Lukas

 

 

Lk 1, 26 - 33 und 38 (4. Advent, Andacht):

Katholiken kennen den Rosenkranz. Es ist eine Gebetsschnur mit Perlen zum Zählen der Gebete: Man läßt den Kranz Perle um Perle durch die Finger gleiten und betet bei jeder Perle ein Gebet, bis man einmal ganz herum ist. Meist wird dabei abwechselnd das Vaterunser und das „Ave Maria“ gebetet.

Wem ist aber bewußt, daß es bei diesem „Ave Maria“ um den Gruß des Engels Gabriel an Maria handelt? Das Lied wird oft bei Trauerfeiern gewünscht, wohl deshalb, weil man davon schon einmal etwas gehört hat. Aber die wenigsten werden wissen, daß es sich dabei eigentlich um ein katholisches Lied handelt, um ein Lied aus dem katholischen Gottesdienst. Oder ist Maria auch eine biblische Gestalt für unsre Kirche?

Die Mutter Jesu ist auch für uns wichtig. Sie kann uns in vieler Hinsicht ein Vorbild sein. Das fängt damit an, daß Maria erst einmal zuhört (Die Diskussion über die Jungfrauengeburt ist ja erst von Lukas eingefügt worden). Erst am Schluß sagt sie: „Siehe, ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast!“  .

In diesen Tagen vorweihnachtlicher Unrast kann Maria uns die Ruhe lehren, die wir doch auch so nötig brauchen. Diesen Text sollten wir nicht nur durchdenken, sondern auch einmal im Herzen bewegen. Viele Maler haben diese Szene andächtig dargestellt, sie haftet in unserem Bewußtsein. Sie könnte Freude auslösen über die großen Taten Gottes.

Die Menschwerdung Gottes durchkreuzt die Erwartungen der Zeit. Diese Offenbarung geschieht nicht im Tempel, sondern im Alltag. Der Bote Gottes kommt in die kleine Stadt Nazareth, von der man sagte: „Was kann schon aus Nazareth Gutes kommen?“ Er grüßt eine junge Frau, obwohl man in jüdischen Kreisen sagte: „Einer Frau entbietet man überhaupt keinen Gruß!“

Diese Frau ist nicht die Madonna und Himmelskönigin, nicht die Gottesmutter und das Urbild der Kirche. Dazu hat man sie später gemacht. In jüdischer Sicht ist sie nur eine junge Orientalin, die einen Sohn gebar, den sie nicht verstehen konnte, dem sie aber doch bis unter das Kreuz seiner menschlichen Tragödie folgte. Auch wir sollten erst einmal die menschliche Seite an Maria sehen.

Der Engel rühmt nicht irgendwelche Tugenden oder andere nennenswerte Eigenschaften. Es wird nichts gesagt von ihrer Frömmigkeit und ihren Gebeten, schon gar nichts von ihrer Sünd­losigkeit von Geburt an, wie das die katholische Kirche behauptet. Wir wissen von ihr an sich nicht mehr als ihren Namen. Es ist die ins Griechische übertragene Form des hebräischen Namens „Miriam“. Diese war die Schwester des Mose und führte mit ihm das Volk Israel aus der Gefangenschaft in die Freiheit.

Nun handelt Gott durch Maria weltweit. Aber er handelt auf ganz natürliche Art und Weise. Maria war mit Joseph verlobt. Das geschah in der Regel mit 13 Jahren. Die Braut blieb aber noch etwa ein Jahr im Vaterhaus, galt aber praktisch als verheiratet und konnte auch mit ihrem künftigen Mann zusammen sein.

Der Engel teilt ihr nun mit, daß sie schwanger ist, ehe sie es selber weiß. Maria gibt ihr Kind nicht preis, sie versucht keine Abtreibung, sondern entscheidet sich für das Leben. Der Bote Gottes hat ihr die Furcht vor allem genommen. So steht schon ganz am Anfang eine gnädige Zusage Gottes, die dann in der Christnacht das dunkle Feld der Welt erhellt.

Maria wird einen dornenreichen Weg in einer gespaltenen Welt gehen. Aber die Freude am Kind kann ihr nicht mehr genommen werden, weil sie der Liebe Gottes traut. Schmerz und Liebe liegen in der Welt oft nahe beieinander. Aber wer das „Ave Maria“ betet, begibt sich damit unter den Schutz Gottes (nicht nur der Maria) gegen die herrschende Moral der Machthaber.

Maria ist uns in vielem voraus. Sie ist nicht ein dümmliches und einfältiges Mädchen. Sie ist nicht das verderbte Weib, die Verführerin, das Einfallstor der Sünde. Sie ist aber auch nicht die sündlose und geschlechtslose Gottesmutter. Vielmehr ist sie eine erwachende und ermutigende Frau. Durch Gottes Zusage traut sie wieder dem Leben und wird ihm gerecht.

So können wir von Maria lernen: Wenn Gott uns braucht, dann gilt es zu hören. Keine Vorurteile anderer Menschen und keine irgendwie gearteten Verpflichtungen dürfen uns davon abhalten, Gottes Willen zu tun. Niedrigkeit und Demut und erst recht nicht das Frausein sind kein Hindernis für einen echten Glauben. Gott rechnet nicht mit unsren verstandesmäßigen Fähigkeiten, sondern mit unserem schlichten Gehorsam. Am Schluß sollen auch wir sagen: „Mir geschehe, wie du gesagt hast!“

 

 

Lukas 1, 39 – 47 (4. Advent):

In vielen katholischen Kirchen hat Maria, die Mutter Jesu, einen hervorragenden Platz. Manchmal ist sie sogar die Hauptfigur des geschnitzten Altars. Bei manchen katholischen Christen ist deshalb der Eindruck entstanden, als sei Maria die Hauptfigur in der Kirche. Zumindest hält man es für gut, sich im Gebet an sie zu wenden, damit sie Fürsprache bei ihrem Sohn einlegt. Für uns dagegen hat Maria nur eine Bedeutung im Zusammenhang mit Jesus. Sie hat ihren Platz nicht einmal neben dem Sohn, sondern Christus ist unser einziger Erlöser. Doch oftmals haben wir Christus nur „i n“ etwas: Er begegnet uns in Wort und Sakrament, er ist in anderer Weise da in der Kirche, und hier haben wir ihn gewissermaßen im Schoß seiner Mutter.

Doch nur um Christi willen schauen wir auf Maria. Wir dürfen sie ehren, aber nicht verehren. Sie war auch nur ein Mensch und hat später an ihrem Sohn gezweifelt und nicht an ihn geglaubt. Erst nach Ostern hat sie wieder zum Glauben gefunden und ist zur christlichen Gemeinde gestoßen.

Dabei gab es an sich genügend Vorzeichen: Maria tritt in das Haus der Elisabeth und wird sie achtungsvoll gegrüßt haben, wie sich das von einer jüngeren Frau gegenüber einer älteren gehört. Der Gruß der Elisabeth aber fällt völlig aus dem Rahmen: „Gott hat dich unter alle- Frauen ausgezeichnet, dich und dein Kind! Wer bin ich, daß mich die Mutter meines Herrn besucht!?“ Spricht jemand, der ein großes und unverhofftes Geschenk bekommt und noch gar nicht glauben kann, daß es ihm gehört, sondern einen Irrtum befürchtet.

Hier begrüßen sich nicht nur Maria und Elisabeth, sondern der noch ungeborene Johannes freut sich im Leibe seiner Mutter über die Begegnung mit Jesus. Aber woher weiß Elisabeth eigentlich von dem Kind der Maria? Woher weiß sie, daß jenes Kind mehr sein soll als andere Kinder? Die Geschichte beantwortet die Frage einfach: „Sie wurde des Heiligen Geistes voll!“

Durch den heiligen Geist kann Elisabeth mit den Augen Gottes sehen. Durch die unscheinbaren Äußerlichkeiten kann sie hindurchsehen und sie erkennt, wer in Wirklichkeit vor ihr steht. Und sie preist Maria: „Selig bist du, die du geglaubt hast!“ Maria hat nicht an sich einen Vorzug, sondern nur als eine beispielhaft Glaubende wird sie gepriesen.

Und hier können wir auch als evangelische Christen in Maria ein Vorbild sehen; nicht weil sie die Mutter Jesu ist, sondern weil sie eine beispielhafte Glaubende war, ehren wir sie. Auch bei den katholischen Christen hat sich da seit einem Konzil einiges geändert: In vielen Kirchen finden wir immer noch Mariendarstellungen, aber etwas an die Seite gerückt - und da gehört sie auch hin: Wichtig, aber nicht die Hauptsache in einer Kirche!

Mit dem Glauben der Maria allerdings hat es nichts Besonderes auf sich. Manche meinen ja, das Bekenntnis zur jungfräulichen Geburt Jesu sei doch ein handfester Beweis. Hier habe Gott so sichtbar eingegriffen und den normalen Gang der Dinge durchbrochen, daß man gar nichts mehr zu glauben brauche.

Aber eine Jungfrauengeburt ist kein Gottesbeweis. Von vielen Menschen wird nicht nur die Sache an sich angezweifelt, sondern auch die Aussage, die doch dahinter steht, nämlich daß Jesus Gottes Sohn ist. Auch die Engelerscheinung ist nicht eindeutig, sie schließt nicht einfach jeden Zweifel aus und macht den Glauben nicht überflüssig.

Deshalb läuft Maria ja auch gleich zu Elisabeth, um sich zu vergewissern. Aber das hätten wir alle auch so gemacht, darin ist uns Maria menschlich so nahe. Aber sie findet nicht nur die Aussage des Engels erfüllt, sondern vernimmt ein ganz unerwartetes Christuszeugnis aus dem Munde Elisabeths. Gott macht eben auf verschiedene Weise auf das aufmerksam, was noch geschehen soll. Christus ist schon da in dieser Welt: vorerst noch stumm, nicht einmal sichtbar, aber Maria ist doch schon das Gefäß der leibhaften Gegenwart Gottes. Das darf Maria so nach und nach erkennen.

Einfach war es für sie sicher nicht, zu solchem Glauben zu kommen. Sie hat auch nach Zeichen gesucht, das die Aussagen bestätigen und den Glauben stützen könnte. Doch in Wirklichkeit gibt es so etwas gar nicht: ein Glaube, der bewiesen werden könnte, ist kein Glaube. Aber Maria wagt den Schritt, den wir alle tun müssen; sie vertraut auf Gottes Wort! Deshalb soll Maria gesegnet und seliggepriesen werden.

Aber es steigt ihr nicht zu Kopf, was sie oben gehört hat. Sie bleibt ganz passiv, als sie die Größte aller Frauen genannt wird. In ihrem Lobpreis läßt sie keinen Zweifel an ihrer Niedrigkeit und Bedürftigkeit. Maria hat nichts Besonderes an sich, das nicht jeder von uns auch haben könnte. Gott kann sein Werk auch durch Sünder tun. Er braucht nicht besondere Organe, die er erst einmal vollkommen und untadelig gemacht hat. Aber er schenkt seine Gnade denen, die sie an sich nicht verdient haben und wendet seine Güte denen zu, die ihrer nicht wert sind.

Wir alle haben Menschen, die wir für kürzere oder längere Zeit in unserem Herzen mehr oder weniger groß machen möchte: den Sohn oder die Tochter, aber auch einen Filmstar oder einen Olympiasieger oder irgendeinen anderen Meister seines Faches. Es gibt auch Menschen, die sich selber groß machen; in den Weihnachts- und Neujahrsreden werden wir sicher wieder etwas davon erfahren.

Maria aber singt das Lied des Menschen, den Gott groß machen will. Sie freut sich ihres Gottes. Sie kommt aus dem Staunen über die Mitteilung Gottes nicht heraus. Sie widerstrebt nicht, sondern gibt Gott recht, noch ehe sie ihn begriffen hat. Sie sagt „Ja“ zu ihm voll zitternder Erwartung.

Gott ist wie ein Mann, der sich zu einem Kind herabbeugt, das sich verlaufen hat. Maria war eine kleine unbeachtete Frau, von der in der großen Welt keiner Notiz nimmt. Dort kümmert sich keiner um den Verlierer. Dort steht nur der Sieger im Scheinwerferlicht. Die Erfolgreichen werden geehrt und ihr Werk wird aufbewahrt und gepflegt. Gott aber hat bei Maria haltgemacht und sich zu ihr herab geneigt. So beugt er sich immer herab zu den Übersehenen und Zukurzgekommenen in der Welt und stellt sie in die Geschichte seines Reiches.

Maria ist aber doch die größte unter allen Frauen - um Jesu Christi willen. Sie ist das Gefäß, durch das Gott in der Welt und im Fleisch wohnen kann, sie ist seine Eingangspforte in die Welt. Gott hat sie sich auserwählt für seine Anwesenheit und sein Wirken. Aber das bedeutet nicht, daß Maria mit ihrem Menschsein sich am Werk Gottes beteiligen könnte. Sie ist und bleibt ein verlorener Sünder und ist ganz auf die Gnade Gottes angewiesen.

Wer das im Glauben erkannt hat, wird Gott loben, so wie Maria das tut. Sie würde das ihr Widerfahrene geradezu verleugnen, wenn sie nicht den Herrn groß machte. Maria aber ist hier wiederum nur das Vorbild der Kirche und unser Vorbild. Wir haben alle Ähnliches erfahren und haben Grund, dieses Lob Gottes aufzunehmen und mitzutun.

Vielleicht ist in diesen letzten Tagen der Festvorbereitung unser Atem ein wenig kurz. Aber es gehörte trotz allem mit dazu, daß in diese Tagen das Gotteslob vernehmbar wird so wie bei Maria. Das sollten wir uns noch einmal überlegen, wo und wie wir in diesen Tagen Gott loben können, der so große Dinge an uns getan hat.

Und noch etwas könnten wir uns überlegen: Gott beginnt in der Maria Wohnung zu nehmen. Mit anderen Worten: Gott kann uns in einem anderen Menschen begegnen. Man kann zwar nicht den Glauben an Gott in Mitmenschlichkeit hinein aufzulösen; aber etwas Wahres ist schon dran: Wir körnen Gott finden in dem Menschen, der uns gerade begegnet, vielleicht gerade in diesen Tagen.

Doch wir werden auch betroffen feststellen, wie oft uns Gott begegnen wollte und wir haben ihn übersehen. Er begibt sich oft gerade in die Gestalt eines unscheinbaren Menschen. In dem Menschen, der unsre Hilfe braucht, begegnet uns Gott.

Aber auch in dem Menschen, der uns durch einen guten Rat weiterhilft, hilft Gott uns selber. Selbst in dem Menschen, der uns beleidigt, kann Gott vor uns stehen, um uns zu prüfen, wieviel wir von dem Vorbild Jesu Christi begriffen haben.

Gewiß können wir die Aufgabe der Maria nicht wiederholen. Aber Maria wird uns deutlich: Gott sieht uns freundlich an, gerade auch durch andere Menschen. Da haben wir nun die Aufgabe, unsererseits andere Menschen freundlich anzusehen. Gott will uns benutzen, daß wir Christusträger werden. Gott braucht unseren Mund und unsre Hände, um seine Botschaft laut werden zu lassen in der Welt.

Manchmal hören wir dann sogar ein Echo unseres Tuns Vielleicht sagt jemand: „Damals hast du mir in einer verzweifelten Lage geholfen. Du hast zu mir ein Wort gesagt, das für mich wie ein Wort Gottes war!“ Das muß nicht zum Hochmut führen, sondern zum Lob des Gottes, der unsren Mund und unsere Hände benutzt hat für sein Werk.

So erzählte es ein Häftling aus dem Lager Buchenwald: In der nächsten Nacht wollte er in den elektrischen Draht gehen und Schluß machen. Da hörte er aus dem Fenster des Bunkers heraus eine laute und klare Stimme: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis!“ Es war die Stimme des Pfarrers Paul Schneider. Er wurde für diesen Ruf geschlagen und schließlich stumm gemacht. Aber diesen einen Mann hat er gerettet, denn er wußte nun, daß doch einer bei ihm ist. Wenn uns doch nur das gelänge, auch nur einem Menschen mit unsrem Reden oder Tun wieder Mut zu machen! Dann hätten wir uns recht auf das kommende Fest vorbereitet.

 

 

Lk 1, 67 – 79 /1.  Advent):

„Nach menschlichem Ermessen gibt es keine Rettung mehr“, sagt der Arzt am Bett eines Kranken. „Es müßte ein Wunder geschehen, wenn er sich noch einmal von diesem Zustand erholt!“ Aber fünf Wochen später ist das Wunder geschehen: der Mann kann aus der Klinik entlassen werden und muß nur noch von Zeit zu Zeit zur Beobachtung hin. Wir wissen alle, daß so etwas nicht die Regel ist.

Aber wo wir nichts weiter sehen als hoffnungslose Fälle, da ist Gott oft heilend und helfend am Werk. Welcher Römer hätte dem Volk Israel zur Zeit des Johannes noch eine Chance eingeräumt? Die Geschichte dieses Volkes war doch ein einziger Niedergang, aus dem mächtigen Reich Davids war eine klägliche Provinz am Rande des Römerreiches geworden. Aber gerade in diesem Volk fängt Gott etwas Neues an.

Bei einfachen alten Leuten, die sich schon mit ihrer Kinderlosigkeit abgefunden hätten, kommt ein Sohn zur Welt. Er erhält den sonderbaren Namen „Johannes“, was so viel bedeutet wie „Gott ist gnädig“. Hier kündet sich eine Wende an, die mit Jesus dann eintritt. Die große Erweckungsbewegung, die Johannes der Täufer auslöste, war Vorspiel für das Kommen

Gottes in Jesus Christus.

Auch wir dürfen darauf vertrauen, daß Gott immer wieder einen Neu-Anfang mit uns macht. Das Sprichwort: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr!“ gilt in diesem Fall nicht. Für Gott gibt es keine „hoffnungslosen Fälle“. Wenn er es will, kann es immer wieder von vorne losgehen.

Das will uns auch diese Adventszeit und das neu begonnene Kirchenjahr sagen. Nicht zu Unrecht singen wir: „Alle Jahre wieder!“ Das Weihnachtsgeschehen wird immer wieder neu für uns, ein Neuanfang in unserem Leben ist immer wieder möglich.

Deshalb wird dieser Lobgesang des Zacharias auch in der Morgenandacht verwendet: Nach dem Schweigen der Nacht beginnt wieder ein neuer Tag, und das erste an ihm ist ein Lobgesang. So hatte auch Zacharias monatelang schweigen müssen, weil er dem Wort Gottes nicht glaubte, das ihm einen Sohn verhieß. Als sein Mund sich wieder öffnet, geschieht das für einen Lobgesang.

Doch das Beherrschende darin ist nicht die Freude über den Sohn, wie wir es wohl erwarten würden. Vielmehr freut er sich, daß nun die Zeit anbricht, von der die Propheten Israels seit Jahrhunderten geredet haben: Jetzt beginnt die große Zeitenwende, in der einer geboren wird, der der Sohn Gottes ist.

Wie viele Wünsche verbinden sich doch jedesmal mit einem solchen Neubeginn! Jeder politische Herrscher wird von großen Hoffnungen begleitet. Man bedauert die Genrationen der Wartenden, denen doch etwas entgangen ist. Zu recht haben sie gesagt: „Wir haben nur e i n Leben‚ wir wollen die neue Zeit nicht erst als Rentner erleben, wenn wir sie nicht mehr nutzen können. Gleiches Recht und gleiche Gnade für alle!“

Doch schon in den Beziehungen zwischen den Menschen gibt es verschiedene Stadien. Zum Entstehen einer Liebe zwischen Mann und Frau gehören auch Zeiten des Noch-nicht, des Wartens und Sehnens. Wo das Miteinander nicht ausreift und sich erst einmal bewährt, geschieht meist ein Unglück. So geht auch Gott mit uns einen Weg mit verschiedenen Stationen. Da gibt es Gefahrenstellen und Einengungen, aber dann auch wieder Stellen mit weitem Ausblick.

