Demokratie heute

 

Ausland:

In Frankreich hat der Präsident die meiste Macht. Das hat Charles de Gaulle mit seiner fünften

Republik so eingeführt. Vorher gab es nur das Verhältniswahlrecht, das dazu führte, daß es im Parlament viele kleine Parteien gab, die nur schwer unter einen Hut zu bringen waren, so daß ständig die Regierungen wehselten. Jetzt wurde das Mehrheitswahlrecht eingeführt: In jedem Wahlkreis wurde nur ein Bewerber in die Nationalversammlung gewählt, oft auch erst nach einer Stichwahl.

Die Stimmen für den Zweitplazierten fielen unter den Tisch. So wurde die Zahl der Parteien im Parlament verringert und die Bildung länger lebender Regierungen war möglich.

Das andere Machtzentrum (und vielleicht das eigentliche Machtzentrum) ist der Präsident. Der wird direkt direkt vom Volk gewählt und setzt dann den Ministerpräsidenten ein. Dieser ist nicht mehr als sonst ein Minister, sein Chef ist der Präsident. Er kann sogar regieren ohne daß seine Partei die Mehrheit hat. Er muß sich nur unter den Parteien eine Mehrheit für seine Vorhaben suchen.

 

Vorbild dafür waren die USA, das angebliche Musterland der Demokratie. Dorrt ist das Wahlsystem noch abgestimmt auf die Gründungszeit vor 200 Jahren. Wegen der großen Entfernungen bestimmte man Wahlmänner, die dann an einem Ort zusammenkamen, um den Präsidenten zu wählen. Es wurden aber nur die Wahlmänner der siegreichen Partei losgeschickt, die Stimmen der unterlegenen Partei fielen unter den Tisch, auch wenn sie nur wenig geringer waren. Wozu hat man dann gewählt? Wenn in einem Staat neun Delegierte zu wählen sind, gehen nicht fünf von der einen Partei und vier von der andren, sondern allein die siegreche Partei erhält neun Delegierte. Das ist bis heute so geblieben, die Wahl entscheidet sich in den „Swingstaaten“, wo die Entscheidung immer knapp ist.

Nach absoluten Zahlen könnte das Wahlergebnis durchaus anders sein. So kann es sein wie 2016, daß ein Kandidat zwar nach Einzelstimmen 3 Millionen Stimmen mehr hat (Clinton), aber doch der andere Kandidat gewählt wird (Trump). Dieser hatte damals 305 Wahl­männerstimmen, genau so viel wie seine Gegenkandidatin. Da gilt doch nicht das Prinzip: Jeder Wähler eine Stimme! („One man, ohne vote!“)

Dazu kommen seltsamen Methoden des Wahlrechts. Wählen kann nur, wer sich vorher in eine Wählerliste eingetragen hat, weil es kein Meldesystem gibt. Weil zu wenig Personal eingesetzt wird, dauert die Auszählung tagelang; anderswo ist das ein Einfallstor für Wahlbetrug. In Florida werden bei der Wahl die Stimmkarten mit einer Zange gelocht. Weil im Jahre 2000 das Ergebnis knapp war, hat man wochenlang darüber diskutiert, ob auf dem Stimmzettel nun ein Loch ist oder nicht, bis der Kandidat Al Gore verzichtete, damit die USA wenigstens einen Präsidenten bekommen. Dieser war dann Georg Bush junior, der gleich den Krieg im Irak anfing und damit den Anfang für die jahrzehntelange Instabilität im Nahen Osten setzte.

Der amerikanische Präsident bestimmt allein, wer sein Vizepräsident werden soll. Das hat noch eine gewisse Berechtigung, weil es ja jemand sein muß, mit dem er gut zusammenarbeitet. Aber in den USA bestimmt er auch auf diese Art alle seine Minister („Sekretäre“). In den USA hat der Präsident fast alle Macht. Er kann einen Atomkrieg auslösen, er kann internationale Verträge kündigen oder das Geld für internationale Organisationen kürzen oder gar streichen. Er regiert vorwiegend mit Erlassen und ist auch Oberbefehlshaber der Nationalgarde. Er wird nur etwas kontrolliert vom Parlament und den Gerichten. Für das oberste Gericht kann er einen neuen Richter bestimmen, wenn ein Platz frei wird. Entsprechend sagte auch einer von Trumps Rechtsanwälten: „Die Wahl wird nicht von den Fernsehsendern entschieden, sondern durch uns Richter!“ Der Präsident darf nur einmal wiedergewählt werden, das ist wenigstens gut.

