Hanau Land

 

Bergen- Enkheim

 

 

Bergen

 

Lage: Höhe für Enkheim rund 101 Meter, für Bergen rund 170 Meter, Berger Warte 212 Meter über N. N. Die Gemarkung umfaßt 1256 Hektar, davon 137 Hektar Wald.

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Siedlungen an der Hohen Straße und dicht westlich von Bergen.

Jüngste Bronzezeit (Urnenfelderstufe): Brandgrab im südöstlichen Teil des Bockstadtfeldes, 200 Meter nördlich des Hanauer Weges.

Ältere Eisenzeit: Hügelgräber im Enkheimer Wald; Siedlungsstelle „Auf dem Keller“ südlich des Vilbeler Waldes.

Jüngere Eisenzeit: Brandgräber in den Sanddünen entlang der Alten Gelnhäuser Poststraße.

Römerzeit: Gutshöfe dicht südöstlich von Bergen in den Hofgärten; „Auf dem Keller“;

„Am Eselsborn“ zwischen dem „Gronauer Weidweg“ und dem ,,Diebsweg“; am Hanauer Weg (Gehöft Friedrich Becker; 200 Meter südlich der Warte, 300 Meter südöstlich vom Monument).

Fränkisches Reihengräberfeld: Östlich von Enkheim an der alten Gelnhäuser Poststraße.

 

Älteste Namensformen:

Für Bergen: Berega 1057, Berge 1151, Ber­gen 1177. Das Dorf war schon früh mit Enkheim verbunden. Zwar war Bergen‑Enk­heim schon immer eine Verwaltungsein­heit, doch die „Enkemer“ und die „Berjer“ waren sich oft nicht grün. Im Jahre 1936 wurde der Ortsname Bergen‑Enkheim durch Verfü­gung des Kasseler Oberpräsidenten offi­ziell.

Für Enkheim: Ennicheim 1151, Ennicham 1219, Enigheim 1256, Enekeym 1380.

 

Geschichtliches:

Bergen war ein Flecken der Grafschaft Bornheimerberg im Nied- oder Niddagau im Gebiet des Wild­bannbezirks der Dreieich. Zuerst war es vielleicht salisches Hausgut, dann Reichsbesitz. Der Königshof war seit 1269 hanauisches Lehen; hier wurde ein höfisches Gericht gehalten (Weistum über das Recht des Königshofes vom 27. November 1382).

Die um 1250 genannten Ritter („milites“) in Bergen deuten viel­leicht auf eine Reichsburg. Die Schelme von Bergen (1194 bis 1844) besaßen in Bergen eine Burg, „Gruckau“ genannt, die seit 1354 hanauisches Lehen war. Daran besaßen die von Reinberg 1432 bis 1464 ein Viertel.

Bergen war 1317 breubergisches, dann wertheimisches Reichslehen; 1357 kam es als Reichs­­pfandschaft an Hanau. Enkheim ist schon 1327 damit verbunden; hier besaßen die Hanauer 1327 Hoheitsrechte. Mitte des 15. Jahrhunderts hatten die Hanauer Grafen den Ort befestigen lassen. Mauer und Türme belegten dessen strate­gische Bedeutung

Nach der Aufteilung des Reichsgerichts Bornheimerberg zwischen Frankfurt und Hanau wurde Bergen 1484 Hauptort des Hanauer Gerichts. 1614 wurde hier ein Landgericht für die Orte des Gerichts Bornheimerberg eingerichtet (seit 1818 Justizamt Bergen, 1868 Amtsgericht).

 

Am 17. und 18. April 1600 brannten in Bergen an 100 Gebäude ab; Enkheim wurde 1621 von den Spaniern verheert, nach der Schlacht bei Höchst 1622/23 von den Bayern. Die Pest forderte zahlreiche Opfer. Im Jahre 1635, nach der für die Schweden unglücklichen Schlacht bei Nördlingen, wurde Bergen bis auf sechzehn Häuser niedergebrannt. Die Bewohner waren in den Notzeiten meist nach Frankfurt geflüchtet.

Im Siebenjährigen Krieg, versuchte Herzog Ferdinand von Braunschweig am Karfreitag, dem 13. April 1759, mit einem aus Braunschweigern, Hessen und Preußen gebildeten Heer die Franzosen aus Frankfurt hinauszuwerfen. Nach schweren Kämpfen um den Ort Bergen und französischen Stellungen an der Berger Warte mußte er sich zurückziehen (Schlacht bei Bergen).

Um die Kaiserwahl in Frankfurt zu decken, bezog Landgraf Wilhelm IX. von Hessen‑Kassel im Jahre 1790 mit sei Truppen ein Lager an der Berger Warte (Ehrensäule). Am 28. November 1792 wurde die französische Besatzung Bergens von den Hessen überrumpelt und am 2. Dezember 1792 von Bergen aus die französische Revolutionsarmee aus Frankfurt geworfen („Hessendenkmal“ in der Friedberger Anlage).

Im Jahre 1968 wurde der Ort, der damals rund 10.000 Einwohner hatte, mit den Stadtrech­ten ausgestattet.

 

Statistisches:

Einwohnerzahl: 1820 = 1338; 1855 = 2140; 1875 = 2825, 1895 = 3915; 1900 = 4393; 1919 = 5552; 1939 = 6326; 1946 = 7210, 1953 = 8937, davon Evakuierte 202 (aus Hanau 26), Heimatvertriebene = 1315.

Bekenntnis: nach der Volkszählung von 1905: evangelisch 4268, katholisch 323, israelitisch 166, Sonstige 65; 1953. 7150 evangelisch, Rest meist katholisch.

 

Wirtschaft:

Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es einen starken Weinbau (heute noch Obstgärten, vor allem Kirschen) Nach der Volkszählung von 1925 gab es 437 Selbständige, 2.228 Angestellte und Arbeiter (und 3.373 Angehörige); davon in der Landwirtschaft 9 Prozent, in Handel, Gewerbe und Handwerk 26 Prozent, in der Industrie 49 Prozent (Rest Beamte usw.). Die Mehrzahl der Angestellten und Arbeiter war und ist in dem benachbarten Frankfurt bzw. Frankfurt‑ Fechenheim beschäftigt; sehr viele auch als „Portefeuiller“ (Feintäschner) in der von Offenbach aus in Bergen‑Enkheim ansässig gewordenen Lederwarenindustrie.

 

Eingemeindung:

Als 1974 der Main‑Kinzig‑Kreis im Zuge der hessischen Gebietsreform aus der Taufe gehoben wurde, glaubte eigentlich niemand, daß sich so schnell an dessen Grenzen etwas ändern würde. Doch weit gefehlt: Schon drei Jahre später streckte Frankfurt seine Hände nach der aufstre­benden Stadt Bergen‑Enkheim aus.

Die Stadt im Osten der Mainmetropole paßte von ihren Strukturen und vor allem wegen ihrer Flächenreserven so richtig in die Frankfurter Expansionspläne. Frank­furts Werben um den Ort mit dem Doppel­namen sollte denn auch nicht erfolglos bleiben. Am 2. Juni 1977 wurde die Eingemeindung vollzogen. Der junge Main‑Kinzig‑Kreis hatte den ers­ten Abgang zu verzeichnen.

Bergen‑Enkheim war indes nicht der erste Ort, der in Frankfurt aufging. Schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bediente sich Frankfurt immer wieder beim Alt­kreis Hanau, wenn es um Flächenauswei­tung ging. Als der Hanauer Landrat Gott­fried von Schrötter, der von 1868 bis 1883 amtierte, sein 25jähriges Dienstjubiläum beging, überreichten ihm die Bürgermeis­ter des Kreises einen Pokal, auf dem alle Städte und Gemeinden verewigt waren. Heute liest sich die Inschrift wie ein Frankfurter Stadtteilverzeichnis. Bocken­heim, Berkersheim, Preungesheim, Seck­bach, Eckenheim, Eschersheim, Ginnheim und Praunheim, alles einst hanauische Städte und Dörfer, wurden 1886 nach Frankfurt eingemeindet. Fechenheim folgte 1928 ein halbes Jahrhundert später, aber mit fatalen Folgen für den Kreis Hanau, ging doch mit der Industrie­gemeinde fast die Hälfte der Steuerkraft des Kreises verloren. Bergen‑Enkheim war denn auch das letzte der hanauischen Dörfer rund um Frank­furt.

Es war im Zuge der Gebietsreform der 1970er Jahr durchaus üblich, daß die Ge­meinden um ihre Eingemeindung regel­recht pokerten. Es lag dann am Geschick der Ortsbürgermeister, wie der Einge­meindungsvertrag aussah. Rudolf Fey, dem letzten Bürgermeister von Bergen‑Enk­heim, gelang es, dem Frankfurter Oberbür­germeister Rudi Arndt einen doch recht vorteilhaften Vertrag abzuringen. Dazu gehörte, daß der Ortsbeirat einen eigenen Etat bekam: Als einziger der Frankfurter Ortsbeiräte kann derjenige in Bergen‑Enk­heim alljährlich frei über 500.000 Mark verfügen.

Dafür verschmerzten die Bergen‑Enkhei­mer dann auch, daß sich durch eine Neufestle­gung der Gemarkungsgrenzen die Berger Warte - ein historischer Wachturm und ei­nes der Wahrzeichen des Orts - sich plötz­lich nicht mehr auf eigenem Gebiet be­fand, sondern nunmehr zum Bereich Seck­bach/Riederwald gehörte.

Aber die Ber­gen‑Enkheimer haben ihre Eigenheiten bewahrt und ihre Identität nicht aufgegeben. Neben dem bislang erfolgreich verteidigten Orts­beirats‑Etat trägt dazu der Preis des „Stadt­schrei­bers von Bergen“ bei, ein bedeuten­der Literaturpreis, der seit 1974 die großen Köpfe der deutschsprachigen Gegenwarts­literatur jeweils für ein Jahr in das Stadt­schreiber­haus holt.

 

Rundgang

 

Ruhbank:

Wenn man von Osten kommt, steht am Ende der Marktstraße rechts am Gräsigter Weg noch aus alten Weinberg‑Zeiten die Ruhbank. Im Frankfurter Raum begegnen uns noch heute mehrere solcher uralten „Ruhebänke“: Am Heiligen­stock an der Friedberger Landstraße, an der Kenne­dyallee (Forsthausstraße), im Pal­mengarten, vor Sprendlin­gen an der Frankfurter Straße und an der Straße Bad Homburg‑Saalburg. Von diesen Ruhesteinen aus der Weinanbauzeit um 1700 und 1760 gab es in der Gemarkung Bergen etwa fünf Stück. Sie dienten zur Ablage der mit Reben gefüllten Körbe, die Pflückerinnen und Pflücker auf dem Kopf trugen und auf ihrem Weg in Abständen absetzten. Die Höhe der Abstellfläche erleichterte die Abnahme der Weinkörbe wie das Wiederaufsetzen. Sie dienten aber auch Markt­frauen und Wäscheträgerinnen.

Auf der Marktstraße kommt man zur heutigen Gaststätte „Irish Pub“ auf der linken Seite, vor der zwei alte Grenzsteine (aber nicht am originalen Standort) mit einem Brett zu einer Bank verbunden sind. Früher steckte hier auch noch eine Kanonenkugel in der Wand, die angeblich bei der Schlacht bei Bergen hier einschlug, die aber jetzt entfernt ist.

In der Conrad-Weil-Gasse war die Synagoge. Aber daran erinnert heute nur noch eine Gedenktafel.

 

Evangelische Kirche:

Etwas weiter unten steht die Evangelische Kirche. Die älteste Kirche für Bergen stand am Kirchberg in Richtung Seckbach. Danach gab es eine Pfarrkirche an der Stelle der heutigen Nikolauskapelle. Die Pfarrei gehörte zum Dekanat Eschborn des Archidiakonats S. Peter in Mainz und wurde 1255 zuerst genannt. Das Patronat hatten 1514 Eppstein‑Königstein, 1535 ging es an Stolberg­-Königstein, gegen Ende des 16. Jahrhunderts hatten es die Grafen von Hanau. diese führten um 1540 die Reformation ein. Zur Pfarrei Bergen gehörten Jahrhunderte lang die Gemeinden Bergen, Enkheim und Seckbach, von denen Seckbach im Jahre 1734 und Enkheim im Jahre 1911 losgelöst und ver­selbständigt wurden.

Im Jahre 1642 war die Linie der reformierten regierenden Grafen von Hanau‑Münzenberg ausgestorben und das Erbe den lutherischen Grafen von Hanau‑Lichtenberg zugefallen. Im Blick auf diesen zu erwartenden Regierungswechsel hatten die beiden gräflichen Häuser im Jahre 1610 einen Religionsvertrag geschlossen, daß beim Absterben der reformierten Linie die andere nicht das Recht haben sollte, im Religions‑ und Kirchenwesen etwas zu ändern. Das ist ein allererster Schritt auf die Religionsfreiheit hin gewesen, wenn die Erkenntnis sich damals durchsetzte, daß ein Regierungswechsel und die Erwerbung eines Landes kein Recht gibt, über Glaubensdinge und Kirchensachen zu verfügen.

Der Erbe Friedrich Casimir von Hanau-­Lichtenberg wurde demgemäß auch erst in die Stadt Hanau herein­gelassen, nachdem er sich schriftlich verpflichtet hatte, in Religions­sachen keine Änderungen einzuführen, auch die „Nebeneinführung einer anderen Religion“ ‑ gedacht war dabei an die lutherischen Formen des Gottesdienstes und der Abendmahlsfeier ‑ nicht zu dulden. Und am 20. August 1670 hat ein Schlußvertrag das Verhältnis der reformierten und lutherischen Kirchen im Hanauer Land in einer für die damalige Zeit geradezu fortschrittlich weitherzigen Weise geordnet: Der Bestand der reformierten Gemeinden wird ausdrücklich anerkannt und für die Zukunft garantiert und den Lutheranern „freie und ungehinderte Ausübung der Religion mit allem, was dazugehört“ feierlich gewährt.

Um den Berger Prote­stanten den Abstieg nach Enkheim zu ersparen, ist für sie von 1681/84 eine barocke Saalkirche errichtet worden. Zum Bau der Kirche war im Jahre 1680 das alte Schulhaus der Gemeinde gegen „der Leinwebern Haus am Pförtgen“ (das Pförtchen in der heute noch stehenden Ringmauer) umgetauscht und waren andere Grund­stücke von den Anliegern dazugekauft worden als Bauplatz für die neue Kirche und für den dabei anzulegenden neuen Friedhof.

Am 20. April 1683 wurde der Grund­stein zur Kirche gelegt. Im Sommer 1684 war sie soweit fertiggestellt, daß sie am Laurentiustag (10. August 1684) geweiht werden konnte, auch wenn sie zunächst noch ohne Turm und ohne Orgel war. Die Kanzel hat einen Herkules als Fuß. Die erste Orgel wurde 1695 (oder 1685) eingebaut.

Pfarrer in Bergen war damals Johann Ludwig Mogk, geboren in Diez an der Lahn, Sohn des Fürstlich Nassauischen Amtskellers Johannes Mogk. Er hatte an der reformierten Universität zu Herborn studiert, war von 1667 bis 1679 Pfarrer in Rumpenheim und Fechenheim, 1679 von Juni bis Oktober Pfarrer in Hochstadt, dann bis 1689 in Bergen. Getraut wurde er am 5. 12. 1667 in Hanau mit Elisabeth Susanna Nister, einer Tochter des Pfarrers und Inspektors (d. h. reformierten Superintendenten oder Dekans) Peter Nister in Hanau. Sie hatten 13 Kinder, 5 Söhne und 8 Töchter. Sein drittes Kind, Anna Margarethe, wurde am 21. 10. 1672 in Hanau ge­boren, wohin der Mann seine hochschwangere Frau vor den im Westen heran­ziehenden französischen Soldaten in Sicherheit gebracht hatte. Er starb 47 Jahre alt in Bergen und wurde hier am 1. 10. 1689 begraben, drei Monate nach der Geburt seines letzten Kindes.

Auf dem Friedhof fand am 26. Dezember 1694 die erste Beerdigung statt: „Meister Hans Georg Grubers ehweib“. Am 30. 10. 1707 wurde begraben Maria Kathrin Völp, Ehefrau Johannes Völps. Dieses ist die erste Leiche, welche mit den Glocken, die jetzt auf dem Kirchturm hängen und vorher auf dem Turm über der untersten Pforte hingen, hinausgeläutet worden ist.

Eine Kirchenuhr mit Schlagwerk, die täglich mit ihren schweren Bruchsteinen aufgezogen werden mußte, wurde 1708 im Turm eingebaut (Der Turm soll aber erst 17241 erbaut worden sein). Die Kirche wurde ver­stärkt durch den 1741‑ 43 vorgesetzten axialen Fassadenturm, dessen Dimensionen denen der Bornheimer Johanniskirche nahekommen. Von den Kosten für den Turm wurden 300 Gulden aus Hamburg gestiftet, weitere 200 Gulden von reformierten Gemeinden in Holland durch Vermittlung des Hofgerichtsrates von Loseken.

Große Veränderung erfuhr der Bau im Jahre 1912. Im Jahre 1912 wurden die Mauern erhöht und die Fenster verändert. Damals wurde das Kirchen­dach, das mit dem Sims hart auf den Kirchenfenstern auflag, um einen halben Meter gehoben. Im gleichen Jahr wurde die heute noch stehende Orgel ein­gebaut, versehen mit Bildwerken der alten von 1595.

In den Jahren 1921 und 1953 wurden die Kirchenglocken für Kriegszwecke beschlagnahmt.

Ausnahme war die große Glocke aus dem Jahre 1707, deren Erhaltung 1917 noch selbst­verständlich war, um die aber 1942 erst hart gekämpft werden mußte.

Im Sommer 1939 wurde mit der Innenerneuerung begonnen. Aber nur das neue Gestühl auf der Empore wurde noch fertig. Der Krieg zerschlug alles. Durch mehrfache Luftangriffe, zuletzt auch durch direkten Beschuß, wurde die Kirche stark mitgenommen, am schlimmsten am 18. März 1944 in der Zeit von etwa 21.30 bis 22.10 Uhr. Das Kirchendach wurde wirr durch­einandergewirbelt, sämtliche Kirchenfenster verbogen, herausgerissen und zer­splittert. Aber der Krieg hat inmitten ihrer Mauern gewütet: die alte Altar­bibel hat Blutflecken und weist einen tiefen Lanzenstich in den Schnitt der Blätter hinein auf.

Auch nachdem der Krieg aufgehört hatte, dauerte es noch sehr lange, bis mit der Wiederherrichtung anfangen werden konnte. Mai 1945 wurden Rollglasfenster angebracht. Frauen und Mädchen der Gemeinde hatten einen ganzen Tag zu tun, Boden und Bänke der Kirche so herzurichten, daß man zur Not darin zusammenkommen konnte. Herr Reich, ein Flüchtling aus Königsberg, hat die Fenster der Dachgauben und über der Eingangstür im Turm mit den vorhandenen Resten fachgerecht wasserdicht gemacht. Dach und Orgel mußten mehrere Male überholt werden.

Die große Innenerneuerung wurde dann erst im Juli und August des Jahres 1949 durchgeführt. Da die unwirtliche Kirche nur während der guten Jahreszeit benutzbar war, war die Gemeinde vom 21. Januar 1945 ab während der Winterhalbjahre Gast im Gemeindehaus der Methodistischen Gemeinde.

Die im „Bauernbarock“ des Hanauer Landes gebaute Saal‑Kirche ist bewußt als eine evangelisch‑protestan­tische Kirche gebaut worden. Ihre Schlichtheit ist nicht Armut, sondern ein wohlüberlegtes, in schweren Gewissens­kämpfen errungenes Bekenntnis. Wenn man unter dem bergenden Schutz der Empore an der Turmseite eintritt, zwingt die Längsempore an der Nord­seite den Blick unbewußt nach rechts hin auf die Kanzel und auf den Tisch des Herrn, auch Altar genannt. Dieser Tisch des Herrn steht nicht in der Linie der Mittelachse, er ist zur Kanzel hingerückt. Er ist nicht das allein Beherrschende; Kanzel und Tisch des Herrn gehören gleich­wertig zusammen. Es ist anders als in den katholischen Kirchen, wo der Altar sinngerecht die alles beherrschende Stellung innehat.

Die Außenmaße der Kirche betragen: Der Kirchturm hat eine Grundfläche von 6 x 7,20 Metern, die Höhe beträgt insgesamt rund 29 Meter (Mauerwerk 19 Meter. Turmhaube 10 Meter, ohne Kreuz und Turmhahn). Das Kirchenschiff hat eine Länge von 17,60 Metern und Breite von 12,90 Metern. Der Innenraum hat eine Breite von 11,00 Metern und eine Länge bis zur steinernen Chorstufe von 13,10 Metern. Die Länge des um eine Stufe erhöhten Teiles bis zur Rückwand des Chores beträgt 6,90 Meter.

Das Gestühl im Kirchenschiff bedeckt also eine fast quadratische Fläche, an deren Südostecke die Kanzel steht. Der Prediger hat bei dieser Raumordnung ‑ vom Baumeister wohl bedacht! ‑ die Gemeinde in ihrer breitesten Breite vor sich. Diese Breitenordnung wird noch besonders betont durch die anschließenden Bankreihen für die Kinder und das Gestühl für die Kirchenvorsteher im Chorraum um Kanzel und Altar­tisch. Der Diener am Wort und Sakrament steht inmitten der Gemeinde. Entlang der Südseite des Kirchen­schiffs sind barocke Grab­steine aufgestellt, denn einst bestand dort ein kleiner Friedhof.

Eine katholische Kirche wurde 1912/13 erbaut. Seit 1903 gab es regel­mäßig katholischen Gottes­dienst in einem Wohnhaus in Enk­heim.

 

Hubertuskirche

Neben der heutigen Pfarrkirche stand die Hubertuskirche, auch Hubrachtskirche oder Haubelskirche genannt. In spä­terer Zeit hieß sie auch Frühmeßkirche. Sie lag außerhalb des befestigten Ortes, ein wenig unterhalb und abseits von der alten Unterpforte, hinter den Häusern, die heute die Südwestecke Marktstraße‑Steingasse bilden. Gestiftet war sie von den Schelmen von Bergen, war also eine Eigenkirche und Besitz des Geschlechts der Schelme, die darin auch ihr Erbbegräbnis hatten.

Alter, Geschichte und die einzelnen Bauformen dieser in goti­schem Stil erbaut gewesenen Kirche sind noch ungeklärt. Sicher ist, daß der katholische Altardienst darin aus unbekannten Gründen schon etliche Jahre vor 1541 eingestellt worden ist, ohne daß für die Zeit, wo kein Altarist mehr da war, ein anderer Gottesdienst eingerichtet worden wäre. Die Schelme und ihre Anverwandten sind noch bis etwa 1560 beim katholischen Bekenntnis geblieben, und dann sind sie, im Gegen­satz zu ihrer reformierten Umgebung, dem lutherischen Bekenntnis beigetreten.

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts wurde die Kirche vom Blitz schwer beschädigt. Ein großer Brand im Jahre 1600 richtete sie vollends zu Grunde. Und dann hat auch sie den Nachbarn billige Steine zum Bauen und Pflastern liefern müssen. Teile des Chores und der westlichen Giebelwand sind am längsten stehen geblieben. Um das Jahr 1810 hat der Frankfurter Maler Anton Radl davon ein idyllisches Bild weltvergessener Romantik entworfen.

Seit etwa 1550 ist der Flecken Bergen, der an Einwohnerzahl größte Ort des Kirchspiels, der Sitz der Pfarrei, der bürgerlichen Verwaltung und des Gerichtes, zunächst ohne Kirche gewesen. Denn auch die alte Pfarr­kirche an der Stelle der heutigen Nikolauskapelle stand in dieser Zeit nicht mehr.

Die Glocken hingen auf der Unterpforte. Und Gottesdienst wurde, insbesondere auch während der gefahrvollen Zeitläufte des 30jährigen Krieges und noch später, „unter dem Rathaus“ gehalten, wo sonst Gerichtssitzungen, Versammlungen, Feste und Verkäufe stattfanden. Denn sonst hätte man ja über Land nach Enkheim oder Kirchberg gehen müssen. Aber wer möchte sich das vornehmen, wenn der Feind im Lande oder das Wetter und die Wege ungewöhnlich schlecht sind!

 

Ortsbefestigung:

An der Kirche erkennt man noch die alte Ortsmauer mit einem Rondell. Sie ist auf ursprünglichen Fundamenten weitgehend rekonstruiert, aber wohl aus späterer Zeit als dem 14. Jahrhundert. Als man 1973 davor eine Straßenbrücke trassierte, wurden Reste einer vorgeschobenen Eckbastion aus dem Barock erkennbar, die ehemals die Ortschaft nach Südosten zusätzlich absicherten.

 

Nikolauskapelle:

Über die Straße „Am Königshof“ kommt man zur Nikolauskapelle. Hier stand ursprünglich der 1220 von Kaiser Friedrich II. der Zisterzienserabtei Haina teilweise überlassene Königshof. Er bildete den Anfang Berger Grundbesitzes dieses ober­hessischen Klosters, der im Lauf dreier Jahrhunderte allein hier auf 750 Morgen anwachsen sollte. Bis zur Stadtmauer hinunter reichte der Hainer Hof. Dort markiert das ehemalige Gerichtsgebäude (Am Königshof 6) seit 1864 die Stelle des damals abgebrochenen Wohnhauses für die Mönche. Jenseits der Befestigung lag ein Weinberg, der sich unterhalb im Arnsburger Reb­hang des Enk­heimer Mönchhofs fortsetzte.

Zur Bewirtschaftung von Weinberg und Feldern hatte Haina ‑ wie alle Klöster des Ordens - Laienbrüder nach Bergen geschickt. Für sie war - wegen der nur in mehreren Tagesmärschen erreichbaren Klosterkirche - auf dem Gelände des ehemaligen Königshofs eine eigene Kapelle entstanden. Es wird überliefert, daß die Hainaer Mönche an oder in der Pfarrkirche zu Bergen eine Seiten‑ oder Neben‑Kapelle mit einem Altar besaßen, der dem Heiligen Nikolaus geweiht war. Dieser Nikolausaltar wird bereits in einer Ur­kunde aus dem Jahre 1333 genannt und wird 1360 durch den Mainzer Erzbischof Gerlach von Nassau bestätigt.

Es ist wohl anzunehmen, daß die Berger Pfarrkirche mit der alten Nikolauskapelle an eben der Stelle gestanden haben mag, die auch die später gebaute Nikolauskapelle noch heute auf ihrem Boden trägt. Diese heutige Nikolauskapelle ist Nach­folgerin der Pfarrkirche und der alten Nikolauskapelle. Sie hat indessen wohl nur kurze Zeit nach ihrer Fertigstellung dem Gottesdienst der Gemeinde Raum gegeben, weil inzwischen im Sturmwind der Refor­mation neue Zeit hereingebrochen war und auch die Kloster­güter eingezogen wurden. Dadurch aber ist Bergen zeitweise ohne Pfarrkirche gewesen.

Die Nikolaus‑Kapelle ist eine kleine spätgotische Kapelle (Nord‑, Ost‑ und West‑Ansicht der Nikolaus‑Kapelle in Hanau Stadt und Land, Seite 135). In Grundriß und Raumform steht die Nikolaikapelle der um 1470 erbauten Weiß­frauenkirche nahe. Auffälliger noch muß formale Verwandtschaft im motivreichen Fischblasen­maßwerk der zweibahnigen Fenster gewesen sein.

Die Kapelle hat nur drei Joche, die West­seite schließt mit einem Drei­-Achtel‑Schluß ab. Im Innern finden wir Ansätze eines Rippen­gewöl­bes auf schlanken Diensten. Kleine zweiteilige Fenster tragen reiches Fischblasen­maßwerk. In der Giebelseite im Osten der Kirche sitzt ein Fischblasenrad über einem Maßwerk­fenster. Der Ab­schluß dieses Fensters ist schon rund­bogig geworden. Die Jahreszahl über dem Portal ‑ 1524 und 1564 ‑ ist wohl auch die Zeit der Entstehung dieses Fensters.

Von besonderer Schönheit ist das zierliche Maßwerk in den Spitzbogen der sechs Fenster, wie die säuberlich gearbeiteten steinernen Ornamente ineinander verschlungen sind oder sich wie spielende Kinder zärtlich aneinander lehnen oder stolz gegen einander neigen. Keins der sechs Fenster gleicht dem andern; und doch sind sie, unbeschadet ihrer Verschiedenheit, in dem schlichten Bau zu einem einheitlichen Werk zusammengefügt.

Der spätgotische Neubau von 1524 (nach den Ziffern der Schlußsteine über der südlichen und westlichen Tür) konnte jedoch den Zisterziensern nur wenige Jahre dienen: Bereits 1526 führte Landgraf Philipp in seinem hessischen Landesteil die Reformation ein, und bald folgte die Graf­schaft Hanau. Als das Kloster Haina dann im Jahre 1527 aufgehoben, säkularisiert wurde, kam sie mit den Hainaer Liegenschaften zunächst in den Besitz des Landgrafen von Hessen, darauf, nach der Teilung Hessens, an die Herrschaft Hessen‑Darmstadt, von der sie im Jahre 1669 der Frankfurter Johann Ochs erwarb: „eine neuaufgerichtete kirch mit einer glocken und uhr necht am Wohn­hauße (des Hainaer Hofes) und dem hochgräflichen (also Hanauer) ambt­hauße, worunter ein ge­wölbter keller und zwey böden“, so wird sie im Kaufvertrag beschrieben.

Die Kinder des neuen Besitzers verkauften ihr Erbe schon 1695 an den Frankfurter Bankier Johann Martin de Rhon, von dem sie die Grafen von Hanau 1699 durch Tausch erwarben und der kleinen lutherischen Gemeinde in Bergen für ihre Gottesdienste zur Verfügung stellten, wie sie ihr auf Veranlassung der Hanauischen Landesherren vorher schon von den Familien de Rhon und Ochs zu diesem Behuf überlassen worden war. Als dann aber im Jahre 1818 die Kirchenvereinigung der Reformierten und Lutheraner durchgeführt wurde, da hat man die schöne Nikolaus­kirche aus Unverstand wieder verkauft, und sie muß seitdem als Scheune und ihr Keller als Äpfelweinkeller dienen.

Doch das bedeutete nur die Ausweitung traditioneller Nutzung als Vorratsgebäude, wie sie mehrfach bei mittelalterlichen Kirchen nachweisbar ist; denn schon den Zisterziensern diente der Dachraum Schüttboden für Saatgut, im Keller lagerte Wein. Die Nikolauskapelle büßte Gewölbe und Nordmauer weitgehend ein. Doch immerhin steht sie noch; und in der relativen Bewertung von Frankfurter Ruinen der Spätgotik ist ihr Erhaltungszustand besser als der von Karmeliterkloster oder Leinwandhaus. Heute wird die Kapelle nach einer gründlichen Renovierung für kulturelle Zwecke genutzt

 

Rathaus:

Über die Marktstraße kommt man nach links zum Rathaus. Am westlichen Rand des Ortes war während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine gotische Steinhalle entstanden, die für Versammlungen und Veranstaltungen genutzt wurde. Vermutlich wies sie an den Seiten zum Teil Pfeilerarkaden auf. Außerdem ließ sich die ehemals „Breite Gasse“ genannte Hauptstraße hier mit Balken sperren (deren vermauerte Luken sind zwischen nachgotischen Fenstern sichtbar geblieben).

Als den Herren von Hanau 1484 aus der aufgelösten Grafschaft Bornheimer Berg 17 Dörfer zugefallen waren, verlegten sie deren Gericht nach Bergen und ein Galgen wurde an der Berger Warte aufgestellt. Der gesteigerten Bedeutung der Ortschaft sollte der Ausbau als Rathaus entsprechen, das für Gemeinderat und Gerichtssitzungen zu dienen hatte.

Der Unterbau des Rathauses entstand um 1350. In der gotischen Gerichtshalle, auch „spil­hus“ genannt, tagte seit 1484 das Landgericht Bornheimer Berg. Sie vertritt in ihren von Holzpfeilern mit Kopfbändern und Unterzug getrennten Schiffen einen zwischen Spät­gotik und Ba­rock häufig nachweisbaren Typ. Die Fenster waren nur Schießscharten.

Diese Halle wurde um 1520-30 in Fachwerk aufgestockt und 1704 durch einen barocken Dachreiter ergänzt und verändert. Auch das Obergeschoß beansprucht die Gesamtfläche des Hauses. Das Fachwerk verbarg sich bis 1934 völlig unter Verputz und Verschieferung. Freigelegt erwies es sich als eine der bedeutendsten Holzkonstruktionen in der näheren Umgebung Frankfurts, die ihre besondere Wirkung der für Hessen ungewöhnlichen Situation inmitten der vom Fachwerk geprägten Marktstraße verdankt.

Am westlichen Giebel ist eingelassen ein Stein von 1479 vom 1869 abgebrochenen Untertor mit der Inschrift: „Far, du gauch!“ was so viel heißt wie: „Scher dich zum Teufel, du Lumpengesindel!“ Das Fratzengesicht mit Sau- oder Eselsohren zielte aber wohl nicht nur auf Landstreicher und anderes unehrenhafte Volk, die besonders nach Messen in Frankfurt ringsum die Bevöl­kerung terrorisierten. Gemeint waren damit auch auf die Frankfurter, die mit den Grafen von Hanau stets im Streit lagen. Der Stein befand sich seit 1479 an der 1871/72 abgebrochenen Unterpforte. Das Original des Steins befindet sich im Museum.

Das Obergeschoß ist mittels eines turmartigen Treppenanbaus an der Westseite zugänglich.

Nach Osten entspricht dem Treppenaufgang an der Westseite ein polygonaler Verkünd‑Erker. Die östliche Front mit viertelkreisförmigen Fußstreben (über der Uhr) und kreuzförmig verstrebten Pfosten macht die zeitliche Stellung zwischen dem Höchster Bürgerhaus „Zum Anker“ und dem schlichteren Rathaus im nahen Hochstadt deutlich.

 

Das Heimatmuseum entstand 1957 durch Bürgerini­tiative. Nach provisorischer Unterbringung in einem Schulsaal fand es 1958 Unterkunft im Obergeschoß des historischen Berger Rathauses. Als Bergen‑Enkheim 1968 zur Stadt erhoben wurde, übernahm der Magistrat die Trägerschaft und stellte das Rathaus nach der Renovierung dem Heimatmuseum zur Verfügung. Nach der Eingemeindung Bergen‑Enkheims 1977 konstituierte sich der mit der Verwaltung des Mu­seums beauftragte Freundeskreis zu einem gemein­nützigen Verein, der die Trägerschaft für das Heimat­museum übernahm. Die Stadt Frankfurt am Main ließ im gleichen Jahr den großen Rathauskeller für mu­seale Zwecke herrichten und das Gebäude vom goti­schen Unterbau bis zum barocken Turm renovieren.

Das Museum zeigt eine Fülle von Gegenständen zur Geschichte Bergen-Enkheims. Ein guter­haltener Faustkeil aus Speckstein, ein Acheul‑Faustkeil, ist mehr als 120.000 Jahre alt und wurde 1961gefunden von dem Schüler Heinz Ackermann im Löß einer Berger Gärtnerei. Ein kleines römisches Kastell und Reste einer römischen Töpferei wurden gefunden.

In der Gerichtshalle im Erdgeschoß werden die Be­deutung Bergens als Verwaltungsort des Amtes Bornheimer Berg und die Baugeschichte des Rathau­ses gezeigt. Reste des steinernen Galgens, ein Hen­kerschwert und zahlreiche Bilder berichten vom Ge­richtswesen in alter Zeit. Ganz schön zynisch mutet er heute an, der Spruch des Henkers von Bergen, der auf den Höhen nord­östlich von Frankfurt, zwischen 1484 und 1537 die Köpfe rollen ließ: „Wann ich das Schwert thue aufheben, so wünsche ich dem Sünder das ewige Leben“, heißt es da. Heute ruht es in der Glasvitrine, das schwere, fast zwei Meter lange Stück, das nur mit beiden Händen zu schwingen war.

Von der Schlacht bei Bergen künden Kanonenkugeln, Waffen, Pläne und Urkunden. Gezeigt werden Rit­terrüstungen, Kanonenkugeln, Hellebar­den und Gewehre. Das faszinierende Diorama der „Schlacht bei Bergen“ zeigt über 2.260 feine, geschichtsgetreu nachgestaltete Zinnfigu­ren unter Glas, handbemalt, Soldaten, Pferde und Gehöfte. Gezeigt wird der entscheidende Augenblick, als Prinz Johann K. von Isenburg an der Spitze der hannoverschen Truppen fällt.

Ebenfalls mit Zinn­figuren ist auch die berühmte Geschichte des „Schelms von Bergen“ oder „Kriegsgefahr am Limes“ und eine Nachbildung einer römischen Villa rustica dargestellt.

Zahlreiche Steinbildwerke, Wappen und Urkunden, Erzeugnisse der Zünfte und Münzen, eine Darstellung des Bronze­gusses, runden die Dokumentation der Ortsgeschichte ab.

Das älteste Haus von 1600 von der Benderei Köhler fiel den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Ein Nachbau Bergens, wie es um 1720 war, ist zu sehen. Im Treppenhaus hängen Fahnen alter Ortsvereine. Im Flur des Obergeschosses halten Bilder und Doku­mente die Erinnerung an Ereignisse der Ortsge­schichte wach. Na­turwissenschaftliche Sammlungen, die einen Quer­schnitt durch die heimische Tierwelt bieten und den geologischen Aufbau der Landschaft veranschau­lichen, sind auf zwei weitere Räume verteilt.

 

Im ehemaligen Weinkeller wird an die Weinbauzeit erinnert, als am Berger Hang fast 600 Morgen Wein­berge gepflegt wurden. Viele Geräte und einige Kel­tern konnten gerettet werden. Auch der Apfelwein­herstellung ist eine Abteilung gewidmet. Geräte aus der Landwirtschaft, aus Haus, Hof und Garten sind reichlich vertreten. Eine Darstellung der Flachsverar­beitung von der Pflanze bis zum Webstuhl erinnert an die Textilherstellung in bäuerlichen Betrieben.

Es findet sich auch so Prosaisches wie Eissägen, mit denen früher aus dem Enkheimer Ried je­den Winter Eisblöcke für die Eisschrän­ke der wohlhabenden Bürger oder Gastro­nomen gesägt wurden. Gezeigt werden auch Geld als altes Zahlungsmittel, Porzellan und Steingut heimischer Töpfer.

Ein hölzerner Schubkarren gehörte früher zum Straßenbild eines Dorfes und ebenso die auf dem Kopfe getragene „Maan“. Kartoffeln werden heute maschinell gerodet, und so haben zwei‑ oder dreizinkige Hacken oder der „Kaascht“ (Karst) Museumswert. Ein Uni­kum stellt die Zuggabel für einen Hundewagen dar, mit dem früher Obst nach Offenbach gefahren wurde. Als es noch keinen Aufzug und keinen Gabelstapler gab, zog man die Getreidesäcke mit einem Strick über eine „Rolle“ zum Schüttboden hinauf,

An das Reich der Hausfrau erinnern ein altes Stampf‑Butterfaß und eine Zentrifuge, mit der man die fetthaltige Sahne von der Mager­milch trennte. Als man noch keine Waschmaschinen kannte, bediente man sich der hölzernen Wäscheklopfer. Der beliebte Brotaufstrich „Latwerge“ oder „Läckmerje“ mußte mit dem „Läckmerjerührer“ in großen Kupferkesseln fleißig gerührt werden. Aus dem Jahre 1937 stammt ein Spruchband an einem Festwagen: „Die Väter haben uns gelehrt, wie man die Läckmerje rührt. Zweimal herum und durch die Mitt, sonst brennt uns an der ganze Kitt.“

Weitere Geräte aus den Küchen sind ein 200 Jahre altes Fleischbrett. Hackmesser und ‑beile, Mehlwaagen und Backtröge sowie ein aus einer zerbrochenen Sense gefertigtes Messer zum Zerschneiden der Weißkohl­köpfe, um Sauerkraut herzustellen.

In einer Vitrine kann man zwei Behälter zur Aufnahme der Wetzsteine beim Mähen betrachten, sogenannte „Schlackerfässer“. Während das eine kunstvoll aus einem Holzstück geschnitzt und ausgehöhlt wurde, fertigte man das andere aus einem abgesägten Kuh‑ oder Ochsenhorn an.

Gleich am Eingang steht rechts ein Einspänner‑Ackerwagen. Die spar­sam aufgelegten Bretter ermöglichen die Durchsicht auf die Konstruktion des Unterbaues, um zu zeigen, wie man ein solches Gefährt mit wenigen Handgriffen verlängern oder verkürzen konnte.

Der Bergen‑Enkheimer Jean Röder vermachte dem Museum einen selbstgebauten Hack‑ und Häufelpflug, der ihm in der Not des Zweiten Weltkrieges gute Dienste leistete. Auf dem Wagen sind ein Holz-Pflug mit einer eisernen Wendepflugschar und eine Holzegge mit mächtigen Eisenzähnen befestigt. An der Wand hängen Ochsenjoche aus Holz und aus Leder sowie eiserne Maulkörbe für Kühe und Ochsen, wenn diese als Zugtiere eingespannt wurden. Kumte, Zugvorrichtungen und Peitschen runden diese Sammlung ab. Von der Decke hängen einige Dreschflegel herab. Eine „Windfege“, die die Spreu vom Weizen trennte, ist zu sehen.

Das Getreide wurde früher nicht nach Gewicht, sondern in bestimmten Mengen verkauft. Zum Abmessen dienten die alten Hohlmaße. So stehen dort 200 Jahre alte „Simmer“ aus Holz (= 31,363 Liter), darüber ein „Sech­ter“ aus dem Jahre 1808 (=7,841 Liter) und ein Zwei‑ Liter‑ Gefäß, das unge­fähr einem „Gescheid“ (= 1,960 Liter) entspricht.

 

Schelmenburg:

Etwas weiter westlich und dann nach Norden steht die Schelmenburg. Ihren Ursprung hatte diese Burg in einem römische Kohortenkastell, denn Ziegel mit dem Stempel der seit 92 in Mainz stationierten XXII. Legion sind mehrfach hier gefunden worden (auch wenn das bestritten wurde).

In die Zeit der fränkischen Landnahme dürfte eine spätere Befestigung zurückreichen, aus der unter den salischen oder staufischen Kaisern eine durch doppelten Wassergraben gesicherte Burg von quadratischem Grundriß um einen kleinen Hof hervorging. Im Jahre 1194 wird in ihr als Reichministerialen das Geschlecht der Schelme von Bergen nachweisbar.

Als das Gebäude im Januar 2001 saniert wurde, weil Feuchtigkeit die Wände hoch kletterte, fand man 50 Zentimeter unter der Fußbodenkante alte Grundmauern, die ursprüng­liche Kernburg. In verschiedenen Etappen wurde die Burg im 14. und 16. Jahrhundert umgebaut. Die Schelmenburg steht auf einem eigens angehäuften Hügel aus Humus. Es war kein Aufwand, die Teile des Gebäudes, die am Abhang liegen, zu unterkellern. Schwieriger wäre das für den Kernbereich gewesen. Genau bestimmt wurden die Epochen erst durch den Fund von Fliesenscherben: Grün glasierte Fliesen sind aus dem 14. Jahrhundert, gelbe stammen aus dem Raum Bad Homburg.

Als nach dem Tod Kaiser Friedrichs II. in den Wirren des Interregnums die seit 1279 über Berger Grundbesitz gebietenden Grafen von Hanau zur Ausweitung ihres Territoriums rivalisierende Grundherren verdrängten, gerieten die Schelme in die Vasallität zu Hanau. Wie zahlreiche entmachtete Reichsritter des 14. Jahrhunderts erlagen auch sie bald der Versuchung, verlorene wirtschaftlich Möglichkeiten durch Raubzüge zu ersetzen; dazu boten die Kaufmannszüge die beste Gelegenheit, die der von Frankfurt bis nach Thüringen führenden Handelsstraße über die Höhen folgten.

Im Winter 1381/8 machten die Frankfurter diesem Treiben allerdings ein Ende, indem sie über die zugefrorenen Wassergräben in die Burg eindrangen. Sibold und Gerlach Schelm schworen Urfehde, fortan blieben hier die Kaufleute unbelästigt. Ein aufwendigeres Unternehmen gegen die Taunusritterschaft im Frühjahr 1389 sollte zur folgenreichsten Niederlage der Reichsstadt während des Mittelalters werden.

Die heutige Burg ist ein erneuertes Wasserschloß von 1700 (Inschrift über dem Eingang). Die isoliert westlich vor der Ortschaft angelegte Burg war damals längst zum ländlichen Wohnschloß ausgebaut und von Häusern umgeben. Die Schelme von Bergen sind 1844 ausgestorben. In dem Haus war die Sozi­alstation untergebracht. Heute ist dort die Stadtbücherei und 16 Vereine zogen in die Räume ein.

Im Jahre 1707 hat Heinrich Heine die volkstümliche Sage vom Berger Henker in Form einer (thematisch allerdings veränderten) Ballade veröffentlicht: Ein Henker ging auf dem Römerberg seinem Geschäft nach, als Kaiser Friedrich Barbarossa mit seiner 16jährigen Geliebten in die Stadt ritt. Der Henker verliebte sich in das Mädchen und fragte eine Kräuterfrau um Rat. Diese riet ihm, er solle sich auf den Maskenball am Hof als Edelmann verkleiden. Die ganze Nacht tanzte er dort mit dem Mädchen, die nach anderer Aussage die junge Kaiserin Beatrix gewesen sein soll. Als er bei der Demaskierung erkannt wurde, hätte die Entehrung eigentlich mit dem Tode bestraft werden müssen. Mit einer List er­trotzte sich der Henker aber das Leben: Würde er getö­tet, bliebe Beatrix entehrt. Schlüge man ihn zum Ritter, sei die Schande nachträglich getilgt. So wurde er zur Abwendung der Schmach durch Friedrich I. Barbarossa als „Schelm von Bergen“ geadelt und bekam die Burg. Seit 20 Jahren wird diese Sage auf Planken über dem Burggraben aufgeführt.

Jüdischer Friedhof:

Noch etwas weiter nördlich ist der alte jüdische Friedhof Als der Friedhof belegt war, wurde an der Berger Warte ein neuer jüdischer Friedhof angelegt, der allerding nicht mehr lang in Benutzung war. Der alte Friedhof ist nur noch eine Wiese mit nur noch einigen Steinen.

 

Ortsmauer:

Am jüdischen Friedhof findet sich noch ein Rest der alten Ortsmauer. Bereits für das 13. Jahrhundert ist in Bergen eine Ortsbefestigung nachweisbar, die mit Graben, lebender Dornenhecke und Verhau qualitativ der Frankfurter Landwehr entsprach. Nach stillschweigend um 1354 vollzogener Annektion im Zusammenhang der Expansionsbestrebungen der Grafen von Hanau bedurfte es jedoch eines wirkungsvolleren Befestigungssystems gegen rivalisierende Ansprüche ‑ u.a. gegen die Reichsstadt Frankfurt.

Kurz nach ihrer Erhebung in den Grafenstand 1429 begannen die Hanauer daher mit dem Bau einer bis zu fünf Meter hohen turmbewehrten Stadtmauer. Ähnlich wie im benachbarten Hochstadt oder unten im kurmainzischen Höchst wurde sie ab 1440 beiderseits der zentralen Markt­straße mit zwei Toren nach Osten und Westen und insgesamt 10 Türmen angelegt. Trotz erheblicher Proteste Frankfurts konnte diese spätgotische Wehranlage etwa um 1500 als abgeschlossen gelten.

Während des Siebenjährigen Kriegs erlangte sie am 13. April 1759 zum letzten Mal strategische Bedeutung, als aus derart befestigter Stellung die Franzosen unter Marschall de Broglie preußische Allianztruppen mehrfach verlustreich zurückschlagen konnten. Seit 1800 verfiel Im 19. Jahrhundert wurde die Ortsmauer weitgehend abgetragen. Die Stadtbefestigung diente als Steinbruch. Nach Bergens Aufgehen im preußischen Staatsgefüge 1866 büßte sie ihren Sinn vollends ein: Bis 1880 verschwanden die Torbauten und der statt­liche Schwarze Turm im Nordosteck. Nur dem Eingreifen des preußischen Landrats verdankt der Weiße Turm seine Erhaltung.

Auf der Straße „Am weißen Turm“ kommt man in Richtung Westen zum Weißen Turm. Er wurde 1472 errichtet. In zylindrischer Form entspricht er den Frankfurter Warten. Ein mittels Bogenfries ausgekragter Wehrgang umgibt als Manschette seinen gemauerten Dachkegel. Im Innern nahm er ‑ über mittlerweile verschüttetem Kerker ‑ eine heizbare Wachstube auf.

 

Kirchberg Kapelle

Die älteste nachweisbare Kirche in Bergen ist wohl die Kirchberger Kirche gewesen, zusammen mit ein paar längst verschwun­denen, dürftigen Häuschen in der Mitte zwischen Bergen, Enkheim und Seckbach in den Weinbergen gelegen, nahe der heutigen Deutschen Buchhänd­lerschule, unmittelbar unterhalb der Wilhelmshöher Straße nach Seckbach zu (heute ist dort eine Gärtnerei). Nur der oberhalb verlaufende Kirchweg und der nach Enkheim verlaufende Wallfahrtsweg weisen mit ihrem Namen noch heute auf sie hin.

Das Kirchberger Kirchlein war viel älter war als die Kirchen St. Laurentius zu Enkheim und Bockenheim, wenn sein Patrozinium zuletzt auch St. Elisabeth war. Nicht nur das Kirchspiel Bergen-­Enkheim‑Seckbach war zu ihm eingepfarrt, sondern auch Fechenheim, das seine Toten zu seinem Höhenfriedhof trug (der Name „Leuchte“ soll von „Leichpfad“ kommen), und wahrscheinlich auch Bornheim.

 Jedenfalls zahlte der Kirchbau St. Laurentius für Bergen‑ Enkheim‑Seckbach noch 1566/68 wie alljährlich nach altem Brauch zwei Gulden „ahn den Kirchpau zu Kirdibergk“, obgleich der Kirchbau zu Kirchberg 1568 „die 4 fl. nit zahlen will“, die er zum Ausbau der Laurentiuskirche zu Enkheim nur für die Baujahre aufbringen sollte.

 Zum andern ist bekannt, daß auch die Siedlung, der kleine Weiler bei Kirchberg, mindestens noch von 1380 ‑ 1605 bewohnt war und im Kirchlein bis 1623 noch Trauungen stattfanden: Um 1380 zinst ein Lotze von Kirchberg an die Schelme, und das Kirchenbuch I zu Bergen enthält nachstehende Einträge: „Rudolpus Ludwig Suppen (Sopp) ehel. Sohn von Ober‑ Mörlen, getraut am Sonn. Quasimo. 1605 Amalia, Peter ehl. Tochter zu Kirchbergk“ und „Witwer Ludwig Bingemer zu Seckbach, getraut am 16.11.1623 Elisabeth, des Johann Lentzen, Nachbars u. Schmieds zu Vilbel ehl. To. In templo Kirchberg.“ Im Jahr 1608 war Hans Mortz noch Glöckner zu Kirchberg.

Wie alt und welcher Herkunft die Kirche am Kirchberg ist, konnte noch nicht sicher erkundet werden. Sie wurde zuerst im Jahre 1178 genannt und bot bis ins 18. Jahrhundert hinein dem Gottesdienst der drei Gemeinden eine Stätte. Anfänglich ist katholischer Gottesdienst darin gehalten worden und nach der Reformationszeit evangelischer. Vielleicht, daß vorher bereits an dieser Stelle ein altes heidnisches Heiligtum gewesen ist, sei es keltischen, sei es germanischen, sei es römischen Ursprungs.

Sicher ist nach den von Dr. Bingemer vorgenommenen Grabungen, daß auf dem Platz der untergegangenen Kirche vorher eine kleinere gestanden hat, deren Grundmauern freigelegt werden konnten. Die Kirche hat zuletzt lange Zeit baufällig dagestanden, wurde dann wegen Einsturzgefahr geschlossen und 1756/57 abgebrochen. Aus ihren Steinen wurde wieder eine reformierte Kirche in Seckbach gebaut, die 1834 an die politische Gemeinde dort verkauft und als Schulhaus eingerichtet wurde. Den Rest der Steine mitsamt der Kirchhofsmauer entwendeten Soldaten der französischen Armee, die 1762 auf dem Lohr ihr Feldlager hatten, um ihre Anmarschwege damit zu verbessern, und dann haben die Bauern noch lange die Fundamente als bequemen Steinbruch benutzt.

Der Seckbacher Heimatfor­scher Dieter Zeh hat wieder zur Bergkirche geforscht. Anhand der ihm vom Pariser Armeemu­seum zugesandten Kopien einer aquarellierten Tuschezeichnung und eines alten Gemäldes, das die 1759 ausgetragene Schlacht von Bergen zeigt, gelang es Zeh, den Standort der Kirchberger Kirche, die ihre Nachfolgerkirchen in Ber­gen, Enkheim und Seckbach an Größe weit übertroffen haben soll, bis auf wenige Zentimeter genau zu bestimmen.

Der Heimatkundler verglich Akten des Marburger Staatsarchivs, die den zwischen 1749 und 1763 entstandenen Schriftverkehr um den 1757 vom Landgrafen Wilhelm von Hessen genehmigten Abbruch des Gottes­hauses enthalten, mit den Pariser Darstellungen. Die aus den Doku­menten hervorgehenden Flurna­men „Am Alten Kirchhof” und „Hinter der Kirche” bezeichneten ein Areal, das auf dem Tuschebild des Künstlers Charles Cozette als heller, ein Quadratzentimeter gro­ßer Fleck inmitten dichten Baum­bestandes erscheint. „Der Zeichner, der nie in Bergen war und sein Werk nach einem Generalstabsplan der französischen Armee anfertigte, hat hier die Abbruchruine der alten Bergkirche dargestellt“, ist Zeh sich sicher. Seine Informanten müßten dem Künstler von dem abgerisse­nen Gotteshaus berichtet haben, was nicht verwundere: „In Bergen erzählte man sich, daß die französi­schen Gefallenen an der Kirchber­ger Kirche beigesetzt wurden.”

Dieter Zeh hat indes nicht nur den genauen Standort der Kirche ermittelt, sondern auch Hinweise bezüglich ihrer Bauweise und ihres Erscheinungsbildes gesammelt. Abermals hätten sich die Marbur­ger Akten als hilfreich erwiesen, zumal der Abriß der Kirche seinerzeit genau dokumentiert worden sei. Das Baumaterial - nämlich Schie­fersteine, Basalt- und Sandsteinqua­der - sollte wieder verwendet werden. Es ergab sich: „Die 1966 abgerissene Peterskirche, die in Höhe der heutigen Bushaltestelle Draisbornstaße stand, wurde ausschließlich mit Materialien der Kirchberger Kirche errichtet.”

Zehs Recherchen zufolge hatte der Chor eine Außenlänge von elf Metern; die Außenlänge des Kir­chenschiffes schätzt der pensionier­te Sprachwissenschaftler auf rund 22 Meter. Das auf dem Grund der 1178 erstmals urkundlich erwähn­ten Pfarrei Kirchberg stehende Got­teshaus, das im Mittelalter den Na­men „St. Elisabeth” trug, habe es auf elf Meter aufsteigendes Mauerwerk gebracht, die Mauern des spä­ter an die Kirche angebauten, sechs Stockwerke hohen Turmes hätten mindestens 24 Meter in die Höhe geragt. Auch über zahlreiche archi­tektonische Details gäben die Marburger Akten Aufschluß. So habe sich die Sakristei unter dem Dach befunden.

Wie auch immer die Bergkirche, die zur Zeit der Pest 1349/50 zur Wallfahrtskirche wurde, aber im Detail ausgesehen hat, Zeh ist sich sicher, daß es sich bei dem ab 1737 zunehmend baufälligen Gebäude um ein prachtvolles Gotteshaus ge­handelt hat. Der Seckbacher Zent­graf Hans Conrad etwa habe in ei­nem Schreiben aus dem Jahr 1613 von den „schönen Mustern und Formen” der Bergkirche ge­schwärmt, die „jederzeit ein sonder­lich Wohlgefallen tragen”. Und der reformierte Pfarrei Johann Philipp Petri begeistert sich 150 Jahre spä­ter, „daß die Alten eine Hauptkir­che auf dem Land vereint gebaut”.

 

Bücher:

Ludwig Fr. Emmel: Chronik einer Landschaft am Untermain, Bergen-Enkheim, 1985

Werner Henschke/Dr. Ludwig Emmel: Tausend Jahre Weinbau am Berger Hang,, 1975

Johann Heinrich Usener: Chronick vom Amt Bornheimerberg, angefangen 1796

275 Jahre Berger Kirche

 

 

Enkheim

 

Kirche

Die alte Laurentiuskirche stammte noch aus vorreformatorischer Zeit. Die Enkheimer Kirchweih wird noch heute auf Sankt Lorenz gefeiert. Die Nachfolgerin dieser alten Kirche auf dem­selben Platz ist die heutige große Enkheimer Kirche, erbaut 1717. Diese Kirche weist die Formen eines leichten Barock auf. Im Übrigen wirkt sie ‑ als ehemaliges reformiertes Gotteshaus ‑ fast gar nicht durch Bauelemente, dafür aber desto stärker durch die lichten Farben.

Auf dem Grabstein des einstigen Pfarrers August Kaiser steht: „Begründer der Gemeinde Enk­heim.“ Dieses Epitheton soll kein Menschenkult sein. Jene lapidaren Worte wollen nur auf ein ortsgeschichtliches Faktum hinweisen; denn Enkheim ist bis zum Jahre 1911 Hilfspfarrei von Bergen, mit raschem Hirtenwechsel und oft stiefmütterlich be­handelt, gewesen, hat aber deshalb keine Loslösung angestrebt. Vielmehr sollte dieser zu 90 Prozent evangelische Ortsteil zur zweiten Pfarrei von Bergen erhoben werden. Der Wunsch nach Trennung ging vom Kirchenvorstand Bergen aus.

Zwar ist unser Gotteshaus bei jenem mörderischen Massenbombenabwurf am 2. März 1944, der etwa 50 Häuser in Trümmer legte und 45 Menschenleben forderte, wunderbar verschont geblieben, aber der Artilleriebeschuß der letzten Kriegstage wurde ihm zum Verderben: Das ganze Innengesims, Dach und Fenster wurden zerstört, so daß die Konfirmation auf Pfingsten verlegt werden mußte, weil es uns unmöglich war, unter Schutt und Scherben Gottesdienst zu halten. Dazu mußten auch die Evakuierten erst wieder herangeführt werden.

Inzwischen ist alles wiederhergestellt worden und Neues dazugekommen: eine Orgelwindmaschi­ne, Ölheizung, Orgelumbau, Einbau einer Bläserempore, Neu­verglasung in echt antikem handge­blasenem Glas, und ein dreifaches neues Geläut, dessen größte Glocke von den Eltern eines in Rußland gefallenen Kandidaten der Theologie gestiftet worden ist,

 

Mönchhof:

Im östlichen Teil Enkheims, in der Straße „Winzersteige“, liegt der „Mönchhof“ (Bruderhof, Arns­burgerhof) des Klosters Arnsburg. Da er eine Kloster­siedlung war, hat er natürlich auch eine Klosterkirche gehabt. Tat­sächlich gibt es denn auch eine Urkunde aus dem Jahre 1377, in der von einem Weg die Rede ist, der an der Kapelle bei dem Hof des Klosters Arnsburg in Enkheim vorbeiführt. Im Jahre 1803 fiel der Hof an die Grafen von Solms und wurde dann aufgeteilt.

 

Mühltal

Das kleine Zipfelchen Wildwuchs nördlich des Heinrich‑Bingemer‑Wegs in Bergen gehört offiziell auch noch zum Na­turschutzgebiet Mühlbachtal. Ein deutscher Dschungel, der seinen Dornröschen‑Zauber hat, so überwachsen ist alles. Aber der Botaniker zuckt nur mit den Schultern. Und das nicht nur wegen der Plastiktüten, des Bauschutts und der Autoreifen, die dem wilden Wald mitten in Bergen ein großstädtisches Gepräge ge­ben. Für Vögel ist das sicherlich ein schönes Biotop, aber für einen Botaniker gibt es hier nichts besonders Schutzwürdiges. Holun­der, Brennessel, Hahnenfuß.

Das ei­gentliche Naturschutzgebiet wird jen­seits der Straße kurioserweise von einem Spiel­platz unterbrochen ist. Besucher müs­sen erst ein beträchtliches Stück an der Straße entlang laufen, bis es wieder einen Zugang gibt in das feuchte, wild überwach­sene Tal.

Romantiker mögen angesichts der fet­ten Wiese mit Obstbäumen und wuchern­den Brombeerranken ins Schwärmen gera­ten. Dem Biologen kommen eher die Tränen. Denn bei der letzten Erhebung Anfang der 80er Jahre haben die Fachleute auf der am Südhang gelegenen Sonnen beschienenen Streuobstwiese beträchtliche Flächen mit Pflanzengesellschaften gefunden, die ei­gentlich nur auf Halbtrockenrasenstandor­ten wie dem Berger Hang zu finden sind. Die gierigen Brombeeren haben sich schon so viel Fläche einverleibt. Halb­trockenrasenarten gibt es hier nicht mehr. Zu schattig – der Boden wird im Sommer nicht mehr warm genug.

Daß sich im Mühlbachtal noch eine der selten gewordenen Streuobstwie­sen den Hang hinunter Richtung Bach zieht, war einer der Gründe, hier ein Na­turschutzgebiet auszuweisen. Streuobst­wiesen verlangen viel Pflege. Die artenrei­che Glatthaferwiese hätte zweimal im Jahr gemäht werden müssen.

Ein deutliches Indiz für mangelnde Pfle­ge sind die schmalen, lanzettförmigen Blätter, die auf der gesamten Wiese zu se­hen sind: die im Sommer gelb blühende Kanadische Goldrute. Eine vor rund 100 Jahren eingeführte Gartenpflanze. Wenn die in einer Wiese drin ist, heißt das, daß nicht ausreichend gemäht wird.

Das Gestrüpp zwischen Wiese und Bach ist so dicht, daß der Versuch, von hier zum Bach vorzudringen aussichtslos er­scheint. Angesichts der Massen blauer Mülltüten, zerdrückter Dosen und gerisse­ner Folien wäre diese Route ohnehin we­nig verheißungsvoll. Vom Mühlfloßweg führt ein feuchter Pfad zum Gewässer und damit zum Star des Naturschutzgebiets: Daß hier der den Laien vage an die Zwei­ge einer Kiefer erinnernde Riesen‑Schach­telhalm in rauhen Mengen am Bachufer ge­deiht, ist nämlich der Hauptgrund, warum das Mühlbachtal unter Naturschutz steht. Den bis zu zwei Meter hoch wachsenden Schachtelhalm, aus dessen Wäldern an­derswo die Steinkohle entstanden ist, gibt es in der Region kaum noch – obwohl die Art nicht gefährdet ist. Der Riesen‑Schachtelhalm wächst an feuchten Stellen und wird einen halben bis zwei Meter hoch. Er breitet sich hartnäckig aus über Ausläufer, die im Bo­den bis in einem Meter Tiefe verlaufen.

Das Bächlein einen Bach zu nennen, fällt schwer. Wo der Mühlbach überhaupt zutage tritt und nicht in unterirdische Rohre verlegt ist, plätschert er in einer schmalen Halbschale aus Beton dahin. Hangaufwärts haben die Brombeeren den Bach bereits unter sich begraben: Da bleibt auch kein Raum mehr für den Rie­sen‑Schachtelhalm, der die feuchten Ufer zum Leben ebenso braucht wie Licht und Luft. Hangabwärts läßt sich allenfalls erahnen, welch ein Kleinod das Tälchen einmal sein könnte. Hier wachsen Scharbocks­kraut und Wiesenschaumkraut am Ufer neben Sträuchern von Rotem Hartriegel und Roter Johannisbeere. Letztere ist ja erst aus den Bachauen heraus und in die Garten geholt worden, als der Mensch es bequemer haben wollte.

Wenn hier eine intakte Bachaue ent­steht, mit Erlen, Eschen und Weiden und der ja vorhandenen, für die Auenland­schaft typischen, Krautschicht mit Ler­chensporn und Goldschopfhahnenfuß, die Ende März hier einen Blütenteppich bil­den, wäre das durchaus ein eigener Schutz­grund für das Tal.

Besser wäre es, sich auf den Schutz der Aue zu konzentrieren, statt mit viel Geld den wenig aussichtsreichen Kampf um den Erhalt der Streuobstwiese zu führen: Sie ist zu klein, und der wert­volle Halbtrockenrasen ist ohnehin verlo­ren. Bloß nicht verzetteln.

Auf dem Mühlfloßweg zurück Richtung Heinrich‑Bingemer‑Weg sieht man Hopfen und Clematis, die sich fast wie Tar­zans Lianen fingerdick an den Bäumen hoch gearbeitet haben. Auch das ein Zei­chen für eine intakte Bachaue. Auf feuchtem, nährstoffrei­chem Boden  hat jene Pflanze einen Vorteil, die schnell hoch wächst. Lianenge­wächse machten sich dabei auch umgefal­lene Bäume zunutze, an denen sie sich empor ranken.

Der 175 Meter offen in einer so genann­ten Sohlschale fließende Mühlbach wurde früher aus Jakobsbrunnen und Schelmen­quelle gespeist. Beide werden heute in die Kanalisation geleitet. Kleinere Quellen im Naturschutzgebiet, wie der Hessenborn, sorgen heute für den Zufluß in den Mühl­bach. Weil Gehölze immer weiter in die Fettwiesen am Bach vordringen, droht ei­ne Verarmung der Arten. Brombeeren überwachsen zunehmend Arten wie Rie­senschachtelhalm und Sumpf‑ und Schlanksegge.

Mit 127.000 Euro aus Ausgleichsmit­teln will die Untere Naturschutzbehörde beginnen, den Bach zu re­naturieren und die Brombeeren zu bekämpfen. Die Betonschalen des Bachs sol­len herausgenommen, zum Teil soll ein neues Bachbett angelegt werden. Indem das Gehölz zurück gedrängt wird, soll das Gebiet zehn Meter links und rechts des Bachs wieder in ein offenes Wiesengelän­de zurück verwandelt werden.

Das Geld reicht aus, um fünf bis sieben Jahre lang die Brombeeren aktiv zu be­kämpfen. Auf einer Plattform mit Bänken sollen die Besucher künftig einen Einblick ins Gebiet bekommen und via Tafeln infor­miert werden.

 

Berger Hang

Das 1954 ausgewiesene, zehn Hektar große Naturschutzgebiet Berger Hang ist das nördliche Steilufer eines alten Mainarmes. Seine geographische Lage be­dingt ein mildes und warmes Klein­klima. Hier blüht alles ein wenig früher als im restlichen Frankfurt. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde hier noch Wein angebaut.

In seinem Artenreichtum ist der Ber­ger Hang mit seinen Streuobstwiesen und dem gemähten Halbtrockenrasen von überregionaler Bedeutung. Ein Vier­tel des hessenweiten Bestands findet sich hier. Auf den Wiesen wachsen kalklieben­de Blütenpflanzen. Allein acht zum Teil geschützte Orchideenarten wie Helm­knabenkraut, Stendelwurz, Bienen-­Ragwurz und Händelwurz  wurden hier schon gesichtet. Buchfink, Kuckuck und Grauammer brüten im Gebiet, der Rote Milan zeigt sich immer mal wieder auf der Durchreise.

Hier ist ein Naturschutzgebiet, das der Fachmann wenig klangvoll als gemähten „Halbtrockenrasen“ bezeichnet. Einen Wiesentyp, den es in Hessen kaum noch gibt. Seine Existenz verdanke dieser Lebensraum dem regelmäßigen Mähen.

Obwohl das Gebiet so groß ist, ist es nicht eintönig. Es gibt botanisch interessante Übergangszonen von der Hecke zur Fläche, Wiesensäu­me mit lilafarbenen Wicken, verschieden stark geneigte Hanggebiete und die schat­tigeren Flächen unter den Obstbäumen. Überall fühlten sich andere Pflanzen be­sonders wohl. Es wurden 288 höhere Pflanzenarten im Naturschutzgebiet ge­zählt, auf rund 100 bringt es allein der Halbtrockenrasen. Angesichts der bunten Blütenpracht ist dieser Wiesentyp ein Tummelplatz für Insekten.

Einer der Stars des Gebiets ist der violett blühende Große Ehrenpreis, eine selten gewordene Pflanze, die nur an außergewöhnlichen Standorten gedeiht und deshalb auf der Roten Liste der geschützten Arten steht: Sie mag keine sauren Böden, liebt Wärme und viel Licht, kann aber Nährstoffreichtum nicht aushalten. Sobald gedüngt wird, ist sie fort. So einen Lebensraum findet man nur noch selten, zumindest in Deutschland. Im Mittelmeerraum, etwa in Italien, fänden sich diese Bedin­gungen viel häufiger.

Die Aufrechte Trespe oder Bromus erectus ist Namensgeber und mit vielen anderen Gräsern zusammen die dominante Art der Pflanzengesellschaft Mesobro­metum, die auf dem gemähten Halbtro­ckenrasen gedeiht. Der „Kleine Klappertopf“ ist ein Halb­parasit, der so heißt, weil die trockenen Samen in den Früchten klappern, wenn man sie schüttelt. Ein Halbparasit ist das Pflänz­chen, weil es sich an die Wurzeln anderer Pflanzen dran hängt. So spart es sich, selbst lange Wurzeln auszubilden.

Mittendrin im Mager­rasen kann man endlich jene Arten entdecken, die diesen Standort so außergewöhnlich machen, weil sie nur hier gedeihen – die schon fast verblühte rosafarbene Orchidee „Helmknabenkraut“, sein gerade erblühen­des Schwesterchen, das hellrosa‑violett blühende „Händelwurz“, das rosa‑violett blü­hende seltene „Kreuzblümchen“ und das im Wind zitternde Zittergras.

Im Osten durchschneidet ein kleiner Bach den Hang und trennt die Magerfläche von einem kleinen Flachmoor, das in ei­ner Senke am Hang entstanden ist. Auf der nicht einmal fuß­ballplatzgroße Fläche sieht man  mit einem Blick fünf verschiedene Biotoptypen: eine feuchte Kohldistelwiese, Seggenried, Röhricht, eine sumpfige Flut­rasen­gesellschaft und ein Kalkflachmoor, und das alles auf engstem Raum.

Am Spazierweg, der die südliche Grenze des Naturschutzgebiets bildet, stehen Buschgewächse: Hundsrose, Schlehe, Holunder, Weißdorn, Hagebutte, Sauerkirsche. Vogelfutter satt. Und am Wiesensaum, dort, wo vermutlich nicht im­mer ganz gründlich gemäht wird, weil die­se Pflanze das nicht verträgt, eine weitere, pinkfarben blühende Besonderheit des Ge­biets: der „Blutstorchschnabel“. Nur ein paar Meter weiter in der Wiese steht die „Würger“ genannte Schmarotzerpflanze „Orobanche“, eine Rote‑ Liste‑Art, die – ohne Blätter – keine Photosynthese machen, also Zucker und Starke nicht mehr aus der Luft gewin­nen kann und deshalb die Wurzeln ande­rer Pflanzen anzapfen muß.

Auf dem Weg zurück Richtung Bergen trifft  man auf Gewürzpflanzen wie Oregano, auch Thy­mian und Rosmarin, seien typische Ge­wächse trockener Böden: Je trockener, des­to größer die Gefahr, vom Vieh gefressen zu werden. Die Gewürzpflanzen wehrten sich mit starkem Aroma gegen die Pflan­zenfresser:  Ein paar Blättchen in der Spaghettisoße sind lecker, aber, ein ganzes Bündel davon zu essen – das schmeckt nicht. Weshalb Kühe und Schafe einen Bogen um die stark duften­den Kräuter machten – Freßschutz der Natur.

 

Enkheimer Ried

Geschichte:

Anfang des 19. Jahrhunderts sah hier noch alles anders aus. Ein Al­tarm des Mains floß über Maintal am Berger Hang entlang Über Seck­bach und den Ostpark in den Main und überflutete regelmäßig die Aue. Als der westliche Abfluß des Mains dann abgeschnitten wurde, verlande­te er langsam. Es entstand eine fünf Meter dicke Torfschicht, die zwischen 1829 und 1864 teilweise abgebaut wurde. Wieder begann das Ried zuzuwachsen und zu verlanden.

Dieser Prozeß wurde erst unterbrochen, als zwischen 1884 und 1924 eine findige Firma begann, hier Natureis zu ge­winnen. Sie ließ die gesamte Fläche des heutigen Naturschutz­ge­biets, das weit den Tränkebach entlang bis in die Bischofsheimer Gemarkung hineinreicht, fluten, so daß ein riesiger See entstand. Als Zufluß wurde der Entenbach genutzt. Immer im Sep­tember wurden Schilf und Wasser­pflanzen entfernt, um möglichst sau­beres Eis zu gewinnen, das im Winter mit Eispflügen in meterbreiten Tafeln gestochen wurde. Das Eis wurde in Hallen gelagert und im Sommer zum Kühlen benutzt.

Als man 1924 zum Kunsteis überging, geschah das zu Lasten des Rieds: Weil aus dem Wie­her nicht mehr regelmäßig die Biomasse in Form von Wasserpflanzen rausgeholt wurden, unterstützte das die fortschreitende Verlandung, die mitsamt der Vernachlässigung während des Zweiten Weltkriegs dazu führte, daß das Ried Ende der 50iger Jahre praktisch kein feuchtes Gebiet mehr war.

Ein bißchen ist es ja so, als würde einem Hund der Knochen immer gera­de so außer Reich­weite mit der Angel vorgehalten: Bei 36 Grad im Schatten immer um ein ganzes Fußballfeld voll Wasser laufen und nicht reindürfen, ist fies. Zumal einem die Temperaturen im Schatten ziemlich gleichgültig sind, wenn es keinen Schatten gibt. Wasser. Das Enkhei­mer Ried ist voll davon‑ Das war nicht immer so.  Beate Alberternst, wis­senschaftliche Mitarbeiterin am Botanischen Institut der Goethe‑Universität, sagt: „1958 war das Ried zu 99 Prozent verlan­det.“ Nur eine Radikalkur half damals, das 1937 als Naturschutzgebiet ausgewiesene Ried als solches zu bewahren.

Mit der Verordnung über das Naturschutzgebiet „Enkheimer Riedteiche“ in der Gemeinde Bergen-Enkheim im damaligen Landkreis Hanau am 2. September 1937 wurde das Gebiet in kleinerer Abgrenzung erstmalig unter Naturschutz gestellt. Mit der Verordnung aus dem Jahr 1995 erhielt das Gebiet die heutige Größe von 28,23 Hektar, wie das Regierungspräsidium Darmstadt mitteilt.

Das Naturschutzgebiet ist ein ehemaliger, verlandeter Altarm des Mains. Die einstige Moorlandschaft wurde in früheren Jahren zum Torfstechen und zur Gewinnung von Natureis genutzt. Heute ist die Landschaft durch offene Wasserflächen, insbesondere durch den Riedteich mit Verlandungs- und Uferzonen und die östlich angrenzende Aue des Tränkebachs geprägt.

Zwei­mal wurde das aus einem verlandeten Al­tarm des Mains entstandene Feuchtgebiet bis 1969 ausgebaggert und entschlammt. Einmal holten die nicht zimperlichen Ried‑Retter 38.000 Kubikmeter Schlamm und 38.000 Quadratmeter Schilf aus dem einst zur Natureisgewinnung genutzten Weiher, ein anderes Mal 50.000 Kubikme­ter Schlamm. Seither wurde der alte Teil des Naturschutzgebiets nicht mehr groß angefaßt. „Es ist relativ stabil“, urteilt Al­berternst, die sich darüber im Klaren ist, daß das jahrelange Ausbaggern auch viel Schaden angerichtet hat ‑ allem schon durch die jahrelange Störung.

Mit dem ursprünglich ausgewiesenen Naturschutzgebiet hat das Ried heute nicht mehr viel gemein. Wo vor dem Zwei­ten Weltkrieg auf dem Westweiher Enten quakten, findet sich heute ein Sportplatz, gleich hinterm Enkheimer Freibad. Der völlig verlandete Weiher wurde Ende der 50er Jahre aufgegeben, als die Bagger ans Werk gingen, um den Schlamm rauszuho­len. Jetzt paddeln Wasservögel wie der Haubentaucher oder die Knäk-Ente nur noch auf dem Ostteich herum, auf den Spa­ziergänger eigentlich nur vom Spazierweg im Westen einen Blick erhaschen können.

In das alte Naturschutzgebiet, das erst 1995 um Teile des Tränkebachtals in Bi­schofsheim erweitert wurde, kommt man nicht rein. Ein hoher Zaun verhindert den Zugang, der auch sonst wohl nur mit was­serdichten Wathosen möglich wäre. Das dichte Gestrüpp entlang des Rundwegs er­laubt nicht mal sehnsüchtige Blicke auf den Tummelplatz der Kormorane und der knapp zehn Exemplare der vom Ausster­ben bedrohten Europäischen Sumpfschild­kröte, die sich hier noch eine Überlebensni­sche gesichert hat.

Und doch lohnt der Spaziergang um das rund 28,2 Hektar große Gebiet auf Frank­furter (8,6 Hektar) und Bischofsheimer Ge­markung (19,6 Hektar). Am Wegesrand entlang des eingezäunten alten Naturschutzgebietes haben noch einige Obstbäume wie Kirschen und Pflaumen überlebt - Zeugen von Streuobstwiesen und Gärten, die es früher hier gab.

 

Sumpfschildkröten:

Von internationaler Be­deutung ist das Enkheimer Ried durch den in ganz Westeuropa einzigen, sich selbst vermehrenden Bestand an Sumpf­schildkröten. Zu sehen bekommt man die Tiere allerdings nicht, erstens sind sie sehr rar, zweitens menschenscheu und drittens sehr ruhebedürftig. Der Riedteich wird nicht mehr be­wirtschaftet: Hier stellen sich natür­liche Gleichgewichte ohne Eingreifen des Menschen ein.

Ein Wort zur Geschichte: Der Riedteich ist ein verlandeter Altarm des Mains. Die Mainschlinge führte ursprünglich am Berger Hang entlang und versumpfte später. Torfschichten bildeten sich, die noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts „gestochen“, also abgebaut wurden. Die Firma Eis‑ Günther erzeugte und la­gerte hier ihr Natureis, gab den Standort aber im Jahr 1925 wegen der beginnen­den Kunsteisproduktion auf. Wertvolle Fauna und Flora konnten sich seitdem fast ungestört ausbreiten und waren schon zur Jahrhundertwende ein Eldora­do für Biologen.

Seit dieser Zeit waren es zunächst zwei Riedteiche, doch ihr biologischer und ökologischer Wert nahm mit der Zeit eher ab: Diverse Einleitungen ließen vor allem den westlichen Riedteich „zum Himmel stinken“, eine Starenplage sorgte bei Anwohnern und Naturfreunden glei­chermaßen für Verdruß. Um das Jahr 1960 wurde der westliche Riedteich schließlich trockengelegt und zuge­kippt, es entstanden dort die heutigen Sportanlagen.

Der Ostteil wurde entschlammt und als stehendes Gewässer vollends sich selbst überlassen. Ein Auenwald und Schilfzo­nen bildeten sich, die Vegetation konnte sich frei entfalten. Mit der Zeit wird der östliche Riedteich verlanden, doch die hohe Wasserqualität verlangsamt diesen Prozeß.

Die rund 14 Hektar eingezäunter „Urwald“ sind das Kerngebiet des Enkheimer Rieds, das seit 1935 unter Naturschutz steht und damit neben dem Seckbacher Ried zu den älte­sten Naturschutzgebieten in ganz Hessen zählt.

Hier darf ein Baum so alt werden, bis er stirbt. Die 14 Hektar sind eingezäunt, es gibt keinen direkten Zugang. Die Tierwelt braucht diese Ungestörtheit, vor allem die Brutvögel, aber auch Käfer, Libellen, Amphibien. Viele Vogelarten singen um die Wette, seltene Pflanzen breiten sich ungestört aus, in­tensiver Blütenduft erfüllt die feuchte Luft.

Das Streuobstgebiet Berger Hang ist eine alte Kulturlandschaft ganz anderer Art als der Urwald im Ried. Feuchte Wiesen und knorrige Apfel‑ und Speierlingbäume prägen den Hang, der bis hinter Hoch­stadt reicht und sowohl als größtes zu­sammenhängendes Streuobstgebiet in ganz Hessen gilt als auch den größten hessischen Steinkauzbestand aufweist. Aber ganze Baumgenerationen fehlen, denn umfangreiche Rodungen, die in den sechziger und siebziger Jahren sogar vom Land Hessen unterstützt und prämiert wurden, haben hier große Lüc­ken hinterlassen. Den hohen Naherholungswert berühren diese Sünden der Geschichte indes nicht: Blau schim­mernder Wiesensalbei, der zottige Klap­pertopf und andere Naturschönheiten wachsen hier ungestört.

Ein Problem am Fuße des Hangs sind die zahlreichen Privatgärten mit standortfremden Hölzern und Pflan­zen, ökologisch wertlos und der Allge­meinheit entzogen. „Verstädterung des

ländlichen Raumes“ würden Soziologen sagen. Teilweise sind es vor Jahrzehnten genehmigte, teilweise infolge illegaler Landnahme entstandene Gärten, die hier ihren Platz am Rande des Land­schaftsschutzgebietes gefunden haben. Problematisch ist vor allem das Müllpro­blem: Es gibt wohl einige, die Unrat aus den Gärten einfach im Riedbereich „ent­sorgen“.

Jenseits der Gärten findet sich ein Bei­spiel naturnaher Rinderhaltung: Auf saf­tigen Wiesen weidet eine Herde, ein­schließlich der Bullen, und fühlt sich sichtlich wohl. Die Rückansiedelung von Weidetieren, also Schaf‑ und Mutterkuh­herden, ist durchaus gewollt und wird un­terstützt, denn es gibt keine natürlichere und zugleich preiswertere Form der Gründlandpflege, das Mahdgut muß nicht teuer entsorgt werden.

Rechter Hand gewährt eine kleine Lich­tung einen kurzen Einblick in das Ried­-Reich der Sumpfschildkröte. Eine „künstliche Düne“ mit lockerem Substrat hat die Obere Naturschutzbehörde hier anlegen lassen, um die seltenen Tiere, die bis zu 130 Jahre alt werden, zum Eierle­gen zu animieren. Im Jahre 1986 schlüpf­ten hier letztmals Jungtiere.

Einer Diplomarbeit ist es zu verdanken, daß man über die Herkunft der Sumpf­schildkröte nun Genaueres weiß: Durch kriminologisches „Finger‑Printing“, Blutproben, DNA‑Analysen und der Un­tersuchung fossiler Schildkrötenpanzer aus dem Berger Heimatmuseum ist es der Studentin Sylvia Hanka gelungen, die überwiegend südeuropäische Herkunft der Sumpfschildkröte zu belegen.

Insgesamt sind es vier Schildkrötenarten, die im Enkheimer Ried heimisch gewor­den sind: Die Hauptpopulation sind die Rotwangenschildkröten, sehen Natur­schützer hier allerdings nicht so gern, da sie die anderen verdrängt.

 

Wohlmeinende Schildkrötenliebhaber könnten irgendwann einmal die in Oberitalien hei­mische Europäische Sumpfschildkröte hier ausgesetzt haben. Denn in den Genen, der hiesigen, nahen Verwand­ten finden sich Hinweise, die nach Oberita­lien weisen. Genaues weiß man nicht. Nur daß die Europäische Sumpfschildkröte hier überleben soll. Und das wird ihr nicht leicht gemacht. Denn auch ihr Le­bensraum wird aktiv bedroht, und zwar von der amerikanischen Rotwangenschild­kröte, die den Weg aus Frankfurter Aqua­rien ins Ried gefunden hat. Sie macht der einheimischen Konkurrentin deren Platz an der Sonne ebenso streitig wie das Fut­ter. Weshalb die Bemühungen der Natur­schützer, mit aufgeschüt­tetem Sand und gefällten Pappeln für Sonnenplatze zu sor­gen, immer auch der amerikanischen Zu­wanderin nutzen.

Die Monate Mai bis Juli sind die gefährlichs­ten für Hessens Sumpfschildkröte. Die seltenen Reptilien, die auch im Enkheimer Ried zu finden sind, fast ihr ganzes Leben im Wasser le­ben, hier schlafen, fressen und sogar den Winter verbringen, zieht es jetzt oft für vie­le Tage an Land. Von ihren Instinkten ge­leitet, verlassen viele der urtümlichen Kriechtiere ihre Gewässer, um manchmal kilometerlang über Land zu wandern. An Land aber lauern zahlreiche Gefahren. Manche Tiere werden Opfer des Straßen­verkehrs, der die kleine hessische Popula­tion weiter ausdünnt. Mehrere Exemplare wurden bereits in Ortschaften oder am Rand verkehrsreicher Straßen aufgefun­den.

Eine weitere Gefahr ist überzogene Tierlie­be, gepaart mit Unwissen. Viele der Wild­tiere werden bei ihren Wanderungen auf­gesammelt und von ihren Findern für ent­laufene Terrarientiere gehalten. Oft lan­den die Findlinge dann im privaten Gar­tenteich oder Aquarium. Die Arbeitsgemeinschaft Sumpfschildkrö­te appelliert an alle Finder, sich mit den Mitarbeitern des Artenschutzprogrammes Sumpfschildkröte in Verbindung zu set­zen. An Land gefundene Tiere werden ‑ so­fern es sich um „echte Hessen“ und keine eingeschleppten Tiere aus der Mittelmeer­region handelt ‑ in das hessische Nach­zuchtprogramm integriert, das der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zu­sammen mit NABU, dem Zoo Frankfurt und den Naturschutzbehörden organisiert. Hier sorgen die Tiere wieder für den Nach­wuchs, der im Freiland seit langem ausge­blieben ist. Finder des seltenen Reptils wenden sich bitte an Sibylle Winkel, Tele­fon (0179) 2644134, oder an Dr. Matthias Kuprian, Telefon (0173) 3751580.

Die Ursachen für das Wanderverhalten der urzeitlichen Tiere sind vielfältig. Die Weib­chen suchen meist an Land geeig­nete Eiablagestellen. Hier legen sie bis zu 16 Eier, die von der Sonne ausgebrütet werden. Da Brutplätze immer seltener in Gewässernähe zu finden sind, wandern die Tiere im Juni und Juli lange Strecken über Land, um geeignete Stellen zu finden. Be­reits ab Mai wandern männliche Tiere manchmal mehrere Kilometer weit auf der Suche nach neuen Lebensräumen oder Weibchen, denn die heimische Population ist bereits so ausgedünnt, daß sich die Ge­schlechtspartner kaum noch begegnen.

Die Sumpfschildkröte soll wieder heimisch werden

Im Enkheimer Ried leben derzeit nur noch knapp zehn Exemplare der heimi­schen Schildkrötenart. Vor ihrer Auswilderung werden die Tie­re auf Krankheiten und Geschlecht unter­sucht. Damit sie später wiedergefunden und bestimmt werden können, wird den Schildkröten zudem ein Minisender und winziger Computerchip eingebaut. Bei einer ersten Aktion im Teich des Frankfurter Zoos fingen die Hanauer Tau­cher 19 Europäische und eine Rotwangenschildkröte. Mittlerweile haben zwei weitere „Sammeltage“ stattgefunden.

Das Schildkrötenprojekt läuft bei den Hanauer Tauchpartnern bereits seit Be­ginn des Jahres. Umweltschutz ist einer der zentralen Punkte seiner Arbeit in den vergangenen sieben Jahren, berichtet Tauchteam‑Chef Claus Wilkens. Sowohl im Inland, aber auch im Ausland engagie­ren sich die Hanauer Taucher für den Schutz von Schildkröten und anderen Meeresbewohnern. Unterstützt werden sie da­bei unter anderem auch von Franz Brummer, Professor an der Universität Stutt­gart.

Für ein Schutzprojekt der Stiftung „Turtle Obulus“ haben die Tauchpartner Spenden gesammelt und Tauchlehrer An­dreas Volz vermittelt als „Hobby‑Aquaria­ner“ auch Tierpatenschaften. Ein Logo „Taucher leben mit Schildkröten“ ist ent­standen, das auf T‑Shirts gedruckt wird, und dessen Erlös ebenfalls in Schutzpro­jekte fließt. Es gibt mehrere Kooperationspartner mittlerweile in Ägypten, Schweiz und deutschlandweit und die Hanauer Tauch­partner besuchen auch Schulklassen, um im Rahmen von Projekttagen Kinder und Jugendliche für das Thema Artenschutz zu begeistern.               

 

Tränkebach:

Der Tränkebach ist ein Beispiel gelungener Renaturierung: Hier, bereits in Maintaler Gemarkung, wurde der Bachlauf im vergangenen Winter aus seiner Betonschale befreit und in seinen natürlichen Bachlauf zurückge­führt. Schon in den 20er Jahren wurde der Bach begradigt, in den 70er Jahren betoniert. In den 80erJahren war es der „Bund für Umwelt‑ und Naturschutz" (BUND), der sich für eine Renaturierung des Trän­kebachs einsetzte.

Was im Winter durch die vielen Bagger noch wüst aussah, hat sich mittlerweile prächtig, entwickelt: Das Gewässer rege­neriert sich, erste Libellen surren und Grünfrösche quaken, Wasserkäfer und Kaulquappen vermehren sich zusehends. Mit der Zeit werden Strauchweiden weite Teile am Rande des Bauchlaufs einnehmen.

Das Tränkebach‑Gebiet steht seit 1995 unter Naturschutz, bietet vielen Pflanzen, unter anderem auch Orchideen, wertvol­len Raum und ist vollständig frei von Düngung. An der Grenze des Natur­schutzgebietes wird der Unterschied deutlich: Hier Renaturierung, dort noch immer Begradigung in Betonhalbschalen ‑ schon vom Anblick her ein Unterschied wie Tag und Nacht.

 

Pflanzen  und Tiere:

Heute müssen die heimischen Pflanzen ihren Lebensraum gegen gierige Einwanderer wie den Riesenbärenklau oder die Kanadische Goldrute behaupten ‑ was nicht überall gelingt. Die medizinballgroßen weißen Blütendolden, die auf bis zu 3,50 Meter großen Stengeln ruhen, blitzen auf der Nord­seite des Feuchtgebiets immer wieder durchs Schilf. Die gelbblühende Goldrute hat am Wegesrand ganze Lichtungen unter Kon­trolle gebracht. Das lichtliebende in Gär­ten hübsch anzusehende Gewächs wird hier erst zu­rückgedrängt, wenn das Auwäldchen wie­der zu einem dichten Wald herangewach­sen ist. Hoffentlich, sagen die Naturschüt­zer, die nun mal von Haus aus Puristen sind, und in ihren Naturschutzgebieten nur ungern importierte Zuzügler sehen, die den heimischen Pflanzen Licht und Luft wegnehmen. Bei den Pflanzen sind die Sumpf Segge, die Wasserfeder, das fleischfarbene Knabenkraut sowie der Sumpfhahnenfuß hervorzuheben.

Auch den Stars unter den Pflanzenar­ten, die im feuchten Ried prächtig gedei­hen, fehlt es an Bühnenpräsenz. Entwe­der sie sind tief im unzugänglichen Schilf verborgen, wie das Fleisch­farbene Knaben­kraut.  Oder sie sind zwar frei zugänglich wie Schein-Zyper‑Segge, Großes Flohkraut und Zungenhahnenfuß an den Ufern des Trän­kebachs.

Zur Teichbevölkerung  ge­hören die Beutelmeise, Teichrohrsänger und Gelbspötter, alles bedrohte Vögel von der Roten Liste, und die ebenfalls schüt­zenswerten Fischarten Moderlieschen, Hecht und Dreistachliger Stichling sowie die Gebänderte Prachtlibelle, die Erdkröte und der Teichfrosch.  Verschiedene Amphibienarten kommen vor wie zum Beispiel der in Hessen sehr stark gefährdete Moorfrosch, der Kammolch oder auch die Knoblauchkröte in dem Naturschutzgebiet vor.

Darüber hinaus dient das Enkheimer Ried vielen Vogelarten der Roten Liste Hessen als Heimat. Hierzu zählen zum Beispiel der Steinkauz, die Rohrweihe, die Mehlschwalbe und der Schwarzmilan.

 

Feldhamster auf dem Berger Rücken

In wetterfester Kleidung und ausgestattet mit kleinen Fähnchen an langen Holzstangen stapft eine Gruppe über ein abgeerntetes Weizenfeld auf dem Berger Rücken. Sie sind Teilnehmer an einem naturkundlichen Spaziergang, den die Hessische Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) veranstaltet. Unter der fachkundigen Leitung von Olaf Godmann und des Hochstädters Manfred Sattler von der Arbeitsgemeinschaft Feldhamsterschutz (AGF) suchen die Naturfreunde nach den Bauen der kleinen Nager, damit diese kartiert werden können.

Der bis zu 35 Zentimeter großen, oft über ein Pfund schweren Nager mit dem schwarzen Bauchfell und den weißen Flecken auf Wange  Pfoten und Ohr versucht Feinde abzuwehren. Diese weißen Flecken sind eine regelrechte Defensivwaffe: Als letztes Mittel bei einem Angriff durch seine Feinde wirft sich der putzige Geselle nämlich auf den Rücken, stellt die Ohren auf und reckt die Pfoten von sich. Für den Angreifer, beispielsweise einen Fuchs, einen Turmfalken, Iltis, Marder oder auch eine Eule, wirkt das ganze Gebilde durch das schwarze Fell nun wie der aufgerissene Rachen eines Raubtiers, mit den weißen Tupfern als gefährlichen Fangzähnen. Mit etwas Glück sucht der Feind das Weite.

Der kurzbeinige Hamster ist ein schlechter Dauerläufer. Dafür ist er umso eifriger dabei, wenn es an die Futterbesorgung geht. Und auch nicht besonders wählerisch. Hülsenfrüchte, Kartoffeln, Klee, Rüben oder Mais: Alles wird „gehamstert“ und in der Vorratshöhle des meist dreigegliederten Baus gebunkert.

Früher galt der Feldhamster als Ernteschädling und noch bis in die achtziger Jahre hinein wurden Fangprämien auf den Feldhamster ausgesetzt. Der Feldhamster war noch vor wenigen Jahrzehnten als „Getreideschädling“ verhaßt und fast ausgerottet. Nur die weichen Pelze der kleinen Nager waren begehrt. Kinder konnten sich für jedes gefangene Tier Prämien verdienen. Auch allerlei Gift wurde eingesetzt, um den Nahrungskonkurrenten den Garaus zu machen - mit großem Erfolg. Feldhamster starben in vielen Regionen Deutschlands und auch Hessens aus oder wurden auf kleine voneinander isolierte Inselpopulationen reduziert.

Die industrialisierte Landwirtschaft mit schnelleren und effizienteren Ernteabläufen, der Einsatz von Pestiziden, die Verinselung der Ackerflächen durch Straßenbau, die zu instabilen Inzuchtpopulationen führt, und die Zersiedelung der Landschaft sind Gründe für den dramatischen Rückgang der Feldhamster-Bestände.

Die Ursache des Rückgangs liegt in den weltweit verschärften landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Intensivierung der ackerbaulichen Nutzung nehme ständig zu.

Düngung, Herbizideinsatz, Schaffung größerer Schläge, Einsatz größerer Maschinen oder häufigere Flächenbehandlung seien nur einige Faktoren, die zu Buche schlagen.

Besonders schwer hat es der Feldhamster. Oft werden die Ackerstoppeln direkt nach der Ernte umgepflügt. Die wichtige Deckung als Schutz vor Greifvögeln, Füchsen, Waschbären oder Katzen fehlt und durch verbesserte Erntetechnik fällt nur selten ein Getreidekorn auf den Boden. So gelingt es den Tieren kaum noch, genügend Vorrat für den Winter in die unterirdischen Baue einzutragen. Auch Wildkräuter - eine wichtige Nahrungsgrundlage der possierlichen Nager - fehlen auf den großen Ackerschlägen, die nur noch selten von artenreichen Feldrainen und Hecken begrenzt werden

Zum Leben braucht der Feldhamster Lößböden, wie sie beispielsweise von Bergen-Enkheim bis Bruchköbel entlang der Hohen Straße vorkommen. In diese Erdbeschaffenheit errichte der Nager seine unterirdischen Bauten. Er benötige Felder, auf denen sowohl Vorräte für den Winterschlaf als auch Deckung findet. Nach der maschinellen Ernte bleibe dem Hamster weder das eine noch das andere. Daher hat das Land Hessen ein Artenhilfsprogramm aufgelegt und zahlt den Landwirten Prämien, die auf ihren Feldern einen sogenannten Nachernte-Streifen oder eine Mutterzelle stehen lassen, in denen der Hamster Schutz und Nahrung findet.  Die meisten Landwirte sind der Maßnahme gegenüber aufgeschlossen, neun Frankfurter Bauern sind im Programm, im Main-Kinzig-Kreis sind es rund 15.

Zum Artenschutz gehöre auch, die aktuellen Hamstervorkommen zu erfassen. Dazu suchen die Teilnehmer der Feldhamster-Exkursion in einer Reihe im Abstand von zwei bis drei Metern den nach dem Regen aufgeweichten Ackerboden auf dem Berger Rücken nach Hamsterbauten ab, die sie mit einem Fähnchen markieren. Charakteristisch für den Hamsterbau ist das recht große, kreisförmige Loch mit einem Durchmesser von 4,5 bis zu neun Zentimetern, das mehr als 40 Zentimeter tief senkrecht in den Boden führt.  Eine typische Fallröhre, in der der Hamster bei Bedrohung schnell verschwinden kann.  Hinzu kommen noch schräge Schlupflöcher an den Seiten. Bis zu zwei Meter tief kann der unterirdische Bau liegen. Er besteht aus mehreren Kammern. Ein „Vorzeige-Bau“ würde aus einer Wohn-, einer Futter- und einer Abortkammer bestehen.

Die von den Teilnehmern entdeckten Hamsterbaue auf dem Berger Rücken werden vermessen und samt GPS-Koordinaten aufgeschrieben. Rund 20 Baue spüren die freiwilligen Helfer in dem abgeernteten Weizenfeld auf (04.08.2012).

 

Die nur 20 bis 35 Zentimeter großen Feldhamster sind meist in der Dämmerung aktiv. Bei hoher Bestandsdichte sieht man die Tiere aber auch tagsüber. Diese leben in weit verzweigten, oft mehrere Meter langen und tiefen Gangsystemen mit Wohn- und Vorratskesseln. Die Schlafkammer wird mit weichem Material ausgepolstert. Benutzt sie der Hamster zur Überwinterung, so liegt sie nicht selten bis zwei Meter unter der Erdoberfläche. In ihrer Nähe befinden sich auch die Vorratskammern, die im Herbst mit durchschnittlich drei bis fünf Kilogramm Sämereien und Pflanzenmaterial aufgefüllt werden. Männchen und Weibchen bewohnen getrennte Baue. Sie sind gegeneinander unverträglich und bissig. Neben Pflanzensamen, besonders Getreide, verschmäht der Hamster auch gelegentlich Insekten und selbst den einen oder anderen Jungvogel nicht. Transportable Nahrung wird in die dehnbaren Backentaschen gestopft und in den Vorratsbau gebracht.

Trächtige Weibchen findet man von April bis August. In guten Jahren gibt es zwei Würfe mit vier bis zwölf Jungen pro Wurf. Ist der Lebensraum hamstergerecht, können die Jungen schon nach vier Wochen den Mutterbau verlassen und sich bereits nach drei Monaten selbst wieder fortpflanzen. Diese hohe Fortpflanzungsleistung erklärt, weshalb Hamsterbestände früher geradezu „explosionsartig“ anwachsen konnten.

Der Hamster besiedelte ehemals von Süden nach Norden ein relativ zusammenhängendes Gebiet von den Landkreisen Bergstraße und Groß-Gerau über die Taunusregion und das Rhein-Main-Gebiet mit dem Main-Kinzig-Kreis bis in die Wetterau und den Landkreis Gießen hinein. Vorkommen gab es auch im Lahn-Dill-Kreis und im Amöneburger Becken. Ganz im Westen wurde die Region um Limburg besiedelt. In Osthessen wurden Feldhamster den Kreisen Vogelsberg, Kreis Fulda und im Main-Kinzig-Kreis nachgewiesen.

Ähnlich verlief die Entwicklung im Main-Kinzig-Kreis. War die Art bis in die 80er Jahren noch vereinzelt auch im Ostkreis anzutreffen, blieben nach der Jahrtausendwende nur noch im Westkreis zerstreute Restbestände. Rund 60 Baue lägen im Raum Maintal unter der Erde. Ab Ende August werden die meist nachtaktiven Sammler sich dann allmählich zum Winterschlaf zurückziehen. Wobei der nicht dauerhaft erfolgt, sondern sie sich zum Fressen immer mal wieder vom bequemen Lager erheben. Im kommenden Frühjahr ist Paarungszeit. Und wenn sie nicht zwischenzeitlich verhungert sind, werden die als „Singles“ lebenden Nager spätestens dann wieder putzmunter.

Und mit dem Feldhamster verschwanden vielfach weitere Tiere der Ackerflur, darunter die Grauammer, Wachtel, Rebhuhn und Bluthänfling   (08.08.2012).

 

 

Zwischen Bergen und Bad Vilbel

Ausgangspunkt ist die Berger Warte. Ein gut ausgebauter Parkplatz ist nördlich der Warte auf der rechten Seite, mit einer Informationstafel über die Streuobstwiesen.

Zunächst wird die Ehrensäule besucht, die der Landgraf Wilhelm IX. von Hessen-Kassel errichten ließ. Man geht rechts am Umspannwerk vorbei und findet die drei Meter hohe „gestümpfte Säule“ am Ende des kleinen Gehölzes. Die Säule erinnert an den Besuch Kaiser Leo­polds II. im Oktober 1790 (oder 1793) an der Berger‑Warte.

Wegen der revolutionären Unruhen in Frankreich hatte auf Wunsch des Erzbischofs von Mainz Landgraf Wilhelm IX. von Hessen‑Kassel auf der damals zu seinem Herrschaftsgebiet gehörenden Berger Höhe ein Feldlager zum Schutz von Wahl und Krönung Leopolds II. im Jahre 1790 aufgeschlagen. Am 23. September 1790 traf der Landgraf mit zehn Bataillonen und 14 Schwadronen ‑ das waren 6.000 Mann ‑ ein. Während drei Wochen fanden dort täglich Truppenübungen statt. Der Landgraf gab Empfänge. Viele Besucher kamen. Als nach der Wahl Leopolds II. am 30. September dreihundert Böllerschüsse von Frank­furts Mauern abgefeuert wurden, er­tönten auch auf der Berger Höhe Ehrensalven und ließ der Landgraf eine Parade veranstalten und ein Freudenfeuer entzünden. Am 11. Oktober zwei Tage nach der Krönung gaben der Landgraf und seine von Schloß Philippsruhe heraufgekom­mene Gemahlin dem neuen Herr­scher und seiner Familie zu Ehren ein Festessen im Lager. Zur Erinnerung an diesen Tag, an dem sich 126 Per­sonen in Zelten versammelt hatten, ließ der Landgraf diese Leopoldsäule aufstellen. Ihre lateinische Inschrift gibt uns über das Festmahl und die Gäste Auskunft. Wahl und Krönung waren friedlich verlaufen. Am 17. Oktober hatte sich der Landgraf wieder nach Kassel zurückgezogen.

 

Danach geht man wieder zurück und auf direktem Weg zur Berger Warte hoch. Sie steht auf Seckbacher Ge­markung und ist zwölf Meter hoch. Erstmals erwähnt wurde die Warte 1340 als „Geierswarte“. Den ursprünglichen, weitgehend aus Fachwerk, errichteten Turm brannten protestantische Truppen im Schmalkaldischen Krieg 1552 nieder, um damit das äußere Sicherungssystem der reichsstädtischen Landwehr zu durchbrechen. Doch dazu hat die Berger Warte nie gehört, obwohl sie formal deren spätgotischen Türmen entspricht und heute mit 212 Metern topographisch höchsten Punkt Frankfurts ist.

Vielmehr war die Warte immer dem Hanauer Grafen zugeordnet. Sie wurde als „Geleitwechselstation“ auf der Hohen Straße genutzt, die von Frank­furt über Leipzig bis nach Rußland führ­te. Hier verabschiedeten sich die Frankfurter Soldaten, die weiterziehende Kaufleu­te „geleitet“ hatten und überga­ben die wackeren Handelsleute in die Ob­hut ihrer Hanauer Kollegen. Mit Glück stößt man auch auf einen der Grenz­steine nahe der Vilbe­ler Landstraße, die die Grenze zwi­schen Königreich Preu­ßen und Großherzog­tum Hessen markie­ren.