Auch in unserem persönlichen Leben gibt es viele Hoffnungen: Wir möchten, daß unsre Sorgen aufhören, daß wir von Krankheit befreit werden, daß ein still getragener Kummer aufhört. Wir möchten auch, daß die Spannungen zwischen Alten und Jungen sich lösen. Wir wünschen uns Frieden unter den Völkern der Erde und daß wir selber in Frieden leben dürfen.

Wir haben Träume, und wir dürfen sie auch haben. Kinder träumen in dieser Zeit von einem Fahrrad oder einem MP3-Player. Die Erwachsenen meinen, sie dürfen keine Träume mehr haben, sie dürften sich nicht einer Sehnsucht hingeben. Doch wenn sie ihre Träume verdrängen, dann erregt das Unzufriedenheit und nervöse Hast, wie sie gerade vor Weihnachten immer mehr zu beobachten ist. Doch wenn wir Träume haben, dann wird sich so manches ändern in uns, und das nicht unbedingt zum Schlechteren.

Der Lobgesang des Zacharias sagt uns: „Gott kommt und will uns helfen! Er will uns herausholen aus der Finsternis und dem Schatten des Todes und uns hineinführen in die Gemeinschaft mit ihm!“ Am Anfang und am Ende des Lobgesangs ist die Rede davon, daß wir besucht werden. Das ist die Klammer, die das Lied umschließt und auch das Wesentliche von Advent und Weihnachten wiedergibt.

Das „Besuchen“ ist nicht eine „Heimsuchung“, wie es im Nachwort zu den Zehn Geboten heißt: „Gott wird die Sünden der Väter heimsuchen an den Kindern!“ In Wirklichkeit geht es aber um das genaue Nachprüfen eines Tatbestandes: Der Sache wird nachgegangen und sie wird gründlich in Augenschein genommen. Dieses Nachprüfen kann sich ebenso segensreich wie strafend auswirken.

Hier geht es eindeutig um den segensreichen Anteil. Gott kümmert sich um uns. Er winkt nicht nur aus der Ferne oder er schickt nicht ein Glückwunschtelegramm, sondern er tritt selbst über unsere Schwelle. Gott will gerade hier bei uns sein: in unseren betriebsamen Straßen, an den Stätten unsrer Arbeit, überall wo Menschen sich freuen oder leiden. Auch wenn wir meinen, für ihn keinen Platz zu haben: er besucht uns, er ist einfach da und wartet darauf, gastlich aufgenommen zu werden.

Gottes Verhältnis zu uns ist nicht ein gleichbleibender Zustand, eine Art Naturgesetz oder eine mathematische Formel. Vielmehr wird es immer wieder anschaulich, indem Gott zu uns kommt. Seine Liebe zu uns ändert sich auch nicht je nach unserem Verhalten. Gott kann sich zwar zurückziehen und verbergen. Das ist ja dann so besonders schwer für uns, wenn wir seine Hilfe nicht zu spüren meinen und denken, er hätte uns verlassen.

Aber dann erkennen wir auf einmal, daß wir ja selber heillose Wege gegangen sind, die er nicht beleuchtete. Wenn wir einmal unser Verhältnis zu unseren nächsten Angehörigen - zum Ehepartner, den Kindern, den Eltern - durchleuchten, dann erkennen wir, wie sehr wir außerhalb des Lichtes lebten. Finsternis und Schatten des Todes haben halt doch immer wieder etwas Faszinierendes für uns. Wir verbergen uns gern einmal im Dunkel, um dem Anspruch Gottes ausweichen zu können.

Der Lobgesang des Zacharias aber holt uns aus diesem dunklen Loch heraus. Er holt uns hinein in den Lichtkegel dessen, der das Licht der Welt und der Weg zum Leben ist. Er lenkt unsere Füße auf den rechten Weg und läßt uns wieder von vorn beginnen. Wir dürfen wieder Hoffnung haben.

Schon wenn wir in die Vergangenheit schauen, werden wir dort die Spuren Gottes erkennen. Das Volk Israel hat immer wieder auf den Erlöser gehofft, der es von seinen Feinden erretten sollte. Damals sah man die Feinde nur in den mächtigen Nachbarvölkern. Aber wir wissen heute, daß es viel schlimmere Feinde gibt. Luther spricht vom „altbösen Feind“ und seinen Handlangern,  die uns immer wieder von Gott wegbringen wollen. Unser sündiger Aufstand gegen Gott hat uns ins andere Lager getrieben. Aber wer erst einmal dem Bösen nachgegeben hat, wird unfrei. Erst wollte man Böses tun, dann konnte man nicht mehr anders.

Solange wir in Furcht leben mußten, weil wir bei Gott nichts Gutes mehr zu erhoffen hatten, hatte der Feind leichtes Spiel. Aber Gott hat uns erlöst zur Freiheit der Kinder Gottes. Jetzt sind wir wieder ganz Gottes Eigentum und niemand kann uns mehr von ihm trennen. Was auch in unserem Lebenslauf gegen uns spricht, es spielt keine Rolle mehr. Die Zeit des Konflikts ist vorbei. Gott selber ist gekommen und hat die Situation bereinigt.

Wir glauben nicht ins Blaue hinein, sondern es liegt schon eine lange Geschichte des Gottesvolkes hinter uns. Gott hat sich schon eh und je der Bedrängten angenommen. Er wird auch all unsere Hoffnungen und Erwartungen überbieten. Die Erfahrungen unserer Vorfahren mit Gott gönnen uns zur Glaubensgewißheit helfen. Wenn wir hier den Gottesdienst miteinander feiern, dann sind sie unsichtbar mit dabei. Sie nehmen Anteil an unserem Leben und weisen uns durch ihr Zeugnis auf den richtigen Weg.

Gott hat nämlich auch in Zukunft noch etwas mit uns vor: Nach dem ersten Besuch wird es noch zu einem weiteren kommen. Aber dann geht es nicht mehr um das Kind in der Krippe, sondern um den wiederkommenden Christus, der aller Zeit und Welt ein Ende machen wird. Wie der helle Morgenstern wird er plötzlich da sein und alle mit sich führen, die zu ihm gehören. Während sonst die Gestirne von unten her über die Horizontlinie aufsteigen, wird eines Tages ein Gestirn aus der Höhe aufleuchten und dann wird der zweite Advent Jesu da sein.

Weil wir das wissen, können wir schon heute von dem Licht in der Finsternis erzählen. Hat Christus sich zu uns aufgemacht, dann bedeutet das auch für uns Aufbruch. Gerechtigkeit im Verhalten gegenüber den Menschen und Heiligkeit im Verhalten gegenüber Gott sind uns nun möglich. Unsere Aufgabe wird es sein, Licht in das Zusammenleben der Menschen und Völker zu tragen.

Gott hat ja unsere Füße auf den Weg des Friedens gerichtet. Jetzt können wir Frieden schaffen, wo Unfriede ist. Nun können wir miteinander versöhnen, was verfeindet ist. Unser Herr darf doch von uns erwarten, daß wir ihm dienen, nicht mit Worten allein, sondern auch mit der Tat.

Nur so können wir unsrem Herrn den Weg bereiten. Auch wir sind aufgerufen, Wegbereiter unseres Herrn zu sein zu den Herzen unsrer Mitmenschen. Diesen Dienst werden wir aber nur dann tun können, wenn wir selber mit ganzer Treue in seiner Nachfolge stehen und uns zu seiner Gemeinde halten.

 

 

Lk 2, 1 - 14 (Christnacht):

An Weihnachten erinnert sich mancher daran, daß er ja auch wieder einmal in die Kirche gehen könnte. Man ist es noch so gewohnt, mag erfreut sich am Schmuck der Kirche und an den Liedern. Es soll von der Familie die Rede sein und von der eigenen seligen Kinderzeit. Es ist eben so eine ganz besondere Stimmung im Zusammenhang mit Weihnachten. Wenn sich jemand davon hat ansprechen lassen und deswegen heute hier in die Kirche gekommen ist, dann ist er herzlich willkommen, auch wenn er sonst das ganze Jahr über nicht kommt.

Hier in der Kirche erfährt das Fest seinen wahren Höhepunkt. Hier wird darüber nachgedacht, weshalb wir denn überhaupt diesen ganzen Aufwand treiben. An Weihnachten lautet die Botschaft: „Gott sucht mit uns persönliche Verbindung!“ Manchmal haben wir doch dem Eindruck, Gott sei weit weg; wir können ihn zwar noch dumpf ahnen, aber es bleibt alles unverbindlich. An Weihnachten aber hören wir: „Gott will die Entfernung überbrücken, er will Kontakt zu uns bekommen und uns für sich gewinnen. Dazu hat er sich in das Gedränge der Welt begeben. Er ist zwar nicht Mensch, sondern er w u r d e Mensch und einer von uns, mit allen Konsequenzen!“

Und dennoch gibt es auch heute Menschen, die sagen: „Für mich gibt es sowieso kein Weihnachten!“ Das kann auch an dem betreffenden Menschen selber liegen, weil er meint, das Fest setze eine besondere Seelenstimmung voraus und zu der könne er sich nicht aufschwingen. Einem solchen Menschen helfen kein noch so großes Geschenk und keine noch so gute Medizin. Sie brauchen aber vielleicht die Ruhe des Gotteshauses und sie brauchen vor allem das Wort Gottes, um wieder froh zu werden.

Allerdings haben wir hier in der Kirche keine Insel der Seligen, wo man sich schönen Illusionen hingeben kann. Auch an Heiligabend bestehen die harten Realitäten dieser Welt weiter. Es gibt Hunger in der Welt und Kriege, es gibt viel Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Viele erwarten sicher von einem solchen Gottesdienst etwas Stimmung und auch schöne Worte. Aber das Unheil in dieser Welt läßt sich nicht leugnen. Doch wir fragen heute nach seiner Überwindung, nach dem Heil Gottes in dieser Welt des Unheils.

Wir können nichts ändern. Auch das Kind in der Krippe konnte zunächst nicht helfen: Es lag da in den Windeln, konnte nur schlafen und trinken und vielleicht auch schreien. Und doch ist durch dieses Kind etwas anders geworden in der Welt, schon allein dadurch, daß es da war.

Hier ist Gott über den breiten Graben gesprungen, der ihn von den Menschen getrennt hat. Sein Sohn wurde gerade für diejenigen geboren, die meinten, Gott habe sie vergessen. Er wird geboren für die Armen, die kein Bett für ihr Kind haben und die sich ungeborgen und entwurzelt fühlen.

Gerade in dieser Nacht spürt mancher besonders seine Einsamkeit und sucht Anschluß. Da ist es gut, wenn er Menschen findet, die sich um ihn kümmern. Zumindest aber hat er einen Gott, der ihm nahe ist. Das verdeutlicht die Weihnachtsgeschichte. Das Tröstliche an ihr ist, daß dort auch von der Not der Menschen die Rede ist: Es wird uns deutlich, daß es dem Gottessohn auch nicht besser erging als den Menschen. Aber hier wird auch ein Weg aus der Not heraus gezeigt. Manchmal genügt dafür allein das Wort Gottes. Jesus hat bewußt auf seine Macht verzichtet. Und dennoch hat sein Wort die Welt und die Menschen grundlegend verändert.

Deshalb sollten wir an einem Tag wie heute nicht nur klagen über die Schlechtigkeit der Welt, sondern sollten sie auch im Lichtglanz Gottes sehen. Jesus wurde Mensch, um die Menschheit herauszuführen aus dem Elend in eine bessere Zukunft. Heute können wir schon vielerorts etwas entdecken von der großen Freude, die allem Volk widerfahren wird - sicher auch bei uns.

Allerdings kann dieser Gott auch heute nur durch Menschen aktiv werden. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!“ Das gibt es nur, wenn wir auch unseren Teil dazu beitragen. Die frohe Botschaft liegt in dem „und“: Auch auf der Erde soll Friede sein! Daß Gott im Himmel gerühmt wird, braucht nicht unsere Sorge zu sein. Aber der Friede auf Erden liegt mit in unsrer Hand.

Natürlich könnte sich Gott auch mit seiner unwiderstehlichen Allmacht rücksichtslos in der Welt durchsetzen. Aber er will nicht zwingen, sondern überzeugen. Wir sollen von uns aus einsehen, daß der Friede notwendig ist, wenn wir überleben wollen. Doch vergessen wir nicht: Letztlich wird die Welt „von oben herab“ in eine andere Verfassung gebracht: Gott wendet sich den Menschen mit seiner Liebe zu. Er betritt das Aufstandsgebiet und begibt sich auf die Stufe der Aufrührer und liebt selbst seine Feinde. So zeigt er, wie sehr ihm an uns liegt und macht Frieden mit der Welt. Er regiert die Welt nicht mehr nur von außen, sondern er wird selber ein Stück Welt und wirkt als solches in die Welt hinein.

Die Welt ist dadurch noch nicht pauschal verwandelt worden. Aber in der Person Jesu ist doch ein Anfang gemacht. Jesus hat gezeigt, daß man Frieden halten kann. Dieser Frieden ist mehr als nur das Schweigen der Waffen. Er ist die Überwindung des Hasses durch die Liebe, die Beseitigung der Schuld durch die Vergebung, die Heilung der Kranken. Dann ist die Feindschaft behoben und Versöhnung eingetreten. Dieser Friede beruht auf einer durchgreifenden Neuordnung der Dinge. Da werden die Wurzeln der Feindseligkeit aufgespürt und beseitigt. Nur das Geordnete und Gesunde, das Gerechte und Heile wird einen echten Frieden ermöglichen. Jesus hat den Weg dazu gewiesen.

  • Wir können etwas gegen den Krieg tun. Vielleicht nicht so sehr gegen den aktuellen Krieg in irgendeinem Winkel der Welt. Aber wir können dazu beitragen, daß eine Bewußtseinsänderung bei uns und in der Welt eintritt. Lange war man weithin der Meinung, man müsse viele Soldaten und Waffen haben, um sicher zu sein. Heute aber erkennen wir immer mehr, daß die Mittel viel besser in der Entwicklungshilfe angelegt sind. Beides können wir nämlich nicht leisten, Rüstung und Entwicklungshilfe nebeneinander. Wenn wir aber den Gegensatz zwischen reichen und armen Völkern abbauen, dann werden die Soldaten überflüssig. Denn in Zukunft wird die Hauptgefahr von den armen Völkern ausgehen, die sich eines Tages werden holen müssen, was man ihnen heute noch vorenthält. Manche reichen Länder liefern ihnen noch die Waffen dafür, anstatt ihnen lieber Maschinen und Ausbilder zu geben.

Es gibt aber auch Länder, die die Zeichen der Zeit erkannt haben. Dazu gehört etwa Tansania.

Dort gibt es keine Wehrpflicht, sondern nur eine kleine Armee, die zudem noch stark bei zivilen Projekten eingesetzt ist. Das Land wurde zwar einmal von Uganda überfallen. Aber dennoch hält man an dem Vorrang der Entwicklung des Landes fest.

Auch in Europa gibt es Länder, wo man sagt: Die Kriegsgefahr ist gegenwärtig nicht so groß. Deshalb rüsten wir nicht weiter, sondern versuchenden Lebensstandard der Bevölkerung zu heben. Durch eine solche Einstellung aber wird der Frieden sicherer und die Rüstung immer überflüssiger.

Friede umfaßt auch den Wohlstand und das äußere Glück. Das war auch schon die Sehnsucht der Menschen zur Zeit der Geburt Jesu. In einer Inschrift von damals heißt es: „Die Menschen sind voll guter Hoffnungen für die Zukunft, voll frohen Mutes für die Gegenwart!“ Hier ist festgehalten, was die Menschen aller Zeiten ersehnen.

Doch um dieses Ziel zu erlangen, gilt es, nach der Liebe Gottes zu handeln. Die Hirten haben sich ja auch nicht mit dem Hören der Botschaft begnügt, sondern sie gingen hin zu dem Kind und brachten ihm Geschenke mit. Ein Schaf-Fell konnte immerhin ein Hundertstel des Jahreseinkommens ausmachen. Damit wurde die mißliche Lage des Jesuskindes noch nicht geändert, aber es war doch ein Zeichen der Liebe. Und wenn wir heute für die Aktion „Brot für die Welt“ sammeln, dann ändert das noch nicht schlagartig die Not in der Welt. Aber es ist doch ein Zeichen der Hoffnung für viele Menschen. Sie spüren dann: Wir sind nicht allein, wenn uns Flüchtlingselend und Naturkatastrophen heimsuchen. Da sind Menschen, die helfen uns beim Aufbau unseres Gesundheitswesens und unsrer Schulen. Weihnachten kann nicht nur ein Familienfest bleiben, an dem wir uns untereinander beschenken, sondern diese Geschenke von Volk zu Volk gehören mit dazu.

Man konnte am Stall von Bethlehem vorbeilaufen. Und man kann auch heute aus dieser Christvesper so weggehen, wie man gekommen ist. Christus aber wartet auf die Menschen, die seinen Frieden annehmen und dann praktizieren. Wir müssen es mit den Menschen riskieren, mit denen wir immer noch in Unfrieden leben, hier bei uns und anderswo. Vielleicht ist uns noch heute abend ein Schritt in diese Richtung möglich. Dann wäre das „Friede auf Erden“ kein leeres Wort mehr.

Der uns dazu den Anstoß gibt, hat als Kind in der Krippe gelegen. Wenn in einer Familie ein Kind geboren wird, dann sagen die Geschwister: „Wir haben ein Kind!“ Es ist nicht das Kind der Mutter, sondern es gehört allen. So will auch das Kind in der Krippe „unser“ Kind sein.

Ein neues Kind bringt immer eine Umstellung mit sich. So will auch Jesus uns und alle Welt umstellen. Er fordert jeden Einzelnen dazu auf. Wenn aber viele Einzelne sich ändern, dann wird auch das Ganze anders. Wenn doch nur schon a l l e Menschen erkannt hätten, daß wir schon Frieden mit Gott haben. Dann gäbe es auch Frieden unter den Menschen. Dann wäre es so wie in einer großen Familie, in der sich alle einig sind und einer für den anderen da ist.

 

 

Lk 2, 15 – 20 (Christfest I):

Ein Kind erzählte einmal diesen zweiten Teil der Weihnachtsgeschichte folgendermaßen: „Denk mal, Mutti, da waren Hirten auf dem Feld. Auf einmal war es sehr hell und sie haben sich gefürchtet. Aber da ist ein Engel gekommen und hat gesagt: ‚Fürchtet euch nicht!‘ Und da haben sie weiter geschlafen!“

Das ist fast eine moderne Weihnachtsgeschichte. Weihnachten leuchtet einmal kurz auf. Wir sind jedes Jahr wieder neu berührt von diesem Fest. Vielleicht erinnert es uns so sehr an die Weihnachtsfeste unsrer Kindheit, die uns heute wie ein Stück heiler und vollkommener Welt erscheinen. Aber nachher ist alles wieder beim Alten. Wir sehen flüchtig auf das Licht der Kerzen die uns an das ewige Licht erinnern sollen. Dann geht der Blick weiter zu den Geschenken, die uns meist schon mehr ansprechen. Und dann machen wir weiter oder schlafen weiter, als ob nichts geschehen wäre. Höchstens wundern wir uns noch, daß im Alltag von Weihnachten so gut wie nichts übrigbleibt.

