Naturwissenschaft

 

Glaube und Naturwissenschaft

 

Entstehung des Schöpfungsglaubens

In Israel waren für den Glauben an Gott die Erfahrungen des Wirkens Gottes in der Geschichte wichtig (Dt 26,1-11). Im ersten Gebot begründet nicht die Schöpfung den Glauben Israels, sondern die Erfahrung vom Wirken Gottes in der Geschichte. Erst später dachte man über die Anfänge Israels und der ganzen Welt nach. Man kam zu der Erkenntnis: Der Gott, der Israel in der Geschichte führt, hat auch den Anfang  der  Welt gesetzt. Nur dadurch, daß es eine Welt gab, war auch eine Geschichte des Volkes Israel in ihr möglich. Der Schöpfungsglaube ist erst die Folgerung aus den Erfahrungen Gottes in der Geschichte.

Die Notwendigkeit des Schöpfungsglaubens wurde akut in der Zeit, in der Israel ins Kulturland einwanderte. Dort lernte man einen Gottesglauben kennen, der ganz auf die Natur bezogen war, den Wechsel der Jahreszeiten, Sonne und Regen, Saat und Ernte. An sich hätten die Israeliten der Glauben an die Naturgötter übernehmen müssen, die im Lande verehrt wurden,

denen das Land nach der damaligen Auffassung gehörte.

Auf der Versammlung in Sichem (Jos 24) erklärter sie aber nach den Vorbild des Stammes Benjamin und seines Führers Josua den Gott „Jahwe“ zu ihrem gemeinsamen Gott. Sie erweiterten ihren Glauben durch  das Bekenntnis zu dem Schöpfer und sagten: „Wer die Welt erschaffen hat, der garantiert auch durch der Wechsel der Jahreszeiten und durch Sonne und Regen die Saat und die Ernte.

Als das Land von den Babyloniern erobert wurde, stellte sich die Frage erneut. Nach der damaligen Auffassung waren politische und militärische Auseinandersetzungen gleichzeitig Kämpfe zwischen den Göttern: Eine Niederlage bewies die Ohnmacht des Gottes des unter­legenen Volkes, das nun die Religion der Sieger übernehmen mußte.

Israel aber blieb Jahwe treu. Israel übernahm zwar die babylonischen Aussagen aber die Entstehung der Welt, aber nicht die damit verbundene Göttergeschichte. Vielmehr strich es die überragende Rolle Jahwes heraus und degradierte die vermeintlichen Götter der Babylonier zu Geschöpfen Jahwes(„Jahwe Zebaoth“ könnte bedeuten: Herr über die Sterne).

 

Im Christentum versuchte man dann, die jüdischen Glaubensansichten in  griechisch-helle­nistische Denkgewohnheiten zu übertragen. Dabei zeigte sich eine weitgehende formale Ähnlichkeit zwischen dem jüdischen Schöpfungsglauben und der griechischen Philosophie des Aristoteles: „Gott schafft durch sein Wort die Welt“ setzte man gleich mit „Die Idee formt die Materie“. So gingen christlicher Glaube und griechische Philosophie eine Ehe ein.

Diese Ehe hat das ganze Mittelalter aber gehalten. Idealistische Elemente wurden der Theologie einverleibt und Gott wurde statisch und ungeschichtlich angesehen. Die Kirche klammerte sich an ein  Weltbild, das ihrem Glauben eigentlich nicht entstammte.

Dazu kam nun noch die Auseinandersetzung mit dem Islam, der das christliche Abendland vom Balkan und von Spanien her umklammerte. Über die Araber kam es aber auch zu einer erneuten Begegnung mit Aristoteles. Die Theologen Albertus Magnus (119-1280) und Thomes von Aquin (1225-1274) übernahmen den Aristotelismus der arabischen Theologie, um den Islam mit seinen eigenen Waffen schlagen zu können. Die Bibel sollte nur Auskunft geben aber die göttlichen Dinge (Offenbarung), Aristoteles dagegen über die natürlichen Dinge (Welt), - beides aber gehöre als Einheit zusammen. So bewies Aristoteles wieder einmal seine Brauchbarkeit für die theologische Auseinandersetzung und die Missionsstrategie. Die Kirche hielt an ihm fest, um mit einem unbiblischen Gottesbild und veralteten Weltbild auch ihre Machtpositionen zu erhalten. Sie meinte mit der Veränderung des Weltbildes falle auch der Schöpfungsglaube selbst.

 

Luther dagegen kam schon zu einer neuen Gottesschau. Nach seiner Erkenntnis muß man sich von allen dinglichen und örtlichen Vorstellungen frei machen, wenn vom Himmel und von Gott die Rede ist. Die Vorstellung, daß Gott auf einem Stuhl hoch droben im Himmel sitze, nennt er kindische und grobe Gedanken. Man darf Gott nicht an einen Ort im Himmel binden. Er ist unbegreiflich und unermeßlich und doch ae allen Orten wesentlich und gegenwärtig. „Nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner; nichts ist so groß, Gott ist noch größer!“

Auch Johann Kepler war ein gläubiger Mensch. Er sagt: „Gott hat bei der Ausschmückung der Welt immer schon an ihre künftigen Bewohner gedacht. Der Zweck der Welt und aller Geschöpfe ist der Mensch. Weil der Mensch nach Gottes Bild geschaffen ist, kann er auch Gottes Schöpfungsgedanken  nachdenken. Wenn nun der Mensch die mathematischen Naturgesetze findet, so denkt er Gottes Schöpfungsgedanken nach!“

 

Das magische Weltbild

Das Kausalprinzip von Ursache und Wirkung gilt noch nicht. Die Welt ist eine organische Einheit, die durch bestimmte Willensimpulse gesteuert wirr. Es gilt, Einfluß auf diese Impulse zu gewinnen.

Krankheit ist im magischen Bereich eine Besessenheit durch einen bösen Geist, der nur durch eine Exorzimsus vertrieben wird. Krankheit ist Folge einer Schuld, die entweder persönlich oder kollektiv eintrat. Solche Vorstellungen gibt es auch heute noch, wenn etwa gefragt wird: „Womit habe ich das verdient?“

Man hat Macht über eine Sache, wenn man den Namen kennt (Rumpelstilzchen) oder einen Bannkreis durch Namen errichtet (toi, toi, toi). Diese Dinge weiß man nicht bewußt, man erklärt sie für Unsinn, ist aber nicht bereit, nur zweimal „toi, toi „zu sagen, es muß dreimal sein.

Medikamente wirken umso mehr, je teurer sie sind, je komplizierter ihr Name ist und je mehr der Arzt sie selber verabreicht. Von 2.500 Krankheitsbildern können heute nur 500 durch chemische Mittel beeinflußt werden, die anderen mit magisch-psychischen Mitteln.

Die Physiker werden zu Zauberern („Wunderwelt der Technik“). Weil der normale Mensch die moderne Physik nicht rational versteht, setzt er die Physiker in einen magischen Raum und sieht sie in ihren weißen Kitteln und Laboratorien als moderne Magier an.

Etwa 60 Prozent der Medikamente werden zumindest verstärkt durch die Suggestion und wirken nicht nur kausal. Viele Krankheiten könnten nicht geheilt werden, wenn der Arzt keinen menschlichen Kontakt zum Patienten hätte.

Der Arzt nimmt diese Projektionen auf und pflegt sie, von seinem Standpunkt aus durchaus richtig. Das magische Denken wird zurückgedrängt, aber es wird nie ganz aufhören, ein Rest wird bleiben.

Die Werbepsychologen müssen da mitmachen. Sie können nicht auf Reklame verzichten, sie müssen im Gegenteil immer mehr Dinge der Mode unterwerfen (Möbel, Autos, usw.). Kann man ein Auto lieben? Thielicke sagt: „Lieben kann man nur das, was man segnen kann!“Die Katholiken segnen auch Autos und dann kann der Besitzer auch den Wagen tätscheln und sagen: „Hast du gut gemacht, Alter!“ Auch die Umzüge in der Feldflur und die Segnungen sind magisches Denken.

Unsere Aufgabe ist es nicht, diese Restbestände zu bekämpfen, sondern sie zu verstehen. Die Magie darf keinen selbständigen Sinn erhalten. Und wir können dem modernen Menschen, der sich so rational verstehen will und der auch Anstoß nimmt am magischen Weltbild der Bibel, nun einmal aufzeigen, daß er selber magisch denkt.

Man kann auch keine Kirche der Glocke weihen, eine tote Sache kann man überhaupt nicht weihen. Geweiht werden nur die Menschen in dem Raum. Man kann nicht einen Raum neu weihen, nur weil die Katholiken drin waren oder eine Sportveranstaltung oder ein Vergnügen drin waren.

Ein Kirchengebäude allerdings ist aus traditionellen Gründen nicht zum Tischtennisspiel geeignet, es gibt auch Geschmacklosigkeiten. Aber das ist auch keine grundsätzliche Frage, sondern eine Frage der Ästhetik. Aber ein Kruzifix an der Wand des Gemeindesaals kann auch beim Vergnügen hängen bleiben. Es gibt keine geweihten Raum und keine Segnung des  Altars.

Magisches Verhalten findet man auch gegenüber Tieren. Das Tier wird Partner und Seelsorger des Menschen: Man erzählt ihm alles! Die Tiere haben einen Zoo oder als Haustiere ein Bett, Kleidung, bestes Essen und einen Friedhof. Aber für Waisenkinder hat man kein Geld und für den Gottesdienst keine Zeit. Solange Tag für Tag Menschen am Hunger sterben, dürfte es keine Tierkliniken geben.

Viele alte Jungfern kompensieren ihre Gefühle in einem Tier. Kinderlose Frauen haben eine Katze. Auf einem Grabstein steht: „Ein Tier? Nein: ein Mensch!“ Das Tier ist aber kein Mensch. Dabei wird immer wieder behauptet, ein Tier sei unkomplizierter als ein Mensch. Wenn ein atheistischer Lehrer seinen Hund beim Mittagsläuten am Rand des Friedhofs begräbt, dann brechen ganz alte Riten auf. Man kann hier nicht gleich alles zerstören, wenn man keine Hilfe weiß. Der alten Frau kann man den Hund nicht madig machen, wenn man ihre innere Energie nicht auf andere Bahnen lenken kann.

Magisches Denken gibt es auch in den christlichen Gemeinden. Ein Hochzeitspaar geht zum Beispiel zum Nachbarpfarrer zur Trauung, weil im eigenen Ort am gleichen Tag eine Beerdigung ist (obwohl das ja nicht vorauszusehen war). Hier kann man erst dann mit dem Messer ansetzen, wenn die Entzündung abgeklungen ist. Angeblich handelt es sich nicht um Aber­glauben, aber man will diesen Dingen doch ausweichen, indem man die Technik hernimmt in Gestalt des Omnibus ins Nachbardorf. Auch der heutige Mensch wird von solchen Bildern immer mehr in das Magische hineingestoßen. Wir müssen in diese Bildschicht mit Bildern vorstoßen, Formeln treffen nicht das Innere des Menschen.

Die magische Welt sieht die Welt als einen großen Organismus an. Deshalb kommt es auch zu solchen Praktiken wie das Besprechen: Die unbelebte Natur wird als organisch gedacht und nimmt am Lobpreis Gottes und am Erschrecken vor Gott teil (Berge hüpfen, Steine loben Gott). Auch in der Bibel sind manche Stellen vom magischen Denken geprägt. Das Erdbeben an Karfreitag bei Matthäus stellt das Geschehen in den Gesamtzusammenhang der Welt. Man sollte den Leuten ihre Vorstellung von der Natur nicht verderben. Man sollte diese Vorstellungen aber in unsere sonstigen Vorstellungen einordnen und den Menschen als Person mündig machen in der Natur.

Es gab Zeiten, da gab man in Großbritannien viermal soviel Geld für den Aberglauben aus wie für wissenschaftliche Forschung. Viele Menschen glauben an Horoskope und versperren sich den Weg zum lebendigen Gott.  Praktiken sind dann: Karten legen, Bleigießen, Oster­wasser, Zahlenmagie, Amulette. Auch der katholische Reliquienkult und das Segnen von Häusern usw. sind ein Besprechen. Im 6. und 7. Buch Mose stehen dazu die Anweisung und Zauberformeln im Namen Gottes.

Es gibt tatsächlich Heilungen durch Besprechen: Ein herzkrankes Kind eines Schulleiters wurde von diesem auf Geheiß einer Hexe bei Nacht besprochen und der organische Fehler verschwand; allerdings stellten sich im Alter von zwölf Jahren dann Depressionen ein. Aber wo liegt hier der Unterschied zu Gebetsheilungen und weißer Magie (Blumhardt, Pfarrer Jansa)?

Solche Praktiken sind stark mit dem maischen Weltbild verbunden.  Jansa konnte nur die heilen, die stark im Magischen verhaftet waren, sein Charisma war nur in einem bestimmten Bereich anwendbar.

Zur Zeit des Neuen Testaments standen noch alle in einem magischen Weltbild, deshalb klappten die Heilungen auch immer. Man wußte damals manches deutlicher, um die Fähigkeiten und Grenzen. Es ist deshalb heute falsch, wenn jemand Gott anklagt: „Wir habe alles getan, was im Neuen Testament steht, und doch ist die Frau am Blinddarm gestorben!“

Bei einer Krankheit kann man sich ganz auf Gott verlassen, aber auch die Medizin als gottgegebene Wissenschaft in Anspruch nehmen. Zur Zeit Jesu hätte man nur auf Gott vertraut. Ist unser heutiges Bibelverständnis also vom Stand der Wissenschaft abhängig? Brauchen wir uns nicht mehr auf die Verheißungen der Bibel zu verlassen, weil wir die Wissenschaft haben?

Im Neuen Testament ist die Krankheit verstanden als Besessenheit und der Arzt ist Exorzist. Es gibt keinen Unterschied zwischen psychischer und somatischer Krankheit. Deshalb  kann man aber nicht sagen, Jesus habe nur psychologische Krankheiten geheilt. Doch damals hätte man dem Exorzisten vertraut.

Das Verhältnis zur Krankheit ist also bestimmt durch das jeweilige Weltbild. Heute lassen Verdrängung entstand läßt sich heilen. Ein Trauma, das aus dem Unbewußten ins Unterbewußte verlagert wurde, läßt sich dagegen nicht heilen.

Man kann einen organischen Schmerz beseitigen, indem an ein Trauma dafür entstehen läßt. Vom „bios“ her ist das richtig. Aber wenn  es um die „zoe“ geht, ist das eine  Fehlentwicklung. Heilungen zur Zeit Jesu beruhen auf solcher Traumaverlagerung. Unser Bild von der Krankheit ist da anders.

Wenn man heute magische Praktiken verfolgt, begibt man sich schon in einen Zusammenhang, der zu wirken beginnt, auch wenn man das alles rational als Unfug ansieht. Doch der Zwi­schen­träger steht dann selber unter dem Bann.

Mit rationalen Erklärungen kann man einem Belasteten nicht helfen, helfen kann nur das Gebet, nur dieses kann vom Bann lösen. Man muß sich hüten vor Fehlinterpretationen und Fehlentscheidungen, indem man den Unterschied der Weltbilder beachtet. Heilungen in der Art des Neuen Testaments gibt es  nicht mehr. Es geht nicht, das heute nachmachen zu wollen und die Medizin als „Teufelszeug“ zu bezeichnen.

Ich muß also den Stellenwert einer Krankheit erkennen, um sie als Seelsorger einordnen zu können. Die Medizin ist Hilfswissenschaft der Seelsorge, aber man hüte sich vor Kurpfuscherei.

Zusammenfassung.

Themen des magischen Weltbildes sind: Subjekt und Objekt fallen zusammen. Mensch und Tier gehören zusammen, die Welt wird als Organismus verstanden .Das „Magische“ ist eine Erlebnissicht des Menschen, ein Weltverständnis. Die Krankheit zum Beispiel ist im magischen Weltbild eine  Besessenheit und Heilung ist Exorzismus. Zauberei aber ist Beschwörung, ein Mittel, das auch Gott zwingen soll, während das Gebet beide Elemente offenläßt und Gott die Entscheidung überläßt.  Magische Reste in uns sollten wir bestehen lassen (Kinder  müssen das Märchenalter durchleben), wenn sie die Ethik nicht berühren (Tier mehr geachtet als der Mensch, Stellenwert der Krankheit nicht gesehen; Gebet um Gesundheit nur bei Hilfe der Medizin).

 

Gibt es Hexen:

Wenn man einen Menschen von heute danach fragt, wird er sofort antworten: „Nein!“ Eine Begriffsdefinition kann erst einmal klären, welche Vorstellungen der Betreffende hat. Heute versteh man unter einer „Hexe“ eine alte Frau, die Karten legt und bespricht. Früher dagegen wurden gerade junge und schöne Frauen verbrannt.

Wie kann man feststellen, daß jemand mit dem Dämonischen in Verbindung steht? Manche Menschen haben besondere Kräfte, die man auf dämonische Kräfte zurückführt. Aber es gibt doch Kräfte von Gott? Heute gibt es keine Hexen mehr (Es hat überhaupt nie welche gegeben!), sie gehören zu einem vergangenen Weltbild, könnte man meinen.

Wir wissen heute, daß besonders schöne oder häßliche, besonders dumme oder kluge Menschen keine Hexen sind. Wenn wir nur auf das Weltbild sehen, können wir über Hexen nicht mehr sprechen. Wir wollen aber den Menschen doch klarmachen, daß hinter dem, was das Mittelalter als Hexe bezeichnete, doch eine Realität steht.

Den Hexen warf man ein Teufelsbündnis vor, das heißt sexuellen Verkehr mit dem Teufel (vgl. Faust). Hier hat eine sexuelle Verdrängung zu massiven Projektionen geführt: Ein Mönch, dem ein Mädchen begegnet, sah tatsächlich den Beischlaf mit dem Teufel vor sich! Deshalb waren  die Hexen schön, jung und rothaarig. Hier ist die mittelalterliche Kirche schuldig geworden: Menschen, die mit ihrer Sexualität nicht fertig wurden, haben andere dafür leiden lassen. Diese Komponente der Hexerei ist zeitgeschichtlich bedingt und massive Schuld.

Auch Männer wurden verbrannt, allerdings meist wegen Ketzerei. Wer ein anderes Weltbild vertrat als Ptolemäus, war ein Ketzer. Aber auch diese Art von Hexen ist heute abgetan. Dann hätten also die 90 Prozent recht, die behaupten: „Es gibt keine Hexen!“ Die Frage war: „Stecken in dem, was damals geschah, doch Wahrheitsmomente!“ Es gibt Menschen, die mit überirdischen Kräften im Guten oder im Bösen wirken (Das muß man erst einmal auseinander halten).

Es wird meist geleugnet, daß es den bösen Blick gibt. Im Blick liegt eine Kraft, die uns beschwingt oder niederschlägt. Der verletzende Blick trifft ins Herz, aber ein Schlag hätte nicht so viel ausgemacht. Ein Mensch, von dem ein böser Blick ausgeht, kann andere Menschen fast krank machen. Der Dompteur kann durch einen Blick die Tiere in Zaum halten, in der Hypnose geht das noch weiter.

Auch das Wort hat dieselbe Kraft, zumal es zusammenhängt mit dem Träger, von dem es ausgeht. Die Domestizierung der Tiere geschieht durch das Wort. Die Massenmedien wirken suggestiv auf uns. Schon früher wußte man, daß von Menschen eine negative oder eine aufbauende Kraft ausgeht.

Weil man eine wiederholt negative Kraft nicht aushielt, mußte man die Gemeinschaft schützen und die Hexe retten, indem sie verbrannt, aber ihre Seele gerettet wurde. So war damals die Vorstellung. Für die Kirche des Mittealters kann man also Verständnis aufbringen. Es gibt

keine Hexen im mittelalterliche Sinne, aber es steht hinter dieser Vorstellung bis heute eine Realität.

Auf diese Art kann man ein Schlagwort vorsichtig korrigieren, indem man die Menschen zu einer eigenen Betroffenheit führt und aus falschen Bindungen herausführt: daß sie eine vergangene Zeit verstehen und nachdenklich werden.

 

Das mechanistische Weltbild

Der Erste, der mechanistisch denkt, ist Galilei. Das symbolische Denken (das bei Kepler noch da ist) wird verdrängt, es gibt nur noch das experimentelle und diskursive Denken. Zu dem Trägheitsgesetz Galileis kommt dann bei Newton  das Gravitationsgesetz. Aber beide haben ein inniges Gottesverhältnis, für sie sind die Gesetze das Werk Gottes.

Der erste konsequente Mechanist ist Laplace: „Ich habe die Hypothese Gott nicht nötig“. Die Kreisbahn der Sterne läßt sich ohne Gott erklären. Das Fatale ist, daß Gott hier nur gebraucht wird, um Sternenbahnen zu erklären. Der Satz von Laplace ist in der Astronomie richtig, aber er wird nun auch auf andere Gebiete übertragen. 

Grundsatz des mechanistischen Weltbildes  ist: Ein einmal erkanntes Gesetz kann auf alle Gebiete ausgedehnt werden. In der Medizin tat das Lamettrie mit „L’homme machine“. Im Grunde hatte schon Newton das getan: Der Apfel, der zur Erde fällt, gehorcht den gleiche Gesetzen wie die Sterne des Weltalls.

Gott hat in diesem Weltbild nur noch Platz als „erste Ursache“ (prima causa). Der nächste Schritt heißt dann: Die prima causa liegt in der Welt selbst, am Anfang steht die Materie, prima causa und Substanz fallen zusammen.

Man meinte damals optimistisch, man habe fast alle Geheimnisse der Erde entdeckt und es gehe nun einer glücklichen Zukunft entgegen. Man glaubte, in der Physik gäbe es nichts mehr zu entdecken (so sagte man zu Planck, als er anfing zu studieren).

In diesem Weltbild leben heute viele Menschen, die das magische Weltbild verlassen haben. Diese Anschauung ist leicht, weil sie klar und einleuchtend ist und alles erklären kann. Vor allem die Lehrer vertreten diese Lehre.

Philosophische Voraussetzung dieses Denkens ist Descartes mit seiner Spaltung von Subjekt und Objekt. Wir leben heute alle darin, wenn wir das Subjektive abwerten gegenüber dem „Objektiven“ (Liturgie ist objektives Gotteswort, Faktizität der Auferstehung). Dieses Trachten nach dem Objektiven ist die zweite Säule des mechanistischen Weltbildes.

In der Geschichtsschreibung wirkte sich das aus im Positivismus: Wir sammeln Fakten  und hüten uns, sie zu deuten. Vor allem die Enzyklopädisten sammelten nach diesem Prinzip. Bis heute sind die Prüfungen auf dem Faktenwissen aufgebaut, obwohl es wichtiger ist, ob jemand in den Dingen lebt und sie versteht

Auch der Sport ist in das mechanistische Denken hineingeraten: Die Sportarten, bei denen man nicht mit Uhr und Metermaß messen kann, haben nachgelassen. Aber der Gegenschlag setzt schon beim Eissport ein. Das Gleiche zeigt sich bei der Festsetzung der Arbeitsnorm: Man kann nicht die Norm für 2-Jährige und 50-Jährige gleich festsetzen. Häufig gilt nur die Quantität und die Qualität leidet. Fette Schweine helfen zu einem guten Schlachtgewicht, aber gefragt ist nur mageres Fleisch.

Doch man kann das mechanistische Denken nicht in Bausch und Bogen verdammen. Aber es gilt nur in Chemie und der traditionellen Physik, also nur in Teilbereichen, nicht absolut. Das Kausalgesetz gilt endgültig im Bereich des mechanistischen Denkens. Aber man kann von diesem Teilbereich nicht auf das Ganze schließen. Ebenso kann man vom Quantendenken her nicht das Kausaldenken verdammen.

Die Auswirkungen des mechanistischen Denkens sind mannigfaltig. In der Regel setzt man ein Teil absolut und schließt auf das Ganze: Von den Beinen und dem Busen auf die Frau, von den Torschüssen auf den Fußballer, vom Geld auf den Menschen.

 

Das komplementäre Weltbild

Das mechanistische Weltbild wurde überwunden im Bereich der Physik durch die Relativitäts­theorie und Quantentheorie. Newton hat erkannt, daß es den absoluten Raum im geographischen Sinn nicht gibt: Nicht Sonne oder Erde sind der Mittelpunkt (Ptolemäus, Galileo). Der Nullpunkt kann nur noch konstruiert und gedacht werden. Dieser gedachte absolute Raum Newtons wurde erst in der Elektrizität zweifelhaft.

Alles wurde jedoch über den Haufen geworfen durch die Lichtmessungen des Amerikaners Michelsen: Es gibt eine absolute Geschwindigkeit des Lichts! Erst Einstein hat dieses Phänomen gedeutet:  Die Geschwindigkeit von 300.000 km/sec ist nicht zu überbieten. Wenn zwei Lichtteilchen zusammenstoßen, ist der Druck nur 300.000km/sec. Es gibt also Raumverkürzung und Zeitdehnung, je schneller sich ein Ding bewegt. Das zeigt sich schon bei den heutigen Raumfahrzeugen. Schon die halbe Lichtgeschwindigkeit würde die Menschen aus der Zeit heraustragen.

Das Photon bewegt sich mit der Zeit „Null“ und hat eine Ruhemasse „Null“ (von einem Stern zum anderen braucht es 0 Sekunden). Raum und Zeit sind abhängig vom Bezugssystem. Unsere bisherige Art der Zeitmessung gilt nur im Makrokosmos und bei niedrigen Geschwindigkeiten.

Es gibt in der Physik Paradoxien. Man sprach auf einmal vom „nunc aeternum“ (jetzige Ewigkeit): Das Photon ist in der  Ewigkeit. In einem  Fahrzeug, das sich mit halber Lichtgeschwindigkeit bewegt, ist eine halbe Minute schon eine halbe Ewigkeit. Auch in unserem alltäglichen Leben kann eine Minute lang oder kurz sein, obwohl sie 60 Sekunden umfaßt. Es gibt Chronos (Zeitraum)  und Kairos (Zeitpunkt), je nach dem Bezugsystem. Für eine Eintagsfliege ist eine Minute etwas anderes als für eine tausendjährigen Baum.

Die Physiker haben schwer gelitten unter diesen Erkenntnissen. Die absolute Zeit und die absolute Kausalität wurden wieder entthront, das ganze festgefügte Weltbild stürzte zusammen und alles wurde relativ. Dabei hat da die Bibel schon meditativ erfaßt: „Tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag!“

Selbst die Atheisten müssen anerkennen, daß das Photon die Ruhemasse „Null“ hat und daß Materie im Grunde nur ein Energie-Impuls ist. Einstein zog daraus die Konsequenzen mit der Theorie vom vierdimensionalen Raum (Raum-Zeit-Kontinuum). Doch das ist nur noch in Symbolen und Zahlen zu erfassen, die Welt ist im Grunde keine Realität, d.h. nicht objektivierbar in Raum und Zeit.

Der Satz: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ ist heute Unsinn, denn es gibt mehr als wir mit den Sinnen wahrnehmen. Wer darauf beharrt, für den ist die Welt sehr klein. Es gibt das Raum-Zeit-Kontinuum, aber keine Vorstellung davon.

Jaspers sagt: „Das Symbol macht wirklich, was vorher nicht wirklich war!“ Heute können wir viele Dinge nur als Symbol erkennen. Tillich hat für die Theologie die Konsequenzen daraus gezogen: Gott ist nicht sichtbar und vorstellbar, aber er ist im Symbol für uns da.

Wirklichkeit ist heute in verschiedenartigen Aspekten vorhanden: Es gibt absolute  u n d  relative Zeit. Deshalb muß heute jede Wissenschaft von ihrem Gegenstand her ihren Aspekt gewinnen. Es gibt heute sogar verschiedene Logiken (Leisegang).

Die Atheisten haben zum Teil schon die Konsequenzen gezogen und bezeichnen heute schon

Die Energie als ewig. Alle Energie-Impulse sind schon immer vorhanden, sagt man, um der anderen Folgerung zu entgehen, daß es eine Zeit „Null“ gibt und damit einen Anfang. Der Mechanist glaubt an die absolute Kausalität, die absolute Zeit und den absoluten Raum. Und daraus resultiert: Die Materie ist ewig. Alles wird betrachtet unter der Voraussetzung, als gäbe es Gott nicht.

Die kleinste Einheit ist das Atom, das nur physikalische und chemische Eigenschaften hat. Von den Atomen sprachen schon Demokrit und Leukipp, die ein kleinstes Unteilbares postulierten. Diese Erkenntnis tauchte wieder auf in der Chemie, in der auch der Satz aufkam: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ Doch dann hat man ein Atom spalten können. Die Spaltung war noch nicht das Aufregende, sondern die Tatsache, daß das Atom keine feste Form hat und in einem festen Zugriff nicht zu erfassen ist: Je nach Versuchsanordnung zeigt sich das Elektron als Korpuskel oder als Welle.

Bisher galt seit Descartes die Unterscheidung der Welt in Subjekt und Objekt (res cogitans -res externa). Die Physik wollte Naturgesetze formulieren, um die einen Zustand festhalten, in dem Ort und Impuls gleichzeitig erfaßt werden. Das Subjekt bleibt bei der Beschreibung draußen, man konnte auf den Betrachter verzichten, die Gesetze galten „objektiv“.

Heute weiß die Physik: Das Ich des Beschreibenden ist im Naturgesetz immer enthalten („Bei dieser Versuchsanordnung herrscht dieser Zustand“).  Man kann die Natur nur so sehen, daß man das beschreibt, was der Mensch wahrnimmt. Subjekt und Objekt sind nicht getrennt. Nur in der Makrophysik gelten die mechanistischen Gesetze. Aber heute läßt sich die Natur nur komplementär beschreiben (Niels Bohr).

Das Atom ist grundsätzlich und für alle Zeiten unsichtbar. Es wird von der Versuchsanordnung immer so beeinflußt, daß es sich nie in seiner Gesamtheit dargestellt werden kann. Das Atom ist nicht sichtbar, aber dennoch existiert es. Entweder fasse ich den Ort des Teilchens, dann wird der Impuls verwischt; oder ich erfasse den Impuls, dann wird der Ort verwischt (Unschärferelation Heisenbergs).

Ich erfasse nicht die Natur, wie sie ist, sondern wie sie mir erscheint. Das galt in der Psychologie schon immer: Man kann nie sagen, wie der Mensch ist, sondern nur, wie er mir erscheint. Wenn er von einer Kamera beobachtet wird, verhält er sich anders. Dasselbe komplementäre Bild ist auf den Menschen anzuwenden: Er ist Leib und Seele nur beides zusammen macht den Menschen aus.

Im atomaren Bereich ist der Kausalitätsbegriff nicht mehr anwendbar. An seine Stellet ritt eine statistische Berechnung: Ich kann nicht sagen, wie sich ein Atom verhält, aber ich kann sagen, wie sich eine Milliarde Atom  im Durchschnitt verhalten. Gerade die Unregelmäßigkeit gilt in der Natur, nicht starre Gesetze. Im  atomaren Bereich kann man nur statistische Aussagen machen.

Im Experiment kann man heute nicht mehr alles beweisen: Man kann nicht vorführen, daß im 10 hoch 23ten Fall ein Stein sich in die Luft erhebt. Denn um das nachprüfen zu können, müßte man wer weiß wie lange leben [Außerdem wirkt die Schwerkraft entgegen, sonst müßte man ja irgendeinmal in der Welt sich einen Stein von selber erheben sehen]. Auch der andere Satz gilt nicht mehr: „Ich glaube nur, was ich im Experiment beweisen kann!“

Auch der Begriff „endgültig“ hat sich gewandelt: Ein Gesetz gilt nur in seinem Bereich und nicht mehr im Bereich daneben. Die Gesetze sind also endlich. Die moderne Naturwissenschaft entmythologisiert das ganze Weltbild des Mechanismus, das auf lauter Glaubenssätzen  beruht, weil der Mensch immer zur Verabsolutierung eines einmal gefundenen Gesetzes neigt.

Laplace konnte noch sagen: „Ich habe die Hypothese Gott nicht nötig!“Aber heute zerbricht dieses Weltbild. Wir müssen die Entwicklung der Physik verfolgen, nicht wegen der Einzelheiten, sondern wegen der Bedeutung für unseren Glauben.