Graf Philipp III. von Hanau ließ die Warte 1557 aus Stein erneuern, als Rundturm mit hochliegendem Eingang (eine mobile Leiter wurde nach dem Einstieg des Wächters hochgezogen) und Wächterstube im gemauerten Kegeldach, die allseitigen Ausblick gewährte. Im Schutz eines kreisförmigen Wallgrabens stand die Warte völlig isoliert ‑ die heute sie umgebende Baumgruppe entstammt erst in den beiden letzten Jahrhunderten.

Während des Siebenjährigen Kriegs leitete Marschall de Broglie 1759 in der Schlacht von Bergen von hier aus die Operationen seiner französischen Kontingente und verhinderte somit den Vormarsch friderizianischer Allianztruppen auf Frankfurt.

Der spätere Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Hessen‑Kassel zeigte sich 1844 von dem Panorama so beeindruckt, das eine Aussicht auf ehemals 200 Ortschaf­ten bot, daß er eine Außentreppe zur Erleichterung des Warteinstiegs anlegen ließ. Dazu wurden teilweise Steine des daneben seit 1484 bestehenden Hanauer Galgens verwandt, den der hessische Kurfürst aus ästheti­schen Gründen 1844 abreißen ließ.

Von der Warte geht man nach Süden und dann auf einem holprigen Zickzack-Weg südlich des Umspannwerks zunächst nach Westen und dann nach Süden. Hinter dem Umspannwerk geht es nicht noch einmal nach rechts, sondern links immer geradeaus (auch wenn der Weg fast zugepflügt ist) bis zum Berger Weg. Dort geht es links-rechts versetzt den Klingenweg hinunter (auch wenn es die verkehrte Richtung der Einbahnstraße ist). Vor dem Versuchsgarten geht es rechts ab auf der Straße „Auf dem Lohr“. Wenn der Garten geöffnet ist, kann man auch durch den Garten gehen. Am Weinberg vorbei kommt man zum Ehrenmal auf dem Lohrberg. Der Blick über Frankfurt und das Rhein-Main-Gebiet ist phantastisch.

Vom Ehrenmal geht es nordwestlich wieder zum Berger Weg und auf diesem in Richtung Osten über den Klingenweg nach Bergen. Man fährt ein Stück die Marktstraße hinein und dann nach links die Straße „Landgraben“ hoch zur Straße „Am weißen Turm“. Man fährt nach rechts und dann links hoch in den Ludwig-Kleemann-Weg. Dort ist rechts der jüdische Friedhof.
Die Sehenswürdigkeiten der Ortslage sind unter „Bergen“ beschrieben.

Am östlichen Ortsende fährt m an den „Gräsigter Weg“ hinauf und hält sich oben links, überquert die Umgehungsstraße und kommt auf die „Hohe Straße“. Am Wegweiser „Bad Vilbel“ geht es nach links, über die Bundesstraße und im Linksbogen bis zum Grundweg, der rechts (am Hochspannungsmast) nach Bad Vilbel hinunterführt.

 

Hier befindet sich das Schlachtfeld der „Schlacht bei Bergen“. Am „blu­tigen Karfreitag“ dem 13. April 1759, lie­ferten sich hier im Sieben­jährigen Krieg ein 35.000 Mann starkes französisches Heer und 28.000 preußische Soldaten unter Herzog Ferdi­nand von Braunschweig, dem Schwager Friedrichs des Großen, eine blutige Schlacht. Mehr als 1.000 Mann kamen ums Leben, etwa 5.000 wurden verwundet, viele starb­en später an Wundstarrkrampf und In­fektionen. Immer wieder werden bei Grabun­gen Knochen gefunden. Aber das war dann kein Ermordeter, sondern Reste eines Kriegers von damals, die als Verwundete reihenweise an Wundbrand gestorben sind. Die berühmte Schlacht fand ihren Weg in Kunst und Literatur. Goethe, der sie im Alter von zehn Jahren drunten in Frankfurt miterlebte, erwähnt sie in Dichtung und Wahrheit, der britische Schriftsteller William Thackeray, der auf Seiten der Preußen mitgekämpft haben soll, hat sie in „Barry Lyndon“ verewigt.

Der Weg führt (an einem Vogelschutzgehölz vorbei) in gerader Richtung an den östlichen Rand des Vilbeler Waldes. An der Josef-Schusser-Schutzhütte am „Buchenbaum“ ist rechts eine Informationstafel über Streuobstwiesen. Der Weg geht am Waldrand weiter bis zur nächsten Schutzhütte, die etwas im Wald steht. Von dort aus kann man im Vilbeler Wald weiterfahren oder eine Abstecher zur Kirche machen.

Zur Kirche kommt man auf dem geteerten Weg in Richtung Osten. Am Hundesportverein vorbei geht es wieder hoch zum Friedhof. Diesen umgeht man links und kommt vom Lohweg her zur Auferstehungs-Kirche. Die ältesten Bauelemente sind aus dem 13. Jahrhundert. Ursprünglich war sie St. Alban geweiht. Seit 1548 war die evangelisch. Nach einem Brand wurde sie 1640 wieder aufgebaut und im 17. und 18. Jahrhundert erweitert. Hinter der Kirche sind alte Grabsteine in Form von Särgen zu sehen. Man geht um die Kirche herum und durch den westlichen Ausgang wieder aus dem Friedhof hinaus. Jetzt kann man auf der geteerten Straße wieder zurück fahren in den Wald.

Man kann aber auch rechts an der Gärtnerei vorbeigehen bis zum Hochbehälter und dort links zum geteerten Weg. Beim Hundesportverein biegt man aber rechts ab, fährt bis zur Vogelsbergstraße und fährt diese hoch bis zur Erzschneise. Dort kommt man wieder in den Wald. Am Waldrand entlang geht es bis zu einer Schneide, die als Waldlehrpfad bezeichnet wird. Aber Hinweistafeln auf die Bedeutung des Waldes finden sich überall im Stadtwald. Wer sich den Weg zur Kirche erspart hat, fährt von der Schutzhütte gleich auf diese Schneise „Waldlehrpfad“.

Steil geht es hinunter zum Spiel-, Freizeit- und Erholungspark. Wer noch einen Abstecher zum Ritterweiher machen will, fährt an den Kleingärten vorbei zur Ritterstraße. Nach links aber geht es hinauf zu einer Schutzhütte an der Kreuzschneise. Dort biegt man nach rechts ab und kommt immer geradeaus zu den stillgelegten Schießständen und zur Schutzhütte.

Der 1935/36 von der Wehrmacht angelegte und 1945 von der US‑Armee beschlag­nahmte Schießplatz am südöstlichen Zip­fel Bad Vilbels hat endgültig ausgedient. Im Sommer 1993 marschierten das letz­te Mal US‑Truppen an der Berger Gemar­kungsgrenze auf. Gemeinsam mit deut­schen Feuerwehrleuten übten sie den Ka­tastropheneinsatz. Danach sorgten nur noch illegal ausgetragene Farbbeutel‑Ge­fechte von „Gotcha“‑Spielern für Aufse­hen. Im September 1994 schließlich gab die Army die „Training Area“ zurück. an die Eigentümerin des über elf Hektar gro­ßen Geländes, die Stadt Bad Vilbel.

Vergeblich versuchte 1994 die Kommu­ne, die Bundesvermögensverwaltung für die kostspielige Umwandlung der Militär­anlage verantwortlich zu machen. Für die Beseitigung der drei gemauerten Kugelfangwände sowie für die Entsorgung der Schwermetall‑Altlasten (insbesondere Blei, aber auch Zink, Kupfer und Arsen) in dem von schweren Fahrzeugen zusammengepreßten oder durchfurchten Boden kommt die Stadt nun selbst auf. Geschätz­te Kosten für die etwa 2,5 Hektar große Sa­nierungsfläche: eine Million Mark oder mehr ‑ je nach Entsorgungsaufwand.

Per Bescheid hatte noch 1996 das Fried­berger Wasserwirtschaftsamt die Stadt zu der Sanierung verpflichtet.

Ein Stück weit hat sich die Natur das Gelände schon zurückgeholt. Bedrohte Flo­ra und Fauna, vom Tausendgüldenkraut bis zur Zauneidechse, haben inmitten von Tümpeln, Röhrichten, wechselfeuchten Lebensraum gefunden. Für eine Million Mark renaturiert sie das ehemalige Militärgelän­de. Ab 2002 soll es ganz dem Naturschutz und der Naherholung dienen. Eine Mutterbodendecke wird aufgetragen, Wege für die Spaziergänger angelegt und die Fläche mit Wildgewachsen, Sträu­chern und Bäumen bepflanzt beziehungs­weise aufgeforstet. Für das jährliche Vater­tagsfest bleibt eine mit Schotterrasen be­festigte Fläche reserviert. Ein von mehreren Kleingewässern durchzogenes, überwiegend aber von Tro­ckenflächen geprägtes Biotop soll so ent­stehen. Das Gelände wird modelliert ‑ mit einem Höhenunterschied von bis zu acht Metern.

Die Naturschützer, mit denen ein Pflegeplan abgestimmt wird, sprechen von einem Offenlebensraum mitten im Wald, der bei guter Entwicklung Aussicht hat, in einigen Jahren unter Schutz gestellt zu werden.

Bis zum Frühjahr 2002, so Projektleiter Thomas Adam vom Unternehmen Ter­ra Nova, soll alles fertig sein. Dann kön­nen sich Mücken‑Händelwurz, Teichmolch oder Blindschleiche entfalten und auch die Spaziergänger in dem von Schadstoffen be­freiten Waldstück erholen.

Vom Schießplatz geht es nach links steil bergauf (Wegweiser „Bergen-Enkheim“). Dieses Waldstück ist übersät mit Bärlauchpflanzen. Den schweren Knoblauchduft der wei­ßen Blüten riechen auch die plum­pesten Nasen schon von weitem. Aus den Blättern des noch nicht blühenden Bärlauch läßt sich Pes­to (eine Würzpaste) zubereiten. Die lanzenförmigen Bärlauch‑Blätter weiß man im Kräuterquark oder Sa­lat zu schätzen. Aber auch noch andere Heilpflanzen findet man im Vilbeler Wald. Die Schlüs­selblume gilt als „auswurf­förderndes Mittel bei Bronchitis“ und wur­de früher auch als Nies­pulver verwendet. Der Gefleckte Aronstab soll „potenzsteigern­de und nachwuchssi­chernde Wirkung“ haben. Das gifti­ge Salomonsiegel kann man auf die Hühneraugen legen. Mit dem hell‑lila blühenden Wiesenschaumkraut bekämpft man rheumatische Erkran­kungen. Aber die Überzeugung der Al­ten hat sich nie durchgesetzt, daß sich mit Hilfe des unscheinba­ren Waldbingelkrauts Quecksilber in Silber und Gold verwandeln ließe. Das dachten sie im Mittelalter nämlich, wegen seines blauschwarzen, metallischen Glan­zes nach dem Trocknen.

Die leckeren herzförmigen Blättchen des Scharbockskrauts passen gut zu Spinat oder Salat, die Knos­pen sind gelb blitzend. Früher wurden sie als Vitamin‑C‑Lie­ferant gegen Skorbut (Scharbock) genutzt, aber in hohen Dosen kann es giftig wirken. Die in Es­sig getauchten Knos­pen des Scharbocks­krauts lassen sich wie Kapern verwenden. Auch der weißblü­hende Sauerklee gilt als Vitamin‑C‑Liefe­rant, sollte jedoch nur gekocht und wegen seines hohen Oxalsäure­gehalts nur in Maßen verzehrt werden.

Im Wald zeigen sich aber auch die lila oder wei­ßen Blüten des hohlen Lerchensporn. Wiesenschlüsselblume und Behaarte Nelke recken ihre gelben beziehungsweise lila Blüten in die spärlich scheinende Sonne. Goldhahnenfuß und das efeublattrige Ehrenpreis sind zu sehen. Die früher als Pfeilgift verwende­ten weißen und gelben Buschwindröschen bilden einen Blüten­teppich.

Man befindet sich jetzt schon auf dem Landgrabenweg nach Bergen. Oberhalb des Waldes kommt man auf den „Nördlichen Höhenweg“. Dort fährt man rechts weiter und kommt zum Parkplatz am jüdischen Friedhof. Dieser nördliche Höhenweg wird auch vorgeschlagen auf dem Plan aus der Zeitung.

 

 

 

Niederdorfelden

 

 

Lage:

An der Nidder zwischen Gronau und Oberdorfelden an der nordwestlichen Kreisgrenze gelegen. Höhe über N. N. 100 bis 110 Meter. Gemarkung, 696 Hektar (davon 52 Hektar Gemeindewald), grenzt im Süden an die Große Lohe.

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Südlich der Hohen Straße, 200 Meter östlich von der Südostecke der Großen Lohe, war eine Siedlung der band­keramischen Kultur (5000 vCh). mit bis zu 21 Häusern in Form von Lehmhütten (heute: Am Röderweg).. Literatur: Britta Ramminger: Niederdorfelden „Auf dem Hainspiel“. Eine ganz normale Siedlung der älteren bis mittleren Bandkeramik im hessischen Main-Kinzig-Kreis. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie (Bonn 2015).

 

Jüngste Bronzezeit (Urnenfelderstufe):

Ein Brandgrab mit Urnen, Schalen und verglühten Bronzestückchen wurde nördlich der Großen Lohe, 300 Meter östlich der Landwehr, gefunden.

Im Jahre 1985 wurde bei Bauarbeiten im Gewerbegebiet ein Friedhof aus der Zeit etwa 450 vCh nachgewiesen. Die unerwartet gefundenen Skelettreste ließen die vom Eigentümer des Grundstückes herbeigerufene Polizei an ein Verbrechen jüngeren Datums denken. Bis ein Beamter der Polizei (selbst Mitglied des Hanauer Geschichtsvereins, wohl Herr Peter Jüngling)) durch sein Fachwissen für Entspannung sorgte: „Diese Todesfälle liegen schon fast zweieinhalbtausend Jahre zurück.“

 

Römische Zeit:

Stattliche Reste von römischen Gutshöfen fanden sich

  • etwa 400 Meter nördlich der Hohen Straße an der Landwehr
  • rund 1.250 Meter östlich von vorgenanntem Gehöft
  • oberhalb des „Wäldchesborn“ nahe der „Hellwiese“
  • neben dem Bischofsheimer Weg, 600 Meter nordöstlich der vorgenannten Stelle
  • ein Kilometer südlich vom Dorf, etwa 50 Meter west­lich der Landwehr.

 

Älteste Namensformen: villa Dorfelden in pago Nitachgowe 792 (?), Torvelden um 850, Dorovelden um 1130, Dorfeldin infer 1344.

Einige Flurnamen werden in der Festschrift 1250 Jahre Oberdorfelden- Niederdorfelden, Seite 44 - 50 beschrieben.

 

Statistisches:

Einwohnerzahl: 1820 = 508; 1855 = 692; 1885 = 735; 1905 = 850; 1919 = 849; 1925 = 862; 1939 = 842; 1946 = 1144; 1953 = 1195, davon Heimatvertriebene = 240, Evakuierte = 82.

Bekenntnis: 1905: ev. = 829, kath. = 21, heute: ev. = 960, ­kath. = rund 200.

 

Wirtschaft 1953: 54 Prozent der Einwohner sind Industriearbeiter, 40 Prozent Landwirte, 6 Prozent und Gewerbetreibende.

 

Geschichtliches:

Mit den Franken traten die Dörfer am 30. August des Jahres 768 erstmalig in das Licht der Geschichte und wurden als „villa Turinvelde“ urkundlich gesichert. An diesem Tage machte der Franke Isinhart eine Schenkung an das Kloster Lorsch. Diese Nachricht ist eine der frühesten unter den 3.600 Urkunden in der Lorscher Handschrift. In dieser Schenkungsurkunde heißt es: „Im Namen Jesu Christi schenke ich, Isinhart, zum Heil meiner Seele dem heiligen Märtyrer Nazarius, der im Kloster Lorsch begraben ist und den dort wohnenden Dienern Gottes, wo der ehrwürdige Abt Gundelanus die Leitung innehat, und bestätige als Schenkung im Gau Wetter­eiba im Dorfe Turinvelde 10 Morgen Ackerland“. Eine Abbildung findet sich in der Festschrift „1250 Jahre Oberdorfelden- Niederdorfelden“, Seite 36 - 37.

In der Zeit Karls des Großen erhielt die Reichst Lorsch noch zwei weitere Schenkungen in Dorfelden. Die eine ist nicht genau zu datieren, möglicherweise im Jahre 787, die andere im Jahre 805. Diese umfaßte ein Bauerngut, 25 Morgen Ackerland, eine Wiese und einen Waldanteil.

Um das Jahr 850 tauchte Dorfelden als „Torvelden“  in einem Verzeichnis von Schenkungen an die große ostfränkische Reichsabtei Fulda auf. Im Jahre 1130 heißt es „Dorofelden“. Der Ort wurde auch „Großendorfelden“ ge­nannt und gehörte später zum hanauischen Amt Windecken. Während Oberdorfelden durch das Mainzer Albanstift nur wenig Förderung erfahren hat, entwickelte sich Niederdorfelden unter den Augen der Dorfelder Herren rascher - wohl auch wegen des Flußübergangs und der verkehrstechnisch günstigen Lage in der Nähe der „Hohen Straße“.

 

Etwas weiter unten an der Nidder  erscheint Ende des 12. Jahrhunderts eine zweite Macht: Die Herren von Dorfelden. Im Jahre 1166 wird in einer Urkunde von Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) ein Ritter Konrad von Dorfelden als Zeuge zugunsten des Klosters Ilbenstadt genannt. Nach seinem Rang in dieser Urkunde gehörte er zu den sogenannten „Edelfreien“ und wird sogar noch vor den mächtigen und reichen Herren von Büdingen aufgeführt.  Zusammen mit Reinhard I. werden  die  ersten Mit­glieder des Geschlechtes „von Dorfelden“ urkundlich erwähnt, und zwar in einem Machtbereich, in dem vorher die Herren von Buchen mit Rechten und Besitz ausgestattet waren. Eine genealogische Verbindung zwischen Buchen und Do­felden ist jedoch nicht nachzuweisen (vergleiche dazu Peter Heckert: „Liebenswertes Wachenbuchen“, 1998, Seiten 18- 20).

Die Dorfelder nennen sich die Herren „de Torvelde“ und waren wegen der Wappengleichheit vermutlich mit den Eppsteinern verwandt. Konrad von Dorfelden  stammt vermutlich aus einem alten, aber am Anfang nicht sehr vermögenden Geschlecht. Im Wesentlichen bestand der Besitz aus einem großen Gutshof in Niederdorfelden am Nordostrand des Dorfes mit einigen abgabepflichtigen Bauern­gütern, dazu einige nicht sehr umfangreiche Besitzungen in der näheren Umgebung. Ein bedeutender Schritt allerdings wurde vermutlich in der gleichen Zeit mit dem Bau einer Wasserburg auf einer kleinen Nidder-Insel getan.

Um dieses Herrschaftszentrum siedelten sich immer mehr Bauernhöfe an. Weil dort der Stammsitz der Adligen war, entwickelte sich Niederdorfelden unter der besonderen Förderung seiner Herren schneller, während Oberdorfelden eine direkte Unterstützung von dem weit entfernten Albanstift nicht erfahren konnte. Für das künftige Verhältnis der beiden Nachbarorte wurde diese Entwicklung entscheidend. Damit begannen sich ihre Wege allmählich zu trennen.

Ende des 13. Jahrhunderts wurden die lose nebeneinander verstreuten Einzelbesitzungen in feste Verwaltungsämter zusammengefaßt. Oberdorfelden wurde in das Amt Büchertal mit den Orten Wachenbuchen und Mittelbuchen (und anderen)  eingegliedert. Niederdorfelden hingegen kam zum Amt Windecken. Damit war die zunächst nur wirtschaftliche Trennung der beiden Orte nun auch auf dem Gebiet der staatlichen Verwaltung vollzogen. Allerdings behielten sie weiterhin ein gemeinsames Kirchspiel mit der erstmals 1184 erwähnten Pfarrkirche in Oberdorfelden und einer in Niederdorfelden stehenden Kapelle als Filialkirche.

 

Doch Niederdorfelden blieb nur kurze Zeit Residenz. Die Herren von Dorfelden warfen ein Auge auf das Gebiet der Herren von Buchen, die ihre Stammburg südlich von  Wachenbuchen gebaut hatten. Ihnen gehörte das ganze Gebiet bis an die Kinzig und den Main und wahrscheinlich bauten diese auch die erste Burg auf einer Hanauer Kinzig-Insel. Etwa um 1170 starb dieses Geschlecht aber aus. Seine Besitzungen um Hanau und die Hanauer Burg wurden an die Herren von Dorfelden übergeben, denn sie waren zuverlässige Freunde und Helfer des Mainzer Erzbischofs (So die freundliche Darstellung, man könnte aber vielleicht auch sagen, sie haben sich das Nachbargebiet einfach unter den Nagel gerissen).

Die Herren von Dorfelden gaben schon gegen 1170 ihre Residenz in der Dorfelder Wasserburg auf, weil sie sich in Hanau festsetzen konnten. Spätestens von 1191 an gehörte ihnen die im Jahr 1143 erbaute Burg Hanau. Reinhard ging nach Hanau. Er führte einen Löwen im Siegel. Die Umschrift des Siegels von 1277 (?) trug noch die Umschrift „Reinhardus de Dornvelden“, aber schon die drei Sparren statt des Löwen. Und 1254 ist auf dem Siegel zu lesen „Reinhardus de Hagenowe“. Reinhard III. führt als Letzter eines Geschlechtes den Namen „von Dorfelden“. Dann tauschten sie endgültig ihren Familiennamen in den neuen Namen „Herren von Hanau“. Damit verlegten sie ihr politisches Schwergewicht von ihrem Heimatort Dorfelden in das das Gebiet an die Kinzig und den Main.

 

Um das Jahr 1300 erscheint in der Geschichtsschreibung wieder eine Familie „Dorfelden“. Diese gehörten aber zum niederen Adel und ihre Angehörigen waren Dienstmannen der Herren von Hanau, mit diesen aber nicht verwandt. Im 14. Jahrhundert gewannen diese „Herren von Dorfelden“ mehr an Einfluß und erhielten den Junkernhof als ihren neuen Sitz.

Im Jahre 1368 bot sich für Niederdorfelden die Chance einer neuen wirtschaftlichen Entwicklung. Ulrich III. von Hanau bekam vom Kaiser Karl IV. die Erlaubnis, Niederdorfelden in eine Stadt mit Marktrecht und einer Befestigung auszustatten. Von diesem fortschrittlichen Wert wurde aber von den Herren in Hanau kein Gebrauch gemacht. So blieb der Ort dörflich (man wollte halt Hanau entwickeln).

Der Ritter Friedrich von Dorfelden war im 16. Jahrhundert ein wichtiger Berater der Hanauer Grafen. Unrühmlicher hingegen tat sich der etwas jüngere Philipp von Dorfeiden als bekannter Zechpreller hervor, über den  sogar die Reichsacht verhängt wurde.

Es sei noch zu erwähnen, daß erstmalig um 1408 oberhalb von Niederdorfelden eine kleine Ansiedlung mit dem Namen Folckerslache (Volkerslohe) genannt wird und ein hanauisches Lehen war. Später bestand sie aber nur noch aus einem Hof und wurde 1582 als verlassen bezeichnet.

Eine bedeutsame Wandlung brachte die Einführung der Reformation, die schon 1523 im Hanauer Land begann. Die Gemeinde Schloß sich im Laufe dieser Zeit dem lutherischen Glauben an.

 

Die Wirren des 30-jährigen Krieges brachte dem ganzen Hanauer Land viel Leid und Plünderung. Die älteste Urkunde im Gemeindearchiv stammt aus dem Jahr 1616 / 1617, eine Rechnung. Am 22. Oktober und 1. November 1621 wurde Niederdorfelden von spanischen Truppen geplündert und in Brand gesteckt. Auch in den folgenden Jahren nahm das Leid kein Ende. In Niederdorfelden lebten vor diesem Kriege 277 Einwohner. Im Jahre 1632 waren es nur noch 162 Menschen. So heißt es in einem Bericht über den Zustand der Orte im Amt Büchertal: Februar 1635 „Oberdorfelden fast ganz eingeäschert“. Im Amt Windecken gibt der Amtskellers Caspar Wibner vom 6. Februar 1635 am: „.So ganz und gar in die aschen gelegt die Orte Niederdorfelden, Eichen, Ostheim und Marköbel.“ Im Jahre 1641 gab es nach dem Amtmann von Windecken an Personen und Vieh in Dorfelden vier Mann, sechs Ochsen und zwei Kühe.

Nach dem Krieg gibt es nur noch 7 oder 8 Einwohner, die überhaupt keine Steuer zahlen können. Die Gemeinde nimmt nur 60 Gulden aus dem Holzverkauf ein, von dem das Meiste aber an die Herrschaft ging. Außerdem mußte sie 28 Gulden Kapitalzins an private Gläubiger zahlen. Bürgermeister und die anderen Amtsträger erhalten keine Bezahlung. Die Gemeinde besorgte den Wein für die Gemeinde. Im Jahre 1617 führte sie 6.330 Liter Wein ein und mußte dafür 566 Gulden ausgeben. Das waren sechs Fuder (zu 952,5 Liter) und vier Ohm (142 Liter). Die Gemeinde verfügte nur über einen geringen Waldbestand, so daß sie ihre Schweine nach Mar­köbel in den Wald treiben mußte (sogar auch  in Heusenstamm).

 

Am 6. Juni 1701 starb im Alter von 29 Jahren Johann Friedrich Christian von Dorfelden. Ihm folgte am 16. August desselben Jahres sein nur drei Monate alter Sohn Johann Moritz Wilhelm von Dorfelden in den Tod. Mit diesen beiden ist dieses zweite Geschlecht derer von Dorfelden ausgestorben. Sie wurden unter dem Chor der alten reformierten Kirche in Niederdorfelden beigesetzt. Zum Zeichen, daß ihr Mannesgeschlecht erloschen ist, wurden ihnen das Schild mit Wappen und die zerbrochenen Waffen mit ins Grab gelegt.

 

Im Jahre 1736 ging das Hanauer Land mit Niederdorfelden an den Landgrafen von Hessen‑ Kassel über, weil das Geschlecht der Grafen von Hanau (und früheren ersten Herren von Dorfelden) ausgestorben war.

Während des Siebenjährigen Krieges mußte Niederdorfelden am Karfreitag des Jahres 1759 bei der Schlacht von Bergen vor den Toren Frankfurts französischen Soldaten Unterkunft gewähren. In der napoleonischen Zeit standen die Ämter Büchertal und Windecken ab 1806 unter französischer Militärverwaltung. Von 1807 bis 1810 gehörten sie zu Fürstentum Hanau und dann von 1810 bis 1813 zu Großherzogtum Frankfurt, Department Hanau.

Bei der Schlacht von Hanau im Oktober 1813 wurden die kleinen Orte wieder von franzö­si­schen Truppen heimgesucht. Sie befanden sich auf dem Rückzug von der Völkerschlacht bei Leipzig zu ihren sicheren Festen nach Frankfurt und Mainz. Auch in noch verfolgenden und plündernden Kosaken setzten den Ortschaften arg zu. Im Jahre 1813, nach der Vertreibung Napoleons aus Deutschland, fielen beide Dorfelder Orte an das Kurfürstentum Hessen. Nach dem Deutschen Einigungskrieg 1866 wurden sie von Preußen einverleibt.

Von 1914 bis 1918 mußten die für den Kaiser in den Ersten Weltkrieg an die Front ziehen. Viele von ihnen sahen ihr geliebtes Dorfelden nicht mehr wieder. Laut Ehrenbuch der Stadt und des Landkreises Hanau gab es in Oberdorfelden zehn und in Niederdorfelden 36 Gefallene.

Im Jahre 1933 mit der Machtüberrahme der Nationalsozialisten wehte in den Dorfelder Orten ein schlimmer Wind, den viele Männer im Zweiten Weltkrieg mit ihrem Leben bezahlten. Von direkten Kampfhandlungen unsere Orte zum Glück weitgehend verschont. Am 28. März 1945 endete die Schreckensherrschaft mit dem Einzug der Amerikaner. Nachdem der Krieg vorbei war, sah man hoffnungsvoll in die demokratische Zukunft. Auch mit neuen Bürgern, die  aus den ehemaligen Ostgebieten vertrieben worden waren.

 

 

Burg:

Auf einem künstlich aufgeschütteten Hügel zwischen Nidder und Mühlgraben wurde im 12. Jahrhundert die Wasserburg von Dorfelden errichtet. Die Herren von Dorfelden sind 1166 erstmals urkundlich genannt. Die Burg Dorfelden wird erstmals im Jahre 1234 anläßlich der Erbteilung zwischen Reinhard III. von Dorfelden und seinem Bru­der Heinrich erwähnt. Heinrich II. erhält dabei die Burg Dorfelden, Reinhard III. die Burg Hanau. Von diesem Heinrich stammt aber nicht die Linie ab, die sich auch als „Herren von Dor­felden“ bezeichnete und bis 1701 in Niederdorfelden gewohnt hat und dann ausgestorben ist.

Die Funktion der Niederdorfelder Burg verringerte sich aber be­reits in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Es kam zu Besitzübertragungen und Verpfändungen, an de­nen unter anderem. die Falkensteiner, die Weinsberger und die Herrschaft Rieneck beteiligt waren. Die Zeit der uneingeschränkten Verfügungsgewalt durch die Herrschaft Hanau war vorbei. Gegen 1240 muß sich Reinhard dem Druck Ulrichs von Münzenberg (von Falkenstein) beugen und ihm um 1266 die Hälfte der Burg überschreiben. Burg und Dorf waren 1266 zur Hälfte im Besitz der von Falkenstein (wohl aus der münzenbergischen Erbschaft).

Reinhard heiratet eine Schwester des Münzenbergers, dessen Geschlecht mit dem kinderlosen Ulrich ausstirbt, und erhält auch Teile zurück. Jedoch bleibt die Hälfte der Burg durch Erbschaft bei den Falkensteinern. Im Jahre 1288 verkaufen sie jedoch an Adelheid von Hanau ihren Teil der Burg Dorfelden. Dadurch fiel der gesamte Besitz wieder an die Nachkommen Reinhards zurück. Diese Wirren hatten wohl auch zur Folge, daß Oberdorfelden zum Amt Büchertal und Niederdorfelden an das Amt Windecken geschlagen wurde. Ulrich II. verpfändet die Burg Dorfelden an Konrad von Weinsberg und löst sie 1325 für 3.000 Pfund Heller wieder ein.

Im Jahre 1333 wurde die Burg Dorfelden Gegenstand der großen Politik. Ulrich II. von Hanau übertrug die an sich unbedeutende Burg Dorfelden gegen 240 Schock böhmischer Groschen Herzog Rudolf von Sachsen zu Lehen. Die Übertragung an Kursachsen hing wahrscheinlich mit der Hanauer Verantwortung für das Geleit der sächsischen Kurfürsten auf deren Weg zu den Königskrönungen nach Frankfurt zusammen und sollte den Sachsen einen Stützpunkt in der Nähe des Krönungsortes verschaffen. Die Burg wurde auch von den Kurfürsten von Sachsen als Residenz während der Wahlzeit genutzt. Der Kurfürst war formal Lehnsherr, beließ die Burg aber im Besitz der Hanauer Grafen.

 

Es ist anzunehmen, daß zur Zeit der Ersterwähnung der Herren von Dorfelden die Burg auf einem von der Nidder und dem Mühlgraben umflossenen künstlichen Hügel schon bestanden hat. Ein Grundriß aus dem Ende des 16. Jahrhunderts zeigt das typische Bild einer Talburg in wasserreichem Gelände. Die Burg lag auf einem kleinen Hügel, ursprünglich auf einer Nidderinsel, umgeben von einem Rundgraben. Ein ziemlich breiter Wassergraben umschließt den Burghügel, auf dem die kleine Burg mit ihrer starken Mauer, einem Rundturm und anscheinend einem nach innen offene Rondell liegt. Der Fuß des Turmes war mit Rustica-Quadern verkleidet. Die Burgmauer war außerdem durch eine schwächere Mauer, die den sogenannten Zwinger umschloß, gedeckt. Es gab auch noch einen Nordturm. Wann der umstürzte, ist nicht bekannt. Seine Reste rollten irgendwann einmal als zwei große Kugeln den Hügel hinab und liegen jetzt am Ufer der Nidder.

An zwei Halbrundtürmen sind Buckelqua­der aus Sandsteinen vorgeblendet. Diese nur am Rande sorgfältig behauenen großen Steinblöcke sind das Kennzeichen der Burgbauten aus staufischer Zeit. Die Fundamente des Saalhofes in Frankfurt (der ehemaligen staufischen Pfalz am Main), die Ringmauer der Kaiser­burg in Gelnhausen, die dicken Außenmauern der gewaltigen Burg Münzenberg in der Wetterau, die kürzlich ausgegrabenen Funda­mente der Wasserburg in Staden und viele andere Burgen sind mit diesen Buckelquadern geschmückt. Die Burg könnte in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden sein, denn damals waren Buckelquadern wie am Turm der Burg von Dorfelden üblich.

Ab dem 14. Jahrhundert verlor die Burg Dorfelden an Bedeutung. Ihre Funktion ging allmählich an den benachbarten Junkernhof über. Die Burg diente in der Folge als Steinbruch und verfiel zusehends. Ein um offenbar 1770  entstandener Grundrißplan zeigt noch zwei Türme insgesamt fünf Gebäude im Inneren der Burg.

Nur wenige Gebäude standen in dem etwa einen halben Hektar großen Burgbezirk: ein Wohn­haus, an das sich ein Viehstall anschloß, während Pferdestall und Schweineställe in der Nähe des Burgturmes untergebracht waren. Im Jahre 1756 ( oder 1776) waren außer den verfallenen Burgmauern noch ein Haus und einige Gebäudereste erhalten, während heute nur noch die Überbleibsel der Burgmauer und des Rundturmes vorhanden sind.

Nach dem Dreißigjährigen Krieg war die Burg verfallen. Für die folgenden Jahrhunderte ist aus den Quellen ein steter Nie­dergang in der Bedeutung der Burg zu erschließen. Von kriegerischen Ereignissen ist nichts bekannt, so daß die Burg wohl einfach verfallen ist, als für die bauliche Unterhaltung keine Unkosten mehr aufgewandt wurden. Die wurde nur noch als Zubehör des Junkernhofs erwähnt. Ein fortschreitender Verfall der Bau­substanz ist anzunehmen.

Die Kurfürsten von Kassel hatten an dem zerfallenden Gemäuer nur noch geringes Interesse. Wahrscheinlich stand die Burg seit dem 16. Jahrhundert leer. Die Reste der Burg dienten zur Gewinnung von Bauma­terialien und benutzten sie zum Bau ihrer Wohnhäuser, Stallungen und Scheunen. Der Burghügel und seine Umgebung wurden zur Weide­fläche.

Als die Burg 1717 in den Besitz der Familie von Edelsheim überging, standen die beiden Türme noch und auch die Ringmauer war noch komplett (der entsprechende Grundrißplan ist inzwischen allerdings verschwunden). Erbprinz Wilhelm IX. von Hessen-Kassel kaufte das Burggelände 1769 zurück.

Erst in jüngster Zeit kam es zu Sicherungsarbeiten am Baubestand. Die Mauern wurden 1990 weitgehend gesichert. Der Burghügel ist in Privatbesitz, die Gemeinde hat ihn gepachtet.

Die Reste der Burg stellen sich heute als unregelmäßig gebrochene Ringmauer mit den Resten zweier Türme dar. Es stehen noch einige ansehnliche Mauerreste, die eckig gebrochene Ring­mauer zeigt noch die Ausdehnung der Burg. Während das Mau­erwerk eines Turmes verstürzt ist, sind im aufgehenden Mauerwerk des zweiten Turmes Buckelquader zu erkennen, die eine Datierung dieser Bauteile in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts ermöglichen (vergleiche Führungsblatt 116 des Landesamtes für Archäologie).

 

Junkernhof:

Der vor der Burg liegende Junkernhof aus der Renaissancezeit war ehemals befestigte Vor­burg. Er war hanauisches Lehen der „Ritter“ von Dorfelden (ausgestorben 1701). Die gegen 1300 in den Urkunden auftauchenden „Herren von Dorfelden“ waren Dienstmannen des Hanauer Grafen und gehörten zum niederen Adel. Diese Familie „von Dorfelden“ stammte von den Beamten der Grafen ab, hatte aber nichts mit der Burg zu tun. Sie erhielten den hanau­ischen Gutshof vor der  Burg als Sitz.

Der Junkernhof entstand im 16. Jahrhundert. Der älteste Teil - ein Treppenturm - wird auf 1580 datiert. Das Tor hat ein Ehewappen aus der Zeit um 1570. Das Geschlecht starb 1701 aus. In nur kurzem Abstand starben der 29jährige Junker Johann Friedrich Christian und sein nur wenige Monate alter Sohn Johann Moritz Wilhelm. Als Symbol für das Ende des Geschlechtes wurden ihnen zerbrochene Waffen ins Grab gelegt. Im 18. Jahrhun­dert war die Familie von Edelsheim Besitzer des Hofes, später die in die Folge der Hanauer eingetretenen Landgrafen bzw. Kurfürsten von Hessen-­Kassel.

Der Junkernhof war später Staatsdomäne. Er ist ein noch heute sichtbares Zeichen der herrschaftlichen Macht, zusammen mit der  Mühle (einschließlich der Ölmühle), auf deren Benutzung etliche Dörfer der Umgebung „gebannt“ waren.

 

Ölmühle:

Früher wurde skeptisch beäugt, wer in einer Mühle arbeitete. Denn Verdacht der Schummelei lag nahe, außerdem waren viele Müller auch Monopolisten; Die Bauern von Gronau, Bergen, Bischofsheim und aus dem Ort waren verpflichtet, ihr Getreide in Niederdorfelden zu mahlen zu lassen. Dafür durfte der Mahlmeister ein Sechzehntel als Lohn behalten, wobei ihm regelmäßig Betrug beim Abmessen unterstellt wurde.

Im Jahre 1266 bereits ist in ei­ner Urkunde notiert, daß der kaiserliche Hofkämmerer Philipp von Falkenstein der Ältere dem Stift Fulda die Hälfte der Was­serburg Dorfelden, der dortigen Länderei­en und der (Getreide-) Mühle zu Lehen gibt. Nach der Zerstörung im 30jährigen Krieg wurde die Mühle wieder errichtet, „1746“ steht auf einer Inschrift am Haus.

Die Ölmühle kam erst wesentlich später Der Mühlstein wird auf 1799 datiert. Das Haus war zur Jahrtausendwende in einem erbärmlichen Zustand.

Be­sitzer Manfred Britz weiß von sei­nem 1900 geborenen Großvater, daß des­sen Opa dort noch Öl preßte. Seine Vorfahren leben seit 1742 im Dorf. Bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts hat der letzte Niederdorfelder Müller, eben der Großva­ter von Manfred Britz, auf dem gegenüberliegenden Ufer des Mühlkanals mit Ener­gie von einem anderen Mühlrad auf mehre­ren Stockwerken noch eine Getreidemühle betrieben und dabei ‑ Tagelöhner inklusi­ve ‑ ein Dutzend Leute beschäftigt. Man­fred Britz erzählt, daß sein zeitweise von den Nazis verhafteter Großvater im Gegen­satz zu anderen Müllern die Hungerszei­ten nach dem Krieg nicht zur schamlosen Bereicherung ausgenützt habe. Auch des­halb habe ihnen dann das Kapital gefehlt, sich ausreichend zu vergrößern, um den Betrieb zu halten. Im Jahre 1956 gab er auf.

Die meisten im Dorf hatten das schwer erreichbare Gebäude schon völlig vergessen. Erst als private Initiative hin ein Förderverein gegründet wurde, wuchs das Interesse wieder. Die findigen Vereinsmitglieder sammelten Geld vom Land, vom Kreis, der Gemeinde und dem Denkmalschutz und machten sich ans Werk. In einigen tausend Arbeitsstunden zauberten sie aus dem abbruchreifen Haus ein kleines, spannendes Museum.

 

Ein Dutzend Männer um Karl‑Heinrich Schanz vom hessischen Landes­verein zur Erhaltung und Nutzung von Mühlen entrümpelte 2001 die ehemali­ge Ölmühle gegenüber der Nieder­dorfel­der Wasserburg. Dabei wurde entdeckt, daß der Preß­baum der Ölmühle einen Schriftzug mit der Jahreszahl 1799 trug. Danach soll das Gebäude aufgemes­sen und über seine Sicherung ein Architek­tengutachten erstellt werden. Wenn schließlich Mauer‑ und Fachwerkwände gesichert, das Dach dicht ist, will die Gesellschaft beim Innenausbau mit erfahrenen Handwer­kern der Deutschen Mühlengesellschaft vieles selbst machen.

Man entschied sich, den riesigen Mühlstein zur Ölpressung nicht mehr in Betrieb zu nehmen, weil dessen Bewegung womöglich die Statik des alten Häusleins gefährdet hätte. Viel besser lässt sich der Pressvorgang an einem Modell im Maßstab eins zu zehn demonstrieren, das in liebevoller Arbeit entstanden ist und für Gäste angeworfen wird.

Erhaltens­wert sind die „Kämme“ genannten Zähne an den Rädern des Holzgetriebes und der „Kollergang“, auf dem einst die geschroteten Ölfrüchte ‑ Raps, Leinsaat, vielleicht auch Nüsse oder Sonnenblumenkerne ‑ von den beiden noch aufrecht dastehenden Mühlsteinen aus Sandstein „zermatscht“ wurden. Was man unten auf einem steinernen Teller auffing, kam in Roßhaarsäcke und wur­de im bereits erwähnten Preßbaum zwi­schen den Stempeln des ebenfalls wasser­betriebenen von der Mühle angetriebenen Schlagwerks ausgequetscht.

Nach dieser Kaltpressung setzten die Öl­müller die Masse noch auf den Ofen und preßten es erhitzt ein zweites Mal. Was dabei herauskam, enthielt Bitterstoffe. Entsprechend wurde es nur als Wagen­schmiere oder aber in der Küche armer Leute verwendet.

Auch der Getreidemahlgang ist mittlerweile restauriert und sorgt mit seinem Getöse bei der Besichtigung für großes Hallo. Ein Besuch der historischen Mühle lohnt sich auf jeden Fall, allein schon, um zu erfahren, was eigentlich ein „Kleiekotzer“ ist.

Ende der siebziger Jahre hat Manfred Britz das defekte Wasserrad der Getreidemühle eigenhändig instandgesetzt und mit ei­nem Stromgenerator verbunden. Das nach dem Erfinder seiner gebogenen Schaufelform „Zuppinger-Rad“ genannte Gebilde ist Baujahr 1923, hat einen Durchmesser von sieben Metern, ist 1,10 Meter breit und weist auf seinen 48 Schaufeln fürs Nidderwasser eine Angriffsfläche von 72 Quadratmetern Holz auf. Es erreicht eine Leistung von bis zu 17 Kilowatt. Ein Drei-­Vier‑Personen‑Haushalt benötigt laut Britz ein Kilowatt.

Während das Haus der Getreidemühle heute für Wohnzwecke genutzt ist, müßte die beinahe verfallene Ölmühle wieder in Gang gebracht werden. Es müßte dazu nicht nur ein neues Wasserrad gebaut wer­den, man müßte sogar den Teilkanal, durch den das Nidderwasser speziell auf dieses Rad fließt, neu ausschachten.

Das Wehr der Mühle ist allerdings ein Hindernis für Fische beim Aufstieg zu den Laichplätzen in den Nebengewäs­sern. Mühlenbesitzer Manfred Britz hat aber ein jahrhundertealtes Wasser­recht, das ihm nur genommen werden könnte, wenn er die Wasserkraftnut­zung in seiner Mühle über mehrere Jah­re einschlafen ließe. Theoretisch denkbar wäre es, etwas Wasser für ein kleines Umgehungsge­wässer abzuzweigen, in dem Fische am Wehr vorbei aufsteigen können. Dann wäre aber die in der Unterhaltung aufwendige Mühle mit weniger Wasser nicht mehr renta­bel. Wäre dies mit Ausgleichszahlungen eventuell noch zu regeln, so bliebe im­mer noch das praktische Problem: An­ders als etwa an der Hanauer Herren­mühle, wo ein Laufwasserkraftwerk di­rekt am Wehr Energie gewinnt, liegen zwischen der Niederdorfelder Mühle und ihrem Wehr vierhundert Meter. Auch ein ausgeklügeltes Umgehungs­gewässer dürfte über diese Distanz bei einem Gefälle von knapp zwei Metern kaum eine für aufsteigende Fische aus­reichende Lockströmung entwickeln, meint Britz.       

 

 

 

Kirche

Die ursprüngliche Kapelle des St. Georg stand auf dem gleichen Platz wie die heutige evan­geli­sche Kirche. Die von Falkenstein besaßen 1266 das halbe Patronatsrecht. Im Jahr 1497 sind die von Dorfelden Patrone. Niederdorfelden bildete mit Oberdorfelden eine Pfarrei.

Im Jahre 1727 bestellte die Gemeinde in Frankfurt eine neue Glocke, die am 26. Juni aufgehängt wurde. Im Jahre 1835 wurde die Kapelle niedergelegt, weil sie zu klein und in gefährlichem Maße baufällig war.

Das Gotteshaus ist ein einfacher Saalbau mit dreiseitigen Emporen. Der Neubau erhielt eine Länge von 70 Fuß, eine Breite von 42 Fuß, die alte Kirche war um je 10 Fuß kleiner. Die Empore steht vorne auf Holzsäulen, hinten liegt sie auf Kragsteinen auf. Die Kanzel wird aus Gründen der Raumersparnis über dem Altar angebracht. Ein halbrundes Fenster mit gefärbten Gläsern wird eingefügt. Die Balkendecke wird an zwei Überzügen gehalten. Die Steine der alten Kirche werden wieder verwandt und der Schutt dient der Auffüllung des tiefen sumpfigen Weges links neben der Kirche.

Bürgermeister Müller beteiligte sich höchst engagiert an dem Bau. Er reiste herum, brachte Gelder zusammen. An Einnahmen sind 8.883 Gulden ausgewiesen, davon 5.700 Gulden Darlehen (1.700 Gulden Obergerichtsrat Bönker in Kassel, 2.000 Kaufmann Gärtner in Hanau, 2.000 Pfarrer Römheld in Oberdorfelden). Das Kurfürstliche Konsistorium gibt 200 Gulden, die Hohe Landesschule 200 Gulden, die Präsenz 40 Gulden, die Kirchenkasse 1.000 Gulden, Landgraf Friedrich von Rumpenheim 100 Gulden, der Graf von Ingelheim 55 Gulden, die Gemeindekasse 1.458 Gulden.

Auf der Ausgabenseite schlugen die Maurer und Schreinerarbeiten mit 3.012 Gulden zu Buche (Maurermeister Friedrich Bender aus Hanau und Wilhelm Kroh aus Kilianstädten sowie Schreinermeister Heinrich Schäfer aus Niederdorfelden und Philipp Kitzinger aus Fechenheim), Steinhauerarbeit 962 Gulden, Sandsteinplatten 141 Gulden, Zimmerarbeiten 2.339 Gulden (Georg Wächter aus Hanau 1.893 Gulden, Glaserarbeiten 660 Gulden, Schmiede­arbeiten 373 Gulden, Schlosserarbeiten 275 Gulden, Weißbinderarbeiten 645 Gulden, Dachdeckerarbeiten 629 Gulden, Mauersteine 304 Gulden, Backstein und Kalk 528 Gulden (darunter Ziegler Weber aus Hochstadt). Die neuen Glocken wurden von Philipp Bach in Windecken gegossen für 873 Gulden.

Die „Diäten“ waren beträchtlich: Oberbaukommissar Schulz aus Hanau 66 Gulden, Baukommissar Augener aus Fechenheim 63 Gulden und Rechnungsführer Philipp Rüb 16 Gulden. Für „Sonstiges“ wurden 250 Gulden ausgegeben, davon allein 128 Gulden an die Gastwirte. Insgesamt kostete der Bau 11.263 Gulden, die Einnahmen betrugen nur 8.883 Gulden. Für den Fehlbetrag mußte die bürgerliche Gemeinde aufkommen, weil sie sich dazu verpflichtet hatte (aber sicher hat sie nicht mit einem solchen Betrag gerechnet).

Am 25. Mai 1835 kaufte man die Orgel aus der Reinhardskirche in Altenhaßlau. Die Glocken wurden bei Glockengießer Bach in Windecken gekauft. Der Turm wurde von 1884‑1891 erbaut.

Bei der 1976 fertiggestellten Renovierung wurde eine Sakristei angebaut, die Innenge­staltung wurde beibehalten. Die innere Stirnwand hat eine Holzverkleidung in Form einer Tempelfassade, unter deren Giebeldach die Kanzel angebracht ist. Der Altar steht nunmehr frei in dem durch Emporenverkürzung weiter und lichter gewordenen Altarraum. Eine von der Firma B. Schmidt, Gelnhausen, gebaute Orgel steht auf der hinteren Em­pore.

 

Die Evangelische Kirchengemeinde

Beide Ortschaften Mieder- und Oberdorfelden wurden früher von einer Pfarrei versorgt, die ihren Sitz in Oberdorfeiden hatte. Die Kapelle in Niederdorfelden wurde wegen Baufälligkeit im Jahre 1819 geschlossen und die Niederdorfelder Bürger mußten zum Gottesdienst nach Oberdorfelden kommen. Erst Ende 1835 wurde hier eine neue Kirche erbaut.      

Zur Kirchengemeinde Niederdorfelden gehörten auch die Reformierten aus Gronau, Rendel und Klein-Karben. Die Lutheraner gehörten der Kirche in Gronau an. Im Jahre 1817 wurden die Reformierten und Lutheraner durch  die  Hanauer Union vereint und gehörten von nun an zur Kirche ihres  Wohnortes.

Die drei Ortschaften Oberdorfelden, Niederdorfelden und Gronau konnten sich 1965 zu einer Kirchengemeinde vereinigen und nannte sich „Evangelische Kirchengemeinde Niederdorfelden“. Sie erhielt zwei Pfarrstellen. Der Wohnsitz des Pfarrers wurde nach Niederdorfelden verlegt.

Niederdorfelden erhielt in den siebziger Jahren ein neues Pfarrhaus und ein Gemeindezentrum, welches für viele Gruppen, kirchlich, kulturell oder kreativ ständig genutzt wird.

 

Die Katholische Kirchengemeinde

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen infolge der Vertreibungen immer mehr Katholiken in die Gemeinden. Anfangs stellten die evangelischen Pfarrer ihre Kirchen für Gottesdienste zur Verfügung. Im Jahre 1951 wurde ein katholisches Gotteshaus in „Hinter dem Hain“ eingeweiht und 1952 entstand ein Pfarrhaus neben der Kirche. Oberdorfelden, Kilianstädten und Gronau wurden 1963 zu einer selbständigen Kirchengemeinde mit Sitz in Niederdorfelden. Zur Unterstützung des Pfarrers wurde 1966 ein neuer Gemeindepfarrer in Ki­lian­städten eingestellt.

Bald schon war die kleine Kirche in Niederdorfelden für die wachsende Zahl der katholischen Gläubigen nicht mehr ausreichend. Daher konnten von 1968 bis 1975 die Gottesdienste für die Gronauer Bürger weiterhin in der dortigen evangelischen Kirche gefeiert werden

Im Jahre 1973 wurde in Kilianstädten ein Gotteshaus mit dem Namen „Christkönig“ eingeweiht und der Sitz der Kirchengemeinde wurde nach Kilianstädten verlegt. Doch die Anzahl der Katholiken erschwerte die Betreuung der vier Gemeinden, sodaß sich Niederdorfelden und Gronau 1977 zu der Pfarrkuratie St. Maria mit Sitz in Niederdorfelden abtrennten.

Ein Pfarrzentrum und Pfarrhaus wurde in Niederdorfelden im März 1982 übergeben. Hier wurden auch die Gottesdienste bis zur Fertigstellung der neuern Kirche gefeiert. Dies war im Mai 1984 soweit. Allerdings fehlten noch die Glocken. Im Dezember 1987 wurden vier Glocken geweiht und eine fünfte Glocke wurde von der französischen Partnergemeinde St. Sever

gestiftet. Nun konnten das Pfarrzentrum und die Kirche auch für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden.

In Kilianstädten schied der Pfarrer 1999 aus seinem Amt und die Stelle wurde nicht mehr besetzt. So übernahm der Pfarrer aus Niederdorfelden nun auch wieder die Leitung dieser Kirchengemeinde.

Mit Hilfe der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer konnten sich zahlreiche Gruppen und Veranstaltungen wie zum Beispiel Kinder- und Kirchenchor, Jugendarbeit, Seniorengruppe, Frauenkreis, Pfarrfeste, Martinsumzüge, Weihnachtsmärkte und vieles mehr für

das gemeinsame Leben in der Gemeinde einbringen.

 

Schulhausneubau 1842:

Eine Schule wurde erstmals 1546 erwähnt. Im Jahre 1744 wurde eine neue Schule gebaut für 525 Gulden (Gesamteinnahme der Gemeinde in diesem Jahr: 1433 Gulden). Das alte Ra­thaus an der Kirche, ein zweistöckiges Steingebäude, war ursprünglich als Schule erbaut worden, in der sich auch die „Gemeindestube“ des damals klei­nen Dorfes befand. Das alte Schul­haus wurde laut der Unterlagen im Gemeindearchiv 1842 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Die Einnahmen für das alte Baumaterial waren - gemessen an den Ko­sten des Neubaus - nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Auf der Ausgabensei­te sind unter dem Titel „Tagegelder“ 63 Gulden verbucht für Baukommissär Augener in Fechenheim und Friedrich Bastheißer aus Nauheim 6 Gulden. Friedrich Bastheißer erhielt für Zimmerarbeiten außerdem 340 Gulden, Hein­rich Klosterbecker und Konrad Förter aus Windec­ken erhielten für Maurerarbeiten 569 Gulden und Georg Dahl aus Windecken für Schlosserarbeit 183 Gulden. Die Steinhauerarbeiten schlugen mit 447 Gulden zu Buche, die Backsteine und Ziegel mit 458 Gulden. Steindecker Lang forderte für seine Arbeit 117 Gulden, Johannes Lidicky für gelieferten Kalk 157 Gulden.

Bürgermeister Steul erhielt für hergegebenes Stroh zum Schulhaus 30 Gulden und Philipp Steul für zwei Fuhren nach Nau­heim 4 Gulden. Mauersteine lieferten Lo­renz Weil, Jacob Vogelber­ger, Philipp Ohl aus Ober­dorfelden und Philipp Her­mann für zusammen 162 Gulden.

Gastwirt Holhorst stellte der Gemeinde auch 112 Gulden und 32 Kreuzer in Rechnung für abgege­benes Getränk in Betreff des Schulhauses, bei Ein­weihung der neuen Schule wurde für rund 7 Gulden Wein ausgeschenkt und die „Weck der Schuljugend“ kosteten 3 Gulden und 45 Kreuzer.

Der Lehrer wohnte in der alten Schule. Laut Bauzeichnung be­fanden sich im Erdgeschoß des Neubaus links eine Kü­che mit Speisekammer und eine Kammer, rechts die Gemeindestube sowie eine Wohnstube und eine weite­re Kammer für die Lehrer­familie. Die rechte Seite des Ober­geschosses nahm der Schulsaal ein, links sind eine größere Stube und eine Kammer eingezeichnet.

Für seine ge­leistete Schreinerarbeit mußten Jakob Hanßel aus Niederdorfelden 788 Gul­den gezahlt werden, für die Weißbinderarbeit Heinrich Pfeifer aus Windecken 602 Gulden und Arnold Ger­hardt aus Hanau für Glaserarbeiten 332 Gulden. Für „Gußwaren“ stellte Jakob Levi aus Windecken 144 Gulden in Rechnung.

Weiter standen dem Gast­wirt Heinrich Bender rund 28 Gulden zu für verab­reichtes Getränk zur Erfri­schung der Frohnder, Handwerksleuten pp. bei dem Neubau des Schulhau­ses. Schließlich erhielt Ar­nold Gerhardt in Hanau für angefertigte Tintenfäs­ser 3 Gulden 24 Kreuzer.

Die erste katholische Kirche „St. Maria“ wurde 1951 erbaut; es ist aber geplant, in den Jahren 1982 - 1983 eine neue Kirche zu errichten.

 

Verkehr:

Im Jahre 1781 wurde der Plan für eine neue Landstraße aufgestellt. Sie sollte von der Nidder­brücke entlang des nicht mehr existierenden Haingrabens im Bogen um Niederdorfelden auf die Berger Straße und von hier weiter nach Hanau führen. Die Hanauer Regierung plante eine neuen Weg direkt in den damaligen Ortskern, die an der Erbmühle auf die Mühlgasse gestoßen wäre. Doch die Planer befürchteten bei Hochwasser eine Überschwemmung. Deshalb wurde eine andere Trasse favorisiert mit einer Anbindung an die Hainstraße. Der Plan zeigt auch, daß die Wasserburg nur durch eine unmittelbar an der Mühle vorbeiführende Zufahrt zu erreichen war. Die zweite Variante wurde schließlich verwirklicht, obwohl dort ein Häuschen im Wege stand. Aber sonst wurde nur Gartenland gebraucht. So wurde die heutige Haingasse gebaut.

Ende des 19. Jahrhunderts begannen die ersten Arbeiter täglich zu Fuß in die Frankfurter Fabriken und Gewerbebetriebe zu tippeln. Sie legten Fußmärsche bis zu 30 Kilometer täglich zurück, und das bei einem Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tag. Fahrräder waren in dieser Zeit selten. De Eisenbahnlinie wurde erst im Jahre 1906 fertiggestellt.

 

 

Ortsentwicklung:

Bereits seit der urkundlichen Erwähnung ist die wirtschaftliche Nutzung der Gegend von Dorfelden überliefert. Anfangs wurden Ziegeleien überliefert, später kam der Weinbau hinzu. Dessen gute Qualität war sogar weithin bekannt. Über die Hohe Straße konnten die Waren verkauft werden.

Die Einwohnerzahlen schnellten nach dem Zweiten Weltkrieg von 800 in Niederdorfelden und 500 in Oberdorfelden auf 2.450 und 750 empor. Es gibt eine vollausgebaute Wasser- und Abwasserversorgung, eine vorbildliche Mittelpunktschule und beachtliche Gewerbebetriebe, Bürgerhäuser und neue Rathäuser.

Als Wilhelm Friedrich Hoffmann (von 1892 bis 1919) Bürgermeister war, verfügte Nieder­dorfel­den bereits über einen Tele­fonanschluß (1901) und ab 1902 konnte auch telegrafiert werden. Einige Jahre später wurde an der neuerbauten einglei­sigen Bahnstrecke Bad Vilbel‑ Stockheim sogar ein Bahnhof gebaut.

Doch die Gemeindestraßen erhellten „.Petroleum‑Funzeln“ wohl nur recht dürftig. Das Anstecken und Unterhal­ten der Straßenlaternen wurde auf dem Gemeindehaus öffentlich an den Wenigstfordernden versteigert. Dies geschah jeweils im September für ein Jahr. Die Bedingungen waren in einem „Acht‑Punkte-­Papier“ festgelegt und Punkt zwei lautete: „Akortant hat das erforder­liche Petroleum, die Dochte und die Cylinder zu stellen und die Laternen stets in reinem Zustand zu erhal­ten, auch für allen Schaden, der durch seine Schuhe an den Laternen oder Scheiben entsteht, aufzukommen.­ Weiter mußten die Later­nen abends bei eingetrete­ner Dunkelheit angesteckt und um 23 Uhr wieder ge­löscht werden. Bei Mond­schein und sonst hellen Abenden fällt die Beleuch­tung aus“, heißt es lako­nisch unter Punkt vier.

Weiter mußten die Later­nen „in angemessener Größe brennen“ und wenn der „Dorfbeleuch­ter“ seinen Verbindlichkeiten nicht nachkam, hatte die Gemeindebehörde jederzeit das Recht, den Vertrag zu kündigen. In diesem Fall mußte der „Akorant“ der Gemeinde einen eventuell eingetretenen Schaden er­setzen und hatte „an etwai­gem Gewinn keinen An­spruch.“

Als „Dauerbeleuchtung“ fungier­te vor dem Ersten Welt­krieg Heinrich Schilling. Wieviel Gemeinde‑Petro­leumlampen er zu betreuen hatte, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Im Jahr 1906 erhielt er für das An­zünden der Laternen, deren Instandhaltung und das be­nötigte Petroleum 65 Pfen­nig pro Abend, in den Jah­ren 1907 und 19W8 waren es immerhin schon 90 Pfenni­ge.

Der Lohn stieg dann auf eine Mark. Im Jahre 1912 waren es bereits zehn Pfennige mehr und von 1912 bis 1914 wurde der Laternenzünder Heinrich Schilling mit 1, 20 Mark pro Abend entlohnt. Aber die Aufgabe des Laternenanzünders gab es in Niederdorfelden ohnehin nicht mehr allzulange, denn ab Sommer 1921 erstrahlte auch hier elektrisches Licht.

 

Einen richtigen Kick brachte in das Niddertal schließlich die Eisenbahn. In der Nähe der Haltestellen wurde gebaut. Und es lag im wahrsten Sinne des Wortes nahe, die Lücken zwischen dem alten Dorf und den neu gebauten Häusern zu schließen. Hier bauten die Evakuierten aus den nahen Städte Entflohenen und die Heimatvertriebenen aus den ehemals deutschen Gebieten im Osten. Es entstanden die „Siedlungen“ wie Berliner Straße. Die Häuschen, die östlich der Burgstraße gebaut wurden, erhielten sogar ein weiteres Attribut, nämlich „Paprika-Sied­lung“ wegen des relativ hohen Anteils an Ungarn-Deutschen.

Ende der fünfziger Jahre verlangte der wachsende Wohlstand nach mehr und besser ausgestattetem Wohnraum für die eingesessene Bevölkerung. Außerdem suchten die Bewohner aus den Städten in und um Frankfurt, günstiges Bauland in der einerseits ländlichen, andererseits nahe gelegenen Umgegend.

Die Häuser wuchsen in der Brüder Grimm-Straße, an der Gänsweide, in der Feldbergstraße und  vor allem sowohl Wohnblocks wie Einzelhäuser in der Berliner Straße in die Höhe. Die Belegung der Sozialwohnungen in der Berliner Straße mit nahezu ausschließlich Frankfurtern war ein massiver Einschnitt in die gewachsene Bevölkerungsstruktur. Außerdem erbrachten die landwirtschaftlichen Aussiedler gewiß jeder für sich eine enorme Leistung, die jedoch für das Dorf keine einschneidende Bedeutung hatte.

 

Die kommunale Verwaltungs- und Gebietsreform der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. führte gelegentlich -  weil von Menschen gemacht - zu nicht ganz rationalen Ergebnissen.

Auf die Siedlungstätigkeit wirkte sich dies selbstverständlich aus: Niederdorfelden konnte weitgehend selbst bestimmen. Es schuf eine zeitgemäße Infrastruktur mit Bürgerhaus, Rathaus, Schulen, Kindertagesstätte und Feuerwehreinrichtungen. Die in den achtziger und neunziger Jahren angeordnete „Dorferneuerung“ fand ihren Ausdruck in dem blau angemalten Rathaus, heute Jakob-Burkhardt-Haus.

In der „Altenburg“  ließen sich viele Familien nieder, die der städtischen Atmosphäre entfliehen und kostengünstiger wohnen wollten, aber die Integration war schwierig. Die Menschen haben ihr Anwesen nur von der Stadt aufs Dorf verlegt, aber nicht ihr Wesen. Die jeweiligen Vorteile von Stadtnähe und dörflicher Beschaulichkeit genießen, das wollte und will man.  Aber Freud und Leid mit den etwas herablassend betrachteten Dörflern zu teilen, war und ist nicht jedermanns Sache, meint jedenfalls der frühere Bürgermeister Wilfried Schneider.

Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts war der Ort aber hauptsächlich durch die Landwirtschaft geprägt. Schon vor dem Bau der Bahnlinie „Stockheimer Lieschen“ gab es eine komplette Versorgung für das tägliche Leben. Es gab vier verschiedene Lebensmittelgeschäfte. Mit frischen Lebensmitteln wie Salaten, Kräuter, Kartoffeln aus dem eigenen oder gepachteten Garten versorgten sich die Einwohner.

Es gab Haushalts- und Gemichtwarengeschäfte für Porzellan, Spielwaren, Besen und Sonstiges an. Die Schuster verkauften Schuhe, die Textilgeschäfte hatten neben Kleidung auch Schnürsenkel, Knöpfe, Handtücher, Unterwäsche sowie Socken im Angebot. Fahrende Händler boten Arbeitskleidung, Schuhe und andere Gegenstände an.

. Man konnte Brot und andere Backwaren bei drei Bäckereien kaufen. Bis etwa 1960 konnten die Hausfrauen den Brotteig zum Fertigbacken zum Bäcker in der kleinen Haingasse bringen.

Drei Metzger versorgten die Haushalte, welche nicht selbst schlachteten, mit Wurst und Fleisch. Bis 1945 hatten fast alle Bewohner noch Geflügel bzw. Kleinvieh zur Selbstversorgung.

Nach dem Bau der Bahnlinie im Jahre 1906 wurde die Bahnhofsgaststätte eröffnet. Sie bot mit weiteren Gaststätten, einer Kegelbahn in der Gaststätte „Zur Linde“ und dem Kino bei der Gaststätte „Zur Rose“ Abwechslung für das gesellschaftliche Leben ohne Fernsehen. Bis 1970 gab es mehrere Apfelweinkeltereien - heute nur noch eine.

Durch die wachsende Einwohnerzahl nach 1945 und den zunehmenden Berufsverkehr (sechs Ein- und Ausfahrtstrecken) kamen erstmals Kioske ab 1960 und der erste Supermarkt im Kreis Hanau mit Einkaufswagen in der Berliner Straße hinzu. Die Konkurrenz der Supermärkte ab 1972 spürten die Lebensmittelgeschäfte, woraufhin die ersten geschlossen wurden. Außerdem entstanden in der Umgebung größere Einkaufszentren mit vielfältiger Auswahl.

 

Der Bau der Ortskanalisation erfolgte von 1957 bis 1959. Die zehnklassige Mittelpunktschule wurde 1964 fertiggestellt, Feuerwehrgerätehauses und Leichenhalle 1966, Bürgerhaus mit Rathaus 1971 und der Kindergarten. 1972.

 

Parallel zu den Wohnsiedlungen verlief ab etwa 1966 die Entwicklung eines Gewerbegebietes im Südwesten der Ortslage. Begünstigt vom Bau überörtlicher Umgehungsstraßen ließen sich mittelständische Unternehmen nieder, die nicht nur qualifizierte Arbeitsplätze zu besetzen hatten, sondern  auch Teilzeitkräfte suchten. Zu dieser Zeit konnten durch die technischen Hilfsmittel im Haushalt häufig Frauen in Teilzeit arbeiten. Die Bebauung des Gewerbegebietes brachte 800 neue Arbeitsplätze, aber auch zusätzlichen Straßenverkehr bis zur Eröffnung der Umgehungsstraße im November 1978. Logischerweise bedurfte es dadurch wieder neuer Wohnungen, eine stete Wechselwirkung, die schließlich im ersten Jahrzehnt des dritten Jahrtausend zur Entwicklung des „Hainspiels“ führte und realistische Pläne für den „Bachgang“ entstehen ließ.

 

Landwirtschaft

Nach 1945 gab es außer dem Hofgut in Niederdorfelden 108 landwirtschaftliche Betriebe,  ein­schließlich Nebenerwerbsbetriebe mit Viehhaltung und Ackerbau. Dort fanden die Flücht­linge erste Arbeit. Einerseits übernahmen später wegen des technischen Fortschritts immer mehr Maschinen die Tätigkeit von Menschen in der Landwirtschaft, sodaß bald weniger Arbeitskräfte benötigt wurden, andererseits lockte das Wirtschaftswunder mit neuen Arbeitsplätzen und guten Verdienstmöglichkeiten in den Städten. Ah den siebziger Jahren wollten viele Nachkommen wegen ungewisser Zukunftsaussichten die Bauernhöfe nicht mehr übernehmen.

Im Jahr 2017 gab es in Niederdorfelden nur noch drei landwirtschaftliche Vollerwerbsbetriebe ohne Tierhaltung mit Ackerbau. Manche Landwirte fahren seit einigen Jahren zu den Wochenmärkten in der Umgebung, um dort ihm Produkte anzubieten.

 

Medizinische Versorgung:

 Vor dem Zweiten Weltkrieg gingen die Menschen nach Rendel oder Windecken zum Arzt. Bekam man vom Arzt ein Rezept, so konnte man es in einen speziellen Briefkasten der Linden-Apotheke in  Kilianstädten oder beim alten Kino in Niederdorfelden deponieren. Abends wurden dann die Medikamente nach Hause gebracht. Für Schwangerschaften und Geburten gab es eine Hebamme, der Hausarzt wurde nur bei Schwierigkeiten gerufen. Die nächsten Krankenhäuser waren in Büdesheim (Diakonissen-Sozialstation, gegründet von Gräfin Oriola) bis 1966 und in Bad Vilbel bis 1980. Ab 1960 gab es einen niedergelassenen Arzt, die Brunnen-Apotheke eröffnete 1974.

 

Das Vereinsleben:

Das Vereinsleben in Dorfelden geht auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Im Rhein-Main-Gebiet setzte eine industrielle Entwicklung ein, sodaß die Dorfbewohner, die zuvor in der Landwirtschaft oder im Handwerk tätig waren, nun Arbeit in Fabriken in den umliegenden Städten fanden. Die Dorfbewohner gewannen etwas mehr Freizeit. Man traf sich in den wenigen Gasthäusern, um bei einem abendlichen Schoppen den Arbeitstag ausklingen zu lassen. Sie entdeckten, daß man mit einem fröhlichen Lied viel Spaß haben kann. So entstanden Gruppen von Sängern, die sich schon 1878 als Verein registrieren ließen. Zur Erheiterung wurden bald Theaterstücke aufgeführt. Es wurden auch Kappenabende und Sängerfeste veranstaltet

Im Jahre 1921 wurde eine Fußballabteilung aus dem seit 1895 bestehenden Arbeiterturnverein gegründet. Da kein eigener Sportplatz vorhanden war, fand der Spielbetrieb in Rendel, Kilianstädten oder Bischofsheim statt. Erst 1929 stellt die Gemeinde einen Platz am „Großen Wald“ zur Verfügung, der in Eigenhilfe hergerichtet werden mußte. Da man dort keine Umkleidemöglichkeit hatte, trafen sich die Spieler in einer Gaststätte im Dorf und liefen hoch zum Wald. Nach dem Training oder Spiel ging es dann wieder zurück zum Lokal zum Umziehen, Waschen und natürlich zum geselligen Beisammensein.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lebte der Verein als „Sportgemeinschaft Nieder- und Oberdorfelden“ bis 1952 weiter. Danach zogen sich die Oberdorfelder zurück und gründeten einen eigenen Verein. Der neue Vereinsname der Niederdorfelder lautete nun „Turn- und Sportgemeinde Niederdorfelden“. Es entstanden einige Abteilungen, wie zum Beispiel Fußball, Tischtennis und Turnen, die auch alle verschiedene Jugendgruppen aufbauen konnten. Frauenfußball erlebte nur eine kurze Blüte. Im Jahre 1967 wurde das Vereinsheim mit einem neuen Spielfeld eingeweiht. Heute ist die TSG mit fast 600 Mitgliedern der größte Verein.

Erst 1927 gelang es eine freiwillige Wehr ins Leben zu rufen. Als Ausrüstung diente zum Beispiel eine Handspritze, die im Spritzenhaus hinter der Kirche untergebracht war.

Heute ist die Feuerwehr ein sehr wichtiger Teil der Gemeinde. Sie ist effektiv in der Brandbekämpfung, leistet eine hervorragende Jugendarbeit und hilft den Bürgern mit vielen Einsätzen bei Verkehrsunfällen oder in Haus und Garten.

 

Im Jahre 1972 wurde über eine Verschwisterung mit Saint-Sever (Frankreich)  nachgedacht und schon ein Jahr später wurde eine Partnerschaft beschlossen. Bis heute finden rege gegenseitige Besuche statt. Besonders engagierten sich hier die Feuerwehren, Spielmannszüge, Tischtennis und Fußballvereine sowie die Landfrauen beider Gemeinden. Auch der Schüleraustausch führte zu vielen Freundschaften.

 

 

 

Literatur:

Hanau, Stadt und Land, Hanau 1953

Buch: Niederdorfelden, Stammsitz der Herren von Hanau, 2000

 „1250 Jahre Oberdorfelden - Niederdorfelden“, Festschrift 2018  (mit vielen Bildern).

Bilder in: Hanau Stadt und Land

Im Junkernhof, Seite 239:

Reste der Wasserburg, Seite 86

Turm der Wasserburg, Seite 129

Verwendet wurden außerdem einge Zeitungsartikel (Schule, Ölmühle, Verkehr) und

das Buch über die Kiirchen im Kirchenkreis Hanau

 

 

 

 

 

Gronau

 

Lage:

An der westlichen Kreisgrenze, an der Mündung der Nid­der in die Nidda gelegen. Die Gemarkung (713 Hektar, kein Wald) grenzt an die Gemarkungen von Niederdorfelden und Bergen­-Enkheim. Zur Gemeinde gehören der Gronauerhof und der Dottenfelderhof.

 

Bodenfunde: Jungsteinzeit:

Siedlungen am Abhang zur „Berger Weide“ dicht oberhalb der südlichen Gemarkungsgrenze und an der Chaussee nach Niederdorfelden, 200 Meter östlich des Ortes.

Ältere Eisenzeit: Am Ostrand der jungsteinzeitlichen Siedlung am Abhang zur „Berger Weide“ tiefe Grube mit Scherben der älteren Eisenzeit.

Jüngere Eisenzeit: Auf dem „Mittelfeld“, 1,5 km südwestlich vorn Dorfe, Grab mit zusammenge­boge­nem Schwert, ebenfalls umgebogener Lanzenspitze und Armring, sämtlich aus Eisen, sowie Gefäßscherben.

Römische Zeit: Gutshöfe südlich des Ortes an der Straße nach Vilbel und am Rande der „Berger Weide“ 12“.

Fränkische Zeit: Gräber wurden in der Sandgrube von Schwind an der Straße nach Nieder­dorfelden im Jahre 1911 zerstört.

 

Älteste Namensformen:

Gronowe in Nitachgowe 786, Guonowa 855, Grunouwe 1305, Gronauwe 1340, Groenaw 1385. Es wurde im 18. Jahrhundert auch Großgronau genannt im Gegensatz zum Gronauerhof oder Kleingronau (Kleingrunau oder Gro­nauerhof; Niedern Gronauwe 1354); Dottenfelderhof: Dutdun­veld 976, Dudinfelt 1288, Düttenfeld 1693, Dottenfeld 1682.

 

Geschichtliches:

Dorf des Reichsgerichts Bornheimerberg, ver­mutlich im Besitz der Herren von Münzenberg, von diesen an Hanau. Klein‑Gronau oder der Gronauerhof gehörte dem Kloster Ilbenstadt, das ihn 1638 verkaufte; 1691 erwarb Hanau den Hof tauschweise von der Familie von Radefeldt. Der Dot­tenfelderhof (Dottenfeldt), in dem Kaiser Otto 976 Besitz an Worms geschenkt hatte, war seit 1288 im Besitz des Klosters Ilbenstadt (Wappen von 1707 am Wohngebäude, also um 1700 entstanden), doch lag der Ort in hanauischer Gerichtsbarkeit. Bei der Säkularisation 1803 an die Grafen von Leiningen; 1816 von den Landgrafen von Hessen erworben, seit kurzem an eine Siedlungs­gesellschaft verkauft.

Seit der Gebietsreform 1974 gehört Gronau zu Bad Vilbel.

 

Kirche:

Die Pfarrei wird 1332 erstmals genannt, als Mutter­kirche galt die noch 1689 beim Gronauer­hof (Klein‑Gronau) stehende Kapelle. Die Herren von Falkenstein besaßen die Kirche als münzenbergische Miterben; sie gehörte zum Archi­diakonat S. Peter in Mainz, Dekanat Eschborn. Im 15. Jahr­hundert wurde sie dem Marienstift in Lich einverleibt; Kirch­herr blieb der Fürst zu Solms‑Lich als Falkensteiner Erbe. Das Stift nominiert noch heute den Pfarrer, der Fürst präsen­tiert ihn. Gronau blieb im Gegensatz zu den anderen hanauischen Orten deshalb immer lutherisch.

Die barocke Kirche wurde 1718/19 anstelle einer nach der Reformation zu klein gewordenen Kapelle erbaut. Sie erhielt im Inneren auch eine Empore, deren Brüstung man mit volkstüm­lichen Motiven farbenfroh ausmalte: In 38 Kassetten findet sich ein Bilderzyklus des Alten und Neuen Testaments. Auf dem Schalldeckel der Kanzel findet sich eine geschnitzte Pelikanmutter, die ihre Jungen aus der klaffenden Brustwunde mit seinem Blut nährt.

Die Ka­tholiken sind nach Niederdorfelden ein­gepfarrt.

Die lutherische Kirche wurde 1718 von dem Kirchenpatron (Fürst von Solms‑Lich. bzw. Ma­rienstift in Lich) errichtet (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 212) und 1821 restauriert. Sie ist ein Saal mit Dreiachtel‑Schluß. Die Felder der Empore mit Propheten u. a. Darstellungen be­malt. Der Kruzifixus ist um 1720 entstanden. Die Grabsteine des 18. Jahrhunderts sind ver­nachläs­sigt.

Im Jahre 1952 wurde ein Erweiterungsbau der Volksschule errichtet

 

Statistisches:

Einwoh­nerzahl: 1820 = 360; 1855 = 426; 1885 = 410; 1905 = 534; 1919 = 563; 1925 = 528; 1939 = 534; 1946 = 756; 1953 = 815, davon: Hei­matvertriebene 228, Evakuierte (aus Hanau) = 57.

Bekenntnis: 1905: ev. = 415, kath. = 99; 1953: ev. = 630, kath. = 205.

 

Wirtschaft 1953:

48 Prozent der Einwohner sind in der Landwirtschaft be­schäftigt; 35 Prozent sind Industriearbeiter, 15 Prozent Handwerker und Gewerbetreibende; zwei große Gutshöfe: Gronauerhof und Dottenfelderhof. Eine Mühle (Scharmühle; früher noch die Riedmühle).

 

 

Radtour Oberdorfelden -Niederdorfelden

Von Hochstadt fährt man über die Weinbergstraße und den Hohen-Rain-Weg bis ins Lohfeld. Oben muß man nach links abbiegen zur Großen Lohe. Von dort fährt man auf der Hohen Straße zur Kleinen Lohe. Dort geht es erst ein Stück die Landstraße hinunter und dann rechts über den befestigten Feldweg nach Oberdorfelden. Der Weg ist anfangs unbefestigt, aber nachher geteert.

Am Bahnhof stehen die zwei Hochhäuser, die Anfang der siebziger Jahre erbaut wurden und nicht gerade eine Zierde des Ortes sind. Es gibt einen Supermarkt am Ortsrand und einige Läden im Kernbereich. Auf der Hauptstraße fährt man erst rechts und dann nach links in die Alte Dorfstraße zur Kirche.

Das Backhaus neben der Kirche ist wieder ein Wahr­zeichen Oberdorfeldens geworden. Die Spezialfirma Weber & Flick aus Bad Marienberg im Westerwald hat die Sanierung durchgeführt. An den Backofen „ungefähr aus dem 16. Jahrhundert“ wurde wieder ein Backhaus angebaut. Zu besonderen An­lässen soll darin Brot zu backen wie anno da­zumal. Die Herstellung von Hausbrot war noch bis Mitte unseres Jahrhunderts be­sonders in länd­lichen Gebieten von nicht zu unterschätzender Bedeutung.

Der heute bekannte Backofen hat sich aus der Urform, dem Erdofen, entwickelt. In Gestalt einer länglichen Halbtonne kommt der Backofen im vorgeschichtli­chen Europa erstmalig gegen Ende der Jungsteinzeit (200 vor Christus) vor. Daraus hat sich die heiz‑ und wärmetech­nisch am günstigsten auswirkende halbe Birnenform über der waagrechten Back­platte entwickelt.

 

Am Backofen biegt man rechts ab und kommt zum Bürgerhaus und zur Nidder. Ein Stück kann man am Fluß entlang fahren, auch noch einem Linksbogen kann man noch einmal nach rechts in die Straße einbiegen. Aber am Ortsausgang muß man dann doch wieder nach links auf die Verbindungsstraße von Oberdorfelden nach Niederdorfelden.

Dort fährt man nach rechts zum Bürgerhaus. Dahinter geht der Weg ab zur Wasserburg. Man muß aber den gleichen Weg wieder zurückfahren auf die Hauptstraße. Nach wenigen Metern kommt man an einen kleinen Bach, der den Verlauf der früheren Ringmauer markiert. Nach rechts kommt man zum Junkerhof. Geradeaus kommt man zur Kirche und zur Schule. An der Kreuzung geht es links weiter. Dann kann man nach rechts noch einen Abstecher nach Gronau machen.

Geradeaus geht es durch die Berger Straße auf dem Radweg R 4 (nicht links abbiegen) zum rechten Rand der Großen Lohe. Dort biegt man zunächst rechts ab und dann gleich wieder nach links, um durch den Apfelgrund nach Bischofsheim zu kommen. Man nimmt jedoch nicht den Weg durchs Dorf, sondern fährt zunächst auf der Apfel- und Obstwiesenroute, bleibt aber nördlich der Querspange und fährt über die Mühlbach zur Bischofsheimer Straße und durch den Luisant-Ring zurück nach Hochstadt.

 

 

 

Schöneck

 

Kilianstädten

 

Lage:

Kilianstädten liegt 105 Meter über N.N. (höchster Punkt der Gemarkung 180 Meter über N. N.), in der Mitte des großen, nach Nordwesten offenen Kreisgrenzbogens an der Nidder westlich der Hohen Straße (die, von Bergen kommend, über die Höhen am Wartbaum vorbei nach Ostheim zieht). Die Gemarkung umfaßt 1065 Hektar (davon 118 Hektar Gemeindewald).

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Siedlungsfunde an der Hohen Straße südöstlich des Ortes und Brandgräber am Nordrand des Kilian­städter Waldes.

Jüngste Bronzezeit: (Urnenfelderstufe) Urnenfelder südwestlich des Ortes am Atmusberg und Einzelfund im Niddergrund nörd­lich nach Windecken zu, dicht an der Gemarkungsgrenze.

Ältere Eisenzeit: Gräber an der vorgenannten Stelle, am Atmus­berg und ein Brandgrab vor dem Friedhof westlich der Chaussee nach Windecken, dicht an der Gemarkungsgrenze.

Römische Zeit: Auf dem Friedhof und westlich davon die Funda­mente eines römischen Gutshofes, wahrscheinlich mit Bad- Römisches Gebäude am nördlichen Ufer der Nidder, 400 Meter nordwestlich vom Bahnhof - Etwas nördlich von dieser Stelle, jenseits der Bahnlinie römische Brandgräber.

 

Steinzeitmassaker in Schöneck:

Bei den Planungen der Trasse für die Ortsumgehung Kilianstädten im Jahr 2005, wies die 2010 verstorbene-Nidderauer Archäologin Gretel Callesen mit ziemlicher Treffsicherheit auf Bereiche „Am Atmusberg“ hin, die mögliche Funde zutage fördern könnten. Durch ihre Erfahrung und auf zahlreichen Spaziergängen war sie auf mögliche „archäologische Befunde“ aufmerksam geworden. Die anschließenden Grabungen oberhalb der Straße „Neuer Weg“

(geht von der Windecker Straße im Süden nach rechts abu nd führt zum Hof Wacker) an der Umgehungsstraße wurden durch das private Unternehmen „kms-terraconsult“ in enger Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Denkmalpflege Hessen durchgeführt.

 

Es wurden zahlreiche Knochen von etwa 34 übel zugerichteten Skeletten und sonstige zum Grab gehörigen Überreste geborgen. Eingeordnet wurde der Fund in die Zeit der so genannten Bandkeramik zwischen 5500 und 5000 vor Christus, also aus der Jungsteinzeit. Sie wurden an der Universität und dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz ausgewertet. Diese sollte die Knochen, Rippen, Gebisse und Steine im Auftrag der Landesarchäologie untersuchen, um Auskunft darüber geben zu können, wie viele Menschen sich im Grab befanden und ob sie eines natürlichen Todes starben. Dr. Guntram Schwitalla vom Hessischen Landesamt für Denkmalpflege in Wiesbaden ging zum damaligen Zeitpunkt davon aus, daß die Menschen eines natürlichen Todes gestorben seien. Die Bandkeramik-Kultur sei bis dato als eine friedfertige Kultur ohne Kriege bekannt gewesen.        

 

Wer für das Massaker in der Jungsteinzeit verantwortlich ist, bleibt unklar. Auffällig ist, dass überwiegend ältere Männer und 12 bis 13 Kinder getötet wurden, Jugendliche und jüngere weibliche Personen fehlen in dem Massengrab. Die einzigen zwei Frauen schätzen die Forscher auf über 40 Jahre. Die Forscher halten es für möglich, daß die Frauen entführt und die kräftigen, jungen Burschen als Arbeitskräfte gefangen genommen wurden. Die Toten weisen Schädelverletzungen und Knochenbrüche an Armen und Beinen auf. Besonders die Schienbeinfrakturen müssen den Opfern mit heftiger Gewalt zugefügt worden sein, möglicherweise erst nach dem Tod. An vielen Schädeln und vor allem an den Waden- und Schienbeinen haben sie Frakturen gefunden. Diese Knochenbrüche müssen mit einer enormen Wucht entstanden sein, vergleichbar mit der Kraft eines Autos. Wir wissen, daß viele der Menschen mit Steingeräten erschlagen wurden und wahrscheinlich an den Schädelverletzungen gestorben sind. Die Beinknochen sind fast systematisch zertrümmert worden.

Dass die Gruppe durch einen tragischen Zufall starb und ihr eine pietätvolle Beerdigung zuteilwurde, gilt als ausgeschlossen. Denn bei den Toten fanden sich weder Grabbeigaben, noch waren die Leichen nach den damals typischen Ritualen angeordnet. Es gibt keine erkennbaren Spuren für ein rituelles, würdevolles Begräbnis.

Bei dem Massaker wurde wahrscheinlich eine gesamte Siedlung ausgelöscht. Das ist kein einzigartiger Vorfall für die Zeit. Neu ist hingegen die Brutalität der Angreifer. Mit der Seßhaftigkeit gab es möglicherweise dann auch Konflikte um Gebiete. Mögliche Ursache für die Morde könnte der Streit um Land gewesen sein. Die Menschen wurden zu dieser Zeit langsam sesshaft, und die fruchtbare Wetterau dürfte für damalige Verhältnisse schon recht dicht besiedelt gewesen sein. Seinerzeit begannen die Menschen, seßhaft zu werden. Möglicherweise entstanden so Revierkonflikte beziehungsweise Grenzauseinandersetzungen, die teilweise auf brutale Art und Weise durchgesetzt wurden.

Das baden-württembergische Talheim und das österreichische Dorf Asparn/ Schletz in der Nähe von Wien hatten ebenfalls durch jungsteinzeitliche Funde von Massakern Aufsehen erregt - Talheim bereits 1983. Die drei weit auseinanderliegenden Orte derartiger Massaker legen den Schluss nahe, dass Kriegshandlungen in dieser Epoche weit verbreitet waren. Wie prägend sie für diese Zeit waren, in der die ersten Menschen Landwirtschaft betrieben haben, ist umstritten.

Die drei Orte beweisen, daß es bereits vor 7000 Jahren, also am Ende der Linearbandkeramik, kollektive Gewalt in großem Stil gab. Wahrscheinlich gibt es auch Zusammenhänge mit dem letztlichen Verschwinden dieser Kultur.

Kilianstädten ist der dritte Ort in Mitteleuropa, an dem ein Massaker aus der Zeit der sogenannten Linearbandkeramik nachgewiesen wurde. Mit der Linearbandkeramik beginnt in Mitteleuropa die Jungsteinzeit und die Zeit, in der sich die ersten Menschen dauerhaft niedergelassen und Ackerbau und Viehzucht betrieben haben. Datiert wird sie grob auf die Jahre 5500 bis 5000 vor Christus. Der Name Linearbandkeramik leitet sich von den Verzierungsmustern der keramischen Töpfe aus der Zeit ab - sie setzten sich aus linearen und wellenförmigen Linien zusammen. Auch in dem Massengrab in Kilianstädten wurden solche Keramikscherben gefunden.

Erst über ein Jahr später, im April 2007, ging Schönecks damaliger Bürgermeister Ludger Stüve mit dem Sensationsfund an die Öffentlichkeit, „um die Grabungsstelle vor Neugierigen zu schützen“, wie er begründete. Die Entdeckung des Massengrabs unweit des Neuen Weges in Kilianstädten sorgte besonders bei Archäologen für Aufregung.

Im Rahmen einer Dissertation beschäftigt sich Dr. Christian Lohr von der Mainzer Universität, der auch bei den Auswertungen maßgeblich mitgewirkt hat, mit bandkeramischen Erdwerken in Hessen, wie eines auf der Nidderhalbinsel bei Kilianstädten („Reiherwald“) entdeckt wurde. Zu den Skelett-Funden in Kilianstädten könnten durch die weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen neue Informationen über die 7000 Jahre zurückliegende Zeit zu erwarten sein.

Auf Initiative und Einladung des Arbeitskreises Ortsgeschichte Kilianstädten kamen zur Präsentation etwa 200 interessierte Bürger. Dadurch motiviert habe der Arbeitskreis vehement das Ziel verfolgt, mit einer Informationstafel eine breite Öffentlichkeit zu erreichen und über die Ausgrabungen zu informieren. Dass man in Deutschland nicht einfach eine Informationstafel aufstellen kann, das wussten die neun Herren des Arbeitskreises durchaus, aber mit so vielen Widerständen, angefangen von den Fotos bis hin zu diversen Einwänden, haben sie nicht gerechnet. „Wir wurden mehrfach auf die Tafel angesprochen“, sagen die aktiven Herren, die sich als gleichberechtigte Mitglieder des Arbeitskreises verstehen. „Wir sind kein Verein, bei uns gibt es keinen Vorsitzenden.“ Mehr Unterstützung für ihre Arbeit an der „lückenlosen Geschichte eines Ortes“ würden sie sich wünschen, sagen sie. „Wir treffen uns einmal im Monat, jeden zweiten Donnerstag um 15 Uhr.“

Die Informationstafel steht auf gemeindeeigenem Grund und Boden an der Hohen Straße in Blickrichtung auf den Fundort. Ein Standort, der mit herrlicher Aussicht zu einem kleinen Zwischenhalt einlädt, wie bei der Enthüllung bereits zu erkennen war. Man hofft, daß die neue Informations-Tafel, „hoffentlich lange unbeschädigt dort steht.“  (Wochenpost, 11. Oktober 2017).

 

Text der Informationstafel zu Massengrab aus der Jungsteinzeit

Im Zuge der Bauarbeiten zur Umgehungsstraße kam es zu einem sensationellen Fund. Entdeckt wurde 2006 ein Massengrab aus der Jungsteinzeit. Über die Ausgrabungen wurden Presse und Öffentlichkeit erst 2007 informiert, um diese nicht zu gefährden. 2015 wurden Forschungsergebnisse der Universitäten Basel und Mainz unter Leitung von Professor Kurt W. Alt, seit 2014 Gastprofessor an der Universität Basel, im Fachblatt PNAS veröffentlicht. So handelt es sich in Kilianstädten um ein Massengrab, in dem insgesamt um 26 Menschen, Männer, Kinder und zwei Frauen über 40 Jahre, gelegen haben. Sie alle wiesen erhebliche Verletzungen auf, neben Knochenverletzungen durch Pfeilspitzen fanden die Forscher auch eingeschlagene Schädel und gebrochene Waden- und Schienbeine. Letzteres lässt auf systematische Folter und Verstümmelungen schließen. Da die Skelette von jungen Frauen fehlen, waren diese - so die Schlussfolgerungen - nicht am Kampf beteiligt und wurden möglicherweise verschleppt.

 

Älteste Namensformen:

Stetin 839, Kilionsteiden 1290, Kylian­steden 1302 (später auch Kilgensteden).

 

Geschichtliches:

Ludwig der Fromme überließ  839 das Lehen „Stetin“ seinem „Getreuen Aeckard“. Kilianstädten in der Wetterau gehörte vielleicht zum Stammgut der Herren von Dorfelden‑Hanau; später war es ein Dorf des Amtes Büchertal. Ein großes herrschaftliches Hof­gut (die „Herrenäcker“) war an die Dorfnachbarn verpachtet. Im Jahre 1080 kam es zu Einquartierungen, Plünderungen und Brandschatzungen. Im Dreißigjährigen Krieg wurde Kilianstädten „bis auf acht Häuser“ niedergebrannt; das „Oberdorf“ (beim Friedhof) nicht mehr aufgebaut. Das alte Pfarrhaus (Pfarrgasse 8) blieb verschont (heute Wäscherei). Im Dorf gibt es gute Fachwerkbauten des 17. und 18. Jahrhunderts zum Teil mit geschnitzten Eck­pfosten (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 222: Straßenbild in Kilianstädten). Am Friedhof steht eine tausendjährige Linde.

 

Kirche:

Bereits im 9. Jahrhundert befand sich eine Kirche oder Kapelle auf dem heutigen Fried­hof, die sogenannte „Oberkirche“. Die Pfarrei gehörte zum Roßdorfer Ruralkapitel. Patronat und „Kirchsatz“ (d. h. die Rechte des Pastors auf die Einnah­men usw.) hatten halb die von Rein­berg als isenburgische Lehensmannen. Ab 1268 bildeten Oberdorfelden und Niederdorfelden ein gemeinsames Kirchspiel. Das Patronat fiel 1613 an Isen­burg zurück; auf die andere Hälfte erhob Brauneck Anspruch und belehnte damit die von Rohrbach, später die von Walden­stein im Jahre 1498 besaßen es die von Rimberg. Der Patron blieb bis in die Reformationszeit „Pastor“ und bezog die Einnahmen, von denen er den Pfarrer, der den Gottesdienst zu halten hatte, nur dürftig besoldete.

Im Jahre 1577 wurde der Gottesdienst aus der alten Pfarrkirche in die Kapelle im Dorf verlegt. Im Jahre 1630 wurden Reparaturen am Gotteshaus vorgenommen. In den Jahren 1635/36 ist die Kirche wahrscheinlich bis auf die Umfassungsmauern zerstört worden. In den Jahren 1654‑1661 wurde das abgebrannte Got­teshaus wieder aufgebaut. Von 1638 bis 1668 und von 1678 bis 1694 wurde die Pfarrei von Wachenbuchen versehen.

In den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts muß die Kirche so baufällig gewesen sein, daß man sich dazu entschloß, einen Neubau zu errichten. Die Grundsteinlegung erfolgte be­reits am 29. Mai 1738. An der Stelle der alten Kapelle im Jahre 1738 die heutige Kirche aufgebaut. Sie ist ein einfacher Saalbau mit dreiseitigem Schluß. Der Turm ist von 1747 und besitzt einen eleganten Haubenhelm. Auf der Kanzel ist eine Engelsfigur von 1747. Das Altargitter im Kirchenschiff stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Orgel wurde von der Firma Walcker, Ludwigsburg, aufgestellt (1893).

Bei der Renovierung der Kirche Kilianstädten in den 90iger Jahren wurde der Raum so gestaltet, wie er in seiner prächtigsten Farbfassung anno 1779 aus­gesehen hat. Die Malerarbeiten nehmen dem Kirchen­den jahrzehntealten Grauschleier. Hatte das Nachschla­gewerk von Dehio noch 1738 als Baujahr der Kirche vermerkt, so stießen die Re­stauratoren auf die übermalte Zahl 1737. Das für 1779 da­tierte Wappen von Hessen‑Kassel überdeckt an der Orgel‑ Empore ein früheres Wappen, weil das zur Bauzeit noch herrschende Hanauer Haus zwi­schen­zeit­lich ausgestorben war.

Völlig überarbeitet und in ursprüngli­cher Farbe erstrahlt bereits die schma­le Kanzel. Als sie einst eingebaut wurde, war die Barockzeit mit ihren üppigen For­men bereits vorüber (Meister Gösel: „Auf der Kilianstädter Kanzel muß der Pfarrer den Bauch einziehen“). Die dunkelbraun und in einer Art Holzmaserung gestriche­ne Kanzel wird künftig auch farblich wie­der Blickfang sein. Eine Entdeckung war die Taube des heiligen Geistes im Schall­deckel, dem hölzernen Überbau der Kan­zel. Die zuletzt grau in grau gestrichene Engel‑Plastik, die seit 1747 den Deckel krönt, strahlt nun wieder originalgetreu sternenübersät und blau ‑ die Posaune in der rechten Hand, in der anderen die Lilie, die laut Gö­sel ein Kilianstädter Symbol sein soll.

Auffällig ist auch, daß das Porphyrrot der Emporenstützen einer Äderung in Weiß, Blau und Türkis weicht. Schon dies sorgt für den „duftigeren“ Gesamtein­druck. Einer der unvorhergesehenen Posten sind die mit Blütenbouquets bemalten Kassettenfelder an der Emporen­brüstung. Unter einer Farbschicht von 1954 wiesen sie noch die fast völlig erhaltene Bemalung von 1779 auf. Der Sandstein‑Boden wurde neu, der Boden im Altar­raum ergänzt. Die Bänke erhalten ein helleres Blaugrün.

Das „Gärtchen“, ein gut 150 Jahre alter Holz­zaun um den Altar, bleibt zwar erhalten. Da­mit es künftig aber die Bewegungsfreiheit der Pfarrer nicht über Gebühr ein­schränkt, wird der Altartisch gestutzt, er ist kein historisches Stück. Zwei Frauen stickten die neue Altardecke.

 

Statistisches: Einwohnerzahl:

1820 = 608; 1855 = 1038; 1885 = 1161; 1905 = 1344; 1919 = 1706; 1925= 1819; 1939 = 1899; 1946 = 2470; 1953 = 2683, davon Heimatvertriebene =331,

Evakuierte = 74 (aus Hanau = 50).

Bekenntnis: 1905: ev. = 1331; kath. = 13; heute: ev.            = 2251; kath. = etwa 300.

 

Wirtschaft 1953:

Ein großer Teil der Einwohner gehört dem Bauhand­werk verwandten Berufen an; sonst Fabrikarbeiter und Land­wirte. Auch Malerei und Spezial‑Plastik sind vertreten (neue Berufe). Großmühle Thylmann; Samenhaus Kahl; Drahtwerke; Hohlsteinfabrik; Strumpf‑ und Veredelungswerke. Früher war der Weinbau stark vertreten; der Kilianstädter Wein von der „Bettenburg“ galt als der beste der Grafschaft Hanau.

Das Handwerk war immer nur schwach vertreten. Es gab Flachsspinnen und Weben von Leinen und Strümpfestricken. Von den Mühlen existieren nur noch zwei: Philippi in Büdesheim und Thylmann in Kilianstädten. In Kilianstädten sind zahlreiche große und kleine Geschäfte zu finden. In Büdesheim ist der kleine Einzelhandel präsent. In Kilianstädten gibt es Installateur- und Spenglerbetriebe, Autowerkstätte und Schreinerei. Drei Banken gibt es im der Gemeinde. Außerdem gibt es ein Werkzeug- und Maschinenbauunternehmen (die Strumpffabrik „Kiliane“ ging wieder ein). Schon 1914 baute Büdesheim eine Stromversorgung. Kilianstädten hatte in den zwanziger Jahren eine gut ausgebaute Wasserversorgung

 

Bildung der Gemeinde Schöneck:

Am 28. Dezember 1970 genehmigte der Regierungspräsident in Darmstadt den Auseinandersetzungsvertrag, den Büdesheim, Kilianstädten und Oberdorfelden, der knapp fünf Monate zuvor unterschrieben worden war. Der Zusammenschluß der die Dörfer zur Gemeinde Schöneck wird am 1. Januar 1971 offiziell und mit viel Tamtam gefeiert. Schöneck hatte zu diesem Zeitpunkt 10.106 Einwohner (Oberdorfelden 1.680, Büdesheim 3.098, Kilianstädten 5.328).

Auf dem sogenannten „Sumpfgebiet“, im Dreieck der Ortsteile, wo heute die Uferstraße hindurchführt, sollte ein Verwaltungszentrum mit Bürgerhaus, Bücherei, Gesamtschule und Sport- und Kulturanlagen entstehen. Doch es kam nicht dazu, sondern die Verwaltung wurde auf die Rathäuser der ehemaligen Ortsteile verteilt: Haupt-, Bau- und Personalamt in Kilianstädten, Finanzwesen und Gemeindekasse in Büdesheim und Bürgersprechstelle in Oberdorfelden.

Für die Ortsteile wurde ein gemeinsames Kanalsystem geschaffen, das in eine Gruppenkläranlage einmündet. Die Verbindungsstraße Büdesheim-Kilianstädten wurde gebaut, denn bis 18. September 1976 gab es keine direkte Straßenverbindung zwischen den beiden Orten. In Kilianstädten wurde ein Bürgertreff gebaut, ein Kindergarten in der Waldstraße, in Büdesheim ein Friedhof, das Alte Hofgut wurde saniert und 1989 feierlich eröffnet. Der Uffelmann’sche Hof wurde zum Mini-Einkaufszentrum mit historischer Fassade umgebaut.

 

Fachwerkhaus, Frankfurter Straße 1:

Es war Mitte der 1970er Jahre, als ich ein Haus suchte. Mieten fand ich nicht mehr so toll, ich wollte mein schmales Geld in etwas Eigenes stecken. Ein etwas heruntergekommenes Fachwerkhaus stand in Kilianstädten schon länger zum Verkauf - so etwas erfuhr man damals im Rathaus. Das Ding wurde gekauft, ich wollte es abreißen, die Scheune versprach mehr Platz.

Das Ganze erzählte ich dem Künstler und Architekten Ziemann. Und was macht der? Zerrt mich in sein im Umbau befindliches, auch recht marodes Fachwerkhaus, das Eindruck auf mich machte und hell war es auch. So blieb das Haus stehen, der Umbau begann mit aller Unkenntnis in dieser Zeit. In den 1970ern war es üblich, daß die alten schäbigen Fachwerkhütten, in denen niemand mehr leben wollt und die nur noch mit italienischen Gastarbeitern zu füllen waren, abgerissen wurden, um modernen Bankfilialen in Waschbetonästhet Platz zu machen. Der Erhalt eines Fachwerkhauses war schon ziemlich mutig damals und ich mithin ein Held.

Ein paar Jahre später stand ein weiteres Haus im Dorf zum Verkauf. Das Haus war ungleich schöner als das Erste mit geschwungenen Zierfüllungen unter den Riegeln. Das mußte ich haben, die Finanzen waren besser geworden. Es war zwar doppelt so teuer wie das Erste, aber egal. Zur gleichen Zeit arbeitete im Bauamt der Gemeinde eine hübsche Blonde, die genau dieses Haus schon immer mieten wollte, damit aber nicht zu Potte kam. Zusammen mit meinem Freund Ziemann wurden Maßnahmen besprochen und Pläne gemacht. Ins Rathaus mußte ich da natürlich auch immer wieder. Als die nächste Kunstausstellung in Zwingenberg mit Ziemannwerken anstand, faßte ich reichlich Mut und lud die Blonde aus dem Rathaus zur Vernissage ein. Das hat tatsächlich geklappt. Sie ist seit nunmehr 25 Jahren meine Frau und zuständig für die Feinheiten am Haus.

Das Fachwerkhaus, das in diesem Jahr seinen 300sten Geburtstag feiert, wurde zweimal „saniert. Das erste Mal 1978 mit „schön dämmenden Gasbetonsteinen in den Gefachen und Einscheibenfenstern und der Farbe Blau. Aus heutiger Sicht war das natürlich Mist, denn auf der Wetterseite platzten immer wieder die Gefache auf und die Gasbetonsteine saugten sich bei Regen gern voll Wasser, das diese so schnell nicht mehr abgaben, sehr zum Verdruß der Fachwerkkonstruktion, die vor sich hin faulte.

In den 1990er Jahren dann erfolgte die zweite Sanierung. Sehr bald hatte meine Frau durchgesetzt, daß wieder Eiche-Sprossenfenster mit Oberlicht fenstern über dem Kämpfer eingebaut wurden und die Farbe Blau darf sich nur noch an den Begleitern der Gefache zeigen. Im Innern präsentiert sich das in den 1980er Jahren unter Denkmalschutz gestellte Haus als ein sehr modernes Wohnambiente, das nun am „Tag des offenen Denkmals“ besichtigt werden kann. Die zweite Sanierung und Fundstücke werden in einer Ausstellung gezeigt (Carla Porath-Jagodzinski, Manfred Jagodzinski).