Den Hirten aber hat sich Gott gerade in ihrem Alltag gezeigt. Es war eine Nacht wie andere auch. Keiner konnte ahnen, daß etwas Außergewöhnliches passieren sollte. Die Hirten taten ihre Arbeit, wie man es von ihnen erwartete. An Gott werden sie wohl kaum gedacht haben, denn Arbeit ist Arbeit, da hat man anderes im Kopf.

Dabei hätten sie Gott so nötig gehabt. Hirten hatten nichts zu sagen, sie galten als unehrlich, unsauber und ungläubig. Ihre Arbeit war schwer und gefährlich und erforderte ganze Kerle. Mit anderen Menschen kamen sie kaum zusammen. Von allen verachtet blieben sie allein mit ihren Gedanken und Gewohnheiten. Es gab zur Zeit Jesu keinen verachteteren Beruf als den der Hirten. Sie galten als Betrüger und Gewalttätige. Man hielt sie für Menschen, die Gott längst abgeschrieben hatte. Und es mag sein, daß sie deshalb auch ihrerseits Gott längst abgeschrieben hatten. Sie waren die Unterdrückten und Benachteiligten von damals. Nur weil sie diesen Beruf hatten, waren sie aus der Gesellschaft ausgeschlossen, obwohl sie doch nötig waren und jeder auf ihre Arbeit angewiesen war.

Aber gerade für solche Menschen interessiert Gott sich zuallererst. Gerade den Ausgestoßenen wird die frohe Botschaft zuerst verkündet. Gott ist gerade bei denen, die es am wenigsten erwarten. Und er zeigt sich oft zu einer Zeit, in der man gar nicht mit ihm gerechnet hat. Diese Hirten waren nicht besonders fromm, sie waren Menschen wie wir alle. Sie brachten keine besonderen Voraussetzungen mit, die sie als Empfänger der Botschaft Gottes hätte geeignet erscheinen lassen.

Und doch dürfen sie als erste die frohe Botschaft Gottes hören. Man kann sich nur wundern, daß sie nicht mißtrauisch oder gar ausfällig wurden. Wenn man immer wieder zum Narren gehalten wird, verliert man leicht das Vertrauen. Aber diesmal werden sie nicht enttäuscht. Für einen Augenblick wird der Vorhang vor der göttlichen Welt weggezogen und sie dürfen etwas vom Geheimnis Gottes erfahren. Gott hat entschieden, wann und wem er sich zeigen will. Er wohnt nicht irgendwo im Weltall, sondern er kommt mitten hinein in das menschliche Leben.

Deshalb können wir ja auch nicht nach dem Hören seiner Botschaft so einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir können nicht so tun, als sei schon der dritte Feiertag - oder sagen wir besser: als sei schon wieder der Alltag. Gott läßt den Hirten nicht sagen: „Es besteht kein Grund zur Aufregung, ihr könnt weiterschlagen, so als sei nichts geschehen!“ Nein, er hat eine frohe Botschaft für die Hirten, die ihr Leben verändern wird.

Dabei entsprach diese Botschaft durchaus nicht ihrer Hoffnungen und Erwartungen. Sie ersehnten einen mächtigen Herrscher, der den Glanz ihres Volkes wieder herstellen würde. Stattdessen wurden sie auf ein Kind verwiesen, das gerade noch einen „Krippenplatz“ im wörtlichen Sinne des Wortes erlangt hatte. Aber die Hirten waren ja praktisch die erste Gemeinde, die sich um das Kind versammelte. Sie gingen bald wieder fort in die Nacht. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als voller Hoffnung zu warten, bis aus dem Kinde ein Mann würde, der sein Werk beginnt.

Aber immerhin: Sie hatten etwas gesehen, was sie von nun an nicht wieder loslassen würde. Wir haben hier eine Hauptschwierigkeit: Gott bleibt ja unsichtbar für uns! Und was nicht sichtbar ist, das ist für viele auch nicht wirklich. Aber achten wir einmal darauf, wie oft hier vom „hören“, „kundtun“ und vom „Wort“ die Rede ist. Mit anderen Worten: Wir heute können nur sehen, indem wir h ö r e n. Wenn wir Gott auch nicht sehen, so können wir ihn doch hören.

Allerdings hören wir ihn nicht aus einem himmlischen Lautsprecher. Wir haben nur die Erzählungen der Augenzeugen von damals, die uns gerade an Weihnachten lebendig vor Augen stehen sollten, als wären wir selber dabeigewesen. Schon damals war auch das gesprochene Wort nötig. Die Hirten wären nie auf diese Geburt aufmerksam geworden, wenn sie nicht darauf hingewiesen worden wären. Erst recht hätten sie nicht herausbekommen, w e r da geboren worden ist. So ist also das gesprochene Wort zur Deutung nötig, es macht eine Sache eindeutig. Als Gott sagt: „Dies Kind ist mein Sohn!“ da erkennt er es als seinen Sohn an, so wie ein irdischer Vater ja auch erst sein Kind anerkennt.

An sich hätte den Hirten die bloße Mitteilung genügen können. Im Stall konnten sie auch nicht mehr finden, als sie schon gehört hatten. Aber dennoch wird ihnen auch ein Zeichen gegeben: Das Kind wird in einer Krippe liegen! Diese wird das Zeichen sein, daß dieses Kind der angekündigte Heiland ist. Das Kind hatte ja keinen Heiligenschein und es waren auch keine Engel im Stall dabei, wie das die Maler so gern darstellen.

Mit menschlichen Augen kann man nicht wahrnehmen, daß dieses Kind der Sohn Gottes sein soll, das muß einem erst gesagt werden. Für das Gottsein haben wir sonst kein Organ. Aber um es uns leichter zu machen, wird Gott in einem Kind greifbar und kommt uns leibhaft

ganz nahe. Nun kann man ein Leben Jesu erzählen. Man hätte es filmen können. Gott läßt sich sehen und fassen.

Dennoch ist das kein Beweis, wenn ich sage: „Ich glaube an Jesus Christus, Gottes eingeborenen Sohn!“ dann ist das ein Glaubensbekenntnis. Und wenn ein anderer sagt: „Ich glaube nicht an Jesus“ dann ist das auch nur ein Bekenntnis und kein Beweis. Es geht allein darum, ob wir das Wort Gottes annehmen und ihm vertrauen.

Wir heute haben es im Grunde ja noch besser als die Hirten. Die sahen nur den unscheinbaren und ärmlichen Anfang. Wir aber wissen von den späteren Worten und Taten Jesu und von seiner Auferstehung. Wir haben in Taufe und Abendmahl äußerlich sichtbare Zeichen für die Gegenwart Gottes. In den Schriften der Bibel haben wir ausführliche „Briefe“ Gottes vorliegen, die uns von seiner Liebe zu uns erzählen. All das hatte man ja nicht von Anfang an. Wir haben es da doch eigentlich sehr viel besser, wenn wir glauben wollen.

Vielleicht hätte uns der Gottessohn im Stall nur vom Glauben abgehalten. Die Hirten aber waren nicht enttäuscht. Sie waren ja durch das Wort des Engels darauf vorbereitet. Und außerdem war ihren diese Umgebung vertraut. Sie spürten genau: Das ist einer, der zu uns gehört. Der kommt nicht nur schnell einmal zu Besuch und danach ist alles wieder, wie es war. Der geht unseren Weg mit durch Höhen und Tiefen und geht auch durch den Tod mit uns hindurch. Gottes Wort wird gerade durch unscheinbare Dinge bestätigt.

Es muß nur auch einer da sein, der die Botschaft Gottes aufnimmt, so wie man ein Empfangsgerät haben muß, wenn man Radio oder Fernsehen empfangen will. Um uns herum sind ja ständig Wellen in der Luft. Wir können sie nicht sehen, und doch kann jeder feststellen,

daß da etwas da ist. Es ist nicht nur das wirklich, was man sehen kann. Man muß nur bereit sein zum Empfang, dann wird einem doch manches aufgehen.

Doch diese Hirten werden gleichzeitig auch wieder zu Sendern. Sie hören nicht nur, sondern gehen hin, um zu sehen. Und als sie gesehen haben, geben sie Auskunft über das Wort, das ihnen Gott über dieses Kind gesagt hat. Zunächst werden es die Leute gehört haben, die mit in der Herberge waren. Aber nachher haben sie es weiter verbreitet, wo sie auch hinkamen: in ihren Familien, bei den Arbeitskollegen, bei Nachbarn und Bekannten, auch bei ganz Fremden.

An den Hirten können wir sehen, was Glaube bedeutet: Sie hören, gehen hin, sehen und sagen weiter. Diese Schritte sind auch uns aufgegeben. Das Weihnachtsfest ist bald vorüber und wir stehen wieder in unserem Alltag. Da wird sich zeigen müssen, ob es nur Tage waren wie viele andere oder ob von der Botschaft dieses Festes eine praktische Wirkung ausging. Weihnachten ist für uns nicht mit dem Besuch des Gottesdienstes erledigt, sondern beginnt jetzt erst richtig.

Wie viele Menschen gibt es in unserer Umgebung, die bedrückt oder verzweifelt sind. Viele sind am Leben verbittert oder gleichgültig geworden. Sie erleben die Vergänglichkeit und der Kreislauf der Jahre. Gott scheint ihnen so weit weg zu sein wie den Hirten der Tempel. Gerade an Weihnachten wird vielen das wieder bewußt werden. Viele singen dann dieses eine Mal im Jahr die Lieder, die ihnen aus der Kindheit vertraut sind und trauern dabei dem Glauben ihrer Kindheit nach. Aber es sind auch andere da, bei denen alles stumm und leer bleibt, die keinen Christbaum und keine Kerze haben, die auch keinen Menschen haben‚ der einmal mit ihnen spricht.

Aber sie warten vielleicht gerade auf ein Wort, auf unser Wort. Sie hoffen auf e i n Stück der Weihnachtsbotschaft, das gerade ihnen gilt. An diesen Menschen haben wir eine Aufgabe. Es ist nicht damit getan, daß wir an Familie Müller eine vorgedruckte Karte schicken und nur unsre Unterschrift daruntersetzen. Es gibt heute noch so vieles, was zum Himmel schreit. Die umfassende Weltverwandlung, in der der Friede auf Erden volle Wirklichkeit wird, erwarten wir erst, wenn Christus erneut wieder auf die Erde kommt. Aber das darf uns nicht faul machen. Es gibt zwar Probleme, für die unser Arm zu kurz ist. Aber wohin er reicht, dort sollten wir zufassen. Unseren bescheidenen Beitrag können wir auch leisten, daß unsere Welt ein wenig der Welt Gottes ähnlich wird.

Am Alltag der Hirten hatte sich äußerlich gesehen nichts geändert. Die Arbeit war noch genauso schwer und alle Probleme waren auch noch da. Aber sie selbst hatten sich verändert. Sie gingen in ihren Alltag zurück wie ein Mädchen, das die erste große Liebe erfahren hat. Sie hat zwar weiter ihren alten Arbeitsplatz. Aber alles strahlt an ihr; sie ist eine andere geworden und möchte es am liebsten aller Welt erzählen. Wenn wir jetzt hinausgehen, dann müßte man es doch uns auch ansehen, daß mit uns etwas anders geworden ist.

 

Zusatz:

In der Konfirmandenstunde kam die Bemerkung: „Wenn wir erst auf dem Mond sind, werden wir es vielleicht wissen, wer Gott ist!“ Natürlich weiß heute jeder Konfirmand, daß Gott nicht auf dem Mond wohnt. Aber dahinter steht eben doch die ernsthafte Frage: Wie wird Gott für uns greifbar und begreifbar Wir wollen dieser Frage einmal nachgehen, indem wir uns überlegen, wie die Hirten in Bethlehem das erste Weihnachten erlebten.

Die Hirten hatten den Abgesandten Gottes für einen Augenblick sehen dürfen. Der dichte Vorhang, der für uns vor der göttlichen Welt hängt, hatte sich für einen kurzen Augenblick geöffnet. Sie haben einen Blick tun dürfen in die Herrlichkeit Gottes. Aber nun ist wieder alles wie zuvor: dunkle Nacht - das Feld, über dem die Sterne leuchten - die Viehherden.

Wir können nicht von uns aus fragen: „Wo ist Gott?“ Gott zeigt sich schon von sich aus. Aber e r entscheidet, wann er sich uns zeigen will. Die Hirten waren gerade mitten bei ihrer üblichen Arbeit, als Gott sich ihnen offenbarte. Es war eine Nacht wie andere auch. Aber gerade im Alltag ist er ihnen begegnet.

 

 

Lk 2, 25 – 35 (1. Sonntag nach dem Christfest):

Folgt man den Umfragen, so war das vergangene Jahr ein gutes Jahr. Und Viele rechnen sogar damit, daß es für sie im kommenden Jahr noch besser wird. Dennoch meint die knappe Hälfte der Bevölkerung, da ß sich die Gesellschaft in einer schweren Krise befindet und vielleicht sogar auf eine Katastrophe zusteuert. Es gibt allerhand noch zu lösende Probleme, auch im neuen Jahr (…..):

So geht es uns in dieser Zeit „zwischen den Jahren“ wie alle Jahre: Wir blicken voller Dankbarkeit zurück auf ein gutes Jahr. Wir haben Essen und Trinken gehabt, Wohnung und Kleidung, aber auch noch vieles andere mehr, was über diese Grundbedürfnisse hinausgeht. Im Weltmaßstab gesehen haben wir alle auf der Sonnenseite des Lebens gestanden, auch wenn es unter uns beträchtliche Unterschiede gibt. Auch bei uns gibt es Menschen, die relativ arm sind, also weniger als der Durchschnitt der Einwohner unsrees Landes haben. Aber es geht ihnen immer noch weit besser als der großen Mehrheit der Menschen.

Aber wir wissen natürlich nicht, ob diese guten Zeiten uns erhalten bleiben. Und so blicken wir auch mit etwas Sorge in das neue Jahr. „Wie wird es weitergehen?“ fragen viele. Und: „Wird es überhaupt weitergehen?“ so fragen vielleicht besonders die Älteren unter uns. Sie können nicht mehr viel im Leben bewegen, sie haben ihre Aufgaben an Jüngere abgeben müssen. „Aber werden die auch alles bewältigen?“ so wird doch gefragt.

Zuversicht können uns da aufmunternde Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart geben.

In der heutigen biblischen Geschichte wird von Simeon erzählt. Er wartet noch auf ein besonderes Kind. Ein Kind ist immer ein Zeichen der Hoffnung, denn es verkörpert die Zukunft. Der Name „Simeon“ bedeutet „Erhörung“. Der Simeon in der Geschichte gehört offenbar zu einem Kreis von Menschen, die auf die Erlösung Jerusalems warten. Ehe sie nicht kommt, ist sein Leben noch nicht vollendet, kann er noch nicht sterben.

Man stellt sich ja vor, daß er schon ein Greis gewesen sei, obwohl das nicht zwingend ist. Aber die eigentlichen Leistungsjahre des Lebens hat er wohl schon hinter sich. Doch seine Leistung besteht nicht darin, daß er Jahrzehnte fleißig gearbeitet und seine Familie ernährt hat. Seine Leistung besteht vielmehr darin, daß er zu warten gelernt hat und die Hoffnung nicht aufgegeben hat.

Ihm zur Seite gestellt wird Hanna. Nach damaliger Auffassung konnte eine Frau nicht als Zeugin zählen. Aber hier macht sie die gleichen Erfahrungen wie Simeon. Beide sind sie vom Geist Gottes erfüllt. Dieser sorgt dafür, daß Hanna die ganze Zeit im Tempel geblieben ist und Simeon nun dorthin geführt wird. Und der Geist läßt sie auch erkennen, daß es mit diesem Kind etwas Besonderes auf sich hat. Der natürliche Mensch hat kein Organ für das, was in diesem Kind verborgen ist. Aber diese zwei Menschen lassen sich von Gott sagen, daß man noch hoffen darf, weil mit diesem Kind etwas Neues begonnen hat. Jetzt ist Simeon am Ziel seines Lebens.

Möglich wird diese Begegnung, weil die Eltern etwas mehr getan haben, als es die Sitte von ihnen verlangt. Üblich war, daß man den erstgeborenen Sohn wieder Gott „darbrachte“, wie man damals sagte. Damit wollte man zum Ausdruck bringen, daß er Gott gehören sollte. Aber man hat ihn natürlich nicht selbst geopfert, sondern ein Tier an seiner Stelle dargebracht. Diese Auslösung hätte aber bei irgendeinem Priester im Land erfolgen können. Jesu Eltern aber bringen das Kind in den Tempel, weil es dort hingehört. Gottes Geist hatte sie dazu getrieben, damit es zu der denkwürdigen Begegnung im Tempel kommen kann.

Mit diesem Kind ist Gott in der Mitte. Er ist im Gotteshaus, er ist mitten unter den Menschen, die auf ihn warten und auf ihn hoffen. Er ist aber auch mitten in der Welt. Dieses Kind ist nicht mehr nur die Hoffnung Israels, sondern auch die Heiden werden in die Geheimnisse Gottes eingeweiht: Er ist das Licht, zu erleuchten die Heiden!

Nun ist Gott wieder in der Welt gegenwärtig, die sich von ihm abgewandt hatte. Er ist auch in unsrer Welt gegenwärtig. Manchmal füllt es uns schwer, das zu glauben. Wir erleben doch immer wieder Dinge, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Da sind auf einmal Menschen, mit denen man jahrelang friedlich miteinander belebt hat, plötzlich zu Feinden geworden. Da werfen vorwiegend junge Leute plötzlich Brandsätze auf die neuen Nachbarn; auf einmal führen sie Parolen im Mund aus einer Zeit, wie wir längst überwunden glaubten. Wer bringt denen denn so etwas bei, wer hat sie denn verhetzt? Was haben die Eltern und Erzieher versäumt, daß so eine Saat unter ihnen aufgehen konnte? Was haben Politiker falsch gemacht, daß man so unzufrieden mit ihnen ist?

Viele sagen auf einmal: „Denen geben wir einen Denkzettel. Bei der nächsten Wahl wählen wir eine der radikalen Parteien, egal welche!“ Wenn man dann genauer nachfragt, dann sagen sie: Natürlich wollen wir nicht, daß diese Parteien wirklich an die Macht kommen!“ Aber was ist, wenn viele aus Protest eine Partei wählen, die sie eigentlich nicht wollen, und sich nachher wundern, wie viele Stimmen so eine extreme Partei doch gekriegt hat. Sie wird nicht gleich die Mehrheit bekommen. Aber sie könnte so stark werden, daß nur noch eine große Koalition gegen sie möglich ist, und das ist auch wieder nicht gut.

Jetzt sind wir vom Geist Gottes zu den nächsten Wahlen gekommen. Aber das ist nicht, falsch, da sind wir noch genau am Bibeltext. Denn wenn Gott ein Zeichen setzt, wenn er sich in der Welt bemerkbar macht, dann kommt es in der Welt zum Widerspruch. Auch dieses Weihnachtsfest ist nicht nur friedlich verlaufen. Gott kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen ihn nicht auf - bis heute ist das noch so.

