Predigten

 

Inhalt:

Predigten, geordnet nach Bibelstellen

Sondergottesdienste

Erzählungen

Material

Familiengottesdienste I und II

Taufe

Trauung

Ehejubiläum

Beerdigung

 

 

Vorwort:

Ich selber habe 25 Jahre unter Kanzel gesessen. Dann habe ich 25 Jahre auf der Kanzel gestanden. Und jetzt sind es schon wieder über 25 Jahre, daß ich unter der Kanzel sitze. Dabei muß ich immer daran denken: „Wenn man Kritik üben will, dann muß man es erst einmal besser machen!“

Aber ich kann nur den Kopf schütteln, wenn eine Predigt mit der Klage beginnt: „Der heutige Predigttext ist sehr schwer!“ Da schaltet der Zuhörer doch schon ab. Dann geht es meist weiter, indem der Predigttext nacherzählt wird, so als seien die Zuhörer alle zu dumm, ihn selber zu verstehen. Aber es ist nun einmal so: Das haben die Theologen gelernt, einen alten Text zu verstehen. Deshalb bringen sie das auch in der Predigt an, vielfach nur, um die Zeit zu füllen und um sich nicht Gedanken um die Aktualität der Bibelstelle machen zu müssen.

Es wird immer nur gesagt, was der Text damals sagen wollte. Und der Schlußsatz lautet dann: „Was das für uns heute bedeutet, das müßt ihr euch nun selber überlegen!“ Aber dazu braucht man nicht in die Kirche zu gehen. Nur mit viel gutem Willen kann man dennoch aus jeder Predigt etwas für sich mit nach Hause nehmen.

Aber Auslegung ist mehr. Da geht es darum, einen alten Text mit der heutigen Zeit in Verbindung zu bringen. Er kann nicht als Rezept für die heutige Zeit dienen, manchmal wird man sogar die dort vertretenen Ansichten als zeitbedingt ablehnen müssen. Aber es ist nicht damit getan, daß der Zuhörer hinterher weiß, was der Text damals bedeutete, sondern er soll auch etwas für sein eigenes Leben mitnehmen.

 

Als junger Mensch kritisierte ich: „Die meisten Pfarrer ergehen sich erst einmal eine Viertelstunde in philosophischen Erörterungen, dann kommen zwei Minuten ‚Was hat uns das zu sagen?‘ und am Schluß wird es dann noch einmal erbaulich. Aber ich sitze dann unter der Kanzel und habe nichts davon und gehe unbefriedigt nach Hause!“

Der Pfarrer in H. hat an Weihnachten immer nur von den Menschen geredet, die sich nicht mehr um das Kind in der Krippe kümmern. Aber der gute Kirchgänger sagt sich dann: „So sind ja die anderen, das geht mich ja nichts an!“ Der Pfarrer hat auf „die anderen“ geschimpft, anstatt den Anwesenden die Heilsbotschaft zu verkündigen. Es waren doch so viele da, die man sonst nicht so sieht. Aber für den Pfarrer ging es auch sonst immer nur um die „böse Welt“, vor der man nur warnen kann, aber zu der man zum Glück nicht gehört. Auch meiner Frau fehlte es an der frohen Botschaft. Der Pfarrer in G. hat die Christen, die in der Kirche waren, einen Weg geführt, der war so glatt: Wir Christen sind gut - aber der andere Mensch, der ist schlecht. Die Freude fehlte.

 

Es ist schon wichtig, die Predigt mit einem „Aufhänger“ zu beginnen, also mit Beispiel oder einer Zeitungsmeldung oder auch mit einer provozierenden Frage. In den ersten drei Minuten muß man die Aufmerksamkeit der Zuhörer gewinnen, sonst sind sie mit ihren Gedanken woanders oder schlafen sogar ein!“ (so sagte es einmal Alfred Niebergall, Professor für praktische Theologie in Marburg).

 

Es ist auch unerläßlich, daß man die Ergebnisse der „modernen Theologie“ nicht außer acht läßt. Manche Pfarrer scheinen mit dem Examen alles ausgeblendet zu haben, was sie im Studium gelernt haben. Da werden alle Jesusgeschichten so erzählt, als seien sie wortwörtlich so passiert. Da werden Adam und Eva so geschildert, als hätten sie tatsächlich gelebt. Da werden die Vorstellungen von der Endzeit so dargestellt, als seien sie exakte Darstellungen des Ablaufs.

Es gibt natürlich Gemeinden, da gehen auch heute noch Einzelne auf die Barrikaden, wenn man - nach ihrer Meinung - etwas am Wort Gottes verändert. Aber in der Regel sind die Predigthörer heute dankbar, wenn man sie nicht mit unnötigen Fragen belastet, sondern sie auf den Kern der Aussage hinführt. Natürlich darf man nicht wieder in den Fehler verfallen, daß man ihnen eine ausführliche theologische Exegese vorsetzt. Aber es ist doch keine große Mühe, bei den Timotheusbriefen nicht andauernd von Paulus als dem Verfasser zu reden. Und Stellen aus den „echten“ Paulusbriefen kann man nicht unbedingt mit Abschnitten aus der Apostelgeschichte erklären.

 

Umstritten ist die Frage, wie persönlich man in der Predigt werden darf. Nach dem Krieg hatten es die Pfarrer immer mit dem Schützengraben. Ich halte es nicht für verboten, wenn man auch Dinge aus dem eigenen Leben heranzieht (das interessiert die Leute vielleicht besonders). Aber man sollte sich hüten, Beispiele aus der Seelsorge zu bringen, auch wenn man den Namen des betreffenden Gemeindegliedes nicht nennt. Auch erfundene Geschichten sind problematisch.

 

Ungünstig ist es in der Regel, wenn man einen Predigttext durch einen anderen erklären will, zum Beispiel durch eine ganz andere biblische Geschichte als die vorgelesene. Er gilt, das Besondere des für diesen Tag vorgegebenen Textes herauszuarbeiten. Die Predigtreihen mögen für manchen da eine Einengung bedeuten. Aber wenn einer nur über seine Lieblingsthemen predigen will, ist er bald am Ende mit seinen Ideen und nimmt der Gemeinde etwas von dem, was sie wissen muß. Erst einmal muß man sich alle Mühe machen mit einem Predigttext, ehe man vielleicht auch einmal auf einen anderen Text ausweicht, vor allem wenn ein aktueller Anlaß vorliegt.

 

Die Aufgabe des Predigers wird es sein, die Breite eines biblischen Textes zusam­menzufüh­ren auf einen Kernpunkt (den „Skopus“). Wie bei einer Sanduhr ist aber dann dieser Punkt wieder zu entfalten bis hin zur ganzen Breite unseres Lebens. Es müssen nicht alle Aspekte eines Textes ausgeschöpft zu werden, denn bei nächster Gelegenheit soll ja wieder gepredigt werden.

Einmal eingeschliffene Sprachmuster wird man nur schwer wieder los. Im Gehirn bilden sich bestimmte Verbindungen. So verfallen Pfarrer bei der Predigt oft automatisch in ein theologisches Spezialvokabular: Die Hörer wissen dann zwar, das gehört dahin - aber es bedeutet nichts für sie.

Die Pfarrer müssen daher schon beim Predigtschreiben andere Erinnerungen aktivieren. „Stellen Sie sich etwas Schönes vor, wenn Sie über das Reich Gottes schreiben!“ Es geht dabei nicht um Originalität, sondern um ganz einfaches, schriftstellerisches Handwerk.

 

Abraten will ich von sogenannten „Gesprächsgottesdiensten“, wo der Pfarrer in einen Dialog mit der Gemeinde treten möchte. Das wird oft zu einer Abfragerei, bei der die Gemeinde sich immer unterlegen fühlt gegenüber dem allwissenden Pfarrer. Das geht höchstens in einer Art Anspiel mit den Konfirmanden. Aber ansonsten vergrault man nur die Gemeindeglieder, die eine Predigt vorgesetzt bekommen wollen, aber die anderen, die an sich einer solch Gottesdienstform aufgeschlossener entgegenstehen würden, gewinnt man damit nicht.

Da ist schon besser eine Gemeinschaftspredigt von sieben Leuten rund um den Tisch, die sich vorher über die Grundlinien der Predigt abgesprochen haben. Auch eine Dialogpredigt geht natürlich, aber da müssen die Prediger gut harmonieren und ein Thema haben, das sich von zwei (oder mehr) Seiten beleuchten läßt.

 

Familiengottesdienst kann man es nicht nennen, wenn auch die Kinder mit zum üblichen Gottesdienst kommen, ohne daß etwas für sie gemacht wurde. Wenn sie höch­stens ein Lied singen dürfen, dann ist das kein Familiengottesdienst. Da müssen schon ein Anspiel oder ein Wettbewerb oder persönliche Stellungnahmen dazu kommen.

 

Ganz unmöglich ist natürlich, wenn ein studierter Pfarrer auf die Kanzel steigt und sagt: „Zu diesem Predigttext habe ich eine Predigt gefunden, die ich Ihnen jetzt vorlese, denn besser hätte ich es auch nicht machen können!“ So habe ich es selber einmal in einem Sonntagsgottesdienst erlebt („Zu diesem Text hat Dorothee Sölle eine Predigt geschrieben, ich könnte es nicht besser, ich lese sie vor“). Oder einmal an einem Heiligabend im Krankenhaus: Da hatte die Pfarrerin wohl gar nicht damit gerechnet, daß auch lebendige Menschen zum Gottesdienst kommen. Sie umklammerte nur ihr Mikrofon und las auch eine Predigt vor. Und ich bin überzeugt, von den Patienten auf den Zimmern hat ihr keiner zugehört, weil niemand den Patienten erklärt hatte, wie man den Kirchenkanal auf der Radioanlage einstellt.

Eine Lesepredigt kann noch so gut sein, aber es fehlt ihr immer der aktuelle und lokale Bezug. Da wird der Gottesdienst als eine Pflichtübung gesehen und die Gemeinde verachtet („Eine gute Vorbereitung lohnt sich nicht bei so wenigen Leuten“).

 

Hilfreich ist es sicher, in Predigten viele Bilder zu verwenden oder Geschichten zu erzählen. Wenn man die Gottesdienstbesucher hinterher fragt, dann können sie sich vor allem an die Bilder und die anschaulichen Beispiele und Erzählungen erinnern. Manchmal hält das jahrelang an (deshalb kann man eine Geschichte nicht mehrfach verwenden).

 

Ein Gottesdienst sollte nicht länger als 45 Minuten sein. Er wird nicht dadurch zum „Festgottesdienst“, daß man ihn gewaltsam verlängert. Wenn man außergewöhnliche Teile braucht, dann muß man andere kürzen.

 

Es gibt auch einige Experimente mit dem Gottesdienst und der Predigt: Drei Kasseler Pfarrer haben einen Jugendgottesdienst entworfen, bei dem sie die Einleitung zu ihrer Predigt von verschiedenen Stimmen sprechen lassen, und zwar in der Sprache und den Gedankengängen von heute. Es geht um aktuelle (kulturelle, politische, menschliche) Fra­gen, die da aufgeworfen werden und auf die der Pfarrer dann in der Predigt zu antworten hat. Die Liturgie fällt dann allerdings fast weg, da sie ja doch von vielen nicht verstanden wird und in der jetzigen Praxis ja doch keine Beziehung zur Predigt hat. Dafür stehen nun die „Stimmen aus der Welt“, die gleichzeitig aber auch zu Liedversen passen, die zwischendurch gesungen werden und durch die „Stimmen“ auch mit interpretiert werden.

 

Ein Diakon aus Hephata predigte über die Heilung der zehn Aussätzigen. Aber dieser Text wurde nicht noch einmal nacherzählt, sondern der Diakon fing gleich an mit dem Thema „Dank“. Er erzählte von dem Kaufmann, der kein Personal hat, und von dem Arbeiter, der keine Zeit hat, und von der Frau des Bürgermeisters, die kein Dienstmädchen kriegt. Alle sind sie unzufrieden, obwohl alle ein Auto haben. Wofür sollen sie danken? Sie haben doch alles durch ihrer Hände Arbeit erarbeitet: Dem Kaufmann hat keiner in der schweren Zeit geholfen, der Arbeiter machte Überstunden und seine Frau ist auch berufstätig, und der Arzt und der Bürgermeister haben sich ihre Ausbildung mühsam erringen müssen. Daß aber nicht alles aus eigener Kraft geschaffen und erhalten wird, das zeigen die Trümmer aus dem letzten Krieg, auch wenn an den Gebäuden stand „Im eigenen Wollen liegt die Kraft!“

Anhand von Luthers Erklärung zum ersten Artikel wurde dann darauf hingewiesen, wofür wir alles zu danken haben. Dann sagte der Diakon: „Wer jetzt immer noch nicht weiß, wofür er dankbar sein kann, den bitte ich hinauszugehen!“ Das war ein etwas theatralischer Effekt, denn natürlich ging keiner. Es wurde dann der erste Vers von „Nun danket alle Gott“ gesungen, dann ging es weiter mit der Predigt. Es wurden konkrete Hinweise gegeben, wie man seinen Dank durch die Tat zeigen kann. Nacheinander wurden die verschiedenen Gruppe der Kirchenbesucher angesprochen unter Hinweis auf ihre Gesundheit und ihren Wohlstand: Nur durch Dank kann man auch zufrieden werden!

 

Gut gelungen war ein Erntedankgottesdienst, bei dem Studenten einer Landwirtschaftsschule mitwirkten, die zum Praktikum in der Gemeinde waren. Während des Gottesdienstes drangen sie in die Kirche ein und riefen: „Was sitzt ihr denn hier in der Kirche, während wir auf den Feldern arbeiten und die Ernte einbringen!“ Daraus entwickelten sich dann ein Gespräch und die Predigt. Bei den Erntegaben war auch das Modell einer Straßenbahn hingestellt worden, denn viele Leute aus dem Dorf arbeiteten auch in einer Fabrik, in der Straßenbahnen hergestellt wurden.

 

Eine Besonderheit sind Gottesdienste im Gefängnis. Dort sind keine üblichen Gemeindeglieder, die still alles schlucken, was der Pfarrer sagt, sondern sie unterbrechen auch einmal, stellen Fragen und geben Kommentare ab. Solche Predigthörer würde man sich als Prediger schon manchmal wünschen, hätte es dann aber doch einige Grade schwerer.

 

Ich kann mich nur an zwei hervorragende Prediger erinnern: In einem Dorf bei Göttingen gab es einen Pfarrer Schiller, zu dem die Menschen in Scharen aus der Stadt hinaus pilgerten und sogar die Stufen zur Kanzel besetzten. Und einmal hörte ich Theo Lehmann aus Halle über Daniel in der Löwengrube und am Schluß sagte ein Kollege zu mir: „Wir können aufhören zu predigen!“ Ich freue mich, daß unsere beiden Söhne, die auch Pfarrer sind, gute Predigten versuchen. Die guten Prediger sind eher auf den Dörfern zu finden als in den Städten oder in den Landeskirchenämtern.

 

„Das Fegefeuer besteht darin, daß die Pfarrer ihre Predigten noch einmal hören müssen!“

(Joachim Wanke, Bischof von Erfurt, am 21.11.2012).

 

 

Was mich heute unter der Kanzel ärgert

Vorgeschichte: Als Jugendlicher habe ich mich darüber geärgert, daß auf der Kanzel immer wieder über die böse „Welt“ geklagt wurde. Dennoch war ich der Meinung, die Aufgabe der Predigt sei es, den Menschen ins Gewissen zu reden. Beim Studium wurde mir dann deutlich, daß die Liebe Gottes zu predigen ist und nicht das Gesetz (bzw. daß das „Gesetz“ dann von selber deutlich wird).

Dann habe ich selber jahrzehntelang auf der Kanzel gestanden. Ich weiß, wie schwer das ist, immer wieder dasselbe mit anderen Worten sagen zu sollen, jede Woche mehrere Predigten parat zu haben, immer wieder aktuell zu sein. Meist lief es dann so: Ich nahm mir den entsprechenden Band von Gottfried Voigt vor, dazu einige andere Predigthilfen. Das gab mir dann so viele Anregungen, daß die Predigt schon gefüllt war, auch wenn mich das Gelesene zum Widerspruch reizte. Doch das höchste Lob, das ich von meiner Familie erntete: „Es ging....!“

Dann habe ich mein Dienstverhältnis zur Kirche gekündigt und stand vor der Situation „Arbeitslosigkeit“ und bald darauf noch einmal Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit. Auf einmal sah die Welt und das Leben ganz anders aus. Aus dem Beamtenstatus mit Pensionsberechtigung auf die Stufe eines Hilfsarbeiters ohne Rentenanspruch (wie man mir zunächst sagte).

Wer nicht selber vor dieser Situation gestanden hat, kann nicht davon reden. Ich war vorher der Meinung gewesen, trotz der hohen Kanzel mit beiden Beinen mitten im Leben zu stehen und meine soziale Herkunft nicht vergessen zu haben. Sicherlich war ich auch lebenstüchtiger als mancher Pfarrer und nicht so sehr in einem Elfenbeinturm.

Aber jetzt wurde mir klar: Du hast doch auf der anderen Seite gestanden. Du warst zu 90 Prozent Pfarrer und nur zu 10 Prozent gewöhnlicher Mensch und nicht umgedreht. Auch als ein zum „Laien“ gewordener Pfarrer bleibt man immer noch Pfarrer, man soll und darf es wohl auch, es geht gar nicht anders.

Aber jetzt gehört man doch wieder mehr auf die andere Seite, auf die Seite der Menschen. Als Pfarrer war ich traurig darüber, wenn ich mich vielleicht wochenlang in jeder freien Minute auf ein besonderes Thema vorbereitet hatte, und dann kamen trotz intensiver Werbung und persönlicher Einladung nur zehn Leute. Über die habe ich mich auch gefreut, wollte für sie da sein. Aber ich war doch enttäuscht, daß nicht mehr Menschen etwas zu dem Thema hören wollten, das mich so brennend interessierte.

Jetzt wurde mir klar: Wer einen Arbeitstag hinter sich hat, nach Feierabend vielleicht zu Hause noch etwas getan hat, der will um 20 Uhr seine Ruhe haben und muß in der Regel um 22 Uhr im Bett sein. Er ist vielfach nur noch zum Konsumieren fähig, nicht zur Kreativität. Mir wurde deutlich, daß wir in der Kirche ganz anders reden müßten.

Ich ärgere mich heute auch über manche Predigt, die über die Köpfe hinweggeht oder langweilig ist („Herr Pfarrer, Sie haben sicher gut gepredigt, aber ich habe nichts verstanden!“). Aber ich sage mir immer, was ich mir früher auch schon gesagt habe: „Die da kritisieren, die müssen es erst einmal besser machen!“ Das hat mir auch geholfen, wenn Kollegen unter der Kanzel saßen.

Heute sitze ich selber unter der Kanzel. Ich höre manches Positives, was mich bereichert und mir etwas gibt. Ich bin da sicherlich auch duldsamer als meine anderen Familienmitglieder. Aber ich habe auch Anregungen, wie man es noch besser machen könnte.

 

Was ich mir als Gottesdienstbesucher wünsche:

1. Einen pünktlichen Anfang. Dazu gehört auch, daß der Pfarrer nicht erst fünf Minuten vorher in die Kirche kommt. Eine ungeistliche Hast schadet nur.

2. Eine Liturgie, wie sie in der Agende vorgesehen ist. Offenbar hat aber jeder Pfarrer eine Profilneurose und will etwas anders machen oder ergänzen. Die Liturgie hat den Sinn, daß der Gottesdienstbesucher auch in anderen Kirchen Vertrautes vorfindet, auch und vor allem bei gemeinsamen Veranstaltungen. Erst wenn man die vertraute Liturgie vorgetragen hat, kann man auch noch Eigenes ergänzen.

3. Bibeltexte in liturgischen Stücken sind wörtlich zu zitieren, wegen mir nach der letzten Revision, aber nicht mit eigenen Umschreibungen und Verbesserungen („... der da war und der da ist und der sein wird“)

4. Der Anfang ist entscheidend. Wer so anfängt: „Der uns für den heutigen Sonntag aufgegebene Predigttext...“, hat schon verloren. Die ersten Minuten entscheiden. Es ist doch schade, wenn eine Konfirmandin sagt: „Bei Melanchthon bin ich endgültig eingeschlafen!“

5. Man kann mit einer Geschichte oder einem Ereignis anfangen, auch mit einer Frage oder Provokation. Erst danach auf den Predigttext eingehen, so viel wie nötig, aber immer abwechseln zwischen Text und Situation.

6. Hilfreich ist oft eine Gliederung, die man auch mitteilen kann, auch eine Ankündigung wie „Zum Schluß noch...“. Nicht zu lange reden. Es ist besser, die Leute sind überrascht, daß es schon Schluß ist, als wenn sie denken: Wann landet er (sie) endlich wieder auf dem Boden.

7. Zum verständlichen Reden gehören kurze Sätze, keine Fremdwörter, keine theologischen Fachausdrücke (Predigt in Hephata: „Wir müssen ad hominem reden“ - ohne Übersetzung).

8. Eine Predigt, die fast nur aus der Wiedergabe einer langen Geschichte besteht ist auch problematisch. Auch wenn sie noch so gut ist und viele gute Gedanken enthält: vielleicht ist mehr gewonnen, die Geschichte zu kürzen und Eigenes beizusteuern.

9. Eine Nacherzählung des Textes mit vielen Erläuterungen und einigen aktuellen Spitzen („Homilie“), ist nur die Hälfte der Arbeit. Die Zuhörer verstehen die Anspielungen meist nicht und vermögen nicht die Parallelen zu ziehen. Sie spüren eine geistreiche Rede, aber sie fragen sich: Was soll das?

10. Die Auslegung eines Liedes ist erst recht problematisch. Das geht nur, wenn man ein Haupt­thema herausgreift und dieses dann vorwiegend abhandelt.

11. Traditionelle Klischees sollten heute vermieden werden: „Wenn einer sich bemüht, als Christ zu leben, dann merken das die anderen schon, Mission geschieht durch Vorbild!“ Nichts merken sie! Keiner fragt: Warum tust du das? Daß das mit dem Glauben zu tun haben könnte, merkt keiner. Und wenn einer es wirklich ganz deutlich macht und zum Beispiel vor dem Essen in der Kantine betet, dann schreckt das eher ab, dann wird er als Spinner angesehen.

12. Keine Rezepte geben, die man selber nicht einhält und auch gar nicht einhalten kann. Wer zu Spenden für die Dritte Welt aufruft oder zur Aufnahme von Asylbewerbern, tut es ja selber auch nicht. Man könnte ruhig zugeben, daß man es auch nicht schafft oder auch einmal „vielleicht“ sagt.

13. Wehklagen und Lamentieren bringt nichts. Manche Prediger haben den Ruf des „Kata­strophenpfarrers“ („Das Jahr 1991 war ein Jahr der Katastrophen“ - natürlich ist jedes Jahr ein „Jahr der Katastrophen“). Wir haben die frohe Botschaft zu verkündigen - und wir haben auch Grund dazu.

14. Ein Predigtwechsel unter den Pfarrern ist hilfreich für die Prediger und auch eine Abwechslung für die Gemeinde. Doch man sollte sich so absprechen, daß nicht an zwei Sonntagen über den gleichen Text gepredigt wird oder am 21. Januar noch einmal die Neujahrspredigt dran ist (Predigten zu solchen geprägten Tagen sollte man erst im nächsten Jahr wieder aufnehmen).

 

Theologiestudium

Die Regelstudienzeit für das Fach Theologie soll auf 13 Semester festgesetzt werden. Die Kirche lehnt aber den Bachelor-Abschluß ab, das Theologiestudium könne man nicht mit anderen Studiengängen vergleichen. Angeblich reicht nicht einmal der Master-Abschluß als Ausbildung für das Pfarramt (es kam ja in der Tat auch immer noch das Predigerseminar dazu).

Doch man fragt mit Recht: Wie alt sollen da denn die „Berufsanfänger“ noch werden? Und man muß auch fragen: Bereitet das übliche Theologiestudium wirklich auf den Pfarrerberuf vor? Da muß man drei alte Sprachen lernen, die selbst im zweiten Examen noch verlangt werden, aber danach sofort vergessen werden. Da wird in der Vorlesung jedes Wort hin und her gewendet, anstatt einen Überblick über das ganze biblische Buch zu geben. Da werden die Dogmenkämpfe des Altertums nachvollzogen, anstatt auf die heutige Situation einzugehen.

 

Ein Pfarrer braucht heute aber ganz andere Fähigkeiten: Redekunst, Gesprächsführung, Konfliktbewältigung, Pädagogik, Erwachsenenbildung, Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Bauwesen - das wird im Beruf gebraucht. Stattdessen bringen die Pfarrer aber das an, was sie gelernt haben, nämlich Bibelauslegung und Dogmatik. Da wird die biblische Geschichte in der Predigt lang und breit nacherzählt, Parallelen werden gezogen und die Umweltverhältnisse geschildert. Sachliche und theologische Fehler sind dabei trotz des langen Studiums nicht ausgeschlossen.

Doch mein akademischer Lehrer hat schon gesagt: Wenn man nicht in den ersten drei Minuten die Aufmerksamkeit der Zuhörer gewinnt, schlafen sie ein! Deshalb kommt es auf die geschickte Vermittlung an. Inhaltlich geht es um die grundlegende Aussage und nicht um jede Einzelheit. Was die Botschaft der Bibel ist, kann man auch in weniger als 13 Semestern lernen. Es ist ja nicht eine akademische Laufbahn ins Auge gefaßt, sondern eine ganz gewöhnliche Berufsausbildung. Und dafür braucht man den Rat erfahrener Praktiker und nicht den Elfenbeinturm einer hochgestochenen Theologie.

Pfarrer sind sowieso ein Sonderfall in unserer Gesellschaft: Sie haben ein gutes Einkommen, sie waren nie arbeitslos, sie haben nie eine Wohnung suchen müssen, sie haben meist keine Kollegen und ein Vorgesetzter kann sie auch nur selten mobben. Das führt auch heute immer noch zu einer gewissen Weltfremdheit und zu einer Isolation vom wirklichen Leben. Eine Überbetonung der Theologie und ein langes Studium verstärken das nur noch. Ein kürzeres Studium und dafür eine längere praktische Ausbildung würden die Kopflastigkeit der Theologen mindern. So wie in anderen Berufen wäre eine zweigleisige Ausbildung in „Schule“ und „Betrieb“ besser für die Ausbildung der Pfarrer.

 

So aber gehen viele aus dem Gottesdienst hinaus mit der enttäuschenden Erfahrung, daß ihre Fragen keine Antwort fanden, daß für ihre Probleme nicht einmal eine Richtung gewiesen wurde. Wer hätte noch nie bei schönen, guten Worten heimlich gedacht: So einfach lägen die Dinge nun auch wieder nicht? Wer hätte noch nie den Prediger verdächtigt, irgendwo auf einer guten Insel zu leben, unberührt von dem, was normalerweise Menschen zu schaffen macht?

-  Könnte es tatsächlich sein, daß er deswegen ihre Sprache nicht spricht, weil ihm das natürliche, unverkrampfte Gespräch mit den „nicht ganz so Frommen“, mit den Kritischen und vielleicht von der Botschaft so gut wie Unberührten fehlt? (Wobei die „Verkrampfung“ durchaus beiderseitig sein kann!)

-  Könnte es sein, daß andere Menschen Fragen haben, die für ihn einfach nicht (oder nicht mehr) existieren, Probleme, die er (oder sie) sich nicht vorstellen kann, weil er nie existentiell mit ihnen konfrontiert wurde?

-  Und: Könnte es sein, daß die scheinbar Unbeeindruckten - vielleicht ihnen selbst noch unbewußt - auf eine Antwort warten, die die Predigt ihnen beim besten Willen des Predigers nicht geben kann, weil die dazugehörige Frage ihn nicht bewegt und nicht zu ihm durchdrang?

Die Predigten verlangen heute viel mehr Sorgfalt. „Früher war es doch den Leuten wurscht, was gepredigt wurde. Da war es eben Konvention sonntags in die Kirche zu gehen!“ Doch: „Man kann sich aber auch an der falschen Stelle abrackern. Immer weniger gelingt es den Pfarrern, sich ihrem Lebensumfeld zu öffnen - und das besteht eben nicht aus dem harten Kern der sonntäglichen Kirchenbesucher!“.

 

Predigtpreis:

Seit einigen Jahren verleiht die deutsche Wirtschaft einen Predigtpreis. Doch dabei geht es offenbar nicht um eine aktuelle Predigt zu wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Fragen, wie man denken könnte. Im Jahre 2009 wurde Frau Oxen ausgezeichnet. Ihre Predigt folgte dem Schema, wie man es landauf landab findet: Der Bibeltext wird erklärt, mit einigen wenigen kleinen Schlenkern zur heutigen Zeit. Das Besondere an dieser Predigt war nur: Sie war in einer sehr künstlerischen Sprache gehalten. Es ging um das „Miriamlied“, das ja in der Tat sehr poetisch ist.

Aber auch die anderen veröffentlichten Predigten von Frau Oxen sind nicht besser, abgesehen von der einen, bei der sie mit einem Unglücksfall in der Gemeinde beginnt. Frau Oxen hat ein poetisches Werk verfaßt, künstlerisch gut, aber für mich nichtssagend. Unserer Tochter, die „Miriam“ heißt, möchte ich so etwas nicht anbieten. Mit so einer Predigt hätte ich mich nicht vor die Gemeinde und erst recht nicht in die Öffentlichkeit getraut. Aber anschließend wurde Frau Oxen zur Leiterin eines Predigerseminars berufen.

Udo Hahn, der Vorsitzende der Jury, begründete die Entscheidung: Die Jury trifft ihre Entscheidungen nicht nach Gutdünken. Sie orientiert sich an der Satzung des Predigtpreises und den dort genannten Kriterien. Aber das ist doch sonderbar, daß man eine Predigt nach ihrer sprachlichen Gestalt beurteilt, so eine Art Literaturpreis, wie man ihn auch für einen Zeitungsartikel vergeben könnte.

Aber kommt es bei einer Predigt nicht darauf an, die Aussage des Textes auf den Punkt zu bringen und dann für die heutige Zeit auszulegen? Und das in einer möglichst nüchternen Sprache. Hier aber liegt das eigentliche Problem, daß man sich auf Wortgeklingel zurückzieht und sich über die Ansprache der Menschen (was sie für ihr Leben daraus entnehmen können) keine Gedanken macht. Jene Predigt war sicher interessant, aber leider ohne praktischen Nutzen. Aber laut Herrn Hahn geht es bei diesem Predigtpreis vor allem um die Sprache der Predigt, diese soll „gehoben“ sein, ein guter Inhalt allein mache es nicht: „Der Inhalt braucht eine Form. Als Wortgeklingel möchte ich das nicht abtun!“

 

Pfarrer sind notwendig:

Mehr Hausbesuche, eine einfache, plausible Sprache, Offenheit, Interesse, Verständnis auch für den, der nicht jeden Sonntag erscheint: Die Kirche ist - der langen Wunschliste nach zu urteilen - nach wie vor gefordert. Zwischen Anspruch und Realität klafft eine Lü>Predigten sind notwendig:

Es lohnt sich zu predigen! Wir fragen schon: Macht es einen Sinn zu leben und wie wir leben, erwarten wir da Hilfe von Gott und aus Gottes Wort? Die Alten sagen: „Die paar Jahre bringen wir noch rum!“ Aber die Jungen sagen: „Soll das denn schon alles gewesen sein?“ Jetzt sind wir noch jung, jetzt können wir uns noch einmal umstellen. Und dann erhoffen sie sich eine Sinngebung durch einen Umzug oder eine neue Arbeitsstelle. Aber wirkliche Sinngebung soll die Predigt geben.

 

Noch einige Witze zum Thema „Predigt“:

• Der neue Pfarrer, der viel von seinen Predigten hält, beschwert sich beim Metzger: „Meine Frau hat gestern Fleisch bei Ihnen gekauft. Sie haben ihr aber wiederum kein schönes Stück Fleisch gegeben. Wenn wir wirklich ein gutes Stück Fleisch haben wollen, dann müssen wir ins nächste Dorf gehen!“ Daraufhin der Metzger trocken: „Da gleicht sich ja alles aus: Wenn wir eine gute Predigt hören wollen, müssen wir auch ins Nachbardorf gehen!“

 

• Der Psychiater fragt den Pfarper: „Reden sie im Schlaf?“ Der Pfarrer antwortet: „Nein, ich rede nur, wenn andere schlafen!“

 

Was für Predigten wir brauchen:

Ein amerikanischer Prediger versicherte: „Meine Herren Amtsbrüder; wir brauchen Predigten, bei denen die Leute aufwachen!“ Ein älterer Kollege erwiderte trocken: „Zunächst brauchen wir Predigten, bei denen die Leute nicht einschlafen!“

 

• Ein Kirchendiener in einer Universitätsstadt pflegte die Predigten der Studenten im praktisch-theologischen Seminar zu kommentieren, wenn der Kandidat die Kirche verließ und an ihm vorbeiging. Sein höchstes Lob war: „Sie werden eine Posaune des Herrn werden!“ Meist aber sagte er: „Sie haben mich erbaut!“ Aber auch bei einer ganz schlechten Predigt wußte er noch ein tröstliches Wort: „Sie haben die Lieder gut gewählt!“

 

Ein Zuhörer im Gottesdienst zu einem anderen über die Predigt des Pfarrers: „Es klingt deutsch, aber ganz anders als wir reden. Vielleicht ist es eine Programmiersprache!“

 

• Nach dem Gottesdienst. „Doch, doch, war nicht schlecht der Gottesdienst. Aber im Vergleicht zur Musik zu viel Werbung!“

 

Nach dem Gottesdienst bedankte sich Pfarrer Christian Schmidt bei den Zuhörern, daß sie nicht eingeschlafen waren, und erzählte dazu noch folgende Geschichte: Ein Pfarrer ärgerte sich, daß im Gottesdienst immer ein Mann einschlief und auch laut schnarchte. Deshalb sagte er am Schluß des Gottesdienstes ganz leise: „Jetzt stehen einmal alle auf, die in den Himmel kommen wollen!“ Sofort standen alle auf - bis auf den Schnarcher. Dann brüllte er: „Jetzt stehen einmal alle auf, die in die Hölle kommen wollen!“ Der Schläfer schreckt auf, springt hoch und ruft: „Herr Pfarrer, Sie und ich kommen in die Hölle, denn wir sind die Einzigen, die stehen!“ Keiner ist sicher davor, in die Hölle zu kommen. Ehe man auf andere zeigt, muß man erst einmal sich selber prüfen.

 

Ein Pfarrer und ein Busfahrer stehen vor der Himmelstür. Der Busfahrer darf rein, der Pfarrer nicht. Petrus erklärt dem verblüfften Kirchendiener: „Wenn du gepredigt hast, haben alle geschlafen. Aber wenn er Bus gefahren ist, haben alle gebetet!“ (Eckart von Hirschhausen).

 

Eine Witwe an der Himmelstür: „Hoffentlich hat sich mein Mann nicht inzwischen eine andere angelacht!“

 

  Der Tod kann nicht so schlimm sein, es ist noch keiner zurückgekommen!“

 

Die falsche Tür

Die Aufgänge zu manchen Kanzeln sind in tiefe Dunkelheit gehüllt, so daß ein Fremder sich den Weg nach oben oftmals mehr ertasten als ersteigen muß. Ein Pfarrer hatte aus diesem Grunde in einer Kirche, in der er nur vertretungsweise predigte, ein recht peinliches Erlebnis.

Die Liturgie ist glatt gegangen; während die Gemeinde die Amenstrophe zum Glaubensbekenntnis singt, steigt der Pfarrer hinter dem Altar die Kanzeltreppe hinauf.

Fest muß er das Geländer umfassen, denn je weiter er nach oben kommt, desto dunkler wird es um ihn. Oben auf dem Podest kann er das Schloß einer Tür, die offenbar auf die Kanzel führt, gerade noch erkennen. Er stolpert über die sehr hohe Schwelle, steht aber glücklicherweise anscheinend erst in einem kleinen Vorraum. Es hätte einen schlechten Eindruck gemacht, wenn er gleichsam in die Kanzel hineingefallen wäre. Hinter ihm schnappt das Türschloß zu. Es ist stockdunkel.

Aber vor sich fühlt er Holz - die Kanzeltür? Vergeblich tasten seine Hände nach einer Klinke. Er findet sie nicht. Da fällt ihm ein, die Kanzeltür muß ja in der Seitenwand sein. Richtig - auch da ist Holz - aber keine Klinke. Die Tür, durch die er gekommen ist, läßt sich von innen auch nicht wieder öffnen. Ihm wird unheimlich.

Der Gesang der Gemeinde ist zu Ende. Der Organist späht in seinem Spiegel nach der Kanzel. Sie bleibt leer. Er hängt verzweifelt eine Kadenz an die andere. Endlich gibt er es auf. Es ist totenstill in der Kirche. Oben steht der Pfarrer in ägyptischer Finsternis. Unten sitzt die Gemeinde und wartet auf seine Predigt.

Was soll er tun? Lärm schlagen? Es muß doch jemand kommen, um ihn zu befreien! Dunkelheit und Enge beklemmen seine Brust. Es riecht modrig. Die Armbanduhr tickt überlaut. Sonst ist alles still. Ihm ist, als sei er lebendig begraben, und noch dazu stehend.

Endlich hört er Schritte auf der Treppe - der Küster. „Er ist in den Wandschrank geraten“, hört er sagen. Dann öffnet sich die Tür und links daneben eine zweite, durch die breit das Licht hereinflutet. Und schon steht er auf der Kanzel vor der Gemeinde, die aufatmend zu ihm aufschaut.

Er wundert sich ein bißchen, daß sie noch alle da sind. Nach seinem Empfinden müssen Stunden vergangen sein, seit die Orgel verstummte und er in Finsternis und Schweigen begraben worden war. Die Buchstaben tanzen ihm vor den Augen, als er den Predigttext verliest, denn er muß sich erst wieder an die Helligkeit gewöhnen. Selten hat er in einer Predigt die frei und ungehindert strömende Kraft des Wortes so verspürt wie nach seiner Dunkelhaft im Wandschrank (Verfasser ungenannt).

 

 

 

 

 

Perikopen-Revision

Seit 2014 wird wieder einmal eine Änderung der Perikopenreihe erprobt. Vor allem sollen Texte wegfallen, die antijüdisch oder antisemitisch ausgelegt werden könnten. Wenn ich mir allerdings meine Predigten zu diesen Texten ansehe, dann kann ich nichts Antisemitisches finden.

Deshalb sollen wegfallen:

Reihe I             Reminiszere    Mk 12,1-12 (Mt 21,37-46)      Die bösen Weingärtner

Reihe I             1. Sonntag n. Trinitatis  Mt 16,19-31 Reicher Mann und armer Lazarus

Reihe IV          1. Sonntag nach dem Christfest 1. Joh 2,21-24 Der Antichrist.

Reihe V           Heiligabend     Joh  7,28-29    Tempelrede

 

 

Doch wenn man sich dann die neuen Reihen ansieht, dann stellt man fest, daß doch sehr viele Texte an eine andere Stelle versetzt wurden:

An Heiligabend bleibt nur Jes 9, 1-6 bestehen, 1. Joh 1, 1-4 war bisher dem 1. Sonntag nach dem Christfest zugeordnet , Jes 52, 7-10 dem 4. Advent, und Joh 8, 12-16 dem Zweiten Christag. Neu sind nur Kol 3,3 und 6-10 sowie Röm 1, 1-7.

Am 1. Sonntag nach dem Christfest  bleiben Joh 12,44-50 sowie Mit 2,13-18 und Jes 49,13-16 und Lk 2, 25-38. Der Text Gal 4, 4-7 gehörte bisher zum 1.Chrittatag, und nur Hi 42, 1-6 ist neu.

An Reminiszere sind geblieben Röm, 5, 1-5 und Jes 5, 1-7 und Heb 11, 8-16. Der Text Joh 3, 14-21 war bisher für Heiligabend vorgesehen und 4. Mose 21,4-9 gehörte zu Judica. Neu ist nur Mt 26,36-46.

Man kann also nicht sagen: An diesem Sonntag ist der Text A weggefallen und wird durch den Text B ersetzt, sondern man muß alles neu ordnen! Wenn es bei dieser Perikopenordnung bleibt, dann hinterläßt mich das ziemlich ratlos. Ich hatte die Absicht, zu jedem Text der Peripokenordnung einen Predigtvorschlag zu liefern. Schon bei der letzten Perikopenrevision habe ich rund ein Drittel meiner Predigten weggeworfen. Jetzt droht zumindest eine völlige Neuordnung und vielleicht 50 bis 100 neue Texte, die zu bearbeiten sind.

 

 

Zu den folgenden Predigten:

Diese Predigten sind zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Situationen entstanden. Deshalb sind sie nicht unverändert als Lesepredigten geeignet. Sie können aber dazu dienen, sich mit dem Predigttext auseinanderzusetzen und eine eigene Lösung zu finden. Manche Gedanken wird man übernehmen können, bei anderen wird man gerade das Gegenteil vertreten. Aber gerade diese Auseinandersetzung kann voranbringen.

Der Fachmann wird sofort sehen, daß die Predigten sich oft an den Predigthilfen des Leipzigers Gottfried Voigt ausrichten: Oft sind Thema, Gliederung und einzelne Gedanken übernommen, aber manchmal ist - wie gerade dargelegt - auch eine andere Auslegung gegeben worden. Jede Predigt eines anderen entbindet nicht von der eigenen Arbeit. Es versteht sich von selbst, daß meine Predigten gern heruntergeladen werden dürfen.

 

Die folgenden Predigten sind nicht mehr nach den verschiedenen Reihen geordnet. Bei der vorletzten Änderung der Perikopenordnung mußte ich ein Drittel meiner Predigten wegwerfen. Nach der neusten Änderung wäre es wohl ähnlich gewesen. Deshalb habe ich nach den Bibelstellen geordnet. So ist man unabhängig von Perikopemordnungen, aber nicht zu allen vorgesehen Bibeltexten ist jetzt eine Predigt vorhanden. Übrigens: Man muß sich nicht an die Perikopenordnung halten. Aus aktuellem Anlaß kann man sich auch eine andere Bibelstelle suchen. Aber die Perikopenordnung hilft dazu, sich nicht einseitig nur auf Lieblingsthemen zu versteifen, sondern die ganze Breite der Bibel zu berücksichtigen.

 

Noch ein praktischer Hinweis: Die moderne Technik ermöglicht, schnell einmal eine Kopie eines Textes zu machen. Diese nutze ich dann, um einen „Spickzettel“ für die Predigt zu er­stellen, so daß ich im „Ernstfall“ nur Stichworte vor mir habe. Das ermöglicht ein freieres Sprechen und auch mehr Spontaneität. Auch die Gottesdienstordnung mit allen Texten, Gebeten, liturgischen Stücken usw. drucke ich mir aus und trage sie dann immer (mit dem Gesicht zu den Zuhörern) vor.

 

 

 

Altes Testament

 

 

1. Mose 1,1 - 4a und 26-31 und 2,1-4a (Jubilate):

Manche Leute sprechen vom „Kindermachen“. Als ob das so leicht wäre! Wir wissen, daß vielen Ehepaaren der Kinderwunsch versagt bleibt. Die Medizin macht zwar heute vieles möglich, aber erzwingen kann sie nichts. Eher kann sie Kinder „wegmachen“ - auch so ein fürchterliches Wort, das einen schwerwiegenden Eingriff in den Ablauf der Natur darstellt. Doch nicht einmal das bringt der Mensch fertig, zu entscheiden, ob das Kind ein Junge

oder ein Mädchen wird.

Meiner Ansicht nach ist das ein Zeichen dafür, daß der Mensch sich nicht selbst verdankt. Er ist nicht der große „Macher“, der alles kann. Er verdankt sein Leben einem Höheren. Er ist nicht selbst der Schöpfer, sondern ein Geschöpf Gottes.

Wie ganz anders als jene respektlose Rede vom „Kindermachen“ klingt doch, was Martin Luther in seiner Erklärung zum ersten Glaubensartikel sagt: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat!“ Er geht nicht von dem allgemeinen Problem der Erschaffung der Welt aus, sondern er bekennt schlicht und einfach: „Ich verdanke mein Leben Gott dem Schöpfer!“ Erst von dieser persönlichen Erkenntnis her schließt er dann darauf, daß auch andere Lebewesen von Gott geschaffen sind und daß schließlich auch die ganze Welt von ihm geschaffen sein muß.

Natürlich wissen wir heute darüber mehr als die Erzähler der biblischen Geschichten. Gott hat den Menschen nicht so gemacht wie ein Steinmetz, der aus einem Stein eine Gestalt herausholt. Auch am Anfang der Menschheit war es nicht so, daß der Mensch schon fix und fertig mit einem Schlag da war. Wir wissen heute, daß das alles sehr viel kleiner angefangen hat und sich sehr viel langsamer entwickelt hat.

Aber je mehr wir heute hinter die Geheimnisse des Schöpfers kommen, desto großartiger und wunderbarer wird alles. Gott braucht nur selten Wunder, die die Naturgesetze durchbrechen. In der Regel stellt er die Natur in seinen Dienst und treibt so seine Sache voran. Und bis heute nimmt er auch Menschen in seinen Dienst, die seine Schöpfung vorantreiben.

Gott gibt dem Menschen den Selbsterhaltungstrieb, so daß er sich um Essen und Trinken küm­mert und sich fortpflanzen will. Darin steht der Mensch mit den Tieren auf der gleichen Stufe. Was ihn aber zum Menschen macht ist die Gottebenbildlichkeit. Der Mensch sieht nicht nur aus wie Gott, sondern er hat einen besonderen Auftrag und eine besondere Verantwortung.

 

Hier wird gesagt, der Mensch solle sich die Erde untertan machen. Dazu gehören Kultur und Zivilisation, aber auch die Beherrschung der Welt mit den Mitteln der Technik. Aber bei all dem sollen wir in der Art Gottes vorgehen: also nicht ausbeuten, sondern schenken, nicht verderben, sondern erhalten, sich nicht bereichern, sondern Gottes Geschöpfe zu einem guten Leben verhelfen.

Der Mensch ist durch Gott verpflichtet, sorgsam und schonend, pflegend und fürsorglich mit der Welt umzugehen. Es ist eben nicht alles „machbar“. Nicht unsere Bedürfnisse und Gelüste sind der Maßstab für unseren Umgang mit der Welt, sondern unsere Verantwortung für die Schöpfung Gottes.

Gott war nicht vor langen Zeiten einmal der Schöpfer der Welt und der Menschen, sondern er ist es auch heute noch. Von unserer Gegenwart her, von unseren höchst persönlichen Erfahrungen mit Gott, können wir auf den Anfang schließen (nicht umgedreht).

So hat es auch das Volk Israel gemacht: Beim Auszug aus Ägypten haben sie gemerkt, daß da ein Gott ist, der ihnen hilft. Von dieser Erfahrung der Zuwendung aus haben sie dann darauf geschlossen, daß dieser Gott der Schöpfer aller Menschen und der ganzen Welt sein muß.

Trotz ihrer geringen Kenntnis von der Welt kamen sie nicht aus dem Staunen heraus: Die Schöpfung war nicht einfach da, sondern sie wurde durch Gottes befehlendes Wort ins Dasein gerufen. Gott hat nicht improvisiert, sondern die Welt klug geordnet, das Chaos beseitigt und jedem seinen Platz angewiesen. Auch der Mensch hat da seinen Platz, und zwar als Mann und als Frau und als Kind.

Jetzt sind bestimmte Strukturen und Gesetze da, die man respektieren und sich dienstbar machen kann. Aber man darf sie nicht verändern. Und wo das doch versucht wird, geschieht es zum eigenen Schaden. Die Nutzung der Atomkraft ist eine prima Erfindung: eine saubere Energie, die viele Jahrzehnte reicht und die wir mit unserer hochentwickelten Technik beherrschen können. So sagen es jedenfalls die Verantwortlichen der Stromkonzerne. Aber da

bleibt dann ein Abfall, der sehr viel giftiger ist als das Ausgangsprodukt, auch ohne Explosion. Und dann wird das Zeug von Frankfurt nach England geflogen und könnte im Falle eines Unglücks weite Teile des Landes dem Tode preisgeben.

Hier ist dann auch von der Kehrseite der Welt zu reden. Gott schied das Licht von der Finsternis. Aber die Finsternis ist immer noch da. Sie ist auch im Menschen da, als dessen dunkle Seite, die immer wieder hervorbrechen kann. Doch wir müssen dem Bösen ins uns nicht erliegen. Gott hilft uns in unserem Kampf um ein Leben im Sinne Gottes. Er hat Jesus Christus gesandt, sein wahres Geschöpf und der Mittler des neuen Bundes. In Christus hat sich Gott noch einmal der Welt und der Menschen angenommen und hat gezeigt, daß ein Leben im Gehorsam gegen Gott auch uns Menschen möglich ist.

Und so sollten wir nicht in Trauer und Niedergeschlagensein über den Zustand der Welt verfallen. Die Welt ist oft erschreckend schlimm. Aber sie ist dennoch die Welt Gottes. Im Abendmahl stellt sich Jesus Christus an unsere Seite und stärkt uns in unserem Kampf für eine gute Schöpfung und für ein Leben ohne Haß und Gewalt.

Doch der Schluß der biblischen Erzählung macht deutlich, daß ein Menschenleben nicht nur aus Aktivitäten und Unternehmungen besteht. Wir können nicht immer nur geben, wir müssen auch einmal empfangen; wir können nicht nur ausatmen, sondern wir müssen auch einmal einatmen. Deshalb heißt es: Am siebten Tag vollendete Gott sein Werk, indem er ruhte von allen seinen Werken. Auch der Mensch braucht Zeiten der Ruhe.

Man will immer wieder einmal einen Feiertag abzuschaffen, vorzugsweise einen kirchlichen:

Doch bedenken wir auch: Ruhe besteht nicht nur im Nichtstun oder langem Schlafen. Die Ruhe dient dem Bereitsein für Gott und er Hinwendung zu ihm. Dazu brauchen wir den Sonntag und auch den Feiertag. Er läßt uns nachdenken über den Sinn unseres Lebens. Wenden wir uns doch wieder einmal besonders unseren Kindern oder unseren Eltern zu; dann werden wir etwas vom Sinn des Lebens spüren. Oder kümmern wir uns um einen Teil der Schöpfung Gottes, um ein Tier oder eine Pflanze. Wir können einen Baum pflanzen, zuhause oder

in der freien Natur. Wir müssen ihn pflegen, damit er wachsen kann. Wir müssen Geduld haben und ihm Zeit lassen, bis er Frucht bringt. Aber dann können wir auch etwas erahnen von der Schöpfung Gottes, die heute noch mitten unter uns geschieht und von der wir selber auch ein Teil sind.

 

 

1. Mose 3, 1 -19 (Invokavit, Version 1)

Wenn ein junger Mann ein Mädchen verführen will, dann sagt er: „Es wird schon nichts passieren!“ Aber in Wirklichkeit meint er: „Mir wird schon nichts passieren!“ Und außerdem will er natürlich auch dem Mädchen einreden: „Du mußt das kennenlernen, damit du nicht rückständig bleibst, das gehört zum Menschsein einfach mit dazu!“

Ein solches Beispiel kann deutlich machen, was bis heute mit der Erzählung von der Verführung Adams und Evas gemeint ist. Allerdings ist „Sünde“ nicht nur das, was mit dem Sex zu tun hat. Alle Gebote Gottes sind gleichwertig, das zehnte so wie das erste. Und wenn man nur eins von ihnen übertreten hat, dann hat man alle übertreten. Man kann nicht sagen: eine üble Nachrede tut nicht weh, die ist nicht so schlimm wie eine Körperverletzung oder gar ein

Mord!

Heute sind vielleicht das zweite und dritte Gebot, aber auch das fünfte und achte besonders aktuell. Das wird besonders deutlich, wenn man aus Luthers Erklärungen zu den Geboten einmal die positiven Forderungen heranzieht: Den Namen Gottes in allen Nöten anrufen, beten, loben und danken! Die Predigt und Gottes Wort heilighalten, gerne hören und lernen! Unsrem Nächsten an seinem Leib helfen und ihn fördern in allen Leibesnöten! Unsren Nächsten entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren!

Wenn wir es so betrachten, dann sind die Gebote wie ein Spiegel, der uns zeigt, wer wir sind und wo wir stehen. Dabei ist gar nicht einmal so entscheidend, welches Gebot uns im Einzelnen gegeben ist. Gott hätte Adam und Eva durchaus auch ein anderes Gebot geben können: Das Gebot, nicht von dem Baum in der Mitte des Gartens zu essen, ist völlig willkürlich. Aber Gott will an diesem Gebot prüfen, ob die Menschen gehorsam sind und wie sie sich zu ihm verhalten, es geht um die ganze Beziehung zu Gott.

Der Mensch kann dabei „Ja“ oder „Nein“ sagen. Die Freiheit zu einer solchen Entscheidung wird ihm zugetraut. Friedrich Schiller hat diese Stunde als die glücklichste der Menschheit gepriesen, weil hier der Mensch zu sich selbst und zu seiner Freiheit gefunden habe. Nur wenn der Mensch auch die Möglichkeit zur Zerstörung hat, kann er auch schöpferisch und frei sein. Wir sind keine Tiere und keine Puppen, aber wir müssen natürlich auch mit dieser Freiheit dann fertig werden.

Diese Erzählung aber macht deutlich, wie sehr der Mensch ins Elend gerät, wenn er Gottes Gebot mißachtet. Hier sagt der Mensch „Nein“ zu einem Leben mit Gott und vernichtet damit sich selbst. Es sage nur keiner es handele sich da um so eine alte Geschichte, die heute keine Bedeutung mehr habe. Es geht nicht um einen Adam, der vor so und so viel tausend Jahren lebte. Adam und Eva sind nur Typen, die zeigen, wie die Menschen bis heute sind. Jeder von uns ist Adam und Eva. Und die Sünde ist nicht nur dieses eine Mal in die Welt hereingebrochen, sondern wir tragen täglich neu mit dazu bei. Wir vollziehen den Abfall Adams auch heute.

Auch die Methoden der Verführung sind bis heute die gleichen geblieben. Zunächst wird gesagt, die Schlange sei besonders listig gewesen. Eine List muß nichts Schlimmes sein, denn eine Mutter ist auch listig, wenn sie ihrem kranken Kind die bitterschmeckende Medizin mit einem Trick einflößt. Aber die Schlange ist auch noch falsch dazu.

Zunächst gibt sie sich ganz harmlos und friedlich. Es ist ja noch nicht die Schlange, die kriecht und sich windet, die einen stechenden Blick und einen Giftzahn hat. Nein, mit dieser Schlange kann man sich durchaus gut unterhalten.

So ist es auch in der Geschichte von Versuchung Jesu, die ja das Evangelium dieses Sonntags ist. Da kommt der Teufel auch mit Vorschlägen, die manches für sich haben. Er zitiert sogar die Heilige Schrift, um seine Zwecke zu erreichen. Das ist bis heute so geblieben: Man verspricht sehr vieles, wenn man einen Menschen von Gott abbringen will. Man sagt ihm: Es dient deinem Fortkommen und dem Wohl deiner Familie, wenn du dich von der Kirche etwas absetzt; wir wollen ja nur dein Bestes.

Das Gespräch mit der Schlange fängt auch ganz harmlos an, nicht bei dem verbotenen Baum, sondern erst einmal ganz allgemein. Die Schlange ruft auch nicht zur Übertretung des Gebots auf, sondern diskutiert über den Wortlaut. „Gott hat euch doch verboten, von allen Früchten des Gartens zu essen!“ Dadurch wird die Frau herausgefordert, für Gott einzutreten und die Sache richtigzustellen.

Es tut ihr gut, Gott zu verteidigen - und schon hat sie sich auf ein Gespräch eingelassen. Die „Reizfrage“ hat gezündet, eine Vertrauensbasis zwischen Schlange und Mensch ist geschaffen. Die Frau übertreibt nun ihrerseits und verschärft das Gebot: „Nicht einmal anrühren dürfen wir die Frucht dieses Baumes!“ Schon ist die erste Selbstverständlichkeit des Gehorsams dahin. Man spürt eine leichte gesetzliche Schärfe, weil die Frau doch irgendwie schon eine Gefahr wittert.

Nun genügen wenige Worte, um das Vertrauen zu Gott völlig zu untergraben. Die Schlange sagt:  „Es ist genau umgedreht, wie Gott es euch gesagt hat. Wenn Gott euch so einen großen Spielraum gegeben hat, dann ist es doch umso auffälliger, wenn er euch ausgerechnet dieses eine verbietet. Aber wenn ihr davon eßt, dann werdet ihr sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist!“

 So werden die Menschen Bekanntschaft machen mit Gut und Böse, sie werden alles kennen und alles können, und sie werden einen ersten Blick tun in die Abgründe der Welt und des eigenen Herzens. Aber dann wird auch die unbeschwerte kindliche Fröhlichkeit dahin sein.  Es liegt eben doch ein prickelnder Reiz darin, mit dem Bösen eigene Erfahrungen zu machen. Gerade was verboten ist, erscheint doppelt reizvoll. Die Sünde ist nicht unbedingt etwas Schmutziges, sondern durchaus etwas Faszinierendes und auch Erhebendes.

Es wird den Menschen sogar versprochen: „Ihr werdet alles wissen! Ihr werdet von Gottes Thron aus die ganze Welt mit übersehen können. Dann braucht ihr euch nicht mehr unterzuordnen und zu beugen!“ So hat es schon der Philosoph Nietzsche gesagt: „Gäbe es einen Gott, ich würde es nicht ertragen, nicht Gott zu sein!“

Dem Menschen wird versprochen, er könne seine Möglichkeiten ausweiten über die Schranken hinaus, die ihm von Gott in der Schöpfung gesetzt worden sind. Es wird dem Menschen weis gemacht, er könne eine Lebenssteigerung erfahren, die jenseits des Menschen liegt. Da denken wir doch gleich an die Möglichkeiten, die der Mensch heute hat oder zu haben meint: Er kann zum Mond fliegen, er kann in die letzten Geheimnisse der Schöpfung eindringen, er will sogar das Leben selber in die Hand nehmen, will es schaffen oder vernichten, je nachdem. Vielleicht wäre es besser, wir wüßten nicht so viel auf den Gebieten der Biologie oder der Atomphysik. Jeder Fortschritt ist ja auch mit Nachteilen erkauft, denn nachher wissen wir nicht, was daraus wird und wohin wir mit dem Abfall sollen und wie wir die Geister bändigen, die wir riefen.

Der Mensch scheint tatsächlich wie Gott geworden zu sein: Er urteilt über Gottes Wort, er hält Gottes Gebot für mehr oder weniger nötig und verbindlich, er fällt Entscheidungen, die nur Gott zustehen, und denkt noch, das bliebe für ihn ohne Folgen und das stehe ihm alles zu.

Aber in Wirklichkeit schaufelt er sich damit nur das eigene Grab. Die Augen werden ihm aufgetan - in diesem Punkt ist er wirklich geworden wie Gott. Doch jetzt sieht der Mensch auch, daß er nicht verführt wurde oder eingefallen ist, sondern daß er selber eingewilligt hat und selber schuld ist.

Die Verführung kommt zwar von außen, aber der Mensch wird von seiner Verantwortung für die Sünde nicht entlastet. Nicht äußere Zwänge haben ihn zum Sünder gemacht (seine Natur, die Welt, das Schicksal), sondern die Sünde ist seine freie Tat. Die ganze Erbärmlichkeit der Menschheit wird offenbar, als nun einer die Schuld auf den anderen abwälzt. Sie machen sich gegenseitig Vorwürfe, um selber möglichst gut abzuschneiden. Sie schämen sich voreinander,  aber das liegt nicht nur an ihrer äußeren Nacktheit, sondern weil sie sich nicht mehr in die Augen sehen können und erst recht nicht Gott in die Augen sehen können. Der Mensch, der Gott gleich werden wollte, wird ärmer als ein Tier.

Äußeres Zeichen des gestörten Verhältnisses sind auch die Dinge, die dem Menschen das Leben so schwer machen: Die Mutter muß sich die Freude an ihrem Kind mit vielen Schmerzen erkaufen, der Vater muß hart arbeiten und doch viele Fehlschläge hinnehmen und Enttäuschungen verkraften. Wir wollen zwar arbeiten, aber die Arbeit ist auch eine Last. Wir wollen die Strapazen des Arbeitslebens mildern, aber das Paradies werden wir nicht zurückerobern. Wir träumen manchmal von der guten alten Zeit, ohne Hetze und ohne Autos, oder auch von jener schöneren Zukunft, in der es Frieden gibt und keine Angst mehr da ist.

An diesem Bild können wir ermessen, was Adam verspielt hat. Nicht daß Adam an allem Leid der Welt Schuld wäre, denn so wie Adam sind wir ja alle. An Adam wird nur anschaulich, was wir alle heute und immer wieder tun. Das macht aber auch deutlich, warum Gott sich unsrer erbarmen mußte, daß er sogar seinen Sohn dafür opferte. Am Beginn der Passionszeit werden wir auf Jesus hingewiesen, der für unsre Sünde gebüßt hat, obwohl er ohne Sünde war.

Diesem Jesus müssen wir uns stellen mit unsrer Schuld. Deshalb ist die Passionszeit eine Zeit der Buße, der Umkehr und Erneuerung. Aber wir dürfen auch wissen: Jesus, der zweite Adam, ist der Versuchung nicht erlegen, der Teufel mußte weichen und die Engel dienten ihm. Der Versucher ist nicht unbesiegbar und jeder falsche Respekt ihm gegenüber wäre unangebracht. Wir müssen uns nur an den halten, der mit ihm fertiggeworden ist.

Weil dieser zweite Adam kommen sollte, hatte auch der erste Adam noch eine Chance. Er mußte nicht sterben, sondern durfte sein Leben an kommende Generationen weitergeben. So haben wir auch noch eine Chance, weil Jesus für uns gestorben ist. Wir müssen nicht zwangs­läufig der Versuchung erliegen, sondern wir haben einen, der uns beisteht, daß wir Gottes Gebot und Willen erfüllen und so gerettet werden können.

 

 

1. Mose 3, 8b - 10 (Invokavit, Version 2)

Leben mit Maske - vor Gott unmöglich

Haben Sie schon eine Idee, als was Sie sich verkleiden, welche Rolle Sie spielen, welche Maske Sie aufsetzen? Das Kostüm vom vergangenen Jahr hängt noch im Schrank - der Torero, die Zigeunerin, der Seemann müssen nur ein bißchen aufgebügelt werden, ein neuer Hut muß gekauft werden. Aber es kann doch nicht Aufgabe der Kirche sein, an das Besorgen von Fastnachtsmasken zu erinnern? Nein - ich meine ja auch, daß gar niemand Masken zu besorgen braucht, denn jeder hat schon eine ganze Menge. Eine davon haben wir alle mit hierher in diesen Gottesdienst gebracht. Denn ich behaupte:

 

(1.) Jeder von uns ist ein Maskenträger! Und unser Leben ist ein Leben mit Maske! Oder will einer behaupten, daß er immer sein wahres Gesicht zeigt - überall? Wir alle machen uns und anderen immer etwas vor - da wollen wir uns doch gar nichts vormachen. Es geht also heute nicht um die Masken, die wir zum Fasching oder bei bunten Abenden tragen und die uns Spaß machen (dieser Spaß soll hier gar nicht vermiest werden), sondern es geht uns um die Masken, die wir im Alltag tragen.

Wir hätten diese Kirche mit Bildern dekorieren können: Das Bild eines Pfarrers mit dem berufsmäßigen Lächeln auf dem Gesicht, denn ein Pfarrer sollte immer freundlich sein. Das Bild eines amerikanischen Soldaten, der zu Hause Frau und Kinder hat und ein guter Familienvater ist - und eine ausländische Familie erschießt. Am besten wäre aber ein riesengroßer Spiegel hier vorn, in dem jeder sich selbst sehen könnte.

 

(2.) Ohne eine Maske können wir überhaupt nicht leben! Masken sind lebensnotwendig. Manchmal ist eine Maske praktisch und nützlich - manchmal ist sie sogar gesetzlich vorgeschrieben: Der Torwart beim Eishockey oder der Fechter wird dadurch geschützt, medizinisches Personal muß gelegentlich eine Maske vor dem Mund tragen, und die Werkzeugmacher müssen bei Schweiß- oder Schleifarbeiten auch Schutzmasken vor das Gesicht halten. Wer die bei der Arbeit nicht aufsetzt, riskiert, daß es ins Auge geht.

Wir müssen aber auch im übertragenen Sinne oft so eine Maske aufsetzen, zu unserem eigenen Schutz, denn es könnte ziemlich ins Auge gehen, wenn wir zum Beispiel immer offen sagen würden, was wir denken.

Daß unsere Gedanken verborgen sind - ist das nicht eine vortreffliche Schutzmaske? Sie können ja am Montagfrüh mal Ihrem Chef ins Gesicht sagen, was Sie von ihm halten. Oder dem Lehrer sagen, wie langweilig er ist. Aber weil jeder jetzt schon weiß, wie der reagiert, werden wir das alle am Montagfrüh hübsch bleibenlassen. Wir werden am Montagfrüh dem Chef, dem Lehrer, dem Kollegen oder auch Nachbarn brav einen recht freundlichen „Guten Morgen“ wünschen - auch wenn wir dem in Wirklichkeit alles andere wünschen als ausgerechnet einen guten Morgen.

Man nennt das Höflichkeit. Oft ist die Höflichkeit weiter nichts als eine Maske, ein bißchen verlogen, aber unentbehrlich. Und wenn die Maske der Höflichkeit fällt, dann wird die Situation ungemütlich. Höflichkeit ist manchmal ziemlich schmierig - aber diese Schmiere brauchen wir, damit die Maschinerie unseres zwischenmenschlichen Zusammenlebens einigermaßen glatt läuft. In einem Satz: Wir brauchen die Höflichkeit - und das heißt: Wir brauchen die Maske! Deshalb bleibe ich dabei: Manchmal muß Maske sein.

Das mit der Höflichkeit ist natürlich ein harmloses Beispiel. Denn wenn wir unsrer Nachbarin mal ungeschminkt die wahre Meinung sagen, da bricht die Welt noch nicht zusammen. Vielleicht für die Nachbarin n aber nicht für uns. Das sieht aber ganz anders aus, wenn es sich nicht um die Nachbarin, sondern um den Chef, Abteilungsleiter, Lehrer oder sonstwen handelt, von dem wir abhängig sind. Sobald wir nämlich mit jemandem zu tun haben, der uns eins auswischen könnte, setzen wir die Maske auf: die untertänige, die gehorsame, die fröhliche, die harmlose, die fromme - ganz wie es beliebt und verlangt wird. Hauptsache ist, der andere kriegt nicht raus, was wir wirklich denken, sondern der kriegt nur das zu sehen, wovon wir denken, daß er denkt, daß wir das denken.

Die modernste Maske aber ist die Gesichtslosigkeit: Manche können gar kein Gesicht verlieren, weil sie keines haben. Gesichtslosigkeit - das ist eine Standardmaske, sie paßt überall hin, sie ist unauffällig, profillos, keine besonderen Kennzeichen! Warum ist das eigentlich so? Warum setzen wir immer die Maske auf?

 

(3.) Es ist allein die Angst, die uns zur Maske greifen läßt. Besonders deutlich wird das an der Geschichte von Adam und Eva im Paradies. Das ist übrigens nicht die Geschichte von einem Ehepaar in fernen Zeiten, sondern die Geschichte vom Menschen überhaupt, unser aller Geschichte. Denn Adam ist kein Eigenname wie Paul oder Fritz, sondern heißt ganz einfach „Mensch“.

In der biblischen Geschichte ist es nun so, daß die beiden Gott ungehorsam waren. Und weil sie wegen ihrer Abweichung vor Gott Angst haben, weichen sie ihm aus und verstecken sich. Adam hat also Angst: Angst vor einer Strafe, Angst vor harten Maßnahmen des Gartenbesitzers, Angst, daß er rausfliegen könnte.

Und so wird das Gebüsch die erste Maske des Menschen. Aber andere Masken kommen dazu: Der Konfirmationsschein weist uns als guten Christen aus, ein Parteiabzeichen als gutes Parteimitglied, die weiße Weste als guten Bürger. Es gibt tausend Schilde, hinter denen wir braven Schildbürger uns verstecken. Immer ist es die Angst, die uns ins Maskenversteck treibt: Die Angst rauszufliegen, auf keinen grünen Zweig zu kommen, den Posten zu verlieren, das Wohlwollen, den guten Ruf, die Aufstiegschancen, den schwer erkämpften Platz an der Sonne.

Die einen sagen: So ist das nun mal, da kann man nichts machen. Das Leben ist so. Hauptsache mit dem Rücken an die Wand und den Hintern fest im Sattel, ansonsten Schnauze. Sie machen alles so, wie es gewünscht wird. Die fühlen sich hinter ihren Masken wohl. Wichtig ist nur, daß die Kohlen stimmen und man gut leben kann. Diese Menschen haben ihr eigenes Gesicht vollkommen verloren und leiden gar nicht darunter, daß sie dauernd maskiert sind. Sie halten das für völlig normal.

Aber es fehlt etwas Entscheidendes, was zum gesunden Menschen unbedingt dazugehört: nämlich das Gewissen. Diese Leute gehören zu den ärmsten Menschen, weil sie sogar vor sich selber eine Maske tragen. Diese Leute sind, noch während sie vielleicht ganz gut leben, eigentlich schon tot.

Aber auch Bibelsprüche können als Maske benutzt werden - und die fromme Phrase ist die Lieblingsmaske des Pfarrers. Die Maske des glaubensstarken Mannes aufsetzen - das ist die Pfarrermaske Nr. 2. Dieser sagt dann:  „Seid wahrhaftig um jeden Preis, sagt jedermann die volle Wahrheit bei jeder Gelegenheit glatt ins Gesicht - runter mit den Masken, werft alle Masken weg!“  Aber das wäre unbarmherzig. Und Gott ist barmherziger als seine fanatischen Diener.

Noch einmal zurück zu der biblischen Geschichte von vorhin. Da wird erzählt, daß Gott, nachdem er Adam in seinem Versteck aufgestöbert hat, ihn zwar zur Rede gestellt hat und er hat ihn auch die Konsequenzen seines Ungehorsams spüren lassen. Aber er hat ihn nicht fix und fertig gemacht, er hat ihn nicht entlarvt und demaskiert und dann fallen lassen - sondern er hat dem Menschen, der nackt vor ihm stand und sich in seiner maskenlosen Nacktheit schämte, höchstpersönlich und eigenhändig eine Maske gegeben.

Gott ist barmherzig, er geht auf die Schwächen seiner Geschöpfe ein. Gott weiß, daß die Welt nach dem Sündenfall für den Menschen ohne Schutzmaske unerträglich wäre - und deshalb gibt er ihm eine. Ganz gleich, wann und wo wir auf dieser Erde leben, immer und überall wird es ein Leben mit Maske sein. All jenen, die sich unter dieser Lebensart quälen, aufreiben und dieses Leben unerträglich finden, denen ist nun dreierlei zu sagen:

 

1. Wir können zwar ohne Maske nicht leben - wir werden also immer wieder handeln, täuschen und schuldig werden. Aber Gott verdammt uns nicht deswegen, sondern er ist bereit, uns zu vergeben, wenn wir ihn in unserem Maskenelend um Vergebung bitten. Und deshalb können wir gar nicht ohne Gott leben - wenn wir wirklich und glücklich leben wollen. Die Vergebung im Namen Jesu Christi - unter dem Zeichen des Kreuzes, an dem die Vergebung Gültigkeit erlangt hat - diese Vergebung ist das großartige Angebot Gottes an alle, die sich hinter ihrer Maske nicht wohl fühlen.

Dieses Angebot Gottes wird in der Kirche weitergegeben. Gehen Sie doch einmal zu einem Pfarrer oder zu irgendeinem Mitchristen und sprechen Sie vor Gott alles aus, was Sie belastet und hinter der Maske drückt. Wenn wir allerdings auch vor Gott die Maske aufbehalten und den starken Mann mit dem reinen Gewissen markieren, dann ist uns auch nicht zu helfen.

 

2. Sich einem anderen Menschen anvertrauen, um sich die Vergebung Gottes zusprechen zu lassen - dazu gehört eben Vertrauen. Angst ist es, die uns immer wieder hinter die Masken treibt. Wenn kein Anlaß zur Angst besteht, dann nehmen wir auch unsere Masken ab. Was wir brauchen, das sind Menschen, vor denen man keine Angst zu haben braucht. Umgedreht werden wir anderen Menschen eine ganz notwendige Lebenshilfe, wenn wir am Abbau von Angst arbeiten, und den anderen spüren lassen, daß keine Gefahr besteht, wenn er die Maske fallen läßt und wir nicht mißbrauchen, was wir hinter der Maske gehört und gesehen haben.

 

3. Die Maske ist zwar ein notwendiges Übel. Aber wir haben die Chance, wenigstens streckenweise ohne Maske leben zu können. Keiner wird sein ganzes Leben ohne Heuchelei, ohne Versteckspielen, ohne Schuld hinzukriegen. Aber streckenweise ist das möglich für den, der an Gott glaubt. Denn wenn ich an Gott glaube, dann weiß ich, daß ich mich als Mensch gar nicht selber schützen kann, sondern daß Gott mich schützt.

Wie oft geht es mit unseren selbstgebastelten Schutzmasken schief? Eine hundertprozentige Angelegenheit sind sie ja nie. Aus lauter Angst tragen wir Masken - und weil wir Masken tragen, haben wir Angst. Das ist der verfluchte Kreislauf, der uns solche Herzbeschwerden macht. Und da kommen wir nur heraus, wenn wir alle Masken sausen lassen und uns Gott restlos ausliefern in dem Vertrauen, daß  e r uns schützt.

Noch einmal ist zu sagen: Nicht immer werden wir das fertigbringen, aber in der Orientierung auf Gott werden wir frei vom Rollenzwang. Im Vertrauen auf Gott überwinden wir dann und wann alle Angst und werden einmal wir selbst. Das sind vielleicht nur Momente in unserem Leben, wo wir so viel Glauben haben, daß wir die Maske fallenlassen. Da sind die großen Momente der Freiheit von der Angst, des guten Gewissens, das sind die eigentlichen Höhepunkte des Lebens, das ist das eigentliche Leben. Das sind die Gelegenheiten, für die es sich lohnt, gelebt zu haben. Und dann bekennt man glücklich: Das Leben hatte einen Sinn! Solche Momente der Wahrheit kommen uns vielleicht teuer zu stehen - aber lieber 300 Mark weniger in der Lohntüte, aber dafür frei von Angst und Maskenzwang. Ich kann nur sagen: Das lohnt sich! Und das müssen Sie auch einmal probieren!

 

 

1. Mose 8,18-22 (20. Sonntag nach Trinitatis):

Unser Leben gelingt nicht, ohne daß wir bestimmte Ordnungen einhalten. Im Straßenverkehr ist es hilfreich, wenn es Regeln gibt und Verkehrsschilder aufgestellt werden. Es gibt ja in einigen Städten immer wieder Versuche, auf Verkehrsschilder zu verzichten und die Ampeln abzuschalten. Dann sollen die Autofahrer an der Kreuzung sich einigen, wer zuerst fahren darf. Das führt doch einfach dazu, daß der Dreiste immer vorne ist und der Bescheidene und Vorsichtige das Nachsehen hat. Man behauptet, ohne Regeln und Verkehrszeichen würden die Verkehrsteilnehmer viel mehr Rücksicht aufeinander nehmen. Aber das ist wohl Wunschdenken. Da ist die Bibel realistischer, wenn sie sagt: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf!“

 Das bedeutet nicht, daß man sich mit der Bosheit der Menschen abfinden muß und nichts dagegen tun kann. Sie muß nur kanalisiert und in ihre Schranken gewiesen werden. Deshalb befassen wir uns wie in jedem Jahr am 20. Sonntag nach Trinitatis mit dem Thema „Ordnungen“, dieses Jahr besonders mit der Ordnung Gottes in der Natur. Und da wird herausgestellt: Es gibt eine heilsame Gesetzmäßigkeit, die auf Gottes Ordnungswillen beruht. Es gibt also Naturgesetze, die letztlich die Gesetze Gottes sind. Er will es so, seine Freiheit wird dadurch nicht begrenzt.

Und so leben wir heute zwischen Sintflut und Wiederkunft des Herrn nach den Ordnungen Gottes - wir sollten es jedenfalls. Das Leben wird uns immer wieder neu geschenkt, so wie nach der Sintflut. Es soll bewahrt werden durch die Ordnungen Gottes.  Nur so können wir Ja sagen zu dieser Welt.

 

1. Das neugeschenkte Leben:

Das Leben ist eigentlich ein Wunder: Mit zwei kleinen Zellen fängt es an, es wächst heran und plötzlich ist es auf der Welt. Denken wir an eine Frühgeburt, ein Kind, so groß wie eine Hand, aber doch Leben. Es  w i l l  leben, und wir haben ihm den Weg zu bereiten, so gut wir können. Mit einem Jahr kann so ein Kind schon „Mama“ sagen und vielleicht auch schon erste Schritte machen. Dann kommt es in die Schule, dann wird es konfirmiert.

Das Leben  ist nicht langweilig. Man kann aber einfach nicht stumpf und leer dahinleben, wenn man weiß, daß alles Leben nur Geschenk Gottes ist. Wir dürfen uns am Leben freuen, es bietet uns viele Möglichkeiten und wir können sie wahrnehmen. Wir können glücklich sein und immer wieder nur dankbar.

Aber es ist auch eine untergründige Angst da. In unseren Breiten rechnen wir zwar nicht mit einer Sintflut, obwohl die Überschwemmungen eines Flußsystems für die Betroffenen auch so etwas wie eine Sintflut sind. In der Zeit der Entstehung der Bibel kannte man die großen Überschwemmungen von Euphrat und Tigris. Und manche meinen auch, das Schwarze Meer sei plötzlich vollgelaufen und habe eine blühende Landschaft vernichtet.

Aber es geht gar nicht um die Frage, ob es so eine Sintflut gegeben hat oder nicht. Die Sintflut ist ein Bild für alles, was in unserem Leben auf uns hereinstürzt. Im persönlichen Leben sind Arbeitslosigkeit oder Krankheit, Trennungen oder Streit.

Das kann einem dann auch so vorkommen wie den Menschen des Altertums. Ihnen kam die Erde ja so vor wie eine Luftblase, die rundherum vom Wasser umgeben war und wo nun  das Wasser von allen Seiten auf die Erde stürzte. Sie hatten den Eindruck, die Hände Gottes hätten sie losgelassen und er habe sein Schöpfungswort widerrufen.

In unserer Zeit haben Weltraumflieger ähnlich empfunden. Sie sahen die Erde plötzlich als eine kleine blaue Kugel, von einer dünnen Lufthülle umgeben. Für uns ist diese dichte Lufthülle zehn Kilometer stark. Aber vom Weltraum aus gesehen ist das gar nichts. Und doch sind wir drauf und dran, durch unsere Abgase diese Lufthülle zu zerstören. Zunächst sieht es nicht viel aus: zwei Grad Durchschnittstemperatur mehr in hundert Jahren! Aber wenn dann die Gletscher schmelzen und der Meeresspiegel vielleicht um 80 Zentimeter steigt, dann sieht es schon anders aus. Wir produzieren unsere Sintflut heute selber. Da wird deutlich, daß wir auch eine eigene Verantwortung haben und nicht alles Gott überlassen können.

Aber die Bibel erzählt uns doch: Eines Tages ist die Erde wieder trocken. Gott will ihr und unser Leben, und zwar auf Dauer. Diesen Glauben an die Treue Gottes muß man erst einmal haben. Aber Noah hat ihn. Deshalb baut er nicht zuerst ein Dach über dem Kopf, sondern er errichtet einen Altar, um Gott zu danken, der ihn erhalten hat. Noah hat erkannt: Gott sagt Ja zu unserem Leben. Er sichert unser Leben, auch wenn es manchmal zu wackeln scheint.

Wir haben jetzt Herbst und es geht auf den Winter zu. Aber wir vertrauen darauf, daß es auch wieder Frühling und Sommer wird. Das dürfen wir auch. Gott will, daß es mit der Welt weiter geht und daß auch seine Menschen erhalten werden.

 

2. Die lebensbewahrenden Ordnungen:

Nun könnte man natürlich denken: „Ach, dann ist ja alles gut, da kann mir nichts passieren!“ Gott ist aber nicht so eine Art Lebensversicherung für den Einzelfall.  Gottes Welterhaltungswille darf uns aber nicht zu falschen Sicherheiten verleiten. Das legt ja der Werbespruch der Versicherungen nahe „Versichert, gesichert!“ Aber das stimmt nur bedingt. Eine Versicherung verteilt das Risiko. Aber dazu legt sie das Geld der Versicherten an - nachdem sie selber einen guten Teil davon eingesteckt hat. Aber die Finanz­krise hat ja gezeigt, wie leicht die Manager sich verzocken können. Der Minister Norbert Blüm hat einmal gesagt: „Die Rente ist sicher!“ Viele haben in falsch verstanden. Er hat das gesagt im Vergleich zu den Lebensversicherungen, weil die Rente von denen aufgebracht wird, die heute arbeiten. Aber er konnte natürlich nicht sagen, wie hoch die Rente einmal sein wird.

Verstehen wir das nicht falsch: Versicherungen müssen sein, manche sind sogar gesetzlich vorgeschrieben. Und wer schon einmal einen Autounfall hatte, der weiß das zu schätzen. Und natürlich braucht man eine Krankenversicherung. Das gilt auch für die USA, wo einige sogenannte „Liberale“ in einer solchen Zwangsversicherung einen Eingriff in die persönliche Freiheit sehen. Manchmal muß man vielleicht auch einmal Druck ausüben, damit die Menschen nicht aus Leichtsinn sich selber Schaden zufügen.

Aber Versicherungen sind nicht alles, sie machen den Beistand Gottes nicht überflüssig. Wenn wir einerseits von Gottes Welterhaltungswillen wissen, dann dürfen wir uns andererseits nicht zu falschen Sicherheiten verleiten lassen. Der Satz gilt: „Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht!“ Aber das heißt nicht, daß eine Atomkata­strophe oder ein Giftgasangriff ausgeschlossen sind.

Gott will zwar den Fortbestand der Welt. Aber er hat den Menschen auch als freies Wesen erschaffen. Der Mensch kann sich seinem Willen widersetzen und damit Gottes Welt in Gefahr bringen. Die Bibel formuliert das so: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf!“ Deshalb wird in der Erzählung von der Sintflut gesagt, Gott habe die Menschheit in seinem Zorn vernichtet. Gott wird hier sehr menschlich gesehen. Aber das hat auch zur Folge, daß er seinen Sinn ändert und trotz der Bosheit der Menschen die Welt nicht mehr vernichten will. Bei den Menschen hat sich nichts geändert durch die Sintflut. Aber bei Gott ist etwas anders geworden. Er mußte einsehen: Wenn er die Schöpfung will, dann muß er sie wollen trotz der Sünde der Menschen.  Gott zerbricht die Verkettung von Schuld und Strafe, obwohl die Menschen es nicht verdient haben.

Es war ja nicht nur ein Schaden am Rande, sondern das Herz der Menschen ist böse, und zwar von Jugend an. Aber diese Bosheit von der Wurzel her hebt das Schöpferwort Gottes nicht auf: Wir werden täglich neu geschaffen und erhalten täglich neu unser Lebensrecht.

Um das zu sichern, hat Gott in die Schöpfung seine Ordnungen eingebaut und läßt sie auch in der sündigen Welt wirksam sein. Die Ordnungen des Jahreslaufs und des Tageslaufs sind dabei nur die eine Seite. Doch wie die Natur ihr Gleichgewicht braucht, so müssen auch die Beziehungen der Menschen untereinander stimmen. Wir dürfen nicht alles, was wir können. Wir dürfen als Christen nicht einmal alles, was erlaubt ist: Dem Spitzenmanager steht ein Millionengehalt zu, aber kann er das auch mit gutem Gewissen annehmen? Politiker erhalten manchmal noch Geld aus einer früheren Tätigkeit, verdienen aber am anderen Ort auch ganz gut. Man kann es ihnen nicht verwehren, ihr Recht wahrzunehmen. Aber dürfen sie das auch guten Gewissens? Die Gesetze sind halt falsch. Aber das heißt ja nicht, daß der Einzelne nicht aus höheren Gesichtspunkten auf sein „Recht“ verzichten könntet, um „Gerechtigkeit“ üben zu können. Verstoßen wir aber gegen Gottes Gesetz, haben wir die Folgen zu tragen bis zur Selbstvernichtung. Wenn Gott sich geändert hat, dann ist das doch auch für uns Ansporn, uns zu ändern und uns mehr dem Wollen Gottes anzugleichen.

 

3. Das Ja zu dieser Welt:

Nun wird hier aber gesagt: „Solange die Erde besteht!“ Ist das nicht eine Einschränkung des Heilswillens Gottes? Hier wird deutlich: Alle Ordnung dieser Welt ist eine Notordnung! Die Welt ist zwar heil, aber die Bosheit des menschlichen Herzens bleibt bestehen. Die Worte am Ende der Erzählung von der Sintflut sind nicht das Ende der Wege Gottes, sondern nur eine Zwischenstation. Hier wird der Fortbestand der Welt ermöglicht.

Aber in dieser Zeit brauchen wir Ordnungen. So wie die Natur ihre Ordnung hat, so sollen auch wir Menschen unter uns Ordnung halten.  Wir brauchen Ordnungen für Kinder und Alte, für Arme und Zugereiste. Wir brauchen Ordnung in Gesellschaft, Familie, Verwandtschaft und Nachbarschaft. Es ist keine Ordnung, wenn ein Mensch ohne Grund niedergeschlagen wird - auch wenn man einen Grund hat, darf man ihn nicht schlagen. Früher war es eine gute Regel, wenn einer am Boden lag, dann hatte man entschieden, wer der Stärkere ist und dann ließ man ihn in Ruhe.  Aber heute wird vielfach noch nachgetreten, gegen die Rippen und gegen den Kopf. Und mancher ist dabei zu Tode gekommen, vor allem auch diejenigen, die einen Streit unter anderen schlichten wollten oder einem Bedrängten zu Hilfe kommen wollten.

Man kann aber einen Menschen auch fertigmachen, ohne daß man ihn körperlich schlägt. Was gab es doch in der Presse und in den anderen Medien ein Kesseltreiben gegen den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff. immer neue Einzelheiten aus der Zeit vor seinem Amtsantritt wurden hervorgeholt. Am Ende blieb von all den Vorwürfen ein geringer Strafbefehl. Aber das Opfer ist heute ein gebrochener Mann, ohne Frau und Freunde.

Und dann gab es das Kesseltreiben gegen den Limburger Bischof. Gewiß, der Mann hat Fehler gemacht. Aber haben das nicht vielleicht seine Kollegen ebenso gemacht? Was hat mancher Politiker doch die Millionen in den Sand gesetzt. Aber einer wird als Opfer bestimmt und es bleibt am Ende nichts anderes mehr, als das Amt aufzugeben. Was einmal das Lebensziel war, woran man sein Herz gehängt hat, das ist alles dahin, der Einzelne wird niedergemacht. Aber die Handwerker und Baufirmen, die ihn betrogen haben, sind fein raus. Und manch anderer ist froh, daß er jetzt einen angeblichen Grund hat, aus der Kirche auszutreten. So etwas muß nicht sein.

Aber während wir bei der Natur nicht viel beeinflussen können, so können wir das bei unseren menschlichen Ordnungen sehr wohl, jeder in seinem persönlichen Umfeld.

Aber wenn die Zeit erfüllt sein wird, dann wird man neue Wege beschreiten müssen. Gott wird sich auf Dauer mit dem Zustand des menschlichen Herzens nicht zufriedengeben. Wir tun es vielleicht. Wir finden den gegenwärtigen Zustand vielleicht ganz normal oder doch wenigstens erträglich. Aber Gott will nicht nur Ordnungen, sondern er will unser Herz. Deshalb wird er noch einmal mit Jesus Christus eine neue Menschheit beginnen. Sein Opfer ist besser als das Opfer des Noah. Alle äußere Ordnung in der Welt hat die Aufgabe: Raum zu schaffen für das, was durch Christus an uns geschehen soll. Gott verbürgt sich dafür, daß wir uns auf ihn verlassen können. Die Frage ist immer nur, ob er sich auch auf uns verlassen kann.

 

 

1. Mose 11, 1 - 9 (Pfingsten II):

Unsere Welt ist heute in verschiedene Machtblöcke eingeteilt. Und auch innerhalb dieser Blöcke gibt es noch Unterschiede und Machtkämpfe. Ja, selbst innerhalb eines Volkes gibt es Abneigungen zwischen den einzelnen Stämmen. Täglich hören und lesen wir von kriegerischen Auseinan­der­setzungen in der Welt. Das kann uns nicht gleichgültig lassen, denn vielleicht kann uns das selber auch sehr bald betreffen. Denken wir nur daran, wie die europäischen Völker unter ihrer Uneinigkeit zu leiden hatten.

Auch dem Volk Israel ging es so. Sie waren in zwei Staaten aufgeteilt und zum Spielball der umliegenden Großmächte geworden. Wenn es Krieg zwischen Ägypten und Babylon gab, dann war das Gebiet Israels das Schlachtfeld. Deshalb fragte man sich dort: Woher kommt denn die Uneinigkeit der Völker? Warum gibt es so viel Vorurteile? Hinter diesen Fragen steht die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Geborgenheit. Das Nichtverstehen ist doch das Anzeichen für eine sehr tiefliegende Krankheit. Die Geschichte vom Turmbau zu Babel versucht eine Antwort darauf zu geben.

Eigentlich handelt es sich um zwei Geschichten: Einmal sind es Menschen, die eine große Stadt bauen zu ihrem eigenen Ruhm. Zum anderen sind es Menschen, die einen hohen Turm bauen, damit sie sich nicht in der weiten Ebene verlaufen. Jedesmal aber geht es um die Einheit der Menschheit, die dann zerfällt. Und jedesmal geht es um eine großartige technische und zivilisatorische Leistung, die diese Einheit sichern soll.

Wenn man Angst hat, das Volk könnte auseinanderlaufen, muß man es mit einer Mauer einschließen. Dann läßt man nur den ein, der angenehm ist. Und heraus darf nur, wer die nötigen Papiere hat. Aber man tut auch noch mehr, um die Leute bei der Stange zu halten: Man stellt große Bauwerke hin, damit die Leute an die unbegrenzten Möglichkeiten in dem Staat glauben und deshalb gern bleiben [Hier wird natürlich auf die Situation in der damaligen DDR angespielt].

Gott sagt zu den Menschen: Macht euch die Erde untertan! Die Menschen sollen ja in festen und modernen Häusern leben. Und ein Turm aus gebrannten Ziegeln war damals ein höchst nützlicher technischer Fortschritt. Wir alle nehmen heute teil an den Errungenschaften der Technik und wir dürfen es mit ruhigem Gewissen tun.

Es gibt ja heute Wolkenkratzer, die sind wesentlich höher sind als die 90 Meter des Turms von Babylon. Auch manche Kirche ist da noch höher. Vor hundert Jahren mußte der Turm des Berliner Rathauses noch niedriger bleiben als der Turm der Marienkirche. Aber heute findet niemand mehr etwas dabei, wenn der Fernsehturm gleich daneben dreimal so hoch ist. Und mit den heutigen Raketen reichen wir sogar bis an den Himmel, jedenfalls bis an den Himmel, den man so sieht. Die Menschheit hat schon imponierende Leistungen errungen.

Manche Christen meinen nun, das sei alles Teufelswerk und Gott werde diese Frevler schon zerschmettern. Doch was sachlich notwendig ist, verfällt nicht der Kritik Gottes. Wir können uns freuen, wenn dem Kosmos ein Geheimnis nach dem anderen entrissen wird. Wir können froh sein, wenn unser Alltagsleben durch die Technik ein wenig bequemer wird. Dadurch erfüllen wir den Schöpfungsauftrag Gottes.

Die Bibel will nichts schlecht machen, wo die Menschen voller Optimismus sagen: „Wohlauf, laßt uns etwas schaffen!“ Aber sie weist sehr deutlich auf die Gefahren hin, die aus solchem Tun entstehen können. Diese Menschen in Babylon handeln ja nicht mehr im Auftrag Gottes, sondern sie wollen sich selber einen Namen machen. Aber letztlich haben sie Angst, sie könnten sonst in alle Winde zerstreut werden. Um diese Angst zu überdecken, verfallen sie in den Hochmut, sie könnten bis an den Himmel bauen und der Menschheit damit das göttliche Heil bringen.

Auch bei Adolf Hitler war vom Heil die Rede. Wie bei allen Gewaltherrschern hat er versucht, mit großen Prachtbauten sich einen Namen zu machen. Es ging nicht um den Nutzen der Allgemeinheit, sondern notfalls mußten dann die Häuschen der kleinen Leute weichen. Wie in Babylon wollte Hitler quer durch Berlin eine Prachtstraße bauen, mit einer riesigen Kongreßhalle als Abschluß. Später verlief an dieser Stelle die Mauer, als Mahnzeichen dessen, was Hitler mit seinem „tausendjährigen Reich“ verspielt hat. Gleichzeitig eine Grenze, die Menschen voneinander trennte, wie in der Geschichte vom Turmbau in Babylon,

Auch die moderne Weltraumfahrt unterliegt nicht unbedingt dem Verdammungsurteil Gottes. Nur muß man eben bedenken, daß Gott nicht dort ist, wohin die Raketen reichen. Als die ersten (russischen) Kosmonauten zurückkehrten, da erzählten sie: einen Gott hätten sie dort oben nicht getroffen! Das hätten sie aber auch schon vorher wissen können: Gott lebt nicht hinter dem Mond! Er ist ein Gott für uns, hier auf dieser Erde, wo er uns von allen Seiten umgibt, wie es im 139. Psalm heißt. Andere Kosmonauten haben im Weltraum zu Gott gebetet, haben ihm gedankt für die Schönheit der Schöpfung und dafür, daß ein solcher Flug möglich war. So kann  man jede technische Leistung von zwei Seiten sehen und zum Guten oder Bösen gebrauchen.

Das gilt besonders von der Atomkraft.  Welche segensreichen Wirkungen gehen von ihr aus, in der Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Medizin und Technik. Aber welche verheerenden Kräfte stecken in einer Atombombe! Werden die in der Hand der Menschheit liegenden Kräfte wohl immer friedlich und aufbauend eingesetzt werden? Schon allein das Wissen um die Herstellung solcher Bomben wird uns für alle Zeit vor die Frage stellen, wie wir diese Möglichkeiten unter Kontrolle halten können.

Es geht hier einfach um die ethische Frage, ob wir uns verantwortlich wissen vor Gott. Der technische Fortschritt kann einen großen Segen für uns bedeuten. Aber ob es wirklich besser wird, hängt zu einem großen Teil von uns ab. Aller Fortschritt sollte  m i t  Gott vollbracht werden und nicht gegen ihn. Wir dürfen ihn loben, weil er uns solche Macht gegeben hat; aber wir dürfen nicht zu Himmelstürmern werden, die meinen, sie hätten Gott nicht nötig.

Vielleicht hält Gott noch große technische Fortschritte und Errungenschaften für uns bereit. Aber er lacht über die Menschen, die meinen, sie könnten das alles ohne ihn tun. Die Technik und ihre Erfolge sind nur dazu da, um Gottes Macht zu verherrlichen. Und sie sollen dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Wenn sich einer einen Namen machen will, dann durch den Dienst am Nächsten.

Nur so kann unsre Welt wieder heil werden. Die große Machtkonzentration Babels hat die Einheit der Menschheit gerade nicht gesichert. Aller Imperialismus wirkt letztlich nur auflösend. Ehrgeiz zerstört die moralische Basis der Gemeinschaft. Es ist bezeichnend, daß in dieser Geschichte die Zerstörung des menschheitlichen Miteinanders gerade an der Sprache deutlich wird: Wenn man nicht mehr miteinander sprechen kann, ist die Gemeinschaft zerstört.

Aber die Gemeinschaft wird nicht dadurch neu, daß man einfachere Übersetzungsmöglichkeiten schafft oder eine einheitliche Weltsprache durchsetzt. Die Entfremdung liegt ja tiefer. Nicht am Wipfel des Baumes muß man ansetzen, sondern an der Wurzel. Das Vertrauen unter den Menschen muß wiederhergestellt werden.

Das aber ist nur möglich, wenn wir uns alle unter Gott stellen. Wenn jeder sich selbst Gesetz sein will, dann ist er unberechenbar. Wenn wir uns aber an Gott halten, der uns zusammenbindet, werden wir keine unliebsamen Überraschungen zu fürchten haben. Aber solange man in Ost und West das erste Gebot noch herumdreht: „Ich bin der Herr, mein Gott, ich dulde keinen anderen Gott neben mir oder gar über mir!“ wird die Welt noch nicht heil werden können.

Auch die Kirche ist von dieser babylonischen Sünde noch nicht frei. Auch in ihr will man über Menschen herrschen, anstatt ihnen zu dienen. Man will sich einen Namen machen, anstatt sachlich und demütig den Auftrag Christi zu erfüllen. Man will menschlichen Ehrgeiz befriedigen, statt die Schande Christi zu tragen.

Dennoch hat inmitten der Kirche schon das Neue begonnen. Nach der babylonischen Sprachverwirrung hat Gott den Abraham erwählt und mit ihm einen Bund geschlossen. Dieser Bund hat sich erfüllt, als Jesus per Heiland für alle Menschen wurde. Aus seinem Wirken heraus entstand die Kirche, in der wieder alle Menschen zu einer Einheit zusammenwachsen können.

Wo heute Christen zusammenkommen, da mag es zwar noch äußere Sprachschwierigkeiten geben, aber das innere Verstehen ist doch da. Zwar gibt es auf weltweiten, kirchlichen Konferenzen auch harte Auseinandersetzungen über Sachfragen, aber im Gottesdienst kommen dann doch alle wieder zusammen. So soll es auch in unsrer Gemeinde sein. Wir dürfen verschiedene Meinungen haben, wenn wir uns alle unter den gleichen Herrn stellen. Und uns ist die große Aufgabe gestellt, mit der Welt dafür zu sorgen, daß Menschen sich besser verstehen können.

Aber wir bringen die besten Voraussetzungen dafür mit, daß Spannungen abgebaut werden, wenn wir uns unter das Kreuz Christi stellen, das das einigende Zeichen für uns ist. Wir brauchen keinen Turm und keine Stadt, weil Christus das einigende Zeichen ist.

 

 

1. Mose 22, 1 - 13 (Judika):

Es gibt Burgen und Stadtmauern, von denen wird erzählt, ein Kind sei dort lebendig eingemauert worden. Als der Bau schon fast vollendet war, kam der Baumeister zum Bauherrn und sagte: „Wenn die Mauern der Burg wirklich unüberwindlich sein sollen, dann muß etwas Lebendiges mit eingemauert werden. Ich brauche ein kleines Mädchen, das mit in das Tor eingemauert wird!“ Man machte ein Fest für die Kinder des Dorfes und der Umgebung und loste dann aus, wer das Opfer sein sollte. Und siehe da, das Los fiel auf die siebenjährige Tochter des Baumeisters.

Der Vater raufte sich die Haare, weil er einen solchen Vorschlag gemacht hatte. Aber nun war nichts mehr dran zu ändern. Im Torturm war eine Nische freigelassen worden, dahinein stellte man das Kind. Der Vater selber mauerte das Loch zu. Das Kind kaute an einem Brötchen und dachte zunächst nichts Böses. Aber als nur noch e i n Stein einzusetzen war, da rief es: „Aber Vater, es wird ja so dunkel!“ Doch der Vater setzte auch noch den letzten Stein hinein. Noch tagelang habe man das Wimmern des Kindes gehört.

Es handelt sich hierbei nur um eine Sage. Aber man sage nicht, so etwas sei nicht vorgekommen. Man hat früher tatsächlich Menschen in Türme, Brücken oder Deiche eingemauert, in dem Wahn, sie würden dadurch unüberwindlich. In Saalfeld zum Beispiel hat man in einem Brückenpfeiler die Skelettreste eines Kindes gefunden.

Wir schütteln darüber den Kopf vor Abscheu. Aber der ganze Ernst der Lage des Abraham wird uns hier deutlich. Gewiß, bei der Geschichte von Isaaks Opferung handelt es sich auch um eine Sage. Wir müssen nicht annehmen, daß das alles bis in die Einzelheiten so stattgefunden hat. Es geht vielmehr darum, die Ablösung des Menschenopfers durch das Tieropfer zu begründen.

In Israel hat man lange Zeit auch Kinder geopfert. Noch zur Zeit der Propheten gingen Einzelne zu heidnischen Göttern und opferten ihnen ihre Kinder. Die Geschichte von Abraham und Isaak macht deutlich: Gott will keine Menschenopfer, sondern Tieropfer. Man meint direkt ein Aufatmen zu hören, wenn der Schluß der Geschichte kommt.

Aber Isaaks Opferung ist wiederum auch mehr als eine Sage. Sie ist eine Geschichte vom unerschütterlichen Glauben Abrahams und vom Dulden Isaaks. Machen wir uns die Lage des Vaters einmal deutlich: Gott hatte ihm versprochen, er werde ihn zum großen Volk machen und seine Nachkommen würden zum Segen für alle Welt. Doch jahrzehntelang blieb er ohne Kinder. Wie oft hat er Gott gebeten, seine Verheißung doch nun endlich wahr zu machen. Als es nicht mehr menschenmöglich erschien, wurde der Sohn geboren.

Und nun soll er diesen einzigen Sohn wieder opfern? Dann hat er ja vergeblich gehofft und gewartet, dann hat er sich umsonst gefreut und Gottes wunderbare Macht gepriesen? Mit eigener Hand soll er nicht nur die eigene Zukunft, sondern auch die Hoffnung der Welt in ewige Qual verwandeln? Wie kann Gott denn sich selbst widersprechen und das Geschenk wieder zurückfordern? Kann Gott denn sich selbst widersprechen? Haßt er den Abraham nun auf einmal? Wenn er Gott gegen sich hat, dann ist ihm nicht mehr zu helfen, dann sind er und die ganze Welt verloren.

Was soll man dem Abraham raten? Soll man sagen: „Laß Gott fahren und behalte deinen Jungen!?“ Das ist der Weg, den doch heute viele gehen. Sie haben ihre Kinder lieb, so wie Abraham seinen Sohn liebhatte. Sie wollen doch nur das Beste für die Kinder, die sollen einmal

das erreichen, was ihnen verwehrt war.

Wenn Hindernisse auftauchen, umgeht man sie ohne Diskussion. Oder man biegt gleich ab auf einen erträglicheren Weg. Zu einem Opfer ist keiner bereit‚  und sei es noch so gering im Vergleich zu Abraham. Gott zu opfern und den Glauben, das ist einfacher als dem Kind

einen Stein in den Weg zu legen.

In der Praxis der früheren DDR sah das dann so aus: Aus Angst, das Kind könnte einen bestimmten Beruf nicht ergreifen, lassen die Eltern ihr Kind nicht zur Konfirmation. „Sie ist doch gut in der Schule und will einmal Lehrerin werden!“ Zwei Jahre später wird es ernst mit der Berufswahl. Und da stellt sich heraus: Aus gesundheitlichen Gründen ist die Erlernung des Berufs nicht möglich. Man war zu jedem Opfer bereit, und doch hatte es Gott anders beschlossen.

Aber es gab auch den umgedrehten. Fall: Wie hat man doch einem Mädchen vor der Konfirmation gedroht. Der Vater wurde im Betrieb hergenommen, der Parteisekretär wurde eingeschaltet. Das Mädchen wurde wankend, kam einige male nicht zum kirchlichen Unterricht. Dann kam sie wieder, sagte aber, sie wolle nicht konfirmiert werden. Und schließlich kurz vor der Vorstellung der Konfirmanden sagte sie: „Ich möchte doch konfirmiert werden, so wie die anderen auch!“ Sie war eher bereit, ihre Berufsaussichten zu opfern als Ihren Glauben. Aber den gewünschten Beruf hat sie doch gekriegt. Manchmal muß man auch Gott etwas zutrauen, so wie Abraham das tat.

Heute gibt es solche Probleme nicht mehr. Da haben wir eher zu kämpfen mit einem mehr oder weniger offenen Atheismus, einer Gleichgültigkeit gegenüber Glaubensdingen. Man will erst einmal abwarten. Oder das Kind soll selbst entscheiden. Das klingt sehr pädagogisch und verständnisvoll. Aber wenn es um die Schule geht, dann wird das Kind auch nicht gefragt, da wird es durchaus gezwungen.

Als der Junge nach dem Opfertier fragt, da sagt der Vater: „Gott wird sich schon ein Schaf zum Brandopfer aussuchen!“ Das ist keine billige Ausrede oder eine Notlüge. Wenn wir einem Menschen in hoffnungsloser Lage begegnen und selber keinen Rat wissen, dann sagen wir schnell einmal: „Gott wird schon helfen!“ Gott weiß aber wirklich Rat. Ihm sind alle Dinge möglich, denn er hat aus dem Nichts alles geschaffen. So wie er für den Abraham einen Ausweg wußte, so kennt er auch für uns eine Lösung.

Das gilt auch und gerade in den Problemen, die uns heute bedrängen. Wir empfinden Abscheu vor der Erzählung von Isaaks Opferung. Aber wir haben uns daran gewöhnt, daß in unsrer Welt Menschen in großer Zahl geopfert werden, angeblich alle für „höhere Notwendigkeiten“. Die Opfer im Straßenverkehr werden ganz selbstverständlich hingenommen. Wenn eine große Eisenbahnlinie oder ein Tunnel gebaut werden soll, dann muß man mit Unfallopfern rechnen. Für ein bißchen Bequemlichkeit lassen wir Menschen in den Entwicklungsländern verhungern.

Unsere Kinder werden zum Haß und zur gewaltsamen Lösung von Konflikten erzogen. Eltern sind bereit, ihre Kinder in den Krieg zu schicken, weil eben der Befehl so lautete, obwohl wir den Schwur noch im Ohr haben, daß nie wieder eine Mutter ihren Sohn beweinen soll. Selbst in Friedenszeiten kommen Menschen bei der Armee um. Und dann sagt man: „Sein Opfer war notwendig zur Erhaltung des Friedens!“ So werden auch heute noch Menschenopfer verlangt, senn auch in anderer Form.

Aber verlangt Gott nicht auch Opfer von uns? Müssen wir nicht vielleicht auf unsre Lebenschancen und unsre Ruhe verzichten, wenn wir zu Gott gehören wollen? Die Geschichte von Abraham und Isaak macht deutlich, daß er in der Tat  a 1 1 e s  fordern kann.

Er ist nicht nur ein „lieber Gott“, wie wir ihn gern haben möchten, sondern auch einer, der zu ehren und zu fürchten ist. Keiner kann sagen: „Jetzt verlangst du zu viel von mir!“ Wenn Gott uns das Leben und alle unsere Möglichkeiten gegeben hat, dann kann er auch wieder etwas zurückfordern.

Weil der Mensch aber nur selten dazu bereit ist, hat man früher Tiere geopfert als eine Ersatzleistung für das, was man eigentlich Gott schuldig geblieben ist. Heute tun wir es noch billiger, da bezeichnen wir schon ein Eurostück in der Kollekte als ein, Opfer.  Aber das macht uns nicht frei von der Forderung Gottes, daß er uns ganz haben will.

Doch wir dürfen auch das Opfer nicht vergessen, das Gott gegeben hat. Er hat seinen einzigen Sohn dahingegeben, den er so lieb gehabt hat, wie man nur einen, Menschen liebhaben kann. Hier war wirklich ein Menschenopfer notwendig, ein Opfer von vollem Wert und nicht als Ersatzleistung wie bei dem Widder.

Was Gott dem Abraham im letzten Augenblick erlassen hat, das hat er sich selbst nicht erlassen. Was er den Menschen seit Abraham nicht mehr zugemutet hat, das mutet er sich in Christus selbst zu. So geht es hier letztlich gar nicht um die Bindung des Menschen Abraham an Gott, sondern um die Bindung Gottes an den Menschen. Nicht wir opfern uns, wir müssen auch nicht andere opfern, sondern Gott opfert sich für uns. Seitdem ist jedes weitere Menschenopfer überflüssig und wäre eine Beleidigung Gottes.

Wenn man Isaaks Opferung und Jesu Opfertod einmal gegenüberstellt, merkt man den Unterschied: Issak geht den schweren Weg mit dem Vater - Jesus geht den Weg allein und fühlt sich vom Vater verlassen. Auf dem Berg Morija stand später der Tempel in Jerusalem - auf dem Hügel Golgatha aber ganz in der.Nähe stand das Kreuz. Isaak blieb am Leben - Jesus aber mußte wirklich sterben. Abraham sagte: „Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer aussuchen!“ Johannes der Täufer sagte über Jesus: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ Aus dem Weg Abrahams mit Isaak wird der Weg Jesu für uns, aus dem Weg miteinander wird der Weg füreinander.

Aber Abraham wie Jesus merkten, wie schwer es ist, an Gott zu glauben. Die Anfechtung liegt ja nicht allein darin, daß man menschliche Sicherheiten aufgeben soll, sondern daß man Gott gegen sich zu haben scheint. Hier wird Gott dunkeln, wenn man so in die Gottverlassenheit gestellt wird, da man an seiner Verheißung irre wird. Es gibt eben solche Stunden, in denen wir meinen, wir hätten Gott gegen uns.

Wenn man in einem dunklen Tunnel ist und die Hand nicht vor den Augen sieht, dann hat man Angst. Aber wenn man erst wieder heraus ist, dann versteht man, weshalb das sein mußte. Aber solange man noch drin ist, da ist es schwer.

Und doch wußte Abraham: Gott kann seine Verheißungen nicht zurücknehmen. In seinem Befehl wird noch irgendwie auch seine Verheißung drinstecken, denn Gott kann nicht lügen. Gott fängt uns in seinen guten Händen auf, wenn wir nur bereit sind zum Loslassen und Hingeben.

An Abraham lesen wir ab, was das Opfer des einzigen Sohns bedeutet hat. Aber Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben, haben. Im Vergleich zu diesem Opfer kann

keins unsrer menschlichen, Opfer zu groß sein.

 

 

 

1. Mose 28, 10 - 19a (14. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

Einer der höchsten Berge im Bayerischen Wald ist der Lusen. An seinem Fuß weist ein Wegweiser nach links auf den „Sommerweg“. Er führt erst auf einem bequemen Weg um den Berg herum. Aber dann geht es im rechten Winkel steil den Berg hinan. Und jetzt ist es nicht mehr ein schöner Waldweg, sondern es geht über ein Geröllfeld hoch. Freundliche Menschen haben die vorhandenen Steine so geschichtet, daß eine Treppe entstanden ist, die sogenannte „Himmelsleiter“. Man muß fast auf allen Vieren hinaufkriechen. Aber wenn man nach oben schaut, sieht es so aus, als stiege man in den Himmel hinauf. Die Wanderer klettern nur nach oben, denn abwärts kann man auf dem bequemen „Winterweg“ gehen.

In der Geschichte von Jakob und der Himmelsleiter geht die Richtung aber andersherum: Nicht Menschen steigen auf zu Gott, sondern er kommt zu ihnen herunter. Gott wohnt im Himmel, aber er erscheint auf der Erde. Die große Treppe schafft die Verbindung, die Engel als die Boten Gottes vermitteln zwischen Gott und Menschen.

Es ist erstaunlich, daß schon das Alte Testament diese Sicht hat, die uns doch erst im Neuen Testament so deutlich wird, als Gott seinen Sohn auf die Erde schickt. Aber schon in der Erzählung vom Turmbau zu Babel, als die Menschen einen Turm bis in den Himmel bauen wollen, muß Gott erst einmal herunterkommen, um das kleine Türmchen überhaupt sehen zu können.

Dennoch haben immer wieder Menschen versucht, sich selber einen Weg zu Gott zu bahnen. Und wenn ihnen der christliche Glaube nicht mehr zusagte, dann haben sie sich fernöstlichen Religionen zugewandt. Nachher waren es die Scientology und andere Psycho-Sekten. Und heute ist es für manche der Islam, der die angeblich bessere Religion ist. In einem Jahr sollen 4.000 Deutsche zum Islam übergetreten sein. Aber immer geht es dabei um den Weg der Selbsterlösung, um die Leistung des Menschen, der seinem Gott etwas anbieten will, damit er

gnädig gestimmt ist.

Auch Martin Luther hat in seinen jungen Jahren so gedacht. Auf seinen Knien ist er in Rom die Treppenstufen der Laterankirche hinaufgerutscht, weil er dachte, das sei ein gottgefälliges Werk. Erst nach langer Vorbereitung und einem ausgiebigen Studium der Bibel kam ihm blitzartig zu der Erkenntnis, daß allein der Glaube retten kann und Gott alles tut.

Die Geschichte von der Himmelsleiter macht uns das in erzählerischer Form deutlich: Es gibt eine Kontaktstelle zwischen der Wirklichkeit Gottes und der Erdenwelt, einen Platz der Gegenwart Gottes in der Welt. Damals war es der Tempel in Bethel, den der König Jerobeam nach der Teilung des Landes im Nordreich errichtet hatte, damit seine Bürger nicht mehr nach Jerusalem in den Tempel gehen mußten. Um dieses neue Heiligtum zu rechtfertigen, griff er auf die alte Erzählung von Jakob zurück, der an dieser Stelle ein Heiligtum errichtete.

Jetzt baute der König dort einen Tempel, in dem er zwei goldene Stierbilder aufstellte. Offiziell war das so gedacht, daß Gott unsichtbar auf diesen zwei Stieren steht. Aber in der Praxis haben die Menschen wohl eher zu den sichtbaren Stieren gebetet und nicht zu dem unsichtbaren Gott. Auch sie haben sich ihren Gott zurechtgemacht und dabei auf Vorbilder ihrer heidnischen Umwelt zurückgegriffen. Irgendwie scheint das im Menschen drin zu liegen, daß er mit dem Angebotenen und Naheliegenden nicht zufrieden ist, sondern nach dem Ausgefallenen und Fremdartigen sucht.

Was einst in Bethel geschehen ist, ereignet sich heute überall dort, wo Christus ist. Er ist die Stelle in der Welt, an der allein die Verbindung zwischen „Oben“ und „Unten“ hergestellt ist. Hier hat der Himmel ein Tor, das nicht nur die Engel benutzen, sondern das auch für uns die Kontaktstelle ist. Jesus Christus ist unsere „Himmelsleiter“, die Kontaktperson zwischen Gott

und den Menschen

Der Tempel in Bethel mit seinem Stein ist längst vergangen. Aber wir haben die Kirche als unseren Durchlaß zu Gott. Gott ist zwar überall, aber er zeigt sich nicht an jedem Platz in der Welt. Aber damit wir ihn besser finden, haben wir das Kirchengebäude, haben wir Taufe und Abendmahl, haben wir die Predigt.

Allerdings kann man Gott auch an anderen Ort treffen und mit ihm reden. Deshalb machen sich ja viele ein gutes Gewissen, wenn sie dem Gottesdienst fernbleiben. Sie sagen: Die Welt ist voller „Himmelsleitern“, jeder kann mit Gott verbunden sein im Erleben der Natur, in der Kunst und Geschichte, in den Regungen des eigenen Herzens. Dann meint man, man brauche die Predigt („Offenbarung“) mehr, sondern man sei gottunmittelbar.

Nun ist zwar Gott überall gegenwärtig, aber der glaubende Mensch kann ihn nicht herbeiholen - er zeigt sich, wo er will. Aber die besten Chancen hat man in der Kirche. Im Gottesdienst können wir uns ganz auf ihn konzentrieren. Dort werden wir nicht durch andere Dinge abgelenkt, sogar das Handy haben wir abgeschaltet. Es ist schön, wenn man einmal einen Ort der Ruhe finden kann, um sich auf sich und auf Gott zu konzentrieren.

Aber diese Geschichte von Jakob und der Himmelsleiter hat noch einen anderen Gesichts­punkt in sich. Die Gründung des Heiligtums in Bethel wird einbezogen in die Geschichte der Väter Israels, in die Erzählungen von Abraham, Isaak und Jakob. Es wird erzählt von Jakob, der seinen älteren Bruder Esau um den Segen seines Vaters gebracht hat. Er hat sicher gedacht, jetzt sei er ein gemachter Mann. Ging es nicht mit List und Tücke besser als mit Gott? Er würde schon seinen Mann stehen - komme, das da wolle. Jakob beginnt zu träumen und kommt ins Schwärmen.

Aber dann steht Gott plötzlich auf dem Plan. Es gibt keine Bereiche, in denen er nicht ist. Und das ist gar nicht so harmlos, Gott in die Hände zu fallen. Jetzt hat Jakob erst einmal alles verspielt: Er muß in die Fremde fliehen, er weiß nicht, ob er je zurückkehren wird. Zwanzig Jahre seines Lebens kostet ihn das. Wie ist es nun mit dem Segen Gottes, der ihm das Land, viele Nachkommen und den Vorrang vor seinen Brüdern versprochen hat?

Jakob erfährt aber doch die Zusage Gottes, daß er behütet und geführt sein soll. Er darf den Gottesdienst in Bethel begründen. Er wird das Land wieder sehen, das er jetzt verlassen muß. Ihm, dem Unwürdigen und Zukunftslosen (neudeutsch: dem „Looser“) wird doch noch durch Gottes Gnade der Segen zuteil. Er hat ihn sich ergaunert, aber er soll dennoch gelten. Er zieht nicht ins Ungewisse, sondern in eine von Gott vorausgedachte Zukunft.

Jakob wird keineswegs auf wunderbare Weise aus der reichlich verfahrenen Situation heraus-

geführt. Kein Engel nimmt ihn an der Hand und bringt ihn nach Hause, wo ihm vielleicht schon der Bruder die Hand zur Versöhnung entgegenstreckt. Die Zuwendung Gottes hat zunächst keinerlei Einfluß auf die äußeren Umstände. Gott erspart das Leid nicht, aber er hilft hindurch, wenn es nötig ist.

Jakob ist nicht ein musterhafter Frommer. Seine unrühmliche Vergangenheit wird durchaus nicht verschwiegen. Und was für ihn gilt, das gilt auch für das ganze Volk, damals wie heute: Die es nicht verdient haben, werden dennoch gesegnet und zur Gemeinschaft mit ihm bestimmt. Auch die Kirche heute besteht nur aus begnadigten Sündern. Die Gegenwart Gottes in Jesus Christus widerfährt denen, die es nicht wert sind. Den Hoffnungslosen steht das Tor zum Himmel offen. Gottes Zuwendung ist nicht von unserer Würdigkeit abhängig. Wir brauchen uns nicht bemühen, „Himmelsleitern“ zu bauen

Wir haben aber auch kein Recht, uns über Jakob zu erheben. Sind wir etwa auf dem Weg der Heiligung schon weiter als er? Haben wir auf Gottes Gnadenerweise wirklich immer bedingungslos geantwortet und uns bei ihm bedankt? Und wenn wir ein Versprechen gegeben haben, sind wir ihm stets nachgekommen?

Jakob ist ein Beispiel für uns: Wir alle sind unterwegs durch unser Leben. Wir begehen Fehler und Dummheiten, für die wir bezahlen müssen. Wir sind umstellt von Gegebenheiten und Zwängen, die unser Leben nicht immer schöner und sicherer machen. Wir alle haben keine weiße Weste, sind nicht ohne Schuld. Manchmal sind wir auch auf der Flucht vor unseren Unüberlegtheiten und Verfehlungen.

Auch als Kirche sind wird unterwegs, und manchmal gehen wir sicher den falschen Weg, drehen uns im Kreis, machen Fehler. Und wenn die Kirche einen Fehler berichtigt, macht sie neue und kommt oft nur im Schneckentempo voran.

Wir sind Kirche im Alltag, verstrickt in Meinungsverschiedenheiten und verfilzt in Kompromisse: eine Kirche, in der es menschlich-allzumenschlich zugeht. Die Kirche macht Fehler, weil sie von Menschen verwaltet wird (geleitet wird sie von Gott!). Und doch steht diese Kirche unter Gottes maßloser Verheißung. Gott selber will mit dieser Kirche zu seinem Ziel kommen.

Aber genau an dieser Stelle macht uns Gott durch Jesus Christus handgreiflich und persönlich klar, daß wir bei ihm nicht vergessen sind. Er sagt uns die Verheißung zu, die unsere Angst, unsere Zweifel und unsere quälenden Fragen überschreitet. Mitten in der Angst richtet Gott uns wieder auf. Wir dürfen uns wieder der Zukunft zuwenden. Gott gibt keinen von uns auf, er läßt uns nicht los.

Am Anfang des Gottesdienstes wurde gesagt: Das Thema des Sonntags lautet „Ein dankbarer Mensch verwandelt sich an Leib und Seele“. Davon war noch gar nicht die Rede. Aber es ist doch klar, daß Jakob nur dankbar sein konnte, den Zugang zu Gott gefunden zu haben trotz seiner Verfehlungen. Dazu noch ein Satz zum Nachdenken für den Nachhauseweg, nämlich das Gebet: „Lieber Gott ich danke dir, daß nicht jeden Tag so schlechtes Wetter ist wie heute!“

 

1. Mose 28, 10 - 22 (14. Sonntag nach Trinitatis Variante 2):

Das ist wieder so ein Text, bei dem wir denken können: „Ja, der Jakob, der hat es leicht gehabt. Der sah den Himmel offen, eine Treppe, die hinaufführt, und die Boten Gottes, die darauf auf und nieder steigen!“ Nach antiker Vorstellung, die wir heute nicht mehr übernehmen können, waren Himmel und Erde scharf voneinander getrennt, der Himmel war „oben“ und die Erde tief drunten. Nur an einer ganz kleinen Stelle gab es einen Berührungspunkt, ein Himmelstor. Diese Stelle darf Jakob sehen. Aber er darf nicht diese Treppe hinaufsteigen, er bleibt immer ein nichtswürdiger Mensch. Auch bringen die Gottesboten nicht die Gebete der Menschen zu Gott, sondern die Befehle Gottes zu den Menschen.

Man kann erschrecken vor diesem Weltbild und Menschenbild: Gott irgendwo in der Ferne, nur ab und zu einem Menschen erscheinend, aber dann in der Regel auch mehr als ein drohender Richter, als der Gebieter und Weltherrscher.

Doch geht es uns heute nicht auch ebenso: Nur an einer einzigen Stelle haben wir Berührung mit Gott. Der eine hat nur eine Berührung mit der Kirche und ihrer äußerlichen Organisation. Ein Anderer begehrt auch die Amtshandlungen der Kirche, also etwa die Taufe der Kinder. Ein Dritter gar kommt zum Sonntagsgottesdienst oder zum Abendmahl. Und bei Manchem spürt man auch in seinem ganzen Alltagsleben, daß Gott ihn den ganzen Tag begleitet, daß Gott nicht nur punktweise etwas mit ihm zu tun hat, sondern auf breiter Front das Leben dieses Menschen bestimmt.

Das kommt ja immer wieder einmal vor, daß einer seinem Arbeitskollegen beispringt, dem etwas schiefgegangen ist, auch wenn dabei das eigene Arbeitspensum nicht erreicht wird. Oder junge Menschen widmen sich ein Jahr lang der Krankenpflege oder anderen diakonischen Aufgaben. Oder einer hält eine ganze Arbeitsgruppe zusammen und übernimmt eine Verantwortung, die keiner haben will, die aber auf einem ruhen muß, wenn unsere Welt als Gottes Welt bewältigt werden soll.

Vielleicht fordern auch die Menschen eine solche Haltung von uns. Aber entscheidend ist doch, daß unser Glaube von uns fordert: In der Verantwortung vor Gott und den Menschen seinen Mann im Leben stehen, unbeirrt von Quertreibereien, aber getragen von dem Vertrauen auf Gott und von dem Befehl Gottes: Macht euch die Erde untertan! Löst doch die Probleme der Welt in Wirtschaft und Technik, bei der Ausbildung und im Zusammenleben der Menschen!

Es gibt unter uns viele, die schon erkannt haben: Gott will unser ganzes Leben bestimmen und kann uns auch überall helfen. Er ist keine Sache für eine Stunde am Sonntag oder für festliche Angelegenheiten.

Allerdings verläuft unser Leben auch nicht immer so gradlinig. Manchmal entfernen wir uns weiter von Gott und haben dann nicht mehr den Mut, auf Gott zu hoffen. Der Jakob war ja auch auf der Flucht. Er hatte seinen Bruder durch eine List um den Erstgeburts-Segen gebracht, nun ist er heimatlos und muß das Land der Verheißung verlassen. Als alles vertan und verspielt scheint, fällt Gott nun nicht das Urteil über dieses allzumenschliche Verhalten. Gott

mißt nicht mit menschlichen Maßstäben, sondern gibt auch dem Betrüger erneut seine Zusage. Aber gerade dadurch ist Jakob dann ein anderer geworden. Die alte Schuld ist nicht vergessen, aber Gott führt sein Vorhaben unbeirrt mit ihm aus, auch wenn er menschlich gesehen ein Versager ist.

Manches in unserem Leben ist schon gefährlich. Und ein Sprichwort sagt: „Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um!“ Es ist schon gefährlich, wenn man nur auf Gott vertraut und Gottes Willen in seinem ganzen Leben ausführen will. Aber welch wunderbare Worte darf Jakob hören: „Ich bin mit dir und werde dich behüten, wohin du auch gehst, und ich will dich dann zu diesem Fleckchen Erde zurückbringen. Ich werde dich nicht verlassen, bis ich alle meine Verheißungen ausgeführt habe!“

Eine große Nachkommenschaft soll er haben. Aber noch ist er nicht einmal verheiratet. Er scheint verflucht zu sein. Aber gerade da wird ihm der göttliche Segen bestätigt. So geht es uns doch auch oft: Wenn wir ganz am Boden liegen und keine Hoffnung mehr haben, dann sind wir erst richtig bereit für die Anrede Gottes. Dann ersehnen wir seine Hilfe und hören auch auf ihn. Vielleicht redet Gott aber schon immer zu uns, nicht nur am Sonntag, sondern in jeder Stunde. Wir müssen ihn nur hören und ihm auch antworten.

Allerdings brauchen wir nicht so mißtrauisch zu sein wie Jakob, der sagt: „Wenn Gott das und das für mich tut, dann soll er auch mein Gott sein!“ Unser Bekenntnis lautet umgekehrt: „Gott ist mein Gott und deshalb hilft er mir auch!“ An Jakob hat sich der Segen ganz sichtbar ausgewirkt. Mit zwei Frauen, mit Kindern, Knechten, Mägden und großen Viehherden ist er aus der Fremde heimgekehrt. Wir stellen uns den Segen Gottes hoffentlich nicht nur so handgreiflich vor.

Für uns offenbart sich Gott auch nicht nur an so einem einzigen Fleck wie dem Stein von Bethel. Um die Offenbarung und Erscheinung Gottes geht es ja bei diesem Text für den 1.Sonntag nach dem Erscheinungsfest am 6.Januar. Aber wir begegnen Gott nicht an einem bestimmten heiligen Ort, sondern in unserem ganzen Leben, Handeln und Tun.

Da könnte man nun allerdings sagen: „Ist ja fein, wenn Gott nicht nur im Kirchgebäude wohnt und man ihn auch anderswo finden kann als im üblichen Gottesdienst, dann genügt es ja auch, wenn ich sonntags beim Kartoffelschälen den Radiogottesdienst höre!“ Ob man dabei aber wie Jakob den Himmel offen sehen kann, ist fraglich. Wir dürfen eben den Himmel offen sehen, wenn wir auf Jesus Christus sehen und auf das, was er uns von Gott erzählt hat. Hier offenbart sich uns Gott, und von hier können wir auch Kraft empfangen für unsere Wanderung durch den Alltag.

 

 

1. Mose 50, 15 - 22a (4. Sonntag nach Trinitatis):

Als Pfarrer ist man für alle Gemeindeglieder zuständig und muß alle gleich behandeln. Knifflig wird es, wenn nun Gemeindeglieder Streit miteinander haben. Meist handelt es sich dabei ja um Verwandte oder um Menschen, die im gleichen Haus wohnen. Der Pfarrer besucht sie aber alle miteinander. Die einen erzählen ihm, wie schlecht die anderen sind. Und wenn er bei den anderen ist, dann bekommt er zu hören, was jene aber Schlimmes getan haben. Partei ergreifen ist schlecht, weil man es dann mit dem anderen verdirbt. Jedem nach dem Munde reden, ist unehrlich. Da ist es schwer, eine Lösung zu finden, ohne anzuecken.

Dieser Konflikt macht deutlich, daß wir eine Gemeinde der Sünder sind. Oft hört man ja den Vorwurf: „Unter Christen dürfte es so etwas nicht geben!“ Das wird von Außenstehenden gesagt, die damit ihr Fernbleiben von der Gemeinde rechtfertigen wollen. Das wird aber auch von kirchlichen Leuten gesagt, die eine sehr ideale Vorstellung haben und die tatsächlich vorfindliche Gemeinde daran messen.

Manche haben sich dann ja auch schon von der landeskirchliehen Gemeinde getrennt und sich einer freikirchlichen Gemeinde angeschlossen. Sie hofften, dort ginge es strenger zu und da käme so etwas nicht vor. Aber machen wir uns keine Illusionen: Es wird überall nur mit Wasser gekocht. Eine ideale Gemeinde gibt es nirgends, wird sind immer eine Gemeinde von Sündern. Auch in der christlichen Gemeinde gibt einer dem anderen zu tragen, macht einer dem anderen zu schaffen, gibt es Enttäuschungen und Versagen.

Da hat jeder sicher schon seine Erfahrungen gemacht. Und wo einmal Böses geschehen ist, da heilt die Zeit keine Wunden. Da wird vielmehr gewartet auf die Zeit, in der einmal eine Vergeltung möglich sein wird. Mancher findet der Halt für sein Leben darin, daß er es eines Tages denen wird heimzahlen können, die ihm Böses angetan haben. So sind wir doch alle. Aber wir dürfen unser Sündersein nicht als etwas Normales ansehen. Gott muß uns vergeben und auch anderen, sonst ist das Zusammenleben überhaupt nicht mehr möglich.

Josephs Brüder haben deshalb nichts Gutes zu erwarten. Einst haben sie den Bruder in die Sklaverei verkauft. Nun ist er ein mächtiger Mann geworden. Durch seine Unterschrift und sein Siegel entscheidet er über Leben und Tod. Solange der alte Vater noch lebte, brauchten sie nichts zu befürchten. Damals achtete man den Vater noch und sein Wort galt; man wagte nichts zu tun, was ihn betrüben könnte. Aber jetzt war der Vater tot und Joseph würde sich sicher rächen für die Schmach, die sie ihm angetan haben. All das Gute, das er inzwischen in der Zeit der Hungersnot für sie getan hat, zählt nicht für sie.

Im Grunde sind diese Brüder immer noch die gleichen geblieben. Sie haben alle Wohltaten still entgegengenommen. Das entscheidende Wort sind sie bisher schuldig geblieben: Sie haben nicht ihre Schuld bereut und um Vergebung gebeten. Schon das ist peinlich, daß sie ihre Schuld solange haben anstehen lassen. Unbefriedigend ist aber auch die Art, wie sie ihre Bitte vorbringen. Sie kommen nicht, weil sie ihre Schuld eingesehen haben, sondern weil sie die Rache Josephs fürchten. Sie wissen, daß alle Schuld immer wieder ausgegraben werden kann und bei einem aktuellen Konflikt wieder hochkommt. Unser Gedächtnis ist da sehr leistungsfähig. Sie kommen nicht selber, sondern schicken erst einmal einen Unterhändler, der die Lage vorsichtig erkunden soll. Und sie verstecken hinter dem Wort des Vaters, das Joseph gleich in seinem Verhalten festlegen soll.

Das sind keine bußfertigen Sünder, sondern sie wollen nur möglichst billig davonkommen. Zuletzt erinnern sie noch wie zum Hohn an den gemeinsamen Gott. Aber das muß sie ja eher belasten, denn Joseph war ja auch ein Diener Gottes, als sie ihn damals verkauften. Hier ist also tatsächlich eine „Gemeinde der Sünder“ beschrieben, die es sich mit ihrem Schuldkonto noch leicht macht und auch in dieser Stunde noch den ganzen Ernst der Lage zu verschleiern sucht.

Das ist aber die Art der Menschen bis heute. Daß wir schwach sind und versagen, ist noch nicht einmal das Schlimmste. Viel zerstörender ist es, daß wir auf unsren Sünden beharrlich sitzen bleiben und unsre unmögliche Situation noch verteidigen. Das Wort will eben nicht heraus, das nun doch einmal gesprochen werden muß. Aber lieber beharren wir erst einmal auf unsrem „Recht“, anstatt gleich zu kapitulieren, wir versuchen erst einmal eine Art Kuhhandel anstatt mit einer halt schmerzhaften Buße alles zu bereinigen.

Aber Joseph ist anders. Er fühlt sich als Mensch unter Gott wie alle anderen Menschen. Und er denkt  m i t  Gott. Deshalb ist er frei von dem Zwang, die böse Tat immer wieder zu vergelten. Er steht über den Dingen und kann ehrlich und nüchtern sein.

Dabei hätte er allen Grund, erbost und entrüstet zu sein. Aber er weint zunächst nur. Das gibt seinen Brüdern Mut, nun selbst zu ihm zu kommen. Dadurch ist ein wichtiger Schritt getan, daß alles wieder in Ordnung kommen kann.

Zunächst sagt Joseph: Ich bin ja gar nicht zuständig für die Vergebung eurer Schuld. Gott allein kann Vergeben. Und er  h a t  euch vergeben. Ich kann nur gelten lassen, was Gott in dieser Sache längst an euch getan hat, ich kann e  nicht verdrängen oder durchkreuzen. Das Böse, das die Menschen anrichten, kann letztlich nur von Gott aus der Welt geschafft werden. Selbst wenn jemand seine Schuld vor den Menschen gesühnt hat, indem er zum Beispiel im Gefängnis gesessen hat‚ so muß die Schuld bei Gott noch längst nicht beglichen sein. Wenn in einer Ehe oder Familie ein Vertrauensbruch oder sonst eine Verfehlung unaufgedeckt geblieben ist, dann besagt das noch nicht, daß die Luft rein ist und das Unausgeräumte nicht wieder Macht gewinnen kann.

Aber Gott will ja vergeben und er hat auch er Brüdern Josephs vergeben. Ihre Schuld wird nicht beschönigt, aber in einem überraschend neuen Zusammenhang gesehen. Joseph dankt Gott dafür, daß er Böses in Gutes verwandelte: „Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen!“ Dem kann Joseph nur zustimmen. Er ist ja längst zu seinem Recht gekommen, ihm geht es ja viel besser als den Brüdern. Er hat ja längst seinen Halt im Leben gefunden und braucht sich nicht mehr an die Rache zu halten.

Was Joseph hier zu den Brüdern sagt, ist Gottes Wort. Sie brauchen nun keine Angst mehr zu haben, dieses Wort könnte wieder umgestoßen werden. Joseph ist bei all seinem Aufstieg nicht hochmütig geworden, sondern er bleibt u n t e r  Gott, weil er ja so viel Gnade von Gott erfahren hat.

Allerdings bleibt Gott in der ganzen Josephsgeschichte ganz im Hintergrund. Es handelt sich fast um eine rein weltliche Geschichte (Deshalb konnte sie Thomas Mann auch in einem umfangreichen Roman verarbeiten). Und doch gehört diese Geschichte in die Bibel. Sie macht nämlich deutlich, wie im menschlichen Handeln Gott am Werk ist. Gott wirkt nicht nur im Sonderbaren und Wunderhaften, sondern zuerst einmal im gewöhnlichen Ablauf der Dinge. Gott wirkt nicht in den Lücken, sondern im Ganzen. Gott hat ja keine Hände und Füße wie wir. Er handelt immer durch Menschen. Und dabei kann er sogar die menschlichen Untaten für seine Zwecke nutzen.

An zwei Stellen der Josephsgeschichte wird das gesagt, sie sind der Schlüssel zum Verständnis der ganzen Erzählung. Eine Stelle ist unser heutiger Predigttext. Wegen dieser beiden Verse hat die Geschichte auch uns heute noch etwas zu sagen.

Auch wir Christen sind und bleiben Sünder. Wir tun die gleiche Sünde wie die Brüder Josephs: Neid, Eifersucht, Haß. Gerade in einer Zeit, in der der Wohlstand immer größer wird, wird diese Sünde immer aktueller: Warum hat der Bruder eine so große Lohntüte und ich noch nicht, warum hat der Kollege schon einen Wagen und ich noch nicht? Da wird man leicht gereizt und knurrt sich nur noch an, anstatt sich einmal auszusprechen. Schließlich wollen wir den anderen an seinem Erfolg gar noch hindern oder ihn abbremsen. Daraus entsteht Schuld, die wiederum schlechtes Gewissen und Angst erzeugt.

Doch Stolz und Ratlosigkeit hindern uns, den einzig möglichen Weg zu beschreiten, hin zum anderen Menschen zu gehen und ihn um Vergebung zu bitten Wir wollen unser Gesicht nicht verlieren und verlieren dabei uns selbst. Daraus entstehen ja gerade die seelischen Krankheiten, die sich nachher auch körperlich auswirken.

Dabei ist es mit der Vergebung doch gar nicht so schwer, gerade wenn der andere auch ein Christ ist. Er wird ja dann wissen, daß er auch ein Sünder ist, der die Vergebung Gottes nötig hat. Er wird die Vergebung Gottes gelten lassen, er wird Gott handeln lassen, ehe noch wir Menschen etwas dazu haben beisteuern können. Letztlich ist es allein Gottes Güte, die uns zur Umkehr treibt.

Das ist uns Christen ja noch deutlicher als den Menschen des Alten Testaments. Was Joseph sagt, ist erst wahr in Jesus Christus. Jesus Christus ist ja für die Sünden aller Menschen gestorben, für meine und für die meines Mitmenschen. Er gedachte „alles gut zu machen“ und hat mit seinem Leben dafür bezahlt.

Nun dürfen wir auf Vergebung hoffen und dürfen sie auch empfangen. Wir brauchen uns nicht mehr im Gestrüpp unserer Schuld zu verlieren und zu verzweifeln. Jeder Gottesdienst ist eine Gelegenheit, sich auf die Gnade und Geduld Gottes zu besinnen.

Aber wir sind auch diejenigen, die um Vergebung angegangen werden, so wie Joseph. Die Schuld der anderen ist nicht ein Faustpfand, ein Machtmittel in unsrer Hand, mit dem wir den anderen ängsten und quälen können. Schuld ist immer zuerst Schuld vor Gott. Und wenn er

bereit ist zur Vergebung, dann können wir diese Vergebung nicht hinauszögern oder gar vorenthalten. Dann dürfen wir uns nicht mehr mit dem Bösen des anderen (!) beschäftigen und zum eigenen Vorteil aufrechnen. Wenn wir uns unter Gott stellen, dann geben wir dem Guten eine Chance so wie Joseph.

Gott will ja auch uns halten, trotz des Bösen, das unter uns geschieht. Er bedient sich sogar einer Gemeinde von Sündern, um sein Reich in unsre Welt kommen zu lassen. Oft scheinen wir lange Zeit nichts von der Hand des allmächtigen Gottes zu spüren. Joseph mußte auch lange warten, bis sich sein Geschick wendete. Aber Gott handelt auch dann, wenn er anscheinend nichts tut. Er hilft uns immer wieder weiter, auch wenn wir es nicht verdient haben.

(Gerade weil wir unter Gott stehen, lassen wir der Welt nicht ihren Lauf. Wir sind nicht willenloses Rädchen im Getriebe, sondern treibende Kraft. Allerdings stammt diese Kraft nicht von uns selber, sondern wir müssen sie täglich neu erbitten. Aber so können wir mit dazu beitragen, daß die Furcht in Kirche und Welt abnimmt. Keiner kommt zu kurz, keinem widerfährt nur Böses - Gott wird alles gut machen).

 

 

2. Mose 3, 1 - 10 (11 - 14) (Letzter Sonntag noch Epiphanias):

Manche Leute wundern sich, daß auch die Kirche eine Hausnummer hat. Das zeigt aber doch, daß sie zunächst einmal ein Haus wie jedes andere ist: sie hat Fenster und Türen, ein Dach und sogar einen Turm. Vor allem die Türen sind wichtig, denn sie bedeuten doch: In dieses Haus kann man hineingehen, hier kann man sich versammeln, auch andere Leute treffen, etwas gemeinsam tun. Ganz allgemein kann man sagen: Mit diesem Haus kann man etwas anfangen!

Allerdings ist die Kirche auch wieder ein anderes Haus als die anderen. Wir sagen, sie ist das „Haus Gottes“. Aber natürlich wohnt Gott hier nicht, jedenfalls in dem Sinne, wie wir in einem Haus wohnen. Gott läßt sich überhaupt nicht auf einen Ort festlegen und schon gar nicht in Mauern aus Stein und Holz einschließen.

Und doch wohnt Gott hier. Er ist hier, wenn Menschen sich in seinem Namen versammeln, auf sein Wort hören und zu ihm beten. Wenn hier Gottesdienst ist oder Taufe oder Trauung, dann wohnt er hier. Ja er ist sogar da, wenn nur ein Mensch sich still in die Bank setzt und an ihn denkt. Ohne die Menschen ist dieses hier ein totes und nutzloses Gebäude. Mit den Menschen aber ist es eine Wohnung Gottes.

Das Entscheidende ist also nicht das Gebäude, sondern daß Menschen mit Gott in Verbindung treten wollen. Oder sagen wir es richtiger: Wo und wann sich Gott einem Menschen offenbaren will, das liegt bei ihm. Aber wenn er es will, dann ist jeder Platz und jede Zeit

recht dafür. Das mußte auch Mose erfahren, bei dem sich der unbekannte Gott meldete und ihm zeigte, wo er zu finden ist, wie er an den Menschen interessiert ist und wie er sich von ihnen rufen läßt.

 

Wo ist Gott zu finden?

Gott meldet sich nicht irgendwo, sondern an einem ganz bestimmten Ort. Dieser kann zum ganz Alltäglichen gehören. Als Mose mit den Schafen zu den höher gelegenen Weideplätzen zieht, denkt er nur an das bessere Futter. Als er dem brennenden Dornbusch sieht, denkt er nur an ein Naturschauspiel. Er will es untersuchen. Aber auf einmal dreht sich die Blickrichtung um: Gott spricht ihn an und will ihn auch gleich als Werkzeug haben.

Vor einigen Jahrzehnten sprach man noch davon, daß wir auf ein „religionsloses Zeitalter“ zugingen. Dessen sind wir uns heute nicht mehr so sicher. Es hat bei manchen Leuten doch ein neues Fragen nach der Kirche eingesetzt. Und manche Marxisten und Atheisten geben schon zu, daß man ohne den Beitrag der Christen die Fragen des Lebens und der Welt nicht bewältigen kann.

Aber euch wenn wir auf ein religionsloses Zeitalter hinsteuerten, dann würde Gott vor dieser Lage nicht kapitulieren. Der Graf von Zinzendorf hatte eine ganz weltliche Laufbahn vor sich. Aber bei der Bettachtung eines Bildes wurde er zu Christus geführt. Es war nicht einmal in einer Kirche, sondern in einer Bildergalerie. Dort sah er das Bild des gekreuzigten Jesus mit der Unterschrift: „Das tat ich für dich - was tust du für mich?“ Von da an wollte er auch etwas für Christus tun. Auf seinem Gut nahm er die vertriebenen Böhmischen Brüder auf und es entstand daraus die Brüdergemeine, deren Losungen wir gern benutzen.

Ich hoffe, daß es auch manchen Schulkindern so geht, wenn sie ihr Geschichtsbuch aufschlagen. Es gibt nämlich Bücher mit dem berühmten Kreuzigungsbild von Matthias Grünewald aus dem Isenheimer Altar. Früher stand darunter nur „Gekreuzigter“ heute heißt es zutreffender: „Kreuzigung Christi“. Ob da nicht doch einmal einer mehr über diesen Jesus erfahren will? Das nationale Kulturerbe kann man nicht nur als eine Leistung der Vergangenheit betrachten. Es gibt ja auch noch heute Christen, die sich zu diesem Christus bekennen. Gottes Wege sind manchmal wunderbar. Auch durch die Kunst kann er auf sich aufmerksam machen.

Wenn aber vielleicht mancher von uns meint, er habe noch keine Gotteserfahrung gemacht, dann muß man ihm sagen: Es kann jeden Augenblick geschehen, wo und wann Gott es will. Mose hat dieses Erlebnis nicht gesucht. Aber auf einmal stellte er fest: Gott kennt mich!

Das war einerseits erschreckend für ihn, denn er hatte ja einen Menschen totgeschlagen. Andererseits aber war es auch beglückend für ihn, denn nun wurde ihm wieder eine Zukunft eröffnet.

Wir brauchen nicht mehr zum Sinai oder zum Tempel in Jerusalem zu pilgern, wenn wir Gott treffen wollen. Gott hat für uns in der Krippe von Bethlehem und in Nazareth. in Galiläa gewohnt. Und heute begegnet er uns in Wort und Sakrament. Wir haben ihn zwar noch nicht mit unsren Augen gesehen (das konnte Mose auch nicht), aber wir haben seine Stimme gehört, und sei es hier und heute zum ersten Mal.

 

Gott ist auch heute noch unter uns.

Gott ist an den Menschen interessiert: Die Arbeit als Schafhirte hat dem Mose gar nicht in den Plan gepaßt. Unten am Nil schreit die Not zum Himmel und es wäre so viel zu tun. Er aber hütet in den Bergen die Schafe. Eigenmächtig hatte er das Eingreifen Gottes erzwingen wollen: Er hatte einen Ägypter erschlagen, um damit ein Zeichen zum Aufruhr zu geben. Doch dann mußte er fliehen. All seine Hoffnungen schienen zunichte zu sein.

Doch Gott handelt oftmals anders, als wir es für wünschenswert halten. Er geht Umwege und Seitenwege. Aber gerade wenn wir meinen, es sei alles verloren, dann kann bei ihm alles zum Besten stehen. Den eigenmächtigen Befreier hat er mattgesetzt. Aber natürlich kennt er die Not seines Volkes. Gott hat sein Volk lieb und ist an ihm interessiert. Gott leidet mit, wenn Menschen von anderen Menschen unterdrückt und ausgebeutet werden. Schon hat er sich aufgemacht, um zu retten. Er weiß schon, wie es weitergehen wird. Aber nicht Mose wird der Retter sein, sondern Gott rettet durch Mose.

Im Neuen Testament geht es um eine noch größere Befreiung. Da will Gott uns durch Christus befreien aus der furchtbaren Umklammerung, in die wir durch unsre Schuld geraten sind und die unser Leben hoffnungslos gemacht hat. Aber das ist alles schon Vergangenheit, denn durch Christus leben wir in der Gottesliebe.

Auch heute will Gott möglich machen, was uns unmöglich erscheint: die Lösung unsrer Umweltprobleme, den Frieden, die Beseitigung des Hungers, die Bewältigung von Krankheit und Abhängigkeit. Dazu gehört auch das gestörte Verhältnis zu einem Menschen, eine Bindung oder eine Sucht, die einen immer wieder aufs Neue gefangennimmt. Da gibt es Ängste und Hoffnungslosigkeit. Das ist unsre ägyptische Gefangenschaft, aus der uns Gott herausholen will.

 

Gott läßt sich von uns rufen:

Es ist eine Ausrede, wenn einer sagt: „Wenn Gott mir so erschiene wie dem Mose, dann könnte ich auch an ihn glauben!“ Gott hat auch heute Mittel und Wege, um sich mitzuteilen. Wer sich davon nicht ansprechen läßt, dem hilft auch keine Gotteserscheinung.

Andererseits wären wir ja auch gar nicht darauf gefaßt, plötzlich in unserer Wohnung oder im Wald oder sonstwo die Stimme Gottes zu hören. Uns kommt es doch immer so vor, als lebte Gott in einem anderen Raum. Im Gottesdienst hören wir die christlichen Begriffe. Aber im Alltag kommt das Wort umso weniger vor. Deshalb könnten wir nur noch mehr erschrecken als Mose, wenn plötzlich tatsächlich Gottes Stimme zu hören wäre.

Deshalb mildert Gott die Wirkung seiner Heiligkeit ab, für unser Erfahren und Erleben jedenfalls: Er äußert sich durch den Mund eines anderen Menschen oder durch ein Buch oder durch ein Erlebnis, das uns erst nachher als ein Handeln Gottes deutlich wird. Wenn er sich aber zu erkennen gibt, dann bedeutet das, daß wir ihn auch anrufen können.

Gott gibt uns die Möglichkeit, ihn immer wieder anzurufen, weil er seinen Namen bekanntgegeben hat. Das Märchen vom Rumpelstilzchen macht uns deutlich, welche Bedeutung der Name hat: Erst als die Königstochter den Namen des kleinen Kobolds kennt, verliert er

seine Macht und sie hat ihn in der Hand. Wer seinen Namen offenbart, gibt sich in gewisser Weise dem anderen preis.

Bei Gott allerdings ist es noch etwas anders: Wo er seinen Namen kundtut, da tritt er seine Macht erst an. Niemand kann Gott in seine Gewalt kriegen, weil er einen Namen hat, der über alle Namen ist. Er läßt sich aber soweit herab, daß er Mose seinen Namen nennt, damit er es bei seinem Volk nicht so schwer hat.

Der Name Gottes bedeutet so viel wie „Ich werde für euch da sein“. Es geht also gar nicht um einen Eigennamen oder die Beschreibung des höchsten Wesens. Im Namen drückt sich aus, wer Gott für uns ist. Er will nicht für sich allein sein oder in irgendeinem finsteren Gemäuer hocken, sondern will bei den Menschen sein, will mit ihnen reden und von ihnen angerufen werden.

Mose kann allerdings keinen anderen Gott nennen als den, den sie schon kennen, eben den Gott der Väter. Wer ein Schwärmer ist, der achtet die Glaubensüberlieferung der Väter gering, weil er eine unmittelbare Gotteserfahrung möchte. Aber wir fangen im Glauben nicht neu an, sondern wir stehen auf den Schultern derer, die vor uns geglaubt haben. Gerade wenn wir an Gottes guten Absichten zweifeln, weil uns ein schweres Geschick betrifft, sollten wir auf die lange Geschichte sehen, die Gott schon mit uns gegangen ist. Dieser Blick nach rückwärts beseitigt zwar noch nicht die Not des Augenblicks. Aber unter Umständen können wir dann doch einen Sinn in dem allen finden und werden neu zum Glauben ermutigt.

Letztlich haben wir es ja doch leichter als Mose: Wir kennen den Namen Jesu und können ihn anrufen. Er trägt den Namen, der über alle Namen ist, und ist uns doch ganz nahe. Seit seinem Kommen ist noch einmal ein heilsgeschichtlicher Sprung geschehen. Wir wissen nicht nur von der Befreiung aus Ägypten, sondern von der Befreiung von allem Bösen und von allen Mächten dieser Welt.

 

2. Mose 12, 1.3-4. 6-7. 11-14 (Gründonnerstag):

Wenn einer auf eine lange Reise geht, dann liegt über dem letzten Abend eine besondere Stimmung: Man sitzt noch einmal in aller Ruhe zusammen, erinnert sich noch einmal an das Gewesene und spricht von der Zukunft. Man verspricht, auch weiterhin in Verbindung zu bleiben, man freut sich auf ein Wiedersehen. Man ißt und trinkt miteinander, man ist fröhlich, aber vielleicht auch ein wenig wehmütig.

So mag es auch gewesen sein, als Jesus am letzten Abend mit seinen Jüngern zusammengesessen hat. Er hat mehrfach festliche Mahlzeiten mit ihnen gehalten; aber diesmal war es wohl doch etwas Besonderes. Jesus gestaltet alles wie zum Passafest: Es wird alles zugerichtet wie beim Passa, Jesus spricht die Danksagung, einer der Becher wird für den Nachtisch aufgehoben. Jesus weiß: Morgen am eigentlichen Passahtag wird er nicht mehr bei seinen Jüngern sein, deshalb nimmt er das Fest schon vorweg.

Gesprochen haben wird er über unseren Predigttext, über das Geschehen beim Auszug aus Ägypten: Der Pharao wollte das Volk nicht gehen lassen. Die ägyptischen Plagen zwangen ihn immer wieder zum Einlenken. Doch kaum hatte sich der Druck gemildert, da zog er all

seine Versprechungen zurück. Erst die letzte und schwerste Plage sollte schließlich die Freigabe des Volkes bringen.

Jetzt soll alle Erstgeburt in Ägypten verrichtet werden, bei Mensch und Vieh. Nur die Israeliten sollen verschont werden: Wenn sie ihre Türen mit Tierblut kennzeichnen, dann wird der „Würger“ bei ihnen vorübergehen. Sie werden verschont bleiben, sie werden noch einmal

das Passahlamm miteinander feiern können in der Gemeinschaft der Familie und dann in die Freiheit aufbrechen.

Etwas von diesen drei Elementen findet sich auch bei unsrem Abendmahl. Jesus hat es nicht in den völlig leeren Raum hineingesetzt, sondern schon Bekanntes fortgeführt und neu gedeutet. Die neue Pflanze wurde in den alten Boden eingesetzt; sie wird etwas anderes als der Boden, aber sie lebt doch aus diesem Boden. So schafft Jesus ein neues Passafest durch das Abendmahl. Aber auch in ihm gibt es Verschonung, Zusammenschluß und Aufbruch.

 

1.Verschonung: Wir werden uns vielleicht wundern über allerhand Allzumenschliches bei den Israeliten: Ihre Schadenfreude über die Schicksalsschläge gegenüber dem Zwingherrn, dem sie dann sogar noch kostbare Gegenstände ablisten können. Sie aber werden aus dem grausigen Gerichtsgeschehen auf wunderbare Weise ausgespart.

Aber kommt nicht in einem Winkel. unseres Herzens auch solche Schadenfreude auf, wenn wir feststellen: So verfährt Gott mit der bösen Welt, und so sorgsam ist er auf das Wohl seiner lieben Kinder bedacht. Selbstverständlich rechnen wir uns dabei zu den Kindern Gottes und nehmen ganz selbstverständlich an, daß uns nichts passieren wird.

Aber ein Strafgericht Gottes können wir nur mit Herzklopfen wahrnehmen, auch wenn wir wissen, uns trifft es nicht. Gott will doch, daß alle Menschen gerettet werden. Und wenn ein ganzer Teil bestraft werden muß, dann kann uns das nur leidtun. Und wenn wir selber verschont werden, dann kann uns das nur mit Dankbarkeit erfüllen, immer wieder.

Es ist ja nicht so, als könne dem Volk Gottes und dem einzelner Christen nichts Arges widerfahren. Christusnachfolge ist keine Lebensversicherung und auch keine Methode, Schadensfälle von vornherein unmöglich zu machen. Andererseits könnte einer im vordergründigen Sinne ein Glückskind sein, gesund und erfolgreich und ohne Probleme, aber am Ende doch Strafe erfahren, weil er mit Gott nicht im Reinen ist.

Verschonung ist ein wunderbares Geschehen. An sich hätten alle Strafe verdient und hätte es jeden treffen können. Und doch können einige das Gericht überstehen und werden durch Gottes Gnade verschont. Auf einmal mußte auch das Volk Israel erkennen: gefährlicher als der Pharao ist im Grunde der „Würger“, der vor Tür zu Tür geht und der im Grunde doch mit Gott gleichzusetzen ist.

Wir fragen vielleicht: Weiß Gott denn nicht, wer in den Häusern wohnt? Müssen sie extra für ihn gekennzeichnet werden? Kann er denn nicht verschonen, ohne daß Blut vergossen wird? Warum brauchte er auch das Blut Jesu, um sich mit der Welt zu versöhnen?

Gott ist eben keine Idee, seine Liebe wird nicht nur proklamiert (verkündet), sondern auch gelebt. Er ist ein geschichtlich wirkender Gott, der sich sichtbarer Zeichen bedient. Deshalb mußten im Volk Israel die Lämmer geschlachtet werden und das Blut an die Türpfosten gestrichen werden. Und deshalb mußte auch Jesus seinen schweren Gang gehen, damit sein Blut Verschonung bewirken kann. Das hat nichts mit Magie und Zauberei zu tun, sondern mit dem in der Geschichte handelnden wirklichen Gott.

 

2. Zusammenschluß: Durch das gemeinsame Essen entsteht aber auch eine Gemeinschaft, die mit jeder Mahlzeit tiefer wird. Man hat nicht nur Anteil an dem, was es zu essen und zu trinken gibt, sondern man wird auch mit denen verbunden, die an der Mahlzeit teilnehmen. Man ist verbunden mit dem, was „oben“ ist; aber über dies Gemeinsame ist man auch untereinander verbunden. Es gibt also sozusagen eine Gemeinschaft in der Senkrechten und in der Waagrechten.

Wenn ein Lamm für eine Familie zu viel war, dann mußte sie sich mit einer anderer nachbarschaftlich zusammenschließen. Gemeinschaft entstand also nicht durch die natürliche Gegebenheit der Familie, sondern durch das Beteiligtsein an demselben Passalamm. Auch die Urgemeinde in Jerusalem hat das Abendmahl in den Häusern gehalten, also in kleinen überschaubaren Gruppen.

Auch heute entspricht es offenbar einem verbreiteten Bedürfnis, daß man sich in kleinen Kreisen zusammenfinden will. Bis zu 15 Leuten etwa, das ist eine gesprächsfähige Gruppe, da ist persönliches Vertrautsein und Lebensgemeinschaft möglich. Die üblichen Kirchengemeinden und der Gottesdienst sind vielfach zu unpersönlich und förmlich, auch wenn die Zahlen im Vergleich zu früher wesentlich kleiner geworden sind.

Das Unverbindliche muß es in der Kirche auch geben, daß man auch einmal kommen kann, ohne gleich vereinnahmt zu werden. Aber gerade heute muß es auch die Familienfeier und Nachbarschaftsveranstaltung geben. Wir brauchen die Gruppe mit ihren wirksamen sozialen Beziehungen, die Überschaubarkeit und das Vertrautsein.

Unser Ort und unsere Gemeinde ist zwar auch noch weitgehend überschaubar, man kennt sich von Angesicht und dem Namen nach. Aber was weiß man wirklich vom anderen? Was wissen die Älteren von den Jüngeren? Und wie ist es mit den Gästen von außerhalb, die manchmal auch mit zum Abendmahl kommen?

Manche Gemeinden versuchen da neue Wege. Sie verbinden etwa das Abendmahl mit einem richtigen Essen, bei dem man sich erst einmal kennenlernen kann und die Steifheit überwinden kann. Eingebürgerte Sitten müssen nicht für alle Ewigkeit konserviert werden. Man kann zum Beispiel Abendmahl im Hauskreis feiern. Alte Gemeindeglieder, die weit von der Kirche entfernt wohnen, können noch einige Nachbarn zu sich einladen und dann den Pfarrer dazu bitten. Nach dem Abendmahl kann man dann noch etwas zusammensitzen und die be­ste­hen­de Gemeinschaft neu stärken und vom Sakrament her zugleich vertiefen.

Nur muß man dabei beachten, daß das Abendmahl natürlich auf die ganze Gemeinde angelegt ist. Jesus hat sein Leben gegeben zu einer Erlösung für viele, aus dem Kelch sollen alle trinken. Schloß das Passahlamm der Juden die Familie und Nachbarschaft zusammen, so vereinigt das Abendmahl die ganze Kirche. Man darf also auch bei häuslichen Abendmahlsfeiern den Blick auf das Ganze nicht verlieren. Es ist nicht gut, wenn in einer Gemeinde Abendmahlsfeiern stattfinden, von denen die Gesamtgemeinde und der zuständige Pfarrer nichts wissen. Das führt dann leicht zum Sektenwesen und zur Spaltung, das ist nicht im Sinne des Abendmahls.

 

3. Aufbruch: Aber im Abendmahl richtet sich der Blick auch in die Zukunft. Das Passafest der Juden wird in einer Stimmung des Aufbruchs gefeiert, so als müßte man heute noch aus Ägypten ausziehen in eine Zukunft hinein, die Gott seinem Volk bereiten wird. Auch das Abendmahl Jesu steht im Zeichen des Kommenden. Wir haben den Herrn nicht mehr leibhaft vor Augen, sondern nur noch verhüllt in Brot und Wein gegenwärtig. Doch wir warten darauf, daß diese Verhüllung einmal fällt und wir ihn schauen von Angesicht zu Angesicht.

Andererseits nimmt aber das Abendmahl auch wieder voraus, daß wir einmal Jesu Tischgäste im Himmel sein werden. So wie Jesus in der Stunde vor der Verhaftung schon die Verherrlichung vorweggenommen hat, so dürfen wir im Abendmahl ein Stück Himmel auf Erden erleben. Wir haben zwar auch dringliche Aufgaben in der Welt. Aber es gibt auch ein lohnendes Ziel im Himmel.

Menschen im Aufbruch kleben nicht an dem, was sie; sie hängen ihr Herz nicht an das, was es zu verlassen gilt; sie verwenden nicht unnötige Mühe an das, was sie zurücklassen wollen. Vielmehr beginnen sie ihre Zukunft und leben für das Neue. Christen haben das Beste immer v o r sich.

 

2. Mose 20, 1 – 17 (18. Sonntag nach Trinitatis):

Als ein Großvater einmal seine Enkel von der Bahn abholte zu einem längeren Besuch, da , sagte der Große zum Kleinen: „Jetzt kommen wir zur Großmutter, da darfst du das Wort mit dem Sch….nicht mehr sagen!“ Sie werden sich denken können, daß das Wort nicht so ganz stubenrein war. Aber das hatte der Siebenjährige schon begriffen: Es gibt Regeln im Leben, an die muß man sich halten. Die Eltern stellen Regeln auf, die Großeltern, die Schule, der Staat - überall sind wir von Regeln umstellt.

Gottes Regeln sind die Zehn Gebote. Nicht genug, daß Menschen uns Vorschriften machen. Jetzt kommt auch noch Gott als der Übervater und will uns Gebote geben, die noch über allen anderen Regeln stehen. So denken doch gern Menschen, die sich in ihrer Freiheit nicht einen-

gen lassen wollen, die Spaß haben wollen ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse anderer Menschen, die sich im Kampf um die besten Futterplätze durchsetzen wollen und nur ihren eigenen Vorteil gehen lassen. Aber wenn ich sage „Die Menschen denken so“, dann müssen wir alle uns auch darin einschließen.

Wir sehen Gottes Gebote immer noch als eine schwere Last an. Das wird auch mit daran liegen, daß die Kirche immer als Wächterin über die Moral der Menschen angesehen wurde. Den Konfirmanden sollten vor allem die Zehn Gebote eingebleut werden einschließlich der Erklärungen Martin Luthers. Der Vater sagte: „Geh nur dort hin, da lernst du nichts Schlechtes!“ Und wenn die Konfirmanden dann bei der sogenannten „Prüfung“ die Gebote aufsagen konnten, dann war der Unterricht erfolgreich.

Doch dabei kommt gar nicht in den Blick, daß die Gebote nicht vom Himmel gefallen sind,

um wie eine fremde Macht über die Menschen gestülpt zu werden. Vielmehr sind sie Folge des Bundes, den Gott mit dem Volk Israel und in einem weiteren Sinne mit allen Menschen geschlossen hat. Erst hat er ihnen geholfen beim Auszug aus Ägypten und sie durch das Meer gebracht. Erst einmal hat er deutlich gemacht, daß er sich aus freien Stücken für dieses Volk interessiert und ihm beistehen will.

Doch bei dieser einmaligen Hilfe soll es nicht bleiben. Am Berg Sinai schließt Gott einen Bund mit dem Volk Israel, bei dem zuerst einmal e r bestimmte Verpflichtungen eingeht: Er will ihr Gott sein, will sie führen und beschützen, will ihr Leben erhalten und gestalten, will ihnen Hoffnung und Zukunft geben. Erst daraus ergibt sich dann, daß natürlich auch der andere Partner bestimmte Verpflichtungen übernehmen muß. Doch Gottes Gebote sind kein hartes Gesetz, sondern sie sind als Hilfe gedacht, zum Wohl der Menschen, als Leitfaden und Geländer für das Leben.

Gottes Gebote sind wie ein Tafelberg: An den Rändern gibt es steile Abstürze, aber oben ist eine große ebene Fläche, auf der man sich frei bewegt. Der Mensch hat viel Spielraum für die eigene sittliche Entscheidung. Nur ganz am Rand der Fläche, da stehen noch einmal die Gebote als letzte Warnung, ja sogar als ein Geländer, das den Menschen unmißverständlich zurückhalten will. Wer das Geländer dennoch übersteigt oder es sogar wegräumt, der stürzt unweigerlich ab.

Doch zunächst einmal sind die Gebote der Ausdruck dafür, daß Gott dem Menschen Freiheit lassen will. Nur haben die Menschen dann doch wieder aus den „Zehn Freiheiten Gottes“ - wie Jörg Zink das genannt hat - ein engmaschiges Gitter an kleinlichen Vorschriften gemacht. Das war so bei den Juden zur Zeit Jesu, die den Gläubigen rund tausend Verbote und Gebote auferlegten, zum Beispiel daß Fleischspeisen nicht mit Milch in Berührung kommen dürfen oder daß man am Feiertag kein Feuer anzünden darf

Im Islam ist es nicht anders gelaufen. Der Koran ist an sich einfach und menschenfreundlich. Aber die Mullahs haben daraus die Scharia entwickelt, das islamische Gesetz, nach dem die Frauen zum Beispiel das Kopftuch, den Schleier oder sogar den Mantel mit Gitter vor den Augen tragen müssen. So hat man über die freie Welt der Menschen ein Gitter gestülpt, sie eingeteilt in kleine Räume, in denen man immer irgendwo aneckt.