 

Entwicklung in der Philosophie

Zu einem Atheismus kam es erst in Frankreich. Dort waren Thron und Altar sehr eng mit­einander verbunden. Die Kirche war eine Hauptstütze des absolutistischen Regimes. Deswegen mußten alle politischen Gegner dieser Herrschaft auch Feinde der Kirche werden, denn die Kirche beteiligte sich aktiv an der Unterdrückung der Gegner des Königs.

Der letzte Arzt Napoleons auf St. Helena, Dr. Francesco Atommarchi, berichtet über ein Ge­spräch      Napoleons über den Unglauben der Naturforscher und Ärzte. Napoleon hat ihm dabei von einem Gespräch mit Laplace erzählt. Der Kaiser hat ihm damals zu seinem Werk „Him­mels­mechanik“ beglückwünscht und ihn dann gefragt, weshalb der Name Gottes sich kein einziges Mal in seinem Werk findet. Laplace hat ihm darauf geantwortet: „Ich hatte diese Hypothese nicht nötig!“

Zwischen Kepler und Laplace liegt eine Weltenwende. Kepler lebte in einer von Gott gewirkten Welt, deren Ordnungen er als ein Werk Gottessotten erkennen wollte. Er arbeitete mit modernen Methoden und gelangte zu modernen Erkenntnissen, glaubte aber andererseits an die Schicksalsbedeutung der Sterne und sah darin einen Ausdruck seines religiösen Naturverständnisses. Laplace dagegen stand der Welt gegenüber und wollte sie in ihrem Funktionieren beschreiben. Seine Ergebnisse veränderten sich nicht und wurden nicht richtiger, wenn er die Größe „Gott“ einführte.

Es war natürlich auch ein Fehler, daß der christliche Glaube die Bibel nur aristotelisch verstand. Man meinte, Gott sei natürlich  zu erkennen: Was einem noch an Erkenntnis fehlte, wurde durch die Gnade nachgeliefert. Von der Natur wurde auf Gott geschlossen. Und der galt als Narr, der nicht glaubte, wo er doch wissen kann. Gott wurde nicht mehr verstanden als einer, der die Geschichte führt, sondern als des höchste Sein und letzte Gut, das man beweisen kann. Der Philosoph Immanuel Kant hat nachgewiesen, daß solche Beweise nicht möglich sind.

Der Theologe Schleiermacher versuchte, die Entwicklung zum Atheismus aufzuhalten, indem er die Religion „den Gebildeten unter ihren Verächtern“ als Äußerung  des Gefühls verständlich  zu machen versucht. Dieser Versuch war zunächst (im Zusammenhang des patriotischen Aufschwungs in den napoleonischen Kriegen) erfolgreich. Er führte einerseits zu den Er­weckungsbewegungen, andererseits zu orthodoxer Kirchlichkeit, schließlich auch zu einem weltoffenen und kulturfreundlichen Protestantismus der spätbürgerlichen Gesellschaft um

1900.

Doch seit der Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich immer stärker die Tendenz durch, daß die Gebildeten sich unkirchlich verhielten und Atheisten wurden. Gründe dafür waren neue naturwissenschaftliche Kenntnisse (Darwin, Häckel) und Gegnerschaft gegen kirchlich gebundene Fürsten und Kapitalisten (Marx, Engels).

Die Atheisten sagen: Die Entstehung des Lebens ist Folge der Naturgesetze. Man dürfe nicht schließen: Wenn Leben aufgrund der Naturgesetze entsteht, müßte es öfter vorkommen. Da das aber nicht geschieht, müsse Gott der Schöpfer des Lebens sein. Auch wenn Leben nur relativ selten entsteht, braucht man deswegen noch nicht auf Gott zu schließen!

 

Entstehung der heutigen Wissenschaft

Wir können Naturwissenschaft und Technik nicht mehr abschaffen. Schließlich sichert sie unsre physische Existenz, denn trotz Abschaffung der Sklaverei können heute mehr Menschen gut existieren als in früheren Jahrhunderten. Wir sind ja sogar heute in gewissem Sinne so weit, daß der Krieg abgeschafft ist, denn wir wissen: Entweder wird das technische Zeitalter den Krieg abschaffen oder der Krieg wird das technische Zeitalter abschaffen.

Aber diese Wissenschaft hat auch eine weltanschauliche Komponente. Sie kann zum Beispiel behaupten: Vor der Entstehung der  Welt war „nichts“. Sie hat also kein positives Argument für den christlichen Glauben (dieser bedarf eines solchen Arguments gar nicht!). Man kann aber auch nicht sagen: „Was die Wissenschaft nicht weiß, das weiß aber das Christentum!“

Damit wurde man sich die wahre Auseinandersetzung zwischen Wissenschaft und Christentum zu leicht machen.

Die Naturwissenschaft ist im Grunde ein Produkt des Christentums. Nicht daß die Naturwissenschaft erst durch das Christentum in die Welt gekommen wäre. Aber die heutige Wissenschaft unterscheidet sich von der griechischer in wesentlichen Zügen, die nur in einer christlichen Umwelt möglich waren.

Der christliche Glaube eröffnet ein objektives Verhältnis zur Natur. Es kommt zum Untersuchen und Experimentieren. Der Mensch versucht, sich der  Welt zu bemächtigen im Sinne des Satzes: „Macht euch die Erde untertan!“ (Gen 1, 28): Indem der Mensch nämlich frei wird von den dämonischen Kräften in der eigenen Seele wie von denen in der Welt, gewinnt er jene Freiheit, die ihn zum Herrn der Welt macht. So gesehen ist die Naturwissenschaft die Erfüllung des Willens Gottes und die Erfüllung dessen, was im Wesen des Menschen angelegt ist.

Die moderne Naturwissenschaft ist entstanden auf dem Boden der christlichen Tradition, angeregt durch die neue Kenntnis der antiken Philosophie im Zusammenhang der Renaissance. Die heute noch vielfach anzutreffende Wissenschaftsgläubigkeit aber ist eine Abart des Christentums  eine „christliche Häresie“. Dies alles aber kann man verstehen unter dem Begriff der „Säkularisierung“.

 

Heutige Naturwissenschaft und Theologie

In den zwanziger Jahren kam es zu einem Gespräch zwischen Kardinal Faulhaber undAlbert Einstein über die Religion.

Einstein. „Ich achte die Religion, aber ich glaube an die Mathematik. Bei Ihnen wird es wohl umgedreht sein!

Faulhaber: „Sie irren. Religion und Mathematik sind für mich nur verschiedene Ausdrucksformen derselben göttlichen Wahrheit!“

Einstein: „Aber wenn nun die mathematische Forschung eines Tages ergäbe, daß gewisse Erkenntnisse  der Wissenschaft denen der Religion widerspäche?“

Faulhaber: „Ich schätze die Mathematik so hoch ein, verehrter Herr Professor, daß sie dann nicht aufhören, nach dem Rechenfehler zu suchen!“

Heute hat sich das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft gewandelt. Es gibt im Raum der Kirche zwar immer noch „letzte Ritter“, die die Natur der Wissenschaft überlassen und sich ganz auf den  Glauben zurückziehen. Aber in Wirklichkeit haben sich beide Seiten gewandelt.   

 

Atheisten in kommunistischen Staaten haben wissenschaftliche Erkenntnisse wie folgt auslegen wollen: Nach dem Gesetze von der Erhaltung der Masse und der Energie kann kein Stoff aus dem „Nichts“ entstehen; er muß aus irgendeinem anderen Stoff hervorgehen. Entsprechend kann auch kein Körper Bewegungsenergie oder Energie in einer anderen Form gewinnen, ohne daß ein anderer Körper die gleiche Menge an Energie verliert. Weder der Stoff noch eine Energie können verschwinden oder neu entstehen, sie können nur von einem Zustand in einen anderen übergehen.

Auch das gesamte Weltall konnte sich nicht aus dem „Nichts“ bilden, sondern hat immer existieren mußte. Also können wir nicht von dem Entstehen des gesamten Weltalls sprechen, sondern von seiner Entwicklung, von dem Entstehen bestimmter Himmelskörper und Systeme aus anderen. Weder der Stoff noch die an ihn gebundene Bewegung können aus dem „Nichts“ hervorgehen, folglich bestanden sie immer.

Also gibt die moderne Wissenschaft auf die Frage: „Gab es einen Anfang der Welt?“ die eindeutige Antwort: Nein, es gab keinen Anfang der Welt, wie es auch kein Ende geben wird. Eine Zeit, in der das Weltall nicht existierte, gab es nicht und konnte es auch nicht geben. Die Sternsysteme, einzelne Sterne und Planeten, sie hatten alle einen Anfang und werden auch ein Ende haben. Aber die Materie, aus der alle Himmelskörper bestehen, die sich unaufhörlich verändern und neue Formen annehmen, verschwindet niemals spurlos: Sie hat immer bestanden und wird ewig bestehen [eine nahezu religiöse Formulierung].

 

Der Naturwissenschaftler erforscht die Dinge der Welt jeweils in dem engen Rahmen seines speziellen Forschungsgebietes. Die Naturgesetze, die er aufgrund seiner Arbeit findet und die Hypothesen und Theorien, die er aufstellt, haben zunächst allein Gültigkeit in diesem Gebiet, Die Gefahr der Verallgemeinerung solcher Gesetze droht mehr von Seiten des Nichtfachmannes als vom Spezialisten selbst, der aufgrund seiner Untersuchungen allein verantwortlich die Grenzen seines Gebietes abstecken kann. So werden in der heutigen Naturwissenschaft Stimmen laut gegen alle Verallgemeinerung innerhalb der Gesamtnaturwissenschaft. Die größte Not entsteht der Naturwissenschaft, wo sie zum Mittel weltanschaulicher Spekulationen und politischer Tendenzen gemacht wird. Dort ist der weitverbreitete Glaube an die heilbringende Wirkung der Naturwissenschaft Grund, das religiöse Erleben als archaisch abzulehnen. An seine Stelle glaubt man, eine einheitliche wissenschaftliche Welterklärung setzen zu können. Diese Grundstimmung herrscht nicht nur im marxistischen Lager, sondern auch bei vielen Biologen des Westens. Es gibt genügend Forscher, denen es eine Gewißheit ist, daß die Wissenschaft zwangsläufig die religiösen Lebensformen ersetzt.

 

Seit dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer neuen Begegnung zwischen Glaube und Naturwissenschaft. Auf der Seite der Naturwissenschaft hatte sich einiges geändert durch die Entwicklung der Quantenphysik. Nach der „Unschärfetheorie“ Werner Heisenbergs kann man zwar bei einer großen Zahl von Atomen voraussagen, wie viele Atomkerne abgestoßen werden; aber man kann man nicht sagen, wie das einzelne  Atom sich verhalten wird, wann es seine Teilchen abstößt und in welche Richtung (alle Gesetze haben damit nur statischen Wert).

Die vier sogenannten „Absoluta“ der Naturwissenschaft gelten nicht mehr:

1.  Unendlichkeit des Raumes: Das Weltall ist begrenzt!

2.  Ewigkeit der Zeit: Die Welt hat einen Anfang und wird ein Ende haben!

3. Unvergänglichkeit der Materie: Materie ist Energie, etwas Dynamisches!

4.  Absolutheit der Naturgesetz, das Kausalprinzip von Ursache und Wirkung: Die Naturgesetzlichkeit ist nicht durchgängig, es gibt „kontingente Ereignisse“,  die nicht ableitbar sind  (vor allem in der Atomphysik!).

Diese neuen Erkenntnisse sind grundlegend, sie können in Zukunft höchstens noch verfeinert oder  eingeschränkt werden. Die Wissenschaftler erkennen heute wieder ihre Grenzen und haben sich auf die berechenbaren Gegenstände zurückgezogen. Sie tun das nicht, um damit der Kirche einen Gefallen zu tun, sondern weil sie eingesehen haben, daß es auch Dinge gibt, die man mit Meßinstrumenten nicht erfassen kann. Die Wissenschaft warf religiösen Ballast ab und wandte sich mit Sachlichkeit ihrem Gebiet zu.

Andererseits kann natürlich auch die Theologie nicht mehr die Wissenschaft bevormunden. Man kann höchstens (mit Emil Brunner) gegen: Die Offenbarung hat niemals innerhalb der Vernunft, wohl aber die Vernunft innerhalb der Offenbarung Platz. Der Glaube hat der Vernunft den Dienst zu tun, sie vor unerlaubten Grenzüberschreitungen zu bewahren (vg1.1.Kor 1,18-25).

Die Theologie stimmt heute allgemein auf ihrem ureigenen Gebiet den Ergebnissen der historisch-kritischen Forschung im Hinblick auf die Schöpfungszeugnisse zu. In d er dialektischen Theologie ist es zu einem theologischen Neuansatz gekommen. Es geht nicht mehr um Beweisen und Widerlegen, sondern man hat weitgehendes Verständnis füreinander.

Wenn man etwas wissen will über die Entstehung des  Weltalls, muß man die Wissenschaft fragen. Wenn man etwas über Gott wissen will, muß man die Bibel und den Glauben befragen. Vielleicht gibt es aber über das Nebeneinander hinaus sogar auch noch ein Miteinander.

 

Gegen die Wissenschaftsgläubigkeit

Die Mehrheit der  Europäer hängt mit ihrem Verständnis von Wissenschaft von Fernsehen, Rundfunk und Presse ab. Diese wenden sich eher an das Gefühl als an den Verstand. Sie beschwören eher Wunder und Überraschung als Verständnis, sie unterhalten mehr als daß sie lehren. Deswegen wird nicht gezeigt, wie eine Forschung mißlingt und ein Ziel nicht erreicht wird. So führt die Demokratisierung des Wissens zu einer kritiklosen Gläubigkeit an die Wissenschaft, zu einer „zweiten Aufklärung“.

Den Wissenschaftler kennzeichnen aber viel mehr Sachlichkeit und Demut. Er gesteht die grundsätzliche Fragwürdigkeit des jeweiligen Wissensstandes ein. Gerade die Widerlegbarkeit der Behauptungen unterscheidet die kritische Wissenschaft von dogmatischer Ideologie. Es gibt Erkenntnisgrenzen gegenüber der behandelten Wirklichkeit, aber auch für die Einzelwissenschaft im Rahmen der Gesamtwissenschaften. Andere Grunderfahrungen und Spezialwissenschaften haben ein gleiches Recht innerhalb der Grenze unseres Wissens.

Die Wissenschaft ist nicht ein Feld unbegrenzter Möglichkeiten. Es gibt Probleme genug, die wir mit der Wissenschaft nicht anpacken und lösen können. Psychologie,  Anthropologie, So­zio­logie, Staats- und Rechtswissenschaftler kommen mit der Wissenschaft allein nicht aus, son­dern müssen auch noch andere Aspekte betrachten.

Andererseits gibt es aber auch Wissenschaftler, die Prädikate Gottes nunmehr der Welt zuschreiben. Religiöse Glaubenshinhalte werden auf die Welt und die menschliche Macht übertragen. Es kommt zur  „Säkularisierung“. Der Glaube an die Naturwissenschaft wird zu einer neuen Weltreligion. „Religion“ meint ja die Bindung an eine überlegene Macht, von der man Wunder erwartet und auf die man absolutes Vertrauen setzt und von der man „Offenbarungen“ erhofft. Die Wissenschaftler wären dann Priester dieser neuen Religion.

Naturwissenschaft und Technik können aber nicht Grundlage eines Glaubens oder einer Religion sein: Man kann sich nicht so auf sie verlassen, wie man sich auf eine Macht verlassen können muß, die wirklich unser Leben leitet. Sie können nicht dem Menschen klar sagen, welche Zwecke er sich setzen soll und welche seinem Wesen gemäß sind. „Wer Wissenschaft zur Religion macht, handelt unwissenschaftlich“ (C.F.v.Weizsäcker).

 

Eine Religion braucht ein festes dogmatisches Gerüst. Der Wissenschaftler aber wird dazu erzogen, niemals ein dogmatisches Gerüst zu akzeptieren, sondern immer fest daran zu rütteln. Er muß auch an den festesten Sätzen der Wissenschaft zweifeln, wenn er guten Grund dazu hat.

Wo der christliche Glaube vergessen wird, stellt sich der Glaube an die Naturwissenschaft ein. Dieser ist dann im Grunde aber nur eine Spielart des christlichen Glaubens, sozusagen eine christliche Häresie. Eine Häresie heißt ja: Aus der gesamten Wahrheit greift man eine Teilwahrheit heraus und setzt sie absolut. In diesem Fall heißt die Teilwahrheit: Der Mensch ist fähig,  die Natur zu erkennen, und ist berufen, sie zu beherrschen. Das aber wäre eine Vergötterung der Naturwissenschaft.

Eine solche von Vorurteilen, Dogmen und Wünschen gebundene Vernunft widerspricht dann in der Tat der Offenbarung weil sie selber eine Religion ist. Die freie Vernunft dagegen widerspricht der Offenbarung nicht, sondern kann im Gegenteil helfen, sie noch klarer

und konkreter zu machen.

 

Möglichkeiten der Begegnung

1. Ablehnung der Naturwissenschaft aufgrund biblischer Aussagen: Eine tapfere, aber gefährliche Haltung, die leicht zu Hochmut und Kontaktlosigkeit mit der Welt führt und mit einem bösen Erwachen enden wird. Die „Theologie der Lücken“ ist eine Rückzugsverteidigung.

2. Ablehnung biblischer Aussagen aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis: Atheistische Position, menschliche Vernunft oberste Instanz.

3. Naturwissenschaftliche und biblische Aussagen gelten nebeneinander: Je nach Bedarf zieht man die Schublade mit der erwünschten Antwort, Konflikten und unbequemen Fragen geht man dabei aus dem Wege. Die Wahrheit aber wird relativiert, ist ohne bindende Verpflichtung, kann jederzeit außer Kraft gesetzt werden. Man achtet streng auf die Grenze, hat aber auch keine Beziehung zueinander: Die Wochentage werden der Wissenschaft überlassen, der Sonntag bleibt das Reservat der Kirche. Der Glaube wirkt nicht mehr ins Leben hinein. Der Wissenschaft aber werden Aufgaben zugeschoben, die sie nicht lösen kann.

4. Ehrliche Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaft und Glaube: Hier bleibt die Würde der Bibel und das Wahrheitsmoment der Wissenschaft unangetastet. Freie Partner hören aufeinander und stehen in Wechselbeziehung. Beide Seiten werden befragt. Um den Horizont nicht zu verengen. Es werden keine Übergriffe geduldet (wie einerseits bei Galilei und andererseits bei Häckel), sondern es kommt zu echter Auseinandersetzung, bei der aber die Wissenschaft die „Ahnung des großen Zusammenhangs“ nicht preisgibt.

 

Heutige Theologie

Mit dem Wort „glauben“ war ursprünglich immer die Vorstellung des Vertrauens zu einer Person verbunden. Jünger ist die Verwendung des Wortes für eine Annahme, die nur wahrscheinlich ist. Glaube wurde früher auch für Kredit gebraucht, es hat etwas mit Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu tun. So hat es auch noch Luther bei seiner Bibelübersetzung verstanden.

Später aber hat man die biblische Bedeutung mit der der jüngeren Bedeutung verwechselt: „für wahr halten, vermuten, meinen, innere Überzeugung, Annahme der Richtigkeit oder Wahrscheinlichkeit“. So geriet der Glaube aus dem personalen in den intellektuellen Bereich

 paus dem biblischen in den philosophischen.

Der christliche Glaube aber erwächst aus dem Hören auf das Wort Gottes, nicht aus dem Nach­denken. Der Glaubende lebt nicht von Erkenntnissen, die sein Wissen vergrößern, sondern er vertraut der Zusage Gottes und wagt sein Leben daran. Gott will nicht durch wissenschaftliches Forschen erkannt werden, sondern im Glauben anerkannt werden. Glaube ist Antwort auf die erfahrene Offenbarung Gottes.

Die Gegenüberstellungen heißen „Glaube und Unglaube“, „Wissen und Unwissen“. Wer Gottes Handeln an sich erfahren hat und dadurch zum Glauben gekommen ist, kann sich die Methode des wissenschaftlichen Denkens nutzbar machen. Glaube entsteht  nicht durch Denken, aber ein Glaubender ist ein denkender Mensch.

Die Theologie erkennt Gott nicht mehr aus der Philosophie oder aus der Natur, sondern im Zusammenhang der Geschichte und der menschlichen Existenz. Die Natur kommt erst in zweiter Linie in den Blick.

Diese neuzeitliche Sicht der Theologie findet sich aber schon in der Bibel. Durch die Säkularisierung wurde ein neues Befragen der Bibel nötig. Und dabei stellte sich heraus: Die Bibel ist gar nicht auf ein bestimmtes (metaphysisch-religiös-statisches) Verständnis festgelegt, sondern sie kann auch anders verstanden werden, nämlich als Geschichte.

Mit der Schöpfung entsteht nur der Raum, in dem die Geschichte sich abspielt. Die Natur bietet nur die Grundlage und das Material für das Geschehen zwischen Gott und seinem Volk. Die Natur ist nur interessant, insofern sie für die Geschichte wichtig ist. So kommt die heutige Theologie dem Verständnis der Bibel wieder mehr entgegen und das Problem der Natur und Wissenschaft ist entschärft.

 

Schöpfung ohne Schöpfer?

Eine theologische Beleuchtung gegenwärtiger naturwissenschaftlicher Spekulationen

 

Sollte das christliche Credo am Ende sein? Wenn es nach dem derzeit wohl bekanntesten Physiker der Welt, dem britischen Cambridge-Professor Stephen Hawking ginge, entstand das Universum von allein (Von Werner Thiede).

In seinem Buch: „Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums“ (2010) scheuten sich der Astrophysiker Steven Hawking aus Cambridge, seines Zeichens Mitglied der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, und der US-amerikanische Co-Autor Leonard Mlodinow in keiner Weise, Gott den Schöpfer als unnötig auszugeben. Im Jahre 1988 hatte Hawking noch in seinem Bestseller „Eine kurze Geschichte der Zeit“ auf das Finden der „Weltformel“ spekuliert mit den Worten: „…... dann würden wir Gottes Plan kennen.“ Jetzt aber streitet er den Gedanken an einen göttlichen Plan oder Schöpfer vollends als überflüssig ab: Es sei „nicht nötig, einen Gott heraufzubeschwören, der das blaue Zündpapier in Brand und das Universum in Gang setzt.“

Dabei tun er und sein Kollege so, als sei nun eine neue Erklärung des Weltalls auf den Tisch gekommen. Tatsächlich ist jedoch der Gedanke einer Selbstsetzung des „Kosmos“ in der modernen Naturwissenschaft sogar schon älter als Hawkings Buch von 1988. Bereits 1973 trat der US- amerikanische Physikprofessor Edward Tryon mit der These hervor, das All sei aus dem Vakuum des leeren Raumes per Quantenfluktuation hervorgegangen. Rund ein Jahrzehnt später publizierte dessen Oxforder Kollege Peter W. Atkins ein Buch unter dem Titel „Schöpfung ohne Schöpfer. Was war vor dem Urknall?“. Die damals mehr als heute provozierende These lautete, daß die Raumzeit im Zuge ihres selbsttätigen Aufbaus ihren eigenen Staub erzeuge: „Das Universum kann aus nichts entstehen. Ohne Eingriff. Durch Zufall.“

Auch wenn der Naturwissenschaftler sich mit solchen Formulierungen mindestens ansatzweise auf geisteswissenschaftliches  Gebiet begab, sah es doch so aus, als habe er nicht anders gekonnt und als sei es Angelegenheit der Geisteswissenschaften, die Konsequenzen aus dem naturwissenschaftlichen Befund zu ziehen. Dabei läßt sich Atkins schon im Blick auf seine eigene Argumentation kritisieren. Zur Durchführung seiner Annahme einer Weltentstehung aus dem Nichts braucht er immerhin „zwei Zutaten“ - eigentlich sogar drei. Die dritte, von ihm gar nicht ausdrücklich aufgezählte, war nämlich die These, daß die Naturwissenschaft verläßlich über den Urknall hinaus spekulieren könne.

Wer allerdings - wie einst Atkins und heute Hawking - den „Big Bang“ vor 13,7 Milliarden Jahren als nur einen besonders. drastischen von vielen Phasenübergängen im Universum deuten will, geht von nicht wirklich bewiesenen Voraussetzungen aus. Einstweilen muß es offenbleiben, ob sich das Weltall zyklisch ausdehnt und wieder zusammenzieht, wie das analog vor allem die indische Religiosität und von ihr abgeleitete esoterische Weltanschauungen annehmen oder ob von einem singulären Urknall auszugehen ist, von dem ab es sich in dauernder Ausdehnung befindet. Die gewagten naturwissenschaftlichen Spekulationen über eine Zeit noch „vor“ dem Urknall entsprechen den mathematisch gestützten Überlegungen und Fantasien über weitere Universen, also ein „Multiversum“. Der Oxforder Mathematikprofessor und Wissenschaftsphilosoph John Lennox hält gegenüber Hawking fest: „Die Theorie vom Multiversum ist allerdings unter Wissenschaftlern sehr umstritten.“

Wenn naturwissenschaftliche Spekulationen. in durchaus „meta-physisch“ anmutender Manier „hinter“ den Urknall zurückzudenken versuchen, drängt sich ihnen in der Regel folgendes Bild auf: Aus dem untersten denkbaren Kältegrad heraus bildeten sich immer wieder einmal scherbenartig erste Wirklichkeitspunkte. So lehrte es schon Atkins, der hierfür allerdings „zwei Zutaten“ benennt, die er benötigt, um ein derartiges Zustandekommen des Urknalls zu erklären: „Erstens brauchen wir die Punkte, die sich zu den Zeit und Raum bestimmenden Mustern zusammenfinden. Zweitens brauchen wir die Punkte, die von der Zeitstruktur in ihre Gegensätze zerlegt werden. Die Zeit verleiht den Punkten Leben; die Punkte verleihen der Zeit Leben. Die Zeit brachte die Punkte in die Welt, und die Punkte brachten die Zeit in die Welt. Das ist der kosmische Reißverschluß, der unser Universum zusammenhält.“

Bereits die Formulierung dieser Sätze zeigt, daß hier mehr spekuliert als bewiesen wird. Atkins vermag nicht plausibel darzulegen, wodurch das Entstehen anfänglicher Punkte und damit auch der Zeit aus dem Gar-Nichts bedingt gewesen sein soll - denn ein Werden aus dem „Fast-Nichts“ erklärt in der entscheidenden Hinsicht auch fast nichts. Deshalb schlägt der italienische Physikprofessor Maurizio Gasperini, der wie Atkins von einem langen Werden des Alls schon vor dem Urknall ausgeht, stringtheoretisch vor, den Schöpfungsbericht am Anfang der Bibel heute folgendermaßen umzuformulieren: „Am Anfang erschuf Gott die Hintergrundfelder und die Materiequellen. Und die Quellen waren ohne Druck und eingebettet in den flachen Raum“.

Selbst ein Vertreter des hinter den Urknall zurückgehenden Modells macht sich also bewußt, daß die Annahme eines Schöpfers sinnvoll ist. Atkins' Zutaten hingegen sind wackelige Hypothesen, die auf den Glaubenscharakter seiner Hauptthese hindeuten. Gewiß kann der

Naturwissenschaftler auf die Realität quantenphysikalischer Sprünge aus dem Nichts - also außerhalb des Kausalitätsgesetzes - und auf die Bildung spontaner Fluktuationen verweisen. Doch nach wie vor bleibt die gerade auch geisteswissenschaftlich zu stellende Grundfrage bestehen, warum überhaupt etwas ist und nicht nichts. Denn quantenmechanische Gesetze werfen wiederum das Problem ihrer eigenen Ursprünglichkeit „im Anfang“ auf.

Das bestätigt auch das Buch des US- amerikanischen Physikprofessors Alan H. Guth mit dem Titel „Die Geburt des Kosmos aus dem Nichts“ (1997). Der Autor muß nach allen Darlegungen schließlich einräumen, daß „sämtliche Versuche, die Entstehung des Universums aus dem Nichts physikalisch erklären zu wollen, äußerst spekulativ sind“. Er schließt sein letztes Kapitel mit den Worten: „Wenn sich aber die Entstehung des Universums als quantenmechanischer Prozeß beschreiben läßt, dann bliebe immer noch ein großes Rätsel unserer Existenz: Was bestimmt die Gesetze der Physik?“

Genau diese Frage stellt sich auch, wenn Hawking argumentiert, die Existenz der Schwerkraft bedeute, daß die Entstehung des Universums unvermeidlich gewesen sei. Mit Recht hält ihm Lennox entgegen: „Aber wie kam es überhaupt zur Schwerkraft? Welche schöpferische Kraft steckt hinter ihrer Existenz?

Die Hoffnung mancher Naturwissenschaftler unserer Zeit, die Welt in ihrem Sosein bald einmal restlos erklären zu können, ist nichts als blanker Materialismus. Sie ist Ausdruck einer bestimmten Glaubenshaltung - eben einer negativen. Das zeigt auch Alexander Unzickers Buch „Vom Urknall zum Durchknall“ (2010) auf, indem es die zahlreichen Spekulationsblasen in der modernen Physik auf erfrischende Weise als das demaskiert, was sie sind.

Die Wirklichkeit könnte indes viel interessanter sein: Getragen sein von einem letzten, guten Sinn, der sich freilich aus guten Gründen so verborgen hält, daß seine Wahrheit vorläufig nur durch Offenbarung erkannt werden kann. Positiver wie negativer Glaube bleiben aber - erkenntnistheoretisch gesehen - Spekulation. Und Spekulationen kritisch wie konstruktiv zu bearbeiten, ist primär eine geisteswissenschaftliche Angelegenheit.

Ob das All sozusagen autonom aus dem Nichts entstanden ist oder ob sich sein Werden aus dem Nichts dem Wort eines göttlichen Schöpfers verdankt, läßt sich nur im existentiellen Setzen auf bestimmte Perspektiven von Sinn oder Unsinn entscheiden. Dem modernen Autonomiegefühl entsprechen zweifellos die Entwürfe einer „autonomen“ Entstehung des Universums am ehesten. Doch ihre Akzeptanz ergibt sich für manche namhafte Physiker keineswegs zwangsläufig, die es weiterhin mit der religiösen Annahme eines Schöpfergottes halten.

Wen sollte das laut Brian Greene „elegante Universum“ in der Tiefe seines Geistes erfreuen, wenn es bei aller Eleganz ein sinnkaltes Gebilde darstellt, das modernsten Spekulationen zufolge nicht nur in endlose Kälte ausliefe, sondern auch aus endloser Kälte geboren wäre? „Für mich als Christen verstärkt die Schönheit der wissenschaftlichen Gesetze meinen (tauben an einen intelligenten Schöpfer“, bekräftigt Lennox. Und der deutsche Physikprofessor Jürgen Audretsch unterstreicht: „Die Vorstellung eines Gottes als Verursacher des Seins widerspricht der Kosmologie nicht.“

Ein Glaube liegt solchen Aussagen gewiß zugrunde. Doch auch der Glaube an die Möglichkeit einer „Weltformel“ ist ein - wenn man so will: irrationaler - Vertrauensakt. Intellektuell redlich betonen Jean Guitto sowie Grichka und Igor Bogdanov in ihrem Buch „Gott und die Wissenschaft“ (1993) nämlich: „Heute, an den seltsamen und beweglichen Grenzen, die die Quantentheorie gezogen hat, machen Physiker die Erfahrung eines Agnostizismus neuer Art: Die Realität ist nicht erkennbar; sie ist verschleiert und wird es immer bleiben.“ Auch für den Astrophysiker Robert Jastrow steht fest, daß die Naturwissenschaft „niemals den Vorhang vor dem Mysterium der Schöpfung herunterreißen wird“.

Auf diesem Hintergrund hat das Credo der Christen weiterhin sein Recht. Und zwar sowohl mit seinem ersten Artikel als auch mit den anderen beiden, die von der Entfaltung des unbekannten Gottes in seiner Offenbarungsgeschichte handeln. Die Rede vom „kosmischen Christus« etwa bezieht sich auf alle drei Glaubensartikel. Wenn sich Naturwissenschaftler schon in Glaubensfragen einmischen, sollten sie bedenken, daß auch sie bei letzten Fragen nicht ohne Elemente irgendwelchen Glaubens auskommen.

