Kor 15,9-10; Phil 3,7-9). Paulus nennt auch den Ort: Damaskus.

Er reiht sich in die Reihe der Zeugen des Auferstandenen ein und erzählt doch nie nach Art der Propheten des Alten Testaments eine Berufungsvision. Offenbarung ist für ihn ein die Welt angehendes, seine eigene Person weit übertreffendes Geschehen. Paulus wurde nicht von der Gottlosigkeit zum Glauben bekehrt, sondern von der eigenen Gerechtigkeit aus Werken zur Gerechtigkeit aus Glauben.

Die Apostelgeschichte berichtet auch von der Bekehrung, aber ganz im Stil der legendenhaften Erscheinungsgeschichten. Dies steht gänzlich im Gegensatz zur jeder Dramatik entbehrenden Sparsamkeit der Briefstellen über die Bekehrung.

 

Missionstätigkeit:

Paulus beginnt mit der Mission in Arabien (Gal 1,17 und 2. Kor 11,26). Nach drei Jahren geht er nach Jerusalem (Gal 1,17-18 und 2,1). Dort kam es zur Begegnung mit Petrus und Jakobus (Gal 1,19). Es folgt die Mission in Syrien und Kilikien (Gal 1,21). Beim Apostelkonzil in Jerusalem (Gal 2,1) erhält er nur die Auflage zur Kollekte (Gal 2,6 und 10 sowie Röm 15,26). Dann kommt es zum Bruch mit Barnabas (1. Kor 9,6 und Kol 4,10). Es folgt die zweite Reise mit Silas.

Auf der dritten Reise hält er sich in Korinth (Apg 18,11) und in Ephesus auf (Apg 19,1). Ziel ist Rom (1.Thess 2,2; 1. Kor 4,9, 2. Kor 1,4; und öfter). Paulus versteht sich als Apostel aller Völker (Gal 1,15 und Röm 1,5).

 

Überblick über die Missionsreisen:

1.) Antiochien, Salamis, Paphos, Attalia, Perge, Antiochien, Ikonium, Lystra, Derbe.

     Rückweg nach Attalia und Antiochien.

2.) (Jerusalem, Cäsarea, Ptolemais, Sidon) Antiochien, Tarsus, Derbe, Lystra,

    Ikonium, Antiochien, Phygien, Galatien, Mysien, Assus, Troas, Samothrake,

    Philippi, Amphipolis. Apollonid, Thessalonich, Beröa, Athen, Korinth, Ephesus, 

  Cäsarea (Jerusalem?), Antiochien.

3.) Antiochien, Galatien, Phrygien, Ephesus, Makedonien, Griechenland,  Makedoni­en,

     Philippi, Troas, Assus, Milet, Patara, Tyrus, Ptolemais, Cäsarea,   Jerusalem.

4.) Jerusalem, Cäsarea, Sidon, Myra, Knidos, Kreta (Lasea), Malta, Syrakus, Rhegium,

    Potioli, Rom.

 

Chronologie im Leben des Paulus (nach Jeremias und anderen)

Einziges absolutes Datum ist die Erwähnung des Statthalters Gallio (Apg 18,12): Aufgrund einer gefundenen Inschrift, die einen Brief des Kaisers Claudius an die Stadt Delphi wiedergibt, läßt sich dessen Amtszeit in Achaia höchst wahrscheinlich auf die Jahre 51-52 (oder auch 50 -51) errechnen.

In der sogenannten „Gallio-Inschrift“ taucht der Name des Prokonsuls von Achaia auf, Gallio Tiberius Claudius, der von 41 bis 54 amtierte. Dieser wird auch in Apg 18,12 erwähnt. Die Buchstaben „KS“ auf der Inschrift entsprechen dabei dem Zahlenwert von 26. Dieser bezieht sich auf die 26. Akklamation (Ausrufung) im elften Jahr seines Amtes. Die 27. Akklamation war am 1. August 52, die 25. und 26. Akklamation liegen also zwischen dem 25. Januar 52 und vor dem 1. August 52 (es gab nie mehr als drei Akklamation im Jahr). Gallio war also im ersten Halbjahr 52 der Prokonsul in Achaia. Die Amtszeit dauerte immer nur ein Jahr. Da es aber vor dem Amtsantritt einen langen Papierkrieg gab, müßte sein Amtsantritt am 1. Mai 51 gewesen sein. Aus dieser Inschrift kann man eine ungefähre zeitliche Abfolge des Lebens des Paulus und seiner Briefe erschließen. Alle Jahreszahlen können aber auch ein Jahr früher liegen:

 

Alle weiteren Zeitspannen sind relativ und lassen sich nur aus der Apostelgeschichte und den Paulusbriefen erschließen: Nach Gal 1,18 und 2,1 zog Paulus drei Jahre nach seiner Bekehrung nach Jerusalem und dann 14 Jahre später zum Apostelkonvent. Da unsicher ist, ob die Zeitangaben nur volle Jahre zählen oder auch bereits angefangene, gibt es demnach zwei Möglichkeiten für die Zeitdifferenz zwischen Bekehrung und Apostelkonvent, es kommt ein Zeitraum von 13 bis 18 Jahren in Frage. Der Apostelkonvent war demnach 13 bis 18 Jahre nach der Bekehrung. Nach Apostelgeschichte 15 bis 18 findet der Apostelkonvent vor dem ersten Aufenthalt des Paulus in Korinth statt, also etwa.48 oder 49.

In Korinth angekommen (zweite Missionsreise) trifft Paulus dort Aquila und Priscilla, die wegen des Claudius-Edikts erst kürzlich aus Rom vertrieben worden waren. Der christliche Geschichtsschreiber Orosius (5. Jahrhundert) datiert dieses Edikt auf das Jahr 49 (der römische Schriftsteller Dio Cassius dagegen auf 41). Es ist also wahrscheinlich, daß Paulus um 49 nach Korinth kam (paßt zur Gallio-Stelle).

Nach Apg 18,11 blieb Paulus eineinhalb Jahre in Korinth. Dabei kam es zu jenem Zwischenfall vor Gallio, der den festen Bezugspunkt der Zeitfolge darstellt. Wenn Gallio zwischen 50 und 52 Statthalter und Paulus eineinhalb Jahre in Korinth war, so ergibt sich für die Korinth-Aufenthalt theoretisch die äußersten Möglichkeiten 48 - 50 bzw. 52 -54. Da das Claudius-Edikt aber bereits vorausgesetzt ist, doch noch nicht lange zurückliegt, war Paulus wohl 49 - 51 bzw. 50 -5 2 in Korinth.

Auf seiner dritten Missionsreise legt Paulus in Ephesus einen längeren Aufenthalt von etwa zweieinhalb Jahren ein. Dies ist sein zweiter Aufenthalt in Ephesus. Die Zeit zwischen der Abreise aus Korinth mit ihrem kurzen Zwischenstop in Ephesus und dem zweiten Aufenthalt in Ephesus könnte ein Jahr, aber auch mehrere Jahre betragen.

Die Gefangennahme in Jerusalem geschah nach Apostelgeschichte 21 - 26 noch unter dem Prokurator Antonius Felix (52-60), der dann von Festus (60-62) abgelöst wurde. Eine Überführung nach Rom könnte demnach erst um 60 geschehen sein.

Paulus erlitt nach der Überlieferung im Jahr 64 beim Brand Roms unter Nero (54 - 68) den Märtyrertod. Davon weiß die Apostelgeschichte allerdings nichts. Jedoch kann das Martyrium bereits früher geschehen sein.

 

Chronologie des Lebens des Paulus:

 

0

Geburt um die Jahr­hundertwende

 

 

30

Kreuzigung Jesu

 

 

32

Bekehrung und Berufung

 

 

 

Aufenthalt in Arabien

 

 

35

Besuch in Jerusalem (Gal 1)

 

 

 

 

 

 

46 - 49

Erste Missionsreise (Apg 13)

 

 

Frühjahr 49

Apostelkonzil (16 Jahre nach der Bekehrung, vgl. Apg 15)

 

 

49

Beginn zweite Missionsreise

 

 

Mai 49

Landreise über das Taurusgebirge

 

 

Ende 49

Ankunft in Korinth und dort

1 bis 2 Jahre Aufenthalt

(Gallio: Mai - Juni 51)

Ende 49

bis 50

1. Thessalonicher

 

 

 

 

45/50

2. Thessalonicher

 

 

50

Galater ?

Herbst 52

Rückreise nach Antiochia

 

 

53 - 56

Dritte Missionsreise

 

 

Mai 53

Aufbruch über den Taurus

 

 

Sommer 53

Ankunft in Ephesus und dort 1 bis 2 Jahre Aufenthalt

53

Galater ?

 

 

Frühjahr 55

Verlorener erster Korintherbrief

 

 

vor Ostern

1.Korinther

Sommer 54

Zwischenbesuch in Korinth

Frühjahr 55

„Tränenbrief“

Herbst 54

Abreise aus Ephesus

 

 

 

 

Spätherbst 55 oder 56

2. Korinther

Winter 55

Makedonien/ Griechenland

 

 

Ostern 55

Philippi (Apg 20,6)

 

 

 

 

Frühjahr 55

Römerbrief

Frühjahr 57

Ankunft in Jerusalem

 

 

57

Gefangennahme in Jerusalem

 

 

57 - 59

Prozeß länger als zwei Jahre

 

 

59 / 60

Fahrt nach Rom

 

 

58

Überführung nach Rom

 

Philipperbrief

Philemon

58-60

Gefangenschaft in Rom

 

 

zwischen 60 und 64

Märtyrertod unter Nero

 

 

 

 

Römerbrief

Die Gemeinde wurde nicht durch Petrus gegründet, denn Paulus greift nicht in fremdes Missionsgebiet ein (1.Kor 9,5). Die Gründung erfolgte durch unbekannte Heiden- oder Judenchristen, vielleicht von Händlern aus dem Osten. Der römische Schriftsteller Sueton berichtet (Vita Claudii 25), daß 50.000 Juden aus Rom vertrieben wurden, vielleicht weil die christliche Mission zu Unruhen führte. Aber im Jahre 54 gab es schon wieder eine starke christliche Gemeinde.

Diese bestand aber jetzt vor allem aus ehemaligen Heiden, sie ist mehrheitlich von den ehemaligen Heiden geprägt. Es gibt aber auch einige ehemalige Juden (Es findet sich keine Beschneidung und Tischgemeinschaft, die Gemeinde ist legalistisch, aber nicht judaistisch, vgl. 15,7-13).

Paulus wollte die Gemeinde besuchen (Röm 15,14-29), weil er im Osten seine Aufgabe erfüllt hatte. Er will erst noch die Kollekte zur verarmten Gemeinde in Jerusalem bringen und dann nach Spanien reisen. Dahinter steht die Vorstellung, daß erst alle Länder das Evangelium gehört haben müssen, ehe das Ende kommt (Mk 13,19).

Weil Paulus die Gemeinde nur vom Hörensagen kennt, halten sich die konkreten Anspielungen in einem gewissen Rahmen. Er will nach Rom kommen, um dort eine Missionsbasis für den Westen des Reichs zu schaffen. Um sich in Rom bekannt zu machen, stellt er sich mit diesem Brief vor.

Anlaß ist also die Fühlungnahme zur Vorbereitung des Missionsstützpunkts (15,24-28). Ziel ist die Auseinandersetzung mit der jüdischen Heilslehre („Gesetzeswerke“) und antinomis­ti­schen Einwänden (eine Richtung ohne alle Bindungen, also Liber­tinisten). Außerdem gab es eine Auseinandersetzung um die Vegetarier, vielleicht geht es auch gegen römerfeindliche (zelotische) Strömungen (13,1-7). Paulus hat nämlich Nachrichten aus der Gemeinde über Auflehnung gegen seine Tätigkeit, über Auflehnung gegen den Staat und darüber, daß keine Abendmahlsgemeinschaft zwischen ehemaligen Juden und Heiden besteht.

Der Brief wurde im Frühjahr 55 im Osten geschrieben - wahrscheinlich in Korinth - am Ende der Missionstätigkeit des Paulus, kurz bevor Paulus die Kollekte nach Jerusalem bringt.

 

Inhalt

Die Gesamtüberschrift des Briefes ist: „Evangelium Christi an Heiden und Juden“. Die Hauptgedanken sind Gericht (1,18 - 3,20), Heil (3,21-31), Vollendung( 5), Pro­­b­lem Israels (9 - 11) und Ermahnung (12 - 16). Der Brief ist ein theologisches Selbstbekenntnis des Paulus: „So verstehe ich das Evangelium“. Am Verständnis des Römerbriefs entscheidet sich das Verständnis des Christentums. Paulus stellt hier positiv dar, was der Kern des Evangeliums ist. Aber der Brief ist ein Gelegenheitsschreiben. keine vollständige Lehre des Christentums, kein Lehrbuch des christlichen Glaubens. Es fehlen die Gemeindeordnung und das Abendmahl, die Lehre von Christus und der Endzeit sind unvollständig.

 

Der Brief hat drei Teile, getrennt durch die Kapitel 9 bis 11:

Kapitel 1 - 4    : Der Glaubende wird durch die Gerechtigkeit Gottes gerettet (1,17)

Kapitel 5 - 8    : Das bedeutet Leben für den Glaubenden (hymnischer Schluß)

Kapitel 9 - 11   : Ist das Evangelium eine Kraft der Rettung für die Juden?

Kapitel 12 - 15,13: Ermahnungen ohne logischen Zusammenhang und

Kapitel 15,14 - 15: Nachrichten, Reisepläne                                                und

Kapitel 16            : Grüße als Anhang, deren Echtheit umstritten ist.

 

Nach dem Römerbrief ist die Geschichte eine auf ein Ziel zugehende Zeit göttlichen Handelns, die aber durchdrungen ist von verschiedenen Strömen. Einer davon ist die Zeit des Gesetzes, aber Christus ist der Wendepunkt. Das Gesetz ist nicht epochemachend, Christus ist die Mitte der Zeit. Gott hat alles geschaffen. Das geschichtliche Geschehen liegt nicht in der Hand der Menschen. Aber alles geschieht nicht willkürlich, sondern Gott hat von Anfang an geplant.

Alle Geschichte ist Leben auf die Vollendung in Christus hin. Die Frage ist, ob ich diese Heilsgeschichte für meine Zeit übernehmen will. Zuerst wurde die Welt verändert, dann erst wird meine Existenz verändert. Es geht also um Geschichte, die nicht einfach nur auf mein Inneres hin („existential“) ausgelegt werden darf.

Sicherlich gibt es auch veraltete Ansichten, wie die Ansicht von den zwei Zeitaltern (Äonen) und die Naherwartung. Aber der Anspruch der Botschaft soll uns zur Einsicht führen: Das Ärgerliche an der Botschaft ist nur Ausfluß der Weisheit Gottes.

 

In Röm 4, 23-25 kann man etwas erkennen von dem Denken und der Auslegung des Paulus: Was im Alten Testament über Abraham gesagt wurde, wurde nicht nur für die damaligen nachfolgenden Geschlechter aufgeschrieben, sondern auch „um unsertwillen“. Die Gemeinde Jesu Christi bekennt sich zu dem gleichen Gott wie Abraham.

 

In Römer 13 wird das Verhältnis zur staatlichen Gewalt („Obrigkeit“) besprochen: Jeder Mensch soll sich den Machthabern über ihm unterordnen (nicht. „gehorchen“), denn alle Machthaber sind von Gott. Nur wer Böses tut, muß sie fürchten. Wer aber Gutes tut, braucht sie nicht zu fürchten. Paulus ist konservativ, nicht revolutionär. Der Gewaltstaat war noch nicht im Blick. Paulus hat allerdings auch schon negative Erfahrungen gemacht: Er wurde mit dem Stock geschlagen (2. Kor 6,5) und mußte sich letztlich auf seine römische Staatsbürgerschaft berufen. Die Vollmacht des Staates ist nur eine Formsache, weil sowieso bald das Ende kommt. Der Staat hat keine göttliche Würde und es wird vorausgesetzt, daß die Machthaber das Gute tun. Paulus steht aber dem Staat fern. Es geht ihm nur um die Beziehung des einzelnen Christen gegenüber den Machtträgern.

Der Staat von damals ist kein demokratischer Staat, aber er ist auch nicht ein entarteter Staat. Andererseits haben die Christen keine Verantwortung für die Machtträger. Sie können nichts anderes tun als Steuern zu zahlen und das Böse zu meiden. Von einem unbedingten Gehorsam ihnen gegenüber ist nicht die Rede. Man muß den Text nach seiner zeitgeschichtlichen Bedeutung befragen und von den damaligen Motiven her fragen, wie wir uns heute dem Staat gegenüber verhalten können.

Aber Römer 13 ist nicht das einzige Wort im Neuen Testament über die Stellung der Christen zur Sozialordnung (Zinsgroschen, Apostelgeschichte 5,29 und Offenbarung des Johannes). Paulus beruft sich auch nicht ausdrücklich auf ein Wort Jesu, aber eine gewisse Berührung mit der Jesustradition ist doch unverkennbar: Röm 13, 7 erinnert an Mk 12,17 parallel Mt 22,21.

Die eigene Entscheidung des Menschen erfolgt in der Begegnung mit dem Text der damaligen Zeit. Dieser ist aber nicht aus dem Römerbrief zu streichen, obwohl er ein Fremdkörper ist. Es wird hier nicht grundsätzlich nachgedacht über das Verhältnis des Christen zur Obrigkeit, denn es fehlt ja auch eine Warnung vor Mißbrauch an die Obrigkeit. Die historische Auslegung ist theologisch einzuordnen in den Gesamtrahmen des Briefs und zu befragen nach der Bedeutung für heute. Was Paulus meint, ist für unsere Zeit anzuwenden. Und da können wir auch zu einer anderen Entscheidung kommen als der Römerbrief.

 

In Kapitel 15 und 16 schreibt Paulus sehr viele Grüße. Woher kennt er eine so große Zahl von Römern? Aber selbst wenn diese Kapitel in einen anderen Brief gehörten, sind sie doch von Paulus. Man hat vermutet, sie gehörten in einen Brief nach Korinth oder nach Ephesus. Aber ein Brief fast nur aus Grüßen ist unmöglich (ein Brief nur aus diesem einen Kapitel wäre literarisch unmöglich).