Aber auch beim Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland war es nicht anders. Ursprünglich war es kurz und einfach, aus einem Guß. Bis heute hat es über 100 Änderungen erfahren. Und immer wo das Grundgesetz heute ausführlich wird, da hat man später etwas „verbessern“ wollen. Das ist die Regelungswut der Menschen, das Bestreben, alles perfekt zu machen und ja keinen Sonderfall zu übersehen.

Auch in der Familie gibt es die Tendenz zum Aufstellen von Regeln, zwischen den Eheleuten und zwischen den Generationen. Regeln müssen sein (s.o.). Aber es besteht auch die Gefahr der Willkür. Das fängt ja schon bei der Frage an: Wer stellt die Regel auf? Ist es nur der Vater oder nur die Mutter? Oder wird demokratisch abgesprochen, wie man es in Zukunft halten will? Wer wacht über die Einhaltung der Regeln und wer spricht Strafen aus bei möglichen Übertretungen?

Regeln, Gesetze und Gebote sind in erster Linie eine Hilfe. Sie halten die Erfahrungen von Generationen fest, so daß nicht jeder wieder bei Null anfangen muß. Wenn man etwas entscheiden muß, dann sollte man sich zuerst einmal danach umsehen, ob es schon eine Regelung dazu gibt und diese dann auch zuversichtlich und froh übernehmen. Natürlich kann ein Gesetz nicht alles regeln. Das Leben ist vielfältiger, als Gesetze es einfangen könnten. Es bleibt immer noch genug, worüber man sich absprechen muß.

Aber über den Regelfall sollte es doch keine Diskussion mehr geben. Das gemeinsame Leben gelingt besser, wenn alle bereit sind, sich an die Regeln zu halten, die andere vor ihnen aufgestellt haben oder über die sie sich selber einmal mit anderen verständigt haben. Es geht nicht so, wie es mir einmal Kirchenvorsteher gesagt haben. Sie meinten, Gesetze seien doch nur Vorschläge, an die man sich halten könne, die man aber auch außer Acht lassen könne. Es gibt ja schließlich staatliche und kirchliche Gesetze. Tarifverträge zum Beispiel müssen eingehalten werden. Erst wenn man sich bemüht hat, das Gesetz ins wirkliche Leben umzusetzen, kann man vielleicht auch einmal im Einzelfall von der Regel abweichen, um das umzusetzen, was das Gesetz sinngemäß wollte.

Doch dagegen wird dann eingewandt: „Kein Gesetz ohne Ausnahme!“ Doch wer das sagt, will natürlich selber allein bestimmen, was gemacht wird. Das ist nämlich die Gefahr, wenn man kein Gesetz und Gebot über sich gelten lassen will. Sehr schnell ist man dann bei Anarchie und Terrorismus. Der Anarchist sagt: „Es darf gar keine Gesetze geben, nur ich selber bin mir Gesetz!“ Und der Terrorist sagt: „Ich allein weiß, was für die Menschen gut ist: und wenn sie das nicht einsehen wollen. dann muß ich sie zu ihrem Glück zwingen!“

Natürlich sind auch die Gebote Gottes hart. Dieses „du sollst/du sollst nicht“ ist schon eine Zumutung für einen Menschen, der sich nicht diskussionslos einem anderen Willen beugen will und Entscheidungen nicht an einen anderen delegieren will, weil er alles selbst bestimmen will. Gottes Gebote wollen aber nicht einfach hingenommen, sondern begriffen werden. Sie sind unverrückbare Grenzsteine, die angeben, wie weit sich der menschliche Spielraum erstreckt.

Aber wie so ein Gebot konkret zu erfüllen ist, das haben wir selbst ausfindig zu machen. Insofern mußten die Gebote auch schöpferisch weiterentwickelt werden: Das Gebot „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren“ bezog sich ursprünglich nur auf erwachsene Menschen, die ihre alt gewordenen Eltern nicht abschieben sollten, heute beziehen wir es auf alle Generationen und eine Fülle von Fällen (zum Beispiel auch auf jenes ominöse Wort, das die Großmutter nicht hören will).

Das fünfte Gebot verstehen wir nicht so, daß man zwar nicht morden darf, das Töten im Krieg oder bei einer Abtreibung aber erlaubt ist. Und stehlen meint nicht nur, daß man dem anderen etwas aus der Tasche zieht, sondern hier geht es um den ganzen Bereich der sozialen Ordnung, um gerechten Lohn und um Hilfe für die Zukurzgekommenen. Und schon gar nicht tut man einen Ladendiebstahl als Kavaliersdelikt ah. Wer sein Leben in der Verantwortung vor Gott führt, der überholt auf der Autobahn nicht rechts, usw. usf.

Aber das alles ist keine Fessel für den Menschen. Das Tier muß seinen Instinkten folgen. Der Mensch aber darf sich entscheiden. Natürlich hofft Gott, daß er sich an den Zehn Geboten ausrichtet, ohne darüber zu stöhnen.

Machen wir es uns deutlich am Beispiel der Ehe. Gottes Gebot sagt: „Du sollst nicht ehebrechen!“ Das ist doch eine viel bessere Grundlage für eine Ehe als alles Verliebtsein und die Stimmung des eigenen unzuverlässigen Herzens. Daß zwei Eheleute ihren Halt im Gebot Gottes suchen, das bindet sie fester aneinander als das wetterwendische Wollen des eigenen Herzens. Und in ihren Enttäuschungen glauben sie nicht sich selbst mehr als dem Gott, der ihr Bestes will.

Überhaupt ist die Ehe ein Beispiel dafür, wie auch Gott uns Menschen begegnet. Auch in seinen Geboten kommt er als Person auf uns zu und schließt uns sein Herz auf. Er schwebt nicht

unnahbar über den Menschen, sondern ist so nahe wie Eltern ihren Kindern. Deshalb sagt er:

„Du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“ Denn nur wenn du ungeteilt dein Vertrauen auf mich setzt, kann das auch etwas mit uns werden. Deshalb gilt es, Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen, wie es Luther im Katechismus sagt.

Aber umgedreht gilt dann auch: Wir haben einen Gott, der lieber segnet als straft. Er macht die Einhaltung der Gebote nicht zur Bedingung für das Fortbestehen seines Bundes mit den Menschen. Dieser Bund gilt ja auch uns, die wir nicht mit aus Ägypten gezogen sind. Aber durch die Taufe sind wir in diesen Bund mit hineingezogen worden. Gott hat sich schon für uns erklärt, ehe wir von Gut und Böse wußten, ehe wir Gehorsam oder Ungehorsam kannten. Das gibt uns die Kraft, nach seinen Geboten zu leben.

Wer glaubt, wird die Gebote halten, in Freiheit, ohne damit etwas gewinnen oder verdienen zu

müssen. Er wird sogar sagen können: „Seine Gebote sind nicht schwer!“ (1. Joh 5,3). Wir dürfen den Gehorsam in der Freiheit praktizieren, zu der Gott uns befreit hat.

Probieren Sie doch einmal in der kommenden Woche aus, was ich heute hier behauptet habe: Gottes Gebote sind leicht zu halten! Wenn Sie nächste Woche wieder hierher kommen und der Gottesdienst noch nicht begonnen hat, dann halten Sie doch einmal Rückschau und fragen sich: War es wirklich so schwer?

 

 

2. Mose 33, 17 b – 23 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Wenn Kinder draußen herumgetobt haben und dann ins Haus kommen, da brüllen sie gern „Hunger!“ Wenn die Mutter das hört, dann weiß sie natürlich, was damit gemeint ist. Aber wenn sie klug ist, dann reagiert sie nicht darauf. Sie wartet, bis das Kind anständig und deutlich sagt: „Mutter, ich habe Hunger, kannst du mir etwas machen!“ oder größere Kinder werden wohl sagen: „Mutter, was darf ich mir zum Essen nehmen!“

Ein Kind kann mit Vater oder Mutter nicht umspringen wie vielleicht noch mit seinesgleichen. Gerade den Eltern gegenüber gehört sieh eine gebührende Höflichkeit und Ehrerbietung. Und dazu gehört auch, daß man nicht so einfach in die Gegend brüllt, sondern eine passende Anrede verwendet. Bei manchen mag es auch möglich sein, daß man sagt: „He, Alte, schleuder mal was her!“ aber als Norm wird das sicherlich nicht angesehen.

Auch wenn einer hinter uns „Hallo“ ruft, dann brauchen wir uns noch lange nicht angesprochen zu fühlen. So eine allgemeine Anrede verpflichtet niemand. Es kann natürlich sein, daß der andere unseren Namen nicht weiß; dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als so zu rufen. Aber wenn unser Name gerufen wird, dann werden wir schon reagieren.

Wenn einer bei irgendetwas erwischt wurde, dann will er meist seinen Namen nicht nennen. Er weiß: Dann kann ich nicht mehr unerkannt bleiben, dann kann man mich in Anspruch neh­men und haftbar machen! Der Name ist eben mehr als nur ein Etikett. Er bezeichnet die Person unverwechselbar, wird ist gewissermaßen ein Teil von ihr.

Im Altertum meinte man sogar, über den Namen auch Macht und Einfluß auf eine Person zu haben. Wenn man den Namen wußte, konnte man ihn bei einer Zauberei verwenden und dem anderen dadurch schaden oder nutzen. Schönstes Beispiel dafür ist das Märchen vom „Rum­pel­stilzchen“, wo der Zwerg sieh freut: „Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstilzchen heiß!“ Aber als dann doch einer den Namen erfahren hat, war der Zwerg halt verloren.

Deshalb ist es auch schon viel, wenn Gott dem Mose seiner Samen offenbart. Mose hat sogar den Glanz der göttlichen Herrlichkeit sehen wollen. Aber das ist nicht möglich. Doch Gott nennt ihm seinen Namen und gibt sich ihm damit schon ein ganzes Stück weit in die

Hand.

Gott sagt zunächst: „Ich bin nicht irgendwer. Ich könnte natürlich ganz im Dunkel bleiben. Dann könntet ihr nur mit der Schulter zucken und vielleicht vom „Schicksal“ oder vom „Glück“ reden. Aber ihr habt es nicht mit einer namenlosen Macht zu tun. Ich bin der Gott, der euch aus Ägyptenland herausgeführt hat, der euch am Meer gerettet und sich am Berg Sinai mit euch verbündet hat. Ihr könnt mich nicht sehen. Aber ich bin der Gott, mit dem ihr schon viel erlebt habt und mit dem ihr schon unauslöschliche Erfahrungen gemacht habt, mit dem ihr auch weiter gute Erfahrungen machen könnt.

Mose ist damit in derselben Lage wie wir. Wir können Gott auch nicht sehen, auch wenn wir uns das manchmal sehr wünschen. Das Verlangen nach unmittelbarer Gottesbegegnung ist dabei nicht der Wunsch eines Theoretikers, dem sonst nichts anderes mehr einfällt. Nein, vielfach leiden wir doch darunter, daß Gott nicht so einfach wahrzunehmen ist. Vor allem ist das so, wenn sich Gott unter manchem Leid verbirgt und wir dann selber fragen: „Wo bleibt denn hier Gott?“ Gar nicht zu reden von manchem Spötter, für den gerade ein solcher Fall ein gefundenes Fressen ist, über unsren Glauben zu lachen.

Wir können Gott nur hören in seinem Wort. Aber auch da könnte man noch fragen, ob es wirklich Gottes Wort ist. Dafür haben wir keine Garantie. Auch Mose konnte keinen Beweis vorweisen, daß er nicht irgendeine andere Stimme gehört hat. Daß dieses Wort uns trifft, bewirkt immer nur Gott selber mit seinem Geist. Aber dieses geschieht immer wieder, wir können ihn in unserem Leben auf mancherlei Art erfahren.

Das Verlangen, Gott unmittelbar sehen zu wollen, könnte natürlich auch aus einem Sicherheitsdenken herauskommen. Ein Mensch ist nicht bereit, sich auf das Wagnis mit Gott einzulassen. Er sieht den Glauben als eine unsichere Sache an. Deshalb verlangt er von Gott, sich in die handfesten und unmittelbar einsichtigen Tatsachen einzureihen. Dann kann man ihn in die eigene Weltanschauung eingliedern und ihn in seine Berechnungen einbeziehen. Gott stünde dann den Menschen zur Verfügung, daß man nur zuzugreifen braucht - ein Gott ganz ohne Risiko.

Man kann aber von Gott nicht nur so im Allgemeinen reden. Er ist nicht nur eine Kraft oder eine Macht oder eine Hoffnung. Man kann ihn auch nicht zusammen mit anderen vergleichbaren Größen in ein übergreifendes Ganzes einordnen. Man kann ihn nicht mit einer gleichwertigen Größe vergleichen und zusammenbinden.

Aber Gott wendet sich dem Menschen zu, wenn er selber es möchte. Niemand soll berechnen können, wann es soweit ist. Niemand soll etwas aus eigenen Ansprüchen oder einer vermeintlichen göttlichen Notwendigkeit ableiten können. Gott behält alle Trümpfe in der Hand. Seine gnädige Zuwendung ist jedesmal ein Wunder.

Aber Gott bindet sich selber an die Menschen und schränkt damit seine Freiheit ein. Er bindet sich an die Predigt und die Sakramente. In dem schlichten und oft unbeholfenen Wort von Menschen begegnet er uns. Durch das Wasser wirkt er in der Taufe. Und in einem Stück Brot und in einem Schluck Wein will er in uns einkehren. Gott entzieht sich uns nicht. In Jesus ist er sogar einer der unseren geworden.

Das Verlangen des Mose wird also nicht rundweg abgelehnt, aber es wird eingeschränkt. So wie Mose sich das gedacht hat, gibt Gott sich nicht. Da läßt sich nichts abhandeln und erst recht nichts erzwingen. Mit einem Bild gesprochen: Die Tür zu Gott läßt sich nur von innen öffnen, nur von ihm her!

Aber diese Tür geht auf. Man sollte aus dem Reden Gottes nicht nur das „Nein“ heraushören, sondern vor allem sein „Ja“! Gott wendet sich mit seinem werbenden Wort den Menschen zu. Und jeder sollte wissen, daß er gemeint ist. So kann der Glaube, auch wenn ihm das Sehen versagt ist, die verborgene Herrlichkeit Gottes entdecken.

Das Geheimnis muß bleiben. Aber Gott öffnet sich, soweit er nur kann. Ein Sünder müßte ja zugrundegehen, wenn er das Gesicht Gottes unmittelbar sehen könnte. Wir können uns also nicht dreist an Gott heranmachen, so als sei das unser gutes Recht und der Sündenfall nicht geschehen Das wäre dann, wie wenn ein Ladendieb sich ganz unbekümmert der Kasse nähert und so tut, als sei doch alles in Ordnung. Die Verkäuferinnen haben es da manchmal schwer, wenn sie einen solchen Dieb stellen sollen, der so tut, als sei doch gar nichts dabei.

Gott kann man so nicht kommen. Vor ihm könnte man sich nur verkriechen, wenn er sich uns nicht in Jesus zugewandt hätte. Jesus hatte ein Gesicht, war ein Mensch wie wir. Gott selber können wir nicht sehen. Aber etwas von ihm können wir vertragen: Von seiner unscheinbaren Seite her können wir ihn sehen. Das Leben Jesu war wirklich unscheinbar und unansehnlich. Und doch hatten wir in ihm den ganzen Gott bei uns. Gott bleibt gerade auch in seiner Offen­barung tief verhüllt, ist unter Ärmlichkeit und Schwachheit verborgen, dem Mißverstehen ausgeliefert, aber dennoch ganz da für den, der glaubt.

Bei Mose ist diese Tatsache mit einem sehr schönen Bild dargestellt. Mose hat sich ja nicht damit zufriedengegeben, daß er Gottes Namen weiß. Er möchte auch die letzte Grenze zwischen Gott und den Menschen weggeräumt haben und die Herrlichkeit Gottes sehen. Das ist natürlich nicht möglich. Aber Gott stellt ihn in eine Felsspalte, so daß Mose mit dem Gesicht ins Innere der Höhle schaut. Gott geht draußen vorüber. Und der Widerschein seines Glanzes wird an den Wänden der Höhle sichtbar werden. Mit seiner großen Hand hält Gott dabei die tödlichen Strahlen von Mose ab. Aber wenn er vorbei ist, dann wird Gott die Hand wegnehmen und Mose darf noch die Rückseite Gottes sehen. Aber Mose soll sicher sein, daß Gott tatsächlich hinter seinem Rücken hergegangen ist.

Diese gnädige Hand Gottes ist der Ausdruck der Geborgenheit, die Gott schenkt. Er stellt uns in einen schützenden Raum und umhüllt uns mit seinem Schutz. Er verhüllt sich, aber er entzieht sich uns nicht. Das sollten wir wissen, wenn        wir wieder einmal meinen, Gott sei uns fern und habe unser Leid nicht gesehen. Gott ist in unserem Rücken und weiß, was mit uns los ist.

Dieses Wissen macht uns fähig, dann anschließend den Schritt ins Weite zu tun. Oft geht es in einen unsicheren Raum hinaus, in die Wüste wie bei den Israeliten. Aber vor uns ist immer ein verheißenes Ziel. Und wenn wir dort einmal angelangt sind, dann werden wir Gott sehen wie er ist, von Angesicht zu Angesicht.

 

 

 

4. Mose 6, 22- 27 (Trinitatis, Konfirmation):

Wenn wir jeden Gottesdienst mit dem Segen beschließen, dann ist das nicht, wie wenn man nach einer Feier seine Gäste mit ein paar freundlichen Wünschen entläßt. Und schon gar nicht ist die Konfirmation eine Entlassung in ein Leben, in dem man sich die Freiheit nimmt, sich am kirchlichen Leben zu beteiligen oder nicht.

Manche haben Martin Luther so mißverstanden. Sie sagen: Luther hat uns endlich die Freiheit gebracht. Die Katholiken müssen jeden Sonntag zum Gottesdienst. Wir brauchen nur, wenn wir einmal das Bedürfnis danach haben. Da wir das aber nur ganz selten haben, nehmen wir uns auch die Freiheit, am Sonntag etwas anderes zu treiben. Bei den Konfirmanden wird der Gottesdienstbesuch kontrolliert. Aber mit der Konfirmation sind sie endlich den Erwachsenen gleichgestellt und können den Erwachsenen folgen.

Es wäre schade, wenn wir die Konfirmation so verstehen wollten. Die Konfirmation ist ja in erster Linie Einsegnung, durch die Gott sein Gutes vermitteln will. Dieser Segen wird jeden Sonntag aufgefrischt, wenn wir mit dem Segen Gottes wieder in den Alltag gehen. Das ist wie bei einer Impfung gegen Wundstarrkrampf: Am Anfang gibt es eine starke Dosis, und dann alle zehn Jahre eine Auffrischung.

Nur kann man mit dem Segen Gottes keine zehn Jahre warten, etwa bis zur Trauung und dann wieder, wenn die eigenen Kinder Konfirmation haben. Glaube ist nicht etwas für besondere Gelegenheiten in unserem Leben, sondern etwas für jeden Tag. Und das konfirmierende Handeln erstreckt sich nicht nur auf diesen einen Tag, sondern beginnt mit der Taufe und geht bis ans Lebensende. Ein Christ lernt nämlich nie aus, er darf sich immer noch auf Neues gefaßt machen.

Die Konfirmation ist zwar ein besonderer Höhepunkt. Aber sie ist nur das Ende eines Grundkurses. Die Qualifizierung geht jetzt erst los. Und da sollte man sich nicht an negativen Vorbildern orientieren, an den Gleichgültigen und Verächtern, sondern an denen, die fast jeden Sonntag im Gottesdienst sind, die sich an den Gemeindeveranstaltungen beteiligen und sich zum Beispiel zu so etwas wie dem Kirchentag aufgemacht haben. Wer mit Gott leben will, der wird immer wieder seine Nähe spüren können. Er wird mit dem Segen Gottes durchs Leben gehen und viel Hilfe und Bewahrung erfahren.

 

Im Segen wirkt Gott. Der Segen ist mehr als eine fromme Form des Glückwunsches, er ist sogar mehr als ein Gebet. Er ist kein leeres Wort, sondern wenn Gott spricht, so geschieht es. Wir wünschen uns zwar gegenseitig Gottes Segen. Aber wir könnten ihn nicht herbeiziehen, wenn Gott nicht selbst segnen wollte. Wir können ihm den Segen nicht abnötigen oder Gott unter Druck setzen. Es ist keine Zauberei dabei, wenn wir die Konfirmanden hier einsegnen.

Aber es ist auch nicht so, daß wir nur um den Segen bitten könnten und es dann darauf ankommen lassen müßten, ob er wirklich segnen will. Gott w i 1 1 es tun, er hat es sogar geboten, daß in seinem Namen gesegnet wird.

Doch es braucht keiner Angst zu haben, daß jetzt eine Lawine auf ihn zukommt, von der er überrollt wird. Zwar ist der Segen ein wirkliches und machtvolles Geschehen, aber es geschieht nichts gegen unseren Willen. Wir werden aber zur Entscheidung herausgefordert, ob wir das Angebot Gottes annehmen oder nicht.

 

Im Segen streckt Gott uns die Hand hin. Wir können diese Hand ausschlagen. Es wird niemand zur Konfirmation gezwungen; es hat keiner Nachteile, wenn er nicht an der Konfirmation teilnimmt. Aber wer hier ist, der muß es mit Gott ernst nehmen, sonst lädt er größere Schuld auf sich als der, der von vornherein nichts von Gott wissen wollte. Wer es aber mit Gott wagt, der hat auf die richtige Karte gesetzt und eine starke Hilfe im Leben.

Gott will im Segen seinen Namen auf uns legen. Das ist ein schönes Bild für die Art und Weise, in der Gott uns begegnet. Er ist nicht irgendeine unbestimmte Macht, denn an so etwas kann man nicht glauben, weil man es nicht anrufen kann. Aber Gott hat uns seinen Namen anvertraut und sich damit anrufbar gemacht. Im Gebet wenden wir uns an einen Gott, den man kennen kann. Gott ist zwar nicht körperlich da, er existiert aber auch nicht nur in unseren Gedanken, sondern wir dürfen auf seine Nähe vertrauen, auch wenn wir ihn nicht sehen, und wir werden seine Kraft spüren, wenn wir seinen Segen annehmen.

 

Im Segen schafft Gott uns sein Gutes. Verlassen wir den Gottesdienst mit dem Segen Gottes, dann liegt Gottes Name auf uns. Was im Gottesdienst geschehen ist, hat uns nicht nur wohl getan und uns weitergebracht, sondern nun will Gott in unserem Leben Gutes wirken. Dieses Wort beschreibt gut die vielfältige und umfassende Wirkung des Segens.

Im Alten Testament äußert sich der Segen in Wohlstand und großer Nachkommenschaft, die aber weniger Belobung für Wohlverhalten sind, sondern unverdientes Glück und eine Überraschung. Es geht um Glück und Gedeihen, Gesundheit und Wohlbefinden, also sehr weltoffene

und weltfreudige Dinge. Gott möchte doch, daß seine Menschenkinder glücklich sind, besonders auch die, die sich erst anschicken, ins Leben hinauszugehen.

Wir können ihm darauf nur antworten, indem wir ihm danken. Dadurch geben wir zu erkennen, daß wir das Gute in unserem Leben wahrgenommen haben und wissen, wem wir es verdanken. Wer aber gesegnet worden ist, der darf von vornherein wissen, daß er nachher Grund zum Danken haben wird. Gott will gutes und Erfreuliches wirken. Deshalb dürfen wir mit entsprechenden Erwartungen in die Zukunft hineingehen. Wenn wir sauer sehen, dann widerspricht das dem Segen, den Gott uns mitgegeben hat. Wir haben doch einen freigiebigen und

auf unser Wohl bedachten Gott.

Gott will uns auch behüten. Er will Störendes und Gefahrbringendes ausschalten. So brauchen wir nicht mit Angst in den Tag zu gehen. Meist nehmen wir nur die Fälle wahr, wo uns oder anderen etwas zugestoßen ist. Aber daß Gott immerzu Leben erhält und in seine schützenden Hände nimmt, das halten wir für normal, das halten wir für nicht der Rede wert.

Er möchte auch Heil und Frieden bei uns schaffen, also geordnete Verhältnisse und ein unversehrtes Miteinander. Er tut alles, damit wir uns nicht untereinander das Leben zur Hölle machen. Gott möchte die Freundschaft der Völker, Gruppen und Familien. Wo sein Name geehrt wird, da ist man nicht gegeneinander, da sät man nicht Mißtrauen und Haß, sondern hat Ehrfurcht vor dem Leben und vor dem, was es erhält und gedeihen läßt. Aus dem Empfang des Segens ergibt sich folgerichtig das Eintreten für den Frieden in der Welt.

Nur macht es uns zu schaffen, daß unsere Erfahrungen in der Welt nicht mit dem übereinstimmen. Wir denken sicher manchmal: Wenn Gott uns so gut gesinnt ist, dann müßte er doch von seinem himmlischen Stellwerk aus die Weichen sorgfältiger betätigen. Als oberster Knopfdrücker ist er doch für die störungsfreie Funktion aller Weltvorgänge verantwortlich. Doch wir können nicht Gott in die Schuhe schieben, was menschliche Schuld ist. Gott hat den Menschen die Freiheit gegebene mit allem Risiko. Nun rennt er an gegen eine Welt der Sünde. Der Friede zum Beispiel muß gegen Haß und Friedlosigkeit erstritten werden. Aber Gott kämpft gegen das Vernichten, indem er - segnet.

Sein Segen würde uns auch dann begleiten, wenn sich herausstellt, daß wir eine unheilbare Krankheit haben. Er würde auch dann kräftig sein, wenn Gott uns auf den letzten Weg in dieser Welt führt. Was auch immer kommt: Gott schafft uns mit seinem Segen sein Gutes. Gott läßt sein Angesicht leuchten über uns und ist uns gnädig. Ja, Gott hat ein Gesicht, spätestens seit Jesus unter den Menschen war. Gott ist nicht das Unbestimmte und Nebelhafte, sondern er hat uns nach seinem Bild geschaffen. Wir können uns vorstellen, wie Gott ist, und deshalb Gemeinschaft mit ihm haben.

Einen Menschen erkennen wir meist nicht an seiner Körpergestalt, sondern an seinem Gesicht. Dazu gehört aber auch die Art, wie er uns anschaut: offen und aufnahmebereit, oder verbissen und stumpf. Strahlt ein Mensch uns an, dann erkennen wir daraus, wie er es mit uns meint.

Wir haben einen Gott, der uns nicht wie aus einer versteinerten Maske anstarrt, sondern unser Gott hat ein gütiges und väterliches Angesicht. Er neigt sich herab zu uns und blickt uns freundlich an. Dadurch macht er deutlich: Du bist mir wichtig, ich suche die Verbindung mit dir, ich lasse dich nicht aus den Augen. Als Gesegnete gehen wir anders weg, als wir gekommen sind.

Im kirchlichen Unterricht könnte das den Konfirmanden deutlich geworden sein: Gott schenkt uns seine Güte! Aber es wird uns spätestens jeden Sonntag wieder neu verdeutlicht im Gottesdienst. Dort sollten wir immer neu die Gemeinschaft mit Gott suchen und uns dann mit seinem Segen hinaus senden lassen in die Welt. Ein schönes Zeichen der Bereitschaft, mit dem Segen Gottes zu gehen, sind auch die Lederkreuze, die es einmal auf einem Kirchentag gegeben hat. Auf ihnen steht als Losung: „Vertrauen wagen!“ Das ist eine freundliche Einladung an jeden, der es sieht: „Ich habe Vertrauen zu dir, ich möchte dir freundlich und hilfsbereit begegnen, weil ich einen Gott habe, von dem ich auch Liebe und Freundlichkeit erfahren habe!“ Aber auch ohne ein solches Kreuz sollte man uns Christen immer wieder abspüren: Wir gehen mit dem Segen unseres Gottes und tragen seine Liebe und seinen Frieden in die Welt.

 

 

5. Mose 7, 6 – 12 (6. Sonntag nach Trinitatis):

Eine Liebeserklärung ist etwas sehr Schönes und etwas sehr Aufregendes. Sie kann das Leben eines Menschen sehr verändern, ob er sie nun selber ausspricht oder von einem anderen hört. Liebe will zum Ausdruck gebracht werden, durch Bewegungen und Worte. Eine stumme Liebe ist bedroht, sie welkt leicht. Lebendig ist eine Liebe nur, die sich auch ausspricht.

Der heutige Predigttext ist eine Liebeserklärung Gottes an sein Volk. Stichworte wie Erwählung, Liebe, Erlösung, Treue, Bund, Barmherzigkeit machen das deutlich. Gott hat sich dem Volk Israel freundlich und liebevoll zugewendet und sich selber wie durch einen Vertrag

an dieses Volk gebunden. Diese Erwählung ist immer wieder bestätigt worden. Abraham, Isaak und Jakob waren die von Gott erwählten Väter des Volkes. In der Befreiung aus Ägypten und durch den Bundesschluß am Sinai wurden sie zu einem Volk. Auch an Jerusalem und die Familie Davids hat Gott sich gebunden.

Daran erinnerte man sich, als das 5. Buch Mose geschrieben wurde. Es war in der späteren Königszeit, als die Stämme im Norden schon von den Assyrern vernichtet worden waren. Auch im Süden gab es allerlei Anfechtungen innerer Art, vor allem die Versuchung, sich

den Göttern der Assyrer oder der Kanaanäer zuzuwenden. In einer Zeit äußerer und innerer Wirren wußte man doch noch, daß man an dem allein wahren Gott verankert war.

Dieser Glaube war mehr als die Vermutung, es müsse irgendwo ein höheres Weser geben. Man wußte vielmehr: Wir haben einen Gott, der auf uns zugegangen ist und von sich aus die Verbindung zu uns aufgenommen hat, der uns seine Liebe erklärt hat und sich sogar vertraglich verpflichtet hat, unser Gott sein zu wollen. Er war nicht durch irgendeine göttliche Dienst­vorschrift dazu verpflichtet, sondern er hat frei gewählt und seine Gemeinschaft angeboten. Im Grunde ist das ein Wunder, das nicht voraussehbar war und auch nicht einzuklagen war.

Gott richtet sich bei seiner Wahl nicht danach, ob der Mensch es wert ist oder nicht. Israel war das Kleinste unter den Völkern. Darauf hätte Gott nicht verfallen können, wenn er nur nach dem Wert des Partners gegangen wäre. Aber in seiner grundlosen Liebe hat Gott dieses Volk erwählt, auch wenn menschlich gesehen kein Grund dafür vorlag. Jedes Volk hat Schwächen, und jeder Mensch hat Schwächen: Aber Gott kann ihn dennoch erwählen.

Das können wir uns deutlich machen an unserer eigenen Taufe. Der heutige Sonntag will uns an unsre Taufe erinnern. Daran sollten wir zwar immer denken. Aber es ist doch hilfreich, wenn einmal im Jahr besonders darauf hingewiesen wird. Die Taufe ist das Mittel, mit

dem Gott uns an den Stromkreis seines Wirkens angeschlossen hat. Da ist aus der Liebeserklärung ein fester Bund geworden, ähnlich wie dem Ehebund. Sie ist das äußere Erkennungszeichen für diejenigen, die zusammengehören, so wie der Ehering einen Menschen kenntlich macht, der sich schon an einen anderen gebunden hat.

Das Entscheidende am Ring ist nicht der Wertstempel, sondern der Namenszug. Er sagt erst, wer zusammengehört. Das öffentliche Tragen zeigt es dann nach außen. Das ganze Verhalten wir dann anders. Bei allem ist der Partner dabei, man wird nichts gegen ihn tun.

Hier wird sogar das Stichwort „Eigentum“ dafür gebraucht. Wir werden vielleicht denken: Ein Besitzanspruch verträgt sich doch nicht mit der Liebe. Diese läßt auch dem Partner seine Freiheit, so wie es in einem Lied aus Schweden heißt, das jetzt auch im Gesangbuch steht: „Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhause. Frei sind wir da, zu wohnen und zu gehen. Frei sind wir, ja zu sagen oder nein!“

Aber hat Liebe nicht auch etwas mit Bindung zu tun? Das Wort „Eigentum“ deutet etwas davon an. Man liebt sein Eigentum und hegt und pflegt es. Man möchte es sichern und erhalten und man verteidigt es gegen alle Armgriffe. Was man sich hart hat erwerben müssen, das ist einem ans Herz gewachsen, das gibt man nicht so leicht wieder her.

Nun ist die Welt sowieso das Eigentum Gottes und von ihm abhängig. Er hätte sie nicht erst erwerben müssen, weil sie ihm von vornherein gehört. Auch jeder einzelne Mensch ist Geschöpf Gottes und gehört ihm. Wenn man es nur so sähe, dann wäre an sich eine Taufe überflüssig. Aber Gott genügt nicht unsre Abhängigkeit von ihm, sondern er möchte mehr, möchte eine echte Verbundenheit. Er möchte uns nicht in ein festes Bündnissystem hineinzwingen, in dem jederzeit die sogenannte „brüderliche Hilfe“ droht. Gott möchte eine partnerschaftliche Beziehung, in der jeder den anderen mag und sich sein Leben gar nicht mehr ohne den anderen vorstellen kann.

Das Neue Testament spricht aber noch kräftiger als das Alte von einer Knechtschaft unter das Böse, der wir alle verfallen sind. Gott mußte uns wieder davon loskaufen, so wie er das Volk Israel aus der Knechtschaft unter den ägyptischen Pharaonen befreit hat. Durch Christus hat er sein Eigentum wieder zurückgewonnen, um den Preis des Todes seines Sohnes. Durch die Taufe kennzeichnet er alle, die zu diesem seinem Eigentum gehören. Da teilt er das Recht aus, sich auf Gott berufen zu dürfen.

Bei der Taufe wird ja heute gesagt: „Ich taufe dich auf den Namen“. Mancher wird das so verstehen, als erhalte der Mensch erst seinen Namen. Aber er wird nicht auf seinen menschlichen Namen getauft, sondern auf den Namen Gottes. Der Ausdruck stammt aus der Banksprache. Da überweist man zum Beispiel Geld von einem Konto auf ein anderes, es wird also ein Eigentumswechsel vollzogen. So wird man durch die Taufe auf das Konto Gottes eingezahlt und ist somit sein Eigentum für alle Zeit.

Beachten sollte man dabei aber, daß man durch die Taufe auch in das Volk Gottes hineingestellt wird. Viele sehen die Taufe als ein Familienfest an. Es gefällt ihnen schon nicht so besonders, wenn noch ein zweites Kind mit getauft werden soll. Dabei ist die Taufe doch die Aufnahme in die Gemeinde Gottes. Da ist es doch schön, wenn noch ein paar mehr Leute aus der Gemeinde dabei sind als nur die unmittelbare Familie. Noch schöner wäre es sogar, wenn die Taufe im üblichen Sonntagsgottesdienst stattfinden könnte, dann würde das „Hinein­getauftwerden“ in die Gemeinde noch deutlicher. Bei einer Trauung sind oft Zuschauer dabei, bei der Taufe kaum; aber umgedreht wäre es richtiger.

Wer aber zu dieser Gemeinde gehört, der wird auch in die Pflicht genommen. Er ist ja in das „heilige“ Volk eingegliedert worden. Heilig aber bedeutet: von Gott in Anspruch genommen sein und nur ihm gehören. Aber wir wissen natürlich auch, daß wir durch die Taufe nicht schlagartig neue Menschen werden. Doch es ist schon ein Unterschied, ob man zu Gottes heiligem Volk gehört oder nicht.

Zur Zeit des 5. Mosebuches galt es, sich vor allem gegen das Heidentum abzugrenzen. Für viele Israeliten stellte es eine große Versuchung dar, so wie für uns heute die Abkehr von Gott und ein Leben in Gleichgültigkeit die Versuchung ist. Je anziehender die widergöttliche

Macht für die Menschen ist, desto wachsamer und kompromißloser muß man sein. Der Bischof Remigius von Reims hat 496 dem Frankenkönig Choldwig bei seiner Taufe gesagt: „Verbrenne, was du angebetet hast, und bete an, was du vorher verbrannt hast!“ So wäre sicher auch bei uns Manches zu verbrennen, wenn wir Heilige sein wollen.

Gott ist eine Selbstverpflichtung gegenüber uns eingegangen. Aber er nimmt uns auch in Pflicht. Man kann nicht immer nur von Freiheit sprechen und einfach tun, was einem so einfällt. Wer sich selbst kennt, der weiß, daß das nicht gut gehen kann. Eine gute Ordnung hält uns heilsam in Grenzen und bewahrt uns vor Fehltritten unseres launischen Herzens. Unser neuer Standort heißt Christus. Keinen Augenblick sollten wir jedenfalls vergessen, wo wir stehen.

Gott aber hat sich uns in unbeirrbarer Treue verbunden. Keine Enttäuschung, die er mit uns erleben muß, veranlaßt ihn, uns aufzugeben. Deshalb ruft er uns immer wieder beschwörend auf, ihn zu lieben und ihm zu gehorchen, von ganzem Herzen und vor ganzer Seele. Wenn wir auch den Bund brechen, so wird  e r  es doch niemals tun. Nur wenn sich einer selbst aus dem Kraftfeld der Liebe Gottes entfernt, dann endet auch Gottes Macht.

Aber auch wenn wir den Kontakt mit Gott verloren haben, so bleibt doch in Kraft, was Gott uns in der Taufe zugewendet hat. Ich habe losgelassen, aber er hat umso fester zugefaßt. Er hat mich immer wieder schwach werden sehen, aber er hat seine Einstellung zu mir nicht geändert. Ich geriet in Zweifel, aber er stand umso fester zu mir. Er hat ja einen Eid geschworen, er bleibt sich selber treu. Es kann sich einer selbst vom Heil ausschließen. Aber Gott wird es nicht tun.

Wir brauchen an Gott nicht irre zu werden: Wir sind ja getauft. Martin Luther hatte auch Zeiten, in denen er an Gott irre zu werden drohte. Dann hat er sich in sein Zimmer eingeschlossen und niemand sprechen wollen. Und mit einem Stück Kreide hat er auf den Tisch oder die

Wand geschrieben: „Ich bin getauft! Das hat ihn gestärkt. Da hatte er vor Augen, was allein Halt sein konnte.

Wenn man begreift, daß man so von Gott geliebt wird, dann trägt man. dem Kopf schon etwas höher. Am Anfang wagt man es gar nicht zu glauben, daß man geliebt wird. Aber Gottes Liebeserklärung gilt uns ganz persönlich. In der Taufe ist sie ausgesprochen worden. Seitdem haben wir eine unsichtbare Krone auf, die uns zu seinen Kindern macht. Deshalb dürfen wir den Kopf schon etwas höher tragen als vorher.

Aber das darf uns nicht zur Überheblichkeit verführen. Wir tragen die Krone ja nicht wegen unserer eigenen Überlegenheit und Größe. Vielmehr ist das ein Anlaß zur Dankbarkeit gegenüber dem, der uns krönt mit seiner Liebe und Treue, der uns immer wieder deutlich macht: Du bist geliebt!

 

5. Mose 8, 2-3 (Lätare):

In fast allen Gegenden unseres Landes hat man Bodenfunde gemacht, die aus einer Zeit vor 4.000 Jahren oder noch mehr stammen. Das war die Zeit in der eine Gruppe von Hebräern, die später das Volk Israel bildeten, aus Ägypten flohen. In den Geschichtsbüchern wird geschrieben von den Assyrern und Ägyptern, von Griechen und Römern. Aber auch kleine Völker wie die Israeliten haben Geschichte geschrieben, denn ihre Religion bildet ja die Wurzeln unseres Glaubens und damit auch unsrer Kultur.

Aber auch in unserer Gegend war damals schon etwas los. Vielleicht waren es nur kleine Gruppen von Menschen. Vielleicht lebten sie nur eine kurze Zeit hier und zogen dann weiter. Nur durch einige Scherben und Metallgegenstände wissen wir noch von ihnen. Aber sie gehören doch mit zu unseren Vorfahren. Wir haben eine lange Geschichte, die weiter als 1200 Jahre zurückreicht.

Es ist gut, wenn wir uns an unsere Geschichte erinnern, an die Geschichte unseres Volkes und unserer Kirche. Wer seine Gegenwart verstehen und seine Zukunft ergreifen will, muß in seiner Vergangenheit zu Hause sein. Wer geschichtlich denkt, sieht die Dinge im Zusammenhang und versucht zu begreifen.

Deshalb wird auch das Volk Israel schon in den 40 Jahren der Wüstenzeit ermahnt, seiner Geschichte zu gedenken: „Gedenke des ganzen Weges, den dein Gott dich in der Wüste hat gehen lassen!“ Das Wort „gedenke“ heißt dabei: „Halte das Wissen um die Geschichte wach. Sieh dir den ganzen Weg an. Sei dir darüber klar, daß Gott die Geschichte macht und daß du immer mit ihm zu tun hast, in allem, was geschieht!“

Der Blick ging aber auch schon damals nach vorn. Zwei Kapitel vorher steht: „Wenn dich Gott in das Land bringen wird, so halte die Gebote!“ Nur wenn man daran denkt, woher man kommt, kann man auch wissen, wohin es gehen soll. Es ist unbesonnen, nur der jeweiligen Stunde leben zu wollen. Das gilt gerade auch dann, wenn sich Gegenwart und Zukunft erheblich von der Vergangenheit unterscheiden. Vor allem kommt es auch darauf an, daß die ältere Generation ihren Erfahrungen an die Jugend weitergibt.

Doch viele jungen Leute stöhnen dann, wenn man ihnen sagt: „Früher war das so!“ sie meinen: „Ich lebe heute und will nicht hören, was früher war!“ Zum Teil haben sie damit schon recht: Man kann sich nicht in die Vergangenheit flüchten und die Gegenwart darüber vergessen. Und es ist sicher auch das Vorrecht der Jugend, mehr in die Zukunft zu schauen als die Vergangenheit zu betrachten. Erst mit zunehmendem Alter kommt auch wieder mehr die Vergangenheit in den Blick.

Das 5. Buch Mose ist erst 700 Jahre nach der Zeit in der Wüste entstanden. Aber dieses Buch versetzt das Volk Israel gewissermaßen noch einmal in diese Anfangszeit, so als könnte es sich noch einmal neu entscheiden und alles besser machen. Inzwischen sind nämlich Jahrhunderte vergangen, in denen das Volk seinem Gott sehr weh getan hat. Sie haben die erste Liebe vergessen und haben sich der Welt und ihren Verhältnissen angepaßt. Jetzt aber werden sie noch einmal in die Situation der Wüste gestellt. Gott wird sie erneut erziehen und prüfen und es wird zu einer neuen Begegnung mit ihm kommen.

Auch in der Geschichte der Kirche gibt es viele dunkle Kapitel. Zu sehr hat sie sich mit den jeweils Herrschenden eingelassen und geschwiegen, wo sie reden sollte. Das war so in der Zeit der Naziherrschaft und unter dem SED-Regime. Nur Einzelne sind aufgestanden und haben Widerstand geleistet. Daß ihr Einsatz nicht erstickt worden ist, verdanken wir dem gnädigen Gott. Er hat die Verhältnisse so gewandelt, daß uns wieder ein Neubeginn möglich wurde.

Das gilt auch für unser persönliches Leben. Wir tragen aber nicht nur die Last der Vergangenheit mit uns herum. Wir haben auch viel Segen empfangen und Erfahrungen gewonnen. Menschen haben unser Leben innerlich reich gemacht und unser Können ist gewachsen.

Die Vergangenheit ist nicht nur eine bedrückende Last, sondern wir haben auch viel Gutes in ihr erfahren und können uns dankbar an sie erinnern.

Dabei könnte uns auch aufgehen, daß die aufzuarbeitende Geschichte ein Geschehen zwischen Gott und uns ist. Er leitet uns auf seinem Weg und ist Mitspieler in unserem Leben. Er bewahrt uns davor, geschichtslos zu werden und die Vergangenheit zu vergessen.

Oft vergessen wir zu schnell, was gewesen ist, weil die Gegenwart so schnellebig ist. Bücher erinnern vielleicht noch an eine schwere Zeit. Aber wenn es dem Menschen gut geht, dann vergißt er leicht die Härten der Vergangenheit. Er vergißt, welchen Segen er doch erfahren hat und welche Erfahrungen er gewonnen hat, gerade in den harten Zeiten. Wir sehen die glücklichen und problemlosen Zeiten als das Normale an. Wir meinen sogar, Gott gegenüber darauf einen Anspruch zu haben, so als gäbe es kein Christuskreuz und kein Christenkreuz.

Die Bibel will uns kein schlechtes Gewissen machen, wenn es uns gut geht. Und es geht uns doch wirklich gut. Es müssen doch nicht unbedingt jedes Jahr 2 oder 3 Prozent mehr Reichtum sein. Und selbst wenn wir auf den Stand von 1980 zurückfielen, ginge es uns doch noch immer sehr gut. Wir können nur dankbar sein, daß wir ein Leben ohne Not und Mangel führen können. Aber wir dürfen darüber nicht die andere Seite des menschlichen Daseins vergessen. Und wir dürfen die nicht vergessen, die inmitten einer Wohlstandsgesellschaft auf den untersten Stufen stehen.

Wer selber „Wüstenzeiten“ in seinem Leben erfahren hat, sollte sie nicht vergessen. Nichts war umsonst, was wir ausgestanden haben. Auch die uns widerfahrenen Demütigungen waren nicht vergeblich. Denn an all dem kann uns aufgehen, wie nötig wir Gott haben, der uns erzieht und prüft, der aber auch in Treue und Erbarmen zu uns steht.

Noch aber leben wir in einer Zeit der Prüfung und Bewährung. Gott läßt uns die Freiheit, ver­antwortungsbewußt zu handeln. Dazu gehört auch die Möglichkeit des Versagens und Ungehorsams. Gott führt uns auch schon einmal in Spitzenbelastungszeiten mit besonderen Widerständen und Gegenkräften, auch in Zeiten äußeren Wohlstandes. Vielleicht ist es ein Mensch, der uns schwer zu schaffen macht. Oder die Angst vor einer Krankheit oder die schon ausgebrochene Krankheit. Vielfach ist die Sorge um den Arbeitsplatz und die Wohnung dazugekommen. Nur wer selber einmal in einer solchen Lage gestanden hat, wird wissen, was gemeint ist. Aber er wird vielleicht auch wissen, wie gnädig Gottes Hilfe gerade         dieser Zeit gewesen ist.

Bei den Israeliten in der Wüste ging es um das Finden des richtigen Weges, um die Abwehr kriegerischer Bedrohung und vor allem um Essen und Trinken. Als die Not am größten ist, da ist Gottes Hilfe auch schon da. Wir wissen heute, daß das göttliche Manna nicht vom Himmel gefallen ist, sondern eine Art Harz von einem bestimmten Strauch ist. Gott bedient sich der Natur und der in ihr herrschenden Regeln, wenn er helfen will. Aber daß er gerade zur rechten Zeit geholfen hat, das zeigt seine Güte und Treue.

Doch das 5. Buch Mose schaut schon voraus auf die Zeit, in der das Nahrungsproblem gelöst ist, wo das Volk in einem vergleichsweise reichen Land lebt, in dem Milch und Honig fließt. Es blickt voraus auf eine Wohlstandsgesellschaft, in der man kein Manna mehr braucht.

Aber das 5. Buch Mose weiß schon: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Er braucht in schlechten und in guten Zeiten das Wort, das aus dem Munde Gottes hervorgeht. Er braucht die Gemeinschaft mit Gott und die Begegnung mit ihm. Darauf weist uns dieser Sonntag Lätare hin, der mitten in der Passionszeit auf Jesus als das Brot des Lebens hinweist. Bei der fröhlichen Speisung der Fünftausend konnten Menschen wieder Mut für ihr Leben gewinnen und Glauben an Jesus finden. Auch und gerade in unsrer Zeit ist der Glaube an Gott ein unverzichtbares Lebensmittel.

Er ist es schon seit vielen Jahrhunderten. Schon im 8.Jahrhundert gab die von Bonifatius organisierte katholische Kirche. Es gab aber auch noch andere Mönche aus Irland und Schottland, die das Evangelium in etwas anderer Form predigten und deshalb vom Papst und seinem Gefolgsmann Bonifatius bekämpft wurden. Aber wenn man dann zum Beispiel eine Taufschale aus dieser Zeit im Boden findet, dann ist das doch ein wunderbares Zeugnis dafür, daß der Glaube schon lange in unserem Land heimisch ist und Menschen bis heute geführt und getragen hat. Aber wenn wir uns so erinnern zu lassen an die eigene Geschichte, an die Geschichte des Heimatortes und der Kirchengemeinde, so dürfen wir natürlich auch wissen: Gottes Geschichte mit uns geht weiter!

 

 

1. Kön 8, 22 - 30 (Himmelfahrt):

Das Wohnungsproblem ist bei uns weitgehend gelöst. Aber Gott ist in unsrer Zeit in Wohnungsnot geraten, jedenfalls dann, wenn man kurzsichtig in den alten Vorstellungen denkt.

Wer noch dem Drei-Stockwerk-Weltbild anhängt - Himmel, Erde, Hölle - der wird dort nur noch schwer eine Wohnung für Gott finden können.

Heute ist es doch schon Alltag geworden, daß Raketen in den Himmel fliegen, in dem man sich früher die Wohnung Gottes vorstellte. Heute richten sich dort Menschen für ein halbes Jahr häuslich ein. Start und Rückkehr geschehen mit großer Präzision und anscheinend unkompliziert. In diesem Weltbild scheint es keinen Platz mehr für Gott zu geben.

Ganz Kluge wollen allerdings doch noch ein Plätzchen für ihn gefunden haben. Die Astronomen vermuten, daß der Weltraum nicht nur dreidimensional ist (also aus Lage, Breite und Höhe besteht), sondern vierdimensional gekrümmt. Außer Länge, Breite und Höhe gäbe es also noch eine vierte Dimension, die wir aber mit unsren menschlichen Mitteln nicht erkennen kören. Man kann sie unter Umständen mathematisch berechnen, sich aber nicht vorstellen. Ganz schnelle Weltraumflieger könnten diese Dimension vielleicht durchqueren, ohne es zu bemerken; und wenn sie dann auf die Erde zurückkämen, sähen sie alles seitenverkehrt.

Für unsre Vorstellung klingt das etwas verrückt. Aber für manchen wissenschaftlich beschlagenen Christen wäre das doch eine elegante Lösung für das Wohnungsproblem Gottes. Man könnte doch sagen: „Dieser vierdimensionale Raum ist der Ort Gottes. Dieser Raum muß irgendwie da sein, aber er ist für uns unzugänglich und deshalb als Wohnung Gottes gut geeignet!“

Aber solche Überlegungen sind an sich alle überflüssig. Uns nutzt ja kein Gott, der sich in irgendwelchen fernen Weltenräumen aufhielte. Wir brauchen doch einen Gott, der uns nahe ist, der unter uns Menschen ist und nicht über den Sternen. Natürlich muß er auch irgendwie „außen“ sein. Er ist zwar in der Welt, aber nicht selber ein Stück Welt. Gott ist in den Menschen und Dingen, aber auch wieder von ihnen unterschieden. Doch wichtig wird für uns vor allem sein, daß er der Gott für uns ist.

Zur Zeit des Königs Salomo meinte man, Gott durch den Bau eines Tempels an sich binden zu können. Seinem Vater David war der Bau eines Tempels noch verwehrt worden. Zu groß war die Gefahr, daß man in heidnische Denkformen zurückfiel. Die Heiden machten einfach ein Schnitzbild ihrer Gottheit und bauten einen Tempel drumherum; damit hatten sie ihren Gott sichtbar und greifbar vor Augen.

Israel aber hatte einen unsichtbaren Gott und hätte an sich keine Wohnung gebraucht. Salomo bringt das auch durchaus in seinem Tempelweihegebet zum Ausdruck. Zunächst stellt er heraus, daß kein Gott mit dem Gott Israels zu vergleichen ist. Das Vorhandensein anderer Götter wird noch nicht geleugnet. Aber es wird gesagt: „Unser Gott ist ihren überlegen. Er hat den Bund gehalten, den er mit seinem Volk geschlossen hat. Er wird seinem Volk auch weiter treu bleiben, wenn nur die Könige auf dem Thron Davids so leben, wie es Gott gefällt!“

Und dann kommt in dem Gebet diese wunderbare Formulierung „Der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen!“ Gott ist in keinen der uns vorstellbaren Räume einzupassen. Er ist nicht auf die Räume des Weltalls beschränkt und erst recht nicht auf das Allerheiligste im Tempel von Jerusalem. Er hat zwar die Sonne an den Himmel gesetzt, will aber selber im Wolkendunkel wohnen: Gott bleibt für uns weiterhin unerkennbar und unberechenbar.

So ist Gott fern und nah zugleich. Nahe gekommen ist er uns Manchen vor allem durch Jesus Christus. Was wir bisher von Gott gesagt haben, das gilt in gleicher Weise von Jesus Christus, denn Gott hat ihn zu sich emporgehoben und ihn zu seiner Rechten gesetzt. Wer rechts vom König oder Staatspräsidenten sitzt, der ist sein engster Ratgeber und derjenige, der seine Befehle in die Tat umzusetzen hat, also seine „rechte Hand“, wie man sagt.

Wenn Jesus also zu Gott aufgenommen wurde, dann regiert er jetzt die Welt so wie es Gottes Art ist. An Himmelfahrt ging es nicht um eine Ortsveränderung, sondern um eine Funktionsveränderung. Jesus ist jetzt in einer anderen Funktion tätig, er ist die Treppe hinaufgestiegen und hat jetzt einen höheren Posten. Der Mann von Nazareth hatte noch ein begrenztes Tätigkeitsfeld und sollte es auch haben. Der erhöhte Christus aber gelangte zu weltweiter Wirkung. Bei Matthäus schließt die Himmelfahrt mit der Aufforderung zur Mission. Dadurch soll die verlorengegangene Welt wieder zurückgewonnen werden, weil sie die von Gott geliebte

Welt ist.

Es ist nicht einer über uns, der uns nach seinem Gutdünken regiert und wir müssen erst einmal sehen, wie er sich zu uns stellen wird. Wir haben einen Herrn Jesus Christus, der priesterlich für die ganze Welt eintritt und sich für sie stark gemacht hat bis zur Selbstaufgabe. Gott hätte die Welt längst vernichten können. Aber er erhält sie von Tag zu Tag, weil er sie aufheben will für den Tag der Wiederkunft Christi.

Jesus ist nicht nur zu seinem himmlischen Vater zurückgekehrt, sondern er wirkt von dort aus weiter auf die Welt ein und wird einst auf neue Art und Weise in sie zurückkehren, um dort seine Herrschaft aufzurichten. Doch einiges von dieser Zukunft ist auch heute schon wirksam. Das Reich Gottes ist schon mitten unter uns, aber wir können es nicht mit Händen greifen oder auf eine andere Art für unsre Sinne erfahrbar machen.

Es ist auch nicht möglich, daß wir in einer langsamen Entwicklung selber dieses Reich herbeiführen oder auch nur dazu beitragen könnten. Es wird kein Parlament ein Gesetz erlassen können, von dem wir sagen knörten: Dadurch wird ein Stück der Herrschaft Christi verwirklicht.

Wir haben als verantwortliche Menschen in d en weltlichen Dingen unser Bestes zu tun und dafür zu sorgen, daß es besser wird in der Welt. Zusammen mit Nichtchristen sollten wir dafür sogar kämpfen, daß alles Menschenmögliche für die Verbesserung der Verhältnisse getan wird. Aber die Herrschaft Christi ist mehr. Vor allem wird sie erst am Ende aller Zeit voll zur Auswirkung kommen. Aber bis dahin wendet sich Gott uns doch in Liebe zu und will unsrer Schwachheit und unsrem menschlichen Verlangen entgegenkommen.

Salomo hat den Tempel errichten lassen im vollen Wissen um die Unfaßbarkeit Gottes. Aber er hat ihn immerhin bauen dürfen und die Billigung Gottes erfahren. Gott weiß: Den Menschen kann nur geholfen werden, wenn er sich an einem bestimmten Ort zu erkennen gibt und sich an diesem Ort finden läßt.

Gott ist zwar überall gegenwärtig. Aber er ist nicht überall für uns offenbar. Dieser Gedanke wird uns manchmal bedrücken und quälen. Wir möchten wissen, ob Gott für oder gegen uns ist. Deshalb hat Gott sich zu uns herabgelassen und sich zu erkennen gegeben. Aber er behält sich vor, den Ort seiner Selbstkundgabe zu wählen. Wir können ihn nicht zwingen, an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit zu erscheinen, dann wenn wir ihn gerade einmal brauchen.

Aber wenn Gott sich einmal an etwas gebunden hat, da möchte er auch, daß wir uns dort an ihn wenden. Für das Volk Israel gab es nur den einen Ort: den Tempel in Jerusalem. Aber sie waren sich auch ganz sicher, daß Gott da zu finden ist. Ihre feste Überzeugung könnten wir manchmal beneiden.

Aber auch wir haben Gotteshäuser und haben vor allem den Gottesdienst, in dem wir Gott anrufen können und wo er sich auch finden lassen will. Vor allem haben wir auch das Abendmahl, in dem er in einem gewissen Sinne leibhaft unter uns ist. Wir haben keinen Grund, uns arm zu fühlen. Gott ist für uns anrufbar, auch wenn wir Jesus nicht mehr persönlich für haben.

 

 

 

Jesaja 2, 1 – 5 (8. Sonntag nach Trinitatis):

Wo etwas los ist, strömen die Menschenmassen zusammen. Wenn eine deutsche Fußballmannschaft Weltmeister geworden ist, geht es zum Empfang auf den Frankfurter Römerberg,  da kann kein Arbeitgeber mehr die Fans halten. Wie von magischen Kräften gezogen eilen sie alle dorthin, wo die Stars sich einmal kurz dem Volk zeigen. Man kann sie aus der Ferne zwar kaum sehen, aber man ist dabei gewesen.

Warum geschieht das nicht auch, wenn in der Kirche etwas los ist? Dort ist immer etwas los, wenn sich Menschen versammeln. Wenn Gott einlädt, dann kann man doch nicht einfach so vorübergehen. Aber irgendwie löst der Ruf der Glocken nicht die Reaktionen aus wie bei den Fußballbegeisterten.

Ich habe einmal jemand zum Zahlen der Kirchensteuer bewegen wollen mit dem Argument: „Der Betrag ist geringer als die Fernsehgebühr!“ Da war die Antwort: „Aber das Fernsehen ist zehnmal interessanter als die Kirche!“ Warum ist die Kirche für so viele Menschen so wenig attraktiv?

Bei einer Untersuchung haben der öffentliche Dienst und die Kirchen sehr schlecht abge­schnit­ten bei der Beurteilung ihrer Kundenfreundlichkeit. Man mag das bedauern, daß die Kirche als Dienstleistungsbetrieb angesehen wird und die Gemeindeglieder als Kunden. Aber In der heutigen Gesellschaft gelten nun einmal diese Maßstäbe.

Da wird gefragt nach günstigen Öffnungszeiten, nach hellen und warmen Räumen, nach einem abwechslungsreichen Programm. Die Angestellten sollen Animateure sein, die das zahlende Publikum zur Kreativität anregen. Die Kirche wäre dann so eine Art Reiseveranstalter! Nur soll die Reise nicht ins Jenseits gehen, sondern schön in unseren irdischen Gefilden bleiben.

Oder man sieht die Kirche wie eine Versicherung an: Man zahlt etwas ein für den Notfall. So ganz ohne Absicherung möchte man nicht sein, das hat man schon begriffen. Aber wenn dann der Versicherungsfall eintritt, dann soll auch alles klappen bei dem Dienstleistungsunternehmen Kirche. Dann hat man ein Recht auf prompte Bedienung, einen angemessenen äußeren Rahmen und zum Beispiel eine witzig bis tiefschürfende Rede. Nur so kann man das eingezahlte Geld wieder herausholen.

Es ist schwer, sich diesem Anspruchsdenken zu entziehen, denn es steckt in uns allen drin. Dabei hat die Kirche in der Tat etwas zu bieten. Nur ist das nicht unbedingt das, was man so vordergründig in ihr sucht. Aber hier ist das zu finden, was wirklich unser Leben erhält und uns Zukunft gibt.

Bei den Israeliten war das noch anders. Sie hatten eine tiefe Sehnsucht nach der Herrschaft Gottes, nach dem Offenbarwerden seiner Herrlichkeit. Sie meinten: Einst kommt der Tag, an dem alle Menschen erkennen, wer Gott ist und wie er zu uns ist. Dann werden sie zum Berg Zion in Jerusalem kommen und den Gott Israels anbeten. Jerusalem also der Nabel der Welt, das Ziel für die ganze Menschheit, der Beginn einer neuen Welt.

Aber hat es das nicht auch in unserem Volk gegeben? „Am deutschen Wesen soll

die Welt genesen!“ hieß es im 19. Jahrhundert bei dem vielfach verehrten Dichter Emanuel Geibel. Heute heißt es: „Deutschland muß Weltmeister werden, alles andere zählt nicht!“ Oder der einzelne sagt: „Ich will es zu Reichtum bringen, sonst war mein Leben vergeblich. Die anderen sollen kommen und mich bewundern, dann bin ich der Größte!“

Das liegt einfach ins uns drin, daß wir nicht den unteren Weg gehen wollen, sondern über die anderen erhaben sein wollen. Dabei ist doch Gott der Höchste. In der Bibel wird das so ausgedrückt, daß Gott auf einem Berg wohnen soll. Nun ist der Berg Zion innerhalb der Stadt Jerusalem nicht besonders hoch. Aber es geht ja auch nicht um die tatsächliche Höhe, sondern es sollte damit zum Ausdruck kommen: Dieser Gott ist mehr als alle anderen Götter! Und wir heute sagen sogar: Dieser Gott ist der einzige, konkurrenzlos in der Welt! Nicht Israel ist allein das erwählte Volk, nicht wir sind seine Lieblingskinder: Gott allein ist der Größte und Höchste.

Aber es ist doch ein schönes Bild, wie die Völker da nach Jerusalem kommen, um sich Weisung für ihr Zusammenleben zu holen. Sie wollen den Priester befragen, der das Gesetz Gottes verwaltet. Sie brauchen eine Art Schiedsstelle in Konfliktsituationen, für die großen Fragen der Welt. Und dazu gehen sie nicht zu dem Orakel von Delphi, sondern zu dem Gott Israels.

Heute müßte die Kirche an diese Stelle treten. Dabei ist aber die Gefahr groß, daß nicht Gottes Wort verkündet wird, sondern Menschen ihre Herrschaft aufrichten. Diese Gefahr ist immer beim Papst gegeben, der eine Art Oberaufsicht über die Welt durchführen will und sich als Stellvertreter Gottes versteht. Aber er predigt nicht die Liebe Gottes, wie sie im Alten und Neuen Testament zum Ausdruck kommt, sondern eine enge menschliche Moral einer vergangenen Zeit.

Die evangelische Kirche ist da anpassungsfreudiger und aufgeschlossener. Aber ihre Denkschriften werden von Professoren und Oberkirchenräten verfaßt, die weitab vom wirklichen Leben der meisten Menschen sind. Schon ihre Sprache ist so abgehoben, daß man ihre klugen Gedanken gar nicht versteht. Und die Ratschläge zielen so sehr auf eine heile Welt hin, daß man von vornherein entmutigt wird. Auch von den evangelischen Kirchen geht heute nur wenig Weisung aus.

Selbstverständlich ist: Wenn die Völker der Welt nach dem Willen Gottes fragen, dann ist unser Volk, dann sind wir alle aufgefordert, zu Gott zu gehen und uns beraten zu lassen. Wir kommen alle nicht mit den Fragen des Rechts zurecht. Immer wieder muß es geändert werden, weil sich die Verhältnisse geändert haben.

Aber es muß leider auch geändert werden, weil die Menschen so wenig auf Gott hören und sich nicht nach den Geboten richten. Weil es zu viele Übertretungen gibt, wird die Schwelle einfach heraufgesetzt, damit die Zahl der Fälle niedrig bleibt.

Wir brauchen aber eine höchste Autorität in der Welt, wenn es gerechter und friedlicher zugehen soll. Unser Gewissen ist da zu unzuverlässig. Es wird überlagert und fehlgesteuert durch landläufige Auffassungen und Gewohnheiten. Wenn Unternehmer andere Menschen für einen Hungerlohn arbeiten lassen, dann muß man mithalten, wenn man nicht pleitegehen will. Der Kriegsverbrecher und Mauerschütze beruft sich auf den Befehlsnotstand. Der Terrorist meint, mit Gewalt die Welt verbessern zu können.

Wenn es um das eigene Interesse geht, dann denken wir doch immer an uns selbst. Nicht nur die anderen verbiegen Wahrheit und Recht zu ihren Gunsten, sondern auch bei uns selbst ist das so. Wie gut wäre es doch, wenn wir uns mit unserem Gegner an einem dritten Ort treffen könnten, wenn wir gemeinsam vor Gott treten könnten und ihn entscheiden ließen, so daß wir aus Feinden und Gegnern zu Partnern oder gar Freunden werden.

Letztlich ist das Recht doch eine Wohltat für alle Seiten. Das merkt man besonders bei Rechts­brüchen, wenn man Opfer eines Einbruchs oder einer Gewalttat wurde, wenn Faustrecht und Krieg herrschen.

Der wichtigste Ratschlag Gottes ist: Haltet Frieden! Vor dem UNO-Gebäude in New York steht die Plastik eines Mannes, der sein Schwert zu einer Pflugschar umschmiedet. Sie wurde in Ungarn geschaffen und dort auch auf einer Briefmarke verewigt. Die Sowjetunion hat sie dann gekauft und der UNO geschenkt und ein Duplikat in Moskau aufgestellt.

So hat die Botschaft des Jesaja die Runde um die Welt gemacht. Sie steht anschaulich vor dem Gebäude der UNO, die doch geschaffen wurde, um den Frieden in der Welt zu erhalten. Doch wir wissen alle, wie ohnmächtig sie ist. In Bosnien hat sie 1992 Schutzzonen geschaffen. Aber ihre Soldaten haben tatenlos dabeigestanden, wie Tausende von Menschen hingemordet wurden.

Helfen kann die UNO nur, wenn die Großmächte einverstanden sind und die Betreffenden zustimmen. Die UNO ist nur e i n e Stimme im Konzert der Standpunkte. Sie ist nur die Summe dessen, was die Völker von sich aus leisten können. Aber sie ist leider nicht die Schiedsstelle außerhalb oder oberhalb der Streitenden.

Frieden gibt es nur mit Gott. Er fordert die Vernichtung der Waffen und die Abschaffung des Krieges als Mittel der Politik. Der Krieg darf nicht mehr länger als Handwerk gelten, das man erlernen kann. Doch das ist leichter gesagt als getan.

In den letzten Jahren wurde ja abgerüstet. Aber gleich ging das Geschrei der Gemeinden los: Wir brauchen die Bundeswehr als Arbeitgeber und Kunde. Bei der gegenwärtigen Arbeitsmarktlage werden sich viele Männer und in zunehmendem Maße auch Frauen sagen: „Ehe du arbeitslos wirst, gehst du lieber zur Bundeswehr. Da wirst du Beamter und bist in Sicherheit!“ So wird der Krieg zum ganz normalen Beruf, nicht mehr das letzte Mittel der Politik, wenn auch nicht ein besonders gutes.

Die Menschheit hat immer sehr viel besser gewußt, wie man Kriege vorbereitet und führt, als wie man Frieden schafft. Drücken Sie einem Jungen eine Wasserpistole in die Hand, und er weiß, wie er damit umgehen muß. Der russische Kinderbuchautor Marschak sagte einst vorwurfsvoll zu den Kindern am Straßenrand: „Wie kann man nur Krieg spielen. Ihr wißt doch sicher, wie schlimm Krieg ist. Ihr solltet lieber Frieden spielen!“ Die Kinder antworten: „Das ist eine gute Idee!“ Sie beraten und tuscheln. Schließlich tritt ein Kind vor und fragt: „Großväterchen, wie spielt man Frieden?“

Das haben wir alle nicht gelernt. Nein einziges Friedensforschungsinstitut gibt es, nämlich in Stockholm. Wir brauchen aber viel mehr Phantasie, damit Patronen zu Schrauben und Panzer zu landwirtschaftlichen Maschinen werden. In zwei Kriegen haben wir es umgedreht erlebt: Da wurden die Glocken von den Kirchtürmen geholt und zu Kanonen umgegossen. Man mußte schon vorher, daß man auch damit den Krieg nicht gewinnen konnte. Aber man wollte den Leuten vor Augen führen: Ihr müßt jetzt die letzten Reserven mobilisieren!

Aber wenn jetzt wieder Kanonen zu Glocken werden, dann ist das noch nicht der Frieden. Abrüstung und Friedenssicherung haben nur auf der Grundlage des Vertrauens eine Aussicht. Interessenkonflikte wird es immer geben. Es gibt sie auch in unserem kleinformatigen Alltag. Bereinigen lassen sie sich nur, wenn Gott der Schiedsrichter ist.

Dann sähen die Konflikte von vornherein anders aus: Das Land wäre uns nur von Gott geschenkt. Seine Früchte und Bodenschätze wären Gottes Gaben. Die Menschen und Tiere wären unsre Mitgeschöpfe. Und die Politiker und Wirtschaftsbosse würden die Erde als Gottes Beauftragte regieren. Keiner hätte mehr Angst, zu kurz zu kommen, weil er alles von Gott erwarten darf. Schließlich wüßte überhaupt keiner mehr, wie man Waffen herstellt. Totaler Frieden auch im zwischenmenschlichen Bereich!

Ist das zu idealistisch gesehen? Ist das nicht ein Traum, der sich nie verwirklichen läßt? In der Tat wird dazu erst die Herrschaft Gottes aufgerichtet werden müssen. Allerdings wird sie anders sein als die Machtausübung unter Menschen. Gott setzt sich nur durch mit Liebe und Hingabe seiner selbst. Was Jesaja nur als Bild geschaut hat, ist in Jesus Wirklichkeit geworden. Er hat gezeigt, daß man Haß überwinden und Frieden halten kann. Symbol des Friedens ist nicht nur die harmlose Taube, sondern auch der kräftige Schmied, der Waffen zu Werkzeugen macht. Frieden wir nicht nur passiv erlitten, sondern auch aktiv erstritten.

Wir müssen schon etwas dafür tun, aber wir k ö n n e n auch etwas dafür tun. Wir können keine Abrüstungsverhandlungen führen. Aber wir können als Eheleute einander zu verstehen versuchen, als Nachbarn alles zum Besten kehren, als Feinde wieder ins Gespräch kommen und als Ichmenschen auf das Wohl anderer bedacht sein. Weil wir selber zu Gott gefunden haben, können wir tatsächlich etwas ändern in der Welt. Oder besser gesagt: Weil Gott sich in uns durchsetzt, kommen wir voran auf dem Weg zu der großen Zukunft schau des Propheten. Wer diese Zukunft vor Augen hat, kann nicht mehr leben, als gäbe es sie nicht oder als käme sie nicht: Diese neue Welt Gottes kommt!

 

 

Jes 6, 1 - 8 (Trinitatis):

Zum Gottesdienst finden sich immer Christen ganz unterschiedlicher Schattierung in der Kirche ein. Da sind einige kirchlich sehr engagierte Menschen dabei, Kirchenvorsteher und kirchlich aktive Leute. Da sind andere, die gelegentlich zum Gottesdienst kommen und wieder andere, die sicher lange nicht ein Gotteshaus von innen gesehen haben.

Wir wollen uns davor hüten, einen abzuqualifizieren, weil er nicht dem Idealbild eines Christen entspricht. Es gibt ja andere, die überhaupt nicht zu diesem Gottesdienst gekommen sind und nicht nur verhindert sind, sondern auch das ablehnen, was hier geschieht. Wer aber hier mit uns feiert, der hat recht getan. Wir haben nicht das Recht, hier Unterschiede zu machen.  A 1 1 e haben wir die Möglichkeit, heute hier im Gottesdienst dem heiligen und dreieinigen Gott zu begegnen.

Wir haben ja heute das Trinitatisfest. Es will uns deutlich machen, daß Gott uns auf drei verschiedenen Weisen begegnet: als der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. In einem Predigttext aus dem Alten Testament kann das natürlich noch nicht so deutlich werden, denn damals wußte man ja noch nichts von Jesus Christus, dem Sohn Gottes und nichts vom Heiligen Geist.

Aber schon im Alten Testament hat man nach und nach das Wesen Gottes entdeckt. Zunächst hat man ihn nur als Gott in der Geschichte erfahren, der dem Volk beim Durchzug durchs Meer geholfen hat. Dann hat er ihnen das versprochene Land gegeben und ihnen gegen die Feinde geholfen. Er hat am Sinai einen Bund mit ihnen geschlossen und ihnen seine Gebote mitgeteilt. Dann haben sie erkannt, daß nicht die angestammten Götter die Fruchtbarkeit des Landes geben, sondern allein ihr Gott. Und daraus entwickelte sich dann die Erkenntnis, daß er auch der Schöpfer der ganzen Welt ist. Natürlich war Gott schon immer der Schöpfer. Aber erkannt hat man das erst nach und nach.

 So ist der Gott des Alten Testaments noch unerkannt der dreieinige Gott des Neuen Testaments ist. Uns heute ist die Decke vor den Augen weggezogen und wir sehen die ganze Herrlichkeit Gottes. Gott hat in Jesus Christus ein Gesicht bekommen und leitet uns auch heute durch seinen Geist. Deswegen wollen wir auch heute alle drei Artikel des Glaubensbekenntnisses durchgehen und uns deutlich machen: Gott ist zwar unnahbar, aber er hat uns doch frei gemacht von unserer Sünde und sendet uns heute zu den Menschen.

 

(1.) Gott ist unnahbar: Für viele von uns mag Gott auch groß und unnahbar erscheinen. Und die Welt Gottes sowie die Welt des Gottesdienstes mag ihm fremd und sonderbar erscheinen. Die alltägliche Welt ist ihm völlig anders. Die Sprache, die am Sonntag innerhalb der Kirchenmauern gesprochen wird, ist anders als die Sprache, die am Montag draußen gesprochen wird.

Dennoch darf Jesaja einen kleinen Blick in die Welt Gottes tun. Allerdings kann er Gott nicht selber sehen. Er muß den Blick senken. Er sieht nur ein großes Licht und der Vorhang im Tempel kommt ihm vor wie der Saum des Gewandes Gottes. Gott aber bleibt fremd und übermächtig, in Rauch eingehüllt und nur durch das Rufen der Engel noch angedeutet. Gott wird nur erkennbar, wenn er sich selbst erschließt. Auch für Jesaja ist die Gotteserfahrung im Tempel einmalig gewesen. Gott bleibt der Heilige. Hier ist eine Grenze gezogen, die der Mensch nicht ungestraft übertreten darf. Gott ist halt anders. Aber er ist nicht weit weg hinterm Sternenzelt, sondern er ist ständig gegenwärtig in seiner ganzen Schöpfung. wohin wir auch gehen, stoßen wir auf Gott. Der unsichtbare Gott gibt sich zu erkennen, auch in unserer Zeit und auch für uns.

 

(2.) Gott macht uns frei: Der unnahbare Gott sich uns gezeigt in Jesus Christus. Weil wir dafür oft blind sind, muß es uns gesagt werden. Jesaja empfindet das sehr stark, daß er unrein und sündig ist. Seine Angst und sein Schuldgefühl werden ihm nicht ausgeredet. Er muß erst entsündigt werden, ehe er sein Amt antreten kann. Jesaja empfindet besonders, daß er unreine Lippen hat. Mit den Lippen sprechen wir und stellen die Verbindung zu anderen Menschen her. Die Lippen und die Sprache sind so das eigentlich Menschliche. Aber gerade hier kann sich deshalb eine Verderbnis besonders auswirken. Deshalb muß auch Jesaja mit der Feuerglut von Gottes Altar gereinigt werden. Aber Gott (!) muß es machen. Er tut das aber immer „durch etwas“, also durch seine Engel und durch ein Stück glühende Kohle.

Der Reinigungsakt bei Jesaja ist dabei nicht nur eine symbolische Handlung. Wenn Gott handelt, dann hat das auch Hand und Fuß. Diese Reinigung geschieht auch schon im Blick auf Christus. Er hat ja erst dafür gesorgt, daß wir voll und ganz frei gemacht werden von der Sünde. Gottes Gericht fällt zwar nicht aus, aber es wird nicht an uns vollstreckt, sondern an seinem Sohn Jesus.

Als er Gott erkennt, merkt Jesaja, daß seine Beziehung zu Gott gestört ist. So ist auch heute jeder Gottesdienst eine Gelegenheit, das eigene Versagen zu erkennen und sich vor Gott entsündigen zu lassen. Alles, was sich im Laufe des Lebens so angelagert hat, kann jetzt wieder abgewaschen werden. Besonders das Abendmahl will uns das ja deutlich machen und uns wieder in die Gemeinschaft mit Gott hinein ­holen.

Nicht nur zwischen Gott und den Menschen gibt es da Grenzen, sondern auch auf unserer Erde gibt es Welten, die streng voneinander getrennt sind. Da gibt es Nachbarn, die zwischen sich keine Brücke kennen. Alte und junge Menschen leben unverstanden nebeneinander. Und auch von manchem Kirchenmitglied kann man hören: „Ich gehe nicht in die Kirche, weil der oder jener mich geärgert hat!“

Gott aber will das nicht. Seine Welt sieht anders aus. Und deshalb sendet er seine Botschaft hinein in unsere Welt, damit es auch dort anders wird. Er kommt in unsre Welt hinein, damit auch wir es lernen, nur gute Worte zueinander zu sagen. Gerade am Abendmahl kann uns das deutlich werden. Denn wenn Gott sich mit uns versöhnt, dann werden wir auch untereinander Versöhnte sein.

 

(3.) Gott sendet uns: Aber eine solche Entsündigung ist auch notwendig, wenn man ein Sprecher Gottes sein will. Und Boten Gottes sollen wir ja alle sein. Deswegen ist uns ja schon in der Taufe der Heilige Geist mitgegeben worden. Nicht jeder von uns ist ein Jesaja. Aber sein Auftrag könnte für jeden von uns gelten. Wer vor uns will mithelfen, daß Gleichgültigkeit und Feindschaft, Selbstsucht und Schweigen aufhören und in Gemeinschaft und Austausch verwandelt werden?

Gott hat den Jesaja doch deswegen entsündigt, damit er Gottes Stimme hören kann. Gott fragt: „Wen soll ich senden?“ Jesaja soll es hören und sich freiwillig zum Dienst melden. Eben war er noch ein Verlorener, nun ist er Bote Gottes. Eben war er noch zu Boden geworfen im Bewußtsein seiner Schuld jetzt wird er ermächtigt zum Botendienst.

Aber wir alle haben die gleiche Chance. Wenn am Anfang der Predigt deutlich gemacht wurde, daß wir unter Umständen von ganz unterschiedlichen Ausgangspunkten her hier zusam­men­gekommen sind, so ist jetzt jedoch zu sagen: „Das muß nicht so bleiben!“ Jeder von uns hat die Möglichkeit, in den Dienst Gottes zu treten.

Gott ist nicht nur der große und heilige Gott. Er ist auch in Jesus Christus hineingekommen in unsere Welt, damit sie anders wird. In dieser Welt hat er sich eine Gemeinde gesammelt, die

er hin aussendet als seine Boten. Sie soll die Gotteswelt hineintragen in die Menschenwelt.

Dafür ist keiner zu alt und zu schwach. Den Kindern und Enkeln die eigenen Glaubenserfahrungen mitzuteilen, das ist doch eine lohnende Aufgabe. Dadurch wird man auch selber im Glauben fester und merkt, daß alles ja gar nicht so schwer ist. Gottes Frage: „Wen soll ich senden?“ gilt heute auch uns. Diese Frage dürfen wir nicht überhören. Aber wenn wir darauf antworten: „Hier bin ich, sende mich!“ dann wird er uns auch dazu ausrichten und uns die Kraft geben, seine Boten zu sein.

 

Jes 11, 1 - 9 (Christfest II):

Es gibt doch etwas, was es nicht gibt. Es ist zwar bisher noch an keinem Ort der Welt verwirklicht und wird auch nicht voll verwirklicht werden. Es ist noch eine Utopie, etwas, das eben noch keinen Platz bei uns hat. Aber der Prophet Jesaja spricht mit kräftigen Worten von einer neuen Welt, die nicht nur teilerneuert ist, sondern in der der Friede Gottes herrscht.

Wir alle haben diese Sehnsucht nach einer Welt, in der es sich endlich sorglos leben läßt: Kein Mangel, keine Benachteiligung, keine Verletzung der Würde des Menschen, keine Drohung oder Anwendung von Gewalt. Man sollte solche utopischen Träume nicht von vornherein für unangebracht erklären und meinen, darüber lohne es sich nicht zu sprechen.

Viele Völker haben in solchen Träumen ihren Protest gegen das Bestehende zum Ausdruck gebracht. Sie wollten sich nicht abfinden mit dem, was ist, sondern ihre Hoffnung in klarer umrissene Formen bringen. So etwas setzt Kräfte frei, bringt etwas in Bewegung, regt den Willen zur Veränderung an, treibt zur Tat.

Weihnachten ist etwas anderes, als wir es uns in der Regel vorstellen. Wir denken meist an die Weihnachtsfreude in der Kindheit, an das Kind in der Krippe, die Engel und Hirten. Wir singen das Lied: „Es ist ein Ros entsprungen“, indem die Rede ist von der „Wurzel zart“ und dem „Blümelein so kleine“. Die Gefahr ist immer, daß wir Weihnachten verniedlichen und gar nichts mehr von der Kraft der Wende verspüren, die das Kommen Jesu gebracht hat für

uns.

Bei Jesaja ist die „zarte Wurzel“ der Stumpf eines gefällten Baumes und das kleine „Blüme­lein“ ist ein zu großer Kraft sich entfaltender neuer Trieb. Zwar wird an diesem Lied die Un­scheinbarkeit und Verborgenheit der Geburt Jesu deutlich. Aber es gibt auch die andere, ebenso verborgene Seite: Dieses Kind in der Krippe ist ein neugeborener König, der eine totale Verwandlung der Welt heraufführen soll. Das aber kann nur ein „großer Gott und starker König“, wie es in Bachs W9eihnabhtsoratorium heißt. So einen haben wir aber auch heute sehr nötig.

So wollen wir heute versuchen, etwas von der Verpackung des Weihnachtsfestes abzustreifen. Zugegeben: Es ist eine schöne Verpackung, nicht nüchtern und zweckmäßig wie im Alltag, sondern buntes Papier, das mit Goldfäden verschnürt ist. Manchmal möchten wir so etwas

gar nicht auspacken. Aber das wäre lieblos dem Schenkenden gegenüber.

So wollen wir uns von Jesaja anleiten lassen, das Geschenk Gottes richtig zu verstehen. Wir wollen es auspacken und uns darüber freuen und die Liebe des Schenkenden darin erkennen. Aber es geht dabei nicht um Träume, um an den Himmel gemalte Wünsche, sondern um die vom Himmel her gegebenen Zusagen.

Jesaja erwartet die Hilfe nicht vor der Familie des Königs David. Der Baum des Königtums wird gefällt und nur noch ein Stumpf übrigbleiben. Aber aus diesem Stumpf wird ein neuer starker Trieb hervorkommen: entweder wird ein ganz neuer Mann kommen oder ein Nachkomme der Brüder Davids. Mit der „Wurzel Jesse“ ist ja Isai gemeint, der acht Söhne hatte, unter denen zunächst David zum König gewählt wurde. Aber nun wird die Rettung nicht mehr von seiner Familie erwartet, sondern von einem neuen Mann.

Mit einer Wachablösung ist immer auch eine neue Ordnung und ein neues System verbunden. Diese tiefe Veränderung kann der neue Mann aber bewirken, weil er vom Geist Gottes erfüllt ist, weil er das Recht Gottes hütet und weil er den Frieden Gottes bringt. Er wird freilich auch über ein Volk regieren, das nichts Böses und Frevelhaftes tut.

 

(1.) Jesus ist vom Geist erfüllt: Bei solchen Verheißungen denken wir natürlich immer gleich an Jesus. In ihm erkennen wir den Friedensherrscher von Jesaja 11 wieder, auch wenn er entgegen den Erwartungen des Propheten ein Nachkomme Davids war. Wir erkennen ihn, auch wenn nur Niedrigkeit und Schwachheit an Weihnachten zu erkennen sind und nichts von seiner künftigen Herrlichkeit zu sehen ist.

Jedesmal, wenn in Israel ein neuer König den Thron bestieg, dann verbanden sich mit ihm die Hoffnungen des Volkes. Man fragte sich: „Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Man rief ihm zu: „Auf dir wird ruhen der Geist des Herrn, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn!“

Jesus hat diesen Geist der Weisheit, denn er kennt sich in der Welt und im Menschenleben aus. Er hat den Geist des Verstandes, denn er sieht die großen Zusammenhänge zwischen Gott und Welt und Mensch. Er hat den Geist des Rates, der ihn Wege finden läßt und Entschlüsse fassen läßt. Er hat den Geist der Stärke, denn er weiß sich auch in der Schwachheit durchzusetzen. Er hat den Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn, weil er mit seinem Vater

in vollem Einklang ist und ihn so ernst nimmt wie keiner von uns.

Jesus liebt auch seine Feinde und betet für sie. Er ficht nicht wie ein gereiztes Tier um sein Leben, sondern opfert sich für die Sünder aller Zeiten. Er teilt sie Menschen nicht ein in Verbündete und Verlorene, sondern er nimmt sich der Verachtenswerten an und läßt sie seine Brüder sein.

Das alles hat ihn letztlich ans Kreuz gebracht. Er hatte nicht den Ehrgeiz, einen Kaiser Augustus oder einen König Herodes zu verdrängen. Statt eines Heiligenscheins hatte er eine Dornenkrone auf, und statt eines Königs des Himmels war er ein König der Schmerzen. Man kann darin der Zusammenbruch seines ganzen „Konzepts“ sehen. Aber anders war und ist die Welt nicht zu retten.

Doch eine solche Haltung hat ganz konkrete Auswirkungen: Jesus war zwar kein Revolutionär, aber er hat sich auch nicht in die bestehenden Verhältnisse seiner Zeit eingefügt. Er hat die Verachteten um sich versammelt und für die Unterdrückten Partei ergriffen, den Armen und Elenden galt seine Liebe.

 

(2.) Jesus hütet das Recht Gottes: Er ist ein gerechter Richter in einem ganz anderen Sinne, als wir Menschen das könnten: Ein menschlicher Richter muß den Tatbestand erheben, muß beide Seiten hören und dann nach Vernunft und Recht entscheiden. Jesus aber durchschaut die Menschen von vornherein und ist deshalb ein unbestechlicher Richter. Vor ihm kann man höchstens auf einen Gnadenerweis hoffen. Aber weil er uns freispricht, überwindet und gewinnt er uns auch.

Wenn er uns aber so behandelt, dann sollten wir uns auch die Augen öffnen lassen für die Ungerechtigkeiten in der Welt von heute und mit unserem Wort für die Rechtlose eintreten. Weihnachten ist nicht ein Fest zum Feiern, sondern eine Gelegenheit zur Aktion für die Notleidenden. Gott ermächtigt uns zu einer Hoffnung. Es wäre nicht gut, wenn wir Gott und der Zukunft überließen, was wir heute tun sollen. Wir werden diese Welt nicht zum Paradies machen!

 

(3.) Jesus bringt den Frieden Gottes: Jesaja hat sich den Friedensherrscher der Zukunft anders vorgestellt, als er in Jesus Christus kam. Es bleibt da noch ein Überschuß an Verheißung. Der große Friede steht noch aus, aber er wächst in der Geschichte und überschreitet zugleich alles geschichtlich Erreichbare immer wieder. Morgen holt uns die Wirklichkeit wieder ein, die Sachzwänge, die Hilflosigkeit. Aber wir sollten uns nicht entmutigen lassen, sondern darauf vertrauen, daß unser Beitrag Wirkung hat: Da hat ein Steinmetz eine wunderbare Rosette für einen Dom gemacht, aber die fertige Kirche hat er nie erlebt. Aber eines Tages gab es sie wirklich. So ist es auch mit dem Frieden: Eines Tages wird er da sein!

Aber im Rahmen des Menschenmöglichen können wir das tun, was unserer Hoffnung gemäß ist. Sähen wir, was Gottes Augen tagtäglich ansehen müssen, dann würden wir nicht ruhig, da ist zum Träumen keine Zeit. Wir brauchen nur die Rüstungsausgaben der Staaten in aller Welt zu vergleichen und zusammenzurechnen, dann sehen wir, wie weit wir noch von dem Frie­dens­reich Gottes entfernt sind. Im nüchternen Wissen um unsere Grenzen sollten wir alles tun, was uns möglich ist, um Krieg zu verhindern und einen die Welt umfassenden Frieden zu schaffen.

Wenn kein Krieg ist, dann ist noch lange kein Friede. Jesus fordert auf zum Frieden machen.

Dazu gehört die Befreiung der Elenden aus unerträglicher gesellschaftlicher Situation, die Ent­machtung der Gewalttäter und die Beseitigung des Wolfsgesetzes im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben und im Zusammenleben der Völker. Wir können aber auch zu unserem Mitmenschen gehen und Frieden mit ihm machen, mit Worten und mit Taten. Haben wir Frieden in Familie, Beruf und Gemeinde, dann tun wir auch etwas für den Frieden im Weltmaßstab. Wenn wir Ja sagen zu dem Menschen, der uns Kummer macht und nicht in unseren Streifen paßt, dann sind wir Träger des Friedens Gottes.

Man muß das Ziel dabei kennen. Die Zukunfts- und Überlebenschancen der Welt hängen nicht von der Höhe der Rüstung ab, sondern von dem Mut und der Bereitschaft zum Leiden, wie es uns Jesus vorgemacht hat. Darüber hinaus wird es einer Kraft des Herzens bedürfen, die aus dem Geist Gottes stammt. Im Alltag werden uns manchmal Auseinandersetzungen aufgezwungen. Aber wer von der Versöhnung mit Gott herkommt, sieht auch im Widersacher den möglichen Bruder. Denn Christus ist für alle gestorben. Und das Kind in der Krippe ist in Wahrheit der Friedenskönig. Ihm sollen wir folgen, wenn unsre Welt vom Frieden erfüllt werden soll.

 

 

Jes 12 (Kantate):

Eigentlich wird heute nur noch in der Kirche gesungen. Natürlich gibt es die Profis: junge Frauen wie Lena und Sarah, und alte Männer wie Udo Jürgens und Jürgen Drews. Es gibt die Chöre und Musikgruppen. Aber wo singen Menschen heute noch spontan gemeinsam? Manch­mal singen noch die Fußballfans, wenn sie genug Alkohol getankt haben. Und die Parteien versuchen es manchmal: die CDU singt die Nationalhymne und die SPD die Internationale (aber nicht mehr die zweite Strophe, in der es heißt: „Uns rettet kein höheres Wesen, nicht Gott nicht Kaiser und Tribun“).

Ist die Kirche altmodisch, wenn sie bei jedem Gottesdienst und auch bei anderen Gelegenheiten mehrere Lieder singt? Manchmal sogar noch der einstimmige gregorianische Gesang aus dem Mittelalter ohne Instrumentalbegleitung. Und auch das Strophenlied in unserem Gesangbuch ist vielfach noch aus der Reformationszeit.

Aber seit 1994 haben wir ja auch wieder ein neues Gesangbuch mit neuen Liedern. Ich habe mich damals dafür eingesetzt, daß noch mehr neue Lieder hineinkommen, die Lieder für die Jugend aus den siebziger und Jahren. Aber die Theologen und Kirchenmusiker, die dann entscheiden, nehmen immer noch das reformatorische Lied als Maßstab. Nichts gegen die Lieder von Martin Luther und Paul Gerhardt, die müssen auch in unserem Gesangbuch sein. Aber die Gemeinde von heute singt auch das neue Lied.

Es wäre etwas am Glauben verkümmert oder vielleicht sogar gestorben, wenn wir nicht mehr sängen. Wenn der Glaube aus der Begegnung mit Gott entsteht, dann wird es zum Singen kommen. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die wirklich nicht singen können. In unserer Ausbildung mußte jeder im Angesicht seiner Kollegen und des Landeskirchenmusikdirekt das liturgische Singen üben. In unserer von der reformierten Tradition geprägten Kirche gibt es das ja leider nicht, daß zum Beispiel die Abendmahlsliturgie gesungen wird. Aber das Gemeindelied üben wir natürlich auch aus.

Gottes Wort ruft Antwort hervor. Diese wird selbstverständlich auch in Taten bestehen. Aber eine reine Geschäftigkeit entspräche auch nicht dem, was Gott an uns getan hat. Wenn wir Gott richtig verstanden haben, dann wollen wir ihm Antwort geben, mit allem was wir sind und haben. Dazu gehören auch unsre Stimme, unsre Gefühle und manchmal auch unsre Bewegung.

Wenn einer weithin dem Singen entwöhnten Generation der Grund zum Singen gezeigt wird, werden die in ihr schlummernden Kräfte wach gerufen. Man muß es nicht unbedingt gut können. Gott läßt sich auch die falschen Töne und einen kurzen Atem gefallen. Er ist nicht der Dieter Bohlen, der jeden falschen Ton merkt, sondern er freut sich über alles.

In erster Linie geht es darum, daß wir uns an Gottes Rufen und Handeln erfreuen und daß wir glücklich sind über die mit ihm hergestellte Gemeinschaft. Dann verfallen wir nicht in Rührseligkeit. Aber dann verlassen wir uns auch nicht auf das Gegenteil, den reinen Verstand. Dann verfallen wir auch nicht dem Rausch oder dem elektronisch verstärkten Lärm. Ein Lied kommt aus dem Staunen, dem Empfangen und dem Rühmen Gottes. Das kann man an dem Psalm in Jesaja 12 studieren. Er steht am Ende vieler Mahnungen und Gerichtsworte, schließt aber diesen ersten Teil wieder positiv ab. Er macht deutlich: Das Lob Gottes geht über den gegenwärtigen Augenblick hinaus, es geht über mich selbst hinaus und es geht über die Grenzen der Kirche hinaus.

 

1. Das Lob Gottes geht über den gegenwärtigen Augenblick hinaus: Fachleute merken natürlich, daß der Verfasser dieses Liedes abgeschrieben hat, ohne die Herkunft zu kennzeichnen.

Aber man kann ihm deshalb nicht Betrug oder mangelnde eigene Ideen vorwerfen. Der Glaube lebt aus den Erfahrungen der Vorfahren mit Gott. Das ist anders als bei der heutigen Werbung. Da wird der Eindruck erweckt, daß das Neue dem Alten überlegen ist. Beim Glauben ist das anders: Da wird erinnert an das Altbewährte. Der Glaube hat es zwar in diesem Augenblick mit Gott zu tun, aber er denkt dabei auch an Gottes Tun in der vergangenen Zeit. Dabei nimmt er gern die Formulierungen früherer Sängergenerationen auf und kleidet sie in sein eigenes Lob und Bekenntnis. Er wird Gott auch mit einem "neuen" Lied loben wollen. Aber er wird sich auch des Liedes der Kirche bedienen.

Man kann nicht immer alles neu erfinden. Und wenn man das Altbewährte übernimmt, dann verläßt man sich auf die Kirche mit ihren sehr viel größeren Erfahrungen, die von einer Generation zur anderen weitergegeben wurden. Es liegt nicht jedem, ein eigenes Gebet zu formulieren oder gar ein Lied zu schreiben. Da ist er dankbar, wenn er in der Kirche in die Gebete einstimmen kann, die andere aufgeschrieben haben, in denen man sich aber wiederfinden kann.

Natürlich muß man sich diese Glaubenserfahrung erst noch selber aneignen und für das eigene Leben fruchtbar machen. Aber es gibt viele andere vor mir und neben mir, die viel größere Glaubenserfahrungen haben. So leiht die Kirche uns ihre Sprache. Und wir können uns von ihrer Glaubenserfahrung tragen lassen.

In Jesaja 12 wird sogar auf das vorausgeschaut, was erst noch sein wird. An sich wäre eher Zeit für ein Klagelied, denn dem Volk ging es schlecht. Aber aus der Rückschau auf die herrlichen Taten Gottes nimmt man die Gewißheit, daß Gottes Zusagen auch in Zukunft in Kraft bleiben werden. Man weiß nur noch nicht, wann diese Zukunft anfängt.

So ist die Gegenwart keineswegs lichtlos, sondern voller Hoffnung. Und deshalb spricht man heute schon den Dank aus, der einmal fällig sein wird, wenn der Gotteszorn vorbei ist. Wer eine solche Hoffnung hat, für den ist eine Situation wie zu Jesajas Zeiten schon überwunden. So können auch wir in unserem Leben gewisse Durststrecken durchstehen, wenn wir wissen: Gott ist immer und überall mein Heil!

 

2. Das Lob Gottes geht über mich selbst hinaus: Indem die Gemeinde Gott lobt, gewinnt das Denken und Hoffen einen ganz anderen Mittelpunkt. Man fragt nicht mehr, was bei Gott zu holen ist. Gott wird um seiner selbst willen gepriesen, nicht um unsertwillen. Loben und Rühmen ist immer zweckfrei. Mit Gott kann man keine Geschäfte machen oder ihn für uns in Pflicht nehmen.

Wir können Gottes Herrlichkeit nicht durch unser Lob vergrößern. Wenn wir eine Ware loben, dann dient das dem Geschäft. Wenn ein Kind vor der Klasse gelobt wird, dann soll es dadurch selber und auch die anderen angespornt werden. Wenn einer einen Preis erhält, dann werden seine Verdienste herausgestrichen. Aber Gott können wir nichts geben, was er nicht schon hätte. Im Gegenteil, wir bleiben immer die Empfangenden.

Nicht ich singe einen Lobgesang für Gott, sondern er erweckt in mir den Lobgesang. Wenn es überhaupt ein angemessenes Reden über Gott geben kann, dann ist das Singen das beste Mittel, das Ganze unseres Herzens auszudrücken. Das echte Gotteslob ist Gott selbst, wie er sich in uns spiegelt und in uns tönt.

So lernen wir, von uns selber abzusehen. Es geht nicht um unsere Erfolge oder Mißerfolge, unseren Übermut und unsere Einbrüche. Wir können von unserer Verzagtheit absehen und nur noch auf den Punkt außerhalb von uns schauen, der Gott heißt. Wir können von unseren äußeren und inneren Zuständen absehen, und können wissen: Was ich brauche, das habe ich von Gott.

 

3. Das Lob Gottes geht über die Grenzen der Kirche hinaus: Gott ist in der Kirche. Das bedeutet zwar eine Konzentration. Man kann sicher sein, daß er hier zu finden ist. Aber das verpflichtet auch zur Ausbreitung im missionarischen Sinn. „In allen Landen“ soll von Gott die Rede sein, allen Völkern soll sein Tun bekanntgemacht werden.

Die Kirche nutzt in diesem Sinne auch manche Möglichkeiten. Da gibt es zum Beispiel in unserer Kirche die Kirchenkonzerte. Dazu kommen auch Leute, die nicht oder nur selten von der Predigt der Kirche erreicht werden. Nur handelt es sich dabei nicht um Kirchenkonzerte, sondern um „Konzerte in der Kirche“. Die Kirchengemeinde stellt nur den Raum und die Organisation zur Verfügung, aber ansonsten unterscheiden sich diese Veranstaltungen nicht von denen in großen Konzerthäusern.

Ich habe das anders kennengelernt, weil damals der Staat die Kirche gezwungen hat, sich auf ihr eigenes Thema zu besinnen. Kultur war allein Sache des Staates. Die Kirche durfte nur kulturell tätig werden im Rahmen ihrer Verkündigungsaufgabe. Eine Veranstaltung wurde aber nicht allein dadurch zu einer kirchlichen Veranstaltung, daß man am Schluß sagte: „So jetzt stehen wir noch auf und sprechen ein Vaterunser!“ - wie man das tatsächlich erleben konnte. Da muß man sich schon mehr einfallen lassen, damit nicht die Konzertbesucher mit einer Predigt überfallen werden. Aber da gibt es schon Möglichkeiten, mit Poesie und Dichtung eine christliche Verkündigung zu treiben, die aber doch durchaus in Einklang mit der Kunst steht.

Aber machen wir uns nichts vor: Kunst ist zwar auch eine Lebensäußerung der Kirche, sie ist aber nicht das, was die Predigt ist. Durch die Kunst wird abgeschwächt, was sonst in die Tiefe des Menschen dringen könnte. Es mag sein, daß viele Menschen einen solchen Umgang mit den Dingen des Glaubens lieber haben als die direkte Anrede. Es kann aber auch sein, daß diese Menschen nur fliehen vor der wenig überzeugenden Weise, Gottes Wort auszurichten? Vielleicht sagt auch die Musik besser und verständlicher, was eigentlich in der Kirche zu sagen ist.

Wir heute haben jedenfalls beides gehabt: Die direkte Anrede in den Lesungen und der Predigt, aber auch das gesungene Lob Gottes. So war es schon in der Reformationszeit, als das Lied der neuen Sichtweise des Glaubens sehr gut Bahn gemacht hat. Auch heute gehört beides zusammen. Am Sonntag „Kantate“ - „Singet“ haben wir uns bewußt gemacht, daß auch das Lied nicht vernachlässigt werden darf.

 

 

Jes 25, 8 – 9 (Ostern II):

An Ostern ist es leicht zu predigen. Da sind die Menschen froh gestimmt. auch wenn es nur deswegen ist, weil man einige zusätzliche Feiertage hat. Aber auch wer als Christ die Passionszeit bewußt erlebt hat, atmet erleichtert auf, weil jetzt wieder freundlichere Predigttexte dran sind und andere Lieder gesungen werden.

Wenn ein junger Mensch sich entschließt, Pfarrer zu werden, dann hat er wohl mehr solche Feste wie Ostern im Blick. Er denkt: Da gehst du auf die Kanzel und erzählst den Leuten etwas von dem, was du gelernt hast und was dich gerade so bewegt. Aber die Wirklichkeit ist ganz anders. Einen großen Teil der pfarramtlichen Tätigkeit macht die Begegnung mit Leiden und Tod aus.

Ganz schwer ist es, wenn junge Menschen sterben. Da wird zum Beispiel das einzige Kind im

Alter von 17 Jahren durch eine Gehirnhautentzündung innerhalb eines Tages hinweggerafft. Oder zwei junge Männer fahren sich nach der Disco mit dem Motorrad zu Tode. Da weiß man als Pfarrer auch nicht, was man den Eltern als Trost sagen soll.

Zumindest weiß man nicht, was man als Mensch sagen soll, denn rein aus menschlicher Anteilnahme heraus kann man keinen Trost geben. Da ist es gut, wenn man als Christ noch auf einen Höheren verweisen kann, wenn man den Trost Gottes weitergeben kann. Einem Pfarrer geht trotzdem jede Trauerfeier noch nahe - auch wenn es sich um einen ganz alten Menschen gehandelt hat. Aber manche Pfarrer machen Trauerfeiern auch ganz gern. weil man hier in besonderer Weise den Menschen helfen kann.

Wie ganz anders ist es da doch bei einer sogenannten „weltlichen“ Trauerfeier. Da spricht der Redner etwa folgendermaßen - ich gebe es verkürzt und mit meinen eigenen Worten wieder: „Lieber Hugo, nun bist du tot. Wir sind traurig darüber, aber wir können es nicht ändern, das ist nun einmal unser Schicksal. Aber morgen gehen wir wieder an die Arbeit, und dann schaffen wir für dich mit und erfüllen den Plan trotzdem!“

Man merkt natürlich gleich, daß das noch zu DDR-Zeiten war, als die Partei den Fehler machte, jeden nichtkirchlichen Menschen gleich zum Sozialisten oder gar Atheisten zu machen. Aber als Trost hatte sie nichts zu bieten als einige belanglose Worte. Da hat man es als Pfarrer wirklich besser, weil man die Auferstehung verkündigen darf. Das macht Ostern so schön, und etwas von dieser Freude fällt auch auf jede Trauerfeier.

Unser heutiger Predigttext hat allerdings ursprünglich gar nichts mit der Überwindung des Todes zu tun. Er dachte zunächst nur an die Überwindung alles Leids der Menschen: an Krieg und Plünderung, an Hunger und Verödung der Erde.

Erst später hat ein Abschreiber den Satz „Gott wird den Tod verschlingen auf ewig“ vorangestellt, der heute für uns der Schwerpunkt unsrer Überlegungen sein soll. Damit wird der Gedanke erweitert auf das, was letztlich alles menschliche Leben bedroht. Gefährlich ist nicht das einzelne Leiden, das erduldet werden muß oder unter Umständen auch abgewendet werden kann, sondern der Tod. Auf ihn läuft das Leben hin, so wie das Wasser eines Stromes unaufhaltsam dem Meer entgegenläuft. Man kann einzelner Leiden vielleicht Herr werden. Aber jeder Einzelsieg ist nur ein Aufschub, wenn der Tod nicht besiegt werden kann. Der Tod

streicht alles Gewonnene wieder durch, es sei denn, Gott verschlingt ihn.

Im Alten Testament mußte man noch davon reden, als sei das alles noch Zukunft, auch wenn man sich dieser Zukunft schon so gewiß war, als sei sie schon Wirklichkeit. Als christliche Gemeinde aber blicken wir wie in einem Rückspiegel auf das, was in der Auferstehung Jesu

Christi allen Glaubenden zuteilgeworden ist: Der Tod ist für immer verschlungen! So hat es Paulus gesehen, als er in 1. Korinther schreibt: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus (Vers 54)!“ Das ist doch ein schönes Bild, wie selbst der Tod von einem Untier verschlungen werden kann. Und so nimmt es auch die Offenbarung des Johannes auf: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein (7,17 und 21,4)!“

Dennoch bleibt unsre Sehnsucht nach der Überwindung des Todes. Der Wille zum Leben ist uns schon vom Schöpfer mitgegeben. Den Tod empfinden wir als bedrohlich, denn wir hängen alle am Leben. Einem Menschen, der mit dem Gedanken spielt, sein Leben selber zu beenden, muß man nur sagen: Wenn der Tod einmal von selber kommt, dann wird man erst merken, wie sehr man am Leben hängt, dann würde man alles dafür geben, ihn abwehren zu können!“

Das gleiche Problem zeigt sich bei der Sterbehilfe. Eine „aktive Euthanasie“, also ein bewußtes Töten, ist natürlich abzulehnen. Aber schwieriger ist es schon bei der „passiven Euthanasie“: Soll man das Leben eines Todkranken mit allen Mitteln verlängern oder darf man es abkürzen durch Unterlassen? Da gibt es Vorschriften für Ärzte, da haben sie den Staatsanwalt zu fürchten, wenn sie etwas falsch machen.

Wir schieben den Gedanken an den Tod hinaus. Ja, wenn wir alt und gebrechlich sind, dann werden wir ihn vielleicht noch hinnehmen. Aber ihn als einen natürlichen Vorgang hinzunehmen, der einfach zu unserem Leben dazu gehört, das fällt uns doch schwer. Doch wir sind ein Stück Natur. Und die Bibel sagt uns: „Von Erde sind wir genommen, zu Erde werden wir wieder werden!“

Doch das ist nicht die einzige Wahrheit. Der Mensch hat ein anderes Verhältnis zum Tod als die übrige Natur. Er w e i ß um sein Sterbenmüssen. Daß er nur ein einziges Leben hat, macht ihm zu schaffen. Er erkennt, daß er Möglichkeiten ungenutzt hat verstreichen lassen und seine Kraft an Nutzloses verschwendet hat. Er sieht, daß er vieles getan hat, was er vor Gott und den Menschen nicht vertreten kann. Im Tiefsten wissen wir das alles - und das macht uns so unruhig. Der Tod brauchte uns wenig zu erregen, wenn wir einfach dahingingen wie ein vom Baume fallendes Blatt.

Aber wir vergehen eben nicht! Wir haben ein unentrinnbares Verhältnis zu Gott. Wir wurden von Gott angesprochen und haben uns vor Gott zu verantworten. Das macht uns im Grunde so unruhig. Von der Natur her gesehen sterben wir an Herzversagen oder Krebs. Aber in Wirklichkeit sterben wir an Gott, weil wir im Konflikt mit ihm gelebt haben. Unser Sündersein macht den Tod so beunruhigend.

In den tiefsten Schichten unseres Herzens wissen wir, daß wir nicht so sind, wie wir eigentlich sein sollten. Von der Schöpfung her waren wir zu etwas anderem bestimmt. Was wir sind, haben wir aber zu verantworten. Aber ob Tod oder Leben am Ende stehen, entscheidet sich nicht daran, ob das Blut noch kreist, sondern daran, was sich zwischen Gott und uns so abspielt.

Aber als Menschen Gottes können wir uns nicht mit dem Tod abfinden, denn wir sind nicht für den Tod bestimmt. Gott hat uns die ewige, unzerstörbare Gemeinschaft mit uns zugedacht.

Wer glaubt, findet sich mit dem Tod nicht ab. Er spricht von dem Kommenden schon so, als wäre es schon da.

Doch wir haben eine Hoffnung, ja sogar eine Gewißheit über den Tod hinaus. Der Mensch ist darauf angelegt, über den Tod hinaus zu fragen und sich nach dem Leben zu sehnen. Aber darin ist die Überwindung, des Todes noch lange nicht garantiert. Das Leben ist für uns kein einklagbares Recht. Wir sind zwar zum Bilde Gottes geschaffen und zwar Geschöpfe, aber auch Partner Gottes. Doch was wir faktisch sind, steht auf einem anderen Blatt.

Doch Hoffnung ist kein Greifen ins Leere, sie ist schon begründet. Für die Menschen des Alten Testaments gehörte schon Mut dazu, vom Verschlingen des Todes zu reden. Man redete in Einzelfällen von Entrückung und in der Spätzeit auch von der Auferstehung der Toten. Aber man war noch karg und sparsam in seiner Hoffnung.

Es bleibt dabei: Jesus Christus ist der

Erste unter den Auferstandenen. Die Hoffnung auf die Überwindung des Todes hat ihren Halt allein an ihm. Der Tod mußte durch Gottes Tun tatsächlich überwunden werden. Das trennt uns von der Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Man meint ja, die Seele könne sowieso nicht vom Tod berührt oder gar vernichtet werden, denn sie sei unsterblich. Dann brauchte man natürlich das Wunder der Auferstehung nicht und der Tod brauchte durch das besondere Handeln Gottes nicht vernichtet zu werden. Es wäre belanglos, wenn wir von Gott weggehen und er uns wieder zurückholen muß. Das Ewige läge dann in unserem menschlichen Wesen und der Übergang ins Ewige vollzöge sich automatisch. Aber der Mensch ist immer eine Einheit von Leib und Seele. Der Tod trifft die Seele nicht weniger als den Leib. Auch die Seele muß erlöst werden.

Gott aber tröstet den Menschen. In väterlicher Liebe wischt er ihnen die Tränen ab. Er wendet sein Herz denen zu, die Trost brauche: Er ist der Gott für uns. Wir brauchen die Hoffnung, um über den gegenwärtigen Zustand hinauszugreifen.

Aber wir können auch nicht nur auf die Zukunft verweisen. Wer hungert, der braucht die Steigerung der Erträge, den gerechten Handeln, die gute Organisation, auch den Verzicht zugunsten anderer. Und wer gegen den Tod kämpft, darf das nicht vernachlässigen, was den Menschen möglich ist. Nur muß man sehen: Es geht nicht nur um die Verlängerung des menschlichen Lebens. Diese würde nur neue Probleme schaffen. Gott wird uns aber aus der Enge unsres an Raum und Zeit begrenzen Lebens herausholen. Wir dürfen hoffen, „denn der Herr hat es gesagt“, wie Jesaja schon versichert hat.

Gott ist noch einen Schritt weiter gegangen: Er hat Jesus Christus von den Toten auferweckt.

Es ist nicht so, daß wir nicht mehr hoffen müßten, weil wir Gewißheit haben. Noch immer strecken wir uns nach der Zukunft, noch immer heißt es: „Gott wird abwischen alle Tränen!“ Wir haben den Tod noch vor uns. Und ein Christ nimmt ihn ernster als ein Nichtchrist. Der Körper des Menschen vergeht, und dieses Sterben kann auch beim Christen nicht ohne Erschütterung abgehen.

Aber der Tod hat auch noch eine personale Mitte und Tiefe. Der Stachel des Todes ist nicht der Herzinfarkt oder der Krebs, sondern die Sünde. Aber die ist weg. Es steht nichts mehr zwischen uns und Gott. Aber das neue Leben, das Christus an Ostern ans Licht gebracht ist, kann nicht ein wiederhergestelltes physisches Leben sein, sondern ein neues Leben.

Das ist auch Anlaß, immer wieder dankbar zu sein. In einem Interview beschrieb der Komiker Bernd Stelter, wie er es mit seinen Kindern hält. Beim Abendgebet überlegen sie immer, was denn am Tag schön war und wofür man danken könnte. Manchmal muß man sie dabei anregen, sagte Stelter, aber wenn sie erst einmal begonnen haben. dann kann das auch schon einmal eine halbe Stunde dauern. Soviel Grund zum Danken haben wir tatsächlich.

Das Osterwunder ist aber nicht, daß Gott das Neue schaffen kann, sondern daß er es tatsächlich will und tut. Was Gott liebt, das lebt auch. Nichts kann uns mehr von der Liebe Gottes scheiden. Damit ist auch der Tod ein für allemal vernichtet.

 

 

Jesaja 29, 17 – 24 (12. Sonntag nach Trinitatis):

Im Grunde geht es uns doch allen gut. Es ist zwar üblich, über Alles und Jedes zu klagen. Aber in Ruhe betrachtet ist das meiste doch unerheblich. Da wird gestöhnt über den hohen Benzinpreis, der angeblich nicht mehr erträglich ist. Doch anderswo ist er noch höher, oder es ist gar kein Benzin zu haben. Und dabei muß man immer wieder im Hinterkopf haben, daß ja die Mehrheit der Menschheit nur die Füße hat, um sich von einem Ort zum anderen fortzubewegen.

Es gibt aber natürlich auch Dinge, die schon schwer sind: Wenn einer blind oder taub ist oder gar beides, dann ist das schon ein schweres Schicksal. Als Gesunde können wir diese körperlichen Gebrechen nicht unterschätzen. Und doch wissen wir, daß derart behinderte Menschen nicht auch unbedingt „arme Menschen“ sein müssen. Da wollte eine Gruppe aus einer Gemeinde alten Leuten eine Freude machen mit einem Lied und einem Bibelwort. Doch bei einer blinden Familie setzt sich der Mann sofort ans Klavier und begleitet das Lied mit sicherer Hand und vollen Akkorden und macht so den Besuchern eine Freude.

Ein Blinder kann vielleicht doch mehr nach innen schauen. Er ist dadurch oft reicher als wir, die wir so oft an der Außenseite der Dinge hängenbleiben. Gott aber will beides: Er will, daß die äußeren Schwierigkeiten unseres Lebens beseitigt werden, aber er will auch, daß die Menschen in einem umfassenden Sinn heil werden. Gott will die Welt fruchtbar und gesund, er will sie frei und gerecht und er will sie auch verständig und fromm.

 

(1.) Gott will die Welt fruchtbar und gesund: Es gibt Landstriche, die früher Wüste waren, nun aber durch den Menschen bewässert und fruchtbar gemacht worden sind. Aber es gibt auch das Gegenteil: Das bei Jesaja erwähnte Libanongebirge, aus dem doch einst die kostbaren Zedern kamen, trägt heute nur noch wenige Baumgruppen. Die Art, wie der Mensch mit der Erde umgeht, läuft den Absichten Gottes stracks entgegen. Wenn die Menschheit so weitermacht wie bisher, werden ihre Überlebenschancen mehr und mehr abgebaut. Wenn es einmal kein Erdöl mehr geben wird, dann werden die überleben, die heute noch wie in der Steinzeit oder doch wenigstens wie im Mittelalter leben.

Wenn wir zu den Überlebenden gehören wollen, dann müssen wir uns unsren unüberlegten Gepflogenheiten widersetzen: dem Raubbau an den Gütern der Erde, der gewaltsamen Veränderung der natürlichen Gesetzmäßigkeiten, der Verschmutzung und Vergiftung. Doch mit dem Flugzeug in alle Welt fliegen wollen wir alle. Aber der Fluglärm über unsren Köpfen soll aufhören. Irgendwie paßt das doch nicht zusammen.

Als Christen lieben wir die Welt, weil Gott sie liebt. Die Welt ist Gottes gute Schöpfung. Das uns von Gott zugedachte Heil schließt die ganze Welt mit ein. Dazu gehört auch, daß die Welt wieder fruchtbarer wird, daß sie nicht mehr unter der Dürre leiden muß, daß die Menschen der Erde nicht mehr das Nötigste mühsam abringen müssen, wie es in den meisten Gebieten der Welt der Fall ist.

Das Alte Testament ist so erfrischend lebensnah, weil es nicht nur das mehr himmlische Heil im Blick hat, sondern auch auf das mehr irdische Wohl der Welt bedacht ist. Wir sind geneigt. zu unterscheiden zwischen dem, was allein Gottes Sache ist, und dem, was die Sache der Menschen ist. Menschen können nicht von Gott erwarten, was sie selbst in Angriff nehmen sollen. Man muß Heil und Wohl schon unterscheiden, aber man muß es auch zusammen sehen. Es kann ja sein, daß einer sich im perfekten Wohl befindet und dennoch heillos ist. Heil

und Wohl wollen in der Ganzheit unseres neuen Menschseins eins werden. Deshalb spricht der Prophet von der großen Hoffnung, die wir haben dürfen.

Die Tauben und Blinden sind dabei einerseits die Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben und ohne Freude und Trost ein Schattendasein führen. Wir brauchen ja nur die Zeitung aufzuschlagen, dann wissen wir, wer diese Menschen heute sind und wem wir als Christen helfen sollen. Das kann irgendwo in der Welt sein, wo Menschen leiden unter Hunger und Krieg.

Aber auch bei uns gibt es Menschen, die arm dran sind. Es gibt bei uns im Weltmaßstab gesehen keine wirklich Armen: Das Existenzminimum wird jedem durch die Sozialhilfe gesichert. Aber es gibt eine relative Armut, die schon dort anfängt, wo Menschen nur die Hälfte haben von dem, was der Durchschnitt der Bevölkerung hat. Und es gibt vor allem auch körperlich

und geistig Behinderte, es gibt chronisch Kranke und Menschen, die nicht mehr in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können, selbst wenn sie noch leistungsfähig sind.

Die Tauben und Blinden sind aber zum Teil auch nur ein Bild für Menschen, die im übertragenen Sinne das Wort Gottes nicht mehr hören oder seine Schöpfung nicht mehr sehen. Gott will nicht nur die Heilung, sondern auch das Heil. Wir haben inzwischen zumindest theoretisch die Einsicht gewonnen, daß wir die Natur erhalten, bewahren und recht gebrauchen müssen. Aber all das kann uns nicht befreien aus der Umklammerung des Todes. Das ist doch unser eigentliches Problem. Aber wir gehören mit der ganzen Welt dem Gott, der den Tod besiegt hat. In all unserem Bemühen um eine bessere Welt ist Gott schon verborgen drin, der an seinem Tag seinen Heilswillen durchsetzen wird.

 

(2.) Gott will die Welt frei und gerecht: Dieser Abschnitt aus dem Jesajabuch ist vielleicht erst in einer späteren Zeit eingeschoben worden. Er würde dann in die Zeit passen, in der das ganze Volk Israel von den Syrern hart unterdrückt wurde. Der Tempel in Jerusalem war zu einem heidnischen Gotteshaus umgewandelt worden. Aber einige aus dem Volk haben sich auf die Seite der Unterdrücker gestellt und spotten nun über die, die noch am alten Glauben festhalten. Weil sie die Macht haben, sind sie auch ungewöhnlich reich geworden. Sie bestechen die Richter; wenn sich einer aber weigert, wird er einfach umgebracht. Und wer an der Wahrheit festhält, wird durch irgendwelche Tricks aufs Kreuz gelegt.

Der Prophet aber sagt: Gott ergreift für die Partei, die am meisten gestoßen, beraubt und verachtet werden. Er interessiert sich am meisten für die, die ihn am nötigsten haben. Er wird keinen allein lassen. Gott wird dem eine Ende machen, daß Menschen Unheil anrichten wollen, die Menschen verführen, die die Rechtspflege durcheinanderbringen, die andere erblassen lassen oder auch die nur im Irrtum gefangen sind.

Ein genauer Zeitpunkt für die Wende ist nicht angegeben. Er hängt ja auch ganz von Gott ab. Doch hier soll nicht vertröstet werden. Es wird schon alles gut werden! Hier ist nicht der Wunsch der Vater des Gedankens. Hier gilt tatsächlich: Wo die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten!

Vielleicht ist das nicht jedem gleich deutlich. Es geht ihm dann wir einem Menschen, der bei Nebel einen Aussichtsturm besteigt. Da kann ein anderer ruhig erklären: Dort liegt diese Stadt und dort jener Berg! Das nutzt dem Betreffenden gar nichts. Der Prophet Gottes aber sieht das Handeln Gottes schon klar vor sich. Er schildert den anderen, was er sieht, um ihnen dadurch wieder Mut zu machen.

Gott will keinen quälen. Er will keinen in die Klemme bringen, um ihn dadurch geneigter zu

machen für sein Wort. Man kann den Menschen nicht dadurch bekehren, daß man ihm erst seine Schlechtigkeit und sein Verlorensein einredet und dann sagt: „Nur Gott kann dich retten!“ Man kann auch nicht sagen: „Laßt die Menschen nur arm bleiben, dann sind sie geneigter für die Religion!“

Hier geht es eher um die Erfahrung: Die Verachteten und Benachteiligten öffnen sich eher für Gott als diejenigen, denen es gut geht. Weil sie nur noch auf Gott hoffen können, wird er ihnen auch helfen. Das wird eine Befreiung sein wie sie diejenigen erlebt haben, die 1945 die Konzentrationslager verlassen konnten oder die nach monatelanger Geiselhaft wieder heimkehren konnten. Gott macht - früher oder später - der Tyrannei ein Ende.

Befreiung ist aber mehr als eine Sache der Macht. Es geht auch um eine ganz neue Gesinnung. Es geht darum, daß dem Recht Gottes Genüge getan wird. Es geht nicht, daß Menschen beschwatzt werden zur Sünde, daß der Richter in seinem Amt nicht mehr frei ist, daß das Recht durch Lügen gebeugt wird. Das Recht darf nicht zum Instrument in der Hand der Mächtigen werden.

Alle Diktaturen haben einen Hang danach. Selbst der SS-Mann, der am 9. April 1945 Dietrich Bonhoeffer und andere hat umbringen lassen, hat noch vor der Hinrichtung ein sogenanntes

„ordentliches“ Gerichtsverfahren veranstaltet. Das hat ihn später vor einer Verurteilung bewahrt. Auch die SED-Verbrecher wurden nur nach DDR-Recht verurteilt und kamen meist mit einer Bewährung davon, die ihnen nicht weh tut, weil sie ja gar keine Gelegenheit mehr zu ihrem früheren Tun haben. Doch immerhin erfahren sie jetzt, was ein Rechtsstaat ist, und erkennen so, was sie vorher den Menschen verwehrt haben. Für das Volk Israel war Gott der Hüter des Rechts. Am Ende wird er seine Gerechtigkeit durchsetzen, denn es gibt kein Heil ohne Gerechtigkeit.

 

(3.) Gott will die Welt verständig und fromm: Durch die Heilung der Kranken und die Befreiung der Entrechteten darf der Glaube nicht vernachlässigt und vergessen werden. Wir sind als Menschen zwar aufgefordert, das zu tun, was wir tun können. Doch für die Bibel kann es kein Heil im vollen Sinne geben, ohne daß Gott in unserem Denken und Tun zu seinem Recht kommt. Wenn wir Gottes Partner sind (oder besser: er unser Partner ist), dann wird unser Leben im vollen Sinne erst heil, wenn wir es im Vollzug auch wirklich sind.

Es heißt nicht: Es wird alles schon anders werden! Vielmehr heißt es: I h r sollt anders werden! Nicht nur die äußeren Lebensumstände werden verändert - dafür wird Gott schon sorgen. Es wird aber auch zu einer inneren Erneuerung kommen müssen. Eine Heilung kann nicht geschehen, ohne daß das Verhältnis zu Gott wieder in Ordnung kommt. Das haben noch

die gewußt, die nach dem Krieg in die Kirche strömten: Die Rettung aus der äußeren Gefahr ist, nicht alles, sondern die Seele muß auch in Ordnung kommen.

Für uns als Christen bekommt das alles Gestalt und Farbe durch das Kommen Christi. Er ist gekommen, um zu verwirklichen, was auch uns in dem Verheißungswort aus Jesaja zugesagt. Er ist nicht so gekommen, wie es der Prophet ausgemalt hat. Er kam nicht als triumphierender Sieger, sondern mit der Krippe und dem Kreuz.

Aber das war der richtige Anfang. Denn jetzt können Kranke und Arme fröhlich sein, weil Gott ihnen hilft. Mit den Tyrannen hat es ein Ende, weil der Gekreuzigte stärker ist als der Tod. Die Unruhestifter können nichts ausrichten, weil Gottes Recht wieder in Kraft gesetzt wird. Etwas vom ewigen Leben ist schon jetzt in dieser Welt zu spüren. Aber wir trauen Gott nicht zu viel zu, wenn wir noch sehr viel mehr von ihm erwarten. Gott hat schon immer gehandelt. Er wird auch weiter handeln und noch größere Dinge tun.

 

 

Jes 30, (8-14) 15-17 (Silvester):

Auf dem Weg hierher in die Kirche hat es sicher schon gekracht. Nicht nur der unnütze Radau um Mitternacht belästigt uns in diesen Tagen, sondern auch mancher frühzeitige Knaller. Auf dem Heimweg werden uns vielleicht schon Betrunkene begegnen. Da empfinden wir die Ruhe und Abgeschiedenheit des Gottesdienstraums besonders angenehm. Der Predigttext unterstützt das noch: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein!“ Der Prophet Jesaja war allerdings von anderem Getöse als von harmlosen Knallfröschen umgeben: Er hörte das Säbelrasseln feindlicher Supermächte, zwischen die der kleine Staat Juda geraten war. Von Norden drohten die Assyrer. Sollte man sich ihnen unterwerfen oder doch vielleicht bei den Ägyptern im Süden eine Hilfe suchen.

Jesaja warnt die Führung seines Volkes: „Ägypten wird zwar gewaltig mit seinen Waffen rasseln, doch wenn es zur Entscheidung kommt, wird es nichts unternehmen!“ Doch das sagt er nicht als Realpolitiker, sondern das ist seine Einschätzung vom Glauben her: „Wer kein Vertrauen zu Gott hat, sucht sich falsche Verbündete unter den Menschen. Wer sich aber allein auf Menschen verläßt, der ist verlassen!“

Man könnte meinen, der Prophet sei nur mutlos geworden. Auch Gott scheint aufgegeben zu haben, denn Jesaja soll nicht mehr in der Öffentlichkeit auftreten, sondern seine Botschaft in seinem Haus aufschreiben für einen künftigen Tag. Damit macht er aktenkundig, daß das Volk gewarnt wurde. Aber dennoch hofft er, daß sie sich doch noch ansprechen lassen und stille bleiben, damit e r ihnen helfen kann.

Vielleicht haben wir von diesem Jahresschlußgottesdienst eher eine Entlastung erwartet. Stattdessen hören wir aber: „Achtung! Gefahrenstelle!“ Aber neben dem Gefahrenschild steht auch der Hinweis: „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein!“ Die tatsächliche Lage wird deshalb nicht verschleiert. Aber es wird ihr entgegengehalten: „Durch Gelassenheit wird euch geholfen werden!“ Doch er tröstet nicht mit der rein menschlichen Erwartung: „Es wird schon alles gut werden“, denn dann muß man auch sagen, worauf man diese Hoffnung gründet.

Jesaja ist aber nicht ein wissenschaftlich arbeitender Zukunftsforscher, sondern er rechnet mit Gott. Er singt nicht wie in dem Schlager nach dem Zweiten Weltkrieg: „Hurra, wir leben noch", sondern bei ihm entscheidet sich alles an Gott, von dem alles kommt und auf den hin alle Dinge gerichtet sind. Gott ist nicht eine entbehrliche Zutat zu dem, was sowieso schon in der Welt betrieben wird, sondern wenn wir auf ihn hören, haben wir auch Zukunft. Deshalb beschließen wir das alte Jahr in der Gewißheit. Gott will, daß uns geholfen wird, in dem wir umkehren und indem wir stille sind und hoffen.

 

1. Uns wird geholfen in der Umkehr:

Gott will erhalten, was er geschaffen hat. Aber der Bestand unseres Lebens ist kein einklagbares Recht, sondern Wirkung der Geduld und des Erbarmens Gottes. Gott will auch, daß wir ihn bei der Erhaltung seiner Schöpfung unterstützen. Deshalb ist es am Ende des Jahres angebracht, daß wir einmal Inventur machen. Und das Ergebnis kann dann nicht sein - wie es viele Politiker machen – daß wir sagen: „Nur weiter so!“

Zur Zeit des Jesaja suchte man sein Heil in politischen Bündnissen mit den Nachbarn und der Großmacht Ägypten. Zeitweise tat man auch so, als würde man sich den Assyrern unterwerfen. Aber der Prophet ist für das Stillesein und nicht für das nervöse Herumpaktieren. Für ihn war das alles eine Frage des Glaubens. Der Bestand des Volkes Gottes wird von Gott garantiert. Er ist der Herr der Geschichte, die Völker sind nur seine Werkzeuge. Deshalb kann ein Volk sein Schicksal nur in das zukünftige Handeln Gottes verlegen.

Aber Jesaja ist nicht dagegen, daß Menschen handeln, sondern dagegen, daß sie eigenmächtig handeln, daß sie handeln, als wäre Gott nicht da. Die Leute haben Gott gegenüber ein gutes Gewissen. Der fromme Betrieb läuft. Doch auch bei wohlgeordnetem religiösem Betrieb kann man sich dem lebendigen Gott beharrlich entziehen. Gott soll nicht stören oder beunruhigen.
Deshalb ist er gern gesehen, wenn er unterstützt, was wir uns ausgedacht haben. Er ist gern gesehen, wenn er untermauert, was wir vorhaben. Und er ist gern gesehen, wenn er segnet, was unserem eigenen Interesse entspricht.

Auch die Kirche kann nicht sich oder anderen zu Gefallen predigen. Sie darf nicht den Interessen der Mächtigen dienen, die sich angeblich beschützen oder ihr Geld geben. Nur wenn wir Gott walten und wirken lassen, käme er an unsere Probleme heran. Umkehr ist deshalb das Gebot der Stunde am Ende des Jahres. Aber für die Zukunft gilt es, stille zu sein und zu hoffen.

 

2. Stillesein und Hoffen hilft uns für die Zukunft:

Wir beschließen wieder ein Jahr in einem Zeitalter, in dem die Gewaltausübung und Gewalt­androhung in unheilvoller Weise Geschichte machen. Daß Friede ist, können wir nicht als Selbstverständlichkeit hinnehmen. Daß aber Friede bleibt, dafür hat jeder die ganze Kraft seines Herzens und Willens einzusetzen. Damals hieß es: „Mit Rossen werden wir rasen, auf Rennern werden wir rennen!“ Heute heißt es: „Mit Kanonen werden wir schießen, mit Raketen können wir jeden Punkt der Erde treffen. Und notfalls werden wir auch Atomwaffen einsetzen!“

Man könnte natürlich einwenden: „Die Rüstung wird ja nur vom Gegner erzwungen!“ Jeder rüstet nur „nach“, so wie die jungen Männer ihr Messer „nur zur Verteidigung“ bei sich haben. Aber bei jeder kleinen Auseinandersetzung wird dann doch das Messer gezogen und zugestochen.

Deshalb muß es natürlich auch eine gewissenhaft verwaltete Macht geben. So lange es das Böse in der Welt gibt, wird es durch Machtausübung in die Schranken gewiesen werden müssen. Vor allem der Staat hat ein Machtmonopol, das er durch Polizei und Gerichte ausübt. Nur beruhigen dürfen wir uns durch diese Feststellungen nicht.

Machtausübung gegenüber dem Einzelnen kann immer nur das letzte Mittel sein. Aber man sollte nicht meinen, daß das dann auch immer Erfolg hat. Vor allem hilft sie nicht im Zusammenleben der Völker. Schon Jesaja malt aus, was geschieht, wenn ein Land verheert ist: Oben auf dem Berg findet man nur noch eine alte Signalstange, mit der man früher Nachrichten weitergegeben hat, die aber jetzt nur noch verrät, daß in diesem Land einmal Menschen gewohnt haben.

Deshalb sind die Voraussetzungen für die Anwendung von Gewalt aufzudecken. Und die Anlässe zu den weltbedrohenden Konflikten müssen ausgeräumt werden. Der judäische König Hiskia aber wollte nur paktieren und taktieren und bereitete den Aufstand gegen Assyrien schon vor. Aber das war nicht ein Zeichen der Stärke, sondern der Verzweiflung, die ja das Gegenteil von Stille ist. Und seine Hektik war ein Zeichen der Verzweiflung, die ja das Gegenteil von Hoffnung ist. In seinem scheinbaren Selbstvertrauen brach er so das Unheil vom Zaun. Als ob Gott nicht wüßte, wie er seinem Volk helfen kann, als ob er nicht die Dinge in der Hand hätte und behielte.

Das gilt aber auch für unser persönliches Leben: Wir brauchen uns nicht Sorgen zu machen im Blick auf das neue Jahr und alle möglichen Vorbereitungen zu treffen. Es gilt, nicht in falsche Aktivität und Hektik zu verfallen, sondern sich Zeit zu nehmen. Wenn Eheleute sich nicht mehr Zeit nehmen für das Gespräch, beginnt die Gemeinsamkeit abzusterben. Wenn Eltern keine Zeit mehr für die Kinder haben, wird das Vertrauen zueinander schnell ausgehöhlt. Auch unser Vertrauen zu Gott braucht Zeiten der Stille, braucht Bibelstudium und Gebet und das Zusammensein mit Gleichgesinnten. Nur so gewinnen wir Vertrauen, unser Leben trotz bleibender Fragen auszuhalten.

Es geht allerdings nicht darum, daß wir uns als „die Stillen im Lande“ in den engen Raum unseres Herzens zurückziehen und den inneren Frieden mitten in einer gefährdeten Welt genießen. Ein Christ ist für den Gang der großen Politik durchaus mit verantwortlich. Die Kirche hat keinen direkten Auftrag in der Politik. Aber der einzelne Christ hat einen Auftrag in ihrer Eigenschaft als Bürger; er darf sich einmischen in die Politik seines Staates und seiner Gemeinde.

Aber die Gemeinde kann allein durch ihr Dasein, durch ihr Wirken und ihr Gebet, auf das Leben der Gemeinschaft einwirken. Und so wünschen wir uns zum neuen Jahr nicht nur Gesundheit und Kraft, sondern wir wünschen uns auch Ohren und Herzen, die auf Gott hören und ihm vertrauen. Und wir wollen uns die Bereitschaft wünschen, unser Leben zu verändern.

Wenn wir rechte Christen sind, dann geht auch von uns eine große Gefaßtheit aus, eine Ruhe und Gelassenheit, die die Welt nicht finden kann außer durch Gott. Wer gewiß ist, daß Gott unter allen Umständen das letzte Wort spricht, braucht nicht nervös zu werden.

 

 

Jes 35, 3 – 1 (02.  Advent):

Man kann schon verzagt und müde werden in einer Welt, in der sich wenige sich etwas aus Gott machen und alles gegen die Kirche zu sprechen scheint. Manchmal möchten wir doch auch auf die andere Seite umschwenken, weil wir denken: „Es hat ja doch keinen Zweck mehr!“ Schon mancher wird die Flinte innerlich ins Korn geworfen haben. Schon mancher hat sich vielleicht schon heimlich nach hinten abgesetzt. Wer weiß, wie viele von denen, die heute noch zur Gemeinde gehören, eigentlich schon auf der anderen Seite stehen

„Wie kommt es, daß es für uns immer wieder irgendwie weitergegangen ist? Die einen lächeln grimmig und meinen: „Unkraut vergeht nicht“ oder „Humor ist, wenn man trotzdem lacht!“ Andere weisen überzeugt auf wissenschaftliche Einsichten und Gesetzmäßigkeiten hin, nach denen sich alles weiterentwickelt. Aber durch alle eigenen Anstrengungen und Einsichten hindurch dürfen wir noch mehr entdecken: Wir haben einen Gott, der so barmherzig ist, daß es kein Trümmerfeld gibt, durch das er nicht noch einen Weg zeigen könnte.

Was uns in Jesaja geschildert wird, ist nur ein Vergleich. Was hier von der heilen Welt gesagt wird, wartet noch auf Verwirklichung. Es ist auch nicht gesagt, daß es in der Ewigkeit wirklich so aussehen wird. Aber einige Grundzüge können wir doch aus dieser Vorstellung für uns entnehmen:

 

1. Die Natur wird verwandelt werden: Sie kennt nicht nur des taufrischen Sommermorgen und den bezaubernden Sonnenuntergang, sondern auch Sturmflut und Erdbeben, Dürre und Hunger. Sie kernt die Arterienverkalkung und den Krebs. Sie kennt den Kampf ums Dasein und das Unterliegen der Schwächeren.

Für die Menschen in Palästina waren Wüste und Dürre die größten Gefahren der Natur. Mittendrin ist der Mensch, der sich auch behaupten will. Er ist von der Erde genommen und lebt von dem, was die Erde hervorbringt. Er stillt seinen Durst aus dem rinnenden Wasser. Er braucht zum Leben das Licht der Sonne und die Luft zum Atmen. Er braucht den Boden, auf dem er gehen und stehen kann.

Auch heute gibt es noch Dürre und Überschwemmungen, Erdbeben und Springfluten, Heuschrecken­schwärme und Pflanzenkrankheiten. Aber es gibt auch Gifte in der Luft, im Wasser, im Erdboden. Es gibt verbrannte Erde und strahlungsverseuchte Landstriche. Dafür ist der Mensch verantwortlich.

Langsam begreifen wir, was wir anrichten. Wir plündern die Erde aus und vernichten durch Raubbau die Lebensgrundlage der künftigen Generationen. Wir verbrauchen mehr Sauerstoff, als die Vegetation der Erde hervorbringt. Wir verändern das Klima, so daß mit der Zeit das Eis an den Polen der Erde abschmilzt und es zu großen Überschwemmungen kommt.

Diese Welt kann aber nur dann unsere Wohnstatt sein, wenn es zu einem gegenseitigen Geben  und Nehmen kommt. Man kann nicht den Menschen retten wollen, während die außer-mensch­liche Schöpfung heillos bleibt. Der Mensch ist ja selber ein Teil der Natur. Und wenn Gott kommt, dann kommt er zum Ganzen seiner Schöpfung. Er ist nicht unser Privatgott, sondern der Gott des Himmels und der Erde.

Bei Jesaja sieht es so aus, als entstehe die heile Welt aus den Bedingungen der alten Welt und im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Es sollen Wasser in der Wüste hervorbrechen, es wiederholt sich so etwas wie bei der Schöpfung. Für die Menschen in einem trockenen Land ist das Wasser die Quelle des Lebens. Deshalb stellten sie sich die neue Welt Gottes als einen Gaten mit viel Wasser vor, in dem viel Leben gedeihen kann. Dazu ist allerdings etwas anderes nötig:

 

2. Die Gefahren werden beseitigt: Es drohte damals auch Gefahr von wilden Tieren, von Schakalen und Löwen. Sie stehen aber für alles, was das Leben bedroht. Wir werden heute an andere Gefahren denken, vom Dolch bis zur Atombombe. Jesaja aber erwartet, daß künftig kein Geschöpf mehr vom Tod des anderen lebt und ihm darum ständig gefährlich sein muß. Die Welt soll wieder zur Welt Gottes werden, sie soll Schöpfung sein, die den Schöpfer verherrlicht. Sie soll nicht mehr gefährdet und gequält sein vom Kampf ums Dasein, von der Angst vor Schakalen jeder Art. Wo alles im Einklang mit Gott steht, da ist heile Welt. Das wird noch an einem weiteren Punkt deutlich:

 

3. Di Menschen werden heil: Heil bedeutet auch das Ende aller Krankheiten. Daß Blinde sehen und Taube hören, daß Stumme reden und Lahme springen, sollte man nicht nur bildhaft, sondern ganz wörtlich verstehen. Krankheit und körperliche Gebrechen sind Merkmale der unerlösten Welt, die aus der Gemeinschaft mit Gott herausgefallen ist. Sicherlich kann man im Einzelfall nicht Sünde und Leiden gegeneinander aufrechnen. Aber man muß wissen: Wäre unser Gottesverhältnis heil, gäbe es vieles Belastende und Zerstörendes nicht.

Aber wenn Gott das Heil will, dann will er auch die Heilung. Jesus nimmt diese Bibelsteile ja auf, als die Johannesjünger zu ihm kommen und ihn fragen, ob er der verheißene Messias ist. Seine Antwort lautet: „Seht doch, was sich dort abspielt, wo ich bin! Ich mache doch den ganzen Menschen gesund, bis in seine körperlichen Gebrechen hinein.

Doch Gott will nicht nur, daß die Blinden erstmals oder auch erneut die Welt optisch erleben können. Wir  a 1 1 e werden ganz neu sehen lernen, denn wir werden G o t t  schauen. Jesu Machtaten sind Vorzeichen: Sie weisen darauf hin, was noch kommen soll und sagen das Kommen Gottes an. Doch da hören wir schon den Einwand:

 

4. Das gibt es doch gar nicht! Es ist bewegend, aber auch bedrückend und verwirrend, wie die Menschen damals vergeblich auf das Erscheinen Gottes gewartet haben. Mancher könnte daraus die Folgerung ziehen: „Beißt die Zähne zusammen und seht, wie ihr selbst weiterkommt, denn euren Gott bekommt ihr nie zu sehen!“

Mit großer Leidenschaft gehen Menschen an die Umgestaltung der Welt und wollen dadurch auch den neuen Menschen schaffen. Aber wir sollten nicht meinen, von uns aus die Welt Gottes hier auf dieser Erde schaffen zu können. Auch der Weg der Kirche durch die Zeit ist kein Triumphzug. Wir fragen uns schon zu Recht, weshalb Gott nicht eingreift angesichts des Leides in der Welt. Es dauert uns zu lange, bis Gott alles vollendet.

Doch die vollendete Welt wird ausschließlich Gottes Werk sein. Das  W i e können wir getrost ihm überlassen. Wir brauchen nicht von unserem Ufer her eine Mole ins Meer hinauszubauen, mit den Materialien, die wir unserer Welt entnommen haben. Vielmehr baut Gott von drüben her auf uns zu und wir können, nur zusehen.

Jesaja sagt uns: „Sehet, da ist euer Gott!“ Im Augenblick ist seine Kraft noch unter der Schwachheit verdeckt, die Geborgenheit unter den Anfechtungen, das Leben unter dem Sterben. Aber Gott will die heile Welt. Gott wird kommen und die Verhältnisse in der Welt grundlegend verändern. Wir laufen dabei nicht ins Leere. „Seid getrost und fürchtet euch nicht!“ heißt es bei Jesaja. Es gibt den künftigen Advent, das Kommen Jesu Christi in Herrlichkeit. Dann wird alles verwandelt werden.

 

5 . Gott will das heilige Leben: Die neue Welt kann nicht ohne neue Menschen sein. Die Heilung der körperlichen Mängel nutzt nichts, wenn diese Menschen im Kern ihrer Person unverändert bleiben, weiterhin gottfremd und gottfeindlich sind. Der Prophet sieht, wie das versprengte Volk Gottes auf einer Wunderstraße heimkehrt. Das ist ein Gleichnis für den Weg, auf dem wir zur Ewigkeit unterwegs sind. Im Augenblick sind wir noch die Gemeinde der Sünder, noch unterwegs. Gott muß noch viel Geduld mit uns haben. Ober er sieht uns schon heute als seine Kinder und Heiligen an.

Es wird keiner ausgeschlossen, weil er nicht zum Gottesdienst fähig ist („unrein“) oder Gottes Gesetz verachtet („ein Tor“) ist. Vielmehr wird alles Unreine und Törichte abfallen und von uns genommen werden. In Gottes unmittelbarer Gegenwart werden alle verwandelt werden. Nun können sie heimziehen mit jubelnder Freude.

Wer aber eine solche Hoffnung hat, wird die heutige Lage nicht übersehen. Ihn erreicht der Ruf: „Stärket die müden Hände, richtet auf die strauchelnden Knie, redet zu den abgehetzten Herzen!“ Das ist u n s gesagt, auch wenn wir uns vielleicht selbst zu den Müden rechnen und selber Stärkung erhoffen. Wir dürfen die Flügel nicht hängenlassen, weil Gott uns zu denen rechnet, die andere noch stärken können.

In der Tat ist es auch so: Wenn man sieht, daß es anderen noch schlechter geht, daß sie noch hilfloser sind als man selber, dann hat man auch die Kraft, ihnen zu helfen. Und wenn man merkt, man wird gebraucht, dann vergißt man auch die eigene Schwäche und kann sogar anderen zum Helfer werden.

Die Verheißungen des Jesaja warten noch auf ihre Erfüllung. Jesus hat sie zum Teil der Erfüllung nähergebracht. Auch heute wirkt Gott in unserem Leben: Es gibt Freundschaften und Liebe unter den Menschen, eine Arbeit gelingt oder wir erfahren Freude oder können sie anderen bereiten. Wer Zeichen der Liebe Gottes erfahren hat, der wird auch andere einladen wollen, solche guten Erfahrungen mit Gott zu machen.

Dabei sollen wir dort wirken, wo Gott uns hingestellt hat. Das macht eine alte Legende deutlich: Zwei Mönche lasen in einem Buch, am Ende der Welt gäbe es einen Ort, an dem Himmel und Erde sich berührten. Sie wollten ihn suchen und nicht eher umkehren, bis sie ihn gefunden hätten. Sie durchwanderten die Welt, bestanden unzählige Gefahren und erlitten viele Entbehrungen und Versuchungen. Schließlich fanden sie auch die Tür, an der man nur anklopfen brauchte, um bei Gott zu sein. Bebenden Herzens sahen sie, wie die Tür sich öffnete. Aber als sie eintraten, da standen sie zu Hause in ihrer Klosterzelle. Da begriffen sie: Der Ort, an dem Himmel und Erde sich berühren, an dem wir Gottes Treue erfahren, befindet sich auf der Erde, und zwar an der Stelle, die Gott uns zugewiesen hat.

 

 

Jes 40, 1 -11 (3. Advent):

In Berlin kann man in einem Museum die Prachtstraße bewundern, die früher durch die Stadt Babylon führte. Deutsche Gelehrte haben sie ausgegraben und dann im Museum fast originalgetreu aufgebaut. Ganz aus gelben, blauen und grünen lasierten Ziegeln hergestellt und mit einem prächtigen Tor versehen, gibt sie uns heute noch ein Zeugnis von dem Reichtum und der  Macht dieser Stadt. Die Prachtstraße war sie auch einmal auf einer Briefmarkenserie zu sehen.

Ganz in der Nähe dieser Straße aber mußten die Israeliten in der Verbannung leben. Die Besten des Volkes hatte man nach hier verschleppt, um sie besser unterdrücken zu können und dieses Volk aus der Weltgeschichte verschwinden zu lassen. Täglich hatten sie die Macht Babylons vor Augen. Sie waren doch nur eine kleine Minderheit. War es da nicht besser, sich einfach anzupassen und das zu tun, was die Mächtigen forderten? An besten gab man auch gleich den Glauben mit auf, denn ihr Gott regte sich ja nicht mehr und die Babylonier würden letztlich doch die Oberhand haben.

Gegen diese Meinung hatte der Prophet Jesaja der Zweite anzukämpfen. Er hatte es selbst erlebt, wie sie das Bild des Gottes Marduk in feierlicher Prozession durch die Straßen Babylons getragen haben. Wege für Götter und Könige spielten im babylonischen Denken und in den Gottesdiensten eine große Rolle. Die Prachtstraße war vielleicht vor 30 Jahren gebaut worden.

Aber der Prophet sagt dennoch: „Unser Gott wird sich eine ganz andere Straße bauen lassen!“ Er hat es selber gehört, wie eine himmlische Stimme der anderen zugerufen hat: „Bereitet dem Herrn der Weg!“ Allerdings schafft sich Gott eine Straße ganz anderer Art. Sie führt durch die Wüste, wo nach Ansicht der damaligen Zeit nur böse Dämonen hausen. Da müssen erst gewaltige Erdmassen bewegt werden: Ganze Hügel werden abgetragen und die Täler damit ausgefüllt. Gott vollbringt ein Wunderwerk, denn er läßt einen Weg bauen wo keiner ist. Er schafft sich Bahn.

Und dann geht nicht mehr der Gott Marduk voran, sondern der Gott Israels. Sein Volk nimmt er mit. Es geht nach Jerusalem, wo der andere Teil des Volkes ist; dann wird alles noch einmal neu anfangen. So kündet sich ein gewaltiges Geschehen an. Gott ist schon in Bewegung. Das darf der Prophet melden, damit sein Volk aushält und bei Gott bleibt.

Denn mit der Ankündigung beginnt schon alles. Das ist anders als bei einem Plakat: Wenn das ein Konzert ankündigt, dann ist musikalisch noch nichts geschehen. Wenn einer aber sagt: „Gott ist nahe!“ dann ist die Wende schon eingetreten. Das ist der Trost für die Israeliten. Sie wissen: „Der Prophet ist nicht ein unverbesserlicher Optimist, sondern hinter seinen Worten steht Gott selber. Jesaja ist wie ein Diplomat, der nicht auf eigene Faust Politik zu machen hat, sondern nur die Interessen seines Staates und seiner Regierung vertritt. Gott wird das bestätigen, was sein Prediger sagt.

Was der Prophet aber zu sagen hat, das ist aufregend: „Alles Fleisch ist wie Gras!“ Wenn der heiße Wüstenwind kommt, dann ist das Gras in wenigen Stunden verbrannt. So wird auch die Macht und Pracht Babylons vor dem Gluthauch Gottes vergehen. Noch steht die militärische Macht und die Pracht der Riesenstadt vor aller Augen. Aber Gott kann im Nu damit Schluß machen (und das hat er dann ja auch gemacht). Gott ist auch dieser Weltmacht überlegen, kein Israelit muß sich mehr vor dem Zwingherrn fürchten.

Es braucht sich aber auch keiner von der Prachtentfaltung gefangennehmen lassen Jede Gewaltherrschaft sucht doch auch irgendwie Anklang bei den Massen zu finden: Da werden Aufmärsche gemacht, Spiele veranstaltet, anfeuernde Reden gehalten. Dadurch will man Eindruck machen und die Menschen für sich gewinnen.

Da standen selbst die Israeliten in der Gefahr, sich von ihrem Gott abzuwenden und einer Weltanschauung zuzuwenden. Viele werden sich auch ganz nüchtern gesagt haben: „Die Machtverhältnisse sind nun einmal so, da ist es sinnlos, vom Kommen Gottes zu reden. Paßt

euch doch lieber an!“

Der Prophet aber macht ihnen im Auftrag Gottes deutlich, daß Babylon auch nicht mehr ist als Israel. Den abgestumpften und verbitterten Menschen in der Gefangenschaft wird aber nicht nur liebevoll zugeredet, sondern sie sollen ihre ganze derzeitige Lage anders sehen können. An der äußeren Lage hat sich zwar noch nichts geändert, die Verbannten sind noch nicht heimgekehrt. Aber das Siegeslied kann bereits angestimmt werden. Alle Leiden sind nur noch Nachspiel eines Geschehens, das grundsätzlich schon erledigt ist.

Die frohe Botschaft lautet: „Tröstet mein Volk!“ Wir Menschen trösten einander oft mit den Worten: „Es wird schon wieder gut werden!“ Gott aber vertröstet nicht, sondern sein Trost ist auch stichhaltig. Er erklärt sich wieder für sein Volk und will es retten.

Das bedeutet aber: Die Zeit der Strafe ist vorbei, das Volk hat seine Strafe sogar schon doppelt empfangen. Die Schuld ist vergeben, nun gibt es ein neues Recht auf Leben. Gott wird zwar gerade im Alten Testament als streitbar geschildert; auch im Neuen Testament ist von Kampf und Sieg und Königsherrschaft die Rede. Aber in der Mehrheit treten uns im Neuen Testament ganz andere Töne entgegen. Da hören wir, daß Gott uns liebt und uns vergibt, verzichtet und leidet - und so gewinnt er uns für sich zurück.

Für uns heute hat sich manches geändert seit der Zeit Jesajas. Damals hoffte man noch auf den Auszug aus Babylonien und die Heimkehr nach Jerusalem. Wir aber wissen‚ daß Gott aus seiner Verborgenheit herausgetreten ist in Jesus Christus. Damit man ihn nicht übersieht, ist ein Vorläufer vor ihm hergegangen: Johannes der Täufer, an den wir an diesem Sonntag besonders denken, hat auf Jesus hingewiesen, denn so ohne weiteres war er ja nicht als der von Gott gesandte Retter zu erkennen.

Johannes selber hat sich ja noch falsche Vorstellungen von Jesus gemacht. Zum Beispiel hat er das Trostwort des Jesaja doch wieder in ein Gerichtswort umgedeutet. Nun wußte allerdings auch Jesaja, daß sein eigenes Volk auch nur Gras ist; die Gefangenschaft und die Zwangsarbeit sah er als Strafe für die Sünden des Volkes an. Das menschlich Große und das Sicherheit versprechende sollte zusammenbrechen und vergehen. Es blieb nur, was Gott selbst schafft und tut. Und das ist sein Wort! Wenn alles wie Gras vergeht, dann hätte das Predigen ja gar keinen Sinn mehr.

Aber Gottes Wort bleibt. Und das soll ja gerade gepredigt werden. Im schwachen Menschenwort nimmt Gott Kontakt mit uns auf.  Allein durch sein Reden schafft er schon eine neue Lage. Das ist wie bei zwei Liebenden, die lange voneinander getrennt waren: Wenn sie sich wiederhaben, sind sie glücklich, auch wenn es durchs Dach regnet und die Kost bescheiden ist. In Jesus wurde Gottes Wort sogar Fleisch und wohnte unter uns. Durch Taufe und Abend­mahl sind wir auch heute noch mit diesem Gott verbunden.

Natürlich ist es auch für uns noch schwer, in Jesus den Sohn Gottes zu erkennen. Unsere Wüste ist ja die gottlose Welt von heute, in der wir auch fragen: „Wo ist Gott? Wie können wir ihn erkennen? Wie können wir an ihn glauben?“ Wenn wir in dieser „Wüste“ einen Weg für Gott bahnen wollen, dann müssen wir alles abbauen, was sein Kommen hindert: Sowohl das Hohe in Form der Eigenmachtansprüche als auch das Tiefe in Form der Ohnmacht und Nie­der­geschlagenheit.

Doch sagen wir besser mit Jesaja: „Gott selber räumt aus dem Weg, was seinem Kommen widersteht. Nichts kann ihn aufhalten, wenn er kommt!“ Er kann auch zu uns kommen, wenn wir nur Jesus als seinen Sohn erkennen, trotz aller anderslautenden Behauptungen unserer Umgebung. Aber Johannes hat darauf hingewiesen, Jesus selber hat sich dazu bekannt, uns haben es andere Menschen erzählt.

Jetzt haben wir schon wieder die Aufgabe, die Kette nicht abreißen zu lassen und die gute Nachricht weiter zu geben. Noch hat diese Botschaft ja nicht ihre letzte Erfüllung gefunden. Wir warten ja immer noch darauf, daß Jesus wiederkommen wird in all seiner Herrlichkeit. Aber er wird bestimmt wiederkommen. Dieses Bewußtsein kann uns helfen, mit der vielfach doch festzustellenden Mutlosigkeit fertigzuwerden.

Die verschleppten Israeliten in Babylonien sahen in ihrer kleinen Zahl ein Zeichen des Rückgangs. Der Zeitpunkt war abzusehen, an dem sie in dem fremden Volk aufgegangen sein würden. Unsere heutige Lage wird vielfach auch so gesehen: eine sterbende Kirche, die keine Zu­kunft mehr hat. Die erste christliche Gemeinde aber hat es anders verstanden: Sie war zwar auch nur eine Minderheit, aber sie wollte wachsen; die geringe Zahl war ihre Ausgangsposition. Dieses Bewußtsein sollten wir zurückgewinnen.

Wenn es nur an uns läge, dann würde sicher alles nur zurückgehen. Aber aus der Sicht des Glaubens ist die Wende schon längst eingetreten. Wir dürfen schon davon weitererzählen, weil die Erfüllung so sicher ist. Jedes Jahr dürfen wir wieder neu ein Kirchenjahr beginnen Wir dürfen uns auf Weihnachten freuen und dem Kommen des Herrn entgegensehen.

Allerdings ist es heute nicht mehr selbstverständlich, ein Christ zu sein. Die kirchlichen Amtsträger haben keine Machtstellung mehr. Vorteile für die Kirche gibt es sowieso nicht mehr; wir kämpfen heute ja darum, wenigstens so behandelt zu werden wie alle anderen auch. Christsein findet keine Stütze mehr in der Heilighaltung von Sitten und Bräuchen, durch die Verankerung im Bildungswesen und in der Bevorzugung gegenüber nichtchristlichen Religionen und atheistischen Überzeugungen.

Heute ist der Glaube allein gestellt auf das Wort unseres Gottes. Doch das ist auch eine Chance. Wir können um so deutlicher von der Offenbarung Gottes in Jesus Christus reden. Gott schickt uns aber auch zu den Hilflosen, die auf den Wegen des Lebens liegengelassen wurden oder liegenzubleiben drohen. Ihnen wieder Mut zu machen, ihnen von der Liebe Gottes zu erzählen, ihnen die Ankunft Gottes vor Augen zu stellen, das ist doch gerade in dieser Advents- und Weihnachtszeit eine schöne Aufgabe.

 

 

Jes 43, 1 – 7 (6. Sonntag nach Trinitatis):

Vom ersten Tag unseres Lebens an kennen wir die Furcht. Bei einem kleinen Kind ist das noch unbewußt; aber nachher wissen wir sehr genau, was für uns gefährlich werden könnte. Auch erwachsene Menschen haben oft Furcht vor bestimmten Dingen. Das mag tröstlich sein für Kinder, die besonders leicht von Furcht befallen werden, weil sie die Gefahren noch nicht so richtig abschätzen können. Und wer als Erwachsener furchtsam ist, der sollte sich sagen: „Die anderen, die immer so überlegen und sicher tun, die kennen auch die Furcht!“

Es gibt kein Menschenleben ohne Furcht. Viele fürchten um den Arbeitsplatz, die Gesundheit oder das Vorankommen ihrer Kinder. Auch bei dem Gedanken an Krieg und Massenvernichtungsmitteln wird uns beklommen ums Herz. Vielfach gibt es auch nur eine unbestimmte Angst vor einer unbekannten Gefahr, von der wir nicht wissen, ob und wann sie auf uns zukommt und wie sie aussieht.

Aber nun sind wir doch Christen und haben einen Herrn, der über allem steht. Er sagt doch ausdrücklich: „Fürchte dich nicht!“ Da dürften wir doch Furcht gar nicht kennen. Leider ist das nicht so. Auch wir fürchten, einmal etwas Unrechtes zu sagen oder unangenehm aufzufallen. Wir kommen in das Kreuzfeuer unangenehmer Fragen, gerade wenn es um Glaubensdinge geht. Oder wir werden aufgefordert, zu einem heiklen Problem öffentlich Stellung zu nehmen. Da kann es schon sein, daß uns das Wasser bis zum Hals zu stehen scheint.

Feuer und Wasser sind die Elemente, die unser Leben am meisten gefährden. Im Wasser kann man ertrinken, so wie nach der Bibel am Anfang der Welt die ganze Schöpfung wieder im Wasser zu versinken drohte, als die Schleusen des Himmels sich öffneten. Und das Feuer verbrennt alles, was nicht widerstandsfähig genug ist und wird auch am Ende der Welt alles Widergöttliche verrichten.

Es gehört zum Menschenleben mit dazu, daß man durch Wasser und Feuer hindurch muß. Es gibt eben äußere Schwierigkeiten und Hindernisse, alles was uns gefährlich werden kann und unser Wohl mindert und uns Angst einflößt. Es gibt Ärger und Feindschaft, es gibt Krankheit und Tod. Da wird man an das Krankenbett eines Verwandten oder Bekannten geführt. Ein Mensch der Erfolg hatte, der es zu etwas gebracht hat, der ein unbeschwertes und begehrenswertes Leben hatte. Aber nun ist die Erfolgskurve plötzlich und unerwartet abgebrochen und ein Mensch muß leiden und sterben und wir können nicht helfen.

Hier kann auch ein Christ nicht unberührt bleiben. Hier kann ihn auch das kalte Grauen befallen, weil Krankheit und Tod so unbarmherzig und wahllos dreinschlagen. Wer meint, er käme ohne Belastungen und Gefährdungen durchs Leben, der ist ein Träumer. Und wer nur allem

aus dem Weg gehen und sich schonen will, der verpaßt sein Leben. Es ist uns nicht versprochen, daß wir vor gefährlichen Situationen bewahrt werden. Wir müssen auch als Christen die Begebenheiten unseres Lebens realistisch sehen. Aber wir sollten doch nicht zu der Folgerung kommen: „Von Gott keine Spur!“

Wir dürfen gerade in dieser Welt auch ein Wort des Trostes hören. Der Prophet Jesaja deckt allerdings auch den Hintergrund für die Klage des Volkes auf. Er sagt: „Nicht Gott ist taub, so daß er eure Klagen nicht hört, sondern ihr wart taub für ihn und ihr seid es noch. Deshalb kam das Gericht Gottes über euch. Aber nun hat Gott beschlossen, euch wieder herauszuhelfen aus der Not; denn ihr habt erkannt, wie ihr da hineingekommen seid.

Nur auf diesem Hintergrund kann man die Heilszusage des 43. Kapitels recht verstehen. Hier wird kein billiger Trost und keine billige Gnade verteilt, sondern hier steckt ein Volk noch mitten im Unheil. Aber der Prophet darf schor mit großer Gewißheit das kommende Heil ansagen. Das „Fürchte dich nicht!“ ist keine Formel, mit der man den Mut eines Verzagten wieder wecken will. Hier kommt vielmehr der Wille Gottes zur Rettung zum Ausdruck, der das Unglück nicht mehr länger mit ansehen kann.

Gott hat sein Volk losgekauft und erlöst. Wenn ein Israelit wegen Schulden ins Gefängnis kam, dann war seine Verwandtschaft verpflichtet, ihn wieder auszulösen. Diese Rolle übernimmt Gott in Bezug auf sein Volk Israel. Der Perserkönig wird Israel freigeben und dafür seine Hand auf die Länder am Nil legen.

Als Christen wissen wir allerdings noch von einem ganz anderen Lösegeld. Gott hält an dem Gesetz der Stellvertretung fest. Aber er gibt nicht mehr andere Völker hin, sondern seinen eigenen Sohn. Für unsre Freiheit wurde ein hoher Preis gezahlt. Aber damit sind auch alle Mächte besiegt, die uns nach dem Leben trachten, bis hin zu dem letzten Feind, dem Tod. Gott legt die letzte Hand auf uns.

Deswegen gibt es auch keine hoffnungslose Situation für uns. Weil wir zu Gott gehören und er uns durch das Blut seines Sohnes erlöst hat, sind wir unverletzlich. In der Nibelungensage wird von Siegfried erzählt, der sich im Blut des Drachen gebadet hat und dadurch unverwundbar wurde. Nur auf eine Stelle war ein Lindenblatt gefallen. Das war seine schwache Stelle, hier war er gefährdet, hier wurde er letztlich dann doch getroffen und büßte sein Leben ein.

Ist Gott aber bei uns, dann gibt es nicht einmal dieses winzige Loch im Panzer. Der Grund für dieses Handeln Gottes ist auch genannt. Er sagt: „Weil ich dich liebhabe!“ Liebhaben ist etwas für beide Teile. Es geht nicht nur darum, daß wir erlöst werden und es uns wieder gut geht. Gott geht es auch um seine Ehre und um seinen Namen, wenn er uns aus der Gefangenschaft freikauft. Und er verstößt uns deshalb nicht in unserer Schuld, weil er hofft, daß wir ihn nun wiederlieben werden.

Mit den Worten: „Ich habe dich lieb! Du giltst viel in meinen Augen, deshalb bist du so herrlich!“ hat Gott auch uns zu seinen Kindern erwählt. Allerdings sind wir nicht deshalb Gottes Kinder, weil wir zu einem auserwählten Volk gehören, sondern weil Jesus Christus für jeden von uns gestorben ist und ihn erlöst hat. Zur Zeit des Alten Testaments fielen Volk und Gemeinde Gottes noch zusammen. Im Neuen Testament dagegen ist die Kirche das auserwählte Volk, die Gemeinde aus allen Völkern. Der Prophet konnte nur sagen: „Herrlicher als die Herausführung aus Ägypten wird die aus Babylon sein!“

Aber auch diese wurde überboten durch die Befreiung stät Jesu. Vor ihm gilt erst recht: „Ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen!“ Man spricht hier von einem prophetischen Perfekt: Die äußeren Umstände haben sich noch nicht geändert, aber die Befreiung ist schon perfekt und kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Aber Gott hat sogar noch Größeres vor. Daran denken wir, wenn wir beten: „Dein Reich komme!“ Das Ziel und das Lösegeld werden immer höher und wertvoller. Aber Gott treibt diesen Aufwand um unsertwillen.

