Privater Bereich

 

Inhalt: Zeit, Freizeit, genormter Alltag, Sport, Film, Fernsehen, Kunst, privater Bereich

 

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Zeit

 

Sprichworte und Redensarten::

Kinder, wie die Zeit vergeht!

Kommt Zeit, kommt Rat!

Zeit heilt Wunden!

Der Zahn der  Zeit.

Keine Zeit verlieren.

Goldene Zeit

Spare in der Zeit, so hast du in der Not

Zeit ist Geld

Es ist höchste Zeit.

 

Ich habe keine Zeit:

Woran liegt es, daß wir heutigen Menschen so oft keine Zeit haben?

Wir haben zu viel Arbeit; denn wir wollen mitverdienen.

Wir nehmen uns zu viel vor.

Die Hausarbeit liegt meistens allein auf der Mutter

Wir haben keine rechte Zeiteinteilung, machen keine Pausen.

Es gibt auch bei gutem Zeitplan viele Störungen.

Wir vergessen oft, daß die Menschen wichtiger sind als die Dinge.

Wir nehmen uns auch zu wenig Zeit für uns selber und für die Stille vor Gott.

 

Wir sind nicht frei:

Die Aufgaben der Hausfrau und Mutter beanspruchen viele Stunden des Tages. Setzen wir zum Beispiel einmal den Fall: Die große Wäsche ist vorbereitet, da kommt Besuch. Wer ist nun „Herr“ unserer Zeit? Oder: wir haben uns vorgenommen, im Garten zu graben, da muß das Kind zum Zahnarzt. Oder: den Stopfkorb haben wir uns für den Abend aufgehoben, da kommt der Mann und will, daß wir zu einer Betriebsveranstaltung mitgehen. Wir geraten in einen Konflikt der Pflichten. Wir sehen, nicht wir selber bestimmen über unsere Zeit, sondern oft genug müssen wir unser Programm umwerfen und das tun, was der Augenblick von uns fordert.

Keine Zeit zu haben ist fast so etwas wie ein „Statussymbol“ tüchtiger Menschen, die in der Familie und in der Gesellschaft und in der Gemeinde oder in allem aktiv sind. Heute ist es sogar ein geflügeltes Wort: „Rentner haben keine Zeit“. Aber verbirgt sich dahinter nicht die Angst, nicht mehr leistungsfähig zu sein?

Wir meinen, wir hätten keine Zeit für uns und auch viel zu wenig Zeit für die, die mit uns leben und die uns brauchen. Wir können Zeit herausschlagen oder die Zeit totschlagen, wir können sie sparen oder verlieren, verbrauchen oder verschwenden. „Zeit ist Geld“ sagt man. Aber Gedanken und Entscheidungen müssen auch in uns reifen, so wie die Natur in ihrem Rhythmus lebt, damit Früchte sich entwickeln können. Und wenn etwas in mir reif geworden ist, dann kann ich loslassen, um etwas Neues und Anderes zu tun. Wenn ich losgelassen habe, kann ich auch aufbrechen mit neuen Kräften und Energien.

Keine Zeit zu haben ist ein Zeichen des gestörten Verhältnisses zu Gott. Gott will uns helfen, Meister unsrer Zeit zu werden. Wer täglich nach Gottes Willen fragt, für den werden seine Aufgaben und Vorhaben schon ins rechte Licht rücken. Er wird seine Arbeit richtig abschätzen und ohne Hetze tun und auch einmal etwas sein lassen. Wer sich Zeit nimmt für das Gebet, der hat auch Zeit für alles andere.

 

Zeitkrankheit:

Ernst Lange, Pfarrer in Berlin, meint: „Es liegt nicht daran, daß wir keine Zeit haben, sondern daß unser Verhältnis zur Zeit krank und verdorben ist!“ Er beschreibt die Krankheit so:

 a) Kranksein an der Vergangenheit: Wir haben ein schlechtes Gedächtnis und können so die Erfahrungen der Vergangenheit nicht genügend auswerten und müssen immer wieder neu lernen. Wir träumen aber auch einer angeblich besseren Vergangenheit nach und werden dadurch voreingenommen gegenüber der Gegenwart. Und weil uns oft eine unbewältigte Schuld quält und zur Selbstrechtfertigung zwingt, streben wir nach Leistung und Vergnügen.

b) Kranksein an der Zukunft: Wer hoffnungslos und ziellos ist, verfällt in Angst oder

Rausch, in Gehemmtheit oder Hemmungslosigkeit. Wer sich falsche Illusionen

über die Zukunft macht, versäumt entweder die Gegenwart (unfruchtbares Träumen, übertriebener Kraftaufwand) oder vergewaltigt sie (mit politischen Illusionen). Es fehlt die Ausrichtung auf ein Ziel.

c) Kranksein an der Gegenwart: Der Mensch ist dann in sich selbst verschlossen und mit sich selbst beschäftigt, weil er unter einem Mangel an Liebe leidet, und zwar ein Mangel an Ge­liebt­werden und Liebesbereitschaft.

 

Die erste Folge dieser Krankheit ist die Hetze:

Jedem von uns ist bei seiner Geburt eine genaue Summe von Lebensstunden zugeteilt worden. Aber keiner weiß, wie viele das sind. Deshalb sind wir laufend zu Ausgaben gezwungen, ohne zu wissen, über wieviel Zeit wir eigentlich verfügen dürfen. Kein Wunder, wenn dann manchem der Angstschweiß ausbricht, weil er nicht den Anschluß verpassen möchte und nicht vor der Zeit mit seinem Zeitguthaben zu Ende sein möchte.

Viele Menschen können gar nicht mehr ruhig sitzen und gar nichts tun. Sie wissen mit ihrer Freizeit nichts anzufangen. Weil ihnen bei der Arbeit das Denken abgenommen wird, wollen sie auch nicht außerhalb der Arbeitszeit nachdenken. Es gehört eben schon einige Energie dazu, die Freizeit nach eigener Phantasie zu gestalten. Wegen der Übermüdung peitscht man sich mit Koffein, Zigaretten und anderer Reizmitteln auf, und die Folge ist die Managerkrankheit und der plötzliche Zusammenbruch.

Manfred Hausmann schreibt in seinem Buch „Martin“: „Seit die Uhr erfunden ist, die richtig gehende Uhr, gibt es keine freien Menschen mehr, sondern nur noch Sklaven. Die Uhr hat alle unter ihre Gewalt gezwungen, die Armen wie die Reichen, die Arbeiter wie die Könige. Vor der höchsten Stelle der Stadt, oben von den Kirchtürmen, blicken sie drohend über die Häuser und über die Straßen hin bei Tag und Nacht. Sie haben sich in die Arbeitszimmern und Kontore, in den Wohnzimmern und Schlafstuben eingenistet. Sie ringeln sich vollends wie Schlangen um die Handgelenke von jung und alt, damit sie die Menschen noch besser hetzen und quälen können!“

 

Die zweite Folge der Zeitkrankheit ist die Langeweile:

Das überreiche Angebot unserer Konsumwelt führt schließlich doch zur Enttäuschung und schließlich zur Langeweile und zum Lebensüberdruß. Wenn die Überlastung durch äußere Anforderungen darr weggenommen ist (etwa im Urlaub), dann müssen viele Menschen

auf einmal die Zeit totschlagen. Einerseits hat man nie Zeit, aber andererseits schlägt man sie tot - beides steht oft unmittelbar nebeneinander.

Wenn der Bus ankommt und der Arbeitstag zu Ende ist, dann wird das Kofferradio oder das Smartphone hervorgeholt und ziel- und planlos durch die Straßen geschlendert. Noch schlimmer ist es oft an den Sonntagen, wenn „nichts los ist“. Viele suchen sich dann krampfhaft eine Beschäftigung, um nur ja nicht zur Ruhe zu kommen. Die Arbeit geschieht

ja freiwillig; aber es werden alle möglichen Gründe vorgeschoben, weshalb die Arbeit angeblich unbedingt notwendig ist.

Deshalb müssen wir es erst wieder lernen, unorganisiert zusammen zu sein und die Freizeit sinnvoll zu nutzen. Die Zeit ist eine herrliche Gabe, die wir erst wieder entdecken und gebrauchen lernen müssen. Wir brauchen Improvisation im Spielen und das Feiern und die freie Begegnung in kleinen und kleinsten Gruppen. Es muß ja nicht immer alles so schrecklich gut klappen. Wichtiger ist, daß zwischen Menschen etwas geschieht und Freude dabei ist.

Es gibt aber immer auch noch Menschen, die in allem zeitlichen Bedrängtsein doch Zeit habe- für andere.

 

Zeit ist relativ:

„Zeit haben“ ist nicht ein mengenmäßig zu messender Begriff, sondern eine innere Haltung. Wer die richtige Einstellung zur Zeit findet, der hat auch Zeit. Jeder Mensch hat seine Zeit. Wenn er sie nicht hätte, würde er ja nicht leben. Jede Zeit ist einmalig und nicht identisch mit der eines anderen. Keiner kann sich wünschen, zur Zeit Jesu gelebt zu haben. Auch kann keiner hundert Jahre später leben wollen, weil dann Technik und Forschung weiter entwickelt sein werden. Wir leben alle nur heute. Deshalb heißt es in Eph 5,16: „Kaufet die Zeit aus!“

Jeder Mensch hat aber auch ein anderes Zeitmaß. Die Zeit der Uhr ist anders als die Zeit unseres Lebens. Auf der Uhr sind alle Minuten gleich lang. Aber in unserem Leben können sich Minuten zu einer Ewigkeit dehnen, besonders die Minuten vor schweren und bangen Entscheidungen oder wenn wir etwas Unangenehmes zu überstehen haben. Und dann wieder können Stunden und Jahre im Flug vorübergehen. Für Dinge, die uns interessieren oder bei denen etwas für uns herausspringt, haben wir ja auch Zeit. Bei anderen wichtigen Dingen aber fehlt sie angeblich.

Gott hat uns die Zeit gegeben - vor Eile hat er nichts gesagt! Die Eile ist vom Teufel, sagen die Türken. Deshalb sind wir zum verantwortungsvollen Gebrauch unserer Zeit aufgefordert. Gott gibt uns nur eine kurze Spanne Zeit zum Leben. Aber die Ewigkeit hängt davon ab. Oft nehmen wir uns auch vor, es künftig besser zu machen.

Zuerst erscheint es uns auch leicht, aus der Zeit etwas Ordentliches zu machen. Aber hinterher ist doch wieder alles nur Geschwätz gewesen.

Natürlich ist es auch nicht die richtige Haltung, wenn einer sagt: „Freut euch des Lebens, solang noch das Lämpchen glüht, pflücket die Rose, eh' sie verblüht!“ Nur sinnvoll gefüllte Zeit ist Zeit im Sinne Gottes. Er will uns zur richtigen Einstellung gegenüber der Zeit verhelfen. Er will uns helfen, Meister unserer Zeit zu werden. Wer täglich nach Gottes Willen fragt, wird schon erfahren, wie seine Aufgaben und Vorhaben ins rechte Licht rücken. Er wird nicht mehr zwischen Überforderung und Leerlauf hin- und herpendeln. Er wird seine Arbeit in der richtigen Abschätzung und ohne Hetze tun und auch einmal etwas sein lassen.

 

Wir haben viel Zeit:

Wir haben viel Zeit. Rechnen wir doch einmal aus, wieviel Sekunden eine Woche hat! Es sind 604.800 Sekunden! Der beliebte Satz: „Ich habe keine Zeit!“ ist also ein Schwindel. Jedem von uns stehen 24 Stunden am Tag zur Verfügung. Auch wenn man die Arbeits- und Schlafenszeit abzieht, bleibt noch genügend Zeit zur freien Verfügung. Zumindest ist der Anteil an frei verfügbarer Zeit heute größer als in früheren Jahrzehnten.

Jedem bleibt ein Guthaben an freier Zeit, dem einen mehr, dem anderen weniger. Sollte bei einem gar nichts an Zeitguthaben bleiben, so wäre gemeinsam zu untersuchen, woran das liegen könnte: Entweder hat er seine freie Zeit zuwenig übersehen, oder er hat wirklich keine richtige Zeit- und Arbeitseinteilung und verzettelt sich. Wir beachten: Etwas „Trödelzeit“ braucht jeder! Aber Zeit für andere zu haben ist auch gut und wichtig. Wir werden merken, daß uns selbst daraus Freude entsteht. Zeit haben ist eine innere Haltung: Wer die richtige Einstellung zur Zeit findet, der hat auch Zeit.

Wieviel unserer Zeit geben wir Gott? Gott gibt uns Zeit für Gott, für uns selbst, für den anderen.

 

 

Gott gibt uns Zeit

1. für uns:

Bei vielseitiger Beanspruchung wird die Zeit zu kurz. Die Tage werden zu kurz, das Leben wird zu kurz n und deshalb haben wir immer das Gefühl, zu kurz zu kommen. Aus diesem Gefühl des Zukurzkommens bildet sich unsre Kurzatmigkeit. Wenn wir die ernst einmal haben, dann bleibt keine Zeit mehr, einem Ding, einem Menschen oder sich selbst zu begegnen; dann bleiben die Erlebnisse nur flüchtige Randerlebnisse und dann wird der Lebensgrund flach und flacher.

Deshalb brauchen wir auch einmal eine Pause, in der wir nach innen gehen und nach innen hören. Wir müssen auch einmal über uns selbst nachdenken. Dazu gibt es viele Möglichkeiten: Musikhören, Buch lesen, ein Gang durch die Natur (Wasser, Wald), Losunglesen am Morgen, Entspannungspause am Mittag, Kaffeetrinken am Feierabend - das gibt wieder Kraft und Ruhe, besonders bei anstrengender Arbeit, sei es nun körperlicher oder nervlicher Art.

Wenn einer jeden Morgen eine halbe Stunde mit dem Bus zur Arbeit fährt, kann er doch gut über seine Familie und seine Kollegen nachdenken. Unter der Trockenhaube beim Friseur kann man die Kirchenzeitung lesen und viel für sich selber mitnehmen. Oder da liegt eine Frau unter einem Bestrahlungsgerät im Krankenhaus und sagt Bibelsprüche und Gesangbuchverse vor sich her; hier hat sie Zeit und kann sich auch zu Hause immer auf diese Zeit vorbereite, sich alles schon einmal ansehen. So wird man frei vor Erlebnissucht und dem Jagen nach ständig neuen Erlebnisinhalten.

 

2. für die anderen:

Es gibt viele Menschen unter uns, die könnten sagen: „Für mich hat keiner Zeit!“ Vor allem die Alten und Kranken, aber auch die Kinder. Dabei gilt es nur, den richtigen Abstand zu den sogenannten „Pflichten“ zu finden, die wir für so selbstverständlich halten. Dann bekämen die Pflichten mehr Gewicht, für die wir nur Zeit haben, wenn alles andere erledigt ist.

Viele Mütter sehen es als ihre selbstverständliche Pflicht an, ihre Kinder sorgfältig zu ernähren, anständig zu kleiden und hygienisch sauber zu halten. In dieser Pflicht erschöpfen sie ihre Kraft und meinen damit alles getan zu haben. Doch zu den Mutterpflichten gehören genauso Zärtlichkeit, fröhliches Spiel und seelische Verbundenheit mit den Kindern. Die Hygiene der Seele ist noch wichtiger als die Hygiene des Körpers.

In einen Gebet heißt es: „Ewigkeit, in die Zeit leuchte hell hinein, daß uns werde klein das Kleine und das Große groß erscheine!“ (M. Schmalenbach). Wer das bitten kann, der wird auch Zeit gewinnen für die wirklich wichtigen Dinge. Je mehr wir uns von Gott die Zeit einteilen lassen, umso mehr haben wir Zeit für die Menschen, mit denen wir leben. Wie fröhlich kann man aber bei der Arbeit sein, wenn sie in der Sorge und Liebe für den Nächsten geschieht. Sogar die Überstunde für die kranke Kollegin gewinnt dann noch ihren Glanz.

„Nur der liebende Mensch hat Gegenwart“. Der Liebende, das ist der Mensch, der hergeben kann, der sein eigener Ansprüche verkürzt, um für andere da zu sein. Wenn wir einem alten oder kranken Menschen unsere Zeit widmen, dann beschenken wir ihr nicht, sondern wir werden beschenkt von ihm fortgehen, weil wir seine dankbaren Augen sehen. Vielleicht stört so ein Besuch unseren ganzen Tageslauf. Aber Jesus macht diesen Augenblick zum entschei­densten des ganzen Lebens, indem er sagt (Mt 25): „Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“

Oft merkt man erst hinterher, daß es besser gewesen wäre, Zeit zu haben, für sich selber und für andere (vgl. die Geschichte „Helga“). Wir kennen alle versäumte Stunden und verpaßte Gelegenheiten.

Aber Gott will uns dennoch helfen. Er hat ja seinen Sohn in die Zeit hineinbegeben, um uns zu helfen. Jesus hatte Zeit für alle, die ihr brauchten. Aber in dem Maße, wie ich mein Leben zu ihm in Beziehung setze, erkenne ich ihn als Herrn meiner Zeit an. So werde ich frei vom Zeitdruck und von der Angst um das Ende meiner Zeit. Jesus wird uns nicht vergessen, wenn unsre irdische Zeit zu Ende ist. Mitten in unserer Zeit beginnt so schon die Ewigkeit.

Wir müssen ihm gegenüber Rechenschaft ablegen über unsre Zeit, über jede vertrödelte Stunde und jeden verlorenen Tag. Die recht genutzte Freiheit gehört allerdings nicht dazu, wenn sie dem Anderen oder der eigenen Entspannung dient. Der wirkliche Urlaub und der nötige Schlaf sind ebensogut genutzte Gotteszeit wie die Ausübung eines Berufs, der uns zufrieden macht und dem Mitmenschen dient. Aber Gott kennt unsre Zeit und fordert eine Abrechnung über die Zeit von uns (vgl. „Sein Leben war Arbeit“).

 

3. für Gott:

Gott nahm sich Zeit für uns, indem er sich im Erdenleben seines Sohnes uns offenbarte. Wieviel Zeit haben wir für ihn? Den „Zehnten“ unserer Zeit geben wir noch lange nicht. Wer aber von 168 Stunden in der Woche nicht ein oder zwei Stunden für Gott Zeit hat, dem ist Gott noch nicht groß genug, der weiß noch nicht, was wirklich not tut.

Es gibt ja Menschen, die sagen: „Wenn ich zum Gottesdienst gehe, vergeude ich Zeit; ich habe nicht das Gefühl, etwas verpaßt zu haben, wenn ich nicht hingehe. Es gibt bessere Unterhaltung als ein Jugendabend von der Kirche. Ich verplempere meine Zeit nicht mit Bibellesen, denn dort ist mir sowieso alles unverständlich und ohne Zusammenhang und es sagt mir nichts. Vor dem Essen habe ich manchmal gebetet und manchmal nicht; aber das Essen hat mir beide Male genauso geschmeckt: Beten ist ja nur Zeitverschwendung, es ist ja noch nie etwas geschehen, wenn ich gebetet habe!“

Wenn der Inhalt des Lebens nur im Geldverdienen besteht, dann kann mir die Kirche freilich nichts bieten, dann verplempere ich nur meine Zeit mit ihr. Damit wir aber auch einmal anders denken, stört Gott mit seinem Gebot den Ablauf unserer Zeit und fordert Zeit von uns.

Der Gottesdienst zerstückelt den wunderbar freien Sonntagvormittag. Das tägliche Gebet raubt mir köstliche Minuten des Schlafs, hält mich gar von der Arbeit oder Erholung ab. Gott aber gibt mir durch sein Gebot das Recht, die allerwichtigste und ernsteste Arbeit liegenzulassen. Er tut so, als käme es auf die fünf Minuten Schlaf gar nicht an und gibt mir ein gutes Gewissen zur Zeitverschwendung. Sobald man aber einmal aus der rasenden Fahrt der Zeit heraus ist und sich das Ganze von außen betrachtet, merkt man, daß er ja eigentlich recht hat.

Die Lebensregel für die Benediktinermönche lautet: „Bete und arbeite!“ Was arbeiten heißt, wissen wir. Mit dem Beten kommen wir aus Mangel an Übung weniger gut zurecht. Aber vielleicht kommt die Zeit nur deshalb so ins Rasen, weil wir über dem Arbeiten das Beten vergessen haben. Nicht die Technik vergewaltigt unser Leben, sondern wir selber.

Von der Zeit, die keiner mehr hat, haben wir nun gesprochen. Keine Zeit haben ist aber ein Zeichen eines gestörten Verhältnisses zu Gott. Wer dieses Verhältnis wieder in Ordnung bringt, der fängt an, sich wieder Zeit zu nehmen, obwohl er gar keine hat. .Wir h a b e n auch keine Zeit! Unsre Zeit steht in Gottes Händen! Zeit ist Gnade! „Es liegt nicht an jemandes Wollen oder Laufen, an seinem Tempo, sondern an Gottes Erbarmen!“ (Röm 9,16)

 

Gib, daß ich tu mit Fleiß, was mir zu tun gebäret,

wozu mich dein Befehl in meinem Stande führet.

Gib, daß ich's tue bald, zu der Zeit, da ich soll,

und wenn ich's tu, so gib, daß es gerate wohl.

 

Es mag sein, so soll es sein!

Faß ein Herz und gib dich drein;

Angst und Sorge wirds nicht wenden.

Streite, du gewinnst den Streit!

Deine Zeit und alle Zeit

stehn in Gottes Händen.

 

Gott gibt uns Zeit. Mit dieser Gabe beginnt unsere Lebensuhr hörbar zu ticken. Zeit haben bedeutet Leben haben. Aber man wäre völlig weltfremd, wollte man annehmen, wir fänden stets die Zeit, unser Leben so zu gestalten, daß es uns und anderen Freude macht. Es gibt Zeiten, da leben wir nicht, sondern „werden gelebt“ und wissen dabei oft nicht, wo uns der Kopf steht. Nach dem Glaubenszeugnis der Schöpfungsgeschichte gibt Gott uns nicht nur Zeit; er eröffnet uns auch die Möglichkeit, unsere Zeit einzuteilen. Sonne, Mond und Sterne, bis dahin als Schicksalsgötter verehrt, haben jetzt Hilfestellung bei der Entstehung unserer Kalender zu leisten. Wenn wir allerdings rückfällig werden und unsere Terminkalender wieder zu neuen Göttern machen, die über uns herrschen, ist das unsere, und zwar äußerst üble Sache. Gott gibt uns zu der Zeit auch die Vernunft, unsere Zeit einigermaßen ordentlich einzuteilen.

Ein besonderes Kapitel im Zusammenhang des „Zeithabens“ ist das Schlafen. Seit wir vergessen haben (aus lauter Zeitmangel), daß der Herr es „seinen Freunden schlafend gibt“, ist uns nicht nur ein Psalmwort (127,2) verlorengegangen. Uns ist auch die Courage abhanden gekommen, trotz unerledigter Arbeiten mit dem allerbesten Gewissen tief und lange auszuschlafen. Nun hat man Zeit, hellwach alle Sorgen zu bedenken, die einen nachts bekanntlich immer wie durch ein Vergrößerungsglas gesehen bedrängen. Könnte man doch schlafen! Jesus hat geschlafen. Der Sturm tobte nicht schlecht, die Jünger verloren fast die Nerven. Jesus konnte im Vertrauen schlafen. Könnte man Schlafgestörten helfen, dem vertrauenden Jesus zu vertrauen, würde das möglicherweise noch in einer tieferen Schicht helfen, als es die anerkannt guten Tabletten tun.

 

Gott gibt uns Zeit - aber nicht unbegrenzt. Er läßt Menschen „alt und lebenssatt“ in tiefem Vertrauen sterben. Tote haben keine Zeit mehr. Sie haben nur noch Gott. Jesus ist mit dreißig Jahren - wie es einmal formuliert wurde - einen „unnatürlichen Frühtod“ gestorben. Ein „unnatürlicher Frühtod“ geht unter uns um. Wir tun, als hätten wir keine Zeit, und wir führen einen Lebensstil, der unsere Zeit, unsere Lebenszeit unnatürlich verkürzt. Wer weiß die genaue Zahl der Jugendlichen, die alljährlich in der Welt den Verkehrstod sterben? Jesus ist gestorben, die Macht des Todes zu brechen. Unser unsinniger Umgang mit der Zeit droht - trotz der erhöhten Lebenserwartungen - dem Frühtod eine neue Machtposition zuzuspielen. Verantwortlicher Umgang mit der Zeit ist auch verantwortlicher Umgang mit dem Leben, und zwar mit eigenem und mit fremdem Leben. An der Art, wie wir Leben schonen oder gefährden, wie wir Lebenszeit bedrohen oder füllen, ist ablesbar, ob wir bewußt in der Nachfolge leben oder nicht. Wieso?

Jesus hat seine Zeit damit erfüllt, daß er Leben dem unnatürlichen Tode abgerungen und geheilt hat. Jesus hat seine Zeit damit erfüllt, daß er Feste mit Leuten feierte, die von anderen diskriminiert wurden. Durch Heilen und Feiern hat er uns den vorgestellt, für den er sich mit seinem Leben verbürgt hat: seinen Vater. Die Feinde Jesu beendeten seine Lebenszeit mit Gewalt. Wenn Gott ihn auferweckt, zeigt er damit, daß der Mann, der die Menschen heilen und zu dem großen Freudenfest bringen soll, lebendig ist und bleibt.

Die Zeit der Glaubenden ist eine erfüllte Zeit. wenn

- wir dafür sorgen, daß die Freude an der Auferstehung immer größere Kreise zieht

- wir die Zeit so benutzen, daß der unnatürliche Frühtod vertrieben wird

-  wir alle eine kleine Vorahnung davon bekommen, wie die Zukunft sein wird, in der wir keine Zeit, sondern nur noch Gott haben werden.

 

 

Ich habe Zeit

Die Überschrift ist fast eine Herausforderung. Wer sagt das schon? Viel öfter hören wir den Satz: „Ich habe keine Zeit!“ Keine Zeit für dich, keine Zeit für mich, jede Minute ist verplant. Keine Zeit zu haben gilt fast als Statussymbol für tüchtige Leute. Früher unterschied das Zeithaben die Unabhängigen von den Abhängigen. Das sollte uns zu denken geben. Durch Fünftagewoche, verlängerten Urlaub und andere soziale Errungenschaften haben wir mehr Zeit als die Generationen vor uns. Dazu kommen Arbeitserleichterungen und Zeitersparnis durch Technik und moderne Verkehrsmittel. Es liegt also nicht an der Zeit, sondern an unserem Umgang mit ihr, wenn wir dauernd in Zeitnot sind.

 

1. Zeit für mich:

Jeder Tag ist ein Geschenk Gottes an mich. Ich kann darüber verfügen, indem ich entscheide, wie ich meine Zeit einsetze und plane, soweit sie mir nicht durch Pflichten oder Krankheit genommen ist. Aber die Zeit ist begrenzt auf die Spanne zwischen Geburt und Tod. Ich habe Zeit, solange ich lebe und solange ich atme. Noch habe ich Zeit. Doch ich weiß: Meine Lebenszeit kann schnell zu Ende gehen. Deshalb gilt es, die Zeit auszukaufen.

Wer nimmt sich schon Zeit für sich selbst und hat ein gutes Gewissen dabei? Zwei gegensätzliche „Typen“, die uns in diesem Zusammenhang einfallen, sind „Egoisten“ und „Gammler“, beide mit negativem Vorzeichen. Warum eigentlich? Beide ergaunern sich „fremde“ Zeit, das heißt. zu Lasten anderer und auf Kosten ihrer Umwelt, und sind deshalb negativ zu bewerten. Aber: Die beiden folgenden weniger überspitzten Beispiele machen deutlich, daß weithin wenig Verständnis dafür besteht, wenn ich „Zeit für mich selbst“ fordere: Berufstätigen Frauen wird eine solche Forderung im allgemeinen als Luxus angekreidet, besonders, wenn sie Familie haben; Alleinlebenden begegnet man mit ausgesprochenen oder unausgesprochenen Vorwürfen, wenn sie nicht ständig bereit sind, einzuspringen und auszuhelfen.

An dieser Stelle ist Umdenken nötig. Es ist gleich, ob es eine Stunde oder ein anderer Zeitabschnitt ist. Die Zeit, die uns persönlich gehört, sollte ihren festen Platz im Tagesablauf haben. Nur dann wird sie von den Menschen, die mit uns leben, akzeptiert und schließlich als natürlich und selbstverständlich hingenommen.

Wenn wir damit Ernst machen wollen, so müssen wir die vorhandene Zeit gut einteilen und nutzen. Wenn wir uns täglich kurz notieren, was wir getan haben und wann wir es getan haben, so werden wir unsere persönlichen Zeitreserven entdecken und für uns fruchtbar machen können. Das heißt, wir sollten diese Pausen keinesfalls nun auch noch mit dem gewöhnlichen Alltagskram füllen, auch dann nicht, wenn die Familie oder die Kollegen das von uns erwarten. Wir brauchen diese Zeit für uns, damit nicht alle unsere schöpferischen Kräfte allmählich verschüttet werden. Jeder von uns ist in seinem Beruf und Alltag nur zum Teil gefordert. Was aber brachliegt über längere Zeit, das verkümmert. Auch dem angesehensten Spezialisten fehlt Entscheidendes, wenn ihm über seinem einseitigen Studium die spontane Freude am schöpferischen und spielerischen Tun verlorengegangen ist.

Ein anderes Verhältnis zur Zeit hatten die Menschen in der Südsee, denen der Häuptling Tuiavii von seinem längeren Aufenthalt in Europa berichtet; er sagt vom weißen Mann: „Ich glaube, die Zeit entschlüpft ihm wie eine Schlange in nasser Hand, gerade weil er sie so festhält. Er läßt sie nicht zu sich kommen. Wir wissen, daß wir immer noch früh genug zu unserem Ziele kommen und daß uns der große Geist nach seinem Willen abberuft, auch wenn wir die Zahl unsrer Monde nicht wissen. Wir müssen ihm verkünden, daß von Sonnenaufgang bis Untergang viel mehr Zeit da ist, als ein Mensch gebrauchen kann (aus: Der Papalagi, Tanner und Staehelin-Verlag, Zürich).