 

Mühle:

Dazu gehört die große Kilian­städter Mühle. Diese hat eine lange Tradition, die bis weit ins Mittelalter zurückreicht. Sie wurde bereits 1351 erstmals urkundlich belegt. Lange mußten die Bauern aus den Dörfern der Umgebung hier ihr Korn malen lassen. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurde die Mühle, die zeitweise auch als Ölmühle und Tabakmühle diente, mehrfach ausgebaut und damit ständig ihre Kapazität erhöht. Betrug die Tagesleistung um 1875 noch rund 1,5 Tonnen Mehl, stieg sie über 54 Tonnen 1933 auf mittlerweile über 320 Tonnen, was den Bedarf für etwa 850.000 Menschen deckt. Erbracht wird dies von 40 Mitarbeitern und modernen Produktionsanlagen, die eine gleichbleibende Qualität garantieren. Jedoch treibt heute Strom und nicht mehr Wasserkraft die Mahlwerke an. Auch optisch ist die lange Tradition der Heinrich Thylmann GmbH & Co. KG sofort wahrnehmbar: Neben den modernen Anlagen steht noch immer ein reizvolles Fachwerkgebäude.

 

Windpark:

Weil Vertreter der Bürgerinitiative Wind bekommen hatten von der von Gemeinde und Hessenenergie angesetzten Pressekonferenz zu dem seit August 2009 in Bau befindlichen Windpark, prallten an der Baustelle Argumente pro und kontra Windenergie aufeinander. Bis Jahresende soll der Windpark Galgenberg in Betrieb genommen werden. Vier weitere Windräder sind Richtung Nidderau geplant. Dort entsteht der Windpark Gelber Berg.

Unterdessen hat ein juristisches Tauziehen um die Windräder eingesetzt. Anwohner aus Kilianstädten wollen mit einer Klage beim Verwaltungsgericht den Baustop erzielen. Vor laufenden Kameras warb Bürgermeister Ludger Stüve (SPD) noch einmal für ein Umsatteln auf regenerative Energie.

Im Regionalen Flächennutzungsplan für den Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main sind die Flächen nahe der Hohen Straße als Vorranggebiet für Windenergienutzung eingestuft. Bereits im Januar hatte das Regierungspräsidium den Bau des Windparks genehmigt und den Sofortvollzug angeordnet. Damit war das Baurecht geschaffen, davon zeugen Planierraupen und erste Erdbewegungen.

Die Windräder haben eine Gesamthöhe von 179 Metern und eine Nabenhöhe von 138 Metern. Der Rotordurchmesser der Anlagen vom Typ Enercon E-82 beträgt 82 Meter. Zur Gründung der Aggregate werden 16 Meter lange Betonpfeiler ins Erdreich gepreßt. Eine Besonderheit der Anlagen besteht darin, daß sie bei Sturm nicht abgeschaltet werden müssen, sondern durch technische Weiterentwicklungen auch dann Windkraft in Strom verwandeln können.

Der Strom wird in das bereits vorhandene Erdkabel der Eon eingespeist. Die Gesamtprojektleitung liegt in den Händen der Windinvest GmbH (Billerbeck), Bauherr ist die Windpark Schöneck GmbH. Die Hessenenergie GmbH. eine 100-prozentige Tochter der OVAG Energie AG, betreut die Baustelle und wird später auch für den Betrieb sorgen.

In den Gemeindegremien ist die Entscheidung für den Windpark mit Stimmen von SPD und Grünen gefallen. Für Bürgermeister Stüve gibt es gute Gründe für ein Umschalten auf regenerative Energieträger, ein Ziel, hinter dem sicherlich die Mehrheit der Schönecker Bürger stehe. Erfreulich sei auch das Umdenken bei den Liberalen zugunsten der regenerativen Energieträger.

Es gehe vor allem um einen Beitrag zum Klimaschutz, so Stüve und die Investoren. Die drei Windräder werden nach Schätzungen der Betreiber rund 16.000 Megawattstunden Strom produzieren. Dies entspreche etwa einer jährlichen Minderung der Emissionen von 9430 Tonnen Kohlendioxid, 948 Kilo Staub, 10 200 Kilo Schwefeldioxid und 8100 Kilo Stickoxide, wenn man unterstelle, daß der mit Wind erzeugte Strom die Produktion in den verschiedenen Kraftwerken gemäß ihren Anteilen an der bundesdeutschen Elektrizitätserzeugung ersetze.

Bei der erwarteten Energieausbeute könnte der Windpark Galgenberg einen Selbstversorgungsanteil von 41 Prozent der Schönecker Haushalte mit sich bringen.

Einige Kilianstädter Bürger befürchten durch die Rotorbewegungen eine unzumutbare Lärmkulisse während der Nachtstunden, wie sie bei der Pressekonferenz sagten. Deshalb haben sie über ihre Anwälte Klage auf Baustop beim Verwaltungsgericht Frankfurt eingereicht. Ihr Rechtsanwalt Dr. Alexander Legler betonte, daß die Baugenehmigung lediglich die Wirtschaftlichkeit der Anlage zugrunde gelegt habe, die Interessen der Bürger aber hingegen nicht in ausreichendem Maß beachtet worden seien. Das Projekt sei zu laut. Beklagt wurde erneut auch die unzureichende Informationspolitik für das 25-Millionen-Euro-Projekt.

Knackpunkt des Disputs zwischen Anwohnern und Gemeinde beziehungsweise Bauherren: Bei dem Wohngebiet handelt es sich laut Klägern um ein reines Wohngebiet, nicht aber um ein allgemeines Wohngebiet. In allgemeinen Wohngebieten seien auch während der Ruhezeiten von 22 bis 6 Uhr morgens höhere Lärmwerte hinzunehmen. Legler hofft, daß sich die zuständige Kammer des Verwaltungsgerichts schon in den kommenden Tagen mit dem Ansinnen der Bürger befaßt. Bürgermeister Stüve und die Betreiber des Windparks sehen der Klage gelassen entgegen, wie sie während der Pressekonferenz unzweifelhaft deutlich machten. Ein von den Klägern angeführtes reines Wohngebiet gebe es in ganz Schöneck nicht, um die Ansiedlung von Dienstleistern möglichst locker zu handhaben. Der Anwalt dagegen: „Wir haben in Wohngebieten kein Gewerbe gefunden.“

Ludger Stüve sagte, daß die Standorte mindestens 1000 Meter von der Wohnbebauung entfernt seien. die gesetzliche Vorgabe liege bei 500 Metern. Auch die Beteiligung der Betreiber am Wegebau und die in einigen Jahren zu erwartenden Gewerbesteuereinnahmen wirft der Rathauschef zugunsten des Windparks in die Waagschale.

Auch Monika May Beigeordnete der SPD im Gemeindevorstand, warb nochmals für die „zukunftsträchtige Anlage“ als Gegenpol zu Kernkraft- und Steinkohlekraftwerken. Das Landschaftbild ändere sich nun einmal von Zeit zu Zeit, Windmühlen seien früher vermutlich auch nicht als schön empfunden worden.

Rund 25 Millionen Euro werden in die beiden Windparks auf Schönecker Gemarkung investiert. Derzeit in Bau ist der Windpark Galgenberg mit drei Windrädern. Sie sind jeweils 179 Meter hoch und haben zwei Megawatt Leistung. Die Rotoren haben 82 Meter Durchmesser. Somit bewirtschaftet jedes Windrad eine Fläche von 5280 Quadratmetern. Der Windpark Galgenberg soll Ende dieses Jahres ans Netz gehen. Der Stromertrag wird laut Investoren auf rund 16 Millionen Kilowattstunden pro Jahr geschätzt. Der Strom fließt in das bereits vorhandene Erdkabel des Eon-Konzerns. Die Erzeugung dieses Windparks entspricht etwa 41 Prozent des gesamten Stromverbrauchs in der Gemeinde Schöneck.

Unmittelbar im Anschluß soll der vor wenigen Wochen vom Regierungspräsidium genehmigte Windpark Gelber Berg errichtet werden und Mitte 2010 in Betrieb gehen. Er umfaßt vier baugleiche Windräder vom Typ Enercon E-82. Nach Ulrichstein (Vogelsberg) und Trendelburg (Kreis Kassel) wäre Schöneck damit die dritte hessische Kommune, deren Stromverbrauch zu 100 Prozent vor Ort durch Windkraft erzeugt wird.

 

Im April 2010 ist an einem Sonntag mit einer bunten Einweihungsfeier am Galgenberg das erste von sieben Windrädern der Schönecker Windkraftanlage in Betrieb genommen worden. Das bereits seit langem bestehende öffentliche Interesse sorgte für einen regelrechten Besucheransturm, wobei das strahlende Frühlingswetter sicherlich sein Übriges dazu tat. Zahlreiche Bürger aus den anliegenden Gemeinden nutzten die Gelegenheit, sich genauer über das vieldiskutierte Projekt zu informieren und die Windkraftanlage an der Hohen Straße direkt in Augenschein zu nehmen. Die Möglichkeit zur Innenbesichtigung des Windrades wurde ebenfalls von zahlreichen Gästen wahrgenommen.

Den offiziellen Start um 11 Uhr läutete Oliver Keßler, Geschäftsführer des Investors Wind­invest GmbH, mit seiner Eröffnungsansprache ein. Die im Münsterland ansässige Firma plant und realisiert seit 2005 Windkraft- und Photovoltaikanlagen im gesamten Bundesgebiet. Betreiber und Projektinitiator in Schöneck ist die Hessen-Energie, eine Tochter der Ovag Energie GmbH.

Im Anschluß sprach Schönecks Bürgermeister Ludger Stüve, der sich für mehr Offenheit gegenüber alternativen Energiekonzepten wie der Windkraft aussprach und damit zugleich die Haltung von Opposition und Kritikern in Frage stellte. Denn in der Vergangenheit hat die Errichtung der insgesamt sieben Windräder für lange politische Debatten und in Teilen der Bevölkerung auch für anhaltenden Protest gesorgt. SPD und Grüne betrachten die Errichtung des Schönecker Windparks hingegen als einen wichtigen Meilenstein für ihre Koalitionsarbeit. Besonders im Hinblick auf das angestrebte Schönecker Klimabündnis und die ebenfalls damit verbundene Unterzeichnung der Charta „Hessen aktiv: 100 Kommunen für den Klimaschutz“ komme dem Ausbau von Anlagen zur regenerativen Energiegewinnung ein großer Stellenwert zu. Nach dem Willen von SPD und Grünen soll die Energieversorgung von Schöneck bis 2020 zu 100 Prozent ohne CO2-Emissionen auskommen - damit wäre die Verbundgemeinde eine Modellkommune in Sachen Klimaschutz.

Daß alternative Energiekonzepte nur mit technischem Know-how umgesetzt werden können, zeigten die Worte von Carsten Krüger von Enercon. Die Enercon GmbH zeichnet als größter deutscher Hersteller von Windkraftanlagen für den Bau der Schönecker Windräder verantwortlich. Zwar gehören die entlang der Hohen Straße aufgestellten Anlagen vom Projekttyp E-82 mit einer Gesamthöhe von knapp 180 Metern nicht zu den größten, dafür jedoch zu den modernsten ihrer Art. Ihr getriebeloser Ringgenerator sei nicht nur wartungsarm, sondern speziell für mittlere Windstärken, wie sie im Binnenland häufig vorzufinden seien, konzipiert. Mit einer Nennleistung von zwei Megawatt pro Windrad kann der Windpark an der Hohen Straße nach seiner Fertigstellung den Energiebedarf einer Kommune von der Größe Schönecks decken: Die Räder liefern im Mittel 37,5 Millionen Kilowattstunden pro Jahr, während Schönecker Bürger und die ansässige Industrie durchschnittlich 36 bis 37 Millionen Kilowattstunden jährlich verbrauchen. Bevor die Bürger in Kilianstädten, Büdesheim und Oberdor­felden die regenerative Energie nutzen können, wird sie jedoch zuerst in die Netze des Betreiberunternehmens Hessen-Energie eingespeist.

 

Sagen: Die Sage vom Kinderraub „Küppels Michael“. ‑ Der Wolfsborn.

Literatur: Handschriftliche Ortsgeschichte von Th. Buccoli

 

 

 

 

 

 

 

Oberdorfelden

 

Lage:

Östlich von Niederdorfelden, ebenfalls auf dem linken Nidderufer an der Kreisgrenze gelegen; Gemarkung 290 Hektar, davon 17 Hektar Wald.

 

Bodenfunde:

Im März 2009 präsentierten die Archäologen und Paläontologen des hessischen Lan­des­amtes für Denkmalpflege im Biebricher Schloß ein unscheinbares Stückchen Erde aus Schöneck-Oberdorfelden. Bei genauem Hinsehen zeigt es einen 250 Millionen Jahre alten, knapp handtellergroßen Abdruck eines urzeitlichen Dinosaurier-Fußes.

 

Permische Fossilien aus der Ziegelei-Grube:

Im südöstlichen Teil von Oberdorfelden, liegt in der Flur „Am Kirchberg“ eine Tongrube, genauer gesagt ist es ein Gelände des Rotliegenden, das im Erdzeitalter des Perm (Unterperm vor etwa 285 Millionen Jahren) entstanden ist. Die Farbe Rot bildete sich durch Eisenoxid (Hämatit), wodurch das Rotliegende seinen Namen erhielt. Das Klima dazu war warm bis feucht-heiß, später trocken-heiß.

Das Gelände, welches dem Landwirt Rauch gehörte, wurde an die Firma „Keraform Spezialziegel“ in Bad Vilbel-Massenheim verkauft. Im  Jahre 2015 wurde die Firma geschlossen. Das Unternehmen errichtete in der Tongrube etwa in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen Tagebau und produzierte aus den rotbraunen feinklastischen Sedimenten, welche durch Verwitterung entstehen, einen roten Hochlochziegel zum Häuserbau. Der Abbau des Rotliegenden im Tagebau in Oberdorfelden wurde etwa 40 Jahre lang betrieben. Verschiedene Subunternehmer transportierten das abgebaute Material nach Massenheim, wo die Verarbeitung stattfinden konnte.

Aber damit nicht genug. Dieses Rotliegende aus dem Wetterauer Becken bietet auch eine geo-wissenschaftliche Sensation. Seit den achtziger Jahren wurde das Rotliegende von der J.W. Goethe-Universität Frankfurt am Main untersucht. Die Forschungsarbeiten gipfelten 1991 in der Unterschutzstellung der Lokalität „Am Kirchberg“ als ortsfestes paläontologisches Bodendenkmal. Das war aber immer noch nicht alles. Schon seit den achtziger Jahren wußte man von überragenden Spurenfossilfunden im Rotliegenden der Tongrube. Erst im August 2014 wurde durch eine gemeinsame Aktion der TU Bergakademie Freiberg und des Urweltmuseums GEOSKOP/Burg Lichtenberg (Pfalz) eine gezielte Grabungskampagne durchgeführt.

Es ist deutschlandweit der einzige Fundpunkt, in dem alle acht Tetrapodenarten (Landwirbeltiere) gemeinsam auftreten, Vergleichbares hierzu gibt es nur noch in den USA.

Weiterhin gefunden wurden flügellose Insekten, fossile Schachtelhalme, Farnsamer und Koniferen (Walchia), außerdem Wirbeltierreste und Hydromedusen, vergleichbar mit heutigen Quallen, zudem verfestigte Regentropfen, sowie Rippelmarken (Wellenschlag).

Inzwischen hat die Tongrube andere Besitzer erhalten. Durch sie wird die Grube bedauerlicherweise mit Erdaushub verfüllt. Es bleibt zu hoffen, daß in Verbindung mit allen Beteiligten  wenigstens ein geologisches Schaufenster offen gehalten werden kann (nach Ernst Müller, Festschrift 1250 Jahre)

 

Man findet die Grube wo die Umgehungsstraße nach Norden abbiegt. Dort geht nach Süden die Straße „Am Zahl“ ab. Auf der linken Seite kommen zunächst einige Gebäude der Ziegelei und dahinter folgt dann gleich die Ton­­grube, allerding nicht gleich an der Straße, sondern es kommt erst noch ein Acker.

Abgebaut werden rotbraune, feinklastische Ablagerungen des Rotliegenden (frühes Perm). Diese entsprechen dem untersten Abschnitt der Bleichenbach-Formation der höchsten Einheit des Rotliegenden der Wetterau.

Die Abfolge der bisher aufgeschlossenen Tongrube beginnt mit  mächtigen Sandsteinbänken.

Es handelt sich vermutlich um Ablagerungen einer breiten Flußrinne. Auf die bankigen Sand­steine folgt eine sanddominierte Wechsellagerung aus Schluff- und Feinsandsteinen. Der Abfluß erfolgte zu diesem Zeitpunkt offenbar über Rinnen von geringerer Breite. Feinklastische, tonig-schluffige Einschaltungen können als Absätze der Überflutungsebene bei entsprechend hohem Wasserstand gedeutet werden. Auf die Wechsellagerung folgt eine auffallende Sand­stein­bank, die in Profil 2 fast 2 Meter Mächtigkeit erreicht. In Profil 1 sind Rinne, Prall- und Gleithang eines größeren mäandrierenden Flusses angeschnitten. Mithin darf in vorliegenden Fall von einem ganzjährig hohen Niederschlagswert während der Sedimentation ausgegangen werden.

Als Ablagerungsmilieu vermutete man lebensfeindliche Umweltbedingungen. aber aus den dortigen Rotablagerungen sind Pflanzenfragmente von fossilen Schachtelhalmen, Farnsamern und Koniferen und andere bekannt. Schachtelhalmachsen treten in nahezu jeder Größe auf; das größte beobachtete Fragment ist 244 Zentimeter, 10,5 Zentimeter und 3,5 Zentimeter dick.

Die Tierwelt ist auch reichhaltig. Die Rotsedimente der Ziegeleigrube Oberdorfelden stellen das artenreichste Vorkommen mit Spuren unterpermischer Landwirbeltiere Deutschlands und angrenzender Gebiete dar. Konkret ist es die einzig bekannte Lokalität, an der alle acht, aus dem frühen Perm Mitteleuropas bekannten Vierfüßer (Tetrapodenichnogenera) gemeinsam auftreten. Hervorzuheben ist der lokale Erstnachweis der Fährtengattung Dimetropus. Knapp oberhalb des Dimetropus-Fundniveaus konnten Eindrücke dreier Fährten der Gattung Amphisauropus dokumentiert werden. Trotz schlechter Erhaltung ließ sich der Bewegungssinn der Tiere ermitteln.

Darüber hinaus liefert die Grube fossile Ruhespuren, die wahrscheinlich von flügellosen Insekten stammen. Es handelt sich um den einzigen paläozoischen Nachweis derartiger Spuren außerhalb der USA. Die im Zuge der Grabungen entdeckten Reste von Sechsfüßern (Hexapoden) repräsentieren den ersten Nachweis von Insektenkörperfossilien aus den Hessischen Rotliegend-Becken. Ebenso selten sind für das frühe Perm der Wetterau Wirbeltierreste. So ist die Ziegeleigrube als bedeutendster Aufschluß und als Typusprofil für den unteren Abschnitt der Bleichenbach-Formation zu betrachten (nach Hessenarchäologie 2016).

 

Jungsteinzeit:

Siedlungsspuren der bronzezeitlichen bandkeramischen Kultur am Nordabhang des Schäfer­kippels. Zu erwähnen ist ein keltischer Mahlstein, der westlich von Oberdorfelden bei der Bebauung des dortigen Neubaugebietes im Uferbereich der Nidder gefunden wurde. Das Interessante an diesem Fund ist, daß der Mühlstein aus ortsfremdem, wahrscheinlich Westerwälder Basalt ist und seine Form auf Kelten des Rheinischen Gebietes hinweist. Vielleicht wurde er mit Handelswaren in keltischer Zeit (300 vCh) von dort per Boot auf der Nidder transportiert.

 

Römische Zeit:

Brandgräber südlich der Straße nach Kilianstädten in der Flur  „Auf dem Häuser“, der zuge­hörige Gutshof ist noch nicht festgestellt.

Reste eines römi­schen Bauwerkes gab es in der Nähe des Schäferküppels.

Die römische Straße vom Kastell Kesselstadt zum Kastell Friedberg überschritt die Nidder an der östlichen Gemarkungsgrenze an der „Schloß­rolle“, einer besonders flachen Stelle im Flußbett. Hier fanden sich bei Nachgrabungen am südlichen Flußufer zwei vier Meter lange Eichenstämme, die wohl Bestandteile einer Holzbrücke waren. Sie lagen zwei Schritte vom Wasser entfernt  parallel zum Flußufer.

Eine zweite Straße entlang des Nidderufers verband die Römerstadt Nida bei Frankfurt-Heddernheim mit der Grenzbefestigung Altenstadt und überschritt ostwärts bei Niederdorfelden den Fluß.

 

 

Älteste Namensformen: villa Turinvelde in pago Wettereiba 767, Torovelden 805, Torvelde 1184, superior Torvelden 1258, auch Kleindorfelden genannt.

Einige Flurnamen werden in der Festschrift 1250 Jahre Oberdorfelden- Niederdorfelden, Seite 44 - 50 beschrieben).

 

Geschichtliches:

Die erste urkundliche Erwähnung Oberdorfel­dens erfolgte 768 (Schenkung des Franken Isin­hart an das Kloster Lorsch) (Abdruck und Übertragung in der Festschrift 1250 Jahre, Seite 36 - 37). Oberdorfelden lag im Gau Wetterau und gehörte später zum Amt Büchertal. Es hat aber lange Zeit eine gemeinsame Geschichte mit Niederdorfelden.

Nach einer längeren Lücke setzt die Geschichtsüberlieferung erst im 12. Jahrhundert wieder ein. Zu dieser Zeit um 1130 erfährt man durch zwei kurze Nachrichten, daß das reiche Stift St. Alban aus Mainz Einkünfte in „Dorovelden“ bezog (gemeint war damit Oberdorfelden). Das Stift ist 1184 im Besitz der Oberdorfelder Pfarrkirche. Das Stift war also Patronatsherr von Oberdorfelden und besaß damit eines der wichtigsten Rechte. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, daß Oberdorfelden früher der bedeutendere Ort gewesen ist, aber wirtschaftlich wurde Niederdorfelden stärker. Aber 1526 verkaufte das Stift den  Zehnten und das Patronatsrecht in Dorfelden dem Grafen Philipp Lud­wig I. zu Hanau. 

In Oberdorfelden kam es am Ende des Zweiten Weltkriegs noch zu einem tragischen Ereignis. Bürger hatten die weiße Fahne auf dem Kirchturm gehißt. Den Auflauf hatte ein amerikanischer Artillerieflieger beobachtet, deutete es als eine Gefährdung und schon schlugen einige Granaten ein. Es gab einen Toten und dessen Frau wurde am Arm schwer verletzt. Sie wurde mit einer Pferdekutsche, die man  mit einem roten Kreuz bemalt hatte, nach Vilbel ins Krankenhaus gebracht und überlebte.

 

Kirche:

Die Kir­che, zu der vor der Reformation auch Niederdorfelden gehörte, stand un­ter dem Ruralkapi­tel Roßdorf. Das Patronat stand dem St. Albanus‑Stift in Mainz zu. Die alte Kirche wurde wegen Baufälligkeit bereits seit Januar 1761 nicht mehr zu gottesdienstlichen Zwecken benutzt. Aus diesem Grund war die Kirchengemeinde in das Rathaus ausgewichen. Die jetzige evangelische Kirche in Oberdorfelden ist in den Jahren 1763‑1765 aus blauen Basalt­steinen neu erbaut worden. Sie ist ein kleiner Saalbau mit dreiseitigem Schluß und hohem Haubendachreiter und mit schö­nem hessen‑hanau­ischen Wappen und Bauinschrift.

Die letzte Außenrenovierung des Gotteshauses fand im Jahre 1979 statt. Eine Orgel aus dem Jahre 1850 stammt von dem Orgelbauer Friedrich Helbig, Hanau. Sie wurde im Jahre 1973 renoviert und zum Teil erneuert (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 108).

 

Backhaus:

Neben der Kirche steht das alte Backhaus. Es war noch bis Ende der vierziger Jahre in Betrieb. Es gab außerdem einen Bäcker. Konkret in Angriff genommen werden soll nun die Gestaltung des Bürgerhaus­vorplatzes. Die Kirche, das Bürgerhaus und der Backofen sollen gestalterisch zu einem Dorfmittelpunkt verknüpft werden. Dieser Punkt wurde von allen Anwe­senden als besonders dringlich erachtet. Der Spielplatz, jetzt hinter dem Bürger­haus, soll an die Nidder verlagert werden.

 

Ortsentwicklung:

Nach dem Krieg weitete sich die Bebauung zunächst südlich der Durchgangsstraße bis zum Bahngelände aus, später entstand die nach der Nassauischen Siedlungsgesellschaft benannte NSG-Siedlung jenseits der Bahn. Hier bauten „Siedler“ mit zinsgünstigen Hypotheken, die mit der Auflage verbunden waren, die etwa achthundert Quadratmeter des Grundstücks weitestgehend zum Gartenbau zu nutzen. Unter drei verschiedenen Haustypen konnte man wählen.

Statistisches: Einwohnerzahl: 1820 = 228; 1855 = 312; 1885 = 297; 1905 = 309; 1919 = 316; 1925 = 336; 1939 = 343; 1946 = 549; 1953 = 499.

Bekenntnis: 1905: ev. = 301, kath. = 8, heute: ev. = 422; Rest meist kath.

 

Auf der Alten Dorfstraße gab es die Gaststätten „Zur Krone“ und „Zum Löwen“. Beide boten auch gelegentlich Tanzveranstaltungen an. An der Durchfahrtstraße gab es ein Kiosk. Auch der Bäcker an dieser Straße profitierte vom Berufsverkehr.

Die kommunale Verwaltungs- und Gebietsreform der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts. führte gelegentlich -  weil von Menschen gemacht - zu nicht ganz rationalen Ergebnissen.

Oberdorfelden hatte sich in das Gefüge dreier ehemals selbständiger Gemeinden einzuordnen

Die in den achtziger und neunziger Jahren angeordnete „Dorferneuerung“ fand ihren Ausdruck in dem Backhaus.

 

Es gab 25 Bauernhöfe. Im Jahr 2017 gab es  noch sieben landwirtschaftliche Betriebe, teilweise Nebenerwerbshöfe nur mit Ackerbau und / oder Viehhaltung gab. Darunter ist ein Geflügelhof. Von 1970 bis 2014 gab es eine allgemeine Arztpraxis

 

Ein Gesangverein entstand  1879. Im Jahre 1906 formierte sich ein Arbeiterturnverein, der sich „Freie Turner“ nannte. Die bevorzugten Turngeräte dieser Zeit, nämlich Barren, Pferd und Reck, wurden auf einem Platz am Rande von Oberdorfelden fest montiert. Eine Holzbaracke diente zum Umkleiden. Diese Baracke kann man als das erste Sportlerheim von Oberdorfelden ansehen. Aus diesem Arbeiterturnverein entstand 1912 eine Gesangsriege, die sich später „Freie Sänger“ nannte. Erst 1930 fanden sich die Sänger beider Vereine zu einem Gesangverein zusammen.

Der Sportverein Oberdorfelden ist seit 1967 ein eingetragener Verein. Auch hier gab es anfangs nur eine kleine Holzhütte für den Schiedsrichter. Eine Damengymnastikgruppe wurde bereits 1969 als Abteilung übernommen. Erst 1975 konnte das Sportlerheim eingeweiht werden. In Oberdorfelden wollten auch die Mädchen Fußball spielen. So entstand 1978 eine Mädchenmannschaft, die sich bis heute zur Damenmannschaft mit guten sportlichen Erfolgen weiterentwickelt hat. Ab 1982 konnte die Nidderhalle zu sportlichen und kulturellen Zwecken genutzt werden. Das war der Startschuß für viele Turngruppen sowie die Tischtennis- und Basketballabteilung. Der SVO ist heute der größte Verein in Oberdorfelden mit rund 500 Mitgliedern und einer Vielzahl an Kinder-, Jugend-, Erwachsenen- sowie Seniorengruppen.

Große Aufregung herrschte 2011, als mitten in der Nacht das Sportlerheim abbrannte. Entsetzt und traurig waren alle, die hier so viele Stunden ihrer Freizeit verbracht hatten. Leider wurden durch den Brand auch viele alte Unterlagen, Bilder, Pokale usw. vernichtet. Nach langen Planungen und mit sehr viel Eigenleistung konnte endlich ein neues Sportlerheim im Jahr 2016 eingeweiht werden.

 

Die Oberdorfelder hatten bis 1925 eine Pflichtfeuerwehr mit einem Spritzenhäuschen aus dem Jahr 1888. Danach wurde die „Freiwillige Feuerwehr“ gegründet. Etwas später hatte die Wehr sogar eine eigene Kapelle, die zur musikalischen Umrahmung der Feste beitrug.

 

Im Zuge der Gebietsreform wurde 1971 aus den drei Gemeinden Kilianstädten, Büdesheim und Oberdorfelden die Gemeinde Schöneck. Im Jahr 1973 konnte Schöneck eine Partnerschaft mit Anould (Vogesen) und 2003 eine Partnerschaft mit Gyomaendröd (Ungarn) eingehen.

 

Die jetzige Oberdorfelder Kirche wurde 1763 bis 1765 erbaut, ein Pfarrhaus entstand in den Jahren 1769 bis 1772. Anhand der Ausmaße kann man sehen, welche Bedeutung die Oberdor­felder Pfarrei besaß. Im Jahre 1969 wurde in Oberdorfelden ein Gemeindehaus erbaut, welches bis heute rege genutzt wird, zum Beispiel für Kindergottesdienste, den Kreativkurs, den Frauenkreis, das Kinderkochen. Die politische Gemeinde in Oberdorfelden erwarb das Pfarrhaus, welches bis 1970 als Rathaus diente und heute die Freiwillige Feuerwehr, verschiedene Räumlichkeiten für Veranstaltungen, die Gemeindebücherei sowie eine Kegelbahn beherbergt.

Nach dem Zusammenschluß der Gemeinden Kilianstädten, Büdesheim und Oberdorfelden zu Schöneck wurde 1974 aus Kilianstädten und Oberdorfelden eine Kirchengemeinde mit zwei Pfarrstellen. In Oberdorfelden wurde ein neues Pfarrhaus gebaut.

 

Literatur:

Hanau, Stadt und Land, 1953: Bild Seite 245: Altes Backhaus mit Pyramidendach

 „1250 Jahre Oberdorfelden - Niederdorfelden“, Festschrift 2018  (mit vielen Bildern).

 

 

 

 

Büdesheim

 

 

Geschichtliches:

Die Entstehungsgeschichte von Büdesheim geht zurück auf Chlodwig den Frankenkönig, der 817 seine Edelleute mit Land beschenkte. Kaiser Heinrich II., der Lehensherr von Büdesheim, schenkt 1015 dem Kloster Bamberg den Herrensitz. Er erhielt den Namen „Heim des Bodo“, also „Buodenesheim“. Das Büdesheimer Schloß samt Gut kommt 1554  in die Hände des Burggrafen von Friedberg.

 

Das alte Schloß:

Das alte Schloß wurde früher „Oberhof“ genannt. Seine Lage, auf einer Halbinsel an drei Seiten von der Nidder umflossen, deutet darauf hin, daß die Anlage früher eine Wasserburg war. Außer dem letzt aufgefüllten Burggraben befand sich hinter den heutigen Wirtschaftsgebäuden noch ein zweiter Graben.

Kaiser Heinrich II. schenkte den Herrensitz 1015 dem St. Michaelskloster in Bamberg. Die Benediktiner sind nach einer Schen­kung im Jahre 1015 hier einzogen. Das beweisen die hufeisenförmige Anlage und ein Säulengang, der sich früher im Schloß befand. Die heute zugebauten Säulen waren roma­nisch. Im linken Flügel des Schlosses befand sich die Klosterkapelle.

Im 16. Jahrhundert war es ein Hofgut, wie ein Stein von 1563 links am Hauptgebäude hinter der Glasscheibe zeigt. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts erhielt das Schloß seine einheitliche Gestalt als dreiflüglige Anlage. Es ist ein Winkelbau, zum Teil mit Fachwerk, der auch 1878 umgebaut wurde. Links und rechts sieht man Wappensteine, am Giebel befindet sich eine Darstellung des Heiligen Georg. Der rechte Flügel wurde 1885 abgerissen und neu aufgebaut.

Aus einer Notiz vom 1. Dezember 1309 geht hervor, daß die Mönche schon damals einen Großteil des Gutes verpachtet hatten. Bis 1456 war es im Besitz der Herren von Falkenstein und Münzenberg sowie deren Erben, der Grafen von Sayme. Es scheint sicher zu sein, daß die Mönche bis zum Jahre 1554 Eigen­tümer des Schlosses waren und es an den Burggrafen von Friedberg, Johann Brendel von Hamburg, verkauften. Im Jahre 1569 kamen Schloß und Gut in den Besitz der Familie Schütz von Holzhausen, das ihnen bis 1764 gehörte. In diesem Jahr ging das Schloßgut an den Grafen von Hoym und kurz danach an die Freiherrn von Edelsheim zu Karlsruhe über.

Im Jahre 1869 wurde das Schloß Eigentum des Frankfurter Dr. Berna. Dieser verstarb jedoch und seine Witwe Maria ver­mählte sich 1884 mit Graf Waldemar von Oriola, einem Enkel von Bettina und Achim von Arnim. Der heutige Besitzer des alten Schlosses ist die Gemeinde Schöneck, die es 1988 grundlegend renovieren ließ.

 

Das neue Schloß:

Das kleine neue Schloss in Büdesheim kann mit einer großen Vergangenheit aufwarten. Gegenüber dem alten Schloss der Gutsherren von Brena (Berna?) entstand im 19. Jahrhundert in Büdesheim ein durchaus markantes Wahrzeichen. Der Schlossherr, Graf Waldemar Lobo da Silveira von Oriola (1854 bis 1910) lebte seit seiner Eheschließung im Jahr 1.880 mit der verwitweten und acht Jahre älteren Marie Brena vorwiegend im neuen Schloss in Büdesheim. Die Oriolas stammen aus einer außerehelichen Verbindung des portugiesischen Königs Alfono III. mit der bürgerlichen Magdalena Gil. Der Adels­titel wurde der Familie dennoch verliehen.

Der Graf war nicht sehr begütert. Gattin Marie brachte jedoch beachtliche finanzielle Mittel mit in die Ehe. Das erlaubte dem Aristokraten einerseits, ein steinernes Zeugnis seiner Macht zu gestalten und andererseits als Reichstagsabgeordneter in Berlin unabhängig zu sein, denn schließ­lich gab es seinerzeit noch keine Diäten. Die Gastlichkeit im Haus der Oriolas war sehr großzügig und die Gästebuchaufzeichnungen künden von bekannten Namen, die gern gesehen waren und oft über Wochen in Büdesheim Station machten.

Das neue Schloß wurde im Auftrage der gräflichen Familie von Oriola in der Zeit von 1881 bis 1883 in aufwendigem Neu-Renaissance-Stil unter Baumeister Gabriel Seidl aus München erbaut. Der „neue“ Schloßbau in Büdesheim trägt links vom Hauptein­gang an einem Erker den Namen „Oriola“. Dort heißt es: „Waldemar Comes de Oriola et Maria Conjuxnata Christ‑ Morti­mer 1885“. Auf der Gartenseite ist die Bauzeit noch genauer in eine Sandsteinta­fel geritzt: „Inchoatum est AD MDCCCXXXIII, Perfectum est AD MDCCCXXXVI“. Wo jetzt rechts die Neubauten stehen, war früher der Schloßgarten.

Das Landhaus ist eine Gebäudegruppe aus Einzelbauten mit jeweils eigener Formensprache. Vorherrschender Stil ist die Neo-Renaissance mit spätgotischen Elementen. Vereinzelt wurden ältere Bauteile in den Neubau integriert. Das künstlerische Verständnis der Grafenfamilie brachte dem Schloß bald den Ruf einer Sehenswürdigkeit ein, wobei die Marmor‑ und Kassettenholzwerk-Innenausstattung sowie künstlerische Schmiede­arbeiten besonders zu erwähnen sind.  Berühmte Gäste waren Clara Schumann und Kaiserin Viktoria.

Um 1900 waren Schloß und Park Büdesheim regelmäßiger Ruhepunkt und eine Art Heimstatt für Maximiliane, die älteste Tochter der Frankfurterin Bettina von Arnim geborene Brentano. Zu dieser Zeit war „Maxe“ allerdings schon eine Frau um siebzig, die hier ihren Sohn Waldemar und seine Frau Marie besuchte. In Berlin geboren und aufgewachsen, fühlte sie sich dennoch auf dem Land am wohlsten. Ihre Kinderjahre hatte sie in Wiepersdorf und Bärwalde verlebt, den Besitzungen ihres Vaters Achim von Arnim im märkischen Sand bei Jüterbog. In der kleinen alten Kirche des Ländchens Bärwalde wurde sie mit Eduard Graf von Oriola, dem späteren Vater Waldemars und vier weiterer Kinder, im Jahre 1853 getraut.

Mit dem Tod der Schwägerin Claudine wurde ihr Neffe Achim Alleinherr auf Wiepersdorf. So bekam das ländliche Büdes­heim in der Wetterau auf ihren Reisen nach Baden‑Baden den Charakter einer Art Zufluchtsort beim Zwischenauf­enthalt von Berlin her. Schloßherr war ihres Neffe Georg Berna, der das Anwesen 1869 erworben hatte. Sie genoß den großen, von der Nidder umflossenen Park in der fruchtbaren Wetterau mit dem Blick auf den Taunus, wenn sie hier mit ihren Kindern zu Gast war.

Maximiliane war es schließlich auch, die dem „neuen“ Schloß den Namen der Oriolas durch ihre Heirat mit Eduard von Oriola verschaffte. Er war aktiver Offizier in preußischen Diensten. Er befehligte unter anderem vier Jahre das 7. Husarenregiment in Bonn. Auf diese Weise wurde der älteste Sohn Waldemar 1854 in Bonn geboren. Nachdem George Berna schon nach einjähriger kinderloser Ehe mit der in New York geborenen Marie Christ gestorben war, heirateten Waldemar und Marie im Dezember 1880. Sie hatten sich wohl durch die Besuche Maximilianes und ihrer Kinder in Büdes­heim kennengelernt. Im Jahre 1883 wurde dann der neue Schloßbau begonnen, der ihren Na­men trägt.

Auch diese Ehe blieb kinderlos. Da die Brüder Joachim und Roderich ebenfalls keine Kinder hatten ‑ nur die Schwester Armgard, die mit dem österrei­chisch‑ungarischen Gesandten Albert Ba­ron von Eperjesy verheiratet war, brachte einen Sohn und eine Tochter zur Welt ‑ waren Waldemar und seine Brüder die letzten, die den Namen ihres Vaters trugen.

Seit ihr ältester Sohn in Büdesheim Hausherr geworden war, gab es doppelten Grund für Maximiliane, sich hier heimisch zu fühlen. Marie soll eine großzügige Gastlichkeit gepflegt haben mit bedeuten­den Menschen, mit Künstlern und Politi­kern. Graf Waldemar wurde 1887 Mit­glied des Hessischen Landtags, 1893 auch des Reichstags. Er zählte zum agrarischen rechten Flügel der Nationalliberalen Par­tei. Wieweit sein politisches Interesse auf den Großvater Achim von Arnim zurück­ging, der in seinen Schriften viel politi­sches Ideengut verarbeitete, ist schwer zu sagen. Auch die Großmutter Bettina hatte in dieser Hinsicht, ernsthafte Bestrebungen an den Tag gelegt, die ihr den Ruf einer Republikanerin einbrachten.

Bei Maxe dagegen hörte man fast nur Kaisertreues. Noch als sich bei ihr schwerwiegende Alterserscheinungen (Lähmungen an Händen und Füßen) bemerkbar machten, nahm sie großen Anteil am Tod des Kaisers Wilhelm I. im Jahre 1888. Fast 50 Jahre zuvor hatte sie ihn als jungen Prinzen in Berlin kennengelernt. Durch ihre persönli­chen Beziehungen zum Kaiserhaus konnte sie die auf ihren Namen lautende Einla­dung zur großen Trauerfeier auf Sohn Waldemar umschreiben lassen, denn ein Oriola sollte doch dabeisein.

In ihren frühen Tagebuchaufzeichnun­gen bereits nehmen Schilderungen der Beziehungen zum Hofe und den zugehöri­gen Personen großen Raum ein. Später schreibt sie es in Briefen an den fernen Sohn Joachim, den Kapitän zur See: Der Kaiser führte sie beim großen Diner zu Tisch, die Kaiserin interessierte sich für die Kinder Oriolas. Für Mutter Bettina wären das wenig erwähnenswerte Umstände ge­wesen. Trotz der Verschiedenheit der Anlagen von Mutter und Tochter fand Maximi­liane an Bettina viel zu rühmen.

Der Name Oriola legt es nahe, Waldemars Vorfahren zumindest bis zu den Großeltern zurückzuverfolgen. Von mütterlicher Seite waren es demnach Bettina Brentano, die Bürgerin der Freien Reichsstadt Frankfurt aus italienischem Geschlecht, und der aus märkischein Adel stammende Achim von Arnim. Der Großvater väterlicherseits war Portugiese. Graf Joaquim de Oriola vertrat von 1816 an als Gesandter sein Land am preußischen Hof.

Nach der Abdankung des portugiesischen Königs Miquel 1834 kehrte er nicht mehr in seine Heimat zurück. Er kaufte sich den Titel eines „Wirklichen Geheimen Rats“ und seine Söhne, so auch Waldemars Vater Eduard von Oriola, traten in den preußischen Staatsdienst und in die Armee ein. Die Mutter Graf Eduards und Großmutter Waldemars, Sophie Mur­ray, stammte aus einem nach Schweden ausgewanderten Zweig des schottischen Geschlechts der Dukes of Atholl. Sie heiratete den Portugiesen Graf Joaquim de Oriola in Stockholm, wo Waldemars Vater Eduard 1809 geboren wurde. Wahrhaft eine europäische Abstammung. die dem Schloßherrn des so romantisch‑deutsch wirkenden historisierenden Bau von 1885 beschieden war.

Gräfin Marie von Oriola legte viel Wert auf Kunst und Kultur. Nach dem Vorbild der Mutter des Grafen, Maximiliane von Oriola (einer Tochter des Dichterpaares Achim und Bettina von Arnim) wurde das Haus mehr und mehr zu einem gefragten literarischen Salon. In ihren Lebenserinnerungen schrieb die Gräfin: „Büdesheim ist ein ganz herrlicher Besitz. In der fruchtbaren Wetterau gelegen, mit Ausblick auf den Taunus, mit dem schönen, von der Nidder umflossenen alten Park ist es, zumal seitdem Gabriel Seidl das imposante neue Schloss an den alten Bau angefügt hat, wirklich ein Juwel. Und als Waldemar sich dann mit Marie vermählt hatte, ist Büdesheim für mich und die Meinen zu einer neuen Heimat geworden.“

Es waren private und gesellschaftliche Treffen mit Lesungen oder musikalischen Veranstaltungen. Nach historischen Zeugnissen muss auch viel diskutiert und gefeiert worden sein.

Den Gästen standen vielfache Annehmlichkeiten zur Verfügung. Langeweile ist in allen Gästebucheinträgen nicht zu finden. Das wundert nicht, schließlich standen 18 Reitpferde, ein Tennisplatz, eine Kegelbahn und ein Schießstand zur Verfügung. Ausritte, Kahn- oder Kutschfahrten in die Umgebung sorgten für Abwechslung.

Die musikalische und schöngeistige Unterhaltung genossen Verwandte, Freunde, Künstler und bedeutende Persönlichkeiten aus dem Kreis wilhelminischer Hocharistokratie. Beispielsweise war Kaiserin Viktoria Gast im Hause der Oriolas. Die Pianistin Clara Schumann war sehr häufig im Schloss zu Büdesheim. Zu Clara Schumann pflegte die Hausherrin einen regen Austausch und freundschaftlichen Briefkontakt.

Der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise setzte dem aufwändigen gesellschaftlichen Leben im Schloss ein jähes Ende und der Besitz wurde von dem kinderlosen Grafenpaar an die Verwandten von Butlar vererbt und Mitte der fünfziger Jahre ging er an das Land Hessen über. Der wunderschöne Park musste Wohnblocks, einem Fußballplatz und einem kleinen Baugebiet weichen. Heute befindet sich das Schloss in Privatbesitz und ist in neun Eigentumswohnungen aufgeteilt.

 

Da die gräfliche Familie keine Nachkommen hatte, ging das Schloß nach dem 1. Weltkrieg an Ver­wandte der Gräfin, die Freiherrn von Buttlar, über. Im Jahre 1942 war das Schloß im Besitz einer Metallgesellschaft. Diese ver­lagerte während des Zweiten Weltkrieges einen Teil ihrer Konstruktions­büros nach dort und errichtete zusätzlich Baracken, die heute noch existieren. Noch Kriegsende verlegte die Metallgesellschaft den Betrieb wieder nach Frankfurt. Das neue Schloß wurde vorübergehend von der ameri­kanischen Besatzungsmacht beschlagnahmt und fand später Verwen­dung als Krankenhaus und Altersheim. Im Jahre 1956 gab es erneut einen anderen Schloßherrn. Das Land Hessen richtete hier ein bis heute noch bestehendes Landesflüchtlings­lager ein. Eine Besichtigung des alten Schlosses ist nicht empfehlenswert, eine solche des neuen Schlosses ist nur von außen möglich. Das Schloß befindet sich seit 2002 im Privatbesitz.

 

Hauptstraße 28

Ein Stück lebendig erhal­tenes Landleben mit Wurzeln im 18. Jahrhundert, das ist die vorbildlich sanierte und deshalb preisgekrönte Hofreite Nördli­che Hauptstraße 28 in Büdesheim. Obwohl das Anwesen ein wenig zurückgesetzt steht, ist der Ver­kehrslärm von der direkt vorbeiführenden Bundesstraße 521 geradezu mörderisch. Das ist indes offenbar der einzige Makel dieser irgendwie zeitlos wirkenden Idylle im Schönecker Ortsteil Büdesheim.

Die Familie Stein wurde 2003 mit dem Hessischen Denkmalschutzpreises auszeichnet. Sie gehören zu den drei Hauptpreisträ­gern, denn sie haben ein Fachwerkwohn­haus aus dem Jahr 1721 so wiederherge­richtet, daß nicht nur ein Kulturdenkmal gerettet, sondern auch das Ortsbild von Büdesheim um ein schönes historisches Objekt bereichert wurde, lobte die Jury die siebenjährige Leistung.

Nicol Stein und Klaus Otto haben das Anwesen 1995 gekauft. Am 20. Juli wurde ihre Tochter Johanna geboren. Zwei Tage später sind die Drei in ihr neues uraltes Haus eingezogen, aber  zunächst nur in das provisorisch hergerichtete Obergeschoß.

Der sich hinter dem großen Torweg aus­breitende Hof ist ganz unregelmäßig ge­pflastert, nach Nicol Steins Kenntnis ein Beweis historischer Originalität:   Das Ver­legsystem ist so aufgebaut, daß erst die großen Steine kommen und die nächsten dann immer kleiner werden. Dann fängt die Pflasterung wieder von vorne an.

Rechts im Hof ein kleiner Garten, offen­bar ehemals die Mistkuhle, dahinter der Pferde‑ und Kuhstall aus dem Jahr 1817. Geradeaus die Scheune mit Durchfahrt, in der ein grüner Deutz‑ Trecker mit Hänger voll Strohballen steht. Die Einstreu wird für den Kaltblutwallach Olli gebraucht, der seit 2002 dazu gehört und zum Bei­spiel die Maschinen zieht zur Bewirtschaf­tung von anderthalb Hektar Streuobstwie­sen.

Hintenraus gackern fünf Hühner und kräht ein Hahn. Steinstapel verschiedener Art, Holzbansen, Kompostkisten, Spielger­äte, Hängematte. Durch den hier plötz­lich stark gedämpften Verkehrslärm ist Taubengurren zu hören. Die rückwärts angrenzende riesige Wie­se bis zur Stahlbachstraße gehört den ehemaligen Hausbesit­zern.

Für die Dächer wurden „althandgestrichene Ziegel“ verwandt, teils aus Abbruchgebäu­den gesichert, zum Verputz der abgeschla­gene Lehm, gestrichen mit Kaseinfarbe. Alte Fenster (bereits ausgebaut, aber teil­weise auf dem Speicher wiedergefunden) wurden aufgearbeitet beziehungsweise nachgebaut, um nur einige Details zu nen­nen. Und selbstverständlich sind die Türblattbeschläge „handgeschmiedet“.

 

Synagoge:

Bis 1938/ 1942 bestand eine jüdische Gemeinde in Büdesheim, deren Entstehung in die Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts zurückgeht. In den Jahren 1865/ 66 oder 1867 konnte in der
Riedstraße 8 eine neue Synagoge gebaut werden.  Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge bis auf die Grundmauern zerstört.

 

 

Die Philippi-Mühle (Mühlstraße 46):

Patrick Philippi Müller ist Müller in der siebten Generation. Er macht Mehl, das die Mühle ein ganz klein wenig gröber verläßt als bei der Konkurrenz. Das verbessert die Wasseraufnahme und macht Philippi-Mehl nicht nur bei Bäckereien, sondern auch bei Pizzerien und selbstbackend Dönerläden sehr beliebt. Die Rohstoffe kommen aus einem Umkreis von 30 Kilometern. Ein wenig größer nur ist der Radius, in den von Büdesheim aus Weizen- und Roggenmehl geliefert wird. Den Vertrieb übernimmt das Familienunternehmen mit seinen drei Mitarbeitern selbst, seit die Lohnvermahlung 1962 eingestellt wurde. Rund 60 Tonnen Getreide können bei Volllast in 24 Stunden zu Mehl werden, rund 10.000 Tonnen schafft die Mühle im Jahr. Wer Lust hat, kann das weiße Pulver in 2,5- und Fünf-Kilo-Säcken direkt vor Ort kaufen.

Patrick Philippi setzt eine Tradition fort, die an dieser Stelle schon seit 1331 besteht. Damals wurden zum ersten Mal eine Mühle am Nidderufer und das vergebene Wasserrecht erwähnt. Dieses Recht braucht die Familie bis heute, auch wenn die alte Turbine nur noch einen Bruchteil des benötigten Stroms beisteuert. Der wird übrigens nicht nur für die Getreidezerkleinerung an sich, sondern auch für allerlei Computer benötigt. Denn die Steuerung des Mahlvorgangs läuft mittlerweile weitgehend digital. Und deswegen heißt ein Müller heute auch nicht mehr Müller, sondern „Verfahrenstechnologe in der Mühlen- und Futtermittelwirtschaft“.

 

 

Radtour Kilianstädten

Auf dem Radweg neben der Landstraße geht es nach Wachenbuchen und durch die Burgstraße und Kilianstädter Straße nach Kilianstädten. Über die Wachenbucher Straße kommt man zur Hanau er Straße, in die man nach links abbiegt. Vor der Engstelle ist rechts das Restaurant Drosselbart. In der Engstelle ist links ein Brunnen, rechts der Uffelmann’sche Hof, heute ein Einkaufszentrum. Dort rechts hoch zur Kirche.

Von der Kirche geht man nach rechts durch die Kirchgasse zum Rathaus, das im ehemaligen alten Hofgut bzw. dem Herrenhof untergebracht ist (Straßenname!). Vom Rathaus aus geht man nach links in die Herrenhofstraße. An der Ecke Glockenstraße ist links die Schule von 1843. Dann geht man weiter die Glockenstraße hoch bis zum Anfang des Gewerbegebiets. Dort geht es links bis zum Wald, dann wieder links bis zum Wasser-Hochbehälter. Vor diesem geht es rechts ab in den Wald, am nächsten Weg wieder rechts und dann links hinunter nach Büdesheim.

Man kommt in die Straße „Hanauer Pfad“. An deren Ende geht es etwas versetzt weiter in die Rosenstraße. Dort ist rechts der Friedhof mit der Kirche, den alten Grabsteinen in der Friedhofsmauer, der Leichenhalle und im abgeschlossenen östlichen Bereich das Grabmal der Familie Oriola. In der neuromanischen Grabkapelle, die 1910 von dem Baumeister des neuen Schlosses erbaut wurde, fanden Waldemar und Marie de Oriola ihre letzte Ruhe.

Vom Haupttor vor der Kirche kommt man in die Mühlenstraße. Rechts sieht man am Ende der Straße die Mühle Philippi. Nach links kommt man über die Nidder-Brücke zur nördlichen Hauptstraße. Auf dieser fährt man links weiter zum Rathaus, das breit die sich immer mehr erweiternde Hauptstraße abschließt. Am Ende der Hauptstraße geht es links zum Schloß (siehe Büdesheim).

Der Weg führt zurück zur Kreuzung und über die Verbindungsstraße zurück nach Kilianstädten (eine Abkürzung ist nicht möglich, man kann höchstens am Bahnhofsgebäude vorbeifahren, kommt aber wieder auf die Uferstraße). Auf dem Weg nach Oberdorfelden kommt man an der Thylmann-Mühle vorbei, deren altes Fachwerkhaus vor den neuen Produktionsanlagen fast verschwindet.

Am Abzweig nach Oberdorfelden überquert man die Bundesstraße und fährt den Weg südlich der Straße erst in Richtung West und dann nach Norden. Am Wald biegt man links ab zum „Läusbaum“. Der Läusbaum auf dem Schäferküppel steht schon auf Oberdorfelder Gemarkung. Im Jahre 1855 reichte der Wald noch bis hierher und darüber hinaus. Der Baum soll seinen Namen von Landfahrern haben, die zum Volk der Roma und Sinti gehörten. Diese hätten sich immer dort gelagert und ihre Läuse hinterlassen. Wenn das auch nicht stimmt, so ist es doch typisch erfunden! Der Name kommt wohl eher von „Leutbaum“ bzw. „Geleitsbaum“.

Ein vom Lionsclub gestifteter Gedenkstein erinnert an die Bedeutung der „Hohen Straße“ als früherer Fernverkehrsweg. Die Hohe Straße führt allerdings nicht am Läusbaum vorbei, sondern biegt vorher nach Südosten ab, knickt dann wieder nach Nordosten, überquert die Gemarkungsgrenze und verläuft dann östlich der Gemarkung im großen Bogen in Richtung Wartbaum bei Windecken und weiter nach Marköbel. Vom Läusbaum geht allerdings auch ein Weg direkt hinunter nach Kilianstädten.

Vom Läusbaum fährt man weiter in Richtung Hühnerberg. Der Wald heißt laut einem ein Schild des Forstamtes „Kleine Lohe“, die Hochstädter aber sprechen vom „Steder Wald“. In Wachenbuchen sagt man auch „Äppel-Lohe“ dazu, weil sich südlich davon viele Apfelstücke befanden. Heute ist dort der Übungsplatz der Modellflieger.

Man kommt zu dem Grenzstein von 1822. Er trägt den Buchstaben „W“ oder „Wk“. Das angedeutete „K“ kann aber nicht Kilianstädten meinen, denn hier treffen sich erst die Gemarkungen von Niederdorfelden und Oberdorfelden. Der eigentliche Grenzstein steht südlich der Hohen Straße. Die Buchstaben ND und OD sind noch zu sehen, die andere Seite mit dem Buchstaben W ist abgeschlagen. Der Oberdorfelder Wald                                                                                                                                                                                                                                                         reichte im Jahr 1855 bis an diese Stelle. Er ist laut Staatsarchiv Marburg im Jahr 1830 an Oberdorfelden verkauft worden. Man fährt dann über die Kreisstraße und biegt vor dem Eintritt in den Wald nach links ab in Richtung Hochstadt (der Weg über die Landstraße zu den Gebäuden am Hühnerberg empfiehlt sich nicht).

 

Der Hühnerberg ist mit 197 Metern über dem Meeresspiegel die höchste Erhebung Maintals. Doch die höchste Stelle in der Gemarkung dürfte bei dem Grenzstein an der Hohen Straße sein. Die Bezeichnung „Hühnerberg“ könnte von den „Hühnengräbern“ herrühren, die man angeblich hier fand. Das Wort könnte aber auch von dem mittelhochdeutschen „huon“ = „hoch“ kommen und also „hoher Berg“ heißen.

Im Jahr 1905 plante man, auf dem Hühnerberg einen Aussichtsturm zu errichten. Er soll so aussehen wie der Bismarckturm in Wilhelmsbad. In den Jahren 1935 bis 1937 der Hühnerberg wird militärisch belegt. Auf der Höhe des Berges wird auf einer Fläche von etwa einem Hektar eine Funk- und Leitstelle für die Fliegerhorste Langendiebach und Rothenbergen errichtet. Nach dem Krieg sind zunächst die Amerikaner auf dem Hühnerberg.

Ab Mai 1950 nutzt die United Press in Frankfurt die Gebäude. Am 1. Mai 1958 zieht Renate  Töpfer auf den „Hühnerberg“ und richtet dort eine Gaststätte mit Gastzimmer und Küche ein. Am 23. Dezember 1958 wird die Gaststätte noch erweitert durch zwei Gasträume im Keller. Dort ist eine Bar mit Musikbox, ganz im Stil der damaligen Zeit. Mit der Gaststätte verbunden ist ein Kleintierpark mit Affen, Fasanen, usw.

Im November 1970 kauft Herr Hugo Bracker das Grundstück auf dem Hühnerberg von der Bundesvermögensverwaltung. Er ersieht das Sendegebäude mit einem Walmdach und läßt eine Leitung vom Wasserbehälter zum Hühnerberg verlegen. Die Abwasserleitung wird in den Jahren 1996/97 auf Kosten des Besitzers ins Dorf gelegt. Gegenüber der alten Funkstation baut die Post 1963 eine Funkrelaisstation. Der Stahlantennenträger wird im Jahre 1972 von der Post errichtet.

 

 

 

Nidderau

 

Windecken Geschichte

 

Lage:

117‑130 Meter über N. N. Die Gemarkung der Stadt an der nordwestlichen Kreisgrenze an der Nidder, an der Eisenbahn­linie Hanau‑Friedberg, umschlossen von den Gemarkungen Ostheim, Roßdorf und Kilianstädten. Sie umfaßt 610 ha ein­schließlich 25 ha Ortslage und 424 ha Gemeindewald.

Windecken hat fast 6.000 Einwohner. Die Gemarkung umfaßt einschließ­lich der bebauten Flächen 610 ha, von denen 424 ha bewaldet sind. Die Landschaft ist gekennzeichnet durch eine abwechslungsreiche Topo­graphie, die Ebenen der fruchtbaren Wetterau, die Ausläufer des Ronne­burger Hügellandes und die Auenlandschaft der Nidder.

 

Bodenfunde:

Schon lange bekannt waren die Siedlungen nördlich der Hohen Straße, 1300 Meter südwestlich vom Wartbaum und an der Landwehr, 200 Meter westlich der Straße nach Heldenbergen.

Umstritten ist in Windecken und in der Wissenschaft die Frage, ob die dort gefundenen

Brandgräber aus der Jungsteinzeit vielleicht eine Fälschung sind

Der Archäologie‑Professor Wolff wurde auf den Brunnenbauer Georg Bausch aufmerksam, weil er im Lößboden der südlichen Wetterau reichlich Funde zutage förderte und bald als Mann mit einer außergewöhnlichen Spürnase für prähistorische Siedlungsspu­ren galt. Bausch verkaufte seine Schätze an Sammler und Museen. Als Wolffs Angestellter entdeckte Bausch zwischen 1907 und 1920 auf den Gemarkungen von Butterstadt auf dem „Tannenkopf“ und Markö­bel jungsteinzeitliche Brandgräber samt fünf Kieselketten als mögliche Totenbei­gaben. Beides war in der Wetterau zuvor nie bei Grabungen gefunden worden. Und sie kamen nach der Pensionierung von Bausch im Jahre  1920 nie mehr zu Tage.

Zwei Jahrzehnte später entbrannte un­ter den Archäologen die Diskussion über die Echtheit der Funde, vor allem um die Ketten, die über eine Vielzahl von Verzie­rungen in Form von Anbohrungen und ak­kurat geritzten Linien auf den einzelnen Steinen verfügen. Fraglich ist bis heute, wie die präzis gebohrten Löcher im Durch­messer von einem Millimeter im Kiesel für den Faden entstanden sind.

Den Anstoß gab die  in der „Germania“ 1958 veröffentlichte wissenschaftli­che Arbeit der Prähistorikerin Gudrun Loewe. mit dem Titel „Zur Frage der Echtheit der jungsteinzeitlichen Wetter­auer Brandgräber“. Seitdem besteht für die Prähistoriker kein Zweifel daran, daß der Windecker Brun­nenbauer Georg Bausch vor 1920 nicht nur die Beigaben wie Steinketten oder An­hänger, sondern die hundert von ihm ent­deckten Gräber in ihrer Gesamtheit und zwar allein gefälscht hat. Der arme und kinderreiche Brun­nenbauer konnte sich gegen all diese Vor­würfe nicht mehr wehren, er starb 1932 im Alter von 66 Jahren. Die Ketten  ver­schwan­den im Jahr 1958 im Magazin des histori­schen Museums Hanau.

An dieser unumstößlichen These rüt­telt nun der Geschichtsverein Windecken, der im Jahr 2002 eine Fül­le von Quellen zur „Fälscherstory“ zusam­mengetragen und damit die Loewe- Arbeit einer kritischen Betrachtung unterzogen hat. An­fang des Jahres 2003 fand  im historischen Rat­haus in Windecken eine Ausstellung statt. Neben vielen Informationen über den Kult­urkreis der Bandkeramik wurden auch die fünf im Historischen Museum Hanau auf­bewahrten Steinketten im Original ge­zeigt.

Schirmherrin der Ausstellung war Maria Schmidt aus Langendie­bach, En­kelin von Georg Bausch An einem Tag während der Ausstellung war sie anwesend und erhoffte von älteren Windeckern Hinweise auf das damalige Geschehen. Sie be­streitet entschieden die Fäl­schervorwürfe.

Rolf Hohmann organisierte die Ausstellung auf Initiative der Bausch-­Nachkommen. Mit Feldgän­gen und Grabungen will er jetzt die Wahr­heit an den Tag bringen. „Ich suche die Ecke ab, und wenn ich nur ein Kieselstein­chen mit Löchern finde, dann geht’s aber rund“, kündigt Hohmann an. Um nicht nur auf die literarischen Quellen an­gewiesen zu sein, hat der Geschichtsverein bei der Denkmal­schutz­behörde Hessen ein Nachfor­schungsantrag für die Gemarkungen Butterstadt, Rüdigheim, Marköbel, Baiersröder Hof, Os­theim und Windecken gestellt worden und genehmigt worden. Man will das Winterhalbjahr zu systematischen „Flurbegehungen“ nutzen, aber von einem Ergebnis hat man nichts gehört.

 

Um die beiden Stadtteile von Nidderau zu verbinden wurden zwischen Windecken und Heldenbergen zwei neue Wohngebiete geschaffen: Die „Neue Mitte / Nidderforum“ rund um das Rathaus auf beiden Seiten der alten Bundesstraße 45 und südwestlich davon „Alle Süd“ (in der Archäologie aufgeteilt in I – IV).  Funde wurden schon seit 1992 gemacht. Das  Baugebiet „Neue Mitte“ wurde seit 2009  und „Allee-Süd“ seit  2011 archäologisch erforscht.

 

Grabungen in der „Neuen Mitte“:

1. Beim Bau des nördlich der Konrad-Adenauer-Allee (alte Bundesstraße 45) gelegenen Nidderauer Rathauses und des „Arkadenhofes - Am Steinweg“ kamen Anfang der neunziger Jahre neben Siedlungsspuren mit datierenden Keramik­fragmenten auch eine Rollenkopfnadel und eine Lanzenspitze aus Bronze sowie Werkzeug aus Hirschhorn und Knochen zutage; außerdem gab es Hinweise auf eine Töpferwerkstatt.

 

2. Ab Frühjahr 2011 wurde im Nordostteil der „Neuen Mitte“ gegraben, in der Nähe der Straße „Zum Rübenberg“, die westlich von der Durchgangsstraße abzweigt. Hier konnten die südwestlichen Ausläufer einer Siedlung aufgedeckt werden. Bereits im Vorjahr war wenig westlich unmittelbar am Feldweg zum Baugebiet „Neue Mitte“ eine Grube mit Resten von Bronzeguß ausgegraben worden.

In der neuen Untersuchungsfläche gehörten einige Pfostenstellungen mutmaßlich zu Vierpfostenhäusern. Das Fundinventar einer bemerkenswerten Grube etwa 30 Meter südlich dieser Hausgrundrisse ergab Hinweise auf die Ausübung von Handwerk.

Die Grube diente nicht der Lehmentnahme (die später zur Abfallentsorgung genutzt wurden), sondern sie hatte einen Mündungsdurchmesser von 3,20 Meter und wies eine runde Form auf. In etwa 20 Zentimeter Tiefe hob sich innerhalb der kreisrunden Anlage ein Bereich ab, der 1,60 mal 2,30 Meter groß war und den Umriß eines Rechteckes mit abgerundeten Ecken besaß. Die Längsachse des Rechteckes zeigte nach Nordwesten. Die lehmige Verfüllung dieses Bereichs war ganz mit Holzkohle, Brandlehm und kleineren Steinen vermischt. In 1,20  Meter Tiefe war die Grube noch einmal rechteckig eingetieft.

In der bis zu 20 Zentimeter tiefen dunkelbraunen Verfüllung im oberen Bereich der inneren Grube befanden sich Teller- und Henkelfragmente, die Hälfte eines Spinnwirtels, ein kompletter Spinnwirtel und erste Reste von Metallschlacke sowie in 11 Zentimeter Tiefe ein Buntmetallband. Ab etwa 20 Zentimeter Tiefe war das Füllmaterial geschwärzt, enthielt Holzkohle und wies damit auf den Einsatz von Feuer hin. Am Rand des inneren Befundes lagen in der Südostecke bei 20 - 45 Zentimeter Tiefe im Boden die Scherben eines großen rötlichen Gefäßes, mit der Außenseite nach unten. Im Zentrum des Befundes lagen in etwa 45 Zentimeter Tiefe weitere Reste von Metallschlacke in Form von Schlacketropfen, gehärtete, geschwärzte Knochen- oder Hornfragmente sowie etliche Zähne und Kieferfragmente von kleineren Tieren.

Etwa 5 Zentimeter darunter konnte der Überrest einer Gußform aus Ton geborgen werden. Die einteilige Gußform konnte mehrfach verwendet werden (in der Regel waren Tonformen aufgrund ihrer Materialbeschaffenheit nicht für mehrmalige Nutzung geeignet). Sie diente  zur Herstellung von Zierscheiben mit 2,8 Zentimeter Innendurchmesser  und einem Außendurchmesser von 5,2 Zentimetern.

Die vorgestellten Funde stehen allerdings nicht zwangsläufig in direktem Zusammenhang mit der Grube. Vielmehr ist davon auszugehen, daß nach der zweiten Nutzungsphase Abfälle aus einer oder mehreren benachbarten Werkstätten in die Grube gelangten. Die Funde liefern sowohl Hinweise auf die Ausübung von Metallhandwerk als auch auf Leder- und Textilverarbeitung sowie auf Werkzeugherstellung. Ob es sich um spezialisierte Handwerker handelte oder aber lediglich Arbeiten für den eigenen Bedarf ausgeführt wurden, kann noch nicht beantwortet werden.

 

3. Bei der Grabung im Jahr 2013 ging es  im Südwesten des Plangebietes um eine nahezu komplette Siedlung der Bandkeramischen Kultur rund um einen typischen Hausgrundriß, der aber isoliert steht. An seiner Südwestecke deuteten verschiedene  Spuren auf kleinere Einfriedungen und möglicherweise einen Garten hin. Bei zwei Freiflächen nördlich des Hauses mit jeweils etwa 20 Meter Breite und 30 Meter Länge könnte es sich um damalige Wirtschaftsareale handeln. Funde stammen aus dem Bereich des Hausgrundrisses selbst und aus den acht umliegenden Gruben, darunter eine mögliche Werkgrube auf 25 Quadratmeter Fläche.

In den acht umliegenden Gruben kamen charakteristische Keramikfragmente der Linearbandkeramik zutage. Die Bandkeramische Kultur ist die älteste bäuerliche Kultur der Jungsteinzeit (Neolithikum) mit dauernden Siedlungen in ganz Mitteleuropa. Genauer ist es die Linienbandkeramische Kultur (Fachkürzel LBK), die charakteristische Verzierungen der keramischen Gefäße hat mit einem Bandmuster aus eckigen, spiral- oder wellenförmigen Linien. Die Ausbreitung der Linienbandkeramische Kultur begann wahrscheinlich ungefähr 5700 vor Christus, ausgehend von der Gegend um den Neusiedler See (Österreich an der Grenze zu Ungarn).  Diese Kultur schuf innerhalb einer mensch­­heitsgeschichtlich kurzen Zeitspanne von etwa zweihundert Jahren einen großen, kulturell einheitlichen und stabilen Siedlungs- und Kulturraum.

 

4. Bei der weiteren Grabung am südwestlichen Rand des Baugebiets konnten bis einschließlich Streifen 12 lediglich wenig aussagekräftige Einzelfunde (vorwiegend Steine) geborgen werden. Erst danach gab es wieder reiches Fundmaterial, das aber der Bisch­heimer Gruppe zuzuordnen ist. Diese hatte A. Stroh 1938 als Gruppe inner­halb mittelsteinzeitlichen der Rössener Kultur herausgestellt, die den Übergang zur jungstein­zeitlichen Michelsberger Kultur bildet. Der namengebende Fundort liegt im Donnersbergkreis in Rheinland-Pfalz. Die Verbreitung von Bischheim reicht vom Pariser Becken über den Oberrhein, das Rhein-Main-Gebiet, das Elsaß und den Neckarraum bis nach Unterfranken. Als Zeitraum für die Bischheimer Kultur wird die Zeit zwischen 4600 - 4500 und 4450 - 4300 vCh angenommen.

Bereits 1992 waren erste „Bischheimer Funde“ in Nidderau zutage gekommen. Auch im Neubaugebiet „Allee Süd“ kam im Jahr 2010 eine weitere Grube mit Bischheimer Inventar zum Vorschein.

Der mutmaßlich zentrale Siedlungsbereich war aber auf der Untersuchungsfläche „Südwest“ in der „Neuen Mitte“. Von insgesamt 27 Fundstellen konzentrierten sich zwölf auf den Südwesten der Untersuchungsfläche, die übrigen 15 lagen im Bereich des Hausgrundrisses im Osten und nordöstlich davon.  Allen gemeinsam ist die hohe Fundkonzentration.

Die Gefäße stehen in der Tradition der Rössener Kultur. Charakteristisch ist das Auftreten von geschwungenen und verzierten Wandungen. Die kombinierten Ritz- und Einstichverzierungen weisen hängende Dreiecke mit dunkler Oberfläche auf und zum Teil farbigen Verzierungen durch Einlagen („Inkrustationen“).

Es konnte Keramik geborgen werden, allerdings keine komplett hingestellten Gefäße, sondern um zum Zeitpunkt der Entsorgung bereits zerbrochenes Material. Darauf weisen alte Bruchkanten und trotz großer Vollständigkeit fehlende Fragmente hin. Man fand auch Mahlsteinbruchstücke sowie als Farbstein Hämatit mit Abtriebsspuren, Brandlehmbrocken sowie Tierknochen und Geweihreste. Auffällig ist ein bearbeitetes Knochenfragment mit einer Durchbohrung, das als Anhänger gedient haben könnte.

Auffällig sind die zahlreichen Feuersteinabschläge und Feuersteingeräte, die  zum Teil aus westischem Feuerstein bestehen, der aus den Niederlanden, Belgien und dem Gebiet um Aachen stammt. Von insgesamt 53 von Menschen geformten vorgeschichtlichen Gegenständen („Artefakten“)  wie  Abschläge, Klingen, Lamellen und Trümmer stammen 16 ziemlich sicher aus Bisch­heimer Gruben. Darunter lassen sich vier Klingen und ein Abschlag namhaft machen, aus denen mittels Bearbeitung („Retusche“) Werkzeuge hergestellt wurden. Bei den restlichen Exemplaren ist zu beachten, daß auch nichtretuschierte Artefakte genutzt werden konnten.

 

Die Nutzer der Abfallgruben - denn als solche sind die fundreichen Gruben wohl zu bezeichnen - müssen im direkten Umfeld gewohnt haben. Eindeutige Pfostenstellungen, die auf Wohngebäude hinweisen, konnten aber im Untersuchungsgebiet nicht unmittelbar festgestellt werden. Verständlicherweise wollten die Bewohner ihren Abfall nicht im Haus oder in der Werkgrube liegen lassen.

Als Werkgruben sind mindestens zwei Grubenkomplexe sehr gut geeignet, die sich jeweils über eine Fläche von rund 56 Quadratmeter erstrecken.

 

Nicht genauer datiert werden konnten:

  • eine sogenannte rechtsschiefe asymmetrische Pfeilspitze mit feinen Kanten und einer Endbearbeitung an der schrägen Bruchkante und den sogenannten „Wallnerlinien“ auf der Rückseite erkennen, anhand derer sich die Schlagrichtung bestimmen läßt.
  • ein trapezförmiger Querschneider, der am rechten Schenkel eine steile Endbearbeitung aufweist und der vor allem der Erzeugung einer blutenden Wunde diente, deren Spur ein Jäger folgen konnte.
  • ein Bohrer, der zwei  in einer deutlichen Spitze aufeinander zulaufende Kanten aufweist und einer der seltenen Doppelspitzenbohrer ist, der an beiden Enden Gebrauchsspuren aufweist.
  • Kratzer, unter den zwei nicht nur farblich ganz außergewöhnliche Exemplare auffallen: Eine schwach durchscheinende braunrote Klinge, die  an eine Messerklinge erinnert, und eine milchig-weiße bis gelbliche Klinge, die , eine senkrecht vom Dorsalgrat auf die Kante führende starke Bearbeitung analog zu einem Messerrücken aufweist. Das Stück ist vollständig weiß patiniert. Es könnte sich um einen lokal in Hanau-Steinheim und Mühlheim am Main vorkommenden Chalcedon handeln.
  • ein kleiner schwarzer Abschlag, der  mit weißen Schlieren durchsetzt ist und  eindeutig einen Daumen­nagelkratzer darstellt..
  • Klingen unterscheiden sich hinsichtlich Material und Farbe stark von­einander. Zwei der Klingenweisen jeweils an linken Kante feine Bearbeitungsspuren auf - die Bischheimer Klinge auf der Bauchseite, die andere hingegen auf der Rückenseite.

Bei drei der Klingen ließen sich ziemlich sichere Hinweise auf ihre Herkunft gewinnen: So gilt die fast schwarze und matte Klinge mit den grauen Flecken als typisch für Rijckholt-Flint aus den Niederlanden. Die graue und ebenfalls matte Klinge mit kleinen weißen Punkten kann ebenfalls aus Rijckholt (Provinz Limburg) oder aber aus Spiennes (Stadt Mons, Provinz Hainaut) in Belgien stammen.

Unklar ist die Herkunft der mit 8 Zentimeter sehr langen, in zwei Teile zerbrochenen Bischheimer Klinge. Sie ist dunkelgrau, an den Rändern durchscheinend und weist durchgängig unregelmäßige schwarze und weiße Einschlüsse auf, die möglicherweise von organischen Resten stammen können. Das entspricht durchaus den Merkmalen von Rijckholt-Feuersteinen, gilt jedoch bisher nicht als sicher. Bei der zweiten einheitlich grauen und matt glänzenden Bischheimer Klinge handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den sogenannten hellgrauen belgischen Feuerstein.

 

Ein Charakteristikum der Bischheimer Gruppe ist die Keramik, die zwar in Rössener Tradition steht, aber ihre eigene Ausprägung hat. Die Verzierungstechnik der Bischheimer Keramik ist durch

Furchen- und Spatelstich sowie aufgesetzte Tonlinsen geprägt. Insbesondere Schulterverzierungen sind beliebt.

Die steinzeitliche Tradition der Langhäuser wurde von der Bischheimer Kultur aufgegeben. Stattdessen sind nun an Wegen aufgereihte kleinere Gebäude zu fassen, die wohl eher „Kleinfamilien“ ihren Wohnraum boten. In Hessen sind neben einem Grabfund in Wiesbaden-Biebrich bislang nur Grubenbefunde der Bischheimer Gruppe bekannt. Einige wenige Fundstellen gibt es in Nordhessen, ergiebigere in der Wetterau, in Bad Nauheim, Butzbach und Friedberg.

 

Bei der archäobotanischen Untersuchung ergaben  40 Liter Probenvolumen 257 verkohlte Pflanzenreste von sieben Pflanzenarten: Neben Körnern von Nacktweizen fanden sich Körner und Spelzen­basen der zwei Spelzgetreide Emmer und Einkorn sowie drei Unkrautarten Roggentrespe, Wiesen-Lieschgras und Einjähriges Rispengras. Von den Bischheimer Bauern wurde das umfangreichste Kulturpflanzenspektrum der mitteleuropäischen Jungsteinzeit genutzt: Sie hatten fünf Getreidesorten (hexaploider Nacktweizen, tetraploider Nacktweizen, Nacktgerste, Einkorn und Emmer) und zwei Ölpflanzen Lein und Schlafmohn sowie die zwei Hülsenfrüchten Erbse und Linse.

 

Andere Bischheimer Hinterlassenschaften wurden bei den Grabungen im Baugebiet „Allee Süd IV“ in den Jahren 2009 und 2010 angetroffen. Zwei Bischheimer Grubenbefunde wurden auch 300 Meter entfernt an der Einmündung der Beethovenallee in die Konrad-Adenauer-Allee gemacht; außerdem ein entsprechender 100 Meter weiter im Baugebiet „Schloßpark II“ sowie ein 300 Meter entfernter Befund in „Allee Süd IV“.

Auch bei dem einzelstehenden bandkeramischen Gehöft im Bereich der heutigen „Neuen Mitte“ errichteten etwa 500 Jahre später Angehörige der Bischheimer Gruppe vermutlich zwei Gebäude.

Sie entsorgten ihren Müll in eigens angelegten Abfallgruben und betrieben dazu noch eine Art von Mülltrennung. Die Siedlung hatte nur kurze Zeit Bestand und wurde vermutlich geordnet verlassen, so daß auch im Zuge der Aufgabe des Siedlungsplatzes kein Müll in nennenswerter Menge zurückgelassen wurde.

 

Grabungen im Bereich „Allee Süd“:

Es wurden archäologische Untersuchungen vorgenommen im Bereich südlich der Straße „An der Landwehr“ von westlich der Straße „In den Nidderauen“ nach Osten bis über die Straße „Zum Grenzstein“ hinaus. Im Jahre 2016 wurde  der Fundplatz „Allee Süd“ III östlich der Straße „In der Marlache“ und südlich der Straße „An der Landwehr“ untersucht.

Auf dem Gelände des ehemaligen Spielplatzes wurden Befunde der  beiden jungsteinzeitlichen Kulturen Bandkeramiker und Michelsberger entdeckt. Schon im Jahre 1996 waren im Vorfeld der Spielgeräteaufstellung auf dem Gelände auf zwei Teilflächen (160 und 90 Quadratmeter) insgesamt 15 jungsteinzeitliche Befunde dokumentiert worden. Im Jahre 2016 konnten jungsteinzeitliche Befunde festgestellt werden, bei denen es sich überwiegend um linearbandkeramische Gruben handelte. Pfostenlöcher waren  nicht mehr auszumachen. In einem heller verfärbten Befund kamen zudem zahlreiche Scherben und größere Gefäßfragmente der Michelsberger Kultur zutage,  die mit kleineren bandkeramischen Scherben vermischt waren. In dem auf einer Länge von 2,5 Meter erfaßten, bis maximal 4,4 Meter breiten Grabenkopf waren offenbar mehrere Gefäße dieser jungsteinzeitlichen Kultur niedergelegt worden.

Das Fundgebiet zeichnet sich vornehmlich durch bandkeramische Gruben und Grubenkomplexe aus. Die bandkeramischen Befunde lassen sich nicht eindeutig als Siedlungsgruben deuten. Unter den keramischen Funden ist der Anteil verzierter Feinkeramik recht hoch. Steingeräte sind nur in geringer Anzahl vorhanden, darunter einige Mahlsteinfragmente sowie wenige Silexartefakte.

 

Von den 2016 untersuchten bandkeramischen Gruben ist noch ein Befund hervorzuheben, der aufgrund seiner Struktur und Tiefe als möglicher Brunnen in Betracht kommt. Es war eine ausgedehnte. annähernd rechteckige Verfärbung auf einer Fläche von 6,2  mal 4,6 Meter erkennbar, die in der Mitte und im Süden modern durch von Georg Wolff angelegte Suchschnitte gestört worden war. Im Nord­westen zeigte sich ein Anhang („Annex“) von 0,7 Meter Breite und 0,9 Meter Länge. Im zweiten Planum war der Befund im mittleren Bereich in einen östlichen und einen westlichen Grubenteil getrennt. Im Südwesten ließen sich weitere Befundteile abgrenzen. Hier befand sich auch ein brunnenartiger Schacht von 1,1 mal 1,3 Meter Größe, der unter die moderne Störung zog. Der im Profil kastenförmige Schacht mit gerader Sohle reichte bis in eine Tiefe von 1,3 Meter unter Baggerplanum. Im mittleren Bereich konnten größere Mengen von Brandlehm geborgen werden. Unter dem Brandlehm, auf der Sohle des Befundes lag eine tiefschwarze, von Holzkohle gefärbte Bodenschicht. Vermutlich wurden in dem vergleichsweise tief erhaltenen Schacht die Reste eines Ofens entsorgt.


Zu den bandkeramischen Funden gesellen sich mehrere Abschnitte eines Erdwerkes, das unter anderem  Keramik der Michelsberger Kultur enthielt. Auf dem ehemaligen Spielplatzgelände wurden 22 Befunde erfaßt, darunter zwei Abschnitte des jungsteinzeitlichen  Grabens. Ein in die nördliche Grabungskante ziehende, auf einer Länge von 4,7 Meter dokumentierbare mögliche Grabenabschnitt war bei einer größten Breite von 3,8 Meter nur mehr 20 bis 30 Zentimeter unter dem Baggerplanum erhalten. Im Süden stieß er direkt an den 1996 erfaßten Grabenabschnitt. Im Fundmaterial des homogen verfüllten Befundes befanden sich neben bandkeramischen Scherben wiederum solche der Michelsberger Kultur.

Am Südende wurde der NS-Rich­tung über eine Länge von 6,4 Meter erfaßte Grabenabschnitt, dessen O-W-Ausdehnung 4,2 Meter betrug, von einer weiteren Störung überlagert. Im Profil war der maximal 0,7 Meter tief erhaltene Befund als flachbodiger Sohlgraben zu erkennen, dessen nördliches Ende steil, fast senkrecht nach oben anstieg. Die beiden mutmaßlichen Grabenkopfenden lagen etwa 7,0 Meter voneinander entfernt. Die dazwischenliegenden Gruben enthielten kaum aussagekräftiges Fundmaterial, sind jedoch nach Ausweis ihrer helleren Verfüllung ebenfalls der Michelsberger Kultur zuzuordnen. Weitere Abschnitte dieses Michelsberger Erdwerkes waren Anfang der neunziger Jahre weiter östlich im Neubaugebiet Allee Süd beobachtet worden, sodaß sich der auf dem ehemaligen Spielplatzgelände gelegene Eingangsbereich im Westen der einstigen Grabenanlage befunden haben muß.

Die Untersuchungen auf einer der letzten unbebauten Flächen des Neubaugebietes „Allee Süd“ haben mosaikartig das Bild der alt- und mitteljungsteinzeitlichen Besiedlung ergänzt. Das Michelsberger Erdwerk ist das erste und bislang einzige seiner Art im gesamten Main-Kinzig-Kreis.

 

Das neue Freizeitgelände befindet sich in einem Dreieck zwischen dem Neubaugebiet „Allee Süd IV“, der Bahnlinie Bad Vilbel-Stockheim und der Ortsumgehung Heldenhergen - Windecken.

Im Vorfeld der Erschließungsarbeiten für das Neubaugebiet und für die Trasse der Ortsumgehung waren in den Jahren 2008 bis 2010 Teile eines Gräberfeldes der älteren und jüngeren Eisenzeit aufgedeckt worden.

Nur 1,40 Meter von der Grenze zur Ausgrabungsfläche „Trasse Ortsumgehung“ entfernt kam inner­halb des neu anzulegenden Federballfeldes ein Urnengrab zutage. Darin lagen noch die Reste einer keramischen Urne, deren größter Durchmesser 35 Zentimeter beträgt und die mit zerkleinertem Leichenbrand gefüllt war. Zwischen den kalzinierten Knochen fand sich ein kleines Stück Buntmetall, das möglicherweise ursprünglich zu einer Bronzenadel gehört hatte. Der Rand des Gefäßes war

nicht mehr vollständig.

 

In nördlichen Wegeabschnitt - unmittelbar neben der bereits archäologisch untersuchten Gasleitungstrasse -wurde ein Körpergrab aufgedeckt. Es zeichnete sich im Baggerplanum als helle rechteckige Verfärbung ab, wie sie für die von dort bekannten Grabverfüllungen typisch ist. Das Grab wies bei einer Breite von 1,70 Meter und einer Länge von 2,70 Meter und die in der Eisenzeit übliche Nord-Süd-Ausrichtung auf.

In einer Tiefe von rund 50 Zentimeter unter dem ersten Planum traten im Westen des Grabes Spuren von Langknochen zutage. Im Osten des Grabes befand sich ein vom Erddruck zusam­men­gepreßter Gefäßsatz. Im Einzelnen handelt es sich um eine Schale mit Ösenhenkel, die auf einer flachen Schale im Südosten des Grabes gestanden hatte. Nordwestlich daneben kam eine getreppte Schale zum Vorschein, di ein mondsichelförmiges eisernes Rasiermesser enthielt.

Es wurden weitere Gefäße gefunden. Die Kegelhalsgefäße sind unterhalb des Randes auf der Außenwand mit einer Strichverzierung aus Graphit versehen. Die Böden beider Objekte sind unten verrußt. Es fällt auf, daß sich in diesem Grab insgesamt vier kleine Schöpfgefäße befanden, was eine höhere Zahl als ansonsten üblich darstellt. Offenbar gehörte zu jedem der Kegelhalsgefäße ein kleines Schöpfgefäß und darüber hinaus war noch ein weiteres vorhanden. Das gesamte Grab scheint am Boden mit Holz ausgekleidet gewesen zu sein.

Gefunden wurde auch ein Schwert, das bereits das dritte ist, das innerhalb des Nidderauer Gräberfeldes gefunden wurde. Es war wohl nicht nur ein Statussymbol einiger weniger Würdenträger, sondern eventuell durften bereits als Familienoberhäupter ein Schwert tragen.

 

Bereits zu Beginn der Baggerarbeiten wurde im Rahmen der neuen Wegeführung eine neuzeitliche gepflasterte Straßenkreuzung aufgedeckt. Diese war komplett in Vergessenheit geraten. Selbst die ältesten Windecker Landwirte können sich nicht an ihre Existenz erinnern. Als Material verwendete man üblicherweise Basalt, wie er in der nahen Wetterau vorkommt. Die Bruchsteine wurden verteilt und anschließend mit einem speziellen Hammer abgeschlagen.

Das Pflaster wurde auf einer Länge von 24 Meter freigelegt. Die Breite des Weges beträgt von Begrenzungsstein zu Begrenzungsstein im Osten 3,70 Meter und am Südende zur Bahnlinie hin 4,70 Meter. Am südwestlichen Ende ist die Kante nur noch einseitig bei einer erhaltenen Breite von 3,50 Meter vorhanden. Am ebenfalls nur noch an einer Seite begrenzten nordwestlichen Ende beträgt die erhaltene Breite 3,00 Meter.

Der alte Weg wurde beim Bau der Bahnlinie Bad Vilbel- Stockheim 1906/ 1907 in Richtung Südosten gekappt. Im Zuge der Erdarbeiten für die in diesem Bereich tiefer liegende Bahnstrecke wurde die Straßenkreuzung vermutlich mit Erdreich abgedeckt. Weite Teile des gepflasterten Weges wurden hochgepflügt und zerstört worden. Die von der Kreuzung nach Westnordwesten führende Wegstrecke war im Anschluß an das Pflaster lediglich mit Bruchsteinen und zerschlagenen Dach­ziegeln befestigt.

Im Luftbild sind noch deutlich die Spuren der Hauptfahrtrichtung zu erkennen. Die Spurweite beträgt 1,30 - 1,40 Meter, was der Spurweite einer Postkutsche von 4 Fuß und 8,5 Zoll - nämlich „zwei Pferdehintern“ (gleich 1,435 Meter) annähernd entspricht. Die genauere zeitliche Einordnung des Pflasters erweist sich als schwierig.

Auf historischen Karten des 18. und 19. Jahrhunderts ist eine Straße von Hanau nach Friedberg verzeichnet. Wenn man deren Lage auf eine moderne Karte überträgt, deckt sich diese ungefähr mit der gepflasterten Wegekreuzung. Es ist also wahrscheinlich, daß es sich bei der aufgedeckten Kreuzung um einen Teil der Hauptverbindung zwischen Friedberg und Hanau handelt, die sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen läßt, möglicherweise aber schon im 17. Jahrhundert bestand.

Die Wegekreuzung soll als „Blick in die Vergangenheit“ innerhalb des neuen Freizeitgeländes erhalten bleiben und mit einer Informationstafel versehen werden. In unmittelbarer Nähe des frühneuzeitlichen Pflasters befand sich eine Brandstelle mit Keramikscherben aus der Eisenzeit, so daß sich hier der Kreis zur älteren Eisenzeit schließt.


Ausstellung: Den Kelten auf der Spur

Unter dem Motto „Kelten in Nidderau“ ist 2017 eine Ausstellung im Foyer des Nidderauer Rathauses, Am Steinweg 1, zu sehen. Ausgewählte Exponate aus der Keltenzeit sowie ein restaurierter protokeltischer Fund können dort besichtigt werden - ein Schwert aus dem Gräberfeld im Neubaugebiet Allee Süd IV. Die Ausstellung wurde vom Verein für Vor- und Frühgeschichte zusammengestellt, im Zuge des Beitritts der Stadt zum Verein „Keltenwelten“ im Juli und soll Einblicke in die antike Bevölkerung Nidderaus geben. Jahrelang sei wenig über die Kelten in Nidderau bekannt gewesen. Dies änderte sich mit dem Fund mehrerer Keltengräber bei Ausgrabungen im Neubaugebiet und der benachbarten Ortsumgehung im Jahr 2008. Zudem wurde im Jahr 2015 auf Hof Buchwald das Grab eines Kelten gefunden, der möglicherweise eine Vorrangstellung hatte und zum Glauberg-Fürsten in Verbindung gestanden haben kann (Wochenpost. 11.10.2017).

 

 

Bandkeramiker der Jungsteinzeit: Langhaus erfordert langen Atem

Verläuft alles nach Plan, dann wird der Stadtteil Windecken im Herbst 2018 um eine Attraktion reicher sein. Denn bis dahin - rechtzeitig zu seinem 30-jährigen Bestehen - wollen die Mitglieder des Vereins für Vor- und Frühgeschichte im unteren Niddertal (VVFN) ein Bandkeramikerhaus rekonstruieren.

Die eigentliche Ideengeberin dieses ambitionierten Projekts ist die ehemalige, bereits verstorbene Vorsitzende des VVFN Dr. Gretel Callesen. Ihr schwebte vor, die Ausstattung eines bandkeramischen Hauses in den Ausstellungsräumen des Vereins in Heldenbergen aufzubauen. Allerdings ließ sich diese Idee nicht umsetzen, erinnert sich Dr. Heike Lasch. Als Jahre später in einem Grünstreifen der Neuen Mitte bei Vorarbeiten zum Baugebiet im Jahr 2011 der Grundriss eines bandkeramischen Langhauses ausgegraben wurde, nahm ein anderes Projekt Gestalt an: die museale Rekon­struktion eines solchen Gebäudes.

In Hessen gab es einmal während des Hessentags in Heppenheim einen Nachbau, ansonsten muss man nach Unteruhldingen zu den Pfahlbauten im Bodensee oder nach Österreich fahren, um nachgebaute Bandkeramikerhäuser zu besichtigen. Im Herbst 2012 stellten Mitgleider des Vereins für Vor- und Frühgeschochte im unteren Niddertal das Projekt der Stadt vor und fanden schnell Unterstützung. Zeitnah machten sie sich auf Sponsorensuche.

Auch eine Anfrage bei der Baugenehmigungsbehörde des Main-Kinzig-Kreises verlief zunächst positiv. Als Architekt Martin Meier 2013 allerdings eine erste konkrete Planung in Gelnhausen vor- legte, wurde man dort der Dimension des Projekts gewahr und forderte Anfang 2014 den Verein auf, eine Tragwerksplanung vorzulegen. Im Jahre 2015 legte die Behörde nach, ein Prüfingenieur für Holzbauten musste eingeschaltet werden.

Doch auch damit waren noch lange nicht alle Probleme aus der Welt geschafft, denn ohne einen Bauleiter konnte man nicht mit den Arbeiten beginnen. Schließlich erklärten sich im März dieses Jahres Tobias und Susanne Goy vom Lehmbaufachbetrieb „Wand und Form“ aus Heldenbergen be- reit, das Projekt federführend zu begleiten.

„Die beiden haben sich gleich mit Elan in das Thema eingearbeitet. Und weil sich Anfang Oktober über zehn Mitglieder zur Sichtung und Entrindung von bereits gelagerten Baumstämmen eingefun-

hatten, war man zuversichtlich, dass m an das gesteckte Ziel erreichen und das Langhaus im Herbst 2018 einweihen könne.

Seit November 2014 hat die Stadt dem Verein ein Grundstück zwischen dem Hexenturm und der Burg Wonnecken zur Verfügung gestellt, wo seither Eichenstämme und ein Buchenstamm aus dem Windecker Bürgerwald lagern. Im Januar 2015 hatten Aktive bereits Weiden für das künftige Langhaus geschnitten. Das Material reicht aber noch nicht aus, um das Bandkeramikerhaus, das eine Breite von sechs Metern und eine Länge von 13 Metern haben soll, errichten zu können. Immerhin wird die Firsthöhe etwa fünf Meter erreichen, sieht der aktuelle Plan vor. Die Wetterseite soll mit Holzbohlen verkleidet werden, die anderen Wände bekommen ein Flechtwerk aus Weiden, die Zwischenräume werden mit Lehm verfüllt. Für die Dämmung wollen die „Bauherren“ Schafwolle verarbeiten. Für das Dach wird voraussichtlich Stroh verwendet werden.

Der Bauhof der Stadt werde sich beim Bau des Hauses engagieren,  vor allem, um die Löcher für die tragenden Seiten- und Mittelpfosten auszuheben. Auch bei der Setzung des Firstbalkens werde man maschinelle Unterstützung in Anspruch nehmen. Ansonsten wollen die Aktiven des Vereins, darunter auch interessierte Nichtmitglieder, viel Handarbeit leisten, wobei besondere Arbeiten von bezahlten Zimmerleuten erledigt werden müssen.

Es gibt einen Kostenvoranschlag, der sich auf 500 Facharbeiterstunden à 55 Euro beläuft. Da man aber viele Eigenleistungen erbringen will, kann der Facharbeiteranteil deutlich zurückgefahren wer- den. Trotzdem wird der Verein dieses Projekt ohne finanzielle oder materielle Unterstützung nicht alleine stemmen können. . Deshalb können die Initiatoren weiterhin jede nur erdenkliche Hilfe gebrauchen.

Bauern aus der Jungsteinzeit

Die Bandkeramische Kultur, auch Linienbandkeramische Kultur (Fachkürzel LBK), ist die älteste bäuerliche Kultur der Jungsteinzeit (Neolithikum) mit permanenten Siedlungen in ganz Mitteleuropa. Den Be- griff „Bandkeramik" führte im Jahre 1883 der Historiker Friedrich Klopfleisch aus Jena in die wissenschaftliche Diskussion ein. Er leitet sich von der charakteristischen Verzierung der keramischen Gefäße mit einem Bandmuster aus eckigen, spiral- oder wellenförmigen Linien ab. Die Ausbreitung der LBK begann wahrscheinlich ungefähr 5700 vor Christus ausgehend von der Gegend um den Neusiedler See (Österreich an der Grenze zu Ungarn) und schuf innerhalb einer mensch­­heitsgeschichtlich kurzen Zeitspanne von etwa zweihundert Jahren einen großen, kulturell einheitlichen und stabilen Siedlungs- und Kultur- raum (Quelle Wikipedia).

 

Rekonstruktion eines Langhauses der Bandkeramiker der Jungsteinzeit:

Verläuft alles nach Plan, dann wird der Stadtteil Windecken im Herbst 2018 um eine Attraktion reicher sein. Denn bis dahin  wollen die Mitglieder des Vereins für Vor- und Frühgeschichte im unteren Niddertal (VVFN) ein Bandkeramikerhaus rekonstruieren. Die eigentliche Ideengeberin dieses ehrgeizigen Projekts ist die ehemalige, bereits verstorbene Vorsitzende des VVFN Dr. Gretel Callesen. Als Jahre später in einem Grünstreifen der Neuen Mitte bei Vorarbeiten zum Baugebiet im Jahr 2011 der Grundriß eines bandkeramischen Langhauses ausgegraben wurde, nahm ein anderes Projekt Gestalt an: die museale Rekon­struktion eines solchen Gebäudes.

In Hessen gab es einmal während des Hessentags in Heppenheim einen Nachbau, ansonsten muß man nach Unteruhldingen zu den Pfahlbauten im Bodensee oder nach Österreich fahren, um nachgebaute Bandkeramikerhäuser zu besichtigen. Im Herbst 2012 stellten Mitglieder des Vereins für Vor- und Frühgeschichte im unteren Niddertal das Projekt der Stadt vor und fanden schnell Unterstützung. Zeitnah machten sie sich auf Sponsorensuche.

Auch eine Anfrage bei der Baugenehmigungsbehörde des Main-Kinzig-Kreises verlief zunächst positiv. Als Architekt Martin Meier 2013 allerdings eine erste konkrete Planung in Gelnhausen vor- legte, wurde man dort der Dimension des Projekts gewahr und forderte Anfang 2014 den Verein auf, eine Tragwerksplanung vorzulegen. Im Jahre 2015 legte die Behörde nach, ein Prüfingenieur für Holzbauten mußte eingeschaltet werden.

Ohne einen Bauleiter konnte man nicht mit den Arbeiten beginnen. Schließlich erklärten sich im März dieses Jahres Tobias und Susanne Goy vom Lehmbaufachbetrieb „Wand und Form“ aus Heldenbergen bereit, das Projekt federführend zu begleiten.

Seit November 2014 hat die Stadt dem Verein ein Grundstück zwischen dem Hexenturm und der Burg Wonnecken zur Verfügung gestellt. Im Januar 2015 hatten Aktive bereits Weiden für das künftige Langhaus geschnitten. Das Material reicht aber noch nicht aus, um das Bandkeramikerhaus, das eine Breite von sechs Metern und eine Länge von 13 Metern haben soll, errichten zu können. Immerhin wird die Firsthöhe etwa fünf Meter erreichen, sieht der aktuelle Plan vor. Die Wetterseite soll mit Holzbohlen verkleidet werden, die anderen Wände bekommen ein Flechtwerk aus Weiden, die Zwischenräume werden mit Lehm verfüllt. Für die Dämmung will man Schafwolle verarbeiten. Für das Dach wird voraussichtlich Stroh verwendet werden.

Es gibt einen Kostenvoranschlag, der sich auf 500 Facharbeiterstunden à 55 Euro beläuft. Da man aber viele Eigenleistungen erbringen will, kann der Facharbeiteranteil deutlich zurückgefahren wer- den.

 

Keltischer Gürtelhaken:

Ein keltischer Gürtelhaken wurde von Helmut Stephan aus Windecken zufällig in einem Nachlaß in der Windecker Höhenstraße gefunden. In einer Schachtel in der Garage stießen die Erben auf drei Bronze‑Gegenstände und benachrichtigten Stephan: einen zerbro­chenen, aber vollständig erhaltenen Arm­ring, das Fragment eines zweiten Armrings und den Gürtelhaken. Er hat die Form eines stilisierten Menschen. Striche deuten eine Kopf‑ oder Helmzier, Beklei­dung oder Rüstung an. Die Arme sind ge­spreizt, die Hände angewinkelt. Das Origi­nal ist grünlich‑braun, hinten flach und hohl. Dieser Haken ist aufgrund der Form auf etwa 400 vCh datierbar und kunst­historisch von gewissem Wert. Weil aber der Fundort nicht bekannt sei, fehlen weitere Informationen. Das zeigt einmal mehr, wie problematisch es ist, archäologi­sche Funde im Privatbesitz aufzubewah­ren

 

Eisenzeit:

Im Windecker Stadtwald gibt es sieben Gruppen von Grabhügeln aus der älteren Eisenzeit. Der ansehnlichste liegt in dem nach ihr benannten Distrikt „Siebenküppel“ neben der Jagdhütte „Aurora“ und am „Heiligen Haus“ (100 Meter südlich vom alten Friedhof): Bestattet ist eine jungen Frau mit Wendelring, Fuß‑ und Armringen, Nadel, Schmuckanhängern, alles aus Bronze (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 57).

Jüngere Eisenzeit: Bestattungsgräber wurden beim Bau der Bahn Vilbel‑Heldenbergen 600 Meter westlich der Haltestelle gefunden

 

Römer:

Ein römisches Gehöft wurde 250 Meter südwestlich vom Wartbaum am Abhang zur „Sertswiese“ dicht an der Kilianstädter Grenze gefunden.

In einer Baugrube in der Eugen‑Kaiser‑Straße wurde ein nach unten spitz zulaufendes Grabenprofil entdeckt. Man kenne dies nur aus den Befestigungen, die die Römer um ihre militärischen „Erdlager“ zogen, weil die arbeitsintensiven Gräben viel Personal benötigten Die Spitze liegt etwa drei Meter unter der heutigen Oberfläche. Es zeichnen sich mindestens drei verschiedene Füllhorizonte ab.

Den Spitzgraben wird auf das 1. Jahrhundert nCh datiert. Der Fund liegt auf einer Linie mit dem zweiten (älteren) Li­mes, der von Seligenstadt über Hainstadt, Hanau, Mittelbuchen und Windecken verlief und, vielleicht sogar bis nach Ober‑Flor­stadt ging.  Damit wäre auch das Rätsel der drei römischen Erdlager in Heldenbergen gelöst. Erdlager wurden von den Römern im Rahmen ihrer Feldzü­ge errichtet, sind wie ein Kastell, nur ohne Steinbauten und wurden als Feldlager be­nutzt.

 

Ebenfalls in dieser Baugrube fand man auch Reste des alten Windecker Stadtzwingers. Gotische Bodenfliesen und ein Bronze­blechanhänger mit dem Alphabet kamen dort zutage. Weit tiefer hinab reicht die mittelalterli­che Grabenmauer, welche die Bauarbeiten nahe der efeuüberwucherten Stadtmauer freilegten. Bis 6,20 Meter hinab konnte man sie bei einem Probeaushub nachwei­sen.

Der Mauerfund war nur zum Teil eine Überraschung. Man weiß aus einem Wind­ecker Stadtplan von 1727, daß die West­hälfte der Stadtmauer von einem Zwinger, also einem trockenen Befestigungsgraben umgeben war. An der jetzigen Fundstelle neben dem einstigen Friedhof und dem nach Kilianstädten führenden „Städer Tor“ war die offenbar schmalste Stelle des Grabens vielleicht drei Meter breit.

Laut Callesen hatten die in Windecken residierenden Grafen von Hanau den Gra­benbau weiter ostwärts aufgegeben. Als Grund nimmt sie an, daß ihnen die Ent­wicklung der Feuerwaffen davongelaufen ist: Im Zeitalter der Handfeuerwaffen und Kanonen war eine hügelumgebene Stadt mittels Mauern nicht mehr zu vertei­digen. Das könnte laut Callesen auch der Grund gewesen sein, daß die Grafen früh im 15. Jahrhundert die Residenz in die Ebene, nach Hanau, verlegten.

 

Im Graben wurden neben zahlreichen Gefäßresten des 19. Jahrhunderts an die 300 Kachel­scherben gefunden. Man kann sie zehn bis zwölf Kacheln zuordnen, genug für einen kleinen Ofen. Ihre Reliefs ‑ wappentragender Engel, Kirchenfenster, Allegorie der De­mut ‑ sind identisch mit denen auf den 1562 entstandenen Kacheln im Schloß.

Man vermutet: Wäh­rend der Ofensetzer auf dem Schloß arbeitete, hat jemand an den Adelshöfen in der Stadt  denselben Meister beauf­tragt. Irgendwann anfangs des 19. Jahr­hunderts war man der alten Pracht wohl überdrüssig und kippte eine ganze Schub­karrenladung davon in den allmählich mit Schutt verfüllten Graben. Interessant ist, daß sich mitten unter den Ofenkacheln auch noch eine gotische, mithin wenigs­tens 150 Jahre ältere Bodenfliese fand.

 

Fränkische Zeit:

Ein Reihengräberfriedhof ist an der Einmündung der Friedensstraße in die Bundesstraße. Das jüngste ist ein Reitergrab aus der Zeit um 700 nCh mit Steigbügel Sporn und vielen Beigaben. Eine Münze, die der Tote im Mund hatte, ging leider kurz nach der Auffindung des Grabes verloren.