Allerdings gilt dieses Prophetenwort ursprünglich dem Volk Israel. Aber es gilt auch sicher einem Einzelnen, sofern er zum Volk Gottes gehört. Deswegen paßt es auch gut zu einem Sonntag wie dem heutigen, an dem wir an unsere Taufe erinnert werden sollen.

Wer von uns weiß denn Tauftag und Taufspruch? Namen, Geburtstag, Hochzeitstag vergessen wir nicht. Warum nicht auch an den Tag der Taufe denken, das ist mindestens ebenso wichtig. An sich können wir an jedem Tag des Jahres an unsere Taufe denken, aber einmal im Jahr ausdrücklich den Tauftag begehen (in aller Stille), das wäre nicht schlecht.

Damals hat uns Gott ja auch bei unserem Namen gerufen und gesagt: „Du bist mein!“ Doch wir dürfen das nicht so auffassen, als stünde Gott allein über meinem Einzelleben, als sei ich nur als Einzelner mit Christus verbunden und dadurch in das Auferstehungsgeschehen mit hineingezogen. Er hat uns ja beim Namen gerufen, damit wir zu seinem Volk gehören.

Für viele ist die Taufe die Garantie für unfallfreies gesundes Leben, reibungsloses Schicksal, behütete Kindheit, erfolgreicher Aufbau der Existenz, Glück in Familie und Freundschaft. Aber es geht nicht nur um uns, sondern um die Eingliederung in das Volk Gottes.

Aber halten wir uns denn wirklich zu seiner Gemeinde? Gott hat uns doch deshalb beim Namen gerufen, damit wir auch kommen. Wenn Eltern ihr Kind von der Straße hereinrufen, dann rufen sie das Kind beim Namen, damit es auch genau weiß: Jetzt bin ich gemeint!

Deswegen wird ja bei der Taufe ausdrücklich der Name des Täuflings genannt, damit klar ist: Dieser Mensch, der so und so heißt, wird jetzt mit Gott verbunden und in seine Gemeinde aufgenommen. Die Taufe ist nicht dazu da, damit einer einen Namen erhalten kann, wie man das immer noch hören kann. Gott gibt keinen Namen und die Taufe ist keine Namensgebung. Schon am Anfang der Bibel gibt der Mensch seinen Kindern den Namen. Und so suchen auch heute die Eltern der Namen für das Kind aus. Es wird auch bei der Taufe nicht mehr gefragt: „Wie soll das Kind heißen?“ sondern Eltern und Paten werden aufgefordert: „Nennt den Namen des Kindes!“ Gott gibt keine Namen, aber er ruft uns beim Namen.

In unserer Massengesellschaft ist es wohltuend, wenn man weiß: Gott spricht mich mit meinem Namen an. Gott gibt sich Mühe mit jedem von uns und macht ihr nicht zu einer bloßen Nummer. Deshalb wird auch bei jeder kirchlichen Handlung an einem Einzelnen der Betref­fende mit seinem Namen angeredet. Dadurch sollen er selber und die Anwesenden merken: „Gerade dich meint Gott jetzt in diesem Augenblick!“ Du bist ihm in deiner Eigenart wichtig, dich findet er liebenswert.

Gott hat uns ja geschaffen, damit er auch nachher mit uns in Verbindung bleiben kann. Und um einen rufen zu können und mit ihm sprechen zu können, muß man seinen Namen wissen. Der Name macht auch unverwechselbar und zeigt an, wohin und zu wem wir gehören.

Viele zweifele schon an, daß Gott uns geschaffen hat. Sie sagen: „Wie Kinder gemacht werden, das wissen wir doch genau! Wie kann da Gott seine Hand mit im Spiel haben?“ Aber viele haben auch keine Kinder, obwohl sie sich welche wünschen. Und andere verlieren sie

wieder in jungen Jahren an den Tod. Kinder sind schon ein Geschenk Gottes. Er hat sie erschaffen, wenn auch mit menschlicher Hilfe. Und dann nimmt er sie in der Taufe zu seinen Kindern an. Wir sind zwar alle Geschöpfe Gottes, aber Kinder in diesem Sinne nur durch die Taufe.

Er ruft auch heute nach aller vier Himmelsrichtungen: „Kommt doch her, die ich geschaffen und mit meinem Namen genannt habe!“ Gott vergißt keinen Einzigen. Er will sie alle bei sich haben, selbst die, die noch nicht dazu gehören, aber schon von ihm geliebt werden.

Gott hat uns in der Taufe seinen Namen gegeben, hat gesagt: „Du bist ein Christ!“ Darauf können wir uns ein Leben lang verlassen und können furchtlos der Welt und ihren Argriffen gegenübertreten. Niemand kann uns die Gabe der Taufe wieder nehmen. Wir brauchen

uns nicht zu fürchten vor dem, was kommen mag - heute nicht und bis in alle Ewigkeit. Denn Gott hat über uns gesagt: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“

 

 

Jesaja 44, 1 - 5 (Pfingstsonntag, Variante 1):

Wenn unsre Vorfahren wieder einmal hier in unsere Kirche kämen, würden sie sich doch sehr wundern. Vor allem könnten sie gar nicht verstehen, daß nur so relativ wenige Einwohner das Angebot der Kirche wahrnehmen. Früher gab es Streit um die Plätze in der Kirche. Die Emporen waren bis zum letzten Platz mit Männern gefüllt. Sicherlich war auch etwas gesellschaftlicher Zwang dabei - man mußte sich sehen lassen, sonst wurde man von den Nachbarn schief angesehen - aber sicherlich gab es auch echten Glauben und echte Überzeugung.

Andererseits werden wir uns fragen: Was soll erst nach uns werden? Wir sind doch wirklich in Bezug auf den Gottesdienstbesuch ein Vorbild für unsre Kinder. Es wird doch immer wieder gesagt: „Nur das Vorbild regt zum Nachahmen an!“ Aber warum folgen sie so wenig, warum bedeutet ihnen das alles nichts? Den einen Sonntag ist Konfirmation, da sind sie alle da. Aber am nächsten Sonntag soll es nicht mehr gehen - das ist doch irgendwie nicht so recht zu verstehen.

Da muntert uns so ein Bibelwort aus dem Alten Testament auf. Man kann sich vorstellen, daß einer mit einem Klagelied zum Gottesdienst kam und der Priester im Namen Gottes mit so einem Heilsorakel antwortete: „Ich will meinen Geist auf deine Kinder gießen und meinen Segen auf deine Nachkommen!"

Doch die Kirche wird nur leben und sich erneuern durch den Geist Gottes. Wir können uns darauf verlassen: Wir sind von Gott erwählt, wir sind vom Geist Gottes erfüllt und wir dürfen uns zu Gott bekennen.

 

1. Von Gott erwählt: Die Gemeinde im Gottesdienst ist nicht nur mit etwas anderem beschäftigt als das Publikum im Theater oder Konzert, sie i s t auch tatsächlich etwas anderes. Hier kommt der Mensch zu seiner wahren Bestimmung, mit dem Schöpfer verbunden und sein Ge­genüber zu sein. Jesus hat es möglich gemacht, daß der Geist Gottes über uns ausgegossen

wird und wir immer wieder aufs Neue mit Gott verbunden werden.

Doch in Wirklichkeit stellt sich die Kirche meist recht schäbig und unansehnlich dar. Es gibt in ihr auch Auseinandersetzungen, Lahmheit, Rückständigkeit, Versagen vor den Herausforderungen unsrer Zeit. Wir leiden daran. Und wir wundern uns nicht, daß Außenstehende die Kirche erst recht verachten.

Doch vielleicht wird in Glanzzeiten gar nicht so deutlich, was die Kirche ist. Gerade in einer kümmerlichen und bedrängten Situation besinnt sich die Kirche auf das Eigentliche. Wenn sie nichts mehr hat als Gott, dann wird deutlich, woraus sie lebt. Und dann wird sie letztlich auch für andere interessant.

So war das auch schon im Volk Israel. Der Prophet Jesaja II. spricht zu der Gemeinde in der Gefangenschaft. Ihr ist alles genommen, was ihr wichtig war: Ihr Staat war untergegangen, das Land verloren. Im Zweistromland saßen sie in der Gefangenschaft. Gott wohnte nach ihrer Meinung im Tempel in Jerusalem. Ferner von Gott konnte man gar nicht sein. Das war nicht nur äußerlich gemeint, sondern der äußeren Lage entsprach auch die innere: Man fühlte sich von Gott verlassen und vergessen und hatte alle Hoffnung begraben.

Der Prophet versucht nicht, seinem Volk diese Sicht der Dinge auszureden. Wem es schlecht geht, der muß erst einmal ernst genommen werden. Da kann man sich nicht in der Kirche hinstellen und sagen: „Wir dürfen froh sein, daß wir nicht arbeitslos sind!" Nun ja, das wurde in einem guten Wohngebiet gesagt, wo es vielleicht wirklich keine Arbeitslosen gibt. Aber nimmt man etwa an, daß Arbeitslose nicht in die Kirche kommen? Was ist, wenn doch einer dabei ist. Es muß ja nur einer sein, der nicht den gewünschten Beruf hat und nur irgendetwas macht, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Was einer erlebt und erleidet, ist eine harte Last für ihn und muß ernst genommen werden.

Aber das im Gottesdienst verlesene und ausgelegte Wort Gottes sagt die große Wende an. Gottes Volk soll nicht vergessen, wem es sein Leben verdankt und welche guten Erfahrungen es schon mit Gott gemacht hat. Gott hat seine früher gegebenen Zusagen nicht zurückgenommen, sondern sie gelten auch für die Zukunft.

Gott hat sein Volk erwählt. Wir haben nichts dazu getan. Daß es bis heute die Kirche gibt, beruht allein auf seinem Willen. Gott läßt uns nicht fallen oder unbeachtet liegen, obwohl er allen Grund dazu hätte. Aus freiem Entschluß hat er sich Menschen erwählt, die seine Kirche sein sollen. Wer von seinem Wort getroffen wird, der gehört dazu.

Dabei spielt es gar keine Rolle, welche Voraussetzungen einer mitbringt und welche Vergangenheit einer hatte. Man kann auch Programme zur Rettung der Kirche verfassen, Denkschriften verfassen und eine Unternehmensberatung heranziehen. Aber vorausgehen muß das Hinhören auf das Wort Gottes. Erst durch das wählende und schaffende Wort Gottes werden Menschen auf die Beine gebracht. Auch wenn sie vorher noch so verkehrt waren, so werden sie durch Gott liebenswert gemacht. Gott liebt uns aber nicht, weil wir uns für wertvoll halten, sondern wir sind wertvoll, weil Gott uns liebt.

 

2. Mit Gott erfüllt: Zunächst sieht es bei Jesaja so aus, als ginge es nur um eine Verwandlung der Welt: Wenn es plötzlich Ströme von Wasser regnet, dann wird die Wüste zum fruchtbaren Land. Die Bibel denkt halt so leibhaft, daß sie sich das Heil Gottes nicht anders vorstellen kann als daß auch die Menschen die guten Gaben des Schöpfers im reichen Maß genießen können. Die äußere Verwandlung wird aber immer mehr im übertragenen Sinn verstanden.

Es könnte ja auch sein, daß die Kirche ganz ausgetrocknet ist, sich nur noch mühsam dahin- quält. Im günstigsten Fall wird sie noch lechzen nach dem kostbaren Naß. Im ungünstigen Fall ist sie schon so ermattet und kraftlos, daß sie nicht einmal mehr Durst empfindet.

Das kann durchaus auch der Fall sein, wenn in der Kirche viel los ist. Es kann sein, daß in der Kirche emsig und hastig gearbeitet wird, daß die Statistik beeindruckende Zahlen ausweist, eine rege Bautätigkeit vorhanden ist und die Matthäuspassion gekonnt aufgeführt wird. Aber Gott kommt nicht zum Zug, seine Anrede wird nicht mehr gehört. Glaube, Hoffnung, Liebe wachsen nicht mehr.

Natürlich wünschen wir uns auch keine Kirche, in der es mies und kleinkariert zugeht. Es kann auch einmal einen poppigen Jugendgottesdienst geben. Überhaupt wäre es gut, wenn im Gottesdienst mehr äußerlich Sichtbares geschähe. Dazu nur ein kleines Beispiel: In einem Gottesdienst wurde ein Kind des Ortspfarrers getauft. Die Taufe vollzog aber ein Pfarrer von außerhalb. Der sagte dann: „In Ihrer Gemeinde ist es üblich, daß der Täufling erst einmal der Gemeinde gezeigt wird. Das will ich jetzt auch tun!“ Und dann nahm er das Kind auf den Arm, ging damit durch die Kirche und zeigte es allen, so als wollte er sagen. Dieses Kind gehört jetzt dazu, dieses Kind sollt ihr in eure Mitte aufnehmen, denn Gott hat es so erwählt wie euch!

Aber alle unsren menschlichen Aktivitäten sind nur Gefäße und Instrumente für Gottes eigenes Wirken. All unser Tun wäre vergeblich, wenn Gott nicht seinen Geist dazu gäbe. Dadurch kommt eigenes Leben in die Kirche, wird die Kirche aus dem Geist erneuert und mit Gott erfüllt. Dann können Menschen zum Glauben kommen, dann können sie diakonisch tätig werden, dann werden auch die Fernen herangeholt.

Deshalb brauchen wir auch keine Angst um die Zukunft der Kirche zu haben. Gott will seinen Geist auf unsre Kinder gießen und seinen Segen auf unsere Nachkommen. Die Kirche pflanzt sich fort und mehrt sich, so wie das in dieser Jahreszeit auch in der Natur geschieht. Dabei geht es nicht nur um die zahlenmäßige Ausbreitung, sondern auch um das innere Wachstum und die Entfaltung des einzelnen Glaubenden.

An unsrer Aktivität allein liegt es dabei nicht. Luther hat gesagt: „Während ich mein gutes Wittenbergisches Bier getrunken habe, hat Gott die Reformation gemacht!“ Das sagt er in aller Bescheidenheit, obwohl er in Wirklichkeit ja doch allerhand getan hat. Doch er weiß, daß er alle Kraft und alles Gelingen nur Gott zu verdanken hat. Wenn er seinen Segen nicht dazugibt, ist alles vergeblich.

 

3. Zu Gott bekennen: Der Glaube drängt zum Bekennen. Jesaja spricht von Menschen, die offen bekennen: „Ich bin des Herrn!“ oder die in ihre Hand schreiben „Dem Herrn eigen“. Das mit der Hand ist eigentlich ein schönes Bild: Man schreibt es sich hinein, damit man es nicht vergißt uns es sich immer vor Augen halten kann. Und es ist auch ein Hinweis auf den Besitzer und eine Werbung für ihn. Jede Firma schreibt ihren Namen an ihr Auto oder an die Produkte, die sie herstellt. Ehe ein Haus gebaut wird, steht schon das Schild da, wer es bauen will. Und selbst wenn es fertig ist, steht es zu Werbezwecken noch lange da.

Auch der Kirche schadet die Werbung nicht. Sie gehört nicht zu einem verachteten Volk, sondern sie darf stolz auf ihre Vergangenheit und Gegenwart sein. Natürlich ist äußerlich nicht alles so, wie es sein könnte und sein sollte. Es ist durchaus nicht so, wie Paulus es beschreibt: Da kommt einer zufällig in die Gemeindeversammlung und wird dabei in seinem Gewissen getroffen und gewinnt die Überzeugung, daß Gott hier wahrhaftig gegenwärtig ist (1. Kor 14, 24f). Nicht jeder erkennt gleich das Leben, das in der Kirche ist.

Deshalb ist es gut, wenn man als Christ sagt, wohin man gehört. Dazu gehört doch gar nicht viel: Die Mitbewohner im Haus oder die Nachbarn können doch ruhig wissen, wohin man am Sonntagmorgen geht. Wenn man am Montag den Kollegen in der Firma erzählt, wie man das Wochenende verbracht hat, braucht man die Kirche nicht auszusparen.

Vielleicht haben wir aber Hemmungen, zum Gottesdienst einzuladen. So besonders anziehend ist er für Außenstehende nicht. Aber auch wenn wir an der Kirche leiden, so können wir sie doch lieben. Wir lieben sie dennoch, weil Gott sie auch dennoch liebt. Wir können ruhig eingestehen, daß wir geistlich arm sind. Wir brauchen nichts zu überspielen und zu vertuschen, nicht alles vereinheitlichen. Wer so handelt, der ist glaubwürdiger. Aber in Wirklichkeit sind

wir ja gar nicht arm, weil Gott uns seinen Geist gibt, weil er die Kirche macht und nicht wir.

 

Jes 44, 1 - 5 (6-8) (Pfingsten I, Variante 2):

Wenn wieder ein Gottesdienst oder eine Gemeindeveranstaltung herannaht, dann fragt man sich als Pfarrer unter anderem auch: Wie viele werden diesmal kommen? Du hast dir viel Mü­he gemacht mit der Vorbereitung. Aber ist dein Dienst überhaupt so sehr begehrt, liegt den anderen in der Gemeinde wirklich auch so viel daran wie dir?

Manchmal wird uns die Kirche auch vorkommen wie ausgetrocknetes Land. Junge Leute sagen: In der Kirche ist nichts los, da ist kein Leben, keine Begeisterung. Sie strömen dann dorthin, wo es nach ihrer Meinung so etwas geben könnte. Aber das Einzige, was da in Frage kommt, sind Disco und andere Tanzveranstaltungen. Aber ob man dort ganz automatisch das Leben finden kann, ist doch wohl fraglich.

Alte Menschen aber sagen: Wir werden immer weniger in der Kirche. Unsere Kinder und Enkel gehen ihre eigenen Wege. Wenn mal Christ sein will, dann hat man es in manchen Din­gen schwerer. Es bringt keine gesellschaftliche Geltung. Das wiederum führt zur Unentschiedenheit: Man will zwar dazugehören, aber nicht mitmachen. Man will seinen Glauben haben, ihn aber nicht mit seinem Leben bekennen.

Ein Pfarrer kriegt öfter zu hören: „Herr Pfarrer, in der Kirche werden Sie mich nicht sehen, aber ich habe auch meinen Glauben!“ Doch wenn man dann näher hinsieht, dann geht es um ein „höheres Wesen“ oder die „Vorsehung“, um irgend so ein unbestimmtes Gefühl, daß da etwas sein müsse - aber nicht um den lebendigen Gott, der die Welt und die Menschen geschaffen hat und der Vater Jesu Christi ist. Das allein wäre der wahre Glaube. Und wer den hat, der hält sich auch zu Gottes Gemeinde.

Mit unserer bedenklichen Einschätzung der Lage der Kirche sind wir wohl der inneren Verfassung des alten Gottesvolkes sehr nahe. Der Prophet Jesaja II. wandte sich ja an die Gefangenen in Babylon. Sie waren eine verschwindende Minderheit in einem großen Weltreich. Die nächste Generation wuchs heran. Und die Alten fragten sich: „Wird sie dem Gott der Väter treu bleiben oder sich den neuen Göttern zuwenden? Würde sie nicht durch die enge Berührung mit den Andersgläubigen in Versuchung geraten und schließlich aufgeben? Ihnen sagt der Prophet: „Ihr seid nicht von Gott verlassen! Erst wenn das käme, wäre eure Lage wirklich hoffnungslos!“

Ja, wenn es nur um unsere eigenen Möglichkeiten ginge, dann hätten wir in der Tat wenig zu erwarten. Auf Nichtchristen werden wir oft einen nur kläglichen Eindruck machen: Wir setzen ein saures Gesiecht auf, wenn hier oder da Schwierigkeiten auftauchen, wir neigen zum Klagen, wenn etwas nicht so geht, wie wir uns das ausgedacht haben! Welchen Eindruck machen wir wohl auf die Christen aus den Kirchen in den sogenannten „Entwicklungsländern“, die bei uns statt einer Freude im Glauben nur einen verzagter Kleinglauben vorfinden?

Haben wir denn wirklich immer vor Augen, daß Gott die Geschicke seiner Gemeinde lenkt? Mit allem Möglichen rechnen wir - aber so wenig mit ihm! Da wird vieles versucht, um die Gemeinde zu beleben. Es hat sich in den letzten Jahren vieles geändert. Und darunter sind erfreuliche Versuche, nicht nur der Tradition, sondern auch der heutigen Situation gerecht zu werden. In der Verkündigung bemüht man sich immer wieder, eine Brücke zur heutigen Welt zu schlagen.

Aber neue Formen können sich auch schnell wieder verbrauchen und hinterlassen nicht immer Lebendigkeit. Der Mangel sitzt offenbar tiefer. Andere Verhältnisse machen noch nicht andere Menschen und schon gar nicht neue Menschen. Uns helfen nicht neue Ordnungen, nicht Aufrufe und Beschlüsse. Uns hilft nur eins: Gottes Geist, der von innen heraus neues Leben wachsen läßt, so daß ganz von selber neue Menschen hinzukommen.

Bei Jesaja wird dieses Neuwerden zunächst mit einem Bild aus der Natur deutlich gemacht. In den heißen Ländern gibt es oft lange Trockenzeiten. Dann dörrt das Land unter der unbarmherzigen Sonne aus, der Boden wird rissig und zerklüftet, Wiesen und Bäume werden saftlos und grau. Aber dann fällt vielleicht nach drei Jahren zum ersten Mal wieder Reger. In Stunden verwandelt sich das Land. Ein anderes Lebensgefühl kommt über Mensch und Tier und die Pflanzen richten sich auf und straffen sich.

Nach der Bibel sind es aber zwei Dinge, die das Leben schaffen: Wasser und Geist! Zuerst schwebte der Geist Gottes über dem Wasser, damit fing die Schöpfung an. Gott aber will uns täglich neu schaffen, gerade auch dann, wenn wir innerlich ganz darniederliegen. Um unseren Körper zu erquicken, da genügt vielfach schon einfaches Wasser. Aber um unsren Geist wieder aufzurichten, da brauchen wir den Geist Gottes.

An Pfingsten geht es ja nun um den Geist Gottes, den Heiligen Geist. Die Ausgießung des Wassers bei Jesaja erinnert uns doch gleich an die Ausgießung des Heiligen Geistes. Das Bild aus der Natur hilft uns, einen Vorgang des Glaubens zu verstehen. Gott gießt seinen Geist nämlich auch aus wie einen Regen, ja wie einen Strom.

Im Alten Testament sah man da vieles noch naturhaft. Der Prophet verstand zwar die Verwandlung der Welt im Laufe der Zeit immer mehr im übertragenen Sinne. Aber er sah den Segen vorwiegend in der Neubelebung des Volkes. Es sollte blühen und gedeihen, sich vermehren und zu einem großen Volk werden.

Aber dann wird auch deutlich, daß Gottes Handeln nicht auf sein Volk beschränkt ist: Nicht-Israeliten stoßen zum Volk Gottes und lassen sich mit dem Ehrennamen Jakob und Israel nennen, ja sie schreiben sogar den Namen Gottes in ihre Hände. Hier werden wir über das Alte Testament hinausgewiesen auf jenes erste Pfingstfest in Jerusalem, an dem eine Kirche aus allen Völkern der Welt entstand.

Damit wurde auch deutlich, daß es nur einen Gott für alle Menschen gibt. Im zweiten Teil unseres Bibelabschnittes führt Gott einen Rechtsstreit gegen die anderen vermeintlichen Götter. Sie werden aufgefordert, sich zu melden und zu äußern. Aber der Prophet ist sich sicher, daß sich da niemand zu Worte melden wird. Es gibt nur den einen Gott. Und der ist schon gewesen, als noch keiner war. Und er wird auch bleiben, sollte einmal keiner mehr da sein.

Dieser Gott bestimmt auch heute das Leben der Menschen und besonders der Christen. Er gibt ihnen seinen Heiligen Geist und hilft ihnen so, sich als Christen zu bewähren. Und er macht immer wieder deutlich: Ich bin noch lange nicht am Ende, und deswegen seid ihr es auch

nicht! Es wird zwar manche Durststrecke geben in der Geschichte der Kirche oder in eurem eigenen Leben. Aber ich bin noch da und kann wieder neues Leben aus dem dürren Land erwecken. Allerdings ist nichts getan mit eigener Tüchtigkeit und einem hektischen Aktivismus. Aber Gott sagt ja seinen Geist zu, der begeistert und lebendig macht. Damit können wir mehr rechnen als mit den sogenannten „Realitäten“ des Gemeindelebens.

Allerdings hat Gott seinen eigenen Zeitplan. Auf der Insel Nias, die zu Indonesien gehört, hatte die christliche Kirche einen schweren Anfang. Die beiden ersten Prediger mußten unverrichtete Dinge wieder abziehen. Auch der dritte traf zunächst auf unüberwindbare Schwierigkeiten. Erst nach sieben Jahren wurden einige getauft. Sie beteten nun für die Bekehrung ihres Volkes. Eines Tages wurde das Gebet erhört. Plötzlich stellten sich Leute in Scharen zu den Bibelstunden ein und begannen ein neues Leben; gestohlenes Gut wurde zurückgegeben, alte Feindschaften hörten auf, Schulden wurden getilgt. Es sammelte sich eine große Gemeinde von Menschen, die mit der Nachfolge Christi Ernst machten. Man hat auf mancherlei Weise versucht, dieses Wunder zu erklären. Es gibt nur eine Erklärung dafür: Gott hatte seinen Geist ausgegossen!

Auch bei uns kann es zu einer solchen Begeisterung kommen. Wir brauchen doch auch Wasser und Geist, denn unsere leibliche und unsere geistliche Not liegen doch ganz nahe beieinander. Gott kann nicht nur, er w i 1 1 auch Gemeinden lebendig machen, daß es in ihnen pfingstlich zugeht. Mission und Evangelisation geschieht heute nach draußen und nach drinnen. Menschen werden wach, von denen man es nie gedacht hätte. Chronisch gewordene Sünden werden abgetan. Zerstörte Gemeinschaft wird wieder heil.

Wir können uns in diesen Prozeß hineinstellen. Aber wer Wasser sucht, kann um die Quelle keinen Bogen machen. Die Quelle aber ist für uns Gottes Wort, an das Gott seinen Geist gebunden hat. Wenn wir dieses Wort hören, dann werden wir aufleben wie trockenes Land nach dem Regen. Gottes Geist wird uns zu einem neuen Leben verhelfen.

 

 

Jesaja 51, 9 – 16 (4. Sonntag nach Epiphanias):

Hand aufs Herz: Ist Ihnen nicht auch am Neujahrstag des Jahres 2000 ein Stein vom Herzen gefallen, als die vielfach befürchtete Katastrophe ausblieb? Weder stürzten die Computer ab noch machten sich die Atomraketen selbständig. Wer Wasser und Lebensmittel gehortet hatte, war jetzt für längere Zeit versorgt. Und wer sich Kerzen und Taschenlampen hingelegt hatte, wird noch lange erleuchtet gewesen sein.

Aber auch der Weltuntergang ist ausgeblieben. Bei solchen kalendarischen Zeitenwenden gibt es immer wieder Gruppen, die der Meinung sind, Gott richte sich bei seinen Planen mit der Welt nach der Zeiteinteilung der Menschen. Weil in der Bibel von dem tausendjährigen Reich Gottes die Rede ist, meinen diese Menschen, bei einem Jahrtausendwechsel müsse es nun endlich anbrechen, nachdem es schon in den ersten tausend Jahren ausgeblieben ist. Aber wie gesagt: Unsere Zeiteinteilung ist eine rein menschliche Berechnung, von der sich Gott nicht beeindrucken läßt.

Doch die Ängste der Menschen sind uns durchaus verständlich. Wir selber werden ja nicht davon verschont, auch wenn wir Christen sein wollen, die ja eigentlich keine Angst zu haben brauchten. Gerade in so besonderen Situationen wie dem Jahreswechsel kommt diese Angst oft in uns hoch. Inzwischen ist das Jahr schon ein ganzes Stück vorangeschritten und wir stellen fest: „Hurra, wir leben noch!“ Aber ganz los werden wir eine untergründige Angst in unserem Leben nicht.

Diese Angst ist etwas Menschliches. Kein Mensch ist von ihr frei. Auch die Menschen zur Zeit des Alten Testaments kannten solche unbestimmten Ängste. Diese bezogen sich zunächst einmal auf die Natur. Man stellte sich vor, daß Gott zwar das Chaos in der Natur in seine Schranken gewiesen hatte und in das Durcheinander hinein seine Schöpfung gebaut hatte. Aber diese Schöpfung wird weiter bedroht durch dunkle Urmächte, die durch Meeresungeheuer und Drachen verkörpert werden. Gott hat sie zwar damals vernichtet. Aber wer weiß, ob nicht eine gleiche Gefahr einmal wiederkehrt?

Um eine Antwort zu finden auf solche Ängste und Fragen, besann man sich auf die Erzählungen von der Erschaffung der Welt. Und so sagt dann der Prophet seinem Volk als Wort Gottes: Gott hat alle Kreaturen geschaffen, Tiere und Menschen, keiner ist stärker als er. Sie kommen alle nicht von ihm los und bleiben auf ihn angewiesen. Er hält auch in Zeiten der Entfremdung an ihnen fest und will ihr Heil. Der damals die Welt geschaffen hat, der kann sie auch heute wieder neu machen. Auch mit den Menschen kann er immer wieder neu anfangen. Die Welt ist gemacht für das Heil Gottes, und im Glauben wird es allen zuteil.

Die Angst der Menschen bezieht sich aber auch auf die Geschichte. Dieses wird vielfach als Bedrohung empfunden, weil der einzelne Mensch nur ein kleines Rädchen in dem großen Getriebe ist. Auch das Volk Israel war ja in dieses Räderwerk geraten. Sie hatten den Krieg gegen die Großmacht der Babylonier verloren und waren nach Babylon in die Gefangenschaft verschleppt worden.

Aber in dieser Lage erinnern sie sich daran, daß Gott ihr Volk ja schon einmal aus einer großen geschichtlichen Gefährdung errettet hatte: Beim Auszug aus Ägypten trocknete Gott das Meer aus und schaffte dem Volk einen Weg, der ihnen wieder eine Zukunft ermöglichte. So werden die Erlösten des Herrn auch diesmal wieder in ihre Heimat kommen, nach Jerusalem zum Zionsberg. Ihr Leben ist nicht sinnlos geworden, sondern sie haben eine Hoffnung, die Gott einlösen wird.

So wie er zu den Zeiten des Mose sein Volk erlöst hat, so wird er es auch in Zukunft tun mit uns, die wir auch von der Angst um unsre Zukunft gefangen sind. Wir dürfen Gott erinnern an das, was er früher getan hat, und wir dürfen darauf vertrauen, daß er auch in Zukunft entsprechend handeln wird.

Es ist aber nicht damit getan, daß man von Gottes Schöpfertätigkeit weiß. Wissen nützt nur, wenn man es auch abruft. Glaube ist nicht die Zustimmung zu der allgemeinen Wahrheit: Es gibt einen Gott. Glaube ist das persönliche Vertrauen auf Gottes Zusage, daß er die Welt erhalten wird und daß er auch mich selbst und alle meine Lieben erhalten wird.

Wir als Christen schauen dabei nicht nur auf die Schöpfung und auf das Handeln Gottes in der Geschichte. Wir dürfen außerdem auf Jesus blicken, in dem Gott ein Mensch wurde, der an allen Leiden dieser Weit Anteil hat. Wir wissen etwas von der Erlösung der Welt durch den

Opfertod Jesu. Und wir dürfen ausblicken auf den Tag, an dem Gott die Schöpfung neu machen wird in der Vollendung der Welt zu seinem Reich.

Schöpfung und Handeln Gottes in der Geschichte ist nicht etwas Fernes, was es vielleicht vor Tausenden von Jahren gab. Gott ist vielmehr mit seiner Schöpferkraft ständig am Werk. Er bleibt nicht im Verborgenen, er hält sich nicht zurück, sondern er greift pausenlos in den Lauf der Dinge ein, ja er ist im Lauf der Dinge selbst wirksam.

Doch zunächst einmal hat das Volk Israel den Eindruck, es bleibe still in Gottes Welt. Deshalb klagt es und bittet Gott, doch endlich seine Waffenrüstung anzuziehen und mit seinem Arm kräftig ins Weltgeschehen einzugreifen. Der Prophet beruft sich dabei auf das, was Gott bisher für sein Volk getan hat, und zieht daraus die Schlußfolgerung: Der Gott, der bisher seine Schöpfung und sein Volk erhalten hat, der wird es auch in Zukunft tun.

Heute fühlen wir uns nicht mehr durch Chaosmächte bedroht, sondern zum Beispiel durch die Atomkraft, auch wenn sie friedlich genutzt wird - der Atomunfall in Japan hat es wieder deutlich gemacht. Unsere Bedrohungen sind auch die großen Umwälzungen in der Welt, die Kriege und die wirtschaftlich und religiös bedingten Unruhen, die auch schon ganz nahe vor unsrer Tür stattgefunden haben.

Aber die Angst hat auch ein ganz persönliches Gesicht: Da dauert die Arbeitslosigkeit schon mehrere Monate oder gar Jahre und es ist keine Änderung in Aussicht. Da plagt uns eine Krankheit und wir schlechter statt besser. Das Verhältnis in der Ehe oder Familie ist gespannt und macht uns täglich fertig. In dieser Lage leiden auch wir darunter, daß Gott nicht einzugreifen scheint. Und da ist es dann schwer, Geduld zu haben und immer noch auf Gott zu vertrauen.

Gott will aber allen Menschen Gutes tun. Wir können das nicht immer erkennen. Auch den in

Babylon Gefangenen klangen Gottes Zusagen so unwirklich, während Babylons Macht gera­de­zu körperlich zu spüren war. Gottes Zusagen wollen aber gegen Erfahrung und Augenschein geglaubt werden. Da gibt es auch keine Stützen, die die Zusagen von unten her untermauern könnten. Gott allein ist es, der helfen und trösten kann. Auf ihn müssen wir uns verlassen, sonst sind wir verlassen.

Der Prophet stellt das Bild eines Gefangenen vor Augen. Er ist gefesselt, in eine gekrümmte Haltung gebracht, er hungert. Sein Schicksal ist besiegelt, die Vollstreckung des Todesurteils ist nur noch eine Frage der Zeit. Aber da wird ihm gesagt: „Du wirst frei, es dauert sogar gar nicht mehr lange!“

Wenn wir uns auch so fühlen wie dieser Gefangene, dann dürfen wir dieses Wort Gottes auch auf uns beziehen. Das muß nicht bedeuten, daß jede Situation unseres Lebens einen glücklichen Ausgang nehmen wird. Die Gefangenen sind damals bald heimgekommen. Aber das muß nicht zwingend so sein. Das kommende Jahr muß nicht alle unsre Probleme lösen, muß nicht all unsere Angst beseitigen.

Aber wir dürfen wissen: Was auch geschieht, niemand und nichts wird Gott und uns wieder auseinanderbringen. Auch wenn wir manchmal seinen starken Arm vermissen, so sind seine schützenden Hände doch immer da. Er läßt sich nicht darin irre machen, daß er unser Heil will. Denn er ist doch unser Gott und wir sind sein Volk!

Der Schluß des Abschnitts „Du bist mein Volk“ erinnert an den Spruch aus der Wende 1989

„Wir sind das Volk!“ Wir sind geneigt, dieses Ereignis für das wichtigste geschichtliche Er­eignis des Jahrhunderts zu halten. Aber an sich ist das Ende des Zweiten Weltkriegs - die Befreiung von der Diktatur - das wichtigere Ereignis.

Damals wurde die Befreiung im Osten Deutschlands noch nicht vollendet, weil die braune Diktatur durch eine rote abgelöst wurde. Erst 1990 wurde die Befreiung für unser ganzes Volk vollendet. Aber stellen wir uns nur einmal vor, Hitler hätte keinen Krieg angefangen und die Nazis waren heute immer noch an der Macht! Da können wir doch nur froh sein, wenn wir in Frieden und Freiheit leben können.

Aber Gott sagt: „Nicht ihr habt euer Leben in der Hand, nicht ihr gestaltet die Geschichte und spielt dabei eure eigene Macht aus. Vielmehr bin ich es, der euch erhält und euch neue Wege eröffnet!“ So war es nicht unser Geschick und unser Können, die uns die Freiheit gebracht haben, sondern Gott allein rettet uns immer wieder.

Dabei geht es nicht nur um die großen geschichtlichen Fragen, sondern auch um die ganz persönlichen Probleme unseres Lebens. Auch da gilt: „Du bist mein Volk!“ Gott hat uns sogar den Auftrag gegeben, daß wir so wie damals sein Prophet sein tröstendes Wort weitergeben. Uns

ist damit etwas anvertraut, das wir den anderen Menschen schulden, die genauso wie wir in Angst um ihre Zukunft und die Zukunft der Welt leben.

Diese Botschaft sind wir allen schuldig, die an dieser Welt leiden. Gottes Wort ist in unseren Mund gelegt, so wie er es damals dem Propheten in den Mund gelegt hat. Wir haben eine Bot­schaft an die Welt und alle Menschen: Euer Leben steht unter dem Schutz Gottes. Unter seiner Aufsicht habt ihr eine gesicherte Zukunft.

 

 

Jes 55, 1 – 5 (2. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn es in der Kirche Speise-Eis oder Bier gäbe, und noch dazu ohne Geld, dann gäbe es hier sicher bald einen Volksauflauf. So etwas spräche sich in Windeseile herum. Nun gibt es zwar in der Kirche kein Bier oder sonst etwas von all den schönen Sachen in dieser Welt. Aber es gibt die frohmachende Botschaft Gottes zu hören, es gibt Taufe und Abend­mahl. Warum drängt man sich nicht nach diesem ebenso wichtigen Angebot?

Der heutige Sonntag spricht von Gottes Einladung, vor allem an die Mühseligen und Beladenen. Das Evangelium des Sonntags spricht vom großen Abendmahl, zu dem die Einladung ergangen war, aber viele haben sie nicht angenommen, bis dann schnell noch andere herbeigeholt wurden.

Damals galt die Einladung den Israeliten, die in Babylon in der Gefangenschaft waren. Sie mußten ihre Untreue gegenüber Gott büßen. Fern vom Land der Verheißung mußten sie sich abgehängt und preisgegeben fühlen. Wir lesen diesen Abschnitt natürlich als neutestamentliche Gemeinde. Wir wissen, daß, er sein Evangelium schon zuvor verheißen hat durch seine Propheten. Aber erst seit Jesus ist voll und ganz deutlich: Der Gott, der auf unsere Abkehr mit Härte reagieren müßte, bemüht sich um seine mißratenen Menschenkinder mit Liebe.

Es wird uns vielleicht befremden, daß Gott hier mit einem Marktschreier verglichen wird. Er preist seine Ware an und will damit zugleich die Konkurrenz ausstechen. Gott steht vor seinem Verkaufsstand und wendet sich mit nicht geringem Stimmaufwand an die vorüberströmende Menge. Werbend, dringend, fast beschwörend, so lädt Gott ein - eine echt orientalische Szene, die der Prophet da vor unsere Augen malen will.

Die Worte des Propheten müßte man etwa so wiedergeben: „Hallo Leute! Ihr habt doch Durst! Kommt alle hierher! Hier gibt es zu trinken! Ihr habt kein Geld? Das macht nichts. Kommt her, kauft und laßt es euch schmecken. Kommt und kauft ohne Geld! Kostenlos bekommt ihr Wein, Brot und Milch!“

Für die Verbannten in Babylon bedeutete das: Sie sollten als Volk fortbestehen und nicht untergehen. Auch als Gemeinde Gottes sollten sie weiterleben. Sie sollten ein Leben haben, das es verdient, so genannt zu werden, nicht etwas, das doch kein Leben mehr ist.

Offenbar haben die Verbannten Mangel gelitten in leiblicher und geistlicher Hinsicht. Zunächst einmal hatten sie ein hartes Leben. Sie mußten schuften, um auf dem Schwarzmarkt Brot kaufen zu können. Aber was sie für ihr schwer erarbeitetet Geld kriegten, verdiente den Namen Brot nicht; außerdem wurden sie nicht satt.

Aber Leben ist mehr, als nur das äußere Dasein zu fristen. Es geht um ein gehaltvolles und sinnvolles Leben, um ein Leben mit und aus Gott. Die Stadt Babylon hat sicher da auch etwas geboten, in mancher Hinsicht sogar verlockend und reichhaltig: Die Feste, die Prozessionen, die wirtschaftliche Macht, die wissenschaftlichen Leistungen - das konnte ein schwaches Volk schon beeindrucken.

Goethe hat in seinem „Doktor Faust“ auf klassische Weise diesen sehnsüchtigen und verlangenden Menschen anschaulich gemacht, der immer nach Besserem sucht und doch keine Erfüllung findet. Mit Hilfe des Teufels stürzt er sich in allerhand Abenteuer. Er setzt vieles ein, opfert manches, aber für Dinge, die nicht satt machen. Daß wir uns nicht falsch verstehen: Gott gönnt uns natürlich alles, was das Leben schön macht, er will es uns ja selber geben. Aber oft kann man sich nur an die Stirn greifen, wenn man sieht, auf wie erbärmliche Weise die Menschen sich Freude suchen wollen. Und weil sie das Echte, das Wertvolle, das wirkliche Beglückende nicht haben, greifen sie zum Ersatz.

Gott ergeht es da oft wie den Ausrufern auf dem Markt: Trotz aller Werbung und eines hervorragenden Angebots laufen die meisten vorbei und kaufen anderswo ein. So etwas ist immer schmerzlich. Nicht nur, weil der Verkäufer auf seinen Waren sitzen bleibt, sondern weil er mit ansehen muß, wie die Menschen dann Wertloses erwerben. Dabei hätte man es doch bei Gott gratis bekommen. Man muß bei ihm gar keine Bedingungen erfüllen, ehe man wieder mit ihm ins Einvernehmen kommt, er bietet sich selbst an ohne Wenn und Aber. Man muß nicht erst anklopfen und es dann darauf ankommen lassen, ob er öffnet; Gott hat seine Freigiebigkeit zugesagt und wirbt sogar um uns.

Er hat etwas anzubieten, womit niemand und nichts konkurrieren kann. Er ist von der Hoffnung erfüllt, seine Sache an den Mann zu bringen. Aber er fürchtet zugleich, die Angesprochenen könnten die Chance verpassen, das Angebotene zu ergreifen.

Warum wird Gottes Angebot so oft übersehen? Es mag daran liegen, daß dieser so freigiebige Gott erst entdeckt werden muß; er gehört ja nicht zur Welt des Sichtbaren und Beweisbaren. Es kann aber auch daran liegen, daß wir uns nicht so gern etwas schenken lassen bzw. fürchten, dann müßten wir den anderen wiederum beschenken.

So ein großzügiges Angebot macht mißtrauisch. Deshalb läßt man sich gar nicht erst rufen, weil man ja doch nichts zu bieten hat und man sich auf einen nachträglichen Handel nicht einlassen will. Doch Gott meint es wirklich ernst mit seiner Einladung.

Gott nimmt uns immer wieder in seinen Bund auf. Er bietet ihn uns an, wir können ihm nur dankbar dafür sein. Der ewige Bund war zunächst nur dem König David und seiner Familie zugesagt. nachher bei Jesaja aber wird er auf das ganze Volk ausgeweitet und durch Jesus gehören auch wir dazu. Gott hat zwar die Strafe an Jesus vollziehen müssen, aber sein Volk bleibt dadurch unversehrt. Die Tatsachen scheinen oft eine andere Sprache zu sprechen. Aber Gottes Zusagen sind gültiger und stichhaltiger als die ihren oft entgegenstehenden Tatsachen. Es wird sicher noch viele Situationen des Angefochtenseins geben, aber man darf sich doch glaubend zu den Verheißungen Gottes hin flüchten.

Damit wir das besser glauben können, begibt Gott sich sozusagen auf den Markt. Er läßt sich nicht in einen heiligen Bezirk einsperren, sondern er geht in den Alltag hinein, der sich auf Märkten und Straßen, bei der Arbeit und beim Geldverdienen abspielt. Gott begegnet uns auch in einer weltlichen Welt, wo wir vielleicht nur eine kleine Minderheit sind. Gott ist nicht nur in der Kirche, sondern auch im Rathaus; er ist nicht nur bei den Psalmsängern, sondern auch bei den Schlagersängern; er ist nicht nur bei Kirchentagen, sondern auch an Messeständen.

Die Probleme der Welt schreien uns ja auch an. Heute geht es nicht nur um das Überleben Israels oder der Christenheit, sondern um die ganze Erde. Gott möchte Friede und Freude anbieten, Sättigung und Überleben. Es wäre schade, wenn dieses Angebot „umsonst“ ergangen wäre. Es ist in einem anderen Sinne „umsonst“, nämlich ohne Bezahlung und Gegenleistung.

Das gilt auch, wenn die Beschenkten dann Zeuge für die Völker sein sollen. Die alte Hoffnung Israels, zum Fürst und Befehlshaber der Völker zu werden, Mittelpunkt der Welt und obenauf zu sein, ist zwar mit Jesus abgetan. Aber was ein Christ bei Gott gesehen, erlebt und erfahren hat, das ist er auch anderen schuldig. Gebieter kann man auch nur noch sein, indem man dient. Jesus hat uns da eine andere Sicht gelehrt.

Gottes Volk ruft in die Welt hinaus. Aber dieser Ruf soll nicht nur die Völker treffen, mit deren man schon Kontakt hat, sondern auch die, die man noch nicht kennt. Aber dann werden die anderen Völker auch zur Gemeinde Gottes hinlaufen, in Richtung auf das Zentrum. Die Gemeinde wird für ferne Menschen attraktiv sein mit dem, was sie weiß und glaubt, was sie hofft und tut und vielleicht auch leidet.

Hoffentlich kommen die Menschen nicht aus sachfremden Gründen zu uns, etwa weil sie politische Opposition machen wollen. Wenn die Kirche darauf spekuliert, dann hat sie verspielt. Je mehr aber Gott sich bei uns durchsetzt, desto mehr werden die Menschen auf uns aufmerksam und dadurch vor allem auf ihn, der unser Herr und Gott ist. Er jedenfalls will alle bei sich haben und keinen ausschließen. Er sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!“

 

 

Jes 55, 6 - 12a (Sexagesimä):

„Meine Gedanken sind nicht Gedanken!“ So wird es oft bei Trauerfeiern gesagt. Und meist geschieht das in der Tonart: Wir haben uns zu beugen, auch wenn Gott es anders verfügt hat, als wir es uns gewünscht hatten. Ja wenn man vorwärts kommt, wenn alles wunschgemäß verläuft, wenn man sein Ziel erreicht, dann ist man glücklieh. Da fällt es leicht, die eigenen Erfolge als ein Zeichen des Segens Gottes anzusehen. Dann kann man auch leicht singen: „Jesu geh voran, auf der Lebensbahn!“

Aber wie oft müssen wir auch feststellen, daß es ganz anders gekommen ist. Unsere Pläne haben sich nicht verwirklichen lassen. Wir mußten Wege einschlagen, die wir uns bestimmt nicht ausgesucht hatten, wenn wir danach gefragt worden wären. Manchmal läßt sich das noch ertragen. Aber manchmal geht das auch an die Grundlagen unseres Lebens. Dann schreit man schnell voller Anklage: „Gott, warum hast du mir das angetan?"

Der Fehler liegt dann wohl darin, daß wir uns selber eine Gottesvorstellung zurechtgebastelt haben. Doch wir sollen uns ja kein Bildnis von Gott machen, auch in Gedanken nicht. Und doch müssen wir es, damit Gott nicht zu etwas Wesenlosem wird. Wir brauchen Hilfsvorstellungen und müssen menschlich von Gott reden. Aber solche Rede wird immer unangemessen bleiben, wir werden ihn ganz neu entdecken, wenn wir ihn erst sehen werden von Angesicht zu Angesicht. In Wirklichkeit ist Gott ganz anders, vielleicht auch viel menschlicher als ein wissenschaftlich korrekter Gottesbegriff.

Nur müssen wir uns davor hüten, uns einen bequemen und spießigen Gott nach unserem Bilde zurechtzubasteln. Es soll ein Gott sein, der einen nicht aus der Ruhe bringt, der das Gewissen nicht strapaziert und unsere selbstgezogenen Kreise nicht stört. Nur zu gern legen wir uns zurecht, wie Gott sein müßte. Und wenn er sich unseren Vorstellungen nicht fügt, dann erklären wir kurzerhand, es sei nichts mit ihm.

Gott läßt sich aber nicht zum ausführenden Organ unserer eigenen frommen oder unfrommen Einfälle machen. Zwischen unseren Vorstellungen und dem Willen Gottes besteht im wahrsten Sinne des Wortes ein „himmelweiter“ Unterschied. Wenn wir in Schwierigkeiten kommen mit unsrem Glauben an Gott, dann zerbricht immer etwas vor dem Gottesbild, das wir uns selbst gemacht haben.

So war das auch mit den Israeliten, die im 6. Jahrhundert vor Christus in der Gefangenschaft saßen in Babylon. Der Prophet Jesaja der Zweite hatte ihnen die bevorstehende Erlösung und

die Rückkehr in die Heimat angekündigt. Aber bisher war das nicht eingetroffen und die Botschaft hatte sich als Täuschung erwiesen. Sie schien nichts weiter zu sein als eine der vielen Parolen, die in Gefangenenlagern umgehen, damit noch ein kleines Flämmchen an Hoffnung bleibt.

Ein Jahrzehnt später war es dann allerdings doch so weit. Aber es war eben doch nur eine bescheidene Karawane, die sich da nach Jerusalem bewegte. Und bei den entbehrungsreichen Märschen war nichts zu sehen von der wunderbaren Nähe des gewaltigen Gottes. Es war alles doch so ganz anders, als man es sich vorgestellt hatte. Doch der Glaube muß immer wieder einmal durch solche Anfechtungen hindurchgehen, damit er korrigiert wird.

Wir denken doch auch manchmal: Warum können sich so viele Menschen ungestraft von Gott abwenden? Müßte Gott es denen nicht zeigen? Warum werden gläubige Menschen oft schwerkrank? Weshalb muß ich leiden und anderen geht es gut? Solche Fragen kommen doch immer wieder, ob man will oder nicht.

Doch wer an Gott glaubt, der läßt sich immer wieder von ihm zurechtbringen. Wenn man etwas lernen will, dann muß man sich immer wieder belehren lassen. Man kann zum Beispiel selbständig mit dem Klavierspielen beginnen. Aber wenn man dann zu einem Klavierlehrer geht, dann wird man ganz neu mit Fingerübungen anfangen müssen. Genauso wird ein Eisläufer manche Überraschung erleben, wenn er sich von einem Trainer planmäßig zum Eiskunstläufer ausbilden läßt.

So müssen wir auch das Glaube immer wieder neu lernen. Wir müssen uns den Irrtum ausreden lassen, als müßten alle Schmerzen und Bedrängnisse aus unserer Welt längst ausgeräumt sein, wenn Gott uns liebt. Zumindest müßte sich die Erde doch der himmlischen Vollendung schon spürbar angenähert haben, denken wir. Aber daß das nicht so ist, davon kann uns schon ein Zahnschmerz überzeugen.

Der Glaube wagt es aber mit Gott gegen die oft scheinbar erdrückende Macht der Tatsachen. Jesaja fordert sein Volk auf, Gott doch wieder zu suchen. Entweder haben sie ihn gar nicht mehr um Hilfe und Rettung gebeten, weil sie nichts mehr von ihm erwarteten. Oder sie sind Gott in falscher Weise angegangen und ihr anfänglicher Überschwang ist in schmerzhafte Ernüchterung umgeschlagen.

Dennoch macht der Prophet seinen Zuhörern Mut, sich an ihren Gott zu wenden. Die Voraussetzungen sind ja an sich gut, Gott will sich ja finden lassen. Sie haben zwar in der Gefangenschaft kein Heiligtum mehr wie in Jerusalem; aber Gott ist auch so zu finden, er ist zu sprechen und ihnen zugewandt.

Doch es ist nicht so, daß Gott sich durch unser Suchen erweichen ließe und erst auf unser Rufen hin uns nahe käme. Gott selbst hat die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir ihn suchen können. Nur sollen wir ihn da suchen, wo und wie er sich finden läßt, nicht irgendwo, sondern dort, wo er vor allem Suchen uns schon nahe ist.

Für uns Christen ist es keine Frage, wo dieses Sich-Darbieten Gottes konkret wird: in Christus sollen wir den dreieinigen Gott finden, in seinem Wort und seinen Sakramenten. Aber während unsere Wünsche hoch hinausfliegen und wir die Höhenwege des Lebens suchen, geht Gott in die Tiefe. Er steigt zu den Geplagten hinunter, zu den Schuldigen. Aber dadurch läßt er sich auch leichter finden von uns.

Gott ist zwar mit seinen hohen Gedanken weit über uns, aber mit seinem wirksamen Wort ist er doch dicht bei uns. Es sieht zwar oft so aus, als ob das Faßbare und Meßbare und vor allem das Bedrückende und Belastende sich im Lauf der Welt immer mehr wieder durchsetzen würde. In Wirklichkeit aber ist es umgekehrt: Gott wird die Selbstdarstellung des Menschen in den großen Weltreichen und in seinen technischen Leistungen durch seinen Zorneshauch zunichtemachen.

Wir sollen hier nicht in die Innerlichkeit des Herzens verwiesen werden. Zwar schafft das Wort Gottes den Glauben in den Herzen der einzelnen Menschen. Aber die sichtbare Welt darf nicht als gleichgültig angesehen werden zugunsten einer nur vorgestellten idealen Welt. Gott will in unsere greifbare Welt hineinwirken. Sein Wort geht aus seinem Mund, bewegt sich vom Himmel zur Erde, um dort das Aufgetragene zu wirken.

Manchem Menschen gelten Worte nicht viel. Das ist auch kein Wunder. Was wird nicht alles geredet! Viel unnützes Geschwätz ist dabei. Da wird endlos über eine Sache gesprochen, ohne daß die entsprechenden Folgen eintreten (Abrüstungsverhandlungen, Klimaschutz). „Der Worte sind genug gewechselt, laßt mich auch endlich Taten sehen!“ möchten wir manchmal sagen.

Gottes Wort ist aber nicht der Gesprächsbeitrag Gottes in einer Gesprächsrunde, in der wir mit ihm als gleichberechtigte Partner sitzen. Wenn der Prophet vom Wort Gottes spricht, dann meint er die Kraft, die die Welt erhält und Menschen und Verhältnisse wandeln. kann. Gott ist in seinem Wirken nicht aufzuhalten, nicht im Lauf der Geschichte und nicht im Lauf der Natur.

Gottes Wort ist wie das Wasser, das vom Himmel kommt und die Erde anfeuchtet und fruchtbar macht. In Palästina geht das manchmal in Stunden, daß die ausgedörrte Erde wieder grün wird. So ist auch das Wort Gottes eine Macht, die etwas bewirkt. Es ist nicht nur die zeichenhafte Abbildung einer Wirklichkeit, sondern es ist selbst schöpferische Tat. Unser Menschenwort entartet leicht in Geschwätz. Aber Gott ist mit seinem schöpferischen Wirken nicht am Ende.

Gottes Wort bewirkt Gemeinschaft. Daß wir hier zusammengekommen sind ist ein Zeichen dafür, daß Gottes Wort an uns arbeitet. Die Kirche lebt unabhängig von ihrem äußeren Erscheinungsbild. Menschen bedenken unter dem Einfluß des Wortes Gottes ihr Leben neu und verändern es. Etwas geschieht auf jeden Fall, wie unscheinbar die Wirkung des Gotteswortes für unsere Augen auch sein mag. Im Evangelium vom vierfachen Ackerfeld wird sogar gesagt, daß es hundertfache Frucht bringen kann.

Natürlich will dieses Wort vernommen und angenommen sein. Aber wenn das geschieht, dann kann es auch eine vermeintlich tote Gemeinde wieder aufwecken. Es wird nie vergeblich gesagt. Es finden sich immer wieder Menschen, die es hören. Es hilft auch uns, mit unseren

Fragen und Anfechtungen fertig zu werden, auch wenn Gottes Gedanken nicht unsere Gedanken sind.

Im Glauben treten wir noch dahin, wo man nicht mehr stehen kann. Man wird sich hüten, auf einen nur dünn zugefrorenen See zu treten. Aber auf den Glauben können wir uns stellen, Gottes Zusagen tragen uns. Es soll uns nicht gehen wie jenem Mann aus einer Legende unserer Zeit, der sich in der Wüste verirrt hatte. Vor sich sieht er eine Oase, mit Wasser, Gras und Palmen. Aber er sagt sich: „Das ist doch nur eine Luftspiegelung, eine Durstphantasie!“ Zwei Beduinen finden ihn tot bei der Oase liegen. Sie sagen: „Er war halt ein moderner Mensch!“ So sind wir oft auch ganz nahe bei Gottes Wort und leben doch von ihm. Dabei können wir doch gerade dort erfahren, wie Gott es mit uns meint und was er mit uns vorhat. Wir erfahren nicht die einzelnen Schritte aber wir kennen Gottes Herz. Deshalb müssen wir uns immer wieder entscheiden, ob wir auf Gottes Wegen mitgehen wollen oder nicht.

 

 

Jes 58, 7 – 12 (Erntedankfest):

Im Juni 1732 wurde in Leipzig die Bachkantate Nr. 39 aufgeführt: „Brich dem Hungrigen dein Brot“. Damals waren fast 2000 evangelische Christen in Leipzig angekommen, die ihre Salzburger Heimat verlassen mußten, weil sie nicht katholisch werden wollten. Der Rat der Stadt hat sie verpflegt und die Einwohner haben sie vorübergehend aufgenommen, In so einer Notsituation spricht solch ein Bibeltext ganz besonders.

Wir aber haben solche schlimmen Notfälle nicht vor Augen. Wir hören manchmal davon, daß es anderswo so etwas gibt, aber letztlich geht es uns doch nichts an, meinen wir. Die Kollekte heute ist für Kindergärten und Schwesternstationen bestimmt, also auch wieder nur für unsere eigenen Bedürfnisse. Sicher werden das Geld und die Naturalien dort nötig gebraucht. Aber letztlich denken wir dabei doch daran, daß wir ja selber auch einmal einen Kindergarten nötig haben könnten.

Die zweite Hälfte des Erntedankfestes haben wir deshalb erst am Jahresende, wenn wieder für „Brot für die Welt“ gesammelt wird. Wenn es Weihnachtsgeld gibt wird es höchste Zeit, auch einmal an die Menschen in anderen Ländern zu denken, die in bitterer Not leben. Die Älteren werden sich noch an die Nachkriegszeit erinnern, als es uns auch ganz schlecht ging und wir für jede Hilfe von außen dankbar waren. An Nahrungsmitteln haben wir zum Glück keine Not. Da wären doch Überlegungen angebracht, wie wir unsrerseits anderen helfen könnten, die es nötiger haben als wir.

Der Prophet Jesaja III. mute seine Landsleute auch dazu auffordern. Sie waren aus der Gefangenschaft in Babylon zurückgekehrt in ein verwüstetes Land. Sie mußten erst wieder beim Nullpunkt anfangen. Da liegt es nahe, daß jeder nur seine Probleme sieht und nur seinen Vorteil sucht und die Nächstenliebe dabei auf der Strecke bleibt. Wie soll man denn dem Hungernden Brot geben, wenn es für einen selber kaum reicht? Da sieht dann doch jeder, wo er bleibt.

Bei den Israeliten aber kamen noch zusätzliche Mißstände hinzu. Der Prophet geißelt die Zweigleisigkeit der Leute; Fasten und Geschäftemacherei, Gottesdienstbesuch und Zank. Schwar­zer Markt, Antreiben zur Arbeit, unbarmherzige Rückzahlungsforderungen, Unbarmherzigkeit gegenüber den Heimatlosen - das paßt doch nicht zusammen. Sie ließen zwar den Kopf hängen als Ausdruck der Verzweiflung. Aber das war noch keine Demut und schon gar nicht Gottes Wille. Fasten heißt nicht, nur mit sich selbst beschäftigt zu sein, sondern es kommt auf den Einsatz und das Opfer für andere an.

Das ist auch bei vielen bis heute nicht anders geworden. Da leben Menschen auf vielen Quadratmetern allein im Haus oder da wird ein Zimmer für eine Enkelin in Berlin freigehalten, die gar nicht hierher will. Aber auf der anderen Seite ist dort ein junges Ehepaar mit zwei kleinen Kindern, die in einigen dunklen und feuchten Räumen ohne Bad und WG hausen müssen, weil sie sich eine teurere Wohnung nicht leisten können.

In einer solchen Situation hat der Prophet sein Volk zum Fasten aufgefordert. Dabei haben  die Angehörigen dieses Volkes durchaus aus Tradition zu bestimmten Gedenktagen nichts gegessen und getrunken, um sich vergangener Unglückstage zu erinnern und um wieder einmal zum Nachdenken über den Alltag zu kommen. Aber dieses Fasten führte nicht zu einer kritischen Haltung gegenüber der eigenen Gegenwart. Da gab es manches, was zu der frommen Übung nicht paßte. Man flüchtete sich ins fromme Werk, um nicht mit den Hungrigen und Heimatlosen teilen zu müssen.

Der Prophet aber macht deutlich: Der andere Mensch ist nicht ein Fremder, sondern ein Artgenosse und Schicksalsgenosse, ja sogar ein Stück von mir selbst. Wer Gott dienen möchte, der sollte es dort tun, wo der Mitmensch ihn braucht. Er sollte so für ihn sorgen, wie er für sein eigen Fleisch und Blut sorgt.

Aber bei uns klingelt kein Bettler an der Tür. Die Hungrigen wohnen weit weg. Man sieht sie nur auf dem Bildschirm, wo man sie sich noch vom Leibe halten kann, Was „Brot für die Welt“ tun kann, ist herzlich wenig, aber immerhin ein Zeichen unsres Bemühens. Doch das was wir tun können, sollten wir tatsächlich tun.

Unser wichtigster Beitrag zum weltweiten Brotbrechen ist vielleicht noch unsre Einwirkung auf die öffentliche Meinung. Wir haben Gott gegen uns, wenn wir nicht uneigennützig und ohne machtpolitische Hintergedanken allen Menschen der Welt zu Hilfe kommen, nicht nur den vermeintlichen Freunden und nicht nur mit unserem ausgedienten Kriegsgerät.

Eins können wir nur haben: entweder Rüstung oder Entwicklungshilfe. Es ist keine Frage, wofür Christen sein sollten. Sie sollten führend sein in einer Friedensbewegung, die natürlich auch bei uns nötig ist. Hier ist der Punkt, wo wir im Sinne des Evangeliums auf die öffentliche Meinung und vor allem die offizielle Meinung einwirken können.

Das Erntedankfest ist nicht für uns damit erledigt, daß wir uns sagen: für das nächste Jahr und darüber hinaus ist wieder einmal für uns gesorgt, sollen doch die anderen sehen, wo sie bleiben. Es gibt viele Dinge - auch über das Ernährungsproblem hinaus - wo unser Einsatz gebraucht wird. Wir dürfen uns heute freuen, daß Gott wieder unser Leben für ein Jahr erhalten hat. Aber wir haben es mit allem Drum und Dran nicht nur für uns, sondern auch für unsere Mitmenschen erhalten.

Insofern hat das Fasten auch heute noch einen guten Sinn, aber es soll seinen Sinn und seine Richtung ändern: Es soll nicht um des Fastens Willen geschehen, sondern auf den Menschen bezogen sein, dem es dient. Aller Verzicht von unsrer Seite hat nur einen Sinn, wenn er anderen Menschen zugutekommt. Der Gammler, der nur gerade so viel tut, daß er sich noch selber über Wasser halten kann, hat noch nicht gefastet im Sinne des Propheten Jesaja.

Das Fasten, also der zeitweilige Verzicht auf Essen und Trinken, kann auch eine Hilfe sein. Wenn man sich einmal nicht so sehr auf die leiblichen Bedürfnisse konzentriert, kann man Gottes Sache mehr im Sinn haben. Das ist an sich der Sinn des Fastens. Aber wer nimmt so etwas schon ernst? werden wir denken. Ein Bischof, der gerne Marmelade aß, hat in der Fastenzeit darauf verzichtet. Wenigstens an einem Punkt wollte er sich noch an der altkirchlichen Übung des Fastens beteiligen. Und richtig daran ist natürlich, daß man etwas nehmen sollte, wo es einem schwer fällt.

Fasten gibt es in manchen Religionen. Die Mohammedaner haben einen ganzen Fastenmonat, in dem sie den ganzen Tag über nichts essen und trinken und erst nach Sonnenuntergang wieder etwas zu sich nehmen. Andere religiöse Gruppen verzichten generell auf bestimmte Speisen, und sei es das Schweinefleisch oder auch nur die berühmte Blutwurst.

Bei uns aber ist nur die Fastnacht populär, nicht aber die Fastenzeit. Aber wir sollten uns schon einmal überlegen, ob nicht doch etwas dran ist. Vor allem geht es auch darum, den positiven Sinn des Fastens zu sehen, denn es geht ja nicht darum, einige Pfunde zu verlieren, sondern auch etwas für andere zu tun.

Bei der Aktion „Mobil ohne Auto“ am ersten Sonntag im Juni geht es nicht nur darum, daß man einmal einen Tag ohne Auto auskommt. Vielmehr soll der Tag genutzt werden zum Wandern und Spiel, zum Erleben und Bewahren der Natur. Und das nicht nur allein oder in der Familie, sondern zusammen mit anderen aus der Gemeinde. Dabei könnte man überraschende Entdeckungen machen, zum Beispiel daß ein Sonntag ohne Auto viel schöner sein kann als einer mit.

Große Aktionen sind vielleicht gar nicht nötig. Der Prophet dachte wohl eher an eine Nachbarschaftshilfe. Es ging ihm darum, ein offenes Haus zu haben, Zeit für den anderen und das nicht nur für den Volksgenossen. Der andere Mensch ist nie ein Fremder, sondern ein Artgenosse, ein Schicksalsgenosse, ja sogar ein Stück von mir selbst. Wer Gott dienen möchte, der sollte so für den Mitmenschen sorgen, wie er für sein eigen Fleisch und Blut sorgt.

Das Fasten ist zwar einerseits auf die Vergangenheit bezogen; es hilft uns, mit dem Vergangenen aufzuräumen. Aber die Fehler der Vergangenheit sollen uns ja helfen, es in Gegenwart und Zukunft besser zu machen. Vor allem soll das gestörte Gottesverhältnis wieder in Ordnung kommen. Im Dienst am Menschen kann unsre Gottesbeziehung wieder heil werden. Gottesliebe und Nächstenliebe gehören eben zusammen.

Doch solche Liebe wird oft mit einem Opfer verbunden sein. Wer etwas hergibt, wird vielleicht bei nächster Gelegenheit Mangel leiden (deshalb wollen wir ja so ungern hergeben). Wer zu einem hält, auf dem sie alle mit dem Finger zeigen, der wird sich selber vielleicht unmöglich machen: Wer einen Gefangenen oder einen Sklaven befreite, störte die öffentliche Ordnung oder erlitt wirtschaftliche Einbuße.

Doch auch bei uns gibt es Probleme genug. Bei uns hungern die Menschen nicht nach Brot, aber nach Zeit und der Möglichkeit zum Gespräch. Die Menschen sind gut gekleidet und haben doch oft nichts, was sie wärmt. Die Menschen sind nicht Sklaven im arbeitsrechtlichen Sinn, aber oft Sklaven anderer Meinungen und Verhaltensweisen. Aber gerade bei diesen Menschen ist Gott zu finden, hier können wir ihm unsre Dankbarkeit erweisen.

Damit soll nicht gesagt sein, daß bei Gott nur das als Liebe gilt, was man sich schmerzhaft abgerungen hat. Und durch übertriebenes Fasten kann man sogar krank werden. Aber die Liebe wird oft mit einer schmerzhaften Selbstbeschränkung und dem Aufgeben eigener Vorteile einhergehen.

Doch mancher wird jetzt schon gedacht haben: Jetzt kommen wir in festlicher und freudiger Stimmung zum Erntedankfest und der redet immerzu vom Fasten. Aber zunächst einmal ist es der Bibeltext und damit Gott, der so zu uns redet. Und schließlich soll natürlich auch der Dank nicht zu kurz kommen.

Auch die diesjährige Ernte war ein Liebeserweis des Schöpfers. Aus dem großen Haushalt der Natur führt er uns zu, was wir nötig haben. Gott selbst bejaht unser Leben. Er hat die Früchte wachsen lassen. Wir sammeln sie nur ein. Auch wenn die Ernte von den Arbeitsvorgängen her ein Stück Produktion ist, so ist sie für den Glauben doch ein Geschenk Gottes.

Es ist doch gar nicht so schwer, uns für den Mitmenschen einzusetzen. Wir haben doch genug und brauchen kaum etwas zu entbehren. Unsre Ausgaben machen uns nicht arm, weil wir den schenkenden Gott im Rücken und vor uns haben. Es ist nicht Gottes Art, uns kurz zu halten. Unsre Hinwendung zum Mitmenschen ist die glaubwürdigste und erfreulichste Weise, Gott Dank zu sagen. Er selbst sorgt dafür, daß wir dabei nicht zu kurz kommen.

 

Jes 60, 1 - 6 (Epiphanias):

Wenn man in der Weihnachtszeit durch das Erzgebirge fährt, sieht man in den Fenstern viele Lichter. Früher waren es Kerzen, heute sind es elektrische Leuchtkörper. Sie stehen in den Fenstern der Häuser und geben den Ortschaften ein festliches Aussehen. Auch die Kirchtürme tragen Lichterschmuck: oft leuchtet an ihnen ein Kreuz oder ein anderes Christuszeichen, die deutlich machen, auf wen die vielen Lichter hinweisen sollen.

Auch bei Jesaja dem Dritten heißt es: „Mache dich auf, werde licht, denn dein Licht kommt!“ In diesem Satz wird das Wort „licht“ das erste Mal wird klein geschrieben, weil wir nicht selber ein Licht sein können, sondern immer nur das Licht Gottes weiterstrahlen. Gott ist ja da, nicht nur im Erzgebirge, sondern überall in der Welt und natürlich auch hier bei uns. Die Gottesfinsternis ist beendet: Gott leuchtet auf, die Völker ziehen heran und die Gemeinde wird beschenkt.

 

1 . Gott leuchtet auf: Ehe man von der Herrlichkeit Gottes sprechen kann, muß man erst einmal als dunklen Hintergrund die Gottesfinsternis sehen, die das Erdreich deckt. Zu allen Zeiten hatten die Menschen den Eindruck, daß der Himmel verschlossen sei und das Angesicht Gottes verborgen, Gott also unzugänglich und nicht ansprechbar ist. Das galt für die Israeliten von damals: Im Jahre 537 waren einige nach Jerusalem zurückgekehrt, aber die Sammlung der Zerstreuten stand noch aus. Im Land wütete Gewalt, die Stadt Jerusalem lag in Trüm­mern und war verwüstet, sie wurde gemieden und war verhaßt. Äußere Not ist aber immer zugleich Glaubensnot und führt die Menschen in manche Fragen.

Solche Klagen aber sind nicht nur im Gottesvolk möglich, sondern in der ganzen Welt. Weil sie sich von Gott abgewandt hat, hat sich auch Gott von ihr abgekehrt. Gottesfinsternis meint nicht: Es gibt keinen Himmel und darum auch keine Hölle. Vielmehr bedeutet sie: Gott ist schon da, aber wir haben es mit ihm verdorben. Zwar ist noch nicht alles zwischen ihm und uns aus, aber es besteht eine von uns nicht zu behebende Fremdheit.

Auch heute gibt es Ereignisse, die wir nicht verstehen und wo Gott uns fremd bleibt. Auch und gerade in diesem Tagen vor Weihnachten haben uns Nachrichten von schrecklichen Katastrophen erreicht. Viele Menschen sehnen sich trotz allem nach Gott. Sie bemühen sich, ihn wieder zu gewinnen und zu versöhnen. Damals plagten sie sich mit heidnischen Kulten und mit Zauberei. Heute hat das Heidentum mehr weltlichere Formen. Aber auch da gibt es Dinge, auf die man mehr vertraut als auf Gott. Gottesfinsternis gibt es nicht nur in der „bösen Welt“, sondern auch in Gottes eigenem Volk.

Doch in genau dieser Situation dürfen auch wir die Rede des Propheten hören: „Über dir geht auf der Herr!“ Wie wenn die Sonne aufgeht, erscheint er über seiner Gemeinde. Dabei fehlt jedes kriegerische Element. Gott kommt nicht mit all seiner Macht. So ist ja auch Jesus ohne Reichtümer und Soldaten in die Welt gekommen. In einem Stall wurde er geboren, und auf einem Esel ist er in Jerusalem eingezogen.

Vielleicht stoßen wir uns noch heute an dem erbärmlichen Äußeren dieses Jesus. Vielleicht hätten wir lieber einen Herrn, der es den anderen einmal zeigt und uns mit Wohltaten überhäuft. Aber das wird uns genauso verwehrt wie früheren Geschlechtern.

Haben wir uns vielleicht getäuscht? Hat vielleicht Gottes Herz schon immer offen gestanden, aber wir haben es nur nicht gemerkt? Daran ist schon etwas Wahres: Gott leidet ja selber daran, daß er zürnen und richten muß. Aber wir können das Heil nicht gewinnen, indem wir uns zu einer neuen Einstellung gegenüber Gott durchringen. Vielmehr reißt Gott selber den verschlossenen Himmel auf und läßt seine Herrlichkeit über den Menschen aufgehen.

Deshalb sollen wir alle Müdigkeit und Trauer ablegen und uns zur Freude rufen zu lassen. Unfrieden und Einsamkeit, Krankheit und Tod sind nicht das letzte Wort Gottes. Vielmehr sollen wir dadurch in Bewegung gesetzt werden. So taten es die Hirten in der Christnacht, die ihre Herden allein ließen, um Gott ganz nahe zu kommen. Aber auch aus der Ferne haben sich die Weisen aufgemacht, auf einem viel weiteren und gefahrvolleren Weg, um mit dabei zu sein. Sie sind aber nur die ersten, die sich aufgemacht haben, um dem Kind zu huldigen. Bei ihnen wird anfangsweise schon anschaulich, wie es einmal bei der Wallfahrt der Völker sein wird.

 

2. Die Völker ziehen heran: Jesaja stellt es sich so vor: Über dem Berg Zion in Jerusalem geht das Licht Gottes auf, aber die übrige Welt bleibt im Dunkel. Das ist wie bei einer Bühne im Theater: Sie liegt ganz im Dunkel, nur ein Scheinwerfer ist auf den Punkt gerichtet, wo jetzt etwas geschehen soll. Im Publikum richten sich alle Augen sofort dorthin. So machen sich auch die Völker der Welt mit ihren Königen auf zu jenem aufregenden Lichtfleck auf dem Zionsberg, den sie entdeckt haben.

In großen Zügen werden sich die Völker nach dem Mittelpunkt der Welt aufmachen. Dabei bringen sie freiwillig ihre Reichtümer mit, aber auch die in alle Welt zerstreuten Glieder des Volkes Israel. Auf dem Zionsberg werden alle vereint sein: Gott, das Volk Israel und alle Völker. Man muß gar keine Mission treiben, muß sich gar nicht zu den Heiden in Bewegung setzen, weil sie ganz von selber kommen.

Auch in der heutigen christlichen Gemeinde müßte die Gegenwart Gottes so unübersehbar und überzeugend sein, daß es die Menschen geradezu magnetisch zu Gott zieht. Wenigstens an Weihnachten könnten sie doch einmal kommen. Leider ist das nicht so. Das hat zwei Grunde:

An uns sündigen Menschen kann die verwandelnde Kraft Gottes nicht direkt anschaulich werden. Wir können nicht sagen: „Sieh mich an, und du wirst sehen, wer Christus ist!“ Wir können nur sagen: „Sieh mich an und staune darüber, daß Christus sich mit solchen Menschen wie mir noch abgibt!“ Deshalb wurde Gott ja Mensch, damit auch die Sünder wieder eine Chance haben.

Zum andern ist die Verheißung des Jesaja nicht einfach Erfahrung, sondern Verheißung. Die Weisen aus dem Morgenland machen nur einen ersten Anfang. Der Zustrom der Völker ist aber meist viel mühsamer und hindernisreicher, als Jesaja es sich vorstellte. Heute wird davon geredet, daß Jugendliche verstärkt sich der Kirche zuwenden. Das mag in den großen Städten so sein. Aber bei uns merkt man noch nichts von einem neuen Aufbruch.

Es wäre aber wichtig, daß sie kommen, damit auf dem Heimweg auch etwas mit ihnen mitgeht. Das Heil wird nicht einfach in die Welt hinein versprüht, sondern die Empfänger müssen schon kommen. Sie werden das Heil nur finden, wenn sie in die Gemeinde eingehen, in der Christus mit Wort und Sakrament gegenwärtig ist.

 

3. Die Gemeinde wird beschenkt: Die sich bisher an Israel bereichert haben, werden ihre Schätze bringen. Die Weisen aus dem Morgenland stellen das wieder m im Voraus dar. In der Tradition werden sie ja mit Königen gleichgesetzt, die kostbare Gaben bringen, Weihnachtsgeschenke, die sich auch heute sehen lassen könnten.

Doch eher sollte man in ihnen Menschen sehen, die auf der Suche nach Wahrheit sind. Heute wären sie vielleicht Wissenschaftler, Schriftsteller oder Liedermacher. Sie versuchen, die Zu­sammenhänge in der Welt zu sehen und die Entwicklungsmechanismen zu erkennen. Neue Erkenntnisse bringen aber neue Probleme, Lösungen und Auswege sind gefragt.

Es gibt viele Angebote zur Lebensbewältigung. Viele „Sterne“ zeigen sich am Himmel, nach denen man trachten kann: Reichtum und Karriere, Gesundheit und Kinder. E i n Stern allerdings hat einen anderen Schein. Er zeigt die Richtung, ohne fertige Lösungen anzubieten. Die Weisen richteten sich nicht nach den feststehenden Sternen, bei denen man weiß, was man hat. Vielmehr machen sie sich auf den Weg, um zu sehen, ob noch etwas anderes möglich ist. Dabei machen sie die Entdeckung, daß die Lösung ihrer Lebensprobleme bereits geschehen ist durch die Geburt des Kindes in der Krippe.

Das ist das eigentliche Geschenk, das der Gemeinde und darüber hinaus der ganzen Welt gemacht wurde. Es geht dabei nicht um die Verherrlichung der Kirche, sondern allein um Gottes Herrlichkeit und Ehre. Nicht für die Kirche werden Menschen gesammelt, sondern für Gott.

Und weil Gott ihr Bestes will, geschieht alles zum Heil der Menschen.

Vielleicht hat Gott mit uns die größten Dinge im Sinn. Das dürfen wir nicht verschlafen. So wie die Weisen aus dem Morgenland sollten wir uns aufmachen zu Gott.

Jesaja sagt:“ „Werde licht!“ Das bedeutet doch wohl: Laß die Herrlichkeit Gottes erst einmal in dich eindringen!“ Und dann gilt: „Kopf hoch!“ Oder merkst du nicht, was bei Gott jetzt „dran“ ist? Er will dir Lust und Freude machen, er will dich licht machen und beschenken, damit auch andere davon angelockt werden.

 

 

Jes 62, 1 - 12 (Reformationsfest):

[Diese Predigt wurde ursprünglich für den vierten Advent entworfen, bietet aber auch genug Ansatzpunkt für das Reformationsfest, zum Beispiel das Stichwort „Wächter“]

 

Für viele Menschen sind die Wochen und Tage vor dem Christfest eine Zeit der Anspannung und der Hetze. Viele Aufgaben müssen vor dem Jahresschluß noch erledigt werden. Aber auch den Hausfrauen geht es ähnlich: da wird gebackt und geputzt, da sind Geschenke zu packen und Briefe zu schreiben. Zwischendurch geht es wieder zu sogenannten „Weihnachtsfeier“, bei denen von allem Möglichen die Rede ist, nur nicht von Jesus Christus. Und am Erde ist man völlig fertig von all dem Rummel und hat von dem eigentlichen Fest überhaupt nichts mehr.

Sollte man da nicht lieber mit allem Schluß machen? Lieber überhaupt kein Fest begehen, aber dafür umso mehr sich mit dem eigentlichen Sinn dieses Festes befassen. Vor lauter Drumherum ist doch vielen Menschen nicht mehr deutlich, worum es eigentlich geht. Auch die Kirchengänger und gut unterrichteten Christen lassen sich ja davon bestimmen. Und selbst wenn sie versuchen, wieder eine andere Linie in den äußeren Betrieb des Weihnachtsfestes hineinzubringen, müssen es doch bald wieder aufgeben.

Ist das aber nicht typisch für uns, daß wir oftmals viel zu schnell aufgeben? Es ist eine Hauptgefahr unserer Zeit darin, daß wir uns viel zu viel mit dem Strom der anderen mittreiben lassen und nicht auch einmal den Mut zu einer eigenen Haltung haben. Viele wagen  es einfach nicht mehr, sich für Veränderungen einzusetzen und sagen: „Es hat ja doch alles keinen Zweck!“ Aber das ist genauso Unglaube wie der Satz, den man damals zur Zeit des Propheten Jesaja des Dritten sagte: „Wir sind von Gott verlassen!“

Wir sind tatsächlich von Gott verlassen, wenn wir es nicht wagen, ihn in unsrer Welt zur Sprache zu bringen. Aber für viele geht es doch auch ohne Gott und die Kirche. In der Familie wird die „Religion“ (wie man sagt) immer mehr auf die Kinder verlagert: Sie sollen schon in den evangelischen Kindergarten und zum christlichen Unterricht, weil sie dort nichts Schlechtes lernen. Aber im Stillen denken doch viele Eltern: „Als Kinderglaube mag es ja ganz gut sein. Aber wir haben das doch nicht nötig, wir brauchen nicht zu beten, wir schaffen auch alles alleine!“

Vielleicht hindert Gott uns gar im Alltag unseres Berufs. Da muß man manche krumme Sache drehen, muß manchmal zur sogenannten „Notlüge“ greifen und muß mit den Wölfen heulen.

Und wenn es dann um das Verhältnis zu den Auszubildenden geht, dann ist das doch eine

Privatsache oder geht bestenfalls die Gewerkschaft etwas an - aber was sollte das denn mit Gott zu tun haben?!

Im Altertum war alles Geschehen mit „Religion“ durchtränkt. Da sah man in jedem Baum und Strauch einen bösen oder guten Geist. Von solchen Göttern hat das Christentum die Welt weitgehend frei gemacht. Aber ist wirklich ein lebendiger Glaube an ihre Stelle getreten? Heute ist unsere Welt doch total entgöttlicht und hätte etwas Religion durchaus nötig oder sagen wir besser: hätte den christlicher Glauben bitter nötig.

In der Zeit nach der babylonischen Gefangenschaftes Volkes Israel, in der der dritte Jesaja zu seinem Volk sprach, da hat man auch wenig vom Wirken Gottes in der Welt zu verspüren gemeint. Sie waren zwar wieder nach Jerusalem gekommen und waren an den Wiederaufbau ihrer Häuser und des Tempels gegangen. Aber es war eben doch ein kläglicher Anfang und sie hatten alle das Gefühl, als hätte Gott seine Verheißungen noch nicht wahr gemacht.

In dieser Lage nun versucht der Prophet, die Müdigkeit seiner Gemeinde zu überwinden. Vielleicht kann uns das auch heute noch helfen, wenn wir persönliche Enttäuschungen hinter uns haben oder in der Gemeinde den Mut sinken lassen wollen. Nur werden wir eben nicht aus eigener Kraft zu einer neuen Haltung finden, sondern nur die entschlossene Hinwendung zu Gott wird etwas ändern. Gott ist noch längst nicht am Ende mit seinen Möglichkeiten. Wir dürfen immer noch hoffen. Daran erinnert uns die Adventszeit. Der Prophet aber versucht in fünf Punkten, seiner Gemeinde wieder neue Hoffnung zu machen:

1. Gott wendet sich seinem Volk immer wieder neu zu: Deutlich wird das am Bild der Ehe. Die von den Menschen verkannte und anscheinend von Gott verlassene Gemeinde ist in Wirklichkeit seine geliebte Braut. Gott freut sich an seiner Kirche, wie ein Bräutigam sich über die Braut freut. Sie mag zwar im Augenblick allerhand Runzeln und Flecken haben. Aber Gott wird das wieder glätten und wird seine Braut so herrichten, wie er sie haben will.

Urbild für diese Kirche ist die Gestalt der Maria, an die immer am vierten Advent gedacht wird.

Sie war bereit, Gott bei sich zu empfangen und sein Werkzeug zu werden. Und wenn wir bereit sind, mit diesem Gott gemeinsame Sache zu machen, dann werden wir auch eine Zukunft haben. Er hat sich in Jesus mit uns verbunden. Er wird für immer bei uns bleiben, wenn wir ihr nur wollen.

2. Gott stellt Wächter auf, die seine Gemeinde bewachen: Zwar ist die Lage äußerlich gesehen unsicher (die Stadt hat noch keine richtige Mauer). Aber ihr wird geholfen sein, wenn sie sich an Gott hält. Dann wird er selber seine Wächter auf die Mauer stellen, damit sie die Stadt behüten, aber auch gleichzeitig wieder zu Gott schreien, damit er sein Volk nicht vergißt.

Gott will also gebeten sein. Wir dürfen ihn bestürmen und bedrängen. Wir sollen ihm keine Ruhe lassen, bis das geschieht, was wir so sehr wünschen. Gott soll uns helfen beim Aufbau der Gemeinde; er soll die Hindernisse wegräumen und willige Helfer für sein Reich gewinnen, damit die Christenheit nicht ein Schandfleck, sondern eine Zierde für die Welt ist.

Gott ist uns nicht böse, wenn wir ihn immer wieder erinnern, er hat es ja selbst so angeordnet.

Er sorgt schon dafür, daß die Sache seiner Gemeinde nicht einschläft und in Vergessenheit gerät. Er sorgt auch dafür, daß sein Wort in die Welt hinein gesagt wird.

Aber das bedeutet für uns, daß wir ebenso Tag und Nacht nicht schweigen dürfen. Wir sin alle solche Wächter, die auf der Mauer stehen und die Menschen aus ihrer Sicherheit aufschrecken sollen. Ein Christ darf sich keine Schlafmütze aufsetzen. Jeder muß sich überlegen, wie er

die Versöhnung unter den Menschen wirken kann und wie die Verhältnisse gebessert werden können. Auf diesem Gebiet ist sicher noch viel zu tun.

(3) Gott will keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr zulassen. Das müssen damals offenbar besonders die nach Jerusalem Zurückgekehrter empfunden haben. Man hat wohl den Schwachen den Ertrag ihrer Arbeit vorenthalten. Gott will aber nicht, daß die einen auf Kosten der anderen schwelgen. Was einer erarbeitet, soll er auch genießen.

Es geht auch heute nicht darum, daß den armen Völkern ein Zeichen unserer Wohltätigkeit überreichen. Vielmehr muß überall eine gute Ordnung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens herrschen, damit keiner zu kurz kommt. Gott hilft immer den Schwachen und sorgt auch für ihre äußere Existenz. Sicherlich wird nicht alles Böse gleich aus der Welt verschwinden. Dennoch dürfen wir nicht mutlos sein in Bezug auf die Zukunft der Menschheit und der Christenheit auf Erden. Gott will allen Menschen Frieden und einen Lebensraum schaffen. Nur geht das eben nicht von heute auf morgen.

4. Aber es könnte schneller gehen, wenn Gott genügend Mitarbeiter unter den Menschen fände. Christen dürfen deshalb nicht die Hände in den Schoß legen, sondern müssen mit anpacken bei den Aufgaben für die Zunft: „Machtet Bahn, räumt die Steine weg!“ heißt es bei Jesaja. Wir heute werden eine Straße zu anderen Menschen hin bauen, indem wir offen sind für die Begegnung und das Gespräch. Wir arbeiten an der Erneuerung der Kirche und de der Erneuerung der Welt. Dann wird es auch wieder eine Hoffnung geben für alle Menschen.

Hoffnung bleibt nur lebendig, wenn sie zu Taten der Hoffnung führt. Deshalb ist es unsere Aufgabe, alle Hindernisse zu beseitigen, die andere am Zugang zur Hoffnung auf Gott hindern könnten. Vielleicht wird hier eine Hauptaufgabe für die Christen liegen: Daß wir verzweifelten Menschen wieder Hoffnung machen und selber Hoffnung haben. Wir dürfen einfach nicht sagen: „Es hat ja doch alles keinen Zweck!“ sondern kleine Schritte in die Zukunft zu tun, die voller Hoffnung sind.

Eine Hoffnung haben bedeutet letztlich das Entscheidende von Gott und nicht vom eigenen Tun zu erwarten. Nicht da wir mehr tun sollen, als wir können und sollen. Daß wir aber das, was wir können, auch wirklich tun, im Gebet, im Gottesdienst und in unserem Leben. Es

liegt kein Grund vor, den Mut sinken zu lassen, sondern wir dürfen immer noch alles von Gott erwarten.

5. Schließlich macht der Prophet uns Hoffnung, indem er alte Verheißungen wiederholt. Natürlich kann man sagen: Das ist ja alles bis heute noch nicht verwirklicht. Es gibt auch heute noch Urgerechtigkeit und Unterdrückung. Aber seit Jesus ist doch einiges anders geworden. Es gibt Menschen, die haben begriffen, worauf es im Bereich Jesu Christi ankommt. Hoffentlich sind wir auch dabei.

Dennoch gilt auch für uns noch: „Siehe, dein Heil kommt!“ Die Vollendung steht auch für uns noch aus. Wir müssen noch ganz schöne Steine wegräumen, wenn wir zu Jesus Christus kommen wollen.

Auch die modernste Küchenmaschine, die der Mann seiner Frau schenkt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie zutiefst von ihm enttäuscht ist. Deshalb können wir uns auch so selten wirklich freuen. Würden unsere Augen aber tatschlich leuchten, wenn wirklich des Heil Gottes zu uns käme?

Gott will sein Heil in der Welt verwirklichen. Auf diese Zusage hin dürfen wir ihr immer wieder ansprechen und um die Einlösung seines Versprechens bitten. Heute dürfen wir hören: Gott bereitet sein Heil vor, es geht jetzt schon an. Wir müssen nur auf seine Ankündigung hören und es dann annehmen.

 

Jes 66, 1- 2 (Kirchweihtag):

Der kleine Fritz geht mit seinem Vater durch den Ort. Er fragt: „Wer wohnt denn hier?“ Der Vater sagt: „Da wohnen Müllers!“ – „Und wer wohnt dort?“ – „Da wohnen Meiers!“ Schließlich kommen sie zur Kirche. Da sagt der Vater: „Dort wohnt der liebe Gott!“ Am nächsten Samstag kommt Fritz erst verspätet zum Mittagessen. Die Mutter fragt: „Wo warst du denn!“ Fritz weiß Antwort: „Ich war bei Gottens, aber er war nicht zu Hause, und sie hat gerade sauber gemacht!“

Ja, wenn es nur so einfach wäre mit der Wohnung Gottes. Als man noch das dreistöckige Weltbild des Mittelalters hatte, da war es klar: Gott wohnt ganz hoch über den Wolken. Noch Friedrich Schiller dichtete: „Brüder, überm Sternenzelt muß ein gütger Vater wohnen!“ So ganz überwunden haben wir dieses Weltbild auch heute nicht. Wenn es um das „aufgefahren in den Himmel“ geht, dann haben wir im Grunde immer noch die Vorstellung: hochgehoben in den Luftraum über uns! - Der Predigttext macht zu diesem Thema zwei Aussagen: Gott verherrlicht sich überall, aber er bindet sich auch an besondere Orte an.

 

1. Gott verherrlicht sich überall:

Manche sagen ja, man könne Gott überall finden und brauche dazu nicht in die Kirche zu gehen. Sie könnten sich auf so einen Satz berufen. Aber dann müßten sie auch sagen, auf welchen „Gott“ sie da aus sind und was sie mit dem Wort „finden“ meinen. Gott gegenüber kann man nicht im Unverbindlichen bleiben, sondern man muß sich ihm stellen. Aber Gott ist in der Tat überall und verherrlicht sich überall. Wir sind auf Schritt und Tritt mit ihm in Kontakt, ob wissend oder unwissend.

Damit ist der Meinung widersprochen, Gott sei nur da gegenwärtig, wo er von Menschen ver­ehrt wird. Er ist auch da, wo er im Denken der Menschen nicht mehr vorkommt und man nicht bereit ist, sich ihm im Glauben zu öffnen. Gott ist im Himmel und auf Erden – auch ohne uns oder trotz uns. Er ist nicht erst dann anwesend, wenn wir ihm ein Haus bauen. Gott ist nicht nur da, wo er gesucht und geglaubt wird, sondern er ist mitten in unserem weltlichen Leben jenseitig. Gott braucht die Welt nicht, er kommt auch ohne sie aus. Aber er liebt die Welt und wirkt inihr, an keinen Ort gebunden und eben darum allgegenwärtig.

So können wir von Gottes Gegenwart im Himmel und auf Erden sprechen, ohne an das Weltbild der Alten gebunden zu sein. Es ist ein schönes altes Bild, daß Gott auf seinen Thron im Himmel sitzt und die Erde sein Fußschemel ist. Das Wort „Himmel“ beschreibt dabei Gottes Majestät, und daß seine Füße auf der Erde stehen beschreibt, daß er mitten im Leben steht. Aber mit unseren Augen können wir ihn nicht sehen.

Wir sagen vielleicht: Natur, Schicksal, Geschichte, einer hat sogar von „Vorsehung“ gesprochen. Aber ehrlicher ist es, das Wort „Gott“ dafür in den Mund zu nehmen und ihn als den anzuerkennen, der wie ein Bach das Mühlrad treibt. Aber wir verwalten nur, was ihm gehört. Deshalb ist all unser Handeln nur „Gottesdienst im Alltag“, ohne daß dieser den Gottesdienst am Sonntag in der Kirche überflüssig machen würde. Wer nur den Dienst an der Welt als wahren Gottesdienst ansieht, der sollte sich fragen. Findest du Gott wirklich? Schaffst du es, ihm gehorsam zu sein? Verherrlicht sich Gott wirklich in dem, was du tust?

Wer meint, die Welt könne seine Kirche sein, der übersieht zwei Dinge: Gott ist zwar in der Welt gegenwärtig, aber auf verborgene Weise. Und unser Verhältnis zu ihm ist gestört und kann weder durch das Gelingen unserer Arbeit noch durch einen überwältigend schönen Sonnenuntergang repariert werden. Wenn es zwischen Gott und uns zur Gemeinschaft kommen soll, dann bedarf es schon besonderer Unternehmungen Gottes.  Zu diesen gehört auch die Kirche als das Haus Gottes.

 

2. Gott bindet sich an besondere Orte:

Die Gemeinde braucht einen Ort, an dem sie sich versammeln kann. Das kann auch ein Wohnzimmer oder ein Gaststättenraum sein. Aber es ist auch schön, wenn man ein besonderes Gotteshaus hat. Kirchen sind nicht nur Kulturstätten und Museen, sondern hier ist die gute Stube der christlichen Gemeinde. Allerdings muß diese Gemeinde auch da sein, sonst nutzt die ganze Kirche nichts. Eine Gemeinde beschwerte sich einmal, daß sie nicht mehr in der Schloßkirche ihren Gottesdienst halten sollte, weil die Kirche ein Teil des Rundgangs durch das Schloß war. Da wurde sie gefragt: „Braucht ihr denn die Kirche wirklich. Wäre sie wirklich jeden Sonntag gut gefüllt?“ Da sah man beschämt nach unten und war fortan damit einverstanden, daß die Kirche nur noch zu besonderen Anlässen der Gemeinde zur Verfügung steht.

Aber die Gemeinde sollte auch bedenken, was sie an ihrer Kirche hat. Sie könnte sich fragen, was die Erbauer mit der Art des Bau über ihren Glauben sagen wollten, was Licht und Farben bis heute bedeuten oder ob man die dargestellten Bibelszenen noch deuten kann. Es ist schön, wenn in manchen Orten in den Kirchbauvereinen auch Menschen mitarbeiten, die nicht der Kirche angehören. Sie meinen, die Kirche müsse im Dorf sein, sie sein ein Kulturgut und ein Wahrzeichen. Aber so richtig Sinn hat sie nur, wenn sie der Feier des Gottesdienstes dient und auch die feiernde Gemeinde da ist. Deshalb drängten auch der Prophet Jesaja III. und andere Propheten darauf, daß nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft nicht nur die Wohnhäuser wieder aufgebaut wurden, sondern auch das Gotteshaus.

Aber sie warnen auch davor, daß man sich nur auf den Tempel verläßt und denkt: Wenn wir den haben, dann ist alles in Ordnung. dann kann uns nichts mehr passieren!

Der Glaube greift das, woran er sich hält, nicht aus der Luft: Er ist auf die Selbstmitteilung Gottes angewiesen. Aber auch wir auf der anderen Seite haben unsre Aufgabe. Schon Luther hat gesagt: „Es geht nicht nur darum, ob Gott da ist, sondern er will auch bei uns da sein!“

Es genügt nicht, wenn man weiß, daß Gott überall zu finden ist, weil er überall ist. Entscheidend ist, ob ich ihn finde, daß er in mir ist. Entscheidend ist, ob wir Christus als den Ort seiner Offenbarung erkennen und sein Wort und Sakrament. Daß wir dies Wort hören und die Sakramente ungestört empfangen können, dafür ist das Kirchengebäude da.

Das Wort Gottes kann man sich nicht selber sagen, so wie man eine Wissenschaft sich im Selbststudium aneignen kann. Man wird immer getauft und man erhält immer das Abendmahl von einem anderen; selbst wenn der Pfarrer sich selber Brot und Wein nimmt, dann ist doch Christus der Gastgeber oder der „Kellner“.

Auch das Wort Gottes wird ausgeteilt wie eine Speise. Das geschieht im Gottesdienst, und der ist normalerweise in der Kirche. Nur weil dies hier geschieht, ist die Kirche ein heiliger Ort. Hier tritt Gott aus der Dunkelheit hervor und gewährt uns einen Zugang zu sich. So dient Gott uns im Gottesdienst und wir dienen ihm. Aber danach können wir Gott auch in unserem Alltag dienen.

Daß Gott sich an Irdisches anbindet, das schließt auch ein, daß er sich tief herabbeugt. Das bedeutet auch, daß sich jeder in Gottes Haus einfinden kann, auch der, der meint, in seinem Leben stimme alles nichts und es gelinge ihm nichts. Den festen Halt kann uns Jesus Christus geben. Die Kirche ist nicht der Ort für die, die alles können und meinen, keine Probleme zu haben. Die Begegnung mit dem Heiligen soll gerade uns Unheiligen zuteil werden.

 

Nachwort: Am Gedenktag der Kirchweihe sollte die Predigt noch durch besondere Ereignisse aus der Geschichte der Ortskirche oder bauliche Eigenarten angereichert werden.

Auch Kirchweihtag: Jos 24,14-16

Lieder: „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ und „Gott ist gegenwärtig“.

 

 

Jeremia

 

Jer 7, 1 – 15 (10. Sonntag nach Trinitatis):

Es gibt Länder, die hatten früher eine blühende Kirche. Aber heute findet man dort so gut wie gar keine Christen mehr. Das beste Beispiel dafür ist Nordafrika. Dort war in den ersten sechs Jahrhunderten ein Zentrum der Kirche, das viele bedeutende Theologen hervorgebracht. Aber dann kamen die Mohammedaner nach Nordafrika und haben die christliche Kirche in Nordafrika ausgerottet. Das Zentrum des christlichen Glaubens hat sich dann nach Europa und später nach Nordamerika verlagert.

Doch heute müssen wir uns fragen: Bilden wir noch ein Zentrum der Kirche? Oder wird sich der Schwerpunkt in Zukunft mehr anderswohin verlagern? Wir erleben doch ständig, wie bei uns alles abnimmt. Der äußere Einfluß der Kirche wird immer mehr beschränkt: Die Sonntagsruhe wird immer mehr aufgeweicht, in einer Trauerkapelle wurde das Kreuz abgehängt,

bei einem Johann-Sebastian-Bach-Fest wurde ein Lied über Jesus von der Schulleiterin für nicht zumutbar gehalten, in Leipzig wird zum Teil die Verbindung von Thomaschor und Thomaskirche in Frage gestellt.

Man muß natürlich auch fragen, wo die Christen sind, die sich gegen solche Erscheinungen Sturm laufen. Wenn niemand am Sonntag erkaufen geht, wird auch nicht geöffnet. In Berlin hätten sie es in der Hand gehabt, Religion als ordentliches Lehrfach in der Schule einzuführen, aber bei der Volksabstimmung gab es nicht genug Stimmen. Das zeigt, daß es auch an der inneren Substanz fehlt. Der Besuch der Gottesdienste, des Religionsunterrichts, der Gemeindeveranstaltungen wird weniger. Wir können uns da nicht darauf verlassen, daß wir eine alte Tradition haben, sondern es kommt ja auf die Bewährung des Glaubens in der heutigen Zeit an.

Könnte es da nicht sein, daß auch unsere Kirche einmal zerstört wird bis auf kümmerliche Reste, der Glaube in anderen Ländern aber sprunghaft anwächst? Die Kirche in Tansania hatte anfangs etwa 4.000 Mitglieder. Nach zehn Jahren waren es 22 - 24.000 Gemeindeglieder. Man fährt dort auf die Dörfer, zeigt Lichtbilder zu biblischen Geschichten, hält eine Predigt, und schon kommen Leute, um sich taufen zu lassen. Jetzt hat diese Kirche ein großes Problem: Wie kann sie all diese vielen Menschen in ihrer Mitte fest verwurzeln?

Es fehlen ihr Pfarrer und Katecheten und Gemeindehelferinnen, weil sie zu schnell gewachsen ist. Der Staat hat dort zwar 1971 die kirchlichen Schulen verstaatlicht. Aber er hat der Kirche angeboten, sie könnte jeder Tag eine Stunde Religionsunterricht in der Schule erteilen! Leider hat die Kirche wieder nicht genug Leute. Es ist doch schön, wenn wir hören, daß es mit der Kirche auch aufwärtsgeht, wenn auch an einem anderen Ort.

Der Blick in die Vergangenheit sollte uns jedoch Anlaß zu ernsthafter Selbstprüfung sein. Nicht nur das Beispiel Nordafrikas kann uns dabei vor Augen stehen, sondern auch das Schicksal des Tempels in Jerusalem. Der Prophet Jesaja hatte zwar gesagt: „Ihr könnt euch auf Gott verlassen und die Feinde werden den Tempel nicht erobern können!“ Die Assyrer hatten damals tatsächlich abziehen müssen. Aber inzwischen zog im Osten in Gestalt der Babylonier eine neue Großmacht herauf

Der geschickte König Josia hatte dem Volk zwar noch einmal Luft verschafft. Er hatte auch den Tempel von allem heidnischen Beiwerk gereinigt und durch ein neues Gesetzbuch die alten Gebote wieder in Kraft gesetzt. Damit hatte er eine Periode des Glücks und des Wohlstands eingeleitet. Die „Sicheren“ hatten die Erwartung, daß jetzt kein Absturz erfolgen könne und der Prophet Jeremia mit seiner Unheilsweissagung im Unrecht sei.

Wie schnell sich aber alles ändern kann, zeigt sich immer wieder in den verschiedenen Wirtschaftskrisen unserer Zeit. Auch der Prophet Jeremia stand der damaligen Reform mehr abwartend gegenüber. Er sieht nur, daß sich das Selbstbewußtsein der Menschen sehr gesteigert hat, aber daß sie sich nicht in der Tiefe geändert haben. Sie verlassen sich blindlings darauf: „Wir haben ja den Tempel in unserer Mitte, Gott ist bei uns, da kann uns ja nichts passieren!“ Daß die Nähe Gottes auch irgendwelche Folgerungen für ihr Alltagsleben haben könnte, das sehen sie nicht bzw. wollen es nicht sehen.

Der Prophet Jeremia aber erinnert sie an das Beispiel des Tempels in Silo. Der war ja auch Gottes Haus gewesen und in ihm stand ja auch die Bundeslade zum Zeichen des Schutzes Gottes für sein Volk. Aber er war doch von Feinden zerstört worden. Genauso ist ja auch dann der Tempel in Jerusalem durch die Babylonier und später noch einmal durch die Römer

zerstört worden.

Der 10. Sonntag nach Trinitatis ist der Erinnerung an dieses Ereignis gewidmet. Er soll uns aber nicht zur Schadenfreude über die ungläubigen Juden verleiten. Wir müssen uns ja selber fragen, ob wir nicht auch unsere eigene Schuld verdrängt oder gar gerechtfertigt haben. Und wir müssen uns fragen, ob wir selber uns noch zum Volk Gottes rechnen dürfen, ob unser Gottesdienst und unser Leben dem entsprechen. Und es tut uns sicher ganz gut, wenn wir uns überlegen: Wozu sind unsere Kirchen da, was bedeutet es, wenn wir unsere Kirche als „das Haus Gottes“ bezeichnen:

 

1. Die Kirche ist nicht Wohnstube, sondern Gastzimmer: Die Kirche ist schon der Ort, wo Gott mit uns reden will durch sein Wort. Und wir können dort mit i h m reden durch Gebet und Lobgesang. Aber Gott sitzt nicht in der Kirche unter Hausarrest. Keine Liturgie und keine Andacht können ihn dort festnageln.

Gott ist nur dort, wenn er will und wir es ernst meinen. Er kommt dorthin als Gast, wenn er auf unsere ehrliche Bereitschaft zum Hören hoffen darf. Man kann Gott also in der Kirche begegnen. Aber der Segen Gottes klebt nicht an dem Gebäude. Vor allen Dingen kann man nicht eine Spaltung vornehmen: „Gott ist in der Kirche, wir aber sind überall sonst. Soll Gott nur schön in der Kirche bleiben. Aber in unserem Alltag hat er nichts zu suchen, da wollen wir allein schalten und walten!“

Zur Zeit Jeremias wurden die sozial Schwachen unterdrückt: Man ließ die Fremden, die Witwen und Waisen spüren, wer der Herr im Hause ist. Man brachte Gott etwas zum Opfer und die alten Eltern gingen leer aus. Vor hundert Jahren gab es auch bei uns Fabrikherren, die zur Kirche gingen, vielleicht Mitglied im Kirchenvorstand waren und eine offene Hand hatten, wenn der Pfarrer sie um eine Spende bat. Aber das hinderte sie nicht, ihre Arbeiter nieder zu

halten und sie als Mittel zu benutzen, um den eigenen Wohlstand zu steigern. Das kennen wir auch von denen, die heute ihre Firma schließen und eine neue gründen, wo aber nur halb so viel Lohn gezahlt wird. Es gab natürlich auch Gegenbeispiele, damals wie heute, wo Glaube und Lebenshaltung nicht so auseinanderfielen.

Dieses Leben in zwei Ebenen, einer öffentlichen und einer privaten, die nicht mehr in Deckung zu bringen sind, wird vom Propheten als der eigentliche Krebsschaden bezeichnet.

Gott ist dann nicht mehr der Herr, sondern der Sklave, der gefälligst zu sichern und zu schützen hat, die sich im Herzen längst von ihm losgesagt haben. Aber man hat sich an diesen Selbstwiderspruch gewöhnt. Vor Menschen mag das fromme Gehabe Eindruck machen und ein heiles Leben vortäuschen, Gott aber sieht die doppelte Wahrheit dieses Frommseins.

 

2. Die Kirche ist nicht ein Ort der Bestätigung, sondern der Begegnung: Man kann in die Kirche gehen und dennoch Götzendienst treiben. Gewiß sind unsere Gottesdienstbesucher keine Diebe, Mörder, Ehebrecher. Es gibt auch bei uns genug Götzendienst: Das ist einmal der Glaube an die erlösende Macht des Geldes und des Reichtums. Man muß immer mehr haben, sonst kann man sich nicht sicher fühlen. Und dann wird zusammengerafft, was nur geht, auf Kosten der anderen.

Oder nach Jesu Urteil ist schon die üble Nachrede ein Rufmord. Wie schnell sind wir aber dabei, andere abzuklassifizieren! Auch die Halbwahrheit ist Lüge, weil sie Wesentliches verschweigt und so Gemeinschaft zerstört und den Frieden gefährdet. Und daß auf dem Gebiet der Sexualethik alle Maßstäbe ins Wanken geraten sind - bis in die Pfarrhäuser hinein - ist kein Geheimnis mehr. Man versinkt in den Rausch der Hingabe an den Sex. Der Sex wird zum Götzen, wenn man an sich im Herzen leer ist, aber alles Glück im Sex sucht und hier auf seine Kosten kommen will.

Der Abfall vom wahren Gott wirkt sich immer sofort auch auf dem Gebiet der anderen Gebote aus: Wer dem Geld verfallen ist, bereichert sich an dem, was anderen gehört. Wer der Gewalt vertraut, bedroht den anderen an Leib und Leben: Er wird im Großen zum Aggressor und im Kleinen zum Terroristen, der angeblich für das Recht streitet, in Wirklichkeit aber das Recht zerstört.

Man kann die Gebote kennen und sie doch mißachten. Entweder man legt sie im eigenen Sinne aus, wie es gerade paßt. Oder man übertritt sie ganz unbekümmert und kommt dann ins Gotteshaus und tut so, als sei nichts gewesen. Der Gottesdienst ist dann nur eine kurze Unterbrechung des schändlichen Lebens, der Versuch, sich dem Anspruch Gottes auf eine ansehnliche und achtbare Art und Weise zu entziehen. Man läßt sich die Sünden vergeben und macht dann im alten Stil weiter.

Aber so macht man das Gotteshaus zur Räuberhöhle. Wie ein Räuber in seiner Höhle sich dem Zugriff des Richters entziehen will, so will sich dann der Mensch vor Gott in Sicherheit bringen. Vom Propheten können wir dabei lernen, Dinge beim Namen zu nennen, statt im Unverbindlichen zu bleiben. Wir können Gott schon in der Kirche begegnen. Aber er wird nicht unsere Meinung bestätigen, sondern seinen Willen zur Geltung bringen.

 

3. Die Kirche ist nicht Luftschutzbunker, sondern Rüststätte: Gottes Güte ist kein sanftes Ruhekissen, sondern will durch uns weiterwirken in die Welt hinein. Wir können im Gottesdienst nicht nur unter uns bleiben und Gott für uns allein behalten wollen, denn dann wäre Gott so etwas wie ein Talisman für uns. Unseren Mangel an Liebe können wir nicht ausgleichen durch regelmäßigen Gottesdienstbesuch, durch Beichte und Abendmahl.

Es gilt, die Türen der Kirche weit offen zu halten. Durch sie gehen wir hinaus zu den Menschen und versuchen ihnen etwas von der Güte Gottes deutlich zu machen. Besonders werden uns die Menschen ans Herz gelegt, die sich in einer bedrängten Lage befinden. Also die Menschen, auf denen alle herumhacken und die sich nicht wehren können. Wir haben zuerst nach denen zu sehen, die die Hilfe und Freundlichkeit eines Mitmenschen brauchen. Solange Menschen in Angst und Verzweiflung sind und ihrem Schicksal überlassen bleiben, können wir noch nicht fröhlich singen und gesammelt beten.

Ein harter Text, auf den ersten Blick kein Evangelium. Aber wir können von Jeremia doch noch etwas Tröstliches hören. Wir könnten es so formulieren: „Verlaßt euch nicht auf euren Kirchgang, verlaßt euch lieber auf Gott selber! Gott vergibt die Fehler der Vergangenheit, damit wir ihm in Zukunft besser dienen können!“ Trotz unserer Fehler dürfen wir es wagen, Gottes Güte so gut wie möglich an andere weiterzugeben. Und wenn wir trotz bester Absicht einem anderen nicht gerecht werden, dann dürfen wir auf Gottes Vergebung hoffen.

 

 

Jer 8, 4- 7  (Vorletzter Sonntag):

Der Mensch hat einen aufrechten Gang. Das unterscheidet ihn wesentlich von den Tieren. Der Mensch soll aufrecht gehen und nicht auf dem Boden herumkriechen, weil er betrunken ist oder weil er niedergeschlagen wurde. Aber es kann natürlich auch sein, daß er gestrauchelt ist, weil er unachtsam war oder schwach. Schnell ist man auch einmal hingefallen, ohne daß man es wollte.

Doch dann ist jeder bestrebt, möglichst schnell wieder hochzukommen. Man kann das auch üben, wie man mit möglichst wenig Kraftaufwand wieder aufsteht. Kleine Kinder und alte Menschen haben da oft ihre Schwierigkeiten. Gut ist es dann, wenn jemand anders da ist, der dabei helfen kann. Aber wieder hochkommen soll der Mensch. Das will auch Gott. Deshalb hat er dem Menschen auch so etwas wie den Instinkt bei den Tieren mitgegeben, nämlich die Vernunft und den Verstand. An sich könnten sie wissen, wie ihr Leben verlaufen sollte. Der Prophet Jeremia aber klagt. Der Mensch lebt ohne Instinkt, sich selbst zum Schaden und zum Kummer Gottes.

 

1. Der Mensch lebt ohne Instinkt:

Der Prophet sieht den Zug der Vögel und stellt fest, daß sie blindlings wissen, wohin die Reise gehen soll. Die jungen Störche fliegen vor ihren Eltern in den Süden auf einem Weg, den sie nicht wissen können. Und alle Störche westlich der Elbe fliegen über Gibraltar nach Afrika und die östlich der Elbe über die Türkei. Selbst wenn man die Eier in den anderen Bereich bringt, dann nehmen die ausgeschlüpften Störche doch den ihnen in die Wiege gelegten Weg.

Wenn der Mensch doch auch so einen Instinkt hätte, wenn es um den Glauben an Gott geht. Doch das soll ja gerade nicht sein, daß der Mensch nur zwangsweise an Gott glaubt. Der Mensch soll frei sein, geschaffen nach dem Bilde Gottes und deshalb nur wenig niedriger als Gott. Doch gerade das legt ihm eine besondere Verantwortung auf, daß er sich richtig entscheidet. Es geht nicht, daß man sagt: „Der wird sich nicht mehr ändern!“

Der Mensch ist zwar auch in einem gewissen Sinn festgelegt durch seine Erbanlagen, seine

Erziehung, seine Fähigkeiten und seine Umwelt. Aber wie er damit umgeht, das hat allein er zu verantworten: Er wird Rechenschaft ablegen müssen vor Gott über das, was er ist und was er tut.

Doch im Unterschied zu den Tieren scheinen wir entwurzelt zu sein und aus der Ordnung gefallen, krank an Seele und Herz. Und das Schlimme dabei ist nicht, daß man nur abgeirrt ist, sondern daß man auf dem einmal eingeschlagenen Weg mit einer unbeirrbaren Selbstverständlichkeit weiter geht.

Jeder sündigt dabei auf seine Weise. Wenn es die in diesem Bibeltext erwähnten Sünden nicht bei uns gäbe, so gibt es doch andere Sünden. Wir brauchen uns gar nicht über die „schlechte Welt“ aufzuregen, so als ob die anderen nur böse wären.

Aber was wäre denn dabei, wenn man sich und anderen eingestehen würde: „Ich habe mich geirrt, es darf mit mir nicht so weiter gehen?“ Doch es ist ganz schwer, einen Fehler einzugestehen. Oft rechtfertigen wir unsre Schwäche noch damit, daß wir trotzig darauf beharren: „Das habe ich mir wohl überlegt und mit voller Absicht getan!“ Wir sind erfinderisch darin, Erklärungen für unsere Zusammenbrüche zu finden und sie damit nachträglich zu legalisieren. Um keinen Preis wollen wir das Gesicht verlieren und rennen auf unserem Irrweg weiter wie ein Pferd, das durchgegangen ist.

Gott sucht Menschen, die bereit sind umzukehren. Gemeint ist eine Rückkehr zu den Ordnungen Gottes. Doch der Begriff „Ordnung“ ist verdächtig geworden, weil man daraus den Unterton des Zwanghaften und der Unterdrückung heraushört. Doch Ordnung ist auch eine Hilfe. Das gilt vor allem von Gottes Ordnungen. Die Tiere kennen ihre Ordnung und halten sich daran. Aber die Zweibeiner, die doch Vernunft haben und nicht nur Instinkt, verharren in ihrem Eigensinn. Gott hat es schwer mit uns.

 

2. Der Mensch schadet sich selbst:

Das Thema dieses Sonntags ist das Weltgericht. Der Philosoph Hegel hat gemeint, die Weltgeschichte sei das Weltgericht, also in der Geschichte der Menschheit vollziehe sich das Gericht Gottes. Aber nicht alle Schuld rächt sich auf Erden. Es ist immer eine Anfechtung für die Frommen, wenn es den Bösen gut geht und sie selber müssen leiden.

Aber Gottes Gericht an der Welt ist jetzt schon im Gange. Das merkt man schon daran, daß wir ja wissen, daß wir letztlich unser Leben vor Gott zu verantworten haben. Auch durch Wegsehen werden wir diese Verantwortung nicht los. Früher oder später wird er uns alle stellen und Sünde wird mit Sünde bestraft.

Konkret heißt das: Der Lügner hat bald das Vertrauen der anderen Menschen verloren. Wer die Arbeit nur als Mittel zum Geldverdienen ansieht, wird bald keine Freude mehr an ihr haben. Wer oberflächlich ist und immer nur auf die erst besten Vergnügungen aus ist, den wird das Leben bald „anstinken“.

Aber das einzig Vernünftige tut der Sünder nicht: Wenn er hingefallen ist wieder aufzustehen. Aber dadurch verfällt er einem furchtbaren Zwang zum Weitersündigen. Am Ende glaubt er selber nicht mehr daran, daß er wieder normal werden kann.

Das sieht man besonders an den Suchtkranken, den Trinkern und Rauschgiftsüchtigen, die sich nicht mehr am eigenen Schopf herausziehen können. Das ist ja das beste Argument des Bösen gegenüber dem schwachen Menschen: „Du schaffst es sowieso nicht mehr, da kannst du auch weitermachen wie bisher!“

Andererseits gilt aber auch: Wenn uns etwas gelungen ist, dann ist das noch nicht der Freispruch Gottes. Und Schaden oder Niederlage bedeuten noch nicht die Verurteilung durch Gott. Aber es gilt, sich vor dem zu beugen, der das letzte Wort spricht. Unsere private Lage und auch die große Weltlage haben wir selbst mit geschaffen. Das, worunter wir seufzen, geht auch auf unser Konto. So schwer hat es Gott mit uns: Wir leben uns selbst zum Schaden!

Denken wir nur an die Kriege, die es ständig in der Welt gibt. Früher war es wenigstens so, daß sich Berufssoldaten unter Führung ihres Königs draußen auf dem Feld trafen und gegenseitig umbrachten. Heute aber werden Hilfskonvois und Krankenhäuser bewußt bombardiert und Selbstmordattentäter suchen eine große Menge, um möglichst viele Menschen mit umzubringen oder sie ziehen mit automatischen Gewehren durch die Straßen der Stadt oder in Säle , um wahllos Menschen zu erschießen.

Der Zugattentäter von Würzburg hat vorher mit seinem Chef telefoniert. Dieser fragte ihn nach Waffen. Er sagte, er habe ein Messer und eine Axt. Daraufhin der Vorschlag: „Fahr doch lieber in eine Menschenmenge!“ Doch d er Siebzehn jährige muß kleinlaut bekennen: „Ich habe noch keinen Führerschein! Ich will aber heute noch im Paradies sein!“

So viel Verblendung würde man im christlichen Raum nie hören. Da würde eher die härteste Strafe Gottes angedroht für so ein Handeln. Außerdem sind das Feiglinge und Verbrecher, die so handeln, weil sie nur aus dem Hinterhalt aktiv werden. Damit soll nicht gesagt sein, daß das übliche Kriegshandwerk wenigstens ehrlich und erlaubt sei - nur zur Selbstverteidigung natürlich. Es ist auch nicht richtig, immer wieder von „unschuldigen Opfern“ zu reden , in der Regel von Frauen und Kindern. Sind die Soldaten dann etwa schuldig, sozusagen selber schuld daran? Nein, Soldaten sind genauso Opfer der Machtinteressen anderer wie die Zivilisten.

Der heutige Sonntag ist im öffentlichen Leben der Volkstrauertag. Früher war das sogar der „Heldengedenktag“. Aber Soldaten sind nie Helden – und in der Regel sind Helden ja auch tot. Soldaten sind ganz arme Kerle, die von anderen nach vorne geschickt werden, während die Drahtzieher weit hinter der Front im sicheren Bunker sitzen. Soldaten sollen etwas tun, was gegen ihr Gewissen und gegen Gottes Gebot ist. Und doch bleibt ihnen nichts anderes übrig, wenn sie nicht selber erschossen werden wollen, entweder von den anderen oder von den eigenen Kriegsgerichten.

Die öffentlichen Reden heute sind anders als früher. Sie beziehen nicht nur die Soldaten ein, sondern auch alle zivilen Opfer, ja sogar alle Opfer von Gewalttaten von Attentätern und Terroristen. Leider ist unsre Welt so. Aber das beste Mittel, um Kriegsverbrechen zu verhindern, ist doch immer noch, gar nicht erst einen Krieg oder eine Gewalttat zu beginnen.

 

3. Der Mensch lebt Gott zum Kummer:

Dieser Bibeltext scheint keinerlei Evangelium zu enthalten, sondern nur Anklage und Enthüllung und Aufdeckung. Doch die frohe Botschaft darf in keiner Predigt fehlen, auch wenn man sie mit der Laterne suchen muß. Und so erkennen wir, daß Gott hier nicht so sehr droht, sondern eher den Kopf schüttelt über das, was er bei den Menschen feststellen muß. Er ist nicht der Aufpasser, der alles in die Akten bringt. Und die Fakten aus den Nachrichtensendungen kennt er sowieso. Vieles, was er hört und sieht, tut ihm weh.

Aber Gott nimmt am Leiden der Welt teil durch seine Menschwerdung. Jesus fängt die Zerstörung der Welt auf und zieht sie auf sich. Wir brauchen unsre Sünde nicht zu verteidigen, weil sie nicht mehr unser Konto belastet. Diese Entschuldung macht er zu seiner eigenen Last, an Karfreitag hat das Gericht ihn selber getroffen. Wer an Christus glaubt, den belastet nun nichts mehr und er kann getrost neu anfangen.

Auch von unserem Mitmenschen können wir ruhig hoch denken. Aber das liegt nicht an sei­nem eigenen Gutsein, sondern an Gottes Vergebung. Gott hat den Mitmenschen angenommen so wie auch uns selbst. Deshalb können wir ihn nicht weiter verklagen, wo ihn doch Gott freigesprochen hat.

Gott will nicht, daß wir uns quälen in unserer Selbstzerstörung. Er will unser Leben erhalten. Er sieht gerne glückliche Menschen. Er leidet mit am Leid der Menschen, er freut sich mit an ihrer Freude.

 

 

Jeremia 23, 5 – 8 (1. Advent):

Jede Regierung hat wohl ein bestimmtes Ziel vor Augen für ihren Staat und für ihre Bürger. Nach außen möchte man Sicherheit, ein gutes Verhältnis zu allen Nachbarn, internationale Anerkennung. Und mancher große Staat strebt auch weltpolitische Macht an, möchte Einfluß haben und unter Umständen auch andere Länder ausbeuten können. Nach innen sucht man Wohlstand und Glück zu verschaffen, Ausgleich zwischen den Bevölkerungsgruppen und allseitige Zustimmung zu den Maßnahmen der Regierung.

Meist verkörpern sich solche Wünsche in einer bestimmten Person an der Spitze eines Staates. Dort befindet sich meist ein starker Mann, ob er dieses Amt nun geerbt hat oder sich selbst genommen hat oder durch Wahl erlangt hat. Auch wenn sich mehrere in die Macht teilen und eine demokratische Kontrolle da ist, so ergibt sich doch immer ein Gegenüber von Führung und Geführter. Und der kleine Man meint doch immer, „die da oben“ hätten allein etwas zu sagen und seien dann natürlich auch für alle Rückschläge und Mißerfolge dem Volk gegenüber verantwortlich.

Zur Zeit des Propheten Jeremia wurde die Staatsspitze durch einen König verkörpert. Aber was war das für ein König? Die Babylonier schickten sich an, auch den kleinen Staat Juda noch ganz unter ihre Gewalt zu bekommen. Vorerst hatten sie den Zedekia als einen von ihnen abhängigen König eingesetzt. Sein Name bedeutet an sich etwas Positives: Unsre Gerechtigkeit ist Gott!“ Damit wird auf eine wichtige Aufgabe des Königs hingewiesen: Er soll Augen im Kopf haben, soll sein ganzes Land überblicken und vor allem auf das Recht im Land achten.

Aber gerade damit stand es sehr schlecht. Jeder versuchte, nur das Beste für sich selber her­aus­zuholen. Man setzte sich rücksichtslos durch und die Schwachen blieben auf der Strecke. Die Reichen wurden noch reicher und die Armen noch ärmer. Und das alles angesichts der außenpolitischen Gefahr, die das Volk doch eher hätte zusammenführen sollen. So aber zeigten sich alle Verfallserscheinungen eines untergehenden Volkes, eine Untergangsstimmung, in der man die Augen vor der Wirklichkeit verschloß.

In dieser Situation spricht der Prophet Jeremia von einem neuen König, der erst ein wahrer König sein wird, nicht so ein Schwächling wie er König Zedekia. Er erwartet ihn noch für die geschichtliche Zeit, vielleicht schon für die nahe Zukunft, jedenfalls nicht erst am Ende der Welt.

Wir denken dabei natürlich gleich auch an Jesus, der ja auch wie ein König in Jerusalem eingezogen ist. Allerdings sieht seine Herrschaft anders aus als die eines weltlichen Herrschers. Er wollte eben nicht mit Gewalt den Menschen seinen Willen aufzwingen, sondern sein Herrschen bestand im Dienen. Irdische Hoffnungen hat er dabei mit aufgenommen, aber eben auch deutlich gemacht, daß die volle Erfüllung seiner Verheißungen erst am Ende aller Zeit zu erwarten sein wird.

Auch heute will Jesus als ein König zu uns kommen, aber anders als die Könige Israels und auch anders als die Herrscher der Welt von heute. Drei Dinge sind für den wahren König Gottes charakteristisch: Er regiert sein Volk recht, er setzt Gottes Anspruch durch und er holt die Verstoßenen heim.

 

Jesus regiert sein Volk recht:

Jeremia rechnet wohl mit dem Ende des israelitischen Königtums. Es wird enden, so wie ein Baum abgehauen wird. Aber aus dem Stumpf kommt wieder ein Sproß hervor, der ein gerechter König sein wird. So stammte Jesus wohl aus einer Nebenlinie der Familie Davids,  aber er war die Erfüllung der Hoffnungen, die Israel in bezug auf seine Könige hatte.

Die weltlichen Herrscher sind immer Unterdrücker ihrer Völker gewesen. Mit Hilfe ihrer Soldaten und ihrer Polizei haben sie Macht nach außen und innen ausgeübt. Aber das war praktisch auch ihre einzige Art zu regieren, mehr fiel ihnen nicht ein. Meist waren sie vom Volk isoliert und hatten nur ihren eigenen Vorteil im Auge, nicht das Wohl aller.

Jesus aber hat Macht über die Menschenherzen. Ohne Drohung und Gewalt setzt er seinen Willen in uns durch. Sein Wort bindet uns an ihn. Oft bringt er uns dadurch aus der Ruhe, läßt und alte Gewohnheiten des Denkens und Handelns fraglich werden. Dann entdecken wir, wie verkehrt wir gelaufen sind und noch laufen. Adventszeit ist Zeit zur Selbstprüfung und zur Änderung des Lebens.

Aber indem uns Jesus zur Umkehr aufruft, ermutigt er uns auch, einen anderen Weg zu gehen. Es geht nicht darum, ein frommes Gehabe zu zeigen, und nur all den Weihnachtsklimbim mitzumachen. Jesus will uns ganz in die Hand bekommen. Aber das schafft er nicht dadurch, daß er sich gegen uns wendet. Das ist die irrige Meinung der weltlichen Herrscher: Wem das Volk aufmuckt, dann muß man es schon vorbeugend unterdrücken, muß drohen und die Freude alarmieren, damit sie notfalls gegen das Volk helfen. Jesus aber erklärt sich  f ü r  die sich ihm widersetzenden Menschen. Das hat ihm zwar zunächst das Kreuz eingebracht. Aber letztlich hat er doch viele Menschen dadurch überzeugt.

Das ärgert ja die weltlichen Herrscher so, daß da Menschen sind, die freiwillig dem wahren König der Welt folgen. Sie wissen eben: Dieser Jesus gibt acht auf seine Leute, er schaut sich im Lande um und weiß, wie es dort wirklich aussieht. Er hat ein brennendes Inter esse an seinen Leuten. Deshalb kommt er auch zur Einsicht und kann mit Klugheit und Glück seine Herrschaft ausüben. Für ihn ist es kein Wunschtraum, daß Regierung und Volk eng miteinander verbunden sind.

Allerdings hat er nicht die Veränderung der sozialen Verhältnisse als seine Aufgabe angesehen. Er wußte, daß sie erst am Ende der Welt wirklich aufgehoben werden können. Aber bis dahin überläßt er die irdische Gerechtigkeit der weltlichen Ordnung. Christen werden mit Nichtchristen zusammen sich für die Veränderung der Verhältnisse einsetzen. Die Liebe Christi wird sie dazu treiben, allen Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu verschaffen. Aber sie werden jede Maßnahme an dem messen, was Jesus gewollt hat. Sie werden ihr Tun verstehen als Zeichen für das, was Gott noch mit der Welt vorhat. Letztlich wird es ihnen um die Herrschaft Gottes in dieser Welt gehen.

 

Jesus setzt Gottes Anspruch durch:

Jeremia wartete noch auf einen Menschen, einen irdischen König. Allerdings sollte dieser Mensch von Gott benutzt werden, um einen Teil des göttlichen Heils auf der Welt zu verwirklichen. Man wußte ja noch: Der wahre König Israels ist Gott selbst, und der Träger der irdischen Krone kann nur sein Stellvertreter sein. Aber Zedekia war kein solcher Stellvertreter. Er hatte zwar einen schönen Namen: „Gott ist unsre Gerechtigkeit“. Aber diesen Anspruch würde erst ein anderer wirklich erfüllen.

Das Zentralwort heißt hier „Gerechtigkeit“. Es beschreibt, was sich zwischen Gott und den Menschen abspielt, aber auch das Verhältnis der Menschen untereinander, wenn sie in Gemeinschaft miteinander verbunden sind. Gott beansprucht die Menschen und die ganze Schöpfung, indem er sie mit seiner Liebe zurückgewinnt. So stellt er wieder ein ungetrübtes Gottesverhältnis her, indem er sich selber als Bindeglied zur Verfügung stellt.

Gott setzt sich in der Welt durch, indem er sie liebhat. Jeremia hat noch nicht Jesus vor Augen gehabt. Aber was er hier ankündigt, ist in Jesus Wirklichkeit geworden. Für uns ist nichts weiter erforderlich, als daß wir uns von diesem Jesus helfen lassen.

 

Jesus holt die Verstoßenen heim: Die Adventszeit ist auch eine Zeit der Hoffnung. Aber worauf wollen wir warten? Auf bessere Zeiten etwa? Wahrscheinlich haben wir doch schon die beste aller Zeiten hinter uns. Mancher wird sich noch vorkommen wie in einem Wartesaal, wo man auf die Zukunft wartet. Aber im Wartesaal tut man nichts, da ist die Zeit meist nutzlos vertan. Doch besser ist es, aktiv die Gegenwart zu gestalten, allerdings dann mit einem festen Ziel vor Augen.

Das Reich Gottes ist nicht nur ein jenseitiges Reich, sondern es will Raum greifen in unsrer Welt. Es kommt von Gott und durch ihn, aber wir Menschen sind tätig dabei, gerade weil wir wissen, daß es noch aussteht. Jeremia hofft auf Freiheit für sein Land und sogar die Befreiung des nördlichen Nachbarreichs Israel. Dort hat man den größten Teil des Volkes schon in die Gefangenschaft geführt. Das war die Strafe Gottes für ihre Taten. Nur er weiß, wo diese Menschen jetzt sind. Aber Jeremia hofft, daß Gott auch diese Verstoßenen wieder heimführen wird.

Für uns ist die Hoffnung umfassender. Wir wissen, daß Gott sich sein Volk aus allen Völkern aussucht, sie sind ihm alle gleich lieb. Wir wissen auch, daß das Lied recht hat: „Welt ging verloren!“ Die Menschen sind Gott entfremdet, von ihm abgerückt, sie sind im „Elend“ Aber auch sie dürfen eine Hoffnung haben: Christus kommt und erreicht, daß Gott das riesige Schuldkonto annulliert und die Menschen wieder in ihre Heimat bei Gott zurückgeführt werden können

Davon leben wir auch heute. Christus ist zu uns auf dem Weg indem er uns verkündet wird. Die Tage, auf die Jeremia geblickt hat, sind gekommen: Für uns hat die Christusherrschaft schon begonnen.

 

 

 

Jer 20, 7 - 11 a (Okuli):

Wenn wir hören, was manche Menschen alles zu ertragen haben, dann machen wir uns doch darüber unsere Gedanken. Besonders bei Christen kann man der Kopf schütteln und fragen: Womit hat denn dieser Mensch das verdient? Er hat sich doch immer zur Gemeinde gehalten und seinen Glauben ganz ernst genommen. Und nun muß er so etwas Schweres durchmachen!

Da kämpft einer gegen die Macht des Kapitals, setzt viel Zeit dafür ein, sieht das Kopfschütteln der Passanten, wenn er mit einem Plakat demonstriert. Wenn das öffentlich bekannt wird, hat er vielleicht Nachteile beim Arbeitgeber.

Gar mancher sagt dann: Das müßte man eigentlich auch auf sich nehmen, denn wenn viele das so machten, dann würde sich manches ändern! Aber letztlich sind es immer nur Einzelne, die so radikal sind. Die anderen suchen doch eher den Kompromiß, und die Entschiedenen sind dann doch wieder allein auf weiter Flur. Im Grunde legen wir damit doch stillschweigend fest, daß ein Nachfolger Jesu auch Anspruch auf ein einigermaßen gutes Leben hat. Es soll ein Leben ohne Last und Anfechtung sein auf dem Weg des geringsten Widerstandes

Der Prophet Jeremia war einer von den anderen, die im Gehorsam gegen Gott ihren Weg gehen, komme was wolle. Er hatte sich gegen die falsche Sicherheit ausgesprochen, die aus einem mißverstandenen Vertrauen auf den Tempel erwuchs. Er hatte die Übertretung der Gebote Gottes und den Götzendienst gebrandmarkt. Er hatte gewarnt vor dem Gericht Gottes, das von Norden her kommen würde.

Dafür hatte ihn die Tempelpolizei mißhandelt, gefangengesetzt und Hausverbot gegeben. Der König hatte die Prophetensprüche demonstrativ am offenen Feuer verbrannt. Dann hatte man ihn bei einem Fluchtversuch erwischt, als er zu den Feinden überlaufen wöllte. Man warf ihn in eine verschlammte Zisterne im Schloßhof, wo er umgekommen wäre, wenn nicht ein Ausländer ihn gerettet hätte.

Warum muß ein frommer Mann wie Jeremia so etwas aushalten? Warum hat er auf einmal alle gegen sich, auch die, auch die angeblich seine Freunde waren. Er hat nicht nur Schlimmes für Leib und Leben zu befürchtet, sondern sie begegnen ihm auch mit nicht endendem Spott und Gelächter, um ihn moralisch zu verrichten.

Dabei war Jeremia ein hochempfindlicher Mensch. Gott wollte ihn zwar zur eisernen Säule und ehernen Mauer machen. Aber das hieß offenbar doch nicht, daß er damit hart im Nehmen gewesen wäre und alle Feindseligkeiten unerschüttert ertragen hätte. Er leidet an Gott und dem von Gott erteilten Auftrag, er ist der Sache Gottes nicht problemlos gewiß gewesen.

Damit ist es ihm ähnlich ergangen wie Jesus. Auch Jesus ist fast an diesem Konflikt zwischen Gott und der Welt zerbrochen. An dem Vorläufer Jeremia wird etwas von dem Geschick Jesu sichtbar. Jeremia ist in der Spur des angefeindeten und leidenden Christus gegangen, auch wenn er ihn noch nicht gekannt hat.

So wie Jesus hat Jeremia unter dem Druck der Verfolgung leiden müssen. Doch das ist nicht sein persönliches Pech, sondern das hängt tief mit seinem Auftrag zusammen: Er soll die Sünde der Menschen ans Licht ziehen, den Abfall von Gott und die lästerliche Selbstsicherheit.

Das waren ganz andere Töne, als sie von den sogenannten Heilspropheten zu hören waren. Die sagten, was man gerne hören wollte: Auch den Scharfmachern in Jerusalem wäre es lieb gewesen, wenn Jeremia ihre Kriegspläne unterstützt hätte, ihnen im Namen Gottes die Unbesiegbarkeit Jerusalems verkündet hätte. Genauso wäre es den Kapitalisten von heute lieber, wenn Ruhe vor ihrer Bank wäre.

Wer aber von Gottes Wort her zu einer anderen Entscheidung kommt, der macht sich verhaßt und wird als Gegner abgestempelt. Oder man sagt: „Laß den doch, der ist nicht ganz richtig im Kopf, der kann sich doch nicht mit allen anlegen wollen!“ So wurde auch Jesus belauert und herausgefordert, angezeigt und verklagt, weil er störte.

Aber er hat dennoch eine sich als Frömmigkeit ausgebende Selbstgerechtigkeit entlarvt und ist der Unbarmherzigkeit entgegengetreten, die den Ausgestoßenen verkommen läßt. Er hat die falsche Gottverbundenheit gebrandmarkt, die den wirklichen Gott gar nicht an sich heranläßt.

Aber einer mußte dabei auf der Strecke bleiben. Jeremia konnte noch sagen: „Der Herr ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen!“ Bei Jesus aber war es anders: Er blieb auf der Strecke, weil er nicht wollte, daß wir an unserer Verkehrtheit zugrunde gehen. Was uns zukäme, das hat ihn getroffen. Soviel Jeremia auch leiden mußte und vielleicht auch wir leiden müssen: Jesus hat mehr aushalten müssen.

Diese Erkenntnis kann auch helfen zum Durchhalten. Jeremia hat das Gotteswort ja zunächst wie eine Speise empfangen, es war seines Herzens Freude und Trost. Aber nach seinen bedrückenden Erfahrungen hat er zu seinem Amt kein Verhältnis mehr. Er sagt: „Du hast meine Dummheit ausgenutzt und mich verführt, so wie man ein Mädchen verführt!“

Jeremia ist an den Punkt gekommen, wo man Gott den Auftrag wieder vor die Füße wirft. Er möchte sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen an ein Fleckchen, wo einen niemand mehr findet. Dann wäre endlich Ruhe. Aber dann müßte man auch alles auslöschen, was bisher gewesen ist. Irgendeinen Job kann man auf diese Weise aufgeben, die Sendung durch Gott jedoch nicht.

Das empfindet auch Jeremia: Wenn er Gott den Gehorsam aufsagen wollte, dann müßte er Gott selbst aus seinem Denken und Gewissen ausradieren. Ein solches Davonlaufen aber ist ihm unmöglich, da würde ein inneres Feuer ihn verbrennen. So muß er sein Leiden bis zur Neige dann auskosten.

Auch Jesus ist seinen Weg gegangen aus der Einsicht in das göttliche „Muß“. Nur so bleibt er im Einklang mit dem Vater. Jesus hätte natürlich auch nur schöne Tage und ein glattes Leben haben können. Wir wünschen das für uns sicher auch oft. Aber Gott hat Jesus das nicht erspart, was er schon dem Jeremia nicht erspart hatte: Er mußte eben auch alle Angst und alles Ausgeliefertsein mit durchschreiten.

Aber gerade diese Tiefen bringen ihn ganz in unsere Nähe. Gerade seine Ohnmacht ist eine Ermutigung für uns. Seine Einsamkeit schafft die Nähe, die wir brauchen. Sein Sterben ist der Grund für unsere Hoffnung auf das Leben. So gewinnen wir wieder Lust zur Nachfolge. Frommsein ist kein Höhenflug, den nur wenige Auserwählte fertigbringen. Es ist vielmehr die Erfahrung, daß man Kraft kriegt, wo man keine mehr hat; daß man die Hoffnung behält, wo nicht mehr viel zu hoffen ist; daß man die Herrlichkeit Gottes erfährt, wo sich die Niedrigkeit des Alltags auftut.

Am Ende hat auch Jeremia noch die Bewahrung Gottes erfahren. Weil Gott ihn nicht losläßt, nimmt er diesen Gott auch seinerseits wieder in Anspruch. Er erinnert sich an die Zusagen, die ihn seit der Stunde der Berufung begleitet haben. Als Jerusalem schließlich erobert wird, da schonen ihn auch die Babylonier und stellen ihm frei, was er nun tun will, während die Gegner des Jeremia in die Gefangenschaft müssen. Zuletzt ist der Prophet doch noch gerechtfertigt worden.

Das muß nicht immer so sein. Aber für uns könnte es vielleicht doch gut sein, wenn wir an solchen Erfahrungen festhalten. Ein Beispiel dafür sind auch die Psalmen. Sie beginnen oft mit einer Klage und enden mit dem Dank für die Errettung. Doch der Grund dafür ist nicht ein Stimmungsumschwung in dem Betenden. Vielmehr wird hier die Stimme des Klagenden abgelöst durch die Stimme der betenden Kirche, die die Gedanken auf den Weg lenkt, der durch die Glaubenserfahrung des Volkes Gottes schon gebahnt ist.

So hört man auf, nur auf seine eigenen Nöte und Verlegenheiten zu starren. Ja man kann dann sogar in einer ausweglosen Situation sein und doch schon die Rettung voraussehen und sogar das Lob Gottes schon vorauszunehmen. Man kann mitten im Gedränge sein und in einer Lage, die Jeremia mit „Grauen ringsum“ bezeichnet, und doch in der Gewißheit der Bewahrung leben.

Man kann dann traurig sein und doch allzeit fröhlich, man kann wie ein Sterbender sein und doch leben. So geht es denen, die sich in der Nachfolge des Gekreuzigten befinden. Die Passionszeit könnte uns dazu anleiten, diese Gewißheit immer wieder zu üben.

 

 

Micha 5, 1 - 4 a (Christfest):

Wenn ein Land in eine Krise kommt, dann ruft man gern nach einem starken Mann. Dann wird ein Mann an die Spitze der Partei und des Staates gestellt, und alles soll besser werden. Der neue Mann hat angeblich das richtige Rezept und den nötigen Sachverstand, er hat sich schon im kleineren Rahmen bewährt und ist bei der Bevölkerung angesehen - da werden wir das schon in den Griff kriegen. Manchmal ist es auch nur ein Energieminister oder ein Fußballtrainer, der gehen muß. Aber immer denkt man: „Neue Besen kehren gut, ein neuer Mann kann das Steuer noch einmal herumreißen, ehe das Schiff sinkt!“

Dabei hat man den Vorgänger vor zehn Jahren auch als letzten Retter in der Not geholt. Damals hatte man auch alles von ihm erhofft. Er hatte auch zunächst Erfolge gehabt. Aber dann war es wieder das alte Lied, es ging mehr bergab als bergauf. Es stellte sich eben heraus, daß es keine Wunder gibt. Auf einmal sind alle Verdienste vergessen. Ein Mann wird ohne Dank in die Wüste geschickt. Der Neue wird alles besser machen.

Auch der Prophet Micha spricht vor einem, der für Recht und Ordnung sorgen wird, „in der Kraft und Macht des Herrn“. Mit diesem Verheißungswort steht er uns oft sehr nahe, denn wir wünschen uns auch oft einen, der endlich einmal reinen Tisch macht. Dazu kommt noch, daß Micha gegen soziales Unrecht, religiöse Heuchelei und brutale politische Gewalt ist. Micha ist der Mann vom Lande, der weiß, daß von der Großen der Welt nichts Gutes zu erwarten ist. Sein starker Mann kann nur einer vom Lande sein, wo man die alten Sitten noch einhält und noch unverdorben und urwüchsig ist, wo man noch am alten Glauben festhält und vom Ernst der Gebote Gottes noch etwas weiß.

Für Jerusalem kann Micha nur die Katastrophe erwarten: „Der Zionsberg wird umgepflügt wie ein Acker und die Stadt wird ein Steinhaufen.“ Wenn Gott noch einmal mit seinem Volk neu anfangen will, dann wird er ganz anders und an ganz anderer Stelle neu einsetzen. Das Königtum in Jerusalem hat keine Chance mehr. Es wird nicht nur ein Regime durch ein anderes abgelöst. Im politischen Bereich erwartet man die große Wende immer vom Bestehenden her: ein neuer Mann, ein neuer Stil der Außen- und der Innenpolitik, ein neuer Umgang mit dem wirtschaftlichen und militärischen Machtmitteln, weltweite Anerkennung.

Dabei sollen aber immer die eigenen Möglichkeiten ausgeschöpft, das Bestehende nur bestens ausgenutzt werden. Gott soll schon noch ein bißchen Glück dazu geben. Aber es soll ein Reich vor dieser Welt sein. Auch der Prophet Micha denkt zunächst nicht anders. Aber er scheint doch etwas davon zu ahnen, daß hier etwas grundsätzlich Neues kommen muß: Gott muß einen neuen Anfang setzen und ein Reich ganz anderer Art schaffen.

Der Neu-Einsatz ist durch äußerste Niedrigkeit und Unansehnlichkeit gekennzeichnet. Angeredet ist der kleinste Bezirk in Juda und in ihm wieder das unbedeutende Nest Bethlehem. Ausgerechnet von dort soll der Retter des Volkes kommen.

Aber aus Bethlehem ist schon einmal einer gekommen, der sein Volk zu einer gewissen Größe geführt hat: Der König David stammte aus diesem „Kaff“. Gott mißt eben mit anderen Maßen als wir. Es ist seine Art, aus wenig oder nichts doch Großes zu machen. Bethlehem ist so das Symbolwort für die Niedrigkeit der Herkunft.

In der Weihnachtsgeschichte geht das dann weiter: In dem ohnehin ärmlichen Bethlehem nur eine Notunterkunft, Unterdrückung der Bevölkerung durch die Besatzungsmacht, die Krippe, der Besuch der gering geachteten Hirten, ihre verwunderlichen Auskünfte. Im Leben des erwachsenen Jesus war es nicht anders: Arm ist er, belauert und verfolgt, heimatloser als Füchse und Vögel. Sein ganzes Leben ist ein „Nein“ zu der grundsätzlichen, Hoffnung auf den Retter des Volkes. Mehr noch, als Micha es ahnen konnte, hat sich mit dem Kommen Jesu ein Qualitätssprung ereignet.

Gott mußte ganz weit unten ansetzen. Doch der Stall von Bethlehem war kein unguter Zufall. Der Welt war anders nicht zu helfen. Aber ihr i s t dadurch geholfen worden. Für uns hat sich das Prophetenwort in der Geburt Jesu erfüllt. Aber die Erfüllung biegt auch alle allzu menschlichen Erwartungen um. Die Geburt des Kindes in Bethlehem hat nichts mit unseren Träumen vom starker Man gemeinsam. Es ist der Protest Gottes gegen unsre Endlösungswünsche.

Auch unser Gottesbild wird dadurch zurechtgerückt. Als fromme Christen haben wir vielleicht begriffen, daß das Heil nicht von einem starken Mann kommt. Aber wir hoffen vielleicht, daß Gott selber sich endlich als dieser starke Mann erweisen möge. Soll er doch endlich einmal dreinschlagen zwischen all die Streithähne in der Welt. Soll er doch endlich einmal seine Kirche aus der Niedrigkeit herausführen und die Wahrheit des christlichen Glaubens erweisen. Wie sehr wünschen wir es uns doch, endlich einmal vor aller Welt Recht zu bekommen.

Aber auch von solchen Gottesvorstellungen sollen wir erlöst werden; Gott ist nicht der Supermann, der Übervater, die Verlängerung unseres Größenwahnes in den Himmel. Gott ist ganz anders, weil er in Jesus ganz anders gehandelt hat. So macht er uns frei von bloß erträumten Gottesvorstellungen und menschlichen Wunschbildern, die letztlich doch unbrauchbar sind.

Gottes Liebe besteht gerade in dem Verzicht auf Macht. Doch dies läßt uns nicht bei der hoffnungslosen Feststellung enden: Ich kann ja doch nichts machen, ich bin ja ausgeliefert der Mächten und Zwängen dieser Welt. Wer Gottes Weg begriffen hat, der wird im Gegenteil handlungsfähig. Er durchschaut das Spiel der Mächtigen dieser Welt und läßt sich davon nicht schrecken. Er sucht und findet Weggenossen und erfährt Solidarität, wenn er den Weg Gottes gehen will. Und er hat eine feste Zuversicht, weil er sein Ziel kennt.

Micha erwartet einen Herrscher, dessen Ursprünge in grauer Vorzeit liegen, nämlich in der Zeit Davids. In dem Namen „David“ wird alles zusammengefaßt, was das Volk Israel erhofft hat. Aber der neue Mann ist nur das Werkzeug Gottes, mehr nicht. In der Geburt Jesu aber sind die Horizonte des Gewohnten überschritten. Im Krippenkind ist Gott leibhaft unter uns. Das ist so eine Art Ursakrament, mit dem Gott im Menschlichen gegenwärtig wird. Heute haben wir ihn nicht mehr so sichtbar unter uns. Aber wir haben das Sakrament des Abendmahls, das ihn uns auch gegenwärtig macht.

Er ist wirklich der Mann des Heils und des Friedens. Er ist das Ende der Gewaltausübung und stellt den immer wieder ersehnten Zustand her, in dem die Völker und die Menschen nicht mehr gegeneinander sind. Solcher Friede ist eingebettet in dem Gesamtzustand des Heils, in dem alles Böse und Zerstörende, alles was Angst macht und das Leben verdirbt, ausgeschaltet ist; da wird die Welt wieder so, wie sie der Schöpfer sie gedacht hat.

Und die Menschen werden einen haben, der wie ein Hirt die Herde leitet. Er übt dabei nicht Gewalt aus, sondern ist fürsorglich und auf das Wohl der Herde bedacht. So regiert der ‚Mann des weltweiten Heils‘ schon heute. Er herrscht, indem er dient, ohne Drohung und Druck. Gott­lose nimmt er in bedingungsloser Liebe an und gewinnt gerade so Macht über ihre Herzen und ihr Leben. Er schenkt Vergebung und macht dadurch die Menschen frei, einander zu vergeben. Indem er dient, macht er die Menschen willig, nun ihrerseits ganz für andere da zu sein.

Mancher wird sagen: Das ist aber eine seltsame Macht, wenn einer nicht Panzer und Flugzeuge einsetzt, sondern nur sein Wort. Da ist er doch zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Nein, er setzt die gewaltlose Macht Gottes ein und gewinnt dadurch die Menschen. Wir alle kön­nen dazu beitragen, daß seine Macht sich ausweitet, wenn wir uns von ihm anleiten lassen. So kön­nen wir unsren Teil des Friedens Gottes in die Welt tragen. Damit könnten wir ein Gegengewicht schaffen gegen alles, was sich immer wieder unheilvoll in der ganzen Geschichte der Mensch­heit auswirkt: wirtschaftliches und politisches Machtstreben, Verachtung und Ausbeutung der Menschen, Mißtrauen und Angst.

Wir sind nicht machtlos, wir können die Welt verändern im Sinne Gottes. Voll erfüllt werden die Hoffnungen der Menschheit zwar erst, wenn Christus wiederkommt. Die Hirten der Weihnachtsgeschichte mußten erst einmal wieder in ihren Alltag hinaus. Aber sie waren erfüllt von einer Kraft, die ihr ganzes Leben in einem anderen Licht erstrahlen ließ. Auch wir dürfen wissen: Was Micha nur erahnt hat, das haben wir im Glauben erfahren. Der Erwartete ist unter uns und erfüllt unser Leben mit Kraft und gibt ihm ein Ziel.

 

Micha 6, 6- 8 (22. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn man fragt, welches das größte Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte ist, dann wird meist gesagt: Der Fall der Mauer und die Vereinigung Deutschlands. Die friedliche Revolution im Osten Deutschlands und die günstige politische Großwetterlage haben es möglich gemacht. Und als Christen sagen wir natürlich auch: Nicht zuletzt war da auch Gottes Werk. Es hat auch Verlierer der Wende gegeben, aber den meisten geht es doch wesentlich besser. Und das befürchtete Übergewicht des vereinten Deutschlands ist eher von Vorteil als von Nachteil.

Das Großereignis in der Geschichte Israels war die Rettung am Meer und der Bundesschluß mit Gott am Sinai. Aber im Laufe der Zeit ist das auch wieder verblaßt, obwohl immer wieder im Gottesdienst daran erinnert wurde. Schließlich hat das Volk seinen Gott auch angeklagt und war sehr unzufrieden. Man fühlte sich von Gott überfordert, angeblich hat er immer noch mehr gefordert.

Gott hat sich dieser an sich unzumutbaren Anklage gestellt und auf die dem Volk gewährten Wohltaten in der Mosezeit und bei der Landnahme verwiesen. Da hat es doch viel Durchhilfe und Bewahrung gegeben, so wie in der Geschichte des vereinten Deutschlands auch. Der große Gott hat sich dann sogar dem kleinen Volk zugewandt und ihm einen Bund gewährt, der das besondere Verhältnis für die Zukunft fortschrieb.

Doch das Volk hat darauf nicht geantwortet. Der Prophet Micha aber berichtet von einem Einzelnen, der in aller Form nachfragt, was er dann jetzt tun soll. Er geht zum Priester in den Tempel und will wissen, ob seine Vorschläge denn angemessen sind. Zunächst bietet er alles Mögliche aus seinem Besitz an. Das Ger­ingste war noch das Speisopfer, bei dem der Opfernde das Fleisch nachher selber essen durfte. Beim Brandopfer war das schon anders, da war alles weg. Und schließlich ist die Rede von tausenden von Widdern und Strömen von Öl. Das war halt die Religion des Volkes Israel, die zu einem großen Teil aus Tieropfern bestand.

Hier bei Micha geht der Fragende sogar noch weiter und fragt, ob er vielleicht seinen erstgeborenen Sohn opfern soll. Das ging ja gar nicht, das war ein heidnischer Brauch, der an sich längst überwunden sein sollte. Die Geschichte von Isaaks Opferung macht deutlich, daß Gott nicht Menschenopfer will, sondern höchstens als Ersatz ein Tieropfer. Doch offenbar war das eine weltweit verbreitete Unsitte, in Theodor Storms „Schimmelreiter“ soll auch etwas Lebendiges in den Deich eingebaut werden, damit er besser hält. Und beim Abbruch von Brücken hat man schon Skelette von Kindern gefunden, die wahrscheinlich lebendig mit eingemauert wurden. Aber mit der Zeit hat man erkannt, daß auch das Tieropfer nicht das ist, was Gott erwartet.

In der heutigen Synagogengemeinde gibt es das nicht mehr, obwohl es nach der Eroberung des Tempelbergs in Jerusalem konservative Juden gegeben hat, die wieder Tieropfer einführen wollten. Doch schon beim Propheten Micha setzt der Wandel ein. Jetzt hat man erkannt, daß Gott etwas spezifisch Menschliches erwartet: Die Selbsthingabe des ganzen Menschen! Man darf nicht vergessen, daß es nur eines gibt, was man Gott anbieten könnte, nämlich sich selbst.

Bei uns ist die Frage nicht mehr so häufig, was wir denn für Gott tun können. Luthers Frage: „Wie kriege ich einen gnädigen Gott?“ ist abgelöst von der Frage-. „Gibt es Gott überhaupt?“

Man darf auch nicht fragen: „Was erhalten wir für Lohn für das, was wir getan haben?“ Aber auch bei uns könnte der Vorwurf gegen Gott lauten: „Du hast uns müde gemacht, du hast mehr verlangt, als man leisten kann. Was soll ich denn noch alles leisten?“

Doch Gott antwortet auf diese Fragen durch den Mund des Priesters: „Ihr wißt es doch längst. Euch sind die Gebote mitgegeben. Ich erwarte doch nur etwas ganz Einfaches, nämlich das „Gute“. Und dieses wird dann entfaltet in drei Begriffen, die man aber dicht beieinander denken sollte: Recht tun durch Halten von Gottes Wort, Liebe üben mit aller Freundlichkeit und Demut vor Gott.

(1.) Vielfach wird gesagt, Gebote und Ordnungen seien an die Zeit und die Situation gebunden und deshalb veränderlich. Was einmal einem Nomadenstamm gesagt wurde, muß nicht unbedingt für die Industriegesellschaft richtig sein. Das gilt, soweit es sich um die Einzelbestimmungen handelt, die immer wieder angepaßt werden müssen. Aber es bleibt ein Kern an Ordnungen, über die nicht verhandelt werden kann. Sie sind heute niedergelegt in den Menschenrechten, im Grundgesetz des Bundesrepublik Deutschland und für uns natürlich in den Geboten Gottes. Was der Pfarrer im Konfirmandenunterricht bespricht, kann der Dozent am Verwaltungsseminar zum großen Teil auch anhand des Grundgesetzes erläutern. Hier zeigt sich eben, wie sehr die Menschenrechte vom christlichen Glauben geprägt sind. Deshalb geht es nicht darum, immer neue Regeln zu erfinden, sondern die altbewährten müssen nur immer wieder durchkonjugiert werden, also auf den jeweiligen Fall angewendet werden.

Das Recht schreibt die übergreifenden Ordnungen fest, in denen das Gemeinschaftsleben sich abspielt, die den Alltag bestimmenden Grundsätze unseres Zusammenlebens. Es wird verletzt, wenn einer der Nutznießer der Arbeit der anderen wird, wo einer die Rechte des anderen zu seinen Gunsten schmälert, ihm den Lebensraum streitig macht und seine Sicherheit und sein Glück gefährdet.

Nehmen wir als Beispiel die Ehe. Sie wandelt sich, es geht nicht mehr so zu wie vor 200 Jahren. Aber sie ist nicht nur eine Zweckgemeinschaft, sondern ist immer durchdrungen von der personalen Beziehung. Die gegenseitige Hingabe ist auf Dauer und Verantwortung füreinander angelegt.

(2.) Das Recht aber wird ergänzt durch die Güte. Liebe üben ist mehr als nur im Rechtlichen korrekt zu sein. Es geht nicht um festgelegte Pflichten, sondern daß man das Herz sprechen läßt. Zum zwischenmenschlichen Leben gehören auch gegenseitiges Verstehen, Herzlichkeit und sogar auch Fröhlichkeit. Aber wir Menschen sind verschieden geartet: Manchen fällt es leich­ter als anderen, Güte auszustrahlen oder einen traurigen Menschen wieder aufzumuntern. Und es ist auch besser, wenn man nicht wie ein Detektiv die dunklen Stellen und Schwachpunkte in der Lebensführung aufzudecken versucht, sondern jedem mit Güte begegnet, Gutes von ihm redet und alles zum Besten kehrt, wie es Luther im Katechismus gesagt hat. Dazu sind wir alle fähig.

(3.) Schließlich wird noch aufgefordert. „Demütig sein vor Gott“. Damit ist gemeint: Aufmerksam ihm gegenüber sein, ansprechbar, bereit ihn zu ehren. Aber es gehört auch dazu, daß man sorgfältig bedenkt, was jetzt ansteht und wie sich alles in Zukunft auswirken wird. Alle Dinge sind vor Gott offenzulegen und mit ihm im Gebet zusammen zu überlegen und man muß sich auch sich seinen Rat gefallen lassen.

Wir können also wissen, was Gott von uns fordert. Ein Stichwort dafür ist auch die „Wertegemeinschaft“, aufgefächert in „christliche Wertegemeinchaft“ und „europäische Wertegemeinschaft“. Die das Christentum gegen den Islam verteidigen wollen, wissen zum großen Teil gar nicht, was das ist und gehören gar nicht der Kirche an. Aber es ist unverkennbar, daß es diese Wertegemeinschaft gibt, auch wenn sie vom Christentum losgelöst ist.

Das ist doch gut, wenn man die europäische Einigung nicht über die Verteidigungsgemeinschaft angegangen ist - wie man das zunächst versucht hat - sondern über die Wirtschaftsgemeinschaft. Dann hat man die Grenzen durchlässig gemacht und das Geld zum Teil vereinheitlicht. Aber heute sehen wir, daß das auch Probleme mit sich bringt. Und da ist es gut, wenn die Wertegemeinschaft mit ins Spiel kommt.

Als man in Deutschland unter dem Eindruck der Verfolgung in der Nazizeit das Asylrecht in das Grundgesetz hineinschrieb, da dachte man nur an Flüchtlinge aus den europäischen Nachbarländern. Aber heute hat man erkannt, daß das Asylrecht unteilbar ist und daß es auch keine Grenze nach oben geben kann. Doch die Probleme damit sehen wir jetzt auch. Wir müssen auch damit rechnen, daß unser gewohntes Leben dadurch eingeschränkt wird, wenn etwa die Sportvereine nicht mehr die Turnhalle benutzen können oder die staatliche Wohnungsbauförderung weitgehend für Asylbewerberunterkünfte verwendet wird.

 

Hier wird sich dann erst bewähren müssen, wie das mit dem Halten des Wortes Gottes und mit dem Liebe üben und der Demut vor Gott konkret aussieht. Wenn wir nur unsere abgelegten Kleider abgeben, dann ist das kein Opfer. Ans „Eingemachte“ wird es erst noch herangehen. Die Hingabe unsrer selbst ist nicht so leicht dingfest zu machen. Ein Tier zu opfern ist leicht, sichtbare religiöse Verpflichtungen wie eine Wallfahrt kann man erfüllen.

Die deutsche Einheit hat ein starkes Deutschland hervorgebracht, das auch stark ist im Helfen. Doch die Kritik anderer Europäer ist nicht ausgeblieben. Einige haben gesagt: „Jetzt will Deutschland nicht nur Fußballweltmeister sein, sondern auch Weltmeister in der Moral. Durch die Aufnahme der Flüchtlinge wollen sie uns schlecht machen und selber als Gutmenschen erscheinen!“ Doch man muß umgedreht fragen: Sollten wir diese Flüchtlinge denn ohne Essen und Trinken auf dem Acker in Ungarn liegenlassen? Sollten wir sie auch in einen Zug setzen und nach Paris oder Madrid fahren? Einer muß doch helfen, wenn die Leute schon einmal da sind. Das ist nicht nur Menschenpflicht, sondern vor allem auch Christenpflicht. Aber leicht wird das nicht werden.

Doch die wirkliche Hingabe wird uns dadurch erleichtert, daß wir wissen, er ist „mein“ Gott. Darin liegt die ganze frohe Botschaft: Gott hat gerade die angenommen, deren Leben nicht gelungen ist. Alle alttestamentlichen Opfer sind aufgehoben in dem Opfer Christi. Wenn der alttestament­liche Beter seinen erstgeborenen Sohn anbietet, so wissen wir, daß Gott tatsächlich seinen einzigen Sohn geopfert hat. So ernst nimmt Gott sich selbst und uns.

 

 

Hesekiel 34, 1- 2 und 10 -16 und 31 (Misericordias Domini):

Nach den Feldzügen Napoleons und den Freiheitskriegen herrschten überall Not und Verwahrlosung. Viele Kinder trieben sich elternlos auf den Landstraßen Thüringens herum. Da holte sie Johannes Falk in Weimar sie in sein Haus. Anfangs waren es 30 Kinder, nach zehn Jahren waren es über 400 Jugendliche aus ganz Deutschland, die er buchstäblich auf der Straße aufgelesen hatte. Die Wohnung Falks wurde für sie zum Kinderheim. Er schenkte ihnen eine Heimat und war für sie durch sein selbstloses Christentum zu einem Vater im Glauben. Er sorgte aber auch dafür, daß sie in handwerklichen Berufen ausgebildet wurden und zu wertvollen und selbständigen Menschen erzogen wurden. So wurde Johannes Falk zu einem guten Hirten für diese Kinder. Er erlebte in Weimar allerdings auch das Gegenteil: Da gab der Großherzog für die Festbeleuchtung an einem einzigen Abend 800 Thaler aus, aber das Werk Falks förderte er nur mit 135 Thalern.

Der Prophet Hesekiel wendet sich scharf gegen Nutznießer und Ausbeuter, gegen Tyrannen und üble Bosse, die ihr Leitungsamt als Vorzugsstellung verstehen und ausnutzen. Hier wird also von Gott her Gesellschaftskritik getrieben und gesagt: „Die Hirten, die Inhaber staatlicher Ämter, haben die Herde nicht richtig geweidet, sie haben nicht richtig regiert!“ Vor allem den Königen wird dieser Vorwurf gemacht. Nirgends wird ein regierender König als Hirte bezeichnet. Nur Gott ist der Hirte. Und so wird dann hier ein Bild des wahren Hirten entworfen und gesagt: Er ist uneigennützig und fürsorglich und barmherzig!“ Wir wollen aber immer zugleich daran denken, daß dieser Hirte in Jesus Christus für uns Gestalt angenommen hat.

 

(1.) Der wahre Hirte ist uneigennützig: Der Prophet Hesekiel spricht in der Zeit nach dem Jahr 586, als die Babylonier Jerusalem erobert haben und einen Teil der Judäer in die Gefangenschaft nach Babylon fortgeführt haben. Und er sagt nun: „An all dem Unglück der Verbannten und der im Lande Gebliebenen sind allein die Hirten des Volkes schuld. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, das Volk auf einen guten Weg zu führen. Stattdessen haben sie ihre Machtstellung eigensüchtig ausgenutzt und haben sich auf Kosten des Volkes bereichert!“ Das ist ja immer so: Der kleine Mann hat die Folgen zu tragen, er ist der eigentlich Betrogene.