 

2. Zeit für andere

Es dauert manchmal länger, einem Menschen zu erklären, warum wir jetzt keine Zeit für ihn haben, als es dauern würde. ihm ein wenig zuzuhören. - Nicht jeder, der uns braucht, will uns ja die Zeit stehlen. Wo das allerdings klar ist, weil es offensichtlich nur um Klatsch und Tratsch geht, da sollten wir freundlich, aber bestimmt einen Punkt setzen und uns entfernen. Spüren wir aber, daß uns jemand gerade jetzt wirklich braucht, dann sollten wir auch den Mut aufbringen, etwas von unserer Zeit mit leichter Hand zu verschenken.

Wer von uns wagt denn ernstlich zu entscheiden, oh das, wofür wir diese Zeit bereits geplant haben, wichtiger ist als das, wofür ein anderer eben während dieser Zeitspanne uns braucht? Es gibt aber eine Rangordnung der Pflichten. Dadurch kann es geschehen, daß wir ein Gespräch oder eine Hilfeleistung verschieben müssen. Dann ist ein klares Wort für unseren Partner besser, als wenn wir ihm vor Unruhe gar nicht richtig zuhören können. Dazu gehören dann aber eine einleuchtende Begründung und ein Terminvorschlag in nicht allzu ferner Zeit. Wer es ausprobiert hat, kann es gewiß bestätigen: Auf diese Weise verschenkte Zeit ist nicht verloren. Hinterher können wir oft nur dankbar staunen, was in den einen Tag alles hineinpaßte.

Auch Menschen brauchen unsre Zeit. Das können die Mitglieder der Familie sein oder Menschen, mit denen wir arbeiten. Es könnten aber auch Menschen sein, die uns auf den Straßen und in den Geschäften auffallen, weil sie immer einmal stehenbleiben müssen oder sonst Mühe haben, das Leben mit seinen Schwierigkeiten zu bewältigen. Gott hat uns die Zeit auch für die Mitmenschen gegeben.

Zeit kann auch einmal ein Geschenk sein zum Geburtstag oder zu Weihnachten, für einen Stadtbummel mit einem alten Menschen oder für einen Zoobesuch mit dem Patenkind etwa. Wir sollten uns da etwas einfallen lassen. Es gehört Liebesmühe dazu, wenn man einen vollen Terminkalender hat, aber es lohnt sich. Und wenn es gelingt, hat man sich ein Stück persönliche Freiheit zurückerobert.

 

3. Zeit für Gott

Wenn Martin Luther sehr viele Aufgaben vor sich sah, hat er zuerst lange Zeit gebetet. Auch wir können uns jeden Tag von Gott beschenken lassen mit Gaben, die uns helfen, unsere vielfältigen Aufgaben zu tun. Wieviel von den 24 Stunden des Tages nehmen wir uns Zeit für unser Gespräch mit Gott? Wie oft meinen wir, wir hätten keine Zeit, am Sonntag zum Gottesdienst zu gehen - obwohl wir alle schon den Segen aus dieser Stunde erlebt haben.

Wenn wir darüber nachdenken, woher die überforderten Frauen in früheren Zeiten ihre Kraft nahmen für die große Familie. die harte Hausarbeit, den ständigen Kampf gegen Krankheit aller Art, so stoßen wir immer wieder auf das Gebet oder den Frühgottesdienst. Nur dort hatten sie einmal am Tag eine Zeit der Stille, die ihnen niemand streitig machte. Dort wurden sie los, was sie bedrückte, und bekamen Kraft für ihren schweren Tag.

Bei uns ist dieser wohltuende Tagesbeginn weithin zusammengeschrumpft oder ganz verlorengegangen. „Sei fünf Minuten still“ heißt ein vielgebrauchtes Andachtsbuch. Schon das kann helfen. Aber wir wollen auch bedenken, daß es im alten Gottesvolk alle sieben Jahre ein ganzes Sabbat-Jahr gab (3. Mose 25), um Menschen und Land die schöpferische Ruhe zu geben, die aus Gott kommt und die das Leben braucht.

Was haben wir mit dem einen Ruhetag gemacht, den Gott uns als Lebenshilfe und gute Ordnung geschenkt hat? Seit wir den freien Sonnabend haben, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für „zweckentfremdete“ Sonntage. Denn auch das muß gesagt werden: Zeit ist für uns Christen ein Geschenk Gottes, für das wir einmal Rechenschaft ablegen müssen.

 

 

Ich habe keine Zeit, in die Kirche zu gehen!

Eine Mutter:

Ich habe drei kleine Kinder und niemanden, der Sonntag früh auf sie aufpassen kann. Und der Kindergottesdienst ist ja erst nach dem Gottesdienst für die Erwachsenen. Einmal habe ich den Ältesten mit in die Kirche genommen. Aber er zappelte mit den Beinen, drehte sich herum und lenkte die anderen Leute ab. Eine Frau schimpfte ihn. Da fing er an zu weinen. Ich mußte ich mit ihm gehen.

Pfarrer: Es wäre wirklich gut, wenn wir die Kinder während des Gottesdienstes gesondert betreuen könnten. In England ist meist in der Kirche noch ein kleiner Raum extra dafür abgeteilt. Aber vielleicht kann auch einmal ein größeres Mädchen aus der Nachbarschaft auf die Kinder aufpassen. Oder die Oma bleibt einmal vom Gottesdienst zu Hause, damit die Tochter oder Schwiegertochter gehen kann.

 

Ein Arbeiter:

Ich muß jeden Morgen um 4 Uhr aufstehen und komme erst um 17 Uhr heim. Sonntags will ich einmal ausschlafen, denn am Samstag wird es auch meist nichts. Am Sonntag spielt sich vor 11 Uhr bei mir nichts ab.

Pfarrer: Der Gottesdienst um 10 Uhr ist natürlich keine heilige Zeit. Ein Abendgottesdienst wäre auch nicht schlecht. Aber wir haben ja auch jetzt schon eine Menge Gottesdienste, die nicht um 10 Uhr sind, zum Beispiel an der nicht arbeitsfreien Feiertagen oder wenn Passionsandachten sind.

 

Ein junger Mann:

Von der Predigt unseres Pfarrers habe ich nie etwas. Er schimpft immer so und redet so abstrakt. Da höre ich lieber den Rundfunkgottesdienst. Die Rundfunkpredigten sind meist sehr interessant, da hat man mehr davon.

Pfarrer: Es wäre wirklich nicht schlecht, wenn die Pfarrer noch mehr als bisher nicht nur in der Theorie ausgebildet würden, sondern auch, wie man das Gelernte anbringt. Aber es ist natürlich auch ein menschliches Problem, wenn zu sehr von oben herab geredet wird. Fehlt da nicht doch etwas an der Liebe zu den Menschen, wenn zu sehr geschimpft und kritisiert wird?

 

Ein Brautpaar:

Wir gehen demnächst in die Kirche, weil wir bald heiraten. In der Kirche ist das immer so feierlich. Aber nachher gehen wir nicht mehr hin. Ganz im Vertrauer gesagt: Wir glauben natürlich nicht an das Märchen vom lieben Gott!

 

Eine alte Frau:

Ich gehe oft in die Kirche. Bei meinem Alter habe ich doch viel Zeit. Ich habe in meinem Leben so viel gesehen, so viel Schlechtes und Böses, so viel Tränen und Schmerzen, da lernt man, auf den lieben Gott zu hören.

 

Ein Mann:

Fragen sie doch einmal meine Frau. Die geht manchmal hin. Aber oft ist das auch nicht. Aber wenn meine Frau geht, brauche ich doch nicht zu gehen. Auf der letzten Urlaubsreise haben wir einen Dom besichtigt. Da waren wir einmal in einer Kirche.

 

Junges Mädchen:

Im Konfirmandenunterricht sagte der Pfarrer, daß man ohne Kirche kein Christ sein kann. Ich bemühe mich, jeden Tag als Christ zu leben. Aber ich merke nichts davon, daß ich schlechter bin als die Kirchgänger.

Pfarrer: Man sollte natürlich nur zur Kirche gehen, wenn man von dort etwas erwartet, wenn man von dort eine Hilfe für sein Leben haben will. Aber das ist auch eine Frage an die Kirche: Kann sie wirklich das bieten, was sie geben soll? Kann sie das Evangelium von Jesus Christus wirklich so auslegen, daß es eine Hilfe zum Leben wird?

 

 

Jede Zeit ist Gottes Zeit:

Es gibt keine leere Zeit zum Ausfüllen. Es gibt nur gute und böse Zeit, Zeit des Zorns und Zeit der Gnade. Selbst eine schwere Zeit ist mir von Gott gegeben.

Jochen Klepper hat ein Lied zur Jahreswende geschrieben, in dem es heißt: Der du die Zeit in Händen hast, Herr, nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen!“ Dem Dichter war seine Zeit wirklich eine schwere Last: Die Nazis behinderten und störten seine Arbeit auf Schritt und Tritt. Sie stellten seiner jüdischen Frau und Stieftochter nach. Er ist 1942 mit seiner Familie freiwillig in den Tod gegangen, als die Verschleppung ins Konzentrationslager schon feststand.

Auch die Zeit Jesu war eine böse Zeit. Trotzdem lobt der alte Simeon sie und sagt: „Meine Augen haben deinen Heiland gesehen!“ Jede Zeit hat auch ihre guten Seiten. Und wenn Christus mir in dieser Zeit begegnet, dann ist sie keine verlorene Zeit gewesen, dann hat sie Sinn gehabt.

Wir sollten immer wissen: „Meine Zeit steht in Gottes Händen!“ (Ps 31,16). Mit diesem Wort bekennt sich einer zu dem Gott, der sich wunderbar in der Geschichte erwiesen hat. Er weiß, daß sein Leben Gott zugeordnet ist. Er weiß, daß Gott der Herr über die Zeit ist und auch bestimmt, wann unsre Zeit zu Ende ist. Dann ist es auch nicht mehr entscheidend, wieviel wir in der zur Verfügung steherden Zeit schaffen und erledigen, sondern was wir tun und wie wir es tun. Die Zeit ist keine Ware, mit der wir handeln können im Sinne von „Zeit ist Geld“. Wir können sie nicht aus Gottes Hand reißen und für uns allein haben wollen.

Unsere Zeit ist ein Geschenk. „Zeit ist Gnade!“ steht am Rathaus von Markranstädt. Keiner kann sein Leben auch nur um ein Stück verlängern (Mt 6,27). Die Einsicht, daß jedes Jahr eine Gnade ist, schafft ein neues Verhältnis zur Zeit. Wer weiß, daß seine Zeit in Gottes Hand steht, hat auch die innere Freiheit, das ihm Aufgetragene mit ganzer Hingabe und Ruhe zu tun.

Zeit ist keine Ware. Wir können sie nicht aus Gottes Hand reißen. Es kommt nicht darauf an, wieviel wir in der uns zur Verfügung stehenden Zeit noch schaffen, sondern w a s wir tun und w i e wir es tun.

Zeit ist Gnade .Jedes Jahr ist ein Jahr der Gnade. Und Gott als der Herr der Zeit bestimmt auch, wann unsere Zeit zu Ende ist.

 

Gott gab uns die Zeit - von Eile hat er nichts gesagt

I. Unsere Überschrift macht sich als Spruchkarte hübsch auf dem Büchertisch jeder Kirchgemeinde. Durch Blumen verziert, verkauft sie sich leicht. Mit ein paar wohlmeinenden Worten versehen, ist sie eine geeignete Vermahnung an Leute, die es nach unserer Meinung nötig haben. Ist man jedoch gezwungen, über den Themasatz mehr nachzudenken, dann verschwinden die um ihn gemalten Rosen, und es steht zu befürchten, daß ein paar spitze Dornen hervorragen.

Was bleibt einem Menschen, der sich aus Sachgründen fast immer in Eile befinden muß, vor solchem Satz? Nichts als Selbstanklage oder Selbstmitleid. Und kann nicht eine Frau, deren Mann vor lauter Terminen für die Familie keine Zeit hat, ihrem Partner mit dieser Aussage eine geistlich untermauerte Anklage liefern, die nicht hilft, sondern ihn nur nervöser macht? Oder gar der bequeme Typ, der ruhig zusehen kann, wie anderen die Arbeit über dem Kopf zusammenschlägt, hat er jetzt nicht ein glänzendes Argument für seine Lieblosigkeit?

Wer über den obigen Satz mit einer Gruppe nachdenken möchte, schreibt am besten jedes Wort einzeln groß und sichtbar auf normales Schreibmaschinenpapier. Dann kann die Gruppe an dem Satz herumbasteln und ihn durch Einschübe verändern.

 

II. Wie ist das mit der Eile, von der Gott nichts gesagt haben soll? Sind die Hirten nicht eilend gelaufen, ihren Menschenbruder Jesus in der Krippe zu entdecken? Hat Jesus dem Zachäus nicht geboten, eilend von seinem Baume zu steigen? Mußte der Apostel Paulus nicht auf Gottes Anweisung eilig aus Jerusalem fliehen? Kann man so einfach behaupten, Eile sei schlecht­hin gottwidrig?

Es gibt Situationen, in denen Eile sinnvoll, berechtigt und vielleicht sogar unerläßlich ist.

Und es gibt Situationen, in denen sich Eile zerstörend und verhängnisvoll auswirkt. Die Überschrift müßte man umwandeln: „Gott gab uns die Zeit - von falscher Eile hat er nichts gesagt“. Aber es ist zu einfach zu sagen, in geistlichen Dingen Eile erlaubt, in weltlichen aber verboten sein sollte.

Es muß bedacht werden, aus welchen Motiven falsche Eile entsteht. Mancher treibt sich aus Angst (z. B. Liebesverlust) so sehr an, daß er in seinen Leistungen weit hinter dem zurückbleibt, wozu er bei Angstfreiheit fähig wäre. Wer Menschen, die von falscher Eile geplagt sind, helfen will, darf sie nicht auszanken. Man muß ihnen Mut machen, durch einen guten Blick, durch ein gutes Wort, vielleicht durch eine Schale Erdbeeren. Gott hat uns nämlich unter anderem auch dazu Zeit gegeben, daß wir Ängstlich-Hektischen Mut und Hilfestellung geben.

 

Es ist gut, daß wir Zeit haben und diese Zeit planen können. Das macht Freude, das gibt unserem Leben Antrieb und Ziel, läßt uns die alltäglichen Dinge in unserem Leben in einem größeren Zusammenhang sehen. Es gibt aber auch Daten und Termine, die wir nicht so gern haben: Prüfungszeiten, Zahnarztbestellungen, Krankenhausaufenthalt, Bedrohungen unserer Lebens- und Weltzeit, Zeiten der Niedergeschlagenheit und Depression. Diese Zeiten haben wir auch, das kennen wir aus dunklen und trüben Tagen im Winter, im Frühjahr und im Herbst, wenn die Blätter fallen. Es gibt Erinnerungen an Tage, an denen uns liebe Menschen gestorben sind. (Totensonntag). Auch diese Tage gehören zu unserem Leben, wir brauchen sie nicht verdrängen,

 Zeit haben, das bedeutet: Freude und Trauer, Wohlbefinden und auch Schmerzen erfahren, in allem aber kann Gelassenheit und Geborgenheit empfangen werden. Im Ps 31 kommt dies eindrucksvoll zur Sprache.

 

Sanduhr:

Das Bild der Sanduhr macht das deutlich (Sanduhr in die Hand nehmen). Meine verrinnende Zeit ist aufgehoben bei Gott. Ich brauche keine Angst zu haben, mit meinem Leben zu kurz zu kommen oder verloren zu gehen. Gott fängt mich auf, wie das Gefäß in der Sanduhr den Sand auffliegt. Ist das nicht wunderbar!?

 

Die Gegenwart ist die einzige Zeit, die uns wirklich gehört und die wir nach Gottes Willer nutzen sollen!            (Blaise Pascal)

 

Gestern ist vergangen, morgen ist noch nicht da, und heute hilft der Herr             (Hermann Bezzel)

 

Zeit ist ein Geschenk Gottes für uns, aber ein Geschenk, das sich nicht aufbewahren läßt         (Michel Quoist)

 

 

Die Zeit ist erfüllt (Gal 4,4)

Bei der Entscheidungsfindung ist zu beachten:

  • Wie triftig sind die Gründe? Für wen sind sie wichtig?
  • Haben wir vor unserer Entscheidung Informationen gesammelt?
  • Wie wichtig ist die Sache im Gesamtzusammenhang?
  • Haben wir Mitstreiter für die angestrebte Entscheidung?
  • Wo finden wir Maßstäbe dafür, zu beurteilen, ob etwas „reif“ ist?

Nicht immer ist die Zeit des Erntens. Es müssen das Säen und das Warten vorausgehen. Für ein bestimmtes Projekt, für ein Tun oder eine Veränderung kann nicht immer die Zeit reif sein.

Doch wenn eine Zeit noch nicht reif ist, dann muß das nicht heißen, daß es deshalb unreife Zeit ist. Es ist immer irgendwie rechte Zeit. Die gegenwärtige Zeit wird gespeist aus vielen Anstrengungen, Ereignissen und Erfahrungen in der Vergangenheit. Aber sie führt auch die Energien den nächsten Zeiten zu: gute Erkenntnisse und ehrliches Mühen tragen Früchte, auch wenn nicht mehr alle, die gesät haben, auch die Ernte erleben werden.

Die Zeit ist abgelaufen, sie ist reif, sie ist „erfüllt“:

In Galater 4,4 steht: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn!". Als die Zeit gekommen war, begann ein neues Zeitalter. Wir können uns das an zwei Beispielen verdeutlichen:

1. Eine Sanduhr macht sehr deutlich, wie die Zeit abläuft, wie sie verrinnt. Doch die Zeit soll nicht nur so ablaufen, sondern sie soll auch erfüllt sein. Das sollte man auch sagen können, wenn jemand gestorben ist: nicht nur daß seine Zeit abgelaufen ist, sondern es auch eine erfüllte Zeit war.

2. Ein Glas Wasser wird auf einen Teller gestellt und immer mehr Wasser hinzugegossen. Wenn es voll ist, wird es überlaufen. Es gibt nur ein „Voll“, darüber hinaus geht nichts mehr hinein. Erst bildet sich bei vorsichtigem Nachgießen noch so etwas wie eine Haut auf dem Glas, aber dann kommt es doch zum Überlaufen. Wenn uns das unbeabsichtigt geschieht, kann es eine kleine Überschwemmung geben. So kann auch die Zeit zum Überlaufen kommen.

Gefüllte Zeit führt zur Aktivität. Paulus will im Galaterbrief sagen: Die seit vor Christus war befristet. Mit seiner Geburt war sie erfüllt. Auch nachdem Inhalt war die Zeit erfüllt, hat sie ihr Vollmaß erreicht. Es beginnt eine neue Weltzeit, ein neues Zeitalter. Das hat man dadurch deutlich gemacht, daß man bei uns die Zeit gezählt hat „seit Christi Geburt“.

Paulus war ja im jüdischen Denken erzogen. Er glaubte an die Existenz dämonischer Himmelsmächte, die aber Gott im Zaum gehalten hat. Mit der Geburt des Sohnes aber war die Zeit dieser Mächte vorbei. Das Leben und das Menschsein bekamen eine neue Qualität. Jetzt waren die Menschen an Sohnes statt angenommen, frei und mündig, Gottes Zuwendung zeigte sich hautnah in der Geburt eines kleinen Kindes. In dem kurzen Leben Jesu hat sich seine Bestimmung von Gott her erfüllt, auch wenn am Ende das Kreuz stand.

 

Kirchliche Festtage:

Auch um die Feier der großen kirchlichen Feste müssen wir uns wieder mühen. Weithin haben wir das rechte Verständnis für ihren Inhalt verloren. Worum geht es, und was tun wir Weihnachten, Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt? Sind es nur Geschenkfeste oder Ausflugstage. Wir kennen ja auch nicht mehr die stille Zeit der Vorbereitung darauf. Im Gegenteil, die Tage vor den Festen sind mit Hetze und vermehrter Arbeit angefüllt. Gott aber hat uns diese Zeiten und Feste als seine Gabe und Aufgabe für uns gegeben, und wir müssen alles tun, daß wir uns nicht abdrängen lassen in das Feiern der Welt.

 

 

Der Pfarrer hat Zeit:

Vor allem der Pfarrer soll Zeit haben. Man hält seinen Zeitvorrat für groß. Es gehört ja auch zu seinem Beruf, für andere Menschen Zeit zu haben. Er muß sich in Ruhe anhören und darf nicht ständig auf die Uhr sehen. Und wenn er wirklich etwas anderes hat, das keinen Aufschub duldet (feststehende Veranstaltung, vereinbarte Termine), dann muß er wenigstens sagen, wann er Zeit hat. Jeder, der zum Pfarrer kommt, soll wissen: Wenn alle hasten und eilen - einer hat Zeit für mich. Es wäre traurig, wenn man von ihm sagte: „Er hat nie Zeit!“ Aber letztlich ist jeder aufgerufen, Zeit für den anderen zu haben. Jeder kann zum „Priester“ werden, bei dem man etwas abladen kann: der vielbeschäftigte Arzt, die achtzigjährige Oma, die Pfarrfrau beim Abwasch. Sie haben dann Zeit für andere, wenn sie Zeit für Gott haben. -

Ohne Kommentar berichtete die italienische Zeitung „Il Giorno“ über eine Kuriosität. Der Besucher einer Kirche in Bologna wird mit den über dem Portal angebrachten Worten begrüßt: „Tritt ein. Gott hat immer Zeit für dich!“ Darunter jedoch ein Zettel, auf dem der Zusatz steht: „Sprechstunden des Pfarrers: Montag, Mittwoch und Freitag von 18 bis 19 Uhr“ (mündlich überliefert)

 

 

Bild von Karl Kaufmann: Der Mensch in der Zeit

Uhr und Kalender sind unsere Zeitmesser. Wenn wir auf die Uhr sehen, dann können wir feststellen: Jetzt sind schon 10 Stunden des Tages vergangen. Und vom Monat sind schon 28 Tage weg. Jeden Tag wird ein Kalenderblatt abgerissen und weggeworfen. Und an Ende des Jahres wird der ganze Kalender weggeworfen: Wieder ist ein Jahr seit Jesus Christus vorbei.

Eigentlich sind die Zeitmesser traurige Gesellen. Sie sagen uns: „Deine Lebenszeit wird kürzer!“ Keiner kann die Zukunft messen, keiner kann sagen, was die nächste Sekunde bringt. Deshalb werden wir unsicher. All unsere Angst ist aber letztlich Zeitangst, die verdrängt werden soll.

Wie wir die Zeitangst los werden wollen, zeigt etwa die Silvesternacht. Da wird Krach gemacht, um die geheime Angst zu übertönen. Man macht sich wieder Mut, so wie man etwa pfeift, wenn man im Dunkeln durch einen Wald gehen soll. Man freut sich, daß man noch einmal davongekommen ist, daß man wieder ein Jahr hat miterleben dürfen. Aber man kann nicht immer das neue Jahr mit Freude erwarten. Viele wollen gar nicht darüber nachdenken, was ihnen die Zukunft bringen könnte. Deshalb stürzen sie sich von einer

Arbeit in die andere und versuchen ihre Angst durch Betrieb und Lärm zu übertönen. Auch wir Christen wissen nichts von der Zukunft. Aber wir reden ganz offen davon, daß wir nichts wissen (deshalb werden wohl auch manche Leute nicht so gern in die Kirche gehen!). Und wir sagen mit den Worten des 31. Psalms (V.16): „Meine Zeit steht in Gottes Händen!“ Darauf will uns auch das Bild von Karl Kaufmann hinweisen.

Wir sehen eine große Uhr, die ausgefüllt ist mit allerhand Gebäuden und Zahnrädern; aber die Hauptsache ist der Mensch in der Mitte dieser Uhr. Die Zahnräder in der Uhr erinnern uns an die technische Welt, in der wir leben. Die Räder greifen ineinander und bilden ein Getriebe. So stehen wir alle auch im Getriebe unserer Zeit und unserer Welt. Wir werden getrieben von der Arbeit, von unseren Trieben, vom Vergnügen.

Jeder sagt: „Ich habe keine Zeit!“ Aber in Wirklichkeit meint er ja nur: „Ich habe keine Zeit für diese bestimmte Sache!“ Ein Vater etwa sagt: „Ich habe keine Zeit!“ aber in Wirklichkeit will er fernsehen. Wenn einer nicht zum Gottesdienst kommt, dann tut er eben etwas anderes in dieser Zeit. Gefährlich wird es aber, wenn das Getriebe der Zeit zu rasant wird. Dann wird der Mensch leicht vom „Getriebe“ zerrissen und er kommt in die Nervenheilanstalt.

Unsere Zeit ist auch da für die Arbeit. Was der Mensch alles in seiner Zeit herstellt, ist über den Zahnrädern dargestellt. Wir sehen Hochhäuser, Fabrikschornsteine, ein Kulturhaus, Flugzeug, Rakete; auch die Kirche steht in der Zeit und nicht jenseits der Zeit. So ist die Zeit ausgefüllt und sinnvoll genutzt. Wenn ein Mensch seine Zeit vertrödelt oder Zeit totschlagen muß, dann ist das eine traurige Sache. Wir sollen schon unsre Zeit gut nutzen, wenn man auch nicht gleich sagen muß: „Zeit ist Geld“.

Der Mensch in der Mitte scheint darüber nachzudenken. Er macht ein recht nachdenkliches Gesicht, fast ist es etwas traurig. Vielleicht fragt er sich aber auch: „Wieviel Zeit habe ich dennoch?“ Vielleicht ist es für ihn schon fünf Minuten vor zwölf. Der Mensch hat sein rechtes Ohr der Kirche zugewandt. Auch dort kann man nicht erfahren, wieviel Zeit man noch hat. Aber man ist gewiß: Gott weiß es! Jeden Tag nehmen wir als Gabe und Aufgabe aus seiner Hand. Deshalb ist auch die ganze Uhr gehalten und getragen von dem Kreuz: Christus ist unser Herr in Zeit und Ewigkeit! Das Kreuz verbindet die Zeit mit den Kreisen der Ewigkeit. Unsere Zeit ist umschlossen von der Ewigkeit. Aber Christus verbindet Zeit und Ewigkeit miteinander. Wer an ihn glaubt, dem braucht vor der Zukunft nicht zu grauen.

 

 

Erzählung: Der Zeitladen

Eines Tages erschien auf dem Jahrmarkt ein ungewöhnlicher Stand. Ohne Auslagen und Re­klame nahm er sich in dem sonst bunten Gewirr der Schaubuden sehr unscheinbar aus. Nur ein einfaches Schild hing da. „Zeitverkauf“ las man. Und hinter dem Tisch wartete ein einziger Mann. Erst gingen die Leute nur vorüber. Dann aber wagten sich einige Neugierige heran. „Was, Sie verkaufen Zeit?“ - „Ja“, sagte der Mann. „Und man kann bei Ihnen Minuten und Stunden kaufen, wie man will?“ - „Ja“, sagte der Mann. „Auch Tage und Wochen und so weiter?“ - „Ja“, sagte der Mann, und er nannte einen erschwinglichen Preis.

Von da an war der Stand dicht und dichter umlagert. Und viele Leute kamen von weither, um Zeit einzukaufen. Wenn sie an die Reihe gekommen waren, trugen sie Minuten, Stunden, Tage, Wochen und mehr - schön in Tüten verpackt - mit sich fort. Kostbare Zeit trugen sie. Und sie gedachten, diese gekaufte, zusätzliche Zeit für sich da einzusetzen, wo ihnen sonst die Zeit fehlte: für eine wichtige Arbeit, für Spiel, für ein Hobby, für Liebe, für Glück. Kinder kauften für längere Ferien, Landwirte für gewünschtes Wetter, Geschäftsleute für weiter dauernden Aufschwung, Pfarrer für ihren Sonntagnachmittag, und alte Leute kauften einfach, um länger zu leben. Kurzum: Der Zeitverkauf wurde das große Geschäft.

Und es sollte noch größer werden. Denn eines anderen Tages erschien ein Kunde, der wollte nicht Zeit haben, im Gegenteil, er wollte Zeit loswerden. „Ich biete Zeit an, die mir zu viel ist, und da Sie ohnehin welche verkaufen, könnten wir doch miteinander ..“.

 „Verstehe“, sagte der Mann hinterm Tisch, „Sie meinen, Sie kriegen dafür dann Geld. Irrtum! Zeit loszuwerden, wird teurer, als welche zu kaufen. Doch wenn Sie wollen .. „, und er nannte seinen Preis.

Bald mußte der Zeitverkaufsstand anbauen und Hilfskräfte einstellen, so groß wurde der Andrang. Denn nun kamen zu den vielen, die Zeit kaufen wollten, die vielen anderen, die Zeit weggeben wollten, und sie brachten ihre Langeweile, ihre schlaflosen Nächte, ihre verwar­teten Stunden. All die freie Zeit brachten sie, die sie nicht zu vertreiben mochten; sie trugen ihre ungeduldig ausgehaltenen, ihre verdrießlichen und vergeblichen Zeiten, ihre schmerzvollen Tage und schweren Jahre herbei. „Fort damit“, sagten sie schnell, und legten großes Geld hin.

Doch eines anderen Tages aber war der Zeithändler samt seinem Laden verschwunden. Die einen sagten, er habe Bankrott, Zeitbankrott gemacht und vor lauter Geld nichts mehr mit der Zeit anfangen können. Andere behaupteten, er habe in der Enge seines Ladens die eingehandelten Zeitstücke mit den auszugebenden durcheinandergebracht und dadurch solchen Kunden, die zusätzlich Zeit für ihr Glück einzukaufen meinten, in Wirklichkeit Unglücks- und Leidenszeiten gegeben, und deshalb habe er sich aus dem Staube gemacht. Wieder andere wollten wissen, es hätten manche ihre als lästig fortgewünschte und fortgegebene Zeit doch für wertvoll erkannt und zurückgefordert. Aber niemand wußte Genaues. Die Behörde ließ schließlich erklären, der Mann sei ein Betrüger gewesen, und es sei wissenschaftlich erwiesen, daß die Tüten aus dem Zeitladen genausoviel oder wenig Zeit enthalten hätten wie die gewöhnliche Luft auch. Danach schien der Fall abgeschlossen. Und heute laufen die Menschen wieder ein jeder mit seiner eigenen Zeit herum; es bekommt sie einer nicht rascher und nicht länger, als sie für ihn kommt, und er wird sie nicht eher los, als sie geht.

Doch der Erzähler meint, die Frage, die jener Mann auf den Markt gebracht hatte, die Frage nämlich, ob ein Mensch es zu seinem Glück braucht, daß ein anderer Zeit für ihn hat, und viel mehr noch, ob einer es zum Glück braucht, daß er einem anderen von seiner Zeit gibt, diese Frage ist immer noch offen (Konrad Jutzler)

 

Erzählung: Sein Leben war Arbeit.