Römer 16 ist kein Fragment eines Epheserbriefs: Paulus kennt nicht alle Gegrüßten persönlich, obwohl unter Nero viele Juden nach Rom zurückdurften. Nur der Lobpreis 16,25-27 ist ein Zusatz. Die unterschiedliche Stellung ist entstanden durch das Fehlen der Kapitel 15 bis16 bei Marcion. Nach Bultmann sind auch 2,16; 6,17; 7,25b; 8,1 und 10,17 Glossen.

Wenn der Schluß des Römerbriefs nicht von Paulus ist, sondern wahrscheinlich aus dem gottesdienstlichen Gebrauch der Gemeinde, so heißt das doch nicht, daß man darüber nicht predigen kann (in Reihe VI ist der Satz Röm 16,25-27 Predigttext am 2.Sonntag nach dem Christfest). Auch wenn ein anderer Christ das verfaßt hat, so ist es doch Gottes Wort.

 

 

Erster Korintherbrief

Gliederung:

Der Brief ist recht gut überschaubar. Paulus bespricht Probleme des Lebens einer christlichen Gemeinde, ohne daß dabei allerdings eine bestimmte Themenordnung erkennbar ist. Offensichtlich antwortet er dabei auf verschiedene Anfragen.

 

Empfänger:

Die heidenchristliche Gemeinde (12,2) hat aber auch ein judenchristliches Element (Apg 18,4 und 1. Kor 7,18 und 11,2-34). Zur Gemeinde gehören vorwiegend niedere Stände (1,26-31, aber auch sozial Höherstehende (11,21). Gegründet wurde sie von Paulus (3,6) auf der zweiten Reise im Jahre 50 (Apg 18,1-17).

Anlaß des Briefes ist eine schriftliche Anfrage des paulustreuen Teils der Gemeinde (7,1) (nachdem Paulus den 5,9-13 erwähnten Brief gesandt hatte) oder auch mündliche Nachrichten von den Leuten der Phoebe (1,1und 18). Die Polemik in Kapitel 1 bis 4 richtet sich jedoch immer gegen die ganze Gemeinde, es gibt nur e i n e Front gegen die gnostische Umdeutung der Christusbotschaft (jedoch keine gnostische Christologie)

 

Ziel:

Es gibt keine einheitliche Thematik, sondern es geht um die Erbauung der Kirche durch Polemik gegen die Gegner in deren Begrifflichkeit und durch die Beantwortung der Fragen. Es geht um den Rückruf aus einer vermeintlichen „transeschatolo­gischen Existenz“ in den „Horizont des geschichtlichen Miteinander“ (Bornkamm) aufgrund des Wortes vom Kreuz. Die Abfassung erfolgte nach dem Galaterbrief, der noch nicht von der Kollekte spricht (16,1). Nach 5,8 und 16,8 ist der Brief wohl um Ostern 55/56 aus Ephesus geschrieben (2. Kor 8,10 und 9,2).

 

Einheitlichkeit:

Die Einheitlichkeit des Briefes wird gelegentlich umstritten, da mehrere Spannungen zu beobachten sind:

- Bruchstellen sind in Kapitel 5 und 11,18-19.

- Die Abschnitte 6,12-20 und 10,1-22 stören und passen schlecht

- Die Länge des Briefs ist auffällig.

- Teilnahme am Götzenopfermahl:1. Kor 10,1-22 gegen 1. Kor 8,13 und 10,23

- Kapitel 13 steht mit harten Übergängen zwischen 12 und 14.

- Kapitel 15 erscheint gänzlich isoliert.

Schmithals trennt in einen Vorbrief (2. Kor. 6,14-7,1 und 1. Kor 9,24 -10,22 und 6,12-20 und 11,2-34 und 15 und 16,13-21) und einen .zweiten Brief (1. Kor 1,1 -6,11 und 7,1 - 9,23 und 10,23- 11,1und 12,1-14,40 und 16,1-12). Dieser zweite Brief ist die Antwort auf den Brief der Korinther und Grundlage des ersten Korintherbriefs, in den der Vorbrief eingefügt wurde. Der „ökumenische Zusatz“ 1,26 ist eine liturgisch be­dingte Kennzeichnung der gesamten Christenheit.

Eine Teilungshypothese wäre aber nur zu verantworten, wenn nicht nur stilistische Argumente, sondern auch verschiedene Abfassungssituationen angenommen werden könnten. Es gibt zum Beispiel eine umfassende Teilungshypothese von Dinkler, der zwei Briefe in verschiedener Reihenfolge annimmt. Dabei ist allerdings auf eine Menge von Vermutungen zurückzu­greifen, vor allem lassen sich klar verschiedene Abfassungssituationen kaum erkennen. Die Brüche zwischen einzelnen Abschnitten lassen sich durchaus auch dadurch erklären, daß Paulus hier verschiedene Themen und von den Korinthern gestellte Fragen beantwortet.

Textkritisch ist vor allem 1.Kor. 14,33b-36 bedeutsam („Die Frau schweige in der Gemeinde“). Die Stellung ändert sich in einigen Handschriften, das Gebot widerspricht sachlich 1.Kor 11,5, wo davon ausgegangen wird, daß Frauen aktiv am Gottesdienst teilnehmen. Außerdem wird der Gedankengang unterbrochen. So handelt es sich wohl um eine Einfügung.

 

Die Gegner:

Die Gemeinde wurde Ende 49 gegründet. Paulus begann seine Wirksamkeit in der Synagoge, dem jüdischen Bethaus. Aber inzwischen wirkt dort ein gewisser Apollos, den Paulus an sich als rechtmäßigen Fortsetzer seiner Arbeit ansieht. Außerdem sind dort die „Kephasleute“ eingetroffen, die auch das „Zungenreden“ mitgebracht haben. Aber sie wurden nicht von Petrus gegründet, sondern haben sich nur auf ihn berufen (Kephas = der Fels = Petrus). Und dann gibt es noch eine Christusgruppe, deren Mitglieder sich als wahre Christen ansahen.

In 1. Korinther 1 - 4 kritisiert Paulus die Spaltung der Gemeinde in verschiedene Gruppen, die sich jeweils auf verschiedene Apostel oder auf Christus selbst berufen. Paulus kritisiert dabei Gemeindeglieder, die sich „aufblasen“. Verschiedene Personen in der Gemeinde sehen sich genötigt. ihre Streitigkeiten vor öffentlichen Gerichten auszutragen. Daraus ist zu schließen, daß es in Korinth sicher mehrere Gruppen gab, die sich wohl auch in theologischen Fragen unterschieden.

 

Paulus kritisiert:

  • Gruppenbildung und Streit                  1,10                6,1-11
  • Angriff auf den Apostel                        4,1-5               2. Kor 10-13
  • Eschatologische Schwärmerei           15,12               2. Kor 5
  • Libertinismus                                          5,1-13            6,9-20              8,1-13
  • Sakramentalismus                               10,1-12           11,17

Schlagworte sind: Gnosis, Sophia, Vollkommenheit, Geistlichsein, Vollmacht.

 

Folgende Streitpunkte lassen sich erkennen:

  • In 1. Kor 1,18-31 kritisiert Paulus die Korinther, die meinen, Weisheit erlangt zu haben, mit immer wieder neuen Hinweisen auf die Kreuzigung Christi, die in den Augen der Welt eine Torheit ist.
  • In 1. Kor 4,8 kritisiert Paulus ironisch, daß die Korinther meinen, sie seien bereits „zur Herrschaft gelangt“.
  • Prophetie und Wunderkräfte werden bei den Korinthern offensichtlich so hochgeschätzt, daß die Einheit der Gemeinde davon bedroht ist (1. Kor 12+14).
  • Auch bei der Feier des Herrenmahls steht wohl die geistliche Erfahrung des Einzelnen über der Gemeinschaft und Einheit der Gemeinde (1.Kor 11,17-34).
  • Ferner kritisiert Paulus Grundhaltungen wie „Alles ist erlaubt“ (1. Kor 6,12 und 10,23) bzw. „Wir haben Erkenntnis“ (1.Kor 8,1).
  • In Röm 7,1 zitiert Paulus wohl eine Anfrage der Korinther, die die Sexualaskese empfiehlt. So gab es wohl auch eine asketische Gruppe in Korinth.

Allerdings ist es nicht möglich, die einzelnen Kritiken des Paulus den verschiedenen Parteiungen zuzuordnen (die Petrus-Anhänger mit Christen in Verbindung gebracht, die jüdische Bräuche und Lehren beibehalten wollen).

Auch redet Paulus interessanterweise die Gemeinde immer als Ganzes an, auch gerade in Kapitel 1 - 4, wo er alle Gruppen mit den gleichen Entgegnungen kritisiert. Es könnte sein, daß die Spaltung nicht durch das Vorhandensein verschiedener Lehren oder Richtungen in der Gemeinde verursacht ist, sondern durch Überschätzung der menschlichen Lehrer und Taufenden bei den Korinthern infolge eines falschen Verständnisses der Taufe

 

 

Zweiter Korintherbrief

Einheit des Briefes:

Die Einheit des Briefes ist umstritten. Es gibt Brüche und Spannungen:

  • 3,17 und 18,6 und 5,16 sind vielleicht gnostische Glossen.
  • 2,14 - 74         ist eine eingeschobene ruhige dogmatische Darlegung
  • 10- 13             ist an den Brief angefügt
  • 8 und 9           sind thematisch parallel
  • 6,14 -. 7,1      fällt ganz aus dem Rahmen.

Besonders verdächtigt wird der Abschnitt 2. Kor 6,14. - 7,1, in dem Sprache und Inhalt anders sind als sonst bei Paulus. Doch wird weniger der Inhalt angefochten, sondern verdächtiger ist die Stellung. Wenn Paulus hier aber ein fremdes Stück aufgenommen hätte, dann wäre zu klären, woher er es hatte. Deshalb sollte man mit dem Text zufrieden sein, denn der Inhalt ist von Paulus.

Auch in 2. Kor 10 - 13 herrscht ein rauherer Ton, aber deswegen ist hier noch nicht der verlorengegangene Zwischenbrief erhalten. Paulus bewertet hier die Vorgänge nur schärfer, vielleicht aus einem gewissen zeitlichen Abstand zu Kapitel 1 - 9. Das Kapitel 9 kann nicht für sich stehen, denn hier geht es nur noch um die rasche Abwicklung der Kollekte, nicht mehr um die Notwendigkeit einer Kollekte.

 

Lösungsversuch: (nach Bultmann und Wilckens)

Mehrmals wird ein besonderer Brief erwähnt (2,3-4 und 9 sowie 7,13), der „Tränenbrief“.

  • A  Tränenbrief: 10,1 -13,10 und 2,14 - 7,4 und 13,11-13 (erwähnt 2,3-4):

Anlaß sind die Erfahrungen beim Zwischenbesuch (2,1): Das Verhalten des Kritikers, Auftreten der Überapostel (11,5 und 12,1), Bestreitung der Legitimität des Apostolats des Paulus durch jüdisch-christliche Apostel.

Aus 11,21-33 geht hervor: Es gab fremde Empfehlungsbriefe, Zungenreden, Alleinbesitz der Gnosis (die Judenchristen haben sich mit der gnostischen Gegnerschaft des ersten Korintherbriefs verbündet, so daß sie nun eine Front bilden).

Ziel ist die Stellungnahme zu den Überaposteln und die Behauptung der Legitimität durch eine scharfe Polemik Dabei kommt es auch zu einer grundsätzlichen Darlegung über das Wesen des apostolischen Amtes (2,14 - 7,4). „Der Apostel in seiner Schwachheit ist ein Beispiel für die Paradoxie der christlichen Existenz“. Die Abfassung wäre im Jahr 55 / 56 in Ephesus.

  • B  Freudenbrief: 1,1 - 2,13 und 7,5 - 8,24:

Anlaß ist der Bericht des Titus (7,6-12 und 2,5-6 und 4,4 und 10,12.18). Paulus wird   der Vorwurf der Unzuverlässigkeit (1,12) und Härte (2,1) gemacht. Außerdem geht es um die Kollekte (8). Ziel ist die Klärung der Pläne und Vorwürfe (1,12-24), die Versöhnung (2,18 und 7,13), die Wiederaufnahme des Kritikers (2,5-13 und der Abschluß der Kollekte und die Vorbereitung des Besuchs. Die Abfassung erfolgte bald nach dem Tränenbrief in Makedonien (7,5-6). Nach Apg 20,2-16 war Paulus drei Monate in Korinth, die Abfassung könnte also zur Pasahzeit in Philippi erfolgt sein.

  • C  Kollektenbrief an die Gemeinden in Achaia: 9
  • D  Fragment: 6,14 -7,1 (Bornkamm gliedert 2,14-7,4 als eigenen Brief aus).

 

Dagegen führt Kümmel an:

  • 12,18 sieht auf 8,6 und 16-18 zurück
  • 2,5-5,9 wird in 10 - 13 nicht behandelt
  • 2,3-13 und 7,8-12 reden nicht von der Reaktion der Überapostel.

Der Brief wurde in einem gewissen zeitlichen Abstand ein Schluß angehängt, der den Sorgen schärferen Ausdruck gab. Auch Kapitel 1 - 9 sind eine Einheit (ohne vielleicht 6,14-7,1). Der Vers 2,13 veranlaßt zu der Doxologie, die dann überleitet zur Apologie des Apostelamtes, von der in 6,11 - 7,4 langsam wieder zurückgeleitet wird. Kapitel 9 betont nur die Notwendigkeit, reichlich zu geben.

 

Ablauf der Ereignisse:

Paulus hätte also mindestens vier Briefe nach Korinth geschrieben: Der erste war ein heute verlorener Brief (1. Kor 5,9-13), der kurz vor dem erhaltenen 1. Korintherbrief, geschrieben wurde. Der heutige 1. Korintherbrief weist eine falsche Auslegung jenes ersten Briefs zurück (Der paulustreue Teil der Gemeinde hat dazu aber eine Abordnung geschickt, der eine Reihe von Fragen vorlegt).

Paulus kündigt in seinem 1.Korintherbrief seinen Besuch an (16,5), schickt aber Timotheus (4,7 und 16,10). Timotheus hat alarmierende Nachrichten aus Korinth mitgebracht, denn die Schwärmer bestritten nun öffentlich das Apostelamt des Paulus. Der erste Korintherbrief festigt das Ansehen des Paulus nicht dauernd.

Paulus schickt Titus nach Korinth (8,6+10 und 9,2 und 12,17-18), um das Kollekten­werk zu eröffnen. Doch da kamen Nachrichten über Schwierigkeiten (Bornkamm: Brief 2,14-7,4 abgeschickt, daraufhin noch genauere und schlimmere Nachrichten).

Kurzer Zwischenbesuch des Paulus in Korinth (2. Kor 13,1), der aber nicht vor dem 1. Korinther war, denn dort gibt es keine Spannungen. Es kommt aber zu einem Zwischenfall mit einem Kritiker (2,5-13 und 7,11-12), der sich als Überapostel versteht (11,5 -12,11). Vielleicht ist sogar einer aus der Paulusgruppe tätlich angegriffen worden (7,12).

Daraufhin ändert Paulus seine Reisepläne (1,15-16 und 2,1), um den Täter zu schonen. Aber daraufhin macht man ihm den Vorwurf der Unzuverlässigkeit. Paulus will nun keine Schonung mehr üben und schreibt den „Tränenbrief“ (2. Kor 2,4), mit der Ankündigung eines Besuchs (12,4 und 13,1), der aber begreiflicherweise nicht erhalten ist. Der Brief wird durch Titus überbracht (2,13-14).

Paulus war schon vorher in Ephesus in eine bedrängte Lage gekommen (1,8-9 und 11,23). Er muß Ephesus verlassen und zieht nach Troas und Makedonien weiter (2,12-13). Aber jetzt kommt die Unruhe in Korinth von außen von früheren Juden, die sich auf die Apostel in Jerusalem berufen und scharf gegen Paulus Stellung nehmen. Bevor Paulus wieder nach Korinth kommt, muß erst Einiges geregelt werden: Er übt Kirchenzucht gegen den Übeltäter und fordert die Kollekte für Jerusalem und Stellungnahme zu den Boten aus Jerusalem. Dazu schreibt er den heute noch erhaltenen 2. Korintherbrief.

Endlich trifft er Titus, der Gutes zu berichten hat (7,6-12, zweiter Besuch des Titus):: Die Gemeinde hat sich ihm unterworfen und bereut ihre Haltung. Daraufhin schreibt Paulus den Freudenbrief, der durch Titus überbracht wird (dritter Besuch). Gleichzeitig schreibt Paulus den Kollektenbrief für die Gemeinden in Achaia (9).

Paulus macht dann den dritten und letzten Besuch in Korinth. Paulus hatte Erfolg und blieb drei Monate (Apg 20.3). Er konnte die Kollekte durchführen (Röm 15,26) und es ergaben sich keine neuen Spannungen (Röm 15,23). Aber der Erfolg war teuer erkauft, denn 2, Kor 9,11-15 fürchtet Paulus, daß es zum Bruch mit Jerusalem kommt. Aber er überbringt die Kollekte nach Jerusalem.

 

Zeit:

Zwischen den Briefen liegen die Mission in Troas, die Reise nach Korinth, der Zwischenbrief und die Reise nach Makedonien. Diese Ereignisse lassen sich in einem halben Jahr unterbringen. Da der erst Brief im Frühjahr 55 oder 56 geschrieben wurde, könnte der zweite frühestens im Herbst des gleichen Jahres geschrieben sein, aber auch noch eineinhalb Jahre später.

 

 

Galaterbrief

Anlaß und Ziel:

Der Anlaß für den Brief ist, daß in Galatien ein anderes Evangelium gepredigt wurde: Christen, die die Einhaltung der jüdischen Gesetze fordern, haben einen erstaunlichen Erfolg gehabt. Der Festkalender ist schon übernommen, ob die Beschneidung durchgeführt wird, ist nicht ausdrücklich gesagt. Für den Erfolg des Briefes spricht aber, daß der Brief erhalten blieb. Das Ziel des Galaterbriefs ist die Bewahrung des Evangeliums vor einem gesetzlichen Mißverständnis: Glaube und Gesetz - Freiheit und Bindung (2,15). Es handelt sich um eine Kampfschrift, weil die apostolische Autorität und das Evangelium in Frage gestellt wird.

 

Empfänger:

Der Brief ist ein Rundschreiben an die „Galater“, also an die Kelten, die um 300 vCh in Kleinasien eindrangen und im Gebiet um Ankara (damals Ankara) seßhaft wurden und deren Reich bis 25 vCh bestand. Paulus hat dort wohl auf seiner „zweiten Missionsreise“ Gemeinden gegründet (Apg 16,6) und sie auf seiner „dritten Missionsreise“ nochmals besucht (Apg 18.23; dazu würde Gal 4,13 gut passen, wo Paulus davon spricht, daß er krank war, als er das erste Mal bei ihnen war).