Der Fehler liegt nicht darin, daß es überhaupt Hirten gibt. Es geht in der Welt nicht ab ohne daß Menschen leitende Funktionen haben: Eine Firma muß einen Leiter haben, eine Abteilung einen Hauptverantwortlichen, in der Schulklasse gibt es einen Lehrer und im Krankenhaus einen Chefarzt. Vater und Mutter haben für die Familie zu sorgen. Kirchenvorsteher nehmen teil an der Fürsorge Gottes für die Menschen. Wenn diese Leitungsaufgabe fehlte, wäre die Tyrannei sicher noch größer; dann machte jeder, was er wollte und alle würden sich gegenseitig schaden.

Wer aber in leitender Position klug ist, der wird nach dem Rat der von ihm Geleiteten fragen und sich ihr Mitgehen und ihr Verständnis sichern. Man kann heute nicht mehr autoritär bestimmen und die anderen haben zu gehorchen. Unsre Welt ist viel zu kompliziert, als daß einer alles überblicken könnte. Er muß einfach Verantwortung an die anderen abgeben und ihnen Freiheit zur eigenen Entscheidung lassen.

Bei jedem wird das wieder anders aussehen, je nach dem Ort, an dem einer steht: der Polier auf dem Bauplatz, der Fahrdienstleiter auf dem Bahnsteig, der Präsident eines Parlaments, der Dirigent eines Orchesters, der Trainer eines Fußballvereins. Überall muß eine Leitung sein. Aber sie darf nicht auf einer angemaßten Macht beruhen. Heinz Ehrhardt hat einmal gesagt: „Jeder soll ein guter Hirte sein, aber jeder soll sich auch hüten!“

Bloße Macht, ohne daß Wissen und Können und Leistung dahinterstehen, wird gerade von Jugendlichen sehr scharf erkannt; und deshalb sind sie in vielen Fällen so aufsässig. Vielleicht könnten die Erwachsenen sogar noch von ihnen lernen. Bei vielen erlebt man doch nur eine Untertanengesinnung und die Meinung: „Wir ändern ja doch nichts dran!“ Die Jugendlichen sind da zum Glück manchmal anders.

Vielleicht wird aber mancher nun sagen: „Wir sind doch keine Großgrundbesitzer oder Industriebosse!“ Und doch haben die meisten von uns an irgendeiner Stelle auch über andere zu sagen. An einer Stelle hat jeder eine Hirtenfunktion! Wir können uns nicht damit herausreden, daß es dafür in der Welt zu viele Politiker gibt. Wir haben uns selber zu fragen: „Was bin ich für ein Hirte? Ich habe doch eine Aufgabe in der Firma, in der Familie oder in der Schule. Die Frage ist nur: Kommen wir uns in dieser Stellung wichtig vor? Sonnen wir uns im Glanz unsrer Geltung und Vollmacht? Nutzen wir es gelegentlich aus, daß wir am längeren Hebel sitzen? Lassen wir die anderen ihre Ohnmacht und unsere Macht fühlen?

Denken wir vielleicht an einen Handwerker, auf dessen Hilfe wir angewiesen sind und der uns trotzdem warten läßt. Sehr schnell kommt es doch zum Mißbrauch der Macht, die man über andere hat. Wo der Geist des Profits herrscht, wird jeder nur nach seiner Brauchbarkeit und Verwertbarkeit eingeschätzt, also nach dem, was an ihm zu verdienen ist.

Daß er aber ein Herz hat und sich mit Problemen und mit unvergebener Schuld herumschlägt, das sieht nur Jesus. Er ist der gute Hirte für uns. Ihn jammert des Volks, denn er sieht, daß sie zerstreut sind wie Schafe, die keinen Hirten haben. Wo wir alle versagen, da greift er ein und hilft uns. Er dient uns sogar und gibt sich selber für uns hin und ist gerade darin unser guter Hirte.

Etwas von dem Hirtendienst Jesu sollte in uns allen drinstecken. Der Oberhirte braucht nämlich seine Mitarbeiter. Er kann uns nicht gebrauchen, wenn wir nur das Unsre suchen. Er will aber jeden von uns zum „Pastor“ haben, zum Hirten, an dem man seine eigene Art wiedererkennen kann. Denn „Pastor“ heißt nichts anderes als „Hirte“.

 

(2.) Der wahre Hirte tut seinen Dienst in Fürsorge: Die Aufgabe des Hirten ist es, das Schwache zu stärken, das Verwundete zu verbinden und das Kranke zu heilen. Er hilft den Untergebenen, wo es nötig und möglich ist. Jesus hat ja auch immer wieder auf der Seite der Minderberechtigten und Unterdrückten gestanden; er hat Partei ergriffen für die Schwachen und Benachteiligten. Jesus weiß, wo ein Einzelner versagt. Er kümmert sich aber auch um den Zustand der Gesellschaft im Ganzen. Deshalb ist es eine Schande, daß uns erst nichtchristliche Staaten haben deutlich manchen müssen: „Alle haben das gleiche Recht auf einen Anteil an den Gütern dieser Erde, an den Weiden, die er uns gegeben hat.“

Hesekiel sagt uns nun: „Wo wir versagt haben, da packt Gott zu. Er wendet seine Liebe sogar noch den Versagern zu und nimmt sich der Herde selber an!“ Damals für das Volk Israel bedeutete das die Heimkehr der Verbannten; da hat der Hirte seine Herde wieder auf eine gute Weide geführt.

So hat auch Jesus den Armen das Evangelium gepredigt. Man findet ihn vor allem bei denen, mit denen die gesellschaftliche und religiöse Oberschicht nichts zu tun haben will. Er kümmert sich um den einzelnen Menschen mit seinem verpfuschten und mit Schuld belasteten Leben. Er stellt keine Bedingungen und fragt nicht: „Bist du es wert?“ Er fragt nur: „Hast du es nötig?“

Allerdings weiß der Hirte besser, was das Tier braucht, wo es zum Wasser geht und wo Gefahren lauern. Oft sind wir gerade an der Stelle am törichsten und kurzsichtigsten, wo es mit uns am bedenklichsten steht. Wir müssen Jesus auch an die schwachen und dunklen Stellen unseres Lebens heranlassen, sonst können wir auch seine Hilfe nicht spüren. Und wer sich im Augenblick verraten und verkauft vorkommt, der möge nur warten: Was er im Augenblick noch nicht begreift, wird er vielleicht doch noch einmal als ein Stück der Fürsorge des guten Hirten verstehen. „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir!“

 

(3.) Der wahre Hirte ist barmherzig: Das Wort „Barmherzigkeit“ kommt zwar in dem Predigttext nicht vor, ist aber der Sache nach da. Gott hätte allen Grund, mit uns Schluß zu machen. Aber er tut es nicht - das ist Barmherzigkeit. An Jesus Christus wird uns deutlich, wie Gott das Verlorene sucht. Er hat sich in das Elend der Heimatlosen und Ausgestoßenen aufgemacht und hat es zu seinem eigenen Elend gemacht. Er wurde selbst zu einem Verlorenen und konnte so die anderen wieder zurückholen. Jeder einzelne ist ihm so wichtig, daß er ihm nachgeht. Er findet sich nicht mit dem Schicksal der anderen ab, sondern will sie bei sich haben,

Die ganze christliche Gemeinde besteht aus solchen Gesuchten und Wiedergefundenen. Jesus braucht uns, damit wir nun unsererseits die anderen suchen, die verlorengegangen sind, die abgehängt und aufgegeben wurden. Das ist nicht nur eine Aufgabe für die Pfarrer. Die können die Verantwortung gar nicht tragen, für alle in der Gemeinde da zu sein. Wir sind alle zur Für­sorge und Hilfe für die anderen verpflichtet.

Natürlich haben wir da viel Arbeit an den Alten und Jungen, an den Einsamen und Verlorenen. Manchem steht die Hilfsbedürftigkeit auf der Stirn geschrieben; bei einem anderen ist sie so tief versteckt, daß keiner etwas merkt. Mancher weiß, daß er seinen Weg verfehlt hat, und der andere geht in die Irre, ohne es zu ahnen. Für alle diese Menschen sollen wir da sein. Entscheidend wird dabei sein, daß wir nicht selbst wieder versuchen, auf unsre Weise Hirten und Herrscher zu sein. Wir haben schon die Aufgabe, ein uneigennütziger, fürsorglicher und barm­herziger Hirte wie Jesus zu sein. Aber er bleibt dabei immer der große Hirte, auf dessen Hilfe wir selber angewiesen sind.

 

Ergänzung:

Das Wort „Autorität“ wollen wir nicht gerne hören. Vor allem junge Leute lehnen jede Art von übergeordneter Gewalt ab: ob das nun die Eltern sind oder die Lehrer oder die Polizei oder sonst irgendwelche Erwachsene. Die gehören heute alle zum „Establishment“, wie man so schön sagt „zu der herrschenden Klasse“ die ein ganzes Netz von Gewaltherrschaft über die Gesellschaft gelegt hat und vor allem die Jugend damit in Schach halten will und sie in ihre Welt einfügen will.

Aber auch die Erwachsenen sind mißtrauisch gegenüber jeder Art von Autorität, wenn sie auch eher bereit sind, sich anzupassen. Aber wir haben ja nun erlebt, wie das Wort „Führertum“ in abscheulicher Weise mißbraucht wurde; da will man natürlich keinen neuen „Führer“ haben, der dann unter Umständen wieder ein Verführer sein kann.

Natürlich gibt es auch heute Autorität. Es gibt auch heute Manschen, die über andere etwas zu sagen haben. Aber diese Autorität ergibt sich aus dem Augenblick und ist nicht von vornherein mit der Amtsstellung gegeben. Außerdem wechselt das Verhältnis von Übergeordneten und Untergeordnetsein ständig: Der leitende Angestellte hat im Betrieb allerhand zu sagen; aber draußen auf der Straße hat er sich den Anordnungen des Verkehrspolizisten zu fügen und zuhause bestimmt vielleicht seine Frau über ihn.

Schließlich sind wir doch alle dem Leitbild der Demokratie verpflichtet und wittern Gefahr, wenn von dem Hirten die Rede ist, der über die Herde herrscht. Vertritt denn die Bibel auch

„autoritäre Strukturen“, wie man heute sagt, tritt sie denn auch für Befehlsgewalt und Untertanengesinnung ein?

Nein, das ist nicht so. Dieses 34.Kapitel beim Propheten Hesekiel geht ja gerade aufs schärfste gegen den Machtmißbrauch vor. Es wendet sich gegen die Nutznießer und Ausbeuter gegen Tyrannen und üble Bosse, die ihr Leitungsamt als Vorzugsstellung verstehen und ausnutzen.

Hier wird von Gott her also Gesellschaftskritik getrieben und gesagt: Die Hirten, die Inhaber der staatlichen Ämter, haben die Herde nicht richtig geweidet, sie haben nicht richtig regiert.

 

 

Pred 3, 1-14 (24. Sonntag nach Trinitatis):

„Alles hat seine Zeit!“ Das gilt für uns vielleicht nur im Urlaub. Wenn man diese rhythmischen Aufzählungen hört, kann man sich fühlen wie am Strand, wo die Wellen heranrollen, ans Ufer klatschen, den Sand hinauflaufen und mit leichtem Schäumen auslaufen. Das Wasser strömt zurück, die nächste Welle kommt, jede zu ihrer Zeit. Irgendwie wird man in diesen Rhythmus hineingenommen, man wird ruhig und gelöst. Es ist gut, daß alles seine Zeit hat und zu seinem Recht kommt.

Doch dieses Gefühl ruhiger Gelassenheit erledigt sich im Alltag leicht als vergängliche Urlaubsstimmung. Denn täglich erleben wir, daß alles keine Zeit hat. Da gibt es nur Rast­losigkeit und Unruhe - und wir mitten drin. Das belastet uns. Aber wir können uns nur schwer davon freimachen. Mit der Uhr in der Hand meinen wir, der Herr der Zeit zu sein. Aber in Wirklichkeit hat die Zeit uns in der Hand. Mehr oberflächlich sagen wir: „Zeit ist Geld!“ Aber wir wissen auch: „Wer Zeit hat, der hat Leben!“ Die Zeit ist keine Schnellstraße zwischen Wiege und Grab, sondern Platz zum Parken in der Sonne.

Am Anfang und am Ende unseres Lebens stehen zwei Daten, die offiziell beurkundet werden müssen. Die dokumentieren die Begrenztheit und Vergänglichkeit unserer Zeit: Wir sind begrenzt in unserer Zeit! Was dazwischen liegt, das zählt der Prediger in seinen Gegensatzpaaren auf. Immer wieder erfahren und erleiden wir dabei unsere Begrenztheit. Mit zunehmen­dem Alter tauchen auch Krankheiten auf und kündigt sich allmählich das Nachlassen unserer Kräfte an.

Man könnte Pessimist werden oder in Depression verfallen. Das ist heute eine verbreitete Krankheit. Aber was der Prediger da sagt, ist zwar wahr, aber er sieht die Welt zu dunkel. Seine niederschmetternden Klagen sind zugleich überholt und überwunden: Wir können Besseres zum gleichen Thema sagen. Denn Gott hat sich des vergänglichen Menschen angenommen, der die Wege Gottes nicht begreift. Er hat sich des Menschen angenommen, indem er selbst Mensch wurde.

Wenn Christus nicht wäre, dann müßte uns in der Tat so Manches beschweren. Drei Dinge greifen wir einmal heraus: Der zeitliche Mensch, das vergebliche Werk und der unbegreifliche Gott.

 

1. Der zeitliche Mensch:

Es ist, als ahmte der Prediger den Pendelschlag einer Turmuhr nach: Die Zeit bleibt nicht stehen. Was gestern war, ist heute nicht mehr. Was heute ist, wird bald nicht mehr sein. Was noch nicht ist, erwarten wir einerseits mit Hoffnung, aber andererseits auch mit Angst. Aber es ist nie zu früh, wir müssen schon mit Ernst an unsere Aufgaben gehen. Es ist aber auch nie zu spät und wir brauchen uns nicht abzuhetzen. Jede Minute, jede Stunde ist kostbar. Aber sie sind auch wiederum nicht so kostbar, daß wir sie nicht verlieren dürften. Wenn wir auf der eine Seite Zeit verlieren, so können wir sie dennoch auf der anderen Seite gewinnen.

Manchmal warten wir lange auf etwas – und dann ist es auch sofort wieder vorbei. Vielleicht sind wir auch froh, wenn es vorüber ist. Vielleicht aber möchten wir auch wie Goethe zum Augenblick sagen: „Verweile doch, du bist so schön!“ Aber den Fluß der Zeiten halten wir nicht auf. Wir können uns an Manches erinnern, aber es gehört uns nicht mehr.

Die Zeit ist wie ein Pfeil, sie kommt von irgendwo her und geht irgendwo hin. Sie ist unumkehrbar. Wir können nicht noch einmal von vorne anfangen und unser Leben neu leben, was wir versäumt haben, läßt sich nicht wieder einholen.  Das ist der Unterschied zwischen dem jüdisch-christlichen Denken und den asiatischen Religionen. Dort stellt man sich die Zeit eher wie einen Kreis vor, in dem alles wiederkehrt. Selbst das Leben der Menschen soll nach einer Wiedergeburt noch einmal neu anfangen. Wir sagen zwar auch manchmal: „Es ist alles schon einmal dagewesen!“ Aber es sind dann immer nur Ähnlichkeiten, nicht noch einmal das Gleiche. Die Welt steht nicht still. Wir können nicht den Film unseres Lebens anhalten und bei einem Standbild verharren.

Das heißt nicht, daß es nicht auch Bleibendes und Unverlierbares gäbe. Aber das Neue gewinnen ich nur, indem ich das Alte vergangen sein lassen. Aber man kann sich auch freuen, daß es so ist, denn die Zeit des Weinens wird von einer Zeit des Lachens abgelöst. Nach Krieg kommt auch wieder Frieden. Regiert heute der Haß, so wird es morgen die Liebe sein. Man muß nicht immer klagen, sondern man wird auch wieder einmal tanzen. Auf die Trauerzeit folgt auch wieder einmal eine mehr freudigere Zeit. Dies zu wissen, kann doch sehr tröstlich sein.

Der Prediger aber sagt es umgedreht: Was mich jetzt freut, kann wieder abgelöst werden durch das andere, das mich schmerzt und quält. Alles kann einmal von seinem Gegenteil abgelöst werden. Er sieht nicht das heilsame Miteinander von Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter Tag und Nacht, wie es in der Bibel von Gott in dem Bund mit Noah verheißen wird, sondern er sieht nur den für ihn sinnlosen Wechsel der Dinge. Er ist wie Till Eulenspiegel, der sich freut, wenn es bergauf geht, weil es dann bald wieder bergab geht, und der beim Anstieg traurig ist, weil es bald wieder bergauf gehen wird.

Vor allem daß das Leben einmal endet, macht ihm zu schaffen. Alles andere ist wie ein Karussell, bei dem jede Runde wieder an die gleiche Stelle bringt. Der Tod aber ist endgültig, jeden­falls was unser irdisches Leben angeht. Das ist auch gut so, daß wir kein ewiges Leben haben, denn ein Unfalltod wäre eine noch größere Katastrophe, als sie sowieso schon ist.
Aber für uns Christen ist der irdische Tod natürlich nicht das Letze. Christus ist die Auferstehung und das Leben. Ein ewiger Leerlauf wäre nichts, was man erstreben könnte. Ein lebenswertes Leben haben wir nur von Christus her.

 

2. Das vergebliche Werk:

Der Glaube an den Fortschritt regt unser Tun an. Das Leben hat nur einen Sinn, wenn wir dazu beitragen können, daß die Welt friedlicher und gerechter wird. Man setzt sich gerne ein, wenn man weiß, wofür es ist. Der Prediger aber sieht keinen Gewinn, kein Vorankommen und Reifen. Er sieht keine Aufwärtsbewegung, sondern nur den Pendelschlag, den Auf­schwung und das Zurückfallen.

Es entsteht bei ihm das Gefühl der Zwecklosigkeit: Man pflanzt und reißt es wieder heraus. Man bricht ab, um etwas Neues aufzubauen, aber auch das, was wir jetzt bauen, wird irgendwann einmal abgerissen werden. Man sucht etwas, aber bald wird man es wieder verlegt haben, denken wir nur an die Lesebrille. Man hebt Dinge auf, weil man sie ja vielleicht doch noch einmal gebrauchen könnte, und dann wirft man sie doch weg. Das Geschirr wird gespült und wird doch bald wieder gebraucht. Die Straße wird geteert und doch bald wieder aufgerissen oder vom Frost zerstört. Es wird Krieg geführt, um angeblich den Frieden zu gewinnen, aber auch im Frieden ist man schon wieder auf Krieg eingestellt.

Dennoch hat unsre Arbeit einen Sinn. Sie erhält unser Leben. Arbeit ist Dienst an der Welt und Dienst am Menschen Auch wenn einen die Arbeit anödet, dann sollte man sich doch immer klarmachen, für wen man es tut. Man tut es zunächst einmal für sich selbst. Aber man tut es auch für die Familie. Und schließlich tut man es auch für die ganze Gesellschaft, denn nur indem jeder das Seine tut, kann das Zusammenspiel gelingen.

Es wäre unredlich, die Annehmlichkeiten des Fortschritts zu genießen und gleichzeitig ein trübsinniges Bild vom Leben zu entwerfen. Wir wissen zwar, daß wir viele der Annehmlichkeiten teuer bezahlen durch Zerstörung der Natur und Verbrauch der Reserven. Aber das wird nichts daran ändern, daß wir alle ganz gern daran teilnehmen und erfreut feststellen, daß unsre Mühe sich lohnt.

Unsre eigenen Anstrengungen und Erfolge bringen uns allerdings vor Gott nicht weiter: die guten Vorsätze, der Kampf gegen die Bequemlichkeit und die Abhängigkeit von anderen, die Neigung, alles an sich selbst zu messen. Christus nimmt uns ans der Hand, womit wir uns vergeblich abplagen und macht unsere Sache zu der seinen. Wir brauchen keine Erfolge und Gewinne aufzuweisen. Er hat sich auf die Seite der Gescheiterten gestellt und hilft ihnen heraus.

 

3. Der unbegreifliche Gott:

Der Prediger weiß aber trotz allem: Zwar ist alles Irdische ist dem Gesetz des Vergehens und Wechsel unterworfen, aber was Gott tut, das besteht für immer. Deshalb sagt er: „Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur daß der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende!“ Es ist schon ein widerspruchsvoller Gott, denn auch die Mühsal hat er in das Herz der Menschen gegeben. Wer aber auf einen Gott aus ist, dessen Handeln in der Welt begreifbar und nachrechenbar ist, der darf nicht die Bibel fragen. Sie verkündet uns den Gott, den wir nur respektieren und vor dem wir uns nur beugen können.

Doch die letzte Auskunft des Predigers überrascht dann wieder. Er fordert dazu auf, fröhlich zu sein und sich im Leben wohl sein lassen. Doch das ist nur ein Ausweg, kein wirklicher Weg ins Freie. Vielleicht wüßten wir auch nichts Besseres, wenn Christus nicht wäre. Man versucht doch nur mit Rummel und Rausch sich zu erheitern, wenn man nicht wirklich fröhlich ist. Jesus will nicht humorlose Mucker. Wir dürfen uns an Gottes guten Gaben mit einem guten Gewissen freuen – er gönnt uns das alles.

Es wird alles anders, wenn in Jesus Christus der unbegreifliche Gott uns anschaulich und greifbar geworden ist. Zwar bleibt er unter dem Kreuz verborgen. Aber er ist unser Gott geworden. Er ist herausgetreten aus dem bedrückenden Schweigen. Die verhängnisvollen Zirkelbewegungen sind aufgebogen zu einer Geraden, die in die Zukunft weist. Ziel ist das Heil Gottes, das uns in Christus angeboten und geschenkt wird.

 

Sprüche 16, 1 - 9 (Neujahr):

An Neujahr denken wir nicht an eins der großen Ereignisse der Heilsgeschichte, sondern es beginnt nur ein neues bürgerliches Jahr. Der Umlauf der Erde um die Sonne ist naturgegeben: Nach 365 Tagen sind wir wieder an dem Punkt angekommen, wo wir schon einmal waren. Aber an welchem Punkt der Erdumlaufbahn wir Neujahr begehen, ist nur eine Übereinkunft. Andere Völker haben zum Teil andere Neujahrstermine.

Dennoch nehmen wir als Christen Anteil am großen Weltgeschehen und an dem Geschehen in der Natur. Wir machen auch Pläne, sehen bestimmte Aufgaben auf uns zukommen, werden Termine wahrzunehmen haben. Dabei können uns die Sprichwörter eine Hilfe sein, besonders wenn sie in der Bibel stehen. Ihre Weisheit hat man als eine Steuermannskunst (Kybernetik) bezeichnet, mit deren Hilfe wir uns durch die Wirrnis des Lebens hindurch lotsen können. Dabei wird es nicht so sehr darauf ankommen, fertige Lebensregeln zu übernehmen, sondern Orientierungshilfen für die eigene Erkenntnis zu gewinnen.

Dennoch bleiben wir heute nicht auf dem Boden des Allgemein-Menschlichen. In acht von neun Versen dieses Abschnitts ist von Gott die Rede. Überhaupt heißt es: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang!“ Doch der gesunde Menschenverstand wird durch die Ehrfurcht vor Gott nicht ausgeschaltet, sondern nun erst recht gesund gemacht. Der Glaube an Gott macht die täglichen Erfahrungen nicht unwichtig, sondern bringt sie erst recht zur Geltung. So kann uns deutlich werden: Auf Schritt und Tritt haben wir es mit Gott zu tun, der zwar unsre Pläne durchkreuzt, aber doch unser Werk voranbringt.

 

(1.) Gott durchkreuzt unsere Pläne: Am Anfang eines Jahres schließt sich uns ein solcher Satz leichter auf: „Des Menschen Herz erdenkt sich seinen Weg; aber der Herr allein lenkt seinen Schritt!“ Wir können uns vorkommen wie einer, der vor der Reise Fahrpläne studiert und Zuganschlüsse ausklügelt, aber nachher doch der Eisenbahn ausgeliefert ist, ob sie pünktlich kommt oder gar nicht.

Man hat Wunsche und Hoffnungen. Man sieht Aufgaben und Möglichkeiten ihrer Erfüllung. Man nimmt sich Wichtiges vor. Man erhofft sich Angenehmen und Erfreuliches. Besonders junge Menschen machen viele Pläne; und ein wenig jung ist man in dieser Hinsicht hoffentlich auch noch in den älteren Jahrgängen.

Doch wir wollten bedenken: „Gott hat einen Weg!“ Wege sind lebenswichtige Einrichtungen. Sie verbinden einen Ort mit dem anderen, machen Begegnung und Austausch möglich. Auf einem Weg hat man festen Boden unter den Füßen und muß nicht im Schlamm waten und bleibt nicht am Gestrüpp hängen. Menschen benutzen die Wege, Waren werden auf ihnen transportiert, ohne Wege können wir uns das Leben nicht mehr vorstellen.

Der Zeitraum eines neuen Jahres 1äßt sich vergleichen mit einem Netz verschiedener Wege und Straßen. Manche sind bekannt, manche bleiben uns unbekannt. Wir können heute noch nicht wissen, welche Wege wir durch dieses Jahr geführt werden. Es gibt zahllose Möglichkeiten. Wir müssen uns tagtäglich entscheiden. Und manchmal müssen wir umkehren auf unserem Lebensweg. Keiner kann voraussagen, was am Ende herauskommt.

Nur Gott kennt unsren Weg. Er hat schon einen Weg für uns, wo wir ihn noch nicht sehen. Deshalb braucht uns das Unbekannte nicht zu ängstigen. Oft haben wir allerdings nur Einblick in eine kurze Strecke. Kurven und Kreuzungen und der übrige Verkehr sind ein Hindernis. Manchmal fehlt uns der Mut. Aber dann können wir auch wieder erleichtert feststellen, daß uns neue Kräfte zuwachsen. Gott hilft uns, daß wir Kurs halten. Er geht sogar ein gutes Stück mit. Er bringt uns wieder zur Vernunft und gibt uns die Chance, Fehler zu erkennen und zu berichtigen und wieder neu anzufangen.

Das bedeutet aber auch: Unsere Gedanken und Pläne werden oftmals durchkreuzt. Dreimal steht in den neun Versen in der Mitte ein inhaltsschweres „Aber“. Es bedeutet, daß noch etwas übersehen und vergessen ist, daß noch etwas zu berücksichtigen ist oder noch eine andere Möglichkeit vorhanden ist. Es bedeutet, daß es mit unserem Denken und.Handeln um die Ecke gehen muß. Und es macht deutlich: Wir haben es unter allen Umständen mit Gott zu

tun.

Heimlich fordern wir immerzu einen Gott, dessen Gedanken und Vorhaben sich mit den unseren decken müssen. Da wird dann gesagt: „Wenn es einen Gott gäbe, dann müßte er doch...!“ Warum „muß“ er eigentlich? Diese Denkweise kommt zu sehr aus dem Menschlichen. Der so vorgestellte Gott ist nur die Übertragung (Projektion) der eigenen Vorstellungen und Wunsche an den Himmel. Ein Gott, der in unser Schema paßt, ist nicht der wirkliche und lebendige Gott. „Der Mensch denkt - Gott lenkt!“

Ohne Zusammenstöße zwischen dem Willen Gottes und dem unseren wird es nicht abgehen. Als Sünder können wir von uns aus gar nicht die Gedanken Gottes denken. Wie viele törichte Dinge haben wir uns schon ausgedacht! Wie heillos und zerstörerisch sind oft unsere Gefühle, Träume und Ideen! Gott nimmt uns das Wollen nicht, denn er hat uns ja als freie Menschen geschaffen. Aber er muß sich uns oft in den Weg stellen und dabei unsere Gedanken durchkreuzen.

Der Anfang des Abschnitts führt das mehr im Einzelnen aus: Man legt sich zurecht, was man sagen will, klügelt Gedankengänge aus und sucht schlagkräftige Formulierungen. Aber „vor Ort“ kommt es dann anders heraus, zu unserem Vorteil oder Nachteil.

Aber auch in der Rückschau auf unsere Taten sind wir oft merkwürdig blind. Man sollte meinen, niemand wüßte über uns so gut Bescheid wie wir selbst. Aber uns selbst gegenüber sind wir besonders unsachlich. Der Mensch kann nicht leben, ohne „gerecht“ zu sein. Deshalb muß

er sich immer wieder einreden, er sei doch gerecht. Aber wenn einer unsachlich wird, dann befindet er sich in der schwächeren Position. Vor Gott sind wir sowieso in der schwachen Position. Oft sind wir es aber auch gegenüber den Menschen. Einem jeden dünken seine Wege rein. Aber Gott prüft, was im Menschen ist. Das eigene Urteil ist ganz unmaßgeblich. Dennoch gilt:

 

(2.) Gott bringt unser Werk voran: Im Bewußtsein registrieren wir viel deutlicher die Fälle, in denen die Ampeln vor uns auf Rot stehen. Die grüne Welle lassen wir uns meist unbedacht gefallen. Aber was zunächst als eine Behinderung aussah, kann Bewahrung und Befreiung sein. Die Menschen auf einem Schiff schimpfen vielleicht, wenn der Steuermann sehr schnell das Steuer herumwirft. Aber in Wirklichkeit wollte er nur einer Sandbank ausweichen. Man kann nicht immer geradeaus fahren. Wo wir uns nicht erhört fühlen, da hat Gott in Wirklichkeit aufmerksam zugehört und weise entschieden. Gott ist unsichtbar zur Stelle und tut sein Bestes für uns. Wenn Gott unsere Pläne durchkreuzt, dann bringt er in Wirklichkeit unser Werk voran.

Ein Mann erzählte seinen Traum: „Ich ging mit Gott am Strand entlang. Vor meinen Augen zogen Bilder aus meinem Leben vorüber. Auf jedem Bild entdeckte ich Fußspuren im Sand. Manchmal sah ich Abdrücke von zwei Fußpaaren im Sand, dann wieder nur von einem Paar. Immer dann, wenn ich unter Angst, Sorge oder dem Gefühl des Versagens litt, waren nur die Abdrücke von einem Paar Füße zu sehen. Ich fragte Gott: ‚Wenn ich dich am dringendsten brauchte, warst du nicht für mich da!‘ Er aber antwortete: ‚Wenn du nur ein Fußpaar im Sand gesehen hast, mein Kind, dann habe ich dich getragen‘!“

Die Aufforderung „Befiehl den Herrn deine Wege“ könnte mißverstanden werden, als sollten wir zur Untätigkeit verführt werden. Es ist schon etwas Wahres an den Sprichwörtern: „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ und „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!“ Das Glücklichsein ist nicht allein Sache des Schicksals, so als würde ein Los über uns geworfen, sondern auch eine Aufgabe. Es gilt, aus dem Leben etwas zu machen, die Chancen auszuschöpfen, die Aufgaben anzupacken, das Leiden sinnvoll zu verarbeiten und in etwas Fruchtbares und Aufbauendes zu verwandeln .

Aber in den dunkelsten Stunden leben auch wir Christen oft, als gäbe es keinen Gott. Wir wollen uns nicht führen lassen, sondern selbst steuern. Da fragen wir eher nach Gewinn und Erfolg als nach Gehorsam. Da redet man sich ein, in dieser Lage sei es Leichtsinn, sich auf Gott zu verlassen, jetzt können man nur noch sich selber helfen.

Doch in den Sprüchen heißt es: „Wälze dein Tun auf Gott!“ Alle auf uns liegende Last dürfen wir von uns wegwuchten und getrost unserem Gott auflasten. Wir brauchen nicht krampfhaft festzuhalten, was nicht unsere Sache ist. Wer auf selbstgebasteltes Glück aus ist, wird es verfehlen. Wer sich aber Gott in die Hände gibt, wird das Glück finde. Gerade wenn es nach Gott geht, wird es vorangehen.

Es gibt keine Bereiche und Vorgänge im Weltgeschehen, auch im neuen Jahr, in denen Gott nicht seine Hand hätte. Selbst der „altböse Feind“ muß letztlich Gott in die Hände arbeiten. Gott wird sein letztes Wort noch sprechen. Wer sich nur auf glatte Lösungen einlassen will, weiß noch nichts von der Freude des wagenden Vertrauens.

Am Tag des Herrn werden wir Gott von Angesicht zu Angesicht sehen. Da wird herauskommen, was Gottes Zweck gewesen ist. Sicher gibt es auch Widrigkeiten, aber ihnen ist der Charakter des Endgültigen genommen. Uns müssen alle Dinge zum Besten dienen.

 

 

Klagelieder 3, 22 -26 und 31 – 32 (16. Sontag nach Trinitatis):

In Jerusalem gibt es die Klagemauer, 19 Meter hoch und aus riesigen Steinquadern gefügt. Sie stammt noch von dem Tempel zur Zeit Jesu und die untersten Schichten sollen sogar noch vom ersten Tempel aus der Zeit Salomos stammen. Sie ist bis heute der Wallfahrtsort für viele fromme Juden, die dort über die Zerstörung Jerusalems und des Tempels weinen, aber sicher auch manche persönliche Klage vorbringen. Wenn die Steine hören könnten, dann hätten sie sicher von viel Elend und Schmerz, von Bitten und Hoffnungen etwas vernommen.

Wo sind unsre Klagemauern? Mancher klagt nur innerhalb seiner vier Wände und trägt nach außen ein unbekümmertes Gesicht zur Schau. In den Wartezimmern der Ärzte oder Behörden kann man auch manche Klage hören. Und Tränen und Schmerz sind an Friedhofsmauern üblich. Aber noch besser ist es, wenn man einen Menschen als Klagemauer hat. Vielleicht ist es einer, der uns als Verwandter oder Nachbar besonders nahe steht. Aber vielleicht ist es auch ein entfernterer Freund, der versteht, was uns bewegt, und der uns zuhört.

Natürlich können wir auch Gott unser Herz ausschütten. Der Gottesdienst ist eine besondere Gelegenheit auch zur Klage. Wenn die Glocken noch läuten und wir still in der Bank sitzen, ist dazu Gelegenheit. Aber auch wenn im Schlußgebet die Gelegenheit zum stillen Gebet gegeben wird. Aber natürlich können auch sonst einmal die Gedanken abschweifen und sich mit persönlichen Problemen mehr oder weniger beschäftigen.

Besonders bei Trauerfeiern werden viele Menschen besonders angerührt. Sie hören manchmal etwas heraus, was der Prediger gar nicht im Blick gehabt hat. Aber weil man innerlich aufgewühlt war, hat man ganz anders hingehört und mitgedacht und ist angesprochen worden. Die Klage anderer Menschen ist einem selber Hilfe und Trost geworden.

Unser Bibelabschnitt ist umgeben von vielen Klageausbrüchen. Das Buch spiegelt die Schrecknisse der Belagerung und Eroberung Jerusalems. Der Dichter hat vielleicht dem Königshof angehört und noch bis zuletzt auf Rettung gehofft, mußte dann aber mit dem König aus der Stadt fliehen. Alle Leiden und Drangsale dieser schweren, Zeit, die mit der Verschleppung eines großen Teils des Volkes nach Babylon endeten, hat er selber mitgemacht.

Der glaubende Mensch soll hinter all diesem Geschehen sogar Gott am Werk sehen. Das ist eine schreckliche Erfahrung, wenn man erkennt: Gott selber war es ja. Daß so etwas in der Bibel steht, wird manches Kopfschütteln bei uns hervorrufen. Gott ist nicht nur ein harmloser „lieber“ Gott. Wer so etwas meint, der wird der Erfahrung des unbequemen und ängstigenden Gottes schutzlos ausgesetzt sein. So hat es Wolfgang Borchers in seinem Theaterstück „Draußen vor der Tür“ beschrieben: Da kommt ein Soldat aus dem Krieg heim, das Haus ist zerstört, die Frau.ist bei einem anderen, und er fragt: „Wo bist du lieber Gott?“ Wenn man immer nur von dem lieben Gott gehört hat, dann kann man solche schmerzlichen Erfahrungen nicht aushalten, dann zerbricht der Glaube.

Die Klagelieder machen deutlich, daß zum Glauben auch die Anfechtung gehört. Man kann zuweilen auch an Gott irre werden und ihn aus den Augen verlieren. Man kann dem schrecklichen Gott begegnen, dem richten Gott des Gesetzes. Das ist sozusagen die Rückseite des Glaubens, die auch mit dazu gehört. Auch ein Christ hat nicht ein für allemal einen Stand­punkt gefunden, an dem er dem Zorn Gottes nicht ausgesetzt wäre.

Und dennoch hat dieser Bibelabschnitt einen anderen Grundton, es gibt noch eine Hoffnung. Auch wenn es schlecht um mich oder mein Volk steht, sagt der Verfasser: Ich hoffe noch! „Die Güte des Herrn ist es, daß wir rieht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß!“

Damit nimmt alles eine unerhörte Wende: Mitten in der Finsternis, in der der Verfasser die Hand nicht mehr.vor den Augen sieht, staunt er, daß er noch atmen und leben kann und ihm noch die Sonne scheint. Er weiß sich jeden Morgen neu umgeben vor der Treue Gottes, die Unverbrüchlichkeit der Gnade Gottes wird ihm zum Halt. Gott ist immer voll Güte und Erbarmen, wie verzweifelt die Lage auch im Augenblick zu sein scheint.

Das ist kein billiges Rezept, um sorglos in die Zukunft hinein zu leben. Aber hier zeigt sich die Hoffnung eines Menschen, der sich in auswegloser Lage an seinen Herrn wendet und etwas von ihm erwartet. Gott meint es ja gut mit den Menschen. Es geht ihm nahe, wenn die Seinen leiden müssen, auch wenn sie selbst daran schuld sind und zu Recht leiden müssen.

Der Glaube vernimmt das „Ja“ hinter dem „Nein“ Gottes. Er weiß, daß Gott verborgen ist. Er ist unseren Sinnen und unserem Verstand nicht erreichbar; und sein Handeln läuft oft dem zuwider, was wir uns vorstellen und ausrechnen.

Wir haben nicht die Formel, nach der Gott die Welt regiert, so daß wir ihm sein Tun nachrechnen könnten. Wir können ihn nicht immer verstehen. Aber hinterher entdecken wir dann manchmal, wie er mit uns verfahren ist und daß es im Grunde ganz recht so war. Jedenfalls können wir aus Glück oder Not, Gesundheit oder Krankheit, Erfolg oder Scheitern nicht schließen, wie Gott gegen uns gesinnt ist.

Woher hat denn der Dichter der Klagelieder mit einem Male diese Gottesgewißheit? Er hat sie aus der Glaubenstraditionseines Volkes. Diese Sätze hat er sicher schon oft im Gottesdienst gehört. Aber jetzt gehen sie auf einmal zu Herzen und gewinnen ihre Leuchtkraft als Zusagen auch für die Gegenwart. Dahinter steht die Erfahrung vieler gläubiger Menschen, die leiden und klagen mußten und doch auf Gott hofften. Sie haben ihre letzte Zuflucht bei Gott gesucht. So wurde ihre Klage gewendet und die Freundlichkeit Gottes wurde ihnen wieder deutlich gemacht.

In den Katastrophen unseres Lebens sollten wir nicht alles um uns herum vergessen, sondern frühere Erfahrungen festzuhalten versuchen. Es könnte einem einfallen, was man einmal an Katechismusstücken und Liedern gelernt hat oder was einem aus dem Ablauf des Gottesdienstes vertraut ist. Wir brauchen unsre Krisensituationen nicht nur mit unseren eigene Erfahrungen zu bestreiten, sondern wir können zehren von den Erfahrungen anderer Christen und der ganzen Kirche.

Wir können auch an die Zuwendung Gottes in Jesus Christus denken. In der Auferstehung Jesu wurde ein Neuanfang gesetzt, der alle Morgen neu ein Angebot der Güte und Barmherzigkeit unseres Gottes ist. An Jesus Christus können wir ablesen, wie Gott zu uns steht, und nicht am Lauf der Welt oder an unserem persönlichen Schicksal.

So können wir immer wieder vom Gott des Gerichts zum Gott der Gnade fliehe. Natürlich haben wir es hier wie dort mit dem gleichen Gott zu tun. Aber er steht in einer zweifachen Beziehung zu uns. Gott kann uns das Gericht nicht ersparen. Aber sein eigentliches Werk sieht er im Begnadigen. Er hält an uns fest, auch wenn wir loslassen und versagen. Er hat sich selbst an uns gebunden und steht in Liebe zu uns, komme was da wolle.

Deshalb wäre es falsch, in stumpfer Sprachlosigkeit mit seinem Schicksal allein zu bleiben, enttäuscht und gelähmt. Man kann sich in einer solchen Lage auch bewußt gegen Gott verriegeln und einfach behaupten, mit Gott sei doch rieht mehr zu rechnen. Dieser Bibelabschnitt aber macht uns deutlich: Ein solches Verstummen entspricht in keiner Weise dem, was Gott selber will und denkt. Gott ist dem, der ihn sucht, freundlich zugewandt, er ist empfangsbereit für den, der sich zu ihm auf den Weg macht. Nur gehören eben Geduld und Ausdauer auch dazu, man muß den Weg auch bis zum Ende gehen und nicht schon vorher im Kummer steckenbleiben.

Der Verfasser hofft auf den Wandel der äußeren Situation. Doch er meint das nicht im Sinne: Es kommen auch einmal wieder andere Zeiten? Er hofft vielmehr auf Gott, den es ja selbst zu den Menschen drängt. Nach der Zeit der Betrübnis führt Gott nur zu gern glücklichere Zeiten herauf. Er brennt geradezu darauf, nach den Unwettern wieder die Sonne scheinen zu lassen. Im Himmel ist Jubel, wenn ein Verlorener heimkehrt.

An manchen Häusern gibt es noch eine Sonnenuhr. Wenn die Sonne scheint, fällt der Schatten des Stabes auf die Skala und zeigt die Uhrzeit an. Bei trübem Wetter allerdings funktioniert dieses System nicht. Deshalb steht an einer Sonnenuhr in Latein der hintergründige Spruch: „Wenn die Sonne nicht scheint, ist Geduld nötig!“ Die Sonne existiert auch hinter den Wolken. Man kann mit Bestimmtheit sagen, daß sie wieder durch die Wolken brechen wird. So dürfen wir auch immer wieder auf die Liebe Gottes hoffen. Er hat uns tief in sein Herz sehen lassen, als er Mensch wurde. Er hätte nicht zu uns zu kommen brauchen. Aber es hat ihn zu uns gezogen, weil er uns zu sich ziehen wollte. Deshalb wissen wir immer, wohin wir fliehen können.

 

 

 

 

 

 

Matthäus

 

 

Mt 2, 13 – 18 (1. Sonntag nach dem Christfest):

Heute wäre an sich Gelegenheit zu einer gemütlichen Nachfeier zum Weihnachtsfest. Etwas vom Glanz des Festes liegt noch auf diesen Tagen. Aber die Geschichte vom Blutbad an der Krippe reißt uns aus unsren Träumen. Da ist es aus mit unsrer Feiertagsstimmung, da sind wir wieder mitten in unserer leidgequälten Welt. Auch an diesem Fest haben wieder viele Mütter um ihre Kinder geweint, die verhungert oder erfroren sind, die durch Krankheit oder Gewalttat umgekommen sind.

Unsre Welt ist voll dunkler Geheimnisse. Weihnachten ist nicht dazu da, daß wir einmal alles Dunkle und Böse vergessen. Jesus ist nun einmal unter nicht gerade erfreulichen Umstände- geboren worden. Er wurde nicht nur voller Freude angebetet, sondern es geschahen auch Haß und Mord. Jesus hatte es mit der gleichen Welt zu tun wie wir. Ja, in mancher Hinsicht hat er sogar noch mehr ihre Gewalt erlebt als wir.

Hieran können wir prüfen, wie tief die Weihnachtsfreude in unsre Herzen gekommen ist. Hält sie auch noch, wenn das Fest vorbei ist und das unfeierliche Alltagsleben beginnt? Wenn Belastungen und Erprobungen kommen? Hat die Weihnachtsfreude sich an Jesus entzündet, dann kann sie bleiben. Diese Chance haben wir immerhin. Gott jedenfalls will, daß es Weihnachten bleibt.

Daß ein bedeutender Mann in den Tagen seiner Kindheit verfolgt wird, wurde in der Antike oft erzählt. Wir kennen es besonders aus dem Alten Testament von Mose. Die Inhaber der Macht mußten halt immer den neuen Mann fürchten und versuchten ihn deshalb mit allen Mitteln niederzuhalten, auch vor dem Verbrechen wurde nicht zurückgeschreckt.

Auch vom Kaiser Augustus hat man übrigens auch von einer frühen Verfolgung erzählt. Aber bei ihm war die Gefährdung nur eine vorübergehende Sache. Sie war nur Vorspiel zu Macht und Herrschaft, Erfolg und Glanz. Bei Jesus aber kündigt die Verfolgung des Kindes an, was auch späterhin Jesu Los sein wird. Der Sohn Gottes ist nun einmal unbehaust in der Welt, ist ein Flüchtling.

An den Kindern merkt man noch am deutlichsten, wenn Unrecht und Gewalttat geschehen. Einer treibt eine ehrgeizige Machtpolitik, und die Kinder verbrennen unter Phosphor und Napalm. Oder die Eltern streben nach höherem Lebensstandard und die Kinder kommen darü­ber zu kurz, werden in Krippe und Hort abgeschoben. Der Kindermord von Bethlehem geht in anderen Formen auch heute weiter.

Nun könnte aber der Eindruck entstehen: Den wird als Retter und Helfer predigen, der kann sich ja selber nicht helfen! Wir hören auch der Vorwurf: Nach fast 2000 Jahren Einwirkung auf die Menschheit ist die Welt immer noch nicht in Ordnung gebracht. Nicht einmal Jesu eigene Gemeinde ist frei von Leid und Schuld.

Aber Jesus ist nicht mißraten, was er gewollt hat. Er hat gar nicht gewollt, was wir allzuleicht von ihm erwarten. Auch für Jesu Leute wird die Anfechtung nicht Durchgangsstadium sein, sondern sie das ganze Leben über in Unruhe halten. „Wir haben hier keine bleibende Stadt!“ hat man schon bald in der Christenheit erkannt.

Gott weiß, warum er seinem Volk das Leiden verordnet hat. Denn in der Rückschau stellen wir oft fest: die getragenen Lasten haben uns im Grunde nur fester mit ihm verbunden, jedenfalls mehr als das Leichte und Angenehme. Auf alle Fälle dürfen wir wissen:  Wenn es zu leiden und zu tragen gilt, dann finden wir Jesus erst recht in unsrer Nähe.

Sein Gegenüber ist Herodes. Wo Jesus ist, da tritt auch immer sogleich ein Herodes auf. Die Welt sträubt sich eben mit aller Macht gegen den Plan Gottes. Und Herodes symbolisiert die „Welt“ in einem besonders zugespitzten Sinne. Die Geschichte vom Kindermord ist zwar eine Legende. Aber der wirkliche Herodes war tatsächlich so. Er hat ungezählte Menschen hinrichten lassen, auch aus der eigenen Familie. Er war ein Fremder und deshalb bei den Juden besonders verhaßt. Seine Herrschaft konnte er nur mit Gewalt aufrechterhalten.

Zudem war es eine Zeit heißer Messiaserwartungen. Die Annäherung der Planeten Jupiter und Saturn im Jahre 7 vor Christus hatte die Erwartungen noch aktualisiert. Die Ankündigung beim Propheten Micha hatte die Aufmerksamkeit auf das kleine Bethlehem gelenkt. Die Erinnerung an den Kindermord des ägyptischen Pharao war nicht verblaßt. Und Herodes war so ein kleiner Pharao.

An Herodes kann man ablesen, was sich in der Weltgeschichte immer wieder ereignet: Macht wird nicht im Dienst an den Menschen benutzt, sondern um ihrer selbst willen festgehalten. Je schwächer die Position eines Tyrannen ist, desto grausamer und unmenschlicher ist sein

Umgang mit der Macht. Vergleiche mit gegenwärtigen Ereignissen sind rein zufällig und beabsichtigt. Gewalt ist nicht ein Zeichen vor Stärke, sondern von Schwäche und Angst. Doch die Völker haben es immer wieder mit ihrem Blute bezahlen müssen.

Jesus aber setzt der Gewalt nicht neue Gewalt entgegen. Er handelt nicht nach dem Prinzip: „Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil!“ Bei Jesus geht es vielmehr um Dienst und Einsatz bis zur Drangabe des eigenen Lebens. Jesus will nicht die weltliche Herrschaft ablösen, so als wäre sein Reich von dieser Welt. Insofern brauchte Herodes nicht um seinen Thron zu fürchten, denn das künftige Königtum dieses Kindes ist von anderer Art.

Jesus hält es nicht mit dem Mächtigen, aber er steht ganz inmitten seines Volkes. Mit diesem Volk ist er verbunden, dort ist er zu Hause. Die Zitate aus dem Alten Testament machen deutlich: Jesus steht mit seinem Volk in einer Schicksalsgemeinschaft, so daß sich in seinem Leben noch einmal die Geschichte des Gottesvolkes nachzeichnet. Nach Ägypten ist schon Joseph verkauft worden, seine Brüder sind in der Zeit der Hungersnot nach dort gezogen und schließlich auch noch der Stammvater Jakob. Das Volk Israel war ein Fremdling in Ägypten, so wie Jesus auch. Aber dann gab Gott das Zeichen zur Rückkehr. Wie einst Israel, so zieht schließlich Jesus mit seinen Eltern ins Land der Verheißung.

Aber nicht weil Jesus gekommen ist, sind die Kinder von Bethlehem umgebracht worden, sondern weil immer wieder Kinder ermordet werde, ist Jesus in die Welt gekommen. Der Kindermord von Bethlehem ist nur  e i n e  T a t  der Grausamkeit in einer grausamer Welt. Alle Augenblicke geschehen auf unsrer Erde die entsetztlichsten Dinge. Und in diese Welt voller Angst und Leid und Grausamkeit kommt Jesus und bringt ihr die Liebe Gottes. Er bleibt auch nicht nur am Rande dieser Welt stehen, wo das Leben noch erträglich ist. Vielmehr kommt er mitten hinein in Leid und Elend dieser Welt und hat am Leiden der Menschen teil.

Man könnte meinen, Jesus habe sich das Leiden erspart, das seinen Altersgenossen auferlegt worden ist. Aber das sah nur für eine Weile so aus. Jesus hat in noch tiefere Tiefen hinein müssen. Im Augenblick wurde er noch gerettet. Wenn er selber reden und handeln kann, wird er aber wieder der gleichen Gewalt gegenüberstehen. Und dann wird ein Vertreter des Römischen Reiches das Todesurteil gegen ihn unterschreiben.

Doch bei allem behält Gott die Fäden in der Hand. Herodes denkt, er könnte den glimmenden Funken austreten. Doch Gottes unsichtbare Regie versagt nicht. Zunächst einmal gibt er dem Joseph den Befehl, mit dem Kind zu fliehen. Er mußte seinen Beruf aufgeben und ein Flücht­lingsleben dafür eintauschen.

Näher hätte gelegen, daß sich Joseph bei Gott beklagt hätte und mißtrauisch einen eigenen Plan entworfen hätte. Oder er hätte sich zwar dem Befehl Gottes gebeugt, aber nur mürrisch und unzufrieden. Aber bei Joseph kam der Gehorsam aus einem tiefen Vertrauen. Sein schnelles Gehorchen bestätigt das. Er tut, was in dieser Stunde fällig ist. Solche Menschen wie Joseph brauchen wir, die durch ihre Entschlossenheit das Leben retten und vertrauensvoll Gottes Willen tun.

Auch in der Bibel gibt es nicht immer die glatten Lösungen. Gott kann auch verborgen sein. Aber er ist dennoch der Gott, der uns bei der rechten Hand hält. Keiner schafft es, Gott aufzuhalten. Gottes Wille ist die Erlösung der Welt, und diesen Willen führt er zu Ende. Alle haben sie dabei im Heilsplan Gottes ihren Platz: Maria und Joseph, deren Leben um des Jesuskindes willen so leidvoll verlief, die Mütter vor Bethlehem und ihre hingemordeten Kinder, sogar die Soldaten, die den Mordbefehl vollstrecken mußten. Aber vorerst sollte Jesus noch bewahrt werden, weil Gott ihn noch brauchte zur Erfüllung des ihm gegebenen Auftrags. Zunächst traf es die anderen statt seiner. Nachher wird es ihn treffen an unsrer Stelle.

Wir haben auch alle unsren Platz im Heilsplan Gottes. Er möchte, daß wir an guter Ordnung mitwirken und Leiden und Greuel verhindern. Aber oft müssen wir uns anklagen, daß wir die Leiden anderer nicht gesehen und beachtet und uns selbst in Sicherheit gebracht haben. Doch wir gehören hinein in diese Welt mit all unseren Hoffnungen und Ängsten. Wenn wir das heute begreifen, dann hat es sich gelohnt, daß wir uns aus unsrer Feiertagsstimmung haben aufschrecken lassen.

Letztlich werden wir dadurch auch nur hingewiesen auf den Heiland der Welt. Wir dürfen uns stärken lassen in der Gewißheit: Bei Gott ist seine Gemeinde auch mitten in der Drangsal wohl geborgen.

 

 

Mt 4, 12 – 17 (1. Sonntag nach Epiphanias):

„Wir fahren in die DDR zur Jugendweihe“, sagte eine Frau zu ihrer Nachbarin, „dort gibt es ja keine Konfirmation, die machen dafür Jugendweihe!“ Ein typisches Vorurteil eines Außenstehenden, der die wahren Verhältnisse nicht kennt, aber mitreden will. Selbstverständlich gab es in der DDR die Konfirmation wie im übrigen Deutschland auch. Aber offenbar sahen viele Westdeutsche - und sehen es auch noch heute so - den Osten Deutschlands als ein halbheidnisches Gebiet an. „Wir mußten denen doch erst wieder den Glauben bringen!“ war nach der Wende von mancher Kanzel zu hören. Die Überheblichkeit auf wirtschaftlichem Gebiet wurde auch auf das Gebiet des Glaubens ausgedehnt.

Ernsthafte Geschichtswissenschaftler haben übrigens auch eine ähnliche Theorie vertreten: Der Ostern sei erst spät christianisiert worden, zum Teil erst im 11. Jahrhundert. Deshalb sei es den Menschen dort leichter gewesen, nach 500 Jahren zur Reformation Luthers umzuschwenken. Und wenn man weiter denkt, dann müßte man sagen: Nach weiteren 500 Jahren sind sie dann ganz vom Glauben oder doch wenigstens von der Kirche abgefallen.

Doch vielleicht gibt es dort bis heute ein ernsthafteres Christentum als in unserer Spaßgesellschaft. Weil der Staat nur echte religiöse Aktivitäten duldete, durfte die Kirche keine Frei­zeit­beschäftigung wie Basteln oder Spielen anbieten, sondern es mußte immer um christliche Verkündigung gehen.

Natürlich wurde auch gebastelt und gespielt. Wenn es bei einer Konfirmandenfreizeit nach dem Mittag zum Skilaufen ging, dann hieß das offiziell: „Praktische Übungen zum ersten Glaubensartikel“ Aber bei jeder Veranstaltung der Kirche gab es mindestens so etwas wie eine Andacht oder ein Gebet, zum Kirchenkonzert gehörte mindestens ein Gedicht mit christlichem Inhalt oder Gunter Emmerlich konnte in der Kirche nur sein sogenanntes Kirchenprogramm machen. Vieles von dieser Einstellung ist bis heute geblieben.

Aber es dürfte natürlich klar sein: Echten Glauben gibt es sowohl im Osten wie im Westen, genauso wie es überall Unglauben gibt. Es gibt keine „Kirchenwüste“, in der es sich gar nicht mehr lohnt, noch etwas zu investieren, wo man nur noch wenig Pfarrer hinschickt und nur noch den Bestand verwaltet. Glauben kann man überall, das ist nicht vom politischen oder wirtschaftlichen System abhängig.

Auch Galiläa, der Landstrich im Norden Israels, galt als halb heidnisch. Schon im Jahre 732 hatte der assyrische König dieses Gebiet um den See Genezareth - das Stammland der Stämme Sebulon und Naftali - zu seiner Provinz gemacht und die Oberschicht des Volkes in die Gefangenschaft geführt. Die Übriggebliebenen hatten sich an die heidnischen Religionen - wir würden heute sagen: „an die herrschenden Anschauungen“ angepaßt. Sie galten als das „Volk, das im Finstern saß“.

Doch ausgerechnet hier beginnt Jesus seine Wirksamkeit. Als Johannes der Täufer gefangengesetzt wird, sieht Jesus das als Zeichen an, nun mit seinem Wirken zu beginnen. Er nimmt seinen Wohnsitz in Kapernaum und fängt an zu predigen.

Doch das hängt nicht damit zusammen, daß er nun endlich erwachsen geworden ist und das Elternhaus verläßt, um auf eigenen Füßen zu sehen. Jesus konnte sich gar nicht aussuchen, was er tun sollte, weil der Plan seines himmlischen Vaters schon längst fest stand. Der Beginn seiner Wirksamkeit in Kapernaum ist Erfüllung dessen, was Gott durch seine Propheten längst hat sagen lassen. Der unscheinbare Ortswechsel ist in Wirklichkeit der Beginn der Herrschaft Gottes.

Daß Gott in der Welt herrscht, das ist die gute Botschaft, die wir an Weihnachten gehört haben, die wir jeden Tag hören können, die auch uns gilt. Im neuen Jahr gelten nicht nur die Gesetze der Politik und der Wirtschaft, sondern in erster Linie ist Gott am Werk.

Die offiziellen Kreise in Jerusalem haben sicher nicht viel auf die Verheißung des Jesaja gegeben. Die große Wende in der Geschichte zwischen Gott und den Menschen konnte doch nicht aus dem ungläubigen und verrufenen Galiläa kommen.

Was bei diesen Leuten Bedenken hervorruft, ist in Wahrheit Gottes Plan. Gott ist eben so, daß er mit den Kleinen und Verachteten anfängt. Deshalb siedelt sich Jesus gerade dort an, wo Menschen wohnen, die Gott fern sind und sich wohl auch schon daran gewöhnt haben. Gott beginnt bei den Abgehängten, den Aufgegebenen, den Vergessenen, bei denen, die eigentlich nicht mehr dazugehören. Damals, als die Assyrer kamen, haben die Galiläer das Gericht Gottes als erste erlitten. Nun zur Zeit Jesu sollen sie auch zuerst seine Gnade zu verspüren bekommen.

Das ist auch die Chance für uns, für die Gemeinde und für jeden Einzelnen. Wenn wir uns auch so vorkommen wie die Galiläer, wenn wir einmal versagt haben und ganz unten sind, dann ist Jesus doch auf unsrer Seite und führt uns heraus. Da hat einer den Beruf nicht kriegen können, den er sich zunächst gewünscht hatte; aber nachher hat er entdeckt, daß der andere Beruf viel interessanter und ausfüllender ist.

Oder da hat einer das Mädchen nicht zur Frau gekriegt, das er gern gehabt hatte; aber nachher ist er froh, daß es nichts geworden ist, weil er sich durch das Äußere hat blenden lassen. Oder da ist einer durch eine Krankheit aus der Bahn geworfen worden und sah das erst als ein großes Unglück an; aber nachher stellte sich das als das Glück seines Lebens heraus - und er hat es nun besser als vorher.

Wenn jemand ein schweres Unglück widerfährt, dann ist das nicht ein Zeichen dafür, daß Gott ihn verlassen hat. Der Betreffende darf im Gegenteil sicher sein, daß Gott ihm besonders nahe ist. Wo Jesus hinkommt, da entsteht wieder Freude in einem Menschenleben, so wie wenn ein Schiff in Seenot plötzlich das ersehnte Leuchtfeuer sichtet. Auch heute ist Jesus stärker als alles Dunkle in unserem Leben, stärker als Schmerz und Kummer, als Einsamkeit und Trauer. Wir brauchen uns nicht mit unserem Versagen abzuquälen und brauchen es nicht krampfhaft bemänteln. Selbst wenn der Tod einen Schlußstrich unter ein Leben zieht, dann geht nicht ein für allemal das Licht aus. Jesus zeigt uns, daß der Tod nicht die Endstation unseres Lebens ist; er ist stärker als Tod und Vergänglichkeit.

Doch wir fragen vielleicht: Was hat Jesus damals konkret verändert, was hilft er uns heute? Wir sind doch sehr darauf aus, den Nutzen einer Sache festzustellen: Wie hoch ist der Zuwachs am Volkseinkommen? Welche sozialen Probleme wurden mit Erfolg angefaßt? Gerechtigkeit für alle, besonders für die Zukurzgekommenen, war schon immer ein Ziel und ist ja auch bei uns heute ein Schlagwort.

Man kann sicher nicht behaupten, Jesus habe die Welt gar nicht verändert. Sein Wirken war vielleicht mehr wie ein unterirdischer Strom, der aber viele Quellen speist. Nach weltweit verändernden Taten und Maßnahmen dürfen wir da wohl nicht fragen. Jesus ist kein Georg Bush, der die Bösen in der Welt zielsicher ausmacht und vernichtet. In Jesu Handeln geht es nicht nur um ein soziales Anliegen. Das gehört mit dazu: Jesus hat Einzelne aus ihrem Schattendasein herausgeholt, er hat ganze Gruppen wieder in die Gesellschaft eingefügt. Gleich zu Anfang wendet er sich sogar einer ganzen Landschaft zu. Die nicht ganz für voll Genommenen werden von ihm aufgewertet. Ihr gesellschaftliches Schicksal wird zur Sprache gebracht und es wird ihnen die Menschenwürde wiedergegeben.

Aber das ist nicht alles: In erster Linie geht es darum, daß bei den Verlorenen ein großes Licht aufgehen wird. Wo Jesu hinkommt, wird es hell. Da wird ausgeräumt, was die Menschen von Gott trennt. So kann die ganze Welt wieder heil werden.

Als kirchliche Leute rechnen wir uns wohl eher zu denen wie in Jerusalem. Wir sind wohlerzogene Kirchgänger, sagen immer „Amen“ zur Predigt und führen ein Leben in guter Ordnung. Solche Menschen machen weniger zu schaffen als die Gescheiterten. Wenn ich aber eher ein „Galiläer“ bin, einer von den Abgehängten, mit allerhand Flecken im Lebenslauf und voller Zweifel, dann ist Jesus gerade an mir interessiert ist. Gott will immer die am meisten, die es am nötigsten haben.

Wir haben einen Gott, der unter uns wohnt. Er hatte sein Haus in Kapernaum und er hat sein Haus bei uns inForm der Kirche. Dort wird sein Wort gepredigt, die Taufe gespendet und das Abendmahl ausgeteilt. Jede Stadt ist mit der Gegenwart Christi beschenkt. Dadurch ändert sich viel in der Welt. Die Politiker wollen die Welt verändern durch Umorganisation, durch Gesetze, durch die Ausübung von Macht, durch sogenannte „Reformen“, die in Wirklichkeit doch nur Rückschritt sind.

Jesus aber ruft die Menschen zur Umkehr auf und verkündet den Anfang des Reiches Gottes. Er erobert unsre Herzen, indem er uns Vertrauen abgewinnt, Glauben weckt, Hingabe herausfordert und Geborgenheit schenkt.

Jesus beginnt mit der Predigt. Wir können es schon verstehen, wenn Menschen sagen: „Die Kirche soll nicht so viel reden, sondern viel tun!“ Aber die Kirche soll auch predigen. Jesus hat es getan, und er hat es der Kirche aufgetragen. Sie hat zu sagen, was wir gerade nicht tun können und was Gott allein tun kann und tut.

Das ist natürlich äußerlich gesehen der schwerere Weg, wenn Jesus unsere Herzen sucht. Aber so und nicht anders wird die Welt für Gott gerettet. Wenn Gott mit seiner Liebe zu uns unterwegs ist, das müßte doch ein Anlaß sein, sich ihm vertrauensvoll zuzuwenden. Gott vergibt die große Abwendung von ihm, er ruft zur Umkehr auf und lädt zur Heimkehr ein. Nichts steht mehr zwischen uns und ihm. Das ist die gute Botschaft, die uns auch in diesem neuen Jahr gilt.

 

 

Mt 5, 1 - 10 (Reformationsfest):

Möchten wir eigentlich zu denen gehören, die hier glückselig gepriesen werden? Das sind doch die kleinen Leute, die gesellschaftlich Benachteiligten. Sie sind immer nur Amboß und niemals Hammer. Aber sie sehnen sich nach Gerechtigkeit und möchten selber auch Gerechtigkeit üben. Aber sie sind machtlos und können nur klagen. Früher lag die Benachteiligung vorwiegend in der Armut der Leute. Heute werden wir mehr an die Menschen denken, die ins gesellschaftliche Abseits gestellt werden: Weil sie eine abweichende Meinung vertreten, haben sie keine Aufstiegschancen und werden von den Herrschenden doch so etwas wie Menschen zweiter Klasse angesehen.

Vielleicht zählen wir uns selbst zu diesen Leuten. Wenn man in so einer Lage ist, wird man aber wohl kaum glücklich sein. Doch das ist ja gerade die frohe Botschaft der Seligpreisungen Jesu: Gott wird gerade solche Menschen trösten und ihnen das Himmelreich geben. Indem er das ansagt, beginnt schon die neue Welt.

Dieser Bibelabschnitt wurde früher zum Allerheiligentag gepredigt. An diesem Tag gedachte man der Heiligen, deren Namen man nicht mehr kennt. Untern „Heiligen“ verstand man Menschen, die mehr gute als böse Taten in ihrem Leben begangen haben und die als besonders eng mit Gott verbunden galten. Der Allerheiligentag ist bis heute in der katholischen Kirche der 1. November. Am Vorabend dieses Tages aber hat nach einer Überlieferung Martin Luther im Jahre 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schloßkirche in Wittenberg geschlagen.

Luther meinte allerdings, man sollte sich nicht so sehr um die schon verstorbenen Heiligen kümmern, sondern um die lebendigen Heiligen, um die rechten Christen auf Erden.

Sicherlich können wir von den Christen vergangener Jahrhunderte lernen. Die Geschichte des Glaubens fängt nicht erst mit uns an. Als Kirche der Reformation greifen wir ja immer wieder auf die Ursprünge zurück. Aber viel wichtiger ist doch, daß Gott auch heute mit uns reden will. Er will uns zeigen, wie man als Christ wartet, glaubt und leidet.

Damit hätten wir schon eine Gliederung dieser Seligpreisungen. Nur müssen wir bedenken, daß in all diesen Verheißungen Jesus Christus mit drinsteckt. Er steht verborgen hinter dem Wörtchen „denn“. Er ist es ja, der satt macht und tröstet und das Himmelreich öffnet. Alle diese Verheißungen gelten nicht abgesehen von Jesus. So können wir also sagen: Jesus verbürgt sich dafür, daß es die gut haben sollen, die auf Gott warten, die an Gott glauben und die für Gott leiden.

 

(1.) Gut sollen es haben, die auf Gott warten: Der Philosoph Nietzsche hat gefordert, die Christen müßten erlöster aussehen, wenn er an ihren Gott glauben sollte. Aber hier wird deutlich: Christen sind unsicher in ihrem Glauben, „geistlich arm“ und „angefochten“. Oft kommt es ihnen vor, als sei Gott weit weg. Oft sind sie traurig, nicht anders als andere. Oft meinen sie, es nicht mehr ertragen zu können. Nur Defizit, nur Mangel ist bei ihnen zu finden.

Zu dieser Erkenntnis hatte Martin Luther erst wieder kommen müssen. Gelehrt hatte man ihm, daß man sich durch gute Werke den Himmel verdienen kann. Aber er merkte immer mehr, daß kein Mensch vor Gott etwas vorweisen kann. Je mehr er sich mühte, desto aussichtsloser wurde der Erfolg. Schließlich konnte er nur noch sagen: Hilf mir, Gott, denn ich habe es nötig. So stark wie Hunger und Durst wurde in ihm das Verlangen, so zu werden, daß Gott ihn als Gerechten anerkennen kann.

Es wäre allerdings auch nicht recht, wenn wir das Armsein oder das Leidtragen zu einer Forderung machten, die man erst erfüllen muß, wenn man bei Gott überhaupt Aussichten haben will. Es geht nicht darum, sich in eine Arme-Sünder-Stimmung hineinzusteigern. Das wäre auch wiederum nur ein Gesetz und nicht die frohmachende Botschaft Jesu.

Aber einsehen sollten wir so wie Luther, daß wir Gott brauchen. Gott nötig haben ist des Menschen höchste Vollkommenheit, sagte der dänische Theologe Kierkegaard. Gott ist denen am nächsten, die ihn am nötigsten brauchen. Mancher muß eben immer einen Weg gehen, der ganz unten entlangführt. Er möchte gern anders sein, so wie Gott es sich gedacht hatte. Aber dann kommen immer wieder die Einbrüche und Versager, nicht Zufallspatzer, sondern Anzeichen einer tiefen Gottentfremdung.

Aber Gott sagt zum Glück: „Du brauchst vor mir kein Held und Könner, kein Mensch des Erfolgs und der Leistung zu sein. Wenn du mich nur brauchst und alles von mir erwartest, dann sollst du es gut haben. Den anderen, die alles allein machen wollen, kann ich nicht helfen. Aber dir helfe ich!

 

(2.) Gut sollen es haben, die an Gott glauben: In den Kirchen der Reformation hat man das Glauben oft verengt auf den Glauben des Einzelnen, was er allein mit Gott abzumachen hat. Aber wer von der Barmherzigkeit Gottes lebt, der wird selber barmherzig. Wer Frieden mit Gott hat, der will auch unter der Menschen Frieden schaffen. Das neue Leben entsteht aus Gott. Deshalb haben wir es gut, können es zumindest gut haben.

Barmherzigkeit ist die Liebe zu dem, der es besonders schwer hat. Sie bringt es auch einmal fertig, nicht nach dem Buchstaben des Gesetzes zu handeln, sondern auch dem Schwachen noch eine Möglichkeit zu lassen. Einfacher ist es natürlich, alle über einen Kamm zu scheren und alle exakt gleich zu behandeln. Das wird von Gesetzesmenschen noch am ehesten verstanden. Aber wer die Angst und die Schmerzen des anderen zu seinem eigenen Leiden macht, der wird barmherzig. Er riegelt sich nicht mehr gegen die Nöte und Verlegenheiten des anderen ab, sondern sucht nach einem Ausweg.

Jesus hat so gehandelt. Ihn ließ die aussichtslose Lage seiner Mitmenschen nicht ruhig werden. Gott hatte ihm dem Auftrag gegeben, gerade diesen zu helfen. Dafür hat er es sogar riskiert, es mit den Frommen und Gerechten im Lande zu verderben. Aber er war eben einer von denen, die reinen Herzens sind: er wollte Leben erhalten und fördern, auf das Wohl des anderen bedacht sein, für die Ehre und Achtung des Mitmenschen eintreten und bei dem allen doch Gottes Taten in der Welt rühmen.

Auf diesem Weg allein kann man auch zum. Frieden in der Welt beitragen Christen sind aktive Friedensmacher: Sie werden Verfeindete zu versöhnen suchen, werden verbindend wirken und sich selbst dabei nicht schonen. Wenn man Frieden stiften will, setzt man sich leicht zwischen alle Stühle. Aber nur so lassen sich Spannungen abbauen. Wenn wir einer großen Schritt auf dem Weg zum wirklichen Frieden vorankommen wollen, dann werden wir bei uns und in der Welt eine öffentliche Meinung schaffen müssen, in der der Krieg nicht mehr gedeihen kann.

Gott will Frieden auf allen Ebenen und in jeder Beziehung. Und bei uns müssen wir damit anfangen. Wir können nicht immer nur die anderen zum Frieden aufrufen, sondern haben selber mit gutem Beispiel voranzugehen. Gerade die Kinder müßten erst einmal mit dem Friedenmachen bekannt gemacht werden, ehe man ihnen später eine Waffe in die Hand gibt. In der heutigen Welt darf die Waffe erst die letzte Möglichkeit sein. Sie darf erst in Erwägung gezogen werden, wenn wirklich das eigene Leben bedroht ist. Ein Christ aber wird sich trotz allem auch fragen müssen: „Solltest du nicht auch im äußersten Fall auf Gewalt verzichten und lieber bereit sein zum Leiden?“

 

(3.) Gut sollen es die haben, die für Gott leiden: Niemand soll die Leiden suchen. Vielmehr ist es eine Wohltat, wenn wir Frieden haben und nicht leiden müssen. Aber wir sollten uns nicht nervös machen lassen bei jeder kleinen Konfliktsituation, die uns das Christsein einbringt. Das Leiden ist eine vorauszusehende Folge der Glaubenshaltung eines Christen. Je mehr wir auch zum Leiden bereit sind, desto mehr wird unser Zeugnis vor der Welt an Überzeugungskraft gewinnen.

Daß wir es gut haben sollen, können wir vielfach nur gegen unser Erfahrung glauben. Unser Leben sieht noch anders aus. Es ist wohl mehr vom Leiden als vom Sieg geprägt. Daß dies aber mit zum Glauben dazugehört, ist uns auch durch Martin Luther wieder vor Augen gestellt worden. Er war zum Leiden bereit, weil er nicht von der Wahrheit Gottes lassen wollte. Aber weil er Gott auf seiner Seite wußte, konnte er auch fröhlich und getrost sein. Das Gleiche gilt aber auch von uns: Wenn wir Gott bei uns haben, wird uns das Himmelreich gehören, nicht erst in einer fernen Zukunft, sondern anfangsweise auch schon hier und heute.

 

 

Mt 5, 33- 37 (23. Sonntag nach Trinitatis::

Wenn ein ehrenamtlicher Richter sein Amt als Schöffe antritt, dann wird er für diese Aufgabe vereidigt. Er verspricht, sein Amt unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen auszuüben und die Verschwiegenheit zu wahren. Und dann bekräftigt er sein Versprechen mit einer Eidesleistung, entweder mit den Worten „Ja“ oder „Ja, mit Gottes Hilfe“. Dabei bleibt es freigestellt, ob man die religiöse Beteuerung verwendet oder nicht, es gilt beides gleich gut und verpflichtend.

Auch wenn ein Minister seinen Amtseid ablegt, dann hat er diese zwei Möglichkeiten. Eine Ministerin in Niedersachen, die der CDU angehörte, aber eine Anhängerin des Islam ist, bekräftigte ihren Eid auch mit den Worten „Ja, mit Gottes Hilfe!“ Hinterher fragte man sich: „Bei welchem Gott hat sie denn nun beschworen? War das Allah?“ Die Antwort ist an sich ganz einfach. „Sie hat geschworen bei dem CDU-Gott, denn als Mitglied der CDU muß man keiner religiösen Vereinigung angehören, sondern man muß nur das Parteiprogramm anerkennen.“

Eine Wahrheit wird nicht wahrer, wenn man die beschwört. Und eine Lüge wird nicht zur Wahrheit, wenn man sie unter Eid wiederholt. Der frühere schleswig-holsteinsche Ministerpräsident Rainer Barschel hat auch den Bürgerinnen und Bürgern Schleswig-Holsteins sein

Ehrenwort gegeben und hat doch gelogen und wurde abgewählt.

Wir sollten uns daran gewöhnen, wieder mehr dem klaren „Ja“ oder „Nein“ zu vertrauen. Ein „Ja“ ist ein „Ja“ und ein „Nein“ ist ein „Nein“. Das kommt auch in der jüngsten Änderung des Sexualstrafrechts zum Ausdruck. Früher sagte man noch: „Wenn eine Frau Nein sagt, dann meint die Vielleicht, wenn sie Vielleicht sagt, dann meint sie Ja, und wenn sie Ja sagt, dann ist sie keine Dame!“ Heute aber wird durch das Gesetz unterstrichen: „Ein Nein ist ein Nein“.

Die Sprache ist das Besondere am Menschen. Tiere können nicht lügen. Wenn der Mensch die Wahrheit verdirbt, dann versündigt er sich an dem Besten in ihm selber und vergeht sich damit zugleich am Mitmenschen. Lüge untergräbt die Gemeinschaft und zerstört sie.

Dabei geht es nicht nur darum, daß man etwas behauptet, was nicht ist. Dazu gehört auch: Richtiges nur halb sagen, Wahrheit frisieren, einen falschen Schein erwecken. Es gibt so viele Möglichkeiten, von der reinen Wahrheit abzuweichen.

Dabei haben Lügen kurze Beine. Niemand gewinnt etwas auf die Dauer durch Unwahrhaftigkeit. Einmal kommt es heraus, und dann hat der Lügner das Vertrauen verspielt, das andere ihm bisher entgegengebracht haben, das „Klima“ zwischen den Menschen wird verdorben.

 

Das Wesen des Eides:

Es gibt den Eid, der ein Versprechen unterstreicht, wie der Amtseid oder der Fahneneid. Es gibt aber auch den Eid zur Bekräftigung einer Aussage über einen Sachverhalt. Der Eid soll dann die Wahrheit einer Aussage sichern. Beim Eid mit einer religiösen Formel verflucht man sich selbst für den Fall, daß die Aussage unwahr ist und man ruft Gott als Zeugen an und erwartet dessen Gericht, wenn man meineidig ist. Der weltliche Eid bekräftigt die Aussage nur dadurch, daß man mit einer verschärften strafrechtlichen Verfolgung der falschen Aussage rechnen muß. Und dann gab es früher noch den „Reinigungseid“, wenn Zeugen fehlten und man so seine Unschuld beschwören konnte.

Jeder Schwur, der verlangt oder geleistet wird, bedeutet aber das Eingeständnis: Normalerweise kann man der Wahrhaftigkeit des Redenden nicht sicher sein. Aber bei einer Beteuerungsformel will man ausdrücken: Diesmal kannst du mir glauben!

 

Der Eid zur Zeit Jesu:

Das geltende Recht setzt auch bei uns voraus, daß das Böse in der Welt als grundsätzliche Gegebenheit vorhanden ist. Lebten wir nicht in einer von Sünde gezeichneten Welt, wäre das Schwören vor Gericht nicht nötig. Wer einen Eid fordert oder ihn leistet, gesteht damit ein, daß wir in einer Welt leben, in der man das unbekräftigte Wort nicht zur Grundlage von schwerwiegenden Entscheidungen machen darf. Geschworen wird eben, weil die Lüge eine Gegebenheit ist.

Deshalb hat es schon immer in der Menschheit den Brauch des Eidschwörens gegeben. Die Juden hatten dabei schon immer ein Gespür dafür, daß Gottes Name nicht durch gedankenlosen oder frevelhaften Gebrauch entwertet werden darf. Deshalb wurde bei ihnen geschworen beim Himmel oder der Erde, aber auch „beim Gold des Tempels“. Aber wenn einer „bei Jerusalem“ schwor, dann galt der Eid nichts, dann war das so, wie wenn jemand bei uns bei einer Beteuerung die Finger hinter dem Rücken kreuzt. 

Aber Jesus sagt: Solches Ausweichen bringt überhaupt nichts. Man ist auch mit diesen Umschreibungen an Gott dran, man will auch damit Gott zwingen, tätig zu werden. Man will über ihn verfügen, wenn man ihn herbeiruft zum Zeugen für das, was man bekräftigen will.

Er soll dann zu Diensten sein und wird genötigt, einen Menschen zu verteidigen und zu bekräftigen. Dann ist man sich des Einverständnisses Gottes meist restlos sicher und hält es für selbstverständlich, daß er der Bundesgenosse ist. Man will selber im Recht sein und Recht erhalten und Gott soll der Helfershelfer dabei sein.

Wenn ein Mensch sich in einem Eid selbst verflucht, dann muß er wissen, daß damit Gott sein Herrenrecht genommen wird. So wie er seine Haare nicht weiß oder schwarz machen kann, so kann er nicht über das Ende seines Lebens verfügen. Aber wir leben nicht davon, daß wir recht tun und recht haben, sondern davon, daß wir von Gott angenommen sind.

 

Das neue Verständnis der Wahrheit bei Jesus:

Man muß sich aber einmal klarmachen, was es damals bedeutete, sich in der jüdisch geprägten Umwelt vom Überlieferten abzusetzen. Es ist wohl immer und überall schwer, etwas Neues zu vertreten, denn die Mächtigen sagen dann: „Da könnte ja jeder kommen und es anders machen wollen!“ Dazu kommt zur Zeit Jesu noch: Wenn etwas „zu den Alten“ gesagt ist, dann hat es ja nach der Auffassung vieler Menschen letztlich Gott gesagt.

Es ging Jesus ja nicht darum, an die Stelle der religiösen Vorschriften der Juden eine bessere Regelung für Christen aufzustellen, also eine bessere Moral als sie die Juden hatten. Hier geht es nicht um ein neues Gesetz für Christen. Es gibt sogar einen Fall, wo auch ein Christ einen Eid leisten sollte: Wenn ein anderer vor Gericht einen Meineid schwört, dann muß auch der Christ einen Eid dagegensetzen, sonst wäre das Gericht gezwungen, dem Meineidigen zu glauben. Jesus selbst hat ja in dem Prozeß gegen ihn unter Eid ausgesagt.

Jesus hat auch nicht den Mißbrauch des Eids angegriffen, sondern den Eid überhaupt verneint. Diese radikale Einstellung erklärt sich aus seiner Reich-Gottes-Predigt: Jesus findet sich nicht mit dem sündigen und heillosen Zustand der Welt ab. Er verkündigt das kommende Reich Gottes, auch wenn es noch verborgen ist unter der alten Welt. Einstweilen ist noch eine Kompromißhaltung nötig, denn die alte Welt ist noch nicht aufgehoben. Aber das Bestehende ist dennoch demonstrativ zu durchbrechen dadurch, daß Menschen in der Nachfolge Jesu nicht mehr schwören.

Jesus will sagen: Auch ohne die Bekräftigung durch einen Eid soll das Wort des Christen verbindlich sein wie ein Schwur. Wenn jemand doch die Bekräftigung mit einem Eid nötig zu haben meint, dann ist das ein Zugeständnis an die sündige Welt. Aber natürlich dürfen und sollen wir sonst Gott „in allen Nöten“ anrufen, wie es Luther in seiner Erklärung zum zweiten Gebot sagt, nur nicht beim Schwören.

Man braucht nichts weniger als einen neuen Menschen, so wie es Jesus gewesen ist. In ihm wird das Reich Gottes zur Wirklichkeit. Die Bergpredigt ist die Predigt vom Reich Gottes, das in Jesus zur Wirklichkeit wurde. Dadurch wurde die Welt nicht nur einfach verbessert, sondern da ist ein Durchbruch geschaffen zur neuen Welt Gottes.

 

Es geht Jesus hier in der Bergpredigt nicht so sehr um das achte Gebot „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden“, sondern um die Heiligung des Namens Gottes. Es geht um die Absage an allen Mißbrauch des Namens Gottes. Der Eid ist nämlich nicht nur eine peinliche Selbstbezichtigung des sündigen Menschen, sondern vor allem ein Sich-Vergreifen am Namen Gottes.

Wenn man darauf verzichtet, dann bedeutet das aber auch:

Auf das Wort des Christen sollte man sich auf jeden Fall verlassen dürfen. Ein Christ kann nichts anderes sagen, als was er meint. Gott aber darf dabei mithören. Doch das ist keine Last, sondern wir werden von ihm ernst genommen und verstanden. Wir werden von niemandem so in Schutz genommen und verteidigt wie von ihm. Wenn wir nur immer an ihn dächten, dann wären uns auch die rechten Worte gegeben. Und selbst wenn wir ihn übersehen, dann ist er doch bereit, an uns festzuhalten.

Wir brauchen ihn, wenn wir reden, nicht als Zeugen herbeizurufen. Aber er ist von sich aus der Zeuge und steht für uns ein. Je fester man sich von diesem Christus ergriffen weiß, desto leichter hat man es, wahrhaftig zu sein.

 

 

Mt 5, 38 – 48 (21. Sonntag nach Trinitatis):

Früher waren die Franzosen unsere Feinde. Auf dem Niederwald bei Rüdesheim hat man ein Denkmal aufgestellt, auf dem eine Germania eine Drohgebärde in Richtung „Erbfeind“ im Westen macht. Man hat sich herausgeredet, die Germania sehe ja in Richtung Mainz. Aber ihre Schöpfer haben schon Frankreich im Auge gehabt. Dann waren angeblich die Juden an jedem Unglück des deutschen Volkes schuld, und ihre Vernichtung sollte Deutschland zur vollen Größe verhelfen. Nach dem Krieg waren die „Russen“ die Feinde, die uns zu überrollen drohten. Und heute ist es der Terrorismus, der unsern Wohlstand kaputtmachen will und der deshalb mit Waffengewalt bekämpft werden soll.

Aus dem „Feinden“ sind inzwischen Freunde geworden. Nur bei der gegenwärtigen Bedrohung durch den Terrorismus können wir noch nicht einsehen, daß wir auch diese Menschen lieben sollen. Natürlich können wir zum Beispiel die Moslems unter uns lieben, die sich ja fast durchweg von den Gewalttätern abgrenzen. Aber die Täter selber lieben, das zeigt uns doch, wie unerhört diese Forderung Jesu ist. Daß Gott von uns Vollkommenheit erwartet, das ist ein so hoher Anspruch, daß es uns den Atem verschlägt.

Doch es geht nicht darum, daß wir unsere menschlichen Möglichkeiten immer mehr ausbauen, sondern die Liebe kommt aus der Vollkommenheit Gottes, die uns in den Seligpreisungen zugesprochen wird. Sicher: Das ist wie eine tausend Meter hohe Felswand ohne Vorsprünge und Griffe, die wir nehmen sollen und nicht können. Aber weil unser Vater im Himmel in Jesus Christus nach uns greift, können wir das in der Bergpredigt Geforderte auch umsetzen.

In drei Stichpunkte kann man sich das noch einmal vor Augen führen: Die Liebe, wie sie von Gott zu uns kommt, ist grenzenlose Liebe, ist schöpferische Liebe und ist zukunftsgewisse Liebe.

 

(1.) Grenzenlose Liebe: Liebe auf Gegenseitigkeit fällt nicht schwer, denn man ist ja dabei der Gewinner. Aber auch den Feind mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu lieben, das ist schwer, denn es bedeutet ja, von ihm her zu denken und zu handeln, als wäre man er selbst.

Es liegt in unserer Art, nach der Regel zu handeln: „Wie du mir, so ich dir!“ Tu mir etwas Gutes, dann will ich dir auch Gutes tun. Übervorteilst du mich aber, dann habe ich das Recht, bei nächster Gelegenheit dich zu übervorteilen. Wir bleiben nichts schuldig, wir geben alles zurück. Die Mittel und Wege, die ein Feind gegen uns gebraucht, wenden wir auch gegen ihn an. Und daraus entstehen dann Blutrache und Erbfeindschaft zwischen Völkern, Familien und Menschen.

Aber auch in unserm persönlichen Leben ist es nicht anders. Da geraten wir auch mit anderen aus wichtigem oder weniger wichtigem Grund in Streit. Beliebt sind da ja die Nachbarschaftsstreitigkeiten: Der Hahn, der zu früh kräht, der Hund, der das frisch bestellte Beet umgräbt, die Kinder, die beim Spielen zu laut sind. Solche Dinge können das ganze Leben vergiften und werden oft auf die nächste Generation vererbt.

Es gibt allerdings auch Gegensätze in der Sache, die nicht einfach aufgegeben werden dürfen: Man kann sich ja den Irrtum und das Unrecht des anderen nicht zu eigen machen. Aber auch wenn man einem anderen in der Sache widersteht, kann man doch um ihn ringen und werben. Vielleicht ist die Feindschaft ja gar nicht aus sachlichen Gegensätzen entstanden, sondern aus persönlichen Gründen: Wir können den anderen nicht leiden oder meinen, von ihm ungerecht behandelt worden zu sein. So etwas muß man erkennen und zugeben, dann kann die Einstellung auch anders werden.

Mit dem „Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“ gelangen wir an den Kern der Botschaft Jesu. Im Grunde gibt es gar keine „Feinde“ mehr für uns. Im Sport spricht man ja schon lange vom „Gegner“ und im Geschäftsleben und der Politik sogar noch freundlicher vom „Mitbewerbern“. Das ist ganz im Sinne Jesu. Gut, daß er nicht diskutiert, sondern befiehlt. Da können wir uns nicht mehr einreden, in diesem besonderen Fall müßten wir uns seiner Anweisung entziehen.

Die Leidensgeschichte Jesu ist die Auslegung dieser Verse aus der Bergpredigt: Er geht seinen Feinden nach und bringt ihnen sein größtes Opfer. Er läßt sich abführen, ohne seine Jünger zur Gegenwehr aufzurufen. Er hält seine Backe denen hin, die ihn schlagen. Er nimmt auch die rohen Kriegsknechte menschlich ernst, er wehrt sich nicht und nimmt alles hin. Er betet am Kreuz für seine Feinde, anstatt ihnen zu fluchen.

 

(2.) Schöpferische Liebe: Das Wort „Du sollst deinen Feind hassen“ findet sich nicht im Alten Testament. Es ist nur in falscher Weise aus dem Gebot der Nächstenliebe gefolgert worden: Wenn man nur den Nächsten lieben soll, liegt darin nicht die Erlaubnis, den Feind zu hassen? So haben es auch die religiösen Eiferer im Qumrankloster am Toten Meer ausgelegt. Das Prinzip „Auge um Auge“ war damals schon ein Fortschritt, war besser als die doppelte Vergeltung oder die Blutrache. Zur Zeit Jesu überlegte man schon, ob man den Geschädigten nicht mit einer finanziellen Ersatzleistung zufriedenstellen könnte.

Doch damit kann man eine zerstörte Gemeinschaft nicht wieder aufbauen, dazu gehört etwas mehr. Wenn man nur das Recht für sich in Anspruch nimmt, gibt es keine Zukunft zusammen mit dem anderen. Unvergebene Schuld macht unfrei. Wenn man aber dem Schuldner vergibt, wird seine Freiheit wiederhergestellt und die eigene Freiheit gefestigt.

Jesus lehrt es uns anders, indem er sagt: „Ihr dürft dem Bösen keinen Widerstand leisten!“ An drei Beispielen macht er das klar (diese läßt man von den Konfirmanden vorspielen): „Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die linke hin!“ Der Schlag auf die rechte Backe - die bei einem Rechtshänder ja mit dem Handrücken ausgeführt wird - galt als besonders entehrend. Da muß man schon ein starker Mensch sein, wenn man so etwas still aushält, ohne zurückzuschlagen. Es ist völlig unsinnig, wenn man Jesus Schwäche nachgesagt hat: Er war kein Weich-Ei, sondern ein „cooler Typ“.

Das zeigt auch das zweite Beispiel mit dem Mantel. Es galt als fair, wenn man dem anderen wenigstens noch den Mantel als Kälteschutz ließ, wenn er im Prozeß dazu verurteilt wurde oder wenn er etwas verpfänden mußte oder auch wenn er ganz einfach beraubt wurde. Wer sich aber bis aufs Hemd auszieht, der will damit nicht erreichen, daß der andere sich vor den Leuten unmöglich macht, sondern er will Frieden halten und Frieden schaffen. Und wenn einer freiwillig auch noch den Mantel hergibt, dann hat er das Vertrauen, daß Gott ihm dann besonders beistehen wird (man übertrage das einmal auf den Raub einer Marken-Jacke, wie er ja heute öfter vorkommt!).

Und das Beispiel mit der Meile bezieht sich zum Beispiel auf das Recht der römischen Soldaten, sich jeden Passanten zu greifen und ihn das Gepäck tragen zu lassen, oder auf die Pflicht, als Begleitschutz mit einer Amtsperson mitzugehen (heutiges Beispiel: Jemanden mit Gepäck bei Nacht zum Bahnhof bringen). Jesus meint dazu: „Verwandle das, was man dir vielleicht abgepreßt hat, in eine freiwillige Leistung, in eine Tat der Liebe. Denn wer sich Unrecht gefallen läßt, zeigt damit seinen Willen zur Wiederherstellung der Gemeinschaft!“

Wenn wir immer nur auf das Handeln des anderen reagieren, werden wir immer abhängiger von dem, was der andere tut. Aber ich muß nicht, ich kann auch anders, als der andere mir vorschreiben will. Der Frieden kann nur mit hohem Einsatz und mit Opfern erkauft werden. Und dazu braucht man eine schöpferische Liebe. Gott macht es uns vor, wie man schöpferisch liebt. Er liebt uns ja auch, obwohl wir es nicht verdient haben. Aber dazu gehört auch eine zukunftsgewisse Liebe.

 

(3.) Zukunftsgewisse Liebe: Die Frage ist unvermeidlich: Was soll das alles in unserer Welt? Wohin würde das führen, wenn man einem Schläger erlaubte, weiter auf den anderen einzuschlagen, wenn man im Prozeß sich übervorteilen läßt und auf einen Vergleich eingeht oder wenn man sich eine Nötigung gutwillig gefallen läßt? Die ganze Rechtsordnung würde doch auf den Kopf gestellt. Das Straf- und Zivilrecht und sogar das Völkerrecht sind doch auf Wertausgleich und Wiedergutmachung hin angelegt.

Gestörte Gemeinschaft kann nicht durch Rechthaberei wiederhergestellt werden. Was ist denn gewonnen, wenn man mit dem Flurnachbarn nur noch per Einschreibebrief verkehrt oder mit dem Kollegen kein Wort mehr spricht bis zur Verhandlung vor dem Betriebsrat? Nicht umsonst gibt es unter Kraftfahrern den Witz von dem Leichenstein, auf dem die Worte stehen: „Er hatte Vorfahrt!“

Mit der Bergpredigt wird man nicht die Welt regieren können. Dem Bösen wird oftmals wi­derstanden werden müssen, sicher auch mit der Schärfe des Gesetzes, denn das gehört noch zu dieser Welt und wir sind noch nicht im Himmel. Die Vollendung wird erst mit dem Wiederkommen des Herrn geschehen.

Aber Jesus lädt uns ein, Neues mit ihm zu wagen. Seine Weisungen sind jetzt schon verbindlich. Und sie geben ein Ziel an, auf das wir mit Gottes Hilfe hinstreben sollen. Im Vertrauen auf Gott brauchen wir nicht Böses mit Bösem zu vergelten, sondern können denen wohltun, die uns hassen. Die Bergpredigt ist nämlich nicht für den Himmel gemacht, sondern für die Erde. Aber dazu brauchen wir dann auch eine Liebe, die grenzenlos, schöpferisch und zukunftsgewiß ist.

Es geht gar nicht so sehr darum, daß der Weltfrieden gewahrt wird. Viel wichtiger ist der Frieden in unserm Alltag. Es braucht sich ja jeder nur einmal den Menschen vor Augen zu stellen, der ihm am meisten zu schaffen macht. Dann hatte man sich vor Augen, daß sich Gott auch für diesen Menschen hingegeben hat.

Der brave Soldat Schweijk wollte das tun. Als der Hauptmann sagt: „Jetzt geht es in den Kampf Mann gegen Mann!“ da fragt er vorsichtig: „Herr Hauptmann, zeigen Sie mir doch meinen Mann, vielleicht könnte ich mich ja mit ihm einigen!“ Statt die Hand zum Gegenschlag aufzuheben, können wir sie zum Segnen erheben oder zur Hilfe ausstrecken. So hat es auch Martin Luther King gemacht. Er hat dieses Wort: „Wie du mir, so ich dir!“ umgewandelt in: „Wie Gott mir - so ich dir!“ Jesus erwartet ganz sachlich von uns, daß wir an unseren Feinden das tun, was Gott an uns tut.

 

 

Mt 6, 1 – 4 (13. Sonntag nach Trinitatis):

Eine Krankenschwester, die immer nur Nachtwachen machte, wurde einmal gefragt, ob das auf die Dauer nicht zu anstrengend und aufreibend sei. „Das schon“, antwortete sie, „aber jede Nachtwache ist wie ein Edelstein in meiner himmlischen Krone. Ich habe schon viele davon!“

In der Bergpredigt geht es um die „bessere Gerechtigkeit“, um eine Frömmigkeit, die sich auch in der Tat erweist. Die „Almosen“, also barmherzige Gaben für den notleidender Mitmenschen, sind dabei nur ein Beispiel. Es geht auch um das Opfern und Sich-Plagen, um Geduld und Vergeben, um gediegene Arbeit im Betrieb und gern getragene Verantwortung, um absolute Ehrlichkeit.

Ist jene Krankenschwester da nicht ein gutes Vorbild? Warum soll sie nicht auch von ihren Auffassungen sprechen? Wir erfahren täglich so viel Entmutigendes und Liebloses. Da erscheint doch jedes Zeichen des Guten wie ein Lichtblick. Sollte man da das Gute nicht als ein nachahmenswertes Beispiel bekannt machen? Warum fordert Jesus so radikal, daß es im Verborgenen getan werden soll?

Es wäre in der Tat bedenklich, wenn gute Taten nicht geschähen. Sicher täte es uns gut, wenn wir allenthalben ein wenig frömmer würden. Wer Gott liebhaben will und ihm zuliebe viel tun will, der wird ihn auch in den Mitmenschen ernst nehmen und ihn ehren. In dieser Beziehung sollten wir weiterkommen und das auch im praktischen Vollzug des Lebens einüben.

Aber es treten dabei auch Gefahren auf. Man kann dabei nämlich nur sich selber im Blick habe und nicht den anderen oder gar Gott. Geredet wird nicht zu denen, die nichts Gutes tun, sondern zu denen, die gute Werke tun. Ihnen wird gesagt: „Eure Taten sollen ungesehen, absichtslos und unbewußt geschehen!“

Man weiß es nicht ganz genau, aber es ist sehr wahrscheinlich: Wenn im Jerusalemer Tempel einer eine besonders hohe Gabe gespendet hatte, dann ließ man es im Tempel und auf den Straßen „ausposaunen“, das heißt, es wurde tatsächlich die Posaune geblasen und dann der Name des Spenders und Höhe des Betrages bekannt gemacht.

Da war natürlich die Gefahr groß, daß man alles nur tat im Blick darauf, daß die Leute es auch zur Notiz nehmen. Wenn man aber den Blick möglichst vieler auf sich ziehen will, dann dient man nur sich selbst und wird zum Schauspieler, der für das Publikum spielt und die Stärke des Beifalls beachtet.

Man muß sich klar machen, daß es damals ja keine offizielle Sozialfürsorge gab. Viele mußten betteln gehen, wenn sie ihrer Familie nicht ganz zur Last fallen wollten. Sie konnten dabei nur auf eine private Wohltätigkeit hoffen. Menschenkenner wußten aber, daß es dazu eines besonderen Anreizes bedürfte. Deshalb lobte man diese angeblichen Wohltäter in der Öffentlichkeit. Den Bettler verachtete man, er konnte angeblich nicht einmal in den Himmel kommen. Aber ein anderer konnte sich einen guten Namen mit ihm machen.

Bei uns wird die Pflege und der Unterhalt für Kranke und Geschädigte vom Staat sichergestellt. Aber das Wohltun des Einzelnen im Augenblick ist dadurch nicht überflüssig geworden. Gerade wenn die Notlage nicht vorherzusehen war, ist der Einzelne immer noch gefordert. Auch die Diakonie der Kirche, die Heime und Anstalten sind durchaus nicht überflüssig geworden. Es gibt doch noch manche Felder, die der Staat nicht abdecken kann oder wo man vom christlichen Menschbild her nach neuen Wegen suchen muß.

Andererseits besteht die Gefahr, daß man die diakonische Arbeit als Leistungsnachweis der Kirche ansieht, etwas das ihr noch eine Daseinsberechtigung gibt. Gesellschaftspolitisch hat man mit der Kirche ja nicht so viel im Sinn. Aber auf dem Feld der Diakonie kann sie sich immer noch als notwendig finden. Jede staatliche Anerkennung wird freudig in den kirchlichen Blättern zitiert, auf diesem Gebiet gibt es viel Unterstützung und da gibt es auch noch mehr Nachwuchs als nötig.

Man kann allerdings auch nicht verschweigen, daß mit staatlicher Hilfe ein tiefgreifender Wandel sich in der Diakonie der Kirche vollzogen hat. Seit die kirchliche Krankenpflegeausbildung staatlich anerkannt ist, muß die Kirche die gleichen Löhne zahlen wie der Staat, sonst laufen die Krankenschwestern weg. Sie kann das auch im Bereich des Gesundheitswesens, weil sie vom Staat die Pflegesätze ersetzt kriegt.

So sind zwei Klassen kirchlicher Mitarbeiter entstanden, wobei eine eben gerade fertig ausgebildete Krankenschwester sofort bei den Spitzenverdienern ist. Man muß nicht unbedingt einen Unterschied machen zwischen den eigentlichen Aufgaben der Kirche und den weniger wichtigen. Selbstverständlich ist auch die Diakonie eine lebenswichtige Aufgabe der Kirche. Aber es ist vielleicht doch bedenklich, daß gerade der Zweig der kirchlichen Arbeit einen Aufschwung genommen hat, der heute auch vom Staat wahrgenommen wird.

Täuschen wir uns nicht Über den Geist eines kirchlichen Krankenhauses entscheiden nicht die Theologen und Diakonissen, sondern die Ärzte und Krankenschwestern, die vielfach nicht einmal der Kirche angehören. Man kann den Eindruck haben, dieser Zweig der kirchlichen Arbeit werde nicht um der Menschen willen getan, sondern weil der Staat hierfür Zuschüsse gibt. Vielleicht wäre es ehrlicher, man konzentrierte sich mehr auf die Bereiche, wo es keine großen Gelder zu erben gibt, zum Beispiel die Eheseelsorge, die Suchtgefährdetenarbeit, Altenbetreuung.

Mit spezifisch christlichen Werken macht man heute vor den Menschen meist keinen Eindruck mehr. Die Gefahr des Rühmens ist allerdings dieselbe. Nur sind die frommen Werke von einst heute ersetzt durch Anstand und Tüchtigkeit, Gemeinschaftssinn und Pflichterfüllung. Unser Christsein ist weltlich geworden, die Geltungssucht aber ist geblieben.

Die muß nicht aufdringlich und geschmacklos zur Schau gestellt werden. Manchmal geschieht es auch ungewollt. Da hat man mal etwas getan, woran selbst Gott seine Freude haben könnte. Aber sofort schielt man, ob nicht jemand bemerkt hat, welch vorbildlicher Christ man doch ist. Nach ein wenig Beifall juckt es uns immer wieder.

Wer sich das Ansehen bei Gott durch Leistung und Pflichterfüllung verdienen will, der muß sich immer wieder der guten Zensuren vergewissern. Da Gottes Stimme im Augenblick aber noch nicht vernehmbar ist, muß man sich ans Beifallklatschen der Menschen halten. Wie sollen sie aber klatschen, wenn sie nicht beobachten konnten, was wir Verdienstliches getan haben?

Würde man etwa keinen Finger rühren, wenn keiner dabei ist? Bliebe der Mann auf der Straße liegen, den die Räuber überfallen hatten? Lassen wir es uns nur etwas kosten, wenn Leute dabei sind, die zuschauen? Wir werden nicht immer entscheiden können, ob die Frömmigkeit eines Menschen echt ist oder nicht. Aber wir dürfen wissen, daß Gott alles sieht, und das ist doch wohl viel entscheidender.

Doch mit dem „absichtslos“ ist es nicht so einfach. Es gehört mit zum Menschsein, daß wir auf unser Ansehen bedacht sind: Ein Dienstjubiläum soll schon mit einer entsprechenden Rede gewürdigt werden, der Schüler will Zensuren als Lohn, der alte Mensch will noch etwas leisten. Wo Leistung ist, muß auch Lohn sein, nicht nur als Anreiz zu neuem Schaffen, sondern weil es gerecht ist.

Doch so geht es sicher nicht wie bei jenem Kaufmann aus Stralsund während der Hansezeit. Er hatte in seiner Lebensweise und seinem Geschäftsgebaren manches auf dem Kerbholz. Aber kurz vor seinem Tode stiftete er noch ein Aussätzigenasyl für heimkehrende Kreuzfahrer, um sich vor allen möglichen Folgen in der Ewigkeit freikaufen zu können. Gott läßt sich aber durch den äußeren Schein nicht betrügen. Er will den ganzen Menschen, der Gutes darum tut, weil sein Herz bewegt worden ist von der Not der Mitmenschen.

Wer sich den Lohn schon von den Menschen eigenmächtig vorausnimmt, hat von Gott her nicht mehr mit Lohn zu rechnen. Dann will man sich nur selber in Szene setzen, Punkte sammeln und es genießen, daß man so edel und menschenfreundlich, so sauber und opferbereit und halt eben auch so uneigennützig ist. Immer wieder meldet sich das eitle Ich, das sich selbst bewundert und Beifall klatscht: Es tut ja so gut, ein edler Mensch zu sein!

Doch damit wird gegenüber den Menschen und vor allem gegenüber Gott alles faul. Luther hat sich in der Gewissensqual in seiner Klosterzeit damit plagt. Er wollte Gott aus reinem Herzen lieben, ohne alle Nebengeräusche. Aber er erwischte sich immer wieder dabei, daß es ihm doch nur um sein eigenes Seligwerden ging.

Zweimal Lohn gibt es nicht. Aber mit größter innerer Freiheit dürfen wir darauf hoffen, daß der himmlische Vater alles vergelten wird, nicht weil wir ein Recht darauf hätten, sondern weil er so gütig ist. Was kein Mensch gesehen hat und wofür wir von niemanden Dank empfangen haben, das hat Gott gesehen und wird es nicht vergessen.

Sicher ist es etwas viel verlangt, wenn die linke Hand nicht wissen soll, was die rechte tut. Aber das Schöne ist: Sie braucht es nicht zu wissen! Alle Statistik ist gegenstandslos geworden, denn Gott braucht sie nicht. Unsere Plus- und Minuspunkte fallen nicht ins Gewicht. Deshalb können wir in unserem Handeln ganz unbefangen sein. Das macht uns frei und gelöst, das ist die bessere Gerechtigkeit, die Jesus uns lehren will.

 

 

Mt 6, 5 - 13 (Rogate):

Dreimal am Tag läuten bei uns die Glocken. Nicht um die richtige Zeit anzugeben, sondern um an die Zeit zum Gebet zu erinnern. Zumindest einige Gemeindeglieder darauf achten und sprechen dann tatsächlich ein Gebet, zumindest zum Abendgebet.

Eine Frage ist allerdings, ob man das unbedingt so in aller Öffentlichkeit machen muß, so daß es auch die anderen mitkriegen. Die frommen Juden gingen extra zur Gebetszeit hinaus auf die Straße. Dort ließen sie sich dann von dem Posaunenruf überraschen, der die Gebetszeit ankündigte. Dann stellten sie sich an die Straßenecke, hoben die Hände zum Himmel und sprachen laut ein Gebet.

Gewiß, sie hatten dabei eine gute Absicht: Sie wollten den anderen ein gutes Vorbild geben und sie auch zum Gebet anregen. Aber Jesus tadelt an ihnen, daß sie daraus ein Schauspiel machen und gar nicht echt beten, sondern nur die Leute im Blick haben.

Von daher sind auch die sogenannten „Gebetsgemeinschaften“ vorsichtig zu sehen, also ein Gottesdienst, in dem auch jeder einzelne laut vor den anderen beten kann. Bei einem Kirchentag hatte es noch gar nicht richtig begonnen, da sprang schon ein Mann auf und schrie mit wohlgesetzten Worten ein Gebet in die Halle. Es lief alles wie am Schnürchen, es war so eingelernt und gewohnheitsmäßig. Hier wollte sich einfach einer vor den anderen zeigen und selber groß erscheinen, anstatt Gott zu preisen.

Damit will ich nichts gegen das Gebet sagen, auch nicht gegen das Gebet in der Öffentlichkeit. Warum sollten wir nicht zusammen mit anderen beten, auch laut beten, so daß es die anderen hören können? Aber es geht gegen die Gebetsprotzerei, wenn einer zeigen will, daß er beten kann und sich mit anderen vergleichen will und dabei selber bestätigen will. Dazu gehört auch, wenn einer im Gebet Gott erzählen will, wie Gott ist bzw. zu sein hat. Das weiß Gott doch selber, das brauchen wir ihm nicht erst zu sagen.

Die Betreffenden wollen es ja auch gar nicht Gott sagen, sondern denn, die mit zuhören. Ein Gebet ist aber dazu da, eine Bitte oder einen Dank an Gott auszusprechen, und nicht, um eine Predigt zu halten oder eine Predigt noch einmal zusammenzufassen. Das kann sehr leicht auch

zur Heuchelei führen, weil man dabei gar nicht Gott im Blick hat, sondern nur die eigenen wohlgesetzten Worte.

Damit sind wir bei einer weiteren Gefahr unseres Betens: das Plappern. Gerade beim Vater­unser kommt es leicht vor, daß wir die Gedanken woanders haben. Zwei Mönche haben einmal miteinander gewettet. Der eine sagte: „Ich kann ein Vaterunser beten, ohne dabei an etwas anderes zu denken!“ Der andere aber behauptet: „Das kannst du nicht!“ Sie wetten um ein Pferd. Der eine fängt siegesgewiß an, leise vor sich hin zu beten. Doch plötzlich ruft er: „Wir haben ja vergessen auszumachen, ob es ein Pferd mit oder ohne Sattel sein soll!“ Und schon hat er die Wette verloren.

Nun wird es uns Gott wohl nicht so besonders krumm nehmen, wenn wir etwa bei einer einzelnen Bitte des Vaterunser in Gedanken hängenbleiben. Aber es ist eben ein Leiden, daß das Vaterunser so ein Allerweltsgebet ist, das einem so in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß man sich gar nichts mehr dabei denkt.

Das Gleiche gilt auch oft für die Gebete, die hier im Gottesdienst gesprochen werden. Man kann zwar sagen, daß in unserer Gottesdienstordnung schon große Fortschritte in dieser Hinsicht gemacht worden sind. Aber diese wohlklingenden Worte sind eben doch nicht unsre Alltagssprache.

Natürlich können wir mit Gott auch nicht so reden wie mit einem guten Kumpel. Gott ist immerhin unser Vater. Und deshalb reden wir so zu ihm wie zu einem Vater: nicht mit frechen und forschen Ausdrücken, sondern mit Ehrfurcht.

Vielleicht kann man die Sprache des Gebets mit einem persönlichen Brief vergleichen: Da quatschen wir auch nicht so wie alle Tage, aber der Ausdruck ist auch nicht steif und feierlich, sondern herzlich und ungezwungen. Zu Gott können wir frei von der Leber weg reden, zu jeder Zeit. Ja, Jesus sagt sogar: „Euer Vater weiß, was ihr nötig habt, ehe ihr ihn bittet!“

Das heißt aber nur nicht, daß wir gar nicht zu bitten brauchen, weil Gott ja sowieso schon alles weiß. Eltern wissen manchmal ja auch schon Bescheid, wenn ihre Kinder etwas wollen. Aber sie möchten doch, daß die Kinder darum bitten, sie erfüllen die Bitte nicht stillschweigend. Und die Kinder bitten ja auch tatsächlich ihre Eltern, damit die ihnen den Wunsch erfüllen, soweit sie es können und soweit es sinnvoll ist.

Wir dürfen Gott auch mit unseren kleinen Dingen kommen. Wer von vornherein sagt: „Dein Wille geschehe!“ der traut Gott gar nichts mehr zu, sondern denkt: „Das Schicksal nimmt eben seinen Lauf!“

Es gibt ja heute Christen, die möchten das Gebet nur als ein Selbstgespräch gelten lassen, durch das man mit sich selber ins Reine kommt. Man vergleicht das Gebet dabei mit einem Telefongespräch: Der Hörer sei zwar auf beiden Seiten abgenommen, aber am anderen Ende habe niemand sein Ohr an der Hörmuschel; deshalb müsse man sich alle Fragen selber beantworten und mit allem schließlich allein fertig werden.

Doch Jesus hat es uns anders gelehrt. Er hat klipp und klar gesagt: „Vater unser!“ Und er hat uns Mut gemacht, Gott so anzureden, „wie die lieben Kinder Ihren lieben Vater“. An dieser persönlichen Anrede müssen und dürfen wir einfach festhalten, sonst sind wir keine Christen mehr.

Ein Gebet will Gott ganz entschieden bewegen, etwas zu tun, was er sonst nicht tun würde. Dazu müssen wir aber unsre Wünsche erst einmal mitteilen, auch wenn sie uns als zu groß erscheinen. Unser Vater weiß dann schon, was wir wirklich notwendig haben. Erst nachdem Gebet sollen wir einen Schlußstrich ziehen und sagen: „Dein Wille geschehe!“

Doch an dieser Stelle müssen wir einmal innehalten und uns fragen: „Wird denn überhaupt noch - so oder so - gebetet?“ Zur Zeit Jesu wurde von Juden und Heiden viel gebetet. Aber wir leben heute in einer Welt, in der nur relativ wenig gebetet wird. Heute ist die Gefahr nicht mehr so groß, daß sich einer auf einer belebten Großstadtstraße vom Mittagsläuten überraschen läßt. Bei uns liegt die Gefahr nicht darin, daß einer demonstrativ auf der Straße betet, sondern daß wir überhaupt nicht mehr beten.

Auch im „stillen Kämmerlein“ wird nur noch selten gebetet. Viele sagen: „Ich habe keine Zeit!“ oder auch: „Ich habe keine Kraft mehr nach einem aufreibenden Arbeitstag!“ Mancher hat auch gar kein stilles Kämmerlein mehr, das ihm einigermaßen Ruhe garantieren könnte. Da könnte es wieder bedeutungsvoll werden, ein Gotteshaus zu haben, in dem man zum stillen Gebet einkehren kann, auch die Woche über.

Aber auch zu Hause wird man einmal eine stille Minute und ein ruhiges Plätzchen finden, und wenn es abends vor dem Einschlafen ist. Und das muß man nun wohl doch sagen: Es gibt auch heute viele Menschen, die zu Gott beten, auch junge Menschen. Beten ist nicht altmodisch, sondern hilft mit, die Probleme unserer Welt zu bewältigen.

Es wird nicht nur gebetet, wenn man in Not ist. Viele wissen eben doch, daß sie ihr Leben allein Gott verdanken. Deshalb danken sie Gott für die vielen täglichen Hilfen. Und wer dankt, der wird dann auch den Mut zum Bitten haben.

Gerade weil unsere Zeit so modern ist und so viel von uns fordert, brauchen wir den lebendigen Kontakt mit Gott. Das Gebet gehört unbedingt zu unsrer Welt mit dazu. Einem Pfarrer ist es einmal passiert, daß er schon nach dem Fürbittengebet zur Kirchentür ging und die Gemeinde verabschieden wollte. Doch die Leute blieben alle in ihren Bänken. Da fiel ihm ein, daß er ja das Vaterunser und den Segen vergessen hatte. Schnell kehrte er um und holte das Versäumte nach. Vielleicht hat die Gemeinde nur an der üblichen Gewohnheit festgehalten. Oder hat sie eben doch gewußt, daß das Vaterunser und der Segen zum Gottesdienst und zu unserem Leben unbedingt mit dazugehören?

Gerade das Vaterunser ist ein Gebet, das fest im Leben vieler Christen verwurzelt ist. Es wird in jedem Gottesdienst und bei jeder Taufe, Trauung und Beerdigung gesprochen; es wird an Krankenbetten und im Radio gebetet. Viele beschließen den Tag mit einem laut gebeteten Vaterunser.

Dieses Gebet umschließt ja so Vieles: In den ersten drei Bitten macht es Gottes Sache zu unserem Anliegen. Und in den anderen Bitten werden dann unsere Anliegen zu Gottes Sache gemacht. Gott will uns nicht zu kurz kommen lassen; da sollten wir ihn auch nicht zu kurz kommen lassen.

Vor zwei Gefahren im Zusammenhang mit dem Gebet sind wir heute gewarnt worden: vor der Heuchelei und dem Plappern. Aber es sind uns auch Hinweise gegeben worden zum rechten Beten: Wir dürfen zu Gott wie zu einem Vater reden, ein stilles Kämmerlein und eine feste Gebetszeit sind dabei ganz hilfreich, als Beispiel für ein Gebet wurde das Vaterunser genannt.

Wichtiger ist allerdings, daß wir wirklich das Gebet üben, denn nur so können wir zur Erfahrung der Macht des Gebets kommen. Wir könnten zum Beispiel das Vaterunser am Schluß des Gottesdienstes ganz bewußt und konzentriert beten. Wenn wir mit Gott reden wie mit

einem uns nahestehenden Menschen, dann wird er genauer und liebevoller zuhören, als ein Mensch das könnte.

 

 

Mt 6, 19 - 24 (Erntedankfest):

Die Ernte eines Jahres ist im Wesentlichen geborgen und unter Dach und Fach gebracht. In der Landwirtschaft wurden mit viel Fleiß die Felder bestellt und versorgt, die Früchte abgeerntet und gesammelt. Auch mancher Städter hat in seinem Garten Obst und Gemüse geerntet und bunte Blumen gepflückt. Wir waren mit daran interessiert, daß genug wuchs für alle und daß genügend Vorräte angelegt werden konnten, die Mensch und Tier ein Jahr lang ernähren können.

Und dennoch sind wir dem Vorgang des Säens und Erntens weitgehend entfremdet. Die meiste Zeit des Jahres denken wir nicht daran. Wenn es früh regnet, schauen wir nicht sorgenvoll zum Himmel, weil wir ja ein Dach über dem Kopf haben. Wenn die Kinder einmal das Wachsen der Halme beobachten wollen, dann müssen sie einige Körner in den Blumentopf stecken Und zum Erntedankfest haben wir es schwer, einen Strauß von Ähren aufzutreiben, weil ja keine Garben mehr in die Scheunen gefahren werden.

Die heutige Landwirtschaft ist „Produktion“. Der Mensch schafft mit seiner Arbeit Werte. Daß die Erde auch etwas dazutut, steht nicht mehr so im Vordergrund der Überlegungen. Der moderne Mensch geht übers Ackerfeld und blickt nach unten und sieht die biologische Entwicklung. Die Leute der Bibel dagegen gingen über das gleiche Ackerfeld und blickten nach oben und sahen ein Gotteswunder nach dem anderen: das neue Leben, das unter ihren Füßen wuchs, schrieben sie Gott dem Schöpfer zu.

Uns heute fällt das Danken schwerer, weil wir nicht mehr so direkt mit der Ernte zu tun haben und weil uns vieles machbar erscheint. Wir sind nüchterner geworden, für verträumte Romantik auf dem Lande ist kein Platz mehr. Und dennoch hängt der Erfolg der Ernte nicht allein vom wissenschaftlichen und technologischen Sachverstand, nicht allein vom Schweiß und Fleiß der Menschen ab, sondern von etwas, das unsrem Einfluß entzogen ist. Ohne die Treue Gottes hätten wir nichts zu ernten und zu sammeln. „Doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand!“ Deshalb sind wir als Christen dankbar gegenüber Gott, der uns all diese Schätze gegeben hat.

Jesus aber warnt uns davor, uns zu sehr auf unsere irdischen Schätze zu verlassen: Motten können die kostbaren Kleider fressen, Rost zerfrißt Metall und Diebe können alles stehlen. Das Obst verfault, das Eingemachte geht wieder auf, die Schallplatten bekommen Kratzer, die teure Kleidung wird durch die veränderte Figur unbrauchbar, das Auto erschreckt uns bald durch Roststellen. Selbst ein Bankkonto gibt keine Sicherheit. Das Geld, das vor 15 Jahren noch für einen Mittelklassewagen reichte, langt heute nur noch für einen Kleinwagen. Und die Älteren haben sogar erlebt, daß das Geld ganz seinen Wert verloren hat.

Unsere irdischen Schätze sind bedroht. Schon aus diesem Grunde lohnt es nicht, sich darauf zu verlassen. Aber Jesus fragt noch nach mehr: „Woran hängst du dein Herz, was siehst du als das Tragende in deinem Leben an, worauf verwendest du all deine Kraft und Mühe, worauf setzt du deine Hoffnung?“ Hängt sich unser Herz an irdische Schätze, so werden wir erleben, wie unsicher sie sind. Sicher können wir auf die Dinge, die uns zum Leben dienen, nicht verzichten. Aber wir müssen wissen, wie wir sie einzuschätzen haben.

Es soll nicht entwertet werden, woran wir täglich unsre Arbeitskraft wenden und was unser alltägliches Leben ausmacht. Wenn Jesus vom Nicht-Sorgen spricht, dann meint er nicht das Nichtstun. Deshalb gilt es auch an diesem Tag, die Arbeit der Menschen zu würdigen. Wir könnten denen einen besonderen Dank sagen, die das ganze Jahr über für das tägliche Brot sorgen, die es säen, ernten und verarbeiten, oft mit besonderem Aufwand an Kraft und Ausdauer. Bei unserem täglichen Werk und Dienst darf unser Herz durchaus schon sein.

Aber die Dankbarkeit gegenüber den Menschen und der Stolz auf die eigene Leistung darf die Dankbarkeit gegenüber Gott nicht mindern. Als Christen bejahen wir die Welt. Aber wir bejahen sie als Schöpfung Gottes und im Wissen um ihre Vergänglichkeit. Unsre Welt ist begrenzt durch das, was die Bibel „Himmel“ nennt.

Dabei ist das Himmlische aber nicht eine Art Notausgang in ein Traumreich, weil man mit dem Leben nicht fertig geworden ist. Es ist schon recht, wenn wir sachlich und nüchtern die Vergänglichkeit der Welt erkennen und mit Enttäuschungen rechnen. Wir können auch für alle Fälle eine Versicherung abschließen, mit der wir das (finanzielle) Risiko umverteilen können.

Aber der wahre Schatz ist der in Christus offenbare Gott. Sein Reich und seine Gerechtigkeit ist unsere ewige Existenzgrundlage. Das tägliche Brot wird dadurch nicht entwertet. Aber der Glaube weiß die Dinge richtig einzuordnen. Er wird nicht sagen: „Ich brauche Gott ja gar nicht, weil ich alles zum Leben habe. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“

Die Rechnung des reichen Kornbauern hätte auch dann nicht gestimmt, wenn er keinen Herzinfarkt erlitten hätte. Auch wenn er weitergelebt hätte, wäre er Gott Liebe und Vertrauen schuldig gewesen. Gott hat ein Recht auf unseren Dank und unsere Ehrerbietung. Wer

sein Herz an das Irdische hängt, wird von ihm versklavt. Deshalb gilt es, sich von jeder Umklammerung loszureißen und sich nur von Gott abhängig zu machen.

Geld und wirtschaftliche Macht bringt immer wieder Menschen und Staaten unter Zwänge, aus denen sie nicht mehr herausfinden. Ziel ist das Wirtschaftswachstum. Dieses führt aber zu immer weitergehender Ausbeutung unseres Planeten, zu immer wachsender Verunstaltung und Vergiftung unserer Welt. Alle Mahnungen, den Gürtel enger zu schnallen oder einfach mit dem Erreichten zufrieden zu sein, stoßen auf allgemeine Ablehnung.

Bei uns ist die Hauptaufgabe die Steigerung des materiellen und technischen Lebensniveaus. Dabei jagen wir immer hinter dem Lebensstandard her, koste es, was es wolle. Aber das ist auch der Wille der weitaus größten Mehrheit des Volkes. Zurückstecken und Verzichten, das will der begehrliche Mensch nicht, und der Götze Mammon erlaubt es nicht. Wenn wir etwas Kreatürliches zum Letztwert und zur höchsten Instanz erheben, dann ist das ein Götze.

Doch wir sind alle mehr oder weniger solchem Denken verfallen, auch wenn wir nicht kapitalistisch denken und leben wollen. Man muß eben noch dies und das haben (zum Beispiel die Hollywoodschaukel oder das neueste I-Phone), sonst ist das Leben noch nicht vollendet, sonst hat man es noch nicht zu etwas gebracht. Man kann aber auch die Meinung vertreten: Die Produktion sollte nicht immer weiter gesteigert werden. Man kann doch zufrieden sein mit dem Erreichten und braucht im Grunde gar nicht mehr.

Im Krieg hieß es: „Erst müssen die wirtschaftlichen Fragen gelöst sein, dann kann man auch an das Menschliche denken!“ Heute heißt es: „Erst kommt die Produktion, die Hauptaufgabe, dann der Umweltschutz!“ Die verantwortlichen Leute wissen zwar inzwischen auch, daß es ohne Umweltschutz nicht geht. Aber im Konfliktfall kommt doch immer zuerst der Gewinn. Und wir alle mit unseren Ansprüchen sind daran mit schuld.

Dabei hat unser Besitz durchaus sogar noch eine andere Aufgabe: Nur was wir für andere einsetzen und gebrauchen, das ist das Bleibende. Nicht der gehortete, sondern der für andere verwendete Besitz bleibt, der hat Bestand vor Gott und auch vor uns selbst.

Nicht das wöchentlich gepflegte Auto, das wir zur eigenen Wochenendausfahrt benutzen, ist von Dauer. Es hält vielleicht ein paar Jahre länger als ein oft benutztes Auto. Was aber letzten Endes bleibt und zählt, das ist, ob ich mit diesem Wagen meine behinderte Nachbarin häufig an das Grab ihres verstorbenen Mannes gefahren habe.

Jesus macht deutlich, daß ein friedliches Nebeneinander von Gott und Götze unmöglich ist. Das Gleichnis vom Auge macht es auch deutlich: Der Mensch ist ein Ganzes, entweder ist er eine Dunkelkammer oder ein lichtdurchfluteter Raum. Jesus ruft dazu auf, am ersten nach dem Reich Gottes zu trachten, das heißt. zu glauben. Indem ich aber glaube, wird es in mir hell.

Jesus will das Kreatürliche nicht überhaupt durchstreichen. Er sagt nicht: „Verzichte auf deinen Arbeitslohn und vertrau auf Gott!“ Aber das Kreatürliche hat für ihn seinen Platz nicht neben Gott, sondern unter Gott. Deshalb dürfen wir nicht sagen: „Wir haben ja die Ernte, deshalb brauchen wir keinen Gott. Gottes Gaben machen ihn nicht überflüssig. Jesus hätte gern, daß es in uns hell wird, weil uns aufgegangen ist, was Gott uns auch diesmal wieder zuliebe getan hat.

 

 

Mt 9, 35 - 38 und 10, 1 und 5 – 7 (1. Sonntag nach Trinitatis):

Gelegentlich lassen sich die evangelischen Kirchen eine große Werbeaktion einfallen. Und wie sich das so gehört, wird dann dazu eine Werbeagentur geholt. Die Leute, die sonst für Waschmittel oder Autos werben, tun das jetzt für die Kirche oder für die Bibel. Da erscheinen dann Anzeigen in den Zeitungen oder auf Plakatwänden oder es werden Prospekte verteilt. Ein gewisser Teil der Empfänger läßt sich auch ansprechen. Aber entweder sind diese sowieso schon christlich oder von der Begeisterung bleibt mit der Zeit nicht viel.

Der erste Schritt auf die Menschen zu ist das Sehen: Jesus sieht vor allem auch die innere Not der Menschen. Sie sind verschmachtet und zerstreut wie Schafe, die keinen Hirten haben. Sie sehen keinen Sinn mehr im Leben und keinen Weg in die Zukunft. Das ist nicht unbedingt eine Frage des Lebensstandards. Man kann auch gut verdienen und dennoch unglücklich sein.

Gerade weil wir uns etwas leisten wollen, müssen wir auch etwas leisten. Und die Hast bei der Arbeit nehmen wir dann mit in die Freizeit hinein. Wir wollen auf unsre Kosten kommen, aber wir werden darüber arm.

Jesus sieht nicht nur, wenn Menschen hungern und darben, in Lumpen gehen oder in Elendsquartieren hausen. Er sieht auch, wenn das Verhältnis zu Gott gestört ist und die Sünde im Leben der Menschen sich heillos auswirkt. Es kann ja sein, daß sich einer in angesehener Stellung befindet und alles zum Leben hat und vieles darüber hinaus - aber wenn Jesus ihn sieht, dann geht es ihm doch durch und durch, dann geht es ihm an die Nieren, wie man der Sinn des Wortes wiedergeben müßte.

Jesus sieht nämlich, was hinter der ansehnlichen Fassade nicht in Ordnung ist. Er kann nicht mehr mit ansehen, wie Menschen sich zugrunde richten oder zugrunde gerichtet werden. In ihm ist Gottes Liebe zu Fleisch und Blut geworden.

Und so sollten wir auch versuchen, mit den Augen unseres Herrn zu sehen dann sind uns die anderen Menschen nicht mehr gleichgültig, sondern wir nehmen ihre äußere und innere Not auf unser Herz. Dann wissen wir uns für sie verantwortlich und lassen sie nicht mehr nur am

Rande stehen, sondern rücken sie in die Mitte.

Wir leben heute in einer besseren Zeit und in einer Gegend der Welt, wo es die Menschen besser haben als im größten Teil der Erde. Zwar wird auch bei uns die Zahl der Sozialhilfeempfänger immer größer. Viele sind arbeitslos geworden oder fürchten um ihren Arbeitsplatz. Zu den Krankheitskosten müssen wir immer mehr hinzuzahlen. Aber wir haben doch wenigstens Ärzte und Psychologen und die Einrichtungen der Diakonie. Wir haben doch wenigstens ein soziales Netz, auch wenn dessen Maschen immer größer werden und viele dann leider doch hindurch fallen.

Aber vergessen wir nicht: In anderen Gegenden der Welt ist die Not viel größer. Davon ist dann auf den sogenannten G-8-Gipfeln die Rede. Man muß das nicht so negativ sehen wie viele Menschen: Zumindest wird dort miteinander geredet, bestimmte Themen stehen auf einmal im Licht der Weltöffentlichkeit und die sogenannte „Globalisierung“ der Welt hat auch vielen Menschen Vorteile gebracht, nicht zuletzt auch dem Exportweltmeister Deutschland.

Natürlich dürfen wir auch nicht die Verlierer vergessen. Es ist schon so, daß die Mächtigen dieser Welt ihre Vorrechte verteidigen wollen. Aber so ganz kommen sie doch um die Probleme der Welt nicht herum. Und auch wenn es oft nur bei Absichtserklärungen bleibt, irgendwann muß doch einmal etwas getan werden.

Aber auch bei uns gibt es genug Aufgaben für einen, der sehen will. Sicher ist das nicht immer leicht. Mancher ist wirklich wenig anziehend. Eine Schnapsfahne ist ja auch in der Tat nicht gerade angenehm. Aber wer mit den Augen Jesu sieht, der erkennt vielleicht auch, daß bei einem Alkoholkranken der Schaden nicht in einer schlechten Moral oder in übler Gewöhnung liegt, sondern viel tiefere Gründe hat: Da steht eine Enttäuschung, das Versagen eines

Menschen oder ein Unrecht im Hintergrund, und dieses Übel gilt es an der Wurzel zu packen. Wenn man einen Menschen so sieht, dann erkennt man hinter der äußeren Fassade das Geschöpf Gottes. Da spielt Harry Rowolth in der „Lindenstraße“ einen Penner. Aber in Wirklichkeit ist er ein bekannter Übersetzer von Büchern. So könnte es uns mit manchem Menschen gehen, den wir vorschnell als wertlos und verloren abstempeln

Der erste Schritt ist also das Sehen der Not. Der zweite Schritt ist das Gehen, das Hingehen zu den Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Gerade die Not ist ein Zeichen dafür, daß Gottes Ernte beginnt. Aber das Erntefeld ist ein Arbeitsfeld. Wenn Erntezeit ist, dann gilt es, alle

Kräfte einzusetzen und jede Stunde zu nutzen. So will auch Jesus retten und einbringen. Er gibt keinen Menschen auf. Er will, daß allen Menschen geholfen werde, gerade auch wenn ihr Leben durch Not und Krankheit, Gebrechen und Sünde gezeichnet ist.

Doch wie soll da geholfen werden? Jesus sagt: „Bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende!“ Er sagt nicht: „Nun packt zu, macht euch an die Arbeit, damit die reife Ernte geborgen werden kann!“ Gerade wenn es Zeit wäre zum Arbeiten, fordert Jesus uns zum Beten und Bitten auf!

Dadurch wird deutlich: Alles was wir tun, bleibt Gottes Werk. Natürlich möchten wir viel lieber selber die Schalthebel bedienen und das Geschehen selbst steuern. Wir möchten aus eigener Vollmacht den einen dahin stellen und den anderen dort einsetzen. Aber Gott allein ist der Herr der Ernte und holt sich seine Arbeiter. Das ist das Eigentümliche bei aller Arbeit in der Kirche: Gott allein hat es in der Hand, was geschieht.

Es ist nicht damit getan, irgendwelchen Betrieb zu machen. Gott muß zuerst die Mitarbeiter schenken. Und er muß machen, daß der kirchliche Betrieb nicht Leerlauf wird. An Gottes Segen ist alles gelegen.

Zuerst waren es nur die Zwölf, die von Jüngern zu Aposteln werden, zu Abgesandten. Sie werden zu den zwölf Stämmen Israels gesandt, zum ganzen Volk und zur ganzen Welt. Sie waren die Augenzeugen, jetzt sind sie beauftragt, das Wirken Jesu in Wort und Tat zu vervielfältigen.

Sie sind zu zweit losgegangen - eine Übung, die sich auch heute noch empfiehlt. Ihnen standen nicht die Massenmedien von heute zur Verfügung. Sie konnten nur von Mensch zu Mensch reden. Aber sie hatten eine Botschaft, die in die Zeit paßte und die die Menschen notwendig brauchten.

Es waren einfache Leute. Jesus hat sich damals keine Professoren zu Mitarbeitern ausgesucht: ein Fischer und ein Zöllner waren ihm gerade richtig; und sogar den Judas hat er ausge­schickt. Sie waren keine Idealmenschen, aber sie sind mit ihm gegangen und haben ihm geholfen und nachher dann sein Werk fortgeführt.

Das heißt aber doch: Hier sind nicht nur die hauptamtlichen Mitarbeiter der Kirchen angesprochen, sondern alle Christen. Gott braucht Menschen. Die kleinen Leute vor Ort solle man einmal befragen. Da hat jeder Ideen, wie man es besser machen könnte und wie man Geld sparen könnte. Aber dazu muß man sie erst einmal ernst nehmen und auf sie hören und mit ihnen diskutieren.

Gott braucht dazu gute und motivierte Mitarbeiter. Aber jeder hat eine Gabe empfangen, die er für das Ganze der Gemeinde einsetzen soll. Es gibt so viele Aufgaben in der Gemeinde, da ist für jeden etwas dabei. Denken wir dabei nicht nur an das Bierausschenken beim Gemeindefest oder das Geld zählen. Denken wir auch an Aufgaben, die man früher nur dem Pfarrer zutraute, bis hin zum Halten eines Gottesdienstes.

An sich müßte es in jeder Gemeinde wenigstens einen Lektor geben, besser noch einen Prädikanten, der auch selber Predigten ausarbeiten darf. Die Gemeinde darf nicht mit dem Pfarrer stehen und fallen; es muß auch weitergehen, wenn einmal kein Pfarrer da ist. Eine Hauptaufgabe in der Kirche sind die Besuche, vor allem bei Zugezogenen und Kranken.

Ein Mann klagte einmal: „Fünfzehn Jahre wohne ich jetzt hier, aber ein Pfarrer hat mich nie besucht!“ Nun, vielleicht hätte er selber auch einmal in die Kirche gehen sollen. Es muß aber nicht immer der Pfarrer sein. Hätte vielleicht einmal einer aus der Gemeinde diesen Mann eingeladen, wäre er vielleicht mit zum Gottesdienst gegangen.

Werbung ist auch in der Kirche nötig. Aber an sich gibt es da nur eine Möglichkeit: das Gespräch von Mensch zu Mensch. So gewinnt man zum Beispiel den Klassenkameraden oder den künftigen Ehepartner für Christus. Das sind heute fast die einzigen Möglichkeiten, wie noch einmal einer zur Kirche stößt. Dazu brauchen wir aber keine Profis, sondern da können wir alle mittun.

Noch ein Beispiel aus der Frankfurter Gutleutstraße: Da gibt es eine ganze Menge Läden, die gut gehen: Metzgerei, Gemüseladen, Bäckerei und Zeitungsladen. Aber es gibt auch den Laden mit teurem Wein und den Inhaber eines Textilgeschäfts, der den ganzen Tag in der Tür steht und auf Kundschaft wartet. In diesem Wohngebiet mit vielen sozial Schwachen muß man etwas anderes anbieten. Übrigens ist dort auch eine Kirche in dieser Häuserzeile vertreten. Sie hat nur einen kleinen Turm. Dafür gibt es dort aber billiges Mittagessen und eine

Teestube für Alte. Diese Gemeinde tut etwas für ihr Viertel.

Eine Kirche, die untätig auf Kundschaft wartet, wird am Auftrag ihres Herrn schuldig. Gottes Reich ist in die Welt hinein auszurufen. Gott will, daß die Welt wieder sein eigen wird. Aber

er setzt nicht seine Allmacht ein, um alles zu überrollen. Er setzt nur sein Wort ein, das aus dem Mund schlichter Boten in die Welt geht.

Auch heute sind Arbeiter in der Kirche nötig. Früher war das Pfarramt ein Ein-Mann-Betrieb. Und wenn dann der Karren der Gemeinde festgefahren war, mußte ihn auch der Pfarrer allein wieder herausziehen. Viele Gemeindeglieder denken auch heute noch so: Wenn auf der Kirchentreppe Dreck liegt, dann sagen sie es dem Pfarrer, anstatt selber den Besen zu holen! Sicher wäre es auch nicht richtig, wenn einer eigenmächtig tätig würde. Man muß sich da

schon mit anderen beraten und zum Beispiel den Kirchenvorstand fragen, zu dem ja auch der Pfarrer gehört. Es wäre auch nicht gut, wenn eire Ein-Mann-Herrschaft durch eine andere abgelöst würde. Aber in jedem Verein läuft das doch auch: Da gibt es einen Vorstand mit

verschiedenen Aufgaben, da gibt es eine Satzung und Kassenprüfer

Auch in der christlichen Gemeinde gibt es für jeden eine Aufgabe. Überlegen Sie doch einmal, ob Sie nicht auch in der Gemeinde gebraucht werden und eine Aufgabe übernehmen könnten. Viele machen schon ohne viel Aufhebens Besuche bei Kranken. Manche sagen sogar dem Pfarrer, wo es brennt und er einmal selber kommen müßte.

Wenn eine christliche Gemeinde wie eine große Familie ist, sich gegenseitig besucht, Kranke pflegt, Feste feiert usw., dann nimmt sie Jesu Auftrag wahr; dann wird sie auch sehen und gehen. Gott hat auch heute sein Erntefeld und erwartet, daß sich Arbeiter in seine Ernte senden lassen.

 

 

Mt 11, 2 – 10 (3. Advent):

„Bist du, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ So fragen die Jünger des Johannes. Es wäre wirklich ein starkes Stück, wenn er nicht der versprochene Helfer gewesen wäre, auf den das Volk der Juden bis heute wartet! Dann hätten die Juden recht, die immer noch auf den Messias warten. Sie hatten ja im Laufe der Jahrhunderte viele falsche Propheten und Gottesmänner erlebt. Sie waren gewarnt und mißtrauisch und konnten es dann auch nicht glauben, als der Retter tatsächlich da war.

Wenn eine Sache bis heute Bestand gehabt hat, ist das noch lange kein Beweis für ihre Rich­tig­keit. Es ist schon mancher Verführer gekommen und mancher auf ihn reingefallen. Europa wird immer wieder einmal den sogenannten „Jugendreligionen“ überschwemmt. Das sind Vereinigungen, die Jugendliche ihrem Elternhaus entfremden, um sie so ganz in ihre Gewalt zu bekommen und für kriminelle Zwecke auszunutzen.

Hier gilt es, die Spreu vom Weizen zu scheiden. Hinterher ist man oft klüger. Das war ja die Schwierigkeit bei Johannes und Jesus. Da treten plötzlich zwei Gottesmänner auf. Welcher ist denn nur der richtige? Wer ist nur Vorbote und wer ist unter Umständen ein Betrüger? Es ist nicht verwunderlich, wenn man da erst einmal abwarten will. Weil man zu schnell hereinfallen kann, ist auch Johannes unsicher. Aber für uns ist das keine Möglichkeit mehr. Wir müssen die Frage jeder für uns beantworten: „Wer ist Jesus?“ Wir leben ja in der Zeit nach Weihnachten und nach Ostern. Uns ist ja eindeutig gesagt, daß Jesus der Größere ist.

Johannes war zwar ein bedeutender Mensch. Er war sogar mehr als ein Prophet, weil er ja das Kommen Gottes ankündigte und auf die Stelle hinwies, wo der Erhoffte erscheinen sollte. Aber Johannes gehörte doch noch zur Alten Welt, er war nur ein Wegbereiter. Schon seine Schüler Jesus war der Größere. Und jeder, der zu Jesus gehört, ist mehr als Johannes. Wir dürfen dankbar sein für diesen Johannes. Er war ein rechter Adventsprediger. Er hat angezeigt, daß die Stunde geschlagen hat. Er lehrt uns auch, endlich aufzuwachen und umzukehren und mit Gott ernst zu machen, indem wir auf den Kommenden achten und ihn ja nicht übersehen.

Aber letztlich ist Johannes nur um Jesu willen wichtig. Interessant ist nicht er selbst, sondern der andere, auf den er zeigt. Das bedeutet aber nun umgekehrt: Man kommt hinter das Ge­heim­nis Jesu, indem man auf seine Boten hört. Jetzt in der Adventszeit sollen uns wieder die Ohren geschärft werden, daß wir nicht die wahre Weihnachtsbotschaft verpassen.

Allerdings kann es vorkommen, daß auch ein Bote Gottes zum Zweifler wird. Die Bibel schildert uns nicht Menschen, die über allen Zweifel und alle Versuchungen erhaben wären. Sie macht vielmehr deutlich, daß Glaube und Anfechtung notwendigerweise zusammengehören. Auch dem Johannes wurde nichts erspart. Allerdings ist er kein grundsätzlicher Zweifler. Seine Frage zeigt doch, daß er schon auf dem Weg zum Glauben ist; er ist sich eben nur noch unsicher. Und sicher handelt er auch richtig, indem er sich an den wendet, an dem er irre geworden ist. Das ist überhaupt eine gute Regel: Nicht Dritte befragen, sondern sich direkt an den wenden, den es angeht, da erhält man die beste Antwort. Und Jesus hat ja dazu gesagt: „Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert!“

Immerhin war da aber doch manches, weshalb man sich über Jesus ärgern konnte. Johannes hatte einen erwartet, der die Bösen vernichtet und eine heile Welt herstellt. Aber Jesus fing nicht an, die Menschen in gut und böse zu sortieren. Die Welt wurde nicht sichtbar in den Herrschaftsbereich Gottes verwandelt. Vor allem aber hatte der König Herodes immer noch Macht und hielt den Täufer in einer Bergfestung gefangen.

Wir stoßen uns heute vielleicht auch immer noch an der Unscheinbarkeit Jesu. Er konnte auch keine imponierenden Taten vorweisen. Schlüssige Beweise wie in der Naturwissenschaft fehlen uns. Jesu Botschaft hat die Welt noch nicht radikal verändert. Es gibt immer noch große Religionen und Weltanschauungen neben dem Christentum und die Juden warten immer noch auf den Messias. Uns werden die Irrwege der Kirche als Schuld vorgehalten. Wissenschaft und Technik drängen den Glauben in einen Winkel. Der christliche Glaube wird als Ballast hingestellt.

So blieb eben alles beim Alten. Es war noch nichts besser geworden in der Welt, seit Jesus da war. Nur armes Volk hatte er um sich gesammelt, bedrängte und bekümmerte Menschen. Er hatte nur eine Bestandsaufnahme gemacht, aber noch keine Änderung herbeigeführt. So ohnmächtig, so ungöttlich, so unwirksam hatte Johannes den Kommenden nicht erwartet. So begann Johannes zu zweifeln, ob er sich nicht doch in Jesus getäuscht hat.

Aber auch die Antwort Jesu ist enttäuschend: Die beiden Männer sollen Johannes ausrichten, was sie in Jesu Nähe hören und sehen! Das hat Johannes doch schon vorher gewußt. Das hatte ihm noch keine Sicherheit gegeben, sondern gerade seine Zweifel genährt. Wir wären vielleicht froh, wenn wir solche Christuswerke unter uns erlebten. Schließlich entsteht der Glaube durch die Erfahrungen mit Jesus.

Und die hat man doch damals wohl machen können, als Blinde sehen, Lahme gehen und Taube wieder hören konnten. Schon bei den alten Propheten waren solche Wunder als Zeichen des Messias angekündigt worden. Und Jesus hatte noch zwei weitere Taten hinzugefügt: „Tote stehen auf und Armen wird die frohe Botschaft verkündet!“ Das war doch sehr viel. Wir hätten da doch nicht mehr gezweifelt, sondern hätten in all dem einen Beweis für die Wahrheit Gottes gesehen.

Aber so einfach ist das auch für uns nicht. Wo sehen wir denn heute etwas von den Taten Jesu? Die Kirchlichkeit läßt nach, viel Müdigkeit ist da. Vielfach kann man hören: „Die Kirche kann da auch nicht helfen!“ Wer derart die Hoffnung aufgegeben hat, gehört heute zu den Armen, denen die frohe Botschaft verkündigt wird.

Diese Botschaft hat auch heute ihre Wirkung. Da wenden sich auch junge Menschen der Kirche zu und haben Mut zum Bekenntnis, der erstaunlich ist. Die Zukunft der Kirche und unser aller Zukunft ist nicht so aussichtslos und so sinnlos, wie wir vielleicht manchmal meinen. Hier und da beginnt ein Mensch, sich dem Guten zuzuwenden. Jesus hat ihn freigemacht zu lieben, wo sonst gehaßt wird, zu vergeben, wo sonst nur Rache geübt wird, fest zu bleiben, wo sonst nachgegeben wird.

Nur müssen wir ebenso wie der Täufer einsehen: Es kommt zunächst noch keine allumfassende Verwandlung der Dinge vom Himmel her. Es geht ganz schlicht um eine menschlichere Weise des Zusammenlebens. Jesus hat nicht zuerst die gesellschaftlichen Verhältnisse umgewälzt, um dann die menschlichen Probleme zu lösen. So versuchen das ja die Marxisten. Sie meinen: Wenn es erst einmal keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr gibt, dann werden alle ganz von selber gut und ihre Probleme untereinander hören auf; und was dann noch bleibt an Krankheit oder Hunger oder ähnlichem, das werden wir dann schon mit Hilfe der Wissenschaft bewältigen können.

Jesus aber hat sich zuerst um die seelische und leibliche Not des Einzelnen gekümmert. Er hat sich mit den Kranken abgegeben und für die Armen und Verachteten viel Zeit gehabt. Aber dadurch hat er die Welt mehr umgewälzt als alle Politik und Wissenschaft. Er hat dem Einzelnen Mut gemacht und gezeigt, daß man trotz widriger äußerer Umstände ein anderer Mensch werden kann. Und durch die Änderung des Einzelnen hat er auch das Gesamte verändert. Dadurch hat er eine Revolution von unten her eingeleitet, die mehr Verheißung hat als aller Zwang von oben.

Gott ergreift nicht von seiner Welt Besitz, indem er mit der Axt zuschlägt. Vielmehr macht er Kranke heil und zieht die Verachteten und Unglücklichen zu sich heran. Damit setzt er Vorzeichen des Künftigen, mehr nicht. Unter den vielen Leiden der Menschen fallen die wenigen Krankenheilungen Jesu nicht sehr ins Gewicht; und die geheilt wurden, sind doch einmal einer Krankheit erlegen. Und doch hat Jesus mit jeder Machttat schon das Künftige vorweggenommen.

Das Gleiche gilt für die im Inneren Geschädigten. Diese „Armen“ waren zur Zeit Jesu vor aller Hoffnung und von der Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen. Nun aber war Platz für sie an Gottes Tisch. Als Brüder ihres „großen Bruders“ hatten sie einen neuen Platz in Gottes Volk. Das sind alles keine großartigen Dinge. Aber hinter allem und in allen läßt sich doch die verborgene Herrlichkeit Gottes entdecken.

Wir können nicht verlangen, daß der Kommende sich durch sichtbare Erfolge ausweisen soll. Ein bewiesener Gott wäre kein Gott. Er nimmt das Risiko auf sich, daß auch seine besten Freunde ihn nicht mehr verstehen. Aber in aller Stille tritt er in das Leben der Elendsten ein und opfert sich auf im Dienst an den anderen. Aber auf eine solche ungewöhnliche Art und Weise erobert er die Welt.

Unsere Aufgabe wird es sein, im Sinne Jesu weiterwirken. Das wäre unser Beitrag zum Weihnachtsfest und eine Möglichkeit, andere Menschen von der Nähe Gottes zu überzeugen. Jesus wirkt heute nicht mehr direkt wie damals, als er noch auf der Erde war. Er braucht uns als sein Werkzeug.

Dazu genügt es nicht, ein paar tröstende Worte zu sagen, die nichts kosten Er will sich zwar auch der inneren Not der Menschen nehmen, aber er möchte auch in die rein körperlichen Krankheiten eingreifen. Wir dürfen dabei mithelfen, und sei es auch nur, um die Not zu lindern. Jesus hat uns ja gerade gelehrt, daß auch die Kranken und Ausgestoßenen eben Menschen sind, die auf unsre liebe angewiesen sind. Durch eine tatkräftige und konkrete Hilfe zeigt sich, ob unser Glaube etwas taugt.

Die Liebesarbeit der Kirche an den Kranken und Alten und Behinderten ist oft das Einzige, was man der Kirche noch lobend anrechnet. Deshalb sollten wir das erhalten und nicht einfach dem Staat überlassen. Geld dafür zu geben, ist noch das Einfachste. Schwerer wird es schon sein, selber dabei mit Hand anzulegen. Bloße Worte überzeugen niemanden. Nur die Tat wird überzeugen und auch andere zu Christus führen. Wir können Jesus nicht mehr selber sehen. Da sollte man doch wenigsten durch uns seine Auswirkungen spüren können.

Heute sind wir Christen das Erkennungszeichen und Vorzeichen Christi in der Welt. Wir tun heute die Taten Jesu, wenn auch auf andere Art und nicht mit der durchschlagenden Wirkung wie bei Jesus. Aber nur wenn wir uns ihm zur Verfügung stellen, wird sein Wirken allen deutlich werden können. Bei den Menschen mag unser Werk nicht viel gelten, mögen wir klein und gering geachtet werden. Aber so sind wir doch wenigstens Hinweiszeichen auf den Größeren, der schon gekommen ist und in seiner ganzen Größe erst noch kommen wird.

 

 

Mt 13, 44 – 46 (9. Sonntag nach Trinitatis):

Eine reiche und vornehme indische Familie schickte ihren Sohn auf eine englische Missionsschule. Sie war die beste Schule weit und breit, dort konnte man ein gutes Sachwissen erwerben. Allerdings gab es dort auch das Fach „Religion“, das heißt: die Schüler wurden auch mit dem christlichen Glauben bekanntgemacht.

Doch als Sundar Singh, der Sohn jener Familie, 14 Jahre alt war, wollte er getauft werden. Seine Familie war entsetzt. Der Junge sollte sich zwar alles Wissen aneignen, nicht aber die europäische Religion. Mit Verlockungen und Drohungen versuchte man, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Sein Onkel zeigte ihm die Schatzkammer der Familie und sagte: „Das alles wird auch dir gehören, wenn du bei uns bleibst. Wenn du aber Christ wirst, dann wirst du aus der Familie ausgestoßen, dann wirst du bettelarm und ohne Freund dastehen!“ Doch Sundar Singh ließ sich davon nicht beeindrucken.

Er ließ sich taufen und wurde von seiner Familie verstoßen. Er blieb im Internat der Schule und wurde zum bedeutendsten Theologen der indischen Kirchen in jener Zeit. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche. Er hat seine leibliche Familie verloren, aber er hat in der Kirche eine neue Familie gefunden, der er mit seinen Gaben dienen konnte.

In etwas abgewandelter Form gibt es das auch heute und bei uns. Da läßt ein Vater seinen Sohn studieren, Chemie und Physik, so wie er selber es getan hat. Er besorgt ihm in seiner Firma sogar eine gute Stelle, wo man heute doch froh sein muß, überhaupt eine Stelle zu bekommen. Aber der Sohn hört nach zwei Wochen wieder auf und erklärt, er wolle Medizin studieren und sich um Menschen kümmern und ihnen helfen.

Es hat auch junge Menschen gegeben, die dann kirchlicher Mitarbeiter wurden und sich der Pflege behinderter Menschen widmeten. Den Eltern ist das in der Regel nicht recht. Die erste Berufsausbildung sehen sie als verlorene Zeit an, von den Kosten gar nicht zu reden. Selten geht das ohne Auseinandersetzungen und Vorwürfe ab. Aber wer Christus gefunden hat, der nimmt nicht mehr falsche Rücksicht auf seine Familie, sondern gibt alles auf, um der neuen Aufgabe willen.

Schon Jesus hat mit seinen beiden Gleichnissen vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle zu einer solchen Entscheidung ermutigen wollen. Er selber hat ja auch seine Familie verlassen, um Gott zu dienen und den Menschen zu helfen. Er hat in seinem Leben den Schatz und die Perle gefunden, die ihm wertvoller waren als alles.

Wenn man in seinem Leben etwas aufgibt, ist das nicht so einfach. Man kann es nur tun, wenn man sich auf der anderen Seite einen Gewinn erhofft. Aber das alles ist längst nicht das gewesen, was Jesus meint. Wörtlich verstanden würde es bedeuten, daß man sich von allem löst, was so den Sinn des Lebens auszumachen scheint: Haus und Garten, das Auto, die Lebensversicherung, der Bausparvertrag, der Schmuck, die Möbel, die Bücher. Jeder hat auch etwas, woran er besonders hängt - auch das müßte zu Geld gemacht werden, um damit einen ganz besonders großen Schlag landen zu können.

Die Gleichnisse meinen allerdings viel mehr als eine gelungene Finanzaktion. Sie wollen ja herausstellen, daß neben Gott alles verblaßt und es sich lohnt, für ihn alles aufzugeben.

Doch wieder muß man sagen: „So ganz einfach ist das nicht. Man kann sich dabei mit der Familie überwerfen, man muß vielleicht den Wohnort wechseln, man wird unfreiwillig in Auseinandersetzungen hineingezogen und seine Ruhe verlieren. Auch vor inneren Zweifeln wird man nicht sicher sein, ob man denn das Richtige gewählt hat!“

Die Gleichnisse geben uns noch einige Hinweise, wie man eine solche Entscheidung angehen muß. Sie sagen: Man muß erst einmal entdecken, dann muß man erwerben, schließlich wird man gewinnen.

 

Entdecken: Der Mann, der mit seinem Pflug an ein Hindernis stößt, wird vielleicht zunächst fluchen. Aber dann stößt er unvermutet auf das, was der Reichtum seines Lebens sein wird. Der Perlenkaufmann sucht zwar bewußt etwas. Aber es ist dann doch Zufall, daß er auf eine besonders wertvolle Perle stößt. Vor allem hat er es nicht herbeizwingen können.

So kann auch Gott nur entdeckt werden. Er gehört nicht zu den Realitäten, die jeder ohne Weiteres wahrnimmt. Gott gibt uns nichts Handfestes. Aber es wäre falsch, deshalb zu sagen: er gibt überhaupt nichts. Es hat Sinn, nach Gott und seinem Reich zu suchen.

Doch nicht nur die echten Gottsucher werden ihn finden. Manchmal läßt er sich auch von einem finden, der nicht darauf aus war, der anderswo nach dem Sinn seines Lebens suchte. Gott kann auf einmal da sein - das ist die verblüffende Erfahrung, die wir machen können.

 

Erwerben: In den Gleichnissen müssen die Männer alles andere hergeben, um den besonderen Schatz erwerben zu können. Sie müssen alles auf diese eine Karte setzen. Abgesehen von dem neuen Besitz sind sie jetzt mittellos. Aber sie wissen, weshalb sie sich nicht beklagen.

Es kann sein, daß der Eintritt in den Dienst Gottes tatsächlich erfordert, alles andere preiszugeben. Gesetz ist das nicht. Aber von manchem Menschen wird dieses besondere Opfer verlangt, damit er für Gott tätig sein kann: Ein Albert Schweitzer opferte seine Universitätslaufbahn, ein Martin Luther King verzichtete auf einen ruhigen Lebensstil, eine Diakonisse besitzt kaum mehr als einen Koffer voll (deshalb gibt es ja auch kaum noch Diakonissen).

Natürlich darf sich hier kein Lohngedanke einschleichen: Gottes Welt wird nicht durch einen heroischen Verzicht erlangt. Aber wenn die Lage es erfordert, darf man den Verzicht nicht scheuen.

Das sagt Matthäus den Leuten, die zwar Gott entdeckt haben, aber noch zögern, in die unmittelbare Nachfolge Jesu einzutreten. Er will ihnen sagen: „Mit diesem Jesus bist du auf einen Schatz gestoßen. Wenn du dich ihm hingibst, dann bist du reicher als alle Reichen in dieser Welt!“

Eine kleine Bemerkung dürfen wir nicht übersehen: „aus seiner Freude heraus!“ Hier wird nicht zähneknirschend ein Opfer gebracht und verbissen auf einen Besitz verzichtet, sondern hier wird frei gewollt und ganz selbstverständlich entschieden.

Wer sich alles erst mühsam abringen muß, der soll es lieber sein lassen. Wer nicht gern zum Gottesdienst kommt, der soll bleiben wo er ist. In den Gleichnissen geht es nicht um ein Opfer, sondern es wird ja ein Kaufpreis gezahlt und dafür ein Gegenwert zur Verfügung gestellt. Die Freude über diesen Erwerb macht die Entscheidung leicht. Ein zweites Mal wird sich eine solche Gelegenheit nicht wieder bieten.

 

Gewinnen: An sich denken die Gleichnisse sehr kapitalistisch. Hier wird doch richtiggehend spekuliert, weil man alles in die Waagschale wirft und dabei auch   pleite gehen kann. Nur durch Risiko kann man immer noch mehr dazugewinnen, das ist das kapitalistische Prinzip.

Nur darf man sich dann von dem Gewinn nicht gefangennehmen lassen. Oft kann man aber beobachten, daß gerade die Reichen Angst haben, sie könnten wieder etwas verlieren. Und dann leiten sie eben einen großen Teil ihres Geldes an der Steuer vorbei und meinen, zehn Prozent Steuern seien auch genug. Wenn es so weit kommt, ist etwas schief gelaufen.

Aber wenn es um Gottes neue Welt geht, dann kann man schon einmal ein handfester Kapitalist sein und alles aufgeben, nur um beim Gewinn dabei zu sein. Allerdings kann man das Leben bei Gott nicht erkaufen, indem man alles verkauft. Wir brauchen mit Gott gar nicht zu handeln, weil e r längst an uns gehandelt hat. Wir brauchen ihn nicht zu suchen, weil er längst sucht und jeden von uns finden wird.

Wer Gott als seinen größten Schatz gefunden hat, wird nicht mehr arm werden. Er hat keine Angst mehr vor den Menschen, sondern sagt frei und offen, was gesagt werden muß. Er ist gelassen und fröhlich trotz aller Sticheleien und Alltagsprobleme. Er behält den Kopf hoch, obgleich alles schief ging, und kann sogar noch andere Versager zu einem neuen Anfang ermutigen.

Am Schluß soll noch einmal das Beispiel eines Menschen stehen, der nicht nur den rechten Glauben gefunden hat, sondern auch in tätiger Liebe die richtigen Folgerungen daraus gezogen hat: die Heilige Elisabeth, die im Alter von vier Jahren auf die Wartburg kam, um einmal den Landgrafen von Thüringen zu heiraten. Die Eltern haben ihr unzählige goldene und silberne Trinkgefäße mitgegeben, Kronen, Ringe und Spangen, außerdem noch tausend Mark in Silbergeld. Doch der größere Schatz, der auf die Burg einzog, war der Mensch Elisabeth.

Als sie erwachsen ist, dauert ihr Eheglück nur kurz. Ihr Mann kommt auf einem Kreuzzug um, den er ja auch um jenes höchsten Zieles willen unternommen hatte. Elisabeth verschenkt ihren Reichtum an die Armen. Sie geht selber in die Stadt und pflegt die Armen. Noch mehr tut sie das in Marburg, wohin sie vor dem neuen Landgrafen fliehen muß. Sie hat dabei sogar übertrieben und ihre Gesundheit ruiniert. Im Alter von nur 24 Jahren ist sie gestorben. So muß es nicht immer sein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir wenigstens ein bißchen von der Liebe der Heiligen Elisabeth hätten, von der Liebe zu Gott und Liebe zu den Menschen. Dazu wollen uns diese Gleichnisse ermutigen.

 

Ergänzungen:

Aber wenn wirklich dieser totale Einsatz das Beispiel für christliches Leben ist, dann sind diese Gleichnisse doch ziemlich unerträglich. Unsere persönliche und kirchliche Wirklichkeit sieht doch anders aus. Wir tragen zwar goldene oder silberne Kreuze um der Hals. Aber sind wir denn wirklich bereit, irgendwo im persönlichen oder kirchlichen Leben etwas um Christi willen aufzugeben?

Natürlich müssen wir selber etwas einsetzen: Nicht nur Zeit und Geld, sondern auch Hingabebereitschaft, Begeisterungsfähigkeit und die Liebe zu den Mitmenschen. Aber wer sich das alles erst mühsam abringen müßte, der soll es lieber sein lassen.

Die Finder in den Gleichnissen opfern ja nichts, sondern sie zahlen den Kaufpreis und erhalten einen Gegenwert. Sicher müssen sie dafür etwas aufgeben. Aber sie verzichten selbstverständlich, weil dadurch ein Mehrwert gewonnen werden kann. Da gibt es nichts mehr zu entscheiden, die Freude über den Fund hat ihnen die Entscheidung abgenommen. Ein zweites Mal wird sich eine solche Gelegenheit nicht wieder bieten. Jeder vernünftige Mensch würde da zugreifen und nicht so ein Narr sein, dem selbst wenn es Brei regnet noch der Löffel fehlt.

Allerdings läßt sich hier nichts durch ein frommes Tauschgeschäft einhandeln. Wir können die Gottesherrschaft nicht  e r kaufen, indem wir alles v e r kaufen! Wir brauchen mit Gott nicht zu handeln, weil er längst an uns gehandelt hat. Wir brauchen ihn nicht zu suchen, weil er uns längst gesucht hat und jeden von uns finden wird.

Schätze und Juwelen spielen in Krimis eine bevorzugte Holle. Aber mancher ist schon unglücklich geworden mit solchem Besitz. Bei Jesus aber ist es anders.- Wenn wir am ersten nach den Reich Gottes trachten und seiner Gerechtigkeit, das läßt uns auf keinen Fall arm werden. Die Auswirkungen der Begegnung mit Jesus lassen vielleicht etwas deutlich werden von der Größe des Schatzes:

Da hat einer keine Angst mehr vor den Menschen, sondern sagt frei und offen, was gesagt werden muß. Da ist einer fröhlich trotz aller Sticheleien und aller täglichen Probleme. Da behält einer den Kopf oben, obgleich alles schiefging, und kann sogar noch andere Versager zu einem neuen Anfang ermutigen. Da überwindet sich einer und macht den ersten Schritt auf den zu, der mit ihm feind ist. Und da gibt es solche, die sich verausgaben bis an die Grenze ihrer Kräfte, um Einzelne oder ganzen Gruppen zu ihrem Menschsein zu verhelfen.

Wer diese Gleichnisse Jesu recht begriffen hat, der läßt das hinter sich, was war, und er streckt sich

 

 

Mt 15, 21 – 28 (17. Sonntag nach Trinitatis):

Hunde sind zwar treue Tiere. Aber wenn man jemanden als „Hund“ bezeichnet, dann ist das ein Schimpfwort. Vor allem wenn man noch einen Zusatz macht wie „Du blöder Hund“ oder „Du Köter“. Auch ein „Windhund“ wird meist abgewertet. Im Altertum gab es die Philosophenschule der „Zyniker“, der „Hündischen“, die alles und jeden schlecht machten und ihn von oben herab behandelten. Deshalb muß es diese ausländische Frau getroffen haben, als Jesus sie anfuhr: „Du Hund, ich kann doch nicht den Kindern das Brot wegnehmen und es vor die Hunde werfen!“ So etwas hat sicher gesessen.

Jesus gerät hier ins Zwielicht, so kennen wir ihn gar nicht. Man kann auch nicht sagen, er habe sich nur deshalb taub gestellt, weil er die Frau habe „prüfen“ wollen. Man wundert sich auch, weil es so aussieht, als habe er sich von einer heidnischen Frau bekehren lassen, als habe er sich durch ihr Verhalten gewandelt. Das ist ja auch in der Tat so: Jesus tut etwas, was er ursprünglich nicht vorhatte. Er überschreitet dabei sogar eine Grenze, die ihm anerzogen worden war. Damit eröffnet er aber einen Weg für die Gemeinde nach Ostern, die ja auch zu den Heiden gegangen ist.

Gehen wir die Szene noch einmal der Reihe nach durch: Unentwegt läuft und schreit die Frau hinter Jesus und seinen Jüngern her. Wiederholt versuchen die Jünger, Jesus dazu zu bestimmen, daß er sie wegschickt. Sie bitten Jesus um ein Machtwort, damit endlich diese unangenehme Sache ein Ende hat und die Gruppe in Ruhe weiter gehen kann. Es ist doch nur natürlich, daß man möglichst schnell aus dieser peinlichen Situation herauskommen möchte, zumal man weiß, daß man ja doch nicht helfen kann.