Bei der Beerdigung des Abteilungsleiters Heinz Müller sprach der Chef bewegende Abschiedsworte. Er sagte: „Das Leben unsres Freundes war Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. Er hat der Firma seine ganze Zeit, seine ganze Kraft und sogar seine Gesundheit geschenkt. Allen Mitarbeitern unseres Betriebes wird er in seiner vorbildlichen Pflichterfüllung immer ein leuchtendes Vorbild sein!“

Seine Gattin aber dachte an die vielen Stunden, die sie allein zu Hause verbracht hatte und die vielen Sorgen, die sie allein mit sich herumgeschleppt hatte. Die Kinder dachten daran, wie oft er gesagt hatte „Ein andermal!“ wenn sie mit ihrem zerbrochenen Spielzeug oder mit Fragen kamen. Und die Kollegen fragten sich: „Wann hat er eigentlich einmal ein persönliches

Wort mit uns gesprochen?“ Er hatte sie nie richtig angehört, weil er immer keine Zeit hatte.

 

Als der Abteilungsleiter Heinz Müller nach seinem Tod die lange Wanderung in eine andere Welt antrat, wurde ihm an der Grenzübergangsstelle ein Fragebogen überreicht. Auf ihm mußte er angeben, wie er auf Erden seine Zeit verbracht hatte. Nur die Angaben nach der Konfirmation waren erforderlich als Unterlage für das Jüngste Gericht.              Das Ergebnis:

Arbeit in der Firma                                        19 Jahre

Schlaf                                                               15 Jahre

Mahlzeiten                                                       4 Jahre 6 Monate

Kino / Sportplatz                                             1 Jahr 6 Monate

Gasthaus                                                           2 Jahre

Mit der Frau                                                     2 Monate

Spiel mit den Kindern                                  -

Gottesdienst                                                  -

Gebet                                                              -

Hilfe für andere Menschen                          -

 Lesen und Weiterbildung                            -

Reisen                                                              -

Arbeit zu Hause und im Garten                     4 Jahre 6 Monate

Spaziergänge und Wanderungen                  4 Monate

Zusammensein mit Freunden                        -

Sitzungen und Vereinszusammenkünfte       1 Jahr

Kein Verwendungszweck anzugeben 1 Jahr

Lebensjahre nach der Konfirmation: Summe 49 Jahre

 

Als Herr Abteilungsleiter Müller seinen Fragebogen bei dem Grenzbeamten abgab, schüttelte dieser nur den Kopf, seufzte und strich den ganzen Bogen ärgerlich durch. „Schlimm“, sagte er, während er ihn zu den Akten legte, „sehr schlimm!“ Der Nächste bitte!

 

Was hat Herr Müller bei der Verwendung seiner Lebenszeit falsch gemacht?

Wofür hätte er Zeit haben müssen?

 

 

Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral

In einem Hafen an einer westlichen Küste Europas liegt ein ärmlich gekleideter Mann in seinem Fischerboot und döst. Ein schick angezogener Tourist lagt eben einen neuen Farbfilm in seinen Fotoapparat, um das idyllische Bild zu fotografieren: blauer Himmel, grüne See mit friedlichen schneeweißen Wellenkämmen, schwarzes Boot, rote Fischermütze. „Klick!“ Noch einmal: „klick“, und da aller guten Dinge drei sind, und sicher sicher ist, ein drittes Mal „klick!“

Das spröde, fast feindselige Geräusch weckt den dösenden Fischer, der sich schläfrig aufrichtet, schläfrig nach seiner Zigarettenschachtel angelt. Aber bevor er das Gesuchte gefunden, hat ihm der eifrige Tourist schon eine Schachtel vor die Nase gehalten, ihm die Zigarette nicht gerade in den Mund gesteckt, aber in die Hand gelegt. Und ein viertes „Klick“, das des Feuerzeuges, schließt die eilfertige Höflichkeit ab. Durch jenes kaum meßbare, nie nachweisbare Zuviel an flinker Höflichkeit ist eine gereizte Verlegenheit entstanden, die der Tourist - der Landessprache mächtig - durch ein Gespräch zu überbrücken versucht.

„Sie werden heute einen guten Fang machen!“ Kopfschütteln des Fischers. „Aber man hat mir gesagt, daß das Wetter günstig ist!“ Kopfnicken des Fischers. „Sie werden also nicht ausfahren?“ Kopfschütteln des Fischers, steigende Nervosität des Touristen. Gewiß liegt ihm das Wohl des ärmlich gekleideten Menschen am Herzen, nagt an ihm die Trauer über die verpaßte Gelegenheit. „Oh, Sie fühlen sich nicht wohl?"

Endlich geht der Fischer von der Zeichensprache zum wahrhaft gesprochenen Wort über. „Ich fühle mich großartig“, sagt er, „ich habe mich nie besser gefühlt!“ Er steht auf, reckt sich, als wollte er demonstrieren, wie athletisch er gebaut ist. „Ich fühle mich phantastisch!“

Der Gesichtsausdruck des Touristen wird immer unglücklicher, er kann die Frage nicht mehr unterdrücken, die ihm sozusagen das Herz zu sprengen droht: „Aber warum fahren sie dann nicht aus?“ Die Antwort kommt prompt und knapp. „Weil ich heute morgen schon ausgefahren bin!“ - „War der Fang gut“ - „Er war so gut, daß ich nicht noch einmal auszufahren brauche, ich habe vier Hummer in meinen Körben gehabt, fast zwei Dutzend Makrelen gefangen…....!“

Der Fischer, endlich erwacht, taut jetzt auf und klopft dem Touristen beruhigend auf die Schultern. Dessen besorgter Gesichtsausdruck erscheint ihm als ein Ausdruck zwar unangebrachter, doch rührender Kümmernis. „Ich habe sogar für morgen und übermorgen genug“, sagt er, um des Fremden Seele zu erleichtern. „Rauchen Sie eine von meinen!“ Zigaretten werden in den Mund gesteckt, ein fünftes „Klick“, der Fremde setzt sich kopfschüttelnd auf den Bootsrand, legt die Kamera aus der Hand, denn er braucht jetzt beide Hände, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen.

„Ich will mich ja nicht in Ihre persönlichen Angelegenheiten mischen“, sagt er, „aber stellen Sie sich mal vor, Sie führen heute ein zweites, ein drittes vielleicht sogar ein viertes Mal aus und Sie würden drei, vier fünf vielleicht gar zehn Dutzend Makrelen fangen. Stellen Sie sich das mal vor!“ Dar Fischer nickt.

„Sie würden“, fährt der Tourist fort, „ nicht nur heute, sondern morgen, übermorgen, ja an jedem günstigen Tag dreimal, viermal ausfahren - - - wissen Sie, was geschehen würde?“ Dor Fischer schüttelt den Kopf. „Sie würden sich in spätestens einem Jahr einen Motor kaufen können, in zwei Jahren ein zweites Boot, in drei oder vier Jahren könnten Sie vielleicht einen kleinen Kutter haben. Mit zwei Booten oder dem Kutter würden Sie natürlich viel mehr

Fangen - eines Tages würden Sie zwei Kutter haben, Sie würden…..!“

Die Begeisterung verschlägt ihm für ein paar Augenblicke die Stimme „Sie würden ein kleines Kühlhaus bauen, vielleicht eine Räucherei, später eine Marinadenfabrik, mit einem eigenen Hubschrauber rundfliegen, die Fischschwärme ausmachen und

Ihren Kuttern per Funk Weisung geben. Sie können die Lachsrechte erwerben, ein Fischrestaurant eröffnen, den Hummer ohne Zwischenhändler direkt nach Paris exportieren - und dann….!“ Wieder verschlägt die Begeisterung dem Fremden die Sprache.

Kopfschüttelnd, im tiefsten Herzen betrübt, seiner Urlaubsfreude schon fast verlustig, blickte er auf die friedlich hereinrollende Flut, in der die ungefangenen Fische munter springen. „Und dann", sagt er - Aber wieder verschlägt, ihm die Erregung die Sprache. Der Fischer klopft ihm auf den Rücken, wie einem Kind, das sich verschluckt hat. „Was dann?“ fragt er leise.

„Dann“, sagt der Fremde mit stiller Begeisterung, „dann könnten Sie beruhigt hier im Hafensitzen, in der Sonne dösen …und auf das herrliche Meer blicken!“

„Aber das tu ich ja schon jetzt", sagt der Fischer, „ich sitze beruhigt und döse, nur ihr Klicken hat mich dabei gestört!“ Tatsächlich zog der solcherlei belehrte Tourist nachdenklich

von dannen, denn früher hatte er auch einmal geglaubt, er arbeite, um eines Tages einmal nicht mehr arbeiten zu müssen, und es blieb keine Spur von Mitleid mit dem ärmlich gekleideten Fischer in ihm zurück, nur ein wenig Neid (Heinrich Böll).

 

 

Helga,

Wir wohnten in einer schönen und großen Stadt. Das wußte ich, obgleich ich sie noch nicht kannte. Dazu reichten meine sechs Jahre wohl noch nicht aus. Und doch kam mir meine Welt so groß, so reich und so glücklich vor, und ich selbst fand mich beneidenswert. War es nicht herrlich, wenn die Mutter mit uns sang, wenn der Vater die wenigen freien Stunden mit uns fröhlich war und spielte? Bei jedem Wetter tollten wir im Garten oder im Park umher. Kinder fanden sich genug, die mit uns spielten. Auch schlechtes Wetter machte uns nichts aus. Was gab es doch für feine Spiele, wenn wir alle rund um den Tisch saßen. Welche Aufregung, wenn der Vater sich versteckte! Meist waren auch noch andere Kinder bei uns, Mädel und Jungen in allen Altersstufen.

Stolz ging ich schon das erste Jahr zur Schule, als sich etwas in unserer Umgebung veränderte. In das Nachbarhaus zog eine andere Familie. Wohl war dieses von dem unsrigen durch Garten und Park getrennt, aber wir konnten doch neugierig hinüberschauen. So sah ich Helga zuerst immer nur aus der Ferne im Garten spielen. Sie war nie allein. Ein etwas älterer Bruder und ein kleines Schwesterchen waren ihre Gespielen.

Kinder finden ja stets Wege, um sich kennenzulernen. So waren wir auch bald vereint im frohen Spiel. Niemals aber durften die drei Kinder aus dem Garten heraus. Uns war es unverständlich, wie man so ängstlich sein konnte, waren wir- meine Schwester und ich - doch so frei und fröhlich aufgewachsen.

Im Lauf der nächsten zwei Jahre erfuhren wir mehr von Helga und ihrem Elternhaus. Wir hatten bisher nur die Sonnenseite des Lebens kennengelernt. Jetzt verstanden wir auch die Sorge und Angst der Eltern und ahnten nun eigentlich zum ersten Male, daß das Leben auch ganz anders sein konnte. Helga war das fünfte Kind von sechs Geschwistern. Das erste Kind wurde beim Spiel mit der Schaufel tödlich verletzt. Das zweite, ein Mädchen, fiel als Säugling vom Tisch und starb an den Verletzungen. Das dritte Kind stürzte über einen Kohlenkasten, verlor ein Auge und erlag bald darauf einer Vergiftung. Welch eine Kette unbeschreiblichen Leidens war das für diese Familie, was ich jetzt nur so aufzählte. Mit aller Liebe hingen die Eltern nun an diesen drei Kindern, die ihnen geblieben waren.

Schon im dritten Jahre unserer Nachbarschaft geschah etwas Furchtbares. Was taten die Eltern doch alles, um nicht noch eines ihrer Kinder hergeben zu müssen. Doch das Unglück wollte noch immer nicht von diesem Hause weichen. Helgas Vater, ein sehr tüchtiger und begabter Ingenieur, wurde eines Tages mit einer schweren Kopfverletzung heimgebracht.

Die folgenden Jahre haben sich für immer in meinem Gedächtnis eingeprägt. Schon längst arbeitete Helgas Vater wieder, als eines Morgens alle drei Kinder weinend zu meiner Mutter gelaufen kamen. Bald folgte auch blutend und weinend die Mutter. Damals standen wir beiden Mädel vor einem Rätsel, denn wir wurden gleich in unser Zimmer geschickt. und aus den drei kleinen, weinenden Geschöpfen war nichts herauszubringen. Helgas Vater hatte einen Anfall bekommen, die Möbel zertrümmert, Frau und Kinder geschlagen. Als er wieder zu sich kam, wurde ihm vom Arzt klar gesagt, daß dies die Folgen der damaligen Kopfverletzung wären. Die Leistungskraft dieses Mannes hatte merkwürdigerweise nicht gelitten; man konnte ihn im Dienst nicht entbehren.

Neue Möbel wurden gekauft, alles Geschehene war längst vergessen, als ich Zeuge eines erneuten Anfalles wurde. Weit offen standen die Türen des Hauses, und mir wurde unheimlich zumute. Mir war es, als lauerte hinter jeder Tür eine Gefahr, und ein unbeschreibliches Grauen überfiel mich. In einer Ecke der Diele kauerten die Kinder. Die Mutter stand an der Wand und rührte sich nicht vom Fleck. Unauffällig winkte sie mir, die Kinder schnell hinauszunehmen. Nur einen kurzen, scheuen Blick warf ich auf Helgas Vater, der mit schrecklich starren Augen, das Rasiermesser in der Hand, noch halb eingeseift im Gesicht, dastand.

Gott sei Dank, das ging ohne weitere Folgen vorüber! Nun aber wiederholten sich diese Anfälle in kürzeren Zeitabständen als bisher. Woher nahm diese Frau nur die Kraft, ein solches Leben weiterzuführen? Natürlich gab es Wochen, in denen die Familie fröhlich und unbeschwert zusammen lebte. Doch immer war auch in solchen Tagen dieser dunkle Schatten plötzlich auftauchender Gefahr über ihnen. Den Kindern war das noch nicht so bewußt, sie hingen mit großer Liebe an ihrem Vater und vergaßen schnell die schrecklichen Stunden seiner Krankheit.

Dann kam eine Zeit, in der ein Anfall nach dem anderen auf die armen Menschen hereinbrach. Selbst meine Eltern kamen oft in Gefahr, wenn sie helfen wollten. Wir hörten dann manches Mal die Gespräche unserer Eltern und die darin auftauchende Frage: Wann wird Gott diesen Menschen endlich erlösen? Wir verstanden es wohl nicht richtig, denn wir dachten uns das ganz anders, als es dann vier Wochen später geschah. Wir Kinder warteten immer darauf, daß der „liebe Gott“ diese furchtbare Krankheit von Helgas Vater nehmen müßte. Wie schön würde dann alles wieder werden. Uns tat dieser Mann leid. Er war so gut und so klug und dann plötzlich so schrecklich und so hilflos. Was war geschehen?

Sollte es wahr werden, worum meine Eltern gebetet hatten? Vier Wochen lang hatten diese Menschen Ruhe. Langsam merkten wir, wie sie aufatmeten, wie ihre Gesichter leuchteten. Oh, wie gut, wie schön war doch das Leben! In diesem fröhlichen Übermut packte Helgas Vater seinen Sohn auf den Rücksitz des Motorrades. Winkend fuhren sie davon. Ich konnte meine Mutter nicht verstehen, die in solchen Augenblicken sorgenvoll an ihre Arbeit ging. Gerade sie, die solch ein Sonnenschein für alle Menschen ihrer Umgebung war. Schon eine Viertelstunde später sollte ich sie besser verstehen können. Infolge eines erneuten Anfalles verunglückte Helgas Vater tödlich. Seinen Sohn hatte er zweihundert Meter zuvor abgesetzt. Warum? Diese Frage blieb immer ungeklärt.

Er ist nun erlöst, sagten meine Eltern. Wie anders hatten wir uns das vorgestellt. In Helgas Leben trat eine merkliche Änderung ein, wie wir sie eigentlich am wenigsten erwartet hatten.

Helga und ihre Geschwister wurden nicht mehr so sehr eingeschlossen wie bisher. Hatte die Mutter erkannt, daß ihre Kinder innerhalb der Einzäunung nicht sicherer waren als überall? Gab sie es vielleicht überhaupt auf, das Glück ihrer Kinder zu erzwingen? Sie durften nun mit uns herumtollen. So lernten wir sie natürlich noch besser kennen. Harry war ein lebhafter, geistig aufgeweckter Bursche, der sehr an seiner Mutter hing. Er fühlte sich nun als der männliche Beschützer der Familie. Gerda, die jüngste unter den Geschwistern, war und blieb mir dagegen ein Rätsel. Sie log, sie war falsch; es war etwas in ihren Augen, was mich immer mißtrauisch sein ließ. Mir ging es nicht allein so. Ich fühlte es auch bei meinen Eltern, obwohl sie nie darüber sprachen. Ja, sogar die Geschwister empfanden so. Nur bei ihrer Mutter merkte ich nie, daß sie eines ihrer Kinder lieber hätte.

Ganz anders war nun Helga. Sie gefiel mir gut. Ich weiß noch, daß ich als Kind immer zu meiner Mutter sagte: „Helga ist treu!“ Wenn ich diese Erfahrung auch nur beim Spiel gemacht hatte, so war sie mir doch eine feste Tatsache. Helga war viel stiller als die anderen, aber sie wußte genau, was sie wollte. Strebsam war sie in der Schule, fröhlich beim Spiel und offen für manches tiefergehende Wort.

Helga war und wurde nicht meine Freundin, wie es jetzt nach meinem Erzählen vielleicht den Anschein hat. Sie schloß sich immer an mich an, ganz gleich, was ich vorhatte. Spielten wir, dann war sie auf meiner Seite. Saß ich bei einem Buch, dann setzte sie sich dazu. Sogar ihre Schulaufgaben fertigte sie bei mir an. Sie war nicht aufdringlich, dieser Gedanke tauchte niemals auf. Oft war ich auch bei ihr zu Haus. Ihre Mutter freute sich darüber. Dadurch blieb auch immer ein freundschaftliches Verhältnis zwischen meinem und ihrem Elternhaus. Bei unseren Hausmusik- und Literaturabenden fehlte sie nie. Am liebsten war Helga bei uns. Ich hatte manchmal das Gefühl, als brauche sie viel Sonnenschein. Es gibt so manches Mauerblümchen, das sich nach Sonne sehnt.

Mit zehn Jahren wurde Helga umgeschult, genau wie ihr Bruder. Wir beide hatten nun den gleichen Weg. Sie lernte sehr gut, aber sie wurde immer stiller. Selbst ihre Mutter machte sich Sorgen um sie. Man bekam auch nichts aus ihr heraus. Wie ein scheues Reh wurde sie, ihre Mutter nannte sie deshalb schon „Kitsche“ (Kitzchen).

Ich war vier Jahre älter als Helga und war in dieser Zeit ihrer Umschulung in einen ganz anderen Kreis von Menschen gekommen. Meine Eltern sagten immer: „Wenn ihr die Menschen, mit denen ihr verkehrt, mit nach Hause bringen könnt, dann ist es gut!“ Auf diese Art und Weise war immer fröhliches Leben bei uns. Oft war unser Singkreis bei uns zu Gast, oft auch meine Sportkameraden. Dort fand ich meine Freundin, die bis jetzt noch d i e Freundin ist. Wohl ist sie zehn Jahre älter, aber das spürten wir nie. Und nicht nur diese Freundschaft wurde mir geschenkt, auch meinen Verlobten lernte ich in dieser Zeit kennen. So wie ich jetzt beim Erzählen Helga vollkommen vergaß, so trat sie auch im Leben völlig in den Hintergrund.

Aber sie war noch da, meine kleine Helga. Sie war noch da mit all ihren Sorgen und Freuden, die sie mir selten oder nie erzählte. Und sie nahm in ihrer stillen Art an allem unserem Erleben teil. Fein war es bei Sport und Spiel. Helga lebte richtig auf. Wir hatten sie alle gern. Das merkte sie auch. Genauso spürte sie aber jede Ungerechtigkeit, wie sie sie besonders in der Schule erleben mußte. In ihrer etwas schweren Art wurde sie oft verkannt.

Helgas Mutter war viel auf Reisen. Sie liebte ihre Kinder sehr, überließ sie aber immer mehr sich selbst. Diese oft so angenehme Selbständigkeit lastete aber vollkommen auf Helgas Schultern. Hatte die Mutter das nicht gewußt? Ahnte sie wirklich nichts von den schwierigen Verhältnissen zwischen den Geschwistern? Solange der Bruder noch daheim war, ging auch alles gut. Er glich aus und half seiner Schwester gegen die Schliche der Jüngsten. Waren wir es nicht selbst, die die Ängstlichkeit von Helgas Eltern nicht verstehen konnten? Jetzt schüttelten wir wieder den Kopf und verstanden es nicht, daß die Mutter die Kinder so viel allein ließ.

Nach einiger Zeit fiel es mir auf, daß sich Helga oft mit so merkwürdigen Gedanken befaßte. Sie fragte auch öfters nach ihrem Vater und seinem Schicksal, diesen letzten schweren Jahren. Mir war es manchmal, als lasteten noch immer diese Schatten der schweren Zeit auf ihr. Sie hatte damals vielleicht unbewußt manches aufgenommen, was jetzt wieder auftauchte oder weiterhin unbewußt in ihr lebte und wirkte. Helga war bei uns in jeder freien Minute. Als sie elf Jahre alt wurde, wunderte ich mich manchmal über ihr Aussehen. Sie wirkte oftmals so, als hätte sie ein ganzes reiches Leben hinter sich.

Ihre Ruhe und Sicherheit täuschten nicht nur uns Kinder, auch die Mutter nahm das als echt und war stolz auf ihre große Tochter. Wie ganz anders war es in Wirklichkeit in Helga bestellt. Es gab Augenblicke, wo ich das erkennen konnte, wo sie mich ein bißchen hineinblicken ließ in ihr Leben, das sie so ganz verborgen hielt. So kam es, daß ich Helga immer mit mir nahm. Sie beteiligte sich an den Ausflügen der Familie, paddelte fröhlich mit, und manche Nacht haben wir im Zelt zugebracht. Manches Mal fuhren wir auch per Rad in die Ferienzeit hinein. Unsere Eltern erlaubten uns jedes Jahr, einen Gast in die Ferien mitzunehmen. Natürlich kam da auch einmal Helga dran.

Wir waren zwei gute Kameraden. Es lag bestimmt nicht an mir, denn ich hatte viel zuviel andere Interessen. Meine Eltern waren es wohl, die das nachholten, was ich versäumte. Wenn ich später einmal über unser Verhältnis nachdachte, fiel mir immer nur auf, daß ich Helga nie etwas von mir gesagt habe. Ich kam mir manchmal wie eine große Schwester vor, oft auch wie ihre Mutter. Immer war etwas Betreuendes in meinem Tun und Reden, nie das Gegenüber einer Freundschaft. Dabei war ich so ratlos ihrer Art gegenüber.

Helgas Bruder wurde von der Schule aus zum Kriegsdienst eingesetzt. Dieser gute Junge, der so wunderbar alle Spannungen ausgleichen konnte, wurde nun von einem Platz genommen, wo er so nötig gebraucht wurde. Jetzt war Helga mit Gerda meist allein. Immer, wenn die Mutter kam, war alles schön und gut, denn Helga sagte nichts, und Gerda hütete sich, etwas zu erzählen. Aber meine Eltern sahen manches Unausgesprochene und halfen Helga, so gut sie konnten.

Dann mußte auch ich weg - zum Arbeitsdienst. Das war schwer für Helga. W i e schwer, das merkte ich erst, als ich nach einem Jahr wiederkam. Sie suchte mich, sie brauchte mich. Es wurde mir manchmal schon zuviel. Ich war in dieser Beziehung so ganz anders, deshalb verstand ich ihr Suchen nicht. Eigene Sorgen nahmen mich völlig in Anspruch, und unser Haus, das selten einen Tag ohne Gäste war, füllte mein Leben vollkommen aus. Trotz mancher schweren Entscheidung meiner Eltern war zwischen ihnen und uns Kindern immer dieses herzliche Verhältnis geblieben, und mein Elternhaus kam mir immer wie ein Haus in der Sonne vor. Aber Helga war noch da, mein kleiner, stiller Kamerad, für den ich dann doch immer noch Zeit hatte. So bildete ich mir jedenfalls ein.

Einmal war ich krank; dann sollte ich von der Klinik aus vierzehn Tage zur Erholung. Wohin ging's? Natürlich in die Berge! Am frühen Nachmittag fuhr der Zug. Es hätte vollkommen genügt, wenn ich um zwölf Uhr zur Bahn gegangen wäre. Ich wollte jedoch noch einige Besorgungen erledigen, deshalb stand ich um zehn Uhr reisefertig da. Kein Gedanke mehr an Helga! - Da tauchte sie auf.

„Ich muß dann gleich zur Schule, hast du noch ein bißchen Zeit für mich? Kommst du noch einmal mit rüber?“ - „Nein, Helga, heute geht es nicht, ich fahre doch gleich weg. Ist es denn etwas sehr Wichtiges?“ - „Nein, nein, ach wo!“

Wie schnell und gern läßt man sich doch beruhigen, wenn es den eigenen Wünschen ent­ge­gen­kommt. Helga geht. - Ich fahre ab. Ich dachte, ich hätte keine Zeit für sie, als ich neben ihr stand. Wie furchtbar wurde ich nun daran erinnert, daß ich in diesem Augenblick noch Zeit hatte. Eine Stunde, nachdem ich am Ziel angelangt war, erreichte mich ein Ferngespräch. Mein Vater rief an: „Komme bitte sofort heim, Helga hat sich mit Gas vergiftet!“Ich rannte, obwohl es sinnlos war, denn es fuhr so bald gar kein Zug. Ich saß auf dem Bahnhof und hatte Zeit. Grausam war es, so viel Zeit zu haben, die man brauchte und doch nicht anwenden konnte. Und als ich dann aus dem Zug ausstieg, rannte ich wieder, rannte wie gehetzt durch die einsamen nächtlichen Straßen. Man hatte meine schallenden Schritte schon gehört, und als ich vor dem Hause stand, waren die Türen bereits geöffnet.

Was war geschehen? Helga war nicht zur Schule gegangen. Gerda, ihre Schwester, kam heim und konnte nicht hinein. Sie klopfte und klingelte und bekam auf einmal schreckliche Angst. Schnell lief sie zu uns, meine Mutter zu holen. Wie kam es, daß sie sogleich etwas Schlimmes ahnte? War es ein Schuldgefühl? Meine Mutter öffnete sofort die Tür, als sie den Gasgeruch wahrnahm. Sie sah nur Helga, nichts anderes, trug sie ins Freie und schickte Gerda zum Arzt.

Gerda hatte wohl auch mit Entsetzen auf ihre Schwester gesehen, dann aber ließ sie ihre Augen voller Angst umherschweifen, bis sie erblickte, was sie gesucht hatte. So geriet ein Brief von Helga in ihre Hände. Vielleicht war es gut so, und der Mutter blieb vieles erspart. Für mich war es schwer und bitter. 

Als ich nach Hause kam, fand ich Helga in meinem Bett. Gerda schlief im Zimmer meiner Schwester, sie fürchtete sich allein im Haus. In derselben Nacht kam auch Helgas Mutter. Auch sie rannte, und ich hörte ihre Angst richtig aus den Schritten heraus. Drei Tage und drei Nächte hat sich Helga gequält, keinen von uns hat sie mehr erkannt. Nun lag es dort, dieses sechzehnjährige kleine, zarte Geschöpf.   

Niemals hat Gerda darüber gesprochen, was zwischen ihr und Helga geschehen war. Wir ahnten es nur und schwiegen, um der Mutter nicht noch mehr Leid zuzufügen. Dieses Wissen befreite uns aber nicht von der eigenen Schuld.           

Bis auf ein Stückchen hat Gerda den Brief sofort vernichtet, und das zeigte sie mir. Es war nur ein Stück Papier, aber es war eine nochmalige harte Anklage, die ich innerlich schon fortwährend hörte: „... dann war ich bei ..., aber sie hatte keine Zeit!“ Mit diesem Satz im Ohr stand ich am Sarg, mit diesen Worten stand ich in der Wohnung Helgas Mutter gegenüber. Sie war so verzweifelt, so voller Vorwurf sich selbst gegenüber, daß sie die Kinder zuviel allein gelassen hätte. Aber gleich als erstes mußte ich es noch einmal hören: „Warum sind Sie weggefahren? Wären Sie doch dageblieben. Sagen Sie es doch selbst, bestimmt wäre Helga dann noch bei uns“" Es war für sie ein schwacher Trost, aber ich wußte nichts darauf zu antworten. 

Oh, dieses schreckliche Wort „keine Zeit!“ Niemals mehr wollte ich es von mir hören, und wenn ich die Nächte dafür hergeben sollte. Nur nicht noch einmal einem Menschen sagen müssen: „Ich habe keine Zeit!“

Ein halbes Jahr später hatte Gerda Schreckliches durchzumachen. Auch sie lebt nicht mehr. Ein Jahr darauf wurde ihr Bruder mit einer schweren Kopfverletzung aus dem Lazarett entlassen. Er darf niemals mehr arbeiten. Die Mutter steht mit diesem kranken Jungen allein da. Ich schreibe ihr, obwohl ich nur selten Antwort bekomme. Sie freut sich darüber. Ich weiß es genau. Und mit jedem Brief möchte ich Antwort geben auf Helgas Frage: „Ja, ich schreibe gern, denn ich habe Zeit für Sie!“ Zeit habe ich, welch kostbarer Besitz; welch wertvolle Gabe ist uns da anvertraut worden. Gott helfe mir, daß ich das nie vergesse.       

 

 

Erzählung: Drei Fragen

Ein König dachte sich einmal, daß ihm nichts mißglücken würde, wenn er immer die richtige Zeit wüßte, um ein Werk zu beginnen, wenn er wüßte, mit welchem Menschen man sich abgeben solle und mit welchem nicht, und wenn er vor allen Dingen wüßte, welches Werk das wichtigste von allen sei. Und als er sich das gedacht hatte, ließ er in seinem ganzen Reich verkünden, daß er einen Lohn demjenigen geben wolle, der ihn lehrte, woran man die richtige Zeit für jedes Werk erkenne, woher man wisse, welche Menschen die richtigen seien. und wie man immer, ohne zu irren, erfahre, welches Werk das wichtigste von allen sei. Und viele Gelehrte kamen zum König und gaben ihm verschiedene Antworten auf seine Fragen. Alle Antworten waren verschieden; der König nahm daher keine von allen an und gab niemandem die Belohnung.

