Kesselstadt

 

Kinzdorf:

Unter dem Westbahnhof hindurch kommt man in die Philippsruher Allee. Der Stadtteil links heißt „Kinzdorf“ und war eine Keimzelle der Stadt. Das Kinzdorf lag im oberen Winkel zwischen dem Main und einem alten Kinzigarm, der später zum Mainkanal ausgebaut wurde. Hier stand nämlich die alte Marienkirche, eine Missionskirche für die ganze Gegend. Urkundlich tritt der Name Kinzdorf in den Jahren 1338, 1353 und 1364 auf.

Es wird angenommen, daß das Kinzdorf im Jahre 1504 durch hessische Kriegshorden verwüstet wurde. Der verbleibende Rest ist infolge großer Überschwemmungen in den Jahren 1564 und 1590 vernichtet worden. Von dem Kinzdorf selbst stand um 1600 nur noch die alte Pfarrkirche, die auf der Ansicht der Stadt Hanau von Dilich vor den Wällen der Neustadt noch zu erkennen ist (siehe Abbildung in: Hanau Stadt und Land, Seite 126).

Wie die Entstehungsgeschichte des Kinzdorfes ungewiß und geheimnisvoll ist, so auch das Werden der Kinzdorfkirche. Sie soll schon vor der Wirkungszeit des Bonifatius bestanden haben und so eine der ersten Gründungen christlicher Prägung in unserer Heimat gewesen sein. Die Kirche war der hl. Maria geweiht. Sie barg ein Marienbild, dem man Wunderkraft beimaß. Das Marienbild befindet sich heute in der Kirche von Groß-Steinheim.

Das Kinzdorfer Kirchlein war jahrhundertelang die Hauptkirche für die später entstandene Stadt Hanau, und die Marien-Magdalenenkirche in der Altstadt Hanau galt als eine Tochterkirche der Kinzdorfer Kirche. Jahrhunderte hindurch wurden hier die Kinder der Stadt Hanau getauft.  In unmittelbarer Nähe der Kirche war auch der Friedhof. Er erstreckte sich bis dahin, wo sich heute der Eisenbahndamm hinzieht. Ursprünglich beerdigten die Altstädter und die Neustädter ihre Toten hier. Die nahe Lage der älteren Kinzdorfkirche mit ihrem Kirchhof ersparte den Bürgern bei der Gründung der Stadt die Anlage eines Friedhofes um die Pfarrkirche.

Allmählich sank die Bedeutung der Kinzdorfer Kirche immer mehr. Die Kirche diente nur noch zur Abhaltung von Leichenfeiern. Bei einer Erweiterung der Neu-Hanauer Festungswerke im Jahre 1633 wurde die Kinzdorfer Kirche abgebrochen, da man auf dem Kirchenhügel eine Schanze errichten wollte. So wurde denn auch der Friedhof der Altstädter nach Hanau verlegt. An das Kinzdorf erinnern heute nur noch einige Flurnamen: „Im Kinzdorfer Grund“, „Am Kinzdorfer Grund“ und „Der Kinzdorfer Weg“.

 

Mainkanal

Man hat schon früh versucht, die wichtige natürliche Wasserstraße, den Main, durch den bis in die Stadt hineinführenden Kanal für den Handelsverkehr nutzbar zu machen. Es ist anzunehmen, daß der Mainkanal aus einem toten Kinzigarm gestaltet wurde. Man wollte mit seinem Bau den Güterverkehr der Stadt auf direktem Wasserwege ermöglichen. Außerdem sollte er als Abflußkanal für den Wallgraben dienen. Der Kanal wurde unter dem überwölbten Wall hindurchgeführt. Vor dem „Heumarkt“ sollte er in einem Hafen mit Ladeplatz enden. So war es geplant. Die Ausführung kostete viel Geld, ohne daß der Zweck jemals recht erfüllt wurde. Die Bauzeit dauerte von 1600 bis 1619.

Im Dreißigjährigen Krieg verwandelte sich der mit so vielen Kosten und Mühen angelegte Binnenhafen in ein „wüstes ungesundes Loch“, die „Stincke-Kauth“. Bereits 1666 schüttete man den Hafen zu und bebaute das Gelände mit Wohnhäusern. Das verbleibende Stück des Kanals wurde 1833/34 um ein weiteres Stück gekürzt und diente dann nur als Winterhafen.

Vor dem Bau des neuen Mainhafens diente der Mainkanal als Zufluchtsort für Schiffe im Winter und bei Hochwasser. Auch die „Strandbäder“ des Mainufers stellten hier ihr „Mobiliar“, die Schwimmtanks, unter, und die Angler saßen stundenlang am Ufer. Eine herrliche Allee, die einstmals gepflegt und mit Bänken versehen war, begleitete den Kanal. In unseren Tagen ist der letzte Rest des Mainkanals zugeschüttet worden, und nur die Straßenbezeichnung „Am Mainkanal“ wird die Erinnerung wachhalten.

Bei den Aussehachtungsarbeiten zum Wiederaufbau des Gebäudes „Zur schwedischen Krone“, zuletzt „Rheinischer Hof“ genannt, im Jahre 1954 kam man auf die Sohle des alten Hafenbeckens. Einige interessante Fundstücke konnten vom Hanauer Geschichtsverein sichergestellt werden.          

Bilder in: Hanau Stadt und Land, Seite 369 und 370: Mainkanal und Zollamt in Hanau vor 1945 (das Zollamt, 1830 errichtet, 1945 zerstört). Das Hanauer Marktschiff auf der Fahrt nach Frankfurt (Ausschnitt aus einem Aquarell des Schlosses Philippsruhe, um 1810).

 

Das Hanauer Marktschiff:

König Albrechts Stadtrechtsprivileg des Jahres 1303 hatte Hanau für jeden Mittwoch einen geschützten Wochenmarkt genehmigt, und im Jahr 1468 bewilligte Kaiser Friedrich III. dem Hanauer Grafen zwei Jahrmärkte, einen für Sonntag Misericordias Domini nach Ostern und den anderen im Herbst für den Sonntag nach St. Martin. An diesen beiden, wir würden heute sagen „verkaufsoffenen“ Sonntagen und an den wöchentlichen Markttagen gab es in unserer Stadt ein lebhaftes Handeln, Kaufen und Verkaufen, freilich in einem kleinen regionalen Rahmen.

Dies änderte sich Ende des 16. Jahrhunderts mit der Gründung der Neustadt. Graf Philipp Ludwig II. siedelte Glaubensflüchtlinge aus den Spanischen Niederlanden an, emsige, geschäftstüchtige Leute, welche die Grundlagen für ein blühendes produzierendes Gewerbe schaffen sollten. Der Graf setzte auf Wirtschaftswachstum. Dazu gehörte damals wie heute ein leistungsfähiges Bankwesen, deshalb folgte im Dezember 1600 die Privilegierung der Judengemeinde. Aber produzierendes Gewerbe und Bankwesen reichten als Standortfaktoren nicht aus, wenn es an Verkehrsverbindungen zu den Abnehmern der produzierten  Güter fehlte. Damals waren Flüsse und Kanäle die günstigsten Verkehrswege, um Waren in größerer Menge zu transportieren.

Aus diesem Grund hatten sich die Neustädter in § 16 der Gründungsurkunde vom 1. Juni 1597 ausbedungen: „Item das ein oder zwey ordinari Schiff, so täglichs oder zum wenigsten zwey oder dreymhal inn der Wochen auff- und ab naher Franckfurth fahren angestellt und gegen die gebür gehallten werdenn.“ Die Neubürger erhoben den Anspruch, daß Hanau über ein fahrplanmäßig und verläßlich verkehrendes Transportmittel zum benachbarten Handelszentrum Frankfurt verfügen müsse.

Ernst Julius Zimmermann, der auch heute noch als der beste Kenner der älteren Hanauer Geschichte gelten darf, hat vermutet, daß die Fahrten des Marktschiffs im Jahr 1600 begannen. Dabei ging es nicht ohne Streit ab. Der Erzbischof und Kurfürst von Mainz sah die Mainschiffahrt als eigenes Privileg an, und so kam es zu Diskussionen, zu geharnischten Schriftwechseln und schließlich auch zu Überfällen seitens der Mainzer. Es folgten die Wirren des Dreißigjährigen Krieges mit all ihren Negativfolgen für Handel und Wandel, und gerade in dieser Zeit war die Fahrt mit dem Marktschiff von Hanau nach Frankfurt und zurück bisweilen ein wirklich gefährliches Abenteuer.

Im Lauf der Zeit etablierte sich das Marktschiff als eine in der Tat zuverlässige fahrplanmäßige Verkehrsverbindung für Menschen und Güter zwischen Hanau und Frankfurt. Allerdings - eine solche Hin- und Rückfahrt war jeweils eine Tagesreise. Bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts ging das wohl an, doch dann änderte sich alles: Dampfschiffe, noch von Pferden gezogene Omnibusse, Eilwagen und schließlich die Eisenbahn waren Konkurrenten, gegen die ich das zwar zuverlässige, aber jetzt zu langsame Marktschiff nicht auf Dauer behaupten konnte.

Im November 1847 machte Georg Christian Bein seine letzte Fahrt als Hanauer Marktschiffer, und ab September 1848 ersetzt die dem Main folgende kurhessische Hanau-Frankfurter Eisenbahn die alte Marktschifflinie. Nach dem Beginn der Dampfschiffahrt Anfang der vierziger Jahre markierte die Eröffnung dieser Eisenbahnlinie für das Verkehrswesen unseres Raums den Anfang des industriellen Zeitalters.

Im Sommer 1897 feierte Hanau das 300. Gründungsjubiläum der Neustadt, und eine Attraktion im Festzug war ein Schiff, das der Kaufmännische Verein hatte bauen lassen. Es war eine Erinnerung an das alte Hanauer Marktschiff. Von Pferden gezogen, die Zugleine oben am Mast befestigt, erinnerte es das zahlreiche Publikum an die Zeit der vorindustriellen Schiffahrt

Hochwasser am Mainkanal um 1920: Bild im Medienzentrum) (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 68).

 

Neues Beratungs-Center der Sparkasse Hanau:

Am Westbahnhof geht man zunächst noch ein Stück in die Philippsruher Allee. Dort steht links das neue Kommunikations- und Beratungs-Center der Sparkasse Hanau. Bei der Eröffnung schilderte der Fuldaer Architekt Stefan Wehner, wie „runtergewirtschaftet“ das ehemalige Volkshochschul-Gebäude gewesen sei. Die Gründerzeit-Villa beherbergte bis zum Sommer 1999 die Volkshochschule. Die Stadt wollte das Haus anschließend verkaufen. Aber alle Käufer brachten nach Angaben von Sparkassenvorstandschef Alfred Merz nicht genug Geld auf, woraufhin die Immobilie stets zurück in die Nutzung der Stadt ging.

Ende 2000 kaufte die Sparkasse das historische Gebäude auf dem städtischen Erbbau- Grundstück, weil ihr im Hauptgebäude am Marktplatz der Platz für exklusive Beratung vermögender Kunden fehlte. Für Kauf und Sanierung gab sie rund 2,5 Millionen Euro aus. „den Aufwand kann sich nur ein gesundes Unternehmen leisten“ bilanzierte Merz jetzt im Rückblick. Trockenbau statt irgendwann einmal herausgerissener Originalmauern, eine nicht brauchbare kleinteilige Raumeinteilung, einen ernerungsbedürftigen Eingang, veraltete Elektroleitungen, teils zugewachsene Abwasserrohre, Wurzeln im Mauerwerk - so beschrieben Merz und Architekt Wehner den Zustand vor dem Umbau. Beim ersten Betreten des Gebäudes, das nach außen so repräsentativ wirke, habe er eine große Enttäuschung erlebt, beschrieb Wehner seine Gefühle über den damaligen relativ schlechten Zustand.

Der Architekt Merz, Vertreter des Architekturbüros Reith & Wehner, war empfohlen durch den Um- und Neubau der Sparkassen-Hauptstelle im historischen Ensemble des Fuldaer Buttermarktes, baute ein neues Treppenhaus, größere Räume und zwei Eingänge. Denn neben der Sparkasse residiert im ersten Stock eine Steuerberater-Gesellschaft.

Die äußerlich markanteste Bauänderung ist von der Philippsruher Allee aus nicht zu sehen: ein angebauter rot-brauner Kubus mit mehreren großen Einzelfenstern zum Hinterhof. Diesen Neubau empfindet Wehner als eigenständig, ohne die Schlüssigkeit des Altbaus zu stören. Das Vordach über dem gläsernen Haupteingang interpretiert er als fast „schwebend“ die Innenansicht des Sparkassen-Centers mit Parkett, weißen Wänden und einigen Kunstwerken beschreibt er mit „zurückhaltender Eleganz“

Die Sparkasse will in ihrem schon seit Mitte April in Betrieb befindlichen Center Kunden auch abends und samstags beraten. Sie plant Vorträge, Workshops und Podiumsdiskussionen zum Thema Geldanlagen. Merz will ein „Forum für den Gedankenaustausch“ bieten.

Das gesamte Gebäude hat rund 1000 Quadratmeter Bürofläche. Die Sparkasse belegt das Erd- und das Dachgeschoß. Ganz oben sind die Räume internen, administrativen Aufgaben der Sparkasse vorbehalten. Die Sparkasse hat zwölf Beschäftigte an der Philippsruher Allee, das Steuerberatungsbüro ebenso viele. Dank der Sparkasse bleibt der „Jazzkeller“ im Haus erhalten. Ihn will die Sparkasse für die eine oder andere kurzweilige Veranstaltung gewinnen.

 

 

Brauerei Kaiser:

Südwestlich des Westbahnhofs kommt man in die kleine Straße „Goldene Aussicht“. Über eine Brücke kommt man zu den „Kaiserteichen“, wo die Brauerei Kaiser früher im Winter das Eis für ihre Bierkeller gewann, aber auch Blockeis für die Kühlung der Getränke in Gaststätten. Genauso wurde es übrigens an den Güntherteichen in Hanau-Nord gemacht oder mit Main-Eis für Schloss Philippsruhe, das in Kellern bis über den Sommer hin haltbar war. Man fährt durch die Gärten und sieht rechts einen Hügel: das Gelände der früheren Brauerei Kaiser, die nach Zerstörungen nach dem Zweiten Weltkrieg abgetragen wurde

(Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 198).

 

Friedhof Kesselstadt:

Über den Köppelweg und dann rechts kommt man zum Friedhof Kesselstadt.

Die Kesselstädter Gemarkung weist in vorgeschichtlicher Zeit eine relativ dichte Besiedlung auf. Neben den etwa 6000 Jahre alten Funden aus jungsteinzeitlichen Siedlungen der bandkeramischen Kultur („Salisberg“ und „An der Lachebrücke“) sind bekannt urnenfelderzeitliche (Beethovenplatz, Salisweg, Gutzkowstraße, Hopfengarten, Wilhelmsbad) hallstattzeitliche (Salisberg, Wilhelmsbad) und latènezeitliche Grab- und Siedlungsfunde (Salisberg, Weihergraben, Weststadt).

Von besonderer Bedeutung ist aber die Römerzeit.  Im Stadtgebiet Hanaus befinden sich zwei in Größe und Funktion verschiedene Militärstützpunkte: Das Kastell in Kesselstadt und gegenüber die römischen Bauten in Steinheim, verbunden durch eine Brücke. Sie unterstreichen die strategisch außerordentlich wichtige Position des Mainknies an der Nahtstelle zwischen dem Ostwetteraulimes und der nassen Maingrenze. Von besonderer Bedeutung war neben einem Straßenknotenpunkt und der Mainbrücke sicher der Fluß selbst, der als schiffbarer Wasserweg die Versorgung und Unterstützung der in der Wetterau und im Hinterland des Mains operierenden Truppen von der Legionsbasis Mogontiacum-Mainz aus sicherstellte und erheblich beschleunigte.

 

Am Ende des 1. Jahrhunderts errichteten römische Truppen am östlichen Rand der Wetterau Militärstützpunkte, die mit gut ausgebauten Straßen verbunden wurden. Solche Kastelle befanden sich in Heldenbergen und Kesselstadt, später auch in Altenstadt, Marköbel, Rückingen und Großkrotzenburg, wo der Limes den Main erreichte. Der Fluß bildete im 2. und 3. Jahrhundert bis in die Nähe von Miltenberg die römische Staatsgrenze.

 

Kastell:

Schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts hat man nach Kastellen gesucht. In den Jahren 1847/48 hat man beim Bau der Eisenbahn ein römisches Gräberfeld entdeckt. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden südlich des heutigen Köppelweges Gebäudereste ausgegraben, die man damals noch für Teile eines römischen Gutshofes (villa rustica). Im heutigen Ortskern von Kesselstadt entdeckte Georg Wolff 1886 ein großes Steinkastell. Sein Grundriß wurde 1887 und 1896 im Auftrag der Reichslimeskommission erforscht. Ausgrabungen 1976 ergaben weitere wichtige Anhaltspunkte.

Das 375 Meter lange Kastell liegt auf der hochwasserfreien Mainterrasse, wobei die Seitenerosion des Prallhanges die Südost-Flanke in nachrömische Zeit abgerissen hat. Aufgrund der verschobenen Prinzipalachse dürfte die Anlage nach Nordosten zur Kinzig hin orientiert gewesen sein. Das Kastell war von Anfang an in Stein errichtet. Die auf einem 2,2 Meter breiten Fundament ruhende Wehrmauer bestand aus mächtigen Basaltbruchsteinen, die aus den nahegelegenen Wilhelmsbader Steinbrüchen stammen dürften. Das nördliche Kastelltor (porta principalis sinistra) mit zwei über die Mauerfront vorspringenden Türmen wurde vollständig freigelegt. Die Torstellen im Nordosten und Südwesten sind durch kleinere Sondagen lokalisiert.

Die Kastellmauer war in Abständen von rund 44 Meter mit Zwischentürmen (3 mal 5 Meter) bestückt; sie sprangen nicht wie die Tortürme über die Wehrmauer vor. Die 6 ausgegrabenen Zwischen- und Ecktürme erlauben – einen regulären Grundriß vorausgesetzt - eine vollständige Rekonstruktion des Lagers, das danach zusätzlich zu den 4 Toranlagen und 4 Ecktürmen mit 22 Mauertürmen befestigt war. Im Innern des Kastells begleitet eine aufgeschotterte Straße (via sagularis) die Wehrmauer; Spuren der zwei Hauptlagerstraßen sind dagegen nicht festgestellt worden. Der Kastellmauer waren zwei parallele Spitzgräben als Annäherungshindernis vorgelagert, die jedoch nicht um das ganze Lager, sondern nur an der Vorderfront und wahrscheinlich auch der östlichen Hälfte der Nordwest-Flanke ausgehoben wurden.

 

Dieser ungewöhnliche Befund sowie das vollständige Fehlen von Bebauungsspuren und Funden im Lagerinnern haben den schon früher geäußerten Verdacht bestätigt, daß der Platz nie mit regulären Truppen besetzt war, sondern schon während der Bauarbeiten oder zumindest nach Fertigstellung der Kastellmauer aufgegeben wurde. Auch die außergewöhnliche Größe von mindestens 14 Hektar und das dahinter stehende strategische Ziel verlangen eine besondere Erklärung. Es handelt sich nämlich um das größte Kastell am obergermanischen Limes überhaupt, einzig übertroffen von den Legionslagern am Rhein. Nach seiner ausgewählten Lage am Mainufer möchte man weniger an eine Garnison größerer Truppenkontingente als eher an einen Depot- und Umschlagplatz für Versorgungsgüter denken.

In jedem Fall aber konnte nur ein schwerwiegendes Ereignis die römische Heeresleitung bewogen haben, diesen wichtigen Platz aufzugeben: Nach heutiger Forschungsmeinung kommt nur die Zeit nach den Chattenkriegen des Kaiser Domitian in Frage, wobei der Aufstand des Mainzer Legaten L. Antonius Saturninus im Winter 88/89 und der anschließende Strategiewandel in der Sicherung der eroberten Gebiete Anlaß gewesen sein könnten, das praktisch bezugsfertige Kastell zu räumen. Auf seinen (Rest-) Mauern wurde Kesselstadt erbaut, es müsste deshalb eigentlich „Kastellstadt“ heißen.

 

Römerbad:

Die Reste des Römerbades Kesselstadt wurden bei der Erweiterung des Friedhofs 1913 entdeckt und 1914 /1919 ausgegraben und 1988 / 1989 erneut freigelegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Bad war Teil eines Dorge (Vicus) auf dem Salisberg unweit des wohl größten, aber nie richtig bezogenen Kastells am strategisch wichtigen Main.

Das römische Badewesen war hoch entwickelt. Es gibt keine römische Stadt und kein Dorf ohne Badeanlagen.

In Kesselstadt wurden die Reste eines älteren, nur wenige Jahre benutzen und dann zerstörten Badegebäudes aus den letzten Jahren des 1. Jahrhunderts gefunden. Ausweislich der geborgenen Ziegel wurde das Bad um 92 nCh errichtet und mußte noch vor der Wende zum 2. Jahrhundert nach einem Brand erneuert werden. Um 97 nCh errichtete man an dieser Stelle einen großen, mindestens 43 Meter langen Thermenkomplex, von dem zahlreiche unbeheizte und hypokaustierte Räume freigelegt werden konnten. Wandverputzstücke mit figürlicher Bemalung in rot, grün und blau belegen, daß zumindest einer der zentralen Räume farbig ausgestaltet war.

Die Ausgrabungen ergaben die Baureste eines älteren und eines jüngeren Badegebäudes, wobei von dem älteren Bad nur ein 5 mal 6 Meter großer, hypokaustierter Raum (Raum J, caldarium) freigelegt werden konnte. Der Bau des 43 Meter langen jüngeren Bades dagegen entspricht in Größe und Typus den bekannten Militärbädern am Limes. Man betrat das Gebäude von der Straße her im Südwesten oder Süden, wo ein hölzerner Anbau mit dem Auskleideraum gelegen haben mag, der allerdings nicht erfaßt wurde.

In der Süd-Ecke des Kaltbades (frigidarium, A) wurden Baureste eines kleinen Kaltwasserbeckens (piscina) gefunden, dessen Abwasser kanalisiert und durch einen Mauerdurchbruch in der Südost-Wand ins Freie abfloß. Raum B besaß eine Unterfußbodenheizung, die von einem Schürkanal zu beschicken war. Er mag als zusätzliches Laubad (tepidarium) oder »vielleicht als Reserve für den Fall gedient haben, daß das Hauptpräfurnium und die großen Säle C und D nicht in Betrieb waren« (E. Fabricius).

Das eigentliche Laubad (tepidarium, C) ist durch drei Mauerschlitze mit der Hypokaustheizung des Warmbades (caldarium, D) verbunden, konnte aber zusätzlich noch vom Präfurnium beheizt werden, vor allen Dingen wohl um das im Anbau C installierte Wasserbecken zu temperieren. Das caldarium (D) gliedert sich in eine zentrale Halle, zwei einander gegenüberliegende, unterschiedlich große Apsiden, in denen die Becken (labra) für Waschungen gestanden haben mögen, und einen rechteckigen Raumvorsprung am Kopf des Gebäudes, in dem das Heißwasserbassin lag. Sein Gewicht trugen vier massive Sockelmauern, zwischen denen der von einem nach Nordwesten offenen Schuppen (E) aus bediente Hauptschürkanal in das Hypokaust mündete. Rote, grüne und blaue Wandverputzbruchstücke beweisen, daß zumindest das caldarium als zentraler Raum des Bades farbig ausgemalt war.

Über die bauliche Entwicklung und über die Zeitstellung der Badeanlagen geben die mehr als 250 Stempel der 14., 21. und 22. Legion Auskunft, die auf den Ziegeln der Hypokaustpfeiler, der Schürkanäle und verschiedener Reparatureinbauten angebracht waren. Danach muß das ältere Bad unter Raum A - und damit auch das erste Holzkastell auf dem Salisberg - in der Zeit um 92 entstanden sein, bald gefolgt von dem Neubau der 2. Badeanlage (95-100 nCh). Die wenigen Ziegelstempel jüngerer Zeitstellung deuten darauf hin, daß die gesamte Anlage im ersten Jahrzehnt des 2. Jahrhundert abgebrochen wurde; Ziegelstempel aus dem Bad fanden sich immer wieder im Bereich der späteren Zivilsiedlung.

Aus der bescheidenen Größe des älteren, möglicherweise provisorischen Bades und dem erheblich vergrößerten Thermenneubau hat man auch auf eine Erweiterung des Kastells geschlossen und vermutet, daß zuletzt sogar eine Kohorte bis zur endgültigen Fixierung der äußeren Limeslinie im Salisberg-Kastell stationiert gewesen sein könnte.

Die Grundmauern des Gebäudes wurden konserviert und sind sichtbar. Die letzte Konservierung der Grundmauern dieser Badeanlage konnte erst 1989 abgeschlossen werden.

 

Zivilsiedlung:

Die römische Zivilsiedlung wurde erstmals 1886 von Professor Georg Wolff vom Hanauer Geschichtsverein ausgegraben. Daß sich in unmittelbarer Nähe des Kastells eine Siedlung befunden haben müßte, hatten schon frühere Generationen vermutet. Sie haben auf dem ehemals als Acker genutzten Dreieck am Salisweg und Köppelweg gegraben. Da sei „nichts Nennenswertes“ zu finden, lautete ihr Urteil. Heute weiß man warum. Sämtliche 30 Grabungsschnitte lagen neben den römischen Befunden.

Bei Ausgrabungen in den Jahren 1992 bis 1997 wurde das Dreieck erneut untersucht. Es war gesättigt mit Steinen und Gebeinen, Werkzeugen und Hausrat, Waffen und Geschmeide, Speiseresten und Gewürzen, Kultgegenständen. Die pflanzlichen Reste wurden untersucht - beispielsweise auf oxydierten Dinkel, Käferreste, Engerlinge. Hier wird der erste Nachweis geführt, daß die Römer mit ihrem Korn gleich die „Schädlinge“ mitbrachten. Die inzwischen aufbereiteten Fundstücke - nur ein Teil der Gesamtmasse von mehr als einer halben Million - wurden 1998 in einer Sonderausstellung im Hanauer Schloß Philippsruhe unter dem Titel „Die Römer an der Kinzig“ gezeigt.

Insbesondere südlich des Lagerareals gibt es Spuren einer wohl gleichzeitig mit dem Kastell entstandenen kleinen Zivilsiedlung, die auch nach Abzug der Truppen bestehen blieb. Zu ihr dürften die Gräbergruppen am Salisbach gehören. Besser bekannt ist ein größerer, schon 1880 und 1887 ausgegrabener Steinbaukomplex mit einem ummauerten Hofbezirk, der als Gutshof (villa rustica) angesprochen wurde, aber in Anbetracht seiner Lage zur Römerstraße und Mainbrücke eher als Straßen- und Raststation gedeutet werden könnte, zumal auch der Grundrißtyp keineswegs dem eines ländlichen Gehöfts entspricht.        

In den Jahren 1931-1935 folgten umfangreiche archäologische Untersuchungen unter der Leitung von Heinrich Ricken, in deren Verlauf im Bereich der damaligen Brauerei Kaiser (östlich der Straße Salisweg) die Südostecke eines schon lange gesuchten römischen Kastells ermittelt wurde. Ricken grub wie schon zuvor Wolff auch Teile der westlich und südlich des Kastells liegenden Zivilsiedlung aus. Leider sind uns von seinen Grabungen keine Pläne überliefert.

Neben einigen Notbergungen nach dem Zweiten Weltkrieg durch Hugo Birkner und Hans Kroegel konnte der Hanauer Geschichtsverein erst wieder 1978/79 und 1986 im Zuge der Bebauung der Gutzkowstraße größere Untersuchungen auf dem „Salisberg“ durchführen, bei denen neben vorgeschichtlichen Funden Teile der römischen Zivilsiedlung entdeckt wurden. Auch anläßlich der dringend notwendig gewordenen Restaurierung der römischen Fundamente des Bades im heutigen Friedhof wurde von 1988-1990 durch Sabine Wolfram eine archäologische Nachuntersuchung durchgeführt.

Doch erst Ende des Jahrhunderts war man fähig, eine größere zusammenhängende Fläche der ehemaligen römischen Zivilsiedlung - „vicus“ genannt - aufzudecken. Auf Hanauer Boden lag durchaus keine der bedeutenden Stätten römischer Geschichte. Keine einzige der antiken literarischen Quellen nennt irgendwelche Ereignisse aus unserem Raum. Und nirgends taucht bisher der römische Name unserer Ansiedlung auf dem Salisberg auf. Doch das Gelände am Salisberg ist mit 14 Hektar vermutlich eines der größten Römerlager neben Köln.

Die römischen Militäranlagen auf dem Salisberg gehörten am Ende des 1. und Anfang des 2. Jahrhunderts zu den östlichen Sicherungsanlagen von Wetterau und Rhein-Main-Gebiet. Bislang ist jedoch noch nicht eindeutig geklärt, wann es errichtet wurde und ob es jemals mit römischen Truppen belegt wurde. Einige Hinweise deuten eher darauf hin, daß der Standort noch während des Baus der Anlage wieder aufgegeben werden mußte.

Die nach der Aufgabe des Kesselstädter Kastells nach wie vor strategisch wichtige Überwachung am Hanauer Mainknie übernahm anschließend das erheblich kleinere und vergleichsweise schwach befestigte Holzkastell jenseits der „Lache“ auf dem Salisberg, einer schmalen, weit in die versumpfte Kinzigniederung hineinragenden Geländezunge. Die aus nördlicher Richtung (Heldenbergen) kommende spätdomitianische Grenzstraße überquerte rund 250 Meter oberhalb der Kinzigmündung den Main, wo anläßlich der Flußregulierung 1886 und beim Bau einer Werft im Jahre 1893 die Pfeilerunterkonstruktionen einer römischen Holzbrücke, Pioniergerät und andere Militärfunde sowie über 70 Münzen, die als Opfergaben in den Fluß gelangten, ausgebaggert wurden.

Diese Straße bildete gewiß auch eine Achse des Holzkastells auf dem Salisberg, von dem wir infolge der dichten Überbauung nur ein 70 Meter langes Teilstück der Umwehrung mit einer 7,8 Meter breiten Torunterbrechung des Spitzgrabens durch Ausgrabungen von 1929 kennen. Ausdehnung und Größe dieses anscheinend nie in Stein ausgebauten Lagers konnten seinerzeit nicht festgestellt werden, wohl aber das zugehörige Kastellbad. Am Salisberg finden sich Umkleidehallen, Räume mit Wannen für kaltes Wasser (frigidarium), lauwarmes Wasser (tepidarium) und heißes Wasser (caldarium) sowie saunaähnliche Räume (sudatorium). Ein Denar des Alexander Severus aus den Jahren 222 - 228 nCh wurde mit anderen Funden aus der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts in einer Kellerverfüllung unter den Fundamenten des Bades entdeckt. Die Münze datiert die Errichtung des Bades in die Zeit der Alamannenkriege.

 

Eine anscheinend recht ausgedehnte Zivilsiedlung erstreckte sich südlich, westlich und vielleicht auch östlich des Kastells. Hier standen die Gaststätten, Wohnhäuser und Geschäfte der Handwerker, Gewerbetreibenden, Kaufleute und vielleicht auch von Landwirten, Fischern und Schiffahrern. Der „vicus“ vom Salisberg bestand auch nach Aufgabe der militärischen Anlagen weiter. Wann er endgültig aufgegeben wurde, ist momentan noch nicht bekannt. Etwa 200 Meter südlich der Siedlungsstelle fand sich in einer ehemaligen Sandgrube das zugehörige Gräberfeld (Archäologische Denkmale, Seite 175 und 177).

Der Plan der Siedlung ist der Schlüssel für das Verständnis der Ausgrabungen. Römische Häuserzeilen, Latrinen, Brunnen sind eingezeichnet. Man weiß, in welcher Richtung man weitergraben müßte, um mehr zu finden. Auf dem Salisberg gab es mehr als 4200 Jahre Leben. Man fand Funde aus der Spätjungsteinzeit (etwa 2200 v. Chr.), Bronzezeit (1000 v. Chr.) und von keltischer Besiedlung (vorrömisch). Von den Römern blieben Spiele, Lederwaren, Meßgeräte, massenhaft Gefäße, komplette Skelette (aus Brunnen geborgen) von Hase, Huhn, Katze, um nur einiges zu nennen.

 

Von 1992 an veranlaßte die geplante Überbauung eines großen Teiles des südlich vom Salisweg liegenden römischen vicus den Geschichtsverein zu weiteren Ausgrabungen. Am 23. Juli 1996 entdeckte man unter dem Wurzelwerk eines Rotpflaumenbaums einen tönernen Henkelkrug mit 487 und einer halben Silbermünze mit einem Gewicht von 1,6 Kilogramm.  Die Archäologen bargen zunächst nur den Krug. Den wertvollen Inhalt entdeckten sie erst einige Tage später, als der Fund getrocknet war und die ersten Tonscherben abbröckelten. Im Frankfurter Museum für Vor- und Frühgeschichte wurde der Fund geröngt. Eine Museumspraktikantin erfaßte die Lage jeder Münze. Allein eine zeitliche Ordnung oder Unordnung der Münzen könnte dabei ein Indiz sein. Liegen unten jüngere, oben ältere Münzen, handelt es sich um eine Art Sparstrumpf, um eine Haushaltskasse. Sind die Silberlinge und Geldstücke aus Kupferkern mit Silberlegierung vom Alter her buntgemischt, so hat der Besitzer sie möglicherweise ganz schnell zusammengerafft, um sie zu verstecken. Vielleicht, weil die Germanen im Anzug waren?

Nach den ersten Erkenntnissen handelt es sich um Denare aus der Zeit zwischen dem ersten Jahrhundert vor Christus (Römische Republik) bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christus (Kaiserreich). Unter den Exemplaren befinden sich außerdem einige „Fälschungen“ - gemeint sind damit Silbermünzen, die mit einem Kupferkern versehen sind. Das war damals keine Seltenheit, denn oft wurde das Edelmetall bei der Prägung gestreckt. Peter Jüngling ist sich sicher, daß die Münzen das lebenslang Ersparte einer Person gewesen waren. Auf heutige Kaufkraft um gerechnet, beträgt der Wert rund 500.000 Euro. Zwanzig Monate hätte ein römischer Soldat für das Geld arbeiten müssen. Gemessen an dem heutigen Geldwert stellt der Fund vom Salisberg ein römisches Vermögen dar, denn das Geld muß wohl über mehrere Jahre hinweg gespart worden sein. Auf dem Krug wurde die Inschrift „Atti“ entdeckt. Es könnte durchaus sein, daß ein Mann namens „Attus“ den Krug einmal besessen hat.

Weshalb in dem Krug auch Getreidekörner lagen, ist ebenfalls noch ein Rätsel. Es könnte sein, daß damit die Feuchtigkeit von den Münzen ferngehalten werden sollte - oder aber das Getreide wurde genutzt, um den Schatz zu verstecken. Der Grünspan von den oxidierten Münzen hielt die Kleinstlebewesen davon ab, die Getreidekörner im Krug zu vernichten. Aus den gefundenen Spuren von Dinkel schließt sie, daß die Römer, im Gegensatz zu Kelten, diese Getreideart bevorzugten. Sie war anspruchslos und brachte große Erträge. Das war wichtig, um die großen Heere zu sättigen. Den Fund von Käfern und Mottenraupen war sensationell. Möglicherweise sei dies der Beweis dafür, daß die Römer die Vorratschädlinge in die hiesige Region einschleppten. Sollten die Körner für Trockenheit sorgen oder das Geklimper der Münzen dämpfen?

„Das ist ein beispielhafter Fund, den es in Hessen so noch nicht gegeben hat“, meinte Dr. David Wigg, der Münzkundler der Goethe-Universität, der den Schatz seit August untersucht. Einen ähnlichen Fall gibt es nur in der Schweiz. Das ist der zweite Schatz dieser Art, der so sorgfältig ausgegraben wurde und präpariert werden kann.

Daß es einen zweiten Eigner gab - wie auch immer das zustande gekommen sein könnte - gilt als gesichert. Und diese Erkenntnis sei ebenfalls einmalig. Das Indiz: Der neue Besitzer warf zehn Jahre später eine Münze in die Vase.  Die Münzen vom Salisberg weisen zudem als Prägungsort Rom, Lyon und London auf. Der Münzenfund wurde in langjähriger Arbeit von Mitarbeitern des Historischen Museums Frankfurt restauriert und von verschiedenen Forschungseinrichtungen untersucht, bevor er wieder nach Hanau kam

 

Die zweite Sensation ist die im Sommer 1997 in einem Brunnen des Vicus gefundene Schreibtafel mit einer Inschrift vom 5. April des Jahres 130 nach Christus. „Das ist die älteste handschriftliche Urkunde in Deutschland, Tinte auf Holz“, sagt Peter Jüngling. Nach Reinigung und Infrarotaufnahmen des Hessischen Landeskriminalamtes entpuppte es sich wenig später als älteste auf den Tag genau datierte Quittung Deutschlands. Es war das Bruchstück eines hölzernen Schreibtäfelchens aus Weißtanne mit Tintenschrift (Eisengallus-Tinte, 10 x 4 Zentimeter, datiert auf den 5. April 130 nCh. Es handelt sich angeblich um die älteste mit Tinte geschriebene Quittung in Deutschland, auf der der Empfang von 200 Denaren quittiert wird. Weil auch damals zum Quittieren das Datum dazugehörte, weiß man genau, daß das am Saliskastell gefundene Täfelchen am 5. April 130 nCh ausgestellt wurde.

Der „Kesselstädter Münzschatz“, die Denare  und die älteste Quittung Deutschlands sind die im Museum Schloss Steinheim ausgestellt (siehe auch Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 177)

 

 In den Jahren 2012 und 2013 hat man zur Vorbereitung der nordmainischen S-Bahn im Bereich des Bahnübergangs am Salisweg gegraben, an der alten Straße von Kesselstadt nach Heldenbergen, aber im südlichen Bereich hat man nichts Nennenswerte gefunden, außer vielen Flaschen der Brauerei Kaiser. Im Bereich rund um den „Hopfengarten“ und die heutige Castellstraße wurden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zahlreiche Grabfunde eines weiteren römischen Gräberfeldes aufgedeckt.

 

Ein Gedenkstein an der Ecke Salisweg / Köppelweg erinnert an das Zwangsarbeiterlager „Schöne Aussicht, das sich von 1942 bis 1945 auf dem Gelände der Brauerei Kaiser befand und in dem rund 1.000 Zwangsarbeiter wohnen mußten.

Etwas weitern südwestlich ist die Gutzkowstraße“. Sie ist benannt nach Karl Gutzkow, Dramatiker und Romanschriftsteller und hervorragender Vertreter des „Jungen Deutschland“ (1811 bis 1878). Er verlebte drei schöne und bedeutungsvolle Jahre (1866 bis 1869) in dem Häuschen an der Philippsruher Allee (heute Hintergasse Nr. 1), heute noch „Gutzkow-Häuschen“ genannt.

 

Das Dorf Kesselstadt:

Das unterhalb der jetzigen Kinzigmündung am Main gelegene alte Kesselstadt ist auf den Trümmern „des größten aller regelmäßig angelegten Limeskastelle“ entstanden und hat von daher seinen Namen. Im Jahre 1059 nennt eine Schenkungsurkunde Kaiser Heinrichs IV. für ein Mainzer Kloster erstmals eine Siedlung „Chezsilstat“. Im Jahre 1907 wurde der Ort nach Hanau eingemeindet.

Kesselstadt als ältester Stadtteil Hanaus ist zugleich - was wenig bekannt ist - einer der historisch interessantesten Orte an Main und Kinzig. Dabei war die Entwicklung Kesselstadts schon immer eng mit den Geschicken Hanaus und seiner Lage an Main und Kinzigmündung verbunden. Das alte Fischerdorf, keine 20 Minuten Fußweg von der Hanauer Innenstadt entfernt am nördlichen Mainufer gelegen, feiert im Jahr 209 das 950-jährige Jubiläum seiner ersten urkundlichen Erwähnung. Die erste Erwähnung Kesselstadts erfolgte in einer Mainzer Urkunde vom 14. Februar 1059.

Die Lage Kesselstadts bestimmte früher wie heute die Geschicke des kleinen Dorfes. Im Auftrag der Grafschaft Hanau wurde hier ein Mainzoll erhoben, und schon früh ergab sich die Notwendigkeit zur Anlage einer kleinen Burg, die ab dem späten 17. Jahrhundert (1696 bis 1712) zu jener eindrucksvollen Residenz Schloß Philippsruhe ausgebaut wurde.

Kesselstadt wurde im Krieg nicht zerstört. Es zeigt ein buntes Nebeneinander von Wohnbauten verschiedener Zeitepochen. An der Philippsruher Allee, die das ursprünglich an der Kinzig liegende Hanau seit dem 18. Jahrhundert städtebaulich mit dem Main und Kesselstadt verband, sind bemerkenswert der schlanke Wasserturm für Schloß Philippsruhe und das heutige Olof-Palme-Haus.

Heute hat Kesselstadt, das 1907 nach Hanau eingemeindet wurde, 11.500 Einwohner. Zahlreiche Vereine bereichern das gesellschaftliche Leben. Bemerkenswerterweise findet auch ein großer Teil des Hanauer kulturellen Lebens in Kesselstadt statt, was nicht nur auf das Historische Museum im Schloß Philippsruhe zurückzuführen ist, sondern auch an dem „Amphitheater“ im Baumgarten des Schlosses liegt. Hier finden jährlich die berühmten Brüder-Grimm-Märchen-Festspiele statt. Nicht vergessen darf man in diesem Zusammenhang aber das Comoedienhaus (eines der ältesten Theater in Deutschland) und den Kurpark in Wilhelmsbad mit dem Puppenmuseum und der berühmten „Burgruine“, das Olof-Palme-Haus mit seiner Theaterszene und manche andere reizvolle Lokalität.

Schon weit gediehen ist die Vorbereitung einer Veröffentlichung über die Geschichte Kesselstadts. Einer der weiteren Höhepunkte im Jubiläumsjahr dürfte eine umfangreiche Ausstellung über die Geschichte Kesselstadts werden, die am 30. August 2009 im Schloß Philippsruhe eröffnet werden und bis zum 10. Oktober 2009 gezeigt werden soll. Darüber hinaus planen die Organisatoren wieder einen großen Kesselstädter Handwerker- und Fischermarkt. Dieser Jubiläumsmarkt soll - wie im vergangenen Jahr - am 16. und 17. Mai 2009 im alten Ortskern von Kesselstadt, im Schlüsselnde und auf den Mainwiesen stattfinden. Künstler und traditionelle Handwerkskunst, historische Gruppen unterschiedlicher Art und Ausstellungen werden die Besucher dieses Marktes in vergangene Zeiten zurückversetzen.

 

Philippsruher Allee:

Vom Salisweg man über die ‚Straße „An der Pumpstation“ zur Philippsruher Allee. Hier wendet man sich zunächst einmal nach links zur Hellerbrücke

 

 

Hellerbrü>Eine steinerne dreibogige Brücke ließ Johann Reinhard III. von Hanau-Lichtenberg 1716 errich-      ten. Erbprinz Wilhelm von Hessen-Kassel, Graf von Hanau verstärkte die Brücke 1767, als er den bis dahin unbefestigten Fuhrweg von der Innenstadt zum Schloss Philippsruhe hochwassertauglich fasste. Die Philippsruher Allee mußte dennoch schon mehrfach gesperrt werden, das Wasser stieg die Milch entlang bis in die Bulau und die Bruchwiesen hinauf. Auf Hanauer Seite stand ein Wachthaus, an dem Wegezoll, nämlich einen Heller als Brückengeld gezahlt werden musste. Noch im Anfang des 19. Jahrhunderts mußte hier ein Heller Brückengeld gezahlt werden. Kurz vor der Mündung der Kinzig in den Main war ein breiter Wasserfall.

Im Jahre 1992 wurde die Brücke neu gebaut. Im Zuge des Neubaus wurden kleine aber feine Schmuckelemente auf der dem Main liegenden Brückenseite in das Mauerwerk eingebracht: bronzene Münzen mit den Aufschriften „Bundesrepublik Deutschland 1992 – 1 Pfennig“ und „WEP z.H. = Wilhelm Erbprinz zu Hessen – 1 Heller Scheidemüntz 1767“ (Martin Hoppe, Objekz de rWoche, # 100).

 

Alte Pumpstation:

An der Straße steht der alte Wasserturm, der 1878 erbaut und 1895 vollendet wurde, um den Springbrunnen vor dem Schloß betreiben zu können. Das historische Pumpenhaus ist stilistisch und zeitlich baugleich mit der Pumpstation an der Philippsruher Allee, wo ursprünglich der erste grobe Dreck auf Rechen gefangen und das Abwasser per Druckleitung zum Klärwerk hinübergeschickt wurde. Das Pumpenhaus hatte die Aufgabe des heutigen Schneckenwerkes, die tief ankommende Schmutzwasserfracht zu heben.

Versteckt hinter altem Baumbestand und damit fast wie ein Dornröschenschloß, liegt auf einer kleinen Anhöhe zwischen Kinzigmündung und Olof-Palme Haus die Kesselstädter Pumpstation. Märchengleich fristet ein Großteil des Kulturdenkmals seit Jahrzehnten ein unberührtes, weil ungenutztes Dasein.

Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und wurde restauriert. Innen gleicht es eher einer Halle, durchgängig offen vom Keller bis unter den Giebel. Die Tragekonstruktion fürs Dach gilt als baugeschichtlich besonders wertvoll. Sie besteht aus Metallprofilen wie der Eiffelturm in Paris.

Das restaurierte Gebäude wird zum Pumpenhaus für das danebenliegende Frachtausgleichsbecken, mit dem Belastungsspitzen gekappt werden. Das sieht praktisch so aus, daß in Zeiten, da am meisten Schmutzwasser anfällt, das Frachtausgleichsbecken gefüllt wird. Nachts wird das Becken dann leer gepumpt - in den Reinigungskreislauf. Mit diesem Trick kann die Kapazität deutlich kleiner gehalten werden, als eine Gesamtauslegung auf Belastungsspitzen erfordern würde.

Weil die neuen Pumpen deutlich kleiner sind als die alten, bleibt im historischen Gebäude Platz für eine Art kleines Museum. Eine alte Pumpe soll zum Vergleich aufgestellt werden, dazu informierende Schautafeln und Fotos vom Bau. Es kommen viele Schulklassen zu Besuch. Zeitweise wurde das Gebäude auch kulturell genutzt.

Erbaut wurde die unter Denkmalschutz stehende Pumpstation in den Jahren 1909 / 1910, war Teil des damals neu entstehenden Abwassersystems der Stadt und reinigte bis 1965 das Wasser der Kinzig. Im Jahr 2002 zog nach Jahrzehnten des Leerstands, die Kesselstädter Feuerwehr ein. Zudem wurden zwei Wohnungen vermietet. Immer wieder bekundeten Investoren ihr Interesse an dem Objekt, ließen ihre Pläne nach den ersten wirtschaftlichen Berechnungen aber stets fallen. Im Jahr 2016 will es Investor Ernst Hain - der in Hanau schon als in Brockenhaus, des Waschwerk und jetzt aktuell ins Cafè überm Fluß investiert hat - wissen. Sein Plan: die Sanierung der Pumpstation und die Errichtung eines Neubaus. Nach dessen Fertigstellung soll das Gesamtobjekt an das Behindertenwerk Main-Kinzig (BVVMK) vermietet werden, das mit seinem derzeit im Lamboy-Viertel beheimateten Schwanennest nach Kesselstadt umsiedeln wird und damit die Chance hat, sich zu vergrößern.

Hain wird rund eine Million Euro in den Umbau der Pumphalle in eine Multifunktionshalle investieren, weitere 2,7 Millionen fließen in den Neubau. Dieser soll als „Kinderhotel“ fungieren und der Pflege und Unterbringung von Kindern mit Behinderung dienen. Insgesamt werden bis zu 30 Plätze für eine Unterbringung, die Eltern behinderter Kinder im Alter von zwei bis 18 Jahren Gelegenheit zu einer Verschnaufpause geben soll, zur Verfügung stehen.

Nachdem die Stadtverordnetenversammlung dem Verkauf der in städtischer Hand befindlichen Pumpstation an das Behindertenwerk Anfang des Jahres 2016 zugestimmt hatte und auch die Neunutzung als Kinderhotel abgesegnet hatte, konnte Hain loslegen - nicht mit dem Bauen, sondern mit dem Einholen von Anträgen bei den 64 (!) zuständigen Behörden. Bis Ende 2016 läuft zudem noch der Mietvertrag der beiden Parteien, die im vorderen Teil der Pumpstation wohnen und der der Kesselstädter Feuerwehr, die zum Jahresende in ihren Neubau umziehen wird.

Die geplante Multifunktionshalle wird dann innerhalb der folgenden zwei Jahre saniert.

Bis dahin sind allerdings noch einige Hürden aus dem Weg zu räumen. So wird aktuell mit dem Wiesbadener Denkmalschutzamt über das Dach des Neubaus verhandelt. Hains Plan war die Gestaltung eines Flachdachs, um bei etwaigem Erweiterungsbedarf in ein paar Jahren problemlos Aufstocken zu können. Damit zeigt sich das Amt nicht einverstanden. Es fordert vielmehr ein Spitzdach. Nun muß vom Gelnhäuser Architekten Andreas Hänsel vom Architekturbüro Hänsel und Rollmann eine andere Lösung gefunden werden.

Mit der Naturschutzbehörde ist zudem zu klären, wie viele der alten Bäume rund um die Pumpstation zu erhalten sind. Fakt sei, daß durch den dichten Baumbestand zu wenig Sonnenlicht an die Hauswand gelangt und diese deshalb an vielen Stellen bereits derart feucht ist, daß sich Feuchtigkeitsschäden auch schon an den Innenwänden abzeichnen.

Weiterhin zu klären ist die Frage der Zufahrt zu dem Areal. Bei Hochwasser ist der Weg, der von der Philippsruher Allee kommt, überschwemmt. Bei hohem Wasserstand soll die Pumpstation also künftig von hinten, über die Sportplätze des VfR Kesselstadt, angefahren werden. Nötig sind außerdem ein Schallschutzgutachten und ein Bodengutachten (02.07.2016).

 

Flutbrücke.

An der Abdeckung der Flutbrücke sind die Schleifspuren der Leinen zu erkennen, mit denen die Pferde die Schiffe gezogen haben. Daneben stehen zwei Säulen, die (in deutscher und lateinischer Sprache) an den Erbauer der Philippsruher Allee erinnern.

 

Olof-Palme-Haus

Das Olof-Palme-Haus, wie es heute als prächtige Villa die Philippsruher Allee an der Ecke zur Pfarrer-Hufnagel-Straße in Hanau schmückt, wurde 1654 als adliges Anwesen im barocken Stil von Johann von Sauter erbaut. Vorher stand auf dem Gelände eines der drei Kesselstädter Hofgüter, das im 30-jährigen Krieg zerstört worden war.

Im Jahre 1711 erwarb Philipp Christoph Fabricii das Anwesen, dessen Grundriß 1730 erstmals im Plan des Dorfes Kesselstadt dargestellt wurde. 1767 tauchte in der Hanauer „Europäischen Zeitung“ dann eine Anzeige auf, in der das Grundstück ausführlich beschrieben und zur Versteigerung angeboten wurde. Wer den Zuschlag bekam, ist allerdings nicht bekannt; ebensowenig, wer in den folgenden rund 30 Jahren die Besitzer des Hauses waren.

Die ersten Besitzer des heutigen Olof-Palme-Hauses müssen feine Herrschaften gewesen sein. Bereits 1654, als die barocke Prachtvilla an der Philippsruher Allee errichtet wurde, ließen sie eine Toilette einbauen - ein Luxus, den sich damals meist nur die Bewohner von Schlössern und Burgen leisten konnten. Der Förderverein des Olof-Palme-Hauses machte den unerwarteten Fund bei der Renovierung des „Gelben Salons“ im ersten Stock. Hinter einer Wand stießen die Arbeiter auf eine Nische im Mauerwerk. Wegen des Rundbogens, der sich über den Hohlraum rankt, dachten sie zunächst, einen Schrein für eine Marienfigur entdeckt zu haben.

Doch dann sahen die Handwerker das große Loch in der Mitte des Sockels. Ein Blick hinein offenbart ein Rohr mit einem Durchmesser von etwa 30 Zentimetern, das vom „Gelben Salon“ im ersten Stock, der früher wahrscheinlich der Schlafraum war, bis auf den Grund des Hauses reicht. Im 15. und 16. Jahrhundert etwa war es auf Schlössern und Burgen gängig gewesen, einen Erker direkt über dem Graben zu bauen, wohin die Notdurft „im freien Fall“ plumpste. Ungewöhnlich ist im Olof-Palme-Haus auch die seitliche Öffnung, die nach etwa einem Meter in das Hauptrohr mündet und ins Freie führt. Man könnte sich vorstellen, daß es eine Art natürliche Regenwasserspülung war.

Das Haus war einst Sitz des Hanauer Adels. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts diente es als Wohnort des Juweliers Christ, ein in Amerika zu Geld gekommener Hanauer, der den alten Adelssitz im amerikanischen Südstaatenstil ausbauen ließ.

Der Reichtum und der aufwendiger Lebensstil der Familie sorgten in Hanau für Aufsehen. Georg Christ, der in Amerika ein großes Vermögen erworben hatte, kaufte die Villa 1857, erweiterte sie um den Balkon auf der Mainseite und ließ den Dachgiebel verbreitern. Von ihm ist auch eine hübsche Anekdote überliefert, die der langjährige „Hausherr“ Erich Becker erzählt: Nach dem Tod seiner Frau ging Georg Christ erneut auf Brautschau. Da er selbst aber nicht mehr „taufrisch“ und „ansehnlich" gewesen sei, entschloß sich der reiche Herr zu einem originellen Trick: Er ließ einfach von seinem prächtigen Haus mehrere Bilder malen - und so für sich werben; es soll tatsächlich funktioniert haben. Dieses Gemälde ist übrigens bis heute in Schloß Philippsruhe erhalten.

Nach seinem Tod wechselte das Gebäude weitere drei Male die Besitzer. Dort wohnten die Industriellen Krebs (Klingsor Grammophone) und Kling (Holzfurniere). Nach 1945 ernannten die US-Kommandeure das Gebäude zum Amerikahaus. Es war Sitz der US-Militärregierung in Hanau wurde. Die Amerikaner wußten, wo es schön ist in Hanau: Als sie nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach einem Sitz für ihre Militärregierung Ausschau hielten, fiel ihre Wahl auf die weiße Prachtvilla mit dem großen Garten an der Philippsruher Allee, die stets ein wenig an eine Kulisse aus „Vom Winde verweht“ erinnert. In einem rundum holzvertäfelten Raum im ersten Stock, dem späteren Zimmertheater, bezog der Stadtkommandant sein Büro.

Im Jahre 1955 wurde es wieder der kommunalen Verwaltung übergeben und näherte sich dann seiner heutigen Nutzung an und wurde als „Haus der Jugend“ der Allgemeinheit zugänglich. Bis in die späten 60er Jahre war das Gebäude Jugendbegegnungsstätte und -herberge.

Die Jugendherberge wurde 1955 eröffnet und 1962 wieder geschlossen. Danach betrieb die Stadt das Haus weiter als Jugendheim für Hanauer Gruppen. Vor allem die Discos waren bei jungen Leuten beliebt. So hat auch Michael Lilienthal das Haus kennengelernt. Heute ist der Inhaber einer Firma für Audio- und Videosysteme in Maintal Vorsitzender des Fördervereins: „Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß dieses Haus verkauft werden sollte.“

Die Wurzel des heutigen Nutzungskonzeptes eines kommunalen Kulturhauses reichen in die 70er Jahren zurück. Die Spielstätte brachte 1980 die rührige Laienspieltruppe „Hist(o)erisches Theater“ und 1986 das bissige Kabarett „Die Brennesseln“ hervor. Die Zahl der Ensembles hat sich bis heute mit „Diewas“ und „Hermann“, den beiden Frauentheatern, der Jugendtheatergruppe „Confulsion“ und dem „English Theater“ verdreifacht.

Im Jahre 1980 fand das erste Musikpicknick im Garten des Hauses statt. Bis heute hat sich am Konzept der Reihe so gut wie nichts geändert: Immer noch stehen Konzerte rund um den Jazz im Mittelpunkt, immer noch macht das Spielmobil „Augustin“ an diesen Sonntagen vor dem Haus Station, immer noch werden Büchern nach Gewicht verkauft. Nur die Besucherzahlen haben sich verändert: stetig nach oben, von 100 bis auf rund 1000. Im Jahre 1987 wurde das Haus nach dem ein Jahr zuvor ermordeten schwedischen Premierminister Olof Palme benannt.

 

Der Mai 1996 schien ein Schicksalsmonat zu werden. Das Haus war in einem desolaten Zustand, die Stadt sah sich gezwungen, einen großen Sanierungsplan aufzulegen. Die Instandsetzungskosten wurden auf mehr als zwei Millionen Mark geschätzt Das Haus gelangte auf eine Liste von Immobilien, der sich die Stadt entledigen wollte. Flugs gründete Michael Lilienthal einen Förderverein und ging auf die Barrikaden.

Mit der Reaktion in der Bevölkerung hatte indes keiner der Politiker gerechnet. Denn dort löste das Vorhaben einen Sturm der Entrüstung aus. Was folgte, war ein fast beispielloses Ringen, das Haus zu retten - mit ebenso beispiellosem Erfolg: Benefizveranstaltungen gab es, Auftritte im Parlament, Briefaktionen und vor allem zahllose Unterschriften von Bürgern, die sich für den Verbleib des Hauses in städtischem Besitz - und somit für die Öffentlichkeit einsetzten. Dieser „Berg von Unterschriften“ habe wohl letztlich den Ausschlag gegeben, mutmaßt Lilienthal, daß die damalige Oberbürgermeisterin Margret Härtel (CDU) 1995 öffentlich verkündete, das Haus werde nicht an Private verkauft.

 

In zähen Gesprächen erarbeiteten Förderverein und Politik anschließend eine außergewöhnliche Vereinbarung: Die Stadt saniert Fassade, Dach, Terrasse und Garten des Hauses (900000 Mark hat das gekostet. Der Verein richtet das Innere her, kümmert sich um die Vermarktung und verpflichtet sich, die Betriebskosten auf Dauer zu tragen. Der Förderverein hat allein rund 200.000 Mark an Materialkosten aufgebracht. Bis zum Jahr 2000 gab die Stadt einen jährlichen Betriebskostenzuschuß von 60.000 Mark, der seitdem um 20.000 Mark pro Jahr bis auf Null reduziert wird. Das Haus steht jetzt im neuen Glanz da und wird demnächst wohl kostendeckend betrieben.

Bei den Arbeiten, für die bald rund 150.000 Euro investiert wurden, helfen Ein-Euro-Jobber und Männer, die Sozialstunden ableisten, sowie der Sozialarbeiter Markus Alt, den der Förderverein für Schriftverkehr und Handwerkliches in Vollzeit eingestellt hat.

Im Laufe der zehn Jahre seit seiner Gründung ist der Verein von anfangs 30 auf 180 Mitglieder gewachsen und hat in dieser Zeit auch einen Großteil der Räume saniert inklusive des Kellers, der in schlimmem Zustand war und heute als Kleinkunstbühne zu den schönsten Plätzen im Haus zählt. In anderen Geschossen trat bei den Bauarbeiten manch überraschender Fund zutage: Reste einer historischen Tapete fanden sich, ein wunderbares Deckengemälde sowie eine uralte Toilette, die nun hinter Glas als Schmuckstück der besonderen Art präsentiert wird. Während das Relikt früherer Zeiten nicht mehr benutzt werden darf, werden die Toiletten im Erdgeschoß derzeit neu gebaut. Als nächstes sollen das Foyer und die mächtige Treppe sowie der große Saal im Erdgeschoß renoviert werden.

„Wenn alles nach Plan läuft, sind wir Ende 2006 fertig“, sagt Lilienthal. Seine Arbeit ist damit längst nicht abgeschlossen. Denn er hat noch viele Pläne für das Olof-Palme-Haus: Neben den Weight-Watchers, etlichen Theatergruppen und den vielen Firmen, die regelmäßig Räume für ihre Veranstaltungen, Proben oder Seminare mieten, möchte er das Haus vor allem tagsüber stärker vermarkten: Zielgruppe sind all die Unternehmen und Gruppen, denen etwa der Congress Park zu groß, zu teuer oder zu unpersönlich ist. „Und wo sonst als bei uns findet man ein solches Ambiente“, sagt Lilienthal und lacht stolz über das ganze Gesicht. Seit 1997 saniert er die Räume des Hauses, das weiter im Besitz der Stadt ist, und vermarktet sie an Gruppen und Firmen, die dort Seminare veranstalten.

 

Das Haus in barocker Architektur hat heute drei Aufführungsräume: den großen Saal, das Zimmertheater und den jüngst ausgebauten Gewölbekeller. Überdies gibt es noch einige Seminarräume, die an Unternehmen und Organisationen vermietet werden. Vereine können die Räumlichkeiten gegen eine Spende kostenlos nutzen. Es muß aber nicht immer Geld sein. Ein Arbeitseinsatz am Getränke- oder Kuchenstand bei einem der Open-Air-Jazz- Picknicks, zu denen oft mehrere Hundert Menschen in den parkähnlichen Garten kommen, wird ebenfalls gerne angenommen. Das Haus steht zudem mit einer anderen Hanauer Institution enger Beziehung- den Internationalen Amateurtheatertagen, die seit vielen Jahren im Herbst veranstaltet werden.

Im ersten Stock ist mittlerweile der „Blaue Salon“ - dem alte Tapetenreste seinen Namen gegeben haben - komplett hergerichtet, im benachbarten „Gelben Salon“ sind die Arbeiten derzeit in vollem Gange. In beide Zimmer werden demnächst die Bridgespieler Einzug halten, die bislang in der Stadthalle ihr Domizil hatten.

Im Flur zwischen „Blauem Salon“ und dem größten Raum im ersten Stock prangt schon jetzt ein prächtiges Deckengemälde, das gereinigt wurde und noch original restauriert werden soll. Den Vermerk „Hildebrandt Wiesbaden 1897“ hat der Förderverein dort gefunden - seitdem wird in der Landeshauptstadt nach einem Meister solchen Namens geforscht, der das Deckengemälde in besagtem Jahr vermutlich ausgebessert hat. Der Saal nebenan bekommt lediglich Schönheitskorrekturen: neue Vorhänge und ansehnlichere Lampen, während für das eigentliche Schmuckstück im Haus, das holzvertäfelte Kaminzimmer, zurzeit noch das Geld fehlt.

Das Lesecafé im Erdgeschoß mit seiner großen Front zum Garten hin ist nun komplett ausgestattet: Es hat eine Theke mit allem nötigen Inventar bekommen, wodurch sich bei Veranstaltungen besser bewirten läßt. Das Haus ist von großen alten Bäumen und einer Grünfläche von ungefähr 7.000 Quadratmetern umgeben.

Auch von außen ist das Olof-Palme-Haus mittlerweile perfekt; die Stadt, die für die Sanierung von Fassade und Dach sowie für die Parkanlage zuständig ist, hat nach einiger Verzögerung zuletzt den Balkon restauriert und dabei den schönen Zierrat an Geländer und Säulen freigelegt. Einen kleinen Schreck gab es indessen noch: Das Holz in den Sockeln aller vier Säulen - die ja immerhin den gesamten Balkon stützen - war morsch und mußte ausgetauscht werden.

Das Olof-Palme-Haus feiert am 17. Juli 2005 gleich mehrere Jubiläen: Seit 50 Jahren ist die Villa an der Philippsruher Alle im Besitz der Stadt, seit 25 Jahren werden dort die Musikpicknicks veranstaltet und seit zehn Jahren schließlich gibt es den Förderverein, der das Haus vor dem Verfall - und so letztlich auch für die Öffentlichkeit - gerettet hat

 

Pfarrer Hufnagel-Straße:

Der evangelische Pfarrer Johann Friedrich Hufnagel: Er wurde am 1. Januar 1840 als Sohn des Lehrers Heinrich Hufnagel und dessen Frau Maria Magdalena in Ravolzhausen geboren und starb am 6. Februar 1916 in Kesselstadt. Er rief schon bald mit großer Energie und erheblichen Opfern in der eigenen Gemeinde eine Kleinkinderschule (1885) und eine Gemeindepflegestation (1888) ins Leben. Er engagierte sich u.a. als Mitgründer und Vorsitzender der Gelnhäuser Pfarrkonferenz, Vorsitzender des Hanauer Bezirksvereins des Gustav-Adolf-Werks, Vorsitzender des Hanauer Tierschutzvereins sowie des Vogelschutzvereins für die Kreise Hanau, Gelnhausen und Schlüchtern plus Vorsitzender des Hanauer Bienenzüchtervereins. Im Jahr 1884 gab er zusammen mit seinem Bruder Wilhelm die Anregung zur Gründung der Kinderheilanstalt Bad Orb (Spessartklinik), deren Errichtung er maßgeblich begleitete. Als Mitglied des Hanauer Geschichtsvereins verfasste er einige lokalhistorische Aufsätze und hielt Vorträge. In seine Kesselstädter Amtszeit fiel der Bau der Friedenskirche an der Philippsruher Allee, die am 25. September 1904 feierlich eingeweiht wurde (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 196).

 

Friedenskirche

Die Friedenskirche wurde 1904 anstelle der spätgotischen Vorgängerkirche erbaut. In die neue Kirche wurden der barocke Orgelprospekt, die Kanzel und der Taufstein von 1590 übernommen. Beeindruckend sind auch die aus dem Jahr 1964 stammenden Glasfenster von August Peukert.

Um oder bald nach 900 kann man mit einem ersten Sakralbau in Kesselstadt rechnen. Seine Kirche und ihr Rektor Konrad, „genannt Spiegel“, werden erstmals in einer Mainzer Urkunde vom 22. November 1275 erwähnt. Da das Recht der Pfarrbesetzung zuerst (bis 1561) beim Kloster Limburg a. d. Hardt lag statt bei dem 1323 erwähnten „Herrn von Kezzelstad“ oder den benachbarten Oberherren, den Herren von Dorfelden und Hagenowe, darf man annehmen, daß die Errichtung des ältesten Kirchenbaues in Kesselstadt und seine Einbeziehung mit der dazugehörigen Gemeinde in die gesamte kirchliche Organisation unserer Gegend schon vor dem Aufkommen dieser Territorialherren anzusetzen ist.

Von 1340 an kommen die Herren von Kezzelstad in Urkunden nicht mehr vor. Dafür setzen ein Ritter Rudolf und seine „elich Wirtin“ 1353 „einem parrer von Kezzelstad und eime Capplan daselbes, der ihren altar besinget“, je ein Achtel Korn aus. Sie hatten offenbar den Altar der heiligen Katharina gestiftet. Die Kirche wird jetzt ausdrücklich als Pfarrkirche bezeichnet.

Zu Kesselstadt gehörte bis 1720 das benachbarte Dörnigheim als Filial. Nach starkem Zerfall wurden 1471 Chor und Schiff der Kirche mit ihrem Dachreiter wiederhergestellt. Dabei beschwerte sich die ganze Gemeinde bei dem Grafen von Hanau, daß Dörnigheim sein Drittel zum Kirchbau nicht beisteuern wollte. Aber auch über seine eigenen Gemeindeglieder klagte der Vikar Friedrich Reuber 1537: „Se nemen eynem wol lieber, dann se eym etwas geben, wo se es nyt tun müssen“.

Infolge seiner offenen Lage zwischen den befestigten Städten Frankfurt und Hanau hatte Kesselstadt in den kriegerischen Auseinandersetzungen viel zu leiden. So wurde in dem Machtkampf zwischen dem Adel und der Stadt Frankfurt 1386-96 von Frankfurter Kriegsknechten die auf dem Lindenrain, dem alten Gerichtsort, stehende kleine Kirche ausgeraubt und arg beschädigt, Haus und Scheune des Kaplans verbrannt.

Bis zur Reformnation gehörte Kesselstadt zur Diözese des Erzbistums Mainz an. Offenbar infolge des Patronats des Klosters Limburg war Kesselstadt trotz seiner bereits evangelisch gewordenen Nachbarschaft bei einer 1549 von Mainz vorgenommenen Kirchenvisitation noch katholisch. Doch scheint unter dem Pfarrer Bernhard Voigt, der 1553 an der Pest starb, die Sache der Kirche sehr im Argen gelegen zu haben. So ist zu verstehen, daß das Kloster Limburg der Ernennung des im Januar 1554 in Wittenberg examinierten und zum Pfarrer ordinierten Rektors Konrad Cleß zustimmte. Cleß, ein gebürtiger Windecker, hatte schon 1545, also noch zu Luthers Zeit, in Wittenberg studiert und war dann nach einer Lehrtätigkeit an der von dem Schlüchterner Reformator Petrus Lotichius gegründeten Klosterschule von 1549 an in Hanau als Lehrer und Rektor tätig gewesen.

Während in Hanau unter Philipp Neunheller die Reformation in der den Schweizern nahestehenden Straßburger Form Eingang fand, ist die Verkündigung des Magisters Cleß infolge seiner Beziehungen zu Wittenberg wohl stärker von Luther her bestimmt gewesen. Für das seit 1552 in Hanau stärker eindringende konfessionalistisch verengte Luthertum konnte sich Cleß jedoch nicht erwärmen. Während seiner Amtszeit ging im Jahr 1561 das Recht der Pfarrbestellung durch Kauf auf die Hanauer Herrschaft über.

Schon bald nach seiner Übersiedlung nach Kesselstadt hatte Cleß auf den schlechten baulichen Zustand der für die etwa 200 Gemeindeglieder ohnedies zu klein gewordene Kirche hingewiesen. Erst 1581 konnte man nach vielem Betteln die Südseite des Kirchenschiffes weiter hinausrücken und dieses um etwa 13 Meter verlängern. Außerdem erhielt die Westseite einen Dachreiter, der ein Glöckchen trug. Leider wurden die Arbeiten - offenbar aus Mangel an Mitteln - denkbar schlecht ausgeführt.

Im dreißigjährigen Krieg hatte Kesselstadt viel zu leiden. Zuerst unter den Truppen des kaiserlichen Obersten von Witzleben (Dezember 1629 bis März 1630), dann 1633 unter den Truppen des schwedischen Heerführers Herzog Bernhard von Weimar, die auch die Kirche und die „Burg“ der Grafen von Hanau jämmerlich zurichteten, und schließlich während der Belagerung Hanaus 1635-38 durch General Lamboy, der sein Hauptquartier zunächst in und später bei Kesselstadt hatte.

Mit Hilfe von Kollekten der Nachbargemeinden wurden nach dem Kriege und auch später die gewaltigen Schäden wiederholt notdürftig behoben, bis man 1736/37 die Fundamente und das Mauerwerk zum Teil und das Dach ganz erneuerte. Außerdem wurde nun ein richtiger Turm an der Westseite errichtet. So blieb die Kirche, bis sie 1903 wegen Baufälligkeit abgetragen werden mußte. Die neue Friedenskirche wurde in den Jahren 1903 bis 1904 in gotischen Stilformen erbaut unter dem Architekten Heinrich Jasoy aus Stuttgart. An der Ostseite der Kirche steht ein alter Grabstein.

Nachdem sich Pfarrer Hufnagels Bemühungen um die Sicherung der völlig baufällig gewordenen Kirche als sinnlos erwiesen, betrieb er tatkräftig einen Neubau. Am 28. April 1903 wurde mit dem Abbruch der alten Kirche begonnen. Am 2. August fand die Grundsteinlegung statt. Am 25. September 1904 konnte in einem Festgottesdienst die am alten Platz - nur mit einer Nord-Südachse - errichtete, wesentlich größere, neugotische „Friedenskirche“ eingeweiht werden. Das Gotteshaus ist ein zweischiffiger neugotischer Bau. Zur Einrichtung gehören eine Kanzel, die am Ostpfeiler steht, und der Taufstein, der am Westpfeiler aufgebaut wurde. Mittelpunkt des Chores ist der Altar. Das Nebenschiff der Kirche enthält eine Empore.

Aus der alten Kirche übernahm man u. a. den schönen Orgelprospekt, die Kanzel, den wiederaufgefundenen Taufstein aus dem Jahre 1590, den wieder zutage geförderten Opferstock mit dem Wahrzeichen der ehemaligen Kesselstädter Fischerzunft, einem Fährbaum mit Haken aus dem Jahre 1696 und das wohl aus dem Jahre 1736 stammende Turmkreuz.

Die neue Kirche erhielt für den 52,5 Meter hohen Turm vier Glocken. Davon mußten im ersten Weltkrieg 1917 die drei großen Glocken abgeliefert werden, die erst 1925 (nach der Inflation) ersetzt werden konnten.

Mit erheblicher Unterstützung der Stadt konnte 1952 ein neues Geläut, das erste wieder in Hanau, beschafft werden. Die neuen Glocken in den Tönen d', e', g', a' wurden am 14. September 1952 in einem festlichen Gottesdienst ihrer Bestimmung übergeben.

Zum 50-jährigen Jubiläum 1954 wurde die Kirche mit Hilfe kirchlicher und städtischer Zuschüsse und zahlreicher privater Spenden renoviert. Dabei wurden die Jugendstilelemente weithin entfernt und die schlichten gotischen Grundformen herausgearbeitet. Emporebrüstung und Türen wurden vereinfacht, eine neue Beleuchtung angeschafft. Die Beleuchtung und die zerstörten Fenster wurden erneuert; der größte Teil der Mittel für die figürlich gestalteten Chorfenster war in kleinen Pfennigbeträgen jahrelang von den Konfirmanden gesammelt worden. Die Orgel wurde klanglich umgebaut; die klare Schönheit und der Glanz ihrer 22 Stimmen kamen seitdem zahlreichen kirchenmusikalischen Veranstaltungen zugute.

Die Fenster der Kirche wurden bei einem Luftangriff am 6.1.1945 zerstört. Im Winter 1950/1951 hatte sich herausgestellt, daß infolge der 1945 nur notdürftig durchgeführten Verglasung der Fenster eine richtige Beheizung nicht mehr möglich war. Es wurde daher am 11. Februar 1951 eine Wiederherstellung der Fenster in Antikglas beschlossen und so konnten die von dem Maler August Peukert gestalteten drei Fenster 1954 eingesetzt werden. Das mittlere Fenster stellt das Thema „Jesus am Kreuz“ und die beiden seitlichen den durch Wort und Sakrament verkündigenden und sich schenkenden Christus dar. Die in der Kirche aufgestellte Orgel stammt von der Firma Wilhelm Ratzmann, Gelnhausen. Die Kirche wird auch von Altkatholiken und der Armenischen Kirche genutzt. Die Eingangshalle wurde zu einer würdigen Gedenkstätte für die Opfer der beiden Weltkriege umgestaltet. Am 3. Oktober 1954 konnte der überaus stark besuchte, festliche Gedenkgottesdienst in der erneuerten Kirche gehalten werden.

 

Archäologische Funde:

Im Zuge einer Ortssanierung führten Ausgrabungen des Hanauer Geschichtsvereins 1985 östlich der Kirche u.a. zur Entdeckung einer frühlatènezeitlichen Siedlung. Unter dem ehemaligen Chor fand sich außerdem ein karolingisches Grubenhaus, das in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts aufgegeben und verfüllt wurde. Ungebrannte Webgewichte weisen zusammen mit anderen Funden auf den profanen Charakter dieses Funktionsbaus hin. Die frühesten geborgenen Funde der mittelalterlichen Siedlung, von der wir freilich außer dem Grubenhaus, einigen Pfostenlöchern und verlagerten Keramikscherben keine weiteren Belege kennen, sind kaum vor das 8. Jahrhundert zu datieren.

 

Auch auf dem Freidhof bei der Kirche hat man die Gräber untersucht. Da nach dem dreißigjährigen Krieg nur noch wenig Menschen in Kesselstadt wohnten, wurde der Friedhof westlich des Dorfes aufgegeben und der kleine Platz um die Kirche bis 1844 für Beerdigungen benutzt. Zahlreiche Gräber umgaben bereits den ersten Kirchenbau. Bestattet wurde auf diesem Friedhof bis 1839, dann war er zu klein geworden und mußte verlegt werden. Von den 134 zur Auswertung gelangten Grabbefunden sind nur 16 völlig ungestört. An zwei Stellen fanden sich auf engstem Raum Gruppen von Kindergräbern. Bemerkenswert sind eine ganze Reihe von Beigaben wie Trachtbestandteile, Werkzeuge, Tonpfeifen, Schmuck oder auch Münzen in den Gräbern, da die „heidnische“ Sitte der Mitgabe von persönlichen Gegenständen mit dem Aufkommen des Christentums weitgehend erloschen war.

Die anthropologische Untersuchung der menschlichen Skelettreste bietet trotz der in einem mittelalterlichen Friedhof naturgemäß sehr schwierigen Bearbeitungsbedingungen einen Oberblick über die ehemaligen Bewohner von Kesselstadt. Nicht unerwartet stellen wir eine sehr hohe Kindersterblichkeit und wesentlich geringere Lebenserwartung als heute fest. Erstaunlich ist die überdurchschnittliche Körpergröße der erwachsenen Bevölkerung, die sich nur wenige, von den heute üblichen Werten unterscheidet. Für diese vom Rahmen des Erwarteten abweichenden Ergebnisse werden vorwiegend ernährungsspezifische Gründe verantwortlich gemacht, die vor allem in eiweißhaltiger Nahrungsmittelversorgung (Fisch) zu suchen sein dürfte. Im gleichen Zusammenhang fallen einige Erkrankungsformen auf, die man mit dem modernen Begriff „Berufskrankheiten“ belegen möchte und die auf die Tätigkeit vieler Kesselstädter als Fischer zurückzuführen sein werden.

 

Gutzkow-Haus:

Karl Gutzkow war ein Dramatiker und Romanschriftsteller und hervorragender Vertreter des „Jungen Deutschland“ (1811 bis 1878). Er verlebte drei schöne und bedeutungsvolle Jahre (1866 bis 1869) in dem Häuschen an der Philippsruher Allee (heute Hintergasse Nr. 1), heute noch „Gutzkow-Häuschen“ genannt.  Er erholte sich in dieser Zeit von einer schweren seelischen Erkrankung. Von hier siedelte er, körperlich und geistig gesundet, nach Bregenz am Bodensee über. Während seines Aufenthaltes in Kesselstadt, in dem lieblichen Häuschen mit dem schönen Garten und dem einzigartigen Ausblick auf Main und Vorspessart, vollendete er seinen Roman „Hohenschwangau“ (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 445). - Im Gutzkow-Häuschen wohnte zu Anfang des 20. Jahrhunderts der so früh verstorbene Lehrer-Dichter Karl Engelhard. Seine bekanntesten Werke sind: Die Eddischen Lieder „Heilwag“, „Kattenloh“, Sagengedichte, das Sagenwerk „Nornengast“, das eddische Mysterium „Hamarsheim“, das Festspiel „Pestalozzis Liebe“ u. a. m.

 

Gasthäuser:

„Zum Anker“ (Ankergasse 1)

„Zum Schwanen“ (Philippsruher Alleee 50 (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 125)

„Zum Schiff“

„Zum Rothen Löwen“ (Landstraße 4, am Schloß): Es gehört Diplom-Ingenieur Wilhelm Zuschlag und seiner Frau Benita von Perbandt-Zuschlag das Haus, das 1727 als Gasthaus erbaut und seitdem als solches genutzt wird, wurde 1983 renoviert. Wirtin ist Catharina Matuschewsky. Laut Internet ist es aber dauerhaft geschlossen.

 

 

Reinhardskirche:

Am Reinhardskirchplatz am östlichen Ende der Bienenstraße steht die Reinhardskirche. Durch eine bald nach dem Regierungsantritt des Grafen Philipp Ludwig II., 1593, erlassene Verfügung war auch in Kesselstadt das reformierte Bekenntnis eingeführt worden. Den Widerstand der zahlreichen Widerstrebenden hatte man bald unterdrückt, aber nicht überwunden. Als 1642 die reformierte Hanau-Münzenberger Grafenlinie ausstarb und die lutherische Lichtenberger Linie zur Regierung kam, suchten eine Reihe im Herzen lutherisch gebliebener Familien und die in den Kriegswirren zugezogenen Lutheraner Anschluß an die neue kleine Hofgemeinde in Hanau.

Im Januar 1692 klagte das reformierte Presbyterium über die Begünstigung der Lutheraner durch die Landesherren. Nachdem (1701-12) das Schloß Philippsruhe erbaut war, entstand auch in Kesselstadt eine kleine lutherische Gemeinde.

Am 2.Weihnachtstag 1728 wurde von dem Pfarrer der neugebildeten lutherischen Gemeinde in Hochstadt im Saal des Gastwirtes Schmidt der erste lutherische Gottesdienst gehalten. An der ersten Abendmahlsfeier am Sonntag nach Neujahr 1729 nahmen 18 Personen teil. In diesem Jahr wurde auch das (einzige) lutherische Kirchenbuch begonnen. Bald betrieb man den Bau eines Schulhauses mit Saalkirche. Schon am 21. November wurde das Kreuz auf den evang.- lutherischen Kirchturm gesteckt. Jedoch erst am 3. Oktober 1734 konnte die Kirche feierlich eingeweiht werden.

Unter dem Namen Reinhardskirchen faßt man die lutherischen Kirchen zusammen, die unter dem persönlichen Einfluß des letzten Grafen von Hanau (-Lichtenberg), Johann Reinhard III. (1712- 1736) mit seiner finanziellen Unterstützung und sicherlich auch unter Mitwirkung seines „Baudirektors“ Hermann in der Grafschaft Hanau-Münzenberg entstanden. Diese evangelischen Saalkirchen haben meist einen hohen Frontturm, dessen Untergeschoß aus Stein besteht. Auf diesem Steinbau sitzen dann die nach oben sich verjüngenden Holzgeschosse, die meist achteckig gebrochen sind und eine flache „welsche Haube“ tragen.

Von 1801 an wurde die lutherische Gemeinde von der Johanneskirche in Hanau versorgt. Die meisten dieser Kirchen wurden nach der Kirchenvereinigung von 1818 (der „Hanauer Union“) als überflüssig wieder abgebrochen (so zum Beispiel in Windecken und Rüdigheim) oder für andere Zwecke umgebaut (so Bruchköbel).

Die „Reinhardskirche“ in Kesselstadt wurde an die politische Gemeinde verkauft und seitdem als Schule benutzt. Doch blieb hier äußerlich noch der Eindruck eines Kirchenbaues bestehen (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 157). Heute ist die „Reinhardskirche“ Versammlungsraum und Kulturzentrum.

In Kesselstadt gibt es noch die katholische Kirche St. Elisabeth aus den Jahren 1963 bis 1964.

 

 

Eingemeindung Kesselstadts:

Am 1. April 2007 ist es 100 Jahre her, daß das „Gesetz, betreffend Erweiterung des Stadtkreises Hanau“, in Kraft trat und damit die Selbständigkeit Kesselstadts beendet war. Am 30. März war das Gesetz, „gegeben Berlin im Schloß, den 27. März 1907“ und unterzeichnet von König Wilhelm, im preußischen Amtsblatt veröffentlicht worden und damit rechtskräftig. Mit einem Festakt in der Friedenskirche und einem Kesselstädter Nachmittag in der Reinhardskirche würdigt die Stadt die erste Eingemeindung ihrer Geschichte. Sie verlief, glaubt man den zeitgenössischen Quellen, ziemlich reibungslos. . Binnen eines Jahres war der Vertrag, den der Hanauer Oberbürgermeister Dr. Gebeschus und sein Kesselstädter Kollege, Bürgermeister Geibel, unterzeichneten, ausgehandelt und der Vorgang gesetzesreif.

Da Hessen, seit 1866 preußische Provinz war, hatte Berlin das letzte Wort. „Wir, Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, verordnen mit Zustimmung der beiden Häuser des Landtags der Monarchie was folgt: Die Landgemeinde Kesselstadt wird mit dem 1. April 1907 vom Landkreis Hanau abgetrennt und der Stadtgemeinde und dem Stadtkreis Hanau einverleibt“.

Damit hatte die aufstrebende Industrie- und Militärstadt Hanau einen Befreiungsschlag gelandet. Die Stadtentwicklung war mangels weiterer Flächen an ihre Grenzen geraten, eine Ausweitung für neue Industrie- und Siedlungsflächen gab es praktisch nur im Westen, nach Kesselstadt hin. Das einstige Dorf am Main dagegen wäre wohl kaum in der Lage gewesen, anstehende Investitionen in die Infrastruktur wie Wasserversorgung, Kanal, Straßen- und Schulbau alleine zu schultern. So profitierten beide Seiten.

 

Sehr unterschiedlich sind die Partner gewesen, Kesselstadt ein Fischer- und Ackerbürgerdorf mit 2.700 Einwohnern, Hanau eine aufstrebende Stadt mit immerhin schon 35.000 Bürgern. Vieles trennte die beiden Gemeinden, eines verband Kesselstädter und Hanauer: Wollten sie die Kinzig über die Hellerbrücke überqueren, dann mußten alle einen Heller Maut bezahlen, daher rühre der Name der Brücke. Inzwischen leben auf der alten Gemarkung Kesselstadt über 11.300 Menschen und damit mehr als in der Innenstadt.

Der entsprechende Vertrag, der am 22. November 1906 abgeschlossen wurde, regelt in gerade einmal 28 Paragraphen die gemeinsame Zukunft. Geregelt wurde zuallererst, welche Steuern künftig gelten sollten. Die Kesselstädter sollten keinen Nachteil haben, weswegen einige Hanauer Gemeindesteuern auf Kesselstadt nicht angewendet wurden. Lange Anpassungsfristen, teilweise bis in die Mitte der zwanziger Jahre, erhielten den Hanauer Neubürgern so manches Privileg. So mußten die Kesselstädter zehn Jahre lang nur 80 Prozent der (damals lokalen) Einkommens-, Grund- und Gewerbesteuer bezahlen. Die alten Ortsstatuten und Polizeiverordnungen blieben teilweise weiterhin in Kraft. So war beispielsweise die Hausschlachtung auch nach der Eingemeindung erlaubt, und auch die Beibehaltung des Kesselstädter Friedhofs wurde garantiert. Die Hundesteuer wurde für zehn Jahre zu den niedrigen Kesselstädter Sätzen festgeschrieben.

Die Dorfschule wurde nun eine städtische Schule und die Stadt Hanau übernahm von Kesselstadt neben dem Gemeindepersonal auch die Lehrer in städtische Dienste. Die Schüler waren nun ja auch Hanauer und mußten deshalb für den Schulbesuch in der Innenstadt nicht mehr das für Auswärtige fällige Schulgeld bezahlen. Hanau sagte auch vertraglich zu, vorrangig westlich der Kinzig eine neue Bezirksschule zu errichten.

Die Hanauer verpflichteten sich des Weiteren, in der gesamten geschlossenen Ortslage Kesselstadt sowie in der „Kolonie“ (es war dies der Bereich Frankfurter Landstraße/Rosenau) Kanalisation und Wasserversorgung „mit Beschleunigung auszuführen“ Außerdem sollten mindestens 5.000 Mark jährlich für den Bau von Bürgersteigen und deren Unterhalt aufgewendet werden. Die Freiwillige Feuerwehr sollte ihre Selbständigkeit behalten, in ganz Kesselstadt sollten zudem elektrische Feuermelder aufgestellt werden, „ebenso ist möglichst bald die Vermehrung der Straßenlaternen um 30 Stück herbeizuführen“.

Natürlich übernahm Hanau auch das gesamte Vermögen und alle Verbindlichkeiten der Gemeinde sowie die Verwaltung. Um dem Bevölkerungszuwachs gerecht zu werden, wurde die Zahl der Stadtverordneten in Hanau von 36 auf 39 erhöht, der Magistrat um ein ehrenamtliches Mitglied aus Kesselstadt erweitert. Für die Gemeindebediensteten wurden neue Gehaltseinstufungen vereinbart und auch der Bürgermeister erhielt ein recht anständiges Ruhegehalt.

 

Es ist ein Gerücht, daß die Kesselstädter Sterberate in die Höhe geschnellt sei, weil die Neubürger nun das Recht hatten, auf dem Hanauer Friedhof zu Hanauer Konditionen Familiengräber zu erstehen.

Bis heute habe die Feuerwehr ihre Eigenständigkeit - wie festgeschrieben - behalten, werde aber nach dem Neubau des zentralen Hanauer Feuerwehrgerätehauses in absehbarer Zeit ihre bisherige Unterkunft aufgeben. Auch die Übernahme des Personals der Gemeinde Kesselstadt war akribisch geregelt, wobei die Reihenfolge bemerkenswert gewesen sei: Noch hinter dem Feldschütz, dem Nachtwächter und dem Schweinehirt wurde als letzter der Bürgermeister aufgelistet.

Der Stadtteil zeichnet sich heute „in besonderer Weise durch einen hohen Grad an bürgerschaftlichem Engagement aus, deren tragende Säulen die Vereine sind. Die Vielfalt von 40 Kulturen im Stadtteil werde als Chance gesehen, voneinander zu lernen.

Nachdem dies alles in 25 Paragraphen geregelt war, muß irgend jemand in Kesselstadt noch etwas ganz Wichtiges eingefallen sein: Im Paragraph 26 wurde nachgeschoben, daß sich die Stadt Hanau verpflichtet, für Kesselstadt einen Schweinehirten zu beschäftigen, ihm eine Wohnung und ein Feld- und Wiesengrundstück zur Verfügung zu stellen und ihn zu besolden, solange er „für das Hüten der in der bisherigen Gemarkung Kesselstadt gehaltenen Schweine notwendig sein sollte“. Heute ist Kesselstadt ganz selbstverständlich ein Teil Hanaus, auch wenn sich dort vielleicht mehr als anderswo in der Kernstadt aktiver Bürgergeist erhalten hat und ein waches Interesse an der Kesselstädter Geschichte vorhanden ist (MTA, 29.03.2007).

 

Ortsjubiläum 2009:

In Kesselstadt hat man 2009 Grund zum Feiern. Erneut, muß man sagen, denn erst vor zwei Jahren wurde der 100-Jahrfeier der Eingemeindung nach Hanau von 1907 mit einem gewaltigen Spektakel gedacht. Im Jahre 2009 nun geht es um die urkundliche Ersterwähnung des Dorfes am Main. Mit der Eingemeindung vor 100 Jahren endete zwar die eigenständige Geschichte des hanauischen Dorfes Kesselstadt, doch hat der Stadtteil bis auf den heutigen Tag gewisse Eigenheiten bewahrt. Hanauer sind viele „Kesellstädter“ bis heute nicht so recht geworden, auch wenn sich ein Gutteil der Hanauer Geschichte dort abgespielt hat. Nimmt man die römische Besiedlung hinzu, dann ist Kesselstadt darüber hinaus mehr als 1200 Jahr älter als Hanau. Schließlich geht die plausibelste Erklärung des Ortsnamens Kesselstadt auf das römische Kastell zurück, welches einst dort stand und dessen Areals heute komplett überbaut ist.

Vielfach ist noch immer unvergessen, daß die Hanauer Stadtplanung der 1960er Jahre die nahezu vollständige Zerstörung des alten Ortskerns beabsichtigte, um eine Hochhausbebauung am Mainufer zu realisieren. Nicht zuletzt der Widerstand der Wirtin des „Blutigen Knochens“, Margarete Peter, und des Hanauer Kulturvereins hat diese Kahlschlagsanierung verhindert.

Heute ist Alt-Kesselstadt eine der gesuchten Wohnlagen in Hanau. Der Ort war immerhin seit 1712 Residenzort der Hanauer Grafen und als Hanau nach den Bombenangriffen von 1945 dem Erdboden gleichgemacht war, fanden viele Innenstädter dort Unterschlupf, Hanaus Handel und Wandel spielten sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Kesselstadt ab, erst 1964 zog die Stadtverwaltung vom Schloß Philippsruhe wieder in die Innenstadt.

Das Jubiläum wird mit einer Geburtstagsfeier, der „Kesselstädter Jubiläumsnacht“, eröffnet.

Über das ganze Jahr wird sich dann ein Veranstaltungsreigen erstrecken, der mit Ausstellungen, Vorträgen und einem Handwerker- und Fischermarkt (16. und 17. Mai) das gesamte historische und folkloristische Spektrum der letzten 1000 Jahre, aber auch die Zeit der Römer in Kesselstadt abdeckt. Gleiches unternimmt auch eine Ausstellung im Schloß Philippsruhe, die am 30. August beginnt. Das Bürgerfest steht ebenfalls ganz im Zeichen des Ortsjubiläums, das auch Anlaß für eine weitere Ausgabe der historischen Illustrierten „Stadtzeit“ ist, die im Frühsommer vorliegen soll.

Eine ereignisreiche Nacht steht den Kesselstädtern und darüber hinaus allen Hanauern am Freitag bevor. Die „Jubiläumsnacht“ führt direkt hinein in den 950. Jahrestag jenes historischen Datums, an dem König Heinrich urkundlich bestätigt, daß er eine ganze Reihe von Ortschaften, darunter Buchen, Dörnigheim und Kesselstadt „der heiligen Mainzer Kirch zuerkannt“ hat. Ab etwa 21 Uhr beginnen die Aktivitäten der zahlreichen beteiligten Vereine und Gruppen. Vor dem illuminierten Schloß Philippsruhe serviert das Rote Kreuz Gulaschsuppe, die Feuerwehr schenkt heiße Getränke im Bistro „Graf Ludwig“ aus. umrahmt von Fackeln und Schwedenfeuern. Der Eintritt ins Historische Museum ist an diesem Abend frei, das Museumscafé ist geöffnet. Im Roten Saal werden Bilder aus der Kesselstädter Geschichte gezeigt.

Offiziell wird es dann um 22 Uhr, wenn der Fanfarenzug der 1. Steinheimer Karnevalsgesellschaft vom Schloßtor her in den Ehrenhof einzieht. Oberbürgermeister Claus Kaminsky und Peter Jüngling von der Lenkungsgruppe Kesselstadt-Jubiläen werden dann die Gäste begrüßen.

Um 22.30 Uhr hat dann der Schauspieler Rüdiger Schade seinen ersten von acht Auftritten. Anhand der Kesselstadt-Chronik von Pfarrer Rullman („Versuch einer geschichtlichen Darstellung des Pfarrdorfes Kesselstadt“ von 1881) führt er die Jubiläumsgäste durch 950 Jahre Geschichte und durch Rullmanns Kesselstadt. Im Schloß treten ab 23 Uhr Steve Scondo und Rambling Conrad mit Blues. Folk und Classic Rock auf. Um 23.15 Uhr führt unter dem Titel „Aus dem Rahmen gefallen“ Gräfin Dorothea Friederike von Hanau-Lichtenberg durch „ihr“ Schloß. Eine Führung durch die Amerikaner-Ausstellung schließt sich an. Um 23.30 Uhr formiert sich dann das 1. Hanauer Husarenkorps. verkleidet als Grenadiere des 18. Jahrhunderts, zum „Anschießen“ am großen Springbrunnen. Um 23.45 Uhr erklingt eine „Ouvertüre“ durch den evangelischen Posaunenchor

Kesselstadt vom Balkon des Schlosses und Rüdiger Schade hat einen Auftritt zusammen mit der Schultheatergruppe der Otto-Hahn-Schule. Dann wird auch die Urkunde vom 14. Februar 1059 verlesen, ehe um Mitternacht mit Glockenläuten, Böllerschüssen und Musketensalven der Jubiläumstag lautstark begrüßt wird.

Anschließend gibt es noch einmal Musik vom Posaunenchor, während im Schloß Steve Scondo und Rambling Conrad wieder in die Saiten greifen. Gleichfalls im Schloß findet dann noch eine zweite Führung durch Gräfin Dorothea Friederike von Hanau-Lichtenberg und von Nina Michelmann durch die Amerikaner-Ausstellung statt, ehe um 0.45 Uhr Rüdiger Schade seinen achten Rullmann-Auftritt absolviert. Um 1 Uhr - oder gegebenenfalls auch später - wird Kurt Ortner als Nachtwächter für den Kehraus sorgen.

 

Tierheim-Neubau in Betrieb:

In Richtung Dörnigheim ist in Höhe des Wasserturms das Tierheim Hanau. Auf dem Gelände des Tierheims Hanau wird seit einiger Zeit gewerkelt und gebaut. Zuerst wurden die Anbauten an dem historischen Gebäude abgerissen und durch einen neuen funktionaleren Anbau ersetzt. Auch das alte Bestandsgebäude wurde entkernt und grundsaniert. Nun sind die neuen Räume fertig gestellt.

Viele der tierischen Bewohner haben in den letzten Tagen bereits ihr neues Zuhause bezogen. Oberbürgermeister Claus Kaminsky besichtigte den Neubau im Tierheim an der Landstraße

„Am Wasserturm“, um sich selbst ein Bild zu machen. Petra Elian und Ursula Botzum vom Tierschutzverein Hanau und Umgebung e.V., der für den Betrieb des Tierheims verantwortlich zeichnet, führten ihren Gast durch die neuen hellen Räume und erläuterten den Status der Umbaumaßnahmen: „Die neue Waschküche ist bereits in Betrieb, aber die neue Futterküche fehlt noch. Sie wird jedoch in den kommenden Wochen geliefert“, berichteten sie.

Tierheimleiter Daniel Gimbel erklärte die neue Aufteilung: „Der Anbau umfasst den neuen Eingangsbereich sowie die Waschküche und einen Personalraum. Im Erdgeschoss werden die Tiere untergebracht und im Dachraum entstand eine weitläufige neue Lagerfläche, über die wir sehr froh sind.“ Derzeit seien 18 Hunde, 42 Katzen und 16 Kleintiere im Heim untergebracht, berichtet Gimbel. Oberbürgermeister Kaminsky freute sich, dass die schwierige Übergangssituation überwunden sei und sowohl Betreuer als auch Tiere nun in den Genuss der neuen Räume kämen. „Der Tierschutz ist uns wichtig“, sagte er, „deshalb haben wir in den vergangenen Jahren auch über eine Million Euro in Sanierungsmaßnahmen fürs Tierheim investiert.“

Er dankte den Vertreterinnen des Tierschutzvereins für den engagierten Einsatz der Vereinsmitglieder: „Ohne ehrenamtliche Helfer, die die Tiere versorgen und sich um sie kümmern, wäre diese Aufgabe kaum zu stemmen. Ich bin froh, dass wir in Ihnen so einen verlässlichen Partner in Sachen Tierschutz haben!“

Die offizielle Einweihung des neuen Gebäudes findet am Sonntag, 6. Mai, von 13 bis 16 Uhr statt. An diesem Tag feiert der, Tierschutzverein im Rahmen des alljährlichen Frühlingsfestes die Einweihung des sanierten Tierheims. Alle Unterstützer und Interessierte sind herzlich eingeladen die neuen Räumlichkeiten zu bestaunen und mehr über die Arbeit des Tierschutzvereins zu erfahren.

Der Betrieb eines Tierheimes ist eine kommunale Pflichtaufgabe. Die Stadt hat diese Aufgabe vertraglich an den Tierschutzverein abgegeben und mit dem Tierschutzverein einen Pachtvertrag geschlossen. Für den Betrieb des Tierheims gewährt die Stadt dem Verein einen Zuschuss von 100. 000 Euro pro Jahr. Die Immobilie Tierheim ist im Eigentum der Stadt Hanau. Bereits im Jahr 2012 wurde das alte Hundehaus abgebrochen und neu gebaut (Gesamtkosten 362.000 Euro). Für die Sanierung des historischen Gebäudes wurden bis Ende 2017 insgesamt 820.000 Euro zur Verfügung gestellt (Hanauer Wochenpost ,02.05.2018).

 

Schloß Philippsruhe

 

Planung:

Das an der westlichen Peripherie am Mainufer gelegene Schloß Philippsruhe ist das älteste nach französischem Vorbild erbaute Barockschloß östlich der Rheinlinie. Im Jahr 1701 begann Graf Philipp Reinhard von Hanau (1664-1712) mit der Errichtung des nach ihm benannten Bauwerkes. Am Mainufer in Kesselstadt ließ er den Grundstein für ein Landschloß legen.

Die Barockzeit brachte dem Hanauer Land einen großen Aufschwung. Wie an allen Fürsten, Bischöfen und großen Persönlichkeiten der Zeit nagte auch an den Hanauer Grafen „der Bauwurm“.

Mit dem Aussterben der Linie Hanau-Münzenberg hatten die Lichtenberger 1642 in Hanau die Regierung übernommen. Friedrich Casimir verlegte seinen Regierungssitz vom elsässischen Buchsweiler nach Hanau. Sein Nachfolger, der Erbauer von Philippsruhe, war nicht nur des alten verwinkelten und eher mittelalterlichen Stadtschlosses überdrüssig. Er wollte eine Art Sommerresidenz ganz im Geist der Zeit. Der wichtigste Bau des neuen Jahrhunderts war die Anlage einer Sommerresidenz am Main, zwei Kilometer vom alten Schloß entfernt. Es war ein kühner Gedanke seines Schöpfers, Schloß Philippsruhe abseits von der Residenzstadt, nahe bei dem Dorfe Kesselstadt, erbauen zu lassen.

Der Plan zum Bau des Schlosses erwuchs aus der weltoffenen Aufgeschlossenheit des Grafen Philipp Reinhard. Nur aus seinem Bildungsweg läßt sich die besondere Stellung des Schlosses im deutschen Schloßbau erklären. Aufgewachsen und erzogen in dem Bewußtsein, daß ein Fürst nicht zuletzt durch seine baulichen Maßnahmen zu repräsentieren habe, mag bei dem Aufenthalt in Frankreich bereits in den Jünglingen die Grundlage für ihre spätere Bauleidenschaft gelegt worden sein. Philipp Reinhard studierte zusammen mit seinem Bruder und Nachfolger Johann Reinhard in Straßburg. Schon in dieser Zeit wurde der starke französische Einfluß in der Gedankenwelt des Jünglings spürbar. In einer fünfjährigen Reise vervollkommnete der junge Graf seine Ausbildung. Diese Reise, über die im „Hanauischen Magazin“ von 1780 berichtet wird, führte ihn vor allem durch Frankreich. Das Schloß Versailles muß einen großen Eindruck auf ihn gemacht haben.

Vorher stand hier ein Lustschlößchen, das Philipp Ludwig II. von Hanau- Münzenberg zu Beginn des 17. Jahrhunderts seiner Gemahlin Katharina Belgica errichtet hatte. Dieses wurde jedoch im Verlauf des 30jährigen Krieges verwüstet. Das Renaissanceschlößchens wird allerdings in den Philippsruher Bauakten mit keinem Wort mehr erwähnt und dürfte deswegen bereits vorher abgetragen worden sein. Damit stand das für das neue Schloß benötigte Gelände größtenteils in Form eines herrschaftlichen Gartens zur Verfügung.

Schon im Jahre 1687 hatte Graf Philipp Reinhard (1664-1712) das benötigte Gelände zusammen.

Was noch fehlte, wurde aus Privatbesitz hinzu erworben. Ein alter Weg, der von Nordwesten herkommend den Bereich des heutigen Schloßhofes querte und zur alten Kesselstädter Mainfurt führte, mußte zum Teil umgelegt werden. Bemerkenswert ist, daß sich dieser Weg an die zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch als sog. „Alte Mauer“ erhaltene Westflanke des Römerkastells Kesselstadt anlehnte. Er deckte sich also mit der via vallaris des römischen Standlagers, dessen Entstehung selbst nur im Zusammenhang mit der genannten Mainfurt verstanden werden kann. Solange Schloß Philippsruhe nur aus dem (später ausgebauten) Haupttrakt bestand, diente ihm die gleiche Trasse als Zufahrtsweg, wie dies auch die älteste bildliche Darstellung des Schlosses auf dem Kupferstich von Johann Stridbeck aus dem Jahre 1705 zeigt.

Die Plane für den Schloßbau stammen von dem in Frankreich geschulten Architekten Julius Ludwig Rothweil, der sich das nahe Paris gelegene Lustschloß Clagny zum Vorbild nahm.

Das an der westlichen Peripherie am Mainufer gelegene Schloß Philippsruhe ist das älteste nach französischem Vorbild erbaute Barockschloß östlich der Rheinlinie. Doch unmittelbares Vorbild ist nicht Versailles, sondern das nahe Paris gelegene Lustschloß Clagny, ein Bauwerk des Architekten Hardouin Mansart. Hier wie dort dominiert ein dreigeschossiger, um einen quadratischen Ehrenhof gruppierter Wohntrakt, dem sich zweigeschossige Flügelbauten anschließen. Die nur eingeschossigen Flügelbauten unterstreichen die Dominanz des Mittelbaues.

 

Mit einer solchen Anlage den Namen des Bauherrn zu verbinden, entspricht durchaus den Gepflogenheiten der Barockzeit, und die Chance, sich auf diese Weise ein „Namensgedächtnis“ zu schaffen, hat auch Philipp Reinhard nicht ungenutzt gelassen. Anonym dagegen blieben zunächst die Baumeister. Immerhin ist aber in diesem Zusammenhang eine Äußerung interessant, die Graf Philipp Reinhard abgegeben hat, als er während eines Berlin- Aufenthaltes anläßlich seiner Investitur als Ritter des Königlich-Preußischen Großen Schwarzen Adler- Ordens am 8. Juli 1710 von Königin Sofie Louise im Charlottenburger Schloß empfangen wurde. Als nämlich die Königin nach dem neuerbauten „Philippsruher Haus“ fragte, wobei sie „den dasigen Garten und das darinnen sich befindende schöne Obst, wie auch dasige Situation gelobet“, haben „Ihro Hochgräfliche Gnaden“ darauf geantwortet, „daß sie sich benebst Ihrem Herrn Bruder, so das Bauwesen verstünde, vermittelst zweier französischer sehr experimentirten Baumeistern bisher beflissen, dieses kleine Ouvrage zum Stande zu bringen, hätten auch Dero Meinung nach, einigermasen damit reusirt (Erfolg gehabt), wie dann der Hauptbau beneben dem nächst angelegenen Garten vollkommen stünde.“

Bei den beiden „experimentirten Baumeistern“ hat es sich um Julius Ludwig Rothweil und den Franzosen Girard gehandelt. Rothweil ist zwar, wie der Name verrät, kein gebürtiger Franzose, ohne Zweifel hat er jedoch seine Ausbildung in Frankreich erfahren, so daß - so verstanden - der Berliner Ausspruch des Hanauer Grafen durchaus zu Recht besteht.

In den Bauakten erscheint Rothweils Name zum ersten Mal in einer am 24. Oktober 1701 angefertigten Aufstellung. Seine Hanauer Tätigkeit war jedoch nur von kurzer Dauer. Schon wenige Monate nach der Grundsteinlegung wurde er unsittlicher Handlungen beschuldigt, unter Anklage gestellt und des Landes verwiesen, wobei die Exekution dergestalt vor sich ging, daß man den Delinquenten am Abend des 4. Mai 1702 in einen Mainkahn setzte, den Kahn vom Ufer abstieß und ihn samt seiner Fracht von den Fluten des Flusses forttragen ließ - einem zwar ungewissen, aber, wie sich zeigen sollte, bedeutenden Schicksal entgegen. Später erbaute er die Schlösser in Weilburg, Arolsen und Neuwied.

Sein Nachfolger wurde der „französische Ingenieur Girard“, Jacques Girard, von dessen Person wir noch weniger wissen als über Rothweil. Bei diesem Sachstand ist es begreiflicherweise schwer zu ermitteln, welche Details in der baukünstlerischen Konzeption des Philippsruher Schloßbaues von Rothweil und welche von seinem Nachfolger Girard stammen. Wir möchten jedoch annehmen, daß ein leider undatierter Grundriß, der in einem mit dem Jahre 1701 abschließenden Aktenstück überliefert ist und eine um den Ehrenhof angelegte Gebäudegruppe mit einfachen Seitenflügeln zeigt, entweder von Rothweil stammt oder zumindest dessen Vorstellungen entsprach. Er wies noch keine Eckpavillons an den Außenseiten aus, die dann nur als das Werk Girards angesehen werden können, zumal diese beiden Flügel samt Eckpavillons erst im Jahre 1703 errichtet wurden.

Mit anderen Worten heißt das, daß fürderhin nicht Rothweil, sondern Girard als Architekt der Philippsruher Schloßfassade zu gelten hat, einer Fassade, die gerade im Wechsel von additiv aneinandergereihten eingeschossigen und zweigeschossigen Bauteilen so ungemein reizvoll wirkt. Beherrschendes Element ist dabei die Horizontale (Sockelzone, Hauptgesims, Fensterbänder), die durch die Verwendung von Mansarddächern - einer Dachform, die hier erstmalig im Hanauer Land in Erscheinung tritt - noch eine Steigerung erfährt und damit zugleich den monumentalen Gesamtcharakter der Anlage unterstreicht. Girard machte die Risse, begutachtete die Forderungen der Handwerker und war sicher auch der Urheber der Stuckentwürfe im französischen Geschmack, die von den italienischen Stukkateuren Castelli und Genone ausgeführt wurden.

Die baugeschichtlich umwälzende Tat des Schloßbaues war der moderne Grundriß und die Gesamtdisposition der Schloßanlage. Das wichtigste Glied des Schloßbaues ist der hufeisenförmige Ehrenhof mit dem zweigeschossigen „Corps de logis“. An diesen, ehemals von einem Gitter abgeschlossenen Ehrenhof schließen zwei einstöckige Flügel an, deren Abschlüsse zwei Eckpavillons bilden. Dieses Schema war aus Versailles übernommen und hatte sich sonst in Deutschland am Beginn des 18. Jahrhunderts noch nicht durchgesetzt. Philippsruhe ist einer der ersten Schloßbauten dieses Typs.

Nach Girards Plänen entstanden fünf Jahre später auch die zwei den Seitenflügeln symmetrisch vorgelagerten Bauten des Marstalles und der Remise. Gleichzeitig begann der Innenausbau mit den Stukkateuren Eugenio Castelli und Antonio Genone.

 

Bau:

Vierzehn Jahre nach dem Erwerb des Geländes begann vor den Toren der Residenzstadt Hanau ein für das kleine Hanauer Land luxuriöser und ungeheuerlicher Baubetrieb. An einen aufwendigen Schloßbau war offenbar zunächst nicht gedacht, denn noch am 2. Mai 1701 fertigte der „deutsche Baumeister Johann Caspar Wolpert“ einen „überschlag über daß Lusthauß, so in den Herrschaftl. garten zu Kesselstadt oben bey dem Amphitheatro soll gebaut werden“ und ermittelte die dafür aufzuwendenden Kosten auf den verhältnismäßig geringen Betrag von etwa 4.000 Gulden. Bereits einen Monat später aber, am 8. Juni 1701, wurde der Grundstein zu dem großen Schloßbau gelegt. Worauf der sich darin dokumentierende überraschende Sinneswandel des Bauherrn zurückzuführen ist, läßt sich einstweilen nicht sagen.

Bis zum Jahre 1705 stand der Schloßkomplex. Im Jahre 1706 wurden die beiden vorderen Bautrakte angelegt, der Marstall und die Remise. Dabei bediente man sich des gleichen gestalterischen Grundprinzips wie bei dem Hauptgebäude, d. h. der Verwendung von nahtlos aneinandergereihten zweigeschossigen Pavillons und eingeschossigen Zwischenbauten. Die Gräfliche Rentkammer mußte erneut zum Zwecke des Grunderwerbs in Aktion treten. Jetzt waren dann auch die Voraussetzungen gegeben, um die heutige Philippsruher Allee anzulegen

Zur Stadtseite hin am Main entlang wurde ein Damm mit mehreren Flutbrücken aufgeschüttet und mit Bäumen bepflanzt, die heutige Philippsruher Allee. Der vollständige Ausbau zog sich freilich bis zum Jahre 1768 hin.

Im Spätsommer 1712 konnte Philipp Reinhard endlich nach mehr als zehnjähriger Bauzeit seinen Einzug in Philippsruhe halten: ein Teil des Neubaues war bezugsfertig. Er ahnte freilich nicht, daß er schon nach wenigen Wochen, am 4. Oktober 1712, 48 Jahre alt, an einem hitzigen Fieber als erster in diesem Hause sterben werde. Das Schloß, mit dem er sich ein Namensgedächtnis schuf, hatte er bis zu einem Todestag noch ein Vierteljahr bewohnt.

 

Weitere Baugeschichte:

Philipp Reinhard Bruder und Nachfolger Johann Reinhard III., der letzte Graf von Hanau, vollendete die Anlage. Die weitere Gestaltung des Parks und 1723 der Bau einer Orangerie sind sein Werk.

Im Jahre 1736 ging der Besitz zusammen mit der Grafschaft Hanau-Münzenberg an die Landgrafen von Hessen-Kassel über. Sie nutzten das Schloß als Sommerresidenz und zu gelegentlichen Aufenthalten. Als Hauptsitz diente es von 1764 - 1785 nur dem Erbprinzen von Hessen-Kassel, souveräner Graf von Hanau. Kurfürst Wilhelm II. von Hessen-Kassel ließ von seinem Baumeister Johann Conrad Bromeis das Schloß teilweise renovieren. Aus dieser Zeit sind die klassizistische Innenausstattung des Weißen Saales, die beiden Seitentreppenhäuser, das südliche Treppenhaus des Remisengebäudes und der Gartenpavillon Teehaus erhalten.

Im Jahre 1806 beschlagnahmten die Franzosen das Schloß. Es wäre um ein Haar verkauft worden. Napoleon schenkte das Schloß samt Garten und zugehörigem Hofgut kurzerhand seiner Schwester Pauline, der Herzogin Borghese. Stets in Geldverlegenheit schaltete sie1810 eine Anzeige im Pariser „Moniteur“, um den Prachtbau loszuwerden. Sicherlich zu ihrem großen Leidwesen hat sie aber keinen Käufer dafür gefunden. Auch wenn sie erfolglos blieb ist die Annonce doch heute ein wichtiges Dokument, weil sie eine detaillierte Übersicht zur Lage und Ausstattung zu Beginn des 19. Jahrhunderts gibt. Um 1810 war das Schloß teilweise Lazarett für französische Soldaten.

Nach dem Rückzug der Franzosen wurde der inzwischen verwilderte Park in einen englischen Garten mit wertvollem Baumbestand umgewandelt. Nur die seitlichen Lindenalleen erinnern heute noch an den ursprünglichen Zustand. Regeres Leben zog dann erst wieder Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts ein, nachdem vor allem Kurfürst Wilhelm II. die Schäden, die während und nach der Franzosenzeit entstanden waren, hatte beseitigen lassen. Besondere Erwähnung verdient, daß in diesem Zusammenhang der sogenannte „Weiße Saal“ im linken Seitenflügel seine noch erhaltene noble klassizistische Innenausstattung erhalten hat. In den Jahren 1826 und 1828 wurden die Gemäuer erstmals renoviert.

 

Die 1803 zu Kurfürsten aufgestiegenen Landgrafen von Hessen-Cassel verloren im Jahre 1866 Land- und Hoheitsrechte an die preußische Krone. Von 1873 an wurden die verschiedenen hessischen Nebenlinien wiederhergestellt. Schloß Philippsruhe kam an den Landgrafen Wilhelm von Hessen-Rumpenheim: Für den Thronverzicht erhielt er 1873 auch Schloß Philippsruhe. Als einer der reichsten Fürsten der Zeit unterzog von 1875 bis 1880 Haus und Garten einem tiefgreifenden Umbau. Er ließ durch den Kopenhagener Professor Friedrich Ferdinand Meldahl umfangreiche Umbau- und Renovierungsarbeiten vornehmen.

Das Landgrafenpaar plante mit ihrem Architekten auf der Höhe der Zeit. Es gab sogar Haustelegraf und Personenaufzug. Ihr Sohn, der spätere Landgraf Alexander Friedrich von Hessen (1863-1945), der fast erblindet war und als bedeutender Pianist und Komponist hervortrat, hatte sich eine Standleitung in die Frankfurter Oper legen lassen, um die dortigen Musikaufführungen mitverfolgen zu können (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 16).

Friedrich Wilhelm ließ den Kardinalfehler der ursprünglichen Barockarchitekten tilgen: Der Mitteltrakt war viel zu schmal, es fehlte der Raum für repräsentative Räume und eine Treppe, um die Pracht zu demonstrieren. Am Hauptgebäude des Schlosses ließ er deshalb unter Einkürzung des Ehrenhofes um drei Fensterachsen ein neues Treppenhaus mit vorgebautem Säulenportikus errichten. Anstelle eines einfachen Uhrtürmchens erhielt der Mitteltrakt seinen jetzigen Kuppelaufsatz. Die Dächer der Seitenflügel wurden in der Form französischer Renaissanceschlösser umgebaut. Außerdem wurden zahlreiche Balkone angebaut und an Kragsteinen und Brüstung mit Bildhauerarbeiten geschmückt.

Als Brüstungsbekrönung einer hinter dem Schloß angeschütteten Rampe, die über zwei Treppen den Zugang zum Park vermittelt, wurden zwei in Sandstein gehauene Wappenlöwen aufgestellt.

Auf den ersten Blick ist das Ausmaß der baulichen Veränderungen gar nicht erkennbar, weil die barocke Fassade stets voll erhalten blieb. Aber der ursprüngliche Eindruck des Schlosses wurde durch einen Umbau in den Jahren 1875 bis 1878 zerstört. Damals nötigte man dem Mittelbau eine viel zu schwere Kuppel auf und legte eine viel zu üppige Altane auf schweren Säulen vor den Haupteingang: die wunderbar stuckierten Säle und ihre Inneneinrichtung wurden völlig umgestaltet. So erhielt die Anlage ihr heutiges Aussehen.

Im Zuge des Umbaus zum Wohnsitz wurde in den Werkstätten von Bergotte und Dauvillier in Paris das kunstgeschmiedete teilvergoldete Haupttor Paris zum Preis von 32.000 Goldmark gefertigt. Ende März 1880 traf die gewaltige Sendung auf dem Hanauer Westbahnhof ein. Das Hauptportal ist 6,30 Meter breit, die Seiten kommen auf 3,40 Meter, die gesamte Anlage auf die Breite von 22 Metern.

Doch nicht nur für die äußere Neugestaltung, auch für die Instandsetzung der Innenräume hat Landgraf Friedrich Wilhelm, der in zweiter Ehe mit einer Prinzessin von Preußen verheiratet war, weder „Mühen noch finanziellen Aufwand gescheut“. So verdanken auch die jetzigen Museumsräume seiner Initiative ihre prachtvollen Stuckdecken. Ein Großteil der Räume erhielt neue Stuckdekorationen in Formen des Dritten Rokoko und Holzeinbauten der Neorenaissance. Bibliothek und Speisesaal erhielten ihre prächtige Holzvertäfelung. Leider haben die gleichzeitig angebrachten seidenen Wandbespannungen die Zeiten nicht überdauert; ihre Stelle nehmen heute moderne Tapeten ein.

Verläßlich überliefert ist, daß Professor Meldahl aus Kopenhagen die Pläne für die Renovierungsarbeiten geliefert hat und daß die örtliche Bauleitung in den Händen des Frankfurter Architekten und Bildhauers Richard Dielmann sowie des Bauinspektors Hermann Wagner in Hanau lag. Dielmann wurde dabei von seinem Vater Johannes unterstützt, der auch an der Ausführung der Stuckarbeiten maßgeblich beteiligt gewesen ist.

Johannes Dielmann, Architekt und Bildhauer: Geboren am 26.10.1819 in Sachsenhausen, gestorben am 24.10.1886 in Frankfurt a. M. 1833-1839 Schüler des Städelschen Instituts in Frankfurt, anschließend Modelleur in einer Eisengießerei in Sachsenhausen. Ab 1844 Fortsetzung seines Studiums an der Akademie in München, wo er vor allem von Ludwig von Schwanthaler gefördert wurde. Nach Rückkehr in seine Vaterstadt als gut beschäftigter Bildhauer und Bildschnitzer freiberuflich tätig. Schöpfer des 1864 errichteten Frankfurter Schillerdenkmals.

Richard Dielmann: Geboren als Sohn des Vorigen am 26. 8. 1848 in Frankfurt, gestorben am 8.8.1923 daselbst. Erste Ausbildung im Atelier seines Vaters, dann bis 1866 am Städelschen Institut in Frankfurt. 1867-1869 Fortsetzung seines Studiums an der Königlichen Bauakademie in Berlin. Bis zum Tode seines Vaters meist gemeinsam mit diesem tätig, so auch bei den Baumaßnahmen am Schloß Philippsruhe. 1880 vom Landgrafen Friedrich Wilhelm von Hessen- Rumpenheim zum Hofbaumeister ernannt.

Überhaupt scheinen die beiden Dielmann bei Hofe in besonderem Ansehen gestanden zu haben, was sich schon daraus ergibt, daß sie als einzige von den an den Restaurierungsarbeiten Beteiligten Kaiser Wilhelm I. vorgestellt wurden, als dieser am 21. Oktober 1880 - am Tage nach der feierlichen Eröffnung des Frankfurter Opernhauses - Schloß Philippsruhe einen Besuch abstattete. Als er Station bei seiner landgräflichen Nichte in Hanau machte, soll er gesagt haben, daß es das schönste Schloß sei, welches er je besucht habe.

 

Wo immer sich die Möglichkeit dazu ergab, hat der Bauherr Hanauer Handwerksfirmen herangezogen, die nachmals mit entsprechenden Auszeichnungen bedacht und durch Ernennung zum Hofschreiner, Hofschlosser usw. geehrt wurden. Daneben hat man andere Arbeiten außerhalb Hanaus in Auftrag gegeben, so das kunstgeschmiedete Haupttor aus den Pariser Werkstätten von Bergotte und Dauvillier und das nicht minder kunstvoll gearbeitete Treppengeländer des Haupttreppenhauses, das in der Fabrik von Eduard Puls in Berlin hergestellt wurde. Eine Liste mit den Namen weiterer Firmen - um 1950 von Dr. Herbert Ziegner, damals Justitiar der Kurhessischen Hausstiftung, zusammengestellt - befindet sich bei den Museumsakten.

 

Nutzung des Schlosses nach dem Zweiten Weltkrieg:

Im Jahre 1914 wurde das Schloß wieder Lazarett, dann wieder Residenz. Bis zum Jahr 1918 nutzten hessische Adelsfamilien Philippsruhe als Wohnsitz. Als letzter Bewohner des Schlosses residierte hier bis 1918 der blinde Landgraf Friedrich Alexander. Danach blieb das Schloß lange Jahre unbewohnt. Es blieb aber komplett eingerichtet bis zum Jahre 1943. Als man aber dann aufgrund des sich laufend verschärfenden Luftkrieges berechtigte Sorge trug, daß das am Westrand der Industriestadt Hanau gelegene Schloß in besonderer Weise gefährdet sei, wurde das gesamte mobile Kunstgut von hier nach Schloß Fasanerie (Adolphseck bei Fulda) gebracht, wobei es sich freilich ergab, daß dort Bombenschäden entstanden sind, von denen Philippsruhe erfreulicherweise verschont geblieben ist.

Nach dem Krieg wurde Philippsruhe zunächst von den Amerikanern in Anspruch genommen, die es aber bereits im Juni 1945 bis 1964 der Stadt Hanau als Ersatz-Rathaus überließen. Die Stadt brachte dort die Verwaltung unter und richtete Notwohnungen ein. Im Jahre 1950 erwarb es die Stadt Hanau mit einem Gesamtflächeninhalt von 11,96 Hektar von der Witwe des Landgrafen Alexander Friedrich von Hessen, Gisela von Hessen, und führte es nach dem Auszug der Stadtverwaltung Zug um Zug kultureller Verwendung zu.

Nach dem Auszug der Stadtverwaltung im Jahre 1964 wurde hier das Historische Museum eingerichtet. Seit dem Jahr 1967 residiert dort das Historische Museum mit Exponaten, die die kulturelle. wirtschaftliche und soziale Geschichte der Stadt dokumentieren. Die Basis der ständigen Ausstellungen lieferten die Sammlungen des Hanauer Geschichtsvereins. Die einzige Auflage, die 1967 von dem Museum berücksichtigt werden mußte, war die Forderung des Magistrates, bei der Gestaltung des ehemaligen Festsaales und des vormaligen Musikzimmers so zu verfahren, daß diese Räume ohne großen Umräumungsaufwand auch weiterhin für Repräsentationszwecke zu verwenden sind.

 

Brand 1984:

Bereits im Sommer 1982 brannte es in Schloß Philippsruhe. In einem Nebenraum hatte sich ein heiß gelaufener Staubsauger entzündet, für heftigen Qualm, aber nur geringen Schaden gesorgt. Böse Zungen spotteten damals, es sei ja kein Wunder, heiße doch der Kulturamtsleiter und Chef des Historischen Museums Rauch, der Leiter der städtischen Liegenschaftsverwaltung Gluth und der Hausmeister Brandt. Zwei Jahre später war den Spöttern das Lachen vergangen: Am 7. August 1984 brannte Schloß Philippsruhe lichterloh.

Gegen 14 Uhr verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Über dem Kesselstädter Mainufer stand bald eine gewaltige Rauchwolke, die bis nach Kahl und Frankfurt von der Hanauer Katastrophe kündete. Feuerwehren aus allen Nachbarorten eilten herbei, selbst die Frankfurter Berufsfeuerwehr wurde schließlich alarmiert.

Was da brannte, war nämlich nicht nur der Ort Hanauer Identifikation schlechthin, es war auch der Ort der Hanauer Kultur. Im Historischen Museum waren die Schätze der örtlichen Kunst- und Stadtgeschichte untergebracht, größtenteils aus der Sammlung des Hanauer Geschichtsvereins, der mit der Stadt gemeinsam das Haus bis heute trägt. Und soeben hatte Museumleiter Dr. Anton Merk damit begonnen, im renovierten Dachgeschoß die Museumsabteilung „Hanau im 19. Jahrhundert“ auszubauen.

War es anfangs noch eher verhaltener Qualm, der aus dem Dach quoll, so schlug am späten Nachmittag aus dem Dachstuhl beiderseits des Turmes gleich an mehreren Stellen das Feuer aus der Dachhaut. Kurz darauf stand der Turm wie eine Fackel in Flammen. Gegen 17 Uhr krachte dann mit Getöse die Turmuhr aus der brennenden Dachkonstruktion in die Tiefe. Massiver Einsatz von Wasser aus mehreren Rohren sorgte am frühen Abend dafür, daß die Flammen gelöscht waren. Aber noch am nächsten Morgen drang Qualm aus dem, was einst Hanaus Vorzeigestück war.

Eine erste Bilanz ließ Schreckliches ahnen: Die gesamte Dachkonstruktion war ausgebrannt, die darunterliegenden Geschosse durch Löschwasser und Hitzeeinwirkung arg in Mitleidenschaft gezogen, Museumsgut in den Depoträumen in unbekanntem Ausmaß verbrannt. Der Großteil der Exponate konnte aber gerettet werden, nicht zuletzt durch den beherzten Einsatz von Einheiten der Hessischen Bereitschaftspolizei aus der Cranachstraße und auch der amerikanischen Militärpolizei: Als schon das Löschwasser durch die Decke des Obergeschosses „regnete“ bargen diese Männer die Gemälde und Fayencen der Ausstellungssammlung in den fürstlichen Prunkräumen, aber auch die kostbaren Türen und Mobiliar.

Wie aber konnte es zu einem Brand solchen Ausmaßes überhaupt kommen? Es war wie so oft eine Kleinigkeit mit großer Wirkung. Man muß dazu wissen, daß Philippsruhe seit den späten vierziger Jahren nicht nur die Stadtverwaltung beherbergte, sondern daß angesichts des eklatanten Wohnungsmangels in der völlig kriegszerstörten Innenstadt zahlreiche „Ausgebombte“ im Schloß behelfsmäßig untergebracht wurden. Die Wohnungen waren klein, einfach, aber billig und manche noch bis in die achtziger Jahre hinein belegt. Der Museumsverwaltung war dies ein Dorn im Auge, denn man heizte mit Kohle und Öl, im Schloß waren Mengen von Feuerstellen und überall wurde Brennstoff gelagert.

Vor allem aber: Auch wenn das Schloß nach außen viel hermacht, so ist es kein massiver Steinbau, sondern Fachwerk, verputzt und mit aufgemalten Architekturdetails. Nur wenige Gesimse, Fensterrahmen und Balkone sind tatsächlich aus Sandstein.

Man zögerte, die Wohnungen aufzulösen, denn dort lebten auch viele alte Menschen. Es gab aber auch Kinder. Und just einige davon brachten dann die Katastrophe ins Rollen. Neugierige Buben aus einer Wohnung unter dem Dach hatten aus den Briefkästen immer wieder Sendungen geklaut und geöffnet. Um Spuren zu beseitigen, verbrannten sie die Umschläge und warfen die noch glimmenden Reste in die Dachrinne. So auch am 7. August 1984, einem heißen Tag ohne Regen, wie schon viele Tage vorher.

Eine Brise entfachte die glimmenden Papierreste, und dieses Flämmchen fand unser dem Dachüberhang Nahrung im trockenen, über 100 Jahre alten Holz des Dachstuhls. So fraß sich ein Schwelbrand, unbemerkt, von außen den Dachstuhl auf der Mainseite des Schlosses hinauf in das unübersehbare Gewirr von Trag-, Stütz- und Ständerbalken, von Brettern und Bohlen. Ohne Brandabschnitte und kaum richtig begehbar war dies auch ohne Feuer ein Alptraum für jeden Brandschützer.

Daß das Dach über nahezu das gesamte Gebäude durchgängig war, sollte denn auch fatale Folgen haben: Vom Brand sah man nämlich zunächst nichts. Doch unter der Dachhaut herrschten bereits gewaltige Temperaturen, die eine Brandbekämpfung von innen nahezu unmöglich machten. Um die 1000 Grad entwickeln solche Schwelbrände durchaus, ehe sich das Feuer explosionsartig seinen Weg durch die Dachhaut sucht. So kroch der Schwelbrand zunächst noch ohne offenes Feuer über das gesamte Dach des Zentralgebäudes, ehe er urplötzlich an mehreren Stellen aus dem Dach schlug.

Von diesem Zeitpunkt an konnte es nur noch darum gehen, so viel wie möglich aus dem Gebäude zu retten, denn es war nicht auszuschließen, daß sich das Feuer im Fachwerk des Hauses nach unten fraß. Das ganze Schloß war in Gefahr

Wer am nächsten Morgen das Schloß betrat, der brauchte einen Regenschirm. Aus den Decken tropfte das Löschwasser wie bei einem Sommerregen. Und wie die Erfahrung lehrt, so ist der Wasserschaden oft schlimmer als der Brand. Das Technische Hilfswerk rückte an und sicherte die mit Wasser vollgesogenen Decken durch Stempel. Die Tapeten begannen sich allenthalben zu lösen, Deckengemälde und Stuckornamente glänzten feucht. Das Parkett in den Sälen im ersten Stock begann sich vom Boden zu lösen und aufzuwölben. Es war ein Bild des Jammers. Was war aus Hanaus guter Stubb geworden?

Museumsleiter Dr. Merk eilte vom Krankenbett an die Brandstelle. Schon 1982 hatte er gesagt, es bereite ihm schlaflose Nächte, wenn er an einen Brand im Schloß denke: „Wenn es hier einmal richtig brennt, dann ist es aus mit der Hanauer Kultur!“ waren seine Worte. Seinen Stellvertreter, Richard Schaffer-Hartmann, erreichte die Hiobsbotschaft im Urlaub in Spanien. Vor Ort war Kulturamtsleiter Dr. Günter Rauch, zugleich Vorstandsmitglied im Hanauer Geschichtsverein. Er sieht heute noch das Löschwasser von den Wänden rinnen und hat den Brandgeruch in der Nase, wenn er an jene Tage denkt.

Daß man das Schloß wieder aufbauen werde. daran ließen der damalige Oberbürgermeister Helmut Kuhn und die Stadtverordneten keine Zweifel. Es wurden Spenden gesammelt, Spendenkarten gedruckt, Hanauer Rockmusiker spielten für den Wiederaufbau. der Hanauer Anzeiger produzierte eine Branddokumentation, die, vom damaligen HA-Chefredakteur Helmut Blome und Kulturamtsleiter Dr. Rauch in der Hammerstraße angeboten, reißenden Absatz fand.

Schon einige Tage nach dem Brand umgab das Schloß ein Gerüst, eine provisorische Dachkonstruktion überwölbte die Brandruine. Knapp zwei Jahre verschwand dann Hanaus gute Stubb hinter grünen Planen. Den Gebäudeschaden regulierte die Brandversicherung mit rund zwölf Millionen Mark, auch das Inventar war versichert.

Freilich konnte es für die zahlreichen verbrannten Werke Hanauer Malerei, vor allem des 19. Jahrhunderts, keinen Ersatz geben. Cornicelius oder Andorff gibt es ja nicht an jeder Ecke zu kaufen. Doch die ausbezahlte Versicherungssumme ermöglichte es über Jahre, die Sammlung durch Ankäufe zu bereichern.