 

 

Älteste Namensformen:

Tezelenheim um 850, Decilenheim um 1000, Detzelheim 1251, Wunnecken 1277, Wunnecke 1288 Wonnecken 1302. ‑ Hanau erbaute zwischen 1262 und 1277 über dem Ort eine Burg Wunnecken, deren Name schon 1288 auf den befestigten Ort überging.

 

Geschichtliches:

Im Jahre 850 wurde „Tezelnheim“, das spätere Windecken, erstmals erwähnt (Güter werden dem Kloster Fulda übereig­net). Es gehörte vermutlich mit Ostheim zum Königsgut, das Heinrich II. 1016 dem Bistum Bamberg schenkte. In den Jahren 1239 und 1260 verpfändete der Bischof den Ort mit seinen Einkünften an Hanau. Im Jahr 1262 gab er ihn Hanau zu Lehen. Die Herren von Hanau erbauten sogleich in beherrschen­der Lage über einer Nidderfurt Ort eine Burg Wunnecke.

Die um die Mitte des 13. Jahrhunderts errichtete Burganlage wurde gemeinsam mit der Ansiedlung Tezelnheim zum repräsentativen Herrschafts­mittelpunkt. Die Entwick­lung von Burg und Stadt verlief parallel und in gegenseitiger Ab­hängigkeit. Der Name Windecken (Wunn­ecken) für die Siedlung wird erstmals im Jahre 1277 greifbar.

Im Jahre 1288 ließ sich Ulrich von Hanau für seine Stadt Windecken Stadt‑ und Marktrechte verleihen (15 Jahre vor Hanau!). Am 5. August 1288 bewilligte König Rudolf von Habsburg auf Bitten Ulrichs von Hanau dem Orte Windecken die Freiheit Frank­furts und einen Wochenmarkt. Damit trat Windecken in den Kreis mittelalterlicher Städte, die sich von anderen Orten schon äußerlich durch eine Ringmauer unterschieden.

Die in Basel ausgestellte Urkunde hat, ins Deutsche übertragen: „Rudolf, von Gottes Gnaden Römischer König, allzeit Mehrer des Reiches, entbietet allen Getreuen des Heiligen Römischen Reiches, die diesen vorliegenden Brief einsehen, seine Gnade und alles Gute. Wir halten es günstig geneigt für geziemend, daß diejenigen fernere Gaben des Wohlwollens und der Gnade zu erlangen verdienen, die sich Uns durch größere Gehorsamsleistungen der Treue und Er­gebenheit empfehlen. Daher berücksichtigen Wir die Verdienste des edlen Herrn Ulrich von Hanau, Unseres Getreuen und Geliebten, und begaben auf seine Bitten unter Gewährung Unserer Wohlwol­lenden Zustimmung seine Stadt Wunnecke mit Freiheiten; verleihen auch dieser Stadt kraft Unserer königlichen Autorität dieselben Freiheitsrechte, deren sich Unsere Bürgerschaft Frankfurt erfreut und bisher zu erfreuen hatte. Nachdem uns weiter der gute Stand des Gemeinwesens vor Augen gestellt ist, haben Wir dafür gehalten, daß in der besagten Stadt Wunnecke ein Wochenmarkt je an den fün­ften Wochentagen angeordnet werde, indem Wir wollen und durch diese Verordnung befehlen, daß alle und jede, die zu dem besagten Markte zur Ausübung des Handels in Kauf und Verkauf zusammen­kommen, für ihre Person und ihre Sachen beim Kommen, Verweilen und der Rückkehr sich Unseres und des Reiches Schutzes und des Privilegiums der Marktfreiheiten erfreuen. Zur Bestätigung dessen haben Wir diese Urkunde aufsetzen und mit Unserem Majestäts­siegel versehen lassen. Gegeben zu Basel, an den Nonen des Augustus, in der ersten Indiction im Jahre des Herrn 1288, dem15. Jahr unsres Königtums“ (Stadtsiegel in: Hanau Stadt und Land, Seite 504).

Auch nachdem im Jahre 1436 die Burg Hanau Mittelpunkt der inzwischen umfangreichen Herrschaft geworden war, behielt Win­decken Funktionen, die nicht nur den Erhalt der Anlage sicherten, sondern auch weitere Aus‑ und Umbaumaßnahmen bedingten. Die Burg war häufig Residenz der Grafen von Hanau bis zu ihrer Zerstörung im Dreißigjährigen Krieg. Als Witwen‑ und Amtssitz war die Windecker Burg sowohl im rechtlichen als auch im fiskalischen Sinne weiterhin von relativer Wichtigkeit.

 

Zeittafel:

 

1016

Heinrich II. schenkt sein Königsgut dem Bistum Bamberg

um 1275

Der Name der Burg „Wonnecke“ geht auf das Dorf über

1288

Rudolf von Habsburg verleiht die Stadt‑ und Markt­rechte

1307

Eine Stadtbefestigung wird erstmals erwähnt

1412

Erbauung des Kilianstädter Tors

1520

Neubau des Rathauses

1580

Neubau des Ostheimer Tors

1586

Errichtung des Amtshauses für das Amt Windecken mit den Orten Ostheim, Eichen, Niederdorfelden, Marköbel und zeitweise Erbstadt

1635

Die Stadt wird fast völlig zerstört

1654

Wiederaufbau des Rathauses

1821

Das Amt Windecken wird aufgelöst

ab 1821

Teile der Stadtbefestigung werden abgerissen und drei Stadttore niedergelegt

1970

Zusammenschluß von Heldenbergen und Windecken zur Stadt Nidderau (1. Januar)

1988

 700‑Jahr Feier der Verleihung der Stadtrechte in Windecken

 

Geschichte der Burg Wonnecke:

 

1262

Der Bischof von Bamberg belehnt Reinhard von Hanau mit den Orten Ostheim und Tezelenheim

1263

Die Herren von Hanau beginnen mit dem Bau der Burg Wonnecke, die dann als Residenz diente

1429

Die Herren von Hanau werden Grafen, ab 1436 wird die Burg Witwensitz der gräflichen Familie

1582

Der Turm am Westtor der Vorburg wird zum Hexenturm

1646

Zerstörung der Burg im Dreißigjährigen Krieg

1682

Letzter von drei Hexenprozessen

1736

Bau des Amtsgerichtes auf den Fundamenten der Burg

1974

Die Burg geht in Privatbesitz über

 

Geschichte der christlichen Kirchengemeinden:

 

um 1265

Errichtung des Hauptschiffes der heutigen Stiftskirche

1282

Diese „capella nova“ wird erstmals urkundlich erwähnt

1430

Ersterwähnung des Hospitals

1484

Der Turm der Stadtpfarrkirche wird vollendet

1489

Windecken wird von Ostheim unabhängige Pfarrei

um 1497

Anbau des Chores und der Seitenschiffe

1634

Die Kirche wird stark zerstört, auch 1635 und 1638

1706

Die Stadtpfarrkirche erhält einen neuen Turmhelm

1720

Wiederherstellung der Decken und Dächer der beiden Seitenschiffe

1722

Bau einer lutherischen Kirche

1818

Aus der Stadtpfarrkirche wird die Stiftskirche

1834

Abriß der lutherischen Kirche

1956

Bau der katholischen Kirche Sankt Maria

1979

Statt Abriß des Hospitals erfolgt Umbau zum Heimatmuseum

1987

Die alte katholische Kirche weicht einem Neubau

1987

Für die evangelisch‑methodistische Gemeinde wird die Christuskirche gebaut

1988

Die baptistische Gemeinde erhält ein Gotteshaus

 

Geschichte der jüdischen Gemeinde

 

1320

Erstmals werden Juden in Windecken genannt

1429

Ersterwähnung einer Synagoge

1505

Anlage des jüdischen Friedhofs am Kilianstädter Tor

1614

Zuzug zahlreicher Juden nach dem Fettmilchaufstand

1620

In Windecken gibt es 28 jüdische Familien

1827

Erweiterung des jüdischen Friedhofs, auch 1884

1905

In Windecken leben 49, 1927 dann 68, 1933 nur noch 31 Juden

1938

am 10. und 11. November wird die Synagoge durch die Nationalsozialisten zerstört. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch 15 Juden in Windecken, von denen die meisten ver­schleppt und 1942/43 ermordet wurden

 

 

Statistisches: Einwohnerzahl:

1820 = 1160; 1855 = 1599; 1875 = 1433; 1885 = 1481; 1900 = 1624; 1905 = 1657; 1914 = 1742; 1919 = 1702: 1925 = 1825, 1939 = 2033; 1946 = 2784; 1953 = 2765, davon Heimatvertriebene 317 (diese kommen aus: Österreich = 9, östlich Oder‑Neiße = 110, Sudetenland = 193, Ungarn = 1, Jugoslawien = 2, Sonstige = 2), Evakuierte = 305 (aus Hanau = 208).

Bekenntnis: 1905: ev. = 1546; kath. = 52; israel. = 49; sonst. = 10. Am 31. Oktober 1953:  ev. = 2386, kath. = 415, sonstige Be­kenntnisse und Konfessionslose = 56.

 

Wirtschaft 1953: Berufe: 4,16 = Arbeiter (Bauarbeiter, Maurer, Zimmer­leute, Schreiner, Weißbinder); 4/6 = Landwirte, 1/6 = Beamte, Angestellte, Rentner. Neue Berufe (durch Heimatvertriebene)­ Weber und Stricker. Neben Landwirtschaft wurde bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts auch Weinbau getrieben.

Der bescheidene Wohlstand der Stadt ist nicht nur auf die Märkte, die günstigen Verhältnisse für die Landwirtschaft usw., sondern insbesondere auf den ständigen, sich über Jahrhunderte erstreckenden Zuzug fremder Menschen, zum Teil als Flüchtlinge und Vertriebene zurückzuführen. Sie haben nicht nur zum Wandel der Lebensformen, sondern auch zum Fort­schritt der Technik beigetragen. Neben den meist kleinbäuerlichen Betrie­ben, die früher auch Wein und Tabak anbauten und große Obstbaumkul­turen anlegten, und den üblichen Handwerksbetrieben wie Schuhmacher, Metzger, Bäcker, Schmied, lebten in Windecken auch Kammacher, Ger­ber, Färber, Kannenmacher, Weber usw. Es gab Basalt‑ und Sandstein­brüche, Sand‑ und Kalkvorkommen, sowie einen ertragreichen Wald und fischreiche Gewässer. Arbeit fand sich darüber hinaus in den Kalköfen, den Mühlen, den Brauereien, den Ziegeleien, der Glockengießerei und dem Gaswerk. Windecken besaß mit Ostheim einen gemeinsamen Wald.

 

Literatur: Kreispfarrer i. R. Karl Henss, Festschrift zur 650‑Jahrfeier der Stadt Windecken 1938.

 

 

Neuer Grenzstein in Nidderau: Der Heukrieg an der Naumburg                                      

Mit der „Neuen Mitte“ in Nidderau wachsen die Stadtteile Heldenbergen und Windecken zusammen. Daß zwischen den beiden Ortschaften jedoch über Jahrhunderte eine Grenze verlief, ist heute den wenigsten bewußt. Die Bezeichnung Landwehrgraben und ein Grenzstein sind Zeugen der Geschichte, die lange von Feindseligkeiten geprägt war. Einige Beispiele - etwa der Heukrieg von 1564 bis 1569 nennt Heimatforscher Heinrich Quillmann.

 

Die Vorgeschichte: Schon in vorrömischer Zeit waren die Gemarkungen von Heldenbergen und Ostheim besiedelt. Im Jahr 83 nach Christus wurden unter Kaiser Domitian auch Teile der Wetterau besetzt. Die Grenze verlief hier von Kesselstadt kommend über Mittelbuchen und Heldenbergen nach Altenstadt. Unter Kaiser Trajan wurden von den Römern weitere Gebiete der Wetterau erobert. Es entstand der sogenannte Limes mit befestigten Kastellen unter anderem in Großkrotzenburg, Rückingen, Marköbel und Altenstadt.

Die Trennung: Nachdem die Römer im Jahr 266 vertrieben worden waren, wurden irgendwann die befreiten Gebiete in Marken aufgeteilt. Heldenbergen kam zur Mark Karben, das Windecken (Tezelenheim) kam zur Mark Ostheim Damit war die Trennung der beiden Siedlungen besiegelt.

Durch die Reformation wurde der Abstand der beiden Orte größer. Heldenbergen blieb katholisch, während Windecken 1546 erst dem Straßburger Reformator Bucer folgte, aber nach dessen Tod 1595 eine reformierte Gemeinde wurde. Die Heldenberger Katholiken gehörten zum Bistum Mainz, die wenigen Windecker Katholiken zum Bistum Fulda.

 

Der historische Grenzstein in der Nähe des ehemaligen Nahkaufs an der Konrad-Adenauer-Allee markierte einst die Trennlinie zwischen Windecken und Heldenbergen. Er trägt eine Plakette mit der Inschrift: „Dieser Grenzstein markiert die ehemalige Landwehr, die jahrhundertelang die Grenze zwischen dem Herrschaftsgebiet der Grafen von Hanau (in Gold drei rote Sparren) und der Burggrafschaft Friedberg (in Gold ein schwarzer, rotbewehrter Doppeladler, belegt mit einem von Silber und Schwarz gespaltenen Brustschild) bildete. Im 19. Jahrhundert kennzeichnete dieser Stein die Grenze zwischen dem Großherzogtum Hessen (-Darmstadt) und dem Kurfürstentum Hessen (-Kassel), das 1866 von Preußen annektiert wurde. Der infolge dieser Ereignisse angebrachte preußische Adler wurde 1869 von aufgebrachten Bürgern abgerissen. Mit der Reichsgründung (1871) verlor diese Grenze mehr und mehr an Bedeutung. Bis 1970 verlief hier die Grenze zwischen den Kreisen Friedberg und Hanau.

 

Der Heukrieg 1564 bis 1569:

Die Naumburg im Hainwald zwischen Heldenbergen und Erbstadt aus dem 10. Jahrhundert, ursprünglich im Eigenbesitz der Salier, wurde Benediktiner Propstei und kam später unter das Kloster Limburg an der Haardt. Die Entfernung war zu groß, um die Naumburg gegen die Begehrlichkeiten der Burg Friedberg zu verteidigen. Deshalb wurden die Herren und Grafen von Hanau als Schutzherren angerufen.

Nach der Einführung der Reformation bemühten sich die Hanauer vergeblich, das Kloster einzuziehen. Erst 1561 verkaufte die Abtei Limburg ihr Rechte in Hanau. Schon wenig später, nämlich 1564, eskalierten die Streitereien mit der Burg Friedberg wegen d er Wiesen, die dem Kloster gehört hatten, aber auf dem Territorium der ehemaligen freien „Reichsgrafschaft“ Kaichen lagen.

Ein Geschichtsschreiber notiert im 18. Jahrhundert: „Es ist leider in der ganzen Wetterau bekannt und zeugen davon die an beiden höchsten Reichsgerichten gesammelten Acta überflüssig, daß den Herren und Grafen zu Hanau niemals zu viel gewesen, auch unter dem schlechtesten herbei geführten Vorwand in fremde Territoria einzufallen und Untertanen gefänglich hinweg zu schleppen.“

Um 1564 zu verhindern, daß die Burgmannen wieder einfach das Heu von den der Naumburg gehörenden Wiesen in der Gemarkung Heldenbergen und Kaichen holen, wurde beschlossen, zur Bewachung zwei Zehntwärter aufzustellen und alle wehrhaften Männer in der Umgebung in Bereitschaft zu versetzen, um gegebenenfalls mit Gewalt gegen die Friedberger vorzugehen. Die Friedberger nahmen jedoch kurz entschlossen die Zehntwärter gefangen.

Hanau übte Vergeltung und nahm den Pfarrherrn von Heldenbergen „als den Rädelsführer unter den Nachbarn“ in Gewahrsam. Nachdem die Zehntwärter und der Pfarrherr neun Tage im Turm zugebracht hatten, die einen in Friedberg, der andere in Windecken, kam es zu einer Einigung und man ließ alle drei laufen.

Im folgenden Jahr, am 18. Juni 1565, hatten die Friedberger bei Dunkelheit 14 Morgen Naum­burger Wiese gemäht. Von der Obrigkeit erhielt der Windecker Keller den Befehl, das abgemähte Gras auf die Naumburg bringen zu lassen, um es dort zu dörren. Zum Schutz wurden wieder alle wehrfähigen Männer aus den Ortschaften, Eichen, Erbstadt, Ostheim und Marköbel in Bereitschaft versetzt. Auch die Windecker Bürger griffen zu den Waffen und sogar die Nachbarn aus dem Büchertal und vom Bornheimer Berg sollten beim „Glockenstreich“ erscheinen. Die Friedberger hatten von der Sache Wind bekommen und griffen nicht ein, so  daß  die Hanauer zu ihrem Heu kamen.

Wie Heimatforscher Quillmann in seinem Aufsatz schildert, nahmen die Streitigkeiten auch in den Folgejahren ihren Lauf, bis schließlich der Windecker Schultheiß vom peinlichen Halsgericht zu Kaichen zum Tode durch das Schwert verurteilt wurde. Erst im Jahr 1569 erfolgte eine Regelung der strittigen Grenzen.

Im Jahr 1567 erfolgte im Rahmen der Erbauseinandersetzungen die Teilung der Landgrafschaft Hessen. Windecken kam zur Landgrafschaft Hessen-Kassel und Heldenbergen kam zur Landgrafschaft Hessen-Darmstadt. Im Jahre 1803 wurde der Landesherr von Hessen-Kassel zum Kurfürst erhoben und 1806 wurde Hessen-Darmstadt zum Großherzogtum Hessen (08.07.2016).

 

 

Windecken Rundgang

 

Ortseingang von Norden:

Vom Parkplatz an der Willi-Salzmann-Halle (nördlich des Stadtkerns) geht man in der Heldenberger Straße über die Nidderbrücke und kommt erst über eine Insel und die Nidder zur Stelle, wo das Heldenberger Tor stand. Rechts ist - noch außerhalb der Stadtmauer - die Nidder-Mühle, die einmal den Augustinern gehörte.

Innerhalb der Stadtmauer steht rechts die ehemalige Knaben- und Lateinschule. Es folgt die frühere Durchgangsstraße. Als diese jedoch durch den Bau des Kirchturms verengt wurde, verlegte man die Durchgangsstraße über den Markt. Man geht rechts an der Kirche vorbei. Rechts stand ursprünglich das Beinhaus, später die Mädchenschule. Dahinter sieht man Reste der Ringmauer. Südlich der Kirche war der kleine Friedhof.

 

Kirche:

In einer Urkunde aus dem Jahre 1282 wird erstmals eine „capella nova“ (neue Kapelle) erwähnt (es muß also einen Vorgängerbau zur heutigen Kirche gegeben haben). Sie gehörte zur Pfarrei Ostheim, deren Patronat sich der Bischof von Bamberg vorbehalten hatte. Der Fronaltar der neuen Kapelle war dem Heiligen Cyriakus geweiht. Daneben gab es eine Reihe weiterer Altäre (Georg, Katharina von Alexandrien, Maria, Crucis-Altar, Trinitatis, Andreas). Die Kirche hatte eine eigene „Präsenz“‑Kasse. Später wird die Kapelle auch als „untere Kapelle“ bezeichnet, da es im Kapellengarten auf dem Schloß noch eine Petrus-Kapelle gab.

Windecken war noch 200 Jahre nach dem Erhalt der Stadtrechte eine Tochterkirche von Ostheim. Seit dem 5. Dezember 1489 wurde die Gemeinde selbständig und die Kapelle zur Stadtpfarrkirche. Der kräftige spätgotische Turm von 1484 diente ehemals als Wehrturm zur Sicherung des benachbarten Nidder-Überganges. Patrone wurden die Grafen von Hanau. Schon wenige Jahre später wurde die Kirche umgebaut und erweitert, denn das Gebälk über dem Chor stammt aus den Jahren 1497/99. Die heutige Kirche aus den Jahren 1495‑1497 war eine dreischiffige Erweiterung eines älteren Baues (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 262). Über dem Triumphbogen steht die Jahreszahl 1495, am Turm 1484. Seit 1540 ist die Kirche evangelisch.

Der gemauerte Teil des Turms ist 35 Meter hoch. Das ursprüngliche, 20 Meter hohe Spitzdach (mit vielleicht achteckigem Grundriß und vier Spitzgiebeln) wurde 1706 durch einen 23 Meter hohen dreifachgestuften Haubenhelm ersetzt. Die Eingänge sind von 1597 und 1700. Die kleine Eingangstür an der Südseite des Chorraumes weist die Jahreszahl 1603 auf.

Die alte  Kirche wurde nachträglich um die Seitenschiffe erweitert. Dabei beließ man aber das alte Dach auf der Kirche und überbaute es mit einem neuen. Dadurch hat die Kirche heute das älteste Gebälk weit und breit. Die historischen Teile der Dachkonstruktion über dem Hauptschiff, von denen der gotische Teil vermutlich aus dem Jahren 1265/68 stammt (chronodendrologisches Gutachten), blieben erhalten. Auch heute umwölbt der neue Teil dieses Dokument mittelalterlicher Zimmermannskunst. Ein Modell des Dachstuhls ist in der Kirche aufgestellt bzw. im Museum.

Im Dreißigjährigen Krieg wurde die Kirche stark beschädigt, so daß lange Zeit kein Gottesdienst in ihr gehalten werden konnte. Die letzten Schäden wurden erst 70 Jahre nach dem Friedensschluß beseitigt. Die älteste der vier Glocken wurde 1631 von Putron in Frankreich gegossen. Am 3.8.1660 läutete sie zum ersten Mal. In beiden Kriegen wurden drei der vier Glocken eingeschmolzen und jeweils nach Kriegsende ersetzt. Nach 1670 wurde erstmals eine Orgel angeschafft.

Den Triumphbogen, der Kirche und Chorraum trennt, ziert ein Schlußstein mit dem Wappen der Stadt Windecken. An ihm ist auch der Torso eines Kruzifixes aus dem 13. Jahrhundert angebracht. An der Innenausstattung ist weiterhin bemerkenswert der Kanzelfuß und Gemälde aus dem 17. Jahrhundert.

Hinter der Kanzel befindet sich eine Tür von 1603. Die Fenster hinter der Empore zeigen Petrus und Paulus. Auf der nördlichen Empore hängen Ölgemälde. An der Nordseite der Kirche ist noch ein Bogen mit einem Sakramentshäuschen, der ein „Heiliges Grab“ darstellte. An der Außenseite der Westtür ist ein Hochwasserzeichen. Im Jahre 1895 wurde der langgestreckte Chorraum durch eine Orgelempore ausgebaut. Im Jahre 1895 wurde durch die Firma Ratzmann, Gelnhausen, eine Orgel aufgestellt, die 1974 durch die Firma Walcker, Hausen, renoviert wurde.

Nach sechs Jahren Sanierungsarbeiten wurde die Stiftskirche im September 2001 wieder eröffnet. Die Wände sind in Altrosa gehalten. Die Säulen, die die Empore tragen, blau‑grün marmoriert. Nichts von der Schwere frühgotischer Baukunst. Als klar wurde, daß die Kirche renoviert werden soll, war man sich einig, daß der neue Raum heller und freundlicher wirken sollte. Der Umbau, der ursprünglich wegen Einsturzgefahr des Dachstuhls vorgenommen wurde, hat der Kirche ein komplett neues Gesicht gegeben.

Auch der Innenraum sollte nach historischen Vorgaben gestaltet werden. Um an diese Befunde heranzukommen, mußten die Schichten der zum Teil jahrhundertealten Verputze abgelöst werden. Heute sieht der Kirchenraum nun so aus, wie es die rekonstruierte Fassung aus dem Barock vorgegeben hat. Die Gesamtkosten für das Mammutprojekt liegen bei etwa drei Millionen Mark.

Das nördliche Seitenschiff wurde zu einem kleinen Kirchensaal umgebaut, das früher der Gemeindearbeit diente. Jetzt ist dort eine kleine Küche installiert, spendiert von einem Windecker Küchenstudio. Das südliche Seitenschiff ist mit in den Kirchenraum einbezogen. Im Chorraum ist eine moderne Konstruktion auf Leinwand, „Jesus Christus“, angebracht, die der Windecker Künstler Frank Leissring für den Altarraum geschaffen und der Kirche gespendet hat - ein schöner Kontrast zu dem alten Torso, der das Nebeneinander vergangener und neuer religiöser Kunst dokumentiert.

Zur Wiederöffnung der Stiftskirche gibt die Stadt Nidderau in ihrer Reihe „Nidderauer Hefte“ den zehnten Band heraus. Der Sammelband behandelt mehr als die Baugeschichte von Windeckens evangelischer Kirche. 23 Autoren schreiben darin über diese Kirche und darüber, welche Bedeutung sie für die Stadt hat. Die meisten sind an den sechs Jahre langen Bauarbeiten beteiligt gewesen, wie die Ingenieure Matthias und Friedel Frischmuth, die Kunsthistorikerin Jutta Groeneveld, der Künstler Frank Leissring.

 

Am Kirchplatz steht das 1717 erbaute reformierte Pfarrhaus, das von dem Musikerehepaar Bruggaier genutzt wird. Es erhielt 2018 den Denkmalpreis des Landes für die Sanierung. Das Fachwerk wurde saniert, die Sprossenfenster wurden erneuert, das Dach ausgebessert, Lehmputz aufgebracht und die alten Holzdielen wieder freigelegt. Der Dachstuhl ist aber nicht von der gleichen Art wie die Kirche. Ein Fenster ist noch von 1850. Die breiten Dielen wurden wieder freigelegt. Putzreste in grün und blau wurden gesichert.

 

 

Museum:

Am Eingang der Hospitalstraße steht links das ehemalige Hospital. Es besteht noch die Hospital- und Armenkasse als kirchliche Stiftung.  Heute ist Haus  Heimatmuseum. Es zeigt zum Beispiel eine ganze Reihe von Ofenkacheln, die Widwalt Hübner, der Eigentümer des Windecker Schlosses, in einem nach dem Dreißigjährigen Krieg mit Schutt verfüllten Zwischengeschoß in langen Jahren ausgegraben hat. Die Kacheln müssen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammen. Die Fundstücke sind mindestens zwei verschiedenen Öfen zuzuordnen sind. Dafür sprechen die unterschiedlichen Techniken ‑ neben grün und schwarz glasierten Kacheln gibt es auch „graphitierte“, also mit Graphit überpinselte, neben reinen Model‑Abdrücken auch Kacheln, die in „lederhartem“ Zustand aufs Feinste nachgeschnitten wurden. Von einer ganzen Reihe von Kacheln ‑ zumeist mit allegorischen Frauenbildern oder mit Symbolen ‑ sind die Hafner, also die Produzenten, namentlich bekannt. Eine besonders qualitätvolle Serie wird Meister Vest zugeschrieben. Das Museum zeigt auch eine putzige kleine Hundepfeife (in Form eines Hündchens), Griffel und Tintenfäßchen. Dazu beispielsweise mittelalterliche Münzen.

 

Am Ende der Hospitalstraße stand rechts der Schlitzer-Hof, einer der drei  Burgmannenhöfe in Windecken, der aber heute mit verschiedenen Häusern überbaut ist. Dort ist auch der „Malerwinkel“ mit dem schönen Blick zurück zur Kirche. Am Ende der Hauptstraße an der Stelle der heutigen Apotheke stand das lutherische Pfarrhaus mit dem Pfarrgarten. Im Jahre 1683 wurde neben der reformierten eine lutherische Pfarrei gegründet, die seit 1722 eine eigene Kirche hatte,  die im 19. Jahrhundert wieder abgebrochen wurde (Die Katholiken bilden heute eine Gemeinde, die auch Roßdorf, Eichen und Ostheim umfaßt. Sie haben in Windecken die Kirche „St. Maria“ von 1955/56).

 

Reinhardskirche:

Die lutherische Reinhardskirche wurde in den Jahren 1719 bis 1722 errichtet. Grundsteinlegung war am 9. November 1719. Bei der Grundsteinlegung war Graf Johann Reinhard mit seiner Gattin und anderen Gästen anwesend. Dehio nennt die Einweihung gleich in zwei Chronikbänden. Dabei legte er die Feier jedoch einmal auf den 5. Oktober, einmal auf den 5. November 1722. Im Rechnungsbuch steht, daß am 6. Oktober die Orgel für die Kircheneinweihung von der alten in die neue Kirche gebracht wurde. Die Kirche sollte nur etwa 100 Jahre alt werden. Als es im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts überall im Hanauer Raum zur Vereinigung der lutherischen und der reformierten Gemeinden kam, wurde das lutherische Kirchengebäude für die Gemeinde überflüssig. Es wurde schon in den 30er Jahren des gleichen Jahrhunderts abgebrochen.

Baubeschreibung: Die Abbildung nach einem alten Aquarell, die sich bei Zimmermann findet, zeigt die Reinhardskirche neben dem heute ebenfalls verschwundenen Kilianstädter Tor. Deutlich erkennbar ist der Kirchturm. während das Schiff von der Stadtmauer und einem Baum fast vollständig verdeckt wird. Nur Teile des Daches bleiben sichtbar. In einem Stadtplan von Windecken aus dem Jahr 1727, ebenfalls abgedruckt hei Zimmermann, findet man den gestrichelten Grundriß der Kirche eingezeichnet.

Es muß eine einfache Saalkirche gewesen sein, wie sie überall im Hanauer Gebiet zu dieser Zeit entstanden sind. Der gestrichelte Grundriß im Stadtplan deutet einen 3/8 Schluß an. Im Osten war der Kirche ein Turm vorangestellt. Hier sind auf dem Aquarell Rundbogenfenster zu erkennen, die eine Rahmung zeigen. die wahrscheinlich aus Sandstein war. Das Aquarell legt verputztes Mauerwerk nahe, das Rechnungsbuch aus dem Marburger Staatsarchiv läßt auf Ziegel als Baustoff schließen. Gleich mehrere Belege erwähnen gebackene Steine. Das Aquarell zeigt die beiden Obergeschosse des Turmes mit versetzt angeordneten Eckquadern, die wohl aus Sandstein waren. Die dreiteilige Turmhaube findet sich ähnlich bei der evangelischen Stadtkirche, die damals der reformierten Gemeinde als Gotteshaus diente. Diese aus dem Mittelalter stammende Kirche hatte 1706 eine neue Haube erhalten. Beide Kirchen waren wohl schiefergedeckt. Der Kontrakt mit dem Steindeckermeister hält Schieferdeckerarbeit an Turm und Dach der Reinhardskirche fest. Zum Schluß sei noch auf die beiden Dachgauben verwiesen, die auf dem Aquarell gerade noch zu sehen sind.

Neben der lutherischen Kirche stand das Kilianstädter Tor. Davor war der Haupt-Gießplatz der Glockengießerei Bach, dann kommt der jüdische Friedhof, der 1450 gegründet wurde. In der Eugen-Kaiser-Straße (früher Hauptstraße) Richtung Markt steht links Nummer 6 ein kleines Fachwerkhaus (gelb gestrichen), das dem Weißbäcker Meister Lindt gehörte. Einer seiner Nachkommen hat 1879 in Bern die Conche erfunden, mit der es möglich wurde, die feine, zartschmelzende Schweizer Schokolade herzustellen.

 

 

 

Teile der Famlie sind aber auch in Windecken geblieben und haben bis 1900 in der heutigen Eugen-Kaiser-Straße 18 eine Bäckerei betrieben. Im 2010 widmeten Stadt, Kulturring und Gewerbeverein ihrem berühmten Sohn eine Ausstellung mit dem schönen Namen „Nidderau von seiner Schokoladenseite“.

 

 

Familie Lindt:                                                                                                           

Das frühere Haus der Familie Lindt steht in der heutigen Eugen-Kaiser-Straße 18 in Windecken (nicht die Durchgangsstraße, sondern der östliche Zweig, der zum Markt führt). Aus diesem Haus stammt auch Martin Lindt, der auswandert und 1768 das Bürgerrecht in Nidau im Kanton Bern erwirbt. Sein 1855 geborener Urenkel Johann Rudolf, Sohn eines Apothekers und Confiseurmeisters, erfindet 1879 die Conche, eine Maschine zur Herstellung einer feinen, zartschmelzenden Milchschokolade.

Die Geschichte der Lindens oder Lyndens lässt sich im Ort bis Ende des 15. Jahrhunderts zurückverfolgen. Die Familie brachte es im Lauf der Generationen als Ärzte und Apotheker zu Ansehen, der Nachname hatte sich schon in „Lindt“ gewandelt, als Johann Lindt um 1750 Hessen verließ und in die Schweiz auswanderte. Er war der Urgroßvater von Rudolf Lindt, der sich später Rodolphe Lindt nannte, weil es frankophon irgendwie schicker klang. Es ist nicht bekannt, ob Rodolphe Lindt jemals in Windecken war. Sicher ist aber, daß der Erfinder der Conche seine Wurzeln in Windecken hat.

Die Genealogie der Familie Lindt in der Firmengeschichte des Unternehmens Lindt & Sprüngli mit folgendem Text: „Urkundlich belegt stammt die Bernber Familie Lindt aus der Stadt Windecken“. Im Windecker Kirchenbuch für das Jahr 1605 befindet sich unter den Trauungen folgender Eintrag: „14.April hat  Hans  auch Hans S. Linden  zu Ostheim  Sohn, Hochzeit gehalten mit Jungfr. Cathrinen , weyland Simon Lindes gewesenen Benders allhie Tochter.“ Die Nachkommen dieser Eheleute sind fast ausnahmslos Bender und Bierbrauer. So auch der 1690 in Windecken geborene Johann Ludwig Lindt. Dessen Sohn Martin wird Apotheker, wandert aus und erwirbt 1768 das Bürgerrecht in Nidau im Kanton Bern.

 

Die herkömmliche Schokolade war sandig-brüchig, rauh und etwas bitter, und man mußte sie mühsam von Hand in eine Form pressen. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war es kein Genuß, Schokolade zu essen, sondern eher eine mehlige Angelegenheit, krümelig und bitter dazu. Das Problem war bis dahin, dass in der Masse aus Zucker, Kakao und Milchpulver eine kleine Restfeuchtigkeit blieb, die den Zucker nach dem Mischen wieder kristallisieren ließ - und schon bröselte alles vor sich hin.

Johann Rudolfs Bruder August, auch ein Apotheker, hatte 1879 in Bern nämlich herausgefunden, daß man zum Verfeinern der Schokoladenmasse, die mit dem Zucker kristallisierte, überschüssige Flüssigkeit austreiben mußte. Dies konnte in der von Rodolphe Lindt erfundenen Conche - einer beheizbaren Horizontal-Reibemaschine, die eigentlich zur Homogenisierung der Komponenten gedacht war - durchgeführt werden.

Der 1855 geborene Rudolf, der Sohn eines Apothekers und Confiseur­meisters, erfindet 1879 die Conche zur Herstellung einer feinen, zartschmelzenden Milchschokolade, die nach dem Erkalten erstarrt. In der Conche erwärmt die Reibung von Granitwalzen die süße Masse und macht sie flüssig. Das Kneten und Durchlüften senkt die Restfeuchte auf weniger als ein Prozent, es entsteht eine flüssige Köstlichkeit, die auf der Zunge vergeht. Allerdings dauert dieser Vorgang stundenlang, auch heute noch.

 

Gerüchte behaupten, Lindt habe seine Entdeckung nur zufällig gemacht, weil er übers Wochenende vergessen hatte, die Maschine abzuschalten. Sie soll 72 Stunden vor sich hin gewalkt haben. Es ist aber keineswegs so - wie die Legende erzählt - daß Lindt vergessen hatte, abends die Conche auszuschalten und daß es sich bei dieser Art von Schokolade um ein Zufallsprodukt handelt. Verfahrenstechnisch gesehen nutzte er die gleiche Technik wie seine Windecker Vorfahren zur Herstellung von Latwerge, einem Pflaumenmus. Und auffallend ist in diesem Zusammenhang, daß es Apotheker waren, die sich mit diesem Verfahren befaßt haben, denn früher wurden Medikamente eingepackt in Latwerge verabreicht. Ein weiterer Schritt zur Verfeinerung der Masse war die Zugabe von Kakaobutter während de- 72-stündigen Reibens des Materials.

Zur Geschichte der Schokolade ist festzuhalten, daß im Jahr 1820 die spanischen Seefahrer die Kakaobohne aus dem tropischen Amerika nach Europa brachten. Zwischen 1610 und 1635 kam die Kakaobohne nach Deutschland. Das Theobromin im Kakao hat ähnlich dem Koffein eine leicht anregende Wirkung und wurde deshalb dem Wein zugesetzt.  Anfang 1800 gelang dem Niederländer van Houten die Entölung der Kakaobohne, und 1845 gibt es erstmals Schokolade in fester Form in einer Sprüngli-Confiserie an der Marktgasse in Zürich (Hanauer Anzeiger 16.06.2016).

 

Hofhaus:

Durch den kleinen Gang geht es weiter in die heutige Hofhausstraße. Rechts kommt man zu einem großen Hof, dem Hofhaus. Er gehörte dem Ehepaar Dufay. Um 1600 kam Jean du Fay, ein Glaubensflüchtling aus Valenciennes in den spanischen Niederlanden nach Windecken. Er war Grobgrünmacher. Grobgrün ist ein Wollstoff, bei dem die Kette fein und der Schuß grob ist. Der Name Grobgrün leitet sich her von „grosgrain“, das „grob gerippt“ meint. Später kümmerte sich das Ehepaar um Waisenkinder. Er wurde dann vom Hospital zum Heiligen Geist in Frankfurt übernommen, das in Windecken etwa 60 Hektar Liegenschaften hatte. Heute erinnern noch die einmalig schönen Wappen an den Torpfosten des Anwesens an die Familie du Fay. Das Haupthaus hat einen großen Keller, Treppengiebel und gotische Fenster. Der Turm an der Rückseite wurde später angebaut. Auch das Nebengebäude hat einen Staffelgiebel und ein altes gotisches Fenster. Hinter dem Haus ist ein großer Garten aus dem 17. Jahrhundert in der Ecke der Stadtmauer (Naumburger Straße 9 - heute Pfarrgarten - und Hofhausstraße 25).

 Brunnenstraße:

Geht man die Hofhausstraße in Richtung Osten, so kommt man rechts in einer Gasse zur ehemaligen Schule aus dem 19. Jahrhundert. Rechts steht ein ehemaliges Gebäude der Benediktiner, aus  dem die Frau des Kühlschrankherstellers Linde stammt. Links von der Schule steht die Stadtschänke, die früher eine Aufbauklasse der Schule beherbergte. Am Ende der Straße ist der Pfuhlhof, ein weiterer Burgmannenhof. Die Höfe haben hier meist eine L-Form. In der Brunnengasse steht das kleinste Fachwerkhaus Windeckens. Außerdem findet sich an dieser Ecke ein Brunnen, der aber erst neu errichtet wurde.

 

Marktplatz:

Der Weg führt weiter zum Marktplatz. Das sehenswerteste Gebäude in der schmucken Altstadt von Windecken ist zweifellos das spätgotische alte Rathaus mit seinem auffälligen Staffelgiebel (in: Hanau Stadt und Land, Seite 136). Es hat dem kleinen Marktplatz die Giebelseite zugewandt, so wie es noch viele Fachwerkhäuser auf schmalem Grundriß tun. Die gotischen Spitzbogenarkaden im Erdgeschoß nahelegen, dass zumindest Teile des Hauses noch älter sein könnten. Hier unten ging es früher in eine offene Markthalle, heute ist ebenerdige Bereich mit Fenstern und Türen versehen und in den Innenraum integriert.

In die Erdgeschoßhalle führen zwei Portale mit strengen Spitzbögen. Den Mittelteil der Giebelfront beherrscht ein dreiteiliger Maßwerkerker, der im Mittelfeld das Hanauer (Windecker) Wappen zeigt. Ein genauerer Blick lohnt sich auf den kunstvollen Erker im ersten Stock. Er diente den Ratsherren früher wohl dazu, das Geschehen auf dem Platz im Blick zu behalten und bei Neuigkeiten von dort zu verkünden. Das Wappen, flankiert von spätgotischem Zierrat, zeigt die schon damalige Zugehörigkeit zur Grafschaft Hanau-Münzenberg. Unter einem flatternden Schwan und einem verzierten Helm drei Sparren, so nennt man in der Wappenkunde diese spitzen Balken - und die haben es von Hanau aus weit gebracht. Durch geschicktes Heiraten, Erben und sonstigen Familienklüngel sind die Wappen-Zacken bis in die Pfalz, Baden und sogar ins Elsass gekommen. Ob im Emblem des Landkreises Südwestpfalz, der Gemeinde Pirmasens-Land oder des ehemaligen Kreises Kehl, wo immer drei rote Sparren auf goldenem Grund auftauchen, hatten die Hanauer Grafen oder ihre Nachfahren die Finger im Spiel.

Auf dem Wappen der zusammengelegten Stadt Nidderau müssen sich die Zacken den Platz übrigens mit einem Reichsadler teilen, den Heldenbergen als ehemaliger Teil der Burggrafschaft Friedberg brachte. Und auch das alte Rathaus in Windecken hat seine Funktion verloren, nachdem im Niemandsland zwischen den beiden größten Stadtteilen ein grässlicher Neubau bezogen wurde. Belohnt wurden allein die Leseratten, denn seit 1996 logiert hier die Stadtbücherei im wahrscheinlich schönsten Bibliotheksgebäude ganz Hessens.

Die beiden den Erker begleitenden Fenster mit einem steinernen Kreuzstock haben einen waagrechten Sturz, genauso wie das dreiteilige Fenster des Erkers und die Fenster des Giebels. Diese Formen kommen erst in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts vor.

Die nördliche Markseite hatte früher auch offene Hallen für Verkaufsstände. Rechts auf der Südseite ist die Nummer 4, die „Bäckerei Philippi“ aus dem 15. Jahrhundert, errichtet in Ständerbauweise (nicht Fachwerk pro Stockwerk, sondern durchgehende Balken von unten nach oben).

 

Glockenstraße und Stadtmauer:

An der Ostseite des Marktplatzes geht man nach rechts in die Glockengasse Richtung Kochbrücke. Hier wird wieder die Katzbach gekreuzt, die als Kanal unter der Kanalstraße entlanggeführt wird. Am Nordufer des Baches stand die alte Stadtmauer. In Richtung Westen am Haus Nummer 2 sieht man noch Fachwerkbalken, die rechts direkt auf die ehemalige Stadtmauer Mauer stoßen. Heute steht hier ein Nebengebäude, das die Breite der Mauer und des Wehrgangs heute noch sichtbar macht.

Die Archäologin Dr. Gretel Callesen vermutet, daß die mittelalterliche Wehranlage wesentlich enger war als bisher bekannt. Bauarbeiten hinten auf dem schmalen Gelände der Bäckerei Philippi brachten sie auf die Spur. Am Südende des Grundstücks stieß man auf den Graben der im Ortskern noch bis Beginn des Jahrhunderts offenen Katzbach. Auffallend waren die Sandstein‑Mauern, die den Graben nördlich und südlich faßten. Sie zogen sich in Ost‑West‑ Richtung über die Breite des sechs Meter schmalen Grundstücks. Die nördliche 60 bis 70 Zentimeter‑Mauer könnte zu einer alten Grundstücksbegrenzung gehören.

Die südliche Mauer aber könnte die alte Stadtmauer sein. Sie bestand aus zwei, durch einen Spalt von acht Zentimetern getrennten Teilmauern und könnte insgesamt etwa 1,30 Meter stark gewesen sein. Auf dem Nachbargrundstück ist aus dem Garten eine Mauer der gleichen Art entfernt worden.

Folgt man dieser angenommen Mauerflucht nach Osten springen scheinbar unmotiviert an zwei Stellen Häuserrückwände in die sonst klare Mauerflucht der Kanalgasse zurück. Die unverkleidete Wand ist in der Art wie bei Philippi aus Sandstein gemauert. Auf einem noch weiter östlich liegenden Grundstück steht eine schmale Sandsteinmauer. Es stellte sich aber heraus, daß sie am Fundament wesentlich massiver ist. Und bei Reparaturen am Kanal kamen 1990 in der Kanalgasse auch Sandstein‑Quader aus „Mauer-Versturz“ (Callesen) zum Vorschein.

Letzten Anstoß, hier an eine bisher unbekannte Wehrmauer zu denken, gab Callesen ein Blick in den von Historiker Ernst J. Zimmermann nach Grundbüchern rekonstruierten Plan Windeckens von 1727. Dessen Zuverlässigkeit ließ sich bei Grabungen am Ostrand der Stadt erhärten. Enttäuschend verlief aber 1993 die Untersuchung von Resten der ebenso von Zimmermann verzeichneten Stadtmauer beim Lehnhof am Südrand Windeckens. Mauern gab es zwar. Doch es wurden keine Reste der hier vermuteten, mittelalterlichen Wehranlagen angetroffen.

Hier hakt Callesen ein: Diese Vermutung setze stillschweigend voraus, daß Zimmermanns Zeichnung die mittelalterliche Stadtmauer wiedergibt, daß also die Stadtbefestigung 1727 jener von vor dem 30jährigen Krieg entspricht. Da hat sie ihre Zweifel und wirft einen zweiten Blick auf den Plan: „Die von Zimmermann aufgezeichnete Stadtmauer umschließt eine ungewöhnlich große Fläche mit unbebauten Arealen, eine im Mittelalter kaum übliche Art der Befestigung einer Stadt.“

Die Karte zeigt, daß die Grundstücke innerhalb des Katzbach‑Bogens überaus eng sind (wie das von Philippi), ganz im Gegensatz zu den südlich davon gelegenen. Ist die sich nun abzeichnende Mauer wirklich Teil der mittelalterlichen Wehranlage, löste sich ein altes Historikerproblem: 1717 berichtete ein Hanauer, er habe an einem Windecker Stadttor die Jahreszahl 1257 gelesen. Daß Windecken 33 Jahre vor Erhebung zur Stadt bereits eine aufwendige Mauer gehabt haben soll, das bezweifelten Kenner füglich. Erklärt wäre damit auch, warum eine 1360 ausgestellte Urkunde von der „ringsmuren“, also der Ringmauer spricht. Das passe doch viel eher zu einem Mauerzug, dem die Katzbach folgt. Ein Parallelfall wäre Hochstadt. Heute noch ablesbare Straßen-Engstellen am Kernstadt‑Rand ‑ Glockenstraße, Ostheimer Straße an der Kanalgasse, Eugen-Kaiser‑ Straße hinterm Rathaus ‑ ließen sich eventuell als Tore der mittelalterlichen Schutzmauern erklären.

 

Glockengießerei Bach:

Die Straße steigt heute steil an, weil das Gelände aufgefüllt wurde, um über die Stadtmauer zu kommen. Rechts stand der Pflücksburger Hof, wieder ein Burgmannenhof, in dem später die Glockengießerei Bach untergebracht war. In der Glockengasse waren die Gießhütten der Rot- und der Gelbgießer. Der erste Rotgießer kam 1748 nach Windecken. Es war der Glockengießer Johann Peter Bach, der die bis 1891 bestehende Bach`sche Glockengießerei begründete. Gegossen wurden etwa 400 Glocken von vier Generationen. Die größte Glocke wog 3.000 kg, sie befindet sich in St. Peter in Mainz. Die auch hier gegossenen Glocken auf dem Turm der Stiftskirche wurden im Ersten Weltkrieg eingeschmolzen.

 „Zum Gebet ruf ich ‑ vor Gefahr warn ich. In Gott bitt ich, mach die Gemeinde gluecklich. Ph. H. Bach Glocken­gieser zu Windecken ‑ Gemeinde Lind­heim“. Die Inschrift liest, wer einmal rund um die Glocke geht, die auf Augenhöhe in einem Gestühl zwischen Windeckens Ebertstraße und Ostheimer Straße hängt. Der Verkehrs‑ und Verschönerungsverein hat sie 1959 angekauft, als am Ort außer einer ramponierten Feuerspritze kein Produkt mehr von der über 150 Jahre lang wichtigs­ten Windecker Firma zeugte.

Philipp Heinrich Bach war Enkel von Jo­hann Peter Bach, dem „Dynastie­gründer“. Der 1722 in Hungen gebo­rene Johann Peter zog um 1748 nach Windecken und gründete den Betrieb vor dem Kilianstädter Tor am jüdischen Fried­hof. Später war dort der städtische Bau­hof, heute steht dort ein Wohnhaus.

Bereits als Johann Peter zwei Jahre alt war, goß Johann Peters Großvater, der Feuerspritzenbauer Mathias Bach, für „zwey Hundert und Vierzig Gulden an geld, Franckfurter Wehrung“ der Stadt Windecken eine Spritze. Die Familien Bach und des damaligen Windecker Rats­mitglieds Spielmann sind sich dabei wohl freundschaftlich näher gekommen: Johann Peter heiratete die begüterte Bürger­tochter Anna Katharina Spielmann.

Der Heimatforscher Rolf Hohmann, der heute eine Bachglocke im Briefkopf seines Geschichtsvereins „Windecken 2000“ führt, kam früh zu sei­nem Thema. Obzwar ohne formale Ausbil­dung leite­te er bald das Heimatmuseum, nachdem er in den Verkehrs‑ und Verschönerungs­verein kam. Und sichtete den „wüsten Haufen“ des Stadtarchivs, den er erst ein­mal bei seinem Arbeitgeber mit einem Ge­bläse habe trocknen lassen, um Schim­meln zu verhindern. Der heute 71‑Jährige konnte in puncto Bach auf Vorarbeiten aufbauen, ganz be­sonders schätzt er die 1927 abgeschlosse­ne Präzisionsarbeit von Heinrich Wenzel, der alle ihm bekannten Glocken maßstabs­gerecht abzeichnete, ihre Aufschriften, Tonlage sowie die Maße von „Mund“ bis „Krone“ wiedergab. Andere Historiker er­gänzten die Listen, doch ein Begeisterter wie Rolf Hohmann entdeckt bis heute noch Neues. Ohne seine stets mit Bitten um Hinweise versehenen Veröffentlichun­gen in Heimatzeitungen wäre manches die­ser Kunstwerke bis heute nicht zugeord­net. Stolz ist Hohmann, der sich mit einem Tick Selbstironie bisweilen als „Bachfor­scher“ tituliert, auf die (Wieder‑) Entdeckung der zuvor nirgends verzeichneten Bachglocke in Burgholzhausen. Er hat aber auch verschüttete Erinnerung daran geweckt, daß Erbstadt eine Bachglocke be­sitzt oder Heldenbergen und Hüttengesäß.

Hohmann stellt nach und nach viele sei­ner mittlerweile auf zwölf Ordner ange­wachsenen Akten auf seine Homepage „www.Geschichtsverein‑windecken.de“. Er setzt weiterhin Himmel und Hölle in Bewe­gung, um dieser vier Generationen wäh­renden Unternehmersaga letzte Geheim­nisse zu entreißen.

Warum ‑ uneheliches Kind oder Griff in die Familienkasse etwa? ‑ hat sich Bru­der Johannes aus der vierten Windecker Glockengießer‑Generation 1854 nach Ame­rika „abgemacht“ und dort erst mal eine Rockefeller geheiratet? Und was für fein­geistige Werke brachten Marie Louise Gelpke, die Frau seines Bruders Karl An­dreas, wohl ins Reclam’sche „Lexikon der deutschen Dichter und Prosaisten“?

Ein anderes Problem glaubt Hohmann gelöst zu haben ‑ die Frage, die am An­fang jeglicher Unternehmung steht: Wo­her das Startkapital nehmen? Auch die gutsituierte Heirat hatte Johann Peter of­fenbar nicht genug Flüssiges verschafft, das teure Rohmaterial und die nötigen Ge­räte zu beschaffen. So behalf er sich ganz modern: auf Pump.

Das weiß der Geschichtsdetektiv, seit er im Staatsarchiv Marburg einen dicken Briefwechsel von 1757/8 zwischen den Re­gierungen von Kurmainz und Hanau ent­deckte: Der Hanauer Münzmeister, wel­cher Bach das Material vorgestreckt hat­te, ließ im Hafen das Schiff mit dem Ge­läut fürs Mainzer Peterstift „mit Arrest be­schlagen“, also anketten, bis das Geld zu­rück­gezahlt war. Der arme Bach aber kam seinerseits nicht an die Bezahlung seiner Ware: Mainz bestand darauf, ihn nicht vor dem Probeläuten zu entlohnen. Nach viel Hin und Her half er sich aus der existenzgefährdenden Liquiditätslücke, indem er alle Äcker seiner Frau verpfändete.

 Bach hat auch die Glocken auf St. Peter zu Mainz gegossen. Sie tragen die Inschrift: „In Gottes Namen floß ich. Johann Peter Bach zu Windecken goß mich. MDCCLVII“ (1757).

 

Beim Glockenguß in Windecken (Heinrich Bach):

Windecken, Ende Juli 1881. Glocken sollen heute gegossen werden, ein größeres Geläute, draußen im Gießhaus vor dem Kilianstädter Tor. Kein Prachtbau, eine scheuerähnliche Halle. Der Gießofen, aus feuerfesten Back­steinen erbaut, steht darin. Vor ihm liegt die Damm­grube, vier auf fünf Meter groß und zwei Meter tief. Vier Glocken­formen sind gußbereit in ihr vergraben. Nur deren Lehmröhren, je zwei, ragen aus der Erde hervor. Windpfeifen heißen sie, weil sie beim Gusse die Luft aus dem Inneren der Formen entweichen lassen. Ein aus Steinen und Lehm hergerichteter Kanal verbindet die For­men mit dem Gießofen. Seit dem frühen Morgen wird er stark geheizt. um die Metallmasse von nahezu neunzig Zentnern zu schmelzen, vier Fünftel Kupfer, ein Fünftel Zinn.

Wir haben unterdessen genügend Zeit, uns über die voraus­gegangenen Arbeiten zu unterhalten. Vor etwa acht Wochen begannen sie. Das Entwerfen des Glocken­profils, Schablone, auch Rippe genannt, ist die grundlegende und daher auch die wichtigste Arbeit. Von ihr hängt in erster Linie der reine Ton der zu gießenden Glocke ab. Damit aber das ganze Geläute melodisch oder harmonisch wohlklingt, muß dieser Ton gleichzeitig auch mit den Tönen der Schwesterglocken in richtigem Verhältnis stehen. Eine schwere Aufgabe!

Für jede Glocke ist nun eine besondere Schablone zu entwerfen. Maß­gebend dafür ist die Klanghöhe, die ihrerseits bedingt wird durch die Glocken­dicke am Schlagrand, also an der Stelle, wo beim Läuten der Klöppel den Hauptton erzeugt. Die größten Schwierigkeiten bereitet aber die Reinheit der Nebentöne. So muß beim ersten Drittel der Glockenhöhe die Terz, beim zwei­ten die Quinte und beim Dritten die Oktave als Nebenton mitklingen. Das Glockenprofil beruht also auf mathematisch genauer Berechnung. Jede Gießerei hat sozusagen ihre eigene Rippe und somit ihre eigene Glockenform. Die Konturen der äußeren und der inneren Glockenwand werden auf ein vier Zentimeter starkes Buchenbrett gezeichnet und dieses dann, der Innenwand entsprechend, ausgeschnitten, an der Spindel befestigt und drehbar eingerichtet. Die Glockenform besteht aus drei übereinanderliegenden Teilen, aus dem Kern, dem Glockenhemd und dem Mantel. Der vierte Teil, die Krone, wird selbständig für sich allein geformt.

Zuerst baut der Glockengießer den Kern, der Glockenform entsprechend, aus Steinen auf. Schichtweise dünn aufgetragener Lehm gleicht etwaige Un­ebenheiten der Steine aus. Jede Lehmschicht muß langsam an der Luft trock­nen. Leichtes Braunkohlenfeuer hilft mit. Dabei muß aber streng darauf geachtet werden, daß an der Oberfläche der Lehmschicht keine Sprünge ent­stehen. Seien sie noch so klein und unscheinbar, sie müssen sofort ausgebessert werden. Die nächste Schicht darf erst aufgetragen werden, wenn die vorherige vollständig trocken ist. Hat die Lehmschicht die von der Schablone geforderte Stärke erreicht, so wird sie mit einer aus fein gesiebter Asche und Bier bestehenden Tünche überpinselt, „geäschert“ nennt das der Glockengießer.

Nun beginnt das Formen der eigentlichen Lehmglocke, des Glockenhemdes. Hierzu wird besonders gut zubereiteter, zarter, mit Pferdemist vermischter Lehm verwandt und ganz dünn, mit größter Vorsicht schichtweise aufgetragen, und zwar so lange, bis er der auf der Schablone ausgeschnittenen äußeren Glockenwand entspricht. Den Abschluß des Formens bildet der Glockenmantel, eine etwa zehn Zentimeter dicke Lehmmasse. Senkrechte und waagerechte, der Glockenwand angepaßt gebogene Stäbe aus Bandeisen umklammern ihn korsettartig und geben ihm den nötigen Halt und die notwendige Festigkeit.

Ein Flaschenzug zieht den Mantel hoch, der infolge der isolierenden Fettschicht sich leicht von der in seinem Innern befindlichen Lehmglocke löst.           Und da sich unter dieser Lehmglocke die durch das Äschern gebildete Isolier­schicht befindet, kann auch sie ohne besondere Schwierigkeiten abgeschlagen werden. Ein schwaches Feuer bringt das Wachs der Buchstaben und Bilder im Innern des Mantels zum Schmelzen. Ihr Negativ aber bleibt im Mantel zurück. Genau auf der Stelle, wo er vorher gesessen, wird der Mantel wieder herabgelassen. Und so ist ein Zwischenraum geschaffen zwischen Mantel und Kern, dazu bestimmt, beim Gusse das flüssige Metall aufzunehmen. Nun gilt es noch, die selbständig geformte Krone aufzusetzen und sie mit dem Mantel durch kräftige Drahtschlingen zu verbinden. Damit nun die Glockenformen dem Druck des flüssigen Metalls nicht nachgeben, wird die Dammgrube mit trockener Erde ausgefüllt und schichtweise festgestampft. Der schon erwähnte Kanal, die Gußrinne, durch die das flüssige Metall vom Gießofen zu den Glockenformen fließen soll, ist gebaut.

Heute nun, an dem Tage, wo wir dem Glockengusse zusehen, sind alle diese Arbeiten beendet. Im Gießofen aber brodelt in weißlicher Glut das Metall. „Es wogt und wallt und wirbelt und will entfesselt sein.“ Zuletzt wird noch der weißliche Schaum, der sich an seiner Oberfläche gebildet hat, abgeschäumt, und das Aschensalz, das in die Glut hineingeworfen wird, macht die Glockenspeise flüssiger. Und so ist nun die Zeit des Gusses gekommen.

Mein Vater steht am Gießofen, noch einmal alles überschauend und seine Gesellen mahnend, ruhig Blut zu bewahren und den Ver­stand walten zu lassen. Feierliche Stille! Ein kurzes Gebet und mit den Worten: „Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ stößt er mit einem Kolben dreimal anhebend den konisch zulaufenden Zapfen in den Ofen zurück, und heraus strömt das flüssige Metall. Einer glühenden Feuerschlange gleich ergießt es sich durch den Kanal der ersten Glocke zu, um zischend, sprühend und dumpf grollend tief in ihrem Innern zu verschwinden. Aus den Wind­pfeifen entweicht die Luft, zuletzt gemischt mit glühenden Metall­spritzern, das Zeichen, daß die Glockenform gefüllt ist.

Wie bei der ersten Glocke, so verläuft auch nacheinander der Guß der drei anderen Glocken. Nach vierundzwanzig Stunden hat sich das Metall abgekühlt. Die Dammgrube wird geöffnet, und die Glocken werden samt Mantel und Kern aus der Grube herausgezogen. Nachdem die Kerne und die Mäntel zerschlagen sind, kommen die Glocken zum Vorschein, guß­schwarz. Grober Flußsand und Wasser reinigt und Sandstein und Bimsstein poliert sie.

„Von dem Helm zum Kranz

Spielt’s wie Sonnenglanz.

Auch des Wappens nette Schilder

Loben den erfahrnen Bilder!“

Hundertfünfzig Jahre haben meine Vorfahren in Windecken Glocken gegossen und dadurch ihren und den Namen ihrer Vaterstadt in die weiteste Umgebung getragen und ihren Ruhm verkündigt. Aber die wachsende Konkurrenz der Großbetriebe und die leichteren Transportmöglichkeiten zwangen meinen Vater, das Geschäft still­zulegen, das in hundertfünfzigjähriger Tradition ein beredtes Zeug­nis des Bach’schen Kunstsinnes abgelegt hat. Mit Stolz kann ich unter Abänderung des Städtenamens auf meine Ahnherren das Dichter­wort anwenden:

„Sie waren einst Glockengießer Zu Windecken in der Stadt,

Gar ehrenwerte Meister, Gewandt in Rat und Tat.

Sie haben einst gegossen

Viel Glocken, gelb und weiß,

Für Kirchen und Kapellen

Zu Gottes Lob und Preis.

Und ihre Glocken klangen

So voll, so hell, so rein!

Sie gossen auch Lieb und Glauben

Mit in die Form hinein!“

 

Kanalstraße:

Der Weg führt wieder zurück Richtung Marktplatz. Rechts ist der Lehnhof, danach die Kanalstraße. In der Uferstraße arbeiteten die Rot- und die Weißgerber. Die Rotgerber gerbten Rinder- und Pferdehäute mit Eichenlohe, während die Weißgerber vorwiegend Schaf- und Ziegenhäute mit Alaun gerbten. Das Leder wurde zum größten Teil in Windecken verarbeitet. So lebten in der Stadt zahlreiche Schuhmacher, Kappenmacher und Sattler, sowie einige Täschner, Gürtler, Riemenschneider usw. Auch das bei der Behandlung der Häute anfallende Unschlitt wurde in einer benachbarten Seifensiederei verarbeitet, in der daraus auch Kerzen gezogen wurden. Man geht durch die Kanalstraße und dann links in die Braugasse.

 

Fachwerkhaus Friedrich-Ebert-Straße 24:

In der Braugasse geht man zunächst nach links und dann rechts in die Friedrich-Ebert-Straße.  Hier wurde das Haus Nummer 24 wieder neu aufgebaut. Erbaut wurde das Haus um 1700, das genaue Baujahr und die ersten Besitzverhältnisse sind noch ungeklärt. Die repräsentative Ausgestaltung mit zahlreichen Andreaskreuzen, vielen Fenstern und hohen Räumen lassen auf ein Amtshaus oder eine ähnliche offizielle Funktion schließen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte das Anwesen einer angesehenen jüdischen Familie, die eine „Getreide- und Landesproduktenhandlung“ betrieb. Bei deren Emigration 1935 wurde die Hofreite verkauft und bis in die 1960er Jahre hinein landwirtschaftlich genutzt.

Die Besitzer schreiben: „Im März 2010 besichtigten wir ein 300 Jahre altes, barockes Fachwerkwohnhaus mit Wirtschaftsgebäude, Hof und Garten in bester Altstadtlage. Der erste Eindruck: Finger weg! Das Wohnhaus war arg heruntergekommen, durch An- und Umbauten entstellt und in der Substanz geschädigt, mindestens 50 Jahre Reparaturstau. Andererseits schien es in seiner ursprünglichen Gestalt sehr schön, voll Charakter und auch für heutige Wohnansprüche geeignet zu sein. Wäre das Haus zu erhalten? Es folgten weitere Begehungen, Kaufverhandlungen, Recherchen zur Geschichte, erste Ideen und Konzepte, Beratungen mit dem Architekten, dem Statiker, der Unteren Denkmalschutzbehörde und der Sparkasse, schließlich konkrete Planungen.“

Im Februar 2011 begann mit dem Abriß des völlig maroden Hinterhauses der Rückbau und die historisch gerechte Wiederherstellung. Kurz vor Weihnachten zog die Familie ein. Dazwischen lagen Lust und Frust einer Vollsanierung. Bauschäden, statische Mängel und die umfangreichen Arbeiten machten das Können von Fachhandwerkern und die großartige Hilfe aus der Familie unverzichtbar. Die „Muskelhypothek“ wurde beim tonnenweisen Schleppen von Bauschutt und Lehm, im Innenausbau und bei Malerarbeiten eingebracht.

Lohn der Mühen waren eine großzügige Zuwendung des Main-Kinzig-Kreises, die Nominierung für den Hessischen Denkmalschutzpreis und vor allem die vielen positiven Rückmeldungen von Mitbürgern und Besuchern Windeckens, die vor unserem neuen Zuhause verweilen und sich mit uns darüber freuen, daß das alte Haus wieder eine Zukunft bekommen hat (Christine und Christoph Seidel)

 

Judenviertel:

Der Weg führt dann wieder durch die Braugasse zurück in die Synagogensstraße. Das Judenviertel war innerhalb der Mauer, aber seine mittlere Gasse wurde überbaut. Die Synagoge stand an der Stelle der heutigen Methodistischen Kirche. Wo die Judengasse abknickt stand das Haus des Rabbiners und daneben die jüdische Schule, aus der berühmte Leute kamen, zum Beispiel ein Oppenheim, der der Begründer des Völkerrechts wurde.

Bereits im Mittelalter lebte eine jüdische Gemeinde in Windecken (mit Ostheim), eine Synagoge existierte ebenfalls bereits zu der Zeit. Beim Novemberpogrom 1938 wurde diese geschändet und zerstört. Im Jahre 1988 wurde eine evangelisch-methodistische Kirche auf dem ehemaligen Syna­gogengrundstück erbaut.

Die Häuser im Gebiet Judengasse sind weitgehend original. Neu ist nur das Gebäude der Drogerie, weil das vorhergehende Haus wegen einer dort untergebrachten Zündholzfabrikation abbrannte. Aus der Judengasse stammt auch der Erfinder des Zuckerstreuers. Heinrich Kurz muss ein Mann mit einem unglaublichen Kreativitätsüberschuss gewesen sein. Im Laufe seines Lebens erfand der gelernte Sattler unter anderem eine rotierende Waschmaschine, einen Pfannkuchenwender, einen Toilettenaufsatz für Kinder und eine Methode, den Schiefen Turm von Pisa wieder gerade zu biegen. Bis auf die Nummer mit Pisa (die übrigens auch nie probiert wurde) dürften die meisten Tüfteleien schlicht dazu haben, den Alltag des alleinerziehenden Witwers zu vereinfachen. Denn seine Frau starb 1899, nur drei Monate nach der Geburt sechsten Kindes.

Vielleicht hat es Kurz mit seinen vielen Kindern eines Tages genervt, dass ständig unterschiedliche Löffel in die Zucker wanderten und der Zucker Feuchtigkeit zog und infolgedessen klumpte, so dass man in Porzellan- und Holzgefäßen nie genau sah, wieviel noch drin war. Jedenfalls war er es, der ein Gefäß ausklügelte, das alle Probleme auf einmal löste: den Zuckerstreuer. Durchsichtig, verschraubbar und mit einer angeschrägten Streutülle, die eine etwa gleiche Menge Zucker portionierte. Wie für alle anderen Erfindungen meldete Heinrich Kurz auch für diesen Geniestreich kein Patent an. Er starb 1934 als armer Mann. Sein Enkel war geschäftstüchtiger. Er ließ sich die Idee aus dem Notizbuch seines Opas 1953 schützen und nahm mit seiner Firma Helly in Hanau direkt ein Jahr später die Produktion auf. Und so gelangte die Erfindung aus Windecken auf die Tische der Wirtschaftswunderzeit, verbindet bis heute Funktion und Design und süßt mit präziser Dosierung jedes Heißgetränk. Und wenn die Erfindung dem fleißigen Herrn Kurz schon keinen Reichtum gebracht hat, setzte ihm sein Enkel mit dem offiziellen Handelsnamen „Original-Helly-Zuckerstreuer“ doch ein Denkmal. Er hieß: „Der süße Heinrich“.

Beim Verlassen des Judenviertels sieht man noch einmal in Richtung Westen in die Katzbach und bemerkt dort einen Vorsprung in der Gebäudeflucht, der durch die alte Stadtmauer bedingt ist. 

 

Ostheimer Straße:

Nach Osten geht es dann in die Ostheimer Straße. Hier ist die Stadtmauer auf beiden Seiten noch gut erhalten. Der rechte Teil ist etwa neun Meter hoch und trägt noch oben den originalen Wehrgang. Auch linkssteht noch ein Stück Mauer, das heute durch Ziegeln abgedeckt ist. Daneben steht das ehemalige Gefängnis (Braugasse 20), das früher ein nach vier Seiten abfallendes Dach hatte.

Am Ostheimer Tor steht rechts das alte Amtshaus mit der Jahreszahl 1586 und den Buchstaben „PLA“ über dem Tor, das „Paul Lamm, Amtmann“ bedeutet. Das „Lämmchen“ ist heute ein Bauernhaus. Am Nebenhaus mußte der Erker entfernt werden, weil der Amtmann freie Sicht zum Markplatz haben wollte.

 

Färber:

In der Gasse „Zum Lämmchen“ arbeiteten die Schönfärber, die Blaufärber und die Schwarzfärber. Die Blaufärber werden auch als Blaudrucker bezeichnet und bearbeiten vorwiegend Leinenstoffe. Die für den Druck benötigten Modeln stellten sie oft selber her. Der Schutzpapp, der auf das Tuch gestempelt wird, enthält neben Gummiarabikum auch Grünspan und wird deshalb auch als „Grünpapp“ bezeichnet. Er schützt die bedruckten Stellen vor dem Eindringen der Indigo-Farbe, so daß nach dem Entwickeln das weiße Muster auf blauem Tuch sichtbar wird. Der Schönfärber färbte meist wertvollere Gewebe. Auch Meister Hinkel fertigte seine heute im Heimatmuseum aufbewahrten Druckmodeln selbst. Wenn die Windecker von „der Bapp“ sprechen, meinen sie das Anwesen der Blaudrucker. Obwohl große Erfahrung nötig war, um die Stoffe tiefschwarz zu färben, wurden die Schwarzfärber als Schlechtfärber bezeichnet. Das Anwesen von Johann Aumann, dem hier ansässigen Schwarzfärber, befand sich ebenfalls in der Gasse „Zum Lämmchen“ und grenzte an die Katzbach, so daß die Wasserversorgung und die Abwasserentsorgung problemlos waren.

 

Außerhalb des Ostheimer Tores:

Außerhalb des Ostheimer Tores stand die Kaiserliche Post, daneben die Gaststätte „Zur Post“ mit dem Bild der Postkutsche. Man kommt zu einer kleinen Anlage, in der das Modell eines Mühlrades an die Hochmühle erinnert, die heute eine Gaststätte schräg gegenüber ist.

Um wenigstens eine Bach`sche Glocke zu besitzen, haben die Heimatfreunde Windecken der Gemeinde Lindheim 1991 eine 1850 von Philipp Heinrich Bach gegossene Glocke abgekauft und in einem Glockenturm in der Ostheimer Straße aufgehängt. Sie trägt die Inschrift: „Zum Gebet ruf ich, vor Gefahr warn ich, zu Gott bitt ich, mach die Gemeinde glücklich“. An dem Haus ist ein Bild des Ostheimer Tores gemalt.

 

Burg:

Man geht dann wieder ihn Richtung Ostheimer Tor und rechts die Schloßgasse hinauf. An der Schloßmauer sieht man Fratzenköpfe. Durch einen neu errichteten Torbogen kommt man auf das Schloßgelände.

Im Jahre 1260 erhielt Reinhard I. von Hanau die Burg Windecken zum Lehen. Auf einem Bergsporn über der im Katzbachtal gelegenen Altstadt errichtete er die Burg „Wonnecken“ (auch: Wunnecke“), deren Name später auch auf die Siedlung überging. Bis 1436 regierten die Herren von Hanau hier, dann gingen sie nach Hanau. Im 15. Jahrhundert wurden Tellbereiche der im Westen gelegenen Vorburg umgestaltet.

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde die Burg zum Schlößchen ausgebaut und es entstand der heute die Eingangssituation beherrschende innere Torbau mit seinen markanten Renaissance‑Erkern. Das innere Tor hat einen gotischen Spitzbogen. Die zwei Rundtürmchen auf Konsolen stammen aus dem 16. Jahrhundert, das äußere Tor trägt die Jahreszahl 1592.

Seit 1612 war die Burg Witwensitz der Gräfin Katharina Belgica.

Die Kernburg mit einem annähernd rechteckigen Grundriß wurde durch einen Halsgraben gesichert und war durch eine Brücke zu erreichen. Sie enthielt somit im letzten zu erschließenden bzw. angestrebten Bauzustand eine Vierflügelanlage mit dem erwähnten Torbau im Westen und einem Bergfried im Osten. Die weitläufige Vorburg war mit Wirtschaftsgebäuden bebaut. Der Standort der Burgkapelle ist aus den vorliegenden Quellen nicht zu ermitteln. Merian bezeichnet seinen Windecker Kupferstich wie folgt: „Ein festes Schloß lustig anzusehen“.

Der 30‑jährige Krieg setzte der Burg schwer zu. Im Jahre 1635 zerstörten die kaiserlichen Truppen die Anlage, elf Jahre später gaben die Schweden ihr den Rest. Die Ruine wurde nach dem Krieg bis auf das Portal und die Mauer endgültig geschliffen. Mit dem Schutt verfüllte man den Zwischenkeller.

Zu Beginn des 17. Jahrhunderts plante man nochmals größere Um‑ und Ausbaumaßnahmen, die jedoch durch die Ereignisse des Dreißigjährigen Kriegs nur Stückwerk geblieben sein dürften. Die Umbaupläne des Architekten Rumpf aus dem Jahre 1627, die im Staatsarchiv Marburg überliefert sind, waren und sind seit jeher Objekt von Forschung und Spekulation.  In Umzeichnungen und Schaubildern wurde versucht, das Aussehen des Windecker Schlosses im 17. Jahrhundert darzustellen.

In der wüsten Schloßanlage wurde über einem erhaltenen mittelalterlichen Tonnengewölbe im Jahrr1736 ein eingeschossiges Gebäude mit Mansarddach und 20 Zimmern. Wo an der Südseite Scheunen und Ställe standen, wurde auf den Fundamenten das Gebäude errichtet. Die Umgestaltung zur damals modernen Schloßanlage unter Berücksichtigung der neuen Anforderungen an Wohnlichkeit und Fortifikation brachten umfangreiche Veränderungen an der Bausubstanz.

Das Gebäude wurde als Amtsgericht genutzt. Der Flügel, in dem derzeit die Tagespflege untergebracht ist, war die sehr geräumige Dienstwohnung des Richters. Links nebenan (wo nunmehr die heutigen Besitzer leben), schließt sich der einst amtliche Trakt an. Der weite Flur und die streng gegliederte Folge der Türen darin weist den Besucher noch heute auf den einstmals öffentlichen Charakter dieses Abschnittes hin. Die zwei hellen und hohen Gerichtssäle sind noch erhalten. In einem steht ein massiver Eichentisch, der sogar für eine größere Hochzeitgesellschaft ausreichend Platz bietet. Die Stuckarbeiten unter der Decke der Säle erneuerten die Hübners, wie so vieles. Deren Verdienst ist es auch, daß ein Großteil der Gewölbe des Zwischenkellers wieder begehbar ist.

Von der Anlage ist das äußere Burgtor von 1592 erhalten. Es folgt der spätmittelalterliche Torbau mit einem spitzbogigen Durchlaß, von zwei Rundtürmen eingerahmt, dessen Dächer mit Zinnen besetzt sind. Die Ringmauer ist 8 bis 10 Meter hoch und 1,75 Meter stark. Das Gebäude links neben dem Tor ist neueren Datums. An der Mauer dahinter befanden sich Scheune, Kelterei und Schafstall, ehe man zum Gelände des eigentlichen „Schlosses“ kommt Der westliche Teil des Geländes war der Kapellengarten, ein Hinweis darauf, daß auf dem Schloß eine Kapelle bestand. Das Ziegelsteinhaus gleich neben dem Portal, mit seinen abgeflachten Wehrtürmen war früher das Gefängnis.

Wiedwalt und Irene Hübner haben die Burg vom Land Hessen ersteigert und hatten dann 30 Jahre eine Baustelle. Sie öffneten den Keller von außen. An seinem Ende war wohl einmal die Backstube der Burg (die nach der Freilegung als Partykeller genutzt wurde). Sehr schöne Kacheln, eine Ofenbank aus Sandstein und viele Ofenplatten hat man aus dem Schutt geborgen. Die Suche nach verschütteten Gewölben geht weiter. Der hintere Teil ist an Herrn Keil vermietet, der dort farbige Sande verkauft.

Seit Februar 2003 betreibt die Alzheimer Gesellschaft in einem Flügel des Gerichtsgebäudes aus dem 18. Jahrhundert auf 480 Quadratmeter Wohnfläche eine Tagespflege (seit einigen Jahren leidet Wiedwalt Hübner an Alzheimer). Alle Räume sind mit einer Tür verbunden, so daß ein Rundgang für die „von sehr großer Unruhe“ geprägten Patienten möglich ist. Eine reine Flursituation versetze indes die Kranken schnell in Panik. Die Umbauten unter der Aufsicht des Landesdenkmalamtes sind deshalb relativ gering ausgefallen. Am Innenumbau beteiligte sich finanziell das Land Hessen, beim Garten schoß der Bund Geld zu. Die Auflagen waren ein Mietvertrag von 25 Jahren.

Die Wand zur Speisekammer wurde weggenommen, um die Küche zu vergrößern, die ein wichtiger Aufenthaltsort für die durchschnittlich zwölf Patienten sei. Die Innenbeleuchtung wurde so konzipiert, daß sie keine Schatten wirft, die Alzheimer‑Patienten in der Regel ängstigen. Die von diesen Menschen stark geforderte Geborgenheit vermittelt auch der Park mit dem eigens angelegten Rundweg.  

 

Auf der Internetseite „immobilienscout24.de“ wurde im Jahr 2016 die Burg Windecken als „historische Burg mit Erträgen und weiterem Nutzungskonzept“ angeboten und wie folgt  beschrieben. „Die historische Gebäudeanlage steht auf einem 3800 Quadratmeter großen Grundstück und verfügt heute über rund 1000 Quadratmeter Wohn- und Nutzfläche, für die bereits Erweiterungspläne vorliegen!“ Das Turmhaus könnte für eine private Nutzung entwickelt werden. Hier könnten zusätzlich 250 Quadratmeter Wohnfläche auch mit eigenem, unabhängigem Zugang und Garten mit einem bemerkenswerten Ausblick entstehen. Kostenpunkt für die gesamte Anlage: 1,85 Millionen Euro.

Alexander Huwe und zwei weitere Investoren aus Bad Vilbel  haben die „Burg Wonnecken“

im Jahr 2011 von der Erbengemeinschaft des Vorbesitzers Dr. Widwalt Hübner und dessen Frau gekauft, die ihrerseits das Anwesen Anfang der siebziger Jahre nach Aufgabe des dortigen Amtsgerichts vom Land Hessen übernommen hatten.

Die Stadt wird nicht kaufen. Das Gebäude ist schon lange in Privatbesitz und wird zur Zeit relativ stark genutzt:  Die Alzheimer Gesellschaft Main-Kinzig ist eine von zwei sozialen Einrichtungen, die in der Burg eingemietet sind; der Verein betreibt dort ein Tagespflegezentrum und hat einen längerfristigen Mietvertrag. Auch Nicole Stahlberg, die Pächterin des „Schloßkeller“ macht sich keine Sorgen.

Allerdings hängen sie und die Mitglieder des Fördervereins tatsächlich ein wenig in der Luft, denn sie hat als Privatperson den Pachtvertrag zum Jahresende 20163 gekündigt, weil sie den Betrieb ab 1. Januar als Verein weiterführen wolle. Sie haben mit den Eigentümern über das neue Konzept gesprochen und auch einen neuen Einjahresvertrag zugesagt bekommen.

Das Inserat kam nur ins Internet, weil die Eigentümer „als Immobilienprofis“ immer mal schauen wollen, wie sie am Markt stehen.  Ein Schloßverkauf gehe ohnehin nicht von heute auf morgen.  Und wenn nun doch ein attraktives Kaufgebot käme?   Dann man sich das genau anschauen. Es gibt weitere Mietinteressenten für die Wohnungen, so daß das Gebäude mittelfristig zu 100 Prozent ausgelastet sein wird.

 

 

Langhaus aus der Steinzeit wird rekonstruiert

Im Nidderauer Stadtteil Windecken wird „Geschichte gebaut“. Die sechs stattlichen Holzpfähle und die Querträger im Hexenturmgarten lassen bereits sehr deutlich erkennen, dass hier ein einzigartiges Bauwerk entsteht. Auch für Landrat Thorsten Stolz ist „diese Zeitreise in die Jungsteinzeit ein äußerst interessantes Projekt“, das der Main-Kinzig-Kreis jetzt über die Kulturförderung mit 10.000 Euro unterstützt.

Gemeinsam mit Nidderaus Bürgermeister Gerhard Schultheiß, Kulturamtsleiter Matthias Schmitt und der Leiterin des Zentrums für Regionalgeschichte, Christine Raedler, besuchte er das Gelände, wo das so genannte Langhaus künftig stehen soll. Die Pläne orientieren sich unter anderem an den entsprechenden Ausgrabungen in der Neuen Mitte von Nidderau, wo die rund 7.000 Jahre alten Spuren aus der Jungsteinzeit (Neolithikum) bereits 2011 im Rahmen der Erschließung freigelegt wurden. Die damalige Vorsitzende des Vereins für Vor- und Frühgeschichte im unteren Niddertal (VVFN), die inzwischen verstorbene Ar­chäo­login Dr. Gretel Callesen, hatte diese originelle Idee formuliert. Die jetzige Vorsitzende Dr. Heike Lasch hat diesen Gedanken nun aufgegriffen und weiterentwickelt. Zudem hatte die Stadt Nidderau wegen einer neuen Nutzung für den Hexenturmgarten angefragt,

worauf sich der Verein spontan gemeldet hatte.

Inzwischen liegen die Baumstämme aus dem Windecker Bürgerwald auch schon auf dem Grundstück bereit. Die Baugenehmigungsbehörde des Kreises ist eingebunden, es wurden Sponsoren gefunden und die konkreten Pläne sind gemacht. „Wir sind motiviert, das Bauwerk im Laufe dieses Jahres weitgehend fertigzustellen“, sagt Dr. Heike Lasch. Dann soll auch die Öffentlichkeit mit Führungen und Vorträgen einbezogen werden.

Landrat Thorsten Stolz ist überzeugt, dass dieses ungewöhnliche Projekt auf große Resonanz stoßen wird. „Es ist eine tolle Möglichkeit, in die Frühgeschichte unserer Region einzutauchen“, betont er. Besonders reizvoll sei dabei die unmittelbare Nähe zur mittelalterlichen „Burg Wonnecken“. Zudem sei der ehemalige Siedlungsort nicht weit vom Hexenturmgarten entfernt und von der Anhöhe sogar deutlich zu sehen.

Das geplante Langhaus soll etwa sechs Meter breit, zwölf Meter lang und fünf Meter hoch werden. Es ist damit etwas kleiner, als der in der Neuen Mitte gefundene Grundriss. Beim Bau wird die ursprüngliche Technik weitgehend berücksichtigt. Voraussichtlich sind aber ein paar Zugeständnisse aufgrund der heutigen Sicherheitsanforderungen nötig.

Der Verein denkt darüber hinaus an einen historischen Bauerngarten mit alten Getreidesorten, der hier entstehen könnte. Wie der zweite Vorsitzende Dieter Dettmering im Gespräch mit dem Landrat erläutert, sollen dann auch Schulklassen angesprochen werden, die sich im Unterricht gerade mit der Steinzeit beschäftigen. Die Nähe zum Nidderauer Bahnhof sei dabei ein weiterer Vorteil. Landrat Thorsten Stolz hatte im Rahmen der Jubiläumsfeier zum 30-jährigen Bestehen des Vereins von der Idee erfahren und war so begeistert, dass er eine Unterstützung durch den Main-Kinzig-Kreis auf den Weg gebracht hat. „Ich bin selbst sehr an Geschichte interessiert und wenn es darum geht, die Vergangenheit erlebbar zu machen, dann bin ich gerade für solche Projekte aufgeschlossen, die von einem großen bürgerschaftlichen Engagement getragen werden“, sagt er. Der Main-Kinzig-Kreis werde die Idee auch weiterhin positiv begleiten und unterstützen. Zudem werde er persönlich mit Entwicklung weiter verfolgen und auch das fertige „Mehrfamilienhaus“ aus der Jungsteinzeit dann wieder besuchen (MHB 30.01.2019).

 

 

 

Den Schloßberg verläßt man dann in Richtung Westen. Dort steht der Hexenturm, in dem im 16. und 17. Jahrhundert drei Frauen als Hexen umgebracht wurden. Am Fuß des Schloßbergs steht links noch eine ehemalige Gaststätte.

 

 

Umgebung

Der Wartbaum:

Daß der mächtige Lindenbaum unmittelbar neben der Bundesstraße 45 zwischen Windecken und Roßdorf aus­gerechnet „Wartbäumchen“ heißt, ist eine der Eigentümlichkeiten der Mundart, deren Ursprung aufzudecken nicht mehr möglich ist. Das „Bäumchen“, dessen riesige Krone Jahr für Jahr aufs Neue er­grünt, hat seinen Namen wahrscheinlich von einer mittelalterlichen Warte, was einen Flecken mit weiter Aussicht bezeich­net. Hier an der Hohen Straße reicht sie in jede Himmelsrichtung. Ein idealer Platz mithin auch für Militärstrategen, zumal in Zeiten vor Funk und Radar.

Das begann im 30jäh­rigen Krieg mit zwei Kanonenschüssen, die die Befreiung Hanaus vom kaiserlichen General Lamboy einleiteten. In der Nacht zum 11. Juni 1636 ließ Landgraf Wilhelm V. von Hessel-Cassel mit zwei Kanonenschüssen und einem Feuerzeichen der belagerten Stadt Hanau melden, daß das Entsatzheer naht. Wenige Tage später sah das Wartbäumchen die siegreichen hessischen und schwedischen Truppen auf dem Rückmarsch in ihre Heimat.

Der Baum war auch Gerichtslinde. An seinen Ästen hingen einst un­schuldige sogenannte Hexen und auch schon mal ein Hühnerdieb, wie der „scheppe Georg“, dessen Gerichtsakten auf der Internetseite www.geschichtsver­ein‑windecken.de nachzulesen sind.

Am 13. April 1759 setzte Herzog Ferdinand von Braunschweig vom Wartbaum aus zum Angriff auf die französischen Stellungen bei Bergen an, deren Eroberung die Vorbedingung für die Befreiung der besetzten Stadt Frankfurt war.

Am 18. Oktober 1814 feierten annähernd 10.000 Einwohner aus Hanau, Windecken, Kilianstädten, Roßdorf, Ostheim und den anderen umliegenden Orten den Tag der Schlacht bei Leipzig. Jede eintreffende Gemeinde  wurde mit einem Ehrensalut aus drei Kanonen empfangen. Die Festrede hielt der Windecker Pfarrer Karl Wilhelm Zimmermann. Auch am 18. Oktober 1863 wurde der Jahrestag begangen  und zuletzt im Jahre 1913.

Beim „Kaiserma­növer“ 1897 beobachtete das deutsche Kaiserpaar, Großfürst Nikolaus von Rußland, die Könige von Sachsen und Italien und zahlreiche Fürsten und Prinzen auf dem Feldherrenhügel das Geschehen.

Zum Weltkriegsende 1945 ließ man Jugendliche und Alte an der Windecker Warte „Ein‑ Mann‑Löcher“ buddeln, im Irrglauben, man könne so die Amerikaner aufhalten.

Im Jahre 1958 schließlich pflanzte man neben die Wartbaumlinde feierlich zwei junge Bäume ‑ der eine soll­te einmal den „Nachfolger“ des Wartbaums abgeben. Den zweiten nannte man „Friedenslinde“; in einer Sektflasche unter ihren Wurzeln steckt noch die Urkunde. Darin drückte man mitten im Kalten Krieg die Hoffnung auf Wiedervereinigung aus ‑ in den Grenzen von 1937!

 

Der Wartbaum, das fast 400 Jahre alte Na­turdenkmal südlich von Nidderau, mit Blick von der Glauburg bis nach Hanau, liegt er­haben aber versteckt auf einer Anhöhe. Seit längerem engagiert sich eine Agenda-­Arbeitsgruppe dafür, das Umfeld des Bau­mes umzugestalten. Im Rahmen der Pläne zum Regionalpark „Hohe Straße“ könnten diese Bemühungen nun Früchte tragen.

Der Wartbaum hat ein Naturwe­sen“, sagt  die Geomantin Angelika Arend aus Windecken. Sie fühlt die uralte Lin­de mehr als daß sie sie sieht. Er ist durch alte Straßen wie die „Ho­he Straße“ vernetzt mit der großräumigen Landschaft, die sich rund um den Wart­baum bis zum Horizont erstreckt. „Hier ist ein Knotenpunkt, ein Punkt der Kommunikation. Es ist ein überregionaler Ort, das war er schon immer.“ Das al­les sollte in die Umgestaltung des Wart­baum‑Ortes einfließen, meint Arend. Sie und Ehemann Christian gründeten im Rahmen der lokalen Agenda eine Arbeits­gruppe. Bei den Heimatfreunden stießen sie mit ihren Ideen genauso auf offene Oh­ren wie beim Bauamt der Stadt Nidderau. Das Amt beauftragte die Friedberger Agentur „Naturprofil“ mit dem Entwurf der ersten Pläne. Agenda‑Gruppe, Heimat­freunde und Stadt diskutierten gemein­sam die Ergebnisse. Jetzt liegt ein Vor­schlag vor, auf den wir uns einigten.

Für die von Randalierern zerstörte jun­ge Linde soll kein Ersatz gepflanzt wer­den. Denkbar sei eine Infotafel über den to­ten Baum. Langfristig kann sich Arend trotz kontroverser Diskussionen einen Turm in der Nähe des Wartbaumareals vorstellen. Außerdem soll eine feste Feuer­stelle gebaut werden und ein Platz für Festzelte. Eine Natursteimnauer schwebt den Planern vor. Überhaupt sei naturnahes Material zu bevorzugen, so Arend. Auch mit Vertretern des Planungsverban­des Ballungsraum Frankfurt-Rhein‑Main trafen sich die Wartbaum‑Freunde. Ge­hofft wird auf finanzielle Unterstützung durch den Verband, der den Wartbaum in sein Projekt „Hohe Straße“ eingebunden hat. Für Mechthild Baukolt vom Planungs­verband ist die alte Linde ein Höhepunkt dieser Regionalparkroute, die von Frank­furt‑Bergen nach Marköbel führen soll.

Seit 1979 richten hier die Sänger ihre „Vatertagsfeier“ aus. Der Baum auf seinem 179 Meter hohen Hö­henrücken jedes Jahr am Himmelfahrts­tag das Mekka der Windecker Sänger und aller, die gern mit ihnen um die Wet­te singen und fröhlich, friedlich trinken.

Eine Agenda‑21‑Arbeits­gruppe und einige örtliche Bauern haben 2001 zu bei­den Seiten des Wartbaums auf der Anhöhe südlich von Windecken zwischen Ostheimer Bahnhof und Windecker Wartbaum einen landwirt­schaftlichen Lehrpfad eingerichtet. Ver­teilt über drei Kilometer informieren 25 Tafeln über Anbau wie Verwertung von Ge­treide und Feldfrüchten. Es gibt dabei Informationen zur Fruchtfolge, zur Beschaffenheit des Bo­dens, über Düngung und auch über den Pflanzenschutz mit Spritzmitteln. Die Stadt will demnächst mit einer Inschrift an die Geschichte des Wartbaums erinnern.           

Aussichtsturm:

Schon um 1910 gründete sich ein Ver­schönerungsverein, um am Wartbaum einen Turm zu bauen. Im Dezember 2001 hat sich eine kleine Nidderauer Delegation mit Bür­germeister Gerhard Schultheiß den Aussichtsturm in Freige­richt angeschaut und gesehen, wie sich ein moderner Aussichtsturm in ein Landschaftsbild ein­fügen kann.

Die Agendagruppe hat einen genaueren Blick auf die von kleineren Bäumen und Büschen umstandene Wartbaum‑Linde ge­worfen. Augenfällig ist zur Auffahrt hin das Erdreich erodiert, hat die Wurzeln frei­gelegt. Mittelfristig könnte dies den mäch­tigen Baum gefährden.

Die Gruppe sähe gern das Umfeld des markanten Baums etwas besser geordnet. Im Lauf der Jahrzehnte sind frühere „Ver­schönerungen“ wie Bänke und Gedenkstei­ne verwittert.

Die Gruppe schlägt ein Parkverbot beim Baum vor, sie wünscht dort Mülltonnen, das Instandsetzen des alten Zugangs mit den Sandsteinstufen, eine Pflege der Hecken. Sie wünscht Wegwei­ser an Wander‑ und Radwegen und plä­diert für die Wiederherstellung des Aus­blicks, der momentan zugewachsen ist.

Wie aber soll letzteres funktionieren, wenn man nicht das hochgewachsene Ge­sträuch am Wartbaum abholzen will? Die Agendaleute lassen die Frage offen, mei­nen, daß ein Gesamtkonzept für den hübschen Flecken her muß. Mit dem vom Obst‑ und Gartenbauverein betriebenen Lehrgarten und einem städtischen Feld­blumen‑ Biotop in der Nachbarschaft wür­de es keine Lösung geben ohne das Mittun aller im Umfeld Engagierten.

Die Vereinsgeschichte der Heimatfreunde hat  im Spätjahr 1910 be­gonnen, als einige „vom Heimatsinn be­seelte Männer“ die Möglichkeiten zum Bau eines Aussichtsturms just am Wind­ecker Wahrzeichen, dem Wartbaum, erör­terten. Solche Türme waren in der damaligen Bismarcknostalgie modern. Gebaut wurde er nie.

Ehrenmitglied Josef Rosenthal, bei den Heimatfreunden noch einer der Aktivsten, hat jetzt die alte Idee wieder aufgegriffen. Immerhin böte sie einen Ausweg aus dem Dilemma, die Aussicht wiederherzustel­len, ohne dabei allzu schlimm am Gehölz zu sägen. Auch könne man im Fuß des Turms womöglich die bei Festen stets feh­lenden Toiletten und einen Stromanschluß unterbringen.

Als Rosenthal vor zwei Wochen mit Se­gen des Heimatfreunde‑Vorstands Agenda­gruppe und Stadtverwaltung zu einer Un­terredung lud, hielt sich die Begeisterung für den Turm seitens der Arbeitsgruppe in Grenzen. Laut Sprecher Christ-Sper­ling hatten manche Bedenken wegen einer Entwertung des Baums als Landmarke. Sie fürchteten zudem, daß ein solcher Bau Vandalismus anlockt. Sonst sei man sich in der Betrachtung des Wartbaum­-Areals mit den Heimatfreunden einig.

Nach Einschätzung von Bürgermeister Schultheiß hat die zwei Tage zurückliegen­de Besichtigung des Freigerichter Turms „einen Teil Skepsis verfliegen lassen“. Das dortige Bauwerk sei „absolut gelungen“ und landschaftsverträglich. Im Rathaus suchen laut Bauamtsleiter Steffen Schomburg Umwelt‑ und Bauamt nun ein Ingenieurbüro, das nach Maßga­ben beider Gruppen eine grobe Entwurfs­skizze anfertigt.

 

Naturschutz:

Mit gleich zwei Projekten möchte die Stadt dem Naturerleben ihrer Bevölkerung auf die Sprünge helfen. Ein­stimmig sprach sich das Parlament sowohl für einen Naturerlebnispfad zwischen den drei großen Stadtteilen als auch für eine breit angelegte Aktion zum Erhalt der Streuobstwiesen am Ohlenberg aus.

Der Pfad soll aus zwei Schleifen beste­hen, die je auch als separate Rundwege nutzbar sind. Das Streuobstgebiet Win­gert / Ohlenberg verbindet er dabei, häufig am Bebauungsrand entlang führend, mit den Teichen der alten Ziegelei und dem Wartbaum. Das Geld für den Wegebau steht in Höhe von gut 15.000 Euro bereits im Haushalt, die Idee stammt schon aus dem Jahr 2000. Das Umweltbüro will mit seiner Entwurfskizze andere regionale und überregionale Planungen ergänzen. Genannt werden: die Konzepte für eine neue Gestaltung und Nutzung des Wartbaumbereichs sowie die Absicht des Planungsverbands, die „Hohe Straße“ zu einer Achse im Regionalpark auszubauen.

Der Naturerlebnispfad soll nach dem Willen des städtischen Umweltbüros Fami­lien mit Kindern jeden Alters ansprechen. Das will er offenbar vor allem mit pfiffigen Infotafeln erreichen. So sollen etwa nach dem Start am Spielplatz Mühlbergstraße nahe beim Buchwald‑Hof Informationen über die Landwirtschaft, etwa über Direkt­vermarkter stehen.

Am Ohlenberg soll über Streuobst, die von dort sichtbaren Nachbarkommunen oder die historische „Boni­fatius­route“ aufgeklärt werden. Von der Sensibilisierung der Hundebesitzer an der Nidder über Infotafeln zum öffentli­chen Nahverkehr auf der Bahnhofstraße hin zur Information über den „Deponiekör­per“ oberhalb der Ostheimer Straße, den Trockenhang als Insektenparadies und den Angelteich als Feuchtbiotop sprüht das Umweltbüro schon im Plan vor Ideen.

 

Als nicht weniger einfallsreich erweist sich das Büro „LandKonzept“ aus Nidda­tal, das unaufgefordert der Stadt einen Vorschlag unterbreitete, wie sie sich am hessischen Landeswettbewerb innovative Projekte zur Förderung der Nachhaltig­keit beteiligen könne. Weil in Nidderau selbst schon seit Jahren in der Richtung nachgedacht und gearbeitet wird ‑ na­mentlich vom Arbeitskreis Streuobst und der lokalen Agenda 21 ‑ fiel es nicht schwer, ein Vorhaben rund um den Obst­wiesenbestand am Ohlenberg zu Papier zu bringen. Immerhin winkt die Landesregie­rung den Wettbewerbssiegern mit einem 50‑Prozent‑Zuschuss, und die Stadt ver­fügt noch über Mittel aus Ausgleichsabga­ben für Landschaftsverbrauch im Gewer­begebiet „Lindenbäumchen“. Insgesamt soll das Realisieren des von der Stadt schließlich auf den letzten Drücker eingereichten Konzepts 35.000 Euro kosten.

„Ap­fel vom Ohlenberg“ soll als regionales Öko‑Vermarktungslabel und verbinden­der Name von zahlreichen Initiativen auf­gebaut werden. Zielrichtung ist es, nach­haltigen Konsum und Umweltbildung auch breiteren Bevölkerungskreisen schmackhaft zu machen. Durch das Ein­binden wirtschaftlicher Interessen und das Schaffen neuer Arbeitsplätze soll dies für die Zukunft abgesichert werden.

Nur ein Auszug aus dem dicken Ideen­bündel: Kindergärten und Schulen sollen das Biotop Streuobstwiese als Lieferant ge­sunden Obsts kennenlernen. Die Obstwie­se soll wieder stärker ins Ortleben einbezo­gen werden ‑ durch Feste, Seminare, die gemeinschaftliche Verwertung ihrer Pro­dukte. Der Aufenthalt in der heimischen Natur macht den einen oder anderen Flug in südliche Gefilde überflüssig. Die Streu­obstwiese mit „Event‑Charakter“ lockt Erholungssuchende, malt man sich in dem Papier bereits aus. Die heimische Gas­tronomie, die Hofläden, der Wochenmarkt machen den Apfel vom Ohlenberg in die­sem Konzept zum Produkt, das sich neue Vermarktungswege in einem global be­stimmten Markt erschließt.

Die Mobilisierung aller interessierten Gruppen, das Kartieren des Ist‑Zustands, ein Maßnahmenkatalog zum Aufwerten des Bestands, Dokumentation und Weiter­gabe historisch gewachsener Nutzungsfor­men, Pflegekurse, Umweltunterricht, Events zur Schaffung eines Bezugs zwi­schen denen, die erzeugen, und jenen, die konsumieren, ein Lehrpfad, die Diversifi­zierung der Produktion ‑ vom Tafelobst über Honig und Schafhaltung, bis zum Holzverkauf sind einige der Schritte, wel­che die Stadt auf Anregung des Niddataler Büros in ihrem Wettbewerbsbeitrag vor­schlägt.

 

Hof Buchwald:

Anfahrt: Straße nach Ostheim, unter dem Viadukt hindurch, nächste Ampel links, am Spielplatz vorbei auf asphaltiertem Feldweg, am Ende (zwei Birken mit Bank) scharf rechts,    500 Meter bergauf, vor dem Wasserbehälter links abbiegen.

Bei Windecken liegt der einsam gelegene Hof Buchwald. Hier betreibt Roland Vogel mit seiner Frau einen Biohof‑Laden. Von diesem Aussichtspunkt schweift der Blick vom Taunus, über Vogelsberg, Spessart bis hin zum Odenwald. Von hier aus ist auch die Glauburg zu sehen.

 

 

Heldenbergen

 

Vorgeschichtliche Funde auf der Trasse der Umgehungsstraße:

Rund zweieinhalb Jahre lang wurden ab 2009 auf der Trasse der künftigen Umgehungsstraße mögliche archäologische Funde gesucht. Auf einem Gelände in unmittelbarer Nähe der B 521 von Heldenbergen Richtung Eichen wurden Fundstücke entdeckt, die einen Zeitraum von fast 5500  bis 450 vor Christus abdecken. Identifiziert wurden Scherben der Linearbandkeramik, der Rösse­ner Kultur, der Glockenbecherkultur und der Hallstattkultur, die vor allem durch den Fürst vom Glauberg in der Region bekannt wurde.

In der Nähe des Büchertalwegs in Windecken wurde ein Gräberfeld freigelegt,  das einen Zeitraum vom Jahr 5000 bis 2500 vCh abdeckt, also von eiszeitlicher bis keltischer Besiedlung  abdeckt. Die Menschen müssen wohlhabend gewesen sein, nicht ein Grab haben die Helfer entdeckt, das nicht Beigaben enthalten hätte. Armreifen, Halsringe, Bronzeschmuck und Gefäße, die einmal mit Lebensmitteln gefüllt waren, sind gefunden worden.       

 

Römische Zeit:                                                                                             Führungsblatt 13

Der fast 50 Kilometer lange Limesabschnitt zwischen dem Main und dem Nordrand der Wetterauer Senke besteht - im Gegensatz etwa zum Taunuslimes - aus schnurgeraden, nur mit geringfügigen Richtungsänderungen aneinandergesetzten Teilstücken. Auch der gleichmäßige Abstand von Kastellplätzen und Wachttürmen kennzeichnet stets künstlich geschaffene Grenzen, die auf der Landkarte konzipiert und planmäßig ausgeführt wurden. Nach unserem heutigen Wissen entstand dieser Limes nicht mehr in den Chattenkriegen des Kaisers Domitian (83-85 nCh). Sein Ausbau wurde erst in trajanischer Zeit vorbereitet und war in der Regierungszeit Hadrians weitgehend abgeschlossen.

Die „Etappenkastelle“ Ober-Florstadt, Heldenbergen und Hanau-Salisberg gehören wegen ihrer zurückgezogenen Lage zum Limes (Abstände von 2,8 Kilometer, 8 bzw. 9 Kilometer und 6 Kilometer) nicht in dieses Verteidigungskonzept. Dies hat Georg Wolff als erster erkannt und daraus die Hypothese entwickelt, nach der dem Limes in der Ostwetterau eine ältere, „offene“ Kastellkette mit den oben genannten Stützpunkten entlang der wichtigsten Einfallstraßen vorangegangen sei.

Heldenbergen bildete insofern ein wichtiges Glied dieser Grenzlinie, als die benachbarten Kastelle (wie auch die am Limes selbst) heute fast gänzlich überbaut und archäologischer Nachprüfung kaum mehr zugänglich sind. Seine einstige strategische Bedeutung unterstreichen aber vor allem drei nacheinander erbaute Erdkastelle unterschiedlicher Form und Größe, die auf der sanft ansteigenden Lößtafel über einer weiten Schleife der Nidder angelegt wurden.

In Heldenbergen trafen sich aber zwei wichtige Straßenzüge, denen Wolff nachging. Im Jahre 1896 entdeckte Georg  Wolff zwei Gräben verschieden großer Kastelle. Grabungen der Reichslimeskommission 1897 führten zur Entdeckung der Erdlager 1 und 3 und brachten Anhaltspunkte zur Zivilsiedlung. In den Jahren 1904 und 1905 wurde das zugehörige Brandgräberfeld an der Okarbener Straße mit rund 230 Bestattungen von dem Friedberger Gymnasiallehrer Paul Helmke aufgedeckt. Bis 1970 wurde ein Teil des Kastell- und Siedlungsbereiches überbaut, ohne daß es zu irgendwelchen Fundmeldungen gekommen wäre.