Jesus läßt sich die Zudringlichkeit der Frau eine ganze Weile gefallen. Aber er schweigt doch. War nun alles Hoffen, alles Vertrauen umsonst? Auch die Fürbitte der Jünger richtet nichts aus, auch dieser letzte Hoffnungsschimmer ist dahin. Es ist alles hoffnungslos. Letztlich reagiert Jesus mit keinem Wort auf den Anruf der Frau, denn für eine Heidin ist er ja nicht zuständig.

Das Markusevangelium, das diese Geschichte auch erzählt, versucht zu erklären und zu verharmlosen: Jesus sollte zuerst zu den Juden gehen und danach zu den Heiden. Dann würde er hier sagen: „Immer schön der Reihe nach, liebe Frau. Ihr Heiden seid noch nicht dran!“ Aber Matthäus bewahrt den ursprünglichen Sachverhalt: Die Ausweitung des rettenden Handelns Gottes auf die Heiden ist keine platte Selbstverständlichkeit, sondern ein Ereignis, das bereits in das Ende aller Zeit hineinreicht; denn daß das Evangelium in der ganzen Welt gepredigt wird, ist ein Zeichen der letzten Zeit.

Die Frau bittet nicht, weil sie ein Recht dazu hätte. Vielmehr treibt sie die Not, denn sie hat eine schwerkranke Tochter. Sie ist doch völlig ohnmächtig, ist an der Grenze menschlicher Kraft und Möglichkeiten, ist getrieben von der Angst einer Mutter um ein geliebtes Kind. Die letzte Möglichkeit ist Jesus. Von ihm weiß sie zwar auch nur wenig, aber er ist der letzte Ausweg. Ihr Schreien ist ein Ausdruck eines großen Vertrauens zu Jesus.

Haben wir schon einmal wie diese Frau zu Jesus geschrien? So geschrien, wie Luther dichtete: „Aus tiefer Not schrei ich zu dir!“ Haben wir schon einmal so gebetet, daß es wirklich ein Schreien von Grund unsers Herzens war, so wie ein Ertrinkender um Hilfe schreit? Wenn man schreit, dann ist man wirklich am Ende.

Eine Mutter hatte einen sechsjährigen Sohn, der einen Gehirntumor hatte und damals ihr einziges Kind war. Als es mit dem Sohn zu Ende ging, da rief sie allerdings nicht Gott an, sondern ging zum Arzt. Sie flehte ihn an, doch etwas zu machen. Aber er konnte natürlich auch nicht helfen. So schwer ist es manchmal in unserm Leben. Die Mutter hat nachher noch zwei Kinder bekommen. Das hob ihren Schmerz über das gestorbene Kind nicht auf. Das Bild hing immer im Zimmer, jeder hatte vor Augen, daß man dieses Kind nicht vergessen hat. Aber so eine Krankheit kann durchaus auch anders ausgehen, nämlich positiver. Aber auf jeden Fall braucht keiner zu denken, er sei von Gott verlassen, ganz gleich, wie es ausgeht.

Als die Frau in der biblischen Geschichte die erste Absage bekommt, unterläßt sie jeden Versuch, diese zu entkräften. Sie wirft sich vielmehr vor Jesus nieder und ruft: „Herr, hilf mir!“ Doch Jesus wiederholt seine Ablehnung überscharf „Soll denn den Kindern das Brot weggenommen werden?“

Die Frau weiß, daß Gott nur das Volk Israel erwählt hat. Sie ist nicht der Meinung, daß er gefälligst für alle Menschen da zu sein hat. Sie sagt auch nicht: „Was dem einen recht ist, das ist dem anderen billig!“ Sie appelliert nicht an Gottes Gerechtigkeitssinn. Sie weiß: Daß wir mit Gott in Gemeinschaft kommen, beruht allein auf seinem freien Erwählen. Gott hat es in der Hand, mit wem er sich verbinden will. Verdient hat es keiner. Denn wenn es nach dem Verdienen ginge, so könnte er mit uns Schluß machen, so wie man heute einfach per SMS eine Beziehung beendet.

Jeder andere wäre zusammengezuckt und hätte sich geknickt und enttäuscht aus dem Staub gemacht. Oder sie Frau hätte voller Stolz sagen können: „Na, dann eben nicht!“ Die Frau könnte anfangen, mit Jesus zu rechten und zu streiten. Sie hätte sich damit abfinden können, daß Jesus es anders beschlossen hat.

Wir könnten all diese Reaktionen verstehen, weil sie menschlich sind und wir es wahrscheinlich auch gern so machen würden. Das sind alles Verhaltensweisen, die auch uns nicht fremd sind. Aber wenn wir ihnen nachgeben würden, dann wäre die Brücke zwischen Gott und uns eingestürzt.

Aber dann nimmt die Frau Jesus doch beim Wort und führt seine Aussage schlagfertig in ihrem Sinne weiter: „Wenn du schon den Vergleich mit den Kindern am Familientisch gebrauchst, dann gibt es für mich und meine Tochter dort einen Platz. Die Hunde, von denen du sprichst, bekommen eben doch etwas. Ich will niemandem etwas wegnehmen, sondern ich will ja nur das, was sowieso abfällt, ein Stückchen von deiner unendlichen grenzenlosen Barmherzigkeit. Ich weiß, daß ich kein Recht habe. Aber ich möchte doch etwas von deiner grundlosen Güte abhaben!“

Jesus stößt hier auf Glauben, wo man es nicht hätte erwarten können. Es ist ein Glaube, der sich nicht auf „Rechte“ beruft und doch von Jesus Hilfe erwartet. Deshalb stellt sich am Ende doch heraus: Jesus kann auch anders. Auf jeden Fall hilft er, wenn auch nicht immer so, wie wir es erbitten, sondern anders und oft besser.

Der Glaube hält solche Spannungen durch und läßt sich nicht beirren. Die Frau bleibt weiter bei Jesus. Sie wendet sein „Nein“ in ein „Ja“, in dem sie das im „Nein“ für sie noch enthaltene „Ja“ ans Licht zieht. So erfährt der Glaube die Auflösung der Spannung und der Glaubende empfängt entsprechend seinem Glauben.

Aber das bedeutet doch oft: „Man muß gegen Gott an Gott glauben!“ Der Glaube der Frau war sicher nicht in allen Punkten durchgeklärt. Aber er war ein Vertrauen zu der Person Jesu. Sie hängt sich an Jesus und weiß vielleicht gar nicht einmal wieso.

Glaube muß immer etwas wagen, und diese Frau wagt etwas. Sie muß diesen Glauben auch durchhalten, auch wenn er angefochten ist, und zwar nicht von außen, sondern von Gott selber. Jeder Glaubende kommt einmal in Situationen, in denen er fragt: „Kann Gott nicht helfen? Will er nicht? Gilt seine Zusage noch?“ Jesus selber mußte durch solche Anfechtungen hindurch. Gott kann auch schweigen. Und am bedrückendsten war sein Schweigen an Karfreitag. Aber Luther sagte in einer Predigt zu diesem Text: „Man muß das tiefe heimliche Ja unter und über dem Nein mit festem Glauben auf Gottes Wort fassen und halten!“

Auf einer Tasse steht die folgende Geschichte geschrieben: Spuren im Sand. Ich träumte eines Nachts, ich ging am Meer entlang. Und es entstand vor meinen Augen, Streiflichtern gleich, mein Leben. Nachdem das letzte Bild an mir vorübergegangen war, sah ich zurück und stellte fest, daß in den schwersten Zeiten meines Lebens nur eine Spur zu sehen war. Das verwirrte mich sehr und ich wandte mich an den Herrn. „Als ich dir damals alles, was ich hatte, übergab, um dir zu folgen, da sagtest du, du würdest immer bei mir sein. Warum hast du mich verlassen, als ich dich so verzweifelt brauchte?“ Der Herr nahm meine Hand: „Geliebtes Kind, nie ließ ich dich allein, schon gar nicht in Zeiten der Angst und Not. Wo du nur ein Paar Spuren in dem Sand erkennst, sei ganz gewiß: Ich habe dich getragen!“

Unsere Bittgebete sind oft kraftlos und wenig wagemutig. Heimlich sind wir der Meinung,

Gott lasse sich nicht dreinreden. Dahinter steht die Vorstellung, Gott würde die Welt nach

einem Generalplan steuern, wie von einem neutralen Schaltpult aus, ohne unmittelbaren Kontakt mit den Menschen.

Diese Geschichte zeigt es anders: Gott ist selbst Mensch geworden. Er bekommt es in Jesus mit den Menschen zu tun und sie bekommen es mit ihm zu tun. Und dabei geschieht das Erstaunliche: Daß der Herr und Gott sich von einem Menschen überwinden läßt. Es entwickelt sich ein Geschehen, das nicht nur Menschen verändert, sondern auch Gott. Der Glaube flüchtet sich von dem Gott, der sich zunächst versagt, zu demselben Gott, der am Ende Ja sagt.

 

Ergänzung;

Die Frau läßt sich nicht so leicht abweisen. Sie führt das Bild weiter und sagt: „Wenn Kinder mit am Tisch sitzen, dann lassen die auch einmal etwas fallen und die Hündlein schnappen es auf. Mehr will ich ja gar nicht!“ Obwohl Jesus „Nein“ gesagt hat, hört sie doch das heimliche „Ja“ heraus. „Du sagt es ja“, beschwört sie ihn fast, „die Hunde kriegen auch etwas ab. Ich bin ja nur ein armer Hund. Aber gib mir jetzt auch etwas ab. Ein Krümel von dir ist so viel, daß es für mich genügt!“

Wie hätten wir so etwas gewagt? Gut, einmal bitten wir Jesus schon. Aber wenn er dann nicht hilft, geben wir es auf und sehen uns nach anderen Möglichkeiten um oder versuchen selbst zurechtzukommen. Wo finden wir bei uns denn solchen Glauben, der dieses Werk Jesu gewissermaßen herbeizieht? Und dann will die Frau noch nicht einmal einen Beweis, sondern vertraut dem Wort Jesu, daß die Tochter gesund sei. Das ist fast zu viel verlangt.

Oft nehmen wir auch unsere speziellste Not und Belastung aus und denken: „Da wird Jesus doch nicht eingreifen, das ist zu viel für ihn!“ Wir wollen ihm nicht so auf die Nerven fallen wie diese Frau hier. Und doch wird uns gerade diese Frau als Vorbild hingestellt.

Diese Geschichte will uns Mut machen zum Glauben: Am Ende hört Jesus doch! Wir dürfen nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Sonst kann es uns passieren, daß Gott einem anderen hilft und ihm das gewährt, was wir uns nicht von ihm zu erbitten getrauten. Gott hilft oft gerade dann, wenn wir es nicht erwartet haben.

 

 

Mt 21, 1 – 9 (1. Advent):

Ein Bild des holländischen Malers Frans Masereel zeigt den Einzug Jesu, als sei er bei uns geschehen. Eine Stadt mit Geschäften, Autokolonnen Menschenmassen. Und mittendrin Jesus, auf einem Esel reitend, von einem Lichtglanz umgeben. Er fällt trotz des Gewühls auf, denn um ihn herum ist ein kleiner Raum frei. Weichen die Leute etwa aus, weil sie Scheu und Ehrfurcht haben vor dem König, der dort kommt? Oder sehen sie ein Verkehrshindernis in ihm? Oder gehen sie ihm aus dem Weg?

Wenn wir ihre Gesichter sehen, scheint das Letztere zu stimmen. Niemand bemerkt diesen Jesus. Entweder ist er Luft für sie oder er fällt wirklich nicht auf; er ist ja auch so unscheinbar und unauffällig. Außerdem sind alle mit ihren eigenen Gedanken und Geschäften so mit Beschlag belegt, daß sie auf so eine seltsame Gestalt gar nicht achten können. Jesus, der Sohn Gottes, kommt in eine Stadt, aber niemand nimmt Notiz von ihm. Das Leben in der Stadt geht weiter, als sei nichts geschehen. So war es bei der Geburt Jesu, bei der Taufe, beim Einzug in Jerusalem und bei der Kreuzigung. Es waren immer nur Einzelne, die die Bedeutung dieses Ereignisses für ihr Leben erkannten.

Die Handlung geht dabei ganz von Jesus aus. Wir können ihn nicht mit unsrem Verlangen und unsrer Erwartung herbeiziehen. „Siehe, dein König kommt zu dir!“ Das gilt auch noch heute. Er ist unterwegs, er hat sich aufgemacht, er will einziehen. Er kommt sogar zu denen,

die es nicht erwarten. Damals sahen sie ihn. Wir können ihn nicht sehen. Aber er will erkannt werden als der, der er ist - auch von uns. Auf andere und neue Weise ereignet sich der Einzug Jesu immer wieder.

 

(1.) Der erwartete König: Zu Fuß war er wie alle anderen Festpilger bis vor die Tore der Stadt Jerusalem gewandert. Aber dann besteigt er ein Reittier und setzte damit ein Zeichen, das kaum zu übersehen war. In den alten Schriften hieß es, vom Ölberg her werde der Messias in seine Stadt einziehen. Er wird nicht hoch zu Roß wie weltliche Könige kommen, sondern auf einem Esel, dem Reittier der kleinen Leute.

Jesus hat diese Zeichen bewußt eingesetzt, damit alle merken können, wer er ist. Einige haben auch richtig verstanden: Sie haben zwar keinen roten Teppich dabei, wie man ihn vor Staatsgästen ausrollt, aber sie breiten schnell ihre Obergewänder vor ihm aus, damit er wie ein König einziehen kann.

Unter den Festpilgern geht es um wie ein Feuer. Sie sind sowieso voller Spannung und Freude auf das Fest, leicht erregbar und von einer glühenden Hoffnung erfüllt. Sie meinen: „Jetzt endlich ist die Stunde gekommen, der ersehnte Messias ist da!“So mag es den Leuten zumute sein, die die Gesellschaftsordnung in ihrem Land umstürzen wollen, um zu gerechteren Verhältnissen zu kommen. Sie denken: Nur noch eine kleine Anstrengung, dann heben wir es geschafft!

Einige beginnen zu singen. „Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!“Das war ein Stück üblicher Liturgie, so wurden alle Pilger am Tempeltor empfangen. Jetzt aber wurde das alles doppeldeutig. Einige singen sogar: „Hosianna, dem Sohne Davids!“ Damit wurde die Sache schon eindeutiger, denn der Messias sollte ja ein Nachkomme Davids sein. Aber Jesus löst diese alten Hoffnungen auch wieder ab. Wir werden nicht mehr so hoffen können wie die Juden von damals. Wir haben ja auch keine Beziehung mehr zum Königtum, das ist für uns etwas Vergangenes, etwas aus dem Märchen. Auch die damals Jesus huldigten, haben noch viel umlernen müssen, bis sie begriffen , was „Königsherrschaft Jesu Christi“ bedeutete.

 

(2.) Der machtlose König: Jesus will nicht ein kriegerischer Revolutionär sein. Indem er den Esel nimmt, entscheidet er sich für die Hoffnung auf den friedlichen Messias. Im Grunde war

sein Einzug nur eine ganz unauffällige Demonstration, die in dem Gewimmel der 100.000 Pilger gar nicht auffiel. Deshalb haben ja auch die Römer nicht eingegriffen, von diesem „Bettelkönig“ (wie es Luther sagt) ging keine Gefahr für sie aus.

Mit diesem Jesus war nicht viel Staat zu mache- Sicher würde er so nicht viel ausrichten können. Jeder kann ihn abweisen, keinem drängt er sich auf. Seine Niedrigkeit scheint ans Lächerliche zu streifen. Kein Staatsstreich, kein Militärputsch, kein Aufstand. Und doch ein Einzug, der die Welt verändert hat.

Der da einzog, war der Gott der armen Leute. Er verkleidete seine Macht in Menschlichkeit und Güte, Anspruchslosigkeit und Opfer. Deshalb folgten ihm auch Leute, die nicht einer offiziellen Pflicht genügten, sondern ihn von Herzen willkommen hießen. Wenn heutzutage ein Staatsgast kommt, dann werden zum Teil die Menschen abkommandiert und Kinder müssen Fähnchen schwenken. Aber Jesus sind sie freiwillig gefolgt, weil er anders war als die Mächtigen dieser Welt.

Auch seine Kirche wird allen Machtvorstellungen absagen müssen. Es wird doch manchmal gesagt: Zur Kirche gehören soundso viel Prozent der Bevölkerung, da müßte sie doch ganz anders auftreten! Aber eine Machtdemonstration ist nicht unsere Sache. Macht gibt es in der Welt genug, mehr als genug. Es wird die große Aufgabe aller Friedwilligen sein, dem Gewaltdenken abzusagen und sich für eine weltweite Abrüstung einzusetzen. Sicherheit erlangt

Man nicht durch mehr Macht, sondern durch den Abbau aller Machtmittel. Das will uns Jesus mit seinem Einzug in Jerusalem lehren. Die Frage ist nur, ob wir uns belehren lassen wollen Darauf kommt es aber doch an, daß er auch bei uns einzieht.

 

(3.) Er zieht ein als unser König: Was damals in Jerusalem geschah, könnte uns gleichgültig sein, hätten wir es nicht mit ihm zu tun. Es ist „dein“ König, und zwar völlig zu recht, nicht einer, der sich diese Würde nur anmaßt. Er bittet nicht darum, König sein zu dürfen, sondern er ist es.

Es ist an sich erstaunlich, daß sich Menschen überhaupt von diesem Jesus beeinflussen lassen. Jeder hat doch einen gefüllten Terminkalender und viele Pläne, daß für Jesus eigentlich kein Platz mehr bleibt. Aber damals wandten sich die Leute auf offener Straße diesem Jesus zu. Sie vergaßen, daß sie eigentlich keine Zeit hatten, und Geld verdienen müßten. Sie dachten nicht an die Kosten ihrer Kleider - so wie wir heute nicht an die Schonung unsrer Autopolster denken dürfen oder den Ertrag unserer Überstunden, wenn wir Jesus nachfolgen wollen.

Niemand opfert gern etwas von seinem mühsam erworbenen Besitz und von seiner wenigen Freizeit. Einige tun das, aber die meisten, sind nicht bereit, sich in Kosten oder gar in Leiden zu stürzen. Sie besuchen gelegentlich Gottesdienste und sprechen stille Gebete. Damit ist aber nur der Anfang gemacht. Wirklich aufgenommen wird Jesus nur dort, wo man sich im Alltag nach ihm richtet und seine Forderungen über alle Nützlichkeitserwägungen stellt.

Wir könnten natürlich auch versuchen, ihm aus dem Weg zu gehen. Vielleicht erscheint er uns auch so wie ein Verkehrshindernis. In unserer Weilt muß es doch schnell gehen, da hat man nicht viel Zeit für Jesus oder für die Kirche. Das bringt doch alles nur Unruhe in den üblichen Tagesablauf. Aber Jesus läßt sich davon nicht beeindrucken. Er kommt dennoch zu uns, in ihm bewegt sich Gott auf uns zu.

Wenn Besuch kommt, weist man ihn als höflicher Mensch nicht ab. Jesus ist sogar hoher Besuch, den wir mit der nötigen Hochachtung empfangen müssen. Er ist nicht einer, dem wir freundschaftlich auf die Schulter klopfen können. Er ist auch kein irdischer Glücksbringer, sondern er verlangt im Gegenteil etwas von uns. Dennoch könnten wir ihn mit freudigem Gesicht empfangen, denn er kommt ja, um uns zu helfen.

Wir werden heute keine Kleider mehr hinbreiten und Zweige schwenken. Aber es gibt auch für uns Begrüßungszeichen, die mehr sind als nur ein Adventskranz. Das Kommen Jesu ist nicht an die Jahreszeit gebunden, sondern er kann und will jeden Tag zu uns kommen. Im Grunde weiß jeder ganz genau, was falsch und richtig ist, wenn Jesus zu ihm käme.

Es könnte nämlich auch sein, daß wir etwas anderes erwartet haben in dem der da kommt, ihn als einen irdischen Glückbringer ansehen und als einen, der unsere Wünsche erfüllt. Und deshalb ist es so unangenehm, wenn es sich herausstellt: Jesus verlangt etwas von uns, und dazu noch etwas ganz anderes, als wir uns vorgestellt hatten. Was verlangt Jesus von uns? Sicher wüßten wir das doch ganz genau, was falsch und was richtig ist, wenn Jesus zu uns käme, heute und hier.

Sehr schön beschreibt das ein Schlager, der vor Jahren in Südamerika auftauchte, von einem unbekannten Verfasser. Das Lied hörte man aus Gastwirtschaften und geöffneten Fenstern, auch da, wo man es nicht vermuten würde. Eigentlich ist es gar kein Schlager, das Lied hat nur eine eingängige Melodie Es wird beschrieben, was wohl geschähe, wenn Jesus zu uns käme. Hier einmal einige der anschaulichen Beispiele dieses Liedes:

„Wenn Jesus in dein Haus käme, wäre ich doch gespannt, was du tun würdest, wenn er unangemeldet käme, nur einfach so hereingeschneit. Ich weiß, du würdest ihm den schönsten Raum geben und ihm die allerbesten Speisen vorsetzen und du würdest ein freudiges Loblied anstimmen. Würdest du ihn an der Tür mit ausgestreckten Armen empfangen? Oder müßtest du erst deine Kleider wechseln und einige Illustrierte verstecken und die Bibel dorthin legen, wo sie hingehört?

Würdest du das Radio abschalten und wünschen, daß du das letzte hastige Wort nicht ausgestoßen hättest? Würdest du deine Schlagerplatten verstecken und einige Gesangbücher her­vorholen?

Wenn dein Heiland ein oder zwei Tage mit dir verbringen wollte, würdest du dann weiterhin all die Dinge tun, die du immer tust? Würde das Leben so für dich weitergehen, wie es von Tag zu Tag weitergeht? Würde eure Familienunterhaltung ihre gewöhnlichen Themen beibehalten und würde es eine Überwindung für dich bedeuten, ein Tischgebet zu sprechen? Würdest du die Lieder singen, die du immer singst, und die Bücher lesen, die du liest? Würdest du ihn die Dinge wissen lassen, mit denen deine Gedanken sich befassen?

Würdest du Jesus überall mit hinnehmen, wo du hinzugehen vorhast? Würdest du froh sein, daß er deine allerbesten Freunde kennengelernt hat, oder würdest du hoffen, daß sie nicht kommen, bis sein Besuch beendet ist? Wärst du froh, wenn er immer bei dir bliebe, oder würdest du mit großer Erleichterung aufatmen, wenn er schließlich gegangen ist? Wenn Jesus in dein Haus käme, wäre ich gespannt, was du tun würdest!“

 

 

Mt 2, 1 - 12 (Epiphanias, Variante 1):

Immer wieder blicken wir gespannt in den Osten. Wird der Frieden erhalten bleiben oder wird es Krieg geben? Spielt sich das alles fernab von uns ab oder werden wir mit hineingezogen? Können wir uns auf unsere kleinen privaten Probleme zurückziehen oder sind wir Teil einer weltweiten Gemeinschaft? Heute droht uns Gefahr vor allem aus dem Osten. Zur Zeit Jesu galt der Osten als Land der Weisheit, ja sogar eines verborgenen Geheimwissens. Hatten doch schon die alten Babylonier die Sterne erforscht und Erkenntnisse gewonnen, die für ihre Zeit erstaunlich waren. Heute denken wir etwas anders darüber. Wir wissen, daß auch viel Aberglaube dabei war, der ja bis in unsre Zeit hineinreicht. Das mit den Tierkreiszeichen und Horoskopen kommt ja von den Babyloniern.

Aber zunächst einmal galten sie als Vertreter der Wissenschaft und der Weisheit. Umso erstaunlicher ist es, daß sich einige dieser Männer aufmachen, um nach einer noch höheren Weisheit zu suchen. Sie hatten doch schon alles Wissen der Welt zusammengetragen. Weshalb sollte es da in einem unbedeutenden Land noch höhere Erkenntnis geben? Matthäus will seiner Gemeinde sagen:

 

1. Zu Jesus kommen die Fernen: Es gab ja damals auch Wissenschaftler im jüdischen Volk. Sie hatten die alten Schriften studiert, sie waren ganz nahe am Geschehen dran. Sie hätten es doch wissen können, viel eher als die Fernen. Aber ihr Wissen führte zu nichts. Sie stellten die Bücher wieder an ihren Platz, weil sie es ja schon immer besser gewußt haben.

Uns geht es oft nicht anders. Wir meinen, Bescheid zu wissen über Gott und die Welt. Wir machen uns sogar ein Bild von Gott, wie er nach unsrer Meinung zu sein hat. Aber dann bricht dieses Bild auseinander, weil vielleicht ein lieber Mensch aus unsrer Nähe gestorben ist oder weil wir beruflich aus der Bahn geworfen wurden oder weil wir mit Krankheit belastet werden. Dann ist Gott so ganz anders, als wir ihn uns vorgestellt haben. Dann müssen wir umlernen, so wie das die Weisen aus dem Morgenland mußten, die einen Palast suchten und einen Stall fanden.

In gleicher Gefahr stehen die Theologen, die sich wissenschaftlich mit der Bibel und dem Glauben beschäftigen. Da kann man leicht vor lauter Einzelheiten das Eigentliche übersehen. Da achtet man nur darauf, was über die Frauenfrage oder über die Dritte Welt aus einem Bibeltext zu entnehmen ist. Man hat seine Lieblingsthemen, die man wiederfinden will. Aber man läßt das Wort Gottes nicht mehr zu sich sprechen.

Beides ist schwer zu verstehen: Die es eigentlich wissen müßten, die an der Quelle sitzen, glauben nicht. Aber ausgerechnet die Heiden, die sich mit all ihrer Wissenschaft angeblich im Irrtum befinden, finden den Zugang zum Heil.

Wir denken vielleicht: Es liegt doch an uns, welche Weltanschauung wir uns zurechtmachen oder welcher Religion wir uns zuwenden. Es gibt doch heute so viele davon. Und selbst innerhalb des christlichen Bereichs gibt es doch so viele unterschiedliche Möglichkeiten: Wenn mir meine Gemeinde nicht gefällt, dann findet sich doch leicht eine andere, entweder von unsrer Kirche oder auch von einer anderen. Doch es ist Gottes Sache, wen er wählt und ruft. Wir können uns nicht aus einem großen Angebot die Sonderangebote herausfischen oder schnell noch einmal im Winterschlußverkauf zugreifen, wie es uns beliebt.

Gott ist nicht überall zu finden, in allen Weltanschauungen und bei allen Menschen. Vielmehr hat er sich gebunden an einen ganz bestimmten Menschen, an diesen Jesus, der in einem ganz bestimmten Ort zu einer ganz bestimmten Zeit geboren wurde. Man muß schon hingehen. Aber das kann man nur, weil Gott sich zunächst zu uns Menschen aufgemacht hat.

Das ist die Botschaft des Weihnachtsfestes, das ja in der alten Kirche am heutigen Tag begangen wurde und in den östlichen Kirchen auch heute noch so gefeiert wird. Bei uns spricht man eher vom „Dreikönigstag“. Doch gemeint waren nicht Könige, sondern Wissenschaftler, eben die Weisen aus dem Morgenland. Und die Zahl „drei“ hat man nur daraus geschlossen, daß dreierlei Geschenke erwähnt werden. Und sicherlich waren sie das, was wir heute „Heiden“ nennen. Doch damals zog man keine so scharfen Grenzen zwischen den Religionen.

Es waren sicherlich auch gläubige Menschen, auch wenn sie den wahren Gott noch nicht erkannt hatten. Aber sie hielten sehnsüchtig nach dem Welterlöser Ausschau. Sehr viele Irrwege waren sie dabei schon gegangen. Aber nun auf einmal hatten sie am Himmel etwas entdeckt, was ihnen eine neue große Hoffnung gab. Und so kommt es zu dem Zweiten, was uns Matthäus sagt:

 

2. Zu Jesus finden die Irrenden: Die Begegnung mit Jesus bedeutet für diese Männer ein Abschied von dem, was sie früher gedacht und geglaubt haben. So ist für manche Leute, die sich als Kommunisten bezeichneten, eine Welt zusammengebrochen. Es gibt nur wenige, die von der Sache überzeugt sind (aber da muß man sich fragen, ob sie ganz zurechnungsfähig sind). Viele aber sind Mitläufer, die sich von ihrem nach außen vorgetragenen Bekenntnis persönliche Vorteile erhoffen. Vielen muß man vorhalten: „Bei einem anderen politischen System würden sie anders reden!“

Das streiten die dann zwar ab und sagen, sie würden nie ihre Meinung ändern. Aber wenn sie dann umgeschwenkt sind, dann bezeichnen sich höchstens als irregeleitet und versuchen wieder, ihr Mäntelchen nach dem Wind zu hängen.

In dieser Weihnachtserzählung geht es ja nicht darum, daß man sich auf einer mittleren Linie trifft und etwas vereinbart. Hier muß ja ein Wahn und ein Irrglaube überwunden werden, hier müssen Götter gestürzt werden. Wenn Gott kommt, dann werden die Götter entmachtet. Dann werden aus Sternenanbetern echte Christusanbeter.

In jedem Heidentum, in jeder Weltanschauung steckt wohl die Frage nach dem wahren Gott. Oft muß ein Mensch erst verschlungene Wege gehen. Selbst eine außergewöhnliche Stellung der Sterne kann ein Hinweis auf ihn sein. Saturn galt als der Stern Israels, Jupiter als der Königsstern, und das Sternbild der Fische deutete auf die Endzeit. Alles traf damals zusammen und zeigte den Weg in Richtung Jerusalem.

Aber die Weisen hätten noch ganz am Schluß fehlgehen können, weil ihr Zeichen noch nicht eindeutig wer. Sie hätten ja bei diesem Herodes hängenbleiben können, der zwar zur jüdischen Religion gehörte, aber nicht zum jüdischen Volk, der ein König von Gnaden der Römer war und ein rechter Gewaltherrscher. Weil er ständig um seinen Thron bangte, hatte er sogar seine drei Söhne umbringen lassen.

Er war ein Mann vom Schlage heutiger Gewaltherrscher. Sie wollen den Frieden retten. Aber dann wollen sie die Probleme mit Gewalt lösen. Doch die Zeit ist weitergegangen. Heute sind Dialog und Verständigung gefragt, weil uns angesichts der heutigen Waffen nichts anderes übrigbleibt. Von Gewaltherrschern aber müssen wir uns befreien.

 

3. Jesus huldigen die Befreiten:

Aus welchen Gründen fragen heute Menschen nach Jesus? Ist es nur wissenschaftliches Interesse oder Angst vor dem Weltuntergang? Hatten sie ein musikalisches Ur-Erlebnis oder eine romantische Sehnsucht? Waren sie politische Eiferer oder empfanden sie eine soziale Verpflichtung? Oder treibt sie eine existentielle Not, ein persönliches Problem oder eine menschliche Schwäche?

Die Weisen aus dem Morgenland werden sich nicht unbedingt als Gefangene gesehen haben, die befreit werden müßten. Aber sie suchten nach einem, der der Welt und auch ihnen selber Glück und Gerechtigkeit, Frieden und Wohlstand bringt. Doch man kann die Welt nicht erlösen durch die Ausübung von Macht. Und auch der Einzelne kann nicht frei werden dadurch, daß er Macht erlangt und gegen andere einsetzt.

Der Weg zur Krippe führt vielleicht über die Mächtigen und die Wissenden. Ohne eine bestimmte Macht wird man nicht auskommen. Und ein Stück Wissen gehört zum Leben auch dazu. Aber am Ende kommt es darauf an, daß man ganz schlicht vor dem Jesuskind niederkniet und es anbetet. Das bedeutet Verzicht auf eigene Macht und eigene Weisheit. Aber nur so können wir in der Welt miteinander auskommen.      

Jesus ist der verheißene wahre König Israels. Er ist aber der Herr der Völker. Für die Gemeinde des Matthäus war es nicht leicht, diese Erkenntnis durchzuhalten. Sie stieß auf heidnischen Aberglauben und ein verhärtetes Judentum. Und doch macht ihr Matthäus deutlich: Wir erleben jetzt die Wunder der letzten Zeit. Die Ersten aus der Ferne sind schon da. Jetzt beginnt die Sammlung des Gottesvolkes. Jetzt ist der geboren, dessen Herrsein im Dienen besteht und dem kein Opfer zu schwer ist. Jetzt werden die Menschen erst ernstgenommen und geliebt.

Das gibt uns den Mut, auch heute voller Zuversicht in die Zukunft zu schauen. Nicht die Gewaltherrscher werden sich durchsetzen, sondern das Kind in der Krippe. Und wir selber sollten uns deshalb auch um einen gewaltfreien Umgang mit unserem Mitmenschen bemühen, um Liebe und Verständnis, um Freiheit und Freude.

 

 

Mt 2, 1 -11 (Epiphanias, Variante 2):

Im Zeiß-Planetarium in Jena kann man in der Weihnachtszeit sehen, was es mit dem „Stern von Bethlehem“ auf sich hat. Da wird dann die Stellung der Sterne zur Zeit Jesu an der Kuppel des Gebäudes nachgeahmt. Man weiß heute, daß es sich bei diesem Stern nicht um einen Kometen handelt, sondern um das besonders enge Zusammentreffen zweier Planeten, die von der Erde aus dann wie ein einziger, besonders heller Stern erscheinen.

Etwa alle 800 Jahre treffen Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische zusammen. In alten Zeiten aber galt der Planet Saturn als der Stern der Juden; und Jupiter war der Königsstern. Wenn nun diese beiden zusammentrafen, mußte also bei den Juden ein neuer bedeutender König geboren worden sein. Das alles können wir einer Keilschrifttafel aus Babylon entnehmen.

Auch die Christen hatten wohl von diesem astronomischen Ereignis gehört. Das brachte sie auf die Idee, sich dazu eine Geschichte auszudenken, die dann auch im Gottesdienst erzählt wurde und nachher in unsre Bibel kam. In dieser Geschichte wollten sie ausdrücken, wie der jüdische König Herodes, wie die Schriftgelehrten und wie sie selber zu Jesus standen. Wir dürfen also nicht annehmen, da seien tatsächlich Männer aus dem Osten gekommen, um das Kind in der Krippe anzubeten. Schon gar nicht dürfen wir das vor Augen haben, was die spätere Legende von den „Heiligen drei Königen“ daraus gemacht hat.

In der Bibel selber ist nur von „Magiern“ die Rede. Und daß es drei gewesen sein sollen, schließt man nur daraus, daß drei verschiedene Geschenke erwähnt werden. Auch der Stern von Bethlehem kann nicht beweisen, daß es diese Männer tatsächlich gegeben hat. Aber wir müssen uns heute fragen, was hat die christliche Gemeinde mit dieser Geschichte über ihren Glauben aussagen wollen und wie kann das uns helfen, mit unsrer Situation heute fertigzuwerden.

 

1. Herodes: Zunächst geht es einmal um die Gegenüberstellung von Herodes und Jesus. Herodes ist durch seinen eigenen leidenschaftlichen Machtwillen auf den Thron gekommen, ein König von Roms Gnaden. Hart und rücksichtslos ist er nur auf die Mehrung seiner eigenen Macht bedacht. Ein Tyrann, der sich als halber Gott und Welterlöser vorkam. Als er von dem neuen König hört, denkt er nur an einen König von seiner Art; er sieht den Machtkampf kommen, der ihn den Thron kosten wird. Das aber will er mit allen Mitteln verhindern.

Dabei ist Jesus ein ganz anderer König. Die Herrschaft ist ihm von Gott gegeben und nur durch das Kreuz wird er zum Herrn. Er ist in Armut geboren und doch fehlen ihm die Zeichen der göttlichen Ehre nicht. Er ist tatsächlich der Herrscher der Welt und aus allen Völkern und Ländern wird eine Gemeinde sich sammeln, die ihr ehrt und anbetet. Sein Reich ist zwar nicht von dieser Welt; aber es ist auch nicht die religiöse Privatsache einiger Schwärmer und Sektierer.

Herodes hätte das auch wissen können. Er kannte ja auch die Hoffnung auf den König Gottes, der da kommen sollte. Doch jetzt, wo er da ist, will er ihn in seine Gewalt bringen, weil er ihm im Wege ist. Der Thron des Königs der Juden ist nach seiner Meinung eben schon besetzt, und zwei Könige passen eben nicht drauf.

Auch heute trifft das Bekenntnis zu Jesus auf Konkurrenz. Wir schon Weltanschauungen, die die alleinseligmachende zu sein beanspruchen. Und wir haben eine Partei, die die alleinige Führungsmacht darstellt. Vielfach wittert man leider in den Christen eine Gefahr für den eigenen Anspruch. Den politischen Führungsanspruch einer Partei wollen wir vielleicht nicht bestreiten. Wir machen nur nicht mit, wenn man auch weltanschaulich alles beherrschen will, wenn man also auch unsren Glauben als Gefahr ansieht. Dieser Unterschied ist uns klar, aber leider nicht allen anderen. Auch unsre Reich ist nicht von dieser Welt; wenn man das doch endlich begreifen wollte. Aber wir gehören in unsreem Glauben einem größeren Herrn als alle Mächtigen dieser Erde.         

 

2. Die Schriftgelehrten:

Noch mehr als Herodes wußten die Schriftgelehrten von der Hoffnung auf den, der kommen sollte. Doch als er da ist, verschließen sie sich vor ihm und wollen ihn nicht anerkennen. Sie kennen zwar die Schrift genau, haben aber ihre eigenen Vorstellungen von dem Retter Gottes. Sie nehmen Anstoß an seiner äußeren Erscheinung und erst recht werden sie Anstoß nehmen

an seinem Kreuz. Sie sind die Hüter der Tradition, wollen es aber letztlich doch besser wissen als Gott.

Finden wir nicht ähnliche Erscheinungen auch bei uns? Einmal bei den Menschen außerhalb unsrer Gemeinde, etwa bei den Bibelforschern, auch „Zeugen Jehovas“ genannt. Die kennen ja nun unbestrittenermaßen die Bibel sehr genau, jedenfalls bestimmte Stellen in ihr. Aber sie legen sie ohne den Zusammenhang und in der Regel völlig verdreht aus. Sie wissen etwas und sind doch für das Eigentliche blind, sie kommen nicht zur Anbetung Jesu.

Aber die Gefahr besteht in gleicher Weise für die Glieder unsrer Gemeinde. Es ist gut, wenn wir die Bibel lesen und wir können sehr viel aus ihr entnehmen für unsern Glauben und unsre Leben. Aber wir sollten auch nicht auf den Dienst der theologischen Wissenschaft verzichten. Sicherlich kann ein schlichter Bibelleser manchmal größere Erkenntnis gewinnen als der gelehrteste Professor. Aber umgedreht kann die theologische Forschung auch die eigene Erkenntnis sehr weitgehend fördern. Zumindest sollte man sie nicht von vornherein ablehnen, gerade in unesrer heutigen Zeit, wo unsre Glaube von anderer Seite mit wissenschaftlichen Mitteln angegriffen wird. Da müssen wir gerüstet sein und eben auch mit wissenschaftlichen Mitteln antworten können.

Natürlich schützt auch die Wissenschaft vor Torheit nicht. Die Schriftgelehrten waren ja gerade theologische Wissenschaftler, die ihr eigenes Gedankengebäude aufgerichtet hatten und deshalb betriebsblind geworden sind. Die anderen Wissenschaftler aber, die Naturwissenschaftler der damaligen Zeit, die finden zu Jesus. So erleben wir es auch heute noch: Wissenschaftler, die immer mehr in die Geheimnisse der Natur eindringen, erkennen immer mehr die Größe der Schöpfung Gottes und kommen dadurch zur echten Anbetung Gottes.

 

3. Die Gemeinde: Schließlich wollen wir nun noch fragen, wie die Gemeinde und wie wir zu diesem Jesus stehen. Die Gemeinde damals wurde auch mit den nackten Fakten ausgesetzt und stieß mit der rauhen Wirklichkeit zusammen. Sie hatte Demütigungen und Mißerfolge zu erleiden. Aber sie fand das alles im Schicksal Jesu schon im Voraus abgebildet: Er war wie ein Findelkind, das von seinem Vater erst verleugnet wurde und erst auf Gottes Befehl von ihm anerkannt wurde. Vor dem König muß er versteckt werden und ist schon als Kind ein Flücht­ling. Er ist zwar der König der Juden, aber schwach und ohnmächtig wie ein Kind. Doch so gesehen ist die Lage der Gemeinde nichts Ungewöhnliches. Wenn sie schwach und ohnmächtig ist, dann geht es ihr so wie Jesus auch. Das ist eben die übliche Situation des Glaubenden in der Welt.

Dennoch ist das nicht das Einzige, was wir an diesem Tage zu sagen haben. Bisher ist nur das zum Ausdruck gekommen, was an Weihnachten auch schon deutlich wurde: die Armut und Niedrigkeit Jesu. Aber diese Glaubensaussage wird am Epiphaniasfest notwendiger Weise ergänzt. Es ist das Fest der Erscheinung der Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus. Es war ursprünglich das Fest, an dem man der Geburt und Taufe Jesu gedachte; erst im 4. Jahrhundert wurde es in seiner Bedeutung von Weihnachtsfest verdrängt. Nur in den Ostkirchen ist bis heute der 6.Januar das eigentliche Christgeburtsfest.

Wir sollten deshalb nicht so sang- und klanglos an diesem Fest vorübergehen. Hier wird uns nämlich deutlich gemacht, wie Gott auf Erden durch Christus geehrt und verherrlicht wird. In seiner Niedrigkeit und trotz seiner Niedrigkeit ist er doch der Verherrlicher des Vaters Dem in Armut Geborenen fehlt es doch nicht an den Zeichen der göttlichen Ehre.

Es sind zwar Menschen da, die dieses Kind ablehnen und sogar bekämpfen. Leider sind es die Menschen des eigenen Volkes, die es eigentlich doch gerade wissen müßten. Aber es kommen die Hirten von dem Feld bei Bethlehem. Es kommen die alten Leute Simeon und Hanna. Und es kommen die Weisen aus dem Morgenland, die als Heiden das tun, was der eigene König dem Kind schuldig bleibt.

Auch wenn es nur ein Kind ist, das in die Welt gekommen ist, so werden dadurch doch Situationen verändert, Existenzen durchsichtig und Verhältnisse aufgedeckt. Herodes zum Beispiel erscheint als ein verschlagener und kalter Machtmensch, der ein falscher „König der Juden“ ist. Die Schriftgelehrten sind zwar Hüter der Tradition, aber doch tote Buchstabengelehrte. Die Fremden und Fernen sind die eigentlich Nahen.

So wird auch heute noch, wenn wir diese Beschichte hören, unsre Existenz vor Gott aufgedeckt. Wir müssen uns fragen: „Wo ist Christus in unsrer Gemeinde offenbar? Wo stellen wir uns auf die gleiche Stufe mit den Niedrigen und Schutzbedürftigen? Wo kann man die Treue Gottes in unsreem Leben erkennen? Wo helfen wir mit, die Situation zu verändern? Was wird leichter und was wird schwerer, wenn wir Christus unter uns wissen?“

All diese Fragen wirft eine solche Geschichte auf. Beantworten muß sie jeder für sich. Entscheidend dabei wird für uns immer sein: Finden wir so wie die Männer aus dem Osten zur Anbetung des Heilandes und lassen wir uns auch heute von seiner Herrlichkeit bestimmen.

 

 

Mt 3, 13 – 17 (1. Sonntag nach Epiphanias):

Es gibt sicher viele Menschen, die einsam sind. Vielleicht wird ein Außenstehender das ganz anderes sehen, wird meinen, so schlimm sei es nun auch wieder nicht. Aber entscheidend ist doch, wie der betreffende Mensch es empfindet. Es kann ja sein, daß durchaus relativ oft Besuch kommt, aber dem Menschen, der sich einsam fühlt, langt es doch nicht.

Es kann auch durchaus sein, daß zwar äußerlich alles geschieht, aber der Mensch doch allein ist. Er wird zwar rundherum versorgt, aber es fehlt ihm die menschliche Ansprache, innerlich bleibt er doch allein. Man kann viele Kinder haben und ist im Alter doch auf sich allein gestellt. Die Jungen haben halt auch ihre Probleme und Aufgaben, da kann man sie auch nicht übermäßig beanspruchen.

Es kann auch sein, daß ein ganzes Volk sich verloren und verlassen vorkommt. So ging es dem kleinen Volk der Juden, das da in irgendeinem abgelegenen Winkel des römischen Reiches lebte. Seit Jahrhunderten warteten sie auf den Retter, den Gott ihnen versprochen hatte. Schon manchmal hatten sie gedacht: „Der ist es!“ Aber dann wurde es wieder eine Enttäuschung.

Nun war Johannes der Täufer am Jordan aufgetreten. Er forderte zur Umkehr auf und sagte: „Jetzt ist es bald so weit, ihr müßt euch recht auf das Kommen des Herrn vorbereiten!“ Viele ließen sich auch rufen und wurden von ihm getauft. Das sollte das Zeichen dafür sein, daß sie ihr Leben ändern wollten.

Plötzlich aber steht da in der Reihe derer, die sich taufen lassen wollen, dieser Jesus von Nazareth. Doch was will er da? Für alle ist die Taufe angebracht, nur nicht für diesen einen. Der Täufer bemüht sich hartnäckig, Jesus abzuwehren und sagt: „Ich habe es nötig, von dir getauft zu werden, nicht umgekehrt!“

Wir werden vielleichtdenken: Jesus war eben sündlos und hatte deshalb die Taufe zur Vergebung der Sünden nicht nötig. Doch dieser Sinn der Taufe ist nur bei Markus erwähnt, nicht aber bei Matthäus. Und außerdem: Was bedeutet denn „Sündlosigkeit“? Eine Konfirmandin fragte dieser Tage etwas ungläubig: „Jesus hat wirklich niemals etwas Böses getan?“ Sicher hat, er auch seine Eltern mal geärgert, könnte man sich vorstellen. Es geht bei ihm mehr um das grundsätzliche Verhältnis zu Gott dem Vater. Jesus war ihm in jeder Hinsicht gehorsam. Sogar den Tod hat er auch sich genommen, weil Gott es so wollte. Darin unterscheidet er sich von uns allen, die wir Sünder sind.

Doch Johannes hat mehr Hemmungen, weil hier die Rollen in Gottes Heilsgeschichte vertauscht werden. Wie kann Jesus unter denen sein, die sich auf das Kommen des Weltenrichters vorbereiten, wenn er doch selber dieser Richter ist? Zu ihm wollen sie sich doch gerade

hinwenden. Da muß er ihnen doch gegenüberstehen oder sogar über ihnen, da kann er doch nicht einer unter ihren sein?

Doch Jesus sagt: „Du mußt ja noch nicht alles begriffen haben. Gib jetzt erst einmal deinen Widerstand auf. Später kann die Rollenverteilung ja wieder anders sein. Aber jetzt gilt es erst einmal, alle Gerechtigkeit zu erfüllen. Zwar bin ich der Richter der Welt, der mit Geist und mit Feuer tauft. Aber zunächst muß mein Weg erst einmal ganz anders verlaufen!“ Johannes erwartet dem Richter - und es kommt der Retter. Er beugt sich willig unter Gottes Willen. Wenn auch sonst keiner den Willen Gottes erfüllt - Jesus tut es. Aber er tut es nicht, um die anderen zu übertrumpfen und zu beschämen, sondern weil er sich mit ihnen solidarisiert. Er geht den Weg, den an sich alle Menschen gehen mußten, den „Weg der Gerechtigkeit“. Wenn Johannes predigt, Gottes Zorn werde sich über die sündigen Menschen entladen, dann kann Jesus nur sagen: „Das stimmt, aber der Zorn trifft m i c h!“

Gott fängt neu an, aber ganz anders als erwartet. Gott ist oft ganz anders als erwartet plötzlich da. Er läßt sich nicht festlegen, wie und wann er kommt. Fest steht nur, daß er kommt und seine Verheißungen erfüllt und Hoffnungen nicht enttäuscht. Das sollen alle wissen, die sich einsam fühlen: Jesus ist immer mit dabei! Es geht mit uns wie ein Lastträger, der uns die Bürde abnimmt, die wir nicht tragen können. Er trennt sich nicht von uns, weil wir Sünder sind, sondern er setzt sich mit den Sündern zusammen. Denn: Solidarisierung mit den Menschen ist nun einmal Solidarisierung mit Sündern. Der Richter wird zum Fürsprecher. Wenn alles gegen uns sprechen wird, dann setzt er sich für uns ein.

Sicher gab es auch damals schon welche, die mit ablehnender Kritik daneben standen und das Ganze wie ein schlechtes Schauspiel betrachteten. Sie meinten, die Umkehr nicht nötig zu haben, weil sie sich seit eh und je auf dem richtigen Weg befunden haben. Sie waren überzeugt, daß sie unbeschädigt durch das Feuer des künftigen Gerichts hindurchgehen würden.

Jesus aber stellt sich in die Reihe der Sünder, die sich zur Umkehr rufen lassen. Wie oft hat er später mit ihnen an einem Tisch gesessen. Und angefangen hat das damals am Jordan, als er wie einer der Sünder wurde.

Der Sohn Gottes mit denen in Reih und Glied, die Gott mißachtet und verraten, verlassen und geschändet hatten, aber jetzt auf Vergebung hoffen. Das ist das große Wunder gewesen. Ein Christus, wie ihn der Täufer erwartet hatte, hätte es vielleicht zunächst leichter gehabt. Aber den Christus, der es sich so schwer macht, weil er retten will - den haben wir nötig.

Daß er der Richtige ist, das wird auch bei der Taufe deutlich. Da bekennt sich Gott zu seinem Sohn. Während der Taufe erleben Jesus und Johannes etwas, was den anderen verborgen ist. Sie sehen etwas, das man als „Vision“ bezeichnen könnte, das aber einen wirklichen Hintergrund hat, so wie Träume ja auch nicht nur Unsinn sind.

Die Taube, die den Geist Gottes darstellt, kann nur Jesus sehen. Sie war schon bei den Assyrern der Vogel, der die Wahl eines Königs symbolisierte. Damals wußte jeder Zuhörer genau, was mit diesem Vergleich gemeint war. Für Jesus ist die Taube eine Bestätigung seines Auftrags. Jetzt weiß er, daß er fähig sein wird, den Weg der totalen Selbstaufgabe bis zu Ende zu gehen.

Auch Johannes erlebt die Taufe Jesu als Höhepunkt seines Wirkens. Eine Stimme ist zu hören: „Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!“ Diese Bezeichnung macht deutlich, daß Gott sich uns zugewandt hat und an unsrer Not teilhat. Wenn im Orient ein neuer König den Thron bestieg, dann sagte der Priester im Auftrag Gottes: „Du bist mein Sohn!“ Damit adoptierte Gott den neuen König als seinen Sohn. Mit der Thronbesteigung eines neuen Königs waren immer große Hoffnungen verbunden. Der neue Mann sollte endlich das Heil bringen.

Aber bei Matthäus wird der Satz aus Psalm 2 ergänzt durch ein Zitat aus Jesaja 42: „…an dem ich Wohlgefallen habe!“ So spricht Gott von dem Gottesknecht, der die Last und Schuld der anderen auf sich nimmt. Hier wird gleich deutlich gemacht, daß dieser Jesus etwas anderes ist als die Könige dieser Welt.

Doch als Jesus aus dem Wasser emporsteigt, da antwortet Gott mit der höchsten Erhöhung: Der Geist Gottes kommt auf Jesus, so daß er denkt wie Gott und von ihm getrieben wird, so wie ein Segelschiff im Wind. Doch so wird es möglich, Jesus so zu sehen, wie er wirklich ist. Man hatte ja die verschiedensten Vorstellungen von dem Retter, den Gott schicken wollte. Die Vorstellungen schossen wie Pilze aus dem Boden, so wie in manchen Ländern die Jugendsekten und bei uns die sogenannten „charismatischen Gruppen“, die „Geistgetauften“, die behaupten, sie allein hätten den Heiligen Geist gepachtet. Jetzt aber ist der Retter wirklich da. Man braucht ihn nur in Jesus zu erkennen.

 

 

Mt 4, 1 -11 (Invokavit):

Auf Bildern zu dieser Geschichte von der Versuchung Jesu ist der Versucher so dargestellt, wie man sich früher den Teufel vorstellte: mit Hörnern, Schwanz und Pferdefuß, über und über mit schwarzen Haaren bedeckt und zehn Meter gegen den Wind riechend. Das wäre schön, wenn man den Teufel so einfach erkennen könnte und von den Menschen unterscheiden könnte. Dann wüßte man, woher die Gefahr droht und könnte sich dagegen wappnen. Aber so leicht ist das nicht.

Wir wissen ja, daß es diese Märchenfigur gar nicht gibt. Doch die Sache, die damit gemeint ist, die ist sehr wohl da. Nur spricht heute der Versucher zu uns durch den Mund anderer Menschen: Da sind vor allem unser Gegner, aber auch Verwandte, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Vorgesetzte, die uns von Gottes Weg abbringen wollen. Oder der Versucher

spricht zu uns durch unsere eigenen Gedanken und sagt: „Es hat ja doch alles keinen Zweck!“

In jedem Fall aber bleibt uns immer verborgen, wer hinter einem solchen Gerede steht: der Satan, der Verführer, der Zerstörer. Der hat es schon immer verstanden, sich meisterlich zu tarnen. Deshalb ist es so schwer, ihm zu widerstehen und wirksam zu begegnen.

Aus dem Vernichtungslager Auschwitz wird erzählt: Die eingelieferten Gefangenen wurden von einem freundlichen Mann in Empfang genommen, der begütigend auf sie einsprach, den Kinder über das Haar strich und ein aufrichtiges Wort für die Alten hatte: Sie müßten sich nur noch baden und dann kämen sie in ihre Quartiere. Die Leute taten, was man von ihnen verlangte, in der Hoffnung, daß nun alles gut würde. Sie gingen in die Duschräume, die Türen wurden verschlossen. Aber es kam kein Wasser, sondern es kam Gas. In Auschwitz nannte man den Mann an der Rampe des Bahnhofs den „schönen Teufel“.

Aber so ist der wirkliche Teufel auch. Er tritt an die Menschen heran, ohne sich zu erkennen

zu geben. Er tut freundlich und hilfsbereit und ist eben doch der Teufel. So ist er auch an Jesus herangetreten. Eben noch ist er in der Taufe feierlich zum Sohn Gottes ausgerufen worden. Nun aber wird er in die Wüste geführt, wo die bösen Geister hausen. Er hungert, er muß schwer mit sich kämpfen, welchen Weg er gehen soll. Es wird ihm nichts leichter gemacht, nur weil er der Sohn Gottes ist. Er muß sich so entscheiden wie wir auch.

Hier hat die christliche Gemeinde in einer Erzählung beispielhaft gestaltet, welche Probleme Jesus hatte. Sie hat aber gleichzeitig die Versuchungen ihrer eigenen Zeit mit in die Geschichte hineingebracht und eine Antwort darauf gesucht. Und sie hat sie damit auch die Frage für die Christen aller Zeiten aufgeworfen: Inwieweit sind das auch unsere eigenen Versuchungen?

 

1. Bei der ersten Versuchung, ist richtig erkannt, daß Jesus Macht hat über die Kräfte der Natur. Aber er darf sie niemals für seine persönlichen Zwecke mißbrauchen, weder um den eigenen Hunger zu stillen und auch nicht den der ganzen Welt. Wie hätten sie ihm zugejubelt, wenn er das Wunder vollbracht hätte und aus Steinen Brot gemacht hätte! So einen könnten wir doch auch heute gebrauchen. Dann brauchten wir uns nicht mehr bei der Arbeit zu schinden und das Hungerproblem in der Welt wäre gelöst.

Unsere Versuchung aber ist es, daß wir zu dem vielen, was wir schon haben, immer noch mehr haben wollen. Deshalb arbeiten wir immer mehr und werden doch nur immer unzufriedener. Und wenn wir wirklich einmal etwas abgeben, dann nur, um eigennützige Ziele zu erreichen. Im persönlichen Leben helfen wir dann nur, weil wir bei Gelegenheit eine Gegenleistung erwarten. Und als Gesellschaft geben wir Wirtschaftshilfe in die Länder Afrikas und Asiensdoch nicht aus Dankbarkeit gegenüber Gott, sondern weil wir sie in unser Lager ziehen wollen oder weil wir sie wieder ausbeuten wollen!

Jesus weiß, was Hunger ist. Er kennt auch das Problem des Hungers in der Welt. Das zeigen ja gerade die Speisungsgeschichten, die über ihn erzählt werden. Aber erkennt auch, daß man mit der Lösung dieser Frage nicht alles erreicht. Auch eine satte Menschheit wäre verloren, wenn sie in der Entfremdung von Gott bliebe. Wahrscheinlich kämen die Menschen massenweise. Aber zu Gott zurückfinden würden sie auf diese Weise nicht.

Deshalb sagt Jesus: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein!“ Der Mensch braucht auch das Wort Gottes, das ihm den Sinn seines Lebens und die Aufgabe für sein Leben zeigt. Einen Hungernden kann man natürlich nicht mit Bibelbüchern satt machen. Aber er braucht auch das lebendige Wort, nicht einfach Papier, nicht irgendein totes Gerede oder einfach gesetzliche Anweisungen.

 

2. In der zweiten Versuchung ist richtig erkannt, daß man in der Tat auf Gott vertrauen kann. Sicherlich wären die Massen begeistert gewesen, wenn Jesus von der Zinne des Tempels gesprungen wäre. Er hätte ein Schauspiel geboten und sie hätten vielleicht auch geglaubt, daß er der Messias ist. Das wäre die Sensation der Sensationen gewesen.

Schon die Römer sagten: „Gebt den Leuten Brot und Spiele, gebt ihnen etwas zu essen und ihr Vergnügen, dann sind sie zufrieden und werden euch folgen!“ Jesus hätte ihnen das alles bieten können, und sicherlich noch besser als die Römer das konnten. Heute wird uns der große Aufschwung durch Olympische Spiele versprochen. Milliardengewinne sollen sie bringen, den Bekanntheitsgrad erhöhen, die Wirtschaft anregen - und die Spitzenpolitiker könnten mit auf der Ehrentribüne sitzen.

Der Versucher will gar nicht, daß Jesus zu ihm überläuft. Vielmehr spricht er ihn gerade auf seine Gottessohnschaft an: „Mach doch von dem Gebrauch, was du vor anderen Menschen voraus hast!“ Auch Jesus hätte mit einem sogenannten „Wunder“ die Menschen mit einem Schlag gewinnen können und hätte dazu noch eine Bestätigung von höchster Stelle gehabt. Es hätte ja so aussehen können, als nähme er die Zusage des Vaters ernst, wenn er gesprungen wäre.

In Wirklichkeit aber wäre Gott mißbraucht. Jesus hätte den Gehorsam gegenüber Gott aufgegeben und sich aus der Solidarität mit den Menschen ausgeklinkt. Man darf seine Zusage nicht mutwillig ausprobieren wollen. Natürlich kann uns Gott davor bewahren, an einen Baum zu fahren. Aber sollten wir es deshalb darauf ankommen lassen, nur damit deutlich wird, was Gott kann?

Jesus antwortet richtig: „Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen!“ Er verzichtet auf

Beliebtheit und endet am Kreuz. Auch wir müssen uns entscheiden, ob wir uns mit Brot und Spielen zufriedengeben und sagen: „Hauptsache, ich habe zu essen und zu trinken, mein Auto und meinen Fernseher, und sonst kümmere ich mich um gar nichts!“ Oder ob wir uns bemühen, bei allem eigene Wohlstand den Mitmenschen nicht zu vergessen und auch einmal etwas für die Gemeinschaft zu tun, ohne gleich zu fragen: Was kriege ich dafür?

 

3. In der dritten Versuchung schließlich geht es um den entscheidenden Punkt: Wird Jesus auch die Wünsche und Ideale seiner Zeit anbeten? Wird er zum Volksführer, wie die Leute ihn haben wollen? Wird er ihnen nur angenehme und bequeme Dinge sagen? Dann wären sie ihm sicher gefolgt; aber dann hätte er seinen Auftrag, der Gott ihm gegeben hatte, verleugnen müssen. Sicher würde auch heute einer Erfolg haben, der den Leuten sagte: „Keine Steuer-Erhöhung, niedrige Sozialbeiträge und hohe Rente!“ Das kommt besser an als „Blut, Schweiß und Tränen“, weil wir es ja alle möglichst bequem haben wollen.

Bei Jesus versucht der Verführer, die Machtgelüste zu erregen, die doch in jedem Menschen drin sind. Er verspricht sogar die Weltherrschaft. Amerikanische Präsidenten scheinen manch­mal der Meinung zu sein, dieses Ziel schon erreicht zu haben. Sie wollen die Welt neu ordnen, nicht wie ein Diktator, sondern durchaus in der Verantwortung vor Gott - wie sie meinen. Doch dabei vergessen sie, daß man mit Macht und Gewalt keine Menschenherzen gewinnen und verwandeln kann. Man muß auch auf die Wünsche der Menschen hören und nicht denken: „Die sind nur zu dumm, man muß sie zu ihrem Glück zwingen!“ So denken alle Diktatoren dieser Welt. Deshalb haben wir ja ein demokratisches System, daß der Verstand der Vielen zusammengefaßt wird. Zwar hat dieses System auch seine Fehler, aber es gibt kein besseres.

Jesus besteht auch die dritte Versuchung, weil er weiß, daß der Welt mit einer Diktatur nicht gedient ist, auch wenn sie noch so milde ist. Diese Versuchung war vielleicht die gefährlichste, aber sie ist auch entlarvend: Der Versucher verzichtet hier auf ein Bibelzitat, weil er denkt, die im Menschen schlummernden Machtgelüste würden schon auch so ihre Wirkung entfalten.

 

Jesus hat sich während seiner ganzen Wirksamkeit gegen das politische Messias-Ideal abgrenzen müssen. Diese Geschichte macht deutlich, daß die Grundentscheidung schon am Anfang gefallen ist. Jesus wollte kein politischer Führer sein. Er spürt die Versuchung, den leichteren Weg zu gehen und den Massen zu Gefallen zu reden. Es könnte ja sein, daß Gott das sogar will und ihm dabei auch alle Unterstützung gewähren wird. Doch dann durchschaut er die Absicht des Versuchers: „Hier verdreht einer Gottes Wort, um seine eigenen Ziele zu erreichen!“

Bei Jesus ging es darum, daß die Menschen nur ihm danken und Gott damit ausgeschaltet wäre. Gott wäre auf die Probe gestellt und herausgefordert worden und hätte sich damit Jesus unterwerfen müssen. Jesus hätte sich Gott entfremdet, so wie das viele Menschen tun. Deshalb mußte er einen anderen Weg gehen, als der Verführer vorschlägt. Er muß den schwereren Weg gehen, damit Gott wieder groß und wichtig wird. Gott muß gewinnen!

Soll Gott gewinnen, kostet es Kampf. Auch Jesus stand sein Leben lang vor dem Entweder - Oder. Er kämpft für sich, aber auch für uns. Bei ihm war der Ausgang noch offen. Aber seit er gesiegt hat, können auch wir siegen. In unseren eigenen Versuchungen haben wir ihn an unserer Seite. Die Methoden können wir jetzt leichter durchschauen: Der Versucher redet fromm, vernünftig, macht gute Vorschläge. Doch es gilt, gleich von Anfang an zu sagen: „Hebe dich weg von mir, Satan!“ Wenn wir in Versuchungen standhaft bleiben wollen, dann helfen nur zwei Dinge: immer wieder Gottes Wort vor Augen haben und Stärkung im Abendmahl holen.

Auch in der Abwehr können wir von Jesus lernen. Der Weg des Versuchers scheint realistischer und wirkungsvoller zu sein im Vergleich zu dem schweren Weg ans Kreuz. Tatsächlich muß man manchmal mit den Wölfen heulen, um nicht gefressen zu werden. Aber es wird doch niemand Zufriedenheit empfinden, wenn er dabei ständig seine inneren Überzeugungen verleugnen muß. Wir können nicht bei irgendwelchen Kräften in der Welt nach Unterstützung suchen. Sie würden uns nur langsam einwickeln und in den Schlaf wiegen; so machen das ja einige Insekten mit ihren Opfern, die sie dann aussaugen. Wenn wir unsern Glauben verleugnen sollen - das könnten wir uns als Regel merken - dann ist mit dem anderen kein Pakt zu schließen.

Die Überlegenheit Jesu besteht in seinem Gehorsam. Er geht den schwereren Weg und schwimmt gegen den Strom. Aber er bleibt seinem Auftrag treu. Dieser schloß den Weg ans Kreuz ein. Aber so gewinnt Gott, indem sein Sohn den Versuchungen des angeblichen Für­sten der Welt widersteht. So verwundbar wir sind: Diesen einen haben wir auf unserer Seite. Wenn wir uns an ihn halten, hat Gott auch bei uns gewonnen!

So dürfen wir am Schluß aus dieser Geschichte auch die tröstende Verheißung heraushören: der Versucher ist zwar noch da, aber er ist nicht mehr unbesiegbar, sondern er ist schon an die Kette gelegt. Wenn wir in der Nähe Jesu bleiben, werden wir ihn auch besiegen. Natürlich müssen wir auch gegen die Versuchung in uns selber kämpfen. Aber Gott reicht uns dabei seiner Hand und hält uns fest und tut das Entscheidende.

 

 

Mt 5, 13 – 16 (8. Sonntag nach Trinitatis):

In manchen Gegenden wird ein Gast mit Brot und Salz an der Haustür begrüßt. Damit will man zu verstehen geben: „Wir bieten das an, was man unbedingt zum Leben braucht!“ Brot ist das Grundnahrungsmittel und Salz äst das dazu notwendige Gewürz. Das Salz ist an sich unscheinbar, ganz und gar alltäglich; es lohnt sich kaum, darüber zu reden. Trotzdem ist Salz lebenswichtig. Das merkt man spätestens dann, wenn man keins mehr hat oder es gesundheitlich nicht mehr verträgt. Dann schmeckt eben alles fad.

Mit dem Salz geschieht eigentlich nichts weiter, als daß es sich auflöst. Wenn es wirken soll, darf es nicht mehr zu sehen sein. Doch es muß richtig dosiert sein: Ein Braten kann noch so zart und knusprig sein - er schmeckt nicht, wenn es nicht gesalzen ist oder auch wenn er zu viel gesalzen ist. Das Salz ist im Vergleich zum Fleisch sehr billig. Aber wehe, wenn es fehlt!

Für den Menschen des Altertums hatte das Fleisch sogar religiöse Bedeutung. Die Juden bezeichneten das Gesetz als das Salz, ohne das die Welt nicht besteht. Wenn Israel abirrt von seiner Bestimmung, für die Welt da zu sein, dann wird das Salz kraftlos.

Salz konserviert. Die Gemeinde bewahrt also die Welt vor Fäulnis und Verwesung. Salz würzt: Durch die Gemeinde ist die Welt vor Gott noch erträglich, nicht fade wie eine salzlose Speise. Gott erhält die Welt nur um der Christenheit willen. Sie ist das „Pfand“ der Hoffnung für die ganze Welt.

Aber ist das nicht zu viel behauptet von einer Christenheit, die doch in Wirklichkeit nur fade ist und die ihr von Gott zugedachte Aufgabe nicht oder nicht genügend wahrnimmt? Dürfen wir uns denn als eine Elite fühlen, ohne die nichts mehr geht? Doch es geht nicht um das, was die Gemeinde ist oder hat, was sie kann oder vollbringt; vielmehr geht es um das, was Gott seltsamerweise durch die Gemeinde tut. Die Gemeinde kann das, was da von ihr behauptet wird, nur mit Verwunderung und Dankbarkeit vernehmen. Nur im Munde Jesu ist so  ein Wort wahr.

Es wäre aber auch verfehlt, wenn wir die Christenheit in der Welt aufgehen ließen. Die Kirche hat sich zwar vielfach in die Welt aufgelöst wie das Salz in die Suppe. Die geschichtlichen Kräfte des Evangeliums haben sich vielfach heilsam in der Welt ausgewirkt. Aber es ist nicht so, daß diese Wirksamkeit der Kirche die Welt erhält, sondern allein Gottes Geduld und Hoffnung.

Das Salz darf nicht kraftlos werden. Mancher Christ möchte das Salz der Erde für sich behalten, weil das Evangelium nicht gefragt zu sein scheint. Sie wollen es verstecken, weil es nicht mehr in unsere Zeit zu passen scheint. Doch was man hat, das sollte man auch anwenden.

Eine Hausfrau wäre schön dumm, wenn sie zwar Salz im Haus hätte, aber es nicht anwendete. Außerdem braucht die Welt das Evangelium so nötig wie der Koch das Salz.

Deswegen brauchen wir noch nicht überheblich zu sein und alles besser wissen wollen. Auch ein feindseliges inneres Abrücken von der Welt ist uns nicht erlaubt. Wir sind für den Dienst an der Welt da. Deshalb sollten wir so konsequent wie möglich das sein, wozu Gott uns gemacht hat.

Allerdings werden wir viele Dinge um keinen Deut anders machen als unsere nichtchristlichen Mitmenschen auch. Aber überall wird sich das Bekenntnis zum dreieinigen Gott auswirken. Wir wissen eben um unser Woher. Wir wissen, daß wir vor Gott verantwortlich sind. Aber wir haben auch die Gewißheit, daß Gott zu uns steht und uns annimmt. Das schafft eine letzte Verbundenheit allein an Gott.

Es geht also nicht darum, nur das zu predigen, wonach den Leuten die Ohren jucken (2. Tim 4,3). Da tut man der Welt keinen guten Dienst, sondern betrügt sie um ihr Bestes. Dann ist eben das Salz auch fade geworden. Die Christenheit soll aber nicht der Honig der Welt sein, sondern das Salz der Erde (so sagt es Georges Bernanos in seinem „Tagebuch eines Landpfarrers“).

Wir haben der Welt ja auch etwas zu bieten. Und die Welt braucht das befreiende Wort des Evangeliums. Der Geist der Versöhnung und des Friedens hat es nach wie vor schwer. Noch sind Krieg und Feindschaft bittere Wirklichkeit. Das Evangelium aber kann der Welt die Versöhnung und den Frieden bringen, es kann Ordnung in die Gedanken bringen und Heilung bewirken. Das Salz der Erde darf nicht irgendwo verkümmern. Die Welt hungert nach Liebe, nach Frieden, nach Gerechtigkeit und Versöhnung.

Während wir hier zum Gottesdienst versammelt sind, geht draußen das Leben weiter. Wir hören den Straßenverkehr und das Schreien der Kinder. Aber sie alle leben davon, daß hier in dieser Kirche Menschen sind, die für die Welt beten. Wir schalten uns in die Fürbitte Jesu für die Welt ein. Das ist der priesterliche Dienst der Gemeinde für die Welt. Natürlich weiß die Welt nicht, daß sie davon lebt. Woher sollte sie es auch wissen? Unserer Regierung wird es gleichgültig sein, daß wir für sie beten. Aber überall in der Welt tun die Christen das, egal welche Regierung es ist.

Wie das aussehen kann, wenn Christen das Salz der Erde sind, schildert ein verunglückter Offizier in dem Buch „Rückkehr ins Leben“ (W.u.E. Thom, Berlin 1979): Bei seinem langen Krankenhausaufenthalt lernt er eine Schwesternschülerin kennen, die ihm durch ihre Hilfsbereitschaft und Umsicht auffällt. Als es schon fast ans Verabschieden geht, sagt sie ihm, daß sie täglich für ihn betet, daß Gott ihm hilft. Sie hatte ihre Eltern verloren, als sie zwei Jahre alt war, und war in einem christlichen Waisenhaus aufgewachsen. Noch immer wohnte sie dort und half den Jüngeren. Nun wollte sie eine gute Krankenschwester werden. Sie arbeitete nicht in einem kirchlichen Krankenhaus. Aber sie hatte den Mut, einem weltanschaulich ganz anders eingestellten Patienten gegenüber ihren Glauben zu bekennen. Sie betete für einen Menschen, der ihr ans Herz gewachsen war, und das blieb nicht ohne Wirkung. So war sie Salz der Erde.

Das andere Bild sagt das Gleiche: „Ihr seid das Licht der Welt!“ Wieder könnte uns vor Augen stehen, daß die christlichen Kirchen zur Verdunkelung der Welt nicht unwesentlich beigetragen haben. Leider ist die Christenheit oft nicht Licht gewesen. Aber sie kann es sowieso nicht aus eigener Kraft, sondern sie ist nur Licht, weil Christus sie dazu macht.

Licht ist notwendig, damit man sich zurechtfindet. Da weiß man, wohin man greifen muß. Man kann unterscheiden und Gefahren sehen. Das Unheimliche und Schreckliche kann sich nicht mehr verstecken. Man stößt sich nicht gegenseitig und braucht sich nicht unbeabsichtigt umzurennen.

Licht ist dazu da, daß es hell macht. Es wäre unsinnig, ein Licht anzuzünden und dann ein Gefäß darüber zu stülpen. Nicht nur, daß es dann nicht leuchten kann, es wird auch mit der Zeit wegen Sauerstoffmangel ausgehen. Ohne Bild gesprochen: Christsein und nichts davon weitergeben - das ist ein Unding!

Deshalb heißt es hier auch zum Trost: „Die Stadt auf dem Berge kann gar nicht verborgen bleiben. Sie hat eine Bedeutung für die ganze Umgebung. In die Stadt kommen die Leute aus den Dörfern, wenn sie einmal etwas Besonderes brauchen. Eine Stadt muß dafür offen sein. Sie soll besucht und besichtigt werden und auch nach ihren Energiequellen befragt werden können?

Auch die christliche Gemeinde ist nicht zu übersehen. Auch wenn wir zahlenmäßig klein sind und nicht den Ton angeben, sind wir doch wer. Wir sind es nicht deshalb, weil wir so vollkommen sind, sondern weil Gott uns zur Stadt auf dem Berge gemacht hat. Unsere Bedeutung liegt nicht darin, was wir uns ausdenken, sondern in dem, was Gott durch uns tut. Auf ihn haben wir zu verweisen, wenn man uns fragt: Was sagt ihr denn zu den Bemühungen um Frieden? Wie beteiligt ihr euch am Wachsen der Gerechtigkeit?

Unser Beitrag ist da wichtig. Wir könnten nur übersehen werden, wenn wir unsern Herrn verleugnen. Dann allerdings würden wir tatsächlich niemandem mehr auffallen und für die Welt uninteressant werden.

Die Schildbürger wollten das Licht in Säcken auffangen und in ihr fensterloses Rathaus tragen. Das mußte ihnen mißlingen, denn Licht muß weiterstrahlen, gradlinig oder auch durch einen Spiegel oder sonst etwas abgelenkt oder auch zurückgeworfen. Aber man kann es nicht aufbewahren wie Wasser im Eimer. So kann man Jesu Reich auch nur haben, indem man es weitergibt.

Der beste Christ wäre der, der das von seinem Herrn auf ihn fallende Licht am klarsten weitergäbe und bei dem man am deutlichsten wiedererkennen könnte, woher es stammt.

 

 

Matth 6, 25 - 34 (15. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

In einem Land im Südwesten Europas fotografiert ein Tourist einen Fischer, der in seinem Boot liegt und döst. Durch das Klicken der Kamera wird der Fischer wach. Da fragt ihn der Fremde: „Warum fahren Sie denn nicht hinaus auf das Meer, um zu fischen. Fühlen Sie sich nicht wohl?“ Der Fischer steht auf und reckt und sich sagt: „Ich fühle mich phantastisch!“ Doch der Tourist fragt weiter: „Ich verstehe nicht, weshalb Sie nicht arbeiten!“ Der Fischer aber meint: „Ich bin doch schon heute früh ausgefahren, und der Fang war gut!“ Da ereifert sich der Ausländer noch mehr: „Aber wenn Sie noch einmal ausfahren, dann können Sie immer mehr Fische verkaufen. Dann können Sie Leute anstellen, sich Schiffe und Kühlhäuser zulegen und dann....!“ „Was dann?“ fragt der Fischer. Der Tourist ist begeistert: „Dann können Sie beruhigt hier im Hafen sitzen, in der Sonne dösen und auf das herrliche Meer blicken!“ - „Aber das tue ich doch jetzt auch schon!“ sagt der Fischer. Nur das Klicken Ihrer Kamera hat mich gestört!“

Hat er nicht recht, dieser Lebenskünstler? Wozu soll man sich sorgen und mühen, wenn man am Ende doch nicht mehr hat Oder ist so ein Mensch ein Taugenichts, der früher oder später

der Allgemeinheit zur Last fallen wird?

Diese von Matthäus in der Bergpredigt zusammengefaßten Sprüche Jesu sind schon ärgerlich für uns. Sie sind gar nicht einmal original von Jesus, sondern es gibt viele Entsprechungen zu ihnen im Judentum und den anderen Religionen der damaligen Zeit. ier Hier geht es aber nicht um einen volkstümlichen Glauben an die Vorsehung. Erst von der ganzen Frohen Botschaft her gewinnen diese Aussagen ihren Sinn.

Jesus meint nicht, daß wir all die schönen Dinge des Lebens nicht brauchten. Er sagt eindeutig: „Euer Vater im Himmel weiß schon, daß ihr das alles braucht!“ Er weiß auch, daß man vorsorgen muß, damals wie heute. Der Staat muß vorsorgen, Vorräte für schlechte Zeiten anlegen, künftige Entwicklungen vorbereitem - alles andere wäre verantwortungslos. Und genauso macht es auch der Privatmann: Er hat etwas in der Speisekammer und im Kleiderschrank und er hat in der Regel auch ein Sparkonto.

Doch hier fängt das Problem schon an: „Wieviel sollte man auf der hohen Kante haben, um sich sicher fühlen zu können? Sind es 1000 Euro oder 20.000 oder vielleicht 100.000 Euro?“ Je mehr einer hat, desto mehr hat er doch Sorgen, er könnte das alles wieder verlieren und in „Armut“ zurücksinken… Wenn einer erst eine Warnleuchte gegen Einbrecher am Haus hat, dann hat er diesen Zustand schon erreicht.

Er entsteht aber erst recht in einer Mangelwirtschaft: Da ist der Heizungsofen etwas altersschwach, man läßt schon einmal seine Beziehungen spielen und stellt sich einen als Reserve hin. Doch was ist, wenn der Ernstfall kommt und von einem Tag auf den anderen der neue Ofen angeschlossen werden muß? Dann hat man ja wieder keinen in Reserve! Also wird noch ein dritter Ofen besorgt, damit man auf alle Fälle gefaßt ist. Das ist das ungute Sorgen, das Jesus meint.

Einer hat sich einmal ein Faß mit 100 Liter Benzin angelegt für den Fall, daß das Benzin einmal knapp wird. „Wenn ich dann das Moped nehme, dann kann ich noch ganz lange fahren, während die anderen laufen müssen!“ ist seine Devise. Doch ist das wirklich so erstrebenswert, derart über die anderen triumphieren zu wollen. Ist es nicht besser, wenn man sagt:

„Wenn die anderen nichts mehr haben, will ich auch nichts mehr haben!“

Sicherlich müssen wir schon vernünftig planen, für uns und unsere Familie. Wir müssen unsere Arbeit sorgfältig tun und unser Geschäft verantwortlich führen. Auch für die Gesundheit können wir vorsorgen und viel für die Zukunft tun. Jesus wäre falsch verstanden, wenn man nur in den Tag hineinlebte und immer neue Ratenkäufe tätigte in der Hoffnung, das werde eines Tages schon alles bezahlt werden.

Der Hinweis auf die Vögel und die Blumen darf uns nicht täuschen. Hier geht es nicht um eine Entsprechung, bei der Punkt für Punkt alles gleich ist. Vielmehr geht es um einen Schluß vom Geringeren zum Größeren: Wenn schon die nicht-arbeitenden Geschöpfe von Gott erhalten werden, wieviel mehr dann ihr, die ihr arbeitet!“ Daß Menschen arbeiten, ist eine Selbstverständlichkeit. Aber die Sorge gehört eben auch mit zum Menschsein dazu. Jeder sucht sich selbst zu erhalten und zu sichern. Wir wollen mehr. Aber dabei droht uns dann das verlorenzugehen, was wir haben. Und bei all dem wissen wir: unser Leben ist vergänglich! Je älter wir werden, desto mehr kämpfen wir mit dem drohenden Tod. Deshalb möchten wir der Zukunft das Unheimliche nehmen möchten sie in den Griff bekommen.

Fürsorge und Vorsorge sind durchaus nötig. Zur Sorge werden sie aber, wenn sie in einer Haltung der Vertrauenslosigkeit geschehen. Das ist das Heidnische in uns. Letztlich geht es hier um die Größe unsers Glaubens, um das erste Gebot, nämlich ob wir Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen.

Wer sich sorgt, der tut so, als müßte er sein eigener Schöpfer und Erhalter sein und als wäre sein tägliches Tun nicht eingeschlossen in die alles umgreifende und tragende Fürsorge Gottes. Das führt in Verbissenheit und Verkrampfung, in Humorlosigkeit und Mißtrauen. Dann meint man, auf Gott wäre kein Verlaß, und man kann nicht glauben, daß er es doch wohl macht.

So haben wir es in der Kirche gelernt, so wollen wir es ja auch glauben. Aber dann sagen wir doch wieder: „Geld macht nicht glücklich, aber es beruhigt?“ Das dachte auch ein amerikanischer Multimillionär, der unbedingt sein Geld sichern wollte: Er hatte einen gewaltigen Tresor bauen lassen, den er im Teich seines Parks versenken ließ. Bei einer Party stieg der Hausherr selber in den Tresor und ließ die Türen schließen. Nach einigen Minuten wollte er wieder herauskommen. Die Gäste aßen und tranken einstweilen. Aber nach einer Stunde war der Hausherr immer noch nicht wieder da. Man telefonierte nach Spezialisten, die den Tresor von außen öffnen konnten. Sie fanden den reichen Mann tot inmitten seiner Schätze, denn er hatte die richtigen Buchstaben und Zahlenkombination vergessen. So hat die technische Anlage, die seinen es Besitz und sein Leben sichern sollte, sein Leben beendet.

Jesus möchte, daß wir nachts sorglos schlafen können. Wir können schon froh sein über den technischen Fortschritt. Nur wollen alle Dinge vernünftig erworben und gebraucht werden. Es bringt nichts, verbissen um ein vermeintliches Glück zu kämpfen und dabei das wahre Glück zu verlieren.

Doch das ist leicht gesagt und schwer getan. Auch von den Kanzeln werden wir immer wieder aufgefordert, uns nicht auf die Dinge dieser Welt zu verlassen und mit den Notleidenden zu teilen. Doch man kann gut reden mit 5.000 Euro netto im Monat und freier Wohnung. Da wäre es ehrlicher, wenn man sagte: „Wir wissen zwar, was Jesus von uns will; aber wir bringen es nicht fertig, danach zu leben!“ Jeder von uns ist von der Ursünde gefangen, Gott doch nicht so ganz zu vertrauen.

Das Sorgen hört wohl erst in der Ewigkeit auf. Das soll nicht heißen, daß die Frohe Botschaft erst am Jüngsten Tag in Kraft tritt. Aber sie hat von dorther ihre Kraft. Was uns die größte Sorge macht, ist wahrscheinlich der Tod. Unsere kleinen Sorgen sind Ausdruck dieser großen Sorge. Aber gerade diese Sorge ist uns doch abgenommen: Wir können unserm Leben kein Stück hinzufügen, aber Gott ist es, der unser Leben erhält.

Darum können wir jeden Tag mit neuer Kraft angehen. Es stimmt schon: „Jeder Tag hat seine eigene Plage!“ Wir brauchen sie nicht noch dadurch zu vergrößern, daß wir die Last von morgen schon in das Heute hineinnehmen. Wer Vertrauen auf Gott hat. kann sich voll und ganz seiner heutigen Aufgabe zuwenden. Das macht das Leben nicht nur fröhlicher und leichter, sondern auch ergiebiger und fruchtbarer. Man verbraucht nicht die Kraft für etwas, das noch gar nicht dran ist.

Jesu Aufforderung: „Sorget nicht!“ ist eigentlich kein Befehl, sondern eine Erlaubnis - vielleicht die kühnste, die jemals auf Erden gewagt worden ist. Aber sie ist möglich, weil Gott unser Vater ist. Wenn seine Herrschaft bei uns an erster Stelle steht, wird uns alles andere dann zufallen.

 

Anspiel zum nachfolgenden Predigttext Mt 6,24 - 34 „Sorget nicht!“

In einer Pantomime wird dargestellt, wie man sich sargt und wie man nach dem Reich Gottes trachtet, allerdings beides sehr extrem und damit auch letztlich als falsch dargestellt:

Ein junger Mann holt sich aus verschiedenen Ecken des Altarraums der Kirche bunt bemalte Kartons und baut sie um sich herum auf, sozusagen die Schätze, die er sich sammelt. Er will dadurch sein Leben sichern, stellt sie wie eine Mauer um sich herum und denkt, nun sei alles gut.

Aber da kommen andere und wollen ihm seine Schätze wegnehmen. Immer wieder muß er rennen und laufen, um die Fremden zu vertreiben bzw. ihnen seine Schätze wieder abzujagen. Es kommen auch einige, die ihn um Hilfe bitten. Aber er wehrt ab. Er will alles für sich behalten, er meint, auf nichts verzichten zu können.

Immer wieder zählt er seine Kästen. Nachts kann er nicht schlafen aus Sorge um seinen Besitz. Kaum hat er sich auf sein Bett niedergestreckt, so schreckt er wieder auf und sieht nach, ob noch alles da ist. Einen hat er nicht mehr erwischen können, der ihm einen Kasten weggenommen hat. Da setzt er sich ganz verzweifelt hin und jammert und hat ein sorgenvolles Gesicht.

Neben ihm ist ein junges Mädchen zu sehen. Das soll karikiert darstellen, wie man nach dem Reich Gottes trachtet. Sie ist schwarz angezogen, etwas altmodisch, mit Brille und mit Demutszwiebel. Mit dem Gesangbuch geht sie in die Kirche, singt und betet übertrieben und liest aus einer überdimensionierten Bibel.

Auch zu ihr kommen die Leute und bitten sie. Aber sie gibt ihnen nur eine Bibel mit. Man bringt ihr eine Maschine, an der sie arbeiten soll. Aber sie winkt nur ab und liest weiter in der Bibel, deutet nach oben und will den anderen auch eine Bibel aufdrängen. Schließlich versucht sie es auch noch bei dem Mann, der seine Schätze um sich herum aufhäuft. Aber die große Bibel läßt sich nicht in seine Mauer einbauen. Er gibt sie zurück. Er gibt aber dem Mädchen einen Karton ab. Aber die wehrt ab und will ihn nicht haben. Sie klemmt nur die Bibel unter den Arm und zieht wieder ab.

Nun wird das „Publikum“ gefragt, was hier dargestellt wurde. Notfalls werden einzelne Punkte erläutert und noch einmal wiederholt. Frage: Wer von der beiden macht es denn nun richtig bzw. richtiger?

Beide machen es falsch! Wie müßte es denn nur richtig sein, wenn man alles im Sinne unseres Bibeltextes darstellen will?

Der junge Mann nimmt die Bibel an und liest darin. Er gibt von seinen Schätzen ab und braucht sich nun nicht mehr zu sorgen, daß sie ihm genommen werden. Er wird froh und glücklich.

Das Mädchen liest auch weiter in der Bibel. Aber sie arbeitet auch und zeigt den anderen, wie man es macht. Sie gibt keine Almosen, sondern hilft den anderen, daß sie sich selber helfen können. Eventuell kann sie sich auch äußerlich noch etwas besser zurechtmachen (z.B. bunte Kittel überziehen).

 

 

Mt 6, 24 – 34 (15. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Die Sorge gehört mit zu unserm Leben wie das tägliche Brot. Gerade um das tägliche Brot machen wir uns ja Sorgen.' Weil jeder denkt, er hätte noch nicht genug davon, will er sich immer mehr zusammenraffen: Er arbeitet wie verrückt, kümmert sich kaum um die Kinder und gar nicht um die Alten und hat auch keine Zeit für die Kirche.

Die Sorge um die Erhaltung Lebens gehört von Anfang an zum Menschen dazu. Er sieht überall in der Welt Gefahren auf sich zukommen und will sich deshalb aus eigenen Kräften einen sicheren Raum schaffen. Wie eine Mauer baut er seiner Besitz und seine Versicherungen um sich her auf und denkt, ihm könne ihm nichts mehr passieren. Das ist ein Urtrieb und hat mit Tugend oder Untugend zunächst nichts zu tun.

Allerdings muß man einen Unterschied machen zwischen Sorge und Sorge. Es gibt eine durchaus richtige Sorge im Sinne einer guten Vorsorge für die Zukunft. Jeder von uns hat sich einen Notgroschen auf die Seite gelegt und Vorsorge getroffen für sein Alter. Das ist gut und vernünftig und nicht gegen den Willen Gottes.

Gott sieht die Sorgen unseres Alltags nicht als geringfügig an. Im Vaterunser steht ja ausdrücklich die Bitte um das tägliche Brot mit drin. Aber sie ist eben nur eine von sieben Bitten. Gott will uns noch mehr geben: nicht nur einen kurzzeitigen Erfolg, sondern den Segen, der sich immer mehr in unserm Leben auswirkt.

Hier wird das praktisch. was die frohe Botschaft Gottes an uns ist: Wir dürfen unser Leben ganz der Fürsorge Gottes anvertrauen. Allerdings werden wir hier nicht mit den Vögeln und Blumen verglichen. Es geht nicht darum, daß wir so leben wie sie. Der Vergleichspunkt ist vielmehr: Gottes Fürsorge gilt nicht nur den Pflanzen und Tieren, sondern noch viel mehr uns Menschen, weil wir ihm noch wertvoller und wichtiger sind.

Aber machen wir denn damit ernst in unserm Leben? Meist verfallen wir doch jener zweiten Form der Sorge, die Jesus ganz und gar nicht bei uns sehen möchte. „Meine Arbeit macht mir Sorgen“, sagen viele. Sie fragen sich, wo der Sinn ihrer Arbeit liegt. Sie sehen nur das, was ihnen die Freude an der Arbeit verdirbt und blicken jeden Montag wieder mit Sorge der neuen Woche entgegen.

„Meine Kinder machen mir Sorgen“, ist so ein weiterer Spruch. Einmal gibt es Sorgen, weil die Jugend in vielen Dingen heute so ganz anders ist als die Eltern. Zum anderen wird die Berufsfindung heute zunehmend schwieriger. Viele Eltern fragen sich: „Wie machen wir es nur richtig? Dann noch: „Mein Alter macht mir Sorgen!“ Wenn man nicht mehr so richtig kann und aus dem Arbeitsleben ausscheiden muß, dann kommt man sich leicht überflüssig vor. Keiner will ein langes Krankenlager haben, um den Angehörigen nicht zur Last zu fallen. Werden die letzten Lebensjahre noch einen Sinn haben?

Schließlich könnten wir auch noch sagen: „Meine Kirche macht mir Sorgen!“ Die Zahl der Gemeindeglieder geht zurück, neue Gottesdienstformer werden erprobt, mit der Bibel wird wissenschaftlich umgegangen, das Verhältnis zu politischen Dingen ist umstritten. Wie wird es da weitergehen mit der Kirche? Wird sie nicht ganz anders werden, als wir es bisher gewohnt waren?

Alle diese Sorgen gehen doch täglich mit uns. Wir sollten uns fragen: Gehören sie zu den berechtigten Gedanken, die man sich um die Zukunft machen muß. Oder sind sie Zeichen jener ängstlichen Sorge, die Gott zu wenig zutraut. Jesus weiß, daß Gott mächtiger ist als alle Sorgen der Menschen. Er macht uns Mut, an den Gott zu glauben, der uns das Sorgenmüssen abnimmt. Von seiner Fürsorge dürfen wir uns geborgen wissen.

Falsch wäre es natürlich auch, wenn wir nur in den Tag hineinlebten. Bei Gott dem Vater dürfen wir zwar die Beine unter dem Tisch stellen und ihn sorgen lassen. Aber das heißt nicht, daß wir leichtsinnig werden können (und auf Kosten anderer leben wollen).

Ein sogenannter „Gammler“ lebt noch nicht im Sinne der Bergpredigt. Er macht sich zwar keine Sorgen, macht beim Konsumdenken nicht mit und fängt auch nicht an zu hamstern Aber ein Leben auf Kosten der anderen ist wohl auch nicht das Richtige.

Allerdings wird für uns die Gefahr schon nicht zu groß werden, daß wir zu sorglos werden. Uns ist ja der Wille zum Tun angeboren und. wir schaffen trotz alles Stöhnens doch ganz gern etwas. Aber die andere Gefahr ist ganz groß da, daß wir nämlich leben, als ob es Gott nicht gäbe, der für uns sorgen will. Deshalb erlaubt uns Jesus nicht nur, die Sorgen fahren zu lassen. Er befiehlt uns auch: „Sorget nicht!“ Er macht uns frei von den Dingen dieser Welt und bindet uns an Gott, den Vater.

Zwischen Sorglosigkeit und ängstlicher Sorge gilt es den rechten Weg zu finden. Jesus will nicht, daß wir die Hände in den Schoß legen und die Welt mit ihren Nöten und ihrer Arbeit verachten. Aber das Gegenteil ist auch nicht richtig. Mancher müht sich nur für die Familie und seine Kinder, damit sie es einmal besser haben und sagt dann: „Das ist doch auch im Sinne Gottes!“

Mit dieser frommen Begründung will er sich nur der Herrschaft Gottes entziehen. Er will selber schalten und walten können und alles allein entscheiden. Und weil er erst noch für das und für das sorgen muß, bleibt keine Zeit und kein Raum mehr für Gott. Nur wer erst nach Gott fragt und dann an sein Tagwerk geht, wird von ängstlicher Sorge frei. Er weiß:

Jede Arbeit hat einen Sinn und kann mir deshalb Freude machen. Meine Kinder werden mit Gottes Hilfe den rechten Weg im Leben finden. Auch im Alter wird Gott noch wichtige Aufgaben für mich haben.

Und mit der Kirche wird es auch in Zukunft weitergehen, weil Gott sie erhält. Es ist sicher nicht leicht, im Sinn der Bergpredigt zu leben. Es ist uns aber auch nicht erlaubt, diese Worte Jesu nur abzumildern und doch wieder mit unseren sonstigen Lebensauffassungen auszugleichen AM besten wird uns alles noch gelingen, wenn wir tatsächlich im Sinne des Jesuswortes leben: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen!“ Gott wird zwar nicht alle unsere törichten Wünsche erfüllen. Aber er wird uns das geben, was wir zum Leben brauchen. Damit sollen wir es uns genug sein lassen.

Und wenn wir nachher für alles danken können, was uns Gott gegeben hat, dann haben wir wahrscheinlich die richtige Glaubenshaltung gehabt.

 

 

Mt 7, 24 - 29 (9.  Sonntag nach Trinitatis, Erste Version):

Wenn ein altes Haus abgerissen wird, dann wundert man sich oft über die Fundamente: Einige große Steine in den Sand gesetzt, das sollte halten und hat auch meist gehalten. Früher hat man halt auch kleiner und leichter gebaut und vielleicht auch nicht so auf Dauer. Viele werden auch heute denken: Hochwasser brauchen wir nicht zu fürchten, das gibt es erst in den Niederungen. Man muß eben auch mit einem Jahrhunderthochwasser rechnen, wie es eben in hundert Jahren nur einmal vorkommt.

Jesus hat von der Sache etwas verstanden, denn er war von Beruf Bauarbeiter. Ein Beispiel aus seinem alltäglichen Leben wurde ihm zu einem Gleichnis für das Leben des Christen. Wenn man baut, dann baut man gleich richtig, da kann man nicht sparen, da muß vom Grund auf alles stimmen. Und wenn man sein Leben einrichtet, dann muß man auch wissen, worauf man es aufbauen will.

Man kann natürlich auch einfach drauf los bauen, Hauptsache die Fassade stimmt und erregt die Bewunderung der Nachbarn. Äußerlich mögen die beiden Häuser sehr ähnlich aussehen, wenn sie fertig dastehen. Es besteht nur  e i n  Unterschied: Der eine Hausbauer hat mit einem möglichen Regenguß und einer daraus entstehenden Hochwasserkatastrophe gerechnet und sein Haus darum von vornherein auf den Felsen gegründet. Der adere sieht kein Wölkchen am Himmel und meint, es müsse immer so bleiben, und macht sich deshalb nicht so viel Mühe mit dem Fundament seines Hauses.

Ohne Bild gesprochen will Jesus uns damit sagen: Der Glaube wird früher oder später schweren Belastungsproben ausgesetzt sein. Dieser Wirklichkeit wird derjenige am besten gerecht, der beizeiten damit rechnet. Das sollte man etwa jungen Eheleuten sagen: Wenn man heiratet ist natürlich alles in Ordnung. Da denkt man nicht daran, daß auch einmal Krankheit und Sorgen kommen können, aber auch Meinungsverschiedenheiten und Spannungen. Nüchtern darauf gefaßt zu sein, das ist Klugheit. Wenn man ein gutes Fundament für die Ehe gelegt hat, dann kann es auch einmal Erschütterungen und unvorhergesehene Dinge aushalten.

Wir versuchen auch, uns durch eine bestimmte Vorsorge zu sichern. „Versichert - gesichert“ heißt der Wahlspruch der Versicherungen. Aber die Bibel sagt: „Niemand kann seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen. Auch eine sogenannte Lebensversicherung hilft uns da nicht mehr weiter.

Vielleicht leben wir heute noch sorglos und unangefochten. Für diese Lage würde das auf den Sand gebaute Haus ja genügen. Aber wir können schnell in Konflikte und Verlegenheiten, in Schmerzen und Leiden geraten. Es braucht gar nicht erst bei der Röntgenuntersuchung ein Schatten auf der Platte zu sehen sein. Es braucht gar nicht erst ein Erdbeben zu kommen. Es kommen aber bestimmt Augenblicke, in denen unser Glauben auf Biegen und Brechen erprobt wird.

Wir wollen jetzt nicht in gruselige Schwarzmalerei verfallen. Aber wir würden die Wahrheit verschweigen, wenn wir nichts sagten von dem „Wetter Gottes“‚ von Regengüssen und Stürmen in unserem Leben, die unser Lebenshaus bis in die Fundamente erschüttern. Da denkt einer: Jetzt hast du es geschafft, im Beruf läuft alles, du hast dir alles Nötige und auch manches Unnötige anschaffen können, mit den Kindern ist alles geregelt. Aber wenn man denkt: Jetzt hast du endlich Ruhe, da kommt eine Krankheit oder ein Streit oder ein Mißgeschick und schon geht der Sturm wieder los.

Wir bauen alle am Hause unseres Lebens. Wir haben auch festgefugte Grundsätze und Anschauungen, Wünsche und Hoffnungen. Aber irgendwann kommt einmal die Abnahme des Baues, und dann soll doch alles stimmen. Wer klug ist, der kalkuliert das ein. Alle Stürme unseres Lebens sind ja nur Vorspiel für das große Wetter Gottes, dem wir einmal ausgesetzt sein werden. Jede Entscheidung von heute werden wir einmal vor dem Richterstuhl Gottes verantworten müssen. Deshalb darf sich keiner in Illusionen wiegen, sondern sollte Ordnung machen und Ordnung halten in seinem Leben.

Wer klug ist, fragt nach den Folgen, fragt auf weite Sicht. Man könnte natürlich auch sagen: Wenn es um Gewissenfragen geht, dann kann man nicht nach den Folgen fragen. Wenn man etwas einmal als richtig erkannt hat, dann muß man es durchsetzen, koste es, was es wolle.

Da ist schon etwas Wahres dran, denn sonst spricht man vielleicht von Gewissensentscheidungen und läßt sich praktisch doch von dem leiten, was gerade günstig erscheint. Wer aber nach den Folgen fragt, der nimmt gerade die Gewissensfragen ernst.

Wie bekommt aber nun unser Lebenshaus die erforderliche Stabilität? Die Antwort Jesu klingt denkbar einfach: Gottes Wort hören und tun! Sicher hat derjenige Jesus noch nicht recht verstanden, der über dem Hören seiner Botschaft unbewegt und schläfrig geblieben ist.

Es muß etwas nicht stimmen, wenn es uns nicht packt. Die Zeitgenossen Jesu jedenfalls haben der Unterschied zwischen ihm und der Schriftgelehrten stark empfunden.

Die Schriftgelehrten hatten Gottes Gesetz und die von ihnen drangehängte Auslegung bestens gelernt. Sie konnten auf alle Fragen korrekt Antwort geben. Aber man spürte bei ihnen doch nicht die Vollmacht, wie das bei Jesus ganz selbstverständlich der Fall war. Man wußte noch nicht so recht, daß es mit Gott zu tun haben könnte. Aber Jesus hat die Menschen mehr überzeugt und gefangengenommen als die Schriftgelehrten.

Aber es geht nicht allein um das Hören und darüber Diskutieren und sich daran erbauen. Als Goethes „Faust“ im Johannesevangelium liest: „Am Anfang war das Wort!“ da stellt er dem gegenüber: „Am Anfang war die Tat!“ Doch man kann das auch nicht so schroff entgegensetzen. Das eine ist nicht ohne das andere. Man kann im Grunde auch nichts tun, ohne vorher gehört zu haben.

Ohne das Hören käme es gar nicht zu neuem Tun, wir müssen immer wieder auch einmal einen Anstoß bekommen. Vom Wort Gottes her wird unser Tun immer wieder gespeist. Im Grunde können wir ja nur deshalb etwas tun, weil wir durch Jesus immer wieder neu anfangen können. Unsre Schuld muß uns nicht immer wieder lähmen, sondern Jesus holt uns durch sein vergebendes Wort immer wieder aus allem Leerlauf heraus und ermöglicht uns einen neuen Anfang.

Wir brauchen da gar nicht nur an Grenzfälle zu denken, an die besonders Belasteten und die mit einem verpfuschten Leben, die wir jedenfalls so einschätzen würden. Vor Gott hat keiner etwas vor dem anderen voraus. Und wenn wir darauf vertrauen dürfen, den rechten Grund für unser Leben gefunden zu haben, dann brauchen wir deswegen nicht stolz zu sein. Nicht wir haben gefunden, sondern er hat uns gefunden und den rechten Grund für uns gelegt.

Man sieht es den verschiedenen Häusern nicht an, wie es mit ihrem Fundament bestellt ist. Es ist nicht gesagt, daß das Verhalten der Christen dem der Nichtchristen überlegen sein müßte. Das wirft man uns ja zu Recht oder zu Unrecht immer wieder einmal vor. Das sieht dann etwa so aus, daß völlig unkirchliche Leute, die Jahr und Tag nicht in die Kirche gehen, vom Pfarrer verlangen „Den und den müßten Sie vom Gottesdienst ausschließen...!“und dann wird erzählt, was er angeblich gemacht hat.

Leider geben wir in der Tat immer wieder Anlaß zu Vorwürfen. Was uns die Stürme überstehen läßt ist dies, daß wir auf einen  a n d e r e n  Grund bauen: Wir bauen unser Leben auf Christus, der uns immer wieder vergibt und uns in seine Nachfolge ruft und uns ein neues

Leben schenkt.           

 

 

Mt 7, 24 - 29 (9. Sonntag nach Trinitatis, zweite Version):

Worauf kann man im Leben bauen? Man muß doch irgendetwas Festes haben, auf dem man steht und auf das man sich verlassen kann. Was soll man denn jungen Leuten von heute raten, die noch nach einer festen Grundlage suchen? Früher war das keine Frage. Da wuchs die junge Generation einfach in die überlieferte Welt der Erwachsenen hinein, und es hatte kaum einer die Möglichkeit, aus diesem System auszubrechen. Staat, Schule und Kirche und Familie waren alle auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam aufgebaut, und wehe, wenn einer aus der Reihe tanzte. Man muß natürlich dazu sagen: Was man damals als Grundlage anzubieten hatte, war wenigstens seit Jahrhunderten erprobt und paßte in die Umwelt, die sich ja praktisch kaum veränderte.

Heute ist das anders: Wir wissen ja nicht einmal, ob das, was wir heute unsren Kindern mitgeben, in zwanzig Jahren noch gefragt ist. So schnell ändert sich doch unsre Welt. Und was heute noch richtig war, kann morgen schon falsch sein. Denken wir nur daran, wie oft ein um die Jahrhundertwende geborener Mensch umlernen mußte. Und wer weiß, wie oft wir noch werden umlernen müssen.

Die jungen Menschen spüren das wohl auch. Sie spüren die Unsicherheit der Erwachsenen und sind selber auch unsicher. In vielen Fällen merken sie aber auch, daß die Autorität der Erwachsenen brüchig ist und oft nichts mehr dahintersteckt. Deshalb werden sie aufsässig, weil sie nicht einfach in ein fertiges Gehäuse hineinkriechen wollen, das ihnen später einmal zu eng wird. Da wollen sie sich lieber selber ein Haus bauen, auch wenn es zunächst nicht so großartig ist wie die Häuser der Erwachsenen.

Vielleicht muß das einfach auch so sein. Es muß jeder seine eigenen Erfahrungen machen. vielleicht wird er auch erst durch Schaden klug. Aber dann sieht er es eher ein, als wenn es ihm nur befohlen wird ohne eine Begründung und er nur widerwillig und gezwungen mitmacht. Nur durch solche eigenen Erfahrungen gibt es einen Fortschritt und Menschen, die mit ihrem Los zufrieden sind.

Wir sollten dann auch nicht traurig sein, wenn die jungen Menschen sich ein anderes Haus bauen, als wir es uns vorgestellt haben. Sie müssen ja darin leben und nicht wir. Auch wenn uns vielleicht manches als verrückt erscheint, so fühlen sie sich vielleicht ganz wohl darin. Es ist jeder seines eigenen Glückes Schmied. Und sicher wird auf diese Art und Weise manches besser als früher. Unsre Art zu leben ist nicht die allein seligmachende.

Jesus rechnet hier ja mit den Pharisäern ab. Die boten ihren Leuten ja ein an festes Haus an: Wer korrekt nach dem Gesetz und seinen Ausführungsbestimmungen lebte, konnte sicher sein. Er konnte sagen: Ich habe keinen getötet, die Ehe nicht gebrochen, keinen falschen Eid geschworen, auf Recht und Vergeltung gehalten, die Besitzverhältnisse respektiert, den Nächsten geliebt und den Feind gehaßt n was soll mir schon geschehen.

In diesem Haus einer bürgerlichen Wohlanständigkeit und Rechtschaffenheit konnte man sich geborgen wissen. Und nun kommt Jesus und unterminiert eben dieses Haus und sagt: Eure Gerechtigkeit muß noch besser sein als die der Pharisäer. Es geht gar nicht um Moral und anständig sein, sondern um den Glauben und damit um Gott. Ihr habt noch nicht euer Soll erfüllt, wenn ihr die Gebote haltet, sondern nur wenn ihr nach Gottes Willen fragt.

Konkret sieht das so aus, daß etwa ein Vater seinen Sohn mit zum Gottesdienst nimmt und auch in seinem Alltag nicht im Widerspruch zu dem lebt, was er dort gehört hat. Darüber müssen wir uns ganz im Klaren sein: Auf dem Gebiet des Glaubens werden die Kinder nur das übernehmen, was sie bei den Eltern gesehen haben. Die Eltern sollten deshalb nicht auf die schimpfen, die ihre Kinder vielleicht vom Glauben abbringen wollen, sondern sie sollten ihnen selber ein Vorbild sein. Dann werden sie nämlich widerstandsfähig gegen alle Angriffe und bleiben bei dem Grund, der einmal gelegt ist. Erziehung geschieht nur durch Beispiel und Liebe.

So sieht man es den äußerlich verschiedenen Häusern nicht an, wie es mit ihrem Fundament bestellt ist. Ähnlich mag es auch manchem Christen gehen, dessen Verhalten und Erfolg im Leben vielleicht gar nicht dem überlegen ist, was man bei Nichtchristen sieht. Der Unterschied liegt im Fundament. Auch ein Nichtchrist kann moralisch und humanistisch handeln. Wie es aber mit dem Grund bestellt ist, zeigt sich erst, wenn einmal Belastungen kommen, und letztlich zeig es sich erst ganz am Ende. Beinahe könnte man sagen: Wer zuletzt lacht, lacht am besten!

Wer also wirklich nach einer tragfähigen Grundlage im Leben sucht und auch seinen Kindern und Enkeln etwas davon vermitteln möchte, den kann man nur auf Jesus verweisen. Auf ihn gilt es zu hören und danach zu tun. Er ist gekommen, um auch die Sünder selig zu machen. Auch wenn wir vielleicht an unsrem Haus manches falsch bauen, dann haben wir doch wenigstens den richtigen Untergrund und können uns unser Leben von Gott ausbessern lassen. Er weiß schon, was das Richtige für uns ist.

Aber auf  e i n e n  entscheidenden Unterschied kommt es an: Der eine Hausherr hat sein Haus von vornherein auf Felsen gegründet, weil er mit Gewitter, Überschwemmung und Sturm rechnet. Der andere aber sieht kein Wölkchen am Himmel und meint, es müsse immer so bleiben und man brauche sich mit der Gründung des neuen Hauses nicht allzuviel Arbeit machen.

Dieses Gleichnis will uns ja nun zwei unterschiedliche Weisen des Glaubens vorführen. Wer klug ist, der weiß: Mein Glaube wird früher oder später schweren Belastungsproben ausgesetzt sein. Man wird dieser Wirklichkeit am besten gerecht, wenn man beizeiten mit ihr rechnet. Vielleicht lebe ich heute noch sorglos und unangefochten. Für diese Lage würde das auf Sand gebaute Sommerhaus durchaus genügen. Ich weiß aber nicht, in welche Verle­gen­heiten, Konflikte, Schmerzen und Leiden ich morgen schon kommen kann.

Da werde ich dann einen fest gegründeten Glauben brauchen, wenn ich nicht ins Schwanken kommen will. Ich kann mich nicht selber damit beruhigen, es werde schon nicht so schlimm kommen. Beim Hausbau würde das keiner tun; aber wenn es um den Glauben geht, kann man das bei manchem beobachten.

Wir wollen noch einmal der Frage nachgehen: Was können Eltern und Großeltern für ihre Kinder und Enkel tun, damit sie eine feste Grundlage erhalten? Dabei wird dann auch sicher deutlich werden, wie es mit unserem eigenen Glauben bestellt ist. Viele Erzieher haben doch diese Fragen, weil sie selber unsicher geworden sind oder nicht den Mut haben, gegen den Einfluß anderer Erziehungsträger vorzugehen.

Man kann ja gar manches zur Grundlage seines Lebens machen. Viele wollen ihren Kindern eine gesicherte materielle Existenz mitgeben, ein Haus und ein gutes Bankkonto. Oder es soll ein umfangreiches Wissen und eine gute Ausbildung da sein, weil einem das niemand nehmen kann. Vielleicht lernen die Kinder auch nur, sich in ihre eigenen vier Wände zurückzuziehen und ansonsten das Leben zu genießen und gegen alles andere gleichgültig zu bleiben.

 

 

Mt 8, 5 – 13 (3. Sonntag nach Epiphanias):

Unser christliches Abendland ist gar nicht mehr so christlich. Das können wir an unserem Ort sehen, aber auch an dem ganzen Land. Der Schwerpunkt des Christentums hat sich auf andere Länder und Kontinente verlegt. In Afrika bekannten sich um 1900 erst etwa vier Prozent der Bevölkerung zu Christus. Heute aber sind dort fast ein Drittel schon Christen. Das Land, in das wir vor 100 Jahre Missionare geschickt haben, ist jetzt so weit, seinerseits Missionare ins sogenannte „christliche Europa“ zu senden. Dort weist die christliche Tradition eine rückläufige Tendenz auf.

Dort gab es sogar Staaten, deren staatstragende Partei den Atheismus vertrat. Allerdings war auch dort der Glaube möglich. Nur ist er eben viel mehr als früher eine Entscheidung des Einzelnen. Früher konnte er im Strom mitschwimmen. Jetzt muß er oft sein Recht gegen den Zug der Zeit behaupten. Viele erlagen aber auch der allgemeinen Stimmung und wandten sich von der Kirche ab; sie schwammen wieder mit dem Strom, aber in eine andere Richtung.

Ein Pfarrer kann da manches betrübliche Beispiel erzählen. Ein entscheidender Punkt ist dabei zum Beispiel die Heirat. Wenn nur e i n Partner der Kirche angehört, kommt es darauf an, wie man sich entscheiden wird. Entweder der christliche Partner setzt sich durch und kann dem anderen mit herüberziehen. Oder er paßt sich vorschnell an und läßt sich wegziehen von der Kirche. An dieser Frage entscheidet sieh viel für die Ehe: Wer sich hier durchsetzt, kann auch nachher mitreden. Wer aber hier nachgibt, wird immer nachgeben müssen.

Da hat ein Mädchen es gegen den Vater durchgesetzt, daß es konfirmiert wurde. Es hat jahrelang im Kindergottesdienst mitgewirkt und Lesegottesdienste gehalten. Aber dann hat sie geheiratet, ist weggezogen, das Kind nicht getauft und schließlich ist sie selber aus der Kirche ausgetreten.

Da fragt man sich halt doch: Was ist das für ein Glaube, der auf diese Art und Weise wieder sterben kann. Er ist aus der Tradition herausgewachsen, aber offenbar doch nicht stark genug gewesen. Die es eigentlich hätten wissen können, wenden sich ab. Dafür kommen andere, von denen man es nicht erwartet hätte.

Das macht ja etwa die Geschichte vom Hauptmann von Kapernaum deutlich. Er ist ein Heide, wahrscheinlich ein Syrer, der im Dienst des Vierfürsten Herodes steht. Aber gerade er gewinnt ein noch unbestimmtes Zutrauen zu Jesus und ist voller Erwartung. Er hat noch nichts entdeckt, aber er vertraut sich diesem Jesus an.

Glaube richtet sich ja nicht auf Dinge oder Sachverhalte, sondern auf die Person. Er ist Erfassen der unsichtbaren Hand Gottes. Er ist ein Wagnis, bei dem es keine statischen Berechnungen gibt wie beim Hausbau. Aber das beeinträchtigt die Tragfähigkeit des Vertrauens nicht.

Gerade weil man fröhlich auf alle Sicherungen verzichten kann, ist man glücklich über das Vertrauensverhältnis. Wenn es einer mit dem anderen wagt, dann werden beide fest miteinander verbunden. Und wenn das Vertrauen sich als Irrglaube erwiese, dann wäre das eine große Enttäuschung.

Der Hauptmann kommt mit der Erwartung, in Jesus einen vertrauenswürdigen Partner zu finden. Sein Glaube ist das eigentliche Wunder in dieser Geschichte. Er rechnet mit einer geradezu verblüffenden Gewißheit mit der Kraft Jesu. So wie er seinen Soldaten befiehlt und sie marschieren, so kann nach seiner Meinung auch Jesus der Krankheit befehlen. Er will Jesus sagen: „Du hast doch Befehlsgewalt! Sprich nur ein Wort, schien kommt alles in Bewegung und geht in Ordnung!“ Dann kann man darauf warten, bis die Meldung kommt: „Befehl ausgeführt!“ Es gibt keiner Zweifel, daß er ausgeführt wird!

Über einen solchen Glauben kann sich Jesus nur wundern. Von einem Verwundern Jesu ist sonst nur noch bei seinem Besuch in Nazareth die Rede. Dort heißt es: „Er verwunderte sich über ihren Unglauben!“ Die es eigentlich hätten wissen müssen, verweigern Jesus ihr Vertrauen. Hier aber vertraut ihm einer, von dem man es gar nicht erwartet hätte.

Allerdings kommt gar nicht der Patient zu Jesus, sondern nur dessen Vorgesetzter. Wir haben doch gelernt, daß man sich im Glauben nicht vertreten lassen kann! Jeder muß doch für sich alleine glauben! Aber hier geht es offenbar nicht um eine klug durchdachte christliehe Lehre. Die Glaubenden des Neuen Testaments sehen durchweg nicht so aus, als hätten sie erst ein Glaubensexamen bestanden. Es geht vielmehr um das Zutrauen, mit dem ein Mensch von Jesus Hilfe erwartet. Niemand hat bisher helfen können. Aber da ist Jesus, dem traut der Hauptmann zu, daß er das helfende Wort spricht.

Es geht hier ja gegen Gewalten, die sich gegen Gott auflehnen und seine Schöpfung zerstören wollen. Krankheit, die das Leben gefährdet und zerstört, ist nicht nur ein Naturgeschehen. Der Tod als der äußerste Grenzfall der Krankheit ist der Sünde Sold. Hier geht es um den ständigen Kampf zwischen Gott und dem ihm feindlichen Mächten. Gott aber wird der Sieger bleiben. Er hat es zwar so eingerichtet, daß es Krankheit und Tod gibt. Das sind seine Naturgesetze. Aber er geht souverän damit um. Er hat dieses Instrument geschaffen, aber was er auf diesem Instrument spielt, ist seine Sache.

Von außen gesehen scheint solcher Glaube an Gott eine sinnlose Tollkühnheit zu sein. Der Glaubende selbst würde so etwas nie sagen. Er hat volles Vertrauen zu Jesus. Dieses Zutrauen kann und wird auch in Krisen kommen. Aber er wird immer wieder die Gewißheit gewinnen, daß seine Sache bei Jesus gut aufgehoben ist. Wenn wir Jesus mehr zutrauten, würden wir wohl auch mehr mit ihm erleben.

Aber alles was der Glaube hat, das hat er von außen. Er hält sich an das, was er von Jesus erfahren hat; und er verläßt sich auf die Kraft der Sakramente, weil er in ihren Gott selbst wirksam weiß. Er weiß: Auch wenn mein Glaube versagt, dann trägt doch die Taufe mich. Martin Luther hat sich ja gelegentlich in sein Zimmer eingeschlossen und dann mit Kreide vor sich auf den Tisch oder an die Wand geschrieben: „Ich bin getauft!“ Das hielt er sich vor Augen, wenn sein Glaube unsicher zu werden drohte. Er rechnete ja mit der Existenz des Teufels und konnte nur durch das Festhalten an Gottes Verheißungen einen Schutz aufbauen. Und wenn wir Jesus nicht recht zu finden und zu fassen meinen, so ist er doch im Abendmahl da und wir können ihn in uns hineinnehmen. Diese Gewißheit gegen alle Ungewißheit ist Glaube.

Der Hauptmann weiß wahrscheinlich selbst gar nichts davon, daß er glaubt. Deshalb entgegnet er Jesus auch ganz bescheiden: „So viel habe ich ja gar nicht erbeten oder erwartet. Ich will ja gar nicht, daß du dich verunreinigst, indem du in das Haus eines Heiden trittst. Es genügt ja ein einziges befehlendes Wort!“

Der Hauptmann kann keine Ansprüche anmelden. Aber er hat die Gewißheit: „Ich darf auf ihn hoffen! Ich brauche mich auch nicht mit der Frage herumzuquälen, ob ich Glauben habe, oder ob der Glaube ausreicht und durchhält. Ich brauche nur an das zu denken, was Jesus kann und will.

Jesus läßt solchen Glauben gelten. In seinem eigenen Volk hat er ihn nicht gefunden. Die Tradition bietet keine Gewähr dafür, daß man Anteil am Reich Gottes gewinnt. Viel wichtiger ist, daß man mit Jesus bekannt wird. Denn in der Begegnung mit ihm wird der Glaube geweckt. Tradition kann so nur ein Mittel sein, mit Jesus in Verbindung zu kommen. Insofern ist Tradition gut. Aber sie ist eben nicht alles. Auch wer nicht in einer Tradition steht, kann zu Jesus kommen. Es bedarf keiner Vorleistungen. Woher einer auch kommt und in welcher Verfassung er ist, wenn er sich nur von Jesus helfen lassen will, so ist er willkommen. Wir können das sicher manchmal schlecht verstehen, wo wir uns doch für so gute Christen halten. Aber es ist so, daß Jesus auch von Ungläubigen entdeckt wird. Aller Atheismus unserer heutigen Welt ist für das Wirken Jesu kein Hindernis. Wir sollten nicht durch unseree Engstirnigkeit anderen den Zugang zu Jesus erschweren.

Wir müssen damit rechnen, daß Millionen von Menschen außerhalb der Kirche und ohne bewußtes Bekenntnis doch nicht von Gott getrennt und verloren sind. Es kann sein, daß auch Andersdeckende, Anhänger anderer Religionen oder gar Atheisten doch so etwas wie einen unsichtbaren (anonymen) Glauben haben. In der Tiefe ihres Herzens und in ihrem Verhalten zum Mitmenschen kann doch etwas sein, was dem bewußten christlichen Glauben entspricht.

So will ja Jesus das Licht der Heiden sein. So wie der Hauptmann zu ihm kam, so sind auch nachher ganze Völker zu ihm gekommen. In dieser Epiphaniaszeit denken wir ja besonders daran. Jesus hat seine Herrlichkeit nicht nur seinen Leuten offenbart, sondern aller Welt. Auch bei uns will er alle zu sich heranführen, auch Menschen, die wir vielleicht schon verloren geglaubt haben. Ja, Gott bedient sich manchmal ungewöhnlicher Wege. Vielleicht entsteht gerade auf diesem Wege ein Glaube, den wir nicht erwartet hätten. Doch wichtiger ist allerdings, daß der Glaube auch bei uns entsteht oder gefestigt wird.

Wieviel Menschen wurden da eigentlich gesund? Recht gesehen doch wohl zwei. Denn nicht nur der Bursche konnte sein Krankenlager gesund verlassen und seinem Hauptmann, der sich so für ihn eingesetzt hatte, wieder zur Hand gehen, sondern „gesund“ - im tiefsten Sinne - war auch der Hauptmann selbst geworden! Sein unbedingtes Vertrauen zu Jesus war die ausgestreckte Hand, an der ihn Gott in die Gemeinschaft der „Kinder Gottes“ hineinführen konnte, die sich in allem, was geschieht, mit allem, was ihr Leben erfüllt, der Macht ihres Herrn anvertrauen. Wo sich ein Mensch in dieser Weise dem heilenden, rettenden und befreienden Handeln Jesu Christi öffnet, sich ihm anbefiehlt und sich auf ihn verläßt, da wird es - auch heute - für jeden von uns nicht ein Gerichts-Wort, sondern ein Wort des Heils sein: „Dir geschehe, wie du geglaubt hast!“

 

 

4. Sonntag nach Epiphanias: Mt 8, 23 - 27

[Schön wäre es, wenn man das Lied im Gottesdienst erwähnte Lied singen könnte. Es steht leider nicht im Gesangbuch. Es findet sich in „Gott liebt diese Welt I, Seite 24, und im Internet unter „www.youtube.com/watch?v=98NFpfW447E“, den Text allein findet man unter „www.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/277984“]

In dem Lied „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt“ heißt es: „Das Schiff, es fährt vom Sturm bedroht, durch Angst, Not und Gefahr, Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg, so fährt es Jahr um Jahr!“ Die christliche Gemeinde wird hier mit einem Schiff verglichen, das den Stür­men des Lebens ausgesetzt ist. Aber es fährt trotz allem immer weiter und sein Ziel ist die Ewigkeit bei Gott.

Es mag uns gewagt vorkommen, diese Geschichte so auszulegen, in ihr also ein Gleichnis für das Leben der Gemeinde in der Welt zu sehen. Aber kein anderer als der Evangelist Matthäus hat uns das vorgemacht: Er hat die Wundergeschichte des Markus gekürzt und aus ihr eine Geschichte vom kleinen Glauben der Jünger gemacht. Unter der Hand ist so eine Geschichte daraus geworden, die für alle Zeiten uns etwas zu sagen hat; denn das hat die Kirche immer wieder erfahren müssen, daß sie den Stürmen der Welt ausgesetzt war und Angst und manch­mal auch Verzweiflung gekannt hat.

Hier in dieser Geschichte wird uns deutlich gemacht, was geschehen kann, wenn der Glaube einmal konkret auf die Probe gestellt wird. Wenn man die Jünger gefragt hätte, ob sie an Jesus glauben, dann hätten sie sicherlich ohne zu zögern gesagt; „Natürlich!“ So würden sicherlich auch alle, die hier im Gottesdienst versammelt sind, ob jung oder alt, ohne Bedenken sagen: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn, unseren Herrn!“ Aber wenn das Wetter kommt und die Wellen fallen über das Schiff her, dann ist es mit dem Glauben doch oft aus.

Wir kennen ja auch die Welt um uns herum. Wir haben uns auch einige Verhaltensregeln angeeignet, wie man am besten aus Zwangslagen herauskommt. Dennoch gibt es auch bei uns Ratlosigkeit und Angst. Wir finden in den stürmischen Zeiten keine sturmfreien Inseln mehr und sind allen Gewalten ausgeliefert.

Die Versuchung ist groß, in eine vermeintlich sturmfreie Ecke ausweichen zu wollen. Im Mittelalter ging man dazu ins Kloster. Heute zieht man sich lieber in sein eigenes Inneres zurück und sagt: „Aber im geheimen glaube ich doch immer noch an Gott!“

Von dieser Haltung erzählt der zweite Vers unseres Liedes: „Doch wer Gefahr und Leiden scheut, erlebt von Gott nicht viel. Nur wer das Wagnis auf sich nimmt, erreicht das große Ziel!“ Die Schwierigkeiten sind dazu da, daß Jesus uns wieder heraushelfen kann und dadurch seine Macht erweisen kann. Doch der Einzige, der noch helfen könnte, schläft. Stellen wir uns den Gegensatz doch einmal bildlich vor: Der Sturm tobt, die Wellen schlagen in das Boot - und Jesus macht ein Nickerchen. Aber er kann sich das leisten, auch in einer solchen Lage zu schlafen. Es ist ja ein anderes Schlafen, als wenn die Christen die Zeit verschlafen vor lauter Bequemlichkeit und Nichtstuerei. Jesus weiß sich im Schutz seines himmlischen Vaters geborgen. Die Jünger hätten erkennen müssen: Allein die Gegenwart Jesu ist schon der beste Schutz in aller Bedrängnis.

Aber denken wir nicht alle so wie die Jünger. Wie oft meinen wir: „Gott schläft! Er hat uns vergessen! Von ihm können wir nichts mehr erwarten! Es wäre Einbildung, noch auf ihn zu hoffen! Wir müssen realistisch sein und den Dingen ins Auge sehen, wie sie sind. Wir bekennen uns zu Gott. Aber im Geheimen hängen wir an dem Aberglauben, die Dinge und Mächte dieser Welt seien das Entscheidende, worauf wir Rücksicht zu nehmen hätten.

Die Jünger Jesu in dieser Geschichte tun das Einzige, wozu ihr bißchen Glaube noch ausreicht: Sie wenden sich an Jesus! Sie vertrauen darauf, daß er auch in dieser schwierigen Situation noch etwas machen kann. Was, das wissen sie auch nicht. Wir wissen es heute ja auch nicht. In dieser Geschichte wird gesagt, Jesus habe direkt und unmittelbar geholfen: Er kann nicht nur Menschen ändern und Krankheiten besiegen, sondern er hat auch Macht über die Natur.

Aber wir wissen: Nicht immer geht es so aus wie hier. In solchen Geschichten geht es ja immer glatt, das ist ja ihr Sinn. In der Wirklichkeit ist es oftmals schwieriger. Aber wir sollten wissen: Jesu Macht ist auch heute nicht geringer als damals. Auch heute können wir Zeichen seines Eingreifens finden, wenn das auch nicht immer allen gleich deutlich wird.

Da bittet einer um Bewahrung für sein kleines Kind, das allein einen Weg unternimmt und es passiert dem Kind auch tatsächlich nichts. Da wendet sich eine schwere Krankheit wieder zum Guten. Da verliert ein todkranker Mensch plötzlich die Angst vor dem Sterben. Hier hat sich doch auch ein Sturm gelegt und es ist eine große Stille eingetreten. Der Glaube hat es doch nicht nur mit den Dingen des inneren Lebens zu tun, sondern er will auch auf alle Nöte angewandt werden, die einem Menschen in dieser Welt entstehen.

Diese Geschichte macht uns also deutlich, was Glaube ist. Wir dürfen nicht Zauberkunststücke von Jesus erwarten nach dem Motto: „Unmögliches wird sofort erledigt, Wunder dauern etwas länger. Auf Wunsch kann auch gehext werden!“ Das Wunder macht den Glauben nicht überflüssig. Im Gegenteil: Nur wer an Gott glaubt, wird auch überall seine Wunder erkennen und nicht vom Zufall reden oder sonst etwas.

Es geht hier auch nicht um ein Gottvertrauen so im Allgemeinen, sondern um ein tatsächliches Rechnen mit seiner Macht und Treue heute und hier, mitten in den Stürmen und in der Anfechtung. Hier müssen wir uns alle die Frage vorlegen: Glauben wir tatsächlich daran, daß Gott in einem solchen Fall helfen kann, wie er eingangs geschildert wurde? Hier erst wird unser Glaube echt auf die Probe gestellt.

Wenn wir Jesus nachfolgen wollen, dann müssen wir damit rechnen, daß wir mehr von den „Stürmen“ zu spüren bekommen als die anderen. Aber wir dürfen zugleich auch der rettenden Macht unsers Herrn gewiß sein. Diesen Glauben will uns eine solche Geschichte ganz fest einschärfen.

Außerdem kann uns aber noch etwas helfen, was in den beiden anderen Strophen des Liedes erwähnt wird. Wir stehen als Glaubende nicht allein in der Welt. Wir sind eine Mannschaft, in der jeder seine Aufgabe erfüllt. „Viel Freunde sind mit unterwegs, auf gleichen Kurs gestellt.

Das gibt uns wieder neuen Mut, wir sind nicht mehr allein!“

Es macht schon etwas aus, wenn man in einer Schulklasse nicht der Einzige ist, der zum Religionsunterricht geht. Es macht schon etwas aus, wenn man in der Firma nicht der Einzige ist, der am Sonntag zum Gottesdienst war. Es macht schon etwas aus, wenn man nicht der einzige Jugendliche beim Abendmahl ist, sondern damit rechnen kann: Viel Freunde sind mit unterwegs!

Gerade das Abendmahl will uns fest miteinander zu einer Mannschaft verbinden. Es erhält uns in der Verbindung mit Gott. Aber es stärkt auch die Gemeinschaft untereinander. Wenn wir hier von einem Brot essen und von einem Kelch trin.ken, dann können wir uns dadurch stärken für unsern Kampf in der Welt. Dann erhält auch unser Glaube die richtige Nahrung und bleibt nicht ein Kleinglaube, sondern wird ein starker und unerschütterlicher Glaube, wie er nun einmal nötig ist, wenn wir in dieser Welt als Christen bestehen wollen.

Doch die Mannschaft allein macht’s noch nicht. Sie ist verloren, wenn nicht ein Größerer über ihr wacht. Was die Mannschaft zusammenschweißt, das ist Gottes Heiliger Geist. Gott selber muß bei allem mit dabei sein, sonst hilft die beste Mannschaftsleistung nichts. Deshalb bitten wir auch immer wieder, wie es im Lied heißt: „Bleibe bei uns, Herr, denn sonst sind wir allein auf der Fahrt durch das Meer, o bleibe bei uns Herr!“

 

 

Mt 9, 9 - 13 (Septuagesimä):

Wenn etwas gratis verteilt wird, dann drängelt sich alles danach. Jeder möchte etwas abhaben, und wenn er sich mit Gewalt nach vorne drängeln muß. Wenn nicht alle etwas kriegen können, sucht man meist nach einem Maßstab für die Verteilung. Aber oft geht es auch nach der Stärke der Ellbogen, wer am schnellsten und gewitztesten ist.

Wenn der Vater aber etwas zu verteilen hat, dann wird er nicht zuerst dem Kind etwas geben,

das am lautesten schreit oder sich am weitesten vordrängelt. Er wird gerade auf das schwächere und stillere Kind achten und ihm zuerst geben. Dadurch will er die anderen beschämen und zur Rücksichtnahme auf die Schwächeren anleiten.

Genauso hat auch Jesus immer auf die Schwächeren geachtet. Das wird gerade bei der Begegnung mit dem Zöllner Matthäus deutlich. Ein Zöllner hatte es damals schwer, ein ehrlicher Mann zu bleiben. Teilwiese mußte er schon vorher das Geld an die Römer abliefern, d.h.

zunächst einmal aus der eigenen Tasche bezahlen. Und dann mußte er es wieder aus den Leuten herauspressen und sehen, wie er wieder zu seinem Geld kam.

So wird es auch heute in manchen Berufen schwer sein, immer nach dem Gesetz und den Vorschriften zu handeln. Manche Dinge muß man sich eben auf krummen Wegen besorgen

oder man muß seine Beziehungen ausnutzen oder auch einmal außerhalb der Arbeitszeit etwas leisten. Man muß ja geradezu sagen: „Ohne solche Dinge außerhalb der Ordnung würde nichts mehr funktionieren. Unsere heutige komplizierte Welt macht einfach solche Grenzüberschreitungen nötig.

Wir finden meist gar nichts mehr dabei - und das ist unser Fehler. Damals aber hat man die Menschen, die so etwas taten, in Grund und Boden verdammt - das war damals der Fehler. Die frommen Pharisäer hatten es zum Teil leichter. Sie haben einfach solche Arbeiten nicht

angenommen. Da konnten sie leicht ihre Gebote halten und das Unangenehme den anderen überlassen.

Jesus aber sieht die Not der anderen, der Ausgestoßenen und Verachteten. Sie wollen auch jemanden als Freund haben, damit sie wieder leichter an Gott glauben können. Irgendwie hängt das doch miteinander zusammen: unser Verhältnis zu den Mitmenschen und unser Verhältnis zu Gott: Wer keinen Menschen zum Freund hat, der kann nur schwer daran glauben, daß Gott sein Freund ist.

Jesus aber macht deutlich: Gott kümmert sich auch um euch. Auch ihr seid ihm wichtig. Er will auf keinen verzichten! Weil Gott diesen Menschen liebhat, muß auch Jesus sie liebhaben. Indem er sich um sie kümmert, macht er deutlich, wie Gott zu den Menschen ist.

Wenn bei uns einer einen neuen Aufgabenbereich erhält, dann wird erst seine ganze Vergangenheit aufgearbeitet. Er muß einen Lebenslauf schreiben, Fragebogen ausfüllen. Dunkle Stellen der Vergangenheit müssen dabei ins rechte Licht gerückt werden.

Jesus aber streicht all das durch, was bisher war. Entscheidend ist nur, daß man seinem Ruf folgt und mitgeht. Der Anspruch Jesu trifft jeden Menschen. Es ist gleichgültig, welches Leben er vorher geführt hat und ob er des neuen Auftrags würdig ist. Wichtig ist allein, wie er sich jetzt und in Zukunft verhält.

Auch unter uns Menschen kommt Entsprechendes manchmal vor. Es geht nicht immer nach der Würdigkeit, dem Können und den Verdiensten. Manchmal wird auch in einer guten Weise einem Menschen etwas übertragen, das er sich selbst gar nicht zugetraut hätte und was ihm vor allem die anderen nicht zugetraut haben. Das sehen wir ja gerade daran, wenn der Vater das schwächste Kind zuerst bedenkt.

Bei Gott aber ist das immer so. Er sieht immer, wer seine Liebe besonders nötig hat und gibt sich deshalb ganz besonders mit ihm ab. Viele Menschen können so etwas nicht verstehen. Sie meinen: „Wenn einer sich ehrlich abgemüht hat, dann muß er auch seinen Lohn dafür haben; da kann doch nicht plötzlich ein anderer vorgezogen werden. Gott aber ist so. Er will schon, daß wir uns abmühen. Aber er hilft auch dem, der zu schwach ist.

Die Frommen im Lande aber sagen: „Wer sich mit Sündern abgibt, der ist selber einer! Der hat auch selber Lust an der Sünde, denn Gleich und Gleich gesellt sich gern!“ So denken wir doch auch: „Wenn einer in schlechter Gesellschaft ist, dann muß er selber auch schlecht sein!“

Jesus aber sieht in den Zöllnern nur Kranke, die dringend einen Arzt brauchen. Sie sind an viele Ketten gebunden und sollen doch frei werden. Matthäus ist kein hoffnungsloser Fall. Gott hat ihn noch nicht abgeschrieben und wird ihn noch nicht fallenlassen. Er hat noch etwas mit diesem Mann vor. Vielleicht kann ihm sehr schnell geholfen werden, wenn nur einer da ist, der ihm wieder Vertrauen entgegenbringt. Dieser eine ist Jesus. Er stellt sich schützend vor die, die mit ihrer Schuld nicht allein fertigwerden können.

Unser Verhältnis zu Gott hängt davon ab, ob wir auch so handeln können wie Jesus. Sind wir wirklich bereit, mit allen Menschen gut zusammenzuleben? Sind wir bereit zur Vergebung und zum Neuanfang? Kümmern wir uns um die, die im Leben immer wieder zu kurz kommen?

Die frommen Pharisäer sagten: „Du darfst dich nicht mit einem Gottlosen abgeben, auch nicht, um ihm den Glauben und die Gebote beizubringen!“ Sie erklärten diese Menschen für Gott verloren, ehe sie sich noch um sie bemüht hatten. Jesus aber weiß, daß es sich hier

nicht um eine ansteckende Krankheit handelt, sondern um eine seelische Krankheit. Und diese kann man heilen, indem man wieder Zutrauen zu dem Gestrauchelten, hat. Dadurch faßt er selber wieder Vertrauen und kann wieder gesund werden.

Der Pharisäer hält sich für gesund. Aber ist er nicht in Wahrheit viel schlimmer krank? Durch seine ablehnende Haltung dem Zöllner gegenüber braucht er ja selber die korrigierende Hand Gottes. Sein Irrtum war, daß er die Heiligung des Lebens kraft eigener menschlicher Anstren­gungen erreichen wollte. Wenn einer dabei nicht mitmachte, war er gesetzlos. Dann mußte man Schranken errichten, um sich von ihm abzugrenzen.

Gott will aber, daß wir auf solche Schranken verzichten oder sie niederreißen. Es liegt natürlich nahe, da wir uns gerade in der heutigen Zeit abkapseln: Dort ist die böse Welt und hier sind wir. Laß die nur machen, was sie wollen, wir leben unser Leben und kümmern uns nicht um die anderen.

Gott liebt aber auch die Ungläubigen. Das macht Jesus durch sein Verhalten deutlich. Er setzt sich mit den Sündern an einen Tisch. Die Tischgemeinschaft hatte damals noch größere Bedeutung als heute. Durch das Tischgebet war man als guter Freund mit allen verbunden, die mit am Tisch sitzen. In der Regel aber suchte man sich nur die aus, mit denen man sowieso gut Freund war. Jesus aber lädt gerade die ein, die keinen Freund haben.

Aber damit nicht genug: Jesus ruft diese Menschen nicht nur an seinen Tisch, sondern er will sie auch gleich als seine Mitarbeiter und Boten haben. Wem viel geschenkt wurde, der ist auch bereit, an andere weiterzuschenken. Wer befreit wurde, ist auch bereit, etwas Neues zu beginnen. Er geht mit Jesus dorthin, wohin der ihn führt. Für jeden kann der Weg anders aussehen, leichter oder schwerer sein. Jeder erhält andere Gaben und andere Aufgaben. Aber wer sich rufen läßt, darf mitmachen.

Jesus hat nicht erst vorsichtig den Boden bei Matthäus vorbereitet, er hat ihm nicht erst seinen Zöllnerberuf fragwürdig gemacht; sondern er hat nur gesagt: „Folge mir nach!“ Da gibt es

Großen Diskussionen, sondern nur ein „Ja“ oder „Nein“.

Das ist Glaube. Da gibt es kein langes Hin und Her, kein Abwägen und Nachfragen, sondern sofort die Entscheidung. Hinterher kann man noch näher in die Einzelheiten eindringen; aber im Augenblick der Entscheidung ist dafür keine Zeit.

Es kommt auch für uns darauf an, unsere Zollstationen zu verlassen, die wir oft lustlos und ohne einen Erfolg zu sehen verwalten. Jesus stellt uns in einen neuen Lebenshorizont. Dann warten wir nicht mehr darauf, daß die anderen uns entgegenkommen, sondern wir tun den er­sten Schritt. Damit kann man unter Umständen eine ganze Kettenreaktion auslösen, wenn man dem anderen zuerst entgegenkommt.

Sicher würde es in einem Dorf oder in einer Stadt auffallen, wenn eine Handvoll Christen versucht, ihrem Herrn nachzufolgen. Es würde heller und wärmer im Zusammenleben, mit anderen. Wir würden auch dem Barmherzigkeit zeigen, der sich ausgeschlossen hat oder

sich ausgeschlossen fühlt aus der Gemeinschaft der anderen.

Wer aber mit Jesus geht, muß sich auch voll und ganz für ihn einsetzen. Matthäus wird nicht ein Jünger wie viele andere, sondern er wird einer der Zwölf und damit ein Apostel. Er ist nicht nur ein Mitläufer, den man wohl oder       übel mit durchschleppen muß, sondern er

wird zu einer großen Stütze für Jesus und den Jüngerkreis. Offenbar war er so wichtig, daß man in späterer Zeit sogar ein Evangelium nach ihm benannt hat.

Niemand steht zu weit abseits, als daß Jesus ihn nicht gebrauchen könnte. Niemand ist zu schlecht, als man nicht doch etwas mit ihm machen könnte. Gerade wer in den Augen der Menschen ein Versager ist, kann unter Umständen von Jesus sehr gut gebraucht werden. Dort gelten andere Maßstäbe.

Das ist die Chance auch für uns. Es ist keiner zu klein und keiner zu alt, keiner zu schwach und keiner zu dumm, keiner zu gut und keiner zu schlecht, um nicht für Gott tätig zu werden. Er kann uns alle brauchen, so wie er den Matthäus brauchte. Wir müssen nur bereit sein zum Mitmachen; dann werden wir auch die Kräfte erhalten, damit es uns gelingt.

 

 

Mt 10, 14 – 39 (21. Sonntag nach Trinitatis):

Die Evangelische Kirche in Deutschland ruft jedes Jahr am Sonntag Reminiszere die Gemeinden dazu auf, an die weltweit verfolgten Christen zu denken. In diesem Jahr stehen die Staaten Tunesien, Algerien und Marokko im Mittelpunkt. Dort hat es zwar im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ eine Verbesserung bei den Menschenrechten gegeben. Aber den Minderheiten und damit auch den Christen droht vielfach ein „menschenrechtlicher Winter“. Auf der Internetseite der Evangelischen Kirche in Deutschland gibt es deshalb extra einen Abschnitt „Fürbitte“.

In allen drei Ländern ist der Übertritt von Muslimen zur christlichen Religion verboten. Jedoch häufen sich in den letzten Jahren die Übertritte, vor allen Dingen zu evangelikalen oder charismatischen Gruppen. In manchen Fällen kam es zur Ausweisung von ausländischen

„Missionaren“ und zur Verurteilung von Personen, weil sie Vorschriften zur Kultausübung

nicht beachtet hatten. Unabdingbare Voraussetzung für jede kirchliche Präsenz ist eine offizielle Registrierung, die aber nicht transparent erfolgt und von behördlicher Willkür geprägt ist.

Ein weiterer Bereich, in dem Angehörige der christlichen Minderheit diskriminiert werden,

ist das Familienstandrecht nach den Vorgaben der Scharia. Zwar ist eine Eheschließung zwischen einer Nicht-Muslimin und einem Muslim in allen drei Ländern möglich, doch wird bei

einer Ehe zwischen einer Muslimin und einem Nicht-Muslim von der Familie zuerst der Übertritt des Mannes zum Islam gefordert. Entsprechend werden Kinder aus religionsverschiedenen Ehen ausnahmslos als Muslime betrachtet. Die Lage bleibt angespannt und ist weiterhin vom Wohlwollen der Behörden abhängig.

Aber es gibt durchaus auch andere Länder, in denen die Christen verfolgt werden. Früher hatten wir da meist die Christen im damaligen Ostblock im Blick, von Eisenach bis Peking. Heute machen wir uns eher Sorgen um die wenigen Christen in islamischen Ländern. Meist ist uns nicht bewußt, daß eine ganze Reihe von Palästinensern Christen sind. In Syrien gehört der Machthaber einer moslemischen Minderheit an und läßt deshalb auch die Christen gewähren. Aus dem Irak, den doch die Amerikaner von der Diktatur befreien wollten, fliehen chaldä­ische Christen bis zu uns. Verfolgung auch im Iran und in Pakistan. Im Sudan konnten zwar die Christen einen eigenen Staat bilden, aber im Nordsudan werden sie weiter vertrieben. Und dann hören wir neuerdings von Übergriffen einer moslemischen Sekte in Nigeria auf die Christen im Norden des Landes.

So hart kann es kommen, wenn man sich zu Jesus Christus hält. Das will Jesus sagen mit dem harten und überraschenden Wort: „Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert!“ Es bedeutet also nicht, daß Jesus selber das Schwert in die Hand nehmen will. Vielmehr bereitet er darauf vor, daß man mit der Feindschaft selbst der nächsten Verwandten rechnen muß, wenn man sich für Jesus entscheidet.

Da fragten sich einmal Eltern ratlos, ob sie ihre vierzehnjährige Tochter zum Nervenarzt schicken müßten, weil sie eine Bibel auf deren Nachttisch haben liegen sehen. Es gibt viele Beispiele dafür, wie gerade junge Menschen aus einem gottlosen oder gleichgültigen Elternhaus zum Glauben an Gott fanden. Vielleicht war eine Freundin der Auslöser oder das Internet oder der Besuch einer Filmvorführung. In der Fernsehserie „Um Himmels willen“ wird die Hauptrolle von Janina Hartwig gespielt. Sie bezeichnet sich selbst als nicht gläubig. Aber irgendwie wird diese Rolle doch auf sie abfärben. Es gibt viele Wege, wie Gott auf Menschen einwirken kann.

Aber wenn er dann einen Menschen gepackt hat, dann muß der auch mit Widerständen rechnen, auch in der eigenen Familie. Und das gilt erst recht, wenn man dann aktiv an die Verbreitung des Glaubens gehen will. Das schließt Verzicht, Strapazen und Selbstverleugnung ein. Schon die ersten Apostel haben ihren Glauben mit dem Tod bezahlt. Es wird nicht jedem das Gleiche auferlegt. Gott gewährt seiner Kirche auch Zeiten, in denen sie Ruhe hat. Wir können nur dankbar sein, wenn wir in einer solchen Zeit leben.

Aber jenes harte Wort Jesu hat auch schon den naheliegenden Sinn: Jesus führt das Schwert auch aktiv. Jesus ist ein unbequemer Mann, der eine unbequeme Botschaft bringt. Er will ja gerade nicht, daß alles beim Alten bleibt und wir mit unserer frommen Gottlosigkeit so weiter machen dürfen. Wir kennen uns doch: Der alte Adam ist ein Spießer, der sich nicht aus der Ruhe bringen lassen will. Einen Jesus, der nichts fordert, sondern nur lobt und ihn bestätigt, würde er gern gelten lassen. Aber einen Jesus, der uns für Gott in Anspruch nimmt und mit dem bisherigen Leben aufräumt, wehrt er ab.

Es geht nicht nur um diese oder jene leichte Korrektur an unserem gewohnten Leben. Das Haus, in dem man sich in dieser Welt gemütlich eingerichtet hat, muß abgerissen und durch eine neues ersetzt werden. Jesus will eine heilsame Unruhe in unser Leben und unsere Welt bringen. Daß er dabei auf Widerstand stößt, sollte niemanden wundern.

Aber der streitbare Jesus tut uns nichts zuleide, sondern uns zuliebe. Er schlägt niemandem Wunden, sondern ihm werden Wunden geschlagen und er wird ans Kreuz genagelt. Das ist ein harter Konflikt. Die Welt ist gegen Gott, aber Gott ist  f ü r  die Welt. Jesus sagt es seinen Leuten voraus: Sie werden das Kreuz auf sich nehmen müssen, wenn sie ihm nachfolgen wollen. Aber sie stehen im Dienst einer herrlichen Sache: Sie werden mit niemandem tauschen wollen, denn sie verlieren bei Jesus nichts, ohne das Eigentliche und Beste durch ihn zu gewinnen.

Der Christ gerät also in Konflikte und Spannungen zu seiner Umwelt, gerade auch zu seinen allernächsten Mitmenschen. Die Zugehörigkeit zu Jesus kann uns den Menschen entfremden, die uns lieb sind. Wie soll man sich verhalten, wenn die Familie der Tochter an Weihnachten zu Besuch kommt und die Tochter schon vorher signalisiert hat, daß der Schwiegersohn keine Weihnachtslieder will. Ist das dann ein Punkt, wo man seinen Glauben bekennen soll, oder ist es nicht so wichtig, weil es dem Schwiegersohn gar nicht gegen den Glauben geht, sondern er nur gegen das Rührselige ist.

Wie soll man sich verhalten, wenn man Besuch aus Israel hat? Wir wissen ja, daß fromme Juden bestimmte Regeln bei den Speisen einhalten, die wir gar nicht einhalten können - wie sie meinen. Man fragt also vorsichtig an. Die Antwort: „Wir sind nicht religiös!“ Also das Problem wäre damit schon einmal gelöst. Aber wie hält man es jetzt mit dem Tischgebet, das man sonst jeden Tag übt? Hier ist schon ein Bekenntnis gefragt. Nur wird man vielleicht überrascht sein, daß die Gäste gar nichts dabei finden, auch brav die Hände falten und danach sogar die Worte zitieren, mit denen sie zu Hause die Mahlzeit beginnen- auch ein religiöser Spruch - der aber inzwischen völlig verweltlicht ist.

 

Wer nur das tut, was in der Familie oder Gruppe üblich ist, der riskiert nichts. Wer aber aus Gehorsam gegenüber Gott aus solchen Gewohnheiten ausbricht, muß mit Entfremdung und Nichtverstehen rechnen. Wie schwer haben es doch die Menschen, die aus dem gewohnten Gesetz ihrer Sippe oder ihres Volkes ausbrechen wollen. Was in vielen Familien mit einer Frau moslemischen Glaubens geschieht, die sich einem Deutschen zuwendet, wissen wir alle. Der Mann muß gar nicht einmal ein überzeugter Christ sein. Die moslemische Familie geht vielleicht genauso wenig in die Moschee wie er in die Kirche - aber die „Kultur“ muß hochgehalten werden, im Gastland noch mehr als in der Heimat. Und ganz schlimm wird es, wenn so eine Frau auch noch die angestammte Religion verlassen will und sich dem Christentum zuwendet.

Jesu Gefolgsleute werden solche Konflikte nicht suchen. Niemand darf sich zum Märtyrertod drängen, wie das manche Moslems tun. Für uns kann es auch keinen „Heiligen Krieg“ geben. Unsre Aufgabe ist ein Frieden, bei dem nicht die Gegensätze verschleiert werden, sondern bei dem wir auch bei der Wahrheit bleiben können und nicht auf Kosten eines anderen handeln wollen. Aber Jesu Gefolgsleute werden Konflikte auf sich nehmen, wenn es nötig ist. Aber Jesus will nicht zertrennen, sondern zusammenführen, was zusammengehört. Wir können uns nicht nach außen abkapseln und die Beziehungen unsererseits zu anderen belasten. Mit einem farblosen Allerweltschristentum und einem verwaschenen Glauben käme es natürlich nicht zu Spannungen und Auseinandersetzungen. Dann würde man vielleicht sagen: „Ich bin der Herr dein Gott, aber du kannst getrost auch noch andere Götter haben neben mir!“ Das geht gerade nicht.

Wenn wir von unseren Mitmenschen nicht verstanden werden, dann müssen wir uns bemühen, uns verständlich zu machen. Wir werden vielleicht auch zu verdeutlichen versuchen, daß es kein Begreifen von außen her gibt, sondern daß man im Grunde überwunden werden muß und daß man beim Glauben mehr gewinnt, als man hingibt.

Natürlich weiß Jesus, daß jeder Mensch sein Leben erhalten will und soviel wie möglich dabei gewinnen will. Das Verlangen nach Leben steckt zu Recht in uns allen drin. Aber indem wir uns selbst ganz wichtig machen, verspielen wir unser eigentliches Leben. Der gesunde Selbsterhaltungstrieb kann auch zu einem feigen Sicherheitsbedürfnis ausarten und zu dem Bestreben, sich selber zu schonen. Es kommt zu Ehrgeiz und Geltungssucht, zu Gier und zur krankhaften Unruhe, die immer mehr haben will.

In der Schule Jesu rechnet man anders: Da kann man nicht immer nur auf die Einnahmeseite seines Lebenskontos schauen, sondern da muß man auch einmal etwas investieren und reich werden durch Ausgaben. In der Ehe zum Beispiel kann man nicht „auf seine Rechnung kommen“ wollen, sondern man muß sich hineinopfern in die Gemeinschaft. Glücklich werden ist Nebensache, auf das Glücklich machen kommt es an. Und indem man glücklich machen will, wird man es auch selber.

Wenn die Menschheit nicht die Verantwortung für den Frieden mit höchster Aktivität wahrnimmt, verspielt sie die Chance ihres Überlebens. Die Menschheit wird von der Hingabe solcher Menschen leben, die sich selbst nicht schonen und anderen vorangehen, wenn es um die Gemeinschaft unter den Völkern und um das gerechte Miteinanderleben innerhalb eines Staates geht. Aber letztlich haben wir das Leben nicht in dem, was wir uns geschaffen und erkämpft haben, sondern in dem, was Gott uns gibt. Wie er uns auch führt, es läuft nicht darauf hinaus, daß wir verlieren und einbüßen, sondern daß wir finden.

 

 

Mt 10, 26b-33 (Reformationstag):

Auf dem Reichstag in Worms im Jahre 1521 hat der kleine Mönch Martin Luther vor den Großen des Reichs seine Verteidigungsrede damit beendet, daß er sagte: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen!“ Man hat das als eine Wende der Geschichte gewertet: Ein einzelner Mensch pocht auf seine freie Meinung. Er will sie nur ändern, wenn er durch Vernunft und stichhaltige Beweise eines Besseren belehrt wird. Damit war das Mittelalter beendet und die Zeit der Aufklärung und der Vernunft brach an. In Zukunft sollte der einzelne Mensch etwas gelten und sich nicht mehr dem Staat oder dem Volk unterordnen müssen.

Diese mutige Äußerung Luthers hat bis heute Menschen dazu verführt, sich auf Luther zu berufen, auch wenn ihr Anliegen gar keine Gewissensfrage ist. Da beruft sich der Vorsitzende einer kleinen Gewerkschaft auf seine Grundrechte, aber in Wirklichkeit geht es ihm nur um mehr Geld. Da sagt ein Regierungschef, seine Entscheidung sei „alternativlos“, obwohl es so gut wie immer noch andere Möglichkeiten gibt. Da beruft sich ein Bürgermeister auf Gesetze und Gerichtsentscheidungen, obwohl diese ihm durchaus Spielraum lassen. Alle diese Menschen fühlen sich wie ein kleiner Luther, obwohl dieser doch wegen seiner Haltung sein Leben riskierte.

Luther aber zeigt, wie man als Christ unerschrocken die Botschaft Jesu verkündet. Was Jesus noch im Dunklen sprach, sollen die Jünger öffentlich machen. Aber Gott selber sorgt dafür, daß das Verborgene erkennbar wird. Den Jüngern wird aufgegeben, für die Ausbreitung des Wortes zu sorgen. Aber auch wenn es die Jünger tun, bleibt es Gottes Werk.

Aber die Verkündigung ist Aufgabe der ganzen Christenheit, wie auch die Reformation immer wieder eine Aufgabe aller Kirchen ist, seien sie nun evangelisch oder römisch-katholisch oder orthodox oder sonst etwas. Je klarer sie alle das Evangelium verkünden und je breiter es angenommen wird, desto näher sind wir bei der  e i n e n  Kirche, die der Herr will. Die Reformation ist noch lange nicht abgeschlossen.

Wiederholt werden die Jünger aufgerufen, sich nicht zu fürchten. Es muß Anlässe gegeben haben, sich zu fürchten. Aber die Furcht vor den Widerständen von außen verringert sich in dem Maße, indem sie die Furcht auf den richtet, der allein fürchtenswert ist, nämlich auf Gott: Wer Gott fürchtet, der hat vor keinem Menschen mehr Angst!

Allerdings darf man das nicht so verstehen wie Kaiser Wilhelm, der gesagt hat: „Wir Deutschen fürchten Gott und sonst nichts auf der Welt!“ Das war Zeichen einer Großmannssucht, bei dem Gott nur pflichtgemäß zitiert wird, aber im Grunde nur die eigene Macht beweih­räuchert wird. Luther dagegen hat sein Wort „mit Furcht und Zittern“ gesagt und nicht gewußt, wie alles ausgehen wird. Vielleicht war er hinterher selbst darüber erschrocken, was er da gesagt hatte. Aber er wußte Gottes Wahrheit hinter sich, das gab ihm Kraft und Mut.

Man sagt manchmal redensartlich „Der Vorsitzende hat sich hinter ihn gestellt!“ Aber besser wäre es, er würde sich vor den Angegriffenen stellen, das würde ihm noch mehr helfen, denn dann erhielte er nicht nur Unterstützung, sondern die Gefahr würde von vornherein abgehalten. Weil Gott sich aber vor uns stellt, haben wir keine Furcht.

 

1. Wir predigen in Gottes Auftrag:

Luther hat gesagt: „Das Wort muß es tun!“ Aber damit ist keineswegs ausgeschlossen, daß Christen viel tun. Aber man darf da keinen Gegensatz aufmachen zwischen Reden und Tun. Manche sagen. Die nichtchristliche Welt nimmt uns das Wort der Predigt nicht ab, wenn wir nicht auch etwas Praktisches tun. Wenn sie auch das Wort nicht annehme, so lasse sie sich doch das Tun gern gefallen. Daran ist schon etwas Richtiges, der Glaube soll auch Früchte bringen. Aber geholfen wird der verlorenen Welt nicht durch das, was wir tun, sondern durch das, was Gott redet und tut.

Predigt wird oft verstanden als Selbstdarstellung des religiösen Menschen, als Erörterung von Fragen um Gott und die Welt, als Mitteilung von Erkenntnissen, die man über Gott gewonnen hat. Dafür aber brauchte man keinen Auftrag und keinen sendenden Herrn. Aber Gott schickt sein Wort auf den Plan, durch Christen, die Botschafter an seiner Statt sind. „Was ich sage, das redet auf den Dächern!“ Vom Dach aus drängt man über die eigenen vier Wände hinaus in die Weite der Welt.

Die Reformation ist nicht müde geworden zu betonen: Was die Kirche predigt, hat sie von Christus. Sie hört auf keine andere Stimme, auch nicht auf die eigene, die irgendwo in der Tiefe des Herzens spricht. Das machten ja die Schwärmer zur Zeit Luthers, das machten Thomas Müntzer und die Wiedertäufer. Sie wollten eine religiöse Unmittelbarkeit und lehnten deshalb den überlieferten Glauben ab.

Wir dagegen sind aufgefordert, auf die Bibel zu hören, auf das Wort der neutestamentlichen Apostel und der alttestamentlichen Propheten. Nur ist ihre Rede nicht ausnahmslos Gottes Wort, sondern nur soweit es in der Fluchtlinie der Christusoffenbarung steht. Und wir sollen auch nicht nur weitersagen, was die Propheten und Apostel gesagt haben, sondern Christus selbst soll durch uns sprechen. Er sucht im Wort mit uns Verbindung, er stellt im Wort mit uns Gemeinschaft her, er sucht Kontakt mit uns gewissermaßen Auge in Auge. In der Predigt geht es darum - um es mit den Worten Luthers zu sagen - um nichts anderes, als daß unser lieber Herr mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir dann wiederum mit ihm reden in Gebet und Lobgesang.

 

2. Wir stehen unter seinem Schutz:

Kein Jünger macht sich auf den Weg, ohne daß ihm die Augen Gottes folgen. Niemand geht in eine ihm unbekannte und unheimliche Welt hinaus, ohne daß er von dem unsichtbaren Gott begleitet würde. Dieser Herr blickt nicht nur flüchtig auf uns, er weiß besser um uns Bescheid als wir.

Aber Gottvertrauen und Gottesfurcht sind eng miteinander verbunden. Menschenfurcht wird durch Gottesfurcht überwunden. So wurde es einem Pfarrer bewußt, der von einem Behördenvertreter bedrängt wurde, der Abtretung eines Teils des Pfarrgartens für öffentliche Zwecke zuzustimmen. Der Mann sagte zu ihm: „Wir haben administrative Mittel, sie zu zwingen!“ Der Pfarrer antwortete ohne lange zu überlegen: „Das weiß ich, aber deshalb habe ich doch keine Angst vor Ihnen!“

Der Gedenktag der Reformation legt es nahe, diese Freiheit von Menschenfrucht an Martin Luther aufzuzeigen. Aber sein Mut war kein natürliches Heldentum. Luther konnte auch sehr zaghaft sein, schon weil ihm das im Kloster so anerzogen worden war. Aber er hatte gelernt, Gott über alle Dinge zu fürchten, zu lieben und zu vertrauen, er nahm Gott ernst. Die Rede von Gottes Zorn war für ihn keine Falschmeldung, sondern er flüchtete sich von dem zornigen Gott zu dem gnädigen Gott.

Er wußte sich von Gott persönlich festgehalten. Dadurch haben sich sogleich die Gewichte verschoben. Dann geht es nicht mehr darum, daß ich in mein tägliches Tun und Treiben mit etwas Glück und ohne Zusammenstoß über die Runden komme. Ich werde zwar erschüttert, aber das führt auch zu einer ganz neuen Festigkeit. Da hört das ängstliche Hindurchwursteln auf, da ist man nicht mehr mit taktischen Erwägungen beschäftigt, sondern man fragt nur noch nach der inneren Verpflichtung vor Gott und überläßt alles weitere seiner Leitung und Sorge.

 

3. Wir leben von seiner Fürsprache:

Zunächst ist vom Bekennen der Jünger die Rede: Sie sind in die Welt hinausgesandt, um dort ihren Herrn zu bekennen und zu bezeugen. Aber er will sich auch zu ihnen bekennen. Beides gehört eng zusammen.

Unsere Mitmenschen sollen merken, daß wir zu Jesus gehören. Wir sind es ihm schuldig, vor niemandem daran einen Zweifel zu lassen. Deshalb dürfen wir unsre Umwelt aber nicht mit Glaubensdingen bedrängen und belästigen. Aber es gibt auch Situationen, in denen Schweigen ein Verrat wäre. Jesus will, daß wir ihn vor den Menschen bekennen, daß wir uns nicht scheuen und schämen oder den Anschein erwecken, als hätten wir mit Jesus nichts zu tun. Wir haben unseren Glauben vor unseren Mitmenschen zu verantworten. Jesus will Jünger, die das nicht anderen überlassen.

Jesu Haltung zu uns wird davon abhängig sein, ob wir uns vor der Welt auf seine Seite stellen oder nicht. Das Verleugnen wird dabei ernst ins Auge gefaßt. Aber Jesus will uns aufwecken und spricht deshalb in aller Schärfe. Wir empfangen das Heil nicht wie im Schlaf, sondern in der bewußten Entscheidung des Glaubens an Christus. Mitzubringen brauchen wir nichts, aber

das Heil ist in seinem Namen.

Umso leuchtender gilt deshalb die Verheißung: Jesus will sich vor dem Vater zu seinen Leuten bekennen. Er wird zugleich Richter und Anwalt sein. Auf dem Höhepunkt der Hauptverhandlung verläßt der vorsitzende Richter seinen Platz, geht zu dem Angeklagten und erklärt:

„Die Sache ist erledigt, dieser ist mein Freund, ich hafte für ihn!“

Daß der Herr so für uns eintritt, beruht nicht darauf, daß wir Besonderes vollbracht hätten oder gar so wären, wie er uns haben will. Aber wir haben uns zu ihm bekannt, mehr braucht es nicht. Jesus ist der Fürsprecher. Weil wir ihn auf unserer Seite haben, gibt es für uns keinen Grund, uns zu fürchten. Das ist der Kern der reformatorischen Lehre.

 

 

Kantate: Matthäus 11, 25 - 30

Das ist schon eine Katastrophe, wenn die Predigt beginnt: „Das Jahr …..war ein Jahr der Katastrophen!“ Natürlich ist jedes Jahr ein Jahr der Katastrophen. Aber es gibt in jedem Jahr auch viele erfreuliche Dinge. Der heutige Predigttext ist so ein aufmunterndes und mut­ma­chen­des Wort. Der Vers „Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken!“ ist eins der schönsten Worte in der Bibel. Das Wort „erquicken“ ist heute nicht mehr so gebräuchlich. Es bedeutet so viel wie „aufmuntern, neue Kraft geben“. Wenn man etwa einem heißen Tag eine Wanderung macht und dann an eine Quelle kommt und sich abkühlt und etwas trinkt, dann ist man nachher erquickt“.

Der Sonntag „Kantate“ fordert uns zum Singen auf. „Das, was mich singen machet“ ist das gerade in diesem Bibeltext so schön zum Leuchten kommende Evangelium, die Frohe Botschaft Jesu Christi, daß die Mühseligen und Beladenen bei ihm Ruhe finden können für ihre Seelen.

Die „Mühseligen und Beladenen“ sind nicht unbedingt die Menschen mit einem schweren Schicksal. Damals waren es die Menschen, die unter den unerfüllbaren Verpflichtungen des jüdischen Gesetzes seufzten und wegen ihres mangelnden religiösen Lebens aus der Gemeinschaft der Frommen ausgestoßen wurden.

Für uns heute ist das nicht mehr das Problem. Aber auch bei uns werden Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt, weil sie wirtschaftlich nicht so mithalten können. Das ist schon schwer für eine alleinerziehende Mutter, wenn sie ihren Kindern sagen muß: „Ein Eis

ist diesen Monat nicht drin!" oder: „Für die Klassenfahrt habe ich kein Geld!“ Und MP 3-

Player und Markenklamotten sind erst recht kein Thema.