Um aber die richtigen Antworten auf seine Fragen zu bekommen, entschloß er sich, einen Einsiedler zu fragen, der ob seiner großen Weisheit berühmt war. Der Einsiedler lebte im Walde, verließ niemals seine Wohnstätte und empfing nur einfache Menschen. Der König legte darum einfache Kleidung an, trennte sich von seinen Waffenträgern weit vor der Klause des Einsiedlers, stieg vom Pferde und ging allein zu ihm hin.

Als der König sich näherte, grub der Einsiedler vor seiner Klause die Beete um. Er erblickte den König, begrüßte ihn und arbeitete gleich weiter. Der Einsiedler war schmächtig und schwach und atmete schwer, wenn er den Spaten in die Erde stieß und die kleinen Schollen umwandte.

Der König ging auf ihn zu und sagte: „Ich komme zu dir, weiser Einsiedler, um dich zu bitten, mir diese drei Fragen zu beantworten: Welche Zeit muß ich im Sinne haben und nicht versäumen, um hinterher nicht zu bereuen; welche Menschen sind die notwendigsten, mit welchen Menschen muß man sich also mehr und mit welchen weniger abgeben; und welche Werke sind die wichtigsten; was muß man also vor allen Werken tun?“

Der Einsiedler hörte den König an, antwortete aber nicht. Er spuckte in die Hände und begann wieder zu graben. „Du bist wohl müde“, sagte der König, „gib mir den Spaten, ich will für dich arbeiten!“ - „Ich danke“, sagte der Einsiedler. Er gab dem König den Spaten und setzte sich auf die Erde. Als der König zwei Beete umgegraben hatte, hielt er inne und wiederholte seine Frage. Der Einsiedler antwortete nichts, streckte aber seine Hand nach dem Spaten aus.

„Jetzt ruhe dich aus, ich will“, sagte er.

Der König gab ihm aber den Spaten nicht her und fuhr fort zu graben. So verging eine Stunde und eine zweite. Die Sonne begann schon hinter den Bäumen unterzugehen, als der König den Spaten in die Erde steckte und sagte: „Ich kam zu dir, weiser Mann, damit du mir meine Fragen beantwortest. Wenn du sie nicht beantworten kannst, so sage es mir, und ich werde nach Hause gehen!“

„Da kommt jemand gelaufen“, sagte der Einsiedler. „Laß uns sehen, wer es ist!“ Der König sah sich um und erblickte in der Tat einen bärtigen Mann, der aus dem Wald gelaufen kam. Der Mann hielt die Hände an den Leib gedrückt, und unter seinen Händen strömte Blut. Der bärtige Mann lief auf den König zu, fiel zur Erde, schloß die Augen und rührte sich nicht mehr, sondern stöhnte nur mit schwacher Stimme. Der König und der Einsiedler öffneten die Kleider des Mannes. Auf seinem Leib klaffte eine tiefe Wunde. Der König wusch sie, so gut er konnte, und verband sie mit seinem Taschentuch und dem Handtuch des Einsiedlers. Das Blut ließ sich aber nicht stillen, und der König nahm einige Male den mit warmem Blut durchtränkten Verband ab und wusch und verband die Wunde von neuem.

Als das Blut endlich gestillt war, kam der Verwundete zu sich und bat um einen Trunk. Der König brachte frisches Wasser herbei und gab dem Verwundeten zu trinken. Die Sonne war inzwischen untergegangen, und es wurde kühl. Der König trug den verwundeten Mann mit Hilfe des Einsiedlers in die Klause und legte ihn auf das Bett. Als der Verwundete auf dem Bett lag, schloß er wieder die Augen und wurde still. Der König war vom Gehen und von der Arbeit so müde geworden, daß er sich vor der Schwelle hinhockte und so fest einschlief, daß er die ganze kurze Sommernacht durchschlief. Als er am Morgen erwachte, konnte er lange nicht begreifen, wo er sich befand und wer dieser bärtige, seltsame Mann war, der auf dem Bett lag und ihn unverwandt mit glänzenden Augen ansah.

„Vergib mir“, sagte der bärtige Mann mit schwacher Stimme, als er sah, daß der König erwacht war und ihn anblickte. „Ich kenne dich nicht und habe dir nichts zu vergeben“, sagte der König. „Du kennst mich nicht, aber ich kenne dich. Ich bin dein Feind, der geschworen hat, an dir Rache zu nehmen, weil du meinen Bruder hingerichtet und mir meine Habe genommen hast. Ich wußte, daß du allein zum Einsiedler gegangen warst, und ich wollte dich töten auf deinem Rückweg. Es verging aber der ganze Tag und du kamst immer noch nicht. Da ging ich aus meinem Versteck heraus, um zu sehen, wo du bleibst, und stieß auf deine Waffenträger. Sie erkannten mich und verwundeten mich. Ich lief ihnen davon. Ich verblutete und wäre gestorben, wenn du meine Wunden nicht verbunden hättest. Ich habe dich töten wollen, und du hast mir das Leben gerettet. Wenn ich nun am Leben bleibe und du es mir gewährst, so werde ich dir wie ein treuer Sklave dienen und dasselbe auch meinem Sohn befehlen. Vergib mir!“

Der König freute sich, daß es ihm so leicht gelungen war, sich mit seinem Feinde auszusöhnen, und verzieh ihm nicht nur, sondern versprach auch, ihm seine Güter zurückzugeben und seinen Diener und seinen Arzt zu ihm zu schicken.

Nachdem der König sich von dem Verwundeten verabschiedet hatte, trat er vor die Tür und suchte mit den Augen den Einsiedler. Ehe er von ihm ging, wollte er ihn zum letzten Male um Antwort auf die Fragen bitten. Der Einsiedler war draußen, er rutschte auf den Knien vor den Beeten, die er gestern umgegraben, und steckte Gemüsesamen hinein. Der König ging auf ihn zu und sagte: „Zum letzten Male bitte ich dich, weiser Mann, mir meine Fragen zu beantworten!“ - „Die sind ja schon beantwortet“, sagte der Einsiedler, sich auf seine mageren Waden hinhockend und von unten zu dem vor ihm stehenden König hinaufblickend.

„Wieso sind sie beantwortet?“ fragte der König. „Gewiß“, sagte der Einsiedler. „Hättest du dich gestern nicht meiner Schwäche erbarmt und diese Beete für mich gegraben, sondern wärest allein zurückgegangen, so hätte dich der Mann überfallen, und du hättest bereut, daß du nicht bei mir geblieben bist. Die richtigste Zeit war also die, in der du meine Beete umgrubst, der wichtigste Mensch war ich, und das wichtigste Werk war, mir Gutes zu tun. Und später, als er hergelaufen kam, war die richtigste Zeit die, in der du ihn pflegtest; denn hättest du seine Wunden nicht verbunden, wäre er gestorben, ohne sich mit dir versöhnt zu haben. Also war er da der wichtigste Mensch und das, was du getan hast, war das wichtigste Werk.

Merke es dir nun: Es gibt nur eine wichtigste Zeit - den Augenblick; sie ist darum die wichtigste, weil wir nur in ihr Gewalt über uns haben; der wichtigste Mensch ist der; mit dem du im Augenblick zusammengekommen bist, denn niemand kann wissen, ob du je wieder mit einem anderen Menschen zusammenkommst. Und das wichtigste Werk ist, ihm Gutes zu tun, denn nur dazu ist der Mensch in die Welt gesandt!“ (Leo Tolstoi).

So sagt es auch Jesus in seinem Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10,25n37). Über all unserem geplanten Tun können wir den richtigen Augenblick verpassen. Der Priester und der Levit hatten für sich vorentschieden, was für sie wichtig, welches für sie die richtige Zeit und das vorrangigste Werk war. So konnten sie etwas anderes gar nicht wahrnehmen. Der Samariter, so sagt Jesus, ist der einzige, der den richtigen Augenblick wahrnimmt, weil er sich von der Not der anderen bestimmen läßt.

Ein weiser Mann

Ein weiser Mann, der eine ungeheure Ruhe ausstrahlte,

wurde von einem andern geplagten Menschen gefragt:

„Wie machst du das, immer so ruhig zu sein?“

„Ganz einfach“ antwortete der Weise,

„wenn ich schlafe, schlafe ich,

wenn ich aufstehe, stehe ich auf.

wenn ich gehe, gehe ich,

wenn ich esse, esse ich,

wenn ich arbeite, arbeite ich,

wenn ich höre, höre ich,

wenn ich spreche, spreche ich!“

„Wie - das verstehe ich nicht! Das tue ich doch auch! Trotzdem bin ich so nervös!“

„Nein, du machst es anders:

wenn du schläfst, stehst du schon auf -

wenn du aufstehst, gehst du schon -

wenn du gehst, ißt du schon -

 wenn du ißt, arbeitest du schon -

wenn du hörst, sprichst du schon!“ (Verfasser nicht genannt).

 

Meine Zeit steht in Deinen Händen   (Ps 31,16)

Erst muß die Nacht ganz dunkel sein, bis wir noch deinem Tage schrein.

Dein Sturm muß unser Licht verwehn, bis wir auf deine Sterne sehn.

Ein Meer muß brechen über Bord, bis daß wir hören auf dein Wort.

Dann knien wir im schwanken Boot und rufen dich, den starken Gott.

Dann sehen wir die eigne Schuld und flehen: Herr, hob doch Geduld!

Dann suchen wir die Hand, die schlägt, weil sie allein uns hält und trägt.

Schon immer hast du uns gesucht, jetzt aber bleibt mir keine Flucht.

So nimm mich, Herr, zu mächtig bist du meinem Trotz geworden, Christ.

Und mache mich nun ganz bereit für deine gnadenvolle Zeit (Siegfried Goes)

 

Der Bilanzbuchhalter

Heute war Christus bei mir.

Ich hatte für ihn keine Zeit.

Ich sagte: „Später einmal“.

Und ließ mich in kein Gespräch ein.

Dann setzte ich mich ans Hauptbuch.

Und rechnete die Bilanz aus.

Aber sie stimmt nicht,

Sie stimmt nicht!

Irgendwo steckt ein Fehler,

Ein ganz kleiner Fehler.

Ich rechne n und kann ihn nicht finden (Helmut Schoepke)

 

Gebet: Meine Zeit steht in deinen Händen.

Herr, dann kann ich mich ruhig hinreißen lassen in die Not der Brüder.

Ich kann es mir leisten, Zeit, viel Zeit zu haben für alle, die mich nötig haben.

Und ich brauche keine Befürchtung zu haben, daß es jemals verlorene Zeit sein könne.

Meine Zeit steht in deinen Händen.

Herr, dann nimmst du uns ja die größte Sorge ab, die Sorge um die Zeit.

Herr, dann befreist du uns zur größten Freiheit, zum Leben unter deinen Augen.

 

Zeit zur Arbeit, Zeit zum Spiel

Wochen, Jahre, Stunden viel

Gottes Tag in deiner Hand,

sie gab Gott dir als ein Pfand.

Du hast Zeit, nutze sie,

gehe sinnvoll durch der Tag.

Viele Menschen brauchen dich

reiche ihnen deinen Arm.

Menschen spielen mit der Zeit,

 einmal ist es dann zu spät.

Leben ist alles, was vergeht

vertan ist die Gelegenheit.

 

Gedicht: Herr, ich habe Zeit

Herr, ich bin ausgegangen, Draußen gingen die Menschen.

Sie gingen, sie kamen, sie eilten, sie liefen. Herr, ich habe Zeit.

Die Fahrräder liefen, die Wagen liefen,

Die Lastautos liefen, die Straße lief, die Stadt lief. Alles lief.

Sie liefen, um keine Zeit zu verlieren,

Sie liefen hinter der Zeit her, um die Zeit einzuholen, um Zeit zu gewinnen.

 

Auf Wiedersehn, mein Herr, entschuldigen Sie, ich habe keine Zeit.

Ich werde wieder vorbeikommen, ich kann nicht warten, ich habe keine Zeit.

Ich beende diesen Brief, denn ich habe keine Zeit.

Ich hätte ihnen gerne geholfen, aber ich habe keine Zeit.

Ich kann es nicht annehmen, keine Zeit.

Ich kann nicht überlegen, lesen, ich bin überlastet, ich habe keine Zeit.

Ich möchte beten, aber ich habe keine Zeit.

 

Herr, Du verstehst, sie haben keine Zeit;

Das Kind, es spielt, es hat augenblicklich keine Zeit .... später ....

Der Schüler, er muß seine Aufgabe machen, er hat keine Zeit .... später .

Der Gymnasiast, er hat seine Kurse und so viel Arbeit, er hat keine Zeit....          später ....

Der junge Mann, er treibt Sport, er hat keine Zeit…           später

Der Jungvermählte, er hat sein Haus, er muß es einrichten, er hat keine Zeit .... später ..

Der Familienvater, er hat seine Kinder, er hat keine Zeit .... später          .

Die Großeltern, sie haben ihre Enkelkinder, sie haben keine Zeit .... später ....

Sie sind krank! Sie haben ihre Sorgen, sie haben keine Zeit .... später ....

Sie sind im Sterben, sie haben keine .... zu spät .... sie haben keine Zeit mehr!

 

So laufen die Menschen alle hinter der Zeit her, o Herr;

Sie gehen laufend über die Erde, eilig, herumgestoßen, überladen, mürrisch, überlastet,

Und sie kommen nie ans Ziel, es fehlt ihnen an Zeit,

Trotz all ihrer Anstrengungen fehlt es ihnen an Zeit.

Es fehlt ihnen sogar sehr an Zeit.

Herr, Du mußt Dich getäuscht haben in den Berechnungen.

Es muß ein Grundfehler darin sein;

Die Stunden sind zu kurz, die Tage sind zu kurz, die Lebenszeiten sind zu kurz.

Du, der Du außerhalb der Zeiten stehst, Du lächelst, Herr,

wenn Du siehst, wie wir uns mit ihr herumschlagen,

Und Du weißt, was Du tust.

Du täuschst Dich nicht, wenn Du den Menschen die Zeiten zuteilst.

Du gibst jedem die Zeit zu tun, was Du willst, daß er tun soll.

Aber man darf keine Zeit verlieren, keine Stunde vergeuden, die Zeit nicht totschlagen;

Denn die Zeit ist ein Geschenk, das Du uns machst,

Aber ein vergängliches Geschenk,

Ein Geschenk, das sich nicht aufbewahren läßt.

 

Herr, ich habe Zeit, Ich habe all meine Zeit für mich,

Alle Zeit, die Du mir gibst,

Die Jahre meines Lebens, die Tage meiner Jahre, die Stunden meiner Tage,

Sie gehören alle mir.

An mir ist es, sie zu füllen, ruhig und gelassen; aber sie ganz zu füllen bis zum Rande,

Um sie Dir darzubringen, damit Du aus ihrem schalen Wasser einen edlen Wein machst,

wie Du es einst tatest, zu Kana, für die Hochzeit der Menschen.

Herr, ich bitte Dich heute abend nicht um die Zeit, dieses und dann noch jenes zu tun,

Ich bitte Dich um die Gnade, in der Zeit, die Du mir gibst,

gewissenhaft das zu tun, was Du willst, daß ich tun soll (Michel Quoist)

 

 

 

ANHANG

 

Geschichte der Uhren

Wir leben heute nach der Uhr - und fühlen uns gleichzeitig von ihr gehetzt. Um Menschen ohne Uhr zu finden, müssen wir schon sehr weit zurückgreifen — oder aber den Weg der Zivilisation verlassen ...

Die erste „Normalzeit“ spendeten Sonnensäulen, die man auf den öffentlichen Plätzen errichtet hatte und die ihre Schatten nach allen Richtungen warfen, je nach Stand der Sonne. Im Pflaster waren Zeichen für die Stunden eingelassen. Der Wohlhabende hatte auch damals seine eigene Uhr im Hause. Ja, Ägypten war das erste Exportland für Wasseruhren. Diese Chronometer - neben den Sonnenuhren die älteste Uhrenart - bestanden in ihrer primitivsten Form aus zwei übereinandergestellten zylindrischen Gefäßen. Aus dem oberen tropfte das Wasser durch ein kleines Loch in das untere. War das Wasser ausgelaufen, dann war ein bestimmter Zeitabschnitt zu Ende. Größere Wasseruhren reichten für sechs Stunden, dann mußten sie wieder gefüllt werden. Die kunstfertigen Uhrmacher der Pharaonen bauten solche Uhren sogar mit Zeigern und Schlagwerk, indem sie es so einrichteten, daß stündlich eine bestimmte Anzahl Kugeln laut klingend auf einen Metalldeckel niederfielen.

 

Die Römer waren Hauptabnehmer dieser ägyptischen Wasseruhren - und man berichtet von wahren Wunderwerken der Technik, die sich die römischen Provinzgouverneure gelegentlich mit nach Hause brachten. Übrigens war für ein so organisiertes Staatswesen wie das römische die Uhr schon unentbehrlich; wir brauchen uns des, halb nicht zu wundern, daß jede größere römische Stadt ihr eigenes Zeitzeichen hatte. Am Morgen wurde durch Ausrufer von Staats wegen die Stunde ausgerufen, und dann füllte man in allen Häusern die Wasseruhren.

Der römische Dichter Plautus war mit solcher Regelung gar nicht einverstanden. Er schrieb: „Mögen die Götter den verderben, der die Stunde erfand ... die mir den Tag in Stücke reißt. Früher war mein Bauch meine Uhr - unter allen die beste und richtigste. Sie mahnte jeweils zum Essen, auch wenn nichts zu essen war; jetzt aber wird auch, was da ist, nicht gegessen, wenn es der Sonne nicht gefällt!“

Von Kaiser Konstantin wird berichtet, daß er eine Uhr besessen habe, die auch nach heutigen Begriffen ein außergewöhnlich komplizierter Zeitmesser gewesen sein muß. Sie hatte die Form eines Baumes, in dessen Zweigen alle möglichen Tiere saßen. Unten sah man Löwen, und mit dem Stundenschlag öffneten diese das Maul, um ihr Gebrüll erschallen zu lassen. „Wieviel hat es eben gebrüllt?“ mag im Palast Konstantins eine oft gehörte Frage gewesen sein.

Die Griechen gebrauchten neben der Sonnenuhr, für deren exakte Konstruktion sie schon alle astronomischen Hilfsmittel besaßen, die importierte ägyptische Wasseruhr. Unter Zuhilfenahme einer solchen ägyptischen Wasseruhr konstruierte kein Geringerer als Platon den ersten Wecker. Er hängte das untere Wassergefäß drehbar auf, so daß es nach einer bestimmten Zeit umkippte und den gesamten Wasserstrahl ausschüttete. Dieser Wasserstrahl wurde an einer Pfeife vorbeigeleitet, die durch den Luftstrom des stürzenden Wassers zum Tönen gebracht wurde. Pünktlich um die gleiche Stunde „pfiff“ also der Platonische Wecker die Schüler des großen Philosophen zum Unterricht.

Jahrtausende wurde die tägliche Zeitmessung von der Wasseruhr ausgeführt. Noch Karl der Große erhielt vom Kalifen Harun al Raschid eine kunstvolle Wasseruhr mit Zeiger und Schlagwerk - aus purem Gold.

Die mechanische Waaguhr hat die Wasseruhr abgelöst, bis Peter Henlein das Unruheprinzip erfand und Christian Huygens das Pendelprinzip beim Uhrenbau benutzte, wobei Uhren entstanden, die den heutigen sehr gleich waren. Die Sanduhren dienten dazu, dem Pfarrer auf der Kanzel die Dauer seiner Predigt anzuzeigen.

Unsere Vorfahren hatten eine ebenso anstrengende wie ungenaue Methode der Zeitmessung. Sie ließen Kieselsteine aus einem Helm in einen zweiten - einzeln - hineinlegen. Man kann sich denken, wie sehr der Stundenablauf dieser Helmuhr mit Temperament und Laune der Bediensteten schwanken mußte.

 

Alttestamentlich-Hebräisches Zeitverständnis

„Meine Zeit steht in deinen Händen!“ (Ps 31)

1. Wir leben alle mit Uhr und Terminkalender; wir messen die Zeit mit dem Chronometer nach vorgegebenen Maßeinheiten von Stunden oder Minuten; wir teilen sie in so viele Abschnitte, wie nötig sind, um darin unsere verschiedenen Aufgaben unterzubringen. Dabei haben wir die Vorstellung von einer fortlaufenden Zeit, einer geraden Linie, auf der wir alle Ereignisse zeitlich fixieren können. An irgendeinem Punkt in der Mitte dieser Linie befinden wir uns, den Blick nach vorwärts gerichtet - diesen Punkt nennen wir Gegenwart. Vor uns liegt die Zukunft, hinter uns haben wir die Vergangenheit. So jedenfalls, wenn wir die physikalische Zeit meinen. Merkwürdig inkonsequent sprechen wir, wenn wir Menschen der Vergangenheit als Vorväter und Menschen der Zukunft als Nachfahren bezeichnen. Wir haben also in unserem Zeitdenken keine einheitliche Vorstellung.

Oft genug erleben wir auch die Relativität unseres Zeitmaßstabes. Eine Stunde ist für uns keineswegs immer gleich lang. Als Wartezeit auf eine gute oder böse Nachricht oder in einer schlaflosen Nacht kann sie uns dreimal so lang erscheinen. Ebenso können zwei Jahre, mit entsprechend reichem Inhalt versehen, zwar im Nu vergehen, aber doch wie 20 Jahre wirken. Der Inhalt bestimmt in solchen Fällen die Zeit, und wir pflegen sie gelegentlich danach zu charakterisieren, wenn wir von Festzeit, Trauerzeit, Notzeit, Friedenszeit, Gnadenzeit, Sprechstunde u. ä. reden.

 

Statt der drei Zeitformen Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft (einschließlich ihrer genaueren Differenzierungsmöglichkeiten) kennt die hebräische Sprache nur zwei Zeitformen: Vollbracht Perfektum und Nicht-vollbracht (= Imperfektum), das heißt eine Handlung, die faktisch abgeschlossen ist (= faktual), und eine Handlung, die noch im Vollzug begriffen ist (= aktual). Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Handlungen in der Vergangenheit oder Gegenwart liegen oder als zukünftige erwartet, gewünscht schon jetzt geschildert werden.

 

Die Beobachtung des Universums gab den Griechen aber auch einen Wertmaßstab für den Ablauf der Zeit in die Hand. Die sichtbare Ordnung und Schönheit des Kosmos, die ständige Wiederkehr von Werden und Vergehen formte sich ihnen zu den erhabenen Gesetzen von Regelmäßigkeit, Beständigkeit und Unveränderlichkeit. In dieser Weltanschauung sahen sie alles sich in einer ewigen Wiederkehr des Gleichen bewegen, wobei der Hervorgang in seinen Anfang zurückkehrt. So bleibt das griechische Bild für Zeit das einer Linie, entweder einer kreisförmigen Linie zur Andeutung einer objektiven, physikalischen, astronomischen und meßbaren Zeit, oder einer geraden Linie, so wie die grammatikalische Zeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, in der unsere Handlungen sich abspielen, es fordert.

Zusammenfassend läßt sich sagen: Es ergibt einen eigenartig spiralhaften Ablauf der Zeit, und der griechische Historiker (zum Beispiel Herodot oder Thukydides), der den Geschichtsablauf verfolgt, um herauszufinden, warum etwas geschehen ist, stellt fest, daß sich grundsätzlich die Zukunft nicht von der Vergangenheit unterscheidet: Das Wesen des Menschen und die Motive seines Handelns bleiben immer gleich. Daher können und müssen Lehren aus der Vergangenheit gezogen, für die Zukunft gegeben werden, denn die Zukunft ist die Möglichkeit zur Wiederholung der Vergangenheit.

 

Ganz anders hingegen war das hebräische Zeitdenken. Nicht der dem Begriff von „chronos“ entsprechende, mit dem Chronometer meßbare Zeitablauf war entscheidend, sondern die Lebensfunktion, die eine Zeit zu einer jeweils ganz bestimmten, einmaligen qualifizierte (etwa entsprechend unserem Sprachgebrauch von „Freudenzeit“, „Trauerzeit“, „Lehrzeit“ u. a.).

Die Zeit ist identisch mit ihrem Inhalt. Die Zeit ist der Begriff des Geschehens; sie ist der „Strom der Begebenheiten“ (Boman). Am anschaulichsten ist es abzulesen aus dem Abschnitt Prediger 3,1-8.

Natürlich bestimmten auch die Israeliten die physikalisch-astronomische Zeit mit Hilfe von Sonne, Mond und Sternen (speziell nach den wechselnden Mondphasen). Aber dies geschah nach 1. Mose 1,5-19 auf andere Weise als bei den Griechen. Die Israeliten studierten nicht den Gang der Sonne, um nach ihm den Zeitablauf zu kennzeichnen. Sie nannten die Gestirne „Lampen“ und „Lichter“ die leuchten und wärmen sollen. Diesen Funktionen entsprechend wird das Licht „Tag“ genannt und die Finsternis „Nacht“. Die Trennung von Licht und Finsternis wird gleichbedeutend mit der Trennung von Gut und Nicht-gut. Tag und Nacht werden also durch das Leuchten, nicht durch die Bewegungen der Himmelskörper bestimmt. „Der qualitative Unterschied von Licht und Finsternis ist im Alten Testament so ausgeprägt, daß Licht identisch mit Glück und Segen, Finsternis mit Fluch und Verderben gebraucht werden können!“ (Boman). Nur deshalb auch können die Himmelslichter als Zeichen der Güte und Herrlichkeit Gottes gepriesen werden (Ps 136; 8; 19).

Diese objektive Bestimmung der Zeit von ihrem Inhalt her, dem rhythmischen Wechsel von Licht und Finsternis, von Wärme und Kälte, wird ergänzt durch weitere subjektive Zeitempfindungen des Menschen, die ebenfalls durch ständige Rhythmen, durch „Pulsation“ des Lebens (wie in einem elektrischen Kraftfeld), nicht durch regelmäßigen chronologischen Ablauf hervorgerufen werden. Es sind dies zum Beispiel Rhythmen wie schlafen - wachen, arbeiten - ruhen, einatmen - ausatmen. Herz- und Pulsschläge, Essenszeiten u.a.m. (Siehe Pred. Sal. 3,1 ff.) Auch im Leben der Natur vollziehen sich solche Rhythmen: Säen und Ernten, Frost und Hitze, Sommer und Winter (1. Mose 8,20). Diese Welt- und Lebensanschauung gibt dem hebräischen Denken etwas ungemein Dynamisches gegenüber dem harmonisch Ruhenden des griechischen Denkens. Alles ist in Bewegung, und nur die Bewegung hat Realität. Die hebräische Sprache ist immer auf das Tätige gerichtet. Sagt der Grieche: „Der Gipfel des Berges ist schwindelnd hoch“, so formuliert der Hebräer: „Der Berg reckt seinen Gipfel in schwindelnde Höhe empor“.

Ein Prediger des 7. vorchristlichen Jahrhunderts kann im Blick auf das Sinai-Ereignis sagen: „Nicht mit unsern Vätern hat der Herr diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, die wir hier alle heute noch am Leben sind“ (5. Mose 5,3). Die in Israels Überlieferung geschilderte Lage wird immer neu vergegenwärtigt: Jede Notzeit ist für Israel Vergegenwärtigung der Ägyptenzeit, jedes Heilsereignis Vergegenwärtigung der Herausführung, denn auch die Geschichte ist Pulsation zwischen Sünde (Notzeit) und Buße (Heilszeit).

 

Nachdem wir das hebräische Zeitverständnis so weit analysiert haben, drängt sich immer stärker die Frage auf: Wie kommt es, daß gerade in Israel die ältesten zusammenhängenden Geschichtsdarstellungen entstanden sind, dagegen in Griechenland erst 700 Jahre später? Für wirkliches Geschichtsbewußtsein war offenbar das Vermögen, die Gleichzeitigkeit mit bestimmten Ereignissen zu erleben, eine bessere Voraussetzung als die Fähigkeit, einen chronologischen Ablauf möglichst genau zu rekonstruieren. Nicht das Interesse an der chronologisch-historischen Rekonstruktion hat Israel zur Geschichtsschreibung gebracht, sondern die unlösbare Bezogenheit des eigenen Lebens zu den Ereignissen der Geschichte.

Hinzu kommt das Wissen um die Einmaligkeit alles Geschehens im Unterschied zu der griechischen Vorstellung von der Wiederholbarkeit. Hebräisches Denken fragt nicht: „Warum geschieht etwas?“, sondern „Wozu geschieht etwas?“ Fragten die Griechen nach dem Grund, so fragen die Israeliten nach dem Ziel des Geschehens. Israels Erleben der Gleichzeitigkeit richtet sich sowohl auf Vergangenes als auch auf Zukünftiges. Entscheidend ist weder der Zeitabstand noch der objektive Verlauf. Allein ausschlaggebend ist der Inhalt der Ereignisse in seiner gegenwärtigen (subjektiven) Bedeutung auf die Bezugsperson und deren Lebens- und Glaubensbewältigung. Da jeder Augenblick unwiederholbar einmalig ist, gibt es auch keine Möglichkeit, Versäumtes wiedergutzumachen. Versagen bedeutet Schuld und könnte beinhalten, das Ziel zu verfehlen.

Zielgerichtete Geschichte ist das auffallendste Merkmal israelitischer Geschichtsdarstellung. Es begegnet uns bereits in dem ältesten Kern alttestamentlicher Geschichtsüberlieferung, die sich aus dem Glaubenssatz entwickelt hat: „Gott hat Israel aus Ägypten herausgeführt!“

 

Unsere Zeit - Gottes Zeit

Ein Mann hatte einen großen Terminkalender und sagte zu sich selbst:

Nun sind alle Termine eingeschrieben

aber noch sind die Tagung X und die Tagung Y,

die Sitzungen der Synode und des Gemeinderates nicht eingeplant.

Wo soll ich sie alle unterbringen?

Und er kaufte sich einen größeren Terminkalender

mit Einteilungsmöglichkeiten der Nachtstunden,

 disponierte noch einmal,

schrieb alle Tagungen und Sitzungen ein

und sagte zu sich selbst:

Nun sei ruhig, liebe Seele, du hast alles gut eingeplant,

 versäume nur nichts!

Aber je weniger er versäumte, umso mehr stieg er im Ansehen

und wurde in den Ausschuß Q und in den Ausschuß K gewählt,

 zweiter und erster Vorsitzender, Präsident und…

Und eines Tages war es dann soweit und Gott sagte:

Du Narr, diese Nacht stehst du auf meinem Terminkalender! (Gottfried Hänisch).