Schon Simeon hat dem Kind einen schweren Weg vorausgesagt. Die Menschen werden in ihrer großen Mehrheit Jesus ablehnen, so wie sie schon immer Gott abgelehnt haben. Auch Maria wird in das harte Schicksal ihres Sohnes hineingezogen. Krippe und Kreuz gehören

eng zueinander. Immer wieder sind es Mütter und auch Väter, die ihre Kinder beweinen müssen. Aber heute ist das meist die Folge des Fehlverhaltens der Menschen. Bei Jesus gehörte das alles in den Plan Gottes.

Jesus ist wie der Stein, über den man stolpern und an dem man zu Fall kommen kann. Aber er kann auch der Stein sein, auf dem man stehen und festen Stand gewinnen kann. Fallen oder Aufstehen -n das ist die Frage. Beides ist möglich! Und an Jesus entscheidet sich, wie es mit uns weitergehen wird.

An Jesus kann man zu Fall kommen: Wer ihn verwirft, verspielt die einzige Chance, die wahre Zukunft im Frieden mit Gott zu finden. Wer Jesu Vergebung zurückweist, bleibt unter der Schuld und unter allen ihren Folgen. Aber das muß ja alles nicht sein. An Jesus kann und soll man „aufstehen“. Wer ihn annimmt, der gewinnt das neue Leben in Freiheit und Hoffnung.

Fallen oder Aufstehen - beides ist möglich. Gott aber will nicht, daß wir fallen, sondern daß wir aufstehen.

Doch vielleicht kann man nur stehen, wenn man vorher an Christus zu Fall gekommen ist. Wer das erfahren hat, der hat allen Stolz auf die eigene Leistung aufgegeben. Der hat erkannt, daß er sich selber nicht helfen konnte. Aber er stellt auch dankbar fest, daß Christus ihn längst schon wieder aufgerichtet hat.

Deshalb braucht uns auch vor dem neuen Jahr nicht bange zu sein. Es wird manchen Fall bringen. Aber mit Gottes Hilfe werden wir auch wieder aufstehen. Wir brauchen die Frage: „Wie wird es weitergehen?“ nicht voller Bangen zu stellen. Wir können sie erwartungsfroh und hoffnungsvoll stellen. Denn nichts hätte Gott lieber, als daß wir durch ihn zum „Aufstehen“ kommen.

 

 

Lk 2, 41 – 52 (2. Sonntag nach dem Christfest):

Es gibt auch bei uns Kinder, die müßten zu ihren Eltern sagen: „Wißt ihr nicht, daß ich sein muß in dem, was meines Vaters ist?“ Manche Kinder gehen so eifrig zum kirchlichen Unterricht und zum Kindergottesdienst, daß sich die Erwachsenen nur schämen können, vor allem die eigenen Eltern. Manche Kinder erzählen ihren Eltern zuhause haarklein wieder, was sie gerade gehört haben. Sie haben mit zwölf Jahren ein besseres Verständnis des Evangeliums als ihre Eltern und viele Erwachsene.

Es gibt aber auch den anderen Fall. Es nutzt doch nichts, wenn eine Mutter mit ihrem Jungen schimpft: „Warum gehst du nicht hin zu den kirchlichen Veranstaltungen. Zum Kindergottesdienst könntest du auch gehen, da lernst du doch nichts Schlechtes!“ Da kann man nur antworten: „Gehen Sie doch erst einmal zum Gottesdienst, dann wird auch ihr Kind kommen!“

Ganz extrem wird es, wenn ein Mädchen sagt: „Meine Mutter hat gesagt, sie wolle sowieso aus der Kirche austreten, ich soll nur erst noch konfirmiert werden. Da komme ich lieber gleich gar nicht!“ Das Mädchen hat halt auf seine Art die Folgerungen aus dem Verhalten der Mutter gezogen.

Von Jesus und seinen Eltern dagegen heißt es in dieser Geschichte: „Sie gingen jedes Jahr nach Jerusalem zum Passahfest.“ Das Kind wurde gleich von Anfang an in die religiösen Bräuche seines Volkes mit hineingenommen, es wuchs ganz wie selbstverständlich darin auf.

Diese Wallfahrt nach Jerusalem gehörte halt zu dem ganzen Leben mit dazu. Das Vorbild der Eltern wirkte hier aber mehr als alle Belehrungen.

Wenn ein Kind schon vom Säuglingsalter an erlebt, daß die Eltern abends vor dem Einschlafen mit ihm beten, dann wird es auch nachher selber beten. Welch ein Segen geht von den Eltern aus, die mit ihren Kindern zum Gottesdienst kommen, vor allem im Konfirmandenalter und danach. Das ist sowieso eine schwierige Zeit, weil die Jugendlichen nicht so recht wissen, wie sie sich verhalten sollen. Da brauchen sie eine Stütze und das Vorbild der Eltern. Man merkt es immer wieder: Wenn es auf die Konfirmation zugeht, springen all die ab, deren Eltern nicht voll und ganz dahinter stehen. Aber andererseits werden all die durch diese kritische Zeit hindurch getragen, die in ihren Eltern ein Vorbild haben.

Jesus war sicher kein Wunderkind, das diese ergrauten Theologen in Verlegenheit gebracht hätte. Er hört erst einmal zu und fragt dann. Es sind kluge und wohlüberlegte Antworten, die Jesus auf ihre Gegenfragen gibt. Das merken die anderen auch. Wer aber richtig im Glauben seiner Eltern aufgewachsen ist, der kann solche Fragen durchaus beantworten. Jesus hat diese alten Männer nicht belehrt. Er hat ihren auch keinen neuen Glauben beigebracht, denn noch steht er ja ganz in der jüdischen Religion. Aber es wird hier doch deutlich: Auf diesem Kind ruht ein besonderer Segen, seine Weisheit weist es als den Sohn Gottes aus. Das will uns diese Geschichte zeigen: „Mit dem Kind hat es etwas Besonderes auf sich.“

Das müssen auch die Eltern schmerzhaft erfahren. Im Alter von zwölf Jahren beginnt ja der erste entscheidende Schritt von den Eltern weg. Eltern müssen ihre Kinder ja alle einmal hergeben. Aber bei manchen vollzieht sich die Ablösung schmerzhafter als bei anderen. Es kann auch sein, daß die Kinder trotz aller Bemühungen der Eltern auch im Glauben andere Wege gehen und sich von Gott entfernen. Das ist selten, aber es kommt vor. Die Eltern müssen sich dann ernsthaft fragen, was sie trotz allem falsch gemacht haben.

Hier die Eltern Jesu müssen plötzlich auch einen Ungehorsam ihres Sohnes erfahren. Sie dachten, doch alles für den Sohn getan zu haben, und nun hat er auf einmal ganz andere Bedürfnisse. Das tut Eltern natürlich weh. Hier kommen sie an eine Grenze, wo der Wille Gottes über dem Gehorsam gegen die Eltern steht.

Jesu Eltern lebten ganz in ihren religiösen Gewohnheiten. Nach dem Gesetz hat es genügt, einmal im Jahr diese eine Woche Passah zu feiern und seinen Glauben einmal unter Beweis zu stellen. Jesus aber durchbricht diese Ordnung und gibt sich ganz dem himmlischen Vater hin. Das Fragen nach Gott geht ihm über alle menschlichen Formen. Er bleibt auch über diese sieben Tage hinaus, weil es jetzt in diesem Augenblick notwendig ist.

Deshalb erschrecken die anderen. Auch uns erscheint dieser Jesus als ein Fremder. Und er wäre auch heute ein Fremder unter uns, weil er ganz ernst macht mit dem Willen Gottes. Aber in Wahrheit sind doch w i r die Fremden, die fern von Gott leben, während Jesus ganz bei Gott ist.

Wir leben in unsren Ordnungen und Gewohnheiten - so und so oft zum Gottesdienst - aber Jesus ist in jedem Augenblick offen für den Willen Gottes, für den Ruf, der ihn erreicht. Mit welcher Schlichtheit und Selbstverständlichkeit ist doch dieser Satz gesagt: „Muß ich nicht sein in dem, was meines Vaters ist!“ Das sagt Jesus zu seinem leiblichen Vater und macht ihm damit deutlich: Es gibt noch einen anderen Vater für mich, der mir mehr zu sagen hat als du es sagen kannst! Jesus ist der Sohn Gottes! Das zeigt sich darin, daß er mit großer Weisheit von Glaubensdingen redet und daß er einfach dort bleibt, wo gerade davon gesprochen wird. Das ist ihm zurzeit einmal wichtiger als selbst die eigenen Eltern.

Doch dann geht er ohne Widerrede wieder mit den Eltern nach Nazareth und ist ihnen gehorsam. Er bleibt das Kind seiner irdischen Eltern und ist ihnen in allen Dingen des irdischen Lebens untertan. Er will nicht eine gewisse jugendliche Aufsässigkeit mit religiösen Gründen rechtfertigen, sondern hält sich an das vierte Gebot.

Es gab ja in Israel junge Leute, die wollten ihre alt gewordenen Eltern nicht mehr unterstützen. Da erklärten sie einfach, sie wollten ihren Verdienst und ihren Besitz später einmal dem Tempel zur Verfügung stellen. Sie durften jedoch zunächst alles so behalten wie vorher, aber sie durften es nicht an jemand anders weitergeben, auch nicht an die eigenen Eltern. Jesus hat diese Praxis später hart gegeißelt. Man kann nicht das erste Gebot („Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen“) gegen das vierte Gebot („Du sollst Vater und Mutter ehren“) ausspielen, denn auch das vierte Gebot ist von Gott.

Jesus ist Gott gehorsam und deshalb gehorcht er auch seinen Eltern. Indem er aber den Eltern gehorcht, gehorcht er auch Gott. Nur an e i n e m Punkt stellt er einmal heraus: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen!“ Das gilt zwar in jedem Augenblick, aber es zeigt sich nur in einigen entscheidenden Augenblicken. Dann geht Jesus wieder mit den Menschen und mit den Eltern.

Der nächste entscheidende Augenblick war für Jesus gekommen, als sein Vater gestorben war und seine Mutter und seine Brüder kommen und sagen: „Du bist jetzt das Familienoberhaupt, du mußt jetzt mitkommen und für uns sorgen!“ Da lehnt Jesus das auch ab und sagt: Meine Mutter und meine Brüder sind die, die Gottes Wort hören und tun!“ (Lk 8,21).

Wer das Wort Gottes zum Grund seines Lebens macht, der ist ein Verwandter Jesu, ein Kind Gottes. Nur weil Jesus ganz auf Gott aufbaut, ist er der Sohn Gottes. Manchmal muß er sich dabei auch gegen seine irdischen Eltern wenden.

 

 

Lukas 3, 1 - 9 (14) (3.  Advent):

An den Adventssonntagen sind in vielen Städten die Geschäfte wieder offen. Es ist an sich unverständlich, weshalb man nicht auch am Samstag einen Einkaufsbummel machen kann. Aber wahrscheinlich liegt es daran, daß die Leute mit dem Sonntag nichts anzufangen wissen und statt in die Kirche in die Konsumtempel gehen. Die Geschäftsinhaber wissen, daß in diesen Wochen der höchste Gewinn zu machen ist, sie rechnen in jedem Jahr mit einem Zuwachs. Doch es ist ja nicht der Einzelhandel in den kleinen Geschäften, der von dem verkaufsoffenen Sonntag einen Vorteil hat, sondern die großen Kaufhäuser in den Einkaufsmeilen der Großstädte.

Aber vor den Geschäften gibt es auch Bettler. Ein Reporter hat sich einmal verkleidet auf die Zeil in Frankfurt gesetzt. Viel hat er nicht eingenommen: In zwei Stunden drei Euro. Als er Leute direkt ansprach, waren es auch nur zwei Euro in der Stunde.

Viele haben Hemmungen, einem Bettler etwas geben. Fachleute wie der Pater Paulus von der Liebfrauenkirche in Frankfurt rät auch davon ab: Man unterstütze damit nur Leute, die „Armut“ als ihren Lebensentwurf haben und sich nicht helfen lassen wollen, man solle das Geld lieber Organisationen geben, die wirklich wissen, wo Not am Mann ist. Jeder hat die Möglichkeit, Arbeitslosengeld II zu erhalten wie die anderen Leute, die nicht betteln. Und ganz problematisch sind natürlich die Bettlerbanden, wo Frauen und Kinder auf die Straße geschickt werden und dann ein Mann auf einem Parkplatz alle abkassiert.

Aber paßt ein Bettler nicht viel besser zum Advent als die hektischen Menschen im Kaufrausch? Am dritten Advent wird uns immer Johannes der Täufer vor Augen gestellt, ein Mensch, der auf alle Annehmlichkeiten der Zivilisation verzichtet und vom kommenden Reich Gottes redet. Er paßt doch besser in die Adventszeit als die sogenannten Weihnachtsfeiern.

Lukas beginnt mit einer großartigen Aufzählung der großen Männer von damals: Kaiser, Fürsten, Statthalter, Hohepriester. Eigentlich müßte Lukas doch nun mit einer ähnlichen Größe der Menschheit fortfahren. Aber dann ist er nur ein Asozialer, einer der fern von der Gemeinschaft der Menschen in der Wüste gelebt hat, der Sohn eines unbedeutenden Priesters in Jerusalem. Wie ein Urmensch tauchte er wieder unter den Zivilisierten auf und redete von Gericht und Buße. Genauso wie sein Äußeres ungewöhnlich war, so war auch seine Botschaft abstoßend. Schon damals hörte man nicht gern von Gericht und Buße.

Es gab an sich viel guten Willen unter den Leuten, die zu dem seltsamen Mann am Jordan kamen. Aber sie wurden mit einem Hagelwetter empfangen. Johannes wirft ihnen grobe Schimpfworte an den Kopf und fordert sie auf, sich eine völlig andere Lebensweise anzugewöhnen. Damit macht sich niemand beliebt. Schließlich setzt doch jeder Mensch alles daran, sich ein einigermaßen erfreuliches Leben aufzubauen. Wem fällt das schon in den Schoß! Und dann soll man sich das mühsam Erreichte madig machen lassen?

Aber bei Gott gelten andere Maßstäbe als unter den Menschen. Er sucht sich seine Leute nicht unter den Größen der Welt, die von vornherein Einfluß haben, sondern nimmt ganz einfache Menschen, um sie erst während ihrer Tätigkeit groß und einflußreich zu machen. Was wissen wir denn, ob nicht die Kinder oder die Bettler oder die Verrückten mehr vom Reich Gottes verstehen als die guten Kirchenchristen. Offenbar hat doch Johannes mehr von Gott verstanden als die frommen Pharisäer und Schriftgelehrten:

1. Mit großer Nüchternheit ruft er uns aus aller falschen Sicherheit heraus.

2. Mit großem Ernst ruft er zur Buße und zu einem spürbaren Ergebnis.

3. Mit großer Entschiedenheit ruft er zur Umkehr im täglichen Leben.

 

1. Mit großer Nüchternheit ruft Johannes uns aus aller falschen Sicherheit heraus:

Die Leute, die zu Johannes dem Täufer hinaus an den Jordan gezogen sind, meinten genau zu wissen, wer draußen steht und wer drinnen. Draußen waren die Heiden und die Gottlosen, eben „die anderen“. Sie aber waren Abrahams Kinder, sie gehörten zum Volk Gottes, ihnen konnte nichts passieren.

Deshalb wollen sie wohl mehr aus Neugier mal den berühmten Prediger hören, von dem jetzt alle Welt spricht. Man muß ihn mal gehört haben, denn man ist ja fromm. Mit einem wohligen Gruseln hofften sie zu hören, wie Gott voller Zorn mit den anderen abrechnet.

Aber dann werden sie plötzlich gefragt, wie s i e denn dem künftigen Zorn Gottes entrinnen wollen? Der Ruf zur Umkehr gilt immer allen Menschen. Er gilt nicht den anderen, sondern immer denen, die ihn hören. Gerade wer meint, nicht auf die Gnade Gottes angewiesen zu sein, hat die Umkehr nötig.

Auch bei uns gibt es falsche Sicherheit und Selbstgerechtigkeit: Wir verlassen uns auf den Taufschein, auf den Kirchensteuerzettel, auf das eigene Frommsein, auf sein fleißiges Arbeiten. Als wir heirateten, ließen wir uns trauen. Unsere Kinder ließen wir taufen. Wir besuchen auch öfter oder seltener den Gottesdienst. Wir beteiligen uns am kirchlichen Leben, soweit es unsre Zeit zuläßt und wir es für gut halten. Wir lassen uns geistlich bedienen und genießen das, was uns vonseiten der Kirche angeboten wird.

Wir sind doch alle irgendwie der Meinung, daß bei uns doch die Richtung stimmen und wir uns über Gottes Gericht und Zorn nicht so viel Gedanken zu machen brauchten. Wir halten uns doch alle so ein bißchen für die Favoriten Gottes. Mit wem sollte er denn sonst eine Kirche bilden und seine Welt erhalten, wenn nicht mit uns?

Das ist aber das Gefährliche an unserer Kirchlichkeit, daß wir Gottes helfendes und rettendes Tun uns gefallen lassen, um auf diese Weise Gott auszuweichen. Man kann Gnade nicht verdienen, aber wohl verscherzen. Gott kann dem Abraham aus Steinen Kinder erwecken. Er fragt uns nicht danach, was die anderen getan haben, sondern was wir tun!

 

2. Mit großem Ernst ruft Johannes zur Buße, zu einem spürbaren Ergebnis:

Haben wir bei aller Adventsstimmung und Weihnachtsrührseligkeit einmal bedacht: Gott kommt zum Gericht! Jeder Gottesdienst ist sein Advent, seine Ankunft bei uns, die über Tod und Leben entscheidet. Das ist wie eine Lawine, die Berge und Hügel einebnet, alle Täler auffüllt und das Krummes geradegerichtet. Jetzt gibt es eigentlich nur noch eins: Entweder sich der Lawine entgegenstellen und darin umkommen oder ihre Gewalt anerkennen und einen sicheren Ort suchen, wenn es ihn gibt. Wenn eine Lawine über ein Haus hinweggebraust ist, dann ist es zunächst einmal zerstört. Aber nachher wird es dann umso schöner wiedererstehen, und Menschen werden in ihm wohnen. Advent bedeutet deshalb beides: Bußruf  u n d  Ankündigung des Heils.

Eine Predigt am dritten Advent wird notgedrungen etwas gesetzlich sein. Schließlich geht es ja um den Bußprediger Johannes den Täufer. Doch wie immer findet man auch das Evangelium.

Aber wir können Gott nicht den Weg in der Welt bereiten, weil Gott sich schon selber Bahn schafft. Wir können auch nicht irgendwelche Vorbereitungen treffen und unseren gegenwärtigen Zustand erhalten wollen oder möglichst viel durch die Katastrophe hindurchretten wollen. Wir können nicht mehr bloß theoretisch von einem höheren Wesen reden, sondern nun werden wir ganz praktisch gefragt: Bedeutet dir Gott etwas?

Wer aber mit einem mißratenen und verdorbenen Leben zu Gott kommt, wer gläubig Hilfe bei ihm sucht, der darf auch an die rettende Barmherzigkeit Gottes glauben. Und so ist dann die Kirche der Ort der Geborgenheit, wo wir uns hinretten können vor der Lawine, die da auf uns zukommt. Unsre Taufe, die ja mehr ist als die Taufe des Johannes, ist so ein Rettungspunkt. Und im Abendmahl sind wir dem Herrn nahe.