Aber auch das System in den USA ist Demokratie, wenn auch nicht so optimal wie bei uns. Das Gleichgewicht von Parlament, Regierung und Justiz ist zwar stark gefährdet. Die einzige Hoffnung ist, daß die amerikanische demokratische Tradition einen Mißbrauch verhindert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch in Großbritannien gibt es allein das Mehrheitswahlrecht. Das hat dort (wie in den USA) dazu geführt, daß\es praktisch nur zwei Parteien im Parlament gibt. Wenn man von einer Regierung die Nase voll hat, kann man nur die andere Partei wählen in der Hoffnung, daß die es besser macht.

Staatspräsident ist der König (oder die Königin), aber nur konstitutionell, das heißt, er hat keine wirkliche Macht, sondern erledigt nur die Formalitäten: Wenn er die Regierungserklärung im Parlament verliest, hat diese der Ministerpräsident geschrieben. Aber auch das ist eine echte Demokratie.

 

Deutschland:

Da ist das demokratische System in der Bunderepublik wirklich besser: Der Präsident ist nur repräsentativ, der Bundestag ist ein starker Gesetzgeber mit seinen unterschiedlichen Parteien und Ausschüssen. Es gibt die Länder und Kommunen mit ihrem eigenen Gewicht. Die Justiz ist unabhängig und oberste Richter werden vom Parlament bestätigt. Dazu kommen die vielen Medien, die irgendwann wenigstens nachträglich jede Schlechtigkeit aufdecken.

Bei uns haben wir die repräsentative Demokratie: In den Wahlkreisen werden Abgebordnete gewählt und diese vertreten die Wähler dann stellvertretend im Parlament. Das ist besser als das Mittel der Volksabstimmung. Doch in der Zeit der Weimarer Verfassung von 1918 bis 1933 hat sich auch in Deutschland gezeigt, wie problematisch das ist. Die Masse des Volkes läßt sich leicht beeinflussen und wäre zum Beispiel für die Todesstrafe. Da ist es doch besser, wenn „Berufspolitiker“ die Gesetze beraten, sich Sachverstand herbeiholen und erst nach langen Beratungen eine Entscheidung fällen.

Auch in der Demokratie hat nicht allein das Volks das Sagen, wie die Bedeutung des Namens „Herrschaft des Volkes“ nahelegen könnte. Zunächst einmal muß der Bürger im wahrsten Sinne des Wortes seine Stimme abgeben an gewählte Vertreter, die dann in seinem Namen entscheiden. Das geht nicht anders. Man kann dann halt aber wenigstens nach vier Jahren andere Volksvertreter wählen.

Das Grundgesetz ist schon gut ausgedacht, um die Fehler der Weimarer Zeit zu vermeiden: Die Macht des Staatspräsidenten wird verringert, es gibt zwei Kammern (Bundestag, Bundesrat) und das konstruktive Mißtrauensvotum verhindert eine führungslose Regierung, denn der Kanzler kann nur abgewählt werden bei sofortiger Wahl eines neuen Kanzlers. Bei uns können da die Parteien sehr viel mehr mitreden, besonders wenn es sich um eine Koalitionsregierung handelt; da will jede Partei möglichst viele Minister haben, und dann auch noch in wichtigen Positionen. Dazu kommt noch das das Verfassungsgericht zum Schutz der Demokratie. Wenn sich einer zum Diktator aufschwingen will, schaltet er zuerst die Medien aus, bindet Polizei und Militär an sich, schanzt alle Macht dem Staatspräsidenten zu (der er selber ist), zerschlägt die Justiz und zuletzt verbietet er die Oppositions-Parteien.

Bei uns ist problematisch, daß man bei der Bundestagswahl zwei Stimmen hat. Das sieht auf den ersten Blick vorteilhaft aus, weil man sowohl einen Kandidaten im Wahlkreis als auch eine Partei im Bundestag wählen kann. Aber trotz aller Aufklärung wählen sicher noch viele Leute eine Koalition, also CDU und FDP oder SPD und Grüne, ohne dabei zu bedenken, daß sie nur die jeweils zweite Partei gewählt haben. Nur so haben die kleinen Parteien so viele Stimmen. Doch gegen diese Kritik wird eingewendet, der Wähler sei mündig und es stünde ja auf dem Stimmzettel, daß die. zweite Stimme die entscheidende ist.