 

 

Naturforscher und ihr Glaube

Man mißt dem Beispiel bekannter Persönlichkeiten im Rahmen weltanschaulicher Entscheidungen eine Vorbildwirkung zu. Deshalb haben marxistische Forscher behauptet, Johann Kepler habe sich zu keiner Religionsgemeinschaft bekannt und gehöre eindeutig zu den antikirchlichen Kräften in seiner Zeit. Dabei hat er sich ausdrücklich zur Augsburgischen Konfession bekannt, und seine Ablehnung von zwei Artikeln der Konkordienformel ändert daran auch nichts.

Eine große Verbreitung hat die Schrift von Eberhard Dennert „Die Religion der Naturforscher“ gefunden (1896 erste Auflage). Sie ist stark an einer quantitativen Auszählung der Theisten und Atheisten unter den Naturforschern der letzten Jahrhunderte orientiert und kommt dabei zu dem Ergebnis, daß von 431 Forschern, deren religiöser Standpunkt feststellbar sei, „405 als Theisten, d. h. Gottgläubige im weiteren Sinne zu bezeichnen seien, „während 25 eine gleichgültige oder ungläubige Stellung einnehmen, aber nur 9 aus der letzten Periode sind christentumsfeindliche Atheisten gewesen“.

Das heißt also, der religiöse Standpunkt der Naturforscher entspricht prozentual in etwa dem der sonstigen Bevölkerung zum Zeitpunkt der Untersuchung. Es ist nicht so, daß die Anzahl der Atheisten unter den Naturforschern signifikant größer wäre als unter anderen Akademikern, den Arbeitern, Handwerkern, Angestellten usw., was doch zu erwarten wäre, wenn es echte, unüberwindliche Widersprüche zwischen Gottesglauben und naturwissenschaftlichem Weltbild gäbe. Eher liegt die Prozentzahl der Atheisten unter den bekannten Naturforschern unter der anderer Berufe.

Einen häufiger zu hörenden Einwand gegen den Wert fremder Glaubenszeugnisse hat Wolfgang Trillhaas in seiner „Evangelischen Predigtlehre“ so formuliert: „Ebenso erweckt die Nennung der großen Männer (die zu diesem Zweck stets aus der Reihe der Naturwissenschaftler und Politiker genommen werden), die ‚Christen' waren, doch stets nur die Gegenfrage im Herzen, warum andere große Männer keine ‚Christen' waren. Womit die Beweiskraft dieser Wolke von Zeugen dahin ist“. Christen sind aber durchaus nicht der Auffassung, daß die Glaubensfähigkeit eines Menschen mit Verstand, Bildung, Bedeutung usw. wächst, sondern sie wissen, daß Gott nicht nach dem Ansehen der Person fragt.

Wohl aber kennen sie mindestens seit dem heidnischen Philosophen Celsus den immer und immer wieder variierten Vorwurf, daß im Grunde nur ungebildete kleine Leute, vor allem furchtsame Frauen und Kinder dem christlichen Glauben aufrichtig anhingen. Nun sind solche Leute der Wahrheit oft viel näher als die Großen dieser Welt. Und natürlich muß man auf solche Bibelstellen wie Matth 11,25-26 oder 1. Kor 1,18-25 verweisen.

Aber selbst Pastoren und Theologieprofessoren reagieren häufig gereizt, wenn ihnen vorgeworfen wird, sie könnten nicht logisch klar denken oder sie seien letztlich unberührt von der Bildung unserer Zeit, so daß es kein Wunder sei, wenn sie so predigten und glaubten, als hätten Newton, Darwin und Einstein nicht gelebt. Und das ist auch verständlich, gibt es im Neuen Testament doch auch die Symbolgeschichte von den anbetenden Weisen aus dem Morgenland, die Bekehrungsgeschichten etlicher Vornehmer und die symbolträchtige Szene der Predigt des Apostels Paulus auf dem Areopag in Athen, der Stadt der Philosophen und Weisen, die nicht als Negativbeispiel, sondern durchaus als Positivbeispiel gedacht ist.

Wenn bei Gott kein Ansehen der Person gilt, dann ist doch wohl zu erwarten, daß dies auch in der Hinsicht gilt, daß Kluge, Gebildete, Tatkräftige und Mutige nicht vom Glauben ausgeschlossen sind, daß Gottes schöpferischer Geist auch aus ihren Reihen zum Glauben berufen kann.

Natürlich wissen Atheisten, daß es gläubige Naturwissenschaftler gibt und betont sogar sehr nachdrücklich, daß naturwissenschaftliche Bildung allein keine atheistische Weltanschauung verbürge. Aber dennoch wird an der sachlichen Unvereinbarkeit von Glaube und Naturwissenschaft entschieden festgehalten: Daß eine Reihe von bekannten Naturwissenschaftlern zugleich religiös war und ist, widerlegt nicht die Unvereinbarkeit von Naturwissenschaft und Religion.

Die Naturwissenschaftler, die aus Tradition oder infolge ihrer Erziehung an Gott glauben, sind, soweit sie wissenschaftlich arbeiten und denken, Atheisten. Die Einzelwissenschaften, sofern ihre Ergebnisse folgerichtig zu Ende gedacht und verallgemeinert werden, schließen den religiösen Glauben aus“ (Philosophie und Naturwissenschaften. Wörterbuch zu den philosophischen Fragen der Naturwissenschaften, 1978, S. 84).

Was bleibt angesichts solcher Positionen übrig, als daß man bei den an den Schöpfergott glaubenden Naturforschern näher und im einzelnen zusieht, wie sie selbst darüber denken, ob die von ihnen erbrachten Ergebnisse der Einzelwissenschaften „folgerichtig zu Ende gedacht und verallgemeinert“ den religiösen Glauben ausschließen?

Es gibt zahlreiche Wissenschaftler, die zwischen Glaube und Wissenschaft eine positive, gang­bare Brücke sehen. Die absolute Trennung von Glaube und Naturerkenntnis ist eben ein Modell neben anderen, ein Modell, das in der Tat von zahlreichen Naturwissenschaftlern praktiziert wird.

 

Werner Heisenberg (1901 - 1976):

1. Heisenberg gehört unzweifelhaft zu den Physikern unseres Jahrhunderts, durch deren Lebensarbeit in ganz besonderer Weise ein Beitrag zur grundlegenden Einschränkung des Geltungsbereiches des klassischen naturwissenschaftlichen Weltbildes des 19. Jahrhunderts und zum Aufbau eines ganz neuartigen naturwissenschaftlichen Weltbildes geleistet wurde. Von Heisenberg wird zwar das griffige Bonmot überliefert: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott“.  Jedoch sind die mehrfachen Äußerungen Heisenbergs zu dieser Frage recht differenziert, keineswegs vordergründig apologetisch und nötigen uns damit geradezu zu einem eigenständigen Weiterdenken.

a) Zunächst einmal lehnte Heisenberg das Modell einer strengen Trennung von Glauben und Wissen ab. Im Kapitel 7 seiner Autobiographie „Erste Gespräche über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion“ stellt er es so dar, als seien „für Planck Religion und Naturwissenschaft deswegen vereinbar, weil sie, wie er voraussetzt, sich auf ganz verschiedene Bereiche der Wirklichkeit beziehen. Die Naturwissenschaft handelt von der objektiven materiellen Welt. Sie stellt uns vor die Aufgabe, richtige Aussagen über diese objektive Wirklichkeit zu machen und ihre Zusammenhänge zu verstehen. Die Religion aber handelt von der Welt der Werte. Hier wird von dem gesprochen, was sein soll, was wir tun sollen, nicht von dem was ist. In der Naturwissenschaft geht es um richtig oder falsch; in der Religion um gut oder böse, um wertvoll oder wertlos.“

b) Heisenberg war überzeugter und engagierter Platoniker. Seit der Jahrhundertwende und dann auch durch die Arbeiten, an denen Heisenberg so maßgeblich beteiligt ist, wird immer deutlicher, daß die Anschaulichkeit und Vorstellbarkeit des klassischen Weltbildes des 19. Jahrhunderts preisgegeben werden muß. Wenn man von einigen eventuell mißverständlichen Äußerungen absieht, denkt natürlich kein Physiker daran, die objektive Realität abzustreiten, sie ist ja vielmehr der Gegenstand seiner Wissenschaft. Aber das macht sie noch nicht zu „spontanen“ Materialisten, vielmehr unterscheiden viele von ihnen ausdrücklich zwischen Materialismus und Realismus. Was sie aber fasziniert und zu modernen Platonikern und Pythagoräern macht, ist dies, daß sie sagen: Die Erscheinungsformen dieser objektiven Realität sind einem ständigen Wechsel unterworfen: ein Elementarteilchen kann sich- bei bestimmten Bedingungen - in ein anderes verwandeln, Materie in Energie und Energie in Materie. In dieser Hinsicht gibt es nichts, was handgreiflich irgendwie ein letzter Baustein der Materie wäre, aber etwas bleibt in diesem ständigen Wechsel: die mathematische Gesetzmäßigkeit, die mathematische Struktur, die diesen Wechsel beherrscht, ihn zuverlässig zum Ausdruck bringt. Sie steht - wie Platons Ideen - hinter allem Wechsel der Erscheinungen, ist das Bleibende und Unveränderliche in der Erscheinungen Flucht. Und diese, das Geschehen erfassende Mathematik ist nicht nur ein subjektives Erzeugnis des menschlichen Kopfes, wie die Positivisten behaupten, sondern ist - grundsätzlich gesehen - eine objektive Mathematik, die, wie Heisenberg meinte, auch von intelligenten Wesen auf anderen Planeten prinzipiell nicht anders entwickelt werden könnte. Sie ist ein Widerschein des Planes, der Idee, nach dem das Weltall gemacht ist.

Natürlich kann man trotzdem fragen, und fragt ja auch immer wieder so: Ist eigentlich dieser Gott der Physiker und Naturwissenschaftler, von dem man sagen kann „Gott ist ein Mathematiker“ identisch mit Gott, dem Vater Jesu Christi? Da wir ernsthaft nicht in den Polytheismus zurückkönnen, ist es immer der eine Gott, der Herr des Himmels und der Erde, von dem Naturwissenschaftler, christliche Theologen und andere Religionen reden. Nur wird die Wirklichkeit dieses einen Gottes von unterschiedlichen Menschen recht unterschiedlich erfahren, und sie sprechen deshalb in unterschiedlichen Bildern, Symbolen und Sprachen von ihm.

Um das Problem der Sprache, in der wir letzte Wirklichkeit ausdrücken können, hat das Denken Heisenbergs immer und immer wieder gekreist.

Ihm war dabei gewiß, daß die Sprache des Glaubens und des Wissens nicht einfach unverbunden nebeneinander stehen bleiben dürfen, wenn sie auch „auseinandergehalten ... und ihre Vermengung vermieden werden müssen“. Und Heisenberg hat versucht, Ansätze zu ihrer sinnvollen Vermittlung zu finden, ohne diese Aufgabe gelöst zu haben. Vielleicht bezieht sich auf diese für ihn bleibende Spannung der beiden Sprachen jene Äußerung zehn Tage vor seinem Tode gegenüber Carl Friedrich von Weizsäcker: „Das Zentrale, das Christliche. Wenn jemand sagen würde, ich sei kein Christ gewesen, der hätte nicht recht. Freilich, wenn jemand sagen würde, ich sei ein Christ gewesen, der würde wohl zuviel sagen.“

 

Heisenberg hat im April 1958 in einer Rede zum 100. Geburtstag von Max Planck in Berlin die von ihm errechnete „Weltformel“ bekanntgegeben. Einstein war insofern ein Vorläufer gewesen, als er um 1950 auch eine freilich mehrfach veränderte Weltformel aufgestellt hatte. Er zog sie kurz vor seinem Tode 1955 zurück, weil sie zwar Maße. Gravitation und Energie in sich befaßte, nicht aber die elektromagnetischen Erscheinungen.

Heisenberg spricht nicht gerne von der Weltformel, höchstens in Anführungszeichen. Er verwendet drei wissenschaftliche Termini dafür, von denen jeder ein bestimmtes Licht auf die Weltformel wirft: „Einheitliche Feldtheorie der Elementarteilchen“ oder „Gleichung für die Materie“ oder „Nichtlineare Spinortheorie“.

In der Einsteinschen Linie liegt der Begriff der Feldtheorie. Elektrische, magnetische Gravitationsfelder zu erkennen, ist eine entscheidende Grundvoraussetzung jedes neueren Naturverständnisses. Der Begriff „einheitlich“ soll sagen, daß es Heisenbergs Ziel ist, für alle Elementarteilchen einheitliche Maßstäbe und Wirkungsgesetze aufzustellen. Wir kennen diese Elementarteilchen als wirklich nicht mehr zerlegbare Urbestandteile des Kosmos unter den Namen Elektron, Proton, Neutron, Neutrine, Photon, sechs Arten von Mesonen (aus der Weltraumstrahlung) und eine Anzahl von Hyperonen, das sind Mesonen, die schwerer sind als die „Nukleonen2 (Proton und Neutron). Zu diesen Teilchen kommen die „Antiteilchen“. Im Ganzen spricht man von 30 Elementarteilchen, zu denen nach Gesprächen mit Heisenberg kaum noch neue hinzukommen dürften.

Der zweite Terminus „Gleichung für die Materie“ soll andeuten, daß alles, was Materie im weitesten Sinne ist, in der Gleichung erfaßt wird, also auch die in Wellenstrahlung verwandelten Materieteilchen, wie sie aus der Wellenstrahlung auch wieder zurückverwandelt werden können.

Und der dritte Ausdruck „Nichtlineare Spinortheorie“ weist darauf hin, daß die Wechselwirkungen der Elementarteilchen untereinander im dreidimensionalen Atomraum dargestellt werden, was Einstein noch als unmöglich, weil zu viel kompliziert, bezeichnet hatte; ferner, daß der Spin, das ist der Drehimpuls der um ihren Schwerpunkt kreisenden Elementarteilchen, ein ebenso wichtiger Gegenstand der Bestimmung ist wie die Masse (Gewicht) und die Energie.

 

 

Das moderne Weltbild

Die Ausmaße des Weltalls:

Die  Erde bewegt sich mit 1.670 km/h um sich selbst und mit 108.000 km/h um die Sonne. Das Sonnensystem seinerseits bewegt sich mit 72.000 km/h innerhalb der Milchstraße und diese dreht sich mit 830.033 km/h um sich selbst bzw. zusammen mit 18 anderen Spiralnebeln bildet sie eine „Weltinsel“, die sich wiederum um einen gemeinsamen Mittelpunkt dreht. Das Weltall ist also ein Riesenkarussell, in dem sich alles dreht und die Erde eine vierfache Bewegung mitmacht.

Je weiter die Sterne und Sternnebel vom Mittelpunkt des Alls entfernt sind, desto höher sind ihre Geschwindigkeiten. Man mißt in der Astronomie die Entfernungen in Lichtjahren. Ein Lichtjahr ist die Strecke, die ein Lichtstrahl mit einer Geschwindigkeit vor fest 300.000 km/ sec in einem Jahr zurücklegt; das sind rund 10 Billionen Kilometer.

Je weiter die Sterne nun vom Mittelpunkt des Alls entfernt sind, desto höher sind ihre Ge­schwindigkeiten. Die Aussagen über die Höhe der Geschwindigkeit sind unterschiedlich: Von 145.000 Kilometer pro Sekunde (= halbe Lichtgeschwindigkeit) bis zu den gerade noch erkennbaren Sternnebel, deren nur noch Bruchteile an der Lichtgeschwindigkeit fehlen sollen Ein Nebel, der etwa 50 bis 200 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist, hat schon eine Geschwindigkeit bis zu 1.000 km/sec.

Dennoch merken wir die Drehungen und die Geschwindigkeit nicht, weil es sich um eine gleichbleibende Geschwindigkeit handelt. Die Eigenbewegung merken wir nicht, während die Planeten sich zu bewegen scheinen. Nur die Fixsterne scheinen still zu stehen, weil sie so weit entfernt sind.

Das Weltall hat ungeheuer große Ausmaße. Zu einer Milchstraße gehören etwa 2 Milliarden Sonnen und 100 Milliarden Sterne. Mit dem größten Fernrohr der Welt sind aber allein eine Milliarde solcher Sternennebel zu erfassen. Unsere Sonne ist nur eine von  unzählig vielen und bei weitem nicht die größte: Sie ist nur wie eine Mücke neben einem Elefanten im Vergleich zu Arkturus, der auch hundertmal heller strahlt als sie.

Der nächste Fixstern Alpha Centauri ist 4,5 Lichtjahre von uns entfernt. Die Milchstraße hat einen Durchmesser von 100.000 Lichtjahren oder mehr. Die nächste Milchstraße, der Andro­medanebel, ist 2 Millionen Lichtjahre entfernt. Die weiteste uns bekannte Milchstraße ist 2 Milliarden Lichtjahre entfernt. Man rechnet heute mit der Existenz von mehrerer Trillionen Sternen (das ist eine Zahl mit 18 Nullen!).

Wenn die Sonne untergegangen ist, dann sehen wir sie immer noch 8,5 Minuten lang, weil das Licht solange braucht, bis es zu uns kommt. Wir sehen heute noch Sterne, die vielleicht schon längst  erloschen sind.  Aber es gilt auch das Umgekehrte: Wenn man von einem weit entfernten Sterne aus die Erde beobachten würde, dann sähe man vom Orion aus noch Columbus nach Amerika segeln, vom Zentrum der Milchstraße aus sähe man die Pharaonen am Nil und vom Andromedanebel aus die Saurier.

Unsere Kenntnis der Ausmaße des Weltalls hat sich erweitert. Aber Gott umschließt auch die neu entdeckten Milchstraßensysteme, so wie er auch in den Elementarteilchen des Atoms gegenwärtig ist und kein Quantensprung ohne ihn geschieht.

 

 

Die Entstehung der Welt

Alle Weltentstehungstheorien setzen letztlich bei einem „Anfang“ an. Doch es gibt heute zwei unterschiedliche Theorien:

(1) Ständiges Weltall (steady-state-Theorie): Durch die Ausdehnung des Weltalls wird ständig neue Materie geschaffen. Aber die mittlere Dichte im Weltall bleibt ständig gleich. Doch dagegen spricht die Verteilung der Sterne die Radiosignale ausstrahlen: sie zeigen eine zeitlichen  Entwicklung, denn früher gab es hellere Radioquellen (so nennt man diese Sterne). Deswegen spricht man auch bei dieser Theorie vom Anfang der Welt. Nur sind eben nicht alle Sterne gemeinsam entstanden und das Alter unseres Sonnensystems muß nicht für das ganze Weltall gelten. Die Theorie vom ständigen Weltall wird vor allem von atheistischen Wissenschaftlern  vertreten, weil sie der materialistischen Weltanschauung von der „ewigen Materie“ nähersteht.

(2) Urknalltheorie: Schon 1928 hat ein  amerikanischer Astronom festgestellt, daß sich alle Sterne mit zunehmender Geschwindigkeit von uns fortbewegen. Man stellt des fest durch die scheinbare Verfärbung kosmischer Objekte ins Rote hinein (= Verlängerung der Wellen). Wenn man einen Luftballon aufbläst, auf der Sterne aufgemalt sind, dann entfernen sich die Sterne vom Mittelpunkt des Ballons und auch untereinander wird die Entfernung größer. So dehnt sich auch das Weltall ständig aus.

Wenn man nun zurückrechnet, wo alle Sterne ihren Ausgangspunkt genommen haben, so macht man die überraschende Feststellung: Sie kommen alle aus dem gleichen Mittelpunkt, ob sie nun heute näher oder weiter von ihm entfernt sind. Der Zeitpunkt, zu dem sie alle in einem Klumpen vereinigt waren, wird mit 10 Milliarden angegeben (auch: 19 Milliarden). Alle Materie im Kosmos war vor 10 Milliarden Jahren in einer Urmasse vereinigt, die damals explodiert ist. Unsere Welt hat einmal mit einer Ur-Explosion begonnen, die heute noch in Gang ist. Falls genug Materie da ist, wird der Kosmos wieder einmal in sich zusammenstürzen. Wenn aber nicht genug de ist, wird er sich ewig ausdehnen (was das aber heißt, wissen wir nicht). Die Urknalltheorie wird heute als wahrscheinlicher angesehen. Für den christlichen Glauben hat sie den Vorteil, daß sie mit einem festen Punkt beginnt.

Das Echo dieser Urexplosion können wir übrigens heute noch hören: Im Jahre 1965 haben die Radioastronomen eine Strahlung entdeckt, die von allen Seiten des Kosmos gleichmäßig bei uns eintrifft und die ungewohnte Wellenlänge von sieben Zentimeter hat. Man bemerkt sie auf dem Fernsehempfänger als F1immern des Bildes und Rauschen des Tons, wenn der Sender nicht arbeitet und unsere Wohnzimmer.

 

Die Lebensgeschichte eines Sterns

Es gibt Sterne, die mindestens 8 Milliarden Jahre alt sind, andere nicht einmal 200 Millionen

und kleinere Sterne sind nicht einmal 4 Millionen Jahre alt. Die Sterne haben auch einen  unterschiedlichen Metallgehalt: bei älteren liegt er unter einem Prozent, unsere Sonne hat etwa drei Prozent und jüngere Sterne haben noch mehr Metallgehalt. Das hängt mit der Entstehungsgeschichte und dem Lebensweg eines Sterns zusammen.

Ausgangspunkt für einen Stern ist eine riesige Wolke interstellarer Materie, die zunächst frei9 herumfliegt, sich dann aber immer mehr konzentriert. Durch die Zusammenziehung aber wird Energie frei, die den entstehenden Stern aufheizt, so daß im Inneren eine Temperatur vor 10 bis 20 Millionen Grad entsteht. Das ist die Jugendzeit eines Sterns.

Durch die Temperatur entzündet sich nun die Materie eines Sterns. Er strahlt ständige riesige Energien in den Weltraum ab. Dadurch wird er leichter und verringert seine Drehgeschwindigkeit. So entsteht ein mittelgroßer Stern wie unsere Sonne, der eine gewisse Stabilität besitzt und maßvoll Energie abstrahlt.

Die Energie entsteht durch Kernverschmelzung von je vier Wasserstoffatomen zu einem Heliumkern. Wenn dieser Prozeß beginnen soll, muß aber genügend Masse da sein (deswegen hat es zum Beispiel Jupiter nicht geschafft, eine Sonne zu werden) und eine entsprechend hohe Temperatur. Unsere Sonne hat einen Vorrat für 10 bis 30 Milliarden Jahre (die Zahlenangaben weichen voneinander ab), von denen etwa die Hälfte verbraucht ist.

Es gibt aber noch größere Sterne, bei denen der Energieumsatz schneller vor sich geht und die deshalb auch schneller ausbrennen. Sie verwandeln sich zu einem „Roten Riesen“ mit einer Temperatur vor 5 Milliarden Grad. In seinem Inneren bilden sich bei der Kernverschmelzung nicht nur Heliumkerne, sondern auch schwerere Elemente. Auf jeden Fall erlebt der Stern hier sein Mittelalter und entfaltet seine ganze Kraft.

Gegen Ende dieser Zeit flackern die Kräfte des Sterns noch einmal in einer Supernova-Explosion auf: Die Helligkeit des Sterns nimmt innerhalb weniger Stunden um 19 Größenklassen zu: Er verbraucht dabei mindestens ein Hundertstel seiner Gesamtenergie. Im Jahre 1054 haben die Chinesen schon eine solche Nova beobachtet, deren Trümmer wir heute noch als „Krebsnebel“ beobachten.

Bei einer solchen Explosion entstehen schwere und schwerste chemische Elemente, die gleichzeitig in den Weltraum hinausgeschleudert werden. Zusammen mit interstellarem Wasserstoffgas entstehen daraus neue Sterne mit einem etwas  höheren Metallgehalt.

Der Rest des alten Sterns aber sackt nach der Supernova-Explosion in sich zusammen. Seine Dichte steigt auf das Zehntausendfache. Es entsteht ein „weißer Zwerg“, das Alter des Sterns ist gekommen. Seine dichte Materie zieht alles an, so daß nicht einmal das Licht entfliehen kann  und ein „schwarzes Loch“ entsteht. Der Stern wird nach und nach kälter und verlöscht.

Einen solchen Stern hat man durch die Radioastronomie im Krebsnebel entdeckt, ein Pulsar so groß wie die Halbinsel Manhattan. Das Weltall verwandelt sich so nach und nach in einen  Friedhof  ausgebrannter Sterne. Die Jugendzeit unseres Kosmos ist nun wohl schon vorüber. Aber das große Sterben der Sterne hat erst vereinzelt begonnen.

 

Entstehung der Erde und Veränderung der Erdoberfläche

Früher meinte man, die Erde sei der Mittelpunkt des Weltalls. Später meinte man, die Erde sei wenigstens durch einen Vorzug vor andern Sternen ausgezeichnet: Sie allein trage das Leben. Aber je weiter wir ins Weltall eindringen, desto ungewisser wird dieser Anspruch. Nicht einmal die Milchstraße ist Mittelpunkt des Weltalls.

Über ihre Entstehung gibt es verschiedene Theorien:

1. Heliogenese:  Die Erde ist wie die Planeten ein Teil der Sonne, der durch die Drehung der Sonne aus dieser herausgeschleudert wurde.

2. Himmelskörper, der von der Sonne eingefangen wurde und sich langsam an der Oberfläche erwärmte.

3. Supernova-Explosion: Durch eine solche Explosion entstanden gleichzeitig die Sonne und die Pflanzen und damit unsere Erde. Der Mond könnte ein Stück Erde sein, das vor 4,5 Milliarden Jahren aus dieser herausgerissen wurde, etwa an der Stelle des heutigen Pazifik.

Er enthält nämlich wenig Eisen und Edelmetalle, weil diese schon früh zum Erdkern abgesunken waren und der Mond nur aus Oberflächengestein  entstand.

Wahrscheinlicher aber ist er eine Art Urplanet, dessen Umlaufbahn auf der Bahn der Erde lag und deshalb von ihr eingefangen wurde. Er hat das gleiche Alter wie die Erde, nämlich 4,5 Milliarden Jahre. Zusammen mit Merkur, Venus, Erde und Mars gehört er zu der terrestrischen (= erdähnlichen) Planeten, die sich im Wesentlichen ähnlich sind.

Die Krateroberfläche  des Mondes ist vor etwa 4 Milliarden Jahren entstanden. Damals schlugen riesige Meteoriten auf dem Mond auf. Dadurch wurde flüssige Lava aus dem Inneren  hervorgedrückt, die wiederum die Krater auffüllte. Seitdem aber gab es kaum noch geologische Veränderungen auf dem Mond. Er hatte eine stürmische frühe Geschichte, aber seit 3 Milliarden Jahren ist dort nichts mehr passiert.

Die geologische Entwicklung der Erde aber setzte sich fort. Noch vor 500 Millionen Jahren nahm die Vulkanaktivtät zu (des zeigen Fossilien), und erst vor 250 Millionen Jahren begannen unsere Kontinente zu wandern; auf der Erde blieb alles in Fluß, bis hin zu den Erdbeben unserer Zeit.

Aber auch die Erde war einem schweren Bombardement von Meteoren ausgesetzt. Krater von tausend Metern  Durchmesser und 200 bis 300 Meter Tiefe hatten natürlich ihre Wirkung auf die innere Struktur und die Oberflächenstruktur der Erde.

Die Urkontinente der Erde können durch extrem große Einschläge entstanden sein, die sich mit Magma füllten und erstarrten. Einige Krater sind 2 Milliarden Jahre alt. Die meisten sind weniger als 300 Millionen Jahre alt (also jünger als die Dinosaurier!). Der jüngste Krater ist der Krater in Arizona, etwa 20.000 bis 50.000 Jahre alt, ein Kilometer breit und 174 Meter  tief). In Kanada gibt es einen Krater von 56 Kilometer Durchmesser.

Am 30. Juni 1908 beobachtete man von der transsibirischen Eisenbahn aus in Sibirien einen Meteorfall, dessen Einschlagstellen über 40 Kilometer verstreut sind. Die Erscheinung in Sibirien ist noch nicht geklärt, denn man hat keine Überreste gefunden (die 40 Kilometer beziehen sich dann auf die Zerstörungen). Man vermutet einen gefrorenen Gasball, der auf die Erde fiel. Eine ganz exotische Theorie ist der Zusammenstoß mit einem schwarzen Loch, das auf der anderen Seite der Erde wieder herauskam. Etwa ist jedenfalls passiert, die Luftwelle ging bis nach Potsdam und die seismische Welle bis Jena.

Ein alter Krater ist auch das „Nördlinger Ries“, vor etwa 15 Millionen Jahren durch einen  Meteoreinschlag entstanden. Der Meteor erzeugte auf seiner Bahn einen Unterdruck; und in diesem Luftschlauch sind dann Steine wieder zurückgeschleudert worden bis in die Gegend von Budweis, wo man die „Tektiten“ oder „Moldaviten“ finden kann. Das sind geschmolzene, glasartige Steine, die dem Material von Nördlingen gleichen: Sie tragen auf der Oberfläche Strömungsfiguren, wie sie (nach Windkanalversuchen) bei der Geschwindigkeit entstehen, mit der ein Stein vom Mond auf die Erde fällt.

Der Mond hat diese Steine verloren durch Meteoreinschläge, die dort wesentlich folgenreicher sind, weil der Mond ja keine Atmosphäre hat. Außerdem hat er eine geringere Anziehungskraft (mit einem Langrohrgeschütz könnte man bei einer Fluchtgeschwindigkeit von 3 sec/km) die Erde beschießen, so daß mehr Materie fortgeschleudert wird als der Mond durch den Meteoreinschlag gewinnt.

Kleinere Meteoriten in einer Größe von Steinen bis zu Felsbrocken fallen jedes Jahr auf die Erde. Doch man kann diese Krater nur noch schwer in den Oberflächenformen erkennen, weil sie den Wirkungen von Wind und Wasser unterlagen. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, daß in der Lebenszeit unserer Zivilisation ein größerer Zusammenstoß mit einem Meteor stattfindet. Kleinere Stücke verglühen ja in der Atmosphäre und sind als Sternschnuppe sichtbar, sie erreichen nicht die Erdoberfläche, weil die Atmosphäre den Himmel rein fegt.

Ein solcher Stoffaustausch findet aber im ganzen Weltall statt.  Die Abstände zwischen den Sternen sind ja so groß, daß ganze Galaxien sich gegenseitig durchdringen können, ohne daß Sterne dabei zusammenstoßen. Auch interstellare Materie (Gas oder Staub) wird ausgetauscht. Es kann auch Materie aus einem Sonnensystem herausgelegt werden und dann frei im Weltraum herumschweben.

Doch bei diesen ganzen Vorgängen ist noch nie ein Stoff auf die Erde befördert worden, der nicht  auf ihr vorkommt oder doch auf ihr vorgekommen wäre. Die Zusammensetzung des Kosmos ist also überall die gleiche. Wahrscheinlich haben wir alle schon einmal Materie in der Hand gehabt, die nicht vor dieser Erde stammt.

 

 

Selektronen, Strings und Symmetrien

• Die Allgemeine Relativitätstheorie verträgt sich nicht mit der Quantenmechanik - eine Herausforderung für Theoretiker.

• Viele Physiker halten winzige Strings und Membranen für die wahren Grundbausteine des Universums.

• Supersymmetrie als zentrales Element einer Weltformel: Materie und Kräfte sollen sich ineinander umwandeln können.

 

Die Suche nach einer allumfassenden Theorie, die Materie und Kräfte im Universum beschreibt, beseelt den Forscherdrang vieler Physiker. Ob und wann eine solche Weltformel gefunden wird, vermag niemand zu sagen. Wenn es tatsächlich Spuren von ihr gibt, könnte eine neue Generation von Teilchenbeschleunigern sie messen.