Advent bedeutet: Jetzt macht er sich zu mir auf! Er ist zu mir unterwegs! Er wendet sich seiner Welt zu, kommt auf sie zugegangen. Er will gestörte und abgerissene Gemeinschaft wie­derherstellen. Lukas zitiert ausdrücklich noch einen Satz mehr als die anderen Evangelisten: „Alles Fleisch wird den Heiland Gottes sehen!“

Zwar ist die Ankündigung des Gerichts kein blinder Alarm, sondern es wird stattfinden. Aber aus dem Gericht sollen alle die errettet werden, die sich retten lassen wollen. Dann werden sie auch das Heil Gottes sehen können. Im Vorblick auf Weihnachten wollen wir als Letztes und Wichtigstes aus diesem Text heraushören: Das Heil ist uns nahe!

 

3. Johannes ruft zur Umkehr im täglichen Leben:

Mit der Kirchlichkeit allein ist es nicht getan. Erst wenn auch wir fragen: „Was sollen wir denn tun?“ sind wir auf dem richtigen Weg. Buße besteht nicht in Selbstzerknirschung, im Wühlen in begangener Schuld. Es geht nicht um ein Grübeln über sich selbst, sondern um eine Wegwendung vom eigenen Ich.

Ziel ist einmal die Auslieferung an Christus, aber auch die konkrete Hinwendung zum Mitmenschen. Die Antworten des Johannes sind verblüffend schlicht. Er könnte ein tief eingreifendes ethisches, soziales, politisches Programm entwickeln. Ideale aber kann man sich vom Leibe halten. Über Lebensprinzipien kann man dicke Bücher schreiben. Über Reformprogramme kann man aufwendige Kongresse halten. So machen es die Politiker - aber nichts wird anders.

Dem Unmenschlichen in der Welt ist nicht so abzuhelfen, daß man hin und wieder ein Liebespaket schickt oder hier und da ein Werk der Barmherzigkeit tut. Wenn einer in seinen Kleiderschrank sieht und viele Hemden entdeckt, die er lange nicht getragen hat und dann eins davon aus seinem Überfluß abgibt, dann ist das noch nicht das, was Johannes gemeint hat. Er ging ja auch davon aus, daß einer n u r zwei Hemden hat und eins davon abgibt.

Aber um nachhaltig Hilfe zu leisten, müssen auch Strukturen geändert werden, damit der Unterdrückung und Ausbeutung, dem Hunger und Elend der Menschen und dem Mißbrauch von Gewalt ein Ende gesetzt wird. Wir stöhnen unter dem Flüchtlingsstrom aus Afrika. Aber dort kann man nicht durchgreifend helfen mit etwas Entwicklungshilfe. Vielmehr müssen die ungerechten Handelsbeziehungen verändert werden, damit sie dort nicht unsere Maschinen teuer bezahlen müssen und uns dafür Rohstoffe, Lebensmittel (!) und billige Textilien liefern müssen.

Wenn man dort aber die Wirtschaft entwickeln würde wie bei uns, dann brauchten sie nichts mehr bei uns einzukaufen und wir hätten dort keine Absatzmärkte. Unser Reichtum beruht wesentlich auf der Armut der unterentwickelten Länder.

Man kann aber nicht warten, bis die Verhältnisse der Welt andere geworden sind. Wenn eine aktuelle Not vorliegt, muß es eine Sofort­hilfe geben. Aber nach einem Erdbeben wird man sich überlegen müssen, ob man nicht erdbebensicherere Häuser baut, oder nach einer Überschwemmung wird man die Flüsse anders regulieren müssen oder auf die Verbesserung der ganzen Umwelt achten.

Als nach der Aufhebung der Milchquote zu viel Milch auf dem Markt war, brach der Mildpreis zusammen, so daß die Milchbauern nicht mehr existieren konnten. Da hätte es es auch nichts genutzt, wenn man im Laden 10 Cent mehr gezahlt hätte, denn das hätte die Bauern nicht erreicht. Schließlich haben die Molkereien sich zusammengesetzt und den Bauern einen höheren Preis versprochen, den diese dann auch gegenüber den Discountern durchgesetzt haben. Das nicht war Hilfe im Einzelfall, sondern durch Strukturveränderung.

Johannes sagt: Die Situation ergibt, was zu tun ist: Kein langes Besinnen, kein Aufschub, sondern sehen, was der Augenblick verlangt. So einfach ist es mit der Umkehr. Der Täufer verweist nur auf das Nächstliegende: Da steht einer ohne Rock, da hat einer nicht genug zu essen dabei! Gebt ihnen etwas ab von dem, was ihr habt. Jeweils die Situation ergibt, was zu tun ist. Er spricht zu Zöllnern und Soldaten und weist sie auf die Alltäglichkeiten ihres Berufes hin.

Er tut das, was wir heute „Seelsorge“ nennen: Die Verkündigung des Wortes Gottes an den Einzelnen und in seine besondere Lage hinein. Buße gibt es nämlich nicht so im „Allgemeinen“, sondern immer nur konkret. Man kann gar nicht auf einmal und für alle sagen, wie Buße auszusehen hat, sie muß konkret sein.

Johannes verlangt nichts Unmögliches von seinen Hörern. Er will nur erreichen, daß sie eine andere Einstellung zum Besitz und zu ihrer Arbeit erlangen. Besitz an sich ist nichts wert; er bedeutet nur etwas, wenn er dem Menschen dient und das Leben ermöglicht. Deshalb dürfen wir nicht Herz und Hand verschließen, wenn einer unsere Hilfe braucht. Das gilt im Bereich des alltäglichen Lebens wie im Weltmaßstab.

So müssen wir auch heute schlicht und deutlich das jeweils Notwendige herausfinden. Wir leben allerdings in einer anderen Zeit als Johannes, denn wir wissen, daß das Heil in Jesus schon angebrochen ist. Wir werden heute mehr im gemeinsamen Gespräch herauszufinden haben, wie wir den Willen Gottes verwirklichen können. Wenn das geschieht, muß es zu einer tiefgreifenden Verwandlung unseres Wesens und zu einer durchgängigen Änderung unseres Tuns kommen.

 

Weitergehende Hinweise zum Predigttext Lukas 3,1 - 9:

Der Wirksamkeit des Täufers ist - im charakteristischen Unterschied zu Markus - alles Eigengewicht genommen: Seine Tätigkeit kann nur rahmend als Einleitung und Schluß für das dienen, was Lukas an ihm wichtig schien: sein Hinweis auf Christus. Sicherlich allen bekannt ist Grünewalds Bild auf dem Isenheimer Altar: Johannes mit dem übergroßen Zeigefinger, der auf den Gekreuzigten zeigt. Nach Lukas bewirkt die Johannestaufe nicht die Sündenvergebung, sondern weist auf sie hin.

Das ist noch nicht die Christustaufe, die den Geist und damit die Totalerneuerung bringt. Die Johannestaufe bewahrt vor dem Zorn des hervortretenden Richters. Dies kann sie nur, wenn es zur Umkehr kommt zu dem kommenden Gott, „Umkehren“ das heißt: die Richtung ändern, sich auf einen anderen Punkt zubewegen. Der Täufer erneuert den Ruf der alten Propheten, zu Jahwe umzukehren, in der Naherwartung des Kommens Gottes

Angeregt sind die, die zu ihm herausgekommen sind (vgl. V. 3), und zwar alle, nicht nur (wie bei Matth.) die Pharisäer und Sadduzäer. Das Zorngericht ergeht nicht nur über die Heiden, sondern auch über Israel, sofern es nicht bereitet ist

Der Weg soll nicht mehr in der Wüste gebahnt werden, sondern die Stimme - des Täufers - wird in der Wüste vernehmbar. Und die Wegbereiter des kommenden Gottes sind nicht mehr die Himmlischen, sondern die hier angeredeten Menschen (EG 9, Wochenlied). „Bereitet den Weg des Herrn. Nicht, damit er komme, sondern weil er kommt!“

Bei einer Umfrage wußten viele nicht zu sagen, was Advent bedeutet. Nun weiß man al­lerdings nicht, wie repräsentativ die ausgewählten Antworten sind. Aber daß es sich um eine Bußzeit handelt, eine Zeit der ernsten Vorbereitung auf Weihnachten, das ist heute kaum einem klar. Aber am Adventskranz wird das Licht nur sparsam gesteigert, da geht es nicht um Reklame und Lichterketten, da läuft es hinaus auf Jesus Christus, das Licht der Welt.

Nicht die Weltgeschichte mit ihrer besonderen Konstellation enthält die Voraussetzung für das, was sich hier von Gott her, als sein Heil (soterion) ereignet. Bei Gott liegt die Initiative. Er beruft (V. 2). Er kommt selbst (VV. 4-6.16). Durch Gott wird dieses 15. Regierungsjahr des Tiberius zur „ausgezeichneten Stunde“.

Was Gott zu unserem Heile getan hat, ereignete sich in den Ereignissen der Weltgeschichte. Aber wie von den vielen Broten, die es auf der Welt gibt, einige konsekriert und damit für des Herrn sakramentales Handeln benutzt werden, so wird hier ein Stück Weltgeschichte „aus­gesondert“ zur Heilsgeschichte. Wie in der Hostie, so erkennt auch in diesem Stück Geschichte nur der Glaube den anwesenden und handelnden Gott.

Johannes sagt etwa so: Wenn ihr jetzt noch dem Gericht Gottes entgehen wollt, dann laßt euch taufen. Die Wassertaufe bewahrt vor der vernichtenden Feuertaufe. Aber auch die Johannestaufe erfordert ein Absterben. Wer aber an sich selber das Gericht vollzieht, wird nicht dem ewigen Gericht verfallen. Wer getauft ist, geht fortan als ein neuer Mensch durch die Welt. Er führt sein Leben schon nach dem Willen Gottes und braucht deshalb das Gericht nicht mehr zu fürchten.

PROGRAMMHINWEIS! Wir alle haben wohl dieses Wort schon in großen Buchstaben auf unserem Fernsehschirm gesehen. Und was dann folgte, waren kurze Ausschnitte aus einer Fernsehsendung, die am nächsten Tag oder in naher Zukunft ausgestrahlt werden sollte. Welchen Zweck haben solche Programmhinweise zu erfüllen? Mit ein paar interessanten Bildern und zugkräftigen Worten wird der Zuschauer auf eine kommende Sendung aufmerksam gemacht. Programmhinweise sollen also werben für ein bestimmtes Programm. Zwei Dinge soll der Zuschauer wissen: was ihn erwartet, wenn er zur angekündigten Zeit vor dem Bildschirm sitzt, und n was er verpaßt, wenn er nicht dabei ist.

Man könnte auch unseren heutigen Predigttext als solch einen Programmhinweis verstehen. Und Lukas ist der Mann, der aus dem großen Adventsprogramm einen kleinen Ausschnitt vorstellt.

Wir können Johanes nicht hinauswerfen. In Gottes Programm hat Johannes einen festen Platz. Es könnte allerdings sein, daß wir das bisher nur zu gern übersehen haben, weil uns Johannes nicht ins Programm zu passen schien. Genau wie beim Fernsehen! Was uns nicht zusagt, das überhören wir. Wir picken uns die Rosinen heraus! Doch eines muß uns ja klar sein: Beim Fernsehen geht es um Information und Unterhaltung, im Adventsprogramm Gottes um das einzigartige Angebot eines neuen, eines heilen Lebens. Und wer meint, es genüge, die Hauptsache zu erfassen, der irrt sich. Was hilft uns die schönste und genaueste Beschreibung eines Zieles, wenn wir den Weg dorthin nicht kennen?

Mit großer Sachlichkeit erinnert der Täufer uns an die Vorläufigkeit alles unseres Tuns. Trotz aller Ähnlichkeit seiner Verkündigung mit Jesus ist der Täufer nicht der Christus. Auch wir stehen, wenn wir seinen Ruf hören und ernsthaft befolgen, noch immer im Vorläufigen drin. Schon in aller seiner Unvollkommenheit jetzt kann unser „Tun“ menschliches Mühen, nicht aber „Frucht“ sein. „Frucht“ ist noch mehr. Der Unterschied zwischen der „Frucht“ und menschlichem Mühen ist ähnlich wie der Unterschied zwischen dem Tun einer Gouvernante und dem Tun einer liebenden Mutter. Christus sucht „Frucht“. Und er allein ermöglicht „Frucht“. Er wird mit Feuer und dem heiligen Geist taufen. Darauf sind wir auch heute täglich angewiesen. Das Offensein für den Nächsten setzt das Offensein für Christus voraus.

Johannes der Täufer wurde eigens ausgesandt, um auf das Kommen Jesu vorzubereiten. Gott überfällt uns nicht unerwartet, sondern läßt uns eine Zeit der Vorbereitung. An diesem Johannes können auch wir uns nicht einfach vorbeidrücken. Er richtet sozusagen erst einmal ein Stopschild auf der breiten Straße nach Weihnachten zu. Wir kommen nicht so schnell und einfach zur Krippe, sondern erst einmal müssen wir umkehren, wenn wir ans Ziel gelangen wollen.

Es könnte sein, Gott kommt wirklich, aber wir bauen ihm Hindernisse oder belassen vorsätzlich die bestehenden Sperren. Mancher bezichtigt Gott, zu ihm sei er nicht gekommen; aber er hat ihn nur nicht an sich herangelassen.

Es geht uns wie einer bankrotten Firma: Sie wird liquidiert oder sie kann höchstens noch mit Beteiligung eines anderen weiterbestehen. Das heißt für unser Christenleben: mit göttlicher Beteiligung! Nur so können wir weiterleben.

Am Beispiel zweier Berufsgruppen macht Lukas das noch einmal deutlich: Da kommen Zollbeamte und Soldaten und fragen: „Was sollen w i r denn tun? Die Verhältnisse zwingen uns doch einfach, die Leute zu betrügen oder zu töten!“ Sie meinen, ihre Welt stünde unter anderen Gesetzen und sie könnten nichts dagegen machen. Der Täufer aber meint, es gebe auch unter mißlichen äußeren Umständen genügend Möglichkeiten zur Umkehr. Er gibt aber nicht den Rat, daß sie ihren Beruf aufgeben oder die Waffen wegwerfen und desertieren. Er fragt nur danach, wie sie sich innerhalb des Gegebenen verhalten.

Die Zöllner sollen ihr Amt in Zukunft korrekt und in menschlicher Weise führen und damit eine Wendung zum Neuen vollziehen; am Beispiel des Zöllners Zachäus schildert Lukas dann später, wie so etwas konkret aussieht. Auch das Soldatsein läßt Johannes gelten. Er erörtert nicht, in wessen Dienst sie stehen. Aber er appelliert an ihre Menschlichkeit, vor allen Dingen jetzt, wo sie nicht im Kriegseinsatz sind.

Natürlich wird im echten Kampf nicht viel nach Menschlichkeit gefragt, vor allem nicht in den modernen Kriegen, wo man weittragende Waffen hat und das Ausmaß der Zerstörungen gar nicht mehr selber sehen kann. Aber man kann trotzdem vieles tun, um Schikanen und Mißhandlungen zu vermeiden.

Seine vorrangige Aufgabe ist nicht, Krieg zu führen, sondern Krieg zu verhindern. Gerade so gilt im umfassendsten Sinne: „Mißhandelt, schikaniert, erpreßt niemanden!“ Das muß sich jeder gesagt seinlassen, der - unmittelbar oder mittelbar - mit dem Instrument der Gewalt umgeht, und es wird für den Fortbestand der Menschheit ausschlaggebend sein, wie viele Menschen in ihrem alltäglichen Leben solche Umkehr - Gesinnung und - Praxis sich in persönlicher Entscheidung zu eigen machen.

 

 

Lk 4, 14 – 21 (Neujahr):

Am Neujahrsmorgen wünschen wir unseren Freunden und Bekannten ein gutes und erfolgreiches, gesundes neues Jahr. Vielleicht sprechen wir auch von einem gesegneten neuen Jahr. Aber überlegen wir uns dabei auch, was damit eigentlich gemeint ist? Wünschen wir dabei wirklich den Segen Gottes auf den anderen herab? Oder ist das zu einer Formel geworden wie unsre „Guten Tag“ oder „Grüß Gott“ in Bayern?

Auch Jesus spricht zu Beginn seiner Wirksamkeit vom Segen Gottes. Er verspricht seinem Volk das angenehme Jahr des Herrn. Vom Alten Testament her kennen wir die Einrichtung des Gnadenjahres: Alle 50 Jahre sollten die alten Besitzverhältnisse wiederhergestellt werden, alle Sklaven sollten freigelassen werden und keiner sollte mehr irgendwelche Vorrechte haben.

Wir wissen nicht, ob diese Bestimmung der Bibel in Israel jemals tatsächlich durchgeführt worden ist. Aber wir wissen, daß auch Jesus ein solches Gnadenjahr angekündigt hat. Allerdings hängt das nicht mehr vom guten Willen der Menschen ab, sondern nun tritt Gott in Aktion und beginnt sein Heil.

Deshalb zählen wir ja auch die Jahre von Christi Geburt an. Zwar haben wir offiziell jetzt das Jahr …. „nach unsrer Zeitrechnung“. Aber jeder wird sich doch fragen müssen: „Wonach richtet sich denn unsre Zeitrechnung?“ Und da sind wir wieder beim Handeln Gottes an der Menschheit, sind wir wieder bei Jesus Christus und seiner Geburt angelangt. Seitdem ist jedes Jahr ein Jahr des Herrn, oder wie man es früher auf lateinisch sagte „anno domini“ = im Jahr des Herrn.

Wir wissen nicht, was in diesem Jahr auf uns zukommt. Aber wir sollen wissen, daß es ein Jahr des Herrn ist. Es steht allein unter der Verfügung Gottes und ist allein durch seine Gegenwart bestimmt. Wir sind nicht irgendwelchen dunklen Schicksalsmächten unterworfen oder den Launen großer Männer, sondern wir haben auch im neuen Jahr allein nach Gott zu fragen.

Jesus hält hier ja gewissermaßen seine Antrittspredigt. So etwas ist immer eine besondere Sache. Wenn ein Pfarrer bei seiner ersten Predigt die Stufen zur Kanzel hinaufsteigt, dann ist das schon ein besonderes Gefühl. Er sieht Menschen, die meist freundlich dreinschauen, allerdings noch abwartend und ein wenig neugierig, wie sich der Neue wohl machen wird, aber selten feindselig oder ablehnend. Es ist eine schöne Ermutigung für einen neu angekommenen Pfarrer, wenn er mit großen Erwartungen freundlich empfangen wird.

Aber in solchem Verhalten liegt auch eine Versuchung. Man meint leicht, es müsse nun immer gute und gefällige Worte geben. Und man kann leicht in Bedrängnis geraten, wenn einmal von Gottes Wort her etwas gesagt werden muß, was unbequem ist und nicht gern gehört wird. Die Erwartungen können eben nicht immer erfüllt werden, es wird auch Widerspruch geben müssen. Aber entscheidend ist, ob dabei Gottes Sache betrieben wird.

Jesus ist auch auf Widerstand gestoßen, als er sagte: „Heute ist diese Schrift erfüllt vor euren Ohren!“ Es ist ausdrücklich gesagt: „vor euren Ohren“. Man kann also nur davon hören. Die Zuhörer aber beklagen sich: Sie wollen keine Reden hören, sondern sie wollen Taten und Wunder sehen. Aber Jesus bleibt dabei: Er lehnt es ab, seine Macht und Herrlichkeit und seinen Auftrag mit Wundern zu demonstrieren.

Die „holdselig“ angefangene Predigt, die das Wohlgefallen der Zuhörer hervorgerufen hat, endet so ziemlich unerfreulich. Ein Wort ergibt das andere und schließlich heißt es: „Sie standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus!“ Solange er sich in den eingefahrenen Geleisen bewegte, war es gut. Als er aber konkret wurde und vom „Heute“ sprach und vom Anspruch Gottes, da wollen sie ihn nicht mehr haben.