Viel einfacher wäre eine reine Verhältniswahl. Da hat zwar der Wähler weniger Mitwirkungsrechte beid er Aufstellung der Kandidaten, aber im Grunde muß er sich sowieso auf die Auswahl der Kandidaten durch die Parteien verlassen. Beim Verhältniswahlrecht fielen die ganzen Schwierigkeiten mit den Überhangmandaten weg bzw. es müßten keine gewählten Wahlkreiskandidaten nachträglich gestrichen werden (wie das ab 2025 sein soll):

 

Radikale Parteien:

Unverständlich ist, daß seit einigen Jahren wieder linke und rechte Parteien einen gewissen Zulauf haben. Deutschland hat doch das sozialistische Experiment in der DDR mit gemacht und erlebt, wie kläglich es gescheitert ist. Dennoch haben gerade dort viele Menschen die Nachfolgeparteien der
SED gewählt. Das waren viele „alte Genossen“ und wenig Überzeugte, aber vor allem auch Unzufriedene, deren übertriebene Erwartungen an die neue Ordnung sich nicht erfüllten und die es nun „denen im Westen“ zeigen wollten.

Dann aber kam die AfD auf als Ventil für die Unzufriedenen. Ursprünglich ging es ihr nur gegen den Euro, aber dann wurden immer wieder die gemäßigten Vertreter ausgeschieden und die Partei rückte immer mehr nach rechts. Jetzt ging es immer mehr gegen Asylbewerber und sogar gegen die Ausländer die schon lange bei uns leben. Man ist gegen NATO und EU, dafür aber rußlandfreundlich und „für den Frieden“. Als dann Sahra Wagenknecht noch die Linke spaltete, ergab sich die Möglichkeit, daß zumindest im Osten die beiden Parteien zusammengehen und einer Regierung bilden.

Viele Wähler sagen dabei: Es ist uns egal, ob Teile der Partei rechtradikal sind. Wir sind nicht rechtsradikal, aber wir sind gegen die „Altparteien“, die uns nicht das verschaffen, was wir uns wünschen. Dabei übersehen sie, daß die AfD nichts für die kleinen Leute tun will und auch sonst in ihrem Parteiprogramm Dinge hat, die Vielen gar nicht so gefallen würden. Sie klagen über die Lügenpresse und behaupten, sie könnten nicht mehr sagen, was sie denken. Dabei zeigt doch gerade die Tatsache, daß sie so etwas äußern dürfen, daß es anders ist. Aber das wird auch daran liegen, daß sie sich nicht in den öffentlich-rechtlichen Medien informieren, sondern in dunklen Kanälen des Internets, von denen man nicht weiß, ob sie von Rußland oder China gesteuert werden.

 

Den Anfängen wehren:

Man muß schon den Anfängen wehren. Ein Hitler ist ganz legal an die Macht gekommen. Und heute ist das so bei Orban in Ungarn oder der früheren PIS-Regierung in Polen. Selbst die Hamas im

Gazastreifen ist einmal von der Bevölkerung gewählt worden. Aber nach der Wahl kam dann die „Machtergreifung“, wie es die Nationalsozialisten vorgemacht haben. Der türkische Präsident Erdogan hat das Amt des Staatspräsidenten erst so zugeschnitten, wie es ihm paßte und wird doch immer wieder gewählt. Überall in Europa erstarken die rechten Parteien: Frankeich, Niederlande, Italien, Spanien, sogar Schweden. Hat man denn niemand aus den dreißiger Jahren gelernt, als faschistische Staaten wie Pilze aus dem Boden sprossen?

In Deutschland war der Faschismus nur zwölf Jahre an der Macht. Aber offenbar übt er auf viele Menschen doch eine hohe Anziehungskraft aus. Irgendwie scheint das Machtstreben und die

Gewalt doch in der Natur des Menschen zu liegen. Das gilt für die kleinen Leute wie für die Politiker. Was treibt einen Diktator dazu, über andere Menschen herrschen zu wollen? Was hat er davon, wenn er das Nachbarland überfällt und auch die Menschen dort noch beherrschen will? Ist er überzeugt, daß er allein die richtige Erkenntnis hat und allein die Menschen glücklich machen kann?

Schon die Kommunisten in der DDR waren angeblich im Besitz der reinen Wahrheit und wollten die unwissenden Menschen zu ihrem Glück zwingen.

Dem russischen Machthaber Putin gegenüber hat Barak Obama den Fehler gemacht, indem er sagte Rußland sei nur noch eine Mittelmacht. Da hat Putin gedacht: „Warte, dir werde ich es zeigen“. Er versucht, überall in Westeuropa die Staaten gegeneinander aufzuwiegeln. Er fördert Diktatoren in den ehemaligen Sowjetstaaten, er hat dem Land Georgien (das mit der EU liebäugelte) den nördlichen Teil Nordossetien abgenommen. Mit der Ukraine versucht er das Gleiche. So wie Hitler die

Deutschen „heim ins Reich“ holen wollte, schwingt er sich zum Beschützer der Russen in der Ukraine und in Moldawien auf. Dazu kommt die Angst, von der NATO „eingekreist“ zu werden, zwischen ihm und der NATO soll wenigstens noch ein Pufferstaat sein. Deshalb wollte er mit seiner „militärischen Spezialoperation“ innerhalb weniger Tage die Regierung in Kiew vertreiben und durch ein Regime wie in Belarus ersetzen.