Die Situation erscheint paradox. Zum einen messen Physiker überall auf der Welt mit hochpräzisen Apparaturen Eigenschaften von Atomen und Atomkernen. In riesigen Beschleunigern und Speicherringen lassen sie immer wieder Myriaden von Protonen, Elektronen und Positronen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit frontal aufeinanderprallen, um so in einem Blitz aus Energie neue Partikel zu gebären. Und immer wieder stellen sie fest: Die Bausteine der Materie verhalten sich exakt so, wie es das Standardmodell der Teilchenphysik von ihnen verlangt. Zum anderen hegt kaum ein Physiker einen Zweifel daran, daß eben dieses Modell nicht der Weisheit letzter Schluß sein kann. Die Forscher halten es nur für eine Näherung an eine viel umfassendere Theorie, die alles im Universum einschließt und in einer einzigen Weltformel beschreibt.

Das Standardmodell der Teilchenphysik erklärt die Elementarteilchen als Grundbausteine der Materie und die vier heute bekannten zwischen ihnen wirkenden Naturkräfte. Es teilt die Materieteilchen in drei Familien ein. Jede von ihnen enthält zwei Leptonen - ein Elektron, Myon oder Tauon sowie das entsprechende Neutrinon und ein Paar von Quarks, aus denen zum Beispiel die Protonen und Neutronen im Atomkern aufgebaut sind. Die Kräfte zwischen den Materieteilchen führt das Modell auf Kraftteilchen zurück, die zwischen den Materiepartikeln ausgetauscht werden:

•  Photonen sind die Überträger der elektromagnetischen Kraft, die für den Zusammenhalt von Atomen, Molekülen und Kristallen sorgt und Licht und Farben entstehen läßt.

•  Gluonen übertragen die starke Kraft, die die Quarks im Inneren von Protonen und Neutronen zusammenhält.

• W-Bosonen und Z-Bosonen sind die Boten der schwachen Kraft, die bei manchen radioaktiven Zerfällen eine Rolle spielt.

Das größte Kopfzerbrechen bereitet den Physikern, daß sich eine der vier bekannten Naturkräfte - die Gravitation - nicht in das Modell integrieren läßt. Das Graviton, der Überträger der Schwerkraft, muß „per Hand“ eingesetzt werden.

Das Rätsel, weshalb Teilchen eine Masse haben, bekamen die Physiker in den Griff, indem sie das Standardmodell um das sogenannte Higgs-Feld erweiterten. Dieses besitzt - so die Vorstellung - keine Richtung und füllt das ganze Weltall aus. Indem sich Teilchen auf ihrer Bahn durch Raum und Zeit im Higgs-Feld bewegen, bekommen sie von diesem ihre Masse verliehen. Das Higgs-Teilchen ist also ein Partikel, das allen anderen Teilen die Masse verleiht.

Verraten sollte sich dieses Feld durch Partikel, die für Sekundenbruchteile aus ihm entstehen können: Higgs-Bosonen, von denen nach dem Bild der Physiker bis zu fünf verschiedene existieren könnten. Inzwischen ist das Higgs-Teilchen - das einige Physiker wegen seiner massespendenden Wirkung pietätvoll als „Gott-Teilchen“ bezeichnen - im Experiment zweifelsfrei dingfest gemacht worden. Zwei Forscher erhielten dafür den Nobelpreis 2013: Peter Higgs, der 1964 die Existenz des Teilchens vorausgesagt hatte, und Francois Englert, der den zugrundeliegenden Mechanismus vorausgesagt hatte. Nachgewiesen wurde das Higgs-Boson 2012 erstmals im Europäischen Forschungszentrum CERN mit Hilfe des Teilchenbeschleunigers LHC.

Die Beseitigung des gravierendsten Makels am Standardmodell dürfte dagegen noch in weiterer Ferne liegen: die Vereinigung aller Naturkräfte. Viele Physiker glauben, daß im Urknall vor rund 13 bis 14 Milliarden Jahren nur eine einzige „Superkraft“ herrschte, die die Entwicklung von Materie, Raum und Zeit in den ersten Sekundenbruchteilen nach der Entstehung des Universums bestimmt hat. Aus ihr sollen die heute beobachteten vier Naturkräfte hervorgegangen sein. Wenn man sich den extremen Bedingungen wie beim Urknall nähert, müßten Elektromagnetismus, Gravitation, schwache und starke Kraft wieder zu der Superkraft verschmelzen. Und deren Wirken sollte sich durch eine einheitliche Formel beschreiben lassen (meint Steven Weinberg, Professor für Theoretische Physik an der Universität von Texas in Austin).

Die Gravitation aber weigert sich hartnäckig, sich in eine solche Weltformel einzufügen. Sie wird durch die von Albert Einstein entwickelte „Allgemeine Relativitätstheorie“ beschrieben, die sich zwar im kosmischen Maßstab immer wieder trefflich bestätigt, in der Welt der Elementarteilchen dagegen kläglich versagt. Der Grund: Sie verträgt sich nicht mit der Quantenmechanik- der grundlegenden Theorie des Mikrokosmos und einem wesentlichen Pfeiler des Standardmodells. Jeder Versuch, die Gravitation durch mathematische Kunstgriffe zu „quantisieren“ führt zu unendlich großen Zahlen für die Anziehungskraft zwischen Elementarteilchen, die physikalisch keinen Sinn ergeben. Es scheint deshalb klar, daß der Weg zu einer allumfassenden Weltformel nur gefunden werden kann, wenn eine radikal neue Theorie an Stelle des Standardmodells tritt.

Als heißer Kandidat dafür wird die Stringtheorie gehandelt. Sie wurde Ende der sechziger Jahre entwickelt, ursprünglich um die Kräfte im Inneren von Atomkernen zu beschreiben. Schon bald aber erkannten die Physiker, daß die Stringtheorie für mehr zu gebrauchen ist. Die Grundlage der Theorie: Die im herkömmlichen Weltbild der Teilchenphysik als punktförmig angenommenen Elementarpartikel räumen ihren Platz als Grundbausteine der Materie. An ihre Stelle treten unvorstellbar dünne Fäden, die sogenannten Strings.

Ein String mißt der Theorie zufolge nur rund 10 hoch minus 33 Zentimeter und ist damit rund 100 milliardenmilliardenmal kleiner als ein Proton. Wie die Saiten einer Gitarre kann ein solches seltsames Gebilde mit bestimmten Eigenfrequenzen schwingen. Was bei Gitarrensaiten die verschiedenen Obertöne ergibt, führt bei einem String auf die Elementarteilchen: Elektronen, Quarks und Neutrinos, aber auch die Kraftteilchen wie Photonen und Gluonen, halten die Stringforscher nunmehr für unterschiedliche Schwingungszustände einer elementaren Miniatur-Saite.

Die Physiker fasziniert an der Stringtheorie, daß sie automatisch auch die Schwerkraft beschreibt. Denn die Lösung der Gleichungen in der Stringtheorie liefern ein Teilchen, das genau die Eigenschaften des Gravitons besitzt - dem noch unentdeckten Überträger der Schwerkraft. Was im Standardmodell prinzipiell unmöglich erscheint - die Einbettung der Gravitation in ein gemeinsames Theoriegebäude - ergibt sich somit in der Stringtheorie elegant von allein. „Die Stringtheorie sagt die richtigen Sorten von Teilchen und die richtigen Kräfte zwischen ihnen voraus. Es scheint, als ob die Gravitation die Strings brauchen würde, um zu existieren“, meint der Physiker Sunil Mukhi vom Tata Institut für Grundlagenforschung in Bombay (Indien).

Bei der Suche nach der Weltformel stecken die Wissenschaftler in einem Dilemma. Denn einerseits gehen die Wissenschaftler davon aus, daß bei der Formulierung einer alles umfassenden Theorie bekannte physikalische Prinzipien und erst recht die Intuition aus dem Leben in der vierdimensionalen Raumzeit nutzlos sind. Andererseits ist unklar, ob sich aus einer solchen Theorie jemals Vorhersagen ableiten lassen, die experimentell überprüfbar sind. Nicolai hofft deshalb auf „eine unerwartete physikalische Einsicht“, die die Forscher auf die richtige Fährte führen könnte- eine radikal neue Intention, wie sie Einstein hatte, als er bei der Formulierung der Allgemeinen Relativitätstheorie die Schwerkraft als Verzerrung der Raum­zeit verstand. Das Warten auf eine revolutionäre theoretische Einsicht wird umso drängender, da aktuelle experimentelle Resultate darauf hinweisen, daß es tatsächlich eine „neue Physik“ jenseits des Standardmodells gibt, nach der es sich zu suchen lohnt.

 

 

Das Standardmodell der Teilchenphysik

 

Materieteilchen (Fermionen)

Leptonen

Quarks

Elektron

Masse: 5,1 mal 10 hoch minus vier GeV

Elektron-Neutrino Masse unbekannt

Up

 Masse: 4 mal 10 hoch minus 3 GeV

Down

Masse: 7 mal 10 hoch minus 3  GeV

Myon

Masse: 0,1 GeV

Myon-Neutrino

Masse unbekannt

Charm

Masse 1,5 GeV

Strange

Masse: 0,5 GeV

Tauon

Masse: 1,8 GeV

Tauon-Neutrino

Masse unbekannt

Top

Masse 174 GeV

Bottom

Masse 4,7 GeV

Kraftteilchen (Bosonen)

Gluon, Überträger der starken Kraft,  Masse = 0

Photo, Überträger der elektromagnetischen Kraft,  Masse = 0

W-Boson und Z-Boson, Überträger der schwachen Kraft,

Masse 80,6 GeV (W) und  91,2 GeV (Z) (Graviton)

 

Massenspendende Teilchen“

Higgs-Boson

 

 

 

 

Zentrales Element in dieser neuen Physik könnte die sogenannte „Supersymmetrie“ sein. Sie erhält ihre Daseinsberechtigung in den Augen vieler Physiker aus mehreren Gründen: Zum einen wird sie von den Higgs-Teilchen benötigt, um den Elementarpartikeln ihre Massen verleihen zu können. Zum anderen ermöglicht sie, daß alle vier Naturkräfte bei der „Planck-Energie“ - einer Energie, die rund zehnmillionenmilliardenmal höher ist als die höchsten heute in Teilchenbeschleunigern erreichbaren Energien - dieselbe Stärke besitzen, sich also zu der Superkraft zu vereinigen scheinen.

Nicht zuletzt verlangt auch die Stringtheorie, daß die Welt supersymmetrisch ist. Da Materien und Kraftteilchen darin Anregungen ein und desselben elementaren Strings sind, schwindet der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Teilchen. Materieteilchen können sich demnach in Kraftteilchen verwandeln und umgekehrt. Daraus folgern die Physiker, daß zu jedem Materieteilchen ein Kraftteilchen als supersymmetrischer Partner existieren muß, und jedes Kraftteilchen sollte entsprechend einen supersymmetrischen Materiepartner besitzen. Das Universum sollte also mindestens doppelt so viele Sorten von Teilchen enthalten, als die Forscher bisher kennen. Noch warten die Superteilchen auf ihre Entdeckung. Doch die Physiker haben sie längst mit Namen wie „ Squarks“ ergänzt, und der supersymmetrische Partner des Photons heißt „Photino“.

Die Forscher kommen bei dieser Vorstellung schon heute ins Schwärmen. „Wenn man supersymmetrische Partikel finden würde, wäre das ein gewaltiger Sprung nach vorn“, sagt Hermann Nicolai. Und Professor John Schwarz vom California Institute of Technology in Pasadena, meint gar: „Falls der LHC oder ein anderer Beschleuniger die Supersymmetrie nachweisen sollte, wäre das eine der tiefgründigsten Erkenntnisse in der Geschichte der Menschheit - meiner Meinung nach tiefgründiger als die mögliche Entdeckung von Leben auf dem Mars.“

Die Aufregung der Physiker ist verständlich: Der Theorie zufolge müßte das leichteste Superteilchen stabil sein - und wäre damit ein idealer Kandidat für die geheimnisvolle „Dunkle Materie“  im Universum. Auf der Suche nach der Weltformel würde die Entdeckung der Supersymmetrie neuen Schwung verleihen (nach Ralf Butscher).

 

 

Weltraumfahrt zu anderen Sternen

Heutige Raketen haben eine Höchstgeschwindigkeit von 11,2 km/sec, die gerade ausreicht, um die Anziehungskraft der Erde zu überwinden. Gesetzt den Fall, es gelänge eine Photonenrakete zu bauen, die fest mit Lichtgeschwindigkeit fliegt, so wären wir zwar in 1,3 Sekunden am Mond, aber zum nächsten Fixstern brauchten wir schon über 4 Jahre. Um die Milchstraße zu durchqueren wären aber schon 100.000 Jahre nach unserer Zeitrechnung nötig.

Eire Rakete, die sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, könnte jede beliebige Entfernung zurücklegen, ohne daß in ihr irgendwelche Zeit verstreicht. Allerdings würde sie dann auch die Länge Null haben und unendlich schwer sei. Eine solche Rakete kann es nicht geben. Nur bei Photonen, also bei Licht, ist das möglich, denn diese existieren auch noch bei der Ruhemasse Null. Aber mit dem Licht kann man nicht reisen. Denkbar wäre höchstens eine Rakete, die annähernd Lichtgeschwindigkeit hat und von Photonen getrieben wird. Heute schon kann man Licht so bündeln, daß es einen merklichen Druck auf eine Fläche ausübt.

Allerdings würde die Masse des Raumschiffs immer größer, je mehr es sich der Lichtgeschwin­digkeit nähert. Der Energiebedarf zum Antrieb dieser Masse würde kosmische Größen erreichen; eine solche Rakete ist unmöglich zu verwirklichen.

Es wäre auch schwer, ein Ziel für künftige Weltraumflüge zu finden.  Die Sonnen sind zu heiß und strahlen tödliche Energien aus. Auch erkaltete Fixsterne wären unerreichbar, weil ein Mensch auf ihnen wegen der gewaltigen Schwerkraft über 60 Zentner wiegen würde.

Reiseziele könnten nur Planeten sein. Auf vielen aber wäre ein Aufenthalt ohne umständliche Schutzmaßnahmen tödlich.

Bei der hohen Geschwindigkeit eines Raumschiffes würde ein Planet nur wie ein Blitz aufleuchten. Man müßte abbremsen, umkehren, den Planet auf Landemöglichkeiten untersuchen und unter Umständen mit sich beschleunigender Geschwindigkeit wieder davonfliegen. In­zwischen wären aber drei Jahre vergangen. Die Expeditionsteilnehmer würden eher den Tod an Altersschwäche erleiden als im Weltall einen zweiten Stern wie die Erde finden.

Noch schwieriger wäre es mit der Rückkehr. Im Raumschioff würden die Reisenden nämlich wegen des „Uhrenparadoxons“ langsamer altern. Albert Einstein hat in seiner „Relativitätstheorie“ vermutet: Je schneller sich ein Gegenstand bewegt, desto langsamer geht

die Uhr, die sich in ihm befindet. Schon in einer Rakete mit der hundertfachen Fluchtgeschwindigkeit der Erde würde man die Verzögerung bemerken.

Auch im organischen Bereich wirkte sich das aus: Der Herzschlag und die anderen biologischen Abläufe würden sich verlangsamen. Von einer Mahlzeit bis zur anderen würden nach irdischer Zeit 91 Jahre vergehen die zwanzig Minuten für die Mahlzeit selber würden sich vier Jahre hinziehen. Wer nach 10 Jahren zurückkäme würde auf der Erde nur seine Ur-ur-enkel antreffen. Die Teilnehmer einer Expedition aus dem Jahre 800n Ch wären um 5 Jahre gealtert, aber sie würden sich heute nicht mehr zurechtfinden und würden in einer Nervenheilanstalt landen. Ihre wissenschaftliche Ausbeute wäre gering, es wäre alles inzwischen schon bekannt.

Es könnte aber auch sein, daß die Raumfahrer nun plötzlich alles seitenverkehrt sehen, weil sie auf ihrer Fahrt die vierte Dimension durchgemacht haben, ohne es zu merken. Wir können uns diese Dimension nicht vorstellen, aber die Mathematiker rechnen mit ihr. Nur so könnte man den Widerspruch lösen, daß das Weltall grenzenlos und doch nicht unendlich ist (Hält Gott sich in dieser vierten Dimension auf?). Die Raumfahrt innerhalb unseres Planetensystems erscheint früher oder später einmal lösbar (heute höchstens Mars und Venus). Aber das Weltall jenseits unseres Sonnensystems bleibt uns verschlossen. Wir müssen diese Grenze erkennen und anerkennen, werden aber dafür nicht alle Maßstäbe verlieren.

 

Gibt es Leben auf anderen Sternen?

Die ersten Landegeräte der Amerikaner auf dem Mars suchten nach Spuren von Leben. Bei einem Gas-Austausuch-Experiment ergaben sich 20 bis 30 fach höhere Werte als erwartet. Auch die Umsetzung von radioaktiv markiertem Kohlenstoff zu Kohlendioxyd erwies sich als unerwartet intensiv. Auch die Ergebnisse eines dritten Experiments 1ießen sich nur durch eine katalytische aktive Oberflächensubstanz erklären.

Diese ist aber nicht organisch, stellt also kein Leben dar.  Man fand  keine organische Materie auch nicht tote organische Materie. Wenn es Leben auf dem Mars gäbe, so würde es seien Überreste alsbald wieder verarbeiten. Inzwischen hat man allerdings auch Wasser - die Voraussetzung des Lebens - auf dem Mars gefunden.

Die Frage nach Leben auf dem Mars bleibt zunächst unbeantwortet. Noch immer kann man es prinzipiell nicht ausschließen, daß es Leben in primitiver Form gibt, aber gefunden hat man es nicht. Festgestellt hat man nur: Es gibt auf der Mars eine exotische, auf der Erde unbekannte Chemie.

Ansonsten könnte in unserem Sonnensystem nur noch in der Atmosphäre der Venus und auf dem Jupitermond Titan geben. Aber wissen können wir es noch nicht. Auch im weiteren Weltraum hat man noch nichts Gewisses feststellen können.    

Man hat bisher durch Radioastronomie viele Formen von Molekülen im Weltall festgestellt, und zwar nicht nur zweiatomige Moleküle wie CH oder NC. Insgesamt hat man über 40 Verbindungen festgestellt. Die kompliziertesten sind Äthylalkohol und Ameisensäure, die die einfachste organische Säure ist.

Das Ziel ist, Aminosäuren zu finden, die ja Grundlage der Eiweiße sind. Diese wiederum sind notwendig für die  Entstehung organischen Lebens. Wesentliche Bausteine des Lebens sind also im Weltall da. „Leben“ ist an sich nur eine übliche Kombination  von chemischen Prozessen, die nur günstige Umweltbedingungen braucht. Es gibt manche Planeten, auf denen die Voraussetzungen für die Entstehung von Leben gegeben sind. Anderes Leben im Weltraum ist also höchst wahrscheinlich. Aber bisher hat man keine Antwort auf Radiosignale erhalten, obwohl man Sender mit 300 Meter Antennenausdehnung gebaut hat; damit hat man aber bisher nur eine Promille aller Sterne angesprochen.

Dennoch ist es sinnvoll gewesen, einer amerikanischen Sonde bestimmte Symbole mitzugeben, die darüber Auskunft geben, wer wir sind und wie wir aussehen. Es ist wahrscheinlich, daß intelligentes Leben sich vielfach im Weltall wiederholt. Aber wahrscheinlich wird niemand diese Sonde finden.  Aber diese Botschaft ist das Symbol unseres Wunsches, nicht allein zu sein. Wir haben das tiefe Bedürfnis, herauszufinden, ob wir im Weltall allein sind oder ob es andere Wesen im Weltall gibt, die uns ähnlich sind. Wir möchten dadurch herausfinden, welche Stellung wir im Plan des Weltalls einnehmen.

 

Seit es Menschen gibt, war diese Frage in vielen Lehren und Religionen da: Dieses Forschen gehört zum Wesen der Menschen. Wir stünden gegen unsere evolutionäre Entwicklung, wenn wir nicht danach fragten und weiter forschten. Doch wegen der ungeheuren Ausmaße des Weltalls werden wir die Frage wohl kaum genau beantworten können. Anderswo auf anderen Sternen sitzen vielleicht menschenähnliche Wesen, die sich den Kopf darüber zerbrechen, ob es uns gibt.

Der Glaube an Gott den Schöpfer wird durch diese Erkenntnisse nicht überflüssig. Wir müßten nur erkennen, daß wir nicht einzigartig im Weltraum sind, sondern daß  Gott auch noch der Herr anderer Lebewesen ist.

 

Geht die Welt unter?

Immer wieder haben Menschen den Untergang der Welt erwartet. Eigentlich ist diese Hoffnung aufgebrochen im Alten Testament: Die Welt muß wieder in Ordnung kommen denn Gott duldet keine Unordnung. Deshalb stellt Gott selber diese Ordnung wieder her, indem er seine Gerechtigkeit durchsetzt und die Welt richtet und alles Böse vernichtet.

Auch  Jesus stellt in den Mittelpunkt seiner Verkündigung die Gottesherrschaft und sagt: „Es ist keine Zeit mehr!“ Wenn wir Jesus begegnen, begegnet uns die Gottesherrschaft, und wir können sie ergreifen oder verwerfen. Zwar müssen wir noch warten und werden erst am Ende der Tage mit Christus verherrlicht, aber jetzt entscheidet sich schon, ob wir später einmal zu Gott gehören werden.

Immer wieder hat es religiöses Strömungen gegeben, die das nahe Ende der Welt erwarteten. Schon Paulus hat anfangs geglaubt, er würde noch zu seinen Lebzeiten das Wiederkommen des Herrn erleben (1.Thess 4,15; doch Phil 1,21). Und so geht das bis in unsere Zeit.

Der „Stammapostel“ Bischoff der Sekte der „Neuapostolischen“ hatte 1951 erklärt: „Ich bin der Letzte, nach mir kommt keiner mehr!“ Jesus selber sei ihm begegnet und habe ihm eröffnet, daß er noch zu Lebzeiten des Stammapostels wiederkommen werde. Neun Jahre lang hat Bischoff alle ausgeschlossen, die nicht an seine „Botschaft“ glaubten. Dann starb er am 6. Juli 1960. Doch schon am Tag darauf setzten sich seine Mitarbeiter zusammen, wählten einen neuen Stammapostel und erklärten: „Gott hat seinen Plan geändert, denn der Stammapostel Die „Zeugen Jehovas“ berechneten zunächst das Jahr 1914 als Zeitpunkt des Weltuntergangs, dann 1925. Als die Zeit aber auch dann noch weiterging, deutete man das Jahr 1914 um: Um den 1. Oktober 1914 herum sei Christus auf den Thron der neuen Welt gestiegen und habe den Endkampf gegen die satanischen Mächte im Himmel begonnen. Das habe auch auf der Erde seine Auswirkungen gehabt, bis nach knapp vier Jahren der Satan aus dem Himmel geworfen wurde und fortan auf der Erde sein Unwesen trieb. Damit haben die Endereignisse eingesetzt, die aber unbestimmbar lange dauern können. Immer wieder heißt es: Jetzt ist die Entscheidung nahe, aber dieses „Jetzt“" dehnt sich nun schon Jahrzehnte.

 

Die Wissenschaft aber sagt uns: „Die Welt geht nicht unter!“ Das Weltall ist höchstwahrscheinlich ein geschlossener, unbegrenzter Raum, der aber doch eine Begrenzung hat, auch wenn wir das mit unseren Erdenmaßstäben weder vorstellen noch richtig erforschen können. Wahrscheinlich fliegen an den Rändern des Weltalls immer noch milchstraßenähnliche Sternnebel auseinander und der Raum ist in ständiger Erweiterung begriffen. Wohin das führt, wissen wir nicht. Aber wir können annehmen: Das Weltall geht nicht unter, es kann höchstens zu verschiedenen Verschiebungen innerhalb des Weltalls kommen.

Für uns wichtiger ist aber die Frage: „Geht unsre  Erde vielleicht einmal unter? Wird sie sich in Staub und Asche auflösen?“ Natürlich können wir das Weltall nicht kaputtmachen; aber in Gen 8 steht nur: „Solange die Erde besteht soll nicht aufhören Saat noch Ernte, Sonne und Hitze, Tag und Nacht!“ Natürlich scheint die Sonne auch noch nach einem Bombenteppich, die Landschaft verändert sich nicht, auch wenn noch so viele sündige Menschen in ihr leben. Aber wird die Erde nicht vielleicht doch einmal in die Luft gesprengt? Die Möglichkeiten dazu hätten wir! Natürlich kann das nicht Gott vernichten, aber halt doch unsre kleine, begrenzte Welt.

 

Anfang und Ende der Welt:

Unsere Welt besteht nicht seit aller Ewigkeit, sondern sie hat einen Anfang gehabt. Wenn es nicht so wäre, müßte sie ja schon längst ein            Ende gefunden haben. Aber radioaktive Stoffe strahlen immer noch, die Sonne strahlt immer noch und die Spiralnebel entfernen sich von uns weg.

Das natürliche Ende der Welt wird der Wärmetod  sein. Man versteht darunter den Ausgleich aller Wärme- und Helligkeitsunterschiede (also nicht unbedingt das Ende aller Energie).

Bei jeder Bewegung geht Energie verloren, die für alle Zukunft verloren ist. Ein „Perpetuum mobile“ gibt es nicht, also eine Maschine, die so viel Energie erzeugt, daß sie sich damit wieder selbst antreiben kann. Wenn man erst einmal kaltes und warmes Wasser, kann man es nicht wieder voneinander trennen (bzw. nur mit Wärmetauscher). Wenn man ein Kartenspiel mit 52 Karten mischt, ist es höchst unwahrscheinlich, daß die gleiche Reihenfolge noch einmal vorkommt, weil die Zahl der Möglichkeiten größer ist als die Zahl Sekunden, die seit Anfang  der Welt vergangen sind.

Alle Vorgänge in der Natur laufen nur nach einer Richtung ab. Deshalb hat die Welt einmal einen Anfang gehabt, an dem diese Vorgänge begannen. Denn wenn es die Zeit schon unendlich lange gäbe, wären diese Vorgänge schon lange abgeschlossen.

Der Kosmos ist nicht einmal unendlich groß. Wenn sie das wäre und die Sterne alle gleichmäßig verteilt wären, dürfte es nicht dunkel werden. Unendlich viele Sterne würden auch solche Dunkelwolken wie den Pferdekopfnebel, der viele Sterne verdeckt, längst aufgeheizt haben. Die Tatsache, daß es nachts dunkel wird, ist ein Beweis dafür, daß das Weltall nicht unendlich  ist.

Aber dann entsteht natürlich die Frage: Was ist hinter der Grenze, an der die Sterne aufhören? Wie kann der Kosmos ohne Grenze sein und doch nicht unendlich? Das hängt damit zusam­men, daß das Weltall wahrscheinlich vierdimensional  gekrümmt ist, also eine Dimension hat, die wir uns nicht vorstellen können. Dieses Weltall geht zunehmender Unordnung  entgegen, das heißt: Vermischung und Ausgleich des Wärmegefälles. Das Weltende könnte auch wie folgt aussehen: Die Sonne wird ein weißer Riese, nimmt erdnahe Planeten in sich auf, ein Leben auf der Erde ist dann nicht mehr möglich, die Menschen könnten höchstens noch zu einem anderen Planeten auswandern.

Dennoch ist in dieser Welt, die auf den Wärmetod zugeht, schließlich  Leben entstanden. Leben bildet ja geordnete Zellverbände, die aller Unordnung („Entropie“) entgegenlaufen. Unsere Welt, soweit wir sie beobachten können, ist nur eine Oase, eine zufällige Stelle im Universum, das als Ganzes längst im Wärmetod erstarrt ist.

Und  in unserer Welt wiederum ist die Erde nur ein winziger Punkt, auf dem Leben existiert. Sie ist eine kleine Oase der Ordnung, in der die Entropie vorübergehend aufgehoben ist, nur ein flüchtiger Augenblick von Ordnung, Leben und Bewußtsein.

Woher stammt die Energie für diese Entwicklung? Diese Frage kann die Wissenschaft nicht beantworten. Als Christen aber können wir sagen: Gott hat gewollt, daß unsere Welt und daß  wir existieren. Die biblischen Schöpfungsaussagen treten heute wieder mehr ins Blickfeld: Die Welt hatte einen Anfang in der Schöpfung. Eines Tages begann die Zeit und eines Tages wird sie enden. Die Welt wird eine Ende haben im Gericht Gottes.

Anfang und Ende des Kosmos verlieren sich für uns in Dunkel. Je weiter wir in der  Wissenschaft vorstoßen, desto mehr wird uns bewußt, daß es Grenzen für uns gibt. Da bleibt dann nur die Bescheidenheit und der Glaube.

 

Die Welt geht unter!

Aber nicht durch uns, sondern durch Gott.  Sie geht unter wegen unserer Schuld, aber auch um unserer Erlösung willen. Gott wird auch den letzten Stern herunterfallen lassen, an den wir uns klammern möchten, um ihm auszuweichen. Erst wenn all unsere Hoffnungen zerstört sind, wird Gott etwas ganz Neues schaffen.

Unsere heutige Welt ist anders  als die Welt am Anfang. Vielleicht hat sie sich aus einem kleinen Anfangsweltall oder einem Spiralnebel oder auch nur aus zwei ganz kleinen Materieteilchen entwickelt. Durch die zukünftige Weiterentwicklung kann wieder alles grundlegend verändert werden. Dabei kann auch unsre Erde oder vielleicht sogar unser ganzes heutige Weltall untergehen und verändert werden. Diese Umwälzung wird schrecklich sein, aber doch der Umschmelzungsprozeß in etwas Neues.

Wenn wir glauben, daß Gott die Welt geschaffen hat, dann werden wir auch bekennen müssen, daß er ihr ein Ende setzen kann. Die Welt wird Gott nicht über den Kopf wachsen. Sie ist vor ihm nur eine Seifenblase, die vergeht. Aber wir „warten eines neuen Himmels und einer neuen Erde“ (2.Petr. 3,13).

Wenn heute unter uns Christus gepredigt wird, dann führen wir die alte Welt dem Untergang entgegen. Wir werden die große Operation des Weltuntergangs ohne Narkose mit vollem Bewußtsein erleben, aber wir werden nicht ohne Trost bleiben: Röm 8,31-39 und  Mt 24,4-44.

 

Wir brauchen eine Hoffnung:

Der Mensch lebt nicht in den Alltag hinein wie ein Tier. Er blickt in die  Zukunft hinein. Er erhofft alles, was er für richtig hält, was er sich wünscht oder berechnet. Die Hoffnung gehört

zu den typisch menschlichen Merkmalen. Was der .Sauerstoff für die Lunge ist, bedeutet die Hoffnung für den Menschen. Die Hoffnung trägt das ganze menschliche Leben. Wer keine Hoffnung mehr hat, muß sterben (besonders in kritischen Lagen).

Aber es ist nicht gleichgültig, w a s man erhofft. Es geht nicht nur um das Hoffen, sondern auch um den Inhalt der Hoffnung. Auch für die Lunge ist ja nicht das Atmen das Wichtige, sondern ob Lebensluft und kein Giftgas eingeatmet wird. Ebenso gibt es auch falsche und richtige Hoffnung. Hoffnung, die enttäuscht, und Hoffnung, die in Erfüllung geht.

Es gibt eine Menge menschlicher Hoffnungen:

1. Griechische Philosophie: Erlösung der Seele aus dem Leib

2. Rom: Gedanke des Imperiums und seines ewigen Bestandes

3. Karl der Große: Westeuropäisches Reich

4. Buddhismus: Eingehen in das Nichts (Nirwana)

5. Französische Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

6. Vereinte Nationen: Erklärung der Menschenrechte

7. Marxismus: Das Prinzip Hoffnung in dialektischer Sicht.

8.  China: Hoffnung auf Führung in der Welt, usw. 

 

Es kann aber auch sein, daß alle Hoffnungen einfach  blockiert werden: Man nimmt entweder an, die Gesetzlichkeit der Naturvorgänge und der gesellschaftlichen Abläufe werde ohne Ende weitergehen und Gott könne gar keine Rolle darin spielen. Oder man lebt in einer bewußten Hoffnungslosigkeit:  „Klar denken und nichts mehr hoffen!“ (Camus). Man sieht die ewige Mühe, aber keinen Fortschritt.