Makabrer Nebeneffekt: Bald schon wurde klar, daß der Brand auch seine guten Seiten hatte. Die Balkenköpfe im ersten Stock waren durchweg angefault, so daß die Museumsbesucher vielleicht eines Tages mitsamt der Decke ins Erdgeschoß gekracht wären. Die Haustechnik war überholt und stammte teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert. Auch die Heizung war ein großes Problem. Die Schäden am Stuck und an den Deckengemälden erwiesen sich überdies als restaurierbar, und so gingen Scharen von Handwerkern ans Werk, kurioserweise darunter Firmen, die schon beim Umbau Ende des 19. Jahrhunderts dort gearbeitet hatten wie die Malerfirma Geibel aus Kesselstadt.

Man begriff in Hanau den Schloßbrand also durchaus auch als Chance. Die Wohnungen im Schloß wurden aufgelöst - dies schuf Platz für das Museum, aber auch Sicherheit. Es gab keine Einzelöfen mehr, sondern Fernwärme, Brandabschnitte wurden eingerichtet, die neuen Brandmelder zeigen heute schon den Rauch einer verbotenen Zigarette an.

Als das Haus im Sommer 1987 wieder eröffnet wurde, strömten die Hanauer in Scharen in ihre gut Stubb. Man machte nicht viele Worte damals, man öffnete die Tore, und die Hanauer nahmen das Haus wieder in Besitz, mächtig stolz und trotzdem bescheiden. Angesichts des neuen Glanzes verblaßten die Bilder vom Brand rasch, ausgelöscht aus dem kollektiven Gedächtnis der Stadt werden sie jedoch nie.

So resümiert Dr. Günter Rauch nach 30 Jahren, der Schloßbrand habe bei aller Tragik etwas Gutes gehabt: Die Katastrophe habe eine einmalige Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst, seien es Firmen, andere Geschichtsvereine oder Institutionen wie die US-Armee gewesen. Und damit einhergegangen sei ein regelrechter „Identifikationsschub“, der bis heute nachwirke. Er sagt aber auch ganz nüchtern: „Hätte es an diesem Tag geregnet, es wäre gar nix passiert!“(nach Werner Kurz).

 

Nach dem Brand von 1984 wurde das Schloß gründlich renoviert und ist heute wieder Hanaus gute Stube, zu der sich die Hanauer aus ganzem Herzen bekennen. Kein Ort in dies Stadt, nicht einmal das malerische Deutsche Goldschmiedehaus, ist so sehr Ort Hanauer Identifikation.

 

Im prächtigen „Reihersaal“ des Schlosses Philippsruhe heiraten nicht nur die Hanauer. Auch viele Paare von außerhalb der Stadt wählen diesen Rahmen für ihre Trauung. Im Sommer veranstaltet die Stadt Hanau im Schloßpark die Brüder-Grimm-Märchenfestspiele. Die Philippsruher Schloßkonzerte im Weißen Saal sind für die Kenner klassischer Musik längst ein Markenzeichen.

Der Schloßpark war kein originärer Landschaftsgarten mehr, als die Stadt die Anlage 1950 übernahm. Mangelnde Pflege, später die Torturen durch das Bürgerfest, die Beseitigung von Kunstbauten wie dem See mit der Fontäne, eine Überalterung des Bewuchses, Lücken in den Alleen - der Schloßpark bot noch vor zwei Jahren ein jämmerliches Bild. Den Eindruck des Landschaftsgartens nach Vorbild versucht auch die jetzige Restaurierung nicht wieder herzustellen. Doch auf der Grundlage der historischen Substanz wird das Bild des Parks nach dem letzten großen „Umbau“ Ende des 19. Jahrhunderts doch sehr schön ins hier und heute transportiert. Was man bisher sehen kann, gibt durchaus Anlaß zu Optimismus. Die Landesgartenschau, so wird man eines Tages resümieren können, hat Hanau ein Stück historischer Gartenkultur zurückgegeben.

 

Restaurierungen:

Badezimmer 1984:

Beim Brand wurde hinter dem Museumsshop ein komplett ausgestatteter Raum entdeckt. Wenige Meter jenseits der Besucherströme schlummert seit Jahrzehnten im Schloß Philippsruhe ein wahres innenarchitektonisches Kleinod seinen Dornröschenschlaf. Das Bad, vermutlich für Gäste gebaut hat eine bodenebene Wanne, die üppig mit anthrazitfarbenem Marmor umrandet ist und zu der zwei Treppen mit je zwei Stufen führen. Das etwas kurze Becken ist mit weißen, schlichten Kacheln ausgekleidet. Ob die Wanne noch dicht ist, wurde nach der Wiederentdeckung allerdings nicht ausprobiert.

Dennoch, alles ist unversehrt, selbst die Armaturen und das Duschgestänge samt Brausekopf sind zumindest optisch in einem schönen Zustand. Lediglich das Wasserthermometer über dem Wannen-Brause-Hebel mit seinem schweren Porzellangriff hat irgendwann einen Knacks wegbekommen. Ein wenig einfach gegenüber so viel Noblesse nimmt sich der Fußboden aus, der weiß/rot gefliest ist und eher an eine betagte Badeanstalt erinnert.

Im Gegensatz zu dem Badezimmer mit der so genannten eisernen Füßchenwanne, das derzeit zum Ausstellungsbereich des Museums gehört, ist das zeitweilig verschollene Bad neueren Datums. Offensichtlich ließ es der damalige Besitzer, Friedrich-Wilhelm von Hessen, im Zuge des Ausbaus von Philippsruhe (1875 bis 1880) erstellen. Das Zimmer zur Körperentspannung und -reinigung soll ganz dem Zeitgeschmack des Historismus entsprochen haben. Viel Ausstattung hatte der Raum, der von zwei Türen her zugänglich ist, vermutlich nicht; noch erhalten ist ein großvolumiger Wandschrank, der möglicherweise mit akkurat gestapelten Tüchern und Badeessenzen bestückt war.

Das Bad wurde mit fließendem Wasser gespeist und muß wohl auch an die Zentralheizung angeschlossen gewesen sein, denn beide technische Neuerungen in jenen Tagen ließ nachweislich der Fürst einbauen. Vermutlich verschwand die Badewanne kurz nach dem zweiten Weltkrieg, als das Schloß in der vorherrschenden Raumnot zuerst zum Domizil der Alliierten und später der Stadtverwaltung sowie vieler Vereine und Organisationen wurde.

Das genaue Jahr ist nicht bekannt, aber in dieser Zeit wurde über Becken und Fliesen ein Holzboden verlegt, um das Zimmer allgemein nutzbar zu machen. Bis zu dem Brand hatte für zehn Jahre ein Silberschmied sein Atelier in diesem Raum. 16 Jahre nach dem Feuer war das Bad, das im Gebäudeflügel hinter der Kassentheke liegt, Abstellkammer und Durchgangszimmer zwischen Hausmeisterbüro und anderen nichtöffentlichen Räumen. Mit dem jüngsten Plan, einen Museumsshop im jetzigen Hausmeisterzimmer einzurichten, wird das fast römisch anmutende Badezimmer bald ein Blickpunkt im Schloß werden.

Brunnen 2002:

Nach einer mehrwöchigen Sanierung wurde der Fontänenbrunnen vor Schloß Philippsruhe im März 2002 mit schwerem Krangerät wieder zusammengesetzt. Der Aufbau des Wasserspiels soll ein Gesamtgewicht von knapp 20 Tonnen haben, wobei allein die im Durchmesser vier Meter große Sandsteinschale rund sechs Tonnen auf die Waage bringt. Über die Geschichte des Brunnens, der vermutlich mit der Schlosserweiterung gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstand, gibt es offenbar nicht viel zu sagen, außer daß er in den vergangenen Jahrzehnten mehr als einmal undicht war. Das Becken mit seiner Blütenform wurde komplett aus wasserdichtem Beton neu gegossen. Neu ist zudem die Filter- und Pumpentechnik, die einen maximal 1,5 Meter hohen Wasserstrahl erzeugt. Die neue Anlage wälzt die rund 48 Kubikmeter Wasser im Brunnen zweieinhalb Mal in der Stunde um. Die Sandsteinplatten für die Beckenkrone und die Schalen aus gleichem Material wurden nur vom Kalk in befreit und gereinigt, so daß sie sich jetzt wieder in dem typischen Rosa-Ton zeigen.

 

Nordflügel und Turm 2014:

Schon bei der Sanierung des Marstalls wurde Hausschwamm entdeckt. Da ist man natürlich hellhörig geworden. So mußte am Nordflügel des Schlosses das komplette Dach gemacht werden, und zwar noch viel substantieller als ursprünglich angenommen. Der Hausschwamm hat sich eingenistet und macht den alten Balken ganz schön zu schaffen. Ein Betrieb aus Thüringen, die Firma Bennert, die sich der sich auf denkmalpflegerische Sanierungen spezialisiert hat, legte das Mansardengeschoß samt Dach und Turm Stück für Stück offen. Sie bestätigte dabei einen Befall mit Hausschwamm und Braunfäule.

Aus den ursprünglich veranschlagten sechs Monaten für die Sanierung werden jetzt wahrscheinlich knapp zehn, auch die Kosten sind explodiert. „Wir hatten 750.000 Euro budgetiert und rechnen jetzt mit rund 1,4 Millionen Euro. Mit einer kompletten Fertigstellung des Turmbereichs rechnete man bis Ende Juni. Die 300 Jahren alten Balken machen zwar auf den ersten Blick gar keinen geschwächten Eindruck, sind aber in Ermangelung statischer Berechnung häufig auch größer als sie eigentlich sein müßten - ergo haben sie auch der Belastung durch Hausschwamm und Fäule standgehalten. Dort, wo es geht, wird Altholz aus anderen historischen Gebäuden verwendet. Auch bei Bearbeitung und Einbau gilt: Alte Techniken wie beispielsweise Verzapfungen voran!

Man habe sich auch die Elemente, die beispielsweise an den Gauben angebracht sind, ganz genau angesehen und festgestellt, daß hier Hof- und Parkseite unterschiedlich gestaltet wurden. Das werde bei der Rekonstruktion genau beachtet. Überhaupt, die Gauben: Ursprünglich habe man von den 22 Gauben die Hälfte retten wollen, erzählt Susanne Sittinger, doch habe sich herausgestellt. daß nur drei der historischen Umrahmungen erhalten werden konnten. Diese bekamen eine spezielle Behandlung zur Farb- und Lasurablösung, deren Verfahren Uwe Zimmermann hütet wie einen Schatz.

 

Mittlerer Turm 2014:

Im Dezember ging es an die die Sanierung des zweiten Turms. Wie schon beim Nordflügel sollte möglichst viel von der alten Substanz erhalten bleiben. Deutlich wird der Pilzbefall insbesondere bei den Gauben. Von dem Dutzend am Turm hoffte man wenigstens drei erhalten zu können. Die Hoffnung machte der Experte nach der Demontage schnell zunichte, höchstens zwei waren zu erhalten. Am Nordflügel konnten damals auch lediglich zwei von 24 Gauben erhalten bleiben. Das härtet wohl ab. An einigen Stellen mußte die Firma nur wenige Zentimeter vom Balken ersetzen, an anderer Stelle ganze Pfeiler austauschen. Im ersten Quartal 2015 sollten die Arbeiten beendet sein. Dann sollte der Innenausbau starten, die Gastronomie sollte noch im kommenden Jahr an den Start gehen. Für die Turmsanierung war eine halbe Million Euro kalkuliert, die Kosten lagen aber am Ende bei 1,2 Millionen Euro. Im November sollten die Sanierungen abgeschlossen sein.

 

Außerdem wurde die Schloßstube im Turm restauriert sowie die darüber befindlichen Räumlichkeiten im ersten und zweiten Stock. Im Zuge der routinemäßigen Vorabprüfungen (die bei Bauvorhaben in historischen Gebäuden vorgeschrieben sind) fiel ein wichtiges Detail auf: Der vorgesehene Toilettenbereich wurde als Standort von Wandmalereien, von denen historische Bilder ungeklärten Datums existieren, ausgemacht. Dies wurde durch die Freilegung eines kleinen Teils der Malereien bestätigt. Die Holzdecke ist an zarten Metall-Aufhängungen befestigt. Auf ihr ist Putz aufgetragen, darauf befindet sich filigranste Malerei.

Welche Funktion der schmale Raum ursprünglich hatte, ist nicht bekannt. In zeitgenössischen Darstellungen wird er lediglich als „Galerieraum“ bezeichnet. Der vorherige Gastronomiepächter nutzte den Raum bereits für Toiletten, ein Teil der bemalten Wand fiel der Anbringung von Fliesen zum Opfer. Man kann den damaligen Verantwortlichen aber keinen Vorwurf machen. Die Wände waren mehrmals übertüncht worden und deshalb wußte man nicht, daß die Malereien darunterliegen.

Man ging davon aus, daß insgesamt rund 30 Quadratmeter bemalte Wand unter den Farbschichten verborgen liegen. Es handelt sich hierbei um neo-pompejanische Wandmalerei aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese dem Stil des antiken Pompejis nachempfundene Malerei sei in dieser Zeit sehr beliebt bei der Verzierung von Wänden in Schlössern gewesen. Eine Kunsthistorikerin, die die Malereien untersuchte, kannte nach eigenen Angaben nur zwei Beispiele für neo-pompejanische Wandmalerei, die in einer solch hohen Qualität erhalten seien - in der Fasanerie in Fulda und im Schloß Ludwigshöhe im pfälzischen Edenkoben. Der Restaurator meinte aber, die Malereinen in Hanau seien noch bedeutender.

Nun finden die für die Gastronomie benötigten Sanitäranlagen im Raum dahinter ihren Platz. Aber auch in diesem Raum ist man auf eine schöne Überraschung gestoßen: Unter der abgehängten Decke verbarg sich eine wunderbare Stuckdecke. Damit diese auch in Zukunft ihre volle Wirkung entfalten kann, hat man sich für einen modernen Toiletten-Kubus innerhalb des Raums entschieden: Die Box auf halber Raumhöhe läßt den freien Blick auf die Decke zu.

Die Galerie, die das Hauptgebäude mit dem weißen Saal verbindet und mit landschaftlichen Motiven gewissermaßen eine Vorwegnahme des Gartens darstellt, soll je nach Bedarf, für Museum und Gastronomie gleichermaßen nutzbar gemacht werden. Die Sanierungskosten für Galerie und Toiletten belaufen sich auf 470.000 Euro.

Man erwartete weitere Fördermittel, denn neben den Wandmalereien ging es hierbei vor allem um die Erneuerung des beschädigten Holzes im Südflügel. Die Schäden waren zwar aufgrund der Südlage nicht so groß wie im Nordflügel, dennoch bestand akuter Handlungsbedarf. Im Weißen Saal, der als Veranstaltungsraum dienen soll, wurden bereits Risse entdeckt, die möglicherweise eine Folge maroder Holzsubstanz an der Decke sein könnten.

Gastronom Thorsten Bamberger, der bislang lediglich die Schloßterrasse bewirtschaften konnte wird künftig zudem die Gasträume im angrenzenden Turm sowie den vom Main her zugänglichen Gewölbekeller gastronomisch nutzbar machen. Im Hinblick darauf wurde der Sockel der Außentreppe von der Schloßterrasse hinunter zu den Main-Auen verbreitert. Von der Seite her wird sie mit einer Basaltverblendung versehen. Gesamtkosten: 70.000 Euro.

In den Turm wurde ein Aufzug eingebaut. Hintergrund: Das Schloß verfügt zwar über zahlreiche repräsentative Räume, allerdings nur über wenige Nebenräume, die als Lager genutzt werden könnten. Folglich wird dieses - genauso wie die Küche - im Keller etabliert. Der Aufzug führt bis ins erste Obergeschoß. Der Blick auf den Main von hier oben ist zu herrlich, als daß er nur - wie vom Vorpächter gehandhabt - als reiner Personalraum genutzt werden sollte. Geplant ist zunächst eine Nutzung als Seminarraum, später ist gehobene Gastronomie angedacht.

 

Zugang zum Schloß:

Eingangstor:

Den Schloßhof betritt man durch das prachtvolle vergoldete Eisentor. Ihm der Zahn der Zeit so arg zugesetzt, daß höchste Eisenbahn angesagt war. Materialfehler, der dicht daran vorbeifließende Verkehr und die Luftverschmutzung hatten das 18 Tonnen schwere, eiserne Kunstwerk stark beschädigt. Fast zwei Jahre zogen ins Land, ehe die Reparaturarbeiten der Firma Mützel in Würzburg- Randersacker beendet waren und das gute Stück in neuem Glanz an seinen alten Platz zurückkehrte.

Im September 1996 gab das Stadtparlament grünes Licht für die längst fällige 600.000 Mark teure Restaurierung 150.000 Mark gab die Landesdenkmalpflege hinzu, den Rest brachten Stadt und Bürger auf. Im November 1996 begannen die Arbeiten, im Februar 1998 wurde das Tor wieder montiert.

Umso unglücklicher waren Hanauer, als die neuvergoldeten Kronen geklaut wurden. Hier zeigte sich ein weiteres Mal der Hanauer Bürgersinn: Das Ehepaar Gerlind und Eckhart Fischer-Defoy sprang mit einer großzügigen Spende ein, die sie just an dem Tag übergab, als die gestohlenen Exemplare wieder auftauchten. Die Spende wurde dennoch nicht wieder zurückgezogen, sondern ebenfalls der Restaurierung beigesteuert.

Wie stolz die Hanauer noch heute auf den großzügigen Prachtbau am dem Kesselstädter Mainufer sind, belegen ihre Spenden. Die vergoldeten Kupfermünzen zum Preis von zehn Mark, die sieben Serviceclubs unter Federführung des „Zonta Clubs“ verkauften, gingen weg wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. So kamen laut „Goldpfennig-Initiatorin“ Irmhild Richter jene 45.000 Mark zusammen, die in die Vergoldung flossen und ein historisch sichtbares Zeichen setzen, wie sich die Bürger mit dem Schloßtor als Wahrzeichen der Hanauer Stadtgeschichte identifizieren. Der aufpolierten Visitenkarte von Philippsruhe folgt bis zur Hessischen Landesgartenschau 2002 die Sanierung der Anlage, am 9. August 2001 wird die 300. Wiederkehr der Grundsteinlegung gefeiert.

 

Kettenplatz:

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ließ Erbprinz Wilhelm von Hessen-Kassel die Festungsanlagen zwischen der Alt- und Neustadt Hanau niederreißen. Es entstand ein Paradeplatz und daneben eine mit Lindenbäumen bepflanzte Esplanade zum Promenieren. Um die neugeschaffenen Areale ließ er u.a. das Stadttheater, das Zeughaus und den Kollegienbau (später Infanteriekaserne, heute Finanzamt) errichten. Im Jahre 1825 verband die Stadtregierung „Parad´“ und „Esplanad´“ zu einem großen Paradeplatz. Die Linden wurden gefällt, Absperrungen abgebaut. Alle Poller und Zierketten fanden eine neue Verwendung – zum Beispiel vor dem Schloss Philippsruhe. Sie stehen dort noch heute als Einfriedung der Grünstreifen vor dem Remisengebäude (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 169).

 

Löwen:

Der Entwurf stammt von Christian Daniel Rauch (1777-1857), einem Schüler von Johann Gottfried Schadow. Rauch hatte 1824 den wachenden Löwen modelliert, der schlafende folgte 1828. Die Hanauer Nachgüsse aus der Werkstatt von Theodor Erdmann Kalide in Potsdam wurden im Rahmen der Neugestaltung von Schloss Philippsruhe 1885 vor dem Schloß aufgestellt (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 28).

 

Eingangsbereich:

Im Eingangsbereich des Museums kann man neben den Eintrittskarten Bücher, Postkarten, Papiertheaterbögen, Bierkrüge, Anstecknadeln, Uhren etc. erwerben.

Für das leibliche Wohl der Besucher bietet das Museumscafé den geeigneten Rahmen. Aufgrund des exklusiven Ambientes wurde es zu einem beliebten Treffpunkt in Hanau. Darüber hinaus eignet sich das Museumscafé besonders für kleinere Empfänge und Feiern. In der warmen Jahreszeit kann man vom Balkon des Museumscafés einen Blick auf die Philippsruher Allee und die Kesselstadt umgebende Mainlandschaft werfen.

 

Museum:

Mitträger des Museums ist der Hanauer Geschichtsverein 1844 e.V., in dessen Besitz ein wesentlicher Teil der Exponate ist und der im 19. Jahrhundert und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die Hanauer Museumstradition allein verkörperte. Träger des Papiertheatermuseums ist in Zusammenarbeit mit dem Museum Hanau der Verein „Hanauer Papiertheatermuseum“.

Das Museum präsentiert Kunst, Kunsthandwerk, historische Dokumente und Exponate aus vier Jahrhunderten. In Filzpantoffeln schlurft der Besucher über die wertvollen Parkettböden durch die prachtvollen Räume mit ihren getäfelten Wänden, dem Golddekor, den bemalten Decken und reichen Stukkaturen.

Das Museum im Schloß Philippsruhe, Philippsruher Allee, ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Führungen nach Vereinbarung (Telefon 06181/ 20209).

In der Galerie des Schlosses finden ständig Wechselausstellungen statt. Die im Weißen Saal stattfindenden Philippsruher Schloßkonzerte sind für die Kenner klassischer Musik zu einem Markenzeichen geworden.

 

Unter der Adresse „www.museen-hanau.de“ präsentierten, die Hanauer Museen seit mehr als zwei Jahren ihre Sammlungsbestände und alle wichtigen Ausstellungen im Internet. Mit den virtuellen Galerien im Internet haben die Museen Hanau als eine der ersten in Deutschland ein neues Programmangebot für Museumsinteressenten entwickelt, das die Vorzüge der modernen Informationstechnologien für innovative Formen der Erschließung und Präsentation der Sammlungen nutzt. Durch das Internet ist es möglich geworden, ganze Ausstellungsarchive und umfangreiche Bilddatenbanken von Museumsobjekten einfach, schnell und weltweit zu durchforschen. Die Museumsseiten im WWW bieten weit mehr als nur einfache Grundinformationen. Dem Betrachter eröffnen sich ganze Museumswelten. Er kann sich hunderte großformatige Bilder ansehen und stundenlang in verschiedenen virtuellen Galerien stöbern. Eine übersichtliche Benutzerführung erleichtert dabei die Orientierung in der Fülle des Angebots. Für die Entdeckungstour durch das Internet-Museum Hanau werden keine speziellen Computerkenntnisse benötigt. Die Benutzerführung ist einfach und klar strukturiert. Das zwanglose und spielerische Erkunden der Museumsbestände steht im Vordergrund. Bereits wenige Mausklicks machen mit der neuen Form des Museumsbesuches vertraut, so daß der „Besucher“ durch das umfangreiche Angebot virtueller Ausstellungen der Museen Hanau schlendern kann. Durchgehend geöffnet: Das virtuelle Museum jederzeit zugänglich und kostet keinen Eintritt. Schon heute besuchen täglich mehrere hundert Interessenten die Internetseiten der Museen Hanau. Eine interessante Ausstellung verpaßt? Bei den Museen Hanau ist das kein Problem. Im Internet können unter www.museen-hanau.de auch abgebaute Ausstellungen besichtigt werden.

 

Im Erdgeschoß (hier wird besonders die Stadtgeschichte dargestellt).

1. Sammlung moderner Kunst mit regionalem Bezug, in deren Mittelpunkt der Maler Reinhold Ewald steht.

2. Die Entwicklung des Kunsthandwerks zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Künstlern wie Adolf Amberg, August Offterdinger und Wilhelm Wagenfeld.

3. Geschichte Hanaus im 20. Jahrhundert mit den Themen Erster Weltkrieg, Revolution 1918/19, Weimarer Republik, Nationalsozialismus und auch Nachkriegszeit.

 

Im Obergeschoß:

Kunst und Kunsthandwerk des 17. und 18. Jahrhunderts: Eine Auswahl von Gemälden der Hanauer Maler Peter Binolt und Peter Soreau und des Frankfurter Malers Jakob Marrel, der Niederländer Abraham Bloemaert, Melchior Hondecoeter, Willem van Honthorst, Gaspar Verbrugghen, Jan Fyt, Jan Guss und Lukas Achtschelling bezeugen den bedeutenden Kunstbesitz, der im 17. und 18. Jahrhundert in Hanauer Familienbesitz vorhanden war.

Am Beginn des 18. Jahrhunderts stehen die Grafenporträts von Johann Henrich Appelius

(zum Beispiel „Johann Reinhard III. von Hanau-Lichtenberg“ von 1733, siehe Martin Hoppe, Objekt der Woche, #22) und von Johannes Appelius. Der Hanauer Anton Wilhelm Tischbein schuf eine Reihe Porträts der adeligen Herrscher Hanaus und vor allem bürgerlicher Standespersonen. Das Gemälde „Erbprinz Wilhelm IX. von Hessen-Kassel“ is, um 1770 / 1780 entstanden und, hängt im Roter Saal. Dort ist auch ein Bild seiner Frau Wilhelmine Karoline von Hessen-Kassel (1747-1820), von einem unbekannten Maler, entstanden um 1770, Ihr in Hanau geborener Sohn Wilhelm, eines von vier Kindern, regierte als Wilhelm II. von Hessen-Kassel 1821 bis 1847.  (vgl. Dieter Hoppe, Objekt der Woche, # 048 und # 012).

 

Daneben gelangen ihm auch Historienbilder im Geiste des eleganten Rokokos. Georg Karl Urlaub, der zweite Hanauer Maler des 18. Jahrhunderts, spezialisierte sich auf kleine Genreszenen aus dem bürgerlichen Milieu.

Die Kunst des 19. Jahrhunderts ist geprägt von Namen wie Friedrich Bury, Ludwig Emil Grimm, Conrad Westermayr, Friedrich Deiker, Theodor Pelissier, Peter Krafft und Friedrich L’Allemand. Henriette Westermayr, Catharina Luja und Moritz Daniel Oppenheim sind eigene Kabinette gewidmet.

Die bekanntesten kunsthandwerklichen Produkte Hanaus aus dieser Zeit sind die in der von 1661 bis 1806 bestehenden Manufaktur geschaffenen Hanauer Fayencen - ein Inbegriff der deutschen Fayencekultur. Hanauer Eisenkunstguß der Gründerzeit ist zu sehen.

 

Die für Hanau wichtige Edelmetallindustrie wird mit einer industriellen Silberschmiedewerkstatt dokumentiert. Die Sammlungen Hanauer Silber enthalten auch das herausragende Werk der Hanauer Silberschmiedekunst, den Hanauer Ratspokal, der zwischen 1621 und 1625 von dem aus Nürnberg stammenden Silberschmied Hans Rappolt d. J. geschaffen wurde.

 

Eine komplette Apothekeneinrichtung, weitgehend aus der Hanauer Schwanenapotheke, umrahmt das einzigartige Werbebild zum himmlischen Theriak des Hanauer Apothekers Hoffstadt. Daneben ist die Wirtschaftsgeschichte durch Zunftaltertümer und Exponate zur Textil- und zur Tabakindustrie präsentiert.

 

Hanauer Papiertheatermuseum Als eigenständiges Museum im Museum befindet sich im linken Obergeschoß das Hanauer Papiertheatermuseum. Zahlreiche Verlage des 19. Jahrhunderts lieferten Bögen mit Proszenium, Dekoration, Kulissen und Figuren zum Ausschneiden, Aufleimen und Aufstellen. Neben über zwanzig kompletten Papiertheatern und Figuren bietet das Hanauer Papiertheatermuseum eine ganzjährig bespielte Papiertheaterbühne, die sich bei jung und alt großer Beliebtheit erfreut und die in dieser Form einmalig in Deutschland ist.

 

Der rechte Flügel des Obergeschosses ist der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gewidmet. Drei Schwerpunkte zeichnen diese Zeit aus:

1. Die Revolutionen von 1830 und 1848/49. Die Zeit des Vormärz und der Revolution belegt die aktive Rolle, die die Hanauer in dieser demokratischen Bewegung spielten. Nicht nur die Produkte der Industrialisierung sind Themen der musealen Präsentation, sondern auch die Entwicklung der Hanauer Arbeiterbewegung, der Industrialisierung und die Arbeitswelt der Frauen.

2. Die Brüder Grimm, die in Hanau geboren sind: Die Darstellung der Brüder Grimm als größte Söhne der Stadt ist besonders hervorgehoben, wobei die wissenschaftliche Arbeit der Brüder, die politische Tätigkeit und die Märchen besonders hervorgehoben werden.

Die Kunst des Biedermeiers, die Kunst der Gründerzeit mit Werken von Friedrich Karl Hausmann und Georg Cornicelius, zum Beispiel das Ölgemälde auf Leinwand „Luther, die Thesen anschlagend“ (173 x 158 Zentimeter) aus dem Jahr 1852 (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 58).

3. Moritz Daniel Oppenheim (1800-1882): Er ist der erste jüdische Maler mit Weltgeltung.

Er wurde am 12. Januar 1800 als Sohn eines jüdischen Handelsmannes in Hanau geboren. Seine Kindheit verbrachte er in der Abgeschlossenheit des Hanauer Judenviertels, wo er die Schule besuchte. Als während der französischen Zeit das Ghetto aufgehoben wurde, konnte er das Gymnasium in Hanau besuchen. Nach dem Besuch der Hohen Landesschule studierte er an der Zeichenakademie.

Seine erste künstlerische Unterweisung erhielt er an der Hanauer Zeichenakademie unter Conrad Westermayr, der sein Talent erkannte und Oppenheim sehr förderte. Eine weitere Ausbildung absolvierte er an der Münchner Kunstakademie und bei Jean Baptiste Regnault in Paris. Wie viele deutsche Künstler arbeitete Moritz Oppenheim auch - von 1821 bis 1825 - in Italien.

In den bedeutenden Museen weltweit sind seine Werke präsentiert – so auch im Schloss Philippsruhe. Die Hanauer Sammlung geht auf eine Schenkung von Rechtsanwalt Ludwig Rosenthal (1896-1988) zurück, der 1939 im sogenannten „Dritten Reich“ nach Guatemala auswandern konnte und nach dem Krieg mit der Übergabe von Werken Oppenheims an den Hanauer Geschichtsverein 1844 e.V. wesentlich zur christlich-jüdischen Versöhnung beigetragen hat.

 

„Die Betrachtung der Ringe“ von 1845 ist eines der bekanntesten Gemälde Oppenheims und im Historischen Museum Hanau Schloss Philippsruhe in der Abteilung „Moderne Zeiten“ zu sehen. Der Künstler bezieht sich darin auf die Ringparabel in „Nathan der Weise“ von Gotthold Ephraim Lessing. Das Ideendrama wurde 1783 in Berlin uraufgeführt. Oppenheim interpretiert die Betrachtung der Ringe frei, indem er einen protestantischen Pastor und katholischen Bischof auf den Ring des jeweils anderen schielen lässt. Der Rabbiner rechts ist in meditativer Versenkung auf sein eigenes Schmuckstück konzentriert. Eine andere Deutung: Die christlichen Religionen befassen sich miteinander, ohne die jüdische einzubeziehen (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 202)

 

„Das Bildnis der Adelheid Cleve“ von Moritz Daniel Oppenheim hängt auch im Schloß Philippsruhe. Es zeigt die erste Ehefrau des berühmten jüdischen Malers. Der Hanauer Kulturjournalist Werner Kurz entdeckte das Gemälde zufällig in einem Auktionshaus in Mutterstadt. Die Stadt Hanau griff zu und ersteigerte bei einer der nächsten Auktionen das Bildnis - für sage und schreibe 4.800 Mark! Das Bildnis der Adelheid ist mit 104 mal 84,5 Zentimetern nicht nur recht groß, sondern mit Blick auf den damaligen Stand der Emanzipation exorbitant. Anton Merk betont, daß der „Sandkastenliebe“ des Malers Oppenheim mit diesem Bildnis fast eine Vorreiterinnenrolle zukam, hatten die Frauen doch auch im traditionell-orthodoxen Judentum festgelegte Rollen, die sie nicht gerade nach außen drängen. Kurz gesagt: Männer hatten die Nase vorn und so entstanden selbstredend mehr Männerporträts.

Adelheid Cleve wurde 1800, im selben Jahr wie Moritz Daniel Oppenheim, in der Hanauer Judengasse geboren. ihr Vater, ein ehemaliger Juwelenhändler, starb früh. Ihr acht Jahre älterer Bruder Moritz Cleve gehörte als „Jäger zu Roß“ zu den jüdischen Freiwilligen in den Freiheitskriegen. Als Moritz Oppenheim plante, mit der „mir stets treu gebliebenen, guten frommen Adelheid Cleve“ den Bund fürs Leben einzugehen, gab es zunächst Widerstand von Adelheids Großmutter.

Es war für damalige Verhältnisse geradezu unfaßbar, als Künstler sein Geld zu verdienen. Auch die Behörden machten dem jungen Oppenheim Schwierigkeiten: Die Provinzialregierung des Kurfürstentums Hessen verlangte von ihm in der abhängigen Stellung eines Schutzjuden „zwecks Niederlassung und Eheschließung“ ein spezielles Gesuch und die Bereitschaft, entsprechende Abgaben zu zahlen. Nachdem die Akte 1828 vollständig war, heirateten die beiden am 18. August und bezogen eine Wohnung in der Hanauer Chaussee im benachbarten Frankfurt. Sie zeugten drei Kinder: Alexander (geboren im Jahr 1829), Simon Emil Moritz (1831) und Carl (1835). Knapp zwei Jahre nach der Geburt des Jüngsten starb Adelheid Oppenheim- Cleve am 11. Dezember 1836.

Von Adelheid Cleve waren bisher nur zwei Bildnisse bekannt. „Eines der schönsten jedoch, die sein Pinsel schuf, ein Werk voller Innerlichkeit, dem eine gewisse jüdische Sentimentalität nicht abgesprochen werden kann, voller Zartheit und Weichheit“ (Karl Schwarz: „Die Juden in der Kunst“, Berlin 1928) war die Huldigung an seine Kindheitsliebe, die mit ihm die Cheder (Schule) besucht hatte. Im Jahre 1828 schuf er ein Ehebildnis - es hängt im Jüdischen Museum Frankfurt - in dem er seine junge Frau und sich bereits als gutsituiertes Paar darstellt, allerdings noch in biedermeierlicher Zurückhaltung.

Die Neuerwerbung zeigt die damals 32jährige als eine zu Wohlstand gekommene Frau von durchaus jugendlicher Schönheit in einem repräsentativen Rahmen. Sie sitzt vor einem purpurnen Vorhang, in einem für den Sabbat üblichen weißen Seidenkleid und einem pelzverbrämten Umhang. Auf einem kleinen Tischchen neben ihr liegt ein Buch, Zeichen ihrer Bildung und Belesenheit. Dies war für jüdische Frauen in dieser Zeit keineswegs selbstverständlich. Adelheid war in idealisierter Form wohl das unmittelbare Schönheitsideal ihres Gatten, das er in vielen seiner Gemälde verwandte.

 

„Joseph und das Weib des Potiphar“ aus dem Jahr 1828 ist wohl das beste Beispiel für das Schönheitsideal Oppenheims. Man darf es kühn nennen, zeigt es doch eine nackte Schönheit, nur ein durchsichtiges Tuch um Hüfte und Bein gewunden, die sich begehrlich an Joseph schmiegt. Das Werk stammt aus dem ersten Ehejahr mit Oppenheim - und dieser verpaßte dem „Weib des Potiphar“ nicht nur das Antlitz seiner Adelheid, sondern auch dem Joseph die Züge seines Malerfreundes Friedrich Müller.

 

Roter Saal:

Im Oktober 2020 wurde aus einer Schweizer Privatsammlung beim Auktionshaus Bonhams in London eine seltene Hanauer Goldschmiedearbeit versteigert: Eine 9,5 Zentimeter messende goldene Zahnstocherbox, unterschiedlich farbig emailliert mit floralen Bordüren und der Meistermarke „LFT - Les Freres Toussaint“. Das sind die Brüder Charles und Pierre Etienne Toussaint von 1790, die 1772 die Hanauer Zeichenakademie gründeten,

Martin Hoppe, Fachbereichsleiter Kultur, entdeckte die Kostbarkeit und gewann Margret Dausien, Vorsitzende des Vereins Freunde und Förderer von Schloss Philippsruhe, erneut als strategische Partnerin beim Erwerb. Bei der im Internet übertragenen Versteigerung sauste der Hammer bei 2.800 Pfund zugunsten Hanaus nieder. Mit Zuschlägen, Steuern und Transportkosten wurden insgesamt 4.600 Euro fällig - im Vergleich zu erzielten Preisen für andere Golddosen ein sehr günstiger Preis. Verein und Stadt teilen sich die Anschaffungskosten. Der städtische Anteil kann aus dem Nachlass des Künstlerehepaares Marianne und Kurt Sauer getragen werden, der Ankäufe vor 1880 entstandener Kunstwerke als Auflage hat.

Die Gebrüder Toussaint, weit bekannte Hanauer Bijouteriefabrikanten und -händler in der Hanauer Neustadt, fertigten für das gehobene Bürgertum bis in den europäischen Hochadel. Johann Wolfgang von Goethe lobte das Atelier in seiner „Reise am Rhein, Main und Neckar“ an erster Stelle: „Die hiesigen Bijouterie-Fabriken sind ganz besonders merkwürdig, die Hanauer Arbeiten genießen eines sehr vortheilhaften Rufes, überall werden sie gesucht. Die jetzigen bedeutenden Chefs: Gebrüder Toussaint, Souchay und Colin et cetera. So lässt sich mit Wahrheit behaupten, dass Hanau Arbeiten liefert, die man weder in Paris noch in London zu fertigen weiß, ja die nicht selten jene des industriösen Genf übertreffen“ („merkwürdig = bemerkenswert). Dass die Toussaints auch edle Zahnstocherboxen herstellten, war den Hanauer Fachleuten bisher unbekannt. „

Charles und Pierre Etienne Toussaint, beide 1720/1726 in Berlin als Söhne eines Bäckerehepaares geboren, erhielten zwischen 1751 und 1755 die Freiheit in der Neustadt Hanau als selbstständige Goldarbeiter tätig zu werden. Charles wurde 1765 gar Vorsteher der Bijouteriegesellschaft, beide gründeten 1772 die Hanauer Zeichenakademie mit.

Pierre Etiennes Sohn Louis Otto Toussaint (1766-1825) führte die Firma weiter, war zudem Königlich preußischer Kriegs- und Domänenrat wie Oberst der Hanauer Bürgergarde. In der sogenannten „Franzosenzeit“ vertrat er von 1810 bis 1813 als Abgeordneter der Ständeversammlung des Großherzogtums Frankfurt das Departement Hanau und wurde 1813 auf Befehl Napoleons als Geisel für das Wohlverhalten des Großherzogtums nach Paris gebracht.

Die Zahnstocherbox ist im Roten Saal des Historischen Museums Schloss Philippsruhe in einer der Vitrinen mit drei anderen Exponaten der. Hanauer Galanteriewarenfabrikationen Fernau, Bury & Leonhard und Weishaupt ausgestellt, die in den Jahren 2018/2019 angekauft wurden (Martin Hoppe, Objekt der Woche # 27).

 

Im oberen Vestibül:

Sèvres-Vase mit Illumination aus der Zeit um 1880: Schloss Philippsruhe wurde 1875 bis 1880 im Stil des Historismus renoviert. Landgraf Friedrich Wilhelm von Hessen(-Rumpenheim) und seine Gemahlin Anna, eine geborene Prinzessin von Preußen, engagierten den dänischen Architekten Ferdinand Meldahl, der das Schloss u. a. um das prächtige Treppenhaus erweiterte und den charakteristischen Turm errichten ließ. Die monumentale Vase in royalblauem Kolorit mit vergoldeten Bronzehenkeln stammt aus der Produktion der seit 1756 im französischen Sèvres ansässigen Manufacture royale de porcelaine, zwischen Paris und Versailles gelegen. Den Vasenbauch schmücken zwei Genredarstellungen im Stil Francois Bouchers (1703-1770), die mit Eug. Poitevin (Eugène Le Poitevin, 1806-1870) signiert sind. Der vergoldete Bronzeaufsatz mit floralem Dekor war ursprünglich für Gaslicht gearbeitet, heute trägt er kugelförmige Glühbirnen (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 16).

 

In der einstigen Bibliothek im ersten Stock:

Silberbecher von Guilian III. van den Velden: Im Zuge der Gründung der Hanauer Neustadt durch wallonisch-niederländische Glaubensflüchtlinge 1597 begann Hanaus Aufstieg zur Gold- und Silberschmiedestadt. Bereits 1610 wurde eine Ordnung für eine Hanauer „Golt- und Silberschmidtegesellschaft“ vorgelegt. In einer Berufsstatistik werden drei Jahre später 24 Goldschmiede, 2 Silberschmiede, 6 Juweliere sowie je ein Gold- und Silberdrahtarbeiter aufgeführt. Van den Velden wurde 1664 Bürger der Neustadt Hanau und ist bis 1681 als Silberschmiedemeister und Handelsmann nachweisbar. Die Silberarbeit ist 10,8 Zentimeter hoch, wiegt 94 Gramm und ist mit reichen Blütenzweigen verziert, die sich bis an den vergoldeten Lippenrand ziehen. Im Boden ist die Hanauer Stadtmarke und Veldens Meisterzeichen eingeschlagen (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 8).

Die Deckengemälde zur hessisch-hanauischen Geschichte malte Friedrich Karl Hausmann, ab 1870 Direktor der Zeichenakademie

 

In der Beletage

Muranoglas-Leuchter im Boudoir bzw. „Salon“ der Landgräfin Anna. Der prächtige Lüster in drei Etagen hängt inmitten eines mit Streurosen verzierten Rokoko-Gitterwerks. Vier Puttenpaare strahlen aus den Eckkartuschen um die Wette und halten an einer Stelle ein „A“ für Anna.  Anna wurde 1836 als preußische Prinzessin in Berlin geboren, heiratete 1853 Friedrich Wilhelm von Hessen (1820-1884), den vorgesehenen Thronerben des Kurfürstentums Hessen-Kassel. Mit der Annexion Hessens an Preußen 1866 war die Regentschaft aber „futsch“. Den Verlust versuchte das Paar u.a. mit dem Umbau von Philippsruhe zu kompensieren. Im Jahre 1901 trat die Landgräfin spektakulär zum Katholizismus über, weswegen sie Kaiser Wilhelm II. feierlich aus der Familie warf (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 150).

 

Orchestrion:

In der Altenhaßlauer Werkstatt des Orgelbauers Andreas Schmidt gab nach jahrzehntelangem Stillstand ein über 130 Jahre altes „Walzen-Orchestrion“ aus dem Hanauer Schloß Philippsruhe wieder wohlklingende Töne von sich. Schmidt hat das Werk in langer Arbeit restauriert und wußte bis zum ersten Probelauf selbst nicht, welches Musikstück von der hölzernen Walze mit der Nummer 4 abgespielt wird. Es ist ein Potpourri von Walzermelodien, das die Orgelpfeifen vibrieren läßt. 

Die eher leichte Muse war nicht die erste Überraschung, die der antike Musikbox-Vorläufer den Experten bescherte. Deutlich größer als erwartet sei der Aufwand gewesen, das Instrument mit seiner Konstruktion wieder gang- und anhörbar zu machen. Frühere hohe Schwankungen der Luftfeuchtigkeit am Standort in der Bibliothek des Schlosses hatten zu einem starken Verzug des hölzernen Grundrahmens geführt. Das wiederum habe die Blockade von Wellen und Zahnrädern verursacht.

An den metallischen Teilen - manche aus geschmiedetem Eisen - hat Korrosion beträchtliche Schäden angerichtet. Im Antriebsräderwerk aus Messing war mancher Zahn ausgebrochen und erforderte die originalgetreue Nachfertigung. Zahlreiche Schrauben ließen sich nur noch ausbohren. Das Instrument wurde in sämtliche Einzelteile zerlegt. Alle 184 Pfeifen etwa waren neu abzudichten und zu richten. Von den Baßtönen funktionierte nicht einer. Aufgequollenes Holz war die Ursache, indem es die durchschlagenden Zungen - Metallplättchen, die durch ihre Schwingungen in einer Öffnung im Luftstrom Töne erzeugen - verklemmt hatte.

Der Versuchung, die Maschinerie durch erst heute mögliche technische Verbesserungen zu perfektionieren, wurde widerstanden. Das hätte dem Geist des historisch korrekten Restaurierens widersprochen, das die Erhaltung der Originalsubstanz im größtmöglichen Umfang verlangt. So war es eine knifflige Aufgabe, die Windversorgung, also das System aus Blasebälgen, Luftkammern, Ventilen und der komplizierten steuerbaren Luftverteilung, der Windlade, trotz fertigungs- und alterungsbedingter Unzulänglichkeiten so herzurichten, daß es wieder funktioniert und mit dem Antriebswerk harmoniert. „Jede ganze Windlade ist verzogen und verquollen. Aber ich konnte ja nicht einfach mit der Schleifmaschine drübergehen, sondern mußte mich mit den Gegebenheiten arrangieren“, sagte Schmidt.

Glücklicherweise ist das Herzstück des Orchestrions intakt: eine Walze, aus der zahllose winzige Messingstifte und -klammern hervorstehen. Diese betätigen im Laufe der Drehbewegung filigrane Hebel, die wiederum die Orgel spielen. Schmidt staunt immer noch, mit welcher Perfektion der hölzerne Zylinder gefertigt ist. Genauester Rundlauf ist gefordert, wenn die Hebel die Walze nicht verkratzen oder gar verklemmen sollen. Um Verzug zu verhindern, ist sie aus zahllosen Holzstückchen zusammengesetzt.

Die Walze - eine Art CD des 19. Jahrhunderts - benötigt eine Minute pro Umdrehung. Um den Hörgenuß zu verlängern, haben die Erbauer den Tonträger mit acht spiralförmig angeordneten Spuren versehen. Sie werden nacheinander ausgelesen, indem der Zylinder während der Drehung auch eine Seitwärtsbewegung vollführt. Zu dem Orchestrion soll ein Magazin mit weiteren 13 Walzen gehört haben. Doch diese sind laut Schmidt verschollen, seit das Instrument zum Schutz vor den Bomben im Kriegsjahr 1943 nach Fulda ausgelagert wurde.

Angetrieben werden Walze, Blasebälge und alle übrigen beweglichen Teile, indem man das Uhrwerk aufzieht, sprich: Mittels einer Handkurbel wird ein Seil auf eine Spindel gewickelt, an dessen Ende ein 96 Kilogramm schweres Gewicht hängt, das in die Höhe gezogen wird. Nach dem Lösen dieser Arretierung sinkt das Gewicht vier Meter abwärts und setzt über das Seil das Räderwerk in Bewegung.

Ausgetüftelt hat das Ganze ein Spieluhrmacher aus dem Schwarzwald, Michael Welte. Er gründete in Freiburg im Breisgau die Orchestrion-Fabrik Welte & Sohne, aus der auch das Philippsruher Kleinod stammt. Alte Aufzeichnungen und der Vergleich mit anderen Instrumenten lassen Schmidt vermuten, daß es zwischen 1873 und 1877 hergestellt und von dem Hanauer Instrumentengeschäft August Kraushaar ins Schloß geliefert wurde. Welte hatte später die Ehre, ein Orchestrion für die „Titanic“ zu bauen. Es blieb jedoch an Land, weil es nicht rechtzeitig zur Jungfernfahrt fertig geworden war. Heute steht es im Museum für mechanische Musikgeräte in Bruchsal.

Auch mit dem Philippsruher Instrument gab es Probleme. Häufige Reparaturen schon in den ersten Jahren, einmal sogar in der Freiburger Fabrik, sind vielleicht mit den besonderen Umständen des Aufstellungsortes zu erklären. Zum einen waren in den fraglichen Jahren umfangreiche Renovierungs- und Umbauarbeiten im Schloß im Gange, zum anderen wurde das Orchestrion nicht im Original-Gehäuse aufgestellt. Die Handwerker verfrachteten es in einen Eichenschrank, der es hinter figürlichen Reliefkassetten im Renaissance-Stil verbarg. Wenn demnächst Orgeltöne im Schloß erklingen, dann ist das renovierte Wunderwerk der Mechanik an seinen Platz zurückgekehrt.

 

Heute ragen in dem Museum folgende Ausstellungen heraus

1. In der 2021 neu eingerichteten Abteilung „Moderne Zeiten“ im Historischen Museum Hanau Schloss Philippsruhe, die den Zeitraum 1848 bis 1946 zum Thema hat, zum Beispiel das Inflationskleid: Ein Kleid aus Inflationsgeldscheinen um 1923, das sonst in der Abteilung „Moderne Zeiten“ im Historischen Museum Schloss Philippsruhe zu sehen ist.

Das „Inflationskleid“ besteht aus Papiergeld des Deutschen Reichs mit Werten von 5.000 bis einer Milliarde Mark (mit der Währungsstabilisierung im November 1923 entsprachen eine Billion Mark nur einer neu eingeführten Rentenmark). Es wurde einst von Maria Bauer geborene Peukert aus Großauheim als Faschingskleid getragen (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 162).

2. GrimmsMärchenWelt (zum Beispiel Aktentasche von Jacob Grimm, um 1810).

3. Neustadt-Abteilung“

 

Suchaufgaben: Wo sind…….

*  „Männlein mit den großen Ohren und dem Zeigefinger auf dem Mund“ aus dem 15. Jahrhundert Es stützte einst den gotischen Erker des Hauses Altstädter Markt / Ecke Metzgerstraße. Es mahnt, lieber erst zuzuhören, sich eine Meinung zu bilden und erst dann zu reden.

* Stückfassboden der Hanauer Küferlehrlinge von 1740. mit Wappen der Neustadt Hanau       Durchmesser 119 Zentimeter, 1.154,5 Liter (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 225)

* Gemälde von Theodor Pelissier (1794 –1863): „Angelina Martinelli d´Alatri“, Öl auf Leinwand, 75 x 62 Zentimeter, von 1830. Der Maler bewarb sich mit dem großformatigen Ölgemälde 1837 um die Inspektorenstelle der Hanauer Zeichenakademie – überzeugte und wurde angestellt. Das idealisierte Frauenbildnis der Angelina Martinelli d´Alatri ist während des Italien-Aufenthalts Pelissiers entstanden. Es zeigt deutlich den Einfluss der Nazarener auf seine Kunst. Die von Pelissier als „Bäuerin“ porträtierte Angelina Martinelli stammte aus Alatri, einer Stadt in der Provinz Frosinone im Südosten von Rom. Sie trägt (teilweise) die Tracht von Albano und sehr reichen Schmuck, darunter eine für die Region traditionelle Korallenkette. Das Gemälde in einem prunkvollen Stuckrahmen gilt als eines der schönsten Frauenporträts der Biedermeierzeit überhaupt – und wird im Schloss Philippsruhe in der Dauerausstellung präsentiert (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 7).

 

Hochwasser:

An der sandsteinernen Treppe von Schloss Philippsruhe hinunter auf die Mainpromenade sind

Daß der Pegel einst immense Höhen erreichte, ist an der Treppe von Schloss Philippsruhe zum Main erkennbar. In den Sandsteinwandungen des Fensters am Gewölbekeller sind die Pegel von 1784, 1876 und 1882 markiert. Da durch das Hochwasser des Mains die Kinzig nicht abfließen konnte, staute sich das Wasser weit um die Innenstadt zurück.

Am 27. Februar 1784 war ein Jahrhunderthochwasser: Nach Vulkanausbrüchen auf Island 1783 gab es eine kleine Eiszeit mit Kälten bis minus 20 Grad auch in unserer Region. Langen Schneefällen folgten starke Eisgänge und dann eine Schmelze, die alles an den Ufern von Main und Rhein mit sich riss. Es war die größte Naturkatastrophe der frühen Neuzeit.

Leider war der Steinmetz wohl nicht ganz alphabetsicher: Das W ist verdreht, bei Höhe fehlt ein H, und Februar ist mit Febai abgekürzt (Martin Hoppe, Objekt der Woche. # 68 und 139).

 

In der Schlossmauer von Philippsruhe, unweit des Gewölbekellers linkerhand, ist das wohl unscheinbarste Kunstwerk im öffentlichen Raum in der Stadt. Es heißt „Arbeit für Hanau“ und stammt von Dorothee von Windheim. Es wurde geschaffen im Rahmen des Stadtbildhauerprojekts 1990, das von Kulturdezernent Klaus Remer mit maßgeblicher Begleitung durch Bildhauer Professor Claus Bury angeregt wurde (Martin Hoppe, Objekt der Woche. # 51).

 

Park:

Das Schloß ist auf einer künstlichen Terrasse über dem Mainlauf errichtet. Gegen das alljährliche Hochwasser mußten Schutzmauern erstellt werden: Im Frühjahr 1696 begann man mit der Errichtung der langen, jetzt noch vorhandenen Stützmauer zum Main hin. Dadurch wurde das Gebiet über den Fluß erhoben und gab der Gesamtanlage gerade vom gegenüberliegenden Ufer einen imposanten und vielfach von Künstlerhand festgehaltenen Eindruck. Die Landschaft war zu der Zeit, als der Garten angelegt wurde, noch offen, nicht verbaut, der Blick konnte frei über die Mainebene schweifen.

Damit war auch die Voraussetzung für die Anlage eines Parks geschaffen. Noch im Herbst des gleichen Jahres 1696 konnte mit der Bepflanzung begonnen werden. Aus der archivalischen Überlieferung geht eindeutig hervor, daß nicht die Gebäudegruppe den Ausgangspunkt der Gesamtanlage bildete, sondern ein nach den Prinzipien französischer Gartenarchitektur angelegter Lustgarten.

Axial zum Schloß, es gleichsam in die Landschaft verlängernd, wurde ein streng geometrischer Garten rein französischen Gepräges angelegt. Eine Pinselzeichnung (im Historischen Museum Frankfurt) von Johann Kaspar Zehender aus Frankfurt zeigt den Zustand des Gartens im Jahre 1774.

Viel später noch erinnerte sich Wilhelm Grimm an ein Kindheitserlebnis aus der Zeit um 1790 in diesem französischen Park. Er schrieb: „Ich weiß noch ganz klar, wie ich in einem weißen Kleid mit rotem Band in dem Bousquet zu Philippsruhe mich verloren hatte, und wie ich die g1atten, beschnittenen Baumwände, an welchen alle Blätter nebeneinander hingen, und den reinen Kies auf dem Wege ängstlich schnell, aber scharf betrachtete, wie mir die Stille, in die ich horchte, und die grüne Dämmerung immer mehr Angst machte und eine Angst auf die andere stellte, wie ein Stein auf einen Stein, und sie so immer wuchs.“

Im fürstlichen Schloßpark des Barock spiegelt sich das Weltverständnis jener Zeit. Der absolutistische Anspruch des Landesherrn erstreckte sich nicht nur über sein Territorium, auf seine Untertanen und deren Tun und Lassen, sondern auch auf die Natur, die sich, in bestimmte Formen gebracht, gleichsam ebenfalls dem Willen des Fürsten zu unterwerfen hat. In den Gärten von Versailles gipfelte dieser monarchische Anspruch: Sie wurden zugleich Vorbild für den Adel in ganz Europa, bis hin in die hinterste Provinz. Man wollte es den Großen gleichtun, auch wenn die Dimension des eigenen Schlosses bisweilen auf die Größe eines Fußballfeldes schrumpfte.

 

Die gärtnerische Oberleitung hatte der Pfalz-Birkenfeldische Hofgärtner Marx (Max, Marcus) Doßmann, dessen Anwesenheit in Hanau bereits für den 11. Mai 1696 bezeugt ist. Der Garten, der da fünf Jahre vor der Grundsteinlegung des Schlosses entstand, entsprach ganz dem Vorbild französischer Barockgärten. Graf Philipp Reinhard hatte sich viele Anregungen auf seine Jugend- und Bildungsreisen holen können. Aber es werden auch andere Anregungen eingeflossen sein, denn es war damals durchaus üblich, daß Kupferstiche von solchen Schloßanlagen kursierten wie heute Fernsehbilder. Sein Bruder - und späterer Erbe - Johann Reinhard, der letzte Hanauer, der noch in Buchsweiler residierte, hatte sich dort überdies einen weitläufigen Terrassengarten anlegen lassen, was sicher auch als Anregung und Motivation für die Hanauer Gartenpläne gelten kann.

Philippsruhe war noch nicht fertiggestellt, der Park noch nicht in seiner ganzen Pracht entwickelt, da zirkulierten schon Kupferstiche über diese imposante Anlage. Nach einer Zeichnung des Hofgärtners Christoph Schultzen hatte sie Johann Striedbeck in Kupfer gestochen und verbreitet. Man kann davon ausgehen, daß die Anlagen damals durchaus so ausgesehen haben, wenn auch nicht bis ins letzte Detail.

Im Wesentlichen stand jedenfalls die Struktur; wie wir sie auch heute noch erkennen können: An der Mainfront und gegenüber jeweils eine Allee, etwa zwei Drittel des Parks bilden den oberen Garten, der von der Schloßterrasse bis zur „Goldenen Treppe“ am heutigen Baumgarten reicht. Dies bildet das „Parterre“. Diese Struktur entsprach exakt den geltenden Gesetzen der französischen Gartenarchitektur. Die Hauptachse führte vom Schloß strikt und schnurgerade zum Baumgarten, nur von einem runden Bassin unterbrochen. Der obere Teil der Anlage war von mehreren Wegen durchschnitten, die so angelegt waren, daß präzise geometrische Grundformen entstanden wie Dreieck, Rechteck, Trapez. Diese parzellierten Flächen wurden von Buchsbaumhecken gesäumt, die präzise in Form geschnitten wurden. Dieser Garten war also bereits fertiggestellt, als man 1701 zur Grundsteinlegung des Schlosses schritt.

 

Philipp Reinhards Bruder, Johann Reinhard III., der letzte Graf von Hanau, führte unter großem Aufwand den Schloßbau zu Ende. Die weitere Gestaltung und Erweiterung des Parks und 1723 der Bau einer Orangerie sind sein Werk; dadurch wurde der ursprünglich als Orangerie genutzte große Saal im Mainflügel des Hauptbaues (heute als „Weißer Saal“ bezeichnet) für andere Aufgaben frei. Er ließ die zur gräflichen Fasanerie führende Kastanienallee anlegen. Ungefähr im Jahre 1726 war der Ausbau des Schlosses vollendet.

Mit dem Tod Johann Reinhards Im Jahre 1736 fiel der Münzenberger Teil der Grafschaft Hanau und damit auch die Residenz am Main an Hessen-Kassel. Die Landgrafen von Hessen- Kassel benutzten das Schloß als gelegentliche Sommerresidenz. Landgraf Wilhelm VIII. (1682-1760) hat sich oft und gerne in Philippsruhe aufgehalten. Im Jahre 1743 fanden hier nach der Schlacht bei Dettingen - allerdings ohne Erfolg - Friedensverhandlungen statt, denen König Georg II. von England beiwohnte. Im Jahre 1745 wurde dem deutschen Kaiser Franz I. und seiner Gemahlin Maria Theresia in Philippsruhe ein glanzvoller Empfang bereitet.

Von 1764 bis 1785 diente das Schloß dem Erbprinzen Wilhelm IX. von Hessen, dem Erbauer der Kur- und Badeanlage von Wilhelmsbad, und vor allem dessen Familie als Residenz. Mit ihm begann Hanaus „güldnes Zeitalter“. Zunächst unter der Vormundschaft seiner Mutter, Maria von England, denn als eigenständigem Regenten war Wilhelm die Grafschaft Hanau zugefallen. Er veränderte das Stadtbild Hanaus nachhaltig. Im Jahr 1777 ließ der Erbprinz im „vieux bourg“ des Schlosses Philippsruhe ein Liebhabertheater bauen, in dem zuerst im Dezember 1777 gespielt wurde. Dieses Liebhabertheater diente hauptsächlich den Gesellschaftsaufführungen bei Familienfesten oder Besuchen auswärtiger Familienangehöriger und fremder Fürsten und Herrscher.

Auch der Park von Philippsruhe wurde während der Erbprinzenzeit verändert. Auf den Zeichnungen von Johann Kaspar Zehender, die um 1770 entstanden, ist er zwar noch immer von Geometrie und in Form gebrachter Natur geprägt, doch, „hatte sich der ornamentale Garten zur Repräsentation absoluter fürstlicher Macht“, so schreibt Klaus Hoffmann in seinem jüngst erschienen Buch über Philippsruhe, „in ein zwar immer noch planmäßiges Parkgebilde mit Hecken und Durchblicken gewandelt, jedoch verloren Schloß und Garten ihre Kulissenfunktion zum Feiern glanzvoller Staatsfeste; statt dessen suchte man Rückzugsmöglichkeiten, wo man fern aller Sorgen Ruhe und Erholung finden konnte.“

Nach zwei Jahrzehnten übernahm er 1785 die Regierung von seinem verstorbenen Vater und siedelte nach Kassel über. Von 1797 an hat dann sein gleichnamiger Sohn, der nachmalige Kurfürst Wilhelm II., das Schloß als Wohnsitz benutzt. Nach der Niederlage Napoleons und der Rückkehr der kurfürstlichen Familie aus dem Exil begann Erbprinz Wilhelm II. nun mit ersten Eingriffen in die bis dahin erhaltene Struktur des Barockgartens. Auf 1815 lassen sich erste Pläne zur Umwandlung in einen Landschaftsgarten nach englischem Vorbild datieren. Aus den kunstvoll angelegten Beeten und schnurgeraden Wegachsen wurde ein Lustgarten mit Baum und Strauchgruppen auf Grünflächen, durchzogen von einem unregelmäßigen Wegenetz. Doch erst 70 Jahre später sollten auch noch die letzten barocken Formen verschwinden und der Park seine heutige Struktur erhalten.

Der Park hat sein Gesicht seit Beginn des 19. Jahrhunderts verändert. Nach dem Rückzug der Franzosen 1815 wurde der inzwischen verwilderte Park in einen englischen Landschaftsgarten mit wertvollem Baumbestand, einem See und einem neuem Wegessystem umgewandelt. Nur die seitlichen Lindenalleen erinnern heute noch an den ursprünglichen Zustand.

 

Gartenkunst (Ausstellung 2002):

Vom 12. Mai bis zum 7. Juli 2002 war in Schloß Philippsruhe die Ausstellung „Hanauer Gartenkunst“ zu sehen. In der großen Ausstellung wird neues Material gezeigt. Die mehr als 150 Leihgaben aus den Magazinen der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten und den Staatlichen Museen Kassel bezeichnet waren ein Juwel. Die colorierten Zeichnungen und Grafiken aus der Zeit von der Mitte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts stellen Entwürfe zu Gärten und Grünflächen für die Anlagen dar Kurpark Wilhelmsbad, Schloßpark Philippsruhe, Schloßgarten an der heutigen Stadthalle, Fasanerie und auch Schloß Rumpenheim in Offenbach, wohin die Gräfin Maria, Mutter des Erbprinzen Wilhelm ihren Sommersitz verlegte, nachdem sie Philippsruhe ihrem Sohn überließ.

Die Gartenbaupläne geben nicht nur „neue Aspekte“ etwa zum Schloßgarten wieder, sondern offenbaren auch die Lust des Prinzen, gestalterisch Grün zu ordnen - jedenfalls sollen einige Zeichnungen aus der Stahlfeder von Wilhelm stammen. Jakob Heerwagen ist eine andere bedeutende Persönlichkeit im Rahmen der Ausstellung. Der Architekt fertigte unter anderem Entwürfe zur Gartenkunst im städtischen Quartieren an. Heerwagen entwarf überdies in Zusammenarbeit mit dem Erbprinzen einen prachtvollen Rokokoplatz in der Nähe des heutigen Freiheitsplatzes.

Warum das Vorhaben nicht über das Stadium von Zeichnungen hinaus kam, lag nach Auskunft von Anton Merk vermutlich an den finanziellen Folgen und an dem Umzug von Wilhelm nach Kassel. Der Museumsleiter ist sich jedoch sicher, daß der Rokokoplatz heute in der Region ein architektonisches Highlight wäre.

Es wurde ein Katalog herausgegeben. Er begnügt sich nicht allein mit der bloßen Beschreibung der Exponate. Das Werk ist ein exakter Führer durch die bedeutendste Epoche der Hanauer Gartenbaukunst von 1632 bis 1880 mit vielen Illustrationen und Fußnoten. Die Geschichte der Hanauer Gartenkultur beginnt mit dem Ende des 30-jährigen Krieges 1648, als die wieder wachsende Bevölkerungszahl in den Städten das städtebauliche Korsett der Stadtmauer sprengte, die ob neuer Kanonen ohnehin von ihrer schützenden Wirkung eingebüßt hatten. Die historische Betrachtung geht von den „Zwickeln“ aus, kleine Flächen zwischen der sternförmig angelegten Stadtmauer und der Bebauung. Mitte des 18. Jahrhunderts entstehen die ersten Vorstadtgärten, die Anton Merk, Direktor vom Museum Schloß Philippsruhe, in dem Kapitel „Haingassengärten“ beschreibt. Folge dieser Kulturlandschaften sind Lust- und bürgerliche Gärten.

 

Bildwerke:

Teile des Schloßparks ließen die hier aufgestellten Arbeiten namhafter zeitgenössischer Bildhauer zu einem wachsenden Skulpturenpark mit Plastiken von Rang werden, der in der Fachwelt schnell hohes Ansehen fand. Er zeigt auch die preisgekrönten Arbeiten der Hanauer Stadtbildhauer James Reineking und Alf Lechler

 

Mainaue:

Mit der Gestaltung des Projektes „Mainaue/Schloß Philippsruhe“ wird der Regionalpark im Jahr 2003 mit den Anlagen der Landesgartenschau verbunden. Hierzu wird der von Maintal kommende Mainuferweg hochwassersicher befestigt und ein neuer Kinderspielplatz angelegt.

Mit Mitteln moderner Gartenkunst werden die wie überdimensionale Maulwurfshügel wirkenden Revisionsschächte des Abwasserkanals Richtung Kläranlage Kesselstadt umgestaltet. Neben den Kunstobjekten fallen die Maulwurfshügel Spaziergängern auf dem Mainuferweg sogleich auf. Sie ragen bis zu vier Meter aus dem Boden hervor. Man kann sie erklettern und hat von oben einen weiten Blick über die Mainaue.

Entsprechend ihrer neuen Nutzung erhalten sie im Zuge des Projektes auch konkrete Bezeichnungen. „Anlegbar“ soll der erste, etwas niedrigere Hügel heißen. Vorgesehen ist, diesen an drei Seiten mit einer Bank als „Warteort“ am Fähranleger zu gestalten. Gleichzeitig trete der Poller auf einer Edelstahlplatte in Dialog mit dem Schloß, das wie ein Schiff in der Aue liege, heißt es. Die zweite Erhebung soll „Besitzbar“ getauft werden. Von Stühlen oder einem Holzrost könne man das Treiben in der Aue beobachten. Der dritte Hügel wird zu einem Spielplatz umgestaltet und erhält den Namen „Bespielbar“. Kinder sollen sich am Seil hoch hangeln oder auf drei langen Bahnen auf die Wiese herunterrutschen können.

 

Jährlich am ersten Wochenende im September strömen Tausende zum „Hanauer Bürgerfest“ auf den Mainwiesen mit zahlreichen Darbietungen und einem abschließenden großartigen Brillantfeuerwerk.

 

Hanauer „Lebenshilfe“:

Der Freizeitclub des Hanauer Vereins „Lebenshilfe“ hat sich vergrößert: Er belegt seit 1981 das Erdgeschoß des historischen Gärtnerhäuschen, um dort mit geistig und mehrfach behinderten Menschen zu arbeiten. Im Zusammenhang mit der Landesagartenschau 2002 erhielt der Verein auch den ersten Stock und somit das ganze Gebäude. Aus drei Zimmern wurde ein großer Saal für Versammlungen, Feiern, Theaterspielen, in weiteren Räumen sollen Büros und eine Beratungsstelle entstehen.

Eine Rampe verbindet den Philippsruher Park bereits mit dem Garten, der im Augenblick noch etwas kahl wirkt: Rasenflächen, Wege, die auf einen leeren Platz führen und ein unbepflanztes Hochbeet in einem langen, kantigen Behälter aus rostigem Eisen, dessen Anblick im historischen Ambiente leicht gewöhnungsbedürftig ist. Die Höhe ist so konzipiert, daß Rollstuhlfahrer bequem in das Beet greifen und dort arbeiten können, daß überhaupt jeder Besucher mühelos einmal an den Pflanzen schnuppern kann. Ein Pflaumen- und ein Kirschbaum sind gerade frisch eingesetzt worden, einige Sträucher sollen noch gepflanzt werden, und den kleinen Platz wird bald ein Springbrunnen schmücken.

Ganz überraschend stießen die Arbeiter im Boden übrigens auf einen historischen Grundwasser-Brunnen. Gefunden wurden seine Reste in acht Metern Tiefe unmittelbar am Eingang des Häuschens. Er wurde vermutlich zeitgleich mit dem Gärtnerhaus im Jahr 1756 erbaut. Zu sehen bekommen werden ihn die Besucher der Landesgartenschau allerdings nicht; eine Präsentation wäre zu aufwendig. Erst nach der Landesgartenschau hergerichtet werden soll das Nebengebäude.

Vom ursprünglichen Fachwerk ist allerdings nicht mehr viel zu sehen. Die Brandschutzauflagen waren so hoch, daß das Gebälk mit speziellen Platten verkleidet werden mußte. So glänzt der große Raum im ersten Stock eher durch Zweckmäßigkeit, denn durch eine behagliche Atmosphäre. Auch die Leute von der „Lebenshilfe“ müssen sich erst an den neuen, gelb gestrichenen Raum mit seinen langen Tischreihen gewöhnen: Im angestammten Erdgeschoß ist es eindeutig gemütlicher.

Vom ästhetischen Standpunkt eher ein Kompromiß aber erforderlich sind die Fluchtwege, die vom ersten Stock nach unten führen. Für die Rollstuhlfahrer wurde ein geräumiger - optisch ziemlich klotziger - Aufzug direkt an die Hauswand installiert, der bei Stromausfall auch per Handkurbel zu bedienen ist. Weil sich damit kaum mehrere Menschen befördern lassen, hat die „Lebenshilfe“ nebenan noch eine breite Metalltreppe angebaut. Beides gewaltige Konstruktionen und freilich auch Fremdkörper am historischen Platz, die den Winkel zwischen Haupthaus, Nebengebäude und Mauer nutzen, so daß sie wenigstens nur von der Straße aus zu sehen sind.

 

Im Sommer veranstaltet die Stadt Hanau im Schloßpark die Brüder-Grimm-Märchenfestspiele, heute „Hanauer Märchenfestspiele“. Sie finden statt im Amphittheater am westlichen Ende des Parks, das auch sonst im Sommer für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird.

 

Bilder in: Hanau Stadt und Land,

Seite 5: Schloß Philippsruhe im Jahre 1705, Kupferstich von Joh. Stridbeck

Seite 151: Plan des Schlosses von Johann David Füleken, gestochen von P. Fehr.

Seite 152: Gartenfront                      

Bücher:

Historisches Museum Hanau im Schloß Philippsruhe, 1967

Klaus Hoffmann: „Schloß Philippsruhe. Vom Barockschloß zum Historischen Museum"

 

Alleen:

Durch die 1772 angelegte Kastanienallee sollte ein direkte Fahr- und Blickverbindung vom Schloß Philippsruhe zur Fasanerie geschaffen werden. Sie führte direkt zum Fasaneriemittelpunkt, einem „Stern“. Von ihm gehen elf Alleen aus, von denen einige wie die Kastanienallee die Fasaneriegrenzen überspringen, um Blickkontakte zu markanten Punkten zu schaffen.

Die Burgallee führt zur Burg in Wilhelmsbad.

 

 

 

 

 

 

Wilhelmsbad

 

Die größte Attraktion der gesamten Anlage des Kurparks Wilhelmsbad ist das historische Karussell. Die 38 Hektar große Anlage im Nordwesten Hanaus bietet jede Menge Überraschungen mit dem Karussell, mit dem kleinen Wäldchen und der Eremitage und mit der mittelalterlich anmutenden künstlichen Burgruine. Wer hoch hinaus will, erklettert den Schneckenberg. Wer das Dunkle sucht, wählt den Weg durch den Tunnel. Wilhelmsbad ist mehr als ein Ort der Erholung: Im Arkadenbau wartet das hessische Puppenmuseum auf Besucher. Und die Bühne des schmucken Scheunentheaters wird regelmäßig bespielt.

Der Garten am Wilhelmsbad entstand in der Welt des ausklingenden 18. Jahrhunderts, zwischen 1777 und 1785. Man findet hier eine Anlage in einem für damalige Zeiten neuen Stil. Es war die Abkehr vom überladenen Park der Barockzeit, dem künstlichen, geometrischen, französische Garten zum einfachen, dem englischen Garten, der die freie Natur widerspiegelt. Im liberalen England entstand dieser englische Garten - auch Landschaftsgarten genannt - zu Beginn des 18. Jahrhunderts und fand in Deutschland nach dem 30jährigen Krieg begeisterte Nachahmung.

In den alten Barockgärten wurde die Natur der Geometrie und der Architektur untergeordnet. Das drückte auch den Machtanspruch der Fürsten über die Natur, das Land und die Menschen aus. Eines der besten Beispiele einer barocken Parkanlage ist der Park von Versailles. Wilhelmsbad aber entstand in der Epoche der Empfindsamkeit (1770 - 1790). Er zählt zu den frühesten Schöpfungen dieser Art in Deutschland ein hervorragendes Dokument eines „empfindsamen” Landschaftsgartens. dessen stimmungsvolle Kleinbauten (Burg, Pyramide. Eremitage usw.) den auf sentimentale Ausstrahlung zielenden Gestaltungswillen der Zeit veranschaulichen.

Dabei geht es für die Menschen der damaligen Zeit um ein verinnerlichtes Naturerleben. Man war überzeugt, daß alles von der Natur Geschaffene vollkommen sei, da es eine Schöpfung Gottes ist. Die Landschaft, die von Menschen unberührt ist, ist daher gut.

Der englische Garten stellt die Natur in den Mittelpunkt. Es war die Zeit von J. J. Rousseau und dem Ansinnen „zurück zur Natur“. Wir finden hier Hügel, Täler, Wasser, alles was für eine seelische Rührung notwendig ist. Gebirge und Felsen stehen für Ehrfurcht und Schrecken, Täler für Melancholie und stille Träumereien, Wälder mit hohen Bäumen für das Heroische und Wiesen für idyllisches Vergnügen.

Zu jeder Jahreszeit hat Wilhelmsbad seinen Reiz. Große Rasenflächen unter alten Bäumen laden im Sommer zum Picknick im Schatten großer Bäume. Das Rascheln bunter Blätter auf den gewundenen Waldwegen begleitet die Spaziergänge im Herbst. Im Winter verdeckt kein Grün den Blick auf die verwunschene Pyramide auf der Pfaueninsel, wo das Herz des im Kindesalter gestorbenen Sohnes des Kurfürsten Wilhelm I. liegt. Wilde Frühlingsblumen und das Geschnatter wollüstiger Enten auf der zum Teich gestauten Brauchbach verjagen im Frühjahr die Wintermüdigkeit der Besucher.

Der Kurpark Wilhelmsbad steht beispielhaft für den Stellenwert der Gartenarchitektur im 18. Jahrhundert: ein Gesamtkunstwerk mit künstlichen Hügeln und Tälern, kleinen Bauwerken und Spielgeräten. Auf dem kunstvoll angelegten Wegesystem tun sich bis heute vor den Augen der Spaziergänger immer neue Bilder und Blickwinkel auf.

Die Anlage am Wilhelmsbad war von Anfang an etwas Besonderes. Sie stand nicht nur den Adeligen offen, sondern auch den bürgerlichen Erholungssuchenden und sie wurde von Anfang an kommerziell betrieben. In Wilhelmsbad nahm man Abschied von der alten höfischen Rangordnung. Beim Mittagessen im Arkadenbau bekam man keinen Platz gemäß seiner gesellschaftlichen Stellung, sondern man nahm in der Reihenfolge Platz, in der man ankam.

Daß Wilhelmsbad heute das besterhaltene Beispiel einer Kuranlage des 18. Jahrhunderts ist, verdanken wir dem Umstand, daß diese Anlage nur ein gutes Jahrzehnt das Modebad der eleganten Welt war und danach in einen Dornröschenschlaf fiel. Das Modebad wurde, nachdem der Erbauer Wilhelm IX. 1785 Hanau verließ und als Landgraf die Regierung in Kassel übernahm. bald unpopulär und konnte aufgrund dieses „Schattendaseins” als nahezu vollständig erhaltenes Beispiel eines Kur- und Badeortes aus dem 18. Jahrhundert bis heute ganz gut überdauern.

Entlang einer Allee reihen sich die spätbarocken Kurgebäude, umgeben von einem Park im Stil englischer Landschaftsgärten. Doch der Zahn der Zeit nagt an den historischen Bauten, die derzeit auf vielfältige Weise genutzt werden. In den ehemaligen Stallungen wohnen Menschen, die Gastronomie klagt über bauliche Mängel. Aus Gründen des Brandschutzes mußte die Hotellerie Anfang der 90er Jahre schließen. Doch aus dem ehedem als Kurbad mit englischem Landschaftsgarten konzipierten vorzüglichen „Kultur‑ und Naturerbe“ hat sich in Wilhelmsbad ein moderner kultureller Schwerpunkt entwickelt.

 

Bücher:

Wilhelmsbad und sein Theater, 1969

Elke Conert: Wilhelmsbad, Garten der Empfindsamkeit, 1997.

Bott, Gerhard:

 

 

 

 

Zentrale Aktion „Lust am Garten“ mit Festakt im Kurhaus eröffnet (2009):

Die Schönheit der Gärten herauszustellen und auf die denkmalpflegerische Verantwortung hinzuweisen, ist Ziel der Aktion „Lust am Garten“". Auftakt für den bundesweiten Tag der Parks und Gärten war am Kurpark Wilhelmsbad. Die Garteninitiativen des Bundesverbandes Gartennetz lockten in ganz Deutschland mit Führungen, Kunst und Kultur die Menschen in die Parks ihrer Region.

Die Auftaktveranstaltung in Hanau im Juni 2009 war ein Kooperationsprojekt der Kultur Region Frankfurt RheinMain und ihrem Projekt „GartenRheinMain“ sowie der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen. Der Geschäftsführer der Kultur Region Frankfurt RheinMain, Konrad Dörner, begrüßte die Gäste im Comoedienhaus zu einem Festakt.

Er wies auf die zunehmende Bedeutung von Parks im Hinblick auf die Erholung und Gesundheit der Menschen hin. Wichtig sei daher eine nachhaltige Pflege, um die Parkanlagen zu erhalten. Der hessische Minister für Bundesangelegenheiten und Bevollmächtigte des Landes Hessen beim Bund, Michael Boddenberg, sprach in Vertretung des Schirmherrn, Ministerpräsident Roland Koch.

Oberbürgermeister Claus Kaminsky freute sich darüber, daß aus all den historischen und schönen Gärten in Deutschland die Wahl für die zentrale Veranstaltung auf die ehemalige Kur- und Badeanlage Wilhelmsbad aus dem späten 18. Jahrhundert gefallen sei. Dies zeuge von Geschmack und Geschichtsbewußtsein. Wilhelmsbad sei nicht nur als geschlossenes Ensemble komplett erhalten geblieben und biete früher wie heute quasi einen „Erlebnispark“ mit all seinen Versatzstücken, sondern sei darüber hinaus auch ein Ort bedeutender gesellschaftspolitischer Ereignisse und Manifestationen.

So fänden sich das noch zu restaurierende historische Karussell mit seinen Schaukeln, eine künstliche Ruine mit Überraschungswert, ein Park mit der Symbolik des Lebens, mit Licht und Schatten, mit heiteren und melancholischen Momenten, so Kaminsky. Er wies auch auf das historische Scheunentheater hin, das sich mit seiner äußeren Schlichtheit in das Gesamtensemble einreihe. Die noble Rokoko-Architektur werde von Besuchern ebenso wie von Künstlern geliebt.

Als das Gesamtkunstwerk im Jahr 1777 entstanden sei, habe man damit auch ein Zeichen gegen den Absolutismus und für den Geist der Aufklärung gesetzt, betonte der Oberbürgermeister. So sei es kein Zufall, daß bedeutsame politische Ereignisse wie der Freimaurer-Konvent im Jahr 1782 und das Wilhelmsbader Fest 1832 dort stattgefunden hätten. Wilhelmsbad sei ein kontemplativer Rückzugsraum für Poesie und Theater und inzwischen auch für Freunde des Museums. Im Sommer sei der Kurpark ein Ort pulsierender Leidenschaft. In einer Epoche der rasenden Veränderungen und Geschwindigkeiten sei der Garten ein Ort der Reflektion, so Kaminsky.

Dr. Klaus-Henning von Krosigk vom Landesdenkmalamt Berlin, gleichzeitig Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gartenkunst und Landschaftskultur, hielt den Festvortrag über den Schutz, die Instandsetzung und Pflege bedeutender historischer Gärten. Seine Dia-Reise durch verschiedene Gärten führte unter anderem nach Potsdam und nach Bad Muskau. „Gartendenkmalpflege in Wilhelmsbad zwischen Realität und Wunschbild“ war Thema eines Vortrags von Dr. Inken Formann, Leiterin des Fachgebiets Gärten der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen.

Der Festakt wurde von Holger Lützen und Freunden musikalisch umrahmt. Beim Catering. organisiert vom Cafe Menges, drehte sich passend zu den Hanauern als „Lustische Geeleriebe“ alles ums Thema Karotten. Bei Führungen mit Heidrun Merk, Projektleiterin Garten Rhein Main, und Eberhard Schmidt vom Karussellverein Hanau, lernten die Besucher den Wilhelmsbader Kurpark, die Burgruine und das historische Karussell näher kennen. Das gesamte Programm war kostenlos, um einen freiwilligen „Garteneuro“ wurde geworben. Er soll den Pflegemaßnahmen des Parks zugute kommen. „Lust am Garten“ als bundesweite Kampagne für die Pflege und den Erhalt deutscher Parks und Gärten soll längerfristig bürgerschaftliches Engagement mobilisieren.

 

Führungen „Ein Tag in Hanau-Wilhelmsbad“ 2010:

Der Kurpark Wilhelmsbad gilt als eines der attraktivsten Naherholungsgebiete der Region Hanau. Dank zahlreicher Grünflächen und kultureller Sehenswürdigkeiten lockt das Areal täglich zahlreiche Besucher an. Die Führungsreihe „Ein Tag in Hanau-Wilhelmsbad“ bildet nun einen zusätzlichen Anreiz, sich näher mit Wilhelmsbad auseinanderzusetzen. Drei stets unterschiedlich zusammengestellte Schwerpunkte und ein Mittagessen bieten die Möglichkeit, den Kurpark aus verschiedenen Blickwinkeln kennen zu lernen.

Die im Jahr 2010 von der Comoedienhaus Betriebsgesellschaft, der Hessischen Schlösserverwaltung, dem Hessischen Puppenmuseum und dem Gasthof „Zum Wilhelm“ ins Leben gerufene Kooperationsveranstaltung wird aufgrund der großen Nachfrage auch 2011 fortgesetzt.

Ab sofort können wieder Erlebnispakete für Wilhelmsbad gebucht werden, die in unterschiedlichen Kombinationen Führungen durch den Kurpark, die Burgruine. das Comoedienhaus, das Puppenmuseum und den alten Fürstenbahnhof enthalten und mit einer kulinarischen Pause im Gasthaus „Zum Wilhelm“ verbunden ist. Bei den verschiedenen Führungen am Vormittag oder am Nachmittag werden mehrere Stationen angesteuert.

Ein Streifzug durch das Gelände läßt immer wieder die mannigfaltigen Hinterlassenschaften des Erbprinzen Wilhelm erkennen. Einen besonderen Reiz bietet dabei die Kombination aus historischen Fakten und mythologischer Fiktion, die schon immer Teil des Kurparkgeländes war. So ist alleine die Errichtung des Parks auf die Behauptung zurückzuführen, daß das Wasser der anliegenden Quelle eine heilende Wirkung hätte. Diese - so heißt es, -habe sogar die Wunde eines Fürsten geheilt.

Der Park zählt zu den frühesten Schöpfungen dieser Art in Deutschland und ist ein hervorragendes Dokument eines „empfindsamen“ Landschaftsgartens, dessen stimmungsvolle Parkbauten, wie die Burg, die Pyramide oder die Eremitage den Gestaltungswillen der Zeit veranschaulichen. Die Burg war nicht nur malerische Kulisse, sondern diente dem Fürsten als Sommersitz. Der scheinbar verfallene Turm birgt im Innern eine große Überraschung. Er beherbergt ein elegantes Wohnappartement und im Obergeschoß einen prachtvollen Kuppelsaal.

Dem Amüsement der höfischen Gesellschaft diente auch das 1781 gebaute Scheunentheater Comoedienhaus, das wie die Burg hinter scheinbar schlichten Mauern ein zauberhaftes kleines Barocktheater verbirgt. Im spätbarocken Kurgebäude hat unter anderem heute das Hessische Puppenmuseum sein Domizil. Auf über 800 Quadratmetern werden Puppen und Spielzeuge von der Antike bis zur heutigen Zeit der Kulturgeschichte lebendig.

Am Rande des Wilhelmsbader Staatsparks steht der Fürstenbahnhof. Hier trafen die Besucher aus Frankfurt und dem Umland zur Sommerfrische und zum Amüsement in Wilhelmsbad ein. Das denkmalgeschützte Bahnhofsgebäude von 1848 beherbergt heute ein Gasthaus.

Das Informationsblatt „Ein Tag in Wilhelmsbad 2011“ ist in der Tourist-Information im Rathaus. im Puppenmuseum, in der Außenstelle der Verwaltung Staatlicher Schlösser und Gärten in Wilhelmsbad, im Gasthof „Zum Wilhelm“ und in der Comoedienhaus Geschäftsstelle in der Steinheimer Straße erhältlich.

Eine Besonderheit der Führungsreihe „Ein Tag in Hanau-Wilhelmsbad" stellt die Tatsache dar, daß zu einigen Terminen ein Zugang zur Eremitage gewährt wird, einem weiteren schauerlich-gruseligen Aspekt des Parks. Inmitten eines dunklen, mitten in einen Hang gebauten Gewölbes sitzt der Einsiedler, ein einsamer Mönch. Vier Nebenräume lassen sich dort entdecken, die neben ihrer Liebe zum Detail auch eine eindrucksvolle Architektur zu bieten haben. Unzählige einzelne Steine wurden in mühsamer Arbeit in den Abhang eingearbeitet, die zur Decke hin ein Rosettenmuster ergeben. Es ist gerade dieser verborgene Teil des Parks, der die Besucher der Führung begeistert, besonders deshalb, weil vielen von ihnen die Existenz der Eremitage zuvor nicht bekannt war.

Den letzten Programmpunkt vor dem Mittagessen bildete ein Besuch im hessischen Puppenmuseum. Dort, wo sich früher ein großer Speisesaal und Hotelzimmer befanden, findet sich heutzutage eine große Auswahl an sehr unterschiedlichen Puppen aus diversen Epochen. Die ältesten Exponate stammen aus dem antiken Griechenland. Neben europäischen Fundstücken zählen auch diverse Puppen aus Asien zur Sammlung des Museums, die einen Einblick in die japanische Kinderunterhaltungskultur geben. Gemeinsam stellen diese Exponate Zeitzeugen vergangene Schönheitsideale, Modetrends, Bräuche und handwerklicher Fortschritte dar. Der „Tag in Wilhelmsbad“ schließt stets mit einem gemeinsamen Mittagessen, bei dem Besucher sich über das Gehörte und Gesehene austauschen können.

 

Ein Vormittag in Wilhelmsbad: Die Dauer beträgt etwa vier Stunden für 27 Euro pro Person inklusive Mittagessen und einem Getränk, mit Führungen durch Bahnhof. Burg und Puppenmuseum.

Ein Nachmittag in Wilhelmsbad: Die Dauer beträgt ebenfalls rund vier Stunden für 19 Euro pro Person inklusive Kaffee und Kuchen, mit Führungen durch Bahnhof, Comoedienhaus und Park.

Individualprogramm für Gruppen nach Absprache. Informationen und Vorverkauf: Comoedienhaus GmbH. Telefon (0 61 81) 295 81 29, E-Mail: comoedien@ hanau.de.

 

 

Entstehung

Über die Entstehung Wilhelmsbads gibt es zwei Erzählungen. Wahrscheinlicher ist folgende Geschichte: Im Mai 1709 entdeckten zwei Kräuter sammelnde Frauen auf einem Steinbruchgelände im Wald zwischen Hanau und Wachenbuchen eine schwach schüttende Quelle, deren Wasser aber fremdartig schmeckte. Sie haben einen sogenannten. eisenhaltigen Säuerling entdeckt, man würde heute sagen eine Mineralquelle. Eine der Frauen soll nach Genuß des eisenhaltig sauren Trunkes ein gräßliches Bauchweh mit gewaltigem Durchfall bekommen haben. Doch damals wurde das durchaus als heilend erachtet. In kurzer Zeit sprach sich herum, wer aus der Quelle trinke, könne gute Linderung bei mannigfaltigen Beschwerden erlangen.

Die andere Erzählung handelt von dem noch sehr jungen Prinz Wilhelm. Er stürzte 1768 bei einer wilden Jagd bei Ansbach im Odenwald vom Pferd. Er zog sich eine Knochenprellung zu. Man verordnete ihm zur Linderung seiner Beschwerden Wasser von dieser Quelle, die in der Zwischenzeit nur noch der „Gute Brunnen“ genannt wurde. Wilhelm wurde überraschend schnell gesund. Aus Dank beschloß er, diesen Brunnen zu einem vornehmen Heilbad auszubauen.

Daß Erbprinz Wilhelm zum Landesherrn von Hanau wurde, kam so: Die beiden letzten Hanauer Grafen waren die Brüder Philipp Reinhard Graf von Hanau-Münzenberg (1685 - 1712) und sein Bruder Johann Reinhard Graf von Hanau-Lichtenberg und Hanau-Münzenberg (1712 - 1736) hatten keine männlichen Nachkommen. Gemäß der alten Erbschaftsverträge von 1643 fielen die nördlichen Hanauer Lande Hanau-Münzenberg an die Landgrafen von Hessen-Kassel und die südlichen Hanauer Lande Hanau-Lichtenberg an die Landgrafen von Hessen-Darmstadt.

Da Wilhelms Vater Friedrich II. heimlich zum katholischen Glauben übergetreten war, bestimmte der Großvater Landgraf Wilhelm VIII, daß sein Sohn Friedrich zwar später Landgraf werden dürfte, der Enkel Wilhelm aber dem Einfluß seines Vaters entzogen wurde. Dazu trennte sich Wilhelms Mutter Maria von ihrem Mann und ging mit ihrem Sohn nach Hanau, wo sie als Vormünderin bis 1764 für ihren Sohn tätig war. Sie war die Tochter des Königs von Großbritannien Georg II, der zugleich als Georg II August der Kurfürst von Hannover war.

Der Erbprinz war aber in Hanau regierender Landesherr (er sollte das Regieren schon einmal üben), bis er nach dem Tod seines Vaters nach Kassel ging. Als Erbprinz Wilhelm von Hessen-Kassel und Prinz von Hanau ließ rund um die Quelle einen Kurbetrieb aufbauen. Die ganze Anlage spiegelt die gespaltene Persönlichkeit des brutalen, aber auch kunstsinnigen Herrschers. Wie im Charakter Wilhelms, so stößt man in seinem Bad sowohl auf Zeichen schroffer Überheblichkeit als auch auf solche der Sehnsucht nach Harmonie mit der Umgebung.

Der Fürst hatte als Platz für den Badebezirk die Umgebung des „Guten Brunnens“ gewählt, einer 1709 entdeckten Mineralquelle. Die Quelle war nur ein guter Grund für den baufreudigen Erbprinzen Wilhelm, hier einen Kurort ausbauen zu lassen, weil er nach seiner Aussage an einem Ort lag, der „beim Publikum beliebt und durch die Heilquelle des Mineralwassers bekannt war, die mich selbst von meiner Quetschung geheilt hat“.

Schon 1773 setzte Wilhelm bis zu 700 Arbeiter ein, um Sümpfe trockenzulegen und die Landschaft um den „Guten Brunnen“ zu gestalten. Im selben Jahr, am 3. Juni, an seinem Geburtstag, tat er in Anwesenheit seines Hofstaates feierlich den ersten Spatenstich.

 

Im September 1775 hatte Erbprinz Wilhelm seinem Vetter, dem englischen König Georg III., Truppen für den Krieg in Amerika angeboten. Er erhielt im Dezember die ersehnte Antwort mit der Annahme seines Angebotes, mit dem er etwa 17.000 Hessen als Soldaten verkaufte, die auf englischer Seite im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kämpfen mußten. Offiziell lief das unter dem Stichwort „Ausleihe“. Diese sogenannten „Subsidien- Geschäfte“ waren eine damals übliche Praxis. Wilhelm erhielt für seine Subsidien Kasse insgesamt 465.483 Pfund Sterling und wurde dadurch zu einem der reichsten deutschen Fürsten der damaligen Zeit.

Die hanauischen Truppen trafen im August 1776 in Nordamerika ein. Noch heute erinnert ein Lied an die Zwangsrekrutierten, die mit Leben, Freiheit und Gesundheit für Wilhelmsbad zahlten: „Ein Schifflein sah ich fahren, Kapitain und Lieutenant ...“. Es wurde zum ersten Mal auf der Überfahrt der armen Kerle zur Melodie des hessischen Trommlermarsches gesungen.

Am 28. August 1777 bestimmte der Erbprinz 8.000 Gulden aus der Subsidienkasse zum Bau eines Badehauses beim „Guten Brunnen in dem Hochstädter Wald“. Wilhelmsbad ist somit ein Produkt der „Soldatenvermietung“ ebenso wie der fürstlichen Bauwut.

 

Wilhelm war aber Zeit seines Lebens ein guter Kaufmann. So dauerte es noch einmal fast zehn Jahre, bis Wilhelm den Auftrag an den höfischen Baudirektor Franz Ludwig Cancrin gab, mit dem Bau einer Kuranlage zu beginnen, denn 1772 hatte man eine zweite, ergiebigere Quelle gefunden. Später kamen drei weitere Quellen hinzu.

Nach dem Plan des fürstlichen Baudirektors Franz Ludwig von Cancrin wurden sofort die Bauarbeiten begonnen. Er hatte aber die Möglichkeit zum Teil auf Pläne seines Vorgängers Johann Friedrich Heerwagen - einem Hanauer Architekten - zurückgreifen zu können. Im Jahr 1777 begann er mit dem Bau des spätbarocken Gebäude-Ensembles und der Gestaltung des Parks nach englischem Vorbild. In nur wenigen Jahren verzauberte er den ehemaligen Steinbruch in ein romantisches Fleckchen Erde.

Im Winter mußte der Brunnenaufseher Steiz aus Sicherheitsgründen schon im ersten neuerbauten „Badhaus“ wohnen. Im Frühjahr 1778 wurde weitergebaut und ein weiterer Pavillon, das „Traiteurhaus“, errichtet. Im Juni wurde mit den Arbeiten für einen „,Arkadenbau“ als Wandelgang angefangen. Im Oktober wurde das Holz für den „Logierungsbau in acurater Größe des Badhauses“ bestellt. Ende des Jahres betrug die Summe des ausgegebenen Geldes für die angefangenen Bauten bereits 39.779 Gulden, davon stammten aus der „englischen Subsidienkasse“ 30.867 Gulden.

Eine vermutlich von dem Architekten selbst stammende Entwurfszeichnung für diese erste Bautenreihe am „Guten Brunnen“ hat sich in den Staatlichen Kunstsammlungen in Kassel erhalten. Die Ansicht von Süden zeigt den Brunnentempel als Mittelpunkt der Anlage vor dem „Badhaus“ jenseits der Straße. Freigestellt schließt sich der überdeckte Arkadengang nach links an das „Badhaus“ an. Daneben steht, weiter nach Westen, der „Logierungsbau“, der spätere „Fürstenbau“, als Abschluß der Gebäudereihe. Neben dem „langen Bau“ östlich des „Badhauses“, der als Remise diente und ein Uhrtürmchen mit zwei Bronzeglocken aus der Werkstatt des J. Peter Bach in Windecken trägt, bildet das „Traiteurhaus“, später Kavalierbau“ genannt, den Abschluß der Gebäudereihe.

 

Das Bad entstand in einer Epoche, die dem Heilwert der Bäder besonderes Zutrauen entgegenbrachte, so daß es rasch in Flor kam und der Erbprinz gezwungen war, an eine Erweiterung zu denken. Im Sommer 1778 konnte der Fürst in seinem Tagebuch feststellen: „Ich fand den guten Brunnen stark in Mode..“

Aus der nachfolgenden Erweiterung der ursprünglich kleineren Anlage resultiert auch die heutige asymmetrische Lage des den Kurgebäuden vorgelegten klassizistisch wirkenden Brunnentempels, der sich im ersten Stadium von Wilhelmsbad im Zentrum der Anlage befand.

Für die Erstellung dieser Kurgebäude gaben sich der Fürst und sein Architekt, der Baudirektor Franz Ludwig Cancrin, von der fürstlichen „maison de plaisance“ leiten lassen. Die aufgelockerte Anordnung der Gebäude war mit Erfolg schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts im böhmischen Kukus, später in Freienwalde an der Oder und in Pyrmont zur Anwendung gebracht worden - eine Gruppierung, wie sie auch späterhin als Vorbild für die Konzeption eines Bades beibehalten wurde. Cancrin hat seine Erkenntnisse in einem ausführlichen Kapitel seiner 1792 in Gotha verlegten architekturtheoretischen Schrift „Grundlehren der Bürgerlichen Baukunst, nach Theorie und Erfahrung vorgetragen“ ausführlich dargelegt.

Vier gleichartige zweistöckige Pavillons mit Mansarddächern, zwei sich ebenfalls in Form und Umfang gleichende eingeschossige Remisenbauten mit einfachen Walmdächern und das stattliche ebenfalls mit hohem Mansarddach. Die Architekturformen sind für die Entstehungszeit ‑ ein Kunstgriff des Architekten ‑ ein wenig altertümlich. Cancrin war nämlich der Ansicht, daß er mit einem Rückgriff auf Bauformen des 17. Jahrhunderts wahre antikische Formen gefunden habe, die er im Sinne eines retrospektiven Klassizismus zur Anwendung bringen wollte. Die Mansarddächer mit den reizenden Dachgauben und dem geschwungenen Anstieg der Dachlinie sind noch ganz die „französischen“ Dächer des Spätbarock. Diese Dächer bestimmen wesentlich den Eindruck der Badeanlage.

 

Die Badeanlage im Wald trat in Konkurrenz zur Schloßanlage am Main. In dem 1776 ‑ 1784 als persönliche Schöpfung des Erbprinzen errichteten Bad ist das barocke Schloßbauschema, das wir in Schloß Philippsruhe in so ausgeprägter Weise kennengelernt haben, wieder verlassen. Es gibt keine Achsen mehr, die auf den Hauptbau zuführen. Die Straße führt an den Häusern vorbei. Der Park ist bereits als englischer Park, als Landschaftspark, angelegt, es ist einer der ersten Landschaftsparks in Deutschland.

Das alte Barockschema klingt im Mittelteil der Anlage noch nach: Der Kurbau steht zurückgesetzt zwischen zwei Pavillons. Die Pavillons stehen aber nicht mehr in Verbindung mit dem Hauptbau. Diese Isolierung der ehemaligen Seitenflügel des alten Schemas ist aber so zaghaft ausgesprochen, daß kein Wagen zwischen den einzelnen Bauten durchfahren kann, der Abstand beträgt etwa 1,50 Meter. Die Gesamtanlage mit ihrem symmetrischen Wechsel von langen Trakten und Pavillons und dem Mittelbau mit Kolonnade trägt in Einzelheiten schon klassizistische Züge. Verstohlen versucht das Ornament des frühen Klassizismus, der Zopf, sich als Dekoration einen Platz.

 

Mittlerweile hatte der Ort auch einen Namen erhalten: „In den ersten Tagen des Mai 1778 bat mich eine Deputation von Fabrikanten und Bürgern der Neustadt, dem guten Brunnen meinen Namen zu geben. Ich stimmte zu, und dieser Ort wurde Wilhelmsbad genannt“, berichtete darüber der Erbprinz in seinen Lebenserinnerungen stolz.

Der 3. Juni 1779 war der Tag der Grundsteinlegung und der 36. Geburtstag des Erbprinzen Wilhelm von Hessen‑Kassel (1743-821) war. Die Kur‑ und Badeanlage selbst war zu dieser Zeit in ihrer ersten Gestalt vom Hanauer Hofarchitekten Franz Ludwig Cancrin bereits vollendet worden. Der Baumeister hatte an seinem Werk keine rechte Freude. Franz Ludwig Cancrin wurde in einen Prozeß wegen Unterschlagung öffentlicher Gelder verwickelt und 1782 zu sechs Monaten Haft verurteilt und entlassen. Er trat später in den russischen Staatsdienst.

Ein „Avertissement“ meldete am 7. Juni 1779 „dem Publico“, daß man nun auch am Badeort sich einquartieren konnte. Eine Badeordnung und die Preise wurden veröffentlicht. Die Sommerzeit 1779 brachte erstmals viele Gäste in den neu errichteten Kurort. Am Ende der Saison erschien eine „Liste der Kur‑, Bad‑ und Brunnen‑Gäste“, in der sich manche bekannte Namen aus nah und fern finden. Besonders zahlreich hatte sich das Frankfurter Bürgertum einlogiert. Neben der „Madame Contard durfte Madame Bettmann“ nicht fehlen, der „Hr. Geheimer Legat, Rath von Günderode, war der Nachbar von Hr. Leonhardi“, und der Amtmann Usener aus Bergen traf die „Frau von Barkhausen“ im Badeort.

Natürlich gab es auch eine Menge adeliger Besucher, die mit ihrem Badeaufenthalt dem Bauherren die Reverenz erwiesen. So schrieb der Erbprinz in sein Tagebuch: 7. Juli 1779. Der Zustrom der Leute war so stark in diesem Sommer, daß es an Platz fehlte. Die neuen Säle waren zu klein. Das Pharaospiel, das man hatte erlauben müssen, um Fremde herbeizulocken, führte alle Welt herbei. „Wilhelmsbad mon bijou et mon endroit favori“, nannte der Fürst nun seinen neu erbauten Badeort.

Der Andrang zur Badesaison 1779 veranlaßte den Erbprinzen, weitere Pläne in Wilhelmsbad zu verwirklichen. „Der Mangel an Platz bestimmte mich, die Arkade zu vergrößern, dort dreigroße Säle zu errichten und zwei Stockwerke darüber. Man begann zuerst die Fundamente zu legen und den Bau zu beschleunigen, damit dieses große Bauwerk vor Jahresende unter Dach sein könnte, was trotz des Regenwetters glücklicherweise gelang“, schrieb er in sein Tagebuch.

Weiter beschloß der Fürst, „eine alte Ruine in Wilhelmsbad zu bauen in der Form eines alten Schlosses oder einer Burg . . . Die Grundmauern meiner neuen Wohnung, der Ich den Namen ‚Burg’ gab, wurden im September gelegt.“

Durch die Erhöhung und Veränderung des Arkadenbaues, der vordem nur ein überdeckter Wandelgang war, wurde der auf den Mittelpunkt eines Brunnentempels konzipierte Plan des Architekten Cancrin aus dem Gleichgewicht gebracht. Wilhelm wußte dies, veranlaßte aber trotzdem neue Bauarbeiten. Die Arbeiten begannen zuerst „gegen die Ansicht Cancrins“, der sich dreinfinden mußte. Entsprechend der Remise neben dem „Traiteurhaus“ wurden im Westen ein zweites niedriges, langgestrecktes Stallgebäude und ein neuer vierter Pavillon der Gesamtanlage hinzugefügt. Ein zweiter Brunnentempel vor dem „Logierungsbau“ sollte die Symmetrie wieder herstellen ‑ er wurde nicht gebaut.

Der Erbprinz tat alles, damit sein Lieblingsort bekannt wurde. Er veranlaßte eine regelrechte Werbung zum Besuch des Bades. Für sein Wilhelmsbad ließ der Prinz mit allen verfügbaren Medien werben. Das erste war ein bestellter Briefroman. Der hessen‑hanauische Rat Andreas Schäfer verfaßte einen Text, die fingierten „Briefe eines Schweizers über das Wilhelmsbad bei Hanau“. Der Hanauer Hofmaler Anton Wilhelm Tischbein wurde beauftragt, Zeichnungen für Kupferstiche als Beilage zu diesem Büchlein zu fertigen. Der Rat schrieb an eine „reizende Amalie“, seine Geliebte, in Briefform begeisternde Ausbrüche über das neue Bad. „Goethes Werther“, 1774 in Briefform erschienen, war wohl sein Vorbild.

Kupferstiche in Massenauflagen nach Bildern des Hofmalers Anton Wilhelm Tischbein wurden herausgebracht. Auch andere Künstler, u.a. Johann Georg Schütz, haben das damalige Bild von Wilhelmsbad in reizvollen Veduten festgehalten. von Gotthelf Wilhelm Weise wurden drei Bilder gestochen.

 

Es folgten die glänzendsten Jahre für das neue Bad. Es war eine glückliche Zeit für das Bad. Der Bauherr verfolgte begeistert jede Regung an „seinem Badeort“, an dem ein ungezwungenes heiteres Leben herrschte. Als Brunnentrinker mischte er sich unter die Gäste, die seine gewollte Anonymität respektierten. Sein Hofstaat war verärgert über diese Züge einer Menschlichkeit, die im Sinne der Aufklärung eine neue Natürlichkeit suchte. Der junge Fürst suchte nicht mehr den Geist der Repräsentation, der sich in einem monumentalen Schloßbau geäußert hätte, seine Bauten sollten der „ganzen Menschheit“ dienen, so wie er sie verstand. Dabei hatte er auch handfeste wirtschaftliche Interessen im Spiel. Der Kurort sollte ihm Einnahmen bringen, die die Staatskasse dringend brauchen konnte.

Im Jahre 1785 siedelte Wilhelm als Landgraf nach Kassel übers und fand dort größere Aufgaben vor. Im Sommer freilich zog es ihn immer wieder nach Wilhelmsbad. Seine Anwesenheit gab dem Treiben der Kurgäste den besonderen Reiz. Auch als Hausherr schien er allgegenwärtig: Jede Kleinigkeit, die den Badebetrieb betraf, wurde ihm gemeldet ‑ etwa die Zahl der vorbestellten Zimmer, Personalien prominenter Gäste, Wirtschaftsnöte und selbst belanglose Zwischenfälle.

 

 

Geschichte

1779: Nach der Eröffnung am 3. Juni 1779 erlebte Wilhelmsbad eine glanzvolle, freilich recht kurze, Epoche als Treffpunkt der Großen Welt. Nie wieder hat der Fremdenverkehr im Gebiet zwischen Main, Rhön, Vogelsberg und Spessart ähnliche nationale und internationale Bedeutung gehabt wie in Wilhelmsbad in dem Jahrzehnt vor dem Ausbruch der Französischen Revolution und in der unruhigen Zeit Ende des 18. Jahrhunderts. Schon in den ersten Jahren reichten die Gebäude kaum aus, um alle Fremden, die Wilhelmsbad aufsuchen wollten, zu beherbergen, zumal da die Saison sich auf die wärmere Jahreszeit beschränkte. Im Jahre 1779 wurden 301 Gäste registriert.

           

1779: In seiner Glanzzeit war Wilhelmsbad ein mit einer Spielbank verbundener Treffpunkt der vornehmen Welt und Tagungsort verschiedener gewichtiger Veranstaltungen. Die Spielbank dürfte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Wilhelmsbad über so manche Krise hinweggerettet haben. Ab 1779 versuchten Gäste von Wilhelmsbad dort ihr Glück. Ein Bericht nennt 1794 die Spiele Pharao, Biribi und Roulette. Am 8. Januar 1849 entschied die Nationalversammlung in Frankfurt, alle Spielbanken zu schließen, was auch in Wilhelmsbad am 30. April 1849 geschah. Im Jahre 1851 erfolgte eine Wiedereröffnung, zunächst nur für eine Woche, dann aber am 2. September für längere Dauer. Eine Aufzeichnung aus dem Jahr 1862 besagt: „Die Spielbank ist in den Händen eines französischen Pächters, der jährliche Pachtzins beträgt 24.500 Gulden und die sonstigen Kosten 40.000 Gulden. Der höchste seit Menschengedenken hier vorgekommene Gewinn oder Verlust wird 20.000 Gulden nicht erreichen.“ Durch den Norddeutschen Bund kam 1864 jedoch das Aus. Wie so manches andere verschwand die Spielbank von der Wilhelmsbader Bildfläche. Im Jahre 1870 hörte der Spielbetrieb in Wilhelmsbad auf.

 

1780: Goethe zu Besuch in Wilhelmsbad

Wenn in Hanau von berühmten Literaten die Rede ist, werden an erster Stelle zumeist die Brüder Grimm genannt. So war auch Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe oft zu Besuch in Hanau. Goethe war offen für vieles, hat gerne ausprobiert, ohne sich zu sehr zu begeistern. Daß Deutschlands großer Dichter einmal einen Schluck des als Allheilmittel gepriesenen Wilhelmsbader Wassers genommen hat ‑ gut möglich. Ob er indessen auch an die Wirkung geglaubt hat?

Für Goethe war Hanau vertrautes Terrain; schon als Kind hatte ihn sein Vater zu Spazierfahrten dorthin mitgenommen. Vor allem seine Mutter ist gerne hierher gekommen. In Frankfurt war es ein beliebter Brauch, den Sonntagsausflug nach Wilhelmsbad zu unternehmen. Bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts hatte diese Tradition Bestand. Schon zu Goethes Zeiten war es keine weite Reise, auch ohne Auto und Bahn. Man war knapp drei Stunden unterwegs. Die Fahrt ging mit der Kutsche über Bornheim, Bergen und die Mainkur.

Oft machte Goethe zudem nur kurz in Hanau Station, meist während der Durchreise von Weimar nach Frankfurt und zurück. Ein Aufenthalt indessen ist in besonderer Erinnerung geblieben, allerdings nicht in guter. Im Winter 1779/80 war der Dichter mit dem Herzog von Weimar auf Reisen und weilte dabei auch in Wilhelmsbad. Eine besondere Ehre war es dem Erbprinzen, daß diesen Ort am 9. Januar 1780 der regierende Herzog von Weimar, „ein aufgeklärter, aber eigenartiger Fürst“ besuchte. Er hatte bei sich Goethe, einen deutschen Schriftsteller von einer neuartigen Schreibweise . . .“

Goethe aber war reichlich genervt, wie einem Brief an Frau von Stein zu entnehmen ist:

„So ziehen wir an den Höfen herum, frieren und langweilen, essen schlecht und trinken noch schlechter.“ Noch vier Jahre später denkt Goethe mit Schaudern daran zurück, schreibt von den „bösen Erinnerungen“, die „ein Reißen in den Gliedern“ verursachen. Getrübt ist sein Blick zurück aber wohl auch wegen des heftigen Schnupfens, unter dem er während der Reise litt.

 

1781: Ein gewisser Leonhard Hadermann begann 1781 seine Hymne auf Wilhelmsbad: „O Quell, der du den Namen erhieltest von unserem Fürsten“. Für ein Lustfahrzeug, das auf dem See des Parks schwamm, fand er die Worte: „... der vergoldete Kahn tanzt auf dem schimmernden Naß. Welch Vergnügen, im Nachen beim Klang der Flöte zu fahren, welcher Genuß, im Schiff ohne Gefahren zu ruhn ...“.

 

1781: Kaiser Josef II. war in Wilhelmsbad zu Gast. Unter den Namen „Graf“ besichtigte der Kaiser am 27. Mai 1781 das Bad. Am 19. Juni 1781 war Erzherzog Maximilian von Österreich zu Gast.

 

1782: Das Bad hat 380 Gäste, von denen 126 im Arkadenbau, 129 in den Pavillons, die anderen im Remisenbau, im Jägerhaus und einige in der Stadt untergebracht wurden.

 

1782: Großmeister Herzog Ferdinand von Braunschweig beruft die Freimaurer zu einem „Convent“ nach Wilhelmsbad. Dieser Kongreß trug wesentlich zum Bekanntwerden des jungen Bades bei. In 30 Sitzungen einigte sich eine Mehrheit auf das „Wilhelmsbader oder Recticificirte System“, welches Goldmachen, Geisterbeschwörung und andere magische Künste als unwürdig ablehnte.

 

1785: Wilhelm verlegt seine Residenz von Hanau nach Kassel, was sich nachteilig auf die Entwicklung des Bades auswirkte. Die Bautätigkeiten stoppten. Selbst das vier Jahre zuvor eröffnete Comoedienhaus versank in einen Dornröschenschlaf. Die feine Gesellschaft verkehrt nunmehr in der Residenzstadt und die napoleonischen Kriege taten ein Übriges, das Kurbad einem Dornröschenschlaf zu überlassen.

 

1788: Aus dem fernen Amerika kam ein anderer bekannter Mann und logierte in Wilhelmsbad: Thomas Jefferson, amerikanischer Gesandter in Paris und später Präsident der Vereinigten Staaten, zeichnete gar eine Ansicht des Kurbades in sein Tagebuch.

 

1798: Auf der erhalten gebliebenen „Liste der Kur‑, Bad‑ und Brunnengäste in Wilhelmsbad vom Anfang bis Ende der Kur 1798“ stehen, hinter „Se. Hochfürstl. Durchlaucht der regierende Herr Landgraf“, unter anderen: die verwitwete Königin von Preußen, der Erbprinz von Isenburg‑Birstein, der kaiserliche General Fürst von Reuß, der englische Minister Cranford, der russische Minister von Simolin, die Fürstin von Usingen „mit zwei Prinzessinnen und übriger Suite“, die verwitwete Herzogin von Cumberland, der regierende Fürst von Coburg, Offiziere in beträchtlicher Zahl, aber auch Bankiers, Kaufleute und einige Bürgerliche, die gar keine Profession angaben.

 

1799: König Friedrich Wilhelm III und Königin Luise (+1810) waren 8 Tage Gast des Landgrafen. Wilhelms Sohn Wilhelm wurde mit der Tochter des preußischen Königs verheiratet.

 

1800: Anfang des 19. Jahrhunderts erlebte der Badeort eine kurze Renaissance. Besonders kurz währte die Blütezeit des Kurbetriebs. Noch in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts war die Nachfrage größer als das Angebot. Doch bereits ein Jahrzehnt später legten sich erste Schatten auf das Kurbad. Und über die Heilkraft des Wassers verbreiteten sich allmählich spöttische Witze in Hanau und Umgebung. So fristete die Anlage ein bescheidenes Dasein, obwohl nie Zweifel an ihrer Schönheit bestand.

 

1803: Im Sommer 1803 laden der König Wilhelm III und die Königin von Preußen (die Königin Luise) Goethes Mutter aus Frankfurt zu einem Besuch von Wilhelmsbad ein. Daß sich zu ihnen auch noch der Herzog von Weimar gesellte, berichtet die alte Dame brieflich ihrem Sohn: „O! Wieviel liebes und Gutes hat Er von dir gesagt.“

 

1815: Am 26. Juni erfährt König Friedrich Wilhelm III. von Preußen bei einem Aufenthalt in Wilhelmsbad, daß Napoleon bei Waterloo bzw. Belle Alliance besiegt war.

 

1818: Kaiser Franz I. von Österreich und Zar Alexander I. von Rußland sowie König Friedrich Wilhelm III. von Preußen und Kanzler Metternich beehren Wilhelmsbad im September. Sie reisen zum Aachener Kongreß. Die Hoffnung des Kasseler Kurfürsten, die „Heilige Allianz von Wilhelmsbad“ werde ihn zum König von Hessen machen, geht aber nicht in Erfüllung.

 

1832:

In diesem Sommer des Jahres 1832 ist das ein Akt mit hoher politischer Brisanz: Der Deutsche Bund, eine Versammlung aus 41 Staaten, die durchweg vom Adel regiert werden, wacht in Frankfurt am Main mit Argusaugen darüber, daß die feudale Welt mit ihren zahlreichen Zoll‑ und Staatsgrenzen von liberalen Honoratioren, studentischen Radikalen und den Deklassierten aus den Industrie‑ und Handwerksstuben nicht eingerissen wird.

Trotz aller Zensur und Überwachung, trotz eines ausgeklügelten polizeilichen Spitzelsystems und der wechselseitigen Versicherung der herrschenden Aristokratie, sich im Falle von Unruhen beizustehen, ist der Geist des Nationalismus und Liberalismus aber längst entfesselt ‑ entstanden im Abwehrkampf gegen Napoleon und gespeist nicht zuletzt aus den trüben Quellen des völkischen Nationalismus mit seinen antisemitischen Untertönen.

In diesen Tagen hat das Streben nach Einheit und Freiheit neue Nahrung bekommen: Die Franzosen hatten zwei Jahre zuvor ihren König verjagt, allenthalben in den deutschen Staaten brandet Begeisterung für den Freiheitskampf der Griechen und Polen auf. Zudem fördern wirtschaftliche Stagnation, Mißernten und hohe Preise für Lebensmittel die Unzufriedenheit in der Bevölkerung.

In Hanau, das seit 100 Jahren zu Kurhessen gehört, ist die Unzufriedenheit längst handgreiflich geworden. In gut zehn Jahren ist die Stadt von 9.600 auf 14.000 Einwohner gewachsen, 3.000 Menschen sind ohne Arbeit und zum guten Teil obdachlos. Elf Armenstiftungen versuchen, das Leid zu mildern. Weitaus stärker als in der Landeshauptstadt Kassel spüren die Menschen die technische Modernisierung und die Fesseln der Zollgrenzen: Die Textilindustrie führt den mechanischen Webstuhl ein und macht viele arbeitslos.

Wegen der Zollgrenzen fließen die Warenströme an Kurhessen vorbei, zum Leidwesen der Hanauer. So entsteht Krawall als politischer Protest gegen die alte Ordnung. Wegen hoher Steuerabgaben, einem kaum zu überblickenden Zollsystem zerstören die Hanauer am 24. September 1830 die Zollstationen in der Stadt und an der Mainkur. Es ist nicht das letzte Mal, daß die Hanauer Gewalt als politisches Mittel einsetzen, weshalb ein Heißsporn der kurhessischen Armee, Generalmajor Friedrich Wilhelm von Loßberg, im Frühjahr 1832 den denkwürdigen Satz sagt: „Die Hanauer sind ein unruhiges Volk, welches zu züchtigen mir die Freude machen würde. Hätte ich nur 10.000 Mann, ich würde die Stadt in Brand schießen, das Hanauer Volk verdient es nicht besser.“

Daß sich von Loßberg bei einer Untersuchung im Kriegsministerium später auf die in der Verfassung verankerte Redefreiheit beruft, ist eine der ironischen Wendungen dieser Zeit. Diese Verfassung, vom Marburger Juristen Sylvester Jordan ausgearbeitet und am 8. Januar 1831 verabschiedet, ist die modernste der Zeit. Karl Marx nennt sie Ende der 50er Jahre „die liberalste, die je in Europa verkündet wurde“. Recht auf Steuerbewilligung, Ministerverantwortlichkeit und die Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, nicht auf den Landesherren, sind einmalig im Deutschland des 19. Jahrhunderts.

Und doch sieht sich die nationale und liberale Bewegung nicht am Ziel. Bei der ersten politischen Massenveranstaltung bei Neustadt auf der Burgruine Hambach Ende Mai 1832 fordern die 20.000 Teilnehmer, eine politische Vertretung des gesamten Volkes zu konstituieren. Der bayerische Landtagsabgeordnete Friedrich Schüler schlägt vor, solche Veranstaltungen in allen deutschen Gauen zu organisieren.

 

Am 22. Juni war das erste Wilhelmsbader Fest, ein „Hambacher Fest“ in kleinerem Format, etwa vier Wochen nach dem Hambacher Fest (27. - 30. Mai). Es war ein Fanal der erwachenden demokratischen Bewegung, in der Hanau ja bekanntlich eine bedeutende Rolle spielen sollte. Der Tag gehört zu den stolzesten in der Hanauer Geschichte. Hier setzte sich eine stolze Hanauer Tradition fort, die ihren Niederschlag in den Auseinandersetzungen von 1948 um Pressefreiheit, Verfassungsrechte und in einer doch bedeutenden Arbeiterbewegung fand.

Es wurde wiederum zu einem „Fest“ eingeladen, diesmal nach Hanau. Nur unter dem  Namen „Fest“ war es angesichts der strengen Zensur überhaupt möglich, politische Meinungen öffentlich zu äußern.

Das Wilhelmsbader Fest haben angesehene Hanauer Bürger organisiert. Die Obergerichtsanwälte Blachiere, Emmerich und Manns, der Pfarrer Merz, die Herren Brand, Häußler, Leisler und Pelissier hatten in den liberalen Zeitungen zu einem Festmahl nach Wilhelmsbad eingeladen Der Obrigkeit wurde als Zweck die „Stärkung des Geistes der Verbrüderung unter den deutschen Volksstämmen“ genannt.

 Trotz des harmlos klingenden Namens „Festmahl“ wurden die Verantwortlichen der kurhessischen Regierung, vor allem der Minister des Inneren Ludwig Hassenpflug (Schwager der Brüder Grimm), in Aufregung versetzte. In einem Protokoll erklärte Hassenpflug (er wurde später im Volksmund „Hessenfluch“ genannt), daß die Regierung nicht die Absicht habe, das geplante „Mittagsmahl“ zu stören, solange es dabei um die Vereinigung deutscher Stämme zu einem Staatenbund gehe.

Allerdings werde die Regierung keinerlei „verbrecherische Regungen dulden, wie sie auf dem Hambacher Fest vorgekommen“ seien. Reden, die auf eine Auflösung des Deutschen Bundes und die Schaffung eines deutschen Einheitsstaates zielten, waren ausdrücklich verboten. Um Ausschreitungen zu verhindern, wurde Militär bereit gestellt.

 

Viele Hambach-Teilnehmer waren dabei, hinzu kamen Bürgerrechtler aus Hanau, Frankfurt, Darmstadt, Gießen, Fulda, Kassel, dem Frankenland und Sachsen. Sie kommen aus Gelnhausen, Darmstadt, Neustadt, Kassel, Gießen, Fulda, Hannover und Braunschweig. Von den Teilnehmern wurde ausdrücklich bedauert, daß zahlreiche angemeldete Gäste aus Bayern nicht kommen konnten, weil die Polizei in Aschaffenburg die Gäste angehalten hatte.

Das liberale Honoratiorentum ist nach Hambach gewarnt: Es scheut die Republik und will sich mit dem Adel auf Grundlage einer konstitutionellen Monarchie arrangieren. Um Radikale, vor allem Handwerker und Industriearbeiter, fern zu halten, schlägt der Liberale Karl von Rotteck vor, das Hanauer Fest auf Freitag zu legen, um „unglückliche Abschweifungen einiger Exaltierter“ zu verhindern.

Und dennoch kommen die, die offenbar nicht willkommen sind. Getreu dem Hambacher Vorbild begann das Fest am Morgen des 22. Juni mit einem Festzug, der vom Hanauer Gasthaus „Zur Goldenen Schachtel“ in der Krämergasse ausging. Viele schwarz-rot-goldene Fahnen wurden mitgeführt, die erste Fahne enthielt die gestickte Inschrift „Einheit Deutschlands, Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit“, auf einer anderen stand „Ohne Freiheit kein Leben“. Alle liberalen Hanauer Vereine waren dabei. Man wollte den Geist der Verbrüderung unter den deutschen „Volksstämmen“ stärken, wie es in der Einladung hieß. Als der Zug mittags in Wilhelmsbad eintrifft, stehen beinahe 10.000 Menschen beisammen.

 

In Wilhelmsbad angekommen, wurde der Zug von Pfarrer Georg Jonas Merz begrüßt, der betonte, daß vor allem die Vereinigung der deutschen Bruderstämme der Zweck des Festes sei. Dann wurden alle Fahnen auf dem Balkon aufgestellt, und man wählte den Redakteur Dr. Förster aus Fulda zum Festpräsidenten.

Gleich zu Beginn des Festes sprach der aus Bayern ausgewiesene Redakteur Dr. Georg Fein, der betonte, die Bestrebungen der Bürger zielten auf Reform. Sollte diese aber nicht erreicht werden, so werde man die Einstimmigkeit aller Stände auch auf anderem Wege zu erreichen wissen. Wörtlich: „Wenn der gesetzliche Weg uns abgeschnitten würde, wenn die rohe Gewalt uns alles Recht entreißen wollte, sollten wir dann auch als Männer Blut und Leben der großen Sache weihen“. Es sprachen auch der Advokat Reh aus Darmstadt und der Theologe Bernhard Dehnhard. Doch die Reden waren sehr gemäßigt, Hanaus Polizeidirektor Friedrich Neuhof hat daran nichts zu beanstanden.

 

Gegen 13 Uhr beginnt das splendide Mittagsmahl für 300 vermögende Liberale und mit ihm der Regen. Die, die draußen bleiben müssen, schimpfen über die „Aristokraten“ und „Justemilianer“. Unübersehbar waren in Wilhelmsbad unterschiedliche politische Positionen. Während die dem Bürgertum angehörenden Teilnehmer am Festmahl im Saal auf vorsichtige Reformen innerhalb des monarchischen Systems setzten, wurden von den im Regen ausharrenden Handwerksgesellen, Tagelöhnern und Bauern auch staatsumwälzende Forderungen erhoben. Trotz aller Unterschiede:

Das angekündigte Mittagsmahl wurde im Festsaal des Kurhauses aufgetragen. Alle 300 Teilnehmer mußten dafür den für damalige Verhältnisse sehr hohen Preis von einem Kronentaler zahlen. Diese Summe, und der Umstand, daß das Mahl an einem Freitagmittag, also während der Arbeitszeit normaler Sterblicher stattfand, zeigt, daß nur das gehobene Bürgertum, Akademiker und wohlhabende Kaufleute teilnehmen konnten. Das führte bei den Tausenden, die bei strömendem Regen im Freien ausharrten und auf die Ansprachen der Festredner warteten, zu erheblichem Unmut.

Während die Gäste im Kursaal speisten und wiederum Reden gehalten wurden, stand das Volk draußen im Park im Regen und konnte kaum die mitgebrachten eigenen Speisen verzehren. Schimpfwörter flogen in den Festsaal, mehr und mehr breitete sich Unwillen aus. Gegensätze zwischen den Akademikern und Kaufleuten im Saal und dem „Volk“ draußen taten sich auf. Da trat der Student Karl Heinrich Brüggemann aus Heidelberg auf den Balkon und „unternahm es, das Fest wieder in eine Sache des Volkes zurückzuverwandeln“, wie der Chronist Heinz Winkler berichtete.

 

In dieser angespannten Situation ergreift der Heidelberger Burschenschaftler Heinrich Brüggemann das Wort. Vom Balkon aus wettert der begabte Redner gegen die Mätressenwirtschaft des Kurfürsten, das absolutistische Rußland, fordert die Bewaffnung der Bevölkerung mit Piken und Flinten und verlangt den Acht‑Stunden‑Tag ‑ und wenn es mit der Aristokratie nicht anders geht, „dann an die Laterne mit ihr“. Wenige Wochen später schreibt Brüggemann im „Wächter am Rhein“: „Die Anatomen sind der Meinung, daß die Brust eines meineidigen Fürsten sich gar leicht durchbohren läßt.“

Später reden der Frankfurter Journalist Wilhelm Sauerwein, der mit seinem Kollegen Friedrich Funk zu jenen Radikalen gehört, deren ausgeprägter Antisemitismus lange unter dem Deckmantel des Lokalpatriotismus verborgen worden ist. Die Reden wühlen das Volk nicht auf, markieren aber deutlich den tiefen Graben zwischen dem Großbürgertum und seinem Willen zur Kooperation mit dem Adel, und den radikalen Republikanern mit ihren sozialen Ideen auf der anderen Seite. Anfang Juli verbietet Kurhessen die schwarz‑rot‑goldene Fahne und untersagt Volksfeste mit politischem Hintergrund.

 

Brüggemann hielt eine leidenschaftliche, mitreißende Ansprache. Er wandte sich gegen die Mätressenwirtschaft des Landesherrn, die Despotie der Fürsten und forderte das Volk auf, sich nichts mehr von seinen Rechten nehmen zu lassen.

Brüggemann: „Jeder Mensch ist zur Freiheit geboren, nicht zum Lasttier. Auch der Tagelöhner muß gut leben können und nicht 13 Stunden am Tag arbeiten, sondern nur sechs oder acht Stunden« Es gehe auch nicht an, daß alles, was der Bauer in einem Monat oder Jahr erbringen könne von einem einzigen Fürstenhofe an einem Tage verpraßt werde. Das Volk habe das Recht auf Widerstand gegen die Fürsten. Wenn es nicht anders gehe, müsse man die Fürsten an die Laternen knüpfen“. Brüggemann erntete enthusiastischen Beifall, viele bezeichneten ihn als „zweiten Luther“.

Brüggemann wurde kurz nach dem Wilhelmsbader Fest wegen seiner politischen Aktivitäten als Burschenschafter in Heidelberg und wegen seiner Reden in Hambach und Hanau verhaftet und nach Preußen ausgeliefert. In einem Prozeß wurde er zum Tode durch das Rad verurteilt. Später wurde das Urteil in „Lebenslänglich“ umgewandelt und nach der Thronbesteigung von Friedrich Wilhelm IV. wurde er begnadigt.

Als Redner trat unter anderen auch der Kandidat Dehnhard aus Hanau auf. Im Polizeibericht hieß es dazu, „Dehnhard habe sich in gesetzlichen Ausdrücken bewegt“. Minister Hassenpflug hatte nämlich zahlreiche Spitzel und Polizeibeobachter nach Wilhelmsbad geschickt. Letztere sollten aufrührerische Redner sofort verhaften. Die Spitzel sollten als amtliche Zeugen für freisinnige Reden bereitstehen.

In den folgenden Tagen nach dem Wilhelmsbader Fest wurden „viele Teilnehmer schwersten polizeilichen Verfolgungen ausgesetzt“. Winkler schließt seinen Bericht: „Ebenso wie das Hambacher Fest, wenn auch in kleinerem Maßstab, war das Wilhelmsbader Fest ein Schrei der Unterdrückten und ein Ausdruck der deutschen Sehnsucht nach einem geeinten Vaterlande, ein Meilenstein auf dem Wege der deutschen Einheitsbewegung des 19. Jahrhunderts“.

Die Folgen des Wilhelmsbader Festes zeigten sich Jahre und Jahrzehnte später in Hanau. In vielen Gruppen und Clubs, auch in den neu gegründeten Turn- und Gesangvereinen und den ersten Arbeitervereinen (sie verstanden sich überwiegend als „demokratisch-republikanisch“) wirkten die freiheitlichen, sozialen und die reformerischen Ideen des Wilhelmsbader Festes nach. Ihren Höhepunkt fanden die freiheitlichen Bestrebungen der Hanauer in den Revolutionswochen von 1848, als in Hanau der offene Kampf ausbrach gegen die fürstlichen Tyrannen.

Nach den vielen Reden auf dem Wilhelmsbader Fest 1832 sind die Leute' nicht gleich nach Hause gegangen. Viele waren noch in der „Fuchs'schen Wirtschaft“, die in einer Zeitungsanzeige zur „Gartenillumination“ eingeladen hatte; zugleich wird sich die rühmlichst bekannte Steyerische National-Sängerin Maria Jansa hören lassen.

 

1832:

Die Hanauer und ihre aufmüpfigen Zeitungsorgane und Streitschriften verstanden es, ihre Anliegen immer wieder mit Satire, Humor, mitunter auch Galgenhumor, deutlich zu machen. Ziel des Spotts war die vom Volk gehaßte Mätresse des Kurfürsten, die Reichenbach. In jener Zeit entstanden eine Fülle herrlicher musikalischer Kabinettstückchen, Karikaturen und freche Verse, die die Mätressenwirtschaft des Landesfürsten aufs Korn nahmen. Und die alten Hanauer jener Tage tanzten mit Vergnügen den „Crawallwalzer für Pianoforte“ und den „Flennwalzer“, der der Gräfin Reichenbach gewidmet war. Die „Gräfin“, mit bürgerlichem Namen Emilie Ortlepp, Tochter eines Berliner Juweliers, war zuvor vom Zorn der Kasseler Bevölkerung aus der Residenzstadt vertrieben worden, hatte sich zunächst in Frankfurt niedergelassen und war auf „untertänigste Bitten“ einiger Hanauer Geschäftsleute, die ihre Ausgabefreudigkeit kannten, im März 1831 nach Wilhelmsbad umgezogen. Die Bitten jener Geschäftsleute hatten die Reichenbach so gerührt, daß sie in Tränen ausgebrochen war. Ein Witzbold komponierte darauf den „Flennwalzer“, der über viele Jahre in Hanau ein „Hit“ war, wie wir heute sagen würden. Die Originalkomposition wird im historischen Museum aufbewahrt. Am Samstag, den 23. Juni 2007, erklang sie noch einmal vom Glockenturm des Rathauses am Marktplatz.