Dabei ist es doch egal, zu welchem militärischen Bündnis der Nachbarstaat gehört, wenn man nur auf gute Nachbarschaft hält. Unter Gorbatschow und Jelzin war das so, die wurden sogar zu den    G 7-Treffen eingeladen. Der Westen vernachlässigte die Verteidigung, der kalte Krieg war ja beendet. Auch Putin war anfangs anders, er durfte sogar vor dem Bundestag sprechen und entwarf dort das Bild einer guten Friedensordnung. Aber dann kam das mit Obama und in Putin regte sich wieder der alte Geheimdienstgeist. Und dazu kommt, was man von ihm sagt: „Putin kann nicht verlieren!“ Mit der Ukraine wird es nur einen Friedensvertrag nach seinen Vorstellungen geben.

Inzwischen macht China mit und will die angebliche Weltherrschaft der USA brechen. Es soll verschiedene gleichberechtigte Machtzentren in der Welt geben. Und die „Länder des globalen Südens“ wollen dabei auch beteiligt sein, allen voran Indien und Brasilien.

 

Auswahl des Personals:

Für die neue Regierung soll ein neues Regierungsprogramm aufgestellt werden. Verhandelt wird darüber mit acht Leuten, manchmal einige mehr. Auf einem Parteitag sollen dann noch die Mitglieder bzw. deren Delegierte befragt werden Aber was soll da noch geändert werden, nachdem die Oberen wochenlang verhandelt haben? Vielleicht geht es nicht anders, wir haben eine repräsentative Demokratie, bei der die Vertreter des Volkes entscheiden, mit Volksabstimmungen hat man nur schlechte Erfahrungen gemacht. Aber so entscheiden nur acht Leute über die Politik der nächsten vier Jahre. Die Wähler haben ihre Stimme ja „abgegeben“ im wahrsten Sinne des Wortes, sie haben nichts mehr mitzureden, jetzt sprechen andere für sie.

Wenn eine Partei einen Generalsekretär sucht, setzt sich der Vorsitzende mit zwei Leuten im Hinterzimmer zusammen und macht einen Vorschlag. Der geht dann in den erweiterten Parteivorstand und dann geht der Name in die Öffentlichkeit. Welcher Parteitag könnte da noch einen anderen

Kandidaten benennen? Die Delegierten werden alle brav die Hand heben und vielleicht auch froh sein, daß ihnen das Nachdenken erspart blieb.

Da will ein Parteivorstand den kleinen Parteitag über eine Frage entscheiden lassen. Aber die eigene Entscheidung posaunt er gleich hinaus in die Welt. Was soll der Parteitag da noch anders beschließen, er kann doch nicht seinen Vorstand im Regen stehen lassen. Dieser hätte natürlich auch sagen können, daß er es allein entscheiden will. Aber wenn er schon den kleinen Parteitag einbeziehen will, dann muß er diesen auch unbeeinflußt entscheiden lassen.

Wenn früher ein Klassensprecher zu wählen war, dann forderte der Lehrer auf, Vorschläge zu machen. Dann wurden die Vorgeschlagenen gefragt, ob sie bereit sind, für das Amt zu kandidieren.

Wenn sich genügend Kandidaten fanden, wurde geheim in der ganzen Klasse mit Stimmzetteln abgestimmt. Das war echte Demokratie. So könnte man es im Prinzip auch auf einem Parteitag machen. Aber dann geht schon die Angst um, es könnte sich keiner bereit erklären. Deshalb wird der Vorstand angehalten, einen Vorschlag zu machen. Dabei könnte es durchaus auch so sein, daß der Vorstand zwar einen Kandidaten im Hintergrund hat, aber erst einmal in der großen Runde nach Vorschlägen fragt. Natürlich gehört immer eine geheime Abstimmung dazu. Nur bei einer Vorstandswahl im Verein kann man auch einmal bei den weniger wichtigeren Ämtern zur Akklamation greifen, besonders wenn man froh sein muß, wenn es überhaupt jemand machen will.

Aber je mehr man nach oben kommt, desto mehr wird ein Parteitag „vorbereitet“. Da werden schon vorher die Strippen gezogen und auf Ausgewogenheit geachtet. Selbst beim Rücktritt eines Ministerpräsidenten wird schon zwei Stunden später sein Nachfolger benannt, ohne daß wenigstens die Fraktion befragt wurde. Wozu sind die Abgeordneten denn da noch da, wenn nur die „wirklich wichtigen Mitglieder“ entscheiden (Zitat aus einer Partei in Maintal.)?