Mühselig und beladen ist auch, wer sich immer wieder um Arbeitsstellen bewirbt, es vielleicht auch einmal zu einem Vorstellungsgespräch schafft, aber doch nicht genommen wird. Mancher ist auch selber daran schuld, weil er in der Schule den „Ernst des Lebens“ nicht so ernst genommen hat. Aber mancher hat auch eine gute Berufserfahrung, wird aber wegen seines Alters nicht genommen. Das ist fürchterlich, wenn man Klinken putzen muß und sich möglichst gut verkaufen muß, indem man auch manchmal ein wenig schwindelt und sich besser darstellt, als man ist.

Mühselig und beladen sind auch die Menschen, die unter einem immer höheren Arbeitsdruck stehen. Wenn Leute entlassen werden, müssen die anderen deren Arbeit mit übernehmen, denn es ist ja nicht so, daß die eingesparten Arbeitskräfte gar nichts getan hätten. So muß etwa, wer an der Kasse sitzt, in den betriebsschwachen Zeiten die Regale mit einräumen. Der Lohn wird immer mehr gedrückt, auf das Weihnachtsgeld darf man freiwillig verzichten. Notfalls werden noch Fremdfirmen geholt. Trotz allen Fortschritts gibt es doch auch viele Lasten in unserm Leben.

Zur Zeit Jesu standen - wie gesagt - die religiösen Lasten mehr zur Diskussion. Es war aber nicht so, daß Jesus sich mit denen abgegeben hat, die religiös nicht ernst genommen wurden, weil er die religiöse Elite nicht gewinnen konnte. Nein, er hat es vielmehr von vornherein auf die Verlorenen abgesehen. Damit hat er die überall in der Welt geltende Wertskala außer Kraft gesetzt. Überall wird der Mensch nach Leistung und Erfolg, Können und Zuverlässigkeit beurteilt, nicht nur die Manager in der Wirtschaft, sondern auch im religiösen Leben. Die Frommen waren sogar der Meinung, daß unter den Augen Gottes dieser Maßstab noch in verstärktem Maß gelten soll. Sie sahen ihre Aufgabe darin, das Gesetz Gottes auszulegen und zu entfalten, bis es in jeder Lebenssituation eine bindende Wegweisung gibt.

Weil sie reich waren, konnte ihnen das besser gelingen. Wer aber das Pech hatte, in ein karges und ungeordnetes Leben geboren zu sein, der hatte auch bei Gott nichts zu hoffen. Der kleine Mann muß schon manchmal ein wenig betrügen, wenn er über die Runden kommen will. Und dann sagt er sich: „Für all mein verdientes Geld habe ich schon einmal Steuern abgeführt. Wenn ich es ausgebe, kommt noch einmal die Mehrwertsteuer drauf. Da kann ich auch einmal einen Schwarzarbeiter beschäftigen, das Finanzamt kriegt immer noch genug.“ Die Reichen haben das nicht nötig, die haben ihren gewitzten Steuerberater. Und auch wenn sie als Spitzensatz 43 Prozent Steuern bezahlen, so bleibt doch immer noch genug für sie übrig und sie müssen nicht darben.

Jesus hat die als gottlos und verkommen verschrienen Menschen einfach geliebt. Und das

Wunder geschah: Sie haben sich lieben lassen und haben dabei auch Gott lieben gelernt. Die Zöllner und Sünder haben sein Evangelium entdeckt und gaben Gott die Ehre. Der Glaube ist nicht nur etwas für die Gebildeten. Die Erfahrung lehrt, daß gerade ihnen oft verborgen bleibt, was Glaube ist. Da gibt es zum Beispiel die Meinung, was durch die Archäologie bewiesen ist, das stimmt an den biblischen Geschichten. Wenn man zum Beispiel das erwiesenermaßen echte Grab Jesu leer finden würde, dann wäre das ein Beweis für die Auferstehung. Aber die biblischen Geschichten und Glaubensaussagen gelten auch ohne archäologischen Nachweis, dieser kann sie höchstens noch anschaulicher machen.

Natürlich kann auch ein Wissenschaftler ein gläubiger Mensch sein. Aber der Glaube ist auch für einfache Menschen da und gerade für sie. Man muß auch nicht erst Theologie studiert ha­ben, um glauben zu können.

Jeder Pfarrer kann nur dankbar sein, daß sie die Gelegenheit hatten, Theologie zu studieren. Es bringt in erster Linie einen persönlichen Gewinn, unabhängig von der Ausbildung für einen Beruf. Aber wer das nicht hat, ist auch ein vollwertiger Christ. Niemand braucht etwas mitzubringen oder vorzuleisten.

Wer gar nicht erst in Versuchung kommt, seine Vorzüge in die Waagschale zu werfen, der hat es am leichtesten. Allerdings darf auch der Unwissende sich nichts einbilden und etwa sagen, ein Gebildeter könne keinen Glauben haben. Verstand gehört durchaus auch dazu. Die Kirche müht sich ja auch um die Gebildeten und lädt sie in die Akademien ein. Aber man muß auch mit ganz einfachen Worten sagen können, was Glaube heute bedeutet. Verklausuliert reden macht noch keinen Professor. Eine Predigt soll kurz und konkret sein, hat einmal ein Prediger gesagt („Man kann über alles predigen, nur nicht über 20 Minuten“).

Allerdings stellt sich hier auch die Frage, ob Jesus überhaupt die „geistlich Armen“ rufen darf Deshalb werden seine Aussagen dadurch bekräftigt, daß er eine enge Verbundenheit zwischen sich und dem Vater herausstellt. Was die Bibel mit „kennen“ bezeichnet, geht weit über das verstandesmäßige Wissen hinaus. Hier geht es um ein gelebtes Miteinander, um volles Einvernehmen und eine gegenseitige Zuwendung. Im Kontakt mit Jesus kommt es zum wirklichen Kennenlernen Gottes.

Wozu Jesus von Gott bevollmächtigt ist, das praktiziert er dann, als er die überforderten und überlasteten Menschen zu sich ruft, die es nicht geschafft haben und es nicht schaffen können. Hier liegt natürlich auch eine Aufgabe für die Gesellschaft, daß jedem Menschen endlich die Stelle zugewiesen wird, auf die er ein Recht hat. Im Wahlkampf wird das oft versprochen.

Die Parteien sagen, wie sie diese Aufgabe anpacken wollen, auch wenn sie dann nachher sagen, das war ja nur Wahlkampf, unser tatsächliches Regierungsprogramm ist nüchterner und bietet nicht so viel.

Es bleibt immer unsere Aufgabe, unser eigenes Leben und das Leben in der Gesellschaft zu verbessern. Die Kommunisten wollten so etwas nicht hören. Sie sagten: „Wir haben schon die allein richtige Lösung. Wenn wir erst die Reichen enteignet und alle gleich gemacht haben, dann ist das Paradies da!“ Und wenn Leute der Kirche dann von einem „verbesserbaren Sozialismus“ sprachen, dann war die Hölle los.

Wir müssen unsere Welt nüchterner sehen, denn da gibt es noch viel zu verbessern. Auch der Glaube schafft uns nicht den Himmel auf Erden. Wir müssen schon auch kräftig zupacken, gerade auch bei den Dingen, die am Anfang als die „Mühsal unsers Lebens“ bezeichnet wurden. Keiner darf sich selber aufgeben, sondern muß sich zum Beispiel immer wieder bewerben, wenn er keine Arbeit hat.

Als das einmal ein Pfarrer von dieser Kanzel sagte, murmelte eine Frau in den hinteren Reihen: „Der hat gut reden, der hat ja eine unkündbare Anstellung!“ Aber auch die anderen dürfen den Mut nicht sinken lassen.

Der Glaube ist da eine große Hilfe. Jesus läßt nicht zu, daß wir mutlos werden. Er ist für die Mühseligen und Beladenen da, also für diejenigen, die religiöse Probleme haben, aber auch für diejenigen, die mit den Aufgaben des Alltags nicht zurechtkommen: Man kann sein Leben nur mit Hilfe des Glaubens meistern und darf die Zuversicht nicht sinken lassen.

Bei der Renovierung einer Kirche wollte ein Pfarrer den Bibelspruch von den Mühseligen und Beladenen gern als Motiv für eine künstlerische Darstellung haben. In Anlehnung an eine andere künstlerische Darstellung sollten die Abendmahlsymbole in der Mitte stehen und darum die „Mühseligen und Beladenen“, also zum Beispiel ein Rollstuhlfahrer oder eine trauernde Mutter.

Als der Pfarrer aber mit dem in Aussicht genommenen Künstler sprach, meinte der: „Warum soll man immer nur das Negative darstellen? Unseer Aufgabe ist es doch, den Menschen Mut zu machen!“ So hat er es bei vielen seiner Kunstwerke gemacht, die es von ihm im öffentlichen Raum gab, und er meinte, das solle man auch in der Kirche so machen. Jesus ist natürlich auch für die Mühseligen da, aber darüber darf man die Gesunden nicht vergessen. Der christliche Glaube ist nicht nur etwas für die Gescheiterten.

Allerdings gibt es auch bei Jesus ein Joch, auch bei ihm wird man eingespannt. Aber sein Joch ist sanft. Tyrannen machen absichtlich zu viele Gesetze, damit sich jeder irgendwo

schuldig macht. Je engmaschiger ein Netz ist, desto weniger ist damit zurechtzukommen.

Aber Jesus ist nicht so. Er ruft vielmehr nur auf „Werdet meinen Jünger, folgt mir nach!“ Aber damit werden wir nicht in eine Freiheit entlassen, in der wir niemand etwas schuldig sind. Es ist schon eine Gefahr, daß wir das mit dem Gehorsam nicht so ernst nehmen und uns Vieles am Glauben erleichtern oder gar erlassen. Wir können uns keinen Gott einreden, der klein beigegeben hat und seine Ansprüche auf ein Minimum verringert hat.

Doch Jesus bedrängt uns nicht, er gewinnt uns. Was wir dann gern tun, ist uns Erholung. Entlastet, entspannt und erwartungsfroh können wir auf das setzen, was Jesus zuerst für uns getan hat. Wir haben alle unser Päckchen zu tragen. Aber Jesus selbst ist der Mühselige und Beladene geworden, damit wir für unser Seelen Ruhe finden. Nach einem solchen tiefen Aufatmen singt es sich gut.

 

Ergänzung: Bild von Rembrandt: „Die große Krankenheilung“.

Wenn Jesus sagt: „Kommt her!“ dann hat das kaum jemand besser verstanden als der niederländische Maler Rembrandt. Er war einmal reich gewesen, war mit einer guten, schönen Frau verheiratet, hatte mehrere Kinder und war schon in jungen Jahren ein berühmter Künstler. Aber dann starben die Kinder bis auf einen schwachsinnigen Sohn, und seine Frau starb auch. Rembrandt war verzweifelt, machte Schulden, trieb sich in billigen Gaststätten herum und hatte keine Lust mehr, keine Kraft für seine Arbeit.

Aus dieser Zeit haben wir einen Kupferstich von ihm. „Die große Krankenheilung“ heißt das Bild. Ein kleines Blatt, auf dem Jesus in der Mitte zu sehen ist. Seine Hände laden ein. Viele Menschen sind da, und zu allen sagt er: „Kommt her!“ Vor allem sind es die Mühseligen und Beladenen, die sich von links her zu Jesus drängen.

Da sieht man einen Aussätzigen und einen Blinden, der von seiner Frau herangeführt wird; einen Mann auf Krücken und eine Frau, die nervenkrank wirkt - alle diese Mühseligen und Beladenen, von denen die Bibel erzählt.

Einer wird von einer alten Frau auf einer Karre herangefahren. Manche sagen, daß diese alte Frau aussieht wie Rembrandts Mutter. Dann sieht sich also der Maler auf einer Karre, die sonst zum Mistfahren dient - aber die Mutter bringt ihn, den Versager, den mühseligen und beladenen Mann, nicht auf den Misthaufen, sondern sie schiebt ihn zu Jesus.

Die ehrbaren Bürger von Amsterdam hatten wohl längst zu dem abgewirtschafteten Künstler gesagt: „Unsere Geduld mit dir ist zu Ende. Nimm dich zusammen, leiste etwas, denn Versager können wir nicht gebrauchen!" Aber die Mutter weiß, wer Versager brauchen kann, so bringt sie den Sohn zu Jesus.

Der Maler hat auch darüber nachgedacht, wer denn außer denen in der Bibel wohl noch mühselig und beladen ist - und so hat er einen Schwarzen an den Rand des Bildes gestellt. Reiche Kaufleute hielten sich damals einen Kammermohren - so wie sich Reiche einen Löwen hielten und arme Leute einen Hund. Diese Schwarzen hatten keinen Freund, keine Mutter, keine Geschwister, niemanden, der ihre Sprache sprach. Wer nahm sie schon ernst? Bei Jesus finden sie einen Platz.

Und auch die Frauen dürfen kommen. Die waren ja schon zu Jesu Zeiten doppelt belastet - mit schwerer Arbeit und mit der Versorgung der Männer und der Kinder. Aber trotzdem galten sie in der Männergesellschaft der alten Zeit nichts. Jesus war der einzige Rabbi, der Frauen unter seinen Zuhörern duldete - weil er wie kein anderer wußte, daß sie abgearbeitet, mühselig und beladen sind.

Und Kinder werden gebracht, die ja auch in Jesu Zeit kaum etwas galten, die in der jüdischen Gemeinde nur dann mitzählten, wenn sie männlich waren und wenigstens zwölf Jahre alt. Noch Jesu Jünger wollen sagen: „Geht weg, das ist hier nichts für Kinder!“ Auch diese Jünger sieht man auf Rembrandts Bild.

Aber Jesus sagt: „Lasset sie kommen, denn auch sie sind oft genug schon mühselig und beladen. Werden sie nicht oft genug beiseitegestoßen? Müssen sie sich nicht fürchten vor ihren harten Vätern und ihren nervösen Müttern?“ Rembrandt hat solche Kinder gekannt, die sich mit schlecht geflickten Hosen auf den Gassen von Amsterdam herumtrieben - geschubst, getreten und beschimpft von den Bessergestellten.

In einer Ecke des Bildes bringt sogar das Kind seine Mutter, eine müde, schlechtgekleidete Frau, die nicht recht den Mut hat, näher zu Jesus zu gehen. Alle dürfen kommen. Sogar die Tiere. Ein abgedroschenes, geschundenes Kamel reckt seinen Hals. um Jesus zu sehen. Ein Hund, der sonst wohl mit Füßen getreten wird. an dem sein Herr seine Wut auslassen kann oder den sein Frauchen zu Tode mästen darf - auch er kann kommen wie alle mühselige und beladene Kreatur.

Aber dann gibt es auf dem Bild auch einige Leute, die nicht kommen wollen. Schriftgelehrte stehen ziemlich nahe bei Jesus, aber die meisten drehen ihm den Rücken zu. Sie haben mit ihm diskutiert, aber jetzt reden sie nicht mehr mit ihm. Jetzt reden sie nur noch über ihn. Sie brauchen einen Heiland für die Starken, einen, der die andern mitreißen kann, damit es in der Wirtschaft und auch in der Kirche wieder vorwärtsgeht. Aber sie haben einen Jesus gefunden. für den die Mühseligen und Beladenen wichtiger sind als die Gesunden und Starken.

Obwohl diese Gelehrten eine viel bessere Schulbildung haben als die vielen Kranken, Behinderten, Frauen, Kinder, Mohren, Hunde und Kamele, begreifen sie Jesus nicht. Sie wollen einen starken Jesus und eine starke, gesunde Kirche, die auf alle Menschen Eindruck macht. Und sie finden einen Jesus, der sich um die verkommenen, betrunkenen Männer kümmert, die man auf einer Mistkarre manchmal zum Scherz durch die Gassen fährt. Rembrandt hat diesen Schriftgelehrten die Gesichter und die Kleidung der wohlhabenden Bürger von Amsterdam gegeben, die früher einmal seine Auftraggeber und seine Freunde gewesen waren. Die haben jetzt keinen Blick mehr für den Mann auf der Mistkarre; die hatten noch nie einen Blick für heruntergekommene Männer und abgehärmte Frauen. für verängstigte Kinder und einsame Ausländer.

Jesus sagt zu allen, die bei ihm stehen, zu den Schriftgelehrten und den Kindern, zu den Jüngern und den Frauen: „Lernet von mir, ich bin demütig und von Herzen freundlich.“ Rem­brandt hat im Lauf seines Lebens gelernt, was auf der Schule nicht zu lernen ist: daß man mit Schlauheit und Wissen allein sein Leben noch nicht meistern kann. Er weiß, daß es gut ist, Sanftmut und Demut zu erfahren - und daß es auch gut sein wird, davon weiterzugeben. Wer auf Weisheit aus ist, der kann sie bei Jesus lernen.

Diese Weisheit hat - Gott sei Dank - mit unserer Intelligenz nichts zu tun. Man findet sie manchmal bei ungeschulten Frauen, bei Kindern und bei „Mohren“`. „Lernt sie bei mir! Aber ihr lernt sie nicht durch meine Reden allein, sondern dadurch, daß ihr mit mir geht und immer wieder in meinem Geiste lebt!“ Darum stehen auf Rembrandts Bild auch einige Jünger dicht neben Jesus - mit fragenden Gesichtern. Sie verstehen noch nicht alles, aber sie wenden doch wenigstens ihr Gesicht ihm zu. Und wenn sie auf Jesus schauen. haben sie auch gleich die Mühseligen und die Beladenen an Jesu anderer Seite im Blick. Sie reden nicht über Jesus wie die Schriftgelehrten - sondern mit ihm, weil sie etwas lernen wollen. Sie werden nicht fortgehen wie die Pharisäer, sondern bei Jesus und also bei den Mühseligen und Beladenen bleiben. So lernen sie die Weisheit, die den Klugen und Intelligenten so oft verborgen ist. Jesus hat mit den Gebildeten nur selten gute Erfahrungen gemacht - eher mit den Mühseligen und Beladenen, von denen viele zum ungelehrten Volk gehörten. „Sanftmut und Demut - darauf kommt es an!“

 

 

Mt 12 , 33 - 35 (Bußtag, Variante 1):

Jeder Mensch macht Fehler bei seiner Arbeit. Dafür sind wir Menschen und können gar nicht vollkommen sein. Doch wie gehen wir mit Fehlern um, mit den eigenen und erst recht mit denen der anderen? Und wie wird mit uns umgegangen, wenn wir einen Fehler gemacht haben?

In einem Büro war eine Mitarbeiterin besonders eifrig und hatte an der Maschine schon das Datum für den übernächsten Tag eingestellt, an dem sie mit der Maschine weiterarbeiten wollte. Am nächsten Tag aber benutzte eine Vorgesetzte die Maschine und schimpfte nun mächtig, weil das Datum nicht stimmte. Im Grunde hat sie sich ja nur über sich selbst geärgert, denn sie hätte das Datum selber korrigieren müssen, denn auch das Datum des Vortages wäre ja auch falsch gewesen. So aber kehrte sie alles gegen die Untergebene, die so überrascht war, daß sie nicht antworten konnte, aber sich hinterher noch eine ganze Zeit aufregte. Inzwischen kam aber ein anderer Vorgesetzter, der auch einen Fehler bemerkt hatte. Aber er sagte nur: „Hier muß noch etwas ergänzt werden. Ich habe schon unterschrieben, aber machen Sie das bitte noch!“ Damit war die Sache ohne großes Aufheben erledigt, niemand war innerlich verletzt worden.

Mit Worten kann man so schnell verletzten - gewollt oder ungewollt. Der Buß- und Bettag wird uns nicht gleich zu ganz neuen Menschen machen. Aber über diesen einen Punkt sollten wir heute einmal genauer nachdenken. Diese Verse aus dem Matthäusevangelium geben uns da folgende Hinweise: Wir müssen verantworten, was wir reden. Wir können nur so reden, wie wir sind. Wir dürfen sein, was Jesus aus uns macht.

 

(1.) Wir müssen verantworten, was wir reden: Es berührt uns tief, wenn ein Kind anfängt zu sprechen. Aus einem Lebewesen ist es zu einem Mitmenschen geworden. Kinder reden noch so unbekümmert und offen, daß es eine Freude ist. Aber dann kommt einmal der Zeitpunkt, wo es merkt: „Es ist nicht gut, alles zu sagen. Es kann sogar Nachteile bringen, wenn man die Wahrheit sagt. Und es kann vorteilhaft sein, das zu sagen, was gewünscht wird!“ Mit der Sprache können wir uns äußern und uns verstecken. Besonders schlimm ist, wenn in einer Gesellschaft schon die Kinder dazu gebracht werden, doppelzüngig zu reden.

So war es über Jahrzehnte im Osten unseres Landes. Das Zwiespältige ist so in die Menschen übergegangen, daß sie auch dann in der Freiheit nur schwer davon loskamen. Der Bußtag wäre ein Anlaß, in sich zu gehen und wirklich neu anzufangen.

Viele wollen auch gern neu anfangen, es soll ein Strich unter die Vergangenheit gemacht werden, aber sie wollen nicht bekennen und bereuen. Wenn einer sagte: „Ja, ich bin ein Spitzel der Stasi gewesen. Es tut mir leid, ich will alles daransetzen, das wieder gut zu machen!“ würde er damit auf Verständnis stoßen, weil ja alle wissen, wie man in so etwas hineingekommen ist. Aber nur wenige haben den Mut dazu. Stattdessen leugnen sie standhaft und hoffen darauf, daß gerade ihre Akte verschwunden ist. Und wahrscheinlich hoffen sie auch darauf, daß Gott bis zum Jüngsten Tag alles vergessen hat oder zumindest nicht darauf zurückkommt.

Im Grunde aber ist heute schon jeder Tag ein Gerichtstag, an dem wir Rechenschaft geben müssen. Gott wacht in seiner Welt über Recht und Unrecht. Deshalb sollte unser Gewissen immer mit ihm im Gespräch sein. Nicht nur unsre Taten, sondern auch unsre Worte spielen hier eine große Rolle. Das Wort ist ja das Besondere am Menschen. Es schlägt Brücken, aber es reißt auch Abgründe auf, es stiftet Liebe und Feindschaft, Haß und Vergebung, Freude und Leid.

Das Gericht Gottes könnte darin bestehen, daß er uns alles noch einmal vom Band vorspielt, was wir so im Laufe eines Lebens gesagt haben. Ein Höllenfeuer von einigen tausend Grad würde sich dann wohl erübrigen. Bei einer Abendgesellschaft hat einmal der Gastgeber heimlich ein Tonband mitlaufen lassen. Als die Gäste schon gehen wollten, spielte er ihnen einige Stellen vor. Zunächst lachten sie über manchen Witz. Dann aber wurden sie stiller und stiller. Auf einmal merkten sie, wie nichtig ihre Gespräche waren, aber auch, wie oft sie den anderen verletzt hatten.

Zwar wissen wir von Gottes Vergebung und sind alle auf sie angewiesen. Aber Rechtfertigung bedeutet nicht, daß wir um das Gericht herumkommen. Auch wenn wir an Jesus glauben, werden wir nicht vor dem Gericht bewahrt. Aber wir werden aus ihm gerettet. Unsre Sünde wird nicht entschuldigt, sondern vergeben. Das schließt aber ein, daß sie aufgedeckt wird. Das ist der erste Schritt der Buße. Die Vergebung Gottes kommt dann dazu. Durch sie sieht man erst die Sünde richtig und lernt sie hassen. Dann erkennt man auch erst: Der ganze Mensch ist verdorben, nicht nur seine Worte und Taten.

 

(2.) Wir können nur so reden, wie wir sind: Was wir tun und reden, kommt aus unsrem Inneren heraus, es quillt aus unserem Herzen hervor. Ich kann nicht sagen: „Ich habe nicht gesündigt, das waren ja meine Hände oder meine Lippen!“ Die Zentrale ist das Entscheidende. Und die Sünde muß bis zu den Wurzeln verfolgt und dann mit der Wurzel ausgerottet werden. Es geht also nicht darum, einzelne kleine Schäden und Mangel zu beheben. Zwar kann man durch Erziehung und Gewöhnung manches verbessern. Aber das ist noch keine Erneuerung aus dem inneren heraus.

Jesus vergleicht den Menschen mit einem Baum. Dieser kann schön oder faul sein. Absichtlich sind diese neutralen Ausdrücke gewählt, denn ein Baum kann nichts dafür, wie er ist: Ein fauler Baum kann nur faule Früchte hervorbringen. Doch beim Menschen ist es nicht so. Er kann etwas dafür, ob er gut oder böse ist, und er wird dafür zur Verantwortung gezogen. Er tut keine Sünde, in die er nicht eingewilligt hätte.

Allerdings gilt auch: Wenn er in seinem Herzen böse ist, kann auch nichts Gutes nach außen dringen. Deshalb ist es so wichtig, die Zentrale in Ordnung zu haben. Es kann auch keiner sagen: „Ich habe ja das Gute gewollt, aber die Verhältnisse sind nicht so!“ Sicherlich darf man den Menschen nicht vereinzelt sehen, sondern die Wirtschaftsordnung, die Bürokratie und das ganze Umfeld mit dazu. Aber kein Mensch m u ß sündigen, letztlich kommt es doch wieder auf den einzelnen und sein Inneres an.

Jesus sagt: „Wovon das Herz voll ist, das muß der Mund ausplaudern!“ Es gibt zwar auch die Menschen, die ihre Worte klug berechnen und alles durch das enge Sieb einer eiskalten Kontrolle gehenlassen. Aber das sind nicht immer die angenehmsten Menschen; und in einer schwachen Stunde kommt dann doch einmal die ganze Jämmerlichkeit heraus.

Jesus kommt es mehr auf das andere an: Der gute Mensch schleudert aus seinem guten Schatz nur Gutes heraus, so wie eben ein guter Baum zwangsläufig gute Früchte bringt. Die Frage ist nur: „Wie kommt es zu einem neuen Herzen?“ Darauf gibt es nur eine Antwort: „Jesus macht uns von innen heraus neu!“ Und dann gilt:

 

(3.) Wir dürfen sein, was Jesus aus uns macht: Jesus macht aus dem, den er an sich bindet, einen neuen Menschen. Dann hat unser Herz einen neuen Haftpunkt bekommen, dann ist es nur noch von Jesus erfüllt. Dann findet es auch das richtige Verhältnis zum Mitmenschen, dann wird auch das richtige Wort gesagt.

Im Grunde kann ein Mensch sich nur ändern, wenn die anderen ihm eine Chance dazu geben. Wenn die anderen aber in Lauerstellung dastehen, abwartend oder fordernd, dann kann es nichts werden. Es ist furchtbar, wenn sich einer über den Fehler des anderen freut, weil er dadurch den von eigenen Fehlern ablenken kann.

Die Fehler eines anderen sollte man entweder stillschweigend verbessern oder ihm nur unter vier Augen sagen. Auf keinen Fall sollte man ihn aber voranderen heruntermachen oder gar noch gleich zum Vorgesetzten rennen, um ihm brühwarm alles aufzutischen. Das verhärtet nur unnötig und führt niemals zur Umkehr.

Nur der kann umkehren, der selber Vergebung erfahren hat. Nur wenn ich bereit bin, einem anderen zu vergeben, wird er neu werden können. Deshalb sollten wir immer fragen: „Wie schaffe ich dem anderen Luft und Freiraum, anders zu werden?“ Vorwürfe und Forderungen sind kein Mittel, um eine Wende im Leben einzuleiten. Wir brauchen gegenseitig helfende Geduld. Dadurch können wir unsre Verkehrtheiten und Undiszipliniertheiten überwinden, diese Kurzschlußhandlungen und die Gleichgültigkeit und oftmals auch noch den Menschenhaß.

Von Jesus können wir dabei lernen. Schonungslos durchschaut er jeden falschen Schein und deckt die Verstecke des Bösen auf. Aber gütig und behutsam geht er mit den Sündern um und vergibt ihnen, auch wenn das die Strengen ärgert. Er bleibt uns sogar gut, wenn wir böse sind.

Aber sagen wir es anders: Im Grunde ist er wie der gute Baum in uns, der nur gute Früchte hervorbringen kann.

Sein Ruf zur Umkehr hat deshalb keinen finsteren Klang. Buße ist nicht Strafe, sondern Chance, ist die Wende zum Guten. Da wird alles durchgestrichen, was uns belastet, und wir können mit aller Kraft das Steuer herumwerfen und neue Menschen werden

Auf diese Möglichkeit weist uns der Bußtag einmal im Jahr besonders hin, obwohl natürlich jeder Tag ein Bußtag ist, ein Tag der Umkehr. Er ist schon ein Tag der ernsten Prüfung und Selbstbesinnung, aber letztlich doch eine Tag der Freude. Doch das liegt nicht an uns, sondern an Jesus.

 

 

Mt 12, 30 - 37 (Bußtag, Variante 2):

Die Eskimos haben früher so um Ostern herum nur einmal im Jahr eine gründliche körperliche Reinigung durchgeführt. Die übrige Zeit erschien ihnen, wohl der Dreck als ein gutes Mittel gegen die Kälte. Eine einmalige „Generalreinigung“ genügte ihnen offenbar.

Es könnte sein, daß wir den Buß- und Bettag auch als eine solche einmalige Generalreinigung verstehen. Früher wurde er von der Obrigkeit angeordnet, weil der Landesfürst seine Schäfchen einmal gehörig „abgekanzelt“ haben wollte. Von den Kanzeln kam dann wohl auch ein gewaltiger Donner, der mit den offensichtlichen Sünden gehörig aufräumte und an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ.

Wer an diesem Tag nicht in die Kirche kam, galt als etwas verdächtig. Die Kirchen waren also voll und man ertrug willig alle Donnertöne. So ein wenig Gruseln und kalter Schauer gehörten mit zu den Empfindungen des Tages. Aber zum Glück war ja alles bald vorbei und

man hatte wieder für ein Jahr Ruhe. Die Nachbarn und der Pfarrer hatten einen gesehen, dem Staat war Genüge getan.

Sicherlich werden aber nicht alle nur eine Pflichtübung vollzogen haben. Mancher wird es mit seiner Selbsterforschung und Selbstkritik auch wirklich ernstgemeint haben. Erst recht gilt dies heute, wo am Bußtag nur die zum Gottesdienst kommen, die sonst am Sonntag auch da sind. Der Tag ist zu einer Sache der christlichen Gemeinde geworden, an dem wir uns alle selbst prüfen wollen, ob wir vor Gott recht sind.

Dabei wissen wir, daß das täglich unsre Aufgabe ist. Aber an einem solchen Tag werden wir roch einmal extra darauf hingewiesen. Der Pfarrer betätigt sich nicht mehr als „Hammerwerfer Gottes“ von der Kanzel her. Gemeinsam stehen wir vor Gott und unterziehen uns einer nüchternen Selbstprüfung. Wir wissen: „Wir haben einmal Rechenschaft abzulegen am Tag des Gerichts!“ Wir wissen alle, was das in unserem Alltagsleben bedeutet, wenn wir Rechenschaft ablegen sollen: Wenn Inventur gemacht wird, wenn die Polizei einen Kraftfahrer anhält, in der Betriebsversammlung, in der Schule. Dann muß alles belegbar sein und stimmen.

Das gilt auch für die letzte Rechenschaft, die wir einmal vor Gott abzulegen haben. Welche Maßstäbewerden dann gelten?

Der erste Maßstab lautet: Du wirst gerichtet nach dem, was du sagst und was du tust. Den ganzen Tag über belegen wir ja die Menschen unsrer Umgebung mit Zensuren und Werturteilen. Wir müssen sie ja auch richtig einschätzen, um sie nicht zu überfordern oder zu unterfordern.

Aber wir werden uns selber auch einmal wir unser Tun vor Gott verantworten müssen. Das Gericht nach den Werken erledigt sich ja nicht dadurch, daß Jesus da ist. Auch wenn wir an Jesus glauben, werden wir nicht vor dem Gericht bewahrt. Aber wir werden im Gericht gerettet. Unsre Sünde wird nicht entschuldigt, sondern vergeben. Aber verantworten müssen wir uns, auch wenn wir dabei einsehen müssen, daß es keine Entschuldigung und keine Rechtfertigung gibt.

Nicht nur unsre Taten, sondern auch unsre Worte spielen hier eine große Rolle. Das ist ja das Besondere am Menschen. Es schlägt Brücken, aber es reißt auch Abgründe auf‚ er stiftet Liebe und auch Feindschaft.

So könnte das Gericht Gottes darin bestehen, daß er uns all das vom Band noch einmal vorspielt, was wir irr Laufe eines Lebens gesagt haben. Ein Höllenfeuer von einigen tausend Grad würde sich dann wohl erübrigen. Bei einer Abendgesellschaft hat einmal einer heimlich ein Mikrophon aufgestellt. Als die Gäste schon gehen wollten, spielte ihnen der Gastgeber einige Stellen aus dem Band vor. Zunächst lachten sie über manchen Witz. Dann aber wurden sie stiller und stiller. Sie merkten auf einmal, wie nichtig ihre Gespräche waren, aber auch wieviel Ironie mitschwang, die den anderen verletzen konnten oder auch sollten.

Es kann aber auch sein, daß unsre Worte nur leeres Gerede sind und keine Deckung haben. Wir wollen damit nur etwas vortäuschen, was nicht geschieht. Mit viel Geräusch soll das fehlende Tun verdeckt werden. Aber täuschen wir uns nicht: Im Gericht Gottes werden wir beim Wort genommen. Wir werden gemessen an dem, was wir so fromm, so grundanständig und so ernsthaft daherreden. Wort und Werk dürfen aber nicht auseinanderklaffen, wenn es uns um die christliche Buße ernst ist.

Was wir tun und reden kommt ja aus unserem Inneren heraus, es quillt aus unserem Herzen hervor. Ich kann nicht sagen: „Ich habe ja nicht gesündigt, das waren die Hände, die Füße, die Lippen!“ Die Zentrale ist das Entscheidende. Die Sünde muß bis zu ihren Wurzeln hin verfolgt werden und dann mit den Wurzeln ausgerottet werden.

Es geht nicht darum, nur einzelne Schäden und Mängel an uns zu beheben. Erziehung und Gewöhnung richten zwar schon manches aus und können auch einiges verbessern. Aber das ist noch keine Buße, keine Erneuerung aus dem Inneren heraus. Gott appelliert deshalb auch nicht an die in uns liegenden besseren Kräfte, sondern er tötet und macht wieder lebendig - er will uns total neu schaffen.

Jesus vergleicht uns da mit einem Baum. Ein Baum kann schön oder faul sein. Mit Absicht sind diese neutralen Ausdrücke gewählt, denn ein Baum kann nichts dafür, wie er ist. Ein fauler Baum wird nur faule Früchte hervorbringen. Nicht so aber mit dem Menschen: Er ist gut oder böse - und er kann etwas dafür, wie er ist. Allerdings: Wenn er ein seinem Herzen böse ist, dann kann auch nichts Gutes nach außen dringen. Deshalb ist es so wichtig, im Person­zentrum in Ordnung zu sein. Mancher will sein Böses Inneres nur verbergen. Es sind nicht immer die angenehmsten Menschen, die ihre Worte klug berechnen und alles durch das enge Sieb einer eiskalten Kontrolle gehenlassen. Und wenn einer die Rolle des Demütigen spielt, kann er doch mit einem einzigen Satz seinen Hochmut verraten. Der sonst auf Haltung achtet, kann doch in einer schwachen Stunde seine Jämmerlichkeit ausplaudern. Wer auf Selbstzucht achtet, kann doch einmal seinen Unmut herauspoltern.

Ein guter Mensch aber bringt aus dem Schatz seins Guten immer wieder nur Gutes hervor. Nur wer wirklich gut ist, kann auch Gutes tun. Und das wird sich auf die Stellung zum Mitmenschen auswirken. Als evangelische Christen sehen wir oft die Rechtfertigung als den Kern des religiösen Lebens an. Sie soll etwas sein, was wir Gott allein auszumachen haben. Jesus aber verbindet uns mit den Mitmenschen und macht uns deutlich: Dort könnt ihr beweisen, ob ihr Gerechtfertigte seid.

Der zweite Maßstab für den Tag des letzten Gerichts ist unsre Stellung zu Jesus selber. „Wer nicht mir ist, der ist wider mich!“ sagt Jesus. Wer nur Mitläufer ist und nicht sogleich mithilft, die Gemeinde Gottes zu sammeln, der zerstört und zerstreut sie in Wirklichkeit. Bei Jesus gibt es keine abwartende oder wohlwollende Neutralität oder so etwas.

Es kommt darauf an, zur Gemeinde Gottes bewußt dazu zu gehören. Und zwar nicht nur zu der Gemeinde, die aus Eintragungen auf der Kirchensteuerkartei besteht, sondern zu der Gemeinde, die sich sonntäglich und manchmal auch noch in der Woche zusammenfindet.

Es schadet nichts, wenn diese Gemeinde nur einen bescheidenen Umfang und ebenso bescheidene Lebensformen hat. Das Mitmachen in dieser kleinen Schar ist sinnvoller als nur theoretisches Diskutieren außerhalb dieser Schar. Wer sich zu Jesus bekennt, muß die Gemeinschaft anderer Christen suchen, sonst zerstreut er anstatt zu sammeln.

Hierhin gehört auch das ernste Wort von der Sünde gegen den heiligen Geist. Doch dieses Wort hat zunächst einmal einen befreienden und frohmachenden Klang. Schließlich heißt es ja: „Alle Sünde wird den Menschen vergeben!“ Unsre Verfassung ist nicht so trostlos, daß

Jesus kapitulieren müßte. Selbst wenn wir wie die Gegner Jesu ihn verdächtigt und verteufelt hätten, selbst wenn wir Gott gelästert und beleidigt hätten, kann uns das noch vergeben werden. Es kann ja sein, daß wir nicht wissen, was wir tun.

Aber wenn uns Gott den Glauben geschenkt hat, wenn wir im Innersten schon überwunden sind und uns dennoch sträuben und sperren, dann ist das eine Sünde gegen den heiligen Geist. Dieses Wort bezieht sich auf die Menschen, die glauben können und nicht glauben wollen. Aber es soll nicht die erschrecken, die gern glauben wollen und meinen, sie könnten es nicht. In Wirklichkeit glauben die ja, auch wenn sie immer noch unsicher sind.

Dieses scheinbar schrecklichste Wort des Neuen Testaments ist in Wirklichkeit ein dringlicher, mit ganzer Liebe ergehender Ruf zum Heil. Nicht daß wir Sünde tun, wird uns zum Verhängnis - das soll uns ja vergeben werden. Zum Vorwurf wird uns aber gemacht, wenn wir mit grauenvoller Sturheit immer weiter sündigen. Meist wollen wir das sogar noch rechtfertigen und bezeichnen unsre Verkehrtheit als richtig.

Davon kann uns nur eine totale Umkehr heilen. Hier können wir nicht mehr unbeweglich bleiben und alles auf unsre Erbanlagen oder die Umstände schieben. Hier gilt es, mit aller Kraft das Steuer herumzuwerfen und ein neuer Mensch zu werden. Darauf will uns wieder einmal der Bußtag hinweisen. Wer dazu bereit ist, wer sein Leben in der Verantwortung vor Gott lebt, der lebt intensiver und bewußter. Er lebt mit dem Herrn und sammelt mit ihm, anstatt zu zerstreuen.

 

 

Mt 12, 38 - 4 2 (Reminiszere):

Wenn wir an eine Grenze kommen, müssen wir uns durch einen Paß ausweisen, daß wir zum Überschreiten der Grenze berechtigt sind. Wenn einer in eine Jugendbande aufgenommen werden will, dann muß er oft erst eine Probe ablegen, ehe er dazugehören darf. Oft ist das eine Schandtat, die ihn als würdigen Bewerber ausweisen soll. Überall muß man sich erst durch etwas ausweisen.

Auch in Glaubensdingen werden solche Zeichenforderungen erhoben. Eine Frau blieb nach dem Krieg vom Gottesdienst fern, weil sie sagte: „Solange ich noch kein Lebenszeichen von meinem Sohn habe, der aus der Gefangenschaft noch nicht heimgekehrt ist, kann ich nur weinen und trauern. Wenn er heimkommt, will ich Gott aber gerne wieder dienen!“ Hier soll Gott erpreßt werden, das zu tun, was wir für richtig halten.

Wir denken auch sicher manchmal: Hätten wir doch nur einen Beweis dafür, daß unser Glaube der allein richtige ist und daß Jesus Christus wirklich Gottes Sohn ist - wenn doch einmal allen klar würde, daß wir recht haben. Doch die meisten sagen: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ Für sie ist nur das vorhanden, was man greifen, messen und zählen kann.

Auch wenn wir selber noch nicht in Amerika gewesen sind, so waren doch andere dort und können bezeugen, daß es diesen Kontinent gibt. Auch wenn wir Martin Luther nicht gekannt haben, so bezeugen doch sein Werk und die Berichte über ihn eindeutig, daß es diesen Mann gab. Warum haben wir nicht auch bei Gott eine annähernd gleiche Sicherheit? Warum heißt es da immer: „Das mußt du halt glauben?“ In der Bibel heißt es ja selber: „Niemand hat Gott je gesehen!“ Mancher möchte ja vielleicht gerne glauben. Aber warum macht es ihm Gott da so schwer?

Wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir wohl zugeben, daß in uns allen schon einmal der Zweifel an der göttlichen Botschaft gesteckt hat. Es gab und gibt ja auch falsche Propheten. Da haben wir schon die Aufgabe des Prüfens und Unterscheidens. Die Juden hatten so ihre

Erfahrungen mit Betrügern. Jahrhunderte hatten sie schon gewartet auf dem Messias, da wollten sie sich nicht durch ein paar Wunder hinreißen lassen. Insofern gibt es schon eine berechtigte Zeichenforderung.  Nur sollten wir einsehen: Zeichen können nicht begehrt werden, sondern sie werden gewährt.

Wir sollten aber auch nicht vergessen: Auch die anderen zweifeln daran, ob es nicht vielleicht doch einen Gott gibt. Ein Schüler war in der Schulzeit ganz gegen Gott und die Kirche, er nahm nicht am Religionsunterricht teil und trat dann auch aus der Kirche aus. Zwei Jahre später auf der Universität war seine grundsätzliche Haltung zwar geblieben. Aber er hatte jetzt doch Fragen und nicht mehr Spott. Man konnte sich oft stundenlang mit ihm unterhalten, und man merkte: Mit dem Problem Gott war er nicht so einfach fertiggeworden.

Noch deutlicher geschah es bei einem Lehrer: Der hatte auch nur Spott für Gott und die Kirche übrig. Aber dann heiratete er mit 35 Jahren eine Frau und ging mit ihr sogar zum Gottesdienst. Vielleicht ging er nur der Frau zuliebe mit. Aber wenn er ganz dagegen gewesen wäre, hätte er sich sicher nicht dazu bereitgefunden.

Man kann manchmal den Verdacht haben: Je wilder atheistisch sich einer gebärdet, desto unsicherer ist er. Wenn er nichts davon hält, kann ihm doch die Sache mit Gott gleichgültig sein, dann kann er doch das alles links liegenlassen und braucht nicht dagegen zu wettern und zu kämpfen. Mancher war in jungen Jahren einfach sorglos und schnodderig. Aber nachher wurde ihm doch anders zumute. So leicht wird man eben mit Gott nicht fertig.

Nur können wir Gott nicht auf die Probe stellen wollen. Jesus bejaht ausdrücklich, daß seine Sache vor der Welt nicht bewiesen werden kann. Wer an Gott glaubt, der begreift ganz einfach, wer Gott ist und braucht gar keine Beweise mehr. Sicherlieh hätte es Jesus zunächst

leichter gehabt mit einem eindeutigen Zeichen vom Himmel. Es ist keine Frage, daß er so ein Zeichen tun könnte. Aber es ist doch fraglich, ob er damit in den Menschen eine Überzeugung geschaffen hätte, die bleibt.

Sie müßten sich vielleicht beugen, wenn sie es mit Jesus zu tun bekämen. Aber auch die zehn ägyptischen Plagen haben den Pharao nicht zu einem gläubigen Menschen gemacht. Die Sprache der harten Tatsachen kann Menschen nötigen, klein beizugeben, aber Liebe erzeugen sie nicht.

In dem Buch: „Das Wunder des Malachias“ tut Gott das große Wunder und versetzt einen Tanzpalast auf eine einsame Insel. Aber nun ist er erst recht eine Sensation und die Menschen ziehen erst recht dorthin. Die ungläubige Menge hat gerade nichts von Gott gemerkt und das Wunder war keine Hilfe zum Glauben.

Die Leute haben nur gesehen und gestaunt - und dann haben sie weitergemacht. Aber sie haben kein Vertrauen zu Christus gewonnen. Wer damit nicht ernst macht, der soll auch nichts sehen. Gott läßt sich nicht mustern und anstaunen von solchen, die mit ihrem Herzen ganz woanders sind. Aber er fragt nach  u n s e r e m Glauben und öffnet sich dem, der auf ihn vertraut.

Glauben ist eine Vertrauenssache. Da kann man nicht mit Beweisen und Überwachung arbeiten. Wenn eine Frau ihren Mann verdächtigt, er sei ihr untreu geworden, dann unternimmt sie vielleicht alles, um sich Gewißheit zu verschaffen. Vielleicht fragt sie ihn aus oder kontrolliert seine Post oder stöbert in seinen Taschen. Vielleicht stellt sich ihr Verdacht als völlig unbegründet heraus. Aber alle Beweise haben doch kein neues Vertrauen zwischen ihnen gestiftet, die Unruhe ist größer als vorher,

Deshalb spricht Jesus von dem „ehebrecherischen Geschlecht“: weil sie lieblos sind, zerbricht das Verhältnis zwischen Gott und ihnen. Man kann niemanden auf die Probe stellen, den man liebt. Vertrauen wächst nicht, indem man sich ausweist. Jesus geht einen anderen Weg. Er gibt kein anderes Zeichen als sein Leben und Sterben. Die Absage an ein besonders Zeichen ist Ausdruck dafür, daß er die Menschen liebt und nicht verlieren möchte.

Jesus spricht hier vom „Zeichen des Jona“. Damit erinnert er an den Propheten aus dem Alten Testament, der nicht nach Ninive gehen wollte und deshalb von einem Wal verschluckt wurde und am Strand von Ninive wieder ausgespuckt wurde. Auf einmal war der totgeglaubte Jona wieder da und forderte die Leute zur Umkehr auf.

Auch mit den Tode Jesu schien alles aus zu sein. Es kam ja gerade k e i n  Zeichen Gottes, als Jesus starb. Aber der Tod beweist noch nichts. Jesus mußte nur erst sterben, damit Gott ein Zeichen tun konnte. Nach drei Tagen war der gekreuzigte Jesus wieder zur Stelle. Er ist das Zeichen, das uns gegeben wird, er und sonst nichts anderes. Wer nicht glaubt, kann nur das Kreuz sehen und sich nur wundern, weshalb die Sache Jesu noch weitergeht.

Allerdings kann Gott auch einmal den Gottesleugnern ein Zeichen geben, obwohl sie es gar nicht haben wollten. Die Heiden in Ninive und die Königin von Saba haben schließlich auch geglaubt. Sie werden sogar noch als Vorbild hingestellt, weil sie schließlich doch noch umgekehrt sind. Die erst ein Zeichen wollten und eine Beglaubigung verlangten, werden jetzt zur Umkehr aufgefordert.

Damit ist nicht gereut, daß wir mehr oder weniger klein beigeben. Aber er will unseren falschen Stolz überwinden. Wir müßten doch noch am ehesten dazu bereit sein, denn wir haben ja genügend von Gott gehört. Wir haben doch Jesus, der mehr ist als Jona und Salomo. Wir haben es doch letztlich leichter, zum Glauben zu kommen, als die Ungläubigen von damals und heute.

An sich müßte es so sein, daß die Fernstehenden Lust bekämen, durch die Christen an Gott zu glauben. Aber das Gegenteil ist oft der Fall: Gerade die Christen machen Christus Schande. Er wird vielleicht einmal sagen: „Die dem Glauben ganz fern standen, sind umgekehrt, ihr dagegen seid nicht umgekehrt.

Doch Jesus hat es darauf abgesehen, auch uns zu retten. Er mußte dafür sein Leben einsetzen, wenn er uns wirklich helfen wollte. Aber billiger wer es nicht zu machen. Deshalb ist es nicht recht, wenn wir Gott Vorwürfe machen, weil er seinen eigenen Willen hat und im Hintergrund bleibt und wir den Eindruck haben, die Zeichen bleiben aus, wo wir sie besonders nötig hätten.

Natürlich sieht es manchmal so aus, als herrschten in der Welt andere Mächte und als könnte man sich nur an das halten, was man sieht. Aber all das soll uns nicht irre machen an Gott. Selbst der Gedanke an den Tod soll uns nicht unnötig zu schaffen machen. Manchmal wünschen wir uns, daß einer von den Toten zurückkäme und uns erzählen könnte.  Das wäre doch einmal ein Zeichen, das alle überwältigen würde; so denken wir dann.

Aber Gott tut uns den Gefallen nicht. E i n e r ist auferstanden, Jesus Christus, und das muß uns genügen. Wer dem Wort Jesu nicht glaubt, der würde auch nicht glauben, wenn einer von den Toten wiederkäme. Er hätte ja dann doch immer noch tausend neue Einwände, nur um nicht glauben zu müssen.

Gott aber will, daß wir im Glauben wirklich gewiß sind: Wir werden von Gott geliebt, wir dürfen bei ihm sein. Daß wir das glauben können, dafür ist einer gestorben. Sein Opfer sollten wir annehmen und ihm ganz vertrauen.

 

 

Mt 13, 24 – 30 (5. Sonntag nach Epiphanias):

Ein Schriftsteller unserer Zeit erzählt die Geschichte eines Blinden, der immer mit einer Drehorgel durchs Dorf zieht. Die Orgel übt besonders auf einen Jungen eine besondere Anziehungskraft aus. Bald geht er regelmäßig mit dem Blinden, schiebt den Leierkasten und singt die Melodie mit. Das ergreift die Leute besonders, so daß die Geldstücke noch reichlicher in den alten Hut oben auf dem Leierkasten fallen. Als wieder einmal ein guter Tag gewesen ist, wickelt der Blinde dem Jungen einige Münzen in Papier „für die Sparbüchse“.

Da kommt dem Jungen erst das Geld in dem Sinn. Er denkt: Wenn du nur ein oder zwei solcher Münzen hättest, dann könntest du dir eine Tüte Bonbons kaufen. Um den Blinden zu täuschen, singt er so laut und übermütig, wie er nur kann. Mit einem kurzen Blick überzeugt er sich, daß gerade niemand aus dem Fenster schaut. Dann greift er mit zitternder Hand in den Hut.

Der Alte scheint nichts bemerkt zu haben. Allmählich schwinden alle Hemmungen, er bedient sich immer wieder, aber nie mehr als ein oder zwei Münzen. Es ist doch schön, wie dieser Junge sich mit dem Blinden abgibt. Aber mitten im Tun des Guten ist eine recht böse Saat aufgegangen. Die klare Kinderstimme entpuppt sich auf einmal als Deckmantel des Diebstahls.

Doch die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Aus dem Jungen ist ein Mann geworden. Eines Nachmittags geht er noch einmal zu dem Blinden, der in seinem Vorgärtchen sitzt und die Frühlingssonne genießt. Auf dem Tisch vor ihm liegt ein vergilbter Brief. Als sie sich die Hände reichen, fliegt der Brief vom Tisch. Der Blinde hat schnell beide Hände ausgestreckt und den Brief wieder eingefangen. „Kannst du denn etwas sehen?“ ruft der junge Mann bestürzt und fast vorwurfsvoll. Der Alte antwortet: „Ja, aus der Nähe sehe ich immer noch etwas wie ein Schatten!“

Der Junge fragt: „Warum hast du all die Jahre nichts gesagt?“ Er denkt natürlich an die gestohlenen Münzen. Nach langer Zeit antwortet der Blinde: „Ich wollte dir eine Lehre für dein Leben mitgeben. Du hast gemeint, weil ich schwieg, hätte ich nichts gemerkt. Du hast genauso gedacht, wie die Menschen von Gott denken. Aber das wird nicht die schlechteste Lehre für dich gewesen sein!“ Der Blinde hat lange schweigen können, bis der Tag kam, an dem die beiden als Männer darüber sprechen konnten. Durch dieses aktive Schweigen hat er geholfen, anstatt zu richten. Er hat sich Zeit gelassen. Aber seine Erziehung wurde dadurch nur umso wirksamer.

Auf solche Art und Weise will uns auch Gott erziehen. Das macht uns das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen deutlich. Da hat einer seinen Acker gesät. Aber in der Nacht kommt sein Feind und sät Unkraut dazwischen. Ich glaube, Entsprechendes gab es auch bei uns, als die Landwirtschaft noch eine größere Rolle spielte. Heute macht man es anders, da gießt man Unkrautmittel auf das Grab desjenigen, den man treffen und dem man eins auswischen will.

Erst wenn die Saat aufgeht, sieht man, was wächst.

In Palästina gibt es ein Unkraut, das in einem bestimmten Wachstumsstadium dem Weizen ähnelt. Es hat zum Teil sogar stärkere Wurzeln als der Weizen. Wenn man es ausreißen wollte, würde man den Weizen mit ausreißen. Also muß man warten bis zur Ernte, bis man beides gut unterscheiden kann; und dann muß eben mühsam sortiert werden, was gut und was schlecht ist.

Dieses Gleichnis benutzt Jesus, um etwas über die Wirkung seines Wortes in der Welt auszusagen. Durch dieses Wort wirkt Jesus in die Welt hinein, die ja Gottes Eigentum ist. Aber in ihr ist auch der „böse Feind“, der die Menschen unter seine Gewalt bringen will. Es gefällt ihm, daß sie Sünder sind, und er möchte nicht, daß das anders wird. Jesus aber bricht mit seinem Wort in diese Welt ein und möchte uns wieder in die Gemeinschaft mit Gott ziehen.

Die Herrschaft Gottes kann nur aufgerichtet werden, indem die Herrschaft des Feindes gebrochen wird. Das geht nicht ohne Kampf ab. Jesus streut sein Wort aus, aber der Feind sät auch. Wo Jesus mit Liebe kommt, sät er Haß. Wo Jesus die Menschen freispricht und mit Gott versöhnt, da will er Mißtrauen und Feindschaft gegen Gott schüren. Wo Jesus Menschen miteinander verbindet, da sät er Feindschaft.

In der sichtbaren Gemeinde Gottes gibt es Gutes und Böses nebeneinander. Einer hat das einmal mit einem Bild deutlich gemacht: Wo Gott eine Kirche baut, da setzt der Teufel gleich eine Kapelle daneben. Man kann nicht einmal sagen, daß es daneben ist. Das Unkraut wächst ja mitten unter dem Weizen. Innerhalb der Kirche geht der Widersacher sogar mit besonderem Eifer und mit besonderer Gerissenheit vor: Er verfälscht das Evangelium in Gesetz, verdirbt die Freiheit in Zuchtlosigkeit, die Gewißheit in falsche Sicherheit, die Vollmacht in Herrschenwollen und die Originalität in Eigenwilligkeit. Was an sich gut war, wird abgewandelt und schließlich in sein Gegenteil verkehrt. Und aus Seelsorge wird schließlich Seelenverderbnis.

Aber was sollen wir dagegen machen? Es hat immer wieder Heiligungsbewegungen in der Kirche gegeben, die reinen Tisch machen wollten. Wer einmal vom Glauben abgefallen war, sollte nicht wieder aufgenommen werden. Die einen gingen ins Kloster, die anderen nach Amerika. Im 19. Jahrhundert bildeten sich die Sekten, die jede für sich die wahre Kirche sein wollten. Gerade in Krisenzeiten und Umbruchssituationen scheint die Neigung stärker zu werden, eine „reine“ Kirche zu bilden. Auch in unserr Zeit gibt es wieder die Tendenz, sich von der Welt abzusondern und eine ideale Gemeinde zu bilden.

Doch gerade in solchen Gruppen wird man leicht gesetzlich. Was ist, wenn einer nicht dem gesteckten Ziel entspricht? Entweder wird er ausgestoßen oder er wird durch harten Zwang auf Vordermann gebracht. Ein Weizenfeld ohne Unkraut gibt es aber nicht. Das Unkraut schadet dem Weizen, schlechte Christen machen die Kirche unglaubwürdig. Aber durch ein großes Unkrautjäten würde auch nichts besser.

Diese Erkenntnis darf uns allerdings kein gutes Gewissen geben, daß wir uns auf das Weiterbestehen des Bösen einrichten. Wir können gewiß grobe Sünden erkennen und bekämpfen und sogar davon loskommen. Aber wer von uns kennt, was im Finstern verborgen ist? Kämen bei einer Reinigung der Gemeinde nicht schwerste Fehlgriffe vor? Würden wir damit nicht auch selbstherrlich in das Recht dessen eingreifen, der allein das letzte Wort über uns zu sprechen hat?

Ein Aussonderungsversuch schon heute wäre eine unerlaubte Vorausnahme dessen, was zur Ernte geschehen soll. Selbstverständlich können wir nicht alles gutheißen und müssen auch das Verwerfliche schon verwerflich nennen. Es wird auch einmal eine letzte Scheidung der Menschen geben. Aber Jesus läßt nicht zu, daß wir diese Scheidung vollziehen. Wir können sie auch gar nicht vollziehen, weil wir selber fehlerhafte Menschen sind. Und wir dürfen sie nicht vollziehen, weil wir damit dem Anderen die Möglichkeit zur Umkehr und zur Besserung nehmen.

Wer vorzeitig ausjäten will, versucht dem Kampf zu entgehen. Er möchte den Gegner so schnell wie möglich ausgeschaltet wissen. Doch in Wirklichkeit ist doch ein immer neues Angehen gegen die Sünde nötig. Wer sich aber zu Jesus hält, wird das aus einer neu geschenkten Freiheit heraus tun können. Weil er freigesprochen ist, braucht er nicht erst eine Probe- und Bewährungszeit durchzumachen, sondern kann gleich den Kampf aufnehmen. Er braucht nicht erst mit seiner Sünde allein fertigzuwerden, sondern er wird von Gott gerechtfertigt.

Nur so vermeidet man Heuchelei und Hochstapelei. Jesus hat das ja selbst an den Frommen seiner Zeit studieren können. Da gab es die Pharisäer, die das Gesetz bis ins Kleinste halten wollten und die Menschen dadurch in eine furchtbare Zwangsjacke steckten. Da gab es die Essener, die nur noch leben zu können glaubten, wenn sie sich in ein Kloster in der Wüste zurückzogen. Und da gab es Johannes den Täufer und seine Jünger, die auch durch gesetzliche Maßnahmen dem Gericht Gottes entrinnen wollten.

Dieses Gericht wird einmal kommen. Deshalb kann der Richter ja warten und Geduld haben wie der blinde Leierkastenmann. Aber am Ende wird Gottes Werk in Klarheit verwirklicht werden. Wenn wir etwas vom Gericht Gottes hören, dann sollten wir nicht an die denken, die es mutmaßlich treffen wird. Das Wort vom Gericht Gottes ist immer ein Wort an den, der es hört. Gott muß auch das verbrennen, was an unserm Leben noch Unkraut ist. Er wird auch das verbrennen, was an der Kirche und an der ganzen Welt nicht in Ordnung ist.

Deshalb haben wir es nicht nötig, mit falschem Eifer an einer perfekten Kirche zu basteln. Gott selbst vollendet einmal sein Werk in voller Klarheit. Darauf können wir uns verlassen. Jetzt ist die Kirche vielfach noch armselig und unansehnlich; und wir sind es mit ihr. Aber Gott läßt sich noch Zeit mit dem Gericht. Das ist die frohe Botschaft, die wir aus diesem Gleichnis heraushören dürfen. Es bleibt noch eine Zeit des Kampfes und der Reinigung. Wir sollten nicht meinen, daß wir die Reinigung vollbringen könnten. Aber wir dürfen darauf vertrauen, daß Gott sie fertigbringt. Deswegen dürfen wir das Größte für die Kirche und für uns erhoffen. Gott wird das wahrmachen, was er sich vorgenommen hat.

 

 

Mt 14, 22 – 33 (4. Sonntag nach Epiphanias):

In einer buddhistischen Legende wird von einem Mönch erzählt, der auf dem Wasser gehen konnte. Er war ganz in Gedanken an Buddha versunken, daß er gar nicht merkte, wie er an einen Fluß kam und auf das Wasser trat. Er geht unbekümmert über das Wasser. Aber auf einmal läßt er in seiner Konzentration nach, denkt nicht mehr so angespannt an Buddha, da beginnt er auch schon zu sinken. Als er aber seine Konzentration wieder erhöht, kann er auch wieder auf dem Wasser gehen.

Wir sehen also: Für die Menschen des Altertums war es gar nichts so Besonderes, daß einer auf dem Wasser gehen konnte. Allerdings besteht doch ein himmelweiter Unterschied zwischen jener buddhistischen Legende und der Geschichte vom Sinkenden Petrus. Der Mönch wird von seiner eigenen inneren Kraft getragen, es liegt nur an seiner Anstrengung, ob das Wunder gelingt. Die Jünger und Petrus dagegen sind ganz von ihrem Herrn abhängig, wenn er sie nicht hält, sind sie verloren.

Denn och macht eine solche Geschichte uns Schwierigkeiten.' Wir wissen doch alle, daß niemand tatsächlich auf dem Wasser gehen kann. Das wird auch nicht anders, wenn man sagt: „Bei Gott sind alle Dinge möglich!“ Es gibt ja Christen, die sagen: Glauben muß man sowieso, der Verstand macht da nichts leichter. Das stimmt natürlich auch. Unser Verstand kann uns nicht zum Glauben helfen, sondern nur der Geist Gottes.

Aber die Folgerungen sind nun unterschiedlich. Der eine sagt: „Wenn du sowieso glauben mußt, dann kannst du auch alles glauben, wie es in der Bibel steht, selbst wenn es gegen den gesunden Menschenverstand ist. Alles oder nichts!“ Die anderen sagen: „Wir brauchen keine unnötigen Barrieren aufzurichten vor dem Glauben. Über den Wassergraben muß jeder springen, wenn er glauben will. Aber es braucht vor dem Graben nicht noch eine Hürde zu sein, so daß mancher sagt: „Das schaffe ich sowieso nicht, da mache ich erst gar nicht einen Versuch!"

Die falschen Hindernisse können wir mit Hilfe unseres Verstandes wegräumen. Sie sind nicht wichtig für den Glauben, sondern können uns nur den Zugang zu dem Eigentlichen verstellen. Es wäre schade, wenn jemand diese Geschichte hört und nur mit dem Kopf schüttelt und sagt: „Das gibt es doch nicht, daß einer auf dem Wasser gehen kann!“ Er wendet sich uninteressiert ab, ohne mit der eigentlichen Geschichte, mit ihrer Absicht und ihrem Sinn, in Berührung gekommen zu sein.

Fangen wir einmal mit dem Zusammenhang an. Vorher steht die Geschichte von der Speisung der Fünftausend. Auch so eine unwahrscheinliche und unglaubliche Sache, wird mancher sagen. Aber dort ging es darum, daß Jesus die lebensfeindliche Wüste überwindet, indem er den hungernden Menschen etwas zu essen gibt. Und anschließend zeigt er sich als Retter auf dem lebensfeindlichen Wasser. Jesus ist der Herr auch über die Naturmächte, das ist der Sinn dieser Geschichten.

Die Natur kann ja nicht gegen den stehen, der sie geschaffen hat. Gott kann auf dem von ihm konstruierten Instrument doch spielen, wie er will. Wenn diese Macht Gottes nur auch auf Jesus übertragen wird, dann ist damit nur deutlich geworden, daß Jesus Gottes Sohn ist, mit gleicher Macht und gleicher Ehren wie Gott selbst.

Matthäus aber geht über die bei Markus geschilderte Wundergeschichte hinaus. Für ihn ist das Boot auf den Wellen ein Symbol für die bedrängte Gemeinde. Jesus betet mit seinem Vater. Seine Jüngergemeinde hat er allein gelassen, sie sollen auch ohne ihn auskommen können. Aber es dauert nicht lange, da kommen sie in schwere Bedrängnis und haben mit widrigen Gewalten zu kämpfen.

Eben noch hatten die Jünger erfahren, wieviel sie mit wenigen Mitteln ausrichten können: Das bißchen Brot hat für Viele gereicht. Das hat ihnen Mut und Hoffnung gegeben, auch ohne Jesus weiterkommen zu können, wenn sie nur von seinem Vertrauen getragen wird. Und auf einmal ist die Angst wieder da. Da bläst ihnen ein Gegenwind ins Gesicht, der alle Mühe aussichtslos macht. Verschwunden sind alle Gewißheit und aller Mut, zu spüren ist gar nichts als Wasser und Dunkel und Angst, als Verlassenheit und Verzweiflung.

Es kommt gar nicht so sehr auf die Frage an, die sich viele stellen: „Ist er denn wirklich auf dem Wasser gegangen?“ Es kommt nicht darauf an, welches tatsächliche Ereignis aus den Erdetagen Jesu hinter dem hier Erzählten stehen mag. Die Gemeinde drückt mit dieser Geschichte aus, was immer gilt: worauf sie sich gefaßt machen muß und woher sie Hilfe zu erwarten hat. Das ist aber auch unsre Selbsterfahrung und Welterfahrung. So geht es auch uns als der Gemeinde Christi in der Welt. Auch wir haben mit Wind und Wellen zu kämpfen. Und Jesus scheint dann unerreichbar fern bei Gott zu sein. 

Das Symbol der ökumenischen Bewegung, der Vereinigung aller Christen in der Welt, ist das Schiff mit einem Kreuz, das auf den Wellen fährt. Aber nun ist es interessant, daß man diese Wellen manchmal höher, manchmal flacher gezeichnet hat, je nachdem, wie man die Lage der Kirche in der Welt eingeschätzt hat.

In jeder Gemeinde gibt es einmal Tiefpunkte und Enttäuschungen. Da hat man mit großem Aufwand eine ganze Menge Neuzugezogener eigeladen, große Vorbereitungen getroffen und alles für die Gäste getan. Und dann kommen nur etwa 20 Leute, die dann auch selber spüren, wie mißlungen der Versuch war. Da wird dann etwas deutlich von den Schwierigkeiten, mit denen auch heute die Gemeinde Jesu zu kämpfen hat.

Aber diese biblische Geschichte versichert uns: „Christus kommt zu seiner bedrängten Kirche! Das Schlimme an so einer Situation ist ja, daß man zur völligen Passivität verurteilt ist. Man kann nur warten, bis alles sich von selber löst. Man hofft bis zum letzten Augenblick, aber das rettende Tor scheint immer enger zu werden. Und je länger es dauert, desto wehrloser fühlt man sich. Es geht dabei ja nicht um eine Nothilfe, wenn einer einmal ins Wasser gefallen ist, sondern um die ganze Existenz.

Dabei haben die Jünger gar nicht einmal wissen können, was auf sie zukommt. Nur weil sie Jesus nachgefolgt sind, ist eine solche Bedrängnis über sie gekommen. Ohne Jesus wäre ihren diese Not erspart geblieben. Ja, Jesus scheint diese Geschichte sogar bewußt gewollt und eingefädelt zu haben: Er hat sie genötigt, in das Boot zu treten und ohne ihn hinüberzufahren. Es ist das erste Mal, daß er sie allein losschickt. Weshalb will er denn allein beten? Warum tut er nichts, daß solche Sturmnächte gar nicht erst aufkommen? Er sucht das Heil bei Gott, während es bei seinen Jüngern ums nackte Überleben geht. So etwa mögen die Jünger gedacht haben.

Aber Jesus ist auch bei ihnen, wenn er räumlich von ihren getrennt ist. Die Gefahr kann lange andauern, aber Jesus kommt bestimmt. Wenn die Not am größten, da ist er am nächsten! Es ist nur nicht immer so leicht, in der Katastrophensituation den Helfer auszumachen und beim Namen zu nennen. Wer Christus nicht kennt, sucht ihn leicht nur unter dem klarblauen Himmel am sonnenhellen Tage. Aber er kann' uns auch in Sturmnächten begegnen. Auch dorthin reicht das Kraftfeld seiner Macht, ja, dort ist es besonders stark.

Nicht immer ist das so leicht zu erkennen. Die Jünger halten Jesus ja zuerst für eine Spukgestalt. Die Situation klärt sich erst, als sich Jesus selbst zu erkennen gibt und sagt: „Seid getrost, ich bin es, fürchtet euch nicht!“ Sie sollen wissen: Wir sind nicht allein. Selbst wenn das Boot unterginge, gibt es immer doch eine Macht, die sie aus seinen guten Händen reißen körnte.

Am Einzelbeispiel des Petrus wird das noch einmal deutlich gemacht. Aber Petrus ist natürlich auch wieder Vertreter der ganzen Jüngerschar und das Boot steht für die ganze Kirche. Petrus war ja der Anführer des Jüngerkreises. Er war auch offenbar immer schnell bei der Hand, schnell mitzureißen und immer aktiv. So kann er auch hier die Trennung von Jesus nicht mehr aushalten, sondern will sie sogleich ganz überwinden. Er hat im Nu vergessen, daß er eben noch vor Angst geschrien hat. Mit der Gegenwart Jesu ist die Situation sofort verändert, auch wenn der Sturm noch tobt.

Man könnte einen Rest von Unsicherheit verspüren, wenn            Petrus sagt: „Bist du es, so befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!“ Aber der Satz kann auch so gemeint sein: „Weil du es bist, kann ich im Vertrauen auf dich das Unmögliche wagen!“ Petrus hat nur den einen Wunsch, bei Jesus zu sein. Er bittet ja nicht darum, über das Wasser gehen zu können, sondern er möchte zu seinem Herrn kommen dürfen. Dafür wagt er sein Leben. Aber wenn Jesus ihm den Befehl dazugibt, dann übernimmt er auch die Verantwortung dafür, daß alles gut geht. So macht uns diese Geschichte deutlich: Das Vertrauen auf Jesus gibt uns Kraft für Dinge, die wir sonst nicht unternommen hätten.

Aber sie zeigt auch gleichzeitig: Der Begeisterung wachsen keine Flügel. Es gibt immer noch dem Widerstreit zwischen Vertrauen und Furcht. Als Petrus einmal einen Augenblink von Jesus wegsieht, bemerkt er wieder die Wellen und beginnt zu sinken. Er kann nur noch angstvoll schreien: „Herr, rette mich!“

Und jetzt erst geschieht das eigentliche Wunder: Jesus ergreift seinen Jünger und sie steigen beide ins Boot. Petrus macht nicht nur die Erfahrung des Versinkens, sondern auch die Erfahrung des Gehaltenwerdens. So muß auch Jesus immer wieder unsren Glauben tragen. Allein müßten wir versagen so wie Petrus. Christsein lebt nicht von dem, was wir selbst aufzuweisen haben, sondern von der Hand des Herrn, die nach uns greift.

Auch Petrus war durchaus kein Glaubensheld.  Im Zusammenhang mit dem Leiden Jesu hat er da so seine eigenen Erfahrungen gemacht. Da ist er auch abgesackt, da stand ihm das Wasser bis zum Hals, als er nämlich Jesus verleugnete.

Aber an Ostern hat ihn Jesus erneut beauftragt und zum Leiter der ersten Gemeinde gemacht. Die Jünger und Petrus an ihrer Spitze haben die Erfahrung des Todes gemacht.  In dem nächtlichen Kampf mit den Wellen waren sie allein und mußten um ihr Leben bangen. Aber dann durften sie die Ostererfahrung machen, daß der Herr doch bei ihnen ist.

So haben wir es hier im Grunde mit einer Passions- und Ostergeschichte zu tun. Oder anders gesagt: Die Geschichte wurde ja erst nach Ostern aufgeschrieben und dabei im Licht der Oster­erfahrungen gesehen. Auch wir dürfen in allem Leiden auf diese Auferstehungserfahrung hoffen, wenn wir uns nur an dem Auferstandenen halten und seine ausgestreckte Hand ergreifen.

 

 

Mt 16, 13 - 20 (Pfingsten II):

Wir begehen heute wieder den Jahrestag der Gründung der Kirche. Zwischen jenem ersten Pfingstfest in Jerusalem und dem heutigen Pfingstfest besteht allerdings doch ein beträchtlicher Unterschied. Damals wurde die Botschaft von dem auferstandenen Jesus laut und mit großer Begeisterung verkündet, für alle sichtbar hatte sich das Wirken des Heiligen Geistes an den Jüngern ereignet.

Was aber ist aus jenen verheißungsvollen Anfängen geworden? Das lange Wochenende in der schönen Jahreszeit verleitet nur wenige, in den Gottesdienst zu gehen. Das Pfingstfest ist nicht gerade volkstümlich, viele verstehen nicht so recht, was dieser Tag und seine Predigt bedeuten sollen. Hier sehen wir wieder einmal, wie anders doch der christliche Glaube ist als alles, was es sonst in der Welt gibt: Gott hat durch Christus gehandelt, er wirkt auch heute durch den Heiligen Geist, er überbietet immer wieder alle menschlichen Erwartungen. Für manchen mag des unverständlich bleiben und Pfingsten wird ihm als ein seltsames Fest vorkommen. Aber das läßt sich nun einmal nicht ändern. Hier wird ja gerade deutlich, daß wir etwas Besonderes in diese Welt einzubringen haben.

Von Pfingsten und vom Heiligen Geist ist allerdings in diesem Bibelabschnitt nicht ausdrücklich die Rede. Aber der Sache nach ist es stark enthalten. Es geht nämlich um drei Dinge: um das zum-Glauben-kommen, um die Kirche und um das Amt. All das bewirkt der Heilige Geist. An Pfing­sten damals hat es angefangen. Und das Bekenntnis des Petrus war schon eine Vorstufe dazu.

 

1. Zum Glauben kommen: Petrus konnte nicht aus eigener Vernunft noch Kraft zu dieser Erkenntnis kommen. Gott selber hat ihm zu diesem Glauben verholfen. Der Glaube muß einem durch den Heiligen Geist geschenkt werden. Aber er ist auch ein Stück eigene Tat, denn man darf sich nicht gegen das Wirken Gottes sperren.

Um die Frage, wer Jesus ist, kommt heute kein Mensch mehr herum. Selbst in den Geschichtsbüchern an unseren Schulen kann man ihn nicht ausklammern. Man versucht seine Bedeutung herunterzuspielen, man will ihn in eine Reihe mit menschlichen Persönlichkeiten einordnen, man deutet seine Anliegen falsch - aber man kann ihn nicht aus der Welt schaffen.

Es wird etwa vor ihm gesagt: „Jesus war ein großer Idealist. Er wollte die Menschen besser machen, aber sie haben ihn dafür umgebracht!“ Oder es heißt sogar: „Jesus war der erste Sozialist. Aber er hatte dann doch nicht den Mut, die Sklaven zum Aufstand aufzurufen!“ oder noch schlimmer. „Jesus war so ein Zauberer oder Wundertäter, aber am Schluß konnte er sich selber nicht helfen!“

Manche behaupten auch einfach: „Jesus hat gar nicht gelebt, der ist bloß so eine Erfindung seiner Jünger!“ Aber so einfach wird man mit ihm nicht fertig. Als Jesus mit seinen Jüngern diskutiert, da sieht es zunächst auch so aus, als veranstalte er eine unverbindliche Meinungsumfrage. Die Leute wollen in Jesus den ersten Propheten Elia oder den letzten Propheten Johannes wiedererkennen, jedenfalls halten sie ihn für einen Propheten.

Aber über die Bedeutung Jesu kann man sich nicht unverbindlich unterhalten. Man kann die Christusfrage nicht auf Dauer im Unbestimmten lassen. Jesus fragt jeden: „Was sagst du denn?“ Dann gibt es keine Ausrede und kein Abschweifen. Diese Frage muß jeder für sich klar und deutlich und ehrlich beantworten. Bei Jesus können die Eltern nicht für ihre Kinder, die Paten nicht für die Konfirmanden und der Pfarrer nicht für die Gemeinde antworten, da ist jeder persönlich dran.

Es genügt nicht, nur zu sagen: „Ich habe nichts gegen die Kirche. Sie tut ja viel Gutes. Und die Krankenschwestern könnte ich ja vielleicht auch einmal nötig haben. Und wie ein Hund möchte ich auch nicht begraben werden?“ Solche Aussprüche kann man doch manchmal hören. Aber in einem Deutschaufsatz hätte man damit das Thema verfehlt. Da wäre es besser gewesen, man hätte sich gar nicht zur Sache geäußert.

In der Tat können wir ja nur sagen: „Ich glaube, daß ich nicht glauben kann!“ Zur rechten Erkenntnis können wir nicht kommen durch wissenschaftliche Forschung oder durch Diskussion oder durch immer neue Anläufe. Doch das Pfingstevangelium lautet ja gerade: „Gott hilft dir durch seinen Geist zum Glauben, er gibt dir den Halt, der höher ist als alle Vernunft, du darfst dich zu ihm bekennen in Lobpreis und Gebet.

 

2. Die Kirche: Wir bekennen keinen Privatglauben, sondern den Glauben der Kirche. Petrus spricht in diesem Bibelabschnitt ja für alle Jünger und damit auch für die Kirche. Es ist gut, wenn wir zunächst einmal ein solches Bekenntnis übernehmen, denn es will uns helfen zum eigenen Bekennen.

Jeden Sonntag sprechen wir das Glaubensbekenntnis, das so ungefähr aus dem 3.Jahrhundert stammt und der Glauben beschreibt, wie ihn schon die Apostel hatten. Es gibt auch noch andere Bekenntnisse, wir könnten sogar selber eins machen; es wird nur wichtig sein, daß der Glaube der Kirche darin zum Ausdruck kommt. Wir brauchen nicht jede Einzelaussage zu unterschreiben, aber wir bekennen uns zu dem gleichen Glaubenden, den schon die Väter hatten.

Allerdings kann sich die Kirche auch einmal irren. Sehr schnell hängt man doch bestimmten Vorstellungen nach, wie Jesus sein sollte. Jesus bezeichnet den Petrus ja unmittelbar nach seinem strahlenden Bekenntnis als „Satan“, weil er ihn vom seinem Leidensweg abbringen will. Jesus ist nicht so, wie wir ihn haben wollen, sondern wie Gott ihn haben will. Das werden wir immer wieder lernen müssen, wenn wir Kirche Jesu Christi sein wollen. Der Heilige Geist hilft dazu, daß man in der Kirche immer wieder auf den richtigen Weg zurückfindet.

Die Kirche wird jeden Tag neu durch das Bekenntnis der Christen zu Gott und zu Jesus. Wo man aus seinem Wort lebt und seine Sakramente empfängt, da beginnt die Herrschaft Gottes. Die Kirche ist der Brückenkopf des Reiches Gottes in der Welt. Sie ist noch nicht das ganze Reich Gottes; dazu hat sie noch viel zu viele Schwächen, versagt zu oft und kann viel zu wenig erreichen.

Aber ein Stück vom Reich Gottes wird trotz aller Schwächen auch in der Kirche deutlich. Jeder von uns ist aufgefordert, ein Stück dieser Herrschaft Gottes in seinem Leben deutlich werden zu lassen. Die Wirksamkeit der Kirche hängt nicht von ihren leitenden Persönlichkeiten ab. Wenn Petrus hier als der „Fels“ bezeichnet wird, dann könnte man ja meinen, er trüge den ganzen Bau. So versteht es bis heute die römisch-katholische Kirche, deren Päpste sich als Nachfolger des Petrus verstehen (Papst Paul VI. sagte: „Ich bin Petrus!“). Doch Petrus war nur der erste Stein im Bau der Kirche: er war der erste Christusbekenner, mit ihm fing die Kirche an, insofern hat er schon seine Bedeutung.

Aber das Fundament der Kirche ist Jesus Christus selber. Mit ihm steht und fällt die Kirche. Er allein kann sie in unserer Welt erhalten, nicht wir oder die Kirchenleitung und auch nicht irgendwelche Gespräche und Abmachungen. Wir Menschen vermögen nur etwas durch das, was Gott aus uns macht. Er baut durch den Heiligen Geist seine Kirche auf, und wir können bestenfalls seine Mitarbeiter sein. Aber es ist nicht nur ein Einziger sein Helfer, sondern wir alle sind „Petrus“, können ihn richtig verstehen und seine Vertreter in der Welt von heute werden.

 

3. Das Amt: Die Kirche darf von Schuld lossprechen oder sie behalten. Wofür jetzt schon die Lossprechung erteilt wurde, danach wird beim Jüngsten Gericht nicht mehr gefragt. Dort wird nur noch das zur Sprache kommen, wofür auf Erden die Lossprechung verweigert wurde. Der Richter ist letztlich Gott allein. Doch in der Kirche gibt es kein Amt, das allein über die Sündenvergebung entscheiden könnte. Für einen Bildwerfer braucht man ein Objektiv: Es sammelt die Strahlen und wirft sie auf die Leinwand. Aber das Objektiv kann man wechseln. Man braucht Personen, die bestimmte Aufgaben in der Kirche übernehmen. Aber die Personen sind auswechselbar.

Ein Amt in der Kirche bringt nicht mehr Macht, sondern mehr Verantwortung. Petrus wird oft als Himmelspförtner mit einem großen Schlüssel dargestellt. Aber er ist eher der Verwalter des Reiches Gottes auf Erden. In dieser Aufgabe hat er mehr zu tragen als die anderen. Das mußte Petrus an Pfingsten erfahren, als er von den anderen an die Spitze gestellt wurde und nun den Mund auftun mußte.

Er hatte es nicht gelernt, er war ein einfacher Fischer. Aber die Fähigkeit, andere Menschen zu Gott zu führen, hängt nicht von der Menge des theologischen Wissens ab. Doch wer sich zur Verfügung stellt, dem gibt es Gott durch seinen Geist schon ein, was er reden soll. Dann kann er auch von Dingen reden, die über den eigenen Horizont hinausgehen und im wahrsten Sinne des Wortes „ergreifend“ wirken.

Zu solchem priesterlichen Dienst sind wir alle gerufen. Hier liegt aber eben das Problem: Wer wagt es denn, seinen Nachbarn oder Kollegen in ein Gespräch über Jesus zu verwickeln? Wer spricht anderen Trost und Ermahnung zu? Wer läßt sich seine Schuld vergeben? Aber wenn

wir einem anderen das Evangelium verschweigen, dann schließen wir ihn vom Zugang zu Gott aus, anstatt ihm aufzuschließen.

Gott hat uns die gleiche Aufgabe zugedacht wie dem Petrus: Einmal möchte er, daß wir zu festen Steinen im Bau Gottes werden. Zum anderen hilft er uns, Menschen mit Christus zu verbinden. Sein Heiliger Geist führt uns alle zu ihm hin.

So dürfen wir helfen, daß Menschen die Vergebung erlangen, Gott wieder fürchten und lieben lernen und ihr Heimatrecht bei Gott bekommen. Dadurch werden sie frei werden zum Dienst an den Menschen und der Welt. Sie werden zu der Gewißheit kommen: Niemand kann uns etwas anhaben, wenn wir zu Christus und seiner Gemeinde gehören. Keiner braucht Angst zu haben, daß ihm durch das Bekenntnis zu Christus irgendwelche Nachteile entstehen könnten. Wir alle können dem Herrn vertrauen, der größer ist als die Mächte dieser Welt und uns und die Kirche erhalten wird bis ans Ende dieser Welt.

 

 

Mt 17, 1 - 9 (Letzter Sonntag nach Epiphanias):

In manchen Gemeinden fragt man sich: Was soll man tun, wenn nur ein oder zwei Leute oder gar überhaupt niemand zum Gottesdienst kommt? In vielen Gemeinden ist diese Frage ja noch nicht so sehr akut. Denn wenn in einem Ort mit 5.000 Einwohnern nur zwei Prozent der Gemeindeglieder kommen, so sind das doch immer noch 100 Leute. Aber wenn ein Dorf nur 100 Einwohner hat und es kommen nur zwei Prozent, dann sind das eben nur zwei Gottesdienstbesucher.

Nun kann man zwar mit 100 Menschen noch einen Gottesdienst in der üblichen Form halter, mit zweien aber nur schwer, ohne daß es irgendwie komisch wird. Das Schlimme daran ist nur: Wenn es immer so wenige sind, dann verlieren auch die den Mut und bleiben weg. Wenn man in einem kleinen Ort sowieso nur 24 Gottesdienste im Jahr ansetzt, dann fallen vielleicht elf aus, weil niemand dazu erschienen ist.

Wenn man so etwas hört, tut einem die Geschichte von der Verklärung Jesu gut. Sie zeigt die künftige Herrlichkeit Jesu schon während seiner Erdentage. Hier wird Jesus gezeigt, wie er eigentlich erst nach Ostern ist. Aber die vertrautesten Jünger dürfen ihn schon einmal so sehen, um dadurch schon vorher in ihrem Glauben gestärkt zu werden. In dieser Erzählung wird zum einmaligen Ereignis verdichtet, was das wahre Wesen Jesu ist.

Diese Geschichte will uns also Mut machen, indem sie uns in die Zukunft schauen läßt, in eine Zukunft, die sich für Jesus schon erfüllt hat und der wir alle erst noch entgegengehen. Beim Vorblick auf diese Zukunft sollen wir die Kraft erhalten, unser Gegenwart besser bewältigen zu können.

Wenn es manchmal so niederschmetternd in der Kirche ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten, damit fertig zu werden: Einmal kann man schimpfen und damit seinen Ärger abreagieren. Aber damit erreicht man nicht viel, denn die es am meisten angeht, hören es ja nicht, weil sie gar nicht da sind. Da ist eben die andere Möglichkeit besser, nämlich: Denjenigen, die da sind, in ihrer bedrückenden Lage Mut zu machen. Wir haben ja eigentlich noch mehr als die Jünger die Möglichkeit, die Herrlichkeit Jesu zu sehen. Wir haben ja Ostern schon erlebt, wir können in der Bibel davon lesen, wir brauchen nur auf das zu hören, was uns immer wieder gesagt wird.

Obwohl die Verklärungsgeschichte eigentlich schon durch Ostern überboten ist, hat sie uns dennoch etwas zu sagen. Oft bleibt uns die Herrlichkeit Jesu noch genauso verborgen, wie sie den Jüngern zunächst war. Wir ärgern uns mit den Jüngern an der Niedrigkeit Jesu und seiner Kirche. Wir sehen überall Schäden und Mängel, meist nur bei der anderen und hoffentlich auch bei uns selber. Wir möchten gerne vollendete Christen sein und scheitern dennoch immer wieder an der eigenen Unzulänglichkeit, an den Fehlern anderer und an den Verhältnissen.

Den Jüngern gingen für einen Augenblick die Augen auf und sie erkannten: „In Jesus haben wir tatsächlich Gott bei uns!“ In diesem Augenblick würden sie es auch fertigbringen, die Niedrigkeit Jesu zu ertragen. Jetzt glauben sie fest an ihn.

Diesen Augenblick möchten sie festhalten. Wenn er vorübergeht, dann wäre wieder alles so wie vorher, dann wären auch Zweifel und Unsicherheit wieder da. Davor hat Petrus Angst. Deshalb sagt er: „Laßt uns hier Hütten bauen!“ Hier will er mit Jesus allein sein, weit abseits von der Welt. Hier wäre es leicht, immer an Jesus zu glauben. Hier wäre man praktisch schon im Himmel und brauchte sich nicht mehr mit den Zweifeln und Fragen dieser Welt herumzuschlagen.

Zweifelnde Fragen haben wir heute auch immer noch. Auch wenn wir glauben wollen, so überfällt uns doch immer wieder das quälende und ängstliche Fragen: „Was hat es denn nun tatsächlich mit Jesus auf sich? Kann man dem glauben, was er gesagt hat? Warum bist du eigentlich ein Christ?“ Solcher Fragen braucht sich keiner zu schämen. Im Gegenteil: Wenn er das nicht schon einmal erlebt hat, dann muß er sich fragen, ob er es wirklich ernst mit dem Glauben meint. Fragen und Zweifel gehören mit zum Christsein dazu. Entscheidend ist nur, daß man wieder darüber hinwegkommt.

Das gibt es ja dann auch wieder, die Stunde, in der uns gewiß wird: „Was wir vermuteten, stimmt wirklich: In Jesus haben wir Gott bei uns!“ Erklären können wir uns das nicht, wo eine solche Gewißheit auf einmal herkommt. Aber alle Zweifel und alle Ungewißheit und alle Angst sind auf einmal vorüber.

Unser Glaube läßt sich aber so nicht sichern, daß wir ihn nicht immer wieder zu wagen brauchten. Es gibt manchmal Stunden, in denen wir mehr hören und sehen und erkennen als sonst. Das gibt uns einen starken Anstoß für die nächste Zeit. Aber es nützt unserm Glauben nichts, wenn wir gestern geglaubt haben. Auf das Heute kommt es an und das tägliche Durchhalten des Glaubens.

Das gilt auch für das Beispiel des Gottesdienstbesuchs. Ein Pfarrer macht sich darüber auch so seine Gedanken: Wenn etwa zur Goldenen Konfirmation oder an Heiligabend die Kirche so annähernd voll ist, dann sagt er sich auch sicherlich manchmal: „Warum ist es nicht immer so? Könnten wir nicht immer so zusammenbleiben?“ Oder wenn am Sonntagnachmittag eine Beerdigung ist und es kommen dreimal so viel Leute wie am Vormittag zum üblichen Gottesdienst, dann fragt man sich doch: „Warum haben sie nicht auch am Vormittag Zeit? Und nicht nur einen Sonntag, sondern jeden?“

Wir möchten wahrscheinlich alle gern solche schönen Augenblicke festhalten. Und dann beginnt wieder der Alltag und es ist das Übliche. Damit müssen wir rechnen und dürfen uns davon nicht verdrießen lassen. Es geht immer einmal auf und ab im Leben der Kirche und im Leben des einzelnen Christenmenschen. Wenn man in der Talsohle ist, dann darf man sich davon nicht zu sehr beeindrucken lassen. Es geht ja doch auch wieder einmal bergauf. Wir fragen uns nur: „Was bleibt uns, wenn wir sozusagen von unserm Berg der Verklärung herabsteigen? Irgendwie soll ein solches Ereignis des Überzeugtseins vom Glauben doch auch seine Nachwirkungen haben und die Zukunft mitbestimmen?“

Nun, hier ließe sich schon Einiges aufzählen.

Zunächst einmal bleibt, daß Jesus Christus Gottes Sohn ist. Die Jünger erschrecken, als sie merken: In Jesus haben wir es mit dem lebendigen Gott zu tun, der sich den Menschen zeigt, wann und wie er will. Diese Gewißheit kann uns durch nichts genommen werden, was späterhin noch dazwischenkommt. Wir leiden ja mit, wenn wir sehen, wie sehr die Botschaft von Jesus Christus mißachtet wird. Wir stehen selber oft im Ungewissen und sind mutlos in einer kleinen Schar. Wir sind enttäuscht von Fehlentscheidungen und äußerer Unscheinbarkeit in der Kirche. Erst haben wir gemeint, die Kirche könnte solch eine „Hütte“ sein für die Herrlichkeit Gottes. Und dann müssen wir auch ihre menschliche Seite erkennen und stehen in der Versuchung, uns von ihr abzuwenden. Aber es bleibt die Gewißheit: Gott ist am Werk in seinem Sohn und in seiner Kirche. Manchmal wirkt er nur verborgen. Aber oft können wir auch direkt sein Tun erkennen. Dann wissen wir auch genau: Er ist der Sohn Gottes, heute und alle Zeit. Dann können wir so sagen wie noch kurz vorher Petrus: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“

Als zweites bleibt uns, daß er bei uns ist in seinem Wort. Wir haben Jesus nicht in unseren Wünschen und Vorstellungen, nicht in liebgewordenen Redewendungen und vertrauter Traditionen, auch nicht in theologischen Meinungen und Auslegungen. All das ist auch gut und richtig. Aber als Entscheidendes wird auch uns gesagt: „Den sollt ihr hören!“

Wenn die helle Wolke wieder fort ist, dann haben wir niemand anders als Jesus allein. Dann können wir nur noch auf sein Wort hören, um in unserm Glauben gestärkt zu werden. Und wir können uns zum Sakrament versammeln, das das fleischgewordene Wort Gottes für uns ist.

Als Gemeinde Jesu Christi sind wir aber auch verantwortlich dafür, daß die Welt ihn hört in seinem Wort. Wenn wir nur für uns Hütten bauen und es uns darin gemütlich sein lassen, haben wir unsern Auftrag noch nicht erfüllt. Gottes Wort will geradeheraus aus solchen „Hütten“ und unter die Leute gebracht werden. Nur so kann es auch bei uns bleiben.

Das dritte schließlich, das uns bleibt: Er richtet uns auf und macht uns stark. Ohne Jesus müßten wir verzagen in dieser Welt. Wir kämen aus unserr Schuld nicht heraus und hätten keine Zukunft. Jesus aber ruft uns zu einem neuen Leben auf dem Weg mit ihm. Er sagt uns, wohin wir gehen sollen. Er schickt uns zu den Menschen. Und er richtet uns wieder auf, wenn wir einmal gefallen sind.

So wie die Jünger müssen wir von dem Berg der Herrlichkeit herabsteigen. Aber Jesus hat uns stark gemacht, als seine Zeugen in die Welt zu gehen und dabei auch Leiden und Mißerfolge auf uns zu nehmen. Wir dürfen uns immer wieder umdrehen zu dem Berg der Verklärung und uns von dem Anblick des verherrlichten Jesus stärken lassen. Wir dürfen unseren Augen aufheben zu dem Berg, um zu wissen und nicht zu vergessen, woher uns die Hilfe kommen wird.

 

 

 

Mt 18, 15-20 (22. Sonntag nach Trinitatis):

Die Kirche hat ein Angebot zu machen, von dem viele nicht so recht zu wissen scheinen: Sie darf den Menschen die Vergebung Gottes zusprechen! So hat es jedenfalls die frühe christliche Gemeinde verstanden, als sie ein Wort Jesu festhielt, das er vielleicht gar nicht selber so gesprochen hat, das aber ganz in seinem Sinne ist: „Was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein!“

Das gilt auch heute noch. Es wird vor allem gesprochen in besonderen Beichtgottesdiensten wie am Buß- und Bettag. Selbst wenn nicht der Pfarrer, sondern ein Lektor den Gottesdienst hält, darf er sagen: “…spreche ich als ein verordneter Diener Gottes euch von allen Sünden los, daß sie euch sollen vergeben und vergessen sein, im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!“

Früher hat man solche Beichten vor jedem Abendmahl gehalten, zum Teil sogar am Vortag. Und wer nicht zur Beichte war, der durfte auch nicht zum Abendmahl. Davon ist man aber abgekommen, weil das Abendmahl mehr ein Freudenmahl ist, das zwar die Vergebung voraussetzt, aber nicht durch die ernste Stimmung bei der Beichte überdeckt werden soll. Damit hat aber die Beichte einen eigenen Stellenwert erhalten, sowohl die Einzelbeichte wie auch der Beichtgottesdienst.

Die Beichte hat ihren eigenen Sinn. Die römisch-katholische Kirche übt einen gewissen Druck auf ihre Gemeindeglieder aus, daß sie wenigstens einmal im Jahr zur Einzelbeichte gehen. Und dabei kann es vorkommen, daß ein Mann auf den Priester schimpft: „Meine Frau hatte gar nicht so viel zu beichten, aber er hat sie als Lügnerin niedergemacht, weil er sie einer anderen Frau verwechselte!“

Fragen muß man sich allerdings: „Woher weiß die Frau, daß sie gar nicht viel zu beichten hat?“ An sich gibt es bei jedem viel zu beichten, es muß ihm auch das vergeben werden, wo-­ ran er im Augenblick gar nicht denkt oder was er vergessen hat. Bei einer allgemeinen Beichte ist das alles eingeschlossen. Aber wir sollten nicht meinen: Wir sind keine Katholiken, wir brauchen nicht zu beichten!“ Beichte tut not. Aber sie ist – wie gesagt – ein großartiges Angebot an jeden, der glaubt.

 Zum einen müssen wir uns selber von der Sünde scheiden, aber wir haben uns auch um unsere Mitchristen zu bemühen und gemeinsam eine Verbindung zu dem Vater zu suchen.

 

1.  Von der Sünde scheiden:

Es könnte unter uns welche geben, die nicht anerkennen, daß sie auch Sünder sind. Aber christliches Leben ist immer ein Verlassen des Vergangenen und das Streben nach dem, was vor uns liegt. Wer das aber nicht einsehen will, für den gibt es seit Anfang der Kirche das Instrument der sogenannten „Kirchenzucht“. Modell dafür war die Art Jesu. Wie er der Sünde im Kreis der Seinen widerstand und wie er mit dem Schuldiggewordenen umging. Er hat die Verirrten nicht ihrem Schicksal überlassen, sondern wollte sie wiedergewinnen unter dem Vorzeichen der Vergebung Gottes. Dieses ist auch das Ziel der Kirchenzucht.

Aber ihre Aufgabe kann es nicht sein, eine perfekt heilige Gemeinde zu schaffen. Das haben radikal-christliche Gruppen versucht, die dann abgeglitten sind in die Alleinherrschaft eines angeblich allwissenden Gemeindeleiters. Schon Martin Luther aber hat gesagt: „Ich hätte auch gern eine vollkommene Gemeinde ernster Christen gehabt, aber ich habe nicht die Leute dazu!“

Bei uns allerdings besteht kaum die Gefahr, es mit der Kirchenzucht zu weit zu treiben. Sie gilt eher als etwas Veraltetes, das noch aus der Zeit herkommt, als die Kirche von den Herr­schenden auch zur Disziplinierung der Untertanen benutzt wurde. Außerdem fürchten wir natürlich auch, daß die Menschen wegbleiben, wenn wir uns nicht scheuen, gegen eine offensichtliche Sünde vorzugehen. Gerade heute kommt es doch auf jeden Einzelnen an, der „noch“ zur Gemeinde gehört. Doch andererseits wird die Gemeinde uninteressant, wenn sie jedes in ihrer Mitte gelten und bestehen läßt.

Doch Ziel der Kirchenzucht kann es nicht sein, durch gesetzliche Maßnahmen den Willen Gottes durchzusetzen. Noch viel weniger kann sie dem letzten Gericht Gottes vorgreifen und nur Vollendete schaffen wollen. Es geht aber darum, daß die Gemeinde sich nicht mit der Sünde abfindet, sondern nach Kräften von der Sünde scheidet.

Das Evangelium macht uns frei, in unserem eigenen Leben und in dem der Gemeinde so weit wie möglich mit der Sünde aufzuräumen. Wenn Christus unter uns ist, dann reimt sich dazu vieles nicht, was leider unter uns anzutreffen ist. Gott darf aber nicht vor der Welt blamiert werden. Deshalb muß es ein Anliegen der ganzen Gemeinde sein, gegen die Sünde vorzugehen. Der Kampf gegen die Sünde darf nicht einem jeden selbst überlassen bleiben, sondern es geht die Gemeinde an, wie in ihr gelebt und gedient wird.

 

2. Um den Mitmenschen bemühen:

Jesus macht es uns zur Pflicht, sich um den Mitmenschen zu bemühen. Doch Mancher könnte das als Einmischung in seine höchst persönlichen Angelegenheiten ansehen. Er will vielleicht auch das Schwierigste in seinem Leben mit sich allein abmachen. Man muß aber auch bereit sein, Kirchenzucht anzunehmen – oder sagen wir lieber besser: Seelsorge anzunehmen.

Nur muß dieses Bemühen „auf Jesu Weise“ geschehen. Der andere ist ja vielleicht nur verunglückt, vielleicht ist er nur gefährdet. Und der Seelsorger ist als Mitmensch und Mitchrist natürlich auch ein Sünder, das darf man nicht vergessen.

Die frühe christliche Gemeinde hat dazu ein Modell gefunden: Schon ein ernstes Gespräch unter vier Augen kann etwas fruchten. Wenn das nicht reicht, zieht man noch einen oder zwei aus der Gemeinde hinzu. Notfalls muß man es aber auch der Gemeinde sagen. Hört er aber auch auf die nicht, dann muß man sich von ihm trennen. Aber immer geht es darum, daß man nicht auf Kosten des in Sünde Gefallenen handelt, sondern zu seinem Besten.

Maßnahmen kirchlicher Zucht können nur getroffen werden in der Absicht, dem anderen die Gefahr deutlich zu machen und ihn zur Kursberichtigung zu bewegen, damit die Maßnahmen möglichst bald aufgehoben werden können. Vielleicht muß man dabei aber auch einmal rigoros vorgehen wie jener Pfarrer, der einem Sterbenden, der sich nicht mit seinem Bruder aussöhnen wollte, einfach sagte: „Ich werde am Grab nicht das Vaterunser beten, denn die fünfte Bitte wäre ja wie ein Hohn!“ Man kann ja nicht bitten „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“, wenn man nicht bereit ist, nicht einmal dem leiblichen Bruder zu vergeben. Da begriff der Sterbende, was zu tun sei.

 

3. Gemeinsam eine Verbindung mit dem Vater suchen:

„Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen!“ Jetzt geht es um das gemeinsame Gebert in der Gemeinde. Wenn diese sich einig ist, dann wird ihr viel gelingen. Und was auf Erden geschieht ist deshalb wichtig, weil es auch im Himmel gilt. Aber Gott beugt sich nicht etwa dem Spruch eines Menschen, sondern dieser Mensch ist sein Werkzeug, wenn er einen anderen von der Schuld freispricht.

Das Beten steht unter der Verheißung, daß das Erbetene uns auch widerfahren soll. Aber das Gebet kann nur in Jesu Namen geschehen, es ist immer von ihm umschlossen. Das bewahrt uns vor törichten Bitten. Aber wenn wir am Sonntag im Gottesdienst das Fürbittengebet sprechen, dann nehmen wir an der Fürbitte Jesu teil.

So ist dieser Bibeltext, der sich zunächst sehr nüchtern anhört, eine große Einladung. Angeboten wird uns unendlich viel mehr, als wir je in Anspruch genommen haben. Aber vielleicht greifen wir in Zukunft entschlossener zu. 

 

 

Mt 18, 21 – 35 (22. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Mann zu zwei Jahren und zehn Monaten Gefängnis verurteilt, weil er mehrfachen Betrug verübt hatte, um an Geld zu kommen. Er war Inhaber einer kleinen Firma, die schon öfter Waren an eine Firma in Bayern geliefert hatte. Es bestand also eine vertrauensvolle Geschäftsbeziehung, die der Betrüger ausnutzte: Er schickte einfach eine Rechnung an die Firma, ohne einen Auftrag erhalten zu haben und natürlich auch ohne etwas geliefert zu haben. Die Buchhaltung der Firma bezahlte auch prompt. Danach schickte der Mann wieder einmal zwei echte Rechnungen, danach aber wieder eine falsche Rechnung. Mit der Zeit wurden diese falschen Rechnungen höher und kamen in immer kürzeren Abständen. So erschwindelte sich der Mann in zehn Monaten 60.000 Euro, bis der Betrug - wie zu erwarten war - bei einer Innenrevision aufflog.

Der Mann hat dann wieder eine andere Firma gegründet. Aber die wirft so wenig ab, daß er niemals die Schuld wird zurückzahlen können. Nach unserer Rechtsordnung kommt man in einem solchen Fall ins Gefängnis, bleibt aber dennoch lebenslang zur Wiedergutmachung verpflichtet. Das ist auch gut so: Wir brauchen für unser Zusammenleben eben bestimmte Regeln.

Bei Gott aber ist das anders. Wenn er uns nach Recht und Gesetz verurteilen würde, dann wären wir alle dran. Dann müßte es uns so gehen, wie am Schluß des Gleichnisses beschrieben: „Wir müßten den Folterern übergeben werden, bis wir alle Schuld bezahlt hätten“, das heißt aber: „Auf ewig.“. Doch das ist nicht der Sinn des Gleichnisses: Es will nicht einschüchtern und abschrecken, sondern es zeigt die Übermacht der Gnade und des Erbarmens Gottes. Er ist anders als die Menschen, aber er möchte, daß die Menschen sich an seinem Vorbild ausrichten. Deshalb erwartet er von uns eine grenzenlose Vergebung für unser Mitmenschen, weil wir erstens selbst darauf angewiesen sind und zweitens weil wir auch selbst damit beschenkt werden.

 

(1.) Wir sind selbst auf Vergebung angewiesen: Es geht hier nicht um die Kleinigkeiten, mit denen mein Mitmensch mich im täglichen Leben ärgert. Es geht um die Dinge, unter denen ich wirklich leide, das was schmerzt und wurmt und mich fertigmacht. Vielleicht ist der andere daran schuld, daß ich meine Arbeitsstelle verloren habe. Oder er hat meine Ehe zerstört oder mich wirtschaftlich ruiniert.

Und da meint Petrus: „Wenn ich in einem solchen Fall siebenmal vergebe, dann habe ich doch eine Engelsgeduld, dann mußt du, Jesus, doch mit mir zufrieden sein!“ Nach der Lehre der jüdischen Schriftgelehrten sollte man zwei oder dreimal vergeben, und zwar immer wieder im gleichen Fall, also zum Beispiel, wenn die gleiche Person mich immer wieder um Geld betrogen hat. Die jüdischen Denker fragten immer nach der Grenze und wollten eine bestimmte Zahl wissen. Aber Jesus sagt: „Unendlich, grenzenlos!“ Es geht nicht um die Quantität, sondern um die Qualität.

Wir leben überhaupt nur von der grenzenlosen Vergebung. Darum ist es sinnlos, Sünde mit der Elle zu messen oder in Mark und Euro zu beziffern. Wer fragt, wie oft er vergeben soll, der sieht das Vergeben als den Ausnahmefall an. Jesus aber sagt: Vergebung ist der Regelfall. An die Stelle der Ansprüche tritt die Ordnung der Barmherzigkeit.

Konflikte können ja auch schicksalhaft sein: Vielleicht hat der andere etwas getan, von dem er gar nicht wissen konnte, daß er mich damit verletzt. Vielleicht ist er Opfer einer Verführung geworden. In manchen Fällen erkennen wir auch leicht eine Bosheit, wo gar keine ist, wir sehen Feindseligkeit, wo es sich nur um Ungeschick handelt. Die Sünde der anderen sehen wir groß und deutlich, für die eigene aber sind wir blind. Deshalb ist Duldsamkeit gar nicht so falsch.

Der Mann in dem Gleichnis hat nichts gelernt. Machen wir uns nur einmal die Verhältnisse deutlich, die hier vorausgesetzt werden. Der Mann muß Statthalter einer Provinz gewesen sein, um so eine ungeheure Summe unterschlagen zu können. Jetzt ist die Sache herausgekommen und er muß vor den Großkönig treten und wird zur Rechenschaft gezogen. Es ist ganz klar: Er wird den Schaden nie wieder gut machen können, auch wenn er weiter Statthalter sein sollte. Das Urteil zu damaliger Zeit konnte nur sein, daß er mit seiner ganzen Familie zum Sklaven gemacht wird: Eine Katastrophe für ihn und seine Angehörigen!

Keiner von uns ist in der sicheren Position der Überlegenheit und Unangreifbarkeit, aus der heraus er mit seinem Mitmenschen ins Gericht gehen könnte. Wir sind alle solche, die eigentlich verspielt haben. Was auch immer zwischen meinem Mitmenschen und mir vorgefallen sein mag, ich bin selbst einer, der auf Vergebung angewiesen ist. Ich meine, mit einem anderen abrechnen zu können, und befinde mich grundsätzlich in der gleichen Lage wie er. Jesus meint sogar, ich täte gut, meine Schuld als die unvergleichlich größere anzusehen.

Als der König dem Statthalter die Riesenschuld erließ, hat er ihn vom Standort des Rechts auf den Standpunkt der Gnade gestellt. Der Statthalter aber hat ohne Erbarmen gegenüber dem Untergebenen wieder den Standpunkt des Rechts eingenommen. Bei wem aber einmal Gnade vor Recht ergangen ist, der steht auf einem ganz anderen Boden. Wer dann noch mit einem anderen abrechnen will, hat man den Boden der Barmherzigkeit und der Vergebung wieder verlassen und ist auf den Boden des Rechts zurückgekehrt. Es genügt nicht, siebenmal eine Ausnahme zu machen und durch die Finger zu sehen, aber ansonsten darauf zu pochen, daß Recht doch Recht bleiben müsse. Wer auf das Recht pocht, dem widerfährt auch nur das Recht und nicht die Barmherzigkeit.

 

(2.) Ich bin selbst mit Vergebung beschenkt: Worauf es Jesus eigentlich ankommt, das ist die grenzenlose Vergebung. Diese bin ich meinem Mitmenschen schuldig, weil ich doch selbst damit beschenkt bin. Allerdings läßt Jesus die Schuld nicht einfach auf sich beruhen, so als sei sie etwas Vergangenes, über das man nicht mehr redet. Da ist schon etwas zu beheben und auszuräumen. Deshalb bitten wir ja im Vaterunser: „Vergib uns unsere Schuld!“

Schuld vergeben kann nur Gott. Er ist wie der orientalische König in dem Gleichnis, dem die Lage seines Statthalters durch und durch geht. Er schenkt dem Mann die Freiheit, und dieser braucht nicht einmal die Schuld zu erstatten. Doch es bestehen Unterschiede: Bei Gott geht es nicht nur um eine Geld-Schuld. Und Gott redet nicht nur vom Erbarmen und macht nicht nur eine großzügige Geste, sondern bei ihm hat sich das Erbarmen ereignet: In Jesus hat er das Werk der Barmherzigkeit zu Ende gebracht, denn die Vergebung kostete seinen Sohn Jesus das Leben.

Das aber gibt uns Kraft, weil aus Gottes Vergebung unsere eigene Vergebung erwächst. Jetzt leben alle in dem „Raum“, in dem die unvorstellbare große Barmherzigkeit Gottes wirksam und kräftig wird. In der christlichen Gemeinde haben wir eine gute Erfahrung mit Gott gemacht. Und diese Erfahrung tragen wir nun in alle Welt hinaus. Jetzt setzt sich in dem anderen fort, was sich bei mir selbst ereignet hat. Aber Gottes Vergeben und mein Vergeben gehen dabei nicht parallel, sondern mein Vergeben erwächst aus dem Vergeben Gottes. Jetzt bin ich auf einen Standort gestellt, an dem das Nichtvergeben schlechterdings nicht mehr möglich ist. Dadurch bekomme ich einen ganz neuen Zugang zu meinen Mitmenschen. Das Klima unter uns ist von Gottes wunderbarer Großzügigkeit bestimmt.

Wer Jesu Schüler ist, hat von Jesus das Vaterunser gelernt, in dem es heißt: Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Das heißt aber doch: Erst wenn wir unserm Mitmenschen vergeben haben, können wir es auch wagen, Gott um Vergebung zu bitten. Daß wir ihn aber um die Vergebung der viel größeren Schuld bitten dürfen, das macht uns das heutige Gleichnis klar. Unsere Mitmenschen sollen sehen, daß wir Beschenkte sind. Sie sollen Vertrauen zu uns fassen, sollen gerne zu uns kommen und fröhlich wieder von uns weggehen. Etwas von dieser Erkenntnis soll zum Schluß noch einmal an zwei Beispielen deutlich machen:

Im Kindergottesdienst hatte ein Junge immer wieder gestört. Er wurde mehrfach ermahnt, aber es wurde nicht besser. Schließlich wurde er aus der Gruppe herausgeschickt. Da fing er an zu jammern und wollte gern bleiben. Aber die Leiterin ließ sich nicht erweichen. Da sagte der Junge: „Sie sind ja unbarmherziger als der Papst!“ Es ist nicht klar, weshalb der Papst unbarmherzig sein soll. Aber jedenfalls hatte der Junge keinen Erfolg bei der Leiterin, es blieb bei dem Ausschluß. Allerdings war es nur für diesen Tag, denn Strafe muß sein, aber es war natürlich nicht für immer. Letztlich hat die Barmherzigkeit gesiegt bzw. die verhängte Strafe war auch ein Teil der Barmherzigkeit.

Zwei Jungen waren bei den Großeltern zu Besuch. Der Große hatte sicher die Hoffnung, daß sie nichts von den Eltern verhängte Strafe wüßten. Er erzählte auch freimütig, daß er im vorigen Monat 14mal in der Schule Arbeitsmittel oder Hausaufgaben vergessen hatte. Als ihm die Großeltern aber sagten, daß die Eltern deswegen ja die vier Wochen Fernseh- und Computerverbot über ihn verhängt hatten, da klappte doch die Kinnlade etwas herunter. Sie machten unmißverständlich deutlich, daß dieses Verbot auch bei ihnen gilt. Aber sie haben dann doch mit den Eltern verhandelt, weil sie die Dauer der Strafe für etwas zu hoch hielten (die Konfirmanden werden zustimmen). Da haben die Eltern doch die Strafe etwas herabgesetzt, vielleicht auch, weil sie selber inzwischen zu der Erkenntnis gekommen sind, daß sie im ersten Moment etwas zu streng waren. Im menschlichen Bereich muß man oft streng sein. Aber im Licht Gottes gilt auch die Barmherzigkeit.

 

 

Mt 20, 1- 16 (Septuagesimä):

Es gibt sicher auch in unserer Gemeinde Leute, die können wir nicht leiden. Die einen sind persönlich unausstehlich, die anderen haben uns beleidigt, wieder andere sind nur von Anderswoher zugezogen, die eine Familie war schon immer verachtet, die andere hat sich erst neuerdings etwas zuschulden kommen lassen. Alle rücken sie etwas ab von diesen Menschen und wollen möglichst wenig mit ihnen zu tun haben.

Aber nun gehören auch die zur Kirchengemeinde und haben in ihr die gleichen Rechte. Sie haben auch die gleiche Verheißung wie all die anderen: „Wer zu Gott gehören will, der darf auch bei ihm sein!“ Gott nimmt sich gerade der Verachteten und Ausgestoßenen an. Das hat schon die Menschen zur Zeit Jesu geärgert und wir ärgern uns auch darüber.

Wir, die guten Kirchengänger, stehen immer in der Gefahr, auf die anderen herabzusehen, die es halt nicht so ernst nehmen. Aber auch die tauchen dann einmal auf und lassen ihr Kind taufen und auch die werden kirchlich beerdigt. Wo wollte man auch eine Grenze machen zwischen wirklichen Christen und Mitläufern? Natürlich gibt es eine äußere Grenze: die Zugehörigkeit zur Kirche. Aber wer dazu gehört, der gehört auch voll und ganz dazu. Wir können da nicht noch Unterteilungen machen.

Luther hat einmal erwogen, ob er nicht einen besonderen Gemeindekern sammeln soll: Menschen, die täglich mit ihm den Gottesdienst feiern und „die mit Ernst Christen sein wollen“. Aber er mußte es enttäuscht aufgeben: „Ich habe die Leute nicht!“ sagte er. Das wird auch wohl immer so bleiben. Es gibt keine Kerntruppe, auf die man sich in jedem Fall verlassen könnte.

Unsere Gemeinde besteht nicht aus vielen Ringen, die um einen festen Kern gelagert sind. Sie gleicht vielmehr einem großen Kreis, in dem jeder die gleiche Bedeutung hat. Gott macht keine Unterschiede zwischen den Eifrigen und den Gleichgültigen. Da können wir auch keine machen.

In Kindergottesdienst ist vielleicht einer, der durch seine Unruhe die ganze Gruppe verdirbt; aber wir werden nicht einfach so mit ihm fertig, indem wir ihn ausschließen. Oder zum Jugendabend kommt einer, der nur Unsinn macht; aber auch er ist mit eingeladen und gehört mit dazu.

Wenn an Weihnachten jemand im Gottesdienst auftaucht, der sonst nie kommt, dann können wir nicht sagen: „Du bist sonst nicht da, da brauchst du auch heute nicht zu kommen!“ Es kommt mancher zur (gelegentlich) zur Kirche, von dem die regelmäßigen Kirchgänger sagen: „Der kommt doch nicht!“ Und es gehört mancher zur Kirche, von dem es die anderen nicht erwartet haben. Für manche ist dann das Erstaunen groß.

Unser Gott ist eben anders, als unsere Moral und unsere Vernunft sich das wünschen. Aber das ist auch unser Glück. Denn wenn nur die Moralischen und Anständigen zu Gott gehören dürfen, dann wären wir alle nicht mit dabei. Aber zu dieser Einsicht muß man zunächst einmal kommen.

 

Zunächst würden wir doch sagen: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ und: „Jedem nach seiner Leistung!“ „Welche Firma könnte denn am Lohntag so verfahren wie in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg bzw. dem „Gleichnis vom gütigen Arbeitsherrn“? Wenn es um das Gehaltskonto geht, versteht keiner Spaß. Wir schielen sowieso nach dem höheren Einkommen des Kollegen, dem schöneren Haus des Nachbarn, dem Kleid der Freundin, dem schnelleren Auto und der weiteren Ferienreise. Sehr schnell haben wir dann den Eindruck, wir seien im Leben zu kurz gekommen. Wir sehen noch ein, daß der Lohn nicht ganz hundertprozentig gerecht sein kann, dazu ist die Arbeit zu unterschiedlich. Aber wenigstens so einigermaßen soll es doch stimmen. Es muß doch eine gewisse Ordnung geben, sonst kann das Arbeitsleben nicht gedeihen.

Im Gleichnis aber passiert etwas Empörendes: Zuerst erhalten die Zuletztgekommenen ihren Lohn, mit voller Absicht. Sie erhalten einen vollen Tageslohn, der damals aber nicht mehr als das Existenzminimum war. Alle denken sie: Das ist aber ein ehrenwerter Arbeitgeber. Er stellt großzügig diejenigen gleich, die erst später Arbeit gefunden haben. Sie haben sich den ganzen Tag über ohne Erfolg um Arbeit bemüht. Jetzt aber erhalten sie den gleichen Lohn wie diejenigen, die schon eher das Glück hatten, eine Arbeit zu finden.

Die anderen denken natürlich: Wenn die schon zehn Euro für eine Stunde kriegen, dann werden wir wohl 120 für unsere 12 Stunden Arbeit kriegen! Wenn schon Großzügigkeit, dann erst recht für die diejenigen, die sich den ganzen Tag über schwer geplagt haben. Aber ihre Gesichter werden lang, als sie auch nur genau so viel erhalten wie die anderen. Das ist doch ungerecht. „Unsere Arbeit wird nicht geachtet“ denken sie. Der weiß ja überhaupt nicht, was Arbeit ist! Da werden wir morgen auch erst gegen Abend kommen und noch ein Stündchen mitarbeiten, unseren Lohn kriegen wir ja so und so.

Aber wer sagt denn, daß es am nächsten Tag wieder Arbeit geben wird? Wer sagt denn, daß dann wieder so ungewöhnlich verfahren wird? Dieser Herr kann mit seinem Geld machen, was er will. Er kann es natürlich auch verschenken. Aber man kann nicht darauf spekulieren, daß er es tun wird. Er ist ja auch nicht vertragsbrüchig geworden. Er hat jedem sein Recht zuteilwerden lassen. Keiner hat weniger erhalten, als ausgemacht war. Aber die anderen denken doch: „Anständig war das nicht von dem Arbeitgeber, die mehrfache Arbeit hätte er wenigstens doch ein klein wenig anerkennen müssen!“

Nun ist das Gleichnis natürlich ein Bild für Gottes Handeln. Ist Gott etwa ein Gott der Willkür? In dem Wort „Willkür“ liegt eine Kritik. Diese dürfen wir aber nicht üben, weil wir selber diesem Gott ja alles verdanken. Wir haben ja nicht auf dem Markt einen Vertrag mit ihm geschlossen, sondern wir sind alle Schuldner Gottes, die niemals das geleistet haben, was sie im Weinberg Gottes hätten leisten können.

Deshalb sollten wir lieber von der Freiheit Gottes reden, der mit dem Seinen tun kann, was er will. Seine „Urgerechtigkeit“ hat etwas Beglückendes an sich. Seine Freiheit wird an seiner Güte sichtbar. Er setzt sich auch für die ein, die kein e Verdienste haben. Er ist eben Gott und nicht ein Mensch.

Wir verstehen so etwas nicht immer. Stellen wir uns folgenden Fall vor: Da hat einer die Kirche in einer schwierigen Zeit verlassen, vielleicht weil er das Geld sparen wollte. Als er aber alt geworden ist, will er wieder eintreten. Werden da nicht viele sagen: „Erst hat er uns im Stich gelassen, jetzt braucht er auch nicht mehr zu kommen!“ Sie zählen dann auch gern ihre Verdienste auf und gehen mit ihnen hausieren: „Schon der Großvater war im Kirchenvorstand

und wir haben immer etwas für die Kirche gegeben. Da kann doch jetzt nicht ein anderer kommen und sich auf meinen Platz in der Kirche setzen!“

Dabei wäre es doch sehr viel schöner, wenn wir auch einen sehr spät Gekommenen freundlich einladen, zu uns hereinzukommen. Sie sollen sich doch mit uns über die Güte und Gnade Gottes freuen. Die „Altgedienten“ brauchen deshalb noch nicht zu fürchten, sie könnten zu kurz kommen. Vielleicht haben sie auch manches Wertvolle, das ihn en vor den Füßen lag, als unbrauchbar verworfen. Sie werden vielleicht auch noch das erlangen, was mehr ist als die Last und Hitze des Tages. Aber auch das wäre nur ein Geschenk Gottes.

Natürlich ist es betrüblich, wenn einer sagt: „1ch habe ja noch Zeit. Die Kirche ist doch kein Frosch, sie hüpft nicht weg. Wenn ich alt bin, ist immer noch Zeit dafür!“ Es könnte aber auch einmal schnell zu spät sein, dann wird abgerechnet und ausgezahlt. Aber natürlich wird Gott dann nicht fragen, ob einer bei seinem Tode der Kirche angehörte oder nicht. Gott fragt aber danach, ob einer Glauben gehabt hat oder nicht. Allerdings fragt er nicht danach, wie lange dieser Glaube gedauert hat oder warum er sich erst im letzten Augenblick eingestellt hat.

Keiner von uns hat das Recht, herablassend auf andere in der Kirche herabzusehen. Es gibt in ihr manche, deren bisheriger Lebensgang und deren Lebensweise den Vorstellungen von einem Christen nicht entsprechen. Da gibt es Kirchenfremde, denen kirchliche Traditionen völlig ungewohnt sind und die vielfach auch mit einer Riesenlast von Enttäuschungen und Vorurteilen gekommen sind. Denken wir etwa an Menschen, die über ihren Ehepartner erst zur Kirche gestoßen sind. Sie werden doch leicht meinen, unseren Vorsprung könnten sie nie auf holen. Aber sie haben natürlich auch eine Chance.

Wir sind immer geneigt, unser Verhältnis zu Gott in einem Lohnverhältnis zu sehen: „Wer viel für Gott getan hat, den wird er auch dafür belohnen!“ Zumindest soll ein Teil der Belohnung selbst verdient sein, auch wenn Gott dann noch freiwillig etwas drauflegt.

Das Gleichnis aber sagt uns: „Das ganze Lohndenken ist falsch. Gott teilt nur Geschenke aus, auch an die, die es eigentlich nicht verdient hätten und die gar nicht wissen, wofür sie belohnt werden. Es kommt nicht auf unsere Tun und Entbehren, auf unseren Kampf und unsere Opfer an, sondern allein auf Gottes Güte!“ Es ist auch nicht so, wie es in einer jüdischen Legende heißt, die Letzten hätten in der einen Stunde mehr gearbeitet als die anderen am ganzen Tag. Bei Jesus hört alles Rechnen auf. Wir können nicht Gottes Lohnbuchführung nachrechnen, sondern wir sind im Grunde alle Zuletztgekommenen.

Natürlich sind die auch zu loben, die so lange gearbeitet haben. Aber wenn sie so ordentliche Leute sind, dann sollten sie doch auch den Herrn verstehen und sich auf seine Seite stellen, anstatt sich zu beschweren. Sie können sich doch nur darüber freuen, daß sie alle so gut wegkommen. Ohne die Güte Gottes kann keiner leben. Aber für alle, die Gott brauchen, steht die ganze Fülle der Güte Gottes bereit.

 

 

Mt 21, (12) 14 - 17 (Kantate: Variante 1)

In Marburg gibt es eine Blindenschule. Viele der Blinden gehen nachher auch auf die Universität und studieren. So gab es auch in den theologischen Vorlesungen und in der Studentengemeinde einige Blinde. Es ist manchmal beschämend für die Sehenden, wie sehr diese Menschen einen ganz anderen Blick haben für die Fragen, die uns wirklich angehen.

Ein Blinder schaut nach innen. Er wird nicht abgelenkt durch die vielen bildhaften Eindrücke, die heute auf uns einstürzen. Oft kann er eine Stunde dasitzen und dem Gespräch nur zuhören. Aber plötzlich findet er das entscheidende Wort, das alle erleuchtet. Manchmal könnte es nötig sein, daß w i r blind werden, damit wir Jesus sehen.

Vielleicht kennen Sie auch jemanden, der von Geburt oder durch einen Unglücksfall gelähmt ist und nun vielleicht ständig im Bett liegen muß. Viele werden da verbittert und wenden sich von Gott ab. Aber man kann auch durch das Leid nur noch näher zu Gott geführt werden. Die Blinden und Lahmen im Tempel gingen sofort zu Jesus, weil sie wissen, daß es nur dort für sie Hilfe gibt.

Von ihnen können wir viel lernen, auch wenn wir zur Zeit gesund sind. Unsre Gesundheit ist ein Geschenk für das wir nur immer wieder danken können. Wenn einer krank im Bett liegt, vielleicht sogar im Krankenhaus, dann macht er sich so seine Sorgen: „Was wird aus der Familie, wenn ich nicht bald wieder heimkomme? Kommen die Kollegen am Arbeitsplatz zurecht?“ Aber dann ist man gesund geworden und hat wieder Kraft für die Arbeit gewonnen. Ist das kein Grund zum Danken? Vergessen wir das nicht zu oft?

Die Blinden und Zahmen in Jerusalem haben es jedenfalls nicht vergessen. Sie hatten draußen vor der Tempeltür sitzen müssen. Weiter als bis zum Vorhof der Heiden durften Menschen mit solchen Gebrechen nicht kommen. Ihr Leiden galt als Strafe Gottes, sie waren Sünder in den Augen der Frommen. Deshalb durften sie nicht ins Heiligtum kommen.

Jesus aber nimmt den religiösen Makel von ihnen. Vor Gott gibt es keine Gebrandmarkten. Indem Jesus die Blinden und lahmen heilt, macht er sie tempelfähig und fügt sie in die neue Gemeinde ein.

Nachdem er den Tempel von Verkäufern und Geldwechslern gereinigt hat, zeigt er, wem der Tempel wirklich gehört und welchen Zwecken er zu dienen hat: „Mein Haus soll ein Bethaus sein!“ sagt Jesus. Da soll auch jeder dort beten dürfen, der es möchte.

Noch schöner wäre es gewesen, Jesus wäre mit den Blinden in den Tempel gegangen und hätte auch die Lahmen hineinschaffen lassen. Dann wäre deutlich geworden: Alle dürfen kommen, so wie sie sind! So aber paßt sich Jesus immer noch dem Schema des jüdischen Gesetzes an und schafft die Voraussetzungen, daß diese Menschen nach den geltenden Vorschriften das Recht zum Eintritt in den Tempel erhielten.

Doch für Jesus stehen noch andere Beweggründe im Vordergrund: Er möchte die Menschen von ihren Leiden und Gebrechen befreien. Damit möchte er nicht einen Tag länger warten. Die Heilungen sollen Vorzeichen der künftigen Zeit sein, in der Krankheit und Tod überwunden sein werden. Diese Menschen haben doch die Heilung nötig und sie haben auch Gott besonders nötig. Vor allem soll auch ihre Schuld von ihnen genommen werden, die sie ja auch hätten, wenn sie nicht krank wären. All diese Dinge machen das Handeln Jesu so dringend nötig.

Für die Geheilten kommt es auch nicht so sehr darauf an, daß sie nun auch einmal in den Tempel dürfen. Gottes Gegenwart war für sie nicht mehr an den Tempel und seine Einrichtungsgegenstände gebunden. Sie gingen nicht in den Tempel, sondern sie gingen zu Jesus, der

jetzt für sie die Gegenwart Gottes bedeutete. Sie haben gelernt: Trotz allem, was uns von Jesus fernhalten will: Wir dürfen zu ihm kommen und dürfen ihn loben!

Das gilt auch für die Kinder, die plötzlich im Tempel sind und laut rußen: „Hosianna, dem Sohne Davids!“ Kinder sind nicht immer wohlgelitten im Gotteshaus. Wenn sie zu klein sind kann man nicht erwarten, daß sie die ganze Zeit still sind, da sind sie einfach überfordert. Von einem Konfirmanden allerdings soll man das erwarten können. Aber wenn einmal ein Kind im Gottesdienst laut dazwischen spricht, ist das kein Unglück.

Kinder sollen frühzeitig an das Gotteshaus und den Gottesdienst gewähnt werden. Sie haben oft eine viel unmittelbarere Beziehung zum Glauben, als es die Erwachsenen haben können. Da können wir oft sogar noch von ihnen lernen. Auch im Bekenntnis sind sie oft mutiger. Da wollte doch eine Lehrerin eine außerschulische Veranstaltung auf die Zeit legen, in der eine kirchliche Veranstaltung ist. Kinder sagten: „Das geht nicht, da haben wir was bei der Kirche!“ Daraufhin fragt die Lehrerin: „Glaubt ihr da etwa dran?“ Ein Mädchen meldet sich: „Ich glaube dran und meine Eltern auch!“

Es ist doch schön, wie die Kinder hier ihren Mann gestanden haben. Auch in der Familie kann es so gehen, daß das zweijährige Töchterchen beim Mittagstisch sagt: „Erst beten!“ weil sie das bei den Nachbarn gesehen und gelernt hat.

Das Bitten und Danken gehört aber nicht nur zu dem sogenannten Kinderglauben, den man spätestens mit der Konfirmation abtut. Wenn wir verständiger geworden sind, können wir doch die Werke und Gaben Gottes besser verstehen und achten. Was die Kinder unbewußt tun, das sollten wir in Mündigkeit vollziehen.

Sicher haben die Kinder im Tempel nur etwas nachgeahmt, was sie gehört hatten. Wahrscheinlich haben sie nicht verstanden, was sie gerufen haben, konnten es noch gar nicht verstehen, sie waren ja noch Unmündige. Aber der Glaube hat immer die Gestalt, die dem persönlichen Reifegrad entspricht. Der Glaube des erwachsenen Menschen will im Glauben und Denken verankert sein.

Kinder glauben anders. Aber auch sie g l a u b e n natürlich. Jesus mißt das Kind nicht am Erwachsenen. Im Gegenteil meint er: Die Erwachsenen müßten werden wie die Kinder, wenn sie ins Reich Gottes gelangen wollen. Das Schreien der Kinder muß nicht nur aus Lust am Schreien geschehen. Das griechische Wort für „schreien“ wird sonst verwendet, wenn Kranke nach Heilung rufen oder die Jünger Jesu in Seenot sind. Hier aber kann es auch ein Rufen im Heiligen Geist sein, denn die Kinder sagen ja die Wahrheit.

Sie haben den „Hosianna-Ruf“ beim Einzug Jesu in Jerusalem gehört. Nun machen sie es im Tempel nach, als sie Jesus wieder sehen. Ist das nun Spiel oder Ernst? Aber wer so fragt, versteht nichts von Kindern: Ihr Spiel i s t Ernst. Im Spiel setzen sich die Kinder auf ihre Weise mit der Welt auseinander und eignen sie sich an. Aber wer weiß, wieviel Glaubenserkenntnis auch schon hinter diesen nur übernommenen Worten steckt?!

Wir sollten wieder entdecken, daß unser Christsein nicht nur durch das bewußte Durchdenken und Annehmen entsteht. Auch die Gewöhnung, Einübung und Nachahmung spielt eine große Rolle. Brauchtum und Sitte haben prägende Kraft. Das ganze Atmosphärische gehört mit dazu. Vielleicht hat mancher vom Religionsunterricht und vom Konfirmandenunterricht kaum Einzelheiten behalten. Aber er erinnert sich daran: „Da wurde etwas Wichtiges besprochen. Da wurde ich ernst genommen. Da wurde mir ein ganz anderer Weg fürs Leben gezeigt, der mir bis heute eine Hilfe geblieben ist!“

Die Vertreter der jüdischen Frömmigkeit können sich über das Verhalten Jesu nur ärgern. Nur ein paar Krüppel und ein paar Kinder laufen ihm nach. Sie rufen ihn zum Messias aus. Dazu haben sie kein Recht, das steht doch nur ihnen zu, den geistlichen Behörden. Wie kann man so einen Volksverführer „Messias“ nennen? Warum läßt sich Jesus das widerspruchslos gefallen?

Im Grunde ärgern sie sich nur, daß dieser Jesus mehr Anklang findet als sie. Sie versuchen ihn lächerlich zu machen: „Seht mal, nur Gesindel läuft ihm nach! Daß man auf ihr Urteil nichts geben kann, daß sieht man ja daran, daß sie auf ihn hereingefallen sind!“ Doch Jesus läßt sich nicht auf große Streitereien ein, er bleibt der Sanftmütige und geht hinaus nach Bethanien.

Jesus weiß, daß die Wahrheit so oder so an den Tag kommen wird. Er verweist auf den Psalm 8, der damals noch als messianischer Psalm galt: „Aus dem Munde der Unmündigen hast du dir Lob zugerichtet!“ Er als der unstudierte Zimmermannssohn beweist den Schriftgelehrten aus der Heiligen Schrift, daß die Kinder die Wahrheit gesagt haben. Die nach der allgemeinen Überzeugung noch nichts gelten, die rufen das Lob Gottes.

Auch wenn man jahrelang Theologie studiert hat, so ist man doch bei jeder Verkündigung auf den Beistand Gottes angewiesen. Doch wenn Gott sogar durch den Mund der Kinder sein Lob verkündigen läßt, dann wird er auch durch die Predigt jedem einzelnen von uns etwas zu sagen haben. Jede Predigt ist nur menschliches Wort. Aber Gott gibt uns die Verheißung, daß darin auch sein Wort enthalten ist.

Manche sagen: „In die Kirche gehen doch nur Kinder und alte Leute!“ Oft sieht es tatsächlich so aus. Solche Reden können wir nur widerlegen, wenn auch die mittlere Generation in großer Zahl zum Gottesdienst kommt. Nur wenn wir zahlenmäßig und innerlich stark sind, gelten wir auch etwas bei den anderen.

Aber gerade auch die Kleinen und Schwachen dürfen sich zu Gott bekennen. Jesus nimmt auch den Lobgesang der Unmündigen an. Es soll nicht Ersatz sein für Besseres, das man leider entbehrt. Alles ist vollgültiges Lob und Bekenntnis. Jesus erteilt uns die Erlaubnis, heute schon zu singen und zu loben, ohne Rücksicht auf Erfahrung und Stimmung und ohne Rücksicht auf die, die nicht mitsingen wollen. Vor Gott sind wir im Grunde alle unmündig. Aber gerade den Unmündigen gilt die frohe Botschaft Jesu. Wer das verstanden hat, dem dürfte es schwer werden, daraufhin n i c h t zu singen.

 

 

Mit 21, 14 -17 (Kantate, Variante 2):

Was rettet eigentlich unsere Kirche? Die einen versuchen, den Gottesdienst schön liturgisch auszugestalten, nach einer festen Ordnung und mit feierlichen Gewändern, um einen sicheren Raum in der Welt zu haben. Die anderen meinen, sie müßten gerade dort sein, wo die Welt ist: Sie mühen sich um die Gleichgültigen und Atheisten und merken dabei gar nicht, daß sie n u r noch bei der Welt sind, anstatt erst einmal die Gemeinde zu stärken. Wieder andere wollen die theologische Wissenschaft in die Gemeinde bringen, andere wollen ihre kirchenpolitische Richtung unbedingt zum Siege führen. Aber kann das alles die Kirche retten?

Die Hohepriester und Schriftgelehrten in Jerusalem standen vor einer ähnlichen Frage. Da war dieser Jesus von Nazareth unter Jubelrufen in die Stadt eingezogen. Er hatte die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel verjagt und eine große Unruhe hervorgerufen. Wenn er konsequent sein wollte - so wie es das Gesetz vorschrieb - dann mußte er auch die Blinden und Lahmen vertreiben, die ja in jener Zeit nur Bettler in Lumpen waren und nichts in dem schönen Tempel zu suchen hatten. Die Hohepriester glaubten, ihre Gottesgemeinde nur retten zu können, indem sie die alte Ordnung aufrecht erhielten.

Geht es uns nicht auch oft so, daß wir die gewohnte Ordnung in der Kirche beibehalten wollen? Von einem Konfirmanden kann man erwarten, daß er nicht während des Vaterunser­gebets mit seinem Nachbarn spricht.  Aber was gibt das für einen Aufruhr, wenn ein Klein­kind einmal den Gottesdienst stört oder etwa bei einer Taufe oder Trauung im Altarraum herumläuft. Ordnung muß sein, aber sie darf nicht kleinlich ausgelegt werden.

Wir müssen nicht fragen: „Was rettet die Kirche?“ sondern: „wer rettet die Kirche?“ Und darauf gibt es nur eine Antwort: „Nicht wir retten die Kirche, auch nicht die Kirchenleitung oder ein Pfarrer, sondern allein Gott!“

Daß nur Jesus retten kann, das wissen auch die Blinden und Lahmen.  Es ist manchmal beschämend für die Sehenden, wie sehr diese Menschen einen ganz anderen Blick haben für die Fragen, die uns wirklich angehen. Ein Bildner schaut nach innen, er wird nicht abgelenkt durch die vielen bildhaften Eindrücke, die heute auf uns einstürzen. Oft kann ein Blinder im Gespräch über Glaubensfragen eine Stunde dasitzen und dem Gespräch nur zuhören. Und plötzlich findet er das entscheidende Wort, das alle erleuchtet - weil er eben bei Jesus ist. Manchmal wäre es vielleicht nötig, daß wir blind werden, damit wir auch Jesus „ sehen“ können.

Wir kennen vielleicht auch einen Menschen, der von Geburt an oder durch einen Unglücksfall gelähmt ist und nun ständig im Bett liegen muß. Viele werden dann verbittert und wenden sich von Gott ab und murren über ihr Schicksal. Aber man kann auch durch Leid  nur noch näher an Gott geführt werden. Die Blinden und Lahmen gehen sofort zu Jesus, weil es nur dort Hilfe gibt. Von ihnen können wir viel lernen, auch wenn wir zur Zeit gesund sind. Unsere Gesundheit ist ein Geschenk, für das wir nur immer wieder danken können. Aber auch die Blinden und Lahmen sollen gesund werden: Jesus hat sie gesund gemacht. In Mt 11 steht ein Wort Jesu, das noch deutlicher die Heilszeit beschreibt, die mit Jesus gekommen ist: „Blinde sehen und Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Tote stehen auf und Armen wird das Evangelium gepredigt!“

Noch eine zweite Gruppe von Menschen wird hier erwähnt: die Kinder. Man lächelt ja manchmal über das, was so ein Kindermund plappert. Aber Vater und Mutter sehen sich betroffen an, wenn das zweijährige Töchterchen bei Tisch „Erst beten sagt:“ weil sie das bei den Nachbarn so gesehen und gelernt hat. Das Bitten und Danken gehört nicht nur zu unserem sogenannten Kinderglauben, den man spätestens mit der Konfirmation abtut. Gerade wenn wir verständiger geworden sind, können wir die Werke und Gaben Gottes besser verstehen und achten.

Das heißt aber nicht, daß der Kinderglaube nur ein halber Glauben ist. Matthäus will uns hier ja gerade sagen: Nur die Kinder haben gespürt, wer Jesus ist. Vielleicht haben sie nicht alles verstanden, was da beim Einzug in Jerusalem und bei der Tempelreinigung vor sich ging, aber sie rufen „Hosianna - Hilf uns“, weil dort der Davidsohn kommt, der verheißene Messias, der diese Welt heilen kann und wird. Bei Matthäus sind die Kinder häufiger ein Vorbild gegenüber den Erwachsenen, weil sie einfach und schlicht vertrauen. Die haben alles empfangen, deshalb loben sie Gott. Im Religionsunterricht kann man nur immer wieder staunen, welch tiefe Antworten von Kindern kommen. Sie können auch einmal unbesehen etwas hinnehmen, ohne gleich nach Beweisen zu fragen. Das ist oft eine Gefahr, weil sie allen Einflüssen hilflos ausgeliefert sind. Aber wir wissen auch, daß die Jugend heute kritischer geworden ist. Sie ruft nicht immer gleich „Hosianna“. Sie fragt, damit sie das, was sie glaubt, immer besser versteht.

Wir Erwachsenen können unseren Herzen nicht so schnell einen Stoß geben. Wir verlangen erst Beweise, so wie die Schriftgelehrten erst einen eindeutigen Beweis wollten, daß Jesus der Messias ist. Unsere heutige Zeit fragt nun einmal nach Beweisen. In der Naturwissenschaft gilt bei manchen nur, was immer wieder im Experiment bewiesen werden kann. Matthäus aber sagt: „Werdet wie die Kinder!“ Wir sollen deshalb nicht kindlich oder gar kindisch werden, aber vor Gott sind wir ja alle Kinder.

Den Hohepriestern und Schriftgelehrten ist das jedoch ein Dorn im Auge. Als die offiziellen Theologen des jüdischen Volkes wissen sie nach ihrer Lehre genau, daß die Krüppel und Kinder in Glaubensdingen nicht mitreden können. Sonst würden sie ja auch nicht so einen seltsamen Heiligen, der eher ein Aufrührer ist, wie einen König begrüßen.

Wir finden das auch bei den heutigen Theologen. Die wissen gleich über alles Bescheid: „So war das und so ist das zu verstehen!“ Aber im Laufe eines Theologiestudiums kann man lernen, wie sehr man sich um die Wahrheit der Heiligen Schrift mühen muß, ehe man vorsichtig ein Urteil fällen kann. Ein unstudiertes Gemeindeglied hat da oft Gedanken, die besser helfen als alle Bücher. Ein Theologe wird vielleicht manches anders formulieren, vorsichtiger und theologischer, aber wir haben doch den gleichen Herrn

Der Evangelist Matthäus will in diesen vier Versen einen typischen Zustand im Wirken Jesu schildern. Es wird ja nicht von einem besonderen Ereignis berichtet, sondern nur ganz allgemein gesagt: „Die einen rufen Hosianna, die anderen sind entrüstet.“ So ist das immer, wenn ein Bote Gottes das Evangelium verkündet. Hier muß eine Entscheidung gefällt werden, ob wir dem Wort Jesu aus vollem Herzen zustimmen oder schroff ablehnen.

Die Hohenpriester und Schriftgelehrten ärgern sich vielleicht nur, weil dieser Jesus mehr Anklang findet als sie, die sich doch für so fromm halten. Damit muß man auch rechnen, daß sehr selbstsüchtige Gründe hinter einer solchen Kritik stehen. Aber das wird natürlich getarnt durch die Frage. „Hörst du, was die sagen? Die bringen dich ja in Verruf, weil sie dich zum Messias machen wollen!“

Mit dem Hosiannaruf konnte man in Israel nur noch den verheißenen Messias aus dem Geschlecht Davids begrüßen. Sollte dieser Jesus von Nazareth, dem nur die Krüppel und Lahmen nachliefen, der erwartete neue König oder gar der Gottessohn sein? Wir wissen, daß dieser Anspruch zum Tode Jesus führte. Auch hier bleibt er ganz ruhig und antwortet: „Natürlich höre ich alles. Aber warum sollte ich es ihnen verwehren, sie haben doch recht!“  Der letzte Vers unseres Textes sagt wieder ganz schlicht: „Er ging hinaus nach Bethanien!“ Jesus läßt sich nicht auf große Streitereien ein, er bleibt der Sanftmütige. Er weiß, daß sein Weg in den Tod führt, aber er verzichtet auf seine Macht.

Man kann sich so richtig das Gesicht dieser klugen Männer vorstellen. Schriftgelehrte sind sie. Aber der unstudierte Zimmermannssohn beweist ihnen aus der Schrift, daß gerade aus dem Munde der Säuglinge und Kleinkinder das Lob Gottes ertönt. Natürlich können Säuglinge noch nicht sprechen, aber es ist klar, was gemeint ist: „Gerade die, die nach der allgemeinen Überzeugung nichts gelten, dienen dem Lob Gottes!“

Diese Aussage ist der Höhepunkt unseres Textes und eine große Verheißung für uns. Hier wird uns nämlich ein Geschenk gemacht: Trotz all unserer Schwachheit und Unwürdigkeit dürfen wir Gott loben, weil Gott es so will.

Geht es uns nicht immer wieder so, daß wir uns schwach und hilflos vorkommen wie ein Kind?  Auch wenn einer fünf Jahre lang Theologie studiert hat, dann wird ihm doch beklommen zumute, wenn es heißt: „Am nächsten Sonntag hältst du den Gottesdienst!“ Aber wenn Gott sogar durch Kinder sein Lob verkünden läßt, da wird er durch eine übliche Predigt im Gottesdienst jedem Einzelnen etwas zu sagen haben. Jede Predigt ist nur menschliches Wort, aber Gott gibt uns die Verheißung, daß darin auch sein Wort enthalten ist.

Genauso ist es, wenn wir im Alltag Gott loben sollen. Wie schwer fällt es uns, einem Außenstehenden zu erklären, was wir denn eigentlich glauben. Der Katechismus und einige Bibelsprüche sind wohl eine Hilfe, aber es wird heute ja mehr von uns verlangt. Man hat immer noch unausrottbare Vorurteile, die uns in Verlegenheit bringen. Da wird etwa gesagt: „In die Kirche gehen halt so ein paar alte Leute, die kann man gewähren lassen!“

Wir können solche Reden in der Tat nur widerlegen, wenn auch die mittlere Generation in großer Zahl zum Gottesdienst kommt. Nur wenn wir zahlenmäßig und innerlich stark sind, gelten wir auch etwas bei den anderen. Aber die kleine Zahl gilt auch etwas bei Gott. Gerade die Kleinen und Schwachen dürfen hier die Verheißung heraushören: „Aus dem Munde der Unmündigen wird Gott sich ein Lob bereiten!“ Die Erwachsenen in der Gemeinde müssen für die Unmündigen da sein. Welch segensreiche Kräfte können von einer Oma ausgehen, die für ihr Enkelkind betet und ihm von Jesus erzählt. Deshalb sollte man nicht abfällig über unsere Großmütter sprechen

Weil wir aber alle unmündige Kinder Gottes sind, wollen wir nur bei ihm in die Lehre gehen im Vertrauen auf seine Verheißung. Gottes Lob soll nun auch wieder in unseren Liedern ertönen, besonders am Sonntag Kantate. Wir haben allen Grund, Gott zu loben und ihm zu danken mit unseren Liedern.

 

 

Mt 21, 28 - 31 (11. Sonntag nach Trinitatis):

(1.) Einleitung: Ärger mit Handwerkern

Wenn man einen Handwerker braucht, gibt es manchmal Ärger. Er sagt: „Ich komme die nächsten Tage einmal vorbei!“ Aber es geschieht nichts. Ganz extrem ist folgender Fall: Ein Klempner sagt einer alten Frau: „Morgen komme ich ganz bestimmt!“ Und als sie wieder gegangen ist, fragt er seinen Gesellen: „Wer war denn das überhaupt?“ Natürlich muß man auch die Handwerker verstehen: Sie brauchen ein gewisses Auftragspolster; und da machen sie schon einmal eine Zusage, um den möglichen Kunden nicht zu verlieren Aber für den Kunden ist es ärgerlich. Wenn der Handwerker wenigstens sagte „Ich kann es nicht machen, ich bin ausgelastet!“ Dann würde man es gleich anderswo versuchen.

Aber es gibt auch den umgedrehten Fall. Der Handwerker sagt: „Ich kann jetzt noch nichts versprechen. Frag doch noch einmal in vier Wochen nach!“ Und nach drei Wochen kommt er dann und sagt: „Da ist etwas ausfallen, ich kann deine Sache jetzt gleich machen!“ Da freut man sich und ist zufrieden.

Doch meist ist es umgedreht: Da wird leichtfertig Ja gesagt, aber nichts erfolgt. So erlebt man es in der Familie, im Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz und auch in der Politik. Doch in dem Gleichnis Jesu geht es nicht so sehr um unsre schlechten Erfahrungen. Vielmehr schildert er Gottes schlechte Erfahrungen mit uns. „Arbeit im Weinberg“ ist im Neuen Testament ein fester Ausdruck für den Einsatz für die Sache Gottes.

 

(2.) Wer macht es richtiger: Der Jasager oder der Neinsager? An sich gibt es in diesem Beispiel ja vier Möglichkeiten. Keine Frage ist, daß es das Beste wäre, gleich „Ja“ zu sagen und dann auch entsprechend zu handeln. Aber auch wenn einer nein sagt und auch konsequent dabei bleibt, dann ist er wenigstens ehrlich und man kann ihn nicht unbedingt tadeln. Jesus greift nur die beiden anderen Möglichkeiten heraus, bei denen Reden und Tun überkreuz gehen. Welches Verhalten würden wir denn für das beste halten?     (Die Gottesdienstbesucher an dieser Stelle abstimmen lassen!)

Jesus zieht den vor, der zunächst „Nein“ gesagt hat, dann aber doch wieder anderen Sinnes wurde und doch die geforderte Arbeit gemacht hat. Aber er hat sicherlich auch seinem Vater weh getan. Wer „Nein“ sagt, belastet das Leben der Gemeinschaft auch. Vielleicht hat er befürchtet, daß es nicht bei der einmaligen Bitte bleibt. Wenn er erst einmal zögert, wird er vielleicht nicht so bald wieder gefragt. Man kann diesen Sohn schon verstehen.

Auch den anderen darf man nicht gleich verurteilen. Vielleicht hat er sich nur überreden lassen. Oder er hat Angst vor dem Vater gehabt, den er ja als „Herrn“ anredet (Hier war er nicht der Sohn, sondern der Untergebene seines Chefs). Wenn der Druck und die Angst wegfallen, dann läßt man es wieder laufen.

Diese beiden Söhne sind keine Musterschüler, sondern unvollkommene Menschen. Das bringt sie uns so nahe. Beide Möglichkeiten stecken auch in einem jeden von uns. Die Bibel drückt das so aus: Alle Menschen sind Sünder. Sie leben aber davon, daß Gott als der Vater auf sie zugeht, mit ihnen redet und etwas von ihnen erwartet. Welchem Sohn gleichen wir? (Wieder die Gottesdienstbesucher fragen)

Als Christen, die heute zum Gottesdienst gekommen sind, werden wir uns wohl zu dem Jasager rechnen. Wir haben immer wieder „Ja“ gesagt: Bei der Taufe haben es noch die Eltern und Paten versprochen, das Kind christlich zu erziehen. Bei der Konfirmation haben wir

als junge Menschen sowohl Gott als auch der Kirche die Treue versprochen (Konfirmanden ansprechen). Damals ging das Jasagen allerdings im Chor. Das ist viel leichter als nachher, wenn die vielen Entscheidungen des Alltags zu fällen sind. Da ist man allein, da muß jeder einzeln beweisen, ob er mit Gott leben will oder nicht.

Mancher sagt dann: „Da drinnen habe ich schon meinen Glauben, den kann mir niemand nehmen!“ Auch wenn ich nach außen „Nein“ sage, so sage ich doch innerlich „Ja“! Aber da drinnen vertrocknet der Glaube unheimlich schnell. Da geht es ihm wie einer Blume im Topf, die nicht mehr gegossen wird: Sie ist sehr bald hin und kann nur noch weggeworfen werden.

 

(3.) Wir sind keine Profi-Christen!

Mancher wird denken: Im „Weinberg Gottes“ sollen vor allem erst einmal die Pfarrer und die anderen hauptamtlichen Mitarbeiter der Kirche arbeiten. Dafür sind sie ja von allen anderen Verpflichtungen freigestellt worden. Sie werden dafür bezahlt, daß sie „Ja“ sagen und dann auch entsprechend handeln.

Man erwartet auch, daß dann gleich in der Öffentlichkeit etwas bewegt wird. In Privatsachen soll die Kirche sich nicht hineinhängen, siehe Abtreibungsfrage oder Sterbehilfe. Aber wenn die gleichen Privatleute etwas für sich erreichen wollen, dann soll die Kirche sie in der Öffentlichkeit unterstützen, siehe Sicherung der Arbeitsplätze oder Erhalt der Sozialleistungen. Daß die Kirche in 2.000 Jahren nichts erreicht habe, ist sicher nicht wahr. Der christliche Glaube hat in der Welt viel verändert. Und selbst wenn die Christenheit aus dieser Welt verschwände, würde die Menschheit noch lange davon zehren, was Gott durch seine Gemeinde bewirkt hat.

Die Christen waren immer eine Minderheit in der Welt. So lang war der Arm der Kirche nie, daß sie unsre Gesellschaft in die heile Welt Gottes hätte umgestalten können. Es kann auch nicht Aufgabe der Kirche sein, alles Unrecht in der Welt abzuschaffen, das wird allein Gottes Werk sein. Daß unsre Kraft nicht ausreicht, ist kein Neinsagen oder Nichtstun im Sinne des Gleichnisses.

 

(4.) Was wird hier getadelt, wer wird hier getadelt?

Jesus tadelt, daß man fromm redet und behauptet, damit schon den Willen Gottes getan zu haben. Dabei hat er die Pharisäer im Blick, die sich verpflichtet haben, besonders genau nach den Geboten Gottes zu leben. Sie wollen Gott wirklich gehorsam sein und sind der festen Überzeugung, freudig und ehrlich „Ja“ gesagt zu haben. Persönlich meinen sie es durchaus ehrlich. Aber dann werden sie doch zu Heuchlern. Vor allem wollen sie nichts mit Jesus zu tun haben. Das ist letztlich das entscheidende „Nein“ gegenüber Gott. Äußerlich stimmt alles. Aber in Wirklichkeit ist die Frömmigkeit nur Fassade, durch die man sich Gott entzieht. Aber sind wir nicht selber auch solche Pharisäer? „Ja“ gesagt hat man schnell, aber das Tun ist dann schwieriger, da werden wir wieder schwach: Wir sind nicht nur Versager, sondern auch Verlorene

Jesus hütet sich vor einem schnellen Verurteilen. Er sieht schon, wenn über den Menschen ein verhängnisvolles Schicksal kommt. Der einzelne Mensch ist immer auch in gesellschaftliche Zwänge eingebunden. In Notzeiten wird mancher zum Dieb, der sonst den Gedanken an Diebstahl weit von sich gewiesen hat. Wer ein unerträgliches Elternhaus hatte, wird leicht zum Schläger oder gar zum Terroristen.

Und wenn in einem Unternehmen Entlassungen angekündigt werden, dann ist sich jeder selbst der Nächste, dann will sich jeder selbst ins rechte Licht setzen und den anderen herabsetzen. Doch auch gegen diesen äußeren Zwang der Verhältnisse kann man angehen. Zur Zeit Jesu waren es die Zöllner und Huren. Die einen wollten Geld machen durch Betrug im wirtschaftlichen Bereich, die anderen durch Hinwegsetzen über moralische Normen. Doch auch sie haben eine Chance, zu Gott zu gehören, vielleicht sogar mehr als die äußerlich Frommen.

 

(5.) Wir haben alle eine Chance bei Gott!

Jesus hat nicht nur „Ja“ gesagt, sondern auch danach gehandelt. Sein Verhalten ist sozusagen der Rahmen für seine Gleichnisse. Durch sein Verhalten hat er anschaulich gemacht, was er in den Gleichnissen meinte. Deshalb hat er sich auch der Außenseiter angenommen, hat sie nicht abgeschrieben, sondern ernstgenommen.

Dadurch hat er eine Wendung bei ihnen herbeigeführt und Macht über ihre Herzen gewonnen.

Die Geschichte hat - wie fast immer bei Jesus - einen offenen Schluß. Offen bleiben die Einladung und das Angebot an die Hörer. Selbst um seine Gegner bemüht sich Jesus noch. Dadurch sollen ihnen neue Erkenntnisse möglich werden. So kann sich ein „Nein“ immer noch in ein „Ja“ verkehren.

Diese Möglichkeit steht auch uns immer noch offen. Es muß nicht alles so weitergehen, wie es angefangen hat. Wer „Ja“ gesagt hat, sollte seine Zusage auch einhalten. Und wer zunächst „Nein“ gesagt hat, kann doch immer noch das Geforderte tun. Jesus hofft, daß wir es uns noch anders überlegen und nicht allein Jasager sind, sondern auch Täter werden.

 

 

Mt 22, 1 – 14 (2. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn ein Kind getauft werden soll, braucht man dazu Paten. Die Eltern überlegen sich sorgfältig, wen sie für dieses Amt bitten körnen. Meist sagt der Betreffende auch gerne zu. Aber manchmal erhält man auch eine Ablehnung, oft mit einer ganz fadenscheinigen Begründung.  Da müssen dann die Eltern einen anderen bitten. In manchen Gemeinden ist auch schon vom Pfarrer ein Pate aus der Gemeinde vermittelt worden.

Aber es ist doch furchtbar, wenn man zu so einer wichtigen Sache einlädt und erhält eine Ablehnung. Doch wir erleben das immer wieder einmal, auch wenn es sich um eine weniger wichtige Einladung handelt. Meist freuen sich ja die Verwandten und Freunde über eine Einladung. Manche werden auch stöhnen, weil ihnen der Zeitpunkt ungelegen ist, aber sie kommen doch, um den Gastgeber nicht zu beileidigen. Wieder andere entschuldigen sich wegen dringender Verpflichtungen. Wer aber eine Einladung ausschlägt, ist selber schuld daran, er versäumt etwas, das das Leben schön macht.

Natürlich ist auch anderes wichtig. Es gibt Pflichten, an denen kommt keiner vorbei. Man kann nicht immer nur Feste feiern, man muß auch seine übliche Arbeit machen. Und wenn die Mutter im Krankenhaus liegt und man sie nur am Sonntag besuchen darf, da wird man nicht lieber zur Hochzeit gehen, dort kann man auch noch später hingehen.

Wenn Jesus von einer Hochzeit erzählt, die ein König für seinen Sohn ausrichtet, dann geht es ihm um mehr als eine Familienfeier. Er spricht ja in Gleichnissen und will dabei etwas deutlich machen vom Reich Gottes. Hochzeit ist ein Sich-finden in engster und bleibender Gemeinschaft. Da will keins mehr ohne das andere sein. So könnte aber auch die Gemeinschaft sein, die wir mit Gott haben.

Wir gehören alle zur großen Familie Gottes. Wir haben unsren Stammplatz nicht nur in der Kirche, sondern auch bei Gott. Hier wieder werden wir eingeladen, nun auch tatsächlich zu kommen und mitzufeiern. Schon die Propheten haben grundsätzlich eingeladen, zur Zeit des Neuen Testaments war es dann soweit. Und schließlich ging man hinaus in die ganze Welt, um einzuladen, wen man findet. So ist das Evangelium auch zu uns gekommen. Aber wir stehen vielfach immer noch am Rand, obwohl wir getauft sind. Keiner kann sagen, ihn brauche Gott nicht einzuladen und zu rufen. Gottes Einladung wird immer dringlicher. Er läßt auch uns ausrichten: „Aus der Küche riecht es schon nach Bratenduft, das Essen steht schon auf dem Tisch, nun kommt doch auch!“

Aber schon immer gab es Menschen, die verachteten die Einladung Gottes. Sie dachten sich wohl: „Was der da auf den Tisch bringt, das können wir uns alle Tage leisten. Wir stellen doch selber etwas dar und sind nicht auf die Gnade und Barmherzigkeit eines anderen angewiesen!“ Sie wollen es sich leisten können, die Einladung abzulehnen. Sie sehen aber nicht, welchen Wert diese Einladung für sie hat. Sie meinen, sie brauchten Gott und sein Heil nicht.

Aber auch wenn viele nicht wollen, dann gibt Gott es trotzdem nicht gleich auf. Die Ablehnung steigert nur noch seinen Eifer und seine Güte. Auch wenn die Eingeladenen demonstrativ auf den Acker gehen oder zu ihrer Hantierung: die Einladung wird weiter ausgesprochen, Gottes Ruf gilt allen. Gottes Liebe läßt nicht nach. Er müht sich auch um die Menschen, die sich von ihm lossagen.

Vor allem müht er sich auf um uns. Wenn die Glocken läuten, dann wissen wir genau, was gemeint ist: Diese Einladung gilt jedem von uns persönlich. Ein Pfarrer ließ sich einmal am Sonntag vertreten und ging dann zur Gottesdienstzeit in die Häuser, um zu sehen, was die Leute so treiben. Sie waren erst verdutzt, dann entschuldigten sie sich: Wir haben große Wäsche, wir haben die Handwerker, wir wollen doch wenigstens einmal in der Woche alle zusammen essen, und so weiter.

Es sind die ehrenwerten Verrichtungen des täglichen Lebens in Beruf und Familie, die am Besuch des Gottesdienstes hindern. Aber es sind auch manche Betätigungen in Staat und Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur, Sport und Hobby. Dort will man Gutes tun und sich nützlich erweisen, aber dann bleibt keine Zeit für Gott. Man sagt auch Ich bin doch bisher auch ohne Gott ganz gut hingekommen. Ein anständiger Mensch kann ich auch so sein, und darauf kommt es doch letztlich an. Wenn sie alle so wären wie ich, dann brauchte sich Gott um die Welt keine Sorgen zu machen!“

Ja man meint sogar: „Für die anderen mußte Christus sterben. Aber wäre es nur um mich gegangen, dann wäre das nicht nötig gewesen. Ich habe mit niemand Streit angefangen, ich habe lieber auf mein Recht verzichtet. So brauche ich mir nichts vorzuwerfen. Fehler macht jeder einmal, kleine Patzer passieren jedem. Aber im Großen und Ganzen habe ich mir nichts vorzuwerfen, da kommt Gott schon bei mir zu seinem Recht!“

Aber wer so denkt, der läßt Gott vor lauter Korrektheit nicht an sich heran. Er meint im Grunde auch, die Einladung Gottes gehe ihr nichts an. Die Sünde der Selbstgerechtigkeit ist aber die Sünde aller Sünden, weil sie uns vom Gott lostrennt. Und Gott wollte uns doch bei seinem Fest dabei haben!

Wir wären doch auch beleidigt, wenn wir zu einem Fest einlüden und die Einladung würde abgelehnt. Nach damaliger Sitte wurde beim ersten Mal nur allgemein zur Hochzeit eingeladen und noch kein genauer Termin genannt. Aber jeder wußte, daß er sich bereithalten sollte. Da mußte er nicht ausgerechnet für diesen Tag des Festes sich noch Arbeit aufheben.

Wenn aber eine Absage nach der anderen kommt, überlegt man sich schnell, wenn man sich schnell, wen man noch einladen kann; es soll doch kein Stuhl an der Tafel frei bleiben. So macht Gott es aber auch: Wenn  w i r  nicht wollen, dann lädt er andere ein. Gott findet schon seine Leute und ist nicht angewiesen auf die, die er zuerst eingeladen hat.

Wenn fließendes Wasser auf Widerstand stößt, sucht es sich einen neuen Weg. So hat sich Gott den Heiden zugewandt, als Israel nicht wollte. Das war keine Verlegenheit, weil er mit Israel kein Glück hatte. Gott hat von vornerein alle Menschen geliebt. Er ist auch an denen brennend interessiert, die dies nicht für möglich halten, die meinen, in ihrem Leben und Denken sei für Gott kein Platz.

Mancher meint eben, das Frommsein setzte einen bestimmten Grad an Rechtschaffenheit und christlicher Lebensart voraus. Und vielleicht sind wir Kirchenleute auch der Meinung und haben manchen zurückgestoßen, den Gott wollte. Vielleicht haben wir anderen den Zugang verwehrt, weil wir ihnen deutlich machten: „So einer wie du kommt gar nicht in Frage, es fehlt dir an der Kinderstube und dein Leben ist zu ungeordnet, du sprichst eine unmögliche Sprache und du hast viel zu lange Haare!“

Aber täuschen wir uns nicht: Vielleicht verschließen wir uns gerade dadurch der Einladung Gottes. Und wenn wir in Deutschland nicht mehr auf ihn hören wollen, dann lädt er vielleicht die Menschen in Afrika und Asien ein. Und wenn niemand mehr zum Gotteshaus kommt, dann gehen die Boten vielleicht auf die Straßen oder in die Gaststätten oder in die Krankenhäuser. Es gibt bei uns zum Beispiel einen Pfarrer, der kümmert sich nur um die Landfahrer und Zirkusleute. Und ein bayrischer Bischof ging sogar in die Nachtbars von München, um Gottes Wort weiterzusagen. Gott hat viele Wege, die Menschen zu erreichen.        

Deshalb erreicht er auch uns ganz bestimmt. Für jeden von uns hält er einen Stuhl an seinem Tisch bereit. Sein Tisch, das ist auch der Altar in unserer Kirche, an dem wir das Abendmahl feiern. Dorthin lädt Gott uns ein, daß wir sein Wort hören und mit ihm an seinem Tisch ein Fest feiern.

Doch wir stehen auch in der Versuchung, die Einladung Gottes abzulehnen. Es sind ja so viele, die auch nicht hingehen. Aber Gott macht uns frei von allen falschen Bindungen. Wir brauchen uns nicht nach der Menge zu richten und nach unserem Vorteil zu schielen. Gott sucht sich seine Leute nicht aus, er ist nicht wählerisch. Gott nimmt uns so, wie wir sind.

Aber es sollte keiner meinen: „Wenn Gott mich auf alle Fälle nimmt, dann kann ich auch so bleiben, wie ich bin!“ Wir gehen ja auch nicht in unserer Arbeitskleidung zur Hochzeit, das wäre eine Beleidigung für den Gastgeber. Es gibt auch heute wieder Gaststätten, in die man nur mit gutem Anzug hineinkommt. Und zum Tanzstundenball wird festliche Kleidung erbeten. Auch zum Gottesdienst ziehen wir uns sonntagsmäßig an.