Das Wort „heute“ ist das eigentlich Aufregende an dieser Predigt. Ohne dieses Wort wäre der Gottesdienst in Nazareth verlaufen wie jeder andere. Die Leute hätten ihre religiösen Überzeugungen behalten und nicht missen mögen. Sie hätten sicher auch gesagt: „Es gibt einen ewigen und allmächtigen Gott, der die Welt geschaffen hat und heute noch regiert!“ Das ist immer wahr und regt niemanden auf. So etwas kann man immer schön sauber zu Papier bringen und im Gottesdienst immer erneut wiederholen. Aber es bringt doch niemand aus der Ruhe.

Jesus aber erregt mit einem einzigen Satz einen Aufruhr. Er rückt seinen Zuhörern auf den Leib, indem er sagt: „Jetzt ist die Stunde der Entscheidung!“ Jetzt könnt ihr nicht mehr nur zuhören, sondern müßt „ja“ oder „nein“ sagen. Das ist bis heute nicht anders. Aber viele kommen auch heute mit dem Gedanken zum Gottesdienst: „Mal sehen, was uns heute geboten wird!“ Man setzt sich in die Bank und harrt der Dinge, die da kommen sollen. Aber man ist entschlossen, sich nicht vom Sitz hochreißen zu lassen.

Aber in jeder Stundenkann uns Gott begegnen. Nicht jede Zeit ist wie die andere. Nach dem Kalender und der Uhr gleicht sich die Zeit natürlich, aber nicht nach ihrem Gehalt, nach den Ereignissen und Gelegenheiten.

Es gibt manchmal nur kurze Zeitspannen, die den Lauf der Geschichte für lange Zeit bestimmen oder doch wenigstens beeinflussen. Es gibt Augenblicke, in denen das Schicksal eines Volkes oder gar der ganzen Menschheit gewissermaßen an e i n e m Faden hängt. Eine Jahreswende gibt immer Anlaß, im Blick auf das Vergangene solche Entscheidungsstunden zu bedenken und im Blick auf die Zukunft sich darauf gefaßt zu machen.

Wenn wir es mit Gott zu tun haben, genügt es nicht, einige Richtigkeiten zur Kenntnis zu nehmen. Wir werden immer persönlich angesprochen und können reden oder schweigen, die Beziehung aufnehmen oder fliehen.

Die Leute von Nazareth haben theoretisch schon verstanden, was Jesus meinte. Aber es wollte ihnen nur nicht in den Kopf, daß dieser Jesus etwas Besonderes mit Gott zu tun haben soll, wo sie ihn doch von klein auf kennen und wissen, daß er ein Sohn Josephs ist und von Beruf ein Zimmermann. Auch seine Familie wird sehr unter den Ereignissen in Nazareth gelitten haben. Anfangs war er der Stolz der Familie, nun war er das schwarze Schaf und brachte große Schande über sie.

Es mag sein, daß wir im vergangenen Jahr auch nach stolz waren auf unsre Zugehörigkeit zu Gott. Aber vielleicht kann es im neuen Jahr schon zu einer Belastung werden. Dann wird sich zeigen müssen, ob der Glaube nur eine Tradition ist oder ob er fest in unsreem Leben verwurzelt ist.

Alle Zeit, die uns gegeben ist, ist Christuszeit, eine Zeit der offenen Tür. Es liegt nicht in unsrer Macht, die Türen bei Gott aufzuschließen oder gar aufzubrechen. Wir sind darauf angewiesen, daß er uns selber eine offene Tür schenkt. Die Tür kann auch einmal wieder verschlossen sein. Noch steht sie weit offen. Auch im neuen Jahr ist Gelegenheit, Gott zu begegnen und seine Hilfe zu erfahren.

Mißerfolge brauchen uns im neuen Jahr nicht umzuwerfen, denn Jesus nimmt unsre Versagen auf sich. Was wir drangeben müssen, erstattet er vielfältig. Er heilt unsre Krankheiten. Und wenn uns eines Tages die Krankheit zum Tode ereilt, dann führt er uns dadurch erst recht ins Leben.

Jesus lädt heute wieder alle ein, egal wie sie bisher gelebt haben. Er spricht nur von dem Gnadenjahr und läßt den zweiten Teil des Satzes, wie er noch bei Jesaja steht, das Wort vom Tag der Vergeltung, weg. Jesus sagt die Zeit der Liebe an. Er deckt unsre Vergangenheit mit der Liebe Gottes zu und gibt uns damit die Möglichkeit, in Zukunft uns mit Liebe für die Mitmenschen einzusetzen.

Man kam natürlich der Meinung sein, Jesus sei uns das Meiste schuldig geblieben, was er uns verheißen hat. Viele werden uns vorwerfen, wir redeten uns ja nur ein, es sei alles gut: Wenn uns etwas Mißliches trifft, würden wir es hinterher als wünschenswert bezeichnen, und wenn uns etwas Trauriges trifft, würden wir behaupten, es mache uns Freude. Das wäre nur ein billiger Trick, wenn wir alles Leidvolle wegdeuten wollten.

Wenn wir glauben, wird tatsächlich etwas anders. Wir können sogar das Schwere liebgewinnen, wenn wir darin die Hand Gottes erkennen. Und was als zerstörerisch erschien, kann heilend und aufbauend sein. Es gibt ungezählte Menschen, denen das einfach eine Erfahrung ist.

Aber auf der anderen Seite bedeutet das auch, daß die frohe Botschaft für die Armen nicht eine Vertröstung sein darf. Es muß einfach Freiheit für die Gefangenen, Heilung für die Blinden und Erlösung für die Mißhandelten geben. Deshalb werden wir aufgefordert, alles uns Mögliche zur Behebung dieser Not zu tun.

Wir sind nicht nur Hörer und Empfänger der Botschaft, sondern auch Menschen, die sie an andere weitergeben. Es gibt sicher viele Menschen, die von dem freundlichen Jahr des Herrn etwas hören möchten und die dadurch wieder Mut zum Leben finden könnten. Wenn schon,

dann soll es doch für alle ein Gnadenjahr werden.

Vielleicht denken wir nun an die vielen Menschen, die in Heimen leben müssen, wo Alte und Kranke betreut werden. Sie brauchen nicht nur Essen und Trinken, sie wollen nicht nur versorgt und gepflegt sein, sondern sie suchen nach einem Menschen, der ganz für sie da ist, der einmal einen Brief schreibt oder ein        gutes Gespräch mit ihnen führt.

Aber wir können ruhig auch an die Einsamkeit und Verlassenheit der vielen Menschen in unsrer Umgebung denken. Oder auch an die Menschen, die von Zweifel und Gottverlassenheit geplagt sind und die einen regelrechten Hunger nach Liebe haben.

Vielleicht können wir dabei so wie Jesus nur einzelne Zeichen aufrichten für das, was von Gott her allen zugedacht ist. Zunächst ist es noch so wie bei der aufgehenden Sonne, die ihre Strahlen vorausschickt, so daß der Horizont hell wird. Aber die große Umwälzung und die Neuordnung der Dinge stehen noch aus.

Das kommende Jahr soll uns dem ein Stück näherbringen. Es soll aber nicht nur für uns ein Gnadenjahr werden, sondern auch für die anderen. Daran müssen wir arbeiten. Da werden wir auch im neuen Jahr genügend Arbeit haben.

 

 

Lk 5, 1 – 11 (5. Sonntag nach Trinitatis):

„Petri Heil“ möchte man sagen, wenn man diese Geschichte hört. So etwas wünschen sich die Angler gegenseitig, oder auch die Fischer. Und dieser Wunsch kommt wohl von dieser Erzählung vom Fischzug des Petrus her. Einen großen Fang wünscht sich jeder Angler oder Fischer. Aber hier geht es ja gar nicht so sehr um die Fische, sondern in einem ganz anderen Sinn um das Heil des Petrus.

Er ging wie viele andere seinem Beruf nach. Ein harter Beruf, der mit viel Mühen und manchen Enttäuschungen verbunden war. Petrus und seine Kollegen haben gerade wieder eine solche Nacht hinter sich. Da aber tritt Jesus in ihren Arbeitsalltag. Gerade den arbeitenden Menschen will Jesus seine Botschaft sagen. Er hat keine Kirchgänger vor sich, die sich extra für den Gottesdienst feingemacht haben. Vielmehr macht er ein wahllos zusammengelaufenes Volk zu seiner Gemeinde, einen Fischerkahn zu seiner Kanzel.

An sich haben ja viele der Predigt Jesu zugehört und die Sache mit dem wunderbaren Fischfang miterlebt. Aber nur einige wenige lassen sich von Jesus rufen. An Petrus wird das beispielhaft deutlich. An ihm wird anschaulich, was letztlich von allen gilt, die in Jesu Dienst

treten.

Sie sollen „Menschenfischer“ sein. Im Markusevangelium ist allein dieses Wort überliefert. Lukas hat es gewissermaßen illustriert durch den Fischfang. Bei Johannes schließlich wird das Ganze erst in die Zeit nach Ostern verlegt. Lassen wir ruhig die Frage offen, wo dieses Wort eher hingehört: zu der ersten Berufung der Jünger oder zu der zweiten Berufung nach Ostern. Deutlich ist doch in jedem Fall: Wer Menschen für Jesus gewinnen will, der ist immer auf  i h n angewiesen, der kann es nicht aus sich selber tun, sondern nur mit diesem Herrn im Rücken.

Im Altertum wurde das Bild von der Menschenfischern nur in einem üblen Sinne gebraucht. Wir denken dabei vielleicht an manche christliche Sekten, die im Teich der Kirche fischen und die Leute der Kirche für sich gewinnen wollen. Sie treiben ja keine echte Mission, sie gehen ja nicht zu denen, die nichts von Gott wissen wollen, sondern sie wollen ja gerade die aktiven Leute der Kirche abwerben. Wenn heute überhaupt noch Mission getrieben wird, dann nur über die Kirche. Und da gibt es im Grunde auch nur zwei Möglichkeiten, nämlich über den kirchlichen Unterricht und zum anderen im Zusammenhang mit einer Eheschließung. Aber auch da liegt kein Verdienst der kirchlichen Mitarbeiter vor, sondern hier ist allein der Geist Gottes am Werk.

Der christliche Künstler Herbert Seidel hat diese Tatsache mehrfach in Bildern zum Fischzug des Petrus dargestellt. Da sieht man drei Männer, die sich wirklich abmühen, das volle Netz ans Ufer zu ziehen. Aber hinter ihnen steht Jesus. Er hat das Netzt in Wirklichkeit in den Hän­den und zieht es an Land. Die Männer meinen, sie hätten alles geschafft, aber in Wirklichkeit ist alles nur dem Herrn zu verdanken, der hinter ihnen steht.

Da hat im 19. Jahrhundert ein Missionar auf einer Insel Indonesiens gewirkt. Fünf Jahre hat er gepredigt, bis die Bewohner der Insel ihn aufgegessen haben, denn sie waren noch Menschenfresser. Es kamen aber andere Missionare dorthin und haben weiter gepredigt. Es hat noch einmal acht Jahre gedauert, bis die erste Frau sich taufen ließ. Heute ist dort eine blühende christliche Kirche. Und die Christen von heute können gar nicht verstehen, was ihre Großväter mit jenem ersten Boten des Evangeliums gemacht haben. Er hat sich abgemüht und keinen Erfolg mehr gesehen. Aber Gott hat doch noch das Netz eingeholt und einen reichen Fang sichergestellt.

Die Dienstleute Gottes müssen damit rechnen, daß sie sich anscheinend vergeblich bemühen. Der Kreis der Leute, die in der christlichen Gemeinde leben, wird immer kleiner. Die Chorsänger kommen nicht mehr. Es wird immer schwerer, Jugendliche oder Männer oder Frauen für die kirchlichen Veranstaltungen zu gewinnen. Da könnte man leicht den Kopf hängenlassen.

Man kann nur so sprechen wie Petrus: „Aber auf dein Wort hin, Herr Jesus, will ich es immer wieder versuchen!“ Und in der Tat stellt sich auch das ein, was wir in unserer Redeweise als „Erfolge“ bezeichnen. Aber wenn es anders kommt, als zunächst befürchtet, dann nur deswegen, weil der Herr der Kirche sein großes Wunder getan hat. Das eigentliche Wunder in dieser Geschichte dreht sich nicht um die Fische, sondern um den Glauben des Petrus und der paar anderen Jünger.

Dieses Wunder können wir auch bei uns immer wieder erleben. Die Zeiten, in denen die Kirche mit dem Zeitgeist segelte, waren nicht immer die besten für die Kirche; zu leicht hat man Menschenwerk mit dem Werk Gottes verwechselt. Umgekehrt hat man unter ungünstigen äußeren Bedingungen einen überwältigenden Ertrag erleben dürfen. Man kann nicht sagen: „Bei günstigen äußeren Umständen gibt es nur Scheinerfolge und bei schlechten kann man Wunder des Glaubens erwarten!“ So einfach ist das sicher nicht.

Aber die Kirche muß nun einmal lernen, daß sie sich nicht auf ihre Methoden und Erfahrungen und Kniffe verlassen kann. Sie hat sich höchstens ein gewisses handwerkliches Können anzueignen, sie sollte schon etwas von den Methoden der Verkündigung verstehen. Aber sie wird diese nie in den Griff bekommen. Sie wird vielmehr immer so wie Petrus sagen müssen: „Auf dein Wort hin!“

Das gilt auch für unser persönliches Leben. Wie manche Frau hat ihren Mann vorzeitig verloren und stand dann allein mit ihren Kindern da. Die Aufgabe stand vor ihr wie ein Berg, die Kinder allein durchzubringen. Vielleicht waren auch noch die alten Eltern zu pflegen. Da wird man leicht denken: „Das schaffst du nie. An einer solchen Aufgabe gehst du kaputt!“ So etwas kann man nur schaffen, wenn man seine feste Zuversicht auf Gott setzt. Manchmal ist man am Ende seiner Kräfte und sieht keinen Ausweg mehr. Aber die Zuversicht, daß Gott gerade einer solchen Frau beisteht, gibt doch immer wieder neue Kraft.

Allerdings kann man an so einem Fall auch immer wieder sehen, wie beschränkt die eigenen Kräfte sind. Das wird auch Petrus mit einem Schlag deutlich. Man hätte doch erwarten können, daß er beglückt über den großen Fang ist. Stattdessen erleben wir Erschrecken und Erschütterung bei ihm. Er erkennt auf einmal, wie schlecht sein Leben bisher war. Es geht dabei nicht um einzelnes Versagen, sondern er ist ganz und gar ein sündiger Mensch. Das erkennt er, als er Jesus begegnet. Jetzt merkt er: „Der und ich, wir passen nicht zusammen, denn er ist das Gegenteil von mir.“ Wer aber vor Jesus steht, der steht damit auch vor Gott.

Aber statt einer Strafe trifft ihn das Wunder, daß er nun auf einmal ein Mitarbeiter Gottes werden soll.

Diese Erfahrung muß man wohl erst gemacht haben, ehe man in den Dienst Jesu treten kann. Erst muß man zuhören, so wie das Petrus getan hat. Ehe man weitersagen kann, muß man erst einmal gehört haben. Und dann muß man erkennen, daß man im Grunde gar nichts ist und Gott allein der Handelnde ist. Wenn man sich nichts mehr auf die eigene Leistung einbildet, dann ist man reif für eine Aufgabe im Auftrag Jesu.

Jesus hält der Petrus für würdig, einen solchen großen Auftrag zu übernehmen. Damit bindet er ihn fest und erdgültig an sich. Jenes: „Fürchte dich nicht“, hat Petrus nie mehr aus der Ohren verloren. Als er später vor dem Hoher Rat steht, da sagt er: „Wir können es ja nicht lassen, vor dem zu reden, was wir gehört und gesehen haben!“

Man merkte dem Petrus noch später an, aus welch tiefer innerer Freude heraus er gesprochen hat. Er wollte mit Menschen Kontakt aufnehmen, um ihnen etwas von der guten Botschaft Gottes zu sagen. Auf einen solchen Kontakt warten heute vielleicht auch viele Menschen. Auch wenn sie sonst alles haben, fehlt ihren noch etwas zum wahren Menschsein. Dieses aber sind wir alle ihren schuldig, durch uns können sie es erfahren.

Wie sind zwar auch nur sündige Menschen. Aber Jesus betreibt seine Sache gerade mit sündigen Menschen. Es braucht also keiner so zu tun, als sei er ein makelloser Heiliger und als hänge der Fortbestand der Kirche an ihm. Die Kirche ist nicht das Unternehmen der Menschen, sondern immer Sache Jesu Christi.

Wenn wir ihm nachfolgen und in seine Dienste treten wollen, dann wird das zuweilen etwas mühevoll für uns sein. Aber das steht ja nicht einfach in unserm Belieben, ob wir uns zur Verfügung stellen. Jesus hat ja auch nicht lange gefragt, sondern ist in das Boot des Petrus gestiegen und hat ihm Anweisungen für die Fischerei gegeben und hat ihm den Auftrag zum Menschenfischen gegeben. Jesus ist eben mehr als ein Vorbild, das man sich selber wählt und notfalls auswechselt und auf das man verzichten kann, wenn man selber Fortschritte gemacht hat. Zu Jesus kann man niemals sagen: „Danke, jetzt komme ich auch allein weiter!“

Wir bleiben immer in unserm Leben auf diesen Herrn angewiesen. Aber wenn wir uns ihm zur Verfügung stellen, werden wir auch eine große Stütze in allen Dingen an ihm haben. Er wird dann unser Leben führen und leiten, wie es richtig ist. Und wir werden das nicht als ein lästiges Muß empfinden, sondern fröhlich bekennen wie Petrus: „Ich kann nicht anders!“

 

 

 

Lk 6, 36 – 42 (4. Sonntag nach Trinitatis):

Eine Frau hat sich mit ihrem Bruder verkracht. Sie wohnen im gleichen Haus, aber sie gehen sich aus dem Weg. Sie arbeiten nicht gegeneinander, aber sie betrachten sich gegenseitig als Luft. Ab und zu klagt die Frau anderen Leuten ihr Leid. Natürlich ist der Bruder daran schuld, daß alles so gekommen ist. Aber sicherlich war sie mindestens genauso daran beteiligt. Nachher will es dann immer keiner gewesen sein: man sucht nur die Schuld beim anderen, merkt aber gar nicht, welch gerütteltes Maß an Schuld man selber hat. Vielleicht ist die eigene Schuld sogar noch größer als die der anderen.

Aber so sind wir Menschen eben: Die Fehler des anderen fallen uns auf, aber über die eigenen sehen wir großzügig hinweg. Das ist in der großen Politik so: Da bricht ein Krieg aus. Jede Seite beschuldigt die andere, sie haben angefangen. Keiner will es gewesen sein, aber das Unglück ist da. Aber das ist auch in unserm Alltagsleben so: Wenn in der Schule einer bestraft wird, dann redet er sich gern damit heraus: „Aber die anderen haben noch mehr gemacht als ich!“

Wir waschen alle lieber die schmutzige Wäsche der anderen, anstatt vor der eigenen Haustüre zu kehren. Aber damit täuschen wir uns über unsere wirkliche Lage hinweg, wir versuchen es zumindest. Aber Gott läßt sich nicht bemogeln. Bei ihm können wir nicht die Aufmerksamkeit von uns weg auf andere lenken. Im Gegenteil: Gott ergreift Partei für unser Mitmenschen! Wir müssen damit rechnen, daß alle Anklagen gegen andere wieder auf uns zurückfallen. Darauf will uns dieser Abschnitt der Bergpredigt Jesu hinweisen.