Ein anderer Weg ist die Nachbildung der christlichen Erwartung.  Einmal nach der Seite des Heils: Fortschrittsglaube, Utopien, Freiheit. Aber auch nach der Seite des Unheils: Atomtod, Zynismus, Moral.

Vom Christlichen Glauben her ist beides abzulehnen. Vor allem sagt Gott nicht: „Was ist schon verloren, wenn die Welt untergeht!“ Gott liebt seine Geschöpfe, auch wenn sie auf dem falschen Weg sind. Er möchte sein Eigentum wieder zurückhaben und opfert dafür sogar seinen Sohn.

 

Welches christliche Vorverständnis finden wir?

1. Persönlicher Jenseitsglaube: Weil das Ende der Geschichte immer mehr an den äußersten Rand geschoben wurde, kam schließlich die Hoffnung auf, der Einzelne werde in den Himmel kommen .Doch es geht doch auch um die Erlösung der ganzen Welt und die Vollendung der Gemeinde; es kann uns doch nicht gleichgültig sein, was mit der ganzen Schöpfung und unsren Mitmenschen geschieht.

2. Rückzug aus der Welt in den Innenraum der Seele: Die Zukunft ist schon gegenwärtig in inneren Erfahrungen der frommen Seele. Die Hauptsache, ich lebe in einem Reich der Seligkeit. Die Welt bleibt doch, wie sie ist. Was sollten wir auch an ihr ändern, wenn wir

nur auf den wiederkommenden Herrn warten?

Doch Jesus hat nicht von der Welt Abschied genommen und sich in den Himmel zurückgezogen. Jesus ist in die Welt und die Menschheit hinein auferstanden. Die Geschichte ist nicht abgeschlossen, Gott treibt auch in ihr seine Neuschöpfung. Die Welt ist ein riesiger Behälter voller Zukunft (Moltmann). Doch sie hat nur Zukunft durch Christus.

Wir brauchen eine Hoffnung, weil das Leben des Einzelnen der Verbesserung bedarf. Durch den Glauben an den Auferstandenen wird aber manches anders: Es wandelt sich mein Verhältnis zur Geschichte (Christus ist der Herr der Geschichte), zu mir selbst (Ich muß mich nicht mehr selbst bestätigen), zum Mitmenschen (Er ist nicht mehr nur Objekt meiner Wünsche), und zu meiner Zeit (= zum Tod, zu den Tagesaufgaben, zur Zukunft). Hoffnung ist eine Haltung, die mein heutiges Leben auf die Zukunft hin ausrichtet und aus der heraus ich mein Leben gestalte!

 

Es kommt alles auf die richtige Hoffnung an:

Jeder Patient hofft auf Genesung, weil er den Wunsch hat, gesund zu werden. Aber ob diese Hoffnung falsch oder richtig ist, hängt nicht von seinen Wünschen ab, sondern von den tatsächlichen Bedingungen, die vorhanden sind oder fehlen, die eintreten oder ausbleiben (zum Beispiel körperliche Verfassung, Möglichkeiten des Arztes). Keiner hat einen absolut sicheren Blick in die Zukunft.

Wir können uns nicht irgendwelchen unsicheren Hoffnungen hingeben, wenn es um die Zukunft geht. Die „Ewigkeit“ ist auch keine  Wunschheimat jenseits unserer Zeit, der man sich möglichst entreißen sollte, so daß man sich für nichts mehr interessiert. Gottes Ewigkeit ist nicht teilnahmslose Jenseitigkeit. „Ewig“ heißt nicht „zeitlos“, sondern „zeitüberdauernd“, in allen Wechselfällen der Geschichte und durch den Tod hindurch dauerhaft, tragend und verläßlich. Wo der Mensch Erlösung haben möchte vom „irdischen Getümmel“, da finden wir in der Bibel die Verkündigung der Treue Gottes (Röm 8,39: „Nichts kann uns scheiden...“). Das ewige Leben ist auch nicht ewige Langeweile, sondern ein erfülltes Leben, das ganz von Gottes unerschöpflicher Lebendigkeit erfüllt ist, zu dem man wie Gott sagen kann: „Siehe, es war alles sehr gut!"

Wir hoffen auf Jesus Christus, der die Welt in Händen hält. Alle menschlichen Hoffnungen sind Wunschhoffnungen, die ebensoviel gegen sich wie für sich haben; sie sind zwielichtig und nur Wahrscheinlichkeitshoffnungen. Die Hoffnung auf Christus aber ist untrüglich, weil er der Herr über alle Wirklichkeit und alles Leben ist.

Christliche Hoffnung ist deshalb unabhängig von Zuständen und Verhältnissen. Sie kann auch nicht zerstört werden durch Katastrophen. Sie ist nicht von menschlicher Macht oder Ohnmacht abhängig, nicht von politischer Hochspannung und weltanschaulichen Parolen. Christen sind deshalb noch nicht besser oder heldenhafter als andere Menschen. Aber sie wissen, daß keine Not sie verderben kann, weil Christus das Ziel ist.

Nicht im Weltall, wo die künstlichen Monde ihre Bahnen ziehen, sondern hier auf unserer Erde wird Christus aus seiner Verborgenheit heraustreten und sich offenbar machen als der, der den Weltraum, die Erde und die Menschen beherrscht. Christus behält das letzte Wort über alles, was in seinem Namen, aber auch gegen seinen Namen geschehen ist: Er kommt zum Gericht! Damit ist er der Sieger: das ist unsere Hoffnung!

 

Die Vollendung der Welt ist noch nicht geschehen, aber sie hat mit der Auferstehung Jesu  schon begonnen: Vor daher leben wir mit einem weiten, offenen  Herzen für die Menschen unserer Tage. Wir sind alle unterwegs. Aber wir wissen auch das Ziel unseres Lebens in dem Durcheinander menschlicher Wünsche und zwielichtiger Menschenhoffnungen.

Aber dadurch werden wir auch zu Realisten, die die Gegenwart illusionslos einschätzen. Wir leben noch nicht in der Endphase der Geschichte, wir leben nicht auf dem Höhepunkt der Geschichte, in der besten aller Zeiten, die wir nun begeistert bejubeln und religiös überhöhen müßten.

Deshalb sind wir auch geschützt vor inneren Zusammenbrüchen, wenn menschliche Ordnungen vergehen, in denen wir gelebt haben. Wir wissen aber auch, daß Gott die Welt nicht der radikalen Vernichtung anheimfallen läßt, sondern sie zur Vollendung führt, auch unsere persönlichen Werke und Leistungen. Alles Stückwerk von heute wird einmal vollendet werden. Aber das hindert uns nicht daran, unsere Arbeit heute gewissenhaft und so gut wie möglich zu tun.

Luther soll gesagt haben: „Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge und der liebe jüngste Tag anbräche, würde ich noch heute mein Apfelbäumchen pflanzen und meine Schulden bezahlen!“

Der Christ lebt in letzter Freiheit auch gegenüber seinem eigenen Leben. Er weiß, daß auch sein irdisches Leben zum Vorletzten gehört und daß er es nicht stärker lieben darf als Christus. Aber er nimmt dieses Leben ernst und sieht es als Bewährungszeit für Christus, vor dessen Angesicht der Tod uns alle stellt.

Wer auf Christus hofft, lebt in der Freiheit gegenüber den Verleumdungen anderer Menschen, gegenüber menschlicher Ehre und Macht. Er weiß, daß es für ihn auf das Urteil Gottes ankommt. Wer sich Gottes Beistand gewiß ist, bleibt frei gegenüber allem Urteil der Menschen, gegenüber. seinem Geld und seinem Besitz; Gott kann das alles verbessern, aber er kann es auch nehmen oder durch andere Menschen nehmen lassen.

Wir leben, wenn wir hoffen! Wir  leben, w e i 1 wir hoffen! Wir leben, w i e wir hoffen!

 

Kybernetik (Steuerungslehre)

 

Definition

Das Wort „Kybernetes“, das hinter dem Begriff „Kybernetik“ steht, ist der griechischen Sprache entnommen und bedeutet „Steuermann“. Wenn man Maschinen als „kybernetisch“ bezeichnet, so will man damit sagen, daß es bei ihnen nicht um energetische Kraftleistungen oder die Herstellung bestimmter Produkte (wie bei herkömmlichen Maschinen) geht, sondern um ihre Fähigkeit, die Steuerfunktionen des Menschen zu übernehmen. Während Energiemaschinen in den körperlichen Bereich der menschlichen Arbeit eingreifen (sie heben Lasten, ziehen Fahrzeuge, schmieden und stanzen usw.), entlasten kybernetische Maschinen die geistige Arbeit des Menschen. Sie rechnen und steuern für ihn. Beim Steuervorgang sind zwei Momente bemerkenswert:

1. die Übertragung der aus der Außenwelt kommenden Information auf das Steuer (die Leistung des Steuermanns).

2. die Übertragung der vom Steuermann kommenden Information auf das Schiff (die Leistung des Ruders).

 „Die Kybernetik ist die Wissenschaft von der Regelung, Steuerung und Kommunikation (Nachrichten-Verbindung) im lebenden Organismus und in der Maschine“ definiert Norbert Wiener. Diese Definition ist inzwischen erweitert und aufgrund neuer Erkenntnisse weiter ausgebaut worden. Doch in ihrer Prägnanz und Einfachheit bleibt sie unübertroffen. Hinter dieser trockenen Definition steckt mehr, als man zunächst vermutet. Sie ist die Wissenschaft von morgen. Sie ist eine Art, die Welt zu betrachten und zu steuern.

Ein entscheidendes Merkmal der kybernetischen Betrachtungsweise ist also, daß Methoden, die sich in Physik und Technik bereits durchgesetzt haben, andere (nichttechnische) Bereiche angewandt werden: Biologie, Physiologie, Psychologie, Pädagogik, Ökonomie und Soziologie. Die Kybernetik geht von der Grundthese aus, „daß das Lebensgeschehen und die psychischen Vorgänge aus der Anordnung und Wechselwirkung der Teile des Organismus im Prinzip vollständig erklärt werden können“ (Karl Steinbuch).

Die Kybernetik hat mit allem zu tun, was der Mensch betreibt. Die kybernetische Betrachtungsweise erfaßt die Steuerung einer Weltraumkapsel genauso wie die Steuerung gesellschaftlicher Prozesse. Sie ist bei der Regelung des Geldumlaufs genauso angebracht wie bei der Regelung des Blutkreislaufs. Das Wechselspiel zwischen zwei Wirtschaftsgebieten ist für sie genauso interessant wie das zwischen zwei Nervenzentren. Die Kybernetiker haben erkannt, daß die Art der Organisation für das Funktionieren eines Systems ausschlaggebend ist.

 Es kommt der kybernetischen Betrachtungsweise vor allem auf die „Anordnung und Wechselwirkung der Teile“ eines Systems an. Die erkannten Gesetzmäßigkeiten wirken unabhängig von der inneren Natur der zu untersuchenden Systeme. Gerade diese Abstraktion erhebt die Kybernetik zu einer Universalwissenschaft.

Die neue Betrachtungsweise hat es mit sich gebracht, daß uralte philosophische Streitfragen in einem ganz neuen Licht erscheinen. Positionen, die bislang als unüberbrückbare Gegensätze galten, erscheinen lediglich als zwei notwendige Aspekte der gleichen Sache. Dadurch kommt eine ganz neue Art von Toleranz zustande: „Daß ich recht habe, will noch lange nicht sagen, daß die unrecht hätten, welche anders denken als ich“ (Pierre Bertaux). Die Kybernetik sieht die Welt als eine organische Einheit, in der selbst Lücken des Wissens sinnvoll erscheinen können.

Seit 1945 gibt es die Kybernetik als eine Wissenschaft. Die Rückkopplung hat Norbert Wiener entdeckt, der als Physiker noch Medizin studierte und auf beiden Seiten Parallelerscheinungen feststellte. Technisch angewendet wurden diese Ideen durch Ashby.

Es geht um die Steuerung mechanischer Abläufe. Je komplizierter eine Maschine ist, desto mehr muß sie sich selber steuern: Sie speichert Informationen, die sich aus ihrem Lauf ergeben, und verwendet sie nachher wieder: Nachtspeicheröfen oder Gasöfen mit einem Außenthermometer oder mit einem Thermostat, der sich auf jede Außensituation einstellt (ebenso Kühlschrank und Warmwasserboiler).

Im kybernetischen System geht es jedoch darum, durch eine Rückkopplung auch alle unvorhergesehene Abweichungen mit zu erfassen: Ein Schiffchen fährt auch in einem Strudel einen idealen Kreis.

 

Das Wesen der kybernetischen Maschinen

Mechanische Automaten gab es bereits im vorigen Jahrhundert. Sie waren jedoch völlig starr. Trotz aller Mannigfaltigkeit waren sie nicht imstande, ihr Verhalten in Abhängigkeit von Vorgängen in der Außenwelt zu verändern. Sie waren programmgesteuert und hatten keinerlei Umwelt (Beispiel: Spieldose).

Der Übergang zu kybernetischen Maschinen ist mit einer Änderung des Verhältnisses der Maschine zu ihrer Umwelt verbunden. Die Außenwelt wird in das System der Maschine einbezogen und verwandelt sich so aus einer bloßen Umgebung zur Umwelt. Die Beziehungen zur Außenwelt setzen einen ständigen Informationsfluß zwischen Umwelt und System voraus. Der Informationsfluß beginnt mit dem Sinnesorgan, das ein Radargerät oder ein Auge sein kann und als Meßfühler bezeichnet wird, strömt in das Berechnungszentrum und gelangt von dort in die Organe, die für die Einstellung des Stellgliedes zu sorgen haben. Jede Störung des Systems wird durch entsprechende Reaktionen kompensiert.

Der Zusammenhang zwischen den Elementen eines Systems oder der Systeme untereinander beruht im Grunde auf dem Austausch von Informationen. Wiener schreibt einmal: „Wenn ich, anstatt frühmorgens aus dem Bett zu steigen, auf einen Knopf drücke, der die selbsttätige Heizung aufdreht, das Fenster schließt und eine elektrische Kochplatte unter dem Kaffeetopf einschaltet, so sende ich Nachrichten zu allen diesen verschiedenen Apparaten. Wenn dann der elektrische Eierkocher nach einer bestimmten Anzahl von Minuten zu pfeifen beginnt, sendet er mir eine Nachricht. Wenn der Wärmefühler der Ölheizung feststellt, daß das Zimmer zu warm ist, veranlaßt er, daß der Brenner sich abstellt.

Man kann also sagen, daß das Übermitteln von Nachrichten zum Regelungsverfahren der selbsttätigen Heizungen gehört. Mit anderen Worten: Regelung beruht wesentlich auf der Weitergabe von Nachrichten (inner­halb geschlossenen Kreises), die den Zustand des Systems ändern.“ Ein wichtiger Grundgedanke der Kybernetik lautet deshalb: Regelung ist nur durch Nachrichtenvermittlung innerhalb eines geschlossenen Kreises möglich.

Einen derartigen Funktionszusammenhang, in dem durch ständiges Rückmelden der Systempositionen an die Zentrale ein bestimmter Endzustand angestrebt wird, nennt man einen Regelkreis mit Rückkopplung. Der variable Funktionszusammenhang, in dem die Umwelt den Zustand des Systems mitbestimmt, charakterisiert alle kybernetischen Maschinen.

Aus der Möglichkeit, die Schalt- und Regelzentren immer weiter zu komplizieren, folgt die wachsende Plastizität und Vielseitigkeit derartiger Systeme. Im Lauf der Entwicklung hat sich herausgestellt, daß es genügt, die Zahl der Elemente und Verknüpfungen eines nach bestimmten Regeln gebauten Systems zu vermehren, um damit die Leistungsfähigkeit dieses Systems derart zu steigern, daß es schwerfällt, zu entscheiden, ob man es nur mit einer bloß quantitativen Steigerung oder mit einem qualitativ neuen Zustand zu tun hat. Unter gewissen Bedingungen reicht die bloße Vermehrung der Verknüpfungen aus, um den Wirkungsgrad eines Systems wesentlich zu erweitern.

Die beiden Charakterzüge kybernetischer Systeme: Umweltoffenheit und Komplexität sind die Voraussetzung ihrer Entwicklung. Ihr Ergebnis ist bis jetzt eine Fülle von technischen Systemen und biologischen oder soziologischen Modellvorstellungen. Um einen Überblick über die kybernetischen Systeme zu gewinnen, empfiehlt sich eine funktionelle Klassifikation - und zwar eine, die sich auf ihrem Verhalten aufbaut. Wir unterscheiden im Wesentlichen drei Klassen solcher Systeme: Reagierende, lernende und planende Systeme.

 

Reagierende Maschinen

Das Bedürfnis nach Automation und Fernsteuerung ist eine Folge der Entwicklung. Je weiter sich die Technik entwickelte, desto notwendiger wurde es, immer mehr Steuerungsvorgänge der Maschine selbst zu übertragen. Reagierende Maschinen können von sehr verschiedener Komplexität sein. Einfache Systeme haben einen konstanten Sollwert. Ihre Aufgabe besteht einfach darin, den vorgegebenen Wert gegen Umwelteinflüsse zu realisieren. Beispiel ist der Kühlschrank, der mit Hilfe eines Regelkreises in allen Jahreszeiten die gleiche Innentemperatur erzeugt. Komplexe Systeme haben einen variablen Sollwert, der unter dem Einfluß innerer und äußerer Änderungen verstellt werden kann. Beispiel: der automatische Verkehrsregler und der Autopilot.

Schon um ein modernes Elektrizitätswerk zu steuern (d. h. die Netzspannung bei wechselnder Belastung zu regulieren, die Aggregate umzuschalten und gegen Havarien zu schützen, mit einem Wort alle laufenden Bedienungsoperationen durchzuführen) brauchte man ein großes Aufgebot von Mitarbeitern. In einem Atomkraftwerk aber hülfe das auch nichts. Es ist bekannt, daß die unmittelbare Berührung des Menschen mit radioaktiven Stoffen Verbrennungen, Krankheiten und den Tod. zur Folge hat. Deshalb kann die Steuerung der Kernreaktionen nicht durch Menschenhand erfolgen. Der Hinweis auf die Reaktortechnik zeigt deutlich, daß das Vorhandensein steuernder Maschinen zu den technischen Notwendigkeiten des Atomzeitalters gehört. Kein Raumschiff hätte starten können, wenn ihnen nicht kybernetische Maschinen ihre Bahnen gewiesen hätten.

Ein gutes Beispiel ist die automatische Verkehrsregelung: An einigen der verkehrsdichtesten Kreuzungen der Welt regeln kybernetische Maschinen den Verkehr. Mit ihren scharfen Augen (Funkpeilgeräten) nehmen sie jedes herannahende Fahrzeug wahr und erkennen gleichzeitig (nach dem Dopplereffekt) seine Geschwindigkeit. Was die „Augen sehen“, teilen sie dem „Gehirn“ der Maschine (dem Rechenzentrum) mit. Dieses bestimmt nach bestimmten Regeln (Algorithmen) das für die jeweilige Situation notwendige Signal der Verkehrsampel. Dabei verfolgt es das Ziel den Aufenthalt der Fahrzeuge auf der Kreuzung auf ein Mindestmaß zu beschränken.

Wie mag es den Verkehrspolizisten zumute gewesen sein, als sie eines Tages von der Maschine abgelöst wurden? Was sie selbst nur mit Aufbietung all ihrer Kraft und Konzentration leisten konnten, das leistete jetzt die Maschine - und leistete es besser. Während sie sich wegen Ermüdung alle paar Stunden gegenseitig ablösen mußten, zeigte die Maschine, die Tag und Nacht arbeitete, keinerlei Ermüdungserscheinung und erhöhte zudem die Durchlaßkapazität der Kreuzung ungefähr um 30 Prozent. Daß diesen Verkehrspolizisten trübsinnige Gedanken kamen, ja daß sie in Minderwertigkeitsgefühle vor den „neuen“ Maschinen gerieten, können wir gut verstehen. Dabei aber dürfen wir sie nicht stehen lassen.

Ähnlich erstaunliche Leistungen wie der automatische Verkehrsregler vollbringt der sogenannte Autopilot. Der erste vollkommen automatische Flug eines Passagierflugzeuges über eine weite Strecke wurde 1947 von den USA durchgeführt. Ein Verkehrsflugzeug mit Passagieren überquerte in einem zehnstündigen Flug den Atlantischen Ozean von Neufundland bis in die Umgebung von London. Der Flug begann mit einer einzigen Handlung eines Menschen, mit dem Druck auf den Startknopf. Danach war bis zur Landung und zum Hereinführen an die Abfertigung keine menschliche Steuerung mehr nötig. Während des gesamten Fluges wurde das Flugzeug durch einen Roboter gesteuert. Auf den einzelnen Etappen des Fluges änderte sich das Programm der Steuerung, änderten sich die Funkfeuer und die Orientierungspunkte, und dieser Steuerungswechsel wurde ebenso wie auch die Landung automatisch vollzogen.

Darüber hinaus lassen sich bestimmte Verhaltensweisen der Tiere (sogenannte „bedingte Reflexe“) mit reagierenden Maschinen nachahmen. So hat man kybernetische Schildkröten gebaut, deren Verhalten sehr an das Verhalten lebender Tiere erinnert. Wenn sie hungrig sind (d. h. wenn ihre Akkumulatoren Strom brauchen), gehen sie in die Sonne. Dort „weiden“ sie, bis sie satt sind (d. h. bis ihre Akkumulatoren mit Sonnenbatterien genügend aufgeladen sind). Weitere Stromzufuhr würde ihnen schaden, wie es ja auch einem Tier schadet, wenn es über die Sättigung hinaus weiterfrißt. Dann fangen sie an, einen schattigen Platz zu suchen. Ihre Motoren werden eingeschaltet, und die „Schildkröten“ bewegen sich solange in der Richtung, aus der die Sonne scheint, bis sie den Schatten eines größeren Gegenstandes, zum Beispiel eines Baumes oder Strauches, erreicht haben. Dort bleiben sie stehen, denn sie haben ihr Ziel, den Schatten, erreicht.

Der gefundene Schatten ist nun freilich kein bleibender Ruhesitz. Da die Schatten mit der Sonne wandern, müssen die Schildkröten, um im Schatten zu bleiben, mit wandern. Dabei verbrauchen sie Energie für die Motoren und die Steuerungsanlage und werden wieder hungrig. Sind sie den Schatten lange genug gefolgt, dann treibt sie der Hunger wieder in die Sonne und sie verweilen dort, bis sie satt sind und bis mit der Suche nach Schatten der Kreislauf von neuem beginnt.

 

Lernende Maschinen

Die Behauptung, daß Maschinen lernen können, wirkt ausgesprochen provozierend und bestürzend auf uns. Soll die tote Maschine mehr können als das lebendige Tier? Womit soll die Maschine lernen, die doch weder Nerven noch Gehirn hat? Wirft die Aussage. daß Maschinen lernen können, nicht die ganze Schöpfungsordnung über den Haufen? Zuerst geht es um die Frage: „Was ist denn Lernen eigentlich?“ Die Antwort: „Lernen ist die Fähigkeit, sich vergangene Erfahrungen einzuprägen und sie später rationell auszunutzen.“ Gibt es Maschinen, die diese Fähigkeit haben? Kann sich eine Maschine Erfahrungen einprägen und sie später ausnutzen? Auf diese Frage ist mit einem eindeutigen „Ja“ zu antworten.

In lernenden Systemen wird das zukünftige Verhalten durch das gegenwärtige Verhalten mitbestimmt. Das bekannteste Beispiel dieser Art ist eine Maschine, die durch Versuch und Irrtum zur Lösung eines Problems gelangt und sich den Weg zu dieser Lösung merkt. Das einfachste Modell eines lernenden Systems ist die von Claude Shannon gebaute Maus ,Theseus‘ aus dem Jahre 1955. Diese Maus bewegt sich in einem Labyrinth und dreht sich jeweils um 90 Grad nach links oder nach rechts zufällig und ertastet ihren Weg. Dabei erlebt sie Erfolge und Mißerfolge, bewegt sich aufs Geratewohl immer weiter fort und prägt sich auf dem Wege immer mehr Kenntnisse über die Lage der Zwischenwände des Labyrinthes ein. Endlich, vollkommen zufällig, erreicht die Maus das Ziel ihrer Wanderung. Dabei bleiben alle geschlossenen Relais geschlossen und der von der Maus erforschte Teil des Labyrinthes bleibt im Gedächtnis, und zwar im Gedächtnis der Rechenapparatur, gespeichert.

Dieses blinde Herumtasten der Maus kann uns nicht sonderlich imponieren. Aber das ist ja auch gar nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist, daß jede Bewegung der Maus im Gedächtnis des Automaten gespeichert wird und daß sich die Maus mit dessen Hilfe eine genaue Kenntnis über die Lage des Labyrinths erwirbt. Wird die Maus nämlich wieder in das Ausgangsfeld zurückversetzt, verhält sie sich vollkommen anders als beim ersten Male. Sie bewegt sich nicht mehr aufs Geratewohl, sucht nicht und begeht keine Fehler. Sie bewegt sich durch jenen Teil des Labyrinths, der erforscht wurde, auf kürzestem Weg zum Ziel. Wenn man jetzt die Maus in ein Quadrat setzt, in dem sie noch nicht war und das sie folglich nicht kennt, beginnt sie von neuem aufs Geratewohl herumzulaufen, prägt sich wie beim ersten Mal den Weg ein, bis sie zufällig in eines der bekannten Quadrate gerät. Hier stellt sie sofort das Suchen ein, denn von hier aus kennt sie den Weg und läuft deshalb ohne Umschweife auf kürzesten Weg zum Ziel.

Die Maus von Shannon demonstriert die Möglichkeit der Maschine, sich vergangene Erfahrungen einzuprägen und sie später rationell auszunutzen. Das ist nichts anderes als lernen im weitesten Sinne des Wortes. Zum Unterschied von lebenden Mäusen lernt Shannons Maus hervorragend schnell. Sie geht den Weg nur einmal und hat ihn im Gedächtnis. Wie oft müßte wohl eine wirkliche Maus diesen Weg gehen, um ihn sicher zu kennen? Trotzdem ist die kybernetische Maus der lebenden nicht überlegen. Sie prägt sich den Weg zwar schneller ein, sie kann aber auch nichts weiter lernen, als den Ausgang aus dem Labyrinth zu finden.

 

Noch viel lernfähiger als Shannons Maus muß eine Maschine sein, die zur Steuerung des Hochofenprozesses angelernt wird. Und solche Maschinen gibt es. Zunächst empfängt diese Maschine nur Informationen über die allgemeinen Steuerungsprinzipien des Hochofens. Diese reichen jedoch für eine qualifizierte Steuerung der Anlage nicht aus. Deshalb schaltet sich die Maschine nicht sofort in die Steuerung ein, sondern beobachtet zunächst eine Zeitlang die Hantierungen der Hochofengruppe und „lernt“ von ihnen. Die Maschine ist mit Einrichtungen versehen, die es ihr ermöglichen, den Verlauf der Arbeit zu „beobachten“ und dabei gewonnene „Erfahrungen“ als Ergänzungen in ihr Programm aufzunehmen. Nach einigen Monaten „Unterricht“ hat sie „ausgelernt“ und man kann ihr ohne Bedenken die gesamte Steuerung des Hochofens übertragen. Sie erfüllt diese Aufgabe nicht schlechter als eine Gruppe qualifizierter Facharbeiter.

Um die Leistungsfähigkeit der Maschine noch weiter zu steigern, kann man es auch so einrichten, daß die Maschine die Erfahrungen verschiedener Gruppen auswertet und das Beste von ihnen übernimmt. Dadurch wird die Maschine befähigt, den Hochofenprozeß besser zu steuern, als es jede der „beobachteten“ Gruppen für sich könnte.

Das komplizierteste Spiel, das wir haben, ist das Schachspiel. Auch die Regeln dieses Spieles kann die Maschine lernen. Hier aber ist für die Maschine vom Erlernen der Regeln bis zum wirklichen Spielen ein weiter Weg. Von den 10 weißen und 10 schwarzen Figuren des Schachspiels verfügt jede im Mittel über sechs Züge. Daraus ergibt sich, daß 6 hoch 40 Möglichkeiten untersucht werden müssen, um die beiden nächsten Züge zu finden.

Eine Maschine, die pro Sekunde 1 Million Möglichkeiten untersucht, benötigte dazu 1 Milliarde Jahre. Inzwischen wären der Partner und seine Urenkel gestorben. Um im Schach spielfähig zu sein. muß die Maschine die Möglichkeit der Auswahlverstärkung haben. Nun gibt es in der Tat Maschinen, die über Auswahlverstärkung verfügen und dem Menschen zum Gegenspieler im Schach werden können.

Was Verstärkung ist, zeigt er zunächst an einem einfachen, uns allen einleuchtendem Beispiel: an dem Heizer auf der Lokomotive. Der Heizer setzt seine Kraft ein, um die Lokomotive in Betrieb zu setzen, die die eigentliche Leistung vollbringt. Die körperliche Leistung des Heizers mag groß sein, wenn man sie mit dem Kraftaufwand eines Angestellten oder einer Sekretärin vergleicht, im Vergleich mit der Leistung der Lokomotive ist sie sehr klein. Die Kraft des Heizers wird durch die Arbeit der Lokomotive um ein Vielfaches verstärkt. Verstärkungsvorgänge dieser Art sind überall dort zu beobachten, wo der Mensch mit Hilfe von Maschinen Arbeit leistet. Noch deutlicher ist die Verstärkung beim Kraftfahrer. Er tritt auf das Gaspedal und setzt einen Lastwagen mit Anhänger in Bewegung.

Wenn ein Hausbesitzer einen Handwerker auswählt, trifft er damit eine Auswahl. Es muß aber auch möglich ein, einen echten Auswahlverstärker zu bauen, bei dem der Bereich, aus dem die Auswahl vorzunehmen ist, größer ist als der Bereich, der in den Möglichkeiten des Konstrukteurs liegt. Solche Auswahlverstärkung ist notwendig, wenn ein kybernetisches System überhaupt sinnvoll arbeiten soll. In schachspielenden Automaten ist sie - wie in anderen komplexen Maschinen - verwirklicht. Mit ihrer Hilfe gelingt es der Maschine. die Entscheidungen der nächsten Züge zu treffen, ehe die Urenkel ihres Partners gestorben sind, und dem Menschen ein Spiel zu liefern, in dem keineswegs von vornherein ausgemacht ist, wer es als Sieger beenden wird.

 

Planende Maschinen

In planenden Systemen werden sämtliche möglichen Lösungsvarianten in einem inneren Schalt­werk durchgespielt und bloß jene ausgeführt, die den größten Erfolg versprechen. Von außen gesehen wird so in einem System die jeweilig günstigste Strategie geplant, ehe sie zur Anwendung kommt. Planung ist nur in sehr komplexen Systemen und nur unter bestimmten Bedingungen möglich. So müssen die Umweltfaktoren, die bei der Wahl der günstigsten Lösung eine Rolle spielen, dem System auf irgendeine Weise zugänglich sein. Falls sie nur begrenzt zugänglich sind, muß das System in der Lage sein, mit Wahrscheinlichkeitsfunktionen zu operieren.                     

 

Informationsspeicher

Ein Wissenschaftler ist heute nicht mehr in der Lage, alle in seinem Fachgebiet erscheinende Literatur zu lesen und zu verarbeiten. Die Fülle des angehäuften Wissens steht in keinem Verhältnis zur Nachrichtenkapazität des Menschen und erfordert für die weitere Entwicklung der Wissenschaften neue, bessere Methoden des Umgangs mit Informationen. Dazu gehört 1. die Verdichtung von Information zu Wissen (Wissen ist nach bestimmten Gesetzen strukturierte Information), 2. der Einsatz geeigneter Maschinen.        