 

1833: Erneut wird das „Maifestgefeiert 10.000 bis 15.000 Menschen finden sich zu den von der Obrigkeit gar nicht gern gesehenen Kundgebungen vor dem Kurhaus ein und forderten Reformen.

 

1847: Es gibt Renovierungsarbeiten am Kurhaus Wilhelmsbad, zahlreiche Tanzveranstaltungen und Gartenilluminationen es herrscht aber eher noch die friedvolle, apolitische, scheinidyllische Beschaulichkeit des Biedermeier.

 

1847: Eine Schilderung von Pfingstmontag, 24. Mai 1847: Nachmittags von 4 ‑ 7 Uhr war ich am Wilhelmsbad. Den ganzen Tag über hielt sich das Wetter. Um 3 Uhr hatten wir 23 Grad Wärme. In der vergangenen Woche erbauten Halle (Musikpavillon gegenüber dem Arkadenbau) für die Musiker spielten 30 Mann vom 3. Leibgarde-Infanterie- Regiment und zwar abwechselnd mit Orchester‑ und Türkischer Musik unter der Direction des Musikmeisters J. G. Heller. Alle nun hergerichteten Säle sind mit Spiegeln vom größten Format, Lustre mit Christalllampen, weiche angezündet einen magischen Efect machen. Es befinden sich zwei Roulette in zwei Sälen. Auf beiden Seiten des Kurgebäudes, sowie allenthalben stehen Blumen terrassenförmig aufgestellt. Vor den Gebäuden sowie an mehreren anderen Orten sind neue eisengußene Laternenpfähle aufgerichtet. Alle Gebäude nebst Theatergebäude, Küche, Wachthaus pp., sind weiß angestrichen worden.

Heute morgen mögen etwa. 8.000 - 9.000 Menschen mit über 150 fremden Wagen daselbst gewesen sein. Portiers und Kellner sind sehr elegant gekleidet. Die heut stattgefundene Etiquette verbot: „Herren, welche keine Halsbinde anhaben, ist der Eintritt in die Säle verboten!“

 

1848: Maifest mit Robert Blum und „Tag der Turner“.

Am Montag, dem 3. April 1848 findet (in Hanau der erste Deutsche Turntag statt. Am Nachmittag um 3 Uhr versammelten sich die Turner abermals mit ihren Fahnen auf dem (Neustädter) Marktplatz und zogen unter Vortritt der Bürgermusik nach dem freundlichen Wilhelmsbad. Hier angekommen, wurden sie von der Kesselstädter Schuljugend, welche bewaffnet mit Fahnen und einer Trommel versehen, begrüßt. Es herrschte ein ungeheuerer Frohsinn, es wurde im Freien getanzt; der Zudrang war so groß, daß viele der Herren ihr Bier aus Gießkannen trinken mußten.

Sonntag, 14. Mai 1848: Nachmittags fand in Wilhelmsbad ein großes Maifest statt. Schon um 2 Uhr fand im Freien ein Concert mit vollständigem Orchester der Hanauer Bürgergarde Musik statt. Herr Robert Blum, zur Zeit Mitglied des 50er Ausschusses der konstituierenden National‑Versammlung in Frankfurt, welcher unsere Stadt heute mit einem Besuch beehrte, war ebenfalls in Wilhelmsbad anwesend.

Abends 6 Uhr betrat derselbe den Balkon des Kurhauses, und nachdem ihn Herr Oberbürgermeister Rühl dem versammelten Volke vorstellte, hielt er eine lange, aber sehr gediegene Rede. Namentlich hob er die Gesinnungstüchtigkeit der Hanauer hervor.

 

1848: Kurfürst Friedrich Wilhelm verlegt seine Residenz für drei Monate nach Wilhelmsbad.

 

1848: Es gibt Veranstaltungen im Zusammenhang mit der sogenannten Staatsdienerrevolution in Kassel unter Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Hessen‑Kassel und dem vom Volk gehaßten, in Hanau geborenen Chefminister Ludwig Hassenpflug. Kurz darauf ist die innerhalb der Bevölkerung gegenüber der Obrigkeit stark ins Negative geänderte Haltung ablesbar: Früher übliche euphorische Hurras zum Geburtstag Friedrich Wilhelm I. von Hessen‑Kassel wandeln sich in ein für den Fürsten bedrohliches Gemurmel.

 

1848: Am Sonntag, dem 20. August 1848, ist der 46. Geburtstag des Kurfürsten Friedrich Wilhelm I. von Hessen. Es ist dies der erste Geburtstag, welcher derselbe als Kurfürst feiert. Vergleicht man die Feier dieses Tages in früheren Jahren mit dem heutigen, so findet man einen großen Unterschied. Zum erstenmal, daß sich die Hanauer, sowohl die Bürgergarde, als auch die Staatsdiener in keiner Weise beteiligen. Und da im Augenblick auch kein Militär in der Stadt liegt, so unterblieben auch von dieser Seite gewöhnlich gebrachte Huldigungen als: Beleuchtung der Militairkasernen, großer Zapfenstreich am Vorabend, Festessen am Wilhelmsbad. Es verschallte nicht ein Hoch für den Landesfürsten, die Bürgergarde unterließ die jedes Jahr stattgefundene große Parade.

Der Pächter und Wirth vom Wilhelmsbad, Herr Carl Panizza, zeigt auf heute Ball und Concert, um 8 Uhr große Illumination mit 3000 farbigen Lampen zu Wilhelmsbad an, wogegen sich jetzt schon eine Demonstration kund gibt, indem ein großer Theil von unseren s. g. innern Feinden heute abend nach Wilhelmsbad ziehen und dort den an jenem Vergnügen Theilnehmenden statt eines Hochs ein allgemeines Gemurmel (jetzt an der Tagesordnung) bringen will!“

 

1850:

Am Nachmittags des Dienstag, 17 September 1850. ist Wilhelmsbad ist nach allen Seiten von Militärposten besetzt. Die Wache zählt 60 Mann. Die drei Bahnhöfe der Frankfurt‑Hanauer Eisenbahn sind mit Militärwachen (12 ‑ 16 Mann) an jedem Bahnhof besetzt. Vor dem Palais des Kurfürsten spielt die Musik des 3. Infanterie‑Regiments. Unter den Gästen befinden sich weder höhere Militärs noch Zivilangestellte.

Nachmittags um 5 Uhr kam der Minister Hassenpflug (jetzt allgemein mit dem Namen der „Hessen Fluch“ bezeichnet) mit seiner Frau von Frankfurt kommend, in Wilhelmsbad an. Sie wurden weder von den Anwesenden begrüßt, noch durch Jemand empfangen, doch bemühte sich Jeder, Hassenpflug von Angesicht zu schauen. Insultiert wurde er nicht. Durch Verordnung vom 28. Dezember 1850 ist der Sitz der Regierung von Wilhelmsbad nach Kassel wieder zurückverlegt.

 

1850: Am Sonntag, dem 29. September 1850, nachmittags, 6 Uhr, fuhr der Kurfürst von Wilhelmsbad nach Frankfurt. Beim Einsteigen in seinen Wagen, um den sich eine Menge Volkes als Neugierige drängten, gab er dem wachthabenden Posten den Befehl, die Menschen fort zu jagen! Es ist unverschämt! Seine Königliche Hoheit war in sehr gereizter Stimmung, zumal Niemand von den Neugierigen den Hut abzog.

(Das Wissen über die Geschehnisse in Hanau in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verdanken wir zum großen Teil einem Mann, der von 1825 bis 1875 in neun dicken Foliobänden von jeweils 500 bis 700 Seiten akribisch und absolut zuverlässig über die Hanauer Ereignisse Tagebuch geführt hat: Johann Daniel Wilhelm Ziegler, von Beruf Klavier- und Gesangslehrer, geboren in Hanau am 11, März 1809, gestorben ebenfalls in Hanau am 11. April 1878. Sein nach ihm benanntes, einzigartiges Werk, die „Ziegler’sche Chronik“, befindet sich heute im Besitz des Hanauer Geschichtsvereins 1844. Die Folianten sind in alter deutscher Schrift geführt und enthalten in einer gut lesbaren, flüssigen Schreibe sehr anschauliche Notizen über Persönlichkeiten der Stadt und der Region, Vereinsveranstaltungen, Berichte über Brände, Kriminalfälle, Teuerungen, soziale Notstände, politische Versammlungen, Demonstrationen und noch manches andere. Auch die Kur‑ und Badeanlagen Wilhelmsbad sind von Ziegler mit etlichen Eintragungen bedacht worden).

 

1850: Ein aus Frankreich stammender neuer Kur‑ und Spielpächter richtete im Jahr 1850 ein prächtiges Pfingstfest aus. Die Truppe, die im Comoedienhaus spielte, stammte ebenfalls aus Frankreich.

 

1851 Von September bis Dezember regierte die kurhessische Regierung von Wilhelmsbad aus

 

1857: In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verlor Wilhelmsbad allmählich seine Bedeutung und wurde zu einem Ausflugsort der Hanauer und Frankfurter. Im Jahr 1857 schließlich wurde der Kurbetrieb offiziell eingestellt. Geblieben sind der Park und die meisten der Gebäude.

 

1861: Theaterleiter Hommel übernahm die Spielstätte der Stadt Hanau: Das der ländlichen Architektur Wilhelmsbads nachempfundene Gebäude geriet erneut in Vergessenheit.

 

1870/71: Die Gebäude waren Lazarett und Erholungsheim für Verwundete, ebenso im Ersten Weltkrieg.

 

um 1881: Es gibt Verkaufspläne von Wilhelmsbad um 1881 durch den preußischen Besitzer:

Im Jahre 1883 schrieb ein Vertreter der königlichen Regierung in Kassel, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten dem zuständigen Ministerium in Berlin: „Unter dem in Renaissance-Stil des 18. Jahrhunderts errichteten zahlreichen Gebäuden ist nicht ein einziges dem Schönheit oder künstlerischer Wert nachzurühmen wäre. Namentlich entbehren sie sämtliche der reizvollen Ornamentik mit welcher die Rokoko-Zeit die Fassaden und die Treppenhäuser zu schmücken verstand. Künstlerisch Schönes ist in Wilhelmsbad nicht vorhanden. Das Naturschöne wird durch die zahlreichen benachbarten Staats- und Gemeindewaldungen erhabener vertreten, als durch den oft genannten Park, in welchen außerdem das für Studium der Botanik nur durch Eichen, Buchen, Aspen und etliche Weichhölzer gesorgt ist ……  das die Anlage keinerlei Anspruch hat, mit dem Berliner Thiergarten, der Karlsaue, Wilhelmshöhe und Wilhelmsthal bei Kassel und ähnliche Anlagen und Bauwerken auf derselben Stufe betrachtet zu werden!“

Dieser Regierungsvertreter rät dringend zum Verkauf der Wilhelmsbader Anlage, da die Unterhaltungskosten höher als der Miet- und Pachtzins seien. Mögliche Käufer waren die Stadt Hanau und Landgraf Friedrich Wilhelm von Hessen-Kassel. Der Verkaufswert von 200.000 Mark war aber zu hoch.

 

1897: Ein Großindustrieller wollte 10 Hektar des hinteren Parks kaufen. Es gab eine Protestwelle in der Hanauer Bevölkerung und Petitionsschreiben an die Minister in Berlin. Ein Hanauer Stadtrat „ ist nach wie vor der Ansicht, daß der preußische Staat berufen sein dürfte, die öffentlichen Anlagen von Wilhelmsbad und die Wirtschaft so zu erhalten, wie er solche übernommen hat.“ Damit war eine Parzellierung des Parkes gestoppt.

 

1929 und 1930: Es finden wieder einige Aufführungen im Theater Wilhelmsbad statt.

 

1945: Den Zweiten Weltkrieg überlebte Wilhelmsbad zwar, doch nach dem Kriege war es wichtiger, Heimatvertriebenen und Evakuierten eine Unterkunft zu bieten, als Kureinrichtungen zu neuem Leben zu erwecken. Es wohnen 23 Familien noch lange in den ehemaligen Ställen, die nie für eine solche Nutzung vorgesehen waren. Es fehlt die Wärmedämmung, Feuchtigkeit dringt ein. Mit den rund 190.000 Mark für die Bauunterhaltung der gesamten Anlage konnten die Verhältnisse kaum verbessert werden. Hinzu kommen die Auflagen des Brandschutzes, die oft dem Denkmalschutz entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund möchte Mathieu lieber in den Pavillons Wohnungen einrichten. Immerhin ließ man schon früh dem Park die nötige Pflege angedeihen. Im Park fand die Bevölkerung Zerstreuung.

 

1969: Die Hanauer sind auch später ihrem Wilhelmsbad treu geblieben. Der Staatsminister a. D. und Oberbürgermeister i. R. Heinrich Fischer bekannte noch in einem 1969 gedruckten Grußwort: „Für die Bürger war es eine Freude, wenn sie dort in der untergehenden Sonne der Feudalherrschaft lustwandeln konnten, und für die Niederen gab es auch einen Platz. Wie viele Hanauer meiner Generation, verbrachte auch ich in meiner Jugend manche Stunde im Park von Wilhelmsbad.“

 

1969: Die Krönung der Restaurierung und des Aufbaus stellte wohl im Oktober 1969 die Einweihung des wiedererstandenen Comödienhauses Wilhelmsbad dar, aus dem seit dieser Zeit der Hessische Rundfunk zahlreiche Produktionen übertragen hat.

 

1983: Im Arkadenbau wird das Hessische Puppenmuseum eingerichtet und 1986 erweitert. Das ermöglicht den Besuchern auch den Zutritt zu den historischen Räumen. Das mit ebensoviel Sachkenntnis wie Engagement aufgebaute Museum zeigt die Entwicklung der Spielpuppe in verschiedenen Kulturkreisen vom Altertum bis in die Gegenwart. Der Verein Hessisches Puppenmuseum wird auf eigene Kosten räumlich expandieren.

Ein Parkpflegewerk für Wilhelmsbad beschreibt die Geschichte der Anlage und die Veränderungen und gibt vor, was künftig geschehen soll. Der Hessische Rundfunk hat signalisiert, sich wieder stärker im als Parktheater bundesweit einzigartigen Comoedienhaus zu engagieren. Bleibt das Problem der Gastronomie. Der Wirt beklagt die mangelnde Bereitschaft des Landes, in die Bausubstanz zu investieren. Umgekehrt mahnt Wiesbaden ein Konzept des Pächters an. Wilhelmsbad ist längst kein Kurort im wörtlichen Sinne mehr, aber es ist ein beliebtes Ausflugsziel geblieben.

 

2000: Im Kurhaus ist eine eigentümliche Tristesse eingekehrt. Staub liegt auf den Stühlen, die früher einmal als komfortabel gegolten haben mochten. Hier und da ein schmuckloser Tisch, an der Wand ein Klavier. Rosafarbene Tapeten sollten vermutlich die vornehme Atmosphäre aufleben lassen, wie sie vor mehr als 200 Jahren den großen Saal im Kurhaus Wilhelmsbad erfüllt hat. Vom einstigen Glanz ist im Inneren kaum etwas übriggeblieben. Einzelne Birnen hängen von der Decke; Licht läßt sich aber nicht einschalten ‑ kein Strom. Während draußen die Sonne scheint, verdecken schwere Vorhänge die Fenster, es ist düster und die Luft muffig. Der gegenüber liegende Saal läßt mit Kronleuchter und Spiegel noch eher etwas von der einstigen Pracht erahnen ‑ heruntergekommen ist auch er.

Seit Herbst 1998 sind die beiden großen Gesellschaftsräume verwaist. Sie gehörten bis dahin zur Gastronomie und wurden für Feierlichkeiten aller Art vermietet. Vorher schon wenig gepflegt, modern sie seit dem plötzlichen Verschwinden, des Pächters vollends vor sich hin. Das Land Hessen das für die Kuranlage Wilhelmsbad zuständig ist, tut nichts, solange sich kein neuer Gastronom gefunden hat.

Eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Denn ein Pachtvertrag ist Voraussetzung für die Sanierung ‑ aus zweierlei Gründen: Der künftige Gastronom soll nicht nur ein Nutzungskonzept vorlegen, sondern sich auch an den Kosten beteiligten, in nicht unerheblichem Maße, wie es heißt (unter anderem benötigen die Räume eine neue Heizung und Lüftung, die noch aus den 30er und 40er Jahren stammen). Ein Gespräch mit einem Interessenten aus Hanau scheiterte, ohne daß die Gründe bekannt geworden wären. Inzwischen ist die Verpachtung ein zweites Mal ausgeschrieben worden, bislang ohne Ergebnis.

Bei einer Führung der „Verwaltung der staatlichen Schlösser und Gärten“ durch die Räumlichkeiten ist das Erstaunen groß bei jenen, die vorher noch keinen Blick hinter die Türen werfen konnten. Außen hui, innen ‑ nun ja. Tatsächlich hat das Land Hessen Wilhelmsbad lange stiefmütterlich behandelt. Obwohl überall noch viel von der alten Bausubstanz erhalten ist, bieten die Gebäude innen fast durchgängig ein ziemlich trauriges Bild.

Im Judenbau unten verschlossene Türen, oben der Mief der 50er Jahre. Ein Büro der Schlösser- und Gärtenverwaltung ist dort untergebracht, alles andere als repräsentativ. Türen und Beschläge des Judenbaus stammen, zum Teil noch aus dem 18. Jahrhundert und die frühere Raumaufteilung mit Ankleidekabinen und Badestuben im Erdgeschoß und dem großen Speisesaal fürs koschere Mahl im ersten Stock läßt sich noch gut erkennen.

Immerhin: Im „Fürstenbau“ tut sich etwas. In den Räumen der ehemaligen „Galerie Hild“ gibt's nun Informationen zu Wilhelmsbad. Zwei der Zimmer, in denen früher hohe Herrschaften nächtigten, sollen demnächst renoviert werden und dabei ihre originale Farbgebung bekommen: rot das eine, blau und grün das zweite, ein Doppelzimmer mit einem getrennten Wohn‑ und Schlafbereich sowie einem Kamin für kühlere Tage.

Die Räume, die zum Teil noch über originale Fenster verfügen, sollen nach Auskunft von Thomas Ludwig, dem Leiter des Fachgebietes Baudenkmalpflege der Verwaltung Staatlicher Schlösser und Gärten, so renoviert werden, daß der frühere Gesamteindruck wieder erlebbar wird. Der blau‑grüne „Fürstenraum“ wird deshalb mit historischen Möbeln eingerichtet. Außerdem soll eine Dauerausstellung über die Kuranlage Wilhelmsbad im Erdgeschoß untergebracht werden.

Erschwerend kommt hinzu, daß bereits seit den 20er Jahren ein Teil der Räumlichkeiten als Wohnungen genutzt wird. Vor die Tür setzen kann das Land niemanden, lediglich bei einem Auszug nicht mehr weiter vermieten, wenn etwas frei wird.

Auf diesem Weg kam auch das Hessische Puppenmuseum zu seinen neuen Räumen. Doch selbst, als die Wohnungen schon längst leer standen, mußte die Museumsleitung noch lange auf die ersten Baumaßnahmen warten. Ein zäher Prozeß war’s, bis die neuen Räume im vergangenen Jahr endlich eingeweiht werden konnten.

 

2000: Im Jahre 2000 sanierte die Dachdeckerfirma Lang aus Großenlüder den sogenannten „Langen Bau“. Das ist das eingeschossige zurückgesetzte und in der Tat ewig lange Gebäude zwischen dem Badhaus (heute Restaurant und Café) und dem Kavaliershaus (das auch als Foyer und Zugang zum Comoedienhaus dient); man könnte auch sagen, der rechte Flügel der Gesamtanlage.

„Das muß nachher alles wieder im Originalzustand sein, etwas schepp und krumm wie vor 200 Jahren. Das macht viel Arbeit. Wenn wir’s glatt und sauber machen könnten, wäre viel Arbeit gespart", sagt Bauleiter Berger. Als Beispiel nennt er die diagonal übers Dach verlaufenden Kehlen und Grate aus Schieferplatten. „Die wurden beim letzten Dachdecken ‑ nach meiner Schätzung wohl noch vor dem Zweiten Weltkrieg ‑ einfach weggelassen. Das wird nun alles wiederhergestellt, wozu wir alte Bilder und Zeichnungen haben.“

Neben sechs Dachdeckern und zwei Zimmerleuten sind auch zwei Bauschreiner zu Gange. Sie gehören zum Fachbetrieb für Denkmalpflege von Jean Kramer aus Künzell (bei Fulda) sanieren die Holzkonstruktionen der Dachgauben und bauen originalgetreue Fenster ein. Mit den gleichen Aufgaben sind Fachleute von Jean Kramer auch auf der zweiten Großbaustelle beschäftigt, sozusagen zwei Häuser weiter.

Denn in Arbeit ist derzeit auch das große Zentralgebäude der Wilhelmsbader Kuranlage, der Arkadenbau. 1777/78 als Wandelgang für die Kurgäste gebaut, wurde es bereits 1779 als Kurhaus erweitert und um ein Stockwerk erhöht. Im ersten Stock befindet sich das Hessische Puppenmuseum. Hier arbeiten Leute von Zimmermeister Matthias Fritz aus Tann in der Rhön und von Dachdeckermeister Siegfried Fiedler aus Triebes in Thüringen.

Drittens ist auch die so genannte Bergküche in Arbeit, das hinter dem Zentralbau erhöht stehende Gebäude.

Im ersten Bauabschnitt, der im Sommer 1999 begonnen hatte und im Mai dieses Jahres endete, wurde der Fürstenbau saniert, das Badhaus sowie der Stallbau, sozusagen der linke Flügel und das Gegenstück des Langen Baus. Unten waren Pferde und Wagen untergebracht, darüber in den Dachkammern schliefen die Mägde und Knechte. Der Judenbau ‑ ganz links außen ‑ ist schon 1998 vom Staatsbauamt selbst saniert worden. Das Haus ist inzwischen Außenstelle der Staatlichen Verwaltung Schlösser und Gärten Hessens. Bleiben noch Remisenbau und Gartenwirtschaft zu sanieren. Zielgerade ist die Landesgartenschau 2002.

Neuerdings plätschert sogar wieder der Brunnentempel: Eine Gartenpumpe hat den Job der matten Quellennymphe übernommen.

 

22. bis 24. Juni 2007: Wilhelmsbader Fest

Freitag, 22. Juni

18.00 Uhr Empfang im Comoedienhaus in Wilhelmsbad.

18.30 Uhr Eröffnung der Ausstellung historischer Karikaturen

19.00 Uhr Oberbürgermeister Claus Kaminsky: Begrüßung der Gäste, offizielle Festeröffnung Grußworte von Karl Weber, Leiter der Verwaltung Hessischer Schlösser und Gärten Festrede von Günter Mick, Historiker und Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zum Thema »Pressefreiheit«

20.00 Uhr Premiere des Theaterstücks „Ein Fest der Freiheit“, eine Inszenierung der Dramatischen Bühne Frankfurt unter der Leitung von Thorsten Morawietz

22.00 Uhr Fackelführung durch den Park mit Heidrun Merk unter dem Motto: „Parkluft macht frei“.

 

Samstag, 23. Juni:

11.00: Uhr Glockenspiel im Rathaustürmchen: „Krawallwalze«, Flennwalzer“

15.00: Uhr Festbeginn in Wilhelmsbad

Auf der Kurpromenade wird es eine lange Tafel geben, die – diesmal im Freien – die historische Situation nachstellt. Es darf Platz genommen werden. Jeder kann ein Picknick mitbringen oder sich an den Ständen des Kulturvereins und des Wilhelmsbader Karussellvereins mit Getränken, Kaffee und Kuchen versorgen. Ab 18 Uhr serviert der Hanauer Köcheverein warme Speisen. Es wird ein Kinderprogramm angeboten, ganz in der Nähe der Tafel, damit Eltern und Kinder entspannt das Fest genießen können. Der Eintritt ist frei.

15.00: Uhr Hanauer-Jazz-Big-Band unter den Linden im Park

16.30 Uhr Dezentrale Lesungen im Park: Schüler der Hola lesen aus dem „ABC-Buch der Freiheit“ von Wilhelm Sauerwein aus dem Jahr 1832 und andere Texte. Der Förderverein der Stadtbibliothek Hanau bietet im Musikpavillon Lesungen für Kinder an. Sue Ferrer, Sologeigerin, begleitet die Festgäste mit einem klassischen Programm.         

18.00: Uhr Impressionen an das historische Fest mit Schauspielern der „Prinzenrolle“ und Professor Boehncke in der Rolle des Studenten Heinrich Brüggemann. Die musikalische Umrahmung gestaltet die Blue Moon Company

19.00 Uhr: „Von Swing bis Sting“ mit der Blue Moon Company

19.30 Uhr: „Ein Fest der Freiheit“ der Dramatischen Bühne Frankfurt (Comoedienhaus), Eintritt 10 Euro, Kartenreservierung bei den Hanauer Vorverkaufsstellen

21.00 Uhr: „Ladies Night“ begleitet in den Sommerabend: Vocal-Jazz mit Elementen aus Soul, Pop, Blues, Latin und Swing

22.00 Uhr: „Ein Fest der Freiheit“ der Dramatischen Bühne Frankfurt (Comoedienhaus), Eintritt 10 Euro, Kartenreservierung bei den Hanauer Vorverkaufsstellen

 

Sonntag, 24. Juni:

11.00 Uhr: Philosophische Matinee unter der Leitung von Dr. Axel Wüstenhube. Diese Gesprächsrunde der Volkshochschule diskutiert aktuelle Bezüge zum Thema „Freiheit“. Zur Finanzierung des Festes werden „175-Jahre-Wilhelmsbader-Fest“-Buttons zum Preis von 5 Euro verkauft. Der Unkostenbeitrag für neu hinzukommende Teilnehmer beträgt 5 Euro. Musikalische Begleitung: Heike Matthiesen und Holger Lützen

Die Ausstellung Historische Karikaturen im Comoedienhaus ist am Samstag und Sonntag geöffnet.

 

Zum Fest gab es auch einen Krawallschoppen: Während das liberale Bürgertum im Saal das „Mittagsmahl nebst einer Flasche Wein zum Preis von einem Krontaler“ einnahm und dabei unter Aufsicht des Polizeidirektors den mehr oder weniger angepaßten Reden zuhörte, standen die Krawaller im Regen und bekundeten lautstark ihren Unmut - und tranken Krawallschoppen. Grundlage des Krawallschoppens war und ist der Bohnapfel, der von den Fachleuten »besonders zu Obstpflanzungen auf dem Lande« empfohlen wurde. In Hanau und Umgebung waren deshalb die Bohnäpfel seit verbreitet; der Bohnapfel war der »Brotbaum des kleines Mannes«.

Keltermeister Jörg Stier hat für das Wilhelmsbader Fest einen Krawallschoppen kreiert. Seine mild-süffige Note läßt auch heute noch an Krawall denken, wenn nicht sofort der Bembel wieder aufgefüllt wird. Den Krawallschoppen gibt es in der Kelterei Stier, Am Kreuzstein 25 in Bischofsheim, ausgeschenkt wird er beim Wilhelmsbader und dem Lamboyfest sowie in der Gaststätte „Alt-Kesselstadt“ in Hanau und im neu eröffneten Gartenlokal „Werner's blauer Bock“ zwischen Heldenbergen und Windecken, in unmittelbarer Nähe der historischen Zollstation.

 

 

Kurbauten

An einer Allee aufgereiht liegen in aufgelockerter Bauweise die sieben Gebäude, die heute (von West nach Ost) Judenbau, Langer Bau, Fürstenbau, Arkadenbau („Kurhaus“), Badehaus und Kavalierbau und das etwas  zurückversetzte Theater  („Comoedienhaus“) genannt werden. Die vier vorstehenden Pavillons sind zweigeschossig mit Mansarddächem. Die Fenstereinrahmungen sind rustikal, behäbig und weisen auf die römische Antike zurück. Der hier vorherrschende Kunststil ist in der Zeit des Übergangs zwischen Rokoko und Klassizismus anzusiedeln. Gemäß der Mode der damaligen Zeit, die in der Landgrafschaft Hessen-Kassel immer noch vorherrschte, nannte man diesen Stil den „Zopfstil“. Der Zopfstil ist die deutsche Variante zum französischen Louis-XVI-Stil.

 

1. Judenbau: Pavillon  IV

Dieses Haus gab Erbprinz Wilhelm im   Jahre 1780 zuletzt in Auftrag, um den Besuchern mosaischen Glaubens ein eigenes Haus in der Anlage bieten zu können. Dabei trieb ihn nicht allein tolerante Menschlichkeit an, sondern vor allem wirtschaftliches Denken. Die Ankleidekabinen und Badestuben waren im Erdgeschoß, der große Speisesaal fürs koschere Mahl war im ersten Stock. Dort sollten ursprünglich nur jüdische Gäste wohnen. Dafür wurde erheblich die Werbetrommel gerührt. Doch trotz der starken Werbung wohnten nie ausschließlich jüdische Heilungsuchende dort.

 

2. Logierungsbau oder Fürstenbau: Pavillon  III

Das prächtige Haus entstand 1779 als Logierungsbau für Kurgäste. Es wurde ab bald vom Kurfürst Wilhelm sowie vom Kasseler Hof als Quartier genutzt. Erbprinz Wilhelm nutzte den Fürstenbau als privates Appartement. Hier verfasste er den ersten Band seiner Memoiren in französischer Sprache, ursprünglich für seinen Lieblingssohn, den verstorbenen Friedrich.  Im Jahre 1781 ließ er sich die Burgruine als sommerliches Logis auf einer Insel im Parkweiher erbauen. Auch  nach  1785 diente dDer Fürstenbau Wohnzwecken und war dem Landesherren und seinen Gästen vorbehalten.

Von Juni 2001 bis März 2002 erfolgte die Herrichtung des Fürstenbaus. Mit der Sanierung ist es gelungen, den Fürstenbau wieder in seine ursprüngliche architektonische Gestaltung zurückzuversetzen und dabei Umbauten aus dem Jahr 1921 rückgängig zu machen. Damals war der bereits heruntergekommene Bau an eine Gesellschaft verpachtet worden, die hier kleinteilige Wohnungen einrichtete. In einem der Räume wurde nun eine original bemalte Wandbespannung freigelegt, die in den nächsten Monaten von Restauratoren wieder hergestellt wird. Dann sollen sich auch nach und nach die Räume mit Möbeln füllen.

Das schmucke Café hat nur tagsüber geöffnet. Jahre bereits ist das Land deshalb auf der Suche nach einem Gastronomen und hat sogar europaweit ausgeschrieben; bislang scheiterten aber alle Bemühungen. Einer der Hauptgründe war die hohe Eigenbeteiligung, die das Land von potentiellen Partnern gefordert hatte, ein weiterer die zeitliche Unsicherheit. Denn weil nicht klar war, wann genau das Gebäude saniert werden sollte, konnte ein Pächter eben auch nicht wissen, wann ein geplantes Restaurant seinen Betrieb würde aufnehmen können. Nun soll die Sanierung also absehbar sein.

Weil bereits beim Planen des Arkadenbaus vor rund 200 Jahren Fehler bei der Statik gemacht wurden, hat sich die Decke der Kurhaussäle mittlerweile stark abgesenkt. Deshalb muss eine aufwendige Tragwerkskonstruktion eingebaut werden, was aber weder die historische Bausubstanz beschädigen darf noch den laufenden Betrieb des Hessischen Puppen allzu stark beeinträchtigen soll. Der Umfang dieser nötigen Stabilisierungsarbeiten fällt unerwartet groß aus. Überdies plane das Land, das Gebäude teilweise zu unterkellern, um dort Garderoben und andere Räume unterzubringen.

Im Jahr 2002 wurde in Teilen des restaurierten Gebäudes zur Besucherinformation eine kleine Ausstellung über die Geschichte des Kurbades und seines Landschaftsgartens eröffnet. Die Dauerausstellung über die Geschichte der ehemaligen Kur- und Badeanlage Wilhelmsbad ist von Dienstag bis Donnerstag in der Zeit von 14 bis 18 Uhr sowie samstags von 13 bis 18 Uhr und sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. In dem Pavillongebäude befindet sich heute der Informations‑ und Kassenraum der Verwaltung Staatlicher Schlösser und Gärten, Telefon 0 6181 / 83376, geöffnet samstags 13 bis 17.30 Uhr, sonntags schon ab 10 Uhr. Dort beginnen die Führungen durch den Park oder die Burg samstags 14, 15 und 16 Uhr; sonntags von 11 bis 16 Uhr zu jeder vollen Stunde. Die Teilnahme kostet 7 Mark. Informationen zu Sonderführungen auch bei Heidrun Merk, Telefon 069 / 595818.

 

3. Arkadenbau (oder Kurhaus):

Repräsentativ herausgehoben ist der Arkadenbau vopn 1778, der 1780 erweitert wurde und zu einer Art Kurhau wurde. Ursprünglich war er eine Wandelhalle in der Größe der sonstigen lang gestreckten Gebäude der Anlage. Ab 1780 ist er als zweigeschossiger Bau der Repräsentationsbau der Gesamtanlage. Vom ursprünglichen Konzept blieb der Arkadengang zu ebener Erde. Zusätzlich hat die Vorderfassade einen Mittel- und zwei Eckrisaliten. Auf den leicht vorspringenden Vorbauten finden wir Giebel, die Hessen-Hanauische Wappen zeigen. In der Mitte ist eine Art Balkon, ein Altan, der auf drei Säulen lagert. Erdgeschoß und erstes Geschoß haben flache vorgelagerte Pfeiler aufliegen. Im Erdgeschoß sind es toskanische und im ersten Geschoß ionische Pilaster. Ihnen liegen waagerechte Steinbalken, die Architave, auf.

Drei Bauabschnitte hat der Arkadenbau in der Wilhelmsbader Kuranlage im Jahre 2012 bereits hinter sich gebracht: Zunächst wurden vor einigen Jahren die Fundamente und das Tragwerk gesichert. Im Jahre 2010 wurden die beiden Säle für rund 4,4 Millionen Euro nach historischem Vorbild wieder instandgesetzt. Weitere 1,4 Millionen Euro flossen in eine komplett neue Kanal- und Wasserversorgung. Für 1,1 Millionen Euro wurden schließlich die Räume des Hessischen Puppenmuseums saniert. Jetzt soll bald die Außenhülle des 1777 errichteten Gebäudes aufgehübscht werden. Dies scheint dringend nötig, denn an vielen Stellen bröckelt bereits der Putz und es fehlen Teile von Steinen.

Dieser vierte Bauabschnitt soll ab 2013 angegangen werden. Ausgebessert und ergänzt wird der Putz und das Mauerwerk aus Sandstein samt geformter Gliederungen. Der mehrfarbige Anstrich wird erneuert. Gelb und Weiß sind die vorherrschenden Farbtöne am Arkadenbau wie auch in der gesamten Kuranlage. Die Architekturmalerei in der Arkade und auf der Nordseite wird rekonstruiert. Ebenso werden die Fenster ausgetauscht.

Keinen Termin gibt es für die Herrichtung des an den Arkadenbau grenzenden Gebäudes, die Große Parkwirtschaft. „Deren Herrichtung ist aber im Rahmen des Gesamtkonzepts in Wil- helmsbad vorgesehen.

Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann, hat im September 2010 die beiden frisch renovierten Säle des Arkadenbaus im Staatspark Wilhelmsbad übergeben. Die Sanierung des Arkadenbaus, für die das Land insgesamt rund zehn Millionen Euro aufgewendet hat, dauerte rund vier Jahre. Trotz der hohen Kosten nicht hat man sich dafür entschieden, weil man hier Veranstaltungen durchführen kann.

Besonders die marode, über 200 Jahre alte Dachkonstruktion und der ungünstige Untergrund hätten Probleme verursacht: Alleine für die Unterkellerung des Arkadenbaus wurden vier Millionen Euro benötigt. Schuld daran war der harte Vogelsbergbasalt, der hier gefunden und entfernt werden musste. Die Holzdecke war schon in einem vorangehenden Bauabschnitt mit Stahl geschient worden, damit das darüber liegende Puppenmuseum wieder betreten werden konnte - auch dies verschlang seinerseits viel Geld.

Jetzt ist alles auf dem aktuellen Stand der Gebäudetechnik. Im Keller befinden sich saubere WCs und eine schicke Garderobe samt Schließfächern. Auch die Heizungstechnik verbirgt sich dort und im Erdgeschoss gibt es ein barrierefreies WC. Unter dem originalgetreu wiederhergestellten Parkettboden samt schwarzem Streifenmuster gibt es in den Sälen jetzt eine Fußbodenheizung. Zur Bewirtung von Veranstaltungen befindet sich hinter dem Durchgang zwischen den beiden Sälen zudem ein kleiner Küchenraum.

Nur einer der drei Kronleuchter in den Sälen ist noch original, die beiden anderen ließ man eigens nachbauen. Über der Quelle, die schnell versiegte und dem Kurbad damit den Garaus machte, wird demnächst noch eine Glasplatte angebracht - sozusagen als Blickfang im Eingangsbereich. An manchen Stellen wirken die Räume auf den ersten Blick .,unfertig“. Dies ist jedoch bewusst erfolgt, um die Brücke zur Vergangenheit zu schlagen.

In den Jahren 2014 und 2015 wurde die Außenhülle saniert. Begonnen wurde mit der Restaurierung des Außenganges, die Decke wurde frisch gestrichen, die Wandfassungen ergänzt und die Innenfenster nach historischem Vorbild aufgeuarbeitet. Für die Wiederbelebung der sogenannten „Großen Wirtschaft“.isti weiterhin kein Geld da.

 

Puppenmuseum:

Im Arkadenbau des Kurhauses Hanau‑Wilhelmsbad befindet sich auf rund 750 Quadratmetern das hessische Puppenmuseum. Seit die angrenzende Wohnung frei geworden ist, hoffte der Leiter Martin Hoppe auf eine Erweiterung des Hessischen Puppenmuseums. Auf 150 Quadratmetern möchte Hoppe in diesem Teil dann die umfangreiche Japansammlung unterbringen und außerdem Platz für Marionetten und Handpuppen zu schaffen, die bislang im Museum noch nicht präsentiert werden können. Doch vorher bräuchten die Räume Heizung, Stromleitungen und einen neuen Fußboden.

Im März 2009 haben die Handwerker den restaurierten Arkadenbau verlassen. Rund 30 Helfer beginnen dann  ihre Sisyphusarbeit: Tausende von Puppen warten in Kisten und Kästen darauf, ausgepackt und abgestaubt zu werden, damit sie sich zu Ostern, wenn das Museum wieder eröffnet wird, den Besuchern von ihrer Schokoladenseite präsentieren.  In die Umbauzeit rückte hin und wieder ein Lichtblick, der das Warten erträglich gestaltete. Jetzt ist dies eine Spende, die Landrat Erich Pipa mitgebracht hat. 5000 Euro hat der Kreis zugeschossen, damit der Weiterausbau zügig vorangetrieben werden kann. „Auf diese Weise haben wir es geschafft, alle Räume bis auf einen zu gestalten“, resümiert Raetzer. Für den letzten der nach Epochen angeordneten Räume, der die Nachkriegszeit widerspiegeln wird, fehlen noch rund 50.000 Euro. Doch Raetzer ist zuversichtlich, dass sich auch hier noch Sponsoren finden werden.

In den übrigen Räumen ist der Innenausbau vollendet, die Vitrinen sind aufgestellt, die mit Stoffen überzogenen Rückwände dort eingebaut und die Beleuchtungskörper angebracht. Gerade werden die letzten Lichter in den Vitrinen installiert. „Ich warte noch händeringend auf die Schrifttafeln“, sagt die Museumsleiterin. Denn im neuen Museum wird es zum einen Raumtafeln geben, die die gezeigten Epochen erläutern.

Zum anderen werden an den Vitrinen Thementafeln angebracht. Dort erfahren die Besucher dann, wie sich die veränderten Lebensgewohnheiten auf die Spielzeugindustrie ausgewirkt haben. So lässt sich anhand von Puppenhäusern des 19. Jahrhunderts nachvollziehen, dass plötzlich in Mittelstandsfamilien Kinderzimmer eingerichtet wurden.

Die späteren Puppen- Elektroherde waren tatsächlich funktionstüchtig. Schließlich sollten die Mädchen dort lernen, wie man Essen zubereitet.“ Somit hatten die Puppenhäuser einen eindeutig erzieherischen Effekt für die Mädchen. Winzig kleine Einweckapparate mit echten Mini-Rex-Gläsern im Puppenformat waren ebenfalls in der Puppenküche vorhanden. Die Mädchen sollten schon von klein auf lernen, wie sie später die im Haushalt auf sie wartenden Aufgaben erledigen konnten.

Auch die schönen handgearbeiteten Puppen-Porzellangeschirre sollten den Mädchen vermitteln, dass sie schon in jungen Jahren sorgfältig mit den wertvollen Dingen umzugehen hatten. Dieser Anspruch habe sich verändert. Die heutigen Puppenhäuser von Barbie oder Playmobil schaffen laut Raetzer eigene Traum- und Plastikwelten, die mit der Wirklichkeit nicht mehr viel zu tun haben. Vor allem aber seien Sicherheitsbestimmungen so, dass Strom oder Feuer in Kinderzimmern längst tabu seien.

So ist das Museum für Kinder geeignet, die hier in  jedem Raum wirklich spielen könne, abner auch für Erwachsene, die sich anhand der Schautaflen informieren können.

Am Sonntag, den 29. März 2009,  feierte das Kleinod im Arkadenbau nach zweijähriger Schließung seine Renaissance. Erinnern Sie sich noch an den Hutsalon im alten Museum? „Eine Dame ist ein Weib mit Hut, sagte man früher“, rief sich Gertrud Rosemann den Vitrinentext in Erinnerung. „Vor 25 Jahren lösten diese Zeilen eine ernsthafte Diskussion über die Frage aus, ob man im Museum schmunzeln dürfe“, berichtete die Gründerin des Hessischen Puppenmuseums in Wilhelmsbad.

Dr. Maren Raetzer freudig die Hände jedes Neuankömmlings. Sicherlich ist es der wichtigste Tag ihrer Zeit in Hanau, seit sie die Zügel vor vier Jahren aus den Händen Martin Hoppes übernahm. Der Vorgänger ist ebenfalls gekommen, genauso wie Verwalter und Politiker aus Stadt, Kreis und Land, die Vertreter der Kirchen, der Kunst- und Kulturinitiativen und selbstverständlich auch die Mitglieder des Fördervereins.

Als Gertrud Rosemann vor 40 Jahren begann, das abgenutzte Spielzeug ihrer vier Söhne zu archivieren, legte sie den Grundstein für eine kulturgeschichtliche Spielzeugsammlung, die heute die Antike mit dem 21. Jahrhundert verbindet. „Das große Puppenhaus spiegelte schnell unser Familienleben“, sagt sie, „Sommer und Winter, Ostern und Weihnachten, Krankheit und Geburtstage.“ Überhaupt habe fast jede Puppe, die sie irgendwo erwarb, immer ein Stück Familiengeschichte mitgebracht.

Es bedurfte Gespräche mit internationalen Fachleuten, Reisen in Museen sowie den Erwerb von Schlüsselqualitäten wie dem Etikettieren oder Präsentieren und noch mehr Herzblut, um Rosemanns heftig entfachte Sammelleidenschaft in einen prosperierenden Kulturbetrieb zu verwandeln. Im Jahre 1976 schließlich entdeckte sie Wilhelmsbad. „Es war Hans Mangold, damals Vorsitzender des Hessischen Museumsverbandes, der den Weg für das Puppenmuseum im Staatspark freimachte“, sagt Rosemann: „Er ist der Vater unseres Museums.“ So musste Hanaus Oberbürgermeister Hans Martin 1981 eigentlich nur noch die Patenschaft übernehmen, als er den Trägerverein gründete und die Übergabe der Sammlung initiierte.  Zwei Jahre später öffnete dann das Haus.

Die Gründerin begann auch den Austausch mit dem Internationalen Spielzeugmuseum Warabekan in Japan. „An der Universität unserer Partnerstadt Tottori wurden sogar schon Sondervorlesungen über das Hessische Puppenmuseum gehalten“, erklärt sie. Es sei sicherlich kein Zufall gewesen, dass Tottori seine 100-Jahr-Feier 1989 unter das Thema „Völkerfreundschaft durch Spielzeug“ stellte. Auch in Hanau ist Internationalität Konzept: In den großen Vitrinen treffen sich nicht nur Zeitalter, sondern auch Spielzeuge aus vielen verschiedenen Kulturkreisen.

 Alle drei Leiter haben Hervorragendes für das Haus geleistet. Hoppe brachte es ins Internetzeitalter, sorgte mit Nachtführungen oder der Einladung des Osterhasen für Bewegung. Raetzer gestaltete den Umbau und bewies beim Arrangieren der Exponate nicht nur Geschick, sondern wie ihre beiden Vorgänger ein Übermaß an notwendiger Leidenschaft.

Nach der umfassenden Renovierung und Erweiterung wird die thematisch und historisch geordnete Sammlung nun auf 800 Quadratmetern gezeigt. „Die Kosten belaufen sich auf etwa 350.000 Euro“, berichtet Maren Raetzer.

Telefon 0 6181 / 86212. Geöffnet ist es dienstags bis sonntags von 10 bis 12 Uhr und 14 bis 17 Uhr. Der Eintritt kostet 5 Mark, für Kinder 1 Mark, die Familienkarte 10 Mark.

 

4. Badhaus: Pavillon  II

Das Gebäude von 1777 enthielt Wohnungen für Gäste, Bäder und einen großen Saal mit zwei darunter liegenden Nebenzimmern zum öffentlichen Gebrauch, in denen Tabak und Wein gereicht wurde. Außerdem gab es dort e nen Saal.

 

5. Langer Bau  (Marstall):

Das Gebäude von 1778 war ursprünglich ein Remisenbau für Kutschen und Pferde. Im Jahre 1794 waren dort 8 Bäder, eine Wachstube, die Wohnung des Burgverwalters, eine Küche und kleinere Wohnungen untergebracht.

 

6. Kavalierbau: Pavillon I

Das Gebäude von 1 778 wird auch Traiteurhaus  genannt, denn ein  „Traiteur“ ist der Leiter einer Großküche oder ein Speisewirt. Hier waren ursprünglich 4 Badezimmer, 10 Gästezimmer und ebenso viele Nebenräume für Bedienstete untergebracht. Heute ist das Gebäude durch einen Gang mit dem Comoedienhaus verbunden:

 

7. Comoedienhaus (Theater):

Nach der vielbesuchten und lebhaften Kurzeit des Jahres 1780 zog im Herbst wieder Ruhe in Wilhelmsbad ein. Da wurde der früher schon ausgesprochene Gedanke aufgegriffen, in Wilhelmsbad auch ein Gebäude zum Theaterspielen zu errichten. Zu diesem Badeort gehörte das kleine Kurtheater als unablösbares Element. Der Erbprinz war im Hanauer „Comödienhaus“  einige Male selbst aufgetreten. So verwundert es nicht, wenn der Bauherr der Wilhelmsbader Kur‑ und Badeanlagen die Einrichtung eines Kurtheaters förderte.

Erbprinz Wilhelm von Hessen war wie seine Mutter Maria, eine geborene Prinzessin von England, und seine Brüder Karl und Friedrich ein großer Theaterliebhaber und hat gleich diesen in jungen Jahren selbst auf den Brettern gestanden. Seine Theaterleidenschaft erklärt es auch, daß er schon 1768, vier Jahre nach seinem Regierungsantritt, in seiner Residenzstadt Hanau ein Hoftheater errichten ließ, das von Anfang an auch bürgerlichen Kreisen offenstand.

Sie macht es darüber hinaus verständlich, daß der 1777 privat in Hanau lebende junge hannoversche Edelmann Friedrich Adolph von Knigge, der spätere Autor des weltberühmten Romans „Über den Umgang mit Menschen“ - den der Erbprinz sonst gar nicht mochte - Zugang zum Hanauer Hof finden konnte, wo sich unter seinem Einfluß eine förmliche Theatergruppe bildete. Ihr ließ der Erbprinz im Stadtschloß sogar einen eigenen Theatersaal herrichten.

Das Beispiel des Hofes übertrug sich auf die Hanauer Bürgerschaft. Auch hier formierte sich eine Liebhabergesellschaft und veranstaltete dramatische Aufführungen in den „Zwei Löwen“ in der Vorstadt. Und nicht nur dies: Selbst die Wilhelmsbader Kurgäste wurden vom Theaterfieber befallen. Am 10. Juli 1780 fand zur Feier des Geburtstages der Erbprinzessin im Hanauer Stadtschloß eine Aufführung von Voltaires „Nanine“ statt, bei der eine bayrische Gräfin Bergheim mit Tochter und ein westfälischer Graf Münster, die damals in Wilhelmsbad zur Kur waren, die Hauptrollen spielten.

Wilhelm schrieb an seinen Architekten Cancrin am 11. September 1780, daß dieser unverzüglich die Arbeiten für ein Haus „zum Behuf derer allhier aufzuführende Comedien“ zu vergeben habe. Es solle „eine Bude von Brettern, hinter der Küche an dem ihm angewiesenen Platz, von gleicher Länge, Breite und Höhe wie der große Saal in der Arcade“ sein.

Schon am nächsten Tag waren acht Zimmermeister erschienen, sie wurden aufgefordert, ihre Gebote abzugeben. „Der Meister, welcher dieses Gebäu accordiret, macht solches auf Ablieferung des Schlüssels fertig“, es sollte „nur eine gehobelte Pritsche zum Theater“ haben, 1800 Taler kosten und zu Anfang März 1781 auf geschlagen werden, so stand es im Bauprotokoll.

Mochte der Erbprinz auch sonst sehr sparsam mit seinen Mitteln umgehen, für das Theater hatte er eine offene Hand. Das zeigen nicht zuletzt die Garantiesummen, die er für die in Hanau gastierenden Theatergruppen aussetzte. So ist beispielsweise bekannt, daß er der „Neuhaus’schen Truppe“, genannt nach Christian Ludwig Neuhaus, einem 1749 in Weimar geborenen und am Gothaischen Hoftheater zu schauspielerischem Ruhm gelangten Mimen, ein monatliches Einkommen von 800 Gulden zusicherte, als er sie im Dezember des Jahres 1778 nach Hanau verpflichtete.

Diese Truppe war es dann auch, die Ende August 1780 den Theaterbetrieb in Wilhelmsbad eröffnete. Gespielt wurde „Jeanette“, ein Schauspiel des damals hoch angesehenen Gothaischen Regierungsbeamten und Dichters Friedrich Wilhelm Gotter (1746‑1797). Aufführungsort war das kurz zuvor auf der Wiese vor dem Karussell angelegte „grüne lebendige Theater zu Wilhelmsbad“, ein Heckentheater üblicher Art, dessen Bild uns auf einem historischen Kupferstich überliefert ist. Offenbar hat es aber nur diese eine Aufführung erlebt:

„Weil das grüne Theater noch nicht dicht genug bewachsen war“", entschloß man sich „für den nächstfolgenden Komödientag“ im großen Kursaal ein „kleines Theater“ zu errichten, wobei anzumerken ist. Daß das 18. Jahrhundert unter dem Begriff „Theater“ nur die Bühne verstanden hat. Bis zum 1. Oktober folgten acht weitere Komödientage (gespielt wurde sonntags und mittwochs), dann setzte Prinzipal Neuhaus mit seinem aus 11 Damen und 14 Herren bestehenden Ensemble den Theaterbetrieb im Komödienhaus in der Stadt Hanau fort.

Im Winter 1780/81 müssen dann die Pläne zur Errichtung des massiven Wilhelmsbader Theaters gereift sein, nachdem man den zwischenzeitig aufgekommenen Gedanken, für die theatralischen Aufführungen eine Holzbude zu bauen, wieder hatte fallen lassen. Doch es kam nicht zum Aufstellen der „Bude“. Wegen der Feuersgefahr hat Cancrin wohl den Erbprinzen davon überzeugen können, das geplante Wilhelmsbader Kurtheater nicht als „Bretterbude“, sondern in Stein errichten zu lassen. Die Hanauische Rentkammer erhielt am 26. Januar 1781 den Befehl, Gelder „zur Erbauung eines Comoedien Hauses zum Wilhelmsbad“' bereit zu stellen. Im Sommer 1781 entstand neben dem kleinen Badepavillon in Wilhelmsbad unter der Leitung des Baumeisters Cancrin ein Sommertheater, das sogenannte „Scheunentheater“.

 

Cancrin konnte sich bei seinen Plänen für das Wilhelmsbader Theater auf seine Erfahrungen bei der Errichtung des Theaters in Hanau stützen. Hier war das Vorbild für das kleine Kurtheater schon etliche Jahre mit Erfolg erprobt. Es gab zudem zu dieser Zeit schon Theatergebäude in Deutschland, die diesen Bautyp für das 18. Jahrhundert verbindlich vorgetragen hatten. Einige Idealentwürfe von Theaterbauten waren überall zur Hand.

Der Hanauer Architekt selbst hat sich mit einer Anzahl von Schriften in die Reihe der Architekturtheoretiker des 18. Jahrhunderts gestellt. In seinen „Grundlehren der Bürgerlichen Baukunst nach Theorie und Erfahrung vorgetragen“ und in Gotha 1792 erschienen, behandelt er im § 170 ausführlich die „Einrichtung der öffentlichen Opern‑ und Komödienheuser“. Hier beruft er sich auf seinen Theaterbau in Hanau und weist darauf hin, daß diese Gebäude „besonders inwendig immer mit sehr viel Pracht gebauet sein müßten, „weil eben auf den Theaters sehr erhabene Gegenstände vorgestellt werden“. Neben diesen allgemeinen Redensarten aber gibt er genaue Anweisungen über die Anbringung der Außentüren. über die Größen der Logen, die Art der Theatermaschinen usw.

Ein stilgeschichtlich und theatergeschichtlich wichtiger Bau wurde das kleine Theater in Wilhelmsbad. Ähnlich wie in Lauchstädt bei Weimar gab man diesem Theater die äußere Gestalt einer Scheune, ein französisches Theater im Zopfstil. Im Inneren war es ein geschmackvolles Rokokotheater. Der beabsichtigte Reiz dieses Baues lag in der Gegensätzlichkeit der schlichten Außenseite gegenüber der prächtigen Innenausstattung. Von außen wie eine Scheune wirkend, verriet dieses Sommertheater nichts von seiner inneren Schönheit: mit roten Polstersesseln bestuhlte Logen rahmten das nach hinten leicht ansteigende Parkett ein. Vor einigen Jahren spürte der Besucher noch etwas von dem früheren Glanz dieses Hauses. Es war bekannt für seine gute Akustik.

Das Wilhelmsbader Theater konstruierte Cancrin über einem gestreckt‑rechteckigen Grundriß von (nach heutigem Maß) 29,40 x 12,60 Meter. Zwei übereinander angeordnete Fensterbänder zu neun Achsen an den Lang‑ und drei Achsen an den Schmalseiten geben dem mit Walmdach versehenen, gut proportionierten Gebäude seine äußere Gliederung. Im Erdgeschoß waren die mittleren Achsen jeweils als Türen ausgebaut. Fenster‑ und Türöffnungen erhielten glatte Sandsteingewände, lediglich an den Türrahmen wurde ein leichtes Sockelprofil angebracht.

Ein langgestreckter Quaderbau mit einem an den Schmalseiten abgewalmten Satteldach diente dem Architekten als Gehäuse für den Einbau eines Zuschauerraumes aus Holz. An den Schmalseiten gibt es jeweils drei Fensterachsen, die Breitseiten haben in zwei Stockwerken übereinander, je neun sandsteinumrahmte, rechteckige Fensteröffnungen, die mit Läden geschlossen werden können. Die Mittelachsen sind jeweils im Untergeschoß als Eingangstüren ausgebildet, die ebenerdig in den Zuschauerraum führen.Eigentliche Fenster besaß der Bau nicht, auf sie konnte man im Hinblick seine Funktion als Sommertheater verzichten.

 

In der Grundrißgliederung folgte er dem im 18. Jahrhundert für Theaterbauten entwickelten Grundschema, indem er in der einen (nördlichen) Hälfte des Gebäudes die mit einer geneigten Spielfläche (Fall) versehene Bühne unterbrachte und die andere als Zuschauerraum nutzte. Die Trennung erfolgte durch eine ebenfalls aus Holz konstruierte Portalwand (Portalgröße 6,20 x 4,30 Meter). Unmittelbar davor war ein 1,30 Meter breiter Streifen des Parketts für die Unterbringung eines kleinen Orchesters abgegrenzt.

Der Gestaltung des Zuschauerraumes liegt wie bei zahlreichen anderen Theatern der Zeit die Vorstellung eines antiken Amphitheaters zugrunde, nur hat Cancrin die in zwei Etagen übereinender gestaffelten Logenreihen nicht im Zirkelschlag, sondern U‑förmig angeordnet, wobei die seitlichen Parterrelogen – bis auf die  Proszeniumslogen ‑ der nach rückwärts ansteigenden Neigung des Parketfußbodens folgen. Die Proszeniumslogen unterscheiden sich von den anderen außerdem dadurch, daß sie bis zur Außenwand reichen, weswegen auch das zugehörige Fenster ‑ ob bereits 1781 oder erst zu einem späteren Zeitpunkt, muß allerdings offen bleiben ‑ mit einem Einstelladen versehen wurde. In allen anderen Fällen konnte auf solche Läden verzichtet werden, weil sämtliche übrigen Logen nach rückwärts durch eine bis zur Decke reichende Bretterwand abgeschlossen waren.

Jede Loge besaß ihren eigenen Zugang von dem hinter der Verbretterung entlangführenden Gang aus. In die Brüstungen hat der Architekt einfache, zur Decke hin sich leicht verjüngende Holzsäulen eingestellt, die in erster Linie statische Funktion haben. Die ihnen entsprechenden Pfosten vor der Logenrückwand sind kastenförmig verbrettert. Die Verbindung zwischen Parkett und Rang vermittelten hölzerne Podesttreppen, die in den rückwärtigen Mauerwinkeln untergebracht waren. Als Deckenabschluß begnügte man sich mit einer einfachen Leinenbespannung. Auf eine bei Hoftheatern übliche Fürstenloge hat der Bauherr hier bewußt verzichtet. Sie hätte überdies auch nicht zu dem Gesamtcharakter des Baues gepaßt.

Dem Zeitgeschmack entsprechend war das etwa 200 Plätze enthaltende Theater ganz in weiß gefaßt. Zusätzliche Dekorationen befanden sich an der Portalwand, die dafür ebenso wie die Decke mit starkfädigem Leinen überspannt war. Von dieser Bemalung haben sich unter einer jüngeren Malschicht, von der noch zu berichten sein wird, allerdings nur geringe Farbspuren erhalten. Wie bei dem späteren Zustand dürfte es sich jedoch um eine in Farbe aufgetragene Scheinarchitektur gehandelt haben, so wie vermutlich auch die Decke von Anfang an als gemalter Himmel gestaltet war, der dem Theaterbesucher die Illusion vermitteln sollte, sich in einem nach oben offenen Amphitheater zu befinden.

Als Dekoration der Brüstungsfelder verwendete Cancrin in weiß vor hellem Grauton aufgemalte Baluster, die erst jüngst wieder zum Vorschein gekommen sind und die, wie von Gerhard Bott bereits ausgeführt wurde, der Architekt auch an anderen Stellen der Kur‑ und Badeanlage verwendet hat. Die Gesamtkosten beliefen sich auf 5.356 Gulden, 8 Albus.

Der Innenraum ist in zwei fast gleiche Teile geteilt. Die eine Hälfte nimmt der in die Tiefe gestreckte, leicht ansteigende Parterreraum ein, den zwei Logenreihen, übereinander gestaffelt, umziehen. Der Orchesterraum liegt vor der Bühne, durch eine Holzbrüstung vom Zuschauerraum getrennt. Ein Bühnenausschnitt öffnet sich über einer Brüstung in die Tiefe des Bühnenraumes, der die gleiche Ausdehnung wie der Zuschauerraum hat. Hier waren auch die Bühnenmaschinen untergebracht, die vom Schnürboden die Kulissen herunterlassen konnten. Wie im Hanauer Theater hatte der „.Kunstmeister Philipp Petter“‑ die Mechanik eingerichtet und zu betreuen.

Hatte das Gebäude außen keinerlei Schmuck aufzuweisen, so war das Innere  gemäß der „Baulehre“ des Architekten reicher ausgestattet. Die Brüstungen vor den Logen, deren obere Reihe auf vollrunden Säulen ruhte, waren, wie sich bei der Restaurierung ergeben hat, mit aufgemalten Balustern verziert, in der gleichen Form, die Cancrin als Musterbeispiele in seiner Baulehre veröffentlicht hat und wie er sie ähnlich vor den Balkons des Arkadenbaues aus Eisenguß hat anbringen lassen. Die kühlen Farben des Klassizismus bestimmten den Charakter des Raumes: die weißen gemalten Baluster mit dunkelgrauen Schatten standen vor grauem Grund. Grau und weiß waren die Grundfarben der Innenausstattung. Der Pächter des Jahres 1852 hat diesen Grundton „überdekoriert“. Zum Glück sind die alten Holzbauten des Zuschauerraumes weitgehend unangetastet gelassen worden, so daß der ursprüngliche Wohlklang des Cancrinschen Theaters jetzt wieder hergestellt werden konnte, der mit der „ländlichen“ Architektur der ganzen Bauanlage völlig übereinstimmt.

Das Wilhelmsbader Komödienhaus stellt ein zwar kleines, aber sowohl durch gute Proportionen als auch durch seine gediegene Ausstattung ausgezeichnetes Stiltheater der Zeit unmittelbar vor der Französischen Revolution dar. Als Parktheater ist es das einzige seiner Art in Deutschland.

Und doch hat es dem Architekten möglicherweise auch Tadel eingebracht; oder sollte es nur die eigene Erkenntnis gewesen sein, wenn er im § 223 seiner schon mehrfach zitierten, 1792 erschienenen „Grundlehren der bürgerlichen Baukunst“ schreibt, daß es für den Blick zur Bühne hin sehr gut ist, wenn die Logen auf keinen Pfeilern ruhen, sondern ihr Gebälke hinten an der Wand des Komödienhauses befestigt ist. Das Wilhelmsbader Komödienhaus besitzt diesen Vorzug nicht.

Der Erbauer Franz Ludwig Cancrin muß aber ein großer Meister gewesen sein ‑ der noch, wie es im 18. Jahrhundert üblich war, den Beruf des Architekten und Ingenieurs in einer Person vereinigte ‑ um mit knappen 5.356 Gulden und in nur sechs Monaten das Theater hinzuzaubern.

 

Am 8. Juli 1781 fand die Einweihung statt durch eine Aufführung der Neuhaus’schen Truppe mit der Operette „Tom Jones“ von dem französischen Komponisten Francois André Danican. Der Musiker, Komponist und Autor, dessen in Wilhelmsbad zur Theatereröffnung aufgeführtes Stück 1765 entstanden war, entstammte einer alten Musikerdynastie. Als Musiker hatte er der königlichen Kapelle in Versailles angehört und später zahlreiche Operetten komponiert. Als Anhänger der Revolution starb er 1795, fast 70jährig in London. Während der vielbesuchten sommerlichen Kurzeiten waren in Wilhelmsbad im Kurtheater, wie Johann Philipp Hettler 1794 berichtet, „gewöhnlich Mittwochs und Sonntags Vorstellungen gegeben worden“, von denen auch in dem „Brief eines Reisenden von Hanau und Wilhelmsbad“ im 3. Vierteljahr 1785 des „Teutschen Merkur“ erzählt wird: in der Saison werden dort „sowohl deutsche als französische Schauspiele von guten Trupps aufgeführt.“

Seit der kunstsinnige und reiche Reichsgraf Franz Anton von Spork in Kukus an der Elbe bei einer neu entdeckten Quelle an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert einen ausgedehnten architektonischen Komplex als Musterbeispiel eines Kur‑ und Badeortes von Grund auf errichten ließ, gehörte es beinahe zwangsläufig zu dieser nun überall auftretenden neuen Bauaufgabe, ein Haus zum Theaterspielen innerhalb der Gebäudereihe eines Badeortes zu errichten.

Die in Mode gekommenen „Badereisen“ hatten im Laufe des 18. Jahrhunderts den Aufenthalt an einem Kurort zur höfischen Repräsentanz werden lassen, die hauptsächlich der Zurschaustellung der ökonomischen Verhältnisse der herrschenden Gesellschaftskreise diente. An vielen größeren Badeorten gab es daher am Ende dieses Jahrhunderts ein Kurtheater: Im von Hanau nicht fernen Bad Brückenau entstand 1777 ein „Comödienhaus“. In Lauchstedt bei Weimar ließ Goethe Stücke aufführen, Pyrmont und Warmbrunn hatten ihre eigenen Theatergebäude aufzuweisen.

 

Bis zum Jahre 1860 wurde während der Sommermonate ständig Theater gespielt, samstags und sonntags sowie zeitweise auch zweimal wöchentlich. Das Theater hatte knapp 200 Sitzplätze. Wenige Tage nach dem ersten Theaterabend zog Wilhelm in seine „Burg“ und blieb während der ganzen Kurzeit dort wohnen. Er genoß die Abgeschiedenheit in Wilhelmsbad als eine Annehmlichkeit des Lebens, als „großes Glück“, das ihm an den Höfen „beobachtet von Günstlingen und belauscht von Höflingen“ sonst, wie er glaubte, nicht beschieden sein konnte.

 

Die Wilhelmsbader Theatergeschichte gliedert sich in drei Abschnitte. Der erste begann bald nach Eröffnung des Kur‑ und Badebetriebs im Sommer 1779 und endete bereits sechs Jahre später im Jahre 1785, als Erbprinz Wilhelm von Hessen‑Kassel nach dem Tode seines Vaters Friedrich II. als Wilhelm IX. die Regierung der gesamten Landgrafschaft übernehmen mußte und seine ständige Residenz nach Kassel verlegte. Dann erloschen zum ersten Mal die Lichter. Als der Wilhelmsbader Brunnenmedikus Johann Philipp Hettler 1794 sein Schriftchen über die „Bade‑Anstalten zu Wilhelmsbad“ veröffentlichte, gedachte er darin des Theaters mit keinem Wort mehr.

Als zweiten Abschnitt lassen sich zwei Spielzeiten zusammenfassen, die das Theater in den Jahren 1859 und 1861 erlebte. Über den zweiten Abschnitt der Wilhelmsbader Theatergeschichte liegen einstweilen nur spärliche Nachrichten vor. So viel aber ist sicher, daß er auf das engste mit dem Namen des Franzosen Isidor Aimé Briquiboul verbunden ist, der 1847 nach Wilhelmsbad gekommen war. Briquiboul war in diesem Jahr als Afterpächter in das Vertragsverhältnis, das die Kurhessische Regierung mit einem Grafen de Balanthier, ebenfalls einem Franzosen, als eigentlichem Konzessionär abgeschlossen hatte, eingetreten. Um den Kurort und vor allem seine Spielbank, der Briquibouls besonderes Interesse galt, noch attraktiver zu machen, hat er umfangreiche Restaurierungen durchführen lassen. So ist den Aufzeichnungen des Hanauer Chronisten Wilhelm Ziegler zu entnehmen, daß 1851 „wieder einige 1000 fl. für Verschönerungen pp. verwendet“ wurden.

An der Innenarchitektur wurden kaum Veränderungen vorgenommen. Durch Neugestaltung der Portalwand und Logenbrüstungen, durch Anstrich der Logenrückwände mit roter Farbe und durch Installation einer neuen Beleuchtung des Zuschauerraums wurde jedoch das Bild des Raumes tiefgreifend verändert. Die Neubemalung der Portalwand durch den „Pariser Künstler“, deren Restaurierung Professor Kurt Bunge aus Kassel besorgt hat, ist in bewußter Abkehr von dem kühlen Weiß der Erbauungszeit des Theaters auf einem wärmeren Chamois als Grundton aufgebaut. Sie verrät eine qualifizierte Hand und läßt einen ausgeprägten Kunstsinn erkennen. Pilaster und Gebälk der aufgemalten Architektur sind farblich fein nuanciert, die ergänzenden Eierstabornamente mit flottem Pinsel aufgemalt.

Das Können des Malers zeigt sich nicht minder in der Art, wie er die Marmorierung von Portal- und angrenzenden Wandflächen beherrscht. Vor allem aber kommt sie in figürlichen Kompositionen zum Ausdruck, die er im Bereich der Portalleibung sowie beidseits davon in die vorgezeichnete Scheinarchitektur eingefügt hat. Bei den in antiker Tracht dargestellten Personengruppen handelt es sich  um Szenen aus Theaterstücken bekannter französischer Bühnenautoren. Auffällig dabei freilich, daß in dem Theater, in dem man dann reine Unterhaltungsstücke spielte, nur hochdramatische Szenen angebracht wurden.

Eine Neugestaltung erfuhren auch die Logenbrüstungen. Im Parterre wurden die Baluster der Erbauungszeit überstrichen, und auf der neu geschaffenen Grundierung wurde eine auf aufgemalten Linienornamenten beruhende Feldergliederung vorgenommen. Im Rang erhielt die Außenseite der Brüstung einen Leinenüberzug. Aber auch hier fehlte eine Gliederung nicht. Unter Bezugnahme auf die durch die Säulenarchitektur gegebenen Systeme wurden doppelte Rahmungen aus silberbeschichteten, mit Goldlack überzogenen Biedermeierleisten aufgelegt. Die einzelnen Flächen hat unser „Pariser Künstler“ dann in sehr feiner Abstufung zwischen weiß und ganz hellem Grau farblich gegeneinander abgesetzt und - um dem Ganzen einen besonders festlichen Charakter zu eben - die Innenfelder mit Blattgirlanden behängt.

Gleichartiges Blattwerk aus ausgestanzten Stoffblättern wurde am oberen Ende der Säulenschäfte angebracht. Schließlich fanden sich Reste davon auch noch im Bereich eines an die Decke gemalten Ovals in Gestalt eines geflochtenen Korbes, das selbst primär wohl mit der Lösung der Beleuchtungsfrage in Zusammenhang zu bringen ist. Über der Mitte der Portalöffnung wurden zwei einander zugekehrte Schriftrollen haltende Löwen angebracht.

Als Lichtquelle dürfte dem Theater ursprünglich ein Kronleuchter gedient haben, der über der Mitte des Parketts aufgehängt war und mit Hilfe eines auf dem Dachboden aufgestellten Haspels abgesenkt bzw. hochgezogen werden konnte. Offenbar genügte bei der Restaurierung 1851/52 diese Beleuchtungsart nicht mehr, weswegen man sie durch Kerzenhalter ersetzte, die an der dem Parkett zugekehrten Seite der Säulenschäfte unterhalb der Rangbrüstung appliziert wurden.

 

Schon 1849  strömten die Menschen bei heiterstem Wetter wieder vor die Tore der Stadt Hanau. Eine Schilderung lautet wie folgt: .Auf der Eisenbahn sollen heute von hier, Frankfurt und anderen Orten nach Wilhelmsbad über 16.000 Menschen befördert worden sein. Ein neuer Kur‑ und Spielpächter, Briquiboul, hatte dann 1850 das Pfingstfest noch prächtiger als die vorigen ausgerichtet: ..das Gedränge war so groß, daß ein Kind verloren ging.“

Das Frankfurter Konversationsblatt vom 16. Juli 1852 berichtete von einem Besuch in Wilhelmsbad: „Die Nymphe ist unleugbar matt ... sie ist eine phlegmatische Schöne, aber sie ist und bleibt eine Schöne...“. Der leider seinen vollen Namen nicht preisgebende Schreiber „R.“ in der „Belletristischen Beilage zur Postzeitung“ freute sich darüber, daß er in dem wohlerhaltenen Badeort mit der „matten“ Heilquelle, der zu Anfang des 19. Jahrhunderts fast vergessen worden war, wieder ein reges Leben angetroffen hatte. Die neu eingerichtete Eisenbahn brachte seit Jahren an den Pfingsttagen Tausende von Frankfurtern in den Wilhelmsbader Park und in die dortigen Restaurants. Ein Musikpavillon, „eine von Gußeisen erbaute Musikhalle“, gab am Pfingstmontag 1847 erstmals einer Musikkapelle von 30 Mann ein Dach über den Kopf. Alle Gebäude waren in diesem Jahr neu gestrichen worden, wie der Hanauer Chronist Ziegler erzählt.

Als der Frankfurter Berichterstatter „R.“ im Juli 1852 das Treiben in Wilhelmsbad bewunderte, fand er bemerkenswert daß seit dieser Saison zur Belustigung der Gäste auch wieder Theater gespielt wurde: Einen ganz besonderen Genuß bietet Wilhelmsbad noch in dieser Saison durch ein französisches Theater, dessen Personal die Unternehmer aus dem „Gymnase Vaudeville“ etc. aus Paris zu einem vorzüglichen Ensemble recrutirt haben. Das für die Vorstellungen dienende Gebäude, für eine Bühne bestimmt, blieb schon lange diesem Zweck entfremdet. Die Spielpächter haben es durch eine ausnehmend gefällige und elegante Ausstattung für den Dienst der heiteren Muse wieder eingerichtet. Die Darstellung der Lustspiele und Vaudevilles ist excellent, das Zusammenspiel insbesondere meist unübertrefflich ...“

Der französische Kur‑ und Spielpächter der gesamten Wilhelmsbader Anlagen hatte also 1852 das Theaterspielen als Anreiz zum Besuch des Wilhelmsbades wiederentdeckt. Er bediente sich französischer Emigranten‑Schauspieler, die das politisch unruhige Paris verlassen und dort schon Erfahrungen im Spiel von „Vaudevilles“ gesammelt hatten. Hauptlieferant solcher „Vaudeville“ ‑Stücke war Augustin‑Eugène Scribe (1791‑1861), dessen bekanntestes Lustspiel „Das Glas Wasser“ im Jahre 1929 auf dem Wilhelmsbader Theater gespielt wurde.

Nach Spottliedern aus der normannischen Provinz Vaux de Vire trugen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts halbmusikalische Possen, die Vorläufer der französischen „Oper“", d. h. der um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Mode gekommenen burlesken Oper oder der „Operette“, diesen Namen, mit dem auch Mozart das Finale seiner „Entführung aus dem Serail“ bezeichnete. Die Lustspielbühne des „Gymnase‑Dramatique“ in Paris war 1820 gegründet worden.

Eröffnet wurde das restaurierte Theater am Mittwoch, dem 16. Juni 1852. Die Darsteller kamen von berühmten Pariser Bühnen unter der  Direktion eines Ms. Camille. Lustspiel und Ballett wurden von der Presse gefeiert. Man spielte hauptsächlich in französischer Sprache. Damit wurde die gesamte Saison bestritten, man verfügte über ein Repertoire von mehr als 50 Stücken.

Mit einem in der Hanauer Zeitung mehrfach abgedruckten Inserat wurde auf das Ereignis hingewiesen. Die Anzeige enthält den für unseren Zusammenhang wichtigen Satz: „Im Monat Juni wird das von einem der besten Pariser Künstler neu decorirte Theater der Fashion seine Räume öffnen und eine französische Vaudeville-Gesellschaft ihre Vorstellungen beginnen“. Doch das ist auch das einzige, was bisher über den „Restaurator“ zu ermitteln war.

Dazu kam eine ganze Reihe prominenter Gäste: Unter anderem haben damals auf den Brettern des Wilhelmsbader Theaters gestanden. Drei Galavorstellungen gab es zum Ende der Saison mit einer Ballettaufführung „La dispute amoureuse“, getanzt von Angehörigen der Familie Jerwitz‑ Lindor. Es erübrigt sich fast zu sagen, Spiel in französischer Sprache stattfand (die damals noch allgemein verstanden wurde). Publikum und Presse waren begeistert.

Nur dauerte die Herrlichkeit nicht lange. Als sich am 15. September 1852 der Vorhang mit dem aufgemalten Bild des Schlosses Philippsruhe zum letzten Mal senkte, war wieder ein Kapitel Wilhelmsbader Theatergeschichte zu Ende. Briquibouls Vertrag wurde nicht verlängert. Er kehrte nach Paris zurück.

Im Jahre 1861 schloß das Theater wieder. Das kleine Theater wurde zum Dornröschenschlaf verurteilt, als in den Jahren von 1860 bis 1865 in Wilhelmsbad die Quellen versiegten und ein schneller Rückgang eintrat.

Es dauerte indessen nicht lange, bis der Spielbetrieb unter einem neuen Direktor fortgesetzt wurde. Am 4. Juni 1861 kündigte Adolph Hommel in der Hanauer Zeitung an, daß er die Leitung des Wilhelmsbader Theaters übernommen hat und am 9. Juni die Saison „mit einer neu organisierten Lustspiel- und Vaudeville‑Gesellschaft, welche Künstler von namhaftn Bühnen aufweist“, zu eröffnen beabsichtigt. Am Premierentag bestand das Ensemble aus je fünf Damen und Herren. Es war, wie man aus dem Inserat ersieht, eine bunt gemischte Truppe, die wöchentlich dreimal ‑ mittwochs, sonnabends und sonntags ‑Vorstellungen gab. Die Aufführungen begannen um halb sechs und endeten gegen acht Uhr. Gespielt wurde jetzt in deutscher Sprache. Zwar sind französische Autoren noch immer recht zahlreich im Repertoire vertreten - unter ihnen erstmalig der bekannte Augustin Eugène Scribe  - sie erscheinen aber nunmehr in (einer zumeist freier) Übersetzung.

Zur Eröffnung dieser Spielzeit scheint auch die östliche Proszeniumsloge als Fürstenloge neu gestaltet worden zu sein. Sie erhielt abgepolsterte Wandbespannungen aus rotem Samt, wobei sowohl das Türchen zum Gang hinter den angrenzenden Logen als auch das im Logenbereich vorhandene Fenster geschlossen wurden. Eine entsprechend gestaltete, abgehängte Decke wurde mit gepreßten, in Rokokoformen ornamentierten und außen vergoldeten Messingblechen verkleidet. Zugänglich war die Fürstenloge über eine kleine Sandsteintreppe vom Parkett aus.

Als im September 1861 die Saison in Wilhelmsbad endete, konnte Hommel seinen Gönnern und Freunden mitteilen, daß ihm inzwischen die Leitung des Theaters in der Stadt Hanau für mehrere Jahre übertragen wurde. In Wilhelmsbad blieb für lange Zeit der Vorhang geschlossen.

 

Der dritte Abschnitt schließlich folgte im Abstand von rund 70 Jahren, als man sich im Jahre 1929 anschickte, das 150jährige Bestehen der Kur‑ und Badeanlage  festlich zu begehen. Landgerichtsrat Dr. Walter M. Fraeb (Vorsitzende Hanauer Geschichtsvereins und des Verkehrsvereins) und Baurat Albert Tuczek (Staatsbauamt Hanau) waren diesmal die Initiatoren.

Die Beschäftigung mit den Vorbereitungen zur Feier des 150jährigen Bestehens von Wilhelmsbad weckte wieder den Gedanken, geeignete Schritte zur Wiederbelebung des Ortes, um den es sehr still geworden war, zu unternehmen. Wilhelmsbader Freilichtaufführungen sollten mit dazu beitragen. Schon 1928, also ein Jahr vor dem eigentlichen Jubiläum, nahm das Vorhaben greifbare Formen an. Auf der Wiese vor dem Karussell, wo einst das Heckentheater gestanden hatte, wurde eine Bühne errichtet und mit Sophokles „Elektra“ in Szene gesetzt von dem in Hanau lebenden Intendanten Johannes Poetsch, ein erster, außergewöhnlich erfolgreicher Versuch gestartet, dem weitere Inszenierungen folgten.

Nachdem man sich dabei des alten Theaters als Werkstatt zur Herrichtung der Dekorationen bedient hatte, war es naheliegend, daß die Überlegung aufkam, in diesem Theater zum Jubiläumsfest eine Aufführung vorzubereiten. Auch dieser Plan wurde Wirklichkeit. Am 7. und 8. September 1929 erlebten, ebenfalls in der Regie von Poetsch, etwa 600 begeisterte Theaterfreunde in drei Aufführungen eine nicht minder exzellente Einstudierung von Augustin Eugène Scribes „Le verre d’eau“.

Die Hanauer Künstlerin Erna Kreuter, die die Herzogin spielte, war eine der Stützen der Aufführung. Gleich doppelt beteiligt war Fräulein Kreuter auch bei der Aufführung, die wiederum von Intendant Poetsch in Szene gesetzt, im Herbst 1930 als weitere und zugleich letzte dieses Abschnitts im alten Komödienhaus stattfand: Sie spielte in Scribes „Frauenkampf“ (Batailles de dames) nicht nur die Hauptrolle, sie hatte auch die Übersetzung, dazu in Versform, besorgt. Zuvor hatten am 26. April 1930 Mitglieder des Schillerkränzchens an der Hohen Landesschule zu Hanau die beiden Einakter „Die Hanauer Sieben“ und „Ein Spätsommertraum 1812“ zur Aufführung gebracht. Unter anderem wurde auch „Wilhelm Tell“ gespielt.

Zu Veränderungen am baulichen Zustand des Theaters ist es damals nicht gekommen. Unsere Übersicht sollte aber festhalten, daß Bühne und Zuschauerraum für die Aufführung des Jahres 1929 mit elektrischem Licht ausgestattet wurden. Auch ein neuer Bühnenvorhang scheint erforderlich gewesen zu sein. Einen Eindruck vom damaligen Zustand des Hauses vermittelt eine alte Postkarte, das nahezu einziges Bilddokument aus dieser Zeit.

 

Im „Dritten Reich“ hatte man eine Reihe von Plänen, was mit dem alten Komödienhaus geschehen sollte, verwirklicht wurde davon jedoch nichts. Lediglich die Mauer der südlichen Schmalseite, die baufällig geworden war, wurde durch eine neue Wand ersetzt. Gleichzeitig wurde das Gebäude nach Süden hin um etwa einen Meter verlängert.

Für das Theater hat sich der Schlummer besonders nachteilig ausgewirkt, da es über Jahrzehnte hinweg praktisch funktionslos blieb ‑ im Gegensatz zu den übrigen Gebäuden, die auch weiterhin genutzt wurden ‑ und dann in Not‑ und Krisenzeiten für Zwecke verwendet wurde, die seiner Erhaltung wenig bekömmlich waren. Es diente als Magazin und mußte Trödel der verschiedensten Art beherbergen. Nach beiden Weltkriegen wurde es den in Wilhelmsbad untergebrachten Evakuierten‑ und Flüchtlingsfamilien in Ermangelung von Kellerräumen zur Einlagerung von Kartoffeln, Brennstoffen und anderen Vorräten zur Verfügung gestellt. Schließlich trugen Schäden in der Dachhaut das ihre dazu bei, das Theater in einen erbarmungswürdig‑desolaten Zustand zu versetzen.

Geschichts‑, Heimat‑ und Theaterfreunde haben diese Entwicklung seit vielen Jahren mit großer Sorge verfolgt und dabei keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, zur Rettung des Wilhelmsbader Theaters aufzurufen: Die Presse hat ihr Bemühen wacker unterstützt und dafür gesorgt, daß das Interesse einer breiten Öffentlichkeit an diesem kulturhistorischen Denkmal lebendig geblieben ist

Doch mehr zu tun, war ihnen nicht gegeben. Selbst die Verwaltung der staatlichen Schlösser und Gärten, der die Betreuung der dem Lande Hessen gehörenden Wilhelmsbader Anlagen obliegt, konnte kaum mehr zuwege bringen, als das Dach des historischen Komödienhauses instandzusetzen: zu weiteren Sicherungsmaßnahmen, geschweige denn zu Restaurierungsmaßnahmen reichten auch ihre Möglichkeiten nicht aus: Es fehlten einfach die Mittel.

Bei den Bemühungen um die Verbesserung der Theatersituation in Hanau aber hat man ein Kleinod wiederentdeckt, das beinahe in Vergessenheit geraten ist: das „Scheunentheater“ draußen in Wilhelmsbad, das den Ruhm für sich in Anspruch nehmen kann, das zweitälteste Theater in Deutschland zu sein (das älteste befindet sich in Lauchstädt, Thüringen). Die Volksbühne Hanau hat sich das Ziel gesetzt, das Theater wieder herzurichten.

Mitglieder des Volksbühnen‑Vorstandes statteten gemeinsam mit Oberbaurat Backe vom Staatsbauamt, einem Vertreter der Verwaltung der staatlichen Schlösser und Gärten in Bad Homburg und den Hanauer Journalisten dem „Dornröschen“ einen Besuch ab, um sich an Ort und Stelle von dem Zustand des Theaters überzeugen. Der Zahn der Zeit hat an dem Raum  kräftig genagt. Der einst so schmucke Raum ähnelt einer Rumpelkammer, in der u.a. auch die Gondeln für das Karussell untergestellt sind. Dennoch war der Eindruck, den das Theater den Besuchern vermittelte, so, daß er Hoffnungen bei den Besuchern erweckte.

Man erwog die Möglichkeit, das Wiesbadener Theater oder Fritz Rémond während des Sommers in Wilhelmsbad spielen zu lassen. Oberbaurat Backe ging in seinen Ausführungen auf die baulichen Möglichkeiten ein. Die Frage, wie hoch sich die Kosten für die Wiederherrichtung des Theaters stellen würden, konnte der Leiter des Staatsbauamtes Hanau nicht konkret beantworten, da die Summe sehr von der Ausstattung abhängig ist. Der Oberbaurat meinte aber, daß die Baukosten sich zwischen 300.000 und 400.000 DM belaufen würden.

Um das Wilhelmsbader Theater zu retten, bedurfte es außergewöhnlicher Anstrengungen. Es bedurfte der Zusammenarbeit einer ganzen Reihe behördlicher Stellen, die es für dieses Vorhaben zu gewinnen galt. Was kaum einem anderen möglich gewesen wäre, das hat der Hanauer Oberbürgermeister und Landtagsabgeordnete, Staatsminister a. D. Heinrich Fischer erreicht. Als Vorsitzender des Rundfunkrates des Hessischen Rundfunks verstand er es, Intendanz und Programmdirektionen dieser Anstalt für das Wilhelmsbader Theater zu interessieren, die dann auch die Möglichkeiten erkannten, die ein solches Theater für ihre Produktionen ‑ sowohl des Fernsehens als auch im Bereich des Hörfunks ‑ zu bieten vermag.

Und nachdem sich die „Werbung im Rundfunk G.m.b.H.“ in dankenswerter Weise bereit erklärt hatte, die Hälfte der für Restaurierung und Ausbau erforderlichen Mittel zu übernehmen, konnten sich das Land Hessen als Eigentümer der Wilhelmsbader Anlagen und die Stadt Hanau ihrer Verpflichtungen diesem in seiner Art einzigartigen Kulturdenkmal gegenüber nicht entziehen. Sie übernahmen die andere Hälfte der auf 1,4 Millionen DM ermittelten Kosten. Die Instandsetzungsarbeiten konnten beginnen.

Rechtsträger ist die „Comoedienhaus Wilhelmsbad Betriebsgesellschaft in Hanau m.b.H.“, die eigens zu diesem Zweck gegründet wurde und ihre Legitimation aus einem Erbbaurechtsvertrag mit dem Lande Hessen herleitet. Als Aufsichtsorgan der Betriebsgesellschaft  ist ein aus je 4 Vertretern des Hessischen Rundfunks und der Stadt Hanau gebildetes Kuratorium. Leitender Architekt bei der Durchführung der Restaurierungs‑ und Umbaumaßnahmen war Universitätsbaudirektor i.R. Dipl.‑Ing. Ferdinand Kramer (Frankfurt).

Land, Stadt und Hessischer Rundfunk ließen das Theater im Jahr 1968 restaurieren. Die Restaurierung begann am 2. Dezember 1968. Ihr Ziel war es, das historische Gebäude so weit wie möglich in seinem ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Dieser Grundkonzeption waren natürlich von vornherein in mehrfacher Hinsicht Grenzen gesetzt. Denn einmal galt es zu prüfen, inwieweit es angesichts der Maßnahmen des 19. Jahrhunderts, die in dem oben geschilderten Umfang größtenteils erst im Zuge unserer Restaurierung erkannt wurden, überhaupt möglich war, das Gebäude in der Gestaltung der Erbauungszeit wieder herzustellen. Zum anderen mußte dabei den Forderungen und Auflagen der Brandschutzbehörden Rechnung getragen werden. Und sollte die eingangs genannte Betriebsgesellschaft als Rechtsträgerin der Restaurierungsmaßnahme ja ein Haus schaffen, das sowohl den Anforderungen des Hessischen Rundfunks entspricht als auch im Rahmen seiner künftigen örtlichen Nutzung vollauf funktioniert.

Was die Anliegen der Denkmalpflege angeht, so zeigte sich, daß durch die Instandsetzung unter dem Pächter Briquiboul im Bereich der Portalwand und der Decke der ursprüngliche Zustand völlig ausgelöscht, im übrigen aber unter der jüngeren Fassung nahezu restlos erhalten war. Konsequenterweise ergab sich, daß Portalwand und Decke in dem Zustand, den der anonyme „Pariser Künstler“ geschaffen hatte, restauriert wurden, alle übrigen Teile aber wurden in der Fassung der Erbauungszeit des Theaters wieder hergestellt.

In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde der ursprüngliche Zustand des Theaters tiefgreifend verändert. Damit warfen sich Fragen auf, an denen die Restaurierung nicht vorübergehen konnte. Grau und weiß waren die Grundfarben der Innenausstattung. Der Pächter des Jahres 1852 hat diesen Grundton „überdekoriert“. Zum Glück sind die alten Holzbauten des Zuschauerraumes weitgehend unangetastet gelassen worden, so daß der ursprüngliche Wohlklang des Cancrinschen Theaters jetzt wieder hergestellt werden konnte, der mit der „ländlichen“ Architektur der ganzen Bauanlage völlig übereinstimmt.

Voraussetzung für die sachgemäße Restaurierung eines historischen Gebäudes ist die Kenntnis seiner Baugeschichte. Dabei genügt es nicht, über seine Erbauung und möglicherweise auch über seinen Baumeister informiert zu sein. Ebenso wichtig ist es, daß klare Vorstellungen über etwaige spätere Veränderungen bestehen, weil dadurch der ursprüngliche Zustand unter Umständen völlig verändert sein kann.

Der Feuerschutz forderte getrennte Zugänge für Parterre und Rang. Er verlangte außerdem, daß die alten Türen an den Langseiten des Gebäudes künftig nur noch als Fluchtwege benutzt werden, daß die Trennwand zwischen Bühne und Zuschauerraum feuerfest auszuführen ist und daß bei Verwendung hitzeerzeugender Aggregate ein angemessener Abstand zu dem alten Balkenwerk eingehalten wird (um nur die wichtigsten Auflagen zu nennen). Da aber gerade die zuletzt genannte Forderung im Bühnenbereich nicht zu erfüllen gewesen wäre, wenn man die sehr eng gelagerten alten Holzbalken erhalten hätte, fiel sehr bald die Entscheidung, im Bühnenteil des Gebäudes den hölzernen Dachausbau durch eine Eisenkonstruktion zu ersetzen.

Diese Lösung bot zugleich die Möglichkeit, eine vielseitig verwendbare moderne bühnentechnische Einrichtung zu installieren, womit in einem Zuge auch ein besonderes Anliegen der künftigen Benutzer des Hauses erfüllt wurde. Das Theater und die funktionell mit ihm verbundenen Nachbargebäude – das mittels eines neuen Verbindungsganges angeschlossene Foyer im Erdgeschoß des Kavalierhauses und das neue, in bewußtem Gegensatz zu den historischen Gebäuden in moderner Flachbauweise erstellte Garderobenhaus - wurden mit Heizung und allen erforderlichen sanitären und sonstigen Einrichtungen ausgestattet.

 

Ursprünglich ein Guckkasten‑Theater von beinah shakespearischer Primitivität in all seinen sinnreichen Vorrichtungen und dabei von vorzüglicher, noch heute befriedigender Akustik des hölzernen Gehäuses, kann das kleine Haus nach der Erneuerung nicht nur Spielbühne im traditionellen Sinn sein, sondern auch als Aufführungsraum für Rundfunk‑ und Fernsehsendungen dienen.

Die Aufgabe des Architekten bestand demnach darin, den historischen Cancrin‑Bau in seiner ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen, von zwischenzeitlichen Zutaten wie von Spuren zeitbedingter Verwahrlosung zu befreien und andererseits ihn der heutigen Zweckbestimmung anzupassen, sowie einige zeitgemäß unerläßliche Bequemlichkeiten anzubringen.

Den Vorschriften gemäß mußten die Eingänge des Theaters von der Langseite nach der Schmalseite, der Parkpromenade, verlegt werden. Sie führen nun mit zwei symmetrisch angeordneten, gewendelten Stufen zum Parkett und mit zwei gesondert angeordneten Wendeltreppen zum Rang.

Der alte hölzerne Dachstuhl über der Bühne, statisch nicht ausreichend dimensioniert für 11 neue Kulissenzüge, wurde durch eine Eisenkonstruktion und der hölzerne Abschluß der Bühne zum Feuerschutz durch eine Betonwand ersetzt, wobei die Malerei auf der vierten Wand sorgfältig abgelöst, restauriert und wieder aufgetragen wurde. Hingegen konnte im Zuschauerraum, nachdem die 1850 angebrachten Dekors der Logenbrüstungen entfernt waren, die ursprüngliche, illusionistische Bemalung, Baluster in weißen und grauen Tönen mit schwarzen Schlagschatten, wieder hergestellt werden.

Da sich in dem Theater außer der Bühne und dem Zuschauerraum keine Räumlichkeiten befanden, erhielten die Schauspieler ihre Garderobe in einem eilig errichteten modernen Anbau mit direktem Zugang zur Bühne und das Publikum im nächst gelegenen Kavalierhaus ein kleines Foyer, das mit dem Theater durch einen verglasten Gang verbunden ist. Derart dürfte insgesamt die ursprüngliche Form des Hauses gewahrt und zugleich im besten Wortsinn „erneuert“ worden sein. Nur dank einer glänzenden Zusammenarbeit aller Beteiligten war es möglich, die Restaurierung des Theaters in der unwahrscheinlich kurzen Zeit von zehn Monaten zum Abschluß zu bringen.

 

 

 

Badebetrieb: Die Kuren in Wilhelmsbad

 

Vorgeschichte 1710:

Im Mal des Jahres 1709 waren zwei Kräuterweiber im öden Steinbruchgelände der „Wachenbucher Terminey“ auf ein kleines, klares „Brünnlein“ mit merklichem Ockerniederschlag gestoßen. Das Wasser für Wilhelmsbad trat nicht aus dem Zechstein, sondern aus einer Verwerfungsspalte des Basaltes zu Tage. Die Zusammensetzung des Wilhelmsbader Wassers wurde auch nicht als Sole, sondern als eisenhaltiges Wasser gepriesen.

Bald gab es Berichte über erstaunliche Wirkungen des Wassers. Es gab heftigen Durchfall und heilte vor allem Frauenleiden und Unfruchtbarkeit. Man sagte ihr wahre Wunder nach: Das Wasser sollte stärkend sein, den Appetit steigern, Verstopfung, Sodbrennen, Bleichsucht, Rheuma, Gicht, Lähmungen und Geschwüre heilen. Ebenso wurden Stummheit und Blindheit geheilt.

Der Bericht der Frauen über den nicht alltäglichen Geschmack und die erstaunliche Wirkung rief den Hanauer Leibmedicus Dr. Jeremias Müller auf den Plan. Er veröffentlichte eine Analyse des Wassers mit Hinweisen auf große therapeutische Möglichkeiten und Müller ließ 1711 eine Beschreibung des neuen, offensichtlich eisenhaltigen Gesundbrunnens mit einer langen Liste von Indikationen und bereits zehn Hellungsberichten drucken.

Auf Kosten seines hohen Herrn Graf Philipp Reinhard durfte er die als „Guten Brunnen“ bezeichnete Quelle in einen Kasten aus vier Steinplatten fassen lassen. In der Nähe wurde ein Brunnenhaus mit sechs Gemächern errichtet.

Die Quelle wurde schon 1710 von Hunderten von Kranken aufgesucht. Seit dem 3. Juni 1710 gab es eine „Brunnenordnung“. Brunnenmeister und Brunnenknecht wurden eingestellt. Die Quelle war sehr beliebt und ein bescheidener Badebetrieb begann.

Viele Einheimische und einige hundert auswärtige Gäste tranken das ockerfarbene eisenhaltige Wasser, das gegen Verstopfung, Sodbrennen, Bleichsucht, Rheuma und sonstige Pein zu helfen verhieß. Wegen der erwünschten, in freier Natur jedoch Peinlichkeiten auslösenden raschen Wirkung, wurden bei dem Tempelchen sechs Toiletten aufgestellt.

Man muß verstehen, welch ein Ereignis zu Anfang des 18. Jahrhunderts die Entdeckung eines eisenhaltigen, eines „martialischen“ Gesundbrunnens war. Was erwartete man nicht alles ‑ auch und gerade unter Medizinern ‑ damals von Heilquellen, und erst recht von dem so geschätzten Eisen. Es war die große Zeit der Eisenquellen, mochten sie auch noch so wenig davon enthalten.

Das neue Wasser sollte wahre Wunder wirken. Den allgemeinen Lehren der damaligen Medizin entsprach die Zuversicht, es werde stärkend sein (besonders für einen „blöden und schwachen Magen“), den Appetit steigern, Verstopfung, Säfteverderbnis, Sodbrennen, Bleichsucht, Rheuma, Gicht und Lähmungen beheben, Geschwüre heilen, bei Bandwürmern wie auch bei allerlei Frauenleiden helfen, die so erwünschten Blutabgänge aus der „güldenen Ader“ (also Hämorrhoidalblutungen) befördern und Fruchtbarkeit bringen. Gerade die gynäkologischen Heilanzeigen waren so abwegig nicht. Aber die Hoffnung, darin etwa Pyrmont gleichkommen zu können, erschien schon den Zeitgenossen verwegen.

Immerhin ‑ Stummheit. Blindheit und Lähmung, hat der „Gute Brunnen“ gleich anfangs geheilt, wenn wir dem Leibarzt Müller glauben wollen und schon im Sommer 1710 sollen allmorgendlich Hunderte von Kranken an der Quelle Hilfe gesucht haben. Einige Unordnung war die Folge, der gesteuert werden mußte.

Bald jedoch wurde es wieder still um den Brunnen. Mag sein, daß der Reiz des Neuen rasch verflog, vielleicht auch, daß Müllers Eifer von den anderen Ärzten unkollegial empfunden wurde und so eine stumme Gegenpropaganda herauf beschwor ‑ dem sensationellen Beginn folgte kein sonderlich intensiver Kurbetrieb. Gelegentlich besserte man etwas aus, wenn Diebstahl und Verfall den Bestand bedrohten. Auch konnten die Hanauer das Wasser in der Stadt kaufen.

Heute sind wir skeptisch beim Lesen der dramatischen Hellungsberichte. Wohl enthielt das Wasser Eisen, aber der Mangel an freier Kohlensäure entwertete den ohnehin geringen Eisengehalt und ließ ihm wenig mehr als den Charakter einer Verunreinigung, die man heute vor der Verwendung eines solchen Wassers als Trinkwasser entfernen würde. Das Wasser aus der Quelle dürfte heute erst nach Entfernung des Eisens getrunken werden. Kohlensäure enthielt es auch nicht. Dieses „Heilwasser“ war schlechter als die meisten Brunnen auf Hanauer Stadtgebiet. Es gab in Hanau gewöhnliche Brunnen, deren Wasser mehr gelöste Bestandteile enthielt als diese „Mineralquelle“. Der Versuch einer Wiederbelebung des Kurbetriebes im Jahre 1748 hatte nur geringen Erfolg.

 

Badesitten:

Zur Vorgeschichte sollte man sich vergegenwärtigen, daß es für Adel und Bürgertum ehemals eine wasserlose Hygiene gegeben hatte und daß Wasser im wahren Sinn des Wortes erst wiederentdeckt werden mußte. Nach dem aus der Antike tradierten medizinischen Gefahrenkonzept nahm man an, daß ein Fäulnisprozeß im Körper selbst krank mache. Folglich müsse „der Leib in Fluß bleiben und von schlechten Säften befreit“ werden, wozu vornehmlich Aderlaß sowie der Gebrauch von Klistier und Schröpfköpfen dienten.

Die Vorstellung von vier Säften im Leib korrespondierte mit der Temperamentenlehre: Sanguiniker ‑ Blut, Phlegmatiker ‑ Schleim, Choleriker ‑ gelbe Galle; Melancholiker ‑ schwarze Galle. Parallel gab es die ebenfalls überlieferte Medikation mit tierischen und pflanzlichen Produkten und schließlich die Prophylaxe nach sechs Kategorien einer gesunden Lebensführung. Dazu gehörte auch die Diäthetik (Ernährungslehre).

Während dem gewöhnlichen Volk der Umgang mit Wasser bei der Arbeit und auch zum Baden immer vertraut gewesen sei, hat der Adel und das ihn imitierende Bürgertum Wasser als gefährlich für den Körper erachtet und auf Puder, Schminke und Parfüm, die drei Attribute des Reichtums, gesetzt. „Die höfischen Bäder waren weniger zum Baden gedacht, sie waren Treffs für erotische und amouröse Abenteuer.“

Mit der Aufklärung kam in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein Bäder-Boom. Auf diesen Zug wollte Wilhelm aufspringen und die Aristokratie Europas nach Hanau locken. Man hat Heilwasser getrunken, „wobei eine gelinde Bewegung dienlich“ sein sollte, und man hat darin gebadet, übrigens auch kollektiv.

 

Wiederbelebung 1748:

Erst Erbprinz Wilhelm sah in dem „Guten Brunnen“ eine willkommene Gelegenheit zu geradezu leidenschaftlicher Betätigung. Es sollte s e i n Bad werden ‑ und bleiben. Motive gab es genug. Beinahe jeder große und kleine Fürstenhof dieser Zeit besaß ein Bad als ländliche Sommerresidenz. Höfische Repräsentation und verspielte Laune wären Anlaß genug gewesen, was kam es da auf ein Gran mehr oder weniger im Wasser an!

Dazu kam seine Bauleidenschaft, die er noch nicht hatte betätigen können. Überdies hätte er kein vorsorglicher Regent ‑ und nicht er selbst sein müssen - wenn ihn nicht auch die wirtschaftliche Seite eines solchen Unternehmens gereizt hätte. Welche Aussicht, Geld ins Land zu ziehen.

Aber er hatte noch ein „Steckenpferd“, das durchaus ernst genommen verdient. Er war an balneologischen Fragen lebhaft interessiert, wie es heiß seit einem Reitunfall, dessen Folge (eine Quetschung) ihm das Wasser des „Guten Brunnens“ gelindert hatte. Allerdings sollte er später mit anderen Quellen mehr Glück haben: Bad Nenndorf wurde ein großer Erfolg, er hat es zum wirklichen Kurort entwickelt und dabei die in Wilhelmsbad gesammelten Erfahrungen nutzen können.

 

Neubau 1777:

Das einstige „Kurmittelhaus“ ist ein technisch vorbildliches, mit großen Ambitionen geradezu luxuriös ausgestatteten Heilbades des späten 18. Jahrhunderts.

* Bäder: Hinter dem Zimmer des Badearztes befanden sich vier Bäder. Der Kurgast saß in der warmen Wanne und richtete einen ungeteilten Wasserstrahl auf den leidenden Körperteil. Dazu war für Massage gesorgt. Rheuma, Gicht, Gelenkkontrakturen wurden so behandelt. Da das Wasser aus einem 15 Meter hoch im Dachstuhl angebrachten Behälter in die Kabinen geleitet wurde, verfügte es somit über den nötigen Druck. Der Wasserstrahl war kräftiger als der in den gerühmten Anstalten von Aachen und Ems.

* Duschbäder, man nannte es auch „Tropfbad“: Dazu pumpte man mit einer handbetriebenen Pumpe etwa 50 Liter Wasser 15 Meter hoch bis unter das Dach des Badhauses. Von dort kam es durch bleierne Röhren in die zur Dusche bestimmten Zimmer und endete in einer ledernen beweglichen Röhre. Seit 1794 erweiterten auch ein „Schower“-Bad (unsere Brause) den Kurplan

* Wannenbäder im „Langen Bau“: Weiterhin gab es Wannenbäder. Diese waren aus Stein oder Marmor, fünf Stufen in den Boden eingelassen und verfügten über fließendes kaltes und warmes Wasser. Man badete eine Stunde lang, bezahlte für das Feuer, für das Bett, wenn man sich nach dem Bad erholen wollte, für das Bettzeug und das Betthemd ebenso. Außerdem konnte man einen Frotteur oder eine Frotteuse mieten, die einen badeten. Es gab unterschiedliche Preise für Tagesgäste oder Logiergäste.

* Dampfbad im „Langen Bau“: Auch das Dampfbad war schon seit dem Ende des 16. Jahrhunderts bekannt. Nachdem Wasser erhitzt war, führte man es in ein steinernes Bassin, über dem der Körper des Kranken lag. So konnte der Wasserdampf den gesamten Körper umspülen und seine heilende Wirkung entfalten. Die ersten Bäder mit Nauheimer Sole wurden in Wilhelmsbad verabreicht, 17 Jahre ehe Nauheim Bad wurde. Die speziellen Eigenschaften der Nauheimer Kochsalztherme mit dem reichen Kohlensäuregehalt konnten aber natürlich nicht mit der Lauge nach Wilhelmsbad gebracht werden.

* Auch der zweite Pavillon, gegenüber dem Brunnentempel, enthielt noch Baderäume. Von den mehr als 20 meist marmornen Badewannen ist heute nur noch eine erhalten. Einst stand jede Wanne in einem freundlichen Zimmer, eingelassen in den Fußboden, mit Klingelzug und Badethermometer versehen. Es gab natürlich fließendes kaltes und warmes Wasser ‑ jedenfalls solange genügend davon vorhanden war: auch Kräuter und Schwefelzubereitungen konnte man dem Badewasser zusetzen.

* Zusätzlich gab es Trinkkuren. Das Wasser aus dem „Guten Brunnen“, der in einem Tempelchen gegenüber dem Kursaal sprudelte, durften die Besucher im Prinzip kostenlos entnehmen. Nicht nur zahlungskräftige Bürger und Honoratioren edlen Geblütes befanden sich darunter. Manch armem Kranken und Soldaten gewährte der Landesvater freie Kur in Wilhelmsbad. Da das Wasser der Wilhelmsbader Anlage aber nie reichlich sprudelte, bekamen nur Kranke echtes Wilhelmsbader Wasser, vergnügungssüchtige Gäste bekamen Wasser aus Nauheim, das nachts herangekarrt wurde. Dieses Wasser mußte Wilhelm nicht extra bezahlen, denn Nauheim gehörte mit zu seinem Besitz.

Es herrschte eine heitere Atmosphäre, trotz der 1779 erlassenen ausführlichen Badeordnung. Beachtenswert ist das Fehlen einer „Distinction“ an der öffentlichen Tafel für alle Gäste mittags um 12.00 und abends um 7.00 Uhr; ungeachtet seines Ranges oder seiner Herkunft, nahm jeder Platz wo er einen leeren Stuhl fand. Wilhelm mischte sich gern unter die Besucher, wollte sogar oft unerkannt bleiben, wobei die Gäste gutmütig mitspielten, wie schlecht das Inkognito auch gemimt sein mochte.

 

Mangel an Heilwasser:

Der Born, der Anlaß für die frühe Kureinrichtung bot, bereitete ständig Ärger. Sein Wert als Heilquelle war zweifelhaft. Die „Quellymphe“, heißt es in den Annalen, „war matt!“ Schon zu Beginn des Baus war bereits bekannt, daß die Wassernixe „schwächlicher Natur“ war. Das galt in einem fatalen Doppelsinn. Nicht genug damit, daß das Wasser der Quelle nach heutigen Begriffen den Namen einer Heilquelle nicht verdiente. Die Qualität des Wassers war minderwertig, im Sommer gab es zu wenig, um die marmornen Wannen zu füllen. Es hörte schließlich auch noch auf zu fließen.

Die „Mineralquelle“ trat in altem Steinbruchgebiet zutage, dem anstehenden eisenhaltigen Basalt verdankte sie ihren Eisengehalt und das Häutchen mit dem schillernden Pfauenaugenmuster. Mit dem fortschreitenden Abbau im benachbarten Wachenbucher Steinbruch verringerte sich die Ergiebigkeit ständig: besonders in trockenen Sommern und bei großer Kurgastzahl war kaum genug Wasser vorhanden, die Wannen zu füllen.

Dem Kurort fehlte ihm nur eines ‑ eine wirkliche Heilquelle! Es war bei allen seinen Vorzügen „ein Bad, wo man nicht baden konnte“. So lästerten boshafte Zungen schon vor 1796, während Wohlmeinende wünschten, die Quellen von Karlsbad, Pyrmont oder Selters herbeizaubern zu können. Hanauer Ärzte stritten sich über den Sinn der Trinkkuren und der ebenfalls verabreichten rötlichen Schlammbäder, die Nutzung ging zurück.

Die Erfolge der Hydrotherapie gerade in diesen Fällen sprechen durchaus für die Wirksamkeit der Behandlungsmethoden, besonders des „Duschbades“; mit der Beschaffenheit des Quellwassers haben sie nichts zu tun.

Für die Trinkkur - frühmorgens bei Musik - wurden nun auch auswärtige Mineralwässer, aus Pyrmont oder Schwalbach etwa, gleichfalls vorrätig gehalten. Dazu konnte sich jeder Kurgast nach Wunsch weitere kommen lassen. Seit 1790 wurde Schwalheimer Sauerbrunnen sogar kostenlos abgegeben, was freilich seinen guten Grund hatte. Die Wahlmöglichkeit wurde nicht aus reiner Nächstenliebe eingeräumt: Das Wasser von Wilhelmsbad erfüllte weder qualitativ noch quantitativ die Ansprüche eines Heilmittels. Auch dieser Gesundbrunnen in Schwalheim gehörte ja Wilhelm, man mußte nicht an Fremde zahlen.

 

Schlimmer stand es bald um die Wannenbäder. Man hatte bis zur baulichen Vollendung vier oder fünf Quellen entdeckt, dazu einen Wirtschaftsbrunnen. Zuerst behalf sich der Brunnendirektor damit, daß er heimlich und des Nachts Wasser aus dem Wirtschaftsbrunnen im Gemüsegarten schöpfen und ins Badehaus bringen ließ, um tags die Badewannen füllen zu können. Das war peinlich und mühsam, mußte doch dieses Wasser erst durchgeseiht und von mehr oder weniger „ekelhaften“ Fremdkörpern befreit werden, die hineingefallen waren. Auch durften natürlich die Kurgäste davon nichts bemerken.

Im Jahr 1796 erteilte der Fürst schließlich die Erlaubnis, den Küchenbrunnen kunstgerecht und dauernd anzuzapfen und auf diese Weise einen Ersatz für das Mineralwasser zu schaffen ‑ unter strenger Geheimhaltung. Niemand durfte darüber sprechen, es standen ja Jahreserträge in der Größenordnung von 20.000 Gulden auf dem Spiel! Das schlechte Gewissen beruhigte die Auffassung, „daß der ungleich größere Theil der Kurgäste, die Bäder mehr zum Vergnügen und zur Bequemlichkeit, als wegen körperlicher Mängel gebrauche“.

Bei dieser Gelegenheit wurde deutlich der Unterschied betont zwischen solchen Kurgästen, die ohnehin nur des Vergnügens und der Bequemlichkeit wegen badeten, und den wenigen wirklich Kranken, die auch weiterhin „echtes“ Wasser bekommen sollten. Solange der Vorrat an mineralischen Substanzen ausreichte, mochte es ja noch angehen. Doch die Zusammensetzung veränderte sich offenbar nachteilig.

Auch hatte inzwischen das Solbad als neue medizinische Errungenschaft allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Einer Anregung des Badearztes Osius folgend, holte die Kurdirektion zur Saison des Jahres 1818 erstmals Mutterlauge und Salz aus der Saline Nauheim herüber. Der Transport des Wassers war nicht nur umständlich, sondern auch unrentabel. Und das schmucke Modebad, „für alle gesellschaftlichen Stände gedacht“, sollte doch Geld in die Staatskasse füllen. Aber auch dieser Versuch einer Wiederbelebung in der Mitte des 19. Jahrhunderts blieb erfolglos.

So kam es aber, daß die ersten Bäder mit Nauheimer Sole nicht dort, sondern im Wilhelmsbad verabreicht wurden ‑ 17 Jahre, bevor Nauheim selbst Badeort wurde. Allerdings konnte man die Kohlensäure nicht mit herüberschaffen, deren Wirkung bei Kreislauferkrankungen man überdies noch nicht erkannt hatte. Der Aufstieg Nauheims zum Herzbad ist durch diese Episode nicht aufgehalten worden.

 

Andere Möglichkeiten Kurgäste heranzuziehen:

Natürlich waren die wirklich Kranken bei weitem in der Minderzahl. Trotz allem Hang zur Romantik wußte der Erbprinz aber auch, daß Gesundheit allein nicht die zahlungkräftigen Massen anlocken würde. Je mehr erkannt wurde, daß Wilhelmsbad ein mondänes Bad aber ohne Heilquelle war, umso mehr versuchte man mit psychologischen Faktoren, die Menschen zu beeinflussen, dennoch nach Wilhelmsbad zu kommen. Dazu errichtete man eine Spielbank. Man spielte das Pharaospiel, ein Glücksspiel, das nirgendwo sonst in Hessen gespielt werden durfte, sowie Roulette, Biribi und Bakkarat.

Was die Besucher anlockte, war vor allem das große Unterhaltungsangebot. Allerlei Kurzweil diente nicht nur der Unterhaltung der Gäste, sondern auch dem Heilzweck. In Wilhelmsbad heilte zwar nicht das Wasser, aber Roulette, Tanz oder Kegeln. Theater, Musik, Spaziergänge, Bootsfahrten auf der zum künstlichen See aufgestauten Braubach, Geselligkeit, Spiele wie Pharao oder Roulette sowie Tanz erheiterten das Gemüt. Die gemeinsamen Mahlzeiten an der Brunnentafel wurden unter den Augen des Badearztes eingenommen, der dienstlich zur Teilnahme verpflichtet war.

Kegeln und Vogelschießen, mehrere Schaukeln und zwei Karussells verstanden die Zeitgenossen als gesunde körperliche Betätigung. Gerade diese „Kurmittel“ erregten noch Anfang des 19. Jahrhunderts die Bewunderung von Fachleuten, galt doch damals die passive Schaukel‑ und Drehbewegung als heilsam bei nervösen Leiden wie bei Melancholie, Hysterie und sogar „Wahnsinn“, aber auch bei Schwindsucht! Und nirgends als am Wilhelmsbad waren sie in Kurorten zu finden.

Bliebe noch zu sagen, daß die Saison gewöhnlich vom 15. Juni bis zum 31. August, wohl auch einmal in den September hinein dauerte, daß nicht weniger als elf Kioske unterhaltsame und leckere Kleinigkeiten feilhielten, und daß die Liste der Kurgäste im Jahre 1779 mit 301 Namen abschloß.

Es war ein Bad, das sich sehen lassen konnte. In vielen Beschreibungen findet sich der Respekt der Zeitgenossen glaubhaft festgehalten. Man pries die Perfektion der technischen Einrichtungen, die geschmackvollen Räume, die Schönheit der Bauten und des Parks, die sinnvolle Ordnung und die wohlfeilen Preise. Die „Krone deutscher Bäder“ hätte das Wilhelmsbad sein können.

Aber Wilhelmsbad versank in den „Dornröschenschlaf“, seine Zeit war vorüber. Das Wilhelmsbad hat seinen Gründer nicht lange überlebt: Wilhelm war 1821 gestorben. Und auch er hat, im Alter von Gicht geplagt, Zuflucht und Linderung nicht hier, sondern in Bad Nenndorf gesucht.

Wilhelmsbad blieb auch abseits, als die Kaltwasserheilanstalten des 19. Jahrhunderts überall von sich reden machten, so vorzüglich es auch dafür eingerichtet sein mochte. Osius blieb der letzte Badearzt am Wilhelmsbad. Als er 1856 dieses Amt aufgab, hatte es längst seinen früheren Inhalt verloren: Kurgäste waren schon seit Jahren nicht mehr gekommen.

Der schon bald versiegende „Gute Brunnen“ rettete die Bausubstanz vor Veränderungen. Das hatte das auch sein Gutes: Durch die Bedeutungslosigkeit als Kurort im 19. Jahrhundert entging Wilhelmsbad den in vielen attraktiven Bädern dieser Zeit erfolgten Um‑ und Ausbauten. „Es ist als wohlerhaltenes Beispiel einer Kur‑ und Badanlage aus dem 18. Jahrhundert einzigartig in Deutschland.“

 

 

 

Park vorne:

Da auch für die Unterhaltung der Gäste gesorgt werden mußte, wurde der Wald um das Bad allmählich in einen englischen Park umgestaltet und für eine Reihe zusätzlicher Abwechslungen gesorgt: ein Karussell in der Form eines Rundtempels, in dem sich die Badegäste im Ringelstechen üben konnten, eine Kettenbrücke über dunkler Felsenschlucht, eine künstliche Burgruine, ein künstlicher Teich mit einer Insel und einer Pyramide, ein Heckentheater, ein Schießplatz und eine Eremitage In einem der Kursäle durften Glücksspiele durchgeführt werden.

Die Bauten wurden in umfangreiche Gartenanlagen eingebettet, die man unter geschickter Benutzung unebener Geländeverhältnisse im Bereich eines aufgelassenen Steinbruches anlegte. Sie waren in einer für jene Zeit neuartigen, aus England auf den Kontinent gelangten Manier gehalten, im sogenannten Stile des englischen Landschaftsparkes: An die Stelle von streng geformten Parterres, von geschnittenen Hecken und geraden Wegen in französischer Manier waren nunmehr gewundene und unregelmäßig geführte Wege getreten. Das ergab im Zusammenhang mit einer naturhaften Bepflanzung durch Busch‑ und Baumgruppen beim Promenieren schöne Durchblicke und wechselnde Ausblicke. Die einzige Ausnahme bildete die schon erwähnte, parallel zu den Kurgebäuden verlaufende Allee, unentbehrliches Zutat für die am Brunnentempel promenierenden Kurgäste, die sehen und gesehen werden wollten.

Der Park im Stil englischer Landschaftsgärten zählt zu den frühesten Schöpfungen dieser Art in Deutschland und ist ein hervorragendes Dokument eines „empfindsamen“ Landschaftsgartens, dessen stimmungsvolle Kleinbauten (Burg. Pyramide, Eremitage, usw.) den auf sentimentale Ausstrahlung zielenden Gestaltungswillen der Zeit veranschaulichen.

Der Park wurde zwischen 1777 und 1785 im gerade in Mode gekommenen Stil des englischen Landschaftsgartens angelegt, in bewußter Abkehr von barocker Strenge. Erbprinz Wilhelm wollte sich auch hier von lästiger höfischer Etikette lösen. Die Natur wurde nicht mehr geometrischen Formen unterworfen, sondern idealisiert. Heimische Baumarten wurden bevorzugt.

 

Christian Hirschfeld

Der herausragende Gartentheoretiker der damaligen Zeit war Christian Cay Lorenz Hirschfeld, der in mehreren Bänden seine Vorstellungen einer zeitgemäßen Gartenanlage beschreibt. Er gab an, wo Licht, wo Schatten in einem Park sein soll. Er bezeichnete die Wilhelmsbader Anlage trotzt der starken Konkurrenz durch die Bäder in Schwalbach, Pyrmont u. a. als die Krone der deutschen Bäder.

Hirschfeld (1772 - 1792), Professor für Ästhetik an der damals dänischen Universität Kiel, galt Ende des 18. Jahrhunderts als der bedeutendste Gartentheoretiker Europas. In seinem Werk „Theorie der Gartenkunst“ (1779 - 1785; in fünf Bänden erschienen), beschreibt er ausführlich die Bedeutung und Funktion, die Natur und Architektur in der neuen, englischen Gartenkunst einnehmen und die er entschieden gegen die alte französische Gartentheorie verteidigt.

Bäume und Haine, Wiesen und Hügel, Bäche und Seen behandelt er in seinem Werk ebenso ausführlich, wie Wege und Brücken, Tempel, Ruinen sowie Einsiedeleien. Eigene Kapitel sind beispielsweise den „Gärten bey Gesundheitsbrunnen“ oder zahlreichen von ihm selbst besuchten Gärten gewidmet.

Sein Urteil über die ehemalige Kur- und Badeanlage Wilhelmsbad, die er im fünften Band seiner „Gartenkunst“ ausführlich behandelt, fällt geradezu enthusiastisch aus. Kein Wunder, wenn man weiß, daß Hirschfeld sich um den Posten eines Gartendirektors beim Erbauer des Kurbades, Erbprinz Wilhelms von Hessen-Kassel bemühte. Aus diesen Plänen ist nichts geworden, doch der ehemalige Badeort und jetzige öffentliche Park Wilhelmsbad zehrt noch heute von Hirschfelds Lob.

 

Die Wirkung des Parks:

Moderne Freizeit-Experten hatten schon in den Erbauern von Wilhelmsbad würdige Vorgänger. Heute würde man „Erlebnispark“ dazu sagen. Scheinbar ganz anders präsentiert sich das geruhsame Wilhelmsbad. Ohne technische Errungenschaften und kommerzielle Animation ist die Parkanlage den Hanauern seit Jahrhunderten ein Gelände für Spiel, Spaß und Erholung.

Das Schöne am Kurpark von Hanau-Wilhelmsbad sind seine Überraschungen. Das Besondere ist seine Wildheit. Die Anlage im Nordwesten Hanaus mit eigenem Bahnhof ist in erster Linie ein frei zugänglicher Erholungsort zum Vergnügen der Menschen, großen wie kleinen. Auf empfindliches exotisches Gewächs muß der Besucher keine Rücksicht nehmen. Picknicks unter den großen Eichen, Linden und Buchen sind deshalb erlaubt. Das gilt auch für das Betreten des Rasens - ob auf zwei oder vier Beinen.

Den Zweck dieses Gartens der Empfindsamkeit hätte ein damaliger Zeitgenosse etwa so formuliert: die moralische Erbauung des Betrachters durch seelische Rührung. Bestimmten Elementen schrieb man bestimmte Wirkungen zu. So standen Gebirge und Felsen für Ehrfurcht und Schrecken, sanfte Anhöhen und Wiesen für Heiterkeit und Vergnügen. Stille, überschattete Seen wiederum sollten beim Betrachter Ernst und Trübsinn hervorrufen, Wälder mit hochragenden Stämmen an die heroischen Seiten des Lebens erinnern. Auch das Überraschungsmoment sollte dem Werk Spannung zu verleihen.

Der Garten sollte dem Spaziergänger Stimmungen vermitteln. Wer sich in ihm erging, fand hinter jeder Wegebiegung neue Überraschungen. Ein Pfad führte durch ein kleines düsteres Waldstück zu einer Einsiedelei, die als Stollen in einen Hang getrieben war. Auf einer Insel eines kleinen künstlichen Sees entstand die ebenso künstlich geschaffene Ruine einer Ritterburg, die der Herrscher zeitweise bewohnte; ihre kostbar ausgestatteten Innenräume kontrastierten mit dem scheinbaren Verfall des Äußeren. Auf einer zweiten Insel ließ Wilhelm eine Pyramide bauen, in deren Mitte das Herz seines im Alter von zwölf Jahren gestorbenen Sohnes Friedrich beigesetzt ist.

Cancrin entwarf für das Projekt nicht einmal einen Plan. Er war der Meinung, anhand eines solchen sei nicht zu erkennen, wie sich die Sache entwickeln würde. So entstand der Park von Wilhelmsbad gewissermaßen intuitiv - und doch bis ins Detail durchdacht.

 

Promenade:

Für die Erschließung sorgt die Promenade. Damals wie heute ist sie der einzige Weg im Gelände, der befahren werden kann. Es ist zudem seine Aufgabe, zwischen dem im spätbarocken Stil erbauten Gebäudekomplex des Kurhauses und dem nach damaliger Auffassung modernen Park zu vermitteln. Nicht zu vergessen ist hierbei auch die kommunikative Funktion. Auf der Promenade treffen sich die Besucher, und im Schatten unter den Linden finden sie im Sommer auf den Bänken Platz zum Verweilen. Ganz in der Nähe befindet sich der Mineralbrunnen, das Herz der Kuranlage.

 

Brunnentempel:

Im Jahre 1772 entdeckte man eine zweite, wesentlich ergiebigere Quelle. Diese hatte überdies einen viel mehr versprechenden Mineralgehalt. Erbprinz Wilhelm ließ über dieser zweiten Quelle, dem „Guten Brunnen“, den uns heute bekannten Brunnen als sechsseitigen Tempel mit seinen Rundbogenarkaden errichten. Es war letztlich die Geburtsstunde der Badeanlage von Wilhelmsbad so wie wir sie heute erleben dürfen.

Den Grundstein zum Brunnentempel legte Wilhelm 3. Juni 1779, seinem sechsunddreißgsten Geburtstag, in Anwesenheit mehrerer Tausend Zuschauer. Dieser Tag gilt als offizielle Einweihung des Wilhelmsbades.

Der Brunnentempel im toskanischen Stil ist ein sechsseitiger, über einem Sockelgeschoß in Rundbogenarkaden geöffneter Tempel, bei dem jede Arkade in der Sockelzone durch eine Balusterreihe geschlossen ist. Auf der Eingangsseite ist diese Balusterbrüstung in Holz ausgeführt, damit man die zweigeteilte Brüstung öffnen konnte. Den oberen Abschluß bildet eine mit Puttengruppen gezierte Balustrade, um damit zugleich den Ansatz Daches zu verdecken. Über der Eingangsarkade befindet sich ein Wappen mit den Initialen des Erbauers: ein „W“ und ein „L“ und die Jahreszahl 1779.

Auf dem Brunnentempel steht die lebensgroße Figur des griechischen Heil- und Arzneimittelgottes Äskulap, der sich auf einen Stock stützt, der von einer Schlange umringelt wird. (angeblich auch Delphin). Vom 5. Jahrhundert an, wurde dieser Äskulapstab zum Sinnbild der Heilberufe. Die Eckpunkte der Balustrade zieren (von links neben dem Wappen) die Elemente Feuer, Luft, die Jahreszeiten Frühling und Sommer, die Elemente Erde und Wasser.

Mit der Ausführung der Figuren hatte man den Mainzer Bildhauer Johann Jakob Juncker betraut, der auch bei den sonstigen bildhauerischen Arbeiten tätig war. Der Brunnentempel mit Putten und dem Äskulap als Bekrönung spricht die klassizistischen Tendenzen in seinen strengen „antiken“ Formen schon offenbar aus.

Ursprünglich sollte nach der Erweiterung der Anlage 1780 aus Symmetriegründen gegenüber dem Pavillon III, dem Fürstenbau, ein zweiter Brunnen ähnlich dem ersten errichtet werden. Auf dem Dach sollte dann Hygieia, die Tochter von Äskulap stehen. Doch dazu kam es dann  doch nicht.

Seit  Oktober 2012 sprudelt die „Quelle“ wieder. Sie wird aus dem in Wilhelmsbad grundsätzlich sehr hoch anstehenden Grundwasser gespeist wird. Ab einer Tiefe von maximal 1,20 Meter trifft man auf teilweise sehr ergiebige Wasseradern. Um den Besuchern eine sprudelnde Quelle zeigen zu können, ist eine Pumpe eingebaut worden, um das Geräusch plätschernden Wassers zu erzeugen und für die Sinne erlebbar zu machen.“ Die Pumpe läuft über eine Zeitschaltuhr bis 24 Uhr solange wie der Brunnen ab der Dämmerung auch illuminiert sei.

Aber auch drumherum hat sich einiges getan. Im Frühjahr wurde die Rückfront des Tempels, also der Böschungsbereich, nach alter Vorlage neu gestaltet, so daß sich der Tempel innerhalb der Promenade gefälliger zeigt und als bedeutende Parkarchitektur besser in Erscheinung tritt. Auch die dahinter auf dem Hügel stehende historische Eiche kommt wieder zur Geltung. Diese wiederherstellende Pflegemaßnahme wurde von den Mitarbeitern der Außenstelle Hanau-Wilhelmsbad nach gartendenkmalpflegerischen Vorgaben ausgeführt.

 

Schneckenberg:

Der dem Theater in Wilhelmsbad benachbarte Aussichtsberg wird „Spitzberg“ oder „Schneckenberg“ oder „Tempelberg“ genannt. Er ist einer der wenigen künstlichen  Hügel dieser Art, von denen weltweit nur noch wenige erhalten sind. Diese Erhebungen gehören seit der Renaissance zur Ausstattung von Lustgärten. Er ist ein bis in die Antike zurückreichendes, immer wieder benutztes Zubehör des Gartens.

Aus dem Aushub des Braubachs entstand die Erhebung. Früher konnte der Blick bis zur Fasanerie und über die große Wiese bis nach Hanau schweifen. Auch die Sichtachse entlang der schnurgeraden Burgallee zum Schloß Philippsruhe war damals noch frei und war ein gewollter Bestandteil des Parks. Mit der Zeit wuchsen die Bäume und nahmen die Sicht.

Ein spiralförmiger, von Heckenwerk eingefaßter, Weg führt zu einer Plattform, auf der sich der Janustempel befand. Janus war der altrömische Gott, der als Beschützer des Ein- und Ausgangs des Hauses und der Stadttore galt. Der ehemals die Hügelspitze bekrönende klassizistische Tempel war nichts anderes als ein verwandelter Nachfolger des Banketthauses auf den Gartenhügeln des englischen Renaissancegartens.

Um das Jahr 2000 setzte der Kampfmittelräumdienst das Georadar ein, um nach möglichen Bombenresten aus dem Zweiten Weltkrieg zu suchen. Vor einigen Jahren war bei Baggerarbeiten eine Bombe im Teich gefunden worden. Diesmal bestand der Fund nur aus vergleichsweise harmlosen Stabbrandbomben. Dank des Georadars stellte sich aber auch heraus, daß in der Nähe des Schneckenbergs in dem seit Ende des 18. Jahrhunderts bestehenden Landschaftspark einmal ein Dienerhäuschen stand. Davon zeugen Restfundamente und eiserne Zaunteile. Die Gärtenverwaltung deutete diesen historischen Fund mit einer Hecke an.

 

See:

Da der Park in erster Linie für Kranke und Erholungssuchende gedacht war; versuchten die Planer, alles zu bieten, was zur Erbauung der Gäste dienen konnte. Ein See mit seiner belebenden und dennoch entspannenden Wirkung durfte nicht fehlen. Er war zudem ein Muß in jedem Landschaftsgarten. Wasser bildete ja von jeher einen schier unentbehrlichen, elementaren Bestandteil des Gartens, dessen verschiedenartige optische und akustische Möglichkeiten man auf mannigfaltige Weise zu nutzen wußte. In der sentimentalischen Epoche schätzte man nicht mehr sonderlich die bewegten schäumenden und sprudelnden Wasserspiele der barocken Gärten, sondern bevorzugte die stillen, sanft strömend Gewässer. Und hier zeigen sich wieder die guten Voraussetzungen, die Cancrin auf dem Gelände antraf. Um den See anzulegen, mußte er lediglich den Braubach graben lassen, der den  Krebsbach mit dem Seulbach verbindet, der von Wachenbuchen herunterkommt. Der künstliche Bach wurde benutzt, ihn in einen kleinen See zu verwandeln. Zu Zeiten des Kurbetriebs bestand die Möglichkeit, sich auf kleinen Booten über das Wasser schippern zu lassen und so die sich immer verändernden Ausblicke auf den Park zu genießen.  Bis 1784 gab es im See nur die Insel mit der Burgruine, dann entstand die Pyramideninsel.

 

Pyramideninsel:

Man wünschte im englischen Landschaftspark Stimmung in sentimentalischem Sinne zu erzeugen, eine Stimmung, die sich vornehmlich an Vergangenheit und Vergänglichkeit entzünden sollte und die nicht zuletzt in einer für jene Zeit bezeichnenden Todessehnsucht in Dichtung und Literatur gipfelte. Diesem Verlangen hat man auch in Wilhelmsbad mit einer in einem Nachen zu erreichenden Todesinsel dann Rechnung getragen.

Auf der Insel sich erhebt eine Pyramide. Sie wurde nach dem Vorbild des Cestiusgrabes in Rom von Wilhelm selbst entworfen (Gaius Cestius wurde um 20 vCh in Rom beigesetzt). Das Vorbild für ein Inselgrab in einem Landschaftsgarten war auch das Grabmal von Jean Jacques Rousseau, der im Park von Ermenonville bei Paris begraben war.