 

 

 

 

 

Freizeit

 

Definition:

Freizeit habe ich, wenn die Arbeitszeit (Schulzeit) vorüber ist. Man muß ja unterscheiden zwischen der Freizeit, die dann beginnt, wenn die Schulzeit bzw. Arbeitszeit vorbei ist, und der wirklich freien Zeit, wo man auch alle anderen Verpflichtungen (Hausaufgaben, Hausarbeit) los ist und sich wirklich seinen Lieblingsbeschäftigungen widmen kann, wenn man frei und ungezwungen ist - ohne Verpflichtungen. 

Auch junge Menschen haben keine Zeit. Ob Schüler oder Lehrling, jeder hat seine Pflichten, die Eltern haben ihre Ansprüche, da bleibt nur wenig freie Zeit

 

Die Freizeitgesellschaft:

In der vorindustriellen Zeit (sogenannten „guten alten Zeit“) gab es keine Freizeit. Man lebte fest im Familienverband, wo es eigentlich immer etwas zu tun gab; nur jahreszeitlich änderte sich der Arbeitsrhythmus. Erst mit der Industrialisierung wurde die Arbeit zum Fluch und man merkte, daß man eigentlich nur Arbeit hatte.

Damals gab es Arbeitszeiten vor 14 und 16 Stunden, sogar 18 Stunden, auch für Kinder (!).

Heute läuft die Entwicklung auf eine Freizeitgesellschaft hin. Um 1920 wurde der 8-Stunden-Tag zur Regel und ein Jahresurlaub eingeführt. Heute gibt es vorwiegend die 5-Tage-Woche mit 8-Stunden-Arbeitstag (d.h. ein Drittel des Jahres ist frei). Doch schon 1962 erzwangen die New Yorker Bau-Elektriker die 25-Stunden- Woche. Thomas Morus, ein englischer Philosoph zur Zeit Luthers, erwartete eine 6-Stunden-Woche. Wahrscheinlich wird man aber zunächst den Jahresurlaub ausdehnen.

Ausgeschlossen vor dieser Freizeitgesellschaft bleiben vorerst noch die leitenden Leute in-Politik und Wirtschaft, denen immer mehr aufgebürdet wird. Dazu kommen die Landwirte und die Hausfrauen (eine berufstätige Frau arbeitet 90 Stunden in der Woche!)

Das Leben in der technischen Welt ist nervlich sehr viel belastender geworden. Die Technik schafft zwar mehr Kontaktmöglichkeiten und eine gesteigerte Freude. Aber sie bringt auch eine gesteigerte Belastung mit sich. Trotz aller Zeitersparnis bleibt so oft keine Zeit mehr für andere Menschen. Dazu zwei Beispiele aus der Literatur:

1. Till Eulenspiegel begegnete einmal auf der Landstraße einem Bauern mit schwerbeladenem Wagen. „Wie weit ist es noch bis Bremen?“fragt der Bauer. Till Eulerspiegel artwortet: „Ach, das ist roch sehr weit. Da mußt du langsam fahren!“ Kopfschüttelnd über so viel vermeintliche Dummheit schlägt der Bauer die Pferde mit der Peitsche.

Aber nach nicht langer Zeit bleibt er mit total erschöpften Pferden und Achsenbruch auf der Strecke. Till Eulenspiegel holt ihn ein und sagt lächelnd: „Siehst du, Freundchen, wenn man‘s weit hat, muß man langsam fahren!“

2. Saint Exupery schreibt in „Der kleine Prinz“: „Guter Tag“, sagte der kleine Prinz. „Guten Tag“ sagte der Händler. Er handelt höchst wirksam mit durststillenden Pillen. Man schluckt jede Woche eine und spürt überhaupt kein Bedürfnis mehr zu trinken. „Warum verkaufst du das?“ sagte der kleine Prinz. „Das ist eine große Zeitersparnis“, sagte der Händler. „Die Sachverständigen haben Berechnungen angestellt. Man spart dreiundfünfzig Minuten in der Woche!“ -„Und was macht man mit den dreiundfünfzig Minuten?“ -„Man macht damit, was man will...“ - „Wenn ich dreiundfünfzig Minuten übrig hätte“, sagte der kleine Prinz, „würde ich ganz gemütlich zu einem Brunnen laufen...!“

Der Fortschritt allein wird also das Problem nicht lösen. Und die Hoffnung auf die Zukunft hilft uns ja wenig für unsere Zeit heute. Wir leiden eben immer noch unter den beiden großen Zeiträubern:

1. Informationszwang: Wir müssen immer mehr wissen, um leistungsfähiger zu werden, haben dadurch aber auch weniger Zeit.

2. Lebensstandard: Weil wir nach Geld und Konsumgütern streben, wird unsere Zeit immer knapper.

 

Rollenspiel: Freizeit, freie Zeit?                   

I. Nach den großen und schweren Anforderungen des Arbeitstages sehnen wir uns nach Ruhe, Entspannung und Erholung. Diese wenigen Stunden der Freizeit sind es wert, recht gestaltet zu werden.

 

II. „Gestaltet“ - das klingt nach „organisieren“. Da wird man doch wieder in eine Ordnung, eine Verpflichtung, einen Zwang eingespannt, dem man gerade entronnen zu sein glaubte. Theodor Heuß hat einmal gesagt: „Freude und Frohsinn, das ist nicht Krampf und Betrieb,

die man sich mit einer Barzahlung bei den Geschäftsunternehmungen für organisiertes Gruppenvergnügen erwirbt, sondern eigener Beitrag in der freien Gemeinschaft!“ In der Freizeit sollte man das tun, was einem gerade in den Sinn kommt und was einem gerade gefällt.

Zum Beispiel L e s e n: Aber ja nichts Schweres, nur Dinge, die einem die Zeit angenehm

vertreiben: Illustrierte, Magazine, Kriminalromane.

 

I. Der Umgang mit schlechten Büchern kann gefährlicher sein als der Umgang mit schlechten Menschen. - Weichliche, unwahre Liebesgeschichten, Kriminalromane mit erlogener Reißertendenz bilden nicht, sondern „ver“ -bilden. Deshalb sollten Eltern immer erst die Bücher lesen, die sie ihren Kindern geben. Kinder können noch nicht selber entscheiden, was gut und was schlecht ist, man muß ihren Lesestoff noch zensieren und sie etwas bevormunden. Ein gutes Buch dagegen spendet Freude, bereichert unser Wissen, erweitert unser Blickfeld.

 

II. In der Freizeit soll und will ich nicht belastet werden. Ich suche Entspannung, bin nur entspannt, wenn ich „Spannung“ habe. Auch durch die M u s i k will ich Entspannung - leicht, leicht, leicht. Nur nicht belasten!

 

I. Also wie ein Vagabund von Ätherwelle zu Ätherwelle, um leichte - „seichte“ - Musik zu hören. Zufällig kommt dann wieder ein Fetzen Unterhaltungsmusik, und wir können unser musikalisches Bedürfnis befriedigen. Und das Ganze heißt dann: Ich höre Musik. Meist besteht diese „Musik“ jedoch nur aus wüsten Rhythmen. Bei Mozart und Haydn kann man sich noch entspannen. Die moderne Musik dagegen regt auf, besonders wenn man noch meint, den Rhythmus mitwackeln zu müssen. Wer weiß, daß er bei „heißer Musik“ in Ekstase gerät, sollte sich lieber anderer Musik zuwenden, denn bei klassischer Musik ist noch keiner wild geworden. Habt den Mut zur guten Musik. Wählt an Hand des Programms aus, was ihr im Radio hören wollt! Auswahl und keine Allesfresserei.

 

II. Das ist ja alles nur eine Beschäftigung für zu Hause. Der Inhalt der Freizeit sollte Freude sein, auch Freude mit den anderen. „Freuet euch mit den Fröhlichen!“ (Röm.12,15). Das weist uns in die Gesellschaft, zu Kino, Sport, Tanz, Freundschaft und in die Geselligkeit. -

Der F i l m hat nicht nur Heimatfilm und Reißerthemen. Shakespeare wurde schon 122 mal verfilmt. Und ein Wildwestfilm wie „Zwölf Uhr mittags“ wurde als monatsbester Film ausgezeichnet.

 

I. Ein Film soll aber zumindest vom künstlerischen Standpunkt gut sein, seine Handlung soll wahr sein und das Schlechte muß auch ganz klar als Schlechtes zu erkennen sein. Der Film soll Phantasie haben, soll entspannen, aber auch zum Nachdenken anregen. Wenn man aber in einen schlechten Film geht, unterstützt man noch die Produktion ähnlicher Filme, denn nicht der Produzent entscheidet über den Erfolg des Filmes, sondern der Kinobesucher, der vielleicht nur „ins Kino“ geht, nicht aber um einen Film zu sehen. -

Das T a n z e n gehört wie vieles andere und vielleicht noch schlechtere in unsere Zeit hinein, und warum soll man als Christ einen Bogen darum machen?

 

II. Weil man so leicht das weiße Kleid verlieren kann und dem Alkohol zuspricht. Deshalb sollten Vater, Mutter und Erzieher recht darüber nachdenken, was sie an ihren Kindern versäumt haben in der wahren Liebe, und sollten nicht Handlanger zur Welt mit Tanzen und Vergnügungen werden. Die Sünde sieht erst harmlos aus, aber nachher gibt es Ketten.

Martin Luther sagte jedoch einmal in einer Predigt: „Ich weiß das Tanzen nicht zu verdammen, außer wo es im Übermaß geschieht, unzüchtig oder zuviel ist. Wenn aber Sünde dabei geschieht, so ist der Tanz nicht allein Schuld daran; denn Sünden geschehen auch über Tisch und in der Kirche. Das Essen und Trinken ist ja auch nicht schuld, daß etliche darüber zu Säuen werden. Der Glaube und die Liebe lassen sich nicht austanzen, wenn du züchtig und mäßig darin bist. Junge Kinder tanzen ohne Sünde. Das tu du auch und werde ein Kind, so schadet dir der Tanz nicht!“

 

I. Aber meist artet das Tanzen doch aus. Welch ein schönes und anmutiges Bild könnte es doch sein, wenn sich die Paare im Wiener Walzer drehen. Welche nahezu grauenhaften Bilder bieten sich uns aber oft, wenn wir sehen, wie man heute tanzt. Wie sehen die Menschen aus, wenn sie einer Massenbeeinflussung zum Opfer fallen. Sie sind nicht mehr Herr ihrer Sinne. Die größte Entartung ist ja noch der „Dauertanz“: Zehn Paare drehen sich im Tanze, aber nicht aus Freude daran, sondern um festzustellen, wer es am längsten aushält.

 

II. Derartige Entgleisungen werden ja auch von einem großen Teil der Jugend abgelehnt. Aber was man gegen einen gut getanzten Boogie haben kann, ist mir schleierhaft! In den Tanzschulen bemüht man sich zur Zeit sehr sorgfältig, einen anständigen Tanz daraus zu machen und den „Tanz mit sich selber“ abzuschaffen.

 

I. Solche Probleme treten beim Volkstanz nicht auf. Es spielt hier keine Kapelle, es gibt auch keinen „tollen Rhythmus“, es ist nichts Modernes, was hier gesungen wird, und doch macht es allen so viel Freude

 

I. Aber auch bei den modernen Tänzen kann man mitmachen. Man kann nicht ohne weiteres sagen: „Tanzen ist Sünde!“ Der Tanz ist eine Sache, und es liegt bei den Tanzenden, was sie daraus machen. Wir könnten in eine sehr fatale Lage kommen, wenn wir vom Mißbrauch her in ähnlicher Weise andere Lebensäußerungen ablehnen. Wir wissen, wieviel Schmutz und Schund heute unter der Literatur zu finden sind. Sicher würde keiner von uns auf den Gedanken kommen, das Lesen deshalb zu verbieten, weil die Beschäftigung mit dem Buch auch Menschen an den Abgrund führen kann. Ebenso ist es mit dem Film und dem gesprochenen Wort. Tanzen ist genauso berechtigt wie die geistlichen Übungen, und beide können mißbraucht werden!

 

II. Wer aber Jesus Christus als seinen Heiland gefunden hat und ihn liebt, braucht nicht mehr zu fragen: Ist das Sünde? Er hat ja den Freudenbringer gefunden, so daß die Vergnügungen, die uns die Welt anbietet, erblassen und ihre Anziehungskraft verlieren. Ist denn Jesus wirklich ein so armer Freudengeber?

 

I. Tiefgründige Moralpredigten halten und vielleicht auch beim Evangelisationseinsatz fromme Lieder singen, das kann jeder. Aber ob einer Christ ist und auch in der Anfechtung bleibt, das stellt sich heraus, wenn er sich in die Höhle des Löwen wagt. Wenn ich natürlich weiß, daß der Tanzboden eine Gefahr für mich ist, dann lasse ich es lieber sein. Wer sich jedoch stark genug fühlt, sollte ruhigen Gewissens zum Tanzen gehen.

 

II. Aber manchmal merkt man die Verführung gar nicht einmal so. Da drängt sich einer durch vorlautes Wesen, Angeberei oder Rüpelei bei einem Mädchen in den Vordergrund. Wirst du dich dann genauso benehmen, um deine Chancen nicht zu verlieren?

 

I. Auf ein solches Mädchen verzichtet ein anständiger junger Mann, der noch etwas Ehrgefühl in sich hat, denn das Mädchen wäre es nicht wert, wenn man sich um es bemüht. Aber es sind halt immer die Erwachsenen, die in der Jugend nur Menschen sehen, die man leiten muß, die man von jeder Gefahr fernhalten muß, die man möglichst viel unter Aufsicht haben muß. Dabei machen sich derartige Erwachsene nicht klar, daß sie von den einfallsreicheren Jugendlichen auf die Dauer doch in jedem Fall übertölpelt werden können. Man sollte deshalb lieber von vornherein Vertrauen in den jungen Menschen setzen, er sollte doch schon wissen, was er sich erlauben darf.

Unser Glaube macht uns ja gerade nicht zu ängstlichen Geschöpfen, sondern zu freien Menschen, die das Leben und seine Möglichkeiten mit neuen Augen sehen und in einer ganz anderen Weise zur Vielfalt des Lebens Ja sagen können. So kann uns auch der Tanz viel echte Freude schenken. Da wir Christen aber fröhliche Menschen sind und sein sollen, dürfen wir - oder besser gesagt - müssen wir auch „Ja“ zum Tanzen sagen können, wenn es in anständiger Gesellschaft geschieht.

Man darf tanzen. Aber das darf uns nicht abhalten, sonntags in die Kirche zu gehen. Und wer als Christ lebt, wird allerdings nicht unter dem Zwang des Tanzenmüssens stehen in der Angst, etwas versäumen zu müssen. Ich bin dafür, daß wir alles prüfen und das Gute behalten. Wenn man uns nur von allem zurückhält, sind wir auch unzufrieden und denken wunder, was man uns vorenthält. Alle Dinge dieser Welt werden schon bald sehr viel von ihrem Wert verlieren. Nur was bleibt, wird immer herrlicher.

Wenn ich aber weiß, daß Jesus Christus nicht mehr dabei sein kann, dann kann ich nur mir oder anderen sagen: Am kommenden Morgen fällt die schmutzige Maske, dann zeigt der Spiegel das zerstörte Gesicht! Am Morgen nach „rauschender Ballnacht“ kassiert einer die Rechnung. Dabei zahlt mancher mehr als Geld, nämlich mit seiner Seele!

 

Gegen die Langeweile:

Das „Freizeitproblem“ ist nicht von außen, sondern nur von innen her lösbar. Wir werden mit ihm nicht fertig, wenn wir aus einer Beschäftigung, die wir als Unfreiheit empfanden, in ein neues Tätigsein flüchten, nur weil die Langeweile uns dazu zwingt. Es wäre absurd, wenn wir

beginnen wollten, unsere Zeit selbst totzuschlagen, nachdem sie ehedem von anderen totgeschlagen wurde, nämlich von Veranstaltungsbetrieben.

In erster Linie müssen wir es lernen, es in Gesellschaft mit uns selbst auszuhalten. Wir müssen die Fähigkeit erlangen, eine Unterhaltung mit uns selbst führen zu können. Es gilt, unser eigenes Selbst uns erst ganz begreiflich zu machen. Und schon beginnen wir, mit uns selbst Zwiesprache zu halten, eine Zwiesprache, die wir auch als Denken bezeichnen können. Wenn wir erst ein solches Gespräch mit uns selbst begonnen haben, wird es nie mehr abreißen und nie mehr Langeweile in uns aufkommen lassen.

Nur dann, wenn wir die Herrschaft über unsere Freizeit dazu verwenden, um die in uns verborgene innere Welt zu entdecken, wird uns die Entwicklung, die die sich angebahnt hat, zum Segen gereichen. Wenn wir jedoch nichts mit uns und unserer Zeit anzufangen wüßten, würden wir unter die Knechtschaft des Barbarismus geraten.

Es ist immer wieder erschütternd, wenn andere Leute Langeweile haben. Langeweile ist ein Zeichen für Mangel an Persönlichkeit. Man muß allerdings, um keine Langeweile zu haben, meist etwas vielseitig sein.    

Manche Leute versuchen, sie durch Vergnügungen zu vertreiben. Aber so etwas gibt es nicht immer. Jedes Vergnügen wird also zu einem Höhepunkt, der aus dem vielleicht traurigen Alltag herausragt. Deswegen muß es möglichst genossen werden, auch wenn man sich dabei einmal nicht so benimmt, wie man eigentlich sollte und vielleicht auch wollte. Das verhindert jedoch nicht, daß man nachher die Leere des Alltags noch stärker spürt, ja man spürt sie nur noch tiefer. Dann braucht nur noch dazuzukommen, daß man in der Familie keinen Halt findet, daß man keinen Freund oder keine Freundin hat, und eine andauernde Weltschmerzstimmung entsteht. Um dieser zu entgehen, stürzt man sich wieder in neue Vergnügen, um noch entleerter daraus hervorzugehen!

Freie Zeit erfordert Überlegung und persönliche Entscheidung: „Ich habe es alles Macht; es

frommt aber nicht alles. Ich habe es alles Macht; es soll mich aber nicht gefangennehmen!“ (1. Kor 6,12)."

 

Fragebogen:

1. Tägliche Freizeit von Montag bis Freitag? (in Stunden):  a) 0 , b)1 - 2,  c) 3 - 4

2. Freie Zeit am Wochenende ? (in Stunden):     a) 1- 5,  b) 6 - 10, c) mehr als 10

3. Reicht ihr Taschengeld für Ihre Freizeitbedürfnisse? a) nein,     b) ja,    c) manchmal

4. Verbringen Sie Ihre Freizeit allein? a) allein, b) mit Freunden, c) mit Verwandten

5. Wo verbringen Sie die Ferien? a) zu Hause b) in Urlaubsort c) bei Verwandten

6. Wie oft gehen Sie zu Sportveranstaltungen? a) nie, b) wöchentlich, c) monatlich einmal

7. Gehören Sie einem Verein an? a) Sportverein, b) Kulturverein, c) kein Verein

  Haben Sie ein Amt in Schule, Verein, Jugendgruppe?

8. Lesen Sie eine Zeitung einigermaßen regelmäßig? a) Tageszeitung b) Illustrierte

9. Haben Sie noch andere Bücher außer den Schulbüchern? a) Romane, b) Sachbücher

10. Haben Ihre Eltern Einfluß auf Ihre Freizeitgestaltung? a) nein., b) zu viel, c) teils-teils

11. Wie viele Stunden bleiben Ihnen täglich fürs Fernsehen? a) 0-1, b) 2-3, c) 4 und mehr

12. Bis zu welcher Uhrzeit sehen Sie abends fern? a) 20 Uhr, b) 21 Uhr, c) 22 Uhr und länger

 

Welche Fernsehstücke bevorzugen Sie, welche Freizeitbeschäftigung

Film                                                                             Ausruhen

Fernsehspiel                                                              Spazierengehen

Krimi                                                                           Sport

Bunter Abend                                                            Basteln

Sport                                                                           Fernsehen

Schlager                                                                     Haushalt

Nachrichten                                                               Kino

Wissenschaft                                                             Tanz

Politik                                                                          Fortbildung

Klassische Musik                                                       Musik

Diskussion                                                                  Sonstiges

 

14. Was würden Sie tun, wenn Sie mehr Freizeit hätten?

15. Was wünschen Sie sich in Ihrer Freizeit anders?

16. Was ist Ihr größter Wunsch?

17. Was empfinden Sie als unangenehm?

18. Womit beschäftigen Sie sich am liebsten?

19. Verbieten ihnen die Eltern bestimmte Beschäftigungen? Welche?

20 . Zu wem gehen Sie, wenn Sie sich einmal aussprechen wollen?

 

 

Hans-Ekkehard Bahr: Totale Freizeit

In der Freizeit möchte man totaler Konsument werden und alle Möglichkeiten in Gebrauch nehmen und die Welt noch einmal privat bewältigen. Man will mit dabeigewesen sein. Auch die Kirche muß alles in Unterhaltung verpacken, damit es ankommt.

Bestimmend für die Freizeit werden heute die Massenmedien. Der Arbeiter will abschalten und schaltet deshalb den Fernsehapparat an. Heute bestimmt das Fernsehen das Verhalten in der Freizeit. Dadurch wird aber das Gewicht des Öffentlichen über das Private verstärkt. Was ist aber, wenn der Strom einmal ausfällt? Dann müßte man sich ja unterhalten wie vor 100 Jahren.

Durch das verlängerte Wochenende hat man den Samstag für private Erledigungen und den Sonntag für die Mobilität. Auch die Familie wird in ihrer Bindung geschwächt, weil die Existenzbedrohung nachläßt. Man versucht sich, von allen öffentlichen Verpflichtungen zurückzuziehen in die Kleinfamilie („Ohne mich“).

Zur Freizeitgesellschaft gehört auch die Stadtrandsiedlung, wo man in Ruhe und Frieden dahinlebt und die Grenzsituationen verharmlost (vor allem beim Sterben). Alles Unangenehme soll ferngehalten werden, alle Abhängigkeiten sollen aufgehoben werden und der Mensch soll ein erfülltes Leben aufbauen: Er will so sein wie Gott!

Doch Reichtum und Genuß stellen sich nicht so schnell ein wie erhofft, sondern vielmehr Langeweile und Melancholie. Das überreiche Angebot führt zu Enttäuschung und der Sonntag wird nur zur Veränderung der Öde. Man erlebt die Begrenztheit des Menschseins. Der Lastcharakter der Arbeit wurde ersetzt durch die Last der Freizeit. Das hatten Hegel und Marx nicht vorausgesehen, aber das ist die Folge ihrer Revolution.

Die Verstädterung hat auch Folgen für die Kirche: Der Stadtkern ist leer, aber in die Vorstadt kann man die Kirche schlecht verlegen, weil sie hier zum Spielzeug würde und lautlos in die Freizeitgesellschaft eingebaut würde. De Pfarrer darf dann über allgemeine Themen reden, nicht aber die vorliegende Gesellschaft angreifen oder Stellung zu ihr nehmen.

Überörtliche Einrichtungen haben jedoch Anklang gefunden. Nur ist hier die Gefahr der Angleichung an die Welt größer. Wichtig wäre es hier, die eigentlichen Proportionen des Lebens in die Welt zu bringen. Das Leben besteht nicht nur aus Konsum, sondern aus einer inneren Erlöstheit und Lösung.

Die Freizeit sollte zur Freiheit führen. Das ist auch eine Frage der Bildung und der Unterstützung aller Bildungseinrichtungen. Auch neue Gottesdienstformen müßten ausgebildet werden und vor allem neue Zeiten, auch Kurzgottesdienste am Werktag.

Doch die Aufgabe ist größer: Unser ganzes Leben ist als Gottesdienst zu verstehen. Man kann aber die Kirche nicht in die Gesellschaft hinein auflösen: Der Christ wird nicht zum Christus. Das Opfer Christi befreit ja gerade von dem Zwang, die Kirche selber schaffen zu müssen. Der Mensch versucht, sich im Experiment die Zukunft selber zu schaffen, um durch die eigene Leistung dem Gericht zu entgehen, anstatt sich die Zukunft schenken zu lassen. Die Kirche hat die Hoffnung zu verkünden, und zwar im Gottesdienst, in dem das eschatologische Gefälle sichtbar werden soll.

 

Freizeit in der Zukunft

Ungezügelt ergießt sich das Phänomen Freizeit über alle sozialen Schichten und Alters­gruppen. Sein Lärm ist meist Leere, sein Rhythmus nichts anderes als der Takt der vorangegangenen Arbeit. So wird die Freizeit von den einen geliebt, von den anderen gehaßt, von vielen mißbraucht.

Befinden wir uns in einem Übergang der Zivilisation der Arbeit in eine Zivilisation der Muße? An nahm an, daß von 1980 an die Freizeit und das kulturelle Leben den bedeutendsten Teil der Existenz ausmachen wird, anstelle des Gelderwerbs und der Arbeit auf Grund geringerer Energiekosten.

Durch die vermehrte Freizeit und die Bevölkerungsexplosion gibt es widersprüchliche Resultate. Das sind unter anderem die hohe Lebenserwartung und die Verringerung der Eheperiode um durchschnittlich das Doppelte, um nur zwei der Zukunftsprobleme zu nennen. Psychosoziologische Studien sprechen von dem Problem der Freizeit.

Noch ist die überwiegende Meinung, die Freizeit sei zum Nichtstun da, und man ist auf der Suche nach Zeitvertreib. Ruhelos und ratlos greift der Freizeitkonsument nach jeder Frei­­zeit­utensilie. Für den Fortbestand der Konjunktur ist die Freizeit ebenso wichtig geworden wie die Arbeit, denn die freie Zeit ist Konsumzeit. Die Sportartikelindustrie zum Beispiel kennt schon seit Jahren keinen Tiefpunkt.

Bei einer Befragung wußten nur 15 Prozent der Männer und 26 Prozent der Frauen keine Freizeitbeschäftigung anzugeben. Passiv verbringen 40 Prozent der Befragten ihre Freizeit, zum Beispiel mit Fernsehen. Jeder Vierte greift zum Buch. Und jeder Zehnte gesteht, die Freizeit mit Faulenzen und Nichtstun zu verbringen. Freizeit ist ein Losungswort moderner Hochzivilisation in der Gegenwart und erst recht in der Zukunft.

Wird Freizeit in Zukunft Nichtstun sein? Nein, Freizeit heißt, sich betätigen, und zwar in dreierlei Hinsicht: Weiterbildung, Hobby, echte Muße. Dafür müssen erst Voraussetzungen geschaffen werden.

Man wird aber Freizeitschulen schaffen, wie sie schon in England projektiert sind. Für München hat man das vor, weil diese Stadt den höchsten Freizeitwert besitzt, durch Seen und Gebirge in der Umgebung und alle nötigen Einrichtungen der Bildung. In Zukunft wird ein Techniker gezwungen sein, zwei oder dreimal sein Studium wieder aufzunehmen, um nicht von der Entwicklung überrollt zu werden. Ebenso werden die Pädagogen ihr gesamtes Wissen mehrmals ergänzen müssen.

Die Freizeit wird in den hochzivilisierten Staaten einfach aufgezwungen. Zunächst wurde sie nicht gefordert oder gewünscht und man hat deshalb noch keine Verwendung dafür, die Freizeit muß erst noch in die ganze Lebensweise eingeordnet werden.

Es ist noch umstritten, wie weit die Automation die menschliche Arbeitskraft zurückdrängt. Aber die Berufsmobilität ist heute schon Realität. Viele lassen sich umschulen, vor allem für einen Beruf, der möglichst bald zum Einsatz bringt.

Die Zukunft wird nicht so sehr von der Berufszeit geprägt, sondern von der Freizeit. Zentrum eines Freizeitethos werden Weiterbildung und schöpferische Betätigung sein. Man wird die Menschen nach der Art ihrer Betätigung in der Freizeit beurteilen. Dadurch entstehen Ansatz­punkte neuer sozialer Geltung und eines uns noch fremden Sozialprestiges (Renovierung von Haus und Hof).

In der Freizeit soll es so wenig Organisation wie möglich geben. Doch die praktische Gestaltung wird die persönliche Initiative des Einzelnen sein und diese werden auch die unabhängiger gesellschaftlichen Gruppen übernehmen müssen. Es gibt hunderte von Organisationen, die sich direkt oder indirekt mit Freizeitgestaltung befassen. Ein Weg ist zum Beispiel auch die Volkshochschule, in der Weiterbildung und schöpferische Betätigung miteinander verbunden werden. Freizeit heißt: sich betätigen und seinem Hobby im weitesten Sinne nachgehen.

 

Eine Umfrage: 61 Prozent der Frauen und 49 Prozent der Männer bevorzugen das Lesen von Romanen, Illustrierten usw. Das Basteln steht in der Gunst der Hobbyfreunde obenan. Die Zahl der Amateurfotografen und Schmalfilmer wächst von Jahr zu Jahr, während die Zahl der Tonträgerfreunde ziemlich konstant bleibt Ähnlich ist es mit den Theaterfreunden. Basteln von Spielzeug für die Kinder und kunstgewerbliche Arbeiten sind heute nicht mehr gefragt. Dagegen sind die zweckgebundenen Hobbys wie Renovierung von Haus und Hof sehr im Kommen.

Freizeit ist immer noch keine Selbstverständlichkeit. Sie hat es nicht zu allen Zeiten und bei allen Völkern gegeben. Freizeit ist eine Errungenschaft moderner Zivilisation. Freizeit ist heute noch etwas, an das man sich gewöhnen muß. Freizeitgestaltung wird ein neuer Beruf werden, der aber sicherlich auch nicht leicht wird.

Freizeit ist echte Muße! Wie kommen wir aber dazu? Ist Stille und klösterliche Abgeschiedenheit im hochtechnisierten 21. Jahrhundert noch möglich? Wir müssen eher wieder an die Begriffe der Antike anknüpfen; denn für die Griechen war Muße nicht Müßiggang, sondern Musik, tiefschürfendes Gespräch und Philosophie.

Es gibt mahnende Stimmen, die auf das Versagen unsrer Gesellschaft in der Gegenwart und vor der Zukunft hinweisen und sagen, was eigentlich geschehen müßte. Sind wir falsch programmiert?