 

Die eigentliche Macht liegt bei den Behörden:

„Demokratie“ heißt dem Wortsinn nach „Herrschaft des Volkes“. Aber es herrscht nicht das Volk, sondern eine Kaste von Berufspolitikern, die sich einmal entschlossen haben, „in die Politik zu gehen“. Aber auch diese herrschen nur teilweise, den sie hören auf Wissenschaftler oder auch nur „Gutachter“, sie studieren die Zeitungen und die Fernsehberichte und fürchten sich vor den Meinungsumfragen. Sie werden bedrängt von den Interessenverbänden von Wirtschaft, Gesundheitswesen, Geldwirtschaft und anderen. Vor allem aber sind sie abhängig von dem ausführenden Organ der Demokratie, der Regierung und Verwaltung.

Hier fallen ja die Einzelentscheidungen, die vor allem die Bürger betreffen. Man kann zwar gut reden von mehr Bürgerbeteiligung und Bürgerhaushalt. Aber wirklich mitreden können sie nur bei unwichtigen Dingen. Selbst die Stadtverordnetenversammlung, die ja das höchste Beschlußorgan der Stadt ist (über dem Bürgermeister als Spitze der Verwaltung) wird von der Verwaltung ausgetrickst.

Ein Beispiel aus Maintal: Ein externes Gutachten von 19 Seiten wurde angefertigt aus dem hervorging, daß in der Wachenbucher Straße in Höhe der Konrad-Höhl-Straße eine Bushaltestelle eingerichtet werden kann. So hat es auch die Stadtverordnetenversammlung beschlossen. Gebaut wurde sie aber am oberen Ende der Konrad-Höhl-Straße, wie das die Verwaltung immer wollte (übrigens unter starker Verengung des Gehwegs). Nun kann es natürlich sein, daß sich neue Gesichtspunkte ergeben und ein Beschluß geändert werden muß. Dann muß ihn aber das Gremium ändern, das ihn gefaßt hat. Die Verwaltung aber behauptete – auf diesen Tatbestand hingewiesen. – sie wisse nicht von einem solchen Beschluß (er stand in der Zeitung!). Aber es kann auch sein, daß der eine oder andere Stadtverordnete später nichts mehr von diesem Beschluß weiß.

Die Stadtverordneten werden sowieso oft genug von der Verwaltung über den Tisch gezogen und im Unklaren gelassen, was sie da eigentlich beschließen. Aber die Verwaltung beruft sich bei ihren Entscheidungen immer wieder auf die Stadtverordnetenversammlung. So war das zum Beispiel bei der Erneuerung des östlichen Maulbeerwegs. Die Stadtverordnetenversammlung hat nur den Haushaltsplan beschlossen. Der Bauauschuß hat nur die Mittel freigegeben und zugestimmt, daß der billigste Anbieter den Zuschlag erhält. Das sind im Grunde alles Selbstverständlichkeiten. Über Teerdecke oder Pflaster, Gehsteig oder nicht, Aufhebung der Sperrung usw. wurde nicht gesprochen. Diese Einzelheiten hat sich die Verwaltung vorbehalten. Und verschwiegen wurde natürlich auch, daß die Anlieger 90 Prozent der Kosten zahlen sollen.

Die Verwaltung und das wieder einmal von ihr beauftragte Planungsbüro haben hier alles anders gemacht als sonst in Hochstadt üblich:

1. Im Bücherweg blieb die Sackgasse erhalten, die Straße wurde mit Teer ausgebaut.

2. An der Bleiche wurde extra eine Sackgasse (mit Wendehammer) neu eingerichtet.

3. Der östliche Teil der Fahrgasse ist eine Sackgasse ohne Zugang zur Bahnhofstraße.

4. In der verkehrsberuhigten Gravensteiner Straße gibt es keine Parkplätze auf der Fahrbahn.

5. Dort wurden auch keine Bäume oder Strauchbeete auf die Fahrbahn gesetzt.

6. Mit den Anliegern im Maulbeerweg wurde kein städtebaulicher Vertrag geschlossen.

7. Es wurden teure braune Steine verwendet statt graue wie in der Gravensteiner Straße.

8. Die Pflanzbeete haben statt 1,50 Quadratmeter eine Größe von 8,5 Quadratmetern.

9. Kein Verbot für Lastkraftwagen wie zwischen Weinbergstraße und Reithalle.

10. Es wurde keine Einbahnstraße eingerichtet wie in der Kalkhaustraße oder Gänsseestraße.

Selbst 230 Meter des bisher 390 Meter langen Maulbeerwegs sind Einbahnstraße. Die ganze Straße könnte Einbahnstraße sein (so hat es schon 1962 die Gemeindevertretung entsprechend einer Auflage des Hessischen Straßenbauamtes beschlossen).