Man könnte ihm zunächst die Überschrift geben: „Wie ich dir, so Gott mir!“ Mit unseren Mitmenschen gehen wir oftmals nicht gerade zimperlich um. Aber Kritik fordert Gegenkritik heraus, ein abschätziges Urteil wird mit Verachtung quittiert. Dadurch aber wird die Gemeinschaft untereinander zerstört: Wenn ich einen anderen verurteile, verliere ich den Zugang zu ihm und er wird nicht mehr auf mich hören. Aber auch andere werden mit der Zeit unsicher, wie sie sich dem Betreffenden gegenüber verhalten sollen. Ich sage zwar: „Ich will euch ja nur warnen, einen solcher unzuverlässigen Nichtskönner darf man doch nicht hochkommen lassen!“ Aber in Wirklichkeit machen wir mit einem solch lieblosen Richten mehr kaputt, als daß es hilft.

Dürfen wir uns denn nicht wehren, wenn uns einer geärgert hat? Doch wir wollen ja nur den anderen herabsetzen, um selber besser dastehen zu können. Dadurch wollen wir ja nur ablenken. Gott fragt: „Wie bist du?“ und wir antworten: „Aber der andere ist noch schlechter als ich!“ Bei dem anderen sehen wir halt immer sehr scharf, wo der Fehler liegt. Wir wollen ihm sogar helfen, den Splitter aus dem Auge zu entfernen. Aber' den Balken im eigenen Auge wollen wir nicht bemerken.

Meist wollen wir es gar nicht wahrhaben, daß es bei uns ein großer Balken ist. Wir fangen an, mit anderen Menschen und mit Gott zu streiten, bei wem der Balken und bei wem der Splitter zu finden ist, wer mehr oder weniger schuld ist. Doch darum geht es ja gar nicht. Viel wichtiger ist, die eigene Verkehrtheit einzusehen.

Wir sind alle miteinander blind, das ist doch die Wahrheit! Das Urteil darüber steht nur Gott zu. Er fragt nicht, ob andere dasselbe oder noch mehr verbrochen haben. Er will nur wissen: „Was hast d u getan?“ Und unsere Schuld wird nicht kleiner, wenn ein anderer sich auch schuldig gemacht hat.

Wir jedenfalls haben nicht das Recht, einen anderen zu verurteilen, selbst wenn er sich hundertmal schuldig gemacht hat. Verurteilen könnte höchstens einer, der völlig ohne Schuld ist. Aber Jesus hat einmal eine Ehebrecherin in Schutz genommen und zu ihren Anklägern gesagt: „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe der ersten Stein!“ Da haben sich alle nacheinander stillschweigend verkrümelt.

Nur Gott ist wirklich unparteiisch und nicht selber in einen Fall verwickelt. Er allein kann gerecht richten. Und er allein kann jeden von uns in seinem Handeln zurechtweisen. Er sagt: „Durchbrecht den Teufelskreis des Vergeltens und Wiedervergeltens! Bewegt euch stattdessen in dem Gotteskreis der Verzeihung und der Liebe! Achtet euren Mitmenschen und wertet ihn auf, dann wird er euch auch mit Achtung begegnen und gut von euch reden!“

Es geht dabei nicht nur um das Zusammenleben der Menschen untereinander. Man kann ja zunächst fragen: „Was tun denn Christen anderes als die Nichtchristen, bei ihrer täglichen Arbeit, in der Freizeit, auf kulturellem Gebiet, bei sozialer Tätigkeit?“ Äußerlich unterscheidet sich das tägliche Tun der Christen ja nicht von dem anderer Leute. Und doch durchdringt die Verbundenheit mit Christus alles Tun. Wir stehen zwar mitten in der Welt und sind ihren Anforderungen verpflichtet. Aber wir sind doch in das Kommende hineingezogen und leben aus dem Neuen. Das ist die Spannung, unter der unser Handeln steht. Sie kann auch dazu führen, daß wir uns vom Handeln anderer unterscheiden.

Irgendwo muß ja auch einmal deutlich werden, daß wir zwar i n der Welt stehen, aber nicht v o n dieser Welt sind. Wir sind auch noch einem höheren Herrn verpflichtet. Dieser ist uns sogar wichtiger als alle anderen Ansprüche. Schließlich geht es dabei ja um unser Zukunft Wie wir mit dem Mitmenschen umgehen, so wird Gott auch uns behandeln.

Die zweite Überschrift über diesen Bibelabschnitt aber lautet: „Wie Gott mir, so ich dir!“ Gleich der erste Satz ist der alles umspannende Bogen: „Gott ist barmherzig, da seid ihr es auch!“ Früher wurden die Leute an den Pranger gestellt und angespuckt. Luther aber sagt uns in seinem Katechismus: „Wir wollen unsern Mitmenschen entschuldigen, Gutes vom ihm reden und alles zum Besten kehren!“

Hier könnten wir am ehesten zeigen, daß wir „ganz der Vater“ sind. Von ihm haben wir viel Barmherzigkeit erfahren. Da werden wir doch wohl auch anderen gegenüber barmherzig sein können. Wir leben ja alle von der Güte Gottes. Wir stehen nicht nur alle unter der gleichen Drohung, sondern auch alle unter der gleichen Liebe Gottes. Er wendet sie auch denen zu, gegen die manches einzuwenden wäre. Gott ist eben ein „unverbesserlicher Optimist“, wie das einmal der Holländer Hoekendijk genannt hat.

Gott ergreift ja auch Partei für mich, gegen den viel einzuwenden ist. Er hebt mich auf die gleiche Stufe mit denen, über die er sich auch schon erbarmt hat. Dadurch entsteht eine ganze neue Gemeinschaft zwischen denen, die Gottes Barmherzigkeit erfahren haben. Vorher standen sie miteinander in Konkurrenz, wollten durch ihr Können zu Erfolg und zu Ansehen kommen.

Jetzt aber merken sie: Wir haben alle auf der gleichen niederen Stufe gestanden. Gott aber hat uns emporgehoben und unserm Leben, wieder einen neuen Sinn gegeben. Jetzt ist es nicht mehr nötig, von der eigenen Schuld abzulenken. Natürlich ist es zunächst immer angenehmer, sich mit den Fehlern der Nebenmenschen zu befassen. Es ist leichter, sich aufs hohe Roß zu setzen, als selber abzusteigen und demütig zu Fuß zu gehen. Aber weil Gott uns trotz unserer Fehler und Schwächen liebt, können wir unser Versagen ruhig eingestehen und brauchen es nicht mehr mit der Schuld der anderen zu vergleichen. Jeder macht einmal Fehler. Deswegen brauchen wir uns selbst und anderen nicht mehr zu beweisen, was wir doch für feine Menschen sind und wie verhältnismäßig gute Kerle wir doch noch sind.

Wir sollten auch den Versuch aufgeben, den anderen ändern zu wollen. Es muß sich schon jeder selber ändern. Das bedeutet aber auch: „I c h muß mich ändern!“ Das kann ich nämlich und dafür bin ich auch zunächst einmal zuständig. Wenn jeder das beachtet, braucht keiner in dem Bereich des anderen einzudringen.

Manchmal kann es allerdings auch hilfreich sein, den anderen auf Schwächen hinzuweisen. Es gibt ja Dinge, die merkt er gar nicht selber. Da wäre es lieblos, ihn nicht darauf hinzuweisen und ihn dem Gespött der anderen preiszugeben. Aber solche Hinweise müssen dann sachlich bleiben und mit reinem Herzen und aus der Liebe geschehen. Da darf keine heimliche Freude dabei sein, dem anderen eine auswischen zu können.

Es sollte auch keiner nur Anteilnahme und Hilfsbereitschaft heucheln, in Wirklichkeit aber sich überlegen fühlen. Es gibt ja so Leute, die tun immer überfreundlich und besorgt; aber im Grunde weiden sie sich innerlich daran, dem anderen seine Schwächen vorzuhalten. Aber Kritik an der eigenen Person würden sie nicht ertragen, aber sie fühlen sich besser als die anderen.

Es ist schon viel verlangt, wenn wir die eigenen Fehler einsehen sollen und mit denen anderer nachsichtig sein sollen. Doch Jesus hat es uns so vorgelebt. Wir können in unserm Urteil nicht strenger sein als er selbst. Wir sollten lieber versuchen, ihm gleich zu werden in der Liebe. Und wir müßten natürlich auch immer daran denken, daß wir selber uns einmal vor Gott zu verantworten haben und dann auch ganz auf seine Gnade und Barmherzigkeit angewiesen sein werden.

 

 

Lukas 7, 11 – 16 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Die schwerste Aufgabe, die einem Pfarrer in seinem Amt gestellt werden kann, ist die Beerdigung eines Kindes. Die eigentliche Trauerfeier ist dabei nicht einmal das Schlimmste, weil da alles nach einer vorgegebenen Ordnung abläuft und der Pfarrer nur Haltung bewahren muß; er darf nicht weinen, auch wenn ihm danach zumute ist, so wie den anderen auch.

Aber vielschwieriger ist das Gespräch mit den Angehörigen: Was soll man sagen, das ihnen eine Hilfe sein könnte? Was soll man den Eltern eines ermordeten Kindes sagen? Was den Eltern, deren Kind bei der Trennung der siamesischen Zwillinge gestorben ist?

Man kann das sagen, was alle sagen: Worte der menschlichen Anteilnahme, die meist nur ein wenig hinwegtrösten können. Man kann die biblischen Aussagen wiederholen, die zwar richtig sind, aber doch in dieser Situation zunächst einmal etwas weltfremd erscheinen. Gerade vom Pfarrer erwartet man in dieser Situation mehr als nur die Wiederholung von Bibelworten oder von allgemeinen Wahrheiten.

Wenn man Theologie studiert, um Pfarrer zu werden, dann denkt man noch nicht an solche Fälle. Aber dann erlebt er den Tod eines 17jährigen jungen Mannes. Er war das einzige Kind, ein netter Junge, wie er im Buch steht. Er kümmerte sich um einen Schulkameraden aus der Nachbarschaft, der durch ein Arzneimittel, das die Mutter während der Schwangerschaft genommen hatte, nur unvollständige Arme hatte. In der Schule war er gut. Er war in der kirchlichen Jugendgruppe, wo er einen sehr positiven Einfluß hatte. Und dann starb er von einem Tag auf den anderen an den Folgen einer Gehirnerkrankung in den Armen seines Vaters. Der Familie war die Zukunft genommen, denn er war der einzige Nachkomme.

In der Geschichte mit dem Jüngling von Nain ist die Situation noch einmal verschärft, weil eine Witwe ihr einziges Kind verliert und nun ganz allein dasteht. Witwen waren schon damals in einer schweren Lage. Deswegen nahm sich die Gesetzgebung schon damals ihrer besonders an, genauso wie der Fremden, der Armen oder der Tagelöhner. Aber dennoch hat eine Witwe es schwer, ihr Recht zu erkämpfen. Das zeigt sich auch darin, daß diese Frau ja ihren Ernährer verloren hat. Sie hat keinen mehr, der ihr einmal handwerkliche Arbeiten erledigt oder zu den Behörden geht. Sie hat niemanden mehr, mit dem sie einmal über ihre Probleme sprechen kann. Ihre Zukunft war so dunkel, daß sie am liebsten auch gleich mit gestorben wäre.

Wie kann es in dieser Lage noch eine Hilfe geben? Unsere Erfahrungen sind doch andere. Wenn so etwas bei uns passierte wie eine Totenauferweckung, dann wäre das doch das Sensationellste des Sensationellen. Aber bei Lukas steht diese Geschichte völlig unbetont in einer Reihe mit den anderen Werken Jesu. Überhaupt machen die Totenerweckungen im Neuen Testament wenig von sich her.

Das Wunder von Nain scheint sich nicht besonders herumgesprochen zu haben. Es geht ja auch nicht um eine Sensation. Es geht nicht einmal um die Überwindung des Todes durch Jesus, denn der junge Mann ist ja längst ein zweites Mal gestorben. und nunmehr endgültig. Wenn der Tod besiegt werden soll, dann muß mehr geschehen als das Zurückrollen des alten Lebens in die alte Welt hinein. Vielleicht hat Jesus den jungen Mann ja nur davor bewahrt, als Scheintoter lebendig begraben zu werden.

Das Wunder Jesu ist aber ein Zeichen. Wir sollen nicht staunen, daß Jesus einen Toten auferwecken konnte. Vielmehr geht es hier darum, daß im Wirken Jesu die helfende Nähe Gottes gepriesen wird. Mit einem Schlagwort könnte man den Sinn dieser Geschichte so zusammenfassen: Schach dem Tod!      

 

1. Mattgesetzt ist er noch nicht: Paulus schreibt, er sei der letzte Feind, der vernichtet werden

wird. Was sich da in Nain abgespielt hat, ist doch nur ein Vorspiel der eigentlichen Auferweckung. Aber ansonsten ist unsere Welt zwar in erster Linie geprägt durch das Leben, aber dann auch durch den Tod. Dieser ist das Zeichen dafür, daß unsre Welt noch zerfallen ist mit Gott.

Wir lehnen uns deshalb gegen das Sterben auf, weil wir den Zorn Gottes fürchten. Die Überwindung des Todes kann sich nämlich nur in einem Ganzen vollziehen, da muß mehr geschehen als ein Sprung in die Unvergänglichkeit. Vor allem geht es ja auch darum, daß nicht w i r handeln, sondern Gott. An sich sind wir weit weg von ihm. Aber er hat sich aufgemacht und ist zu uns gekommen.

Die Geschichte erinnert stark an eine Geschichte aus dem Alten Testament, in der der Prophet Elia auch den Sohn einer Witwe wieder zum Leben erweckt. Wenn Jesus nun das Gleiche tut, dann soll damit gesagt werden: Die Prophetie ist wieder erwacht. Seit langem beklagte man sich darüber, daß man sich in einer prophetenlosen Zeit befand. Man wartete darauf, daß ein glaubhafter Prophet erstehen würde. Schon in Johannes dem Täufer sah man den wiedergekommenen Elia. Dann wurde Jesus als der neue Prophet angesehen. Daß er mehr ist als das, das hat man in Nain damals noch nicht erkannt.

Aber man jubelte: „Es gibt wieder unter uns Prophetie! Der Himmel ist nicht mehr für uns abgeriegelt. Gott wendet sich uns wieder zu. Die Sünde kann Gott nicht mehr von seinem Volk fernhalten. Die Zeit des Schweigens Gottes hat ein Ende!“ Daß Gott wirklich da ist, kann man daran sehen, daß er dieses Machttat vollbracht hat. Tote erwecken kann nur Gott, aber er tat es durch Jesus. Zum Kommen Gottes gehört auch die Überwindung des Todes.

 

2. Jesus wirkt konkret: Doch es wir hier nicht nur eine neue Weltstunde ausgerufen, sondern es wird hier konkret gehandelt an einem jungen Mann und seiner Mutter. Jesus wirkt durch das Wort, aber dieses hat auch wirkende Kraft, besonders an hilfsbedürftigen Menschen. Jetzt gibt es einen Großeinsatz der erbarmenden Liebe Gottes. Er könnte seine Schöpfung fallenlassen. Aber er kann es nicht ansehen, daß sie an ihrer Sünde kaputt geht. Aber er bringt sich nicht mit Macht zur Vernunft, sondern er liebt sie über alle Maßen.

Liebe und Erbarmen fangen an mit dem Sehen: Jesus sieht die Not dieser Witwe. Der Evangelist Lukas verwendet hier ein Wort, das er sonst nicht im Zusammenhang mit Jesus gebraucht: Es ging ihm an die Nieren, es drehte ihm die Eingeweide um! Die sogenannten „Wunder“ Jesu sind Liebestaten. Sein tätiges Eintreten für Rechtlose, Arme und Verlassene ist aber nicht nur ein Zeichen seiner menschenfreundlichen Gesinnung, die in seiner Persönlichkeit begründet liegt. Es geht nicht nur um den Menschenfreund, sondern um einen Angriff der Liebe Gottes auf das ganze Geflecht von unsichtbaren Mächten und Zwängen, der die Welt wegen ihrer Sünde unterworfen ist.

Diese Witwe empfängt beispielhaft die Liebe Gottes, so daß sich ihr Geschick wendet. Nicht umsonst heißt es: „Er gab ihn seiner Mutter!“ Es geht nicht nur um den Sohn, sondern die ganze Tat war eine Tat des Erbarmens an dieser Frau. Damit fängt überraschend im Haus der Frau ein neues Leben an.

Man kann natürlich fragen: Warum sorgt Gott nicht von vornherein dafür, daß solche Fälle sich überhaupt nicht mehr ereignen? Doch Glaube ist eben immer ein Wagnis: Er soll auch bestehen bleiben, wenn es einmal nicht so läuft, wie wir es uns gewünscht haben. Es wird uns zugemutet, daß wir uns durch die Anfechtungen durchkämpfen. Ein schweres Schicksal läßt

uns nach Gott fragen.

Wir sind nicht Jesus, wir können nicht erreichen, daß ein Toter sich wieder aufrichtet und zu reden anfängt. Aber eins können wir tun: Wir können traurigen Menschen, die verlassen und ohne Hoffnung dastehen, beistehen. Jesus tut heute seinen Dienst durch die Kirche und durch jeden einzelnen in ihr. Und deshalb sind wir aufgefordert, das zu tun, was wir können. Und wenn wir etwas in dieser Richtung tun, dann ist das ein Zeichen, das auf Kommendes hinweist. Dadurch steht der Tod schon im Schach: Noch ein oder zwei Züge, dann ist er mattgesetzt.

 

3. Der Tod von Nain ist noch nicht der große Tag der Auferstehung: Aber das ist ein Machtzeiten Jesus deutet auf diesen Tag hin. Jesus wir mit dem Tode fertig. In Nain wird der verhangene Horizont ein Stück aufgerissen. Dieses Zeichen soll man wahrnehmen.

Aber die Wiederherstellung des sterblichen Lebens ist nicht die Überwindung des Todes. Unvergängliches Leben gibt es nur in der neuen Welt, die den Begrenzungen des irdischen Lebens entnommen ist. Wir dürfen uns freuen über die Fortschritte der Medizin, über die gestiegene Lebenserwartung. Aber eine Auferweckung in die alte Welt hinein kann doch nicht das Ziel sein.

Deshalb steht auch die Figur des Todes noch auf dem Schachbrett unseres Lebens. Aber Jesus weiß schon die nächsten Züge. Der Ausgang des Spiels ist nicht zweifelhaft. Wir können uns ruhig schlafen legen. An unseren Sarg wird Jesus treten und uns auferwecken.

Das ist die Botschaft, die wir denen sagen können, die in großer Trauer sind. Wenn wir die Frage vom Anfang „Was können wir einem trauernden Menschen sagen?“ noch einmal aufnehmen, dann können wir schon etwas tun. Letztlich ist es doch nur Gottes Wort, das uns im

Angesicht des Todes (eines anderen oder des eigenen) weiterhelfen kann. Joachim Fuchsberger sagte einmal im Fernsehen: „Ich beneide die Menschen, die glauben können!“ Wir brauchen niemanden zu beneiden, weil wir selber glauben und dadurch auch anderen helfen können.