Die Folge des Einsatzes kybernetischer Maschinen ist eine ungeheure Vermehrung der Information. In der Geschichte der menschlichen Erkenntnis gab es zwei hervorragende Ereignisse, die jedes auf seine Weise neue Perspektiven für die Aufbewahrung nutzbarer Information eröffneten. Das eine war die Erfindung der Schrift, das andere die Erfindung des Buchdruckes. Man hat gelegentlich von Informationsexplosionen gesprochen. Die ungeheuerlichste Informationsexplosion, die die Menschheit je erlebt hat, geschieht jedoch in unseren Tagen durch den Einsatz informationsverarbeitender und informationsspeichernder Maschinen. Ein Wissenschaftler ist heute nicht mehr in der Lage, sich auch nur in seinem engen Fachgebiet auf dem Laufenden zu halten. Ein Internist müßte beispielsweise jeden Tag 80 Stunden lesen, um über sein Fachgebiet informiert zu sein.           

In unseren Tagen aber erleben wir durch die Anwendung der modernen Kommunikationsmittel, wie sie durch die Schnelldruckverfahren, Übersetzungsmaschinen usw. bereitgestellt werden, abermals eine Wissensexplosion, die in Größe und Umfang die beiden früheren Explosionen weit in den Schatten stellt.

Bei der Speicherung hat man angefangen mit einem automatischen Katalog: Auf einem Filmstreifen befinden sich in zwei Reihen kurze Annotationen von Artikeln, auf der einen Seite in der üblichen Sprache, auf der anderen in Form von weißen und schwarzen Punkten in ein binäres Alphabet kodiert. Der Filmstreifen, der ungefähr 70.000 traditionelle Karteikarten ersetzt, wird von einer Einrichtung mit Fotoelementen in 6 bis 7 Minuten automatisch durchgesehen. Vor der Durchsicht werden Chiffren eingeführt. die dem Inhalt der auszuwählenden Artikel entsprechen. Bei der Durchsicht der Chiffren erfassen die Fotoelemente die entsprechenden Kombinationen. Das Band wird automatisch angehalten und die gesuchten Annotationen, die in der üblichen Sprache geschrieben sind, werden automatisch fotografiert. Auf diese Weise gibt der automatische Bibliothekar in 6 bis 7 Minuten bibliographische Auskünfte auf eine beliebige Frage aus den ihm zur Verfügung stehenden Materialien. Heute ist die Suchfunktion natürlich weit leistungsvoller.

 

Der Systembegriff der Kybernetik

a) Einfache determinierte Systeme:

Eine Spieldose alten Stils kann, ihrer Konstruktion entsprechend, nur eine Melodie „abspielen“. Sie ist völlig unabhängig von ihrer Umwelt, vom Wetter, von der Laune ihrer Zuhörer. Sie gehorcht lediglich ihrer Mechanik. Ähnlich geht es in einer präzise arbeitenden Werkzeugmaschine zu.

b) Komplexe determinierte Systeme:

Auch in einem Rechenautomaten herrschen streng determinierte Zustände. Gerade auf der Determiniertheit beruht ja die Präzision der Rechenoperationen. Freilich ist ein solches System nicht mehr ohne weiteres überschaubar. Es ist komplexer Natur. Die modernen Rechenautomaten bestehen aus einer sehr großen Anzahl von Schaltelementen, sie sind im wahrsten Sinn des Wortes unübersehbar. Dennoch sind die einzelnen Operationen streng festgelegt; denn so sieht es das „Programm“ vor.

c) Einfache probabilistische Systeme:

Ein Würfelspiel ist ein verhältnismäßig einfaches Spiel. Ein Würfel hat sechs Seiten, und er kann immer nur auf eine von ihnen fallen. Dennoch ist das System probabilistisch; denn wir können nie mit Sicherheit sagen, auf welche Seite er im Einzelfall zu liegen kommt. Darüber sind nur statische Aussagen möglich.

d) Komplexe probabilistische Systeme:

Ein großes Wirtschaftsunternehmen, etwa ein Energiebetrieb, fällt unter diese Kategorie. Die Zahl der möglichen Zustände in einem solchen System ist praktisch unübersehbar. Natürlich sind alle nur möglichen Vorkehrungen getroffen, um das Funktionieren des Systems zu gewährleisten. Dennoch ist es denkbar, daß durch irgendein unvorhergesehenes Ereignis innerhalb oder außerhalb des Betriebs das ganze System gestört wird. Die Aufgabe für den Kybernetiker besteht nun darin, das ganze System möglichst unaufällig gegen Störungen zu machen, und zwar so, daß auftretende Störungen sofort kompensiert werden können.

e) Äußerst komplexe probabilistische Systeme:

Als Beispiel dafür soll uns das menschliche Gehirn dienen. Die Anzahl der Neuronen (so nennt man die Nervenzellen mit ihren Fortsätzen, die sich im Gehirn des Menschen befinden) gehört der Größenordnung 10 hoch 10 an. Noch komplexer als System wäre das Weltall vorzustellen, wenn man nach allen in ihm möglichen Zuständen fragen wollte. Doch wird kein vernünftiger Wissenschaftler diese Frage praktisch stellen, weil er von vornherein auf eine verwertbare Antwort verzichten müßte.

Im angelsächsischen Sprachgebiet hat sich für solche dynamisch selbstregulierende Systeme der Begriff der „Maschine“ eingebürgert. Damit soll jedoch nicht die vulgärmaterialistische Maschinentheorie wiederbelebt werden, sondern umgekehrt: Die Maschine wird vom Wesen des Organischen, des Menschlichen her gesehen, weil sie nämlich einen Teilaspekt des Ganzen abbildet: „Jede Maschine ist ein System, das unter einem speziellen Gesichtspunkt auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet ist.“ Wir haben es also in der Kybernetik stets mit zweckorientierten selbstregulierenden Systemen zu tun. Deshalb lohnt es sich, von Kybernetik zu reden überhaupt erst dort, wo wir es mit hochorganisierten Systemen wie etwa einem Organismus, einem Wirtschaftsunternehmen oder einer sozialen Gruppe zu tun haben. In diesem Sinne ist ein Computer (das ist der englische Ausdruck für eine Rechenmaschine), der nach einem festen Programm Daten verarbeitet, noch gar kein kybernetisches Phänomen, wenngleich man sich auch die hochorganisierten Systeme aus lauter einfachen zusammengesetzt denken kann.

 

Die Rückkopplung:

Allerdings ist es nur durch dauernde Rückmeldung möglich, das System „auf dem Laufenden zu halten“. Damit ist ein neuer Begriff aufgetaucht, ohne den Kybernetik undenkbar wäre: „Rückkopplung“ (feed-back) (=Rückmeldung). Auch dieser Begriff ist uns aus der Welt der Technik bereits vertraut: Beim „Mühlenhüpfer“ regelt eine Vorrichtung den Getreidezufluß der Hauptwelle je nach der Stärke des Windes und der durch ihn herbeigeführten Umdrehungszahl. Das Ganze ist ein typisches ‚dynamisches selbstregulierendes System.

 

Rationalisierung geistiger Vorgänge:

Auch geistige Vorgänge werden bis zu einem gewissen Maße rationalisierbar und durchschaubar. Information erweist sich auch hier als Schlüsselbegriff: „Was wir an geistigen Funktionen am Menschen beobachten, ist Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und Abgabe von Informationen“ (Steinbuch). So kann es nicht verwundern, wenn heute Denkmaschinen (sogenannte „Elektronengehirne“) konstruiert werden, die geistige Tätigkeiten des Menschen (in gewisser Hinsicht) simulieren, also nachahmen können. Kann eine Maschine überhaupt denken? Die Antwort auf die Frage muß lauten: Ja! Natürlich wird eine Maschine auf ganz andere Weise als ein menschliches Gehirn denken.

Dennoch gibt es Analogien zwischen beiden Systemen. Was heißt aber „Analogie“?

 

Analogie:

„Analogie" ist nicht gleichbedeutend mit „Gleichgestalt“ (Isomorphie“). Wolfgang Wiener macht dies am Fliegen deutlich: Schmetterling, Vogel und Fledermaus sind bestimmt nicht von gleicher Gestalt. Davon überzeugt bereits der Augenschein. Dennoch kann man sie als „zweckorientierte selbstregulierende Systeme“ definieren. Sie sind unter anderem zum Zweck des Fliegens konstruiert. Deswegen haben sie Flügel. Aber obwohl die Art der Verwirklichung bei jedem dieser Wesen eine ganz eigentümliche ist, sind die Flügel doch analoge Gebilde. Beim Insekt besteht ein Flügel zwar aus einem Geflecht von Adern, die untereinander starr verbunden sind, der Vogel hat die „Vorderarme“ zu Flügeln ausgebildet, bei der Fledermaus, einem Säugetier, schließlich sind die Häute zwischen den Zehen zu Flügeln ausgebildet worden. Vom Zweck des Fliegens her gesehen, sind sie analoge Gebilde. Als der Mensch das Fliegen erlernte, blieb ihm nichts anderes übrig, als mit Hilfe der Maschine ebenfalls solche analoge Gebilde zu konstruieren, die Flugzeuge.

Die gleiche Überlegung können wir in bezug auf die Funktion des Denkens anstellen. Warum

sollte es nicht analog dem natürlichen menschlichen Denken ein maschinelles geben? Hat der

Mensch „von Natur“ zu denken vermocht? Ist nicht auch das Denken des Menschen (vielleicht vorläufiges) Ende eines geschichtlichen Weges?

Gerade wenn wir uns die Andersartigkeit des menschlichen Gehirns vergegenwärtigen, gelangen wir zu einer Würdigung des „maschinellen Denkens“. Die Maschine ist nicht ein nachgemachter Mensch, sondern etwas durchaus Eigenes, wenn auch Analoges, und zwar hinsichtlich ihrer Funktion. Als System unterliegt das Elektrongehirn den gleichen objektiven Gesetzen wie das Hirn des Menschen, wenn auch diese beiden Systeme grundverschieden voneinander sind. Denn das menschliche Gehirn besteht aus einer Vielzahl von Neuronen, der Computer dagegen aus einer Menge von technischen Elementen.

Das Menschenhirn hat außerdem eine höhere Komplexität aufzuweisen. Dennoch lassen sich diese grundverschiedenen Bausteine als kybernetische Größen beschreiben, die sich jeweils nur in einem von zwei möglichen Zuständen befinden können: in leitendem bzw. nichtleitendem Zustand, in Ja- oder Nein-Stellung. Für die kybernetische Betrachtungsweise ist ja aber

nicht die innere Natur eines Systems ausschlaggebend, sondern die Struktur der Kommunikation. Und in beiden Fällen fließt ein Informationsstrom oder er fließt nicht, sei es nun ein neutraler Impuls oder ein elektronischer. In beiden Fällen gehorcht dieser Informationsstrom logischen Gesetzen, die sich ihrerseits wieder mathematisch darstellen lassen.

 

Mathematisierung:

Für die kybernetische Betrachtungsweise hat sich das binäre (Zweier-) System als besonders geeignet erwiesen, nicht nur, weil sich dieses System technisch gut umsetzen läßt, sondern weil sich auch logische Operationen damit mathematisch darstellen lassen. So kann jede beliebige, noch so komplizierte Rechenaufgabe durch die „Vermaschung“ von Schaltelementen in einen technischen Vorgang überführt werden. Doch diese Rechenaufgaben lassen sich auch als Datenverarbeitungsmaschinen, Lernmaschinen usf. konstruieren, kurz: zur Übernahme logischer Aufgaben „abrichten".

Während unser gebräuchliches Zahlensystem auf der Grundzahl 10 beruht, liegt dem binären System die 2 zugrunde. In diesem System benötigen wir nur zwei Ziffern (0 und 1), so wie ja auch das Morsealphabet nur mit zwei Zeichen arbeitet: Punkt und Strich und mit Hilfe dieser zwei Zeichen doch das ganze Alphabet codieren kann. Das sieht so aus:

 

Zehnersystem                         Zweiersystem

 0                                    0

 1                                   1

 2                                 10

 3                                   11

 4                                 100

 5                                 101

 6                                 110

 7                                 111

 8                                 1000

 9                                 1001

10                                I0I0 usw. usw.

 

Durch die Verwendung des binären Systems ist es auch möglich geworden, die Information zu quantisieren und damit meßbar zu machen. Die Informationsmenge wird in „bit“ angegeben (vom englischen „binary digit)“. Was ein „bit“ ist, können wir uns an einem Spiel verdeutlichen, das wir alle kennen: Ein Teilnehmer wird aus dem Raum geschickt, während sich die übrigen einen Gegenstand überlegen, den dieser eine dann erraten soll. Er darf aber nur so fragen, daß als Antwort allein „Ja“ oder „Nein“ möglich ist. Sieht er nur 2 Möglichkeiten der Entscheidung und sind diese mit der gleichen Wahrscheinlichkeit richtig, so bedarf er einer Informationseinheit (1 bit), um eine Entscheidung zu fällen. Um beispielsweise eine von 4 Zahlen zu erraten, benötigte er 2 Schritte (2 bit). Erste Frage: Ist die Zahl ungerade? Wenn nicht, kann es nur 2 oder 4 sein. Zweite Frage: Ist es die Zahl 2? Wenn nicht, kann es nur die 4 sein. Diese Reihe kann beliebig fortgesetzt werden. Durch dieses verhältnismäßig einfache Gedankenexperiment läßt sich zeigen, daß sich die Welt, in der wir leben, tatsächlich mathematisch beschreiben läßt.

 

Die Spieltheorie:

Von da aus erscheint es durchaus denkbar, daß unsere Welt das Produkt eines großartigen „Zusammenspiels“ von kosmischen Dimensionen ist und die Weltgeschichte darin besteht, daß alle in ihr ruhenden Möglichkeiten „durchgespielt“ werden, einfach nach der Methode „Versuch und Irrtum“. Die Spieltheorie John von Neumanns hat die mathematischen Grundlagen für eine neue Weltbetrachtung geschaffen.

 

Der Kontext:

Für das Verstehen einer Nachricht ist der Zusammenhang wichtig, in dem sie auftritt. Nur durch die Einordnung in den Zusammenhang wird ein Signal zur Nachricht. Wenn ein Kind im Unterricht die Hand hebt, wird dies etwas anderes bedeuten, als wenn ein Polizist auf der Straßenkreuzung dasselbe tut. Es kommt immer auf den Standpunkt an, den wir einnehmen. Ein Gärtner wird eine Parkanlage unter anderen Gesichtspunkten betrachten als ein Liebespaar. Ein zufälliger Blick kann einen fremden Menschen zum Erröten bringen, der sich bei Gedanken ertappt fühlt, die dem Fremden doch unbekannt sein müssen.

Es gibt auch weniger banale Beispiele für diesen Sachverhalt: Ein Symbol kann, aus seinem Zusammenhang gelöst, völlig falsch gedeutet werden. So ist das Zeichen des Kreuzes für einen Menschen, der in der christlichen Tradition verwurzelt ist, das Zeichen des Erlösers, während das gleiche Zeichen einem anderen Menschen, der dieser Tradition fremd gegenübersteht, etwas ganz anderes bedeutet, vielleicht eine geometrische Figur. Ja selbst für unsere Kinder bedeutet ein Kreuz im Christenlehreheft etwas anderes als im Mathematikheft. Diese Betrachtungen verweisen uns erneut auf den großen Zusammenhang, den Kontext. Auch für ethische Entscheidungen dürfte dies von Belang sein. Sie sind ebenfalls nicht ablösbar von dem gesellschaftlichen Kontext, der sie herausfordert. Damit hat sich erneut die These bestätigt: Die Kybernetik ist universal anwendbar.

Die Welt der Formeln                                                                                                        

Eine große Umwälzung in der Wissenschaft bereitet sich vor. Automatische Kataloge werden uns von der Pflicht befreien, ständig große Mengen von Büchern und Zeitschriften durchsehen zu müssen. Um diese Kataloge aber wirklich leistungsfähig zu machen, ist es notwendig, eine eigene Maschinensprache zu entwickeln. Sie muß einen grammatischen Aufbau besitzen, jedoch exakter, rationeller und vor allem weniger weitschweifend sein als die menschliche Umgangssprache. Ihre wichtigste Aufgabe besteht darin, schwierige Aussagen mit einer möglichst kleinen Anzahl von Symbolen auszudrücken. Erste Entwürfe solcher Maschinensprachen haben sich im Einsatz gut bewährt Für die weitere Steigerung ihrer Wirksamkeit dürfte sich die Entwicklung einer internationalen Maschinensprache empfehlen.        

Die Informationsmenge ist so groß geworden, daß wir sie nur noch in Formeln bald auch nur noch mit Hilfe kybernetischer Maschinen aufnehmen und verarbeiten können. Das bedeutet eine ungeheure Bereicherung des menschlichen Geistes. Darüber dürfen wir uns freuen, wenn wir in dieser Freude die Gefahren nicht übersehen, die mit dem gewachsenen Wissen für unsere menschliche Existenz gegeben sind. Wissen in Formeln aufzunehmen ist für uns heutige Menschen eine Notwendigkeit geworden. Dagegen ist nichts zu sagen. Das könnte uns aber dazu verleiten, uns in der Formelwelt so festzusetzen, daß wir auch unser Leben nur noch als Formel leben. Dagegen wäre allerdings viel zu sagen.                                                         

Wir leben unser eigentliches Leben in drei Grundbeziehungen: In der Beziehung zum Du, zum Ich und zum Es. In diesen Grundbeziehungen liegt unser Leben. Wegen der ungeheuren Informationsmenge aber, die täglich auf uns einstürmt, können wir nicht alles in diesen Grundbeziehungen erleben, sondern müssen vieles zur Formel machen. Wenn wir zum Beispiel morgens in den Nachrichten hören, daß hier ein schwerer Verkehrsunfall, dort ein Erdbeben stattgefunden hat, so ist es für uns unmöglich, all das menschliche Leid, das in diesen Ereignissen steckt, wirklich mitzuerleben. Das würde uns einfach erdrücken. Wir nehmen es sachlich zur Kenntnis (d. h. wir machen es zur Formel), verbinden damit allenfalls noch ein oberflächliches Gefühl des Bedauerns und gehen zu unserer Tagesordnung über.              

Wir können gar nicht anders, als daß wir vieles zur Formel machen, wie der Arzt, der täglich vielen Patienten gegenübergestellt ist, gar nicht anders kann, als deren Krankheiten zum Fall zu machen. Darin liegt eine Notwendigkeit und gewissermaßen ein seelischer Selbstschutz. Die große Gefahr aber, die damit gegeben ist, besteht darin, daß wir auch die Ereignisse, die uns ganz direkt angehen und die wir unbedingt in die Grundbeziehungen unseres Lebens hineinnehmen müßten, nur noch als Formel erleben. Es ist eine menschliche Katastrophe, wenn einer zum Beispiel aus dem Tod eines nächsten Angehörigen eine Formel macht und diesen nur noch als Fall erlebt, d. h. ihn praktisch nur registriert. Und so etwas gibt es tatsächlich. Nicht abgeholte Urnen in Krematorien geben ein beredtes Zeugnis davon.

Angesichts dieser Gefährdung, die das Leben in der Welt der Formeln mit sich bringt, ist es eine seelsorgerliche Aufgabe allerersten Ranges, Menschen immer wieder aus der Formelwelt zu lösen und in die Grundbeziehungen ihres Lebens zurückzuführen - und zwar nicht erst dann, wenn sie das Altwerden ohnehin von der technischen Welt zurücknimmt, sondern auf der Höhe ihres Lebens.

                                                                      

Befürchtungen und düstere Prophezeiungen

Nach den Aussagen der Heiligen Schrift sind Gott und Welt unauflösbar aufeinander bezogen. Gott entläßt die Welt nicht aus seinem Herrschaftswillen. Darin liegt für uns Christen die Aufgabe, Verantwortung für die Welt zu übernehmen und wirklich in alle Bereiche der Welt hineinzugehen. Durch die Kybernetik wird uns ein neuer Horizont der Welt erschlossen. Wenn wir wirklich in die heutige Welt hineingehen wollen, müssen wir uns diesem Horizont öffnen. Hineingehen in die Welt bedeutet aber nicht nur Kenntnisnahme und Verstehen, sondern auch sachliche Mitarbeit an ihren Problemen.

Um aber zur sachlichen Mitarbeit bereit zu sein, müssen wir zuerst die Dämonisierung der Technik überwinden, für die gerade wir Christen besonders anfällig sind. Es ist eine schmerzliche Erfahrung, daß bei fast jeder technischen Erfindung Christen auftraten, die sie als Werk des Teufels bezeichneten. Als Ärzte zum ersten Mal einen Leichnam öffneten, um das Innere des Menschen kennenzulernen, sprach man von einer Versuchung des Santans - inzwischen hat sich daraus die moderne Medizin entwickelt, an der wir alle teilhaben. Als die erste Eisenbahn fuhr, sprach man vom Höllendrachen, der durch seine Geschwindigkeit die Menschen um ihren Verstand bringe - heute fahren wir alle damit. Als sich der erste Sputnik erhob, sprach man vom babylonischen Turmbau des 20. Jahrhunderts - in wenigen Jahrzehnten werden die Menschen außerirdische Laboratorien errichten und damit der Forschung neue, bisher ungeahnte Perspektiven eröffnen.

Die harmloseren dieser Prophezeiungen sprechen von einer seelenlosen Maschinenkultur, der die Menschheit unausweichlich entgegengehe. An Stelle des Herzens werde in Zukunft der kybernetische Schrittmacher schlagen, und die Seele werde durch den elektronischen Computer ersetzt. Wo heute Wärme und Gefühl sei, sei morgen eiskalte Berechnung, und die Temperatur der zwischenmenschlichen Beziehungen sinke auf den Gefrierpunkt ab. Statt in Worten rede man in Chiffren, aus der in sich gegründeten Persönlichkeit werde der ferngesteuerte Manager, und das Leben des Managers sei nur noch ein Jagen durch eine pausenlos auf ihn einstürmende Signalwelt.

Alle diese menschlichen Substanzverluste werden in diesen Prophezeiungen der Kybernetik angelastet, und zwar nicht als mögliche Begleiterscheinungen, sondern als zwangsläufige Folgen. Daß die Kybernetik, wenn sie seelisch nicht bewältigt wird, zu einer Beeinträchtigung des menschlichen Miteinanderlebens führen kann, wird niemand bestreiten. Darin liegt das Wahrheitsmoment dieser Prophezeiungen. Daß sie aber zwangsläufig eintreten muß, das ist ihre Lüge.

Die drastischeren dieser Prophezeiungen bezeichnen die Maschinen der Zukunft als Roboter, die sich eines Tages über ihren Schöpfer (die Menschen) erheben und sie in einem furchtbaren Zerstörungskrieg vernichten werden. Solche Vorstellungen sind weithin inspiriert von den Vorstellungen des tschechischen Schriftstellers Karl Capek, der das Wort Roboter geprägt hat. Bei ihm sind Roboter vom Menschen erfundene und gebaute Automaten. Sie besitzen keine menschlichen Gefühle und keine menschlichen Wünsche. In dem Maße, in dem sie sich vervollkommnen, entwachsen sie ihrem Automatendasein, und am Ende des Dramas vernichten sie ihre Herren, aber sie müssen auch selber zugrunde gehen, weil nur die Menschen das

 

Maschinen steuern die Arbeit kompliziertester Werkbänke und ganzer Fabriken, sie steuern Schiffe, Flugzeuge und Raketen. Maschinen führen blitzartig die schwierigsten Berechnungen durch, sie übersetzen aus einer Sprache in eine andere. Maschinen spielen Schach und stellen Diagnosen von Krankheiten, sie lernen und planen. Hätten diese Sätze vor hundert Jahren in einem Buch gestanden, wären sie für Ausgeburten einer übersteigerten Phantasie gehalten worden; heute beschreiben sie einen Ausschnitt aus unserer technischen Welt.

Freilich, nicht alle haben sich schon so in diese technische Welt hineingestellt, daß sie in ihr denken und leben können. Sie betrachten jede technische Neuerung mit ausgesprochenem Mißtrauen und warnen vor den Auswirkungen der Technik auf unser Leben. „Die neue Liebe zu den technischen Wunderwerken ist verderblich“, schreibt F. G. Jünger, daher müssen „wir nein sagen zu diesen Geschenken des menschlichen Geistes".

Das Unbehagen über das Heraufkommen der technischen Welt begegnet uns in vielfältiger Weise. Fast alle Zukunftsromane enden mit einer Katastrophe. Joachim Bodamer nennt die technische Wirklichkeit furchtbar und grauenhaft, in der der Mensch eine Marionette wird, „nur noch künstlich ernährt, künstlich beseelt und in Künstlichkeit lebend.“ Besorgt stellt er die Frage: „Was und wieviel seiner Menschlichkeit kann er (der Mensch) trotz der Technik noch festhalten und wie weit darf der Prozeß einer Technisierung des Menschen gehen, ohne daß dieser sich verliert und nur noch als Schatten seiner selbst im Automatismus seiner Technik herumgeistert?“

Viele Christen nehmen solche Stimmen gern und willig auf. Sie übersetzen sie in ihre Sprache und sprechen von der Technik als einem neuen Turmbau zu Babel und warnen mit den Worten aus Goethes Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los.“ Was steht hinter diesem Unbehagen? Zum einen steht hinter ihm sicher die Unsicherheit des Übergangs. Bei jedem Übergang von einer Kulturepoche in eine andere ergeben sich Unsicherheiten und rückwärtsblickende Sehnsüchte. Wie die Menschen, nachdem sie das Nomadenleben aufgegeben hatten und seßhafte Bauern geworden waren, sehnsüchtig auf das Wandern und Umherschweifen zurückblickten, so blicken sie heute, da sie sich in der technischen Welt anzusiedeln beginnen, sehnsüchtig auf das vorindustrielle Zeitalter zurück.

Zum anderen aber steht hinter diesem Unbehagen mangelndes Eingehen auf die Welt der Technik mangelnde Nüchternheit. Wer zu den Geschenken der Technik „Nein“ sagt, muß sich fragen lassen: Willst du im Ernst in die handwerklich-ständische Lebensform zurück? Das kann kein Mensch (auch der Gefragte nicht) wollen, denn ein Zurückgehen auf die handwerkliche Produktion würde für uns Heutige Elend, Hunger und Massensterben bedeuten. Und wer vor Maschinen warnt, als wären sie Geister, muß sich fragen lassen: „Siehst du zwischen den magischen Praktiken eines Zauberers und dem technischen Vorgehen eines Ingenieurs wirklich keinen Unterschied? Wie willst du Geister unterscheiden, wenn du Maschine und Geist nicht unterscheiden kannst?“

Im Neuen Testament werden wir Christen wiederholt aufgefordert: „Seid nüchtern!“ Diese Nüchternheit betrifft unser Verhältnis zu den Göttern und Götzen (religiöser Rausch), sie bezieht sich aber auch auf unser Verhältnis zur Welt. Der Christ, der vom Neuen Testament zur Nüchternheit aufgefordert wird, ist verpflichtet, zur Ernüchterung in der Beurteilung der Welt beizutragen.

Auch unser Verhältnis zur Welt kann durch Vorurteile und falsche Gefühlseinstellungen getrübt und belastet werden. Besonders viele Vorurteile haben sich gegenüber der Kybernetik entwickelt. Die Nüchternheit hilft uns, das Mißtrauen gegenüber der Technik zu überwinden und sie als Aufgabe zu erkennen. der wir uns als Christen nicht entziehen dürfen. Nächstenliebe geschieht heute im Horizont der Technik.

 

Der Mensch - eine Maschine?

Die Idee, Tiere und Menschen von Automaten nachahmen zu lassen, ist uralt. Schon in der Odyssee werden silberne Hunde erwähnt, die die herannahenden Feinde überfallen, und Heron von Alexandrien (2. Jahrhundert vor Christi Geburt) soll einen singenden Vogel aus Bronze gebaut haben, der jedesmal seine Melodie unterbrach, wenn sich eine vor ihm sitzende Eule zu ihm umwandte. Aber erst im Zeitalter der Uhren (17. und 18. Jahrhundert) fanden diese programmgesteuerten Automaten eine weitere Verbreitung. Berühmt wurden der mechanische Zeichner, der schreibende Junge und die Pianistin des Schweizer Uhrmachers Jaquet-Droz und die tanzenden Puppen von Jean Frederic Leschot.

Es ist notwendig, den technischen Erscheinungen mit nüchterner Kritik zu begegnen. Hätten die Geistlichen die Automaten von Jaquet-Droz mit nüchternem Blick betrachtet, dann hätten sie in diesen durchschaubaren Gebilden niemals Werke des Teufels sehen können. Und hätten die Philosophen die nötige Kritik walten lassen, dann wären sie niemals auf die Idee gekommen, das rein mechanische Funktionieren dieser Puppen mit den komplizierten Abläufen des wirklichen Lebens zu vergleichen.

Die mechanischen Menschen, die im Uhrenzeitalter so viel Staunen auslösten, waren programmgesteuerte Maschinen. Sie konnten auf einen von außen (meist von Menschen) kommenden Befehl ihr Programm ablaufen lassen, hatten jedoch keine Beziehung zur Umwelt.

Bei genügendem Schwierigkeitsgrad der Mechanik lassen sich mit Programmsteuerungen sehr interessante Wirkungen erzielen: Man kann mit ihnen Musik machen (Drehorgel, Spieldose). Maschinen steuern (programmgesteuerter Webstuhl, programmgesteuerte Drehbank) und Fahrzeuge im störungsfreien Raum lenken. Doch so imponierend die Leistungen programmgesteuerter Maschinen beim ersten Hinsehen auch sein mögen. sie bleiben in ihren Ausführungen stets starr an das vorgegebene Programm gebunden.

Ein Beispiel: Ein Bastler baut ein Modellschiff und versieht es mit einer Programmsteuerung. Auf einem quadratischen Teich fährt es wunderbare Kreise. Die Freude währt aber nur so lange, wie keine Störungen von außen kommen. Kommt Wind und treibt die Wellen vor sich her, dann drängt er das Schiff aus seiner Bahn. Es stößt ans Ufer an, aus ist es mit den schönen Kreisen. Die Programmsteuerung läuft starr ab, sie reagiert nicht auf Wind und Wellen, ihr fehlt die Beziehung zur Umwelt. Hier zeigen sich die Möglichkeiten und Grenzen programmgesteuerter Maschinen. Können wir sie noch für Wunderwerke der Technik (oder gar des Teufels) halten und mit dem Menschen vergleichen? Es gibt aber auch Maschinen, die die Umwelt in ihre Entscheidungen und Reaktionen einbeziehen. Man nennt sie kybernetische Maschinen.

 

Wo bleibt der Mensch?

Da gibt es also nun Elektronengehirne, Denkmaschinen, Rechenautomaten und Übersetzungscomputer, die alle auf ihrem Spezialgebiet mehr „leisten“' als ein Mensch. Sie können nichts „vergessen“: Das Tagespensum eines hochqualifizierten Wissenschaftlers wird für sie zu einer Sekundensache. Die erste Reaktion vieler Zeitgenossen auf solche Nachrichten ist ein ungläubiges Staunen: „Das kann es doch nicht geben!“ Aber das spricht nur für die Phantasielosigkeit dieser Zeitgenossen. Oder es stellt sich eine andere Reaktion ein: Das Neue wird verdammt. wie die ersten Eisenbahnen als Ausgeburt der Hölle verdammt wurden. Heute Ist uns die Eisenbahn längst vertraut. ja, sie kommt uns schon veraltet vor.

Das gleiche Geschick wird den Elektronengehirnen widerfahren.

Das Wissen der Welt, das kein Mensch mehr überschauen oder gar behalten könnte, wird von Elektronengehirnen gespeichert und steht bei Bedarf zur Verfügung. Die Elektronengehirne werden die Universalgenies von morgen sein. Die Kybernetiker versichern uns, daß das politische Gleichgewicht der Welt von heute auf den vorurteilsfreien Rechenexempeln der unbefangenen Datenverarbeitungsmaschinen beruht.

Aber die Welt braucht verantwortliche „Steuerleute“: Es ist der Mensch, der den Maschinen das Programm gibt. So wenig er Sklave der Informationen sein durfte, die ihm die Neuronen seines Gehirns liefern, so wenig darf er Sklave der Informationen werden, die ihm die Elektronen der Denkmaschine zuspielen. Die Verantwortung ist uns geblieben.