Die Ausweisung eines größeren Baugebietes Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts drohte nun innerhalb kurzer Zeit den Rest dessen zu zerstören, was bis dahin unversehrt im Boden geruht hatte. Wie notwendig eine archäologische Geländeuntersuchung vor Beginn der Baumaßnahmen gewesen wäre, zeigte sich gleich bei den ersten Erdbewegungen: Unzählige Funde kamen zutage; Befunde konnten nach Lage der Dinge indes nicht gesichert werden

In einer breit angelegten Kampagne begann Heimatforscher Rolf Hohmann mit anderen ehrenamtlichen Helfern im August 1972, parallel zu den Bauarbeiten, zu retten, was noch zu retten war. Die Amateurarchäologen förderten schließlich ein reichhaltiges Fundmaterial und mit der Entdeckung von Töpferöfen, Brunnen, Kellern und Gebäuderesten auch andere gut erhaltene Befunde zutage.

Im Sommer 1973 wurde im Auftrag des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen von Gerd Rupprecht eine Notgrabung durchgeführt. Die Entdeckung eines dritten Kastelles unterstrich nun noch mehr die Bedeutung des Platzes für die Geschichte der Wetterau in römischer Zeit.

In Zusammenarbeit mit der entstandenen „Archäologischen Arbeitsgemeinschaft südliche Wetterau“ führte zwischen 1975 und 1979 schließlich ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft  finanziertes Grabungsprojekt unter der Leitung von Wolfgang Czysz zur Untersuchung großer Teile des zur Bebauung anstehenden Geländes. Ihre Erkenntnisse werden hier zusammengefaßt.

 

Erdlager 1 („Polygonallager“):

Die römischen Militäranlagen von Heldenbergen wurden auf einer Lößterrasse, etwa zehn Meter oberhalb eines Prallhanges, am rechten Ufer der Nidder angelegt. Die älteste bekannte Militäranlage ist ein mindestens 8,5 Hektar großes Kastell in Holzbauweise.  Das Heldenberger Erdlager 1 bildet ein nach Nordosten offenes Trapez, dessen Flanken unvermittelt an die Nidderterrasse stoßen, so daß die Nordostfront nur durch den Steilhang geschützt war. Während dies für die Südostflanke gesichert ist, verlor sich die mit einem kaum mehr als 2,30 Meter breiten, 1,60 Meter tiefen Spitzgraben nur leicht befestigte Umwehrung im Nordwesten in dem bereits dicht überbauten Gelände der Saalburgstraße im Westen des Ortes. Der entsprechend nur leicht oder überhaupt nicht mit Hölzern armierte Plaggenwall hinter dem Lagergraben scheint in größeren Abständen mit kleinen Turmgerüsten bzw. Beobachtungsplattformen bestückt gewesen zu sein.

In Höhe des Hauses Saalburgstraße 14 war die Umwehrung für einen Tordurchlaß unterbrochen: deutliche Fahrspuren markierten hier die noch unbefestigte Römerstraße von Okarben. Ein zweiter Durchlaß lag - für Lagertore völlig ungewöhnlich - im Scheitel der Südecke. Wegen der im rechtsrheinischen Limesgebiet einzigartigen Form und Größe von mindestens 8,5 Hektar, der ausgesprochen leichten Befestigung und dem Fehlen jeglicher Bebauungsspuren im Innern des Lagers, hatte schon Wolff den Verdacht geäußert, daß es sich um eines jener seltenen Marsch­lager handelt, die zum Schutz einer im Felde oder einer Erkundungsaktion operierenden Truppe errichtet und nur sehr kurze Zeit belegt waren. Dies hat sich durch die neuen Grabungen bestätigt, denn Funde und Befunde weisen auf eine kurzfristige Besetzung hin und das Lager war sicher kein länger bewohntes Kastell.

 

Erdlager 2:

Ganz ähnlich müssen auch die Befunde des erst 1973 entdeckten Lagers 2 gedeutet werden, eine fast quadratische Anlage mit etwa 1,5 Hektar Größe. Sein scharf eingeschnittener Spitzgraben erreicht Tiefen von 2,30 Meter unter der heutigen Oberfläche und umschließt eine fast quadratische Fläche von 125 Meter Seitenlänge (1,5 Hektar). Bis auf die gleiche Orientierung zur Okarbener Römerstraße fehlen Hinweise auf Tore; mit Sicherheit hat es weder eine holzversteifte Erdmauer noch fest verankerte Ecktürme gegeben.

Sprechen auch hier alle Anzeichen für eine kurzfristig besetzte Anlage, so ist deren zeitliche Ansprache aus Mangel an geeignetem Fundstoff unsicher. Eine Anwesenheit von Truppen schon während der Chattenkriege scheint unwahrscheinlich; andererseits zeigen die Funde in den Gräben, daß sie in der Zeit um 90 schon wieder verfüllt waren. Mit dem zu Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus etwa acht Kilometer weiter östlich erfolgten Ausbau des Limes wurde die namentlich nicht bekannte Truppe wieder aus Heldenbergen abgezogen.

 

Erdkastell 3:

Gleichzeitig entstand auf höchster Stelle hart am Nidderabbruch das kleine Erdkastell 3 mit seiner wenig beständigeren Befestigung. Seine Umwehrung bestand wie auch bei den anderen beiden Anlagen aus einem umlaufenden Spitzgraben, der Erdwall dürfte aus aufgeschichteten Rasensoden bestanden haben. Der gut 2,70 Meter breite, bis zu 3 Meter tiefe Spitzgraben um­wehrt eine rechteckige Fläche von 90  bis 95 Meter (0,8 Hektar). Auch dieses Kastell war nur mit wenigen Gebäuden in Holzbauweise bebaut. Die hier stationierte Truppeneinheit oder -größe kennen wir nicht - wegen der geringen Kastellgröße kommt eine reguläre Einheit ohnehin nicht in Frage.

 

Zivilsiedlung:

„Die Römer sind unter uns“ - das können besonders die Bewohner des Neubaugebietes „Allee Nord“ behaupten. Wo heute ihre Häuser stehen, fanden von 1973 bis 1979 umfangreiche Ausgrabungen statt - die Namen Domitianstraße, Hadrianstraße und Castellring erinnern daran. Eine Bedeutung weit über den Ort hinaus erhält diese Ausgrabung nach Angaben des Landesamtes für - Denkmalpflege durch den aufsehenerregenden Fund im Hinblick auf die gewaltsame Auseinandersetzung zwischen Römern und Germanen, die zur Aufgabe des Ortes führten. Neben Brandschichten seien besonders die zahlreichen Skelett-Teile getöteter Männer mit Verletzungsspuren Zeugen für die Kämpfe im Jahr 233 nach Christus.

Das Ende der militärischen Besetzung kam mit dem neuen strategischen Konzept zum Schutz der Ostwetterauflanke, mit der Vorverlegung der Grenze und dem Ausbau der Limeskastelle Altenstadt, Marköbel, Rückingen und Großkrotzenburg. Doch bevor die Truppe ihre Heldenberger Stellung verließ, hatte sich entlang der Hauptstraße vor dem Südwesttor eine kleine Zivilsiedlung gebildet, die sich in der ersten Generation rasch nach Westen ausbreitete und schon um die Mitte des 2. Jahrhunderts ihre größte Ausdehnung bis in Höhe der Saalburgstraße 19 und 24 erreichte.

Zivilsiedlung (vicus):

Leitlinie der Ansiedlung blieb die von Okarben kommende Römerstraße, die nach 100nCh aufgeschottert und mit Straßengräbchen versehen wurde. An ihr reihten sich dicht an dicht jene für das dörfliche Siedlungsmilieu so typischen bis zu 40 Meter tiefen Langhäuser, die bis an das Ende der Römerzeit das Ortsbild geprägt haben.

Innerhalb des gesamten römischen und heute völlig zerstörten Areals gab es kaum mehr als vier oder fünf steinerne oder steinfundamentierte Gebäude; die Verwendung des nicht wetterfesten Windecker Sandsteines beschränkte sich auf Kellereinbauten und Brunnen. Alle übrigen Gebäude waren in nicht minder stabiler Fachwerkbauweise ausgeführt, so auch fünf näher untersuchte Vicushäuser westlich der Domitianstraße.

Die ausgegrabenen Bauspuren erlauben zusammen mit Funden der Wandverkleidung eine detaillierte Rekonstruktion antiker Bauweise und Zimmermannstechnik. Das von den vertikalen, dachtragenden Ständern durchzogene Rahmenfachwerk war zunächst mit senkrecht verspannten Ruten gefüllt. um dem mit Häcksel gebundenen Lehmbewurf Halt zu geben. Der Staklehm zwischen den freiliegenden Balken wurde in feuchtem Zustand flächig mit Hilfe geometrischer Holzstempel verziert und schließlich dann mit weißer Kalkfarbe getüncht.

Ein besonderes Fundstück merkantilen Charakters ist die schon stark abgenutzte, 4,6 Zentimeter hohe Bronzebüste des jugendlichen Merkur mit dem Flügelhut. Sie war mit Blei ausgegossen und diente als Laufgewicht (Aequipondium) einer Schnellwaage (Statera): ihr Gewicht beträgt 123,19 Gramm.

Das sicher sehr vielgestaltige wirtschaftliche Auskommen des Vicus und seiner Bewohner ist mit archäologischen Mitteln allein gar nicht zu fassen. Nur wenige Produktionszweige haben im Fund­stoff ihren Niederschlag gefunden. Einen Gutteil seiner Wirtschaftskraft und raschen Entfaltung verdankt die Siedlung den örtlichen Lößverwitterungslehmen und Tonen, auf deren Grundlage seit Anbeginn das Töpferhandwerk florierte. Die Heldenberger Keramik zeigt das weite Spektrum gängiger Geschirrformen von der Öllampe bis zur meterhohen Amphore. Außer der derben Ware wurde - vor allem in der Frühzeit - auch feines engobiertes Geschirr hergestellt. Mit der allgemeinen Rezession in den Provinzen nach der Mitte des 2. Jahrhunderts und der erstarkten Konkurrenz linksrheinischer Manufakturen ging aber auch die Heldenberger Töpfertradition nieder.

Eine große Zahl von Hufeisen belegt die Anwesenheit römischer Kavallerie, unzählige Scherben von Gebrauchs- und Tafelgeschirr zeugen von regem Leben innerhalb des Kastells.  Eine in einer Zisterne gefundene, verzierte Schüssel war zwar in Scherben, aber vollständig vorhanden. Zwei wohl von Legionären um 100 nach Christus verlorene und nun schließlich im Juli wiedergefundene Münzen sind bereits unterwegs zur Universität Mainz, um dort von einem Spezialisten genau bestimmt zu werden.

Eine nicht unbedeutende Rolle muß die Verhüttung tertiärer Brauneisenstein- und Rasenerzvorkommen in der Umgebung gespielt haben. Auch eine bescheidene Bronzegießerei ist durch Hackmetall, Schmelztiegel, einen Ofen und Halbfabrikate bzw. Fehlgüsse belegt, die aus umgeschmolzenem Altmaterial Kleingeräte wie Löffel, Nadeln u. a. produzierte.

Handel und handwerkliche Produktion waren wohl die Haupterwerbsquellen der Einwohner Heldenbergens, die ein größeres Umland mit zahlreichen Gutshöfen zu versorgen hatten. Es war vor allem die Heldenberger Keramikproduktion, die eine gewichtige regionale Bedeutung besaß. Hergestellt wurden nahezu alle damals gebräuchlichen Gefäßformen von den kleinsten Öllampen bis hin zu großen Amphoren. Von dieser Töpferei konnten neben einem reichhaltigen Material an Fehlbränden insgesamt sechs Öfen, Werkstätten, ein Trockenraum und einige Wasserhecken ausgegraben werden.

Nicht unterschätzt werden darf schließlich die intensive Nutzung des Umlandes, das aufgrund von Tierknochenfunden und botanischen Resten rekonstruiert werden konnte: Die Umgebung muß danach weitgehend gerodet und in Feldfluren umgewandelt gewesen sein, durchsetzt mit kleinen Buschgruppen und Gehölzen, von denen Hasel, Birne, Ahorn oder z.B. Hartriegel nachgewiesen wurden.

Überdeutlich wird im Fundbild das Niederungsökotop des Niddertales mit seinen mit Erle, Birke, Weide, Eiche und Buche bestandenen Galeriewäldern. Knochenfunde von Amphibien, Fischen, Vögeln und Säugetieren erinnern an eine sehr artenreiche Wildtierfauna, die heute weitestgehend ausgerottet ist, allen voran der Biber, dem das versumpfte Niddertal beste Lebensmöglichkeiten bot.

Am Ende des 2. Jahrhunderts führten die ersten bedrohlichen Einfälle feindseliger Germanenstämme zusammen mit der verminderten Widerstandskraft der Limestruppen zu einem steten Rückzug der Bevölkerung aus den betroffenen Grenzgebieten. Das Ausmaß der Zerstörungen am Limes, von dem uns zeitgenössische Schriftquellen berichten, wird ebenfalls archäologisch z. B. durch Versteckfunde und Brandschichten greifbar. Auch die ungeschützte Zivilsiedlung von Heldenbergen wird in dieser Zeit in Schutt und Asche gelegt. Der offenbar überraschende Angriff zwischen den Jahren 213 und 233 dokumentiert sich in mehr als einem Dutzend Skeletteilen getöteter Männer, die unbestattet blieben, wie Verbißspuren von Hunden, Füchsen oder Wölfen an den Extremitätenknochen beweisen.

Der Vicus wurde damals aufgegeben und in römischer Zeit nicht wieder besetzt, obwohl das Umland - Inschrift aus dem nächstgelegenen Limeskastell Altenstadt vom Jahre 242 - weiterhin in römischer Hand blieb. Das Gelände wurde später eingeebnet. Ober­tägig sind keine Reste mehr sichtbar; Funde werden in den Museen Darmstadt, Friedberg und Hanau aufbewahrt (Archäologische Denkmale, Seite 223-225).

 

Brandgräber an der Kreisstraße 246 nach Karben:

Einer aufmerksamen Spaziergängerin ist es zu verdanken, daß in Nidderau-Heldenbergen einige römische Brandgräber dokumentiert und deren Inventare geborgen werden konnten. Schon im Jahr 1904 hatte der Gymnasialprofessor Helmke im Namen des Friedberger Geschichtsvereins archäologische Ausgrabungen von römischen Brandgräbern durchgeführt, die ein Jahr zuvor bei Flurbereinigungsmaßnahmen entdeckt worden waren. Er grub ungefähr 200 Bestattungen aus mit dem heute befremdlich erscheinenden Ziel, Exponate für das kurz zuvor gegründete Museum in Friedberg zu gewinnen. Nach den Angaben Helmkes soll sich das Gräberfeld  ein gutes Stück westlich der römischen Siedlung viele Hundert Meter entlang der Römerstraße nach Okarben ausgedehnt haben. Er habe die Grenze des sich fast einen Kilometer weit vom Ort in Richtung Okar­ben erstreckenden Gräberfeldes gefunden. Die durchschnittliche Tiefe der Gräber soll 1 bis 1,50 Meter betragen haben. Die damaligen Funde befinden sich in Friedberg, Bad Nauheim und Mainz. Eine Grabungsdokumentation ist nicht vorhanden.

Mehrere Römerstraßen kreuzen einander innerhalb der Gemarkung Heldenbergen. Üblicherweise wurden an den Ausfallstraßen die Gräberfelder der römischen Bewohner angelegt. So erhielten die Toten klar abgesondert von der bewohnten Welt der Lebenden ihren Platz, der von den Vorüberziehenden deutlich wahrgenommen wurde. Die Kreisstraße 246 folgt dem Verlauf einer der ehemaligen Römerstraßen. Diese von Heldenbergen aus nach Westen führende Route knickt vor Karben in nordwestlicher Richtung ab und läuft auf das ehemalige Nachbarkastell Okarben zu.

Erst im Herbst 2014 gelang die Wiederentdeckung eines Abschnitts des Gräberfeldes: Die Spaziergängerin Doris Bach erkannte Ende September 2014 mutmaßlich vorgeschichtliche Funde.

Bald stellte sich heraus, daß es sich um Überreste eines Brandgrabes handelte. Die anschließende Ausgrabung eines schmalen Geländestreifens erbrachte den Nachweis einiger Grabgruben. Im Zuge der Baumaßnahmen an der Ortsumgehung erfolgte der Ausbau eines Teilstückes der betreffenden Kreisstraße, das heißt: sie erhielt neue Bankette und ein Straßengraben wurde angelegt.

Nur die bereits stark ange­schnit­tenen und offensichtlich von Zerstörung bedrohten Gräber wurden vollständig untersucht. Die übrigen wurden hinsichtlich Lage und Form fotografisch und zeichnerisch erfaßt; danach erfolgte die Abdeckung mit Erdmaterial.

Die Fundstelle liegt westlich des Schnittpunktes von Ortsumgehung und Kreisstraße. Das Gelände steigt von der Anschlußstelle her leicht nach Westen an. Dennoch muß die Niederung, in der Paul Helmke gegraben hatte, weiter westlich gelegen haben, da er ansonsten das Ende des Gräberfeldes in Richtung Karben nicht hätte erreichen können.

Insgesamt konnten im Rahmen der Notbergung auf einer Länge von 90 Metern  etwa 30 - 40 Zentimeter unter der ehemaligen Ackeroberfläche, teilweise eng beieinanderliegend, zwölf eindeutige Brandgräber und neun weitere Befunde erfaßt werden. Davon sind jeweils fünf archäologisch untersucht worden. Bei vier der zunächst unklaren Befunde handelte es sich ebenfalls um Brandgräber, bei einem weiteren um eine Abfallgrube.

Die Lage von Nägeln im Randbereich der Grube von Grab 1 und Holzreste deuten auf das Vorhandensein einer größeren Kiste hin. Die geschmiedeten Vierkantnägel mit flachem Kopf weisen im Schnitt eine Länge von 6 Zentimeter auf; zum Teil haften ihnen Holzreste an. Holz ist ausschließlich in Verbindung mit Metall erhalten geblieben.

Im Westen der Grabgrube wurde ein Holzstück angetroffen, das eine Buntmetallauflage trägt. Das rund 6 Zentimeter breite, 7,5 Zentimeter lange und 2,5 Zentimeter starke Exemplar weist einen schlüssellochartigen Ausschnitt auf. Bei einem durchlaufenden Stift könnte es sich um einen Schlüsselrest handeln. Die Ausmaße der vermuteten Holzkiste betrugen im Grundriß etwa 40 mal 40 Zentimeter ihre Höhe kann auf maximal 25 Zentimeter geschätzt werden. Das „Haus für die Ewigkeit“ war damit sehr kompakt.

Der Leichnam war nicht am Ort der Bestattung selbst, sondern auf einem Verbrennungsplatz eingeäschert worden. Die größeren Knochen des Leichenbrandes wurden ausgelesen und auf die Sohle des Grabes bzw. den Boden der Holzkiste gelegt. Gefäße, möglicherweise gefüllt mit Speisen und Getränken, waren schon vor der Verbrennung zum Leichnam gestellt worden. Sie sind zersprungen und mit einer schwarzen Kruste überzogen. Die kleineren Reste des Leichenbrandes, die zerbrochenen Gefäße sowie die Brandreste, bestehend aus Asche und Holzkohle, wurden mit Lehm vermischt in die Grabgrube gefüllt. Der flüssige Inhalt eines Einhenkelkruges scheint ausgegossen worden zu sein. Der Krug lag mit der Öffnung nach unten im Grab. Ein weiterer Krug war auf dem Leichenbrand plaziert und sonstige Brandreste waren im Grab verteilt.

Zur römischen Grabausstattung gehörten neben Gefäßen mit Speisen und Getränken auch Beigaben aus dem Besitz des Toten. Dazu zählten in Grab 1 ein schmuckloses Öllämpchen sowie einige eiserne Gegenstände. Kleinere, bis zu 2 Zentimeter lange Nägel dürften zum Schuhwerk des oder der Bestatteten gehört haben. Dem römischen Grabrecht folgend wurden die Leichenbrandreste mit Erde bedeckt.

Ein weiteres Grab enthielt keinen Leichenbrand, dafür jedoch zwei erst durch die Baggerarbeiten beschädigte Einhenkelkrüge, von denen der eine 16 Zentimeter, der andere 18 Zentimeter hoch ist. Die Gefäße lagen innerhalb einer flachen Mulde, die mit mittelbraunem Lehm verfüllt war und sich rechteckig auf einer Fläche von 45 mal 60 Zentimeter im gewachsenen Boden abzeichnete. Auf der leicht gerundeten Sohle der flachen Grube befand sich eine dünne Brandschicht. In diesem Fall handelte es sich vermutlich um ein Scheingrab oder eine Opfergabe.

Durch die Funde werden die Gräber datiert in die ersten beiden Jahrhuderte nCh, sie entsprechen den von Helmke 1904 geborgenen Funden.

 

Im Jahre 2016 wurde eine großangelegte Grabung durchgeführt. Die Grabungsfläche wurde als langschmaler Streifen entworfen, der unmittelbar westlich an die 2014 untersuchte Fläche anschloß und sich bei einer Breite von etwa 4 Meter gut 300 Meter entlang der hier fast genau in O-W-Richtung verlaufenden Kreisstraße 246 erstreckte. Ziel war es, das westliche Ende des Gräberfeldes festzustellen und damit dessen Gesamtausdehnung. Gerade die Randbereiche von Bestattungsplätzen sind von besonderem Interesse, da hier tendenziell nicht nur die jüngsten Bestattungen einer Besiedlung zu erwarten sind, sondern eventuell auch Sonderbestattungen.

Nach Abtrag des Oberbodens mit dem Bagger zeigte sich im östlichen Abschnitt der Fläche eine

Konzentration von Befunden, darunter erwartungsgemäß auch Grabgruben. Etwa 30 Meter weiter westlich endete diese Befundkonzentration. Im Verlauf der Kampagne war es möglich, diesen Teil des Grabungsschnittes mit den darin zutage getretenen Brandgräbern um fast 20 Meter nach Norden zu erweitern, sodass letztlich eine etwa 30 mal 22 Meter messende rechteckige Fläche zur Beurteilung des Gräberfeldes zur Verfügung stand.

Im  sich noch gut 270 Meter weiter nach Westen erstreckenden Schnitt konnten neben einigen neuzeitlichen Strukturen lediglich noch zwei jungsteinzeitliche Großbefunde dokumentiert werden. Bei einem handelte es sich um einen Grubenkomplex, in dem unter anderem zwei große Reibsteine zutage kamen. Ein dritter jungsteinzeitlicher Grubenbefund lag inmitten des römischen Brandgräberareals.

Im östlichen, erweiterten Teil der Grabungsfläche lagen in lockerer Streuung lagen in der Südhälfte der Fläche zahlreiche grubenartige Befunde. Bei den meisten handelte es sich um römische Brandgräber. Der mit Gräbern durchsetzte Streifen wies durchgängig eine Breite von etwa 10 bis 12 Meter auf. Die südlichsten Bestattungen lagen unmittelbar am Rand des modernen Straßengrabens. In der nördlichen Hälfte der erweiterten Grabungsfläche dünnte die Konzentration der Gräber merklich aus. Als „Ausreißer“ lagen lediglich ein Brandgrab (über einer offenen Grube, „bustum“) sowie ein Urnengrab abseitig des „Gräberstreifens“, das Brandgrab dabei als nördlichstes Grab gut 22 Meter von der Kreisstraße entfernt. Da die Umgebung des Brandgrabs sowie der gesamte Nordostbereich der Grabungsfläche weitgehend befundfrei waren, gewinnt man den Eindruck, hier den nördlichen Rand des Gräberfeldes erreicht zu haben.

Ein ganz anderes Bild bot sich am Westrand der von uns beobachteten Gräberkonzentration. Wie schon erwähnt, häuften sich die Grubenbefunde in der ursprünglichen schmalen Grabungsfläche nur auf einer Länge von etwa 30 Meter, vom östlichen Ende gemessen. In der Erweiterung zeigte sich nun ein geradlinig verlaufendes Gräbchen, welches in SSW - NNO-Richtung fluchtete. Im Planum besaß es eine Breite von gut 50 - 60 Zentimeter, sein Profil war gerundet V-förmig. Etwa 8 Meter nördlich der Kreisstraße knickte dieses Gräbchen stumpfwinklig nach Westen ab. Es schien hier in eine zur Kreisstraße parallel verlaufende Flucht einzuschwenken. Es scheint als Demarkationslinie des Gräberfeldes gedient zu haben.

Rund 150 Meter westlich des Gräbchenknick wurde in einer zweiten Flächenerweiterung ein in gut 8 Meter Entfernung parallel zur Kreisstraße verlaufendes Gräbchen auf einer Länge von 16 Meter festgestellt, das hier einen jungsteinzeitlichen Befundkomplex schnitt. Von seinen Ausmaßen her entspricht es gut dem „Grenzgräbchen“. Aus seiner Verfüllung konnte neben wenigen Steinen nur etwas vorgeschichtliche Keramik geborgen werden. Eine Datierung dieses Gräbchen­abschnitts in die Römerzeit ist möglich. Der parallele Verlauf in geringer Entfernung zur Kreisstraße - die ja weitgehend der Flucht der Römerstraße entsprechen soll - deutet eine Funktion als Straßengraben an.

Dies leitet über zur Frage hinsichtlich des Gräbchenverlaufes nach Nordosten. Die ältere Forschung nimmt an, daß es neben der in westliche Richtung nach Okarben verlaufenden Römerstraße (Trasse II nach Czysz, heutige K 246) noch eine weitere ältere Trasse nach Okarben in Richtung NNW gegeben haben soll. Der Knotenpunkt dieser Straßen muß westlich des römischen Heldenbergen, aber noch östlich der aktuellen Grabungsfläche gesucht werden, also wohl im Bereich der neuen Umgehungsstraße.  Czysz vermutete, daß das Gräberfeld im Zwickel dieser spitzwinklig aufeinander zulaufenden Römerstraßen gelegen haben muß. So ist denkbar, daß das Grübchen nach NNO bis zur „Trasse 1“ verlief und das zwischen den beiden Straßen liegende Gräberfeld abgrenzte.

 

Bemerkenswert ist die große Vielfalt an Bestattungssitten, die in dem relativ kleinen Gräberfeld- ausschnitt dokumentiert werden konnte. An erster Stelle sind zwei Brandgräber zu nennen. Hier wurde der Scheiterhaufen direkt über einer vorher ausgehobenen länglichen Grabgrube plaziert, das heißt, der Leichnam wurde vor Ort kremiert. Bedingt durch die hohen Brenntemperaturen ver­ziegelte der Rand der Grabgrube in auffälliger Weise. Brand-Bestattungen gelten als italisch-mediterrane Grabsitte, die mit den Römern an den Rhein gelangte. Im Heldenberger Gräberfeld sind sie selten: Unter den etwa 200 von Helmke ausgehobenen Gräbern war nur eines der Beschreibung nach ein Brandgrab.

Alle anderen 25 Gräber sind als Urnengräber, Brandgruben- oder Brandschüttungsgräber zu bezeichnen. Im Gegensatz zu den Brandgräbern fand bei diesen Bestattungen die Kremation der Toten nicht an Ort und Stelle der Grabgrube, sondern an einem Verbrennungsplatz statt. Danach las man die Reste vom Leichenbrand aus und setzte sie zusammen mit anderen verbrannten oder unverbrannten Grabbeigaben in den vorbereiteten Gruben bei.

 

Die Beigabenausstattung der Heldenberger Gräber variiert stark. Regelhaft kamen in allen Gräbern Bruchstücke von Keramikgefäßen vor, verbrannte wie urverbrannte. Meist handelt es sich um glattwandige und rauhwandige tongrundige Ware, darunter auch Gefäßtypen, für die die Herstellung im römischen Dorf (vicus) von Heldenbergen nachgewiesen ist. Seltener kommen Gefäße aus Terra Sigillata und sonstiger Feinkeramik vor. Nur in zwei Gräbern haben sich unzerstörte Gefäße erhalten. Öllämpchen aus Keramik konnten in drei Gräbern dokumentiert werden. Die meisten Grabgruben enthielten Überreste vorn Leichenbrand. Häufig sind eiserne Nägel, die von Holzkästchen oder ähnlichem stammen dürften. Viel seltener sind Scherben von Glasgefäßen und Buntmetallfunde. Lediglich ein Grab enthielt eine Bronzemünze.

 

Südlich der Kreisstraße wurden keine Gräber gefunden, überraschenderweise aberwurde  ein recht gut erhaltener Straßenkörper angetroffen, der von Südosten her kommend spitzwinklig auf die Kreisstraße 246 zuläuft. Er entspricht einem auf Landkarten aus der Mitte des 19. Jahrhunderts noch eingetragenen Weg, der vom Vorläufer der heutigen Kreisstraße 246 nach Südosten abknickt und an der alten Verbindung Heldenbergen-Büdesheim -Frankfurt endet.

Dieser Altweg war gut befestigt und hatte daher durchaus Straßencharakter.

 

Unterhalb des Straßenkörpers konnten Spuren einer offenen Wasserrinne aufgedeckt werden, die dem gepflasterten Weg zeitlich vorausging. Vorstellbar ist, daß die Rinne ursprünglich auf dem Boden eines Hohlweges floß. Solche Rinnsale, die den leicht geneigten Hang in östliche bzw. südöstliche Richtung zur Nidder hin entwässern, sind auf historischen Karten noch zu erkennen. Auf der Bodenkarte sind mehrere dieser feuchten Tälchen farblich hervorgehoben.

 

In Fläche I der Grabung von 2016 konnte offenbar das westliche Ende des seit 1903 bekannten mittelkaiserzeitliehen Gräberfeldes erfaßt wurde. Nach Osten kann es sich höchstens bis zur heutigen Umgehungsstraße erstreckt haben. Anders als von der älteren Forschung angenommen erstreckte es sich wohl nicht nur parallel der heutigen Kreisstraße 246, sondern ging merklich „in die Breite“ und reichte nach Nordosten vielleicht stellenweise bis an die ältere Trasse der Römerstraße nach Okarhen heran. So muß man eher von einer lang dreieckigen Form des Gräberfeldes ausgehen, die im Zwickel der beiden spitzwinklig aufeinander zulaufenden Straßentrassen lag. Weitere Gräber sind daher wohl vor allem nordöstlich der Grabungsfläche von 2016 anzunehmen sowie nördlich des sehr schmalen Grabungsabschnitts von 2014. Nach den Funden zu urteilen, gehören die Bestattungen größtenteils in das 2. Jahrhundert nCh. Damit fügt sich die Belegungszeit des Gräberfeldes in den zeitlichen Rahmen der Existenz der römischen Siedlung von Heldenbergen ein.

 

 

Ausgrabungen entlang der Kreisstraße 246              (02.11.2016 Hanauer Wochenpost)

Die Grabungen von Archäologen der Uni Frankfurt an der Kreisstraße 246 zwischen Heldenbergen und Karben gehen dem Ende entgegen. Demnächst soll dann der Ausbau der Kreisstraße samt Radweg beginnen. Grabungsleiter Dr. Thomas Maurer zeigt sich mit den Funden seines Teams zufrieden.

„Wir haben spannende Strukturen und viel Material entdeckt“, erklärt Maurer, der an der Goethe-Universität in Frankfurt lehrt. Seit dem 1. August ist der Archäologe hier mit bis zu 14 Kollegen und Studenten im Einsatz, bevor die Bauarbeiten beginnen und die Straße für einen Radweg erweitert wird. „Schon in den Jahren 1903 und 1904 hat man Gräber hier gefunden. Wir haben jetzt noch einmal 25 weitere Brandgräber ausgehoben, die aus der Römerzeit stammen“, erläutert Maurer, der mit dem Hessischen Landesamt für Denkmalpflege und der Denkmalschutzbehörde des Main-Kinzig-Kreises kooperiert und ein „großes Forschungs- interesse“ an dieser Arbeit bekundet.

„Die Funde stammen aus dem zweiten und dritten Jahrhundert nach Christi. Vermutlich

gab es im Bereich Heldenbergen ein römisches Dorf, und in Karben sah es ähnlich aus“, erläutert er. „Die Römer haben Ackerbau betrieben und den fruchtbaren Boden hier sehr geschätzt.“

Die K 246 war somit in ferner Vergangenheit eine „alte Römerstraße“, an deren Rändern die Gräber errichtet wurden. Besonders interessant ist für Maurer ein unzerstörtes Gefäß, das er freigelegt hat. Meist handelt es sich bei den anderen Funden um Urnen aus Ton oder Metall und um Scherben, die auch für seine Studenten ein spannendes Analyse-Material bedeuten. „Die Toten sind damals alle verbrannt worden, und wir sind auch auf Holzkohle-Reste gestoßen.“

Maurer und sein Team werden die Funde in den Wintermonaten in der Frankfurter Univer­si­tät untersuchen und dann einen Abschlussbericht erstellen. Derweil werden die freigelegten Gräber wieder zugeschüttet, bevor voraussichtlich noch in diesem Jahr die Baufahrzeuge anrücken. „Natürlich wären wir gerne noch weiter ins Land reingestoßen, doch das hätten wir den Landwirten nicht zurmuten können“, meint der Archäologe.

 

Auf dem Weg zum Dorf Heldenbergen:

Angehörige jener Alamannenstämme, die die Römer einst über den Rhein zurückgedrängt hatten, ließen sich im Bereich des längst nicht mehr erkennbaren Erdkastells 3 nieder und begründeten damit die Keimzelle, aus der Heldenbergen im Mittelalter wuchs. Erst im 4. Jahrhundert finden wir im Bereich der Oberburg und am Schloßpark wieder Siedlungsreste der Alamannen. Aus dem 9. oder 10. Jahrhundert stammen die Überreste dreier sogenannter „Grubenhäuser“, die dank gut erhaltener Pfostenspuren zeichnerisch rekonstruiert werden können. Zusammen mit 1980 ausgegrabenen mittelalterlichen Grubenhäusern an der Ostseite der Fritz-von-Leonhardi- Straße bildeten sie eine frühe Ansiedlung, bei der es sich entweder um die Keimzelle des heutigen Heldenbergen rund um die Oberburg oder um ein aufgelassenes Dorf an diesem wichtigen alten Verkehrsknotenpunkt handelt. Neben Keramik weist ein Reitersporn aus Eisen darauf hin, daß die Bewohner der Grubenhäuser nicht unbedingt arm waren.

Die erste urkundliche Erwähnung von Heldenbergen war  am 23. April 839. Die katholische Kirche „Mariä Verkündung“ stammt vermutlich aus dem 13. Jahrhundert und steht auf einem „echten Hügel“. Vielleicht war sie früher sogar eine Wehrkirche. Der heutige Bau ist von 1753.

 

Oberburg:

Wenn man von  Windecken kommt fährt man erst um den Schloßpark herum und an seinem Ende nach rechts in die Windecker Straße. Von dort geht nach rechts der Weg zum Eingang. Parken kann man an der Nordseite der Windecker Straße, aber dort sind nur zwei Parkplätze, eine Möglichkeit ist auch noch der Parkplatz vor der Raiffeisenbank. Durch einen Torbau tritt man in die Burg. Links liegt das Hofgut, rechts geht es in den Park. Wenn man weiter geht kommt an die rechts liegende Kapelle und geradeaus in das Haupthaus. Durch das Tor kann man meist noch gehen, links wohnt die Familie Leonhardi, rechts die Familie Speßhardt. Durch die Spalten des hinteren Tors kann man in einen weiteren Hof sehen.

Die Oberburg soll bereits im Jahre 835 bestanden haben (Datum der urkundlichen Ersterwähnung). Die bis zu 1,50 Meter dicken Wände im Südflügel des hufeisenförmigen Bauwerks deuten auf die Keimzelle des Anwesens: die in einer alten Urkunde so genannte „steynern Kemnat“, bewohnt von einer Familie von „Hildeberg“. Sie wurde im 13. oder 14. Jahrhundert samt einem Turm erbaut. Umgeben war sie von einem tiefen Trockengraben.

Die Burg wurde mehrmals umgebaut und wechselte sehr häufig ihren Besitzer. Auf viele Namen hatte die Oberburg schon gehört: „Truckenburg, Trockenburg oder Güldenburg“ nennen sie die Urkunden. Der Name „Trockenburg“ nimmt Bezug auf die Lage des Anwesens im Gelände und unterscheiden sie von der Naßburg: Nicht unten, nahe der Aue, sondern steil über dem Nidderaltarm liegt die Oberburg

So wird 1266 Eberhard von Heldenbergen genannt. Im Jahre 1370 ist Gottfried von Stockheim Besitzer der Oberburg. Sie gehörte diesem Geschlecht bis zum Jahre 1614. Im Jahre 1616 besetzte Jobst von Adolips gewaltsam die Burg. Es war zwischen Schwestern der Familie zum Streit gekommen, der erst nach Anwendung von Waffengewalt und Zerstörungen an der Burg beigelegt wurde. Die Besitzer heißen nun nach dem eingeheirateten Abkömmling eines Raubritter-Geschlechts „Hattstein“.

Die Hattsteins gaben der Burg wohl ihre heutige Gestalt als geschlossene Anlage, die durch Steilabhang, einen Trockengraben und eine heute in der Höhe teils abgetragene Schildmauer geschützt ist: Sie errichteten vermutlich den Nordflügel.

Im Jahre 1768 folgte Heinrich Franz Damian, der von Hanauern mit der Burg belehnt wurde. Im Jahre 1778 wurde sie mit Ländereien, Weinberge und Wald für 30.000 Gulden und 1.500 Gulden Schlüsselgeld an den Freiherrn Johann Maximilian Günderode zu Höchst verpfändet, den Vater der Dichterin Karoline von Günderode.

Im Jahre 1794 erwarb Jakob Friedrich Rohde die Oberburg ein preußischer Gesandter, den Besitz. Von Lissabon und Madrid aus betrieb er den Umbau zu einem zeitgemäßen Wohnhaus. Dabei wurden die mittelalterlichen Fensteröffnungen erweitert und ein klassizistischer Salonpavillon in den „Lustgarten“ gebaut. Außerdem ließ er 1802/1803 am Nordflügel eine evangelische Kapelle erbauen und im Park Alleen anpflanzen.

All diese Herrlichkeit fand - wieder einmal wegen Erbstreits - ein jähes Ende. Die geschmackvoll abgestimmte Inneneinrichtung wurde samt und sonders 1836 versteigert. Nur einige Gegenstände in der Kapelle sind heute noch aus jener Zeit erhalten. Im Jahre 1886 erwarb der Großherzogliche Kammerherr von Leonhardi die Burg. Fritz Freiherr von Leonhardi ließ im Jahre 1930 im Schloßpark das Haus Helbringen erbauen. Die Oberburg ist Privatbesitz und kann nur nach Rücksprache besichtigt werden.

Alteingesessen kann man die Leonhardis in Heldenbergen nicht nennen, sofern man wie in Adelskreisen üblich nach Jahrhunderten rechnet. „Erst“ seit 1886 ist die Familie im Besitz der Oberburg. Heute, so scheint es, lebt sie mehr für das als von dem Anwesen. Die Familie stammt aus dem Waldeckschen, berichtet Hildegard Freifrau von Leonhardi. Die alte Dame hat sich wie auch ihr 51jähriger Sohn Alexander intensiv mit der Familienhistorie befaßt. Im Gedächtnis präsent haben sie auch Passagen aus alten Urkunden, welche auf die Geschichte der ins Mittelalter zurückgehenden Oberburg verweisen.

Im Jahr 1794 hat Maria Theresias Sohn und Nachfolger Leopold II. einen damals in zweiter Generation in Frankfurt lebenden tüchtigen Bankier und Ratsherrn Leonhardi in den Adelsstand erhoben „Im Zug der napoleonischen Umwälzungen“, so erzählt Alexander von Leonhardi, habe der sich in Groß-Karben einen Landsitz zulegen können. „Dort sitzt noch mein Vetter.“ Das Karbener Gut ist nie geteilt, sondern in Verfügung des ältesten Sohns für die Familie zusammengehalten worden.

Alexanders Großvater Hugo erbte in wilhelminischer Zeit als jüngerer Bruder aber ein Vermögen mit der ausdrücklichen Auflage, sich ebenfalls ein Anwesen zuzulegen. Die Wahl am Immobilienmarkt fiel auf die Obernburg, welche damals bereits seit 50 Jahren nicht mehr bewohnt war. Für den Großvater, der als Kammerherr der Großherzogin am Darmstädter Hof lebte, war der unkomfortable Bau in der südlichen Wetterau nur ein Sommerhaus. Von dort aus ging man bisweilen zur Jagd, nichts weiter. Erst nach seinem Tod zog dessen Frau dauerhaft nach Heldenbergen, ließ überhaupt erst eine Heizung ein bauen.

Im Jahr 1934 hat Alexanders Vater eine Landwirtschaft begonnen auf den 60 Hektar, die zur Burg und dem in den 1890er Jahren erworbenen „Görtzschen“ Hofgut nebenan gehören. Bis 1979, so lang er lebte, betrieben die Leonhardis diese wenigstens teilweise noch selbst. Schon seit 1963 ist ein Großteil aber an das Lehr- und Versuchsgut Marienborn, einen Ableger des Instituts für landwirtschaftliche Betriebslehre der Universität Gießen, verpachtet. Heute bewirtschaftet dieses die gesamten Flächen. Der Ertrag daraus reicht nach Schilderung Alexander von Leonbardis heute aber nicht einmal mehr aus, die Gebäude zu unterhalten, denen sie zugeordnet sind, also Oberburg und Hofgut.

Die Oberburg ist mit ihren vielen Fluren und drei Treppenhäusern an der Obergrenze dessen, was eine dreiköpfige Familie bewohnen kann. Die Baulichkeiten zu pflegen, sieht der studierte, aber nie in seinem Beruf tätig gewesene Geologe Alexander von Leonhardi als seinen Arbeitsschwerpunkt. Um sich dies leisten zu können, ist er auf Einnahmen aus seiner nebenher ausgeübten Hausverwalter-Tätigkeit angewiesen. Seine Frau Juliane, früher in einer Computerfirma tätig, unterstützt ihn heute beim hierfür nötigen Schreibkram.

Zum guten Teil eigenhändig und mit gelegentlichen Helfern hat er das Görtzsche Gut saniert, viele Tonnen Schutt aufgeladen und abgefahren. In dem alten Gemäuer ist neuerdings eine Tierarzt- Praxis untergekommen. Leonhardi ist stolz auf die gelungene Sanierung des Objekts. Soweit es um Wohnraum ging, hat er dafür auch Stadterneuerungs-Zuschüsse erhalten. Die Familie ist sich einig, daß Eigentum verpflichtet.

So lang die evangelische Kirche kein Gemeindehaus hatte, stellte Hildegard von Leonhardi gern die ehemalige Kapelle für gelegentliche Treffen oder etwa für kleine Adventskonzerte zur Verfügung. Sie war es auch, die sich mit Feuereifer in die Arbeitsgruppe für die dicke Ortschronik zum Jubiläum „1150 Jahre urkundliche Ersterwähnung“ im Jahr 1989 stürzte. Seit jener Zeit lockt einmal im Jahr die Chorgemeinschaft mit ihrer sommerlichen Reihe „Lieder im Park“. Hunderte von Musikbegeisterten auf das von hohen Bäumen bestandene Gelände.

Schon als Juliane von Leonhardi, geborene von Speßhardt, 1983 auf die Oberburg einheiratete, bekam sie gleich zu spüren, wie sehr die Adligen mit den Leuten im Dorf verbunden sind: „Alle Vereine waren hier und haben uns beglückwünscht“, erinnert sie sich an den für sie besonders sympathischen Einstand. „Wir sind ins Dorf integriert und nichts Besonderes“, ergänzt ihr Mann ganz praktisch: „Die Leute sehen mich ja auf dem Traktor durch den Ort fahren.“ Die Aufgabe des Adels ist es aus seiner Sicht im konkreten Fall, die historische Substanz der Bauwerke zu erhalten: „Keiner erhält sie so wie die Eigentümer.“

Die Oberburg ist als einzige von ehemals drei Burgen in Heldenbergen erhalten. Sie besteht aus dem dreiflügligen Schloß, dem Torhaus, Stall und Scheune in Fachwerk. Im Sommer finden klassische Konzerte im Schloßpark statt.

 

Mittelburg:

Bei der Heldenberger Mittelburg wurde1999 ein riesiger Keramikfund gemacht. Eine solche Menge handbemaltes Geschirr dieser Güte aus der Zeit 1721 bis 1881 gibt es in Frankfurt: Kragentöpfe, die man in die Ringe des Kohleherds hängen konnte; Gefäße, die wie Lebkuchenherzen bemalt und beschriftet sind; Flaschen aus Steingut und mit Stempelaufdruck „Großkarbener Mineralwasser Hoflieferanten“.

Verein für Vor- und Frühgeschichte:

Der Verein für Vor- und Frühgeschichte im unteren Niddertal ist vielschichtig ausgerichtet. Neuere archäologische Funde aus Nidderau, Schöneck und Niederdorfelden werden im ehemaligen Stadtarchiv Nidderau auf dem Mittelburggelände in Heldenbergen (Mittelburg 10) bearbeitet und aufbewahrt. Ausgewählte Relikte sind in der Schausammlung im Erdgeschoß öffentlich zugänglich. Im ersten Stock des Vereinsgebäudes werden archäologische Funde gereinigt, restauriert und dokumentiert. Mehrere Arbeitsplätze stehen zur Verfügung, an denen auch Interessierte das vorhandene Material sichten und selbst bearbeiten können. In der Vereinsbibliothek sind mehr als 2000 Bücher, Sonderdrucke und 30 Zeitschriftenreihen zu finden. Außerdem beherbergen die Vitrinen im Foyer des Nidderau Rathauses sowie im Bürgertreff Kilianstädten ausgewählte Fundstücke.

Der Verein begleitet mehrere Projekte, wie den Nachbau eines bandkeramisch Hauses, einen archäologischen Pfad, organisiert Vorträge und Führungen, auch für Schulklassen und kooperiert mit deren regionalen Vereinen. Geöffnet sind die Räumlichkeiten des Vereins in der Regel an jedem dritten Sonntag im Monat, Kontaktmöglichkeit unter E-Mail-Adresse vvfn@gmail.com.

 

Naßburg:

Die Herren von Stockheim gliederten die Heldenbergischen Besitzungen und mit ihnen die Oberburg im 14. Jahrhundert ihrem Wetterauer Imperium an und errichteten bald die damals vergleichsweise bequemere Naßburg. Von ihr ist heute nur noch ein kaum noch in seiner Bedeutung erkennbares Wohnhaus mit einem Wappen in der Burggasse übrig.
Dazu fährt man in die Bahnhofstraße, die nach rechts abknickt. Wo sie wieder etwas nach links biegt, ist rechts die Naßburg. Im weiteren Verlauf der Bahnhofstraße kommt man zur neuen Evangelischen Kirche.

 

Evangelische Kirche:

Eine Evangelische Kirche hat Heldenbergen lange Zeit deshalb nicht besessen, weil die von Burg Friedberg betriebene Einführung der Reformation am Widerstand von Kurmainz scheiterte. Es gelang Burg Friedberg lediglich, ab 1587 Simultangottesdienste für Lutheraner und Katholiken einzurichten. Dieser Einrichtung machten katholische Truppen 1622 ein Ende. Die Katholische Kirche Heldenbergens diente dann in den Jahren 1632-1636 (Schwedenzeit) noch einmal als Lutherisches Gotteshaus. Nach dem Niedergang der schwedischen Herrschaft erloschen die regelmäßigen Gottesdienste vorerst.

Nach dem dreißigjährigen Krieg war noch eine kleine Schar Lutheraner vorhanden, die von Pfarrern aus der Umgegend betreut wurden und ihren Mittelpunkt in der in der Naßburg gelegenen Kapelle hatten, wo die dortige Herrschaft auch von 1732-1771 eine Hauspredigerstelle unterhielt. Anschließend mußte man sich über 20 Jahre mit einem Raum im Schulhaus begnügen.

Im Jahre 1794 gelang es der kleinen Evangelischen Gemeinde, ein altes Brau- und Wirtshaus zu erwerben und dieses zum Bethaus umzubauen. Diese Kirche wurde im Jahre 1801 eingeweiht, in der Folgezeit öfters umgebaut und renoviert und erhielt im Jahre 1870 einen Turm. Dieses Gebäude, das auch eine Lehrer- und Küsterwohnung enthielt, erschien in den 60er Jahren dieses Jahrhunderts als nicht mehr sinnvoll renovierbar.

So trug man die alte Kirche ab und begann im August 1965 mit dem Bau einer neuen Kirche. Die Grundsteinlegung fand im Mai 1966, die Einweihung am 2. Advent 1968 statt. Die Kirche und das Gemeindezentrum, die eine Einheit bilden, liegen auf der ehemaligen und früher oft überfluteten Nidderinsel. Zur Ausstattung der Kirche gehört das Altarbild (Holz), das die Jünger am See Genezareth darstellt und von Esteban Fekete, Darmstadt, gestaltet wurde. Das Kupferrelief auf dem Kirchenportal zeigt das Evangelium vom guten Hirten (Hoogenboom, Darmstadt). Der an eine Dornenkrone erinnernde Kronleuchter wurde ebenfalls von Hoogenboom, Darmstadt, gestaltet. Die im Gotteshaus befindliche Orgel wurde von der Fa. Förster & Nikolaus, Lich, unter Verwendung vieler Teile der im Jahre 1928 in der alten Kirche aufgestellten Orgel gebaut. Neben Kirche und Gemeindezentrum wurde im Jahre 1979 das für die seit 1977 bestehende Evangelische Pfarrstelle Heldenbergen neuerrichtete Pfarrhaus eingeweiht.

 

Synagoge:

In Heldenbergen bestand bis 1942 eine jüdische Gemeinde, deren Entstehung in die Zeit des 16./ 17. Jahrhunderts zurückgeht. Nach 1739 wurde vermutlich die erste Synagoge eingerichtet. Um 1830 beschloß die Gemeinde den Bau einer neuen Synagoge, die beim Novemberpogrom vollständig zerstört wurde. Standort: Bahnhofstraße 10.

 

 

Wie der Müller einmal einen plündernden Soldaten erschoß

Heute noch ist der legendäre „Hintermüller“ des Jahres 1813 für viele Heldenberger eine Art Kultfigur, von dem man unter Wissenden gelegentlich mit großer Hochachtung spricht. Dabei ist mit seinem Namen und der Geschichte ein Mord verbunden. Allerdings handelte es sich hierbei um die Tat an einem plündernden Soldaten, was für viele die Bluttat schon wieder verständlicher und für den einen oder anderen schon in den Bereich des Legalen rückt.

Es waren unruhige Jahre auch in Heldenbergen. Napoleon war Mitte Oktober 1813 bei Leipzig besiegt worden und französische Truppen waren in der Gemeinde einquartiert. Die Einwohner hatten allerhand auszuhalten und mußten immer wieder ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. So ist von einem Schmied überliefert, der fünfzig Hufeisen anfertigen und dazu noch einhundertsechzig alte aufschlagen mußte. Am 28. Oktober kamen wieder französische Soldaten ins Dorf, denen tags darauf sie verfolgende Kosaken folgten. Darüber hinaus waren Einquartierungen auch anderer Truppen wie Osterreicher, Preußen und Russen an der Tagesordnung - und alle fühlten sich wie die Herren im Hause. Lebensmittel, Schlachtgeflügel und auch die Pferde der Bauern waren begehrt.

Der damalige Müller mit Namen Landmann, der die etwa einen Kilometer vom östlichen Ortsrand entfernte Hintermühle besaß, hatte sein Pferd versteckt. In der Flur „An den Fuchslöchern“ dicht an der Nidder Richtung Eichen hatte er es vierzehn Tage lang in einer Laubhütte untergebracht. Nach vermeintlichem Rückzug der Truppen hatte er es geholt, um eine Fuhre Mehl ins Dorf zu bringen. Doch am Ortsrand unweit der Naßburg sind ihm dann plötzlich russische Soldaten begegnet, spannten ihm sein Pferd aus und ließen einen blinden Gaul zurück.

Es bedarf wohl wenig Vorstellungsvermögen, um sich in die Lage hineinzuversetzen, in welcher der Mann war, als am nächsten Tag drei russische Soldaten  und ein Corporal von der Naumburg kommend an seiner Mühle erschienen. um Heu zu fordern. Als sie sich nach der Weigerung um Überlassung von Futter auf dem Heuboden selbst bedienten, soll der Müller den Unteroffizier mit einem wohlgezielten Schuß vom Pferd geschossen haben. Die Flucht der Soldaten und ihre Rückkehr mit Verstärkung läßt sich gut ausmalen. Der Landmann aber hatte seine Familie ins Dorf gebracht. Von ihm selbst wird berichtet, daß er in einer Waschbütte den Krebsbach hinab und über die Nidder gerudert und durch den Wald nach Langenselbold geflohen sei.

Heldenbergen selbst war allerdings in höchster Gefahr. Aus Rache sollte es gebrandschatzt werden, und die verängstigten Einwohner hatten schon ihre Habe gepackt und sich außerhalb des Dorfes versammelt. Lediglich das Gnadengesuch des katholischen Ortsgeistlichen, Pfarrer Fehrer, bei dem in Frankfurt weilenden General, der Tage zuvor in Pfarrhaus einquartiert war, konnte dies verhindern.

Allerdings griffen die Soldaten beim Abrücken drei Einwohner des Ortes und zwangen sie, als Gefangene, mit Stricken an die Pferdeschwänze gebunden, hinter diesen herzulaufen. Erst im badischen Durlach soll ihnen dann die Flucht gelungen sein.

Wenn auch die Hintermühle vor etwa einhundert Jahren ihre eigentliche Aufgabe verloren hat und schon seit 1926 nicht mehr als landwirtschaftliches Anwesen existiert. so ist Müller Landmann selbst aber in der Heldenberger Geschichte fest verankert. Bei der 1150-Jahr-Feier der urkundlichen Ersterwähnung Heldenbergens im Jahre 1989 haben die Männer der Freiwilligen Feuerwehr Heldenbergen mit einer Festzugnummer und gleich zwei Motivwagen seiner gedacht. Die Hintermühle aber lebt nur noch in der Überlieferung fort. Wie das Schicksal so wollte, haben amerikanische Soldaten 1945 die letzten Reste in Brand geschossen.

 

Bonifatiusroute:

Eindeutige Beweise gibt es zwar nicht, doch vieles spricht dafür, daß der heilige Bonifatius durch Nidderau getragen wurde. Deshalb liegt die kleine Stadt im Main-Kinzig-Kreis an der für 2004 geplanten Bonifatius-Route. Vor zehn Jahren fanden Archäologen bei einer Ausgrabung in der Oberburg in Nidderau-Heldenbergen eine Keramik-Wasserflasche. Dieses Fundstück aus dem ehemaligen Wirtschaftsgarten der Burg datiert aus der Mitte des 13. Jahrhunderts. Zwei Henkel zierten die gefundene Flasche, die wie ein kleines Faß aussieht. Die Henkel dienten zum Festschnallen am Gürtel, darum wurde diese Flasche auch Pilgerflasche genannt.

Dieser Fund ist zwar um 500 Jahre zu jung, könnte aber ein Hinweis sein, daß der Leichnam des heiligen Bonifatius nach seinem Märtyrertod an der Nordsee im Jahre 754 auf dem Weg von Mainz nach Fulda tatsächlich durch Nidderau kam. Zu Fuß in fünf Tagen ist diese rund 180 Kilometer lange Strecke damals zurückgelegt worden - das ist überliefert. Dabei durch das heutige Nidderauer Gebiet zu laufen, ist der einzige vernünftige Weg, um in dieser Zeit diese Strecke zu schaffen.

In der Gemarkung Heldenbergen an der Straße nach Karben stehen rechts zwei Bäume und dazwischen das „Bonifatiuskreuz“, ein irisches Kreuz, das aber erst um 1900 errichtet wurde. Und in Windecken gibt es sogar einen Bonifatius-Acker. Aber Flurnamen sind nicht so alt. Interessanter ist, daß Heldenbergen eine der wenigen Stationen auf der Bonifatius-Route ist, wo es archäologische Siedlungsfunde aus der betreffenden Zeit gibt. Heldenbergen ist zwar erst 839 erstmals erwähnt, Funde um die Oberburg und im alten Ortskern belegen aber ältere Ansiedlungen aus der Zeit des Bonifatius. Und Siedlungen markierten schon immer den Verlauf von Straßen und Wegen.

 

Buch: Heldenbergen, 1150 Jahre 839-1989, Nidderauer Hefte Nummer 5.

Wolfgang Czysz: „Heldenbergen in der Wetterau: Feldlager, Kastell, Vicus“.

 

 

 

 

Ostheim

 

Lage:

107 Meter ü. N. N. Ostheim liegt östlich von Windecken, südlich von Eichen und genau nördlich von Roßdorf. Die Gemarkung umfaßt 1698 Hektar, davon 265 Hektar Gemeindewald. Außerdem 26 Hektar Staatswald.

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Siedlungen und Gräber der band­keramischen Kultur auf dem „Heckenwingert“  und westlich der Bahnlinie nach Friedberg, 150 Meter nordwestlich und 500 Meter südöstlich vom Bahnhof Ostheim (Rössener Kultur, Bild Seite 45).

Jüngere Eisenzeit: Aus einem verschleiften Grabhügel am Heckenwingert eine Gürtelkette aus Bronze (Bild Seite 60 und 68) und weitere Hügelgräber dieser Zeit im „Alten Haag“ (wurden im Jahre 1901 eingeebnet).

Römische Zeit: Die „Burg“ im Ostheimer Wald, Straßenstation an der römischen Straße Marköbel‑Friedberg, rechteckiger Steinbau, 8 x 4 Meter groß, umgeben von einem Spitz­graben und einem ummauerten Hof. ‑ Ländliches Gehöft an der „Bäckersmauer“ in den Ostheimer Tannen. - Weitere 300 Meter nördlich von der vorgenannten Stelle, 170 Meter westlich von der Eichener Chaussee, Fundamente eines ande­ren römischen Hauses. - Ein weiteres Gehöft lag im südöstlichen Teil des heutigen Dorfes.

 

Neubaugebiet „Mühlweide“:

Auf einem Stück Brachland am Neubaugebiet „Mühlweide“ wurde ein Keramikschatz gefunden ‑ und dazu noch die Fundamente der ältesten Häuser von Ostheim: Ein Leckerbissen für die Ar­chäologie aus der ältesten Jungsteinzeit, Linearbandkeramik genannt. Der fruchtbare Bo­den der südlichen Wetterau hat es vor 7000 Jahren schon den Menschen der Bandkeramiker‑Zeit angetan. Auf gut Glück wurde ein Schnitt ins Gelände gelegt, 85 Meter lang. Es war ein Volltreffer.

Zwar entdeckten Frau Callesen und ihre Helfer, Archäologie‑Studenten aus Frank­furt, nur Spuren der Kultur, die sie dort unten vermutet hatten. Dafür kamen ganz unverhofft aber Fundamente von Häusern der allerersten Siedler über­haupt zutage, die viel interessanter für die Archäologie sind. Bisher wurden nämlich in der ganzen Region aus die­ser Zeit gerade mal zwei Scherben gefunden geschweige denn eine ganze Siedlung.

Auch überregional ist der Fund von gro­ßer Bedeutung: Kann doch damit die Weg­strecke der ältesten Bandkeramiker nach Mitteldeutschland nachvollzogen werden. Gefunden wurden drei Acht‑Meter‑Häuser, ausgerichtet von Süd nach Nord, gebaut nach Fachwerkmanier: Mit im Boden ver­ankerten Holzpfosten, Flechtwand und Lehm als Verputz. Das Dach war gedeckt mit Stroh oder Ried. Das Material haben die Hausbauer aus einer Grube gleich da­neben gegraben. Was sich allerdings im Haus befand, ist und bleibt ein Rätsel. Kein Krümchen, keine Feuerstelle, kein Tierknöchelchen wurde darin gefunden.

Vielleicht haben die Bewohner darin die Nächte in Hängematten schaukelnd verbracht, nutzten den Bau als Vorratsraum oder als Zeremonienort. Die meiste Zeit verbrachten die damali­gen Menschen draußen im Freien. Sie hatten viel Muße: Zwei drei Stunden Ar­beit am Tag, mal töpfern, mal bauen, und dann noch ein bißchen Nahrungsbeschaf­fung, der Rest freie Zeit. Der Kampf ums Dasein war damals bis auf die Unbilden des Wetters und ein paar wilde Bären, Füchse und Luchse so schlimm nicht, die Natur bot in der Gegend reichlich Essen und Trinken, zumal in der Nähe munter ein Bächlein plätscherte. Auch Haustiere hielten die ersten Ostheimer bereits: Schweine, Rinder, Hunde, Schafe und Zie­gen.

Ein Gebiß stammt von einem Tier. Es lag in der Grube, in der die Leute offensichtlich das zurücklie­ßen, was sie für ihren Aufbruch in neue Siedlungsgründe nicht mehr brauchten. Dort fanden die Altertumsforscher auch ein glattgeschliffenes Stielbeil, an dem nur die Klinge fehlt. Gefunden wurde ein Pfeilglätter, ein schiff­chenförmiger geschliffener kleiner Sand­stein mit Farbspuren außen und einer Ril­le in der Mitte. Es könnte allerdings auch Modell eines Einbaumes sein.

 

Ein merowingerzeitlicher „Jäger“:

Bereits im September 2015 wurde bei einer archäologischen Baubegleitung in Nidderau-Ostheim ein Grab aus dem frühen Mittelalter entdeckt. Dieser Fund kam bei Kenntnis der archäologischen Ortsakten zwar nicht gänzlich unerwartet, jedoch überraschte der Befund bezüglich der Details. In den Jahren 1885 / 1886 waren rund 50 Meter von der jetzigen Fundstelle entfernt vier solcher Gräber aufgefunden worden. Dort waren 1885 als Grabinhalte „eine grosse Glasperle und zahlreiche kleine Perlen von Pasta, 2 Zierrathe aus Elfenbein, 1 Schnalle, I Gefäss und 1 Messer“ genannt worden. Die Beschaffenheit der ersten drei 1885 aufgefundenen Gräber ist nicht mehr zu ermitteln. Das vierte Grab, das ein Jahr später ausgegraben wurde, ist in den hessischen Mitteilungen 1886 beschrieben als „Grab  [...], welches in der Richtung West-Ost lag und ausser dem Scelett eines jungen Mädchens eine sehr unerhebliche Ausbeute aufwies: Eisenstückchen, welche Theile einer Schnalle zu bilden scheinen, ein Bronzeröhrchen, ein eisernes Messer mit Holzgriff und eine durchlochte, an beiden Polen stark abgeflachte Kugel, vermuthlich ein Spinnwirbel“.

In einer  Baugrube am Ortseingang von Nidderau-Ostheim. aus Richtung Windecken kommend, schnitt der Bagger nun in rund 1,20 Meter Tiefe den Schädel eines Toten leicht an. Die Grabgrube zeichnete sich erst rund 10 Zentimeter oberhalb des angeschnittenen Schädels als rechteckige Verfärbung von 1,20 mal 2,00 Meter Größe mit West-Ost-Ausrichtung ab. Auf ähnliche, allerdings von Nordwesten nach Südosten ausgerichtete Gruben war man im Laufe der Baggerarbeiten bereits zuvor gestoßen. Bei diesen handelte es sich um frühneuzeitliche Bergbauschächte, die - wie sich im Verlauf der Erdarbeiten zeigte - bis auf ein quer durch die Baugrube verlaufendes Braunkohleflöz hinunterreichten.

Der Leichnam war mit dem Kopf nach Westen in der nördlichen Grabhälfte niedergelegt worden. Die Lage der Knochen innerhalb des Grabes erwies sich als ungewöhnlich. Die Schädelknochen waren im Verband erhalten, hatten aber keine Verbindung zur Wirbelsäule. Eine leichte Seitenlage des Oberkörpers weist darauf hin, daß der Tote mit dem Rücken an einer möglicherweise hölzernen Abtrennung lehnte. Der rechte Oberschenkel war gegenüber dem Unterschenkel nach innen verschoben. Die Gesamtsituation legt eine Grabschändung oder Beraubung nahe. Diese dürfte bereits kurz nach der Bestattung erfolgt sein, da sich keine entsprechenden modernen Spuren fanden.

Bei den Beigaben, die nicht geraubt worden sind, handelt es sich um einen Knickwandtopf, der im Süden des Grabes auf Höhe der Knie des Bestatteten stand, um zwei eiserne Messer, die nahe dem rechten Oberschenkel angetroffen wurden, eine Gürtelschnalle aus Eisen im Bereich des Beckens sowie einen Feuersteinabschlag in der linken Armbeuge. Weitere Metallteile im Bereich des Brustbeins scheinen verlagert worden zu sein und lassen sich keinem konkreten Trachtbestandteil mehr zuweisen. Eiserne Gegenstände am linken Knie erwiesen sich nach der Restaurierung als Pfeilspitzen.

Der rund 14 Zentimeter hohe Knickwandtopf ist mit einem typischen Rollstempeldekor aus kleinen Rechtecken versehen. Dieser ist unterhalb des Randes und oberhalb des Knicks in Form von paral­lel zueinander liegenden umlaufenden Bändern angebracht. Form und Machart des Gefäßes waren im fränkischen Raum im 6. und 7. Jahrhundert weit verbreitet.

Die beiden eisernen Messer sind schlecht erhalten. Bei beiden ist jeweils die Griffangel ausgebrochen. Das kleinere Messer weist eine erhaltene Länge von noch 18,5 Zentimeter, einen geraden Rücken und eine leicht geschweifte Klinge auf. Nahe dem Messerrücken sind Rillen erhalten. Bei den beidseitig parallel zum Messerrücken verlaufenden, aber nicht mehr über die ganze Klingenlänge erkennbaren Rillen, könnte es sich um „Blutrillen“ handeln.

Das größere Messer hat noch eine Länge von 26,9 Zentimeter. Es verfügt ebenfalls über einen geraden Rücken, der bei diesem Exemplar zur Spitze hin abknickt. Der Verlauf der Schneide ist leicht geschweift, die Klinge im Querschnitt dreieckig. Beidseitig sind doppelte Rillen erkennbar. Diese befinden sich nahe dem Messerrücken und parallel dazu jeweils am oberen Ende des unteren Drittels der Messerschneide. Auch hier liegt die Ansprache als „Blutrillen“ nahe. Bei letzterem Messer könnte es sich um ein Jagdmesser handeln. Dafür sprechen Länge und Querschnitt.

Die insgesamt 13,2 Zentimeter lange, zum Gürtel gehörige, eiserne Beschlagschnalle kennzeichnet ein dreieckiger Beschlag aus etwa 2 Millimeter starkem Eisenblech mit profilierten Rändern. Der dazugehörige und rechteckige, rund 3 Millimeter starke Schnallenbügel ist massiv gearbeitet: der Schnal­lendorn fehlt. Auf dem Beschlag sind zwei Nietköpfe mit Blechüberzug erhalten. Die Form der  Schnal­le erinnert an silbertauschierte Gürtelbeschlagschnallen der jüngeren Merowingerzeit (7. Jahrhundert). Am vorliegenden Exemplar konnten allerdings keinerlei Verzierungsreste nachgewiesen werden.

An dem 2,2 Zentimeter langen und 1,4 Zentimeter breiten Feuersteinabschlag sind Bearbeitungsspuren zu erkennen. Eine echte Schneidenkante hat das Stück nicht. Der Feuerstein könnte gemeinsam mit einem Feuerstahl als Feuerzeug gedient haben.

Die drei Pfeilspitzen schließlich sind zusammenkorrodiert. Eine Pfeilspitze mit lanzettförmigem Blatt und ausgebrochener Tülle ist noch 11,4 Zentimeter lang erhalten. Die mittlere Pfeilspitze ist mit dem Rest des Schaftes noch 9,5 Zentimeter lang. Sie besitzt ein dreieckiges Blatt und Widerhaken, von denen einer abgebrochen ist. Die dritte Pfeilspitze hat ein spitzovales Blatt; die Tülle ist ausgebrochen, ihre erhaltene Länge beträgt noch 7,9 Zentimeter.

Die unterschiedliche Art der Pfeilspitzen und die beiden Messer legen die Vermutung nahe, daß der Bestattete einer Tätigkeit als Jäger nachging. Seine Bestattung dürfte im 6. oder 7. Jahrhundert erfolgt sein. Weiterführende Untersuchungen am Grabinventar sind wünschenswert.

 

Älteste Namensformen:

Ostheim um 850, Ostheim in der Wede­reiba 1016, Hostheim 1245, Oestheim 1356, Oystheim 1366.

Aufgrund der Endung des Ortsnamens auf „-heim“ gehen Sprachforscher für Nidderau-Ostheim von einer fränkischen Gründung aus. Im Ort soll es ein fränkisches Hofgut gegeben haben.

 

Statistisches: Einwohnerzahl:

1820 = 925; 1855 = 1091; 1885 = 1337; 1905 = 1306; 1919 = 1386; 1925 = 1494; 1939 = 1677; 1946 = 2291; 1953 = 2170, davon Heimatvertriebene = 265, Evakuierte = 180 (aus Hanau ~ 105).

Bekenntnis: 1905: ev. = 1245, kath. = 33, israel. = 28, heute: ev. = 1952, kath. = 95.

 

Wirtschaft 1953:

Vorwiegend Landwirtschaft; auch Arbeiterwohnsitz­gemeinde. ‑ Ziegelwerke.

Tonabbau und Landwirtschaft waren die Existenzgrundlagen. Im Adreßbuch von 1901 ist bei vielen Bür­gern ist „Taglöhner“ als Beruf angegeben. Man findet auch einen Schreiber, einen Hausierer, die Einträge Schriftsetzer, Agentur des Hanauer Anzeiger', Pfarrer und Metropolitan oder auch Gast‑ und Landwirt, Metzgerei, Spezereihandlung, „Dampf­ziegelei/ Russensteinfabrik“ (Russenstei­ne wurden die am Ort gebrannten Back­steine genannt).

Das Dorf war bis 1970 Ziegeleistandort. Es gab Kü­fereien und Keltereien und Diamantschleiferei. Das erste elektrische Licht kam in den 20ern aus dem Generator der Ziegelei und wurde gegen 22 Uhr zentral abgestellt. Die Stra­ßenlaternen machten erst nach dem Krieg den Nachtwächter überflüssig. Beim Kohlenklau bediente sich „halb Ostheim“ an den Ami‑ Waggons.

 

Geschichtliches:

Die überlieferten Urkunden­auszüge im Staatsarchiv Marburg be­legen nur, daß Ostheim wahrscheinlich im Jahr 842 erstmals akten­kundig wurde, zumindest nicht danach. Wie meist bei diesen Erst­erwähnungen hat sich Urkunde mit dem Namen „Ostheim“ nur erhalten, weil es um Besitz ging ‑ hier um Schenkungen eines gewissen Udalrich an die Reichsabtei Fulda. Das Jahr 850 war die bis vor einiger Zeit bekannte Erst­erwähnung Ostheims. Sie stammt aus einer anderen Schenkungsurkunde mit der ein Megenolt von der Wetterau die Fuldaer Äbte bedacht hatte.

Im Jahre 1016 schenkte Kaiser Heinrich II. dem von ihm gegründeten Bistum Bamberg sein Eigengut Ostheim; es scheint das spätere Dorf gewesen zu sein. Die Herren von Hanau erwarben den bambergischen Besitz 1260 als Pfand, 1262 als Lehen (dazu gehörte auch Tezeln­heim, das spätere Windecken). Im Jahre 1282 wird ein hanauischer Schultheiß genannt; später war Ostheim ein Dorf des hanauischen Amts Windecken. Im Dreißigjährigen Krieg wurden 1634/35 insgesamt 83 Häuser und Scheuern verbrannt; es blieben das Rathaus, das Pfarrhaus, ein Backhaus, die Kirche und 20 Häuser und Scheuern stehen.

Ost­heim hatte mit Windecken einen großen gemeinschaftlichen Markwald, an dem nach einem Weistum von 1393 die Eichener gewisse Rechte hatten. Ostheim hatte früher eine Ringmauer.

Im Jahre 1965 erfolgte die Errichtung der Schule in Ostheim,  am1. Juli 1974 der Anschluß der Gemeinde Ostheim an die Stadt Nidderau

Literatur: Alt‑Ostheim von Pfarrer Friedrich Fink, Ostheim 1925.

 

Kirche:

Die Pfarrkirche bestand unter dem Ruralka­pitel Roßdorf im Ar­chidiakonat von Ma­riengreden in Mainz. Patron war das Stift Bam­berg. Tochterkirche war bis 1489 Windecken. Die Katholiken sind heute nach Windecken ein­gepfarrt. Im Jahre 1663 verlautet, daß von einem Pfarrer eine Steuer zur Wieder­her­stellung der im 30jährigen Krieg sehr stark in Mitleidenschaft gezogenen Kirche ein­geführt wurde. Der schon recht baufällige Kirchenturm wurde 1725 neu aufgebaut. Die Kirche von 1738, ein Saalbau mit dreiseitigem Schluß und mit fünfstufigem Dachturm zählt zu den ältesten Gotteshäu­sern im Hanauer Land. In der Kirche gab es 1967-69 eine „umstrittene“ Renovierung. Dieser fiel die barocke Empore in dem weitgehend gotischen Gotteshaus zum Opfer.

Vermutlich im 14./15. Jahrhundert wurden in Ostheim Bilder  unmittelbar auf die verputzte Wand gemalt. Sie erzählen ‑ wie schon bei den Katakom­benmalereien der ersten Christen in Rom ‑ vom jüngsten Gericht und in besonders anschaulicher Wei­se vom Erzengel Michael als Seelenwäger. ­Wandmalereien dieser Art als meist gefährdeter Kunstgattung, oft unter Tünch­schichten verborgen und wenn sie freigelegt sind, häu­fig ungeschützt, sollte besonderer Schutz zur Erhaltung zuteil werden.

Zwei Freskenreste wurden im Jah­re 1980 restauriert. Es handelt sich um zwei Gemälde aus dem frühen 13. Jahrhundert, die über ehemaligen Seitenaltären angebracht waren. Während die Bildreste an der Süd­seite nur noch undeutlich eine großfigurige Darstellung zeigen (vielleicht Anbetung der Köni­ge) (die Gesichter der Fi­guren sind vermutlich absichtlich zur Zeit des Bildersturms nach der Reformation zer­stört worden) ist das Gemälde an der Südseite in seiner oberen Hälfte nahezu voll­ständig erhalten. Es zeigt eine Darstellung des jüngsten Gerichts und ist so ein wert­volles Zeugnis der Frömmigkeitsstruktur und des Lebensgefühls jener Zeit. Augenschein­lich müßten die Bilder aus dem 13. Jahr­hundert unterhalb der Empore weiter­gehen. Dort hat man bei der Renovierung alles von der Wand geschlagen, obwohl be­kannt war, daß dort Malereien sein müs­sen.

Im Jahr 1968 wurde ein neuer Altar aus Sandstein aufgestellt und die alte Kanzel im gleichen Jahr in der Mitte der Kirche hinter dem Altar postiert. Eine Orgel wurde 1968 von der Firma Stehle, Büttelborn, neu eingebaut. Grabsteine des 18. Jahrhunderts sind im Pfarrgarten und an der Mauer des Friedhofs (von 1781) eingelassen; dort steht auch der Grab­stein des Magisters Volk­hard (gestorben 1453), den geheimnisum­witterte „Pfaffenstein“.

 

Hofhaus:

Das Hof­haus von 1596 war vielleicht der frühere herr­schaftliche Hof. Erhalten sind das Ober­geschoß und ein statt­liches Tor mit Maske und Wappen aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Es bezieht sich auf die Familie Herpfer, der 1699 die Schäferei in Windecken und Ostheim von den Hanauer Grafen verliehen wurde (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 107).

 

Museum:

Das Dorfmuseum in der Limesstraße ist der ehemalige Getreide­speicher über den Schweineställen einer größeren Hofreite des Weider­hofs. Es war Gründungsziel, das noch Vorhandene aus der dörflichen Landwirt­schaft zu bewahren. Auf dem Speicher ist eine Stube abge­teilt. Sie gibt einen Einblick ins Häusliche ‑ Küche, Schlafzimmer, Wohn­raum ‑, wie es sich vor dem endgültigen Durch­bruch der Massenfertigung dargestellt ha­ben mag. Der Gang über den übrigen Speicher wird zu einem Bilderbogen der verschiedenen dörflichen Handwerke.

Zu sehen sind dort die Stellmacher­-Werkstatt mit ihrer Schnitzbank, der Ar­beitsplatz des Schusters mit einer Osen­drückmaschine, die komplette Einrich­tung des Draudtschen Bäckerladens (auch die Ofenluken und die Sack‑Ausklopfma­schine) oder Überreste aus der Druckerei Jost mit einem Setzkasten und einem Buch über den Satz in Sütterlin‑Lettern.

Im ehemaligen Schweinestall ist eine Auswahl historischer Landmaschinen versammelt. Nebenan ist ein kleines Ka­binett den ehemaligen Ostheimer Ziege­leien gewidmet ‑ eine Reihe vergrößerter Fotos gibt Einblick in die für den Ort bis 1970 wichtige Branche.

 

Auswanderung:

In der amerikanischen Stadt Baltimore gibt es ein Stück Os­theim. St. Stephan heißt das Gotteshaus der dortigen evangelischen Kirche, die einst Auswanderer aus dem heutigen Nid­derauer Stadtteil bauen ließen. Aufgehal­ten hatte man in Ostheim die Menschen nicht, die Mitte des 19. Jahrhunderts wo­anders ihr Glück versuchten. Im Gegen­teil, die Reisenden ohne Rückkehr wurden von der Dorfverwaltung mit einem Reise­geld und mit Proviant ausgestattet.

„Johannes Stroh mit Frau und drei Kin­dern; Nikolaus Kohl, der Jäger, mit Frau und zwei Kindern; Daniel Mehrling mit Frau und vier Kindern ...“, insgesamt ver­ließen allein am 28. Mai 1847 um drei Uhr in der Früh 20 Familien Ostheim mit Ziel Amerika. Die neue Heimat der insgesamt 93 Menschen (38 Erwachsene und 55 Kin­der) wurden Baltimore oder Frederick im Bundesstaat Maryland. Jedem Auswande­rungswilligen zahlte die Gemeinde einen Betrag von 96 Gulden, übernahm die Fahrtkosten von einen Gulden und 36 Kreuzern mit der Pferdekutsche nach Bre­men und spendierte dem Tross als Wegzeh­rung für die zwölf Tage dauernde Schiffs­passage 276 Brote. Obendrein gab es eine Kisten voller Kleidung und Schuhe sowie pro Kopf fünf Gulden Handgeld, damit die Hessen in der neuen Welt nicht ganz ärm­lich dastanden. In dieser gen Amerika ge­richteten zweiten Auswandererwelle kehr­ten 186 Menschen, zumeist junge und ge­sunde, dem Dorf den Rücken.

In Ostheim gab in dieser Zeit für viele Menschen keine Lebensgrundlage mehr. Die von der Landwirtschaft geprägte 900-Seelen‑Gemeinde hatte schon zuvor gelitten ‑ beispielsweise unter den Abgaben an die Obrigkeit, den Frondiensten und, wenn Heere übers Land zogen, unter der Versor­gung der Soldaten und deren Pferde, ohne dafür auch nur einen roten Heller zu be­kommen. In den ersten beiden Jahrzehn­ten des 18. Jahrhunderts hatte es Osthei­mer zum erstenmal im verstärken Maß aus der Heimat gezogen. Es ging in die ost­preußische Provinz Litauen, die 1711 von der Pest fast menschenleer geworden sein soll. Andere Ostheimer, die sich endlichen aus der Leibeigenschaft befreien wollten, und zudem das Versprechen auf eigene gro­ße Äckern erhalten hatten, wanderten nach Ungarn in die Orte Nagyszékely (Großsäckel) und Gyönk (Jink) aus. Daß es den Ostheimernin der Fremde gut gehen konnte, bewiesen zur gleichen Zeit die Aus­wanderer, die sich auf Ruf des preußischen Königs Friedrich II. in Brandenburg nie­derließen und dort die Kolonie Friedrichs­walde mitbegründeten. Sie sollen dort zwar nicht zur stärksten Einwohnergrup­pe gezählt haben, aber dafür zu den Ein­flußreichen und Wohlhabenden.

Nicht alle Auswanderer aus dem Dorf am Rand der Wetterau gingen gleich mit Kind und Kegel. Manchen Menschen war die Ungewißheit im neuen Land zu groß und so versuchte zunächst der Mann eine neue Existenz aufzubauen, um bald da­rauf die oft kinderreiche Familie nachkom­men zu lassen. Nach und nach verließen so ganze Sippen den Ort. Selbst die Alten zogen ihren Kindern nach wie Adam Weis­heim und seine Frau, die beide bereits das 70. Lebensjahr erreicht hatten. Zwar hatte der Dorfchronist akribisch Name, Zahl der Familienmitglieder und die Menge der Gulden notiert, die die Auswanderer aus Kasse der Gemeinde oder des Fürsten be­kamen, die Berufsangabe fehlt jedoch oft­mals. Mal ist die Rede vom Jäger Kohl, mal vom Glaser Mehrling. Vermutlich war jedoch das Gros Bauern.

Für manche Leute gab es damals aber nicht nur wirtschaftliche oder familiäre Anlässe einen Dampfer zu besteigen. Der 20‑jährige Andreas Unger („10 Zoll, 3 Strich groß“) ging als Lediger in der Nacht zum 1. März 1853 nach Baltimore, weil er wegen Diebstahls sein Ehrenrecht zum Soldatsein verloren hatte. Im Jahr 1847 ließ ein Mann Frau und Kind zurück, Schulden und schlechtes „Aufführen“, so der Chronist, seien der Auswanderungs­grund gewesen. Ähnlich verhielt es sich bei einem Musiker, der 28 Jahre alt war, und von dem man weiß, daß er in der Neu­en Welt totgeschossen wurde. Was aus Müller Lang in Amerika wurde, ist nicht dokumentiert. Seine Mühle brannte samt der Weizenernte im August 1831 ab. Lang erhielt für den Schaden von der Brandkas­se 1700 Gulden. Statt das Geld in den Wie­deraufbau der Mühle zu stecken, soll sich der Mann in die Kutsche nach Bremen ge­setzt haben.

Zum Jubiläum kamen die freundlichen Brandenburgem Axel Ritter und Hans‑Dieter Weißzum zweiten Mal mit dem Planwagen. Samt den vier zähen Fjordpferdchen kam der dies­mal allerdings per Lkw aus Friedrichswal­de; vorletztes Jahr hatten die Nachkom­men hessischer Siedlerfamilien einen spektakulären 900‑Kilometer‑Ritt auf den Spuren ihrer Vorfahren unternommen, da­bei für ihre 760‑Einwohner‑Gemeinde am Rand der Schorfheide geworben und das Band nach Nidderau wieder geknüpft. Erste Gegenbe­suche in Friedrichswalde habe es inzwi­schen gegeben, erzählt Ritter, Angehöri­ge der vor zweieinhalb Jahrhunderten ausgewanderten Ostheimer Familien.

 

Ziegelbrennerei:

Rund um Ostheim stößt der genaue Blick immer wieder auf Bodenkanten. Sie zeugen von einem Stück lokaler Wirtschaftsgeschichte, über das nur noch Alteingesessene erzählen können. Ostheim war ein Zentrum der Ziegelproduktion. Im Januar 1970 fanden Abbau und Weiterverarbeitung des für die südliche Wetterau typischen, tonhaltigen Lehms ein jähes Ende. Das Werk am Bahnhof brannte ab. Ein ölbetriebener Trocknungsbrenner mit einem 200.000­ Liter‑Tank hatte sich entzündet. Vernich­tet wurde auch die angrenzende „Riesen­halle“, die Zimmermann Mehrling in den 20er Jahren zum Staunen der Leute mit Holzbindern überspannt hatte. In ihr standen der Ziegelofen und ziegelbefüllte Loren.

Obwohl der Betrieb in Ostheim gut lief, entschied die Muttergesellschaft Burger & Söhne, die dort ver­nichteten Kapaziäten am Standort Ra­volzhausen wiederaufzubauen. Dort stand besseres Material an ‑ fast reiner Ton. Das nicht vom Feuer betroffene Osthei­mer Werk II auf dem heutigen Raiffei­sengelände im Zwickel zwischen Bahn und Hanauer Straße stellte bald ebenfalls den Betrieb ein. Ein Stück Feldbahn‑Gleis in der Ring­straße zeugt noch von der alten Verbin­dung der beiden großen Ziegelwerke. Viele aus der zum Brand­zeitpunkt 70, 80 Ziegeleibediensteten fan­den in Ravolzhausen wieder Arbeit. Für Ostheim endete so ein Tradi­tionshandwerk, das in den frühen 50ern bis zu 120 Bürger beschäftigte.

Die Backstein-Herstellung erfolgte in Feldbrand­-Technik, einem wohl Jahrtausende alten Verfahren. Man ar­beitete unter freiem Himmel, reine Som­merarbeit. Anfang der 30er Jahre arbeiteten in der 1894 von Wil­helm Brodt IV gegründeten Ziegelei zwei Gruppen Akkord; es mußten auch Kinder mit anpacken. In der heutigen Wiegenstraße war das, auf dem Acker des Bauern Brodt, der als „Grellemännche“ in Erinnerung ist. Lehm wurde mit dem Spaten gestochen, gewässert und von den Männern in Turnhosen gestampft. Auf einem groben Arbeitstisch drückte ihn einer der Ziegelbäcker in die Holzform. Nun hieß es Sonnen­kraft, ja bitte! Die darin „lederhart“ ge­wordenen Rohlinge setzte man zu so im­posanten wie kurzlebigen Öfen zusam­men: auf 10, 15 Meter Länge, 8 bis 10 Me­ter Breite und eine Höhe von 5 Metern werden deren Maße geschätzt. Mit feuchtem Lehm beworfen und mit Schilfmatten abgedeckt, hielten die kunstvoll aufgeschichteten Steine Feuer und Hitze rund 14 Tage lang. Dann waren die Ziegel gebrannt ‑ und verrußt. Auf diesen Umstand kann man den am Ort noch gängigen Ausdruck „Russe‑Staa“ für die Mauerziegel zurückführen.

Gemäuer aus diesen handgeformten Ziegeln stehen noch genügend in der Landschaft. Dabei war es mit der Homo­genität des Materials nicht weit her, dem man schließlich nur von einer Seite her hatte Zunder geben können. Handgeform­te Ziegel haben Vorzüge, die man erst seit einigen Jahrzehnten zu schätzen weiß: Sie weisen verarbeitungs­bedingt einen hohen Luftgehalt auf und damit eine recht gute Wärmedämmung

Einer anspruchsvoller gewordenen Nachfrage begegnete man Ende der 60er Jahre mit einer Produktpalette von 80 Steinsorten, darunter Terra‑Felssteine mit abgehäm­merter Außenkante, Braunlinge oder engobierte )mit andersfarbigem Ton eingefärbte) Rotlinge. Ein Riesengeschäft waren Ende der 60er Jahre die präzisen, säurefesten und 400 Kilo­gramm pro Quadratzentimeter standhal­tenden Kanalklinke, die gleich millionen­weise unter Würzburg „beerdigt“ wurden.

Gemächlicher als bei manchen auswärtigen Ziegeleien, doch unaufhaltsam war die Technik in Ostheims Produktionsstät­ten vorangeschritten, seit ein gewisser L. Wasem irgendwann im vorigen Jahr­hundert zwischen Windecken und Ost­heim die erste Feldbrandziegelei aufge­macht hatte. In Ostheim selbst war Hein­rich Brodt der erste Ziegelunternehmer, man nannte ihn den „Zielhetter“. Seine Ziegelhütte stand an der Ecke Eicher Tor/ Rommelhäuser Straße. Nebenan am Ortsausgang Richtung Eichen arbeitete um 1895 Heinz Kester weiter, von dessen Ar­beiterunterkunft ein Teil umgebaut bis heute existiert.

Den Schritt über den Feldbrand hinaus unternahmen die Gebrüder Altvater an der Straße nach Roßdorf sowie der Land­wirt und Sägewerksbetreiber Jakob Schütz. Beide verwendeten Ringöfen und installierten Dampfmaschinen, die die Schrauben zum Formen des Lehms an­trieben. Schütz verlegte seinen expandie­renden Betrieb bald von der Marköbeler Straße verkehrstechnisch. klug an den Bahnhof. Dort setzte er ab 1928 sogar einen Zweistufenbagger ein, der nach oben wie unten ausgreifen konnte und so eine Kante von 20 Metern Höhe durchs Land schob. Trotz der so erzielten Perso­naleinsparung ging Schütz 1933 pleite, im selben Jahr wie Altvater und andere Mittelstandsbetriebe der Umgebung.

Ein Schütz’scher Verwandter aus Frankfurt sprang ein und kaufte die Ost­heimer Werke sowie eines in Niederissig­heim auf. Im Krieg brach die Produktion zusammen, was einen hellsichtigen Schweizer Stumpenfabrikanten, eben die Firma Burger, auf den Plan brachte. Der Betrieb, der in Emmendingen bereits einen Fuß im Reich hatte, kaufte 1942 den Laden auf. Der Krieg würde einmal ein Ende haben und Deutschland dann massiven Bedarf an Baumaterial.

Mit Marshallplan‑Geld wurde dann im ehemals Altvaterschen „Werk II“ der Ringofen durch einen damals modernen „Zickzackofen“ ersetzt, benannt nach der Art, wie das Feuer hindurchgeführt wur­de. Dort entstanden fortan Dachziegel, die gleichmäßig gebrannt, homogen und riß­frei sein müssen. Lehm hierfür wurde bis in die 50er Jahre noch per Spaten gestochen, so daß es achtwöchige Zie­gelferien gab, ab Weihnach­ten, wenn der Boden zu hart war. Winter­bau, bei dem schweres Räumgerät die Frostschicht abtrug, wurde erst später üb­lich.

Im Werk I entstanden Mauerziegel. Erst in den 60er Jahren löste dort ein Tunnel den „klapprig“ gewordenen Ring­ofen ab. Die dort am Bahnhof vom Brand hinterlassene Brache ist nach drei Jahr­zehnten nun wieder nutzbares Land ge­worden. Der Bebauungsplan „Alte Ziege­lei“ ist ein Beispiel parlamentarischer Kompromißfähigkeit. Nach jahrelangem Streit gestattet er 40 bis 50 Häuser, die den mittlerweile ge­wachsenen Teich‑Biotopen nicht zu na­he treten.

Der 1858 patentierte Ringofen war genial. Zwar hatte es zuvor schon Al­ternativen zum primitiven Feldbrand gegeben. Doch. diese festen Öfen muß­ten nach jedem Brand langwierig, also unrationell auskühlen. Die in Ostheim erst um die Jahrhundertwende ange­kommene Innovation bestand aus ringförmig (bei Schütz: ovaD aneinan­der gereihten Brennkammern, die ein­zeln von außen zu befüttern waren. Das Feuer zog, von Ventilatoren reguliert, jede Woche einmal rundher­um.

Kontinuierliches Arbeiten war mög­lich, aber um den Preis, daß Menschen sich beim Bestücken und Ausräumen des Ofens in bis 60 Grad heiße Räume begaben. Damit nicht genug ge­schwitzt: Die Produkte wurden auf Holz‑Schubkarren geladen, vier Leute bewegten bis zu 100 Tonnen Steine am Tag.

Ob der Tunnelofen ‑ zu Beginn des Jahrhunderts erfunden, in den 60er Jahren in Ostheim eingeführt ‑ da ein Fortschritt war, ist Auffassungssa­che: Man fuhr den getrockneten Lehm auf schamottbeschichteten Loren hin­ein, kein Mensch war mehr der Hitze aus­gesetzt, Be‑ und Entladung erledigten Gabelstapler.

 

Horst Martin, Sohn eines ehemaligen Lohndreschers, führt einen 110 Jahre alten englischen Dampftraktor für einen bis in die 60er Jahre gebräuch­lichen Mähdrescher vor. Er hat selbst noch zehn Jah­re an so einer Maschine mitgearbeitet. So weiß er nicht nur zu erklären, daß die Bleistiftstriche auf der Holzverkleidung des Geräts von Sackträgern stammen, die so den Überblick über das Korn der Bau­ern zu behalten suchten. Auch daß ein ro­tierender Zylinder das herausprasselnde Korn sortiert nach „Schmachtkorn“, nor­malem Korn und Saatkorn (die dicksten Körner), erfährt man von ihm. Ebenso, daß dieser beim Drusch von Mahlgetreide abgeschaltet wurde und so auch die Un­krautsaat zu Mehl wurde.

 

„Oab die Leut wollde oaw­wer näit, su woarsch“ ‑ so bekräftigte der „Säu‑ und Geinshirt“ einst seine gar unglaub­liche Story von der Gans, die ihm im Flug ein Ei in den eben zum Gruß ge­zogenen Hut legte. Das Histörchen findet sich in der ansonsten gewiß viel glaub­würdigeren Ostheimer Chronik 2000.

 

 

Friedhofsmauer

Der älteste Grabstein stammt aus dem 15. Jahrhun­dert, die übrigen sind unverkennbar ba­rock. Trotzdem setzte man die Grabsteine in der Ostheimer Friedhofsmauer an der ansteigenden Landesstraße nach Marköbel Wetter, Abgasen und im Winter dem salzigen Spritzwasser von Lastwagen aus. In we­niger als zwei Jahrzehnten sind die histori­schen Dokumente aus Sandstein fast zur Unkenntlichkeit zerbröselt. Bietet die be­vorstehende Totalsanierung des Mauerwer­kes nun eine letzte Chance zu ihrer Ret­tung?

Zwei Putten halten eine Krone über das Kind mit Schürze überm Kleid. Voluten tragen den Bogen, der sich über allem spannt: „Dahier ruhet im Schoß der kühlen Erde der Leichnam einer zarten lieben Tochter mein: Anna Katharina Baumann. Sie war gebohren d. 31. Juli 1787. Ihr Vater ist der Ehrsame Mattheus Baumann. Ev. Ref.  Kircheneltest ... ... Mutter Frau Anna Katharina eine gebohrene Baumann ... ... ... 1791 gestorben.“

Die letzten Zeilen sind auch dann nur noch mit Muhe zu erraten, wenn der Son­nenstand die Lettern in harten Schatten zeichnet. Viel ist abgeblättert von der Grabplatte dieser Drei‑ oder Vierjährigen. Die meisten anderen Epitaphe nebenan in Westmauer des Friedhofs sind noch weit schlechter zu entziffern. Lahn‑Sandstein ist halt kein ideales Grabstein‑Material.

Vor bald 20 Jahren hatte sich Georg Brodt, Vor­sitzender der Interessengemeinschaft his­torische Landmaschinen, bei der Stadt für die Steine stark gemacht: „Bevor auch die restlichen Denkmäler zerstört werden, schlage ich vor, sie herausbrechen zu las­sen und etwa in der Kirche vor weiterer Verwitterung aufzubewahren.“‑ Die Verwal­tung unter Bürgermeister Willi, Salzmann kümmerte sich daraufhin zwar um die Grabsteine. Auf Expertenrat und weil sich der Kirchenvorstand einstimmig weiger­te, die Steine aufzunehmen, hat man sie in der Mauer belassen.

Mit beachtlichen 23500 Mark aus dem Dorferneuerungs‑Programm wurden sie zuvor jedoch „konservatorisch“ behandelt. Es ist wohl müßig, zu erörtern, ob die da­bei nach damaligem Stand der Technik ein­gesetzten Chemikalien nicht noch mehr zum Zerfall der Steine beigetragen haben. Fakt ist, daß dieser rapide fortschritt ‑ wie es der Laie Brodt prophezeit hatte.

Nun, da die Stadt für 70000 Euro die baufällige Sandstein‑Mauer ersetzen will, wittert der geschichtsbewußte Bürger sei­ne zweite Chance. Die Mauer könnte nach Auskunft von Bauhofchef Walter Bau­mann und dem beauftragten Architekten Helmut Forter eine Betonwand werden mit einer Verblendung aus bossiertem (grob behauenem) Sandstein.

Forter hält eine Losung mit winkelförmigen Fertigteilen für denkbar Das würde in dieser Hanglage Fundamentkosten sparen. Die Stadt will zugleich auch eine Zugangs‑Rampe für Rollstuhl Fahrende schaffen.

Daß die historischen Grabsteine nicht noch einmal in die Friedhofs‑Mauer einge­lassen werden, ist nun klar. Wo man sie aber künftig aufstellt, scheint hingegen of­fen. Noch‑Bauhofchef Baumann hat zwar so seine Vorstellung, kann sie sich etwa in­tegriert in ein Mäuerchen vorstellen, das parallel zur Trauerhalle errichtet werden solle. Dort, wo noch der Abfallcontainer steht, solle ohnehin ein „Ehrenhain“ für verstorbene Kriegsteilnehmer und mit sonstigen interessanten Grabsteinen ent­stehen, vielleicht mit einer Sitzgruppe. Mit den barocken Grabplatten gegenüber könnte beides dann den Durchgang zu ei­ner künftigen Friedhofserweiterung säu­men.

Brodt begeistern derlei Ideen indes we­nig. Erneut hat er sich brieflich an den Bürgermeister gewandt, nun Gerhard Schultheiß: „Ich möchte deshalb erneut an Sie herantreten und Sie herzlich bitten, sich dafür einzusetzen, daß die Steine un­ter allen Umständen unter Dach kom­men.“ Wo die Steine am besten verbleiben, so Brodt, müßten Fachleute vom Denk­malschutz sowie Restauratoren klären. Die scheint die Stadt Nidderau ‑ so jeden­falls die Auskunft von Bürgermeister Schultheiß und Baumann ‑ bisher aber noch nicht auf das Thema angesprochen zu haben.

Gleichwohl sind die Ostheimer Grab­platten für die untere Denkmalbehörde ein Begriff. Laut Kreissprecher Uwe Amrhein waren sie dort in letzter Zeit schon Thema; der einzige zuständige Denkmalschützer ist derzeit allerdings im Urlaub. Die Windecker Archäologin Gretel Calle­sen weiß aus langjähriger Zusammenarbeit mit dem Amt, daß dieses mindestens seit Ende der 80er Jahre Blicke auf die Ostheimer Grabplatten wirft. Unter ihnen ist auch der gotische Pfaffenstein. Calle­sen meint, die Steine erneut im Freien auf­zustellen, wäre auch dann Augenwische­rei, wenn sie nicht mehr direkt an der Straße stünden. Sie müßten unter Dach und Fach. Für ihren Ausbau aus der Fried­hofsmauer brauche man zudem Fachleute, damit die angegriffene Substanz hierbei nicht vollends zerstört werde.

Die grundsätzliche Bereitschaft der evangelischen Kirche zu einergeschlosse­nen Unterbringung der Steine scheint diesmal größer. Christian Jüttner vom Bauausschuß sieht zwar Schwierigkeiten mit einer Verankerung in der Kirchen­wand und verweist wie Pfarrer Lukas Oh­ly darauf, daß die Kirche selbst dafür wohl kein Geld übrig hat. Einer Prüfung widersetzen sich aber beide nicht.

Und Kirchenältester Hans Berger, der lange Zeit im Kirchenvorstand war und sich an einen ablehnenden Beschluß aus den 80er Jahren gar nicht erinnert, schätzt, daß der heutige Kirchenvorstand insgesamt für solche Neuerungen offen ist.

 

Pfaffenstein:

Man steht davor und er­kennt selbst als Laie: Irgendetwas stimmt da nicht. Der Pfaffenstein in der Osthei­mer Friedhofs‑Mauer weist wie viele goti­sche Grabplatten ein rundum laufendes Schriftband auf. Völlig verwaschen, kaum noch lesbar Und dann mittendrin, in Blick­höhe, diese deutlich eingeritzten Buchsta­ben, eine Zeile unter der anderen, prak­tisch unversehrt. Ein zweiter Blick macht klar, daß es sich hierbei um eine nachträg­liche Zutat handelt, vermutlich in eine ei­gens aufgebrachte Stein‑/Kunstharz‑Mas­se gearbeitet.

Der Pfaffenstein hat eine traurige Ge­schichte durchgemacht. Nur die Moritat, von der er kündet, ist noch trauriger. Im Jahre 1453 ist der Ostheimer Pfarrer Meister Volkhar­dus auf dem Heimweg von einem Kranken­besuch aus Windecken erschlagen worden ‑ von einem erzürnten Schäfer, wie es heißt. Diesem habe er das Heilige Abend­mahl verweigert. Windecken war bis 1490 als Kirchenfiliale vom Ostheimer Pfarrer mitzubetreuen. Dies entnimmt man dem Pfaffenstein‑Beitrag von Frank Schmidt in der 2000 erschienenen „Chronik Ost­heim“ (Nidderauer Hefte, Band 9).

Eine frühere Ostheimer Chronik von W. Figge/W. Pieh gibt die Überlieferung wie­der, der Pfaffenstein sei ein Denkmal, das am Tatort zwischen Windecken und Ost­heim an den Mord erinnerte. Erst 1882 bei der Ostheimer Feldbereinigung habe man den Stein weggeschafft und in zwei Teile zerschlagen ‑ weil er so schwer ist. Der Flurname „Am Pfaffenstein“ hat sich er­halten, und heute nennt man eine Wohn­straße im Ostheimer Westen so. Der Stein ist nach dieser Erzählung später als Weg­einfriedung im Friedhof wieder aufge­taucht.

Frank Schmidt bezweifelt diese Überlie­ferung, verweist darauf, daß der Pfaffen­stein eine typische Grabplatte und nicht et­wa ein Mahnmal sei. Schmidt ordnet ihn der Ostheimer Kirche zu. Standesgemäß habe der ermordete Pfarrer wohl nahe dem Hochaltar gelegen.

Auf die Platte war einst in einfachen Umrißlinien die stehende Figur des Pries­ters geritzt, den Kelch mit der Hostie vor der Brust. Zu Füßen von Meister Volkhar­dus zwei Beile, in denen die Interpreten die Mordwerkzeuge erkennen. Daß der Stein auf den Friedhof kam, erklärt Schmidt mit dem Abriß des Chor an der Ostheimer Kirche anno 1737/38. Im Jahre 1937 sei die Platte, in zwei Teile zerbrochen, auf dem Friedhof gefunden worden. Damals waren Figur wie Text noch gut lesbar.

Nach drei Jahrzehnten war bereits von Abgasen und Streusalz bereits stark zer­stört. Damit nicht genug. Am vorerst letz­ten, diesmal in seiner Tragik fast schon wieder komischen Kapitel trägt Schmidt zufolge mangelhafte Betreuung durch die zuständigen Stellen der Denkmalpflege die Schuld. Nach den Hinweisen des Bür­gers Georg Brodt auf die wertvolle histori­sche Substanz erfolgte 1985 eine Restau­rierung. Abschließend ließ man den Pfaf­fenstein dergestalt wieder in die Friedhofs­mauer ein, daß Magister Volkhardus im Wortsinn Kopf steht.

Schmidt: Da es für nötig gehalten wur­de, die für die meisten Menschen wegen der lateinischen Sprache sowieso nicht ver­stehbare Inschrift inmitten der Platte in das historische Monument hineinzuschla­gen, ist gerade die Partie mit dem Kelch für immer verschwunden. Neben Teilen der alten Inschrift am Rand sind heute nur noch der rechte Fuß, Reste der Klei­dung unten und an der linken Schulter so­wie die beiden Beile mit viel Mühe zu er­kennen. Die Handwerker von ehedem ha­ben offenbar nichts davon erkannt.

Doch in Ostheim ist solcher Umgang mit wertvollen historischen Zeugnissen kein Einzelfall. Wie der Kirchenälteste Hans Berger bezeugt, ist Ende der 60er Jahre unter den Emporen der Putz abge­schlagen worden ‑ ohne Rücksicht auf da­runter zu vermutende mittelalterliche Wandgemälde. Auch Frank Schmid führt zwischen den Zeilen seines Aufsatzes zum Ostheimer Gotteshaus Klage, wenn er gleich zweimal schreibt, daß bei der In­nenrenovierung 1967/69 dessen Decke und Sandstein‑Fußboden bis auf den Roh­bauzustand entfernt und ersetzt worden seien, wonach Schmidt das Kircheninnere als belanglosen nüchternen Raum an­spricht.

Man darf gespannt sein, ob die dilettan­tisch veranstalteten Reste des Pfaffen­steins und die übrigen historischen Grab­platten aus der Friedhofsmauer nun eine fachlich angemessene, würdige Bleibe fin­den werden.

 

 

Eichen

 

Lage:

Der Ort liegt 123 Meter über N. N. Die Gemarkung (905 Hektar, davon 117 Hektar Wald) liegt im nördlichen Zipfel des Kreisgebietes auf der rechten Seite der Nidder und grenzt an die Gemarkungen von Windecken und Erbstadt. Bahnstation der Strecke Windecken-Stockstadt.

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Die „Dicken Steine“, etwa ein Kilometer nordöstlich des Bahnhofs Eichen, aus großen Quarzitblöcken hielt man früher für neolithische Steinkammern. Hier wurde ein weiteres älterhallstattzeitliches Brandgrab gefunden, aber seine Fundsituation und die Nähe zu „Wetterauer Brandgräbern“ in den „Steinkammern“ lassen auch an seiner Echtheit zweifeln.