Nun gibt es aber auch eine römische Provinz „Galatia“, die mehr umfaßt als die Landschaft Galatien, das Siedlungsgebiet der Galater. Zu ihr gehören die ganzen süd-kleinasiatischen Gebiete wie Antiochia, Ikonium und Lystra, die Paulus schon während seiner „ersten Missionsreise“ besuchte. Die Bewohner dort waren allerdings keine Kelten. Auch sie könnten (über den Provinznamen) als Galater angesprochen werden.

Deshalb gibt es eine „nordgalatische Theorie“, nach der der Brief nur an die Galater in der Landschaft Galatien gerichtet war und auch nur an ehemalige Heiden richtete, und eine „südgalatische Theorie“, nach der der Brief an alle Christen in der römischen Provinz Galatien gerichtet war, wo es auch ehemalige Juden gab. Paulus hat zwar sonst immer die Provinznamen verwendet. Auch in römischer Zeit wurden alle Bewohner der Provinz nach dem Provinznamen benannt. In Apg 20,4 ist kein Vertreter Nordgalatiens erwähnt.

Doch wahrscheinlicher ist, daß Paulus mit Galatien die Landschaft Galatien meint:

  • Gal 3,1 „Oh ihr Galater“ ist nur gegenüber dem Volksstamm möglich.
  • Gal 1,21  Galatien wird nicht erwähnt, obwohl es dem Südteil benachbart ist.
  • Gal 4,8   Heidenchristen werden angeredet (im Südteil waren Judenchristen).

 

Irrlehrer:

Anlaß ist der Einbruch von Irrlehrern (1,6; 5,22; 6,12-18), die Streit in der Gemeinde verursachen (5,15). Ihr Vorwurf ist: Paulus ist abhängig von Menschen (1,10-12).

Ihre Lehre ist:  Beachtung bestimmter Tage                     4,9-10

  Beachtung der Beschneidung                 5,1-12 und 6,12-18

  Beachtung des Gesetzes                          3,2 und 5,4

  Beachtung eines Festkalenders              4,3 und 8-9

  Berufung auf Geistbesitz und Freiheit   5,1 und 6,1 und 5,13 und 25

  Apostelbegriff: Der gottunmittelbare Apostel garantiert die Echtheit des

  Evangeliums

Es sind Vertreter jüdischer Gesetzlichkeit, Christen jüdischer Herkunft (1,6-7; 1,14; 2,14). Aber gnostische Motive überlagern das Judentum dieser Irrlehrer. Es ist also eine judenchristliche Bewegung, die gnostisch gefärbt ist, aber in der Hauptsache gesetzlich bestimmt ist. Sie stehen im Zusammenhang mit Jerusalem (2,4), aber nicht mit den „Säulen“ (2,6-10).

 

Zeit:

Der Brief ist bald nach dem Besuch in Galatien geschrieben (1,6) und auf jeden Fall auf der dritten Reise (4,13) (nach der Provinzhypothese auf der zweiten Reise um das Jahr 50). Es ist noch vor der Kollektensammlung (2. Kor 16,1), denn sie wird im Galaterbrief nicht erwähnt. Es besteht eine sachliche Nähe zum 2. Korintherbrief und zum Römerbrief. Wahrscheinlich ist dann am ehesten eine Abfassung während des Aufenthalts des Paulus in Ephesus (Apg 19) etwa 54 - 55 oder auch in Makedonien (wo 2. Kor geschrieben ist). Ob allerdings die inhaltliche Nähe zu Römer auch unbedingt auf eine zeitliche Nähe schließen läßt und damit die nordgalatische These unterstützt, ist umstritten. Jedenfalls ist der Galaterbrief vor dem Römerbrief entstanden, da Ansichten aus dem Römerbrief vom Galaterbrief weiter entwickelt und verfeinert wurden.

 

Epheser: siehe „Unechte Paulusbriefe“


 

Philipperbrief

Hier liegt der persönlichste Brief an die Lieblingsgemeinde vor. Die Gründung der Gemeinde erfolgte etwa im Jahre 49 auf der zweiten Reise (Apg 16,12-40; 2.Thess 2,2; Phil 1,30). Besuche erfolgten Ende 56/57 (Apg 20) und Anfang 57/58 (Apg 20) auf der dritten Reise.

Anlaß ist die Nachricht über das Ergehen des Paulus. Seine Situation wird in 1,12-26 geschildert. Paulus sitzt im Gefängnis und erwartet seinen Prozeß. Die Gemeinde hat eine große Kollekte geschickt hat. Paulus dankt für die Geldgabe und gibt den Brief als Quittung für Epaphroditus mit (2,25 und 4,14-18).

Paulus mahnt zur Eintracht (1,17-2,18) und kämpft gegen Irrlehrer, die aber nur eine Bedrohung von außen sind. Die Irrlehrer erheben eine Anspruch auf Vollkommenheit (3,12-15) und Freiheit (2,1-4), sie fordern die Beschneidung (3,28) und sind Verächter des Gekreuzigten (3,18-21). Das Ziel des Briefes ist daher der Kampf gegen die Irrlehrer. Das Kreuz Christi wird betont (2,8 und 3,198). Es wird ein Bericht gegeben über das Schicksal des Paulus und sein Besuch vorbereitet. Es wird zur Einigkeit gemahnt und vor dem Gesetz gewarnt und für die Unterstützung gedankt.

Die Abfassung erfolgte während einer Gefangenschaft (2,17-18; 1,13; 4,22), also ent­weder in Cäsarea (57-59) oder in Ephesus (53/54) (2,19 und 24-30). Für Ephesus spricht die geringe Entfernung, eine Gefangenschaft in Ephesus ist allerdings höch­stens aus 1. Kor 15,22 und 2. Kor 1,8-9 zu erschließen. Gegen eine Gefangenschaft in Ephesus spricht, daß die Apostelgeschichtete eine längere Gefangenschaft in dieser Stadt sicher erzählt hätte.

Der Text enthält in Kapitel 2,5-11 ein Christuslied, das Paulus wohl übernommen hat. Es wird eingeleitet mit „Jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war“. Doch das hört sich so an, als solle man Christus nacheifern. Aber an sich muß übersetzt werden „wie es sich im Bereich des Jesus Christus gehört“. Der Hymnus ist als Kunstwerk auslegen. Aller Nachdruck liegt auf dem feierlichen Preis des Verzichts Christi: Er hat nicht ausgenutzt, was ihm als Möglichkeit gegeben war. Die Menschwerdung war ein Verzicht. Gewissermaßen als Ausrufezeichen setzt Paulus noch hinzu: „gehorsam bis zum Tod am Kreuz.“ Aber dafür wird Christus eingesetzt in die Würde eines göttlich verehrenden Herrn über Gemeinde und Welt.

 

 

Kolosser: siehe „Unechte Paulusbriefe

 

 

 1. Thessalonicherbrief

Der älteste Paulusbrief ist gerichtet an die Gemeinde in Thessalonich (heute: Saloniki). Die Juden haben ihn von dort verjagt. Deshalb schickt er Timotheus zu ihnen. Die­ser bringt gute Nachricht mit. Da schreibt Paulus kurz nach der Ankunft in Korinth den Brief an sie. Die Gemeinde soll wissen, daß er mit ihr verbunden ist, nachdem er sie so überstürzt verließ.

Die Gemeinde hat aber auch zwei Fragen: Sie ist erschreckt über einige Todesfälle und fragt sich, ob die Verstorbene nun keinen Anteil haben an der Auferstehung und der Wiederkunft Christi. Außerdem meinen einige, man brauche doch gar nicht mehr zu arbeiten, wo doch das Ende so nahe ist.

Empfänger sind Heidenchristen (1,9-10 und 2,14), die Paulus auf der zweiten Reise besuchte (Apg 17,1-4) und bei denen er länger blieb. Es kam zum Aufruhr der Juden (Apg 17,5). Anlaß ist der Bericht des Timotheus (3,6-11). Es herrscht eine Bedräng­nissituation (2,14 und 3,3-4), es gibt Fragen (4,13 und 5,1) und Spannungen (5,12-13 und 4,11) und ein falsches Zeitverständnis (4,9).

Ziel ist die Stärkung des Glaubens in der Bedrängnissituation und eine Antwort auf die Fragen über die Parusie. Es wird gemahnt zu Solidarität und Ordnung (soziale Pflichten (4,11) und zur Pflege der Beziehungen (2,17-18 und 3,10).

Die Abfassung erfolgte um das Jahr 50: Die Erinnerungen sind noch frisch (1,9; 2,1-10), es ist keine spätere Reise. Paulus ist nicht mehr in Athen (3,1 und Apg 118,5), der Brief ist wohl aus Korinth.

 

 

2. Thessalonicherbrief siehe „Unechte Paulusbriefe“

 

Timotheusbriefe und Titus: siehe „Unechte Paulusbriefe“

 

 

Philemon

Der Brief ist ein Fürbitteschreiben und Zeugnis für den Menschen Paulus: Der Sklave Onesimus ist seinen Herrn Philemon entflohen und zu Paulus gekommen. Aber Paulus schickt ihn zurück mit diesem Brief und empfiehlt die Freilassung des Onesimus.

Die Datierung ist wie beim Philipperbrief (Ephesus 53/53 oder Cäsarea 57-59 oder Rom 59-61). Nach Fuchs ist Vers 23-24 ein Zusatz, der bei der Redaktion eingefügt wurde, um die Namen mit Kol 4,10-18 auszugleichen.

 

 

Theologie des Paulus

Der grundlegende Charakter paulinischer Theologie ist: Wichtig ist ihr endzeitlicher Charakter. Die Rechtfertigungslehre als „Mitte der paulinischen Botschaft“ beschreibt das rettende Heilshandeln Gottes. das von der Vergangenheit Jesu aus die Gegenwart zur beginnenden Endzeit macht und nahe Vollendung verheißt.

 

Abendmahlsverständnis:

Die Feier des Herrenmahls hat sich an den überlieferten Abendmahlsworten auszurichten (1. Kor. 11,23-25). Doch auch hier setzt Paulus eigene Akzente:

• Das Brotwort erhält eine besondere Betonung durch den Hinweis „zu meinem

  Gedächtnis“.

• Mit dem Kelchwort „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut” weist Paulus

   nicht wie Markus und Matthäus auf 2. Mose 24 hin, sondern auf die prophetische

   Verheißung des in neuen Bundes in Jeremia 1,32-33.

• Paulus hat also weniger Interesse an den Substanzen Brot (Leib) und Wein (Blut). Es

   wird viel stärker auf den heilswirksamen Kreuzestod verwiesen, ausdrücklich dann

  auch in 1. Kor 11,26 („....verkündet ihr den Tod des Herrn.....“).

• In 1. Kor 11,26 steht das Herrenmahl im endzeitlichen Horizont („bis daß er

  kommt“).

Paulus kennt noch keinen Sakramentsbegriff, unter dem Taufe und Abendmahl zusammengefaßt wären. An einer Stelle bringt er sie aber in eine unmittelbare Verbindung: 1. Kor 10,2-4 stellt eine Rückverlegung von Taufe und Abendmahl in die Geschichte Israels dar.

 

Lehre von Christus und vom Heil:

Paulus ist dem irdischen Jesus wohl nie begegnet, und sollte er es doch sein, so zählt für ihn 2. Kor 5,16. „Auch wenn wir Christus persönlich kannten, so kennen wir ihn nun nicht mehr!“ Paulus nimmt in seiner Verkündigung auch praktisch keinen Bezug auf den historischen Jesus, lediglich seine Geburt wird erwähnt. Abgesehen von den häufigen Hinweisen auf Kreuz und Auferstehung, finden sich lediglich einige Herrenworte bei Paulus:

• Verbot der Ehescheidung 1. Kor 7, l0-11

• Gemeinden müssen für Unterhalt der Prediger aufkommen 1. Kor 9,14

• Einsetzungsworte des Herrenmahls 1.Kor 11,23-25

• Endzeitliches Herrenwort. 1. Thess 4,15-17

Dabei werden diese Sprüche der jeweiligen Situation entsprechend durch Ergänzungen oder Neuformulierungen ausgelegt.

In der Verwendung von Titeln für Christus steht Paulus in der urchristlichen Tradition.

• Der Christustitel verschmilzt mit Jesus zum Eigennamen.

• Paulus gebraucht als einziger neutestamentlicher Schriftsteller häufiger das Wort

  „Kreuz“ als Gegenbild zu aller eigenen Kraft.

 

Endzeiterwartung:

Hier geht es bei Paulus nicht einfach nur der Artikel über die letzten Dinge, sondern um Grundzug seiner Theologie. Längere Ausführungen finden sich 1. Thessalonicher 4,13 - 5,3 (Problem: Was geschieht mit bereits Verstorbenen?) und 1. Korinther 15 (Gegen die Leugnung der Totenauferstehung).

Paulus teilt die Naherwartung des Urchristentums. In 1.Thes und 1. Kor rechnet Paulus noch mit der Wiederkunft zu seinen Lebzeiten. Doch in 2. Kor 1,3-11 berichtet er von großer Bedrängnis und Todesgefahr. In äußerster Bedrohung - schon am Leben verzweifelnd - habe er aber sein Vertrauen nicht auf sich gesetzt, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt. Fortan wohl hat Paulus es für möglich gehalten, daß er vor der Wiederkunft sterben könnte. Dennoch hat er an der Naherwartung festgehalten (Phil.4,5).

Gegen die Korinther, die die Auferstehung der Toten bestreiten, setzt Paulus beim Glaubenssatz von Tod und Auferstehung Christi ein (und nicht bei endzeitlichen Erwartungen!): Weil Christus aus dem Tod auferweckt wurde, werden auch die, die zu ihm gehören, auferstehen. Die Lehre vom Ende wird also entworfen von der Lehre über Christus.

Ein weiteres Element seiner Endzeitlehre, die endgültige Heimholung Israels (Röm 11,25-32) ist in seiner Gotteslehre verankert (Treue Gottes). Zentrales Element der Zukunftserwartung des Paulus ist die Totenauferstehung:

• Auferstehung findet bei der Wiederkunft Christi statt (1. Kor 15,52).

• Fleisch und Blut (= der natürliche Mensch) kann nicht in die Ewigkeit gelangen. Es

  braucht eine Umgestaltung des Menschen. Das Sterbliche wird die Unsterblichkeit

  anziehen. Das Sterbliche wird vom Unsterblichen überkleidet. So findet eine  We-

  sensverwandlung des Menschen statt, bei der aber sein eigens Wesen erhalten bleibt.

• Paulus erwartet das kommende Gericht und hat die Hoffnung, daß Christus als der

  Retter der Seinen im Gericht erscheinen wird. Unsicher ist, ob Paulus erwartet, daß

  Christus für die Seinen im Gericht eintritt oder ob er die Seinen überhaupt vor dem

  Gericht bewahrt, so daß sie gar nicht in das Gericht kommen. Wahrscheinlich denkt

  Paulus eher an das letztere, denn in seinen endzeitlichen Aussagen spricht er von der

  Entrückung der Glaubenden.

 

Kirche:

I.  Die Kirche aus Juden und Heiden:

Das junge Christentum stand vor der Frage, ob und in welcher Weise die geschichtliche Verbindung zwischen dem Israel des Alten Testaments und der christlichen Kirche erhalten werden soll. Ferner war zu verstehen, welche Stellung das ungläubige Israel hatte, wo doch Jesus als der Messias Israels gekommen war. Dazu gab es mehrere Lösungsversuche:

• Die judenchristliche Lösung geht von der endzeitlichen Erwartung der Völkerwall

  fahrt zum Zion aus: Wenn Israel sich bekehrt hat, dann werden in der Endzeit auch

  die Heiden hinzukommen und sich dem Gottesvolk eingliedern. Israel bleibt hier

  nach wie vor die Mitte. Heidenmission wird (zunächst) wohl kaum aktiv betrieben:

  Wo Heiden zur Gemeinde hinzukommen, ist von ihnen die Übernahme des Gesetzes

  zu verlangen. Diese Lösung wurde mit zunehmender Ablehnung der Christusbot-

  schaft im Judentum immer problematischer. Durch das Apostelkonzil wurde sie end

  gültig ausgeschlossen.

• Weniger radikale heidenchristliche Lösung: Im Anschluß an Jes 6,9-10. wird der

  Gedanke von Verstockung und heiligem Rest entwickelt (Mk 4,12 und 8,18). So

  konnte an der Erwählung Israels festgehalten werden, obwohl die überwiegende

  Mehrheit der Juden sich nicht zum Christus bekehrten. Doch die Stellung der Heiden

  ist mit diesem Motiv allein nicht zu begreifen.

• Radikale heidenchristliche Lösung (Beerbungstheorie): Die Gemeinde ist der neue

  Bund, der Sinaibund gilt bedingt durch Israels Ungehorsam als endgültig abgelöst.

  Der Schluß, daß Israel verworfen ist, liegt nahe.

Paulus nimmt in seiner grundsätzlichen Ausführung zu diesem Thema in Röm 9 - 11 Impulse aus allen drei Bereichen auf, verbindet diese aber zu einem eigenständigen Entwurf:

(1.) Erste Grundthese: „Nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel“ (9,6b). Das vorhandene Israel ist nicht durch biologische Fortführung schon Volk Gottes. Vielmehr hat Gott in die biologischen Gegebenheiten erwählend und verwerfend eingegriffen. Die Zugehörigkeit zum Gottesvolk wird durch Gottes freie Erwählung begründet. Jetzt hat Gott die Judenchristen als heiligen Rest Israels erwählt und die Heidenchristen als neuen Teil des Gottesvolkes hinzu berufen. Durch diese These konnte das Judenchristentum als das wahre Israel verstanden werden, das Heidenchristentum war in dieses aufgenommen. Damit ist deutlich, daß Gott sein Volk nicht (ganz) verstoßen hat, denn das Judenchristentum stellt einen heiligen Rest dar. Die Kirche aus Juden und Heiden ist damit das wahre Israel, dem die Verheißung gilt.