Werden die Maschinen eines Tages klüger sein als der Mensch? Werden sie in Zukunft nicht nur schneller, sondern auch mehr denken können als der Mensch? Solche Fragen geistern heute unter uns herum und üben auf viele eine sehr beunruhigende Wirkung aus. Es ist richtig, daß der mit einer kybernetischen Maschine arbeitende Mensch klüger ist als der Mensch

ohne diese Maschine, es ist richtig, daß es die kybernetische Maschine (Rechenmaschine) dem menschlichen Verstand gestattet, ehemals unlösbare Aufgaben zu lösen, aber sinnlos ist es, vom Klugsein der Maschine zu sprechen.

So kompliziert die Maschine auch sein mag, sie ist ein Mittel des Arbeitsprozesses und steht dem Menschen insofern als Arbeitsmittel gegenüber. Diese nüchterne Feststelllung kann uns vor einer falschen Einschätzung der Maschine bewahren. Wer sich bewußt macht, daß die. Maschine in jedem Fall Mittel in der Hand des Menschen bleibt, wird sich von den düsteren Prognosen. daß der Mensch nur noch als ferngesteuerte Marionette in der Maschinenwelt der Zukunft herumlaufen und zum Sklaven der Computer degradiert werde, nicht beeindrucken lassen.

Wenn ein Autofahrer unversehens auf ein Hindernis kracht, weil er beim Anblick schöner Mädchenbeine vergaß, auf die Bremse zu treten, dann ist er einer „Faszination“ erlegen. Noch präziser trifft dieser Begriff auf einen Flugzeugpiloten zu, der zur nächtlichen Landung ansetzt und über einer Flut von optischen Eindrücken (Instrumentenbeobachtung, Lichtermeer um den Flughafen) das akustische Warnsignal überhört, das ihm anzeigen soll, er habe die Räder noch nicht ausgefahren.

Eine solche Ablenkung von einfachen, aber wichtigen Bedienungsfunktionen kann, auch wenn sie nur Sekunden dauert, verheerende Folgen haben. Das Gehirn des Menschen kann immer nur eine beschränkte Informationsflut verarbeiten. Wenn zuviel auf ihn einstürmt, wehrt sich der Organismus, und die Zuverlässigkeit des Wahrnehmens, Denkens und Handelns sinkt rasch ab.

Natürlich konnten die Verfechter der Überlegenheit des Menschen ein starkes Argument ins Treffen führen: Der Satellitenflug des Amerikaners Cooper, der aller Wahrscheinlichkeit nach mißglückt wäre, hätte der Pilot nicht die Möglichkeit und die Fähigkeit zur Selbststeuerung gehabt.

Die Techniker erhielten hier unversehens einen schlagenden Beweis für die Unzulänglichkeiten des bisherigen „Systems Mensch-Maschine“. Der Automatismus, den sie dem Raumfahrer mitgaben, um ihn physisch und psychisch zu entlasten, ist gegen Störungen und Zwischenfälle nicht gefeit, weil man ihm diese eben nicht einprogrammieren kann. Je umfangreicher und komplizierter die mitgeführten Apparaturen werden, desto rapider wächst ihre Störanfälligkeit.

So reicht etwa auch die augenblickliche „Ultra-Miniaturisierung“ elektronischer Bauelemente nicht entfernt an die Packungsdichte der „Schaltungen“ des menschlichen Hirns heran. Eine weitere Unterlegenheit technischer Systeme rührt aus der konventionellen Schaltungstechnik, die das Ganze nur dann funktionieren läßt, wenn alle Komponenten korrekt tätig sind. Mit der Fähigkeit zur „Selbstkorrektur“ ist es ähnlich bestellt: Sie ist zwar grundsätzlich herzustellen. aber vorerst nur mit einem Aufwand, wie er allein schon gewichts- und platzmäßig .für die Raumfahrt untragbar wäre.

Und schließlich fehlt es den technischen Systemen an der Eigenschaft der „Gestalterkennung“. Die Maschine kann zwar so konstruiert und „erzogen"“werden. daß sie optische Eindrücke unter Benutzung ihres Lernspeichers verwertet, aber diese Verwertung versagt, wenn das erlernte Muster verschoben, verformt, gedreht, vergrößert oder kontrastmäßig verändert wurde. Hier scheint die Natur neue, dem Techniker bisher noch unbekannte Schaltungsprinzipien zu verwenden.

 

Das kybernetische System kann nur bis zur zweiten Schicht im Menschen (nach der Einteilung von Jung) wirken. Dort in der Vernunftebene arbeitet die Maschine viel besser als der Mensch. Aber sie kann nur logisch-mathematisch denken und nicht intuitiv. Der Dichter ist also mehr als der Mathematiker und das denkende Kind mehr als das Kind, das gut auswendig lernt. Die komplexere Leistung vollbringt der Künstler.

Eine Übersetzungsmaschine versagt vor einem Gedicht. Man kann Musik komponieren lassen, aber sie wird auch danach. Sogar ganz oberflächliche Gefühlregungen eines Konzertpublikums kann die Maschine nachmachen, aber nicht das tiefempfundene Verständnis von Musik.

Der Kybernetiker weiß um die Grenze seiner Wissenschaft. Man weiß, daß der Mensch keine kybernetische Maschine ist. Man weiß, daß man die Kunst und das schöpferische Denken nicht darstellen kann. Die Kybernetik umfaßt nur einen Teilaspekt. Deshalb kann die Kybernetik auch nicht die Frage nach Ziel und Sinn des Lebens beantworten. Die Maschine ist nicht klüger als der Mensch. Im rationalen Bereich leistet die Maschine mehr. Das kann der Mensch nur dankbar hinnehmen und anwenden. Aber der Mensch hat mehr Möglichkeiten.

Es wurden jedoch immer mehr Aufgaben an die Maschine delegiert. Doch erst durch die Automaten kybernetischer Art wurde der Mensch nicht überflüssig.

Je intensiver der Mensch sich diesen Möglichkeiten anvertraut und sich einordnet, desto mehr Raum zur Freiheit wird ihm bleiben. Man sollt nicht vom „Elektronengehirn“ reden, denn das Denken des Menschen ist etwas anderes als das Denken der Maschinen. 

Was beim Tier der Instinkt ist, das ist im kybernetischen System das Programm. Innerhalb des Programms wird die optimale Möglichkeit angestrebt. Aber die Entwicklung geht nicht über das System hinaus: Das Tier und die Maschine sind programmiert, der Mensch aber programmiert selber durch sein Ich. Die Maschine verändert die Natur nach dem Programm des Menschen, nicht nach eigenem Vermögen, und bleibt als Produktionsinstrument dem Menschen in die Hand gegeben. Die Maschine ist also nicht klüger als der Mensch. Man kann nicht fragen: „Sieht ein Mikroskop mehr als ein Mensch?“ sondern nur: „Sieht der Mensch mit Hilfe des Mikroskops mehr als mit dem bloßen Auge?“

Der Mensch lernt ganzheitlich: Nur was er mit Freude lernt, bleibt auch hängen. Wenn man nur wegen eines Ziels studiert, bleibt man dem Gegenstand gegenüber interesselos und quält sich mit Paukerei ab. Heute wird im menschlichen Gehirn höchstens ein Tausendstel genutzt, jedenfalls beim Durchschnittsmenschen. Nur intuitives, ganzheitliches Denken wird uns weiterhelfen bei der Bewältigung unserer Probleme.

Die Maschine kann nicht über den Rahmen des Programms hinausgehen, sie ist nicht kritisch, sie kann nicht erfinden (nur die optimale Möglichkeit finden), sie kann nichts lehren (nur lernen und das Gelernte reproduzieren), sie kann nur im vordergründigen Sinn Abstraktionen leisten.

Im organischen Bereich gibt es Steuerungsvorgänge (Eingriff von außen) und Regelvorgänge (wie im Kühlschrank). Der lebendige Organismus kann auch den Sollwert im Falle der Gefahr nach einem bestimmten Programm ändern (Bluttemperatur, Blutdruck).

Es gibt heute aber auch Maschinen, die alle Störgrößen überwinden und den Sollwert von selbst halten können. Ein Halteregler gibt es auch in der Maschine, in der ein fester Sollwert gehalten werden soll. Es gibt Programme mit einem unveränderlichen Sollwert und andere Maschinen mit einem variablen Sollwert (Kühlschrank - Bluttemperatur). Ein Programmregler regelt den Sollwert nach einem festen Programm, wenn sich die äußeren Umstände ändern oder aus anderen Gründen: Je nach Bedarf wird der Sollwert verändert. Die Konstanthaltung des Sollwerts erreicht man auch durch Ausschaltung der Störgrößen (Isolierung des Kühlschranks).

Nun besteht aber zwischen Programmregler und Halteregler prinzipiell ein Unterschied, denn der Halteregler arbeitet nach einem Programm, wenn auch der Sollwert gleich bleibt. Wo sind aber in den Zellen und Organismen die Programme gespeichert? Man vermutet, in den Genen und Ganglienzelle, und hat diese Speicherungen auch schon nachgewiesen

Diese Programme in der Natur sind nicht unsterblich, sondern können gestört und vernichtet werden. Aber einmal müssen sie hergestellt und eingestellt worden sein. Planmäßigkeiten gibt es aber nicht nur im organischen Ablauf, sondern auch im Verhalten der Umwelt. Programmgebende Instanz ist hier das Bewußtsein. Aber der Mensch richtet sich auch nach Programmen, die nicht im Bewußtsein enthalten sind. Das hat die Psychotherapie zuerst gewußt. Das Entwerfen von Programmen ereignet sich auch im Bereich des Unbewußten. Im Affekt (Panik) handeln wir völlig unsinnig und dem Zwangsneurotiker ähnlich. In der gesamten lebenden Natur gibt es ein Handeln nach Programmen, die nicht im Bewußtsein gegeben sind.

Die Lebewesen passen sich an: Zuerst nehmen sie die Informationen auf und stellen sich darauf ein. Auch Tier und Außenwelt stehen in einem Funktionskreis. Der Zoologe Portmann hat das auf den Menschen übertragen: Was dem Menschen im ersten Jahr erschlossen wird, bestimmt über das Ausmaß seiner späteren Merk- und Wirkwelt. Eltern sind also dem Menschen die Menschwerdung schuldig und dürfen die Kinder nicht im Stich lassen. Es gibt Menschen, die haben bestimmte Antennen nicht, sie beschränken sich auf Fressen, Saufen, Huren. Das liegt nicht an der Genstruktur, sondern an der sozialen Beschränkung im ersten Lebensjahr.

Auch der Mensch steht im Funktionskreis mit der Natur, der analog ist zum Regelkreis einer Maschine. Aber auch eine Merkwelt, desto größer die Wirkwelt. Ebenso braucht der „verhinderte Nestflüchter Mensch“ die Geborgenheit der Mutter und des Vaters. Mehr ist nicht nötig, um seine Umwelt wahrzunehmen und zum Menschen zu werden. Nicht befriedigter Triebe zeigen sich nachher als Süchte. Ein Auto wiegt nicht auf, daß ein Sohn ein Halbstarker wird.

 

Die Unterschiede im Denken von Maschinen und im Gehirn

Es genügt nicht, die Unterschiede im Denken von Maschinen und im Gehirn mit dem unterschiedlichen materiellen Substrat der Erkenntnisvorgänge zu begründen. Das Denken, die Begriffsbildung beim Menschen ist von den anderen Komponenten der psychischen Tätigkeit wie dem Gefühl, dem Willen usw. nicht zu trennen und ist ohne sie unmöglich. Alle diese Eigenschaften kommen einem Automaten nicht zu.

Das Bewußtsein, darunter auch die Bildung von Begriffen, ist ein historisches Produkt. Um seine Ziele zu erreichen, setzt der Mensch zwischen sich und den Arbeitsgegenstand die Arbeitsmittel. Die Maschine bleibt stets ein Arbeitsmittel, so entwickelt sie mich sein mag. Auch ein beliebiges, vom Menschen geschaffenes kybernetisches System, ein beliebiger Automat, selbst ein solcher, der Erfahrungen sammeln und berücksichtigen kann, bleibt im Produktionsprozeß ein Arbeitsmittel. Er ist kein denkendes Wesen, denn der Naturstoff wird durch die Produktion nicht im Interesse des Automaten umgewandelt, und auch das Ziel des Prozesses wird letzten Endes nicht durch ihn bestimmt. Die Maschine handelt nach einem Programm, in dem das vom Menschen gestellte Ziel festgelegt ist.

Der denkende Mensch unterwirft sich die Natur, indem er sie zwingt, vernünftig, d. h. zweck­mäßig zu handeln. Das bedeutet aber nicht, daß ein vorn Menschen geschaffenes, technisches System wirklich vernünftig ist. Es ist vernünftig nur in dem Sinne, daß es die Vernunft des Menschen in sich verkörpert, daß es menschlichen Interessen dient, nicht aber in dem Sinne, daß es selbst Begriffe bildet.

Allenfalls kann man die Umweltbeziehung eines kybernetischen Systems mit der durch das Instinktgefüge eingegrenzten Umweltbeziehung des Tieres vergleichen. Das Tier weiß, der Mensch aber weiß, daß er weiß. Das bedeutet einen qualitativ höheren Komplexitätsgrad des Denkens. Während das Tier unmittelbar eins ist mit seiner Lebenstätigkeit, macht der Mensch seine Lebenstätigkeit selbst zum Gegenstand seines Wollens und seines Bewußtsein. Er hat bewußte Lebenstätigkeit. Das Charakteristische des Menschen ist, daß er sich selber betrachtet und zum Ich wird.

Die Frage, ob die Maschine klüger sein könne als ihr Schöpfer oder ob kybernetische Systeme in ihren Fähigkeiten ihren Konstrukteur übertreffen könnten, ist falsch gestellt. Sie ist ebenso falsch wie die Frage, ob das Mikroskop mehr sehen könne als der Mensch. Richtig ist, daß der mit dem Mikroskop ausgerüstete Mensch besser sieht als ein Mensch ohne Mikroskop. Richtig ist, daß ein mit einem kybernetischen System ausgerüsteter Mensch mehr denken kann als ein Mensch ohne ein solches System. Wie es aber sinnlos ist, vom Mikroskop zu sagen, daß es sehe, so ist es auch sinnlos, von einem Automaten zu sagen, daß er über selbständige geistige Fähigkeiten verfüge.

Es gibt zwei gefährliche Folgen der Überschätzung kybernetischer Systeme: 1. das Minderwertigkeitsgefühl des Schöpfers vor seinem eigenen Geschöpf, das sich bis zu der fatalen Äußerung steigern kann, der Mensch sei eine Fehlkonstruktion Gottes: 2. das blinde Sichausliefern des Menschen an die Informationswelt.

Wenn sich Computer mit diesen unbestimmten Ideen beschäftigen müssen, so sind sie kaum imstande, sich selber zu programmieren. Das menschliche Gehirn jedoch kann in Gedichten, Romanen und Gemälden sehr gut mit Material arbeiten, das jeder Computer als formlos abweisen müßte.

 

Der Mensch kann sich mit unbestimmten, noch nicht klar umrissenen Ideen befassen und in Gedichten und Gemälden mit einem Material arbeiten, das jede Maschine als formlos zurückweisen müßte. Wie wir schon früher bemerkten, wird es Übersetzungsmaschinen auch bei weiterer Perfektionierung nicht gelingen, Gedichte von einer Sprache in die andere zu über­setzen. „Gebt dem Menschen, was des Menschen ist, und dem Computer, was des Computers ist.“ (Norbert Wiener).

Auch in quantitativer Hinsicht bestehen unübersehbare Unterschiede. Nach Norbert Wiener wäre es unmöglich, einen Computer zu konstruieren, der nur im Entferntesten die relative Dichte der Gehirnsubstanz hätte. Ein Computer, dessen Fähigkeiten mit denen des Gehirns vergleichbar sind, würde nach dem Stand von 1965 einen Wolkenkratzer einnehmen (heute allerdings ist die Speicherkapazität größer).

Die zweite Folge der Überschätzung kybernetischer Systeme ist das blinde Sichausliefern des Menschen an die Informationswelt. Der unkritische Umgang der Menschen mit den Massenmedien (besonders dem Fernsehen) gibt uns eine lebendige Vorstellung davon.

Der Mensch lebt natürlicherweise in drei existentiellen Grundzügen. In der Beziehung zum Du, zum Ich und zum Es. Für den modernen Menschen ist durch die Informationsmenge eine vierte Beziehung hinzugekommen, die Beziehung zur Formel. Sie ist einerseits für den heutigen Menschen eine Notwendigkeit, andererseits aber eine Gefahr.

Der Mensch, der beispielsweise täglich von soundso vielen Unfällen hört, kann diese nur als Formel registrieren. Wie der Arzt das Leid seiner Patienten nicht in sein Herz nehmen kann, kann der heutige Mensch unmöglich das Leid, das sich hinter den zahllosen Unfallmeldungen verbirgt, auf sich wirken lassen. Er distanziert es, indem er es zur Formel macht. Die Gefahr ist, daß er sich in der Formelwelt so fixiert, daß er auch die Ereignisse (etwa den Tod eines nächsten Angehörigen oder die Beziehung zum Lebenspartner) nur formelhaft erlebt, die er unbedingt ganzheitlich, existentiell erleben müßte. Kybernetiker haben gesagt, es sei die Aufgabe heutiger Seelsorger, die Menschen aus der Fixierung in die Formelwelt zu lösen, und zwar nicht erst dann, wen sie in der Grenzsituation sind, sondern im aktiven Vollzug ihres Lebens. Über die existentielle Verarmung, die eine Fixierung in die Formelwelt mit sich bringt, wäre viel zu sagen.

 

 Können wir „Menschen nach Maß“ planen und produzieren?

Soll der Mensch der Zukunft der superintelligente, aber unendlich brave und unproblematische Manager sein, der sich leidlos und kritiklos jeder Umweltsituation anpaßt? Die Einwirkungen auf das Keimgut, wie sie in der Natur vorkommen, haben die Genetiker vor die Frage gestellt: Sollte es nicht möglich sein, die zufälligen Wirkungen radioaktiver Strahlen auf den Genbestand, die meistens negative Folgen haben, durch gezielte (mit positivem  Erfolg) zu ersetzen? Voraussetzung eines gezielten Eingreifens ist die Kenntnis des genetischen Codes. Hier haben denn auch die Wissenschaftler mit ihren Bemühungen eingesetzt und schon beträchtliche Erfolge erzielt. Der menschliche Gen-Code ist zu einem großen Teil entschlüsselt. Auf Grund dieser Erfolge behaupten manche Forscher: „Wir werden so vorausplanen können, daß unsere Kinder so ausfallen, wie wir es wünschen - physisch und sogar geistig.“ Ziel ist der „Mensch nach Maß“. - Aber nach welchem Maß soll er geschaffen werden? An dieser Frage bricht das ethische Problem auf.

Soll der Mensch der Zukunft der hochgezüchtete Spezialist sein, der auf seine breit gestreuten Entwicklungsmöglichkeiten verzichtet, um sich ohne inneren Widerstand jedem von ihm geforderten Zweck dienstbar machen zu können? Mit diesem

Menschentyp würden wir in das Sklavenzeitalter zurückfallen, in dem es ja eine große Menschengruppe gab, der man alle Menschenrechte aberkannte, um sie je nach Bedarf bald als Arbeitsmaschine, bald als Denkmaschine (zur Belehrung der Kinder oder zur Behandlung der Kranken) einzusetzen.

Der Mensch nach Maß kann nach christlichem Verständnis nur der Mensch nach dem Maße Jesu Christi sein. Die Theologie hat von Anfang an gewußt und betont, daß der Mensch so, wie er ist, nicht bleiben kann, aber die Richtung, in der er sich ändern soll, ist nicht durch eine bloße Anpassung an die technische Welt und ihre Erfordernisse, sondern durch ein Hineinwachsen in das volle Maß der Fülle Christi bestimmt (Eph. 4, 13). Nach dem Kolosserbrief ist es das Ziel alles apostolischen Wirkens, „daß wir einen jeglichen Menschen darstellen vollkommen in Christus“ (Kol 1, 28).

Die Menschenplanung stellt die Menschheit vor schwierigste ethische Entscheidungen. Sie kann nur verantwortet werden, wenn sie mit äußerster Behutsamkeit vorgeht und wenn sie in Händen von Forschern liegt, die die polare Spannung zwischen dem zu Bewahrenden und Dauernden (dem Primären unseres Menschseins) und der sich umformenden sekundären Weltbeziehung (wie sie sich aus der historischen Entwicklung ergibt) jederzeit deutlich vor Augen haben. Einsichtige warnen darum vor einer zu weitgreifenden genetischen Planung. weil sie die Zukunft zu stark im Sinne unserer gegenwärtigen Welt- und Wertvorstellung festlegen würde.

Überhaupt wäre zu tragen, ob die Bio-Kybernetik nicht gut daran täte, sich am Anfang ihrer Entwicklung auf Nahziele tu beschränken und negative Eugenetik zu treiben, statt in der Orientierung auf Fernziele gleich mit positiver Eugenetik zu beginnen. Nahziele sind für die Bio-Kybernetik die Erforschung und Beseitigung von Genschäden, wie sie als Ursachen hinter zahlreichen geistigen und körperlichen Anomalien stehen.

 

 

Bedeutung der Kybernetik für die Theologie

Für einen Gott, der den Lückenbüßer unserer Wissenschaften abgibt, der die Erklärung des Unerklärlichen ist, bleibt bei der kybernetischen Betrachtungsweise kein Raum. Für die Kybernetik ist die Welt ganz Welt. Damit ist ein Prozeß, der im Zeitalter der Entdeckung begonnen hat, vollendet. Die neue Wissenschaft ist eine kritische Anfrage an unser überliefertes Gottesbild.

In der modernen Theologie - besonders in den Veröffentlichungen Rudolf Bultmanns - wurde jedoch die Existenz des Menschen so einseitig in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, daß darüber die Natur, die Welt und die Stellung des Menschen in der Welt ganz außerhalb der Betrachtung blieb.

Es soll nicht bestritten werden, daß die Konzentration des Fragens auf die Existenz und die existentiellen Beziehungen des Menschen zu seinem Nächsten, zur Gemeinde und zu Gott ein gewisses Recht hatte, aber sie führte im Endeffekt doch zur Isolierung des Menschen von der Natur. Das zeigt sich darin, daß im Zuge der „Entmythologisierung“ die Aussagen der Bibel über die Schöpfung und Vollendung der Welt, die ja den Menschen in einen kosmischen Zusammenhang stellen, eine deutliche Abwertung erfuhren.

Die Konzentration auf den Menschen und das Ausklammern der Natur hat die „Existenztheologie“ in eine Sackgasse geführt. Mit Recht stellt Carl Friedrich von Weizsäcker ihr gegenüber fest: „Ich möchte ausdrücklich sagen, daß meinem Empfinden nach ... eine Spaltung von Existenz und Natur, so etwa, daß die Existenz das Feld des christlichen Glaubens, die Natur das Feld der exakten Wissenschaft wäre, sowohl dem Glauben wie der Wissenschaft ein zu enges, ein eigentlich sogar nicht vorhandenes Feld zuweist.“

Ebenso abgezogen von der Wirklichkeit wie das Bild vom Menschen ist das Gottesbild Rudolf Bultmanns. Nach seiner Überzeugung kann das Wirken Gottes nicht als ein allgemeines Geschehen angesehen werden, das wir anschauen könnten unter Absehung von unserer Existenz. Darin hat er gewiß recht, daß sich das Wirken Gottes dem Menschen in der Zuschauerhaltung nicht als ein allgemeines Geschehen kundgibt, aber der Mensch des Glaubens kann das Wirken Gottes durchaus als ein allgemeines Geschehen erfahren.

Dafür gibt es in der Geschichte zahlreiche Beispiele. So ist Leibniz davon überzeugt, daß der Mensch, der sich denkend in die Natur versenkt, auf ein überlegenes geistiges Konzept stößt, auf eine Art Bewertung, die dem Sein den Vorzug vor dem Nichtsein, der Ordnung vor der Unordnung gibt. In ähnlicher Weise beschreibt Albert Einstein die „mit tiefem Gefühl verbundene Überzeugung von einer überlegenen Vernunft, die sich in der erfahrbaren Welt offenbart“, als seine Gotteserfahrung.

Wie die Theologie bereit sein muß, eine Denkweise aufzugeben, die Existenz und Natur auseinanderreißt, so wird sie auch bereit sein müssen, die Vorstellung aufzugeben, daß das Natürliche (weil gottunmittelbarer) von höherem Wert sei als das Künstliche. Diese Vorstellung aber ist in christlichen Kreisen noch sehr weit verbreitet. Wenn es mehr ist als eine Marotte, daß man in der Paramentik bis heute zur Anfertigung von Antependien nur natürliche Substanzen (natürliche Farben und natürliche Fasern) verwendet, dann bedeutet das praktisch eine Disqualifizierung aller künstlichen (d. h. vom Menschen geschaffenen) Erzeugnisse, denn diese sind ja nicht wert, zum Lobe Gottes gebraucht zu werden.

Die moderne Theologie lehrt uns, die Kirche als geschichtliche Größe zu verstehen. Das bedeutet: Kirche hat keine zeitlose Gestalt, sondern findet ihre Gestalt und Struktur in der Beziehung zu ihrer jeweiligen Zeit. Wie die Kirche unmittelbar zu Gott ist, so ist sie unmittelbar zur Zeit. Wenn aber an Stelle der statischen Gegebenheit die dynamische Polarität tritt, entfällt die Voraussetzung für ihre Reformation.

Entsprechend den Übergängen von der Wüste zum Kulturland oder von der alttestamentlichen in die neutestamentliche Gemeinde fordert Meyer zu Uptrup für die Kirche unserer Tage ge­präg­ten Daseinsgefüge“.

Transformation betont einerseits die Konstanz (durch die Invarianten), andererseits die Mobilität (durch die Variablen), sie enthält das Moment der Tradition ebenso wie das der Anpassung. In dieser Ausgewogenheit stellt die Forderung nach Transformation der Kirche auch für den vorsichtigen Theologen gar keine Schwierigkeit dar. Die Schwierigkeit beginnt bei der Frage: Was ist unveränderlich und was ist variabel? Invarianten stellen sich immer erst beim Übergang von einem Bezugssystem in das andere heraus - und dabei ist man vor Überraschungen keineswegs sicher. Das jüdische Ritualgesetz (zum Beispiel das Sabbatgebot), das die Zeitgenossen Jesu für unveränderlich hielten, entpuppte sich als relativ, das Liebesgebot hingegen, das als relativ galt (siehe die Geschichte vom barmherzigen Samariter) zeigte sich als unveränderlich.

Worin liegen nun die „Invarianten“ (unveränderliche Größenordnungen) der Kirche, die sich anschickt, von der Agrargesellschaft in die Industriegesellschaft hinüberzugehen? Die große Invariante ist für sie Jesus Christus selbst. In ihm hat sie die ganze Fülle Gottes leibhaftig - und von ihm hat sie den Auftrag, das Werk der Liebe, das in ihm Gestalt wurde, in dieser Welt fortzusetzen. Invariant ist das Bedrohtsein des Menschen und seine Erlösung durch Christus.

Invariant ist die Verantwortung des Menschen für den Mitmenschen.

 Der ungeheure Reichtum des Wissens ändert nichts daran, daß der Mensch in seiner Beziehung zu seinen Mitmenschen neben wissenschaftlichen täglich auch ethische (und das heißt über die Wissenschaft hinausgehende) Entscheidungen treffen muß. Der Forscher, der die Geheimnisse des Lebens enträtselt, ist immer auch Mitmensch: Ehepartner, Vater, Kollege oder Vorgesetzter. Von ihm wird erwartet, daß er mit seinen Mitmenschen auskommt - und darüber hinaus, daß er ihnen hilft. Nicht nur seine Leistung als Wissenschaftler, sondern auch seine Qualität als Mensch gefragt. Der so geforderte Mensch erwartet von der Kirche, daß sie ihm hilft, Lebenskrisen zu entwirren, Spannungen zu überwinden und den Anspruch des Menschseins in allen Lebenssituationen deutlich zu machen.

Invariant ist das Wort, variant dagegen sind die Wörter, in denen sich das Wort ausspricht. Variabel sind die Formen der Verkündigung und die Organisationsformen der Gemeinde, variabel ist auch die Skala von Sollwerten. Im Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft verwandelt sich die Kirche (in einem kybernetischen Bild gesprochen) aus einem Regelkreis in einen Lernkreis. Wie ein Regelkreis durch ein starres System von Soll-Werten bestimmt ist, war die Kirche des Mittelalters durch ein festes System ewiger Ordnungen bestimmt. Alles Leben war durch festgelegte Normen bis in alle Einzelheiten geregelt; eine hierarchisch gegliederte Institution, eine Theologie, die sich auf die Interpretation der Tradition beschränkte, und die Verfolgung der Ketzer, gaben ihr Stabilität.

Renaissance und Aufklärung zerbrachen das stabile Gefüge des Mittelalters. Die Theologie sprengte die Fesseln der Scholastik, an Stelle des rückwärtsgewendeten Fragens nach metaphysischen Normen trat ein vorwärtsdrängendes experimentierendes Suchen nach neuen Führungsgrößen. Lernoffenheit und Weltoffenheit wurden die Kennzeichen der Neuzeit, die ein durch und durch dynamisches Gepräge erhielt.

Entsprechend diesen Veränderungen in der Welt mußte sich auch die Kirche verändern. Sie tat es, wenn auch mit deutlichen Verzögerungen gegenüber den Entwicklungen im säkularen Bereich. Zuerst bemächtigte sich das Geschichtsdenken der Theologie. Unter seinem Einfluß begann man den schichtenartigen Aufbau des Alten und Neuen Testamentes zu sehen und fing an zu erkennen, daß die Aussagen der Bibel nicht richtungslose, zeitlose Wahrheiten, sondern sehr gezielte Antworten auf Fragen aus der jeweiligen konkreten geschichtlichen Situation sind. Dadurch wurde die starre Loci-Methode, die in der Bibel so etwas wie eine Beweisstellenkartei sah und alle ihre Aussagen auf eine zeitliche Ebene projizierte, von der modernen dynamischen Exegese abgelöst. Wo sie wirksam wurde, gewannen die biblischen Begriffe die Umweltoffenheit wieder, die sie in einer zeitlosen Auslegung verloren hatten. Wachstumsvorgänge sind mit Krisen verbunden. Das gilt es nüchtern zu sehen. Wer aus Angst vor diesen Krisen das Wachsen verhindern wollte, würde der Kirche einen schlechten Dienst tun.

Warum ist es bis heute nicht zu einer Transformation gekommen? Dafür gibt es zwei Gründe: einen geschichtlichen und einen psychologischen.

1. Als die Rufe nach Anpassung der Kirche an die Denkstrukturen der Zeit zum ersten Mal laut wurden, stand sie in der Situation des Kirchenkampfes. In dieser Situation galt es, zuerst den Bestand zu sichern. Die Kirche zog sich auf ihren innersten Kern zurück, erneuerte die Liturgie, belebte das reformatorische Gedankengut und schied alles aus, was unter kulturprotestantischem Einfluß in sie eingedrungen war.

2. Der zweite Grund, der das Hineingehen der Kirche in das Industriezeitalter hintanhält, ist ein psychologischer. Wer sich im Besitz der Wahrheit weiß, ist versucht, diese unverändert wei­ter­zugeben. Eine unveränderte (gewissermaßen zeitlose) Wahrheit aber ist nicht die lebendige Wahrheit, die wir als Christen weiterzugeben haben. Wer die Wahrheit (aus Angst, sie zu verfälschen) in sein Schweißtuch einwickelt, statt sie wirken zu lassen, gerät auf einen gefährlichen Weg. Das zeigt uns das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden (Luk. 19, 11 ff.) mit aller nur wünschenswerten Deutlichkeit. In Abwandlung des Herrenwortes könnten wir sagen: „Wer die Wahrheit (um ihrer selbst willen als objektives Gut) erhalten will, der wird sie verlieren, wer sie aber drangibt um Jesu willen, der wird sie finden!“

 

Naturgesetze geben uns Einblicke in die Struktur der Welt, nicht aber in ihren Sinn, sie zeigen uns, was möglich ist, nicht aber, was richtig ist. Darum müssen wir als Christen die bloß technische Frage: „Wie macht man das?“ durch die ethische Frage: „Was ist zu tun?“ ergänzen. Wir brauchen diese Frage nicht zu scheuen, denn das Neue Testament gibt uns einen Entwurf von menschenwürdiger Welt, in der Feindschaft, Ungerechtigkeit. Vergeblichkeit, Agonie und Qual entmächtigt sind.