In der Praxis sieht Demokratie so aus, daß ein einzelner Planer oder Mitarbeiter der Stadtverwaltung alles entscheidet nach seinen Vorstellungen und selbst die parlamentarischen Gremien hinters Licht geführt werden.

Manches ist einfach Scheindemokratie. Da machen sich die Fraktionen der Stadtverordneten­versammlung viel Mühe mit dem Haushaltsplan. Aber dieser enthält einfach Luftbuchungen, damit genügend Manövriermasse für die Verwaltung und den Magistrat bleibt. Wie wäre es sonst möglich, daß man plötzlich neue Posten und Stellen schafft? Im Grunde werden die parlamentarischen Gremien doch nur als lästige Störenfriede gesehen, die man zwar fragen muß, denen man aber besser nicht alles auf die Nase bindet. Da muß man als Parlamentarier schon viel Optimismus und Einsatzbereitschaft mitbringen.

Die einzelnen Bürger dagegen haben gar nichts zu sagen. Sicher kann man nicht erwarten, daß der Staat alle Wünsche eines Einzelnen erfüllt, es geht nach der Mehrheit und dem allgemeinen Wohl. Aber wenn diese „Mehrheit“ dann aus einem einzelnen Entscheider besteht, ist das doch problematisch.

 

Der Magistrat versucht immer wieder einmal - zusammen mit der Verwaltung – die Stadtverordnetenversammlung auszutricksen. Da werden nur die Vorgaben der Verwaltung dargestellt und diskutiert, da muß die Stadtverordnetenversammlung schon viel Kraft aufbringen, um aus ihrer Mitte andere Vorschläge zu machen. Da wird eine Befragung unter der Bevölkerung gemacht, aber es werden Fragen und Antworten nur im Sinne der Regierenden vorgegeben (Beispiel: Rumpenheimer Weg). Wenn bei Bebauungsplänen die Öffentlichkeit beteiligt werden muß, dann werden alle Einwände niedergeknüppelt (oft ohne Begründung: „Der Anregung wird nicht gefolgt“), höchstens Rechtschreibefehler werden verbessert. Es darf ja nicht sein, daß die Verwaltung oder der Stadtrat einen Fehler gemacht hat. Oder es heißt immer wieder: „Dies ist ja nur ein Vorentwurf, wir könne noch nichts Näheres sagen, wir müssen erst noch Erkundigungen einziehen!“ Aber plötzlich muß alles ganz schnell gehen, da ist nicht einmal Zeit, die umfangreiche Vorlage bis zur Sitzung zu lesen. Wenn dennoch einmal die Stadtverordnetenversammlung anders beschlossen hat, dann wird die Sache auf die lange Bank geschoben oder Gutachten herbeigeholt oder Gesetze ausgegraben.

 

Weiteres Beispiel aus Maintal: Maulbeerweg:

Die Volksvertreter beschließen dann Gesetze, die aber notgedrungen nur allgemein sein können und nicht alle Einzelheiten des Lebens im Auge haben können. Die Ausgestaltung erfolgt dann durch die Regierenden und die Gerichte. Und dann kommt die Verwaltung ins Spiel, die dem Bürger dann als Machtinstrument gegenübertritt.

Diese kann zum Beispiel beschließen: Wir bauen dir jetzt eine neue schicke Straße vor die Haustür, schön teuer und mit allem Drum und Dran, ob du willst oder nicht, auch wenn du mit der bisherigen Straße zufrieden warst. Und weil das ein Vorteil für dich ist, mußt du auch dafür bezahlen in Form eines Erschließungsbeitrags oder eines Straßenanliegerbeitrags. Du darfst nicht mitreden, oder wenn du Einwände hast, werden diese alle abgeschmettert. Auch wenn du Nachteile durch die Maßnahme hast (zum Beispiel mehr Verkehr), spielen diese keine Rolle, der  e i n e  vermeintliche Vorteil genügt, um dich zur Zahlung zu zwingen; und das sofort, ein Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Und zum Gericht kannst du auch nicht gehen, die Gerichtskosten so hoch sind wie die Hälfte des Streitwerts.

Die Verwaltung hat sogar die Macht, die Zahlung nur von dir zu verlangen, aber nicht von deinem Nachbarn. In der Satzung steht, daß der Erschließungsbeitrag erhoben werden m u ß und da kein Spielraum besteht. Aber offenbar hat die Verwaltung die Macht, diese Satzung bei dem einen anzuwenden und bei den anderen nicht.

Die Demokratie ist die beste Regierungsform, die es gibt. Aber ein großer Teil der tatsächlichen Macht liegt in den Amtstuben. Weil man dort nach alter Tradition aber keine Fehler gemacht haben darf, hat der einzelne Bürger nur wenig Chancen.