 

(2.) Zweite Grundthese: Was wird dann aus dem ungläubigen Israel? Die Israeliten haben das Heil verfehlt, weil sie nach Gesetzeserfüllung strebten, deren Ende Christus ist. Es sind Israels mangelnde Erkenntnis und Ungehorsam, die sie selbst aus dem Gottesvolk ausschließen. Aber Gott hat einen heilsgeschichtlichen Plan auch mit dem ungläubigen Israel: Der Unglaube Israels ist Folge göttlicher Verstockung. Doch dieser Unglaube führe zur Bekehrung der Heiden. Diese Bekehrung der Heiden soll Israel eifersüchtig machen. Wenn die Zahl der Heiden voll ist, wird ganz Israel gerettet werden. Denn Gottes Gnade und Berufung ist unwiderruflich. Damit kommt es zu einer kühnen Umkehrung des judenchristlichen Motivs der endzeitlichen Völkerwallfahrt: Die Juden kommen zum Gottesvolk aus Juden- und Heidenchristen hinzu, nicht die Heiden zu den Juden.

Für das Verhältnis der Heidenchristen zu den Judenchristen verwendet Paulus das Bild vom Ölbaum: Israels Unglaube gab Raum für die Heiden, sie wurden als wilder Ölzweig der heiligen Wurzel aufgepfropft. Auch wenn die fremden Heiden hinzukommen, bleibt der heilige Baum jüdischen Ursprungs (das Alte Testament bleibt damit auch heilige Schrift). Deshalb können sich die Heidenchristen nicht überheben, da sie selbst unter der Gefahr stehen, wieder ausgerissen zu werden. In der Endzeit werden dann nicht die Heiden von außen zum Gottesvolk hinzukommen, sondern Israel wird wieder in den Ölbaum eingepflanzt. Die von Natur aus zugehörigen Zweige werden dann leichter wieder eingepflanzt als die von Natur aus fremden.

 

II. Die Gemeinde als der Leib Christi:

Der Leib Christi bezeichnet die durch Christus bestimmte Wirklichkeit. Von dieser Wirklichkeit wird vor allem im Zusammenhang mit Taufe und Abendmahl gesprochen. Immer geht es darum, daß die Glaubenden durch Glauben, Taufe und Abendmahl hineingenommen sind in die Wirklichkeit und den Herrschaftsbereich Christi. Daraus ergeben sich folgende Folgerungen:

  • Der Leib Christi wird nicht durch die Glieder, sondern durch Christus aufgebaut. Wer zu Christus gehört, der lebt als Glied an seinem Leib in der Gemeinde als dem Ort der gegenwärtigen Herrschaft Christi.
  • Der Leib ist einer, deshalb darf es in der Gemeinde keine Spaltungen geben.
  • Die Anteilhabe am Leib Christi schließt Unzucht aus, denn wer mit einer Dirne verkehrt, wird ein Leib mit ihr.
  • Die Zugehörigkeit zum Leib Christi schließt die Verehrung von Dämonen oder anderen Göttern aus.
  • Wenn die Christen aber Glieder am Leib Christi sind, dann habe sie auch alle gleichwertige Gnadengaben (Die Reformation zog daraus die Folgerung und sprach vom Priestertum aller Gläubigen).

 

Taufe:

Paulus knüpft an das urchristliche Verständnis der Taufe an und führt es in seiner Theologie fort. Er setzt als selbstverständlich voraus, daß

  • die Taufe wird auf den Namen bzw. im Namen des Herrn vollzogen wird
  • in der Taufe Vergebung der Sünden und Gabe des Geistes verliehen wird
  • alle Christen getauft sind
  • in der Taufe der Täufling Anteil gewinnt an Tod und Auferstehung seines Herrn.

 

Diese Tradition wird jedoch an einigen Stellen von Paulus umgeprägt:

  • In Gal 3,27 formuliert Paulus: „Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft worden seid, habt Christus angezogen“. Das von Paulus hier gebrauchte Bild vom Anlegen des Gewandes war besonders in den Mysterienreligio­nen weitverbreitet zur Deutung des mit der Aufnahme bewirkten Geschehen: durch die Überkleidung mit dem Gewand strömt göttliche Lebensmacht über, die der Gläubige an sich als leiblich merkbare Veränderung erfährt. Bei Paulus ist das Bild vom Anziehen Christi von anderer Bedeutung: Der Getaufte, der Christus angezogen hat, ist weder mit göttlicher Kraftsubstanz erfüllt, noch befindet er sich im Zustand unverlierbaren Heilsbesitzes. Er ist unter den Herrschaftsbereich Christi gestellt und deshalb zum Wandel im neuen Leben gerufen.
  • Der schon vor Paulus entwickelte Gedanke, daß die Taufe „Anteil am Sterben und Auferstehen Christi vermittelt“, findet bei Paulus eine neue Wendung: ,,...so daß auch wir in einem neuen Leben wandeln sollen“ (Röm 6,4). Die Auferstehung steht noch bevor und wird erst bei der zukünftigen Auferweckung der Toten verwirklicht werden. Allerdings sind wir in der Taufe bereits jetzt mit Christus gestorben und dadurch der Herrschaft der Sünde und des Todes entzogen. Durch diese beiden Korrekturen gegenüber einem von mysterienhaften Taufverständnis wird ein schwämerisches Mißverständnis abgewehrt: Durch die Taufe erwirbt der Täufling kein unverlierbares, sondern ein vermitteltes Heil. Die Taufe führt aber in die Spannung des „schon und noch nicht“, nicht aber bereits in ein vollendetes Heil. Im Verhalten in der Gegenwart ist das bereits zugeeignete endzeitliche Heil zu bewähren. Die Taufe wird damit zu einem Beweggrund für das neue Leben, denn sie verbürgt die Freiheit von der Herrschaft der Sünde.

 

Jesus und Paulus:

Paulus wurde als im Ausland entwurzelter Jude gesehen und galt als der eigentliche Gründer des Christentums, das eine nicht-jüdische Religion unter Aufnahme heidnischer Vorstellungen darstellt. Jesus gehört damit im Wesentlichen ins Judentum.

Andere teilten die religionsgeschichtliche Anschauung, daß Jesus und das Pharisäertum sowie frühes Christentum und hellenistisches Judentum wesentlich zusam­men­gehören. Jesus teile die Vorstellung des Alten Testaments vom glaubenden Vertrauen, in dem der Einzelne steht, für das er sich aber nicht entschließt. Paulus vertritt die Gerechtigkeit aus Glauben, der die Annahme der Tatsächlichkeit eines Vorganges bedeutet und auf einem Akt beruht, den der Einzelne vollzogen hat und vollzieht. Daraus folgt: Verkündigung Jesu und Theologie des Paulus bilden zwei Glaubensweisen, die sachlich keine Einheit darstellen.

Eine Abwertung des Paulus findet sich auch in der christlichen Theologie. Für Ethelbert Stauf­fer ist Jesus das Maß aller Dinge. Paulus kann nicht alles geglaubt werden. Für Stauffer stehen paulinisches Denken und der Geist Jesu von Nazareth in unversöhnlichem Gegensatz.

Walter Schmithals dagegen sagt, Paulus weiß offensichtlich sehr wenig vom historischen Jesus. Er setzt zwar die Einheit des geschichtlichen Jesus mit dem auferstandenen Christus voraus, aber Nachweis des Zusammenhangs vom historischen Jesus zur Predigt der nachösterlichen Gemeinde trägt zu dieser Rechtmäßigkeit nichts bei. Das entspricht auch der Position Rudolf Bultmanns.

Werner-Georg Kümmel betrachtet beider Verhältnis unter den Problemen von „Kontinuität“ und „Identität“, also von Fortführung und Gleichheit. Er fragt dabei von der quellenmäßig gesicherten Theologie des Paulus zurück zum historischen Jesus. Dennoch bleibt der Unterschied, daß Jesus vor und Paulus nach der Erhöhung geredet hat. Aber Kümmel unterscheidet hier nur zwischen zwei „Glaubenszeiten“ Im Glauben der Urgemeinde hat sich die gegenwärtige Verwirklichung des erwarteten endzeitlichen Heils auf die himmlische Wirksamkeit des Auferstandenen erweitert. So spricht Kümmel auch von der „Apokalyptik“ (jüdische Endzeitlehre) als „Mutter aller christlichen Theologie“. Paulus ist nur der Bote, in dessen Zeugnis dem Jesus begegnet werden kann, der dessen Grund und Wahrheit ist.

Ist Paulus ein Zeuge Jesu, hat er ihn richtig verstanden? Paulus hat die Lehre Jesu glaubwürdig und zuverlässig („authentisch“) ausgelegt. Dabei legt seine Recht­fertigungslehre die Botschaft vom Kommen der Herrschaft Gottes aus. Paulus hat nicht die Worte Jesu verkündet, sondern er hat i h n verkündet. Er kümmerte sich nicht um die Taten und Werke Jesu, sondern es geht darum, an Jesus Christus zu glauben.

 

 

 

Nachapostolische Schriften

 

 

Unechte Paulusbriefe

 

Pseudonymität in der Antike:

Heute werden der Römerbrief, die zwei Korintherbriefe, Galater, Philipper, 1.Thessa­lo­nicher­brief und Philemonbrief als echte Briefe des Paulus anerkannt. Die „Pastoralbriefe‘“ (1. und 2. Timotheus und Titus) sind sicher nicht von Paulus, sie sind „pseudonym“, also unter einem falschen Namen herausgegeben. Umstritten sind Epheser, Kolosser und der 2. Thessalonicher­brief.

Briefe, die unter einem falschen Namen herausgegeben wurde, waren nicht unbedingt eine „Fälschung“. Man kann hier nicht mit modernen Maßstäben beurteilen. Die Herausgabe eines Buches unter einem anderen Namen war in der Antike nichts Ungewöhnliches:

  • Man war überzeugt, altes Gut weiterzugeben.
  • Der Schriftsteller verzichtet auf den eigenen Ruhm und schreibt die Schrift dem Meister zu, um ihn damit zu ehren (daß man ihm damit auch schaden konnte, war wohl nicht im Blick).
  • Der Schriftsteller wollte über eine Krise hinweghelfen, die zum Beispiel entstanden war durch zu freizügiges Leben und das Ausbleiben der Wiederkunft Christi
  • Außerdem konnte es klug sein, gefährliche Stoffe nicht unter dem eigenen Namen herauszubringen. Paulus war dieses Verfahren allerdings nicht so leicht, weil ja eine große Sammlung seiner Schriften vorhanden war. Und die späteren Fälschungen aus dem 2. Jahrhundert lassen sich sofort als solche erkennen.

 

 

Epheserbrief

Allgemein wird die Echtheit des Epheserbriefes (Betonung auf der ersten Silbe) bezweifelt. Gegen die Annahme, der Brief sei von Paulus verfaßt, spricht:

  • Die Empfängerangabe „Ephesus“ findet sich erst in den späteren Handschriften. Der Empfänger könnte ausgefallen sein aufgrund eines Versehens oder aufgrund einer bewußten Streichung. Wollte jemand Ephesus um die Ehre bringen, Empfänger eines Paulusbriefes zu sein? Manche (auch Marcion) vermuten einen Brief an Laodicea, dessen Name aber getilgt wurde wegen der Kritik in Offb 3,14-22. Oder sie vermuten ein Zirkularschreiben, das an mehrere Gemeinden gerichtet war. Die Adresse könnte auch fehlen, weil der Epheserbrief eigentlich eine Abhandlung und kein an eine konkrete Gemeinde gerichteter Brief ist.
  • Es handelt sich um kein Rundschreiben, denn das wäre ein Original erhalten, das nicht verbreitet wurde. Der Brief hat keine bestimmten Leser im Auge. Der Verfasser scheint die Gemeinde in Ephesus nicht zu kennen (Eph 1,16 und 3,2), konkrete Züge fehlen ganz. Paulus aber war Gründer der Gemeinde in Ephesus und war lange Zeit dort gewesen. Er kann nicht so unpersönlich an sie geschrieben haben.
  • Es fehlt jeder weitere Briefverkehr und vor allem gibt es keine Grüße. Die einzige Stelle, wo Personennamen genannt werden (Eph 6,21-22) stimmt wörtlich mit Kol 4,7-8 überein.,4-5).
  • Es besteht eine literarische Abhängigkeit vom Kolosserbrief: Kolosser 4,7 entspricht Epheser 6,21 und Kolosser 3,18 - 4,1 entspricht Epheser 5,22 - 6,9.
  • Es erfolgt eine stärkere Christianisierung, aber es besteht auch eine sachliche Differenz bei den Begriffen „Geheimnis“ und „Heilsplan“ (oikonomia) und bei der Fortbildung des Apostelbegriffs (Kolosser 1,26 wird zu Epheser 3
  • Die Begriffe ähneln der Religiosität der Mysterienreligionen, werden aber im Sinne des Gemeindechristentums gebraucht.
  • Der Gegensatz lautet „Leib - Glieder“, nicht wie bei Paulus „Haupt - Leib“.
  • Als Gnadengaben werden nur Verkündigungs- und Leitungsämtern genannt (Eph 4,11-12).
  • Einsetzung der Apostel und Propheten durch Christus (4,11 - 1. Kor 12,28).
  • Die Versöhnung geht von Christus aus, nicht von Gott (2,16; 1,20 u.ö.).
  • Die Ermahnung beruht weniger auf Rechtfertigung als auf der Zugehörigkeit zur Kirche (zum Beispiel Eph 4,15-16 und 5,23).
  • Die Erwartung der nahen Wiederkunft fehlt (3,21). Christen sind bereits auferstanden (Eph 2,4-5). Eine Wiederkunftserwar­tung in der Zukunft begegnet nicht. Der Kreuzestod tritt nur noch in traditionellen Formeln auf.
  • Die Ehe wird gewertet als Abbild des Verhältnisses Christus-Kirche (Eph 5,21-33). Das widerspricht aber 1. Kor 7,1-16, wo die Ehe („als notwendiges Übel“) zugestanden wird.
  • Der Wortschatz ist anders (z.B. Teufel nicht „Satan“, sondern „Diabolos“).
  • Die Lehre von der Kirche wird stark betont: Die „Kirche“ (auf dem Fundament der Apostel) wird ausschließlich universal verstanden. Der Verfasser rühmt den göttlichen Heilsplan, nach dem es nur e i n e Kirche aus Juden und Heiden gibt. Die Lehre von der Kirche stellt die Kirche als weltraumumfassende (kosmische) Einheit dar (Eph 1,22-23). Kirche als Leib Christi mit Christus als Haupt ragt in den Himmel. In der geistigen Krise des nachpaulinischen Heidenchristentums wird betont: Die Heiden gehören in Christus zum Gottesvolk. Das Handeln Gottes in Christus hat eine umfassende Wirkung und der Zusammenhang zwischen Christus und der Kirche wird herausgestellt.
  • Die Lehre der Kirche wird als Funktion der Lehre von Christus gesehen.
  • Aus der Liturgie genommen ist die Formel, die den Himmel beschreibt (Mehrzahl statt Einzahl).

 

Man kann der Epheserbrief auch nicht als Alterswerk des Paulus verstehen, er ist eine unter einem anderen Namen herausgegebene (pseudonyme) Schrift. Der Verfasser scheint ein ehemaliger Jude gewesen zu sein (2,11+17), dafür spricht auch das semitisierende Griechisch.

Zwischen Epheserbrief und Kolosserbrief bestehen zahlreiche Berührungspunkte. Der Kolosserbrief hat dabei den zeitlichen Vorrang vor dem Epheserbrief, denn er wendet sich an konkrete Einzelgemeinden, während im Epheserbrief kein aktueller Anlaß zu erkennen ist. Der Epheserbrief gilt als eine aufs „Grundsätzliche“ bezogene Überarbeitung des Kolosserbriefs.

Abfassungsort und Abfassungszeit sind nicht zu ermitteln. Verfasser ist ein Judenchrist, der die Gefahr der Lösung des gnostisch berührten Heidenchristentums vom heilsgeschichtlichem Zusammenhang mit dem alten Gottesvolk erkennt. Aber die Folge war die Entwicklung zum Frühkatholizismus.

Da Ignatius von Antiochien den Epheserbrief kennt, ergibt sich das 1. Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts als untere Grenze. Der Epheserbrief scheint die anderen Paulusbriefe gut zu kennen, deshalb liegt seine Abfassung wahrscheinlich zwischen 80 und 100, vielleicht in Kleinasien.

 

 

Kolosserbrief

Der Kolosser-Brief (Betonung auf der zweiten Silbe) geht an die Hausgemeinde des Philemon und an die Gesamtgemeinde. Empfänger ist die Gemeinde in Kolossä, eine Stadt im Lykostal, in der Nähe von Laodicea und Hierapolis. Die Gemeinden dort sind nicht von Paulus, sondern von Epaphras (1,7 und 2,1) gegründet. Kolossä war wohl ein unbedeutender Flecken. Aus der Gemeinde ist noch Philemon und sein Sklave Onesimus näher bekannt. Die Gemeinde bestand wohl überwiegend aus ehemaligen Heiden. Der Zusammenhalt unter den Gemeinden (es wird noch Laodi­cea genannt) war wohl so groß, daß sie aufgefordert werden konnten, ihre Briefe untereinander auszutauschen

Epaphras hat Paulus im Gefängnis aufgesucht (2,16) und beunruhigende Nachrichten mitgebracht: Es gibt einengende religiöse Vorschriften und Spekulationen über Engel und Dämonen. Die theologische Front des Kolosserbriefs ist nur undeutlich zu erkennen. Auch Kol 2,16-23 lassen nur geringe Rückschlüsse auf die Lehre der Geg­ner zu: Offensichtlich kannte sie eine Verehrung der Weltelemente als personale Wesen (Dämonen, Mächte), die aber auch Elemente des sich über die ganze Welt erstreckenden (kosmischen) Christus seien. Daraus leiteten sie kultische Verpflichtungen verschiedenster Art ab (Festtage, Speisevorschriften, Engel). Sie berufen sich dabei auf gewisse Weihen und Visionen. Dieses Gemisch ist ausgesprochen religionsvermischend (synkretistisch). Eine Einordnung in einen gnostischen Hintergrund ist rein vermutet. Sicher findet sich auch ein stark jüdischer Einschlag.

 

Gegen diese Lehre betont der Verfasser des Kolosserbriefs die Freiheit der Christen von Mäch­ten und damit auch von ihrer kultischen Verehrung. Er stellt dagegen die Herrlichkeit Christi (1,15-20) und betont die weltumfassende (kosmische) Rolle Jesu (1,15-20). Zugleich mahnt er die Christen zur Liebe untereinander. Nicht die erstiegene Überwelt, sondern die Erde ist der Ort christlichen Daseins. Hier muß sich christliches Leben in der Liebe bewähren. Der Kolosserbrief bleibt hier also zentral paulinisch. Ferner wird die Lehre von Christus und vom Heil so entfaltet, daß stark an griechische Vorstellungen angeknüpft wird und von dort aus eine Abwehr der Irrlehre möglich ist.