Erbprinz Wilhelm ließ 1784  die sogenannte „Pfaueninsel“ von der Burgruineninsel abtrennen, um ein Grabmal für seinen frühverstorbenen Lieblingssohn Friedrich zu errichten, der am 20. Juli 1784 im Alter von 12 Jahren an einer Kolik verstarb. Sein Herz liegt in einer Urne in der Pyramide.

Vier Eingänge mit eisernen Gitterstäben führen in das Innere. Über jedem Eingang steht MEMORIAE FRIEDERICI SACRUM (dem Andenken Friedrichs geweiht). Im Innenraum befand ein sockelartiger Ständer aus schwarzem Marmor auf dem eine weiße marmorne Urne mit dem Herzen Friedrichs stand. Auf dem Marmorständer war ANTE DIEM (vor der Zeit) angebracht.

Im Inneren stand ein Sockel auf schwarzem Marmor, darauf eine weiße marmorne Urne mit dem Herz des Jungen. Es war ja uralte Sitte bei den Herrschern der abendländischen Reiche, daß das Herz des Gestorbenen gesondert von dem Leichnam, und zwar meist an anderem Orte, beigesetzt wurde - ein Brauch, der hier in sentimentalischer Weise ausgedeutet wurde. Ein späterer Nachfahre der Pyramide von Wilhelmsbad ist jene im Landschaftspark von Brant, in der sich der Schöpfer dieses Parkes, Fürst Pückler-Muskau, nach seinem Tode hat beisetzen lassen. Diese Insel ist und war dem Besucher nicht zugänglich. Die Distanz zum Tod sollte dem Jenseits sein Mysterium erhalten. Die ursprüngliche Bepflanzung der Insel waren Pappeln.

 

Burg und Karussell: siehe eigene Dateien

 

Hinterer Teil des Kurparks:

Wenn nun der Parkbesucher den Schritt von der Ruine in den hinteren Teil des Gartens lenkt, trifft er auf eine ganz andere Art der Bepflanzung. Mit dichtem Gestrüpp, Büschen und Bäumen ist das Gelände hier als Wildnis gestaltet. Unübersichtlichkeit und Enge stehen dem im Verhältnis weiträumig und hell angelegten vorderen Teil des Parks entgegen. Entsprechend der damaligen Auffassung sollten den Gast hier Schrecken und Schaudern erfassen. Vielleicht mögen Schwanken und Kettenrasseln der dort befindlichen Teufelsbrücke bei den von Bequemlichkeiten verwöhnten, reichen Erholungssuchenden derartige Empfindungen hervorgerufen haben. Den heutigen Zeitgenossen wird sie wohl kaum mehr erschrecken. Cancrins ursprüngliche Idee eines gruseligen Höhlenlabyrinths mit unheimlichen Skulpturen in Ecken und Gängen hat der Kurfürst - wohl aus Sorge um den Seelenzustand seiner Gäste - dann aber lieber doch nicht genehmigt.

 

Teufelsbrücke,  auch Kettenbrücke genannt:

Sie brachte ein Moment der Bewegung in den Park. Durch diese schwankende, krachende Brücke sollten die Gäste in Angst und Schrecken versetzt werden. Hier trat man dem Teufel entgegen. Man kann auch durch einen engen, dunklen, grottenhaften Tunnel zur Teufelsbrücke gelangen. Auf dem Rückweg gelangt man langsam wieder ins Helle, ins Leben zurück mit seinem Karussell, das der Kurzweil diente.

 

Grotte:

Grottenhaft bietet sich auch das sogenannte „Alte Gewölbe“ dar - ein tonnenüberwölbter Raum, der seit jüngster Zeit mit einer Neptunsfigur geschmückt ist, die sich ehemals an einer barocken, später zerstörten Brunnenanlage im oberen Hof des Homburger Schlosses befand.

In der Nähe des „Alten Gewölbes“ befand sich ein zweites, inzwischen leider verschwundenes, unbedecktes Karussell.

 

Spiele zur Leibesübung:

Es gab in Wilhelmsbad noch einiges, was heute nicht mehr vorhanden ist. So zum Beispiel

ein Heckentheater, über das jedoch nicht viel bekannt ist. In dem Gelände vor der Grotte sind heute verschiedene Vergnügungsspiele wie Schaukeln und Kegel  aufgestellt. In Wilhelmsbad gab es viele Möglichkeiten zur Leibesertüchtigung:

* ein großes Karussell - 12 x umrunden - 12 Kreuzer

* ein kleines unbedecktes Karussell - 2 Kreuzer

* zwei Vertikalschaukeln - 4 Kreuzer

* eine Horizontal- und Muschelschaukel

* eine Balancierschaukel

* Kegel- Schwanen- und Fortunaspiele

* Wasserkegelspiel, bei dem sich die Kegel selbst wieder aufrichten

* Schachspiel

* Persisches Bogen- und Armbrustschießen

* Schießstand zum Vogel- und Scheibenschießen

* Kahnfahrten in bedeckten und unbedeckten Gondeln

Alle Spiele wurden von bezahlten Tagelöhnern bewacht, die vom Hofgärtner und Hofkammerrat angestellt wurden. Alle Spiele waren nur gegen Bezahlung zu benutzen. Auf dem Spielplatz vor dem Grotteneingang ging es vergnüglich zu. Originale Skizzen sind noch erhalten und lassen erahnen, wie sich die feinen Herrschaften hier ihre Zeit vertrieben: auf Wippen, einem offenen Karussell, beim Kegeln oder indem sie einem Maulaffen Bälle in den geöffneten Schlund warfen. Nach diesen mehr als 200 Jahre alten Plänen wurden die Spielgeräte nun rekonstruiert und auf dem neu gefaßten Platz aufgestellt werden - allerdings so, daß sie abmontiert und in der Grotte gelagert werden können.

Als besondere Attraktion ist der Spielplatz rekonstruiert worden, der Allerdings nicht für Kinder, sondern für Erwachsene gedacht war Die Pläne für die Anlage und die Geräte fand Bettina Clausmeyer-Ewers in den preußischen Staatsarchiven in Potsdam.  Die Spielgeräte dürfen nur unter Aufsicht benutzt werden.

 

Tempel:

Im Jahre 1847 wurde in der Nähe des Brunnentempels ein achtseitiger, gußeiserner Tempel errichtet, bei dem über einem Sockel sich acht schlanke kannelierte Säulen erheben, die das achtseitige, mit neugotischem Zierat geschmückte Zeltdach tragen. Stäbe zwischen den Säulen bilden eine Brüstung. Das luftige Bauwerk gehört einem Typus an, dessen Vertreter in der Mehrzahl der Ungunst der Zeit zum Opfer gefallen sind.

 

Restaurierung des Parks:

Im Frühjahr 2002 herrscht ungewöhnliche Betriebsamkeit auf dem knapp 38 Hektar großen Areal. Lastwagen schütten Schotter auf den frisch eingefaßten Wegen ab, Gärtner stechen mit Spaten Pflanzlöcher für neue Stauden aus. Der Schneckenberg, der eine gute Aussicht über den Kurpark bietet, bekommt neue Geländer: Anfang Mai sind die Arbeiten beendet und im frisch sanierten Fürstenbau ist eine Dauerausstellung zur Geschichte der Kuranlage zu sehen. Daß die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen nun doch noch kräftig in die Anlage investiert, hat auch mit der Landesgartenschau zu tun, die von 18. April bis 6. Oktober möglichst viele Menschen nach Hanau locken soll. Das offizielle Gartenschaugelände liegt zwar ein paar Kilometer entfernt. Doch wer, ergänzend dazu, Rückzug im Grünen sucht, findet in Wilhelmsbad idyllische Ecken. Eintritt frei.

Das Land Hessen investiert 750.000 Mark, um den Kurpark Wilhelmsbad bis zur Landesgartenschau 2002 zu restaurieren. Die Arbeiten umfassen vor allem den so genannten „heiteren“ Teil der Anlage - und finden somit im kommenden Jahr nur einen vorläufigen Abschluß. Grundlage für die Instandsetzung ist ein Parkpflegewerk, das ab nächstem Frühjahr auch gedruckt vorliegen soll.

Der mittlerweile verwilderte Park wird ausgelichtet, um historische Sichtachsen wieder herzustellen, es werden kleine Plätze geschaffen, und die ursprüngliche Bepflanzung der kleinen Hügel mit blütenreichen Sträuchern, Stauden und Blumen soll ebenfalls dazu dienen, den früheren Status quo für die Besucher erlebbar zu machen. Einige Wege werden neu geführt und gefaßt, Trampelpfade verschwinden. Weiße Holzbänke sollen steinernen Sitzplätzen weichen - denn so saß man im Kurpark zu Zeiten des Erbprinzen Wilhelm.

Die Schlösserverwaltung orientiert sich bei der Restaurierung an Skizzen und originalen Plänen sowie an Gemälden und Zeichnungen aus der Blütezeit des Parks Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Unter anderem haben Künstler wie Anton Wilhelm Tischbein oder Gotthelf Wilhelm Weise das Wilhelmsbad in stimmungsvollen Bildern verewigt.

Berücksichtigt wird indessen nicht nur der Erstzustand, sondern auch die Gestaltungsgeschichte. So kam beispielsweise der Musikpavillon erst im 19. Jahrhundert dazu. Nach der „Situation von 1856“ soll er mit einem Sitzplatz ausgestattet und mit Blütensträuchern gefaßt werden.

Das Land beschränkt sich bei seinen Arbeiten allerdings fast ausschließlich auf den „heiteren“ Teil des Parks, der „schaurige, melancholische“ wird vorerst ausgespart. Die Gliederung in Gemütszustände  entsprach einer Mode der damaligen Zeit, Landschaftsgärten so zu konzipieren, daß sie die Spaziergänger  in verschiedene Stimmungen versetzen sollten. In Wilhelmsbad entsprachen dem heiteren Bereich die vielfältigen Spiele mit Karussell, Kegeln  und anderen Belustigungen, das nicht mehr erhaltene Heckentheater, der Schneckenberg, die prächtigen Gondeln, die exotischen Pflanzen auf den sanft modellierten Hügeln oder einfach nur die sonnigen Lichtungen.

Eine weitere Attraktion in Wilhelmsbad ist der Schneckenberg, von denen weltweit nur noch wenige erhalten sind. Er bekommt ein neues Geländer nach einer Ansicht von Tischbein und wird nach historischen Berichten mit Flieder und alten Rosensorten bepflanzt. Der Garten des ehemaligen Dienerhäuschens wird mit einer Hainbuchen-Hecke angedeutet.

Quer durch den Park flanieren können die Besucher auch künftig über die Burgallee - das Erlebnis wird allerdings ein wenig verändert sein: Denn der zur Zeit noch breite Weg wird schmaler, der Asphaltbelag wird entfernt und durch eine wassergebundene Decke ersetzt.

Der Schneckenberg bekommt ein neues Geländer.

Die Landschaftsbauer des Dreieichener Unternehmens Fichter bauten darüber hinaus  noch weitere historisch nachgewiesene Wege neu oder arbeiten sie auf, insgesamt geht es um 2600 Quadratmeter Lauffläche. Sie haben Basaltkantensteine gesetzt und teils Eisenkanten wie vor hundert Jahren, die heutzutage auch helfen sollen, den Mountainbikern Einhalt zu gebieten. Zum Parkpflegewerk gehört, daß rund 1,4 Hektar Rasenflache überarbeitet sowie1300 Sträucher, 15.000 Stauden und 20.000 Blumenzwiebeln gepflanzt wurden. Riedgräser und Stauden finden sich insbesondere in Uferzonen, um diese zu verschönern und vor Publikum zu schützen.

Für den ersten Bauabschnitt des Parkpflegewerks gibt das Land rund 250.000 Euro aus. Darin enthalten sind allein 100.000 Euro für den Brunnentempel und den Musikpavillon, die beide restauriert wurden. Im Jahr 2000 war bereits die Lindenallee entlang der Kesselstädter Straße

aufwendig erneuert worden. Das Picknick auf dem Rasen und auf den neu herausgebildeten, mit Sandstein-Sitzplätzen versehenen Hügeln mit schönen Blickachsen selbstverständlich erlaubt, das Mountainbikern dagegen nicht.

Nach der Hanauer Landesgartenschau wird sich die Gärtenverwaltung insbesondere des Waldes annehmen. In dem sind wegen des hohen Grundwasserstandes Bäume haltlos geworden und umgefallen. Daher zu vergilt es, das Entwässerungssystem zu verbessern. Weitere Wege und Plätze sollen in diesem Parkteil ausgebildet werden.

Und wenn das Land mal wieder genug Geld haben sollte, dann ließen  sich auch die zwei historisch nachgewiesenen Bogenbrücken zu den Teichinseln wiederherstellen. Wer im Park genauer hinsieht, sieht vor der Ruine Geländenassen auf beiden Uferseiten, wo ehedem der Auflauf zu den Brücken war.

 

Grundlage für die Wiederherstellung von zugewachsenen Sichten, Wegen und Plätzen, der Neubepflanzung von Hügeln und Uferbereichen ist das „Parkpflegewerk Wilhelmsbad“. Das aufwendige und reich bebilderte Buch informiert über die Parklandschaft, rekonstruiert ihre Entstehung beziehungsweise Entwicklung und erläutert, was im Umgang mit der Anlage erlaubt ist und was nicht.

Anders als ein Schloß, ein Gemälde oder eine Skulptur ist ein Garten niemals wirklich vollendet oder abgeschlossen: Wenn man diesen Park für zukünftige Generationen erhalten will, muß man einen behutsamen Umgang mit ihm sicherstellen. Deshalb  ist das Parkpflegewerk mit seinen Regieanweisungen für den täglichen Umgang mit dem Staatspark unverzichtbar.

Man muß wissen, was das Ganze ist, etwas mit Kunstwert. Zweitens müssen wir die Menschen betrachten, die den Park erhalten und pflegen. Das geht nur mit Leuten, die kontinuierlich über lange Zeit mit Engagement dabei sind. Die dritte Voraussetzung sei, Firmen zu finden, die überhaupt in der Lage sind für solche Arbeiten: Wer zum Beispiel fragt, wo er mit seinem Dreiachser durchfahren darf, der ist schon draußen.

Die Entschlammung des Teichs im Kurpark Wilhelmsbad und die landschaftsgärtnerischen Maßnahmen im Teichumfeld und auf der Burginsel standen im  März 2010 unmittelbar vor dem Abschluß. Die Arbeiten haben insgesamt rund 400.000 Euro gekostet. Im Teich wurden 6.000 Tonnen Schlamm entfernt, der auf eine Deponie gebracht wurde. Teichentschlammungen sind alle 25 Jahre notwendig, die letzte wurde in Hanau 1983 durchgeführt. Der Wasserstand betrug zuletzt stellenweise nur noch zehn Zentimeter. Auch das baulich verfallene Wehr am Zulauf des Teiches ist neu errichtet worden.

Auf der Insel wurden nach dem Vorbild historischer Pläne Wege neu angelegt. Die ehemals vorhandene Trennung der Burginsel mit einem Maschendrahtzaun konnte entfernt werden, so daß die Burginsel jetzt wieder als Einheit begehbar ist. Der Rundweg rund um die Burg wurde neu angelegt. Hergestellt wurden auch bereits die Wegeanschlüsse für die ehemals zur Burginsel führende weiße Bogenbrücke. Die Bogenbrücke ist im Maßnahmenpaket noch nicht enthalten, die Finanzierung der rund 50.000 Euro teuren Maßnahme ist noch ungewiß. Der Standort wird aber neben den Wegen auch schon durch die Pflanzung zweier flankierender Pappeln im Gelände angedeutet.

Kranke, überaltete und nicht in den historischen Garten passende Gehölze wurden gefällt, historische Sichtachsen sind nun wieder freigestellt. Als Ersatz werden in diesen Tagen zahlreiche Gehölze und Stauden neu gepflanzt, darunter 800 Efeupflanzen als Bodendecker. An den Böschungen und auf der Burginsel werden insgesamt 700 Quadratmeter Rollrasen verlegt. An der Wilhelmsbader Allee wurden zudem drei neue Linden gepflanzt, die die Allee ergänzen.

In den Böschungsbereichen des Teichs werden Seggen gepflanzt, die von den Gärtnern der Außenstelle Wilhelmsbad und Gärtnern des Schloßparks Kassel-Wilhelmshöhe am Lac in Wilhelmshöhe ausgegraben wurden. Der Austausch der Pflanzen kommt beiden historischen Gärten zugute: In Kassel wird der zugewachsene Lac geöffnet, in Wilhelmsbad kann kostengünstig bereits gut durchwurzeltes und großes Pflanzmaterial eingebracht werden. Der an den Böschungen eingebrachte Kaninchengitterzaun zum Schutz der Pflanzen vor Fraßschäden durch Enten wird nach zwei bis drei Jahren entfernt.

Auf der Pyramideninsel wurde die fehlende Pappel mit einem Großbaum von acht Metern Höhe ersetzt. Am Standort stand vor vielen Jahren eine Trauerweide. Die historischen Ansichten von Tischbein geben aber eine Pflanzung mit acht Pappeln als Rahmung der Pyramide vor. Auf der Insel werden deshalb Blühsträucher in historischen Arten gepflanzt.

Begonnen wurde auch schon mit der Entsiegelung der Burgallee im Bereich Promenade bis Brücke am Wehr. Der Weg wird in verringerter Breite (vier Meter) nach historischem Vorbild mit wassergebundener Decke als Parkweg wiederhergestellt. Die Maßnahmen sind ein weiterer Meilenstein. Die erfolgten Arbeiten im Park wurden am 30. Mai mit einem Burginselfest mit Führungen in und um die Burg für Erwachsene und Kinder gefeiert.

 

Wilhelmsbader Sommnernacht:

Am Samstagabend, 21. Juli 2012, lockte die Wilhelmsbader Sommernacht erneut Tausende Musikfreunde in den Kurpark. Dabei verwandeln sich die Wiesen stets in eine große Zelt- und Deckenlandschaft. Eine Wolldecke gehört zur Minimalausstattung, Kenner haben ihren halben Hausstand dabei - inklusive Kristallgläser und Kronleuchter. Der riesige Ansturm der vergangenen Jahre auf das Konzert der Neuen Philharmonie Frankfurt blieb jedoch aus. Das unstete Wetter, das am Morgen noch für ordentlich Regen gesorgt hatte, verunsicherte selbst Liebhaber des musikalischen Großereignisses.

Üblicherweise bereiten sich die Besucher des über die Grenzen Hanaus hinaus bekannten Musik-Events minutiös auf diesen Juli-Abend vor. Viele haben Stühle oder Sitzbänke dabei, doch den wirklichen Picknick-Pilgern sind, was die Ausrüstung betrifft, kaum Grenzen gesetzt. Im vorderen Bereich des Parks wächst stets eine ganze Zeltstadt aus dem Boden. An Komfort darf es hier nicht fehlen. Weiße Tischdecken, Kerzenständer, gutes Porzellan und Silberbesteck veredeln die Tische unter den Luxuspavillons. Mit Sackkarren und Bollerwagen schleppten die Komfort-Camper ihre Habseligkeiten herbei. Natürlich bereits Stunden vor Beginn des Konzerts. Schließlich waren die besten Plätze mit Blick auf die Bühne oder die Leinwand begehrt.

Erstaunlich, was aus den mitgebrachten Tupperdosen an Köstlichkeiten hervorgezaubert wird. Ganze Menüs mit mehreren Hauptgängen und Dessert in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen. Ganze Kuchentheken wurden aufgebaut. Während die einen mit Sekt anstießen, hatten die anderen auch mit einer Flasche Bier und Käsehäppchen auf der Picknickdecke ihren Spaß. Wer nicht schon in der Gruppe angereist war, traf sicherlich Bekannte - schließlich war hier halb Hanau auf den Beinen. Oder man lernte neue nette Menschen kennen. Während in den Stuhlreihen vor der Bühne, die traditionell von Musikkennern und Ehrengästen belegt werden, während des Konzerts gespannte Stille herrschte, ging die Plauderei auf den Decken und unter den Zeltdächern munter weiter - Richard Strauss hin oder her.

Die ungezwungene Konzertatmosphäre freute vor allem die Kinder. Während die Erwachsenen der Musik lauschten oder sich mit Bekannten unterhielten, durften sie ungehindert über die Wiesen und den Spielplatz toben. Dies ist sicher einer der großen Pluspunkte der Veranstaltung und macht sie gleichermaßen beliebt bei jungen Familien wie reinen Musikkonsumenten. Das friedliche Nebeneinander von Pappbecher und Sektflöte trägt gewiß zum Erfolg der Wilhelmsbader Sommernacht bei.

 

 

Führungen:

Gruselgeschichten in der Grotte des Einsiedlers, eine Begegnung mit dem Prinz oder Liebesgeschichten aus Wilhelmsbad. Im Jahr der Landesgartenschau bietet auch die Verwaltung Staatlicher Schlösser und Gärten ab Ostersonntag einige Attraktionen in der ehemaligen Kur- und Badeanlage, die neben dem optischen Reiz der Anlage Wissen anschaulich vermitteln sollen.

Unter dem Titel „Ein Gemisch von melancholischem Schauer und sanfter Wehmut“ gibt es nach telefonischer Anmeldung Parkführungen, die auf Wunsch auch mit einem Besuch der Burgruine kombiniert werden können. Erstmals werden bei Erlebnisführungen historische Zeitzeugen auftauchen. Die Kosten pro Führung schwanken zwischen 35 bis 50 Euro, zuzüglich des Eintritts in die Burg.

Schön schaurig geht es dann ab Mai jeden ersten Samstag im Monat in der Grotte des Einsiedlers zu: ab 20 Uhr werden Gruselgeschichten vorgelesen. Am Internationalen Museumstag gibt es dann zwei kostenlose Führungen durch den Park, die in die Ausstellung „Natur wird Kultur - Gartenkunst in Hanau“ eingebunden sind, die am 12. Mai eröffnet wird. Auch an der langen Nacht der Museen beteiligt sich die Schlösserverwaltung in diesem Jahr. Um 22 und um 23 Uhr brechen Interessenten „Zum Rendezvous im Dunkeln“, einer nächtlichen Burgführung, auf Kutschen werden wieder vom Schloß Philippsruhe nach Wilhelmsbad fahren.

Daneben gibt es eine Reihe von Themenführungen. Am Sonntag, 26. Mai, geht es um „Amouren, Mieder und Mätressen - Liebesgeschichten aus dem Wilhelmsbad“. Für Schulklassen und Kindergruppen gibt es neben dem bisherigen Suchspiel durch die ehemalige Kur- und Badeanlage eine Führung mit der Geschichte der Blaublüter befassen: Landgrafen, Prinzen und königliche Hoheiten - Die Ahnengalerie in der Burgruine in Wilhelmsbad für Kinder. Sie kostet 25 Euro und 22 Euro Eintritt in die Burg.                   

Nähere Information und Anmeldung sind bei der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Außenstelle Hanau-Wilhelmsbad, Telefon 06181 / 83376, und bei Heidrun Merk, Telefon 069 / 595818, möglich.

 

 

Burg

Die zwischen 1779 und 1781 errichtete Burgruine, in unmittelbarer Nachbarschaft des Kurbades und doch abgesondert etwas abgeschieden auf einer künstlichen Insel hinter knorrigen Eichen gelegen, ist auf dem europäischen Kontinent das früheste und damit außerordentlich bedeutsame Beispiel einer pseudomittelalterlichen Parkburg mit Ruinencharakter. Das mittelalterlichem Vorbild nachempfundene Bruchsteingemäuer gilt als eines der ältesten Exemplare seiner Art auf dem Kontinent.

In der vagen Andeutung von gotischen Bauformen und Renaissancebauformen gibt die Burg einen allgemeinen Eindruck vom Mittelalter wieder. Das Mittelalter war die Epoche uneingeschränkter Machtfülle der feudalen Oberschicht. Eine Ruine gehörte deshalb in einen englischen Landschaftsgarten hinein. Die Burgruine war von Anfang an als solche konzipiert.

Die Anregung zur Burg  erhielt der Bauherr oder dessen Architekt Franz Ludwig von Cancrin möglicherweise von dem im Jahr 1747 in London erschienenen Stich von J. B. Langley, der auch die künstliche, 1772 erstellte Burg von Shrubbs Hill enthielt. Vielleicht gab aber auch die Mutter Wilhelms, Maria von England (gestorben 1772), die Anregung zur Burgruine und zu dem in Deutschland außergewöhnlich frühen englischen Landschaftspark.

Erbprinz Wilhelm von Hessen-Kassel ließ das Gebäude in den Jahren 1779 bis 1781 als Lustschlößchen im Stil einer mittelalterlichen Burgruine errichten. Die Grundsteinlegung erfolgte im September 1779. Die Ruine hatte der Erbprinz keineswegs als reines Symbol geplant. Knapp zwei Wochen nach Eröffnung des Comoedienhauses, am 21. Juli 1781, verbrachte er die erste Nacht in dem 19 Meter hohen Turm, den er sogar dem städtischen Schloß Philippsruhe vorzog. Abseits der Regierungsgeschäften und dem Trubel des Kurbetriebs, lebte er inmitten der Natur. Es war die Zeit der Romantik, der Empfindsamkeit. Nachdem er 1785 nach Kassel. umsiedelte, verwaiste das Gebäude.

 

Der äußerlich unscheinbare Bau wirkt von außen rustikal, düster, ungemütlich. Der Grundriß zeigt einen achteckigen Innenraum mit vier nach außen abgehenden Nebenräumen in Form von Ecktürmen. Der Bau zielt aber auf Überraschung des Besuchers ab: Im Innern beherbergte er nämlich eine höchst elegante, prachtvolle Inneneinrichtung im englischen Stil und einen prachtvollen Kuppelsaal. Stuck und Gold beherrschten die Szenerie und versetzten den Besucher in helles Erstaunen. Das Innere strahlt Behaglichkeit, Luxus und Wärme aus. Der Kontrast zwischen herbem Äußeren und wertvollem Inneren war gewollt. Wer die Wasserburg betrat, sollte überrascht werden von kunstvollen Holztäfelungen, Schnitz- und Stuckwerk, Malereien von dem vom Straßburger Bürger Ferrier angefertigten Mobiliar. Ein Reisender beschrieb 1785, er habe sich „mit süssem Entzücken“ in einem „bezauberten Feenschloß“ gewähnt.

 

Man betritt den Turm durch einen der Türme und kommt zunächst in ein kleines Vorzimmer, in dem auch unter einem Fenster der Nachtstuhl steht. Der erste richtige Raum ist das Empfangszimmer, in dem sich über den Türen Bilder mit italienischen Motiven finden. Außerdem sind dort die Porträts der Brüder des Erbprinzen, Friedrich und Karl. Es wird auch als Spielzimmer bezeichnet, in dem der Erbprinz Karten zockte und über dem Schachbrett grübelte.

Das „Grand Kabinet“, in blau-beige gehalten, schließt sich an. Es war das Wohn- und Speisezimmer. Die Bilder an den Wänden zeigen in freier Darstellung die Hanauer Schlösser Philippsruhe, Steinau und Babenhausen. Hinter einer Schrankwand befindet sich ein Dienerzimmer, das aber auch einen Zugang von draußen hatte (wie man an der Außenseite der Burg sehen kann).

Das Wohnzimmer bietet nicht nur einen eleganten Parkettboden mit dunklen Rauten und hellen Karos, sondern auch Mobiliar vom Feinsten: Elegante Stühle, kostbare Gemälde und seidene Tapete, die in Rahmen gespannt ist. Das Lieblingsstück der weiblichen Gäste ist aber der Spiegel: Sie gucken hier so gerne rein, weil er bronze getönt ist und einfach schöner macht.

Der nächste Raum ist das Schlafzimmer. Eine reichverzierte gewölbte Stuckdecke zieht die Blicke an. Die Bilder zeigen Motive aus Wilhelmsbad: die Kurpromenade, den Blick über die Pyramideninsel zur Burg und die Burg mit Blick zum Karussell (der Wachtposten steht in einem ausgehöhlten Baum). Die Bilder wurden gemalt von Anton Wilhelm Tischbein, damals Hofmaler des Erbprinzen und befanden sich im Schloß Babenhausen.

Das Bett ist ziemlich kurz, weil in jener Zeit die Menschen mehr im Bett saßen (Liegen galt als Zeichen des Todes). Hier lebte der Erbprinz mit seiner Mätresse Rosette Ritter, mit der er sieben Kinder hatte (das achte erkannte er nicht an). An den Raum schließt sich das „Petit Kabinett“ mit der wunderbaren Decke an, in dem der Erbprinz mit seiner Geliebten Schokolade trank. In dem Durchgangszimmer steht eine Kommode, die ein Dienerbett enthält. Der Fußboden ist in jedem Zimmer anders gemustert.

Je weiter man vordringt, desto stärker nähert man sich dem Allerheiligsten. Die Pracht nimmt zu. Zugang hatten nur des Grafen engste Vertraute.

 

Drei der Ecktürme enden als Dachterrassen für das nächste Geschoß. Der vierte Turm mit einer Wendeltreppe im Innern erschließt das nächste Stockwerk. Darüber ist noch ein Zwischengeschoß, das sogenannte „Verließ“, und dann die Dachterrasse.

Im Obergeschoß nimmt ein außergewöhnlicher runder Festsaal die gesamte Etage ein. Der Saal mit einer frühklassizistischen Holzverkleidung hat eine stuckierte Kuppel. Ihn schmücken 16 korinthische Pfeiler, eine klassizistische Kuppel mit scheinarchitektonischen Kassetten und Stuckornamenten.  Eine kunstvoll verzierte Decke und elegante Kronleuchter lassen vergessen, daß man sich in einer verfallenen Ruine befindet. Der in lindgrün und beige gehaltene runde Saal mit den aufwendigen Stuckarbeiten ist der absolute Höhepunkt in dem Turm. Die zwischen den Fenstern mit Originalbeschlägen plazierten 16 Säulen aus Eichenholz müssen kein Gewicht tragen. Sie besitzen nur einen dekorativen Charakter. Auf dem Holzboden in der Mitte des Saals breitet sich ein zwölfzackiger Stern aus. Eine große Messinglaterne in der Gewölbemitte und 16 Wandleuchter erleuchten den Raum.

Zur Ausstattung des Kuppelsaals gehört eine Ahnengalerie, girlandengerahmte Medaillons mit Brustbildern der Fürsten aus dem Hause Hessen-Kassel von dem Hanauer Hofmaler Anton Wilhelm Tischbein in Grisaille gemalt. Diese Portraits waren, wie die Burgruine selbst, eine Beschwörung der Vergangenheit, romantische Erinnerung an Leben und Taten der hessischen Ahnen des Prinzen. Zu sehen sind die Brustbilder der Fürsten des Hauses Hessen-Kassel seit Philipp dem Großmütigen zu sehen.

An den Wänden befinden sich die Bilder der Familie des Kurfürsten: Der Großvater der ihn zum Erben einsetzte, die Mutter Marie, eine Prinzessin von England, der Vater, der enterbt wurde, weil er zum Katholizismus übertrat, die zweite Frau des Vaters, der Erbprinz selber, seine Frau, eine Prinzessin von Dänemark (er war dort erzogen worden) und schließlich die Brüder des Erbprinzen.

Den Spiegel über dem Kamin hat Wilhelm in Paris hatte herstellen lassen. An der Wand stehen zwei Spieltische, die man auseinanderfalten konnte. In dem Raum steht auch eine Staffelei mit einem Bild des Malers Reinhold Ewald, der hier sein Atelier hatte.

Eine Tür auf die Dachterrasse läßt sich öffnen und ermöglicht einen Blick in Richtung Schloß Philippsruhe. Sogar eines dieser progressiven Plumpsklos hatte Architekt Cancrin nicht vergessen. Dieses ebenfalls restaurierte stille Örtchen befindet sich neben dem prächtigen Kuppelsaal im Obergeschoß. Um des nachts sein Geschäft zu erledigen, mußte der Landesfürst allerdings nicht den steilen Wendelgang mit den aufgemalten Rundbögen und Bruchsteinmotiv heraufklettern, die Herrschaften benutzten den Nachtstuhl im Kabinett direkt neben dem Schlafzimmer.

Nebenbei bemerkt ist die Wilhelmsbader „Burg“ gleichsam ein Vorentwurf, eine Skizze. für die später im Park von Wilhelmshöhe bei Kassel - im Auftrag, des nunmehr zum Landgrafen aufgestiegenen Erbprinzen - von Heinrich Christoph Jussow erbaute Löwenburg, die nicht nur im Außenbau, sondern auch in der Innenausstattung an die Welt des Mittelalters anzuknüpfen versucht, wie man sie sich damals vorstellte.

 

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte mit dem Maler Reinhold Ewald vorübergehend wieder Leben ein. Er war von den Nazis wegen seiner „entarteten Kunst“ verfemt und erhielt deshalb von den Amerikanern die Erlaubnis, die Burg nutzen zu dürfen. Vor allem Frauen sind es, die sich bei den Führungen im Turm regelmäßig nach Reinhold Ewald erkundigen.

Eine Besucherin hatte dem Künstler gar selbst in seinem Atelier im ersten Stock des Märchenturmes Modell gesessen. Viele Damen sind im Laufe der Zeit die steinerne Wendeltreppe hinauf gegangen, um sich von Ewald malen zu lassen. Sein eigenwilliges Verhältnis zum weiblichen Geschlecht sorgt noch heute für Gesprächsstoff. Obwohl verheiratet (insgesamt dreimal), zog der Künstler die räumliche Trennung vor. Während er im verwunschenen, von Efeu umrankten Turm residierte, lebte die Gattin in der Hochstädter Landstraße. Selbst als Ewald sein geliebtes Domizil verließ, zog er nicht zu ihr, sondern suchte sich eine eigene Wohnung.

Von 1945 bis 1970 hat Reinhold Ewald in dem romantischen Turm gelebt. Die Wohnung des Künstlers war im Erdgeschoß, sein Atelier im ersten Stock, dem ehemaligen Festsaal der Burg. Feudal hat Ewald hier nicht gelebt, im Gegenteil. Und er selbst hat überdies nicht unbedingt zum guten Zustand der Zimmer beigetragen. Ein kleiner Brandfleck im Boden zeugt noch heute davon.

Seit der aufwendigen Renovierung der Räume sind fast alle Spuren des Malers getilgt. Ob das Stilleben aus dem Bestand des Hanauer Museums, das auf einer Staffelei an exponierter Stelle im früheren Atelier steht, auch dort von Ewald gemalt wurde, vermag man nicht Gewißheit zu beantworten. Auf jeden Fall ist das Bild aber einer Schaffensperiode zuzuordnen, die mit der Zeit im Turm übereinstimmt: Zwischen 1945 und 1950 muß das „Stilleben mit Iris“ entstanden sein. Damit steht das Bild am Anfang der „Wilhelmsbader Phase“, in der sich Reinhold Ewald entfernte vom kubistisch und expressionistisch beeinflußten Stil, der sein Werk zwischen 1910 und 1930 geprägt hatte, und einen leichteren, lockeren Pinselstrich entwickelte. Das „Stilleben mit Iris“ wird von Pastellfarben dominiert. Um die Vase mit Ewald Lieblingsblumen und das lässig drapierte weiße Tuch im Mittelpunkt gruppieren sich eine Weinflasche und Zitronen, die wie verstreut auf dem Tisch liegen.

 

Es hat jedoch auch Zeiten gegeben, in denen die Ruine wortwörtlich ruiniert war - auch von innen: Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie ihrer gesamten Ausstattung beraubt, Mitte des letzten Jahrhunderts kroch in ihr der Schwamm hoch. Erst in den 80er Jahren wurde sie renoviert. Man hat einen Keller gegraben, die Ruine luftdicht geschlossen und drei Jahre lang begast.

Nachdem Ewald ausgezogen war, blieben die Türen verschlossen. Weil Fremde eindringen wollten, mußte der Turm mit einer Alarmanlage und einem Zaun gesichert werden (aber auch andere Einrichtungen in Wilhelmsbad sind wiederholt schon Opfer von Vandalen geworden).

Die Hessische Schlösserverwaltung hat im Zuge der 17 Jahre dauernden Arbeiten die ursprüngliche Ausstattung des romantischen Lustschlößchens von Erbprinz Wilhelms rekonstruiert. Die Recherchen für das Nachempfinden des Originalzustands vor 220 Jahren waren akribisch und die Baustelle auf einer Insel mit nur schmalem Brückenzugang war schwierig.

Die Burgsanierung kostete das Land über fünf Millionen Mark. Man sieht oft nicht, was darin an Finanzmitteln steckt. Wer auf der künstlichen Insel durch die bleiverglasten Fenster sieht, kann es zumindest erahnen.

Die einmalige Burganlage blieb ohne wesentliche Verluste und fast unberührt erhalten. Alle Fußböden, Zwischenwände, Stuckdecken und hölzernen Wandverkleidungen mußten vorübergehend herausgenommen und gegen Hausschwamm behandelt werden. Im runden Saal mit dem Kuppeldach glänzen die edlen Holzdielen wieder. Ob die kunstvollen Holzböden oder die schnörkelreichen Wandkassetten: Alles erstrahlt in neuem Glanz. Der einst von in Mainz ansässigen Italienern angebrachte Stuck wurde saniert, zum Teil wiederhergestellt. Gleiches gilt für die Baldachine. Selbst die Kamine stammen aus der damaligen Zeit.

Die Burg wurde im späten 19. Jahrhundert ihrer gesamten Ausstattung beraubt. Die ursprüngliche Ausstattung unter Landgraf Wilhelm IX. von Hessen-Kassel wurde nach Inventarlisten und Archivalien rekonstruiert. In den Werkstätten der hessischen Schlösserverwaltung im Schloß Fasanerie bei Fulda wurden die Originalmöbel nachgebaut. Aus dem Schloß Fasanerie bei Fulda stammen die ursprünglichen Stühle für den Festsaal. Auch das Bett wurde dem Bett im Schloß Fasanerie bei Fulda nachgestaltet. Um die kostbaren Seidentapeten der Wandbespannung rekonstruieren zu können, mußten sie anhand von Original-Stoffresten mit einem aufwendigen Verfahren in den USA nachgewebt werden. Allein die Nägel, die den Stoff an den Stühlen befestigen, kosteten 10.000 Mark.

 

Heute empfangen den Besucher wieder die nach historischen Inventaren eingerichteten Räume. Seit 1999 können Besucher das im Louis-Seize-Stil eingerichtete einstige Liebesnest und Refugium des Erbprinzen besichtigen. Als Museum soll „einer der frühesten Bauten dieser Art auf dem Kontinent“ von Wilhelmbads Blütezeit künden. Gleichzeitig veranlaßte man auch Erhaltungsarbeiten in der Ruine nebenan, wo sich die Küche der Residenz des Fürsten befand. Damit ist die Burg wieder zu dem Kleinod geworden, das der Landgraf damals schätzte.

Die Hessische Schlösserverwaltung bietet jedes Wochenende Führungen durch die Ruine an: Samstag jeweils um 14, 15 und 16 Uhr sowie sonntags um 11, 12, 14, 15 und 16 Uhr. Termine außerhalb dieser Zeiten können unter der Telefonnummer 06181 / 83376 oder unter 069 / 595818 vereinbart werden. Es finden nur geführte 15köpfige Besuchergruppen samstags ab 14 Uhr und sonntags ab 11 Uhr Einlaß in die Burg. Anmeldungen sind nicht mehr erforderlich, es sei denn es handelt sich um Besuche in der Woche. In solchen Fällen ist die Telefonnummer 06181/ 83376 zu wählen.

 

Am Sonntag, dem 29. Mai 2010, wurde die für rund eine halbe Million Euro renovierte Burg, in der sich ein Museum befindet, wiedereröffnet. Neu sind ein kompletter Rundgang um das Museumsgebäude sowie eine Bepflanzung, die sich an das Vorbild der historischen Landschaftsgestaltung anlehnt. Vor dem Museum wurde Pflasterstein gelegt, historisch nicht ganz genau nach dem Vorbild des Erschaffers Christian Hirschfeld. Es ist ein Tribut an das Museum, denn die originalen Kieswege verschlammen bei Regenwetter schnell. So tragen die Besucher nicht zu viel Matsch ins Innere der Burg.

Besonders besucherfreundlich ist die Tatsache. daß nun ein kompletter Rundgang um das alte Gemäuer zum Erkunden des märchenhaften Bauwerkes einlädt. Bestehende Elemente, wie die im Boden eingelassenen Flutlichtstrahler, wurden in das neue Konzept eingearbeitet. Die historisch korrekte Umsetzung setzt sich bei der Blumenauswahl fort. Rund um die Burginsel schießen nun Blütengehölze aus dem Boden - und zwar genau die Pflanzen, die schon Wilhelmsbads Urvater Hirschfeld ausgewählt hatte. Künftig blühen hier weißer Jasmin, wildwachsende Brombeeren und eine alte Holundersorte. Mit der Staphylea wurde zudem eine Pflanze eingesetzt, die eine besonders lange Gartenbautradition besitzt. Die Bäume auf der Insel wurden bewußt einzeln angelegt, um nicht den Eindruck von Wildwuchs zu erwecken.

Noch umfassender gestalteten sich die baulichen Maßnahmen. Im Zuge der Reinigung wurden außerdem zahlreiche Brandschutzmaßnahmen getroffen, die als Konsequenz aus dem Brand in der Weimarer Anna-Amalia-Bibliothek deutschlandweit für historische Gebäude umgesetzt werden.  Auch die Uferränder, deren Jungpflanzen momentan noch mit einem Gitter vor den Wassertieren geschützt werden, wurden instand gesetzt. Hier sollen sich bald Amphibien, zum Beispiel Molche oder Frösche, einnisten. Um den neuen Glanz zu schützen, wird die Insel künftig mit Einbruch der Dämmerung geschlossen.

 

 

Karussell

An den idyllischen Park als Spiel- und Vergnügungsort für die Kurgäste erinnert das große Karussell. Es ist das schönste Ausstattungsstück der Wilhelmsbader Anlage und das einzige seiner Art das wohl älteste derartige Karussell der Welt. Es wurde zur Zeit seiner Erbauung1780 auch mit technischen Finessen ausgestattet, die zuvor nicht gewagt worden waren, ein Meisterwerk damaliger Ingenieurbaukunst. Heute ist es das älteste immobile Karussell der Welt.

 

Bau des Karussells:

Um Ende des 18. Jahrhunderts mehr Besucher in die Kur- und Badeanlage von Wilhelmsbad zu locken, ließ sich Landgraf Wilhelm damals vom Architekten und Ingenieur Franz Ludwig Cancrin das Pferdekarussell errichten. Es wurde von Ende 1779 bis Oktober 1780 errichtet.

Der offene Pavillon ist einem römischen Rundtempel nachempfundenen. Die Tempel waren ein beliebter Gartenschmuck im Barock und auch der Zeit des Klassizismus. Man benutzte als das Gegenstück zum „griechischen“ Janustempels den „römischen“ Rundtempel mit zwei Säulenreihen, um dort ein mit schmucken Pferden und Wagen besetztes Karussell zu schaffen. Es ist eines der heitersten Elemente des Landschaftsgartens. Rundtempel mit Säulen waren seinerzeit zwar eine beliebte und häufig anzutreffende Zierde der Gärten. Aber daß darunter ein Karussell angebracht ist, stellt eine interessante Variante dar, die in ihrer Art wohl einmalig ist.

Eine solche Karussellanlage -  allerdings ohne Pferde und Wagen - steht im Park von Ludwigsburg bei Stuttgart. Sie sind eine letzte Erinnerung an festliche Aufzüge der Barockzeit, bei denen man hoch zu Roß in Wagen und in Schlitten in einer Arena nach einer vorgeschriebenen Ordnung, das sogenannte „Carousel“, geritten oder gefahren ist.

Wild bäumen sich die Pferde auf. Zwischen ihnen stehen vier bunte Götterwagen, dekoriert mit Schnitzereien, eingelegten Spiegeln. Mittels eines kunstvollen. verborgenen Mechanismus drehten sich Pferde und Wagen wie von Geisterhand bewegt. Die Pferde waren so auf dem Laufkranz befestigt, daß sie bei Bewegung schaukeln konnten.

Das Karussell war eine Vergnügungsstätte, in dem Elemente der ritterlichen Lebensertüchtigung weiterlebten. Von großen Holzpferden und Wagen aus suchten Damen und Herren bei schneller Umdrehung einen Puppenkopf absäbeln, Bälle in weit aufgerissene Mäuler von Mohren werfen. Auch das Ringelspiel war beliebt, bei dem man den Ring, den eine künstliche Taube auf- und abfliegend schwenkte, treffen mußte.

 

Franz Ludwig Cancrin ersann 1779 eine neuartige Konstruktion, deren bewegliche Teile wie von Geisterhand aus dem Untergrund angetrieben wurden. Um diese Illusion perfekt zu inszenieren, ließ er einen schwebenden Boden bauen, unter welchem sich im Verborgenen Antrieb und Drehmechanik frei bewegen konnten. In einem Schreiben im Mai 1780 unterbreitete Cancrin Wilhelm, Erbprinz von Hessen-Kassel und Graf von Hanau, die Vorzüge seiner „neuen Erfindung”, eines Karussells mit feststehendem Innenboden. Aus einer Bauakte des Staatsarchivs Marburg:

1. Unterthänigster Bericht: Das bedekte Caroussel wird so eingerichtet, daß Pferde und Phätons (Wagen) auf einer Scheibe bewegt werden. Es stehet aber auch so einzurichten, daß sich allein Pferde und Wagen bewegen, und am letzteren die Räder umdrehen. Durch die letztere Einrichtung werden folgende Vorteile erhalten.

1. Das Umdrehen einer Scheibe (mit einem mitlaufenden Innenboden) macht etwas schwindelich, bei gedachter anderer Einrichtung aber fällt solches meist weg.

2. Die Maschine ist leichter und mit wenigem Menschen zu bewegen; und dann

3. gewinnet das Umfahren ein besseres Ansehen.

4. Es wird vielleicht etwas dabei an den Kosten erspahret.

Allein es sind bei dieser Sache auch einige Anstände, und kommt es dabei darauf an,

1. ob Ihro Hochfürstliche Gnaden wegen der schleunigen Verfertigung dieses Baues einige Nachsicht haben, und dann

2. nicht in Ungnade bemerken wollen, wenn etwa der Maschine noch nach geholfen werden muß, wenn solche nicht so gleich so genau umläuft, das eine Sache ist, die fast bei allen neuen Erfindungen vorkommt.

Wolten also Ihro Hochfürstl. Durchlaucht gnädigst geruhen, mir beide Punkten zu accordiren: So will ich suchen, eine Einrichtung in Wirklichkeit zu bringen.“

Das Schreiben Cancrins ist mit folgender Anweisung Wilhelms vom 13. Mai 1780 versehen: „Wird approbirt und scheint diese neue Erfindung dem Carroussel einen neuen und nie bekannten Vorzug zu ertheilen. Hanau d 13ten May 1780 Wilhelm EPzHS“ (Erbprinz zu Hessen). Cancrin erhielt also von seinem Fürsten die Erlaubnis zur baulichen Umsetzung des innovativen feststehenden Innenbodens. Der Bau wurde 1780 abgeschlossen und ist uns im Kern in seiner historischen Substanz erhalten.

 

Die Funktionsweise des Wilhelmsbader Karussells:

Das Karussell besteht - seiner Funktion nach - aus zwei Teilen: Dem sichtbaren und feststehenden oberen Teil, der als antikisierender Rundtempel gestaltet wurde. Ein kuppelförmiges Dach ruht auf zwei konzentrischen Säulenreihen, zwischen denen Pferde und Wagen im Kreis fuhren. Der innere Boden des Karussells wurde freischwebend am Dach aufgehängt. Dies wurde konstruktiv durch den Bau sogenannter Hängewerke erzielt.

Durch den Einsatz dieser Bindertypen erzielt man stützenfreie Räume, indem die Deckenbalken nicht auf der Unterkonstruktion aufgelegt, sondern an der Dachkonstruktion aufgehängt werden. Von ihm gehen zahlreiche Speichen nach allen Seiten, die zur Stabilisierung von schräg von der Achse zu den Speichen verlaufenden Hölzern unterstützt werden. So wie man einen Schirm drehen kann, so konnte man dieses Rad anfänglich drehen.  Die Last des inneren Fußbodens und des Daches wird auf den äußeren Säulenkranz übertragen. Es lastet fast kein Gewicht auf dem Kellerraum, außer dem äußeren Ring des Erdgeschoßfußbodens.

Im Publikumsbereich ist vom beweglichen Teil nur ein Reif im Fußboden zwischen der inneren und der äußeren Säulenreihe sichtbar, der Pferde und Wagen trägt. Auf dem Boden im Inneren sollte wo nach den Vorstellungen des Architekten Cancrin ein Orchester Platz nehmen. Dieser innere Fußboden wurde an einem Säulenkranz befestigt, der wiederum von der Deckenkonstruktion getragen wird.

Der Drehreif liegt auf einer schirmförmigen beweglichen Stützkonstruktion mit mittlerer Welle, die im Untergeschoß mit Muskelkraft angetrieben wurde. Ursprünglich mußten Strafgefangene herhalten, um das Karussell unterirdisch anzutreiben. Später mußten Esel oder Maultiere, Pferde und Ochsen, unten im Dunkeln im Kreis laufen, damit sich oben das bessere Volk vergnügte. Nach seiner Eröffnung 1780 galt es in ganz Europa übrigens als derart exklusiv, daß eine einzige Fahrt mehr kostete als eine Übernachtung im besten Zimmer der Kuranlage.

Gäste, die sich in den Kutschen und mit den Pferden vergnügen, ahnen nicht, wie diffizil das Präzisionswerk ist, an dem ein Gesamtgewicht von 14 Tonnen bewegt wird. Schon eine Kutsche wiegt mit acht erwachsenen Insassen bis zu 1.270 Kilo, ein Pferd 75 Kilo. Denn auf dem Karussell dreht sich nicht die gesamte Bodenscheibe, wie das bei anderen Konstruktionen der Fall ist. Wer oben steht, dem wird nicht schwindlig. Die 16 Pferde und vier Kutschen werden von drei Elektro-Motoren zum Laufen gebracht, die den stählernen Antriebsring, auf dem sie montiert sind, direkt antreiben. Der Boden schwebt  über der Mechanik.

Damit das Karussell standhaft bleibt, bedarf es einer außergewöhnlichen Konstruktion.  Gehalten wird das Gewicht des hölzernen Drehreifs mit den Kutschen und Pferden von einem Hängewerk im Dach des Karussells. An ihm hängen die acht Zugstäbe, die im Inneren der als Säulen verkleideten Bauteile nach unten verlaufen.

Angetrieben wird der Drehreif mit den Pferden von unten. Befestigt ist er an einem unter dem Boden angebrachten „Regenschirmgerippe“: Die 16 von den Seiten zur Mitte hin verlaufenden Balken münden in einen Drehstiel. Dieser ist in eine Grube eingelassen. Bewegt wurde dieser Stiel früher über einen durch die Mittelachse gesteckten quer in den Raum reichenden Balken, an dessen Enden erst Menschen schufteten und später Maultiere oder Pferde.

Die reine Holzkonstruktion war schon früh durch Gußeisen- und Eisenteile ergänzt worden, bei der ein mit Zahnrädern versehener Ring am Sprengwerk von einer mit Zahnrad versehenen Welle angetrieben wird. Das Karussell wurde mit extrem viel Eisen konstruiert. Das war eine sehr teure Angelegenheit, denn Eisen war teurer als Holz.  Für den Normalbürger war das Vergnügen auf dem Karussell ohnehin unerschwinglich: Eine Fahrt, also zwölf Umdrehungen, kostete in etwa so viel, wie ein Besucher für eine Übernachtung im Kurhotel hinblättern mußte.

Das Karussell ist qualitätvoll und aufwendig konstruiert worden. Der erhaltene Teil der ursprünglichen Zimmerarbeiten verdient noch heute unseren hohen Respekt. Aber es war „ein sehr weit vorgewagtes Experiment“(Cancrin). Mangels Erfahrung hatte Cancrin den Dachstuhl des dynamischen Karussells so geplant, als wäre dieser statisch. Er hatte nur Erfahrungen mit Mühlrädern und stellte die Pferde und Wagen gewissermaßen auf den Rand eines waagrecht liegenden Mühlrads. Das war der Denkfehler. Die Figuren sollten sich drehen, während die Plattform in der Mitte stillsteht. Oder, wie es Cancrin in seinem Schlußbericht 1871 formulierte: „Es ist dies ein Caroussell, wovon der Boden ganz frei in der Luft an der inneren Reihe Säulen hängt, das erste seiner Art.“

Durch den Hügel, auf dem das Karussell steht, wurde ein grottenhafter Gang gelegt, der durch seine Länge, Enge und Finsternis Schauder zu erregen vermochte und so eine ähnliche Wirkung wie die benachbarte, an Ketten aufgehängte Teufelsbrücke auslösen sollte, die beim Betreten unversehens in Bewegung und ins Schwanken gerät. Aus der düster inszenierten Wildnis stieg man dann wieder zum fröhlichen Teil des Parks empor

 

Schwierigkeiten:

Doch schon während der Bauzeit wurden auch die Schwierigkeiten der gewagten Konzeption deutlich. Die Holzbalken unter dem Dach arbeiteten, die Konstruktion verzog sich. Obwohl die Dachkonstruktion mit beachtlichen Holzquerschnitten hergestellt worden war, ist sie zu weich. Die Ausführung des oberirdischen Teiles als Rundbau macht an zentralen Stellen im Dach Durchdringungen notwendig. Dadurch wurden die hölzernen Knotenpunkte geschwächt. Erschwerend kam hinzu, daß die relativ niedrige Kuppel, die der Erbauer für die Außenform des Daches wählte, im Inneren der Konstruktion mit sehr ungünstiger Winkelung der Holzanschlüsse hergestellt worden ist.

Die Konstruktionsmängel führten zu Durchbiegungen und zum Absinken der Dachbinder. Da der innere Boden am Dach abgehängt ist und dadurch zwangsläufig mit absinken mußte, drohte damit die Blockade des beweglichen Drehkranzes der Antriebsmechanik. Als sich schon bald, nachdem das Karussell in Betrieb genommen worden war, das Dachgebälk senkte, schleifte der Fußboden über die drehende Scheibe und blockierte sie bald völlig.

In der Anfangszeit konnte man dieses Absinken noch durch Einstellmöglichkeiten an der Aufhängung des Innenbodens ausgleichen. Die Durchbiegungen der Dachkonstruktion konnten durch die Einfügung eiserner Verbindungsmittel offensichtlich in Grenzen gehalten werden.

Die notwendigen Änderungen während der Bauzeit und besonders die Ergänzungen mit den teuren eisernen Verbindungsmitteln führten dazu, daß sich die veranschlagten Baukosten für die Zimmerarbeiten fast vervierfachten. Die erhaltenen Bauakten bezeigen, daß der beauftragte Zimmerer sich nach der Fertigstellung den Lohn für die stark erweiterten Leistungen erstreiten mußte. Daß Cancrin bereits während der Bauzeit die Grenzen der Belastbarkeit der Konstruktion erkannt hat, zeigt sein Schreiben an den Erbprinzen Wilhelm 1780: „Auf den innern Boden des Caroussels dürfen höchstens nur 50 Personen gelassen werden, wenn der Tempel keiner Gefahr ausgesezt werden soll.“

Bei Inbetriebnahme wurde das Ringelspiel tatsächlich von Menschen angetrieben, die im Untergeschoss schuften durften, während die Herrschaften oben Spaß hatten. Allerdings war es mit zwei Kutschen und je vier Pferden noch etwas sparsamer ausgestattet als heute.

 

Geschichte:

Die Aufsicht über alle in Wilhelmsbad abgehaltenen Spiele hatte Mitte des 19. Jahrhunderts jeweils der Hofgärtner. Für kurze Zeit wurde das Karussell von den Spielpächtern unentgeltlich betrieben mit der Auflage, es zu bewachen. Von 1850 bis 1868 war es an den Hanauer Bürger J. P. Derlon verpachtet. Das Karussell war möglicherweise bis 1866, also 86 Jahre lang, funktionstüchtig und eine Hauptattraktion des Parkes. Die Ausstattung bestand in dieser Zeit aus sechs Pferden und zwei Wagen. Im Jahr 1816 wurden die hölzernen Pferde samt der beiden Götterwagen erneuert.  Im Jahre 1866 fügte preußische Artillerie dem Karussell starke Beschädigungen zu. Daraufhin sollte die gesamte Karussell-Einrichtung verkauft und der Tempel abgerissen werden.

In den Jahren 1870/71 sind im Zusammenhang mit der Einrichtung eines französischen Reservelazaretts in Wilhelmsbad weitere Zerstörungen am Karussell und seiner Einrichtung geschehen. Das Ministerium für Forsten und Domänen in Berlin entschied, daß das Karussell abgerissen werden sollte, nachdem die Pferde und Kutschen 1872 schon verkauft worden waren. Das Karussell hatte zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich eine Phase von mindestens sechs Jahren ohne Bauunterhalt hinter sich.

Doch die Hanauer Bürger wollten das nicht hinnehmen und protestierten dagegen.  So erfolgte ab 1873 die Sanierung des einsturzgefährdeten Karussellpavillons. Im Jahre 1896 wurde der Tempel für 20 Jahre verpachtet mit der Auflage, das Karussell wieder einzurichten und in Betrieb zu nehmen. Diese zweite Ausgabe der Pferde und Kutschen ist die heutige Ausstattung des Karussells: vier Wagen mit insgesamt 16 Pferden.

 

Im April 1898 erhielt das Karussell eine neue, wesentlich erweiterte Ausstattung mit vier Wagen und 16 fast mannshohen Pferden sowie eine neue Farbfassung im Inneren, die im Stil des 19. Jahrhunderts recht farbenfreudig ausgefallen ist. An der Antriebstechnik wurden Veränderungen vorgenommen. Ein Motor samt Vorgelegewelle und Zahnradkranz wurde eingebaut, sowie gußeiserne Räder und eine runde Führungsschiene für den Antrieb im Untergeschoß.

Im Jahre 1916 wurde der Zustand der „Pachtsache Karussell“ als gut beschrieben. Im Jahre 1922 wurde das Karussell als baugeschichtlich hochwertiges Denkmal eingestuft, das unbedingt zu erhalten sei. Von 1920 bis 1925 dreht sich das Karussell mit Pferdekraft und Musikbegleitung. Im Jahre 1926 schreibt Regierungsbauführer Diplomingenieur Werner Görig (Potsdam) nach einer Untersuchung des Karussells: „... daß die Konstruktion heute ebenso wie vor 135 Jahren ihren Dienst tut!“, eine gründliche Instandsetzung aber bald erfolgen solle. Im Jahre 1926 wurde ein Elektromotor eingebaut. Beim letzten Instandsetzungsversuch 1928 wurde sogar in den Raum unter dem Karussell ein Dieselmotor (?) zum Antrieb installiert, der allerdings schon nach drei Wochen durch das verklemmte Mühlrad seinen Geist aufgab.

 

Mehrere Male hatte man das Dachwerk angehoben. Aber der Erfolg war jedesmal nur von kurzer Dauer. Der letzte Versuch stammt aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts. Für etwa 20 Pfennige konnte man mit dem Karussell fahren. Der damalige Pächter der Parkwirtschaft, Schmidt, vergab einen Reparaturauftrag in Höhe von 24.000 Goldmark. Umsonst. Die Reparaturen im Dachstuhl hielten gerade einmal drei Wochen, so die  mündliche Überlieferung. Dann war der Boden wieder gesackt, stand das Karussell erneut still.

Im Jahre 1934 wurde das Karussell umfassenden Reparaturen unterzogen. Es existiert eine recht detailgetreue zeichnerische Darstellung des Bauzustandes von 1934, die dem Hanauer Maler Adam Bastian zugeschrieben wird. Die Dachhaut und die Gipskonstruktionen waren abgebaut. Die zerstörten Hölzer des Daches wurden größtenteils zurückgeschnitten und ersetzt oder angestückelt. Nahezu der gesamte äußere Architrav und sämtliche Gipsschalen samt ihren Unterkonstruktionen wurden bei diesem Eingriff erneuert. Die Reparaturen von 1934 erreichten aber leider nicht annähernd die Qualität der ursprünglichen Konstruktion. Insbesondere die Verbindungen zu den älteren Hölzern wurden teilweise mangelhaft ausgeführt. Im Jahre 1936 soll sich das Karussell aber wieder gedreht haben.

Durch einen Bombentreffer bei einem Luftangriff im November 1944 wurde das Karussell dann schwer beschädigt. Eine Sprengbombe schlug unmittelbar an einer der Außensäulen ein und riß das Mauerwerk des Untergeschosses und den steinernen Stufenring sowie einen Teil des äußeren Bodenringes ein. Die Drehmechanik im Untergeschoß wurde stark beschädigt. Davon zeugen noch die stark verbogene Stahl-Profilschiene und das Fehlen von fünf Lagerrädern im Untergeschoß. Im Erdgeschoß stürzte eine der äußeren Säulen ein, während die Verkleidungen von zwei der inneren Säulen zwar barsten, die Innensäulen aber aufrecht blieben. Diese Schäden sind durch ein zeitgenössisches Photo dokumentiert. Im Dach rissen wahrscheinlich beide eisernen Ringanker.

Durch den seitlichen Einschlag der Bombe wurde das gesamte Dachwerk auch in der Horizontalen stark verformt. Der zentrale Kaiserstiel im Dach ist heute etwa 17,5 Zentimeter aus der Mitte nach Nord verlagert. Die ehemals runden Bauteile des Karussells wurden im Grundriß zur Eiform gedrückt. Der Südteil des aufgehenden Bauwerkes ist dabei größtenteils lotrecht und am angestammten Platz geblieben, nach Norden hat sich die Konstruktion geweitet.

Der abgehängte Innenboden folgte dieser Verlagerung und ist insgesamt etwas nach Nordwest verschoben, wo die Bewegung durch die feststehende Konstruktion des Außenbodens gehemmt wird. Das notwendige Spiel zwischen Innenboden und Drehreif ist in nördlicher Richtung vollständig verloren, freies Drehen ist bei dem hohen seitlichen Druck an dieser Stelle nicht möglich. In der Folge sank das Dachwerk zunehmend ein.

Die Reparaturen waren bis 1945 erfolgreich. Bis in diese Zeit sind mehrere Phasen des Betriebes mit wechselnden Antrieben belegt. Die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten übernahm 1948 die Anlage. Welche Anziehungskraft das historische Karussell aber für viele Hanauer hat, davon zeugt ein Vergleich eines Besuchers: „Pisa hat seinen schiefen Turm, Hanau das Karussell von Wilhelmsbad.“ Eines, das in seiner Konstruktion weltweit einzigartig ist.

Bis 1968 wurden die Pferde und Kutschen im Komoedienhaus gelagert. Während der Restaurierung des Komoedienhauses 1968/1969 wurden auch die Pferde und Kutschen durch den Hessischen Rundfunk restauriert. Zur Sicherheit wurden Gitterstäbe am Karussell angebracht, die jedoch nicht verhindern konnten, daß zwölf Pferde gestohlen wurden. In den siebziger Jahren mußte der Außenstellenleiter der Schlösserverwaltung als getarnter Ermittler tätig werden, um die geklauten Pferde wieder in ihren Stall mit der Rundkuppel zurückzuholen. Sie wurden im Gießener Raum wieder gefunden und erneut restauriert.

Im April 1976 wurde der Fernsehfilm „Ein Winter, der kein Sommer war“ gedreht. Für die Drehzeit stellte der Hessische Rundfunk Pferde und Kutschen beweglich wieder ein, befestigte sie also nicht am Bauwerk. Durch Kamerafahrt und die Fahrt einer einzelnen Kutsche entstand im Film die Illusion von einem sich drehenden Karussell. Die Mechanik war zu dieser Zeit insgesamt nicht mehr beweglich. Dennoch hat der Film vielfach die Erinnerung an ein sich drehendes Karussell hinterlassen.

Erst als sich 1998 ein Förderverein gründete, der rührig Spenden sammelte und Patenschaften vergab, kam wieder Schwung in die Sache

Seit 1991 wurde das Karussell umfangreichen Untersuchungen unterzogen: Die verfügbaren Archivalien und Vermessungsunterlagen wurden ausgewertet, ergänzende Messungen wurden vorgenommen. Schäden, Umbauten und bisherige Reparatureingriffe wurden differenziert erfaßt. Ziel dieser Untersuchungen war die Klärung der Frage, ob das Karussell repariert werden könnte.

Das Bauwerk dokumentiert, daß im Lauf seiner Geschichte immer wieder versucht worden ist, das Karussell im Sinne seiner ursprünglichen Konstruktionsidee zu reparieren

Die statische und mechanische Wirkungsweise des Karussells haben die Darmstädter Fachleute erstmals 1992 untersucht. Zeitgleich haben Maschinenbaustudenten der Fachhochschule Wiesbaden die Möglichkeiten einer Inbetriebnahme der alten Mechanik analysiert. Die Dachhaut, das Dachtragwerk und die übrigen Oberflächen sowie die ursprüngliche Antriebsmechanik sollten nach den beschriebenen Untersuchungsergebnissen lediglich repariert und konservierend behandelt werden.

Der Gebietsreferent der Verwaltung der staatlichen Schlösser und Gärten und das Architekturbüro Bingenheimer, Hädler und Schmilinsky kamen zu dem Ergebnis, daß durch einen erneuten Versuch einer Reparatur des Bestandes und der Wieder-Inbetriebnahme im Sinne des alten Konzeptes das bekannte Schadensbild längerfristig mit höchster Wahrscheinlichkeit erneut aufträte. Darüber hinaus hätte diese Reparaturmaßnahme inakzeptabel erscheinende Verluste an originaler Substanz bedeutet.

 

Förderverein:

Am 23. April 1998 gründeten 17 Hanauer Bürger in der „Kleinen Parkwirtschaft“ den „Förderverein für das Karussell im Staatspark Hanau Wilhelmsbad e.V.“. Vorsitzende wurde Bankfachmann Stefan Bahn. Er kam zu den Pferdchen wie die Jungfrau zum Kinde: „Ich saß mit meinem Freund Ludger Wösthoff beim Bierchen zusammen, und wir haben darüber nachgedacht, was wir denn so machen könnten in Hanau. Und da ist uns das Karussell eingefallen und die Tatsache, daß dieses Bauwerk einfach verfällt und sich keiner drum kümmert - das war eine ganz spontane Idee. Wir wußten damals nicht, was auf uns zukommt.” Die Frage, ob die Beiden sich dieser Sache auch angenommen hätten, wenn sie den Aufwand geahnt hätten, beantwortet Stefan Bahn mit einem stillen Lächeln.

Daß sich das Wilhelmsbader Karussell  wieder drehen wird, davon ist der Bahn ganz fest überzeugt: „Ich hab‘s versprochen: Mir selbst, meiner Tochter und der Ur-Ur-Enkelin Franz-Ludwig von Cancrins, Christine Langenscheidt, auch. Und was ich verspreche, das halte ich auch““

In ihrer Naivität hatten die beiden Vereinsgründer seinerzeit „einfach nur gewollt, daß es sich wieder dreht”, aber schon nach kürzester Zeit feststellen müssen, daß sie die ganze Technik zunächst überhaupt nicht verstanden: „Wir haben ja allein schon ein halbes Jahr gebraucht, um das Bauwerk zu kapieren. Langsam kamen wir dann auch dahinter, was im Laufe der Jahre mit dem Holz und vor allem mit der Statik passiert ist.”

 

Weil der Verein nicht lockerließ und viele zu kreativen Ideen aufrief, mit denen sich Geld für das visionär erscheinende Projekt sammeln ließ, entwickelten sich die unterschiedlichsten Aktionen: Das Ehepaar Thierling entwarf eine Karte mit einem Karussellgedicht und einer Zeichnung, die zigfach verkauft wurde und die ersten 1000 Euro zusammenbrachte.

Die Goldschmiedin und Hanauer Ruder-Meisterin Angela Schuster schuf eine Goldmünze, die in einer Sonderprägung von genau 1000 Stück aufgelegt wurde. Sie zeigt den charakteristischen Tempel mit den Säulen, der das Karussell umschließt als Wahrzeichen auf dem Hügel.

Inspiriert hat das Karussell auch die Künstlerin an der Zeichenakademie Rosi Vey die Ostereier mit einem Karusselldekor versah, und deren Schülerin Marianne Wurstner aus Mömbris, die eine kleine Holztruhe bemalte und sich dabei ebenfalls dem Wilhelmsbader Motiv widmete.

 

Der Zustand des Karussells war dramatisch, die öffentliche Schatulle jedoch leer. Seite an Seite mit vielen engagierten Bürgern war Bahn seitdem dabei, Spenden zu sammeln und viel Überzeugungsarbeit bei Stadt und Land zu leisten. Im Jahr 2001 waren bereits 140.000 Mark gesammelt. Davon flossen bereits mehr als 50.000 Mark in ein „Drehbuch der Sanierung“ samt Instandsetzungsplan.

Ziel war es, das älteste Pferdekarussell in Deutschland, das zudem von seiner Konstruktion her eine Einmaligkeit darstellt, wieder in Gang zu setzen. Mit der Wiederaufnahme des Fahrbetriebes rechnete man im Jahr 2005, wenn das Karussell seinen 225. Geburtstag hat. Mit dem funktionierenden Karussell wird sich außerdem ein weiterer Aufschwung für Wilhelmsbad ergeben, von dem etwa das benachbarte Hessischen Puppenmuseum oder die fürstliche Lustburg aus der Romantik mit zusätzlichen Besuchern profitieren würden.

Der Verein vertrieb inzwischen Tassen mit dem Karussell als Motiv. Sie waren für zehn Mark in der Albertis-Hofbuchhandlung in Hanau (Hammerstraße) zu erhalten. Der Verkaufserlös kam dem Verein zugute. Da wegen der Produktionskosten aber wenig übrig blieb, suchte der Verein noch Sponsoren für den Einkauf der Becher, die in einer Auflage von jeweils 1000 immer wieder mit neuen Motiven bedruckt wurden. Bahn konnte berichteten, daß dieses Souvenir reißenden Absatz finde.

 

Gutachten 2005:

Im Jahre 2005 mußte ein schwerer Schaden aus jüngster Zeit repariert werden. Ursache waren die heftigen Regengüsse, die dem Gewölbe im Karussell Wilhelmsbad mächtig zugesetzt haben. Felsbrocken waren aus dem Gewölbe gespült worden, die den Eingang zur Technik des Karussells versperrt haben. Deshalb nahm man dringend notwendige Stützungsarbeiten im Gewölbe vor.

Laut einem Gutachten müssen runde 1,5 Millionen Euro bereitgestellt werden, die erst einmal verdient sein wollen. Die Restaurierung der schönen Holzpferde und -kutschen wird etwa 150.000 Euro kosten und die Wiederherstellung der Holzkonstruktion im Inneren des Gebäudes und des römischen Tempelnachbaus selbst, der die Figuren umgibt, schließlich stolze 1.350.000 Euro.

Durch das Einziehen von stählernen Elementen, die später nicht mehr als solche zu erkennen sind, soll der drehbare Innenbereich mit dem Kranz für die Pferde und Kutschen sowie in der Mitte die Plattform für das Orchester nicht nur statisch gesichert, sondern um 30 Zentimeter angehoben werden.

In weiteren Untersuchungen durch das Architekturbüro Bingenheimer, Hädler und Schmilinsky sollten die Schadensbefunde und das Baualter der unterschiedlichen Konstruktionshölzer und Verbindungsmittel erfaßt werden um Entscheidungsgrundlagen für das Maß der Rückverformbarkeit und des Austauschs geschädigter Konstruktionshölzer zu liefern, damit die ursprünglich erhaltene Substanz bei der Sanierung möglichst geschont werden kann. Auch sollte die ursprüngliche Geometrie der Konstruktion zeichnerisch rekonstruiert werden.  Das Ergebnis seiner Untersuchungen hat das Büro Studio Baukultur (ehemals BHS) auch vorgelegt.

Nun sollte die Werkplanung für die Durchführung erstellt werden. Neben einzelnen Details muß entschieden werden, ob die schweren Gitter und Vorhänge zwischen den Säulen wieder eingebaut werden müssen oder ob ein anderer Schutz vor Vandalismus, Wetter und Diebstahl möglich ist. Auch die Farbgestaltung wird noch diskutiert. Vorgesehen ist, die teilweise bunte Fassung des 19. Jahrhunderts wieder herzustellen, die zeitlich zur heutigen Ausstattung der Pferde und Kutschen gehört. Die Planung sieht die Durchführung der Instandsetzungsmaßnahmen im Laufe von insgesamt drei Jahren vor.

Emil Hädler, Architekturprofessor an der Fachhochschule Mainz, hat das Karussell ausführlich untersucht. Anhand seiner Ergebnisse haben Maschinenbau-Studenten der Fachhochschule Rüsselsheim ein neues Antriebskonzept entwickelt.

Große Sorgen bereiten auch die Pilz- und Holzbockschäden an den ohnehin nicht besonders harten Bohlen. Der Beschädigungsgrad ist sehr hoch. Ungefähr 40 Prozent der Hölzer müßten bearbeitet werden, einige Sparren und Gebälkstrecken sogar ausgetauscht werden.

Auch beim Mauerwerk werden die Handwerker vermutlich alle Hände voll zu tun bekommen. Der Mörtel zwischen den Sockelsteinen besteht nur noch aus Sand. Ursache ist die Dauerfeuchtigkeit aus dem direkt anliegenden Erdreich. Rund 20.000 Mark wollte der Förderverein dafür verwenden, Insekten zu vernichten, die sich im Holzkarussell eingenistet haben und durch ihre Brut die alten Kiefernbalken bedrohen. Man muß den Verfall erst stoppen, ehe man mit der Sanierung beginnen kann.

 

Karussellnacht 2005:

Am Samstag, dem 16. Juli 2005, wurde zum 225-jährigen Bestehen des historischen Spielgerätes die erste „Lange Wilhelmsbader Karussellnacht“ veranstaltet.  Der Förderverein lud dazu ein gemeinsam mit der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, dem Köcheverein und der Freiwilligen- Agentur Hanau.

Der Köcheverein bot Kulinarisches aus der heimischen Küche an, dazu schenkte der Förderverein seinen bewährten Karussellwein aus. Unter dem Titel „Es war einmal ein Prinz“ wurden um 19.30 Uhr Kostümführungen für Kinder in der Burgruine angeboten. Thomas Ludwig, Fachgebietsleiter für Bauangelegenheiten und Denkmalpflege in der Verwaltung Staatlicher Schlösser und Gärten, erläuterte ab 20 Uhr im Karussell dessen Konstruktion, während ab 20.30 Uhr im „Roten Salon“ die Filme „und es dreht sich doch“ und „Wilhelmsbader Karusselltechnik“ von Ernst-Thomas Pürschel gezeigt worden. Um 21 und 23 Uhr las der Frankfurter Schriftsteller und Krimiautor Berndt Schulz („Novembermord“) unter dem Titel  „und dann und wann ein weißer Elefant“ Gedichte und Geschichten im Karussell vor. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung vor dem Kurhaus von Holger Lützen mit Gitarrenimprovisationen. Um Mitternacht lud Heidrun Merk von der Schlösserverwaltung zu einer Fackelführung durch den Wilhelmsbader Park ein.

 

Amateurfilm 2005:

Ernst-Thomas Pürschel hat in einem Vier-Minuten-Film mit Hilfe zahlloser Fotografien und entsprechender Computer-Technik dem Karussell Leben eingehaucht hat. Die hölzernen, bunt bemalten Pferdchen ziehen ihre Runden, kleine Stützräder hoppeln auch mal über eine hervorstehende Schraube  und am Schluß macht einer, den man gut kennt, im Gewölbe das Licht aus. In einem weiteren zehn Minuten langen Streifen erklärt Pürschel per aufwendiger Computeranimation die komplette Konstruktion und Technik des historischen Karussells. Der 66-Jährige ehemalige Richter am Landgericht hat den Bau von der Spitze der flachen Kuppel bis zum Lager der Mittelachse im vom Hügel umschlossenen Gewölbe komplett zerlegt - digital natürlich. Element für Element, Balken für Balken entsteht vor den Augen des faszinierten Betrachters eine technische Konstruktion, die in ihrer ursprünglichen Form bereits 1780 vollendet war. Ernst-Thomas Pürschel, Amateurfilmer seit 1960, hat diesen neuen Film bei einschlägigen Wettbewerben eingereicht. Für „... und es dreht sich doch“, vor etwa einem Jahr produziert, gab es einen ersten Preis beim Hessischen Amateurfilmwettbewerb, beim Bundes-Trickfilm-Wettbewerb war es Bronze, bei den renommierten Deutschen Amateurfilm-Festspielen in diesem Jahr erhielt er einen Sonderpreis was ihn sehr freut. Alle Erlöse kamen dem Karussell zu Gute und werden von der Stadt Hanau dann noch einmal verdoppelt.

 

Karussellfest 2005:

Am Sonntag, 28. August 2005, ab 14 Uhr veranstaltete der Förderverein für das Karussell im Staatspark Hanau Wilhelmsbad unter Schirmherrschaft von Landrat Erich Pipa sein Karussellfest und sorgte für allerlei Kurzweil im Wilhelmsbader Park. Mitglieder des Fördervereins standen bei den Führungen (von 14 bis 18 Uhr, stündlich) Rede und Antwort und erklärten die Technik. Für die musikalische Unterhaltung sorgte, im Rahmen der Reihe Konzerte im Park, das Blasorchester Wachenbuchen, das bereits in den vergangenen Jahren viele Besucher von nah und fern mit ihren Melodien erfreute. Mit dabei sind auch die Landfrauen aus Niederdorfelden, die für das leibliche Wohl (Kaffee und Kuchen) sorgten. Gekühlte Getränke waren natürlich auch vorhanden. Der Förderverein war mit einem Info-Stand präsent und präsentierte seine vielfältigen Souvenirs. „Es muß etwas passieren:”, warben auch die Landfrauen aus Niederdorfelden, die das Fest mit dem Verkauf von Backspezialitäten des Café Schien unterstützten.

Am Tag der deutschen Einheit, am Montag, dem 3. Oktober 2005, stand das Federweißenfest auf dem Programm. Schließlich gab es am Freitag, 17. November, einen weiteren Grund zum Feiern: In den Räumen der Sparkasse Hanau wurde in einem Festakt das 225-jährige Bestehen des einzigartigen Karussells begangen.

 

Karussellpferde 2005:

Weitere gute Neuigkeiten konnte Bahn von der Restaurierung der Karussellpferde berichten. Insgesamt wurden sechs Pferde aus dem Karussell ausgebaut, zwei befanden sich im Informationszentrum im Fürstenbau, vier stehen zur Restaurierung an. Dies wird in einer Spezialwerkstatt in Otzberg (Odenwald) vorgenommen. Die Pferde wurden in den siebziger Jahren schon einmal restauriert. Damals wurden sie mit einer Schutzfarbe versehen, nachdem laut Rechnung des Restaurators die ursprüngliche Farbfassung komplett abgebeizt worden war. Doch der Mann hatte geschummelt, denn obwohl er das Abbeizen in Rechnung gestellt hatte, ist diese Arbeit nicht ausgeführt worden, vielmehr hat man die Schutzfarbe direkt aufgebracht. Diese Schummelei erwies sich nun als Glücksfall für die aktuelle Restaurierung, kam doch jetzt die ursprüngliche Farbgebung nach dem Abtrag der alten Schutzfarbe ans Tageslicht und kann nun als Vorlage und Farbmuster für die Restaurierung dienen. Diese schlägt im Schnitt pro Pferd mit rund 15.000 Euro zu Buche.

Helmut Noll aus Hanau übergab 2006 dem Förderverein eine Spende in Höhe von 15.000 Euro. Damit übernimmt er die Kosten für die Sanierung eines der 16 hölzernen Karussellpferde. „Das Karussell liegt mir sehr am Herzen und wir müssen sehen, wie wir es wieder hinbekommen”, sagte er. Schließlich verbindet er Kindheitserinnerungen mit der historischen Anlage. Bereits als Kind sei er den Wilhelmsbader Karussellhügel mit dem Schlitten herunter gerodelt. Dies ist bereits die dritte Patenschaft dieser Art. Der Gönner erhielt vom Fördervereinsvorsitzenden Stefan Bahn eine Patenschaftsurkunde.

Die Holzpferde, bei den vorhandenen handelt es sich um die zweite Generation, wurden 1896 in Thüringen gefertigt. Die Schlitten entstanden etwa zeitgleich. Der Anspruch ist nicht, sie wie neu aussehen zu lassen. Vielmehr muß man den historischen Figuren ihr Alter auch ansehen. . Über die Jahre litten die Pferde vor allem unter den extremen Wetterbedingungen. Das Holz war sengender Hitze genauso ausgesetzt wie eisiger Kälte, Wind und Regen, für seinen Erhalt war es deshalb nötig, bestimmte Schichten abzunehmen.

Das Team bediente sich Lösungsmitteln, Wärme und Kleinstwerkzeugen, um möglichst nah an die ursprüngliche Oberfläche zu gelangen. Es geht nicht um Übermalungen, sondern darum, extreme Verletzungen zu retuschieren. Im Interesse der Restauratoren stehe nicht Schönheit, sondern Authentizität: Sie möchten das zeigen, was an Originalfläche erhalten blieb.

Gleiches gilt für die Schlitten. „Hier schufen die Macher einen kunterbunten Stilmix“, sagt der Chef und zeigt auf große Engelsköpfe, florale Elemente oder dicke Borten. Die einzelnen Arbeitsschritte sind sehr aufwendig.

 

Amerikanischer Verein:

Der mehr als 200 Mitglieder umfassende Förderverein verschickt seine Rundschreiben und Einladungen zur Jahreshauptversammlung inzwischen nach Belgien, England, Finnland, USA und Australien und hat zudem das gespannte Interesse der Fachwelt geweckt, die sich in Wilhelmsbad buchstäblich die Klinke in die Hand gibt. Die National Carousell Association (NCA), ein amerikanischer Verein, der sich mit historischen Karussells weltweit befaßt, hat das Wilhelmsbader Objekt als „eines der wichtigsten weltweit” bezeichnet. Um dies zu unterstreichen habe die NCA dem Förderverein 3.000 US-Dollar gespendet, erklärtermaßen die höchste Summe, die der Verein jemals außerhalb der USA gespendet hat. Jedes Jahr besuchen mehrere Mitglieder des Vereins Hanau um den aktuellen Stand zu erkunden und auf der Jahreskonferenz der Karussellfreunde vorzustellen. Im Jahre 2007 veröffentliche die NCA einen elfseitigen Bericht über das Karussell in einer amerikanischen Zeitschrift.

 

Spenden 2006:

Wie bisher bekannt, verdoppele ja die Stadt Hanau jeden Spenden-Euro. Den bereits verdoppelten Spendenbetrag werde das Land Hessen nochmals verdoppeln. So würden aus einem gespendeten Euro gleich vier. Erstmals habe man eine feste Zusage des Landes erhalten, sich an den Kosten zu beteiligen. Rund 1,6 Millionen Euro kostet die Renovierung des Karussells nach aktuellen Schätzungen. Mit den bisher eingegangenen 250.000 Euro an Spenden kann man jedoch trotz Vervierfachung die Kosten nicht decken. Weber hatte noch eine weitere gute Nachricht. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz wolle das Projekt mit 500.000 Euro unterstützen. Man wisse allerdings noch nicht genau, ob das Geld in dieser Höhe fließe.

 

Einhausung 2006:

Im August 2006 kündigte Stefan Bahn an, das Karussell werde komplett eingehaust, also mit einer Wetterschutz-Überbauung versehen. Damit werde dem weiteren Verfall des schiefergedeckten Daches, besonders im Hinblick auf die bevorstehende Winterzeit, Einhalt geboten. Eindringender Regen und Schmelzwasser vom Schnee hatten in den letzten Jahren der Dachkonstruktion so zugesetzt, daß sich sogar die Dachdecker geweigert hätten, dort hinaufzusteigen.

Erst im Dezember 2006 konnten Vorarbeiten für die Einhausung des Karussells beginnen. Die Kosten von rund 90.000 Euro mußte jedoch der Förderverein finanzieren. Die Restaurierung des Karussells sollte dann im Frühjahr 2007 beginnen. Bis Sommer 2009 sollten die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein. Dabei würden rund 60 Prozent der Bausubstanz erhalten.

 

Bausteinaktion 2007:

Den Mitgliedern wurde eine Bausteinaktion vorgestellt. Hierfür sind die ersten 50 Schieferdachschindeln bereits gesäubert und mit historischen Motiven des Wilhelmsbader Karussells versehen. Gegen eine Mindestspende von zehn Euro können Unterstützer der Sanierung die Schieferplatten als Souvenir mit nach Hause nehmen. Fördervereinsmitglied Eberhard Schmitt hatte die Idee zur Bausteinaktion, die mindestens 20.000 Euro in die Kassen spülen soll, etwa  2000 Dachschieferplatten hat er geborgen. Der Förderverein verkauft auch regelmäßig Porzellanbecher, Wein, Zwiebelkuchen oder aktuell Dachschiefer des Karussells, um die mittlerweile angelaufene Sanierung mit zu finanzieren.

 

Planungen 2007:

Vor der Versammlung in der Kleinen Parkwirtschaft im Jahre 2007 bekamen die Mitglieder direkten Einblick in den geöffneten Dachbereich des Karussells. Architektin Christiane Colhoun erläuterte nach der Abnahme der Schieferdachschindeln die historische, teilweise mit alten Hornissen- und Wespennestern durchsetzte Holzkonstruktion.

Zum Schutz der Konstruktion wurde das Karussell im Sommer 2007 mit einer Einhausung überbaut, die gleichzeitig ein Baugerüst ersetzt. Zur Vorbereitung der Untersuchungen und Instandsetzungsarbeiten wurde dann die Schieferdeckung entfernt, das Dachwerk freigelegt und gereinigt. Pferde und Kutschen waren zu diesem Zeitpunkt bereits ausgebaut und in die Werkstatt des Restaurators verbracht worden.

Durch die Arbeitsgemeinschaft der Restauratoren wurden auch die Farbfassungen im Gebäude untersucht. Neben den ursprünglichen hellgrauen und späteren Fassungen kam auch die teilweise bunte Bemalung aus dem Jahr 1898 zum Vorschein. Mit der neuen Ausstattung an Pferden und Kutschen war das Karussell auch neu angemalt worden.

Das Tragwerksplanungsbüro Reuter und Mittnacht (Würzburg, heute Mittnacht) legte eine Konzeption zu einer Hilfskonstruktion vor. Zur Bewahrung des Bestandes, der sich nicht mehr selbst tragen kann, ist diese Hilfskonstruktion notwendig, die später die Tragwerksfunktion des Daches übernehmen soll. Das hölzerne Tragwerk mitsamt seinen Reparaturergänzungen soll nach Möglichkeit mit wenigen Eingriffen unverändert erhalten werden.

Die geplante Hilfskonstruktion soll als ergänzende Stahlkonstruktion zwischen und neben die Hölzer des Dachtragwerkes eingepaßt werden. Bogenförmige Doppelprofile, die in ihrer Form etwa dem äußeren Dachverlauf folgen, sollen jeweils beiderseits der hölzernen Dachbinder angebracht und an einem mittleren Druckring oben zusammengefaßt werden.

Der Innenboden erhält zur Verstärkung zwischen den waagerechten Tragbalken noch wenige Stahlprofile, an denen dünne Stabstähle angebracht werden, die als neue Abhängung dienen. Die neue Abhängung des Innenbodens soll von außen nicht sichtbar durch die Verkleidung der Innensäulen geführt werden. Diese Konzeption erlaubt, die beweglichen Teile des Karussells im Sinne der ursprünglichen Konzeption und unter Nutzung der jüngeren gußeisernen Einbauten für einen Antrieb mittels Elektromotor weitestgehend wieder zu nutzen. Drehschirm, Drehreif und Welle, die seit dem 19. Jahrhundert im Untergeschoß auf gußeisernen Rollen geführt sind, werden sich nach ihrer Reparatur wieder frei drehen können.

Das komplette Dachgerüst sollte um rund 25 bis 30 Zentimeter angehoben werden. Das aber könnte zur Folge haben, daß die eingearbeiteten metallenen Teile reißen oder das Holz extrem beschädigen. Daher muß ein Spezialkran bei der Dachanhebung regelrecht Millimeterarbeit leisten. Das Dach wird im Anschluß behutsam soweit zurückgeformt, bis der Innenboden wieder auf dem ursprünglichen Niveau liegt und das Spiel zwischen dem feststehenden Innenboden und dem beweglichen Drehschirm wiederhergestellt ist. Dazu müssen im Dachwerk eiserne Verbindungen gelöst und verschiedene Reparaturhölzer verändert werden, welche den verformten Zustand derzeit noch fixieren.

 

Zehnter Geburtstag des Vereins 2008:

Im Rahmen eines kleinen Empfangs im Oktober 2008 in den Räumlichkeiten der Sparkasse Hanau am Marktplatz feierte der Förderverein für das historische Karussell im Staatspark Wilhelmsbad seinen zehnten Geburtstag. Wie Vorsitzender Stephan Bahn berichtete, habe man bisher 700.000 Euro gesammelt, die in die Restaurierung des Kleinods investiert werden sollen. Derzeit ist im Servicebereich der Sparkasse eine Ausstellung über das Karussell zu sehen, die mit vielen selten gesehenen Exponaten lockt. Im Frühjahr 2009 sollen die Ausschreibungen für die Restaurierung beginnen, kündigte Dr. Thomas Ludwig von der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten im August 2008 an. Gleichzeitig bat er um Geduld, daß sich die Sanierung weiter hinzieht.

 Eine Ausstellung in der Sparkasse zeigt das Karussell durch die Augen von bildenden Künstlern. von Fotografen und Architekten und präsentiert der Öffentlichkeit sogar eines der gerade erst restaurierten Karussellpferde. Bahn hofft, daß die Exponate zu mehr Aufmerksamkeit für den Förderverein beitragen, der derzeit 240 Mitglieder zählt. Gemeinsam organisieren sie Vorträge, Feste und andere Aktionen rund um das Karussell, das sich unter Kennern weltweiter Berühmtheit erfreut.

 

Jahreshauptversammlung 2009:

Die erste Fahrt auf dem sanierten Karussell im Staatspark Wilhelmsbad soll im August 2011 möglich sein. Das ist der feste Wunsch von Stefan Bahn, dem Vorsitzenden des Fördervereins. Wenn nichts absolut Unvorhergesehenes mehr dazwischenkommt, wird dieser Wunsch wohl auch in Erfüllung gehen, denn im Herbst beginnen die Bauarbeiten. Bei der Jahreshauptversammlung wurde bekanntgegeben: Bei der neuen Konstruktion werde von unten nach oben mit Hilfe einer Abstützungskonstruktion vorgegangen. Eine wichtige Funktion nähmen dabei die Hängesäulen ein, die zur Ableitung der Lasten benutzt würden. Schweißarbeiten seien nicht notwendig, denn viele Teile würden über Schablonen vorgefertigt und schließlich vor Ort zusammengeschraubt. Rund 30 Zentimeter Platz müßten geschaffen werden, damit das Karussell sich schließlich wieder drehen könne, erläuterte der Ingenieur. Die Ausschreibungen für die Arbeiten am Karussell sollen Ende des Sommers erledigt sein. Im Herbst werden dann die Restaurierungsmaßnahmen weitergehen. Fünf Pferdepatenschaften seien abgeschlossen worden. Der Verein, fast 250 Mitglieder stark, wolle mit dem Schiefertafelverkauf 15.000 Euro zusammenbekommen, um selbst eine Patenschaft übernehmen zu können. Der 10.000. Bocksbeutel-Karussellwein sei außerdem verkauft worden. Im Berichtsjahr habe man weiterhin wieder Besuch aus den USA gehabt.

 

Feste 2009 / 2010:

Von Freitag, 28. August, bis Sonntag, 30. August 2009 war wieder das Karussellfest, diesmal das elfte. Dazu kam ein historisches, funktionsfähiges Doppelstockkarussell aus dem Jahr 1856. Ein anonymer Sponsor habe es möglich gemacht, daß das Karussell der ältesten Schaustellerfamilie Deutschlands, Adolf Stey aus Frontenhausen in Bayern, nach Hanau komme. Drei Lastwagen reisten zu diesem Zweck an, eine Woche lang werde aufgebaut. Die Einnahmen flößen zu 100 Prozent in die Sanierung des Wilhelmsbader Karussells.

Am Samstag stellte um 17 Uhr stellt Ingrid Wilke im Kleinen Roten Saal des Fürstenbaus ihr jüngst erschienenes Buch „Ochs am Berg“ über Kindheitserinnerungen in Wilhelmsbad vor. Um 18 Uhr gibt es eine Führung durch das alte Wilhelmsbader Karussell. Am Samstagabend gab die Jazzband „feel the mood“ ein Stelldichein unter dem Motto „Wein meets Jazz“. Am Samstag sorgte auf der Parkpromenade die bekannte Hanauer Formation „Second Spring“ für Unterhaltung.

Der Sonntag startet um 10 Uhr mit einem Gottesdienst unter freiem Himmel. Pfarrer i.R. Jahn hielt den Gottesdienst. Im Anschluß war ab 11 Uhr ist ein Frühschoppen. Für Stimmung auf der Parkpromenade sorgt erstmals das Blasorchester des TV Großkrotzenburg. Gegrilltes gibt es vom Köcheverein Hanau. Der Karussellverein schenkte seinen beliebten Karussellwein ebenso wie weitere alkoholhaltige und alkoholfreie Getränke aus.

Ab 14 Uhr geht es weiter mit dem Blasorchester Wachenbuchen, das im Rahmen der „Konzerte in den Parkanlagen“ auf der Parkpromenade ein Konzert gibt. Für ausreichend Kaffee und Kuchen sorgen die Landfrauen aus Niederdorfelden, der Karussellverein wird mit einem Informationsstand über die Sanierung des Kleinods berichten.

Der Verein beteiligte sich am Lamboyfest und an der Wilhelmsbader Sommernacht sowie dem Federweißen-Fest am 3. Oktober und am ersten Sankt-Martins-Fest in Wilhelmsbad am 7. und 8. November mit Laternenumzügen, einem Kunsthandwerkermarkt, kulinarische Köstlichkeiten von einer großen Metzgerei, Crepe-Stände, Martinsweck und Veranstaltungen mit dem Puppenmuseum.       Es gab Glühwein, Kinderpunsch, Weckmänner und andere Köstlichkeiten, Holzschnitzerei, Glasgravuren, Destillerie, Kerzen, handgemachte Seifen, gepaart mit süßen Leckereien wie Pralinen und hausgemachte Marmeladen.

 

Ende August 2010 war wieder das Karussellfest. Erstmals wurden im Rahmen des Festes die ersten beiden sanierten Karussellpferde der Öffentlichkeit vorgestellt. Für die kleinen Gäste war die Hüpfburg der Sparkasse Hanau aufgebaut sein, ebenso gab es Kutschfahrten. Abgerundet wird das Programm durch Führungen in der Ruine. Ein ganz besonderes Schmankerl wartet am Sonntag bei der Tombola: Verlost werden drei Tragschraubergleitflüge über Hanau. Das Hessische Puppenmuseum hat an diesem Festwochenende geöffnet.

 

Am Sonntag, 3. Oktober 2010, war wieder das Federweißenfest, das neunte. Der Förderverein für das Karussell mit seinen über 250 Mitgliedern engagiert sich seit fast zwölf Jahren für das Karussell und hat in dieser Zeit schon die stolze Summe von über 850. 000 Euro zusammengetragen. Kurz vor dem Federweißenfest 2010 konnte an dem Karussell der erste Spatenstich für die Baumaßnahmen vollzogen werden. Darauf stießen die Besucher des beliebten Fests mit dem leckeren Federweißen des Hofguts Hörstein an. Rund 900 Liter wurden ausgeschenkt. Natürlich durfte dabei der Zwiebelkuchen nicht fehlen. Dieser wurde wie auch in den Vorjahren von einer Hanauer Konditorei angeliefert. Rund 1300 Stück Zwiebelkuchen und 700 Stück gemischter anderer Kuchen gingen da über die Theke. Für den herzhaften Genuß hatte eine Stadtmetzgerei außerdem einen Grill aufgebaut. Wer es lieber süß mochte, kam an einem Crepes-Stand voll auf seine Kosten. Auch das nicht-kulinarische Programm des Festes, das von etwa 80 Helfern mit großer Tatkraft unterstützt wurde, konnte sich sehen lassen. So sorgte das Jugendblasorchester Wachenbuchen für gute Unterhaltung. Das Trio „Wie einst im Mai“ erfreute die Gäste mit altbekannten Melodien aus den 50er Jahren und sorgte so für richtige Federweißen-Stimmung.

Am Samstag, 6. November, von 16 bis 20 Uhr und am Sonntag, 7. November, von 12 bis 20 Uhr lud der Verein wieder auf die Kurparkpromenade zum Martinsfest ein. Dabei standen Lampionumzüge, ein Kunsthandwerkermarkt mit 25 Ständen, Weckmänner, Glühwein und vieles mehr auf dem Programm.

 

Jahreshauptversammlung 2010:

Bei der Jahreshauptversammlung im Mai 2010 wurde bekanntgegeben, daß der Verein bisher rund 771.000 Euro aus Spenden gesammelt hat. Aus dem Vereinsvermögen werden 325 000 Euro nach einem bei der Mitgliederversammlung gefaßten Beschluß dem Land Hessen für die Sanierung der Karussellkonstruktion zur Verfügung gestellt. Zwei der insgesamt 16 historischen Karussellpferde sind fertig restauriert und werden beim Karussellfest am 28. und 29. August erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die Arbeiten sollten bis Ende Juli vergeben sein. Dr. Karl Weber, Direktor der Verwaltung Staatlicher Schlösser und Gärten Hessen, bezifferte die Kosten für den wesentlichsten Bauabschnitt auf rund 900.000 Euro. Die Finanzierung ist gesichert.

Der Verein hatte mit Datum 31. Dezember 2010 über 800.000 Euro auf seinem Konto liegen. Allerdings gingen Schätzungen davon aus, daß letztlich 2,5 bis drei Millionen Euro für die Komplettsanierung benötigt würden. Weil aber das Land die vom Verein zur Verfügung gestellten Mittel ebenfalls verdoppeln würde, sei die Finanzierungslücke überschaubar und „dann sammeln wir eben weiter“, so Vorsitzender Stefan Bahn.

 

Beginn der Bauarbeiten 2010 /2011:

Kurz vor dem Federweißenfest 2010 konnte an dem Karussell der erste Spatenstich für die Baumaßnahmen vollzogen werden. Am 8. Februar 2011 begann man mit dem langsamen Anheben des Teils des Bauwerks, der bisher das Drehen der weltweit einzigartigen Konstruktion verhindert. Damit begannen die eigentlichen Rekonstruktionsarbeiten an dem technischen Wunderwerk. Wenn Architekten, Statiker und ausführende Firmen keine unliebsamen Überraschungen erleben, dann könnte sich das historische Karussell im Kurpark Wilhelmsbad im Frühjahr 2013 wieder drehen, meinte man damals.

Rund 17 Tonnen schwer ist der Teil der Konstruktion, der ganz langsam angehoben wurde. Durch einen Bombentreffer und bauliche Veränderungen war der feststehende Teil abgesackt und hatte den um ihn herum führenden beweglichen Teil des Karussells blockiert. Am Dienstag war das Ziel, die ersten 17 von insgesamt rund 30 Zentimeter Niveaudifferenz auszugleichen. Wechselweise wurden Hydraulikpressen im „Untergeschoß“ und im „Erdgeschoß“ des Karussells vorsichtig bedient, um mit Kreisellasern die gleichmäßige Anhebung der Mittelkonstruktion zu überprüfen.

Wie letztlich die komplexe Konstruktion auf den Kraftakt reagiert, war im Vorfeld nur schwer abzuschätzen. Statiker und Architektin waren aber zuversichtlich, daß alle Berechnungen richtig sind. Vor Ort ließ sich das nachvollziehen, denn schon nach wenigen Zentimetern konnte das Dachgebälk über den äußeren zwölf Säulen soweit angehoben werden, daß die inneren Säulen frei schwebten und später herausgenommen werden können.

Nach und nach soll dieser Prozeß fortgeführt werden, bis sich das zu einem Oval verformte Dach wieder zu einem Kreis ausdehnt. Erst dann wird in die Holzkonstruktion, die später keine Lasten mehr tragen soll, eine Stahlkonstruktion eingepaßt und mit einem speziell angefertigten Ringbalken über den äußeren Säulen verbunden. Danach können das historische Dachwerk und der abgehängte Innenboden mit Zugstäben an die Stahlkonstruktion angehängt werden. Danach wird die Drehmechanik wieder gangbar gemacht und das Karussell kann, bestückt mit den Pferden und Kutschen, voraussichtlich im Frühjahr 2013 wieder seine Runden drehen.

 

Martinsfest 2011:

Das dritte St. Martinsfest in Wilhelmsbad wurde am 5. und 6. Novembers 2011 auf der Parkpromenade in Hanau Wilhelmsbad veranstaltet. Am Samstag beginnt das St. Martinsfest um 16 Uhr und endet gegen 20 Uhr, am Sonntag öffnen die Stände bereits um 12 Uhr (bis 20 Uhr). Am Martinsfest stehen Glühwein, Kinderpunsch, Weckmänner und Co. auf dem Programm. Ausgewählte Künstlerstände und diverse kulinarische Leckereien laden zum Verweilen ein. Holzschnitzerei, Glasgravuren, Destillerie, Kerzen, handgemachte Seifen gepaart mit süßen Leckereien wie Pralinen und hausgemachte Marmeladen - das und noch vieles mehr erwartet die Besucher.

Für die jungen Besucher haben die Verantwortlichen des Fördervereins einen besonderen Leckerbissen parat: Ein kleines Kinderkarussell wird auf der Parkpromenade seine Runden drehen und sicherlich wehmütig zu seinem großen Bruder im Park schauen. Für das leibliche Wohl ist gesorgt: Eine Metzgerei bietet eine reichliche Auswahl leckerer Speisen an und der Förderverein schenkt Glühwein, Kinderpunsch, Softgetränke und eine Auswahl der beliebten Karussellweine aus. Ebenso wird ein Kaffeestand dabei sein.

Natürlich werden auch an beiden Tagen Laternenumzüge mit den Kindern durch den Park stattfinden - begleitet mit St. Martin hoch zu Pferd und musikalisch unterstützt von einer Bläsergruppe des Blasorchesters Wachenbuchen.

Treffpunkt für die Umzüge ist am Brunnen auf der Kurpromenade jeweils um 17.30 Uhr. Der Förderverein Historisches Karussell erwartet hier wieder einen großen Lampionumzug quer durch den Park mit hunderten kleiner Lampions. Dies wird - wie in den Vorjahren auch - sicherlich wieder ein großes Spektakel, hegt der Veranstalter bereits große Vorfreude. Ein Kunsthandwerkermarkt rundet die Veranstaltung noch ab. Ausgewählte Kunsthandwerker präsentieren sich im historischen Ambiente direkt auf der Kurpromenade.

 

Anhebung des Daches 2012:                                                                       

Im Mai  2012 anläßlich der Jahresmitgliederversammlung des Fördervereins waren ausnahmsweise die Türen der Einhausung sperrangelweit geöffnet und die Vereinsmitglieder konnten den Stand der Arbeiten besichtigen. Außen steht nach wie vor der „Holz-Sarkophag“, aus dessen Innerem man es gelegentlich Klopfen, Hämmern, Sägen und Krachen hört. Doch nur, wenn man sich zufällig in jenen Teil des Wilhelmsbader Kurparks begibt, in dem das alte Karussell steht. Am Donnerstag,

Hier hat sich eine ganze Menge getan, seit im September des Jahres 2010 die Sanierung begann. Die Arbeiten gestalteten sich äußerst schwierig, schließlich ist die Konstruktion des „abgehängten“ Karussells nicht gerade alltäglich. Außerdem hatte eine Weltkriegsbombe dem Verfall etwas „nachgeholfen“.  Das Wichtigste aber: Die Höhendifferenz zwischen der Plattform und dem eigentlichen Karussellrahmen, der an Säulen hängt und auf dem die Pferdchen und Wägelchen sich drehen, ist ausgeglichen. Damit läuft der abgesackte Holzreif wieder frei, die Restaurierung kann weitergehen, dank einer imposanten Hilfskonstruktion, die zwischenzeitlich eingebaut wurde. Doch ein öffentlicher Betrieb wird nach Schätzungen Stefan Bahns, dem Vorsitzenden des Fördervereins, wohl erst im Sommer 2014 erfolgen können.

Stefan Bahn deutete bei der Mitgliederversammlung, die nach der Baustellenbesichtigung in der kleinen Parkwirtschaft stattfand, schon an, daß die kommenden beiden Jahre seine letzten als Vorsitzender sein könnten.  er wird dann 16 Vorstandsjahre „auf dem Buckel“ haben. Bis dahin aber ist er als Erster Vorsitzender wiedergewählt. Aber wenn das Karussell sich wieder dreht, wird es auch einen Verein brauchen, der es unterhält.

Thomas Schmidt legte als Schatzmeister zudem eine überzeugende Bilanz vor, mit einem Überschuß für das Jahr 2011 von knapp 30.000 Euro. Die Summe, welcher der Verein für die Restauration bisher gesammelt hat, beläuft sich somit auf weit über 850.000 Euro. Darin enthalten sind auch bereits Gelder der Stadt Hanau, die zugesagt hat, jeden Spendeneuro am Ende zu verdoppeln. Der Kreis ist ebenfalls Mitglied im Verein.

 

Federweißenfest 2012:                                            

Bereits zum zehnten Mal findet am Mittwoch, 3. Oktober, das Hanauer Federweißenfest statt. Von 11 bis 18 Uhr werden im Wilhelmsbader Kurpark Federweißer und Zwiebelkuchen angeboten. Nachdem im vergangenen Jahr das Federweißenfest aufgrund von verfrüht gereiften Trauben abgesagt werden mußte, steht in diesem Jahr der zehnten Auflage des beliebten Fests nichts im Weg. Das Blasorchester des TV Großkrotzenburg wird ab 12 Uhr die Gäste erfreuen, um 14 Uhr ist dann das Jugendblasorchester aus Wachenbuchen an der Reihe, ehe um 15 Uhr das Blasorchester Wachenbuchen die Gäste unterhält.

Auch das weitere Programm kann sich sehen lassen: Die Hessische Schlösserverwaltung wird außer der Reihe Führungen in der bereits renovierten Burgruine anbieten, und zwar um 14, 15 und um 16 Uhr. Auch das neu eröffnete Hessische Puppenmuseum hat seine Pforten geöffnet und lädt zum Besuch ein. Wilhelmsbader Kutschfahrten werden ebenfalls angeboten. Für das Federweißenfest erhoffen sich die Veranstalter einen ähnlich großen Zuspruch wie in den vorigen Jahren. Der Federweißer wird vom renommierten Hofgut Hörstein gestellt, das seine Weinberge auf dem Hörsteiner Reuschberg hat. Wie es sich gehört, wird zum Federweißen auch Zwiebelkuchen angeboten. Ebenso wird für den herzhaften Genuß ein Grill aufgebaut, so daß auch Bratwürste und Steaks das Angebot abrunden.

 

Einbau der Säulen 2013:

Anläßlich der Mitgliederversammlung des Fördervereins im Juni 2013 verschafften sich etwa 50 Interessierte einen Überblick über den Stand der Arbeiten. Christiane Colhoun von der Bauleitung führte die Besucher über die Baustelle, die im ersten Moment chaotisch aussah. Doch Colhoun erklärte jeden Schritt, wie seit 2007 an dem Projekt gearbeitet wird, denn seitdem ist das Karussell eingerüstet und nicht mehr zu sehen.

Derzeit werden die alten restaurierten Säulen des Karussells wieder eingebaut. Danach stehen vorwiegend Feinarbeiten an. Es geht zum Beispiel darum, ob die restaurierten Pferde und Kutschen in Zukunft weiter bewegt werden sollen. Das sollten auch die Mitglieder des Fördervereins mitbestimmen. Zudem müsse über die Abdeckung des Karussells entschieden werden, und das sei sehr kompliziert.

Auch Oberbürgermeister Claus Kaminsky hatte sich vorab das Karussell mit angesehen und überraschte dann die Mitglieder des Fördervereins damit, daß der Magistrat für dieses und für das kommende Jahr insgesamt weitere 150.000 Euro für die Instandsetzung zur Verfügung stellt. Bekanntlich hat die Stadt bereits 313.000 Euro für die Restaurierung bezahlt. Insgesamt wird das Projekt rund 2,5 Millionen Euro verschlingen. Den größten Batzen davon hat der Förderverein unter der Leitung seines Vorsitzenden Stefan Bahn aufgebracht, nämlich mehr als eine Million Euro. Aktuell hat der Förderverein rund 250 Mitglieder.

In diesem Jahr fließen laut Bahn noch einmal 400.000 Euro an die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen, die für den Staatspark zuständig ist. Auch das Land Hessen hat sich großzügig an der Restaurierung des Karussells beteiligt. Noch fehlen derzeit rund 250.000 Euro zur Gesamtfinanzierung, die in einem Kraftakt aller Beteiligten aufgebracht werden müssen. Wieder in Bewegung setzen soll sich das Karussell im Juli 2014. „Ab dann wird sich das Karussell wieder drehen“, sagte Bahn. Doch erst einmal wird in diesem Jahr im August das Richtfest stattfinden.

 

Richtfest 2013:

Am Mittwoch, dem 9. Oktober 2013, war Richtfest.  Für die Arbeiten am Karussell bedeutet das, daß die wesentlichen Teile des Holzbaus abgeschlossen wurden und das Karussell damit anfängt, Formen anzunehmen. Karl Wagner, Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen in Bad Homburg  sagte besonderen Dank ging an den Zimmerpolier Olav Kämmerer und sein Team. Nun gelte es aber, „die Schlagzahl bis zum Sommer kommenden Jahres hochzuhalten“. Bis dahin soll sich das Karussell nämlich wieder drehen. „Wir haben ein sehr ehrgeiziges Ziel, an das ich immer noch glaube. Und wir werden alles daran setzen, damit es eingehalten wird“, sagte Wagner.

Der Vorsitzende des Fördervereins, Stefan Bahn, verkündete, daß am vorvergangenen Freitag weitere 300.000 Euro an die Schlösserverwaltung überwiesen wurden. Damit ist die Liquidität für die weiteren Baumaßnahmen gesichert. Damit hat der Förderverein mit Unterstützung der Stadt bisher insgesamt 850.000 Euro der Baukosten getragen. 1,1 Millionen sollen es am Ende insgesamt werden. „Wir hoffen, bis zum 24. Juli weitere 250.000 Euro zur Verfügung stellen zu können“, berichtete Stefan Bahn.

So paßte es ins Bild, daß Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) am Mittwoch bereits vor dem Richtfest aus dem Rathaus verkündete, 100.000 Euro als weiteren städtischen Beitrag zu der aufwendigen Restaurierung der historischen Attraktion im Parkgelände an die Vertreter des Fördervereins überreicht zu haben. Damit sind bereits 313.000 Euro aus der Stadtkasse auf das Konto des Fördervereins geflossen, um das Versprechen von Kaminsky einzulösen, jeden „Bürger-Euro“, den der Förderverein zugunsten der Restaurierung einwerben kann, zu verdoppeln.

Nun biegt das Projekt auf die Zielgerade ein. Mit der Sanierung des Tragwerks sei die schwierigste Aufgabe abgeschlossen, sagte Bauleiterin Christine Colhoun vom Architekturbüro Studio Baukultur in Darmstadt. Die Bohlenbinder, welche dem Kuppeldach seine charakteristische Form wiedergeben, wurden eingebaut. Bislang seien alle vorgesehenen Arbeiten dank der „detaillierten Planung auf der Grundlage der umfassenden Voruntersuchungen und dem behutsamen Vorgehen der Zimmerleute“ mit bestem Erfolg ausgeführt worden.

Gleichzeitig werden die laufenden Mauer- sowie die Naturwerksteinarbeiten fortgeführt. Die nächste Aufgabe wird die Wiederherstellung der Oberflächen sein. Dazu gehören dann Dachdeckung-, Klempner-, Schreiner- und Malerarbeiten. Des Weiteren sollen Planungen für eine Schutzeinhausung und das Antriebskonzept einschließlich der Genehmigung einer Betriebserlaubnis erstellt werden.

 

Verschiebung der Fertigstellung 2014:

Von offizieller Seite wurde bestätigt: Die Fertigstellung des Wilhelmsbader Karussells wird nicht mehr 2014 erfolgen.  Voraussichtlich wird diese erst Ende Anfang Juni 2015 sein. Als Grund für die Verzögerung nennt Karl Weber den Fahrgastbetrieb, der mit dem Objekt aufgenommen werden soll. Jener sei bei historischen Bauten nicht ganz einfach, da besondere Richtlinien eingehalten werden müßten. Eine weitere Schwierigkeit sei die Definition des Objekts: Ist es ein fliegender Bau, wie ein Jahrmarktkarussell, oder ist es ein historisches Objekt, welches unter besonderen Bedingungen betrieben werden müsse. Stefan Bahn nennt als eine weitere Aufgabe den Schutz des Karussells vor Vandalismus.

Auch bei der Finanzierung wird mit mehr Geld gerechnet werden müssen. 2,5 Millionen Euro waren ursprünglich zur Stemmung des Projekts anberaumt. Eine Endsumme könne noch nicht genannt werden, Weber sei froh, wenn am Ende der Maßnahmen eine drei vor den Millionen stehe. Kaminsky läßt wissen, daß weitere finanzielle Unterstützung von der Stadt nicht möglich sei. Die Stadt hat sich bisher mit 400.000 Euro an dem Projekt beteiligt. 680.000 Euro Spendengelder konnte der Förderverein sammeln und hofft auf weitere Unterstützung durch Bürger aus der Region.  „2015 dreht sich das Karussell mit Personenbetrieb“, blickt Bahn zuversichtlich in die Zukunft.

 

Kostensteigerung 2014:

Statt der ursprünglich einmal geschätzten Restaurierungskosten für das historische Kleinod von zwei bis 2,5 Millionen Euro kostet der Spaß im Kurpark nun voraussichtlich rund das Doppelte: „Wir werden einen Finanzierungsbedarf von vier bis 4,5 Millionen haben“, erklärte Karl Weber, Direktor der Staatlichen Schlösser- und Gärtenverwaltung Hessen aus Bad Homburg, im  Oktober 2014 .

 

Tatsächlich wird damit das historische Karussell zu einem ganz normalen „Fahrbetrieb“, ist also einem Kirmeskarussell oder einer Achterbahn in punkto Sicherheitsanforderungen gleichgestellt. Dies auf ausdrücklichen Wunsch des Fördervereins hin, dessen Vorsitzender Stefan Bahn  jene Version noch einmal bestätigte.

„Wir hätten wohl niemals eine derartig hohe Spendenbereitschaft in der Bevölkerung erreicht, wenn wir gesagt hätten: Restaurieren ja, aber Drehen: nein“, begründete Bahn das Bedürfnis des Vereins, das Karussell für die Menschen auch benutzbar zu machen. Die  Schlösserverwaltung  sagte dazu: „Wir Denkmalschützer brauchen die Funktionsfähigkeit nicht, aber für die Öffentlichkeit wäre es ganz sicher ein Riesenproblem, wenn niemand mit dem Karussell fahren dürfte.“ So ginge die enorme Kostensteigerung schließlich auch auf die Forderungen des TÜV zurück, der bei der Genehmigung eines Fahrbetriebs entscheidend das Sagen hat.

Weitere Ursache für die Kostenexplosion ist die nunmehr geplante Form der Einhausung des gesamten Ensembles. Denn das Karussell hat zwar bereits eine hübsch mit neuen Schindeln gedeckte Dachkuppel. Doch gegen die Witterung, wie auch gegen Vandalismus oder Diebstahl, soll das ansonsten offene Rund ebenfalls geschützt sein. Die jetzige, eher notdürftige und lediglich für die Arbeiten dienende Einhausung aus mittlerweile auch bereits verwitterten  Preßholzplatten wäre aber im Sinne eines „Fahrspaßes“ eher kontraproduktiv. Und so wird die neue Hülle ganz aus Glas bestehen; aus speziellem Sicherheitsglas, natürlich.

Die Frage kam auf: Welchen Antrieb bekommt das Karussell? Im Zuge der Nachforschungen stellte sich heraus, daß der historisch erste Kraftantrieb wohl ein Einzylinder-Gasmotor war. Auch dies war bisher nicht bekannt, man ging von einem Benzinmotor aus. Damit sich künftig die Kutschen und Pferdchen wieder drehen können, muß aber auch die gesamte Antriebstechnik überholt werden. Teile aus Gußeisen, wie sie verbaut sind, dürfen nämlich nicht mehr benutzt werden, sagt der TÜV.

Es darf schon ein wenig rumpeln, es ist ja ein historisches Karussell.  Doch der TÜV kennt in Sachen Sicherheitsvorschriften kein Erbarmen. Eine Schnellbremsanlage muß eingebaut werden, die aufgehängte Karussellplattform wird sich mit rund 1,5 Metern pro Sekunde drehen. Dies entspricht einem „schnellen Gehen“ und liegt unter der Grenze von drei Metern pro Sekunde, ab der noch wesentlich höhere Sicherheitsauflagen erforderlich wären, laut TÜV.

Dennoch ist für diese Anlage viel Strom erforderlich. Doch woher das Kabel ziehen? Ein Trafo, von dem aus abgezapft werden könnte, steht hinter dem Arkadenbau, gut 300 Meter entfernt. Die Leitung muß also quer durch den Park gelegt werden. Tiefbauarbeiten sind nicht billig. All diese Arbeiten sollen nun im Laufe der kommenden Monate bis zum 1. Juli 2016 erfolgen. An diesem Tag aber, einem Freitag, soll dann definitiv zünftig gefeiert werden.

Bislang flossen ziemlich genau eine Million Euro vom Verein an die Schlösserverwaltung. Zum Vergleich, wie ihn Bahn anbot: „Die Bürger Kassels haben rund 480.000 Euro für ihren Herkules gespendet. Wir dürften damit bisher wohl die größte Spendensammlung in ganz Hessen veranstaltet haben.“

 

Besichtigung durch Schausteller 2015:                                            

Am Sonntag, dem 8. März 2015, besuchte die „Historische Gesellschaft Deutscher Schausteller“ das Karussell, um sich über den aktuellen Baufortschritt zu informieren und Erfahrungen auszutauschen. Staunend blickten die Gäste vom vier Meter hohen Mauerzylinder hinab in das tief schwarze Loch, in dem der Drehmechanismus sitzt. Gerade diesen würde man gerne behalten. Doch weil Gußeisen plötzlich brechen kann, wird das wahrscheinlich nicht möglich sein.

 

Gut war die Zusammenarbeit mit dem TÜV, der sich in erster Linie am Schutzziel orientierte, das Karussell später einmal sicher betreiben zu können. Dabei den Charakter des Bauwerks nicht zu zerstören, ist keine leichte Aufgabe. So verwarf man bereits die Idee einer Glasscheibe, die später die Pferde schützen soll, wenn das Karussell nicht in Betrieb ist. Denn die Gäste sollen bei einer Fahrt den freien Blick in den Kurpark genießen. Ein schnittfester Vorhang, der wiederum an eine Alarmanlage gekoppelt ist, könnte nun die Lösung sein.

Die Gäste machten den Denkmalpflegern und den Mitgliedern des Fördervereins Mut und boten ihre Unterstützung an im Bezug auf Sicherheitsvorschriften und deren Umsetzung. Als finanzielle Unterstützung gab es vorab schon mal einen kleinen Spenden-Scheck über 500 Euro zur großen Freude des Fördervereins, ohne dessen Unterstützung das Projekt nicht realisiert werden könnte. Im Anschluß an die Führung durch das Karussell besichtigte die Gruppe zwei der originalen Pferde im angrenzenden Museum. Am 1. Juli 2016 soll das Karussell wieder in Betrieb genommen werden.

 

Eröffnungstermin 2016:

Die Spannung steigt: Das Wilhelmsbader Karussell, das nun seit sage und schreibe neun Jahren sein Dasein unter der hölzernen Haube fristet, soll am Freitag, 22. Juli 2016, wieder eröffnet werden. Und um diese Spannung zu bewahren, hält sich Stefan Bahn sehr bedeckt, was neue Informationen bezüglich des einzigartigen Bauwerkes betrifft. Die Eröffnung soll ein echter Paukenschlag werden.  Die Holzeinhausung wird zwar schon vor dem Fest abgebaut, das Bauwerk aber gleich wieder mit Planen verhängt. Erst zum Stichtag soll es offiziell enthüllt werden.

Farblich, so viel gibt Bahn preis, wird es sich an die zuletzt bekannte Gestaltung halten: Es ist in großen Teilen weiß, eine Gestaltung, die im Empfinden der meisten besser zum Park paßt. Im 19. Jahrhundert war das Karussell auch schon einmal in bunten Farben gestrichen. Die Pferde aus dem Jahr 1893 bleiben farbig, an die originale Farbsubstanz sollen Ausschnitte mit der historischen Bemalung erinnern. Anfang Mai wollen die Verantwortlichen noch einmal zur Pressekonferenz laden - eine letzte Gelegenheit, der Öffentlichkeit den aktuellen Stand der Dinge auch im Bild zu zeigen.

Am Wochenende des 22. bis 24. Juli hat das große Rätseln dann endgültig ein Ende. An diesen drei Tagen startet der langersehnte Fahrbetrieb und jeder Besucher kann sich ein Ticket für eine Drei-Minuten-Runde in der historischen Kutsche kaufen. Am Sonntag ist ein großes Kinder- und Familienfest geplant. Fest steht auch, daß es einen kleinen historischen Jahrmarkt geben wird und Livebands spielen. Weitere Programmpunkte sind in Planung.

Im Sommer hat der Förderverein sein ehrgeiziges Ziel erreicht: Vor 18 Jahren hatte er sich gegründet, mit dem Ziel, das damals völlig heruntergekommene Bauwerk im Wilhelmsbader Park zu sanieren. Im Jahre 2010 konnte die Sanierung unter der Leitung des Darmstädter Studio Baukultus starten, federführend war hier die Ingenieurin Christiane Colhoun. Das Dach wurde angehoben, um die blockierte Drehmechanik wieder in Gang zu bringen, das verzogene hölzerne Tragwerk mußte gerichtet und durch eine Stahlkonstruktion stabilisiert werden. Hier war das Mittnacht-Büro für Tragwerksplanung am Würzburg führend beteiligt. Ein Restaurationsbetrieb im Odenwald nahm sich der Sanierung der Pferde und Kutschen an.

Das Karussell wieder instand zu setzen hat rund 3,5 Millionen Euro gekostet, rund 1,1 Millionen Euro davon hat der Förderverein zusammengetragen. Fördergelder kamen vom Land, der Stadt und der Deutschen Stiftung für Denkmalschutz. „Auf diese Unterstützung sind wir besonders stolz“, sagt Bahn. Das Karussell sei das einzige Förderprojekt der Stiftung in ganz Hanau.

Künftige Hauptaufgabe des Fördervereins wird sein, das Karussell zu betreiben. Es soll zu besonderen Anlässen, „an fünf bis sechs Sonntagen im Jahr“, für den Fahrbetrieb geöffnet werden. Mit diesen Einnahmen und den Erlösen aus den etablierten Festen des Fördervereins (etwa Federweißer- oder Martinsfest) sollen die Betriebskosten gestemmt werden.

 

Information des Ministers 2016:

Über den aktuellen Stand der Dinge informierten die Verantwortlichen um Denkmalpfleger Dr. Thomas Ludwig, Karl Weber (Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen), Stefan Bahn (Vorsitzender des Fördervereins Karussell) und Ingenieur Bernd Mittnacht gestern im Rahmen einer Baustellenbesichtigung. Die ließ sich auch Boris Rhein (CDU), Minister für Wissenschaft und Kultur, nicht entgehen, schließlich hat die Landesregierung rund drei Millionen Euro in die Sanierung investiert. Rhein lobte das Karussell als „weltweit singuläres Kulturdenkmal“ und zollte dem Engagement des Fördervereins und der Bürgerschaft größten Respekt: „Es gehört Mut dazu, zu sagen, wir kriegen es nicht nur so weit, daß es steht, sondern so weit, daß es sich dreht'.“

Knapp 18 Jahre ist es mittlerweile her, daß sich der Förderverein gegründet hat; es gab Höhen und Tiefen im Zuge der Sanierungsarbeiten, doch letztlich scheint nach langer Zeit tatsächlich alles gut zu werden. Um das Karussell in Richtung eines Fahrgeschäfts nach heutigen Standards zu sanieren, mußte in enger Zusammenarbeit mit dem TÜV sogar ein eigenes Regelwerk aufgestellt werden.

Rund  4,1 Millionen Euro sind insgesamt in das Projekt geflossen, der Verein selber konnte  rund 700.000 Euro Spendengelder sammeln. Das zeigt, wie viele Hanauer sich mit diesem Ort identifizieren. Die Stadt Hanau hat die Sanierung mit 400.000 Euro bezuschußt, von der Stiftung für Denkmalschutz kamen 65.000 Euro. Um das Kulturdenkmal mit seinen insgesamt 16 Pferden und vier Kutschen vor Witterung und Vandalismus zu schützen, soll es mit einem transparenten Planenvorhang und einem Gitter versehen werden.

An ausgewählten Sonntagen im Jahr wird es sich drehen. Für eine Fahrt müssen Erwachsene vier Euro bezahlen, Kinder fahren zum halben Preis. An Öffnungstagen kann auch der Kellerraum betreten werden, von dem aus die Rollenaufhängung zu beobachten ist.

 

Ausstellung im Juli 2016:

Die Ausstellung im Fürstenbau zeigt das Wilhelmsbader Karussell von ganz besonderen Seiten:

Technik, Sammlerstücke, Flaschenpost. Der Inhalt einer Flaschenpost von 1934 mit einer Auflistung von Baumaterialien für das Karussell, die das Hanauer Bauunternehmen Franz verwendete, gehört zu den Exponaten, mit denen die Staatliche Verwaltung Schlösser und Gärten und der Karussell-Förderverein die Neugier der Besucher auf das Karussell weiter kitzeln möchte. Außerdem dient die Ausstellung der Aufklärung. Denn wie das Wunderwerk funktioniert, das fragen sich bis heute nicht wenige.

Mit der Eröffnung der Ausstellung „Das Karussell im Wandel der Zeit“ legten Parkverwaltung und Verein, Hand in Hand mit der Stadt, gestern einen weiteren Mosaikstein in das große Ganze, wenige Tage vor dem Eröffnungsfest auf dem Hügel, der nur wenige Schritte entfernt liegt. Im Fürstenbau, der von der rechten Seite her den Arkadenbau mit dem darin befindlichen Puppenmuseum einrahmt, nimmt die Ausstellung zwei Räume ein.

Noch ist es eine Sonderausstellung, die mit Schrift- und Bildtafeln, zahlreichen Ausstellungsstücken, Filmen, Bildern und Zeichnungen über das Karusssell informierte. Doch längerfristig ist daran gedacht, daraus eine Dauerausstellung zu machen, die dann samstags von 13 bis 17 Uhr sowie sonn- und feiertags von 13 bis 18 Uhr geöffnet sein soll.

Dass ein so wertvolles Kleinod im Laufe der Jahre auch in anderen Bereichen seine Spuren hinterlässt, das zeigen die Exponate. Zum einen war das technische Wunderwerk beliebtes Motiv auf Postkarten, Gemälden und Fotografien, es wurde als Vorlage für Kinderspielzeug aus Blech und Holz verwendet. Zum anderen reizte es auch Künstler, sich mit ihm auseinanderzusetzen.

Wer möchte, kann sich heute bei Führungen im Keller die historische Technik zeigen lassen oder oben eine Runde drehen auf den zweifelsohne ältesten Pferden Hessens.

 

Programm des Einweihungsfestes 2016:

Der Förderverein soll bei der Akademischen Feier mit der Bürgerplakette geehrt werden. Der Festakt findet am Freitag um 18 Uhr statt.  Im Fürstenbau wird eine Sonderausstellung zu Geschichte und Wiederaufbau gezeigt. Auch die rund 80-seitige Festschrift, die in starker Auflage erscheinen wird, soll Fakten und historische Bilder aus der Frühzeit des Karussells zusammentragen. Verkauft werden soll auch ein Festbecher als Sonderedition, auch ein spezieller Wein im Bocksbeutel wird eigens für den festlichen Termin abgefüllt. Im Vorfeld der Wilhelmsbader Sommernacht bietet das Fest neben viel Kultur auch Infos über technische Details. Musikalisch bewegen sich die Beiträge zwischen Jazz, Rock, Soul, Oldies und Blasmusik.

Wer mit dem Karussell fahren will, hat dazu am Samstag und Sonntag, 23. und 24. Juli, erstmals Gelegenheit. An beiden Tagen werden direkt am Karussell stündlich rund 300 Karten verkauft zum Preis von vier Euro (Erwachsene) und zwei Euro (Kinder). Für den Freitag werden 300 Karten von den Medien verlost, unter anderem über den Hanauer Anzeiger. Wer wirklich nicht zum Zuge kommt, den tröstet Bahn damit, daß der Verein ein zweites historisches Karussell für das Fest gewinnen konnte: Vorm Comoedienhaus wird ein doppelstöckiges Karussell stehen, das Karussell der Hayner Reitschule. Es stammt laut Bahn aus der Hand desselben Meisterschnitzers wie das Wilhelmsbader Wunderwerk.

Damit die Öffentlichkeit sich auch an den übrigen Tagen einen Eindruck vom Karussell verschaffen kann, wird es an Sonntagen durch Schutzgitter hindurch betrachtet werden können, nachdem der Lichtschutzvorhang zur Seite gezogen wurde. An Sonntagen, an denen Mitglieder des Fördervereins vor Ort sind, werden auch die Gitter beiseite geschoben, gegebenenfalls können Besucher die Kutschen besteigen. Gruppentermine sollen auf Anfrage ebenfalls ermöglicht werden, so Bahn und Schwabe. Auf der gerade aktualisierten Homepage wird über alle Details informiert, auch die Möglichkeit, Hochzeitsfotos im Karussell anzufertigen:  www.karussell-wilhelmsbad.de

 

Programm:

Freitag, 22. Juli

18 bis 20 Uhr: Festakt am Karussell mit Direktor Karl Weber (Verwaltung Schlösser und Gärten), Oberbürgermeister Claus Kaminsky, Landrat Erich Pipa. Auftritt Kinziggeister und „Reverend Schulz“. Schauschmieden mit Kurt Hammer.

20 Uhr: Inbetriebnahme des Karussells.

20.30 bis 23 Uhr: Karussellfahrten für geladene Gäste und Verlosungsgewinner

21.30 bis 24 Uhr: Reinhard Pauls Swing Connection spielt Frank Sinatra, Dean Martin und mehr.

Samstag, 23. Juli

14, 15 und 16 Uhr: Burgführung

16 bis 22 Uhr: Sonderausstellung Karussell - Geschichte und Wiederaufbau/ Fürstenbau

16 bis 21 Uhr: Schauschmieden für Kinder mit Kurt Hammer

16 bis 21 Uhr: Hüpfburg und Infostand

16 bis 18 Uhr: Blasorchester Nidderau

16 bis 24 Uhr: Karussellfahrten

18 bis 21 Uhr: Die „Candles“ spielen Oldies der 50er Jahre

21 bis 24 Uhr: „Second Spring“ mit Rock und Oldies

Sonntag, 24. Juli

10.30 Uhr: Kurparkgottesdienst

11.30 bis 18 Uhr: Sonderausstellung

11.30 Uhr: Lesung aus dem Tagebuch des Erbprinzen Wilhelm (Heidrun Merk)

11.30 bis 18.30 Uhr: Kinder- und Familienfest

11.30 bis 18.30 Uhr: Karussellfahrten

13 bis 17 Uhr: Kutschfahrten

11.30 bis 18 Uhr: Karussellführungen

11.30 bis 13.30 Uhr: Jazzmatinee mit „Sebastian Stolz Projekt“

13 bis 16 Uhr: Blechspielzeug im Puppenmuseum

13.30 bis 15.30 Uhr: Blasorchester Wachenbuchen

15 und 16 Uhr: Burgführung

15.30 bis 18.30: Rock'n'Roll-Roulette

16 Uhr: Märchen vom schlafenden Karussell.

 

Einweihung des Karussells vom 22..bis 24. Juli 2016

Am Abenddes 23. Juli drehte sich das Karussell um kurz vor halb acht Uhr erstmals nach über 70 Jahren wieder. Erleichterung herrschte bei den Verantwortlichen vom Förderverein um Stefan Bahn, beim Eigentümer Hessische Verwaltung Schlösser und Gärten, bei Technikern, Architektin, Arbeitern und nicht zuletzt bei Oberbürgermeister Claus Kaminsky und allen Bürgern, als die Generalprobe klappte. Tränen der Freude hatten die Senioren in den Augen, die als Ehrengäste mit dem Wunderwerk fahren durften; darunter die 92-jährige Liselotte Rosenberger, die als Kind zuletzt in einer der Kutschen saß. Getrübt wurde die Freude allerdings durch das Unwetter, das nach 20 Uhr die Feier beendete.