Wir sind beim Mitmachen in der wissenschaftlich-technischen Entwicklung oft zu erfolglos. Man spricht hier von der technologischen Lücke. Aber es gelingt uns auch nicht mehr, diese Lücke in einer humanen Richtung zu halten. Die Technik macht sich selbständig und geht

Mit einer zunehmenden Geschwindigkeit in eine Richtung, die wir gar nicht mehr kontrollieren können. Das hängt mit damit zusammen, daß wir versuchen, mit veralteten Denkformen die Probleme zu lösen.

Man kann nicht mit der Moral eines altertümlichen Hirtenvolkes die Probleme des 21. Jahrhunderts lösen. Doch deshalb schließen sich Wissenschaft und Glaube noch nicht aus. Die Wissenschaft bietet sogar eine sehr solide Grundlage für den Glauben. Doch ein Glaube, der im 21 .Jahrhundert ein menschenwürdiges Leben ermöglichen soll, muß bestimmte Kriterien erfüllen. Dieser Glaube muß wirklich dem Menschen im Leben dienen. Dieser Glaube muß den Realitäten des 21. Jahrhunderts gerecht werden

Dieser Glaube muß für einen historischen Prozeß praktikabel sein. Was wollen wir im Zeitalter der Überbevölkerung mit dem Spruch: „Seid fruchtbar und mehret euch!“ Was wollen wir in Zeiten‚ in denen nur der Widerstand moralisch sein kann, mit der Devise: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!“ Oder was wollen wir mit dem Ethos der Arbeit im Zeitalter der Automation! (soweit Steinburg).

„Arbeit gibt uns mehr als den Lebensunterhalt, sie gibt uns das Leben!“ sagte Henry Ford. Jahrhundertelang wurde der Mythos der Arbeit weitergegeben. Arbeit adelt immer noch. Und die Deutschen sind von ihrem Recht auf Arbeit überzeugt. Arbeit und Wert sind zwei gekoppelte Begriffe, die auch heute noch das Denken und Handeln bestimmen.

Durch die Automation ist die Arbeit, besonders am Fließband, noch einsamer und menschenfeindlicher geworden. In einer für ihn nicht immer angepaßten Arbeitswelt kann der in Zwängen lebende Mensch unserer Tage zum Feierabend nicht automatisch zu einem schönen Ganzen werden. Zeit ohne Arbeit ist ein Geschenk der Technik. Aber sind die Menschen nicht ein wenig furchtsam, ganz ohne Arbeit zu sein. Kein Gut haben sie so sehr ersehnt wie freie Zeit, aber letzten Endes wußten sie wenig damit anzufangen.

„Der Charakter der Arbeit bestimmt den Charakter der Freizeit“, schreibt der Arbeitspsychologe George Friedmann. Jeder Freizeitversuch muß von daher vergeblich erscheinen. Die Folgen sind oft Freizeitneurosen. Sie setzen immer dann ein, wenn eine längere Freizeit droht, und zeigen sich in vegetativen Störungen (Schlaflosigkeit und Störung des allgemeinen Wohlbefindens)

 

Ursachen sind meist die Hetze und die unphysiologischen Rhythmusbildungen am Arbeitsplatz (Schichtwechsel, Pendler). Und selbst am Wochenende werden dann Auto oder Motorrad bestiegen und große Strecken zurückgelegt. Weitere Ursachen sind der übermäßige Genuß von Genußmitteln und Medikamenten. Und schließlich Konflikte am Arbeitsplatz und in der Familie.

Der Endspurt zur totalen Freizeit hat begonnen. An der Spitze lag in der Bundesrepublik die Industriegewerkschaft Metall. Ihr Ziel war die 35-Stunden-Woche im Jahre 1970. Aber es hat längst eine Gegenbewegung eingesetzt, mit bedingt durch die Globalisierung.

Die Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit ist da ja nur eine Möglichkeit. Dazu kommt die Urlaubsverlängerung, die Herabsetzung des Rentenalters oder die Verlängerung der Ausbildungszeiten. All diese Formen der Arbeitszeitverkürzung müssen zum Zuge kommen, wenn nicht die steigende Produktivität der Wirtschaft dazu führen soll, daß Arbeitslosigkeit entsteht.

Aber man tritt nicht nur aus ökonomischen Gründen für die Arbeitszeitverkürzung ein, sondern auch aus sozialen, um den Menschen eben die Arbeit zu erleichtern. Wer das fordert, muß aber auch bereit sein, einen Beitrag zur Gestaltung der Freizeit zu leisten, etwa eine Anleitung zu geben, damit man seinen Standpunkt in der Welt erkennt oder selbständig handeln kann. Aber auch Beiträge zur Stadtplanung oder Schulreform kann man für die Freizeitgesellschaft leisten.

Eine Freizeithilfe ist aber auch gleichzeitig eine Hilfe zur Einzel- und Gruppenseelsorge. Man kann diese alten Werte nur erhalten, indem man eine neue Zukunft erobert. Die Christenheit

 sollte nicht maulend hinter dem Wagen herlaufen, der die Menschheit in die neue Zukunft fährt, sondern selber mit drinsitzen.

Karl Rahner sagt: „Die Kirche weiß natürlich auch kein Patentrezept. Aber sie kann dem Menschen sagen, daß er trotz weniger Arbeit doch immer noch seine Aufgaben hat. Das alte Wort ‚Bete und arbeite‘ wird sicher neu gesehen und neu praktiziert werden müssen, gerade wenn der Mensch nicht mehr so viel im zwanghaften Sinne arbeiten muß. Dadurch kann sich ein neugestaltetes Verhältnis des Menschen zu sich und zu Gott bilden, aber auch eine neue kontemplative Muße, die ein neues Verhältnis zum Mitmenschen und auch zu Gott mit

sich bringt!“

In der Landwirtschaft allerdings ist noch nichts von vermehrter Freizeit zu verspüren. Wenn man einmal Freizeit hat, muß man sich wieder ausruhen für die Arbeit. Mancher würde sich auch gar nicht an so viel Freizeit gewöhnen, wie sie heute schon ein Arbeitnehmer in der Stadt hat. Dabei ist der traditionelle Bauernhof zum Tode verurteilt. Dieser Wirtschaftszweig wird sich gesundschrumpfen müssen und den Sprung vorn 19. ins 21. Jahrhundert auf einmal vornehmen müssen. Dann sitzt der Bauer in seinem Büro und der Computer rechnet die Mastzusammensetzung für 1.200 Schweine aus; das Futter wird aus verschiedenen Silos über mechanische oder pneumatische Förderanlagen zum Mischsilo transportiert; Zeitschaltungen regeln die Fütterungszeiten für die Schweine; über den Fernsehschirm beobachtet der Bauer die Tiere in den Boxen des Stalles; draußen auf den Feldern rattern ferngesteuerte Traktoren. Das ist keine Utopie, sondern bis zum Jahre 2000 zu erreichen.

Eine Revolution des Stadtbildes zeichnet sich ab. Denn die Bevölkerung der nächsten Jahrzehnte wird überwiegend in der Stadt wohnen. Die alten Stadtzentren werden erneuert weiden. Aber die moderne Stadt muß sich den Vorwurf gefallen lassen, sie sei ein unpersönliches Etwas ohne Freizeitwerte. Die traditionelle Innenstadt ist ja heute schon nur ein administratives und industrielles Zentrum, das jeden Abend von Menschen evakuiert wird. Nur die ge­staltete Stadt kann Heimat werden. Die Bevölkerung des Wohnviertels Hamburg- Sankt Georg wird in Zukunft in vier Wohntürmen leben, die den ägyptischen Pyramiden gleichen Jeder lebt für sich in seinem Wohnteil mit Garten (auf dem Dach des Untermannes)‚ aber er hat alle Vorteile eines Hochhauses. Auf diese Art wird die Ansammlung von Massen nicht zur Vermassung führen.

Wenn der Mensch mehr Freizeit hat und diese Freizeit auch gestalten soll, braucht er sehr viel mehr Platz; er braucht größere Wohnungen, Geräumigkeit auf Straßen und Plätzen, er braucht raumfressende kulturelle Einrichtungen. Die Städte dürfen also nicht größer werden als bisher. Aber mehr Menschen sollen in ihnen mehr Platz haben.

Marx hat die Unterscheidung getroffen zwischen dem Reich der Notwendigkeit, in dem sowieso alles verloren ist und nur eine   einigermaßen rationelle Organisation möglich ist (Reich der Arbeit), und dem Reich der Freiheit, in dem der Mensch sich selbst überlassen werden kann, um zu fischen, zu jagen, zu malen und zu dichten, je nach seinem Talent und seinem Wunsch. Aber man kann das Reich der Notwendigkeit lebenswerter machen, also die Welt der Arbeit selber verändern. Und man muß sich Gedanken darüber machen, wie Menschen im Bereich jenseits der Arbeit ihre Lebenschancen finden. In beiden Bereichen geht es darum, dem Menschen Lebenschancen zu ermöglichen, ihnen möglichst viele Wege zu öffnen, in die sie gehen können und wo sie ihre Talente erproben körnen. Dann wird sogar ein bißchen die Unterscheidung zwischen Arbeit und Freizeit hinfällig.

Man rechnet heute mit einem Lebensverlauf in drei Stufen: 30 Jahre Ausbildung mit späteren Lernperioden ergänzt, 30 Jahre schaffende Tätigkeit in einem mobilen Beruf, 30 Jahre Ruhestand. Dann wird der Mensch 100 Prozent mehr Freizeit haben als der Durchschnittsmensch von heute.

Doch die Freizeit bringt auch ihre Probleme mit sich. Sie erzeugt ein Vakuum, das besonders für die aggressionsstarke Gruppe der Jugendlichen und Heranwachsenden gefährlich wird. Die Kriminalität hat heute schon erschreckend zugenommen. Sie werden die Triebbeherrschung lernen müssen, um nicht das zu zerstören, was wir uns mit Sorgfalt und Einsicht geschaffen haben.

Wir steuern auf eine Gesellschaft zu, die viele Individuen ernähren kann, ohne daß diese produktiv zu dieser Gesellschaft und zur Entwicklung der Kultur etwas betragen. Kann aber ein Mensch durchs Leben gehen, ohne etwas geleistet zu haben? Hier wird dann eine erhebliche affektive Stauung zustandekommen aus einem Gefühl der Sinnlosigkeit und der Überflüssigkeit heraus. Die Freizeit könnte dazu führen, daß die Menschen dann zu einer Beschäf­tigung greifen, zu der sie seit Jahrtausenden gegriffen haben, nämlich daß sie sich gegenseitig selber vernichten (so Alexander Mitscherlich):

Wir wollen Optimisten sein und hoffen‚ daß eine Muße gelehrt werden kann, die zu einem richtigen Gebrauch der Freizeit führt.

 

 

 

Der genormte Alltag

 

An jedem Werktagmorgen stehen Millionen von Menschen vor dem Problem, in den unfreundlichen Alltag der Leistungsgesellschaft zurückfinden zu müssen. Dabei sind ihnen mehr als alles andere die modernen Massenmedien behilflich. Mit dem Druck auf die Taster des Radioapparates beginnt die Einstimmung auf die Wirklichkeit: flotte Rhythmen, die regelmäßige Zeitansage, Nachrichten und Verkehrsmeldungen holen den Einzelnen aus seinem Morgenkater in die Wirklichkeit zurück. Der Blick in die Morgenzeitung bestätigt trotz aller Katastrophenmeldungen den Eindruck, daß die Welt noch in Ordnung ist.

Dann begibt sich der Durchschnittsbürger n ein öffentliches Verkehrsmittel oder in die Autoschlange, wo er in der Gemeinschaft von Schicksalsgenossen an seinen Bestimmungsort transportiert wird.

Dieses Ritual (eine Handlung, die sich Tag für Tag in identischer Weise wiederholt) unterscheidet sich im Prinzip nicht von dem, was Luther im kleiner Katechismus der Hausvätern am Morgen aufträgt: „Des morgens...sollst du dich segnen mit dem heiligen Kreuz... Darauf kniend oder stehend den Glauben und Vaterunser; willst du, so magst du dies Gebetlein sprechen:...!“ Es folgt Luthers Morgensegen, sozusagen als Abrundung der Alltagsvergewisserung.

Der Druck auf die Radiotaste entspricht dem Kreuzschlagen, der Blick in die Morgenzeitung dem Gebet (Vergleich von Karl Barth). Eine ähnlich wichtige Vergewisserungsfunktion hat am Abend die „Tagesschau“ im Fernsehen. Stets eröffnet von dem gleichen Signal, vorgetragen von denselben Sprechern und beschlossen mit dem Wetterbericht, eingeteilt in längere Berichte und Meldungen in Schlagzeilen bringt sie Ordnung in die Welt und systematisiert die Ereignisse.

Hier haben die Medien Aufgaben übernommen, die früher vor Religion und Kirche wahrgenommen wurden. In den Massenmedien findet heute die Säkularisierung des kirchlichen Meinungsmonopols statt. Im Mittelalter bestimmter die kirchlichen Kommunikationsmuster das Leben des Einzelnen total. Doch schon in der Aufklärung wurde die kirchliche Erbauungsliteratur verdrängt vor der weltlichen mit ihrer bürgerlich-aufklärender Moral. Diese wiederum wird verdrängt von der belletristischen Unterhaltungsliteratur („Leiden des jungen Werthers“).

Im 19. Jahrhundert kamen die Zeitungen auf, übten aber keinen großen Einfluß aus auf die Masse der Bevölkerung. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wirkte die Massenpresse regenerierend auf die Bevölkerung. Sie wurde dabei noch unterstützt oder übertroffen vom Film, der sich zu einem faszinierenden Unterhaltungsinstrument entwickelte. Die Kinosäle wurden zu Kultstätten einer neuen Religion, die Opium für das Volk ist, viel schlimmer als das christliche „Opium“. Damals entstanden die Muster der Filmgeschichten, die am Ende entweder gut ausgehen oder als Tragödien enden, die das Bestehende rechtfertigen.

Seit 1950 wurde der Film durch Rundfunk und Fernsehen verdrängt, die man zu Hause konsumieren kann. Das Fernsehen bestimmt nun den Lebensstil, denn nun richten sich der Ablauf des Abends und des Wochenendes nach dem Fernsehprogramm Viele Menschen haben in unserer Gesellschaft Orientierungsängste, weil ihren die Welt nicht durchsichtig ist, in der wir leben. Auf vielen lastet die Vergangenheit, sie haben Angst vor der Zukunft. Sie fragen: „Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin werde ich gehen?“

Auf diese Grundfragen geben Religion, Kunst und Wissenschaft eine Antwort. Sie versuchen eine umfassende Erklärung unserer Wirklichkeit zu geben, die auch die Widersprüche und Grenzsituationen in das Alltagsleben einbezieht. Die christliche Sinnwelt allerdings hat sich von ihrer ursprünglich wirklichkeitskritischen zu einer weltfeindlichen Haltung entwickelt (Erbsünderlehre, Zwei-Reiche-Lehre). Besonders die Gottesdienste legen von dieser weltflüchtigen Einstellung Zeugnis ab und leisten nur noch für Randgruppen die notwendige Vergewisserung der Alltagswirklichkeit.

Besonders für Arbeiter und Angestellte haben Film, Funk und Fernsehen mit ihren massenhaft verbreiteten Produktionen der Kulturindustrie die frühere Funktion der Gottesdienste übernommen. Der Zuschauer wird dadurch in eine andere Welt versetzt, in der in konzentrierter Form Antwort gegeben wird auf die zentralen Menschheitsprobleme: Liebe und Haß, Eifersucht und Treue, Streit und Versöhnung, Recht und Unrecht, Elend und Tod, Freiheit und Knechtschaft. Ein Film wie „Love story“ erweckt den Eindruck, daß es so etwas in Wirklichkeit geben könnte und diese deshalb nicht ohne Sinn ist.

Beim Fernsehen sind besonders die Unterhaltungssendungen beliebt. In diesen Quiz-Rate- und Familienspielen kann sich der Zuschauer vorstellen, er nähme jetzt den Platz des Teilnehmers ein. Noch spannender ist die Ziehung der Lottozahler. Allein der Nervenkitzel entscheidet und verdeckt die Enttäuschung über das Nichtgewinnen, zumal ja keine unmittelbare Lebensnot besteht.

Für Millionen stellt die Übertragung eines Fußballspiels die Teilhabe an einem verständlichen und zugleich aufregenden Geschehen dar, die etwa im politischen Bereich nicht geboten wird. Die gelungenen Spielzüge fallen dem Fußballfan genau so ein wie dem gebildeten Bürger eine Mozart-Arie. Oder für viele verkörpert der Eiskunstlauf mit seiner Leichtigkeit und Anmut eine andere Ordnung der Dinge, die früher in Kulttänzen sichtbar wurde.

Auch der Schlager bietet Legitimationswissen für das Alltagsleben. Wenn Udo Jürgens singt „Immer wieder geht die Sonne auf“, dann ist diese „Philosophie für den Wohnküchenbereich“ (wie sein Manager sagt) nur eine moderne Form altgewordener Binsenwahrheiten. Dadurch werden die Ungereimtheiten des Alltags wieder erträglich. Mit solchen Schlagern nutzt man nur der Nachholbedarf an Seelentrost.

Jede ordnende Geste aber ist ein Zeichen der Transzendenz. Deshalb wird jede Krisenmeldung sofort so kommentiert, daß der Eindruck entsteht: So schlimm ist es ja nun auch wieder nicht, es wird schon wieder alles in Ordnung kommen. Die Ritualisierung unseres Alltags

durch die Medien geht mit dem Verlust des Glaubens einher, daß die Welt anders werden könnte. Oftmals wird die Möglichkeit der Veränderung der Welt nicht offengehalten.

Die modernen Massenmedien halten zu sehr zur Passivität an, anstatt der Einzelnen auf allen Ebenen zu aktivieren. Meist wird die Bevölkerung nur direkt angesprochen, wenn es um Katastrophen oder Verbrechen geht. Nur der Rundfunk nutzt mehr die Möglichkeit, mit seinen Hörern in Kontakt zu treten.

Vielleicht wäre es doch möglich, den natürlichen Ordnungshang des Menschen vor einem Mißbrauch durch Ordnungsideologien und autoritäre Systeme zu schützen. Dazu müßte man jenes in den Gleichnissen Jesu aufleuchtende Weltvertrauen wieder einüben, das die Furcht vor Veränderung überwunden hat, weil es mit einer guten Ordnung rechnet, die allem Wirklicher zugrundeliegt.

 

 

 

Film und Fernsehen

 

Fernsehen und Familientisch

In einer Zeitung erschien einmal folgende Karikatur: Auf dem Bildschirm des Fernseh­apparates ist eine Kasperlefigur zu sehen. Vor dem Apparat sitzt die ganze Familie einschließlich Oma und Opa. Hinter dem Sessel steht ein kleiner Junge und schreit. Unter der Zeichnung steht: „Daß der Junge uns auch immer bei der Kindersendung stören muß!“ Hier sind also Menschen so in den Bann des Apparates geraten, daß sie die Rechte des eigentlichen Empfängers der Sendung nicht mehr beachten.

Richtig wäre folgendes: Vor dem Fernsehapparat sitzt das Kind. In einer Ecke des Zimmers sitzt auf dem Sofa der Vater und liest die Zeitung. in einer anderen Ecke steht die Mutter am Bügelbrett und plättet. Und die Unterschrift: „Überlassen Sie das Kind dem Fernsehen, um selber Zeit zu haben?“ Oder man könnte auch fragen: „Sprechen sie nachher mit dem Kind darüber, was es gesehen hat? Helfen Sie ihm, mit der Fülle der Eindrücke fertig zu werden? Werden Sie erklären, was es noch nicht versteht?“

Normalerweise ist der Mittelpunkt eines Wohnzimmers der Familientisch. Um den Tisch versammeln sich die Familienglieder zum Essen. Schon die Anordnung der Stühle bringt es mit sich, daß man sich einander zuwendet. Das wiederum lockt dazu, miteinander zu sprechen und aufeinander zu hören.

Der Einzelne muß schon sehr viel inneren Widerstand aufbieten, wenn er sich bei Tisch gegen die anderer abschließen will. Und wer so grollend und schmollend am Tisch sitzt, setzt sich bei der anderer ins Unrecht, fühlt sich aber auch in seiner eigenen Haut nicht wohl. Er verletzt die natürliche Atmosphäre des Tisches und schafft eine ganz und gar unnatürliche, erstickende Atmosphäre, in der er auch selber mit erstickt.

Mit Menschen, die unsere Tischgäste waren, können wir leichter sprechen. Staatsmänner wissen das: Bei Verhandlungen und Gesprächen spielt darum das gemeinsame Essen eine nicht geringe Rolle. Uns Christen tritt die gemeinschaftsspendende Kraft des Tisches besonders beim Abendmahl vor Augen.

Heute aber rückt der Fernsehapparat immer mehr in den Mittelpunkt des Zimmers, auch wenn er noch nicht so zum Mittelpunkt geworden ist, wie das früher der Familientisch war. Das Wohnzimmer wandelt sich dann immer mehr in einen Zuschauerraum und das Kino wird zur Modell unseres Heims. Aus der Familie wird ein Publikum, das zwar interessiert dem Bildgeschehen folgt, füreinander aber keinen Blick mehr hat.

Am Bildschirm sitzt man nebeneinander. Es ist eine Störung, wenn einer den anderer anspricht. Mindestens einmal am Tag sollte sich aber die Familie um den Tisch versammeln, nicht nur um miteinander zu essen, sondern auch um aufeinander zu hören und miteinander zu sprechen. Für das Zusammenleben der Familie ergeben sich somit drei Möglichkeiten:

1. Tisch in der Mitte, Fernsehgerät in der Ecke

2. Tisch in der einen und Fernsehgerät in der anderen Ecke

3. Bildschirm hat den Tisch an die Seite gedrängt, ist selbst die Mitte.

Unsere Aufgabe aber ist es, die rechte Ordnung zu erhalten und den Tisch die Mitte sein zu lassen. An der Erfüllung dieser Aufgabe hängt nicht nur das rechte Leben der Familie, sondern auch das Leben der Gemeinde. Denn ein Mensch, der keine Beziehung mehr zum Familientisch hat, wird auch nur schwer eire Beziehung zum Tisch des Herrn finden.

 

Der Fernsehapparat kann unser Haustyrann werden. Er steht in den Ecken unsrer Wohn- oder sogar Schlafzimmer und Kinderzimmer. Er hat sich richtig breit gemacht und läßt sich mehrere Stunden am Tag anbeten. Die Kinder hocken zu seinen Füßen wie irdische Beter vor de- Standbildern ihrer Götzen und starren in sein großes Auge und träumen nachts noch davon.

Andererseits verbietet uns das Fernsehen, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Man muß sich auf eine Sache konzentrieren. Weil oft die ganze Familie interessiert ist, wird sie hier zusammengeführt, allerdings weniger zu gemeinsamem Tun als zu gemeinsamem Konsum.

Hier liegt nur wieder die Gefahr: „Urahne, Großmutter, Mutter und Kind einträchtig vor dem Bildschirm versammelt sind!“ Dabei verstummt sehr leicht das Gespräch, Hausmusik wird nicht mehr geübt und Gesellschaftsspiele läßt man sich am Bildschirm vor machen. Sehr leicht kann es auch zu einer geistigen Überfütterung kommen und eine innere und äußere Sammlung unmöglich werden. Unser Gehirn kann gar nicht das dauernde Bombardement zusammenhangloser Tatsachen verarbeiten. Sehr leicht erliegt man deshalb den Leitbildern und Wunschträumen, die uns vorgesetzt werden. Man sucht immer wieder nach neuer Eindrücken, die von Runde zu Runde stärker sein müssen, um uns noch zu treffen.

 

Vorteile und Nachteile:

Dabei macht uns das Fernseher allerhand gutklingende Versprechungen: Man kann von der großen weiten Welt hören, Einblick bekommen in der Ablauf der Dinge, die Abgeschiedenheit des Dorfes und die Einsamkeit des Einsamen werden durchbrochen, Bildung und Horizonterweiterung sind möglich, Menschen und Kulturen werden sich neu und lebendiger erschließen und die Menschheit wird mehr zusammenrücken. Die Anhebung des Informationsspiegels bedeutet die Anhebung des Lebensinhalts.

Dabei ist die Anzahl der Live-Sendungen gering. Viele Ereignisse sind ja einfach nicht vorauszusehen und die Kameras kommen zu spät. Wichtige Entscheidungen fallen hinter den Kulissen. Öffentliche Veranstaltungen werden vorher bis ins Einzelne geplant. Manche Stellen werden mehrfach gedreht. In vielen Fällen muß also die Wirklichkeit arrangiert und gespielt werden, um gerade diese Wirklichkeit sachgemäß vor der Kamera ausdrücken zu können.

Die Wirklichkeit wird auch dadurch gebrochen, daß sie durch die Augen des Berichterstatters, des Kameramanns und anderer gesehen wird. Und diese sind immer geprägt von der Urteilen und Vorurteilen ihrer Zeit.

Wie man vom Kraftfahrer eine Fahrerlaubnis verlangt, so müßte man vom Fernsehzuschauer eine Seherlaubnis verlangen, damit der Apparat nicht den inwendigen Menschen überfahren kann. Denn ein Volk, das fernsieht, verliert die Weitsicht.

Wer vor der Kamera sitzt, ist jedem Blick ausgeliefert, ohne sein Gegenüber vor Augen zu haben. Dem Zuschauer ist eine geschützte Unverschämtheit erlaubt. Hinzu kommt das zeit­raubende Einleuchten, die Schminke, die Sprechprobe, rote Lampe, die Stimme aus dem Lautsprecher. Es wird also ein Riesenaufwand getrieben, um in einer vorgetäuscht natürlichen Situation natürlich auszusehen. Hier bekommen selbst Männer das Gruseln, denen es nichts ausmacht, vor einer Massenversammlung zu reden.

Es kommt oft vor, da mittelmäßige Begabungen zu einer überdimensionalen Person aufgebauscht werden. Es entsteht ein Zufalls-Star, der dann eines Tages eine Enttäuschung erlebt. Dem Publikum werden falsche Maßstäbe für sein Leben vorgespielt.

Oftmals fehlt auch den Zuschauern das rechte Verständnis. Da wird einer der Mitarbeiter im Studio anscheinend von einem heftigen Krampf geplagt. Der Mann muß nießen. Aber er un­ter­drückt es, damit nicht Anrufe kommen, in denen sich Leute beschweren, anstatt nicht nur Verständnis, sondern auch Spaß daran zu haben.

 

Kind und Fernsehen:

Besonders groß sind die Gefahren des Fernsehens bei Kindern. Während Erwachsene wöchentlich 15 - 20 Stunden vor dem Fernsehapparat sitzen, sind es bei Kindern bis zu 25 Stunden. Entsprechend sind ihre Zeichnungen: In der Mitte eines wohlaufgeräumten Wohnzimmers ein riesiger Fernsehapparat. In reichlicher Entfernung davon das Kind, allein und winzig, auf einem winzigen Stühlchen, fast nicht wahrnehmbar.

Dabei vermittelt das Fernsehen dem Kind ein sekundäres Welterlebnis. Es wird ihm eine Welt vorgespielt, zu der es keinen direkten Zugang hat. Es kann nicht mitspielen und seine Phantasie wird eingedämmt.

Der Fernseher gestattet keine Wiederholung und keinen Dialog. Es sieht nur eine lose Folge von Bildern und begreift keine Zusammenhänge; es geht alles viel zu schnell und ist ein für allemal vorbei. Meist werden auch keine Leitbilder mitgegeben. Die Fernsehwelt ist anders als die Umgebung des Kindes, denn sie schildert ja in der Regel das Ungewöhnliche.

Andererseits darf man die Gefahren auch nicht übertreiben. Kinder haben nicht unbedingt Angstträume nach dem Krimi oder nach Filmen mit wilden Tieren. „Wenn‘s zu schlimm wird, gehe ich hinaus!“ sagen viele. Wenn es langweilig wird, lesen manche Kinder einfach und sehen erst wieder zu, wenn es wieder interessant wird. Aber verpassen wollen sie eben auch nichts.

Nach einer Befragung in England sehen Kinder täglich zwei Stunden Fernsehen. Die Hälfte der Kinder über 10 Jahre sieht Programme, die für Erwachsene bestimmt sind. Von den Dreizehn- und Vierzehnjährigen bleibt über ein Drittel noch nach 10 Uhr abends vor dem Fernsehschirm sitzen. Doch das Fernsehen wird nur dann zur Gewohnheit, wenn sie nichts Interessanteres mit sich anzufangen wissen. Sonst spielen sie auch gern draußen.

Andere Untersuchungen haben falsche Meinungen ausgeräumt:

1.Die Augen der Kinder erleiden durch Fernsehen keinen Schaden

2. Das erholsame Spiel bleibt erhalten, es wird nicht so viel gebummelt.

3. Kriminell werden nur die, die ohnehin dazu veranlagt sind.

4. Die Noten in der Schule sind nicht schlechter geworden

5. Der Reiz des Neuen läßt verhältnismäßig bald wieder nach.

6. Es werden weniger Bücher gelesen, aber die Lektüre guter Bücher gefördert.

Gefährlich ist höchstens die Werbung, die uns Minderwertigkeitskomplexe einflößt, wenn wir die angepriesene Ware nicht besitzen. Aber ansonsten schadet das Fernsehen nicht. Es hat aber auch keinen besonderen erzieherischen Wert.

 

Gefahr der Kontaktstörung:

Das Fernsehen ist nicht ohne Gefahr für einen Zuschauer, der nicht abschalten kann. Durch die verwirrende Fülle der anstürmenden Bilder setzt er sich einer Reizüberflutung aus, die die Empfangsorgane der Seele für die feineren Schwingungen aus der Umwelt nachhaltig schädigt.

An unsrer Haut bildet sich Hornhaut, wenn dort immer wieder Druck oder Reibung auftritt. Aber dann können zarte Berührungen nicht mehr durch die Haut durchdringen, sie kann Feinheiten nicht mehr wahrnehmen. So bildet auch unsre Seele eine Hornhaut, wenn sie dauernd starken Reizströmungen ausgesetzt ist. Sie schützt sich damit vor einer völligen Zerstörung, macht sich aber zugleich unempfindlich gegen die zarten Eindrücke und Impulse, vor denen die entscheidenden Bildungskräfte der Seele ausgehen. Dabei geht er ganze Bereiche des seelischen Erlebens verloren:

1. Das Sehen im Sinn von Schauen: Ein solcher Mensch wird die Schönheit des Blütenkelchs, den Glanz eines Waldbaches oder die Großartigkeit einer Landschaft nicht mehr sehen. Um überhaupt etwas entdecken zu können braucht er eben Reizverstärker. Früher erzählte man die Passionsgeschichte immer sehr behutsam bei Kindern. Heute aber sagen typische Fernsehkinder: „Was, nur drei Tote, das lohnt ja gar nicht!“

2. Das selbständige Gestalten: Solche Menschen werden Konsumenten vorgefertigter Programme. Sie haben einen urgeheurer Programmhunger und können ihre Freizeit nicht mehr selber gestalten und zum Beispiel ein Familienfest nicht mehr selber organisieren.