Falls Paulus der Verfasser ist (paulinischer Gebrauch von „in Christus“, es gibt paulinische Gedanken in dem Brief), so geht es um die gleiche Situation wie im Philemonbrief. Der Brief wäre dann 57-59 aus Cäsarea geschrieben (Besuch des Epa­phras, Quartierbitte, vgl. Phlm 22) oder aus Rom (Mitarbeiter und ihre Namen). Es gibt keine Überarbeitung durch den Verfasser des Epheserbriefs, da er eine in sich geschlossene Komposition hat.

Gegen die Abfassung durch Paulus sprechen:

- die persönlichen Angaben am Schluß und die Beziehung zum Philemonbrief

- Berufung auf Bekenntnis und Apostelamt (Frühkatholizismus)

- Rückfall der Gemeinde in Mysterienfrömmigkeit

- Vorstellung, der Apostel trage sein Leiden stellvertretend für die Kirche (1,24)

- Nachlassen der theologischen Argumentation (Traditionsgebundenheit).

Denkbar wäre, daß ein Paulus-Schüler den Brief im Auftrag des Paulus ziemlich eigenständig (vielleicht wegen der Gefangenschaft des Paulus) entworfen und ihn dann Paulus zur Unterschrift vorgelegt hat. Paulus wäre dann zwar mit dem Brief einverstanden gewesen, auch wenn nicht alle Formulierungen bis ins Einzelne seiner Theologie entsprechen.

Besonderheiten finden sich vor allem in den von Paulus übernommenen Stücken:

  • Die Bekenntnisformel 1,13-14: Die Vorstellung, daß Christen in Reich des Sohnes versetzt sind, ist unpaulinisch.
  • Das Christuslied 1,15-20 : Christus wird hier als „Bild Gottes“ zu einer Personifizierung einer Eigenschaft. Der Erlöser ist zugleich als Schöpfungsmittler und damit Herr über alle Mächte der Schöpfung.

In Kolosser und Epheser werden neue Töne im Vergleich zu den älteren Paulusbriefen angeschlagen, der Stil ist neu (Häufung der Genitive und Relativsätze) und vor allem die Lehre über Christus (Christologie) ist neu: Im Kampf gegen die Bewegung der Gnosis wird die weltweite (kosmologische) Bedeutung der Gestalt Christi herausgehoben, der Gebrauch des alten Bildes vom Leib Christi ist bedenklich (in Kol 2,19 nur Verhältnis des Einzelnen zu Christus). Aber die Häufungen von Wörtern sind orientalischer Gebetsstil und findet sich schon in älteren Briefen, nur ist die Bindung an die Liturgie stärker.

 

 

2. Thessalonicherbrief

Es gibt Verwirrung über den Zeitpunkt des Endes (2,1 und 3,6), vielleicht aufgrund eines Mißverständnisses des ersten Briefes (2,2). Die Aussage ist: So schnell kommt das Ende nun auch wieder nicht (2,15). Die Verfolgung dauert an (1,4), die Schwärmerei ist zugespitzt (2,2 und 3,4-16). Ziel ist die Belehrung über das Ende und die Ermahnung zur Zucht, eventuell auch eine Korrektur des ersten Briefs (durch Paulus selbst?).

 

Echtheitsfrage:

Gegen die Echtheit:

  • Widerspruch zwischen 1.Thess 4,13 - 5,11 und 2. Thess 2,1-12: Im zweiten Brief wird gesagt: Es muß erst noch der große Abfall geschehen, es gibt also noch eine Kette von Vorzeichen, vor die Wiederkunft wird noch eine Zeit vorgeschaltet.
  • 1. Thess 2,1-12 hat keine Entsprechung im 2. Brief. Der Vers 1. Thess 2,13 wurde dagegen ganz mechanisch nach 2. Thess 2,13 übernommen.
  • Die nahe Verwandtschaft mit dem ersten Brief, auch wenn nicht mechanisch abgeschrieben wurde.. 2. Thess 2,13 ist eine Entlehnung aus 1.Thess 2,13.
  • Paulus rechnet mit gefälschten Briefen (2.Thess 2,2). Aber wenn das in der frühen Zeit schon so gewesen wäre, dann hätte es Paulus nicht mit drei Worten abgetan.
  • Der Brief hat eine eigentümliche Sprache. Gewisse Paulus-Vokabeln sind vorhanden, die sonst nicht vorkommen (vergleiche 1. Thess 2,9 und 2,Thess 3,8).

 

Für die Echtheit:

  • Vorstellung der Vorbereitung des Endes auch in der Apokalyptik: Nebeneinander von Vorzeichen und plötzlichem Ende.
  • Verschiedene Themen: 1.Thess: Parusie, 2. Thess: Zeit vor der Parusie
  • In 2,4 ist die Existenz des Tempels vorausgesetzt
  • Nur die Leser haben eine andere Vorstellung vom Tag des Herrn (2,2).

Lösungsversuche:

  • Zweiter Brief vor dem ersten geschrieben
  • Zweiter Brief an die Judenchristen in der Gemeinde
  • Zweiter Brief von einem anderen Verfasser.

 

Der zweite Brief ist vom ersten abhängig, und zwar Vers für Vers. Er ist genau nach dem Muster des ersten aufgebaut. Die Echtheit ist also stark anzuzweifeln. Der zweite Brief kämpft nicht direkt gegen Paulus, aber er versteht ihn auch nicht mehr. Er ist eine Reaktion auf enttäuschte Endzeitgläubige und Schwärmer. Während die Wie­der­kunft für den 1.Thessalo­ni­cherbrief das Endereignis ist (4,13-18), ist sie im 2. Thessalonicherbrief ein einzelner Vorgang in einer ganzen Serie von Endereignissen; er vollzieht damit eine „Apokalyptisierung“ der Wiederkunftserwartung.

Bei einer Abfassung durch Paulus selbst wäre der Brief vor der zweiten Reise abgefaßt (Silvanus, Tiomotheus): Der erste Brief ist noch in guter Erinnerung. Der zweite Brief wäre dann 50-51 aus Korinth geschrieben. Er ist aber auch wesentlich später als der erste Brief und von einem anderen Verfasser.

Wenn der 2. Thessalonicherbrief echt wäre, dann müßte Paulus zweimal kurz nach­einander zwei ähnliche Briefe an dieselbe Gemeinde geschrieben haben, die doch an entscheidenden Punkten sich grundsätzlich unterscheiden (nämlich in der Frage der Plötzlichkeit der Wiederkunft). Der Brief ist wahrscheinlich von einem Paulusschüler geschrieben, der sich gegen einen Typ von „Paulinismus" wehrt, der eine starke Naherwartung pflegt

 

 

Pastoralbriefe: 1. Timotheus, 2. Timotheus, Titus

Die Briefe 1. und 2. Timotheus und Titus stimmen überein in Bezug auf die Irrlehrer, die Gemeindeorganisation, die theologische Begriffswelt, Sprache, Stil, der Gemeinde (daher der Name „Pastoralbriefe“).

 

 

Geschichtliche Lage:

Paulus wäre von Ephesus abgereist nach Makedonien, hätte den Timotheus in Ephesus zurückgelassen und Titus in Kreta (1,5) zur Bekämpfung der Irrlehrer. In diesen Briefen gäbe er dann neue Anweisungen (1. Tim 3,14 und 4,13), vor allem aber, würden die Briefe dazu dienen, die Apostelschüler als Beauftragte des Paulus auszuweisen.

Die Situation paßt jedoch nicht in das uns bekannte Leben des Paulus. Auf Kreta war er nicht während seiner großen Mission. Von Ephesus hatte er Timotheus nach Makedonien vorausgeschickt, nun müßte er brieflich (2. Tim 4,9-12) über diese Reise unterrichtet werden, an der er selbst teilnahm (2.Tim 4,12 und Apg 20,4)? Er fuhr mit Paulus nach Jerusalem (Apg 20,4 und 21,1 gegen 2. Tim 4,13), ebenso Trophimus (Apg 21,29 gegen 2. Tim 4,20).

Man müßte höchstens eine Freilassung aus römischer Gefangenschaft annehmen. Die Abfassung wäre dann zwischen 58 und 64 erfolgt. Aber Paulus war nicht mehr im Osten (Apg 20,25 und 38), höchstens noch in Spanien (1. Clem 5-6).

Die Sekretärshypothese entkräftet nur sprachliche Argumente.

Die Fragmentenhypothese (2. Tim 4,9-22 und Tit 3,12-15 seien von Paulus) führt zu Widersprüchen.

 

Die Pastoralbriefe sind nicht von Paulus verfaßt:

  • Späteres Stadium des Kampfes gegen die Gnosis als bei Paulus:

Keine leidenschaftliche Diskussion um die kirchliche Lehre, sondern Hinweis auf die überlieferte Lehre, die vorausgesetzt wird. Die geweissagten Irrlehrer sind literarisches Motiv (kein Unterschied zu den gegenwärtigen).

  • Verdrängung des charismatischen Amts durch das statische:

Das Amt bestimmt das Gemeindeleben, vor allem den Kampf gegen die Irrlehrer. Es gibt allerdings keine Sukzessionskette, wohl aber eine Traditionskette (2.Tim 2,2 und 8).

  • Die Setzung gleichlautender dauerhafter Ordnungen auf verschiedenen Missionsgebieten paßt nicht zu der Mannigfaltigkeit der Gemeinden in paulinischer Zeit. Außerdem sah der vermeintliche „Paulus“ seine „Mitarbeiter“ erst kürzlich bzw. er wird sie bald treffen (2. Tim 1,3 und 3,14-16).
  • Die Gemeinde richtet sich bereits in der Welt ein: Es gibt keine Naherwartung mehr und das Kirchenrecht ist entwickelt. Ein bürgerliches Christentum lebt in einer Atmosphäre bürgerlicher Rechtschaffenheit.
  • Anderer Sprachschatz: Füllwörter, Phrasen, verschiedene Wörter für die gleiche Sache, andere Terminologie: Glaube, gute Lehre, gesunde Lehre, gute Werke.

 

Gegen die Echtheit spricht:

  • Ton und Art der Auseinandersetzung weichen von den echten Paulusbriefen ab, der Verfasser setzt sich mit den Gegnern nicht mit Beweisgründen auseinander, der stellt der Irrlehre nicht die rechte Lehre gegenüber, entfaltet sie aber auch nicht theologisch, sondern zitiert geprägte Formeln.
  • Ein Zusammenhang zwischen falscher Lehre und Unsittlichkeit wird behauptet (Gottlosigkeit bringt Laster hervor).
  • Die Regeln in den Pastoralbriefen sind für die Dauer bestimmt und passen nicht zu der Darstellung, nach der Paulus erst kürzlich abgereist ist und in Kürze wieder erwartet wird.
  • Paulus war nicht in Spanien (1. Clemens 5,7), er war auch nur einmal in Haft, und diese endete mit seinem Tod. Die Pastoralbriefe setzen aber zwei Gefangenschaften voraus, sonst lassen sich die Situationen nicht unterbringen.
  • Die religiös-theologische Begriffswelt ist anders („gesunde Lehre“ und „gute Werke“, die nicht aus dem Gesetz kommen, sondern Folge des Glaubens sind). Viele Ausdrücke des Paulus fehlen. Aber insgesamt 306 Wörter aus den Pastoralbriefen kommen bei Paulus nicht vor.
  • Die persönlichen Bemerkungen des Verfassers sind vielleicht nur ein Trick, um die Echtheit vorzutäuschen, aber die genannten Situationen lassen sich im Leben des Paulus nicht feststellen.
  • Die nach Paulus klingenden Abschnitte sind nur Zitate aus den echten Paulusbriefen, die aber der Nachahmer nicht mehr richtig versteht.
  • Das Traditionsgut wird nicht neu ausgelegt, sondern nur eingeschärft.
  • Die Gemeindeordnung stammt aus der Zeit der Jahrhundertwende, das Vorhandensein der „Presbyter“ weist in eine spätere Zeit, die Verbindung der Ämter ist nachapostolisch.
  • Die „Bürgerlichkeit“ ist nicht von der Endzeit her bestimmt, sondern in der Schöpfungsordnung begründet.
  • Zwischen Gott und Christus ist ein eigentümlich schwebendes Verhältnis. Einmal ist Christus der untergeordnete Mittler, aber unter dem Gesichts­punkt des Heilshandelns rücken Gott und Christus Seite an Seite.
  • Das Grußwort in den Vorworten entspricht nicht der fortlaufenden Entwicklung der Vorworte in den echten Paulusbriefen.

 

Dagegen hat man eingewandt:

Wegen der anderen Begriffswelt müssen die Briefe noch keine Fälschung sein:

  • Sie sind gut bezeugt, die Lehre des Paulus tritt gut hervor
  • die Werkgerechtigkeit (Rechtfertigung aus guten Werken) wird abgelehnt
  • es gibt erst zwei Ämter (Bischöfe und Diakone)
  • die Stellung zum Staat ist eng mit Röm 13 verwandt
  • die geschichtlichen Einzelheiten (2. Tim 4 und 1,15-18) sind zu einmalig und genau.

Die einfachste Lösung ist da die „Sekretärshypothese“ (eine gemilderte Unechtheitserklärung): Ein Schreiber habe die Briefe nach den Angaben des Paulus selbst formuliert. Sie müßten dann zwischen 58 und 64 abgefaßt worden sein. Doch wie Paulus diktiert, zeigen seine echten Briefe: Da fängt er eine Satz an, bricht ihn wieder ab, nimmt ihn nachher wieder auf. So schreibt kein Sekretär, der Ruhe zur Abfassung hat. Der „Sekretär“ für die Pastoralbriefe ist eher ein selbständiger Schreiber

 

Allgemeines:

Die Irrlehrer verkörpern eine frühe, judenchristliche Gnosis (nicht Marcion). Gegen ihren Enthusiasmus und das Pneumatikertum errichten die Briefe

- die sukzessiv gesicherte rechte Lehre

- den ordinierten, an die Lehre gebundenen Amtsträger

- die nüchternen Gemeinderegeln, die für alle gelten.

Hier versucht ein verblaßter Paulinismus die notwendige Neu-Interpretation der urchristliche Botschaft unter der Voraussetzung der aufgegeben Naherwartung.

Der Abfassungsort dürfte in Kleinasien oder Griechenland gewesen sein (Verwandt­schaft mit Polycarp), die Autorität des Paulus wird noch anerkannt.

Als Abfassungszeit ist die Jahrhundertwende oder der Anfang des 2. Jahrhunderts anzunehmen: Das paulinische Erbe kommt noch aus lebendiger Gemeindeüberlieferung und die bekämpfte Lehre der Gnosis hat einen nur bruchstückhaften Charakter.

 

Erster Timotheusbrief:

Timotheus soll in Ephesus sein. Der Brief richtet sich auch gegen Irrlehrer. Hauptteil ist aber eine Kirchenordnung, die aus Sammelgut besteht. Sie ist aber mit einer Haustafel verschmolzen.

 

Zweiter Timotheusbrief:

Der Verfasser schlüpft in die Rolle des Paulus, der jetzt in Rom in Gefangenschaft ist und dort seinen Glauben rechtfertigen soll. Doch ihm steht auch Timotheus vor Augen, der Mitarbeiter des Paulus, der sowieso von Natur aus etwas zurückhaltend war und das gleiche Schicksal fürchtet wie Paulus. Er soll im Herbst zu ihm kommen, damit ihn Paulus zu seinem Nachfolger bestimmt. Die Personalangaben in 2. Tim 4,9-22 sprechen für Cäsarea als Abfassungsort und Ephesus als Ort der Empfänger. Die Teilnahme des Timotheus an der Jerusalemreise des Paus macht aber 2. Tim 4,10 überflüssig ebenso wie die Erwähnung Roms in 2.Tim 1,17.

 

Titus:

Dieser ist der älteste der drei Briefe. Titus hat mit Paulus auf Kreta gewirkt und Titus dort zurückgelassen. Jetzt will Paulus mit ihm die Irrlehrer bekämpfen. Der Aufstellung über die Presbyter (Tit 1,5-6) ist sehr kurz, in der Aufstellung über die Bischöfe (Tit 1,7-9) fehlen aber genau die Punkte, die bei den Presbytern genannt sind. Hier handelt es sich um eine einzige Liste, die nur auf die beiden Amtsträger verteilt wurde.

 

Die Pastoralbriefe geben nicht die Theologie des Paulus wieder. Aber das heißt nicht, daß ihr „bürgerliches Christentum“ nicht eine notwendige Neuauslegung der urchristlichen Botschaft ist, nachdem die Naherwartung aufgegeben wurde. Die Verfasserfrage ist nicht so entscheidend. Die Briefe können notwendige und sachgemäße Fortbildung der Verkündigung des Paulus sein. Aber man muß sie dennoch von Paulus absetzen und den Abstand von ihm berücksichtigen. Aber unter dieser Voraussetzung können sie durchaus Wort Gottes sein.

 

 

 

Katholische Briefe

 

„Katholisch“ heißt hier: „für die Allgemeinheit bestimmt“. Der Ausdruck findet sich zuerst bei Origenes und wird zuerst im 1. Johannesbrief so verstanden. Aber in Wirklichkeit haben die Briefe einen begrenzten Leserkreis.

 

1. Petrusbrief

Der Brief richtet sich an Christen als die Glieder des wahren Gottesvolkes, die als Fremd­­linge auf der Erde verstreut wohnen, da ihre Heimat im Himmel ist. Heidnische Verleumdung (2,12) führte zu Anklagen der Christen vor Gericht (1,6; 4,12; 2,20; 4,15). Beginn des Endgerichts (4,7+17), doch Leiden ist Prüfungsmittel (1,6-7 und 4,12-13+19).

Der Brief stammt nicht von Petrus: Er hat ein gepflegtes Griechisch und Zitate aus der Septuaginta. Die paulinische Theologie ist vorausgesetzt, der Brief ist in paulinisches Missionsgebiet gerichtet. Er hat keine Bekanntschaft mit dem irdischen Jesus (2,24). Es ist die Zeit der beginnenden Verfolgung. Berührungen gibt es auch mit Jakobus und Epheser.