Aktuelles Beispiel: Der Neubau des östlichen Teils des Maulbeerwegs in Maintal, der vorher nur geschottert war, aber nach der Verlegung von Versorgungsleitungen so ruiniert war, daß er neu gemacht werden mußte. Hier mußte für eine über hundert Jahre alte Straße noch ein Erschließungsbeitrag gezahlt werden (bei dem einen Anlieger waren das 71.000 Euro), während die anderen Anlieger des Baugebiets nichts zahlen mußten, weil ihre Straßen schon in den sechziger Jahren geteert worden waren und jetzt nur repariert wurden.

Genauso willkürlich ist die Festlegung einer „Pufferzone“ im Westen des Baugebiets, damit die Anwohner in der Masurenstraße von dem Lärm und Gestank der Firma Höhl geschützt werden. Das Land dort darf nicht bebaut werden und ist weniger wert als Grasland. Die Stadt aber hat an die Gutachterausschüsse des Kreises gemeldet, das gesamte Wohngebiet solle einen einheitlichen Bodenrichtwert von 290 Euro haben (obwohl dort Quadratmeterpreise von 100 bis 390 Euro gezahlt wurden). Ein Teil davon ist gar nichts wert, sondern verursacht nur Arbeit und Kosten. Der Bodenrichtwert spielt aber eine Rolle bei der Festlegung des Honorars für Landvermesser und Notar. Ohne die falsche Bewertung des „Unlandes“ wären es über 2.000 Euro weniger gewesen.

 

Ein weiteres Beispiel: Stellplätze auf dem Real-Gelände:

Ein typisches Beispiel für das Übergewicht der Verwaltung sind die Verhandlungen über die Bebauung des Geländes südlich des Opel-Kreisels (früher Real). Die Stadtverordnetenversammlung hatte festgelegt, daß laut Stellplatzsatzung pro Wohneinheit 1,5 Stellplätze bereitgestellt werden müssen, bei Altenwohnungen und geförderten Wohnungen nur einer. Die Stadt hat dann mit dem Investor Instone verhandelt und war auch mit 0,5 Stellplätzen bei den Altenwohnungen zufrieden.

In internen Protokollen, die der Presse vorliegen, begründet Instone die Unterschreitung damit, dass die geplante Mobilitätsstation, die Car-, E- und Lasten-Bike-Sharing anbieten soll, nur dann funktioniert, wenn „lediglich die Hälfte der Stellplätze nach Satzung errichtet würden“. Auch will Instone die Kosten für den Bau und den Betrieb einer fünfzügigen Kita nur für 20 Jahre übernehmen (Das ist in der Tat zu viel verlangt, Kindergärten sind Sache der Stadt). Erst am Ende der Verhandlungen wurde der städtebauliche Vertrag den Ausschüssen vorgelegt. CDU und FDP drangen daraufhin auf die Einhaltung der städtischen Bestimmungen. Aber das war schon bei Bouwfonds so, daß die Stadt bewußt die Augen zugedrückt hat, während den kleinen Leuten das Bauen mit allerhand Schikanen schwer gemacht wird.

 

Ein Brief an Martin Fischer (CDU) vom 17.20.2020:

Sehr geehrter Herr Fischer, im Interview mit dem Tagesanzeiger klagen Sie sich darüber, daß so wenig Bürger für Politik interessieren oder einbringen. Ich war 15 Jahre in einer Maintaler Partei, ging zu den Versammlungen und war auch im Vorstand. Aber zu sagen hatten nur die „wirklich wichtigen Leute“ (Formulierung eines Parteimitglieds). Die anderen akzeptierten das auch durchaus und sahen ihre Aufgabe nur darin, zu den Vorschlägen des Vorstandes die Hand zu heben.

Auch in der Stadtverordnetenversammlung ist das nicht anders. Wenn in einer Fraktion sechs Leute für eine Vorschlag sind und zwei dagegen, dann sollen die zwei sich der Mehrheit beugen und in der Stadtverordnetenversammlung mit den anderen abstimmen, weil man doch geschlossen auftreten muß. Als Herr Robanus der Vorsitzende der CDU war, sagte er zu dieser Frage: „Jeder kann anders abstimmen. Aber wenn er es ein zweites Mal tut, dann fragen wir ihn schon, ob er nicht in der falschen Partei ist!“

Ich kann nicht erwarten, mit allmeinen Vorschlägen durchzukommen. Andere habe ja auch ihre Rechte und sicher auch gute Einfälle. Aber wenn immer wieder Dieselben das Sagen haben, dann ist das nur ein Scheindemokratie. Natürlich kann man sagen, die Masse (die schweigende Mehrheit) ist ja selbst daran schuld, wenn sie nicht zum Zug kommt. Aber es ist auch Aufgabe der Verantwortungsträger, die anderen zur echten und gleichberechtigten Mitarbeit anzuleiten.