3. Die  Mitleidsfähigkeit und der Kontakt: Wer ständig grausame Mordszenen miterlebt, nimmt das stille Leiden der Menschen neben sich gar nicht mehr wahr, geschweige denn vermag er mitzuleiden. Der kranke Mensch wird zum „Fall“, selbst das Sterben wird zum „Todesfall“, den man sachlich angeht.

Besonders hart werden von Kontaktstörungen die Menschen betroffen, die am Rande des Lebens stehen: die Alten und die Kinder. Wenn die arbeitenden Menschen nach Hause kommen, erzählen sie nicht mehr vor ihrem Arbeitsleben, sondern stellen gleich den Fernsehapparat an. Den Alten bleibt nichts übrig als mitzugucken; sie empfangen so Eindrücke aus der Ferne, aber vom Leben in der Nähe sind sie dann abgeschnitten.

Bei alten Menschen führt das zu Vereinsamung und raschem Verfall, bei jungen Menschen zu gewaltsamen Ausbrüchen. Solange wir Spannungen noch im Gespräch mit anderen abbauen können, bedeuten sie keine Gefahr für das seelische Gleichgewicht. Wenn sie aber zurückgestaut werden erzeugen sie einen seelischen Überdruck. Bei der geringsten Spannung kommt es dann zur Explosion.

 

Glaube und Fernsehen:

Das Fernsehen gehört nun einmal mit zu der Welt, in die uns Gott hineingestellt hat. Gott gibt uns die Freiheit, diese Welt uns untertan zu machen. So können wir die Ergebnisse unserer technischen Entwicklung nüchtern betrachten. Wir müssen uns fragen, welchen Raum wird dem Fernsehen in unserem Leben geben sollen oder wollen oder dürfen.

Der Fernsehapparat darf nicht Haustyrann werden (das hängt mit dem 1. Gebot Gottes zusammen!), sondern er ist unser Diener. Still und bescheiden wartet er wie ein treuer Hund an der Seite seines Herrn. Er ist nie aufdringlich, nie störend, nie dazwischenredend; aber er ist immer zur Stelle, wenn er gebraucht wird, er ist immer hilfsbereit und wachsam, sobald die Familie Verbindung haben will zu den großen Geschehnissen unserer Zeit.

Dann öffnet sich der Kasten wie eine Truhe, in der Schätze verborgen sind. Er wird gesprächig und sein großes Auge wird noch größer, um auch unseren Blick zu weiten für die wichtigen Dinge dieses und vielleicht auch des ewigen Lebens.

Natürlich besteht die Gefahr, daß durch das Fernsehen (wie auch durch den Rundfunk) eine Privatreligion geschaffen wird. Diese Religiosität ist oft primitiv und kindlich; vor allem fehlt die Möglichkeit der Mitteilung und Aussprache. Andererseits ist auch in kirchlichen Kreisen der Glaube heute viel privater geworden und wenig gemeinschaftlich geprägt.

 

Kirche und Fernsehen:

Aber ein Fernsehpfarrer hat es eben schwer. Wenn er an die vorhergehende Sendung anzuknüpfen versucht, wirkt er oft komisch. Andererseits wird man ihm vielleicht Weltfremdheit vorwerfen. Er muß allein durch seine Person wirken und nur selten wird der Blick auf ein zusätzliches Bild abgelenkt. Das ist natürlich auch wieder ein Vorteil, denn dadurch wird alles sehr korzentriert. Das Publikum ist meist noch vielfältiger als eine übliche Ortsgemeinde; jeder soll angesprochen werden und leicht nimmt keiner etwas davon mit. Dennoch liegt hier eine Chance für die christliche Verkündigung; wenn sie geboten wird, sollte man sie nutzen.

Die Kirche könnte aber auch Hilfe geben zum rechten Gebrauch des Fernsehens. So wie in der Anfangszeit von den Volkshochschulen Fernsehkreise eingerichtet wurden, so könnte man auch in den Gemeindekreisen über bestimmte Fernsehsendungen diskutieren und gemeinsam zu einer Meinung und Bewältigung kommen. Aus Lob und Kritik könnte dann auch eire Hilfe für die verantwortlichen Redakteure der Sendungen herauswachsen.

Der Pfarrer muß den Mut haben, ein Programm zu empfehlen oder abzulehnen. Das ist vielleicht wichtiger als manche Gemeindearbeit, auch wenn es schiefgehen kann. Es gibt einen Fernsehbeauftragten der Kirchen, der sich zum Beispiel für günstige Sendezeiten einsetzt.

 

Es gibt verschiedene Möglichkeiten kirchlicher Fernseharbeit:

1. Fernsehgottesdienste: Oftmals mehr eine Schau. Dramaturgie des Wortes und der Bilder sollen übereinstimmen

2. „Wort zum Sonntag“: Es erreicht 10 Millionen Menschen. Jeder Satz muß da unter die Haut gehen. Wer etwas kann, sollte öfter drankommen. Der technische Apparat beeinträchtigt die Unbefangenheit und Konzentration des Redners. Die eingeblendeten Bilder aus dem. Alltag könnten oftmals genauso zu einem Werbefilm passen.

3. Fernsehspiel: Man hat schon an eine christliche Version der „Familie Hesselbach“ gedacht, in der christliche Verhalten im Alltag einer Familie gezeigt wird (Gefahr: Es wird zu kitschig)

4. Bildmeditation: Auslegung von Tafelbildern und plastischen Kunstwerken: Beschäftigung mit der Sache an Hand eines Bildes auf Grund eines Wortes. Die Kamera kann- bedächtig über Details hinfahren, während man intensiv reden kann. Hier könnte die eigentliche Chance für die .kirchliche Fernseharbeit liegen.

 

Fernsehen und Fasten

Nur der kann Gott und seinen Nächsten wirklich suchen und ihm begegnen, der auch ein gewisses Maß an Fasten auf sich nimmt. Fasten bedeutet nicht nur den zeitweiligen Verzicht auf Speise und Trank, sondern auch zeitweiligen Verzicht auf Unterhaltung und Zerstreuung.

Deshalb sollte an zwei Abenden der Woche das Fernsehgerät schweigen. Diese freien Abende sollten dem Gespräch und dem persönlichen Kontakt dienen. Wenn ein Bekannter kommt, sollte das Gerät abgeschaltet werden, auch wenn uns die Sendung interessiert. Der Mensch und sein Anliegen sollten uns wichtiger sein als unser augenblickliches Sachinteresse. (Anders ist es, wenn der Bekannte ausdrücklich zum Fernsehen kommt). Grundsätzlich sollte man das Tagesprogramm nicht pausenlos vor sich abrollen lassen, sondern gezielt sehen und das Gesehene miteinander besprechen.

 

 

Film

Was ist ein religiöser Film?

Ein Film wird nicht dadurch religiös, daß kirchliche Zeremonien gezeigt werden oder Geistliche mitwirken. Auch der Versuch einer Wiedergabe von biblischen Geschichten macht den Film noch nicht zum religiösen Film. Gerade in den USA hat man sich da manches geleistet („Die zehn Gebote“ über Mose; „König aller Könige“ über Jesus). Aber auch Pasolinis „Das -Evangelium nach Matthäus“ wäre hier zu nennen, denn es gibt einfach naiv wörtlich den Ablauf des Matthäusevangeliums wieder, aber allein aus sozialkritischer Sicht.

Aber auch davon abgesehen gibt es noch zwei Möglichkeiten dafür,

wann man einen Film als „religiös“ bezeichnen kann:

1. Der Film muß unter einem christlicher Gesichtspunkt stehen und sich mit Glaubensfragen auseinandersetzen. Das Thema muß der Bibel oder den Geboten entspringen. Es werden Menschen dargestellt, die aus einer christlichen Grundhaltung heraus handeln, es werden Aussagen über das Verhältnis Gott-Mensch gemacht und das Ringen um den Glauben gezeigt.

2. Der Film erschüttert von seiner Thematik und Problemstellung her derartig, daß sich der Mensch bei der Suche nach Antwort auf seinen Glauben besinnen muß. Die Gewissensbildung wird beeinflußt, sei es an Hand negativer Darstellungen oder aber in Versuchen, das Übel in der Welt zu besiegen. Auch ein Film, in dem von Gott und der Bibel nicht die Rede ist, kann religiös sein, wenn er von tiefsten menschlichen Problemen handelt (Schuld, Vergebung, Selbstverleugnung, opferbereite Liebe) und wenn er der Zuschauer zur Stellungnahme oder zu religiösen Frager herausfordert.

 

Kino und Gottesdienst:

Viele gehen zum Gottesdienst, um Andacht zu halten und sich zu sammeln („...daß die Seele nicht zerrinne in den Bildern dieser Welt“). Sie wollen einen Anstoß empfangen aus der ewigen Welt, weil sie wissen: So wie ich bin, tauge ich nichts, ich muß mich ändern bzw. ändern lassen.

Viele gehen ins Kino, um sich zu zerstreuen und ablenken zu lassen. Sie wollen das Loch der Langeweile füllen, um das Schweigen der eigenen inneren Leere nicht hören zu müssen. Man will das „Leben“ sehen, aber meist nicht das Leben, wie es wirklich ist, sondern das Leben, wie man es sich meist erträumt: Liebe und Glück, Sentimentalität und Happyend. Man will sich nicht ändern lassen, sondern man sucht Bestätigung und Entschuldigung des eigenen Daseins.

Viele gehen aber lieber ins Kino als zum Gottesdienst. In Amerika hat man einmal die Ausreden zusammengestellt, mit denen die Leute ihren mangelhaften Kirchenbesuch entschuldigen und diese dann auf das Kino übertragen. Das sieht darr so aus:

1. Der Geschäftsführer hat mich nie daheim besucht

2. Ich ging ein paarmal hin, aber keiner sprach mit mir

3. Jedesmal, wenn ich hinkomme, soll ich etwas bezahlen

4. Nur wenig Menschen leben entsprechend den Wertmaßstäben der Filme

5. Als Kind bin ich oft hingegangen, aber jetzt brauche ich keine Unterhaltung mehr

6. Es dauert zu lange, ich kann nicht zwei Stunden still sitzen

7. Ich bin nicht immer mit allem einverstanden, was ich höre und sehe

8. Die Musik ist nicht besonders hochwertig und modern

9. Die Tageszeit paßt mir nicht: Es sind die einzigen Stunden, in derer ich mich meiner Familie widmen kann.

Entscheidend am Film sind nicht die Darsteller und die Aufmachung, sondern immer noch der Stoff. Wenn der gut ist, dann ist es im Grunde egal, mit welchen Schauspielern die Hauptrollen besetzt sind, wenn sie nur für die Rollen passen. Star ist der Stoff! Und Lieschen Müller, wie der Durchschnitts-Kinobesucher gern genannt wird, ist oft gar nicht so geschmacklos, wie vielfach behauptet wird.

 

Möglichkeit für die Kirche:

Bietet der Film auch eine Möglichkeit zur Verkündigung für die Kirche? Der Mensch ist einfach bildhaft veranlagt und das macht man sich heute allenthalben zunutze, in Illustrierten, in der Werbung, im Film, selbst bei Verkehrsschildern. Auch die Kirche hat das Medium Film schon lange in ihre Verkündigung einbezogen, bietet es doch gute Anknüpfungspunkte für Diskussionen.

Der Film kann allerdings nicht das verkündete Wort ersetzen oder die Wortverkündigung verdrängen. Die Filme gehören neben die Predigt und sollen eine verkündigungsechte Bildpredigt darbieten. Hier findet eine andersgeartete Verkündigung statt, die genauso wie die gesprochene Predigt Frucht wirken kann.

Harmlos sind die Zeichnungen des französischen Zeichners Jean Effel, der die biblische Schöp­fungsgeschichte aus der Sicht der Kinder darzustellen versuchte und alles auch in einen Zeichentrickfilm hat übernehmen lassen. Der liebe Gott ist hier ein kleiner, freundlicher, kahler alter Herr mit einem weißer Schifferbart und einem langen Nachthemd, der manchmal kopfschüttelnd vor seiner eigenmächtiger Geschöpfen steht, usw.

 

Doch auch die Unterhaltung spielt eine wichtige Rolle in unserem Leben. Sie ist uns vom Schöpfer verordnet zur Erholung von Leib, Seele und Geist. Sie braucht nicht zur Übertretung des dritten Gebots zu führen, auch im Kino nicht. Der Film ist eine Erfindung, die im Bereich des göttlichen Schöpfungsauftrags liegt. Er dient nicht nur zu unsrer Belehrung, sondern auch zu unserer Unterhaltung. Seine Möglichkeiten zum Guten und Schönen sind groß. Und wir

haben allen Anlaß, sie recht zu gebrauchen und recht zu genießen und für sie zu danken.

Der Film hat einen schöpferischen Faktor, denn er erfindet Geschichten. Dennoch kann dahinter eine wahre und gültige Welt hervorleuchten. Denkt man später noch einmal darüber nach, so ist vielleicht doch ein untilgbarer Rest geblieben, der unser Leben klarer und freudiger macht.

Drei Forderungen sind jedoch an den Film zu stellen:

1. Der Film soll eine lebendige Bildersprache sein, die uns den Zauber der inneren Schönheit unserer Welt zu vermitteln vermag.

2. Der Film soll ein Dokument des menschlichen Lebens sein und nicht nur abbildgetreue, sondern auch im übertragenen Sinne wahre Kunde geben. Die Handlung muß wahr sein oder doch wahr sein können und auch dem Menschen etwas mitgeben, worüber er nachdenken muß.

3. Der Film muß sich zu bestimmten Lebensgrundsätzen bekennen. Es müssen nicht grundsätzliche christliche Regeln sein, denn der Film kann ja nicht daran vorbeisehen, daß unsere Welt keine heile Welt ist.

Die Verantwortung des Zuschauers ist hier groß. Viele verhalten sich so, daß sie alles in sich hineinfressen, was ihnen unter die Finger kommt. Ein freier Mensch aber weiß, was ihm gemäß ist und wird auch manchmal dem Genuß freiwillig entsagen; es gibt auch so etwas wie eine Hygiene der Seele.

Dabei bin ich aber nicht nur für mich allein verantwortlich, sondern auch für das Leben um mich herum. Die Zuschauer bestimmen durch den Kauf der Eintrittskarte immer mit, welche Filme hergestellt werden und gefördert werden. Wir haben dann eben die Filme, die wir verdienen.

Die Kirche könnte hier durchaus auch geschmacksbildend wirken. Sie könnte Filme empfehlen und auch gemeinsamen Filmbesuch organisieren. Im Kino kann sich die Gemeinde auch einmal außerhalb des Gottesdienstes versammeln und ein Stück Gemeinschaft haben. Hier kann man sich ohne Förmlichkeit treffen und nachher über alles aussprechen. Die Gemeinschaft ist nicht nur auf der Sonntagmorgen beschränkt.

 

 

 

Kunst

 

Farbensymbolik       

Reines Gelb:   Unbedingte Reinheit

Gold                Unzerstörbare, homogene Farbe, Symbol des Seins der Schöpfung

Rot:                 Kampffarbe des Lichts gegen die Finsternis

Blau:               Wall, Grenze und Scheidung zwischen Licht und Finsternis

Grün:               Mischung aus Gelb und Blau, Symbol des Reinen überhaupt, Symbol der Mitte

Braun:             Das schmutzige Gelb, Unterwürfigkeit..

Violett:            Mischung aus Rot und Blau ,schärfster Kampf gegen die Finsternis, damit aber auch Schutz gegen die Finsternis. Farbe der Prälaten und Bischöfe.

 

 

Zahlensymbolik

1          Die Zahl des Maßes-

2          Die Negation der 1

3          Die entfaltete 1 (Schöpfung)

4          „In der Welt sein“, aber die drei bleibt unberührt

5          Die Zahl der Möglichkeit nach 6 oder 7 (fünf Altarstufen!)

6          Entstanden aus 4 und 2: Die gefallene Welt

7          Entstanden aus 4 und 3: Die bewältigte Welt

8          Der absolute Abgrund

9          Die dreifach entfaltete 3, das Werden im Gleichgewicht.

Diese Symbolik spielt eine ungeheure Rolle in den mittelalterlichen Miniaturen etwa bis zum Jahre 1200 (nachher wird es unsicher!). Damals kannte man den Symbolgehalt dieser Farben und Zahlen und hielt sich streng daran, ja Zahlen und Farben machten selber eine Aussage über den Sinn des Dargestellten.

Die Erde besteht etwa aus drei Kreisen:

1. Der innerste ist grün, denn er ist die Mitte

2. Der zweite Ring ist orange, die Scheidung zwischen Licht und Finsternis ist also schon in der Schöpfung erfolgt.

3. Der äußere Ring ist violett als Zeichen dafür, daß in der Welt der Kampf gegen die Finsternis stattfindet.

Christus wird natürlich immer nur in ganz „reinen“ Farben gemalt, seine Gewänder sind grün und rot. Er ist umgeben von einer violetten Mandorla; der Hintergrund ist golden. Die Könige, zu ihm treten, tragen grüne Fackeln mit dem „reinigenden“ Feuer, denn sie nehmen als Richter die Scheidung zwischen Licht und Finsternis in der Welt vor.

So hat jede Farbe ihre Bedeutung und muß unbedingt bei der Bildbetrachtung der Miniaturen mit beachtet werden.

 

Höhlenmalereien     

Mythische Malereien finden wir in Skandinavien (Grenze nach Norden), in Norditalien (Alpen!), besonders aber im Westen, um die Biskaya, in Ostspanien und auf der anderen Seite in Nordafrika und in der Sahara. Besonders im Westen ist deutlich, daß man hier an einer Grenze diese Zeichnungen anfertigte als Wehrer gegen die Finsternis: Hier im Westen geht die Sonne unter (= Finsternis), hier beginnt das große, wilde Meer, hier standen auch die „Säulen des Herkules“.

 

Die Opferung: Zunächst fällt der finstere, dunkel gemalte Stier auf, der den Menschen angreift. Er ist das Symbol der verwilderten Schöpfung. Er hat jedoch einen dreigeteilten Schwanz als Zeichen dafür, daß diese Wildheit wieder zu Frieden werden kann. Diese Wildheit wurde übernommen von einem Nashorn (das ein Einhorn wäre, wenn es ein Horn nur hätte), das sich nun entfernt, nun als wildes Nashorn (ein Fabelwesen volle Wildheit entfernt sich am unteren rechten Bildrand). Das Nashorn wird als „wild“ gekennzeichnet durch 6 (!) Punkte unter dem Schwanz.

Der Mensch ist nur mit Strichen dargestellt (er liegt außerdem auf dem Boden), er ist kein Vollmensch mehr, er ist ein Schemen, ein gefallener Mensch. Er hat jedoch eine Vogelmaske auf zum Zeichen dafür, daß er nun wieder die Möglichkeit hat zu schweben (Vogel!). Auf dieser Darstellung sind nun drei Pfeile zu sehen: Der eine trifft den gefallenen Menschen (wahrscheinlich, denn er zeigt nicht genau auf ihn), der andere trifft die Erde, die nun auch erlöst wird (deshalb sitzt auch ein Vogel auf dem Ende des in die Erde gerammten Speer). Die Pfeile deuten nämlich die Opferung und auch die Erlösung an, in der das Licht sich selbst opfert.

Zur Unterscheidung des Wertes „Licht“ kann man drei Schreibweisen verwenden, die die drei Bedeutungsunterschiede bezeichnen:

1. Die erste Form ist das Sonnenlicht (das Sonnen-„licht“; alle Buchstaben klein geschrieben),

2. Die zweite ist das geschaffene „Licht“(erster Buchstabe groß geschrieben) des ersten Schöpfungstages, in dem die Möglichkeit liegt, daß es „verwildert“

3. Die dritte ist die Wahrheit selbst, das LICHT (alle Buchstaben groß geschrieben)(das „Urlicht“).

Dieses Licht opfert sich nun, es trifft den wilden Stier (im Pfeil symbolisiert) an seiner empfindlichsten Stelle, am Zeugungsglied. Daraufhin quillt aus dieser Wildheit die neue Schöpfung heraus, die nun in einem Gefäß aufgefangen wird (siehe dazu auch die Mithrasdarstellung im Landesmuseum in Wiesbaden!)

Der Stier jedoch war selbst einmal Licht, das aber dann wild wurde. Das Urlicht nun opfert sich, es trifft diese seine Wildheit und opfert seine Wildheit. Es opfert einmal sich selbst, aber auch in Form des ehemaligen „Lichtes“, das zu einem wild gewordenen Licht wurde

 

Der Ziegenbock: Der wilde Ziegenbock wird durch die Bewältigung zum Steinbock, zu einer Ziegenart in den Bergen, die der Sonne näher liegen; das Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Ziegenbock und Steinbock stehen sich gegenüber am „Haus des Tierkreiszeichens“ das hier im Grundriß dargestellt ist. Der Eingang zu diesen Häusern ist dargestellt durch zwei Hufeisen, die nach zwei verschiedenen, entgegengesetzten Seiten offen sind und Eingang und Ausgang symbolisieren

 

Der Wisent: Die wilden Wisente werden durch die Bewältigung zu weißen Stieren, die um das Auge sieben (?) Punkte haben, im Sternbild der Hyaden angeordnet, die übrigens auch einmal „wild“ waren und als (wilde) Tyade in der griechischen Mythologie vorkommen. Vor dem Kopf des einen dieser Stiere sind neun Striche gemalt, der andere steht im Tierkreis, dem Symbol des Gleichgewichts des Weltalls (Stier, Widder, Steinbock sind alles Tiere, die bewältigt haben; Schütze, Jungfrau (?), Wassermann haben alle den Pfeil). Hier wird der vollkommene Weltprozeß im Werden dargestellt. Über den Stieren findet sich noch ein springendes Pferd (Sprung zum Gleichgewicht, darunter sind Hirsche (Gleichgewicht selbst). Es handelt sich also hier um die Darstellung der Vollkommenheit selbst.

 

Der Esel: Der wilde Esel wird durch die Bewältigung zum Stier (der im Gegensatz zum schwarzen Esel gelb gezeichnet ist). Stier (oder fälschlich Ochse) und Esel stehen an der Krippe des neugeborenen Christus als Zeichen dafür, daß auch die Schöpfung erlöst ist; manchmal stehen sie sogar der Krippe näher als selbst Maria; die Krippe kann sogar in einer Art Höhle stehen (Höhlenmalereien sind ja auch in der Höhle, und zwar gerade dort erst ,wo kein Tageslicht mehr eindringen kann).

Der Stier bewältigt die Wildheit des Esels, die Wildheit wird nun ausgeschieden und entweicht in einem Fabeltier. Der Esel aber bleibt, er dient nun (der bezwungene Drache dient als Hermes dem Apollo). In der Bibel dient der Esel etwa bei der Flucht nach Ägypten und beim Einzug in Jerusalem (es gab in Palästina allerdings kaum ein anderes Tier außer dem Kamel), Ochse und Esel werden sogar am Sabbath „erlöst“, von der Krippe gelöst und zur Tränke geführt (Luk 13,15) oder sie werden auch am Sabbath aus dem Brunnen gezogen ,in den sie fielen (Luk 14).

 

Der Widder: Der Widder ist ein erlöstes Tier, denn er bewältigt in seinen Hörnern die Spirale, die als immanente Negation immer den Kreis bedroht (das Symbol der Vollkommenheit) und die Finsternis einbrechen läßt. Vor der Darstellung der Widder ist dann ein Pferdekopf gezeichnet, der die Möglichkeit zum Sprung ins Gleichgewicht symbolisiert.

 

Schachbretter: Das Quadrat, aus dem die Schachbretter bestehen, ist das Symbol der ver­wandelten Erde (Quadratur des Kreises). Diese Quadrate sind nun in sieben Flächen eingeteilt, in Quadrate und Rechtecke, so daß ein schachbrettartiger Eindruck entsteht (auf iranischen Darstellungen ist es ein wirkliches Schachbrett). Auf diesen beiden Schachbrettern steht mit den Vorderfüßen eine Kuh als das Ursprungssymbol.

 

Miniatur: Die Ausgießung des Heiligen Geistes

Vom Kreis des Heiligen Geistes (blau mit abstraktem Symbol, fortgesetzt nach unten in einer Taube) gehen Strahlen aus zu den zwölf Jüngern. Der mittlere Strahl trifft Petrus, der dadurch einen Heiligenschein bekommt, weil er das Gold von oben schon in sich „aufgesogen“ hat; er ist als Einziger von vorne gezeichnet, seine Hände sind abwehrend gehoben, er ist schon in der Stille der Seele und scheint sagen zu wollen: „Gleich werde ich es euch weitersagen!“

Die anderen Jünger sind von den Strahlen des Heiligen Geistes noch nicht erreicht worden, sie schauen erwartend auf Petrus oder nach oben, sie sind im Profil gezeichnet. Alle sind umschlossen von einem Kreis, der wiederum in einem Rechteck sitzt. Im Kreis sieht man nur „gute“ Farben: ganz oben grün, im Gebiet der Strahlen dann blau, die Kleider der Männer grün, blau, rot, gold, die Haare violett.

Petrus hat ein orangenes Unterkleid an, denn er sitzt ja genau über dem Abgrund. Dieser liegt außerhalb des Kreises, verschlossen durch eine braune Tür, über der Petrus sitzt. Die Tür selbst ist angebracht in einer violetten Mauer, die den Abgrund zudeckt; nach oben wird sie abgeschlossen durch eine Borte gezähmter Wellen.

Außerhalb des Kreises befinden sich auch noch Andeutungen von Häusern, also der Welt, in den Farben grün, orange, blau, also den Farben der Erdkugel; der Hintergrund dazu ist stark violett gezeichnet. Die äußere Leiste des Rechtecks ist in den Farben grün, blau, violett gehalten; sie zeigt auch in stilisierter Bortenform die „Welle“.

 

 

Das Angesicht:

Das Gesicht ist empirisch-historisch am Kopf vorfindlich. Das Antlitz ist das göttliche Transzendente im Gesicht. Das Angesicht ist das anscheinend eine Synthese von Gesicht und Antlitz, jedoch noch mit dem Wesenszug der Offenheit. Im Ansehen des Antlitzes wird Gesicht zu Angesicht.

Bei Kindern und Greisen spürt man etwas von Antlitz, denn Greise stehen so hoch über der Wahrheit und Weisheit wie Kinder davor. Antlitz kann nur gespürt werden es ist nicht greifbar, aber die Frau in der Existenz des Empfangens ist dem Antlitz vielleicht näher. Antlitz kann nämlich nur geglaubt werden aus dem Ursprung, es ist unbeschreibbar und man kann nur die Hoffnung haben, es anwesend zu spüren.

Der französische Bildhauer Rodin etwa gibt uns eine zeitlose Möglichkeit des Antlitzes, andere machen nur Gesichter. Das Gesicht formt sich in der Bewältigung samt seinen Widersprüchen. Gesicht tragen müssen bedeutet Profilierung in der Bewältigung des Lebensprozesses, aber auch Ausharren in Bindungen.

Aber all diese Widersprüche ermöglichen wieder ein Hereinbrechen Gottes, es kommt zur Erkenntnis, daß die Welt allein nicht zu bewältigen ist, daß man nie am Ende ist. Es kommt die Sehnsucht auf nach Überdauerndem, die Sehnsucht des Werdenden zum Sein und des Gesichts zum Antlitz.

Es besteht aber nun die Gefahr des Geschlossenseins, die Gefahr, das Fixierte als das Sein anzusehen. Immer hofft der Mensch, in ein Größeres einzugehen, in das „Antlitz der Zeit“ oder das „Antlitz des Volkes“. Aber die Welt ist nicht in einem idealistischen Aufschwung zu übersteigen. Dieser Weg ist zum Scheitern gebracht und die menschliche Vergeblichkeit gezeigt.

Es kann nur eine Umformung erfolgen zwischen Ergebnis und Vergeblich, und zwar im Begebnis, denn das Hilflossein ist nicht Scheitern im Sinne von Versagen. Kind und Greis sind eben nicht gescheitert, sondern sie sind dem Ursprung ganz nahe, denn sie sind von Ihrer Aktivität heruntergeholt.

Vergegenwärtigung des Ursprungs wäre es, wenn es uns gelänge, unser Scheitern in der Periode der Aktivität anzusehen als Offenheit zu etwas anderem und dann an den Rand zu treten. Wenn man so das Scheitern als Aufbruch versteht, dann liegt im Scheitern auch die Möglichkeit zum Sein und Angesicht wird zum Bereitsein für das Antlitz.

Soll man nun aber von sich aus das Scheitern suchen, um dadurch „reifer“ zu werden. Erst einmal braucht man es nicht zu suchen, er kommt schon von selbst. Und dann braucht man nur zu versuchen, das was man in seinem Denken erkannt hat (etwa als Theologe) in die Tat umzusetzen, dann wird man schon merken, wie schwierig es ist.

Manche Menschen aber sind zu ruhig und haben nie Probleme; für sie wäre eine kleine „Aufregung“ einmal gut. Andere fragen dauernd und kommen nie zur Ruhe. Sie müßten einmal alles vergessen und wenigstens ab und zu einmal offen sein für den Anruf.

Man muß bereit sein zu beidem, zur Ruhe und zur Unruhe, zur Sicherheit und zum Zweifel, zum Tun und zum Lassen.

 

Die Aussage der Plastik:

Griechische Archaik: Entspannt zum Empfang des Göttlichen, des Geistes Gesicht ist große Fläche, ohne Augen und Mund, noch für alle Möglichkeiten der Gestaltung offen.

Körper ist ein Gerüst, kaum Fleisch zu sehen, Geistgerüst, Arme locker hängend, Spielbein vorgestellt.

Klassik: Der Mensch wird aktiv, weltbewältigend, aber fleischlich, zunächst sind die Augen noch überströmende Schalen, die von Gott gefüllt sind, aber dennoch offen für die Welt.