Daß eine wirklich beabsichtigte Falschangabe des Verfassers vorliegt, zeigt sich darin, daß der Apostel-Titel verwandt wird und die zwei aus der apostolischen Zeit bekannten Paulus­mit­arbeiter Silvanus und Markus als Gehilfen auftreten. Daraus schließen einige Ausleger, der Brief sei durch Silas Silvanus geschrieben worden, den „Sekretär“ des Paulus.

Man hat den Brief als abhängig von anderen Briefen eingeschätzt. Aber die ermahnende Tradition ist immer sehr formelhaft und wird im Gottesdienst häufig zitiert. Es geht also nicht um eine literarische Abhängigkeit, sondern hier liegt die gleiche ermahnende Tradition der frühen Christenheit vor.

 

Die Annahme einer Zusammensetzung des ersten Petrusbriefs aus zwei Teilen ist unnötig und unwahrscheinlich. Man hat vermutet, daß hier das älteste Dokument eines urchristlichen Gottesdienstes vorliegt, denn hier habe ab 4,12 ein Taufgottesdienst seine schriftliche Niederschrift gefunden. Daran habe sich dann der Gottesdienst der Gesamtgemeinde angeschlossen.

Es gibt folgende Möglichkeiten:

  • Sekundär brieflich gerahmte Taufansprache
  • Taufansprache und Mahnschreiben des gleichen Verfassers
  • Taufpredigt vor und nach der Taufe
  • Liturgische Stücke eines Taufgottesdienstes (1,21-22).

Doch der „Rahmen“ ist mit dem „Korpus“ verknüpft, der Brief ist einheitlich. Leidenserfahrungen finden sich auch 1,6 und 2,12 und 3,16 und 4,4. Dagegen passen Haustafel und Paränese nicht in eine Taufansprache.

Das Schreiben muß auch nicht als Taufansprache oder Taufliturgie verstanden werden. Denn die Bezüge auf die Taufe lassen sich von der Grundabsicht her (der Motivation zum Ausharren für Leiden) verstehen: Überliefertes Material dient dazu, die endzeitlich begründete Allgemeinheit des Leidens zu begründen und dadurch zum Ausharren aufzufordern. Die Taufe selbst wird dabei nie eigenständig thematisiert.

Die Leidenssituation wird durch zwei Grundgedanken bearbeitet:

  • Das Leiden ist der Beginn des Endgerichts, das nun unmittelbar bevorsteht. Leiden ist damit ein Prüfmittel Gottes vor dem baldigen Erscheinen Christi. Es wird also durch Rückgriff auf die Naherwartung bewältigt.
  • Leiden wird als Nachahmung des Vorbildes Christi gesehen, der selbst litt und dadurch die Sünde überwand. Wo Christen am Körper leiden, hat auch für die die Sünde ein Ende.

 

Die Kirche der nachpaulinischen Zeit war vor eine Reihe von Aufgaben gestellt:

  • Die Verzögerung der Wiederkunft zwang dazu, die Endzeitlehre neu zu bedenken.
  • Die Kirche wurde sich bewußt, daß sie eine Geschichte hat. So wurde gefragt, wie sich nun der Weg der Kirche zu dem des Volkes Israel verhält? Nach welchem Plan lenkt Gott den Lauf der Geschichte?
  • Paulus war hier Wegweiser: Im Zusammenhang mit der Frage nach der Offenbarung der Gerechtigkeit Gottes lenkt er den Blick auf das Geschick Israels und bezeichnet Gottes Barmherzigkeit als Ziel seiner Geschichte mit Israel und den Völkern (Röm 9-11).
  • Gab es christliche Überlieferung von Anfang. so mußte man nun dafür Sorge tragen, daß zwischen rechter und falscher Tradition unterschieden wurde, um in der Verkündigung die durchgehende Folge des einen Evangeliums durchzuhalten
  • Da die Kirche sich in der Welt zurechtfinden mußte, konnte sie nicht ohne eine Ordnung leben. Mit der Ausbildung einer Verfassung wurden jedoch die Amtsträger aus der Gemeinde herausgehoben. Sie sollen die Kirche vor Schaden bewahren, die rechte Lehre vertreten und für den rechten Vollzug der Sakramente sorgen.
  • Um den Christen Anweisungen zum Verhalten im Alltag zu bieten, mußten ihnen Lebensregeln gegeben werden, nach denen sie sich richten konnten.
  • Diese Aufgaben, vor denen die Kirche an der Jahrhundertwende stand, konnten nicht durch unveränderte Wiederholung überkommener Sätze bewältigt werden. Das überlieferte Bekennt­nis mußte so zu Wort kommen, daß es Antwort auf neue Probleme geben konnte.

Eigentliches Thema ist die Stärkung der Christen für das Leiden (Taufe nur 1,3-2,10). Der Brief ist eine Mahnschrift an jüngere Christengemeinde. Die Erinnerung an die Taufgabe dient dabei dazu, die Notwendigkeit des Leidens und Ausharrens zu zeigen.

Eine theologische Besonderheit ist die Vorstellung von der Höllenfahrt Christi (1.Petr 3,18-22 und 4,6). Dadurch soll die umfassende Gültigkeit des Christusgeschehens deutlich gemacht werden. Zugleich wird aber auch die Frage nach Gottes Gerechtigkeit beantwortet: Auch die schon Gestorbenen erfahren die Christuspredigt und können sich noch entscheiden, so daß keiner im Gericht entschuldbar ist.

Das Trost- und Ermahnungsschreiben (5,12) ist nach Kleinasien gerichtet, an die fünf kleinasiatischen Provinzen. Als Abfassungsort nennt 1. Petr 5,13 die Stadt Babylon, ein bekannter Deckname für Rom. Die Vorstellung vom römischen Aufenthalt des Petrus ist gegen Ende des ersten Jahrhunderts bezeugt. Daß der Brief zunächst mehr im Osten bekannt ist, spricht aber weder für noch gegen eine Abfassung in Rom. Doch „Petrus“ sagt in dem Brief wenig über seine Person und er müßte auch eine starke theologische Entwicklung durchgemacht haben hin zu Glaubensüberzeugungen des Paulus.

Die Verfolgungssituation läßt sich nur als die beginnende staatliche Verfolgung (im ganzen römischen Reich) verstehen (1.Petr 5,9), die aber frühestens unter dem Kaiser Domitian (81-96) einsetzte. Vorher gab es nur lokale Verfolgungen. Zu dieser Zeit aber war Petrus schon lange tot. Die Entstehungszeit dürfte zwischen 90 und 95 gewesen sein

 

 

Judasbrief

Der Verfasser nennt sich „Judas, Knecht Jesu Christi, Bruder des Jakobus“. Damit soll zweifellos der Herrenbruder Judas gemeint sein. Doch gegen eine Verfasserschaft eines Herrenbruders spricht:

- Die Zeit der Apostel wird als zurückliegende gesehen

- typische Glaubenssätze der Zeit des ausgehenden Urchristentums

- der überlieferte Glaube

- die Ankündigung der Irrlehrer in der Endzeit

- das gepflegte Griechisch.

- die Zitierung der Henoch-Apokalypse in der griechischen Übersetzung.

Daß der Judasbrief aber von einem anderen Judas, der einen Bruder Jakobus hatte, verfaßt wurde, ist eher unwahrscheinlich. Weder ist ein Judas mit einem Bruder Jakobus bekannt, noch wäre verständlich, wie ein so wenig bekannter Autor ein so ungenau adressiertes Schreiben einfach mit einem solchen Absender versehen will. Der Judasbrief will vielmehr als Schrift die Verfasserschaft eines Herrenbruders vortäuschen.

 

2. Petrusbrief

Zum ersten Mal wird hier Bezug genommen auf ein andere Schriften des Neuen Testaments (3,1 und 15). Der Brief ist abhängig vom Judasbrief.

  •  2. Petr 2,11 ist nur durch Jud 9 verständlich.
  •  2. Petr 2,4-9 hat die Beispiele chronologisch (Engel, Flut, Sodom).
  • Die Irrlehrer der Endzeit werden umgedeutet zu Leugnern der Endzeit.
  • Die Pseudepigraphen werden nicht benutzt bzw. ausgelassen
  •  (Jud 14-15 = Henoch 1,9 und 60,8).

Der Brief gibt sich als „Testament“ des Petrus (besondere Literaturgattung), stammt aber nicht von dem Apostel (1,13-21):

  • Literarische Beziehung zum Judasbrief in Kapitel 2
  • Hellenistische Anschauungswelt (arete, koinonoi, physeos)
  • Die „Gnosis“ ist die orthodoxe Lehrtradition (fides catholica)
  • Kampf gegen die gnostische Leugnung der Erwartung des nahen Endes (3,3-10)
  • Berufung auf die Sammlung der Paulusbriefe (3,15)
  • Die Briefe werden ausgelegt durchs Lehramt
  • Rückverweis auf den 1.Petrusbrief (3,1-2 und 1,12+15)
  • Im zweiten Jahrhundert noch nicht erwähnt, bei Origines umstritten
  • Zeit der Kanonisierung des AT (ohne Pseudepigraphen) und NT
  • Die Gegner werden nur moralisch verunglimpft.

 

Der Inhalt des Briefes ist eine Abwehr von Irrlehrern. Über deren Haltung wird folgendes deutlich:

  • Sie leugnen Christus als den Herrn
  • sie sind „Träumer“
  • sie lästern die überirdischen Mächte
  • offensichtlich erkennen sie nur natürliche Dinge an
  • sie führen ein zügelloses Leben und begehen Unzucht
  • sie spotten
  • sie verursachen Spaltungen.

Die Irrlehrer werden durch folgende Mittel bekämpft:

  • Aufruf zum Festhalten am überlieferten Glauben
  • Drohung mit dem Gericht
  • einfach Beschimpfung
  • Einordnung der Irrlehrer in die Endzeitereignisse
  • Aufruf, Zweifelnde zu retten, Irrlehrer aber zu meiden
  • inhaltlich wird den Irrlehrern nichts entgegengesetzt.

 

Es geht um die Einprägung apostolischer Gedanken, um über die Krise zu helfen, die durch Zügellosigkeit (Libertinismus) und Verzögerung der Wiederkunft entstanden war. Die Gegner sind Anhänger der Lehre der Gnosis, die sich sogar den Engeln überlegen wissen und denen auch die urchristliche Endzeitlehre nichts mehr sagen kann.

Demgegenüber betont der Brief: „Ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag (3,8). Der Herr verzieht nicht die Verheißung, wie es etliche für einen Verzug achten, sondern er hat Geduld mit uns, und will nicht, daß jemand verloren werde, sondern daß sich jedermann zur Buße kehre“ (3,9 und 3,13: „Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach seiner Verheißung, in welchen Gerechtigkeit wohnt!“).

Der Brief dürfte um 110 geschrieben sein, als man gerade dabei war, die neutestamentlichen Schriften zu sammeln und gewisse Schriften auszuscheiden. Das Christentum war schon stark griechisch beeinflußt. Schon die alte Kirche hielt den Brief für „unecht“, er ist also nicht von Petrus. Er könnte aber auch erst aus der Zeit zwischen 125 und 150 stammen (christologische Irrlehre fehlt noch) und wäre somit neben Judas späteste Schrift des Neuen Testaments.

 

 

 

Johannesbriefe

 

Die Briefe sind für die ganze Christenheit bestimmte Mahnschreiben (Traktate). Im ersten Johannesbrief ist das Thema: „Der rechte Glaube an Christus“ und „Der Zu­sammenhang von Glaube und Wandel“. Er stammt vom gleichen Verfasser wie das Johannesevangelium. Doch das Evangelium ist älter (20,27 - 1,10; 13,34 - 3,11; 5,39 und 8,17-18 - 5,9 und 14,13-14; 16,23 - 5,11).

Viele Stellen in den Johannesbriefen werden erst vom Evangelium her verständlich (Brief 1,1 und Evangelium 2,27 oder Brief 5,14 und Evangelium 14,13-14 bzw. 16,23). Viele zentrale Gedanken sind gemeinsam:

- die Zusammenordnung von Vater und Sohn

- die Sendung des Sohnes in die Welt

- Wasser und Blut in Christus

- Christus der Eingeborene und der Weltheiland

- der Geist der Wahrheit

- die Heilskräfte Leben, Licht und Liebe

Die Johannesbriefe haben aber auch eigentümliche Gedanken:

            - Verbindung von Gottesliebe und Bruderliebe

- Verbindung von Gotteserkenntnis und Gehorsam

- Betonung der Sühnung und Reinigung durch Christus

- Die Sündenvergebung und ihre Schranken.

Es fehlen aber Grundbegriffe des Johannesvangeliums wie „Wort“, „Geist“, „Kampf“, „Auferstehung“, „Gottesherrschaft“, „Retter“. Die Briefe verfolgen eigene Absichten, vor allem die Abwehr der Irrlehrer. Die Schriften entstammen denselben Kreisen, aber es gibt keine literarische Abhängigkeit. Evangelium und Briefe den gleichen Verfasser und den gleichen theologischen Standpunkt. Die Unterschiede erklären sich aus der schärferen Einstellung gegen die Gnosis. Die Briefe sind bald nach dem Evangelium geschrieben.

Zitate aus dem AltenTestament fehlen, die futurische Endzeiterwartung wird betont (2,28), die Irrlehrer sind gegenwärtig (2,18+22 und 4,3). Tröster ist Jesus Christus (2,1). Der Sühnetod Jesu wird erwähnt (1,7+9: 2,2:4,10). Manche Differenzen erklären sich aus der Ketzerpolemik des Briefs und dem zeitlichen Abstand zwischen den Schriften und aus sachlichen Gründen (kerygmatisches Evangelium - praktisch-paränetischer Brief).

Die Irrlehrer bilden eine gnostisch-enthusiastischen Bewegung mit einer Lehre von Christus, die ihm nur einen Scheinleib zugesteht („Doketismus“) (4,2-3; 5,1+5-6; 1,7; 2,1-2; 3,16; 4,10) und mit Zugeständnissen an die Welt (4,5; 2,15; 1,8+10; 2,4). Sie wissen sich als sündlos und mißachten das Gebot der Bruderliebe. Es handelt sich jedoch nicht um die Lehre des Kerinth (Trennung in einen oberen und unteren Gott, Christus habe sich nur zeitweise mit dem Menschen Jesus verbunden).

Bultmann rekonstruiert eine Vorlage aus der gnostischen Quelle der Offenbarungsreden (Interpolationen mit kirchlicher Endzeitlehre und Sühnetod Jesu sind 5,14-21; 2,28; 3,2; 4,17; 17b, 2,2; 4,10b). Doch die Ergebnisse sind unwahrscheinlich, da zwischen Vorlage und Bearbeitung kein eindeutiger theologische Unterschied besteht und die Stilunterschiede auf Verwendung traditionellen Stoffs zurückgeht. Einziger Zusatz ist das „Komma Johanneum“ 5,7-8 („Drei sind da, die da Zeugnis geben: der Geist, das Wasser und das Blut, und die drei stimmen überein“).

 

Beim ersten Johannesbrief handelt es sich nicht um einen Brief, sondern eher um eine theologische Abhandlung. Diese scheint an einen bekannten Leserkreis gerichtet zu sein, wendet sich aber an die gesamte Christenheit. Es gibt einen ständigen Wechsel zwischen dogmatischen (christologischen) und ethischen (ermahnenden) Abschnitten. Gegenüber einer hochtönenden gnostischen Frömmigkeit wird ein schlichtes, aber großzügiges Christentum der Tat gefordert.

Die gegen die Irrlehrer gerichteten Abschnitte 1. Joh 2,18-27 und 4,1-6 unterbrechen den Gedankengang. In Kapitel 5 wird die Lehre von Christus zusammengebunden mit den beiden anderen Hauptgedanken Bruderliebe und Gotteszeugung. In den anderen Stücken wechseln längere Stücke mit kurzen Betrachtungen oder Spruchreihen, die sich nicht organisch dem Ganzen einfügen. Die Bekenntnisse zur Sündlosigkeit (3,9-10 und 5,18) könnten später hinzugefügt worden sein.

Man vermutete auch, daß beim ersten Johannesbrief zwei Vorlagen benutzt wurden: Ein Text über die Endzeit (Wiederkunft Christi und zukünftige Herrlichkeit) und eine Offenbarungs­rede. Der Verfasser hätte die Vorlagen erweitert und die Verbindung nach vorwärts und rückwärts geschaffen oder hat sie in seine Lieblingsausdrücke (bleiben, Wahrheit, aus Gott) eingesetzt.

Die theologischen Schwerpunkte sind wie folgt: Der erste Johannesbrief ist d a s Dokument gegen Ketzerei im Neuen Testament. Die Ketzer sind Vertreter des Widersacher der Endzeit, des Antichrist. Die zentrale Lehre der Ketzer ist die Bestreitung der Menschheit Jesu (Inkarnation). Gegenüber dieser gnostisch-enthusiasti­schen Bewegung wird die Übereinstimmung Jesu mit dem Christus und die erlösende Kraft seines Todes als wesentliche Stücke christlicher Glaubensgewißheit betont werden müssen. Dazu greift der Verfasser auf traditionelle Bekenntnisformulierungen zurück und verleiht ihnen eine Spitze, die stark gegen die Lehre gerichtet ist, daß Jesus nur ein Himmelswesen gewesen sei.

Die Bekämpfung der gnostischen Irrlehre geschieht in einer von der Gnosis beein­flußten Sprache, die sich stark mit der Begriffswelt des Johannesevangeliums berührt. Die Abwehr der Irrlehrer ist deshalb so schwierig, weil sie aus der Gemeinde selbst hervorgegangen sind. Die Scheidung zwischen den Geistern muß jedoch vollzogen werden

Neben der Abwehr der Irrlehre spielt die Mahnung zur Bruderliebe eine zentrale Rolle. Denn mit der falschen Lehre von Christus hängt eine falsche Ethik zusammen. Erkennen und Handeln werden als untrennbar miteinander verbunden verstanden. Es geht um den rechten Glauben und den rechten Wandel darin. Weil die Gnostiker die Leiblichkeit nicht ernst nehmen, mißdeuten die nicht nur die Lehre von der Fleischwerdung Christi, sondern verachten auch die Bruderliebe. So wird der Vollzug der Bruderliebe geradezu zum Kennzeichen des richtigen Bekenntnisses.