Ältere Eisenzeit: Grabhügelgruppen zu beiden Seiten der Bahnlinie Heldenbergen-Stockheim (siehe auch Windecken, Distrikt Siebenküppel) und ein Brandgrab in einer Kammer der obenerwähnten Megalithgruppe.

Römische Zeit: Gutshöfe am Fuße des „Roten Berges“ dicht oberhalb der Chaussee nach Heldenbergen (die Badewanne des Hausbades war mit Marmorplatten ausgekleidet). - Am Treppches­weg zwischen der Heldenberger und der Erbstadter Chaussee. - Ein dritter Hof etwa 500 Meter nordöstlich der vorgenannten Stelle an der römischen Straße Marköbel-Friedberg.

 

Älteste Namensformen: „locus Eichine“ vor 1036, „Eigene“ 1258, „Eychen“ 1355.

 

Statistisches:

Einwohnerzahl: 1820 = 562; 1855 = 666; 1885 = 724; 1905 = 830; 1919 = 833; 1925 = 920; 1939 = 962; 1945= 1002; 1916 = 1069; heute = 1385, davon Heimatvertriebene = 220 und Evakuierte = 85 (aus Hanau = 34).

Bekenntnis: 1905: ev. = 824, katholisch = 6; 1953: ev. 1140, kath. = 221.

 

Geschichtliches:

Eichen ist ein Dorf in der Wetterau, vielleicht ursprünglich salisch-konradinischer Hausbesitz. Vor 1036 schenkte Konrad II. seiner Gattin Gisela sein Eigengut in Eichen. Im Jahre 1036 (oder 12.01.1037) schenkte er u. a. Güter in Dörnigheim und Eichen an das von ihm begründete Kloster Limburg a. d. Haardt. Die Rechte und Pflichten der Eichener (Eichenarii) werden genau bestimmt. Den Fronhof, den die Adeligen von Eichen besaßen, kaufte 1356 das Kloster Naumburg. Damals besaßen die Herren von Hanau schon die Obrigkeit. Seit 1439 liegen Lehensbriefe für Dorf und Vogtei Eichen vom Stift Limburg, später von Kurpfalz vor. Das Dorf wurde im Dreißigjährigen Krieg im Januar und Mai 1635 fast völlig niedergebrannt.

 

Kriegschronik:

Karl Wilhelm Castendyck (1875 bis 1947) übernimmt am 16. Mai 1914 die Pfarrstelle in Eichen und Erbstadt. Als wenige Wochen später der Erste Weltkrieg beginnt, hält er in der Pfarrchronik ausführlich fest, wie sich der Alltag der Menschen in Eichen und Erbstadt verändert. So entsteht ein einzigartiges historisches Dokument, das tiefe Einblicke in die Geschichte der Dörfer Eichen und Erbstadt ermöglicht. Unter Federführung von Historiker Professor Dr. Jürgen Müller vom Heimat- und Geschichtsverein Ostheim wurde eine kommentierte Ausgabe vorgelegt.

„Die Kriegschronik von Eichen und Erbstadt ist gewiss eine der ausführlichsten Darstellungen des dörflichen Lebens im Ersten Weltkrieg“, betont Dr. Jürgen Müller, Professor für Neuere Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt. „Die Schilderungen von Pfarrer Castendyck bilden vor allem deshalb eine wertvolle Quelle, weil sie einen unmittelbaren Blick in den Kriegsalltag auf dem Land gewähren. Damit rückt ein Gegenstand ins Licht der Forschung, über den bisher relativ wenig bekannt ist.“

Castendycks Amtsvorgänger hatte die Chronik im Jahr 1895 begonnen. Der Vermerk „Fortsetzung“ verweist auf einen Vorgängerband, der dem Pfarramt Eichen-Erbstadt jedoch nicht mehr vorliegt. „Wir Pfarrer sind heute noch angehalten, solche Chroniken zu führen“, erklärt Gemeindepfarrerin Stephanie Stracke. „Sie sind zur Übergabe für Amtsnachfolger gedacht. Wenn bedeutende Ereignisse auftreten, wie die Dorferneuerung oder die Herausforderungen der jüngsten Flüchtlingswelle, dann schreibe ich das auf.“

Unter Umständen fänden sich dabei auch datenrechtlich relevante Informationen. „Das staatliche Archivrecht gilt auf 70 Jahre“, klärt Müller auf. „Bei Pfarrchroniken ist aber auch die Einwilligung der jeweiligen Gemeinde erforderlich, wofür wir den Kirchenvorständen der Gemeinden Eichen und Erbstadt und Pfarrerin Stracke sehr dankbar sind.“

Erstmals hatte Müller die Chronik für die historische Forschung im Rahmen der Ausstellung „Hessische Landgemeinden im Ersten Weltkrieg“ erschlossen, die im Jahr 2014 in Nidderau stattfand. In der nun vorliegenden Publikation hat der Historiker den Kriegszeitraum von 1914 bis 1918 transkribiert und mit Fußnoten versehen.

Einleitend gibt es Beschreibungen zu den Dörfern Eichen und Erbstadt in jener Zeit, zum Aufbau der Chronik, biographische Angaben zu Pfarrer Castendyck sowie eine Analyse zu ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf die damalige Bevölkerung. Dr. Friederike Erichsen-Wendt, die bis dieses Jahr Pfingsten Pfarrerin in Windecken war, befaßt sich aus heutiger theologischer Sicht mit Castendycks Rolle als „Gemeindehirte“.

„Es wird im Verlauf der Aufzeichnungen deutlich, daß ihm die Gefallenenmeldungen immer mehr zu schaffen machen“, berichtet Müller. „Anfangs ist bei Castendyck noch eine gewisse Kriegseuphorie zu spüren. Doch mit den Jahren wird als Pfarrer stark beansprucht. Castendyck hält für jeden der Gefallenen aus dem Dorf einen extra Gedenkgottesdienst.  Oft sind die Predigttexte in der Chronik überliefert. Er kümmert sich um die Angehörigen, unterhält im Auftrag der Familien Briefkorrespondenzen mit den Soldaten an der Front und organisiert Sammlungen für Kriegerwitwen. Doch auch für die Kriegsgefangenen Russen, Engländer und Franzosen, die in Eichen und Erbstadt auf den Höfen eingesetzt sind, leistet er Seelsorge.

„Zweifel am Krieg oder gar am Glauben lassen sich aus den Aufzeichnungen Castendycks allerdings nicht erkennen“, so Müller. „Seine Gesinnung ist national-konservativ. Stattdessen schimpft er auf die streikenden Arbeiter und macht die Revolutionäre am Ende für die deutsche Niederlage verantwortlich. Da steht er ganz in seiner Zeit.“

Auszug aus der Kirchenchronik: Auch auf dem Land machten sich die Auswirkungen des Kriegs bemerkbar. Im Merkblatt „Kriegsregeln für die Ernährung“ von 1915 heißt es: „Niemand esse mehr als es zur Erhaltung seines Lebens notwendig ist.“

Pfarrer Castendyck schreibt: „Am Sonntag. 28. (Januar 1917) nahmen die Kriegervereine in Eichen und Erbstadt am Gottesdienst teil, abends hielt ich in Eichen noch eine liturgische Feier mit Ansprache über Sirach 10,34. Die Woche drauf stellte sich die Kohlennot immer fühlbarer ein, so daß auch wir daran denken mußten, wie es anderwärts schon geschehen war, den Unterricht in den Schulen bis auf weiteres einzustellen. Am 6. Februar wurde in Eichen u. am 9. Februar in Erbstadt die Schule geschlossen. Für die Gottesdienste hatten wir noch Brennmaterial, sodaß wir bei der grimmigen Kälte, die vier Wochen anhielt, doch ein geheiztes Gotteshaus hatten. Der Frost war so stark, daß selbst in den Mieten Kartoffeln erfroren, ebenso in Kellern, wo es kein Mensch gedacht hätte. Seit langer Zeit ist es nicht mehr so kalt gewesen. Die Konfirmandenstunde wurde in den vier  Wochen, wo die Schule geschlossen war, im Pfarrhaus gehalten.

Neben der Kohlennot wird aber immer fühlbarer in den Städten auch die Versorgung mit dem täglichen Brot. Man hat schon viel gehört von den Entbehrungen, die die städtische u. großstädtische Bevölkerung sich auferlegen muß. Man sieht ja auch die Größe der Not daran, daß jeden Tag jetzt Kinder aus Windecken u. Hanau auf die Dörfer kommen, um Kartoffeln und Brot zu erbetteln. Wohl dem, der solchen armen Würmern etwas abgeben kann!“

 

1956  Kanalisation des Dorfes Eichen.

1905  Anschluß an die Bahnlinie Hanau und Frankfurt in Eichen.

1972  Zusammenschluß der Gemeinden Erbstadt und Eichen mit Nidderau (1. Januar).

 

Rundgang:

Wenn man von Ostheim kommt fährt man nach rechts in die Kleine Gasse durch das Untertor,

ein Torbau aus dem Jahre 1682 mit Inschriften des Schultheißen und des Bürgermeisters (innen), als Rest der Befestigung (Wall, zwei Tore).

Rechts steht dann die Kirche. Eine der heiligen Lucia geweihte Kapelle in Eichen wird 1380 als Filiale von Heldenbergen genannt. Das Patronat hatte der Pfarrer von Heldenbergen, der es dem Mainzer Domkapitel abtrat. Im Jahre 1540 fand die Abtrennung der Kirche von Heldenbergen statt. Im Jahre 1551 wurde die Pfarrei Eichen protestantisch. Im 17. Jahrhundert war die Gemeinde zeitweise mit Ostheim verbunden. Danach wurde Erbstadt Vikariat.

Die heutige evangelische Kirche mit einfacher Ausstattung ist von 1695 bis 1712 erbaut. Sie ist ein Saalbau mit romanischen Merkmalen, dem eine Apsis ostwärts angegliedert wurde. Während die Kirchenfenster Rundbogen aufweisen, sind die Schallfenster der Glockenkammer und der obersten Turmkammer sowie die Eingangstür rechteckig.

Rechts des Eingangs steht ein Gedenkstein für die 1000-Jahr-Feier und das von der Gemeinde Eichen 1966 errichtete Ehrenmal für die Gefallenen der Kriege. Links des Eingangs steht die 1874 gepflanzte Friedenseiche.

Die Westseite ziert ein rundes Fenster, über dem ein glasloser Lichtschlitz sitzt. Beide liegen über dem Kirchenportal mit einem spitz zulaufenden, auf Eichenstützen ruhenden ziegelgedeckten Vordach.

An der Nordseite ist der Kirche ein Heizungstrakt angegliedert. Dahinter sieht man das nördliche Eingangsportal, das  als einziges einen Spitzbogen mit einer gotische Tür der 1635 zerstörten alten Kirche besitzt. Gegenüber stehen noch einige historische Grabsteine. Die Südseite wird durch einen Strebepfeiler abgestützt. Bei einer Außenrenovierung Ende des vergangenen Jahrhunderts wurde ein alter Türbogen eines Außenzugangs zur ersten Männerempore mit der Jahreszahl 1695 entdeckt.

Das Innere des Gotteshauses wurde 1969 renoviert und umgebaut. Das gesamte alte Gestühl einschließlich der Brüstung um den Altar wurden entfernt. Ein neuer Altar, ein neuer Taufstein, beide aus rotem Sandstein, und ein neues Gestühl sind eingebaut worden. Durch das Einziehen einer Glaswand wurde unter der Westempore ein Vorraum geschaffen. In der Kirche steht eine Orgel der Firma August Ratzmann, Gelnhausen.

Für die Sanierung wurde eine Bauhütte von neun Eicher Männern gebildet. Sie schlugen den Außenputz ab und fanden eine Bestattungsstelle aus dem 14. Jahrhundert. Man entschied sich, den gesamten Putz zu entfernen. Das Dach wurde saniert und Arbeiten am Glockenstuhl ausgeführt. Dann ging es an das Abschlagen des Innenputzes. In einer dunklen Grube inmitten der Kirche förderte man Erstaunliches zutage.

Man fand Reste eines abgebrannten Schieferdaches. Das kann nur aus dem 30-jährigen Krieg stammen. Die Kirche wurde 1634/35 während dieses Krieges zerstört. Außerdem fand man eine alte, imposante Steinplatte. Das könnte eine Türschwelle sein. Auch auf verschiedene Scherben und Knochen stieß man. Einige der Scherben konnte sie zu einem Topf zusammensetzen, der nach ihren Vermutungen aus dem 14./15. Jahrhundert stammt.

In einem Hohlraum fast einen Meter unter dem Boden der Kirche fand man  Nägel,  an denen noch Reste von Kirschbaumholz haften. Das sind eindeutig Sargnägel. Ein Schädelfund läßt vermuten, daß es sich um eine Gruft handelt. Und die gefundenen Knochen lassen darauf schließen, daß es sich um eine Frauenleiche handelt. Außerdem trat Sand mit bemalten Lehmverputzstücken zu Tage. Die Funde aus der Grube, wo früher der Altar stand, sollen in der fertigen Kirche in Vitrinen ausgestellt werden.

 

Links vom Torbau steht ein größeres Haus mit Torfahrt. Man geht dann weiter die Straße hinauf und nach links in die Obergasse. Hier stehen große Bauernhöfe mit gutem Fachwerk des 17. und 18. Jahrhunderts (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 208, Hoftor mit geschnitztem Balken Seite 291).

Dann geht man nach links in die Große Gasse. Diese kommt schon von der Kreuzung mit der Bundesstraße her, geht dann nach Süden ab und geht bei der Volksbank nach links in Richtung Kirche.  In dieser Straße steht die Kapelle der lutherischen Gemeinde von 1717 (oder 1712). Im Jahre 1844 wurde das Gotteshaus der Gemeinde Eichen geschenkt und diente bis weit ins zwanzigste Jahrhundert als Rathaus. Jetzt wird es von Familie Dörr bewohnt, die es 1973 von der Stadt Nidderau erwarb. Man kann aber heute nicht feststellen, um welches Gebäude es sich handelt.

 

Dorferneuerung

Eichen beteiligte ich im Jahre 2002 am landesweiten Wettbewerb „Unser Dorf“. Es geht bei diesem Wettbewerb nicht um Pokale, sondern darum, die Lebensqualität in dem Ort zu verbessern.

Das gesamte Dorfleben soll betrachtet und überlegt werden, wo sind Schwachstellen, die das Zusammenleben stören oder gefährden, oder wo müßte etwas getan werden, um das Leben zu verbessern.

Die historisch gewachsene Ortsmitte wurde aufgewertet, also das Kirchenumfeld vom Untertor der Kleinen Gasse bis zur Einmündung der Großen Gasse, auch Placken genannt. Die Kleine  Gasse ist nicht mehr getrennt vom Kirchhof mit der Friedenseiche und dem Mahnmal und den Gedenksteinen. Die alte Vieh-Waage am Placken ist aber noch erhalten. Im Kreuzungsbereich der Kleinen mit der Großen Gasse ist der „zitathafte“ Einbau eines Wasserspiels (vermutlicher ehemaliger Bachlauf) nicht erfolgt.

Der zweite Bereich betrifft den Lindenplatz in Eichen. Zur Zeit ist er durch den Breugelweg zerschnitten und sind nur noch einige Linden erhalten. Doch soll ein kleiner Quartiersplatz entstehen, der das räumliche Zusammenführen  von Altort und Neubaugebiet unterstreicht und von Linden eingefaßt wird. Bänke, neues Pflaster und mehr Grün sollen Aufenthaltsfreude schaffen.

Im Dorf stehen überall Stelen, die auf besondere Daten der Geschichte Eichens aufmerksam machen.

 

Jakobsgraben

Der Hessen-Jakobsgraben, das Fleckchen Erde im Wald östlich von Eichen, soll zukünftig zum Vogelschutzgebiet Wetteraukreis und gemäß der Fauna-Flora-Habitatrichtlinie (FFH) der Europäischen Union im Schutzgebietsnetz „Natura 2000“ gehören. Ziel dieses europaweiten Programms ist der Schutz und das Überleben von verschiedenen Lebensraumtypen und Arten. Von Seiten der Stadt wurde angeregt, das geplante Baugebiet in der Verlängerung der Wehrstraße (2. Bauabschnitt), aus der FFH-Meldung herauszunehmen. So soll nun aus dem bisherigen Landschaftsschutzgebiet Wetterau ein riesiges Vogelschutzgebiet werden. In den Auen von Eichen bis Höchst und von Eichen nach Heldenbergen sollen brütende und rastende Vögel einen Rückzugsraum finden. Kraniche könnten dort auf ihren langen Reisen verweilen.

 

Lehrgarten

Mitglieder des Obst- und Gartenbauvereins Eichen haben mit Unterstützung der Stadt Nidderau im Jahre 2001 einen ganz speziellen Lehrgarten angelegt. „In den Weingärten“ gelegen, von Eichen aus links der B-521-Kurve in Richtung Höchst ist er zu Fuß zu erreichen. Bereits im Frühjahr hat der Verein dort fünf Bäume gepflanzt und eine Erinnerungstafel zum 100-Jährigen des Kreisverbands für Obstbau, Garten- und Landschaftspflege aufgestellt. In den zurückliegenden Wochen sind 33 Pflanzen 14 verschiedener Arten dazugepflanzt worden; die Sträucher - unter anderem Maulbeere, Elsbeere, Mehlbeere, Kirschpflaume und Felsenbirne - hat die Stadt beigesteuert, ebenso Grund und Boden, auf dem sie nun stehen. Es wurde eine Sitzgruppe mit Banken und Tisch aufgestellt. Schüler, Kindergartenkinder oder andere Spaziergänger können anhand einer Übersichtstafel und von Schildern an den Pflanzen im Frühling die Vielfalt der einheimischen Botanik kennenlernen.

 

Renaturierung der Nidder

Im Landschaftsschutzgebiet zwischen Eichen und Heldenbergen floß die Nidder in einem begradigten Flußbett. Auf Höhe von Roter Berg und Eichwald wurde sie jedoch auf 500 Meter rena­turiert. Vom Land Hessen erhielt die Stadt für diese Baumaßnahme rund 330.000 Euro Fördermittel, insgesamt beträgt das Investitionsvolumen 418.000 Euro. Die Renaturierung erfolgte sinnvollerweise dort, wo die Stadt viele Grundstücke hatte. Rund 48.000 Euro des städtischen Eigenanteils (insgesamt rund 85.000 Euro) werden über Grundstücke gedeckt. Das Vorhaben ist als Initialzündung für die Natur gedacht.

Der Fluß wurde im Jahre 2000 aus dem begradigten Bett befreit und mit einem zehn Meter breiten Gewässerrandstreifen versehen. Natürliche Barrieren sollen unterschiedliche Fließgeschwindigkeiten fördern. Durch die Hindernisse entstehen Stillwasserzonen und dann wieder schneller fließende Stücke. Und feuchte Ufergehölze bieten zum Beispiel Amphibien, Vögeln und Insekten neuen Lebensraum.

Zuerst sah es aus wie eine Mondlandschaft. Erst nach und nach wird sich die Natur den Raum zurück erobern. Man hofft, daß sich Arten, die jetzt fehlen, dort ansiedeln werden. Der Stadt bleibt später nur noch eine beobachtende Funktion.

Die Idee zur Renaturierung kam bei der Stadt Nidderau 1999 aufgrund der damaligen Gewässerstrukturgüte-Kartierung des Landes Hessens auf. Damals stellte sich heraus, daß die örtliche Gewässerstruktur der Nidder nicht optimal ist. Die Stadt, die nicht nur ihren Namen dem Gewässer verdankt, sondern deren Stadtbild auch von Wasserläufen geprägt sei, will mit der Maßnahme „ein Stück intakte Natur“ wiederbringen. Gäbe es mehr solcher Projekte, wäre die Hochwassergefahr geringer.

Die Planung hat der Bad Vilbeler Spezialist Gottfried Lehr vom Büro für Gewässerökologie vorgenommen.  Es waren auch viele Bürger beteiligt. Es wurde großer Wert auf die umfangreiche Mitbestimmung der Landwirte, Angler und der lokalen Agenda-Gruppen gelegt. So haben Ängste der Angler zerstreut werden können, ein Fischrevier zu verlieren. Ganz im Gegenteil erwartet man in einigen Jahren als Folge der Renaturierung einen größeren Artenbestand in der Nidder: Aber die ersten Jahre müssen die Angler im betroffenen Bereich etwas Zurückhaltung walten lassen. angrenzenden Landwirte hatten Bedenken, daß ihnen die Natur-Maßnahme Nutzungsfläche wegnimmt. Auch mit dieser Gruppe hätte es jedoch am Ende ein Einvernehmen gegeben.

Seit 2003 nisten in den Auen auch Störche. Man hat ihnen auf einem Mast eine Nisthilfe gebaut, die sie nach drei Jahren angenommen haben.

Beobachten kann sie am Besten, wenn man von der Durchgangsstraße in die Straße „Im Wiesengrund“ fährt. An deren Ende ist ein Parkplatz.

 

Kriegschronik:

Karl Wilhelm Castendyck (1875 bis 1947) übernimmt am 16. Mai 1914 die Pfarrstelle in Eichen und Erbstadt. Als wenige Wachen später der Erste Weltkrieg beginnt hält er in der Pfarrhronik ausführlich fest, wie sich der Alltag der Menschen in Eichen und Erbstadt verändert. So entsteht ein einzigartiges historisches Dokument, das tiefe Einblicke in die Geschichte der Dörfer Eichen und Erbstadt ermöglicht. Unter Federführung von Historiker Professor Dr. Jürgen Müller vom Heimat- und Geschichtsverein Ostheim wird nun eine kommentierte Ausgabe vorgelegt.

„Die Kriegschronik von Eichen und Erbstadt ist gewiss eine der ausführlichsten Darstellungen des dörflichen Lebens im Ersten Weltkrieg“, betont Dr. Jürgen Müller, Professor für Neuere Geschichte an der Goethe-Universität Frankfurt. „Die Schilderungen von Pfarrer Castendyck bilden vor allem deshalb eine wertvolle Quelle, weil sie einen unmittelbaren Blick in den Kriegsalltag auf dem Land gewähren. Damit rückt ein Gegenstand ins Licht der Forschung, über den bisher relativ wenig bekannt ist.“

Castendycks Amtsvorgänger hatte die Chronik im Jahr 1895 begonnen. Der Vermerk „Fortsetzung“ verweist auf einen Vorgängerband, der dem Pfarramt Eichen-Erbstadt jedoch nicht mehr vorliegt. „Wir Pfarrer sind heute noch angehalten, solche Chroniken zu führen“, erklärt Gemeindepfarrerin Stephanie Stracke. „Sie sind zur Übergabe für Amtsnachfolger gedacht. Wenn bedeutende Ereignisse auftreten, wie die Dorferneuerung oder die Herausforderungen der jüngsten Flüchtlingswelle, dann schreibe ich das auf.“

Unter Umständen fänden sich dabei auch datenrechtlich relevante Informationen. „Das staatliche Archivrecht gilt auf 70 Jahre“, klärt Müller auf. „Bei Pfarrchrontien ist aber auch die Einwilligung der jeweiligen Gemeinde erforderlich, wofür wir den Kirchenvorständen der Gemeinden Eichen und Erbstadt und Pfarrerin Stracke sehr dankbar sind.“

Erstmals hatte Müller die Chronik für die historische Forschung im Rahmen der Ausstellung „Hessische Landgemeinden im Ersten Weltkrieg“ erschlossen, die im Jahr 2014 in Nidderau stattfand. In der nun vorliegenden Publikation hat der Historiker den Kriegszeitraum von 1914 bis 1918 transkribiert und mit Fußnoten versehen.

Einleitend gibt es Beschreibungen zu den Dörfern Eichen und Erbstadt in jener Zeit, zum Aufbau der Chronik, biografische Angaben zu Pfarrer Castendyck sowie eine Analyse zu ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf die damalige Bevölkerung. Dr. Friederike Erichsen-Wendt, die bis dieses Jahr Pfingsten Pfarrerin in Windecken war, befasst sich aus heutiger theologischer Sicht mit Castendycks Rolle als „Gemeindehirte“.

„Es wird im Verlauf der Aufzeichnungen deutlich, dass ihm die Gefallenenmeldungen immer mehr zu schaffen machen“, berichtet Müller. „Anfangs ist bei Castendyck noch eine gewis Kriegseuphorie zu spüren. Doch mit den Jahren wird als Pfarrer stark beansprucht. Castendyck hält für jeden der Gefallenen aus dem Dorf einen extra Gedenkgottesdienst.  Oft sind die Predigt texte in der Chronik überliefert. Er kümmert sich um die Angehörigen, unterhält im Auftrag der Familien Briefkorrespondenzen mit den Soldaten an der Front und organisiert Sammlungen für Kriegerwitwen. Doch auch für die Kriegsgefangenen Russen, Engländer und Fran- zosen, die in Eichen und Erbstadt auf den Höfen eingesetzt sind, leistet er Seelsorge.

„Zweifel am Krieg oder gar am Glauben lassen sich aus den Aufzeichnungen Castendycks allerdings nicht erkennen“, so Müller. „Seine Gesinnung ist national-konservativ. Stattdessen schimpft er auf die streikenden Arbeiter und macht die Revolutionäre am Ende für die deutsche Niederlage verantwortlich. Da steht er ganz in seiner Zeit.“

 

Auszug aus der Kirchenchronik:

Auch auf dem Land machten sich die Auswirkungen des Kriegs bemerkbar. Im Merkblatt „Kriegsregeln für die Ernährung“ von 1915 heißt es: „Niemand esse mehr als es zur Erhaltung seines Lebens notwendig ist.“

Pfarrer Castendyck schreibt: „Am Sonntag. 28. (Januar 1917) nahmen die Kriegervereine in Ei- chen u. Erbstadt am Gottesdienst teil, abends hielt ich in Eichen noch eine liturgische Feier mit An- sprache über Sirach 10,34. Die Woche drauf stellte sich die Kohlennot immer fühlbarer ein, so daß auch wir daran denken mußten, wie es anderwärts schon geschehen war, den Unterricht in den Schulen bis auf weiteres einzustellen. Am 6. Februar wurde in Eichen u. am 9. Februar in Erbstadt die Schule geschlossen. Für die Gottesdienste hatten wir noch Brennmaterial, sodaß wir bei der grimmigen Kälte, die vier Wochen anhielt, doch ein geheiztes Gotteshaus hatten. Der Frost war so stark, daß selbst in den Mieten Kartoffeln erfroren, ebenso in Kellern, wo es kein Mensch gedacht hätte. Seit langer Zeit ist es nicht mehr so kalt gewesen. Die Konfirmandenstunde wurde in den vier  Wochen, wo die Schule geschlossen war, im Pfarhaus gehalten.

Neben der Kohlennot wird aber immer fühlbarer in den Städten auch die Versorgung mit dem täglichen Brot. Man hat schon viel gehört von den Entbehrungen, die die städtische u. großstädti sche Bevölkerung sich auferlegen muß. Man sieht ja auch die Größe der Not daran, daß jeden Tag jetzt Kinder aus Windecken u. Hanau auf die Dörfer kommen, um Kartoffeln und Brot zu erbetteln. Wohl dem, der solchen armen Würmern etwas abgeben kann!“

 

 

 

Erbstadt

 

Lage:

Erbstadt liegt in dem nordwestlichen Zipfel des Kreis­gebietes und ist der nördlichste Ort des Kreises Hanau. Die Ge­markung ist an drei Seiten von der Kreisgrenze eingeschlossen. Erbstadt hat mit dem Orte Kaichen gemeinsamen Haltepunkt der Bahnstrecke Hanau‑­Fried­berg. Der Ort liegt 155 Meter über N. N. und umfaßt eine Gemarkung von 637 Hektar (62 Hektar Staats­wald, 93 Hektar  Gemeindewald). Ein Teil der Gemarkung (Erb­städter Wald, Richtung Kaichen) liegt als Exklave im Kreis Friedberg. Zu Erb­stadt gehört die Naumburg und westlich davon die Hainmühle (in Kaichen geht rechts der Hainmühlenweg ab).

 

Bodenfunde:

Wahrscheinlich war das Tal am Rande der Wetterau schon in der jüngeren Stein­zeit besiedelt. Im Gemeindewald gibt es drei nicht untersuchte Grab­hügel, wahrscheinlich aus der älteren Eisenzeit.

Beim Aus­schachten einer Baugrube im alten Orts­kern von Erbstadt, in unmittelbarer Nähe zum Pfaffenhof und zur Verblüffung auch der Ortskundigsten, konnten im Jahre 2002 ungestörte Reste ei­ner Siedlung aus der jüngeren Steinzeit ge­borgen werden. Vor ungefähr 7000 Jahren hat dort an der Stelle des heutigen Erbstadt bereits ein Steinzeitdorf gestanden. Es war die erste archäologische Untersuchung die­ser Art in Erbstadt. Verzierte und unverzierte Ton­scherben, gebrannter Lehm, ein Mahl­steinfragment und Feuersteingerät belohn­te die Archäologen für ihren schnellen Ein­satz.

Auch die Römer errichteten hier mehrere Anwesen. Südwestlich des Ortes, westlich der Straße nach der Naumburg, stand ein römischer Gutshof, 250 Meter westlich vom Adamsborn ein römisches Gebäude (kein Gutshof, wohl Straßen­kneipe). Ein Kilometer bzw. 1600 Meter weiter nördlich der vorge­nannten Stelle finden sich römische Gebäudereste, das „Raubschloß“ (wohl ein ehemaliger römischer Wachtturm) und das „Steinerne Haus“. Im Jahre 1889 wurde bei Bodenarbeiten ein römisches Gehöft entdeckt.

 

Geschichte:

Im Mittelalter ent­stand das befestigte und verwinkelte Haufendorf, wie es sich noch heute im Kern darstellt. Die erste urkundliche Er­wähnung spricht 1237 von einem Grundbe­sitzer namens „Jacobus de Erpestat“. Und schon 1266 hieß der Flecken „Erbstad“. En­de des 14. Jahrhunderts kam der Ort in den Besitz der Hanauer Grafen.

Älteste Namensformen sind „Evirißtat“ 9. Jahrhundert, „Erpestat“ 1237, „villa Eberstat“ 1266, „Erbestat“ 1286, „Erbstad“ 1341. Woher der Name „Erbstadt“ kommt, ob er womöglich tatsächlich etwas mit „Erben“ zu tun hat, ist nicht bekannt. Die Historiker haben immerhin herausgefunden, daß der Ort einmal „Euristat“ hieß, was soviel wie „Bachübergang“ bedeutet.

Das Dorf war im Mittelalter Zubehör des Schlosses Windecken. Im 1237 erfolgte die erste urkundliche Erwähnung von Erbstadt. Im Jahre 1561 wurde es nach Kauf des Klosters Naumburg mit diesem zur Kellerei Naumburg erhoben. Im Jahre 1643 wurde es an Hessen‑ Kassel verpfändet, 1792 wieder mit dem Amt Wind­ecken vereinigt. Am 1. Januar 1972 erfolgte der Zusammenschluß der Gemeinde Erbstadt mit anderen zur Stadt Niderrau.

 

Rundgang:

In seinem Kern hat sich das Dorf seinen ländlichen, fränkischen Charakter be­wahrt. Vor allem in der Wetterauer Straße und in der Erbsengasse gibt es noch jene typischen Fachwer­ke, in verschiedenen Farben, mit aufmun­ternden Schriftzügen wie „Man muß nur wollen und dran glauben, dann wird’s gelingen“ (Wetterauer Straße 15) oder „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“. Einfache Wahrheiten für einfache Menschen, die sich von den Städtern schon allein durch ihre rauhe, erdige Sprache unterscheiden.

Man parkt das Auto am besten in der hinteren Wetterauer Straße. Im Haus Nummer 22 ist im Sockel ein Stein mit einer Jahreszahl (1719 ?) eingelassen, vielleicht ein früherer Ofenstein.

Das Haus Nummer 16 hat sehr schönes Fachwerk. Am Haus Nummer 15 ist dann die schon erwähnte Inschrift. Nach links sieht man in die Straße „In der Ecke“. Nach links geht es in den „Winkel“, der aber nichts sehenswert ist. Es gibt zwar einen direkten Zugang zur Kirche, aber der ist verschlossen. Man geht besser auf der Wetterauer Straße weiter.

Links ist der „Gemeindebrunnen Erbstadt“ von 1901. Rechts an der Ecke zur Erbsengasse steht die alte Schmiede, das wohl älteste erhaltene Gebäude des Ortes. Sie wurde errichtet vom Zimmermeister Heinrich Horst im Jahre 1686. Daß er etwas von seinem Handwerk verstand, zeigen die kunstvoll gedrechselten und mit Schnitze­reien versehenen hölzernen Eckpfeiler des unter Denkmalschutz stehenden Hauses. Unter dem Vordach von 1770, einem offe­nen Arbeitsraum, wurden damals Pferde beschlagen. Bis 1944 residierte hier die Fa­milie Guth. Ein Weg in die Erbsengasse lohnt sich (sie ist aber eine Sackgasse). Wenn man dann wieder auf die Hauptstraße geht, kommt man links zur Kirche und im weiteren Verlauf zum Pfaffenhof.

 

Kirche:

Die Kirche gehörte im 15. Jahrhundert zum Kloster Ilbenstadt. Wöchentlich einmal, am Mittwoch, versorgte ein Mönch die Gemeinde mit der Messe. Dafür zahlten die Gläubigen 100 Gulden pro Jahr. Der Priester wurde als „Pleban“ bezeichnet, war also so etwas wie ein eigener Pfarrer für den Ort. Seit der Reformation war die Gemeinde mit Eichen verbunden (im 17. Jahrhundert kurze Zeit mit Windecken). Die Katholiken gehören heute zur Gemeinde Windecken.

Im 30jährigen Krieg wurde die Kirche weitgehend zerstört. Der Wie­deraufbau des Gotteshauses - vermutlich an der alten Stelle - war 1655 beendet. Erste Amtshandlung war die Taufe ei­ner Tochter aus dem Hause Guth.

Im Jahre 1744 erhielt das Gotteshaus sein heutiges Aussehen mit einer schlichten Innenausstattung. Die Orgel wurde 1702 (nach anderer Angabe: 1775) von einem Orgelbaumeister aus Wächtersbach erbaut, dessen Name unbekannt ist.

Bei dem jetzigen Gotteshaus handelt es sich um einen Saalbau mit romanischen Elementen. Die Fenster im Kirchenraum und die vier Schallfenster im aufgesattelten Turm sind mit Rundbögen ausgestattet. Das Kirchenschiff ist mit dunkelroten Ziegelei gedeckt, der Turm einschließlich dem Sattel mit Schiefer. Die Glockenkammer sowie das spitz zulaufende Turmdach sind achteckig. Auf der Spitze sitzt eine Kupferkugel, auf der eine Wind­rose mit einem aufgesetzten Hahn zum Anzeigen der Windrichtung montiert wurde.

Im Jahre 1968 wurde das Gotteshaus renoviert. Es erhielt neben einfachen neuen Fenstern (drei Buntfenster wurden im 2. Weltkrieg bei einem Bomberabsturz zerstört) eine neue Innenausstattung. Altar und Taufstein sowie der Altarsockel sind aus rotem Sandstein. Die Holzbrüstung um den Altar wurde entfernt. Den Altar ziert ein schlichtes Holzkreuz. Das Kirchenportal hat ein nicht sehr schönes blechbeschlagenes, röhrenförmig gewölbtes Vordach.

Gegenüber sind noch mehrere alte Grabsteine aus dem 18. Jahrhun­dert erhalten. Auf dem verwitter­ten Sandstein sind Wappen zu er­kennen, die einerseits auf eine adelige Herkunft der Verstorbe­nen hindeuten, andererseits spre­chen Zirkel und Winkel eher da­für, daß hier ein Handwerker sei­ne letzte Ruhe fand.

Ende des Jahrhunderts wurde die Kirche restauriert unter der Gesamtleitung, von Herrn Prof. Heinz H. Dietz aus Hanau. Diese Tatsache veranlaßte das Ehe­paar Dietz zur Wiedereinwei­hung der Kirche im Jahre 1997 ein Gemälde bei Herrn Angermann in Auftrag zu ge­ben. Sie kannten das Roßdorfer Bild und wünschten, daß nochmals eine Christusdarstellung gemalt wird. Herr Angermann erzählt dazu: „Meine Malerei ist so angelegt, daß ich ein Modell brauche. So wie ich bei einem Blumenstilleben z.B. eine Rose vor mir haben muß, brauche ich nun wieder einmal einen Christus. d.h. einen Mann, der meinen Vorstellungen nahe kommt. Ich will ihn nicht abmalen, sondern in meine Vorstellun­gen umsetzen. Bei dem Roßdorfer Christus (Bild Nr. 1) stand mit ein jüngerer Mann, ein Kerl wie ein Baum, Modell: dennoch feinfühlig und auf alles ein­gehend! In Kleinauheim habe ich einmal einen Mann gesehen, der könnte es sein. Wo wohnt er? Kann ich es wagen, sofern ich ihn gefunden habe, ihn zu fra­gen? Ich habe ihn gefunden und gefragt. Es ist Herr Jean Paul Jaquet, in Frankreich gebo­ren und hier in Kleinauheim verheiratet. Als ich ihn auf­gesucht habe und er vor mir stand, war es für mich klar: Er und kein Anderer.

„Als ich Herrn Jaquet mein Anliegen vortrug, übrigens auch ein sehr sensibler und freundlicher Mann, hat er in Übereinstimmung mit seiner Familie ohne Zögern zuge­sagt.

Es wurde ein Termin vereinbart. „Mein Christus­“ kam pünktlich. Bevor ich mit dem Malen begann, mußte ich ihm noch etwas Farbe anlegen, hier etwas Rot, dort etwas Weiß oder Grau. Er war mit allem einverstan­den. Den Hintergrund bilde­te eine helle Decke, die auch noch mit roten Spritzern versehen wurde. Ja, und dann noch etwas Wichtiges: die Dornenkrone, die ich im Wald aus dornigen Büschen geschnitten habe. Die Lein­wand stand schon auf der Staffelei. Farbe schon auf die Palette gedrückt. Pinsel. Ter­pentin, alles parat. Und nun konnte es losgehen. Erst mal mit Zeichenkohle skizzieren. Und nun an die Farbe ein­malen. Das dauert seine Zeit. Aber dann ist man in seinem Element. Bis auf einige Kor­rekturen am nächsten Tag habe ich in einem durchge­malt!“

Vor der Kirche nach der Hauptstraße zu steht ein Linde, davor ist ein Brunnen im Bau.

 

Pfaffenhof:

Der große Pfaffenhof oder Freihof des Klosters Ilbenstadt wurde um 1700 offenbar in einem Zug erbaut. Er gründet mit Ge­wölben auf dem Grundwasser. Die hufeisenförmig angeordneten Wirtschaftsgebäude gehörten zusammen mit dem Herrenhaus, in dem der Probst residierte, zur Prämonstraten­ser‑Abtei Ilbenstadt. Von dort aus soll es auch einen Geheimgang nach Erbstadt ge­ben, der jedoch schon seit langem verschüt­tet ist.

Aus jener Zeit sind noch einige Sandsteinwappen zu sehen. Am Hauptgebäude innen befindet sich das Privat­wappen des Abtes Jakob Münch. Es zeigt rechts im Wappen (links vom Betrachter aus) die beiden „Balken“ des Klosters, links das Privatwappen des Abtes: „IM-AI“ = „Jakob Münch, Abbas Ilben­stadtensis“ (Münch war von 1725‑1750 Abt) (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 210). Weitere Wappen befinden sich an den Wirtschaftsgebäuden im Westen und Süden.

In diesem Hof hat bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts das Kohlengericht jedesmal am 2. Januar getagt (siehe Abschnitt „Volks­kunde“!). Der Freihof fiel 1803 an die Grafen von Leiningen‑Westerburg und wurde nach dem ersten Weltkrieg von der Gemeinde erworben. Im Jahre 1921 gelangte der Hof in den Besitz der Gemeinde, heute ist der Domizil der Erbstädter Schützengilde.

 

Die Stadt versuchte, einen Investor für die stark sanierungsbedürftige Pfaffenhof‑An­lage zu finden. Architekt Jochen Hohmann aus Künzell bei Fulda plante die Rettung der historischen Bausubstanz aus dem 18. Jahrhundert durch den Bau von 12 oder 18 Sozialwohnungen. Der Innen­hof sollte als öffentlicher Raum, zum Beispiel für das Erbstädter Dorffest, nicht gänz­lich verloren gehen. Das in einem Gebäu­de untergebrachte Feuerwehrgerätehaus sollte unver­ändert dort bleiben. Gauben sollen das Dachgeschoß zweige­schossig nutzbar machen. Klappläden sol­len optisch den Charakter des Hauses er­halten. Die anschließende Remise sollte teilweise abgerissen werden für ein Reihenhaus mit sechs Wohnungen. Geplant waren weiterhin sechs Gara­gen, rund 14 Stellplätze müßten im Hof untergebracht werden. Eine der Scheunen mußte aber in jedem Fall im Pri­vatbesitz bleiben.

Bürger wiesen jedoch darauf hin, daß in Erbstadt bereits jetzt viele Wohnungen leer stünden. Es sei kein Bedarf an Sozialwohnungen, die nachher zu Wohnungen für Asylbewerbern werden. Der Architekten warf man vor, keine Bedarfs­analyse gemacht zu haben. Alle Versuche der Stadt, den Pfaffenhof zu kaufen, schlugen fehl.

Heute bietet er weiterhin den verkommenen Eindruck. Nach der Straße zu hat weiterhin die Schützengilde ihr Domizil und hat einen häßlichen unverputzten Anbau angefügt. Es gibt nur noch einzelne Klappläden an dem Gebäude. Die Innenseite ist durch eine Vielzahl herumhängender Kabel entstellt. Das moderne Feuerwehrgebäude paßt wie die Faust aufs Auge.

 

Statistisches:

Einwohnerzahl: 1820 = 442; 1855 = 587; 1885 = 575; 1905 = 650; 1925 = 692; 1939 = 805; 1946 = 1069; 1952 = 1100, davon Heimatvertriebene = 250, Evakuierte ~ 130 (aus Ha­nau = 100).

Bekenntnis: 190.5: ev. = 605, kath. = 9; 1953: ev. = 800, kath. = 275, sonst. = 25.

Wirtschaft: In der Hauptsache Arbeiterwohnsitzgemeinde (200 Arbeiter‑ und 45 Bauernfamili­en).

 

Windpark:

Seit dem Jahre 2002 gibt es zwischen Eichen und Erbstadt einen Windpark. Er gehört der „red project management GmbH“, einer Tochter des Mannheimer Energieunternehmens MVV Energie. Diese hat insgesamt 13 Windkraft­anlagen in Nidderau‑Erbstadt, Karben‑Kloppen­heim, Florstadt‑Stammheim und Nidda­-Fauerbach. Sie bilden den „Windpark Mittelhessen“, wie die Be­treiber die vier Anlagen nennen.

Die zwischen 94 und 99,5 Me­ter hohen Windturbinen mit einer elektri­schen Leistung von insgesamt neun Mega­watt liefern bei guten Windverhältnissen genügend Strom, um 4100 Vier‑Per­sonen-­Haushalte zu versorgen. Gegenüber konventionel­len Stromerzeugungsformen spart der Windpark auf diese Weise jährlich rund 100 Tonnen an Schwefeldioxid‑Emissio­nen

Die Mitglieder sagen, man höre so gut wie nichts, auch von dem so genannten Schattenwurf bei ungünsti­gem Sonnenwinkel habe man bislang nichts bemerkt. Und in der Tat: Obwohl sich die Räder fleißig drehten, waren als einzige Fremdgeräusche die im Landean­flug befindlichen Flugzeuge Richtung Frankfurt auszumachen. Auch im Dorf selbst halten sich kritische Stimmen sehr in Grenzen. Der eine oder andere stört sich aus allein optischen Gründen an der doch wuchtig ausgelegten Anlage, ansons­ten: volle Akzeptanz.

Allen Standorten war gemeinsam; daß der Baugrund überall nicht sehr tragfähig war, mit einem Riesenaufwand mußte der Boden verdichtet werden. Die Anlagen werden fernüberwacht. Bei Defekten werden die Störungen an einen zentra­len Service weitergeleitet, der dann weite­re Schritte in die Wege leiten kann.

Die Stadt Nidderau ist in Sachen erneu­erbare Energie übrigens Vorreiter. 25 Prozent des Energiebedarfs der Stadt werden seit dem Jahre 2001 mit Ökostrom gedeckt, wie Bürgermeister Gerhard Schultheiß, der das Windprojekt von Anfang an wohlwollend begleitete, am Ende der Vor­stellung sagte.

 

 

Naumburg

Mit dem Auto fährt man bis kurz vor Kaichen. Dort geht rechts ein geteerter Feld weg ab. Er biegt nach links und dann wieder nach rechts und ist damit auf dem Hainmühlenweg. Unter der Eisenbahn hindurch geht es zur Hainmühle. Dort bleibt das Auto steht, denn jetzt beginnt das Naturschutzgebiet „Krebsbachaue bei Kaichen“.

Der Fußweg führt am Bach entlang. Links stehen immer wieder alte Grenzsteine, die die Grenze zwischen dem Königreich Preußen und dem Großherzogtum Hessen markieren. Rechts sind immer wieder geologische Aufschlüsse und alte Steinbrüche zu sehen. Man kommt zu dem Anglerssee. Bald darauf kommt man an den Waldrand und sieht schon das erste Haus von Erbstadt. Jetzt kann man erst einen Besuch in Erbstadt machen.

Ansonsten geht man im spitzen Winkel wieder hinein in den Wald. Nach einem kurzen Anstieg geht es eben weiter. Der Weg führt auf die Teerstraße, auf der man nach rechts zur Naumburg kommt.

 

Auf einem bewaldeten Höhenrücken steht östlich von Kaichen das Schloß Naumburg. Ursprünglich war sie ein Kas­tell. Dann war hier ein Hausgut der Salier. Bereits 1035 wird Kloster Naumburg als Benediktinerkloster erwähnt, das dem Heiligen Cyriakus geweiht war. Das Aussehen der Kirche des ehemaligen Benediktinerklosters (Propstei) auf der Naumburg kennen wir aus einer Zeichnung in einem Salbuch des Klosters vom Jahre 1514 (in: Hanau Stadt und Land. Seite 336).

Der Christuskopf ist der einzige Überrest der alten Kloster­kirche. Das Relief, das zu einem Sakramentshaus gehört haben kann, stammt vermutlich aus den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts (heute unzugänglich, Abbildung in Hanau Stadt und Land, Seite 128). Sonst sind von diesem Kloster keine Architekturreste mehr vorhanden. Doch sind die Fundamente und Steine zum Teil bei späteren Bauten verwen­det worden oder stecken noch in der Erde. Ein einzelner Grabstein oder ein Wappenstein blieb hier und da die einzige sichtbare Er­innerung an das alte Kloster.

Im Baye­risch‑Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde das Kloster zerstört, aber wenig später als 1505 wieder aufgebaut. Das Ordensleben aber verlot­terte immer stärker. Die Mönche hielten keinen Gottesdienst mehr, nichts als „Fres­sen, Saufen, Spiel und Huren“ hatten sie im Sinn, wie der Chronist beklagte.

Der letzte Abt des Klosters starb 1558, worauf­hin 1561 der Hanauer Graf Philipp III. das Pa­tronat über das „Clösterlein“ erwarb. Aller­dings betrachteten auch die Friedberger die Liegenschaft als ihr Eigentum, wes­halb es in der Folgezeit zur Naumburger Fehde kam, die von den Einheimischen als „Heukrieg“ tituliert wurde. Vier Jahre dau­erte der Streit. Im Jahre 1561 wurde die Naumburg von den Grafen von Hanau gekauft.

Im Jahre 1643 kam es als Pfandschaft an Hessen‑Kassel. In den Jahren 1750 bis 1754 wurde an Stelle der Klostergebäude auf den alten Fundamenten durch Georg von Hessen‑Kassel das heutige „Schloß“ errichtet. Im Jahre 1828 wurde das Schloß im Stil des Klassizismus umgebaut

Seit 1866 gehörte Naumburg dem preußischen Staat, an­schließend wechselten die Besitzer. Es waren dies die Gemeinde Erb­stadt Geschwister Haas, Rittmeister Klinker, Familie Brockhaus, Fa­milie Meckel‑Angerpoltner und der Trifels‑Verlag (Frankfurt). Im Schloß war zunächst die Landjahrjugend, während des Krieges eine Frankfurter Mittelschule, vorübergehend befanden sich hier auch ein Jugenderholungswerk, ein Altersheim, ein Obstgut, ein Caritasheim. Seit 1973 befand sich hier das Freizeitwerk im Sozialwerk der Arbeitsgemeinschaft der Christengemeinden in Deutschland (eine Pfingstbewegung).

Seit 1997 haben Ingrid Schiener und Julia Singh das Anwesen Schloß Naumburg denkmalgerecht aufgewertet und einen ganzjährig laufenden Gastronomiebetrieb eröffnet. Die beiden Frankfur­ter­innen hatten in der Anfangszeit mit der Wie­der­eröff­nung des beliebten Ausflugscafés die Nidderauer Herzen im Sturm erobert. Zwischendurch gab es dann Open‑air‑Mu­sikveranstaltungen, unter anderem mit den „Cadillacs“. Im Jahr 2002 wurde das anfangs als „Café Provisorisch“ an Wochenenden geöff­nete Haus für regulären öffentlichen Bi­strobetrieb umgebaut. Aufgemö­belt wurde auch das einige Jahr­zehnte alte „Haus Bethanien“ ‑ der Name stammt noch aus den Zeiten, als der Pfingstler‑Dachverband auf dem Schloß seine Tagungsstätte betrieb. Einen klei­nen Pensionsbetrieb, Richtung „Romantik­hotel“, stellt sich Julia Singh dort vor. Für einzelne, privat organisierte Freizeiten wird dieser schmucklose Trakt auch im Augenblick genutzt. Einen regulä­ren Reitbetrieb auf dem Schloß strebt man aber nicht an. Einen Reiterhof hat Ingrid Schiener schließlich im heimischen Frankfurter Stadtteil Nieder‑ Erlenbach.

Von den ins­gesamt 2000 Quadratmetern Naumburger Geschoßfläche umfaßt das eigentliche Schloß 1500 Quadratmeter. Das Haupthaus soll durch ein stilecht nach­empfundenes In­nentor und den teilweise noch erhaltenen auf­wendigen Zaun vom restlichen Terrain getrennt werden ‑ so wie dies einst eben auch war. Dieses Abschirmen soll eine separate Ver­marktung des Jagdschlosses als exklusi­ves Wohngebäude ermöglichen. Autoren und Künstler/innen könnten hier in Fest­vermietung einen Ort der Muße finden, und warum nicht auch Führungskräfte aus der Wirtschaft.

Ein Schmuckkästchen für sich könnte auch das Pförtnerhaus werden, dessen Na­turstein‑ Fassade mit allerlei putzigen Ra­ritäten heute schon Puppenstuben‑Flair versprüht. Dabei ist das Haus viel größer, als es von außen scheint, für das hohe Dach will man lichtspen­dende Gauben durchsetzen.

Auf das Einverständnis des Denkmal­schutzes setzt die Besitzerin, weil sie andererseits von sich aus bestrebt sei, eine Reihe von „Denkmalschutz‑Verbrechen“ der Vergan­genheit zu reparieren. Etwa soll das Haupthaus wieder eine Eingangstreppe aus Sandstein erhalten anstelle des Waschbetons. Am Pförtnerhaus solle die „schlimme“ Glasgittertür beseitigt wer­den. Und wo Sprossenfenster hingehören, sollen auch wieder welche hinkommen.

 

Die Naumburg ist heute nur noch für Besucher der Gaststätte zugänglich. Am Eingang sieht man noch das Hoftor von 1754 mit den schönen Emblemen und wappentragenden Löwen (siehe Abbildung in: Hanau Stadt und Land, Seite 340). Heute ist dort auch eine Tafel mit einer Übersicht der Geschichte der Burg angebracht, sie stammt allerdings noch aus der Zeit, als die Naumburg den Pfingstlern gehörte. Am Haus selber gefällt das Barockportal von 1750.

 

Der Fußweg direkt am Schloß führt nur um die Mauer herum. In Richtung Windecken gibt es keinen Weg, der wieder zur Hainmühle zurückführt, Deshalb muß man auf der Teerstraße wieder zum Waldrand zurückgehen. Dort geht es hinunter durch die „Schlucht“ zur Hainmühle. Links ist noch ein großer stillgelegter Steinbruch.

 

 

Kaichen  (nicht zu Nidderau)

Der schönste Platz des Ortes ist an der Kirche mit Brunnen und vielen Fachwerkhäusern.

Ende August 2001 stürzte die rund 500 Jahre alte Linde am Kaiche­ner Freigericht zu Boden. Mitten in der Nacht, ohne Fremdeinwirkung, ohne Scha­den anzurichten und ohne, daß es gleich jemand bemerkt hätte. Ein alter Baum ist gestorben. Ein mäch­tiger Riese, der zusammen mit einer weite­ren Linde, einer Eiche und einer aufwen­dig mit Stahlstreben gestützten Kastanie die jahrhundertealte Gerichtsstätte am Kaichener Ortseingang umringte. Innen schon reichlich morsch, ein Großteil der Wurzeln längst abgestorben. Die steinerne Bank‑ und Tisch­anlage des historischen Gerichtsplat­zes blieb ebenso verschont wie die drei et­was weniger betagten Nachbarn und der vor einem Jahr neu gepflanzte Baum. Vor allem aber wurden keine Menschen ver­letzt.

 

 

 

 

Hammersbach

 

Marböbel

 

Lage:

Marköbel liegt 120 Meter über N. N., südlich der nördlichen Kreisgrenze und des Mühlbergs (178 Meter) am Oberlauf des Krebsbaches (Köbelbach). Gemarkung: Größe 1341 Hektar, davon 362 Hektar Gemeindewald. (Gemeindeeigentum um 1850: 2000 Mor­gen Wald, 125 Morgen Wiesen, 102 Morgen Weide, 5 Morgen Wallgraben mit Obstbäumen).

Außensiedlungen: Hirzbacherhöfe und Baiersröderhof

Mühlen: Obermühle und Untermühle an der Krebsbach.

Der im Jahre 839 erstmals urkundlich überlieferte Hammersbacher Ortsteil Marköbel liegt am Südostrand der Wetterau, am östlichen Ende eines plateauartigen Höhenzuges, der sich zwischen Nidder im Norden und Main und Kinzig im Süden, aus dem Frankfurter Raum bis zum Beginn des Ronneburger Hügellandes, einem Aus­läufer des Vogelsberges, östlich von Marköbel, hinzieht.

Der Ort liegt auf einem Vorsprung dieses Höhenzuges, der im Norden und Osten zur Niederung des Krebsbaches und im Süden zur Niederung eines schmalen Rinnsals abfällt. Über den erwähnten Höhenrücken verlief ein von Frankfurt kom­mender, über Marköbel, den Büdinger Wald und Fulda ins Thürin­ger Becken führender Verkehrsweg, der seit prähistorischer Zeit bis in die Neuzeit hinein genutzt wurde, die sogenannte „Hohe Straße“.

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Siedlungen und Brandgräber südlich der „Stein­weide“, auf dem „Röderfeld“ v und südlich und östlich von den Hirz­bacher Höfen.

Ältere Eisenzeit:

Hügelgräber oberhalb des Bäckerborns, ein Kilometer nordöstlich vom Baiersröderhof.

Im Oberwald in der Nähe kleine Umwallung mit Hausresten im Innern.

Scherbenfunde von der Steinzeit bis zur fränkischen Periode.

Die Stelle wird als Zuflucht für die Bebauer des Geländes des Baiersröder Hofes in den verschiedenen Perioden der Vorgeschichte anzusehen sein. Ein Brandgrab, 500 Meter westlich des Hofes, enthielt u. a. auch ein dreireihiges Hals­band aus Bernsteinperlen. Siedlungen dieser Zeit am West­ausgang von Marköbel, nördlich der Straße nach Ostheim und 1200 Meter südöstlich vom Hattenberg.

Steinbeile aus der Schnurkeramik ( Bild Seite 43).

Römische Zeit: Kohortenkastell, Größe 198 x 165 Meter, an der Außenseite der Mauern gemessen. Besatzungstruppen noch nicht bekannt. Kastellbad unter der heutigen Kirche. Lager­dorf und Gräberfeld auf der großen und kleinen Burg. Wach­turm auf dem Mühlberg. Limes im Eckartshausener Wald gut erhalten.

Älteste Namensformen: locus Cavilla 839, villa Kebella 1057, Kabilo 1062, Kevile 1074, Kebeln 1220, Markivele 1272, Marg­kebel 1289, dann Markebel, Marköbel.

 

Statistisches:

Einwohnerzahl (bis 1925 ohne den Baiersröder­hof mit 40 bis 90 Personen): 1632 = 87 Haushaltungen und 4 Judenfamilien. 1753 = 136 Haushaltungen und 8 Juden, zusammen 639 Personen. 1820 = 1071; 1855 =~ 1133; 1885 = 1162; 1905 = 1233; 1919 = 1249; 1925 = 1315; 1939 = 1353; 1946 =1961; 1953 = 1752, davon Heimatvertriebene rund 300, Eva­kuierte = 70, meist aus Hanau.

Bekenntnis: 1905:. ev. = 1128, kath. = 4, israel = 70, Sonstige (Herrnhuter und Inspirierte) = 31; heute: ev. = 1540, kath. = etwa 10 Prozent.

 

Wirtschaft: Im 18. und 19. Jahrhundert viele Strumpf‑ und Leineweber. Heute zahlreiche Arbeiter, die in Hanau usw. be­schäftigt sind; keine eigene Industrie. Von den heute 600 Fa­milien sind 55 Prozent Arbeiter, 45 Prozent Landwirtsfamilien.

 

Volkskundliches: Kugelhoppenfest am Himmelfahrtstag bis ins 19. Jahrhundert; Ausspielen von „Kugelhoppen“ auf der Weide durch Wettkämpfe im Ringen und Laufen. Pfingstritt der Burschen nach der Rüdigheimer Johanniterkommende zum Abholen des „Wolfsgeldes“.

 

Römisches Marköbel:

Schon vor unserer Zeitrechnung lebten aus­ländische Besatzungssoldaten auf Marköbeler Boden. Hier stand einst ein römisches Kastell von 3,3 Hektar Größe, das so­gar die Saalburg bei Bad Homburg leicht übertraf. Die sich besonders auch in den Gräbern widerspiegelnde römische Siedlungstätigkeit in Marköbel, dessen antiker Name uns aufgrund des völligen Fehlens epigraphischer Zeugnisse noch unbekannt ist, läßt sich bis ins 3. Jahrhundert hinein verfolgen. Ein Gefäßdepot der Mitte des 3. Jahrhunderts aus dem Kastell steht für dessen Belegung bis zur Aufgabe des Limes im Jahre 260. Daneben kann dieser Fund zusammen mit einem Münz­hort aus 5 Aurei und 69 Denaren mit Schlußmünzen des Septimus Severus (193‑211), der ebenfalls auf dem Kastellareal gefunden wurde, auch zur Beurteilung der unsicheren Verhältnisse im 3. Jahrhundert herangezogen werden.

In römischer Zeit verlief der Limes über den östlichen Rand des Vorsprungs, auf dem der alte Ortskern von Marköbel liegt. An der Straßenkreuzung Richtung Langenbergheim und dem Abzweig nach Hüttengesäß änderte der östliche Wetteraulimes im stum­p­­fen Winkel seine Richtung und verlief von Altenstadt kommend geradlinig nach Rückin­gen von da aus zum Main. Diese Stelle war für einen Limesdurchgang, wie er von anderen Limesab­schnitten bezeugt ist, geradezu vorgegeben.

Hier kreuzte die Ho­he Straße den Limes. Um den Händlerverkehr auf dieser Route zwischen Rhein und Mit­teldeutschland zu überwachen, hat wohl ein Tor die Limesanlage unterbrochen. Das Marköbler Kastell sollte die Hohe Straße sichern ‑ den bereits in der Jungsteinzeit bekannten Handelsweg, der von Frankfurt nach Fulda und von dort weiter nach Thüringen führte und der an der Marköbeler Krebsbachfurt zum ersten Mal seit Frankfurt wieder ein Tal erreichte.

Eine Straße verlief auch von Marköbel über Windecken zur Saalburg. Wahrscheinlich ging auch eine nach Nida (Frankfurt-Heddernheim). Wegen dieser Geschäfte zwischen Germanien und römischem Reich hat wohl vor dem Haupttor des Kastells eine ausgeprägte Händlersiedlung existiert. Sie lag vor dem Haupttor des Kastells in dem Bereich vom Untertor bis zum alten Rathaus. Diese Siedlung überlebte den Untergang des Kastells Mitte des drit­ten Jahrhunderts nach Christus und wurde zur Keimzelle des mittelalterlichen Marköbel.

 

Die als notwendig erachtete militärische Überwachung eines sol­chen Verkehrsweges führte auch in neuerer Zeit Oberstleutnant F. W. Schmidt wäh­rend einer seiner Erkundungsreisen am Limes im Jahre 1837 nach Marköbel. Seine 1859 publizierten Reisenotizen berichten von den bezeichnenden, seit dem 14. Jahrhundert nachweisbaren Flurna­men „große Burg“ und „kleine Burg“ westlich des damals noch in seinen durch die Ringmauer vorgegebenen mittelalterlichen Grenzen be­stehenden Ortes, sowie von altem Mauerwerk und von römischen Funden von eben diesen Stellen.

Im Jahre 1881 führten G. Wolff und A. v. Cohausen zum Zwecke der genauen Lokalisierung des vermuteten Kastells eine Feldbegehung auf den genannten Fluren durch. Die dabei erzielten Ergeb­nisse bestärkten die noch 1884 von A. v. Cohausen vertretene An­sicht, daß das Kastell auf diesem Gelände gestanden habe. Grabungen im Jahre 1884 durch G. Wolff erbrach­ten jedoch den Nachweis, daß das vermutete Kastell weiter östlich, teilweise unter dem mit­tel­alterlichen Ort lag und daß sich an der früher vermute­ten Stelle das Lagerdorf erstreckte.

n den Jahren 1892 und 1893 konnte G. Wolff im Auftrag der Reichs‑Limeskommission den 1884 weitgehend ermittelten Ka­stellgrundriß wei­ter vervollständigen. Das rückwärtige Tor, die Porta decumana (1884 und 1892) und das linke (nördliche) Seitentor, porta principalis sinistra (1892) konnten aufgedeckt werden. Wolff wies auch das Wohnhaus des Kommandanten und Kel­lerteile der südlich gelegenen Zivilsied­lung auf.

In den Jahren 1892/1893 wurden westlich des (alten) Friedhofes in der Lindenstraße zwischen Römerstraße und Zugang zum neuen Friedhof mehrere Teile des in Stein ausgeführten Stabsgebäudes (principia) ausgegraben. Ebenso wurde eine römische Zivilsiedlung im Rausch-Hain-Weg gefunden. An der Urnenstraße wurde 1898 ein römischer Friedhof gefunden und 1910 und 1953 teilweise ausgegraben.

Im 20. Jahrhundert wurden dann die westlich des mittelalterli­chen Ortskernes gelegenen Teile von Kastell und Lagerdorf sowie ein Gräberfeld nach und nach überbaut, ohne daß archäologische Untersuchungen vorgenommen wurden. Das Badegebäude wurde von H. Birkner 1951 bei Bauarbeiten unter der Kirche entdeckt und in den Jahren 1963‑1965 von K. Dielmann teil­weise ausgegraben. Im Jahre 1983 konnten das Lan­desamt für Denkmalpflege Hessen und der Hanauer Geschichts­verein das letzte noch unbebaute Areal des Kastells im Bereich der Nord‑West- Ecke vor der Anlage eines neuen Friedhofes untersuchen. Diese Ausgrabung ist jedoch noch nicht abschließend bearbeitet.

Auf dem neuen Teil des Friedhofs war die Nordwestecke des Kastells. Dort stehen auch die vier Schautafeln, die  die Gemeinde Hammersbach ohne großes Aufse­hen im Jahre 2000 aufgestellt hat und  die die römische Geschichte Marköbels erläutern. Die ein­gängige Mischung aus Bildern, Plänen und nicht allzu langen Texten stammt von Hobby‑Historiker Dirk‑Jürgen Schäfer, dem Vorsitzenden der Hammersbacher Ge­meindevertretung, und Ursula Dietzel.

 

Die römische Präsenz begann in Marköbel wahrscheinlich noch unter Kaiser Domitian (81‑96 nCh). Ausschlaggebend für diese Vermutung sind südgallische Terra Sigillata, Ziegelstempel der Legio XIV Gemina Martia Victrix, die 97 nCh von Mainz an die Donau verlegt wurde, und die Notwendigkeit, die oben beschrie­bene topographische Situation militärisch zu kontrollieren. Den Anfang machte - soweit bekannt - ein Holz‑Erde‑Lager, von dessen Befestigung 1983 erstmals Spuren in Form eines Eck‑ und mehrerer Zwischentürme festgestellt wurden. Die Umwehrung dieses Lagers verlief deckungsgleich mit der Umfassungsmauer des wohl unter Kaiser Hadrian (117‑138) errichteten bekannten Stein­kastells. Dies könnte dafür sprechen, daß das Holz‑Erde‑Lager bereits die Größe seines Nachfolgers aus Stein hatte, das eine Fläche von fast 3,3 Hektar bedeckte. Obwohl die Besatzung des Kastells noch unbekannt ist, könnte man aufgrund dieser Größe an eine berittene oder teilberittene Einheit von 500 Soldaten (ala oder cohors equitata) denken.

 

Das Kastell war nach Osten, auf den Limes hin, orientiert. Die Ostseite des Kastells bildete die Hauptstraße von der Nordstraße bis zur Kreuzung Hauptstraße/Rüdigheimer Straße/ Kirchplatz („Kreuz“). Die Haupt­straße umgeht also heute noch das ursprüngliche Kastell an seiner südöstlichen Ecke. Der Haupteingang lag an der Stelle, wo jetzt das Haus Hauptstraße 22 links neben dem Rathaus steht.

Die nördliche Kastellfront verlief von der Ecke Hauptstraße/Nordstraße entlang der Nordstraße (durch das „Bärgäßchen“) am Nordende des alten und neuen Friedhofs vorbei. Das nördliche Tor führte auf den heutigen Feldweg durch die Gärten am alten Feuerwehrhaus.

Die südliche Kastellfront verlief entlang der Hauptstraße. Das Tor an der südlichen Seite führte zur heutigen Erbsenstraße (südlich des Obertors). Die Südwestecke befand sich an der Bushaltestelle am alten Friedhof.

Von den vier zu postulierenden Toren des konnten das rückwärtige Tor (porta decumana) und das linke (nördliche) Seitentor (porta principalis sinistra) aufgedeckt werden. Beide hatten eine ein­fache Tordurchfahrt, die beidseitig von Türmen flankiert wurde. Die steinerne Wehrmauer, der auf allen vier Seiten zwei Spitzgrä­ben vorgelagert waren, war mit vier Eck‑ und zehn Zwischentür­men (bei regelmäßigem Abstand) zusätzlich befestigt. Fragmente halbwalzenförmiger Zinnendecksteine vom Wehrgang aus Büdin­ger Sandstein zeigen, daß auch das unmittelbare Limesvorland unter römischer Kontrolle und Nutzung stand.

 

Von der Innenbebauung des Kastells, die wahrscheinlich größtenteils aus Fachwerkgebäuden bestand, sind nur geringe Spuren be­kannt. Westlich des Haupttors befand sich ein  rechteckiges Gebäude mit Hof. Hier war das Wohnhaus des Kommandanten ausgegraben wurde (im Hof der Gaststätte Stein am Obertor).

Die Kommandantur (principia) wurde im Bereich alter Friedhof/Lindenstraße/Römerstraße ausgegraben. Untersucht wurde ein Teil des rückwärtigen Flügels mit Fahnen­heiligtum und drei Räumen mit vorgelagertem Portikus, die sich nördlich daran anschlossen. Durch den zu vermutenden symmetrischen Aufbau des Stabsgebäudes ist eine gleichartige Raumflucht südlich des Fahnenheiligtums zu ergänzen.

Das Fahnenheiligtum (sacellum) hatte ein unterirdisches, in Sandsteinplatten gefaßtes Gelaß für die Truppenkasse, dazu mehrere Räume  Teile einer Hypokaustheizung und Säulenfundamente zum Innenhof. In  Fahnenheiligtum lag auch der massive Zeigefinger einer überlebensgroßen Bronzefigur, wohl der Rest der damals üblichen Kaiserstatue. 

Zu beiden Seiten waren also vier langgestreckte Baracken für Reiter und Pferde. Sechs gleich große Baracken dienten der Unterkunft der Infanterie. Im Osten wird sich der vierflügelige Gebäudekomplex bis an die zwischen den seitlichen Toren verlaufende Lagerstraße (via principalis), d. h. über das Ge­lände des Friedhofs bis an die heute noch erhaltene mittelalterliche Ringmauer erstreckt haben.

An weiteren Gebäuden aus dem Lagerinneren ist nur ein Raum mit Hypokaustanlage im südlichen Teil des vorderen Lagerteils (prae­tentura) bekannt. Möglicherweise gehörte dieser Befund zum  Wohnhaus des Kommandanten (praetorium). Ein gemauerter, ehemals über­wölbter Kanal, der sich unter der Durchfahrt der Porta decumana und unter der daran anschließenden Lagerstraße (via decumana) fand, diente der Frischwasserversorgung des Kastells.

Das rückwärtige Tor des Kastells führte auf die heutige Römerstraße (die Straße von der Bushaltestelle am alten Friedhof zum neuen Friedhof ist die Lindenstraße, von dieser zweigt nach links die Römerstraße ab). Auf dem neuen Teil des Friedhofs  war die Nordwestecke des Kastells. Dort fand man nur geringe Spu­ren von Holzgebäuden. Reste von Öfen, Schmelztiegeln und Schlacken deuten jedoch darauf, daß sich in diesem Kastellareal der Werkstattbereich befand.

Spuren einer ausgedehnten Zivilsiedlung wurden südlich und westlich des Kastells entlang der Ausfallstraßen in Richtung Hel­denbergen und Friedberg im Rausch-Hain-Weg beobachtet. Die Siedlung zog sich südlich des Kastells hin entlang einer Straße, die zwischen der Roßdorfer Straße und der Kreuzung an der Rüdigheimer Straße verlief. Es wurden mehrere Steingebäude und steinerne Keller angeschnitten. Man fand einen magazinartigen Hallenbau am Westrand des heutigen Dor­fes (südlich der Hauptstraße), ein Gebäude nördlich der heutigen Römerstraße, bei dem es sich möglicherweise um ein kleines Hei­ligtum handelt, und vier Steinkeller südlich des Kastells. Ein Ziegelbrennofen nahe der Westfront des Kastells, nördlich der heutigen Römerstraße, erbrachte leider keine gestempelten Ziegel, veranschaulicht aber die hand­werkliche Tätigkeit im römischen Marköbel. Östlich des Kastells war die Händlersiedlung.

Das einzige bislang bekannte Gräberfeld lag - wie vorgeschrieben - außerhalb des Siedlungsareals. An der Urnenstraße (im Westteil des Ortes, nördlich der Hauptstraße) wurde 1898 ein römischer Friedhof gefunden. Man fand 43 Brandgräber mit Münzen, Bronzefibeln, Lampen und Glasresten.

 

Die Bade-Anlage lag an der Stelle der heutigen Kirche. Sie weist den für Kastellthermen am obergermanischen Limes typischen Grund­riß auf, bei dem die für den Badevorgang notwendigen Räume in einer Reihe angeordnet waren. Das mit einer Hypokaustanlage und zwei Warmwasserbecken ausgestattete Warmbad (caldarium), in dem der Badevorgang begann, war im südlichsten Raum des Nord‑Süd orientierten Gebäudes untergebracht. Daran schlossen sich zwei ebenfalls hypokaustierte Lau-Bäder (tepidaria) und, östlich von diesen, ein Heizraum (praefurnium) an. Das nördlich daran anschließende Kaltbad konnte nur teilweise untersucht werden, da es sich unter dem Chor der heutigen Kirche befindet. Nach den gestempelten Ziegeln aus dem Badegebäude, wurde dieses am Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. erbaut. Gegen Ende desselben Jahrhunderts erfolgten umfassende Ausbesserungsarbeiten. Die angenommenen Anfangsdaten von Kastell und Bad lassen vermuten, daß ein noch unbekanntes, älteres Badegebäude vorhanden war. Zur Wasserversorgung diente möglicherweise der bereits erwähnte Kanal. Eine vom Westhang des Steinkopfes östlich des Limes ausgehende Tonröhrenleitung, die 1887, 1892 und 1976 angeschnitten wurde und bislang als römisch galt, entstammt mit größter Wahrscheinlichkeit der Neuzeit.

 

Römische Bronzefigur:

Marköbel hatte auch eine Bedeutung als Handelszentrum. Darauf deutet die kleine Bronzefigur hin, die den römischen Gott Merkur darstellt, den Gott des Handels und des Verkehrs. In der rechten Hand hält er den Geldbeutel, die Grundlage von Wohlstand und Reichtum. Über die abenteuerlichen Irrwege, die das Figürchen seit seiner Wiederauffindung einschlug, erzählt Peter Jüngling in der 1989 erschienen Chronik „1150 Jahre Marköbel“ die folgende hüb­sche Geschichte:

Sie war anscheinend einige Jahre im Besitz eines Landwirts, bevor sie 1879 an den Hanauer Geschichtsverein verkauft wurde. Aber schon zwei Jahre später erschien die aufgeregte Bauersfrau aus Marköbel im Museum und forderte ihre Figur zurück: seit das „Teufelchen“ nicht mehr im Hause war, verfolgte sie vielfältiges Unglück. Wir wissen heute nicht mehr, wie die Bäuerin hieß, und auch nicht, was für ein Leid die Frau erfahren haben mußte.

Welch einen Unterschied macht es auch aus, daß die geflügelte Kappe des Götterboten Hermes in ihrer Bedeutung verkannte und als Attribute des Teufels bezeichnete. Zweifellos hat sie ihr Anliegen so überzeugend vorgetragen, daß der Geschichtsverein ihrer Bitte entsprach und den kleinen „Talismann“ zurückgab. Allzulange scheint sich die ehemalige und neue Besitzerin  ihres „Glücksboten“ indes nicht erfreut zu haben, schon 1887 stand er im Hause des Oberamtmannes Schuppius, dem ehemaligen Pächter der Domäne Rüdigheim.

Der weitere Weg der kleinen Figur wäre eigentlich vorgezeichnet gewesen und beinahe wie in so vielen ähnlichen Fällen auf dem Müll, als Altmaterial oder bestenfalls als „Merkurstatuette, Fundort unbekannt, vorzügliche provinzielle Arbeit ...“ im Antiquitätenhandel geendet, wenn nicht ...Ja, wenn nicht der Dr. med. Schuppius, Sohn des Amtmannes und Arzt in Pommern, bei genealogischen Nachforschungen zu seiner Familiengeschichte auf den Hanauer Geschichtsverein gestoßen wäre, und diesem als Dank für seine dabei geleistete Unterstützung im Jahre 1925 das ererbte „Familienstück“" überlassen hätte. So schließt sich der Kreis, und Hermes als Gott der wandernde Schafherden, Reisenden und Händler kehrte in seine „Heimat“ zurück.

 

Palisaden:

Im Jahre 2002 fand sich bei Erdarbeiten im Marköbeler Neu­baugebiet „In den Gräben“ ein 20 Meter langes Teilstück einer Limespalisade. Den­drochronologische Untersuchungen (Da­tierung nach den Jahresringen der Bäu­me) bestätigten die ersten Vermutungen, obgleich der bislang bekannte Limesver­lauf, wie ihn die Reichslimeskommission im Jahre 1900 festlegte, von der Fundstel­le leicht abweicht.

Der römische Kaiser Hadrian ließ ver­mutlich fünf Jahre nach seinem Amtsan­tritt in 117 nCh den Schutzzaun gegen die Germanen errichten. In dieser Zeit ließ er auch den knapp 120 Kilometer langen Hadrianswall mit mehr als 300 Wachtür­men in der römischen Provinz Britannia bauen, dem heutigen Großbritannien. Ha­drians Regierungszeit war vor allem von der Befestigung des Reichsgrenzen und der inneren Stabilität durch den Ausbau des Beamtentums geprägt. Als Reminis­zenz an die einstigen Besatzer wurde der in Marköbel entdeckte Palisadenzaun, der bundesweit in seiner Bedeutung einmalig seien soll, rekonstruiert und daran eine Büste des einstigen Auftragsgebers in­stalliert.

Insgesamt 38 imposante Holz­stämme markieren am Rande des Marköb­eler Neubaugebietes „In den Gräben“ einen fast 20 Meter langen überdimensionalen Zaun. Die über zwei Meter hohen Stämme sind längs halbiert, tief in die Erde gerammt und oben grob zu­gespitzt. Es stellt eine Rekonstruktion von Palisa­den dar, die vor mehr als 1880 Jahren die römische Grenzbefestigung, den Limes, ge­sichert haben.

Anhand der Jahresrin­ge der im feuchten Untergrund des Neu­baugebietes gefundenen Baumstümpfe wurde errechnet, daß diese Bäume im Winter der Jahre 119/120 nach Christus gefällt wurden. Erstmals gelang damit ei­ne exakte Datierung für die Limespalisa­den, von denen bis dato nur eine schriftli­che Überlieferung existiert hatte.

Der Landesarchäologe Schallmayer hob hervor, daß der Limes nicht nur militärische Bedeutung hatte, sondern auch eine ökologische, ökonomi­sche und bevölkerungsregulierende Funk­tion. 30 bis maximal 50 Jahre standen die Eichenholz‑Palisaden hier, vermutet er. Danach wurden sie durch Gräben ersetzt. Der Landesarchäologe wies Marköbel eine bleibende archäologische Bedeutung zu: „Durch diesen Fund haben wir ein neues Bild vom Limes gewonnen.“

Gleichzeitig wurde damit die Marköbeler Erlebnisstätte „Li­mes“ eingeweiht. Überliefert ist, daß Ha­drian in den Jahren 120/121 n. Chr. tat­sächlich die Provinzen am Rhein besucht hat. Vier stilecht gekleidete Soldaten der 4. Vindeliker‑Kohorte aus Großkrotzen­burg trugen unter Fanfarenklängen eine Büste des Kaisers durch den Staub des Neubaugebietes bis vor die Palisaden‑Re­konstruktion. Dort soll sie an die römische Vorgeschichte des Ortes erinnern.

Die Palisaden  findet man, wenn man an der Abzweigung nach Langenbergheim ein Stück weiter geht bis zum ersten Weg nach links, auf diesen kommt man zu einer Wiese, auf der rechts die  Palisaden stehen. Leider steht hier kein Schild, das auf den einzigartigen Fund hinweist. Die Gemeindeverwaltung Hammersbach zeigt sich wenig  interessiert, ihr römisches Erbe den  Touristen sichtbar zu  machen. Auch stehen die Palisaden heute nicht in der Richtung des Limesverlaufs

 

Die Hammersbacher Gemeindevertreter haben im Juli 2016 beschlossen, ihr kulturelles Erbe noch besser als bisher zur Geltung zu bringen. Dirk-Jürgen Schäfer ist Mitglied im Geschichtsverein und gehört zur kleinen Gruppe von Bürgern, die sich mit dem Limes in Ham­mersbach befassen. Der Zufall will es, daß Schäfer selbst auf historisch herausragendem Gelände lebt: Sein Haus an der Hauptstraße neben dem alten Rathaus steht genau an der Stelle der Porta Praetoria, dem Haupteingang des einstigen Kastells Marköbel.

Einiges hat die Gruppe bereits geleistet. So gibt es Schautafeln zum ehemaligen Kastell Marköbel samt einem rekonstruierten Mauersockel am neuen Friedhof und eine Grundrißnachbildung des zugehörigen Badehauses im Kirchgarten bei der Kirche  - ebenfalls mit Schautafeln versehen.

Mit dem Fund von Palisadenhölzern im Baugebiet „In den Gräben“ wurde erstmals die Errichtung der Limespalisade am obergermanischen Limes sicher datiert. Zudem wird auch die antike schriftliche Überlieferung des Baues von künstlichen Grenzanlagen durch Kaiser Hadrian (Regentschaft von 117 bis 138 nach Christus) zum ersten Mal bestätigt. An der Fundstelle ist eine etwa 15 Meter lange Nachbildung des Palisadenzauns errichtet worden. Auch hier gibt es Schautafeln und eine steinerne Bodenplatte, die den Limesverlauf zeigt. Allerdings ist die Tafel zu Kaiser Hadrian stark in Mitleidenschaft gezogen.

 

Um den Grenzverlauf im offenen Feld wieder sichtbar zu machen, haben Schäfer und seine Mitstreiter in den vergangenen Jahren zwölf Säuleneichen gesetzt. In Abstimmung mit der Gemeinde und den Landwirten wurden die Standorte festgelegt. Ein Vermessungstechniker half dabei, den genauen Limesverlauf zu lokalisieren. Die Eichen spendete die Pächterfamilie des Baiersröderhofes. Im Limesentwicklungsplan Hessen regt das Landesamt für Denkmalpflege für diese nicht mehr sichtbaren Limesstrecken an, die Grenzlinie des Limes durch oberirdische Markierungen sichtbar und besser verständlich zu machen.

Zusätzliche Säuleneichen wären denkbar oder auch eine Schautafel, die den in die Landschaft projizierten Limesverlauf zeigt. An der Hohen Straße wäre ein geeigneter Platz dafür. Eine hölzerne und eine steinerne Tafel veranschaulichen vor dem Wald Richtung Rommelhausen den Grenzverlauf zwischen dem freien Germanien und dem Römischen Reich.

 

Mittelalterliches Marköbel:

Die römische Händlersiedlung wurde die Keimzelle des mittelalterlichen Marköbel. Ob und wie das Leben in Marköbel nach Abzug des römischen Militärs weiterging, ist noch unbekannt. Die nächsten Zeugnisse menschlichen Lebens  stammen etwa aus der Zeit der ersten urkundlichen Erwähnung Marköbels.

Eine Schenkungsurkunde aus dem Jahre 839 ist der erste geschichtliche Nachweis des Ortes Marköbel: Kaiser Ludwig der Fromme schenkt seinem getreuen „Aeckart“ Güter in Cavilla (und in Stetin = Kilian­städten und in Heldenbergen). Im Jahre 1057 schenkt König Heinrich IV. seinem Diener Kuno (von Arnsburg?) Güter in Kebella, Hint­bach (Himbach) und Bergheim (Langenbergheim) in der Wetterau in der Grafschaft Malstatt. Marköbel dürfte danach Königsgut und dann im Besitz der Münzenberger gewesen sein.

Im Jahre 1220 verlegt Kaiser Friedrich II. den Markt, der bisher in Kebeln (dem alten Kastellplatz am Straßendurchlaß für die „Hohe Straße“) gehalten wurde, nach seiner Stadt Gelnhausen. Die „Köbeler Messe“ bestand aber noch bis ins 15. Jahrhundert (Zinstermin).

Marköbel war 1275 und 1304 ein Dorf der von Falkenstein (als Erben der Münzenberger). Doch hatte schon 1298 vermutlich auch Hanau Anteil (nach anderer Angabe schon 1250).

Zwischen 1304 und 1317 wurde Marköbel von Hanau er­worben. Im Jahre 1368 erhielt Hanau vom Kaiser die Erlaubnis, Mar­köbel zu befestigen und zu einer Stadt und Markt zu machen (mit Niederdorfelden, Bruchköbel und Schaafheim); daraufhin wurde wohl die starke Dorfbefestigung angelegt.

Marköbel war nun ein Dorf des Amtes Windecken, aber mit eigenem Hochgericht und Märkergericht und Freiheiten. Im Dreißigjährigen Krieg wurde es fast völlig zerstört, denn 1634  brannten Weimarische Truppen den Ort ab. In einem Bericht von 1634 heißt es über Marköbel: „Dieser Flecken hat gehabt 1 Kirche, 1 Rathaus, 1 Pfarrhaus, 1 Schulhaus, 1 gemei­ne Herberg, 3 eingängige Mühlen, 104 Wohnhäuser und 95 Scheunen neben schönen Stallungen. Hirzbach: Allda sind durch die Weimarschen abgebrannt 5 Häuser, 2 Scheu­nen, und stehen noch 2 Häuser, 7 Scheunen. Rodt (Baiersrod): Dieser Hof hat gehabt 4 Häuser und 4 Scheunen, die sind durch die Weimarischen auch ganz in die Asche gelegt“.

 

Das U n t e r t o r wurde Mitte des 14. Jahrhunderts erbaut und war zeitweise Gefängnis. Vor dem Tor steht ein Gebäude mit einem Wappenstein von 1706 (Sparren mit Hand als Zeichen der Freiheit (Hanau Stadt und Land, Seite 85). Auf der anderen Seite mündet die Ringstraße mit ihren Zeugen jahrhundertealter Zimmermannskunst. Auch ein Teil der etwa einen Meter dicken, aus Basaltsteinen errichteten Ringmauer, ist hier sichtbar. Zwischen Ringstraße und Nordstraße lag der östliche Teil des Ortes.

Die breite, fast geradlinig verlaufende Dorfstraße ist eingesäumt von schmucken Gehöften.

An der rechtwinkeligen Kurve trifft man auf das im Jahre 1686 von Johann Georg Dietz, Zimmermann in Windecken anstelle des „Spilhauses“ erbaute R a t h a u s (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 232). Das wunderschöne, mittelalter­liche Fachwerkhaus war lange Zeit auch gleich­zeitig Gerichtssitz und trägt an seinem großen Querbalken die Inschrift:

„Richter, richte recht,

Dan Gott ist Richter

und du bist Knecht!

Wirstu richten mich,

So wird Gott richten dich.

H. Schulth. Wolfgang Schrödel, Baum(eister) Casp. Heck, Jost Gärtner. Anno 1686“.

Im Haus gibt es teil­weise altes Inventar (Türen, Schrank) (Schloß des Ge­richtssehranks in: Hanau Stadt 8nd Land, Seite 85). Am Haus findet sich auch das Ge­richtswappen (Spar­ren mit Hand und Schwert. Bis 1986 war das Haus Sitz der Gemeindeverwaltung.

Östlich der K i r c h e ist die Kirchstraße, die aber wohl auch den Namen „Junkernhof“ hat (wo lag dieser?). Der Kirchhof ist durch eine heute noch zum Teil erhaltene Mauer befestigt. Er diente den Marköbelern in Kriegszeiten als letzte Zufluchtstätte.  Bis zum Jahre 1821 wurde er als Friedhof benutzt, der  Boden um die Kirche ist stark aufgefüll­t.

Die Pfarrei wurde erstmals 1192 genannt. Patrone waren die von Falkenstein zu zwei Dritteln (seit 1418 Isenburg), Hanau ein Drittel; zweimal präsentiert Isenburg, dann einmal Hanau den Pfarrer. Die Pfründe kam bis um 1600 dem Patron als „Pastor“ zu.

Wohl im achten Jahrhundert ent­stand auf dem ehemaligen römischen Kas­tellbad eine Holzkirche als erster Sakral­bau. Danach gab es eine Steinkirche, deren Turm zunächst für die  heutige Kirche als Ostturm übernommen wurde. An der Südostecke des Gotteshauses befindet sich in etwa 1,70 Meter Tiefe eine mittelalterliche Mauer, die auf einen früheren Bau schließen läßt. Darunter und bis zur Südumfassungsmauer sind die Reste eines römischen Hypo­kaustbades.

Die jetzige Kirche wurde 1741 als unverputzter Saalbau mit abgeschrägten Ecken und Walmdach erbaut, eine „typische reformierte Predigtkirche“ erbaut. Altar und Kanzel sind in den Mittelpunkt ge­rückt. Die Kirche mit umlaufenden Empo­ren vermittelt so einen ungewöhnlichen Raumeindruck: Hier tritt man von der nördlichen Längsseite ein und steht direkt dem Altartisch sowie der Kanzel gegen­über. Die Bänke sind von alters her an den drei anderen Seiten angeordnet. Es gibt auch dreiseitige, zweigeschossige Emporen. Die Kanzel steht an der Südseite und stammt aus der Rokokozeit.

Die Orgel, die 1888 von der Firma Wilhelm Ratzmann, Gelnhausen, geliefert wurde, ist 1978/79 durch die Firma Hey, Ostheim in der Rhön, erneuert worden. Die heutige Orgel ist 1888 für 4.400 Mark eingebaut wor­den. Sie mußte zwischendurch lang auf ihre Engelchen verzichten. Erst seit der Kirchenrenovierung in den 70er Jahren sind sie wieder in Marköbel: Man hatte sie vorher aus undurchsichtigen Gründen in Hanau „archiviert“ und dann vergessen. Das Innere der Kirche wurde 1977‑1980 renoviert und erhielt einen neuen Farbanstrich, dabei wurde auch der Altar neu gestaltet.

Der Turm wurde 1868 abgerissen und im Westen wurde ein neuer errichtet, eine Inschrift an der Eingangstür weist auf die Erbauung hin. Er brannte 1883 bis auf den Stumpf nieder und wurde im gleichen Jahr wieder aufgebaut und etwas erhöht.

An der Ostseite der Kirche ist ein romanischer Bogen im Mauerwerk zu sehen. An den Außenwänden der Kirche sind mehrere Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert angebracht. Erhalten  sind ein Grabstein des Schultheißen Schenck von Schweins­berg (gestorben 1563) und andere.

Der Kirchplatz ist im Osten, Süden und Westen von einer alten Wehrmauer eingefaßt.

Die Lutheraner gehörten bis 1818 zur lutherischen Pfarrei Rüdigheim. Die Katholiken werden von Butterstadt versorgt.

 

Das O b e r t o r war Teil der Ortsbefestigung, die angelegt worden war, nachdem Ulrich von Hanau vom deutschen Kaiser 1368 das Recht erhalten hatte, Marköbel als Stadt zu befestigen (eine direkte Stadtrechtsverleihung ist allerdings nicht überliefert). Die Ringmauer hatte einen freíen Umgang hinter der Mauer  Türme, einen vorgelagerten Graben (14 Meter breit und 3 Meter tief) und einem vorgelagerten „Gebück“ aus dichten Dornenhecken. Vor dem Graben war noch ein Schlagbaum.

Neben dem Untertor („Gelnhäuser Pforte“) war das Obertor („Rödertor“, von Baiersröder Hof) der einzige Zugang zum Ort. Es bestand aus dem Turm und einer von einem Wehrgang überdeckten Durchfahrt. Der Wehrgang wurde im 19. Jahrhundert abgebrochen, die Ringmauer wurde 1905 im Zuge der Flurbereinigung abgebrochen. Nur noch ein mächtiger, runder Turm zeugt von der Wehrhaftig­keit des Ortes. Hier ist auch noch ein ganzer Teil der Ringmauer zu sehen (südlich in der Erbsenstraße allerdings nicht mehr in voller Höhe).

Der Graben vor der Mauer wurde 1798 zugeschüttet und das Gelände an die Einwohner vergeben.  Das erste Haus erbaute der Marköbeler Schultheiß Johannes Mörschel den Bauernhof in der Hauptstraße 41. Er wurde 1747 in Eichen geboren und gehörte zu den 14 jungen Mar­köbelern, die im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1776-1783) auf englischer Seite kämpfen mußten. Mörschel war Feldwebel im Hanauer Artillerie-Regiment. Nach der Rückkehr in die Heimat wurde er Schultheiß in Marköbel.

Als 1792 Streifen des das französischen Revolutionsheers sich Marköbel näherten, ließ er die Ringmauer und die Türme mit dem „Landesausschuß“ (wehrpflichtige junge Männer) besetzen. Mörschel rief den Franzosen zu: „Da ihr Mainz so wohlfeilen Kaufs gewonnen habt, so versucht’s doch einmal, was euch die Eroberung Marköbels kosten wird!“ Die Franzosen zogen wieder ab. Deutsche Zeitungen berichteten voll Bewunderung über die Heldentaten der Hessen. Als Belohnung für seine Tapferkeit verlieh ihm die Gemeinde 1797 das Recht, als erster außerhalb der Mauer ein Haus zu errichten.

 

Die Fläche vor dem Obertor behielt die Gemeinde und errichtet 1822 darauf den F r i e d h o f, der den alten „Totenhof“ rund um die Kirche ersetzte.  Der Friedhof wurde 1843 auf seine heutige Größe erweitert, 1986 wurde der neue Friedhof angelegt.

An der nördlichen Ecke des neuen Friedhofs befindet sich der jüdische Friedhof. Juden wurden in Marköbel erstmals 1502 erwähnt. Damals wurden die Bestattungen auf dem seit 1497 bestehenden Friedhof in Windecken vorgenommen. Weil aber der Weg zu weit war und man den Weg vor allem im Sommer nach drei Tagen Liegezeit nicht mehr machen wollte,  wurde 1835 für zehn Gulden ein Garten erworben und neben dem christlichen Friedhof ein jüdischer Friedhof angelegt.  Eine Erweiterung erfolgte 1885. Die letzte Bestattung war 1937. Der Friedhof umfaßt 49 Gräber.

Zunächst nutzte man vermutlich in einem der jüdischen Häuser einen Bet­raum. In der später erbauten Synagoge gab es für Männer 38 und für Frauen 18 Plätze. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge bis auf die Grundmauern zerstört, die Brandruine wurde daraufhin abgebrochen. Standort: Nordstraße 13.

 

Zunächst nutzte man vermutlich in einem der jüdischen Häuser einen Bet­raum. In der später erbauten Synagoge gab es für Männer 38 und für Frauen 18 Plätze. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge bis auf die Grundmauern zerstört, die Brandruine wurde daraufhin abgebrochen. Standort: Nordstraße 13.

 

Das neue Schulhaus für Marköbel wurde im Jahre 1953 erbaut.

Im Jahre 1970  kam es zum Zusammenschluß der Gemeinden Langen-­Bergheim (Kreis Büdingen) und Marköbel, (Kreis Hanau) zur Gemeinde Hammersbach.

 

Literatur: Festschrift zur 1100‑Jahr‑Feier, 1938. ‑ Pfarrer Heck: Wo lag Welderichshusen? Han. Magazin 1929 S. 20. ‑ Der­selbe, Eine Episode aus dem österreichischen Erbfolgekrieg (in Marköbel), Han. Magazin 1931 S. 20.

 

 

Baiersröderhof

Der Hof, auch Pfaffenhof genannt (Rode 1139, Rade 1319, Baiersrode 1348) war schon 1139 Eigentum des Klosters Ilbenstadt; die von Carben hatten auf dem Hof als hanauische Burgmannen zu Windecken Dienst und Freiheit. Im Jahre 1802 wurde der Hof an die Grafen von Leiningen, 1804 an Kurhessen verkauft.

 

 

Langenbergheim

Im Jahre 1057  wird Langenbergheim erstmals urkundlich erwähnt. Im 14. Jahrhundert entstand in Langen‑Bergkeim die St. Jakobuskapelle. Ein Nach­folgebau des Jahres 1583 wird im Jahre 1752 von der heutigen Kirche, einem geräu­migen Saalbau mit dreiseitigem Schluß, die Emporen zum Teil zweigeschossig, abgelöst. Die Orgel entstand nach einem Entwurf des bekannten Orgelbauers Bürgy, Bad Homburg, von 1787.

 

Bis Anfang des 20. Jahrhunderts bestand eine kleine jüdische Gemeinde, zu der unter anderem die Familien Löwenstein und Sichel gehörten. Die Familien hatten eine Synagoge beziehungsweise einen Betsaal eingerichtet. Nach Abwanderung der meisten jüdischen Familien wurde dieser aufgelöst.

 

 

 

Hirzbach

Mehrere große Bauernhöfe aus altem Klosterbesitz bilden den Kern der kaum 100 Einwohner zählenden Siedlung Hirzbach, heu­te ein Ortsteil von Hammersbach. Keltische und römische Funde weisen darauf hin, daß Hirzbach schon sehr lange besiedelt ist. Hirzbach wurde erst­mals 1128 erwähnt. Wenn man von der Straße in den Ort hineinfährt kommt man links zum „Kapellenhof“. An der ersten (östlichen) Einfahrt geht man auf das Gelände des Hofes und hinter den Häusern ein wenig den Hang hinauf. Dort steht am südlichen Ortsrand die Marienkapelle.

Sie kommt zuerst in einer Urkunde von 1254 vor: Am 10. Oktober 1254 schenkte Graf Reinhard von Hanau die Kapelle samt dazugehörigem Kapellengut „wegen Gott und der gesegneten Gottesmutter Ma­ria und aller Heiligen Gottes zur Vergebung unserer und unse­rer Vorfahren Sünde“ dem in Roßdorf ansässigen Johanni­ter‑Orden, der dort ein Kloster und Hospital hatte (deshalb auch „Antoniterkapelle“).  Rund 550 Jahre (über 18 Generationen) lang gehörten das Kapellengut und weitere Höfe in Hirzbach dem kirchli­chen Orden.

 

Archäologische Untersuchungen belegen aber immer wieder, daß man aus schriftlichen Quellen nur selten Rückschlüsse auf das genaue Alter einer Kirche ziehen kann. So ist es auch hier, denn fraglos ist die romanische Kapelle von Hirzbach eines der ältesten erhaltenen Baudenkmäler im Main‑Kinzig‑Kreis. Der Hanauer Geschichtsverein führte zwi­schen 1989 und 1992 archä­o­logische Ausgrabungen durch, um die Vergangenheit des alten Bauwerkes aufzuhellen. Dabei wurden die Grund­mauern von zwei Vorgängerbauten (Fachwerk mit Steinsockel) gefunden. Ihr auffällig­stes Merkmal war zunächst ihre starke Abweichung von der üblichen Ost‑West‑Achse. Die Fundamentreste und die Lage eini­ger Skelettfunde beweisen, daß der erste Kirchenbau bereits in karolingischer Zeit errichtet  wur­de. Vielleicht gehörte die Kapelle zu einem karolingischen Adelsgut, von dem es aber keine Spuren mehr gibt. Ihre bescheidenen Spuren fanden sich als eine schma­­le Verfärbung im Erdboden, in der früher einmal die Schwellbalken eines Kirchen­gebäudes in Holzbauweise eingegraben waren. Zu dieser ersten Kirche gehörten meh­rere der insgesamt weit über 100 ausgegrabenen Gräber, darunter ein herausgehobenes Grab mit den Resten eines goldbrokatverzier­ten Gewandes, das ursprünglich im Innenraum der einstigen Kir­che angelegt worden war.

 

Der zweite Kirchenbau gibt sich durch eine stellenweise deutlich als Bodenver­färbung er­kenn­bare Ausbruchsgrube steingemauerter Fundamente zu erkennen. Wahrscheinlich war es eine rechteckige Saalkirche Dieser Graben wurde offensichtlich verfüllt, als man das Bauwerk abbrach und die jetzt noch stehende Kirche errichtete. Auch dieser Kapelle konnten weitere Bestattungen zugeordnet werden.

 

Bestattungen bei der Hirzbacher Kapelle:

Ein Hirzbacher Friedhof wird zwar in Urkunden er­wähnt, ist aber heute nicht mehr erkennbar. Einen Gottesacker hatte man an der Ka­pelle nicht erwartet, weil die Toten in der Regel an der Pfarrkirche bestattet wur­den. Bis zum Ende des 15. Jahrhun­derts wurden die Hirzbacher an der Kapelle bestattet. Aber nicht nur die Hirzbacher Päch­ter wurden dort beerdigt, son­dern möglicherweise auch hö­here Würdenträger des Johanniter‑Ordens, denn bei einem Skelett wurden Stoffetzen mit Goldbrokat gefunden. 131 Grä­ber und 352 Skelette fanden die Archäologen bei ihrer Grabung an der Kapelle. Daß die Zahl der Gerippe höher ist, als die der Ruhestätten, liegt an der Mehrfachnutzung der Gräber. Aller­dings ist der Friedhof nur soweit archäo­logisch erkundet worden, wie dies für die anschließenden Sanierungsarbeiten an dem Sakralbau nötig war.

Ein Gottes­acker im besten Wortsinn war der Fried­hof: Man vergrub die Leichen einfach. Ge­denksteine waren eher für hochgestellte Persönlichkeiten üblich. Ob jemals ein Adelsmann seine letzte Ruhestätte an der Hirzbacher Kapelle gefunden hat, ist trotz eines gefundenen Stoffetzens mit Goldbro­kat fraglich. Die ansonsten typischen Grabbeigaben blieben unauffindbar. Im Hochmittelalter (Ende des 15. Jahrhun­derts) hörte es mit den Bei­setzungen auf dem Hirzbacher Friedhof schlagartig auf. Die Toten fan­den nun an der Marköbeler Pfarrkirche ihre letzte Ruhe.

Bei den Ausgrabungen dicht an den Au­ßenmauern der Kapelle stießen die Ge­schichtsforscher auf viele Säuglings‑ und Kleinkinderskelette. Rund 52 Prozent der gefundenen sterblichen Überreste stam­men von Menschen, die vor dem 13. Le­bensjahr das Zeitliche segneten. Dies ist nicht außergewöhnlich, ins­besondere wenn die jung Verstorbenen nicht getauft werden konnten. Mit dem Regenwasser, das vom Kirchhausdach auf deren Gräber plätschert, werden dem Volksglauben nach die Sakramente postum erteilt.

Barbara Hollack von der Universität in Marburg unter­suchte die Skelettreste anthropologisch, vermaß sie und begutachtete sie visuell. Eine che­mische Analyse scheiterte an den Kosten ‑ und auch an der Pietät. Die ermittelten Daten ergeben dennoch ein Bild von den Menschen, die vor 600 bis 700 Jahren in Hirzbach lebten.

Rund 51 Prozent der Be­wohner wurden zwischen 61 und 80 Jahre alt. Die nächst größere Altersgruppe wa­ren die 41‑bis 60jährigen, die 22,6 Pro­zent der Verstorbenen ausmachten. Es müssen überwiegend Schwerarbei­ter, vermutlich Bauern, gewesen sein, denn die Anthropologin stellte bei 92 Pro­zent der Männer und 91 Prozent der Frauen Spondylosis deformus fest. Diese starke Wirbelabnutzung sei auf eine hohe Bandscheibenbelastung zurückzuführen - eine für damalige Bauern typische Be­rufskrankheit.

 

Wie verschiedene Hin­weise am Bauwerk selbst, aber auch archäologische Funde zeigen, hat man die Kapelle wohl im Zusammenhang mit dieser Schen­kung Reinhards I. noch in der Mitte des 13. Jahrhunderts völlig umgestaltet. Der Grundriß blieb unverändert. Der ursprüngliche Nord-Eingang wurde aber vermauert und die Öffnungen an der Westseite mit Spitzbogen versehen. Die Gewändesteine wurden mit einer Scheinquaderung übermalt, die jetzt noch im Gewände des Westfensters zu sehen ist.

Damals entstand ein Altarfundament, unter dem sich zwei Münzen aus der ersten Hälfte oder der Mitte des 13. Jahrhunderts fanden. Ornamentierte Fliesen, von denen im Schutt der Ausbruchsgrube des Chores zahlreiche Bruchstücke gefunden wurden, hat man als Bodenbelag verlegt. Bisher sind sechs verschiedene Verzierungsty­pen nachgewiesen, deren jüngster allerdings erst im 15. Jahrhun­dert entstanden ist und uns Umbauarbeiten des späten Mittelalters dokumentiert.

 

Man vermutet, daß der heutige frühromanische Kapellenbau aus dem 11. oder 12. Jahrhundert stammt. Es ist eine steingemauerte einfache Saalkirche mit rechteckigem Schiff und geringfügig eingezogenem, annähernd quadratischem Chor. Ihr ursprünglicher Eingang befand sich an der Nordseite, wie man heute noch an dem vermauerten Bogen an der Nordwestseite sehen kann. Die hoch sitzenden Fenster sind gotisch verändert.

Der Altarraum im Osten der Kapelle wurde durch einen auf zwei Säulen gestellten farbig bemalten romanischen Triumphbogen vom Schiff der Kirche getrennt. Er bildete den bemer­kens­wertesten Teil der Kirche von Hirzbach. Dieser Triumphbogen zum Chor stammt aus der Zeit um 1180. Er bestand aus zwei verzierten hohen Basen, auf denen stark kannelierte Säulen stan­den. Sie trugen kräftige Würfelkapitelle in ungewöhnlicher Recht­eckform, auf denen aus den Pfeilern hervortretende Kämpferplat­ten ruhten. Diese waren reich verziert und trugen einen doppelten Plattenbogen, der durch Bindersteine verbunden war. Die reiche Meißelarbeit war von guter Qualität. Momentan ist noch nicht sicher, wann der möglicherweise aus zwei verschie­denen Werkstätten stammende Chorbogen entstand. Der 1906 abgebrochene Chorbogen Bogen kam in das Museum des Hanauer Geschichtsvereins. Er fiel im Zweiten Weltkrieg einem Bombenangriff zum Opfer. Nur die Kapitelle und ein Sakramentshäuschen sind noch erhalten und lagern im Keller von Schloß Philippsruhe.