 Zu den rund 500 geladenen Gästen drängten sich viele schaulustige Bürger aus Hanau und Umgebung, die den Moment nicht versäumen wollten, in dem sich das technische Wunderwerk zum ersten Mal wieder drehte.  Erbprinz Wilhelm erstand zum Festakt wieder auf (Hans-Otto Bienau), um das Wunder der Wiederinbetriebnahme mitzuerleben. Er wird flankiert von seinen Frauen.

Die Mitglieder des Vorstands des Karussell-Fördervereins wurden mit der Bürgerplakette der Stadt für ihre Verdienste um das Karussell geehrt. Architektin Christiane Colhoun überreicht Dr. Ludwig den Bauhelm, der ihn in den verschobenen Ruhestand begleiten soll. Der Spielmannszug Altenstadt marschierte zur Feier des Tages auf und sorgte mit Fanfaren- und Trommelklängen für die musikalische Kulisse rund ums Karussell.

Anlässlich der Eröffnung des Karussells feiert die Evangelische Stadtkirchengemeinde Hanau am Sonntag um 10.30 Uhr einen Zentralgottesdienst auf der Parkpromenade. Dieser steht unter dem Thema „Wert(e)voll“ und fragt auch mit Blick auf das Karussell: Was ist wertvoll? Gestaltet wird der Gottesdienst von Pfarrerin Margit Zahn, Pfarrer Stefan Axmann, Pfarrerin Heike Mause und musikalisch begleitet von der Gemeindeband CrissCross.

 

Karussell dreht sich wieder: Start am Ostermontag:

Nach über zwei Jahren „Drehpause“ sind die Vereinsmitglieder des „Fördervereins für das historische Karussell im Staatspark Hanau e. V." inzwischen ganz aufgeregt: Am Ostermontag von 14 bis 17 Uhr wird sich das älteste Karussell der Welt endlich wieder drehen. Nachdem das Karussell vom Staub der vergangenen beiden Jahre befreit und die Wartung vor Kurzem erfolgreich absolviert wurde, steht dem Betrieb nun nichts mehr im Wege. Aber auch das weitere Jahresprogramm des Fördervereins kann sich sehen lassen. Neben den traditionellen Veranstaltungen gibt es auch eine Neuerung: Erstmals veranstaltet der Förderverein eine „WeinKulturTour“ durch. den Wilhelmsbader Park mit dem Besuch von interessanten Stationen der Anlage.

„In den letzten beiden Jahren hatten wir so viele Anfragen, wann sich das Karussell denn endlich wieder dreht - nun sind wir überglücklich, am Ostermontag endlich wieder aktiv werden zu können,“ so Vereinsvorsitzender Stefan Bahn. Alle, die schon immer eine Runde mit dem historischen Karussell drehen wollten und dieses Vorhaben verschieben mussten, haben nun die Möglichkeit, das Karussell endlich wieder in Aktion zu erleben. Aber natürlich auch all jene, die davon nicht genug bekommen, sind eingeladen, den Ostermontag im Staatspark Hanau-Wilhelmsbad zu verbringen. Bereits um 12 Uhr wird eine öffentliche Führung durch das Karussell angeboten. „Die Führungen durch den Technikkeller und das Karussell sind immer wieder ein Erlebnis,“ so Claudia Schwabe vom Führungsteam, „auch das Interesse an der einzigartigen Technik ist immer wieder faszinierend.“

Geplant ist, auch am Nachmittag während des Drehens den Gewölbekeller wieder zu öffnen, um einen Einblick in die Technik zu gewähren. Dies ist während des Betriebes besonders interessant, kann man doch einmal live erleben, wie sich die Balken drehen. Gleichzeitig werden Mitglieder des Fördervereins auf dem Karussellhügel einen Infostand aufbauen. Natürlich werden auch die Souvenirs des Vereins präsentiert, etwa Briefmarken mit dem Karussell, Tassen, natürlich alle Magnete, die Originalschiefertafeln und die beliebten Karten.

Neben dem „Andrehen“ am Ostermontag hat der Förderverein weitere 14 „Drehtage“ für dieses Jahr geplant - wer also an Ostern in Kurzurlaub ist, muss nicht traurig sein. Der nächste Drehtag ist für den Sonntag, 29. Mai, geplant. Alle weiteren Termine sind auch der Homepage des Vereins zu finden.

Auch die öffentlichen Führungen durch das Karussell laufen den ganzen Sommer über - so etwa auch am Montag, 25. Juli, um 19 Uhr, dem amerikanischen „National Carousel Day“. Alle weiteren Führungstermine sind auf der Homepage des Fördervereins zu finden.

Neu im Terminkalender des Fördervereins ist eine „WeinKulturTour“: eine Schlenderweinprobe durch den Staatspark Hanau-Wilhelmsbad. „Was gibt es Schöneres, als bei einem guten Gläschen Wein die Schönheit des Landschaftsparks mit seinen Gebäuden und Attraktionen zu genießen?“, fragen die Verantwortlichen. Bei einem Spaziergang durch den Park mit Claudia und Manfred, erfahrenen Tour-Führern des Karussellvereins, gibt es Interessantes und Spannendes zur Geschichte der ehemaligen Kuranlage zu erfahren.

Zusätzlich wird an vier ausgewählten Stationen je ein erlesener Frankenwein vom Hofgut Hörstein verkostet. Der Kellermeister des Hofgutes schenkt den Wein aus und erzählt über den edlen Tropfen. Hier sind erst einmal zwei Termine geplant (30. April und 21. Mai, Beginn jeweils um 16 Uhr). Sollten diese Erlebnisse auf entsprechende Resonanz stoßen, werden im Sommer sicherlich weitere Termine aufgenommen.

In der Planung sind auch die großen Feste im Kurpark: Wein-, Federweisser- und St.- Martinsfest. Allerdings sind sich die Verantwortlichen des Vereins ihrer Verantwortung bewusst, und eine Entscheidung über die Durchführung wird jeweils kurz vor den Terminen getroffen, so die Ankündigung. „Die weitere Entwicklung der Corona-Pandemie können wir nicht wirk

lich einschätzen und damit auch nicht, wann welche Auflagen gelten werden,“ so Vorsitzender Stefan Bahn. Eine Zugangsbegrenzung durch den Verein ist organisatorisch nicht realisierbar und damit auch nicht das Steuern der Gästeanzahl. man bereite sich deshalb vor und entscheide kurzfristig.

Auch das Projekt der Sanierung des Comoedienhauses hat der Vereinsvorstand weiter im Auge: So ist für den 11. Juni eine Benefizveranstaltung („Die Rentner Revue“ des Histo(e)rischen Theaters) geplant. Wer die Sanierung des Comoedienhauses unterstützen möchte, kann aber auch gerne eine Stuhlpatenschaft übernehmen - auch hierzu sind nähere Informationen auf der Homepage des Vereins zu finden (16. April 2022, MB).

 

Park hinten:

Die Rotbuchen beim Kurhaus stammen aus der Anfangszeit des 19. Jahrhunderts. Die daneben stehende Säuleneiche wurde baumchirurgisch behandelt und kann seit der Zeit weiterleben. Die Wiese hinter dem Kurhaus mit dem sanierungsbedürftigen Herkules wird auch Sonnenmannwiese genannt. Die Gebäude hinter dem Kurhaus beherbergten die Wirtschaftsbereiche, nachdem die Meierei bzw. Schweizerei westlich von Wilhelmsbad nicht mehr zur Kuranlage gehörte.

 

Eremitage:

Ein herausragendes Beispiel für einen damaligen Landschaftsgarten findet man im Hinterpark mit der Eremitage, der Einsiedelei. Eine Eremitage gab es schon in den früheren Renaissancegärten (Wiedergeburt etwa 1350 bis ins 16. Jahrhundert). Die 1786 vollendete Eremitage im Wald hinter den Kurgebäuden ist eines der kuriosesten Gestaltungselemente des Parks. Ein bißchen verwunschen wirkt der Ort noch heute, man kann den Abgang zu der Höhle leicht verpassen. Bewußt liegt die Höhle daher entfernt vom rauschenden Vergnügen der Badeanlage und ist aus rauhen Steinen kärglich gestaltet.

Der Legende nach soll bereits im Mittelalter ein Mönch als Einsiedler im Wachenbucher Wald gelebt haben. Diese Erzählung greift die Eremitage auf. Sie stellt die Behausung eines Mönchs dar, der abgewendet von weltlichen Dingen in der Einsamkeit lebt. Die Grotte, in einen künstlichen Hügel integriert, ist völlig eingewachsen. Die Fassade orientiert sich in ihrer Gestaltung wiederum an der Gotik. Stützpfeiler und Spitzbögen sind typische Stilmittel dieser Epoche.

Das Gemäuer, das sich am Fuße eines dicht bewachsenen Hügels auftürmt, stammt aus dem Jahre 1785. Es wurde eine komplett ausgestatteten Eremitenwohnung mit mehreren Räumen eingerichtet. Wie aus alten Parkbeschreibungen hervorgeht, waren Schlafgemach, Werkstatt, Küche und Wohnraum komplett möbliert, freilich ohne Bequemlichkeit, sondern eher wie eine Mönchszelle gehalten. Aus alten Ansichten ist überliefert, daß das Mobiliar noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts erhalten blieb.

Der Bau war das letzte Werk des Erbprinzen Wilhelm IX., bevor er Hanau verließ und als Landgraf die Regierung in Kassel übernahm. Eremitagen waren damals in Mode. Nur teilweise dienten sie ihren Bauherren jedoch tatsächlich als Rückzugsdomizil in die Einsamkeit. Weit häufiger handelte es sich bei den Einsiedeleien um reine Inszenierungen. Auch in Wilhelmsbad war die Grotte von Anfang an Staffage. Der hölzerne, damals an Kopf und Händen bewegliche Einsiedler, mit Zutaten von Reh und Rabe, stand als Symbol für die Entsagung des sündigen Daseins.

Diese moralische Mahnung hatte seine Bedeutung in der Philosophie des Landschaftsparks. Im Sinne einer Architektur, die heitere, ernsthafte oder auch melancholische Stimmungen hervorbringen sollte, symbolisierte der Eremit ein anspruchsloses Leben im Einklang mit der Natur und thematisierte damit gleichzeitig die Vergänglichkeit des irdischen Lebens und den höheren Weg zu Gott.

Zunächst hatte der Erbprinz angeblich versucht, einen Freiwilligen zum demonstrativen Leben in den unwirtlichen Gemäuern gegen Bezahlung zu finden. Dies gelang ihm auch, doch der Kandidat konnte sich nicht längerfristig für eine solch beobachtete Existenz zur Belustigung der Gäste erwärmen. Auch die heute noch dort vorhandene Figur des lesenden Mönches gab es damals schon. Heute sitzt die stumme Holzfigur wehrlos neben dem Reh in ihrer Grotte im Wald.

 

Während die Badeanlage aus der Mode geriet, im 19. Jahrhundert zum Spielcasino umgewandelt wurde und schließlich nur noch als Ausflugsziel diente, siechte der Einsiedler dahin. Das Holz vermoderte, die Bettlade brach zusammen, die Kutte wurde von Mäusen zerfressen. Bettler, Prostituierte und Landstreicher, so ist überliefert, trieben ihr Unwesen. Mehrmals wurden Figur und Mobiliar erneuert, mehrmals wurde dem armen Gesellen wieder der Kopf abgeschlagen. Es gibt Gerüchte, daß die Amerikaner den Eremiten nach dem Zweiten Weltkrieg über den großen Teich geschickt haben sollen, bewiesen ist die Entführung allerdings nicht.

Im Zuge der Sanierung des Comoedienhauses stiftete der Hessische Rundfunk in den sechziger Jahren ein Exemplar aus Gips. Die aktuelle Gestalt besteht aus Styropor und hat wie einst nur ein kleines Reh zur Gesellschaft. Nicht ganz stilecht, sind Plexiglasscheiben vor dem Eingang und den Fenstern aufgespannt, die den Einsiedler vor Zerstörung schützen. Denn auch in jüngster Zeit wird er immer mal wieder mit Steinen oder Bierflaschen bombardiert. Fünfmal mußte der Hessische Rundfunk schon einen neuen Einsiedler spendieren.

Durch eine Gittertür konnte der Besucher schon immer ins Innere der Einsiedelei blicken. Die Grotte wird für Spaziergänger von einem Bewegungsmelder erleuchtet. Heute ist sie für Lesungen geöffnet. Für Erwachsene werden sie von dem Frankfurter Autor Bernd Schulz betreut werden. Für den Nachwuchs organisiert Heidrun Merk eine Grusellesung für 8- bis 14-Jährige, zu der auch ein Rundgang durch die Grotte gehört. Die Kinder können die Zimmer der Eremitage erforschen, dem Einsiedler über die Schulter schauen und sie erfahren auch einiges über die Bedeutung der Grotte. Anschließend gibt es in der Dämmerung kindgerechte Geschichten von Roald Dahl bis zu Edgar Allan Poe zu hören. Als Nervennahrung werden Gummibärchen serviert.

 

Schießstand:

Im Bereich der Anlage des 1. Hanauer Tennis- und Hockeyclubs war in der Zeit des Erbprinzen Wilhelm ein Wiesental mit Sportanlagen. Dieser Bereich war ein starker Kontrast zu dem dunklen, unheimlichen Wald bei der Eremitage. Man konnte auf einem Schießplatz schießen- eine Unterhaltung, die besonders in deutschen Landen geübt wurde, wenn man den Erinnerungen vielgereisten Lady Montague trauen darf.

Reste von diesem Schießstand haben sich hinter den heutigen Tennisplätzen erhalten, die als moderne Zutat im Rahmen des Wilhelmsbader Parks insofern nicht fehl am Platze sind, weil gerade das Ballspiel jahrhundertelang ein beliebtes gesellschaftliches Vergnügen dargestellt hat.

 

Minigolf:

Auch den Minigolfplatz darf man als modernen Nachfahren der alten Stockspiele, wie sie ehemals in Wilhelmsbad betrieben wurden, ansprechen. Er sucht weit und breit seinesgleichen, weil er gepflegt ist und von seiner heimeligen Umgebung mit den hohen, alten, Schatten spendenden Buchen und Kastanien zehren kann.

Der seit den sechziger Jahren bestehende, anfangs von einem Verein genutzte Platz mit seinen - teils doppelt vorhandenen - 18 Bahnen gehört einer in der Schweiz ansässigen Firma, die den Grund von der staatlichen Verwaltung für Schlösser und Gärten gepachtet hat. Sie besaß früher mehrere solcher Anlagen. Nur die attraktivste und offenbar lukrativste in Wilhelmsbad behielt sie.

Und das nicht zuletzt deswegen, weil sie sich seit 25 Jahren auf die Betreuerin des Platzes verlassen kann. Irmgard Tauchert heißt die gast- und servicefreundliche Hüterin der Bälle und Schläger. Sie wohnt nebenan in einem der historischen Wilhelmsbader Häuser im Park. „Frühjahr und Herbst sind die arbeitsintensivsten Zeiten“, berichtet Tauchert. Nicht nur wegen der Blüten und des herunterfallenden Laubes. Vielmehr sei darauf zu achten, daß die Bäume keine dürren Äste aufwiesen, die herabstürzen und die Minigolf-Spieler verletzen könnten. Hinzu kommt, daß der Saisonbeginn im Frühjahr stets damit verbunden ist, alle Bahnen mit einem Hochdruckreiniger zu säubern.

Die Unbilden des Wetters können auch im Sommer mit unberechenbar viel Arbeit verbunden sein. Sei beispielsweise ein Gewitterregen herunter platzt, muß das Wasser schnellstmöglich von den Bahnen geschafft werden. „Denn die Leute sind ruckzuck wieder da“, so ihre Erfahrung. Etwa 500 bis 700 Gäste sind es an Spitzentagen, die mit möglichst wenigen Schlägen auf jeder Bahn den Ball im Zielloch unterbringen wollen. So viele kommen allenfalls sonn- oder feiertags, die Woche über sind es dann weniger. Der Andrang hängt vom Wetter ab. Sommers ist auch an lauen Abenden noch viel Betrieb.

Wenn es dunkel wird, schaltet Tauchert die bunten Lampen an den Bahnen ein. „Der Platz ist schon immer sehr gut gelaufen, das kann man nicht anders sagen“, freut sich die Wilhelmsbaderin. Einen leichten Besucheranstieg habe sie noch verzeichnen können, seit die „Kleine Parkwirtschaft“ nebenan besser bewirtschaftet werde.

Von deren rustikalen Holzbänken aus können Eltern auch mal ihre Sprößlinge alleine spielen lassen und das beobachten. Wie sich der Nachwuchs beispielsweise an der am meisten gefürchteten Bahn mit der Rampe und dem Fangnetz für den Ball abmüht. Spätestens hier stirbt meist der Traum derer, die glauben, sie könnten den seit vielen Jahren bestehenden Bahnrekord angreifen. An den heranzukommen bedürfe es ohnehin mitgebrachter Spezialbälle und häufigen Trainings.

Die gute Atmosphäre, die sie pflegt, scheint auf das Publikum vielfach auszustrahlen. Mit dem ist sie „im Großen und Ganzen sehr zufrieden“, insbesondere mit den jungen Menschen. Freilich gebe es unter den Kindern auch mal Rabauken - insbesondere dann, wenn Schulklassen oder Geburtstagsgruppen zu Gast sind.

Störend empfindet sie nur, wenn mehrere mit einem Schläger spielen wollen. Dabei ist die Ausleihe von Schläger und Ball ein ausgesprochen preisgünstiges Freizeitvergnügen. „Ins Kino können Sie auch nicht zu dritt mit einer Eintrittskarte gehen und zwei von dreien machen während der Vorstellung die Augen zu“, wirbt sie in solchen Fällen um Verständnis. Aufpassen müsse sie auch, daß Zeitgenossen nur einmal Eintritt zahlen und die Bahnen mehrmals durchzuspielen versuchen, erzählt sie weiter. Wie kann sie das einschätzen, insbesondere, wenn viele Spieler zu Gast sind? Im Laufe der Jahre habe sie ein Gespür für solche Kandidaten entwickelt, zudem habe das Verkaufshäuschen auch ein Fenster zur Rückseite.

Jährlich von Frühjahr bis Herbst täglich präsent sein zu müssen, dafür verliert Tauchert aber allmählich die Lust. Nun da ihr Mann in Pension gegangen ist, will sie auch mal einen Sommerurlaub genießen und nicht mehr selbst anderen andauernd ein Freizeitvergnügen ermöglichen. Dieses Jahr will sie noch in altgewohnt verläßlicher Manier ihren Minigolf-Platz betreuen. „Was danach kommt, wissen wir nicht“, fügt sie hinzu und verbindet es mit einer Lösungsvariante, die aber noch nicht spruchreif ist.

Der Minigolf-Platz in Hanau-Wilhelmsbad ist werktags ab 11 Uhr geöffnet, sonn- und feiertags ab 10 Uhr. Je nach Bedarf schließt er abends. Interessierte Schulklassen sollten sich bei Irmgard Tauchert unter Telefon 0 6181 / 83 379 anmelden. Für Kinder-Geburtstage ist das nicht erforderlich.                   

 

Gaststätten:

Wer nach einem Rundgang Hunger oder Durst verspürt, kann wählen zwischen karibisch- europäischer Küche im restaurierten Bahnhof Wilhelmsbad, dem Café an der Kuranlage oder der Parkwirtschaft mit dem großen beschatteten Biergarten.

Bei der „Kleinen Wirtschaft“ befindet sich heute noch ein Tiergarten im Kleinen - letzte Erinnerung an die Menagerie der großen Barockgärten und Vorläufer des modernen Zoo.

 

Das Café an der Parkpromenade hat täglich von 11 Uhr bis in den frühen Abend geöffnet. Hinter der Kuranlage liegt die Kleine Parkwirtschaft (Telefon 0 6181 / 83378), wo es auch deftige Speisen gibt ‑ täglich 11 bis 24 Uhr.

Der Minigolf‑Platz (Telefon 0 6181 / 83379) ist während der Saison werktags ab 11 Uhr geöffnet, sonn‑ und feiertags ab 10 Uhr.

Über Veranstaltungen im Comoedienhaus und Park informiert das Kulturamt Hanau unter Telefon 06181/9977666. Weitere Informationen via Internet www.museen‑hanau.de/Wilhelmsbad.

 

Kleine Parkwirtschaft:

Bei einem Feuer im Mai 2015 brannte die „Kleine Parkwirtschaft“ völlig aus. Beim jüngsten Ortstermin hatte Minister Boris Rhein gute Nachrichten dabei. Mit vor Ort waren auch OB Claus Kaminsky, die Landtagsabgeordneten Christoph Degen und Heiko Kasseckert sowie Karl Weber, Direktor der hessischen Schlösserverwaltung.

Es ist zwar schon mehr als zweieinhalb Jahre her, dass infolge einer Brandstiftung die „Kleine Parkwirtschaft“ im Wilhelmsbader Kurpark ein Opfer der Flammen wurde, doch noch heute hängt der Brandgeruch in der Ruine. Schwarz verkohlte Decken und Wände und zahlreiche Löcher erwarteten denn auch den hessischen Kunst- und Kulturminister Boris Rhein (CDU), der dem traurigen Gemäuer am Montagvormittag einen Besuch abstattete. Dabei hatte er eine frohe Botschaft im Gepäck: Die Landesregierung ermöglicht den Wiederaufbau der Gastwirtschaft, die Bauarbeiten hierzu sollen im Spätsommer des kommenden Jahres beginnen.

„Es ist ein entsetzlicher Anblick für eine ehemals so wunderbare Gastwirtschaft“, fasste der Minister die Eindrücke seines Besuches in der Ruine zusammen. Die historische Gaststätte, die zurückgeht auf das Jahr 1785, war bei einem Feuer im Mai 2015 fast vollständig zerstört worden. Seit dem Brand stehen nur noch die Grundmauern des historischen Teils des Gebäudes. Der Anbau aus dem 20. Jahrhundert brannte vollständig ab. „Es ist uns auch klar: So ein Park lebt davon, dass es eine Gastronomie gibt“, sagte Rhein.

Hierfür gibt es nun kurz vor Weihnachten ein deutliches Signal nach vorne: „Wir werden jetzt vier Millionen Euro in den Wiederaufbau der kleinen Parkwirtschaft investieren“, so der Minister. Umfangreiche Untersuchungen der Ruine hätten dabei ergeben, dass ein Großteil des ursprünglichen Erdgeschosses des historischen Gebäudes bestehen bleiben kann. Dieses soll in Zukunft ausschließlich als Gastraum genutzt werden. Für die technischen Räume, wie Küche, Kühlraum oder Personalräume wird hinter dem Gebäude ein Neubau entstehen. Eine großzügige sanitäre Anlage mit barrierefreiem Zugang soll für alle Parkbesucher nutzbar sein.

OB Claus Kaminsky freute sich über die guten.Nachrichten aus Wiesbaden. Mit der Zusage zum Wiederaufbau werde hier ein Stück Verlässlichkeit geschaffen, gleichwohl es bis zur Fertigstellung noch einige Zeit dauern werde. Gastwirt Gianni Zebi hätte sich gefreut, wenn es etwas schneller ginge. Nicht nur er und seine Frau jetzt schon eine ganze Weile warten, sondern auch, weil sie 2019 ihr 25-Jähriges in der „Kleinen Parkwirtschaft“ feiern. Als Grund für die lange Zeit vom Brand bis zur Aussicht auf einen Wiederaufbau führte Minister Rhein einerseits das Ermittlungsverfahren an, das bis heute noch nicht abgeschlossen sei. So steht nach wie vor der Verdacht im Raum, dass

das Feuer in Zusammenhang mit einem Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der „Ndrangheta“ stand, in dem Ganni Zebi seinerzeit ausgesagt hatte.

Andererseits, so unterstrich Rhein, habe auch der Umgang mit der besonderen Substanz des historischen Gemäuers seine Zeit in Anspruch genommen „Das Einfachste wäre gewesen alles abzureißen und neu zu bauen“, fasste er zusammen. Ziel sei aber der Erhalt gewesen, der nun doch zu großen Teilen möglich sei.

Nach der Genehmigung des hessischen Haushaltes kann das Bauprojekt dann ausgeschrieben werden und Karl Weber, Direktor der hessischen Schlösserverwaltung, ist zuversichtlich, dass die Bauarbeiten dann im Spätsommer 2018 beginnen werden. Von den Gesamtkosten werden rund 1.2 Millionen Euro für den Wiederaufbau des rund 200 Quadratmeter großen Altgebäudes verwendet.

Insgesamt wird die „Kleine Parkwirtschaft“  eine künftige Nutzfläche von 346 Quadratmetern haben. Als Termin für die Fertigstellung fasst Weber Frühjahr 2020 ins Auge.

OB Kaminsky nutzte die Gelegenheit, dem Minister den Hinweis mit auf den Weg zu geben, dass sich die Hanauer nach dem Wiederaufbau der „Kleinen Parkwirtschaft“ auch über einen großen Bruder im Bereich der Gastronomie freuen würden. Rhein erklärte, dass man den Wunsch nach einer „Großen Parkwirtschaft“ nicht aus den Augen verloren habe, diese unter den aktuellen Gegebenheiten jedoch etwas nach hinten rücke (Mitelhessen-Bote, 20. Dezember 2017).

 

 

 

Die ehemalige Meierei - Der Wilhelmsbader Hof

Die ehemalige Meierei wurde 1780 - 1781 mit einem Wohnhaus mit Strohdach, einer Scheune und Viehställen errichtet. Cancrins Idee für den Bau eines eigenen Viehhofes mit Feldern fand Anklang beim Erbprinzen Wilhelm: „Diese Idee ist so hübsch, daß sie mir von allen anderen die angenehmste ist und habe den gefaßten Plan völlig entschieden.“ Eine Trockenmauer wurde gebaut, um Erde aufzuschütten und einen Weinberg anzulegen. Eine Brennerei und eine Brauerei wurden gebaut.

Die Meierei diente neben dem Bedürfnis für die adelige Gesellschaft für das Nachempfinden und Erleben des einfachen, ländlichen, bäuerlichen Lebens auch zur Eigenbewirtung in der Kuranlage. Zitat: „Die herrschaftliche Schweizerey versiehet nicht nur die Wilhelmsbader Küche mit der nöthigen Milch, sondern giebt auch den Kurgästen Gelegenheit dorthin angenehme Promenaden zu machen, und sich mit einem ländlichen Mahle von Butter, Milch und Käse bewirthen zu lassen.“

 

In der skurrilen Auseinandersetzung um den Namen „Hofbräu“ hat der Wilhelmsbader Hof im August 2014 den Punktsieg geholt - gegen das Münchener Hofbräuhaus. Suzanne Seibel hat sich schon einen Termin für 2015 eingetragen: Vor Aschermittwoch muß sie noch nach München, und zwar in die Staatskanzlei. Im Kofferraum liegt dann aber nicht etwa das Abenddirndl für den Ministerbesuch, sondern eine Kiste Bier aus ihrer eigenen Brauerei. Es trägt die Nummer elf und heißt „Narrenbier“. Das bekommt Horst Seehofer dann von der Pächterin des Wilhelmsbader Hofs überreicht, die auf ihrem Gelände seit etwa zwei Jahren ein eigenes Bier brauen läßt, das „Wilhelmsbader Hof Bräu“.

Dieses symbolische, augenzwinkernde Geschenk hatte Seibel vor Monaten angekündigt, falls der Widerspruch des Münchener Hofbräuhauses gegen den Namen ihres eigenen Biers vom Deutschen Patent- und Markenamt abgewiesen werde. Dort nämlich hatten die Bayern gegen die Kleinstmarke aus Hanau Beschwerde eingelegt und argumentiert, ihr bajuwarisches „Hofbräu“ habe als Wortmarke eine besonders hohe Kennzeichnungskraft. Oder anders ausgedrückt: Jeder, der „Hofbräu“ höre, denke an „Oans, zwoa, g'suffa“.

Dem folgten die Markenschützer nun nicht: Die Wortmarke „Hofbräu“, selbst in Kombination mit „München“, habe keineswegs eine so hohe Strahlkraft, daß ihr das schnöde Wilhelmsbad etwas anhaben könne. Sie verfüge nicht über die individualisierenden Eigenschaften, die eine kräftige Wortmarke ausmachten und stehe damit gewissermaßen in einer Linie mit „Eierbecher“ oder „Lastkraftwagen“. Wörtlich heißt es in der Begründung des Beschlusses: „Es kann von einer nur sehr unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ausgegangen werden, weil es sich um eine übliche Bezeichnung für einen Brauereibetrieb handelt (Wilhelmsbader Hof Bräu). Bestätigt wird dies durch die seitens der Widersprechenden (Nickel/ Seibel) eingereichten Unterlagen, aus denen sich ergibt, daß in verschiedenen Städten Brauereibetriebe existieren, die sich „Hofbräu“ in Kombination mit dem jeweiligen Namen der Stadt nennen dürfen.

Harald Nickel hatte für seine Argumentation auch ein Stück in die Historienkiste gegriffen und erklärt, beim Begriff „Hofbräu“ gehe es um ein Produkt mit Geschichte, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: „Beim ,Hofbräu handelte es sich um Bier aus Brauereien regierender Fürsten, also ,am Hof gebraut.“ Heißt für Suzannes Seibels Hopfengetränk: 1777 hatte Graf Wilhelm I. von Hessen-Kassel den Wilhelmsbader Hof mitsamt der damaligen Brauerei aufbauen lassen - wer also sollte ausgerechnet dem schnuckeligen Hanauer Hofgut jetzt dieses Namensrecht streitig machen? Das Patent- und Markenamt jedenfalls nicht. Pächterin Seibel ist überglücklich und will ihre „Narrenbier-Bringschuld“ auf jeden Fall einlösen. In München herrscht übrigens Funkstille. Das Hofbräuhaus schweigt. „Scheint, als hätten sie aufgegeben“, sagt Nickel, „uns liegt nach derzeitigem Stand nichts weiter vor, die Fristen sind verstrichen."

 

 

Steinbruch:

Der Simmichtsweg bog ursprünglich in Richtung Westen zum Hanauer Weg ab. Im Waldstück „In der Aue“ liefen sie zusammen und führten mitten durch das spätere Steinbruchgelände auf das Kurhaus zu. Heute aber werden beide Wege gemeinsam über die Autobahn geführt, trennen sich jedoch wieder: Der Simmichtsweg führt nördlich des Steinbruchs bis zur Mittelbucher Straße und setzt sich fort auf dem Weg nordöstlich der Tennisplätze. Der Hanauer Weg dagegen geht südlich am Steinbruch vorbei zur Kreuzung westlich des Kurhauses.

 

Schon die Römer nutzen den Steinbruch in der Nähe des heutigen Wilhelmsbads aus. Nur weil es dort Arbeit gab, konnten sich in der Umgebung verschiedene Familien auch im wenig nutzbaren Schwemmland halten und Häuser bauen. Schon im Jahr 1590 wird die „Gemeinde Steinkaut“ in einem Aktenstück der Gemeinde Wachenbuchen im Staatsarchiv Marburg erwähnt.

Leider ist heute der ganze Steinbruch wieder verfüllt. Als er noch in Betrieb war, stellte er ein richtiges Fenster dar, durch das der Betrachter die ganze Erdgeschichte sehen konnte. In der etwa zehn Meter hohen Wand konnte man nach oben zu immer mehr Risse erkennen, bis der Stein schließlich überging in Lehm. Die unterste Erdschicht stammt von Seen und Sümpfen her. Darüber hat sich bei einem Vulkanausbruch im Vogelsberg eine Basaltschicht geschoben, in die noch große Erdklumpen mit Resten von Bäumen eingeschlossen sind. Über dem Basalt liegt eine 2,5 Meter hohe Schicht von Kies, die aus Ablagerungen der Kinzig oder des Mains stammt. Sie ist durchsetzt mit Kieselschiefer (Lydit) aus dem Fichtelgebirge. Der Stein ist sehr hart und wurde von den Goldschmieden als „Probierstein“ benutzt. Solche Steine findet man auch in der Wachenbucher Sandgrube. Über der Kiesschicht ist reiner Sand ohne Geröll, also Flugsand aus einer Trockenzeit. Durch Regen und Pflanzenwuchs wird die oberste Schicht dann zu Humus.

Der Steinbruch wird zunächst von der Wachenbucher Gemeinde betrieben und sichert damit wichtige Arbeitsplätze. Aber von einer Rentabilität kann zunächst keine Rede sein. Zur Ableitung des Wassers im Gemeindesteinbruch wird 1864 eine Dampfmaschine nebst Pumpe angeschafft. Dadurch wird nicht so viel Wald in Anspruch genommen, weil man mehr in die Tiefe gehen kann. Pächter ist 1865 der Steinbrecher Heinrich Heck. Ein Steinelieferungsbuch wird 1901 angelegt. Die Kunden kommen aus dem westlichen und nördlichen Teil des Kreises Hanau.

 

Unter dem Bürgermeister Kaspar Mankel wird der Steinbruch 1902 an die Firma Kaiser verpachtet und mit allen modernen Maschinen und Geräten bis zur Sohle ausgeweitet. Pachtpreis sind sechs Prozent des Umsatzes. Die Gemeinde Wachenbuchen erhält bei Eigenbedarf zehn Prozent Rabatt. Es wird auch vereinbart, daß bevorzugt Arbeiter aus dem Ort einzustellen sind.

Obwohl Konkurrenten versuchen, auch Fuß zu fassen, versteht es Kaiser vorzüglich, sich diese durch geschicktes Verhalten vom Hals zu halten. Er bekommt bei der Neuverpachtung immer wieder den Zuschlag. Das liegt auch daran, daß die Verträge eingehalten werden und die Gemeinde in vielen Notjahren auf das Geld angewiesen ist.

Im Jahre 1863 gründet der Pflasterermeister Adam Kaiser in Langendiebach ein Straßenbau- und Pflastererunternehmen. Es führt zunächst Straßenbauarbeiten in den Gemeinden der Umgebung aus. Der Sohn Karl Kaiser lernt im väterlichen Betrieb, besucht aber auch die Zeichenakademie. Im Jahre 1900 übernimmt er die Firma, verlegt sie nach Hanau und führt sie unter seinem Namen weiter.

Die Firma wächst zu ansehnlicher Größe. Bezeichnend für die Weitsicht Karl Kaisers ist der Erwerb zweier Steinbrüche, durch die er das erforderliche Baumaterial stets zur Hand hat.

Im Jahre 1905 bittet Kaiser um Verlegung des Fußwegs nach Hanau im Bereich des Steinbruchs. Der alte Schornstein auf dem Steinbruchgelände wird 1906 abgerissen. Ein Aufsichtshaus wird 1914 gebaut. Auch 1919 werden wieder 15 Ar Wald abgeholzt und als Baugelände verkauft. Aber es darf kein Anspruch auf Anschluß von Wasser und Licht gestellt werden.

Die Firma errichtet im Steinbruch den Bauhof und auch ein Landhaus. Im Jahre 1920 wird eine Verwalterwohnung gleich vorne an der Straße gebaut. Seit dieser Zeit ist der Name „Steinbruch Kaiser“ ein feststehender Begriff. Im Jahre 1922 hat die Firma 21 Arbeiter. Die Steinbruchpacht beträgt 3.000 Mark. Geliefert werden Pflastersteine, Mosaiksteine, Kleinschlag, Chausseesteine, Sand und Grenzsteine.

Die Arbeiter im Steinbruch stellen Pflastersteine her. Andere laden die Brocken auf Rollwagen, die mit Aufzugmaschinen an langen Drahtseilen hinaufgezogen werden, um zu Schotter oder Splitt verarbeitet zu werden. Gesprengt wird in der Regel zu den Essenszeiten.

Eine Brecheranlage wird 1928 gebaut und eine Stützmauer wurde umgebaut. Die Gemeinde tauscht 1929/30 mit der Firma Kaiser ein Stück Steinbruchgelände gegen eine Wiese. Dafür muß die Firma aber die Hintertorstraße und einen Teil der Hanauer Landstraße pflastern und mit Bürgersteigen versehen, bei einem Zuschuß der Gemeinde von 5.000 Mark.

Der Kreis möchte 1935 für Notstandsmaßnahmen unentgeltlich Steine aus dem Gemeindesteinbruch haben. Doch der Bürgermeister lehnt das ab, weil auch die Gemeinde bei ihren Notstandsarbeiten die Steine an den Pächter bezahlt hat. Ab 1. März 1935 wird der Steinbruch wieder auf sechs Jahre verpachtet. Die Gemeinde erhält sechs Prozent des Umsatzes, die Lieferscheine müssen ihr monatlich vorgelegt werden.

Zum 40jährigen Jubiläum der Firma im Jahre 1938 können 500 Betriebsangehörige an der Feier teilnehmen. Doch 1945 fallen die Büros und Wohngebäude in der Hanauer Wilhelmsstraße dem Luftangriff zum Opfer, der Bauhof wird geplündert. Im April 1949 stirbt Karl Kaiser. Sein Schwiegersohn Fritz Schäfer übernimmt die Firma, stirbt aber 1954 im Alter von 46 Jahren. Seine Frau Elsbeth führt das Geschäft weiter, unterstützt vom Mitgesellschafter Dr. W. Schlenzig.

Der Straßenbau wandelt sich von der Handarbeit zu einem hochmodernen Unternehmen. Auch im Steinbruch wird nun maschinell abgebaut. Ein Sprengstofflager wird 1948 genehmigt.

In der Brecheranlage wird der Stein mehrfach gebrochen und zu Schotter und Edelsplitt verarbeitet. In den Siebmaschinen wird nach Körnungen getrennt und in einer Mischanlage zu Mischgut für Schwarzdecken aufbereitet. Neben großen Mengen Baumaterials ist aber auch ein umfangreicher Maschinen- und Fuhrpark notwendig.

Von der Siedlung Hohe Tanne her werden allerdings allerhand Schwierigkeiten gemacht. Von dort fließt je länger je mehr ein beträchtlicher Anteil an Steuern an die Gemeinde. Ein Zeitzeuge sagt: „Der Kampf um den Steinbruch und die Etatberatung im vorigen Jahr haben durch das Entgegnen des jetzigen Bürgermeisters Hack - wie es scheint - ihr Kürzertreten bewirkt. Gegen alle Anträge sprechen und dann dafür stimmen ist Theater und viel Lärm und Nichts!"

Die Untere Naturschutzbehörde erhebt am 25. Mai 1963 zusammen mit Anliegern des Ortsteils Hohe Tanne Einspruch gegen die Weiterführung des Betriebs Straßenbaufirma Kaiser. Der Gemeindevorstand schreibt dazu an den Kreisausschuß: „Obwohl die Firma viel Staub und Lärm verursachte, war sie bis 1963 in Betrieb. Dann wurde eine modernere Anlage weiter hinten aufgebaut und die Trommel durch ein geschlossenes Sieb ersetzt. Im Jahre 1960 wurde durch die Firma Kaiser eine Bitumen-Mischanlage erstellt. Diese Aufbereitungsanlage soll 1962 erneuert werden. Der Steinbruch wurde schon seit längerer Zeit stillgelegt. Durch die Mischanlage geht laut Pflanzenschutzamt keine Gefährdung für den Wald aus. Die Abgase der Ölfeuerung entstehen nur werktags und sind sicher geringer als die Abgase aus Hohe Tanne und dem Kurhaus. Die Firma zahlt 1963 allein 60.000 DM Gewerbesteuer und Pacht, die auch dazu benutzt werden, in Hohe Tanne die Straßen zu bauen!“

Im Jahre 1965 will Hanau einen „Nachbarschaftsvertrag“ mit Wachenbuchen abschließen, um den Betrieb im Steinbruch Wilhelmsbad zu beseitigen. Dieser ist jedoch der einzige Industriebetrieb in Wachenbuchen, seine Auflösung würde den Bankrott der Gemeinde mit sich bringen, denn von dort kommt die Hälfte des Gemeindesteueraufkommens. Die Gutachten betonen, daß von dem Betrieb keine Belästigungen ausgehen, die Firma werde auch die Auflagen des Gewerbeamtes erfüllen.

Die Wählergemeinschaft Hohe Tanne erstattet unter Leitung von Dr. Schwarz im Zusammenhang mit dem Abschluß des Pachtvertrags und einem Geländeverkauf an den Steinbruch Anzeige wegen Begünstigung im Amt. Aber die Gemeindevertretung stellt sich mit 11 : 2 Stimmen hinter den Gemeindevorstand.

Bürgermeister Hack verweist darauf, daß die Gemeinde 260 Hektar Wald für Erholungszwecke bereitstellt. Der Steinbruch habe Bestandsschutz und sei ein wichtiger Steuerzahler. Seltsam ist, daß drei Bewohner der Hohen Tanne geklagt haben, die selber Mitglied der Gemeindevertretung waren oder sind (sie klagen also sich selber an, zumindest Dr. Schwarz und Dr. Kliem wären also Mittäter). Das Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Begünstigung der Firma Steinbruch-Kaiser wird 1966 eingestellt. Im September wird der Steinbruch aus dem Landschaftsschutzgebiet herausgenommen und darf weiter genutzt werden.

Im Jahre 1964 wird das Gelände als Wohnplatz „Steinbruch“ mit sechs Einwohnern eingerichtet. Das Geschäftshaus (zweites Haus am Eingang links) wird 1950 umgebaut und 1970 mit einer Ölheizung versehen. Ein Sozialgebäude mit Waschräumen und Labor wird 1966 errichtet. Im Jahre 1967 stehen dann sieben Gebäude auf dem Gelände. Eine Bitumenmischanlage wird geplant. Eine Bürobaracke, eine Waage, eine Werkstatt und ein Lager werden gebaut. Es wird aber auch schon geklagt, daß im Steinbruch illegal Müll abgelagert wird. An der Nordseite in der Nähe der Straße wird 1970 noch ein Bürogebäude gebaut und 1974 eine Werkhalle. Damit ist allerdings der Höhepunkt der Entwicklung erreicht und die Firma nimmt wieder ab. Im Jahre 1993 endet die Geschichte der Firma.

 

Die Pläne. auf dem Gelände des einstigen Steinbruchs Kaiser zwischen der Hohen Tanne und dem Stadtteil Mittelbuchen ein Nobelviertel entstehen zu lassen, sind im Mai 2015 Vergangenheit. Längst hat sich die Natur das fünf Fußfallfelder große Gelände mit einem malerischen Teich inmitten von Wiesen- und Baumflächen seit der Stillegung des Basalt-Steinbruchs im Jahr 1994 zurückerobert. Daß es zwischenzeitlich als wilde Müllkippe genutzt wurde, hat die Stadt unterbunden. Es gab die Androhung einer Ersatzvornahme. Der Müll wurde beseitigt.

Was aber mit dem Gelände geschieht, steht in den Sternen. Es ist ein schönes großes Grundstück in bester Lage. Doch der Stadt sind die Hände gebunden, sie ist keine Eigentümerin. Auf dem Gelände stehen noch Wohnhäuser aus der Zeit, als der Steinbruch noch in Betrieb war. Außerdem gibt es dort ein stattliches ehemaliges Wohnhaus des Eigners aus dunklen Basaltsteinen, das unter Denkmalschutz gestellt wurde.

Erworben hatte die Fläche, die direkt an den Stadtteil Hohe Tanne angrenzt, vor Jahren ein Investor aus Frankfurt. Der hatte vorgehabt, unter der Überschrift „Wohnen im Landschaftspark“ schmucke Nobelvillen mit großen Gärten anzulegen. Auch eine Gastronomie und ein Hotel waren angedacht gewesen. Ein Hanauer Architekturbüro hatte Pläne für das Vorhaben entwickelt, auf deren Grundlage vor sechs Jahren vom Magistrat eine Vorlage auf den Weg gebracht wurde.

Im Juni 2009 faßte die Stadtverordnetenversammlung dann einen Aufstellungsbeschluß für den vorhabenbezogenen Bebauungsplan. Danach wurde der Plan der Öffentlichkeit vorgestellt. Die danach nötigen weiteren Untersuchungen, unter anderem im Hinblick auf Naturschutz und Wasserrecht, lebte der Vorhabenträger dann allerdings nicht mehr vor. Als nachteilig für einen Projektentwickler erweisen sich die Altlasten aus der Zeit der Nutzung als Steinbruch. Die Kosten für die Sanierung wären nicht unerheblich.

Die Pläne mit dem Frankfurter Investor zerschlugen sich offenbar schon vor geraumer Zeit. Das Areal soll zur Zwangsversteigerung stehen.

Mit dem Investor von damals wird das Vorhaben nicht weitergeführt. Man wartet ab, ob es einen Nachfolger gibt.

 

Basaltsteinbruch

Seit der Stilllegung des Basaltsteinbruchs im Jahr 1994 in Wilhelmsbad gegenüber dem Gelände des 1. Hanauer Tennis- und Hockey-Clubs hat es schon einige Ideen gegeben, was auf dem 26.000 Quadratmeter großen Gelände entstehen könnte. Nun bietet die Restrukturierung und Vermögensverwaltung GmbH mit Sitz in Kleinostheim das Gelände zum Kauf an.

Das Areal gehört zur Insolvenzmasse eines Frankfurter Investors, der vor Jahren geplant hatte, rund um den inzwischen entstandenen Weiher Luxusvillen zu bauen und zu vermarkten. Zuvor war schon ein Hotel- und Appartementhaus im Gespräch gewesen, das auch als Ausbildungsbetrieb für schwer vermittelbare Menschen dienen sollte. Selbst der Vorschlag, dort einen Bootsverleih anzusiedeln, war schon kolportiert worden.

„Wir als Insolvenzverwalter haben die Aufgabe, im Sinne der Gläubiger alles zu Geld zu machen, was Käufer findet. Deshalb bieten wir das gesamte Areal zum Preis von mindestens 2,5 Millionen Euro an“, berichtete R&V-Geschäftsführer Tobias Müller-Reichmann auf Anfrage. „Wir hatten schon einige Interessenten und sind eigentlich guter Hoffnung, das Gelände noch in diesem Jahr verkaufen zu können“, fügte der Insolvenzverwalter hinzu. Müller-Reichmann weist aber darauf hin, dass zwar ein noch gültiger Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan vorliege, das Areal aber von einem Interessenten auf eigenes Risiko erworben werden müsse. „Es gab keine Gespräche mit der Stadt, keine Zusicherungen, es existiert dort kein Baurecht. Ein Käufer muss selbst aktiv werden und das Risiko eingehen, dass letztlich dort nicht gebaüt werden darf“, stellte der Geschäftsführer klar. Zudem sollten Interessenten den Kauf zu 100 Prozent mit Eigenmitteln finanzieren können.

Seit der Stilllegung des Steinbruchs hat sich die Natur das Gelände Stück für Stück zurückgeholt. Das ehemalige Wohnhaus des Eigentümers, das unter Denkmalschutz steht, verfällt zusehends. Ein zweites Gebäude, das einmal Büros und Wohnungen beherbergte, wurde immer wieder von Unbekannten aufgesucht, die dort campierten und viel Unrat, Schmutz und Schäden hinterließen. Im Grunde stehen nur noch die Wände des Gebäudes. Auch illegale Müllablagerungen hat es auf dem Areal bereits gegeben (Hanauer Wochenpost, 2017)..

 

 

Bismarckturm:

Der Turm wird 1903/04 zu Ehren des Feldmarschalls und Reichskanzlers Bismarck errichtet. Entstanden ist der Bismarckturm aus dem Geist nationaler Begeisterung Ende des 19. Jahrhunderts ‑ eine Folge der Einigung des deutschen Reiches durch Otto von Bismarck. In dieser Stimmung schrieb die studentische Jugend 1899 einen Wettbewerb zum Bau von Türmen zu Ehren Bismarcks aus, der ein Jahr zuvor gestorben war. Sieger war der junge Dresdner Architekt Wilhelm Heinrich Kreis, der damals noch nicht einmal sein Diplom in der Tasche hatte. Nach seinem Entwurf wurden in Deutschland mehr als 50 Bismarcktürme gebaut, darunter auch der in Wilhelmsbad. Insgesamt entstanden in jener Zeit sogar an die 400 Türme zu Ehren des ehemaligen Reichskanzlers. Davon haben 175 die Kriege und die politischen Veränderungen der vergangenen hundert Jahren überdauert, darunter auch der Turm in Wilhelmsbad.

Otto Eduard Leopold Fürst von Bismarck hatte energisch die Einigung des Deutschen Reiches betrieben, die schließlich 1871 erreicht wurde. Mit seinem Tod 1898 verfiel die nationalgesinnte deutsche Studentenschaft in ihrem Personenkult um den „Eisernen Kanzler” in die Forderung, „Feuersäulen” im ganzen Reich samt der deutschen Kolonien aufzustellen. Schon ob des grob bearbeiteten Materials wirkt der Bau martialisch. Er ist ein Gleichnis für einen starken Nationalgedanken mit Bollwerksymbolik und (aus heutiger Sicht) für einen von absoluten Machtwillen getrieben Politiker. Zwar sorgte Bismarck für eine fortschrittliche Sozialgesetzgebung, die sei aber nur darauf ausgerichtet gewesen, der Sozialdemokratie die Arbeiter abspenstig zu machen, erklären Historiker.

Im allgemeinen Bismarck‑Fieber wollte auch die Stadt Hanau nicht fehlen. Die Hanauer Bürger spendeten kräftig und man entschied sich für den Entwurf des Dresdner Architekten Wilhelm Heinrich Kreis, der das Modell „Götterdämmerung“ kreiert hatte. Aus nahegelegenen Steinbrüchen karrte man Basaltsteine an, die zu dem wuchtigen Bauwerk aufgeschichtet wurden. Einfach, prunklos und massiv ‑ so die Formensprache der Zeit. Ein ganzes Jahr verstrich, bis der Turm stand. Er soll Stadt und Stifter 24.000 Mark gekostet haben. Die Gemeinde Wachenbuchen gibt dafür ein Stück Wald ab und stellt auch Material aus dem Steinbruch für den Ausbau der Straße.

Am 3. September 1905 war der große Tag. Ganz Hanau war auf den Beinen. In Kutschen fuhren die Stadtväter sowie die Abordnungen der Vereine nach Wilhelmsbad, während die Bevölkerung die Eisenbahn vom Westbahnhof aus benutzte oder sich Ehrenformationen anschloß, die in ihren Paradeuniformen in Richtung Kurhaus marschierten. Schulklassen zogen singend durch die Straßen, mit von der Partie auch die Vertreter der Kriegervereine, geht aus Zeitungsberichten hervor.

Feierlich zogen die Honoratioren, Bürger und Schüler an der Kurpromenade vorbei zu dem 18 Meter hohen Turm, der wenig später feierlich enthüllt wurde. Auf dem Dach des Turms steht eine riesige Schale von gut zwei Metern Durchmesser. Die Idee war es, über das ganze deutsche Reich Feuerfanale zu verbreiten.

Als endlich der Reichsadler mit dem Namen des ersten deutschen Kanzlers zu sehen war, loderte oben auf der Kuppel die Flamme aus der Feuerschale. Wie oft es auf dem Bismarckturm tatsächlich gebrannt hat, ist nicht überliefert. Belegt ist, daß zur Eröffnung am 3. September 1905 die Flammen loderten. Vor allem an Otto von Bismarcks Geburtstag am 1. April und an dessen Todestag wurde das Feuer in den Folgejahren entzündet. Feuer brannte aber auch am Tag der Reichseinheit (18. Januar 1871) oder bei Sonnenwendfeiern.

In ihrem Inneren gibt sich die Wilhelmsbader Bismarcksäule, die übrigens nie als Aussichtsturm gebaut wurde, ziemlich unpathetisch. Der Aufbau bildet einen riesigen

Hohlraum, an dessen Innenwänden sich eine sehr schmale Stahltreppe nach oben windet, heute noch original erhalten. Der Bau ist auch sonst augenscheinlich nicht marode.

Während des Zweiten Weltkriegs diente das Bauwerk in Wilhelmsbad wegen seiner massiven Mauern aus Basaltsteinen als Sicherheitslager. Hier wurden zeitweise Bücher der Stadtbibliothek vor einem Bomberangriff in Sicherheit gebracht.

In den 50er Jahren brannte es noch einmal auf dem Turm, als Hanauer Bürger dort Reifen verbrannten zum Protest gegen das Vorhaben der Stadt, den Turm abzureißen, weil er mitten in der Straße steht. Das Interesse der Bürger an der Säule nahm in der Nachkriegszeit zunächst immer mehr ab. Das hat sich erst in den vergangenen Jahren geändert, als Mitarbeiter der Stadtverwaltung den Zugang beim „Tag des offenen Denkmals“ öffneten.

Die Stadt Hanau, in deren Besitz der markante Turm seit vielen Jahren ist, hat nur geringen Pflegeaufwand mit dem Bauwerk. Es sind allerdings weniger bauliche Mängel oder Reparaturen, die auf ihr Konto gehen, sondern in erster Linie gärtnerische Tätigkeiten. Denn immer wieder sprießen aus der Plattform die unterschiedlichsten Birken und andere Pflanzen. Diese Form der Dachbegrünung kann aber irgendwann durch eindringende Nässe ins Auge gehen, weshalb die Anfluggehölze regelmäßig entfernt werden, wie es im städtischen Bauverwaltungsamt heißt.

 

 

Waldportal

Der Bund der Steuerzahler hat am 27.09.2007 die Verschwendung öffentlicher Gelder durch Fehlplanungen und sinnlose Projekte angeprangert. Unter den in Berlin vorgestellten Beispielen sind auch acht aus Hessen, wie der hessische Landesverband in Wiesbaden mitteilte. Kritik gibt es auch an einem Bauwerk in Hanau-Wilhelmsbad. Es soll einen Beitrag zur regionalen Identität stiften. Gemeint ist das Hanauer „Waldportal”. Es ist Bestandteil einer Regionalparkroute, mit dem der Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main die reizvollsten Prunkte der Region verbinden will und bindet Hanau an die Route „Hohe Straße” an. Aber einen wirklichen Sinn kann man dem Bauwerk nicht abgewinnen, kritisiert der Bund der Steuerzahler.

So handele es sich bei dem „Entree” nur um zwei Mauerstückchen aus gelbem Sandstein vor einem Waldweg. Der Steuerzahlerbund schreibt auf seiner Homepage: „Die offizielle Begründung für dieses Bauwerk hilft auch nicht viel weiter: Die Mauer nehme ein wichtiges Stilelement einer Straße auf, auf der ebenfalls solche Mäuerchen zu finden sind. Und da die alte Wegeverbindung auch Polen tangierte, habe man das Material für die gelben Sandsteinmäuerchen aus einem Ort in Polen besorgt, der ebenfalls an dieser Straße liegt.” Stolze 40.000 Euro hätten die Steuerzahler dafür aufwenden müssen, lautet die Kritik.

 

 

Eisenbahn

Die Errichtung der Bahnlinie vom Hanauer Bahnhof in Frankfurt (unweit des heutigen Ostbahnhofs) zum Hanauer Westbahnhof eröffnete dem Kurbad eine völlig neue Zukunft. Nachdem schon 1846 der Theaterpächter Briquiboul mit neuen französischen Stücken wieder ein größeres Publikum nach Wilhelmsbad in das Comoedienhaus locken konnte, brachte die Bahnlinie einen wahren Publikums-Sturm auf die alte Kuranlage.

Errichtet wurde die Bahnstrecke in den Jahren 1847/48 von einer privaten Aktiengesellschaft mit kurfürstlichem Privileg. Anderthalb Millionen Gulden kostete die Strecke nebst sämtlichen Baulichkeiten. Investoren waren neben dem Hanauer Handels- und Gewerbeverein auch die Bankhäuser Brüder Bethmann und Du Fay aus Frankfurt.

Empfangsstation für das anreisende Publikum war der Bahnhof Wilhelmsbad, jenes architektonische Kleinod, das nach umfangreicher Restaurierung als „Fürstenbahnhof“ wiedererstanden ist. Sein Erbauer ist der kurfürstliche Hofbaurat Eugen Julius Ruhl (1796 bis 1871), der als Generaldirektor der kurhessischen Eisenbahnen in Kurfürst Friedrich Wilhelm einen dem modernen Verkehrsmittel Eisenbahn äußerst aufgeschlossenen Landesherrn fand. Ruhl plante den Bahnhof nicht allein für seinen späteren Zweck. Er sollte ein repräsentatives Empfangsgebäude für den Kurfürsten sein und ist somit eine Besonderheit unter den historischen Bahnhöfen jener Zeit in Hessen.

Zentraler Raum ist das Fürstenzimmer in der Mitte des Gebäudes mit direktem Zugang zum Bahnsteig. So konnte der Fürst vom Zug direkt in den Empfangsraum gelangen. Die Wartesäle der billigeren Klassen waren links und rechts in eingeschossigen Anbauten untergebracht. Der Bahnhof war also zuallererst dem fürstlichen Repräsentationsbedürfnis verpflichtet. Dafür spricht auch die äußerst massive und nicht gerade billige Bauweise in Spessartsandstein. Auch die äußere Gestaltung mit den gekrönten Kaminen unterstreicht den repräsentativen Charakter. Das Gebäude mit seinem zweigeschossigen Mittelbau und seinen eingeschossigen Seitenflügeln erinnert durchaus an die Architektur eines Schlosses.

 

Am 10. September 1848, einem Sonntag, dampfte der erste Zug von Frankfurt nach Hanau. Ganze 37 Minuten brauchte der Zug bei seiner Jungfernfahrt für die 16,6 Kilometer lange Strecke. Zuvor hatten schon Probefahrten stattgefunden, zu denen man allerlei Prominenz eingeladen hatte, so die Hanauer Stadtverordneten und die Mitglieder der Frankfurter Nationalversammlung. Zweiundzwanzig Wagen zog die Lokomotive.

Die Eröffnung war eine Sensation. „Nur unter Drängen und Stoßen“, schrieben die Gazetten, war die Kasse in dem repräsentativen Empfangsgebäude erreichbar. Auch in Frankfurt waren die Fahrkarten hart umkämpft und am Hanauer Bahnhof in Frankfurt herrschte „ein ungeheures Gedränge“. Der Hanauer Chronist Ziegler berichtet von „äußerst ausgelassener Stimmung“, welche das Unternehmen begleitete.

Das moderne Verkehrsmittel Eisenbahn verhalf dem Kurbad zu einer Renaissance von ungeahnten Ausmaßen. Für die feine Frankfurter Gesellschaft gehörte es alsbald zum „guten Ton“, sonntags mit der Bahn nach Wilhelmsbad zu fahren, um dort zu flanieren. „Auch der Kurfürst ließ es sich nicht nehmen, zeitweilig in Wilhelmsbad Logis zu nehmen und die bürgerliche Gesellschaft durch seine Anwesenheit zu adeln.“

 

In einer zeitgenössischen Schilderung heißt es: Am Sonntag, dem 10. September 1848, morgens 5 ½ Uhr, begannen die regelmäßigen Fahrten auf der Frankfurt-Hanauer Eisenbahn nach dem bekanntgemachten Tarif. Um ½ 8 Uhr fuhr der neu gebaute Eisenbahn-Omnibus, in welcher die Fremden nach und von der Eisenbahn befördert, durch die Straßen, und lockte durch sein schellenartiges Geläute viele Neugierige herbei. Durch die Eisenbahn hat diese Woche die Politik sogar weichen müssen, ein solches Interesse hat man für diese in Hanau. Nachmittags, 2 Uhr, war ein ungeheurer Zudrang zu der Abfahrt nach Wilhelmsbad - derselbe ist aber unbeschreiblich, wie er nachmittags, 4 Uhr an der Kasse war. Es war ein ungeheures Drängen, und nur durch dieses konnte man zu derselben gelangen. 24 Wagen waren nicht hinreichend, alle Platz finden zu lassen. Vielen wurden das Geld wieder zurückgegeben und auf den nächsten Zug vertröstet.

Auf der Eisenbahn sollen heute auf ihrer ganzen Strecke 15.000 Personen befördert worden sein, welche eine Einnahme von 15.000 Gulden erzielt hat. Abends 3 Uhr kam der letzte Zug hier an. Es haben viele Extrazüge stattgefunden. Es fuhren 3 Locomotiven, „Frankfurt“, „Hanau“ und „Main“.

 

Aber die Bahn fuhr auch in andere Gegenden. See und Alpen rückten näher. Das elegante Publikum traf sich fortan in mondänen Kurorten, die früher fast unerreichbar gewesen waren. Nun dauerte die Reise dorthin nur noch Stunden, vielleicht einen Tag oder zwei Tage. Wilhelmsbad wurde mehr und mehr Naherholungsort und Ausflugsziel.

Über die direkte Schienenverbindung waren die Frankfurter übrigens nicht immer glücklich. Im Jahr 1848 sollen sie die Gleise verbogen haben, damit die revolutionären Hanauer nicht zum Aufstand in die Main-Metropole fahren konnten.

Mit dem Anschluß Hessens an Preußen nach dem Deutschen Krieg von 1866 war es zu Ende mit der fürstlichen Pracht in Wilhelmsbad. Freilich erfreute sich das Kurbad auch weiterhin regen Zuspruchs des Publikums aus Hanau und Frankfurt. Doch der Glanz des Hofes fiel nun nicht mehr auf die Kuranlage. Dahin war die Pracht. So blieb auch dem kurfürstlichen Bahnhof allein seine Funktion als Bahnstation an der zunehmend befahrenen und nunmehr zweispurig ausgebauten Strecke Hanau-Frankfurt.

 

Die äußere und innere Pracht wich ganz allmählich den technischen Erfordernissen des Bahnbetriebs. Stellwerk, Kartenausgabe, Büros und Lagerräume, im ersten Stock eine Wohnung, dies war die Nutzung bis in die frühen achtziger Jahre unseres Jahrhunderts. Dann machte der technische Fortschritt auch diesen Bahnhof durch Fahrkartenautomaten und automatische Stellwerke überflüssig. Zunehmend nagte aber auch der Zahn der Zeit an dem Gebäude. Der Putz bröckelte, Gebäudeteile verfielen, und die einstige Pracht war nur noch zu ahnen, wenn der Baukörper an sich auch in noch so miserablem Zustand imposant von den gestalterischen Fähigkeiten seines Erbauers kündete.

Die Deutsche Bahn als Eigentümer hatte weder ein Interesse noch Mittel, das Bauwerk, eines der letzten technischen Denkmale aus der Frühzeit der Eisenbahn in Hessen, zu erhalten. Wacher Bürgersinn und das Engagement des Hanauer Geschichtsvereins indes verhalfen dem Anfang der achtziger Jahre vom Abriß bedrohten Baudenkmal zum Eintrag in die Denkmalliste des Landes Hessen. Die Stadt Hanau schließlich erwarb auf Initiative des Stadtbaurates Professor Anderle das Gebäude und das umgebende Gelände im Jahre 1989 nicht zuletzt mit dem Ziel, das Denkmal zu nutzen und damit den Erhalt zu sichern.

Erworben hat den Bahnhof drei Jahre später der Kesselstädter Malermeister Hanspeter Geibel. Als engagiertem Hanauer Bürger war ihm am Erhalt des seine Umgebung prägenden Baudenkmals gelegen. Als in Restaurierungsangelegenheiten erfahrenem Handwerksmeister war das Unternehmen Bahnhof Wilhelmsbad für ihn eine Herausforderung. So gelang denn in vorbildlicher Weise die Restaurierung des Wilhelmsbader Bahnhofes. Die Erfahrung und das Können der Handwerker im Zusammenspiel mit dem Blick für das Machbare hatte zu einer idealen Lösung geführt: Als Baudenkmal erhalten und als „Fürstenbahnhof“ gastronomisch genutzt, hat das historische Bahnhofsgebäude von Wilhelmsbad exemplarischen Charakter im Umgang mit Zeugnissen der Geschichte.

Mitte Juli (1997?) öffnet der „Fürstenbahnhof“ im denkmalgeschützten Bahnhof Wilhelmsbad seine Pforten. Das fast 150 Jahre alte Gebäude ist einer - wenn nicht der - markanteste historische Bahnhof in Hessen und wurde mit größter handwerklicher Sorgfalt und unter Erhaltung des Stils und der Atmosphäre des Bauwerkes in den letzten beiden Jahren für die gastronomische Nutzung umgebaut.

Die Einrichtung des „Fürstenbahnhofs“ wurde ganz auf die historische Bausubstanz abgestimmt, Raumschmuck und Ausstattung nehmen Bezug auf die einstige Nutzung des Bauwerks. Der Gast erfährt die Atmosphäre eines historischen Gebäudes ohne Ersatzstücke und historisierendem Schnickschnack und braucht dennoch nicht auf die Annehmlichkeiten eines modernen Gaststättenbetriebes zu verzichten.

Innen besticht der Fürstenbahnhof durch sein geschmackvolles Interieur und seine Architektur. Denn durch die hohen Decken wirkt der Raum luftig und läßt nicht das Gefühl von Enge aufkommen, trotz der 100 Sitzplätze. Der Chef vom Service Reinhardt Alexander heißt den Gast herzlich willkommen. Mit seiner langjährigen Erfahrung organisiert er Familienfeste wie Hochzeiten, Geburtstage etc. Die eleganten Räumlichkeiten werden entsprechend dekoriert und sind für feierliche Anlässe geradezu prädestiniert.

Modernste Haustechnik in der Küche und an der Theke wurden installiert, Schallschutzfenster lassen vergessen, daß in unmittelbarer Nähe des „Fürstenbahnhofs“ die Bahnlinie Hanau-Frankfurt vorbeifährt. Im Ausschank findet der Gast Henninger und Patrizier Biere, für die Küche wurde der Meisterkoch Franz Josef Osterloh verpflichtet. Die Küche orientiert sich an der Jahreszeit und stellt frische Produkte in den Vordergrund. Regionale Spezialitäten, gehobene Kochkunst, aber auch deftiges für den großen und kleinen Hunger stehen auf der Speisekarte.

Im idyllischen Biergarten des Fürstenbahnhofs in Wilhelmsbad sitzen die Gäste unter hellen Sonnenschirmen, genießen südländisches Ambiente und lassen es sich gutgehen. Mit 350 Sitzplätzen ist es einer der wirklich großen Biergärten unserer Region. Ob Handkäs’ mit Musik oder gekochte Eier mit Grüner Soße, dazu einen Schoppen oder ein Bier, Ausflügler finden hier neben raffinierten Menüs auch leichte Kost.

 

Villa Döring (an der Ecke Burgallee und Hochstädter Landstraße)             

Die im Jahr 1900 erbaute Unternehmervilla war einst Wohnsitz von Anton Carl Maria Emil Döring, der die Kolonialwarenhandlung und Kaffeerösterei Döring zu einem florierenden Unternehmen ausbaute. Die Döring-Villa ist hessisches Kulturdenkmal. Jahrelang stand das Haus jedoch leer und verfiel. Morbide, fast verwunschen wirkte das Anwesen, das die Unternehmerfamilie Döring vor über 100 Jahren bauen ließ: Bäume, Sträucher und wilde Blumen haben sich das Gelände zurückerobert. Der dreistöckige Prachtbau am Wilhelmsbader Bahnhof verschwindet mehr und mehr im dichten Grün, ebenso wie die zauberhafte Burg im Kleinstformat.

Hinter der Rundbogentür am Eingang tun sich imposante Räume auf, einst herrschaftlich, heute verfallen: Stuckschnörkel in fast vier Meter Höhe, dunkle Kassettenholzdecken, gigantische Flügeltüren, abnutzte Parkettböden und verfallene Sandsteinbalkone, die man der Statik wegen vorsichtshalber nicht betreten sollte

Beim Rundgang trifft man aber auch auf unzählige „Stilsünden“: Zugemörtelte Türen, die Zargen mit Holzlatten zum Regal umgezimmert; schrill gekachelte Bäder; PVC-Bodenbelag in Holzoptik. Auch die alte Burg, in der sich eine schmale Wendeltreppe über drei Wohnetagen windet, erinnert im Inneren eher an einen Bau aus den Achtzigern als an ein historisches Gemach.

Die Erbengemeinschaft mit etwa acht Beteiligten ist über ganz Europa verstreut. Und der Denkmalschutz schob so mancher Investitionsidee einen Riegel vor. Er schränkt ein, wieviel Fläche versiegelt werden darf, welche Bäume überhaupt gefällt werden dürfen oder wie zusätzliche Bauten aussehen könnten.

Im Jahre 2014 jedoch hat ein Investor aus Dreieich das Gebäudeensemble auf dem 7.000 Quadratmeter großen Parkgrundstück erworben. Er plant, das Anwesen aufwendig und fachgerecht zu sanieren. Dazu gehört auch ein burgartiges Nebengebäude, das sich stilistisch an der künstlichen Burgruine im Staatspark Wilhelmsbad orientiert.

Die Stadt hat es dem Investor nicht leicht gemacht, da hier besondere Rücksicht auf die Belange des Denkmalschutzes genommen werden mußte. Doch man hat sich auf ein Instandsetzungskonzept einigen können, welches die denkmalfachgerechte Restaurierung der Villa sichert und sowohl mit der Unteren Denkmalschutzbehörde sowie dem Landesamt für Denkmalpflege abgestimmt ist.

 

In der historischen Villa Döring entstehen insgesamt drei jeweils zwischen 142 und 166 Quadratmetern große Wohneinheiten. Das Erdgeschoß, das einst repräsentative Funktion hatte, ist mit viel Schnörkel ausgestattet, nach oben hin werden die Räume schlichter Die großzügige Aufteilung der Zimmer bleibt weitestgehend erhalten. Nur Bäder und Küchen werden mitunter vergrößert. Zu jeder Wohnung gehört neben dem gewöhnlichen Abstellraum ein Weinkeller. Auch ein stimmungsvolles Gewölbe, der „Schankraum“, kann von einer der Wohnparteien übernommen werden.

In Dörings Burg entsteht eine einzelne Wohnung für Liebhaber, die sich mit mehr als 100 Quadratmetern über die drei Stockwerke des Gebäudes erstreckt. Neben den beiden historischen Gebäuden setzten die beiden Neubauten Villa Anton und Villa Carl einen optischen Kontrast. In jeder Villa sind jeweils sechs Wohneinheiten vorgesehen, die in ihrer Größe zwischen 80 und 166 Quadratmetern variieren. Alle Wohnungen werden modern und hochwertig ausgestattet und verfügen über direkten Zugang zu Balkon, Terrasse oder dem privaten Garten. Natürlich sind die Villen barrierefrei und mit Aufzug konzipiert, der bis hinunter in das Kellergeschoß mit Tiefgarage reiche, die die Häuser miteinander verbinde.

 

Die Bestandsgebäude bekommen zwei moderne Nachbarbauten. Die Zwillingshäuser „Villa Anton“ und „Villa Carl“ sollen je sechs luxuriöse und barrierefreie Wohnungen beherbergen, außerdem eine Tiefgarage für die Anwohner. „Wir bebauen nur etwa zehn Prozent der Grundstücksfläche neu“, erläutert Grunwald, „das ist das Maximum, das uns der Denkmalschutz erlaubt.“ Die modernen Bauten werden niedriger als die alte Villa sein und bekommen Flachdächer. So bleibt die Hierarchie von Denkmal und Neubau gewahrt.

Insgesamt 16 Wohnungen entstehen bis zum Sommer 2016. Zusätzlich zum Kaufpreis investiere der Unternehmer rund 5,5 Millionen Euro in das Wohnprojekt „Villen am Kurpark“.

Auch die beiden Neubauten auf dem Areal sollen sich harmonisch ins Bild einfügen und eine optische Bereicherung für den Stadtteil bilden.

Mit einem ganz offensichtlichen Manko - der Wilhelmsbader Bahnhof und eine belebte Schienenstrecke grenzen unmittelbar an das Grundstück - müßten die neuen Bewohner allerdings leben. Natürlich bekämen die Gebäude den größtmöglichen Schallschutz, erklärt der Immobilienentwickler Aber bei offenem Fenster und im Freien seien die Bahngeräusche einfach präsent.

Die insgesamt 16 Einheiten, alle mit privatem Garten innerhalb einer großen gemeinsamen Grünanlage, sollen als Eigentumswohnungen verkauft werden. Alle besitzen Wintergärten, Dachterrassen oder große Balkone.

 

 

 

Fasanerie:

In der Nähe Wilhelmsbads liegt die Fasanerie. Mit dem Bau der Fasanerie begann Johann Reinhard III., Bruder und Nachfolger des Philippsruhe-Erbauers Philipp Reinhard. Im Jahre 1713 legte er im Flurstück „Klause“ ein Jagdrevier an. Ein Jahr später ließ er das Jagd- und Lustschloß bauen. Am Eingang zum Golfplatz kann man einen Blick auf die Gesamtanlage werfen. An der Stelle des Restaurants stand früher das Jagdschloß.

Im Jahre 1722 wurde mit der Kastanienallee der Blickkontakt zum Schloß geschaffen. Ursprünglich gab es elf Alleen, die vom Mittelpunkt der Fasanerie ausgingen. Jede Allee war mit einer anderen Baumart bepflanzt (Kastanien, Eschen, Linden, Eichen, Hainbuchen). Teilweise wurden sie nach außerhalb der Fasanerie fortgesetzt.

Erbprinz Wilhelm ließ 1768 das Fasanenhaus bauen („das Palais derer von Goldfasan“) und legte die Baumschule neu an. Die Fasanerie diente der Aufzucht der Fasanen. Man unterschied wilde Fasanen, bei denen die Henne die Eier selbst ausbrütet, und zahme Fasanen, bei denen Haushühner das Brüten übernehmen. In der Fasanerie wurde nicht nur gejagt, sie war auch ein wichtiger Posten auf der herrschaftlichen Speisekarte.

Außer Fasanen wurden Hirsche, Rehe und Mufflons gejagt. Deshalb mußte die Fasanerie auch eingehegt werden. Die Mauern verhinderten ein Eindringen von Wilddieben und Wölfen und begrenzt die Flurschäden. Für die Kurgäste in Wilhelmsbad war die Fasanerie als Ausflugsziel geöffnet. Außerdem gab es landwirtschaftliche Flächen, die an Bauern verpachtet waren.

Jagdgebiet blieb die Fasanerie bis in die jüngste Zeit. Der Dunlop-Direktor Bailey wohnte im ehemaligen Jagdschloß. Später wurde der Fachwerkbau abgerissen und ein Neubau diente als Altersheim. Prinz Wolfgang von Hessen (1896 bis 1989) gründete 1959 die Golfanlage. Das Altersheim wurde 1961 zurückgekauft und daraus das Golf-Restaurant errichtet. Im Jahre 1986 wurde das alte Fasanenhaus abgerissen.

Die Gärtnerhäuser sind die einzig erhaltenen historischen Bauten in der Fasanerie. Den typischen Hanauer Stil - Bruchstein und Sandsteinverbindungen - findet man auch in der Mauer wieder. Der Basalt stammt aus den Wilhelmsbader Steinbrüchen, die Eckverbindungen sind aus Main-Sandstein. Die Mauer ist etwa zwei Meter hoch und 3,3 Kilometer lang. Ursprünglich war sie nicht verputzt. Alle Torpfosten waren früher mit einer Kugel geschmückt. So wie heute noch die Wilhelmsbader Allee war früher der gesamte Weg um die Mauer mit Bäumen bepflanzt.

 

Wenn man die Fasanerie weiter umrundet kommt man zur Ochsenwiese; durch die der von Bruchköbel kommende Krebsbach fließt. Er teilt sich am gegenüberliegenden Waldrand. Der östliche Arm heißt weiter Krebsbach und mündet beim Heinrich-Fischer-Bad in die Kinzig. Der andere Arm fließt als Salisbach auf die Fasanerie zu. Unter einer Erle entdeckt man ein Wehr, an dem die Braubach abgeleitet wird, die durch die Fasanerie und Wilhelmsbad fließt.

Die Mauer verläuft dann parallel zur Umgehungsstraße. Doch dies ist nicht der historische Verlauf. Die Mauer ging ursprünglich weiter in Richtung Stadt, wurde aber für den Bau der Umgehungsstraße abgebrochen und neben der Straße neu aufgebaut (Reste der alten Allee sind noch in der Nähe des Rollschuhplatzes zu erkennen).

 

 

Herbert-Dröse-Stadion

Zwar passen 16.000 Zuschauer in die größte Sportstätte der Stadt, aber der Lack ist ein bisschen ab. Dabei war die Arena lange Zeit Spielstätte des ältesten hessischen Fußballvereins und hat mit dem FC Hanau 93 in der Saison 1978/79 sogar ein Jahr lang Zweitligaspiele erlebt.

Aber der ganz große Ruhm der 93er liegt noch viel länger zurück: Ein Jahr nach Vereinsgründung befand der „Deutsche Fußball- und Cricket Bund“, dass Hanau und Viktoria 1889 Berlin die beste Fußballmannschaften Deutschlands seien und folglich das Finale um die Meisterschaft austragen sollten. Man lud Hanau zum Kampf in die Hauptstadt ein. Doch den Hessen fehlte Geld für eine Reise nach Berlin. Darum erging ei ne Einladung an Viktoria zum Kampf in die Grimmstadt - vergebens. So, ging die deutsche Fußballmeisterschaft 1894 kampflos an die Gegner aus Berlin

Aber 113 Jahre später sollte das Spiel nachgeholt werden. Der damalige HFC-Vorsitzende war auf die Geschichte gestoßen und schlug den Kollegen aus Berlin vor, das Match mit einem Jahrhundert Verspätung doch noch auszutragen. Mittlerweile war die Fahrt nach Berlin finanziell für die Hanauer offenbar zu stemmen. Viktoria willigte ein und gewann das Hinspiel vor heimischer Kulisse 3:0. Beim Rückspiel in Hanau kam der FC 93 zwar über ein 1:1 nicht hinaus, konnte aber 5.000 Zuschauer ins Dröse-Stadion locken und bekam überregionale Aufmerksamkeit. Auch wenn Meistertitel 1894 also in der Hauptstadt geblieben ist, hat die Aktion gezeigt, dass Fußball in Hanau viel mehr als nur Rudi Völler ist.

 

 

 

Mittelbuchen

 

Lage:

Mittelbuchen liegt 105‑110 Meter über N.N. Die Gemarkung umfaßt 946 Hektar (davon 225 Hektar Gemeindewald) und grenzt im Norden an Roßdorf, im Osten an Bruchköbel, im Süden an Ha­nau und im Westen an Wachenbuchen. Westlich von Mittel­buchen zieht sich die Hohe Straße (Schäferküppel), nach Nord­osten führend, hin.

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Siedlungen der bandkeramischen Kul­tur an der Straße nach Kilianstädten westlich und nordwest­lich des Ortes an der Stelle der ehemaligen Ziegelei und am „Wiesborn“, ein Kilometer nordwestlich des Ortes (Bild: Michelsberger Kultur Seite 46).

Ältere Eisenzeit: Hügelgräber im Tannenwald „Dreispitze“.

Römische Zeit: Gutshöfe unterhalb des Lützelberges; östlich des Ortes an der Straße nach Bruchköbel; 300 Meter nordwestlich vom Nordtore der alten Dorfbefestigung.

Fränkische Zeit: Reihengräberfeld zwischen dem Nordwestende des Dorfes und der „Kilianstädter Hohl“ (vgl. Festschrift bucha marca iubilans 1998, Seite 12-30).

 

 

Bandkeramische Siedlung:

In dem Mittelbuchener Boden finden sich Hinweise und Fundstücke aus zahlreichen Epochen der menschlichen Siedlungsge­schichte. Rund 86 000 Quadratmeter beträgt die Fläche, auf der im Laufe des Jahres 2006 überwiegend einzelnstehende Einfamilienhäuser entstehen werden. Die Kosten für die archäologische Untersu­chung - mit einem geschätzten Kostenvo­lumen von rund 50. 000 bis 100.000 Euro - werden auf die Grundstückspreise umge­legt.

Der Fundplatz im Bereich zwischen dem Simmichborn, der Kilian­städter Straße und der Planstraße bzw. dem Weg „Hinter dem Hain“ am nordwestlichen Rand des Ortskerns von Mittelbuchen wurde aufgrund von Oberflächenfunden entdeckt, weshalb die Arbeitsgemeinschaft Vor‑ und Frühgeschichte des Hanauer Ge­schichtsvereins eine kleine Testfläche öffnete. Als der gesamte an die Bebauung nach Westen anschließende Bereich als Baugelände ausgewiesen wurde, fand 1992 und 1993 mit Mitteln der Stadt Hanau, der Baugrundbesitzer und der Denk­malpflege eine Ausgra­bung des Seminars für Vor‑ und Frühgeschichte der Universität Frankfurt statt.

Die Bodenerhaltung auf dem Fundplatz ist sehr unterschiedlich. Im oberen Hangbereich befindet sich unter dem Pflughorizont ein 40‑50 Zentimeter mächtiges Kolluvium, unter dem sich ein bis zu 20 Zentimeter mächtiger Rest des B‑Horizonts erhalten hat. An der Hangschulter fehlen das Kolluvium und der B‑Horizont, so daß unter dem Pflughorizont unmittelbar der C‑ Horizont ansteht. Im unteren Hangbereich, wo heute das Gefälle bereits wesentlich abnimmt, ist wieder ein B‑Horizont mit zunehmend kolluvialer Überdeckung ausgeprägt.

Die ältesten menschlichen Hinterlassenschaften liegen aus der Zeit der ältesten Bandkeramik vor. Damals, um etwa 5500 vCh, begann man hierzulande mit Ackerbau und Viehzucht. Aus dieser Zeit stammen in Mittelbuchen drei Häuser, die somit zu den älte­sten in unserem Raum gehören. Sie werden durch die Funde aus zugehörigen Längsgruben und anderen Befunden genauer zu datie­ren sein. Zwei von diesen Häusern konnten in ihrer Gesamtausdeh­nung vollständig erfaßt werden. Sie sind mit den Bauten von Friedberg‑Bruchenbrücken und Frankfurt‑Niedereschbach zu ver­gleichen.

Eine deutlich größere Anzahl von Befunden stammt aus der späte­ren Bandkeramik etwa der Phasen IV‑V nach Meler‑Arendt. Ein frag1icher Hausgrundriß ist wegen einer Überschneidung sicher nicht mit einer Grabenanlage gleichzeitig. Dieser Spitzgraben wur­de in der Grabung auf einer Strecke von etwa 40 Meter erfaßt und ist mit drei Meter Tiefe bei vier Meter Breite gut erhalten. Durch zusätzliche Magnetometermessungen ist sein Verlauf heute auf 160 Meter Länge bis zur Kilianstädter Straße bekannt. Außer einem Durchlaß zeigte sich, daß er aufgrund seiner geringen Krümmung zu den ganz großen Anlagen von sicher über 200 Meter Durchmesser gehört.

Meh­rere vermutlich gleichzeitige Gruben enthielten große Mengen Rotlehm. Bei einer von ihnen handelt es sich am wahrscheinlich­sten um den geringfügig umgelagerten verziegelten oberen Teil einer zylinderförmigen Grube. Vielleicht gelingt es, mit Hilfe der gleichzeitigen, gut erhaltenen Befunde mit zahlreichen Fundstüc­ken die Funktion dieser immer noch rätselhaften Grabenanlagen, die zu den großen Gemeinschaftsarbeiten der Jungsteinzeit gehö­ren, besser zu verstehen. Gleichzeitige Häuser fehlen jedenfalls in der bisher ausgegrabenen Fläche von über 5000 Quadratmeter.

Zu den Funden gehören sehr gut erhaltene, verkohlte Pflanzenre­ste, wie einige bereits geschlämmte Proben zeigen. A. Kreuz von der Kommission für archäologische Landesforschung Hessen (KAL) bestimmte Em­mer, Einkorn, Gerste und Erbsen. Von besonderer Bedeutung könnten Funde von Dinkel in einer der Gruben der späteren Band­keramik sein. Möglicherweise gehören sie zu den ältesten Belegen dieser Kulturpflanze in unserem Raum.

Zwei größere Befunde sind in die Latènezeit zu datieren. Einer von ihnen ist wohl als Grubenhaus zu deuten, weil er einen rechteckigen Grundriß, einen flachen Boden und einen Pfosten an einer Schmal­seite besitzt. Ihre Zeitstellung ist durch vier Fibeln vom Spätlatène­-Schema, darunter eine Nauheimer Fibel, sowie einen blau‑gelben Glasarmring gut zu bestimmen. Große Befunde und besonders die mit viel Rotlehm oder Metallfunden zeichnen sich trotz der mächti­gen kolluvialen Überlagerung gut in den Magnetometermessun­gen ab, die von der KAL vor der Ausgrabung in einem südlichen Teil der später aufgedeckten Fläche durchgeführt wurden.

Pingsdorfer Keramik oder Nachahmungen stammen aus einer Rei­he von hellgrau verfüllten zylinderförmigen Gruben aus der dem Ort nächstgelegenen Grabungsfläche und können vorläufig grob in den Zeitraum zwischen der Mitte des 9. und das frühe 13. Jahrhun­dert eingeordnet werden.

 

Eisenzeitliche Siedlung:

Bei der gleichen Grabung stieß man auch auf Funde aus der Eisenzeit des sechs­ten und siebten Jahrhunderts vor Christus. Diese waren aus wissen­schaftlicher Sicht eine kleine Sensation. . Hier kann end­lich gezeigt werden, wie die normalen Menschen dieser Zeit gelebt haben. Denn bislang sind aus dieser Zeit hauptsächlich Gräber entdeckt worden, darunter prachtvolle Herr­schergräber, beispielsweise die Ruhestätte des Kelten­fürsten vom Glauberg. Aber das waren meist Protzobjek­te, die nichts mit den norma­len Lebensverhältnissen der Menschen zu tun hatten. Entdeckt haben die Archäologen im künfti­gen Neubaugebiet Pfostenstellungen und Vorratsgruben, die den Experten Einbli­cke in die früheren Lebensgewohnheiten der Eisenzeit-Menschen geben können. Derartige Siedlungsstellen liefern eine Fülle von Informationen über den einsti­gen Alltag.

Erstaunt waren die Ausgräber über die üppigen Dimensionen der Vor­ratsgruben, die die einst hier lebenden Menschen anlegten. Bis zu zwei Meter tief mit einer 2,40 Meter messenden Aushöhlung betrugen diese ersten „Vorratskeller“ der Menschheitsgeschichte. Experimentalarchäologen haben sogar herausgefunden, daß sich diese Vorratsgruben auch für Lagerung von Getreide eigneten. Dabei wurden die Gruben bis zum Rand mit Getreide gefüllt. Die äußeren Schichten reagierten mit der Feuchtigkeit und keimten auf. Dabei verbrauchten sie Sauerstoff. Daher wurde ein Teil des eingelagerten und konservierten. Getreides vor schädlichen Umwelteinflüssen geschützt, da dieses Getreide gewissermaßen über ein natürlichen Schutzschild in Form von Keimen verfügten.

Die Ausgräber fanden auch Spindeln zur Herstellung von Garnfäden aus grauer Vorzeit, einen Wetzsteine sowie eine Vielzahl von Gefäßscherben.

Im ausgegrabenen Bereich kamen zwei Wasserleitungen zutage. Eine verlief etwa Nordost‑ Südwest ungefähr in der Richtung des größten Gefälles. Sie bestand wohl aus Holzrohren, die in regelmä­ßigen Abständen von Eisenklammern zusammengehalten wurden. Die andere Wasserleitung aus hellgrauen Keramikrohren verläuft etwa Nordwest‑Südost und somit parallel zum Hang. Sie wird auch beschrieben als bestehend aus ineinander gesteckten Tonröhren, die in regelmäßigen Abständen in aus Sandstein gehauenen Sinkkästen münden.

 

Diese Leitung war den Altertumsforschern schon bekannt (ebenso die Leitung von Wachenbuchen bis nach Hanau). Sie ist im Zeitraum von 1540 bis 1570 entstanden, vielleicht im Zusammenhang mit der Gründung der Neustadt Hanau im Jahr 1597 (bzw. von da an wurde sie besonders gebraucht). Bewunderung ernteten die frühen Bauingenieure für die perfekte Verlegung der Leitung und die paßgenaue Verarbeitung der in ineinander gesteckten Tonröhren.

Zwei parallel laufende Gräben werden bei der Belagerung Hanaus 1635‑1636 im Dreißigjährigen Krieg angelegt worden sein, da aus einem der Gräben eine Münze mit dem Prägedatum von 1633 stammt.

 

Römerzeit: Älterer Limes

Es ist eine späte Genugtuung für den Hanauer Historiker Georg Wolff: Funde von Resten von drei Römerkastellen im Mittelbuchener Neubaugebiet Hambur­ger Allee beweisen zweifelsfrei, daß der Experte vor 120 Jahren mit seiner Theorie Recht hatte. Es hatte zu Zeiten der Kaiser Domitian und Vespasian ei­ne weiter westlich liegende Verteidi­gungslinie gegeben und die Römer hat­ten erst später nach einem Kriegszug gegen die Chatten den Limes auf die Li­nie Großkrotzenburg‑ Rückingen‑Mar­köbel verschoben. Die Funde in Hanau‑Kesselstadt auf dem Salisberg (Badehaus) und im Helden­berger Neubaugebiet Allee Mitte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre (Kas­telldorf) waren weitere Grundlagen für die­se These. Diese römischen Militäranlagen liegen nämlich exakt 5,5 Kilometer in nörd­licher und südlicher Richtung von den nun entdeckten Lagern in Mittelbuchen ent­fernt. Sollte diese ältere Grenzlinie zwischen Main und Wetterau (Oberflorstadt), die wohl um 110 nCh aufgegeben wurde, bereits einen durchgängigen Wall und Graben besessen haben?

Als im Juli 2001 Versorgungsleitungen im Mittelbuche­ner Neubaugebiet „Östlich der Ham­bur­ger Allee“ verlegt werden sollten, waren auch Archäologen dabei. Eigentlich war man nicht davon ausgegan­gen, auf römische Spuren zu stoßen, son­dern hatte mit Funden aus der Jungstein­zeit gerechnet. Allerdings war bekannt, daß die Römer auch in Mittelbuchen an­sässig waren. In der Ebene jenseits der Straße nach Bruch­köbel hatte eben jener Georg Wolff vor 120 Jahren eine Ausgrabung organisiert und erfolgreich durchgeführt, war aber davon ausgegangen, Reste eines römischen Guts­hofs entdeckt zu haben. Jetzt ist sicher, daß es sich bei den Fun­den um Reste des Lagerdorfs gehandelt ha­ben muß.

Die Ausgräber fanden zunächst die Umfriedungsreste und Gräben von drei römischen Kleinkastel­len, die jeweils mit einem doppelten Spitzgraben umwehrt waren. Dem ältesten und mit einer Grundfläche von 40 auf 40 Meter kleinsten Fort für 80 Mann Be­satzung konnte eine Entstehungszeit zwi­schen 80 bis 90 nCh zugeordnet werden. Vielleicht kann auch noch geklärt werden, welche Funktion das dritte Römerkastell (ein kleiner Teil eines Grabens und das Tor konnten lokalisiert werden) hatte und wel­che Dimensionen das älteste der drei Lager aufwies. Auch das zweite Kastell war etwa 40 Meter x 40 Meter groß. Durch Erosionsschäden waren nur die Standspuren der hölzernen Torpfosten, eine Latrine sowie die Lagergräben erhalten.

Die darin gefundenen Objekte umfassen verschiedene Militaria (Pilum- und Speerspitze), zwei Bronzeglocken, einen beinernen Spielwürfel, eine Münze des Vespasian (74 nCh) sowie zahlreiche Keramik und Knochen. Bei den ebenfalls entdeckten Terra Sigillata-Fragmenten handelt es sich durchweg um späte Produkte aus den südgallischen Töpfereien, was eine Datierung der beiden kleinen Militäranlagen ins späte erste oder frühe zweite Jahrhundert nCh nahe legt.

Ein Modell des Römerkastells haben acht Ruhestands‑Handwerker der Senioren-­Werkstatt Bruchköbel in mona­telanger Kleinarbeit für den Mittelbücher Heimat‑ und Ge­schichtsverein gebaut. Die Senioren haben 600 Arbeitsstunden in die mühsame Arbeit ge­steckt. Das Modell wurde mit dem da­maligen Grabungsleiter abgestimmt. Da selbst im Ausland keine maßstabsgetreu­en Figuren aufzutreiben waren, schnitzte einer der Senioren solche aus Lindenholz. Die Dächer der Kastellbauten sind abzu­nehmen, um auf diese Weise auch das In­nenleben nachvollziehen zu können. Das Modell soll künftig in dem Raum des Mittelbucher Heimatmuseums zu be­trachten sein, in dem die römische Zeit ab­gehandelt wird.

Man entdeckte zwei umgebende Spitzgräben (1,50 und 1,90 Meter tief). Einer läuft schnur­gerade in Nord-Süd-Richtung durch das Ge­biet und konnte auf einer Länge von über 210 Metern nachgewiesen werden ‑ ohne daß sein Ende erreicht wäre. Das Fundmaterial aus der Verfüllung (u.a. ein Ziegelstempel der 22. Legion) datiert seine Aufgabe frühestens an den Beginn des 2. Jahrhunderts nach Christus. Allerdings konnten an dem noch über zwei Meter tiefen Graben, der zusätzlich mit einer Graßsodenmauer versehen war, keine Tore, Türme oder Lagerecken festgestellt werden.

In den Gräben fanden die Archäolo­gen neben bisher rund 3.000 Scherben von Gebrauchsgefäßen (zum Beispiel aus Spa­nien und Süd­frankreich) unter anderem ei­ne 74 nach Christus geprägte Bronzemünze (ein As), einen beinernen Spielwürfel, Schuhnägel der genagelten Militärsanda­len sowie eine eiserne Ge­schoßspitze ei­nes Pfeilgeschützes. Dieser letzte Fund läßt den Schluß zu, daß die Besatzung aus Legionären aus Mainz und nicht aus Hilfstruppen bestanden haben muß.

Um so reichhaltiger sind die Funde in den Gräben. Beim Verlassen des Lagers warfen die Sol­daten ihre Abfälle ‑ das, was sie nicht brauchten ‑ einfach in die Gräben. Besonders vielfältig sind die Keramik­funde, die belegen, daß selbst ein so klei­ner und abseits vom Zentrum liegender Posten mit Importware aus entfernten Ge­bieten beliefert wurde: zum Beispiel mit dem edlen römischen Tafelgeschirr „Terra sigillata“, das in Südfrankreich hergestellt wurde. Jedes Stück wurde signiert, und so ist anhand einer Scherbe zu erfahren, daß Mittelbuchen Ware aus der Fertigung eines gewissen „Jucundus“ bezog. Ent­deckt wurden auch etliche Amphoren, in denen aus Spanien stammendes Olivenöl transportiert wurde. Oder eine antike Rei­be zum Zerkleinern von Käse oder Gewür­zen.

Wertvolle, weil seltene Funde sind Teile von Glasgefäßen, in denen Parfüm aufbe­wahrt wurde. Eine Kostbarkeit ist zudem der beinerne Spielwürfel, mit dem sich die Soldaten die Zeit vertrieben haben. Auch lose Tierknochen haben die Archäologen gefunden; sie belegen

das große Geschick der römischen Metzger ‑ im Gegensatz zu dem der Germanen.

Einen ungewöhnlichen Fund stellen zu­dem zwei Nägel dar ‑ denn die Römer pflegten alles Metallische wieder zu verwerten. Sie zogen jeden Nagel raus. Irgend jemand hat da wohl schlampig gearbeitet. In Eile oder mit seinen Gedanken woan­ders war vielleicht auch jener Soldat, der eine Bronzemünze verloren hat. Das Fundstück wurde 74 nach Christus geprägt und trägt das Bild von Titus, der zu diesem Zeit­punkt allerdings noch gar nicht Kaiser war: Sein Vater Vespasian, der damals auf dem römischen Thron saß, wollte damit be­reits Propaganda für seinen Sohn machen.

 

Etwa um 100 nCh wurde das Römer­kastell aufgegeben und die Gräben zuge­schüttet, denn von die­sem Zeitpunkt an läßt sich die Existenz des weiter östlichen gelegenen Limes auf der Linie Großkrotzenburg ‑ Rückingen ‑ Marköbel nachweisen. Zu diesem Zeitpunkt wurde ein erheblich größeres Lager erstellt, von dem die Aus­gräber bis­lang einen 210 Meter langen Gra­ben mit einer Mindesttiefe von 1,80 Meter entdeckt haben. Der Grabungsleiter geht davon aus, daß im Zuge der Feldzüge von Kaiser Domitian gegen die Chatten eine grundlegende Umstrukturierung der mili­tärischen Präsenz stattfand, denn das spä­tere Lager faßte mindestens 2.000 Mann Besatzung und besaß eine Badeanstalt, wie ein geprägter Ziegel verriet. Der gab auch preis, wer dort stationiert war: Die XXII. Legion, die 97 nCh vom Niederrhein nach Mainz verlegt worden war.

Mindestens vier verschiedene Truppen­lager hat es auf dem Gelände nach aktuel­lem Stand zwischen 80 und 100 nach Christus gegeben. Bei den Ausgrabungen stießen Archäologen dann auf ein weite­res römisches Weinkastell. Es ist das nun­mehr vierte in dem fast 2000 Jahre alten Militär­lager, das Ende Juni überraschend entdeckt wurde. Zwischen 80 und 100 nCh war die An­lage Außenposten des Im­periums ‑ damit wurde die Theorie einer äl­teren, hinteren Limes­linie Gewißheit.

Mittelbuchen war 30 Jahre lang Grenze eines Reiches, das von Syrien und dem südlichen Spanien bis nach Britannien reichte. Die Römer legten ihre Kastelle nicht planlos an, sondern errichteten ein „wohl­durchdachtes, linear organisiertes Siche­rungssystem, das für einige Jahrzehnte ei­nen Grenzabschnitt des Imperium Roman­um sicherte“. Und bei dieser Grenzsiche­rung spielten die Kastelle in Mittelbuchen mit Sicherheit bis 110 vor Christus eine wichtige Rolle. Nach der Auswertung durch den Hanau­er Geschichtsverein sollen die Funde im Heimatmuseum Mittelbuchen zu sehen sein.

 

Römischer Brunnen:

Jenseits der nörd­lichen Gemarkungsgrenze auf Kilianstädter Gebiet liegt eine natürliche Quelle mit einem aus Basaltsteinen übermauertem Kellergewölbe. Aus ihr scheint eine der bei Mittelbuchen gefundenen Wasserleitungen gespeist worden zu sein.

Die Mittelbücher Bezeichnung ist „Alter Keller“ oder „Römerbrunnen“ oder „Heideborn“. Möglich ist, aber auch nicht bewiesen, daß mit Heiden vielleicht die Römer gemeint waren.

Der Name kann aber von ganz woanders her kommen: Der Begriff „Heide“ bezeichnet ein unbebautes, unfruchtbares Land, landwirtschaftlich nicht genutzte, mit Heidekraut und Buschwerk bewachsene Flächen. Ein Hinweis hierauf liefert die Flur „An der Sandkaute“.

In Kilianstädten heißt er der „Borntaler Keller“. So genannt nach dem Tal, welches sich von dort bis nach Mittelbuchen zieht. Im Volksmund nannten die Mittelbücher dieses Tal „Die sieben Gründe“, nach der entsprechenden Zahl der wohl dort ehemals vorhandenen Börnchen, welche im Laufe der Zeit versiegt sind oder überpflügt wurden.

Die Kilianstädter Geschichtsschreibung geht davon aus, daß dies schon in der Römerzeit geschehen sein kann. Wenn von diesem Brunnen eine Wasserleitung ins Tal ging, dann hätte sie der Versorgung des Kastells in Mittelbuchen gedient. Die Bezeichnung „Römerbrunnen“ könnte diese Quelle aber auch dadurch erhalten haben, weil sich in der Nähe eine „villa rustica“, also ein römischer Bauernhof, befunden hat, welcher wohl durch Wasserleitungen mit Quellwasser versorgt wurde.

In der Flur „Steinritsche“ (der Name ist heute nicht mehr gebräuchlich und nur noch bei den Alten in der Mundart bekannt) in der Feldlage „Die Hölle“ wurden bei im Jahr 1901 vorgenommenen Grabungen die Grundmauern einer römischen „villa rustica“ ausgegraben. Auch fand man einen zwei Meter breiten Pfad aus Basaltsteinen, die mit Mörtel verbunden waren und auf römischen Ursprung hinwiesen. Ebenso wurden gefunden zwei Abfallgruben mit Ziegel-, Glas- und Tonscherben, wohl aus der Mitte des zweiten christlichen Jahrhunderts

(nach Gimplinger: Mittelalterliche Flurnamen).

Man findet den Brunnen, wenn man knapp unterhalb der Höhe auf der Straße von Mittelbuchen nach Kilianstädten nach rechts abbiegt zu dem etwas verdeckt liegenden Reiterhof. Man geht rechts herum auf das Tor zu, dann dort links auf dem Weg weiter und nach der Pferdeweide rechts ab. Am Ende dieser Weide stehen rechts drei Ebereschen, dort befindet sich das Gewölbe.

Wann die Quelle mit dem Kellergewölbe überbaut wurde, ist nicht bekannt. Der Brunnen ist etwa zwei Meter lang und ziemlich ein­getieft und nach der Talseite zu mit einem gemauerten Bogen abgeschlossen.

 

 

Geschichtliches:

Im Jahr 798 ist in einer Schenkungsurkun­de „bucha marca” aufgeführt. Um 850 erscheint Buochon. Im Jahre 1239 wird der Name Mittelbuchen erstmals genannt. Mittelbuchen 1344, Mittilnbuychin 1360. Oberbuchen, wüst, bei Mit­telbuchen angeführt 1544. Sonst Lützelbuchen (im 15. Jahrhundert wüst).

Im Krieg der Städte gegen den Adel (1386-1389), in dem Hanau und Frankfurt miteinander Krieg führten, wird aus Mittelbuchen Schaden gemeldet. Die Besitzungen des Ritters Eberhard von Span wurden niedergebrannt. Um sich zu schützen, gab es für die Bauern, wie in anderen Orten der Wetterau auch, nur die Möglichkeit ihre Dörfer zu befestigen. Dieses durften sie aber nicht ohne Genehmigung der Obrigkeit tun.

Hanau war Mainzer Pfandschaft und stand unter der Vormundschaft von Erzbischof Johann von Nassau, als am 8. Mai 1419 der Befehl des erzbischöflich-mainzischen Kellners zu Hanau ergangen ist, daß der Ort Mittelbuchen von den Ortsbewohnern, den „Landsiedeln“ – (im Land ansässige Pächter oder Zinsbauern) zu befestigen, zu „umbgraben“ sei. Dabei wurde die Hofreite des Frankfurter Bürgers Henne von Spire verbaut und unbenutzbar.

Eine Brandschatzung der Ortschaft ist für 1392 notiert. Die vorbeiführende Hohe Straße wurde nicht nur von Händlern genutzt, sie war auch ein schneller Weg für Kriegsknech­te. So haben die Mittelbucher eine Mauer um das Dorf gezogen und einen Turm errich­tet: das 1535 erstmals erwähnte Obertor.

Mittelbuchen war ein Dorf des ha­nauischen Amtes Bücher­tal (das nach den Buchen­orten genannt ist); gehörte wohl zum Stammbesitz der Herren von Hanau (vorher Herren von Buchen). Die Vogtei war 1370 Lehen von denen von Brauneck.

Während des 30-jährigen Krieges strapazier­ten Söldnerheere die Gemeindekasse. Ein Hauptmann und seine Begleiter erhielten für Löhnung, Kost, Wein und Bier nicht we­niger als 153 „Reichsdaler”. „100 Gulden von der Hanauer Präsenz verwandt, in höchsten Nöten gegen französische Brandschatzun­gen” wurden 1688 bezahlt. Im 16. und 17. Jahrhundert gab es meh­rere große Brände. Der Spanische Erbfolgekrieg brachte im Jahr 1706 österrei­chische Besatzung, gegen die sich die Bevöl­kerung zur Wehr setzte. Es hat es nicht viel gebracht, die Gemeinde mußte 1375 Gulden Kriegskosten aufbringen. Im Jahre 1745 sind österrei­chische Husaren und Dragoner Gäste des Dorfes. Der Viehbestand von 123 Kühen und 187 Schweinen wird sicherlich darunter gelit­ten haben, zumal nachweislich Lieferungen nach Wachenbuchen, Hochstadt, Kilianstäd­ten, Bruchköbel, Roßdorf, Dörnigheim und Rumpenheim erfolgten.

Im Jahre 1757 erscheinen französischen Truppen, die sie erst nach sechs schweren Jahren wieder verlassen. Wie schwer dies auf Mittelbu­chen und dem Gemeindesäckel lastete, be­weist die Tatsache, daß die Einwohner schon 1757 ihr Zugvieh abschafften, „da es doch von den Franzosen geraubt wird”.

Die ersten französischen Truppen, es war die französische Artillerie mit 2 Offizieren, 100 Gemeine und deren Unteroffiziere, bezogen am 13. November 1806 ihr Quartier in Mittelbuchen. Diese Truppen waren aber nicht ständig in Mittelbuchen, sie waren auf dem Durchmarsch. Ist morgens eine Truppe abgezogen, freuten sich die Bewohner die Last los zu sein, waren aber am Abend wieder sehr bestürzt, als neue Truppen ankamen. Und so ging es die nächsten 8 Jahre weiter. Meistens blieben die einzelnen Truppenteile nur einen Tag, blieben aber auch bis zu 63 Tage in Mittelbuchen. Aus einer Aufstellung ist ersichtlich, wieviel Soldaten die einzelnen Truppenteile insgesamt hatten. Es waren insgesamt 9 Stabsoffiziere und 142 Offiziere, sowie 14.078 Unteroffiziere und Gemeine Soldaten.

Und so brauchten nur die Tage der Einquartierungen mit der Summe der Soldaten multipliziert werden, um eine unglaubliche Summe der Einquartierungen zu ermitteln. In einer Aufstellung vom 2. März 1821 durch den Schultheiß Ruppel, wird die Anzahl von Einquartierungen in Mittelbuchen für die Jahre 1806 bis 1814 mit fremden Truppen für diese acht Jahre mit insgesamt 1.470 Offizieren und 61.435 Unteroffiziere und Gemeine angegeben. Sicherlich haben die Offiziere die Häuser der Bauern in Beschlag genommen und als ihre Unterkunft bezogen, während die Soldaten im Biwak rund um Mittelbuchen lebten. Auch wird die Zahl der Pferde genannt, mit denen die französischen Truppen unterwegs waren.

Die Soldaten kamen und gingen, und so mußten durch das damalige Kriegsrecht, Menschen und Pferde durch die Mittelbücher mit Nahrung versorgt werden. Und nicht immer wurde bezahlt, auch über diese Beträge gibt es Aufzeichnungen. In der Napoleonischen Besatzungszeit hatte Mittelbuchen etwas mehr als 300 Einwohner.

Nach der Schlacht bei Hanau am 30. und 31. Oktober 1813 bezogen in Mittelbuchen Österreichische, Russische, Kosakische, Ungarische sowie Preußische und Sächsische Truppen ihr Quartier. Es waren 227 Offiziere und 10.631 Soldaten. Dazu waren noch französische Truppen ohne Waffen vorhanden und seit dem 13. Oktober 1813 ca. 600 blessierte französische Truppen.

Der Erste Weltkrieg kostete 44 Soldaten aus Mittelbuchen das Leben, 90 fielen im Zweiten Weltkrieg. Am 6. Januar 1945 beim ersten Großangriff auf Hanau wurden auch in Mittelbuchen die Kirche und zahlreiche Gebäude durch Brandbomben zerstört. Bei Bombenabwürfen auf Mittelbuchen wurden zirka 80 Häuser und Scheunen vernichtet, weitere elf Men­schen fanden den Tod. Als die Amerikaner aus Richtung Wachenbuchen einrückten, vermuteten sie offenbar im Kirchturm eine Geschützstellung. Vorsichtshalber wurde der Turm beschossen, der Beschuß brach ein großes Teil aus der Mauer.

 

Älteste Karte von Mittelbuchen (in: Sauer: Büchertalgeschichten, Seite 133):

Die alte Karte von 1762 wurde naturgetreu nachgezeichnet, ist aber nicht maßstabgetreu und auch nicht genordet: Norden ist auf der linken Seite. Das Vorbild der Karte ist älter, denn die Kirche ist noch in den Grundris­sen der alten Kirche dargestellt. Obertor und Untertor, Ortsmauer mit Umgang und Plan und das Schießhaus vor dem Untertor sind im Bild. Rechts unten an der heutigen Kreuzung sind noch die Kutschergärten der alten Mittelbuchener Burg eingezeichnet. Weiter links am Kilianstädter Weg ist noch eine Ecke, die zur Burg gehören dürfte. Den Weg, der hier abgeht, gibt es heute nicht mehr. Auffällig ist, daß der Ort ringsherum mit Tannen und zuweilen auch Laubbäumen bestanden ist, damit nicht schon von weitem die Ortschaft als solche erkannt wird. Ursprünglich war der breite, planierte Streifen um die Mauer, der „Plan“, unbewachsen, damit Angreifer keine Deckungsmöglichkeit fanden. Von der Breite her gesehen scheint der Roßdorfer Weg der am meisten begangene gewesen zu sein, während der alte Kinzheimer Weg rechts oben nicht mehr gebraucht wird, denn der Kinzigheimer Hof ist bereits da, und die Ortschaft gibt es nicht mehr. Lützelbuchen gibt es auch nicht mehr, trotzdem ist der Weg wegen der Beziehungen zu Bruchköbel wichtig geworden

 

Mittelbuchen seit 1866:

Als das Dorf 1866 zu Preußen kam, nachdem es vorher zum Großherzogtum Frankfurt und dem Kurfürstentum Hessen gehörte, gab es keine kriegerischen Auseinandersetzungen. Im Jahre 1867 ist der neue Teil des Kirchhofs bereits schon wieder belegt. So eröffnet die Gemeinde außerhalb des Ortes hinter dem Obertor einen neuen Friedhof. Am Deutsch‑Franzö­sischen Krieg 1870/71 nahmen 24 Soldaten aus Mittelbuchen teil und kamen allesamt gesund wieder nach Hause.

Im Ersten Weltkrieg wurden 182 junge Mittelbucher eingezogen, 25 davon mußten bei Kampfhandlungen auf den Schlachtfeldern in Frankreich und Rußland ihr Leben hergeben.

Im Zweiten Weltkrieg bekam das Dorf die ganze Wucht dieses Grauens zu spüren. In einer ruhigen Umgebung gelegen, abseits von Hauptver­kehrsstraßen und Schienenwegen, war die Gemeinde Mittelbuchen am 4. Februar 1944 und am 6. Januar 1945 das Ziel schwerer Luftangriffe. Haben sich die Bomberpiloten geirrt und waren der Ansicht, daß sie sich über Hanau befinden? Jedenfalls haben sie am 4. Februar 1944 in der Gemarkung etwa 500 Sprengbomben abgeworfen. Noch heute werden Bomben gefunden, die damals nicht explodierten.

Innerhalb des Ortes wurden bei diesem Angriff 4 Häuser vollkommen zerstört und 10 Menschenleben wurden beklagt. Elf Monate später, in den ersten Januartagen 1945, suchte das Elend Mittelbuchen erneut heim. Der Am Dreikönigstag, dem 6. Januar 1945 wurden 80 Scheunen und 15 Wohnhäuser total zerstört, 16 Wohnhäuser wurden schwer und über 50 Häuser wurden leicht beschädigt. Menschenleben waren glücklicherweise nicht zu beklagen. Bereits zum Zeitpunkt der Währungsreform im Jahre 1949 zeugten nur noch wenige Trümmer von den vergangenen Ereignissen.

 

Das Kriegsende verschlug 200 Flüchtlinge aus Deutschlands Osten in das Dorf. Fleißige Leute, von denen etliche in Mittelbuchen ein neues Zuhause gefunden und unermüdlich am Wiederaufbau des Dorfes mitgeholfen haben.

 

In Gemeinschaftsarbeit wurde das 1. Hessische Dorfgemein­schaftshaus gebaut und konnte zum Zeichen der Weiterentwicklung im August 1953 den Bürgern übergeben werden. In die Grund­mauern sind die Worte „Einigkeit, Frieden und Wohlstand“ eingemauert. Mit einem drei Tage dauernden Fest wurde vom 15. bis 17. August 1953 die Einweihung gefeiert. Zum Bau dieses Hauses wurden durch Männer und Frauen annähernd 4.000 freiwillige Arbeitsstunden geleistet. Neben verschiedenen Sondereinsätzen sind durch die ortsansässigen Landwirte insgesamt 184 Fahrten mit Gespannfahrzeugen durchgeführt worden. Baumaterial wie Holz, Steine, Sand, Zement usw. mußte angefahren werden. Eine Wasserleitung gab es damals auch noch nicht. Also mußte zur Versorgung ein Brunnen gegraben werden.

Jeder Einwohner sollte einen freiwilligen Arbeitseinsatz bis zu 24 Stunden erbringen. 15 Einwohner leisteten zwischen 24 und 30 Stunden, 8 weitere mehr als 30 Stunden und August Wolf aus der Bruchköbeler Straße (heute Lützelbuchener Straße) erbrachte 70 Arbeitsstunden für die Allgemeinheit. Wohlgemerkt, diese Leistungen wurden zusätzlich zur täglichen Arbeit erbracht. Die Menschen der Nachkriegsjahre legten somit ein Zeugnis von echter Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit ab. Später erhielt das Haus nach seinem Förderer, dem Hessischen Staatsminister für Wirtschaft und früheren Hanauer Oberbürgermeister Heinrich Fischer, den Namen Heinrich‑Fischer‑Haus.

Mittelbuchen besitzt das erste Dorfgemeinschaftshaus, das mit Hilfe des „Hessischen Programms“‑ gebaut wurde. Es ist seit 1953 im Betrieb. Das Ausmaß des Hauses beträgt 19,00 x 11,25 m, das des dazugehörigen Kindergartens 14,00 x 7,00 m. Das „Hein­rich‑Fischer‑ Dorfgemeinschaftshaus“ 1953 in Mittelbuchen hat fol­gende Anlagen: 1 Gemeinschaftsraum, (Dorfbücherei, zwei Näh­maschinen, Zentralhöhensonne, Rundfunk und Fernsehempfang), 1 Gemeinschaftswaschanlage mit Mangel, 1 Gemeinde­bad (Wannen und Duschen), 1 Kochanrichte (Einbauküche), 1 Wohnung der Gemeindeschwester und Behandlungsraum, 1 Mosterei, 1 Heizung und Kohlenkeller, 1 Tiefgefrieranlage, 1 Jugendboden, 1 Wohnung des Hausmeisters.

Der Kindergarten enthält: 1 Tages­raum, 1 kleinen Ruheraum, 1 Kochanrichte, 1 Waschraum und Toilette, 1 Garde­robe, 1 Kinder­spielplatz mit Schaukel, Karus­sell, Wippen und Kletterturm so­wie Nebenräume und W. C. Das Dorfgemeinschaftshaus in Mittelbuchen ist im ersten Jahre seines Bestehens von Tausen­den von Menschen, auch von Ausländern besucht worden (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 236).

 

Unermüdlich wurde gearbeitet. In den Jahren 1958 ‑ 1959 wurde eine zentrale Wasserversorgungs‑Anlage geschaffen. Mittelbuchen bekam eine Wasserleitung. Eine Kanalisation mit der dazugehörenden Kläranlage wurde 1966 gebaut. Ende der 60er Jahre wurden alle Straßen, die durch die Bauarbeiten beschädigt wurden, mit einer Asphaltdecke versehen. Neue Häuser wuchsen aus dem Boden. Dabei wurde der dörfliche Charakter bewahrt, Hochhäuser findet man in Mittelbuchen nicht.

 

Aus dem Protokoll des Gemeinde‑Schulvorstandes vom 28. März 1961 ist zu entnehmen, daß in Mittelbuchen eine neue dorfeigene Schule gebaut werden sollte. Das geplante Vorhaben wurde von der Landesregierung abgelehnt und dafür der Bau einer Mittelpunktschule zusammen mit der Gemeinde Wachenbuchen empfohlen.

Die archaischen Strukturen der Dorfschulen waren nicht mehr aktuell und mußten geändert werden. Das neue Zauberwort hieß Mittelpunktschule. Eine erste gemeinsame Aussprache mit Vertretern aus Wachenbuchen fand im Februar statt. Viele weitere Gespräche folgten. Der Kosten­voranschlag wurde den Gemeinden von der Regierung zugestellt, die die Kosten für den Schulneubau auf 1, 6 Millionen Mark veranschlagt hatte. Es wurden dann aber doch 2,6 Millionen Mark. Wenn man zu dieser Summe nochmals die Reparatur‑. Erhaltungs‑ und Sanierungskosten mit einbezieht, ebenso wie die Personal‑ und Sachkosten, die Ausstattung der Schule mit Lehr‑ und Lernmitteln, so wurde bis zum 25jäh­rigen Bestehen der Schule im Jahre 1994 der Betrag von 30 Millionen DM ausgegeben.

Am 13. Januar 1969 war es endlich soweit. 317 Schülerinnen und Schüler nahmen ihre neue Mittelpunktschule in Besitz. Rektor wurde Walter Buckard, der die Schule bis zu seiner Pensionierung fast 25 Jahre zum Wohle der Schüler und im Interesse der Eltern geführt hat. Bei der Namensgebung waren sich die Bürger von Wachenbuchen und Mittelbuchen schnell einig: „Büchertalschule“ soll die neue Schule heißen. Hatte sich doch in ihren Köpfen die Hoffnung gehegt, beide Gemeinden werden sich zu einer Doppelgemeinde zusammenschließen. Doch noch im gleichen Jahr erklärte der damalige Landrat Martin Woythal, das bis dato favorisierte Konzept der Mittelpunktschule sei überholt. Die Zukunft gehöre der Gesamtschule. So war das also mit der Bildungsreform, der sich unmittelbar auch die Gebiets‑ und Verwaltungsreform anschloß.

 

Ein junges Menschenkind stand in Mittelbuchen im Rampenlicht. Gabi Heilmann aus der Guldenstraße 11, wurde am 25. April 1963 als 100.000ster Bürger des damals noch bestehenden Landkreises Hanau geboren. Aus den Händen von Landrat Voller erhielt ihre Mutter die Ehrenurkunde überreicht.

 

Im Umland wuchs „auf der grünen Wiese“ das Angebot der Geschäfte und Märkte. Das hat die ortsansässigen Handwerker und Geschäftsleute mehr und mehr getroffen. Ein Betrieb nach dem anderen wurde geschlossen. Die Menschen arbeiteten nicht mehr auf dem Land, sondern in den Fabriken in der Stadt. Man ging nicht mehr zu Fuß. und man fuhr auch nicht mehr mit dem Rad. Der Mensch motorisierte sich. Mit dem Auto. immer schöner und größer wurden diese, wurden die Entfernungen schneller. In unmittelbarer Nähe führt heute eine Autobahn mit direktem Anschluß in die weite Welt.

 

Anfang der siebziger Jahre kam die Zeit der Gebietsreform auch nach Mittelbuchen. Wohin sollte man sich wenden? Sollte man sich anschließen an Bruchköbel? Oder ge­meinsam mit Wachen­buchen einen Ort gründen mit dem Namen Büchertal? Oder wie schon früher, ganz einfach Buchen? Mit einer Stimme Mehrheit wurde entschieden, daß sich Mittel­buchen an Hanau anschließt. Am 3. November 1971 wurde im Rathaus in Mittelbuchen der Auseinandersetzungsvertrag für die Eingliederung von Mittelbuchen in die Stadt Hanau unter­zeichnet. Dieser be­deutende Akt wurde besiegelt auf Hanauer Seite durch Oberbürgermeister Dröse, Bürgermeister Martin und auf Mittelbucher Seite waren es Bürgermeister Fehlinger und der Erste Beigeordnete Philipp Puth. Am 1. Januar 1972 fand mit dem Austausch der alten Ortschilder die Eingemeindung in die Stadt Hanau seinen Vollzug. Viele Hände wurden unter den alten und neuen Schildern von wichtigen Leuten geschüttelt. Mittelbuchen war nun „Stadt“ und die Bürger konnten davon profitieren. Straßen wurden erneuert. Bäume gepflanzt und Blumenkübel aufgestellt. Die alten Fachwerkhäuser wurden restauriert und Mittelbuchen nahm in den folgenden Jahren erfolgreich teil am Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“.

 

Schon bald nachdem Mittelbuchen Stadtteil von Hanau war, wurde der „Schwaberg“ erschlossen. Aus der Hand von Oberbürgermeister Martin erhielten die Eheleute Huth, Am Schwaberg 41, ihre Baugenehmigung mit der Nr.1/72 vom 21. Januar 1972, überreicht. Es folgte der „Kirchberg“ und in jüngster Zeit Richtung Norden das Baugebiet „Am Simmichborn“. Der liebenswerte Charakter von Mittelbuchen hat den Ort zu einem bevorzugten Wohngebiet gemacht. Die Menschen sind freundlich, aufgeschlossen und hilfsbereit.

 

In den 70er Jahren hat der Bauwahn dann teilweise seinen Höhepunkt erreicht. Alles mußte neu sein, Altes und Historisches zählte nicht mehr. Das alte Rathaus wurde 1973 abgerissen. Zum Leidwesen der Bürgerschaft fiel auch das historische „Gasthaus zur Krone“ der Abrißbirne zum Opfer. Vorausgegangen war allerdings, daß die letzte Besitzerin, die im Alter von 90 Jahren verstarb, das Erbe nicht geregelt hatte. Behördliche Auflagen erforderten Millionen, um das Gebäude zu retten. Dieses Geld hatte keiner. Und in der Erbteilung wurde das Anwesen zum Abbruch verkauft. Am 27. März 1980 rückten die Bagger an, um ihr Werk zu vollbringen. Vorher mußte „Die Krone“ jedoch erst durch die Polizei von sogenannten alternativen Besetzern“ geräumt werden, die in den alten Mauern ein „Kulturzentrum“ einrichten wollten.

 

In festlichem Rahmen wurde am Abend des 16. Januar 1987 die neue Mehrzweckhalle ihrer Bestimmung übergeben. „Für Mittelbuchen ist uns nichts zu teuer“, sagte der damalige Oberbürgermeister Hans Martin im Zusammenhang der entstandenen Mehrkosten. In seiner Rede bezeichnete er den insgesamt 5,2 Millionen DM teueren Bau als „einen Gewinn für Mittelbuchen“. Für die Vereine sprach der Vorsitzende des TV Mittelbuchen, Karl Stroh, der betonte, „daß Mittelbuchens Bürger auf ihre neue Halle stolz sein können.“ Die Mehrzweckhalle ist heute Bürgertreff und Mittelpunkt des „sportlichen und kulturellen Lebens“.

 

Die Tankstelle schloß zum Jahresende 1997. Der Lebensmittelmarkt wurde zunächst einmal geschlossen. Im Jahr 1998 wurde damit begonnen, eine Erdgasleitung zu verlegen um die Häuser in Zukunft umweltfreundlich mit Energie zu versorgen.

 

 

Rundgang durch Mittelbuchen

Den Rundgang beginnt man am besten am ehemaligen Untertor, wo die „Alte Rathausstraße“ in den Ort hinein abbiegt. Im Jahr 1535 ist das Untertor schon als Tatsache erwähnt.

Vor dem Untertor in Mittelbuchen stand ein Schießhaus, das ursprünglich dafür gedacht war, das Tor gegen Feinde zu schützen, die es mit einem Rammbock aufstoßen wollten. Aber scheinbar hatte sich das nicht be­währt, und das Schießhaus wurde zum Armenhaus umfunktioniert. Auch das war nur eine Zwischenlösung. Es wurde an einen Privatmann ver­kauft. Dieser eröffnete darin vermutlich eine Bäckerei. Später kam eine Wirtschaft hinzu, die sich draußen vor dem Tor freilich als Fuhrmanns­kneipe rentabel machte. Das Schießhaus war aber viel zu klein für die großen Anforderungen, die an es gestellt wurden. Der Besitzer stellte deshalb noch ein Haus dazu, ebenfalls draußen vor dem Tor. Als in der Franzosenzeit alle Häuser numeriert werden mußten, erhielt diese Wirt­schaft die Nr. 1, das Schießhaus die Nr. 2, und erst dann wurden die Häuser des Dorfes von Nr. 3 bis 99 durchnumeriert. Von daher wissen wir, daß „Die Krone“ ‑ so sollte das Anwesen künftig heißen ‑ schon im 18. Jahrhundert erbaut worden ist.

 

Die Gastwirtschaft „Zur Krone“ entwickelte sich in den nächsten 200 Jahren zu einer der bekanntesten und beliebtesten Wirtschaften in weitem Umkreis. Sonntags machte man dort von Hanau oder gar von Frankfurt aus seinen Spazier­gang nach Mittelbuchen, um nach langer Wanderung die trockene Kehle mit hausgemachtem Apfelwein, der weithin berühmt war, zu löschen und den hungrigen Magen aus der rustikalen Küche wieder aufzufüllen. Die Krone wurde zur „Goldgrube“ und wurde im Laufe der Zeit immer weiter vergrößert. Im Jahre 1846 wurde eine Kegelbahn eingerichtet, etwas fast einmaliges. Im Jahre 1904 kam ein Saal hinzu (der 1928 abgerissen und durch einen großen Saal ersetzt wurde). Im Jahre 1921 heiratete Katharina Schmidt als „Bäcker‑Dina“ den Besitzer, und mit ihr begann nun eigentlich erst die große Zeit der Krone, denn sie wußte, daß nicht das schnelle Geld den Erfolg bringt, sondern eine reelle und gute Bedienung des Kunden. Sie machte aber einen großen Fehler: Sie regelte das Erbe nicht. Als sie 1978 im Alter von 90 Jahren starb, gab es letztlich zwischen behördlichen Auflagen und Erbteilung nur noch den Verkauf auf Abbruch.

So etwas konnte kein Stammgast akzeptieren. Auch für die Denkmalsschützer und die Ortshistoriker war es unannehmbar. Es wären aber Millionen nötig gewesen, um das Anwesen zu retten. Die hatte niemand. Die Konzession lief am 31.1.1980 aus. Am 4. Februar kam eine Gruppe finsterer Leute und besetzte die Krone. Sie wollten ein „Kulturzentrum“ daraus machen und Musikkapellen und Kabaretts auftreten lassen. Statt dessen wurde aber Rauschgift konsumiert, und die Bevölkerung fühlte sich von den Besetzern stark belästigt. Nach siebenwöchiger Besetzung kam die Polizei, räumte „Die Krone“, und die Bagger standen schon da, um sogleich mit der Arbeit zu beginnen.

Die „Krone“ in Mittelbuchen war wegen ihres naturreinen, hervorragenden Apfelweins im ganzen Kreis berühmt und ein Ausflugsort für Hanauer und Frankfurter. In den 1960er Jahren war „Fritz“ der wegen seiner Späße allseits beliebte Wirt. Auch sich selbst und sogar sein Geschäft bezog er mit in seine Späße ein. Als Gäste ihm im Frühjahr 1965 vorwarfen, er habe seinen Apfelwein mit Wasser „getauft“, antwortete er schelmisch: Ihr hättet Weihnachten zu mir kommen müssen, da gab es bei mir den besten Apfel­wein. Jeder wußte, daß Weihnachten (1964) im ganzen Dorf die Wasserlei­tung ausgefallen war.

 

Man geht ein Stück in das Dorf hinein, dann nach rechts in die Obertorstraße. Das Haus Obertorstraße 9 dürfte das älteste in Mittelbuchen sein. Die „alte Schule“ in der Obertorstraße 15 war im 16. Jahrhundert das erste und damals einzige zweistöckige Fachwerkhaus im Mittelbuchen. Man geht ein Stück durch die neue Straße und dann links hoch in die Straße „Hinter der Kirche“. Auf der Höhe steht links die „neue Schule“ (heute: Druckerei). Im Jahre 1872 wird ein Haus abgerissen und an seiner Stelle die „neue Schule“ errichtet. Der erste Lehrer dort ist Julius Hitzenrod.

 

Rechts gegenüber steht die Kirche. Schon in früher Zeit müssen Mittelbuchen und Lützel­buchen eine gemeinsame Kirche gehabt haben. Das Grundbuch weist nämlich heute noch einen Kirchweg von Westen her aus, der an der Kirchhofsmauer endet. Der Weg war also schon da, ehe die Kirchhofsmauer gebaut wurde. Bis dahin stand oben ein kleines Kirchlein, das spätestens im 13. Jahrhundert im romanischen Stil errichtet wurde, vielleicht aber auch schon im frühen Mittelalter erbaut wurde, vermutlich an der Stelle eines früheren heidnischen Heiligtums erbaut.

Beim Bau des Heizungskellers im Jahr 1966 stieß man dort auf eine Quelle, die den Keller ständig unter Wasser setzte. Der heilige Michael erhielt in der christlichen Mythologie die Aufgaben zugewiesen, die in der germanischen Mythologie der Göttervater Wotan innehatte. So könnte diese alte Quelle eine Wotansquelle gewesen sein. Die Roßdorfer Straße führt nämlich aus dem ältesten Siedlungsgebiet Mittelbuchens in einem heute noch nachzuweisenden Bogen um das Haus Hinter Kirche 34 schnurstracks zur Quelle. Die Obertorstraße macht ebenfalls bei der Scheune des Hauses Nummer 8 einen Knick, dem sich heute noch alle Gebäude dieses Grundstücks anpassen, um dann wieder ebenso gradlinig zur Kirche zu führen Auch das heute recht überflüssig gewordenen Gäßchen am Haus „Alte Rathausstraße 30“ führt als Verlängerung der Guldenstraße direkt dorthin. Ebenso sicher ist die Linienführung einer früheren Straße, die durch das Grundstück „Hinter der Kirche 24“ führte, vielleicht von Lützelbuchen kommend und auch den Weg zur Quelle nehmend. Vielleicht waren das alles nur alte Kirchwege. Aber vielleicht führen sie auch zur Quelle, und zwar auch durchaus von weit her.

Die Kirche läßt sich noch in etwa rekonstruieren: Im Staatsarchiv in Mar­burg gibt es zwei Kar­ten aus den 1750er Jahren, wo der Grundriß des Ge­samtbauwerks noch ablesbar ist. Dann existiert ein Foto des Turmes aus dem Jah­re 1945 (in der ersten Chronik von Sauer abgebildet), als die Kir­che abgebrannt war, das durch Reste von zwei Dächern und anderen Merkmalen zeigt, daß hier einma1 eine niedrigere Kirche angebaut war und dann später die höhere, die soeben abgebrannt war. Nach diesen Vorgaben läßt sich jetzt in Länge, Breite, Höhe und Dachwinkel nachzeichnen, wie die Kirche ausgesehen haben muß. Die Kirche war nicht sehr groß. Aber für die beiden kleinen Gemeinden war sie völlig ausreichend, denn die Messe wur­de sonntags stets mehrmals gelesen. Im Jahr 1344 wurde an die Kirche eine Michaelskapelle angebaut.

Die Friedhofsmauer wurde erst gebaut, als die Soldaten bei ihren Fehden Gräber schändeten und auch den Zufluchtsort in der Kirche nicht mehr respektierten. Die Kirchhofmauer genügte nicht mehr, die Gemeinde zu schützen. Ein Wehr­turm mußte her. Im Jahre 1494 wurde der Grundstein gelegt. Neben den militärischen Zwecken diente der Turm freilich aber auch kirchlichen Zwecken, denn es konnte jetzt eine Glocke aufge­hängt werden. Vor allem aber konnte die Michaelskapelle jetzt in das Turmerdgeschoß verlegt werden. Die alte Kapelle wurde zur Kirche hin durchgebrochen und als Chorraum genutzt (seit der Reformationszeit brauchte man sie sowieso nicht mehr).

Den Turm, dessen Eingang heute noch im ersten Obergeschoß und da­mals nur durch eine Strickleiter erreichbar war, stellte man einige Meter vor die Kirche, um diesen Zugang durch die Kirche geschützt zu wissen. Der (auch noch heutige) Eingang im Parterre führte nur in die Kapelle. Warum man den Turm leicht verkantet zur Kirche baute, weiß man nicht. Die sonst so wichtige Ost‑ West‑Richtung wurde nicht beachtet.

Die Verwitterung des Putzes unter dem Dach, der einen späteren Zwischenbau verrät, zeigt, daß der Turm doch recht lange frei gestanden haben muß, hundert Jahre ist nicht zu hoch gegriffen. Die Kirche wird im 17. Jahrhundert baufällig. Spätestens 1709 wird das Dach an den bis da­hin freistehenden Kirchrturm vorgezogen. Leider hatte die Gemeinde keine ungetrübte Freude daran. Es gab viele Reparaturen, der alte Teil wurde baufällig, aber der Dreißigjährige Krieg und die schlimmen Jahrzehnte danach verhinderten einen Neubau. Schließlich kann man nicht einmal mehr den Dach­boden verpachten. weil der Boden nicht mehr begehbar ist. So geht das bis zur letzten Reparatur von 1741.