 

Brief 2 und 3 haben die Form eines hellenistischen Privatbriefs, behandeln aber Glaubens- und Gemeindedinge. Der zweite Brief ruft auf zum Wandel in der Liebe und warnt vor Irrlehrern, die die Fleischwerdung Jesu bestreiten. Er geht an eine Gemeinde und kommt „von dem Alten“, der vielleicht zu den kleinasiatischen Presbytern gehört, jedoch nicht der Vertreter der provinzialen Missionsorganisation gegenüber der Einzelgemeinde und auch nicht ein vom Gemeindeleiter Dio­trephes exkommunizierter Irrlehrer. Höchstens gibt es einen Konflikt mit dem älteren Charismatikertum, eher kirchenrechtlich als dogmatisch.

Der dritte Brief soll ein Brief des „Presbyters“ an einen nicht näher bekannten Gaius (in einer anderen Gemeinde).sein, der für seine Aufnahme missionierender Brüder gelobt wird. Er kämpft gegen einen gewissen Diotrephes, der diese Aufnahme in der Gemeinde hindert und die Stellung eines alleinherrschenden Bischofs anstrebt.

Der zweite und der dritte Johannesbrief haben denselben Verfasser. Dafür spricht die gleiche Sprache und dieselbe Verwendung des Briefformulars am Anfang. Ferner zeigen sich Gemeinsamkeiten mit dem 1. Johannesbrief, aber man kann weder einen gemeinsamen Verfasser beweisen noch das Gegenteil. Die Johannes-Briefe stammen aus der johanneischen Schule, innerhalb derer eine klare Verfasserschaft nicht mehr zu ermitteln ist. Die Abfassungszeit ist in den Jahren 90 bis 110 zu sehen. Er ist nach Kleinasien gerichtet und kommt vielleicht aus Syrien.

 

 

Hebräerbrief

 

Form:

Die Schrift ist kein Brief. Es fehlt eine briefliche Einleitung. Es gibt zwar Anreden an die Leser und einen Briefschluß, jedoch kein Briefformular am Anfang. Daß ein solches ausgefallen oder gestrichen wurde, kann kaum begründet werden. Der Hebräerbrief ist demnach als eine gelehrte Abhandlung, eventuell auch als eine Rede zu betrachten (häufiger Hinweis auf das Reden des Verfassers).

Der Hebräerbrief ist die am sorgfältigsten ausgearbeitete Schrift des Neuen Testaments und hat das beste Griechisch. Er hat stark lehrhafte Züge. Doch es ist unmöglich, eine Verarbeitung vorgegebener Lehrvorträge nachzuweisen. Wahrscheinlich verwendet der Verfasser fest vorgegebene Traditionsstücke (am ehesten noch 1,3-4). Aber ihre genaue Abgrenzung ist unsicher.

Der Brief ist durchzogen von Ermahnungen, aber man kann ihn nicht aufspalten in einen belehrenden (1,1-10,18) und einen ermahnenden ( 10,19-13,25) Teil. Er ist eher ein Predigt, die in das Leben hineinspricht, vielleicht eine Zusammenfassung mehrerer Predigten, die einer bestimmten Gemeinde gesandt wurde (11,32) und mit einem brieflichen Schluß versehen wurde. Er enthält aber doch wohl verschiedene Lehrformen und Abhandlungen: 2,5-10 = Ps 8; 3,7-19 = Ps 95,7-11; 5,1-10 = Ps 2; 7= Ps 110; 8 = Jer 31; 11 = Glaube; 12,4-11 = Prov. 3,11. Die Gliederung erfolgt durch Ermahnungen (Paränesen) am Anfang und Ende der Abschnitte.

 

Der Hebräerbrief ist keine allgemeine Abhandlung, sondern an ganz bestimmte Christen in einer besonderen Lage gerichtet. Offensichtlich kennt der Verfasser die Leser. Obwohl diese eine lobenswerte Vergangenheit haben, hat der Verfasser Folgendes am Verhalten der Leser zu kritisieren:

  • Sie bleiben den Versammlungen fern
  • Sie sind ungelehrig
  • Sie haben Angst vor Verfolgung, obwohl sie bereits Verfolgung durchstanden haben
  • Sie scheinen zu ermatten und das Bekenntnis zu Christus aus dem Auge zu verlieren
  • Der Gehorsam gegenüber den Gemeindeleitern ist einzuschärfen.

 

Theologie:

Der Brief ist ein Werk eines selbständigen Paulusschülers, der vom paulinischem Geist berührt ist. Aber: Die Auferstehung wird zur Erhöhung in den Himmel und die Versöhnung zur Reinigung, Heiligung, Vollendung.

Bei Paulus fehlen gegenüber dem Hebräerbrief:

Hohenpriestertum, neue Gottesordnung, Problem der zweiten Buße.

Im Hebräerbrief fehlen gegenüber Paulus:

Rechtfertigung, Fleisch und Geist, Heiden und Juden.

Der Kampf gegen das Gesetz ist beendet, man ist in der dritten Generation (2,3). Das Gesetz wird kultisch als Sühne-Institut gesehen, das Schwachheitssünden beseitigen soll (10,1).

Es gibt Berührungen mit dem Geist des alexandrinischen Judentums (allegorische und typologische Auslegung und gemeinsame Tradition mit Philo) und Berührungen mit der Gnosis (Christologie, wandernden Gottesvolk), aber nicht mit Qumran und keine Wanderung der Einzelseele zu Gott.

 

Folgende theologische Grundgedanken sind festzuhalten:

  • Bestimmender Gedanke ist der des „wandernden Volkes Gottes“ (so Ernst Käsemann).
  • Gegen die Ermüdung beim Wandern muß gekämpft werden, indem an das Ziel - die himmlische Ruhe in der himmlischen Stadt - gedacht wird.
  • Der Rückblick in den alten Bund soll motivieren: Wenn bereits dort die Übertretungen furchtbar bestraft wurden, dann um soviel mehr jetzt.
  • Glaube ist Bleiben beim wandernden Gottesvolk.
  • Sünde ist Zurückbleiben, Ermüden, Unglaube, Abfall.
  • Hoffnung ist der Ausblick vom Weg aufs Ziel.
  • Die Verheißung ist einerseits schon erfüllt (Das Gottesvolk ist schon auf dem Weg), aber die Wanderung ist noch nicht am Ziel).
  • Die Gewißheit der Hoffnung ist durch das Opfer des einzig wahren Hohe­priesters Christus begründet.

 

Die Ermahnung wird durch verschiedene Anstöße begründet:

  • Der Brief schließt eine zweite Bekehrung zum Christentun aus. Diese Frage wird dann bitterernst, wo es in Verfolgungssituationen um Bekennen und Verleugnen geht.
  • Die Christen haben in der Welt nicht ihre Heimat, sie sind auf der Wanderschaft nach einem Land der Ruhe.
  • Die Wiederkunft ist nahe.
  • Wenn schon die Übertretung des alten Bundes zur Bestrafung führte, um wieviel mehr dann die des neuen, noch herrlicheren Bundes.

 

Empfänger:

Die Empfänger sind nicht in Jerusalem (6,10 die Urgemeinde war arm, auch 2,3-4 und 13,7 und 10,32-39 passen nicht auf Jerusalem. Die Empfänger sind Christen, bei denen (wie im Galaterbrief) die Kenntnis des Judentums vorausgesetzt wird (3,1-4 und 6,4-6 und 10 23+26 und 12,22-24).

Über die Empfänger des Hebräerbriefes kann weitgehend nur spekuliert werden: Die Überschrift „An die Hebräer“ ist sekundär und läßt kaum Rückschlüsse auf die Empfänger zu. Doch wurde wegen ihr und wegen der stark an das Alte Testament und am jüdischen Kult orientierten Beweisführung geschlossen, daß die Empfänger ehemalige Juden seien. Doch dagegen spricht:

  • Die Hinweise auf die Notwendigkeit des Gottesglaubens sind kaum verständlich, wenn der Brief an ehemalige Juden gerichtet wäre.
  •  Die in Kapitel 6 genannten Anfangsstücke einer Bekehrungspredigt sind aus der Heidenmission genommen.

Daß der Brief trotz traditioneller jüdischer Beweisführung an ehemalige Heiden gerichtet ist, ist durchaus denkbar, da ja auch die Heidenchristen sich als das wahre Israel verstanden und das Alte Testament als bestimmende heilige Schrift kannten (Schon Paulus mutete den Galatern und den Römern schwierige Schriftbeweise zu). Ferner ist zu beachten, daß der Hebräerbrief den Gegensatz zwischen Juden- und Heidenchristen gar nicht mehr kennt. Die Empfängergemeinde dürfte damit rein von ehemaligen Heiden bestimmt sein. Auf keinen Fall also ist der Empfänger des Briefes die Urgemeinde, da die Adressaten selbst für andere gespendet haben (Hebr 6,10).

Möglich wäre, daß die römischen Christen Empfänger des Briefes sind. Dafür spricht, daß

  •  der Hebräerbrief zuerst durch den ersten Clemensbrief in Rom bezeugt ist.
  •  in Hebr 13,7+17+24 dieselbe Bezeichnung für die Vorsteher verwendet wie  in 1. Clem 1,3.
  •  der Gruß 13,24 durchaus als Gruß von italienischen Christen an ihre Brüder in der Heimat verstanden werden kann.

Ein wirklich begründeter Wohnort der Empfänger ist aber damit nicht möglich. Offensichtlich handelt es sich um Christen der zweiten oder dritten Generation (dritte Generation extra erwähnt), deren Glaubenseifer und Bekennermut erschlafft.

 

Verfasser:

Die Person des Verfassers ist nicht mehr festzustellen. Er war wohl ein hochgebildeter Paulusschüler, dessen Namen wir nicht wissen (der Kirchenvater Origenes meinte dazu: „den weiß nur Gott“). Die Abfassungszeit dürfte zwischen 80 und 90 liegen.

Als Verfasser wird im Osten der Apostel Paulus angesehen, im Westen aber Barnabas, Luther meinte, Apollos sei der Verfasser. Doch die Person des Verfassers ist nicht mehr festzustellen. Der Brief ist hellenistisch-jüdisch und gnostisch beeinflußt. Es gibt eine sprachliche Verwandtschaft mit Lukas. Verfasser ist ein hellenistischer Juden­christ, der in einer heidenchristlichen Gemeinde zu Hause ist. Vielleicht ist er ein römischer Presbyter, der von seiner Gemeinde getrennt ist, er wird „Vorsteher“ genannt (1. Clem 1,3 und Gruß 13,24).

Vielleicht ist der Brief auch nach Rom gerichtet, durch den Clemensbrief ist er zuerst bezeugt. Er könnte zwischen 80 und 90 verfaßt sein, in der Verfolgungszeit Kaiser Domitians.

 

 

Jakobusbrief

 

Der Jakobusbrief ist kein wirklicher Brief. Zwar gibt es einen eingliedrigen Eingangsgruß, aber am Schluß fehlen Briefformalien. Der Brief ist eine Lehr- und Mahnschrift an die Christen, die das wahre Israel sind. Er ist, eine paränetische Lehrschrift ohne Zusam­menhang und mit jüdischem Charakter (3,15 und 5,17). Jesus wird nur 1,1 und 2,1 erwähnt. Der Jakobusbrief ist eine lose Aneinanderreihung aus Spruchreihen und kleineren Abhandlungen, die alle rein ermahnende Aufgabe haben. Außer den drei längeren Ausführungen Jak 2,1-13 (Arm und Reich), Jak 2,14-26 (Glaube und Werke) und 3,1- 12 (Die Macht der Zunge) finden sich nur kleinere Spruchgruppen oder gar Einzelsprüche, gelegentlich durch Stichwortanschluß verbunden. Dies paßt ganz zum Charakter eine ermahnenden Lehrschrift.

Meyer hat den Brief angesehen als jüdisch-hellenistische Allegorese über den Erzvater Jakob und die zwölf Stämme, die umgearbeitet wurde und uns verstümmelt in Form des Jakobusbriefs erhalten ist.

Der Brief wendet sich gegen einen formelhaft gewordenen Paulinismus (2,14-26). Aber die Paulusbriefe sind dem Verfasser des Jakobusbriefs nicht bekannt (Berufung auf 1, Mose 15,6). Es wird ein praktisches Christentum gefordert. Es herrscht ein additives Verständnis von Glaube und Werk („Imperativ ohne Indikativ“). Aber der Brief ist doch eine notwendige Warnung nach der Pauluslektüre.

Das Verhältnis zu Paulus ist umstritten. Die Gesetzestheologie des Paulus ist wohl vorausgesetzt. Doch eine direkte Kenntnis der Paulusbriefe scheint eher unwahrscheinlich, da Jakobus nicht mehr vom Gegensatz zwischen des „Werken des Gesetzes“ und dem Glauben spricht und der Glaube auf den verstandesmäßigen Bekenntnisakt zum einen Gott beschränkt wird (Jak 2,19). Jakobus kämpft gegen einen formelhaft gewordenen Paulus und bietet eine innerchristliche Auseinandersetzung, die Paulus nicht mehr zum direkten Gegner hat.

 

Empfänger des Jakobusbriefs sind die Zwölf Stämme „in der Zerstreuung“ (1,1) - das hat kein anderer Verfasser des Neuen Testaments gewagt. Damit sind nicht ehemalige Juden (Judenchristen) gemeint, sondern die ganze Kirche Christi, die sich als wahres Israel versteht. Die Annahme, bestimmte Mahnungen seien auf Zustände in der Empfängergemeinde zu beziehen, ist angesichts des typischen Charakters dieser Mahnungen unbegründet. Das Stichwort „Zerstreuung“ könnte verwendet sein, weil die Welt für die Christen die Fremde ist.

 

Aus der Empfängerangabe kann man noch nicht schließen, daß das nur der Leiter der Jerusalemer Gemeinde tun konnte, also der Herrenbruder Jakobus der Verfasser ist (der im Jahre 62 gesteinigt wurde). Der Brief ist nicht vorpaulinisch und nicht von dem Herrenbruder Jakobus: Er hat eine gebildete Sprache (3,1-12), er enthält keine rituellen Vorschriften (1,25 und 2,12), keine Anspielung auf Jesus und einen zeitlichen Abstand zu Paulus. Der Verfasser schreibt ein sehr gepflegtes und gehobenes Griechisch und gebraucht gerne ausdrucksvolle Mittel (zum Beispiel auch die rein griechische Anrede). Sicherlich ist der Verfasser ein ehemaliger Jude, der stark in jüdischer Tradition verwurzelt ist. Er kennt die jüdische Endzeittheologie und die jüdische Armenfrömmigkeit. Trotzdem sprechen seine Vertrautheit mit der griechischen Bibel, seine Sprache und die Bezeichnung der Christen als „Volk in der Zerstreuung“ (1,1) gegen die Annahme, daß der Verfasser aus Palästina kam. Der Jakobusbrief ist wohl irgendwo im Ostteil des römischen Reiches entstanden, ohne daß sein Abfassungsort genauer festzulegen wäre.

 

Auch die Abfassungszeit läßt sich schwerlich genauer als auf das Ende des ersten Jahrhunderts festlegen. Die Abfassungszeit liegt in der Nähe der Offenbarung des Johannes. Es haben sich schon Führergestalten herausgebildet im Kampf gegen die Bewegung der Gnosis. Er könnte um das Jahr 100 in Syrien abgefaßt sein, denn dort kommt zuerst der Begriff „Agape“ (Liebesmahl) auf. Er könnte aber auch aus noch späterer Zeit sein, aus der Zeit zwischen 125 und 150 (christologische Irrlehre fehlt noch), wäre also die späteste Schrift des Neuen Testaments.

Bezeichnend für die Kirchen- bzw. theologiegeschichtliche Situation des Jakobus ist seine Stellungnahme zur Endzeithoffnung. Alte Formeln werden zwar noch wiederholt (5,7-8), aber sie haben keine aktuelle Bedeutung mehr. Das Christentum des Jakobus paßt in die Zeit der Kirchenväter. Das Gesetz ist wohl wieder zum Heilsweg geworden, denn mit der Wertschätzung der Werke sei ja wohl wieder die Anerkennung des Gesetzes verbunden.

 

Die Aufnahme des Jakobusbriefs in die neutestamentlichen Schriften war lange umstritten. Im griechischen Osten war er erst seit der Synode von Laodicea (im Jahr 360) und dem Kirchenvater Athanasius allgemein anerkannt. Im Westen wird der Jakobusbrief von den Synoden von Rom (im Jahr 382) und Karthago (im Jahr 397) unter dem Einfluß von Hieronymus und Augustin für dazugehörig erklärt.

Luther äußerte sich sehr abfällig über den Jakobusbrief („stroherne Epistel“), weil er im Widerspruch zur Rechtfertigungslehre des Paulus stehe, nicht Christus, sondern das Gesetz predige und einen allgemeinen Gottesglauben vertrete. Jakobus sei ungeordnet und jüdisch, darum keines Apostels Schrift, mögen auch viele gute Sprüche darin stehen.

 

 

Offenbarung des Johannes

 

Eine Apokalypse (= Offenbarung) ist eine spezifisch jüdische Literaturgattung. Schon im Alten Testament ist die vertreten (Jes 24-27 und Sach 9-10 und Hes 40-48). Aber daraus entwickelte sich dann eine Vielzahl weiterer jüdischer Apokalypsen. Deren Ansichten drangen dann auch massiv in den Glauben des Volkes ein. Inhalt ist durchweg die Schilderung der Endereignisse und der Vorzeichen dafür; oft sind sie auch politisch eingestellt. Die christliche Apokalypse unterscheidet sich davon nur durch die Überzeugung, daß in Jesus die Endzeit angebrochen ist.

Form:

Die Offenbarung ist formal ein Brief (Offb 22,21 ist ein Briefschluß), doch zugleich erweist auch ein Visionsbericht. Aber das Buch kam aufgrund einer persönlichen Offenbarung Christi an Johannes zustande, ist also keine Offenbarung des Johannes.

Es gibt keine klare Gliederung: Es gibt Doppelungen (Dubletten), weil verschiedenes Material verwandt wurde. Es liegt keine Zusammenarbeitung zweier Schriften vor und keine Wiederholung der Beschreibung des gleichen Ereignisses: Die Schalen­visionen überbieten (!) die Posaunenvision. Ältere Stücke sind vielleicht: Kapitel 11-12 Belagerung Jerusalems im Jahre 70 und Kapitel 13,1-10 und 17,3+10 Domitian als Nero.

Die Sprache ist beabsichtigt, das Buch ist keine Übersetzung aus dem Aramäischen. Es ist auch keine jüdische Apokalypse, denn der Seher steht ganz auf dem Boden der Erfüllung. Die liturgischen Stücke dienen der Auslegung der Visionen durch den Verfasser.