Der Konstrukteur steht mit einem Mal vor der Erkenntnis, daß er ein funktionales Ebenbild seiner selbst erzeugt hat und sich mit diesem Ebenbild in ein Spiel einlassen kann, das er nicht unbedingt als Sieger beenden wird. Dieses Ebenbild wird zu einer Herausforderung an die Intelligenz des Schöpfers. Der schachspielende Computer ist kein toter Automat mehr, sondern ein Partner, dem der Konstrukteur einen Teil seiner eigenen Freiheit überantwortet und mit dem er sich unter Einsatz seiner Vernunft auseinanderzusetzen hat.

Die Auseinandersetzung mit intelligenten Maschinen hat den Menschen zur Einsicht in die Verantwortung des Schöpfers vor seinem Geschöpf geführt. Wie auf uns die Verantwortung für den Partner lastet, mit dem wir ein gemeinsames Spiel um die Zukunft spielen, lastet auf Gott, dem großen Schöpfer, die Verantwortung für uns. Nach Meinung Wieners ist die Vorstellung eines Gottes von patriarchalischer Allmächtigkeit nicht mehr aufrecht zu erhalten. Sie entspricht genau dem starren Verhältnis zwischen dem menschlichen Konstrukteur und der toten Maschine vom Rang einer Dampfmaschine. Nach Wieners Sicht ist das Verhältnis zwischen Gott und Mensch viel elastischer. Mit besonderem Nachdruck weist er uns auf das Problem des Spieles zwischen Schöpfer und Geschöpf hin, wie es uns im Buch Hiob überliefert wird.

Wiener sieht im Spiel des Konstrukteurs mit seiner Maschine eine Analogie zum Spiel des Schöpfers mit seinem Geschöpf, das heißt, er hält das Spiel Gottes mit dem Teufel für ein echtes Spiel, in dem keineswegs von vornherein feststeht, wer aus diesem Spiel als Sieger hervorgeht.

Wer Wiener darin nicht folgen kann, mag seinen Ausführungen mindestens entnehmen, daß die alte Frage „Kann der Schöpfer ein Spiel von Bedeutung mit seinem eigenen Geschöpf spielen?“ zu bejahen ist. Die Spielerfahrungen, die in der Kybernetik gewonnen wurden, zeigen, daß es möglich ist.

 

                       

Die Aufgabe des Christen angesichts der Kybernetik

Für die Theologie sind Gott und Welt unauflösbar aufeinander bezogen. Gott entläßt die Welt nicht aus seinem Herrschaftswillen. Darin liegt für uns Christen die Aufgabe, in alle Bereiche der Welt hineinzugehen. Durch die Kybernetik wird uns ein neuer Aspekt der Welt erschlossen. Wenn wir wirklich in die heutige Welt hineingehen wollen, müssen wir uns diesem Aspekt entschlossen öffnen. Hineingehen in die Welt bedeutet freilich nicht nur Kenntnisnahme und Verstehen, sondern kritische Auseinandersetzung.                                      

Wir werden durch unseren Beitrag die Kybernetik davor zu bewahren haben, ihre Erkenntnisse zu verallgemeinern und sie zu einem kybernetischen Weltbild zu verdichten, wie die Mechanisten einst ihre Erkenntnisse zu einem mechanistischen Weltbild verdichtet haben. Demgegenüber ist festzustellen: Die Kybernetik ist nicht ein Weg zum vollständigen Verständnis der Natur, des Lebendigen oder gar des Menschen.                                      

Gewissen Kategorien gegenüber ist die Kybernetik so hilflos wie jede Naturwissenschaft. Insbesondere der Mensch als Einzelwesen hier und jetzt lebt in einer Welt, die sich mit dem physikalischen Universum nicht deckt. Seine Wünsche und Motive haben ihre eigene Logik, die nicht einfach ein unsauberes Stiefkind der mathematischen Logik ist. Was hätte beispielsweise der Bräutigam vom exakten Schaltbild seiner Braut?          

Außerhalb der Werkzeugwelt der Kybernetik wird es in aller Zukunft Sphären geben, die der Verwissenschaftlichung und Technisierung spotten. Wir sind in eine nicht perfekte Welt gestellt und müssen unsere wichtigsten Entscheidungen im Dunkel der mangelhaften Information fällen. Dafür haben sie nicht die Trivialität eines mechanischen Programmablaufs, sondern das Risiko der Freiheit. Ursprung und Ziel des menschlichen Weges liegen außerhalb der Naturwissenschaft, die auf das „Wie“ antwortet, aber nicht auf das „Warum“.

Zwei Gefahren gibt es für Christen:

1. Dämonisierung: Eine Dämonisierung kybernetischer Systeme liegt bereits da vor, wo man von der Magie der modernen Automatisierung spricht. Wenn auch richtig ist, daß für den Mann auf der Straße die Wirkungsweisen kybernetischer Maschinen jenseits des gewöhnlichen Laufs der Natur zu stehen scheinen, so ist doch kein Wissenschaftler berechtigt, den Begriff der Magie mit der Kybernetik zu verbinden. Wo dies geschieht, erscheinen kybernetische Systeme unter dem Aspekt von Geistern, die man wie Goethes Zauberlehrling rief und die man nun nicht los wird.

Noch deutlicher tritt die Dämonisierungstendenz zutage, wo man kybernetische Systeme als Roboter bezeichnet. Das Wort „Roboter“ stammt von dem tschechischen Schriftsteller Karl Capek. Bei ihm sind Roboter vom Menschen erfundene und gebaute Automaten. Sie besitzen keine menschlichen Gefühle und keine menschlichen Wünsche. In dem Maße. in dem sie sich vervollkommnen, entwachsen sie ihrem Automatendasein und am Ende des Dramas vernich­ten sie ihre Herren, aber sie müssen auch selber zugrunde gehen, weil nur die Menschen das Geheimnis kennen, Roboter herzustellen. Die Kybernetik ist weder eine Dampfwalze, die alles seelische Leben niederwalzt, noch eine technische Realisierung des Robotergedankens. Der Roboter ist eine gedankliche Fehlkonstruktion. Die Technik will den Menschen nicht ersetzen, sondern nur in speziellen Leistungen übertreffen.

Die Dämonisierung der Kybernetik, wie sie uns in diesen Produkten begegnet, ist darum so gefährlich, weil sie die Kräfte des Menschen lähmt, die von der Errichtung einer technischen Welt aufs äußerste gefordert werden, und den Menschen zu jener leichtfertigen Haltung verführt: „Laßt uns heute essen und trinken, denn morgen sind wir tot.“ Am Rande des Vulkans kann man nur noch tanzen, aber nicht mehr sinnvoll und zielgerichtet arbeiten.

Den Dämonisierungsversuchen der Kybernetik gegenüber muß festgestellt werden, die Kybernetik ist weder Magie noch eine technische Realisierung des Robotergedankens. Der Roboter ist eine gedankliche Fehlkonstruktion. Die Technik will den Menschen nicht ersetzen. sondern nur in einer speziellen Aktivität übertreffen. Der Christ, der vom Neuen Testament zur Nüchternheit aufgefordert wird, ist verpflichtet, zur Ernüchterung der Welt beizutragen. Das heißt in diesem konkreten Fall: Er muß helfen, die Dämonisierungsversuche der Kybernetik in ihrer Fragwürdigkeit zu entlarven.

 

2. Verabsolutierung:

Sie ist zwar weniger in die Augen fallend, hat dafür aber eine größere Verbreitung. Verabsolutierungstendenzen begegnen uns vor allem im Überschreiten der Grenze in Richtung auf ein kybernetisches Weltbild und in den Vorstellungen vom kybernetischen Paradies. Menschen, die die Leistung kybernetischer Maschinen kritiklos bewundern („Maschinenanbeter“) leben in der Illusion, daß eine hochautomatisierte Welt weniger Ansprüche an die menschliche Erfindungsgabe stellen würde als die gegenwärtige und uns von der Notwendigkeit schwierigen Denkens befreien würde. Sie sind davon überzeugt, daß uns die Maschinen ebenso von der Last des Denkens befreien werden, wie sie uns von der Last der körperlichen Arbeit befreit haben. Bei ihnen ist häufig der Wunsch zu finden, die persönliche Verantwortung für eine gefährliche Entscheidung dadurch zu vermeiden, daß man die Verantwortung auf anderes schiebt: auf den Zufall, auf Vorschriften oder auf ein mechanisches Gerät, das man zwar nicht ganz versteht, das jedoch vermutlich Objektivität besitzt.

Ihre Verabsolutierungen sind darum so gefährlich, weil sie erstens aus der Kybernetik ein Allheilmittel machen, zweitens im Schöpfer (dem Menschen) ein Minderwertigkeitsgefühl vor seinem eigenen Geschöpf (der Maschine) erzeugen, das sich bis zu der fatalen Äußerung steigern kann: der Mensch sei eine Fehlkonstruktion Gottes, und drittens die Verantwortung des Menschen für die von ihm geschaffene Maschinenwelt verschleiern.

Zum ersten ist zu sagen: Die Kybernetik ist kein Weg zum vollständigen Verständnis der Natur, des Lebendigen oder gar des Menschen. Bestimmten Erscheinungen des Lebens gegenüber ist die Kybernetik ebenso hilflos wie jede Naturwissenschaft. Insbesondere der Mensch als Einzelwesen hier und jetzt lebt in einer Welt, die sich mit dem kybernetischen Universum nicht deckt. Seine Wünsche und Motive haben ihre eigene Logik, die nicht einfach ein unsauberes Stiefkind der mathematischen Logik ist. Was hätte beispielsweise der Bräutigam vom exakten Schaltbild seiner Braut? Oder welchen Wert hätte eine programmierte Mitmenschlichkeit?

Außerhalb der Werkzeugwelt der Kybernetik wird es in aller Zukunft Bereiche geben, die der Verwissenschaftlichung und Technisierung spotten. Wir sind in eine imperfekte (unvollkommene) Welt gestellt und müssen unsere Entscheidungen im Dunkel der mangelhaften Information fällen. Dafür haben sie nicht die Eingegrenztheit und Trivialität eines mechanischen Programmablaufs, sondern das Risiko der Freiheit. Ursprung und Ziel des menschlichen Weges liegen außerhalb der Naturwissenschaft, die auf das Wie, aber nicht auf das Warum antwortet.

Allen Träumen gegenüber, daß uns unsere neuen Maschinen eine Welt anbieten werden, in der wir uns vom Denken ausruhen können, ist zu sagen, daß die Welt der Zukunft ein sehr aufreibender Kampf gegen die Beschränkung unseres Verstandes sein wird, keineswegs aber eine bequeme Hängematte, in die wir uns legen können, um uns von Robotersklaven bedienen zu lassen.

Mit der Macht fällt ihm aber unabweisbar die Verantwortung für den Gebrauch dieser Macht zu. Der Mensch muß dringender als früher nach dem richtigen Gebrauch der Macht fragen. Richtiger Gebrauch muß heißen: Sie in Verantwortung so zu gebrauchen, daß der Mensch menschlich bleiben kann, daß die spezifisch menschlichen Fähigkeiten zur Entfaltung gelangen können und diese auch angefordert werden. Er muß verantwortlich für die Zukunft planen, bewußt seine Geschichte gestalten.

Im Besitze der Macht von heute wäre der Mensch in der Lage, durch Mißbrauch dieser Macht die Menschheit auf diesem Planeten zu vernichten. Solcher Mißbrauch der Macht wäre die größte Tatsünde, die der Mensch begehen könnte. Aufgabe des Christen ist es, dem Menschen zu helfen, diese Macht in Verantwortung so zu gebrauchen, daß das Leben auf dieser Erde menschlicher wird.

Unzulässige Verallgemeinerungen lassen sich bereits dort nachweisen, wo man unkritisch von synthetischen Gehirnen, von der Begriffsbildung in Automaten und vom Denken kybernetischer Systeme spricht. Deutlicher treten diese Verallgemeinerungen zutage, wo man beunruhigt die Frage stellt, ob die Maschinen eines Tages klüger sein könnten als der Mensch. Besonders deutlich aber wird die Verabsolutierungstendenz kybernetischer Einsichten da, wo man den Menschen in einer gewissen Parallele zu „Der Mensch - eine Maschine“ einfach als kybernetisches System bezeichnet.

 

 

Grenzen der Kybernetik

Die Kybernetik lehrt uns, die Welt als ein offenes, unabgeschlossenes System zu verstehen. Während unsere Väter im Glauben die Welt als einen in sich abgeschlossenen Kosmos verstanden, sehen wir in ihr einen noch andauernden Prozeß, an dem der Mensch zu seinem Heil oder auch zu seinem Unheil mitarbeiten muß.

Die so verstandene Welt fordert den Christen zur Mitarbeit heraus. Der Nachfolger Christi darf sich als Mitarbeiter Gottes im Werk der noch unvollendeten Schöpfung verstehen, die scheitern, aber aus der Schöpfung auch erst noch werden kann. Schöpfung ist uns gegeben, zugleich aber auch aufgegeben.

Die Verpflichtung zur Mitarbeit in Gottes Schöpfung muß uns bestimmen, die Herausforderung unseres geistigen Vermögens durch die kybernetische Technik anzunehmen und ihr Kreuz, jenes Mehr an Planung und Information, zu tragen.       Wer Wiener darin nicht folgen kann, mag seinen Ausführungen mindestens entnehmen, daß die alte Frage „Kann der Schöpfer ein Spiel von Bedeutung mit seinem eigenen Geschöpf spielen?“ zu bejahen ist. Die Spielerfahrungen in der Kybernetik zeigen, daß das möglich ist.  

Nach Meinung Wieners ist die Vorstellung eines Gottes von patriarchalischer Allmächtigkeit nicht mehr aufrecht zu erhalten. Sie entspricht genau dem starren Verhältnis zwischen dem menschlichen Konstrukteur und der toten Maschine vom Rang einer Dampfmaschine. Nach Wieners Sicht ist das Verhältnis zwischen Gott und Mensch viel elastischer. Mit besonderem Nachdruck weist er uns auf das Problem des Spieles zwischen Schöpfer und Geschöpf hin, wie es uns im Buch Hiob überliefert wird.       

Wiener sieht im Spiel des Konstrukteurs mit seiner Maschine eine Analogie zum Spiel des Schöpfers mit seinem Geschöpf, das heißt, er hält das Spiel Gottes mit dem Teufel für ein echtes Spiel, in dem keineswegs von vornherein feststeht, wer aus diesem Spiel als Sieger hervorgeht.                       

Vor Jahren hat ein Kybernetiker ein Märchen erzählt, in dem Größe und Grenze der Kybernetik deutlich sichtbar werden. Dieses Märchen ist zugleich ein verstecktes Glaubensbekenntnis eines modernen Christen: „Es wird einmal, daß ein Mensch im Jahre 2000 mit seiner Freundin ausgeht. Die Freundin heißt Marion und ist die richtigste Partnerin, die man sich vorstellen kann. Sie weiß alles, sie unterhält sich über alle Gebiete und geht auf jeden Wunsch ihres Begleiters ein. Beide erleben einen herrlichen Abend mit einer geistreichen Konversation. Da kommt zu später Stunde eine andere Freundin des Mannes mit Namen Maria. Sie setzt sich an den Tisch der beiden, die Unterhaltung verliert ihre Weiträumigkeit, wird dafür aber wärmer und inniger. Nach einiger Zeit entschuldigt sich Marion (ihr sei nicht gut) und entfernt sich aus dem Raum, um sich im Nebenzimmer ein wenig auszuruhen. Stunden vergehen, und Marion kommt nicht zurück. Als die beiden - beunruhigt durch ihr langes Ausbleiben - nach ihr sehen wollen. finden sie sie tot vor der Zimmertür. Sie hat sich selbst das Leben genommen. In ihrer Hand hinterläßt sie einen Brief, in dem steht: „Ich weiß alles, was ihr wißt, ich kann alles denken, was ihr denkt - aber ich weiß nicht was Liebe ist, darum lohnt es nicht zu leben.“ Mit lakonischer Kürze setzte der Erzähler hinzu: Marion war ein kybernetisches System.“ [so wie heute das Smartphone auch oft mehr ist als eine Freundin] (nach Walter Saft).

In diesem Märchen werden die Grenzen der Maschinen sehr deutlich dargestellt. Sie können Partner in unserem Denkbereich werden - aber in die Grundbezüge unseres Lebens reichen sie nicht hinein. Es ist nicht Zufall, daß der Erzähler für die Freundinnen die Namen „Marion“ und „Maria“ wählte. Maria ist die Mutter des Herrn. Auf die Frage, was er denn unter Liebe verstehe, sagte er: „Was in 1. Kor. 13 steht. Liebe ist in meinem Märchen ein Name für Christus.“

 

Die Anwendbarkeit der Kybernetik

Überall dort, wo es sich um Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und Abgabe von Informationen handelt, sind diese Geräte geradezu unentbehrlich geworden. Die Denkmaschinen können nicht nur rechnen, sondern auch logische Aufgaben lösen, Daten speichern und auf Abruf bereitstellen, Kalkulationen durchführen, Rechnungen ausstellen und andere Routineaufgaben erledigen.

Besonders wichtig sind die Datenverarbeitungsmaschinen für die Dokumentation geworden. Dokumentation ist eine Forderung unserer Zeit. Denn eine grundlegende Problematik unseres Zeitalters könnte man in dem Satz ausdrücken: „Wir wissen nicht mehr, was wir wissen.“ Schon lange sind wir nicht mehr auf dem Laufenden. Das Zeitalter der Universalgenies ist unwiderruflich vorbei. Die Spezialisierung in den Wissenschaften hat dazu geführt, daß ein Mensch allein ohnehin das Wissen der Menschheit nicht mehr bewahren könnte. Nicht einmal auf dem eigenen Fachgebiet kann ein Wissenschaftler heute alle herauskommenden Veröffentlichungen kennen.

Hinzu kommt noch, daß jede neue Erkenntnis neue Erkenntnisse hervorruft. Die Zahl der Erfindungen und Entdeckungen seit dem elften Jahrhundert ergäbe, graphisch aufgezeichnet, eine steil. ansteigende Parabel. Neunzig Prozent der Wissenschaftler aller Zeiten leben in unseren Tagen. Wer mit der Entwicklung Schritt halten will, muß auf dem Laufenden bleiben.

Es ist heute eine Selbstverständlichkeit, daß an den Zentren der Forschung, der Wirtschaft, der politischen und strategischen Planung „Intelligenz-Verstärker“ angesetzt sind.

Eine besondere Stellung nehmen die Übersetzungsmaschinen ein, die bei der Übersetzung von informativen Texten aus Wirtschaft, Technik und Naturwissenschaft schon recht beachtlich Leistungen vollbringen, während die Übersetzung sogenannter „expressiver Texte“ (Gedichte, Kunstbetrachtungen, persönliche Zeugnisse) noch erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Doch wenn man diese Computer nur richtig ansetzt, und das heißt, ihre Grenzen respektiert und ihnen logisch aufgebautes Programm gibt, können sie der Menschheit erhebliche Dienste tun.

Die Führungskräfte in Wirtschaft, Politik und Kirche sind durch Routinetätigkeiten überlastet wie nie zuvor. Sie haben oft so viel zu tun, daß sie keine Zeit finden, um über den Sinn und die Berechtigung ihres Tuns nachzudenken. Mit Recht fühlen sie sich ständig überfordert, weil sie die Fülle ihrer Ideen wegen des täglichen Kleinkrams nicht verwirklichen können. Sie haben noch keinen „Algorithmus“ für ihre Leitungstätigkeit gefunden.

Wenn der Mensch nämlich einen „Algorithmus“ findet, kann auch die Maschine jede ihr gestellte Aufgabe lösen. Was ist ein „Algorithmus“? Unter einem Algorithmus versteht man die erlernbare, genaue Vorschrift, die einen Prozeß bestimmt, der von Ausgangsdaten in endlich vielen Schritten zu dem gesuchten Ergebnis führt. Wir kennen und benutzen solche Algorithmen seit langem, etwa wenn wir eine Quadratwurzel ziehen oder den größten gemeinsamen Teiler suchen. Solche Regeln versetzen Schüler in die Lage, Aufgaben zu lösen, ohne den Weg, den sie bei der Lösung beschreiten, unbedingt begründen zu können. Algorithmisch arbeitet auch eine Sekretärin, die nach der Anweisung ihres Chefs ein Manuskript abschreibt, ohne seinen Sinn zu verstehen.

Ein Computer kann sprechbare Wörter mit fünf Buchstaben bilden. Aus der Fülle der ausgegebenen, meist sinnlosen Wörter werden diejenigen herausgesiebt, die vom Gesichtspunkt der Werbung aus geeignet erschienen. So kommt schließlich immer der Mensch vor das Elektronengehirn zu stehen. „Was die Maschine auch tun mag, sie wird in der Lage sein, alle nur möglichen Probleme zu lösen, aber niemals wird sie auch nur eines stellen können.

Es hat jedoch den Anschein, als sei auch die schöpferische Tätigkeit des Menschen nicht länger sein alleiniges Privileg. Karl Steinbuch beantwortet die Frage, ob lernende Automaten in bezug auf die gestellten Aufgaben klüger als ihre Konstrukteure sein könnten, nicht ganz negativ: „Diese Möglichkeit existiert meines Erachtens dann, wenn die Automaten so organisiert sind, daß sie durch direkte Kommunikation mit der Außenwelt ihre ‚Fähigkeiten‘ verbessern".

Die kybernetische Betrachtungsweise läßt sich nicht auf das Gebiet der Technik beschränken. Sie ist auch in den Bereich des Lebendigen eingedrungen (Biokybernetik). Eine neue Wissenschaft, die „Bionik“, befaßt sich mit der technischen Ausnützung biologischer Strukturen. Wir haben entdeckt, daß die Vermittlung von Nervenreizen den Gesetzmäßigkeiten der Informationstheorie gehorcht. Für Rückkopplung gibt es viele Beispiele im Organischen, nämlich überall dort, wo ein sogenannter „Regelkreis“ besteht. Inzwischen wissen wir auch, daß Vererbung durch Informationsübertragung geschieht. In der Desoxyribonukleinsäure (DNS) ist das „Programm“ für den Aufbau eines Organismus festgelegt, gleichsam niedergeschrieben. Wie die Buchstaben eines Alphabets, dessen Elemente freilich noch zum großen Teil unbekannt sind, sind in den Chromosomen bestimmte Aminosäuren zu einer Riesenkette zusammengefügt, und je nach ihrer Anordnung ergeben sich die individuellen Eigenschaften. Hin und wieder können „Druckfehler“ auftreten. Dann ist der Bauplan gestört. Krebs könnte solch ein „Druckfehler“ sein! Gerhard Schramm, Direktor der biochemischen Abteilung des Max-Planck-Instituts für Virusforschung in Tübingen, hat die Vermutung geäußert, „daß die Entstehung des Lebens etwas mit der Entstehung und Ansammlung von Information zu tun hat.“

Hier besteht nur eine Alternative: alles oder nichts! Gemessen an den weltweiten Dimensionen menschlicher Verantwortung ist die Kybernetik nicht bloß eine Gedankenspielerei, sondern eine Notwendigkeit. Denn die auftretenden Probleme sind zu kompliziert, als daß sie länger mit dem unbewaffneten Intellekt gelöst werden können, soviel man sich immer von Erziehung versprechen mag.

 

Die Kybernetik als Herausforderung an die Kirche

1. Revision des Weltbildes:

Die kybernetische Betrachtungsweise läßt traditionelle Streitfragen in einem neuen Licht erscheinen. „Das Leib-Seele-Problem ist, unvoreingenommen betrachtet, im Grunde ein kybernetisches Problem. Es handelt sich dabei nämlich genau um die Frage nach Kommunikation und Regelung in äußerst komplexen Systemen“ (Stafford Beer)' So bezieht die Kybernetik eine Position jenseits des klassischen Gegensatzes von Materialismus und Idealismus. „Sein“ und „Bewußtsein“ erweisen sich lediglich als notwendige Aspekte der einen Wirklichkeit. „Daß die Unterscheidung von Leib und Seele, Sein und Bewußtsein und wie die klassischen Gegensatzpaare alle heißen mögen nicht ewig-gültig ist, sondern einem bestimmten Bereich geschichtlicher Erfahrung zugehört, beweist das Alte Testament. Dort finden wir diese unserem Denken so geläufige Unterscheidung nämlich noch nicht. Auch das Alte Testament kennt nur eine einzige Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit aber ist Gottes.“

Die kybernetische Betrachtungsweise hat die Einheit der Welt wiederentdeckt, die gerade durch die Fülle der Spezialwissenschaften verlorengegangen schien. Die althergebrachte Trennung zwischen „Geisteswissenschaften“ und „Naturwissenschaften“ ist aufgehoben. Für die Kybernetik gibt es nur eine Wirklichkeit, die durch das Wechselspiel der in ihr wirkenden Kräfte und Systeme bestimmt ist. Die Welt ist prinzipiell durchschaubar geworden.

2. Revision des Gottesbildes

Für eine Metaphysik, wie auch immer sie geartet sein oder begründet werden mag, bleibt bei der kybernetischen Betrachtungsweise kein Raum mehr. Ein Gott, der in den Lücken unseres Wissens als eine Art höherer „black box“ sein Wesen hat oder die Erklärung des Unerklärlichen ist, kann nicht mehr vorgestellt werden. Natürlich ist diese Erkenntnis nicht neu. Sie ist zusammen mit dem modernen, durch die Naturwissenschaften geprägten Weltbild gewachsen. Insofern signalisiert die Kybernetik die Vollendung der Säkularisation. Jetzt ist die Welt ganz „Welt“ geworden. Die Kybernetik zwingt uns, diese Tatsache anzuerkennen. Für die christliche Verkündigung ergibt sich daraus eine ganz neue Aufgabe.

Nicht als Apologeten Gottes, also in der Verteidigung, sondern als Botschafter an Christi

Statt, also im Angriff, sind wir beauftragt, die Herrschaft Gottes auch in einer Welt auszurufen, in der diese Herrschaft nicht mehr metaphysisch begründet werden kann. Der Gott, der

in unsere Geschichte eingegangen ist, ermächtigt uns dazu. Denn wir sind gefragt, ob wir Apologeten des „lieben Gottes“ oder „Botschafter an Christi Statt“ sein wollen. Wer nicht mehr sagen kann: „Gott war in Christo“, der wird in der Welt von heute von Gott schweigen müssen. Heute muß es heißen: „Wer Christus nicht zum Bruder hat, kann Gott nicht zum Vater haben.“

 

3. Revision des Menschenbildes

Die Anwendung kybernetischer Erkenntnisse hat gezeigt, daß die Simulierung menschlicher. Tätigkeiten prinzipiell möglich ist. Natürlich kann es „zwischen der Struktur und Funktion des Gehirns und den Strukturen und Funktionen bestimmter elektronischer Maschinen auf Grund der Verschiedenheit des Materials keine totale, sondern stets nur partielle Analogie geben“ (Georg Klaus)." Insofern wird der Mensch immer etwas Besonderes bleiben. Der Grund dafür ist in der funktionalen Überlegenheit des menschlichen Gehirns zu suchen, das auf kleinstem Raum (ein Neuron hat ein Volumen von etwa 10 hoch minus 7) 100.000 mal mehr Neuronen vereinigt als die vergleichbaren Automaten.

Dennoch wird durch diese Betrachtungsweise der Mensch anderen Systemen vergleichbar, und man mag fragen, worin denn seine Besonderheit eigentlich beruht. Die Antwort wird lauten: in seiner Verantwortlichkeit. Denn die Bedrohung des Menschen rührt nicht von den Maschinen her. Einen „Aufstand der Roboter“ wird es nicht geben. Es ist der Mensch, der den Maschinen ihr Programm gibt. Er ist es auch, der aus der Fülle der angebotenen Informationen seine Wahl trifft. Eines hat sich allerdings grundlegend gewandelt: Das Ausmaß der Verantwortung, die auf uns lastet. Wir werden die „Elektronengehirne“ nicht abschaffen können. Wir werden den Prozeß der kybernetischen Durchdringung des Weltgeschehens nicht aufhalten können. Aber wir dürfen auch gar nichts zurücknehmen. Denn nur unter Zuhilfenahme der neuen Erkenntnisse werden wir die Verantwortung wahrnehmen können, die das Zeitalter der „Planetisierung der Menschheit“ von uns fordert.

Die Kybernetik hat uns tiefe Einsichten in das Wesen der Menschen eröffnet. Sie hat gezeigt, daß auch unsere innersten Entscheidungen nicht unabhängig von der Umwelt getroffen werden können, die diese Entscheidungen fordert. Freiheit ist immer relativ, keine Wahrheit ist absolut. Der Mensch kann nicht länger als eine in sich ruhende Persönlichkeit verstanden werden. Diese Freiheit war eine Fiktion. Dennoch bleibt der Mensch „Gottes Ebenbild“ im biblischen Sinne und damit Mensch. Gott garantiert in Jesus Christus die Menschlichkeit des Menschen, auch wo dieser sich nicht mehr als „Persönlichkeit“ im klassischen Sinn verstehen kann. Der Mensch der Zukunft, der neue Mensch, kann nur der verantwortliche sein.

 

4. Revision der Zukunftserwartung:

Die Welt ist nur nach vorwärts interessant (Teilhard de Chardin). Wir brauchen eine „Theologie der Zukunft“ (Jürgen Moltmann). Deshalb müssen wir offen sein für das Neue und uns informieren über das Neue. Kennzeichen einer Kirche der Zukunft wird daher sein, ob in ihr der Monolog vom Dialog abgelöst wird. Nur durch das Gespräch werden Grenzen überwunden. Es gilt auch sich einzulassen auf das Neue. Das Leben vor uns wird ein riskantes und immer improvisatorisches Experiment sein.

Das Grundmotiv menschlicher Entwicklung besteht - kybernetisch gesprochen - in der Vor-, Sicht, nicht in der Rück-Sicht. Solange aber unser kirchliches Leben der Gegenwart von lauter „Rücksichten“ bestimmt ist, werden wir die Zukunft nicht gewinnen. So ist doch wohl das harte Wort Jesu zu verstehen: „Laß die Toten ihre Toten begraben; gehe du aber hin und verkündige das Reich Gottes!“ (Luk. 9,6o0.

Karl Steinbuch hat die Frage gestellt: „Warum ging der Riesenhirsch unter?“ Die Antwort lautet: Weil das Geweih, das ihm am Anfang eine gewisse Überlegenheit verschafft hatte, ihn zuletzt, als es ins Überdimensionale gewachsen war, behinderte. Er zieht daraus den Schluß: „Viele Arten sind untergegangen, weil sie die Erfolge ihrer Anfangszeiten nicht vergessen konnten.“ Wir werden nur dann einem gleichen Schicksal entgehen, wenn wir Zukunft im Sin haben.

Keine einzige Wissenschaft kann sich heute der kybernetischen Betrachtungsweise entziehen. Das macht schon eine Sichtung der vorliegenden Literatur deutlich. Es würde der Theologie nur zum Schaden gereichen, wenn sie sich den neuen Methoden und Denkansätzen verschlösse. Es gilt freilich festzuhalten, daß keine Wissenschaft Glauben begründen kann. Auch die kybernetische Betrachtungsweise erspart uns das Wagnis des Glaubens nicht. Aber doch ist die Kirche als Kirche in der Welt auch ein soziologisches Phänomen.

. Auch die Kirche ist ein gesellschaftliches System. Daher gelten für sie auch die Gesetze, die sonst in der Welt gelten. Wenn es sonst richtig ist, daß die Organisation für das Funktionieren eines Systems ausschlaggebend ist, dann muß das auch für die Kirche stimmen. Die Kybernetik hat auch zur „Steuerung“ der Gemeinde wesentliches zu sagen. So könnte die Kybernetik auch die altehrwürdige Disziplin der Kybernese (Gemeindeleitung) neu anregen (verwendet wurden hier Ausführungen von Walter Saft und Günter Krusche).

 

 

 

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