 

Obwohl die Johanniter 1441 von Roßdorf nach Höchst verzogen, wurde die Tradition, wöchent­lich zwei Messen in der Kapelle zu lesen, zunächst aufrecht erhalten. In der Reformationszeit Schloß sich die Grafschaft Hanau 1523 der neuen Glaubensrichtung an. In protestanti­scher Umgebung hatte die katholische Kapelle keine wirk­liche Funktion mehr. Im Jahre 1534 wird der vermutlich letzte Antonitergeistliche in Hirzbach erwähnt. Spätestens 1549 war auch Marköbel evangelisch. Im Jahre 1566 wurde der katholische Gottesdienst in der Kapelle offiziell eingestellt, gleichzeitig wurde der protestantische Pfarrer in Marköbel dazu verpflichtet, dort eine wöchentliche (bald 14-tägige) Predigt zu halten.

Schon 1609 – da muß das kleine Gotteshaus etwa 500 Jahre alt gewesen sein – schrieb der Pfarrer aus Marköbel, es stinke darin wie in einem Saustall. Kurz danach wurde Hirzbach von schwedischen Truppen gebrandschatzt, die Kapelle blieb zwar stehen, aber in dem Weiler neben lebten kaum mehr Menschen.

Nach dem 30jährigen Krieg ging dann die Nutzung der Kapelle auf zwei Gottesdienste im Jahr zurück: zu Mariä Verkündigung und Mariä Geburt (offenbar fiel das zusammen mit den Markttagen). Die Kapelle wurde noch bis zum Jahre 1840 zum Gottesdienst benutzt.

 

Der bauliche Zustand der Kapelle verschlechterte sich immer mehr. In der Neuzeit ist die Baugeschichte der Kapelle eine Geschichte des stetigen Verfalls. Schon in einem Schreiben des Marköbler Pfarrers Heupehus aus dem Jahr 1609 heißt es, es „stinkt und steche darin wie in einem saustal“. Zwischen 1615 und 1619 richten die ,,Underthenig gehorsame Underthanen zu Hirtbach“ ein Bittgesuch an die Regentin Katharina Belgica, sie möge für die Reparatur der Kirche sorgen, weil sonst der 14-tägige Predigtgottesdienst womöglich wegfallen müsse. Besonders im Winter sei es nahezu unmöglich, die Kirche zu benutzen.

Im Jahr 1634 ging das alte Hirzbach bei einem Überfall einer Truppe schwedischer Soldaten in Flammen auf. Nur die Kapelle und zwei Scheunen blieben stehen. Obwohl es 100 Jahre dauerte bis Hirzbach wieder die Bevölkerungszahl von 1634 erreichte, wurde die Kapelle schon 1668 mit einem neuen Schieferdach gedeckt. Aber 17 Jahre später protestiert der Marköbler Kirchenvorstand dagegen, daß der Roßdorfer Präzeptor des dortigen Klosterhofes der Antoniter das „Schiefersteindach von diesen Kirchen abheben, die Schiefersteine nach Roßdorf führen lassen und hingegen versprochen hat, sie mit Ziegeln decken zu lassen, welches aber nicht geschah, sondern nur mit Stroh decken lassen, dadurch der gänzliche Ruin verursacht worden.“ Weitere 10 Jahre später wird gemeldet, daß „nichts mehr alß schadhaffte gemäuer noch stehet.“

Die Antoniter hatten offenbar kein Interesse, für den baulichen Erhalt der Kapelle zu sorgen, denn die Gottesdienste wurden ja von den evangelischen Geistlichen von Marköbel gehalten. Im April 1700 schreibt Pfarrer Jung an das Konsistorium, „daß die letzt verstrichene Ostern, als sie den Gottesdienst in der Kirche halten wollten, ein Stück der alten Mauer heruntergefallen und beynahe einige Leute erschlagen hätte. Weswegen sie auch den Gottesdienst abbrechen mußten.“Ostern 1700 wurden die Besucher fast von einer einstürzenden Mauer erschlagen. Danach folgten zwar ein paar lustlose Instandsetzungen, aber das Interesse an dem alten Gemäuer ließ immer mehr nach. So wandelte sich die Kapelle irgendwann zur Scheune.

Im Jahre 1705 bekommt die Kapelle endlich wieder ein Dach und die Eckverzahnungen werden erneuert, Fenster werden aber nicht eingesetzt. So ist die Kapelle schnell wieder in einem schlechten Zustand und erst 1746 wird dann das Gebäude ordentlich renoviert. Das ist die letzte Renovierung für lange Zeit.

Die Größe des damaligen Kapellengutes wird um 1750 mit 154 Morgen angegeben. Daneben gab es zu dieser Zeit mindes­tens zwei weitere Johanniter­-Güter mit 199 bzw. 150 Morgen und ein Ilbenstädtergut (Prä­monstratenser‑Orden) mit 264 Morgen. Das Grundeigentum in Hirz­bach war bis 1803 fest in der Hand der katholischen Orden. Das Anwesen mit Kapelle gehörte bis 1803 den Roßdorfer Antonitern. Als der Orden aufgelöst wurde, ging die Kapelle in den Besitz des Hauses Hessen-Kassel über.

Hessen-Kassel verkauft dann den ganzen Hof an die Pächterfamilie. Die Kapelle wurde als Scheune genutzt und umgestaltet. Die Säkularisierung der Kapelle hat histo­risch gesehen vermutlich den größten Schaden in der rund 700jährigen Geschichte des Baus verursacht. Vom Chor blieb nur noch der Fußboden übrig. Der kleine qua­dratische Chor wurde in den Jahren 1905/1906 abgebrochen, die Steine zum Straßenbau genutzt.

In der Kapelle selbst buddelte sich der weltliche Besitzer einen Kar­toffelkeller und das Bodenniveau wurde dabei gehoben. Der Gebetsraum diente als Scheune und als Abstellplatz für den Traktor. Dank der Nutzung als Feldscheune blieb aber das Hauptschiff erhalten, und wurde 1974 unter Denkmalschutz gestellt.

 

Zumindest das Hauptschiff blieb aber erhalten und 1974 unter Denkmalschutz. 15 Jahre später gründete sich ein Förderverein, der das kleine Kapellchen von Grund auf sanierte. Parallel dazu sicherte der aktuelle Besitzer dem Verein das Nutzungsrecht für kulturelle Veranstaltungen zu - und so ist das romanische Überbleibsel ein beliebter Ort für allerlei Konzerte, Taufen und Jaworte geworden.

Erst ein privater Besitzer des Grundstücks sorg­te für den Erhalt und die Renovierung der Kapelle. Im Jahre 1988 verkaufen die Nachkommen des früheren Pächters den Hof an Christoph Neizert. Im Jahre 1989 formierte sich der Förderverein Hirzbacher Kapelle e.V., der gemeinsam mit der Gemeinde, dem Kreis und den Denkmalschutzbehörden die Kapelle grundlegend renovierte. Der Hanauer Geschichtsverein führte archäologische Grabungen durch, deren Aus­wertungen jetzt in einer schönen Publikation vorliegen.

Der neue Eigentümer übergab die Kapelle dem Verein unentgeltlich zur langfristigen Nutzung für kulturelle Zwecke. Es findet nun einmal pro Jahr ein ökumenischer Gottesdienst zu Himmelfahrt statt. Die Kapelle ist ein würdiger Ort für eine Reihe von Konzerten und Taufen, Hochzeiten gibt es auch öfters. Die Kapelle lädt ein zur Einkehr, wobei die einen Stille finden, die anderen die gute Akustik zum Singen verleitetet.

 

Die Brüder Neizert haben 1989 das ziemlich heruntergekommen Anwesen Hirzbacher Höfe gekauft. Christoph Neizert gründete im Herbst 2001einen Naturland‑Ökobetrieb: Kartoffeln für die Di­rektvermarktung, Weizen und Roggen als Back‑ und Futtergetreide, dazu artgerech­te Freiland‑Haltung von bis zu 100 Schwei­nen und Naturschutz mit bis zu einem Ki­lometer neue Hecken und einem Grabentaschen‑Biotop am vorbeifließenden Hirz­bach. Diese Ziele hat sich Christoph Nei­zert gesetzt.

Im September stellte er den studierten niedersächsischen Landwirt Ro­bert Hühner ein. Mit ihm als Betriebslei­ter und der Substanz des aus Gesundheits­gründen aufgegebenen einzigen Hammers­bacher Biohofs als Grundstock machte er seinen Traum vom eigenen Landwirt­schafts‑Betrieb wahr.

Sein Geld verdient Betriebswirt Nei­zert, Mehrheitseigner der Höchster Porzel­lanmanufaktur, als geschäftsführender Ge­sellschafter in einem amerikanischen Ven­ture‑Capital Fonds. Dane­ben betreibt er das Seminarhaus „Kapellenhof“ im Ham­mersbacher Weiler Hirzbach, wo er auch lebt.

Anfangs blickte die Gemeinde mit Wohlgefallen auf den Idealisten, der mit seinem künstlerisch tätigen Bruder das jahrhundertealte, verfallene Anwesen rettete. Dazu gehört auch der namensge­bende Sakralbau. Das „alternative Tagungshaus“ mit einfa­cher Unterbringung und Vollwertkost ist von Seminaren mit Gruppen belegt. Meist geht es um Wege der Selbsterfahrung. Die Renovierungen sind abgeschlossen, das Tagungszentrum ein Selbstläufer.

So hat Neizert den Kopf wieder frei für ande­res. Er sagt: „Seit ich Hirzbach kenne, sind Flora und Fauna verarmt. Anfangs hatten wir noch regelmäßig 20 Rebhühner, dazu Kie­bitze. Das ist alles weg!“ Für ihn ist das ein Re­sultat der brutalen Art von Landwirt­schaft, die Sträucher und Bäume beseiti­ge und bis zum Erbrechen Dung und Wege unterpflüge. Jetzt will er mehrere Fliegen mit einer Klappe schla­gen? Biogemüse für das Tagungshaus anbauen und gleichzei­tig etwas für die Natur tun.

Die örtlichen Landwirte trauen dem Unterneh­mensberater keine ernsthaften Absichten zu. Sie versuchten, ihm die Pläne zu ver­masseln ‑ mit behördlicher Unterstützung. Als der 46-Jährige mit einem Nachbarn über den Kauf von drei Hektar Acker handelseinig war, machte ihm das Amtsge­richt Hanau einen Strich durch die Rech­nung. Es sprach dem Nichtlandwirt das Recht zum Erwerb des Felds ab.

Geklagt hatte nicht die örtliche Bauernschaft, die sich von Neizert in ihrer langjährigen Pra­xis abgesprochener Landaufteilung ge­stört fühlte. Als Klägerin trat vielmehr die Hessische Landgesellschaft (HLG) auf, ein gemeinnütziges Unternehmen im Besitz des Landes und des Bauernverbands. Die Hauptabteilung Landwirtschaft, Forsten und Naturschutz beim ­Kreis hatte den Fall vorher geprüft, wie jeden Ackerverkauf von mehr als 50 Ar an Nicht­landwirte. Die HLG übt auf Grundlage des Grundstücksverkehrs‑Gesetzes von 1961 und des Reichssiedlungsgesetzes von 1919 ein Vorkaufsrecht aus, um es für Haupter­werbslandwirte zu sichern und Spekulati­on zu unterbinden.

Erst seit zehn Jahren, so Hauptabteilungsmitarbeiter Berno Zimmer, haben auch Nichtlandwirte Chancen. Neizert siegte erst in zweiter Instanz am Oberlandesgericht Frankfurt. „Mit einem besseren Anwalt hätte die HLG gewonnen," sagt Walter Scheuerle. Der Ortslandwirt, Pächter der fast 300 Hektar großen Staatsdomäne Baiersröderhof, hatte selbst Interesse an den drei Hektar ge­zeigt - im Auftrag seiner örtlichen Kolle­gen, sagt er. In einem zweiten Fall war er ebenfalls als Mitbewerber Neizerts aufgetreten, was nach dessen Darstellung den Preis in die Höhe trieb.

Es gab ein Gespräch aller Bauern mit SPD‑Bürgermeisterin Helga Meininger und Neizert, in dem man dem Eindringling bedeutete, er solle seinem Hobby doch im Vogelsberg nachgehen. Den frucht­baren, knappen Boden in der Rhein‑Main­-Region brauchten die Haupterwerbler zum Überleben. Im Ort streute derweil je­mand das Gerücht, Neizert sei Scientologe. Als sich dann herumsprach, daß er noch eine benachbarte Scheune erwerben will, versuchte Scheuerle höchstpersönlich den Verkaufswilligen von dem Geschäft abzuhalten. „Man habe es dem Neuen etwas schwerer machen wollen“, bestä­tigt er unumwunden.

Mit der Öko‑Ausrichtung dieser „Hobby-Landwirtschaft“ habe dies nichts zu tun, so Scheuerle. Gleichwohl sei sie ihm suspekt. Er hat mittlerweile akzeptiert, daß Neizert durch den Gerichtsentscheid zum Nebenerwerbler avanciert ist und gegen ei­ne Erweiterung seiner 20 Hektar juris­tisch nichts mehr auszurichten ist. Nach Kräften blockiert man sich weiter gegen­seitig ‑ verweigert sich auf benachbarten Grundstücken etwa einen Landtausch, der beiden Seiten nutzen könnte.

Wenn sich der Konflikt nicht bald ent­schärft, muß Neizert fürchten, daß ihm die Gemeinde demnächst bei seinen Biotopvorhaben Probleme macht. Und es ist sogar denkbar, daß sie ihm bei nächster Gelegenheit gemeindliches Pachtland ent­zieht. Damit aber würde biologisch in konventionell bestelltes Land zurückverwan­delt ‑ Agrarwende einmal andersrum.

 

 

Ein Bild des Triumphbogens findet sich in „Hanau, Stadt und Land“ (Seite 127).

Ein Bild der Kapelle im Jahre 1978 findet sich in „Archäologische Denkmale“ (Seite 157).

 

Förderverein Hirzbacher Kapelle e.V., Hirzbacher Höfe 7, 63546 Hammersbach, Telefon 0 61 85/ 7542 oder 1614. Falls Sie weitere Fragen zur Kapelle haben, können Sie sich gern an Katharina von Werthern (06185-7542) oder Christoph Neizert (06185-1614) wenden. Eine Spende für die Unterstützung zum weiteren Erhalt der Kapelle und dem kulturellen Programm ist sehr willkommen (siehe Sparschwein).

 

Schafskäserei

Ein gelber Baukran ragt weit sichtbar über den Rohbauten für die Schafskäserei in den Himmel. Im benachbarten Stall tummeln sich bereits 160 Tiere auf Stroh. „Draußen auf der Weide stehen momentan weitere 80 Schafe“, erklärt Pascal Küthe. „Der Stall ist auf insgesamt 350 ausgelegt.“ Betriebsleiter Küthe bringt mit seinen 35 Jahren ein gutes Stück Erfahrung mit. Bereits während seiner Landwirtschaftslehre in Norddeutschland hatte er mit Ziegen und Schafen zu tun und die Käseverarbeitung kennengelernt. Nach seinem Agrarstudium und einer ersten Anstellung an der Fachhochschule verlor er während der Finanzkrise seinen Job und entschied sich, den elterlichen Betrieb im Siegerland mit einer kleinen auf Vollerwerb mit einhundert Tieren auszubauen. Zuletzt war er zwei Jahre im Schwarzwald als Produktionsleiter in einer Ziegenmilchkäserei beschäftigt

„Im Rhein-Main-Gebiet gibt es bisher keine Bio-Schafskäserei“, erklärt er. „Wir besetzen damit eine Nische. Die Vermarktung soll über Bio-Läden, den Bio-Fachhandel oder ausgewählte regionale Einzelhändler laufen.“

Mit selbst erzeugter Milch in der eigenen Käserei Bio-Produkte zu erzeugen, war für Eigentümer Christoph Neizert vom Kapellenhof in Hirzbach jedoch nicht der Ursprungsgedanke für den Aufbau einer Schafherde. „Vielmehr stand die Frage im Vordergrund: Wo bekomme ich genügend tierischen Dünger zur Bewirtschaftung meiner Ackerflächen her?“

Pflanzlicher Dünger und der Anbau von Zwischenfrüchten allein genüge auch im Bio-Landbau nicht, so Neizert. „Es macht von der CO2-Bilanz jedoch auch keinen Sinn, Hühnerkot aus Holland zu importieren. Ich will meinen Betrieb langfristig nachhaltig aufstellen. Deshalb kam mir die Idee mit den Schafen.“ Bis sich die Investition amortisieren werde, könne es 15 b 20 Jahre dauern, weiß der 61-Jährige, der auch als Unternehmensberater tätig ist. Nachdem ein erster Versuch mit einem r nach zweieinhalb Jahren gescheitert war, setzt Neizer nun auf Betriebsleiter Küthe. Der Westfale, der mit Frau und Kind in Marköbel wohnt, war von Beginn an in die Planungen und den Aufbau der Anlage eingebunden. „Wir verfügen über den neuester technischen Standard“, so der Agraringenieur. „Einen Teil der Energie gewinnen wir über Photovoltaik. Der Energieaufwand ist in einer Käserei der springende Punkt für die Rentabilität.“

Die Anlage wird unter anderem über einen Melkstand für 36 Tiere, zwei Reiferäume, einen Kühlraum, einen Milchtank mit 1.400 Liter Volumen und natürlich einen Käsekessel von 500 Litern Volumen verfügen. Dieser soll im Vollbetrieb alle zwei bis drei Tage laufen. Neben Schnitt-, Weich- und Frischkäse will Küthe auch Feta und Joghurt produzieren.

Etwa sechs Mitarbeiter und Aushilfen werden rund um Schafhaltung und Käseproduktion benötigt, kalkuliert Küthe. „Derzeit suche ich noch einen Landwirt oder Schäfer, der sich hauptsächlich um die Herde kümmert“" Die erste Gruppe von 80 Tieren wird ihre Lämmer im März zur Welt bringen. Weitere „Ablammtermine“ sind im Sommer und Herbst. „So haben wir das ganze Jahr über Milch für die Produktion“ erklärt Küthe (Hanauer Wochenpost, 23.12.2017).

 

Der Kapellenhof in Hirzbach - seit 1998 ein zertifizierter Betrieb des Bioverbandes Naturland - wurde bereits seit der Römerzeit bis in die 1970er Jahre bewirtschaftet. Der Unternehmensberater Christoph Neizert erwarb das Anwesen im Jahr 1988, nachdem er zehn Jahre im Ausland gearbeitet hatte - unter anderem für eine amerikanische Bank in New York, dann ein Jahr in Rio de Janeiro und zuletzt vier Jahre in Frankfurt-Bornheim.

„Der Stadtteil kam mir so ländlich vor, dass ich mir gedacht habe, ich könnte auch gleich aufs Land ziehen“, so der 61-Jährige. Heute bewirtschaftet er in Kooperation mit der Staatsdomäne Marienborn (Büdingen) etwa 90 Hektar Ackerflächen. Weitere 60 Hektar sind dem neuen Schafsbetrieb zugehörig. Gleich neben der Scheune des Kapellenhoifs, auf dem Neitzert auch ein attraktives Tagungshaus betreibt, befindet ich die namensgebende Marienkakapelle, die weithin als Konzertsaal bekannt ist. „Der Hauptimpuls für die Wiederbelebung des landwirtschaftlichen Betriebs war die Beobachtung, dass die großflächige traditionelle Landwirtschaft wenig Rücksicht auf Flora und Fauna, auf alte Hecken, Streuobstwiesen und Bachläufe nimmt“, so Neitzert. „Wir wollen mit unserem Betrieb einen Beitrag zur Wasserqualität sowie zum Natur- und Landschaftsschutz leisten.“

 

 

 

 

Radtour Marköbel - Rommelhausen - Eichen- Marköbel

 

Westlich des Obertors und des alten Friedhofs  in Marköbel geht die Lindenstraße ab. Diese fährt man hinter und biegt dann links um den neuen  Friedhof herum und fährt in Richtung Wald. Vorbei an den Kleingärten am Weidenborn und vorbei an der Obermühle kommt man zur der Feldscheune bei der Linde. Dort geht es rechts weiter. Am Waldrand entlang kommt man zu der Stelle, wo der Limes in den Wald eintaucht. Man biegt nicht wie auf der Apfel- und Obstwiesenroute vorgeschlagen nach links ab, sondern verfolgt den Limes weiter, auch wenn der Weg nicht so gut ist.

Der Limes wurde 1912 bei der Flurbereinigung in der Feldflur eingeebnet. Ein Stein mit der Inschrift „Pfahlgraben 1912“ erinnert noch daran. Der Stein steht heute mitten im Feld, südlich der Stelle, wo der Limes in d en Wald eintritt. Von dem breiten  Feldweg geht ein schmaler Weg nach Westen. Man erkennt die Stelle daran, daß  dort  ein Pfosten mit einer Informationstafel steht.

Im Wald ist der Limes noch gut erhalten. Links des Weges ist der Wall. Der Weg verläuft an der Stelle des Grabens, rechts vom Weg war die Palisadenwand. Bei der Drusus-Eiche stand der Wachtturm 105. Auch die Fundamente des Wachtturms 103 sollen noch zu sehen sein, waren aber ohne Hilfe nicht zu finden. Heute steht eine Rekonstruktion eines Wachturms etwas hinter dem Graben  und gibt eine umfassende Information. Wo der Limes die Landstraße von Ostheim nach Rommelhausen überquert, ist auch ein Stück der Limesgrabens mit Palisade rekonstruiert.

 

Jenseits der Straße geht man nicht auf dem Kamm des Walls weiter, sondern fährt auf dem Schotterweg immer am Limes entlang. Nach einer kleinen Abfahrt geht kurz hinter der Siedlung, die zu Rommelhausen gehört, ein Weg nach links ab (der nicht in der Karte verzeichnet ist). Er führt schließlich durch das Naturschutzgebiet Buschwiesen zur Straße von Höchst an der Nidder nach Osten. Dese Straße fährt man ein Stück nach links und dann bald wieder nach links in den Radweg, immer noch im Naturschutzgebiet. Wo dieser in den Wald eintaucht, geht rechts der Weg weiter nach Höchst.

Am Südrand des Ortes ist eine Stelle mit „Eremitage“ bezeichnet. Hier stand früher die Wasserburg der Herren von Höchst (einer von ihnen kaufte das Hofgut in Wachenbuchen). Doch der Graben ist zugeschüttet, der Teich nicht mehr vorhanden, das Gelände ist privat genutzt und nicht zugänglich.

Man fährt aber weiter nach links ein ganzes Stück in den Wald hinein. Dann geht es am Weg­weiser nach rechts und gleich noch einmal nach rechts in Richtung Eichen. Jetzt geht es immer durch den Wald. Nach links geht ein größerer Weg ab. Wo wieder ein größerer Weg nach links abgeht ist rechts das Waldgebiet „Dicke Steine“ Man geht den nicht ausgebauten Weg nach rechts etwa 100 Meter entlang und findet dann rechts im Wald die „Dicken Steine“, deren Bedeutung aber unklar ist.

Zurück auf dem Hauptweg geht es geradeaus bis zur Bahnlinie. Dort biegt man links ab und kommt in ein Gebiet, wo sich vor allem links Hügelgräber befinden. Der Weg geht dann rechts weiter zum Bahnhof Eichen. Dort bleibt man erst eine Strecke auf dem Radweg neben der Landstraße Eichen - Ostheim. Wo die Straße nach rechts abbiegt, geht es links in den Wald. Der Weg führt über 7 Kilometer in Richtung Marköbel. Man kommt an der Hütte der Vogelschutzgruppe vorbei und überquert die Landstraße von Ostheim nach Rommelhausen. Dann verläßt der Weg den Wald und man kommt wieder zu der Feldscheune, die schon auf dem Hinweg der Markierungspunkt war.

 

Limesradweg:

Vor kurzem konnte eine Radwegeverbindung zwischen den Gemeinden Hammersbach und Limeshain, somit gleichzeitig eine Verbindung zwischen den Landkreisen Main‑Kinzig und Wet­terau, feierlich in Betrieb genommen werden. Damit wurde eine Verbindungslücke im be­reits bestehenden Radwegenetz geschlossen und ein Teilstück des Limesradweges seiner Funktion übergeben. Die Realisierung dieser Radwegeverbindung wurde in der Vergangen­heit schon des öfteren diskutiert. Im letzten Jahr wurde nun vom Verein „Deut­sche Limesstraße“ der Limesradweg ‑ Teil­stück vom Main zum Rhein ‑ initiiert. Der erste Teilabschnitt von der Donau zum Main wurde bereits im Frühjahr 2000 eingeweiht. Ziel ist es, einen etwa 800 Kilometer langen Radweg, gespickt mit Limesattraktio­nen bieten zu können.

Hammersbachs Bürgermeisterin Helga Mei­ninger und ihr Limeshainer Amtskollege Klaus Hühn ergriffen nun die Chance beim Schopf, endlich die oft angedachte Radwegeverbin­dung entlang des noch gut sichtbaren Limes­walls zu realisieren.

In diesem gesamten Kontext ist auch das En­gagement der Gemeinde Hammersbach“ zu sehen, deren Ziel es ist, die Ge­gend touristisch weiter zu erschließen.  Sie arbeitet zusammen  mit der  „Naturlandstiftung“, die mit der Gemein­de die Biotopvernetzung entwickelt hat, dem „Landschaftspflegeverband“, der enormes zum Erhalt der ökologisch herausragend be­deutsamen Streuobstwiesen beigetragen hat, oder auch mit der „Obst‑ und Apfelweinwie­senroute

 

 


Ronneburg

 

Hüttengesäß

 

Lage:

Höhe über N.N. 155 Meter. Hüttengesäß liegt in der äußer­sten Nordost-Ecke des Kreises unweit der Kreisgrenze und der Ronneburg am Fallbach. Die Gemarkung (758 Hektar groß; Ge­meindewald 123 Hektar, davon 58 Hektar in der Gemarkung Alt­wiedermus, früher Kreis Büdingen) wird von den Gemarkungen Mar­köbel, Rüdigheim, Ravolzhausen und Langenselbold im nach Nordosten offenen Halbkreisbogen eingeschlossen.

 

Bodenfunde:

Urgeschichtliche Funde aus der Gemarkung sind bis jetzt noch nicht bekannt (vielleicht, weil freiwillige Helfer am Orte fehlen).

 

Name:

Die älteste Namensformen lauten „Hutengesezze“ (1238) und „Hitthengeseze“ (1264). Kurz bevor der heutige Bürgermeister Kleine im Jahre 1972 das Bürgermeisteramt antrat, verloren nicht nur die Hüttengesäßer den identitätsstif­tenden uralten Namen ihres Dorfes. Auch die heute jeweils etwa 700 Einwohner von Altwiedermuß und Neuwiedermus firmie­ren seit der Gebietsreform in den Jahren 1971/72 zumindest offiziell als Ronnebur­ger. Die Leute sind stolz auf den Namen Ronneburg und die Burg, aber mindestens genauso stolz sind sie auf die Einzelnamen der drei Dörfer.

Vor allem die 2.000 Hüttengesäßer lassen es sich nicht nehmen, sich als solche zu fühlen. Der Name ihres Dorfes taucht erstmals in einer Urkunde im Hessischen Staatsarchiv aus dem Jahre 1236 in schriftlicher Form auf. Von vielfältigen, im­mer wieder wechselnden Schreibweisen zwischen 1236 und 1350 weiß der stellver­tretende Vorsitzende des Ronneburger Ge­schichts‑ und Heimatvereins, Reiner Erdt, zu berichten. Etwa „Hittengesess, Hitten­gesze, Hitfingef­flyze oder Hyttengesess“.

Im 11. bis 14. Jahrhundert waren Ortsnamen mit der Endung „Gesäß“ als Bezeichnung für „Siedlung“ oder „Sitz“ in Mode. Beispiele sind Orte wie Eidengesäß bei Gelnhausen, Etzen­gesäß im Odenwald oder das nicht weit entfernte Bössgesäß im Kreis Büdingen.

Darüber, was es mit der ersten Hälfte des Namens, dem „Hütten“ vor dem Gesäß auf sich hat, gehen bei den Historikern die Meinungen auseinander. Nur eines ist ge­wiß, mit dem heutigen Wort „Hütte“ hat das gar nichts zu tun, das gab es nämlich im Althoch­deutschen noch gar nicht. Der 30‑jährige Gastwirt Reiner Erdt, stellvertretender Vorsitzender des Ronneburger Heimat- und Geschichtsvereins, gehört zu den Anhängern der „Hitti/Hitto‑Theorie“. Sie besagt, daß sich vermutlich eine Sippe mit dem Namen Hitti oder Hitto im idylli­schen Tal des Fall­bachs niedergelassen und ihrem Sied­lungs‑Gesäß den Namen aufgedrückt hat. Wäre dem so, hätte es sich um eine ausge­sprochen wanderlustige Sippe handeln müssen, die vielerorten Spuren hinterließ.

Andere Theorien gehen davon aus, daß dieser Bestandteil eher durch die Nähe zur 1227 urkundlich erwähnten Ronneburg zu erklären sei. Das Dorf habe in der Hut, dem Schutz der Burg gelegen. In friedlichen Zeiten hätten die Burgmannen möglicherweise ihr Vieh auf den Weiden entlang des Bachlaufs gehütet und ihre Äcker bestellt.

 

Geschichtliches:

Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes Hüttengesäß („Hittengesezze“) erfolgte 1236. Es war ein  Dorf der Zent Selbold, das zur Ronneburg ge­hörte, als diese 1313 durch Gottfried von Brauneck an Mainz verkauft wurde. Das Märkergeding wurde 1426 im Namen des Herrn der Ronneburg abgehalten. Das Kloster Selbold besaß das Dorf schon im Jahre 1236; vielleicht geht der Ausbau auf die Rodungstätigkeit des 1108 gegründeten Klosters zurück. Mit der Ronneburg bzw. dem Gericht Selbold kam Hüttengesäß 1476 an Isenburg. Im Dreißigjährigen Krieg gab es Plünderungen, beson­ders 1634. Im Jahre 1684 ging Hüttengesäß an die Linie Isenburg‑Birstein, 1816 an Kurhessen. Im 19. Jahrhundert erfolgte eine starke Auswanderung.

In den Jahren 1971-72 erfolgte der Zusammenschluß der Orte Altwiedermus, Neuwiedermus und Hüttengesäß zur Gemeinde Ronneburg

 

Kirche (Kirchstraße):

Urkundlich wurde das Hüttengesäßer Gotteshaus erstmals im Jahre 1151 erwähnt. Die Kapelle gehörte schon 1238 dem Kloster Selbold und Hüttengesäß war eine Filiale von Selbold und wurde in einem Schutzbrief des Papstes Gregor IX. genannt. Das Kloster besaß dort den Zehn­ten, wie aus einer Urkunde Kaiser Friedrichs II von 1236 hervorgeht.

Im Jahre 1264 verkaufte das Kloster Selbold den Zehnten an einen Ritter namens Blümechin. Auch das Kloster Eberbach besaß hier Einkünfte, die es 1390 an das Kloster Arnsburg verkaufte. Zwei Höfe gehörten dem Deutschordenshaus in Gelnhausen.

In einer Urkunde aus dem Jahre 1244 finden sich ein Petrus und ein Hermann von Hitten­geseze als Zeugen, ebenso in einer Urkunde des Klosters Meerholz von 1240. Im Jahre 1247 vermachte der Priester von Hetkenseze seine Güter dem Kloster zu Arnsburg. Der Zehnte war später im Besitz des Herren von Merlau (Mörle), die ihn 1486 an Ludwig II. von Ysenburg für 1100 Gulden verkauften.

Seit 1579 war Hüttengesäß protestantische Pfarrei, die bis 1625 vom Hofprediger der Ronne­burg verwaltet wurde. Von 1625 bis 1700 hatte sie keinen eigenen Pfarrer, sondern wurde als Filial von Sel­bold versehen. Patron ist der Fürst von Isenburg in Birstein als Nachfolger des Klosters Selbold.

Die Kirche liegt auf einer kleinen Anhöhe mitten im Dorf  (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 221).  Ihre Bauzeit erstreckte sich über mehrere Jahrhunderte. Sie weist deshalb keinen einheitlichen Baustil auf, sondern hat nach und nach in mehreren Bauabschnitten ihre heutige Größe und Gestalt erhalten. Den noch erkennbaren ältesten Teil der Kirche bildete eine kleine, niedrige Kapelle mit ei­nem danebenstehenden freistehender quadratischen Wehrturm, der romanische Fenster auf­weist und jetzt noch den unteren Teil des Kirchturms bildet (Ende des 12. Jahrhunderts, es wird auch 1236 angegeben).  Später wurde die Anlage zu einer Wehrkirche ausgebaut. Der Kirchturm wurde 1787/88 beträchtlich erhöht und erhielt in etwa seine heutige Form. Das Renaissanceportal mit der Jahreszahl 1597 aber zeigt, daß schon vorher der ursprüngliche Bau umgebaut wor­den ist.

Das auffallend schmale und lange Langhaus von 1718 erinnert an die ursprüngliche Wehranlage. Empore und Kanzel wurden 1718 geschaffen. Im Jahre 1954 wurde eine Oberempore entfernt, die Orgel von der Stirnseite an die rückwärtige Wand am Turm verlegt und ein neues Gestühl aufgestellt sowie der Altarraum neu gestaltet. Das große schlichte Holzkreuz im Altarraum wurde 1954 angebracht. Die Orgel wurde 1892 aufgestellt. Es handelt sich hierbei um ein wertvolles Instrument, weil es sich noch im Originalzustand befin­det. Es ist eine Walcker-Orgel aus Ludwigsburg. Der Pfarrbrunnen ist von 1715 (Kirchbau­meister Philipp Habermann). Zwei Glocken sind von 1776.

In Hüttengesäß gab es im 18. und 19. Jahrhundert zahlreiche „Inspiranten“ und Herrnhuter. Die Ka­tholiken gehören zur Ge­meinde in Langenselbold.

                       

Synagoge:

Bis 1938 bestand eine jüdische Gemeinde, deren Entstehung in die Zeit des 18. Jahrhunderts zurückgeht. Ein Betraum diente zunächst in einem der jüdischen Häuser, eine Synagoge wurde 1817 erbaut. Beim Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge aufgebrochen und die Einrichtung zerstört. Eine nichtjüdische Familie kam in Besitz des Gebäudes und baute dieses zu einem Wohngebäude um, heute Schulstraße 6.

 

Statistisches: Einwohnerzahl:

1820 = 723; 1855 = 993; 1885 = 1015; 1905 = 1128; 1919 = 1181; 1925 = 1242; 1939 = 1160; 1946 = 1653; 1953 = 1517, davon Heimatvertriebene = 230 und Eva­kuierte =~ 83 (aus Hanau = 69).

Bekenntnis: 1905: ev. = 1078; kath. = 1; israel. = 49. 1953 waren rund 1300 Einwohner ev., 185 kath., der Rest Sonstige oder ohne Bekenntnis.

 

Wirtschaft:

Im  Jahren 1953 waren in der Landwirtschaft rund 70 Einwohner beschäf­tigt, 145 sind als Arbeiter, 50 als Handwerker und Gewerbe­treibende und 30 als Angestellte und Beamte tätig gewesen. In allen drei Ortsteilen von Ronneburg haben die Leute Jahrhunderte lang von Landwirtschaft gelebt und sich weitge­hend selbst versorgt. Das spiegelt sich im Ortsbild wider, das von Hofreiten geprägt ist. Erst um die Jahrhundertwende änderte sich das entscheidend. Viele junge Leu­te zogen es vor, in den Dunlop‑Werken in Hanau zu arbeiten. Sie fuhren zunächst mit Fahrrädern in die 15 Kilometer entfernte Stadt, später mit der Kleinbahn Hanau­-Hüttengesäß. Einen weiteren totalen Wandel in der Landwirtschaft erlebte Bürgermeister Kleine in seiner langen Amtszeit selbst mit: Als er anfangs der 70er Jahre Bürgermeister wurde, gab es in Hüttengesäß noch 30 Voll­erwerbs‑Landwirte. Heute sind es nur noch drei.

 

 

Neuwiedermuß / Altwiedermus

 

Lage:

147 Meter über N. N. in der nordöstlichsten Ecke des Kreisgebietes, an der Kreisgrenze nahe der Ronneburg, am Fallbach gelegen; die Gemarkung umfaßt 185 Hektar, davon 23 Hektar Wald, und grenzt an die Gemarkung Hüttengesäß.

Bodenfunde: Noch keine urgeschichtlichen Funde bekannt; es fehlen freiwillige Helfer am Orte.

 

Name:

Älteste Namensformen sind Wechtramis 1173; Widerams 1236 (Wied­derams, Witteramis u. ä.); Wiederums im 17. Jahrhundert. Altwiedermus hieß ursprünglich „Witteroms“.

Wer Alterwiedermus verläßt, der erreicht sogleich Neuwiedermuß. Warum wird eigentlich Neuwiedermuß mit „ß“ geschrieben und Altwieder­mus mit „s“? Den grotesken und hochoffiziellen Schlußbuchstaben kann man auf den Ortsschildern in den Ronnenburger Ortsteilen Altwiedermus und Neuwiedermuß schwarz auf gelb nachlesen. Übrigens: Da gibt es auch noch den Ortsteil Hüttengesäß. Wieder ein „ß“. Warum nur?

Dem Regionalverband Frankfurt/Rhein-Mai ist es zu verdanken, Licht in die rätselhafte Benennung dieser Ronneburger Ortsteile zu bringen. Vor drei Jahren hat er im Rahmen des Projekts Regionalpark Rhein-Main vier weithin sichtbare Stelen aufgestellt. Die vier Meter hohen Säulen haben unterschiedlich schraffierte Flanken. Es gibt Banderolen in roter und schwarzer Farbe auf weißem Grund.

Die vier Säulen stehen in einer Linie, beginnend im Wald auf dem Weißen Berg, erreichbar auf einem Waldweg von der Ronneburg aus. Am Waldrand und im freien Feld auf abschüssigem Terrain stehen die nächsten Pfähle. Der vierte steht am Fahrradweg etwas außerhalb von Altwiedermus, der nach Hüttengesäß führt. Der Fahrradweg ist als „Ysenburg Route“ ausgeschildert.

An den Pfosten sind Erläuterungstafeln angebracht, die das Rätsel lüften: Es handelt sich um eine nachempfundene historische Grenzmarkierung. Der Leser erfährt, daß zwischen Alt­wiedermus und Neuwiedermuß eine historische Grenze verläuft. Die Grenzziehung lasse sich noch heute an den unterschiedlichen Schreibweisen der beiden Orte erkennen. Altwiedermus gehörte im 19. Jahrhundert zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt und wird mit „s“ geschrieben, während Neuwiedermuß und Hüttengesäß, die seit dem Krieg von 1866 zu Preußen gehören, mit dem preußischen „ß“ geschrieben werden.

 

Geschichtliches:

(Alt‑) Wiedermus war ein Dorf des Klosters Sel­bold, im Gericht Ronneburg gelegen. Im Dreißigjährigen Krieg wurde es zerstört. Im Jahre 1686 wünschte ein in Langenselbold niedergelassener Pfälzer bei der gräflich‑isenburgischen Regierung, in dem abgegangenen Dorf Wiederums im Fuchsgraben Haus und Scheuer einzurichten, Land zu roden und zu bauen. Der Bau begann 1699. Im Jahre 1708 waren schon 19 Haushaltungen da. Die „Fuchsgräber“ hatten früher zu Hüttengesäß gehört; sie bildeten einen Teil der Gemeinde und hatten einen Gerichtsschöffen zu stellen. Das Dorf besaß noch Holz‑ und Weiderecht bei der Ronne­burg (Bild in Hanau Stadt und Land, Seite 237: Blick über Neuwiedermus zur Ronneburg).

 

Synagoge:

Die Synagoge steht in Altwiedermus an der Hauptstraße (Diebacher Straße 43). Bis nach 1933 lebte eine jüdische Gemeinde in Altwiedermus, wo zunächst vermutlich ein Betraum in einem der jüdischen Häuser existierte. Im Jahre 1873 wurde eine Synagoge an der Diebacher Straße erstellt. Im Jahre 1938 wurde das Synagogengebäude verkauft, sodass es dem Novemberpogrom im Jahr 1938 entging. In der Folgezeit nutzte man das Gebäude als Abstellraum, in den achtziger Jahren setzte der Besitzer mit Unterstützung der bürgerlichen Gemeinde das Gebäude instand.

Neuwiedermus wurde 1631 als „Wiederumbs in den Fuchsgräben“ genannt. Im 30jährigen Krieg wurde es vollständig zerstört. Im Jahre 1702 ließ es Graf Johann Philipp von Isenburg-Offenbach wieder aufbauen. Im Jahre 1820 legte man einen Weinberg an, wie er auch am Fuß des Burgbergs noch wahrzunehmen ist.

 

Kirchliches:

Neuwiedermus ist nach Hüttengesäß eingepfarrt. Im Dorf ‑ wie in Hüttengesäß, Marköbel und auf der Ronneburg ‑ gab es im 18. und 19. Jahrhundert viele „Inspiranten“ und Herrenhuter.

Das Dorfmuseum ist in der Hanauer Straße 23a.

 

Statistisches: Einwohnerzahl:

1820 = 150; 1855 = 173; 1885 =165; 1905 = 171; 1919 = 190; 1925 = 202; 1939 = 193; 1946 = 268; 1953 = 247, davon Heimatvertriebene = 34, Evakuierte = 6 (alle aus Hanau).

Bekenntnis: 1905: ev. = 169, kath. = 1, sonst. = 1, heute: ev. = 220, kath. = 22 (vorwiegend Heimatvertriebene).

 

Wirtschaft 1953: Vorwiegend in der Landwirtschaft Beschäftigte. Zwei Handwerksbetriebe.

 

 

 

Die Ronneburg

Die über 700 Jahre alte Flieh‑ und Schutzburg steht weithin sichtbar auf einem sich steil erhebenden Basaltkegel. Sie eine der größten Burgvesten im Hessenland auf einem 239,9 Meter hohen Basaltsporn und ragt über das umgebende  Hügel­land bis hin zur Mainebene hinaus.  Die Burg gehört zu den ursprünglichsten Burganlagen in Deutschland. Seit dem 16. Jahrhundert ist sie von Umbauten und Zerstörungen weitgehend verschont geblieben. Ein idealer Ort also, um einen nahezu unverfälschten Eindruck von den Lebensbedingungen und Wohnverhältnissen des Spätmittelalters zu bekommen. Auch deshalb, weil die Ronneburg kein steriler Museumsbau, sondern eine Burg zum Anfassen ist.

 

Geschichte:

In ihren Anfangsjahren war die Ronneburg eine rein militärische Anlage und die Burg­mannen hatten die Aufgabe, die Bewohner der drei hier aufeinandertreffenden Ge­richtsbezirke Gründau, Selbold und Eckarts­hausen zu schützen und zu verteidigen. Ferner oblag ihnen die Sicherung der in der Nähe (500 Meter) vor­beiführenden „Reffenstraße“, der ältesten Handelsstraße zwischen Frankfurt und Leipzig. Unter den Staufern diente die Burg dem Schutz der Handelsstraßen in der Mainebene und in der Wetterau.

Die Burg wurde wahrscheinlich von Gerlach II. von Büdingen etwa 1230 erbaut (nach einer Angabe zog sich die Bauzeit von 1180 bis 1250 hin). Doch spricht einiges dafür, daß sie schon gut dreißig Jahre früher errichtet worden war. Ihr Name leitet sich vermutlich von dem althochdeutschen Wort „Rone“ ab, das soviel wie „umgefallener Baum“ bedeutet und auf eine ursprünglich mit Palisaden befestigte Anlage hindeutet.

Ein Altar in der Burg wird 1231 erwähnt  („altar in castro Roneberg“). Die Burg selber wurde 1258 erstmals ur­kundlich erwähnt. Im 13. Jahrhundert ge­langte die Burg an die Grafen von Büdingen. Im Jahre 1313 gelangte die Burg über die Herren von Hohenlohe‑Brauneck durch Kauf an den Erzbischof von Mainz, der sie mehrmals ver­pfändete.

Zwischen 1317 und 1330 wurden der Palas und der west­lich vorgelagerte Zwinger gebaut; gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde im zweiten Obergeschoß die Burgkapelle mit ihrem zierlichen gotischen Erker fertiggestellt.

Schlimme Zeiten erlebte die Burg zwischen 1356 und 1407, als die Herren von Cron­berg im Taunus die Burg in Pfandschaft hatten. Die dunklen Gesellen nutzten das ehrwürdige Gemäuer als Raubburg. Spe­ziell auf die in Richtung Frankfurt ziehen­den Kaufleute hatten sie es abgesehen. Zölle und Abgaben waren ohnehin fällig, Verhaftungen der Erpressungen unter An­drohung von Kerkerhaft keine Ausnahme. Nicht selten wurden die Kaufleute zuerst beraubt und anschließend in die Verliese der Burg verschleppt, von wo aus sie erst nach beträchtlichen Lösegeldzahlungen wieder freigelassen wurden.

Aber auch vor den armen Bewohnern der Umgebung sol­len die Raubritter nicht halt gemacht ha­ben. Sie schröpften sie nicht nur mit Abga­ben und Frondiensten, manchmal spann­ten sie ihnen einfach die Kuh vor dem Pflug aus.

Im Jahre 1476 überschrieb der Mainzer Erzbischof Dieter die Burg an seinen Bruder Ludwig II. Dadurch gelangte sie als Mainzer Lehen endgültig an das Haus Ysenburg-Büdingen und das Raubrittertum ging zu Ende. Jetzt war die Burg  nicht mehr Sicherungsburg, sondern Verwaltungssitz eines Burggrafen.

Ludwig nahm mehrere Erweiterungen vor. Durch ihn erhielt der Bergfried eine Wendeltreppe und einen Treppenhausanbau, und auf der Nordseite des Burghofes wurde der sogenannte „Alte Bau“ errichtet. Auch der vorgelagerte Treppenturm und die Hofstube sind nach 1476 entstanden.

Nach 1517 erneuerte Graf Philipp zu Ysenburg‑ Ronneburg das äußere Tor zur Kernburg. Unter Philipp von Ysenburg-Büdingen wurde sie von einer alleine militärischen Zwecken dienenden Befestigungsanlage zu einer herrschaftlichen Residenz ausgebaut. Aus der wehrhaften Burg wurde im Laufe der Jahrhunderte ein gräf­liches Residenzschloß. Im Jahr 1523 erbte Graf Philipp von Ysen­burg‑Büdingen die Ronneburg und zog mit seiner Gemahlin Gräfin Amalie von Rie­neck auf die Burg, wo er die Linie Ysen­burg‑Ronneburg gründete.

Ihr Sohn Anton umgab nach 1538 die Kernburg­ im Süden und im Westen mit einer Vorburg, die Marstall‑ und Wirtschaftsgebäude aufnahm. Dessen Sohn Graf Heinrich erbaute 1570/71 über dem inneren Tor der Kernburg eine neue Kirche, den später sogenannten „Zinzen­dorf­bau“ und bebaute die Nordseite des Burgho­fes u. a. mit dem prächtigen, mehrstöckigen Ke­me­natenbau aus. Im Jahre 1581 erhielt der Bergfried seine heute noch erhaltene Bekrönung mit vier Erkern und Steinkuppel.

Unter ihrer Herr­schaft begann der Ausbau der Burg zum Schloß. In die Wohnräume wurden Kamine eingebaut, die Vorburg, Gärten und der Weinberg wurden angelegt. Nachts um drei Uhr mußten die Frondienst­leistenden aus den Betten steigen, mar­schierten von Büdingen aus zu Fuß zur Burg, wo sie zwölf Stunden zum Tagelohn von drei Groschen im Angesicht ihres Schweißes schufteten, bevor sie wieder den Heimweg antraten.

Von einem weinseligen Erlebnis weiß die Chronik jener Zeit zu berichten: Sechs Leibeigene, die auf der Burg lebten, hatten diese ohne Erlaubnis verlassen. Sie gin­gen ins Tal, wo sie in einer Schänke einkehrten und sich dem Wein hingaben. Volltrunken verpaßten sie den Rückweg zur Burg, schliefen am Wegesrand und kehr­ten erst am nächsten Nachmittag, noch im­mer berauscht, zurück. Das gefiel dem Burgvogt, selbst ein großer Freund des Weines, gar nicht und sperrte sie für dieses Besäufnis ganze vier Tage ins Gefängnis.

Infolge von Krieg und Pest kam es auch in der Grafschaft Büdingen zu Hexenverfolgungen. Hexenverfolger war Anton Saarbrück, Schreiber auf der Ronneburg. In den Jahren 1590 bis

1601 wurden im Gericht Eckartshausen viele Menschen umgebracht. Der „Hexenturm“ auf der Ronneburg wurde schon 1550 gebaut. Auch sogenannte „Hexen“ flohen auf die Burg, weil an ihren Mauern jede Verfolgung aufhörte. Graf Casimir von Ysenburg-Büdingen erließ ein Toleranzedikt.

Die Reformation wurde 1545 verkündet. Doch 1584 nahm der Graf von Ysenburg-Birstein am calvinistischen Abendmahl teil. Deswegen wurde die Burg 1601 gestürmt. In dieser Zeit gab es auf der Burg eine Notendruckerei, weil Fürst Anton ein Musikliebhaber war und Förderer des Komponisten Senzel. Es gab auf der Ronneburg eine Apotheke (die nächsten waren in Gelnhausen und in Frankfurt). Und auf der Burg war die Kirche für die umliegenden Dörfer.

Mit dem Aussterben der Ysenburg-­Ronneburger Linie im Jahre 1601 kamen die Bautätigkeiten zum Erliegen. Im Jahre 1621 brannte ein großer Teil der Burg ab, darunter Teile des Kemenatenbaus, des Brunnenhauses und des Bandhauses. Die Burg gelangte in den Besitz von Graf Wolfgang‑Ernst.

Im Dreißigjährigen Krieg wird die Burg 1634 von den Kroaten gestürmt und 1636 von den schwedischen General Ramsay angegriffen (residierte in der Stadt Hanau), aber nicht erobert. Nur einmal wurde sie durch eine List erobert, als Soldaten in Planwagen eingeschmuggelt wurden. Nach dem Krieg war Neuwiedermus 50 Jahre eine Wüstung und wurde erst 1699 wieder besiedelt.

Seit 1656 suchten verfolgte Huge­notten Zuflucht auf der Burg. Von 1621 bis 1712 war die Burg  Zufluchtstätte der Juden. Am Fuß der Burg ist ein jüdischer Friedhof, die erste Grabstätte ist vom Ende des 17. Jahrhunderts, heute sind noch zwölf Grabsteine vorhanden. Durch den Zuzug erhoffte man sich einen wirtschaftlichen Aufschwung. Man versuchte, die Juden auszuweisen. Man gab ihnen bis zu 200 Gulden, wenn sie auswanderten. Die letzte jüdische Bewohnerin ist 1886 gestorben.

Bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war die gewal­tige Wehranlage und Residenz aufgrund von familiären Streitigkeiten im weit ver­zweigten Haus Ysenburg und Büdingen zu einem bloßen Tauschobjekt herunterge­kommen. So wurde das Schloß auch Päch­tern übertragen, die als „Burggrafen“ durch Untervermietung der ausgedehnten Räumlichkeiten ihr Geschäft zu machen trachteten. Zunächst waren es eher obs­kure Gestalten aus dem Strandgut des kriegerischen Jahrhunderts.

Von 1635 bis 1642 gehörte sie zu Hessen Darmstadt, danach der Offenbach-Büdinger Linie, 1687 den Birstei­nern, kam 1698 durch einen Kaufvertrag wieder an die Büdinger und letztlich 1725 an die Wächtersbacher Linie.

Graf Johann ­Ernst von Ysenburg‑Büdingen (nach anderer Lesart: Ernst-Casimir I.) erließ 1712 ein Privilegienpatent, das Religionsfreiheit im Ysenburger Land verspricht. Er lud damit

zum Besiedeln des Landes ein, das durch den 30-jährigen Krieg entvölkert war. Von da an wurde die Burg zum Zufluchtsort. Das durchaus auch auf ökonomi­schen Gewinn spekulierende Toleranze­dikt war die eigentliche Basis für die ent­stehende Inspirationsgemeinschaft, die schließlich auf der Ronneburg ihr geisti­ges Zentrum fand. Hugenot­ten, Waldenser, Sepa­ratisten, Inspirierte, Neutäufer, Juden und andere Verfolgte sie­deln sich im Land und auf der Burg an. Mit Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Burg aber eine „Freistätte des Glaubens“ für religiös Verfolgte.

Schließlich vermieteten die Grafen von Ysenburg-­Wächtersbach die Burg an die Inspirierten‑Gemeinde. Sie wurde ange­lockt durch die Garantie der Glaubensfreiheit und errichtete eine Woll‑ und Tuchmanufaktur. Die Burg blieb auch in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Domizil für Ver­folgte und Rand­gruppen. Neben rund 300 Juden bildeten „Die Inspirierten“ mit rund 200 Mitgliedern die größte Gruppe. Als deren Gründer gelten Eberhard Lud­wig Gruber und Johann Friedrich Rock, beide aus dem Württembergischen. Es bil­deten sich Filialen in Himbach, Eckarts­hausen, Hüttengesäß, Marienborn und Neuwiedermuß. Im Jahre 1706 kam Bruckmann von Hohenau und trieb Mission in der Umgebung und gründete Filialen.

Im November 1714 kam es im nahe gelegenen Dorf Himbach bei Marienborn zur Gründung der Gemeinde der wahrhaft „Inspirierten“. Seit 1714 galten die Inspirierten und Separatisten als eigene Sekte. Es gibt Schriften zweier Württemberger, die auf der Ronneburg und in Himbach lebten.

Auf der Burg wuchs eine starke Gemeinde unter Führung von Phi­lipp Mörschel. Ihren Unterhalt ver­dienten die Leute meist als Wollweber und Strumpfwirker, weshalb auch zunehmend Juden auf der Burg ein Schutzverhältnis suchten und die Produkte im Kleinhandel vertrieben. Philipp Mörschel betrieb die Wollwarenmanufaktur zusammen mit den Juden.

Auf der Suche nach einem neuen religiösen Selbstverständnis glaub­ten sie, daß Gott mit ihnen durch ein in­spiriertes Individuum, ein so genanntes „Werkzeug“ kommunizieren würde. Das be­sondere an diesem Werkzeug war, das es seine religiöse Erregung und die Botschaft vom Willen Gottes in Bewegungen bis hin zur Ekstase anderen mitzuteilen trachtete. Diese Eingebungen wurden „Zeugnis“ ge­nannt und alsbald von Schnellschreibern festgehalten. Die „Zeugnisse“ dienen bis heute der Ge­meinde in den USA als die wesentlichste Lektüre neben der Bibel. Die Inspirierten waren wirtschaftlich sehr erfolgreich. Doch mit Barbara Land­mann war 1883 das letzte Werkzeug ge­storben. Die Inspirierten‑Gemeinde bestand noch bis in das 19. Jahrhundert fort. Im Jahr 1832 kam die gro­ße Wende mit der Auflösung der ökonomi­schen Gemeinschaft. Im Jahre 1842 verließ die letzte geschlossene Glaubensgruppe, die „Inspirierten“, das „gräfliche Asylantenheim“ und wanderten nach Amerika aus. Bis zum heutigen Tag hat sich jenseits des großen Teiches eine Erinnerung an diese Zeit wachgehalten: In dem kleinen Städtchen Amana in Iowa, wo sich Auswanderer ansiedelten, steht noch „The Ronneburg Restaurant“, das Sauer­braten und Klöße nach hessischer Art ser­viert.

Von den rund 2.000 Einwohnern in Amana sind heute nur noch 437 Mitglieder der Glaubensgemein­schaft. Amana ist inzwischen Touristen­magnet. Gute Geschäfte macht man mit Bier, Fleisch, deftiger Küche ‑ und mit deutscher Gemütlichkeit. Noch heute gibt es dort die Amanah-Leute, die eine Kühlschrankfabrik betreiben.

Als letz­ter suchte 1736 Graf von Zinzendorf aus Sachsen mit seiner „Herrnhuter Brüdergemeine“ auf der Ronneburg Zuflucht. Dadurch wurde die Ronneburg weltberühmt.  Als Graf Nikolaus Ludwig von Zinzendorf die Burg 1736) zum ersten Male besuchte,  hat er sie als ein „wüstes Bergschloß“ bezeichnet, weil sie  in einem zeitgenössischen Bericht so genannt wurde. Aber es ist auch über­liefert, daß er entzückt gewesen sei über die Landschaft  ringsum, die Berge und die Wälder und den Blick bis in die Mainebene.

Die schon etwa hundert Jahre vorher als Residenz der Grafen von Ysenburg aufgegebene Burg war damals von „Flüchtlingen“ bewohnt, um ein Wort von heute zu gebrauchen. Neben Salzburgern, die um ihres evangelischen Glaubens willen die Heimat hatten verlassen müssen, lebten dort Angehörige einer aus Schwaben stammenden und dort vertriebenen Sekte, die „Inspiranten“ genannt wurden, weil sie sich mehr als auf alles andere auf unmittelbare göttliche „Inspirationen“ verließen; dazu wohnte fahrendes Volk, wie Zigeuner, in dem alten Gemäuer.

Auch Zinzendorf war flüchtig und suchte eine Zuflucht. Er hatte die Siedlung Herrnhut auf seinem Gute Berthels­dorf in Sachsen, deren Bewohner zumeist auch wieder Flüchtlinge, die böhmisch‑mährischen Brüder, gewesen waren, verlassen müssen, da diese Leute der dortigen Landeskirche verdächtig waren. Hier aber war einige Jahrzehnte vorher von dem Grafen Ernst Kasimir von Ysenburg‑Büdingen „vollkommene Gewissensfreiheit für jeder­mann“ proklamiert (1712) und auch geübt worden.

Als Böhmisch-Mäh­ri­sche Brüder wurden sie in Kuhnwald in der Tschechei gegründet. Weil sie sich aus den Hussitenkriegen heraushalten wollten, gingen sie in die Einsamkeit, um in Sanftmut, Geduld und Feindesliebe zu leben. Ihre Symbole waren das Lamm (=Christus), der Kelch (Hussitenkelch) und die Bibel als Grundlage des Glaubens. Die Bibel wurde in die Volkssprache über setzt (Kralitzer-Bibel). Sie hatten ein gut entwickeltes Schulwesen und die Gemeinde sang im Gottesdienst (nicht nur der Chor).

Letzter Bischof dieser Bruderunität war Johann Amos Comenius, der ein bebildertes Lehrbuch herausgab. Öfter wurden sie verboten, lebten im Untergrund. Am 21. Juni 1621 kam es nach der Schlacht am Weißen Berg zum „Prager Blutgericht“, bei dem 21 evangelische Adlige geköpft wurden und ihre Köpfe 20 Jahre lang am Brückenturm der Karlskirche ausgestellt wurden.

Ein kleiner Teil der Brüder Unität wanderte nach Polen aus, auch in andere Länder. Beim Westfälischen Frieden 1648 wurde die Böhmische Konfession nicht anerkannt. Im 18. Jahrhundert gab es im Zuge der pietistischen Erweckungsbewegungen immer wieder Auswandererschübe.

Ein deutschsprachiger Zug kam auf den Besitz des Grafen Zinzendorf in Sachsen. Der Zimmermann Christian David hatte sie über die Grenze gebracht und baute die ersten Häuser der Siedlung Herrnhut, bald auch ein Gemeindehaus und ein Waisenhaus. Nach fünf Jahren hatte die Siedlung 300 Einwohner, darunter auch solche, die nicht aus Böhmen oder Mähren waren.

Doch es kam zum Streit  und Christian David zog aus und baute sich ein eigenes Haus im Wald.

Graf Zinzendorf gab seine Stellung in Dresden auf, besuchte alle Bewohner und gründete 1727 mit einer Abendmahlsfeier die Brüder-Unität neu. Zentrum war das Liebesmahl mit dem Teilen der Gaben, typisch das Lied „'Herz und Herz vereint zusammen“, die Losungen seit 1751 und die Mission (gegen die Sklaverei). Der Mensch wurde nicht nur als Sünder gesehen, sondern sollte aufgerichtet gehen, weil Gott ihn liebt; bei der Beerdigung trug man weiße Kleider.

Wegen Verbreitung von Irrlehre und Aufnahme von Asylanten wurde Zinzendorf vertrieben. Christian David wurde auf die Ronneburg geschickt. Er kam zurück mit der Botschaft: Dort kann man nicht wohnen. Aber zwei Tage später war Zinzendorf zusammen mit Anna Nitsch­mann und zwei Kindern auf dem Weg zur Ronneburg. Zunächst aber war er in Marienborn, dem Hauskloster der Ysenburger, das inzwischen ein leerstehendes Schloß war. Die Herrnhuter haben es für 50 Jahre gepachtet, dort pädagogische Einrichtungen untergebracht und ihre zentrale Leitung dort eingerichtet (heute ist es eine Ruine, nur ein Teil ist in die Schloßkirche eingebaut).

 

Mit dem Grafen Zinzendorf kam 1736 die Herrnhuter Brüdergemein­de als dritte Glaubensgemeinschaft auf die Burg, was nicht gerade zum Frieden in den Gemäuern beitrug. Es muß unglaub­lich eng gewesen sein, zumal Arbeitsplatz und Wohnung für Hunderte identisch wa­ren, zudem die Räume als Lager für Roh­stoffe und Waren dienen mußten und nicht zuletzt für Andacht, Anbetung, Ritus.

Was waren die bisherigen Gruppen und Einzelnen gegen Zinzendorf und seine Leute, gegen den Grafen und die Brüder, wie sie ein neuerer Schriftsteller genannt hat, der im Anschluß an den Namen seiner Herrnhuter Flüchtlingssiedler die „Brüdergemeine“ gründete und mit ihr auf die Ronneburg kam! Sie gaben nun für einundeinhalb Jahrzehnte der Burg das Gepräge. Ja sie bauten, als die Burg für den Zustrom der Brüder nicht ausreichte, die benachbarte Sied­lung Herrnhaag.

Da kam es nicht nur zu dem Ringen mit der scheinbar so nahe verwandten Frömmig­keit der Inspiranten, von der eine ganze damals zumeist in Büdingen gedruckte Literatur noch Zeugnis gibt; da wurden hin und her in unseren Gemeinden ringsum die Leute aufmerksam und wanderten zu den Gottesdiensten und Stunden auf die Burg oder später nach Herrnhaag; da wurde für Jahre die Ronneburg das europäische Zen­trum der Heidenmission, wie die Brüdergemeine sie kurz vorher be­gonnen hatte.

Und nun kamen unendlich viele Fremde, aus dem ganzen Deutschland und aus ganz Europa; und mit den Missionaren junge Christen aus allen Erdteilen; Eskimos von Grönland ‑ einmal sind einige auf dem Herrnhaag getauft worden ‑, Negersklaven aus Westindien, d. h. von den mittelamerikanischen Inseln, Indianer aus Nordamerika, Hottentotten aus Südafrika, Armenier und Perser aus Asien. Was werden die Bewohner unserer Dörfer für Augen gemacht haben über diese Fremden! Missionsfeste mit solchen Bericht­erstattern und Teilnehmern sind heute noch eine große Seltenheit bei uns.

Zinzendorf selbst war viel unterwegs, vor allem nach England und Amerika; die Brüdergemeine nannte sich geradezu eine Pilgergerneine: Sie waren ja der ganzen Welt die frohe Botschaft schuldig, die sie selber mit solchem glühenden Glauben erfüllte. Es kam vor, daß in seiner Abwesenheit die Frömmigkeit sich übersteigerte und zu Festfeiern führte, die großes Auf­sehen erregten. Einmal feierte die Gemeine auf dem Herrnhaag ein Lichtfest mit solchem Feuerwerk, daß die Büdinger Feuerwehr alarmiert wurde und anrückte. Immerhin sind gerade auch von den Versuchen, gottesdienstliche Feiern neu zu gestalten, starke Anregungen ausgegangen. Die Brüdergemeine selbst nennt die Zeit ihres Aufenthaltes hier die Sichtungszeit; mit einem alles Überschäumen jugendlicher Begeisterung beendenden Versöhnungsfest im August 1750 schloß sie ab.

Am 15. Juni 1756 kam Zinzendorf selber auf die Ronneburg. Er hielt öffentliche Sing- und Betstunden für die Burgbewohner ab, auch für die Kinder. Es wurde eine Schule eingerichtet. Den Kindern wurde das Betteln verboten und Dienstag und Freitag Brot an sie ausgeteilt. Zinzendorf hatte eine angesehene Stellung und hielt Predigten, auch für die  Dorfbewohner. Am 21. August starb Zinzendorfs Sohn Ludwig auf der Ronneburg.

Aber bald wurde den Herrnhutern öffentliche Ruhestörung vorgeworfen. Man weiß nicht, ob die Widerstände von den Burgbewohnern oder aus den Dörfern kamen. Die Herrnhuter wollten eine eigene Gemeinde bilden; aber das wurde nicht erlaubt. Sie wollten die Burg kaufen. Doch der Pächter Andreas Schuckardt verlängerte den Vertrag nicht. Am 11. Oktober 1756 zogen die Herrnhuter aus der Burg aus. Zinzendorf war nur 44 Tage dort und zog dann weiter nach Livland. Seine Frau und die Mitarbeiter führten die Arbeit weiter. Nach 120 Tagen zogen alle Herrnhuter zunächst nach Lindheim und 1758 dann nach Marienborn und Herrenhaag.

Der Aufenthalt nahm ein Ende; bei einem Regierungswechsel verlangte der neue Graf einen Huldigungs-Eid, den die Brüdergemeine vor ihrem Gewissen nicht glaubte verant­worten zu können. So schnell wie sie gekommen war, verschwand sie wieder, zumal die ältere Siedlung Herrnhut ihnen wieder offen stand. Ihre Bauten zerfielen; nur die Industrie, die sie mitgebracht hatten, blühte noch lange.

Unabsehbar sind die Auswirkungen, die dieser fünfzehnjährige Aufenthalt im Lande gehabt hat. Noch heute findet man Spuren, ob in mündlicher Überlieferung: Da gibt es Erbauungs­büchern aus jenen Jahren, die in alten Familien treulich weiter vererbt sind. Spuren gibt es in mancherlei Kreisen etwa der Gemeinschaften. Auch die Gemeinden der evangelischen Kirche gedenken dankbar der Befruchtung unseres geist­lichen Lebens durch den Grafen Zinzendorf  und sind die  heute vor allem für die Sache der Heidenmission aufgeschlossenen.  Der Name „Zinzendorfbau“ für das mitten im Burggelände stehende stattliche Haus hält das Gedächtnis fest.         

 

In die Zeit der Glaubensflüchtlinge fällt auch die Gründung einer eigenen Gemein­de Ronne­burg, auch ein Bürgermeister wurde Anfang des 19. Jahrhunderts ge­wählt. Immerhin 200 Menschen lebten im Jahr 1830 auf der Burg. Allerdings wurde die Gemeinde bald wieder aufgelöst, weil sich herausstellte, daß sie keine Gemar­kung besaß. Es wurde ein Zuzugsverbot ausgesprochen.

Im 19. Jahrhundert gab es nachhaltige Veränderungen im Besitzver­hältnis. Im Jahre 1806: erhält die fürstliche Linie zu Birstein durch den Rheinbund die Alleinherrschaft über den Ysenburgischen Besitz. Im Jahre 1815 kam der Besitz an den Kaiser von Osterreich, der ihn 1816 Hessen‑ Darmstadt übergab. Durch eine Teilung des Fürstentums zwischen Hessen‑ Darmstadt und Hessen‑Kassel kam die Ronneburg an das Großherzogtum Hessen.

Mit dem Weggang der Glaubensflüchtlinge wurde die Burg entvölkert, im Juli 1870 leb­ten auf ihr nur noch drei Menschen. Der letzte Bewohner, der Schloßaufseher, starb 1885.  Danach stand die Burg voll­kommen leer. Wegen Baufälligkeit wurde sie im Juli 1904 geschlossen.

Fürst Friedrich Wilhelm zu Ysenburg-Büdingen in Wächtersbach brachte große Geld­mittel zur Renovierung auf, und so konnte die Burg zu Pfingsten 1905 neu eröffnet werden.  Ge­gen Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie mit der aufkommenden Burgenbegei­sterung zu einem beliebten Ausflugsziel, was verschiedene Instandsetzungsarbeiten bewirkte. Jetzt interessierten sich Wander- ­und Geschichtsvereine für die Ronneburg, Im Jahre 1905 wurde sie unter Denk­malschutz ge­stellt und nach ersten Erhaltungsarbeiten wiedereröffnet.

Von „Raubrittern“ weiß die Geschichte aber auch noch im Jahr 1911 zu berichten. Zwei junge Fabrikarbeiter waren in die Burg eingebrochen und hatten dort einige Tage zugebracht. Von der Küche aus traten sie ihre Beutezüge in den Keller an, wo sie sich am Wein des Burgwärters gütlich ta­ten. Vor einem Großeinsatz von Feuerwehr und Gendarmerie wußten sie sich ge­schickt zu verstecken und die Geschichte wäre wohl nie ans Tageslicht gekommen, hätte nicht der eine der beiden beim Ab­zug seine Brieftasche auf einem Schrank im Flur des Palas vergessen.

Die Unterhaltung der Burg war schwierig. Das Fürstenhaus gab etwas (hatte aber vier Burgen zu unterhalten), die Gaststätte warf etwas ab. Die Wanderjugend hat sie entdeckt und eine Jugendherberge eingerichtet. In den Jahren 1947 bis 1952 hatte das evangelische Hilfswerk Darmstadt die Burg gepachtet und ein Jugendfreizeitlager eingerichtet. Seit 1976 ist die Burg an einen Förderkreis verpachtet, der 100.000 DM im Jahr aufbringen muß, damit das Land noch einmal die gleiche Summe drauflegt.

Im Jahre 2004 verkaufte das Fürs­tenhaus zu Ysenburg und Büdingen die Ronneburg, das Wahrzeichen des Hügellandes, und Anziehungspunkt für zahlrei­che Veranstaltungen - vom Jazz mit Rit­terschlag bis zu Ritterspielen und mittelal­ter­lichen Märkten. Musiker wie Chris Bar­ber, Hazy Osterwald, Paul Kuhn und Klaus Doldinger ließen sich hier zum „Ritter des Jazz“ schlagen - ein Veranstaltungsreigen, der vom Fürst gefördert wurde.

 

Finanzielle Erwägungen waren, die Fürst Wolfgang zu Ysenburg und Büdingen im Jahre 2004 dazu veranlaßten, die Burg zu verkaufen. Fast 500 Jahre lang hatte sich die Ronneburg im Besitz des Hauses Ysenburg-Büdingen befunden, einer Seitenlinie der Ysenburger Grafen, die sich am Ende des Mittelalters in die Zweige Büdingen, Offenbach und Wächtersbach geteilt hatten. Ihre Gebiete gingen später größtenteils im Großherzogtum Hessen auf.

Neuer Burgherr wird Freiherr Joachim Benedikt von Herman auf Wain, ein Vet­ter von Leonille Fürstin zu Ysenburg und Büdingen. Deren Ehemann Fürst Wolfgang Ernst hat den Verkauf bestä­tigt und betont, daß sich durch den Besit­zerwechsel an den bestehenden Pachtver­trägen nichts ändern werde.

Unter anderem wird auf der Ronneburg eine Gaststätte betrieben, der Verein der Freunde der Ronneburg unterhält dort sein Büro, und vor kurzem wurde als be­sondere Attraktion eine Falknerei eröff­net.  Aus dem Umfeld der Freunde der Ronne­burg verlautete, über einen neuen Burgherren mache man sich keine Gedanken. Sorge bereite vielmehr der Konflikt mit der Bürgerinitiative in Ronneburg, die sich gegen immer mehr Veranstaltungen auf der Ronneburg und damit verbunde­nes massives Verkehrsaufkommen sowie Parkplatzprobleme richtet.

Der neue Burgbesitzer, Freiherr Joachim Benedikt von Herman, ist verheiratet mit einer Toch­ter aus dem Düsseldorfer Hen­kel-Konzern, Mitglied im Aufsichtsrat des gleichnamigen Wasch- und Reinigungs­mittel-Konzerns sowie unter anderem auch Mitglied des Aufsichtsrates der Holz­hof Oberschwaben eG. Der Freiherr ist ge­lernter Forstwirt.

Der Freiherr hat berühmte Vorfahren, die unter anderem in der Ortschaft Wain in Oberschwa­ben ein Schloß errichten lie­ßen (woher der Namenszusatz auf Wain herrührt) und um die Jahrhundertwende in die Linie derer zu Sayn-Wittgenstein­-Berleburg einheirateten. Daraus ergibt sich die Verwandtschaft mit Fürstin Leo­nille, die eine Tochter der Prinzen Casimir zu Wittgenstein ist.

 

Rundgang durch die Ronneburg:

Die Burg ist in ihrer Gesamtanlage bis 1555 geschaf­fen worden. Beim Nähertreten verstärkt sich der Ein­druck, die Zeit habe hier seit dem Mittelalter stillgestanden. Im äußeren Erschei­nungsbild seit mehr als 400 Jahren unverändert, hockt das Gemäuer wie aus einem Guß auf dem Basalt­kegel. Die Ronneburg ist eine der wenigen Burg­anlagen Deutschlands, die sich noch im Bauzustand des ausgehenden 16. Jahr­hunderts befinden. Allerdings hat der Zahn der Zeit auch an diesem Bauwerk genagt.

Herrschaftliche Gemächer mit Decken- und Wandmalereien aus der Renaissance, das Burgmuseum, eine Waffenkammer, die Hofstube mit ihrem beeindruckenden Stern auf dem offenen Herd den ganzen Tag ein Holzfeuer brennt, einen mit großem Aufwand restaurierten Wehrgang und nicht zuletzt den 33 Meter hohen Bergfried mit seiner berühmten „welschen Haube“. Von jedem der vier Erker aus hat man einen weiten Blick über Wälder, Felder, Wiesen und Ortschaften, im Westen erkennt man die Hochhäuser des Frankfurter Bankenviertels.

Und nicht nur zum Anschauen ist die Burgkapelle: Mehrmals im Monat lassen sich dort Paare trauen, nebenan gibt einen zum Standesamt umfunktionierten Raum. Auch Weinkeller. Küche und Hofstube lassen sich für Feiern mieten.

Der Aufstieg beginnt am Südfuß des Burgbergs in der Nähe des „Ronneburger Hofs“. Er setzt die Tradition des „Haus Ronneburg“ fort, das mit 17 Gebäuden zwischen der Burg und dem Wald lag, aber untergegangen ist. Heute steht dort (nach Eckartshausen zu) eine riesige Steinschleuder, die gelegentlich ausprobiert wird. Man kann aber auch auf die Burg hinauffahren und sogar unmittelbar rechts vom Burgtor parken.

Der Weg hebt sich zum Wallgraben empor, der auf dieser Seite noch verhältnismäßig gut erhalten ist. In der Mitte des Platzes links vor der Burg steht ein Mauerrest, der einem eingestürzten Kamin nicht unähnlich ist. Er soll der Eingang zu einem unterirdischen Gang sein, der von der Ronneburg bis zur Hardeck reichte, einem Berg nordwestlich.

Das Torhaus hat einen Erkervorbau aus der Renaissance (1). Das viele Zentner schwere Burgtor aus den Jahren 1538/39 ist allerdings nur noch ein seinem Untergeschoß vorhanden, da es wegen Baufälligkeit 1870 abgetragen werden mußte. Es hatte ehemals fünf Stockwerke. Darin befand sich die Wohnung des Burgwarts. Beim Abbruch dieses Burgteils wurde an dem Querbalken einer Tür die Jahreszahl 1329 entdeckt. Das heutige Tor aus in Ehren gealtertem Eichen­holz hat mächtige Eisenbeschläge. Die Zugbrücke ist verschwunden, aber alles läßt sich noch deutlich erkennen. Rechts vom Eingangstor ist der Wehrgang noch gut erhalten bzw. rekonstruiert.

Tritt man in den Torbogen ein, so zeigen sich zu beiden Seiten die Kettenkammern. Links ist außerdem eine Türöffnung, die in einen Treppenturm führt, der einst die Verbindung mit den oberen Räumen der Pforte vermittelte (21).

Die Vorburg wurde 1538 bis 1555 durch Graf Anton geschaffen. Früher gab es in der Vor­burg einmal Burggänse die eine perfekte „natürliche Alarmanlage“ waren. Wenn jemand ver­suchte, an dem Schloß herumzufingern, gackerten sie lauthals drauflos und schnappten nach den Fingern. Das trieb jeden unbefugten Eindringling flugs in die Flucht.

 

Links, etwas tiefer gelegen, dehnt sich der äußere Burghof aus, begrenzt von den ehemaligen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden und den verschiedenen „Zingeln“ (Turm) und der Haupt-Burg. Von der Pforte aus gesehen in Richtung Süden waren es folgende Gebäude waren: Zwei größere Viehställe mit Keller und ein Turm, und davor ein Viehsiedhaus, ein Schlachthaus und ein Schweinestall. Heute werden die Gebäude zum Teil für die Gastwirtschaft genutzt, zum Teil sind nur noch die Umfassungsmauern vorhanden.

Die Gaststätte befindet sich als „Marstall-Restaurant“ in den ehemaligen zwei Reitställen für je 30 Pferde. Dazu kamen ein Stall für drei Pferde und ein Stall für vier Esel. Das Gebäude ist nur noch in seinem Untergeschoß vorhanden und hat zwei Eingänge und einen dritten für die anderen Ställe. Die mittlere Tür trägt die Jahreszahl 1551 und daneben die Inschrift: „Graf Wolf die höhe der Mauer fandt, Als er kam aus Niederland, In 10 jahr nie einheimisch war, Zum Zeichen diesen Stein legt dar. Im Jahre da man zalte Fünfzig zwar. 1550.“

Rechts am Haus steht folgende Inschrift: „Als man tausend fünfhundert Jar, Neun und vierzig zählt, das ist war, War Graff Heinrich noch zwölf Jar alt, Acht und zwanzig Wochen gar bald. Den ersten stein hat hergelecht, Auff vierten Mey ders gewelb tregt.“

Über den Reitställen befanden sich noch zwei Böden mit den Futtervorräten und der Wohnung der Knechte. Heute ist dort das Restaurant untergebracht, das auch von oben her (von den ehemaligen Schweineställen her) zugänglich ist.

Den Abschluß an der Süd-Ost-Ecke des Zwingers bildet der „Folterturm“ (27) mit der Jahreszahl 1550 über der Tür rechts unten. Er verengt sich in die Tiefe. An seiner Decke sind zwei Ringe für das Hinunterlassen der Gefangenen. Es schließt sich die mit Wehrgängen versehene Mauer an. Im Türmchen am anderen Ende der Mauer waren einmal zwei Trinkstuben eingerichtet (28). Über der Tür steht die Jahreszahl 1548. Am Tür befindet sich die Inschrift: „Do diß Mawer angefangen  war, Graff Jörg den ersten Stein legt dar, des Augsts achtzehnden Behalt, Fünfzehnhundert Sechsvirzig behalt.“

Parallel zur Mauer in der Mitte der Vorburg steht das „Bandhaus“, auch Marstall genannt. Von ihm ist auch nur noch das Erdgeschoß erhalten. In dem Haus war ein Stall für 20 Pferde, zwei Keltern, ein großer Keller, ein Wäschehaus, ein gewölbter Stall für fünf oder sechs Pferde, eine alte Stube mit Graf Wolff Henrichs Rüstung, eine Stallstube, vier Kammern, eine Küche, eine Schmiede, noch ein Küche im Hof und ein Boden im Oberstock. Heute ist vor das Gebäude noch ein Bretterverschlag gesetzt, damit man darunter noch Gaststättenbetrieb machen kann. Deshalb kann man die schönen Tore und Inschriften heute nur noch schwer sehen.

Am linken Eingang  steht eine Inschrift: „Den Stall der Fater Graff Anthon, Heinrichen seinem Jüngsten sohn, Der itzt alt wahr Achtzehn Jar, Gebaut hat und vollendet gar, Fünfzig fünff Jar der minder Zal, Nach Christ gepurth zalt man damal. 13. September 1555.“

Der rechte Eingang ist mit dem Ysenburger Wappen und dem Pfau verziert und trägt die Jahreszahl 1555. Die rechte vordere Ecke des Gebäudes zeigt folgende Schrift: „Fraw Barbara Graff Gerge Gemahl, Grevin von Werthem hat damal, Den ersten stein in diesen Grunt, Gelegt da allhie gar nichts Stundt. 1554, 6. Mai.“

Östlich des Gebäudes sind Grenzsteine aus dem 18. Jahrhundert aufgestellt. Daneben findet sich unter einem Kellerhals der Eingang zu einem großen Keller. Eine Treppe mit 23 Stufen führt hinunter zu dem 25,70 Meter langen und 7,70 Meter breiten Keller mit 3,80 Meter Scheitelhöhe. Über dem Eingang ist ein Stein mit folgender Inschrift angebracht: „1554: Da dieser Keller und diß Loch, Sein Anfang nam da zahlt man noch, die Jar wie oben zeichnet steht. Diß Faß mit wein man ins Loch thet. Der genannt ist Graf Wolfen wein, Im jar dreißig drei fast man drein.“ (d.h. in dem Faß war 1533er Wein). Im Hof befindet sich auch noch eine Gedenktafel für Peter Nieß (1895 - 1965), einen Heimatforscher.

Oberhalb des Marstalls ist der Eingang zur Falknerei. Vorführungen sind dort Dienstag bis Freitag um 11 und 15 Uhr, Samstag 15 und 17 Uhr und Sonn- und Feiertags 11 und 15 Uhr (gelegentlich auch 13.30 Uhr). Der Falkner geht dann zu einem Garten am Rand der Burg und läßt die Vögel frei fliegen. Sie sind zu zutraulich, daß man sie auch streicheln kann. Der Falkner gibt auch viele Information zur Lebensweise der Tiere.

 

Der Weg zur inneren Burg beginnt wieder am großen Burgtor, zu dem man erst einmal zurückkehren muß. Der mäßig ansteigende Zugang führt durch einen Torbogen und zwei Torgewölbe. Die erste kleine Brückenpforte enthielt ein Stübchen und eine Kammer. Sie wurde aber im Jahre 1870 abgetragenen, es steht nur noch der vordere Torbogen. Diesen umgeht man aber, wenn man in der Kasse den Eintritt bezahlt (3,50 € für Erwachsene, 2 € für Kinder. Die Falknerei hat noch einmal die gleichen Eintrittspreise).

Der freie Raum hinter dem ersten Tor heißt „Auf der Brücke“ (2). Hier hielt man früher Schweine.

Das zweite Torgewölbe von 1523 führt in den unteren Hof der Vorburg (3). Über der Pforte ist eine Wappentafel zu sehen, die nebeneinander  das Ysenburger Wappen und den Rienecker Schwan zeigt, allerdings ohne Namenszug und Zahl; sie könnte von Philipp, dem Begründer der Ronneburger Linie herrühren, der mit Amalie von Rieneck verheiratet war.

In der Pfortenstube befinden sich fünf Kammern.

Am eindrucksvollsten ist das Brunnengewölbe aus dem 13. Jahrhundert. Der 96 Meter tiefe Brun­nenschacht (ursprünglich waren es sogar einmal 125 Meter)  ist mit beson­ders sorgfältiger Sandsteinauskleidung versehn. Der Brunnen auf der Ronneburg ist einer der tiefsten, die im Mittelalter je gegraben wurden. Es muß unsägliche Mühe gekostet haben, ihn mit den Werkzeugen des 13. Jahrhunderts senkrecht durch den massiven Fels zu treiben. Trotzdem mußte es sein. Denn ohne eigene Wasserversorgung konnten die Burgbewohner einem Angriff nicht länger als einige Tage standhalten. Nur wer einen Brunnen hatte, war von Regenfällen und Quellen außerhalb der Burg unabhängig und verfügte im Fall einer Wochen oder Monate dauernden Belagerung über ausreichende Wasserreserven.

Rund um die Uhr bearbeiteten Bergleute mit Hammer und Meißel das harte Gestein. Immer wieder mußten sie ihre stumpf werdenden Werkzeuge zuspitzen. Andere mauerten derweil die Wände des Schachts aus, damit diese nicht einstürzten. Je tiefer die Arbeiter kamen, desto knapper wurde die Luft und umso langsamer gingen die Arbeiten voran. Am Ende waren fast 15 Jahre vergangen, ehe das Grundwasser erreicht wurde. Nicht viel weniger anstrengend, als den Brunnen zu graben, war es später für die Burgbewohner, das lebenswichtige Wasser mit einem hölzernen Tretrad, das noch immer neben dem Brunnen steht, Eimer für Eimer aus der Tiefe zu ziehen.

Das Wasser wurde mit einem Tretrad gehoben. Heute kann man gegen eine Münze die Beleuchtung einschalten und Wasser aus dem Wasserhahn in einen Eimer laufen lassen und dann in den Brunnen schütten, um darauf zu hören, wie lange das Wasser braucht, bis es unten aufschlägt. In dem Torgewölbe ist auch noch eine Kammer im runden Turm und das Gefängnis (die „Wildsau“) und gegenüber ein kleines Stübchen.

Nach diesem Torgewölbe folgt ein freier schmaler Platz, der Unterhof. Ein Teil des Westbaus der Burg, der Turm und das Amtshaus (19) umrahmen ihn zusammen mit dem Brunnenhaus. Sein nordwestlicher Teil liegt einige Stufen höher und zeigt rechts in der Ecke einen Eingang zum Zinzendorfbau.

Man kommt dann durch ein längeres Kreuzgewölbe (4). Hier kann man sich hinter eine Ritterrüstung stellen und fotografieren lassen. Auch Schandpfahl und Halseisen kann man auf dem Burggelände finden. So gelangt man in den Oberhof. Dieser innerste Burghof ist malerisch mit seinen Treppentürmen und Erkern. Innerhalb der etwa vier Meter hohen Ringmauer stehen Palas und Wirtschaftsgebäude.

Zuerst fallen eine alte Schmiede und eine Münzpräge im Burghof ins Auge. Dahinter steht links im Hof  der „Palas“, das Ritterhaus von 1327 ‑ 1330, der älteste Steinbau der Burg. Der große Keller trägt die Jahreszahl 1555 und das Wappen seiner Erbauer, des Grafen Anton von Ysenburg und seiner Gemahlin Anna von Wied (6 -  9). Der Hauptraum in diesem Palas ist gewölbt und seine Decke wird von nur einer Säule getragen. Sein wunderschöner Erker von 1546 bietet einen schönen Ausblick in das mittlere Maintal. Vorgelagert sind Halbschalentürme (von denen Brücken zum Palas führten) und ein mehrfacher Zwinger.  

Im Palas befanden sich folgende Räume: Der Rittersaal, das Stübchen über dem Speisekeller, das Rieneck’sche Gemach und Kammer, Herrn Johanns Gemach und Kammer, die Junkern­stube und Kammer, die alte Kirche, die Schneiderstube und Kammer, noch eine Stube und eine Kammer, oben eine Kammer und zwei Fruchtböden, die Küche, noch eine Küche, eine Speisekammer, ein Küchengewölbe, zwei Speise- und Fleischkammern und ein kleiner Boden.

Die südliche Giebelwand des Palas war seit Jahren „abschüssig“. Risse an Wänden und Decken vom Weinkeller über Hofstube und Rieneck’sche Gemächer bis zur Kapelle hinauf zeugten von dem ge­fährlichen Zustand des Hauptgebäudes. Nach langen Vorarbeiten des Landesam­tes für Denkmalschutz ist nun von einer Spezialfirma der instabile Palas‑Giebel mit sieben Stahlankern gesichert worden, jeweils drei auf der Hofseite (innen) und auf der Zwingerseite (außen) von 9 be­ziehungsweise 14 Meter Länge sowie ei­ner quer über die gesamte Breite des Gie­bels. Gleichzeitig wurde mit einer Fassa­den‑ und Steinsanierung begonnen. Zu­dem werden alle maroden Sandstein‑Ge­wände ersetzt und ein „denkmalgerech­ter“ Außenputz wird aufgetragen. In der Hofstube des Pa­las sind die Fenster in angemessener Art gestaltet worden: einheitliche Wabenver­glasung und Sprosseneinteilung, außen mit dunkelgrauem Anstrich.

 

Rechts im Hof, links vom Bergfried, steht der „Kemenatenbau“, der mächtige Westbau von 1573 (10-17). In diesem waren die Frauengemächer (Kemenaten) untergebracht. Von außen lassen sich noch deutlich die Wohnungen der Frauen, der Dienerinnen (das Gaden) usw. unterscheiden. Hier ist heute der Haupteingang ins Innere der Burg und zu den Museumsräumen. Die Inschrift über der Tür lautet: „Im tausendfünfhundertsten Jahr, siebenzig drei der meien war, an diesem Bau den Anfang deth, Graff Heinrichs Gemahl Elisabeth, Gleichichen Stambs hat hier gelegt, Den ersten Stein, der den Bau tregt.“

Hier wurden folgende Räume genannt: Ein Gewölbestübchen, die Apotheke mit Kammer, Graf Heinrichs Gemach und Kammer, der Gräfin Gemach und Kammer. Gegenüber das Frauenzimmer und Kammer, der große Saal, gegenüber Graf Wolf Henrichs Gemach und Kammer, darüber das Papageiengemach und Kammer, unten neben der Apotheke eine Gewölbestube und Kammer.

Alles überragt jedoch der Bergfried aus dem 13. Jahrhundert (18). Der Aufgang beginnt in dem Gebäude rechts neben dem Turm. Dann geht man in den Turm hinein und auf Steinstufen weite. Die letzen beiden Treppen sind aus Holz und sehr steil. Zur obersten Aussichtsplattform führen 165 Stufen hinauf. Der Turm trägt einen Renaissancehelm von 1581, dessen Kuppel vier Erker aufweist, die durch eine Galerie miteinander verbunden sind. Vom Turm aus hat man einen herrlichen Rundblick auf Spessart und Vogelsberg.

 

Die Ronneburg oder ihr markanter Bergfried hat einen Zwilling etwa 250 KIlometer weiter westlich in Lothringen. Teiel dioeses Ldstrichs waren nach dem Krieg von 1870 bis 1871 zum Deutschen Reich gekommen und wurden von Angehörigen der Siegermacht besiedelt. Darulnter war auch John Haniel, Sproß der bekannten Duisburger Unternehmerfamilie. Er kaufte sich in Landenweiler ein baroces Schloß und ließ es 1904 bis 1906 zu einer Art Phantasienburg umgestalten, gewissermaßen ein Sammelwerk vergangener deutscher Baustile im neuen Reichsland. Dabei hat Architekt Bodo   Ebbhardt viele historische Vorbilder zusammengemischt. Am deutlchsten ist der Anklang an den Bergfried der Ronneburg: Ein hoher Turm mit vier Giebeln, Balustrade und Helmdach, und eine übertriebene Spitze noch dazu.

Ebhardt war der Lieblingsarchitekt von Kaiser Wilhelm IL, der ein paar Kilometer weiter mit Schloss Urweiler eine hübsche Sommerresidenz hatte. Es gilt als wahrscheinlich, dass der nationalkonservative Haniel die Nähe des Kaisers gesucht hat und ihn vielleicht mit seiner deutschtümelnden Mixtur aus Neorenaissance und Neoromanik auch ein bisschen beeindrucken wollte. Viel Zeit blieb dafür allerdings nicht, denn schon einen Krieg später wurde Lothringen wieder französisch, die Schlösser enteignet und aus Landenweil abermals Landonvillers. 

 

 

Das Gebäude rechts vom Turm (4) heißt „Zinzendorfbau“. Aber geschaffen hat es hat Graf Heinrich, wie aus der Inschrift hervorgeht: „Frau Maria Graf Heinrich Gemahl, Den ersten Stein zu diesem Saal, Im Pfeiler hat gelegt Allhier, Am Tage St. Bonifacii (5. Juni), Tausend fünfhundert siebenzig Jahr nach Christi Geburt geschrieben war.“ Der Gewölbebau hat einen schönen, mit dem Wappen seines Erbauers gezierten Erker. Er befindet sich an dem Saal, der „die Kappelle“ genannt wird. Dieser hat eine Bausubstanz von 1570, bei der die Decke an Hängepfosten angehängt ist. Der Torbau wird auch „Zinzendorfbau“ genannt, weil hier eine calvinistische Kirche entstand, in der seit 1541 Gottesdienst gehalten wurde, nachdem die Kirche im Palas geschlossen werden mußte. Hier wird die Erinnerung wachgehalten an die Mitglieder zahlreicher Glaubensrichtun­gen, die im 18. Jahrhundert auf der Burg Zuflucht fanden. Unten ist wohl der Betsaal mit dem Modell der Burg, oben sind drei einfach Wohnräume. Diese waren sehr baufällig und sogar einsturzgefährdet und sind heute absichtlich nur grob restauriert.

 

Eine  frühere Beschreibung des Rundgangs:

Die Burg hat sehr gewonnen durch die Einrichtung eines Museums, das von Fürst Otto Friedrich zu Ysenburg mit vielerlei Altertümern aus­gestattet wurde. Der Rundgang führt zunächst kommt man in die Waffenkammer, dann in die Folterkammer (früher „schwarze Kammer“, die älteste Küche). Es folgt das Backhaus („Rauchstube“) mit der durch das ursprüngliche Fenster gebrochenen Tür zu der Küche mit dem gotischen offenen Kamin. Rechts ist noch eine Butterkammer.

Durch einen gewölbten Zwischenraum mit einem alten Wandteppich  kommt man in den Rittersaal mit der Mittelsäule und den freigelegten Malereien in den Bögen. Im Saal steht ein Eisenofen und im Anbau gußeiserne Ofenplatten und an der Decke schöne Wappen. Damit ist der Rundgang durch das Untergeschoß beendet, man trifft wieder auf eine Tür in den Burghof.

Hier geht man jedoch die Treppe hoch und trifft gleich nach einigen Stufen links auf ein Zimmer mit einem Aktenschrank für die Unterlagen aus verschiedenen Orten, die dem Fürsten von Ysenburg gehörten. Im Oberstockwerk trifft man zunächst auf die Frauengemächer, eins mit Parkett und eins mit Dielen ausgekleidet und mit schönen floralen Malereien. Auch rechts ist ein Gemach mit schönen Malereien.

Es folgen die Apotheke, ein Raum mit irdenem Geschirr und einer steinernen Sonnenuhr. Dann kommen zwei kleine Toiletten und anschließend ein Raum mit Toilettenschränken, Bibliotheksstuhl, Humpen und einem Schreibtisch. An der Wand findet sich hier der Bibelspruch Der Herr ist mein Hirte...“. Vielleicht war hier die älteste Kapelle der Burg.

Es folgt das mittlere Herrengemach, in dem aber Elisabeth von Gleichen-Tonna lebte, die lutherisch war; deshalb ist auch der Raum reich mit Darstellungen aus den biblischen Geschichten ausgestattet. Die anschleißende Treppe führt noch zu den Lakaienstuben und zur Zinnfigurensammlung, die aber nicht zugänglich sind. Schließlich folgt auf diesem Stockwerk noch ein großer Saal, in dem Tische und Bänke stehen.

Von dort geht man wieder zurück und die vordere Treppe hoch in das Oberstockwerk. Zuerst kommt man in einen Raum mit Dioramen und einer Vitrine, die die Belagerung einer Burg zeigt. Rechts ist ein Raum mit Webgeräten und parallel ein Raum für die Flachsbearbeitung. Dahinter ist die Burgkapelle, in der der Bü­dinger Restaurator Adrian Neus die flora­le Ornamentik der Altarfassung rekon­struiert hat (ebenso die Wachstube im Tor­haus). Der Altar steht in dem dekorativen Erker, der auch vom Burghof aus zu sehen ist. Außerdem finden sich in dem Raum die Bilder zweier Grafen. Der Aufgang hinter der Kapelle ist noch wenigen Stufen versperrt.

 

Heute präsentiert sich die Ronneburg als Sehenswürdigkeit und beliebtes Ausflugs­ziel. Mit der Übernahme der Patenschaft durch den „Förderkreis Burg Ronneburg“, der von Mitgliedern der Hessischen Lan­desgruppe der Deutschen Burgenvereini­gung gegründet wurde, soll das mächtige Bauwerk als Zeugnis der Geschichte erhal­ten werden und neues Leben hier einkeh­ren. Der Förderkreis hat Geschäftsräume im obersten Herrengemach, das völlig vom Schwamm durchwachsen war, aber jetzt renoviert ist und mit Flüssiggas beheizt wird. So wurden beispielsweise über die Presse gebrauchte Dachziegel, sogenannte Biberschwänze, zur Ein­deckung des Palasdaches gesucht. Es wurden 12.000 benötigt, 60.000 kamen insgesamt zusammen. Sogar eine Hanauer Realschu­le, deren Dach gerade erneuert wurde, steuerte etliche Stapel bei.

So finden beispielsweise mehrtägige Burgfe­ste statt, die Handwerk, Leben und Kunst des Mittelalters einer großen Besucherzahl näherbringen, sozusagen „Geschichte zum Anfassen“. Der Veranstaltungskalen­der des Förderkreises sieht unter anderem eine Ausstellung, ein internationa­les Künstlersymposium, das Burgfest und das 1. Hessische Apfelfest. Aber auch für die verschiedensten Veran­staltungen familiärer, geselliger und ge­schäftlicher Natur soll die Ronneburg den richtigen Rahmen bilden. Silvester ist bei­spielsweise schon auf Jahre hinaus ausge­bucht. Auch ein „Kaiser“ hat sich hier wie­der einmal sehen lassen. Als Imageträger eines großen Herstellers aus dem Bereich Computer und Kommunikation kam Franz Beckenbauer persönlich auf die Ronne­burg und überreichte einen Spenden­scheck für die Altenhaßlauer Martinschule.

Die Ronneburg ist heute ein Hort der Gastlichkeit. Es gilt noch immer das Wort von Anton von. Ysenburg: „Kommet her zu uns, hier findet ihr eine kurzweilige und ehrliche Gesellschaft“. Der frühere Marstall bildet als Gästehaus einen Anziehungspunkt und bietet 500 Besuchern Platz. In dem wiederaufgebauten Gebäude, dort wo sich einst Futterboden und Gesindekammern befanden, kann heute der Gast gut speisen und dabei den Ausblick auf die reizvolle Umgebung genießen. Für Ta­gungen eignet sich das Kaminzimmer.

Im Gewölbe des Restaurants kann man sich kulinarisch ins Mittel­alter versetzen lassen. In zünftiger At­mosphäre, bei flackerndem Kaminfeuer Trompeten‑ und Trommelwirbel, wird hier zum „Rittermahl“ eingeladen. Deftige Fleischbrocken werden auf Holzbrettern serviert, als einziges Eßwerkzeug gibt es dazu ein gewaltiges Messer: Wozu hat der Mensch schließlich Finger, die alten Ritten kannten es sicher auch nicht besser. Und die Knochen darf man hier auch ruhig mal hinter sich werfen. Und im riesigen Stein­krug schäumt das Bier, daß es sogar ge­standenen und trinkfesten Bayern warm ums Herz wird.

Um die Ronneburg ranken sich auch Sagen, Legenden und Schauermärchen. So macht die Ge­schichte von einem spukenden Ritter die Runde, der schallende Ohrfeigen an jene verteilt, die ihn bewußt oder unbewußt be­obachten. Ein Knecht von einem Ronne­burger Hof, der die Geschichte nicht glau­ben wollte, soll ihm einmal begegnet sein, als er aufgrund einer Wette eine Nacht in einem Pferdestall der Burg zubrachte. Eine riesengroße Gestalt in einer klirrenden Rü­stung mit einer blau leuchtenden Laterne soll erschienen sein und ihm eine derma­ßen heftige Ohrfeige versetzt haben, „daß mer die Schlappe fortgefloche sinn“, wie der Heimatforscher Peter Nieß berichtet.

Eine andere Geschichte berichtet von ei­nem Strauchritter, der einmal einen armen Bauern überfallen und getötet hatte und darauf hin noch nicht einmal Zugang in die Hölle fand und seither nächtens zum Um­herstreifen in Menschengestalt oder auch als Hund oder Katze verdammt ist.

Fast ebenso viele Besucher wie die mittelalterliche Anlage selbst zieht das umfangreiche Veranstaltungsprogramm um die Burg herum an. Von Kunstausstellungen und Konzerten über Märkte, Ritterturniere, historische Burgfestspiele bis hin zu mittelalterlichen Kochkursen.

 

Die mächtige Wehranlage und Re­naissance Residenz wird abends ab Dämme­rung bis Mitternacht beleuchtet. Drei‑Tausend‑Watt‑Strahler tauchen die Kernburg samt frisch saniertem Bergfried in ein warmes gelbes Licht. In der Festschrift zu den jüngsten Burg­spielen war eher beiläufig zu lesen: Da die Burg inzwischen als Denkmal von na­tionaler Bedeutung eingestuft wurde, wer­den ab 2002 auch Fördermittel vom Bund bereit gestellt.

Die Öffnungszeiten der Ronneburg: Vom 29. Februar bis Ende November mitt­wochs, donnerstags und freitags von 10 bis 12 Uhr (nur Gruppenführungen nach Vor­anmeldung) und von 14 bis 17 Uhr (freier Rundgang), samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr (freier Rundgang und Grup­penführungen nach Voranmeldung). Inter­essenten können sich an Herrn Kaiser, Tel.: 06048/7180 wenden. Internet: burg-ronneburg.de

 

 

Langenselbold

 

 

 

 

 

Lage:

Seinen Namen trägt Langenselbold wohl mit Recht. Schließlich erstreckt es sich in einer Länge von fast vier Kilometern im Kinzigtal. Von besonderer Bedeutung für den Ort waren die alten Kaufmannsstraßen, so die Frankfurt ‑ Leipziger Straße, die Nürnberger Straße und die Hohe Straße, die römischen Ursprungs waren.

Langenselbold liegt im Land Hessen, gehört zum Main‑Kinzig‑Kreis und zum Regierungsbezirk Darmstadt. Am 26. August 1983 wurden Langenselbold die Stadtrechte durch den Hessischen Innenminister verliehen. Die Einwohnerzahl beträgt  über 14.000, Erwerbstätige sind es etwa 8.000

Langenselbold liegt 122 Meter über N. N., unweit der östlichen Kreis­grenze an der Leipziger Straße im Kinzigtal. Es wird von der Gründau durchflossen. Die Gemarkung umfasst 2626,68 Hektar, davon 453 Hektar Wald (größte Gemarkung des Kreises) und wird von den Gemarkungen Rückingen, Langen­diebach, Ravolzhausen im Westen begrenzt.

Langenselbold ist eine weiträumige Orts­anlage mit verschiedenen Ortsteilen (Hinserdorf, Klosterberg, Hausen, Oberdorf) ohne Ortsbefestigungen. Die Höfe Bruder‑Diebach (Diepach 1238, Bruderdip­pach 1270) und Baumwieserhof (Bennewiesen 1238, Banvesen 1370, Banwiesen 1556), sowie der ausgegangene Hof Lindenloh (so 1238; Lindeloch 1366; 1556 dort noch sieben Zinspflichtige) waren vom Kloster angelegt und kamen nach der Reformation an das Haus Isenburg. In der Gemarkung liegen außerdem die Geisfurt‑, die Burg‑, die Ober‑ und die Riedmühle, ferner der Buchberg (220 Meter über N. N.) mit dem Aussichtsturm von 1909.

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Scherben von Gefäßen der Schnur­keramik (wohl zerstörtes Hügelgrab) in der Gemeindesand­grube am Bahnhof und Grabhügel der gleichen Zeit im nördlichen Teil des Waldes „Abtshecke“.

Jüngste Bronzezeit (Urnenfelderstufe): Zwei Steinplattengräber südlich der Straße nach Hanau bei Kilometerstein 10,7.

Ältere Eisenzeit: Grabhügelgruppe Rötelberg und drei Brandgräber in der oben erwähnten Sandgrube an der Straße nach Hanau.

Jüngere Eisenzeit: Mehrere Brand‑ und Skelettgräber in der gleichen Sandgrube und Siedlung mit vielen Gefäßscherben und keltischer Münze an der Straße nach Rothen­bergen bei Kilometerstein 13,1.

Fränkische Zeit: Im Ortsteil Hinserdorf in der Mühlstraße fränkisches Grab, Mitte 6. Jahrhundert, mit Bronzeschüssel, Beinkamm und Spitzbecher aus Glas.

In der Flur „Steinheide“ wurde eine Siedlung aus der Zeit um 1500 vCh ausgegraben, deren Häuser besser wärmegedämmt waren als heutige Niedrigenergiehäuser. Dabei war zwischen das Flechtwerk eine Grasschicht von zehn Zentimeter Dicke eingebaut und beide Seiten der Wand mit Lehm bestrichen.

 

Älteste Namensformen: Selbold 1108, Selbolt 1143, Seilbolt 1272, villa Sewold 1233. Der Ort zerfiel 1521 und später in die Teile Hausen, Am Markt und Hinserdorf.