 

Literarische Probleme:

Die Vermutung, der Offenbarung liege eine vom Verfasser bearbeitete jüdische Schrift zugrunde, kann nicht ausreichend begründet werden, da es nicht gelingt, eine durchgehende Quelle zu rekonstruieren. Es gibt aber Hinweise für die Übernahme einzelner fertiger Stücke.

Es wird die Sprache der alten Prophetie gesprochen, aber auch die Sprache des Alltags. Aber die Offenbarung ist von vornherein griechisch geschrieben, auch wenn das apokaplyptisches Kleid noch durchschimmert.

Es bestehen jedoch auch grundsätzliche Unterschiede: Die Offenbarung

- bezieht sich nicht auf einen berühmten Verfasser

- führt sich nicht auf eine Gestalt in ferner Vergangenheit zurück.

- bietet keine Weissagungen über die künftige Weltgeschichte.

Es finden sich einzelne und kurze Hymnen, so daß die Vermutung entwickelt wurde, es handle sich dabei um vom Verfasser übernommene gottesdienstliche Hymnen. Doch dagegen spricht, daß die Hymnen auf den umgebenden Text hin gestaltet sind.

 

Verfasser und Ort:

Der Verfasser nennt sich in 1,1 und 4 „Johannes“. Nach altkirchlicher Überlieferung handelt es sich bei ihm um Johannes, Sohn des Zebedäus, der auch als Verfasser des Johannes-Evange­liums und der Johannes-Briefe gilt. Doch die Sprache ist anders und die endzeitlichen Vorstellungen beider Schriften sind völlig verschieden. Gegen Johannes als Verfasser spricht auch, daß keine Bekanntschaft mit dem geschichtlichen Jesus erkennbar ist. Der Jünger Jesu wurde wohl schon früher Märtyrer. Der „Presbyter“ des Papias hat eher den zweiten und dritten Johannesbrief geschrieben. Der Verfasser ist ein judenchristlicher Prophet namens Johannes.

Das Buch ist wohl in Kleinasien entstanden (1,9 spricht von Patmos, vielleicht aber war es Ephesus). Die Lage der Empfängergemeinden ist durch Erkalten der ersten Liebe und durch die Wirksamkeit von Irrlehrern gekennzeichnet. Ferner scheinen schwere Auseinandersetzungen mit Juden zu geschehen.

Für die Bestimmung der Abfassungszeit gibt es folgende Hinweise:

• Es gibt einen ausgebildeten Kaiserkult, der von Christen verweigert wird.

• Es gibt in Kleinasien eine organisierte Verfolgung der Kirche.

Beides paßt am besten in die Zeit seit Domitian (81-96). Er wütete ganz besonders schlimm. Er ließ sich „Gott und Heiland in Ewigkeit“ nennen. In Ephesus ließ er sein Kultbild in vierfacher Lebensgröße aufstellen. Dieses Bild könnte gemeint sein mit dem Tier, das aus dem Meer aufsteigt, denn in Ephesus wurde es an Land gebracht. Dieses Bild sollte man anbeten und Weihrauch vor ihm ausstreuen als Zeichen der Verehrung (Offb 12, 7-12).

Der Antichrist (13,1-10) trägt die Züge des wiederauferstandenen Nero. Die Köpfe des Tieres stellen sieben Kaiser dar (17,9-10): Der sechste Kaiser ab Augustus wäre Vespasian, der sechste Kaiser ab Caligula wäre Domitian. Die Abfassung erfolgte aber wohl in der Zeit der Verfolgung in den letzten Regierungsjahren des Kaisers Domitian. Das Buch ist entstanden zur Zeit Domitians am Ende des ersten Jahrhunderts (vor 96).

 

Absicht:

Die Apokalypse beschreibt die Wechselwirkung zwischen himmlischen Herrn und seinem Volk auf Erden. Sie verkündet das Geheimnis, daß die Gläubigen teilhaben an Christus, an seinem Wirken und Leiden, aber auch an seinem Triumph. Das Leben auf Erden ist von zwei Kraftfeldern bestimmt: Abgrund (Teufel) und Himmel (Lamm)(ähnlich Dirne in Off 17 - Frau in Offb 12 und Babylon - Jerusalem Offb 22).

Der Mensch m u ß sich entscheiden! Die Kirche wartet nicht passiv, sondern legt Zeugnis ab für ihren Herrn (2,13 und 6,9). Letztes Ziel ist die Vereinigung der himmlischen mit der irdischen Welt, so daß die Kräfte des Verderbens nicht mehr wirken können; damit erreicht der Mensch seine Erfüllung.

Der Angriff Roms auf das Christentum in Kleinasien ist nur Vorspiel des kommenden großen Entscheidungskampfes (3,10), in der die von Gott bestimmte Zahl der Blutzeugen voll wird (6,11). Doch im Hintergrund steht der Kampf Gottes mit dem Satan (12-13). Das Kaisertum ist die satanische Weltmacht (1. Tier) und die Kaiserpriesterschaft ihr fanatischer Förderer (2. Tier). Gottes Wille aber ist in dem Buch mit den sieben Siegeln niedergelegt: Grauenvolle Schrecknisse, aber Vollendung des Heils (14,6 und 10,7).

Die Apokalypse ist ein Trostbuch für die Kirche, die im Begriff steht, Märtyrerkirche zu werden. Ein Buch für seine Zeit und nicht für ferne Zeiten geschrieben, eine Gelegenheitsschrift, die zeitgeschichtlich verstanden werden will, aber doch an den ge­genwärtigen Ereignissen die Züge der endzeitlichen Gottesgeschichte aufweist.

 

Gliederung:

Das äußere und innere Gefüge ist sehr planmäßig geordnet nach der Siebenzahl: Der ermahnende Teil 1 - 3 bietet sieben Sendschreiben, der Hauptteil 4 - 21 hat sieben Abschnitte, jeder Abschnitt enthält sieben Bilder. Größere Visionen bestehen aus sieben Einheiten oder sieben Strophen. Es gibt ein Vorwort und ein Nachwort. Der Vers Offb 1,19 nennt dann den schematischen Aufbau des ganzen Buches: „Schreibe auf was ist und was geschehen wird!“

 

Erster Teil: Offb 1 - 3:

Die Sendschreiben in Kap 2-3 sind einheitlich aufgebaut:

- Der Seher erhält den Auftrag zu schreiben

- Briefeinleitung mit Vorstellung des Auftraggebers

- Lob oder Tadel für die Gemeinde

- Mahnung oder Drohung.

- Abschluß, entweder Aufforderung zum Hören oder Spruch zum Überwinden.

Die Sendschreiben sind keine „Briefe“, sondern am ehesten den Prophetensprüchen aus dem Alten Testament vergleichbar, die in eine bestimmte geschichtliche Gemein­de hineingesprochen wurden, aber doch ein göttliches Wort mit einem zeitlosen Sinn verkörpern. Der Kampf richtet sich gegen das Treiben der Irrlehrer in der Gemeinde und nach außen gegen die Nachstellungen durch die jüdischen Gemeinden. Die Schreiben sollten aber nicht einzeln den angeredeten Gemeinden zugestellt werden, sondern allen Gemeinden. Aber die sieben Gemeinden bilden die Gesamtheit aller urchristlichen Gemeinden ab. Eine besondere Rolle spielt dabei Ephesus, das die Rechte und Pflichten Jerusalems gewissermaßen beerbt hat.

In Kapitel 3,5 ist das „Buch des Lebens“ erwähnt, in das die Gläubigen vom Anbeginn der Welt aufgezeichnet sind. Sie sind der Welt entnommen und versiegelt, das Urteil wird am jüngsten Tag über sie gefällt. Sie sollen Zeugen sein und müssen sich deshalb bewähren bis zum Tod.

Zweiter Teil: Offb 4 - 22

Der Aufbau des zweiten Teils ist kompliziert. Der endzeitliche Teil des Buches ab Kapitel 4 beginnt mit der Darstellung eines himmlischen Gottesdienstes. Aus dieser Beobachtung wurde die These entwickelt, das ganze Buch folge dem Ablauf eines himmlischen Gottesdienstes, zu dem die irdischen Ereignisse dann parallel verlaufen.

Doch dagegen spricht: Das Buch ist nach einem endzeitlichen Schema aufgebaut, das heißt der erwartete Ablauf der Weltereignisse ist Grundlage für die Gliederung.

In Kapitel 4 wird zunächst der Rahmen durch die Vision des Gottesthrones abgesteckt. Den Auftakt zu den Endereignissen bildet die Vision vom Buch mit den sieben Siegeln, die das Lamm öffnet (Kapitel 5,1 - 8,1). Höhepunkt ist Offb 8,1: Bei der Öffnung des siebten Siegels tritt im ganzen Weltall eine große Stille ein.

Kapitel 7 ist ein aus zwei Stücken zusammengesetzter Einschub. Bei den 144.000 Erwählten handelt es sich um ein (jüdisches) Traditionsstück, das vom Verfasser hier eingerückt wurde.

Bei der unzählbaren Schar der Märtyrer aus allen Völkern handelt es sich um die Deutung des ersten Stückes durch den Verfasser, der das Bild von den 144.000 Auserwählten aus Israel auf die Kirche überträgt.

Von Kapitel 8,2 an wird nun aber nicht der Inhalt des geöffneten Buches mitgeteilt, sondern neue Symbole treten an die Stelle des Buches, zunächst die sieben Posaunen. Im Einzelnen lassen sich Sprünge und Brüche feststellen: Der Abschnitt Offb 8,12-13 kündigt drei Wehe-Rufe an, von denen aber nur zwei ausgeführt werden. Die Erzählung von den sieben Posaunen ist zweimal unterbrochen: In Kapitel 10 muß Johannes das Büchlein essen und in Kapitel 11 geht es um die letzten Geschicke der Heiligen Stadt und des Tempels.

Kapitel 11,1-14 spricht von den „zwei Zeugen“, wobei nicht klar ist, ob es sich hier um die Verhüllung des Sterbens des Petrus und Paulus handelt oder ob der Text keine geschichtlichen Anspielungen enthält und deshalb im eigentlichen Sinne endzeitlich (apokalyptisch) ist.

In Kapitel 11,15-19 erschallt die siebte Posaune, der letzte Akt des Dramas wird erwartet, aber wieder geschieht etwas anderes: Kapitel 12 - 14 enthalten mythologische Aussagen, deren Einzelheiten größtenteils nicht gedeutet werden können.

In Kapitel 15,1 - 16,21 wird in einem zweiten (zu 8,1-11,19 parallelen Durchgang) nun mit dem Bild von den sieben Schalen des Zorns die Endereignisse dargestellt. Das „Weib“ von Kapitel 17 ist als eine satanische Macht zu deuten. Die sieben dämonischen Mächte sind Planeten, die sich mit den höchsten Herrschern (Archonten) zusammenschließen.

Die Ausgießung der siebten Schale, die die Vernichtung der großen Stadt mit sich bringt, wird in den Kapitel 17 - 18 durch Ausführungen über den Untergang der Hure Babylon ausgemalt.

Danach gibt es ohne Verschachtelung eine Aufstellung der Endereignisse:

19,1-21 : Völkeransturm und Sieg über das Tier

20,1-6   : Anbruch des tausendjährigen Reiches

20,7-15: Letzter Kampf gegen das Gottesreich, endgültiger Sieg

21         : Die neue Welt und das neue Jerusalem

22,1-5  : Die neue Welt ist ohne Mond, Sonne und Meer

22,6-21: Schluß, der den Briefrahmen aus Kapitel 1 wiederaufnimmt

  6 - 9  : Die Wahrheit wird hier beschrieben

  10-12: Das beschriebene Endzeitdrama steht unmittelbar bevor

  18-21: Warnung vor Textänderungen,

  20-21 : Bitte um das Erscheinen Jesu und Segenswunsch.

 

Religionsgeschichtliche Besonderheiten:

 gibt es vor allem in den mythischen Kapiteln 12 und 13:

  • Offb 12,1-6: „Geburt des Kindes“ = Himmelskönigin, deren Sohn vor der Nachstellung des Drachen von Gott selbst bewahrt wird
  • Offb 12,7-18: Kampf Michaels mit dem Drachen; Verfolgung, Flucht und Bergung der Frau = Mythos von Geburt, Verfolgung und Sieg des Sonnengottes und Ansturm und Sturz des Chaosdrachens
  • Offb 13: Die beiden Tiere Leviathan und Behemoth werden zeitgeschichtlich ausgelegt. An sich werden vier Tiere erwähnt: Tier aus dem Abgrund (Offb 11,7 und 17,38), der Drache (Offb 12,3), das Tier aus dem Meer (Offb 13,1-10) und das Tier vom Land (Offb 13,11-18). Sie waren in der Urzeit die nicht völlig überwindbaren Gegner Gottes und werden in der Endzeit wiedererscheinen und auf den Messias vorbereiten. Die Schilderung in Offb 13 ist an Daniel 7 angelehnt. Das erste Tier ist der falsche Messias, der aber Herr über das zweite Tier ist. Das Tier aus dem Land ist der falsche Prophet. Während bei Daniel die vier aufeinanderfolgenden Weltreiche durch vier Tiere abgebildet wurden, fallen sie für die Offenbarung zu einer Gestalt zusammen (13): das „Tier“ tritt zwar Furcht erweckend auf, seine Macht ist aber schon gebrochen, der Satan ist bereits aus dem Himmel gestürzt. Das Meer ist hier aber nicht nur Symbol für die Chaosmächte, sondern zugleich das Mittelmeer der Römer.
  • Unklar bleibt in Kapitel 13 die Zählung der Kaiser und die Zahl 666.
  • Offb 14,6-7 läßt sich so deuten, daß eine organisierte Heidenmission der Endzeit vorbehalten bleibt und sie von Gott und nicht von der Kirche durchgeführt wird.

 

Das theologische Problem:

Eine kirchengeschichtliche oder weltgeschichtliche Erklärung der Offenbarung ist nicht Auslegung des Textes, sondern Anwendung auf eine bestimmte Lage hin. So hat man das Tier von Kapitel 13 immer wieder neu auf Personen der Gegenwart bezogen (Hitler, aber auch Gorbatschow wegen des Mals auf der Stirn). Daß dies als Auslegung des Textes unhaltbar ist, braucht eigentlich nicht extra gesagt zu werden.

Manche Abschnitte fordern hingegen eine zeitgeschichtliche Deutung:

-  Das Tier von Kapitel 13 dürfte einen Kaiser darstellen (Nero oder Domitian)

-  Das Babylon auf den sieben Hügeln (17,9) ist Rom.

Diese Deutungen sind richtig, erklären aber nicht alles. Die mythischen Figuren haben durchaus einen eigenen Sinn, der sich nicht im zeitgeschichtlichen Bezug erschöpft. Das heißt: Die zeitgeschichtliche Deutung muß durch eine religionsgeschichtliche ergänzt werden. Es ist also zu fragen: Woher stammt die Gestalt des Tieres? Was bedeutet sie an sich?

Der Verfasser will nicht die ihm von der Tradition vorgegebenen Bilder zeitgeschichtlich deuten, sondern er will umgekehrt seine eigene Geschichte deuten im Horizont des Übergeschichtlichen und Jenseitigen, das in diesen Bildern ausgesagt wird. Auch die Offenbarung des Johannes ist von starker Naherwartung geprägt („Die Zeit ist nahe“ - „Siehe ich komme bald“)

Beim Glauben muß man auch im Weltmaßstab denken. Und da steht fest: Die Entscheidung ist schon im Himmel gefallen. Mag der Kaiser jetzt auch noch wüten. Aber seine Macht ist schon gebrochen, sein Ende schon beschlossene Sache. Ganz nüchtern wird hier aber gesehen, daß kein Mensch für sich allein steht in der Welt. Es gibt unsichtbare Mächte, die ihn beein­flussen, um ihn streiten oder um ihn werben.

Weit über unseren guten oder bösen menschlichen Einzelaktionen gibt es noch übergreifende Wirklichkeiten. Daher wird ein Kampf in der Welt ausgetragen, in dem nicht nur Irdische fechten, sondern übergreifende Siege und Niederlagen stattfinden. Darin fügen sich unsere persönlichen Einbrüche und Niederlagen irgendwie ein. Wären wir nicht anfällig für das Böse und hätten wir nicht selber eingewilligt, so würden wir dem Bösen auch nicht erliegen. Das Bild von dem Engelkampf im Himmel dürfte deshalb nicht so abwegig sein, auch heute noch nicht.

Die Offenbarung lenkt die Blicke der bedrängten Gemeinde auf die Herrschaft Gottes und des Christus, die in der himmlischen Welt schon aufgerichtet ist, und sich auf der Erde noch gewiß durchsetzen wird. Damit nimmt er um die Jahrhundertwende das zentrale Thema der Ver­kündigung Jesu wieder auf: Gottesherrschaft und Christologie werden bei ihm eng miteinander verbunden, das Kommen der Gottesherrschaft ist gleichbedeutend mit der Wiederkunft Christi. Wie Gott als Allherrscher (Pantokra­tor) Anfang und Ende ist, so heißt auch Christus A und O, Erster und Letzter.

Weil nun die leidende und bekennende Gemeinde weiß, daß alle Herrschaft Gott und Christus gehört, preist die auf der Erde kämpfende Kirche zusammen mit der himmlischen Schar die Herrschaft Gottes und des Lammes, die am Ende sichtbar vor aller Augen erscheinen wird. Bis dahin gilt es, auszuharren und treu zu bleiben.

Die Offenbarung des Johannes ist ein Trostbuch für die angefochtene Gemeinde. In ihrem Gottesdienst findet sie Kontakt mit der „oberen Wirklichkeit“, mit dem dreieinigen Gott. Dieser Gott war in Jesus Christus da, aber er ist in ihm auch der Kommende, der ihnen die Zukunft garantiert. Alles ist in den Händen Jesu.

Bei der Offenbarung muß man fragen, inwieweit die hier verkündete Geschichtsschau mit der übrigen Botschaft des Neuen Testaments in Einklang steht und ob die uns so fremde Zukunftsschilderung für uns heute noch eine existentielle Bedeutung hat. Aber theologisch kann man die Offenbarung nur erklären, wenn man davon ausgeht, daß die dort verwendeten Vorstellungen und Bilder unsachgemäß sind.

 

Kirchengeschichtliche Bedeutung:

Nachwirkungen finden sich bei Victorin von Pettau (303), Ticonius (380), Joachim von Fiore (1202), bei spätmittelalterlichen Sekten, bei den Schwärmern der Reformationszeit, bei Bengel und Jungstilling.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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