Dann jedoch wird Gesicht immer mehr durch Linien und andere Einzelheiten bestimmt und festgelegt, damit aber wird das Leben gefesselt und es gehen Möglichkeiten der Gestaltung nun verloren, weil schon alles festgelegt ist. Der Mensch zehrt sich auf in der Aktivität. Jede Differenzierung bewirkt Verengung. Das 4. Jahrhundert der Klassik ist das „tragische Jahrhundert“. Die klassischen Helden sind melancholisch und voller Trauer. Im Hellenismus bleibt dann nur noch Verzweiflung.

Hellenismus: Augen liegen in immer tieferen Höhlen, sind zurückgezogen. Damit kann man zwar besser sehen, aber es ist Verengung. Der Mensch ist zwar höchst aktiv (Apoll von Belvedere), aber auch von seiner Geschichte geprägt. Jedoch: Er entfaltet nicht selbst Geschichte wie in der Archaik. Aber auch in den späten Darstellungen keine Hybris, sondern Bereitschaft zum Umbruch, bereit für Gott, der dem Menschen wieder ein Angesicht schaffen soll.

Christentum: Mit dem Einbruch des Christentums (Konstantin der Große) werden die Augen wieder offen auf die Welt gerichtet, wenn sie nun auch über die Welt hinaussehen, wissend um das Mysterium (vergleiche alle Ikonendarstellungen).

Mittelalter: In Italien wird wie unter Konstantin dem Großen der überwindende Christus dargestellt, der Herr der Welt. In Deutschland eher Christus als der Bruder, der mitleidet (Gesicht ist voller Schmerz).

Barock: Nur noch im Tod ist das Übersteigen der Welt möglich. Schlüters Totenmasken sind von aufschlängelnden Flammen umgeben (Haaren usw.), aber gerade an diesen Haaren wird der Kopf in die Höhe gehalten, so wie man früher das abgeschlagene Haupt des Feindes zeigte.

Rodin „Die Bürger von Calais“: Der eine Bürger hat die Hand geöffnet, aber nicht zum Griff, sondern zum Entlassen des nicht gelebten Lebens. Auch Rodins Balzac-Statue ist hinhorchend und getroffen vom Genie.

 

Moderne Kunst:         

Kunst ist der Unterbau, der die Grundverhältnisse des Menschen zum Dasein bestimmt. Die Faszination geht von der Freiheit dieser Kunst aus. Die voraussetzungslose Offenheit dieser Kunst verändert das Verhältnis zur Wirklichkeit, sie vertieft die Natur- und Welterkenntnis

Die im direkten Bezug einfachen Wirklichkeitsbilder wurden abgelehnt, man wurde „abstrakt“:

(1.) Paul Klee hat sich hoch an die Wirklichkeit gehalten, er malt jedoch nicht „Baum und Fluß“, sondern „Wachsen und Strömen“.

(2.) Bei Pollock und Wals finden wir keine optischen Bilder mehr, sondern einen Selbstausdruck der Erregungen und Leidenschaften im Künstler selbst.

(3.) Nay geht mit den farbigen Formen um in einem reinen Geist-Spiel, er will zur Harmonie und Schönheit gelangen.

 

Von der reproduktiven, beschreibenden und interpretierenden Form gelangt man in der modernen Kunst zur „evokativen“ Form im Malen, die entspringt aus der Mitte des zeitgenössischen Welt- und Daeinserlebnisses; daraus entspringt wohl auch die Faszination auf die junge Generation.

In dieser Art der Kunst liegt die Gefahr der Pervertierung, besonders auffällig ist die Rekordsucht im Übertrumpfen mit Absurdem (Hemd, Schrott und Latten an die Wand; ausgefallene Bildtitel). Es geht aber nicht um die Freiheit von etwas, etwa von der alten Form der Kunst sondern es geht um die Freiheit zu etwas. Es geht um den Gehorsam gegen die Forderung der Freiheit, dem gestaltlosen Hohlraum in künstlerischen Entwürfen Gestalt zu geben aus der Tiefe ihrer Welteinsicht. Deshalb wurde die moderne Kunst von politischen Systemen oft angegriffen, zumal sie ja auch international ist. Seit 1945 hörte jedoch die faschistische Bevormundung auf und eine schöpferische Gestaltung war wieder möglich.

 

Das Bild ist in der heutigen modernen Kunst nicht mehr Reproduktionsfeld einer wieder­ zu schaffen­den Außenwelt, sie ist „Evokationsfeld“ von Erscheinung. Kunst ist nur die Kunst, die den „Wirklichkeitsgrund"“spiegelt, deutet und vorantreibt.

(1.) Französischer Fauvismus, deutscher Expressionismus: Der seelische Bezug zum Gegenstand ist wichtiger als die Darstellung des Gegenstandes

(2.) Französischer Orphismus, italienischer Futurismus, „Blauer Reiter“: Das neue Bild wird mit weitreichenden lyrischen Inhalten und Erlebnissen aus der zeitgenössischen Umwelt betrachtet und von gegenständlichen Ausgangspunkten her beleuchtet.

(3.) Französiscsher Kubismus: Erarbeitung der grundlegenden Kategorien des evokativen Bild

(4.) Russischer Suprematismus, holländische Stijlbewegung, „Bauhaus“: Jenseits von Inhalt und Ausdruck hat man eine in sich bestehende Harmonie aus geometrischen Grundfiguren entwickel

(5.) Italienische „Pittura metafisica“, internationaler Dadaismus und internationaler Surrealismus: Verfremdungserscheinungen in der zeitgenössischen Dingerfahrung, die aus dem Unbewußten heraufbrechenden Inhalte und die entsprechenden provokatorischen Techniken und Verfahren der Kunst zuführen.

Falls die hier gemachten Aussagen über moderne Kunst wirklich stimmen, dann ist diese Art von Kunst durchaus zu begrüßen, denn sie sucht auch nach der Wahrheit, auch wenn hier noch sehr viel mit psychologischen Ausdrücken gearbeitet wird, weil man noch keine Sprache hat, um sich auszudrücken.

 

Vincent van Gogh: Die Farben haben einen Symbolgehalt: Rot und Grün sind Farben der Leidenschaft.

Franz Marc: Wir werden nicht mehr den Wald oder das Pferd malen, wie sie uns gefallen oder scheinen, sondern wie sie wirklich sind, wie sich der Wald oder das Pferd selbst fühlen, ihr absolutes Wesen, das hinter dem Schein lebt, den wir nur sehen

Guillaume Apollinaire: Wir werden eine reine Malerei haben, so wie die Musik eine reine Literatur ist. Reinheit vom Schein, von den Schlacken verworrener und verwirrender Wirklichkeit, Rückkehr zur Idee, zu Ordnung und Gesetz.

 

Während sich die Dada-Bewegung darin erschöpft hatte, zu zerstören, versuchte der Surrealismus, nahezu wissenschaftlich die geheimnisvollen Fähigkeiten des Unterbewußten zu erforschen und so einer neuen künstlerischen Sensibilität den Weg freizumachen. An die Stelle der rationalen Anschauung der Dinge trat das Wissen von den irrationalen urtümlichen Beziehungen. Bewußtsein und Unterbewußtsein sollten sich ergänzen, Triebleben und Irrationales werden auch von den Malern entdeckt. Man wollte in ein neues Erfahrungsgebiet gelangen, in ein Grenzgebiet neben der Dingwelt, in dem „die bisher. widersprüchlichen Bedingungen von Traum und Wirklichkeit in eine absolute Wirklichkeit, in eine Superwirklichkeit“ aufgelöst werden sollten.

 

Hermann Glaser: Künstler fühlen sich nicht als Schöpfer, sondern als Werkzeug der Schöpfung; sie drücken nicht sich aus, sondern das allen Menschen Gemeinsame.

 

 

 

 

v. Oppen: Der moderne Mensch im privaten Bereich

 

Familie:

Die Familie in der heutigen Form ist eine geschichtlich junge Sozialform, die noch nicht eingespielt ist. Bis ins 19.Jahrhundert •        sprach man nur vom „Haus“, vor allem dachte man dabei an das Bauernhaus, wo Wohnung und Betrieb zusammenfallen. Doch dann wurden viele Aufgaben abgegeben, die Arbeit wurde in den Betrieb ausgegliedert und die heutige Familie besteht nur noch aus einem Ehepaar und seinen Kindern (die ältere Generation wohnt für sich). Da auch die Kinder das Haus verlassen, um in die Schule zu gehen und die Kranken ins Krankenhaus gebracht werden und die Freizeitgestaltung aus dem Haus vertrieben wurde, ist die heutige Familie gewaltig verarmt.

Das „Haus“ war umweltkonform, aber dennoch offen. Doch das Privatleben wurde scharf von draußen geschieden (Klingel!). Die Welt war in Ordnung, der Heranwachsende wurde auf diese vorbereitet. Heute ist die Welt so mit dem Privatleben verbunden, daß der Mensch ständig zwischen ihm und dem bürgerlich-öffentlichen Leben steht. Erst mit der Familie ist so richtig das Privatleben entstanden, zusammen mit dem Achtstundentag, der Fünftagewoche, der Intensivierung der Arbeit und der Steigerung der Konsumkraft. Früher war eine Heirat ein Hin­einstellen in ein bestehendes Haus, heute ist eine Familiengründung ein Wagnis, das Überlegung und Information erfordert. Jeder ist vor immer neue Situationen gestellt.

Die bindenden Kräfte des Hauses waren Herkommen, Sitte (Tracht), Mundart, Arbeitsformen, die alle einen Gemeinschaftsstil unter patriarchalischer Autorität bildeten. Die labilere Lebensform ist die der Familie, die Intimgruppe, die durch die Liebe zusammengehalten wird, während die Ehegatten gleichrangig sind. Die Alten gehören nicht mehr dazu, sie sind oft noch lange rüstig und führen ein eigenes Leben, ledige Erwachsene sind heute eine Ausnahme.

Die moderne Familie muß ihre Bekannten heute aus der Nachbarschaft auswählen (auf dem Dorf kannte noch fast jeder jeden). Sie muß eine bewußte Verständigungsarbeit leisten, aber auch Abstand halten. Ziel ist ein eigenes individuelles Verhältnis.

Eine Erziehung zu Arbeit und Beruf wird heute von der Familie nicht mehr gegeben; das Gleiche gilt für Freizeit und Konsumverhalten. Die Eltern wirken nur noch mit Verboten, sie erziehen nur noch zum Familienleben, nur noch einige Verhaltensmuster werden heute mit genommen aus der Familie.

Die Familie steht nicht mehr in einer Ordnung wie das „Haus“, sondern in Organisationen. Die Ordnung erfaßte den Menschen völlig, sie war traditional und hatte sakralen Charakter. In ihr sollte das Individuum seine Existenz aufgeben und sich von der Institution her steuern lassen. Heute jedoch ist die Grundfrage: Wie verhält sich der Mensch zum Menschen?

Das 19. Jahrhundert schuf neben der Romantik einen Rausch der Freiheit (Frauenbewegung, Liberalismus). Doch die Formel von dem Wechselspiel zwischen Individuum und Gemeinschaft reicht heute nicht mehr aus, und auch Hegels „geistige Gemeinschaft“ war nur eine Notlösung (höchste Gemeinschaft, höchste Freiheit) (Gesinnungsgemeinschaften, Vereinswesen; „Volksgemeinschaft“).

Da eine pluralistische Gesellschaft unüberblickbar ist, suchte man Geborgenheit in der kleinen Intimgruppe (Jugendbewegung) und engen persönlichen Kontakt. In der Familie fühlte man sich „noch“ geborgen in einer versachlichten, rationalen Welt. Aber das ist nur eine Fluchtreaktion, denn die Bewältigung der Welt wird nicht angepackt, diese Haltung ist ethisch nicht tragfähig, ja, es wird nicht einmal eine ethische Begründung gegeben.

Es kann auch keine Autonomie des Individuums geben, keinen „Ohne- mich-Standpunkt“ Die Isolierung des Einzelnen in dieser vielfältigen Welt soll aufgehoben werden und eine ethisch tragfähige Verknüpfung zwischen privatem Bereich und beruflich-politischem Lebenskreis gefunden werden.

Ein Symptom für die neue Entwicklung ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau (seit 1.Juli 1958). Die alte Regelung des BGB, die das Eigenrecht des Einzelnen und die Einheit der Ehe verbindet durch die Herrschaft des Ehemannes, wurde hiermit aufgegeben, vor allem aus rein praktischen Erwägungen: Der Mann war oft vom Haus abwesend bzw. am Abend für die Erledigung der Familienangelegenheiten zu müde, andererseits war die Frau durch ihre Berufstätigkeit zu einer geprägten Persönlichkeit geworden mit einem eigenen Erfahrungsschatz (nicht mehr nur höhere Tochter).

Nach der neuen Rechtsnorm steht es den Ehegatten frei, wie sie ihre Ehe gestalten wollen, ob mit männlicher Autorität oder mit weiblicher Klugheit oder in Partnerschaft. Der rechtliche Rahmen hat heute eine ungeheure Spannweite, das Recht reicht zur Regelung des Lebens nicht aus, andere Maßstäbe müssen eintreten. Das nunmehr geltende Recht hat den freien Raum zu schaffen, in dem die Ehegatten in der Ordnung leben können, die der Staat zu geben aber nicht mehr berufen ist.

 

Partnerschaft:

Partnerschaft ist heute das tragende Strukturprinzip. Partnerschaft ist nicht nur friedliche Koexistenz, sie betont die Verschiedenheit (Herkunft, Stellung, Fragestellung), appelliert aber

an die Gemeinschaft, die Gemeinnützigkeit, den Dienst am Mitmenschen; sie schafft ein Wertsystem und lebt vom Kompromiß (Tarifpartner!). Eine solche Partnerschaft wird gewertet am Leitbild und an der Stabilität: Unter einem patriarchalischen Leitbild herrscht hohe Stabilität, wirkt jedoch das Leitbild der Gleichrangigkeit hinein, wird die Familie unstabil, die Entwicklung der sozialen Persönlichkeit des Mannes wird gehemmt, obwohl er in der Scheinvorstellung von Recht und Macht lebt (Kinder lachen über ihn, schulmeisterlicher Typ). Die Mutter wird Erziehungsautorität.

Die einzige schöpferische Antwort auf die Situation der modernen Familie ist die gleichrangige Gefährtenschaft, die eine hohe soziale Mobilität mit sich bringt, zur Lösung der nachbarlichen und verwandtschaftlichen Bindungen führt und die auf sich gestellte Kleinfamilie mit sich bringt, in der das Gewicht des einzelnen Mitgliedes stärker wird, in der vor allem die Frau eine besondere Bedeutung als Begleiterin auf der sozialen Wanderung des Mannes erhält und in der alle stärker aufeinander angewiesen sind.

Das Leitbild des individuellen Interessenvorranges dagegen ist besonders gefährlich, wenn die Frau das Übergewicht erhält (Gründe: Verwöhnung in der Kindheit, Halbbildung, zuviel Geld, Verständnislosigkeit des Mannes, unterschiedliche gesellschaftliche Herkunft). Dieses „Matriarchat“ hat dann keine innere Stütze, die Berufstätigkeit der Frau ist oft nur ein Ausweichen vor hausfraulichen und mütterlichen Aufgaben, die „Aussprachen“ sind nur Auseinandersetzungen.

Heute muß die Familie eigenständig gegenüber der Gesamtgesellschaft sein. Ein Dienst für die Partei bedeutet zumeist eine Opferung des Familienlebens; dies muß die Frau verhindern. Die Aussprachefähigkeit muß in der Familie erhalten bleiben. Ehe bedeutet: Miteinander reden können, hören und mitdenken können, Sache und Person müssen in einem gesehen werden. Der Verstand gewinnt größeres Gewicht und nimmt den Konflikten die Schärfe, wenn er liebend gebraucht wird. Doch muß die Möglichkeit zur Scheidung grundsätzlich bejaht werden, die theoretische Möglichkeit zur Eheaufgabe liegt in jeder Eheschließung.

Es kommt alles auf Elastizität und Wandlungsfähigkeit an:

Die Isolierung der Frau vom Berufsleben des Mannes(Trennung von Heim und Betrieb) führt zunächst zu einem Geltungsverlust der Frau; dann aber erkennt sie ihre neue Aufgabe und die Bedeutung

des Heims nimmt laufend zu. Auch das Kind erhält wachsende Bedeutung. Eine hohe Kinderzahl führt wieder zu hoher Beanspruchung der Frau, die ja Haupterzieher ist, damit aber auch in allen anderen Bereichen eine zunehmende Gleichberechtigung erlangt. Mit dem Rückgang des wirtschaftlichen und sozialen Gewichts des Mannes stellt sich aber nun auch heraus, daß nichts Unbezweifelbares und Festes an die nächste Generation weitergegeben werden kann.

Mann und Frau müssen sich deshalb zu gleichrangiger Gefährtenschaft zusammenfinden. Nur so kommt es zu einer zunehmenden Bewußtwerdung der Ehe und ihrer Aufgabe (Bund, der gestaltet werden muß). Nur so können der Rollenwechsel von Mann und Frau und andere störende Elemente abgefangen werden, nur so gewinnt das private Familienleben an Überzeugung gegenüber dem Berufsleben.

Beiden Partnern wird damit eine breitere Entfaltungsmöglichkeit gegeben. Das früher Typische erscheint nun vielfach gemischt und es kommt zu einer größeren Verschränkung als früher. Sobald aber eine Tätigkeit auf ein Geschlecht beschränkt wird, verliert sie ihren Reichtum und ihre Differenzierung.

Viele Ehen sind jedoch überfordert. Das führt zu immer neuer Labilität und immer neuem Abringen der Stabilität. Voraussetzung für diese Stabilität ist jedoch vor allem die soziale Reife. Bei sozialer Unreife herrscht eine Vielfalt von Einflüssen, die oft nicht verarbeitet werden können. Die Ehe wird zum Experimentierfeld individueller Ansichten.

Eine zweite Gefahr ist die Überempfindlichkeit im Anhängen an einen Partner. Dann ist oft keine Grundlage mehr vorhanden und die Stabilität beruht nur noch auf einer sehr schmalen Basis. Hier bleibt dann jedoch keine andere Wahl mehr; doch auch diese Gefährdung kann man durch Glauben auffangen.

 

Die unvollständige Familie:

Wenn nur noch Mutter und Kinder da sind, wenn Witwen, Geschiedene oder Ledige allein stehen, handelt es sich um eine unvollständige Familie. Meist kommt es dann zu Ziel- und Haltlosigkeit, auch wo früher die Frau führend war. Man klammert sich dann an Freunde und die Bindung zum Kind wird stärker; gerade das Kind wird ein Halt fürs Leben, kann aber auch ein Hindernis auf der Männerjagd sein. Oft kommt es zur Überlastung der Mutter, die keine Gelegenheit zur Aussprache mehr hat. Es ist keine größere Gruppe mehr da, die einen Halt gibt, und die Verwandtschaft kann den Vater nicht ersetzen. In jedem Falle liegt nur eine schmale Stabilitätsbasis vor und die Familie ist sichtbar gefährdet. Schließlich ist menschliche Existenz ja eine Kombination zwischen Individualität und Gemeinschaftlichkeit.

Hier gerät dann die personale Existenz in ihre Bewährung, denn nun kommt es darauf an, die Sexualität durch Führung, Ablenkung und Einfügung nutzbar zu machen. Hierbei kommt es nicht auf Forderungen und Eigengesetzlichkeiten an, sondern auf das Herausgefordertsein und das Antwortgebenmüssen: Ein unverfügbares Sein fordert uns heraus zur Mündigsprechung.

 

Die Ehe:

Die Ehe beruht auf der Verantwortung für das Du, das Ich und das Wir. Die Ein-Ehe ist die Grundlage der Hochkultur: Die Monopolisierung der Geschlechtsbeziehungen oder die Kontrolle der außerehelichen Beziehungen führte zur Entsexualisierung der Restgesellschaft, die wieder durch Sublimierung zur Hochgesellschaft führte.

Das Wesen der Ehe ist die Dauerhaftigkeit der sozialen Bindung, die sich äußert in der Sorge für das nicht autarke Kind; hier liegt der eigentliche Ursprung der Familie, denn hier wird der Vater kulturell in die Bindung Mutter-Kind hineingezogen. Ehe und Familie sind vorwiegend eine ökonomische Einheit und Gemeinschaft, die Stabilität der Geschlechtsbeziehungen beruht in der Hauptsache auf nicht sexuellen Gründen.

Wirkliche personale Beziehungen werden aus sachlichen Gründen hergestellt, auf leidenschaftliche Zuneigung allein läßt sich nichts gründen. Jede Leidenschaft wird durch sachliche Anforderungen sich entfremden.

Theodor Bovet unterscheidet drei Aspekte der Liebe:

(a.) Sexus: Völlig biologische Betrachtungsweise, noch nicht einmal auf eine andere Person gerichtet. Nur die Unpersönlichkeit macht diesen Aspekt stabil, er ist außerhalb der Stimmungsschwankung und dient nur der Fortpflanzung.

(b.} Eros: Geht auf die Person ein, liebt mehr das Verhüllte, sucht die Seele, Kunst und Spiel, deshalb der wesentliche Unterschied zwischen Tier und Mensch. Die heutigen Ehen leiden vielleicht am häufigsten an der Unterentwicklung des Eros. Die meisten Männer sind sexuelle Kraftprotzen und erotische Idioten. Die Frauen jedoch sind mehr dem Eros zugeneigt und werden durch solche Männer enttäuscht. Nur in der Verbindung mit dem Eros kann der Sexus voll bejaht werden, denn eine Beherrschung des Triebes ist nötig, weil nur in erotischer Hochspannung ein gemeinsames Glück möglich ist.

(c.) Agape: Der geistige Aspekt in der Liebe, beruhend auf der Verantwortung beider für den anderen und den vor dem dritten. Agape liebt den anderen, weil er da ist, nicht weil er so ist. Sie ist nicht an den geschlechtlichen Unterschied gebunden, auch eine Freundschaft kann unter der Agape stehen. Veränderungen am anderen werden dabei eingerechnet, man kann nicht in einer festgelegten Rolle leben, sondern muß dem anderen auch die Freiheit zur Veränderung zugestehen. Erst durch das Zurücktreten des Eros wird die Fülle der Agape entdeckt. Das Risiko der Agape ist die Weiterentwicklung des Partners; da das Wesen der Ehe aber die Dauer ist, führt dieser Dauerzwang auch über Tiefpunkte hinweg. Deshalb ist die Agape auch höher zu stellen als der Brutpflegegedanke, und das Sachliche allein ist noch nicht das Menschliche. Liebe ist Arbeit, und die Ehe ist das Material, um etwas daraus zu machen. Diese Aufgabe ist dem Menschen lebenslang aufgegeben.

 

Das Eltern-Kind-Verhältnis:

Nach Luthers Großen Katechismus sind die Eltern Stellvertreter Gottes, von der elterlichen Gewalt werden andere Gewalten abgeleitet: Jeder Herrscher wird zum Vater(Abt!). Alle Sozialbewegungen sind Aufstände gegen die Väter. Der Kirche jedoch erschienen diese Auflehnungen als ein Verlust christlicher Substanz, in Wirklichkeit setzte sich aber die Substanz gegen die vermeintliche christliche Ordnung durch.

Dieser Wandel des Vaterbildes gilt auch für den Glaubenden. Heute gibt es keine Knechte mehr, auch rechtlich ist das Patriarchat aufgehoben und beide Elternteile sind zur Vermögensbildung und zur Erziehung der Kinder berufen; sogar die letzte Entscheidungsgewalt des Mannes wurde aufgehoben.

Die heutige Familie ist gekennzeichnet durch die Unterhaltpflicht: Verwandte in grader Linie sind verpflichtet, sich gegenseitig Unterhalt zu gewähren, eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn dadurch der eigene Unterhalt gefährdet wird. Eine Aussteuerverpflichtung besteht nicht mehr, an ihre Stelle trat die Vorbildung zu einem Beruf.

Das Eltern-Kind-Verhältnis kann einmal bestimmt sein durch eine starke Verfügungsgewalt der Eltern. Das Kind ist dann zum Beispiel vor allem Arbeitskraft (heute besonders noch auf dem Land) oder auch eine besondere Belastung, so daß besonders die Söhne verwahrlosen; Hauptgrund dafür ist das ständige finanzielle Abwägen in einer Kleinfamilie, die keine Reserven hat.

Umgekehrt können auch Prestige- und Aufstiegswünsche der Eltern eine Rolle spielen. In Wirklichkeit wird dabei aber nur deshalb alles für das Kind gegeben, weil es für die Eltern da sein soll, die ihm seine Rolle zudiktieren. Die Kinder werden dadurch nicht nur überfordert, sondern auch gefühlsmäßig überlastet, es wird unselbständig und der kritischste Augenblick kommt bei der Verheiratung des Kindes.

Ein Kind kann auch Ersatzperson für Partnerbeziehungen werden, besonders wenn das Kind frühreif ist. Die Eltern konzentrieren sich dann nur noch auf das Kind und versuchen sogar, es auf ihre Seite zu ziehen, so daß sie in ihrer eigenen Ehe eine größere Aufgabe haben als an den Kindern.

Die zweite Form des Eltern-Kind-Verhältnisses versucht der Eigenständigkeit des kindlichen Wesens gerecht zu werden: Man appelliert an die Einsicht des Kindes, läßt ihm Freizügigkeit und gibt ihm Aufklärung, so weit wie das Kind fragt.

In der Familie kommt es immer darauf an, die einzelnen Gesichtspunkte vernünftig gegeneinander abzuwägen: die Familie gegenüber der Gesamtgesellschaft, die Ehe gegenüber der Beziehung zu den Kindern, die Beziehung der einzelnen Familienglieder untereinander. Für das letztere gilt besonders, daß man Freiheit läßt in bezug auf Spiel, Spielgefährten, Berufswahl, Taschengeld, Partei, Partnerwahl.

 

Uneheliche Kinder:

Nur in den Nachkriegsjahren gab es eine Zunahme der unehelich geborenen Kinder, sonst blieb das Niveau gleich. Ein Schluß auf die Moral ist hier jedoch nicht möglich, denn nicht erfaßt sind die Abtreibungen und die Kinder, deren Mütter auf Grund der Schwangerschaft geheiratet wurden; außerdem muß man die Wirkung der empfängnisverhütenden Mittel bedenken. Bei den Müttern, die bei der Geburt ihres Kindes nicht verheiratet waren, handelt es sich meist um unerfahrene Mädchen, die einem gewissenlosen Mann in die Hände fielen, um „Damen"“mit liederlichem Lebenswandel, um Ehebruchsfälle,. bei denen der Mann verheiratet ist oder um Frauen, die vergewaltigt wurden.

Was wird aus Mutter und Kind?

(a) die Mutter bleibt unverheiratet

(b) es kommt zu einer „Onkelehe“ (Rentengesetzgebung)

(c) die Verbindung wird später noch legitimiert

(d) die Mutter heiratet einen anderen Mann

(e) es erfolgt eine Adoption (positiv oder negativ?)

(f) das Kind wird verlassen und kommt in ein Heim.

Früher waren uneheliche Kinder mit einem ständischen Makel behaftet und hatten eine andere rechtliche Qualität. Heute hängt die soziale Geltung eines solchen Kindes ab von der sozialen Aufwertung/seiner Mutter. Seit 1955 können sich alle weiblichen Personen „Frau“ nennen lassen. Aber auch ohne eine Diffamierung liegt ein besonderes Problem vor, etwa wenn die Mutter arbeiten muß.

Oft sind allerdings vorzügliche Erziehungsleistungen vorhanden, die Gefährdung muß nicht unbedingt zum Verderb führen; am besten schneiden noch die unehelich gebliebenen Mütter ab. Haupthindernis ist jedoch oft das Finden einer Wohnung.

 

Die alleinstehende Frau im arbeitsfähigen Alter:

Viele alleinstehende Frauen fühlen sich unglücklich, ihr Daheim ist oft nur ein möbliertes Zimmer, im Beruf sind sie nur scheinbar Respektsperson und Geselligkeit können sie nur in einer Frauengesellschaft finden, da in einer gemischten Gesellschaft eine einzelne Frau störend wirkt.

Viele Frauen wenden sich dann an ein Eheanbahnungsinstitut. Doch eine Ehe ist in höherem Alter stärkeren Belastungen ausgesetzt, es fehlt die Anpassungsfähigkeit, wenn dieser Weg nur eine Flucht ist, muß man ihm abraten. Ebenso ist man für den Beruf der Diakonisse meist zu alt, außerdem ist diese Tätigkeit kein Mittel zur Überwindung der Einsamkeit: Wer mit dem normalem Leben nicht fertig wird, der wird auch mit dem Diakonissesein nicht fertig.

Die Frage muß vielmehr heißen: Wie sage ich „Ja“ zu dieser Weise des Lebens? Derer Alleinstehende zeigt ja spezifische Züge unserer modernen Welt: Einsamkeit (Alleinverantwortung), Mobilität (Ungeborgenheit) usw.

Hier kann man keine billigen Ratschläge geben. Aber man kann den Alleinstehenden auf einiges hinweisen: Er darf nicht erwartungsvoll in seine Umwelt hineingehen, denn gerade diese Haltung verhindert das Erwartete. Das Bedürfnis, in den Augen der Mitmenschen etwas

zu gelten, muß auf ein erträgliches Maß zurückgedrängt werden. Eine völlige Abkapselung und Einsamkeit erfordert auf der anderen Seite Offenheit zum Zuhören.

Vor allem kommt es aber auch auf die Umwelt an, die einen solchen Menschen für „voll“ nehmen muß. Oft hat er ja geradezu ein seelsorgerliches Gespräch nötig. Über den geistlichen Gehalt hinausgehend geht es dabei auch um ein Eingehen auf die konkrete Situation. Hier muß es Menschen geben, die sich ehrlich für ihre Umwelt interessieren und Zeit, Kraft und Intelligenz dafür aufwenden, oft kann der Alleinstehende auch nur dann durchstehen, wenn er irgendwo eine geistliche Bindung findet.

 

Das Alter:

Bei höherer Lebensdauer bzw. Frühinvalidität kommt es darauf an, diesen letzen Jahren auch noch Leben zu geben. Die Pensionierungsgrenze ist für manche eine Erlösung, für andere eine Härte; deshalb muß ein Übergang geschaffen werden (ab 60 Jahre Freistellung zu persönlicher Entscheidung), Nutzung des Lebensabends in Ehrenämtern, in Haushalt und Erziehung, als Aushilfe bei Arbeitsspitzen usw. Es gibt jedoch keine Möglichkeit, dem alten Menschen das Leiden am Alter zu ersparen.

 

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