 

 

 

Geschichtliches:

Die älteste nachweisbare Ansiedlung war ein fränkischer Königshof an einer Furt über die Gründau. Die erste urkundliche Erwähnung Langen­selbolds und seines Klosters datiert aus dem Jahre 1108. Langenselbold war Hauptort des Gerichts Selbold. Bei dem Orte wurde vor 1108 von einem Grafen Dietmar von Selbold (und Gelnhausen) ein Augustiner‑ Chorherrenstift gegründet (Urkunde vom 16. Oktober 1108). Es wurde aber bald in ein Prämonstratenser‑Chorherrenstift umgewandelt. An der Spitze stand ein Propst, seit 1343 ein Abt. Tochterklöster von Selbold waren Meerholz und Konradsdorf. Im Jahre 1543 ver­kaufte der letzte Abt Konrad Jäger das Kloster an den Grafen Anton von Isenburg.

Die Grafen von Selbold sind anscheinend vor 1158 erloschen. Ade­lige von Selbold (sogenannte „Ritter“) kamen von 1217‑1398 vor. Im Jahre 1282 wurden sie an Gerlach Reitz von Breuberg (einen Erben der Herren von Büdingen) verpfändet. Gericht und Ort Selbold waren als Reichsgut Lehen der Herren von Büdingen. Um 1355 besaß Isenburg zwei Drittel des Gerichts; das letzte Drittel kam 1476 durch mainzisches Lehen an Isenburg.

Das alte Gericht Selbold war mit einem Zent­grafen und 14 Schöffen besetzt. Die Gerichts­sitzungen fanden im Spielhause am Markt in Selbold statt. Der alte Zentplatz lag am Weinberg; der Galgen stand auf dem Galgenküppel bei der Abtshecke.

Der Ort hatte wegen seiner Lage an der Kinzigstraße in allen Kriegen durch Truppendurchzüge und Einquartierungen viel zu leiden, besonders auch in der Na­poleonischen Zeit.

 

1108

Papst Paschalis bestätigt am durch Urkunde vom 16. Oktober das von Graf Dietmar von Selbold gegründete Prämonstratenser-Kloster

1158

Der Graf von Selbold wird auch Graf von Gelnhausen genannt

1236

Die Namen Baumwieserhof und Diebach werden erstmals erwähnt

1357

Das Dorf Hausen - Ortsteil von Selbold- wird urkundlich noch erwähnt

1366

Weistum (Gerichtssammlung) über die Rechte der Märker in Selbold

1372

Plünderung des Klosters zu Selbold durch Johann I. von Isenburg

1407

An die Stelle des Zentgrafen tritt ein Amtmann (vom Landesherrn ernannt)

1462

Isenburg erwirbt den Teil des Gerichts Langenselbold, der bisher zum Erzbistum Mainz gehörte und von 1426‑1476 an Hanau verpfändet war. Dadurch erst kam das Dorf Selbold an Isenburg

1525

Das Kloster Selbold wird durch den Bauern­krieg geplündert und verwüstet

1543

Das Kloster fällt mit allen Gütern und Rech­ten an Graf Anton von Isenburg

1584

Einführung des reformierten Bekenntnisses durch Graf Wolfgang

1654

Selbold führt die Bezeichnung Amt Ronneburg (bis 1817)

1669

Bau des ehemaligen Amtsgerichts als isen­burgisches Privathaus

1704

Anlage des Gemeindebrunnens am Marktplatz

1718

Bau des ersten Schulhauses am Marktplatz

1725

Abbruch des Klosters durch Graf Wolfgang Ernst von Isenburg

1727

Wolfgang Ernst von Isenburg erbaut anstelle des Klosters das Schloss

1727

Bau der evangelischen Kirche, Einweihung am 7. Juli 1735

1782

Bau des alten Gefängnisses am Marktplatz

1792

Das Schloss in Selbold beherbergt den Preußischen König Fr. Wilhelm II., der sich auf der Reise in das preußische Feldlager befand

1813

Am 29.10. Gefecht bei der Abtshecke und Beschießung des Dorfes mit Granaten

1813

Vom 29. auf den 30. Oktober übernachtet Napoleon im Schloss

1816

Selbold und andere Teile von Isenburg fallen an Kurhessen, doch hatte dieses nur die Landeshoheit, während der Fürst von Isen­burg‑Birstein als kurhessischer Standesherr die Rechte ausübte

1817

Das Amt Ronneburg (bis 1654 Amt „Selbold“) wird zu „Langen­selbold“

1821

Sämtliche Orte des Gerichts Selbold werden dem Kreis Gelnhausen zugeteilt

1823

Bau des alten Hinserdorfer Schulhauses (Türmchen) am Steinweg

1830

Seit 1. Januar gehört Selbold zum Kreis Hanau

1836

Bau des Klosterberger Schulhauses, Einwei­hung 1838

1844

Einweihung des Totenhofs an der Kinzig­straße

1847

Der Zehnte, die Spann‑ und Handdienste und Fronen werden abgelöst

1848

Turnvater Jahn hält von einem Fenster des Gasthauses „Zum Goldenen Engel“ aus eine Rede über die politischen Zeitverhältnisse

1848

Die von der Standesherrschaft erblich ausgeliehenen Güter und Grundstücke der Gemarkung werden freies Eigentum der bisherigen Entleiher

1848

Verlegung der Synagoge aus der Judengasse nach dem Steinweg

1849

Die nach der bisherigen Gesetzgebung dem Standesherrn zugestandenen Rechte der Gerichtsbarkeit und sonstigen Verwaltung sowie der Aufsicht im Kirchen‑ und Schulwesen gehen auf den kurhessischen Staat über

1853

Gründung der israelitischen Schule im Steinweg

1854

Kurhessen erwirbt für 3.000 Taler das gemietete Amtsgericht als Eigentum

1854

Die baufällige Peterskirche auf dem Friedhof wird auf Abbruch verkauft

1858

Bau des Gefängnisses im Steinweg

1866

Selbold fällt mit dem übrigen Kurhessen an das Königreich Preuß

1867

Am 1. Mai Betriebseröffnung der Staatsbahn Hanau‑Wächtersbach

1870

Bau der Schule in der Schulgasse, Einweihung am 1. Mai 1872

1872

Bau der durch Selbold gehenden Frankfur­ter Quellwasserleitung

1895

Bau des alten Rathauses

1896

Am 1. Oktober Eröffnung der Hanauer Kleinbahn

1898

Gründung einer Zigarrenfabrik von Hosse im Nebengebäude des Schlosses

1899

Alle Straßen des Ortes erhalten amtlich bestimmte Namen und werden durch blaue Emailleschilder mit weißer Schrift kenntlich gemacht

1899

Bau der Knabenschule mit Turnhalle, Einweihung am 31. Oktober 1900

1902

Erstmalige Erhebung von Umlagen oder Gemeindesteuern

1904

Eröffnung der Freigerichter Kleinbahn am 15. Oktober

1910

Erstmalige Erhebung von Kirchensteuern, 13% der Staatssteuern

1910

Am 29. Mai Einweihung des Buchbergtur­mes

1910

Errichtung der Leimfabrik

1911

Am 29./30. Mai große Überschwemmung, Wolkenbruch bei Mittelgründau

1911

Stiftung der Jahn‑Gedenktafel durch den Turnverein

1913

Um‑ und Anbau des Amtsgerichts. Kosten 82.000 DM (bis 1914)

1914

Letzte Zahlung der von den Gemeindeglie­dern zu entrichtenden Zehntgelder.

Sie dien­ten der Abtragung der geliehenen Ablösungskapitalien

1918

Bildung des Arbeiter‑ und Soldatenrates, zehn Arbeiter und fünf Bauern

1918

Infolge Waffenstill­standes Truppendurchmärsche und ‑ein­quartierungen

1927

Der Kreistag beschließt am 11.2. den Ankauf des Langenselbolder Wasserwerkes für 140.000 M von der Allgemeinen Gas‑ und Elektrizitätsgesell­schaft Bremen. Inbetriebnahme des Grup­penwasserwerkes am 1.11.1927

 

 

1945

Einmarsch der Amerikaner in Langen­selbold am 30. März

1946

Mai: Flüchtlinge aus dem Sudetenland finden ein Notlager im „Hotel Adler“

1950

Beginn der Kanalisationsarbeiten.

1963

Beginn der Gewerbeansiedlung am Bahnhof

1963

Das Freischwimmbad wird eröffnet (heute beheizt)

1964

Einweihung der Schule am Weinberg

1968

Am Europatag 5. Mai1968 Verschwisterung mit den Gemeinden Simpelveld (Niederlande) und Mondelange (Frankreich)

1968

Das Altenwohnheim Haus Gründautal wird bezogen

1969

Beginn der Gesamtschule mit Errichtung der Förderstufe ‑ heute Käthe‑

Kollwitz‑Schu­le

1969

Eröffnung des Kindergartens Buchbergblick.

1974

Die ersten Camper kommen zum künftigen Campingplatz Kinzigsee

1976

Die Stadt erwirbt die Schlossanlagen vom Fürsten von Isenburg‑Birstein

1976

Einweihung des neuen Feuerwehrgeräte­hauses

1979

Eröffnung des Strandbades Kinzigsee

1982

Autobahndreieck Langenselbold (Umwidmung der B 40 zur A 66)

1983

Fertigstellung der Festhalle

1983

Verleihung der Stadtrechte

1991

Einweihung der Kindertagesstätte „In den Hohlgärten“

 

Statistisches: Einwohnerzahl:

1820 = 1682; 1855 = 2628; 1885 = 3149; 1905=4951; 1919 = 5311; 1925=5725; 1939=6335; 1946=7968; 1953 = 8755, davon Heimatvertriebene = 1066, Evakuierte = 545.

Bekenntnis: (1835 von 2276 Einwohner 6 Katholiken, 170 Ju­den) 1905: ev. = 4584, kath. = 139, israel. = 224, sonst. = 4; heute: ev. = 6907, kath. = 1140, sonst. = 608.

 

Wirtschaft 1953:

In der Land‑ und Forstwirtschaft sind tätig 584, in Industrie und Handwerk 2053, in Handel, Geld‑, Versicherungs- ­und Verkehrswesen 443, im öffentlichen Dienst 639 Personen. Unter diesen Erwerbspersonen sind 1678 Auspendler. ‑ Ein Neu­bürger gründete einen Webereibetrieb. Zahlreiche Bauhand­werker, Pflasterer usw.; Baugeschäfte.

 

Rundgang

Marktplatz.

Am dreieckigen Marktplatz steht rechts das Hotel Gasthaus „Zum Engel“ von 1707, ein ehemaliges Jagdhaus der Grafen von Isenburg-Birstein. Anfang des 18. Jahrhunderts ging es durch Schenkung an die Familie Köhler über. Das Fachwerk zeigt im Ober­geschoß den „Wilden Mann. Vom Gast­haus „Zum Engel“ sprach am 12. April 1848 Turnvater ]ahn zu einer Volksversamm­lung auf dem Platz.

Der Marktbrunnen (ein Ziehbrunnen) trägt die Jahreszahl 1704 mit dem Isenburger Wappen. Das gegenüberliegende kleine Eckhaus mit rauem Steinunterbau war das ehemalige Amtsgerichtsgebäude und Gefängnis.

 

 

Gründaubrücke:

Etwas nördlich des Marktplatzes kommt man über die neu erbaute Gründaubrücke. Die alte Gründaubrücke von 1612 trug vier Inschrifttafeln mit folgendem Wortlaut:

  1. Isen­burg. Wappen mit den Buchstaben W. E. G. Z. Y. V. B. (Wolfgang Ernst Graf zu Ysenburg und Büdingen.
  2. ALS MAN ZELT 1612 JAR / IM AUGSTMONT ICH GFBAUWET WAR, DURCH EINEN REICHEN GOTTES SEGEN / DEN SELSOLDER MARCK MIR BRACHT ZVWEGEN (d. h. die Brücke wurde im August 1612 aus dem Ertrag des Selbolder Markwaldes erbaut).
  3. VOR­STEHER GEORG LVCK KELLER. / BALTHASAR FISCHER SCHVLTHEIS
  4. IOCOB MEL. HANS KNEISEL. HANS RVS. 1. S. S. B. (vielleicht die Stein­metzen?).

 

Alte Kirche:

Von der alten Peters­kirche am Friedhof in der Nähe der Gründaufurt (bzw. Brücke) gibt es keine Reste, sie wurde 1854 ab­gebrochen. Diese alte Pfarrkirche wurde 1368 dem Heiligen Petrus geweiht. Sie war Mutter­kirche des Gerichts Selbold. Das Patronat besaß das Kloster Selbold, das vor 1108 bei der Johanneskirche gegründet wor­den war. Tochterkirchen waren Hüttengesäß und das Kirchspiel Nieder­mittlau. Schon früher wurde hier eine Liebfrauenkapelle bis auf Fun­damentreste abgetragen. Die Ummauerung des gemeinsamen Kirchhofes geschah zum Teil im Fischgrätenverband mit Eckverstärkung zum Flussufer als Wehrkirchhof.

 

Die Synagoge war zunächst in der Judengasse und wurde dann in den Steinweg 41 verlegt, die Schule war in Nummer 43.

 

Vom Marktplatz kommt man durch den Steinweg -  die andere Hauptstraße im alten Ortskern - zur Kirche, zum Schloss und zum Kloster.

 

Kloster

Als flache, aber markante Erhebung liegt der heute vollständig überbaute Klosterberg über dem Kinzigtal im Winkel der Ein­mündung der Gründau in die Kinzig. Ursprünglich war es ein Augustinerkloster, später Prämon­stratenser‑Chorherrenstift St. Johannes der Täufer. Das Kloster wurde zu Anfang des 12. Jahrhunderts gegründet. Der erste schriftliche Nachweis seiner Existenz ‑ ein Schutzbrief des Papstes Pa­schalis II. ‑ datiert vom 16. Oktober 1108. Darin bestätigt der Papst die Gründung des Augustinerchorherrenstifts durch Graf Dietmar von Sel­bold.

 

Geschichte:

Im Jahre 1108 lebte der fromme Graf Dietmar von Selbold, der sich auch Graf von Gelnhausen nannte. Als seine Frau Adelheid starb, fasste er den Entschluss, bei der Kirche in Selbold

für die Seelenruhe seiner verstorbenen Gemahlin und auch für die Vergebung seiner Sünden und der seiner Angehörigen ein Kloster zu stiften. Er sandte den Priester Rabenaldus vom Orden der Augustiner nach Rom. Papst Paschalis II. bestätigte am 16. Oktober 1108 seinen Plan und gab die Erlaubnis, „bei dem Selbold genannten Ort“ neben der erwähnten Kirche Chorherrn anzusiedeln, die nach der Regel des Augustinus leben. Näheres über die Grafen ist nicht bekannt, bereits nach 1158 wird die Familie nicht mehr genannt. Ebenso unbekannt sind sowohl der ursprüngliche Sitz der Grafen in Selbold als auch die Lage ihrer Burg in Gelnhausen.

Bereits 1138 wurde das Stift dem Prämonstratenser-Orden angegliedert. Der Prämonstratenser-Orden war im Kloster Premontré in Frankreich von dem deutschen Norbert von Xanten gegründet worden. Deshalb nannten sich die Chorherren „Prämonstratenser“ oder nach ihrer Kleidung die „Weißen Brüder“. Der Orden lebte auch nach den Regeln des heiligen Augustinus, legte diese jedoch strenger aus. Die Regel des Heiligen Augustin fordern unter anderem: Einträchtiges Zusammenleben, Übung und Demut und Gehorsam besonders gegen die Oberen, fleißiges Beten zu bestimmten Zeiten, Pflege der Kranken, Keuschheit und Ehelosigkeit.

Die Kleidung der Prämonstratenser bestand aus dem Rock (Habit), Kragen (Koller), und Tuchüberwurf (Skapulier) in weißer Farbe. Um die Hüften schlangen sie einen Gürtel, der in zwei Enden herabfiel. Wolle und Leinen zur Kleidung lieferten die Klostergüter. Auf der Straße - besonders aber im Winter - trugen sie einen weiten weißen Mantel und Kapuze und einen weißen Hut.

Die Nahrungsmittel bezogen sie zum Teil von ihren selbstbewirtschafteten Gütern. Von den auswärtigen Besitzungen aber lieferten die Pächter jährlich als Zins den Blut- und Fruchtzehnten. Ein erhaltenes Gültregister des Klosters vom Jahre 1370 gewährt einen Einblick in seine reichen Einnahmen.

Das Kloster stand in Selbold auf dem Hügel, der jetzt den Namen Klosterberg trägt. Das Kloster war als Doppelkloster für Chorherren und Chorfrauen gegründet worden. Vor 1151 verlassen die Schwestern Selbold und besiedeln das Frauenkloster Rode, ziehen von dort nach Tiefental und schließlich noch vor dem Jahre 1173 nach Meerholz.

Die Wirksamkeit der Selbolder Chorherren war sehr segensreich. Ihnen ist vor allem der Bau oder doch wenigstens die Erneuerung vieler Kirchen unserer Heimat zuzuschreiben, und zwar hatten sie eine Vorliebe für den Bau von Kirchen mit mehreren Türmen, die sie gern der heiligen Maria weihten (Marienkirche in Gelnhausen). Zum Kloster gehörten später die Tochterklöster Meerholz und Konradsdorf, die Kirchen und Kapellen in Gelnhausen, Mittlau, Gondsroth, Neuenhaßlau, Roth, Lieblos, Niedergründau und anderwärts. Auch legte es die Musterhöfe Baumwieserhof, Bruderdiebacherhof und Lindenloherhof an (dieser ist später untergegangen). Die Laienbrüder wirkten vorbildlich durch den Betrieb der erwähnten Musterhöfe.

Durch Stifter - auch durch Kauf und Tausch - erlangte das Kloster Güter und Berechtigungen in all diesen und noch vielen anderen Orten. In den folgenden zweieinhalb Jahrhunderten erlebte das Kloster großen Macht‑ und Einflussgewinn. Es besaß neben ausgedehnten Ländereien die Oberhoheit zahlreicher Pfarreien der Umgebung. Von Selbold aus wurde die Marienkirche in Gelnhausen gegründet. Dort ist noch heute ein Grabstein eines Selbolder Abtes zu sehen und auch das letzte Messbuch der Prämonstratensermönche des Klosters Selbold wird dort aufbewahrt. Auch der gotische Johannesaltar soll aus der einstigen Johanneskirche des Langenselbolder Klosters stammen.

Bei der Abgrenzung des Gebietes zwischen dem Kloster und seiner Tochtersiedlung Meerholz überließ Selbold 1173 alle Einkünfte der Klostergüter südlich der Kinzig und auch von Orten nördlich dieses Flusses den Nonnen in Meerholz.

An der Spitze des Klosters stand bis 1343 ein Probst. Erst in diesem Jahre verlieh der Abt Johan von Premontré dem Kloster Selbold Titel und Rechte einer Abtei. Seit dieser Zeit trug der Klostervorsteher die Bezeichnung „Abt“. Der Abt war der Vorsteher der gesamten Abtei. Meistens entstammte er den benachbarten Adelsfamilien, wie die überlieferten Namen von Selbolder Äbten beweisen, so zum Beispiel Helfrich von Rückingen, Johann und Friedrich von Rüdigheim oder Johann von Bleichenbach.

Der Klosterälteste hieß „Prior“. Unter dieser Bezeichnung sind zum Beispiel genannt Herbord, Rüdiger, Konrad Herterich und Johann Olfer. Die Pröbste waren 1343 die eigentlichen Klostervorsteher, von da an aber nur noch Verwalter des Selbolder Klosters und seiner Güter. Die Kanoniker - das heißt die nach der Regel (Kanon) lebenden Brüder - schied man in Geistliche (Kleriker) und Laienbrüder. Die Geistlichen wurden in der Selbol­der Klosterschule ausgebildet und dann Pfarrer in den Kirchen und Kapläne in den Kapellen der Abtei, so zum Beispiel Ulrich in Niedergründau, Wigand in Selbold und Konrad von Feuchtwangen in Gelnhausen.

Die Laienbrüder waren je nach ihren Gaben Pförtner, Keller (das heißt Verwalter), Köche, Krankenpfleger, Schreiber, Bücherverwalter, Maler, Gärtner im Kloster und außerhalb auf den Niederlassungen und Gütern; dort waren sie auch Verwalter, Bauern, Müller oder Hirten.

Später gaben sich die Bewohner des Klosters einem üppigen Leben hin. Anstatt die Horen (die vorgeschriebenen Stundengebete) zu singen, pflegten sie der Ruhe oder feierten große Gastmähler.

Als das Kloster der Sitz eines Archidiakonats innerhalb des damaligen Erzbistums Mainz geworden war, überfiel im Jahre 1372 der Schirmvogt des Klosters, Graf Johann von Isenburg, das Kloster Selbold mit Bewaffneten. Er bemächtigte sich aller Kostbarkeiten: der goldenen und silbernen Gefäße, der Teppiche, der Federbetten, des Weines und der Pferde. Zwar verklagte das Kloster den Missetäter bei Kaiser und Papst. Johann von Isenburg wurde auch verurteilt, den Raub herauszugeben, ja sogar in Acht und Bann getan. Doch störte er sich überhaupt nicht daran.

Das Kloster war schwer geschädigt worden, und es hat sich seitdem nie wieder recht erholt. Als es einige seiner Be­sitzun­gen an die Isenburger abtreten musste, war seine materielle Macht­stellung geschwächt. Im Jahre 525 wird das Kloster Selbold im Bauernkrieg von Bauern aus Gründau verwüstet, aber notdürftig wieder bewohnbar gemacht. Nachdem es die meisten Mönche schon verlassen hatten, wurde das Kloster 1543 nach über 400 Jahren durch den letzten Abt Konrad Jäger in Gelnhausen aufgelöst.

Der Klosterberg und die Gebäude ka­men in den Besitz des Grafen Anton von Isenburg. Nach der Säkularisierung des Stifts im Jahre 1543 waren die Gebäude­ noch längere Zeit intakt. Ein Teil der Klosterge­bäude wurde aber auch landwirtschaftlich genutzt, einige fielen dem Dreißigjährigen Krieg zum Opfer.

Aus den Steinen des Klosters, und der damals noch vorhandenen romanischen Klosterkirche, baute sich in den Jahren 1722 bis 1727 Graf Wolfgang Ernst von Isenburg/Birstein auf dem Klosterberg eine Schlossanlage mit dem Fruchtbau (heutiges Rathaus). Das eigentliche Schlossgebäude wurde erst in den Jahren 1749 bis 1752 erbaut. Die letzten Reste des Klosters wurden als „Stein­bruch“ für die Schlossanlage verwendet.

Heute sind keine obertägigen Reste mehr zu sehen. Aber das Kloster ist seit jeher durch die Bezeichnung „Klosterberg“ lokalisiert. Vom Kloster zeugen nur noch spärliche Relikte. So dürfte zum Beispiel das Haus Schlosspark Nr. 1 (ehemalige Rentei des Schlosses, Fachwerkbau rechts vom Rathaus) ursprünglich zum Kloster gehört haben: Während der Fachwerkaufbau 1696 errichtet wurde, könnten Keller und Grundmauern spätmittelalterlich sein. An der Ostseite dieses Gebäudes steht der Grabstein des Abtes Johan­nes Antel von 1511, der sogenannte „Abtstein“. Er überdauerte die Jahrhunderte als Treppenstufe. Nach seiner Wiederentdeckung wurde er an der Rentei sichtbar angebracht. Im jetzigen Schlosspark sind noch an einigen Schlossgebäuden - vor allem an der östlichen „Herrnscheuer“ und dem „Dragoner­bau“ - zahlreiche Architekturreste („Spolien“) des Klosters zu sehen in Form von großen Steinen und Fenstergewänden.

 

Archäologische Untersuchungen:

Im März des Jahres 1982 konnte zum ersten Male die Möglichkeit einer Untersuchung noch im Boden vorhandener Klosterreste genutzt werden. Bei der Verlegung von Fernheizungsrohren waren im Schlosspark Mauern angeschnitten worden, die aufgrund ihrer Lage und Orientierung nicht zur barocken Schlossanlage gehören konnten. Dabei wurde deutlich, dass durch die Planierung des Klosterberges zur Anlage des Barockschlosses Grundmauern und Keller des Stiftes unter den aufgebrachten Planierungshorizonten gut konserviert worden sind. Im untersuchten Bereich wurden mehrere Hofplanierungen seit dem 13. Jahrhundert freigelegt. Die Grabungen zeigten, dass das Stift als gut erhaltenes archäolo­gisches Denkmal zu gelten hat.

Als erstes Gebäude war im späten 14. Jahrhundert ein unterkellertes Haus mit steinernem Untergeschoß und Fachwerkoberbau errichtet worden. Der gut erhaltene Kellerabgang bestand aus einer breiten Sandsteintreppe, unter der ein gemauerter Kanal vom Hof her in den nicht unter­suchten Kellerraum führte. Den Hof vor dem Haus durchzog eine gemauerte Wasserrinne, zu deren Aufbau Spolien einer um 1200 datierten älteren Bauphase verwendet worden waren. Nach der Errichtung eines weiteren Gebäudes wurde die Wasserrinne un­brauchbar und durch eine neue ersetzt.

Durch die mehrfache Planierung des spätmittelalterlichen Hofbe­reichs wurden gute Voraussetzungen für die Bergung von in Schichten eingelagertem Keramikmaterial geschaffen. Die Keramikfunde aus zehn Ho­rizonten lassen genauere Aussagen zur hoch‑ und spätmittelalterli­chen Keramikentwicklung im unteren Kinzigtal zu.

Über die Innenausstattung der Stiftsgebäude gibt eine größere Anzahl von verzierten Fuß­bodenfliesen Aufschluss. Die Gebäude waren mit Kachelöfen ausgestattet. Die Ofenentwicklung kann von der Verwendung von spitzbodigen Becherkacheln über spät­mittel­alterliche grün gla­sierte Nischenkacheln bis zu einer Neuausstattung mit Plattenkacheln im 16. Jahrhundert ‑ also noch wenige Jahre oder Jahrzehnte vor der Schließung des Stifts - nachvollzogen werden.

Einige Fenster des ausgegrabenen Gebäudes waren verglast. Es kamen sowohl Bruchstücke von But­zenscheiben als auch kleine farbige Glasplättchen vor. Die spärlichen Metallfunde, vor allem Hufeisen, Hufnägel, Radnabenstecker, Ketten und Werkzeugfragmente, belegen im weitesten Sinne landwirtschaftliche Tätigkeiten.

Bei der Untersuchung der im südlichen Teil des Schlossparks angelegten Leitungsgräben konnte an verschiedenen Stellen Mauerausbruch festge­stellt werden. Massives Mauerwerk war jedoch nicht mehr vorhanden. In einer dieser stark mit Mörtel durchsetzten Schichten kam eine große An­zahl von mittelalterlichen Fußbodenfliesen zum Vorschein. Sie lagen nicht mehr im ursprünglichen Ver­band, sondern waren teilweise als Bau­schutt und in Zweitverwendung als Mauerziegel dahin gelangt. Diese Funde werden in die Zeitspanne vom Ende des 13. bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts datiert.

In einer kleinen Grabungsfläche von 65 Quadratmeter wurden der Rest eines Treppenabganges und die Ecke eines Gebäudes, vermutlich eines späteren Anbaus, aufgedeckt. Das wohl ältere Bauwerk ‑ die Treppenanlage ‑ wur­de im 13. oder 14. Jahrhundert errichtet. Sie führte in einen Kellerraum, der jedoch außerhalb der projektierten Erdarbeiten lag und daher nicht näher untersucht wurde.

Die Verfüllung dieses Gebäudeteils mit reinem Lehm weist auf einen Oberbau in Fachwerkbauweise hin. In diesem Lehm fanden sich zahlreiche zerbrochene Dachziegel und Ofenkacheln. Durch zwei Münzfunde ist die Zufüllung des Treppenraumes zeitlich näher einzugrenzen. In den untersten Schichten, unmittelbar auf den Treppenstu­fen, fanden sich ein 1/5 Philippstaler aus den spanischen Niederlanden von 1566 (sog. Kopfstück) und ein Schüsselpfen­nig, der nach 1623 in Frankfurt geprägt wurde. Das Gebäude hat also mindestens bis zum An­fang des Dreißigjährigen Krieges (1618‑48) bestanden; in dessen Verlauf war es zunächst verfallen und dann abgebrochen worden.

Ein quer unter diesem Gebäudeteil verlaufender gemauerter Kanal schien zunächst aufgrund seiner Lage älter als die Treppe zu sein. Bei einer genaueren Betrachtung der Schichten erwies sich dieser Anschein jedoch als falsch. Der Kanal war mit der Erbauung der Treppenanlage in einen damals etwa einen Meter tiefen Graben gelegt worden. Möglicher­weise geschah das sogar erst nach der Errichtung des Gebäudes, bevor die Treppenstufen aus Sandstein eingebaut wurden. Der Kanalgraben hätte dann einen Tunnel unter der Außenwand gebildet. Die untersuchte Strecke des Kanals befand sich noch in gutem Zustand; der Boden war nur von einer dünnen Schlammschicht bedeckt. Aufschluss über die Funktion des Kanals hätte vielleicht eine nähere Untersuchung des Kel­lerraumes bringen können.

Eine weitere ‑ wohl holzgedeckte ‑ Entwässerungsrinne verlief oberir­disch nahezu parallel zur Außenwand des Treppengebäudes. Bei ihrer Freilegung kamen verschiedene Architekturteile von älteren Gebäuden zum Vorschein. Es handelt sich dabei hauptsächlich um die Reste roma­nischer Fenster, von denen eines rekonstruiert werden konnte. Grund­mauern eines älteren Gebäudes, zu dem diese Spolien gehört haben könnten, wurden jedoch nicht aufgedeckt. Die angesprochene Abwasser­rinne wurde wahrscheinlich durch den Anbau eines weiteren Gebäudes an die Außenwand des älteren Bauwerkes unbenutzbar. Aus diesem Grund wurde ein weiterer Wasserabfluss angelegt, jedoch nicht so sorgfäl­tig ausgeführt wie der erste. Diese beiden oberirdischen Kanäle werden durch Kleinfunde in das 14. bis 15. Jahrhundert datiert (Archäologische Denkmale, Seite 202).

 

Heutiger Zustand:

Nach der Vermählung von Prinz Alfons von Isenburg-Birstein mit der Gräfin Pauline von Beaufort wurde in einem Nebenbau der Gutsscheune hinter dem Schloss eine Kapelle zu Ehren der Unbefleckten Empfängnis eingerichtet und 1902 geweiht. Eine katholische Kirchengemeinde entstand neu am 1. Juni 1924, nachdem seit 1902 in einer Kapelle im Schloss Gottesdienst gehalten worden war. Zur Gemeinde gehören heute die Katholiken in Langendiebach, Rückingen, Ravolzhausen und Hüttengesäß. Eine neue Kirche wurde 1953 gebaut. Außerdem gibt es die katholische Kirche „Maria Königin“ von 1967/1969.

Im Jahr 2008 zur 900-Jahrfeier der Ersterwähnung von Selbold wurde ein Mönch aus Bronze im Park aufgestellt, um an die Keimzelle der Stadt Langenselbold zu erinnern (HA 28.03.2009).

 

Klosterberghalle:

Das Kultur‑ und Tagungszentrum „Klosterberghalle“ wurde 1983 in die barocke Schlossanlage der Stadt Langenselbold eibezogen. Durch Erweiterungs‑ und Umbaumaßnahmen empfiehlt sich die Halle zwischenzeitlich für Tagungen und Kongresse namhafter Veranstalter aus ganz Deutschland. Der tageslichtdurchflutete große Saal und das Foyer, zusätzliche Seminar‑ und Intensivräume, moderne Tagungstechnik und unterschiedliche Bewirtungsmöglichkeiten bieten ideale Voraus­setzungen für Ausstellungen, Präsentationen, Tagungen und Empfänge. Die Ausstattung und das Ambiente werden dabei höchsten Ansprüchen gerecht. Dazu trägt nicht zuletzt auch der angrenzende Schlosspark bei.

Neben regionalen und bundesweiten Kongressen ist die „Klosterberghalle“ aber auch Bühne für zahlreiche kulturelle Veranstaltungen der Stadt Langenselbold und der ganzen Region. Zudem bieten die unterschiedlich großen Räumlichkeiten auch Gelegenheit für Feierlichkeiten und Jubiläen von Vereinen und Privatpersonen. Dabei kann man sich durch die Gastronomie des angegliederten Restaurants „Dragonerbau“ verwöhnen lassen oder die Bewirtung selbst durchführen. Zu diesem Zweck stehen leistungsfähige Einrichtungen zur Verfügung.

 

 

 

Schloss

Die Schlossanlage mit Gutscharakter zählt zu den besterhaltensten zwischen Hanau und Fulda und ist vor einiger Zeit in den Besitz der Stadt übergegangen. Auf dem Gelände des Prämonstratenser-Klosters von 1108 und den teilweise noch erhaltenen Grundmauern wurde von 1722 bis 1752 das fürstlich isenburg‑birsteinische Schloss errichtet.

Bauherr war Graf Wolfgang Ernst III. zu Isenburg‑Birstein, der bald darauf zum Fürsten von Birstein ernannt wurde. Baumeister war Chri­stian Ludwig Hermann aus Hanau, der gleichzeitig die benachbarte Pfarrkirche erbaute. Die Schlossanlage sollte sich bis fast zur Kinzig er­strecken. Die Bauten wurden im Jahre 1722 mit den Wirtschaftsbauten wie der Dragonerbau und die Herren­scheune begonnen. Als nächster folgte die barocke evangelische Kirche. Im Jahre 1752 begann der ei­gentliche Schlossbau.

Graf Philipp von Isenburg gilt im 16. Jahrhundert als der Begründer der Bir­steiner Linie, dem auch die Langenselbol­der Verwandten zugeschrieben werden. Philipp erhielt nach der Teilung der Graf­schaft 1521 unter anderem die Ronne­burg, die Gerichte Selbold, Gründau, Wächtersbach und Spielberg. Während die Familiengeschichte der Fürsten von Isenburg‑ Birstein in vielen Ausfächerungen ausgeleuchtet ist, liegt die des we­niger vermögenden Langensel­bolder Fami­lienzweiges eher im Dunkeln. Zwar gab es umfangreiche Akten, die in der Rentei la­gerten, doch wurden diese in Laufe des 20. Jahrhunderts vernichtet.

Da der Graf Wolfgang Ernst III. mittlerweile Fürst geworden war - was mit erheblichen Ausgaben verbunden war - fehl­ten die Mittel für den Weiterbau in Langenselbold. Der halbkreisförmige Ge­bäudetrakt, der das Schloss und das heuti­ge Rathaus eigentlich verbinden sollten, wurde daher nie realisiert. Genutzt wurde das Langenselbolder Do­mizil fortan vor allem als Jagdschloss.

Im 19. Jahrhundert wurde das Schloss vorwiegend als Sommerresidenz genutzt. Die Bewoh­ner wechselten häufig in den darauffolgen­den Jahrhunderten. In einem kleinen Zimmer mit dunklen Holzwän­den und noch verbliebenen antiken Mö­beln soll Napoleon in der Nacht vor der Schlacht von Hanau (30. Oktober 1813) geschlafen haben. Nun soll der korsische Feldherr bekanntlich an vielen Orten schon genächtigt haben. Doch zum Beweis deutet die Adlige Fiona von Isenburg auf die Seidentapete an einer Wand: Die hat einen Schlitz, an­geblich vom Degen, den der Franzosen­-Kaiser in die Wand stieß, um sicher zu ge­hen, dass sich kein Feind dahinter ver­barg. König Friedrich Wil­helm von Preußen übernachtet hier, der frühere König von Portugal und der Schah von Persien.

Prinz Alfons von Isenburg und seine Frau Pauline zogen 1901 ins Schloss ein und lebten dort bis 1951. Wäh­rend des Ersten Welt­krieges war das Schloss Lazarett. Im Dritten Reich wurde das Schloss als Arbeitsdienstlager und als Führerschule der Hitlerjugend genutzt. Im Jahre 1940 kaufte die Gemeinde den Fruchtspeicher und baute ihn zum Rathaus um. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Schloss sieben Monate lang Außenstelle des US‑Hauptquartieres von General Eisenhower. Auf Alfons von Isenburg folgten von 1968 bis 1976 Ernst von Isenburg und seine Fami­lie, danach Fürst John.

Nach langen Verhandlungen fasste das Gemeindeparlament von Lan­genselbold im Dezember 1975 den Beschluss zum Kauf des Schlosses. Am 6. Februar 1976 wurde es aus dem Besitztum des Fürsten Franz Alexan­der von Isenburg-Birstein, zu einem Kaufpreis von 900.000 Mark von der Gemeinde Langenselbold erworben, zum Teil waren städtische Grundstücke dafür im Tausch an das Adelshaus gegangen. Die Übergabe erfolgte am 1. März 1976. Das Schloss sollte nach den Wünschen des Gemeindevorstandes ein kulturelles Zentrum werden. Die dort lebenden Prinzessinnen erhielten aber Wohnrecht auf Lebens­zeit für die erste Schloss-Etage. Nach dem Tod der Schwester und der Erkrankung von Margarete von Isenburg ging auch die „Bel-Etage“ in städtischen Besitz.

Das denkmalge­schützte Ensemble wurde seit 1994 erstmals seit Jahrzehnten restauriert. Die Sanierungsarbeiten an der Außenfas­sade waren abgeschlossen, das Dach erneu­ert. Für die Innenrestaurie­rung des Schlosses und des wertvollen Stucksaales hofft die Stadt auf die vom Land zugesagten Zuschüsse, nicht nur für den Stucksaal mit seinen seidenen Textilbespan­nun­gen, auch für die erste Etage und die nicht mehr verkehrs­sichere, aber kunstvoll gearbeitete Holz­treppe in die oberen Stockwerke.

 

Auch heute noch leben die Isenburgs in einem Gebäude des Schlosses. Nach dem Tod von Prinzessin Pauline und der 96 Jahre alt gewordenen Prinzessin Margarete hat die Familie die gesamte Korre­spondenz der Familie seit 1900 in Kisten, Schränken und Schubladen gefunden und sortiert.  „Ma chère Pauline“ beginnen die Zeilen eines Geburtstagsbriefes, der 1926 in Pa­ris verfasst wurden. Andere zusammengefaltete Papiere berichten vom harten Leben 1937, von kalten Wintern, in denen nur ein Raum im Schloss beheizt war, von der Sorge um den Garten und das Gemüse. Wiederum andere sind mit dem Über­see­dampfer aus Amerika gekommen. Der Schwiegervater Ernst von Isenburg schrieb sie Anfang des Jahrhunderts aus Tansania. Die Löwin, die er dort schoss und in deren Schulter auch ein afrikani­scher Krieger seinen Speer stieß, hängt noch mottenzerfressen an der Wand.

Einst kunstvoll gearbeitete Parkettbö­den wirken nun abgenutzt, wertvolle handgemalte Seidentapeten aus dem 18. Jahrhundert sind verschlissen, eine Dec­ke muss mit einem Balken abgestützt wer­den und an vielen Stuckdecken bröckeln die Ornamente. Die eingelassenen Ölge­mälde über den Türen haben die Jahr­hunderte nicht ohne Beschädigungen überstan­den und auch die goldenen Spiegel über den offenen Kaminen haben blinde Stel­len. Es fehlte an Geld, Möglichkeiten und lange auch an der Initiative, den Zerfall zu stoppen.

Über hundert zum Teil wertvolle Gemälde bangen in den Etagen des Langenselbolder Schlos­ses. Die Jahrhunderte haben an den histo­rischen Ölgemälden ihre Spuren hinterlas­sen. Eine Restaurierung der Werke kostet viel Geld, das Stadt und Denkmalpflege vorerst nicht ausgeben wollen. Wieder einspringt der Förderkreis Schloss in die Bresche. Vorsitzender Hans Badstübner will eine Spendenaktion initiieren.

Die meisten Werke stammen aus dem 18. Jahrhundert. Allein in den vielen Räu­men im ersten Stock und im mittlerweile restaurierten Großen Saal des Schlos­ses tragen 28 Gemälde zum besonderen Flair der Beletage bei. Dabei handelt es sich neben großformatigen Ölgemälden über den Kaminen auch um so genannte Supraporten, zumeist Landschaftsdarstel­lungen, die über den Türen des Saales an­gebracht sind. Elf davon sind in einem be­sonders schlechten Zustand. Starke Ver­schmutzungen nehmen den Arbeiten ih­ren Glanz, lassen sie düster und vergilbt wirken. Feuchtigkeit aus den Lehmwän­den, Salze, Heizungswärme und auch die UV‑Stahlen des Tageslichtes haben ihr Üb­riges zum allmählichen Verfall der Kunst­werke beigetragen.

Ein Anblick, den der Vorsitzende des Förderkreises, Hans Badstübner, jetzt än­dern möchte. Seit 1994 engagieren sich der tatkräftige Langenselbolder und sein Förder­kreis für den Erhalt des denkmalgeschütz­ten Schloss-Ensembles. Er und seine Mit­streiter haben in den vergangenen Jahren sichtbare Erfolge im Schloss und auch bei der Gestaltung des Parks erzielt. Dazu zählt der Nachbau eines neuen, kunstvoll geschmiedeten Zaunes am Ein­gangsbereich des Schlossparks.

Eine der Supraporten hat der Förder­kreis in Absprache mit dem Denkmalamt in die Obhut der Hammers­bacher Restauratorin Ina Werns gegeben. Sie soll dem Gemälde von Christian Georg Schütz - einem bekannten Portraitisten, dessen Werke auch im Frankfurter Städel hängen - wieder zu seiner ursprünglichen Brillanz verhelfen.

 

Neben dem sogenannten Napoleon‑Zim­mer gibt es einen gelben Salon, das Empfangszimmer, so groß wie ein Ballsaal, ein Jagdzimmer mit hunderten von Trophäen und einen kunstvollen Tisch, an dem an­geblich Strahlenforscher Röntgen schon gesessen haben soll. Im grünen Salon hat Marie‑Luise von Toskana ihr Haupt ge­bettet.

Sogar ein portugiesischer König soll dort zur Welt gekommen sein. „auf portugiesischem Boden übrigens“, wie Fiona von Isen­burg erzählt: Vor der Geburt hatte man Erde aus dem Heimat­land unter das Bett der Gebärenden ge­legt. Gespeist wurde früher im Stucksaal, das Essen wurde über einen Durchgang vom damaligen Fruchthaus (dem heuti­gen Rathaus) in die Küche herüberge­bracht.

Die Räume geben Zeugnis von dieser bewegten und wechselhaften Geschichte, nicht nur die Möbel und Gemälde. Auch die Dokumente wie das Tagebuch des Schwiegergrossvaters Alfons aus dem Er­sten Weltkrieg, Briefe aus seiner Hand, die von Botenhunden überbracht wurden. Schnelle, aber kunstfertige Zeichnungen der Kunststudentin „Maggie“ (Prinzessin Margarete) oder auch so ganz profane Raritäten wie ein akribisch geführtes „Hühnerbuch“ über die Geflügelzucht.

 

Bei dem Verkauf des Schlosses im Jahre 1976 blieb nur die „Prinzessinnen“ im ersten Stock  (der Bel-Etage) des Schlosses wohnen.  Ihr Neffe und seine Familie wohnen schon lan­ge nicht mehr in dem herrschaftlichen Ge­mäuer, sondern in der benachbarten Ren­tei, das große ehemalige Verwalterhaus (Fachwerkbau rechts des Rathauses). Am Klingelschild an der Rückseite steht schlicht „von Isenburg“. Prinz John oder Prinzessin Sigrid sagt keiner in Langensel­bold. Der Umzug damals - erzählt John von Isenburg - fiel eigentlich nur seinem Vater Ernst schwer. Er selbst hatte lediglich von 1968 bis 1976 die Schlossräume bewohnt und in seiner Erinnerung waren die vor al­lem kalt und zugig. Rund 400 Mark Heizkosten pro Zimmer fielen im Jahr an, denkt sei­ne Frau Sigrid ganz pragmatisch. Richtig toll war das Schloss eigentlich nur für gro­ße Feiern, ansonsten kam man sich ziem­lich verloren vor.

Da sind die Räume in der Rentei gemütlicher. „Auf mich hat das Schloss und auch der Titel eher einschüch­ternd gewirkt“, erinnert sie sich an ihren ersten Besuch bei der Familie ihres zu­künftigen Mannes. Kennengelernt hatten sie sich am Frankfurter Flughafen, wo bei­de Arbeit gefunden hatten. Wenn John von Isenburg an Heimat denkt, ist das für ihn ohnehin die Farm im heutigen Tansania, wo er auf­gewachsen ist, eine Farm an den Ausläu­fern des Kilimandscharo.

Der Vater Ernst von Isenburg war als Marinekadett auf dem Segelschulschiff „Berlin“ auf Weltumseglung gewesen. Als Adeliger von den sozialistischen Ideen der Weimarer Republik abgeschreckt, wander­te er 1927 nach Afrika aus, ließ sich dort mit Kaffeeanbau und Viehzucht nieder. Die schottischen Großeltern lebten bereits dort. Als eines von fünf Kindern wurde Sohn John 1944 geboren. Mit wechselnden Stationen, begleitet von den Unabhängig­keits­kämpfen der Afrikaner gegen die Ko­lonialherrschaft, verschlug es die von Isen­burgs von Tansania in den Kongo und schließlich nach Kenia.

John lernte zunächst Kaffeeröster auf der heimischen Plantage, später Maschi­nenschlosser. Sein Vater sattelte von der Landwirtschaft auf den erstarkenden Ferntourismus um und begleitete zuletzt für den Reiseveranstalter Neckermann Fo­tosafari‑Touristen. Im Jahre 1968 kehrte ein Teil der Familie nach Deutschland zurück, da sie angesichts zunehmender innenpoliti­scher Spannungen zwischen Schwarzen und Weißen für sich keine Zukunftsaussichten mehr sah. Während die Schwes­ter blieb, siedelte ein Bruder nach Eng­land, ein anderer in die USA über.

Bis dahin kannte John Eu­ropa nur von einem einmaligen Besuch in der Schweiz. Das war im Sommer. Im ersten nassen und kalten Winter in Langenselbold hat ihn dann ganz schön das Heimweh nach den Tropen gepackt. Hinzu kamen Sprachbarrieren. Der da­mals 24‑Jährige hatte die englische Staats­angehörigkeit und sprach nur Englisch. Ein Akzent, der auch heute noch herauszu­hören ist. Einen deutschen Pass erhielt der Brite erst 1976. Beruflich sattelte er um auf Flugzeug‑Mechaniker und lernte seine Frau am Frankfurter Flughafen kennen. Nach Afrika zog es ihn nur selten zurück. Zwar heirateten er und seine Frau noch in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, aber der Unterschied zu meinen früheren Jahren dort war so deutlich, dass ich nicht wieder zurückgekehrt bin, erzählt er.

Auf den Titel Prinz oder Prinzessin legen die Langenselbolder keinen Wert. Andere adelige Verwandte, mit denen sie sich regelmäßig treffen, reden sie so an, aber im Ort ist das eher unangenehm. „Die Leute denken da immer an tolle Kleider und nobles Auftreten, und davon sind wir doch weit entfernt“, sagt die Mutter dreier Kinder im Alter zwischen 20 und 24 Jah­ren. „Der Titel isoliert. Er schafft Abstand, den wir nicht wollen“, so Sigrid von Isen­burg. Die Familie ihres Mannes habe nie Einwände gegen die Heirat mit einer „Bür­gerlichen“ gehabt.

Zwar bleibt die Familiengeschichte ih­res Mannes für sie interessant, aber ir­gendwie passt das heute nicht mehr, „Wir haben ja auch nichts dafür getan, sondern ihn geerbt“, erklärt sie nüch­tern. Am Arbeitsplatz und in der Schule wird der Prinz also verschwiegen. Die Kinder wären nur gehänselt worden.

Ortsvereine dagegen kokettieren gern damit, dass die „Prinzessin“ für die Ferienspiele kocht und im Sozialdienst des Roten Kreuzes mitarbeitet. Sie kümmert sich zudem um die kranke Schwiegermutter. Ihr Mann ist bei den Imkern aktiv, aber eigentlich e ist er eher bekannt als der Vater von Phi­lipp, sagt er. Der Sohn ist bei der Jugend­arbeit, beim DRK und der Feuerwehr. Nur eine adelige Tradition haben sich die Isenburgs nicht verkneifen können: Al­le ihre Kinder haben neun Vornamen.

 

Baugeschichte:

Mit dem Tode seines Onkels fiel Wolfgang Ernst III. von Isenburg 1719 der Be­sitz Langen­selbolds zu. Bald schon begannen dort die Bauarbeiten zur Schlossanlage, die auf dem Gelände des ehemaligen Selbolder Klosters, das schon im 16. Jahrhundert zu­grunde gegangen war, entstehen sollte. Die Bauarbeiten sollten sich über einen langen Zeitraum erstrecken. In den Jahren 1722 bis zum Beginn der fünfziger Jahre des gleichen Jahr­hunderts wurde mit Unterbrechungen gebaut.

Die erste Bauphase dauerte von 1722 bis 1726. Zunächst wurden also die Wirtschaftsgebäude errichtet, erst 1749 wurde der eigentliche Wohnbau in Angriff genommen. In die Zwischenzeit fällt die Errichtung der Kirche. Sie entstand in den Jahren 1727 bis 1735. so dass denkbar wäre, dass man die Fertigstel­lung der Schlossanlage zunächst zurückstellte, um die Handwerker für den Kirchenbau zur Verfügung zu halten.

Als man den Wohnbau in Angriff nahm, stellte man eine Liste der Kosten auf, die bei Errichtung des Fruchtbaus entstanden waren. Bei dieser Aufstellung berücksichtigte man Geldbeträge, die 1722 bis 1726 ausgegeben wurden. Dass in dieser Zeit nicht nur der Bau des Fruchthauses erfolgte, lässt sich durch die Sel­bolder Kellerei-Rechnung belegen. Auch hier sind Baukosten für die Jahre 1722 bis 1726 festgehalten.

Die ersten Vorkehrungen für den Bau des herrschaftlichen Wohngebäudes trifft man im Frühjahr 1749. Schon im Januar fragt man in Seibold wegen des Steinmaterials an, das dem des Fruchtbaus gleichen soll. Die Vorbereitung des Bauplatzes wird in Angriff genom­men. Zwei Bauernhöfe, die hier noch stehen, müssen abgerissen werden. Im Oktober kön­nen Planierungsarbeiten am Bauplatz vorgenommen werden.

Im Juli 1750 wird der Eingang von drei Zeichnungen(„Rissen“) bestätigt, die der Hanauer Baudirektor nach Seibold gesandt hat. Erläutert wird, dass der erste Riss den Keller, der zweite Riss die unterste Etage und der dritte die Ein­teilung der Mansarde zeigt. Ältere Risse werden ebenfalls genannt. Im Mai 1752 wird der Bau von Umfassungsmauern erwähnt, man kann annehmen, dass der Bau des Wohn­hauses bis dahin aufgerichtet war.

Auch wenn ihre Nutzung in den folgenden Jahren mehrfach wechselte, so blieb die Anlage doch wei­testgehend erhalten. Verschwunden ist die barocke Gartenanlage. Heute bestimmen mächtige Bäume das Bild. Der Brunnen. der hier früher aufgestellt war, wurde nach Bir­stein versetzt, wo er im vorderen Schlosshof zu sehen ist.

 

Baubeschreibung:

Bei der Schlossanlage von Langenselbold handelt es sich um eine einfache barocke Anlage. Die Gebäudegruppe be­steht aus sechs Gebäuden, die sich paarweise aufeinander beziehen und symmetrisch um einen rund 127 mal 95 Meter großen Rechteckhof anordnen. Im Osten und Westen wird der Hof von langgestreckten eingeschossigen Scheunen und Remisen eingegrenzt, die beidsei­tig noch durch niedrigere Anbauten verlängert werden, in denen Ställe und auch Wohnräume Platz fanden. Jede Scheune zeigt an Hof und Außenseite je drei große Einfahrts­tore. Das Dach ist ein einfaches Satteldach. Die Flankenbauten haben ein Walmdach mit großer Dachgaube. die jedoch auch später erst hinzugefügt sein könnte.

An der südli­chen Schmalseite sind Gesindewohnungen, je­weils schlichte eingeschossige Baukörper. Die beiden Gebäude im Süden der Anlage, die quergestellt und somit den Hauptge­bäuden gegenüberliegend sind, zeigen je zwei Türen in der Mitte, die nach beiden Seiten hin von fünf schlicht gerahmten Fenstern flankiert werden. Über diesen beiden Bauten erhebt sich ein Krüppelwalmdach. Das Dach des südwestlichen Baus ist heute ausge­baut. Der zwischen ihnen gelegene Raum bot Platz für eine Terrasse. die den Ausblick auf die darunterliegende Landschaft ermöglichte.

Im Norden stehen die beiden prächtigen Hauptbauten, Fruchtbau und herrschaftlicher Wohn­flügel. Sie treten auf Grund ihrer Gestaltung als Hauptge­bäude hervor. Sie sind zweigeschossig und zeigen eine reichere Sandsteingliederung als die übrigen Gebäude. Ein schmales horizontales Band verläuft zwi­schen erstem und zweitem Geschoß. Auch wird der Gebäudesockel, der aus dem gleichen Material wie das übrige Mauerwerk ist, nur durch seinen Sandsteinabschluss abge­trennt. Die Pilaster auf den Ecken und an den dreiachsigen Mittelrisaliten haben Sperr­fugenteilung. Genutete Eckleisten fassen die Fassaden ein. Die schiefergedeckte Mansarddä­cher unterstrei­chen die Vorrangstellung der nördlichen Gebäude. Sie tragen eine Reihe Giebelgauben, die der Anzahl der Fensterachsen des Gebäudes entsprechen.

Die Fassaden beider Häuser erreichen eine Länge von knapp 34 Meter. Die Bauten sind 15,50 Meter tief und haben eine Firsthöhe von 14,60 Meter. Hof- und straßenseitig zählen wir je 11 Fensterachsen, die drei mittleren, dichter beieinander liegenden, werden durch zwei ge­nutete Sandsteinbänder, wie sie auch an den Gebäudeecken zu sehen sind, zusammengefasst. Zur Straße hin wird das Mittelfenster im Erdgeschoß durch eine Tür ersetzt, die durch die Sand­steinrahmung hervorgehoben wird. Flankierende Pilaster und ein vorspringendes Gesims rahmen die Öffnung, die durch einen einfachen Rahmen mit Schlussstein gefasst wird. Die Seitenwände zeigen fünf Fensterachsen. Ursprünglich hatten beide Häuser in der einander zugewandten Seite einen Zugang. der benutzt wurde, wenn man von einem Haus in das andere gehen wollte.

Der Wohn­­bau im Osten wurde 1749 errichtet und enthält einen Saal mit hervorragenden Stuckarbeiten (vermutlich von Johann August Nahl aus Kassel) und Supraporten (von Chr. G. Schütz d. Älteren). Im Hochparterre des Hauses befinden sich eine Vorhalle und eine Ba­lustertreppe zum Obergeschoß und in der Mitte des Hauses oben und unten ein weiterer großer Saal.

Hier sind noch Sprossenfen­ster vorhanden. Fensterläden erhielten nur die Fenster der Parkseite. Um die Jahrhundertwende wurde an der Ostwand dieses Gebäudes ein risalitartiger Anbau angefügt, hier fan­den Bäder Platz.

 

Alle Ge­bäude wurden aus dem gleichen Baumaterial geschaffen: Buntes Bruchsteinmauerwerk, der Farbeindruck ist rötlich-braun. mit roter Sandsteingliederung. Bei den Wirtschaftsgebäuden ist die Sandsteingliederung sehr schlicht. Die Gebäu­deecken werden durch genutete Bänder betont. Fenster und Türen erhielten einen schlich­ten Rahmen. Größe und Form der Wirtschaftsgebäude wechseln, unterschiedliche Dachformen setzen Akzente. Alle Dächer dieser Bauten hatten wohl ursprünglich eine Ziegel­abdeckung. Heute tragen sie Dachsteine aus neuerer Zeit, die farblich variieren.

Im Innern wurde wenig an der ursprünglichen Einteilung verändert. Der Grundriss des Gebäudes zeigt eine einfache und klare Aufteilung. Zwei quer zur Fassade verlau­fende Tragmauern unterteilen in drei Abschnitte. Im Mittelteil, der fünf Achsen in An­spruch nimmt, fanden Eingangshalle und Haupttreppe Platz. Sowohl im Erdgeschoß als auch im ersten Obergeschoß liegt dahinter ein großer Saal von etwa 13 mal 8 Meter. Die seitli­chen Gebäudekomplexe werden in kleinere Räume unterteilt, die besonders im ersten Obergeschoß für privatere Zwecke gedacht waren. Die Mansarde wird ebenfalls in klei­nere Zimmer zerlegt. Sie liegen an einem schmalen Mittelgang, der das ganze Gebäude in Ost-West-Richtung durchläuft und so den Zugang zu jedem der Zimmer ermöglicht. Die Ausgestaltung des Marmorsaals im Erdgeschoß wird mit dem Kasseler Kreis um Johann August Nahl in Zusammen­hang gebracht; seine Stuckaturen sind gut erhalten.

Der Fruchtbau zeigt heute großflächige Fensterscheiben. die alte Sprossenfenster ersetzen. Im Gegensatz zum Nachbarbau wurden hier an allen Fenstern Läden angebracht. Das Innere wurde völlig umgestaltet. Verschwunden sind die Fruchtböden. Heute wird die­ser Bau in viele Räume unterteilt. Heute ist im Fruchthaus das Rathaus untergebracht. Seit Februar 1976 gehört der ganze Komplex der Gemeinde. Die ganze An­lage wird für Bürger genutzt. Im Wohnhaus finden sich Versammlungsräume und die Stadt­bücherei, im großen Saal können Konzerte und Vorträge stattfinden. In den Nebengebäuden können Bürger- und Vereinsfeste abgehalten werden. Gäste kann man bewirten

 

Die Frage ist, ob in Langenselbold ein weiterer Bau geplant gewesen ist, der dann quer zur Mit­telachse gestanden hätte. In einer Grundrisszeichnung, die in den fünfziger Jahren nach einem alten Original gezeichnet wurde, ist ein Bauwerk zwischen Frucht- und Wohnbau angedeu­tet. Aus einem Brief von Fraeb aus der Birsteiner Bauakte geht hervor, dass Hermann tatsächlich eine Verbindung im Sinn gehabt haben könnte. Fraeb schreibt. dass Hermann zeigen will „...auf welche Weise die Speisen am füglichsten aus der un­ter dem Fruchthaus befindlichen Küche so überhaupt als besonders bei nassem und Regenwetter in den neuen Bau zu bringen seien....“ Margarete von Isenburg hat die Küche im Fruchtbau noch erlebt. Eine Verbindung zwischen beiden Bauten hat es nie gegeben. Man könnte sich vorstellen, dass Hermann eine Art Laubengang oder bestenfalls so etwas wie eine Orangerie als Verbindung im Sinn hatte. Hier in Langenselbold sollte in erster Linie ein Wirtschaftsgut entstehen und die Planung sah von Anfang an den seitli­chen Wohnbau vor, dem aus Gründen der Symmetrie ein gleichgestalteter Wirtschafts­bau entsprach. Gebraucht wurden wohl in erster Linie die Wirtschaftsbauten, der Wohnbau wurde erst dann errichtet, als Christian Ludwig von Isenburg hier das Haus errichten wollte und - das belegt die Bauakte - Gelder dafür bereitstellte.

 

Kirche

Langenselbold besitzt unter den Landgemeinden die weiträumigste und hoch­ragendste Kirche des unteren Kinzigtales. Man erkennt deutlich den mächtigen Körper der quergestellten Ellipse mit drei rechtwinklig schließenden Kreuzarmen, deren südlicher das Untergeschoß des Turmes bildet. Der Turm steht in der Mitte der Langseite und hinter ihm steigt das hohe geschieferte Zeltdach auf, die gesamte Ellipse überspannend.

 

Baugeschichte:

Es ist heute nicht mehr festzustellen. ob die Langenselbolder Kirche in einem Zuge mit der Schlossanlage geplant worden war. Einiges legt diese Vermutung nahe. Gleich als man die erste Bauphase dort abgeschlossen hatte, begann man mit dem Bau der Kirche. Sie ist zwar nicht direkt in die symmetrische Schlossanlage eingebunden. nimmt aber mit ih­rer Turmfassade darauf Bezug. Unter Förderung von Wolfgang Ernst III. entstand hier in Langenselbold keine Schlosskirche, sondern ein großzügiger Kirchenbau für die Ge­meinde.

Die Kirche wurde in achtjähriger Bauzeit in den Jahren 1727 bis 1735 errichtet. Der Tag der feierlichen Grundsteinlegung ist überliefert. Am 23. Mai 1727 fand das Er­eignis im Beisein Wolfgang Ernsts - der die Grundsteinlegung vornahm - und vieler Gä­ste statt. Ein anderes Datum überliefert uns das Gebäude selbst. Im Turmobergeschoß wurde neben den Initialen Wolfgang Ernsts die Jahreszahl 1728 eingemeißelt. Es ist anzunehmen, dass in diesem Jahr die Arbeiten am Rohbau weitestgehend beendet wur­den. Es lässt sich nachweisen, dass der Turm noch im gleichen Jahr fertiggestellt wurde.

Am 14. Oktober wurden Kosten vermerkt, die beim Aufstecken des Turm-Straußes entstanden waren. Turmknopf, Hahn und Kreuz wurden noch im gleichen Jahr vom Hanauer Maler Appelius vergoldet. Im Jahre 1729 ist man dann schon mit dem Innenausbau beschäftigt. Der herr­schaftliche Kirchenstuhl (der Sitz für das Fürstenpaar) wird angefertigt. Am 7. September 1735 konnte die Kirche dann eingeweiht werden. Wieder war Wolfgang Ernst mit Gästen anwesend. Mit Trauungen und einer Taufzeremonie übergab man die Kirche ihrer Bestimmung.

Bis heute konnte die Kirche die Zeit relativ unbeschadet überstehen. Einquartierun­gen im Siebenjährigen Krieg oder etwa der Durchzug der französischen Truppen nach der Schlacht bei Leipzig hinterließen nur geringe Schäden. Natürlich fanden im Laufe der Zeit immer wieder Reparaturen statt. Einiges musste ausgebessert werden, anderes war zu er­neuern. Erst 1893 soll die Kirche nach Auskunft von Siemon (Festschrift) ihre Turmuhr erhalten ha­ben. Im Jahr 1891 baute man eine Heizung ein. Im Jahre 1906 folgten Wasserleitung und Gasbe­leuchtung. Die beiden farbigen Fenster wurden der Kirche 1911 übergehen Damals wur­den sie rechts und links vom Altar eingesetzt. Heute sind diese Fenster hinter West- und Ost-Empore zu sehen. Auch die Stuckrosette der Decke stammt aus der Zeit um die Jahr­hundertwende.

In den Jahren 1959 und 1960 fanden umfangreiche Renovierungsarbeiten statt. Heute präsentiert sich die Kirche äußerlich nahezu unverändert, im Innern jedoch wurden Umbauten vorgenommen. Verschwunden sind die alten Kirchenstühle, auf die Siemon in seiner Beschreibung von 1935 noch hinweist, und auch die Kanzelwand wurde verän­dert.

 

Baubeschreibung:

Die nördlich der Schlossanlage gelegene Kirche von Langenselbold steht in deutlicher Beziehung zu den Schlossgebäuden. In leichter Schrägstellung dazu liegend, wendet sich die Kirche mit ihrer Turmseite der Schlossanlage zu. Die Kirche erreicht eine West-Ost-Ausdehnung von 31 Meter. die Tiefe lässt sich in etwa mit 28,50 Meter angeben. Der Turm ragt rund 42 Meter in die Höhe.

Dem Kirchengebäude liegt ein Oval zu Grunde. Wie in Steinau wurde dem Baukörper nach jeder Seite hin ein rechteckiger Anbau vorgelegt. Der Turmvorbau liegt nicht vor der Schmalseite, sondern vor der südlichen Langseite, so dass in Langenselbold die Querorientierung schon äußerlich in Erscheinung tritt. Die drei übrigen Vorbauten sind risalitartig mit einem niedrigen Walmdach, das an das hohe Kirchendach stößt. Man kann Margarete von Isenburg zustimmen, die die Silhouette des Bauwerks als Dreieck beschreibt. Vor der Südfassade stehend erfahrt man Turmuntergeschoß und den dahinterliegenden Baukörper als Basis dieses Dreiecks. Das hohe steile Dach des Kirchenschiffs leitet über zur Dreiecksspitze, die vom Turm gebil­det wird.

Das rötlich-braun wirkende Baumaterial ist ein ähnliches Bruchsteinmauerwerk wie beim Schloss. Daneben wurde Sandstein verwendet, wie bei allen Hermannschen Bauten. Wie Wohn- und Fruchtbau erhielt auch die Kirche ein Schieferdach. Das Dach der Kir­che ist sehr hoch aufsteigend, zeigt aber auch wie die beiden Profanbauten eine Reihe von Giebelgauben, die den darunterliegenden Fenstern zugeordnet sind.

Die Kirche erhebt über einem dem übrigen Mauerwerk gleichartigen Sockel, der durch seinen Sandsteinabschluss optisch abgetrennt wird. Genutete Sandsteinbänder betonen die Ecken der Vorbauten und die des Turmaufbaus. Fenster und Portale werden durch Sandsteinrahmung hervorgehoben. Ein breites Sandsteinfeld, das von zwei Gesimsen gerahmt wird, schiebt sich zwischen Turmgeschoß und rechteckigen Unterbau. Zwei Sand­steinvoluten überspielen den Übergang von rechteckigem Untergeschoß zu quadratischem Turmauf­bau.

Die Kirche zeigt acht große Rundbogenfenster, je zwei dort, wo zwischen den Vorbau­ten die gekrümmte Wandfläche des Kirchenovals in Erscheinung tritt. Die Fenster werden von einem schlichten Sandsteinrahmen mit Schlussstein umgeben.

Hier lernt man zum ersten Mal das „Hermannsche Maßwerk“ kennen, das noch bei späteren Bauwerken des Baumeisters zu sehen sein wird. Es ist ein Maßwerk der einfachsten Art: Das Fenster wird vertikal halbiert, der trennende Steinstab teilt sich im oberen Bereich, so dass die Fensterfläche in zwei schmale Spitzbogenfelder mit einem dazwischenliegenden Zwickel geteilt wird.

Man kann die Kirche durch vier Eingangsportale in jedem Vorbau betreten. Im Westen, Norden und Osten zeigt das Portal jeweils gleiche Gestaltung. Der obere Abschluss ist ein waagrechtes Gesims, dessen verkröpfte Enden als Kapitell der das Tor flankierenden Pilaster erscheinen. Die Türöffnung selbst wird wieder zusätz­lich von einem schlichten Rahmen mit Schlussstein umgehen.

Der verbleibende Raum zwi­schen der Tür und abschließendem Gesims wird plastisch hervorgehoben, so dass eine Art Bekrönungsfeld über der Türöffnung zu sehen ist. Das Portal im Süden zeigt wie die übri­gen schlichte Rahmung mit Schlussstein. Auch hier sieht man die flankierenden Pilaster. Doch bilden hier im Süden die Kapitelle die gesprengte Basis eines Dreieckgiebels. Durch­brochen wird diese Basis von einem querovalen Fenster.

Über jedem der Eingangsportale ist ein weiteres Rundbogenfenster mit Maßwerk zu sehen, doch ist dieses Fenster kürzer als die zuerst erwähnten. Das Nordportal wird zusätz­lich von zwei hochovalen Fensteröffnungen flankiert. Weitere Fenster zeigt der Turmvor­bau. Im Untergeschoß ist in West- und Ostwand je ein Rundbogenfenster. Im oberen Be­reich sieht man nach Süden, Osten und Westen hin je zwei übereinanderliegende Rundbo­genfenster. Über den südlichen Fenstern, schon vor der Haube gelegen, sieht man eine sandsteingerahmte Uhr.

Die schiefergedeckte Turmhaube hat eine mächtige Laterne. Diese erhebt sich über einem mächtigen Gesims und zeigt eine quadratische Form mit abgeschrägten Ecken. Wiederum über einem Gesims ist das Laternendach und darüber sind Knopf, Kreuz und Wetterhahn zu se­hen.

Nach aufwendigen Reparaturarbei­ten ist auch die historische Uhr aus dem Jahre 1893 in der evangeli­schen Kirche wieder intakt. Die Firma Turm‑, Hof‑ und Eisenbahn-­Uhren‑Fabrik J. W. Weule zu Bockenem am Harz, welche die Uhr „in erster Quali­tät“ hergestellt hat, existiert schon lange nicht mehr. Im Zuge der Kirchturmsanierung war auch die Zeitan­zeige einer Generalüberholung unterzogen worden. Sie ist eine der letzten funktionsfä­higen mechanischen Turmuhren in der Re­gion. Als im Jahre 2000 das Zifferblatt der Turmuhr erneuert und das Uhrwerk aus­gebaut werden musste, entschied sich der Kir­chenvorstand für die historische Anlage mit weiterhin großem Wartungsauf­wand. Der technisch gute Zustand der Uhr und die Möglichkeit, Motor getriebene Selbstaufzüge für die schweren Uhrge­wichte zu installieren, bewogen den Kir­chenvorstand dazu

 

Das Innere der Kirche ist als Oval zu erfahren, die rechteckigen Vorräume fallen kaum ins Gewicht. Die Langenselbolder Kirche ist auch im Innern querorientiert. Kanzel und Altar liegen vor der nördlichen Langwand. Stühle und Emporen sind darauf ausgerichtet. Siemon gibt die Maße im Innern an. Laut seiner Aussage misst die große Achse 23,80 Meter, die kleine 18,40 Meter. Die lichte Höhe beträgt 10,30 Meter.

Bei der letzten Renovierung bemühte man sich darum, den barocken Farbeindruck wiederherzustellen. Die Wände sind blassrosa. die gerade Decke, die den Raum über dem Abschlussgesims überspannt, ist weiß. Stühle, Emporen und Kanzel zeigen Grauab­stufungen. Die Kanzel wird zusätzlich durch sparsame Verwendung von Gold betont.

Kanzel und Altar sind noch an ihrer ursprünglichen Stelle zu sehen. Der Altar - heute ein moderner Sandsteintisch - steht vor der Kanzel. Verändert hat sich die Kanzelwand. Der nördliche Vorbau war ursprünglich nur durch eine Holzwand verbaut, an der die Kanzel aufgehängt war. Über ihr waren ursprünglich Emporeneinbauten. Hier fand die erste Orgel ihre Aufstellung. Erst die Orgel des 19. Jahrhunderts wurde auf der gegenüberliegenden Seite untergebracht.

Am 11. Februar 1883 wurde die durch die Firma Wilhelm Ratzmann, Gelnhausen, auf­ge­stellte Orgel eingeweiht. Im Jahre 1959/1960 wurde sie durch die Firma Walcker (Ludwigsburg) umgebaut und befindet sich auf der der Kanzel gegenüberliegenden Empore, darunter stand einstmals der Stuhl des Landesherrn. Auf die Kanzel als dem Ort der Verkündi­gung sind die ausgreifenden Emporen ausgerichtet.

Heute wird der Vorraum durch eine Wand vom Kirchen­raum getrennt. Die Kanzel - gemeint ist das barocke Original - ist an dieser Wand aufge­hängt. Eine Wandverkleidung aus Holz erinnert an den alten Zustand.

Einzelstühle ordnen sich halbkreisförmig um Altar und Kanzel. Der Kirchenbeschreibung von Siemon ist die alte Stuhlordnung zu entnehmen. Der Her­renstuhl der Isenburger Grafen lag im Süden, Altar und Kanzel gegenüber.

Die geschwungene Empore prägt entscheidend den Raum-Eindruck. Im Osten. Süden und Westen verlaufend ragt sie weit in den Raum hinein. Man kann sie über Treppen errei­chen, die in den Vorbauten untergebracht wurden. Auf der südlichen Empore, die hier in den Raum vorschwingt, ist heute die Orgel zu sehen. Im Westen und Osten sieht man je­weils ein zweites Emporengeschoss. Hinter den Emporeneinbauten wird hier der Vor­raum sichtbar. Auch im Erdgeschoß ist er zu erfahren. Die trennende Wand zwischen Kir­chenraum und Vorraum wurde hier, im Gegensatz zu der im Süden, leicht zurückgesetzt.

 

Bachtanz

Die Geschichten, die über den Bachtanz erzählt werden,­ weisen die Langenselbolder als tapfer und aufmüpfig aus. Nach einer Sage, aufge­schrieben von dem Hanauer Pfarrer Cala­minus, sollen sich die Selbolder Bauern zwischen 1460 und 1464 gegen auferlegte Steuern der Grafen von Isenburg aufge­lehnt haben. Eine Schar verbündeter Mainzer Soldaten soll daraufhin das Dorf angegriffen, aber von den mit Mistgabeln und Dreschflegeln bewaffneten Bauern in die Flucht geschlagen worden sein. Vor Freude tanzten die Frauen im Gründau­bach. Die Steuern wurden dem Dorf zwar vom Fürst erlassen, aber als Strafe sollten sie fortan zum Jahrestag durch den Bach tanzen müssen.

Es gibt noch eine andere Version der Geschehnisse. Danach zog der spanische General Spinola 1621 plündernd durch das Land und überfiel, gemeinsam mit den Mainzer Soldaten, das Dorf. Auch hier wehrten sich die Selbolder Bauern er­folgreich und tanzten anschließend über­mütig in der Gründau.

Weil eine „Interessenge­meinschaft Bachtanz“ den historischen Brauch als Volksfest wiederbeleben will, herrscht Streit in der Gründausstadt. Denn für den Heimatverein verbinden sich damit vor allem die großaufgezoge­nen Heimatspiele während der Nazi‑Zeit. Zwar distanziert sich die IG Bachtanz öffentlich davon, dass der Bachtanz 1935 bis 1939 für nationalsozialistische Propa­gandazwecke ausgenutzt wurde. Er will laut seinem Ersten Vorsitzenden Georg Spatz kein pompöses Heimatspiel, son­dern die Wiederbelebung des Festes zur Kirchweih in „einer überarbeiteten, zeit­lich angepassten Version“.

Jedoch auch mit Umzügen der Vereine durch die Stadt, Mainzer Reitern, Tanz in der Grün­dauhalle und einem Jahrmarkt mit Marktständen, Gauklern, Schiffschaukel oder Ballwurfbude, wie es im Handzettel der IG und in einer Protokoll‑Nieder­schrift heißt. Auch das Rollenbuch von Hermann Gottlieb soll wieder als Theater­stück aufgeführt werden und eine Tanz­gruppe in Selbolder Tracht auftreten.

Was den Heimatverein stark an die Ziele in den dreißiger Jahren erinnert, bringt ein Bach­tanz­vertreter auf der Grün­dungsversammlung der Interessenge­meinschaft eher mit den Ritterspielen auf der Ronneburg in Verbindung. Die Bachtanz‑Wie­dergeburt könne touristische Attraktion werden, wie vor Jahrhunderten schon, glauben sie.

Doch selbst überarbeitete Versionen des Bachtanzes, wie die IG sie in Ansätzen formuliert hat, erfüllen den Heimatverein mit Skepsis. In dieser großen Form gab es das Fest vor 1935 nicht. Wenn überhaupt könne sich der Heimat­verein nur für die authentische schlichtere Fassung mit Tanz, Trinkspruch und Musik erwärmen.

Ein Redner der IG wirft den Kritikern vor, „kein richtiger Heimatverein zu sein, der das Brauch­tum pflegt". Denn sonst habe man schließlich jetzt nicht extra einen eigenen Verein aufmachen müssen. Die Satzung der „IG Bachtanz“ liest sich denn auch wie die Gründung eines zweiten Heimat‑ und Geschichtsvereins. Von Babbelabenden ist die Rede, und von der Pflege des Brauchtums, von der Wie­derbelebung des Bachtanzes sowie dem Angebot von Seminaren und Ausstellun­gen.

Bei der Gründung der Interessengemeinschaft verteilt Georg Spatz zur Information einen Artikel, der sich ausgerechnet auf die Bachtanz‑Forschungen des inzwi­schen verstorbenen Langenselbolder Hei­matforschers Wilhelm Völker bezieht. Völker war in den dreißiger Jahren ein stadt­bekannter Parteigänger der NSDAP.

Acht Aktenordner mit Heimatforschung zum Thema hat Georg Spatz inzwischen gesammelt. Den Bachtanz samt Kerb wie­der aufleben zu lassen, sei seit Jahren „sein großer Wunsch“. Auch der von Emi­lie Steinhauser, der nach eigenen Worten „das Brauchtum am Herzen liegt“. Sie kennt die Bachtanz‑Hei­matspiele der dreißiger Jahre noch aus eigener Anschauung. Sie spielte damals die Für­stin von Isenburg in Gottliebs Theater­stück.

Für den Heimat‑ und Geschichtsverein der Stadt fängt das Problem damit an, dass es viele Sagen, Vermutungen und Legenden gibt, aber wenig Konkretes zum Bachtanz. Um ein Fest über den Bachtanz wiederzubeleben, müsse aber der historische Hintergrund klar sein und auch die Art, wie das Fest in seinen Ursprüngen gefeiert wurde. Allein auf Sagen oder auf das, was die National­sozialisten 1935 bis 1939 aus dem Bach­tanz gemacht haben, will sich der Ge­schichtsverein nicht beziehen.

Michael Zieg ging in die Archive. Seit Ende ver­gangenen Jahres hat er in den fürstlichen Archiven in Büdingen nach Dokumenten geforscht. Er stieß auf 76 Urkunden über den Bachtanz. Die früheste stammt von 1621 und die jüngste von 1769. Sein Fazit: Der Bachtanz ist aus einer Haferstrafe entstanden. 20 Strich Hafer musste das Dorf zahlen, weil sich die Langenselbolder nicht an das sonntägliche Tanzverbot des reformierten Adligen von Isenburg gehal­ten hatten. Weil die Bauern zu dieser Zeit wenig zu Essen hatten, wurde die Haferstrafe ­in eine Wasserstrafe umgemünzt. Später wurde daraus ein Volksfest, das sogar Gäste aus Frankfurt und Hanau anlockte und ein einträgliches Geschäft für die örtlichen Gastwirte wurde. Um 1720 schlief der Brauch ein, wurde gegen 1755 wiederbelebt, aber im Jahre 1769 wurde der dann doch abge­schafft.

Auf die 1867 verfassten Erzählungen des Pfarrers Calaminus fand Michael Zieg keinen historisch belegbaren Hinweis: Wohl waren damals Mainzer Soldaten in der Gegend aktiv, denn Dieter von Ysenburg‑Büdingen war Erzbischof und Kur­fürst von Mainz und durch sein politi­sches Engagement in längere Kriege ver­wickelt. Doch ein Aufstand der Bauern zu dieser Zeit wäre revolutionär gewesen. Fast so wie die Französische Revolution und das hätte sich sicher in den Archiven niedergeschlagen. Es gibt 321 Urkunden über die fürstliche Fehde Dieter von Ysenburgs im Büdinger Archiv, aber keine erwähnt eine solche Begebenheit wie ein Scharmützel zwischen Soldaten und Bauern.

Laut Zieg gibt es aber auch Historiker wie Georg Maldfeld, die die blutrünstige Sage in Zweifel ziehen und auch Veröffentlichungen in den hessi­schen Blättern für Volkskunde äußern sich skeptisch. Auch Calaminus selbst ha­be zugegeben, nicht Einsicht in die Archi­ve genommen zu haben, sondern sich auf Erzählungen im Volke bezogen.

Zumindest aber der Bachtanz als sol­cher ist belegt. Auch wie er in seinen Ur­sprüngen gefeiert wurde. Nämlich zum Kirchweihfest, mit Kerbbaum, drei Paa­ren, die ausgewählt wurden und durch den Bach tanzten, anschließendem Trink­spruch auf den Fürsten. Musikanten spielten auf dem Marktplatz.

Bis 1790 musste der Bachtanz an der Gründaubrücke als Verpflichtung der Gemeinde durchgeführt werden. Dann wurde der Bachtanz abgeschafft. Wohl weil die Lust daran vergangen war, die Haferstrafe mittlerweile nicht mehr galt und auch es immer häufiger zu Streitigkeiten während des Festes kam. Wieder aufgeführt wird er erst wieder 1911 im Selbolder Gasthaus „Zur deutschen Einigkeit“ in Form eines Theaterstückes. Text und Lieder sollen von Fritz Schleucher stammen, der schon zuvor einen Gedichtsband über den Bach­tanz verfasste. Im Jahre 1917 wird im Saal des „Friedrichseck“ der Dreiakter von Her­mann Gottlieb aufgeführt. Er lehnt sich allerdings an die Sage des Pfarrers Cala­minus an.

Gottliebs Rollenbuch war es auch, das die Nazis 1935 als Grundlage für ihre Heimatspiele zum Bachtanz in Langenselbold nutzten. Doch darin tauch­te plötzlich der raffgierige Jude auf, der die germanischen Bauern mit Zinsen knechtete. Als Blut-und-Boden‑Spekta­kel wurde aus dem Bachtanz ein großan­gelegtes Freilicht‑Fest, an dem das ganze Dorf teilhatte. Es gab Umzüge und ein Heimatspiel. Der Selbolder NSDAP‑Orts­gruppenführer war zugleich auch der Spielleiter.   

Eine Dokumentation des Geschichtsvereins zum 25-jährigen Bestehen des Vereins zeigt die Ver­strickungen. Über hundert Fotos des Lo­kalhistorikers Richard Gerner aus der Zeit zwischen 1935 und 1938 halten die Festlichkeiten mit Umzug und Theater­stück fest. Die Bilder zeigen aber auch den Ortsgruppenführer der Nazis mit sei­nen Parteianhängern auf der Tribüne. Er war gleichzeitig auch der Festspielleiter. Auf vielen Fotos sind Männer in Uniform zu sehen und auch die Hitler‑Jugend ist beim Festumzug vertreten. Es durften aber nur diejeni­gen teilnehmen, die in der Partei oder deren Eltern in der Partei waren.

Die Ausstellung gliedert sich in zwei Abschnitte: Den historischen Abriss mit Urkunden und Auszügen aus den Fürstenarchiven und alte Transpa­rente, Fahnen, Kleidungsstücke und auch Auszüge aus dem Rollenbuch. Diese Fun­de stammen aus den Archiven des Heimatvereins. Dort lagerten sie seit Jahren, waren jedoch wegen der kontroversen Auffassungen nicht gezeigt worden.

Laut Thea Schneider von Langenselbolder Vereinsge­meinschaft handelt der Bachtanz von der Erinnerung an ein siegreiches Scharmüt­zel Langenselbolder Bauern mit Soldaten des Kurfürsten von Mainz. Das Heimat­spiel soll seit rund 60 Jahren nicht mehr aufgeführt worden sein.

An einem Samstag im August 2001 wurde das Bachtanz‑Ritual an der Gründau wiederaufgeführt, ausgesprochen harm­los, weil es als umstritten gilt, hatten es doch die Nationalsozialisten für ihre Ziele missbraucht und als völkisches Heimatspiel groß aufgezogen. Bürgermeis­ter Heiko Kasseckert und Rudi Bar - Pressesprecher der Interessengemein­schaft Bachtanz - hatten dazu erst im März erklärt, dass man sich klar von jegli­chen Anklängen an die NS‑Zeit distanzie­re. Gezeigt wurde nun eine eigene Fas­sung der angeblich bis ins 14. Jahrhun­dert zurückreichenden Sage. Allein elf Vereine hatten große Festzelte aufgestellt. Mit dem 6. Stadtfest feierte man auch den 18. Jahrestag der Stadterhebung.

 

 

Naturflächen

Regionalpark-Route und Gründau-Aue:

Die offizielle Eröffnung der Regionalparkroute durch Langenselbold und des Regionalpark-Projekts „Umgestaltung der Gründauaue“ wurde im November 2009 offiziell übergeben. Das Projekt wurde mit einem kleinen Spaziergang zum Brunnen der Bachtänzerin und einigen Reden im Pavillon auf dem neuen Bouleplatz feierlich eingeweiht.

Dass der Stadt mit der Umgestaltung ein großer Wurf gelungen ist, wird jedem Besucher schnell deutlich, der sich ein paar Minuten Zeit nimmt, um über das Gelände zu schlendern. Der heutige Grünzug entlang der Gründau hat eine Länge von rund 800 Metern und beheimatet Wasserspielflächen für Kinder, einen zusätzlichen Bacharm, Wassertretbecken, ökologisch gestaltete Uferbereiche und einen kleinen Weiher.

In der Verlängerung dieser Achse wurde der ehemalige Festplatz ebenfalls begrünt und als Kommunikationspunkt mit einem Bouleplatz und weiteren Frei- und Spielflächen ausgebaut.

Diesem Projekt vorausgegangen war die Renaturierung, also die naturnahe Umgestaltung der Gründau-Aue für den Hochwasserschutz. Hierzu wurde das Bachbett des Flusses verbreitert. Im weiteren Verlauf konnte die Stadt Teile der ehemaligen Sportplätze, die ihre neue Heimat seit Juni im Sportzentrum an der Niedergründauer Straße haben, als zusätzliche Flächen für die Vergrößerung der Auenlandschaft bereitstellen.

Die Maßnahmen zum Hochwasserschutz kosteten Stadt und Land rund 950.000 Euro. Die Kosten für die Renaturierung der Gründau-Aue beziffert Bürgermeister Muth auf insgesamt 550.000 Euro. Die Regionalpark-Dachgesellschaft stellte hierzu eine Förderung von insgesamt 216.000 Euro zur Verfügung. Um die Projekte von städtischer Seite finanzieren zu können, wurde der Großteil der gewonnenen Sportplatz-Flächen, nämlich 110 Grundstücke, in Bauland umgewandelt.

Nicht nur die Langenselbolder können sich über ihren neuen innerstädtischen Park freuen, auch Radler von außerhalb kommen auf ihre Kosten, denn der neue Teil der Regionalpark-Route, der durch die Gründau-Aue führt, ist an das Radwegenetz R 3 angeschlossen. Entlang dieses neuen Routenabschnitts wurden in Zusammenarbeit mit der Regionalpark GmbH vier Kunstelemente integriert - zwölf Stühle aus rostfreiem Stahl auf dem Bouleplatz, ein Granit-Brunnen mit einer bronzenen Bachtänzerin, zwei überdimensional große Holzliegen am Radweg Richtung Ronneburg/Niedergründau und der romantische Garten, der Richtung Erlensee zum Verweilen einlädt.

Auch die neu gestaltete Gründau-Aue wird eingebettet in ein Konzept, das die weitere Ausgestaltung einer Regionalpark-Route „Bettenstraße“ vorsieht. Der Weg soll die Gründau von der Mündung in die Kinzig bis ins Ronneburger Hügelland begleiten, die Hohe Straße bei Die­bach am Haag kreuzen und schließlich auf den Vulkanradweg stoßen.

 

Kinzigsee:

Diese Erholungs- und Frei­zeitoase entstand nach dem Bau der A 45 (Sauerlandlinie). Die Wasserfläche hat eine Ausdehnung von 24 Hektar. Wer zum Badesee (mit Parkplatz) und dem Restaurant möchte, geht geradeaus, der eigentliche Wanderweg zieht nach rechts durch die Feld-Auen-Landschaft weiter, zunächst noch in einiger Entfer­nung zu See und Campingplatz im nördlichen Bereich. Mit Erreichen des Schafhofs und vor der Gründaubrücke links ab, kommt man zum Gebiet der Segler und Surfer. Am westlichen See-Ende schwenkt der Weg herum, und weiter geht es durch Wiesen am südlichen Rand entlang bis zur östlichen Spitze. Über ein Brückchen und geradeaus zum Waldrand wird die Straße wieder erreicht

 

Ruhlsee:

Monatelang sah er öde aus wie eine Kraterlandschaft. Seit 2010 nimmt der Ruhlsee Konturen an. Die Natur beginnt sich das Gebiet zurückzuerobern, das mit schwerem Baugerät zu einem ökologischen Großprojekt umgestaltet wurde. Störche und Teichrohrsänger fühlen sich hier ebenso heimisch wie eine Vielzahl von Fischen. Damit das so bleibt, wurde der Spazierweg für die Fußgänger umgelegt. Menschenmassen und besonders Hundehalter sollten vom Süd­ufer ferngehalten werden.

Dass Langenselbold überhaupt über ein Naherholungsgebiet mit viel Wasser und Bade- sowie Wassersportmöglichkeiten verfügt, hat die Stadt dem Autobahnbau von A 45 und A 66 in den siebziger Jahren zu verdanken. für die erheblicher Erdaushub nötig war. Die beiden Naturschutzorganisationen, der Arbeitskreis Main-Kinzig der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) und die Gesellschaft für Naturschutz und Auenentwickung (GNA) hatten schon lange das Potential des Baggersees, an dem die Kinzig vorbeifließt, erkannt und sich seit Jahren darum bemüht, dort ein attraktives Naherholungsgebiet zu schaffen.

Unter ihrer Leitung wurde das Großprojekt geplant, das jetzt so gut wie beendet ist.

Neben der Flachwasserzone am Ruhlsee gehören dazu die verbesserte Anbindung des Ruhl­sees an die Kinzig, deren Zufluss künftig gesteuert werden kann, die Anlage von Kieslaichplätzen in der Kinzig und ein neuer Wanderweg zwischen dem Ruhl- und dem Kinzigsee, der bereits fertiggestellt ist, aber noch mit Schildern versehen und als Lehrpfad ausgewiesen werden soll.

Rund eine Million Euro wurden für die Renaturierung investiert, 587 000 Euro hat der ASV Gelnhausen beigesteuert, für den das Projekt das größte gemeinsame mit der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz (HGON) als Planer für die Stadt darstellt. Rund eine halbe Million hat das Land Hessen dort bezuschusst, die Stadt brachte Grundstücke im Wert von rund 320.000 Euro ein.

Die Arbeiten an der fast vier Hektar großen Flachwasserzone am Südufer des Ruhlsees sind abgeschlossen. Durch eine Furt sollen die Landwirte ihre Traktoren bugsieren. Die Kinzig ist auf dem besten Weg sich wieder in ein naturnahes Fischgewässer und der Ruhlsee sich zu einem lebendigen Naherholungsgebiet zu entwickeln. Schilf und Röhricht beginnen, allmählich, sich am rund 17 Hektar großen Ruhlsee auszubreiten.

Mit Unterwasserpflanzen soll sich die Wasserqualität erhöhen. Sie dienten den Fischen als Unterschlupf und zum Laichen. Außerdem lebten dort Kleinstlebewesen, die den Fischen und anderen Tieren als Nahrung dienten. Obendrein werde der Sauerstoffgehalt des Sees auf diese Weise erhöht, mit dem Schilfgürtel entstehen Brutmöglichkeiten für die heimische Vogelwelt. Zwei Beobachtungsstände am Nordufer und die Einrichtung eines See-Lehrpfades sollen dazu beitragen, dass das naturnahe Naherholungsgebiet auch für Spaziergänger attraktiv ist.

Die Angler waren mit in der Baukommission, der Forst, die Biologen und Ornithologen ebenso wie Vertreter der beteiligten Ämter und des Naturschutzes auch. Der rund 500 Mitglieder zählende Angelsportverein hat den See gepachtet. Hier ist ein typisches Raubfischgewässer mit Zandern und Hechten. Aber auch Forellen sind dort heimisch, die aus der Kinzig zugewandert sind. Man befürchtet aber, dass Schlamm und Erde aus den unbefestigten naturnahen Ufern des um den See gelegten Ringgrabens oder des Sees nach und nach ins Gewässer gespült werden.

 

 

 

 

 

 

Neuberg

 

Ravolzhausen

 

Lage:

Ravolzhausen liegt 140 Meter ü. N. N. nördlich von Langen­diebach, an der Straßenkreuzung Langendiebach ‑ Hüttengesäß und Langenselbold ‑ Rüdigheim im Verlauf des Limes. Die Gemarkung umfaßt 526 Hektar (58 Hektar Gemeindewald). ‑ In der Gemarkung liegt die Blinkenmühle (bis 1880 auch der Schwarz­haupthof). - Am westlichen Fuß des Rötelberges liegt der Bruderdiebacherhof. Dieser Weiler wurde schon 1333 zusammen mit dem Baum­wieserhof unter dem Namen Diepach, im Jahre 1388 als „Bruder­diebach“ in einem Weistum erwähnt. Es gehörte wohl den „Brüdern“ von Langenselbold, also den Mönchen.

 

Bodenfunde:

Schon länger bekannt ist eine Siedlungsgrube aus der Hügelgräberbronzezeit im Bereich  „Auf der Wanne“ 1250 Meter nordöstlich vom Orte, 150 Meter südlich von der Gemarkungsgrenze. In der mittleren Bronzezeit war die vorherrschende Bestattungssitte, die Körpergräber unter aufgeschütteten Hügeln zu verbergen. Deshalb wird diese Zeit auch „Hügelgräberzeit“ bezeichnet. Hügelgräber sind in Hessen vor allem im Rhein-Main-Gebiet und in der Wetterau nachgewiesen. Die mittelbronzezeitlichen Siedlungen des Main-Kinzig-Kreises waren diese teilweise nur wenige Kilometer voneinander entfernt. Auffällig ist, daß sich die Fundstellen mit Siedlungscharakter ausschließlich im westlichen, flacheren Teil des Main-Kinzig-Kreises konzentrieren und hier insbesondere in den Flußtälern der Kinzig und der Nidder. In diese Siedlungslandschaft ist auch der hier zu behandelnde Fundplatz eingebettet.

Bisher waren aus Langendiebach drei mittelbronzezeitliche Fundstellen bekannt - die „Sandgrube Haas“ (Hasenkippel), die „Sandgrube Baer“ und der Acker „Jacob Stock“. Da keine Koordinaten zu den Fundstellen angegeben sind, läßt sich an dieser Stelle nicht beantworten. ob die neu entdeckte mittelbronzezeitliche Siedlungsstelle mit diesem räumlich zusammenhängt.

 

Südlich von Ravolzhausen:

1. Limesgraben und Doppelpalisade an der alten Landstraße:

Die neue Umgehungsstraße führt westlich an Langendiebach vorbei und biegt dann nach Osten um und führt zwischen Langendiebach und Ravolzhausen zur Autobahnauffahrt Langenselbold-West. Südlich von Ravolzhausen westlich der Untermühle kreuzt sie den Verlauf des Limes. Die Stelle ist nahe des vermuteten Wachtpostens 5 / 6 und rund 1,5 Kilometer nördlich des römischen Kleinkastells Langendiebach.

Durch mehrfaches Abziehen kam eine deutlich sichtbare Verfärbung des Limesgrabens zutage. Es wurden aber auch die Reste zweier vorgelagerter paralleler Palisadenreihen sichtbar. Die Palisaden wurden deutlich früher als der Graben errichtet. Die östliche Reihe könnte die ältere sein. Die Pfähle waren halbrunde Einzelpfosten mit der glatten Front zur Feindseite. Sie waren im oberen Bereich eines bis zu 80 Zentimeter breiten Grabens eingelassen. Einige dieser Balken waren deutlich dicker und steckten sehr viel tiefer im Boden. Außerdem konnten an einigen Stellen runde Pfosten von etwa 30 Zentimeter Durchmesser nachgewiesen werden, welche hinter der Balkenwand die Palisade verstärkten.

Die zweite Pfahlreihe verlief in einem Abstand von etwa 3,50 Meter exakt parallel hinter der ersten. Es sieht so aus, als seien die Pfähle einmal herausgezogen worden und der Graben neu angelegt und neue Pfähle gesetzt worden. Die Stämme sind auch halbiert, die Gesamt­kon­struktion ist weniger aufwendig als die vordere Palisade. Nur vereinzelt sind Verstärkungspfosten zu beobachten.

Die beiden Pfahlreihen haben wohl gleichzeitig bestanden. Zwischen ihnen war eine mehr als zwei Meter tiefe Grube ausgehoben, die sich aber nicht mit den Palisaden überschnitt, so daß die drei Befunde wohl gleichzeitig bestanden.

Etwa zwei Meter hinter der zweiten Palisade verlief der Limesgraben. Seine maximale Breite betrug 4,20 Meter. Er war erheblich höher als die vorher genannten Befunde erkennbar und stellt somit den jüngsten Befund der Grenzsicherung dar. Er war fast vollständig verfüllt und wurde dann wieder neu ausgehoben. Die Grabenwände verliefen dann nicht mehr exakt geradlinig, sondern bauchten wegen der Erosion der Grabenwände aus. In dem alten Limesverlauf legte man im Mittelalter einen Wassergraben an, vielleicht eine Landwehr. Von Westen her führte wahrscheinlich ein Weg auf den Limes zu mit einer Brücke, und in der äußeren Palisadenreihe war an dieser Stelle eine entsprechende Lücke.

Überaschend ist der Fund einer bronzenen Gürtelschnalle aus dem vorderen Palisadengraben. Da rechteckige Bronzeplättchen 48 mal 25 Millimeter groß und 2 Millimeter stark. Angesichts der rückseitigen Befestigungsvorrichtung ist es als Beschlag zu bestimmen und gehört zur Gruppe emaillierter bzw. mit Glaseinlagen verzierter Gürtelbeschläge. Diese schmückten die ledernen Militärgürtel römischer Soldaten und hatten somit eine hohe symbolische Bedeutung. In der Regel gab es vier bis fünf Beschläge dieser Art an der Vorderseite des Gürtels. Auf der Schauseite erstrecken sich zwei parallele Reihen eines zierlichen Kreuzmusters. Auf der Rückseite befinden sich zwei Stifte zur Befestigung des Beschlags, die gleich mit gegossen wurden und somit auf das 2. Jahrhundert deuten.

In diese Schicht mündeten auch eisenzeitliche Vorratsgruben, die von einer nahegelegenen Siedlung zeugen, die sicherlich mit den benachbarten eisenzeitlichen Befunden der zweiten Fundstelle auf der Umgehungsstraße in Verbindung stehen. Hier handelt es sich um typische Vorratsgruben, die nach Osten zu zahlreicher sind, so daß die Siedlung östlich vermutet werden kann. Die gefunden Keramik datiert in die späte Hallstattzeit. Die Keramikfragmente stammen aus der eisenzeitlichen Siedlung.

 

2.  Fundstelle unmittelbar am Ortsrand von Neuberg-Ravolzhausen:

Im Verlauf der archäologischen Arbeiten auf der geplanten Trasse bei Erlensee-Langen­diebach wurde im Sommer 2012 eine Fundstelle unmittelbar am Ortsrand von Neuberg-Ravolzhausen untersucht. Dabei wurden Funde aus drei Siedlungszeiten gemacht:

 

a.) Linearbandkeramik:

Eindeutig waren Scherben der späten Linearbandkeramik, die aus Gruben stammten, welche die für jungsteinzeitlichen Befunde so typische dunkle Schwarzerde-Verfüllung aufwiesen. Die Gruben markierten wohl den Rand einer Siedlung, die von Norden her in das untersuchte Gebiet reichte. Es handelte sich um Materialentnahmegruben und einzelne Pfostengruben. An der vermutlichen Stelle des ehemaligen Zentrums der Siedlung befindet sich heute ein Möbelmarkt. Die Verzierungen auf den zahlreichen Keramik­scherben weisen in die jüngere und jüngste Stufe der Linearbandkeramik.

Des Weiteren sind Scherben jungsteinzeitlichen  Urspungs zu verzeichnen, deren Form und Machart deutlich von derjenigen bandkeramischer Gefäßkeramik abweichen. Sie weisen auf mittel- oder spätjungsteinzeitliche Befunde in der unmittelbaren Nähe der Trasse hin.

 

b.) Eisenzeit:

Weiterhin wurden Befunde mit eisenzeitlich anmutender Keramik untersucht. Eindeutig der Eisenzeit zuordnen lassen sich die Vorratsgruben mit der typischen Kegelstumpfform, die anhand weniger gefundener Keramikscherben in die ausgehende Hallstattzeit datiert werden.

Eine kleine Vorratsgrube in einer Senke war so gut erhalten, daß der Hals der Kegelstumpfgrube noch dokumentiert werden konnte. Eine Vorratsgrube enthielt eine Sonderbestattung, wobei das Skelett auf einem flachen Schuttkegel wenige Zentimeter über der Sohle der Grube lag. Die Arme waren unnatürlich stark angewinkelt, Elle und Speiche des rechten Unterarmes wurden direkt am Oberarmknochen angetroffen.

Auch die anderen kegelstumpfförmigen Vorratsgruben lassen in Anbetracht der Fundarmut in ihrer Verfüllung vermuten, daß es sich um Vorratsspeicher an der Siedlungsperipherie handelt. Etwa 400 Meter entfernt wurden am Limes ebenfalls eisenzeitliche Gruben festgestellt (siehe oben). Vermutlich begrenzen die beiden Fundstellen eine größere eisenzeitliche Siedlung, deren Standort wohl unweit oberhalb der Umgehungsstraßentrasse zu lokalisieren ist.

 

c.) Völkerwanderungszeit:

Vom Trassenverlauf zentral betroffen scheinen die Reste einer Siedlung der Völkerwanderungszeit zu sein. Grubenhäuser und Werkgruben mit hartgebrannter Ware sowie brunnenartige Schächte lassen sich angesichts der geborgenen Importkeramik ins 4. oder 5. Jahrhundert nCh datieren. Bei den germanischen Siedlern im unmittelbaren Vorfeld des Limes dürfte es sich höchstwahrscheinlich um Alamannen gehandelt haben, die im 3. Jahrhundert den von den Römern aufgegebenen Bereich in der Wetterau in Besitz nahmen. Daß die Siedlung noch vor dem Limesfall gegründet worden war, ist eher unwahrscheinlich. Die römischen Soldaten duldeten sicher keine germanische Niederlassung kaum einen Steinwurf weit von den Grenzbefestigungen entfernt.

Mehrere aus Bein gefertigte Nadeln, ein eiserner Pfriem mit Beingriff, ein aus Knochen hergestellter Spinnwirtel und große Mengen von Tierknochen im Umfeld eines der Grubenhäuser sprechen für die Werkstatt eines Knochenschnitzers. Außerdem kam eine bronzene Platte zutage, wohl ein unfertiges Werkstück. In der Nachbarschaft der Grubenhäuser befanden sich mehrere Vorratsgruben sowie ein Pfostenbau. Aus einem der Pfostenlöcher stammt eine Scherbe aus Terra Sigillata.

Ein nordwestlich vom Pfostenbau befindliches Grubenhaus dürfte ebenfalls aufgrund seiner Lage und Ausrichtung zur alamannischen Siedlung gerechnet werden, wenngleich das Fundmaterial vom eisenzeitlichen nicht eindeutig abgesondert und keine Importfunde namhaft gemacht werden können. An zwei Stellen wurden Grabenabschnitte untersucht, die möglicherweise zu einem Grabenring mit Wall gehörten, der die Siedlung vor Hochwasser schützen sollte.

Der Grabenabschnitt im Süden datiert den Funden zufolge sicher in die alamannische Periode, er lief nach unten deutlich spitz zu. Im Zusammengeschwemmten („Kolluvium“) erhielt sich bruchstückhaft  auch der zugehörige Wall. Er erstreckte sich auf der siedlungsabgewandten Seite, diente also nicht der Befestigung. Im Westen wurde ein von den Ausmaßen ähnlicher Graben angetroffen,  jedoch wies dieser eine flache Sohle auf; Reste eines Walls waren nicht erhalten.

 

Eine etwa zwei Meter lange und knapp ein Meter breite Grube mit einer Ausrichtung von NW- SO wies im Zentrum eine Konzentration großer Steine auf. Die Zusammensetzung des Fundinventars aus der Grube läßt auf ein stark zerwühltes Körpergrab schließen. Neben zahlreichen Knochen (unter anderem ein menschlicher Kiefer) und großen Keramikscherben kamen auch eine Glasscherbe, eine Glasperle, ein Spielstein und mehrere Eisenobjekte zutage, darunter ein Wetz- oder Feuerstahl und mindestens ein Messer sowie eine Gürtelschnalle. Bei den Steinen handelte es sich um große Brocken aus Blasenbasalt, die wohl in den Beraubungsschacht verfüllt worden waren und möglicherweise von der Grababdeckung oder -einfriedung stammen.

Ein weiterer bereits antik gestörter Befund in der Nähe erbrachte neben zahlreichen Knochen einen fast vollständigen Knochenkamm. Auch hierbei könnte es sich um Reste eines beraubten alamannischen Grabes handeln.

Einige stark zerscherbte. jedoch wohl ursprünglich komplett eingegrabene Töpfe im Randbereich der Siedlung werfen die Frage auf, ob es sich hierbei um Teile eines Grabinventars - möglicherweise sogar um Urnen – handelt. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß alaman­nische Brandbestattungen in der Regel ohne Gefäß erfolgten.

 

Das Zusammentreffen von mindestens drei Zeithorizonten bei einer Fundstelle erschwert eine abschließende Beurteilung. Wie schon erwähnt, läßt sich die handgemachte völkerwanderungszeitliche Siedlungskeramik vielfach nur sehr schwer von der eisenzeitlichen unterscheiden. Allein das Vorkommen römischer Importkeramik - häufig Töpfe der Alzey 2- und 2 A, gelegentlich kombiniert mit Rillenbechern germanischer Machart - gestat­teten eine zuverlässige Zuweisung von Befunden zur alamannischen Siedlung.

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