Wenn wir zu Gott kommen wollen, gehört schon eine entsprechende Vorbereitung dazu. Wir dürfen zwar zu Gott kommen, wie wir sind; aber: „Wir dürfen nicht so bleiben, wie wir waren!“ „Wir dürfen zwar zu Gott kommen, wie wir sind; aber wir dürfen nicht so bleiben, wie wir waren!“ [absichtlich wiederholt!]. Gott will veränderte Menschen und verzichtet nicht auf den Gehorsam und die Umkehr seiner Menschen

Doch zuerst erfolgt immer die Einladung. Der.Ernst der Forderung Gottes ist nur der Hintergrund für seine Einladung. Und wer diese Einladung ernst nimmt, der sorgt ganz von selber dafür, daß bei ihm alles in Ordnung kommt. Dann kann er auch wohl vorbereitet zum Festmahl des Herrn gehen. Dort steht die Tür weit offen, der Tisch ist gedeckt. Alles ist bereit für die Gäste. Wir sind die Gäste, ja sogar die Familie Gottes. Es kommt nur darauf an, ob wir uns einladen lassen und dann auch wirklich hingehen.

 

 

Mt 22, 15 – 22 (23. Sonntag nach Trinitatis):

In der damaligen DDR kam ein junger Mann ins Pfarramt und sagte, er möchte gern wieder in die Kirche eintreten. Aber erst möchte er einmal die politische Meinung des Pfarrers hören. „Wenn er gegen den Staat ist, dann trete ich auch wieder ein“, sagt er. Eine brenzlige Lage, wenn einer von vornherein mit der Möglichkeit rechnet, der Pfarrer könnte gegen den gerade bestehenden Staat eingestellt sein.

Jahrhundertelang war es doch gerade umgekehrt, die Kirche war der verlängerte Arm des Staates. Wenn nun in der Neuzeit Staat und Kirche getrennt sind, dann heißt das doch nicht automatisch, daß die Kirche gegen den Staat gerichtet ist. Was sollte man aber nun diesem jungen Mann antworten? Wenn es ihm ernst ist mit dem Kircheneintritt, dann wird er sich auch durch eine andere Meinung des Pfarrers nicht abhalten lassen. Wenn er den Pfarrer aber nur aufs Glatteis führen wollte, dann verdient er keine Antwort auf seine Frage. Der Pfarrer hat nur zu ihm gesagt: „Als erstes kommen Sie einmal zum Gottesdienst, dann werden wir weitersehen!“ Doch der junge Mann wurde nicht wieder gesehen.

Es ist schon eine heikle Sache, die heute hier unter anderem verhandelt werden soll. Die Geg­ner Jesu werfen nämlich das Problem um das Verhältnis zwischen Staat und Kirche auf, oder um es etwas altmodischer zu sagen, es geht ihnen um die „Obrigkeit“.

Schon zur Zeit Jesu lag mancher Sprengstoff in dieser Frage. Das Land war von einer fremden, heidnischen Macht besetzt. Die Juden wollten ihre politische Freiheit wiedererlangen.

Die eine Partei wollte es mit Gewalt versuchen und verweigerte sogar die Zahlung der Steuer. Die anderen, die Pharisäer, interessierten sich nicht für die politischen Fragen, aber sie benutzten sie doch, um Jesus eine Falle zu stellen.

Zunächst loben sie seine Offenheit im Gespräch, um ihm eine unvorsichtige Bemerkung zu entlocken, die für eine Anklage beim Statthalter reicht. Jesus aber gibt dieser Frage, die für ihn leicht hätte verhängnisvoll werden können, eine Wendung, auf die niemand gefaßt war: Er läßt sich eine römische Münze zeigen, die das Bild des Kaisers und seine Aufschrift trägt. Diese Münze zahlten ja auch die Pharisäer als Kopfsteuer. Jesus weist ihnen nach, daß sie ja auch in der Praxis die Oberherrschaft des Kaisers anerkennen. Damit haben sie ja schon selber eine Antwort gegeben und hätten Jesus gar nicht zu fragen brauchen: Es ist selbstverständlich, daß jeder seine Steuern zu zahlen hat, auch wenn sie einem verhaßten Herrscher zugutekommen!

Doch wir sollten uns nicht nur darüber freuen, wie Jesus sich hier geschickt aus der Schlinge zieht. Dieser Satz „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“, muß uns noch weiter beschäftigen. Jesus sagt hier: „Ich habe euch gesagt, daß die Gottesherrschaft bald anbrechen wird. Aber sie ist nicht dazu da, um die politische Fremdherrschaft abzuschütteln. Sie hat überhaupt nichts mit Politik zu tun!“ Wenn also einer Revolution machen will,

dann muß er das selbst verantworten. Er kann vielleicht die Menschenrechte oder die Humanität als Begründung anführen, aber nicht den christlichen Glauben. Das Christentum ist keine politische Ideologie, um innerweltliche Ziele zu erreichen, mögen sie auch noch so berechtigt sein. Konkret gesprochen heißt das zum Beispiel: „Wir als Kirche haben uns in erster Linie um die Fragen des Glaubens zu kümmern! Aber unter diesem Gesichts­punkt nehmen wir auch Stellung zu den Fragen des alltäglichen Lebens. Wir haben nicht die Interessen anderer Mächter zu vertreten. Richtschnur unsers Handelns ist allein der Auftrag Gottes, nicht die Ziele einer menschlichen Partei!“ Die Kirche ist auch nicht der letzte Hort der guten alten Zeit, sondern den Aufgaben ihrer Zeit immer schon ein Stück voraus.

Jesus will uns auch nicht erläutern, warum wir den Staat brauchen Dazu äußert sich ja Paulus in Röm 13: „Die Obrigkeit ist von Gott eingesetzt, um die Ordnung unter den Menschen aufrecht zu erhalten!“ Jesus aber sagt nur: Beide haben ihr Recht, Staat u n d Kirche, wenn sie auf ihrem Gebiet bleiben. Sie brauchen sich nicht hindernd im Weg zu stehen oder gar bekämpfen.

Aber der Ton liegt bei Jesus ganz auf der zweiten Hafte des Satzes: „Gebt Gott, was Gottes ist!“ Daß ihr dem Staat das Notwendige gebt, ist selbstverständlich. Aber gebt ihr auch Gott, was er von euch fordert? Das sollten wir uns heute auch einmal fragen.

Hier können wir wieder an die DDR denken, wo die sogenannte „Jugendweihe“ gewissermaßen als Zwangsveranstaltung eingeführt wurde. Die Kirche war auf die neue Lage zunächst nicht gefaßt. Aber sie hat dann doch weise entschieden, wenn sie in erster Linie fragt: „Gebt ihr auch Gott, was Gottes ist?“ Die einen sahen in der Jugendweihe eine feierliche Schulentlassung, die man halt so mitmacht wie andere Schulveranstaltungen auch. Die anderen sind dagegen zu der Überzeugung gelangt, daß es doch um mehr geht als eine übliche Schulveranstaltung.

Aber in beiden Fällen hat das mit der Konfirmation nichts zu tun. Die Einsegnung eines getauften Christen, die ihm eine Hilfe zur Stärkung seines Glaubens sein soll, ist nicht abhängig von irgendwelchen Schulveranstaltungen. Wenn einer konfirmiert werden möchte, dann haben wir ihn nur zu fragen: „Gibst du auch Gott, was Gottes ist? Vertraust du auf ihn, willst du auch weiter zu ihm gehören, willst du weiter aus der Kraft des Glaubens leben, auf den du getauft bist?“

Das müssen wir jeden Konfirmanden mit großem Ernst fragen. Es wäre nichts gewonnen, wenn einer nur so die Konfirmation mitmacht. Die entscheidende Frage ist immer, ob einer mit ganzem Herzen bei Gott ist, wenn er die Einsegnung begehrt. D a s entscheidet über die Zulassung zur Konfirmation, nicht ob einer noch alles mögliche Andere mitgemacht hat, das ihn im Grunde kalt gelassen hat. Man kann Vieles mitmachen; aber bei der Konfirmation wird es ernst, da muß eine Entscheidung gefällt werden.

Nun ist allerdings unsere heutige Situation anders als die zur Zeit Jesu. Damals sah man nur die Knechtung durch eine fremde Macht. Aber es ist doch die Frage, ob wir heute nicht auch mit für unser Umwelt verantwortlich sind. Wir stehen in jedem Fall in politischen Zusammenhängen, wir leben in einer Stadt und in einem Staat und haben staatliche Gewalt über uns, ob wir wollen oder nicht.

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben ja viele versucht, grundsätzlich unpolitisch zu leben. Sie sagten „Ohne mich! Gebranntes Kind scheut das Feuer, wer einmal reingefallen ist, möchte nicht gern noch einmal als Verbrecher hingestellt werden!“ Aber kommt man mit diesem „Ohne mich“-Standpunkt denn aus? Wenn niemand Verantwortung übernimmt, dann werden Verantwortungslose an die Macht kommen. Auch die Christen sind aufgerufen, nicht nur in der Kirche, sondern auch im öffentlichen Leben mitzuwirken, zum Beispiel im Elternbeirat

oder in den Vereinen.

Allerdings erhält diese Mitarbeit erst dann ihren rechten Ort, wenn sie bestimmt ist durch die Bindung an Gott, wenn hier wirklich ein Auftrag Gottes gesehen wird. Eine Partei, die außer dem ersten Teil ihres Namens nichts Christliches an sich hat, entspricht sicher nicht dem Willen Gottes. Die würde von Jesus sicher genauso abgelehnt, wie er damals die politischen Eiferer abgelehnt hat, die nur i h r e Politik machten und nicht auf Gott hörten. Wir sollten keine bestehende oder erstrebte Ordnung mit dem Reich Gottes gleichsetzen. Gott hat sicher mehr vor, als wir auf Erden uns erträumen. Deshalb werden wir auch nicht zu allem „Ja und Amen“ sagen, was andere uns vorschlagen. Wir dürfen uns auch nicht in eine überstürzte Aktivität stürzen. Unser Ziel ist nicht ein christlicher Staat, der das Reich Gottes abbildet. Gott wird schon selber dafür sorgen, daß sich seine Herrschaft durchsetzt. Und dann zählt nur, ob wir     i h m gegeben haben, was ihm gehört.

 

 

 

Mt 24, 1-14 (2. Advent):

Wenn bei einer Frau die Wehen einsetzen, dann kommt das Kind bald, dann geht eine Zeit zu Ende und etwas Neues beginnt. Diesem Wandel kann man sich nicht entziehen, sonst kann man nicht teilhaben an der Freude danach. Nur wer durch Angst und Schmerzen hindurchgegangen ist, wird Freude in der ganzen Tiefe erfahren. Deshalb nimmt Matthäus die Wehen bei der Geburt als Bild für die Wehen bei der Wiederkunft Christi.

Heute kann man die Schmerzen der Geburt mit Spritzen bekämpfen. Aber unser Gefühl für die schmerzvollen Anzeichen der Gegenwart dürfen wir nicht bekämpfen. Wir können uns nicht taub stellen gegenüber der Not in der Welt, gegenüber der Unterdrückung in totalitären Staaten, gegenüber der Ausbeutung der Natur, gegenüber dem Schmerz des Mitmenschen neben uns. In zwei Schritten wollen wir darüber nachdenken: Wir leben in einer unruhigen Welt, wir leben in einer angefochtenen Gemeinde.

 

1. Wir leben in einer unruhigen Welt:

Goethe läßt seine Faust beim Osterspaziergang sagen: „Nichts Besseres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, wenn hinten, weit in der Türkei, die Völker aufeinander schlagen!“ Heute wissen wir von Kriegen in aller Welt, die Nachrichten darüber können uns nicht kalt lassen.

Aber das darf uns nicht entmutigen, alle Möglichkeiten des weltlichen Handelns sind auszu­schöpfen. Aber das geht nicht so, daß falsche Messiasse kommen und die politische Macht an sich reißen und mit eisernem Besen in der Welt Ordnung machen wollen. Sie halten das Volk für dumm und sich allein für klug. Deshalb wollen sie das Volk zu seinem Glück zwingen, koste es was es wolle. Besonders in Rußland konnte und kann man das immer wieder beobachten.

Ein Wandel in der Welt kommt nicht durch menschliche Anstrengungen, sondern allein durch Gott. Was sich bis zum Ende abspielt, ist auch nicht eine mächtige und alles durchdringende Entwicklung, die alle Welt allmählich und fast unmerklich verwandelt. Gewiß gibt es eine Unzahl an Wirkungen Christi und seines Evangeliums in der Welt. Aber man kann auch die Gegenrechnung aufmachen, was Christen alles nicht vermocht haben. Wir haben nicht getan, was wir zu tun schuldig sind. Deshalb gibt es immer noch Probleme in der Welt.

Einige sind Naturereignisse, da können wir nichts machen: Krankheiten, Erdbeben, Wirbelstürme. Weil die Nachrichtenübermittlung heute besser ist als früher, hören wir fast jeden Tag davon. Deshalb haben wir heute den Eindruck, das Unheil in der Welt habe zugenommen.

Aber einige Probleme sind auch sind hausgemacht: Das fängt an bei der wirtschaftlichen Not, die zum großen Teil durch ungerechte Handelsbeziehungen entsteht. Und das gilt vor allem bei Kriegen. Gott will den Krieg nicht.

Aber wenn die Menschen eben nicht klug werden, läßt er sie in ihr Unglück rennen. Wer weiß, was der Menschheit da alles noch bevorsteht, ehe Gott dem mit Gewalt ein Ende setzen wird.

Das Ende der Welt wird sich aber nicht durch kriegerische Ereignisse ankündigen. Zur Zeit Jesu dachte man so. Auch in der frühen Christenheit hat es solche Gruppen gegeben, die aus den Ereignissen der Welt den Zeitpunkt des Endes ablesen wollten. Jesus hatte ja selber gesagt: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!“ Einmal heißt es sogar: „Es sind einige hier, die werden nicht sterben, bevor das Reich Gottes kommt!“

Es wäre falsch, aus gewissen Ereignissen in der Weltgeschichte einen Fahrplan bis zum Ende aufzustellen. Vor allem können wir das Ende nicht vorverlegen durch einleitende Maßnahmen wie bei einer Geburt. Gott behält sich das Ende vor. Es kann nicht berechnet oder veranlaßt werden. Wie bei einer Schwangerschaft muß man warten. Man trägt „etwas“ mit sich herum, aber das Ende kann man nicht bestimmen.

Dennoch hat es immer wieder Menschen gegeben, die Berechnungen anstellen wollten. So meinte man etwa, im Jahre 1000 oder 2000 ginge die Welt unter, so als ob Gott sich an unser Dezimalsystem hielte. Besonders populär wurden solche Spekulationen am Ende des 19. Jahrhunderts, wo allerhand Sekten die Termine für die Erde ausrechneten und dann immer wieder verschieben mußten. Die Bibelforscher waren schließlich beim Jahr 1975 angelangt. Bei manchen Leuten führte das dann aber zu abartigen Erscheinungen: Sie verkauften allen ihren Besitz, zogen weiße Kleider an und versammelten sich auf einem Berg. Aber was nicht kam, war das Ende der Welt.

Advent bedeutete ursprünglich die Ankunft des Kaisers oder eines sonstigen Machtträgers oder einer Gottheit und damit auch des Messias. Doch damit verbunden waren schon bei den Juden Vorzeichen wie Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen. Matthäus zählt auch einige Vorzeichen auf. Aber gerade die Länge der Liste macht deutlich: Es muß noch viel Wasser den Fluß hinunter laufen, bis das Ende endlich kommt. Es ist die Rede von falschen Messiassen, die große Versprechungen machen und viele Anhänger gewinnen. Nicht umsonst hieß der Gruß zur Nazizeit „Heil Hitler“, weil das der Heiland für das deutsche Volk sein sollte. Wir als Christen aber wissen: Es ist in keinem anderen das Heil als in Jesus Christus, er ist der einzige Heiland, damals wie heute! Wir brauchen keinem Verführer zu folgen!

Matthäus faßt seinen Eindruck dann so zusammen: „Weil die Ungerechtigkeit wird überhandnehmen, wird die Liebe in vielen erkalten!“ Sicher meint er zunächst damit die Liebe zu Gott. Aber wenn die nicht mehr da ist, dann läßt meist auch die Liebe zu den Menschen nach. Unsere Aufgabe wird es sein, dann zu beharren bis ans Ende, in unsrem Glauben und in der Liebe.

 

2. Wir leben in einer angefochtenen Gemeinde:

Die Kirche ist kein Bereich, der außerhalb aller Anfechtung liegt. Ihr Zeichen ist das Kreuz ihres Herrn. Die Zerstörung des Tempels deutet darauf hin, daß man sich vor Gott nicht abschirmen kann, auch nicht durch die Religion. Nicht unser Frommsein rettet uns, sondern das gnädige Kommen des Herrn. Die Zerstörung des Tempels ist ein Hinweis auf das Ende dieser Welt und damit auch das Ende aller Religion, soweit man sie als fromme Leistung des Menschen versteht.

Auch die  Kirche wird nicht mehr Raum, Einfluß und Wirkung, mehr Macht und Glanz in der Welt bekommen. Ihre Stellung wird eher noch abgebaut werden. Und wir als Christen werden nicht in Watte gepackt werden. Ein bißchen Zugluft muß nicht gleich zu kalten Füßen führen.

Aber es kommt schon Druck von außen und von innen.  Der von innen wird vielleicht noch der schlimmere sein. Die eben noch zur Gemeinde gehörten, werden zu Verrätern und Hassern. Es treten falsche Propheten auf. Die Kirche wird aber auch durch den Irrtum in den eigenen Reihen gefährdet. Doch das darf uns alles nicht anfechten.

„Aus seiner Partei und aus der Kirche tritt man nicht aus!“ hat einmal einer gesagt. Wenn die Sache an sich gut ist, kann man sich nicht dadurch irre machen lassen, daß einige Vertreter versagen. Man kann sich nur wundern, daß die Kirche unter so ungünstigen Bedingungen durchgehalten hat. Das liegt aber nur daran, daß Christus immer wieder neue Anfänge gesetzt hat.

Die Christenheit aber wartet auf die letzte Ankunft des Herrn. Aber alles ist nur Vorspiel. Was uns vielleicht beunruhigt und erschreckt, braucht uns nicht im Glauben zu beirren. Im Gegenteil: Für den Glauben ist das ein Zeichen der Hoffnung. Der Herr kommt schon auf uns zu.  Er wird sich in der Welt durchsetzen, nicht gegen die Welt, sondern für uns und für alle, die ihn annehmen.

Ehe das Ende kommt, wird erst noch viel zu tun sein: Das Evangelium ist aller Welt zu predigen. Dabei wird die Kirche aber keine weltlichen Zwangsmittel einsetzen, um ihrer Botschaft Geltung zu verschaffen. Sie wird aber die heutige Technik nutzen, um allen Völkern das Evangelium bezeugen zu können. Das wird länger dauern als bis zum nächsten Weihnachtsfest. Im Grunde ist ja unser ganzes Leben eine Adventszeit, eine Vorbereitung auf das Kommen des Herrn. Sicherlich: Einem Menschen, der allzu sorglos lebt, wird man sagen müssen: „Das Ende kann jeden Augenblick da sein!“ Aber heute sind mehr die allzu Besorgten angesprochen. Ihnen wird gesagt: „Das Evangelium vom Reich muß erst noch in der ganzen Welt gepredigt werden!“ Das ist auch heute unsere Aufgabe und nicht das Spekulieren über das Ende der Welt. Wenn wir aber unsere Zeit nutzen und zur Ausbreitung des Reiches Gottes beitragen, dann werden wir auch am Ende bestehen können.

Advent ist also nicht nur Vorgang in unserem Herzen, sondern es wird auch einen öffentlichen Weltadvent Christi geben. Neu gegenüber der jüdischen Erwartung  ist vor allem, daß er unverhofft kommt - also nicht in einer allmählichen Entwicklung und von Vorzeichen begleitet. Man muß also nicht in den Weltereignissen ein Programm sehen und wie die Sektierer daran herumrechnen, sondern es ist allein Wachsamkeit geboten. Wir erhalten viele Gelegenheiten zur Bewährung des Glaubens. Deshalb werden wir aufgefordert: „Durchhalten bis ans Ende!“

„Wenn ihr das seht, laßt euch nicht aus der Fassung bringen!“ Hinter allem in der großen Weltgeschichte und in meiner kleinen persönlichen Geschichte steht der Herr. Er antwortet nicht auf die Frage, wann die ersten Zeichen seines Kommens erkennbar werden. Aber er mahnt zur Wachsamkeit, Nüchternheit und Geduld. Was immer uns bedrängen mag: Das spricht nicht gegen sein Kommen, sondern dafür. Wir haben unter allen Umständen Grund zur Vorfreude.

Manchen dauert es zu lange, bis sich die Verhältnisse ändern. Sie denken: „Es hat ja doch keinen Sinn gegen den Strom zu schwimmen, du machst es dir nur unnötig schwer!“ Wer sagt: „Kriege wird es immer geben!“ kapituliert und hat keine Perspektive. Jesus warnt davor, sich schrecken und lähmen zu lassen. Trotz Rückschlägen und Leidenszeiten können wir beharren und auf das Ziel ausgerichtet sein. Aber der Siegespreis erhält nur der, der auch bis zum Ende durchhält, und nicht, wer schon auf halbem Wege umkehrt.

Viele wünschen sich im ersten Augenblick den sofortigen Eintritt der Wiederkunft des Herrn. Doch was ist, wenn wir noch nicht genügend vorbereitet sind? Zum Glück kommt Christus nicht als himmlischer Welteroberer. Wir dürfen uns noch entscheiden und auf die Liebe Gottes antworten mit unserer Liebe. Wenn er kommt, sollen wir ihm nicht als einem Fremden begegnen, sondern als dem ersehnten und geliebten Herrn.

Der ernste Predigttext will uns die Adventsfreude nicht nehmen, aber uns davor bewahren, Advent nur einseitig mit Kerzenschimmer, Tannenduft und Adventskranz zu begehen. Eine christliche Gemeinde kann nicht ohne Perspektive leben. Wer vom Ende her lebt, bleibt zielgerichtet und läßt sich nicht vom alltäglichen Geschehen treiben.

 

Anderer Einstieg:

Wenn ein Gewitter kommt, dann kündigt es sich meist durch allerhand Vorzeichen an: Es kommt Wind auf, der Himmel verdunkelt sich, die Luft ist von einer seltsamen Spannung erfüllt. Dann sagen die Leute: „Es wird wohl ein Gewitter geben!“ Oder wenn es Winter wird, dann kündigt der sich auch schon vorher an: Das Laub fällt von den Bäumen, die Luft wird rauher, die Vögel ziehen weg. Und dann denkt so mancher: „Es wird wohl bald wieder Winter werden!“

 

 

Mt 25, 14 – 30 (9. Sonntag nach Trinitatis):

In Kaufmannskreisen sagt man: „Die erste Generation erwirbt, die zweite erbt, die dritte verdirbt!“ Ist das nur eine Kaufmannsregel oder auch eine Erfahrung in der Kirche Jesu Christi? In der Gemeinde der dritten) Generation gab es damals nämlich ein Problem: Die Wiederkunft des Herrn blieb aus. „Womöglich kommt er gar nicht wieder“, sagte man. Da lebt man doch besser danach, was einem selber günstig und nützlich erscheint.

So wird auch heute mancher denken: „Ich habe nichts gegen die Kirche. Meine Eltern haben mir auch Wichtiges mitgegeben, als sie mich christlich erzogen haben. Aber man soll die Dinge nicht übertreiben!“ Das ist eben die Versuchung der späteren Generationen: nicht Fisch und nicht Fleisch, nicht kalt und nicht warm! So aber verdirbt man Gottes Gaben. Aber so darf es nicht sein. Christus hat uns etwas anvertraut. Und das gilt es zu verwalten, zu vermehren und zu verantworten.

 

(1.) Verwalten: Wir sind von Christus für die Zeit seiner Abwesenheit zu Verwaltern seines Eigentums eingesetzt. Der Begriff der „Haushalterschaft“ ist in den Kirchen erst in den letzten Jahren ein wenig erschlossen worden. Im Neuen Testament werden die Amtsträger, aber auch jeder Christ in der Gemeinde als „Haushalter“ bezeichnet. Christi Sache ist in unser aller Hände gelegt. Zwar ist er allein es, der alles wirkt und vollbringt. Aber heute soll auch einmal sichtbar werden, was w i r dabei zu tun haben.

Die hohen Summen machen deutlich, daß der Gemeinde sehr viel anvertraut ist. Die Gaben sind da - sie wollen entdeckt und erweckt werden. Zunächst einmal denken wir dabei an die Gaben des Heiligen Geistes: Daß einer glauben und das Evangelium verstehen kann, daß er zu

predigen und zu beten, trösten und ermuntern vermag, das gehört alles zu den Gaben des Heiligen Geistes.

Aber auch die angeborenen und anerzogenen Fähigkeiten, auch die Schöpfungsgaben kommen von Gott. Die natürliche Musikalität zum Beispiel wird für das Lob Gottes in Dienst genommen. Erzählgabe und Verständnis für Kinder braucht Christus für die Kinder in seiner Gemeinde. Aber auch Organisationstalent und handwerkliche Fähigkeiten sind nötig. Selbst solche Dinge wie ein Sinn für das Schöne oder die Kontaktfreudigkeit zu anderen Menschen sind eine Gabe.

Alle diese natürlichen Begabungen nennt man ja auch sonst im Sprachgebrauch „Talente“. Sie sind uns nicht nur dazu gegeben, daß wir daraus nur für uns selbst einen Vorteil ziehen. Martin Luther hat einmal zugespitzt formuliert: „Was nicht im Dienst steht, ist Raub!“ Was wir also nicht unserm Mitmenschen zugutekommen lassen, das rauben wir ihm.

Vielleicht besteht die Hilfe nur darin, daß wir dem anderen ruhig zuhören und ihn aussprechen lassen. Wirklich Zeit zu haben und nicht immer nur auf dem Sprung zu sein, das ist oft schwerer als körperliche Arbeit. Warum sollte man nicht einmal einen Krankenbesuch machen. Wenn man schon nicht weiß, was man sagen soll, so kann man doch wenigstens anhören, was der Kranke sagt. Das wird ihn schon etwas erleichtern.

Vielleicht könnten wir noch manche Gabe bei uns ausgraben. Es wäre doch schade, wenn viele alte und junge Talente unentdeckt blieben.

Das Gemeindeleben wird reicher und ausstrahlungskräftiger, wenn jeder mit seinen Kräften dazu beiträgt. Die Sache unseres Herrn kommt besser zum Zuge, wenn möglichst viele sich mit ihren Gaben daran beteiligen. Gaben sind nicht ein Ruhepolster zum eigenen Ruhm, sondern sie bringen zugleich Aufgaben mit sich, Aufgaben an dem Nächsten, der unseer Hilfe braucht.

Was wir haben, ist uns von Christus zum sinnvollen Gebrauch übergeben. Das heißt allerdings nicht, daß wir ein schlechtes Gewissen haben müßten, wenn wir etwas haben oder genießen. Gott freut sich über glückliche Menschen. Aber zuletzt ist uns alles doch nur geliehen. Wir haben das Seine „ökonomisch“ zu verwalten, auf eine sinnvolle und ertragreiche Weise.

 

(2.) Vermehren: Eine bestimmte Weisung, was mit dem Geld zu machen ist, hat der wegziehende Herr nicht hinterlassen. Ja er hat nicht einmal ausdrücklich gesagt, daß mit dem Geld gearbeitet werden soll. Aber gerade darum geht es ja gerade, daß man dies begreift. Der Herr darf erwarten, daß die Knechte mit seinem Gut arbeiten und es vermehren. Gott betrachtet uns nicht als unmündige Kinder, sondern er sieht uns sozusagen als Erwachsene, denen er selbständige Arbeiten überträgt.

Doch wir schrecken vielfach zurück, wenn uns Aufgaben übertragen werden sollen. Wir meinen, mit leeren Händen dazustehen, und sehen gar nicht, was wir doch alles besitzen. Gott schenkt uns alles, was wir benötigen, und noch vieles mehr. Aber wir nehmen es viel zu selbstverständlich und beklagen uns dauernd, daß wir zu kurz kommen.

Solche Klagen aber lähmen uns und führen zur Untätigkeit. So geschieht es bei dem bösen und faulen Knecht. Er verwahrt das Anvertraute schon sorgfältig, aber er setzt es nicht ein. Er hat es richtig empfangen - nun hat er es richtig wieder abgeliefert. Damit ist alles geschehen, was von ihm erwartet werden konnte, meint er. Dieser Mann will sich nicht in das Risiko des Alltags begeben. Er hat Angst, am Ende dumm dazustehen, wenn er nichts dazugewonnen hat.

Aber wer kennt diese Angst vor dem Mißerfolg nicht? Doch Gott hat uns nicht verheißen, daß unser Predigt Glauben findet und unser Dienst an anderen immer gelingt. Es ist uns auch nicht verheißen, daß uns gedankt wird und wir geachtet werden. Aber wir können erwarten, daß Jesus zu seiner Verheißung steht, bei uns zu sein. Er trägt und erträgt uns, und das genügt auch.

Der Herr lobt die beiden ersten Knechte, obwohl sie nicht die gleiche Leistung aufweisen können. Maßgebend ist nur, daß sie das Beste versucht haben und mit den anvertrauten Gaben gearbeitet haben. Die kleine Leistung aber wird nicht geringer bewertet. Gott möchte unsern persönlichen Einsatz.

Wo wir nur das Erbe pflegen und alles sorgsam verwahren, da haben wir aus dem Leben ein Museum gemacht. Dort kann man interessiert alles betrachten. Aber die Ausstellungsstücke sind nur zum Ansehen, man darf sie nicht gebrauchen. Gott aber will das Leben, will Wachstum.

Die Gemeinde als ganze und jeder einzelne Christ in ihr hat zu prüfen, wie das von Christus eingesetzte Kapital sich verzinst. Sie könnten in der Diakonie oder Mission umgesetzt werden. Die Kinder machen uns da oft etwas vor, denn sie bringen andere zum Kindergottesdienst mit. Kann nicht jeder vor uns einmal eine biblische Geschichte erzählen oder sachgemäß Bescheid geben, wenn einer kritisch fragt?

Nicht eingesetzte Gaben verkümmern und gehen verloren, sie „rosten ein“. Was würden wir wohl sagen, wenn wir jemandem ein Geschenk machten und es beim nächsten Besuch noch unausgewickelt vorfänden? Eine Kirche, die sich an dem genügen läßt, was sie hat, wird verarmen und vergehen. Man kann nur das auf Dauer haben, was man einsetzt. Vergrabene Gaben gehen verloren, eingesetzte Gaben wachsen. Wenn einer seinen Glauben weitersagt, muß er sich viel mehr damit auseinandersetzen, muß viel mehr darüber nachdenken und Argumente finden. Das aber wird ihm selber zugutekommen und den eigenen Glauben stärken. Wer hergibt, der empfängt meist mehr, als er weggegeben hat.

 

(3.) Verantworten: Den Umgang mit den Gaben Christi werden wir im letzten Gericht zu verantworten haben. Die Erwartung des kommenden Herrn darf nicht zur Untätigkeit führen, sondern spornt zur Wahrnehmung aller Chancen an. Das macht der dritte Knecht falsch. Wenn er sich schon vor der Strenge des Herrn fürchtet, dann hätte er umso mehr den Willen des Herrn erfüllen müssen. Aber so läßt er es bei einer formalen Korrektheit bewenden und hat dadurch natürlich auch keine Freude mehr an der Arbeit.

Christus ist aber gar nicht der harte Mann, für den der dritte Knecht ihn hält. Er fordert ja nichts, was er nicht zuvor gegeben hat. Aber wenn er gesät hat, will er auch eine Ernte sehen. Wer aber mit den Gaben Gottes arbeitet, darf auch darauf vertrauen, daß sie Frucht bringen.

Der Gottesdienst endet nicht an der Kirchentür. Unsern Glauben gilt es zu bewähren, wo wir mit anderen Menschen zu tun haben: im Beruf, in den Familien, in der Nachbarschaft. Überall dort treffen wir Menschen, die Probleme und Sorgen und persönliche Nöte haben.

Wenn wir in nähere Gemeinschaft mit ihnen kommen, hören wir manches von Krankheit, von Sorgen um die Kinder, vom Unverständnis seitens der Eltern oder vom Haß zwischen Nachbarn. Da sollen wir vermitteln und ausgleichen und Hilfe geben in geistiger und körperlicher Hinsicht.

Christus tut alles, daß wir diese Arbeit in großer Fröhlichkeit leisten können. Er möchte, daß wir einmal in die große „Freude“ eingehen, das heißt an seinem Freudenmahl teilnehmen werden. Wer seine Gaben jetzt ergreift und nützt, für den beginnt die große Freude schon jetzt.

 

 

Mt 25, 1 - 13 (Ewigkeitssonntag):

Michael Stiefel, ein Augustinermönch in Eßlingen, schloß sich schon 1521 der Lehre Martin Luthers an. Aber bald mußte er die Stadt verlassen und kam nach Lochau bei Wittenberg und wurde Pfarrer. Da er sich aber auch sehr für Mathematik interessierte und stark mit der Offenbarung des Johannes beschäftigte, berechnete er den Jüngsten Tag auf den 19. Oktober. 1533. Die einen lachten darüber und trieben ihr ausgelassenes Leben nur um so wüster. Die anderen bereiteten sich voll Ernst auf den Tag vor, ließen aber ihre ganze Arbeit liegen.

Am 19. Oktober versammelte sich die Gemeinde mit ihrem Prediger in der Kirche, um betend und singend, voller Angst und Spannung, das große Ereignis zu erwarten. Die Stunde kam - aber nichts geschah. Michael Stiefel hatte sich geirrt. Nur mit Mühe wurde er durch Luther vor einer harten Bestrafung durch den Kurfürsten bewahrt. Seit jener Zeit singt man übrigens das Spottlied „Stiefel muß sterben, ist noch so jung, jung, jung, jung!“

Ja, wir haben leicht spotten, wenn nicht immer wieder solche Dinge vorgekommen wären. Die Neuapostolischen zum Beispiel haben das Ende der Welt zunächst für 1884 und dann für das Jahr 1914 berechnet. Es kam auch zufällig etwas, nämlich der Erste Weltkrieg; aber das war noch lange nicht das Ende. Bei den Neuapostolischen hieß es: „Wenn der Stammapostel stirbt, ist das Ende da!“ Aber der ist natürlich auch 1960 gestorben und nichts geschah. Inzwischen haben die Neuapostolischen aber schon wieder einen neuen Termin für den Weltuntergang.

Mit dem Gleichnis von den Zehn Jungfrauen werden wir in eine ähnliche Lage hineingeführt. Die dritte Generation nach Jesus wartete auch sehnlichst auf das Ende der Welt, wie es Jesus angekündigt hatte. Aber es geschah nichts. Hatte sich Jesus getäuscht oder hatten sie sich getäuscht? Es entstand Unruhe in den Gemeinden. Viele wurden von dem ewigen Warten verzehrt; so wie das Öl in einer Lampe verzehrt wird, so nahm auch ihr Glaube an die Wiederkunft Christi ab.

Bis dann eines Tages ein Prediger die Rede Jesu vom nahen Gottesreich neu auslegte. Er erzählte das Gleichnis von den Zehn Jungfrauen und machte damit deutlich: Gott hatte es anders vor, als wir es immer verstanden haben. Wir müssen noch mit einem gewissen Zeitraum rechnen. Aber das ist kein Grund, in der Wachsamkeit nachzulassen oder gar die Hoffnung auf die Niederkunft Jesu ganz aufzugeben.

Die Hoffnung gehört mit zum Leben der Menschen hinzu. Auch die kleinen Hoffnungen unsers täglichen Lebens können wir nicht geringachten: Wir hoffen auf einen erholsamen Urlaub, auf das Wiedersehen mit einem geliebten Menschen, auf die Wiederherstellung der Gesundheit. Aber solche Dinge dürfen uns den Blick auf die große Hoffnung nicht verstellen, daß die Welt wieder heil wird und neu geschaffen wird. So ist unser Glaube immer auf die Zukunft gerichtet. Diesen Punkt können wir nicht zur Not auch weglassen oder auch nur an den Rand stellen.

Dennoch wird Nüchternheit gerade für uns Menschen von heute auch ganz gut sein. Jesus hat nicht „alles“ vorausgesagt und für alle Zeiten festgelegt. Er hat ja selber den Zeitpunkt des Endes nicht gewußt, sondern ihn dem Vater überlassen. Er hat uns kein Drehbuch der „Letzten Dinge“ geliefert, aus dem wir ablesen könnten, in welchem Abschnitt wir uns gerade befinden.

Das Gleichnis sagt uns: „Es kann noch lange dauern, bis Gott sich allen öffentlich zeigen wird. Es genügt nicht, nur einfach zur Gemeinde zu gehören. Man muß auch den richtigen Glauben haben. Die zehn Mädchen wollen ja die ganze Gemeinde darstellen. Aber nur die eine Gruppe denkt richtig über Gott und läßt ihm die freie Entscheidung. Die andere Gruppe aber denkt falsch und meint, Gott müßte so handeln, wie sie sich das vorstellen. Allerdings wird sich erst am Ende herausstellen, wer klug und wer töricht war - wer auf Gott gehört hat und sich nicht hat beirren lassen oder wer seiner eigenen Meinung über Gott gefolgt ist.

Eins steht allerdings fest, damals wie heute: Jesus kommt! Nur wissen wir nicht, wann er kommt. Er ist schon heute bei uns in allem, was wir tun. Aber er wird auch wieder sichtbar erscheinen. Bis dahin aber ist noch' allerhand zu tun für uns. Schon Jesus hat seine Jünger auf einen Dienst zugerüstet, der offensichtlich nach seinem Abschied weitergehen sollte, ja sich erst voll entfalten sollte: Sie sollten predigen und unterweisen, Menschen heranführen und taufen, sein Mahl feiern und Kirchenzucht üben. Hier paßt die ganze Kirchengeschichte hinein, eine Zeit aktiven Wartens und wartender Aktivität. Den Antrieb und die Kraft dazu gibt Jesus selber.

Aber an sich soll das Leben ganz normal weitergehen. Dazu gehört selbst der Schlaf, der auch die klugen Mädchen übermannt. Sie werden. nicht getadelt, weil sie ein normales Leben führen, weil der Schlaf eben natürlich und normal ist. Nur sollen sie die Hoffnung nicht aufgeben, daß das normale Leben in die „Hochzeit“ ausmündet.

Aber wir können auch nichts tun, um den Bräutigam herbeizuzwingen. Das ist ja der Fehler der törichten Mädchen. Sie meinen, daß eine Lampenfüllung an Öl reichen wird. Sie rechnen gar nicht damit, daß das Kommen des Bräutigams sich noch hinziehen könnte. An sich wollen sie zu früh feiern und kommen dann zu spät.

Der Bräutigam kommt dann, wenn es für ihn Zeit ist. Er läßt sogar die Braut warten. Und erst recht tut er nicht den Brautjungfern den Gefallen, schon eher zu kommen, nur weil es ihnen so besser in den Kram paßt. Deshalb gilt es bis heute, sich auf ein langes Warten einzustellen, eben bis zur Wiederkunft Christi.

Andererseits kommt er aber ohne menschliches Zutun und läßt sich dabei auch nicht aufhalten. Er kommt, obwohl manche so unvernünftig sind und ihn herbeizwingen wollen. Er kommt, weil e r es will und nicht weil wir es wollen. Er kommt trotz aller Übel in der Zeit, und für manchen kommt er sogar zu früh.

In einem Traum hat einmal ein Prediger einer Versammlung böser Geister beigewohnt. Sie berieten, wie sie am besten die Seelen der Menschen fangen könnten. Einer sagte: „Ich will ihnen sagen: Es gibt keinen Gott!“ Aber die andere meinte: „Das werden sie nicht glauben, denn schon die Natur belehrt sie eines andere!“ Dann schlägt einer vor: „Ich will ihnen einreden, mit dem Tod sei alles aus!“ Aber er kommt auch mit seinem Vorschlag nicht durch, weil der Oberste sagt: „Ihr Gewissen läßt ihnen darüber keine Ruhe!“ Schließlich hat ein Dritter einen Vorschlag, der gut geheißen wird. Er sagt: „Ich will alles gelten lassen, was die Bibel und das Gewissen von Umkehr und Vertrauen zu Gott sagen, aber dann hinzufügen: Es hat noch Zeit!“ „Vortrefflich“, rief da der König der Teufel aus, „geht hin und handelt nach diesem Rezept!“

Dieses lauwarme Aufschieben wird uns tatsächlich zur größten Versuchung. Wir meinen, es gäbe ja noch viele Gelegenheiten, um Gutes zu tun, und verpassen dabei die Forderung des Tages. Wir trösten uns mit dem Gedanken, der Jüngste Tag werde schon nicht so bald kommen, mit Glaubensdingen könne man sich noch später befassen. Wir hoffen nicht mehr so sehnsüchtig und zukunftsgewiß wie im Neuen Testament. Wir sagen: „Das ist jetzt 2 000 Jahre her und das Erwartete ist nicht eingetreten, das ist nichts mehr für uns!“

Bei unseren alltäglichen Problemen sind wir da eifriger. Schon lange vor Weihnachten laufen wir nach Rosinen für den Stollen und nach Kerzen für den Baum. Manchmal können wir sogar das Gewünschte nicht finden.

Das Ende der Welt aber kommt bestimmt. Vor allem aber kommt das Ende unsers zeitlichen Lebens. Wir haben nicht länger zu warten als unser Leben dauert. Deshalb gilt es, in jedem Augenblick abrufbar zu sein. Es kann auch einmal sehr schnell gehen.

Wir denken am heutigen Tag auch an die, für die die Stunde schon geschlagen hat. Für sie ist das Problem schon gelöst, ob Gott zu früh oder zu spät gekommen ist. Deshalb wollen wir nicht nur an die Toten denken, sondern schon unser Zukunft im Auge haben, unsern Tod und die Ewigkeit. Wir begehen heute nicht einen „Totensonntag“, sondern den „Ewigkeitssonntag“, an dem die Lebenden zur Besinnung gerufen werden.

Heute ist auch kein Trauertag, sondern man kann auch mit Freude an die Ewigkeit denken. Eine Hochzeit ist ein fröhliches Fest. Und wenn es heißt: „Der Bräutigam kommt!“ dann ist das kein Schreckensruf, sondern ein beglückender Ruf der Freude für den, der wirklich bereit ist.

Zur Hochzeit gehört auch unbedingt ein Hochzeitszug mit entsprechend vielen Leuten. Hätten die klugen Mädchen etwas von ihrem Öl abgegeben, dann hätte ihr Zug ein klägliches Ende genommen, weil dann alle ohne Öl dagestanden hätten. Es gibt eben auch einmal ein „Zu spät“. Dann kann sich keiner mehr hinter dem anderen verstecken, auch nicht in Glaubensdingen: Es nutzt den Kindern nichts, wenn die Eltern fromm sind. Es nutzt dem Mann nichts, wenn die Frau zum Gottesdienst geht. Es nutzt dem Paten nichts, wenn das Patenkind zwar konfirmiert wird, aber er selber hält nichts vom Glauben. Wer nicht persönlich dabei gewesen ist, hat alles verpaßt.

Weil die Ankunft Gottes so sicher ist, dürfen wir bei unserer Arbeit nicht versagen. Er sorgt für das Letzte und wir haben uns um das Vorletzte zu kümmern, weil das am Ende so unendlich wichtig sein wird. Es wäre falsch, das Ende zu nah zu erwarten, uns nur mit dem Morgen zu beschäftigen und das Heute zu verpassen. Es wäre aber auch falsch, das Ende zu weit zu wähnen.

Dann ginge es uns wie jenem Brückenbauer, der als erster eine Brücke über einen großen Abgrund geplant hatte. Der Bau wurde vollendet und war der Stolz aller, die daran gebaut hatten. Am Tag der Einweihung aber wurde der Architekt von nicht zu überwindenden Zweifeln gepackt, ob er sich nicht doch verrechnet habe und die Brücke zusammenstürzen muß. In seiner Verzweiflung stürzte er sich von der Brücke in die Tiefe. Diese hat jedoch bis heute ihren Dienst getan.

Wir sollten nicht dem Wahn erliegen, uns verrechnet zu haben. Gott rechnet allein. Deshalb sollte unsere Hoffnung die Naherwartung und die Fernerwartung in sich vereinen. Wenn es Zeit ist, wird Gott schon kommen. Wir können nur dafür beten, daß wir dann gerüstet sind, ihn zu empfangen.

 

 

Mt 25, 31 - 46 (Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr):

Die wenigsten von uns werden schon einmal mit dem Gericht zu tun gehabt haben. Wir kennen diese Situation nur vom Film und Fernsehen. Dennoch kann man schneller als man denkt in etwas hineingeraten, so daß man sich vor der Schiedskommission oder vor dem Gericht verantworten muß. Weil wir freie Menschen sind, müssen wir unser Leben verantworten, was wir getan oder was wir nicht getan haben. Auf alle Fälle aber werden wir vor dem Richterstuhl Christi stehen. Es muß zwar nicht genau so sein, wie hier beschrieben. Aber eines Tages werden wir nicht mehr untertauchen oder uns durchmogeln können, sondern dann stehen wir vor Gott.

Genau genommen ist das aber auch heute schor so. Gottes Wohlgefallen oder Mißfallen gehen ständig mit uns. Wer Böses tut, straft sich selber gleich mit: Er kann nicht frei sein mit einem schlechten Gewissen; er wird gelähmt, wenn er versagt hat; er zerstört Gemeinschaft, wenn er dem anderen enttäuscht oder hintergangen hat; er wird einsam, wenn er geizig ist, usw.

Dennoch vollzieht sich das Gericht Gottes nicht allein tief verborgen im Herzen des Einzelnen, wenn ein Mensch seine eigene Verkehrtheit entdeckt und darüber erschrickt. Dabei kann man sich immer noch beschwichtigen und vergessen und verdrängen wollen. Aber das wird uns Christus nicht für immer durchgehen lassen. Eines Tages kommt das Endgericht. Dann gibt es keine Möglichkeit zur Umkehr mehr, sondern die Akten werden geschlossen.

Damit wir eines Tages nicht davon überrascht werden, erzählt Jesus uns dieses Gleichnis. Er macht deutlich, daß er selber auch mit betroffen ist. Die einen haben Liebestaten vollbracht und nicht gewußt, daß sie das Jesus getan haben. Die anderen dagegen behaupten wiederum, sie seien ja Jesus nie begegnet. Doch wer seinen Brüdern und Schwester dient, der dient damit Jesus.

Wem das deutlich ist, der wird vielleicht Angst haben vor dem Menschen, die im Endgericht als Zeugen und Ankläger gegen ihm auftrete werden. Jesus selbst wird ihr Sprecher sein, weil er jedesmal der Betroffene war. Allerdings wird Jesus auch zur Sprache bringen, was f ü r uns spricht. Er billigt uns nicht mildernde Umstände zu und spricht uns nicht mangels Beweises frei, sondern er begnadigt uns. Das Urteil ergeht zwar nach den Werken, aber es wird aufgehoben im Spruch der Gnade. Ganz am Schluß wechselt die Erzählung noch einmal hinüber zu den Gesegneten, denen das ewige Leben geschenkt wird. Hier erkennt man, worauf Jesus letztlich abzielt. Aber zunächst einmal macht er uns deutlich, wie wir leben sollen, um im Endgericht bestehen

Ist die Geschichte vom Heiligen Martin eigentlich noch bekannt? Der Martinstag ist der 11. November. Er erinnert an Martin von Tours. Er hatte schon immer eine Neigung zum Christentum. Aber er war nicht getauft. Er hatte Soldat des römischen Reiches werden müssen und hatte einen hohen Posten erhalten. Doch er durfte nicht in der Kirche sein. Eines Tages reitet er mit einem Pferd über Land. Es bläst ein eisiger Schneesturm. Da trifft er am Weg einen Bettler in Lumpen gehüllt und halberfroren. Kurz entschlossen nimmt er seinen weiten Mantelumhang her, teilt ihn mit dem Schwert in zwei Hälften und gibt dem Bettler die eine Hälfte. Kurz darauf läßt er sich taufen.

Obwohl er also noch kein Christ im eigentlichen Sinne war, hat er doch so gehandelt, wie Christus es uns geboten hat: Er hat Nackte bekleidet und hat damit eins der sieben Werke der Barmherzigkeit getan, die Jesus in seinem Gleichnis vom großen Weltgericht aufgezählt hat: Hungrige speisen, Durstige tränken, Heimatlose beherbergen, Nackte bekleiden, Kranke besuchen, Gefangene trösten und Tote begraben.

Das soll nun allerdings nicht heißen: Man kann auch ein anständiger Mensch sein, ohne in die Kirche zu gehen. Hauptsache: „Ich tue meine Pflicht und tue keinem Menschen etwas zuleide und lebe ehrlich von meiner Hände Arbeit!“ Manche Leute sagen ja: „Es kommt nur darauf an, sich um den Mitmenschen zu kümmern; das ist mehr, als immer nur in die Kirche zu laufen! Wahres Christentum zeigt sich in der Tat! Anstatt Kirchen zu bauen und zu erneuern, sollten sie lieber Wohnungen erstellen, damit wäre uns mehr gedient!“ So kann man es doch immer wieder einmal hören.

Doch solch ein rein praktisches Christentum ist eine Einbildung. Man kann das dann „Humanismus“ nennen, aber es ist kein Glaube. Krankenhäuser können auch Menschen bauen, die nicht glauben - und es ist gut, wenn sie es tun. Wir dürfen froh sein, wenn vieles von dem, was Jesus gewollt hat, in unserer heutigen Welt verwirklicht wird, auch von Nichtchristen.

Dennoch bleibt ein Unterschied, wenn man nach den Beweggründen fragt: Ob ich es tue, um dem Fortschritt der Menschheit zu dienen oder um einen Auftrag Gottes auszuführen. Man muß auch genau hinhören, was das für Taten sind, die vor Gott zählen: Es geht nicht um unsern Bruttoverdienst oder daß wir keine Vorstrafen haben. Vielmehr kommt es darauf an, die Not des andern ganz ernst zu nehmen

Aber nun das Überraschende, das Jesus sagt: Die guten Taten der Nichtchristen k ö n n e n ihnen angerechnet werden. Das muß nicht sein, Gott behält sich seine freie Entscheidung vor. Aber es können auch Menschen im Endgericht freigesprochen werden, die nicht in dem Bewußtsein gelebt haben, im Dienst Gottes zu stehen. Sie haben sich keine großen Taten vorgenommen, sie taten, was ihnen vor die Hand kam. Unbewußt taten sie, was Gott erwartete und werden dafür gerecht gesprochen.

Das heißt aber nicht, daß w i r den Ruf Gottes in den Wind schlagen können. Denn w i r wissen ja von ihm und stehen ja schon immer in seinem Dienst. In dem notleidenden Menschen können wir unsern Herrn Jesus Christus erkennen. Jeder Mensch ist für uns ein Abbild Gottes und aus jedem sehen uns die Augen Jesu Christi an und fragen uns: „Hilfst du mir?“

Wir haben nicht schon unser Soll erfüllt, wenn wir am Sonntag zum Gottesdienst gehen. Gottesdienst ist auch die Tat der Barmherzigkeit, die ohne alle Hintergedanken denen gilt, die mich brauchen. Wenn wir hier diese Kirche verlassen, dann beginnt der zweite Teil des Gottesdienstes. Dann zeigt sich erst, ob wir Gott richtig verstanden haben und ob wir ihm dienen wollen.

Beides gehört immer zusammen: der Gottesdienst am Sonntag und der Gottesdienst am Werktag. Man kann nicht auf eins von beiden verzichten. Durch gute Taten am Mitmenschen wird der Gottesdienst am Sonntag nicht überflüssig. Man hat behauptet, als Christ brauche man nicht zum Gottesdienst und zum Abendmahl gehen, denn was dort geschieht, das könne sich auch in ganz anderen Formen zeigen. Dazu ein Beispiel: In einem Lokal in Amerika verkehren vorwiegend Weiße. Nur ein Schwarzer sitzt mit drin, allein an seinem Tisch, obwohl es ziemlich voll ist. Die Leute gehen lieber wieder, als daß sie sich zu diesem Schwarzen setzen. Wenn ich nun hingehe und ihm Gesellschaft leiste, dann sei das dasselbe wie das Abendmahl. Da entstünde Gemeinschaft wie beim Abendmahl und auf die Feier am Sonntag mit Brot und Wein könne man dann verzichten.

Natürlich kann man auf diese Art mit einem Menschen sehr eng verbunden sein. Aber die erste Frage ist doch die Gemeinschaft mit Gott. Wer zu Gott gehört durch das Abendmahl, der wird ganz von selbst versuchen, auch andere Menschen zu Gott zu führen. Er wird sich vielleicht auch besonders um die Verachteten und Ausgestoßenen kümmern. Aber das ersetzt immer noch nicht die Feier des Abendmahls. Im Gegenteil: Nur von dort her erhalten wir Kraft, auch das andere zu tun!

Es gibt auch heute noch viel zu tun. Der Blick in die weite Welt und die „Aktion Brot für die Welt“ dürfen dabei nicht dazu führen, das zu übersehen, was uns unmittelbar vor Augen liegt. Heute werden von den sieben Werken der Barmherzigkeit besonders die Krankenbesuche wichtig sein. Ein kranker und ein alter Mensch werden oft links liegengelassen und vereinsamen. Man braucht oft gar nicht viel zu tun, vielleicht nur einmal nach dem Betreffenden zu

sehen.

Nächstenliebe ist allerdings noch etwas mehr als praktische Hilfsbereitschaft. Entscheidend ist der Trost in der inneren Not. Mancher Kranke wird undankbar, mancher hat Fragen. Hier gilt es zu helfen. Aber wir sollten dabei wissen, daß jeder von uns genauso schuldig ist wie der andere und auf die Vergebung Gottes angewiesen ist. Vielleicht können wir gerade hier die meiste Hilfe bringen, einerlei ob der andere innerhalb oder außerhalb der Gemeinde steht.

Jesus sagt: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ Das allein entscheidet über das Urteil, das am Ende unsers Lebens über uns gefällt wird. In den ganz unscheinbaren Entscheidungen des Alltags geht es um unser Schicksal, geht es um unser Verhältnis zu Gott.

Aber heißt es denn nicht an anderer Stelle: „Wir werden ohne die Werke gerecht gesprochen, allein aus Glauben?“ Sicherlich sollten wir nicht nur deshalb Gutes tun, weil wir Lohn dafür erwarten. Die Menschen, die Jesus als Vorbilder hinstellt, haben ja ganz unbewußt so gehandelt; es ist einfach alles ganz selbstverständlich aus ihrem Glauben hervorgewachsen. Irgendwo muß der Glaube praktische Auswirkungen zeigen, sonst ist er kein Glaube.

Es werden gar keine großartigen Leistungen und heroische Taten verlangt. Es ist nicht jeder von uns ein Albert Schweitzer. Aber auf kleine alltägliche Hilfen kommt es an: Da ist eine Mutter erkrankt und die Nachbarinnen kochen nun abwechselnd für die Familie mit. Einer Mutter mit einem Beinleiden wird der tägliche Weg zur Kinderkrippe abgenommen. Die kranke Tante wird besucht. Man spricht mit dem, der aus der Haft entlassen wurde. Es werden auch Spenden gegeben für die Opfer von Erdbeben und anderen Naturkatastrophen.

Gewiß, jeder von uns hat sein eigenes Päckchen zu tragen. Aber wir werden von Gott nicht gefragt, was wir für u n s getan haben, sondern wo wir anderen geholfen haben. Jesus jedenfalls verheißt Freude beim Herrn für all die, die auch den Mitmenschen sehen und in diesem den leidenden Christus erkennen.

 

 

Mt 27,31 - 66 (Karfreitag, Andacht):

Wir haben genug vom Tod. Immer wieder neue Kreuze werden aufgerichtet auf unzähligen Friedhöfen. Angehörige weinen und trauern. Kriege treiben wehrlose Kinder und Alte in den Tod. Aber auch wenn die für den Krieg Ausgebildeten dabei umkommen, dann ist das genauso schlimm. Bestialisch setzen sich Machthaber durch und lassen im Bürgerkrieg ihre Landsleute ermorden. Täglich wird mit dem Hinweis auf die Kernwaffen jedem Menschen sein eigenes Friedhofskreuz vor Augen gehalten. Massengräber erinnern uns an das Sterben Tausender. Wir können das Kreuz und den Tod nicht mehr ertragen.

Und da kommt auch noch der Karfreitag, an dem wir unter dem Kreuz stehen und das Sterben und den Tod Jesu bedenken. Gott sei Dank gibt es nur einen Karfreitag im Jahr. Dennoch haben wir den Karfreitag Sonntag für Sonntag vor Augen: Auf dem Altar steht eine Darstellung

des Gekreuzigten. Das ist auch gut so, denn dadurch sollen wir ja daran erinnert werden, daß er für uns gestorben ist.

Aber es besteht auch die Gefahr, daß wir uns dann in der Nähe des Altars verhalten, wie es angemessen ist in der Nähe eines Leidenden und Sterbenden. Es erfaßt uns mehr die Macht des Todes als das Licht des gekreuzigten Auferstandenen. Im Blick auf Jesus sind wir mehr vom Tod bestimmt als von seinem Tod für uns. Uns graut mehr vor dem Tod, als daß wir mit Freuden entdecken, daß dieser Tod zur Quelle unseres Lebens wird.

Deshalb hat die Art der Kreuze in den reformierten Kirchen durchaus etwas für sich. Man hat dort das bloße Kreuz, ohne den Körper Jesu dran. Das hängt mit der Bilderfeindlichkeit der Reformierten zusammen, die keine Darstellung Gottes und auch keine Darstellung Jesu wollen. Aber man kann das auch anders deuten: Das leere Kreuz ist gleichzeitig ein Symbol der Auferstehung. Jesus ist nicht mehr am Kreuz, er ist auferstanden. So wird das Kreuz von einem Zeichen der Niederlage zu einem Zeichen des Sieges.

Solche Gedanken sind jedenfalls besser als die Flucht vor dem Gedanken an die Niederlage Jesu und an seinen Tod. Wir wollen den Karfreitag leicht überspringen. Die jetzige Feiertagsregelung macht es ja auch möglich: Der Karfreitag ist der erste der freien Tage. Da kann man gut noch Eier färben oder Kuchen backen oder Auto putzen. Auch Sportveranstaltungen wickelt man gern an diesem Tag ab. Und manche Leute haben eine Karte für eine große musikalische Aufführung, zum Beispiel für eine Passion von Bach. Sie ersetzen dann die Nachfolge durch Kultur. Aber Karfreitag ist etwas anderes.

Jesus erleidet Spott: Wir wissen alle, wie weh uns Spott tut. Dabei müßte man eher Mitleid mit einem Gekreuzigten haben, der einen furchtbaren Tod stirbt. Aber die Hinrichtung Jesu weckt nicht Mitleid, sondern Hohn und Spott. So wird Jesus am Kreuz noch tiefer in die abgrundtiefe Verlassenheit hineingestoßen.

Verspottet wird er von einem der beiden Verbrecher. Er kennt Jesus nicht oder nur vom Hörensagen. Jesus wird verspottet von den Schaulustigen, denen es nicht genügt, einen Menschen leiden zu sehen, sondern die ihn auch noch verhöhnen. Verspottet wird er auch von den Priestern und Einflußreichen. Sie kennen den, der am Kreuz hängt, aber sie wollen ihn nicht anerkennen.

In ihrem Spott ist jedoch die Wahrheit verkleidet. Sie erkennen an, daß Jesus anderen geholfen hat. Noch als Ohnmächtiger hilft Jesus. Die Priester jedoch wollen in eigensüchtiger Selbsthilfe ein Zeichen der Nähe Gottes sehen. Sie glauben, ihn gut zu kennen; aber gerade so verschließen sie sich der Wahrheit.

Jesus betet in seiner Notlage: Unzählige Menschen haben in Todesnot geschrien. Was unterscheidet ihr Schreien und Sterben vom Schrei Jesu? Hier schreit einer, der unschuldig stirbt, unschuldig vor Menschen und vor Gott. Jesus hat nicht nur für eine gute Sache, er hat auch im Einklang mit Gott gelebt. Er kam von Gott und wollte für Gott wirken.

Aber nun scheint seine Sendung gescheitert zu sein. Alle lehnen ihn ab. Und auch den himmlischen Vater scheint er nicht mehr zu verstehen. Doch Jesus lehnt den Betäubungstrank ab. Er will die Tiefe menschlichen Leidens auskosten, damit er die Menschen verstehen kann. Er

will nicht berauscht sein und dem Tod wach ins Auge sehen.

Er ist auch nicht en Gott verzweifelt. Er spricht nur den Anfang des 22. Psalms, der aber insgesamt ein Vertrauenspsalm ist. Immer noch sagt er „mein Gott“. Und dieses „mein“ ist auch unser Halt und Trost. In aller Verzweiflung ruft Jesus dennoch Gott an, er wirft sich dem Vater in die Arme.

In Jesu Sterben erfahren wir Gott: Es gibt keinen Ort in der Welt, an dem Gott nicht ist. Es gibt keine Stunde in unserem Leben, die Gott nicht gehört. Wir dürfen immer rufen: „Mein Gott“, nicht so gedankenlos hingesprochen, sondern wirklich als Hilfeschrei. Im Namen Gottes werden wir auch protestieren und tätig werden für andere Menschen, die es nötig haben. Unser Beten geht nicht ins Leere. Wenn wir unter dem Kreuz bleiben, dann können wir uns auch am Kreuz halten. Jesus selbst hält uns. Selbst der römische Hauptmann bekennt ja am Ende: „Wahrhaftig, dieser ist Gottes Sohn!“

 

 

Mt 28, 1 - 10 (Ostersonntag):

„Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube!“ heißt es in Goethes „Faust“ Das dürfte auch die Einstellung vieler Menschen gegenüber den Ostererzählungen sein. Gerade Matthäus geht ja sehr weit, wenn es bei ihm heißt: Die Frauen umfassen die Knie des auf= erstandenen Jesus. Da wundern sich doch viele unsrer Mitmenschen, wie die Kirche in unserem. aufgeklärten Zeitalter immer noch diese Botschaft von der Auferstehung verkünden kann.

Sie stellen sich das ja noch immer so vor, als sei damals ein Toter wieder aus dem Grab her­ausgekommen, als habe hier der seltene Fall eines Scheintodes vorgelegen. Für die Meisten wäre so etwas aber doch etwas Schreckliches, wenn sie es wirklich erleben würden. Aber es wä.re natürlich nur die Rückkehr in das Leben der alten Welt, das mit einem erneuten Sterben endet.

Vielleicht haben die Frauen auch zunächst an so etwas gedacht, als sie sich am Ostermorgen zum Grab aufwachten. Ihre Lage war trostlos. Sie kommen lediglich, um das Grab noch einmal zu besehen. So gehen wir ja vielleicht heute Nachmittag noch einmal hinaus auf den Friedhof, um die Gräber der Angehörigen zu besuchen. Irgendwie hat man doch das Gefühl, dem Verstorbenen dort näher zu sein. Wir hängen oft an einem Grab, weil es manchmal fast die letzte Erinnerung an einen lieben Menschen ist.

In den Augen der Frauen hatte das Kapitel „Jesus von Nazareth“ am Karfreitag unrühmlich geendet. Es war, wie wenn der Führer einer Bewegung ermordet worden ist. Dann droht doch alles auseinander zu fallen. Was sollte denn aus den Menschen werden, die Jesus in seine Ge­meinschaft aufgenommen hatte, denen er seine Vergebung geschenkt hatte und deren Hoffnung nun dahin war? Was sie geglaubt hatten, war lächerlich gemacht worden, denn in den Augen der Menschen mußte Jesus wie ein Verbrecher erscheinen und auch Gott schien ihn bloßgestellt zu haben.

Doch es kam alles ganz anders, als sie es sich gedacht habe. Wir spüren heute noch deutlich heraus‚ wie wenig man mit dieser unerwarteten Überraschung gerechnet hatte. Ostern ist das Fest der Überraschungen. Deshalb ist es Unsinn, wenn man behauptet: Ostern hat sich nur in der Einbildung der Frauen und der Jünger ereignet. Sie hatten alles erwartet, nur nicht das, was dann tatsächlich an Ostern geschah. Hier muß Gott an ihnen gehandelt haben, hier muß etwas von außen über sie hereingebrochen sein, daß sie doch noch zum Osterglauben finden konnten.

Zunächst einmal begann alles mit Furcht und Zittern. Viermal wird ausdrücklich von der Furcht geredet. Erst als den Frauen gesagt wird: „Fürchtet euch nicht!“ kann sich nach und nach bei ihnen die große Freude einstellen. Die harte Wirklichkeit der Welt wird damit noch nicht übersprungen, Kreuz und Niederlage werden nicht geleugnet, die Gewalt des Bösen entfaltet sich weiter in unserem persönlichen Alltag und im Leben der Völker. Unrecht schafft Unfriede, Haß vergiftet die Beziehungen der Menschen untereinander, Schuld und Tod machen uns weiterhin zu schaffen.

Aber seit Ostern erscheint das alles in einem neuen Licht. Gott hat sich vorbehaltlos auf die Seite Jesu und auch auf die Seite der Sünder gestellt. Alles fing noch einmal von vorne an, ja es ging erst richtig los, weil Jesus auferstanden war. Ohne diesen Osterglauben gäbe es heute keine Gemeinde Christi mehr, hätte sich die Gemeinde nicht immer wieder in ihren Anfechtungen behaupten können. Von daher empfangen wir auch heute noch Kraft, nicht weil wir einen Menschen namens Jesus noch verehren, sondern weil er auch heute noch unser lebendiger Herr ist.

Die Auferstehung Jesu war die Wende der Zeiten und der Sieg des Lebens über den Tod. Hier wurde nicht irgendein Toter noch einmal schnell ins Leben zurückgerufen, sondern hier hat Gott eine neue Welt begonnen. Die Grabeswächter wollten Jesus noch im Tode mit Gewalt im Grab festhalten, sie wollten ihn endgültig für tot erklären. Die Jünger sollten den Leichnam nicht stehlen können, um dann zu behaupten, Jesus sei auferstanden. Doch siehe da: Gott läßt sich durch die Grabplatte und Wächter nicht hindern.

Überhaupt ist das Grab Jesu nicht wichtig. Nur in den Evangelien wird es erwähnt. Bei Paulus und in den alten Bekenntnissen der Christenheit wird es nicht erwähnt. Paulus hat auch an den Auferstandenen geglaubt, ohne das leere Grab gesehen zu haben. Nirgendwo wird das leere Grab als Beweis für die Auferstehung Jesu angeführt. Den Frauen wird zwar gesagt, daß das Grab leer sei, aber sie prüfen es nicht selber nach. Sie glauben auch so den Worten des Engels, ihr Glaube wird durch das Wort hervorgerufen.

Das ist im Grunde auch unsere Lage: Wir können nichts nachprüfen, wir können nur auf das Wort Gottes vertrauen. Wer über die Geschichte vom leeren Grab den Kopf schüttelt, der hat noch längst nicht begriffen, worum es geht. Gott konnte den Gekreuzigten im Grab lassen, konnte seinen Leichnam sogar dort vermodern lassen, und doch seinen Sohn ganz neu ins Leben rufen.

Gottes Möglichkeiten sind doch nicht so beschränkt, daß er unbedingt den Leib des gekreuzigten Jesus für seine Auferstehung gebraucht hätte. Es handelt sich bei der Auferstehung ja nicht um die Wiederherstellung des natürlichen und verweslichen Leibes, sondern Gott schafft etwas neues, er überkleidet mit einem neuen Leib. So wie er in der Geburt den Menschen erschafft, so wird er ihn auch nach dem Tode neu schaffen.

Das leere Grab ist eigentlich nur der Hintergrund für das, worauf es ankommt. Die große Freude entsteht nicht aus der Fehlmeldung: „Er ist nicht hier!“ sondern aus der Botschaft des Engels: „Er ist auferstanden!“ Ostern bedeutet nicht Totengedächtnis und Grabpflege, sondern Begegnung mit dem auferstandenen Herrn. Das leere Grab nützte uns nichts, wenn wir es nicht mit Jesus selbst zu tun bekämen.

Wir glauben nicht an die allgemein Möglichkeit, daß so etwas wie eine Auferstehung möglich ist, sondern wir glauben an den auferstandenen Jesus Christus. Es geht nicht um die Überzeugung, daß ein Mann namens Jesus erstaunlicherweise wieder zum Leben kam. Vielmehr erfahren wir an Ostern, daß Jesus uns noch heute immer wieder in den Weg treten will und mit uns auf eine ganz persönliche Art und Weise mit uns Verbindung aufnehmen will. Er nimmt wieder aufs Neue die Gemeinschaft mit uns auf und will das auch in Zukunft so halten. Es geht nicht um die Nachwirkung seines Redens und Tuns von einst, sondern um das Geschehen von heute. Uns ist Jesus nicht weniger nahe als den Frauen und den Jüngern von damals. Auch uns kann er plötzlich in den Weg treten, nicht leibhaftig, aber doch so, daß wir seine Gegenwart deutlich spüren. Er schafft schon von sich aus die Möglichkeiten, um sich mitzuteilen.

Aber man kann diesem Herrn nicht begegnen, ohne gleich wieder vor ihm ausgesandt zu werden. Er ruft auch uns, die Osterbotschaft weiterzusagen und danach zu handeln. Wir sind keine Christen, wenn wir mit unserem Glauben wie ein Schiff im Hafen vor Anker liegenbleiben oder nur gelegentlich eine unverbindliche Küstenschiffahrt treiben. Jesus schickt uns hinaus auf das hohe Meer. Unser Glaube wird dann vielleicht in den Stürmen des Lebens in Gefahr geraten. Aber Jesus wird uns dann schon beistehen, denn er hat ja die gleichen Gefahren durchgemacht, ehe er sie überwunden hat.

Ein Wagnis ist es allemal, sich auf diesen Jesus einzulassen. Man soll ja glauben und vertrauen, daß das Leben stärker ist als der Tod, die Hoffnung stärker als die Verzweiflung, die Liebe stärker als der Haß, die Freude stärker als die Furcht. Wir sind eingeladen, in den Osterjubel einzustimmen und alle Furcht fortblasen zu lassen und unsere Freude den Menschen rings um uns herum mitzuteilen.

Wo Menschen dem auferstandenen Herrn begegnen, da verändert sich etwas in ihrem Leben. Da sind zunächst die Jünger Jesu. Die Kreuzigung haben sie bestenfalls aus der Ferne miterlebt, sie hatten Angst um ihr Leben und gaben die Sache Jesu verloren. Aber als sie erfahren, daß Jesus mit ihnen lebt, da beweisen sie einen erstaunlichen Mut. Sie erzählen frei und öffentlich von Jesus und tragen den Glauben weiter, auch wenn sie dafür verachtet und ins Gefängnis gebracht werden. Sie können sogar von ihrer Schwäche reden, weil sie gerade dabei merken, wie der auferstandene Herr bei ihnen ist. Wir können die Auferstehung Jesu nicht beweisen. Aber wir sehen, wie Menschen sich verändern, wenn sie mit dem Vertrauen leben, daß Jesus lebt.

Da kommt es vor, daß sich in Nordirland protestantische und katholische Kinder beim Spielen umarmen, auch wenn die umstehenden Erwachsenen entsetzt sind. Da kommt es vor, daß man sich auf der Autobahn gegenseitig hilft und den Fahrfehler des anderen entschuldigt. Bei Beerdigungen lassen sich die Hinterbliebenen trösten und denken voll Dank und neuer Hoffnung zurück an das Leben des Verstorbenen. Da versöhnen sich wieder Menschen miteinander, die schon auseinandergelaufen waren; sie beginnen neu und lassen sich verwandeln und machen so deutlich: Christ ist erstanden? Das ist der Geist des Lebens mitten im Tod, die Hoffnung inmitten aller Niedergeschlagenheit. Das ist Ostern heute, das öffnet die Zukunft.

 

 

Mt 28, 16 – 20 (6. Sonntag nach Trinitatis):

Zu einem Pfarrer kam einmal eine Mutter und wollte ihre zwei Kinder zur Taufe anmelden. „Sie sind aber schon 5 und 3 Jahre alt“, sagte sie. „Jetzt schämen wir uns, mit so großen Kindern noch durchs Dorf zu gehen in die Kirche. Geht das nicht, daß wir gar keine Taufe machen. Sie schreiben nur eine Taufurkunde aus und ich lade Sie auch nachher zum Kaffee ein!“

Auf Kaffee und Kuchen kommt es bei der Taufe ja nun überhaupt nicht an. Und auch die Taufurkunde ist nicht das Wichtigste. Es kommt ganz allein auf den Vollzug der Taufe an, also das dreimalige Begießen mit Wasser und die dazu gesprochenen Worte. Und auch wenn ein Erwachsener getauft wird, kann das nicht anders gemacht werden.

Daran wird deutlich: Die Taufe ist heilsnotwendig. Es gibt kein Christsein ohne die Taufe. Man kann sich zwar zur Gemeinde halten, zum Gottesdienst oder zum kirchlichen Unterricht kommen, aber dann ist man immer noch kein Christ im vollen Sinne. Wir brauchen uns gar keine Gedanken darüber zu machen, ob man in Zukunft vielleicht in einzelnen Fällen auf die Taufe verzichten könnte. Jesus hat sie uns geboten, da können wir es nicht anders machen.

Und so wurden auch jene beiden Kinder ordnungsgemäß getauft, zwar nicht in der Kirche, sondern im Haus, aber doch so, wie es sich gehört.

Wenn einer aus irgendeinem Grund die Taufe nicht erlangen konnte, dann hat Gott für ihn auch sicher noch andere Wege. Es kann ja sein, daß sich niemand gefunden hat, der wirklich hingegangen ist und diesem Menschen das Evangelium wirklich aufgeschlossen hat; da kann er ja nichts dafür. Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß die Taufe für unser Heil und das ewige Leben notwendig ist. Dieser Lehrsatz ist aber kein hartes Gesetz, sondern er macht die Einladung zur Taufe dringend und unüberhörbar. Er mahnt, dieses Angebot nicht auszuschlagen und das Geschenk Gottes doch anzunehmen. Nur wer diese Gabe verachtet, wird nicht zu Gott kommen können.

Manche Menschen wollen auch erst noch abwarten und fallen nicht gleich vor Jesus auf die Knie, wie seine Jünger. Aber selbst von deren heißt es ja: „Einige zweifelten“. Sie hatten diesen schlichten Mann aus Nazareth erlebt, wie er müde und erschöpft war, wie er ein grausames Ende genommen hatte. Aber nun soll er vor ihnen stehen wie ein Gott, als Inhaber aller Macht im Himmel und auf Erden. Da ist es nicht verwunderlich, wenn einer zweifelt. Aber wenn einer nach langem Zögern die Knie vor Jesus beugt, dann wiegt diese Entscheidung umso schwerer. Dann wird er sich alles wohl gut überlegt haben und nicht so schnell wieder anderen Sinnes werden.

Außerdem liegt das nicht allein bei ihm. Wir meinen ja leicht, der Glaube sei eine Sache der persönlichen Einstellung oder sogar des Geschmacks. Man kann sich aber nicht von einem neutralen Standort aus für eine bestimmte Glaubensweise entscheiden, so wie man sich für eine bestimmte musikalische Richtung oder für eine Sportart entscheidet. Und der christliche Glaube ist nicht eine von vielen Religionen, die um ihre Anerkennung werben. Jesus ist nicht einer von vielen, sondern der Unvergleichliche.

Er hat uns immer schon festgenagelt durch die Taufe. Wir können uns ja gar nicht mehr aussuchen, an welchen Gott wir glauben wollen. Wir gehören ja längst einem. Es geht nur darum, ob wir uns von dem lebendigen Gott ergreifen und retten lassen oder ohne ihn und gegen ihn leben wollen.

Wer aber mit ihm leben will, steht auch unter seinem besonderen Schutz. Der Ausdruck taufen „auf den Namen“ stammt aus dem Bankverkehr und meint die Gutschrift einer Summe auf ein Konto. Wer also getauft ist, gehört auf das Konto Jesu und ist damit sein Eigentum geworden.

Wer getauft ist, gehört nicht mehr den bösen Mächten, die ihn zu einem gottwidrigen Leben nötigten. Er ist vielmehr frei und kann von seinen Anklägern nicht mehr erpreßt werden. Er steht ja nunmehr auf der Seite Gottes und untersteht nur noch dessen Herrschaft. Das hat sich Martin Luther vor Augen gehalten, wenn ihm Zweifel und Anfechtungen kamen. Dann hat er sich in ein Zimmer eingeschlossen und mit Kreide vor sich auf den Tisch oder an die Wand geschrieben: „Ich bin getauft!“ Das hat ihm Trost und Sicherheit gegeben, daß keine Macht der Welt ihm etwas anhaben kann.

Eine ähnliche Erfahrung hat Karl Barth, ein bedeutender Theologe unserer Zeit, unmittelbar vor seinem Tod ausgedrückt. Am Abend vorher telefonierte er noch mit einem Freund. Sie sprachen über die dunkle Weltlage. Aber Barth sagte zum Schluß: „Nur ja die Ohren nicht hängenlassen! Nie! Denn es wird regiert!“ Der da regiert ist der dreieinige Gott, der in Jesus den Menschen nahe gekommen ist und der auch heute durch den Heiligen Geist unter uns wirkt.

Diese Worte: „Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden“ sind eine Art Regierungserklärung Jesu Christi. Nicht ein blindes Schicksal bestimmt unser Leben, nicht die Politiker haben die Macht über uns, nicht die Gesetze der Welt haben über uns zu bestimmen.

Die Machtfrage ist schon entschieden: Wir haben nur den einen Herrn, nämlich Jesus Christus, dem alle Macht gegeben ist.

Das Wörtchen „alle“ beherrscht diesen Text, kommt allein viermal vor. Es gibt also nichts, was außerhalb des Herrschaftsbereichs Gottes ist. Was in dieser Welt über die Bühne geht, ist immer nur der Vordergrund; im Hintergrund aber steht Christus, der der Herr ist über alles und alle. Und zwar ist er das nicht nur im Himmel, wohin ihn manche verbannen möchten, damit sie auf der Erde ihre eigene Macht ausspielen können Gott ist gerade auch Herr der Erde.

Auf den Namen dieses Gottes sind wir einst getauft worden. Wahrscheinlich sind die Worte unseres Predigttextes damals auch gesprochen worden, denn sie gehören eigentlich zu jeder Taufe. Es ist ja der sogenannte „Missionsbefehl“. Und Mission geschieht auf dem Weg der Taufe und der Unterweisung.

Dadurch hat die Kirche allerhand zu tun in der Zeitspanne zwischen Auferstehung und Wie­derkunft Christi. Dieser Dienst führt sie nach draußen zu den Völkern, aber auch in den Innenraum der Gemeinde, die alles einhalten soll, was der Herr ihr befohlen hat. Die Kirche überschreitet damit ihre eigenen Grenzen, indem sie hinausgeht, tauft und lehrt. Aber sie muß das tun, denn das, was ihr gegeben ist, gehört allen Völkern. Gott hat es allen Menschen zugedacht, also muß es auch unter die Leute kommen, und wir sind seine Boten dabei. In einer Legende aus der Anfangszeit der Kirche wird Jesus nach der Himmelfahrt von den Engeln gefragt: „Was wird nun aus deiner Botschaft?“ Er antwortet: „Dafür habe ich meine Jünger!“ Aber die Engel fragen weiter: „Und wenn sie nun versagen?“ sagt Jesus: „Eine andere Möglichkeit habe ich nicht!“

Die Kirche darf sich also nicht in ein Schneckenhaus zurückziehen, nur ihre Gottesdienste halten und vielleicht noch die Schwachsinnigen pflegen, aber sich um ihre Umwelt in Staat und Gesellschaft nicht kümmern. Diese Rolle möchten ihr manche Außenstehenden gern zudiktieren, um ihren Einfluß einzuschränken. Aber auch manche kirchlichen Leute möchten sie auf diesen Raum beschränken.

Andererseits aber darf sich die Kirche aber auch nicht in die Welt verlieren. Wenn ein Christ bei einer politischen Partei mitmacht, dann darf er nicht das verleugnen müssen, was ihm eigentlich am Herzen liegt, wenn er zwar als Bürger mitmachen kann, aber nicht als Christ wirken darf! Wenn wir schon einen Dienst an der Gesellschaft tun wollen, dann sollte auch deutlich werden: Der tut das im Dienst eines höheren Herrn!

Dieser Herr möchte ja, daß wir in die Welt gehen. Es ist ja seine Welt. Wo wir auch hinkommen, dort ist er immer schon anwesend. Er übt gewissermaßen einen Sog aus, so daß wir vorwärtsschreiten müssen und so den leeren Raum langsam ausfüllen. Dabei führen wir sein Wort mit, das überall hinkommen soll, wo er sich unerkannt schon aufhält.

Einer meinte: „Mein Leben hat dann einen Sinn gehabt, wenn ich nur zehn Menschen zu Christus geführt habe!“ Man könnte auch sagen: „Wenn es nur einer ist, dann ist schon viel erreicht!“ Aber in Wirklichkeit gilt: „Keiner kann einen anderen zu Christus führen, sondern er kommt zu uns. Nicht wir haben Menschen zu ihm zu führen, sondern er holt sie sich schon selber. Wir können nicht den Herrschaftsbereich Christi erweitern, sondern er hat schon alle Gewalt!“

Wenn einer sich um einen Menschen kümmert und ihm die frohe Botschaft bringen will, dann steht Jesus unsichtbar neben ihm. Wo sich eine Gemeinde in seinem Namen versammelt, da ist immer einer mehr anwesend, als man Köpfe zählen kann. Er hat gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“ Kein Jünger ist allein auf seinem Weg. Er ist auch nicht auf seine Gläubigkeit, sein Durchhaltevermögen oder seinen Verstand angewiesen, sondern allein auf diesen Herrn, der mit ihm geht.

Wir sind es allen Menschen schuldig, daß sie etwas von Christus erfahren. Mit dem Missionsbefehl gibt er uns einen Marschbefehl. Wir haben eine Bringschuld gegenüber allen Menschen: Wir können nicht warten, bis einmal einer bei uns nachfragt, sondern wir sind selber aufgefordert, aktiv zu werden.

Die Botschaft Christi ist doch kein Ladenhüter, sondern etwas, was wirklich alle gebrauchen können. Es muß sich nur herumsprechen, daß es da etwas gibt, was zum Leben nötig ist. Die Verkäufer dürfen das kostbare Gut nicht im Lager liegenlassen, sondern haben es schnell unter die Leute zu bringen, nicht nur unter gute Freunde, sondern wirklich an alle, die davon erfahren.

Allerdings kommt es hier auf das persönliche Zeugnis vor Person zu Person an. Christus ist zwar überall da, aber man muß sich doch für ihn entscheiden. Es wird nicht einfach jeder gerettet, der sich nicht zu Gott und zur Kirche gehalten hat. Das Heil wird allen angeboten; aber es will im Glauben angenommen sein. Solange die Flasche Wein im Schaufenster steht, habe ich noch nichts davon; ich muß schon hineingehen und sie kaufen, wenn ich sie genießen will. Das reichhaltige Angebot Gottes nutzt nichts, wenn wir es nicht in Anspruch nehmen.

Er bietet es uns an. Aber er sagt auch: „Geht damit hin in alle Welt!“ Diese Welt fängt in unserer eigenen Wohnung an, in der Schule, in der Firma, auf der Straße. Es wäre schön, wenn jemand durchs uns zum Jünger Jesu würde, indem er sich taufen läßt oder endlich das in die Tat umsetzt, was seit seiner Taufe schon in ihm liegt. Und noch besser ist natürlich, wenn wir selber uns immer wieder als echte Jünger Jesu erweisen.

 

 

 

 

 

 

Markus

 

 

Mk 1, 32 - 39 (19.  Sonntag nach Trinitatis, Variante 1)

Zu den meistbeschäftigten Leuten unsrer Zeit gehören die praktischen Ärzte. Es ist schon vorgekommen, daß einer an einem Tag 150 Patienten in der Praxis „behandelt“ hat, wenn man da noch von „behandeln“ sprechen kann. Mancher versorgt drei Leute auf einmal: Einer wird tatsächlich behandelt, einer kriegt nebenan Bestrahlung und ein dritter wird telefonisch zwischendrin mit guten Ratschlägen versorgt. Dazu kommen die Hausbesuche und bei manchen noch der Bereitschaftsdienst. Und zu allem dann noch zwischendrin ein Notfall, da kann so ein Arzt am Ende eines Tages schon ganz schön fertig sein.

Jesus wird es manchmal auch so ergangen sein wie einem Arzt. Er hätte in Kapernaum durchaus ein Ärztehaus aufmachen können. Es hatte sich herumgesprochen: „Da ist einer, der den Kranken helfen kann.“ Jesus war der Mann der Stunde. Auf ihn richteten sich alle Hoffnungen und Wünsche. Sie können kaum den Einbruch der Dunkelheit erwarten, wenn der Feiertag zünde ist und sie endlich ihre Kranken zu Jesus bringen können. Wir können sagen:

 

(1.) Es ist gut, wenn Jesus uns heilt! Sicherlich wird auch etwas Sensation und Neugier dabei gewesen sein, wenn die ganze Stadt sich vor dem Hause Jesu versammelte. Aber wer wird denn nicht zufassen, wenn sich die Möglichkeit bietet, die Kranken dem zuzuführen, der allein helfen kann? Es sind schwache und behinderte Menschen, die vom Schmerz gequält werden, deren geistiges und seelisches Leben so in Unordnung ist, daß sie gar keine Menschen mehr zu sein scheinen. Wie sollte man da nicht jede Chance nutzen, diesen Menschen zu helfen?

Offenbar sehen sie in Jesus zunächst nur den Arzt. Es ist ihnen selbstverständlich, daß er helfen kann. Die Frage ist nur, ob er auch will. Jesus könnte ja sagen: „Ihr leidet nur, was ihr verdient habt!“ Aber Jesus hat Mitleid mit den Kranken. Er will nicht nur der Sünde ein Ende machen, sondern auch der Krankheit und äußeren Not der Menschen.

Aber für Jesus hängen innere und äußere Krankheit miteinander zusammen. Wir sind der Meinung, daß jede Krankheit natürliche Ursachen hat: Ansteckung, Wildwuchs von Zellen, Abnutzung und Alter. Wir denken: Wenn nur die Ursache festgestellt ist, dann gibt es auch ein Mittel dagegen. Und man braucht nur die Tablette zu nehmen, und dann ist wieder alles gut. Die Medizin macht‘s möglich, wenn nicht heute, dann in der Zukunft.

Doch heute wissen die Ärzte wieder mehr von dem Zusammenhang zwischen seelischem und körperlichem Leiden. Wir verwenden ja auch Redewendungen, die das andeuten: die Angst steht einem Menschen „im Gesicht geschrieben“, der Schreck kann einem „den Atem verschlagen“,  Ärger kann „an die Nieren gehen“.  Damals führte man seelische Krankheiten auf die Einwirkung von Dämonen zurück. Deshalb mußte erst der böse Geist vertrieben werden, ehe der Mensch auch äußerlich gesunden konnte. Jesus hatte sicherlich eine solche Gabe, seelische Nöte aufzudecken und zu überwinden.

Auch heute hilft er sicher bei vielen Krankheiten, besonders auch bei den seelisch bedingten. Wie viele Gebete um Heilung wird er bereits erhört haben, ohne daß gleich wunderhafte Er­eignisse sich eingestellt haben. Aber er läßt auch Menschen ihr Leiden weiter tragen und läßt sie sogar sterben. Dennoch gilt: Jesus ist der Heiland auch in leiblicher Not. Wir dürfen ihn auch um Gesundheit bitten. Aber darin liegt nicht seine eigentliche Aufgabe. Wer nur Ge­sundheit von ihm will und sonst nichts weiter, der versteht ihn völlig falsch, der wird davon erst richtig krank. Jesus kann heilen, aber:

 

(2.) Dringlicher ist, daß Jesus für uns betet! Jesus hätte in der Stadt bleiben und seinen Triumph auskosten können. Die Menschen wären begeistert gewesen und wären immer wieder in  die Sprechstunde gekommen. Von hier aus hätte er seine Herrschaft antreten und sein Programm entfalten können. Seine Klinik wäre weltberühmt geworden. Er hätte wirklich etwas Praktisches für die Menschen tun können, hätte die Welt wirklich vorangebracht.

Doch in Kapernaum ist sein Auftrag erfüllt. Jesus flieht in die Einsamkeit. Die Jünger machen ihm deswegen Vorwürfe: „Jedermann sucht dich! Du kannst doch nicht einfach weglaufen, wo es soviel Not in der Welt gibt. Wie soll man das verstehen: Du könntest helfen und tust es nicht?! Weißt du denn nicht, daß man gerade im Alltag Gott einen Dienst tun kann? Du hast doch selber eine reine Frömmigkeit ohne entsprechende Taten bekämpft!“

Doch Jesus mußte in dauernder Verbindung bleiben mit dem, der ihn gesandt hat. Gott hatte ihm den Auftrag gegeben, da muß er sich immer wieder neu dieses Auftrags vergewissern. Nur wenn er mit Gott in Verbindung bleibt, werden auch die heilenden Kräfte in ihm bleiben, damit er den Menschen helfen kann. Deshalb braucht er nach der aktiven Zuwendung zu den Menschen wieder die besinnliche Hinwendung zu Gott.

Das Gleiche gilt auch für uns: Wenn wir eine Aufgabe vor uns sehen, können wir uns gleich an die Arbeit machen, einen großen Betrieb entfalten und alles nur auf die Praxis abstellen. Aber dann besteht die Gefahr, daß alles nur Leerlauf bleibt, zwar viel Betrieb, aber nichts dahinter. Das gilt besonders auch für unseren Umgang mit Kranken, aber auch so für die Arbeit der Kirche ganz allgemein, damals wie heute.

Doch die Liebe zum Mitmenschen kann nicht ohne die liebevolle Verbundenheit mit Gott sein. Auch Jesus hat der Stille und Sammlung bedurft. Er war so sehr Mensch, daß der Wechsel von Einatmen und Ausatmen für ihn nötig war, auch im geistlichen Leben. Er brauchte das Gespräch mit dem Vater. In Kapernaum wollten die Menschen nur Heilung und nicht seine Predigt. Jesus aber braucht jeden Tag das Gebet, nicht nur am Sonntag, es ist für ihn lebenswichtig.

Wenn man die Menschen liebt, dann liebt man noch nicht automatisch auch Gott. Und Gott erwartet nicht, daß wir mit den Menschen reden, er erwartet auch unser Gebet. Alles Gerede von Mitmenschlichkeit ist unvollständig, wenn es nicht aus einem Reden mit Gott kommt. Jesus jedenfalls hat mit dem Vater ständig Kontakt gehalten und in der Stille mit den Mächten der Finsternis gekämpft, damit er die Heilungen vollbringen konnte. Als Arzt wäre er kraftlos gewesen, wenn er als Beter versagt hätte und die rückwärtige Verbindung abgeschnitten, gewesen wäre.

Die Heilung ist nur  e i n  Punkt im Wirken Jesu. Er möchte, daß wir im umfassenden Sinn gerettet werden. Viele von uns sagen: „Hauptsache Gesundheit!“ Aber was nützt uns die Gesundheit, wenn wir mit Gott auf Kriegsfuß stehen, wenn das Wohl zwar „o.k.“ ist, aber das Heil „k.o.“ geht. Dringlicher als das Heilen ist, daß Jesus für uns betet.

 

(3.) Doch der eigentliche Auftrag Jesu ist, daß er zu uns spricht: Jesus geht auch in die anderen Städte, um dort auf andere Art und Weise zu wirken, nicht durch Heilungen, sondern durch das gepredigte Heil. Nicht an den Wundern will er erkannt werden, sondern an seinem Wort. Gott wendet sich den Menschen zu, die seine Liebe eigentlich verscherzt haben. Das kann nicht anders unter die Leute kommen, als daß Jesus es ausruft.

Erst im Wort verwirklicht sich die Gemeinschaft zwischen den Menschen. Man kann im Eisenbahnabteil stundenlang stumm nebeneinander sitzen. Man fährt in die gleiche Richtung, sieht die gleiche Landschaft, aber Gemeinschaft entsteht nicht. Die ergibt sich erst, wenn man miteinander redet.

Indem Jesus zu uns spricht, öffnet Gott uns sein Herz. Jesus redet nicht  ü b e r  Gott und sein  Reich. Aber indem er im Wort mit uns Verbindung aufnimmt, entsteht der Kontakt, den Gott mit uns sucht. Deshalb ist ja auch der Gottesdienst so wichtig. Wir können nicht alle ins Kloster gehen, um uns Gott ganz zuwenden zu können. Allerdings hat man im Kloster nicht nur gebetet. Der Wahlspruch der Mönche war ja: „Bete und arbeite!“ Uns ist vielfach nur noch das Arbeiten geblieben.

Deshalb ist der Gottesdienst als die Stunde der Besinnung so wichtig. Hier können wir abseits von den Verpflichtungen des Alltags unser Leben und unser Verhältnis zu Gott überdenken. So manche geplagte Hausfrau und Mutter hat hier die einzige Gelegenheit, zur Besinnung zu kommen. Ihren Alltag mit seinen Problemen und Fragen soll sie ruhig mitbringen und in  ihr  Gebet aufnehmen. Und sie wird Kraft erhalten, nachher wieder mit neuer Zuversicht ihre Aufgaben anzupacken.

Dazu ist Jesus gekommen, daß er Gott zu uns bringt. Die Predigt ist deshalb nicht ein Referat über Gott, sondern hier redet Gott selber mit uns, wenn auch unter schwachem Menschenwort verborgen. Aber wir können sicher doch vernehmen, wie lieb Gott uns hat, wie er uns helfen will mit dem Wort und mit der Tat, wie er Kontakt mit uns sucht und uns helfen will zum ewigen Heil.

 

 

Mk 1, 32 - 39 (19.  Sonntag nach Trinitatis, Variante 2)

Auf einer Straßenkreuzung in Saloniki in Griechenland stand ein Polizist. Er hatte den Verkehr zu regeln mit einer etwas altmodischen. Ampel, die noch von Hand bedient wurde. Es war Urlaubszeit und viel Verkehr. Plötzlich passiert es ihm, daß er alle Ampeln auf einmal

Auf „Rot“ schaltet. Alle Autos stehen still. Sofort setzt ein ohrenbetäubendes Hupkonzert ein.

Was soll der Polizist machen? Er ist so aufgeregt, daß er fürchtet, nun alles falsch zu machen. Da bekreuzigt er sich, spricht ein kurzes Gebet und schaltet die Ampel ruhig nach zwei Seiten auf „Grün“.

Das Gebet hat ihm Kraft gegeben, in dieser Situation nicht die Nerven zu verlieren. Als ein Urlauber ihn am Abend fragt, wieso er da litten auf der Kreuzung gebetet habe, da antwortet er nur: „Was hätt ich denn sonst machen sollen?“ Für ihn war es einfach selbstverständlich, daß man in einer schwierigen Lage nur beten kann. Das Gebet gibt die Ruhe, um nachher dann das Nötige tun zu können.

Wäre diese Einstellung zum Leben und zu Gott nicht auch ein gutes Vorbild für uns? Wir hätten doch durchaus auch einmal einen Augenblick der Besinnung nötig. Wir werden von unsrer Arbeit und unsren Pflichten doch nur so vorangetrieben. Unsre Tage laufen einer nach dem anderer davon.  Nur ganz selten gibt es einmal einen Ruhepunkt.

Man kann aber nicht immer nur geben, man muß auch einmal etwas empfangen, sonst geht man kaputt. Aber wir leiden ja alle an dieser Krankheit unsrer schnellebigen Zeit. Das ist beim Arbeiter so wie beim Pfarrer, beim Angestellten so wie bei der Hausfrau. Selbst die Kinder sind davon betroffen, sowie sie einmal zur Schule gehen.

Wir leben nun einmal in einer Leistungsgesellschaft und stehen alle unter einem Leistungsdruck. Das läßt sich auch nicht mehr ändern, jedenfalls auf absehbare Zeit nicht, wir können das Rad der Geschichte nicht mehr zurückdrehen. Aber wir müssen fragen, wie wir mit diesen Belastungen fertig werden können und ob uns da unser Glaube nicht eine Hilfe sein kann.

In diesem Bibelabschnitt schildert uns Markus, wie nach seiner Meinung der Tageslauf Jesu in Kapernaum ausgesehen hat. Wir würden heute sagen: Es geht Jesus wie einem vielbeschäftigten Arzt. Die Leute können es gar nicht abwarten, bis die Feiertagsruhe wieder vorüber ist, schon bringen sie wieder die Kranken an.

Jesus war höchst aktiv in seinem Wirken für die Menschen. Aber er fand auch Zeit, einmal ganz allein zu sein und mit Gott zu reden. Er löst sich aus allen irdisch-menschlichen Bindungen. Er läßt alle Aufgaben, die doch sicher auch wichtig sind, einfach einmal sein und hat Zeit für Gott.

Ist das in unsrer Zeit unmöglich geworden, dieser Wechsel zwischen Tätigsein und Ruhe? Wir leben ja nun einmal in einer anderen Zeit, wo jeder behauptet, keine Zeit zu haben. Unter Umständen ist es tatsächlich gar nicht mehr möglich, für ein paar Minuten oder Stunden von allem abzuschalten.

Wenn man das wollte, dann müßte man ins Kloster gehen, werden sicher viele meinen. Aber in den Klöstern des Mittelalters hat man nicht nur gefaulenzt oder sich höchstens der Anbetung Gottes gewidmet. Eine der Klosterregeln hieß: „Bete und arbeite!“ Und danach haben die meisten Mönchsorden auch gehandelt. Sie haben als Bauer und als Handwerker, als Künstler und Gelehrte, als Lehrer und als Priester gearbeitet. Aber sie haben sich bei all ihrer täglichen Arbeit doch auch Zeit genommen für das Gebet. Und sie haben erst gesagt: „Beten“ und dann erst „Arbeite!“ Sie wußten eben davon, daß man die Arbeit mit einem Gebet beginnt und auch beendet.

Sie dachten auch nicht: Durch das Gebet verlieren wir wertvolle Minuten, die uns nachher bei der Arbeit fehlen. Ein Tag hat 24 Stunden in denen auch manches Unnütze getan wird. Da dürfte auch Zeit sein für ein Gebet, das eine äußerst nützliche Sache ist.

Nun halten wir heute allerdings nicht mehr so viel von einem lebenslänglichen Klosterleben. Aber für eine begrenzte Zeit würden wir vielleicht doch gern einmal Einkehr halten, um über unser Leben vor Gott nachzudenken. Da gibt es zum Beispiel in der Landeskirche Hannover das Kloster Amelungsborn. Dort treffen sich sechsmal im Jahr für jeweils 4 Tage die 24 Mönche.

Das Wort „Mönche“ kann man hier allerdings nur in Anführungsstriche setzen, denn es handelt sich fast ausschließlich um führende Männer aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung.

Die bringen die Probleme ihres Alltags mit. Sie suchen Stärkung im Gebet und gemeinsamem Gespräch; und sie sind übereinstimmend der Meinung: "Ohne diese Tage der Einkehr würden wir die großen Belastungen unseres Berufs gar nicht aushalten!" Hier entsteht also eine Wechselwirkung zwischen Arbeit und Gebet n und zwar nach beiden Seiten, und so soll es ja auch sein.

 

 

Mk 1, 40 – 45 (14. Sontag nach Trinitatis):

Die schlimmste Krankheit unsrer Zeit und unseres Kontinents ist der Krebs. Früher sah man ihn mehr als eine Alterskrankheit an. Aber heute sind in zunehmendem Maße auch schon Kinder davon befallen. Blindlings schlägt diese Krankheit zu, man kann nicht durch eine gesunde Lebensweise vorbeugen, wen es eben trifft, den trifft es. Und bis man etwas merkt, ist es meist zu spät.

Ähnlich muß man im Altertum den Aussatz empfunden haben. Er kommt heute auch noch vor, aber hat nicht mehr die Schrecken, die er einst verbreitete. Wir kennen heute den Erreger und haben die Krankheit unter Kontrolle. Eine Isolierung des Kranken ist nur noch notwendig, wenn die Krankheit offen und ansteckend ist. Früher aber konnte man sich nicht anders dagegen wehren, als daß man die Kranken einfach aus der Gemeinschaft der Menschen ausstieß.

Schlimm war auch, daß man die Krankheit als eine Strafe Gottes ansah. Ein Aussätziger war nach damaliger Anschauung von Gott geschlagen. Der Ausbruch der Krankheit war Zeichen für das Vernichtungsurteil Gottes, ein Kranker hatte Gott gelten sich. Wir dagegen wissen: Ein Christ, der an einem urheilbaren Leiden stirbt, kann sich getröstet in Gottes Hände geben, weil Gott ihn dadurch erlöst aus dem Leib des Todes.

Allerdings ist auch das nicht immer leicht. Krankheit hat auch für uns etwas Unheimliches. Das gilt sowohl für die eigene Krankheit als auch für die Krankheiten, die wir in unserer Umgebung erleben. Wir fragen doch manchmal: „Warum muß es denn überhaupt Krankheit geben? Wäre das Leben nicht viel schöner, wenn man ohne diese Plage auskäme? Warum läßt Gott immer wieder solche besonders schlimmen Fälle zu?

Allerdings leben wir auch in einer Zeit, in der man möglichst alles Leid beseitigt bekommen möchte. Man will das Leiden vermeiden und möglichst sogar ganz ausschalten, koste es, was es wolle. Und jeder ist willkommen, der sich diesem Ziel zur Verfügung stellt. Wer aber ein solches Ziel in Frage stellt, vielleicht sogar dem Leiden noch einen Sinn abgewinnen will, der muß mit scharfer Kritik und Verwunderung rechnen.

Wie können wir mit der Krankheit leben? Wie ordnen wir sie in unser Leben ein und wie werden wir mit ihr fertig? Wie können wir der Krankheit begegnen? Wie können wir sie seelisch bewältigen? Das sind Fragen, auf die wir durch das Verhalten Jesu eine Antwort finden können.

Die Reaktion Jesu auf den Anblick des Kranken wird in dieser Geschieht von der Heilung des Aussätzigen verschieden beschrieben. Nach der einen Lesart wurde er „von Erbarmen erfaßt“, in der anderer heißt es: „Er wurde von Zorn erfaßt“. Der Bibeltext ist hier in den verschiedenen Handschriften unterschiedlich überliefert. Ursprünglicher scheint der Zorn zu sein, denn eine solche Reaktion ist ungewöhnlicher und rätselhafter bei Jesus. Ein späterer Abschreiber hat da mildern wollen und nach dem Vorbild anderer Heilungsgeschichten vom Erbarmen Jesu geschrieben.

Warum aber gerät Jesus in Zorn? Er müßte sich doch über das Vertrauen des Kranken freuen! Bei ihm steht der Glaube nicht am Ende, sondern am Anfang: „Wenn du nur willst, da kannst du mich rein machen!“ Am Verhalten des Kranken konnte es nicht liegen, daß Jesus in Zorn

gerät.

Es ist die Krankheit, die den Zorn hervorruft. Jesus sieht diesen von Aussatz zerfressenen und entstellten Menschen. Seine Lage ist hoffnungslos. Er ist noch lebendig, und doch schon tot. Sein Schicksal ist unweigerlich vorgezeichnet. Und Jesus erkennt: Dies ist wieder ein Opfer des Bösen, das hier seine zerstörerische Macht über die Welt ausübt.

Jesus weiß genau, wer hinter dieser Krankheit steht. Deshalb gerät er auch nicht in Verzweiflung wie gegenüber einer unbekannten Macht, sondern sein Zorn richtet sich gelten eine bestimmte personale Macht, die wir meist als Teufel bezeichnen. Auf der Bühne stehen zwei Menschen: Jesus und der Kranke. Aber im Hintergrund spielt sich unsichtbar ein Kampf ab, der seit Anbeginn der Menschheit tobt. Seit dieser Zeit lebt die Welt im Widerspruch zu Gott, geschieht Böses und gibt es auch Krankheit. Am Schicksal dieses armen Menschen wird es wieder einmal in besonders krasser Weise deutlich.

Es geht also nicht so sehr um die konkreten Sünden dieses bestimmten Menschen. Die Juden glaubten ja zu wissen, welche Sünden es sind, die den Aussatz hervorrufen: Stolz, Lüge, Mord, heillose Gedanken und Streit zwischen Brüdern. Wer Aussatz hatte, mußte nach ihrer Meinung eine dieser Sünden begangen haben. Die Frage wäre dann nur: Wer würde dann überhaupt von dieser Krankheit verschont bleiben? Man kann sicher nicht Sünden und Krankheit im Einzelfall gegeneinander aufrechnen. Aber daß es Krankheit gibt, ist mit ein Zeichen für das Böse in der Welt, an dem wir Menschen alle mitbeteiligt sind.

Wie sollen wir aber diesem Übel begegnen, der Krankheit und dem Bösen? Ein Arzt wird angesichts einer unheilbaren Krankheit vielleicht auch in Wut geraten. Er muß sich sagen: Du möchtest diesem Menschen gern helfen, aber du kannst es im Grunde nicht. Du kannst ihn nur zu Tode behandeln. Vielleicht wirst du seine Qual nur noch verlängern. Unter Umständen kannst du ihm noch sein Leiden ein wenig lindern. Aber im Grunde bist du völlig machtlos. Da bleibt nur ohnmächtige Wut oder aber auch Gleichgültigkeit.

Jesus dagegen tritt seinem Feind entschlossen entgegen. Normal wäre gewesen, wenn er vor dem Kraken zurückgewichen wäre, der da so stracks auf ihn zukam. Die jüdischen Gesetzeslehrer achteten peinlich genau auf die vorgeschriebenen Abstände. Jesus aber läßt der Aussätzigen so nahe herankommen, daß er ihm anfassen kann. Er streckt die Hand aus zum Heilen und Retten, ohne Angst vor Ansteckung und Sünde. Da kehrt der Kranke schon ins Leben zurück, so wie ein Rollstuhlfahrer schon etwas am Leben teilhaben kann, wenn er ausgefahren wird.

Der Widersacher soll gleich wissen, wen er vor sich hat. Jesus macht deutlich: Wir wollen doch sehen, wer hier der Stärkere ist! Der andere wollte Jesus durch den Aussatz erschrecken. Aber Jesus rührt der Kranken an und hat keine Angst. Dadurch ist im Grunde schon die

Wende herbeigeführt. Jetzt kann man schon wieder Hoffnung schöpfen, jetzt ist es nicht mehr aussichtslos.

Doch im spannenden Augenblick heißt die Frage nicht: „Wird Jesus auch können?“ sondern: „Wird Jesus wollen?“ Jesus müßte nicht. Wir Menschen sind alle Sünder und haben keine vor Gott einklagbaren Rechte. Es muß nicht jeder gesund werden, der zu Jesus gehört. Auch Jesu Leute sterben früher oder später, sanfter oder schmerzhafter. Er selbst ist ja gestorben. Sein Evangelium lautet nicht: „Das Kreuz wird abgeschafft!“ sondern gerade durch das Kreuz Jesu wird dem Bösen die Macht entrissen.

Doch dann ist wieder überraschend, daß dieser Sieg im Verborgenen bleiben soll. Da ist einem Menschen das Leben und das längst verloren gegebene Glück wieder geschenkt worden. Aber im nächsten Augenblick wird er angefaucht und es wird ihm verboten, seine Erfahrung jemandem mitzuteilen. In die Alltagssprache übersetzt sagt Jesus „Hau bloß ab und halt die Klappe! Erledige die nötigen Formalitäten, damit du keinen Ärger mit den Behörden bekommst. Aber dann laß mich in Ruhe mit dieser Art von Hilfe. Ich will nicht nur aus irgendeiner Krankheit heraushelfen, sondern Hilfe zum ganzen Leben geben. Mach keine Sensation daraus, sondern überleg einmal, was ich dir noch über die Gesundheit hinaus geben kann!“

Jesus widersetzt sich der Wundersucht der Menschen. Natürlich geschehen Wunder. Gott ist der Herr der Welt und spielt auch auf diesem Instrument. Er will unser Bestes und kann dazu auch das Wunder benutzen. Wir haben ihn für uns und nicht gegen uns. Aber wenn das Wunder ausbleibt, dann ist Gott nicht weniger am Werk. Wir sollen nicht um seiner Wunder willen an ihn glauben.

Jesus ist auf die Wiederherstellung der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen aus. Dazu kann das Wunder helfen, es kann aber auch hinderlich sein. Es könnten ja die erstaunlichsten Wunder geschehen und die Menschen suchen doch keine Vergebung und halten Gott nur wegen seiner Machttaten für interessant. Jesus weiß natürlich, daß wir Menschen gern etwas Handfestes hätten und am liebsten schon jetzt den Himmel auf Erden haben möchten. Aber er möchte auch, daß wir ihm vertrauen, ohne etwas in der Hand zu haben.

Die Geschichte endet damit, daß der Geheilte zu predigen beginnt. Der Inhalt seiner Predigt war aber sicher nicht: „Leute, ich bin wieder gesund!“ Vielmehr will er auch die anderen zur Entscheidung für oder gegen Jesus bringen. Zumindest hätten doch die Priester erkennen müssen, wer an dem Aussätzigen am Werk war.

Aber bis heute könnten natürlich die Kranken klagen: „Jesus kann zwar, aber er will doch nicht!“ Es wäre doch besser gewesen, er hätte als der große Wunderarzt gehandelt und nicht als der Anfänger einer neuen Menschheit. Die Heilungswunder Jesu fallen doch überhaupt nicht ins Gewicht gegenüber dem Krankheitselend der Menschheit. Aber sie sind Zeichen, daß der Fürst dieser Welt grundsätzlich schon entmachtet ist.

Dadurch werden auch die schwersten Leiden zu dem, was man in der kirchlichen Sprache „das Kreuz“ nennt: Sie sind nicht mehr Merkmal der Verlorenheit, sondern wir werden zum Weg in das Heil. Jesus möchte, daß wir nicht nur zeitlich, sondern ewig gesund werden. Er hat mehr zu bieten als nur die Gesundheit des Leibes; er möchte auch unsre Seele gesund machen und uns zum ewigen Heil verhelfen.

 

 

Mk 2, 1 – 12 (19. Sonntag nach Trinitatis):

Was würde wohl ein Patient sagen, wenn der Arzt ihm verkündet: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Der Patient ist doch gekommen, um Linderung und Heilung für seine körperlichen Leiden zu erlangen. Der Arzt soll reparieren, damit der Mensch wieder arbeitsfähig wird oder schmerzfrei seinen sonstigen Tätigkeiten nachgehen kann. Und das soll möglichst schnell gehen. Also müssen starke Medikamente angewandt werden, statt daß man es zu einer langsamen Gesundung mit Hilfe körpereigener Abwehrstoffe kommen läßt.

Es kann auch sein, daß der Patient selber schuld ist an seiner Krankheit. Viele Kranke verlangen Unmögliches vom Arzt: Erst haben sie unvernünftig gelebt, und nun soll der Arzt ihnen ein Mittel geben, damit sie auf der Stelle wieder gesund werden. Viele klammern sich vertrauensselig an eine Medizin und erwarten alles von ihr, anstatt einmal zu fragen, warum Gott wohl die Krankheit geschickt hat, und was er damit sagen will. Wenn einer zum Arzt käme, der sich einfach nur überarbeitet hat, durch Überstunden und Schwarzarbeit, dann sollte der Arzt die Krankheit zehnmal schlimmer machen als sie überhaupt ist und dem Betreffenden erst einmal ordentlich Angst machen. Und dann ein langsam wirkendes Präparat und Bettruhe verordnen. Wenn einer im Bett liegt, dann kommen ihm vielleicht doch manche Gedanken. Und vielleicht denkt er dann auch wieder einmal an Gott. Der Gang zum Arzt schließt ein Gebet um Heilung nicht aus. Ein Arzt weiß um seine Grenzen; er weiß, wie schnell er einmal Fehler machen kann. Wir sollten in ihm nicht einen modernen Zauberdoktor und Medizinmann sehen.

Viele körperliche Krankheiten haben aber auch eine seelische Seite und können nicht allein durch Apparate und Arzneien behoben werden. Ein Patient muß auch Vertrauen zum Arzt haben. Und er muß selber den Willen zur Heilung mitbringen. Körper und Seele stehen in einer Beziehung zueinander: eine körperliche Krankheit drückt auf die Seele, seelischer Kummer aber kann körperlich krank machen.

Magengeschwüre und Gallenerkrankungen haben oft ihre Ursache in einem Ärger, den man in sich hineingefressen hat. Der Arzt soll dann operieren. Aber vielleicht sollte er den betreffenden Menschen eher zum Psychiater schicken, zum Seelenarzt, oder auch zum Pfarrer. Er müßte dann sagen: „Bringen Sie erst Ihre Seele in Ordnung, dann kann Ihnen auch körperlich geholfen werden. Ich kann Ihnen jetzt etwas geben oder etwas machen, das zur Überbrückung dient. Aber auf Dauer muß Ihnen anderswie geholfen werden!“

Das Gleiche meint Jesus, als sie einen Gelähmten auf einer Bahre zu ihm bringen. Dieser Mann will jetzt eine schnelle Wunderheilung, so wie sie bis heute manche Heiler zustandebringen. Aber wenn sie dann geschehen ist, wenn die unmittelbare Gefahr vorüber ist, dann ist alles vergessen und es bleibt alles beim Alten. Jesus aber gibt zu verstehen: „So einfach ist das nicht, wie ihr euch das denkt. Hier muß umfassender geholfen werden. Diese Krankheit ist zwar nicht die Folge einer speziellen Sünde, die dieser Mann begangen hat. Aber sie ist Ausdruck der verderbten Schöpfung, die nicht mehr so ist, wie Gott sie geschaffen hat. Alle Menschen sind Sünder. Und die Heilung von Sünden ist genauso wichtig wie die körperliche Heilung!“ Das will Jesus auch den zahlreichen Zuschauern zeigen, will ihnen deutlich machen, wo es bei ihnen allen fehlt.

Das ist wirklich eine Überraschung, die Jesus da zu bieten hat: „Statt Heilung will er Vergebung schenken!“ Aber für den Kranken wird es eher eine böse Überraschung gewesen sein. Er weiß ja noch nicht, daß auf die Vergebung die Heilung folgen wird. Nicht die Sünde tut ihm weh, sondern die Knochen. Deshalb hat man ja gesagt: „Die Menschen wären an sich glücklich, wenn ihnen nicht immer wieder von der Kirche eingeredet würde, sie seien Sünder!“

Wer gesund ist, kann leicht sagen: „Vergebung ist wichtiger als Gesundheit!“ Aber heimlich meint doch jeder: „Ohne Vergebung läßt es sich sehr wohl noch leben, doch ohne Gesundheit, da ist das Leben schon fast nicht mehr lebenswert. Der innere Schaden hindert ja nicht so sehr wie der äußere!“

Wenn man Konfirmanden fragt, welche der sieben Bitten des Vaterunsers die wichtigste sei, dann antworten sie regelmäßig: Die vierte Bitte, in der es um das tägliche Brot geht! Und dazu gehört ja nun einmal auch die Gesundheit. Doch als zweitwichtigste Bitte wird meist die Vergebung der Sünden genannt. Das ist ein Hinweis darauf, daß doch den meisten Menschen beides wichtig erscheint. Nur im Konfliktsfall wäre das Essen immer noch wichtiger als die Vergebung - da können wir ruhig ehrlich sein.

Jesus macht deutlich: Eine Krankheit trennt nicht von Gott. Sie kann unter Umständen sogar zum Segen werden, weil man da ganz neue Erfahrungen mit Gott machen kann. Gerade wenn man vielleicht länger liegen muß, kommen Dinge ins Blickfeld, die sonst immer zu kurz kamen. Da merkt man erst, wie begrenzt und schwach man ist und wie sehr man Gott nötig hat. Man denkt vielleicht auch über sein bisheriges Leben nach und merkt, was man bisher versäumt hat. In der Krankheit hat man endlich wieder einmal Zeit und kann auch auf Gott hören und über Sünde und Vergebung nachdenken.

Deshalb ist auch die Seelsorge am Krankenbett wichtig. Viele Stationsärzte in den Krankenhäusern begrüßen es ausdrücklich, wenn der Pfarrer kommt, weil das den Gesundungsprozeß günstig beeinflussen kann. Andererseits werden heutzutage Ärzte gern als Seelsorger angesprochen. Da wundern sich dann die anderen Patienten im Wartezimmer, wenn sie zwar einen Termin hatten, aber es immerzu nicht weiter geht. Aber vielleicht ist jetzt gerade jemand mit einem vergleichsweise harmlosen körperlichen Anliegen gekommen, braucht aber in Wirklichkeit die Möglichkeit zur Aussprache, braucht seelische Hilfe. Ärzte sind heute vielfach die modernen Seelsorger. Man geht lieber zu ihnen, weil sie den Schaden gewissermaßen naturwissenschaftlich sehen und nicht gleich mit der Sünde kommen. Sehr gut wäre da sicher die Verbindung beider Berufe: Daß die Pfarrer auch Mediziner und die Mediziner auch Pfarrer sind.

Jesus fragt den Kranken auch nicht nach seiner Vergangenheit. Er macht ihm auch keine Vorwürfe. Er sagt nur und ungefragt: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Denn das hat der Kranke jetzt erst einmal nötig. Jede äußerliche Heilung wäre doch fragwürdig, wenn der Konflikt mit Gott bestehen bleibt. Und umgekehrt gilt auch: Es könnte jemand krank sein und bleiben und dennoch wissen, daß nichts mehr zwischen ihm und Gott steht.

Jesus fragt: „Was ist denn leichter, die Heilung oder zu sagen, daß die Sünden vergeben sind?“ Jeder würde darauf antworten: „Die Sündenvergebung ist leichter, das braucht man ja nur zu sagen, aber nachprüfen kann es niemand. Bei einer Heilung aber kann man den Erfolg sichtbar vorzeigen!“ Doch eine Heilung besagt ja noch nicht, daß der Kranke auch auf ewig heil wird. Die Kranken, die Jesus geheilt hat, sind ja eines Tages doch einmal gestorben. Aber geblieben ist ihnen die Versöhnung mit Gott.

Dieser Zusammenhang zwischen Körper und Seele kann auch noch einmal deutlich werden an einem Thema, das immer wieder heftig diskutiert wird, nämlich die Abtreibung. Manche Frauen vertreten seit Jahren den Standpunkt: „Mein Bauch gehört mir!“ Der Bauch gehört ihnen zweifellos, aber nicht das Leben, das in ihm heranwächst. Das ist ein eigener Mensch, den man nicht so herausschneiden kann wie den Blinddarm und die Galle.

Wer hier tötet, beseitigt nicht nur ein Gewüchs von Zellen, sondern einen Menschen mit einer Seele. Und man muß schon fragen, weshalb das straffrei sein soll, nach der Geburt des Kindes aber nicht mehr. Hier werden sehr schnell Dämme eingerissen, so daß eine Flut neuer Fragen aufkommt: „Wenn mir ein kranker oder alter Mensch nicht in den Kram paßt, dann kann ich ihn ja vielleicht auch schmerzlos beseitigen, sozusagen entsorgen. Wie weit sind wir da noch von dem Begriff ‚lebensunwertes Leben‘ entfernt. Wer entscheidet hier: die Frau, der Arzt, das Gericht? Man muß nicht alles machen, nur weil man es machen k a n n.

Aber man darf hier auch nicht zu schnell urteilen. Wer nie in diesem Konflikt gestanden hat, kann gar nicht ermessen, wie schwer in manchen Fällen zu entscheiden ist. Aber man sollte klar sagen, daß Abtreibung Schuld ist. Sie ist kein Mittel der Schwangerschaftsverhütung, daß man eben denkt: „Wir ergreifen keine Maßnahmen, wenn es eben schief geht, dann haben wir ja immer noch diese Möglichkeit!“ Ein entsprechendes Strafgesetz kann da durchaus die Gewissen schärfen und Schuld verhindern. Die meisten machen sich ja auch gar nicht klar, welche schweren seelischen Probleme eine Abtreibung für die verhinderte Mutter mit sich bringt. Vorher wird das alles verdrängt. Aber wenn es dann geschehen ist, dann türmt sich ein Berg von Vorwürfen auf.

Deshalb dürften nicht nur alte Männer in dieser Frage entscheiden, nicht nur Politiker oder Theologieprofessoren oder auch der Papst. Man sollte auch einmal die jungen Menschen fragen, die ihr Leben in doppelter Weise ihrer Mutter verdanken: Damals war die Mutter erst 17 und noch in Ausbildung, und die Eltern und die Ärzte haben ihr zugeredet, „es“ doch zu machen. Aber sie hat sich durchgesetzt und das Kind zur Welt gebracht und ist heute schon glückliche Oma.

Abtreibung kann und darf keine Massenlösung sein. Schon gar nicht darf wirtschaftliche Not der Grund sein. Aber man kann sich schon Fälle denken, wo ein Schwangerschaftsabbruch das kleinere Übel ist. Aber man sollte ihn auch wirklich als „Übel“ bezeichnen und Gott um Vergebung darum bitten und nicht selbstherrlich über Leben und Tod entscheiden wollen. Und wer selber einmal den Konflikt einer ungewollten Schwangerschaft miterlebt hat, wird duldsamer und verständnisvoller in dieser Sache sein. Und wer heute noch darunter leidet, daß er abgetrieben hat, der darf sich erst recht an den vergebenden Gott wenden.

Solche Vergebung ist auch für uns heute noch möglich: In der Kirche wird sie uns zugesagt, zwar durch Menschen, aber im Auftrag Gottes, so wie Jesus das dem Gelähmten sagte. Wir haben heute nicht so sehr eine Heilungsgeschichte gehört, sondern eine Vergebungsgeschichte. Unser Leben entscheidet sich daran, ob uns die Vergebung Gottes zugesprochen wird, alle anderen Sorgen sind zweitrangig. Wenn uns aber vergeben wird, dann hat das Auswirkungen auf den ganzen Menschen, auch auf den Leib. Jesus ist für beides zuständig, für Leib und Seele. Er will uns auch noch heute in jeder Hinsicht gesund machen.

 

 

Mk 2, 18 – 20 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Auf dem Predigerseminar war einer dabei, der lebte allein in seinem Pfarrhaus. Er hatte niemanden, der ihm das Essen zubereitete oder sonst seine Sachen versorgte. Mit seiner Haushaltsführung wird es wohl nicht weit her gewesen sein. Er erzählte dann zum Beispiel: „Wenn es auf das Wochenende zugeht und eine Taufe oder Trauung bevorsteht, dann hungere ich immer erst. Aber wenn es dann soweit ist und ich werde zur Feier eingeladen, dann wird aber tüchtig gegessen!“

Er hat also die Gelegenheit genutzt, einmal ordentlich etwas zu kriegen bzw. einmal etwas Ordentliches zu kriegen. Er machte aber genau den Unterschied zwischen den Zeiten: Einmal war die Zeit zum Fasten und einmal war die Zeit zum Feiern. Beides kann nebeneinander bestehen und ist zu seiner Zeit richtig.

Das war auch die Meinung der frühen Gemeinde, als sie sich mit den Jüngern der jüdischen

Gesetzeslehrer und den Jüngern des Johannes über die Frage auseinandersetzte: Soll man noch fasten oder nicht? Für uns ist das keine Glaubensfrage, sondern allenfalls eine medizinische Frage. Fasten empfiehlt der Arzt, wenn jemand für sein Körpergewicht zu klein ist.

Die frommen Zeitgenossen Jesu aber waren überzeugt, mit frommen Werken die Herrschaft Gottes schneller herbeiführen zu können. Fasten galt dabei als besonders wirkungsvolles Werk der Frömmigkeit. Sie wunderten sich darüber, daß die Jünger Jesu sich nicht daran beteiligten und verdächtigten sie, sich zu sehr den Genüssen der Welt zu ergeben und Gott damit zu verraten.

Die Gemeinde aber beruft sich auf Jesus, der gesagt hat: „Jetzt ist der Bräutigam da!“ Da ist es Zeit, mit dem Fasten aufzuhören und zu feiern. Wer jetzt noch fastet, der tut so, als habe die Feier noch nicht begonnen oder falle aus! Jesus hat aber nicht nur so gesprochen, sondern auch danach gehandelt. Nicht nur bei der Hochzeit zu Kana war er dabei, sondern er hat sich auch mit dem Abschaum der Gesellschaft an einen Tisch gesetzt und mußte sich als „Fresser und Weinsäufer“ beschimpfen lassen.

Schon im Alten Testament wird die Verbundenheit Gottes mit seinem Volk unter dem Bild der Ehe vorgestellt. Aber man nahm natürlich an, G o t t sei der Bräutigam. Auch Jesus vergleicht das Reich Gottes mit einer Hochzeit. Doch er sagt: „I c h bin der Bräutigam! In mir verbindet sich Gott erst eigentlich mit euch! Er wurde ein Kind, er wurde ein Mensch! Deshalb ist jetzt die Heilszeit! Und wer jetzt noch fastet, hat nicht erkannt, daß die Herrschaft Gottes längst begonnen hat!“

Doch nicht nur Gottheit und Menschheit vereinen sich beide, sondern auch Gott und die Gemeinde werden eins. Sie kommen sich so nahe, wie nur Eheleute miteinander verbunden sein können. Sie sind nicht nur telefonisch miteinander verbunden, sie treten nicht nur durch Rede und Antwort in Kontakt, sondern sie begegnen sich wirklich und leibhaftig. Stärker als mit dem Wort „Hochzeit“ kann man gar nicht ausdrücken, wie eng sich Gott mit den Menschen verbindet.

Kurz gesagt könnte man diesen Bibelabschnitt so zusammenfassen: „W o J e s u s i s t,  d a     i s t  F r e u d e!“ Doch das ist leichter gesagt als gelebt. Ein Mann sagte einmal zu einem anderen: Sie finden aber in jeder Sache noch etwas Positives!“ Das war diesem gar nicht so bewußt gewesen. Aber es hatte wohl etwas mit dem Glauben zu tun: Man darf sich nicht von Unzufriedenheit und Leid übermannen lassen, sondern darf immer wieder auf Gottes Zukunft und seine Hilfe hoffen.

Allerdings gibt es auch Dinge, da kann man nicht mit einigen frommen Worten darüber hin­weggehen. Wenn ein lieber Mensch gestorben ist, wenn man arbeitslos wird, wenn Krieg ist, dann kann man nur verstummen, dann muß man das einfach aushalten und kann nur auf eine bessere Zukunft hoffen.

Darauf nimmt auch der eine Vers Bezug: „Es wird aber die Zeit kommen, daß der Bräutigam von ihnen genommen wird; dann werden sie fasten an einem Tage!“ Dieser Vers wurde eingefügt, als Jesus nicht mehr leibhaftig da war und die Gemeinde auch wieder mit dem Fasten angefangen hatte. Da war wieder eine andere Zeit. Aber solange Jesus noch da war, gab es allein Grund zur Freude.

Freude kann man zwar nicht befehlen. Man kann sich nicht in so eine künstliche Freude hin­einsteigern, daß man ständig wonnetrunken und überschäumend herumläuft. Das wäre überspannt und unecht. Aber wir verleugnen unseren Herrn, wenn wir sauer und verbittert, müde und hoffnungslos sind und überall nur das Negative sehen. Das wäre eine falsche Art des Fastens, wenn wir nur griesgrämig durch die Welt liefen und uns um Gottes willen einschränkten, aber in Wirklichkeit unglücklich dabei wären.

Gefastet wird heute durchaus auch: Um sich ein Auto oder eine Wohnung oder gar ein Haus zu verschaffen, wird oft Tag und Nacht und am Werktag und Sonntag geschuftet, bis es nicht mehr geht. Junge Menschen erbringen oft ungeheure Opfer an Zeit und Einsatz, um etwa ein bestimmtes Diplom zu erreichen. Wie viele Entbehrungen muß man auf sich nehmen, um ein erfolgreicher Sportlehrer oder Tänzer zu werden. Wenn einer erst gesiegt hat, wird er gefeiert. Aber davor stehen viel Schweiß und Tränen und danach oft körperliche Schäden.

Wenn man das alles nur als eine schwere Last auf sich nimmt, verdirbt man damit sein Leben. Wenn man aber locker und freudig dabeibleibt, dann kann es das Leben unheimlich bereichern. Dann wird man die hier gemachten Erfahrungen auch auf andere Gebiete des Lebens übertragen und auch einmal trübe Zeiten überstehen.

Jesus hat ja nicht unbedingt aus einer äußerlich glücklichen Situation so gesprochen. Wenn es einem gut geht, kann man leicht von der Freude reden. Aber Jesus hat ja eher ärmlich gelebt und hat manche Feindschaft aushalten müssen. Er hat alles kennengelernt, was Menschen auch mitmachen müssen. Aber er ist deshalb nicht verzagt.

Er hat es aber auch nicht so gemacht, wie viele das heute machen. Sie flüchten einfach vor den Aufgaben und geben zu früh auf. Die einen stürzen sich ins Vergnügen und meinen, das sei die wahre Freude.

Die anderen ergeben sich dem Alkohol oder dem Rauschgift, um wenigstens für eine gewisse Zeit alles vergessen zu können. Auch in Krankheit kann man sich flüchten, zunächst in die seelische und dann auch in die körperliche. Und Mancher flüchtet sich sogar in eine selbstgemachte Frömmigkeit und meint, das sei ein gottgefälliges Werk.

Aber all das bringt nichts. Jesus ist das Leben viel lockerer angegangen. Sogar zu Hochzeiten ist er gegangen. Und zwar nicht, um den anderen das Fest griesgrämig zu vermiesen und Was­ser in ihren Wein zu gießen. Im Gegenteil: Es wird erzählt, er habe Wasser in Wein verwandelt und damit dem Gastgeber aus einer großen Verlegenheit geholfen. Er wollte nicht, daß das Fest platzt, sondern die Menschen sollten weiter feiern können, wo Jesus ist. Allerdings sollten sie nicht durch Unmengen an Alkohol in Stimmung kommen, sondern durch eine Freude, die tief von innen herauskommt.

Die Gesetzestreuen und die Johannesjünger meinten, sie brauchten nur ihre bisherige Haltung etwas zu ergänzen. Also weiter an das Gesetz halten und noch mehr Verpflichtungen erfüllen, dann wird das Vorhandene schon repariert und vor Gott bestehen können. Jesus aber will mehr. Mit einem Schlagwort kann man sagen: „W o  J e s u s  ist, d a  i s t  F r e i h e i t!“

Jesus sagt es wieder mit einem Bild: „Man setzt keinen neuen Flicken auf ein altes Kleid, man tut nicht neuen Wein in alte Schläuche, sonst verliert man beides!“ Wer zur Hochzeit will, muß schon ein völlig neues Kleid anziehen. Und ein altes Kleid bleibt auch dann alt, wenn eine Kunststopferin es so kunstgerecht wieder herstellt, daß man kaum etwas von dem Schaden merkt.

Aber in der Kirche stehen wir immer in der Gefahr, am Alten kleben zu bleiben. Und wenn wir uns schon einmal etwas Neues ausdenken, dann ist es meist ein Gemisch aus Altem und Neuem. Beim Gottesdienst, bei der Ausbildung, bei der Konfirmation, bei der Verwaltung

soll alles so bleiben, wie es ist. Christliche Gemeinden sind immer konservativ, sie wollen

die alten Formen und wollen nicht beunruhigt werden.

Wenn man heute jemanden mit der Kirche bekannt machen möchte, wird man ihn wohl kaum mit zum Gottesdienst nehmen. Zum Einstieg eignet sich ein Gemeindekreis sich besser, wenn dort sichergestellt ist, daß auch die Botschaft von Jesus zum Zug kommt. Die Sache ist nämlich gut. Der Inhalt ist prima, auch wenn er alt ist. Wein wird ja auch immer besser, je älter er wird.

Aber die Schläuche sind halt alt. Es sind immer noch die alten Gefäße, in denen der neue Wein aufbewahrt wird. Der Gottesdienst ist heute im Grunde etwas Unfreies. Da ist alles kanalisiert und vorgeschrieben, es geschieht nichts Aufregendes, es fehlt die Gemeinschaft und die Aktion (oder soll man es englisch aussprechen als „action“?). Freude und Freiheit aber wollen sich ausdrücken und zu Aktivitäten führen.

Nachfolge Jesu heißt nicht, mit neuer Begeisterung alte Wege zu gehen. Unter der Führung Jesu können wir ungewöhnliche und aufregende Wege gehen. Vielleicht sind auch gefährliche Wege dabei. Aber auch das gehört zur Freiheit mit dazu. Wenn wir Jesus als Begleiter dabeihaben, dann wird er uns auch zum Ziel bringen. Die Gefahr für uns wird wohl nicht sein, daß wir uns zu viel freuen oder zu freizügig sind. Eher haben wir umgedreht einen Fehlbedarf, eher kann man uns zu wenig Freude und Freiheit vorwerfen.

Jesus sagt: Freiheit! Es gibt keine Verhaltensweise, die man es spezifisch christlich ausgeben könnte. Wenn Hochzeit ist, darf man nicht fasten. Aber wenn der Bräutigam weg ist, wird es sein müssen. Doch nicht allein die Situation bestimmt das Verhalten, denn Maßstab ist allein Christus. Es nutzt nichts, sich den Kopf zu zerbrechen, was jetzt zu tun sein, ob es Zeit zur Freude oder zur Trauer ist.

Seit Ostern gibt es eigentlich nur noch Freude. Der Bräutigam ist zwar nicht mehr sichtbar

unter uns. Aber er sitzt zur Rechten Gottes und feiert dort seine Hochzeit. Aber eines Tages

wird er von dort aufbrechen und zu uns kommen und die Gemeinde als seine Braut zu sich nehmen. Sie darf sich jetzt schon auf das Kommende vorbereiten, aber auch das festlich begehen, was sie heute schon hat.

 

 

 

 

Mk 2, 23 – 28 (20. Sonntag nach Trinitatis):

„Sie können nicht acht Arbeitsstunden aufschreiben, wenn Sie nur fünf Stunden da waren“, hielt der Pfarrer den kirchlichen Angestellten in der Küche des Kindergartens vor. „Und die Mittagspause dauert 30 Minuten und nicht eineinhalb Stunden!“ Über eine kleine Kaffeepause während der Arbeitszeit könnte man noch hinwegzusehen. Wenn die Angestellten zufrieden sind und ihre Arbeit ordentlich leisten, ist das ja auch etwas wert. Aber sie verlangten, daß mehr Leute angestellt werden und daß sie höher bezahlt werden. Dem standen jedoch die kirchlichen Vorschriften entgegen, die eine einheitliche Bezahlung aller Angestellten sichern sollten.

Sie werden merken, daß ich hier nicht von heutigen Verhältnissen spreche, sondern vom Arbeiter-und-Bauern-Staat DDR, wo die Arbeitnehmer mehr zu sagen hatten als die Arbeitgeber. Die Angelegenheit wurde im Kirchenvorstand verhandelt. Doch da warf einer der Kirchenvorsteher dem Pfarrer vor, ich sei gesetzlich. Der Kirchenvorsteher vertrat die Meinung: „Gesetze sind doch nur Vorschläge, wie man eine Sache regeln könnte, aber man muß sich nicht unbedingt daran halten, wenn man etwas anderes Besseres findet!“

Das war eine verbreitete Vorstellung in der DDR, die doch grundsätzlich eine Diktatur war. Aber weil man sich vom Staat unterdrückt fühlte, versuchte man ihm, auf einer unteren Ebene eins auszuwischen, wo es nur möglich war. Erst recht galt das für die Kirche: Weil man sonst unterdrückt wurde, wollte man wenigstens in diesem Bereich seine Freiheit haben. Aber die Erziehung ist an sich anders: daß man ehrlich und ordentlich ist und Gesetze achtet und nicht der eigenen Willkür folgt.

Gesetze, Ordnungen und Sitten stellen so etwas wie die gesammelten Erfahrungen der

Mensch­heit dar. Was unsere Vorfahren oft erst nach bitteren Umwegen als richtig erkannt haben, das haben sie in Gesetze gegossen. Diese sollen eine Hilfe für uns sein, damit wir nicht die gleichen Fehler machen. Natürlich müssen Gesetze den veränderten Verhältnissen angepaßt werden, damit sie nicht veraltete Verhältnisse zementieren, sondern ihr Sinn auch in einer neuen Zeit erhalten bleibt. Doch wenn einer meint, er müsse im Einzelfall von einer bestehenden Regelung abweichen, dann sollte er sich schon sehr genau überlegen, ob nicht doch die bestehende Regelung sinnvoll ist und ob er nicht in Wirklichkeit nur seiner eigenen Willkür folgen will.

Wenn ich einmal begriffen habe, was Ordnung ist, dann werde ich mein eigenes Wünschen in das Ganze hineingeben. Meine eigenen Interessen werden dann von den Interessen der Gesamtheit bestimmt sein, von der Familie, der Gesellschaft und letztlich auch von den Interessen der gesamten Menschheit.

Werner Bergengruen schildert in seiner Novelle „Das Feuerzeichen“, wie einer im Widerspruch zur geltenden Ordnung ein Leuchtfeuer anzündet und dadurch Schiffbrüchige rettet. Doch er fragt auch: Was wird aus dem Recht, wenn es nicht elastisch und situationsgerecht gehandhabt wird, sondern nach den persönlichen Bedürfnissen verbogen und gebrochen wird? Wo liegt die Grenze zwischen der gebotenen Elastizität und der Willkür, die zum Verderben führt? Wie ist auf weite Sicht den Menschen wirklich gedient: Durch Anpassung an die Situation oder durch Festhalten an dem, was „Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung“ ist, wie es der Philosoph Kant formuliert hat?

Der heutige Predigttext macht uns diese Problematik deutlich am Beispiel der Sonntagsheiligung. Das ist ein Gebot, das heute als nicht mehr so wichtig angesehen wird. Daß wir nicht töten, ist in der Christenheit und auch in ihrer Umwelt anerkannt. Beim Ehebruch und beim

Diebstahl machen wir da schon Abstriche. Aber daß wir den Feiertag heiligen, das wird nicht mehr als Gebot empfunden. Weshalb muß sonst ein Bauer im Februar, wo sonst Schnee auf den Feldern liegt, ausgerechnet am Sonntagmorgen das Feld umpflügen? Daß der Sonntag Gott gehört - das ist ja mit „heiligen“ gemeint - wird heute zumeist vergessen.

Doch nun könnte man ja gerade aus der Geschichte vom Ährenausraufen schließen, daß Jesus den Anspruch Gottes auf die Heiligung des Feiertags abbauen wollte. Er beruft sich dabei auf einen Vorfall mit dem König David, dem sogar der Hohepriester die Schaubrote aus dem Gotteshaus gab, die Gott zum Schauen hingelegt wurden und die nachher nur der Priester essen durfte. Aber Not kennt kein Gebot. Und wenn der König kommt, dann muß man erst recht einmal großzügig sein.

Das Zupfen von Ähren galt als Erntearbeit. Und Arbeit war am Sabbat verboten. Aber wenn

die Jünger eben Hunger hatten, dann mußte man ihnen so ein kleines Vergehen schon einmal zugestehen. In unserem Recht gibt es ja bis heute den Tatbestand des „Mundraubs“, da darf man doch nicht so kleinlich sein.

Aber ganz so leicht wurde das damals nicht genommen. Auch wir sollten ganz genau hinhören. Für den frommen Juden hatte der Sabbat eine unvergleichliche Bedeutung. Mit dem Sabbat hatte Gott sein Schöpfungswerk gekrönt: Weil Gott ruhte, sollte auch der Mensch ruhen. Deshalb war die Frage der Sonntagsheiligung die Frage nach dem Sinn von Ordnungen überhaupt. Wer den Sabbat antastet, der vergreift sich am ganzen jüdischen Glauben. Die Meinung war ja: „Wenn einmal alle Juden nur einen einzigen Sabbat halten, dann kommt der Messias!“

Deshalb war die spannende Frage: „Läßt Jesus Gesetz und Ordnung gelten oder durchbricht er sie kühn durch demonstratives Verhalten? Er riskierte ja einiges: Wenn man ein Gebot unwissend übertrat, wurde man nur verwarnt. Wenn man es aber erneut tat, wurde man gesteinigt. Deshalb wird ganz klar gesagt: „Jesus ist nicht gekommen, das Gesetz aufzulösen, sondern es zu erfüllen!“ Er kritisiert das Bestehende, aber er will nicht alle Gesetze über Bord werfen, sondern überbieten. Zunächst einmal will er, daß wir verantwortlich leben in Gottes guter Ordnung. Aber er weiß auch: In der Not kann man die Ordnung durchbrechen, sie soll dem Menschen dienen und Gott will sie noch überbieten.

Gottes Gebote werden nicht erfüllt durch einen sklavischen Buchstabengehorsam und eine enge Gesetzlichkeit. Das war ja der Weg der jüdischen Schriftgelehrten zur Zeit Jesu: Um nur ja nicht das Sabbatgebot zu übertreten, hatten sie 39 Hauptarbeiten verboten und diese noch

einmal in Unterarbeiten eingeteilt. So durfte man zwar Holz und Kohlen in den Herd legen, aber nicht anzünden, das mußte dann ein Nachbar tun.

Aber die Juden waren wiederum auch geschickt, wenn man solche kleinlichen Gebote umgehen wollte: So durfte man nicht Gegenstände von einem Zimmer in das andere tragen. Aber wenn an eine Schnur um mehrere Zimmer spannte, dann galten diese als e i n Bereich und man durfte doch die Möbel rücken.

Gegen solche Lächerlichkeiten wendet sich Jesus. Gottes Gebot muß gelten, aber man muß es sinngemäß und situationsgerecht anwenden, sonst verkehrt man es ins Gegenteil. Ein Gebot soll helfen und nicht den Menschen knechten. Die Liebe soll unser Tun und Lassen bestimmen. Deshalb muß die sittliche Entscheidung nach dem Gebot der Stunde getroffen werden. Das gilt nicht nur bei der Sonntagsheiligung, sondern bei allen Geboten. Deshalb auch das Beispiel aus unsrem Alltagsbereich am Anfang der Predigt.

Wir können also nicht die allzu braven oder gar ängstlichen Christen loben, die keine eigenen Entscheidungen mehr riskieren wollen und andere verachten, weil sie ihr Leben nicht mehr nach den Sitten aus Großmutters Zeiten führen. Wir können aber auch die nicht loben, die in mißverstandener christlicher Freiheit alles rechtfertigen wollen, was sie in einer angeblichen Notsituation zum eigenen Nutzen tun. Unser Zusammenleben bedarf der Ordnung, damit der andere weiß, was er von uns zu erwarten hat. Im Straßenverkehr kann man nicht originell oder schöpferisch handeln, sondern da geht es nach dem, was man in der Fahrtschule gelernt hat, sonst kracht es.

Doch wo es die Situation erfordert oder wo sogar Not am Mann ist, da muß Freiheit sein. Das gilt selbst im Straßenverkehr: Wenn vier Autos gleichzeitig an einer Kreuzung ankommen, an der die Regel „rechts vor links“ gilt, dann muß einer auf seine Vorfahrt verzichten, damit das Knäuel wieder entwirrt werden kann.

Und so kann es auch einmal einen Sonntag geben, an dem man auf den Kontakt mit Gott im Gottesdienst verzichtet, weil man zum Beispiel bei einer Hochwasserkatastrophe hilft. Das Gebot soll nicht abgeschafft werden, aber es kann durchbrochen werden, dazu gibt uns Jesus die Freiheit.

Doch hier sollte dann wirklich eine Notlage vorliegen und um der Menschen willen gehandelt werden. Im Konfliktfall geht das Menschliche vor. Jede Ordnung - auch abgesehen vom Ausnahmefall - ist daran zu messen, ob sie dem Menschen dient. Das gilt für die Verfassung des Staates, für seine von der Volksvertretung beschlossenen Gesetze und für die Sitten und Regeln des Alltags.

Unmenschlich und das Gegenteil einer guten Ordnung ist es, wenn irgendwelche Prinzipien durchgehalten werden auf Kosten der Menschen und wenn Macht um der Macht willen verteidigt wird - oft unter großen Opfern.

Beim Beispiel der Sonntagsheiligung heißt das: Dient unsere Art, den Sonntag zu begehen, unserem Wohl? Nutzen wir ihn zur Entspannung, haben wir Zeit für Familie und Freundschaft, geben wir uns dem hin, was uns Freude macht? Und vor allem: Kommt Gott an diesem Tag zu seinem Recht? Wir haben einen Gott, dem unser Wohl am Herzen liegt. Er will nicht, daß wir mühselig und beladen sind an so einem Tag oder überhaupt in unserem Leben, er will nicht, daß wir unter unsinnigen Gesetzen stöhnen und ächzen, sondern er will uns einen Tag

geben zur Erquickung und zum Freuen.

Gott will sogar die Ordnungen dieser Welt überbieten: „Des Menschen Sohn ist ein Herr auch über den Sabbat!“ Wenn Ordnungen durchbrochen werden sollen, so sollen sie einen neuen Sinn bekommen bzw. ihren ursprünglich gemeinten Sinn wieder erhalten. Sie sollen den menschenfreundlichen Erhalterwillen Gottes zum Ausdruck bringen. Deshalb kann nie der Mensch der Herr über die Ordnungen sein, denn sie gelten vor ihm und über ihm. Herr ist allein Gott. In Jesus beginnt Gottes Herrschaft. An dieser Herrschaft finden die irdischen Ordnungen eine Grenze.

 

 

Mk 3, 31 – 35 (13.  Sonntag nach Trinitatis):

Ein Pfarrer ist erst mit 16 Jahren getauft worden. Er ist als Pflegekind in einer Familie mit langer Tradition aufgewachsen. Ihre Firma wurde dann zwar ein staatlicher Betrieb. Dieser aber ist auf das Geheimwissen der Familie angewiesen, auf jahrhundertelange Erfahrung, die immer nur vom Vater auf den Sohn weitervererbt wurde. Als freier Mitarbeiter des Betriebs hätte der Sohn eine schöne und einträgliche Arbeit gehabt. Aber er hat sich für den Beruf des Pfarrers entschieden.

Schon Jesus stand in diesem Konflikt zwischen dem Auftrag Gottes und den Anforderungen seiner leiblichen Familie. Zu Jesus gehören, das kann trennen, das will aber auch verbinden und das muß verpflichten.

 

(1.) Zu Jesus gehören, das kann trennen: Die Arbeit für die Kirche entzieht den Menschen seiner Familie. Wenn ein Mann immer und immer wieder zu Sitzungen und Besprechungen geht, dann wird die Frau schon einmal Einhalt gebieten wollen. Wenn die Kinder an verschiedenen Stellen in der Kirche mitarbeiten, stehen sie vielleicht für die Hausarbeit nicht zur Verfügung. Es ist nicht so einfach, das alles in Einklang zu bringen.

Schon bei Jesus gab es da Schwierigkeiten. Er wurde von seiner Familie nicht verstanden, ja er wurde sogar direkt von ihr abgelehnt. Nun war aber wahrscheinlich eine neue Lage eingetreten: Josef war gestorben und Jesus als der Älteste sollte nun das Familienoberhaupt werden, die Verantwortung übernehmen und alle versorgen. Bis jetzt haben sie seine Verrücktheiten noch hingenommen. Aber nun erinnern sie ihn an seine Pflicht und wollen ihn wieder ins normale Leben zurückführen.

Die Mutter und die Brüder stehen draußen auf der Straße und schicken einen Boten hinein, der Jesus sagt, er solle doch hinauskommen. Die draußen stehen, haben sich aber auch innerlich weit von Jesus entfernt, obwohl sie doch durch Blutsbande mit ihm verbunden sind.

Aber es gibt offenbar etwas, das mehr ist als leibliche Verwandtschaft. Die drinnen bei Jesus im Haus sitzen, die sind das neue Gottesvolk und Jesu wahre Verwandte. Weil sie seine Nähe suchen, schenkt er ihnen seine Gemeinschaft.

So mag es auch vielleicht manchem in der damaligen DDR ergangen sein, der seine Verwandten im Westen wieder ausgegraben hat, um einen Grund für eine Reise in den Westen zu haben: Mit ihnen hat er sich vielleicht nicht so gut verstanden wie mit den Bekannten, die er vielleicht über die Kirche kennengelernt hat und mit denen er viel schneller auf einer Wellenlänge war.

Man darf die Haltung Jesu natürlich auch nicht mißverstehen. Hier geht es nicht um den üblichen Generationenkonflikt, um die Auflehnung der Söhne gegen die Eltern. Wenn ein junger Mann mit seiner Familie nicht mehr zurechtkommt, dann kann er nicht die Familie verlassen und sagen: „Ich suche mir bei der Kirche eine neue Heimat!“ Unsre Aufgabe kann gerade auch in der eigenen Familie liegen.

Aber diese Familie darf uns nicht am Glauben hindern. Wenn das so ist, dann ist es besser, man verläßt die Familie. Aber eher ist es so, daß man das gute Klima in der Familie nicht gefährden will und lieber beim Glauben Abstriche macht. Da wird eine Mutter nicht kirchlich bestattet, obwohl sie das ganze Leben Kirchenmitglied war.

Jesus hat sich auch nicht mit den Seinen gezankt. Aber er muß deutlich machen, daß Gott einen radikalen Neuanfang setzt, um das Neue zu signalisieren, muß Jesus hier „Nein“ sagen. Dabei zerstört er geläufige Vorstellungen von Religion, Sitte und Familie. Wenn er als der älteste Sohn brav zu Hause geblieben wäre und als Bauhandwerker sein Brot verdient hätte und streng nach den Gesetzen und Überlieferungen Israels gelebt hätte, dann wäre er mit der Familie und den führenden Kreisen in Israel nicht in Konflikt geraten. Aber damit hätte er den leidenden Menschen nicht geholfen und das Kommen des Reiches Gottes verpaßt. Dann wäre alles in einer durchschnittlichen Religiosität geblieben, wo man sagt: „Religion muß sein“, so wie Beruf und Familie sein müssen. Wer aber zur Gottesfamilie Jesu gehören will, der muß mit Trennung rechnen.

 

(2.) Zu Jesus gehören, das will verbinden: Bei Jesus kann man aber auch etwas gewinnen. Die um Jesus herumsitzen, sind noch keine Kirche im Sinne einer ortsfesten und organisierten Gemeinschaft. Aber sie sind von ihm gerufen und ausgewählt, er hat sie in seine Gemeinschaft gezogen und sich bleibend mit ihnen verbunden. Das waren die ersten keimhaften Anfänge der Kirche: Da sind einige versammelt in seinem Namen und er ist mitten unter ihnen. Er zieht sie in die anbruchsweise sich ereignende Gottesherrschaft hinein, indem er sich mit ihnen verbindet.

Wenn die Gemeinde nun Jesu Familie ist, dann müssen wir auch umgedreht fragen: Ist die Gemeinde auch eine Familie? Keiner kann sich seine Familie aussuchen. Wir werden in sie hineingeboren, ganz unabhängig davon, ob und das später leicht oder unendlich schwer wird. Einen Freundeskreis aber kann man sieh frei wählen, kann ihn auch ändern. Oft fühlen wir uns von Freunden viel tiefer verstanden als von der eigenen Familie. Deshalb sollte die christliche Gemeinde schon etwas wie eine Familie sein.

Wenn heute junge Menschen zum Glauben kommen und sich taufen lassen, dann kann das oftmals die Trennung von der Familie bedeuten. Wenn es nur einer in der Familie ist, wird er oft einsam und unverstanden sein. Da lassen die jungen Leute dann auch ihr Kind taufen; aber

die Oma kommt nicht mit, weil sie anderer Meinung ist. So etwas wirkt sich aber auch automatisch auf das sonstige Verhältnis von Alt und Jung aus.

Solche Menschen, die ohne eine Prägung durch die Familie zur Gemeinde kamen, dürfen wir nicht enttäuschen. Die Gefahr ist groß, daß sie sich viel zu viel von der Gemeinde versprechen. Sie haben gehört, wie es nach der Bibel in der Gemeinde zugehen müßte. Aber wir sind halt alle nur Menschen, mit vielen Fehlern und Schwächen. Doch es darf nicht soweit kommen, daß sie dann abgestoßen werden von dem, was sie dann dort erleben.

Es gibt ja auch in der Tat viele positive Beispiele. Menschen aus ganz verschiedenen Nationen und Kirchen, unterschiedlicher Bildung und Erziehung, können in der Hingabe an Gott tief innerlich verbunden sein. Auf Gottes Wort hören, zu ihm beten und seinen Willen tun, das verbindet untereinander, über alle Grenzen hinweg. Das dürfen wir beglückend immer wieder in der Kirche erleben.

Die Kirche hat lange schon Partnerschaften über die Grenzen hinweg gesucht, sie bringt ja auch die besten Voraussetzungen dafür mit. Die Politik zieht da jetzt erst langsam nach und spricht nun auch von einer Verantwortungsgemeinschaft und einer Sicherheitspartnerschaft.

Wir werden natürlich immer darauf achten müssen, daß wir andere Menschen nicht ausgrenzen.

Es kann einem leicht so gehen, daß man gleich die Menschen einteilt in Kirchenmitglieder und Nichtmitglieder. Besonders schwer fällt es dann, ein unbefangenes Verhältnis zu denen zu haben, die erst in letzter Zeit aus der Kirche ausgetreten sind. Andere haben vielleicht eher Schwierigkeiten mit der Einteilung in Einheimische und Zugezogene (oder gar „Fremden“).

Mit seinem schroffen Verhalten hat Jesus nicht ausschließen und abstoßen wollen, sondern das Kommende verkündigen wollen. Seine Familie hat ja dann auch später zur Gemeinde gefunden: Unter dem Kreuz steht seine Mutter und er vertraut sie dem Lieblingsjünger an. Und seinem Bruder Jakobus ist er als der Auferstandene erschienen und dieser wurde zu einer der Säulen der Gemeinde und zu ihrem ersten Leiter.

 

(3.) Zu Jesus gehören, das muß verpflichten: Jesus war nicht der, der alle Ordnungen. aufgelöst hat. Er hat nicht das Gesetz gebrochen und andere noch dazu verführt. Er übt nur deshalb Kritik an den Menschengeboten, weil Gottes eigentliches Gebot zu Ehren kommen soll. Wer Jesus entdeckt hat, der begreift, daß er nicht bleiben kann, wie er ist. Gott greift ja gerade nach denen und zieht die an sich, die es nicht geschafft haben. Gott weiß, wer die Gesunden sind. Wir können es ihm überlassen, sie auszusortieren. Aber alle anderen sollte Jesus an sich her­anlassen. Wir hätten Jesus mißverstanden, wenn wir herausläsen: „Erst einmal den Willen Gottes tun, und dann dürft ihr kommen!

Aber wer Kontakt mit Jesus hat, der wird schon merken, was ihm noch fehlt, um Gottes Willen zu tun. Das bedeutet: Jeder darf kommen, wenn Jesus einlädt. Aus dem Kontakt mit ihm wird sich einiges ergeben. Dieser Kontakt ist wichtiger als all unseren Vorsätze und Anstrengungen, Krafttaten und Opfer. Wo aus dem Glauben an Jesus gelebt wird, da geschieht Gottes Wille. Da betet man auch täglich, daß dieser Gotteswille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.

 

 

Mk 4, 26 - 29 (Sexagesimä):

Wie beurteilen wir wohl die Zukunftsaussichten? Erwarten wir Gutes von der Jugend oder betrachten wir sie mit ängstlichem Zweifel? Wie begleiten wir die politische Entwicklung? Sind wir der Meinung, daß doch immer nur das Böse wiederkehrt oder haben wir einen wa­chen Blick für eine sich anbahnende Versöhnung? Wie beurteilen wir eine Ehe, deren erstes großes Kapital an Liebe schon verbraucht ist? Erwarten wir noch andere, bisher nicht erkannte Möglichkeiten einer tieferen Beziehung?

Wie sehen wir die Arbeit unsrer Kirche? Mit Sorge und Resignation oder mit Zuversicht und Hoffnung? Aber Hoffnung kann man sich nicht „machen“. Es lohnt sich, Ausschau zu halten nach Leuten,die uns Hoffnung machen können. Jesus selbst bietet sich uns an. Wir müßten ihn nur genügend zu Wort kommen lassen.

Es gibt manche Beispiele, die uns hoffen lassen. In der katholischen Kirche Südamerikas sind überall kleine Basisgemeinden entstanden, in denen die Bibel gelesen wird, das Abendmahl gefeiert und praktische Solidarität geübt wird. Auch bei uns gibt es solche Gruppen, in denen ein anderer Lebensstil versucht wird. Es gibt Christen, die mit hohem persönlichem Einsatz versuchen, mit den Randsiedlern unsrer Gesellschaft zu leben, mit Behinderten, mit nicht angepaßten Jugendlichen, mit den alten und einsamen Leuten. Es gibt Kranke, die die Hoffnung nicht fahren lassen, und Menschen, die ihnen liebevoll nahe sind.

Wir brauchen unser Leben und unsre Welt und auch unsre Kirche nicht nur Schwarz in Schwarz zu sehen. Gott wird schon machen, daß aus einem kleinen Anfang ein großes Ende wird. Das macht uns das Gleichnis von der selbstwachsenden Saat deutlich. Das Bezeichnende daran ist: Die Zwischenzeit ist unserem Zugriff entzogen. Wir können nur warten, solange Gott am Werk ist. Das Provozierende an dem Gleichnis ist ja, daß auf das Säen nicht das Sorgen folgt, sondern das Schlafengehen.

Das aber ist gerade der Trost dieses Gleichnisses. Wir brauchen uns nicht in pausenloser Arbeit für die Gemeinde zu zerreiben, Gott allein ist es, der alles macht. So hat Luther gesagt: „Während ich geschlafen habe, hat Gott die Reformation gemacht!“ Wir wissen, daß Luther dennoch sehr tätig gewesen ist für seine Kirche. Aber letztlich hat Gott doch das Entscheidende getan. So dürfen auch wir darauf vertrauen, daß die Herrschaft Gottes gewiß kommt. Aber sie ist nicht zu beobachten, sie ist nicht zu machen und sie ist auch nicht aufzuhalten.

 

(1.) Die Gottesherrschaft ist nicht zu beobachten:

Offenbar waren auch schon die Jünger Jesu und manche seiner Zuhörer ungewiß, ob das jemals eintreten wird, was Jesus gepredigt hat. Sie hatten ihr Leben mit dem Leben Jesu verbunden. Aber dann hat er in der Welt doch ziemlich wenig Widerhall gefunden. Bei allem Zulauf, den Jesus gefunden hat, so wurden doch auch allerhand Gegenkräfte deutlich spürbar. Jesus geht auf die Passion zu.

Das Evangelium des Sonntags vom viererlei Acker hat zwar einen stark positiven Ausgang. Aber es muß doch auch erhebliche Verlustquoten registrieren. Die Menschen verschließen sich. Gott kommt mit dem. ganzen Aufgebot seiner Liebe nicht an diese verschlossene Welt heran. Sie geht ihre eigenen Wege und sucht ihr Heil ohne ihn. So leidet Gott an den Enttäuschungen, die er von uns her erfährt und erleidet.

Dennoch will dieses Gleichnis von seinem Ende her verstanden sein. Es macht deutlich: Die Herrschaft Gottes kommt gewiß, mit derselben Naturnotwendigkeit und Unwiderstehlichkeit, die in dem Wachstum eines Saatkorns innewohnt. Allerdings bleibt das ein Wunder, das wir nicht beobachten können. Was zwischen Saat und Ernte geschieht, war für die Menschen früherer Zeiten ein Wunder. Und für uns ist es das im Grunde ja auch so, auch wenn wir über einige biologische Zusammenhänge heute besser Bescheid wissen.

Daß es wächst, weiß und sieht man natürlich. Aber wie das zugeht, das weiß man nicht. Es wächst, auch wenn der Bauer nichts davon versteht und gar nicht einmal daran denkt. So wächst auch die Herrschaft Gottes, auch wenn sie in unserem Bewußtsein keinen Platz hat. Gottes Tun ist nicht davon abhängig, ob wir von ihm Notiz nehmen. Gott wird nicht dadurch lahmgelegt, daß wir ihn nicht beachten.

So bleibt Gottes Tun ein Geheimnis: Man sieht es nicht, man weiß es nicht, der Alltag des Menschen geht darüber hin. Deshalb brauchen wir auch gar nicht um das Kommen der Herrschaft Gottes zu bangen, weil wir nichts von ihr wissen und begreifen. Vor allem können wir nicht nachrechnen, wann sie kommen wird. Aber Jesus meint: Selbst wenn alles dagegen spräche, so wird sie doch Wirklichkeit werden, weil Gott weiß, wie es gemacht werden muß.

 

(2.) Die Gottesherrschaft ist nicht zu machen:

Absichtlich wird gesagt, der Bauer habe den Samen nur so hingeworfen auf das Land. Es soll ja nicht der Eindruck entstehen‚ als läge es am menschlichen Tun und Können. Nicht der Bauer bringt die Ernte hervor, sondern die Erde tut es, ohne ihn. So kann auch das Reich Gottes nicht erzwungen werden, weder durch Revolution noch durch Berechnung, noch durch Gesetzesgehorsam noch durch technischen Fortschritt. Nach dem kommunistischen Manifest sollen die dem Reich Gottes ähnlichen gesellschaftlichen Verhältnisse durch Revolution und Leistung erreicht werden. In der Bibel aber heißt es: Das Reich Gottes kommt ohne unser Tun!

Wenn der Bauer gesät hat, kann er es nur wachsen lassen. Er kann nichts beschleunigen, aber auch nichts bremsen und verzögern, er muß den Dingen ihren Lauf lassen. Zwar kann man heute durch Düngung und Bewässerung schon etwas für das Wachstum tun. Der Bauer von heute tut schon etwas in der Zwischenzeit. Aber die Natur braucht dennoch ihre Zeit und nimmt sie sich.

Aber auch wenn der Mensch im Bereich seiner Welt alles fertigbrächte: Die Herrschaft Gottes ist nicht machbar. Sie kommt nicht durch menschliches Schaffen und Bemühen, sie kommt nicht unter menschlicher Hilfe und Mitwirkung zustande. Der Bauer geht seinen anderen Pflichten nach, die der Alltag ihm aufgibt. Er arbeitet und schläft im Rhythmus der Tage. Aber draußen auf dem Feld, da keimt es und treibt es und blüht es inzwischen. Soll er sich danebenstellen und zusehen? Das wäre sinnlos. Ebenso können wir auch dem lieben Gott nicht nachhelfen.

Doch sind wir dadurch ganz zum Nichtstun verurteilt? Manche kritisieren das ja: Hier werde der Mensch entgegen seiner Natur die Tatenlosigkeit gedrängt. Dahinter steht die irrige Meinung, Gott und Mensch seien in gewissem Sinne Partner. Und wenn einer von ihnen aktiv ist, braucht der andere nichts mehr zu machen. Aber es wäre falsch, wenn der Mensch alles allein bewältigen wollte. Es wäre aber genauso falsch, wenn er alles Gott überließe.

Auf unserer menschlichen Ebene müssen wir schon alles tun, was wir tun können. Natürlich soll die Kirche tätig sein: hingehen und verkündigen, wo sie nur kann, zupacken und mithelfen im weiten Bereich der Diakonie, Zeugnis geben. Aber die Kirche handelt nicht, damit Gottes Herrschaft kommt, sondern weil sie kommt. Sie kann Gottes Handeln nicht teilweise ersetzen, aber sie läßt sich von ihm in Dienst nehmen.

Alles Drängen und Treiben, alle Nervosität, sind ganz unnötig. Wir brauchen Gott keine Termine zu stellen, er hat Zeit. Was er angefangen hat, das bringt er auch zum Ende. Hier i s t nichts zu machen. Aber hier b r a u c h t  auch nichts gemacht zu werden.

Das kann uns ein Trost sein, wenn wir manchmal mutlos werden, weil es mit dem Reich Gottes, mit seiner Herrschaft, nicht so recht voranzugehen scheint. Wir haben doch oft den Eindruck: Mit der Ernte für das Reich Gottes wird es von Jahr zu Jahr geringer. Es werden immer weniger Leute, die sich zur Kirche halten und im Glauben an Gott ihren Halt im Leben finden.

Falsch sind billiger Optimismus, Gleichgültigkeit, Pessimismus oder Hektik. Wir sehen da vielleicht den Typ des betriebsamen Mitarbeiters vor uns, der alles schaffen will, aber doch ein schlechtes Gewissen hat. Wir dürfen Erwartungen haben. Aber wir dürfen nicht nervös werden, wenn nicht gleich etwas kommt. Es werden uns doch auch gute Erfahrungen geschenkt!

Mancher wird auch sagen: Ich habe schon viele Jahre versucht, das Wort Gottes dort auszusäen, wo der Pfarrer nicht hinkommt. Ich habe in der Firma oder in der Schule oder im Büro oder im Laden für Gottes Sache gewirkt. Ich habe mit Männern und Frauen, Alten und Jungen gesprochen, aber ich habe keinen Erfolg gehabt! Das könnte sicher auch mancher Pfarrer sagen: Er sät das Wort, aber er sieht nichts wachsen. Hier kann das Gleichnis eine Hilfe sein.

 

(3.) Die Herrschaft Gottes ist nicht aufzuhalten:

Daß „nicht“ wächst, ist sicher übertrieben. Gott läßt es ja wachsen. Er allein weiß auch, wo etwas wächst. Aber manchmal wünscht halt jeder einen sichtbaren Erfolg seiner Arbeit. Da macht uns das Gleichnis deutlich: Keine Arbeit ist vergeblich! Wir können nur keinen Erfolg herbeizwingen. Aber eines Tages werden die Früchte reif und die Ernte ist da.