In diesem Jahr kam Pfarrer Richter nach Mittelbuchen. Von 1756 bis 1772 wird die Kirche neu und viel größer gebaut. Der Turm wird nun mit einbe­zogen. Die Turmkapelle im Erd­geschoß wird zur Eingangs­halle umgebaut und ein Zu­gang zur Kirche gebrochen. Die Kirche hat an West‑, Nord‑ und Ost­seite eine Empore, auf der Ost­empore kommt nach dem Neubau eine erste Orgel zu stehen. Der Turm er­hält anstelle seiner Platt­form für die Bewachung des Ortes eine hohe schlanke Haube mit vier Ecktürmchen.

Am 6. Januar 1945 brannte die Kirche bei einem Luftangriff bis auf das Mauerwerk total aus, die Kanzel von 1659 verbrannte. Nach der Währungsre­form wurde die Kirche bis 1952 wieder aufgebaut, 1955 war sie ganz fertiggestellt. Der Turm erhielt eine pyramidenförmige Haube. Im Jahre 1954 wurde eine Walckerorgel eingebaut als Ersatz für die Orgel aus den 1890er Jahren, die die Barockorgel ersetzt hatte.

Auf dem ehemaligen Wehrkirchhof stehen be­merkenswerte Grabsteine (besonders Maria Richter, gestorben 1743, Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 270).

Nordöstlich von Mittelbuchen lag Lützelbuchen. Es war ein sehr kleiner Ort, der altdeutsche Begriff „lützel“ (klein) sagt das schon aus. Sie hatten keine Kirche und kein Rat­haus, nicht einmal einen Schultheiß. Es ist auch nicht bekannt, daß dort ein Ritter gewohnt hätte. Es gab nur ein paar Häuser. Aber sie hatten außergewöhnlich tiefen Brunnen und brauchten daher auch im heißesten Sommer mit Wasser keine Not zu leiden. Man kann das daraus schließen, weil das Flurstück, wo Lützelbuchen vermutet wird, heute noch „der tiefe Born“ genannt wird.

Die Historiker waren sich schon im 19. Jahrhundert sicher, daß es zwi­schen Mittelbuchen und Bruchköbel lag, wohl am Köbeler Weg (der heute Lützelbuchener Straße heißt), ein wenig oberhalb dieses Weges. Die Straße führte ja von Frankfurt über Hochstadt unterhalb von Wachenbuchen vorbei, und dort, wo heute die Mittelbuchener Durchfahrtsstraße ist, bei dem Haus Lützelbuchener Straße 10a, ging sie gerade weiter nach Kinz­heim. Aber beim Haus Nr. 9 bog ein kleiner Fußweg ab, der nach Lützel­buchen und dann nach Bruchköbel führte. Lützelbuchen war dort ziem­lich geschützt, denn dort kam selten jemand vorbei, der nicht einheimisch war. Aber den genauen Ort, wo Lützelbuchen nun wirklich lag, den kennen wir nicht. Archäologische Luftaufnahmen haben uns nichts gebracht.

Bekannt ist wenigstens der Name eines Menschen aus diesem Dorf: Werner von Lützelbu­chen, „Wirnchen“ genannt. Es war ein Leib­eigener, wie alle anderen Lützelbuchener auch, aber er war unter die „guten Leute“ aufgenommen, die bei der Abfassung von Urkunden testieren durften. Er war wahrscheinlich so eine Art „Sprecher“ für seinen Ort oder ein Ortsvorsteher. Er ist der eigentliche Garant dafür, daß Lützelbuchen überhaupt existiert hat.

Es werden nämlich in den Urkunden niemals alle drei Buchen zusammen erwähnt. Und man könnte sich vorstellen, daß der Volksmund die jeweils kleinere Ortschaft Lützelbuchen genannt haben könnte. Wirn­chen hätte sich jedoch sicher dagegen gewehrt, aus dem „kleinen Buchen“ zu kommen, wenn es kein Lützelbuchen gegeben hätte.

Urkundlich erwähnt wurde Lützelbuchen zuerst mit diesem Namen lange vor Mittelbuchen im

Jahr 1266. Reimer zufolge soll es dann schon im Jahr 1458 wüst gewesen m. Ob es in einer Fehde niedergebrannt wurde, oder was sonst gesche­hen ist, daß es aufhören mußte zu existieren, ist nicht bekannt. Aber die These ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Lützelbuchener nach Mittelbuchen übergesiedelt sind und sich westlich des Baches, der bisher die Westgrenze Mittelbuchens war, niedergelassen haben. Sie würden dann die vordere Erbsen‑ und Guldengasse bebaut haben und wahrschein­lich auch das Ranzeneck. Weil der Bach oft über seine Ufer getreten war, bauten sie in respektablem Abstand vom Bach, weshalb diese Straße heute noch so breit ist.

Die Ländereien bestanden natürlich weiterhin, und, wenn es auch kein Grundbuch gab, so nannte man die Grundstücke doch weiterhin nach Lützelbuchen. Im Jahre 1495 wird nämlich Lützelbuchen noch zweimal genannt und dann sogar noch einmal 1607. Aber es ist absurd, anzunehmen, daß die Ortschaft damals noch existiert haben könnte. Es ist aber der Grund, weshalb immer wieder angenommen wird, das Dorf könne doch auch im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden sein. Wenn das so wäre, so würden die Kirchenbücher darüber berichten.

 

Obertor

Erzbischof Johann von Nassau gab am 8. Mai 1419 den Befehl, daß der Ort Mittelbuchen von den Ortsbewohnern zu befestigen sei. So wurde dann Mittelbuchen, entsprechend dem ergangenen Befehl, mit Graben und Wall umgeben und befestigt. Auf dem Wall wurde ein sogenanntes „Gebück“, eine lebende Hecke angelegt, welche durch entsprechende Bearbeitung undurchdringlich war. Immer und immer wieder wurden junge Pflanzen, Hainbuche und Dornensträucher ineinander geflochten und hoch wachsen lassen. Dann wurden die Äste wieder nach unten gebogen und erneut verflochten. Für dieses Geflecht mußte man sich „Bücken“. Daher die Bezeichnung „Gebück“. Auf diese Weise konnte so, in relativ kurzer Zeit, eine undurchdringliche natürliche „Mauer“ geschaffen werden die nicht nur vor wilden Tieren, sondern auch vor Räubern und kleineren Soldatentruppen einen gewissen Schutz bot.

Es ist unwahrscheinlich, daß der Ort Mittelbuchen jemals mit einer Mauer umgeben war. Es sind hierzu auch keine Unterlagen auffindbar.

Trotzdem ist es möglich, daß damals auch einzelne Abschnitte am Wallgraben mit Mauern befestigt worden sind. Dies können auch die Mauern von Scheunen gewesen sein, die dann jedoch keine Öffnungen nach außen hatten. Mittelbuchen hatte keine Stadtrechte. Im Mittelbuchener „Gerichtß Tag. und Insaßbuch“, angefangen den 21ten July Anno 1660, wird Mittelbuchen als „hochgräflicher Hanauischer Flecken“ bezeichnet. Flecken ist eine Bezeichnung für eine kleine, aber lokal bedeutende Ansiedlung. Ein Flecken bildet für die umliegenden Dörfer einen Mittelpunkt und nimmt zentralörtliche Funktionen wahr.

Bis in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618 – 1648) konnten solche dörflichen „Haingrabenbefestigungen“, wie sie in fast allen Dörfern der Wetterau vorhanden waren, eine gewisse Bedeutung als Schutzanlage vor kleineren Soldatenhaufen oder Räuberbanden behaupten. Allerdings wurden diese Schutzeinrichtungen mit der zunehmenden Verwendung von Feuerwaffen immer unzureichender. So wurden dann auch bereits in den Jahrzehnten vor 1600 in verschiedenen Orten die Gräben mit der Erde der einstmals aufgeschütteten Wälle wieder eingeebnet. Hier wurde dann dringend benötigtes Gartenland geschaffen. Im Stadtarchiv Frankfurt am Main wird in einer Urkunde des Bartholomäusstift eine Flur im Jahr 1581 „uff dem Dorfgraben“ genannt. Möglicherweise war bereits - oder wurde - um diese Zeit der Graben hier bei uns verfüllt.

In alten Ortsplänen von Mittelbuchen aus dem Jahr 1873 ist noch ersichtlich, wo und wie der Graben mit Wall um den „Flecken“ Mittelbuchen verlief. Östlich von Mittelbuchen sind die „Herrengärten“ und westlich die „Plangärten“ eingezeichnet.

 

Mittelbuchen hatte zwei Ortseingänge, die auch belegt sind. Einen im Süden, einen im Norden. Im Norden sind noch das Obertor mit den Resten von Schenkelmauern, die zur äußeren Befestigung gedient haben, und der daneben stehende Turm erhalten. In einiger Entfernung vor dem Tor muß sich wohl noch ein „Schlag“ befunden haben, ein Vortor, oder möglicherweise auch eine Brücke. Hier ist in einer Mauer noch die Jahreszahl 1595 (?) erkennbar. Beidseitig der Straße standen sogenannte „Torwegmauern“. Auch wo im Süden das ehemalige Untertor stand, sind noch solche Reste dieser ehemaligen Mauern vorhanden.

In alten Chroniken von Mittelbuchen wird die namentliche Ersterwähnung des Obertores mit der Jahreszahl 1535 genannt. Diese Zahl muß korrigiert werden, denn bei den Forschungen von Ernst Gimplinger im Fürstlichen Archiv Büdingen wurde das Jahr 1485 in den aufgefundenen Akten entdeckt. Es gibt allerdings im Staatsarchiv Marburg auch eine Kirchenakte aus dem Jahr 1482 in der es heißt: „vor der Porten“. Hier ist wohl das „Untertor“ gemeint. Ein Erstellungsdatum von Turm und Tor ist daraus nicht abzuleiten. In den dem Geschichtsverein vorliegenden Abmessungen und Aussteinungen der Jahre 1440 und 1466 werden zwar Felder, Wiesen und Weingärten in der Umgebung genannt, aber keine Hinweise auf das Obertor. Auch konnten für die folgenden Jahrhunderte bislang keine Dokumente gefunden werden. Lediglich in einem Kirchenbuch von 1645 wird erwähnt, daß der Schultheiß „Portenhüter“ ausgewählt hat, die den Wachdienst ausüben mußten.

Es war die Zeit der napoleonischen Besatzung, als man im Jahr 1811 eine Akte anlegt. Danach war das Obertor baufällig und sollte abgerissen werden. Im Text heißt es, „nach dem eingelaufenen Bericht des Ortsmaire Ruppel in Mittelbuchen ist das dasige Oberthor so verfallen, daß dasselbe der Einsturz drohet, auch nicht repariert, sondern abgebrochen und neu hergestellt werden muß.“

Durch den Maurermeister Lorenz Geibel aus Kesselstadt und den Mittelbuchener Zimmermeister Caspar Ruppel wurde ein Überschlag gemacht, nach welchem die Maurerarbeiten mit Zurechnung der alten Abbruchsteine 89 Gulden 30 Kreuzer – und die Zimmerarbeit, mit Zurechnung des noch brauchbaren Holzes 33 Gulden, mithin der ganze Abbruch und die Aufbauung dieses Tores 122 Gulden. 30 Kreuzer kosten würde. Es würde anzutragen sein, dieses dem Einsturz drohenden Oberthor ganz abzubrechen und nicht neu aufzubauen.

Ob es aber notwendig, das ganze Oberthor abzubrechen und neu aufzubauen möchte wohl erst der Ansicht des Herrn Baurath Heerwagen zu übertragen sein. Dieser sei ja auch dafür zuständig, mit den Handwerksleuten, die aus dem District Bücherthal kommen sollen, die Baukosten Verträge abzuschließen.

Am 13. Mai 1811 geht ein Schreiben von Baurath und Landbau-Inspector Heerwagen, „Die Reparation des Oberthors zu Mittelbuchen betreffend“, an den Präfecten des Großherzog­thums Frankfurt, Herrn Präfect Freiherr von der Tann. Heerwagen berichtet hier, nach eingenommenen Augenschein, daß das alte verfaulte Dachwerk, welches nach Angabe des Orts Maire Ruppel „im Begriff war einzustürzen und einen daran befindlichen Viehstall eines Unterthanen zusammen geschlagen hätte, vorsichtshalber gänzlich abgerissen wurde, um ein Unglück zu verhüten“.

War dieser Viehstall etwa ein Schweinestall? Dann könnte darüber spekuliert werden, warum der neben dem Tor stehende Turm von den Mittelbücher Bürgern „Säuturm“ genannt wird. Der Turm, da wo die Säue sind? Oder weil das Haus, welches 1828 zwischen dem Tor und dem Turm gebaut wurde, das Hirtenhaus für den „Schweinehirt“ war? Möglich ist aber auch, daß der Schweinehirt durch dieses Tor die Säue auf die Schweinewiesen oder in die vorhandenen Mastwälder getrieben hat. Dann allerdings hätte das Obertor eigentlich den Namen „Säuport“ verdient, so wie es in vielen anderen Orten der Fall ist. Aber die Porte wird seit Ewigkeiten die „Uber Porte“, also Oberpforte, genannt. Im Dialekt ist das Obertor die „Ewerporte“.

Allerdings, so schreibt Heerwagen auch, sei das Mauerwerk noch in einem sehr guten Zustand und deshalb wünschte der Maire Ruppel, da es im Ort an einem Prison oder Gefängnis fehlt, dies zu berücksichtigen. In den Kriegszeiten des Französischen Kaisers Napoleon, und bei den ständigen Einquartierungen, mußten die Arrestanten des Militärs untergebracht werden, was der Gemeinde an Mietzins viel Geld gekostet haben soll.

Bei der Wiederherstellung des Dachwerks sollte also auf die Arrestanten der französischen Truppen Rücksicht genommen werden und noch ein „kleines und niedriges Stockwerk aus Holz zu diesem „Behuf auf das Tor gesetzt werden“. Das würde keine großen Kosten verursachen und dem Tor zugleich ein gutes Aussehen geben. Laut dem beigefügten „Überschlag“ würden die Kosten unter Berücksichtigung der alten Materialien 203 Gulden 50 Kreuzer betragen. Das Obertor sollte also als Gefängnis genutzt werden.

 

Nach der Beschreibung und der Aussage, daß das alte verfaulte Dach des Obertores gänzlich abgerissen wurde, ergibt sich folgende Überlegung: Über dem Torbogen war nur ein einfaches Dach vorhanden, möglicherweise in Pyramidenform. Das heutige Aussehen erhielt das Obertor erst durch den Neubau. Der Maire Ruppel wurde aufgefordert, die Unterlagen dem Muni­cipal­rath zu Mittelbuchen zu eröffnen und um dessen Erklärung, wie die erforderlichen Gelder am besten beizubringen seien.

Der Municipalrath der Gemeinde Mittelbuchen sieht die Notwendigkeit der Reparatur ein, er billigt den Plan, wie das Tor repariert werden soll und willigt ein, zur Finanzierung ein Darlehen zu Lasten der Gemeinde aufzunehmen. Der Präfect Freiherr von der Tann erteilt der Gemeinde seine Zustimmung zur Aufnahme eines Capitals von Zweihundert Gulden mit dem Hinweis, das die Gemeinde für dessen zweckmäßige Verwendung die Sorge zu tragen hat. Die Reparatur sei ungesäumt vorzunehmen. Dabei soll jedoch die Einregistrierung der abzuschließenden Handwerks Accorde nicht vergessen werden.

Gefängnis wurde das Obertor nicht. Das hat sich mit der Schlacht bei Hanau am 31. Oktober 1813 erledigt, denn die französischen Truppen verschwanden aus unserer Gegend. Bei ihrem Abzug richteten sie auf den Winterfeldern in Mittelbuchen einen Schaden von 14.252 Gulden 29 Kreutzer an. Dennoch lagen noch Jahre danach Truppen der Alliierten im Quartier in Mittelbuchen.

Trotzdem wurde das Haus über dem Obertor gebaut, die Genehmigung war ja erteilt und das Geld vorhanden. Das sagt uns die Jahreszahl 1814, welche leider erst bei der erneuten Renovierung und Instandsetzung der Wetterseite im Jahr 2012 sichtbar gemacht wurde. Ein den­dro­chronologisches Gutachten aus dem Jahr 1993 bestätigen die Bauzeit, die Fällung der Bäume wird auf das Ende des Jahres 1811 Waldkante, festgelegt. Das bedeutet, die Datierung des Endjahres (= äußerster Jahrring der Holzprobe) entspricht dem Fälljahr des Baumes, wenn die Waldkante (= Holzabschluß unter der Rinde) vorhanden ist.

Das Wohnhaus zwischen Tor und Turm wurde wesentlich später, entsprechend der Jahreszahl über der Kellertür, erst im Jahr 1828 erstellt. Auch dies wird durch das genannte Gutachten bestätigt. Aus einer sogenannten Stammrolle aus der Zeit von 1830/32 geht hervor, daß dieses Haus, mit der Nr. 60, nach seiner Fertigstellung als eines von zwei örtlichen Hirtenhäusern genutzt wurde. Wie lange dies so war, ist uns nicht bekannt, doch es wurde später als Wohnhaus, als Wohnhaus für Gemeindearbeiter und evtl. auch für sozial schwache Bürger genutzt. In vielen Orten wurden ähnliche Gebäude als Armenhäuser eingerichtet.

Nachdem die letzten Bewohner ausgezogen sind, setzte der Verfall ein. Das gesamte Gebäude, Tor- und Wohnhaus, stand lange leer und wurde infolge dessen innen feucht und naß. Ende der 1980er Jahre war es dem völligen Verfall preisgegeben. Zu diesem Zeitpunkt haben sich etliche Mittelbucher Bürger zusammen gefunden um dieses historische Gebäude vor dem Verfall zu retten. Es gründete sich der Mittelbuchener Heimat- und Geschichtsverein e. V., dessen Mitglieder mit städtischer Finanzhilfe und einem beispiellosen Einsatz das herunter gekommene Ensemble renoviert und restauriert haben. Mit der Eröffnung des Heimatmuseums im Jahr 1998 wurde diese Arbeit gekrönt.

Seit dem 16. Mai 1998 ist das Obertor als Museum geöffnet. Im Erdgeschoß wird die Vor- und Frühgeschichte exemplarisch dargestellt und versucht, auf behutsame Weise einen Überblick über die ungemein reichhaltige Vorgeschichte des Raumes und des Ortes Mittelbuchen zu geben. Von den ersten Bauern der frühen Linienbandkeramik bis zu den fränkischen Siedlern des Ortes legen Ausgrabungsfunde Zeugnis ab. Man sieht, was für Kelten, Alamannen, Franken und Römer wichtige Dinge des täglichen Lebens waren. Es wird eine Zeitspanne von annähernd 7000 Jahren betrachtet und Funde von herausragender Bedeutung lassen darauf schließen, daß hier schon lange vor dieser Zeit Menschen gesiedelt haben.

In den oberen Räumen wird symbolisch die bäuerliche Kultur gezeigt mit Steinzeug und südhessischen Milchkrügen. Trachten des Büchertales sind auf Aquarellen von Julius Eugen Ruhl aus dem Jahr 1829 zu sehen. Alte Wasserleitungen, wichtige Archivalien aus dem Bereich der Kirche, lückenlose Aufzeichnungen der Mittelbuchener Rechtsfälle seit Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts geben Aufschluß darüber, wie das Leben zur damaligen Zeit aussah.

Hinter den verwinkelten Räumen des Dachstuhles gelangt man über eine kleine Treppe in die beiden Torzimmer. Hier ist die Geschichte des Wilhelmsbades, die bis heute wichtige Rolle des Obstanbaus und dessen Verarbeitung in dieser Region dargestellt. Als Symbol der Industrialisierung ist der Arbeitsplatz eines Diamantschleifers ausgestellt. Texte und Fotos thematisieren die Geschichte Mittelbuchens bis zur Gebietsreform im Jahre 1972 (nach: Ernst Gimp­linger: Die bauliche Geschichte des Obertores in Mittelbuchen, Sonderdruck 2014. Mittelbuchener Heimat- und Geschichtsverein e.V. ).

 

Neben dem Obertor steht das Hirtenhaus. Im Jahre 1798 genehmigte das Amt Büchertal, daß für den Schulmeister ein neuer Schweinestall gebaut wird, wahr­scheinlich das goldigste Häus­chen, das je in Mittelbuchen stand. Zunächst stand es noch frei da, aber 1818 wurde dann der Friedhof erweitert und die Mauer wurde hinter dem Häuschen heruntergeführt (Bild in: Sauer, Büchertalgeschichten, Seite 130). Es war bekannt unter dem Namen „Hirdehäusi“. Daneben stand nämlich das Hirtenhaus, dem dieses Häuschen ebenfalls als Wirtschaftsgebäude diente. Aber es hatte noch einen Zweck: Wenn der Gemeindevorstand oder das Presbyterium einen Gulden ins Säckchen als Strafe für eine Übertretung verhängte und der Betroffene das nicht bezahlen konnte, wurde er zum Arrest in diesem Häuschen ein paar Stunden ins „Gefängnis“ gesteckt. Das Schicksal dieses Schmuckstücks von Mittelbuchen ereignete sich kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes über den Denkmalschutz: der Landeskon­servator geneh­migte gegen Protest seinen Abbruch in den 1960er Jahren.

 

An der Stelle, wo vermutlich früher das Backhaus stand (?), wird das Rathaus errichtet, mit einem hohen Mast zum Hochziehen und Trocknen der Feuerwehrschläuche.

 

Im Dorf stehen gute Fachwerkbauten, teils mit großen Toreinfahrten. Das beste Beispiel ist das „Steinerne Haus“, heute geteilt in Alte Rathausstraße 25 und Guldenstraße 1. Es gehörte dem Erbprinzen Wilhelm, der mit 23 Jahren regierender Graf in Hanau wurde und in Philipps­ruhe wohnte. Seine Liebe galt dem Wilhelmsbad, das auch nach seinem Namen benannt wurde. Er hatte im Park eine Pyramide errichten lassen, und unter ihr ruht seit dieser Zeit sein ältester Sohn, der kleine Erbprinz, der im Alter von 12 Jahren starb.

Wilhelm hatte aber noch andere Kinder. Man sagt ihm nach, daß er bis zu 113 Kinder gehabt haben soll. Drei von ihnen sind in einer Nacht in Wilhelmsbad erfroren. So mußte er natürlich auch die entsprechende Zahl von Müttern haben. Als reformierter Fürst (die Kasseler waren nämlich wieder reformiert) konnte er sich keinen Harem leisten, weder in Philippsruhe noch in Wilhelmsbad. Aber er wußte sich zu helfen. Deshalb hatte er sein Frauenhaus im „Steinernen Haus“ in Mittelbuchen. So erzählen die früheren Besitzer, und das ist auch um so mehr glaubhaft, als das Haus wesentlich komfortabler ausgestattet ist als die Bauernhäuser im Ort.

 

Im Dreißigjährigen Krieg wurde der Ort fast vollständig zerstört. Beim Neuaufbau aber will gleich die verfügbare Fläche erweitern und schafft das Neubaugebiet „Plan“: Bei den Häusern Planstraße 8 und 25 läßt man die Mauer abbiegen, um sie etwa 40 Meter weiter im Westen neu zu errichten. Mitte der 60iger Jahre des 17. Jahrhunderts wird die alte Mauer abgebrochen und der bisherige „Plan“ wird neu bebaut („Plan“ deshalb, weil man hier eine ebene Fläche geschaffen hatte, um Angreifer gut erkennen zu können). Die älteste erhaltene Jahreszahl ist 1668 an der Scheune Erbsenstraße 14. An den Häusern Planstraße 17 und 19 steht die Jahreszahl 1676. Etwa zwölf Neubauten können auf dem Gebiet errichtet werden. Die Karte von 1762 weist aber aus, daß aber nach 50 Jahren erst die Hälfte bebaut war. Die Verteidigungsanlage erhielt nach Westen zu eine Landwehr.

 

Nördlich der Planstraße wurde auch eine Wasserleitung angeschnitten. Aus allen möglichen Jahrhunderten liegen allenthalben Ton‑ oder Holz­rohre noch heute in der Erde, und im Zweifelsfall sonnt sich der Finder in der Freude, eine „römische“ Wasserleitung entdeckt zu haben. Doch leider bleiben solche Behauptungen ohne wissenschaftliche Untersuchung leer. Zwar kann niemand sagen, die Römer hätten nicht auch hier Was­serleitungen hinterlassen, aber gefunden wurde bisher nachweislich noch keine.

Die alte Wasserleitung, die in ihrem Verlauf nachgewiesen ist, stammt frühestens aus der Zeit des ausgehenden Mittelalters. Sie beginnt oberhalb der Büchertalschule, unterquert dann den Mittelbuchener Schulweg und setzt sich unter der Bebauung oberhalb der Wachenbuchener Straße bis zum Haus Nr. 16 fort und unterquert dann die Straße bis zur Kreuzung.

Von Norden kommt eine zweite Leitung aus dem Feld. Daß der „alte Keller“ die gefaßte Quelle gewesen sei, dürfte wohl eher eine Legende sein, aber die Richtung stimmt jedenfalls. Diese Leitung geht durch den Simmichborn unter der Kilianstädter Straße hindurch und vereinigt sich mit der Leitung von der Büchertalschule.

Gemeinsam fließt das Wasser nun weiter durch die Wassergärten und macht etwa 500 Meter hinter der Bebauungsgrenze eine scharfe Rechts­kurve nach Süden. Die Wasserleitung führt durch die „Große Wiese“ weiter durch den Wald, 600 Meter östlich der Altenburg und anderthalb Kilometer östlich des Kinzigheimer Hofes vorbei und dann unter dem Autobahnkleeblatt hindurch nach Hanau, entlang der Bruchköbeler Landstraße bis zu den Dekalin‑ Werken, wo sie dann nach Osten schwenkt und an der Kinzig endet.

Naheliegend wäre, daß sie Wasser in das gräfliche Schloß führen sollte. Zwar liegt der Schluß nahe, aber der Beweis fehlt, denn bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts fand sich weder bei der Residenz noch in der Stadt eine Wasserleitung. Rund vierhundert private und dreiundvierzig öffentliche Brunnen sind nachgewiesen, und wenn es überhaupt Leitungen gab, so waren dies hölzerne Leitungen, wie sie in Mittelbuchen in der Alten Rathausstraße gefunden wurden.

Diese Keramikleitung ist aber 430 Jahre alt. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1981 (Thermolumineszenz‑Analyse) brachte dieses Ergebnis zutage. Das bedeutet also, daß die Leitung um 1570 gebaut worden sein dürfte. Mit Unterstellung von Fehlerquoten kann man noch 50 Jahre ‑ maximal 100 Jahre ‑ hinzu‑ oder abrechnen. So könnte man als Höchstalter das Jahr 1470 annehmen. Man hat auch schon angenommen, daß die Mittelbuchener Burg, die 1389 erwähnt wurde, und deren Reste um 1860 noch zu sehen waren, davon profitierte, denn sie lag direkt daneben, aber das kann man auch nicht beweisen. Sicher ist aber, daß nach der Mittelbucher Keramikleitung noch eine von Wachenbuchen nach Hanau gebaut wurde, wenn auch erst im 18. Jahrhundert.

Zu der Zeit, als die Hanauer diese Wasserleitung aus Wachenbuchen bekamen, war in Mittel­buchen mit dem Wasser große Not. Es gab in jener Zeit viele Wolkenbrüche, und vom Kilianstädter Berg stürzte das Wasser in den Ort, und die Häuser und Hofreiten wurden unter Wasser gesetzt. Im Jahr 1762 wurde deshalb ein Plan erstellt, nach welchem entsprechende Gräben und Dämme gebaut werden sollten, die das Wasser am Kilianstädter Weg Richtung Wiesbörn­chen ableiten und dort in den Bach, der dann ohnehin nach dem Wald hin abläuft, kana­lisieren sollten. Dieser Plan ist bis heute erhalten, und ihm verdanken wir die einzige Karte von Mittelbuchen. Die Mittelbucher mußten bis 1959 warten, bis sie ihre „Börnchen“ auf der Straße abbauen konnten.

Wenn man die Planstraße in Richtung Süden weitergeht kommt man wieder zur Alten Rathaus Straße und zur Kreuzung, an der - nach Sauer - eine Mittelbucher Burg gestanden haben soll. Die Kutschergärten dieser Burg wären an der Südostecke der Kreuzung gewesen.

 

Geschichte der Kirchengemeinde:

Die Pfarrkirche war dem H. Bonifatius geweiht und stand unter dem Dekanat Roßdorf im Archi­diakonat S. Maria ad Gradus in Mainz. Patron waren die Herren von Hanau. Um 1340 kam der Pfarrer Werner von Lichtenberg nach Mittelbuchen. Er stammte wohl von der gleichnamigen Burg im Odenwald wurde aber Pfarrer. Sein Ziel war es, für Mittelbuchen vom Papst einen Ablaßbrief zu erreichen. Aber es gab eine Schwierigkeit: Wenn eine Gemeinde einen Ablaßbrief wollte, so mußte sie dem Heili­gen Erzengel Michael eine Kapelle errich­ten. Die meisten Ge­meinden zogen sich so aus der Schlinge, daß sie einfach in einer Etage des Kirch­turms, die ohnehin nicht gebraucht wurde, einen Altar für den Erzengel aufstellten ‑ und schon bekamen sie ihren ersehnten Ablaßbrief.

Aber so ging das in Mittelbuchen nicht, denn die Kirche hatte keinen Turm und auch im Inneren keine Nische, die man als Kapelle hätte deklarieren können. So wurde im Jahr 1344 an die Kirche eine Michaelskapelle angebaut. Eine Kaplanstelle wurde geschaffen und bald darauf wurde Emercho zum Kaplan der Micha­elskapelle ernannt. Im Grundriß kann man diese Kapelle noch 1750 erkennen. Im Jahr 1393 wurde Johann Cremer mit dem Altardienst betraut und war bis 1415 Altarist. Sein Nachfolger war Johann von Buchen, der 1438 starb, und ihm folgte Martin Bruner, der sechs Jahre später auch noch den Altardienst am Kreuzaltar in Windecken versah. Als er 31 Jahre danach starb, folgte 1469 Hartmann von Marköbel.

Er hatte einen harten Schlag der „Konkurrenz“ hinzunehmen: 15 Kardinäle erteilten für Hanau einen Ablaßbrief von hundert Tagen Ablaß je Bußleistung. Das waren pro Kirchenbesuch jeweils 1500 Tage Ablaß aus dem Fegefeuer. Dieses konnte die Michaelskapelle nicht einmal zur Hälfte bieten, und noch nicht einmal jeden Tag. Die Michaelskapelle war ‑ zumindest für die Hanauer ‑ uninteressant geworden.

Im Jahr 1363 trat Wernher von Lichtenberg die Reise nach dem Hof des Papstes Urban V. in Avignon in Frankreich an. Am 6. September 1363 erklärten sich 18 Bischöfe (darunter drei Erzbischöfe) bereit, den Ablaßbrief unter ihrem Namen und Siegel aus­stellen zu lassen. Pfarrer Werner bekam einen Ablaßbrief, der alles, was man sonst kannte, in den Schatten stellte.

Der große Ablaßbrief wurde bewilligt. Aber er gewährte nicht - wie für andere Kirchen – je 40 Tage Ablaß zu Weih­nachten, Ostern und Pfingsten (also 120 Tage pro Jahr), sondern wer in Mittelbuchen Buße tun wollte, hatte an 187 Tagen im Jahr Gelegenheit dazu, sich jedesmal für ganze 800 Tage (zwei Jahre und 2 ½ Monate) freizukaufen. Der Jubel in Mittelbuchen muß groß gewesen sein und in Wachenbuchen und Lützelbuchen ebenfalls, denn so leicht wie in der Bonifatiuskirche konnte man von nun an nirgendwo Sünden loswerden. Und das galt nicht nur für die Buchener. Mittelbuchen mußte geradezu zum Wallfahrtsort geworden sein. Im späten Mittelalter war die Angst vor Hölle und Fege­feuer panisch geworden, so daß das immer häufiger werdende Angebot von Ablaß wie eine Droge wirken mußte.

Man mußte nur in die Bonifatiuskirche oder in die Michaelskapelle gehen und entweder andächtig sein oder beten. Pilger waren ausdrücklich eingeschlossen. Aber auch die, die ohnehin turnus­mäßig die gottesdienstlichen Veranstaltungen oder Begräbnisse u.a. be­suchten. Es genügte schon, über den Kirchhof zu gehen und Weihwasser zu nehmen oder am Grabe der Angehörigen zu beten. Nein, selbst zu Hause hatte es Zweck, wenn man beim Abendläuten die Knie beugte und Ave Maria und Vater Unser betete.

Auch das Spenden von Gaben in Gold, Silber, Kerzen, Spenden für die Unterhaltung der Kirche sowie die Abfassung von Testamenten zugunsten der Kirche brachten den Ablaßerfolg. Glücklicherweise wurde auch nicht vergessen, die zu bedenken, die mit Rat und Tat anderen Menschen bei­standen und diejenigen, die für andere Menschen beteten, genau gesagt, für den Erzbischof in Mainz, den Herrn Ulrich in Hanau und die Familie von Lichtenberg.

Die Urkunde ist so unfaßbar schlampig abgefaßt, daß man nicht mehr davon ausgehen kann, daß wirklicher Ernst und tiefer Glaube dahinter­stand. Daß der Anfangsbuchstabe, für den auch reichlich Platz gelassen wurde, ein „U“, nicht eingefügt und ausgemalt wurde, wie in mittelalterli­chen Urkunden üblich, und daß die Akkuratesse, mit der andere Urkun­den künstlerisch geschrieben wurden, völlig fehlt, mag man noch der Verwaltung ankreiden. Daß der Bischof Sergius von Ravello zweimal als Absender auftritt, mithin also statt 40 Tage Ablaß 80 Tage gegeben hat, das durfte in einer ernstzunehmenden Urkunde doch nicht vorkommen.

Leider hat Werner von Lichtenberg die endgültige Bestäti­gung des Ablaßbriefs nicht mehr erlebt: Der Erzbi­schof Gerlach von Nassau in Mainz nahm sich zu lange Zeit mit der Bestäti­gung des Briefes. Im Jahre 1364 kam schon, Gerlach Gufer als Nachfolger nach Mittelbuchen.

In der Michaelskapelle folgte 1489 Johann Lug auf Hartmann, und auch er war zugleich auch in Windecken. Bis 1525 war er im Dienst. Es war das Buchener Reforma­tionsjahr. Der letzte Kaplan war dann noch Johann Volpmann. Aber die Reformation war da, Heiligenverehrung gab es nicht mehr, eine Michaels­kapelle braucht man nicht mehr, so wurde sie zum Chorraum der an­grenzenden Kirche ausgebaut.

 

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts war in Mittelbuchen immer noch der Pfarrer Ulrich, während aus Wachenbuchen keine Nachrichten mehr sind, wer nach dem Weggang von Gerlach nach Mainz Nachfolger wurde. Es scheint aber ein Pfarrer namens Heiso gewesen zu sein, der 1407 erwähnt wird. Ihm folgte spätestens 1411 Ludwig Antreff (auch Antreche ge­schrieben) nach. Aber Antreff wechselte spätestens 1430 nach Mittel­buchen über.

Ludwig Antreff erlebte eine große Überraschung. Der neugebackene Graf Reinhard war mit seiner Marienkirche in Hanau nicht mehr zufrieden. Was für einen Herren gut war, ist für einen Grafen noch lange nicht gut genug. Der Gottesdienst sollte nicht nur herrlich, sondern gräflich sein. Und dazu brauchte Reinhard Leute. Neue Altäre waren schnell gebaut, aber Pfarrstellen ließen sich nicht einfach aus dem Boden stampfen. Deshalb dachte er an Ludwig Antreff. Antreff sollte künftig in der Marienkirche Altardienste leisten. Auch die Altaristen der St. Georgskapelle wurden dazu geholt. Mit Sicherheit auch der Wachenbuchener Pfarrer ‑ aber darüber liegen, wie gesagt, aus dieser Zeit keine Nachrichten vor. Zur Bezahlung dieser aufwendigen Besetzung schuf der Graf ein heute noch bestehendes Stiftungsvermögen um alle vergüten zu können ‑ die für seine Gottesdienste „präsent“ sein mußten, die sogenannte „Präsenz“.

Geplant war wohl, daß beide Gemeinden nun Filialen der Marienkirche sein sollten. Aber Pfarrer Antreff muß sich wohl mit seinem Wachenbucher Kollegen den Plänen widersetzt haben. Als er 1454 starb, war seine Gemeinde noch selbständig.

Erst Pfarrer Schlosser, offenbar der „starke Mann“ in Hanau, schaffte es dann schließlich, zumindest die Gemeinde Mittelbuchen 1486 der Ma­rienkirche „einzuverleiben“. Mittlerweile waren es nun schon neun Altari­sten geworden. Diese Fusion war allerdings nur von kurzer Dauer. Schon nach 39 Jahren, als die Reformation schon voll im Gange war, trat 1525 ein Wechsel im Mittelbucher Pfarrhaus ein, von dem noch die Rede sein wird. Ein evangelischer Pfarrer kam und machte natürlich keine katholischen Altardienste mehr. Der katholische Pfarrer von Mittelbuchen ging nach Altenhaßlau und machte den Altardienst in Hanau weiter. Dadurch haben heute noch die Gemeinden Wachenbuchen, Mittelbuchen und Altenhaß­lau Anteil am Präsenzvermögen, und die beiden Buchener Gemeinden haben abwechselnd den zweiten Vorsitz inne. Die Präsenz als solche aber erlosch, als Hanau auch evangelisch wurde. Die Patrone behielten aber weiter das Besetzungs­recht. Die Präsenz hat für Bau und Unter­haltung der Pfarreigebäude zu sorgen; der Pfarrer war Mitglied des Stiftskollegiums (Kanonikus) der Marien‑Magdalenenkirche in Hanau.

 

Der Patron der Wachenbuchener Kirche, Diether von Isenburg war ein Ekel. Wo er nur konnte, spielte er seine Macht aus. Offenbar hatte er sogar im ganzen Ruralkapitel Roßdorf Einfluß, und er machte Eingaben beim Erzbischof und beim Papst, die dann ihrerseits wieder entsprechende Erlasse heraus­gaben. Im Jahre 1462 trat das Ruralkapitel zusammen und stellte fest, daß man wegen Diether „keine Versammlungen mehr abhalten könne“. Kämmerer des Kapitels war zu dieser Zeit der Mittelbuchener Pfarrer Wenzlaus. Er bekam den Auftrag, in dieser Angelegenheit tätig zu werden.

Er machte sich auf zum Notar Johann von Usingen und appellierte dort gegen die Befehle von Papst Pius II. (1458‑64), gegen den „Erwählten von Mainz“ (den Erzbischof Adolf von Nassau) und Diether von Isenburg. Als Zeugen zog er den Pastor Johann Keller von Bergen und den Priester Syfried von Malsberg hinzu. Somit wurde er eindeutig der Buchener Vorreformator.

Aber die Geistlichen des Kapitels machten nicht nur Worte, sie handelten auch. Ab sofort wurde keine Kirchensteuer mehr bezahlt. Zwei Jahre lang. Dann kam eine Drohung des Propstes an den Archipresbyter in Roßdorf, daß alle Säumigen mit Exkommunikation belegt werden, wenn sie nicht innerhalb von 15 Tagen bezahlt haben. Man nahm den Bann nicht mehr so ernst wie früher. Was wollte denn die Kirche mit lauter exkommuni­zierten Pfarren? Nach fünf Monaten waren erst 168 Gulden eingegangen. Alsdann der Erzbischof anordnete, daß nun 10 Jahre lang je 20 Pfennig zusätzliches Kirchgeld bezahlt werden solle ‑ jährlich 114 Gulden ‑, so scherte man sich kaum darum. In zwei Jahren waren nur 64 Gulden eingegangen. Die Bereitschaft zur Subordination ging

dem Ende zu.

 

Antonius Wilner hieß der Mittelbuchener Pfarrer (von Wachenbuchen hören wir aus dieser Zeit immer noch nichts), und er hielt an seinem alten Glauben fest. Aber je länger, desto mehr konnte er sich nicht mehr halten. Mit Sicherheit hatte er noch viele Gläubige hinter sich, aber sie waren nicht mehr die Mehrheit. Man sagte ihm, er solle gehen. Er sah es auch ein. Es waren wieder vier Jahre seit dem Reichstag vergan­gen. In Windecken wohnte ein aus Hanau stammender Pfarrer namens Johann Emmel. Er war begeistert für die Reformation und vielleicht bei so manchem in Windecken deshalb nicht beliebt. Man holte ihn nach Mittelbuchen, und Antonius Wilner ging nach Altenhaßlau. Bereits am 21. Mai 1525 trat Emmel seine Stelle hier an, obwohl Wilner erst am 27. Mai ging. Pfarrer Johann Emmel bekannte sich zu der Bekenntnisschrift, die die Evangelischen vor dem Reichstag (1530, ebenfalls in Augsburg) vorgelegt hatten. Der Reichstags­beschluß von 1555 sicherte dann sieben Jahre später ab, daß das auch alles so in Ordnung war.

Wer katholisch bleiben wollte, hatte es nun gut, daß da noch die Micha­elskapelle war. Im Juni kam ein neuer Kaplan, und die Kapelle wurde wieder aktuell. An eine Spaltung der Kirche hatte man damals noch gar nicht gedacht.

 

Friedrich Wilhelm Richter, der Mittelbuchener Pfarrer der Aufklärung hatte persönlich ein schweres Schicksal: Er kam 1742 nach Mittelbuchen. Er war verheiratet, und seine Frau war in Erwartung eines Kindes. Im Jahr darauf starb die junge Frau von 22 Jah­ren und wenige Monate später das Kind. Richter heiratete nach Jahresfrist wieder: die Tochter des französischen Pfarrers in Hanau. Wieder hatte dieses Ehepaar ein Kind, und auch dieses starb nach eineinhalb Jahren. Die damals ebenfalls 22jährige Mutter folgte ihrem Kind einen Monat später im Tod nach. Richter war wieder allein. Nach zwei Jahren entschloß er sich, es noch einmal zu versuchen. Vier Kinder gingen aus der dritten Ehe hervor, doch nach 18 Ehejahren starb er dann, auch gerade erst 52 Jahre alt.

 

Im Jahre 2002 wurde die Kirche renoviert. Die Walker-­Orgel aus den 50iger Jahren war schwer überholungsbedürftig. Bei Schachtungsarbeiten für die Heizungsablage in der Kirche stieß man auf vermu­tete und unerwartete Funde. Bei den Erdarbeiten für die neuen Warm­luftschächte stieß man auf die Grundmau­er des Vorgängerbaus, die in Urkunden er­wähnte Michaeliskapelle aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Möglicherweise stand an gleicher Stelle bereits 1340 eine kleinere Kapelle aus Holz. Mit den Mauerresten bestätigte sich lang Vermutetes. Unerwartet war indes der Fund eines Mainzer Hohlpfennigs ‑ so genannt, weil er bei der einseitigen Prägung eine leicht schalenförmige Form er­hielt. Die Münze war vermutlich irgend­wann in der Zeit von 1480 bis 1560 statt in den Klingelbeutel in eine Ritze des Holz­fußbodens gefallen.

Beim Ausheben des Luftschachtes in der Nähe des Altars kam das vollständige Skelett eines ver­mutlich vier bis sechs Jahre alten Kindes zutage, das nur 30 Zentimeter unter dem heutigen Kirchenboden begraben lag. Unter dem Kinderskelett fanden sich Knochenreste von Erwachsenen und ein Schädel. Offensichtlich baute man das heutige Gotteshaus zum Teil über einem ehemali­gen Friedhof. Zum Alter der Knochenfunde lassen sich derzeit noch keine Aussagen machen. Ein bißchen zum Kirchenbau verrät je­doch die Lage des Kinderleichnams: Kin­der, die vor der Taufe starben, beerdigte man dicht an der Kirchenaußenmauer, da­mit der Regen vom Dach auf die Grabstät­te lief, um so im nachhinein das Sakrament zu erteilen.

 

Die katholische Kirchengemeinde: Bis 1946 blieb die Gemeinde rein evange­lisch. Kesselstadt hatte bereits 1909 wieder eine katholische Gemeinde, allerdings ohne Kirche. Doch die Wende kam mit der Ausweisung der Heimatvertriebenen aus den ehemals deutschen Ostgebieten. Die Zahl der Katholiken wurde auch durch Zuzug von Außerhalb und durch die Neubaugebiete vergrößert.

Nach und nach wurde nun die katholische Gemeinde die katholische Pfarrkuratie Kesselstadt integriert. Die evangelischen Kirchen­gemeinden stellten ihre Kirchen zur Verfügung, auch die Barackenkirche in der Hohen Tanne. Im Jahre 1962 wurde der 1921 in Kesselstadt geborene Karl Schönhals Pfarrkurat der Kuratie Kesselstadt und betrieb den lange geplanten Bau der St. Elisabethkirche voran. Im Jahr 1964 war sie fertig und wurde vom Fuldaer Bischof Bolte konsekriert. Gleichzeitig wurde die Gemeinde zur Pfarrei erhoben und Karl Schönhals zu ihrem ersten Pfar­rer.

 

Baudenkmäler:

Bilder in: Hanau Stadt und Land

Straßenbild mit Blick auf die Kirche in Mittelbuchen, Seite 234

Obertor mit Mauerturm,       Seite 235

Grabstein Richter,                  Seite 270

Lauf­brunnen mit Viehtränke, Seite 295

Verzierte Torpfosten,             Seite 297

 

Statistisches:

Einwohnerzahl 1820 = 464; 1855 = 684; 1885 827; 1905 = 1003; 1919 = 1100; 1925 = 1205; 1939 = 1310; 1946 = 1541; 1953 ‑ 1625, davon Heimatvertriebene = 198, Evakuierte = 41 (aus Hanau = 39).

Bekenntnis: 1905 ev. = 987, kath. = 15, sonst. = 1, heute ev. = 1445, kath. = 152, sonst. = 15.

 

Wirtschaft 1953:

Starke Landwirtschaft (100 Familien); heute auch Arbeiterwohnsitzgemeinde.

Von einem Neubürger wurde ein neuer Beruf eingeführt: Musikinstrumentenbauer.

 

Gebietsreform:

Mittelbuchen entschied sich mit einer Stimme Mehrheit für Hanau. Die damaligen Oberbürgermeister Hans Martin und Bürgermeister Jean Fehlinger montierten am 1. Januar 1972 „Mittelbuchen – Landkreis Hanau“ in „Hanau – Stadtteil Mittelbuchen“ um (Bild in Martin Hoppe, Objekt der Woche, #.93).

 

 

Neubaugebiet: Mittelbuchen Nordwest:

Das umstrittene Neubauprojekt im Stadtteil Mittelbuchen mit insgesamt 122 Wohneinheiten ist fertiggestellt. Darüber informiert der zuständige Bauträger Buwog in einer Mitteilung. Am nordwestlichen Ortsrand würden in diesen Tagen die letzten Grünbereiche und Außenanlagen fertiggestellt. Seit 2017 wurde an dem Quartier, das mittlerweile den Namen „Landgut" trägt, gebaut. Alles in allem entstanden 122 Wohneinheiten, aufgeteilt in 89 Einfamilienhäuser, Doppelhäuser und Reihenhäuser sowie 33 Eigentumswohnungen in Mehrfamilienhäusern.

Das Ensemble grenzt an einen durch den Bauträger Buwog geplanten großen Spielplatz im Quartier an.

„Die weißen Wohngebäude fügen sich harmonisch in die Feld- und Wiesenlandschaft ein“, heißt es in der Pressemitteilung. Das sah und sieht eine Vielzahl von Mittelbuchern anders. Für viele ist das Neubaugebiet, das sich optisch von der vorhandenen Bebauung stark unterscheidet, ein Fremdkörper in einem gesund gewachsenen, abwechslungsreich und individuell gestalteten Ortsbild.

Eine Bürgerinitiative, die IG Bauvorhaben Mittelbuchen Nordwest, machte gegen das Neubaugebiet mobil, es gab Bürgerversammlungen in der Mehrzweckhalle und immer wieder Treffen von Stadt und betroffenen Anwohnern, deren Grundstücke direkt an das Baugebiet grenzen beziehungsweise die sich vom Bauverkehr oder generell vom vermehrten Verkehrsaufkommen in den Zubringerstraßen (laut IG zusätzliche 1000 Fahrten pro Tag) beeinträchtigt fühlten.

Vor allem die enge, in die Höhe ragende Wohnbebauung stieß den direkten Nachbarn sauer auf. Teilweise dreigeschossig, mit wenig Abstand zu den Bestandsgebäuden, die teils aus Flachdachbungalows bestehen. Die Interessengemeinschaft führte zudem die klein-klimatisch negativen Einflüsse zum Beispiel durch die Veränderung des Luftaustausches und die verminderte Sonneneinstrahlung durch Beschattung als Argument gegen das Baugebiet auf. Sie würden die Wohnqualität beträchtlich verschlechtern. Auch die hochverdichtete Bebauung, die sich massiv auf die Infrastruktur Mittelbuchens auswirken und jeden Mittelbuchener Bürger betreffen würde, führte die IG als Argument an, genauso wie die schon immer knappen oder nicht ausreichend vorhandenen Kindergarten- und Hortplätze.

Die Auswirkungen auf die natürlichen Lebensräume wie des Feldhamsters oder des Rotmilans mit nachhaltigen Schäden beziehungsweise Vernichtung der Populationen war ein weiteres Argument der IG gegen das Neubaugebiet. Letztlich half alles nichts, „Mittelbuchen Nordwest - Vor dem Lützelberg“ wurde realisiert. Wobei der Bauträger auf einige Anliegen der BI einging. So verbessern begrünte Dächer auf den Häusern im Quartier das Klima, sorgen für einen natürlichen Kühlungseffekt im Sommer und wirken dämmend. Zugleich sind Gründächer Lebensraum für Vögel und Insekten.

Mit dem finalen Bauabschnitt von 16 Wohneinheiten schließt die Buwog nun eine Quartiersentwicklung ab. Es galt dabei, so heißt es in der Mitteilung des Bauträgers, die Bedürfnisse an neuen Wohnraum in Einklang zu bringen mit Artenschutz und Archäologie.

Im Jahre 2018 wurden bei archäologischen Untersuchungen des Grundstückes historische Gräber der späten Jungsteinzeit des dritten Jahrtausends vor Christus entdeckt. Diese wurden

geborgen und dem Denkmalschutz übereignet. Zu den spektakulärsten Funden gehörte ein Grab mit sechs Personen, darunter ein junges Paar, das eng umschlungen und scheinbar küssend bestattet wurde.

Beim Artenschutz wiederum galt es, mit besagten Feldhamstern umzugehen. Vor dem Start des finalen Bauabschnitts 2021 ließ die Buwog auf der Brachfläche - wie bereits vor Beginn der vorangegangenen Bauabschnitte - ein potenzielles Feldhamstervorkommen überprüfen. Die Beobachtung durch unabhängige Gutachter nahm mehrere Monate in Anspruch, in denen die Bauarbeiten Abstand halten mussten zu den vermuteten Hamsterbauten. Nach eingehender Untersuchung der Feldhamsterverdachtsfläche wurde im Sommer 2021 schließlich eine Freimeldung durch die untere Naturschutzbehörde erteilt. Mit vorliegender Freimeldung und in behördlicher Abstimmung konnten die Arbeiten weitergehen. Für die Feldhamster-Vorkom­men in der Region wurden gemeinsam mit der Stadt erfolgreich Ausgleichsflächen geschaffen und damit auch Belange des Umwelt- und Artenschutzes einbezogen.

Insgesamt wurden in das Projekt laut Mitteilung der Buwog rund 50 Millionen Euro investiert, ein Großteil sei in Form von Aufträgen an regionale Unternehmen und örtliche Handwerksbetriebe in der Region geblieben. Im letzten Schritt gilt es laut Buwog nun, die Erschließungsstraße und den Quartiersplatz abschließend fertigzustellen (Rhein-Main EXTRA TIPP, 25. Juni 2022).

Die Wachenbucher hatten Recht, als sie die Eingemeindung nach Hanau ablehnten mit dem Argument: „Die wollen doch nur unser Bauland!“ Zunächst wurde in Mittelbuchen am westlichen Ortsrand gebaut, dann am östlichen. Dann kam das Gebiet entlang der Landstraße nach Wachenbuchen. Und schließlich noch weiter nach Nordwesten. Jetzt ist mindestens die doppelte Fläche wie 1972 bebaut,

 

 

 

Wolfgang

 

Lage:

109 Meter ü. N. N. Die Ge­markung liegt südöstlich von Hanau (3 Kilometer entfernt) an der Eisenbahnlinie Hanau­-Bebra, umfaßt 1798 Hektar, da­von 1640 Hektar Staatswald, und wird von den Gemarkungen Hanau und Großauheim ein­geschlossen.

 

Bodenfunde:

 Römische Zeit: Der Limes verläuft in der Bulau, streckenweise ist er gut erhalten, in Richtung Süd‑Nord. Dicht nördlich vom Neuwirtshaus ist ein kleines Zwischenkastell dicht hinter dem Limes an der Birkenhainer Straße.

 

Älteste Namensformen:

Ehemals Pulverfabrik; Gutsbezirk seit 1874/75. Bildung der Gemeinde Wolfgang 1928. ‑ Kloster St. Wolfgang 1468; Oberförsterei/Jagdhaus 1715.

 

Geschichtliches:

Im Bulauwald gründete 1468 Erasmus Hasefuß, Trompeter des Grafen Philipp d. J. von Hanau, eine Kapelle zu Ehren des S. Wolfgang, die mit Serviten‑Mönchen besetzt wurde. Im Jahre 1502 wurde das kleine Kloster wegen eingerissener Mißstände mit dem Hospital in Hanau vereinigt und 1525 im Bauernkrieg zerstört. Im Jahre 1715 ließ Graf Johann Reinhard von Hanau in der Nähe der Ruine ein Jagdhaus bauen, die heutige Oberförsterei.

Im Jahre 1875 wurde die Pulverfabrik eröffnet. Wolfgang und Pulver­fabrik bildeten bis 1928 zwei Gutsbezirke, aus denen am 1. April 1928 die neue Gemeinde Wolfgang gebildet wurde.

 

 

Bild Seite 264: Ehemaliges Forst­haus an der alten Straße nach Niederrodenbach, einst ein beliebtes Ausflugsziel der Hanauer (es lag im Gelände der heutigen großen Kasernen).

 

Klosterruine St. Wolfgang Seite 262

Kloster Wolfgang siehe unter „Rodenbach, Radtouren“

 

Pionierkaserne Hanau:

Die annähernd halbkreisförmige Kasernenanlage wurde, zwischen 1936 und 1938 nach Plänen des Kommandeurs des Eisenbahnregiments Nr. 3, Hans von Donat, am Rande des Bulauer Waldes errichtet. Der städtebaulich markante Komplex besteht aus zwei jeweils fünf parallele Einzelbauten umfassenden Baugruppen zu beiden Seiten des Haupteinganges sowie sechszehn eingeschossigen, halbkreisförmig angeordneten funktionalen Nebengebäuden in der zeittypischen Form der sogenannten Normbaracken. Die sich unmittelbar an der Aschaffenburger Straße erhebenden Bauten entstanden hingegen ganz offensichtlich im Sinne der für den sozialen Wohnungsbau entwickelten Landschaftsnorm, mit der man durch Reglementierungen der Dachneigungen oder Fassadengestaltungen an regionale Eigenheiten anzuknüpfen und „heimatliche Verbundenheit“ zu thematisieren hoffte: Durch Aufschieblinge verlängerte, hohe Satteldächer mit über die gesamte Baulänge durchlaufenden Schleppgauben überfangen die langgestreckten Baukörper, deren Fassaden die zeittypischen ein- bis mehrgeschossigen, von Konsolen abgefangenen Hängeerker beleben. Tragender Gedanke wird auch hier die scheinbare Kontinuität des Heimatschutzgedankens des frühen 20. Jahrhunderts gewesen sein, dessen Stilformen man - gering variiert - für die neuen Inhalte des Nationalsozialismus adaptierte (Dachform, Erker etc.). Als aussagekräftiges Zeugnis nationalsozialistischer Architektur ist die Kaserne ein Kulturdenkmal aus geschichtlichen, aber auch städtebaulichen Gründen.

 

Nach intensiven Verhandlungen hat Anfang August 2016 die Stadt Hanau von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben das Areal der ehemaligen Pioneer-Kaserne erworben. Über den Kaufpreis wurde Stillschweigen vereinbart. Rund 47,5 Hektar groß, sollen nach den Vorstellungen der Stadt auf dem Gelände im Stadtteil Wolfgang rund 700 neue Wohneinheiten für unterschiedliche Bedürfnisse und Ansprüche entstehen. Individuell geplante Einfamilien- und Reihenhäuser sowie Stadtvillen, Geschoßwohnungsbau und die Sanierung bereits bestehender Wohnblöcke werden in den verschiedenen Bereichen des weitläufigen und von viel Grün umgebenen Areal nebeneinander realisiert.

„Im Vordergrund steht für uns hier die Vielfalt: eine breite soziale Mischung, mehrschichtige Wohnprojekte für jedes Einkommen, jedes Alter, jede Herkunft und jede gesundheitliche Verfassung“, unterstreicht Oberbürgermeister Kaminsky den hohen Anspruch an die künftige Planung für Pioneer. Denn diese Vielfalt sei der Garant für modernes urbanes Leben, für eine lebendige Stadt im Rhein-Main-Gebiet, das eine der herausragenden Wachstumsregionen in Europa sei. „Für dieses neue Wohngebiet sehen wir Vielfalt nicht als Problem, sondern als Marke - als unverwechselbares Kennzeichen des expandierenden Stadtteils.“

Ein erstes Nutzungskonzept, das im Büro des Architekten Klaus Heim als Grundlage erarbeitet wurde, sieht im Detail vor, daß die bisherige fächerartige Bebauung des Areals auch künftig im Luftbild erhalten bleibt. Der äußere Bereich, der an einen Grüngürtel angrenzt, soll in rund 140 Grundstücke aufgeteilt werden, um Platz für 180 Wohneinheiten in Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern zu schaffen. Der innere Halbkreis ist sogenannten Stadtvillen vorbehalten. Hier sollen rund 190 Wohneinheiten im Geschoßwohnungsbau mit ausreichend Parkraum in Tiefgaragen entstehen.

Die unter dem Namen „Zehn Brüder“ bekannten und von der Straße deutlich sichtbaren Blöcke sollen für eine Mischnutzung zur Verfügung stehen. Wohnen und Gewerbe können hier hervorragend nebeneinander angesiedelt werden. Der in sich abgeschlossene Bereich des früheren Triangel Housing, der etwa 25 Prozent der Gesamtfläche ausmacht, verfügt bereits über bestehende Wohnblöcke, die zum Teil saniert oder abgerissen werden und durch Neubauten ergänzt werden sollen. Nach den aktuellen Planungen könnten auf diese Weise 220 Wohneinheiten entstehen, die den Bedarf nach günstigerem Wohnraum decken.

Schließlich könnte aus dem Pioneer-Gelände auch ein Vorzeige-Projekt in Sachen Klimaschutz werden, hofft die Stadt. Unter dem Motto „Klima-Pionier-Quartier Hanau“ hat sich die Stadt um die Aufnahme in das Bundesprogramm Stadtumbau beworben, das in diesem Jahr neu aufgelegt wurde. Gelingt es, sich mit dem von der NH Projektstadt erarbeiteten Entwurf durchzusetzen, werden in diesem zukünftigen Wohnquartier innovative energetische Konzepte eine Rolle spielen, die Hanau einmal mehr zu einem Vorbild für andere Kommunen machen kann.

Südlich der Straße nach Aschaffenburg wurde ab 1937 Jahren die Argonner Kaserne gebaut.

Von der Aschaffenburger Straße in Richtung Neuwirtshaus geht rechts der Ernst-Barthel-Straße ab. Von dieser geht wieder rechts die Lehrhöfer Heide ab und nach dem Rechtsknick liegt rechts hinter einem großen Haus das Schafott, von einer Mauer umgeben

Der Hanauer Schafottplatz wurde 1839 als Ersatz für das Hochgericht in Kesselstadt aus Bruchsteinen mit 2 Metern Höhe und 13 Metern Durchmesser aufgemauert. Am 11. Januar 1861 fand, damals weit vor den Toren der Stadt, die letzte öffentliche Hinrichtung statt: Heinrich Nolde aus Kleinseelheim soll vor mehr als 12 bis 15.000 (!) Menschen mit dem Richtschwert enthauptet worden sein. Vier „von der Fallsucht (Epilepsie) behaftete Personen tranken das rauchende Blut des gerichteten Raubmörders, in dem Wahne, davon geheilt zu werden“, so zeitgenössische Berichte.

. Der Schafottplatz steht unter Denkmalschutz. Der Hanauer Richtstuhl und das Richtschwert befinden sich heute im Depot der Sammlungen des Historischen Museums Hanau im Schloss Philippsruhe. Eingraviert ist die Jahreszahl 1629 der Hanauer Scharfrichterfamilie Nord. Eine Aufnahme zeigt die beiden Instrumente, wie sie um 1900 im Museum am Altstädter Markt präsentiert wurden, zudem Steinketten und Halseisen des Prangers (eine Nachbildung befindet sich am Goldschmiedehaus) (Marti Hoppe, Objekt der Woche, # 15).

 

 

Wildpferde:

Südlich der Argonner Kaserne und des Schafottplatzes liegt Campo Pond, auf dem Wildpferde in freier Natur leben.

Nach dem Abzug es amerikanischen Militärs 2008 hinterließ es auf dem Areal einen einmaligen Naturschatz. Es mag paradox klingen, aber gerade durch den Einsatz der schweren Fahrzeuge ist auf dem Truppenübungsplatz eine wertvolle Vegetation aus Sand-Magerrasen und versteppter Fläche entstanden. Außerdem konnten auf dem abgesperrten Gelände viele seltene Pflanzen- und Tierarten überleben. Ohne etwas zu tun wäre das rund 100 Hektar große Gebiet mittelfristig mit Büschen und Bäumen besetzt gewesen - und der wertvolle Lebensraum futsch gewesen. Daher entschied sich die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben als Grundstückseigentümer zusammen mit dem Bundesforst, hier Przewalski-Wildpferde anzusiedeln. Einerseits ist diese uralte Rasse stark gefährdet, andererseits haben die braunen Gesellen mächtig Appetit auf frische Baumtriebe und halten das Gelände frei von unerwünschtem Unterholz.

Als die Amerikaner Ende 2008 aus Hanau abzogen, ging „Campo Pond“ genau wie alle anderen amerikanischen Liegenschaften, in das Eigentum des Bundes über. Dieser wird vertreten

durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und deren Sparte Bundesforst. Campo Pond ist daher Konversionsgelände und nimmt mit 101 Hektar einen beachtlichen Teil der insgesamt 340 Hektar Konversionsflächen in der Stadt ein. Das Gelände liegt nordöstlich von Großauheim, östlich des New Argonner Kasernengeländes, nördlich der K 859 (Waldstraße/ Neuwirtshauser Straße) und südwestlich der B 8 (Aschaffenburger Straße). Daß es in Hanau eine originale Steppenlandschaft wie in der Mongolei gibt, ist vielen erst so richtig nach dem Abzug der Amerikaner bewußt geworden. In der Dünenlandschaft - ein Überbleibsel der Eiszeit - trainierten deutsche und amerikanische Soldaten Brückenbau und Häuserkampf.

Seit September 2009 ist mit dem Eintreffen der ersten fünf Przewalski-Stuten ein neues Kapitel des Campo Pond aufgeschlagen worden: Hanau wird zum Wildpferde-Paradies. Die spärlich bewachsene Graslandschaft - zunächst erst begrenzt auf eine 30 Hektar große Koppel - soll nach und nach zu einem Rückzugsgebiet für die in freier Wildbahn ausgestorbenen Przewalski-Pferde werden. Die Pferde sind so kostbar, daß ihr Wert nicht in Geld ausgedrückt werden kann, weil sie genetisch so rein sind und als Urahnen aller Hauspferderassen gelten. Der Name der Przewalski-Pferde stammt vom russischen Oberst Nikolaj Przewalski, der die Wildpferde 1879 bei einer Expedition in Zentralasien entdeckte. Die Pferderasse gilt seit 1969 in freier Wildbahn als ausgestorben. Das besondere Merkmal dieser Wildpferde ist, daß sie als Vorfahren aller heutigen Hauspferderassen gelten.

Von den bis zu 1,40 Meter hohen Tieren sind von 13 einst geretteten Exemplaren in Zoos weltweit rund 1.600 Nachkommen gezüchtet worden. Der Münchner Zoo hat sich unter anderem auf die Wiedereinbürgerung der Przewalski-Pferde spezialisiert und dazu beigetragen, daß seit 1988 zahlreiche Tiere wieder in freier Wildbahn in China, in Kasachstan und der Ukraine angesiedelt worden sind Der Tierpark Hellabrunn in München hat drei und der Nürnberger Zoo hat zwei Przewalski-Pferde zur Gründung einer Pferdezucht der besonderen Art in Hanau zur Verfügung gestellt. Ein österreichisches und ein niederländisches Unternehmen, die auf Transporte seltener Tiere spezialisiert sind, brachte am Dienstag die Tiere per Transporter über die Autobahn zum Campo Pond.

Daß es heute überhaupt noch die Wildpferde gibt, ist unter anderem Professor Henning Wiesner zu verdanken. Der Direktor des Münchner Tierparks Hellabrunn hat sich um den Erhalt dieser Art einen Namen gemacht. So fuhr er dem Pferdetransporter im eigenen Auto voraus, um seine Tiere selbst in Hanau zu übergeben. Betreut von Tierärztin Gräfin Dr. Julia Maltzan (Zoo München) und Tierpflegerin Gitta Jahns (Zoo Nürnberg), kamen die Tiere wohl behalten in Hanau an. Ein Pferd aus München hatte sich allerdings eine Platzwunde am Kopf zugezogen, als es zu Beginn des Transports betäubt worden war und sich unglücklich den Kopf gestoßen hatte.

Altersmäßig ist alles dabei. Die ersten fünf Tiere - am Ende sollen es einmal 30 sein - inspizierten ganz langsam das Areal. „Ajala“ (anderthalb Jahre) und „Sira“ (3) aus Nürnberg sowie „Barioja“(19), „Si­beb­sch­ka“ (18) und ,,Ebola“ (5) aus München waren damals kaum aus den zwei Hängern zu bekommen. Dann faßten sie aber Mut und überwanden ihre Angst vor der fremden Umgebung und vor allem der großen Presseschar. Doch Przewalskis haben eine Lebenserwartung von mindestens 30 Jahren. und auch Sibebschka (vom Team wegen ihrer Körperfülle liebevoll „Fässchen“ genannt) und Barioja können noch mehrmals Mama werden.

Betreut werden die Tiere von Dr. Marion Beil. Die Biologin schaut täglich nach dem Wohlergehen der Tiere, die bis zu 30 Jahre alt und zwischen 280 bis 350 Kilogramm schwer werden können. Für die Tiere, die Wind und Wetter gewöhnt sind und normalerweise kein zusätzliches Futter benötigen, ist dennoch ein Unterstand aus Holz gezimmert worden. Im Bedarfsfall werden die Tiere durch die Tierärztin des Frankfurter Zoos. Dr. Christina Geiger, betreut. Das Projekt Wildpferdezucht, das einmal auf gut 100 Hektar ausgedehnt werden kann, wird unter anderem finanziert durch eine Ausgleichsmaßnahme für die Eisenbahnneubaustrecke Mannheim-Frankfurt (17.09.09).

 

Die Arbeitsgemeinschaft Przewalski-Pferde hat es sich zur Aufgabe gemacht, die als fast ausgestorben geltenden Tiere wieder fest weltweit zu etablieren. Im Jahre 1904 gab es noch 13 Exemplare in Zoohaltung. in freier Wildbahn lebte keins mehr Dank akribischer Zuchtarbeit ist der Bestand inzwischen wieder auf 1.600 Pferde angewachsen. Das Hanauer Quintett stammt in reiner Linie (ohne die Kreuzung mit Hauspferdrassen) aus den Zoos Nürnberg und München. Es war gar nicht so einfach für die fünf, die im Prinzip gnadenlos hier zusammengepackt wurden. Die Stuten haben sich erstmal in der Herde sortieren und jede ihre Position finden müssen. Das wird aber jeden Tag aufs Neue in Frage gestellt. Jetzt gilt es erst einmal für die fünf Stuten, ihre Rangfolge in der neuen Herde festzulegen. Über den Winter sollen die Pferde Zeit haben, sich gemächlich einzugewöhnen. Deshalb wird erst im kommenden Jahr die Herde durch einen Hengst ergänzt. Damit soll vermieden werden, daß es zu früh Nachwuchs gibt, bevor sich die Tiere richtig akklimatisiert haben.

 

Man hat entschieden, erstmal eine reine Stutenherde aufzubauen. Der Grund leuchtet ein: Ist der Mann erstmal im Haus, drehen die Mädels am Rad - eben wie im richtigen Leben. Eine gefestigte Herdenstruktur ist notwendig, um den Hengst dazu lassen zu können. Sonst gäbe es zu viel Streß unter den Damen. Und dann der liebe Nachwuchs: Fohlen in der Herde bedeuten eine Menge Integrationsarbeit. Das ist jetzt noch zu viel. Die Stuten brauchen noch Zeit. Ferner darf man nicht vergessen, die Ankunft des Hengstes genau zu takten. Die Wildpferde tragen 11 Monate, und wenn der Hengst da ist, geht es auch sofort los. Da werden alle Stuten, egal in welchem Alter, rossig. Aber natürlich dürfen die Fohlen nicht im Winter geboren werden. Also sind Gruppendynamik und Zeitmanagement zugleich gefragt. Im Moment jedenfalls hat Ebola die Führung der Damenriege übernommen - nach zum Teil recht knackigen und ganz gar undamenhaften Kämpfen.

Daß das Wort „Stutenbissigkeit“ nicht von ungefähr kommt, bleibt an Narben erkennbar, die die Tiere kennzeichnen. Im Kampf um die Rangordnung im Matriarchat wurde nämlich unnachgiebig getreten und geschnappt. Noch immer steht die Hierarchie auf wackeligen Füßen und wird gelegentlich neu ausgefochten. Im Juli oder August 2010 kamen die nächsten fünf Stuten und 2011 wurde der Deckhengst auf die Damenriege losgelassen.

 

Andere Tiere indes dürften sie zur Genüge treffen, denn schließlich leben in dem als Fauna-Flora-Habitat (FFH) eingestuften Naturschutzgelände auch zahlreiche weitere Lebewesen, zum Teil sogar bedrohte Arten. Oberförster Harald Fuhrländer sieht frühmorgens sogar öfter Rehe und Przewalskis in friedlicher Eintracht auf der Weide stehen.Es gibt seltene Vogelarten wie Wiedehopf, Wendehals, Heidelerche und Pirol. Auch der naturgeschützte Magerrasen ist gut erhalten und seltene Pflanzenarten haben sich sogar vermehrt. Die positiven Auswirkungen der Beweidung durch die Pferde sind offensichtlich. Es hat sich gezeigt, daß Landreifgras durch die Beweidung mit Pferden zurückgegangen ist, sich dafür aber immer mehr seltene Pflanzen wie das Silbergras, die Sandstrohblume und das Tausendgüldenkraut angesiedelt haben.

Das über 100 Jahre ausschließlich militärisch genutzte Gelände wird durch die Beweidung auch künftig großflächig waldfrei gehalten. So können hier viele außergewöhnliche Arten überleben. Heidelerche, Pirol und Rotmilan gehören ebenso zum Inventar wie Hunderte von Kreuzkröten und Springfrösche, aber auch Pflanzen-Raritäten wie Strohblumen, Sandglöckchen und Silbergras. Eine Sensation für die Fachwelt der Fund seltener Urzeitkrebse in den sogenannten Himmelsteichen des Campo Pond Areals.

Die unterschiedlichen Lebensräume, wie Sand-Magerrasen. Steppenvegetation und nicht forstwirtschaftlich genutzte Wälder bieten Rehen, Kaninchen, Füchsen, Fledermäusen und diversen Amphibienarten ein Zuhause. Rund 70 Hektar des Geländes wurden aufgrund des besonders seltenen „Sand-Magerrasen“, vom Hessischen Naturschutz-Ministerium als FFH-Gebiet (Fauna-Flora-Habitat) ausgewiesen und sind somit durch eine EU-Verordnung geschützt. Um den FFH-Status zu erhalten, entstand die Idee, Przewalski-Pferde als „Landschaftspfleger“ anzusiedeln. Sie verputzen neue Baumtriebe genauso wie Unkraut. So kann das wertvolle Silbergras wachsen und die Sandflächen werden offen gehalten.

 

Die fünf Stuten bleiben heute auf Distanz, grasen weiter hinten auf der Weide und behalten die Zweibeiner ihrerseits diskret im Blick. Anfangs standen alle Pferde am Zaun, waren sie alle aus Zoos gekommen und damit auch an Besucher gewöhnt. Die „neue Einsamkeit“ ist am Anfang eine Umstellung gewesen. Sie kümmern sich nicht um Menschen. Fest steht aber, daß die fünf Stuten, die voraussichtlich im Spätfrühjahr 2010 weitere Artgenossinnen begrüßen können, auf der Weide genau die Nahrung finden, die sie am liebsten fressen (Fuhrländer: „Birke mögen sie nicht. Und Kiefer auch nicht. Da klebt das Harz wahrscheinlich so an den Zähnen“).

Und das ist gut so, denn nur zum Spaß stehen die Damen nicht auf dem Campo Pond. „Die Pferde haben hier einen Job“, sagt Daniela Balzer. Sie halten nämlich Wiese und Büsche kurz - eine Arbeit, die bei der Größe des Geländes sonst schwer zu bewältigen wäre und den Forst­mitarbeitern alleine obliege. Die fleißigen Vierbeiner machen das gut.

 

Das Umweltzentrum bietet Führungen und ein umweltpädagogisches Programm für Schulklassen und Kindergärten an, um den großen und kleinen Hanauern dieses deutschlandweit einzigartige Projekt vor allem in seiner ökologischen Bedeutung nahe zu bringen. Das Interesse ist schon jetzt so groß, daß die Leiterin des Zentrums, Daniela Balzer, potentielle Besucher bittet, sich unbedingt vorher anzumelden.

Die breite Öffentlichkeit muß sich noch ein wenig gedulden, um die Tiere sehen zu können. Die Wildpferde sollen erst einmal geschont werden. Die Verwirklichung des geplanten Infozentrums solle auch noch eine Zeit dauern. Rund um die Koppel, abgegrenzt durch einen Holz- und Elektrozaun, haben die Forstbehörden einen geschotterten Weg angelegt. Gäste können das Areal umrunden. Der Zaun verläuft auch rund um den See, die einzige Wasserstelle für die Tiere. Zunächst soll es einige geführte Touren geben.

Nur wenn ein Informations- und Artenschutzzentrum gebaut wird, darf das Areal öffentlich zugänglich gemacht werden. Vorstellbar ist ein Haus mit angeschlossener Gastronomie, in dem Gäste über die Geschichte des Geländes und der Pferde unterrichtet werden könnten. Ein Zentrum dieser Art wäre bundesweit bedeutsam. Die Przewalskis versprechen zur wahren Touristenattraktion zu avancieren. Das Umweltzentrum begleitet das Projekt als nicht profitorientiertes Bildungsunternehmen.

 

Die Przewalskis gelten als letzte noch lebende Wildpferdeart und müssen schon über 700.000 Jahren in Kanada heimisch gewesen sein, so bezeugen es Knochenfunde. Sie sind nur etwa halb so groß wie ein normales Hauspferd und wirken mit ihrer irokesischen Stehmähne überaus freundlich. Allerdings sind sie eben keine domestizierten Tiere, deswegen sollte man sich ihnen bei einer Führung mit gebühren Respekt nähern. Auch wenn es zum Teil neugierig auf Menschen zugeht, gestreichelt will ein Wildpferd nicht werden.

 

Im September 2010 kamen fünf weitere Stuten zur Herde: Ginger (vier Jahre) und Galinka (4) aus dem Tierpark Hellabrunn, Ilonka (2) aus dem Nationalpark Bayern sowie Adina (1) und ihre Mutter Abadia (10) aus dem Zoo Nürnberg. Freuen dürfte sich über die beiden Nürnberger vor allem Ajala aus Herde Nummer eins, schließlich ist Adina ihre Schwester und Abadia ihre Mutter.

Zunächst war geplant, im Frühjahr 2010 einen Hengst in die Herde zu integrieren, um mit der Nachzucht zu beginnen. Doch das für das internationale Artenschutzprogramm zuständige Expertengremium des EEP (Europäische Erhaltungszuchtprogramm für Przewalski-Pferde) beschloß, die Herde zuerst um einige Stuten zu erweitern, bevor im Frühjahr 2011 schließlich der Hengst folgen soll. Läuft alles nach Plan, wird ein Teil der Pferde irgendwann wieder in ihrer ursprünglichen Herkunftsregion. in der Mongolei, China und Kasachstan ausgewildert, während die anderen Nachkommen dazu beitragen, im Rahmen des Zuchtprogramms die Art zu erhalten und weiter zu vermehren.

Mit dem Ruhestand von Professor Henning Wiesner im Jahre 2010 - ehemals Leiter des Münchner Tierparks Hellabrunn, der für die Ansiedlung in Hanau verantwortlich war - leitete das Expertengremium des Europäischen Erhaltungszuchtprogramms für Przewalski-Pferde (EEP) einen Kurswechsel ein. Wie seine Nachfolgerin Dr. Christina Kempter in Hanau verkündete, ist nicht geplant, den Stuten einen Hengst zur Seite zu stellen, um mit der Nachzucht von Urwildpferden zu beginnen. Die Experten beschlossen, die Zucht der seltenen Tiere bevorzugt in Zoos unter tierärztlicher Aufsicht zu betreiben.

Die Tiere in Hanau gehören der reinrassigen A-Linie an, und diese ist vom Aussterben bedroht. Deshalb sei nachvollziehbar, daß das EEP sich für die Aufzucht im Zoo entschieden habe. Dort herrschen optimale Rahmenbedingungen. Campo Pond dagegen ist Wildnis. Es wäre nicht auszuschließen, daß eines der Fohlen hier sterben könnte.

Und es gibt noch einen weiteren Punkt. der gegen das Hanauer Zuchtmodell spricht: die geplante Auswilderung in die Mongolei. Die Stuten befinden sich auf der letzten Stufe vor ihrer Auswilderung. Die strengen Auflagen verlangen, daß sie die Reise nur antreten dürften, wenn sie erstens gesund, und zweitens nicht trächtig seien. Wenigstens eine der Damen kommt zum Zug: Stute Ebola verließ die Herde vor wenigen Wochen, um im Tierpark Hellabrunn in eine Zuchtgruppe integriert zu werden. Leider wird ihr Nachwuchs das Licht der Welt nicht in Hanau erblicken.

 

Im September 2011 gab es eine Naturschutz-Fachtagung des Bundesforsts zum Thema „Rena­turierungsmaßnahmen ehemaliger militärischer Anlagen“. Das Naturschutzgebiet Campo Pond mit seiner großen Vielfalt an Pflanzen und Tieren eignet sich ideal, um Umweltbildung zu betreiben und großen und kleinen Besuchern die Themen Natur und Biodiversität näher zu bringen.

Die regelmäßigen Führungen des Umweltzentrums über das Gelände finden großen Anklang und sind lange Zeit im Voraus ausgebucht. Aber für Gruppen und Schulklassen werden auch jederzeit Sondertermine gemacht. Für Führungen kann man sich anmelden unter der Telefonnummer (0 6181) 304 91 48 oder per Mail an die Adresse: "umweltzentrum@hanau.de". ,

 

Rund fünf Kilometer Holz- und Elektrozaun wurden errichtet, um das 85 Hektar große Weidegelände zu sichern. Um eine medizinische Versorgung der Tiere zu ermöglichen, wurde zwischen den beiden großen Weiden einen Tierfang errichtet, der den Ärzten Zugang zu den Tieren ermöglicht. Aber selbst auf dem begrenzten Areal des Tierfangs ist es mitunter eine große Herausforderung sich den Tieren zu nähern, um eine Impfung oder Medizin zu verabreichen. Urwildpferde sind eben keine Haustiere.

Im Oktober 2011 ist die zweijährige Stute Adina plötzlich und unerwartet verstorben. Ein Gutachten des Landesbetriebs des Hessischen Landeslabors in Gießen war kürzlich zu dem Ergebnis gekommen, daß das Pferd „möglicherweise an einem übermäßigen Genuß von Eicheln verstorben“ ist. Dies hatte eine Untersuchung des Mageninhalts ergeben. Im vergangenen Jahr gab es massenhaft Eicheln, die grün vom Baum gefallen sind. Nur in diesem frischen Zustand sind sie eine Gefahr für Pferde.

 

Im März 2012 sind sieben Stuten auf dem Gelände. Da wird gekabbelt und geschubst - ein regelrechter „Zickenkrieg“ ist ausgebrochen. Sie machen die Rangordnung unter sich aus. Jede kriegt ihren Platz in der Herde gezeigt. Das sind die typischen Frühlingsgefühle. Aber es gibt nicht nur Ärger untereinander. Gegenseitig helfen sich die Pferde beim Loswerden des dicken Winterfells. Das löst sich ab und das dünne Sommerfell wächst nach. Dadurch juckt es sie überall, was die Stuten natürlich ziemlich stört. Aber das ist bald vorbei.

Allerdings muß man sich darauf einstellen, daß die Pferde nicht mehr so einfach und oft zu sehen sein werden: Sie haben sich an die Menschen gewöhnt. Die Neugier hat nachgelassen, die Besucher sind nicht mehr so interessant. Auch mit den neuen Nachbarn im Argonner-Park und den Kindern der angrenzenden Schule kämen die Przewalski-Stuten gut klar. Es läuft also alles bestens mit den Urwildpferden in Großauheim. Eine Erweiterung der Herde auf bis zu zehn Stuten ist denkbar. Darüber wird in den nächsten Monaten entschieden.

 

Statistisches:

Einwohnerzahlen: 1905 (Gutsbezirke Pulverfabrik und Wolfgang) = 356; 1919 = 316; 1925 = 341; 1939 = 1185 (mit Militärpersonen); 1946 = 585; 1953 = 966, davon Heimat­vertriebene = 130, Evakuierte = 49 (aus Hanau = 40).

Bekenntnis: ev. = 600; kath. = 320; sonst. = 5 Prozent.

 

Wirtschaft 1953:

Die Einwohner sind hauptsächlich in Industrie‑ und Handwerksbetrieben sowie im öffentlichen Dienst in Hanau und Frankfurt beschäftigt. Deutsche Kunstlederwerke (Degussa); Condux‑Werke. ‑ Samendarre; Großkamp (Großbaumschule) des Forstamtes Wolfgang an der Niederrodenbacher Straße.

 

Großauheim

 

Lage:

Großauheim liegt 100 m über N.N. südöstlich von Hanau, 4 Kilometer davon entfernt, am rechten Ufer des Mains an der Bahnstrecke Hanau-Aschaffenburg. Die Gemarkung umfaßt 1055 Hektar (davon 366 ha Wald). Dazu gehört Neuwirtshaus. Gemeindewappen Seite 359

 

Bodenfunde:

Jungsteinzeit: Siedlungsfunde in einer Sandgrube westlich des Ortes, unterhalb der ehemaligen Kunstseidenfabrik (Bautz).

Hügelgräberbronzezeit: An der vorgenannten Stelle Bronzenadel, 2 Bronzearmringe und 3 Ton­tassen aus zerstörten Gräbern. Am Dammskippel Grab mit Halskette aus 4 Brillenspiralen und Tonschale, sowie Siedlungsfunde (Bild Seite 49).

Jüngste Bronzezeit (Urnenfelderstufe): Brandgräber am Dammskippel.

Ältere Eisenzeit: Gräberfeld mit Brandgräbern südwestlich der Straße Hanau-Großauheim und am Dammskippel.

Jüngere Eisenzeit: Große Siedlung am Dammskippel und Brandgräber wurden gefunden beim Bau der Kunstseidenfabrik.

Römische Zeit: Zwei Töpferöfen, Mitte 2. Jahrhundert im Betrieb, südwestlich der Straße Hanau-Großauheim.

Alemannische und fränkische Gefäßreste wurden neben der alten „Wolkenburg“ gefunden.

 

Älteste Namensformen:

Ewicheim 806, Eweheim um 850, Oweheim 1062, Auheym 1283; Auheim ex ista parte Mogi versus Hagen 1270, Auwheim bie Hanau 1371, Großen Awheim (Plan von 1597).

 

Geschichtliches:

Auheim im Maingau gehörte mindestens schon 1270 den Herren von Eppstein zu ihrem Amt Steinheim und kam mit diesem 1425 an Kurmainz. Von 1438 bis 1458 war es im hanauischen Pfandbesitz. Im Jahr 1802 kam der Ort an Hessen-Darmstadt und wurde 1816 an Kurhessen abgetreten und mit dem Amt Büchertal vereinigt.

 

Statistisches: Einwohnerzahl:

1820 = 1114; 1855 = 1898; 1885 = 2761: 1905 = 5336; 1919 = 7048; 1925 = 7383; 1939 = 7542; 1946 = 9651; 1953 = 10 500, davon Heimatvertriebene = 1442. Evakuierte = 405 (aus Hanau rund 300).

Bekenntnis: Ursprünglich rein katholisch (1850 zwei evangelische Familien); 1905: ev. = 1267, kath. = 4064, israel. = 5; heute: kath. rund 6000, ev.  rund 4000, sonst. = 478.

 

Wirtschaft 19653:

Eigene große Industrien: Brown, Boverie & Cie. (BBC) und von Arnimsches Eisenwerk (Marienhütte); Landmaschinenfabrik Bautz; Dampfsägewerk Laber; Rütgerswerke u. a. Daneben schon früh Arbeiterwohnsitzgemeinde (Bahnbeamte und Arbeiter, früher Pulverarbeiter, Zigarrenarbeiter usw.). Nur noch geringe Landwirtschaft, da viel Ackerland zum Hanauer Mainhafen und Hauptbahnhof gezogen. Altersheim (St. Vincenz-Schwestern), 2 Kindergärten, 1 Badeanstalt, 1 Licht-, Luft- und Sonnenbad.

 

 

Rundgang

Hinter dem Hanauer Hauptbahnhof fährt man in die Auheimer Straße. Am Eingang des heutigen Großauheim fährt man nach rechts in die Bahnhofstraße. Am Ende dieser Straße steht ein Bild­stock. Hier geht es nach rechts in die Hauptstraße und dann gleich wieder links in Richtung Main. Dort an der Paulskirche parkt man. Rechts sieht man die Eisenbahnbrücke. Sie wurde 1888 ge­baut. Heute kann sie von der Bahn, Fußgängern und Fahrradfahrern benutzt werden. Von der Brücke sieht man die Großauheimer „Kirchenfront“: Gustav-Adolf-Kirche, St.-Pauls-Kirche, Jakobuskirche (von Nord nach Süd).

 

Gustav-Adolf-Kirche:

Die beiden Orte Großauheim und Großkrotzenburg sind bis um die Mitte des vergangenen Jahr­hunderts rein katholische Orte gewesen. Obwohl im benachbarten Hanau bereits 1523 durch Adolph Arbogast evangelisch gepredigt wurde, fand die Reformation in Großauheim und Groß­krotzenburg keinen Eingang, vor allem wahrscheinlich aufgrund des Umstandes, daß beide unter der strengen Herrschaft von Kurmainz standen. Auch der im Jahre 1816 erfolgte Übergang der beiden Orte an Kurhessen änderte zunächst nichts an dem konfessionellen Stand der Orte.

Aber seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts ließen sich in großer Zahl Bahn­beam­te und Bahnarbeiter, kaufmännische Angestellte und Fabrikarbeiter in Großauheim nieder, unter ihnen von Anfang an viele Evangelische aus ganz Deutschland. Lebten 1804 nur zwei evangelische Bürger in Großauheim, war ihre Zahl durch den Zuzug innerhalb von 100 Jahren auf 1.500 angestiegen.

Bis zum Jahre 1896 mußten die Evangelischen Großauheims und Großkrotzenburgs, wenn sie einen evangelischen Gottesdienst besuchen wollten, sich auf den weiten Weg nach der 5 bzw. 10 Kilometer entfernten Johanneskirche begeben, denn die Betreuung der Evangelischen in Groß­auheim und Großkrotzenburg lag in den Anfängen des Kirchspiels in den Händen der Geistlichen der Johannesgemeinde in Hanau. Die Gemeinde war seit 1898 evangelische Filialgemeinde der Johanneskirche in Hanau; seit 1910 war sie eigene evangelische Hilfspfarrei, seit 1914 eigene Pfarrei.

Nach Zwischenlösungen mit einem Betsaal und erfolgreichen Bemühungen um die Gründung einer einklassigen evangelischen Schule im Jahre 1893 führten dann der Eifer eines Kirchbau­vereins und die Mithilfe des Gustav-Adolf-Vereins zur Verwirklichung aller Wünsche und Pläne für einen Kirchenbau. Der Grundstein für die Kirche wurde am 19. September 1909 gelegt, die Einweihung des Gotteshauses durch Generalsuperintendent D. Pfeiffer Kassel (früher Superintendent in Hanau) konnte am 22. Januar 1911 stattfinden. Später erhielt die Kirche den Namen  „Gustav-Adolf- Kirche“.

Erster Pfarrer in der Gemeinde wurde Oskar Fuchslocher aus Fulda, nachdem er bereits seit 1910 als Hilfspfarrer in der Gemeinde tätig gewesen war. Ein Pfarrhaus für die neue Pfarrei wurde 1916 erworben (Leinpfad 1, nur von der Langgasse her zugänglich). In dem Betsaal wurde eine „Kleinkinderschule“ eingerichtet und die Wohnung im 1. Stock des gleichen Gebäudes zur Errichtung einer „Krankenpflegestation“ benutzt. Am Ende des 2. Weltkrieges wurden Kirche und Pfarrhaus infolge der Sprengung der Mainbrücke und durch amerikanischen Beschuß stark beschädigt.

Die zweischiffige Renaissancekirche, gekennzeichnet durch das steile hohe Dach, den dicken Turm und die schmalen Fenster, vermeidet innen jede Symmetrie. Das Holztonnengewölbe bewirkt eine hervorragende Akustik.

Durch die innere Renovierung im Jahre 1953 wurde der Chorraum durch ein an der rechten Seite neu eingesetztes großes Fenster und durch die helle Farbgebung zu einem lichten Raum gestaltet. Die an der Rückwand des Chorraumes befindlichen kleinen Chorfenster wurden zugemauert und die Rückwand mit einem großen Spruchteppich versehen. Der Altar erhielt ein in englisch-rot gestrichenes, goldabgesetztes Holzkreuz.

Die Orgel wurde 1910 von der Orgelbauanstalt Ratzmann, Gelnhausen, erstellt und bei der Renovierung des Kircheninneren umdisponiert. An Plänen für eine Neugestaltung des Innenraumes wird gearbeitet, um die Kirche für verschiedene gottesdienstliche Veranstaltungen nutzbar zu machen.

Am letzten Sonntag im April 2002 wurden die Glocken in einem Festgottesdienst gesegnet. Ein gewaltiger Dreiklang: es - g - b. An Pfingsten soll das neue Geläut erstmals vom Turm herab klingen. Kirchenvorsteher Manfred Zach macht einen glücklichen Eindruck. Die alten Glocken sollten oben bleiben, aber die Landes-Kirchenleitung sagte nein. „Nun wird es 100.000 Mark teuer, weil wir die Mauer aufbrechen mußten“, bedauert Zach: „Denn die alten Glocken sind wesentlich größer als die neuen, die durch das Fenster der Glockenstube passen würden.“ Die größte der alten Glocken hatte einen Durchmesser von 1,67 Meter.

Jürgen Hessel, Glockensachverständiger der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Wal­deck, hauptamtlich Kirchenmusikdirektor im Kirchen-Sprengel Hanau, hatte die Töne der neuen Glocken festgelegt, dieselben wie die der alte. Das müsse mit den katholischen Nachbarkirchen zusammenpassen, Peter & Paul auf der anderen Mainseite in Klein-Auheim und St. Paul in Großauheim, nur wenige Steinwürfe entfernt. „Die alten Glocken haben wir über Internet angeboten, die große und die mittlere gehen an einen Künstler in der Pfalz", freut sich Zach. Die kleine soll als Denkmal im Kirchgarten stehenbleiben.

Aber wo ist die Uhr? Es hat nie eine gegeben, weil vielleicht das Geld fehlte. Indes hatte man 1910 schon mal vorsorglich zwei Zifferblätter installiert, eines nach Norden Richtung Hanau, weil sich Großauheim ja eigentlich dahin am Main entlang entwickeln sollte (statt der Waldsiedlung), und das zweite Richtung Hauptstraße.

Nach Vollendung des 30 Meter hohen Turms bestellte die Gemeinde drei Bronzeglocken von Rincker in Sinn (bei Herborn) im Moll-Dreiklang f - as'- c'. Doch 1917 ließ das Kriegsministe­rium die große und kleine Glocke (f' + c') holen, um Kanonen oder wer weiß was daraus zu machen. Ab März 1920 war ein neues, komplettes Geläut im Gespräch. Der Prozeß war indes langwierig und höchst kompliziert, weil nicht nur Not herrschte, sondern auch die Inflation. Um drei neue Glocken aus Graueisenguß finanzieren zu können, beschloß die Gemeinde nach langen und heftigen Beratungen, die noch verbliebene, mittlere Bronzeglocke (as) an die pommersche Gemeinde Rützenhagen (Kreis Schlawe, heute Polen) zu verkaufen - für 6,5 Millionen Mark. Mit dem Guß der neuen Glocken wurde Ulrich & Weule in Apolda/ Bockenem beauftragt in den Tönen es-g-b.

Im Januar 1993 waren die Glocken so stark ausgeschlagen, daß Bronzepuffer an die Klöppel angebracht werden mußten, die den Anschlag dämpfen sollten. Doch als im August 1998 vom Sachverständigen festgestellt wurde, daß die Bronzepuffer schon teilweise wieder zerschlagen waren und nicht mehr geläutet werden durfte, war wieder ein neues Geläut das Top-Thema im Kirchenvorstand. Der Beschluß fiel am 24. Mai 2000. Im Januar 2001 wurde eine Spendenaktion gestartet und schließlich im Juni 2001 der Auftrag an Glockengießer Hermann Schmitt in Brockscheid erteilt. Wieder was Solides sollte es sein, natürlich in Bronze. Mit den Tönen blieb man beim jahrzehntegewohnten Dreiklang es - g - b. Am 26. April wurde angeliefert, am 28. erfolgte die Segnung.

 

St.-Pauls-Kirche:

Als die Jakobuskirche wegen des Bevölkerungswachstums in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts zu klein wurde, hat man 1905, damals noch außerhalb der Bebauungsgrenze, den Grundstein für die im neoromanischen Stil errichtete St.-Pauls-Kirche gelegt. Wegen der achtungsgebietenden Größe und der bevorzugten Lage am hohen Flußufer des Mains trägt die Paulskirche im Volksmund den Namen „Dom am Main“. Die in neuromanischem Stil in den Jahren 1905 bis 1907 erbaute Paulskirche ist dreischiffig. Das Steingewölbe ruht auf vierzehn Pfeilern. Der Hauptturm wird von zwei Treppentürmen flankiert.

Während des zweiten Weltkrieges und besonders in den Märztagen 1945 entstanden an dem Gotteshaus beträchtliche Bauschäden. Wände und Decken wurden durch Erschütterungen und Granateinschläge an mehreren Stellen eingerissen und alle Fenster durch den Luftdruck schwer zerstört.

Die Fenster wurden nach Entwürfen des örtlichen Kunstmalers August Peukert neu verglast. Es sind Ornamentverglasungen in gedämpften Farben. Die sieben hohen Fenster des Chores zeigen heute Christus-König, von Engeln umgeben. Die leiblichen und geistlichen Werke der Barm­herzigkeit fällen jetzt die Rosetten des Querhauses. Den Fenstern des hohen Mittelschiffes und der Querflügel gab man wiederum Farben in hellen Tönungen. Die Triforien an den Mittel­schiffwänden, welche die Wandflächen beleben sollten, wurden zugemauert.

Der Hauptaltar als Altartisch steht im Chor der Kirche. Dahinter ein Kreuz mit lebensgroß ge­stal­tetem Kruzifixus. In der Apside des linken Seitenschiffes steht ein Sakramentsaltar, in der des rechten Seitenschiffes ein Altar mit Pietà-Aufsatz. Im linken Querschiff befindet sich eine lebensgroße Holzplastik des Paulus, im rechten eine des Judas Thaddäus.

Das Hochaltarkreuz und die Holzplastiken der beiden Heiligen stammen von dem Steinheimer Holzbildhauer Wohlfahrt; ebenfalls sind von ihm die Weihnachtskrippe, die Plastik der Hl. Lioba und der Hl. Hedwig in der Apsis des Hauptaltars. Hier befinden sich außerdem neuromanische Plastiken, die die heiligen Könige Ludwig und Heinrich sowie den Hl. Bonifatius und Adalbert darstellen. - Im Gotteshaus befindet sich eine Orgel der Firma Gebrüder Späth, Ennetach-Menningen.

Der Kirchenbau, in den Jahren 1905 bis 1907 im neuromanischen Stil errichtet, hatte eine Rundumerneuerung dringend nötig. Der Sandstein und der Basalt blättern an vielen Stellen ab. Poröse Steine mußten gegen neue ausgetauscht, Zementfugen erneuert werden. Für die sorgfältige Sanierung der Außenfassade hat die Kirchengemeinde eine Spezialistenfirma aus Bamberg beauftragt. Auch die schmiedeeisernen Eingangsportale, die mit ihren Verzierungen dem Jugendstil nachempfunden sind, erstrahlen wieder im einstigen Glanz.

Insgesamt ist die Renovierung in drei Bauabschnitte unterteilt. Die Sanierung des hohen Glockenturms ist abgeschlossen. Mit der Neueindeckung des Daches geht es weiter. Der im Allgemeinen schnörkellose Sakralbau ist mit einigen aufwendigen Verzierungen, Säulchen und Bögen versehen. Die waren ursprünglich gar nicht vorgesehen. Da aber zur Freude des Architekten damals noch Geld übrig gewesen sei, habe er den Außenbereich der Kirche aufwendiger gestaltet als vorgesehen.

 

Man läuft weiter am Mainufer entlang. Man kommt zu einem großen Kreuz für die Kriegsopfer und Opfer des Nationalsozialismus. Dort sind auch Hochwassermarken angebracht. Es folgt das Gasthaus „Engel am Zollturm“ aus dem Jahre 1738. Hier war der spätmittelalterliche Wachposten des Landesherrn zur Kontrolle der Schiffahrt. Im Jahre 1807 wurde der Turm um vier Meter abgetragen. Im Jahre 1862 wurde das Gelände aufgefüllt und in den Garten des Gasthauses „Engel“ einbezogen.

Am Wegweiser „Altstadt“ geht man nach links ins Dorf. Man kommt nach rechts auf die alte Langgasse. Rechts ist der historische Gasthof „Zum Stern“, links ein schönes Fachwerkhaus und die Jakobuskirche.

 

St. Jakobus-Kirche:

Die Jakobuskapelle gehörte zum Dekanat Rodgau des Archidiakonats St. Peter und Alexander in Aschaffenburg, wurde 1483 vom Kloster Seligenstadt verliehen, das noch 1806 das Patronat besaß. Großauheim war Filiale von Steinheim; seit 1513 ist es eigene Pfarrei. Jakobuskirche. Sie ist die eigentliche Pfarrkirche der Katholischen Kirchengemeinde. Bei ihrer Erbauung im Jahr 1766 hatte man festgestellt, daß an gleicher Stelle bereits eine Kirche gestanden hatte.

Eine Großauheimer Kirche, deren Bau spätestens zu Beginn des 14. Jahrhunderts erfolgt sein muß, wird erstmals 1482 als Jakobskapelle erwähnt. Im Jahre 1622 (oder 1628) wird die zerstörte Jakobskapelle wieder aufgebaut. Obwohl man sich seit 1650 bemühte, das Gotteshaus zu erwei­tern, so konnte es jedoch nicht verhindert werden, daß die Kapelle 1766 bis auf die Sakristei abgerissen und durch eine Hallenkirche in barockem Stil ersetzt wurde.

Die Kirche ist ein gut gegliederter Barockbau, der in den Jahren 1767- 1768 erbaut wurde und eine barocke „Zwiebel“ aufgesetzt bekam, wie wir sie aus dem süddeutschen Barock kennen.

Bei aller Schlichtheit ihres Äußeren fallen die abgewogenen Verhältnisse von Schiff, Chor und Turm ins Auge.

Beachtenswert ist der Turm in seiner edlen Linienführung, ein Wahrzeichen Großauheims. Beim Turm wurde ein mittelalterlicher Ostturm verwendet. In Höhe des Chorfirstes geht der viereckige Unterbau durch die Abkantung der Ecken in ein Achteck über. Diese polygone Grundform behält er für das Kuppeldach bei, das in einer Laterne endet. Sie leitet über zur zierlichen Zwiebelhaube, die sich im Turmknauf fortsetzt und in dem kunstvoll verschlungenen, eisernen, doppelarmigen Turmkreuz und dem Wetterhahn ausmündet. Den Übergang der Bauglieder vermitteln Kranzgesimse und Schieferabdeckungen.

Der einschiffige hohe Kirchenraum und der am Triumphbogen anschließend gleich hohe Chor bieten im Licht der antikverglasten Fenster mit ihrer angemessenen Ausstattung ein herrliches Bild von Klarheit und Einheitlichkeit. Der große Hochaltar stammt aus dem Bartholomäusstift Frankfurt a.M. und wurde Im Jahre 1768 von einem Großauheimer Bürger der Jakobuskirche geschenkt. Die den Altar flankierenden feingearbeiteten Holzstatuen der Apostelfürsten Petrus und Paulus suchen ihresgleichen weit und breit. Darüber die Skulpturen der Heiligen Jakobus und Valentinus gehörten zum Hochaltar der früheren Kirche. Das Altarbild in der Mitte, Mariä Ver­herrlichung, entstammt der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Eine Kostbarkeit bildet die Alabastergruppe einer Kreuzigung aus dem 17. Jahrhundert.

Sehenswert sind auch die in den Eckwinkeln der Kirche zu seiten des Triumphbogens stehenden Seitenaltäre mit ihren Engelgruppierungen. Sehr schön ist die holzgefertigte und mit Schnitzwerk verzierte Kanzel, die auf ihrem Baldachin vor einem Strahlenkranz die Weltkugel und das Pelikan­symbol trägt.

Kanzel und Nebenaltäre entstanden um 1767. Nur in den drei katholisch gebliebenen ehemals kurmainzischen Gemeinden des Kreises gibt es Bildwerke wie hier den Hl. Nepomuk im ehe­maligen Westportal der St. Jakobskirche in Großauheim (um 1740) (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 158). Die Grabsteine sind aus dem 17. und 18. Jahrhundert.

Den Muttergottesaltar mit der Holzplastik Maria mit dem Kind und Zepter zur Linken erwarb die Kirche im Jahr 1713. Der Nepomukaltar zur Rechten stammt aus dem Würzburgischen. Auf der Wand gegenüber befindet sich ein schwarzer Marmorepitaph des Prinzen Oettingen-Wallerstein, der am 30. Oktober 1813 in der Schlacht bei Hanau fiel und im Chor der Kirche seine letzte Ruhe fand.

Eine Besonderheit bilden die Gerichtsstühle im Chor für die Mitglieder des Ortsgerichtes, das während der mainzischen Zeit bestand. Auf die barocken Beichtstühle in den Fensternischen, die herrlich klingende Barockorgel (1836), vom Orgelbauer Josef Oestreich aus Oberbimbach aufgestellt, und auf den im Jahre 1659 entstandenen siebeneckigen Taufstein aus Sandstein soll ebenfalls hingewiesen werden.

Die Großauheimer sind stolz darauf, daß der einheimische Künstler August Peukert die wunderschönen Rosettenfenster der Paulskirche gestaltet hat. Auch der ebenfalls aus Großauheim stammende Künstler August Gaul, nach dem der Hanauer Kunstpreis „August- Gaul-Plakette“ benannt ist, hat in der Paulskirche seine künstlerischen Spuren hinterlassen.

 

Die Paulskirche wurde in der Zeit der Industrialisierung erbaut. Die Großauheimer Katholiken waren überzeugt davon, daß sich ihre Stadt weiter ausbreitet, viel Industrie anlockt und die Bevölkerungszahl ansteigt - bis dann der Hafen gebaut wurde und die Träume der Ausweitung aufgegeben werden mußten.  In den vergangenen 30 Jahren verringerte sich die Zahl der Katho­lischen Gemeindemitglieder von 5300 auf 2900. Der Grund waren aber weniger Kirchen­austritte, vielmehr sei dies auf die rückläufige Geburtenrate und Wegzüge zurück zu führen. Die Konse­quenz aus dem Rückgang der Kirchenmitglieder: die Jakobuskirche ist zu klein, die Paulskirche zu groß für die Kirchengemeinde, aber der Unterhalt für beide Kirchen muß trotzdem aufgebracht werden.

 

Man geht rechts an der Kirche vorbei. Vor der Kirche am Ausgang zur Straße steht noch ein alter Grenzstein. Man kommt nach rechts zum Wanderheim „Zum Specht“. Dort geht man nach links in die Pfarrgasse. Das Eckhaus rechts an der Haagstraße ist das Geburtshaus des bekannten Groß­auheimer Tierbildhauers August Gaul. Er wurde am 22. Oktober 1869 als Sohn des Steinmetzen Philipp Gaul hier geboren und starb am 18. Oktober 1921 in Berlin.

Man geht noch ein Stück geradeaus und kommt auf die Hauptstraße. Rechts findet sich gleich der Rochus­platz. Hier stand die Rochuskapelle, die im Pestjahr 1666 gestiftet wurde. Ein Fremder soll im Jahre 1666 die Pest in den Ort einschleppt haben, woraufhin die Rochus-Prozession zum „Kapellchen“ auf dem Rochusplatz gelobt wurde. Am 26. Juli 1666 verpflichteten sich die Zivil- und Kirchengemeinden durch ein Gelübde, jährlich das Fest des Heiligen Rochus zu begehen und opferten ihm einen „Verlobten Tag zur Abwendung dieses allgemeinen Übels und zur Versöhnung Gottes“. Als Dank für die Heilung Großauheims von der Pest wurde vor dem Ort (heutiger Rochusplatz) um 1680 eine Pestkapelle, die Rochuskapelle, errichtet. An ihrer Stelle folgte 1852 das rund vier Meter hoch aufgesockelte sandsteinerne Rochuskreuz. Es bildet den Mittelpunkt der alljährlichen Rochusprozession am Sonntag nach dem 16. August, dem Tag des Schutzpatrons wie auch des Rochusmarkts (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 69 und Hanau, Seite 82).

 

 Ein Stück weiter in der Rochusstraße geht nach rechts die Sandgasse ab. In den Jahren 1899 / 1900 gründeten hier die Eheleute Curt von Arnim (1850-1916) Marie von Arnim (1855-1926) einen Zweigbetrieb des Eisenwerks, das nach der Gründerin „Marienhütte“ benannt wurde. Angeschlossen waren Schreinerei, Schlosserei und Schmiede. Es steht nur noch die unter Denkmalschutz stehende Unternehmervilla Sandgasse 32 ganz im Süden (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 55, Foto: Bildarchiv Medienzentrum)

Wieder zurück in der Rochusstraße geht man auf einem der beiden schmalen Wege zum Alten  Friedhound quer über diesen zur Straße Pfortenwingert, so rechts das Heimatmuseum im ehemaligen Elektrizitätswerk ist.

 

Museum:

Das Museumsgebäude wurde 1936 als Elektrizitätswerk erbaut. Durch den Zusammenschluß der Hanauer und Großauheimer Stadtwerke wurde es frei und bildet nun mit seinen hohen Werks­hallen die idealen Ausstellungsräume, besonders für Großobjekte aus der industriellen Produk­tionsphase der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts, darunter Teile einer Maschinenfabrik der Eisengießerei Marienhütte; selbst eine große Dampfmaschine verliert sich fast in der Halle. Ein Werktisch für sieben Silberschmiede, daneben eine komplette Diamantenschleiferei geben Einblick in die Edelmetallindustrie.

Das Museum Großauheim wurde 1983 auf Basis der Sammlung des dortigen Heimat- und Geschichtsvereins eröffnet, mit Gerätschaften des Fördervereins Dampfmaschinenmuseum e.V. ergänzt und über die Jahre mehrfach renoviert. Als Museum für Kunst und Industriegeschichte präsentiert es heute Werke der „Drei Großauheimer Augusts“: August Gaul (Bildhauer der Moderne), August Peukert (Maler und Mosaikkünstler) und August Bock (Silberschmied), eine große Sammlung von Dampfmaschinen sowie diverse Exponate von Hanauer Industrieunternehmen (Heraeus, Dunlop, Haarer, BBC etc.).

 

Der Ort hat auf kulturellem Sektor durch die Eingliederung in die Stadt Hanau ungemein profitiert hat. Wer hat schon ein Museum in der Größenordnung aufzuweisen, wie Großauheim es seit 1983 kann. Gewiß, ein rühriger Heimat- und Naturschutzverein hatte schon in den zwanziger Jahren damit begonnen, Objekte aus der Ortsgeschichte zu sammeln und später in eingeengten Räumlichkeiten auszustellen. Doch erst durch die Einbindung in den Museumsentwicklungsplan der Stadt Hanau konnte das jetzige Museum Großauheim projektiert werden. Das Leitmotiv „Landwirtschaft, Handwerk und Industrie“ nimmt Bezug sowohl auf die bäuerliche Epoche als auch das lagebedingt früh einsetzende technische Zeitalter.

Die großen schweren gußeisernen Schwungräder der Dampfmaschinen stehen als Symbol für die Industrialisierung, die den Schwerpunkt des Museums bildet. Der Übergang von der bäuerlich - handwerklich vorindustriell geprägten Lebens- und Arbeitswelt eines Dorfes zur industriellen Lebens- und Produktionsweise einer Kleinstadt wird am Beispiel des größten heutigen Hanauer Ortsteiles Großauheim dargestellt.

Das Museum ist in den Räumlichkeiten eines villenartigen, zweigeschossigen Jugendstilgebäu­des (der ehemals öffentlichen Badeanstalt) und in den beiden Hallen des ehemaligen Elektrizitäts­werkes Großauheim von 1906 sowie dem sich unmittelbar anschließenden Gebäude der alten Feuerwehr von 1928 untergebracht. Der Gebäudekomplex liegt an der Bahnlinie, an der Schnitt­stelle zum dörflichen, von Fachwerkhäusern geprägten Ortskern und den neuen, durch die Indus­trialisierung entstandenen Ortsteilen. Die Lage des Museums spiegelt somit die Thematik der Museumsinhalte wider.

 

Der Rundgang beginnt mit der Ausstellung von bäuerlichen Möbeln und dem Fachwerkbau, weiter wird Handwerkszeug gezeigt sowie Geräte für die Hausarbeit wie zum Kochen, Backen, Milch­verarbeiten, Schlachten, Flachsbearbeiten. Dann kommt man in die erste Halle: Landwirtschaft. Die Gegenüberstellung der handwerklich gefertigter Sensen, Rechen, Pflüge, Eggen, Wagen aus Holz und Eisen mit den Pflügen, Mäh- und Dreschmaschinen, Traktoren und Dampfmaschinen offen­bart die Veränderung in der landwirtschaftlichen Arbeitsweise durch die Industrialisierung.

Eine Aufnahme aus dem Jahr 2005 zeigt „die Hummel“ in der großen Maschinenhalle, eine Dreschmaschine um 1940. Solche Ungetüme waren Wegbereiter bei der Technisierung der Landarbeit. Sie zogen in „Dampfdreschzügen“ von Ort zu Ort, bestehend aus Dreschmaschine, Lokomobil, Strohpresse, Wasserwagen mit Pumpe, Kohlewagen, Geräte-, Mannschaftswagen und Zugpferde. Die Mannschaft, 10 bis 20 Lohnarbeiter, waren saisonal beschäftigt und arbeiteten 16 Stunden am Tag für 15 bis 20 Pfennige die Stunde. Der jeweilige Bauer musste die Verpflegung sichern - und die Männer hatten mächtig Hunger! Hiervon rührt noch heute der Ausspruch „Frisst wie ein Scheunendrescher“ (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 181). Im Rundgang folgen die Einrichtung einer Dorfschmiede, Wagnerei, die Darstellung der Ortsgeschichte und eine kleinbürgerliche Küche aus der Zeit um 1910, als Gegenstück zur bäuerlichen Küche.

Die zweite große Halle hat als Mittelpunkt eine liegende Einzylinder-Dampfmaschine mit Generator, MAN, Baujahr 1936, und stellt dadurch teilweise die Ausstattung des ehemaligen Elektrizitätswerkes wieder her. Eine Lokomobile ASto, Baujahr 1935, mit entsprechendem Generator, eine Dampfmaschine mit Kugelventilsteuerung und Generator von Siemens & Halske, um 1890, sowie weitere Maschinen geben einen Einblick in die Dampfmaschinentechnik. Im Museumshof stehen Schiffsdampfmaschinen und die Dampfkessel zum Betrieb dieser Maschinen. Im Atriumhof sind weitere Dampfkessel zu sehen, die die Vielfalt der Kesseltechnik zum Maschinenbetrieb zeigen.

Im Juli eines jeden Jahres werden die Dampfkessel mit Wasser gefüllt und über die Feuerluken beheizt, damit der Dampf die schweren eisernen Schwungräder in Bewegung setzt. Die Vorführung der Dampfmaschinen des Museums und weiterer Maschinen aus dem Bestand des Fördervereins Dampfmaschinen-Museum Großauheim sowie zahlreiche Dampfmaschinen von Sammlern aus ganz Deutschland sind als die „Großauheimer Dampftage“ seit Jahren bundesweit bekannt. Tausende von Besuchern sehen den Maschinenvorführungen begeistert zu.

Die Arbeitsabläufe des Dampfsägens, des Buschholzhackers, des Steinbrechers, der Kornmühle, der Wasserpumpen in Verbindung mit den Antriebsmaschinen der Lokomobilen oder der stationären Dampfmaschinen sind durch ihre relativ einfache Technik für nahezu jeden Besucher nachvollziehbar. Die schwere körperliche Arbeit die Hitze, Unfallgefahr bei laufenden Antriebsriemen und offenen Mechaniken machen den Zuschauern die vergangenen Arbeitsbedingungen deutlich. Eine weitere Dampfmaschinenvorführung im kleineren Umfang findet anläßlich des Großauheimer Rochusmarktes, am letzten Septemberwochenende eines jeden Jahres, statt. Auskünfte und Anmeldungen zu Dampfmaschinenveranstaltungen: Förderverein Dampfmaschinen-Museum e.V. Tel. 06181/5743 79

 

Eine Sonderabteilung wurde für den in Großauheim geborenen Tierbildhauer August Gaul (1869-1921) geschaffen. Seine Plastiken befinden sich in großer Zahl in städtischem Besitz und werden hier ausgestellt. August Gaul kam 1869 in Großauheim zur Welt. Nach der Ausbildung an der Hanauer Zeichenakademie wechselte er 1888 in die Hauptstadt, schloss sich 1898 der Berliner Sezession an und steig zu einem international geachteten Bildhauer auf. Er ist als bedeutendster deutscher Tierplastiker der Jahrhundertwende bekannt geworden. In seinem Geburtsort Großauheim begann man in den 1950er Jahren mit der Sammlung der Werke seines berühmtesten Sohnes.

Gauls wohl bekannteste Arbeit ist die lebensgroße „Stehende Löwin“. Der 115 x 190 x 54 Zentimeter große Bronzeguss wurde 1899/1901 in der Gießerei Noack in Berlin gegossen. Sie sorgte bereits bei ihrer ersten öffentlichen Ausstellung der Berliner Sezession 1901 für Aufsehen und gilt als eine der bedeutendsten Tierplastiken des 20. Jahrhunderts. Das Meisterwerk wurde 1970 von der Stadt Großauheim aus Familienbesitz Gaul erworben und auf dem Rochusplatz aufgestellt. Später kam die Bronze auf dem alten Friedhof an der einstigen Badeanstalt zur Aufstellung und wurde, als dieses renoviert wurde, zum Schutz vor mehrfach vorgefallenem Vandalismus im dortigen Eingangsbereich positioniert. Hier empfängt die Raubkatze in gespannter Ruhe und Würde alle kleinen und großen Besucher (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 9).

Die große stehende Löwin (Bronze 1900), die beiden sitzenden jungen Bären (Bronze 1904) und die beiden Kasuare (Bronze 1917/20), sind drei seiner herausragenden Großplastiken. Eine Reihe von über 20 kleineren Tierfiguren wie z.B. der junge sitzende Löwe (Bronze 1898) oder die zwei liegenden römischen Ziegen (Bronze 1898) geben einen Eindruck vom künstlerischen Schaffen des Tierbildhauers. Das graphische Werk August Gauls wird durch Landschaftsaquarelle und seine Tierdarstellungen, die in Form von Mappen als Lithographien oder Radierungen vertrieben wurden, illustriert. Die Ausstellungsräume mit dem Werk August Gauls befinden sich im Obergeschoß des Museumsgebäudes.

 

Der zweite bekannte Großauheimer Künstler ist der Maler August Peukert (geboren 23. November 1912 Großauheim, gestorben 2. Februar 1986 Hanau). Er war zunächst Zeichenlehrer und Gebrauchsgrafiker, konnte er aber bald ein eigenes Atelier in Großauheim eröffnen. Er war auf vielen Kunstausstellungen vertreten und war Mitbegründer des Künstlerbundes „Simplicius“. Es gibt ein „Selbstporträt, 1932“ (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 44).

Einblick in sein künstlerisches Werk gibt das Museum ebenfalls in den Galerieräumen des Obergeschosses. Peukerts sozialkritisches Engagement zeigt sich in den Kohlezeichnungen zu den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit, in den Darstellungen der Arbeitswelt aus der Großauheimer Eisengießerei Marienhütte und der elektrotechnischen Fabrik BBC, Portraits und Landschaftsbilder aus der Mainregion sowie Mosaiken sakraler Kunst vervollständigen das Werk dieses Künstlers.  Das Geburtshaus des Künstlers August Peukert steht in der Haaggasse 23 im alten Ortskern.

 

Der dritte bekannte Großauheimer ist August Bock. Im Wintergarten der ersten Etage des Museums Großauheim ist ein Bildnis des gebürtigen Großauheimer Silberschmieds und Lehrers der Hanauer Zeichenakademie August Bock (1879-1968) zu sehen. Das Porträt stammt aus der Hand von niemand geringerem als August Bock selbst. August Bock unterrichtete bis 1950 an der Hanauer Zeichenakademie und prägte zahlreiche Schüler, wie die später am Bauhaus tätigen Christian Dell (1893-1974) und Wilhelm Wagenfeld (1900-1990), sowie in der Nachkriegszeit Peter Raacke (1928-2022) (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 140).

 

Museum Großauheim, Pfortenwingert 4, 63457 Hanau-Großauheim. Öffnungszeiten:

Donnerstag bis Sonntag 10.00 bis 12.00 und 14.00 bis 17.00 Uhr, Tel. 06181/573763

Auskünfte und Anmeldung zu Führungen: Museenverwaltung Hanau Tel. 06181/20209 Fax 06181/257939.

Auskünfte und Anmeldungen zu Dampfmaschinenveranstaltungen: Förderverein Dampfmaschinen-Museum eV. Tel. 06181/574379

Auskünfte und Anmeldungen zu ortsgeschichtlichen Veranstaltungen:

Verein für Heimatkunde und Naturschutz Großauheim 1929 e.V., Tel. 06181/571313

 

Alter Ortskern:

Geht man an der Kreuzung an der Hauptstraße nach links, so kommt man in die Straße „Pforte“. Das alte Auheim lag im Halbkreis vor dem Main und wurde von einem Halbkreis von den Scheunen der Hinter- und Haggasse eingeschlossen. Es hatte nur eine einzige Zufahrt, die von der Hauptstraße über das kurze Straßenstück der Pforte (Länge 40 Meter, nur eine Hausnummer) zur Mittleren Maingasse in das Dorfinnere führte. Alt-Auheim hatte fünf Gassen: Die Pfortengasse (bis 1895 einschließlich der heutigen Mittlere Maingasse), die Taubengasse (schon 1715 so genannt), die Untere Gasse (heute Langgasse) und die Hintergasse und die Haggasse.

Die Pforte, ein steinerner Torbogen, von einem Schindeldache bedeckt, überspannte diese Gasse. In ihm ruhten die Angeln des schweren Tores, das zur Nachtzeit und bei Gefahren geschlossen wurde. Hinter ihm fühlten sich die Einwohner geborgen, denn das Pfortentor bildete sozusagen das Gemeinschaftstor für alle Anwesen des Ortes, denn nur wenige Höfe hatten ein eigenes Tor.

Das Pfortentor fand auf der einen Seite seinen Halt am „Alten Rathaus“. Dieses wurde 1487 erbaut (nicht 1481), ehemals wohl als Zehnthof. Seit dem 18. Jahrhundert war es Gasthaus „Zum Löwen“, durch Umbauten wurde der Bau verändert. Das Haus hat einen Anbau mit Torfahrt, das Obergeschoß ist aus Fachwerk. Vom 1922 bis 1934 war das Gebäude das Rathaus von Großauheim. 

In der Figurennische nach der Mittleren Maingasse zu steht eine Muttergottes von 1675, gestiftet von Johannes Klug und Frau (Bild in: Hanau Stadt und Land, Seite 214). Daneben ist noch ein Wappenstein zu sehen. Wenn man geradeaus weiter in die Mittlere Mainstraße sieht, erblickt man rechts die Alte Schule, heute Bürgerhaus. Genau in der Mitte der Giebelseite dieses Hauses lehnte sich der eine Torpfeiler der Pforte an. Dies läßt darauf schließen, daß das Pfortentor mindestens ebenso alt war wie das Gebäude. Auf der anderen Gassenseite war der Torpfeiler an dem längst nicht mehr vorhandenen Gemeindehaus angebaut. Dies vereinigte die Wachstube, die Rathausstube und das Backhaus unter einem Dache. Dem Wachraum angeschlossen war der die Arrestzelle für Missetäter (der „Gehorsamb“), bei der unter Umständen auch die „Strafgeige“ mit ihren Glöckchen zur Anwendung kam.

Die Wächter an der Pforte hatten nicht nur die Aufgabe, bei Nachtzeit das Tor zu bewachen, sondern auch die Nachtwache im Ort auszuführen. An Ausrüstungsstücken besaßen sie den Wachtspieß und das Wachthorn. Diese Geräte mußten alle vier bis fünf Jahre erneuert werden, bis endlich im Jahre 1763 zwei Wachtflinten mit Pulver und Blei angeschafft wurden. Die Ecke des alten Gemeindehauses mit dem gegenüberliegenden „Löwen“ hat noch um 1890 der spätere Tierbildner August Gaul in einer Aquarellzeichnung festgehalten.

Als in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Ortsinnere ganz bebaut war, wagten es immer mehr Auheimer, ihre Häuser auch außerhalb der schützenden Pforte zu errichten. Und so kam es, daß schon vor 1800 außer einfachen Wohnhäusern zwei Schmiedemeister, ein Spezereihändler und ein Gastwirt ihre Besitzungen außerhalb, d. h. vor dem großen Gemeindetor hatten. Um das Jahr 1815 standen bereits genauso viele Häuser vor wie hinter der Pforte.

Was Wunder, wenn am 9. Mai 1817 von Amts wegen beschlossen wurde, das Pfortentor, „ein altes baufälliges Gemäuer, welches schon lange nicht mehr seinem früheren Zweck entspreche“, auf Abbruch zu verkaufen. Johannes Botzum, der neben dem Tor an der „Straße“ wohnende Wirt „Zum weißen Roß“, kaufte das Tor für 38 Gulden und ließ es niederlegen, um der Vergrößerung von Auheim nicht im Wege zu stehen.

 

In Richtung Main sieht man wieder das Gasthaus „Engel“. Man geht aber nach rechts in die Hintergasse, in der viele sehr schöne Fachwerkhäuser stehen. Man kommt wieder auf die Langgasse und geht diese rechts weiter. Man sieht links das Ehrenmal von der anderen Seite. Zwischen dem Ehrenmal und der Paulskirche liegt das Evangelische Pfarrhaus (siehe oben). An der Paulskirche ist man wieder am Ausgangspunkt des Rundgangs.

 

Katholische Kirche Heilig Geist:

Die Katholische Heilig-Geist-Kirche befindet sich im Neubaugebiet südlich der Neuwirtshäuser Straße. Am 27. Juni 1971 wurde als Mittelpunkt eines entstehenden Gemeindezentrums der Grundstein zu einem weiteren Gotteshaus gelegt, das dem Heiligen Geist geweiht ist. Die Kirche ist ein einfacher und moderner Bau, in dessen Mittelpunkt der aus Muschelkalk bestehende Altar steht.

 

Schifflache:

Zwischen Großkrotzenburg und Großauheim lagen früher nörd­lich der Bahn zwei Weiher, die kleine und die große „Schifflache“, bekannt nicht nur wegen ihrer reizvollen Lage in einer urwüchsigen Landschaft, sondern noch mehr wegen ihrer eigenartigen Pflanzen- und Tierwelt. Durch den Tagbau auf Braunkohle im Gebiet von Kahl wurden etwa seit 1927 infolge der Absenkung des Grundwas­serspiegels diese Weiher zum Austrocknen gebracht, und hierdurch verschwanden leider auch einige besonders seltene Pflanzen.

Nördlich und nordwestlich der ehemaligen Weiher erstreckt sich eine etwa zwei Kilometer lange versumpfte alte Mainschlinge, die großenteils in ein mit Erlenbruchwald und Bleichrasen (Torfmoos) bewachsenes Flachmoor umgewandelt ist. Dazwischen liegen zahl­reiche tiefe, torfig-schwammige Stellen, verlandende Wasserlöcher, mit Weiden, Erlen, Birken, Zitterpappeln und Unterholz-Sträuchern bestandene Sumpfflächen. In den Jahren 1839 bis 1865 wurde hier Torf gestochen, und die jetzt noch bestehenden Tümpel verdanken ihre Entstehung diesem Torfstich.

Auch dieses Gebiet hat im Be­stande seiner botanischen Seltenheiten, die früher dort festgestellt wurden, durch die vorübergehende Senkung des Grundwassers schwere Einbußen erlitten.

Als nach Aufgabe des Braunkohlenberg­baues sich der Grundwasserspiegel wieder stark hob und die ehe­maligen Kohlengruben sich in die heute bestehenden Kahler Seen umwandelten, konnte auch die Sumpfvegetation wieder ihre frühe­ren Lebensbedingungen finden. Trotz der eingetretenen Verluste ist die Großauheimer Schifflache heute immer noch eine Fundgrube für charakteristische Wasser- und Sumpfgewächse, die vielfach in un­serer bis zum letzten Quadratmeter ausgenutzten Heimat hier ihre Zuflucht gefunden haben.

In den Wasserlöchern wachsen u.a. verschiedene Laichkräuter, Igelkolben, Froschbiß und auch der interessante Wasserschlauch, der mit seinen kleinen Schwimmbläschen winzige Wasserinsekten fängt und verzehrt. Im Frühsommer sind die Wassergräben geschmückt mit den zartrosa Blüten der Wasserfeder. Im Bruchwald und auf den Sumpfwiesen wachsen noch einige schöne Orchideenarten, nämlich das fleischfarbene Knabenkraut und die Sumpfwurz, daneben auch Prachtnelke, Bachnelken­wurz, Blutwurz und Fieberklee.

Von Farnkräutern treten der seltene Sumpffarn und die eigen­artige Natternzunge auf, die auch bereits vorübergehend als ausgestorben galt. Selbst der Sonnentau, der bekannteste Insekten­fänger unserer Heimat, findet sich noch auf einer kleinen Torfwiese und hat hier seinen wahrscheinlich letzten Standort im Kreise Ha­nau.

Charakteristisch für die Großauheimer Schifflache in ihrem jetzigen Zustand ist vor allem der große Artenreichtum von Seggen oder Sauergräsern, unter denen sich eine ganze Reihe besonders sel­tener Arten befindet. Diese Seggen bilden vielfach meterhohe feste Horste oder Bülten und zeigen anschaulich die fortschrei­tende Verlandung offener Wasserflächen durch das Vordringen von Landpflanzen.

Dem Artenreichtum der Pflanzenwelt entspricht auch das reiche Tierleben dieses Gebietes. Der Kenner findet hier Käfer, Schmet­terlinge und Zikaden in einer Fülle, wie kaum sonst in der näheren Umgebung. Vor allem aber ist die Vogelwelt reich vertreten; Wild­enten und Schnepfen sind ständige Brutvögel. Auch die bei uns außerordentlich selten gewordene große Rohrdommel brütete noch vor wenigen Jahren hier und wird sich möglicherweise auch wieder einfinden. Dieses für jeden Natur- und Heimatfreund so reizvolle Gebiet wurde im Jahre 1953 unter Naturschutz gestellt, damit auf diese Weise wenigstens ein kleines Stück der heimatlichen Landschaft mit ihrem reichen Tier- und Pflanzenleben erhalten bleibt.  

Die Schifflache beginnt am südöstlichen Ende des Industriegebiets an der Bahnlinie und geht nach Nordosten. Das eigentliche Naturschutzgebiet ist aber erst östlich des Limes und südlich des Quellwasserwerks schon fast an der Bundesstraße 8.  Die Zufahrt mit dem Fahrrad erfolgt am besten von der Niederwaldstraße in Großkrotzenburg oder vom Alten Kahler Weg südlich von Großauheim östlich der Bahnlinie.

 

Neuwirtshaus und Limesstraße:

Durch die Neuwirtshauser Straße fährt man nach Osten zum Neuwirtshaus an der Bundesstraße 8.  Hier verlief die Grenze zwi­schen dem Kurstaat Mainz und der Grafschaft Hanau, Neu­wirtshaus war eine Zollstation. Großauheim gehörte zur Mainzer Seite die Grenzsteine stehen auf der linken Seite des Wegs.

Auf der Bundesstraße geht es nach rechts ein Stück nach Südosten bis zum Kreuzungspunkt mit dem Limes. Hier ist die Limes-Straße durch Wegweiser und Schautafeln markiert. Durch den Altkreis Hanau zieht sich seit einigen Jahren ein weiterer touristischer Pfad, die Limes­-Straße. Vor einem Jahr beschloß der Ver­ein Deutsche Limes‑Straße die Fortfüh­rung der Strecke entlang des historischen Grenzwalls durch Hessen. Informationsmaterial über die mehr als 500 Kilometer lange Limes‑Straße gibt es im städtischen Verkehrsbüro am Neustäd­ter Rathaus oder beim Verein Deutsche Li­mes‑Straße, Marktplatz 2 in 73430 Aalen, Telefon 0 73 61 / 5223 61.

Am Limesrundwanderweg im Gebiet Neuwirtshaus wurden fünf Informationstafeln aufgestellt. „In diesem Rahmen möchten wir den Menschen vor Ort sozusagen eine Handlungsanleitung geben, wie sie ihr Stück Unesco-Welterbe bestmöglich präsentieren können“, so der Landesarchäologe Schallmeyer.  Hanau darf sich zu Recht „Stadt am Limes“ nennen.   Die römische Siedlungsgeschichte wird im Museum Steinheim ausführlich dokumentiert.

Diese erstreckte sich von der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts nach Christus bis um 260. Auslöser waren militärisch-strategische Gesichtspunkte, später spielten verstärkt zivile und ökonomische Aspekte die Hauptrolle. Die strategische Bedeutung Hanaus war außerordentlich hoch, denn der Ort lag an der Nahtstelle des Ostwetterau-Limes zur „nassen“ Maingrenze an einem Straßenknotenpunkt und einer Mainbrücke. Die Infrastruktur der Verkehrswege ähnelte den heutigen Verhältnissen.

 

Rund 5,6 Kilometer Limes liegen im Südosten Hanaus, teilweise ragt der alte Schutzwall bis zu 130 Zentimeter aus dem Erdboden heraus. Im Bereich Neuwirtshaus war der Wachtposten 5/14 südlich der Bundesstraße 8, ist dieser aber zum Opfer gefallen. Aber südlich der Straße ist der Grenzwall noch auf etwa 753 Meter Länge im Wald sichtbar. Er endet am Groß-Auheimer Torfbruch, einem alten Mainarm, der heute mit Wiesen bedeckt ist. Südlich vom Bruch nimmt eine Forststraße die Richtung des Grenzwalls auf, der nun bis zum Kastell Großkrotzenburg am Main nicht mehr zu sehen ist.          