Dabei könnte es doch gerade im kommunalen Bereich um Sachfragen und den gesunden Menschenverstand gehen und nicht um Parteidisziplin. Bei einer Ausschußsitzung öffnet der größte Teil der Mitglieder den Umschlag mit den Unterlagen erst vor Ort, nur der Vorsitzende muß vorher alles gelesen haben. Das kann man nicht Mitarbeit nennen (es gibt allerdings auch positive Gegenbeispiele).

Die Stadtverordnetenversammlung (und auch die anderen Parlamente) läßt sich viel zu sehr von der Verwaltung leiten. Diese macht eine Vorlage, und diskutiert wird nur dieser Text - eigene Gedanken zu dem Thema macht man sich gar nicht mehr. Die Verwaltung verteidigt ihre Vorlage mit Zähnen und Klauen, denn schließlich sind sie ja die Fachleute und die Abgeordneten nur lästige Amateure. Das beste Beispiel dafür ist der sogenannte „Bürgerhaushalt“. An der einen oder anderen Stelle wird an den Vorlagen des Magistrats (= der Verwaltung) dann noch etwas gefeilt, und dann hat der Stadtverordnete den Eindruck, man habe etwas Eigenes geschaffen.

Wenn aber umgedreht eine Fraktion doch einmal etwas Eigenes vorträgt, dann wird das von der Verwaltung zerhackt und schlecht geredet. Da wird dann auf Gesetze verwiesen oder ein Vorschlag zur Finanzierung gefordert oder vorgebracht, man müsse sich erst noch informieren oder ein Gutachten einholen. Am Ende sitzt immer die Verwaltung (Magistrat und Fachdienste) am längeren Arm.

Auch im Magistrat herrscht seltsamerweise immer Einmütigkeit. Herr Unger hat mir ja einmal geantwortet, er wäre froh, wenn ihm im Magistrat immer gleich alle zustimmen würden. Aber in den Protokollen steht immer „Abstimmung 9 zu 0“. Vielleicht hat der eine oder andere schon Einwände gehabt, wurde aber dann doch „überzeugt“ von den Worten des „Fachmanns“ (zumal wenn dieser noch studierter Jurist ist). Die Parteien haben ja auch die Angewohnheit, die verdienten Hinterbänkler und Altenteiler in den Magistrat zu schicken.

Die fragen dann schon einmal, weshalb die Stadtverwaltung so viele Bleistifte verbraucht. Aber die Verschwendung von Hunderttausenden (zum Beispiel für Gutachten) wird nicht hinterfragt. Jedes Jahr gehen die Fraktionen in Klausur wegen des Haushaltsplans. Das ist alles verlorene Liebesmüh, weil die Verwaltung den Haushaltsplan dann doch kreativ ausführt und zum Beispiel immer einen Deckungsvorschlag für ihr Lieblingsprojekt hat.

Leider fehlt seit einiger Zeit ein wichtiges Mittel der Mitarbeit, nämlich der „Maintal Tagesanzeiger“ alter Art. Der druckte jeden Tag die Leserbriefe ab, manchmal eine ganze Seite, und diese wurden auch gelesen, von der Verwaltung, von den Stadtverordneten und von den Bürgern. Oft wurde widersprochen, aber dann doch der Anregung gefolgt. Zum Thema „Olympia-Regatta­strecke“ habe ich zehn Leserbriefe geschrieben und zum Thema „Sportstätte in der Grünen Mitte noch einmal zehn, bis Bürgermeister Rohrbach ein Machtwort sprach und die Sache beerdigte. Aber heute bringt der Hanauer Anzeiger nur noch selten Leserbriefe, und dann aus dem ganzen Altkreis Hanau. Ein wichtiges Mittel der Meinungsbildung ist damit verloren gegangen. Da muß man sich mit den vorhandenen Möglichkeiten zufriedengeben. Zum Teil hat allerdings das Internet diese Aufgabe der Bürgerplattform übernommen. Die Stadtverordnetenversammlung ist deshalb umso wichtiger.

 

Mit der Demokratie ist es so eine Sache. Aber es gibt nichts Besseres. Das gilt übrigens auch für den Kapitalismus. Nur müssen wir als Bürger in beiden Fällen wachsam sein und dem Kapitalismus die Zähne ziehen und der Verwaltung vermitteln, daß sie im Dienst der Bürger steht und nicht gegen diese.

 

 

 

 

 

 

 

 

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