„Ernte“ ist in der Bibel immer Bild für das Gericht Gottes. Löst aber die Aussicht auf das Kommen der Gottesherrschaft bei uns Freude oder Furcht aus? Gott hat die Welt doch lieb und wird mit seiner Liebe auch nicht lockerlassen. Deshalb können wir auch mit Freude auf den Tag der frohen Ernte warten und Gott heute schon dafür danken.

Dann brauchen wir uns aber auch nicht mehr vor lauter Selbsterhaltungstrieb zu verkrampfen, sondern auch das Lebensrecht des Mitmenschen anerkennen. Wir werden die Möglichkeiten zu einem wirklichen Miteinander nutzen zu einer guten Gemeinschaft in Haus und Beruf. Wir werden dazu beitragen, die großen Lebensprobleme unsrer Zeit zu bewältigen.

Dann werden wir auch für die Schaffung gerechter Verhältnisse eintreten und unsre Mitver­antwortung für die Hungernden einsehen. Wir werden ans für die Verbesserung des Umweltschutzes einsetzen und mit zupacken bei ihrer Lösung. An all das kann man denken, wenn man an einem Feld vorbeigeht. Das sind die Dinge, die in unserem irdisch-menschlichen Bereich nötig und möglich sind.

Man kann aber auch daran denken, was Jesus am Beispiel von Saat und Ernte und deutlich machen wollte über das Kommen der Herrschaft Gottes. Dieses liegt nicht in unsrer Hand. Aber es kommt gewiß. Und das kann uns mit Zuversicht und Freude erfüllen.

 

 

Mk 7, 31 – 37 (12. Sonntag nach Trinitatis):

In den Anstalten Hephata bei Treysa in Hessen hören sie diese Geschichte von der Heilung des Taubstummen besonders gern, denn aus ihr ist ja der Name der Anstalt genommen. Aber nicht alle dort können diese Geschichte hören und verstehen. Sie sind nämlich auch taubstumm. Weil sie nicht hören können, lernen sie auch nicht das Sprechen, oder sie lernen es nur schlecht. So ein Mensch zieht sich sehr leicht in sich selbst zurück und isoliert sich immer mehr.

Was Taubstummsein bedeutet, wird man vielleicht erst verstehen, wenn man einmal das Leid in einer solchen Krankenanstalt erlebt hat: Da ist ein dreizehnjähriger, hübscher Junge, das erste Kind seiner Eltern. Aber als er ein Jahr alt war, hatte er eine Gehirnhautentzündung und blieb auf dem Entwicklungsstand eines Einjährigen und wird ständig von furchtbaren Kopfschmerzen geplagt. So sieht Krankheit auch heute aus.

Da taucht doch die Frage auf: „Warum hilft Jesus nicht auch heute solchen Menschen?“ Warum hilft er nicht auch mir in meiner Krankheit? Und es gibt ja auch Krankheiten ohne medizinischen Befund. Ein Mensch kann auch so sprachlos sein, unfähig auf andere zu hören, er kann sich nicht verständlich machen. An solche Menschen kommt man nicht heran, aus ihnen ist nichts herauszukriegen. Sie leiden darunter. Wir selber werden auch schon solche Zeiten erlebt haben, wo wir wie taub und stumm waren.

Christus aber will auch unser Arzt sein. Nur handelt er nicht allein mit Spritzen und Tabletten, sondern er will auch die Seele heil machen. Und er verheißt uns, daß einmal in Gottes Reich alles heil sein wird.

 

(1.) Christus hilft durch seine Zuwendung: Ein Gehörloser wird Jesus zugeführt. Man hat es ihm mitteilen müssen, daß da einer ist, der ihm helfen könnte. Aber Jesus tut zunächst nicht, was man von ihm erwartet. Zwar sieht es zunächst so aus, als mache er den üblichen Hokuspokus eines antiken Wundermannes mit. Aber in Wirklichkeit geht es Jesus zuerst einmal um ein ganz persönliches Zugehen auf den Kranken. Er spricht in einer Sprache, die der Behinderte auch verstehen kann: Er macht eine Gebärde, um ihm deutlich zu machen,

daß er ihm helfen will.

Jesus nimmt den Mann besonders: Dadurch soll er spüren, daß es jetzt ganz allein um ihn geht. Durch sein Leiden war er aus der Gemeinschaft der anderen ausgeschlossen. Jesus aber sucht Gemeinschaft gerade mit ihm. Jesus seinerseits aber sucht Gemeinschaft mit Gott. Jesus schaut zum Himmel auf, um deutlich zu machen: Was jetzt geschehen wird, hat mit Gott zu tun. Seine ganze Kraft kommt von Gott. Der muß Jesu Hände erst segnen. Ein sogenanntes Wunder kann er nur tun als Bittender.

Es geht hier also nicht um Zauberei. In der Geschichte wird durch Zeichen soviel geredet, wie das bei einem Gehörlosen nur sein kann. Und es wird dem Kranken deutlich gemacht: zum Heilwerden gehört auch das Neuwerden des Verhältnisses zwischen Gott und dem Menschen. Erst aus dem Versöhntsein heraus kann es zu einer glücklichen und gesunden Welt kommen. Aber zu dieser körperlichen Heilung kommt es dann auch tatsächlich.

 

(2.) Christus hilft als Arzt: Es gibt Krankheiten, die können wirklich auf eine Art geheilt werden, die für uns wunderbar ist. Es gibt Menschen, die diese Gabe zur Krankenheilung haben. Jesus hatte sie sicherlich, sonst hätten nicht so viele Heilungsgeschichten von ihm erzählt werden können. Allerdings ist manche Einzelheit später ausgemalt und übertrieben worden. Und es mag manche Geschichte im Neuen Testament stehen, die gar kein besonderes Ereignis im Leben Jesu zur Grundlage hat, sondern anderen Geschichten nachgebildet wurde.

Aber all diese Heilungsgeschichten wollten doch sagen: „Jesus ist der Herr über Leiden und Krankheit. Die bösen Mächte werden nicht das letzte Wort über Gottes Schöpfung behalten. Jesus erweist seine Barmherzigkeit auch gegenüber diesem armen, taubstummen Mann im Heidenland, dessen letzte Rettung der Wundermann Jesus war!“

Ja, dieser Jesus konnte Wunder tun. Er war nicht nur Seelsorger, sondern auch Arzt. Die Frage war nicht, ob er helfen k a n n, sondern ob er helfen w i 1 1. Das Wunder der Krankenheilung besteht darin, daß Jesus an die Barmherzigkeit Gottes appelliert: Gott möge die Folgen des Abfalls von ihm nicht so schwer nehmen und wieder aufheben. Dieser arme Mensch ist doch preisgegeben an zersetzende und den Menschen peinigende Mächte. Er hat sich mit beteiligt an dem Aufstand gegen Gott. Hier ist ein schwerer Kampf zu bestehen. Jesus muß erst die Werke des Teufels zerstören

Die Welt ist Schauplatz eines unsichtbaren Kampfes, der aber doch sichtbare Auswirkungen hat: Krieg und Gewaltherrschaft, zerstörte Gemeinschaft zwischen den Menschen, Hunger und Krankheit. All das ist Folge der verschiedenen einzelnen Auflehnungen gegen Gott, aber auch eines überindividuellen Entschiedenseins gegen Gott. Deshalb muß Jesus Machttaten tun, damit die gottfeindliche Macht einen Menschen wieder loslassen muß.

Daß Gott in Jesus Christus für uns Partei ergreift, die wir doch von ihm abgefallen sind, daß er uns aus unsern Gebundenheiten herausholt, d a s ist das eigentliche Wunder. Jesus kann aber Wunder tun, auch in unserer Zeit. Diese Geschichte handelt nicht von einem vergangenen Christus, der vor vielen Jahrhunderten einmal Kranke und Krüppel gesund gemacht hat. Hier geht es um den Christus, der auch heute wirkt. Wer ihn ernst nimmt, der kann sich

Niemals mit der Tatsache des Leidens abfinden, sondern wird nach seiner Überwindung fragen. Jesus schenkt mit dem Heil auch die Heilung. Er ist nicht nur der Heiland des inneren Menschen, sondern auch der Arzt für die leibliche Krankheit. Dies allerdings erleben wir heute nur anbruchsweise.

 

(3.) Christus hilft durch seine Verheißung: In der ersten Christenheit kamen auch Heilungen aus dem Glauben heraus vor. Aus dem 19. Jahrhundert werden solche Heilungen von Christoph Blumhardt berichtet. Auch Pfarrer Janda im Schniewindhaus in Schönebeck an der Elbe hat solche Heilungen durch Gebet versucht.

Es gibt immer wieder Leute, die behaupteten: „Wenn sieben Gläubige einem Kranken die Hand auflegen, dann wird er gesund!“ Sind wir nur im Glauben so schwach geworden, daß wir diese Kraft verloren haben?

Doch sicherlich muß man sich hier vor Experimenten hüten. Wer wirklich so eine Gabe hat, geht nicht damit hausieren. Vor Jahre- erregte einmal der Fall einer Medizinstudentin in Hamburg großes Aufsehen. Sie hatte die Zuckerkrankheit, weigerte sich aber, die dringend notwendigen Spritzen zu nehmen. Ihr Argument war: „Wenn Gott mich gesund machen will, dann kann' er das auch ohne Spritzen!“ Als künftige Ärztin hätte sie wissen müssen, daß Gott gerade in einem solchen Fall durch die Medizin hilft. Aber diese Studentin ist gestorben in der Überzeugung, Gott habe ihren Tod gewollt.

Hier muß dringend vor aller Schwärmerei gewarnt werden. Gott hat uns doch die ärztliche Kunst und die Medikamente gegeben, damit wir sie anwenden. Aber wir sollten dennoch wissen, daß unsere menschliche Kraft allein nicht ausreicht. Wenn wir zum Arzt gehen, sollten wir deshalb darum beten, daß Gott die Hände des Arztes und seine Mittel segnet. Bei Jesus gehören Menschenhilfe und Gotteshilfe immer zusammen. Medikamente und Gebet sind kein Widerspruch.

Auch Jesus hat nicht alle Kranken gesund gemacht. Er wollte kein Wundermann sein, sondern nur einige Zeichen aufrichten, die andeuten: So wird es einmal in der kommende Gotteswelt sein. Ein Stück des Gottesreiches hat jetzt schon begonnen, aber es ist nur ein Anfang. Wer diese Zeichen versteht, den ermutigen sie zu großer Hoffnung, auch dann, wenn er geschädigt und krank ist.

Und wenn es der Gemeinde Jesu hin und wieder einmal gegeben sein sollte, in der Kraft ihres Herrn Heilungen zu vollbringen, dann wären sie auch nur Hinweise auf Kommendes. Sie wären nur eine ereignishafte Verkündigung, noch nicht die endgültige Heilung, die uns versprochen ist für die Vollendung aller Dinge bei Gott.

Bis dahin aber sollten wir uns herausholen lassen aus unserm Panzer der Selbstgerechtigkeit und uns für die Liebe Gottes öffnen. Wir sollten nicht daran zweifeln, daß Gott uns aufgeschlossen hat für seine Liebe. Dafür steht das Zeichen der Taufe. Die Taufe ist ein Stück Gebärdensprache Gottes, daß wir uns aufschließen lassen für seine Zuwendung und sein Heil.

In der Alten Kirche wurden dem Täufling die Finger in die Ohren gelegt und zu ihm das „Hephata“ gesprochen: „Tue dich auf!“ Er soll nicht mehr taub und stumm für Gott sein, sondern den Mund auftun zum Lob Gottes.

 

 

Mk 8, 31 -38 (Estomihi):

In diesen Tagen erlebt an allen Orten die Fastnachtszeit ihren Höhepunkt. Früher hatte sie noch einen Bezug zum Kirchenjahr, denn man wollte sich vor der Fastenzeit noch einmal richtig austoben. An Aschermittwoch ging man dann brav zum Gottesdienst und ließ sich das Aschekreuz auf die Stirn malen, und in Mainz wurden die leeren Geldbeutel im Rhein gewaschen.

Was zunächst nur Brauch in den katholischen Gegenden war, ist inzwischen über das ganze Land hinweggeschwabbt. Aber mit dem Kirchenjahr hat das nichts mehr zu tun, abgesehen von der Festlegung des Termins. Es ist nichts dagegen zu sagen, wenn auch bei uns von mehreren rührigen Vereinen Fastnachtsveranstaltungen durchgeführt werden. Aber wir sollten den ernsten Hintergrund dieser Zeit nicht vergessen

Durch diesen Predigttext werden wir auf die Passion Christi hingewiesen, denn Jesus kündigt sein Leiden an. Die Leidensankündigungen klingen wie kurze Zusammenfassungen der Leidensgeschichte Jesu. Man hat aber vermutet, sie seien erst durch die Passionserfahrung in das Leben Jesu zurückverlegt worden, um zu beweisen, daß Jesus schon mit seinem Tod gerechnet habe. In Wirklichkeit sei er nach Jerusalem gegangen, um dort zu predigen und entscheidend zu wirken.

Doch es gibt nach der Tradition keinen Grund, weshalb Jesus nicht zu seinen Leuten von seinem bevorstehenden Tod gesprochen haben sollte. Sie haben ihn ja nicht verstanden, seine Andeutungen blieben für sie dunkel. Jesus galt als notorischer Ketzer, Verführer und Gesetzesbrecher. Was er in Jerusalem vorhatte, mußte das Maß voll machen.

Wenn Jesus nicht wissentlich und willentlich in den Tod gegangen wäre, dann wäre sein Gang

nach Jerusalem nicht mehr die Tat des Gehorsams. Uns würde nicht zugerechnet, was er für uns geleistet hat. Seine Kreuzigung wäre nur ein Mißgeschick, dem man erst nachträglich einen Sinn hineingelegt hat. Aber wir dürfen darauf vertrauen, daß Jesus bewußt den Tod für uns auf sich genommen hat.

 

1. Wir sind unterwegs mit Christus, der sein Leben opfert: Jesus leidet nicht nur, sondern er wird „verworfen“, von Gott verlassenen. Das begreift Petrus nicht. Aber auch Jesus selbst ist an diesem Punkt anfällig. Seine heftige Reaktion auf das eindringliche Wort des Petrus läßt erkennen, wie gefährdet Jesus selbst an dieser Stelle ist. Er merkt, daß hier der Satan aus den wohlmeinenden Petrus spricht, der die Gedanken Gottes durchkreuzen will. Doch damit denkt er sich einen Gott nach Menschenart. Der wirkliche Gott aber ist anders, er durchkreuzt unser Gedanken.

Petrus spricht nur das aus, was wir denken wir. Wir möchten in unserm Leben auch gern unserm eigenen Kreuz entgehen. Wir wollen eine heile Welt, ein friedliches Leben, das äußere und das innere Glück, vielleicht sogar eine Spaßgesellschaft. Das Wort vom Kreuz will uns nicht zu Pessimisten machen. Aber der Weg Jesu ist schwer.

Vielleicht hat Petrus vorgeschwebt, daß Jesus in Jerusalem die große richterliche Endabrechnung beginnt, wie sie der Prophet Daniel vom „Menschensohn“ erwartet. Jesus ist aber der andere „Mensch“, den Angefochtenen ein Angefochtener, den Leidenden ein Leidender, den Gottverlassenen ein Gottverlassener. Er ist ein Gott in einer Welt, in der Auschwitz möglich war und in der auch noch heute gequält und gemordet wird. Käme Jesus als Richter, dann hätten auch wir nichts zu hoffen. Aber er richtet nicht, sondern er rettet, er will Menschen gewinnen.

Wir hätten vielleicht gern den siegenden Christus: Aber Herrlichkeit und Leiden gehören immer zusammen: Wir können uns nicht nur die eine Seite herausgreifen, die uns paßt. Frühere Zeiten haben davon noch gewußt. In der ersten großen Epoche der europäischen Kunst, in der Romanik, hat man Christus immer als den König dargestellt, allerdings als König am Kreuz. Er war nicht einfach aufgehängt wie ein Verbrecher, sondern stand aufrecht und majestätisch vor dem Kreuzesbalken, wie einer, der überwunden hat. Manchmal hat er sogar eine Krone auf oder hebt die Hand segnend über die, die zu ihm aufblicken.

Anders ist es in der nächsten Epoche, in der Gotik. Hier wird der große Schmerzensmann dargestellt, der gequält und zermartert am Kreuz hängt, das Sinnbild alles Leidens in der Welt. Und so hat man durch alle Zeiten hindurch einmal die eine Seite, einmal die andere betont. Unsere Zeit, die so viel vom Leiden weiß, hat deshalbwohl auch oft den leidenden Christus

dargestellt.

Welcher Typ gehört wohl in eine Krankenhaus-Kapelle? Soll man da einen leidenden Christus wählen, der die Verbundenheit mit den Leiden der Kranken zeigt? Ist es ein Trost für einen Kranken, wenn er sieht: „Der andere hat auch gelitten, vielleicht sogar für mich gelitten?“ So war der berühmte Isenheimer Altar gedacht, der heute in Colmar gezeigt wird und der einmal in einem Hospital für Pestkranke stand.

All unsern persönlichen Wunschbildern von Christus ist damit eine Absage erteilt. Es gibt keinen heroischen Christus, keinen Helden, den man anhimmeln kann, keinen Führer und Wundermann. Jesus ist aber auch nicht das Idealbild eines Menschen, der also das verkörpert, was alle Welt schon immer geglaubt hat oder als Ideal anerkannt hat oder gern hat haben wollen.

Jesus ist damals als König verkleidet worden, wie eine Fastnachtspuppe - und dann haben sie ihn ausgespottet. Aber er hat das alles ausgehalten. Jesus ist halt so, wie Gott ihn will. Er ist so, wie Gott ihn sieht, und nicht wie wir ihn sehen. Uns ist das genauso unverständlich wie den Jüngern damals: Wie kann einer die Welt erlösen, der von der Welt ans Kreuz genagelt wird? Wie bei den Jüngern muß Jesus auch bei uns den Anstoß überwinden, indem er uns nach der Auferstehung sagt: „Ich bin trotz allem der Herr!“

 

2. Wir sind unterwegs mit Christus, der unser Leben fordert: Heute, am Sonntag vor der Passionszeit, werden wir aufgerufen, den Weg mit Jesus zum Leiden zu gehen und selbst ein Teil der Leiden zu tragen. Jesus will uns nicht die Not des Leidens und Sterbens abnehmen, sondern er will Gefolgsleute, die den gleichen Weg zu gehen lernen.

Doch Jesus verlangt nicht, daß wir dabei tapfer sind, daß wir uns nichts anmerken lassen. Er

weiß, wie schwer es uns fällt, denn er selber Angst gehabt. Wir müssen doch ehrlich sein:

„Wenn wir krank sind oder wenn es ans Sterben geht, haben wir Angst. Wir haben sogar schon Angst, wenn uns jemand wegen unsers Glaubens verspottet; wir denken, der andere könnte es uns vielleicht heimzahlen oder uns bei Gelegenheit fühlen lassen, welche Nachteile es bringen kann, wenn man zur Kirche gehört!“ Jesus hat uns nichts anderes verheißen. Ihm ist es selber es so gegangen. Aber er verlangt von uns, daß wir uns nicht mehr wundern, wenn der Weg der Kirche durch die Welt ein Weg der Schmach ist.

Allerdings ist das auch eine Stärke: Wenn einer die Schmach aushält und sich nicht an dem Anderen rächt, ist der Zusammenhang zwischen Schuld und Vergeltung durchbrochen, dann

wird aus einem Vergehen nicht immer wieder neues Böses. Deshalb ist die Vergebung eine

Kraft, die mehr erreicht als alle Gewalt.

Jesus liebte auch die Menschen, die ihn ans Kreuz brachten. Er wollte sie innerlich bezwingen durch die Größe seines Sterbens, sie sollten überwunden werden vom Anblick dieses leidenden Gerechten.

Nachfolge bedeutet, daß wir nicht ausweichen. Es gäbe weniger Unmenschlichkeit und Grausamkeit in der Welt, wenn wir uns ins Mitleiden eingeübt hätten. Dann könnten wir nicht mehr gegen unser Mitmenschen Recht haben wollen und uns auf ihre Kosten groß machen wollen. Das Kreuz streicht alles durch: unsere Gottlosigkeit, unser Eigenmächtigkeit, die Gleichgültigkeit, das Geltungsstreben und die Verliebtheit in uns selbst.

Jesus fordert uns auf, uns von dem alten Sünder lossagen, der unsern Namen trägt. Da wird natürlich viel verlangt. Wir leben ja normalerweise ein behütetes Leben. Trotzdem haben wir uns zu prüfen, inwieweit der Stil unsers Christseins bestehen kann vor dem, was Jesus hier sagt und vorgelebt hat. Es könnte uns so gehen wie den Bundeswehrsoldaten, die sich jahrzehntelang auf ein ruhiges Leben in der Kaserne einrichteten und nun plötzlich nach Afghanistan sollen.

Mit Jesus auf dem Weg zu bleiben, ist nicht leicht. Es kann sein, daß wir in dem uns auferlegten Leiden dem Gekreuzigten ähnlich werden. Wer aber unter dem Eindruck dessen steht, was Jesus für uns getan hat, der wird das Glück des anderen erstreben und bereit sein, dafür selbst Opfer zu bringen.

Wenn uns Leiden auferlegt wird, dann soll unser Glaube es in das Geschehen der Passion Jesu

einordnen. Niemand ist Schwereres auferlegt worden als ihm. Ein Glücklicher hat es natürlich

schwer, einen Verzweifelten zu trösten. Ein Gesunder wird verlegen, wenn er einem Todkran­ken beistehen will. Jesus aber hält mit uns aus als einer, dem kein Leiden und keine Belastung fremd sind. Gott kann viel von uns fordern, aber dabei sind wir mit Christus unterwegs.

 

3. Wir sind unterwegs mit Christus, der uns das Leben schenkt: Aber Jesus fordert nicht nur, sondern er schenkt uns das Leben. Wenn man für andere da ist, dann kommt Freude ins eigene Leben. Man läßt den eigenen Ruhm und findet sich auf einmal von Gott hochgeehrt und für voll genommen. Aber das kann nur im Wagnis des Glaubens erfahren werden. Für Zu­schauer ist das nichts. Man muß sich schon mit Jesus auf den Weg begeben.

Man kann natürlich auch versuchen, sich alles „Kreuz“ zu ersparen: Man hat alles, was das Herz begehrt, genießt alle Ehren und freut sich aller Annehmlichkeiten, die das Leben bietet. Aber am Ende kommen wir doch in die Lage, Gott ganz Auge in Auge gegenüber zu stehen. Und was dann?

Umgekehrt: Es könnte einer den schweren Weg mit Jesus mitgegangen sein und Gott doch gefunden haben. Die Gnade Gottes ist wohlbegründet, denn sie beruht auf der Hingabe seines Sohnes. Es kann uns nichts Besseres geschehen, als daß wir uns von Jesus ermutigen und einladen lassen, den Weg nach Jerusalem mitzugehen.

 

 

Mk 9, 14 – 27 (17.  Sonntag nach Trinitatis):

In den USA wurde eine Sekte zu 9 Millionen Dollar Strafe und 5,2 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt. Sie wurde für schuldig befunden am Tod eines zuckerkranken Jungen, dem die Mutter und der Stiefvater das lebensrettende Insulin vorenthalten haben. Die Sekte hatte behauptet, der Junge brauche nur heilende Gebete. Als der Junge daraufhin starb, erhob der leibliche Vater Anklage.

Man sage nicht, das sei eben Amerika und bei uns nicht möglich. Schon vor Jahrzehnten starb in Marburg eine 21-jährige Frau an der gleichen Krankheit und aus den gleichen Gründen. Und sie war noch eine Medizinstudentin, die es hätte wissen müssen. Aber ihre religiöse Über­zeugung war stärker als ihr naturwissenschaftlicher Sachverstand.

Aber gibt die eben gehörte Geschichte aus der Bibel von dem kranken Jungen diesen Menschen nicht recht? Jesus sagt doch selber, daß man Glauben haben müsse, um heilen zu können. Also doch eher das Gebet als die Medizin, wenn man ein richtiger Christ sein will?

 

(1.) Die Macht der Menschen kommt an eine Grenze:

Das Altertum hatte noch andere Anschauungen von der Krankheit als wir. Man meinte, alle Krankheit sei verursacht von bösen Geistern, die das Menschenleben stören und zerstören. Und man meinte auch, Krankheit sei die Strafe für eine ganz bestimmte Schuld. Wir sagen ja heute auch noch: Wer viel raucht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er dann Lungenkrebs kriegt.

 Aber damals ging man viel weiter und meinte: Egal, welche Sünde man begangen hat, man wird mit einer körperlichen Krankheit dafür bestraft. Deshalb wollte man das Grundübel anpacken und nicht nur an dem äußeren Erscheinungsbild herumdoktern.

Da ist in der Tat etwas Wahres dran. Nur kann man nicht sagen: Diese bestimmte Krankheit hat ihre Ursache in einer ganz bestimmten Schuld, die du verborgen mit dir herumträgst. Man kann höchstens sagen: Weil jeder Mensch vor Gott ein Sünder ist, deshalb gibt es auch noch Krankheit und Schmerz in der Welt. Krankheit ist ein Zeichen dafür, daß die Welt sich von der guten Schöpfung Gottes entfernt hat und nun die Folgen zu tragen hat.

Neben der Krankheit gibt es noch andere zerstörerische Kräfte im Leben des einzelnen Menschen und im Zusammenleben der ganzen Menschheit: Da ist das Mißtrauen, mit dem wir einander begegnen. Da ist die Hetze unsrer Arbeit, die uns kaputtmacht. Da sind Alkohol und andere Mittel, die das Leben eines Menschen vernichten können.

Im Weltmaßstab sind Hunger und Krieg die Geißel der Menschheit. Kaum gelingt einmal ein Waffenstillstand. Nur an wenigen Stellen können wir etwas gegen Hunger und Krankheit tun oder zur Versöhnung der Völker beitragen. Lieber machen wir die Augen zu und wollen nicht daran erinnert werden.

Wenn es uns selber betrifft, dann können wir dem Unheil nicht so leicht ausweichen. Wenn die Ärzte nach der Operation sagen: „Wir haben getan, was in unsrer Macht lag!“ dann wollen sie damit sagen: „Die Operation ist fehlgeschlagen, wir sind am Ende!“ Auch für sie ist es bitter, das einsehen zu müssen. Sie sind ja keine „Halbgötter in Weiß“, wie man das bezeichnet hat, sondern auch nur schwache Menschen.

Und unsre Schwäche und Ohnmacht spüren wir besonders, wenn wir bei einem Kranken ausharren müssen und können nicht helfen. Da kommt man leicht an einen Punkt, wo man weglaufen möchte und aufgeben will. Man weiß, daß man das nicht darf, um des betreffenden Menschen und um Gottes willen; aber man ist doch oft völlig kopflos.

Das ist die Situation, in der Jesus seine Jünger wiederfindet, als er von dem Berg zurückkehrt. Einen Augenblick ist er einmal nicht da, und schon sind sie völlig hilflos und ohnmächtig, untätig und niedergeschlagen. Sie sollten wissen, was zu tun ist. Aber sie lassen den kranken Jungen auf der Straße liegen und schauen tatenlos zu.

Das ist aber genau die Lage, in der wir uns als Einzelne und als Kirche befinden. Zumindest meinen wir, wir könnten nichts machen, das Schicksal müsse seinen Lauf nehmen. Wir sollten Jesu Elitetruppe im Kampf gegen das Böse sein. Aber wir ergreifen oft als Erste die Flucht und überlassen das Opfer seinem Schicksal.

Da ist es schon verständlich, wenn Jesus sagt: „Wenn ich euch doch schon wieder los wäre?“

Doch was ist nun in so einer Lage zu tun?  Sind wir wirklich so ohnmächtig? Drei Schritte sind nötig:

 

(2.) Uns helfen Medizin, Lebenswille und Glaube:

Jesus ist völlig mißverstanden, wenn man sagt: „Ich brauche keine Medizin, wenn Gott helfen will, dann kann er das auch so, dann genügt mein Gebet!“ Gott will zunächst immer einmal auf natürlichem Wege helfen. Dazu hat er uns die Medizin und die Ärzte und die Geräte gegeben, damit geholfen werden kann. Hier darf man die Wissenschaft nicht gegen den Glauben ausspielen.

In einem Umzug fiel einmal ein junger Mann um, weil er einen epileptischen Anfall hatte - also genau der Fall wie in der biblischen Geschichte. Die anderen Leute waren entsetzt und wußten nicht, was sie tun sollten. Ein junger Mann hat aber etwas Besseres gewußt als nur zu beten. Schließlich war er einmal ein Jahr in einem Pflegeheim tätig und war zeitweise auch im Rettungswagen mitgefahren. So hat er den Kranken auf die Seite gelegt, ihm etwas zwischen die Zähne geschoben, damit er sich im Krampf nicht auf die Zunge beißt, und die Umstehenden beruhigt, daß nach einer Viertelstunde alles vorbei sein werde. Und so kam es dann ja auch, ein Arzt war gar nicht nötig.

Man muß also zunächst einmal ganz sachlich und fachmännisch wissen, was zu tun ist. Dafür muß man sich vielleicht ausbilden lassen, um die nötige Ruhe zu bewahren und nichts Falsches zu machen. So handelt ja auch Jesus zunächst einmal wie ein Arzt seiner Zeit. Zunächst sieht es so aus wie „Operation gelungen, Patient tot“. Die Umstehenden haben nichts anderes erwartet: Als nichts mehr hilft, wollen sie es einmal mit dem Wunderheiler versuchen. Es wird schon nicht schaden, wenn es auch nichts nützt.

Doch es stellt sich heraus, daß Jesus doch helfen kann. Die Leute meinen, hier habe nur ein besonders fähiger Arzt geholfen. Aber Jesus weiß, daß etwas mehr als Wissenschaft dazugehört. Auch die heutigen Ärzte wissen, daß ihre Fähigkeiten unterstützt werden müssen durch den Lebenswillen des Patienten. Wenn einer sich schon innerlich aufgegeben hat, dann ist ihm wirklich schwer zu helfen. Oder man kann es auch umgedreht sagen: „Man muß daran glauben, wenn die Medizin wirken soll.“ Man sagt das manchmal so im Spaß. Man hat ja auch schon Versuche gemacht und den Menschen ein völlig wirkungsloses Mittel gegeben. Aber es hat doch geholfen, weil die Versuchsperson an die Wirkung glaubte. Da ist schon etwas Wahres dran.

Aber Jesus sagt: Zu diesem zweiten Schritt der Hilfe muß noch ein dritter kommen. Ohne einen festen Glauben nützt alle Medizin und alle Psychologie nichts. Jesus macht deutlich: „Um wirklich voll und ganz gesund zu werden, braucht ihr auch einen festen Glauben!“ Der Vater des Jungen erkennt das auch nach und nach. Zunächst zweifelt er noch: „Wenn du etwas kannst, dann hilf uns!“ Aber schließlich sagt er: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Er weiß, daß er jetzt und in Zukunft einen starken Glauben braucht. Ihn quält die Sorge, ob sein Glaube auch weiteren Belastungsproben standhalten wird.

Not lehrt a nicht nur beten, sondern auch fluchen. Glaube und Unglaube liegen oft nahe beieinander. Doch Gott erkennt nicht nur den perfekten Glauben an. Es gibt sogar einen Glauben für den anderen. Geheilt wird hier ja der Sohn, für den der Vater glaubt. Gerade wer es ernst meint mit der Aussage dieser Geschichte, daß nur der Glaube umfassend hilft, soll nicht in Verzweiflung gestürzt werden.

Zwar muß jeder selbst zum Glauben an Gott und an Jesus finden. Doch Glaube ist vielleicht dort am echtesten, wo man nur noch so schreien kann wie der Vater dieses Jungen, wo man alle Glaubensbekenntnisse vergißt und nicht mehr weiter weiß.

So wie es die Fürbitte gibt, so gibt es auch den Glauben für den anderen. Man kann sich keinen Stellvertreter im Glauben bestellen. Aber man kann sich den Glauben des anderen zum Vorbild nehmen. Jeder wird im Glauben von anderen getragen und zieht andere mit. Entscheidend wird aber immer sein der Glaube an Jesus, der für uns alle geglaubt hat und uns mitziehen will zu einem starken, echten Glauben.

 

 

Mk 10, 2 – 9 (20. Sonntag nach Trinitatis):

Darf man sich scheiden lassen? Für viele Ehepaare ist das keine Frage mehr. Sie haben die Entscheidung getroffen und die Scheidung hinter sich. Wenn die Kirche in der Nachfolge Jesu sagt: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden?“ dann steht sie damit im Widerspruch zum Denken und Fühlen der Gesellschaft. Diese räumt das Scheidungsrecht ein für Ehen, die ihren Sinn verloren haben.

„Wen wir nicht miteinander können, dann lassen wir uns scheiden!“ sagen junge Paare, noch ehe sie miteinander begonnen haben. Manche ziehen es sogar vor, gar nicht erst zu heiraten, damit nicht noch Kosten entstehen beim Auseinanderlaufen. Das wird dann sogar noch gerechtfertigt mit einer angeblich fortschrittlichen Einstellung. Oder man sagt: „Es ist doch besser, wir bleiben zusammen, als daß wir heiraten und bald wieder geschieden sind, wie es bei vielen anderen der Fall ist!“ Doch wer sich wirklich liebt, der kann auch heiraten, kann seinem Verhältnis auch eine feste Form geben. Zum Glück handeln doch immer noch die meisten Paare danach, besonders die jungen.

Es gibt einem Pfarrer schon zu denken, wenn nach der Statistik jede dritte Ehe wieder geschieden wird. Als Pfarrer kann er nicht als Unbeteiligter und von oben herab über Ehe und Scheidung sprechen. Er ist immer mit Betroffener, der etwas weiß von dem Lernprozeß in einer Ehe, von Konflikten und auch von der Möglichkeit des Scheiterns. Wie soll er sich verhalten, wenn ein Geschiedener wieder heiraten will und auch getraut werden möchte, von dem gleichen Pfarrer wie beim ersten Mal? Vielleicht sitzt auch heute jemand unter uns, der sich mit dem Gedanken an Scheidung trägt.

Aber dieser Satz Jesu: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden!“ sollte nicht nur als Gesetz verstanden werden. Er ist auch eine gute Nachricht für alle Paare, die mit dem Segen Gottes leben wollen, die Mut zur Treue und zur Bindung fürs Leben haben. Jesus will nicht nur eine strenge Gesetzesauslegung - vielleicht noch strenger als die seiner jüdischen Zeitgenossen - .er will auch Barmherzigkeit und das Annehmen der frohen Botschaft.

Gott schützt die Ordnung der Ehe. Von Anfang der Schöpfung an hat Gott den Menschen geschaffen als Mann und Frau, die aber e i n Lebewesen sein sollen. Sie sind nicht wie zwei an einem Schachbrett. Gehen sie auseinander, dann wird von jedem eine Hälfte amputiert. Das leibliche Einswerden ist ein Geschehen, das zwei Menschen aufs Tiefste miteinander verbindet. Da gibt einer dem anderen sein letztes, gibt sich selbst. Das kann man nicht ungeschehen machen.

Jesus will uns die Liebe nicht ausreden. Er will, daß wir diese Gottesgabe besser nutzen und fröhlicher empfangen. Er möchte uns vor Halbheiten bewahren. Dazu käme es aber, wenn wir ohne Hingabe und das tiefe „Ja“ zum anderen lieben wollten, ohne Treue und ein unauflösliches Einssein.

Jesus überbietet das Gesetz, indem er auf Gottes Urabsicht mit den Menschen hinweist. Zwar wird keine Ehe das voll verwirklichen können, was hier gemeint ist. Aber sie wird daran ausgerichtet sein, was Gott als Idealbild in der Schöpfungserzählung uns vor Äugen gestellt hat. Dieses Bild soll uns immer wieder in Unruhe und Bewegung halten, soll uns anreizen, diesem Ideal auch wirklich nachzueifern.

Die heute übliche Meinung ist allerdings anders. Da sagt man: „Es ist nicht ungesetzlich, wenn man sich scheiden läßt!“ Wer etwas erlaubt, scheint gütiger zu sein als der, der etwas verbietet. Er trägt der Wirklichkeit Rechnung und scheint menschlicher zu sein.

Jesus aber rechtfertigt die Scheidungspraxis nicht, weil er mehr für die Menschen will. Er sagt: „Schon Mose hat nur notgedrungen die Scheidung zugelassen!“ Im Grunde hat er diese Praxis schon vorgefunden und lediglich die Rechtsfolgen einer Scheidung etwas geregelt. Doch bis zur Zeit Jesu war es da zu allerhand Auswüchsen gekommen. Zunächst einmal konnte nur der Mann sich scheiden lassen. Es genügte, wenn er dazu einen Scheidebrief schrieb und ihn seiner Frau übergab. Für die strengen jüdischen Lehrer war zwar nur Untreue ein Scheidungsgrund. Aber für die anderen genügte schon, wenn die Frau das Essen anbrennen ließ oder wenn der Mann eine andere fand, die schöner ist als seine Frau.

Jesus aber ergreift Partei für den schwächeren Partner und verkündet zugleich den ursprünglichen Willen Gottes. Er sagt nur: „Wegen eurer harten Herzen hat man die Möglichkeit der Scheidung zugestanden!“ Auch der nach dem Recht Geschiedene kann sich nicht auf sein Recht berufen, sondern wird an sein steinernes Herz erinnert.

Heute hat man es leichter als früher, die Scheidung zu erlangen und die finanziellen und sozialen Folgen zu tragen. Deshalb geht man oft vorschnell in jungen Jahren eine Ehe ein, um endlich von den Eltern unabhängig zu werden und um das zu finden, was man bei Vater und Mutter nicht gefunden hat. Doch sie bedenken nicht, daß statt einer Neubauwohnung oft nur die Notwohnung bei den Schwiegereltern bleibt, und daß es nicht nur die Freude an den ersten Schritten des Kindes gibt, sondern auch die durchwachten Nächte am Bett des kranken Kindes.

Man kann kein Paar zwingen zusammenzubleiben. Wo zwei Partner nur noch übereinander stöhnen, sich anschreien oder gar schlagen, kann die Scheidung angebracht sein. Aber man sollte auch nicht vorschnell denken: „Da kann man sowieso nichts machen!“ Es haben auch immer wieder Menschen die Worte Jesu beherzigt, oft unter Mühen und Selbstüberwindung. Aber sie haben durch offene Worte sich gegenseitig geholfen und sind wieder zusammengeführt worden.

Mancher hat auch seine Schuld neu sehen gelernt. Daß man schuldig werden kann am Ehepartner, das leuchtet vielleicht noch ein. Aber daß man damit zugleich schuldig wird vor Gott, verstehen die wenigsten. Deshalb meldet Jesus mit seinem Reden und Handeln Protest an, gegen unser Art zu leben und zu handeln. Ihm paßt der ganze Weltzustand nicht, in den hinein Mose sein Gesetz gesprochen hat.

Das Gesetz ist für Sünder gemacht, ist eine Notordnung. Es ist nicht dazu da, daß aus Sündern nun Nicht-Sünder werden. Es ist vielmehr nur dazu da, daß Sünder nicht an ihrer Sünde kaputtgehen, und auch, damit sie merken, wie es um sie steht. Leider gibt es auch Ehescheidung, weil die Herzen verkrustet und versteinert sind. Da scheitert dann auch der gute Schöpferwille Gottes, der an sich den Menschen volles Glück zugedacht hat.

Das Gesetz ist nur so etwas wie ein Notverband. Aber man kann nicht ein ganzes Leben lang mit einem Notverband herumlaufen. Der Notverband kann nur vorübergehend Schlimmeres verhüten, aber nicht den Schaden beseitigen. So kann auch das Gesetz uns nicht von der Sünde befreien. Jesus weiß, daß wir unsere Ehen nur als Sünder führen können. Er hält uns nicht seine hohe Auffassung von der Ehe vor, um uns daran zerbrechen zu lassen. Er weiß, daß es nicht in allen Fällen ohne Notmaßnahmen abgeht. Aber er möchte verhindern, daß wir durch einen Notausgang aus der Ehe fliehen.

Wir führen unsere Ehen als Sünder in einer sündigen Welt. Keiner soll überrascht sein und von vornherein wissen: „Der Partner ist ein Sünder!“ Aber noch viel wichtiger ist das andere: „Ich selbst bin auch ein Sünder!“ Ohne tägliche Vergebung geht es nicht. Aber mit ihr, da geht es.

Das eheliche Miteinander ist ein überaus komplizierter und empfindlicher Prozeß. Um glücklich zu sein, müßte man eigentlich dieses verletzliche Gebilde in- und auswendig studiert haben. Jesus kennt die Menschen. Deshalb verweist er auf einen Außenstehenden, verweist er auf Gott, der die Menschen zusammengebunden hat wie ein Gespann unter einem einzigen Joch.

Wir suchen das Verbindende leicht in uns selbst: im Verliebtsein, in der gegenseitigen Anziehungskraft, in dem, was uns am anderen besonders gefällt. Aber im Ernstfall trägt das nicht. Die Verliebtheit vergeht, das Faszinierende wird zur Gewohnheit. Und der Alltag verschluckt, was die Hochstimmung hervorbrachte.

Da ist es sicher eine große Hilfe, wenn man sich vor Augen hält: „G o t t fügt zusammen!“ Was uns verbindet, liegt außerhalb von uns. Das trägt unendlich viel mehr als die schönsten Gründe, die wir selbst für unser Verbundensein entdecken könnten. Gott hat von Anbeginn der Schöpfung gewollt, daß Mann und Frau zusammengehören. Ma n muß ihn nur an sich heranlassen, auch an die Art, die Ehe zu führen. Gott will noch etwas aus uns machen. Wenn wir das immer vor Augen hätten, geschähe in mancher Ehe noch ein Wunder.

 

 

Mk 10, 17-27 (18.  Sonntag nach Trinitatis):

Im Jahre 1913 fuhr ein Mann mit dem Schiff nach Afrika, den man in Europa auch gut hätte gebrauchen können. Er war zunächst Theologe, sogar Professor und hatte ein Buch über die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung geschrieben, das heute noch ein Standardwerk ist.

Nebenbei war er ein bekannter Orgelspieler und hatte ein bedeutendes Buch über Johann Sebastian Bach herausgegeben. Und schließlich hatte er noch Medizin studiert, um als Arzt nach Afrika gehen zu können, damit die Menschen dort Hilfe erfuhren.

Sie werden wohl gemerkt haben, daß hier Albert Schweitzer gemeint ist. Er war so etwas wie der reiche Jüngling, dem Jesus begegnet ist. Albert Schweitzer hatte es schon zu etwas gebracht, war ein berühmter Mann und hatte durchaus genügend nützliche Aufgaben. Doch das genügte ihm noch nicht, darin sah er nicht den Sinn seines Lebens. So verließ er alles, was er hatte, um Jesus nachfolgen zu können, indem er zum Helfer der Ärmsten wurde.

Unter uns wäre wohl kaum einer, der zu Ähnlichem bereit wäre. „Ja, wenn es sein müßte, so wie bei den Flüchtlingen, da würde man sich schon damit abfinden. Aber freiwillig alles aufgeben, das wäre doch wohl etwas viel!“ Dabei geht es gar nicht nur um Geld und Besitz. Diese sind nur ein Beispiel für das, was Jesus meint.

Viele werden sogar an ihrer Familie hängen, an Frau und Mann und Kindern, aber vielleicht auch an den Eltern und sonstigen Verwandten. Von ihnen erhält man viel Unterstützung, für sie möchte man da sein. Da hat man einfach einte Verantwortung, die man nicht so schnell wegschieben kann.

Dann hat jeder einen Arbeitsplatz und wird dort gebraucht. Das ist leicht gesagt: Mit Jesus mitgehen! Aber was ist, wenn man es wirklich tut? Wenn man seinen Arbeitsplatz aufgibt und zum Beispiel einen kirchlichen Beruf ergreift, da ergibt sich vielleicht doch eine Lücke,

die andere nicht schließen können.

Man hat Bindungen an die Heimat, an die Menschen dort. Man hat Erinnerungen und vielleicht ein Grab, das gepflegt werden muß. Man hat vielleicht Macht und Einfluß, auf jeden Fall aber eine geachtete Stellung, es ist einem alles vertraut. Soll man das nun aufgeben,

wo man sich wohlfühlt und zu Hause ist, all die Menschen und Dinge, die unser Leben ausmachen? Wir rechnen sie selbstverständlich zum Bestand unseres Lebens.

Aber es wä.re doch schwer, wenn wir sie ohne mit der Wimper zu zucken hergeben sollten, weil Jesus es so haben will oder weil Gott in seinem unerforschlichen Ratschluß sie uns nimmt. Wir verstehen uns so schlecht aufs Loslassen. Und die Frage nach der Armut um Christi willen erwägen wir gar nicht erst. Das ist ein bedenkliches Zeichen für den Stand uns­res Glaubens.

Der reiche Jüngling dagegen hat mit Gottes Gebot ganz ernst gemacht. Er fragt, wie er zum ewigen Leben kommen kann. Für uns ist das eine von vielen Fragen. Aber für diesen Mann ist es die wichtigste Frage, die ihn nachts nicht schlafen läßt. Immer wieder fragt er sich: „Habe ich auch genug getan? Ist mir das Leben bei Gott schon sicher? Was muß ich noch tun, damit es auch hundertprozentig ist?“

Jesus antwortet ihm zunächst, wie jeder jüdische Lehrer wohl geantwortet hätte: „Halte die Gebote!“ Jesus redet niemandem sein Pflichtbewußtsein aus. Er treibt es damit sogar so weit, daß der Frager nur erschrecken kann über die Höhe der Forderung. Aber jener Mann ist bereit, etwas zu tun. Er weiß, daß über die Ewigkeit hier und heute in dieser Zeit entschieden wird. Deshalb ist es ihm so ernst und dringend mit seiner Frage.

Wir können uns an sich nur schämen, weil wir nicht so sind wie der reiche Jüngling. Wir singen zwar zum Reformationsfest: „Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, laß fahren dahin!“ Aber was wäre, wenn das tatsächlich einträte? Wir brauchen doch bestimmtet Dinge und Bindungen, um überhaupt leben zu können. Was wir zu Geburtstagen oder ähnlichen Anlässen wünschen, macht etwas von dem deutlich, woran unser Leben hängt. In dieser Hinsicht sind wir nicht anders als der reiche Jüngling auch.

Aber dieser fragt immerhin nach dem Guten. Offenbar ist er der Meinung, man könne es in gesetzliche Vorschriften einfangen und das auch in die Tat umsetzen, wenn man nur diese Gebote hält. Als ob das mit dem Guten so einfach wäre! Als ob man nur zu wissen und zu tun brauchte!

Doch Jesus verschärft die Gebote im Grunde. Er sagt: „Du kannst niemals wissen, wann du genug getan hast, wann das Erforderliche geschafft ist. Gott will dich ganz haben, dein ganzes Herz. Er will nicht mit dir über die Anwendung der Gebote diskutieren, sondern er möchte, daß du dein ganzes Leben nur von ihm bestimmt sein läßt. Deshalb weist Jesus ja auch die Anrede „Guter Meister“ so schroff ab. Jesus ist nicht deshalb gut, weil er alle Gebote eingehalten hat, sondern weil er mit Gott ganz eng verbunden ist und seinen Willen tut.

Der reiche Jüngling dagegen ist ein wenig naiv: Er sagt: „Das alles habe ich beachtet von meiner Jugend an!“ Jesus bestreitet ihm das nicht. Er legt auch zunächst den Finger auf die Alltagspflichten in einem ganz  normalen Leben. Noch eine Kleinigkeit fügt er hinzu: „niemanden berauben“. Aber auch hier hat der junge Mann sich nichts vorzuwerfen - selbst­verständlich.

Doch die eigentliche Bewährungsprobe für ihn kommt noch. Jesus fordert ihn auf: „Verkaufe alles, was du hast und gib es den Armen!“ Dadurch soll aber den Zehn Geboten nicht noch ein elftes hinzugefügt werden, das der reiche Mann dann auch noch halten könnte. Im Grunde geht es hier um das erste Gebot: Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen. Der Prüfstein dafür war in diesem Fall die Frage des Besitzes. Bei einem anderen könnte es wiederum ein ganz anderer Punkt sein Nicht von jedem hat Jesus einen solchen Verzicht gefordert. Aber es entscheidet sich alles dort, wo es weh tut. Und da kann der reiche Jüngling ja auch tatsächlich nicht mehr mit, da ist ihm die Forderung Jesu zu hoch. Doch Jesus sieht ihn an und liebt ihn. Er weiß, wie sauer dieser Mann es sich mit den Geboten hat werden lassen. Aber es geht gar nicht um ein System von Forderungen und Verpflichtungen, sondern um das lebendige Geschehen zwischen Jesus und jedem Einzelnen.

Der Anspruch läßt sich nicht vorausberechnen, sondern er ergeht jetzt im Augenblick. Jesus sagt: „Jetzt spring! Jetzt kommt es drauf an! Jetzt will Gottes Reich zu dir kommen!“ Aber hier hat der reiche Mann doch Bedenken. Er will sich nicht fallenlassen und ganz auf Jesus vertrauen. Und damit wird deutlich, daß er die Gebote gar nicht gehalten hat. Keiner von uns hat sie gehalten. Bei uns hat es Gott nur nicht auf solche schweren Proben ankommen lassen, sonst wüßten wir es genau.

Wir sind auch nicht fein heraus, wenn wir sagen können: „Ich bin ja nicht reich, für mich ist der Besitz keine Gefahr, ich könnte gut und gern alles hergeben!“ Der Reichtum ist nur ein Beispiel. Aber wir haben andere Bereiche, in die wir uns von Jesus nicht hineinreden wollen. Da verstehen wir keinen Spaß, wenn wir unser Leben wirklich ganz Jesus übergeben sollen. Wir haben alle unsere Bindungen. Dem reichen Jüngling hat Jesus die Chance gegeben, am Reich Gottes beteiligt zu werden. Aber am Ende hat er ihn doch nicht frei bekommen aus seinen Bindungen

Die Reichen werden wohl tatsächlich nur schwer zu Gott kommen. Bei den Armen hat Jesus mehr Widerhall gefunden. Die nichts zu verlieren hatten, ließen sich eben leichter auf das Abenteuer mit Jesus ein. Und ein Abenteuer war es bestimmt. Stellen wir uns nur vor, heute käme ein Prediger in unseren Ort und sagte: „Geht mit mir auf Missionsreise, aber nicht nur für 14 Tage, sondern fürs ganze Leben!“ Da würde doch wohl kaum einer von uns mitmachen.

Wenn man alles hat, kann man es nur schwer aufgeben. Dann fragt man auch nicht so sehr nach Gott. Das Bankguthaben ist dann greifbarer und verfügbarer als der liebe Gott. Ja wenn man beides haben könnte - G e l d   u n d  G o t t - das wäre etwas. Wenn es aber nicht möglich ist, dann zieht man das Verfügbare vor. Gott hat es schon schwer mit dem Reichen.

Es hat natürlich auch Begüterte gegeben, die sehr wohl zu Jesus gefunden haben. Einer von ihren war der Graf Zinzendorf, der seine Güter in der Lausitz zur Verfügung stellte, als die böhmisch-mährischen Brüder eine Bleibe suchten. Daraus entstand die Herrnhuter Brüdergemeinde, von der wir vor allem die täglichen Losungen kennen.

Doch die Jünger fragen mit Recht: „Wer kann denn dann überhaupt gerettet werden?“ Offenbar ist nicht nur der Reichtum das Problem. Bei manchem ist es seine Bequemlichkeit. Oder er will seine Karriere nicht aufs Spiel setzen. Oder er meint, er müsse auf andere Menschen noch Rücksicht nehmen. Oder er fürchtet, als Christ würde er für die anderer zur lächerlichen Figur. Die schwachen Punkte können an sehr verschiedenen Stellen sitzen.

In der Tat ist es menschenunmöglich, das ewige Leben zu erlagen. Aber bei Gott sind alle Dinge möglich. Und so können wir alle Hoffnung nur auf Gottes Wunder setzen. Jesus will uns nicht mit Forderungen bedrücken, die wir doch nicht erfüllen können. Jesus stellt das „unmöglich“ fest, damit wir uns um so eher zu dem Gott rufen lassen, dem alle Dinge möglich sind.

So kommt Gott zu seinem Recht, indem er die Verlorenen rettet und das den Menschen Unmögliche verwirklicht. Die Sünder dürfen zu ihm kommen, mit allen Mißerfolgen und Unzulänglichkeiten. Das erste Gebot wird nicht durch Leistung erfüllt, sondern dadurch, daß man sich Gott ganz ausliefert. Dann wird man auch frei, das hinzugeben, was man bisher krampfhaft festhalten wollte. Dazu bedarf es dann keines Anlaufs und keiner Anstrengung mehr, sondern man tut es aus Freude an der Sache Gottes.

 

 

Mk 10, 35 - 45 (Judika):

Das mit den Ehrenplätzen fängt ganz klein an: Der höfliche Mann läßt die Frau rechts gehen!

Der Vater saß früher als Haushaltsvorstand an der Spitze des Tisches. Bei einer Konferenz oder Versammlung sitzt auch der Chef oder der Vorsitzende immer dort. Selbst in der Kirche gab es früher Ehrenplätze für den Grafen oder den Patron oder auch nur für die Kirchenvorsteher oder die Pfarrfamilie. Und das geht dann hin bis zu den Spitzen des Staates und bis zu den gekrönten Häuptern: Da herrscht ein ganz strenges Protokoll, in dem genau festgelegt ist, wer neben wem sitzen darf.

So etwas schwebt auch den zwei Jüngern Jesu vor. Die wollen sogar selber weitgehend selber bestimmen, welchen Platz Jesus an sie vergeben soll. Dabei vergessen sie aber, daß Jesus selbst zur Rechten Gottes sitzen wird. Er allein hat diesen Platz verdient durch sein Leiden und seine Selbsthingabe-. Er hat die Voraussetzung dafür geschaffen, daß wir diesen Weg des Leidens gehen können. Das Wort „verdient“ ist dabei allerdings der falsche Ausdruck, denn er hat sich ja nicht etwas erworben, sondern Gott hat ihm diesen Platz geschenkt.

Auch die beiden sonst hochangesehenen Jünger Jakobus und Johannes liegen mit ihren Er­wartungen völlig falsch. Von höchster Stelle muß ihnen die Abwegigkeit ihres Ansinnens bescheinigt werden. Diese Peinlichkeit ist sicher tatsächlich so passiert, man hat sie später nicht vertuschen können. Man hat sie aber auch später nicht erfinden können, denn nur Jakobus hat im Jahr 44 den Märtyrertod für die Sache Jesu erlitten, während Johannes wahrscheinlich überlebt hat.

Aber hinter der Bitte der beiden Brüder steht die ernsthafte Frage: „Wie bekommen wir Anteil am Reich Jesu?“ Darauf werden uns hier drei Antworten gegeben: Indem wir mit leiden und mit verzichten und indem wir dienen.

 

(1.) Wir leiden mit: Die Jünger sahen ihren tief verachteten und hart bekämpften Herrn als den künftigen Herrscher an. Sie ziehen jetzt nach Jerusalem, wo Jesus nach ihrer Meinung seine Herrschaft antreten wird. Da ist es doch an der Zeit, sozusagen die Kabinettsliste und die Verteilung der Ministerien zu klären. Und dabei müssen doch seine engsten Freunde und Mitkämpfer berücksichtigt werden.

Jesus könnte es nun rundweg ablehnen, sich auf sein Königtum ansprechen zu lassen. Er könn­te einfach antworten: „Nichts da mit Ministersesseln und anderen Ämtern, auch nicht für euch!“ Aber er beschämt seine Jünger nicht in dieser Weise, sondern er stellt ihnen vor Augen, was jetzt wirklich auf ihn und damit auch auf sie wartet:

„Ja, es geht jetzt nach Jerusalem. Aber dort wartet etwas ganz anderes auf mich, als ihr es erhofft. Da wird ein Kelch auszutrinken sein und da wird eine ganz andere Taufe vollzogen!“ Der „Kelch“ ist das Symbol für das Annehmen des von Gott verhängten Leidens. Und die „Taufe“ meint eine Überflutung, die die ganze menschliche Existenz auslöscht. Nur wenn Jesus dies durchsteht, wird es zur Herrlichkeit kommen.

Es ist nicht gesagt, daß die Jünger das Gleiche auf sich zu nehmen hätten wie Jesus. Aber die beiden werden gefragt: „Könnt ihr leiden? Wenn ihr so auf Mitregieren aus seid, seid ihr da auch bereit, mit zu leiden?“ Damit ist allerdings mit allen herkömmlichen Messiasvorstellun­gen gebrochen: Das Reich Jesu kommt nicht durch einen Umsturz oder eine Machtergreifung des Militärs. Hier löst nicht ein Regime das andere ab, denn Jesu Reich ist nicht von dieser Welt.

Die Verwandlung der alten Welt war die herkömmliche jüdische Hoffnung. Uns ist aber nicht verheißen, daß sich Jesus im Lauf der Weltgeschichte immer mehr durchsetzen wird und durch einen Prozeß der Durchchristlichung die ganze Welt allmählich in sein Reich verwandeln wird. Vielmehr muß der Messias erst einmal ans Kreuz.

Die Antwort der beiden Brüder aber verblüfft: „Ja, wir können!“ Das kommt wie aus der Pistole geschossen. Wer von uns traute sich schon, so zu antworten? Auch Jesu Jünger sind ja dann feige geworden und geflohen, als es ernst wurde. Aber auf alle Fälle wird keinem der Jünger ein Weg zugemutet, den der Herr ihnen nicht vorausgegangen wäre. Das gilt für alle Nachfolger Jesu zu allen Zeiten. Keiner wird sich zum Märtyrertod drängen. Keiner sollte sich auch mit den Beteuerungen seiner Standhaftigkeit übernehmen. Aber wir müssen damit rechnen, daß auch wir einmal einen „Kelch“ zu trinken haben könnten, in welcher Gestalt auch immer.

 

(2.) Wir verzichten: Auch wenn die Jünger die Kraft hätten, den Weg mit Jesus mitzugehen, so sind ihnen die erträumten Ministersessel nicht sicher. Jesus sagt: „Diese Ministersessel gibt es schon. Aber darüber verfügt Gott allein!“ Man kann nicht mit Jesus leiden wollen und dabei schon immer ausrechnen, was es einbringt. Man kann nicht an Jesu Seite stehen wollen und dabei nur an den eigenen Erfolg denken. Jesus meint: „Darüber reden wir jetzt gar nicht, denn das gehört allein in die Zuständigkeit des Vaters!“.

Christen sollten also gehorsam den Weg des Glaubens gehen - den Weg, den Gott ihnen vor­herbestimmt hat - aber nicht fragen, was ihnen dafür als Lohn zuteil wird. Was weiter geschieht, wird sich schon finden. Das heißt nicht, daß alle Hoffnung der Christen nur ein Phantasiegebilde wäre. Jesus will nicht, daß wir leer ausgehen. Es besteht gar kein Grund zur Sorge, es könnte einer von uns zu kurz kommen, aber es gibt keine verbrieften Garantien. Aber wir werden aufgefordert, zu verzichten und nicht zu spekulieren. Gott soll bestimmen, was aus uns wird. Und wir können ihm fröhlich und gelassen vertrauen.

 

(3.) Wir dienen: Den übrigen Jüngern platzt der Kragen, als sie die Bitte der beiden Brüder hören. Aber solche Rangfragen sind ihnen sicher auch nicht fremd. Vielleicht haben sie die Frage gar nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern sie wollten nur nicht, daß die anderen einen Vorteil haben. Daß s i e die Ehrenplätze einnehmen, dagegen hätten sie vielleicht gar nichts gehabt.

Das Geltenwollen macht uns auch in der Kirche zu schaffen. Da redet dann die „Frau Kirchenrat“ die Frau des Bischofs mit „Frau Bischof“ an, weil sie denkt, das würde ihr schmeicheln und weil sie selber auch den Titel ihres Mannes tragen will. Aber die Angesprochene sagt dann nur. „Ich bin die Frau …...Mit dem Beruf meines Mannes habe ich in dieser Hinsicht nichts zu tun!“

Jesus hat geduldig mit den beiden Brüdern geredet. Jetzt greift er auch die anderen zehn Jünger nicht an, sondern spricht ganz grundsätzlich zu ihnen: „Der Messias ist nicht ein Superkönig, der den Kaiser Tiberius ablöst, indem er noch mehr Soldaten marschieren läßt und darüber hinaus auch noch Gottes Macht einsetzt, um auf der Erde reinen Tisch zu machen“ Jesu Reich ist nicht von dieser Welt, und seine Diener kämpfen nicht darum.

Christen leben natürlich in dieser Welt, die von Mächtigen regiert wird, als Bürger haben sie Anteil an der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Sie haben Rechte und Pflichten. Aber Jesus hat es nicht als seine Aufgabe angesehen, dem Kaiser die Macht zu entreißen und die Welt in seinem Sinne umzugetalten.

So versuchen das die Terroristen. Sie haben keine Aussicht, auf demokratischem Wege ihre Vorstellungen zu verwirklichen, da versuchen sie es mit Gewalt. Und vielleicht denken sie auch: Wenn die anderen uns schon nicht folgen wollen, dann sollen sie wenigstens keine Ruhe in ihrem Leben haben!“ Das Evangelium Jesu dagegen zwingt keinen, es ist kein neues Gesetz.

Die Gemeinde Jesu aber steht unter einem anderen Gesetz: „Wer groß sein will unter euch, der sei euer Diener, also derjenige, der bei Tisch serviert!“ Alles Großseinwollen hat ein Ende. Man kann sich auch nicht zur Abwechslung aufplustern und „christlichen Dienstwillen“ demonstrieren wollen, so daß es alle sehen und bewundernd klatschen. Und Dienst und Hingabe gibt es auch außerhalb der christlichen Gemeinde.

Umgekehrt geht es auch in der Kirche nicht ohne eine gewisse gesetzliche Ordnung ab. Diese wird sich an die staatlichen Ordnungen anlehnen, denn es geht zum Beispiel nicht, daß die Arbeitnehmer in der Kirche schlechter bezahlt werden als im nichtkirchlichen Bereich. Und doch lebt die Kirche vom Dienst ihres Herrn und bildet auch einen Teil dieses Dienstes in ihrem Leben ab. Der das letzte Wort über die Menschheit spricht, der gibt sich selber für sie als Lösegeld.

So wie man früher einen Sklaven loskaufte, so hat auch Jesus sich selbst in den Tod gegeben. An ihm geschieht, was mit den Vielen geschehen müßte, er tritt an ihre Stelle. Empfänger des Lösegeldes ist Gott. Ihm wird aber kein Geld oder sonst ein Sachwert gezahlt, sondern hier gibt einer sich selbst. Jesus tritt mit allem für die Menschen und für die Gemeinde ein, indem er sich selbstdabei aufgibt.

Dieser Dienst war nötig, weil nicht nur einen Sinneswandel oder eine Umorientierung unsers Wollens und Tuns nötig war, sondern eine Befreiung: Bei Gott hatten wir verspielt und konnte von uns aus gar keinen Neuanfang machen. Aber Jesus hat mit seiner eigenen Verlorenheit bezahlt. Nun sind wir wieder frei, uns einzusetzen für die Welt und die Menschen.

Wir können wieder an Jesu Königtum teilhaben. Aber sein Königtum besteht nicht darin, daß er sich bedienen läßt, sondern daß er ganz für andere da ist. Auch wir können wie ein Priester für andere vor Gott einstehen. Und wir können Diakone sein, die mit helfender Hand für andere da sind, weil wir selbst von dem leben, was an uns geschehen ist.

 

 

Mk 12, 1 - 12 (Reminiszere):

Daß wir heute Christen sein können, ist nicht selbstverständlich. Ehe der christliche Glaube überhaupt zu unserm Volk kommen konnte, hat das viele Opfer gefordert. Zu nennen wäre etwa der Mönch Winfried, der Bonifatius genannt wurde. Er hat zunächst in Hessen gearbeitet

und hat bei der Stadt Fritzlar eine Eiche gefällt, die dem germanischen Gott Donar geweiht war. Das war eine gefährliche Sache, denn er mußte zwar nicht den Zorn irgendwelcher Götter fürchten, wohl aber die Rache der Anhänger dieses Gottes. Nachher kam er dann nach Thüringen, vor allem in den Thüringer Wald, aber auch nach Nordthüringen. Schließlich ging er noch zu den Friesen und wurde dort umgebracht, weil er den neuen Gott der Christen verkündete.

Und so ging es später manchem, der für den wahren Glaube eingetreten ist. Ein Jan Huß wurde noch auf dem Scheiterhaufen verbrannt, mit einem Luther konnte man es schon nicht mehr tun. Ein Dietrich Bonhoeffer wurde noch in den letzten Kriegstagen umgebracht, andere hatten rechtzeitig ins Ausland fliehen können.

Sagen wir nur nicht: „Das hätten wir nicht gemacht, was diese bösen Weingärtner getan haben!“ Aber wir leben in einem Jahrhundert, das schon viel unschuldiges Blut vergossen hat, das blutig war wie andere auch oder noch schlimmer. Immer wieder beginnen Kriege, mit den üblichen Grausamkeiten auf beiden Seiten. Aber wir brauchen gar nicht gleich an solche Dinge zu denken, wo es ums Leben geht.

Wir handeln schon so wie die bösen Weingärtner, wenn wir einen verspotten, der immer gerade und anständig seinen Weg gegangen ist und uns im Grunde ein Vorbild ist. Aber gerade deswegen ist er doch eine stumme Anklage gegen alle, die es zum Beispiel mit der Ehrlichkeit nicht so genau nehmen. Ein solcher Mensch wird oft vor anderen schlecht gemacht oder für leicht verrückt gehalten oder von anderen gemieden. Dabei ist es doch nur gut, solche stillen Mahner zu haben, die den anderen Unruhe im Gewissen bereiten. Auch sie sind Boten Gottes, die uns etwas zu sagen haben.

Wenn wir so das Gleichnis hören, dann werden wir denken: Das ist doch unwahrscheinlich, daß der Eigentümer es immer wieder versucht. Die Gewaltakte der Angesprochenen steigern sich immer mehr: erst schlagen sie, dann werfen sie den Boten den Kopf mit Steinen ein, schließlich bringen sie alle einfach um. So etwas kann sich doch kein Eigentümer gefallen lassen. Er wird doch die Polizei verständigen oder gleich ein bewaffnetes Kommando schicken, um diese Übeltäter zu strafen

Andererseits denken wir vielleicht: Warum ergreift Jesus nicht Partei für die Pächter? Sie sind doch die Ausgebeuteten, die unter einem ausländischen Grundherrn zu leiden haben! Aber Jesus geht es nicht um die sozialen Verhältnisse. Es handelt sich ja um ein Gleichnis, dem es nur auf eine Glaubensaussage ankommt.

Es macht uns deutlich: Vor Gott sind wir alle fortgesetzt schuldig geblieben. Er hat etwas von uns zu erwarten und zu fordern. Aber wir haben es ihm auf eine trotzige und feindselige, ja sogar mörderische Weise verweigert. Schon das Volk Israel hat auf die Propheten nicht gehört. Jesus ist der Fortsetzer des Werkes der Propheten. Gott hat sich immer wieder um die Menschen gemüht und dabei viele Menschen geopfert. Er ist nicht mit einem Donnerwetter dazwischengefahren, wenn sie seine Boten davongejagt haben. Er zeigt immer wieder Geduld, auch wenn das Leiden für ihn und seine Boten bedeutet. Weil er immer wieder an den Menschen abgeprallt ist, waren immer neue Leiden notwendig.

Schließlich hat Gott nur noch einen, den geliebten Sohn! Der soll nun einfordern, was dem Vater zu steht. Er ist der Erbe. Im Grunde gehört ihm alles so wie dem Vater. Vor ihm müßten doch die Pächter nun Respekt haben. Aber er kommt wie ein Schaf mitten unter die Wölfe.

Er läuft genau in die Fänge seiner Mörder.

Auf einem solchen Weg wird der Weinbergbesitzer nie zu dem kommen, was ihm zusteht. Er opfert sogar seinen Sohn. Aber auch er wird umgebracht und sein Leichnam wird wie ein Aas über die Mauer geworfen, den Geiern zum Fraß. Das war Gottes letzter Versuch. Bis zum Letzten müht er sich um seine Feinde. Und auf alle Fälle verzichtet er auf Gewalt und bleibt bei dem Weg der Gewaltlosigkeit.

Dieser Weg ist auch der Einzige, der für die Kirche möglich ist. Sie hat die Aufgabe, zu mahnen und zu wachen. Sie soll darauf achten, daß auch nachher eine Frucht im Weinberg Gottes da ist. Aber wer soll diese Aufgabe wahrnehmen? Die Pfarrer etwa? Früher war das so, da konnte der Pfarrer die ganze Gemeinde kontrollieren. Aber heute läßt man sich auch von ihm nicht gern etwas sagen. Man begegnet ihm höflich oder sogar freundlich. Aber wehe, wenn er zu den Familienverhältnissen eines Einzelnen Stellung nimmt! Wenn er nur sagt: „Das ist nicht recht, daß du das Werkzeug in der Firma hast beiseiteschaffen wollen!“

Das Ermahnen ist aber auch ein schweres Geschäft, weil man ja jedem selbst am Zeug flicken kann. Es kann sich ja kaum einer freihalten von Dingen, die nicht so ganz in Ordnung sind. Und wenn es nur ein Trinkgeld ist, das man einem gibt, damit man etwas erreicht - immer gibt es etwas, wo auch der Mahner nicht so ganz recht gehandelt hat.

Wer heute mahnen will, muß selber Vorbild sein. Die wahren Mahner sind nicht die, die alles besser wissen, sondern die selbst erst einmal alles vormachen. Andererseits kann auch einer zum Mahner werden, dem wir es zunächst nicht zugetraut haben. Es liegt nicht an der Stellung des Betreffenden, sondern ob er die Aufgabe wahrnimmt. Mancher gibt einfach ein stilles Vorbild ab und wirkt unbewußt auf andere ein.

Gott allerdings darf viel direkter zu uns reden. Er hat ja etwas einzufordern und darf uns deshalb auch mahnen. Er kann uns auch bestrafen, wenn wir die Zahlung verweigern. Er will ja nichts weiter haben, als was ihm sowieso gehört. Doch dieses Herrenrecht Gottes müssen wir erst einmal für uns anerkennen.

Die Pächter im Gleichnis wollen ja den Weinberg an sich bringen. Er soll nicht in die Hand des Sohnes kommen, sondern als herrenloses Gut herumliegen, so daß sie ihn sich schließlich unter den Nagel reißen können. So könnte es doch auch sein, daß wir alle kirchliche Arbeit als unsere eigene Sache ansehen. Gott ist ja unsichtbar. Wir könnten vielleicht feststellen, daß es doch auch ganz gut ohne ihn geht. Jetzt soll er uns nicht mehr stören. Wir verwalten und bearbeiten seinen Weinberg auch allein, allerdings auf eigene Rechnung. Und wenn er doch sein Recht geltend machen sollte, dann haben wir das Kreuz für ihn bereit.

Wir sollten nicht meinen, wir seien nicht schuld am Tod Jesu. Wenn wir ihn heute aus unserm Leben oder gar aus unserer Kirche hinausdrängen wollen, dann handeln wir nicht anders als die Juden von damals. Gott geht dieses Risiko ein, daß wir meinen könnten, er sei außer Landes gegangen, diese Eigenständigkeit gesteht er uns zu. Doch auch Gottes Geduld hat Grenzen. Sie geht unbegreiflich weit. Aber sie endet dort, wo Gottes Güte verachtet wird. Wer auch den Sohn verstößt, erfährt Gottes strenges Gericht. Gott zerstört zwar nicht den ganzen Weinberg, aber er bestraft die Pächter.

Doch der Zielpunkt des Gleichnisses ist nicht so sehr das Gericht, sondern die Frage an uns: „Wie stellst du dich zu Christus und zu den Leuten, die Gott heute zu dir schickt?“ Die einfachste Lösung ist immer: „Schlagt ihn tot!“ Das muß nicht wörtlich gemeint sein. Das geht auch, wenn man über einen redet oder ihn sich mit manch anderen Dingen aufreiben läßt oder einfach auch, indem man ihn totschweigt. Besser und richtiger wäre aber, daß wir uns mit den Mahnern Gottes auseinandersetzen und auf sie hören. Gott hat doch soviel Aufwand für uns getrieben, daß es nur recht ist, wenn wir ihn erst nehmen und auf ihn hören.

Gott will uns ja nicht zermalmen, sondern gewinnen. Deswegen bleibt er nicht beim Leiden seines Sohnes stehen, sondern hat am dritten Tag nach Karfreitag neu an ihm gehandelt. Die Menschen hatten Jesus schon achtlos weggeworfen, so wie man das mit einem Stein tut, der zu nichts zu taugen scheint. Gott aber hat gerade diesen Stein zum Schlußstein im Gewölbe seiner Kirche gemacht. Er hält erst alles zusammen; wenn man ihn herausnimmt, stürzt alles zusammen. Jesus ist ja selber aus dem Baufach gewesen, hat vielleicht auch manchen Stein achtlos beiseite getan. Jetzt aber wollen die Menschen ihn als unbrauchbar und wertlos wegwerfen.

Aber Gott macht am Karfreitag nicht Schluß, sondern nimmt den verworfenen Stein zum ersten Baustein für seine neue Welt. Darauf wollen wir schon schauen, wo wir jetzt am Beginn der Passionszeit stehen. Wir wollen auch die Botschaft hören, die Gott uns heute zu sagen hat: Vom Leiden seines Sohnes, durch das er um uns werben will, und vom Auferstehen seines Sohnes, durch das er auch uns eine neue Zukunft geben will.

 

 

Mk 12, 28 – 34 (18. Sonntag nach Trinitatis):

Die Konfirmanden stöhnen, wenn sie die Gebote auswendig lernen sollen, besonders wenn auch noch die Erklärungen Luthers dazukommen. Dabei sind es doch nur zehn Gebote, an den zehn Fingern der Hand abzuzählen. Die Juden hatten daraus 613 Gebote gemacht, dazu noch einige hundert Verbote, alles in allem etwa tausend Vorschriften. Die konnte ja niemand mehr kennen. Da war das Gesetz Gottes nicht mehr eine Hilfe, sondern eine schwere Last. Jesus aber faßt das alles zusammen in zwei grundsätzlichen Geboten: „Du sollst Gott lieben und deinen Mitmenschen! “Das war an sich nichts Neues. So steht es auch schon im Alten Testament. Dort stehen die Sätze aber ganz vereinzelt da und an verschiedenen Stellen.

Jesus aber bindet Gottesliebe und Menschenliebe streng aneinander. Vor allen Dingen macht er deutlich, daß die Nächstenliebe ihren Impuls von der Liebe Gottes zu den Menschen empfängt. Auch die Juden haben schon die Frage nach dem „vornehmsten“ Gebot gestellt. Sie meinten damit das Gebot, das im Konfliktsfall den Vorrang haben sollte. Also zum Beispiel die Frage: „Darf ich dem anderen die Wahrheit ins Gesicht sagen oder muß ich sie ihm aus Liebe verschweigen?“ Oder mehr eine Frage aus unserer Zeit: „Muß das werdende Leben auf alle Fälle geschützt werden oder darf die Mutter darüber entscheiden, die vielleicht das Kind nicht haben will?“ Überall im Leben müssen wir Prioritäten setzen, müssen wir entscheiden, was den Vorrang haben soll.

Jesus rückt nicht zwei Gebote unter vielen an die Spitze, hinter denen die anderen im Konfliktfall zurückstehen müßten; er schafft keine Rangordnung der Gebote, über die man diskutieren und die man vielleicht auch wieder einmal verändern könnte. Mit dem Doppelgebot der Liebe faßt Jesus alle anderen Gebote zusammen. Es enthält das ganze Gesetz und legt die anderen Gebote aus. An ihm ist jede einzelne Vorschrift zu messen, auszulegen und vielleicht auch zu kritisieren.

Man braucht also keine tausend Gebote und Verbote zu kennen. Man braucht nicht einmal die Zehn Gebote auswendig zu lernen. Man braucht kein dickes Buch über das christliche Verhalten. Es ist alles ganz einfach geworden: Gott und den Nächsten lieben - das ist alles. Nicht das Gesetz ist das leitende Prinzip dabei, sondern Gottes Wille. Wo für die Juden das Gesetz steht, da steht für uns Gott. Nur so haben wir die Möglichkeit, das Miteinander in Freiheit zu gestalten.

Diese Vereinfachung fordert aber den Einzelnen auch mehr. Jetzt kann ich mich nicht mehr damit zufriedengeben, daß ja schon andere für mich gedacht haben. Ich muß jetzt selbst denken. Wer nach der Vorschrift handelt, der weiß, wie er zu verfahren hat. Wer nach dem Gesetz geht, braucht nur anzuwenden, was geschrieben steht. Er bewegt sich auf gebahnten Wegen.

Wer aber nach der Liebe handeln will, der muß selbst finden, wohin er den Fuß zu setzen hat. Er kann sich nicht an eine Vorschrift halten, sondern muß sich alles selber ausdenken und dann auch verantworten. Er braucht die Weisheit des Gesetzgebers in jedem einzelnen Fall, weil er ja praktisch selber der Gesetzgeber ist.

Der Mitmensch ist nicht Anwendungsobjekt bestimmter Vorschriften. Er ist der andere Mensch, der uns zur Aufgabe wird. Lieben heißt dann: vom anderen her denken, sein Wohl und Wehe zur eigenen Sache machen, das eigene Leben um seinetwillen leben.

Ausgangspunkt für alle Überlegungen und für alles Handeln ist die Situation des anderen. Der andere ist nicht ein „Fall“, der in ein System von Regeln eingeordnet wird. Wenn man ihn in der richtigen Schublade hat, dann weiß man auch, wie man mit ihm umzugehen hat. Nein, so einfach ist das nicht. Der andere ist der Mensch, der mich braucht, in der Lage, in der er sich gerade befindet. Da kann man ihm nicht mit dem Gesetz begegnen. Er braucht Liebe. Aber die Liebe ist die Zusammenfassung aller Gesetze.

Allerdings kann niemand die Liebe von anderen fordern. Er kann nicht hingehen und sagen: „Du bist doch Christ, du mußt doch nach der Liebe handeln. Ich will dich jetzt bestehlen, aber du mußt mir vergeben. Du darfst nicht einmal dein Eigentum zurückfordern!“ Ebenso wenig kann man sagen: „Ich habe zwar allerhand Lügen über dich verbreitet. Aber du darfst mir deswegen nicht böse sein. Du darfst nicht einmal versuchen, die Sache richtigzustellen!“

Das mit der Liebe kann nur klappen, wenn beide Seiten sich daran halten. Ich kann nicht vom anderen Liebe fordern, und er kann es nicht von mir fordern. Wenn schon, dann müssen beide aufeinander zu gehen. Eine Einbahnstraße führt in die Sackgasse. Oder aber einer muß leiden, muß sich alles gefallen lassen, muß immer wieder nachgeben, auch wenn das ausgenutzt wird. So kann man natürlich auch handeln, und das muß nicht unchristlich sein. Aber ob es dem anderen hilft und ein Zeichen von echter Liebe ist, das ist doch fraglich.

Ohne Gesetz und Ordnung kann man auch heute nicht auskommen, auch nicht in der Kirche, sonst reißt Willkür ein. Wenn es einer mit dem 7. oder 8. Gebot nicht so genau nimmt, dann wird man schon den Finger auf diese offene Wunde legen müssen. Dann kann man nicht sagen: „Hier muß seelsorgerlich gehandelt werden, da kann man auch einmal darüber hinwegsehen!“ Seelsorgerlich wäre gerade, daß man auch die Gebote einschärft, damit der Verirrte wieder auf die rechte Bahn gebracht wird.

Das mit der Liebe gelingt nur, wenn alle Seiten sich daran halten. Gott ist dabei unser Vorbild. Er vergibt uns, wenn wir trotz allen guten Bemühens gescheitert sind. Aber er hält uns das Gesetz vor, wenn wir über ihn spotten und so tun, als gäbe es keine Gebote. Wenn einer sich bemüht hat - wirklich echt und ehrlich - nach Gottes Willen zu leben und dann doch sein Versagen erkennen muß, dann hilft Gott ihm wieder auf. Wenn man den guten Willen erkennt, dann kann man auch im Einzelfall wieder großzügig sein.

Gottesliebe und Nächstenliebe dürfen nicht auseinanderfallen. Unser Gottesbeziehung kann nicht in mitmenschlichen Beziehungen aufgehen; man kann nicht sagen: „Wenn ich mitmenschlich handle, dann brauche ich Gott nicht mehr!“ Neben die Gebote der zweiten Tafel gehören unbedingt auch die drei ersten Gebote der ersten Tafel. Deshalb sollen die Eltern und Paten bei der Taufe auch versprechen: „Das Kind soll es lernen, Gott und die Menschen zu lieben!“ Ziel der Erziehung kann es also nicht sein, das Kind zum „anständigen Menschen“ zu erziehen. Für den Christen gehört der Glaube an Gott unbedingt dazu, sonst ist die Erziehung nicht vollständig.

Aber wer Gott lieben will, der wird auch ganz von selbst die Menschen lieben. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Man kann Gott nicht lieben, indem man sich vor dem Mitmenschen,

vor seinen Ansprüchen - Bedürfnissen und Nöten - in Sicherheit bringt. Dies würde geschehen, wenn man sich auf den Gottesdienst und das Gebet zurückzöge.

Andererseits ist eine isolierte Nächstenliebe auch nicht im Sinne Jesu. Da könnte man sich zwar in große Aktivitäten stürzen, aber man hätte Gott dabei vergessen. Das wäre zwar Humanismus, der auch Großes vollbringen kann; aber das ist nicht das, was Jesus meint. Gott hat ein Recht auf unser Liebe. Er will mit uns reden und wünscht sich, daß wir mit ihm reden. Wie sollte es auch eine Liebe zu den Menschen geben, wenn die Liebe zu Gott stumm und leblos ist?

Gott hat ein Recht auf unser g a n z e Liebe. „Mit ganzem Herzen“ meint unser Personzen­trum. „Von ganzer Seele“ zielt auf unsere Lebendigkeit und auf unsern ganzen Leib. „Mit aller Kraft“ weist auf die Kraft und den Schwung unserer Liebe zu Gott. Von Jesus hinzugefügt ist „mit deinem Denken“, so daß also auch die Verstandeskräfte im Dienst der Liebe stehen.

Mit dem allen werden wir gefragt: „Welche Rolle spielt Gott im Ganzen deines Lebens? Wieviel Aufmerksamkeit wendest du ihm zu? Ist dein Denken und Schaffen ihm zugewandt? Ist dein Planen und Entscheiden von ihm bestimmt? Was bist du bereit, ihm zuliebe zu tun und vielleicht auch zu opfern?

Sehr hilfreich ist dabei die Bestimmung: „Lieben wie dich selbst“. Der stärkste Trieb des Menschen ist die Selbsterhaltung. Ob er es zugibt oder nicht: „Er mißt alle Dinge daran, ob sie ihm dienlich sind. Er ist sich selbst wichtig und möchte respektiert werden.

Jesus aber meint nun: „Mit eben dieser problemlosen Selbstverständlichkeit sollte der Mensch auch seinem Mitmenschen zugewandt sein, so „ohne Wenn und Aber“ sollte er ihn wichtig nehmen.

Dabei geht es dann auch nicht um den wechselseitigen Ausgleich der Interessen. Hier soll vielmehr der Mitmensch einen ungeschmälerten Anspruch auf meine Liebe bekommen. Aber hier merken wir auch: „So einfach Jesu Gebot ist, so anspruchsvoll ist es auch, weil es so total fordert.“ Aber diese Forderung ist möglich, weil ihr seine totale Zuwendung zu uns vorausgeht. In Jesus Christus ist die letztgültige Selbstzuwendung Gottes geschehen. Wo dieses Geschenk Gottes angenommen wird, da entsteht von selbst Liebe. Wir haben einen Gott, den man liebhaben muß, wenn man ihn nur kennt. Das müßten auch unsere Mitmenschen zu spüren bekommen.

Reihe I

 

Ergänzung;

Viele können das bis heute nicht begreifen: der Herrscher der Welt als ein Verbrecher am Kreuz gestorben! Aber wenn wir das nur auch einmal fertigbrächten, lieber einmal einzustecken als mit Gewalt den eigenen Vorteil zu suchen. Mancher wird sagen: Aber anders als unter Einsatz der Ellenbogen wird man kein Reich erobern! Doch es hat es ja noch niemand ernsthaft versucht - außer Jesus. Und der hat viele Anhänger gefunden, die versuchen, in seinem Sinne zu wirken.

Ein Rabbiner von heute kritisierte Jesu Wort: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt!" Er sagte: „Wo anders als in dieser Welt soll denn das Reich Gottes aufgerichtet werden?“ Sicherlich ist es kein Reich über den Sternen. Gott ist i n der Welt und sein Reich wird auch in der Welt sein. Doch es ist nicht so wie die Reiche dieser Welt, das will Jesus sagen.

Man kann i n der Welt sein und ist doch nicht v o n der Welt. Der Lebensraum für uns Christen ist diese Welt, die Welt Gottes, und nichts anderes sonst. Aber wir leben nicht nach denGesetzen und Regeln dieser Welt, sondern von Gott her. Immer wo sich ein Mensch für Gott entscheidet und nach seinem Willen lebt, da wird schon ein Stück vom Reich Gottes heute Wirklichkeit.

Und wo Reich Gottes ist, da kann man auch die Dinge dieser Welt in Gebrauch nehmen, ohne sich von ihnen beherrschen zu lassen. Ein Christ braucht nicht weltfremd zu sein und die angenehmen Seiten des Lebens zu meiden. Er braucht auch seinen Leib nicht zu verachten, sondern kann sich seines Lebens freuen. Da hatte auch der Rabbiner Kritik anzumelden: Das Christentum sei leibfeindlich eingestellt und unterdrücke speziell die Sexualität. Das Judentum aber sei immer bei dem Satz geblieben: „Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut!“

Hier beginnt das Judentum eire Offensive gegen den christlichen Glauben, den es als rückschrittlich darstellt. Der wahre Gottesglaube dagegen sei nur noch im Judentum enthalten, das sich sehr gut mit der modernen heutigen Welt vereinbaren läßt bzw. schon immer das gelehrt hat, was heute so allgemeine Überzeugung ist.

Man trifft sich dabei durchaus mit anderen Gegnern des Christentums. Es waren ja im Grunde drei entscheidende Angriffe, die man im Laufe des 19. Und 20. Jahrhunderts gegen das Christentum geführt hat. Angriffe, die jeweils einen anderen Aspekt herausgriffen, aber immer doch

bis ins Zentrum führten. Und wenn uns hier keine Klarstellung gelingt, dann wird es schlecht aussehen mit der Konkurrenzfähigkeit unsers Glaubens mit anderen Meinungen und Weltanschauungen.

Der erste Kritiker war der Philosoph Friedrich Nietzsche. Er bezeichnete das Christentum als eire Sklavenmoral, nur tauglich für im Leben Gescheitert und nicht für Herrenmenschen, die sich ihres Lebens freuen wollen.

Darauf bauten natürlich dann die Nationalsozialisten auf, die zweiten Kritiker. Sie brachten aber zusätzlich noch ihren „Mythos von Blut und Boden“ dazu. Vielen Christen war damals tatsächlich nicht deutlich, ob man nicht doch den germanischen Christus und die Rassenideologie der Nazis mit dem Christentum verbinden kann.

Der dritte Angriff wurde vonseiten des angeblich „wissenschaftlichen“ Marxismus geführt. Er wirft dem christlichen Glauben speziell Wissenschafts- und Weltfeindlichkeit vor und will die Religion durch eine wissenschaftliche Aufklärung überwinden oder doch zumindest ganz an den Rand drängen.

Interessant ist nun, daß diese Motive der Weltfremdheit und Rückständigkeit auch in den jüdischen Angriffen gegen den christlichen Glauben zu finden sind, obwohl Faschismus und Kommunismus den Juden ja nicht gerade wohlgesinnt sind! Offenbar handelt es sich hier doch um gewisse Dinge, die immer wieder die verschiedenartigsten Menschen an diesem Jesus ärgern.

Es wäre ja auch schlimm, wenn sie sich nicht an Jesus ärgerten. Nur wenn sich einer ärgert, ist ihm der wahre Christus verkündet worden. Ein Pfarrer kam einmal mit einem Atheisten ins Gespräch, der bei einer Trauerfeier dabei war. Er meinte nur, hier sei ihm wieder einmal richtig deutlich geworden, welches haarsträubende Zeug den' Leuten von der Kirche erzählt werde; das könne man doch einem Menschen von heute nicht mehr zumuten. Der Pfarrer sagte darauf nur: „Daß Sie so reagieren, zeigt mir nur, daß die Predigt nichtig war. Das Evangelium von Jesus muß ja Widerspruch herausfordern, zumindest bei Leuten wie Ihnen, sonst ist es verwässert worden!“

Natürlich ist es nicht immer leicht, mit diesem gekreuzigten Herrn zu leben. Wir werden halt doch immer wieder dumm deswegen angesehen. Aber dieser Gekreuzigte ist auch der, der jetzt bei Gott ist und an der Herrschaft über die Welt mitbeteiligt ist. Uns zum Trost und zur Stärkung ist gesagt, daß über seine Feinde schon das Urteil gesprochen ist und sie ihm alle einmal zu Füßen liegen werden. Daran können kein Jude und kein Atheist etwas ändern. Aber erkennen und begreifen wird das nur, wer den Geist Gottes hat.

 

 

Mk 12, 41 - 44 (Okuli):

Als ein Mann um eine Spende für die Kirche bat, erhielt er die spöttische Antwort: „Na, da will ich auch mein Scherflein geben!“' Doch der Sammler antwortete schlagfertig: „So viel wollen Sie geben? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein“ Doch der andere sagte von oben herab: „Sie wissen doch gar nicht, wieviel ich geben will!“ Da sagte der Sammler: „Des Scherflein der Witwe war alles, was sie hatte!“

Wir machen uns das meist auch nicht klar, wenn wir sagen, wir hätten ein „Opfer“ gegeben. Jesus hat ein Opfer gebracht, als er ans Kreuz ging. Daran denken wir jetzt in der Passionszeit besonders. Aber eine Gabe in Geld sollten wir nicht als Opfer bezeichnen. Es sei denn, wir machten es wirklich so wie die Witwe, die mit ihrem letzten Geld auch sich selber hingegeben hat. Jesus beobachtet, wie sich die Leute am Ausgang des Tempels verhalten. Er stellt fest: Einige geben viel. Eine Witwe gibt zahlenmäßig wenig, aber sie hat sich selbst geopfert.

 

(1.) Einige Leute geben viel:

Wenn ein Ehepaar zusammen 4.000 Euro verdient und davon 100 Euro im Monat für die Kirche gibt, dann tut das noch nicht weh. Da muß Gott immer noch mit dem zufrieden sein, was nach Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse noch für ihn abfällt. Natürlich kann man auch für große Spenden dankbar sein, man i s t dankbar. Wer einen kirchlichen Haushaltsplan aufzustellen hat oder die laufenden Unkosten und Rechnungen zu bezahlen hat, der weiß große Beträge zu schätzen.

Die Kirche braucht Geld. Aber sie darf nicht reich sein wollen. Nur als arme Kirche wird sie viele Menschen reich machen können, allerdings in einem anderen Sinne. Geld sollte nicht dazu dienen, eine Macht aufzubauen. Es ist ein böser Satz, wenn gesagt wird: „Wer zahlt, der hat auch das Sagen!“ So etwas dürfte es in der Kirche nicht geben. Denn es zahlen ja nicht diejenigen, die das Geld verwalten, sondern die vielen kleinen Spender.

Man sollte in der Kirche aber nicht immer wieder um Geld betteln, vielleicht abgesehen von der Aktion „Brot für die Welt“. Oft wird der Erfolg eines Gottesdienstes oder einer Gemeindeveranstaltung nur nach der Höhe der Kollekte bemessen. Manchmal sagt man in der Kirche: „Es kommt nicht auf die Zahl an!“ Aber am liebsten möchte man hinzufügen: „Aber auf die Kollekte!“

Manchmal hat man den Eindruck, eine Gemeindeveranstaltung wird nur noch durchgeführt

wegen der Kollekte. Am Ende beruhigt man sich doch immer wieder mit der Finanzstatistik und meint: „Du hast doch einiges geleistet, so schlecht ist es nun auch wieder nicht, zumindest ist es bei den anderen noch schlechter!“

Wem viel gegeben wurde, der kann auch mehr weggeben. Doch oft ist es so: Wer viel hat, der hat auch viel Angst darum und will zur Sicherheit immer noch mehr haben. Wer aber wenig hat, der gibt oft noch etwas davon ab. Er vertraut einfach darauf, daß es andere dann auch tun werden, wenn er sie einmal braucht.

Vielleicht ist alles auch nur eine Frage der Einteilung. Für so viele Dinge ist Geld da. Die Frage ist nur, ob wir es recht einsetzen und was uns wichtig ist. Vielleicht sollten wir mehr auf das sehen, was wir haben, und nicht auf das starren, was uns noch fehlt. Wenn wir dankbar sind für das, was wir schaffen durften, dann fällt uns ein Geschenk an andere doch gleich viel leichter.

Wer etwas gibt, sollte es ohne Hintergedanken tun. Der Reiche im Tempel wollte sich sicher auch mit seinem Geld ein wenig den Himmel verdienen. Und er hatte auch einen politischen Grund, weshalb er den Tempel unterstützte: Damit leistete er stillschweigenden Widerstand gegen die Römer, deren Besatzung seinen Stolz nicht hatte brechen können. Er mußte sich ihnen beugen, aber hier konnte er noch Opposition machen. Für die Witwe konnte das alles nichts bedeuten.

 

(2.) Die Witwe gibt zahlenmäßig wenig:

Die Reichen gaben aus ihrem Überfluß. Es tat ihnen nicht weh, und es durfte auch nicht weh tun. Wer die Macht des Geldes einmal erfahren hat, der will darauf nicht mehr verzichten. Die Witwe dagegen kannte die Macht des Geldes nicht. Es hatte bei ihr immer nur so eben gereicht. Aber sie hatte gelernt, sich auf Gott zu verlassen, da konnte sie dann auch anderes loslassen.

Eine fast 90 Jahre alte Frau gab dem Pfarrer 30 Mark in die Hand. Zehn Prozent ihrer Rente waren das damals, die sie über Kirchensteuer und Kollekte hinaus gegeben hat. Oder ein Schulkind, das für heutige Verhältnisse wenig Taschengeld erhält und doch einen ziemlichen Betrag für „Brot für die Welt“ gibt. Das sollte uns davor bewahren, mit dem Geld selbstherrlich umzugehen. Alles Geld der Kirche ist gespendet, auch die Zinsen vom Rücklagenkonto, auch Pachten und Mieten, auch das Geld, das wir als Kirche von außerhalb erhalten. Deshalb ist bei jeder Ausgabe zu überlegen: Ist sie nötig? Geht es nicht auch billiger?

Die Witwe hatte nur wenig zu geben. Wahrscheinlich hat sie sich geschämt, als sie sich den Opferstöcken im Vorhof des Tempels näherte und ihre Gabe dem Priester übergab. Der sah mit geübtem Blick, daß es nur zwei Pfennige waren und legte sie wortlos in den Kasten. Da brauchte er nicht den Posaunenbläsern Bescheid zu sagen, denn die bliesen nur bei einer ansehnlichen Spende. Diese Frau würde auch nie einen, Ehrensitz im Gotteshaus erhalten, wie das später in der Synagoge üblich war.

Aber bei Gott gelten eben andere Maßstäbe. Da ist man auch noch anerkannt, wenn man nichts oder fast nichts zu bringen hat. Bei ihm gelten nicht das Leistungsprinzip und die ins Auge springenden Taten. Er läßt auch noch die Schwachen zum Zug kommen. Er achtet

gar nicht so sehr auf das, wofür die Menschen Preise erhalten oder bei Jubiläen geehrt werden. Ihm kommt es vielleicht mehr auf das an, was in der Stille geschehen ist, aber mit großer Hingabe und Treue. Wir halten vielleicht einen Menschen und sein Lebenswerk für unbedeutend, aber Gott hebt ihn heraus.

In der Schule ist eine mühsam errungene „Drei“ vielleicht mehr wert als eine „Eins“, die dem Betreffenden nur zugefallen ist. Gott weiß, daß es manche Menschen eben schwerer haben im Leben. Sie können zum Beispiel nicht so leicht andere Menschen für sich gewinnen oder sie hatten eine schwere Jugend oder sie befinden sich in einer schwierigen gesellschaftlichen Lage.

Auch in der Kirche haben wir uns gerade um die zu kümmern, die im Leben zu kurz gekommen sind. Deshalb werden zum Beispiel die Sonderschüler mit in die übliche Konfirmandengruppe  hineingenommen, da werden die geistig Behinderten als volle Menschen angesehen

und die körperlich Behinderten in die Abendmahlsgemeinschaft mit hineingenommen, da werden die alten Rentner genauso besucht wie die Gutverdienenden, da zählen die Frauen wie die Männer. Bei Gott gelten eben andere Maßstäbe.

 

(3.) Die Witwe hat sich selbst geopfert:

Was die Witwe tut, ist an sich nicht unbedenklich. Leicht kann es ja zur Übertreibung und Übersteigerung kommen, bis hin zum Menschenopfer. Was wird die Frau wohl gemacht haben, wenn sie am anderen Morgen Brot holen wollte und es war kein Geld da? Kann man denn alles wegschenken und dann anderen zur Last fallen? Wäre es nicht unverantwortlich, wenn ein Rentner 14 Tage vor der nächsten Rentenzahlung all sein Geld weggäbe und dann

Mittellos dastünde?

Für die Witwe geht es nicht um die Geldfrage, sondern um die Gott-Frage: Verläßt sie sich auf den Besitz oder hat sie Vertrauen zu Gott? Jesus will uns mit diesem Beispiel Mut machen, uns ganz auf Gott zu verlassen. Auch was uns sonst noch so Sicherheit geben könnte, kommt ja letztlich auch nur von Gott: Gesundheit und Verdienstmöglichkeiten, friedliche Zeiten und ausreichende Rohstoffe. Aber all das kann sich auch zwischen uns und den Glauben stellen und eine vertrauende Hingabe ausschließen. Besonders gefährlich ist aber das Geld.

Doch ein Opfer kann auch in anderer Form nötig sein. In vielen Konflikten kommt man nur dann weiter, wenn man zum Verzicht und zum Nachgeben bereit ist. Da gilt es, den eigenen Standpunkt zu opfern. Wir müssen uns auch fragen lassen: Setzen wir uns wirklich ganz ein für körperlich und geistig schwache Menschen oder für einen schwierigen Kollegen. Wir wissen doch nicht, ob wir genügend Zeit dafür haben. Wir fürchten, der andere würde sich vielleicht an uns hängen wie eine Klette. Vielleicht werden wir selber Nachteile haben! Und wer wird uns den Einsatz danken?

Gott verlangt nicht immer alles, wie bei Jesus, dessen Tod ein wirkliches Opfer war. Aber Gott kann natürlich auch fordern. Wir können auch einmal hart gefragt werden, ob wir Gott wirklich lieber haben als irgendetwas anderes. Vielleicht merken wir das erst, wenn wir einmal eine unheilbare Krankheit haben und unser Leben ganz Gott übergeben sollen.

Jesus verbürgt sich für einen Menschen, der alles von Gott erhofft. Die Witwe hat keine Sicherheiten in der Hand. Doch das braucht sie auch nicht. Sie hat ihr ganzes Leben Gott ausgeliefert und alles weitere ihm überlassen. Sie weiß, daß für sie gesorgt wird. Deshalb braucht sie nicht ängstlich darauf bedacht zu sein, ob sie nicht irgendwo zu kurz kommt.

Wer sich Sorgen macht, der betrachtet alles nur unter dem Gesichtspunkt, ob es zum Ausbau der eigenen Position nutzbar ist. Er kann sich nicht an eine große Sache verlieren, erst recht nicht an Gott.

Der Witwe aber hat Gott ein Vertrauen geschenkt, das sie frei macht zur ganzen Hingabe. Sie wollte Gott über alle Dinge ehren und lieben, als sie sagte: „Hier hast du mich!“ Dadurch wird ihre Einstellung deutlich zum Geld, zum Mitmenschen und zu Gott. Gott hat aber ein Recht auf unser ganzes Vertrauen. Dieses Vertrauen ist in der Tat ein Sprung ins Dunkle. Aber wenn man Gott kennt, da weiß man ja, wem man sich überläßt.        

 

 

Mk 13, 31 – 37 (Ewigkeitssonntag):

Wir spüren alle, daß wir älter werden. Mit dem ersten Tag unseres Lebens beginnt das Alter. Gewiß: der kleine Junge ist stolz darauf, daß er schon sechs Jahre alt ist. Zunächst will man groß und klug werden. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß jeder Tag und jedes Jahr uns näher an unseren Tod heranbringt. Und man sagt sicher nicht zu unrecht, daß die Jahre immer schneller vergehen, je älter man wird.

An Menschen unserer Umgebung erleben wir den körperlichen und geistigen Verfall. Und wir müssen uns sagen: „Eines Tages bin ich auch dran!“ Gesunder Lebenswille setzt sich natürlich gegen den näherrückenden Tod zur Wehr. Aber eines Tages werden wir unterliegen. Doch was das Sicherste in unserem Leben ist n was uns „todsicher“ ist n das nehmen wir so wenig in unser Denken auf und machen uns zu wenig vertraut damit. Die letzten Sonntage im Kirchenjahr und besonders der heutige Ewigkeitssonntag wollen uns wieder einmal darauf hinweisen.

Aber es wäre auch nicht recht, wenn wir immerzu mit Todesgedanken herumlaufen würden. Gerade unser heutiger Predigttext macht unerfreuliche und unser Hoffen beflügelnde Ankündigungen. In die Hoffnung auf Gott sollen wir uns einüben. So gedenken wir auch in richtiger Weise unserer Toten und unseres einmal fälligen Todes. Wir stehen immer an der Schwelle des Kommenden. Da sollen wir an den Worten Jesu festhalten, auf den Tag Jesu warten und im Dienste Jesu wachen.

 

1. An den Worten Jesu festhalten: Vom Kommen sprechen wir auch im innerweltlichen Sinne. Auch auf christlichem Boden denkt man heute gern „weltlich“. Man befragt das Evangelium danach, was es für die Gestaltung und Bewältigung dieses Lebens austrägt und einbringt. Es soll besser werden in unserer Welt: friedlicher und gerechter, weniger mühselig und störanfällig, fröhlicher und menschlicher. Die Zukunftsschau des Evangeliums will uns das nicht ausreden.

Aber sie geht davon aus, daß alles Leben zuletzt vom Vergehen bestimmt ist und von der Zukunft überboten wird. Es sollen nicht unbedingt Jenseitsträume genährt werden, sondern gerade Diesseitsentscheidungen angeregt werden. Aber gerade das heute Fällige bekommt seinen Charakter durch das morgen Kommende.

Der Satz „Himmel und Erde werden vergehen“ ist wissenschaftlich nicht nachvollziehbar, denn wir nehmen doch an, daß wenigstens die Materie bestehen bleibt, wenn auch vielleicht in anderer Form. Doch die Menschheit wird einmal aussterben. Im großen erdgeschichtlichen Prozeß ist ihr Auftauchen und Vergehen nur eine kurze Episode. Wenn man das Erdzeitalter einmal auf den Ablauf eines Tages überträgt, dann macht die Dauer der Menschheit nur Sekunden aus. Wir sollten uns das schon einmal durch den Kopf gehen lassen, daß diese unsere Welt mit all ihren Gegenständen und Menschen einmal nicht mehr sein wird.

Wir erkennen heute sogar immer mehr die Gefahr, daß die Menschheit auch schon vorzeitig aussterben könnte. In unsrer Zeit sind endzeitliche Befürchtungen und Ängste durchaus verbreitet. Den stärksten Anlaß dafür gibt die Atomrüstung der Großmächte, aber auch immer mehr mancher Mittelmächte. Man geht von dem Wahn aus: Immer mehr Raketen ergäben immer

mehr Sicherheit. Wir fürchten einen Schlußkatastrophe der Menschheit, weil ein Weltkrieg immer atomar werden würde und es keinen begrenzten Atomkrieg geben kann. Gegen solche Aussichten wehren sich die Völker mit Recht.

Aber auch sonst ist uns die Brüchigkeit unserer Welt durchaus bewußt geworden. Wir sehen, daß durch den technischen Fortschritt die Luft, das Wasser und der Boden immer mehr vergiftet werden. Wir pflanzen Bäume und wissen nicht, ob wir einmal einen Ertrag an ihnen sehen werden. Selbst die friedliche Nutzung der Atomenergie ist heute fraglich geworden.

Die Bibel spricht vom neuen Himmel und der neuen Erde. Aber das Kommende wird nicht ausgemalt. Sicher wäre es uns ganz lieb, wenn wir den „Himmel“ in Einzelheiten beschreiben könnten, weil wir uns dort doch unsre Toten vorstellen und selber einmal hinkommen wollen. Aber hier ist uns Zurückhaltung auferlegt. Wir predigen ja nicht, um irgendwelche Neugier zu befriedigen, sondern um zum Glauben zu rufen.

Christliche Hoffnung ist dennoch nicht ein weißer Fleck, sondern geht von unsrer Christuserfahrung aus und hält an seinen Worten fest. Jesu Worte sind nicht Auskünfte über irgendwelche Tatsachen, sondern Anrede. Jesus malt uns nicht ein Bild vor Augen, sondern er redet mit uns. Dadurch stellt Gott die Verbindung zu uns her und schafft Gemeinschaft. Dadurch wird klar: Wir gehören nun zusammen.

Jesu Worte aber werden nicht vergehen. Daß Jesus mit uns redet, das hört nicht auf. Die von Jesus hergestellte Gemeinschaft geht nicht mit der Welt unter, sondern überdauert das Zeitliche. Was er uns heute zuspricht, das wird in der großen Zukunft erst recht unser sein. Wer heute schon etwas von der ewigen Zukunft erleben will, der braucht nur Jesu Wort anzunehmen: dieses aufrichtende und befreiende Wort, das uns annimmt und wert achtet, das uns wohltuende und in Liebe einhüllende Wort. Stehen wir Jesus auch noch nicht Auge in Auge gegenüber, so haben wir doch in seinem Worte die uns suchende Anrede Gottes. In dem Maße, in dem wir mit Christus verbunden sind, haben wir schon jetzt Anteil am Himmel.

 

2. Auf den Tag Jesu warten: Aber wir haben auch noch auf etwas zu warten, das alles Irdische übersteigt. Jesus spricht von dem „Tag“, an dem er aus seiner Verborgenheit heraustreten wird und allen offenbar werden wird in seiner göttlichen Herrlichkeit. Allerdings ist nicht bekennt, wann das sein wird. Das Ausbleiben der Wiederkunft Christi hat die Gemeinde immer wieder beirrt. Aber man kann sich sicher nicht so helfen, daß man sagt: Jesus hatte eine ausgesprochene Naherwartung, die dann in der urchristlichen Gemeinde aus Enttäuschung in eine Fernerwartung verwandelt wurde.

Jesus hat selber den Zeitpunkt nicht gewußt. Das mag erstaunlich für uns sein und Verwunderung hervorrufen, aber es bewahrt vor Enttäuschungen. Nicht Berechnung eines endzeitlichen Fahrplans ist unsere Aufgabe, sondern eine freudige Erwartung. Es wäre           nämlich ganz unsach­gemäß, den genauen Tag wissen zu wollen.

Auf den Tag Christi sollen wir i m m e r warten. Im Glauben erwarten wir etwas von Gott und leben von dem, was kommen soll. Was noch nicht ist, wird kommen! Glaubend nehmen wir den Freispruch Gottes schon voraus. Man sieht uns die Zugehörigkeit zu Gott noch so wenig an, aber wir sind schon die Schar der Erlösten, die einst alles Belastende und Niederschmetternde hinter sich gelassen haben wird.

Der Tag Christi soll nicht wie eine Drohung über uns hängen, als ein Anreiz zu gottgemäßem Verhalten. Er ist nicht ein Trick, mit dem Gott uns bei der Stange halten will. Der Tag Christi kommt. Entweder überrascht er die ganze Welt in einem großen Ereignis. Oder er kommt zu dem einzelnen Menschen, indem er ihn in seinem letzten Augenblick über die Grenze in die Ewigkeit zieht; dann erlebt der Mensch ihn auf diese Weise.

 

3. Im Dienste Jesu wachen: Die beste Vorbereitung auf das Kommen des Herrn ist, daß wir sein Haus gut versorgen und verwalten. Die Gemeinde, in der wir leben und dienen, ist Eigentum des Herrn. Aber auch die ganze Welt gehört zum „Haus“ unseres Gottes. Wir sind in diesem Haus die Türhüter, die jederzeit bereit sein sollen, den heimkehrenden Herrn würdig zu empfangen.

Erwartet wird eine nüchterne Bereitschaft und ein verantwortlicher Einsatz für die Erhaltung und Bewahrung der Welt und der Gemeinde in ihr. Wir brauchen unser tägliches Werk nicht auf Abbruch und unter dem Vorzeichen des Provisorischen zu tun. Ein nervöses und überspanntes Christenleben wäre auch nicht das Nichtige.

Eine sachliche Arbeit sollen wir tun, dem Herrn schon heute dienen, auch und gerade weil wir noch auf das Warten angewiesen sind. Die Möglichkeiten des Lebens unter den Bedingungen der alten Welt sind dabei möglichst weitgehend auszuschöpfen. Illusionen und Träume passen nicht zur Wachsamkeit. Wenn morgen der jüngste Tag anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, aber vorher nicht. Unser Herr kann einen solchen Einsatz in Treue und Zuverlässigkeit von uns erwarten.

Vielleicht würden wir ja lieber ungestört unsere Dinge in dieser Welt treiben. Mancher wäre sicher froh, wenn er nicht immer denken müßte, daß er für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird. Aber es könnte doch auch sein, daß man auf Christus wartet wie auf den freundlichen und väterlichen Eigentümer des Hauses, den man schon lange vermißt hat und den man lieber heute als morgen wiederhaben möchte.

Es kann uns nichts Besseres widerfahren, als daß er kommt. Aber wenn er kommt, dann sollte er es schön bei uns finden, wann immer er auch hereintritt. Und er sollte etwas merken können von der Vorfreude, die schon immer bei uns dagewesen ist.

 

 

Mk 14, 3 – 9 (Palmarum):

Bei einer Kirchenführung zeigt der Pfarrer stolz die renovierte Kirche. Er weist hin auf die farbigen Glasfenster und auf den vergoldeten Turmknopf. Und er nennt traumhafte Summen, die gespendet und ausgegeben worden sind. Da fragt ein Gast aus der Runde: „Ist denn eine solche Renovierung angesichts der zahllosen Hungernden in der Welt zu verantworten!“ Da antwortet der Pfarrer unter Hinweis auf die Salbung in Bethanien: „Für das Haus Gottes ist keine Ausgabe zu hoch!

Natürlich ist auch die helfende Tat der Liebe notwendig. Jesus selber hat ja gesagt: „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan!“ Aber hier

wird auch einmal die andere Seite gezeigt. Im Evangelium des heutigen Palmsonntags wird die Huldigung Jesu durch das Volk beim Einzug in Jerusalem beschrieben. Bei der Salbung in Bethanien geht es auch um eine Huldigung, diesmal durch eine ungenannte, aber unvergessene Frau. Beide Male aber werden Erhöhung und Erniedrigung ineinander gesehen. Wir erleben eine aufwendige Huldigung, ein stummes Bekenntnis und einen letzten Liebesdienst.

 

(1.) Eine aufwendige Huldigung: Was sich in Bethanien zugetragen hat, ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich. Eine. Frau nahm in der Regel nicht am Mahl der Männer teil, sie hatte höchs­tens zu bedienen. Hier kommt sogar noch eine Frau von außerhalb und drängt sich in die Männergesellschaft. Kein Wunder, daß die Jünger das verhindern wollen, wo sie ja schon einmal die Kinder abgewehrt haben, so daß Jesus ihnen sagen mußte: „Laßt die Kinder zu mir kommen!“"    

Ungewöhnlich ist auch die Verwendung des kostbaren Salböls, eine Importware aus Indien. Besonders aufregend ist die verschwenderische Menge dieses kostbaren Stoffes. Von dem Geld für das Öl mußte eine einfach lebende Familie in Israel ein ganzes Jahr ihren Lebens unterhalt bestreiten.

So konnte man bestenfalls einmal Könige ehren. Aber wann hätte Jesus jemals Ehre und Luxus für sich in Anspruch genommen? Hatte er nicht immer abgewehrt, wenn an ihm nur „guter Meister“ nennen wollte? Aber diesmal sagt er nicht „Nein“, sondern er nimmt die Frau sogar noch in Schutz. Hier wird doch unser Jesusbild gestört.

Jesus sagt: „Sie hat ein gutes Werk an mir getan! Die Juden unterschieden zwischen Almosen, die jederzeit möglich sind, und dem „guten Werk“, das spontan aus einer bestimmten Situation heraus erwächst. Sie hat sogar unbewußt etwas getan, was schon auf das künftige Schicksal Jesu hinweist. Wenn die Frau ein solches Werk tut, dann erfüllt sie damit den Willen Gottes, sagt Jesus. Die Frau hat noch nicht das Ergebnis im Blick, aber Jesus sagt: „Das war der letzte Liebesdienst!“

Wo jemand glaubt, wird offene und ungeheuchtelte Liebe nicht fehlen. Die Liebe hängt an dem, den sie liebt. Sie will mit ihm verbunden sein und bleiben! Sie weiß sich dem Geliebten zugehörig und zeigt es ihm auch, so gut sie es kann. Gewiß zeigt sich so eine Verehrung oft genug unbeholfen und ungeschminkt, manchmal sogar über dem guten Geschmack hinaus. Aber besser so ein paar gefühlvolle Nebentöne als so ein kaltes Herz, das Jesu Wohltaten kassiert, ohne ihm Dank und Liebe zu erweisen.

Die Umstehenden protestieren gegen die Tat der Frau. Damit wenden sie sich auch indirekt gegen Jesus, der sich die Tat gefallen läßt. Sie haben gut bei Jesus gelernt, der ja immer kultischen. Aufwand und religiöse Pracht abgelehnt hat. Auch heute sagt man: Aufgebe der Kirche ist die praktische Hilfe und Diakonie an der Gesellschaft. Sie soll eintreten für die Ausgebeuteten und Verfolgten,      um den Frieden in der Welt ringen und die rassisch Benachteiligten

befreien.

Das stimmt natürlich auch alles. Und dennoch nimmt Jesus in dem Konflikt deutlich Partei für die Frau. Das körnte daran liegen, daß Jesus eben immer für den eintritt, der am schlechtesten dran ist. Aber Jesus stimmt der Frau auch in der Sache zu, sein Wort hat grundsätzliche Bedeutung.

Jesus sagt den Kritikern: „Was ihr denkt, wird richtig sein, wenn ich nicht mehr da bin. Jetzt aber ist die Frau im Recht!“ Jesus gibt also keine allgemeingültigen Verhaltensnormen, sondern es soll entsprechend der Situation gehandelt werden. Die Frau hat das Gebot der Stunde verstanden, während die Protestierenden durch ihre Worte zeigen, daß sie die Situation nicht erfaßt haben.

Man kann aber nicht sagen: „Solange Jesus noch da ist, sind die Armen nicht dran!“ Es ist ja nicht alles falsch, was die Protestierenden sagen. Es ist ja jetzt die Passahzeit. Da wäre schon ein Almosen angebracht, damit auch die Armen sich ein Passahlamm leisten können. Man kann die Nächstenliebe nicht aufschieben, bis Jesus tot ist.

Aber das andere gilt eben auch: Wann und wo es angebracht ist, hat neben der Nächstenliebe

auch die Jesus unmittelbar dargebrachte Liebe ihr Recht. Es ist also nicht so, daß man Jesus ausschließlich im Mitmenschen lieben kann. Es gibt auch die unmittelbare Liebe zu Jesus, die sich auch in einer aufwendigen Liebesgebärde ausdrücken kann. Er hat es sich auch gefallen lassen, als das Volk beim Einzug ihm zujubelte. Es ist nichts gesagt gegen unsren Dienst an den Armen, aber auch unsre feiernde Liebe gehört Jesus. Er ist ja selber in die Reihe der Armen gerückt.

Heute können wir Jesus nicht mehr salben. Aber wir huldigen ihm in Anbetung, Lob und Bekenntnis. Wir singen und spielen für ihn. Wir ehren Jesus in der Kunst und in der Architektur. Das ist keine Verschwendung, wenn wir auch unsren anderen Aufgaben nachkommen und darüber die Armen nicht vergessen. Es geht ja nicht nur um einen formalen Prunk, sondern hier soll ja auch inhaltlich etwas ausgesagt werden.

 

(2.) Ein stummes Bekenntnis: Die Frau tut auch ein Werk der Barmherzigkeit, nämlich das Werk der Totensalbung. Dazu wird es ja bei Jesus nicht kommen können. Wenn er gesalbt werden soll, dann muß es sofort gemacht werden. An sich hätte das jeder Mensch verdient. Aber in der Salbung kann man auch eine besondere Auszeichnung sehen, die im Ausnahmefall einem besonders zu verehrenden Rabbi zuteil werden konnte.

Aber mit dieser stummen Gebärde ist das Gleiche gemeint wie beim Einzug Jesu in Jerusalem. Dort hat man laut und für alle sichtbar gerufen: „Jesus ist der Christus! Wir als seine Anhänger wissen es schon!“ So bringt auch diese Frau stumm zum Ausdruck, daß Jesus ihr „König“ ist. Sie kann es ihm nur auf ihre Weise sagen. Was sie glaubt, das drängt danach, zum Ausdruck zu kommen. Und da fand sie nur das Mittel der Salbung. Jesus hat das erkannt und hat sich deshalb dieses stumme Bekenntnis gefallen lassen.

Auch wenn das damals in Bethanien niemand begriffen hätte, so muß es doch die nachösterliche Christenheit begriffen haben. Sie huldigt Jesus ja in jedem ihrer Gottesdienste. Man kann den Gottesdienst nicht nur nach der Predigt beurteilen. Nicht nur das Wort sagt etwas aus, sondern auch die Gebärde. Die Liturgie, also die Lieder und Gebete, die Lesungen und das Bekenntnis, sind nicht langweilige Zutat, sondern echter Gottesdienst, ein beredetes Bekenntnis zu dem, der die Mitte des Gottesdienstes ist.

 

(3.) Ein letzter Liebesdienst: Die Frau hat getan, was sie konnte. Aber erst durch das Wort Jesu hat sie erfaßt, was sie da getan hat: Sie wollte Jesus ehren, wollte dem kommenden König huldigen. Aber er versteht das alles als Totensalbung. Vielleicht haben seine Jünger gehofft: Wenn er jetzt gesalbt ist, dann wird er auch die Macht ergreifen. Salbung ist ja die Weihe für eine besondere Aufgabe! Aber Jesus sagt ihnen: Jetzt gehe ich in den Tod! Die Frau war nicht im Irrtum, als sie ihn salbte. Aber sie hat keinen König gesalbt, sondern einen Todgeweihten; es war ein letzter Liebesdienst, den man ihm noch tun tonnte.

Jesus muß sich auf das Schlimmste gefaßt machen: Er wird sterben wie ein Verbrecher, verlassen und verachtet, verabscheut und mißhandelt. Aber es tut ihm wohl, daß es auch solche gibt, die anders von ihm denken und anders mit ihm umgehen. Da ist zum Beispiel diese Frau: Was seine Feinde und Mörder ihm huldig bleiben, das empfängt er von dieser Frau! Das ist eine große Wohltat und ein starker Trost für einen Angefochtenen. Man muß Verständnis haben für die, die mit Jesus anders umgehen als man selber, die eine andere Frömmigkeit haben und ihn anders verehren wollen.

Jesus macht auch deutlich: Die Königswürde wird nicht anders gewonnen als durch das Kreuz. Am Palmsonntag zog der in Jerusalem ein, der in den nächsten Tagen einen ganz schrecklichen Tod erleiden wird. Doch der Tod kann sein Königtum nicht zunichtemachen.

Im Gegenteil: erst durch den Tod kann er König werden. Sein Reich entsteht nicht durch Unterwerfung und Machteinsatz, sondern weil Jesus sich selbst hingegeben hat und dadurch Menschen im Innersten gewinnt.

In diesem Sinne haben auch die Anhänger Martin Luther Kings versucht, ihre Umwelt zu verändern. Man spuckte sie an, bewarf sie mit Schmutz, man schlug auf sie ein. Aber keiner von ihnen gab die Schläge zurück. Natürlich litten sie darunter, aber sie ließen sich nicht zur Gewalt hinreißen. Martin Luther King bezeichnete sogar die weißen Fanatiker als seine „armen, weißen Brüder“. Er war ganz und gar ohne Haß.

Die Kraft zu einer solchen Haltung kam von Jesus. Er hat durch seine Teilnahme am Leiden der Menschen unser Leiden erträglich gemacht. So hat Jesus Menschen dafür gewonnen, in seinem Sinne zu leben und zu handeln. Es war eine kostspielige Weise, die ihn das Leben gekostet hat. Aber Jesus wußte, warum er diesen Weg ging und gehen mußte.

 

 

Mk 14, 17 - 26 (Gründonnerstag): 

Viele Christen empfinden das Abendmahl immer noch als etwas Ernstes und Trauriges. Sie meinen, man müsse unbedingt schwarze Kleidung dazu tragen und ein feierliches Gesicht dazu aufsetzen. Ein Pfarrer hatte ich einmal vergessen, das Abendmahl schon am Sonntag vorher anzukündigen. Da sagten die Kirchenvorsteher: „Jetzt können wir nicht zum Abendmahl gehen, wir sind nicht schwarz angezogen!“ Der Pfarrer hat dann extra etwas dazu gesagt, denn auf die Kleidung kommt es ja wirklich nicht an, sondern auf die innere Haltung, mit der man zum Mahl des Herrn geht. Die Gemeinde hat das dann akzeptiert.

Andererseits ist es auch wieder nicht richtig, wenn junge Leute zum Abendmahl ihre ältesten Kleider hervorsuchen und dann mit angerissenem Jeans-Anzug zum Abendmahl kommen. Viel­leicht wollen sie damit die älteren Leute ärgern, die es noch anders gewohnt sind.

Oder sie wollen zeigen, wie fortschrittlich sie sind, nicht an überliefertes Herkommen gebunden. Wenn sie aber ins Theater gehen, dann ziehen sie sich ja auch besser an.  Es hat schon etwas für sich, wenn man die Ehrerbietung gegenüber dem Herrn auch im Äußeren zum Ausdruck bringt.

Aber nicht urbedingt erforderlich ist ein sauertöpfisches Gesicht. Das mag damit zusammenhängen, daß früher das Abendmahl immer mit der Beichte verbunden war. Es mag aber auch seinen Grund darin haben, daß das Abendmahl ja auf das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern zurückgeht- und dieses war ja ein Abschiedsmahl.

Ein Abschied ist ja meist etwas Trauriges, denn man weiß ja nie, ob man sich wiedersehen wird. Bei Jesus kommt zusätzlich hinzu, daß ausgerechnet einer seiner Jünger ihn an seine Feinde verraten hat. Jesus hat Sünder an seinen Tisch gezogen, und sie haben auch in seiner Gemeinschaft nicht aufgehört, Sünder zu sein. Seine Gemeinde besteht nicht aus vollkommenen Heiligen. Jeder könnte treulos und abtrünnig werden, jeder hat das Zeug dazu, ein Judas zu sein. Aber mit gerade solchen Leuten hält Jesus Gemeinschaft - bis heute.

Nach Gottes Heilsplan war der Verrat natürlich nötig. Einer mußte es eben sein, der Jesus verriet. Es ging alles nach Gottes Plan. Aber ein Mensch mußte darüber schuldig werden Jesus bedauert diesen Menschen. Aber seine Verantwortlichkeit war nicht dadurch aufgehoben, daß Gott ja den Tod seines Sohnes gewollt hat.

Jesus weiß genau: Er muß jetzt fortgehen, er wird dem Seinen genommen. Damit werden sie alles entbehren, was sie an ihm hatten: das neue Leben, die Vergebung, die Hoffnung, die Gemeinschaft mit ihm und auch untereinander. Mit Jesus verlieren sie alles.

Auf diesem Hintergrund geschieht nun die Einsetzung des Abendmahls. Als durch Verrat die Gemeinschaft der Jünger zerbricht, begründet Jesus eine neue Art der Gemeinschaft, die auch in Zukunft mit ihm möglich sein soll. Er schenkt nicht nur die Vergebung und ein neues Miteinander seiner Leute, sondern er schenkt vor allem sich selbst. Wenn er jetzt auch von ihnen genommen wird, so wird er ihnen doch auf eine neue Weise gegeben. Und das nicht nur den Jüngern und der ersten Gemeinde, sondern seiner Gemeinde zu allen Zeiten.

Jesus hat die Menschen immer schon in ihrer Leibhaftigkeit ernst genommen. So gibt er sich ihnen auch mit etwas Leibhaftem: Im Brot und im Wein. W i e  er sich mit diesen Gegenständen verbindet, das bleibt sein Geheimnis, das wir auf sich beruhen lassen können. Aber  d a ß er sich mit Brot und Wein verbindet, dafür können wir ihm nur danken.

Wenn Menschen einander liebhaben, dann genügt es ihren auch nicht, wenn sie durch Briefe oder Telefongespräche miteinander verbunden sind. Sie wollen sich sehen, die Hände fassen und einander in die Arme schließen können. So kann es auch heute immer wieder zu neuer Begegnung mit Jesus kommen. Wir müssen uns nicht mit Erinnerungen zufriedengeben, die zudem noch die Erinnerungen anderer Leute sind.  Jesus kommt auf neue Weise zu uns und gibt sich uns.

Deshalb sagen wir beim Abendmahl: „Das ist mein Leib!“ und nicht: „Das bedeutet mein Leib!“ Natürlich sehen wir nur Brot und Wein vor uns, und beides verwandelt sich auch nicht in etwas anderes. Aber indem wir essen und trinken, erhalten wir Anteil an seinem Opfer. Es ist ja stellvertretend für uns erfolgt, aber auch in Parteinahme für uns. Er ist unser Anwalt und Fürsprecher. Er vergibt uns die Sünden, schenkt uns Gemeinschaft untereinander und die Freiheit zum Handeln und Wirken in der Welt.

Vor allem aber gibt er uns auch eine Hoffnung für die Zukunft. Die Jünger haben nach dem Tod Jesu nicht einfach mit der gewohnten Tischgemeinschaft weitergemacht. Nach Ostern war das Abendmahl etwas anderes geworden. Es blickt über unsre Zeit und  Welt hinaus: Es weist auf die Tischgemeinschalt im Reich Gottes. Das ist ja ein bekanntes Bild für die Ewigkeit Gottes: ein fröhliches Mahl, bei dem alle willkommen sind.

Mitten in der Dunkelheit des Verrats und der Stunde der ohnmächtigen Verlassenheit leuchtet etwas auf von der Freude und dem Jubel des Auferstehungstags. Das Mahl wird seine Fortsetzung finden im Reich Gottes, aber ohne Leid und Tränen. Der Tisch des himmlischen Vaterhauses steht an Gründonnerstag aber gewissermaßen schon auf der Erde und an ihm sammelt sich die Familie Gottes.

Sehr schön ist dieser Zusammenhang dargestellt auf einem Bild, das an der Stirnseite der Kirche im Diakonissenmutterhaus Dresden gemalt ist. Im Mutterhaus wird das Abendmahlsbrot hergestellt, das wir im Gottesdienst verwenden; deshalb paßt ein Abendmahlsbild gut dort hin. Man sieht Jesus im Kreise seiner Jünger am Tisch sitzen. Im Hintergrund sind Engel zu sehen als Sinnbilder der Gemeinde vergangener Zeiten, die im Himmeln am Abendmahl Jesu teilnimmt. Die eine Seite des Tisches aber ist freigelassen. Dort steht der Altar der Kirche. Wer an diesen Altar tritt, der kommt damit also gewissermaßen zum Tisch Jesu und ist Teilnehmer an seiner Mahlzeit. Der Altar in der Kirche ist im Grunde ein Stück Himmel, er bringt uns in Verbindung mit dem erhöhten Christus und mit seiner Gemeinde aller Zeiten.

Es gibt heute allerdings auch ein etwas anderes Verständnis des Abendmahls. Da betont man mehr die Tischgemeinschaft untereinander. Unsre Abendmahlsfeiern sind ja meist zu sehr auf der Einzelnen bezogen: Man geht in verkrampfter Andacht versunken zum Altar und würdigt den Mitchristen keines Blickes, so als kenne man ihr nicht. Deswegen will man in manchen Gemeinden wieder mehr menschliche Tuchfühlung schaffen.

Aber die Gefahr besteht doch, daß man dann nicht mehr auf den gegenwärtigen Herrn aus ist, sondern auf die anwesenden Brüder und Schwestern. Man sieht dann nicht mehr die Senkrechte, sondern die Waagrechte. Und je mehr man sich die Art des Umgangs Jesu mit den Menschen selber aneignet, desto mehr meint man dann auf den Herrn selber verzichten zu können.

Doch in Wahrheit ist Jesus ja der Gastgeber. Er lädt ein, bewirtet auch. Er nimmt die Sünder an, wir empfangen seine unverdiente Güte. Nur weil wir mit Jesus Verbindung haben, können wir auch eine Verbindung zu den Mitmenschen finden. In dem anderen ist ja auch der auferstandene Christus. Das verbindet uns letztlich, trotz aller unguten Erfahrungen mit­einander gemacht haben, trotz aller Enttäuschungen, die wir einander bereitet haben.

Es ist sicher gut, wenn wir den Gemeinschaftscharakter des Abendmahls mehr herausstellen. Auch könnte es durchaus etwas lockerer und fröhlicher dabei zugehen. Unsre älteren Gemeindeglieder werden sich vielleicht etwas dabei umstellen müssen, denn sie haben es ja

noch anders gelernt und erlebt. Aber vergessen dürfen wir nie, daß es ja das Mahl des Herrn ist, der sich auf ewige Zeiten mit diesem Mail verbunden hat, in der Nacht, da er verraten ward.

 

 

 

Mk 16, 1 - 8 (Ostern I, Variante 1):

Uns ist diese Erzählung bekannt. Man lese sie aber einmal Menschen vor, die keine christliche Tradition haben. Die werden doch sofort sagen: „Das gibt es doch nicht, das ist unmöglich. Einer, der schon zwei Tage lang mausetot war, kann nicht wieder lebendig werden! So etwas ist doch alles Schwindel!“

Man kann darauf mit der frommen Antwort entgegnen: „Bei Jesus ist das etwas anderes. Er war doch Gottes Sohn. Gott hat ihr wieder auferweckt, Gott kann das doch!“ Aber damit wird sich heute kaum einer noch zufriedengeben. Und seien wir einmal ehrlich: Wir sind

zwar Christen und an Ostern erwarten wir auch eine solche Botschaft. Aber wir haben doch auch unser Fragen. Doch das kann nur gut sein. Nur wer fragt, erhält auch Antwort.

Und so wollen wir uns immer wieder neu um diese alte Botschaft bemühen. An diesem Predigttext sind drei Punkte wichtig: Jesus ist nicht im Grab! Jesus ist mitten in der Welt! Jesus ist uns voraus!

 

(1.) Jesus ist nicht im Grab! Die Menschen einer vergangenen Zeit hatten ein anderes Wirklichkeitsverständnis als wir. Für sie war der kleine Grenzverkehr zwischen der göttlichen und der irdischen Welt kein Problem. Sie konnten ganz unbefangen vor einer Menschwerdung Gottes oder von seiner Himmelfahrt reden, auch wenn sie natürlich wußten, daß dabei niemand wie von einer Rakete angetrieben in die Luft saust.

Seit der Aufklärungszeit vor 200 Jahren haben wir es verlernt, hinter solchen naiven Geschichten noch die eigentliche Wahrheit zu entdecken, die damit ausgedrückt werden sollte. Für uns ist es einfach undenkbar geworden, daß ein Toter noch hinterher irgendwelche Wirkungen auf die Lebenden haben kann.

Wir wissen eben zu genau, daß ein Toter in der Erde verwest und nach 30 oder 50 Jahren ist nichts mehr von ihm da. Viele wollen sich da damit helfen, daß sie von der „Seele“ sprechen. Aber alle Ostererzählungen sprechen doch davon, daß die Jünger den ganzen Jesus gesehen haben und nicht nur so etwas wie eine Seele. Was sollen wir uns überhaupt darunter vorstellen?

Ausgangspunkt für den Osterglauben waren allein die Erscheinungen Jesu vor den Jüngern. Paulus zum Beispiel ist ihm vor Damaskus begegnet und ist daraufhin ein Christ geworden. Die Erzählung vom leeren Grab hat er wahrscheinlich nicht gekannt, denn er erwähnt sie nirgends. Dennoch hat er natürlich an die Auferstehung geglaubt und erwähnt sie ausdrücklich in seinem Glaubensbekenntnis in 1. Korinther 15.

Man kann also auch an die Auferstehung glauben, ohne die Vorstellung vom leeren Grab dabei zu haben. Wir glauben aber nicht an das leere Grab, sondern an den auferstandenen Jesus. Nur wer weiß, daß Jesus lebt, dem ist die Erzählung vom leeren Grab eine zusätzliche Stütze für seinen Glauben. Aber ohne diesen Glauben kann man nur mit Kopfschütteln über eine solche Geschichte hinweggehen.

 

 (2.) Jesus ist mitten in der Welt! Entscheidend für unsern Glauben ist allein: Man kann Jesus auch heute begegnen. Aber dazu muß man sich nicht nach Jerusalem aufmachen, um ihn dort in der Nähe des leeren Grabes zu suchen. Inmitten in unserer Welt können wir ihm begegnen. Jesus ist nicht im Grab, sondern mitten in unserm Leben gegenwärtig. In anderen Religionen spielt das Grab eine große Rolle. Bei den Ägyptern baute man ja sogar die riesigen Pyramiden als Grabkammern für die Gottkönige. Das Grab sollte dem Toten eine gewisse Ewigkeit verleihen. Solange man das Grab hatte, war er noch mitten unter seinen Verwandten und unter seinem Volk. Durch das Grab konnte man noch über den Toten verfügen.

Denken wir auch daran, welche Rolle das Grab bei uns heute spielt. Viele sind am heutigen Tag schon an einem Grab gewesen oder wollen noch hingehen. Wir fragen gar nicht: „Wer wälzt uns den Stein?“ Unsere Grabsteine sind festgefügt und Zeichen für etwas Endgültiges. Wir wollen Erinnerungen pflegen und dem Tod noch ein Stück Leben abringen. Wenn man an das Grab eines Angehörigen tritt, dann nimmt man sozusagen noch einmal Verbindung mit ihm auf. Er ist noch nicht in zu weite Ferne gerückt und meint auch, noch mit ihm sprechen zu können. Das ist alles menschlich gesehen sehr verständlich. Aber vom christlichen Glauben her ist das nicht nötig. Wenn wir fest an die Auferstehung der Toten glauben, dann sind wir an kein Grab gebunden.

Als ein Vater gestorben war, sagte die Mutter zu dem Kind: „Der Vater ist jetzt im Himmel!“

Das Kind dachte dabei aber gar nicht an irgendein Grab auf dem Friedhof, sondern es schaute zu dem kleinen Stück Himmel, das man vom Küchenfenster aus sehen konnte, und dachte in meiner kindlichen Vorstellung: Dort ist er nun und sieht auf uns herab. Am Grab hängt es also nicht. Und vielleicht begreifen gerade die Kinder und primitive Leute am ehesten, was Auferstehung ist.

Es gab aber auch in der Kirche einen Kult um das Grab Jesu, obwohl niemand weiß, wo es tatsächlich ist. Aber wegen dieses Grabes hat man die Kreuzzüge unternommen. Man hat eine Kirche gebaut, die heute eine Attraktion für die Touristen ist, gerade in der Osterzeit. Aber

Jesus läßt sich nicht in ein Grab oder in eine Kirche einfangen. Jesus ist anders als die Pharaonen Ägyptens. Wir predigen nicht das leere Grab, sondern den auferstandenen Jesus Christus. 

„Galiläa“ war für die Juden das Land der Heiden. Dort, mitten in der weltlichen Welt, wird ihnen Jesus begegnen, so wie er uns heute in unserer technisierten und weitgehend gottlosen Welt begegnet. Jesus ist mitten drin in der harten täglichen Arbeit, im Genuß und im einfachen Leben, im Elend und in der Beschaulichkeit, in Liebe und in Tod. Da werden wir ihn sehen.

Doch erst wer von ihm gehört hat, wird ihn auch sehen - nicht mit den Augen sehen, aber mit dem Herzen. Das Entscheidende an Ostern ist die Botschaft und nicht, daß man die Aufer­stehung mit eigenen Augen sehen kann. Davon wird nirgends im Neuen Testament erzählt; nur die Auswirkungen des Osterereignisses werden deutlich und die Osterbotschaft wird weitergesagt.

 

(3. ) Jesus ist uns voraus! Galiläa war nur die erste Station Jesu. So wie Gott in der Mosezeit seinem Volk voran zog, so ist Jesus vorangezogen in die griechische, römische, germanische, slawische, angelsächsische und afro-asiatische Welt. Er ist auch vorangeschritten in die Welt der Neuzeit, der Wissenschaften und der Revolutionen. Und heute ist er jetzt bei uns, das ist das Wichtigste.

Wo begegnet der Auferstandene uns heute? Er begegnet uns nicht im Auf und Ab der Weltgeschichte. Und schon gar nicht begegnet er uns im Werden und Vergehen der Natur. Viele sehen in Ostern doch nur das große Frühlingsfest, an dem man alle Jahre wieder das große Wunder der Auferstehung der Natur erleben kann. Das Wichtigste an Ostern ist nicht der Osterspaziergang, sondern der Osterkirchgang. Nur dort können wir dem Auferstandenen begegnen. In seinem Wort, in Taufe und Abendmahl und in dem Mitchristen neben uns ist er bei uns. Schon wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da finden wir seine Kraft und seine Hilfe, die sich dann auch in unserm Leben auswirkt.

 

Von der Auferstehung Jesu damals in Jerusalem habe ich doch noch nichts. Sie ist aber die Voraussetzung für unser eigene Auferstehung. Durch Taufe und Abendmahl werden' wir in dieses Auferstehungsgeschehen mit hineingenommen. Andererseits ist die Auferstehung

erst etwas Zukünftiges, sie ist uns erst für die Zeit nach unserm Tod verheißen.

Aber wir werden auch nicht einfach auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertröstet. Die Auferstehung wirkt schon in unsere Gegenwart hinein, so daß wir leben können, als wären wir schon Neugeborene. Auferstehung ist etwas Vergangenes (was Jesus anbetrifft) und etwas Zukünftiges (was uns anbetrifft). Aber sie ist vor allem auch Gegenwart, nämlich die Hoffnung, die jetzt schon unser Leben bestimmt.

Wenn ein Mensch ganz neu wird, wenn er Gott gehorsam wird und seinem Mitmenschen Liebe erweist, dann beginnt die Auferstehung schon wirksam an uns zu werden. Jesus ist uns dabei immer schon voraus. Er will uns hinter sich herziehen der Zukunft bei Gott entgegen.

Jesus ermächtigt uns, an der Gestaltung der neuen Zeit mitzuwirken. Aber am Ende aller Zeit, da werden wir zu i h m kommen und mit dem Auferstandenen vereint sein.

 

 

 

Anspiel zu Ostern - statt einer Predigt (Variante 2)

 

Dorothea: Verlesung des Predigttextes Mk 16, 1- 8

Lied: „Antwort auf alle Fragen gibt uns dein Wort“

 

Gunter: Ihr singt hier so unbekümmert: „Antwort auf alle Fragen gibt uns dein Wort“. Dabei stellt dieses Wort uns doch nur neue Fragen. Dorothea hat da eben die Geschichte von der Auferstehung Jesu vorgelesen. Aber ich habe noch niemanden wieder lebendig werden sehen, der schon zwei Tage mausetot war.

 

Uta: Aber bei Jesus ist das doch etwas anderes. Der war doch Gottes Sohn. Deshalb hat ihn halt Gott wieder auferweckt. Gott kann das doch!

Dorothea: Aber was nützt das mir? Daß dieser Jesus auferstanden ist, kann mir doch egal sein. Ich will wissen, ob i c h einmal auferstehen werde. Ich will wissen, was mit mir geschieht, wenn ich einmal gestorben bin. Was soll das Leben denn für einen Sinn haben, wenn nachher nichts mehr kommt?

 

Elke: Aber es sieht doch ganz so aus, als käme wirklich nichts mehr. Der tote Mensch wird in die Erde gelegt und verwest und nach 30 oder 50 Jahren ist nichts mehr von ihm da.

Margitta: Aber die Seele kommt doch in den Himmel. Sie haben Jesus begraben wie andere auch, aber seine Seele ist bei Gott.

 

Pfarrer: Ja, so könnte man denken, wenn man liest, was Paulus über die Auferstehung Jesu sagt. Er meint im 2. Korintherbrief in Kapitel 5: „Der alte Leib wird zerbrochen und wir erhalten alle einen neuen Leib von Gott!“ Also käme die Seele in den Himmel und kriegt auch einen neuen Leib.

Ursel: Es fällt mir ein, was neulich einmal ein Arzt gesagt hat. Ein Kranker hatte ihn gefragt, ob mit dem Tode alles aus ist. Da hat er geantwortet: „Gott hat uns in der Geburt erschaffen. Warum sollte er uns nicht noch einmal einen neuen Leib geben können?“

Gunter: Wenn ich recht verstanden habe, meint ihr jetzt: Der Mensch kommt zu Gott und wird von ihm mit einem neuen Leib umgeben. Der alte Leib bleibt also im Grab liegen. Aber Gott kann dennoch einen Menschen auferwecken, er ist nicht an unsern irdischen Körper gebunden.

Pfarrer: Ja, Paulus erwähnt an keiner Stelle das leere Grab Jesu. In 1. Korinther 15 hat er einmal die Hauptpunkte des Evangeliums zusammengefaßt. Und da sagt er nur: „….gestorben und begraben, auferstanden und gesehen worden“ - so ähnlich wie in unserm Glaubensbekenntnis. Wahrscheinlich hat Paulus die Erzählung vom leeren Grab gar nicht gekannt. Aber er hat doch an die Auferstehung Jesu geglaubt, weil er dem auferstandenen Jesus selber begegnet war, damals vor Damaskus.

 

Heidi: Vielleicht sehen wir uns den Predigttext aus Markus 16 noch einmal genauer an. Der wichtigste Vers ist doch wohl der Vers 6: Der Engel verkündet den Frauen: „Jesus ist auferstanden!“ Das ist die Hauptsache, das sollen sie jetzt glauben. Nur ergänzend zeigt der Engel auf die Stelle, wo Jesus gelegen hat. Aber die Frauen hätten dem Engel auch geglaubt, wenn der Leichnam noch dagelegen hätte. Und wir würden es heute auch noch glauben. Vielleicht sogar noch eher glauben, wenn wir nicht an diese Geschichte vom leeren Grab glauben wollen. Hauptsache ist doch: Die Seele ist im Himmel!

 

Margot: Ihr immer mit eurer Seele. Hast du denn eine? (zu Heidi): Ich habe noch keine gesehen. Und was nützt es mir denn, wenn so ein Stück von mir zu Gott kommt. Ich will wissen, ob wir so wie wir hier sind, in den Himmel kommen - ob ich zum Beispiel meine Verwandten wiedersehe?

 

Pfarrer: Paulus sagt in dem schon erwähnten Kapitel 1. Korinther 15: „Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht ererben!“ Das ist hart, aber sicher richtig: Unser irdischer Körper wird einmal zerfallen und so wie heute nie wiedererstehen. Und eine „Seele“ - wie wir das immer verstehen, gibt es nicht. Mit Seele ist etwas anderes gemeint als ein Körperorgan, Seele ist der ganze Mensch, das Wesen des Menschen, seine Person, mit der er schon immer Kontakt hat zu Gott. Darauf kommt es an: daß wir schon in unserm Leben Verbindung haben zu Gott. Dann wird er auch nach unserm Tode mit uns in Verbindung bleiben, so wie er mit Jesus in Verbindung blieb, auch nach der Kreuzigung. Die Geschichte Jesu Christi hat nicht mit dem Tod ein Ende gefunden. Mit Ostern beginnt sie erst eigentlich. Er lebt!

 

Elke: und für uns beginnt mit Ostern auch jedes Jahr etwas Neues. Ostern - das Fest des Frühlings - wo in der Natur alles grünt und blüht….das ist doch Auferstehung! Alle Jahre wieder erleben wir dieses große Wunder. Und wir haben als Menschen auch immer wieder daran teil.

 

Dorothea: Nun aber einmal langsam. Ostern ist nicht das Fest des Frühlings, sondern das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Und wir erleben auch nicht jedes Jahr eine Auferstehung, sondern nur einmal. Aber das liegt noch in ferner Zukunft irgendwann einmal nach unserm Tod, in Tausenden oder Millionen oder auch Milliarden von Jahren wird Gott uns wieder auferwecken.

 

Elke: Dann werden wir also doch auf eine bessere Zukunft vertröstet. Was nützt mir das aber heute? Ich denke. Die Auferstehung Jesu und unser Auferstehung müßten doch eine Auswirkung auf unser Leben heute haben. Ich meine: Auferstehung geschieht schon jetzt, wenn ein Mensch neu wird, wenn er Gott gehorsam wird und seinen Mitmenschen Liebe erweist. Das ist Auferstehung, jetzt und hier in unserm irdischen Leben! Was nach dem Tode kommt, kann mir ja egal sein.

 

Margot: Hat diese Ansicht, daß Auferstehung schon jetzt geschieht, nicht auch etwas mit dem Abendmahl zu tu? Das Abendmahl ist doch auch ein Geschenk Gottes, das den Menschen ganz neu machen will, das ihm Kraft und Stärkung geben will für sein Leben und für sein Sterben. Ist im Abendmahl nicht schon die Auferstehung für uns gegenwärtig?

 

Pfarrer: Das Abendmahl ist schon das Anrecht auf die Auferstehung. Allerdings nicht im Sinne einer Lebensversicherung, so als könnte überhaupt nichts mehr passieren, wenn man das Abendmahl erhalten hat. Man muß sicher immer beides miteinander sehen: Die Auferstehung wird uns erst in der Zukunft geschenkt. Aber das wirkt schon in die Gegenwart hinein, so daß wir leben können wie Neugeborene, als wären wir schon auferstanden. Aber es ist durchaus nicht gleichgültig, ob Jesus auferstanden ist oder nicht. Nur weil Gott ihn nicht im Tod gelassen hat, haben wir überhaupt die Gewißheit der Auferstehung.

 

 

 

Mk 16, 9 - 20 (Quasimodogeniti, Variante 1):

Der heutige Sonntag will uns an die Taufe erinnern. Er spricht mit seinem komplizierten Namen von den Neugeborenen, von denen also, die durch die Taufe neue Menschen geworden sind, erst richtige Menschen geworden sind. Er heißt auch „weißer Sonntag“, weil an diesem Tag in der alten Kirche die zu Ostern Getauften noch einmal ihre weißen Kleider im Gottesdienst anzogen.

Auch für uns ist es immer gut, an die Taufe erinnert zu werden. Wer von uns weiß wohl seinen Tauftag und seinen Taufspruch? Den Konfirmationsspruch weiß man eher, weil man das alles bewußt miterlebt hat.

Es gibt auch Paten, die schenken ihrem Patenkind zum Geburtstag nur eine Glückwunschkarte, aber am Tauftag ein richtiges Geschenk. Das ist eine prima Idee, weil so der Tauftag das gleiche Gewicht erhält wie der Geburtstag und besser im Gedächtnis bleibt. Dem gleichen Zweck dient auch der Brauch, dem Täufling eine Taufkerze am Tauftag zu schenken, die dann jeweils am Tauftag wieder angezündet werden soll.

Aber die Verkündigung der frohen Botschaft und die Taufe von Menschen kenn es nur geben, weil Christus auferstanden ist. Nur weil er auch heute Menschen durch seine Gegenwart erfaßt und verwandelt, können Menschen neu werden. Ohne Ostern gäbe es kein Pfingsten und auch kein Weihnachten und natürlich auch keine Kirche. Anfangs waren die Jünger ungläubig, verloren und unfähig. Aber Jesus hat sie in seinen Dienst gestellt und hat sie zu seinen Boten gemacht, hat sie gerettet und beglaubigt.

 

1.Ungläubige werden zu Boten: Den ersten Zeugen der Auferstehung haben selbst die Jünger nicht geglaubt. Wie sollten sie auch! Sie waren mit keiner Silbe auf so eine Wende gefaßt. Und selbst wir, die wir die Botschaft von der Auferstehung schon gehört haben, schütteln im Grunde ungläubig mit dem Kopf.

Die Konfirmanden natürlich wissen die richtige Antwort, wenn man sie danach fragt. Sie wissen halt, was der Pfarrer hören will, und tun ihm den Gefallen. Das ist ja heute so üblich, daß man jedem nach dem Munde redet, um allen Diskussionen und Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Aber ist dieses Wissen wirklich unser Halt, wenn wir den Tod in unsrer Umgebung erleben oder wenn wir gar an unsren eigenen Tod denken?

Eine alte Frau, die geistig nicht mehr so ganz klar war und nicht mitkriegte, daß ich der Pfarrer sie besuchte: „Was nachher kommt, das wissen wir nicht!“ So hat sie in ihrem Inneren gedacht. Aber das hätte sie sicher nicht gesagt, wenn sie bei klarem Verstand gewesen wäre. Oder da hat der Pfarrer mit einer Familie aus Anlaß eines Trauerfalles gesprochen. Vor allem bei der Trauerfeier wurde von der christlichen Auferstehungshoffnung gesprochen. Aber dann hört er von Nachbarn, daß die Leute von dem allen überhaupt nichts halten.

Unglaube gibt es auch bei uns, auch bei denen, die sich zur Gemeinde zählen. Es mag tröstlich sein, daß selbst die Jünger nicht davon frei waren. Ihr eigener Unglaube mußte erst einmal überwunden werden, ehe Ostern werden konnte. Aber Apostel, die nicht zweifelten, könnten uns nur entmutigen. Es ist gut, daß dieser Unglaube nicht verschwiegen wird. Das ist übrigens ein Zeichen dafür, daß die biblischen Geschichten nicht erfunden sind, sondern auf wirkliche Begebenheiten zurückgehen.

Das ist gerade die frohe Botschaft: Menschliches Versagen und Unvermögen sind für Christus kein Anlaß, die Menschen aufzugeben. Der Herr kann trotz allen Tadels mit solchen Ungläubigen etwas anfangen. Er macht sogar gerade aus ihnen seine Boten. Also kann er auch uns gebrauchen.

Alle Erscheinungen des Auferstandenen vor den Aposteln laufen auf die Beauftragung und Sendung hinaus. Wer Christus als den himmlischen Herrn erfahren hat, der ist auch vor ihm in die Welt geschickt. Das Wort „Apostel“ bedeutet ja „Abgesandter, Losgeschickter, In-Marsch-Gesetzter". Er ist nicht nur ein Bote, der eine Botschaft unauffällig überbringt, sondern mehr ein Herold, der etwas in die Öffentlichkeit hinein proklamiert, den Willen eines Regierenden kundtut und damit in Kraft setzt. Nicht die Lautstärke macht es dabei, sondern die Gültigkeit und Verbindlichkeit des Bekanntgegebenen.

Deshalb hat die Kirche auch bis heute eine moralische Autorität. Das gilt in besonderer Weise für den Papst, aber auch für unsere Kirche. Im Grundgesetz steht, daß die Kirche zu den Lebensfragen der Nation Stellung nehmen darf. Und auch wenn nicht mehr drinstünde - selbst in der ersten DDR-Verfassung stand es noch - würde sie sich doch das Recht dazu nehmen, zu diesem Wächteramt ist sie von Gott beauftragt.

Doch was die Kirche zu sagen hat, ist nicht ein unverbindlicher Beitrag zu irgendeinem Gespräch, nicht eine private Meinungsäußerung eines an religiösen und moralischen Fragen Interessierten, auch nicht die Mitteilung von Erfahrungen und Stimmungen. Die Kirche ist nicht eine Bewegung, die für eine Idee kämpft, keine Sammlung von Menschen zur Anregung eines neuen Wollens unter den Menschen, sie will nicht ein vielversprechendes Weltprogramm durchsetzen. Es geht nicht einmal um die bessere und „höhere“ Religion - es geht allein um den auferstandenen Herrn.

Es ist gut, daß die große Sendungsszene am Schluß des Markusevangeliums mit dem peinlichen Eingeständnis des Unglaubens der Jünger eingeleitet wird. Dieser Schluß stammt ja nicht von Markus selbst, stimmt aber mit seinem Evangelium überein. Der Verfasser hat sehr gut verstanden: Jede Predigt wäre des Allzumenschlichen verdächtig, wenn sie nur aus der Glaubensstärke, aus Unerschütterlichkeit und Überzeugtheit herauskäme. Unsere Vollmacht beruht in guten Zeiten nicht auf der Stärke unseres eigenen Herzens und kann deshalb auch in schlechten Zeiten durch eine Schwäche und Verirrtheit nicht gestört werden.

 

2. Verlorene werden zu Geretteten: Die Kirche wird in die Welt gesandt. Das fordert der auferstandene Herr von ihr. Dem entspricht auf der irdischen Seite die Rettungsbedürftigkeit der Menschen. Das Christwerden dient den Menschen nicht nur zur seelischen Befriedigung oder religiösen Überhöhung oder frommen -Ausschmückung des Lebens oder zur geistigen Bereicherung. Wenn es so wäre, könnte man es bald vergessen.

Es geht vielmehr um Rettung. Den Passagieren eines in Seenot geratenen Schiffes oder den Bewohnern eines brennenden Hauses geht es nicht um die Steigerung ihrer seelischen Kapazitäten, sondern sie wollen aus ihrer verzweifelten Lage herausgeholt werden. Sie haben so etwas wie Herzkranzverengung und brauchen die Weite der Möglichkeiten Gottes, die uns durch den Auferstandenen entgegentreten.

Es gibt auch heute genug Leute, die Leid tragen und weinen, vielleicht auch unter uns. Wer sollte ihnen Trost geben und die Tränen abwischen, wenn nicht wir. Und wenn wir selber Ermutigung brauchen, wer könnte uns da besseren Trost schenken als der, der durch Leiden und Sterben alle Not der Menschen durchlitten hat. Das kann uns auch helfen gegen die anderen Plagegeister unseres Lebens, die uns das Herz abdrücken: Streitsucht, Neid, Habgier, Hetze, Unruhe, Sorgen.

Die Welt soll aber wieder ihrem Schöpfer gehören. Die Menschen sollen wieder unbefangen vor ihrem Gott und für ihn leben können. Das wird möglich, weil das in die Welt hineingerufene Wort Gottes Glauben weckt. Es will uns Lust zum Glauben machen, aber auch zur Stellungnahme nötigen. Zwar wird keinem die Pistole auf die Brust gesetzt, aber es wird doch vor einem gedankenlosen Aufschub gewarnt.

Jesus erwartet Nachfolge. Wer an ihn glaubt, hört auf ihn und vertraut sich ihm an, verläßt sich auf seine Barmherzigkeit und gewährt anderen Barmherzigkeit. Wer Glaube sagt, der sagt aber auch sofort Taufe, das gehört zusammen. Aus der Reihenfolge „glauben und getauft werden“ muß man nicht unbedingt schließen, erst müsse ein bewußter und entschiedener Glaube da sein, ehe es zur Taufe kommen kann. Die Taufe ist ja nicht ein Bekenntnisakt des Menschen, sondern sie ist Tat Gottes.

Christus ist vor uns geboren und auferstanden. Er hat sich uns auch zugewendet und ist unserem Begreifen und Glauben zuvorgekommen. Man kann das ablehnen, was Gott in der Teufe an uns getan hat. Man kann von dem rettenden Schiff wieder abspringen, aber zum eigenen Verderben. Doch daß ich auf dem Schiff bin, das hat Gott gemacht. Zwar nehmen Menschen die Taufe vor, aber der eigentliche Täufer ist Gott. Unser Glaube ist ein Leben lang damit beschäftigt, das anzunehmen, was Gott an uns getan hat und dem entgegenzuwachsen, was Gott schon für uns bereitgelegt hat. So werden wir aus Verlorenen zu Geretteten.

 

3. Aus Unfähigen werden Beglaubigte: Wohin die Boten mit dem Wort und der Taufe kommen, da geschieht etwas. Zwar gibt es auch viel Versagen in der Kirche, aber auch die „mit­folgenden Zeichen“, wie es hier bei Markus heißt. Zwar schaffen die Zeichen nicht den Glauben; aber sie machen ihn fest, jedenfalls für den, der schon zum Glauben gekommen ist. Da lehrt der Geist Gottes die Menschen, in himmlischer Sprache zu reden. Auf wunderbare Weise werden sie geschützt vor Gift und Schlangen, durch Handauflegung werden Kranke heil.

Wir registrieren schnell die Fälle ,in denen Gottes Hilfe scheinbar ausblieb. Aber wir bemerken oft nicht, was er täglich abwendet und in Ordnung bringt. Es gibt viel Behütung und Durchhilfe, auch wenn viele der hier Ausgesandten nachher den Tod für Christus gestorben sind. Wir müßten nur bereiter sein, auf das zu achten, was Christus tut, vor allem durch andere Menschen wirkt in seinen Boten. Was schwach ist, das macht Christus erst brauchbar. Anders könnte sich die Kirche nicht in die Welt hineinwagen.

 

 

Mk 16, 9 - 20 (Quasimodogeniti, Variante 2, von Markus Heckert):

Letzte Woche hatte ich wieder so einen Anruf: Es klingelt, ich hebe ab und es flötet eine an-

 genehme Stimme: „Hallo, Herr Heckert, ich gratuliere Ihnen, daß Sie abgehoben haben. Nun wird alles gut. Ich werde ihnen helfen, ich will nur Ihr Bestes!“ Ich weiß bis heute nicht, was die Dame genau gemeint hat, denn reflexmäßig hatte ich sofort nach dem letzten Satz aufgelegt.

Eigentliche eine unklare Reaktion. Da sagt jemand zu mir: „Ich will Ihr Bestes“ und ich lege panikartig den Hörer auf. Es wäre schwierig, das jemanden zu erklären, der keine Ahnung hat. Aber Sie werden wohl alle meine Handlungsweise verstehen und hätten es vermutlich genauso gemacht.

„Ich will doch nur ihr Bestes“, heutzutage ein gefährlicher Satz. Weil die, die das sagen, natürlich etwas ganz Bestimmtes meinen. Natürlich wollen sie in der Regel unser Bestes, und zwar für sich, und wir müssen aufpassen, daß sie es nicht bekommen. „Ich will dein Bestes“, das hat heute meist zu tun mit Geld, das uns aus der Tasche gezogen werden soll. Mich wundert es immer, daß dieser Spruch nicht auch auf dem Finanzamt hängt.

Vor hundert oder zweihundert Jahren wäre meine Reaktion wohl noch eine andere gewesen: Auf das Angebot: „Ich will dein Bestes“ hätte ich vermutlich erfreut gesagt: „Das ist aber schön, da freue ich mich, komm, wir reden gleich weiter. damit ich schnell an mein Bestes komme!“ Eigentlich schade, wie Begriffe sich ändern. weil sie mißbraucht werden. Eine ganze Industrie lebt davon, Begriffe zu mißbrauchen: die Werbung. Da werden positive Begriffe in Zusammenhang mit irgendwelchen Produkten gebracht, so daß wir dann diese Produkte automatisch auch positiv sehen.

Leider gibt es da für die Werbung ein Problem: Wenn man das ganze übertreibt, dann funktioniert das nicht mehr. Vor 25 Jahren, da gab es noch die Klementine, das reichte, um von der Qualität eines Waschmittels zu überzeugen. Heute, da sind die Tricks und Kniffe viel ausgefeilter und raffinierter. Und wie schützt man sich davor? Es geht uns doch allen so, man hört nicht mehr genau hin, schaltet ab, will seine Ruhe.

Das Ganze hat nur einen großen Nachteil: Was wäre denn, wenn es ausnahmsweise mal wirklich jemand ehrlich meinen wurde. Was wäre denn, wenn es an der Haustür klingelt und jemand mal wirklich unser Bestes wollte, uns etwas Gutes tun wollte und nicht nur wieder einen Staubsauger oder etwas anderes verkaufen wollte. Das können wir uns doch schon gar nicht mehr vorstellen. Ich denke jeder von uns würde nur einen neuen Vertreterkniff vermuten und erst recht nicht aufmachen.

Eigentlich tragisch, so eine Entwicklung, aber nicht mehr zu ändern. Immerhin, wir haben gerade im Predigttext gehört, das auch die Jünger vor 2000 Jahren erst mal ordentlich mißtrauisch waren. Immerhin, nachdem was sie da Karfreitag erlebt hatten, was sollte das Gerede. der Jesus wäre auferstanden. Da war eine Portion Mißtrauen sicher angebracht. Die Jünger sind skeptisch und erst als sie Jesus selber sehen, können sie sich nach und nach mit dem Gedanken anfreunden, es könne stimmen mit der Auferstehung.

Für mich ist das eine tröstliche Vorstellung, daß die Jünger auch erst einmal skeptisch waren. Sie haben genau nachgeschaut, waren nicht bereit, gleich alles zu glauben, sondern wollten es schon ganz genau wissen. Dadurch bekommt das, was sie uns berichten, seinen Wert. Hier geht es nicht zu wie auf der Werbe-Verkaufsveranstaltung, wo ausnahmslos alles bestens ist und nirgendwo der kleinste Makel zu finden ist.

Nein, hier, an dieser Stelle der Bibel, da werden zwei Dinge beschreiben: Das ist eine Niederlage. Die, die es eigentlich wissen müßten, die Jünger, die besten Freunde dieses Jesus, glauben es nicht, sind skeptisch. Ich bin froh, daß diese Niederlage nicht beschönigt wird, sondern daß sie dazugehört.

Und das andere, was hier beschrieben wird, ist ein Sieg, nicht irgendein Sieg, sondern der Sieg. Der Tod ist besiegt, diese Grenze ist gefallen. Aber wer würde es glauben, wenn er es auf Glanzpapier gedruckt und mit schönen Farben untermalt lesen könnte. Beides gehört zusammen: Zuversicht und Zweifel, Gewißheit und Unsicherheit. Nur wer weiß, was Zweifel ist, wer diesen zuläßt, der kann letzte Gewißheit haben.

Wenn Sie Ihr Leben betrachten, werden Sie Zeiten des Zweifels finden und Zeiten der Gewißheit. Beides gehört dazu zum Leben. Wohlgemerkt. beides. Wer nur zweifelt, an allem,

der ist ein armer Mensch ohne Halt. Wer aber sagt, daß er nie an etwas zweifelt, ist auch arm und allein.

Die Jünger damals haben gezweifelt, waren mißtrauisch, sind den Dingen auf den Grund gegangen. Das sollten wir heute auch. Nicht immer gleich abschalten oder auflegen, wie ich es gemacht habe bei dem Telefonanruf, denn das eine oder andere Angebot ist wirklich gut, hilft wirklich weiter. Anschauen und prüfen, das hilft und schützt davor, jeden Blödsinn mitzumachen, nur weil er gerade modern ist oder eine gute Werbung hat.

Christen haben da ein ganz besonders gutes Angebot, eines, das man wirklich weiter geben kann. Keines vom Wühltisch, keines aus dem Schlußverkauf. sondern das Angebot des Lebens. Die anderen versprechen manches über die Dinge, die sie verkaufen wollen. Christen haben nichts zu verkaufen. Christen haben etwas zu verschenken. Und das ist der Unter-

schied.

So wie Jesus uns gesagt hat: „Ich hab dich lieb - so wie du bist, ohne Gegenleistung, ohne Rechnung und ohne Trick!“ So dürfen wir es weitersagen, jedem Menschen, jeden Tag: Auch dich hat Jesus lieb, ohne Gegenleistung, ohne Trick und ohne Rechnung, die irgendwann kommt.

Das ist der große Unterschied zu jedem Vertreter: Christen müssen keinen anschmieren, denn sie haben nichts davon. Christen können das weitersagen, was sie erfahren haben, sie können abgeben. von dem, was ihnen geschenkt wurde. Zum Glück haben die Jünger dieses damals gemacht. trotz aller Zweifel, die am Anfang dabei waren. Sie haben Jesus gesehen, mit ihren eigenen Augen.

Wir können das heute nicht mehr. Aber wir können diesen Zeugen vertrauen, dem, was sie uns berichtet haben, denn sie haben die Wahrheit berichtet, eine Wahrheit, von der sie keinen

Nutzen hatten. Im Gegenteil, viele von ihnen wurden verurteilt, wurden hingerichtet oder ins Gefängnis geworfen. Und doch haben sie weiter berichtet von dem, was geschehen ist. Sie haben berichtet, was die Wahrheit ist: Die Frohe Botschaft, daß uns unsere Sünden vergeben werden und daß auch wir auferstehen werden von den Toten.

Jesus hat es uns vorgemacht, wir werden ihm folgen - dann einmal, wenn unsere Zeit hier abgelaufen ist. Und dies ist kein Sonderangebot, sondern es gilt immer, ohne wenn und aber - bis ans Ende der Welt.

 

 

 

 

 

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