In Großkrotzenburg sind im Dorfkern noch Mauerreste des alten Kastells erhalten. Das Pendant am Neuwirtshaus dagegen war eine Konstruktion aus Holz und Erde. Deshalb sind dort keine Steine zu sehen. Als die Stadt Hanau gewisse Areale in Abstimmung mit dem Forstamt von Gebüsch und Gehölz befreite, wurden dagegen die Umrisse des Walls allerdings klar erkennbar.  Das Kleinkastell Neuwirtshaus (Waldabteilung 75 „Torfhaus“) liegt am ersten Weg, der rechts vom Limes abgeht, etwa 50 Meter im Wald. Es liegt rund 87 Meter (etwa 300 römische Fuß) hinter dem Limes, der in schnurgeradem Lauf die Kohortenkastelle Rückingen an der Kinzig und Großkrotzenburg am Main verbindet. Es sicherte möglicherweise den Übergang der Birkenhainer Landstraße.

Aufgrund seiner ungewöhnlich guten Erhaltung war es schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Ziel verschiedener Ausgrabungen (1856, 1862, 1883 und 1913), die jedoch wegen der damals noch wenig entwickelten Grabungsmethoden nur verhältnismäßig unklare Erkenntnisse über die Bauweise der kleinen Befestigung brachten. Die Nachuntersuchung 1977 gewann genauere Vorstellungen über das Aussehen und die historische Entwicklung des Kleinkastells, so daß eine Rekonstruktion des ursprünglichen Kastells möglich ist.

Das Bauwerk ist erst in der Mitte des 2. Jahrhunderts nachträglich als zusätzliche Grenzsicherung entstanden. Im Inneren der 21 x 25 Meter großen Anlage stand wahrscheinlich ein hufeisenförmiger Gebäudekomplex, der sich nach Osten zum Limes hin öffnete - eine charakteristische Bauform, die man auch von anderen, flächenhaft ausgegrabenen Kleinkastellen am Limes kennt. Als Annäherungshindernis wie zur Entwässerung des Platzes besaß das Kleinkastell ferner zwei umlaufende Spitzgräben, die wahrscheinlich vor dem Tor überbrückt waren.

Man kann man den äußeren Wall mit 2,6 Meter Höhenunterschied zwischen Wallkrone und Grabensohle noch gut im Gelände erkennen. Der etwa 3,5 ‑ 4 Meter mächtige Wall war an seiner äußeren Front mit Rasensoden verkleidet, vielleicht gilt dies auch für die Innenseite. Darüber hinaus dienten wohl hölzerne Bauelemente (hölzerne Querstreben und Anker in größeren Abständen) der Verstärkung des Walles, dem zwei Gräben vorgelagert waren. Während man den äußeren auch heute noch gut sehen kann, ist der innere Graben durch den Versturz des Walles weniger gut zu erkennen.

An der Ost-Seite unterbricht eine heute noch deutlich sichtbare Mulde den Wall. An dieser Stelle lag das sich zum Limes hin öffnende Kastelltor. Bei den Ausgrabungen 1883 wurden an den inneren Ecken des Erdwalls zwei Steinfundamente aufgedeckt, die wahrscheinlich mit dem Wehrgang oder einer kleinen Turmplattform über dem rund 2 Meter breiten Tordurchlaß zusammenhängen. Hier könnte auch ein Torturm gestanden haben.

Die Seitenflügel flankierten einen zum Tor hin offenen, randlich überdachten Innenhof. Während in den ursprünglich sicher in einzelne Räume gegliederten Flügeln die Wachmannschaft untergebracht war, dürfte der Verbindungstrakt dem Kommandanten oder bestimmten Diensträumen vorbehalten gewesen sein. Nach den Baubefunden handelt es sich um ein Holzgebäude, dessen Wände in Fachwerktechnik ausgeführt waren. Das Bruchstück einer Glasscheibe beweist, daß wenigstens einige Fenster verglast waren. Aus dem Fehlen von Dachziegeln muß man auf eine Schindel- oder Strohdeckung schließen.

Der geradlinige Limesverlauf und die sorgfältige Auswahl der Wachtturmstandorte waren stets ein wesentliches Argument dafür, daß dieser Streckenabschnitt in einem Zuge geplant, abgesteckt und ausgebaut wurde. Das Kleinkastell Neuwirtshaus dürfte dagegen erst zu einem späteren Zeitpunkt in die bestehende Postenkette eingeschoben worden sein, denn es verkürzt den sonst regelmäßigen Abstand zwischen den Wp 13 und 14 erheblich. Auch das Fundmaterial hat diese Vermutung bestätigt, so daß wir mit dem Bau des Kleinkastells erst in der späten Regierungszeit des Kaisers Hadrian rechnen können.

Auf die Ursachen hat E. Fabricius im Limeswerk hingewiesen: »Es (das Kleinkastell) nimmt fast genau die Mitte des Limesabschnittes ein, der durch die beiden Sumpfgebiete des Doppelbiers und des Auheimer Torfstichs von den Kohortenkastellen auf beiden Seiten getrennt ist. In der feuchten Jahreszeit mag der Abschnitt mit seinen beiden Wachtposten von diesen nicht selten unerreichbar gewesen sein. Ihn auch nur vorübergehend unbewacht zu lassen, war vielleicht um so bedenklicher, als ganz in der Nähe ein vorgeschichtlicher Verkehrsweg, die Birkenhainer Straße, den Limes kreuzt". Diese Fernstraße traf knapp 300 Meter südlich des Kastells auf den Limes. Wie lange das Kastell besetzt war, läßt sich vor-läufig nicht genau bestimmen; Anzeichen einer gewaltsamen Zerstörung fehlen.

Der Limes v erläuft dann nach Norden weiter durch den Doppelbiersumpf, der sich zwischen Wachtposten 5/11 und 5/12 ausbreitet. Er war in römischer Zeit wohl noch unzugänglicher als heute. Die Römer legten hier einen Knüppelweg an, der in gerader Richtung den Postenweg des Limes fortsetzte. Vor dem Knüppelweg entstand - wahrscheinlich in Phase 2 des Limes - ein hölzerner Zaun, der der Palisade entspricht. Sowohl am nördlichen als auch am südlichen Rand des Sumpfes zieht der Limeswall jeweils nach innen (nach Westen) ein, um an den Zaun anzuschließen. Von Wachtposten 5/11 gibt es nur ganz geringfügige Spuren.

Besser zu erkennen ist Wachtposten 5/12 „Am Doppelbiersumpf“. Er wurde durch Raubgräber bereits angegraben und ist in den achtziger Jahren vollständig untersucht worden. Das hier beginnende Sumpfgebiet zwang die Römer zur Anlage eines Knüppelweges mit einer davor liegenden Palisade, statt des sonst üblichen Ausbaus. Der flache Hügel des Steinturms liegt dicht an der Stelle, wo der Pfahlgraben südlich vom Sumpf wieder einsetzt. Er befindet sich dicht westlich neben dem Waldweg, der dem wohlerhaltenen Pfahlgraben auf der Innenseite folgt. Der Holz­turm wird südlich vom Steinturm vermutet.

Etwa 400 Meter weiter wird der Pfahlgraben von der Autobahn unterbrochen. Will man dem Limes weiter folgen, muß man die Autobahn auf einer benachbarten Brücke überqueren.

Nicht weit von der Autobahn liegt Wachtposten 5/13 „Torfhaus“. Hier stand zuerst ein Holz-, dann ein Steinturm. Die beiden Turmhügel sind als flache Hügel sichtbar; der nördliche Hügel enthält das Steinturmfundament

 

Schloß Emmerichshofen:

Auf der Bundesstraße 8 in Richtung Süden kommt man zu einer Kreuzung, auf der es rechts nach Großkrotzenburg geht, nach links aber in Richtung Autobahnauffahrt und zum Schloß Emme­richs­hofen. Das Barockschloß wurde 1768 vom Mainzer Kurfürsten Josef von Breidbach‑ Bürres­heim erbaut. Neuer Besitzer nach Unter­gang des Kurstaates wird Graf Benzel‑Sternau, der im Schloß eine bekannte Gemäldegalerie unterhielt. Für den in Hanau geborenen „ersten jüdischen Maler“, Moritz Daniel Oppenheim, wird der Besuch dieser Gemäldegalerie zu einem Schlüsseler­lebnis. Sehr lebendig beschreibt er in seinen „Erinnerungen“ wie er als Schüler der Zeichenakademie auf Empfehlung des Direktors Conrad Westermayer vom Grafen auf das Schloß ein­geladen wird und zum ersten Mal Bilder der italienischen Mei­ster sieht.

Im Jahre 1817 wird Emmerichshofen vom Freiherrn Waitz erworben. Seine Nachfahren haben auf dem Schloßgelände ein Wochenendhausgebiet geschaffen. Die dazu gehörenden Seen (Schloß‑, Linden‑ und Weihertannensee) stammen nicht aus der Zeit des Braunkohleabbaus, der um 1930 eingestellt wurde, sondern sie sind erst um 1970 entstanden. Das Schloß befindet sich in Privatbesitz und kann nicht besichtigt werden (Hanau, Seite 74).

 

 

 

 

Steinheim

 

Steinheim besitzt eine Reihe stattlicher Wohnhäuser des 16. bis 18. Jahrhunderts: das Anwesen des Amtsmannes Frowin von Hutten mit seinem Renaissance-Hauptbau, das Leonrod’sche Haus (Hauszeichen von 1590), das sogenannte Schönbornhaus aus dem 18. Jahrhundert, der Bickenhof. Die ältesten, dendrochronologisch datierten Bauten in Steinheim sind das Haus Volk in der Harmoniestraße (1395) und das Zunfthaus der Fischer und Schiffer (1414). Ebenfalls gotisch sind der Wenk’sche Hof und wohl die Zehntscheuer an der mainseitigen Stadtmauer sowie der Fronhof.

Bedeutend für Steinheim ist auch seine fast vollständig erhalten Stadtbefestigung, mit deren Bau wohl bald nach der Stadterhebung (1320) begonnen wurde. Sie besaß zwei Türme, Pestilenzturm und Dilgesturm sowie drei Tore: Maintor, Mühltor (zum Teil zugemauert) und Obertor. All diese Sehenswürdigkeiten sind beschrieben in dem Buch von Dr. Leopold Imgram: Die Bau- und Kunstdenkmäler von Groß-Steinheim am Main, 1931.

Wer Steinheim besucht, wandelt auf den Spuren illustrer Gäste. Der Humanist Ulrich von Hutten, der Maler Albrecht Dürer, General Tilly und sein Feind, der Schwedenkönig Gustav Adolf, und Graf Ferdinand von Zeppelin stehen auf der Gästeliste. Zu den fast ebenso berühmten Männern, die Steinheimer Familien entstammten, gehörten der Erbauer der Liberty-Schiffe Henry J. Kaiser und der Kardinal Hermann Volk.

 

Geschichte:

Die Besiedelung der Gemarkung Steinheim (Ober- und Niedersteinheim) läßt sich archäologisch von der jüngeren Altsteinzeit bis in das frühe Mittelalter nachweisen. Römische Siedlungsreste fanden sich an der Mainspitze, einem weitgehend hochwasserfrei gelegenen Siedlungsplatz, der bereits in vorgeschichtlicher Zeit aufgesucht wurde. Hier wurden die ersten Römerspuren 1845 entdeckt.

Eine 1886 etwas oberhalb der Kinzigmündung bei Baggerarbeiten entdeckte römische Mainbrücke verband beide Seiten des Flußufers, also die beiden römischen Ansiedlungen in Steinheim und Kesselstadt. Ihre Ausbaggerung führte zur Auffindung zahlreicher Gebrauchsgüter ans dem 1.-3. Jahrhundert nCh Haupterwerbsquelle der Bewohner dieser Ansiedlung, die offenbar bis zum endgültigen Fall des Limes bestand, dürfte die Verarbeitung des Steinheimer Basaltes zu Werksteinen und Gebrauchsgerät gewesen sein. Auch auf der Steinheimer Seite konnte ein kleines Badegebäude ausgegraben werden, das sich etwa 50 Meter östlich eines großen Hallenbaus von 45,5 x 18,6 Meter Ausdehnung befand.

 Im Jahre 1875 grub der Hanauer Geschichtsverein zwei in Ost-West-Richtung verlaufende Mauerstücke aus. Schließlich grub E. Anthes im Auftrag der Reichslimeskommission. Im Jahre 1894 wurde ein rechteckiges Gebäude festgestellt, das als Teil einer militärischen Anlage gedeutet wurde.

Zwischen 1961 und 1965 grub der Steinheimer Heimatforscher Karl Kirstein erneut in dieser Siedlung. Dabei wurde der Gesamtgrundriß des langrechteckigen Gebäudes (45,50 x 18,60 Meter) aufgenommen. Eine Innenraumeinteilung war nicht mehr zu ermitteln. Aufgrund der Breitenmaße kann aber mit Dachträgern gerechnet werden, die die Anlage vielleicht zwei- oder gar dreischiffig gestalteten. In dem aus Basaltmauerwerk errichteten Gebäude ist vermutlich ein Nebengebäude eines römischen Gutshofes (villa rustica) zu sehen, vielleicht aber auch das Hauptgebäude, das dann dem sogenannten „Hallenhaustyp“ zuzuordnen wäre.

Etwa 50 Meter östlich dieses Gebäudegrundrisses wurde das zugehörige Badegebäude aufgedeckt, das sich über einen holzverschalten Keller erstreckte, der vermutlich zu einem früheren Holzgebäude gehörte. Unter verbranntem Lehmfachwerk, das in den Keller gestürzt war, lagen acht Amphoren, mehrere Fibeln sowie ein Denar des Kaisers Severus Alexander. Danach ist die Kellerfüllung in die Zeit der Alamanneneinfälle der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts nCh zu datieren. Nach dieser Brandkatastrophe wurde über dem Keller ein Badegebäude aus Stein errichtet. Es zeigt einen einfachen Grundriß. Der Eingang hat im Süden gelegen. Dort befand sich das Kaltbad (frigidarium) F mit der Kaltwasserwanne (piscina) P. Es schloß sich das Heißbad (caldarium) C an. Von der Hypokaustheizung war lediglich der Unterboden erhalten. Es fanden sich auch noch andere Gebäude auf der Mainspitze.

 

Während die anderen benachbarten Orte schon im 9. Jahr­hundert erwähnt werden, tritt Groß-Steinheim erst im 13. Jahrhundert in mehreren Urkunden auf. Die historische Überlieferung setzt mit einer Urkunde vom 19. Dezember 1222 ein, in der die auf einer Basaltkuppe am Südufer des Mains gelegene Burg Steinheim erstmals erwähnt wird, um den Ort Hausen (heute Kreis Offenbach) zu lokalisieren. Dieser Ort gehörte zum Herrschaftsbereich der Herren von Hainhausen, die wohl in der Mitte des 12. Jahrhunderts die Burg Steinheim gründeten. Nachdem die Herren von Hainhausen zwischen 1180 und 1190 in den Besitz der Burg Eppstein samt Herrschaftsgebieten im Taunus gelangt waren, nannten sie sich Herren von Eppstein, und diese wurden in einer Urkunde von 1254 dann ausdrücklich als Eigentümer der Burg Steinheim genannt. Die Burg war für sie Mittelpunkt des Amtes Steinheim, das sich von Alzenau bis nach Mühlheim und südlich nach Jügesheim erstreckte.

Unter den Herren von Eppstein wurde zwar die Burg 1301 im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den rheinischen Kurfürsten und dem deutschen König Albrecht von Habsburg durch den königstreuen Ulrich I. von Hanau zerstört (und sogleich wieder aufgebaut) und im 13. und 14. Jahrhundert mehrfach verpfändet, aber die bei der Burg gelegene Siedlung erlebte einen Aufschwung.

Im Jahre 1320 belohnte Ludwig der Bayer die Dienste, die ihm Gottfried V. von Eppstein geleistet hatte, durch die Verleihung der Stadtrechte an Obersteinheim. Es erhielt damals durch die Mauer den Umfang. den es bis nach dem Dreißigjährigen Krieg behielt. Niedersteinheim, am Fuße der Basaltkuppe gelegen und Sitz der Pfarrei (bis 1449), behielt weiterhin den Status eines Dorfes.

Das Original der Stadtrechtsurkunde von 1320 aus dem Würzburger Staatsarchiv wurde leihweise im Museum Steinheim gezeigt. „Wir Ludwig, von Gottes Gnaden König der Römer und allzeit Augustus wünschen, daß das folgende zur Kenntnis aller gelänge“, ist dort in lateinischen Lettern auf dauerhafter Tierhaut zu lesen. „Indem wir mit Dankbarkeit unsere Aufmerksamkeit auch auf die treuen Dienste, die unser treuer Edelmann Gottfried von Eppstein uns und dem Reich erwiesen hat und in Zukunft erweisen soll, richten, setzen wir dessen Dörfer Steinheim. und Delken­heim durch den Wortlaut des vorliegenden Schreibens mit königlicher Genehmigung in Freiheit und wir wünschen und erlauben, daß sie im vollen Umfang die gleichen Rechte genießt, deren unsere königliche Stadt Frankfurt bislang genossen hat.“

Schon dieser Passus zeigt, was die Ernennung zur Stadt bedeutete: neue Rechte, aber auch Pflichten. Die Urkunde hob die Leibeigenschaft für Steinheimer auf. Sie gestattete dem Herrscher Gottfried von Eppstein Stadtmauern zu bauen - als Schutz aber auch zur Trennung von Bürgern und Bauern.

Was das Recht betrifft, wurde Ludwig der Bayer erst im Jahr 1332 präzisiert. Von diesem Zeitpunkt an durften regelmäßig Wochenmärkte abgehalten werden, eine niedere Gerichtsbarkeit in der Burg tagen. Diese Privilegien verteilte der politisch in Bedrängnis geratene Bayer nicht selbstlos. „Das Städtewesen bot sich als bewährtes Instrument zur inneren Festigung der eigenen Herrschaft an“, heißt es in der vom Heimat- und Geschichtsverein und der Stadt erstellten Begleitbroschüre zur Sonderausstellung.

Mit Friedrich dem Schönen von Habsburg besaß Ludwig nach der Doppelwahl im Jahr 1314 einen mächtigen Kontrahenten. Beide kämpften um die Herrschaft über dem Rhein und versuchten, die Anhängerschaft des anderen für sich zu gewinnen. In dieser Situation traf den Bayern ein schwerer Schlag: Der Tod seines wichtigen Bündnispartners, des Mainzer Erzbischofs und Kurfürsten Petrus von Aspel im Juni 1320. Die Habsburger nutzten die dadurch entstandene Schwäche Ludwigs.

Nach einem kampflosen Rückzug erreichten dessen Truppen im September 1320 Frankfurt am Main. Als „König Ludwigs Schlappe von Straßburg“ ging dieses Ereignis in die neuere Geschichtsschreibung ein. Angesichts dieser schwierigen politischen Lage zeigte sich der Bayer zu relativ hohen Zugeständnissen bereit, um seine noch verbliebenen Anhänger an sich zu binden. Dazu gehörte auch Gottfried von Eppstein, dessen beide Dörfer sich vom 4. Dezember 1320 an Städte nennen durften.

Im Jahre 1320 war „Hochzeit“ für Stadt- und StadtrechtspriviIegien. Außer Steinheim kamen in diesen Genuß Windecken (1288), Steinau (1290), Hanau (1303), Soden (1296) und Salmünster (1320). Die damit verbundenen Privilegien bezogen sich zunächst nur auf das Recht, eine Stadtmauer zu bauen. Bis zum Verkauf Steinheims an das Erzstift befand sich die Urkunde 105 Jahre lang auf Gottfrieds Burg im Taunus. Anschließend bewahrte das Mainzer Archiv über vier Jahrhunderte das Dokument auf. Nach dessen Auflösung landete das Schriftstück im Münchener Hauptstaatsarchiv, nach der Flurbereinigung bayerischer Archive liegt es nunmehr seit zwei Jahren in Würzburg. Die Erlaubnis zur Ansiedlung von handelstüchtigen Juden folgte 1335. Im Jahre 1336 empfingen die Herren von Eppstein den Main als Lehen, 1355 das Münzprägerecht und 1358 das Recht, am Main Zölle zu erheben.

Die Ausgaben der Eppsteiner standen aber nicht im richtigen Verhältnis zu ihren Einnahmen. Das ritterliche Aufgebot und ihre großspurige Politik, verschlangen gewaltige Mittel. Sie mußten Geld aufnehmen und verschuldeten immer mehr. Sie verpfändeten ihren Besitz - auch einmal an den König von England - und verkauften im Jahre 1425 Burg, Stadt und Amt Steinheim um 38.000 rheinische Gulden an Konrad III. von Daun, Kurfürst und Erzbischof von Mainz.

Der Erwerb Steinheinis bedeutete als Bindeglied zwischen Mainz und Aschaffenburg und dem Spessart einen deutlichen Machtausbau am Main. Da Mainz gleichzeitig auch Höchst gehörte, konnte er gegebenenfalls die Reichsstadt Frankfurt in die Zange nehmen.

Fast vierhundert Jahre war Steinheim Residenz der Mainzer Kurfürsten und geographischer Mittelpunkt des Kurstaates, der von Mainz bis Würzburg reichte. Daß Steinheim früher an einer viel benutzten - später beseitigten - Mainfurt lag, ist noch heute trotz Schiffbarmachung und Kanalisation des Flusses zu erkennen. Das Ufer läuft dort flach aus, an dieser Stelle bildet sich bei Frost zuerst Eis. Die Furt lag im beherrschenden Blickfeld der auf einem Basaltblock stehenden Burg Steinheim.

Dieser Kauf war auch für die Bürgerschaft kein schlechter Tausch. Ihre Interessen wurden nun von dem mächtigsten deutschen Reichsfürsten gewahrt. Steinheim wurde ein gewaltiger Stützpunkt im oberen Erzstift Mainz. Wohl geborgen saßen Steinheims Einwohner hinter Mauern und Türmen. Ihr Kurfürst schirmte sie vor Kriegsnot und Verwüstung. Die Bürger gaben mit ihrer Hände Arbeit der Mainfestung das wehrhafte und stolze Gepräge, das wir auf dem Merian-Stich von 1646 bewundern.

Kurmainz machte sich auch sofort daran, Steinheim seiner neu gewonnenen Bedeutung gemäß baulich aufzuwerten. Die Eppsteiner Burg wurde schrittweise zu einer Schloßresidenz ausgebaut. Es entstand der Prachtbau mit vier Stockwerken, mit Türmen, Türmchen und Erkern Der heute noch stehende Bergfried mit seinen vier Ecktürmchen wurde damals errichtet, ebenso die Stadtmauer. In diese war auch der zinnenbewehrte Westturm der Pfarrkirche St. Johann Baptist einbezogen. Erzbischof Dietrich von Erbach (1434-59) sorgte auch für das seelische Bedürfnis seiner Untertanen, indem er mit ihrer Hilfe aus der kleinen Kapelle am starken Westturm eine Pfarrkirche errichten ließ. Die seitherige Pfarrkirche in Klein-Steinheim war in dieser Zeit des Faustrechts und des Landfriedensbruchs zu sehr den kriegerischen Wechselfällen ausgesetzt.

Die Hauptkirche wurde deshalb im Jahre 1449 hinter den Schutz der Steinheimer Mauern verlegt. Hierher flüchteten in Kriegszeit die Einwohner von Nieder-Steinheim, Klein-Auheim, Großauheim und Hainstadt und konnten zugleich ungestört ihrem Herrgott dienen. Im Schutze dieses festungsartigen Orts prosperierten Handel und Handwerk, entstanden schmucke Bürgerhäuser, die fast lückenlos erhalten sind.

In Steinheim wurden die Abgaben der Untertanen verwaltet. Um die riesigen Vorräte lagern zu können, mußten Scheunen und Keller gebaut werden und der Kurfürst brauchte ein Heer von Beamten, die die einkommenden Lieferungen wogen, zählten und inventarisierten. Den Charakter eines Verwaltungssitzes konnte die Steinheimer Altstadt bis heute bewahren, Keller und Scheuern blieben unzerstört und die prächtigen Häuser und Höfe der kurmainzischen Verwalter erstrahlen nach aufwendiger Renovierung im alten Glanz. Zur Entspannung gingen die Mainzer Erzbischöfe in der nahegelegenen Fasanerie ihrer Jagdleidenschaft nach.

Kaum hatten um 1450 die Steinheimer Bürger ihrem Kirchturm die Zinnenkrönung aufgesetzt und an dem stolzen Bergfried und Mauergürtel die letzten Steine eingemauert, als sie Hammer und Kelle, Pflug und Sense mit Sturmhaube und Harnisch vertauschen mußten. Ein erbitterter Kampf war zwischen den beiden Thronkandidaten um den Mainzer Erzbischofsstuhl, zwischen Dieter von Isenburg und Adolf von Nassau, ausgebrochen, die sogenannte „Mainzer Stiftsfehde“.

Steinheim hielt treu zu dem vom Papste gebannten Dieter von Isenburg. Adolf von Nassau rückte mit seinen Landsknechten vor die Mauern Steinheims, aber er belagerte es vergebens. Die Landsknechte Dieters und Steinheims Schützenwehr hatten den Ansturm abgeschlagen. Dieter belohnte die Steinheimer durch teilweise Befreiung von der Grund- und Gebäudesteuer. Auch stiftete er seinen wackeren Schützen einen Sebastianus-Altar in der Pfarrkirche. Solange Adolf von Nassau Erzbischof von Mainz war, hatte Dieter seinen Wohnsitz im Steinheimer Schloß.

 

Doch 50 Jahre später schlugen die Wellen der Reformation auch in das Mainstädtchen. Der damalige Pfarrer Johannes Rosenbach, nach Humanistenbrauch auch mit dem lateinischen Namen „de Indagine“ (= von Hain = Dreieichenhain) genannt, der Erbauer des Chores, wandte sich mit Luther gegen offenbare Mißstände in der Kirche, aber er sagte sich nicht von dem alten Glauben los. Eine Straße in der Nähe der Kirche ist nach ihm benannt. Als Hofastrologe des Kurfürsten von Brandenburg war er gegen den Termin der Krönung Kaiser Karl V., so daß diese um eine Woche verschoben wurde.

Auch in den Bauernunruhen von 1525 gärte es in Steinheim. Man suchte sich vom kirchlichen Zehnten freizumachen und wandte sich gegen den Pfarrer. Aber wie der Bauernkrieg im allgemeinen keinen Erfolg aufwies und der Kurfürst Albrecht von Brandenburg und sein Marschall Frowin von Hutten Herr über die aufständischen Bauern im Erzstift Mainz geblieben waren, so mußten auch die Steinheimer ihren Zehnten in der alten Form weiterbezahlen.

Im Jahre 1530 wütete die Pest in Steinheim. In kurzer Zeit waren mehr als 100 Personen dieser tückischen Krankheit zum Opfer gefallen.

Auch der Schmalkaldische Krieg (1546-1547) brachten Not über die Stadt. Mit französischem Geld war Markgraf Albrecht Alcibiades von Brandenburg in das Gebiet der katholischen Fürsten, insbesondere in das der geistlichen Fürsten von Bamberg, Würzburg und Mainz eingerückt und hatte es gebrandschatzt. Im Juni 1592 belagerten die Truppen des Markgrafen, unter Führung des Grafen von Oldenburg, die kurmainzischen Mainorte. Auch Steinheim wurde genommen. Die in der kurfürstlichen Kellerei vorgefundenen Früchte und Weine wurden geplündert und die Untertanen zur Ableistung des Eides an den König von Frankreich und an Albrecht von Brandenburg gezwungen.

Unsägliches haben Stadt und Amt Steinheim im Dreißigjährigen Krieg gelitten. Bis 1630 drückten Einquartierungslasten und Kontributionsgelder Bürger und Bauern in Steinheim und in der Umgebung. Im November 1631 belagerte Gustav Adolf Steinheim und beschoß es mit großkalibrigen Geschützen von der Hanauer Seite aus, so daß es sich ergeben mußte. Der König ließ in Steinheim eine schwedische Besatzung zurück. Matthäus Merian thematisierte die Belagerung in seinem Stich für die Topographia Hassiae von 1646.

Im März 1632 wurden die Brüder Heinrich Ludwig und Jakob Johann von Hanau mit dem Amt Steinheim beliehen. General Ramsay, der schwedische Kommandant von Hanau, und Jakob Johann von Hanau, sogen das Land aus durch Magazinlieferungen, doppelten Zehnten, Kontributionslasten und ungemessene Frondienste. Die dauernde Einquartierungslast drückte besonders hart Stadt und Amt Steinheim. Lämmerspiel, Oberroden, Obertshausen und Hainstadt gingen im Jahre 1633 zum Teil in Flammen auf.

 

Steinheim hatte besonders in den letzten 18 Kriegsjahren furchtbar gelitten. Die einst so stolze Burg und die Mauern waren stark zerschossen. Manches Haus war ein Raub der Flammen geworden, Not, Hunger, Plünderung, Schändung, Pest hatten die Häuser und Gassen durchzogen. Die Bewohner der unbefestigten Landorte hatten Schutz hinter Mauern und Gräben gesucht, das Elend vergrößert und die Pestgefahr erhöht. Was an Vorräten und Wertgegenständen in den Häusern war, hatten die Kaiserlichen und Franzosen mitgehen heißen. Bis 1635 war das flache Land ausgeplündert und kaum noch Vieh vorhanden. Da gesellte sich zur Kriegsfurie auch noch die Pest. Besonders in den heißen Monaten starben die Leute haufenweise. In Steinheim lebte nur noch die Hälfte der Einwohner. In Lämmerspiel waren von 100 Einwohnern vor dem ersten schwedischen Einfall nur noch acht Menschen übriggeblieben. In Oberroden waren noch im Jahre 1681 von 80 Häusern nur 31 bewohnt.

 

Hungersnot und Pest wüteten im Jahre 1635. Nach diesem Würgengel erschien der kaiserliche General Lamboy vor Steinheim und belagerte es. Die schwedische Besatzung kapitulierte. Der kurmainzische Oberst Graf von Dohna wurde Stadtkommandant in Steinheim. Vom Steinheimer Schloß aus leitete Lamboy die Belagerung von Hanau, das von vielen kaiserlichen Schanzen umschlossen war. Eine Schiffsbrücke an der Leie (=Fels) stellte die Verbindung zwischen dem Hauptquartier und der Operationsbasis Steinheim und den um Hanau befindlichen Truppen in den Feldbefestigungen her. Am 13. Juni 1636 (dem Tage des noch heute gefeierten Lamboy-Festes) erschien Landgraf Wilhelm V. von Hessen vor Hanau, um Ramsay und die Stadt zu entsetzen. Lamboy zog einen Teil seiner Truppen (1500 Mann) nach Steinheim zurück. Am 14. Juni wurde die Festung ohne Erfolg von 1.000 hessischen Reitern berannt. Am nächsten Tage hatte Landgraf Wilhelm sie ebenso erfolglos von Schiffen aus beschießen lassen.

Als der Landgraf Wilhelm sich wieder in seine hessischen Lande zurückgezogen hatte, verließ Lamboy Steinheim. Dreihundert Mann blieben unter dem Befehl des Grafen Dohna in der Festung zurück. Im Oktober 1636 erhielt die Besatzung Verstärkung, um von neuem gegen Ramsay vorzugehen. Dieser ließ im nächsten Jahre durch Kapitän Fischer Seligenstadt besetzen. Letzterer wurde von Steinheim aus durch Truppen unter dem Befehl des Grafen Dohna angegriffen. Nach einem Wortbruch wurde beim Abzug fast die ganze Besatzung niedergemetzelt.

Graf Dohna zog wieder nach Steinheim und suchte vergeblich bei Steinheim den Main zu überschreiten, um Ramsay in Hanau anzugreifen. Er wurde durch dessen Artillerie wieder nach Steinheim abgedrängt. Infolge des Mißwachses, der Flucht aus den benachbarten Orten und der starken Besatzung war in Steinheim eine Hungersnot ausgebrochen.

Im Februar 1638 wurde der „Ramsay-Schreck“ beseitigt. Graf Philipp Moritz von Hanau stürmte die Stadt Hanau. Ramsay, der schwer verwundet wurde, starb an den Folgen dieser Verwundung. Danach ging Steinheim noch einmal kurzzeitig in schwedischen Besitz. Bis zum Ende des Krieges erlebte Steinheim abermals die Einquartierung von Truppen, mal französischen, mal kaiserlichen. Von 1639 bis 1643 hatte Steinheim etwas Ruhe vor kriegerischen Ereignissen. Der Krieg wütete mehr in Norddeutschland, wo der schwedische General Baner, und in Süddeutschland, wo Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar zusammen mit den Franzosen die militärische Lage beherrschten.

Infolge des Leutemangels und einer dumpfen Gleichgültigkeit, die sich der Menschen bemächtigt hatte, wurden die Felder nur in geringem Maße bestellt. Das, was an Früchten und Getreide vorhanden war, wurde von der Soldateska geplündert, so daß durch Plünderung und Mißwachs, besonders in den Jahren 1635-38, große Teuerung und Hungersnot eingetreten waren. Brot sahen die Leute oft wochenlang nicht. Man schuf sich Ersatz aus gemahlenen Eicheln. Not und Hunger trieben oft die Menschen auf die Schindkaute, wo sie noch mit den Kadavern verendeter Tiere vorliebnahmen. Auch von dem moralischen Tiefstand der Bevölkerung können wir uns eine ungefähre Vorstellung machen, wenn wir bedenken, daß im ganzen Amt Steinheim nur noch ein Pfarrer, der zu Steinheim, Seelsorge ausübte, während es früher acht Pfarreien gewesen waren. Die Bewohner lebten in dumpfer Gleichgültigkeit dahin. Ohne Kirche und Sakramentenempfang war das Volk immer mehr verwildert. Die materiellen Schäden des Dreißigjährigen Krieges wirkten sich in Steinheim noch im 18. Jahrhundert aus.

Aber nach dieser Zeit hatten das Amt und die Stadt Steinheim bald unter den Franzosen, bald unter den Kaiserlichen furchtbar zu leiden. Im Jahre 1644 ging der bayrische General Johann von Werth bei Mühlheim über den Main und ließ seine zuchtlosen Scharen bei und in Steinheim furchtbar hausen. Zwei Jahre darauf wurde die Festung von den Weimaranern unter dem französischen Feldherrn Turenne belagert, beschossen und erstürmt. Das Magazin, das der kaiserliche General Hatzfeld hatte ergänzen lassen, wurde geplündert. Es fielen den Franzosen 300 Fuder Wein und 6.000 Zentner Korn als willkommene Beute zu. Turenne ernannte de l’Espine zum Kommandanten von Steinheim.

Im nächsten Jahre wurde die Stadt wieder von den Kaiserlichen unter Erzherzog Wilhelm Leopold belagert und erobert. Aber der Mainzer Kurfürst Anselm Kasimir von Wambolt war durch den Sonderfrieden des Kurfürsten von Bayern mit den Franzosen und Schweden gezwungen, unter schweren finanziellen Lasten einen Waffenstillstand mit den Franzosen zu schließen. Dadurch mußte der Kurfürst den Franzosen die Festung Steinheim überlassen. Im April 1647 zogen die Franzosen unter Turenne wieder in Steinheim ein. Endlich läutete im Jahre 1648 die Marienglocke der erschöpften Stadt und dem ausgeplünderten Land den lang ersehnten Frieden ein.

 

Steinheim hatte aber selbst in Blütezeiten selten mehr als 1.000 Einwohner, deshalb blieb es von manchem Bauboom verschont und konnte viel von seiner alten Gebäudesubstanz bewahren. Unter dem Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn (regierte von 1647 bis 1673) könnten sich Burg und Stadt erholen, bis die Not sie durch die Schlesischen Kriege wieder einholte. In den Schlesischen Kriegen zwischen Maria Theresia und Friedrich dem Großen, der sich mit den Franzosen verbündet hatte, wurde Steinheim besonders in den Jahren 1742 bis 1745 von Franzosen, Österreichern und Ungarn heimgesucht, nicht durch Belagerung. Beschießung und Erstürmung, - die kleineren Festungen hatten infolge der artilleristischen Entwicklung ihre Bedeutung verloren - aber durch hart drückende Einquartierung, durch Lieferung von Hafer und Korn, von Heu und Stroh, durch Schatzung, durch Vorspann, durch Schiffsladungen mit Bagage und Fourage. Mit Böllerschüssen empfing man im letzten Kriegsjahre 1745 Maria Theresia und den Kurfürsten Johann Friedrich Karl von Ostein (1743-63) in Steinheim.

Es ist eigenartig und doch verständlich, daß nach der Kriegsnot der religiöse Sinn erstarkte. Auch in Steinheim äußerte er sich durch stärkere Beteiligung, auch der Gemeindeverwaltung, an den Wallfahrten nach Klein-Steinheim, Lämmerspiel, nach Dieburg und nach Walldürn. Im Jahre 1752 erbaute man an Stelle der alten Pestkapelle das neue Heiligenhaus (Helgehaus) am heutigen Friedhof. Die Gemeinde stiftete im Jahre 1754 eine dritte Glocke, und im Jahre 1756 wurde das ausdrucksvolle Barockkreuz am Hainberg errichtet.

Im Siebenjährigen Krieg (1756 bis 1763) sah Steinheim im Durchmarsch und im Quartier Teile der Reichsarmee, kurmainzische, kurtrierische, sächsische, württembergische und besonders aber französische Truppen, die jetzt mit Maria Theresia verbündet waren. Von französischen Truppen waren auf kürzere oder längere Zeit in Steinheim die Regimenter: de Bigore, Royal, Comte, de la Dauphiné, Waston, Légion royale, Colonell, du Roy, Dapchon, Royal allemand, Conti, Bour­bon­nais. Im alten Rathaus auf dem Marktplatz befand sich das Lazarett. Wahrscheinlich durch Leicht­sinn der Soldaten ging das Rathaus im Jahre 1761 in Flammen auf.

Neben starker Einquartierung wurde Steinheim im Jahre 1762 durch eine Viehseuche heimgesucht. In ganz kurzer Zeit waren 30 Stück Vieh eingegangen. Im letzten Kriegsjahre 1763 waren Hannöversche Truppen bei Klein-Steinheim geschlagen worden. Durch ein Dankfest, bei dem der Kurfürst zugegen war, schloß man in Steinheim den Krieg ab.

Im Jahre 1758 übernachtete Leopold I., der sich zur Kaiserwahl nach Frankfurt begab, in der Nacht vom 18. zum 19. März im Schloß zu Steinheim. Am 19. März feierte der König mit seinem Gefolge das St. Josefsfest durch Besuch des Gottesdienstes. Nach dem Mittagsmahl wurde die Reise nach Frankfurt fortgesetzt.

Nach dem Siebenjährigen Krieg trat Steinheim noch einmal aus seiner stillen Beschaulichkeit in das große politische Leben. Im Jahre 1782 wurde Steinheim kurmainzisches Oberamt. Als solchem waren ihm die Stadt- und Amtsvogtei Steinheim, ferner die Stadt- und Amtsvogteien Seligenstadt und Dieburg und die Amtsvogtei Alzenau untergeordnet.

Eine Reihe neuer Beamter kamen nach Steinheim. An der Spitze stand ein Oberamtmann, der meist von einem Amtsverweser vertreten wurde und zugleich die Amtsrichterstelle einnahm. Ferner gehörten die Keller von Steinheim, von Dieburg, von Alzenau und Seligenstadt zum Ober­amt. Sie waren Oberamtsbeisitzer. Daneben waren noch Oberamtsschreiber, Registratoren, Amtsboten, Zent- und Polizeidiener am Oberamt beschäftigt. Diese Neuorganisation brachte neuen Verkehr und frisches Leben in das alte Städtchen. Bürger, Wirte. Krämer und Handwerker hatten manchen Vorteil davon.

Doch diese neue Amtseinrichtung, die sich über den ganzen Kurstaat erstreckte, war ein letztes Aufleben des kurmainzischen Staatskörpers. Die Französische Revolution warf nicht nur in Frankreich alles Bestehende um. Auch Deutschland wurde in den Freiheitsstrudel gerissen und erlebte politisch, sozial und wirtschaftlich einen völligen Umschwung.

Auch Steinheim wurde nach der Revolution von 1789 wieder kräftig an den Schultern gerüttelt. Als im Jahre 1795 die deutsche Koalition durch die Eigensucht Preußens zerfallen war, drangen die Franzosen wieder in das rechtsrheinische Gebiet vor. Im Jahre 1795 karrten auch in das Amt und die Stadt Steinheim die ersten Franzosen. Gelderpressung und Plünderung von Seiten der französischen Offiziere und Soldaten waren alltäglich. Die Einwohner mußten Kriegsfuhren für die durchmarschierenden Truppen leisten, oft wurden ihnen Wagen und Gespann weggenommen.

Das Oberamt Steinheim sollte 25.000 Gulden Kriegskontribution leisten. Da es in dieser Kriegszeit unmöglich war, eine solche Summe aufzutreiben, wurden französische Kommandos nach Seligenstadt, Dieburg und Steinheim geschickt, die das Geld eintreiben oder als Geiseln die Amtsvorsteher mitnehmen sollten. In Dieburg waren die Bürger mit Sensen und Mistgabeln gegen dieses Franzosenkommando vorgegangen.

Gegen „Douceurs“ gelang es den führenden Männern, sich bei den Offizieren loszukaufen. Der Oberamtsverweser Schiele ging flüchtig. Zwei Steinheimer, Gottron und Wenzel, wurden als Geiseln nach Frankreich, nach Givet, gebracht. Die Kriegskontribution brauchte nicht bezahlt zu werden, da Erzherzog Karl von Osterreich den französischen General Jourdan über den Rhein zurückgetrieben hatte.

Seit 1799 war der Mainzer Landsturm gegen die Franzosen organisiert worden. Auch Steinheim hatte eine Landsturm-Kompagnie mit drei Korporalschaften und einer Musikabteilung aufgestellt. An Sonn- und Feiertagen fanden Schießübungen im Schießhag und die Exerzierübungen am Main und auf dem Kreuzberg statt. Im Jahre 1799 konnten 70 Landsturmkompagnien mit den kurfürstlichen Linientruppen am unteren Main den Franzosen Einhalt gebieten, und Steinheims Landsturm hatte auch seinen Teil daran.

Doch Napoleon, der Degen der Revolution, war nach seiner Rückkehr aus Ägypten erster Konsul geworden und hatte auf zwei Kriegsschauplätzen die Osterreicher und ihre Verbündeten angegriffen. Er selbst hatte in Italien bei Marengo die französischen Fahnen zum Siege geführt, während Moreau in Bayern einfiel, und den Erzherzog Johann bei Hohenlinden entscheidend schlug.

Diese französischen Truppen waren auch durch Steinheim marschiert. Am 30. Juli 1800 waren die ersten Franzosen in Steinheim eingerückt. Das Obertor und das Maintor waren mit einer Wache belegt worden. Alle Ausgaben dieser durchmarschierenden Truppen, wie Frühstück für die Offiziere, zum Beispiel Milchsuppe mit Zucker, gekochte Eier, gebratene Hahnen oder Mittagessen, bestehend in Rindfleisch., Gemüse, gebratenen Tauben, Mirabellen und Birnen, in Käse und Butter; ferner der vielbegehrte Branntwein, Bier, Fleisch, ja sogar der Tabak, der Haarpuder und das Frisieren mußten von der hartbedrängten Gemeinde bezahlt werden. Die Steinheimer Wirte konnten kaum den Wein aufbringen, der von den Franzosen auf Kosten der Stadt getrunken wurde.

Beim Rückmarsch der Moreau’schen Armee im April und Mai 1801 wurde auch das Pfarrhaus wieder wie im Jahre 1800 geradezu in ein Wirtshaus verwandelt. Täglich sah das sonst so stille Haus nette Offiziere, darunter viele Generale. Vom 23. bis 30. April 1801 kamen sechs französische Brigaden durch Steinheim und die umliegenden Orte. Die Brigadeführer wurden im Pfarrhaus, beim Oberamtsverweser oder beim Amtsvogt Kämmerer einquartiert.

Mag Pfarrer Kuhn sich als Hotelwirt schon nicht sonderlich wohl gefühlt und die Herren ins Pfefferland gewünscht haben, so war seine Entrüstung berechtigt, als die Herren Besuch von Damen erhielten (Pfarrer Kuhn bezeichnet sie etwas anders), und der Pfarrer auch diese im Hause bewirten mußte. Es kam auch manchmal vor, daß an Stelle des angesagten Brigadekommandeurs dessen Frau, Sohn, Tochter Quartier und Verköstigung verlangten. Der arme Pfarrer war machtlos. Sogar die französischen Bedienten fingen an, ihm seinen Meßwein auszutrinken.

Der Rückzug bewegte sich zu beiden Seiten des Mains und auch auf dem Flusse wurden zu Schiff Truppen, besonders Verwundete und Kranke, gegen Mainz hin abtransportiert. An der Nähfahr hatten die Franzosen eine Schiffbrücke geschlagen. Es war eine bunt gewürfelte Schar aus aller Herren Länder, die in der französischen Armee Dienste tat. Steinheims Bürger und besonders der Stadtwirt Ferg am Marktplatz lernten Holländer, Franzosen, Mainzer, Würzburger und noch andere Truppen gerade nicht von ihrer angenehmsten Seite kennen. Über 20.000 Gulden waren bis jetzt von der Gemeinde als Kriegsanleihe aufgenommen worden.

Die Siege Napoleons führten im Jahre 1801 zum Frieden von Lunéville, der dem deutschen Reich das linke Rheinufer kostete und zur Säkularisation, d. h. der Wegnahme aller geistlichen Gebiete durch weltliche Machthaber, führte. Das alte heilige römische Reich Deutscher Nation wurde dadurch zerschlagen. Kurmainz mußte als Folge dieses Friedens in der Provinz Starkenburg die meist katholischen Ämter Bensheim, Heppenheim, Dieburg und Steinheim und das Kloster Seligenstadt an Hessen-Darmstadt abtreten. In den Jahren 1800 - 1801 lagen seine Truppen in Steinheim. Im Jahre 1802 fiel der kurmainzische Besitz an das Großherzogtum Hessen- Darmstadt, das bald schon mit dem Abbau der Amtsstadt begann. Steinheim verlor das Oberamt.

Am 20. Oktober 1802 war der Darmstädtische Regierungskommissar von Günderode in Steinheim eingezogen, hatte die Beamten neu verpflichtet, die kurmainzischen Wappen entfernen und das hessische Wappen anschlagen lassen. Groß-Steinheim wurde als Amtsstadt abgebaut. Es verlor das Oberamt, es verlor die Amtsvogtei, 1830 das Justizamt und um 1870 auch das Steuerkommissariat. Es hatte seine jahrhundertalte Rolle ausgespielt. Offenbach trat als Verwaltungsmittelpunkt an seine Stelle. Das Schloß war das Sinnbild dieses Abbaues. Kurmainz wollte den vom Krieg und Alter hart mitgenommenen Bau dem modernen Geist angleichen. Es gelang ihm nicht, Kelle und Herrschaft wurden ihm, aus der Hand gerissen.

Einen Scheinglanz erlebte das Schloß noch einmal in den Jahren 1808 bis 1813 durch die Anwesenheit des Prinzen Georg, des Sohnes des Großherzogs Ludwig I. Auf Anordnung des Oberhofmarschalls von Perglas wurde für den Prinzen der untere Stock und für seine Gemahlin, einer ungarischen Gräfin, mit ihrer Tochter und deren Erzieherin der obere Stock eingerichtet. Im Jahre 1812 wurden noch 5.000 Gulden für den Ausbau des nordsüdlichen Flügels von Darmstadt zur Verfügung gestellt. Nach der Ausmöblierung war der Prinz im Jahre 1813 nach Ungarn auf das Gut seiner Gemahlin verreist. Er sah das Schloß nicht mehr.

Die Schlacht bei Hanau am 31. Oktober 1813 hatte auch das Schloß und die Stadt in Mitleidenschaft gezogen. Bayrische, österreichische, russische und preußische Truppen zogen durch Steinheim. „Seit 6 Tagen“, berichtete am 2. November Hofkammerrat Kleinert nach Darmstadt, „ist Stadt und Amt von kriegerischen Vorfällen heimgesucht, wo kaum mehr ein Stück Brot oder ein Schluck Wein oder Branntwein für den gemeinen Mann zu haben ist.“ Das Schloß wurde mit Einquartierung belegt.

Schloß Steinheim diente dabei österreichischen Truppen als Lazarett. Der Oberstwachtmeister von Zech, seine zwei Adjutanten und die Administrationsabteilung der Bayern waren hier untergebracht. Bis zum 6. November riß die Einquartierung nicht ab. Der Schloßkeller mit seinem guten Wein mußte herhalten. Auch jeder Bürger in Steinheim hatte in diesen Tagen durchschnittlich 15 - 17 Soldaten im Quartier. Am 9. November 1813 kamen die drei alliierten Monarchen, der Kaiser von Rußland, der Kaiser von Österreich und der König von Preußen, durch Steinheim.

Im November 1813 war das Schloß in ein Lazarett verwandelt worden. Die Schloßmöbel waren bei dem Hofkammerrat Kleinert und bei Privatleuten untergestellt worden. Viele verwundete Soldaten, auch Franzosen, wurden in das Schloßlazarett und in das Stokkumsche Gut am Hainberg, das auch zum Lazarett eingerichtet worden war, gebracht. Pietätloser Witz hatte am Eingang des Stokkumschen Gutes zwei steifgefrorene Soldatenleichen gleichsam als Schildwache aufgestellt. Bis April 1814 befand sich im Schloß ein K. und K. österreichisches Militärlazarett. 800 Kranke waren hier untergebracht.

Da brach der Typhus aus. Die Toten wurden morgens wie das Holz auf Wagen geladen und im Galgenfeld begraben, wo man heute noch Gebeine findet. Wäscherinnen, Wärter und Totengräber starben an Typhus. Man entfernte das Lazarett, die Tapeten wurden heruntergerissen, die Zimmer nach damaliger Kenntnis desinfiziert, neu geweißt, tapeziert und gestrichen. Aber Prinz Georg kehrte nicht mehr ins Steinheimer Schloß zurück. Das Steinheimer Mobiliar wurde im Jahre 1825 zum größten Teil auf Befehl des Prinzen nach Darmstadt gebracht.

Die Napoleonischen Kriege haben politisch dem deutschen Einheitsgedanken und Einheitsstaat vorgearbeitet. Viele politische Gebilde waren aus der buntscheckigen Karte Deutschlands verschwunden. Damit war auch das Eigenleben von vielen hundert kleinen Städten verschwunden und erloschen. Sie wurden mit den benachbarten Landorten politisch und wirtschaftlich nivelliert. So erging es auch Steinheim.

Im Jahre 1830 verlor Steinheim das Justizamt und 1870 das Steuerkommissariat. Wirtschaftlich getragen wurde Steinheim ab Mitte des 19. Jahrhunderts durch Zigarrenfabrikation und in deren Zuge angesiedelte lithographische Kunstanstalten. Einheit, Freiheit und Gleichheit waren die treibenden Ideen des 19. Jahrhunderts. Um Freiheit und Gleichheit wurde in den Jahren 1830, 18,48 und 1918 gerungen. Die Kriege von 1864, 1866 und 1870 brachten die größere Einheit Deutschlands. Im Weltkrieg von 1914-1918 haben 95 Steinheimer ihr Leben eingesetzt.

Das Rheinland war bis zum 30. Juni 1930 besetzt. Im Jahre 1920 war eine französische Patrouille bis nach Steinheim vorgedrungen.

Nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial hat sich Steinheim geändert. Im Jahre 1937 zählte Groß-Steinheim 3.000 Einwohner (1681 hatte es 327 und 1880 ungefähr 1800 Einwohner). Den Steinheimer Boden bebauten etwa 25 - 30 Bauernfamilien. Dagegen war der Obstbau (besonders Äpfel) sehr verbreitet. In der Gemarkung standen ungefähr 15.000 Obstbäume. Der Steinheimer Apfelwein ist in der Umgegend sehr bekannt. Der heimische Basalt gab seither manchem Steinheimer im Steinbruch Beschäftigung, aber die billigere Arbeit der Großbetriebe hat auch diese Männer dem großen Arbeitslosenheer zugeführt.

Der Lett, der in der Nähe Steinheims gefunden wird, hatte schon in sehr früher Zeit das Tongewerbe begründet. Seit den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts hat die Zigarrenfabrikation in Groß-Steinheim eine Heimstätte gefunden. In diesem Wirtschaftszweig waren ungefähr 400 - 500 Arbeiterinnen und Arbeiter tätig. Besondere Bedeutung hatte die Lithographische Kunstanstalt Illert & Ewald.

Der übrige Teil der Bevölkerung findet seine Arbeit in Hanau, Offenbach und Frankfurt am Main. Groß-Steinheim hat gegenüber den benachbarten Gemeinden den Nachteil, daß die Eisenbahn, durch Versäumnis der Generation nach 1870, nicht direkt an Groß-Steinheim vorbeiführt. Mag sein konservativer Charakter auch dadurch gewahrt worden sein, für seine wirtschaftliche Entwicklung aber war es von Nachteil.

Im Jahre 1938 wurden Ober- und Niedersteinheim zur Stadt Steinheim verbunden, und 1974 wurde diese nach Hanau eingemeindet. Im Gegensatz zu Hanau haben die historischen Bauten Obersteinheims den Zweiten Weltkrieg unbeschadet überstanden und vermitteln heute noch einen Eindruck von der mittelalterlichen/frühneuzeitlichen Stadt.

Das 650-jährige Jubiläum der Stadtrechte für Steinheim wurde groß gefeiert. An das Ereignis von 1970 erinnern u. a. eine Festschrift, Filme und zahlreiche Devotionalien, darunter unterschiedlich farbige Festplaketten, die aus Privatbesitz dem Stadtarchiv Hanau übergeben wurden (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 11).

 

 

Klein-Steinheim

Klein-Steinheim ist die ältere geschlossene Siedlung. Man hat dort in den letzten Jahren in der Nähe des Bahnhofes frühgermanische und römische Gräber in großer Anzahl gefunden. Groß- Steinheim ist eine fränkische Siedlung. Wenn man über die Mainbrücke kommt, biegt man links in die Ludwigstraße ein. Zunächst kommt man durch Klein-Steinheim. Auf der linken Seite steht das Rathaus. Dahinter befindet sich die katholische Nikolauskirche. Die Gründung der Pfarrei erfolgte schon im 9. Jahrhundert durch das Kloster Seligenstadt. Bis 1449 war sie Mittelpunkt eines größeren Gebietes auf beiden Mainufern. Danach war die Kirche Filialkirche. In den Jahren 1892/93 erfolgte der Neubau. An einem Pfeiler an der Mainseite steht die Inschrift „A.D. 1892“. Seit 1900 ist die Die ältesten Teil sind im Turm und Chor (heute: Sakristei) noch erhalten. Die Gemeinde wurde wieder eine selbständige Pfarrei.

Nach der Überlieferung des Klosters Seligenstadt wurde die Kirche im. 9. Jahrhundert noch zu Lebzeiten Einhards (770 bis 840), also vor 840, auf dem dem Kloster gehörenden Grund und Boden gegründet. Sie war die Pfarrkirche eines größeren Sprengels. Im Jahre 1294 wurde das Gotteshaus durch den Mainzer Erzbischof Gerhard II. dem Kloster Seligenstadt inkorporiert. Nachdem 1320 Obersteinheim Stadt geworden war und 1425 die Herren von Eppstein das ganze Amt Steinheim mit Stadt und Burg an das Erzstift verkauft hatten, verlegte Erzbischof Theoderich von Erbach am 21. Oktober 1449 die Pfarrkirche von dem Dorf Niedersteinheim in die Stadt Steinheim in die seitherige Stadtkapelle.

Da die Bevölkerung in Niedersteinheim (später Kleinsteinheim) am Ende des 19. Jahrhunderts sehr schnell wuchs, wurde eine Vergrößerung der St. Nikolaus-Kirche erforderlich. Der Neubau der Kirche erfolgte 1892 bis 1893. Das Langhaus der alten Kirche zwischen Turm und Chor wurde vorher abgebrochen. Dazwischen wurde das Schiff der neuen Kirche gestellt, die am 23. Juli 1893 geweiht wurde. Im Jahre 1930 wurde der Kirchturm erhöht.

Schäden erlitt das Gotteshaus durch Brandbomben bei einem Angriff am 19. März.1945, die zunächst provisorisch ausgebessert wurden. Im Jahre 1950 fand eine Ausbesserung des Turmdaches statt und 1951 wurden neue Kirchenfenster nach Entwürfen von August Peukert (Großauheim) angeschafft.

Das Gotteshaus enthält eine Barockkanzel von 1651. Der rechte Seitenaltar (vom Eingang her gesehen) besteht aus gewundenen Säulen des alten Kreuzaltars, der aus der Schloßkapelle stammen soll. Zu dem linken Seitenaltar gehört eine Pietà. Über dem Turmeingang befindet sich ein großes Gemälde des Heiligen Nikolaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, wohl von dem Hanauer Maler Louis Schleissner. In den Längsseiten der Kirche die Gemälde der vierzehn Kreuzstationen von dem Maler Joseph Schäfermeier, gestorben 1899 in Kleinsteinheim.

Das kleine Wallfahrtskreuz, das bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts in der Kreuzkapelle neben der Kirche verwahrt wurde, soll nach der Überlieferung 1309 an der Stelle der heutigen Kreuzkapelle gefunden worden sein. Der Sockel des Kreuzes enthält zwei Reliquienpartikel des Heiligen Kreuzes und eine Reliquie des Antonius von Padua, die 1746 der Aschaffenburger Jakob Geibig aus Rom mitbrachte. In der Kirche befindet sich eine Orgel der Firma Schlimbach, die 1890 hergestellt wurde.

Hinter Kirche steht die Kreuzkapelle. Sie wurde erbaut an der Stelle, wo am 3. Mai 1309 das „heilige Kreuz von Klein-Steinheim“ gefunden wurde. Seitdem gibt es die Wallfahrt zum Heiligen Kreuz. Auf dem Kirchhof stehen mehrere Heiligenfiguren und alte Gräber.

 

Kreuzweg:

Was für den modernen Menschen das Wandern ist, das waren zum Teil für den mittelalterlichen Menschen die Wallfahrten. Sie waren auch eine Entspannung, vor allem aber tiefes religiöses Erleben. Noch heute gehen an den beiden Festen „Kreuz-Auffindung“ im Mai und „Kreuz- Erhöhung“ im September Prozessionen von Groß- nach Klein-Steinheim auf dem sogenannten „Kreuzweg“. Auf diesem Kreuzweg wurden 1699/1700 Bildstöcke errichtet mit den sieben Fußfällen aus der Leidensgeschichte Christi. Diese waren von zwei Pilastern eingefaßt, die eine geschweifte Bedachung trugen. Pilaster und Bedachung sind mit Barockspiralen und Engelsköpfen geziert. Unter dem Reliefbild befand sich eine Schrifttafel. Die Inschriften stehen in Beziehung zum Bildinhalt.

Zur Kreuzkapelle führt der sogenannte „Kreuzweg“ vom Groß-Steinheim mit sieben Bildstöcken aus Sandstein. Er beginnt in Höhe der Straße „Vorstadt“ und führt durch die Kreuzstraße. Wilhelmstraße und Molitorstraße nach Klein-Steinheim. An der Kreuzung der Ludwigstraße mit der Molitorstraße steht außerdem ein Bildstock von 1992.

Dargestellt sind auf den Kreuzwegstationen (von Groß-Steinheim nach Klein-Steinheim):

Erster Fall: Auf dem ersten Bildstock wird Christus gebunden zu Annas und Kaiphas geführt.

Auf dem Sockel dieser ersten Station befindet sich das Wappen des Stifters, des Kurfürsten Lothar Franz von Schönborn (1695-179-9) mit der Kurfürstenkrone.

Zweiter Fall: Christus vor Annas und Kaiphas. Das Wappen auf diesem Bildstock ist das Bassenheimsche. Der kurmainzische Geheime Rat und Oberamtmann von Steinheim Johann Erwein von Schönborn war vermählt mit einer Waldpott von Bassenheim. Auf dem Wappen ist die Grafenkrone.

Dritter Fall: Christus ist vor Ermattung an den Stufen des Pilatus-Hauses auf den Boden hingesunken. Auf dem Sockel die Anfangsbuchstaben P.AE.N.-P.S., zwischen ihnen das Wappen. Die Abkürzung bedeutet: Pater Aemilianus Nolpe, Parochus Steinheimensis (Pfarrer von Steinheim 1696-1727).

Vierter Fall: Christus ist unter den Geißelhieben der Häscher zusammengebrochen. Die beiden Wappen deuten auf die Stifter: Johann Michael Jakob Tautphaeus und seine Gemahlin Ana Catharina Tautphaeus. 1699.

Fünfter Fall: Simon von Cyrene sucht dem Herrn die Last zu erleichtern. Die Stifter dieses Bildstocks sind: Der Amtsvogt Johann Remigius Kämmerer und seine Gemahlin Anna Maria Kämmerer. Anno 1700. (Die folgenden Bildstöcke stehen auf Klein-Steinheimer Gebiet).

Sechster Fall: Christus wird aufs Kreuz geworfen. seiner Kleider beraubt und ans Kreuz genagelt. Als Stifter werden angegeben: „Sämbtliche Amts Schultheisen haben diesen Bildt-Stock zu Ehren des gecrußig Heylands Christi aufrichten lassen. Im Jahre 1700“.

Siebenter Fall: Das Kreuz wird mit Händen und Stricken aufgerichtet. Auf dem Sockel: „Dieses Bild haben lassen auffrichten zu Ehren ihres Erlösers Christi Jesu sämtliche wohlehrsame Pfarrkinder als Ober- und Niedersteinheim. Klein-Auheim, Heinstat und andere gute freindt. Anno 1700.“

 

Evangelische Kirche:

Wenn man an den Kreuzwegstationen entlangfährt, kommt man allerdings nicht zur evangelischen Kirche. Diese steht nach einer Steigung der Hauptdurchgangsstraße auf der linken Seite.

Die aus hellen gelben Klinkern gebaute Kirche wurde in der Zeit vom 19. Mai 1901 bis 12. Oktober.1902 unter Dekan Sturmfels für 72.000 Mark erbaut und 1968 renoviert. Der Turm ist unmittelbar mit dem Gotteshaus verbunden. In der Kirche befinden sich zwei Bilder, die den Reformator Dr. Martin Luther und den Mitarbeiter Luthers, Dr. Philipp Melanchthon, darstellen. Neun Buntglasfenster zeigen symbolische Darstellungen:

a.) im Hauptschiff: Kreuz und Fische - die Taufe, Kreuz mit Kelch u. Brot - das Abendmahl,

die Taube als Zeichen des Heiligen Geistes

b.) im Chorraum hinter dem Altar: links die Geburt Christi, in der Mitte die Kreuzigung, rechts die Auferstehung, vorne rechts im Hauptschiff die aufgeschlagene Bibel mit den Buchstaben A und O, Kreuz und Grabkreuze mit Öllampe, Schwert und Schild.

 

Albert Reuß:

Der Steinheimer Ehrenbürger wurde am 19. April 1874 geboren – in Großsteinheim. Im Jahre 1910 übernahm er die Rektorenstelle der Klein-Steinheimer Volksschule (heutige Theodor-Heuss-Schule) und blieb dort 1939 bis zu seiner Pensionierung tätig. Im Jahre 1929 gründete er den Klein-Steinheimer Heimatverein mit und war dessen erster Vorsitzender. In einem Saal seiner Schule richtete er ein kleines Museum ein, das am 16. Juni 1929 eröffnet wurde. Der Lokalhistoriker verfasste zahlreiche heimatgeschichtliche Aufsätze, schrieb Gedichte und führte Ausgrabungen durch. Am 2. Juni 1953 wurde ihm die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt verliehen. An Reuß erinnert heute eine Straße in Klein-Steinheim (Richtung ehemaliger römischer Villa am Main-Bogen) und ein Porträt im Sitzungssaal des Ortsbeirates Steinheim im alten Rathaus an der Ludwigstraße (gegenüber seiner ehemaligen Wirkungsstätte), zusammen mit den anderen Steinheimer Ehrenbürgern (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 211).

 

 Bürgermeister Braun:

Valentin Braun war als Bürgermeister von Klein-Steinheim von 1892 bis 1909 eine prägende Persönlichkeit. Als er 1892 zum Bürgermeister seiner Heimatgemeinde gewählt wurde, diente sein Geburts- und Wohnhaus in der Eleonorenstraße 3 (heute Valentin-Braun-Straße) als Bürgermeisterei. In seiner Amtszeit wurden etwa die Gasleitung gelegt (1901) und die elektrische Straßenbahn von Hanau nach Steinheim (1909) verlängert. Braun gehörte zu den Mitgründern des Gesangvereins Liederkranz (1859) sowie der Spar-, Leih- und Hilfskasse Klein-Steinheims (1872), deren Vorstandsvorsitzender er 52 (!) Jahre lang war: von 1872 bis 1924 (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 42).

 

 

 

Rundgang durch Groß-Steinheim

Wenn man auf der B 43 a mit dem Auto anreist, fährt man zunächst an Steinheim vorbei und biegt dann rechts ab und dann wieder links in Richtung Altstadt. Dann geht es rechts weiter in die Straße „Steinheimer Vorstadt“.

Dabei umrundet man den Hainberg. Er hat seinen Namen von „Heidenberg“, weil hier vielleicht bei der Einführung des Christentums noch Spuren römischer oder heidnischer Tätigkeit vorhanden waren. Der Basalt des Hainbergs und des Albanusbergs hatte schon den Römern als Baumaterial gedient und findet sich auch in vielen herrschaftlichen und privaten Häusern Steinheims.

Auf der Höhe steht links ein altes Barockkreuz vom Jahre 1756. Auf dem mit Barockornamenten verzierten Sockel des Kreuzes befinden sich die Worte: „Sculptile nec lapidem, sed quid designat adora, en tibi decalegon quid jubet et prohibet“. Darunter steht: „Nicht den Stein, noch die Gestalt, sondern den sie dir vorhalt, sollst tu dahin verehren, das eine dir die zehen Gebot gebiet, das andere thut verwehren“. Sodann folgt der Anfang des 113. Psalmes: „in exitu Israel de Ayto (Aegypto) Domus (Jakob) de populo barbaro, Psalm 113. 1756“. Zu deutsch: „Als Israel aus Ägypten zog, wurde Jakobs Geschlecht von fremdem Volke befreit.“

Das Kreuz war im Jahre 1756 errichtet worden, also nach den beiden schlesischen Kriegen, die zwischen Friedrich dem Großen von Preußen und Maria Theresia von Österreich getobt und auch manche fremde Kriegsvölker nach Steinheim gebracht hatten. Davon glaubten die Steinheimer jetzt befreit zu sein und ahnten nicht, daß noch in demselben Jahre der siebenjährige Krieg ausbrach, der an unserem Städtchen auch nicht spurlos vorübergegangen ist. Das Kreuz ist mit drei Wappen versehen.

Auf dem Hainberg steht die Villa Stokkum, das frühere Stokkumsche Gut. Diese hat einen Gewölbekeller aus dem 17. Jahrhundert. Das Hauptgebäude ist vor 1800 in klassizistischem Stil erbaut. Hier entstand schließlich 1860 die Zigarrenfabrik Hosse, eine der wirtschaftlichen Stützpfeiler Steinheims des späteren 19. Jahrhunderts. Heute ist hier ein Hotel untergebracht.

 

Man fährt bis zum Parkplatz unter der Hellentalbrücke. Von dort ist es nur ein kurzer Weg bis in die Altstadt. Wo jetzt vier große Wohnhäuser stehen, war früher die lithographische Kunstanstalt von Illert & Ewald. Die Fabrik wurde im Jahre 1856 durch Heinrich Illert (gestorben 1898) gegründet. Das erste Geschäftslokal befand sich in Mühlheim (Main), später wurde der Betrieb wegen notwendiger Vergrößerung 1865 nach Groß-Steinheim an das Maintor um. Vom Jahre 1865 - 1867 war der Kaufmann Wilhelm Ewald Teilhaber. Durch dessen Tod erlosch diese Teilhaberschaft.

In den ersten fünfzig Jahren des Betriebes wurden ausschließlich Zigarrenpackungen hergestellt, später noch andere Artikel, wie Etiketten für Schokolade-, Bonbons-, Frucht-, Fisch- und Fleischkonserven-Packungen. Zigarrenpackungen insbesondere Wein- und Spirituosenetiketten her. Die Fabrik in Groß-Steinheim wurde mit jedem Jahr des Bestehens vergrößert, bis die jetzigen Inhaber, die Herren Kommerzienrat Fritz Illert und Heinrich Illert, gezwungen waren, im Jahre 1920 einen neuen Betrieb, die Firma Gebrüder Illert GmbH., in der Klein-Auheimer Gemarkung zu errichten.

In Klein-Auheim eröffnete das Familienunternehmen bald einen zweiten Standort und avancierte zu einem führenden Hersteller von Druckerzeugnissen für die Nahrungs- und Genussmittelindustrie. Deshalb wohl auch der Kontakt zu Gustav Tischer. Der bekannte Maler, Illustrator, Grafiker und Schriftzeichner Gustav Tischer (1877-1945) war nach dem Besuch der Kunstgewerbeschulen in Berlin und Dresden später als Studienrat an der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Berlin-Ost tätig war. Bekannt sind etwa seine Sammelbilderfolgen für die Schokoladenfirma Stollwerck, aber auch Motive für Briefmarken, die zur Einweihung des Deutschen Goldschmiedehauses in Hanau 1942 erschienen. Von ihm stammt auch eine Grußkarte aus der Zeit um 1910 „Frohe Ostern“ Darauf transportiert Meister Lampe einen riesigen Korb bunter Eier auf einem Fahrrad. Im Jahre 1999 wurde der Firmenteil geschlossen. „Illert Etiketten“ führt die Tradition des Etikettendrucks weiter (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 209).

Im Jahre 1937 beschäftigten die beiden Unternehmungen etwa 600 Arbeiter und Angestellte. Es sind in Betrieb 30 Schnellpressen, vier Offsetmaschinen, darunter zwei Zweifarbenmaschinen, und eine große Anzahl Hilfsmaschinen für Prägerei und Druckerei, Buchbinderei und Steinschleiferei. Die ausgedehnte Buchdruckerei arbeitet mit 23 Automaten und Halbautomaten, 15 Tiegeldruckmaschinen mit Kraft- und 24 Tiegeldruckmaschinen mit Fußbetrieb. Infolge der erstklassigen, neuzeitlichen Einrichtung stehen die Betriebe mit an der Spitze der deutschen Druckereien. Ein erlesener Stab tüchtiger Vertreter in vielen Inlands- und allen größeren Auslandsplätzen sorgt für ständige Ausbreitung des Unternehmens. Heute sind beide Unternehmen aufgelöst, das Gebäude in Steinheim abgerissen, so daß die Zehntscheune vom Main aus gut zu sehen ist.

.Die Einfahrt des Betriebs mit Torbogen und Sturzstein in Form eines weiblichen Porträtkopfes ist erhalten.

 

Gerichtslinde und Centgericht:

Der Lindenstamm, der heute noch steht, ist der Rest einer Jahrhunderte alten Linde, die durch einen Blitz in sieben Teile gespalten worden sein soll, welche dann als selbständige Stämme weiter wuchsen. Bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dienten diese zum Teil hohen Stämme der Steinheimer Jugend als Spielunterschlupf. Um 1900 sind die Stämme bis auf einen dem Wetter zum Opfer gefallen. Auf dem Kupferstich von Merian ist zwar der Stamm, aber ohne Äste zu sehen. Wahrscheinlich waren aus militärischen Gründen, um Schuß- und Blickfeld zu haben, während der Kriegszeit die Äste bis zum Stamm abgehauen worden. Die Mauer, die diese Linde umzog und vor einigen Jahren erneuert wurde, ist schon im 16. Jahrhundert genannt.

In diesem umfriedeten Bezirk unter der Linde fand bis zum 15. Jahrhundert das „Ding“ oder das Gericht des alten Siedlungsbezirkes statt. Diesen Bezirk nannte man in früherer Zeit die „Cent“. Der Name kommt aus der fränkischen Zeit, weil sich meist hundert („centum“) wehrfähige, verwandte Franken längs der Flüsse und Bäche an verschiedenen Stellen niedergelassen und die neuen Dörfer gegründet hatten. Sicherlich bildeten Groß-Steinheim, Klein-Auheim, Hainstadt, Weißkirchen, Heusenstamm, Obertshausen, Hausen, Bieber, Lämmerspiel, Mühlheim, Dietesheim und Klein-Steinheim einen Siedlungs- und Gerichtsbezirk aus fränkischer Zeit. Diese Orte blieben als Amt Steinheim Gerichts- und militärischer Verband bis 1830.

Bis zum 15. Jahrhundert fanden die gebotenen und ungebotenen Dinge unter der Linde am Main statt. Das „ungebotene Ding“ (Versammlung) fand an drei bestimmten Tagen des Jahres statt. Das gebotene Ding war eine außerordentliche Verhandlung, die bei besonders wichtigen und dringenden Anlässen, zum Beispiel Totschlag und Mord stattfand. Das ungebotene Ding konnte auch beantragt werden. In diesem Falle hatte der Antragsteller jedem Schöffen zehn Pfennig zu erstatten.

Der Centgraf führte bei dem Ding den Vorsitz. Zur Rechten und zur Linken saßen die 14 Schöffen. Die meisten Centorte stellten einen, Steinheim drei, Mühlheim zwei und Weißkirchen zwei Schöffen. Der Centgraf fragte den ältesten Schöffen, ob es Zeit, Ort und Recht das Gericht zu hegen. War die Frage von dem Schöffen bejaht worden, so begann der Centgraf das Gericht mit der Hegung.

Der Zentgraf sagte: „Also heege und halte ich das Gericht im Namen und von wegen des hochwürdigsten Fürsten und Herren des heiligen Stuhles zu Mainz, Erzbischofes des heiligen römischen Reiches durch Germanien Erzkanzler und Kurfürsten, sodann im Namen und von wegen des Herrn Amtmannes zu Steinheim, wie in gleichen auch im Namen des Herrn Centgrafen und der sämtlichen Schöffen, auch aller derwegen, die solches von Nöten haben. Darüber tue ich Fried und Bann, daß keiner den anderen an diesem löblichen Landgericht Zwang antue, er tue es denn mit Erlaubnis. Ich erlaube das recht und verbiete das unrecht. Ich verbiete auch, daß keiner sein Wort tue, er tue es denn mit Erlaubnis. Ich verbiete, daß kein Schöffe den Stuhl räume, er tue es denn mit Erlaubnis.“

Bei schweren Fällen erhob der Kläger oder Bereder die Klage, der Angeklagte oder der Wehrer verantwortete sich. Die Schöffen fällten das Urteil. Bei leichteren Civil- und Kriminalfällen brachten die Schöffen der Reihe nach die Rügen ihrer Orte vor. Der Bürgermeister von Steinheim begann, der Schultheiß von Klein-Steinheim kam zuletzt an die Reihe. Der Zentgraf und die Schöffen zogen sich darauf zurück, setzten die Strafen fest und ließen sie durch den Amtsschreiber ablesen.

Der Brunnen bei der Linde diente dazu, daß die Schöffen ihre Hände „in Unschuld“ waschen konnten. Die Strafen mußten bis zum nächsten Landgericht bezahlt und die Frevel vertreten d. h. abgebüßt sein. Die Bußen oder Strafen wurden vom Amtmann, dem Centgrafen und sämtlichen Schöffen je nach dem Verbrechen angesetzt. Von der Strafe hatten der Kurfürst und die Schöffen je die Hälfte, der Centgraf ein Viertel. Hatte jemand ein schweres Verbrechen begangen, so wurde es gebüßt durch Radbrechen, Köpfen, Ertränken oder durch Aufhängen an den Galgen. Sollte der Verbrecher zur Aussage gezwungen werden, so kam er in die Folterkammer beim Schloß. Nach der Verhandlung fragte der Centgraf den dritten Steinheimer Schöffen, „ob das Gericht genugsam geheegt sei.“

Alljährlich feiert Groß-Steinheims Bürgerschaft, und besonders die Jugend, einem alten Brauch entsprechend, am Vorabend des 23. Juni das Johannisfest mit einem Johannisfeuer am Main vor der alten Linde. Durch das Feuer, das ein Abbild der Sonne ist, glaubte man auch die Dämonen des Mißwachses, des Unglücks, der Krankheiten von Mensch und Vieh bannen zu können. Deshalb sprangen junge Menschenpaare Arm in Arm durch die Flammen, um sich des Glücks zu versichern, wenn ihnen der Sprung ohne Schaden gelungen war. Deshalb trieb man das Vieh durch das erlöschende Feuer, um es von Krankheitsdämonen zu befreien. Eine besondere Rolle spielte bei diesen altgermanischen Sonnenwendfeiern Thor oder Donar, der Gott des Blitzes, des Donners und des Hagels, der gerade in der Sommerzeit Segen, aber auch Verwüstung über die Fluren ergießen konnte.

An alle diese Gedanken knüpfte das Christentum an, als es die Sonnenwendfeiern im Winter und Sommer im christlichen Sinne umgestaltete, zumal ja der Sieg des Lichtes in hervorragender Weise auf Jesus Christus bezogen werden konnte. Anstelle des winterlichen Julfestes trat der christliche Weihnachtsgedanke. Das Licht, d. h. Jesus Christus trat in die Welt ein. Es wuchs und wuchs, bis es gleichsam zur allbelebenden Sonne ward. Diesem Lichte ging Johannes der Täufer voraus: „Er war nicht das Licht, sondern er sollte Zeugnis geben von dem Lichte.“ Er war und ist vergleichbar dem Feuer, das die Dunkelheit der Nacht erleuchtet und hinweist auf das Urfeuer, das Hochfeuer, das alles erwärmt und belebt, auf die Sonne, mit der oft Christus verglichen wird. Johannes trat an die Stelle Thors. In christlicher Zeit betete man deshalb bei Blitz und Donner das Johannes- Evangelium. Wenn das Johannisfeuer abgebrannt war, nahm man noch vor vierzig Jahren Kohlenstücke davon mit nach Hause und steckte sie zwischen die Dachsparren, zum Schutz gegen Blitzgefahr.

Seit vielen Jahrhunderten hatte dieses Johannisfeuer eine Pflegestätte in Steinheim. Es wird wie folgt beschrieben: Schon Tage vorher laufen die noch schulpflichtigen Jungen durch die Straßen des Städtchens und erbitten mit dem Ruf „Welle, Welle Hannsfeuer“ Holz und Gerümpel, das zum Feuerstoß am Main hoch aufgeschichtet wird.

Bei Beginn der Dunkelheit trifft die Jugend mit Pechbehältern an langen Stangen und mit Hobelspänen versehenen Reiserbesen ein. Der Holzstoß wird entzündet, und an diesem die Fackeln und Besen angesteckt. Mit den brennenden Besen werden Feuerkreise geschwungen, gleichsam ein Abbild der Sonne.

Hunderte von Menschen umsäumen dieses Schauspiel. Die Flammen züngeln in wunderlichen Formen zum Himmel, graue Wolkenschwaden steigen empor. In grüngelbem Schein steht die alte Zentlinde. Lampions und Lämpchen glühen an den Fenstern des Mainturms, des ehemaligen Zollhauses und auf der altersgrauen Festungsmauer. Mädchen tanzen Reigen um den lodernden Brand, in hohem Bogen werfen die Knaben ihre abgebrannten Besenstummel in den Main, wo sie zischend erlöschen. Auf dem Flusse schaukeln illuminierte Boote und Nachen. Lichtstreifen in allen Farben zaubern ein Märchenbild in den Fluten des Maines.

 

Das Maintor:

Man geht weiter bis zur Straße „Am Maintor“. Ursprünglich befand sich an dieser Stelle nur eine Mauerpforte, die im Jahre 1564 erweitert wurde (an Mauerresten und Torbogen kann man das noch feststellen). In diesem Jahre wurde von dem Erzbischof Daniel Brendel von Homburg, der in Steinheim eine große Bautätigkeit entfaltete, auch die Befestigungsanlage, insbesondere das Ober- und Maintor gewaltig verstärkt. Die Jahreszahl 1564 finden wir am Torbogen nach der Stadtseite. Der Unterbau des Mainturms ist noch gut erhalten. Er baut sich im Viereck auf. Das Material ist Basalt und Sandstein.

Das Innere der rundbogigen Torfahrt ist von einem Tonnengewölbe überspannt mit einer Aufzugsöffnung in der Mitte. Türangeln nach der Main- und Stadtseite weisen auf zwei Tore des Turmes hin. Ein Torverriegelungsbalken ist noch gekennzeichnet. Heute hat der Mainturm zwei bewohnte Stockwerke, die durch ein einfaches, mäßig ansteigendes Dach abgeschlossen werden. Bis zum 17. Jahrhundert sah der Turm etwas stolzer aus. Er paßte zu dem turmreichen Schloß. Auf dem alten Stich von Merian aus dem Jahre 1646 sieht man noch ein Obergeschoß mit hohem, vierseitigem Dach, das mit spitzen Türmchen und einem stolzen Dachreiter geziert war. In der Bleistiftskizze des holländischen Malers Meyeringh vom Jahre 1675 sieht man den Mainturm des Dachreiters und des Türmchens nach der Mainseite beraubt. Der Turm hat also in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges, besonders von 1640 - 1648 und danach, durch Zerfall stark gelitten.

Um 1730 muß der Mainturm im Großen und Ganzen seine heutige Gestalt erhalten haben. Nun erblicken wir auf der Bleistiftskizze von Meyeringh vor dem Maintor noch eine stark zerfallene Vorbefestigung. Merian zeigt nicht diese Vorbefestigung, sondern nur einen kleinen Fachwerkbau an der Mauerecke nach dem Maintor hinauf. Dieser Bau war ein Zöllnerhaus, das jedenfalls in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges abgerissen worden war. An dessen Stelle wurde die Vorbefestigung gelegt, die man auf dem Bild von Meyeringh von 1675 sieht, und deren Form man auch auf dem Grundriß von 1687 erkennen kann. Hier hat man es also nicht mit einer Phantasiezeichnung des holländischen Malers zu tun, sondern mit einem traurigen Wirklichkeitsbild Steinheims nach dem trostlosen Dreißigjährigen Krieg. Ein Mauerrest von dieser Vorbefestigung befindet sich an der Ecke der Mainmauer nach dem weißen Türmchen zu. Der Main­turm wurde nach 1900 mit den Bildern des heiligen Christophorus nach der Mainseite hin, und mit dem Bilde des Drachentöters, des heiligen Georg, nach der Stadtseite hin bemalt, aber heute ist davon nichts mehr zu sehen.

Wenn man die Mainstraße hoch geht, sieht man die Leinreiter-Rast und die Fährmannshäuser. Links steht der Bickenhof.

 

Der Bickenhof:

Der Bickenhof umfaßt die Liegenschaft von der Zehntscheuer bis zur Maingasse. Ferner gehörten zu diesem Hof die ehemalige Gaststätte „Gambrinus“ und das daneben liegende Meyer’sche Haus. In dieser Hofreite findet man noch einen Keller mit zwei übereinander liegenden Stockwerken, der von den Einkünften dieser Familie erzählt. Im Jahre 1684 war der Bicken’sche Bau eingefallen, wobei die Scheune des Stadtwirtshauses zum größten Teil zerstört worden war. Um 1700 wurde der Bau in seiner heutigen Form wieder aufgeführt.

Der bedeutendste aus dem Geschlecht der Herren von Bicken war Philipp von Bicken, ein Schwager des schon erwähnten baulustigen Kurfürsten Daniel Brendel von Homburg (1555- 1582). Dieser Philipp von Bicken war ebenso bedeutend wie Frowin von Hutten. Er wurde gar manchesmal vom Kurfürsten mit wichtigen Staatsgeschäften betraut. Er war ebenso tüchtig in der Verwaltung des alten Amtes Steinheim. Er drang darauf, daß die damals bestehende Verfassung und Verwaltung in Stadt und Amt Steinheim aufgezeichnet wurden. Er ist 1590 gestorben. Mit seiner Gemahlin Anna fand er seine letzte Ruhestätte in der Kirche von Steinheim, aber das Denkmal ist leider nicht mehr erhalten. Von seinen drei Söhnen wurde der eine, Johann Adam, Kurfürst und Erzbischof von Mainz (1601-04). Dieser Johann Adam von Bicken hat einen großen Teil seiner Jugend in Steinheim verlebt. Auch dieser Kurfürst ernannte seinen Bruder Jost Philipp zum Amtmann von Steinheim.

 

Dürerhaus (Am Maintor 1)

Am Zugang zum Marktplatz steht links das schön erhaltene Dürerhaus mit seinen Ständern, Streben und Riegeln. Über der Kellertüre befindet sich die Jahreszahl 1541, es ist aber wohl schon um 1420 erbaut. In diesem Jahre fand aber nur eine Veränderung des Hauses statt. In diesem Hause soll der große deutsche Maler Albrecht Dürer im Jahre 1520 auf seiner Reise nach den Niederlanden mit seiner Frau Agnes und Magd übernachtet haben. Von Bamberg aus benutzten die drei Reisenden ein Schiff. Eine große Anzahl seiner Kupferstiche, Holzschnitte, sowie einige kleinere Malereien führte der Maler mit sich. Von dem Verkauf dieser Arbeiten wollte er seine Reise bezahlen und zugleich einflußreichen Persönlichkeiten Geschenke machen.

Er beschreibt seine Reise in einem Tagebuch und erwähnt auch Steinheim mit folgenden Worten: „Von dannen kamen wir gen Oschenpurg (Aschaffenburg), da wiss ich meinen Zollbrief, da ließ man mich fahren und ich verzehrte do 52 pfennig. Von dannen fuhren wir gen der Selgenstatt, von dannen gen Steinheim, do wiß ich meinen Zollbrief, do liß man mich fahren. Und wir lagen bei Johannsen über nacht, der sperret uns die Statt auf und war uns gar freundlich, da gieb ich aus 16 pfennig. Also fuhren wir am freitag frühe gen Kesseltatt.“ Der erwähnte Johannsen war der eine von den beiden damaligen Bürgermeistern: Johannes Pförtner. Seit 2010 ist es Schau- undausstellungshaus und Atelier.

 

Marktplatz (Platz des Friedens):

Friedensdenkmal:

Der Marktplatz wird geprägt von dem Friedensdenkmal. Es wurde am 15. Oktober 1911 feierlich enthüllt zur Erinnerung an den Frieden von Frankfurt 1871 und an die von Ludwig I., Großherzog von Hessen, eingeführten Neuerungen nach den Freiheitskriegen vor rund hundert Jahren (Leibeigenschaft, Zehnten und Frondienste wurden abgeschafft oder wenigstens stark gemildert). Die Zünfte mit ihrem starren Zwang wurden aufgehoben, und an ihre Stelle trat Gewerbefreiheit und Freizügigkeit). Das Denkmal wurde gestiftet von Großkaufmann Louis Meyer-Gerngroß (1861 - 1932), ein geborener Steinheimer, nach dem heute die Seitenstraße von der Hans-Sachs-Straße nach dem Main zu benannt ist. Den künstlerischen Entwurf fertigte der bekannte Münchener Künstler Professor Georg Busch, ebenfalls ein Steinheimer, am 11.3.1862 geboren.

Meyer-Gerngroß entstammte einer jüdischen Metzgersfamilie, wurde mit einem Großhandel von Steingut sowie Porzellan in Mannheim erfolgreich und engagierte sich dort als Mitglied der Handelskammer. Die Steinheimer Jüdische Gemeinde geht auf das Jahr 1335 zurück. Unter dem NS-Regime wurden Mitglieder der Familien Herz, Mayer, Meyersohn, Oppenheim und Selig, aus Klein-Auheim (es gehörte damals zum Einzugsgebiet) der Familien Hirschmann, Lilie, Loeb und Ronsheim deportiert und ermordet. Louis Meyer-Gerngroß´ Witwe Helene, geborene Dinkelspiel, wurde 1940 in einem Massentransport von Mannheim nach Gurs (Frankreich) verschleppt und kam dort um.

Im sogenannten. „Dritten Reich“ wurde das Friedensdenkmal bei antijüdischen Exzessen 1938 beschädigt und zwei Jahre später komplett demontiert. Das Denkmal mit dem bronzenen „Jüngling mit dem Ölzweig“ wurde am 17.11.1965 wieder feierlich aufgebaut. Es ist eines der wenigen unheroischen, unmartialischen und expliziten Friedensdenkmäler aus der Kaiserzeit. Am Haus dahinter befindet sich eine Friedensgedenktafel von 1985 (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 184).

 

Altes Rathaus:

An der Stelle, wo heute das Friedensdenkmal steht, stand bis 1771 das alte Rathaus. Dieses war aus dem alten Steinheimer Spielhaus entstanden, das im Jahre 1376 erwähnt wird. Gewöhnlich war das untere Stockwerk offen, unter dem ein Teil des Marktes sich abspielte. Als dann im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert die Gerichtshegung nicht mehr unter der Linde stattfand, wurde das Spielhaus als Rathaus benutzt. Jetzt wurden das Land- und Haingericht sowie die sonstigen Beratungen über Angelegenheiten der Gemeinde und der Zent in dem vergrößerten Rathaus abgehalten.

Auf dem Merian’schen Stich von 1646 erblicken wir noch diesen stattlichen Rathausbau. Ein hochgezogener, gemauerter Giebel mit gewaltigem Dach ragt über die Nachbarhäuser und schaut hinunter nach der Maingasse. Der ganzen Bauart entsprechend ist dieses alte Rathaus wahrscheinlich um 1450 entstanden. Die zum Zent Steinheim gehörigen Zentorte mußten bei diesem Neubau fronen. Im unteren Stockwerk befand sich die städtische Ware, zu der man durch ein spitzbo­gi­sches Tor gelangte.

Außen am Rathaus war das Ellenmaß in Eisen eingelassen, so daß jeder sich von dem richtigen Maße überzeugen konnte. An dem Rathaus befand sich auch der Prangerstein mit Halseisen und Handfesseln, die durch eiserne Ketten an zwei Steinkugeln befestigt waren. Über das weitere Schicksal dieses alten Rathauses weiß man bis jetzt nur so viel urkundlich, daß im Jahre 1771 aus den Steinen des abgebrochenen Rathauses 220 Gulden gelöst wurden. Es ist wahrscheinlich, daß auch dieses alte Rathaus abgebrannt war.

Man wollte ein neues Rathaus im modernen klassizistischen Stil bauen und hat vielleicht die vom Brand stehen gebliebene Umfassungsmauer für den obigen Preis auf Abbruch verkauft. Erhalten geblieben war nur der geräumige Rathauskeller, der bei der Fundamentierung des Friedensdenkmals gefunden und von einigen Handwerkern begangen wurde. Die Unterkellerung ist außerordentlich geräumig. Hier wurden von den beiden städtischen Weinmeistern die Weine für das Stadtwirtshaus gelagert. Nach Aussage der Nachbarschaft schmilzt da, wo der Keller liegt, der Schnee viel rascher als an anderen Stellen. Im Jahre 1773 wurde das Rathaus durch einen Neubau in der Hans-Sachs-Straße ersetzt.

 

Schönbornsches Haus:

Das stattliche Haus mit dem Erker links hinter dem Friedensdenkmal gehörte der Familie von Schönborn. Der Schönborn’sche Löwe ist noch an der Stuckdecke des Hausflurs zu sehen. Das Gebäude ging sodann an den Amts-Registrator Langgut über. Als dieser 1814 gestorben war, kaufte die Gemeinde diesen Bau um 1300 Gulden und richtete ihn 1815 als Schule ein. Das seitherige Schulhaus bei der Kirche wurde verkauft. Hier blieb ein Teil der Schule, bis im Jahre 1893 das neue Schulhaus an der Offenbacher Landstraße bezogen wurde.

 

Stadtwirtshaus (Platz des Friedens 6)

Gegenüber dem Friedensdenkmal befindet sich das alte Stadtwirtshaus. Es wurde um 1508 als Wirtshaus geründet. Bis in das 17. Jahrhundert war dieses das einzige Wirtshaus in Steinheim. Der jetzige Bau wurde nach einem Brand im Jahre 1731 erbaut. Es war in städtischem Betrieb. Die Stadt hatte zu Anfang des 16. Jahrhunderts vom Kurfürsten von Mainz das Recht zum Weinausschank erhalten. Sie mußte den 21. Pfennig von dem verzapften Wein an den Kurfürsten bzw. an dessen Keller in Steinheim entrichten. Das machte von 100 Gulden Einnahme fünf Gulden Abgaben. Dafür mußte die Gemeinde mit einem bestimmten Anteil die öffentlichen Bauten erhalten helfen.

Auf Sankt Michaels-Tag wurden von der Bürgerschaft zwei Weinmeister erwählt, die dem Weinschank vorzustehen, den Wein einzukaufen und an den Stadtwirt abzugeben hatten. Der städtische Wein lagerte im sehr geräumigen Rathauskeller. Bis ins 18. Jahrhundert hinein wuchs auch in Steinheim ein leichter Wein. Der auswärtige Wein kam besonders von Miltenberg, Wertheim, Würzburg, manchmal auch vom Rhein. Der Weinausschank war viel stärker als der Bierausschank. Der Zins, den der Stadtwirt jährlich zu zahlen hatte, betrug 120 bis 130 Gulden. Dazu kam noch das sogenannte „Ohmgeld“ für Wein und Bier.

Das Stadtwirtshaus spielte im Mittelalter und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Leben des Städtchens eine wichtige Rolle. Es fehlte nie an Gästen, da ja Steinheim Amtsstadt und Pfarrei mit drei Filialen war, aus denen die Pfarreiangehörigen an jedem Sonntag herauf nach Steinheim kamen. Das Städtchen hatte auch sehr viel Durchgangsverkehr, da es an der großen Straße von Nürnberg nach Frankfurt lag. Aber auch die Einwohner sorgten für Betrieb im Stadtwirtshaus. In dieser trinklustigen Zeit verzichtete man oft auf Entschädigung mit Geld von Seiten der Gemeinde. Man ließ sich dafür meist einen Trunk im Stadtwirtshaus geben. Hier wurden die Strafen des Haingerichts (Ortsgerichts) gemeinsam vertrunken.

Hier erhielten die beiden Bürgermeister, die mit dem Stadtwirt nach jedem Quartal abrechneten, ein Maß Wein und Brot. Auch die beiden Geschworenen, die am Kirchweih-Montag das Gewicht und das Maß prüften, bekamen dafür ihren Wein und ihre Wecken. Ebenso erhielten die Stadtgeschworenen zwei Maß Wein und zwei Brote, wenn sie den Kühen die Hörner schnitten und den Ebern die Zähne brachen. An Christi Himmelfahrt wurde das Junggesind von der Gemeinde mit einem Freitrunk bewirtet. Auch den Schützen gab man an ihrem Patronatsfest, dem Sankt Sebastianstag (20. Januar) und am Fronleichnamstag für die Teilnahme an der Prozession jedem eine halbe Maß Wein. Sogar bei Verpachtung der Gemeindewiesen erhielt jeder Bürger einen Freitrunk.

Das alte Stadtwirtshaus war anscheinend vom Dreißigjährigen Krieg auch stark mitgenommen worden. Die Reparaturen wollten kein Ende nehmen. Da entschloß man sich, im Jahre 1731 ein neues Stadtwirtshaus zu bauen. In dieser Form ist es bis heute geblieben. Der städtische Betrieb hat sich aber im 18. Jahrhundert nicht mehr gelohnt, zumal jetzt auch noch mehr Wirtschaften entstanden waren. So wurde im Jahre 1784 das Stadtwirtshaus zur Versteigerung ausgeschellt und 1786 wurde es für 2.900 Gulden verkauft. Während der Franzosenzeit von 1790 bis 1814 hat der Stadtwirt Johannes Ferg Kriegsvölker aus aller Herren Länder hier bewirtet und beherbergt. Im 18. Jahrhundert wurde das Wirtshaus genannt „Zum Lamm“. Seit 1786 ist es in Privatbesitz. In den dreißiger Jahren hieß es „Zur Germania“.

 

Das neue Rathaus

Das neue Rathaus wurde im Jahre 1773 errichtet. Die Baukosten betrugen 2.700 Gulden. Da hier auch die Zentsachen verhandelt wurden und sich zu ebener Erde die Zent-Arreste befanden, hatten die Zentorte, die zur Zent (Gerichts- und Verwaltungsbezirk) Steinheim gehörten, zum Rat­hausbau mit Geld und Frondienst beizusteuern. Als im Jahre 1782 Steinheim Sitz eines Oberamts und Vogteiamts geworden war, wurde das neue Rathaus das Lokal für alle Vogteiamtssitzungen. Hier wurden jetzt alle Amtsakten aufbewahrt.

Für die Ratssitzungen der Stadt benutzte man ein kleines Zimmer, das sogenannte „Wartstübchen“, in dem sich die Parteien während der Amtstage aufhielten. Auf ebener Erde war ein Raum für die städtische Waage freigehalten. Die Kanzlei mit sämtlichen alten und neuen Akten war oben im großen Sommersaal untergebracht. Während der zwanzigjährigen Kriegszeit von 1794 bis 1814 wurde das Rathaus sehr häufig als Lazarett und Lebensmittelmagazin benutzt, wodurch es sehr gelitten hat.

Im Jahre 1816 fiel der größte Teil des Rathauses einer Feuersbrunst zum Opfer. Es war in der Sonntagnacht vom 28. zum 29. Juli zwischen 10 und 11 Uhr abends, als plötzlich die Flammen aus dem Rathaus schlugen. Der Brand war anscheinend im Dachstuhle ausgebrochen, wo zum Unglück auch noch 600 Kieferwellen lagen.

Als die im ersten Schlaf liegende Einwohnerschaft zu Hilfe eilte, loderten die Flammen bereits himmelan, und das Feuer hatte die Stiegen schon ergriffen, so daß man auf diesem Wege nicht mehr in das erste Stockwerk gelangen konnte. Dort lagen in verschiedenen Zimmern die sämtlichen Akten der alten kurmainzischen Amtsstellen, da man aus ihnen die Akten von Großauheim, Großkrotzenburg und Oberrodenbach, die damals zu Kurhessen kamen, herausgesucht und einen Tag vor dem Brand nach Kassel abgegeben hatte.

Als der Großherzogliche Justizamtmann Groß an die Brandstelle kam und die Akten retten wollte, konnte er die Stiege nicht mehr hinauf. Ohnmächtig stand die Menge vor dem wütenden Element. Da belebte der Justizamtmann den Mut zum Rettungswerk dadurch, daß er sich selbst an die Spitze stellte und mit Hilfe von Feuerleitern zu holen suchte, was noch zu retten war. Mit seltener Kühnheit und Aufopferung waren sechs bis acht Männer in die zum Teil schon brennenden Räume eingedrungen und warfen einen großen Teil der Akten durch die Fenster auf die Straße. Die ältesten Steinheimer Urkunden konnten nicht mehr gerettet werden und sind so für immer vernichtet. Von dem Rathaus waren nur noch die Wände stehen geblieben. Auch das Rokokoornament über der Türe und der Altan stammen noch vom Rathaus von 1773. Den Feuerwehren aus sämtlichen Nachbarorten, auch aus Hanau, war es geglückt, das Feuer auf das Rathaus zu beschränken. So wurde das alte Reubersche Haus und das dahinter stehende noch ältere Gebäude des kurfürstlichen Kellers gerettet.

Da das Rathaus nicht bewohnt war, vermutete man eine boshafte Brandstiftung. Der Verdacht fiel sofort auf den Amtsschreiber Hebel, der ein Trunkenbold war und sein Amt sehr schlecht verwaltete. Er hielt die Akten nicht in Ordnung, so daß eine geregelte Geschäftsführung in der Registratur nicht möglich war. Da Hebel nun eine Revision der Großherzoglichen Regierung fürchtete, glaubte er in seinem Trunkwahn durch einen Brand seine unordentliche Amtsführung verbergen zu können. Trotz vieler Verdachtsmomente von Seiten einer ganzen Reihe von Zeugen konnte er der Brandstiftung direkt nicht überführt werden. Er mußte aber die Untersuchungskosten bezahlen und wurde seines Amtes entsetzt.

Im August 1816 hatte Landbaumeister Spieß bereits den Plan für ein neues Rathaus - wie wir es heute sehen - entworfen und die Bauarbeiten vergeben. Das Baumaterial, wie Sand, Lehm, Kalk, Steine und Holz, mußte durch Frondienste herbeigeschafft werden. Die Kosten für das jetzige Rathaus betrugen 3.500 Gulden. Die Orte des Amts Steinheim hatten neben der Stadt Steinheim auch zu den Kosten beizusteuern.

 

Kellereihof und Zehntscheuer (Hans-Sachs-Straße):

Rechts neben dem Rathaus in der Hans-Sachs-Straße steht noch ein altes gotisches Haus, das jedenfalls 1535 von dem damaligen kurfürstlichen Keller Ulrich Reuber errichtet worden war (Der Keller war ein kurfürstlicher Verwaltungsbeamter, der insbesondere die Steuern, die damals meistens in Naturalien bestanden, einzutreiben und den Wein einzukellern hatte). Das alte Kellereigebäude steht noch hinter dem Reuber’schen Haus. Seiner ganzen Anlage nach ist dieses eins der ältesten Häuser Steinheims. Im achtzehnten Jahrhundert genügte dem Keller das Reuber’sche Haus auch nicht mehr, und man baute im neuen Zeitstil an dem Eingang zum Kellereihof eine neue Kellerwohnung.

Am Torpfosten neben dem Haus steht ein Schild „Der Herrenhof“. In dem Kellereihof befindet sich die langgezogene Zehntscheuer, mit drei Stockwerken übereinander und vier alten, zum Teil übereinander liegenden Weinkellern. Zwanzig Dörfer hatten Bede und Dienstgeld als Steuer und den großen und zum Teil auch kleinen Zehnten an die Kellerei Steinheim zu entrichten. Es gab um 1570 im Amt Steinheim ungefähr 500 Steuerzahler, von denen jeder durchschnittlich 1 - 21 Simmern Korn oder Hafer, ein Fastnachtshuhn, ein Sommerhuhn, zwei Hämmel, drei Gänse und Flachs, Rüben sowie Kraut, Stroh und Heu zu liefern hatte. Dazu kam der Weinzehnte der damals viel mehr einbrachte, als wir uns heute vorstellen. So war zum Beispiel allein in Steinheim der Albanusberg, vom Albanusbrünnchen bis zum Hellenwald größtenteils mit Weinreben angelegt. Ebenso wuchs Wein am Main, hinter dem Schloß, im Pfortenfeld und am Kreuzberg,

 

Huttenhof (Hans-Sachs-Straße):

Gegenüber dem Kellereihof liegt der Huttenhof, ein Renaissancebau aus der Zeit um 1600. Die alte gotische Scheune dieses Hofes läßt vermuten, daß hier vor dem sechzehnten Jahrhundert ein anderes herrschaftliches Haus in gotischem Zeitgeschmack gestanden hat. Von besonderem Reiz ist das Erkertürmchen an der Ecke zur Wenckstraße. Aus einem rechteckigen, reich profilierten Sandsteinsockel steigt eine Dreiviertelrundsäule hoch, auf der eine Deckplatte ruht, die wieder als Basis für ein muschelförmig geziertes Kapitell dient. Darauf ruht das fünfseitige Erkertürmchen, das in der Horizontalen am Fuße mit Zahnschnitt, Eierstab und Perlstab in den Profilierungen verziert ist, während vertikal das gekröpfte Gesims und das fünfseitige ehemalige schön geschwungene Barockdach von Pilastern getragen wurde. Das Dach und der obere Teil des Türmchens wurden in den 70er Jahren zu ihrem Nachteil geändert. Im Innern des Hauses ist nur die alte Schneckentreppe noch erhalten. Der Treppenturm ist von Hof aus zu sehen. Alle anderen Räume sind verändert.

An der Hausfront steht eine Madonna mit dem Jesusknaben, die früher über dem Portal des Huttenhofes stand (die Aussparung ist noch vorhanden). Ein demütiges Madonnenantlitz schaut voller Güte herunter auf den Beschauer. Das Christkind in erhabener Würde mit lehrender Handhaltung wird von seiner Mutter der Menschheit dargeboten. In barocker Form schwingt ein blauer, faltenreicher Mantel in vielen Brechungen und Bauschungen über ein lang herabfallendes rotes Untergewand. Im Hof ist heute eine Gaststätte untergebracht. Links im Hof ist die Gaststätte „Treppchen“.

 

Zunfthaus der Fischer und Schiffer

Die Hans-Sachs-Straße endet als Sackgasse. Man biegt aber schon vorher rechts ab und trifft auf das Zunfthaus der Fischer mit seinem gut erhaltenen Fachwerk, das im unteren Stockwerk die gotische Dreipaßform in Fachwerk aufweist. Die alte Doppeltüre des Hauses ist beseitigt worden. An der rechten Hauswand ist ein Spruch, der vermutet, daß der letzte Fischer von Steinheim im Main ertrunken sei.

 

Der Fronhof

Nach links kommt man zum Fronhofgelände, auf dem zunächst das alte kurfürstliche Brauhaus auffällt, jetzt Hofbrauhaus Jung. Das Brauhaus war eine ergiebige Einnahmequelle für die Kurfürsten. Diese besaßen das Wein- und Biermonopol, denn die Wirte der 14 Ortschaften des Amtes Steinheim durften Bier nur aus dem Steinheimer Brauhaus beziehen. Mit der wachsenden Einwohnerzahl im 16. und 17. Jahrhundert vergrößerte sich auch der Bierabsatz. So hatte bereits der Kurfürst Albrecht von Brandenburg (1514-1544) den Fronhof und das Brauhaus erweitert.

Das Brauhaus ist in seiner jetzigen Form wurde von dem Kurfürsten Anselm Franz von Ingelheim (1679-1695) errichtet. Sein Wappen ist auf der Vorderseite des Brauhauses angebracht (dazu ein modernes, stark vergoldetes Hessenwappen). Im Hof sind auch noch über dem Eingang zur eigentlichen Brauerei (hinter dem Wohngebäude) die Anfangsbuchstaben der Pächter des 18. Jahrhunderts zu lesen. So z. B. „H. F. 1746“. Am rückwärtigen Giebel befindet sich ein Stein mit der Jahreszahl 1609 und den Buchstaben „A. C.“ (Albrecht, Cardinal).

Das Haus ist seit 1829 im Besitze der Familie Jung. Die heutige Wirtschaft wurde um 1860 erbaut. Von der im Jahre 1911 von dem jetzigen Besitzer Gustav Jung erweiterten Terrasse in der südöstlichen Ecke des Hofes hat man einen hübschen Blick auf das Mühltor nach den benachbarten Maindörfern mit ihren Kirchtürmen und Häusern, mit ihren Fabriken und Schornsteinen. Die Familie hat es verstanden, dem Hause einen guten Ruf zu erwerben und zu erhalten. Besonders in der Sommerzeit ist es mit seinem großen schattigen Garten und seiner Terrasse mit prachtvoller Aussicht über das Maintal und den Vorspessart ein idealer Aufenthaltsort.

Durch einen Torbogen kommt man in den alten Fronhof. Dort steht heute noch die große Fronhofscheuer (mit einer anschließenden Wohnung?). Zum Fronhof gehörten 136 Morgen Äcker im Steinheimer Feld, die im Pfortenfeld, im Schachen, im neuen Feld (beim Heiligenhaus), am Spechtskreuz (bei der Schindkaute), im Kraisfeld (gegen die Auheimer Gemarkung hin) und im Niedersteinheimer Gebiet (Mainfeld, Lachenfeld, Brückenfeld) lagen. Auch gehörten 7 Morgen Wiesen und Gärten dazu. Er wird in ältester Zeit von den Eppensteinern eingerichtet worden sein. Er wurde von einem Hofmann verwaltet, der jährlich als Pachtsumme 25 Malter Korn an den Kurfürsten abzugeben hatte. Er war frei von jeder herrschaftlichen Steuer: dafür mußte er einen Faselochsen und einen Zuchteber halten (Diese Last ruhte noch bis 1902 auf dem Brauhaus).

Er durfte ferner kein Stroh aus dem Fronhof verkaufen, und hatte dem Kurfürsten, wenn dieser im Schlosse weilte, frisches Brunnenwasser zuzuführen. Für den kurfürstlichen Keller mußte er den Pfortenacker und den zur Kellerei gehörigen Krautacker zackern. Ebenso hatte er zusammen mit den Auheimer Hofleuten den Wein aus dem neuen Feld ins Schloß oder - wenn er nach Mainz verschickt werden sollte - an das Fahr zu bringen (Das „neue Feld“ im Gegensatz zum „alten Feld“, ist eine Gewannbezeichnung. Sie umfaßte das Feld vom Albanusbrünnchen bis zum Hellenwald und hinüber bis zum Häuser Weg).

Er war berechtigt, das Holz, das er zur Einfriedigung seiner Äcker und sonstigen Güter benötigte, aus der Biebermark zu holen (Bieberermark oder Biegermark ist ein Gebiet, dessen Wald, Wasser und Weide von den Gemeinden Bieber, Heusenstamm, Hausen, Obertshausen, Bürgel, Rumpenheim, Mühlheim und Dietesheim gemeinsam verwaltet und genutzt wurde).

 

Brauhausgasse:

Wenn man weiter in die Brauhausgasse geht, kommt man nach einer Baulücke zu zwei Häusern, die früher Schafställe waren und zur Schäferei des Fronhofes gehörten. Die Schafzucht war bis zum 18. Jahrhundert ganz außerordentlich verbreitet, solange Europa gar nicht oder nur mangelhaft mit Baumwolle aus überseeischen Ländern versehen wurde. Am Giebel befindet sich das Wappen des Kurfürsten Albrecht von Brandenburg. In den vier Wappenfeldern befinden sich oben Adler und Greif, unten der Löwe und das Hohenzollernwappen. Auf einem Kreuz über dem Wappenschild liegt der Kardinalshut mit den herabhängenden Quasten. Hinter dem Wappen sind Schwert und Bischofsstab gekreuzt, als Zeichen der weltlichen und geistlichen Hoheit. Das Wappen ist in einfacher Renaissanceform ausgeführt. Das gleiche Wappen befand sich an der Fronhofscheuer befand (vielleicht rechts von dem großen Tor?), ist aber heute nicht mehr vorhanden.

 

Graf Zeppelin übernachtete vom 11. auf den 12. Juli 1866 im Hofbrauhaus in der Brauhausstraße 6 in Steinheim. Eine Sandsteinplakette am Gebäude erinnern an diese Begebenheit. Eine Postkarte vom 6. September 1911 „Zeppelin über Hanau“ zeigt das Luftschiff „Schwaben“ über der Eberhardschule (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 66).

Von der Brauhausstraße gelangt man durch ein Tor in der Mauer zu dem südwestlichen Eckturm der Festungsmauer, dem Dilgesturm, der mit seinem Storchnest von jeher ein Liebling der Steinheimer Jugend war. Die Treppe führt hinunter in den Hof der Villa Stokkum.

Man geht aber wieder die Brauhausstraße zurück und geht in Richtung Kirche. Links geht es in die Häfnergasse (Sackgasse). Die Häfner waren die Töpfer. Dieses Gewerbe hatte sich hier früh entwickelt, da ja Lehm und Lett nicht allzuweit von Steinheim gegraben wurden. Um 1900 sind die letzten Drehscheiben aus der Häfnergasse verschwunden. Rechts ist wieder der Huttenhof zu sehen.

 

Kreuzkapelle:

Am Huttenhof kann man ein Modell der Steinheimer Altstadt betrachten. Das Gebäude, in dem das Modell zu sehen ist, steht an der Stelle der ehemaligen Kreuzkappelle. Der kleine, rechteckige und flachgedeckte Bau stand auf dem alten Friedhof neben der Kirche. Der Eingang der Kapelle war mit Spitzbogen versehen. An der Mainseite, wo die alte Friedhofsmauer als Kapellenwand benutzt wurde, saß ein kleines Steinrahmenfenster mit einfachem Maßwerk. Neben dem Eingang war ein steinerner Weihwasserkessel in die Wand eingelassen. Die vier großen Fenster an der der Pfarrkirche zugekehrten Seite waren aus der Barockzeit. Die Kapelle diente bis ins 19. Jahrhundert als Aufbewahrungsort des Wallfahrtskreuzes.

 

Der Wenksche Hof oder das Altaristenhaus:

Links von der Kirche steht ein hochgiebeliges Steinhaus, der alte Wenck’sche Hof oder das Altaristenhaus. Dieses Gebäude war von dem kurfürstlichen Keller Konrad Wenck gebaut worden. Dieser war zugleich Geistlicher. Seit 1487 besaß er die Einkünfte des St. Georgenaltars in der Schloßkapelle. Zwischen 1487 und 1490 ist dieser Hof entstanden. Im Jahre 1492 stiftete der Keller von Steinheim und Pfarrer von Hörstein Konrad Wenck in seinem Hause „an der Pforten zu Steinheim zu der rechten Hand“ eine Kapelle „zu Ehren des Herren Christi, Mariae und Annae“, und bestimmte das Haus mit seiner Einrichtung zur Wohnung des jeweiligen Altaristen, der aus dem Wenck'schen Stamm oder - wenn hier ein geeigneter Bewerber fehle - aus Stadt oder Amt Steinheim genommen werden sollte. Das Patronat übertrug der Stifter seinem Bruder, dem Kammer- und Zollschreiber Johann Wenck (gestorben 1514) und dessen Erben.

Diese beiden Brüder Konrad und Johann übergaben im Jahre 1502 mit bestimmten Gülden und Gütern, darunter einen großen Garten vor der Pforte im Hainberg dem Erzstift Mainz zu Erblehen, und Erzbischof Berthold verlieh dieses Haus und die Güter wieder erblich dem Johann Wenck und seinen Nachkommen. Zu diesem Erblehen gehörten außer dem Haus und Garten zu Steinheim. 34 Morgen Äcker und 20 Morgen Wiesen in Bieber, und 53 Morgen Äcker und 11 Morgen Wiesen in Heusenstamm.

Die Familie Wenck, behielt in der weiblichen Linie diesen Wenck’schen Hof bis zum Jahre 1808. Im Jahre 1806 erlaubte die Darmstädter Regierung, daß das Lehen aufgehoben wurde gegen eine Abtretungsgebühr von 500 Reichstalern durch Philipp Anton Kämmerer, ein Sproß der Wenck‘ schen Familie. Der Antragsteller erhielt das Haus und Gut als Eigentum und konnte darüber frei verfügen. Allerdings wurde jetzt die seitherige Steuerfreiheit aufgehoben. Das Gut wurde im Jahre 1808 nach dem Tode des Amtsvogts Kämmerer für einen Spottpreis verkauft.

In dem Hause lebten also die Familien Wenck und die Altaristen. In dem Haus gab es eine Kapelle. Die Kapelle und die hier wohnenden Geistlichen haben jedenfalls zu dem Gerücht Veranlassung gegeben, daß früher hier ein Tempelherrenkloster gewesen sei. In einer Nische über der Tür steht eine sogenannte „Anna-Selbdritt“, d. h. die Mutter Anna selbst wird dargestellt zusammen mit der gekrönten Maria, die sie auf dem linken Arm, und dem Jesusknaben, den sie auf dem rechten Arm trägt. Neben dem Wenck’schen Hof steht noch ein sehr schönes Fachwerkhaus mit einer zugemauerten Torfahrt.

 

Das Obertor (Kardinal-Volk-Platz):

Auf dem Platz Kardinal-Volk-Platz vor der Kirche befand sich das alte Obertor Es wurde um 1550 errichtet und bestand aus zwei Teilen: dem äußeren und dem inneren Tor. An dem überdachten äußeren Torbogen stand ein dicker, runder Turm, der aus zwei Stockwerken bestand und mit einem eckigen Dach versehen war. In dem unteren Stockwerk befand sich die Wachtstube für den Torpförtner, der hier das Weg- und Geleitgeld erhob. An den Turm schloß sich die gewölbte Durchfahrt an. Vor diesem Tor befand sich ein Schlagbaum.

War man durch den Torbogen hindurchgeschritten, so gelangte man zwischen zwei Mauern zu dem inneren Tor. Dieses war geschützt durch zwei Türme, die mit spitzen Dächern abgeschlossen waren und aus der Zwingermauerflucht vorsprangen. Die beiden Türme waren verbunden durch einen Gang, der mit einem Ziegeldach überdeckt war. Von hier aus lief nach beiden Seiten ein Wehrgang nach den Türmen und auf der Mauer hin. Dieses innere Tor war nochmals geschützt durch einen südlichen Turm (heute im Garten von Lambe).

Dieses außerordentlich starke Vorwerk, das nach Schließung des Mühltors um 1550 auf diese Weise befestigt worden war, wurde im Jahre 1817 abgebrochen. Im Pflaster vor der Kirche ist der Verlauf der Mauer noch markiert. Die Abbruchsteine des Obertores wurden nach Offenbach, Bieber und Froschhausen verkauft. Auch die Mauersteine der Brücke über die Rodau bei Hausen und ein Teil Steine des Werner’schen Hauses gegenüber der Post stammen vom alten Steinheimer Obertor. Auch die Zwingermauer, die vor der Hauptmauer herlief, wurde damals abgebrochen, und die Steine wurden zum Teil zur Chaussierung der Offenbacher Landstraße verwandt.

Vorstadt:

Vom Kardinal-Volk-Platz sieht man rechts in die Vorstadt. Bis zum Jahre 1687 stand in der heutigen sogenannten großen und kleinen Vorstadt kaum ein Haus. Vor der Festungsmauer und der davorstehenden Zwingermauer liefen zwei Gräben mit Wällen, die nur unterbrochen wurden durch die vorspringende Obertorbefestigung und durch den Pestilenzturm. Die Vorstadt wurde begonnen, als im Jahre 1687 die Steinheimer Altstadt den Menschen zu eng wurde. Damals baten 14 Bürger von Steinheim den Erzbischof Anselm Franz von Ingelheim (auch: Anselm Kasimir von Wambolt) vor die Befestigung der Stadt ziehen zu dürfen, denn die Stadtmauer hatte ihren Festungscharakter verloren. Die Bürger Steinheims wollten geräumigere Häuser bauen - und auch einen Garten haben. Ihre Bitte wurde genehmigt, und umgehend erging der Befehl an den Keller Johann Jakob Tautphaeus, die Hecken und das Gesträuch in und auf den Gräben vor der Stadtmauer abhauen und das Gehölz hinwegschaffen zu lassen. Ein Bebauungsplan wurde erstellt. Im Jahre 1690 erfolgte dann die erste Bebauung der ersten Häuserzeile im Abstand von 40 Meter zur Stadtmauer. Im Abstand von weiteren zehn Metern wurde die zweite Häuserzeile zur „doppelten Vorstadt“ hochgezogen. Die Bebauung der östlich gelegenen „kleinen Vorstadt“ erfolgte allerdings erst ab 1750.

Die Stadt verlor um 1700 ihren festungsartigen Charakter, was in dem neuen Steinheimer Stadtviertel, der sogenannten Vorstadt, zum Ausdruck kommt. Das Stadtbild ist hier nicht mehr so kraus, sondern einfach, gradlinig, nüchtern und bequem. Man sieht den Häusern mit den großen Höfen das Behagen an, glücklich der Festungsmauer entgangen zu sein, um sich hier vor der Stadtmauer recht breit ausspreizen zu können.

Die Hofreiten der Vorstadt wurden größtenteils von 1690 bis 1750 erbaut. Die Häuser dieser Straße unterscheiden sich dadurch von denen in der Altstadt hinter den Mauern, daß sie mit der Langseite und nicht mit der hochgezogenen Giebelseite nach der Straße stehen. Es sind typische Beispiele für die Bauweise des 17. und 18. Jahrhunderts.

Die Gründer der Vorstadt erhielten im Gegensatz zu den Altstädtern nicht nur geräumige, breitgelagerte Häuser, sondern auch große Höfe hinter dem Haus nach der Stadtmauer zugeteilt. Die Wälle und Gräben wurden eingeebnet und zu Gärten angelegt. Die neue Straße wurde 1707 gepflastert. Nur die Hauptmauer, der Pestilenzturm und das Obertor waren stehen geblieben.

Wirte und Handwerker waren die ersten Bewohner der Vorstadt, die durch ihre geschlossene Bebauung wie ein zweiter Riegel vor der Stadtmauer wirkte. Im Jahre 1820 erfolgte der Abriß des Obertors, 1837 der des Neutors, und die Stadterweiterung konnte voranschreiten. Die zunehmende Industrialisierung und der Eisenbahnanschluß sorgten für weitere Gewerbeansiedlung. Vor allem Handwerksbetriebe und Gastwirtschaften waren zu Frühzeiten in der Vorstadt beheimatet. Die 1810 eröffnete Burgapotheke und das seit 1840 im Reußschen Familienbesitz Gasthaus „Zur Linde“ sind mit die ältesten Geschäftsansiedlungen in der Vorstadt (allerdings ist dieses Gebäude mittlerweile einem Neubau gewichen).

 

Das älteste Pfarrhaus:

Links vor der Kirche steht der schönste Fachwerkbau Steinheims, das alte Pfarrhaus. Es hat herrliches Fachwerk mit reicher Linienzier in Ständern, Streben und Riegeln in gerader und gebogener Form. Dieses Haus wurde im Jahre 1468 von dem Pfarrer Konrad Willungen gebaut. Jedenfalls hat der damals in Steinheim residierende Erzbischof Diether von Isenburg auch sein Scherflein dazu beigetragen. Die großen Keller unter dem Pfarrhaus erinnern uns daran, daß der Pfarrer seinen Gehalt in Naturalien empfing, so den Zehnten an Korn und Hafer, an Hämmeln, Gänsen, Hühnern, Flachs und Wein.

Es gibt wenige Häuser in Steinheim, die im Innern den mittelalterlichen Geist so atmen wie dieses Gebäude. Wenn man durch die Haustüre eingetreten ist, steht man in einem geräumigen Hausflur vor der Küche. Man steigt die Treppe hinan, die hier mit einem Podest versehen ist, gelangt rechts in die Küche und geradeaus in die untere Stube mit Kammer. Auf einer Wendeltreppe kommt man in das zweite Stockwerk mit drei Zimmern und Küche. Hier hat Pfarrer Indagine seine damals so berühmten Bücher über Astrologie geschrieben und von hier aus haben von 1468 bis 1670 die Steinheimer Pfarrer für ihre Pfarrkinder gesorgt und gearbeitet. Auch dieses Haus hatte durch den Dreißigjährigen Krieg und die furchtbare Armut nach diesem Krieg stark gelitten.

In diesem Pfarrhaus wohnte auch der Pfarrer Indagine (1467 – 1537). Viele werden sich über den Namen „Indagineplatz“ in Steinheim wundern. Das Wort „Indagine“ kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Untersuchung, Ermittlung, Forschung“. Es ist der latinisierte Name von Johannes von Hagen / Rosenbach, der um 1457 wohl in Dreieichenhain geboren wurde und am 27. März 1537in Steinheim starb. Der Theologe und Astrologe amtierte nach Studien in Mainz und Heidelberg amtierte er von 1488 bis 1537 als Pfarrer in Groß-Steinheim und verfasste mehrere Berichte über das Lokalgeschehen (Registrierbücher, Notizen über die Reformation, Bauernunruhen). Das Pfarrhaus am Obertor ist erhalten.

Indagine war befreundet mit dem Maler Mathis Grünewald und betätigte sich als Hofastrologe von Albrecht von Brandenburg. Im Jahre 1519 beriet er die Kurfürsten bei der Kaiserwahl in Frankfurt am Main. Seine Werke über Astrologie, Chiromantie (Handlesekunst) und Physiognomie (Lehre von der menschlichen Gestalt) waren viel beachtet, nicht zuletzt weil sie auf dem Index von Papst Paul IV. landeten (1559). Indagines Wappen stellt einen Bach zwischen zwei Rosen dar. Es ist im Eingangsturm der Klein-Stein-heimer Kirche und am Chorgestühl der Gedächtniskirche erhalten. Sein Porträt, geschaffen von Kupferstecher Hans Baldung Grien, stammt aus dem Handlesewerk von 1531. Abbildung um 1531 im Fachbereich Kultur der Stadt Hanau (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 104).

 

Das zweite Pfarrhaus:

Man baute ein neues Pfarrhaus nördlich vom alten. Wenn man um das Fachwerkpfarrhaus herum geht, kommt man durch einen Torbogen. Auf einem von barockalem Blattwerk umrahmten Schlußstein über dem Torbogen sieht ein Lamm mit der Kreuzesfahne und der Inschrift: „Amore et candore“ (In Liebe und Reinheit) und die Anfangsbuchstaben P. S. (Pater Sebastian Kray 1739).

Im Jahre 1739 hat Pfarrer Kray dieses zweite Pfarrhaus erweitern lassen. Es blieb Pfarrhaus bis 1780. Um diese Zeit wurde als drittes das jetzige Pfarrhaus am Main gebaut. In das verlassene Pfarrhaus wurde 1787 die Schule verlegt. Im oberen Stock befanden sich zwei Schulstuben für 140 bis 150 Kinder. Den unteren Stock bewohnte der Rektor, der ein jährliches Gehalt von 54 Gulden bezog. Die Schule blieb hier bis 1814.

Da die Kinderzahl größer geworden, war seit 1760 noch ein zweiter Lehrer eingestellt worden. Ein Teil der Kinder mußte morgens, der andere mittags die Schule besuchen. Da starb im Jahre 1814 der Amtsregistrator Langguth, und die Gemeinde kaufte dessen geräumiges Haus mit Erker am Marktplatz, das er von den Schönborn erstanden hatte, um 1300 Gulden als Schulhaus. Das alte Schulhaus an der Kirche wurde 1814 um 516 Gulden an Samuel Herz verkauft. Heute ist es leider mit Eternit-Platten verschandelt.

 

Die katholische Kirche „St. Johann Baptist“ (Gedächtniskirche)

Der ehemalige Wehrturm mit Zinnen und Erkern wurde zum Kirchturm. An den Charakter des Turmes erinnern noch eine langgestreckte Schießscharte (sogenannte „ Schlüsselscharte“) im unteren Stockwerk und der bekrönende vorspringende Zinnenkranz mit Brustwehren, breiten Schießscharten und vier Ecktürmchen, die wie kleine Erker kühn an den Ecken herausragen. Er hat als Stützpunkt der Westmauer und der Obertorbefestigung gedient.

Im Turminnern lassen sich an dem verschiedenartigen Aussehen der Mauer deutlich zwei Bauzeiten feststellen. Ursprünglich war der Turm keine 29 Meter hoch, sondern reichte nur bis zu den gotischen Fenstern im ersten Stock. Die Bauzeit dieses ältesten Turmteiles muß man zwischen 1320 und 1335 ansetzen, als nach Verleihung der Stadtrechte Steinheim mit Mauern und Türmen versehen wurde. Die flachen Kreuzgewölbe im unteren Glockenturm sind später eingebaut und die beiden Eingangstüren in späterer Zeit eingebrochen worden.

Der Turm hatte ursprünglich nur einen Eingang, und zwar die Stelle in der jetzigen Kirche über dem Glockenturm. Die gotische Türfassung dient heute als Aufbewahrungsort für eine alte Madonna. Eine Leiter diente zum Aufstieg, die im Falle der Gefahr hochgezogen werden konnte. Wo heute das Langhaus der Kirche steht, war damals freier Platz, und es ist nicht ausgeschlossen, daß an der Stelle des heutigen Chors die alte Kapelle stand, die 1329 mit einem Altare zum heiligen Geiste erwähnt wird.

Es steht fest, daß das heutige Chor um das Jahr 1450 noch nicht stand, und daß um 1450 der Turm auf seine heutige Zinnenkrönung erhöht und durch eine Türe mit dem Langhaus der Kirche verbunden wurde. Das Schiff in seinem jetzigen Umfang entstand etwa 1453. Die Säulen in der Gedächtniskirche sind nicht mehr wie in der Früh- und Hochgotik mit Kapitellen versehen, sondern sie senden strahlenförmig ihre Rippen in das Gewölbe hinauf, das netzartig von diesen unterfangen wird.

Der Druck der Rippen wird durch Schlußsteine aufgefangen, die die Wappen des Erzbischofs Berthold von Henneberg (gest. 1504.), des Uriel von Gemmingen (gest. 1508) und des Mainzer Domkapitels tragen. Auf einem Schlußstein befindet sich das Mainzer Rad. Der Chor wurde 1504 - 1509 unter Pfarrer Johannes Rosenbach, genannt „de Indagine“, erbaut. Eine Grabplatte der Kirche, die beim Abbruch des Hauptaltars im Jahre 1949 freigelegt und in den rechten Seitenaltar eingemauert wurde, trägt die Jahreszahl 1453.

 

Die Glocken:

Die älteste Glocke stammt aus dem Jahre 1466. An dem oberen Rande trägt sie über einem gotischen Dreipaßfries die Inschrift in gotischen Buchstaben: „Maria gotts Celle halt in hut was ich ubberhalle. anno dni MCCCCLXI (1466). Diese Marienglocke dient beim Zweit- und beim Zusammenläuten.

Die größte Glocke in der Mitte wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg gegossen und an ihre jetzige Stelle gebracht. Sie hängt an sechs Henkeln, die mit bärtigen Männergesichtern geschmückt sind. Vielleicht haben wir es hier mit dem Kopf des Glockengießers zu tun.

Am Kopf zieht sich über einem Akanthus oder Bärenklaublattfries die Umschrift: „In honorem sacrosanctae et individuae Trinitatis, beatae Mariae Virginis et Sancti Joannis Baptistae“ („Zu Ehren der allerheiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit, der seligen Jungfrau Maria und des heiliger, Johannes des Täufers“). Auf der Vorderseite hält ein Barockengel mit ausgespannten Flügeln ein Tuch. mit der Inschrift: „Johann Wagner in Frankfurt Gos Mich Anno MDCLLVI“ (1656).

Daneben bemerken wir das Stadtsiegel, ein S mit T verschlungen, darüber ein Rundrelief mit der Heiligen Dreifaltigkeit. Gott Vater hält dem Sohn die Weltkugel hin. Darüber schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube.

Rechts davon sehen wir ein hochgerichtes Kreuz, das in die Erde gekeilt ist. Mit fliegendem Lendenschurz hängt die Barockfigur des Heilandes am Kreuz. Die körperliche Gestaltung in Muskeln und Sehnen ist stark betont. Der Kopf ist sehr ausdrucksvoll. Am Fuße des Kreuzes kniet Maria Magdalena. Mit der rechten Hand hat sie das Kreuz umklammert, in der linken hält sie ein Tuch, mit dem sie ihre Tränen getrocknet hat. Voll Hoffnung schaut die Sünderin nach dem Erlöser. In mächtiger Formensprache, in Falten und Brüchen umhüllt der Mantel das mit geschlitzten Puffärmeln versehene Kleid. Auf der Rückseite der Glocke steht der Patron der Kirche, der heilige Johannes. Ein härenes Gewand umhüllt seine Gestalt. In der Rechten hält er schräg ein ihn überragendes Kreuz. Mit der Linken hat er die Bibel umfaßt, auf der ein Lamm liegt.

Weiter rechts finden wir das Wappen des Kurfürsten Johann Philipp von Schönhorn, der jedenfalls die Glocke gestiftet oder einen ansehnlichen Betrag dazu beigesteuert hat. Das Wappen ist von Barockspiralen umrahmt und mit der Kurkrone geziert. Schwert und Bischofstab sind die Zeichen der weltlichen und geistlichen Macht.

Im Wappenschild selbst sind die Wappenzeichen von Kurmainz, von Würzburg und in der Mitte von Schönborn. Über der Wappenverzierung lesen wir die Buchstaben: I. P. D. G. X. M. P. G. A. P. E. H. D. F. Abkürzung für: „Johannes Philippus Dei Gratia Archiepiscopus Moguntinus Per Germaniam Archicancellarius. Princeps Episcopus Herbipolensis. Dux Franciae“. Zu deutsch: „Johann Philipp von Gottes Gnaden Erzbischof von Mainz, Erzkanzler von Deutschland, Fürstbischof von Würzburg. Herzog von Franken“.

Das nächste Bild der großen, künstlerisch wertvollen Glocke zeigt Maria auf der Mondsichel mit dem Kinde auf dem linken Arm. Dieses trägt in der linken Hand die Weltkugel. Maria hält in der Hand des herunterhängenden rechten Armes ein Zepter. Mutter und Kind schauen schützend und gnädig auf das Städtchen hernieder. Den unteren Rand schmückt die Inschrift: „MARIA GOTTES CELLE HALT IN HUT WAS ICH UBERSCHELLE“.

Die Johannisglocke ist die vornehmste Glocke nach Wesen und Ausstattung. Sie läutet Wandlung, sie läutet Tag, Mittag und Abend. Sie führt und beherrscht die anderen Glocken beim Zusammenläuten zum Gottesdienst, zur Freude und zur Trauer. Auf ihr sind die tiefsten Wahrheiten des Glaubens dargestellt. Der Lichtverkünder Johannes, die demütige und reuevolle Maria Magdalena am Fuße des Kreuzes, und der Christusknabe als Beherrscher der Welt im Arme seiner Mutter. Noch stärker wird dieser Christ-König-Gedanke auf dem Dreifaltigkeitsbilde betont, auf dem Gott Vater dem Sohne die Königsherrschaft der Welt überträgt.

Die dritte, die kleinste Glocke, von der wir noch eine Aufnahme machen konnten, war 1924 gesprungen und mußte deshalb umgegossen werden. Sie trug die Inschrift: „Johann Peter Bach gos mich. In Gottes Nahmen flos ich vor die Stat Grosssteinheim. 1750.“ Die neue Glocke, die Sebastiansglocke, die der alten nachgebildet ist, trägt außerdem die Inschrift: „1924 zersprang ich. Von Humpert von Brilon neu gegossen schlag ich. Anno Domini 1926.“ - Das Armesünderglöckchen im Türmchen auf dem Chor hat keine Inschrift und keine Verzierung.

 

Der Chor der Kirche:

Der Chor, der künstlerisch wertvollste Teil unserer kirchlichen Architektur, gehört der Spätgotik an. Der gotische Charakter äußert sich schon in der Grundrißanlage. Sie ist nicht rund, sondern weist eine fünffache Brechung auf.

Der spätgotische Charakter spricht sich in den Säulen, den Gewölben und Fenstern aus. Die Säulen sind nicht mehr wie in der Frühgotik mit Kapitälen versehen, sondern sie senden strahlenförmig ohne jeglichen Absatz unmittelbar ihre Rippen in das Gewölbe hinauf, das netzartig von diesem unterfangen wird. In der Frühgotik laufen die Rippen kreuzförmig übereinander. Hier an unserem Gebäude ist von dem einfachen Kreuzgewölbe nichts zu merken. Anscheinend regellos zieht sich dieses rote Rippengewirr über die grau-weiße Decke hin. Doch wenn man genauer hinsieht, so staunt man, trotz des Reichtums, über den konstruktiven Zweck einer jeden Rippe. Diese tragen das Gewölbe und erfreuen durch ihren reichen Wechsel und durch die Harmonie ihres Formenspiels das Auge.

An den Langwänden des Chors entwickelt sich das Rippenwerk nicht aus Halbsäulen, sondern aus gegliederten Konsolen, die bis zur Hälfte der Wand heruntergehen. An der Nordseite ist die Konsole durch die Orgel verdeckt. Der Druck der Rippen nach oben hin wird aufgefangen durch Schlußsteine, von denen drei durch Wappen von Erzbischöfen geschmückt sind. Es sind dies die Geschlechterwappen der Erzbischöfe Berthold von Henneberg, des Jakob von Liebenstein und des Erzbischofs Uriel von Gemmingen. Auf einem Schlußstein befindet sich das Mainzer Rad in Silber auf rotem Felde.

Die angeführten Wappen deuten auf die drei Erzbischöfe hin, unter denen der Chor aufgeführt wurde. Berthold von Henneberg ist 1504 gestorben (in diesem Jahre wurde mit dem Bau des Chors begonnen). Auf ihn folgte Uriel von Gemmingen, der bereits 1508 starb und Jakob von Liebenstein als Nachfolger hatte.

Wahrscheinlich wurde der Chor 1509 zu Ende gebracht. Auf einem äußeren Strebepfeiler finden wir in gotischen Ziffern die Zahl 1504. Daneben steht mit zwei Steinmetzzeichen an einem Rundbogen die Zahl 1509.

Ob es ein guter Griff war, den alten Barockaltar durch den modernen gotischen zu ersetzen, läßt sich heute nicht mehr beurteilen. Die heutige Gesamtwirkung wird durch den plumpen Orgelkasten, der den Chor verschandelt, sehr beeinträchtigt. Sehr bedauerlich ist es, daß der Orgel zuliebe das kunstvolle Chorgestühl um seine Bekrönung geköpft wurde.

 

Die Chorstühle.

Die Chorstühle waren früher mit einer Bekrönung versehen, die wenig über die Hinterwand des Chorgestühls herausragte, und mit Türmchen, sogenannten Fialen, und Wimpergen geziert war. Prachtvolle Laub-Ornamente, wie wir sie noch an den Seitenwänden der Stühle sehen können. waren noch reichlicher vorhanden. Welch wunderbarer Einklang muß damals zwischen Chordecke und Herrnstuhlbekrönung bestanden haben. Nüchtern und kahl sieht heute der obere Teil des Werkes aus. Mit um so größerer Freude versenken wir uns in den Reichtum der Formen der noch erhaltenen Teile.

Beide Chorstühle bestehen aus Kniebänken und Sitzreihen. Das Gestühl an der Südwand, also auf der Epistelseite (rechts), ist reicher in seiner Ausführung als das auf der Evangelienseite. Während hier nur einfache Säulchen und eine in eine Spirale auslaufende Blattform die einzelnen Sitze voneinander trennen und die wuchtigen Armlehnen stützen, sieht man auf der Epistelseite an Stelle dieser Säulchen Menschen- und Tiergestalten, die als Stütze der Armlehnen dienen.

Wir beobachten zuerst einen kauernden Jüngling mit einer Trommel, auf der sein linker Arm mit dem Klöppel ruht, während die Rechte lässig auf dem rechten Knie liegt. Die nächste Stütze wird von einer Säule getragen, an der ein Tanzbär mit einem dicken Lederstrick festgebunden ist. Dieser tritt aus der Fluchtlinie hervor. Dann folgt ein schnauzbärtiger Landsknecht mit den damals üblichen Puffärmeln und Puffhosen und der Landsknechtskappe auf dem Kopf. Die Last des Kriegslebens drückt auf ihn, so daß er fast zusammenbricht.

Doch der nächste, der Hofnarr (an der Zipfelmütze erkennbar) wendet sich mit pfiffigem Gesicht zu dem Landsknecht. Er hat mit dem rechten Arm die Säule gepackt und zeigt dem Landsknecht, wie man sich von seiner Last befreien kann, indem man die Säule zusammenreißt. Am schwersten wird der folgende von dem Druck, der auf ihm ruht, auf die Erde gepreßt. Es ist der Bauer, auf dessen Schultern damals die ganze Last der Abgaben, Frondienste und der Leibeigenschaft ruhte. Geistlos stiert das abgearbeitete, ausgemergelte, bärtige Gesicht auf den Boden. Er hat nur ein Wams und eine kurze Hose an. Seine Füße sind nackt. Auf dem Haupte trägt er eine Pelzmütze, die mit einem breiten Band unter dem Kinn festgehalten wird. Er hat seine Hand zwischen die drückende Last und sein Haupt geschoben, um sich etwas Erleichterung zu verschaffen, bevor er ganz zusammenbricht und ins Uferlose hinuntergleitet. Fürwahr ein ergreifendes zeitgeschichtliches Bild der damaligen Bauernsklaverei.

Alle fünf, der Bauer, der Hofnarr, der Landsknecht. der Tanzbär und der Trommelknabe müssen dem Herrn, dem Ritter, dem Fürsten dienen und deren Lasten tragen. So läßt der Künstler in diesen Figuren ein Stück Kulturgeschichte vor unseren Augen wieder erstehen.

Auch die Ruhekonsolen an den Klappsitzen sind an diesem Herrenstuhl viel reicher als an dem gegenüberliegenden. Wir sehen reichen Wechsel von halbierten sechsseitigen Vielecken mit Spruchbändern, Blatt- und Stengelverzierungen, sowie einem fratzenhaften Menschenantlitz.

An der Rückwand enthält ein mit einer reichen gotischen Helmzier gekröntes Wappenschild zwei durch einen Bach geteilte sternförmige Rosen mit je fünf Strahlen. Das ist ein sogenanntes redendes Wappen des damaligen Pfarrers Johannes Rosenbach genannt „de Indagine“, unter dem der Chor erbaut und von dem wahrscheinlich dieser Chorstuhl gestiftet wurde.

An der inneren Querwand sehen wir neben dem Wappen ein Spruchband, dessen Schrift durch die obere Verkürzung nur noch halb erhalten ist. An der äußeren Querwand, nach dem Altare hin, stellen wir einen Mann im Mönchsgewand fest, im faltenreichen, gotisch zerknitterten, weitärmeligen Obergewande, und in lang herabhängender Kapuze, die am Hals eingeknickt ist. In den Händen hält er ein Spruchband mit der Jahreszahl 1514. Am Saum des Gewandes über den Füßen steht „Elias“, und am Saum der Kapuze über der Stirne lesen wir „Profet“. Über dem Elias zieht sich reichverschlungenes Blatt- und Rankenwerk in naturgetreuer Ausführung. Diesen Realismus der Gotik, können wir auch in dem aufgedunsenen Gesicht des Propheten wahrnehmen.

An der entgegengesetzten Querwand streben Weinranken und Trauben in die Höhe als Sinnbild des heiligen Abendmahls. Das Betpult ist an der Stirnwand geziert mit einem zweiten Propheten, der aus seinem gefältelten Umhang mit breitem Umschlag seine Arme herausstreckt. Seine Hände halten ein Spruchband. Die Gesichtszüge sind edel. Kopf- und Barthaar sind gelockt. Auf dem Kopfe trägt er eine barettartige Mütze. Auch hier haben wir wieder in der Gestalt eines Propheten das Bildnis eines Mannes der damaligen Zeit. Das Relief ist eingerahmt von Stengeln, die in verschlungenen Langblättern auslaufen.

An der äußeren Querwand des Betpultes sehen wir den heiligen Christophorus. Die Legende vom heiligen Christophorus ist Sinnbild unseres Lebens. Man weiß: Der Fährmann am Ufer ward nachts geweckt von einem Kind, daß er es über den Fluß trage. Lächelnd nimmt der gute Riese die leichte Last. Aber da er den Strom durchschreitet, wird sie seinen Schultern schwer und schwerer, schon meint er, umsinken zu müssen unter dem immer mächtigeren Gewicht, aber noch einmal rafft er seine ganze Kraft zusammen. Und am Ufer im Morgenlicht zu Boden keuchend, erkennt Christophorus, der Träger des Christ, daß er den Sinn der Welt auf seinen Schultern getragen.

Ihm scheint es eine besondere Freude zu sein, den Christophorus fühlen zu lassen, welche Last er über den Fluß zu tragen habe. Selbst der gewaltige Baum, den der Riese als Stütze in der Hand hält, hat sich stark gebogen, so sehr mußte sich Christophorus an diesem Riesenstabe halten. Das knorrige Gerank über den beiden Gestalten ist zu einer Einheit zusammengebunden. Kulturhistorisch bemerkenswert sind bei Christophorus der Brotsack mit Holzlöffel und Brot. Diese Betpultwand ist abgeschlossen durch ein kauerndes Tier, das Sehnsucht nach seinem Herrn empfindet und winselnd an ihm emporspringen möchte.

Die Stirn- und Wangenseiten der Chor- und Herrnstühle tragen zeitgenössische Darstellungen der Propheten. Das Gestühl auf der Evangelienseite (links) ist einfacher gehalten. An der Stirn wand haben wir wieder einen Propheten. Das lang herabwallende Gewand, das sich knittert und faltet, wird durch einen Gürtel zusammengehalten. Das Gesicht ist scharf, spitz und eckig charakterisiert. Wir haben es hier mit einem streitbaren, unruhigen Charakter zu tun. Den Kopf schmückt eine Ballonmütze.

Das schönste Relief ist der Prophet an der Querwand des Evangeliengestühls bei der Sakriste­i­türe. In fester, selbstbewußter Haltung steht der Mann da. In langen, ruhigen Falten fällt der Talar mit den aufgerafften, breiten Ärmeln nach den Füßen herunter. Ein energisches., zielbewußtes Gesicht mit kühner Nase und gestutztem Bart tritt aus den ruhig gewellten Locken heraus. Der Kopf ist mit einer eigenartigen Spiralmütze versehen. Die Hand und besonders die Finger bezeichnen den unbeugsamen Willen des Mannes. Die Figur ist wieder umrahmt von dicken Stengeln, um die sich langgezogenes Blattwerk rankt. In strengem Realismus hat uns der Künstler unter dem Deckmantel der Propheten vier bestimmte Männer dargestellt.

An der Querwand des Betpultes ist ein von zwei Rüden gehaltenes gevierteltes Wappen angebracht mit dem Mainzer Wappen und dem des Hauses Gemmingen. Aus dem Wappenschilde wächst ein Kerzenhalter, und es ist allerliebst, wie die zwei Rüden bellend und springend mit der Kerze spielen. Unter diesem Wappen finden wir ein Spruchband mit der Inschrift: „Nach Christi gepurt MCCCCCX (1510) jar. Maria bitt für uns“.

Jedenfalls hat Uriel von Gemmingen diesen Herrnstuhl gestiftet. An diesem Chorgestühl findet sich ein beachtenswertes Relief an der Rückwand beim Hochaltar. In Dürers Art erblicken wir die Madonna mit dem Jesusknaben, der von der Mutter Gottes unter ihren Mantel genommen und von ihren Händen gestützt wird. Das Jesuskind hat eine Birne in der Rechten, die es von seiner Mutter erhalten hat. Zum Danke dafür streichelt es mit der Linken ihre Wange. Die Behandlung des Knaben ist nicht sehr geschickt, während die Madonna eine beachtenswerte Leistung ist. Sehr fein ist die einfache Komposition von Mutter und Kind, umschlossen von dem schön behandelten langen Haar und den eleganten Linien des Mantels. Als Basis des Ganzen dient die Sichelform des Mondes.

 

Die Altäre.

Der Hauptaltar und die beiden Seitenaltäre stammen aus der Zeit der Wiederherstellung der Kirche in den Jahren 1876 bis 1879. Im Jahre 1876 wurde unter Pfarrer Helwig Raum für die größere Anzahl der Kirchenbesucher durch Einbau der beiden Emporen zu beiden Seiten des Langschiffes geschaffen. Das Gewölbe der alten Kirche wurde eingeschlagen und das heutige Gerüst mit den Emporen eingezogen. Die alte Kirche hatte vordem zwei niedere dunkle Emporbühnen auf der Seite des Kirchturms. Der Aufgang zur unteren Empore war durch eine steinerne Treppe auf der äußeren Südseite der Kirche ermöglicht. Auf die obere Empore, die sogenannte Orgelbühne, gelangte man über eine hölzerne Stiege von der unteren Emporbühne aus. Für die neue Orgel wurde durch einen Aufbau über der Sakristei Raum geschaffen. Die Orgelbühne wurde leider in den Chor eingebaut.

Der alte Triumphbogen, der ziemlich niedrig und rundbogig war, wurde erhöht: die alten Holzfenster im Schiff wurden entfernt und durch neue Fenster mit gotischer Steinbekleidung ersetzt. Das Mittelfenster im Chor, das vermauert war, wurde wieder aufgebrochen, und ein neues Fenster mit Christus und Maria in Roermund für 600 Mark angefertigt.

Auch die alte Kanzel wurde durch die heutige ersetzt: Die entfernte Kanzel stand dort, wo heute das Missionskreuz hängt. Sie stammte aus der Barockzeit, war mit einem Deckel versehen und mit sechs Statuen Christi, Mariens und der vier Evangelisten geschmückt, die in Nischen um die Kanzel herum angeordnet waren. Diese Statuen befinden sich im heutigen Heiligenhaus beim Friedhof.

Der neue Hochaltar wurde 1879 von dem Steinheimer Bildhauer Georg Busch aufgestellt. Er erhielt für die Bildhauerarbeit 1500 Mark und der Maler Johann Kreis 700 Mark. Der Hochaltar zeigt geöffnet vier Reliefs: Die Hochzeit zu Kana, die Anbetung der Hirten, das heilige Abendmahl und die Kreuztragung. Wenn der Altar geschlossen ist, sind auf der Außenseite der heilige Johannes der Täufer als Kirchenpatron und der heilige Martinus als Diözesanpatron zu sehen.

Die beiden Nebenaltäre sind der Mutter Gottes und dem heiligen Joseph bzw. heute der heiligen Familie geweiht. Der Marienaltar, in dem die Strahlenmadonna aufgestellt ist, wurde, wie die anderen Altäre, von dem Steinheimer Maler Johann Kreis gemalt. Auf der Innenseite der Flügel befinden sich: die Verkündigung Mariä, die Geburt Christi, die Anbetung der Weisen und die Darstellung im Tempel. Auf der Außenseite sehen wir den heiligen Bernhard und die heilige Margareta Alacoque dargestellt.Auf dem St. Josephs-Altar sind auf der Innenseite die Vermählung des heiligen Joseph, St. Josephs Stab, St. Josephs Tod und Begräbnis und auf der Außenseite St. Rochus und St. Sebastia­nus gemalt.

In der gotischen Zeit waren in der Kirche vier Altäre aufgestellt: Der Hauptaltar, der Liebfrauenaltar, der an der Stelle des heutigen Josephs-Altars stand, der Katharinen-Altar, und in der Mitte zwischen den beiden Nebenaltären der Sebastianus-Altar. Dieser war im Jahre 1468 von dem Erzbischof Diether von Isenburg zum Danke für die treue Anhänglichkeit der Steinheimer Schützen während der Mainzer Stiftsfehde gestiftet worden.

Diese Schützen waren die damalige Stadtwehr, die in einer Gilde oder Zunft zusammengeschlossen waren. Ihr Patron war der hl. Sebastian. Im siebzehnten Jahrhundert kam der Katharinen-Altar an die Stelle, wo heute die Kanzel steht, und der Sebastianus-Altar an die Stelle des heutigen Marienaltars. Um 1700 wurden beide Altäre beseitigt. Die St. Sebastianusfigur ist heute noch erhalten und steht an der Nordwand des Schiffes

Die ältere Sebastianusfigur ist im Heiligenhaus aufgestellt. Andere Heilige waren jetzt mehr in den Vordergrund getreten und modern geworden. Der neue seitliche Barockaltar war der Mutter Anna geweiht. Das große Ölgemälde dieses linken Seitenaltars aus der Barockzeit ist noch erhalten. Es zeigt die heilige Anna mit ihrem Kinde, der heiligen Maria im Sternenkranz. Im Hintergrund erscheint der Kopf des heiligen Joachim. Der Altar war durch ein Rundbild der heiligen Barbara gekrönt, der Patronin der Artillerie und der Steinbrecher, von denen es ja damals viele in Steinheim gab.

Auf der Südseite stand der barocke Marienaltar mit der Strahlenmadonna. Diesen Altar krönte das Rundbild des heiligen Joseph. Der Hochaltar der Barockzeit, der 1879 beseitigt wurde, war vor 1700 von der Familie Tautphaeus gestiftet worden. Es war ein Monumentalaltar, der von hohen Säulen flankiert war. Über dem ebenfalls von Säulchen eingefaßten Tabernakel befand sich ein großes Altarbild, das auswechselbar war.

Im Laufe des Kirchenjahres wurden zwei Bilder eingesetzt: Von Aschermittwoch bis zum 14. August wurde das Bild der schmerzhaften Mutter Gottes mit Jesus auf dem Schoße gezeigt. Seit 1925 befindet sich dieses Bild - allerdings beschnitten - wieder in der Pfarrkirche. Von Mariä Himmelfahrt bis Aschermittwoch sah man die Himmelfahrt Mariä auf dem Hochaltar. Links und rechts von dem Bilde standen der heilige Jakobus mit den Pilgermuscheln auf dem Gewande und einem Buch in der Rechten, und der heilige Johannes der Evangelist mit einem Kelch in der linken Hand. Über einem gekröpften Gesims stand Christus als Schmerzensmann mit einem Rohr in den gefesselten Händen, den Spottmantel um den Körper und die Dornenkrone auf dem Haupte. Links und rechts von ihm knieten anbetende Engel. Die Figuren sind sehr ausdrucksvoll in den Mienen, fein in der Gewandbehandlung und sehr lebendig in der körperlichen Gestaltung

 

Die übrigen Holzbildwerke:

Unter den Bildwerken aus Holz ist die Strahlenmadonna das bekannteste. Sie ist um 1430 entstanden und soll aus der alten Liebfrauenkirche des ehemaligen Kinzdorfes bei Hanau stammen. Seit Anfang des 14. Jahrhunderts war diese Kirche unweit der Mündung der Kinzig in den Main Pfarrkirche der Stadt Hanau. Als die Stadt im Jahre 1434 eine eigene Pfarrkirche erhalten hatte, blieb die Kirche in Kinzdorf Wallfahrtskapelle. In dieser Zeit ist die Madonna entstanden. Das gotische Bildwerk gehört in die Reihe der „Schönen Madonnen“ am Mittelrhein. Sie wurde von Graf Reinhard II. von Hanau in Auftrag gegeben.

 

 

 

Die Madonna trägt auf ihrem linken Arm das Christkind, das gnadenvoll lächelnd mit der Rechten an dem Schleier seiner Mutter spielt. Mit ernstem, gnädigem Antlitz weist Maria die Legion der Bittenden hin auf ihr göttliches Kind. Die rechte Hand ist ungeschickt erneuert. Der Schleier ist zurückgeschlagen und läßt das edle Antlitz aus der Umrahmung des gewellten Goldhaars scharf hervortreten. Über ein rotes, goldgesäumtes Kleid, das in breiten Schnörkeln über den angeblichen Türkenkopf fällt, fließt in faltenreichem Wechsel und in weichen Linien der grün gefütterte Goldmantel, der über den linken Arm der Gottesmutter hinaufgezogen und von da wieder in rhythmischen Schnörkeln nach unten strebt.

Die Überlieferung bezeichnet diese anmutige Figur als „Türkenmadonna“, weil sie zum Dank für die glückliche Abwendung der Türkengefahr im 15. Jahrhundert auf einem mit einem Turban versehenen Türkenkopf dar- und aufgestellt worden sei. Diese Annahme wurde noch gestützt durch die Aufschrift auf dem alten Barockaltar: „auxilium christianorum“ (Du Hilfe der Christen). Der Türkenkopf ist aber weiter nichts als der Mond, auf dem Maria auf den meisten mittelalterlichen Bildwerken dargestellt wurde.

Nach den Worten der Offenbarung des Johannes im 12. Kapitel, 1. Vers: „Und es erschien ein großes Zeichen am Himmel: ein Weib mit der Sonne bekleidet, den Mond unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupte eine Krone mit zwölf Sternen“. Die Steinheimer Madonna ist auch mit der Sonne bekleidet, d. h. vom hellen Sonnenglanze der göttlichen Gnadenstrahlen umleuchtet. Sie hat den Mond unter ihren Füßen als ein Sinnbild, daß sie über alles Wandelbare erhaben ist. Sie trägt auf dem edelgeformten Haupte eine Krone mit zwölf funkelnden Steinen, als Sinnbild der zwölf Stämme Israels, aus denen Jesus und sein neues Reich, das Christentum, hervorgegangen sind, an dessen Spitze die zwölf Apostel standen.

Nach der Reformation wurde nach der Überlieferung die Madonna auf den Kirchenspeicher verbannt. In der Zeit der Bilderfeindlichkeit der Reformation wurde die Madonna von dem katholischen Pfarrer Paulus gekauft und in die Alte Pfarrkirche St. Johann Baptist am Obertor überführt. In Prozession wurde es von den Steinheimern nach ihrer Pfarrkirche geleitet, wo es auf dem Liebfrauenaltar aufgestellt wurde (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 30).

Im 17. Jahrhundert hatte der Mainzer Weihbischof Dr. Volusius, der vorher evangelischer Prediger in Hanau und zum Katholizismus übergetreten war, eine silberne, fein ziselierte Krone für die Madonna geschenkt, die heute nicht mehr vorhanden ist. In den Reif waren folgende Worte graviert: „Imago miraculosa Hanoviensis beatae Mariae virginis“ („Das wundertätige Hanauer Bild der seligen Jungfrau Maria“). Bis zum Jahre 1843 war diese Madonna wie die anderen Heiligenfiguren an den Wänden, einem Brauch des 18. Jahrhunderts entsprechend, mit Kleidern geziert.

 

Künstlerisch wertvoll ist auch die Madonna über der Türe nach dem Glockenturm. Diese Mutter Gottes ist in Über-Lebensgröße dargestellt. In der edelgeformten linken Hand trägt sie das Jesusknäblein, das mit seiner Linken die Weltkugel hält und mit der Rechten winkt, zu ihm zu kommen. Mit der rechten Hand zieht die Gottesmutter ihren mit Edelsteinen gezierten Mantel nach der rechten Schulter herauf, dessen Falten sich wie gotische Säulen und Rippen formen und brechen. Ein enganliegendes Kleid fällt in regelmäßigen Falten über die hochgezogene schmale Hüfte und fließt über den Füßen und der Mondsichel in wunderlichen Schnörkeln auseinander.

Von besonderer Schönheit ist der lebenswahr gestaltete Kopf dieser Madonna, die wahrscheinlich um 1450 entstanden ist. Sie wurde vielleicht der Steinheimer Kirche gestiftet, als die Pfarrei 1449 von Klein- nach Groß-Steinheim verlegt worden war. Sie stand schon vor der Strahlenmadonna in der Kirche. Im 17. und 18. Jahrhundert war sie an der Südwand angebracht, wo jetzt das Standbild Johannes des Täufers steht.

 

 

 

Außer diesen Madonnenfiguren befanden sich an der Nordwand noch die Barockfiguren des heiligen Nepomuk und des heiligen Franziskus Xaverius (heute im Pfarrhaus: ebenso das Ölgemälde der Hl. Anna mit Maria im Sternenkranze) sowie die gotische Sebastiansfigur, die heute noch an ihrer alten Stelle steht.

 

Die Grabdenkmäler:

Nach einer Mitteilung des ehemaligen Vikars Hellwig von St. Martin in Mainz befanden sich im Jahre 1611 in der Pfarrkirche von Groß-Steinheim 18 Gräber, die mit Platten oder Denkmälern versehen waren. Von diesen sind heute nur noch fünf erhalten. Verschwunden sind die Grabmäler der Familie von Bicken, die in Steinheim stark begütert war und um 1600 in der Kurmainzer Geschichte eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Im Chor hatten ihre letzte Ruhestätte gefunden: der kurmainzische Marschall und Amtmann von Steinheim Philipp von Bicken und dessen Gemahlin Anna, eine Schwester des Erzbischofs und Kurfürsten Daniel Brendel von Homburg. Sie waren die Eltern des Mainzer Kurfürsten Johann Adam von Bicken (1601- 1604). Außer ihren Kindern Margarete, gestorben 1561, und Daniel, gestorben 1562, ruht auch der kurmainzische Rat und Oberamtmann von Steinheim Jost Philipp von Bicken in der Kirche. Er hatte eine Renaissanceorgel gestiftet, unter der er begraben wurde.

Die Grabplatten wurden häufig zu Bachbrücken verwandt und waren bei den Erneuerungen der Kirche in den Jahren 1738, 1843 und 1867 entfernt worden.

Mehrere der oben Genannten waren im Chor beigesetzt. Außerdem fand hier auch seine letzte Ruhestätte der Steinheimer Pfarrer Johannes Machern, der von dem Hanauer Stadtkommandanten Ramsay listig nach Hanau gelockt worden war und dort im Gefängnis infolge Hunger und Mißhandlung im Jahre 1637 seinen Tod gefunden hat. Die Steinheimer erhielten den Leichnam ihres verehrten Pfarrers und setzten ihn im Chore bei.

Am 3. November 1796 wurde hier auch Coelestinus de Thys, der letzte Abt der ehemaligen Benediktiner-Abtei Malmédy-Stablo, beigesetzt, der nach der Aufhebung seines Klosters bei der Familie Walz in Hanau Aufnahme gefunden hatte und dort auch gestorben war.

 

1. Das Grabmal des Amtmanns Georg Johann von Ingelheim: Er ist 1639 gestorben und hat mit der Steinheimer Bevölkerung die Leiden des Dreißigjährigen Krieges getragen und sie gelindert. Er hat dafür gesorgt, daß nach den furchtbaren Zeiten der Pest und des Krieges die einzelnen Orte des Rodgaues wieder mit Pfarrern besetzt wurden.

Er wird auch von Pfarrer Wolbert (1638-1640) als ein besonderer Wohltäter der Klein- Steinheimer Kirche genannt, die von dem Kaiserlichen General Lamboy zerstört und mit Unterstützung des Amtmanns wieder aufgebaut wurde.

Diese Tafel ist aus weißgeädertern schwarzem Marmor. Barockspiralen umzieren den Stein. über der Schrifttafel befindet sich eine zweite einfache schwarze Marmorplatte, die das Ingelheimer Wappen in weißem Marmor und eine geschweifte Bedachung in schwarzem Marmor trägt. Zwei weiße Marmorflammen, deren eine ebenso wie das krönende Kreuz abhanden gekommen ist, zierten diesen Abschluß. Im Jahre 1691 stiftete Erzbischof Anselm Franz 400 Gulden zur Kaplanei Steinheim als Seelstiftung für seinen verstorbenen Vater Georg Hans von Ingelheim.

 

2. Das Grabmal des Amtmanns Diether von Erlenbach: Im Schiff der Kirche sind noch vier Grabdenkmäler vorhanden: Das älteste ist das des Amtmanns Diether von Erlenbach und seiner Gemahlin Anna von Reiffenberg. Ein kraftvolles energisches Gesicht schaut aus einem Schalenhelm mit Barthaube. Der Körper ist in einen Schuppenpanzer gehüllt. Die Linke stützt sich auf das Schwert, die Rechte trägt einen Streitkolben.

Die Gemahlin Diethers ist in ein feingefälteltes Gewand gehüllt, das in gotischer Art unten geknittert ist. Ihre gefalteten Hände sind von einem Rosenkranz umschlungen. In den Ecken des Grabsteins befinden sich die Wappen der Herren Erlenbach, Reiffenberg, Greiffenklau und Allendorf.

 

3. Das Huttendenkmal: Eine ganz andere Zeit und ein bedeutenderer Künstler sprechen aus dem daneben stehenden Huttendenkmal. Um 1520 war eine neue Kunstform von Italien nach Deutschland vorgedrungen, weiche die gotische, spitzbogische, hochstrebende, eckige, reichgegliederte Kunstform verdrängte. Es war die Renaissance mit ihrem edlen Maß, mit ihrer Ruhe, mit ihrer Individualität und mit ihrer ins Breite und nicht mehr in die Höhe strebenden Form. So zeigt sich uns auch dieses Denkmal als ein edles Renaissance-Kunstwerk in Auffassung und Ausführung.

Während in dem noch gotischen Denkmal des Diether von Erlenbach die beiden Personen in eine Platte hineingezwängt wurden, sehen wir, wie der Künstler in dem Huttendenkmal, gemäß dem künstlerischen Renaissance-Ideal, den Steinheimer Amtmann und späteren kurmainzischen Marschall Frowin von Hutten mit seiner Gemahlin frei und ungezwungen, fast in voller körperlicher Form hingestellt hat.

Den buschgezierten Visierhelm hat der Ritter nicht mehr auf dem Kopf. Ungezwungen und ganz natürlich faltet er die Hände, während der Erlenbacher wie in steifer Photographiestellung seine Streitaxt in der Hand halten muß, und die linke Hand, als ob sie gar nicht zum Körper gehörte, plötzlich unorganisch aus dem Hintergrund herauswächst.

Das kluge, vornehme, zurückhaltende, vollbärtige Gesicht des kurmainzischen Staatsrats von Hutten kommt ohne Helm vortrefflich zum Ausdruck. Er ist nicht nur der Krieger, der im Jahre 1507 unter dem Kurfürsten Jakob von Liebenstein und unter dem Kaiser Maximilian die Mainzer Truppen nach Italien geführt, der dann im Jahre 1525 die Bauern wieder zur Vernunft gebracht hat, sondern er ist auch der kluge Diplomat, Der 1516 als Rat an den Hof des Kaisers Maximilian berufen wird, und überall den Vorteil seines Herrn, des Mainzer Kurfürsten, wohl zu hüten weiß.

Echt renaissancehaft ist nicht nur die scharfe Individualisierung des Gesichts, sondern auch die treue Wiedergabe aller Einzelheiten der Rüstung. Die Plattenrüstung, mit vorstehenden Stoßkragen an den Schulterstücken, ist bis zur kleinsten Niete durchgeführt. Am Lendner hängen das Wehrgehänge und der Dolch in verzierter Scheide.

Dem Amtmann zur Seite steht in der anderen Nische, auch in fast freier körperlicher Behandlung, Frau Kunigunde von Hutten, geborene von Hattstein. Die Frau faltet die Hände. Von ihrem Gesicht schauen nur noch Nase und Augen aus Haube, Schleier und Kinnbinde. Ein Untergewand liegt eng am Körper und wird von einem Gürtel zusammengehalten, an dem nach damaliger Mode eine Tasche hängt. In feinen Fältchen fällt der Umhang bis zu den Füßen, wo er in schönen Brüchen und Schnörkeln auf dem Felsgrund ausläuft. Um den Daumen der linken Hand hat sie den Rosenkranz gewickelt. Frömmigkeit, Demut und Sanftmut scheinen die hervorstechendsten Züge der Gemahlin Frowins gewesen zu sein.

Darüber steht jede Figur auf felsigem Boden in einem Bogen. der von je zwei Pilastern getragen wird, die von einem Komposit-Kapitäl mit Akanthusblatt, Eierstab und Volute (Kapitäl) gekrönt sind. Über den beiden Bogen ist in Stein gleichsam ein Pergament ausgerollt, das über dem Ritter eine Inschrift in lateinischen Buchstaben trägt, die über die Person des hier Begrabene Auskunft gibt.

Die vier Pilaster sind jedesmal mit zwei Wappen der Huttenschen Familien geziert, jedes von den beiden Feldern ist noch einmal von Pilastern auf hoch aufsteigendem Sockel eingerahmt und mit gekröpftem Gesims oben abgeschlossen. Jedes Feld ist bekrönt mit der typischen Renaissanceform der Muschel, die mit der Zahnschnittverzierung eingefaßt ist. Der Mittelpilaster trägt an Stelle eines Kapitäls den dornengekrönten Christuskopf mit dem Schweißtuch. Anscheinend schwebte dem Künstler der Dürer'sche Stich vor Augen. Zu Füßen Kunigundes von Hutten finden wir die Jahreszahl 1548 und zu Füßen des Frowin von Hutten die Zahl 1553 mit den Anfangsbuchstaben C. F.- des immer noch unbekannten Meisters.

 

4. Das Denkmal des Georg Truchsess von Henneberg: An der Südwand des Langschiffes befindet sich das Grabmal des Georg Truchseß von Henneberg. Frei und selbstbewußt steht der Ritter in seiner Renaissance-Rüstung. Hochragende, feingeschwungene Schulterstücke und Eilbogenkapseln mit sogenannten „Meuseln“ treten aus der Plattenrüstung hervor. Der untere Rand des beweglichen Oberschenkelschutzes ist mit symmetrisch angeordneten Rankenstengeln und Blättern geziert. Die rechte behandschuhte Hand stützt er auf die Hüfte, die Linke umfaßt das verzierte Schwert. Am rechten Oberschenkel-Schutz lugt der Dolch aus dem Hintergrund heraus.

Den vom Halsberg geschützten Hals ziert eine Doppelkette, die einen Orden trägt. Ein runder Kopf mit scharfen Augen, hervorstehenden Backenknochen, ausdrucksvollem Kinn, einer Senknase und borstigem Haar zeigt uns den Truchseß als echten Sohn seiner rauhen Zeit. Der Ritter steht mit seiner stark abgestumpften Fußrüstung, den sogenannten „Kuhmäulern“, auf einem Löwen. Der Steinmetz versuchte die Figur in einen perspektivisch erfaßten Raum hineinzustellen, dessen Hintergrund mit Arabesken gemustert ist. Um die von 10 Wappen gezierte Grabplatte zieht sich eine gotische Inschrift:

 

5. Das Grabmal der Elisabeth von Wolfskehl: An derselben Wand befindet sich noch das Grabmal der Elisabeth von Wolfskehl, einer Schwester der Frau Kunigunde von Hutten. Ein faltenreicher Mantel mit bauschigen Ärmeln läßt nur die übereinandergelegten Hände und das mit Palmetten gezierte Mieder frei.

Das Gesicht ist seelenlos. die ganze Behandlung lieblos und handwerksmäßig. In dem Kostüm erkennen wir die neue Mode, die um die Mitte des 16. Jahrhunderts aufkam. Das weitbauschige, reichgefaltete Obergewand, in dem die Ärmel gefesselt sind, gibt schon eine Ahnung von dem einsetzenden aufgeblasenen, schwülstigen Barock. In den Ecken befinden sich die Wappen der Geschlechter von Hattstein, Wolfskehl und Erlenbach.

 

Außer diesen fünf Grabdenkmälern in der Kirche sind noch zwei weitere vorhanden, die man aber aus der Kirche entfernt hat. Das eine ist das Grabdenkmal des Hans Christoph von Mors­heim (gestorben 1553). Dieses wurde 1926 bei dem Neubau des Lämmerspieler Wegs als Brückenstein aufgefunden. Es ist in drei Teile gespalten und zum Teil stark abgetreten. In den Ecken waren und sind zum Teil noch die Ahnenwappen der Familien von Morsheim, Heusenstamm und Erlenbach angebracht.

Ein anderes wertvolles Denkmal, das des Heinrich von Spar, der unter dem Kurfürsten Albrecht (1514 - 1544) als Kämmerer gewirkt hatte und 1526 gestorben war, wurde 1876 bei der Erneuerung aus der Kirche entfernt, um Platz für die jetzige Orgel im Chor zu machen, und wurde 1899 um den Spottpreis von 25 Mark an das Landesmuseum in Darmstadt verkauft, wo es im Barocksaal aufgestellt ist. Der Ritter im Harnisch kniet auf Steinplatten. Der Helm steht vor ihm auf dem Boden. Die Hände waren zum Gebet gefaltet. Der Blick ist emporgerichtet zu einem Kruzifix, das wie die Hände und das Wehrgehänge bei der Abnahme beschädigt wurden und seitdem verschwunden sind. Das Kruzifix wurde von Gott Vater gehalten. Über beiden schwebte die Taube, das Sinnbild des hl. Geistes. Alan nennt diese Darstellung den „Gnadenstuhl“ und findet sie oft bei Denkmälern der damaligen Zeit. Die Mittelplatte mit der Figur ist eingefaßt von Pilastern, die mit Blumenarabesken verziert sind. Vor den Pilastern stehen links und rechts halbierte und verzierte Renaissancesäulen. Diese stehen auf gekehlten und verzierten Konsolen, die eine Inschrift einrahmen. Auf den Kapitälen stehen zwei Engel, die eine Widmungstafel halten (einer der Engel ist allerdings heute verschwunden). Wie sehr Kurfürst Albrecht von Mainz seinen verstorbenen Kämmerer geschätzt hatte, beweist außer diesem Denkmal auch die Stiftung eines „De profundis“. Der Pfarrer mußte alle Tage nach der hl. Messe vor dem Grab des Kämmerers - es befand sich an der Stelle, wo heute die Treppe zur Kanzel hinaufführt - und über der Sakristeitüre den Psalm singen: „Aus der Tiefe rufe ich zu dir, o Herr“ und Weihrauch und Weihwasser spenden. Die Kirche hatte dafür dreißig Gulden erhalten. Von den Zinsen erhielt der Pfarrer jährlich acht Schilling, jeder Altarist (Kaplan) sechs und der Schulmeister fünf Schilling. Ferner sollte an jedem Sonntag nach der Predigt auf der Kanzel im Gebete des Ritters gedacht werden. Alljährlich am Montag nach Steinheimer Kirchweih wurde das Jahrgedächtnis gehalten. Der Kurfürst hatte für diese Trauerfeierlichkeiten ein schwarzes Taftornat mit Alben, Stolen und Manipeln für die zelebrierenden Priester und einen Taftvorhang zum Altar gestiftet.

 

Sonstige kirchliche Sehenswürdigkeiten.

Aus dem Jahre 1509 stammt ein Kreuzreliquiar. Es enthält einen Holzsplitter des hl. Kreuzes. Das Werk ist 26 Zentimeter hoch und aus vergoldetem Silber. Auf einem gotisch stilisierten Fuß und Knauf setzt sich das Kreuz auf. Die Enden der Kreuzbalken laufen in ein dreiblättriges Kleeblattmuster aus. Auf der Vorderseite dieser Kleeblattformen sind die Sinnbilder der vier Evangelisten in Hochrelief herausgetrieben: Der Engel, das Sinnbild für den hl. Matthäus, der Adler, das Sinnbild des hl. Johannes, der Stier, das des hl. Markus und der Löwe, das Sinnbild des hl. Lukas. In der Mitte des Kreuzes befindet sich unter einer Scheibe die Inschrift: „Reliquie de ligno sancte crucis domini nostri Jhesu X PI”. Unter dem Streifen liegt die Stiftungsurkunde. Auf der Rückseite sind eingraviert: die hl. Bilhildis, die Stifterin und erste Äbtissin des Mainzer Klosters Altmünster mit dem Stab der Äbtissin in der Rechten und einem Buch in der Linken: die hl. Margaretha mit dem Teufel in Gestalt eines Drachen, die hl. Katharina mit dem Rad, die hl. Barbara mit dem Turm und die hl. Gertrud mit dem Spinnrocken.

Von den beiden Monstranzen ist die eine in gotischer Form, die andere in Barock gehalten. Die gotische Monstranz setzt sich aus alten und neuen Teilen zusammen. Aus einem sechsteiligen Fuß steigt der sechseckige Stiel mit einem Knauf in die Höhe. Aus dem Stiel wächst ein Unterbau, der die Lunula mit der Hostie trägt. Um dieses Rundglas erhebt sich auf beiden Seiten ein gotischer Aufbau mit Nischen, in denen vier Heilige stehen. Wimperge mit Krabben und Kreuzblumen überdachen und bekrönen diese Nischen. Seitlich davon sind Strebebogen mit Strebepfeilern angebracht, aus denen Türmchen, sogenannte Fialen, mit Kreuzblumen emporwachsen. Über dem mit einer verzierten Metallkuppe abgeschlossenen Rundglas steigt wieder ein gotischer Aufbau in zwei Stockwerken in die Höhe.

In einer mit Strebepfeilern und -bogen eingefaßten und mit Wimpergen und Fialen gekrönten Nische steht Maria mit dem Jesuskinde im Strahlenkranze. Darüber befindet sich in einer kleineren, ähnlich verzierten Nische ein Bischof. In der Rechten hält er seinen Bischofsstab und in der Linken ein Buch. Es könnte der hl. Bonifatius sein. Der heilige Bischof steht unter einem hochgezogenen Turmdach. Dieses wird durch einen Knopf abgeschlossen, auf dem sich ein Kreuz erhebt.

Neu an der Monstranz sind zweifellos der Fuß, der Stiel, außer dem Knauf, sowie die obere und untere Fassung des Glaszylinders, ebenso der Knopf und das Kreuz an der Spitze. Alt ist zum größten Teil der Um- und Aufbau mit Ausnahme der unteren verzierten Knöpfe und der unmittelbar links und rechts aufsteigenden Strebepfeilerchen mit den üblichen Verzierungen. Die älteren Teile stammen wahrscheinlich aus dem Ende des 15. Jahrhunderts. Die neueren Teile wurden mit den älteren wahrscheinlich um 1840 verbunden. Die Monstranz ist aus Kupfer und vergoldet.

Die zweite Monstranz stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Sie besteht aus Kupfer mit Silberverzierung. Aus einem gewölbten Fuß mit gebrochener Grundrißanlage sind links und rechts zwei pausbäckige Engelsköpfe herausgetrieben, die von Flügeln umrahmt sind. Vorne und hinten ist je ein Fruchtkörbchen mit Früchten herausziseliert. Neben Stengel- und Blumenverzierungen finden wir auf dem gewölbten Fuß noch die Marterwerkzeuge, wie Zange, Hammer, Geiselsäule und Reisigrute. Rosa, blaue und rote Steine schmücken den Fuß. Aus dem reichverzierten Fuß erhebt sich der Schaft mit Knauf.

Auf diesem sitzt die Monstranz. Die Lunula, der halbmondförmige Hostienhalter, sitzt in einem mit farbigen Steinen besetzten Sonnenkreis, der seine gekürzten Strahlen nach außen und innen schickt. Ungleiche Strahlen, die nach oben länger, nach unten kürzer werden, gehen von diesem Sonnenkreis aus. Aus diesen Strahlen wächst ein Kreuz, dessen Balken in der Mitte durch einen roten Stein geschmückt sind.

Vor dem Strahlenkranz ist eine durchbrochene barockale Ornamentschicht in Silber angebracht. Auf dieser Schicht befindet sich unter der Lunula aus vergoldetem Silber ein Pelikan, der sich die Brust aufreißt, um seine Jungen zu ernähren. Am linken Rand trägt ein schwebender Engel das Kreuz zur Höhe, rechts hält ein auf Wolken schwebender Engel die Geißelsäule. Andere Engel tragen Hammer und Zange zu dem auf Wolken thronenden Gottvater, dessen Haupt von einem Dreieck gekrönt wird.

Vor Gottvater schwebt der Heilige Geist in Gestalt einer Taube, die von Silberstrahlen umleuchtet ist. Zwei Engelköpfe schauen aus dem Himmel auf dieses Pelikanopfer, dessen erbarmende Opferliebe in der Monstranz gezeigt wird.

 

Neben der Monstranz wurde von jeher in der katholischen Kirche besonderer Wert auf die künstlerische Gestaltung des Kelches gelegt. Neben neueren Arbeiten besitzt die Kirche noch einen Kelch aus dem 17. Jahrhundert. Der Fuß ist rund. Zierformen verschiedener Art, unter denen die Ranke und Spirale vorherrschen, sind herausgetrieben.

Aus diesem Ornamentspiel erheben sich drei ovale Emailbilder aus etwas blassen, aber fein abgetönten Barockfarben: der heilige Joseph mit dem Jesusknaben in der einen und der Lilie in der anderen Hand. Das zweite Medaillon ist mit dem heiligen Antonius geschmückt, der auf seinen Armen das Jesuskind wiegt. Das dritte Email zeigt den heiligen Franziskus mit den Wundmalen an den Händen. Er drückt das Kreuz mit dem Gekreuzigten innig an seine Wange.

Aus dem Fuß wächst der Stiel, dessen Knauf sich nach oben verstärkt. Die Dreiteilung des Fußes ist durch blinde Ovals hier wiederholt.

Aus dem Knauf erhebt sich die Cuppa. Sie ist von einem Barocknetz überspannt, das zwei Finger breit vom Rand der Cuppa aufhört. Das Ornamentnetz trägt wie der Fuß drei weniger ovale Emails: Im ersten Oval sehen wir die Madonna, auf deren Schoß das Christkind steht. Maria drückt das Kindlein an sich, das seinerseits seine Mutter liebkost und sie am Kinn streichelt. Als Vorbild zu dieser Ausfertigung diente ein bekanntes Madonnenbild des im 16. Jahrhundert lebenden Malers Lukas Cranach. Eine Nachbildung in großem Format aus dem 17. Jahrhundert hängt im Treppenhaus des Pfarrhauses.

Im zweiten Medaillon betet der hl. Petrus für seine Kirche, die als Schifflein auf dem Meere treibt. Im dritten Bild ist der hl. Paulus dargestellt. der das Schwert kampfbereit nach oben hält. Farbig bilden die oberen und unteren Emails jedesmal eine geschlossene Wirkung. Oben sind besonders rot und blau der Madonna in wundervoller Weise bei Petrus und Paulus abgetönt.

Ein anderes wertvolles Stück, in unserer Pfarrei ist eine Casula, ein Meßgewand, das auf der Rückseite mit einem Bild des Gekreuzigten versehen ist. Diese Darstellung ist gegen den neuen Casula-Stoff durch breite Goldleisten abgeschlossen. Die Kreuzigung ist eine kostbare Nadelmalerei aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Aus mattgoldnen, geometrisch verziertem Hintergrund hebt sich das aus brauner Seide gestickte Kreuz, dessen Kanten mit einer anderen braunen Farbtönung malerisch herausgehoben 'werden. Der Gekreuzigte ist edel behandelt. Vier Engel in fliegenden langen Gewändern mit grün-blauen Flügeln fangen in Kelchen das heilige Blut aus den Wundmalen auf. Über dem Kreuz schwebt Gott Vater in den Wolken. Eine goldene Krone bedeckt sein Haupt. Ein grünes Gewand in feiner, farbiger Tönung kleidet ihn. Eine goldene Stola kreuzt seine Brust.

Auf der Vorderseite sehen wir die im Schmerz zusammenbrechende Mutter Maria, die vom heiligen Johannes gestützt wird. Unter dieser Darstellung steht eine Heilige mit einem geöffneten Buch in der linken und einem Palmzweig in der rechten Hand. Jedenfalls ist es die heilige Katharina, die im Mittelalter sehr verehrt wurde und auch einen Altar in der Kirche hatte,

Über dem Marienbild war noch eine Heiligenfigur eingestickt. Der Oberkörper ist bei der Neuherrichtung der Casula der Schere zum Opfer gefallen. Die Farben in blau. rot und grün sind bei den Vorderbildern erneuert, während auf dem Rückenbild die alten Farben fast völlig erhalten sind.

An dem Südtürchen beim Herrnstuhl steht noch ein steinerner, gotischer Weihwasserbehälter aus dem 15. Jahrhundert. Daneben wuchtet ein bauchiges, gekehltes Barocktaufbecken aus dem Jahre 1605 mit patiniertem Messingdeckel aus der Ecke. Dieses stand früher in der nördlichen Ecke, wo heute der Kanzelaufgang ist. Aus dem 17. Jahrhundert stammt der Gekreuzigte auf dem Missionskreuz. Die Kommunionbank und die Beichtstühle sind im 18. Jahrhundert entstanden. Bevor wir die Pfarrkirche durch die Nordtüre verlassen, wird hier unser Auge noch von einem barocken eigenartig verzierten Weihwasserkessel gefesselt.

 

Das Innere des Gotteshauses wurde im Jahre 1950 aus Anlaß des 500jährigen Jubiläums der Pfarrei erneuert. Seitdem trägt die Kirche auch den Namen „Gedächtniskirche“, weil ja in den Jahren 1933 - 40 eine neue katholische Kirche erbaut worden war. Die Kirche wird auch heute noch in unregelmäßigen Abständen zu gottesdienstlichen Zwecken genutzt.

 

Außen betrachtet man noch einmal den Chor der Kirche. Fünfseitig steigt das überworfene Basaltmauerwerk in die Höhe, während die Eckquadern, die Fenster und die Quadern des Strebepfeilers aus rotem Sandstein sind. Die spitzbogigen Fenster sind oben mit Fischblasenmustern verziert. Auf den Sandsteinquadern des Chors findet man noch versteckt Steinmetzzeichen, die meist mit einem Kreuz geziert, im Übrigen aber von einander ganz verschieden sind. Da die meisten Steinmetze zur Zeit der Erbauung des Chors (1505 - 1509) nicht schreiben konnten, hatte jeder sein Zeichen, die einen runenhaften Charakter haben.

 

Harmoniestraße:

Die Straße wurde genannt nach der Wirtschaft, in der der Gesangverein „Harmonie“ tagte (wahrscheinlich das Gasthaus „Zur Sonne“ am Eingang der Straße). Aber ursprünglich war sie die Judengasse von Steinheim und hieß auch so. Die Judengasse ist wahrscheinlich kurz nach der neuen Ummauerung der Stadt (1320 - 1329) entstanden. Es handelt sich wohl um eine der ältesten Gassen Steinheims, hier durften die Juden inenrhalb der Stadtmauern wohnen. Hier steht auch das älteste Haus Steinheims.

Im Jahre 1335 hatte Kaiser Ludwig der Bayer dem Gottfried von Eppstein erlaubt, zu Steinheim und zu Homburg v.d.H. je zehn Juden halten zu dürfen. Diese erhielten einen Schutzbrief von Seiten des betreffenden Herrn, der sie gegen Übergriffe schützte. Für diesen Schutz mußten sie ein Schutzgeld von ungefähr 20 - 30 Gulden zahlen. Da im Mittelalter den Christen das Zinsnehmen von der Kirche streng verboten war, kam der ganze Geldhandel in die Hände der Juden. Auch die Eppsteiner brauchten viel Geld.

So siedelten sie die Juden in einer eigenen Gasse an, die im Anfang wahrscheinlich durch zwei einfache Tore abgeschlossen war. Die Juden trugen eine eigene Tracht. Sie hatten in ihrer Gasse eine eigene Schule und jedenfalls auch ein Bad. Die Einrichtung eines solchen Bades war nicht allzu schwierig, da bis heute noch mehrere Keller dieser Gasse frisches Quellwasser haben. Die Judenverfolgungen von 1348 und später mögen wohl auch hier ihre Opfer gefordert haben. Erst im 17. Jahrhundert hört man wieder etwas von Steinheimer Juden. Damals gab es hier drei Judenfamilien: Herz, Benjamin und Faist. Zu dieser Zeit wohnten aber auch schon Christen in der Judengasse.

Im Jahre 1682 sind noch zwei weitere Juden in Schutz genommen worden. Als in diesem Jahre in Steinheim eine Viehseuche ausgebrochen war, sind die Juden Benjamin und Faist mit zu den Bauern gegangen, haben das kranke Vieh besichtigt und so gleichsam den Tierarzt vertreten. Seit dem 15. Jahrhundert waren die Steinheimer Juden keine Geldverleiher mehr, sondern jetzt trat der Vieh- und Pferdehandel in den Vordergrund. Im Jahre 1709 wird berichtet von einem Affron, der einen kleinen Kramladen hatte.

Die späteren israelitischen Familien lassen sich zum Teil bis zum Dreißigjährigen Krieg zurückverfolgen. So war im Jahre 1633 ein M. Herz von schwedischen Reitern nach Jügesheim geschleppt worden, war aber dort aus dem Gasthaus heimlich entflohen, weshalb sich die Soldaten an dem Wirt schadlos hielten.

Im Jahre 1798 wurde ein Michael Meyer aus Wenings, der eine Tochter des Samuel Herz zur Frau hatte, in den Schutz aufgenommen. Seine eigenen Glaubensgenossen haben ihm dabei große Schwierigkeiten bereitet.

Bis zum Jahre 1812 war es den Juden sehr erschwert und früher unmöglich, ein Haus außerhalb der Judengasse und sogar ein Christenhaus in dieser Gasse zu kaufen. Die Christen hatten ein Vorkaufs- oder Abtriebsrecht für ein ganzes Jahr. Für die landesherrliche Erlaubnis zu einem Hauskauf mußten die Juden 40 Gulden bezahlen. Seit 1812 fielen alle diese einengenden Bestimmungen, und seit dieser Zeit hat sich der größte Teil unserer israelitischen Mitbürger außerhalb der Judengasse niedergelassen. Bereits im Mittelalter lebten Juden in Groß-Steinheim, möglicherweise kam es damals schon zur Gründung einer jüdischen Gemeinde. Vermutlich gab es insgesamt mindestens vier jüdische Bet­häuser oder Synagogen.

Als Synagoge diente um 1816 das Haus Neutorstraße Nr. 6 Dann erhielt die jüdische Gemeinde die alte Registratur beim Schloß. Im Jahre 1860 baute sie darin ihre Synagoge hinter dem Altaristenhaus, bis sie im Jahre 1900 ihre neue geräumige Synagoge bei der heutigen Schule bezog. Ein knappes Jahr nach der Grundsteinlegung konnte 1900 feierlich die Einweihung der Synagoge vorgenommen werden. Im Jahre 1939 wurde das Gebäude an einen Privatmann zwangsverkauft und noch vor 1945 zu einem Wohnhaus umgebaut.

 

In der Harmoniestraße steht rechts am Eingang der Bickenstraße ein schönes Fachwerkhaus, das eine wunderbare alte Tür hat und dessen Fachwerk am Giebel noch in Höhe der Fensterreihe zusätzlich freigelegt worden ist. Das Haus Nummer 7, das „Volk’sche Haus“ mit dem weit überstehenden Obergeschoß ist von 1395. Am Ende der Harmoniestraße ist links ein Durchgang durch die Stadtmauer. An dem Haus, wo die Straße nach rechts abbiegt, ist ein alter Torbogen mit einem Stein von 1649 und darüber eine Madonna.

 

Neutor/Neutorstraße:

Am Ende der Harmoniestraße stand als Abschluß der Preßmauer der „Pestilenzturm“. Heute ist er nur noch wie ein Brunnenrand angedeutet. In der Nähe des Turms, außerhalb der Stadt wurden die Pesttoten beerdigt. Zwischen Turm und Preßwand ist das sogenannte „Neutor“. Bis ins 19. Jahrhundert hinein hatte Steinheim nur das Obertor und das Maintor, nachdem das Mühltor ja schon um 1550 vermauert war. Die Bedürfnisse der neuen Zeit forderten aber einen Durchbruch nach Norden, und so entstand um 1850 das Neutor, das um und nach 1900 so verbreitert wurde, wie wir es heute vorfinden.

Der Verlauf der Neutorstraße entspricht ungefähr dem Verlauf der ältesten Mauer, die vor 1320 den Burgbezirk umzogen hat. In einzelnen Hofreiten in der Neutorstraße sind heute noch Teile dieser ältesten Mauer zu sehen. Diese war zum Teil 1301 von Ulrich von Hanau zerstört worden, weil die Mauer gerade von der Westseite und Nordseite am leichtesten zu erstürmen war.

Die meisten Häuser stehen, der gotischen Bauart (1300 - 1500) entsprechend, mit der Giebelseite nach der Straße, und die Dächer sind sehr hochgezogen und steil. Diese hochgiebeligen, zweistöckigen Fachwerk- und Steinhäuser haben sich dann immer näher an die Stadtmauer herangedrängt, sie haben sich ineinandergeschmiegt und sich gehorsam der vor- und rückspringenden Fluchtlinie der Straßen gebeugt (siehe besonders Neutorstraße und Judengasse), deren Richtung wieder durch den Lauf der Ringmauer bestimmt wurde.

In der Neutorstraße stehen noch einige alte Häuser. Über dem Hoftorbogen des Hauses Neutorstraße Nummer 8 befindet sich ein bürgerliches Hauswappen (vielleicht das eines Metzgers) mit der Jahreszahl 1574. Der Keller dieses Hauses war früher verbunden mit dem Keller des Hauses Nummer 6. Es ist sehr leicht möglich. daß der Keller Nummer 8 zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges als Zufluchtsort für Menschen und Tiere und zur Bergung von Vorräten benutzt wurde.

Über dem Eingang zu dem stattlichen Haus Nummer 4 befindet sich auch ein bürgerliches Hauswappen, anscheinend das eines Küfers oder Weinschröters. Es ist mit „P. S.“ und der Jahreszahl 1596 versehen. Im achtzehnten Jahrhundert gehörte dieser Hof den Herren von Reuß als Erbbestandsgut.

Der Nutzer mußte außer der Pachtsumme 19 Malter Korn, 29 Malter Hafer, 2 Hühner und 4 Schilling geben, das Faselvieh der Gemeinde stellen, einen Dukaten Besthaupt geben und die ewige Lampe in der Kirche unterhalten.

Durch Heirat verwandt mit der Familie von Reuß war die Familie von Leonrod. Freiherr Karl von Leonrod, kurfürstlich Mainzer Diplomat, hatte sich 1770 mit dem Freifräulein Therese von Reuß vermählt und in diesem Hause gewohnt. Sein Sohn Ludwig trat später in den bayrischen Staatsdienst und wurde geheimer Staatsrat. Ein Sohn dieses Ludwig wurde Bischof von Eichstätt, besuchte im Jahre 1879 Steinheim und spendete hier das Sakrament der Firmung. Deshalb steht an dem Haus auch eine Tafel „von Leonhard“.

 

Hinterbäcker (Schloßgasse):

Über den Markplatz geht man links herum in die Schloßgasse. Links am Eingang der Schloßstraße (Haus Nummer 2) steht das Hinterbackhaus (heute Bäcker König). Dieses war ursprünglich in städtischem Besitz. Der Bäcker mußte sechs Gulden Abgabe zahlen. Über der Haustüre sieht man noch das Abzeichen der Bäcker.

 

Vorburg:

Wenn man in der Schloßgasse weiter geht, so bemerkt man an einem Schuppen der rechten Seite vier Angelsteine, die von einem alten Torbogen mit Doppeltor herrühren. Durch diesen Torbogen gelangte man in den äußeren Burgbezirk oder in die Vorburg.

Rechts liegt das ehemalige katholische Pfarrgehöft. Als 1771 die Pfarrei Steinheim von dem Kloster Seligenstadt unabhängig gemacht und zu einer selbständigen Pfarrei erhoben war, wurde bald darauf auch ein neues Pfarrhaus an der heutigen Stelle gebaut und bezogen.

Links sieht man noch Reste des ehemaligen Amtshauses von 1556. Daß schon vor dieser Zeit beim Schloß ein Amtshaus war, in dem die Amtsgeschäfte des Amts Steinheim geführt wurden, ist selbstverständlich. Dieses älteste Amtshaus befand sich in südlicher Richtung vom Schloß. Auf den Stichen von Meißner, Merian und auf dem Gemälde von Schütz ist es noch zu sehen. Es bestand aus zwei Zwerch- oder Querhäusern. Dieses alte Amtshaus auch wahrscheinlich auch das „Fulterhaus“ (Folterhaus), das in alten Rechnungen erwähnt wird.

Bald erwies es sich als zu klein, und so wurde um 1556 das neue geräumige Amtshaus gebaut. Das alte Gebäude, das nach dieser Zeit das „Haus vor dem Schloßgraben“ genannt wurde, war nun vom Schloßgesinde und herrschaftlichen Beamten bewohnt.

Das neue Amtshaus hatte im unteren Stockwerk eine große Amtsstube mit drei Nebenkammern. Eine Schneckentreppe führte in den oberen Stock, den die Amtleute bewohnten. Hier hat der Amtmann Hans von Ingelheim gewohnt, und sein Sohn Anselm Franz, der spätere Kurfürst und Erzbischof von Mainz, hat hier seine Jugendjahre verbracht. Als Nachfolger des Amtmanns von Ingelheim begegnet dann in diesem Amtshaus Philipp Erwein von Schönborn, der 1639 dem Hans von Ingelheim als Oberamtmann folgte.

Während des Dreißigjährigen Krieges war nur selten am Amtshaus etwas gebessert worden. Um 1652 wurden umfangreiche Reparaturen vorgenommen, da Wohnung und Stallung ziemlich baufällig geworden waren. Aber trotzdem scheint sich das Amtshaus, wie auch das Rathaus nie wieder völlig von den Schäden des Dreißigjährigen Krieges erholt zu haben. Wegen Baufälligkeit wurde das Amtshaus 1834 abgebrochen. Nur die Keller sind noch erhalten: Über dem Kellerfenster sieht man die Jahreszahl 1555 und über der halbrunden Nische die Jahreszahl 1556.

 

Äußerer Burghof

Der äußere Burgbezirk ist für sich durch Mauer, Tor und Graben nach außen abgeschlossen und von der eigentlichen Burg getrennt. Hier lag der Marstall mit geräumigem Speicher, hier grünte der Gemüse- und Obstgarten. Hier veranstaltete die ritterliche Jungmannschaft das Kampfspiel, den Tjost: Hier übten sich die Dienstmannen der Eppsteiner im Schlendern und Ger-Werfen.

 

Der Renaissancebrunnen:

In dem äußeren Schloßbezirk befindet sich noch ein Brunnen von einfachen, edlen Formen aus dem Jahre 1564. In Renaissanceform steigen aus einem runden Unterbau, der den Brunnen einfriedigt, zwei eckige Säulen aus Sandstein auf, die ein Gebälk tragen. Das Ganze wird gekrönt durch einen halbkreisförmigen Abschluß mit zwei Wappen und der Jahreszahl 1564. Es sind dies die Wappenschilder des Philipp von Bicken und des Kurfürsten Daniel Brendel von Homburg, mit dessen Schwester Anna Philipp von Bicken verheiratet war. Der Brunnen ist demnach wahrscheinlich von dem Amtmann Philipp von Bicken und seiner Gemahlin Anna oder dem Kurfürsten Daniel errichtet worden.

 

Kanzlei

Von den Amtsgebäuden steht heute nur noch die Amtsregistratur, die Kanzlei (die Bezeichnung „Amtshaus Schloß Steinheim“ ist also nicht ganz korrekt). Dieser Bau diente von 1830 bis 1860 als Synagoge, dann wurde er als Geräte- und Vorratsraum benutzt, bis er um 1905 als Wohnung des Wasserbauaufsehers eingerichtet wurde (daher „Dammwärterhaus“).

 

Marstall

Der Marstall wurde um das Jahr 1431 gebaut. Das Gelände war von Henne Weber um hundert rheinische Gulden durch den Kurfürsten Konrad gekauft worden. Im Jahre 1709 meldete der Keller Tautphäus: „Das Dach auf dem Marstall geht ganz auseinander und ist völliger Einfall des Daches zu befürchten.“ Als im Jahre 1808 Prinz Georg von Hessen das frisch hergerichtete Schloß bezog, wurde auch der Marstall zur Unterstellung der Pferde wieder eingerichtet. Im Jahre 1808 wurde für den Prinzen Georg ein Raum für 16 Pferde abgeteilt, ferner Kammern für Sattelzeug, eine Wohnung für zwei bis drei Knechte, eine Wagenremise und Heu- und Haferräume. Der Stall faßte damals 40 Pferde. Darüber befanden sich die Futterböden. Das blau-rot gestrichene Gebälk der einzelnen Pferdestände, das 1926 entfernt wurde, weist mit den brabantisch-hessi­schen Farben auf die Erneuerung des Marstalls unter Prinz Georg hin. Das Wappen des Erzbischofs Daniel Brendel von Homburg, der in der zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts den Marstall erneuert und erweitert hatte, ist an der Ostseite des umgebauten Marstalls nicht mehr vorhanden.

 

Innerer Schloßbrunnen:

Im Schloßhof befand sich ein uralter tiefer Brunnen, der nur noch an einer Betonplatte erkennbar ist. Er ist merkwürdig, weil in ihn ein unterirdischer Gang mündet. In einer Tiefe von sechs bis acht Metern findet man in der westlichen Brunnenwand eine 1,50 Meter hohe gewölbte Öffnung, die in einen unterirdischen Gang führt, der nach Nordwesten, vielleicht nach dem Turm. führte. Dort mag er später zugeworfen worden sein. Ein hölzerner Pumpenstock liegt am Eingang des Ganges. Nach zehn Meter Entfernung kann man vorerst nicht mehr weiter, da das Gewölbe eingebrochen ist.

 

Die alte Burg:

Die Herren von Hainhausen (später „von Eppstein“ genannt) gründeten in der Mitte des 12. Jahrhunderts die Burg Steinheim. In einer Urkunde von 1254 wurden die Herren von Eppstein dann ausdrücklich als Eigentümer der Burg Steinheim genannt. Von der alten Burg ist der Teil, der parallel mit dem Main verläuft und als „steinernes hus“ bezeichnet wird, wohl der älteste Baubestand. Es ist denkbar, daß im Erdgeschoß sich schon in Eppstein‘scher Zeit Küche und Rittersaal befanden, deren Spuren wir noch heute feststellen können. Ein Bergfried gehörte natürlich mit dazu.

Durch den Vorhof gelangte man nach ungefähr 20 Meter über eine Brücke, die von drei Bogen getragen wurde, zu einem kleinen Torhaus. Hier befand sich eine Zugbrücke, die von dem Torhaus aus hochgezogen werden konnte. Dieses war gekrönt von einem Türmchen, von dem wir aus Rechnungen wissen, daß es um 1650 eine Uhr trug.

Von hier aus gelangte man in den inneren Burghof, der mit Hauptmauer, Ziegelmauer und einem tiefen Graben nach außen hin abgeschlossen war. Einen Rest des alten Burggrabens kann man noch in dem tiefer gelegenen Garten nördlich des Renaissancebrunnens feststellen. Im inneren Burghof befanden sich der Stall mit Speicher, die Rüstkammer und das Schnitz­haus, in denen Lanzen, Schilde, Speere, Balken für die Hurden (Mauer- und Turmdächer) und Geräte für den häuslichen Bedarf angefertigt wurden.

Als die Katzenelnbogener im Jahre 1275 zu einem Viertel und im Jahre 1284 zur Hälfte neben den Eppsteinern Mitbesitzer von Steinheim wurden, kann der Nordbau nach dem Schießhag hin entstanden sein.

Im Jahre 1301 wurde die Burg im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen den rheinischen Kurfürsten und dem deutschen König Albrecht von Habsburg durch den königstreuen Ulrich I. von Hanau zerstört (und sogleich wieder aufgebaut). Konrad III. von Mainz ließ die beiden Gebäudeflügel der Burg erhöhen und erweitern. Die kurmainzische Burg mit ihren vielen Türmchen präsentierte sich als typisch gotisches Bauwerk.

 

Schloßbau:

Die alte Eppstein'sche Burg wurde baulich stark verändert, als der Kurfürst und Erzbischof Konrad III. von Mainz (auch „Konrad von Daun“, 1419-1434) im Jahre 1425 Burg, Stadt und Amt Steinheim (das zwanzig Orte umfaßte) für 38.000 rheinische Gulden von Gottfried von Eppstein gekauft hatte. Jetzt begann der Ausbau der Burg zu einer kleinen Residenz, zum „Schloß Steinheim“.

Die beiden Gebäudeflügel der Burg wurden erhöht und erweitert. Auf die drei gemauerten Stockwerke wurde ein vierter Stock in Holzfachwerk aufgesetzt. Nach Osten, gegen den Main hinunter, war ein neuer Flügel vorgesetzt worden, in dessen drittem Stockwerk die Schloßkapelle untergebracht war, die 1431 geweiht wurde. Erzbischof Konrad erwähnt im Jahre 1431 in einem Brief diesen neuen Ostbau. Die Höhe der Stockwerke und die Bedachung des neuen Ostflügels entsprachen dem anstoßenden Burgflügel. Der Nordbau nach dem Schießhag hin wurde außerdem mit drei Querhäusern versehen, die nach Westen durch einen Treppengiebel abgeschlossen waren. Auf den Überresten des alten Bergfrieds ließ vermutlich Konrad III. den heute noch stehenden Turm von Frankfurter Baumeistern errichten.

Um 1450 ließ dann Kurfürst Dieter I. Schenk von Erbach den Nordflügel anbauen, den Nord-Süd-Flügel auf die heutige Hoftiefe verdoppeln und im „Rittersaal“ ein Kreuzgratgewölbe einziehen.

Erneut wurde am Schloß gebaut zur Zeit Daniel Brendels von Homburg, der von 1552 bis 1582 regierte: 1555 wurde das Amtshaus, 1562 der Marstall, 1564 der Brunnen vor der Amtsregistratur errichtet. Es entstanden zwei neue Treppentürme im Renaissancegeschmack, die im Hofe ihren Aufgang hatten. Der eine wurde von dem baulustigen Kurfürsten Daniel Brendel von Homburg (1552-1582) angelegt. Diese Treppenanlage besteht heute noch. Sie bildet den Aufgang zum Museum. Im Innern entzückt eine schöne Treppenspirale das Auge, während außen das Portal zu den schönsten Renaissancedenkmälern in Steinheim gehört. Zwei kannelierte Pilaster auf blattgeschmücktem Sockel ruhen auf eckigen Doppelbasen. Reichgegliederte Doppelkapitäle tragen ein gekröpftes Gesims.

Darauf lagert das reichverzierte Wappen des Erzbischofs Daniel Brendel von Homburg, das von Pilastern mit einfachen geometrischen Figuren eingefaßt ist. Die Pilaster werden auf beiden Seiten durch verzierte Löwenbeine gestützt. Im Spätrenaissanceempfinden ist dieses Wappen sehr reich mit kleineren Ahnenwappen verziert. Das Ganze wird von einem gekröpften Gesims überdacht und durch eine zierliche Palmettenmuschel mit Zahnschnitteinfassung gekrönt. Dieses Wappen befand sich ursprünglich über dem Portal eines zweiten, heute verschwundenen Treppen- oder Schneckenturms an der Westseite des Nordflügels, dem Eingang des Bergfrieds gegenüber. In der Giebelwand des Nordflügels kann man die herausstehenden Steine dieses Treppenturmes noch sehen.

Als Matthäus Merian seine Ansicht von Schloß Steinheim anfertigte, stand die Anlage auf dem Höhepunkt ihrer baugeschichtlichen Entwicklung. Steinheim war eine der Perlen erzbischöflicher Residenzen, die Main und Rhein säumten, hochgeschätzt wie Eltville oder Höchst. Es gibt mehrere alte Zeichnungen und Stiche mit unterschiedlichen Darstellungen des Schlosses - Beweis für die häufigen Umbauten.

Steinheim ist so verschieden vom nahen Hanau, weil sich Ende des 16. Jahrhunderts der bilderstürmerische Graf Philipp Ludwig II. rühmte, eigenhändig aus einer Kirche der Hanauer Obergrafschaft ein Kruzifix „und andere Götzen und Bildwerk“ entfernt zu haben, der Mainzer Erzbischof aber das Schloß und die Kirche von Steinheim mit Kunstwerken schmückte. Am Main glänzten nicht nur die Bischofssitze Aschaffenburg und Würzburg durch reiche Architektur, der ganze Landstrich war geprägt vom Kunstsinn seiner geistlichen und weltlichen Herrscher, den Fähigkeiten seiner Bauhandwerker und dem Wohlstand seiner Kaufleute.

 

Dem Schloß erging es wie sämtlichen Amtsbauten von Steinheim. Sie befanden sich alle in und nach dem Dreißigjährigen Kriege in mehr oder minder baufälligem Zustande. Schon während dieses Krieges, und besonders vom Jahre 1650 bis 1720, richteten die Keller und die Amtleute dauernd Hilferufe nach Mainz, die Schäden des Krieges und der Zeit wieder ausbessern zu lassen. An den Dächern wurde oft zwanzig bis dreißig Jahre keine Reparatur vorgenommen. Die Füllungen des Fachwerks waren an vielen Stellen durchschossen oder durch Vernachlässigung so her­unter­gekommen, daß man in das Innere des Schlosses und mancher anderer Gebäude hineinschauen konnte.

Bereits 1660 war z. B. von dem Steinheimer Beamten nach Mainz gemeldet worden, daß die Schloßbrücke so verfallen war, daß man mit geladenem Wagen nicht mehr aus dem inneren Schloßhof heraus und hinein konnte. Erst im Jahre 1701 wurden die Bogen der Brücke durch den Maurer Christian Frankhausen ausgebessert. Dabei wurde die alte baufällige Zugbrücke entfernt. Es war aber nur das Notdürftigste an der Schloßbrücke ausgebessert worden. Auch sie wurde am Ende des 18. Jahrhunderts beseitigt, weil man die Reparaturen vermeiden wollte.

Wie die öffentlichen Bauten Steinheims um 1675 ausgesehen haben, erkennen wir aus der Bleistiftskizze des holländischen Malers Albert Meyeringh vom Maintor. Klaffende Dächer, zum großen Teil nicht mehr mit Ziegeln bedeckt, durchlöchertes Fachwerk, zerstörte und zerfallene Mauern, das war der Anblick Steinheims am Ende des siebzehnten Jahrhunderts.

Dem Erzbischof Lothar Franz von Schönborn (1774 - 1802) kann dabei der Vorwurf nicht erspart werden, daß er trotz des baufälligen Zustandes des Schlosses und der meisten herrschaftlichen Gebäude seiner Jagdleidenschaft nachgab und von 1701 - 1710 die Fasanerie einfriedigen und das dort noch heute stehende Jagdhaus erbauen ließ.

Der Niedergang des Schlosses vollzog sich unter dem letzten Mainzer Kurfürsten Karl Joseph von Erthal, der 1786 das Inventar des Schlosses versteigerte und noch vor 1800 weite Teile der Anlage für einen geplanten Umbau abtragen ließ. Die oberen Fachstockwerke und der Ostflügel wurden abgetragen und in neuem klassizistischem Geschmack in einfacher, etwas nüchterner Ausführung wieder aufgeführt und bedacht.

Die Federskizze des Ludwig Daniel von der Heyd vom Jahre 1788 ergibt ein klares Bild von dem Abbruch des Schlosses. Durch Vergleich mit der Abbildung auf dem Zunftbrief von J.J. Müller aus dem Jahre 1784 muß folgendes geschlossen werden: Von 1784 - 88 ist auf dem Hauptbau das Stockwerk mit dem Holzfachwerk verschwunden. Am Hauptbau und Nordbau ist ein Notdach aufgesetzt worden. Der vorspringende Ostflügel, in dem die Kapelle untergebracht war, steht noch mit dem alten spitzen Dach. Verschwunden ist aber die Kapellen-Apsis, und die Ecke zwischen Hauptbau und Ostflügel ist abgebrochen.

Die französischen Revolutionskriege leerten wieder den Kurmainzer Staatssäckel für andere Zwecke. Es konnte nicht weitergebaut werden, nachdem der Ostflügel mit der Kapelle im Jahre 1795 abgetragen war. Der aus zwei Flügeln bestehende Wohnbau konnte erst 1804 in klassizistischem Stil wieder erneuert werden. In diesem Zustand blieb das Schloß, bis es 1808 Großherzog Ludwig I. von Hessen für seinen Sohn, Prinz Georg, als Wohnsitz einrichtete.

In diesem Notzustand blieb das Schloß, bis es um 1808 von dem Großherzog Ludwig I. von Hessen- dem das Amt Steinheim nach der Säkularisation von 1802 zugefallen war - für seinen Sohn Georg, wohnlich eingerichtet wurde. Zwischen 1808 und 1813 lebte Prinz Georg von Hessen im Schloß und ließ im Hauptgebäude Umbauten im klassischen Stil durchführen. Ein Ziegelstein im Speicher des Schlosses zeigt, daß im Jahre 1812 das Schloß seine heutige Vollendung erhielt: Aus diesem Ziegel leitet Dr. Leopold Ingram ab, daß das Schloß im Jahre 1812 sein heutiges Aussehen erhalten haben muß,

Nach 1813 wurde das Schloß von Hessen-Darmstadt nie mehr bewohnt und das Mobiliar 1825 abgezogen. Der Abriß des Amtshauses erfolgte 1839. Im weiteren Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts bot das Schloß einem Betsaal, einer Schule, Wohnungen und Museum Platz.

 

Schloßturm:

Die Grundmauern des Schloßturmes sind wahrscheinlich in romanischer Zeit entstanden. Der Turm ist 36 Meter hoch, der innere Durchmesser beträgt 3,60 Meter, die Mauerstärke 3,00 Meter.

In zylindrischer Form, voll massiger Wucht, steigt er hoch bis zu einem Bogenfries mit Spitzbogen, die auf gekehlten Basaltkonsolen lagern. Gußerker und das dreiteilige Fenster der Türmer­wohnung gliedern das zweite Stockwerk. Gekrönt wird der Turm durch vier äußere und ein inneres Türmchen mit eckiger Bedachung.

Georg Schäfer sagt mit Recht in seinem Werk „Die Kunstdenkmäler des Kreises Offenbach“: „Dieser gewaltige Rundturm sucht seinesgleichen in Anbetracht der ungewöhnlichen Abmessungen wie der kraftvollen Formen. Unter den erhaltenen Wehrtürmen auf weit und breit, wenigstens im ganzen Umfang der mittelrheinischen Lande, kann sich ihm nur der Eschenheimer Turm zu Frankfurt am Main als ebenbürtiger Genosse an die Seite stellen. Was zudem trotzige Wucht betrifft, macht selbst der Eschenheimer Turm einen zahmen Eindruck, verglichen mit dem Stein­heimer Hünen.“

Wenn man den Bergfried mit seinem unteren Stockwerk genauer ins Auge faßt, so fällt nach Nordwesten hin eine starke Mauerverpanzerung auf, die den Turm nach der gefährlichsten Angriffsseite schützte. Dieser Teil kann der Rest eines älteren Mauerwerks sein. Einige Meter über dieser Verpanzerung macht der Turm plötzlich einen Knick, den man nur auf dieser Nordseite feststellen kann. Wahrscheinlich ist der Turm an dieser Stelle neu aufgemauert worden. Man muß mehrere Bauzeiten annehmen. Es ist möglich, daß die Herren von Hagenhausen und Hausen, die ersten bekannten Besitzer der Burg Steinheim, einen eckigen Turm schon vorgefunden oder erbaut haben.

Sehr beachtenswert sind die Spitzbogen an diesem Turm- bzw. Mauerteil, die wir nach dem Gemälde von Radel noch feststellen können. Danach scheint es, als ob man hier den Rest eines alten spitzbogigen Mauer- oder Turmfrieses aus dem vierzehnten Jahrhundert vor sich hätte. Dieser deutlich sichtbare Treffpunkt zweier Mauern kann als einfacher Mauerpanzer vor dem Turm gedient haben, er könnte aber auch der Rest eines eckigen Turmes sein, der an Stelle des heutigen runden gestanden hat.

Nach der Zerstörung von 1301 hätte dann Gottfried von Eppstein an Stelle des eckigen Turmes den Rundturm gebaut. Es ist kein Zweifel, daß die innere Krönung des Verlieses aus gotischer Zeit, also frühestens aus dem vierzehnten Jahrhundert stammt. Bei der Neubefestigung anläßlich der Stadtrechtsverleihung wurde durch Gottfried von Eppstein wahrscheinlich dieser Turm erhöht, wenn nicht neu aufgebaut. Die reiche und stolze Zinnenkrönung mit den charakteristischen fünf Türmchen scheint dann von Dietrich von Mainz um 1450 neu aufgesetzt zu sein.

Vor dem Turm lagen im fünfzehnten Jahrhundert die Landsknechte Adolfs von Nassau, um dessen Gegner, Dieter von Isenburg, daraus zu vertreiben. Erfolglos mußten sie wieder abziehen. Dagegen bemächtigten sich seiner im Schmalkaldischen Krieg im Jahre 1552 die Truppen des Markgrafen Albrecht von Brandenburg-Kulmbach unter Führung des Grafen von Oldenburg. Im Dreißigjährigen Kriege legten schwedische, kaiserliche und französische Söldner ihre Redouten vor ihm an, um ihn und die Mauern sturmreif zu machen.

Auf einer Holztreppe, die in früheren Zeiten nicht vorhanden war, gelangt man zum Haupteingang des Schloßturms auf der Ostseite. Früher führte eine Brücke mit einem Geländer an der Mauer entlang vom nordwestlichen Schloßflügel zum Turm, vor dessen Eingangstüre sich jedenfalls eine Zugbrücke befand.

In dem Raum über dem Verlies hat eine Licht- und Geschützöffnung ihre Richtung auf das ehemalige innere Burgtor in der Nähe des inneren Burgbrunnens. In dem Raume, der in Zeiten der Gefahr als Vorrats- und Pulverraum diente, ist eine enge Versenköffnung des Verlieses, das sogenannte „Angstloch“: An einem Seil wurden die Gefangenen in die Tiefe hinunter gelassen.

Im Jahre 1921 und im August 1925 wurden mehrere Steinheimer Männer am Seil hinunter gelassen. Ein unterirdischer Gang, den man vermutete, war nicht festzustellen. Man fand Reste von irdenem Geschirr und von irdenen Öllämpchen aus dem fünfzehnten Jahrhundert. Auch Tierknochen, anscheinend vom Hammel, wiesen darauf hin, daß die Gefangenen nicht nur von Wasser und Brot lebten. Das Verlies hat eine Tiefe von 10,20 Meter bis zum Schutt, der 40 Zentimeter hoch auf der Turmsohle liegt. Der Durchmesser des Verlieses beträgt 3,60 Meter. Es läuft oben nach der Versenköffnung spitzbogig zu, so daß man seine Entstehung, wenigstens die des oberen Teils, nicht vor 1320 ansetzen kann.

Der Raum über dem Verlies, der im gotischen Achtort gewölbt ist, steht mit dem nächsten Stock­werk, der Türmerwohnung, durch eine schmale Wendeltreppe in Verbindung. Diese Treppe - ein architektonisches Meisterwerk - führt innerhalb der östlichen Mauerseite empor. Die Wandstärke des Turmes beträgt hier nur 70 Zentimeter. Der Baumeister konnte die östliche Turmmauer an dieser Stelle so verhältnismäßig dünn gestalten, weil die Ostseite des Turmes durch den mächtigen Burgbau und durch den Main gegen Geschoßwirkung geschützt war. Auch dieser Schneckenbau läuft im Achteck aus.

Das durch eine Auskragung erweiterte zweite Geschoß enthält die Türmerwoh­nung. Auch sie ist mit einem achteckigen Gewölbe überspannt. Eine breite, tiefe Nische führt zu einem dreigeteilten Fenster mit Basaltrahmen. Von hier aus streifte der Türmer mit seinen falkenscharfen Augen die Geleitstraße bis nach Hainstadt und Seligenstadt ab. Von hier aus gelangt man zum Gußerker. Mit Hilfe des Kamins konnte sich der Türmer gegen die Kälte schützen. Der eine Achtort des Türmerraumes ist durchbrochen. Eine Holztreppe führt zur Turmgalerie.

Über der Türmerwohnung sitzt der mittlere und größere von den fünf Spitztürmchen. Die Bekrönung der fünf Spitzen ist aus gekehltem Basalt. In dem Ost- und Südtürmchen sind nur zwei Geschoßöffnungen, während nach der Landseite in jedem der zwei Türmchen je drei Geschützöffnungen zur Bestreichung der Landstraße Klein-Steinheim-Klein-Auheim angebracht sind. Schieß­scharten und Brustwehren zwischen den Türmchen gaben den Schützen Schieß- und Schutzmöglichkeit. Im Dreißigjährigen Krieg haben die Türmchen durch feindliche Beschießung schwer gelitten. Nur allmählich wurde dieser Kriegsschaden am Turm wieder hergestellt. In den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts erhielt der Bergfried den heutigen dauerhaften Kleinsteinbewurf.

 

 

Archäologen finden Gewölbe bei Grabungen am Steinheimer Schloss:

Bei Grabungen am Schloss Steinheim haben Archäologen im Zwinger zwischen Bergfried und Schlossmauer ein Gewölbe von etwa 25 Quadratmetern Größe aufgedeckt. Hintergrund der Grabungen war eine Anregung des Steinheimer Ortsbeirats vom Februar 2021, zum 800. Geburtstag des Schlosses „bisher noch verschlossene Außenbereiche für Besucher zugänglich zu machen, damit der ursprüngliche Burgcharakter besser erlebbar wird“. Das Jubiläum wird bekanntlich in diesem Jahr gefeiert. Das 800-jährige Bestehen sollte Anlass sein, so der Ortsbeirat, Bereiche wie den Zwinger und die Grundmauern der Türme wieder zu öffnen.

Hierfür soll der Bewuchs von den Mauern genommen und der Boden gepflastert werden. Da die gesamte Schlossanlage ein Einzelkulturdenkmal ist, sei das Feld zuerst der Bodendenkmalpflege überlassen worden. Die Archäologen haben gegraben und dabei auch das erwähnte Gewölbe entdeckt. Es ist nur von oben über eine Öffnung von der Größe einer Tür zugängig.

Laut Angaben der Stadt deutet vieles darauf hin, dass der 2,5 Meter tiefe Hohlraum erst vor einigen Jahrzehnten geschlossen wurde, denn neben der Abdeckung mit Betonschwellen war er mit modernem Bauschutt verfüllt.

Bei weiteren Untersuchungen des Areals konnte zudem die Außenkante eines ehemaligen polygonalen Turmes direkt am heutigen Bergfried freigelegt werden. Ein solcher Turmgrundriss wurde bereits bei Grabungen 1989/1990 im Schlosshof dokumentiert. So konnten nicht nur neue Erkenntnisse über das Areal gewonnen, sondern auch neue Fragestellungen zur Baugeschichte von Schloss Steinheim gestellt werden. Noch zu klären bleiben die genaue Entstehungszeit und die ehemalige Funktion des Hohlraums

Nach Absprache mit der Landesdenkmalpflege sollen die Grabungen fortgesetzt werden. Die Erkenntnisse und Fragestellungen sollen in einer die Grabung begleitenden Ausstellung vorgestellt werden. Die Ausstellung werde die Jubiläumsausstellung zu 700 Jahre Stadtgeschichte Steinheim ergänzen und den Anstoß geben, die Abteilung Burggeschichte neu zu präsentieren. Der städtische Eigenbetrieb Immobilien und Baumanagement erarbeitet derzeit zusammen mit dem Fachbereich Kultur einen Plan für die zukünftige Gestaltung des Zwingers. Die aufgedeckten Mauern sollen in einem „Archäologischen Fenster“ dauerhaft zu sehen sein.

 

Ehemalige Schloßkapelle:

Am 20. Mai 1431 hatte der Erzbischof Konrad von Mainz die Pfarrei Lämmerspiel zur Schloßkapelle in Steinheim einverleibt. In dieser Kapelle befand sich ein Altar zu Ehren der Heiligen Bartholomäus, Georg, Barbara, Katharina und Dorothea. Der Schloßkaplan oder Beneficiat war verpflichtet, in jeder Woche hier drei heilige Messen zu lesen: „Eine zu Ehren der Allerheiligsten, Ungetheilten Dreifaltigkeit, die zweite zu Ehren der unbefleckten Jungfrau Maria und die dritte zum Lobe Gottes und zu unserem und unserer Vorgänger und Nachfolger Heil.“

Der Schloßkaplan mußte ständig und persönlich im Schlosse wohnen. Falls er für einen Monat Urlaub nahm, mußte er auf die Einkünfte des Schloßbeneficiums verzichten und sie einem Stellvertreter für diese Zeit zukommen lassen. Da der Schloßkaplan zugleich Pfarrer von Lämmerspiel war, erhielt er den größten Teil seiner Einkünfte aus Lämmerspiel. So bekam er aus dem Tabakzehnten zu Lämmerspiel jährlich 41 Gulden, an Korn aus dem Zehnten von Lämmerspiel 45 Malter und aus dem halben Zehnten von Obertshausen 25 Malter Korn. Außerdem bezog er aus dem Dietesheimer Zehnten jährlich 11 Malter Korn und aus dem Erbbestandsgut in Weißkirchen jährlich acht Malter Korn. Davon hatte er seinen Stellvertreter in Lämmerspiel zu besolden und auch dem Pfarrer von Steinheim 17 Gulden zu gewähren. Der Amtskeller von Steinheim hatte dem Beneficiaten einen der Jahreszeit entsprechenden freien Tisch zu verabreichen, seit 1760 erhielt er aus den Kellerei-Einkünften jährlich 100 Gulden an Kostgeld.

Bis zum sechzehnten Jahrhundert hat sich das kurfürstliche Hoflager alljährlich eine geraume Zeit in Steinheim befunden, wobei die Kapelle für den Hofgottesdienst diente. Als am Ende des 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts die Kurfürsten seltener nach Steinheim kamen, war auch bald die Stiftung des Erzbischofs Konrad vergessen worden, und man hatte die Einkünfte, des Schloßkaplans dem Stadtkaplan von Steinheim gegeben. Da erneuerte im Jahre 1731 der Kurfürst Franz Ludwig (Pfalzgraf von Neuburg) die Stiftung vorn Jahre 1431 und befahl, „daß fürohin zu ewigen Zeithen ein zeithlicher Pfarrer zu Lämmerspiel gehalten sein sollte, wöchentlich drei heilige Messen in unserer Schloßkapelle allda zu lesen.“

Der Keller von Steinheim, Johann Friedrich Edel, erhielt deshalb den Befehl, dem Pfarrer von Lämmerspiel und nicht mehr dem Stadtkaplan von Steinheim die Besoldung zu verabfolgen.

Als man im Jahre 1784 sich mit dem Gedanken trug, das Schloß umzubauen, sollte die Schloßkapelle der Steinheimer Pfarrkirche einverleibt werden. Im Jahre 1794 wurde die Kapelle aufgehoben und mit preußischen kranken Soldaten belegt. Die Paramente und Gerätschaften wurden dem damaligen Pfarrer Kuhn von Steinheim übergeben. Ein rotgeblümtes Meßgewand mit Zubehör aus der Schloßkapelle befindet sich heute noch bei den Paramenten.

In dem für den Prinzen Georg hergestellten Schlosse wurde für dessen Gemahlin, die katholisch war, ein Kapellenzimmer im oberen Stock eingerichtet. Hinter einer großen Flügeltür befand sich ein Altar zu Ehren des heiligen Bonifatius und der Märtyrer mit Reliquien des heiligen Viktor und des heiligen Benedikt.

Ein Teil der Einkünfte der alten Schloßkapelle im Betrage von 828 Gulden wurden 1806 dem Weihbischof Heimes von Mainz übertragen. Bereits 1803 beim Übergang von Steinheim an Hessen-Darmstadt hatte der damalige Landgraf Ludwig X. beabsichtigt, dem Stadtpfarrer von Darmstadt diesen Betrag als Grundstock zur Pfarrbesoldung zu übertragen. Im Jahre 1831 nahm der Bischof Josef Vitus Burg von Mainz endgültig diese Neuverleihung vor. Der Pfarrer von Lämmerspiel erhielt aus dem alten Steinheimer Schloßbeneficium pro Jahr 306 Gulden. Noch lange lasen der Stadtpfarrer von Darmstadt wöchentlich zwei und der Pfarrer von Lämmerspiel wöchentlich eine heilige Messe für die Stifter dieses Schloßbeneficiums, besonders für den Kurfürsten und Erzbischof von Daun, der im Jahre 1431 die Schloßkapelle und ihre Einkünfte gestiftet hatte.

 

Schützenhaus:

Am Marstall vorbei geht man durch die Preßmauer und rechts um das Schloß herum. Im Winkel der Mauer steht noch ein alter Gedenkstein (Grabstein). Man kommt in den „Schießhaag“.

Dieser war früher viel tiefer als heute und wurde auch Halsgraben oder „Haugk“ genannt. Hier hielt die Steinheimer Schützengilde seit altersher ihre Schießübungen ab. Sie hatte um 1680 ein Schützenhaus daselbst gebaut. Der religiöse Charakter der Schützengilde zeigte sich in der Beteiligung bei der Fronleichnamsprozession, bei der die Schützen in Uniform und mit Gewehren teilnahmen. Dafür wurden in jedem Jahr in Hanau bei einem Hutmacher 24 Schützenhüte um 32 Gulden geliehen. Von den Schützen erhielt an diesem Tage jeder ein halbes Maß Wein. Bei einem Preisschießen in Großauheim im Jahre 1776 gewann die Steinheimer Schützengilde als ersten Preis einen Ochsen. Vom Schießhaag aus ist auch deutlich zu sehen, daß der untere Teil des Schloßturms viereckig ist.

 

Ziehbrunnen im Schlosshof:

Der Brunnen ist von 1564, sein Trog war bis 1885 ohne Mörtel zusammengesetzt. Die Rahmenarchitektur mit leicht gebogenem Sturz (dem sogenannten Brunnengalgen) krönt ein halbkreisförmiger Aufsatz mit einer vergoldeten Löwenmaske, die an Riemen die beiden zugeneigten Schilde hält: die reliefierten Wappen des Mainzer Domkapitels (5 rote Balken auf silbernem Grund) und das Wappen des Bauherrn Daniel Brendel von Homburg (Zackenstreifen auf goldenem Grund und sechsspeichiges Mainzer Rad). Daniel Brendel von Homburg wurde 1523 in Aschaffenburg geboren, war von 1555 bis zu seinem Tode 1582 Kurfürst und Erzbischof von Mainz. Schloss Steinheim nutzte er als Nebenresidenz. Er ließ neben dem Brunnen auch den Ostflügel mit einem Treppenturm versehen. Deshalb tragen das Eingangsportal -  ganz im Stil der Renaissance gearbeitet - Amtshaus und Registratur sein Wappen (Martin Hoppe, Objekt der Woche, # 91).

 

Das Schloß ist auch heute im Grunde noch eine Ruine. Ein ruinenhafter Rest dicht an dem Brendel'schen Treppenturm mahnt an den Abbruch des alten prächtigen Schlosses. Der Nordbau schaut mit seinem altersgrauen Basalt hinab in den tiefen Graben, den späteren Schießhag. Neben diesem altersschwachen, leichtvernarbten Bau reckt sich der erneuerte Mittelbau mit einem gewissen Stolz in die Höhe. Ein trauriger, mit Efeu umrankter Schutthaufen östlich und südlich des Schlosses erinnert uns an den Abbruch des Ostflügels, der oberen Stockwerke und des Amtshauses nach dem Jahre 1788.

Museum

Seit 1938 wird das Schloß als Museum für Vor- und Frühgeschichte und Heimatmuseum genutzt.

Nach derSanierung Anfang der achtziger Jahre wurde 1986 das Museum Schloß Steinheim er­öffnet. Der Rundgang durch das Museum mit seinen Abteilungen „Regionale Vor- und Frühgeschichte“ und „Ortsgeschichte Steinheim“ vermittelt auch einen Eindruck von der Baugeschichte des Schlosses.

Die vor- und frühgeschichtliche Abteilung zeigt Fund aus der Region zwischen Frankfurt und Gelnhausen, Nidderau und Hanau-Steinheim und umfaßt den Zeitraum Altsteinzeit - Frühmittelalter (etwa 300.000 vCh.- 800 nCh.). Die landschaftliche Vielfalt von Wetterau, Mainebene und Kinzigtal spiegelt sich auch im Reichtum der Funde. Besonders hervor treten die Urnenfelderzeit (1200 - 800 vCh) und die Römische Kaiserzeit (60 - 260 nCh)

Die Präsentation versucht über die Vorstellung der Funde und Fundorte hinaus, Einblicke zu gewähren in die Lebens- und Arbeitswelten der vergangenen Epochen und konzentriert sich für die Zeit vor Christi Geburt auf die technologische und wirtschaftliche Entwicklung. Inszenierungen, Dioramen und die Filme „Woher stammen Adam und Eva?“ sowie „Unter römischer Herrschaft“ runden die Ausstellung zu einem informativen, kritischen und lebendigen Ganzen ab.

Glanzstück der Schausammlung ist das zweiseitige, einstmals drehbar angebrachte Mithras-Kult­relief aus Rückingen (Erlensee). Die Vorderseite des Reliefs zeigt die übliche Tötung des Stiers durch Mithras. Bemerkenswert ist die Rückseite. Sie bildet unten den Sonnengott (Sol) und Mithras ab. Beide ruhen wie zu einem Gastmahl auf einem Speisesofa (kline); der Tisch vor ihnen ist mit der abgezogenen Haut des Stieres bedeckt. Rechts und links stehen Diener, die kleiner dargestellt sind. Der obere Teil des Reliefs vermittelt den Eindruck einer felsigen Landschaft, in der Mithras als reitender Jäger dahersprengt. Das „Mithräum“ befindet sich neuerdings in einem Keller des Schlosses (von außen zugänglich).

Die Darstellung des fränkischen Siedlungswesens stellt den Übergang von der vor- und frühgeschichtlichen zur ortsgeschichtlichen Abteilung dar. Die Endung „-heim“ selbst deutet auf eine fränkische Gründung Steinheims hin. Hier wird die Geschichte der Burg Steinheim anhand historischer und archäologischer Zeugnisse, die Entwicklung der Stadt seit der Stadtrechtsverleihung 1320, ihre Kirchengeschichte mit Beispielen sakraler Kunst und die Industrialisierung des Ortes im 19. Jh. am Beispiel der Tabakverarbeitung und des Druckgewerbes erläutert. Ein Kernstück der Präsentation ist das Stadtmodell, das Steinheim um 1560 zeigt.

Geschichte muß nicht langweilig sein. „Echt cool“, so ein jugendlicher Besucher, wird sie, wenn neben einem theoretischen erschlossen wird.

 

Im Steinheimer Schloß findet man Zeugnisse der Vergangenheit der einstigen kleinen Residenz, von einer Säule mit schönem Kapitell, wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert, über eine bemerkenswerte Figur der Anna Selbdritt (datiert 1512) und den Arbeiten der Zünfte bis hin zu dem Wirtschaftszweig, der im. 19. Jahrhundert das Leben der Steinheimer bestimmte: der Zigarrenherstellung.

Das Museum Schloß Steinheim versucht auch ein praktischer Zugang zur Vergangenheit zu erschließen, indem es für Besucher aller Altersstufen Veranstaltungen anbietet, wie Kochen ohne Kochtopf, Brotbacken im Lehmofen, Kochen nach römischen Rezepten, Leben und Arbeiten in der Steinzeit und Textiltechniken. Einblicke in die Vor- und Frühgeschichte - zum Zuschauen und Mitmachen - gewährt außerdem der Aktionstag, der jeweils unter einem Motto steht, z.B. „Kleider machen Leute - Leute machen Kleider“.

Schloß Steinheim bildet die Kulisse für das Bundesäppelwoifest, Bauern- und Weihnachtsmärkte, Schloßhofkonzerte und das Altstadtfest zum Johannisfeuer, Feste und Veranstaltungen, die jährlich Tausende von Gästen nach Steinheim locken. Im Marstall Schloß Steinheim finden regelmäßig historische und archäologische Ausstellungen sowie Ausstellungen von Künstlern aus der Region statt.

Auf Bildschirmen kann der Besucher nun die Fundstelle ehemaliger römischer Sied­lungen am Limes entlang antippen, der die römischen Legionäre auf dem heutigen Kreisgebiet von Nidderau, an Hanau vorbei bis Großkrotzenburg vor Widersachern schützen sollte. Auf dem Monitor erschei­nen Texte und Bilder. Der Fundort wird zudem auf einer monochromen Karte ange­zeigt. Das jeweilige Gebiet ist in einem Ausschnitt zu sehen und läßt sich vergrößern. Darüber hinaus kann per Zeitreise die Entwicklung des Areals über mehr als 2000 Jahre verfolgt werden.

Der Chef­archäologe des Hanauer Geschichtsver­eins, Peter Jüngling, fordert allerdings eine Ausstellungsfläche von 1000 Quadratmeter e für römi­sche Geschichte in und um Hanau sowie 200 Quadratmeter für die Numismatik der Mün­zen aus jener Zeit.

Museum Schloß Steinheim, 63456 Hanau-Steinheim, Schloßstraße

Öffnungszeiten: Donnerstag - Sonntag 10 - 12 und 14 - 17 Uhr

Tel./Fax: (06181) 20 20 9/25 79 39 (Verwaltung der Museen der Stadt Hanau) oder 65 97 01 (Museum Schloß Steinheim). Informationen und Anmeldungen zu Veranstaltungen des Museums erteilt die städtische Museenverwaltung. Turmbesteigung: 1. März - 30. November.

 

Mainseite:

Wenn man um das Schloß herumgeht, kommt man unten zur sogenannten „roten Mauer“. Diese ist eine Schutzwehr gegen Wasser und Eis. An dieser Mauer befindet sich heute die Hochwassermarke. In frühester Zeit war an dieser Stelle eine Schutzwehr aus aufeinandergeschichteten Baumstämmen, die aus der Bieberer Mark geliefert werden mußten. Die Bieber-Märker hatten auch das Holz für den Hag oder Zaun zu liefern, der außerhalb des Grabens lief und auf der Nordseite bis zum Main herunterreichte. Neben der Einfriedigung durch den Palisadenzaun, dessen Reste bei einem Geschützstand auf dem Merianstich noch zu sehen sind, war an dieser Stelle auch noch Kleingebüsch als Hindernis für den Feind angepflanzt. Erzbischof Daniel ließ an Stelle der Schutzwehr aus Baumstämmen eine Steinmauer aus rotem Sandstein, die „rote Mauer“ errichten.

Diese und der Schloßgraben wurden geschützt von einem überdachten Turm an der unteren Mainmauer und durch einen zweiten überdachten Turm an der Nordostecke der Zwingermauer. Der Weg führt weiter am Main entlang. Die Mauer war früher bedeutend höher. Im Jahre 1661 war ein Teil von ihr durch Hochwasser umgeworfen worden. Die Maurer Paulus Petz zu Niedersteinheim und Rolf Reydelweidt aus Steinheim führten sie wieder auf.

Die Höhe ausschließlich des Fundaments betrug 21 Schuh. Das Fundament war vier Schuh hoch und über der Erde des Gartens ragte die Mauer 17 Schuh (also 5,40 Meter) in die Höhe. Die Dicke der Mauer betrug 1,20 Meter.

Am Ende der Mainmauer biegt man noch einmal rechts herum in die Mainstraße und wirft einen Blick durch ein kleines Türchen in den Schloßpark. Rechts steht der sogenannte „weiße Turm“, der zum Mauerschutz an der Mainseite gehörte. Ein gotischer Taufstein und ein fein aufgeführtes romanisches Kapitell aus der ehemaligen romanischen Burg Steinheim sind allerdings nicht mehr zu betrachten. Noch zu sehen ist die alte Zwingermauer, von der 1670 nach Mainz gemeldet wurde, „daß die bei gewesener Kriegszeit durch starkes großes Schießen ruinirte Schloßzwingermauer ganz baufällig und daselbsten wieder zu reparieren“. Im Garten befinden sich ein kleiner Kräutergarten und ein Brunnen. Man geht dann noch ein Stück die Mainstraße hoch in Richtung Maintor, aber vor dem Tor dann links die Treppen hoch. Man geht entlang der Stadtmauer bis zum ehemaligen Mühltor.

 

Die Mühltorbefestigung:

An der Hofbrauhaus-Terrasse stehen südlich zwei Türme heraus, die noch übriggeblieben sind von der alten Süd- oder Mühltorbefestigung. Das Mühltor hat den Namen von zwei Mühlen an dem Mühlbach, heute Hellenbach. Diese Mühlen waren im 16. Jahrhundert eingegangen. An deren Stelle war 1550 eine Bannmühle getreten, in der die Bewohner von Ober- und Niedersteinheim. Klein-Auheim und Hainstadt frei mahlen konnten. Die vier Gemeinden hatten dafür an den kürfürstlichen Keller neun Malter Korn zu liefern. Vor 1550 führte die Hauptverkehrs- oder Geleitstraße, die von Nürnberg nach Frankfurt ging, nicht wie heute den Hainberg hinauf, sondern zwischen den beiden Türmen durch das Mühltor hindurch, auf dem sich heute der Brauhausschild befindet.

Die Doppeltoranlage des Mühltores ist in seiner heutigen Form um 1500 entstanden: Die Türme wurden errichtet und mit dem Mühltor durch parallele Mauern verbunden, zwischen denen sich der Verkehr abspielte. Wegen der Unsicherheit der Straßen durch die Raubritter stellte ein Teil der mittelalterlichen Fürsten den Wagen der Kaufleute und allen sonstigen Reisenden ein Geleit von mehreren Reisigen zur Verfügung. In unserer Gegend übernahmen den Schutz die Kurfürsten von Mainz. Aschaffenburger Reisige geleiteten die Wagenzüge der Kaufleute bis an die Stein­heimer Brücke vor dem Hainberg. Dann übernahmen Steinheimer Reisige das Geleite bis an die Oberräder Schlagbäume, wo sie von Reisigen der freien Stadt Frankfurt abgelöst wurden. Doch schon 1550 war diese Straße durch das Mühltor gesperrt, und eine neue Straße wurde den Hain­berg hinaufgeführt.

Die beiden Tore am Mühltor wurden vermauert, und nun vollzog sich der Verkehr außerhalb der Stadtmauer durch die heutige Vorstadt. Das Gelände vor der Südmauer ist heute völlig ausgebrochen, und die Zwingermauer vor der heute noch erhaltenen Hauptmauer um 1830 abgebrochen worden. Durch eine Öffnung für Fußgänger ist das Mühltor heute wieder begehbar. Durch das Tor kommt man in den Hof der Villa Stokkum. Von dort geht man nach links und kommt wieder zurück zum Parkplatz.

 

Hanauer Hof (Ludwigstraße, die Durchgangsstraße):

Einstiger „Hanauer Hof“ in Steinheim, Ludwigstraße 92, heute genutzt als Stadtteilladen. Das Gebäude wurde 1881 von Paul Stahl als „Hanauer Hof“ erbaut. Stahl war Zigarrenfabrikant und Gastwirt und in den Jahren 1868 bis 1885 sowie 1886 bis 1892 Bürgermeister von Steinheim. Im Jahre 1921 erwarb Pfarrer Dory das Haus für die Pfarrgemeinde Sankt Nikolaus. In der Nacht vom 6. zum 7. Januar 1945 wurde das Gebäude von Brandbomben getroffen und brannte aus. Die Pfarrgemeinde St. Nikolaus tauschte daraufhin das Haus mit der Stadt Steinheim gegen das Schwesternhaus.

 

Katholische Kirche „Maria Hilfe der Christen“ (Albanusstraße 10):

Die neue Kirche liegt westlich der Darmstädter Straße. Sie hat verschiedene Namen. An sich heißt sie „Marienkirche“ oder „Maria Hilfe der Christen“, aber auch der Name der alten Kirche „St. Johann“ hängt noch an ihr. Der Grundstein der Marienkirche wurde 1933 am Rande eines ehemaligen Basaltsteinbruchs gelegt. Die herrschenden Nationalsozialisten taten vieles, um den Bau zu verhindern. Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sorgte für große Schwierigkeiten bei der Materialbeschaffung. So ist denn auch der Name „Maria Hilfe der Christen“, der 1940 geweihten Kirche wie ein Aufschrei der Gemeinde zu verstehen.

Das Gotteshaus wurde 1933 - 1935 im Rohbau erstellt. Da die finanziellen Mittel aufgebraucht waren, wurde der Weiterbau unterbrochen und im Jahre 1939 - 1940 dank der Opferfreudigkeit der Gläubigen fertiggestellt, so daß am 20. Oktober 1940, mitten im Kriege, die Weihe der Kirche stattfand. Das Gotteshaus gliedert sich in den Chor, in das hochgezogene Mittelschiff und zwei niedrige Seitenschiffe mit Pultdächern. Am nördlichen Seiteneingang steht der Turm.

Am Haupteingang, der aus drei in Quadersteinen aufgebauten Bögen und einer Vorhalle besteht, tritt man durch eine Mitteltür und zwei Seitentüren in den Innenraum. Das Licht flutet durch die hohen rundbogigen Fenster des Mittelschiffs in den Innenraum. Die gewölbte kassettenartige Rüsternholzdecke weitet den Raum. Über mehrere Stufen gelangt man zum Hochaltar. Links steht der Seitenaltar mit der ältesten, ursprünglich Steinheimer Marienfigur von etwa 1460, der der Gottesmutter geweiht ist, rechts der St. Josefsaltar mit einer modernen Figur des hl. Josef als Zimmermann. An der Westwand befinden sich zwei Nischen. Die eine ist den Gefallenen der zwei Weltkriege geweiht, in der anderen hat der Erbauer der Kirche, Pfarrer Kost, seine letzte Ruhestätte gefunden.

Um die südliche Nische gruppieren sich die Standbilder des hl. Antonius mit dem Jesuskinde, des Bruder Konrad und des hl. Sebastian, um die nördliche Nische der hl. Johannes der Täufer, der Schutzpatron der Pfarrei, die hl. Theresia und die hl. Hildegard. Innerhalb der nördlichen Nische befindet sich die figürliche Darstellung „Johannes am Herzen Jesu“. Alle Figuren sowie die im seitlichen Vorraum stehenden „Mutter Anna“ und „St. Elisabeth“ und der im Turm befindliche „St. Martin“ stammen von den bekannten Steinheimer Bildhauern Heinrich Wohlfahrt und Peter Busch. Innerhalb der südlichen Nische steht eines der ältesten Steinheimer Kulturdenkmäler. Es ist eine Pietà aus dem 15. Jahrhundert, die früher in der Pestkapelle stand und die die Schmerzensmutter mit dem toten Sohn auf dem Schoß darstellt. Neben dem St. Josefsaltar unterhalb des Chores der Kirche steht ein Taufbecken mit der Jahreszahl 1605, das sich früher in der Gedächtniskirche befand.

Eine Madonna mit Kind aus dem 15. Jahrhundert und weitere acht überlebensgroße Heiligenfiguren nehmen in der Kirche ganz unorthodoxe Plätze ein. Auch in den Fenstern und insbesondere am Sakramentsaltar werden biblische Szenen dargestellt. Die Orgel mit ihren 46 Registern ist ein Werk der Firma Oberlinger. Wegen der guten Akustik im Kirchenraum wird sie von den Organisten der näheren Umgebung gerne gespielt.

Durch den Turmbau und die Anschaffung von sieben Glocken wurde die Kirche 1959/60 vollendet. Im Jahre 2000 mußte eine Gesamtrenovierung durchgeführt werden. Die polnische Künstlerin Wanda Stokwisz hat mit 114 Quadratmetern wohl das größte lkonenbild der westlichen Kirche geschaffen. Im Triumphbogen, der den Chorraum öffnet, hat sie auf weiteren 169 Quadratmetern zahlreiche symbolische Darstellungen aus dem Alten und Neuen Testament gemalt.

Sehenswert sind auch die mächtigen Basalt-Elemente (Zelebrationsaltar, Sedilien, Verkündigungsambo), die der italienische Bildhauer Gabriele Renzullo schuf, denn sie verleihen dem Chorraum eine große Ruhe.

Am 17. März 2002 berichtete Pfarrer Thomas Catta in der Marienkirche St. Johann Baptist in Hanau-Steinheim über die wahrlich lange Grundsanierung und Neugestaltung des großen Gotteshauses. Dann weihte Bischof Karl Kardinal Lehmann bei einem Pontifikalamt den neuen Altar, in den er zuvor eine Reliquie des Seligen Adolph Kolping versenkt hatte. Rund achteinhalb Jahre hat es gedauert von der ersten Sitzung eines eigens gegründeten Ausschusses bis zur Vollendung und Weihe. Die Wände sind saniert und Heizung, Fenster Lampen und Fußboden erneuert worden.

Was aber die ganz andere und höchst eigene Aura ergibt, ist das mehrteilige und eigentlich nur in der Frontalschau komplett wirkende Monumentalgemälde, an dem die polnische Künstlerin Wan­da Stokwisz aus Darmstadt gut ein Jahr lang gearbeitet hat. Und erst auf den zweiten Blick erschließt sich der große Reiz des Gesamtensembles mit den schlicht - ja geradezu bescheiden - erscheinenden Werken des italienischen Steinbildhauers Gabriele Renzullo: Altar, Ambo, Sidelien (Priestersitz mit vier Nebensitzen) und Osterkerzenständer, alles aus Basalt im einheitlichen Stil. Wie ein Hauch aus ganz fernen Jahrhunderten ist die erste optische Wirkung, die von dem im Jahre 2001 neugeschaffenen gewaltigen Wandbild ausgeht. Es füllt die ganze Apsis des Chores mit rahmender Fortsetzung im Triumphbogen mit flammenden Farben in byzantinisch anmutendem Stil. Die Zentralfigur - der thronende Christus (Pantokrator) - beherrscht den gesamten Raum, ihm zur Linken steht Maria (nach der die Kirche benannt ist), zur Rechten Johannes der Täufer (der Pfarrpatron).

Die neue künstlerische Gestaltung der Marienkirche macht deutlich, daß eine Pfarrkirche nicht nüchtern und funktional auf den liturgischen Gebrauch reduziert werden darf, sondern ein Ort der Festlichkeit, der Feier der Liturgie, ein Ort des Gebetes und der Andacht, ein Ort der Sammlung und Versammlung, ein Ort des Dankes und Lobpreises ist und durch eine festliche Gestaltung eine geistige Dimension erreichen soll, die über die Alltäglichkeit und Vordergründigkeit des privaten Tuns hinausweist. Durch ihre neue Farbigkeit läßt die Marienkirche den Kirchenbesucher das Evangelium mit seinen Sinnen erfahren, ihre religiösen Aussagen sind eine Art Katechese (Unterweisung) aus Stein und Farben.

Das Herz der Kirche, die zentrale Mitte der Pfarrgemeinde, ist der Altar. Um dies zu verdeutlichen, sei der bisher bewegliche Übergangsaltar durch einen massiven aus Basaltstein ersetzt worden wie ein häuslicher Tisch und der Ort, an dem sich die Gemeinde im übertragenen Sinne festhalten kann und verweilen darf. Er stehe im Mittelpunkt der Eucharistiefeier, aber auch außerhalb der Messe sei der Altar ein Symbol für Christus, die erhabene Stätte in der Kirche schlechthin, weil sich dort das Geschehen von Gründonnerstag Karfreitag und Ostern immer wieder vergegenwärtige. Deshalb sei in der Konzeption der neuen Altarinsel in unmittelbarer Nähe zum Altar von Gabriele Renzulk ein Basaltsockel für die Osterkerze geschaffen worden.

Gegenüber steht der Ambo, sozusagen der Tisch des Wortes, der aufs engste mit dem Altar als dem Tisch des Brotes zusammengehöre und deshalb auch aus dem gleichen Material sei.

Die Darstellungen auf Apsis und Triumphbogen sind der aus dem Orient stammenden Ikonenmalerei verwandt. Der Orient liebe die Imagination, das Geheimnis sei wichtig, nicht dessen Enthüllung. Aus dieser Geisteshaltung entstehe die Ikone, wie ein Fenster zur Ewigkeit: Diesem Auftrag und Erbe weiß sich die Künstlerin Wanda Stokwisz verpflichtet, die ihre Arbeit, ihre Malerei stets aus der Meditation und dem Gebet heraus gemacht hat und ihre Bilder als Ikonen versteht.

Im Triumphbogen schweben zwei Seraphim (brennende Flügelwesen). Die Außenseite trägt zentral eine Art Gottesauge, die Seitenflächen korrespondieren über Bibeltexte mit den Darstellungen von Maria und Johannes dem Täufer in der Apsis, wobei die Textlettern mit unglaublicher Raffinesse zwischen Schwarz, Weiß, Rot und Gold wechseln - wie Bruchstücke aus verschiedenen Räumen, Fragmente sich scheinbar regellos abwechselnder Dimensionen. Und alles - Figuren, Symbole, Texte - schwebend auf einem Urgrund aus rotem Gewölke und Gewoge.

Ein Jahr hat die Polin an diesem monumentalen Werk gearbeitet. In hartem Kontrast dazu steht das Ensemble des Steinbildhauers Gabriele Renzullo: Altar, Ambo, Priestersitze, Madonnenstele und Osterleuchte aus Basalt. Wände und Fenster erstrahlen neu, wie auch der Fußboden: Juraplatten in den Gängen, Industrieparkett unter den Bänken. Über allem schwebend zwei große perfekt harmonierende Radleuchten.

 

Pestkapelle und Heiligenhaus:

Wenn man die Darmstädter Straße hinunterfährt und rechts in die Zeppelinstraße einbiegt, kommt man zum Friedhof, vor dem die Pestkapelle steht. Die erste Urbanus-Kapelle wurde in einem alten Pfarrbuch schon um 1520 erwähnt. Der heilige Urban, der 18. Papst, um 230 gestorben, wurde als Patron der Weinfrüchte verehrt und wird häufig mit einer Traube in der Hand dargestellt. Er wurde in früheren Jahrhunderten auch in unserer Gegend, in der viel Wein erzeugt wurde, als Patron der Weinfrüchte verehrt. Der hl. Urban wurde auch für das Gedeihen der Feldfrüchte, für günstiges Wetter und gegen Hagel, Blitz und Frost angerufen.

Um seine Fürbitte bei Gott zu erflehen, gingen schon lange Zeit vor dem Jahre 1500 die Stein­heimer Bittprozessionen, wie auch heute noch, nach dieser ältesten Urbanuskapelle. Die alte Pestkapelle wurde 1754 durch eine neue Kapelle ersetzt. Der Friedhof wurde erst 1874 eröffnet. Die neue Friedhofskapelle wurde 1907 durch Herrn Pfarrer Malsi erbaut und heißt weiter „Urbanuskapelle“ bzw. „Pestkapelle“.

In der Kapelle ist noch die Darstellung aus der ersten Kapelle zu sehen. Damals stellte frommer Sinn die Schmerzensmutter mit dem toten Sohn auf dem Schoß (Pietà) auf, die auch in der heutigen Kapelle noch einen tiefen Eindruck auf den Beschauer und den Beter macht. Ergreifend ist das Mitgefühl heischende Antlitz des Heilands. Die Mutter des Herrn hält und zeigt voll verhaltenem Weh, mit tränenumflorten Augen, das Dulderantlitz ihres göttlichen Sohnes. Mit der linken Hand weist sie die Beter auf ihr schmerzdurchbohrtes Herz.

Rechts von der Schmerzensmutter steht der hl. Rochus. Er wird zu den 14 Nothelfern gezählt. Er hatte sein Vermögen den Armen geschenkt und machte eine Wallfahrt nach Rom, als dort die Pest herrschte. Um seine Nächstenliebe zu betätigen, diente er als Krankenwärter, bis er selbst an der Pest erkrankte. Aber er gesundete wieder. Später war er in einen Kerker eingesperrt worden, in dem er, zweiunddreißigjährig, im Jahre 1327 starb. Er wurde als Pestpatron verehrt.

Als im Jahre 1530 unter Pfarrer de Indagine auch in Steinheim die Pest wütete, wurde wahrscheinlich diese Figur des heiligen Rochus in der von nun an Pestkapelle genannten Kapelle aufgestellt. Unsere Figur zeigt einen Jüngling mit Stab und Brotbeutel. Der bis über die Knie herabreichende Oberrock, der durch einen Gürtel zusammengehalten wird, ist über dem rechten Bein zurückgeschlagen. Man sieht hier eine tiefe und breite eiternde Pestbeule. Links von der Schmerzensmutter über dem rechten Seitenaltar steht auf einem neuen Postament der hl. Sebastian (gestorben 288 als Märtyrer unter Diokletian) aus der Zeit um 1480. Er ist an einen Baumstumpf gebunden und von Pfeilen durchbohrt worden.

Er wurde als Patron der Armbrustschützen verehrt. Es ist nicht ausgeschlossen. daß diese Figur zuerst im Sebastiansaltar der Pfarrkirche stand und von Erzbischof Diether den Steinheimer Schützen, die so mannhaft ihre Heimat gegen den gegnerischen Erzbischof Adolf von Nassau verteidigt hatten, gestiftet worden war. Das Standbild ist um 1460 entstanden. Aus gotischer Zeit befindet sich noch eine Heilandsfigur in der Kapelle. Der Herr trägt die Dornenkrone. Er zeigt die Wundmale seines Herzens und seiner linken Hand. In den furchtbaren Zeiten von Pest und Krieg, von Not und Tod. haben viele Tausende Steinheimer Trost und Stärkung in dieser alten Pestkapelle erfahren.

Außer den gotischen Figuren befinden sich hier auch noch Barockstatuen, die einst in kleinen Nischen an der alten Kanzel in der Pfarrkirche angebracht waren. Sie sind um 1700 entstanden. An der Vorderseite der Kanzel stand das Heilandsstandbild. Das Haupt ist von goldenen Strahlen umleuchtet, die rechte Hand lehrend und mahnend erhoben. Neben Christus stand die Gottesmutter. Links und rechts von diesen Figuren folgen die vier Evangelisten mit ihren Sinnbildern: Der hl. Johannes mit dem Adler, der hl. Lukas mit dem Stier, der hl. Markus mit dem Engel, der dem Heiligen ein Tintenfaß hinhält.

Noch eine weitere Barockfigur, der hl. Johannes von Nepomuk, scheint im 18. Jahrhundert von den Schiffern in die Kapelle gestiftet worden zu sein, denn dieser Heilige wurde besonders von den Schiffern und Flößern, sowie gegen Wassergefahr verehrt.

Vor der Kapelle ist noch ein altes Steinkreuz zu sehen. Es handelt sich offensichtlich um ein Sühnekreuz. Wahrscheinlich hat sich einmal an dieser Stelle ein Unglücksfall oder ein Mord ereignet. Man hat solche Kreuze früher da aufgestellt, wo ein Unglück geschah oder sich ein Verbrechen ereignete. Die Legende erzählt von einem Gespann, das hier untergegangen sein soll. Auf diesem Steinheimer Kreuz ist kein Zeichen zu entdecken. Auf vielen Sühnekreuzen gibt es Zeichen, die man früher für Mordwerkzeuge hielt, mit deren Hilfe das Verbrechen ausgeübt wurde. Die neueste Forschung ist der Auffassung, daß es sich eher um Zunftzeichen handelt (Sense, Sichel etc.). Das Alter des Steinheimer Sühnekreuzes ist nicht bekannt. Zwar wurden auch noch im letzten Jahrhundert solche Kreuze aufgestellt, doch wird dieses Kreuz älter eingeschätzt. Wenn es aus dem letzten Jahrhundert stammen würde, hätte man wahrscheinlich in der Überlieferung noch etwas davon gehört.

Von der „Hellenhütte“, dem „Heiligenhaus“, am Ortsausgang von Steinheim an der Darmstädter Straße ist heute nichts mehr zu sehen.

 

Evangelische Gemeinde (Ludwigstraße):

Die evangelische Gemeinde von Steinheim hat rund 3.100 Mitglieder gegenüber zwei katholischen Gemeinden gleicher Größe und befindet sich folglich in der Diaspora. Ihre Tradition setzte eigentlich erst 1803 ein, als das Erzbistum Mainz, zu dem Steinheim gehört, seine Macht verlor und die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt die Macht übernahm. Anfangs gingen die evangelischen Steinheimer zur Kirche nach Seligenstadt 15 Kilometer zu Fuß mainaufwärts, fuhren mit dem Pferdewagen, später mit der Eisenbahn - übrigens auch ins benachbarte Klein-Auheim. Um 1840 wurde beim Landesherrn der Antrag gestellt, wenigstens alle vierzehn Tage an Ort und Stelle Gottesdienst halten zu dürfen, was auch genehmigt wurde - in einem Saal des Steinheimer Schlosses. Ab 1884 genehmigte der Großherzog wöchentlichen Gottesdienst.

Die evangelischen Christen fühlten sich im Aufwind, gründeten 1890 einen Kirchen-Bauverein. Und als ein gutbetuchter Fabrikant namens Rousselle auch noch ein Grundstück stiftete, war der Bau des Gotteshauses nur noch eine Frage der Finanzierung. Die gelang dann mit Hilfe des Gustav-Adolf-Werkes. Im Jahre 1902 konnte die Kirche geweiht werden. Etliche Jahre mußte noch ohne Instrumentalbegleitung gesungen werden. Im Jahre 1910 indes hatte Forster & Nicolaus aus Lieh auch eine Orgel gebaut.

Was Neugotik ist, das ist nach Meinung von Architektur-Experten exemplarisch an und in der evangelischen Backsteinkirche Steinheims zu sehen und zu studieren. Das zierliche und wohlproportionierte Kirchlein ist auch von innen durchaus sehenswert, besonders nach der Renovierung anläßlich des 100. Jubiläums, bei der etliches an „Wiedergutmachung“ gelaufen ist. Denn was ein halbes Jahrhundert zuvor bei der letzten Renovierung im Jahr 1952 alles „verschwunden“ war, ist seither schon öfter bedauert worden, zunehmend in jüngster Zeit. Was wiederum mit einem zeitgeistbedingten Geschmackswandel zu tun hat. So bedauerte etwa vor drei Jahren - Anlaß war der Tag des offenen Denkmals am 9. September 1999 gewesen - Pfarrer Jens George, daß 1966 schließlich auch die ursprüngliche Ausstattung „modernisiert“ worden war, Kanzel, Altar und Taufbecken. Als Vorlage zur originalgetreuen Rekonstruktion des Kircheninneren diente eine alte Postkarte. Ein Restaurator habe dann die passenden Farben ausgesucht.

 

 

Klein-Auheim

Katholische Kirche „St. Peter und Paul“:

Bereits 1255 wird in Klein-Auheim eine Kirche nachgewiesen, die dem Hl. Petrus geweiht war. Leider ist über das Gotteshaus, das 1866 abgebrochen wurde, um für eine neue Kirche Platz zu machen, nur wenig bekannt. Am 8.Mai 1867 wurde der Grundstein für den Neubau gelegt, der am 18. Oktober 1868 eingeweiht wurde. Schon das alte Gotteshaus hatte einen Turm mit Glocken; dieses Geläut war für den neuen größeren Turm zu klein. Es wurde daher verkauft und bildete den Grundstock für die Anschaffung eines neuen Geläuts. Im Jahre 1875 lieferte der Orgelbauer Schlimbach aus Würzburg eine Orgel für die neue Kirche. Im Jahre 1906 wurden in den Seitenschiffen Fenster durch die Glasmalerei Bernhard Kraus (Mainz) gestaltet, die verschiedene Heilige als Beispiel für die Verwirklichung der acht Seligkeiten und verschiedener Tugenden darstellen.

Im Jahre 1957 wurden die durch Kriegseinwirkung 1943 stark beschädigten Fenster in der Apsis durch neue nach einem Entwurf von August Peukert (Großauheim) ersetzt. Wenn man die dreischiffige neuromanische Kirche heute betritt, kann man das Kreuz kaum übersehen, das im Chor über dem Altar hängt. Auf seiner Vorderseite sind zwanzig Emailplatten angebracht, die als buntes Ornament wirken und von Egino Weinert, Köln, hergestellt wurden. Im Jahre 1968 wurde neben genanntem Kreuz auch die Treppe zum Hauptportal neu gestaltet, der Chorraum umgebaut, drei Fenster neu gebrochen. Am Platz des alten Hochaltars wurde der Tabernakel aufgestellt. Auch ein neuer Taufstein wurde beschafft und ein geschnitzter Kreuzweg aus Südtirol 1975 gekauft. Die Evangelische Erlöserkirche in Klein-Auheim ist aus den Jahren 1955 bis 1958.

 

Bauer-Werke:

Im Juni 2019 wurde in Klein-Auheim nach nur zwölfmonatiger Konzeptions- und Bauzeit das „RadWerk“ eröffnet. Die „Kulturstätte am Main“ in der ehemaligen Druckerei ingra in der Gutenbergstraße 7 ist ein offenes Haus für Geschichten und Geschichte. Die Ausstellung ist samstags und sonntags von 13 bis 17 Uhr. Gemeinsam bieten der Heimat- und Geschichtsverein Klein-Auheim e.V., die Schlepperfreunde Klein-Auheim e.V., die Eisenbahnfreunde Hanau e.V., das Familiennetzwerk Hanau e.V., Günthers Ratladen, Café und Genuss der Kuchenstil-Manufaktur zusammen mit Eigentümer Uwe Hoppesack und dem Fachbereich Kultur der Stadt Hanau ein innovatives und interaktives Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm.

Die Dauerausstellung „Menschen, Räder und Erinnerungen“ zeigt drei Sammlungen, darunter als Schwerpunkt die von Jörg Schulisch erworbene weltgrößte Kollektion von Rädern und Motorrädern der seit 1914 in Klein-Auheim ansässigen Firma Bauer. Die „Fahrrad- und Metallwerke L. Bauer & Co.“ stellten ab 1922 Fahrräder und Zubehörteile sowie ab 1936 motorisierte Räder her – bis zur Insolvenz im Jahr 1968. Gezeit wird ein Motor-Fahrrad der Arzt-Familie Storcksdieck B 98 von 1939.

Ebenso ein Bauer-Motorrad von 1932: Das Gerät kam aus oberbayerischem Privatbesitz an den Main – allerdings in kläglichem Zustand. Die Bauer-Experten Ralf Heinz, Alexander Gaul und Jörg Schulisch bauten auseinander, recherchierten und restaurierten in unzähligen Stunden von Grund auf. Nun steht die Maschine in der Dauerausstellung „Menschen, Räder, Erinnerungen“ der „Kulturstätte am Main“. Das Vorserienmodell von 1932 ist ein Unikat, das den Start der Motorradproduktion der Bauer-Werke in Klein-Auheim 1935 markiert. Im Prinzip handelt es sich um ein verstärktes Fahrrad mit 74 ccm-Sachs-Motor und zwei Kettenblättern / 2-Gang - Schaltung. Mit seinen 1,25 PS konnte es etwa 25 bis 30 km/h schnell fahren. Der Clou: Wenn der Tank leer war, strampelte man einfach als Fahrrad weiter. Bauers starteten 1911 in Heddernheim. Im Jahre 1914 zog das Unternehmen nach Klein-Auheim um. Neben Fahrrädern entstanden auch 25 unterschiedliche Motorrad-Modelle, von denen rund 40.000 Exemplare verkauft wurden. Zeitweise waren rd. 400 Arbeiterinnen und Arbeiter bei der Firma beschäftigt. Der Betrieb wurde 1968 geschlossen. Eine Postkarte „Speichenmontage 1961“ ist erhalten (Marti n Hoppe, Objekt der Woche, # 13, 59 und 119).

 

Siehe auch: Ausflüge, Offenbach, Steinheim südlich.

Klein-Auheim Lauternsee, siehe auch: Naturschutzgebiete in Hessen, Band 1, Main-Kinzig-Kreis, Seite 94.

Alte Fasanerie, siehe auch: Naturschutzgebiete in Hessen, Band 1, Main-Kinzig-Kreis, Seite 100.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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