 

 

Lk 7, 36 -50 (11. Sonntag nach Trinitatis):

Peinlich ist diese Geschichte, in die Jesus da hineingezogen wird. Stellen wir uns nur vor, uns würde so etwas passieren. Es brauchte nur jemand hier in den Gottesdienst zu kommen, der sich selbst außerhalb der Gesellschaft gestellt hat oder von ihr an den Rand gedrängt worden ist. Vielleicht war er im Gefängnis wegen krimineller Sachen. Nun ist er entlassen und kommt in die Kirche. So etwas gibt es ja tatsächlich. Wir würden doch zumindest erwarten, daß er sich still und bescheiden irgendwo in eine Ecke setzt und brav zuhört. Wir würden denken: „Das ist sein Platz, dort gehört er hin. Daß er zurückhaltend ist und aufmerksam zuhört, das gehört sich, sofern sich einer an diese Regeln hält, dann könnten wir einen solchen Menschen schon ertragen!“

Aber wenn er durch irgendetwas die Aufmerksamkeit auf sich zieht und sich in den Vordergrund spielen will, dann gehen wir doch sofort in eine Abwehrstellung. Wer Dreck am Stecken hat, der muß sich erst einmal bessern, muß erst einmal unter Beweis stellen, daß er ein anderer geworden ist, ehe er vor der Gemeinschaft wiederaufgenommen werden kann. Wenn aber so einer herausfordernd auftritt, dann fänden wir uns sicher bald auf der Seite des frommen Pharisäers, der Jesus kritisiert.

Dieser Mann handelt gesetzlich völlig korrekt. Er hat den durchreisenden Prediger und Lehrer bei sich eingeladen. Er redet ihn sogar als „Rabbi“ an, obwohl er das vor Amtswegen gar nicht ist, denn er ist nicht zum Predigtamt ordiniert. Aber man soll ihm eben nichts nachsagen können.

Doch der Pharisäer tut nur, was das Mindeste an Anstand von ihm verlangt. Wenn man einen Gast besonders herzlich begrüßen wollte, dann ließ man ihm durch einen Sklaven die Füße waschen oder stellte zumindest Wasser für ihn hin. Man begrüßte ihn mit einem Kuß oder salbte sein Haupt mit Öl, wie es im 23. Psalm heißt. Doch Pflicht war das alles nicht. Man war auch anständig, wenn man all das nicht tat.

Daß dann diese Frau hereinkommt, war nicht vorgesehen. Ihr Erscheinen läßt das Gespräch ersterben. Der Pharisäer Simon geht sofort in Abwehrstellung: „Sie ist eine Sünderin!“ So drückt er seinen Abscheu aus. Bei ihm ist im Unterschied zu ihr alles wohlgeordnet. Er kennt Gott und Gottes Gesetz. Er hat sich darin eingeübt, Gottes Gesetz sorgfältig zu halten. Also sind seine Beziehungen zu Gott durchaus normal. Hier ist nichts zu bereinigen und nichts zu befürchten. Die ewige Seligkeit ist für ihn eine ausgemachte Sache!

Andererseits aber ist es ausgemachte Sache, daß Gott sich von einer solchen Frau nur trennen kann. Simon kennt einigermaßen ihre Lebensgeschichte. Das reicht, um darüber Klarheit zu gewinnen, wie man sich ihr gegenüber zu verhalten hat; von so einer kann man sich nur sorgfältig fernhalten. Und auch für Gott muß es klar sein: Die Frau hat verspielt.

Simon hat Jesus zunächst für einen Propheten gehalten. Aber wenn er das wäre, dann müßte er wissen, wie es um diese Frau steht. Aber er weiß es offenbar nicht, sondern läßt sich alles gefallen. Also kann er auch kein Prophet sein. Für den Pharisäer ist nun alles klar: Er hat sich in Jesus getäuscht!

Dieser Simon ist ein Beispiel dafür, wie man trotz aller Kraftanstrengung dem Herrsein Gottes nicht gerecht wird. Er erfüllt das Gesetz bis zum I-Tüpfelchen. Aber er verhärtet sich immer mehr und lehnt schließlich Jesus ab und wird zum Feind Gottes. So erreicht er gerade das Gegenteil vor dem, was er wollte.

Aber so geht es denen immer, die aus eigener Kraft ein vollkommener Marsh werden wollen. Es ist nun mal die Überzeugung des natürlichen Menschen, daß man sich anstrengen und an sich selber arbeiten muß, um sittlich zu reifen und eine ethische Persönlichkeit zu werden. Gutsein ist dann eine Leistung des eigenen Willens. Und wer Böses tut, der hat nur nicht genug Willenskraft gehabt und ist deswegen zu verachten.

Auf der menschlichen Ebene ist so ein Denken durchaus berechtigt. Sonst brauchte man sich nicht um Erziehung zu bemühen und nicht versuchen, Menschen zu formen nach seinen eigenen Vorstellungen bzw. denen der Gesellschaft. Nur: Vor Gott liegen die Dinge anders. Da versagt das Gesetz, da wird das Selbsterarbeitete sogar zur Gefahr und zum Hindernis, weil es zur Lieblosigkeit gegenüber denen führt, die es noch nicht so weit gebracht haben.

Simon wird etwas unsanft aus seinen Überlegungen herausgerissen, als Jesus ihn anspricht: Er versucht schnell, Haltung zu gewinnen, denn innerlich kocht es in ihm. Korrekt spricht er Jesus sogar mit „Meister“ an. Aber es ist der einzige Satz, den er in der ganzen Szene spricht. Er muß antworten, weil ihm eine Frage gestellt worden ist, aber sonst bleibt er stumm.

Das Gleichnis von den beiden Schuldnern ist so einleuchtend, daß es kein Ausweichen mehr gibt. Auch Simon muß zugestehen, daß der mehr lieben wird, dem viel vergeben worden ist. Jesus sagt ihm darauf: „Du hast das richtige Urteil gefällt, auch über dich selbst!“ Simon ist derjenige, dem wenig erlassen wurde und der darum auch wenig liebt.

 

Wenn man nur gesetzlich denkt und sich den Himmel selber verdienen wi1, braucht man Gott gegenüber nicht dankbar zu sein. Es entsteht keine Liebe, sondern Gott wird zum Vertragspartner, dem man etwas bringt und der einem darum auch etwas schuldet. Dann beweist man Gott nicht nur seine Unschuld, sondern auch seine Erfolge und Vorzüge und braucht sich nichts schenken zu lassen. Da gibt es kein Zeichen der Freude und Dankbarkeit, keine Liebe und Zuneigung. Korrektheit erzeugt Kälte.

Aus der Vergebung leben aber läßt Liebe entstehen. Das kann man an der Frau erkennen. Man kennt sie als Sünderin. Worin ihre Sünde besteht, wird nicht gesagt. Man hat immer auslegen wollen, daß es sich um Ehebruch gehandelt habe. Verstöße gegen das sechste Gebot werden immer wieder als „die“ Sünde angesehen, als gäbe es keine anderen. Doch eine Ehebrecherin hätte ein Pharisäer nicht nur verachtet, sondern gesteinigt. Aber es ist an sich ganz gleichgültig, um welche Schuld es sich handelt, jedes Gebot wiegt gleich schwer.

Nun aber durchbricht die Frau zusätzlich gesellschaftliche Normen. Sie dringt in eine Männergesellschaft ein und beschäftigt sich mit Jesu Füßen. Als besonders schamlos galt dabei, vor Männern das Haar zu lösen. Aber ihr Handeln weist auf eine bewußte Selbstdemütigung hin.

Jesus versteht, was die Frau damit sagen will. Er hört daraus die Liebe und Verehrung, aber auch die Reue und die Dankbarkeit. Vor Jesus braucht sich keiner zu schämen, der über seine Sünde weint. Denn er hat sich von der Sünde losgesagt, nicht nur mit Worten, sondern aus tiefstem Herzen.

In dem von Jesus erzählten Gleichnis ist die Liebe die Folge des Erlasses der Schuld. In der Salbungsgeschichte dagegen ist die Liebestat die Voraussetzung der Vergebung. Doch man muß hier nicht unbedingt einen Widerspruch sehen. Die Sündenvergebung könnte auch schon vor der Handlung der Frau geschehen sein auch wenn sie erst ganz am Schluß mit Worten ausgesagt wird. Allgemein kann man sagen: „Die Liebe ist sowohl eine Voraussetzung wie eine Folge der Vergebung!“

Von der Liebe der Frau kann man zurückschließen auf die Größe der Vergebung, die ihr widerfahren ist. Wem am meisten erlassen ist, der liebt am meisten. Aber gerade so gewinnt Gott seine verlorenen Menschenkinder zurück. Menschen Gottes sind gerade nicht die, die

sich zutrauen es zu sein. Sondern gerade die sind Gottes Kinder, die es zunächst nicht waren, aber Gottes vergebende Gnade empfingen.

Sollen wir uns nun nicht nur in dem Pharisäer, sondern auch in der Sünderin wiedererkennen? Auch das wird uns schwerfallen. Denn wir sagen uns doch immer wieder: Ich bin ja nicht so!“ Der Pfarrer sagt es zwar immer wieder, daß wir Sünder sind, aber es stimmt ja nicht, jedenfalls nicht bei mir.

Doch die Schuld der beiden Menschen im Gleichnis verhält sich nicht wie 10 zu 0, sondern immerhin wie 10 zu 1. Also auch der „kleine Sünder“ ist ein Sünder. Wir können die Sünder nicht in Gruppen einteilen. Jeder ist Sünder auf seine Weise, der eine mehr grob und auffällig, der andere mehr verdeckter und vornehmer.

Doch Jesus redet mit einem jeden über seine Sünde, nicht über die der anderen. Wenn einer sich zu den weniger Verschuldeten rechnet und sich seines Vorteils freut, so verunsichert Jesus ihr sofort wieder. Seine Sünde liegt ja gerade darin, daß er der Frau etwas vorauszuhaben meint und überheblich wird.

Jesus aber möchte, daß wir durch seine Vergebung zu großer Freude und Dankbarkeit gelangen. Aus dem Überwältigtsein von der vergebenden Güte Gottes entsteht neues Leben, das sich dann in unserer Liebe zu Jesus und der von ihm geliebten Menschen Ausdruck verschafft. Das letzte Wort hat nicht die Schuldfrage, sondern der Zuspruch der Vergebung. Dieser macht es möglich, Jesu Freiheit in Liebe umzusetzen, die keine Grenzen kennt.

 

 

Lk 9, 10 – 17 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn man fragt, welches wohl für die meisten Menschen die wichtigste Bitte im Vaterunser ist, dann wird die Antwort wohl sein: „Die Bitte um das tägliche Brot!“ Das ist eine ehrliche Antwort, die sicher auch der Wirklichkeit entspricht. Unter dem täglichen Brot ist ja nicht nur das Brot zu verstehen, das es beim Bäcker gibt, sondern das ist ja weit umfassenderes gemeint: Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Arbeit und Urlaub, Glück und Zufriedenheit, bis hin zum Frieden in der Welt.

Der heutige Predigttext stellt Jesus vor als den Heiland der Seele u n d des Leibes. Die Jünger sind gerade von einer großen missionarischen Aktion zurückgekommen, eine Verschnaufpause wäre ihnen eigentlich zu gönnen gewesen. Doch Jesus beginnt sein Handeln an den Menschen damit, daß er ihnen auch wieder predigt. Er beschäftigt sie mit der Frege, wie Gott in der Welt und in ihrem Leben endlich zur Herrschaft kommt.

Die Dringlichkeitsskala der Menschen sieht meist anders aus, auch die Praxis der Frommen. „Erst kommt das Fressen, dann die Moral!“ sagt Brecht. Und wir denken: Erst einmal unsere Pflicht, dann das mit Gott. Zuerst muß man einmal leben können. Und wenn das gesichert ist, dann kann man auch einmal an den lieben Gott denken, wenn man will.

Natürlich wäre es grausam, die hungernden Menschen in den unterentwickelten Ländern nur geistlich trösten zu wollen. Wenn in so elementarer Weise die Sorge um das tägliche Brot drängt, dann kann man nicht aufnahmebereit sein für die Botschaft Gottes. Aber bei aller Entwicklungshilfe sollten wir ihnen auch nicht das geistliche Brot schuldig bleiben. Waffen allein tun es nicht, auch nicht Maschinen oder Weizen, sondern zu einem erfüllten Leben gehört auch das Wort Gottes.

Umgedreht kann man aber auch sagen: Wenn wir wirklich immer nach Gottes Reich trachteten, dann wäre es erst gar nicht zu dieser Not gekommen. Und wir hätten in der Kriegs- und Nachkriegszeit nicht zu hungern brauchen, wenn wir dem Verführer Hitler widerstanden hätten. Daß es Not in der Welt gibt, ist weitgehend Schuld der Menschen. Und wenn wir mehr auf Gott hörten, wäre vielleicht manches Problem in der Welt schon gelöst.

Nun gibt es aber Christen, die meinen, die alltäglichen Dinge hätten in der Kirche nichts zu suchen. Jesus sei für den Himmel zuständig, nicht für die irdischen Angelegenheiten, es ginge um das ewige Heil und nicht um das tägliche Wohl. Die Kirche habe sich nicht um Rassismus und Hunger zu kümmern, der irdische Frieden sei Aufgabe der Politiker, die Weltereignisse gehörten nicht in die Predigt, seien sie beklagenswert oder lobenswert: Gottesdienst sei etwas anderes als eine Nachrichtensendung oder eine Pressekonferenz.

Diese Christen begrüßen es auch, wenn die Abkündigungen am Anfang des Gottesdienstes stehen, ehe es so richtig losgeht. Ebenso soll die Kollekte nur am Ausgang stehen, damit der eigentliche Gottesdienst getrennt wird von den Dingen, die zwar nötig sind, aber nicht zur Hauptsache gehören.

Doch immer wo wir vom Eigentlichen reden, von den „zentralen“ Anliegen des Glaubens, stehen wir in der Gefahr, die Zuständigkeit Jesu einzugrenzen. Da will man den Himmel säuberlich von der Erde trennen. Doch Jesus macht deutlich, daß er nicht nur für die „höheren Dinge“ zuständig ist. Seine Botschaft betrifft den ganzen Menschen, er nimmt auch die leiblichen Bedürfnisse und Nöte ernst. Zur Verkündigung tritt die Diakonie, zur Seelsorge die Leibsorge, zur Heilung der Beziehung zwischen Gott und Mensch tritt die Erneuerung der Beziehung der Menschen untereinander, zum religiösen Bereich kommt der soziale.

Die Geschichte ist aus der Sicht der Zeit nach Ostern erzählt. Da wirkt Christus zunächst nur im Wort. Der Vollzug dessen aber, was er gebietet, ist Sache der Jünger. Die Versuchung der Kirche ist aber schon immer gewesen, die Menschen zu entlassen und wegzuschicken. Jesus aber sagt: „Gebt i h r ihnen zu essen!“ Sie dürfen nicht abschieben, wo sie selber gefordert sind.

Natürlich gilt immer: E r macht es, aber er will es durch u n s tun! Seine Leute sind die Werkzeuge für sein Wirken. Sie sollen beispielhaft und zukunftweisend zu erkennen geben, was Gott mit allen Menschen vorhat. Im Handeln der Kirche ragt das Kommende schon anbruchsweise in unsere Welt hinein.

Doch die Ausrede der Jünger lautet wie so oft: „Wie sollen wir geben, wir haben ja selber fast nichts!“ Wenn Jesus nicht da wä.re, dann spräche die Wirklichkeit eindeutig für die Jünger, dann würden sie die Lage nur aufgrund der Tatsachen nüchtern einschätzen. Aber wo Jesus ist und wirkt, ist kein Grund, daß man aufgibt.

August Hermann Francke fand in einer bisher nur kärglich gefüllten Sammelbüchse eines Tages 4 Taler und 16 Groschen. Das war ein Kapital, von dem er etwas Rechtes stiften wollte. Er fing eine Armenschule damit an, aber daraus geworden sind die Franckeschen Stiftungen in Halle, die heute noch bestehen.

Der Holländerin Corrie ten Boom war es gelungen, eine Flasche mit Vitamintropfen ins Konzentrationslager zu schmuggeln. Wochenlang gab sie den Frauen in ihrer Baracke ein paar Tropfen ab. Sie hatten alle den Eindruck, der Flascheninhalt würde kaum weniger. Als es dann den Häftlingen gelang, aus der Krankenstation Vitamintabletten herauszuschmuggeln, waren auch die Tropfen aufgebraucht.

Man muß erst einmal mit dem beginnen, was vorhanden ist. Jesus kann dafür sorgen, daß das bißchen doch weiter reicht, als man zunächst dachte. Es kann sich doch noch ein Ausweg zeigen, wo zunächst nichts in Sicht war. Wir wissen nicht, wie es bei der Speisung zugegangen ist. Jesus sucht nur Verbindung zu seinem Vater, er spricht das Dankgebet für das Brot und die Fische, er reicht weiter. Denen, die er satt gemacht hat, ist nichts aufgefallen, so daß sie in Staunen oder Jubel hätten ausbrechen müssen. Hier gibt es nichts Sensationelles.

Wir sollten auch nicht vergessen, daß Jesu lebenserhaltenes Wirken auch in dem geschieht, was wir für normal halten. Natürlich geschieht auch viel menschliches Bemühen in der landwirtschaftlichen Produktion. Aber hinter allem und in allem vollzieht sich das Wirken

des Schöpferwillens Gottes, den wir an Jesu Tun ablesen können. Wenn es auf den Feldern wächst, dann teilen sich die Zellen im Korn, wie wenn Jesus von dem Brot abbricht und austeilt.

Aber noch wichtiger als die Gabe ist der Geber. Die Szene ist verständlicher in der nachösterlichen Zeit. Die Aufteilung in Gruppen zu je 50 Leuten wäre in der Wüste nicht sinnvoll gewesen. Aber in einer Gemeinde von 5.000 Menschen ist es gut, wenn man überschaubare Gruppen bildet, damit menschliche Verbundenheit untereinander entstehen kann. Wenn man bei Jesus bleiben will, kann man den Nebenmann zur Rechten und zur Linken nicht mehr

aus dem Spiel lassen. Für das Schicksal des anderen kann man sich aber nur interessieren im überschaubaren Kreis. Hier läßt sich der Hunger nach Liebe und Anerkennung und nach einem Sinn im Leben besser aussprechen und dann auch stillen.

Die Jünger sind dann für das Ganze verantwortlich. Sie teilen die Speise aus, die Jesus als der Gastgeber geschenkt hat. Wiederum ist hier vor Augen, wie der lebendige Herr auch heute in seiner Gemeinde gegenwärtig ist. Zu der Predigt kommt noch das Mahl, in dem man ihn selbst aufnimmt. Wir haben ihn in uns wie das Brot, das wir aufnehmen und das sich in Lebenskraft umsetzt.

Es geht dabei um einen Prozeß Nehmens und Gebens, von dem keiner ausgeschlossen ist. Wenn man immer nur geben müßte, ohne selber etwas zu empfangen, wäre das eine Überforderung. Ohne das Weiterreichen aber bliebe das Abendmahl im Unverbindlichen. Die tätige Liebe braucht die Kraft vom Abendmahl her, sonst versandet sie.

Wenn geholfen werden soll, muß ein Helfer da sein, der selber durchhalten kann. Es wäre sicher gut, wenn wir bei jedem Abendmahl (vor allem bei dem heute zu feiernden) das Bild der Speisung der 5.000 vor Augen hätten: der Herr, der das Brot bricht - die Jünger, die austeilen - die Gemeinde, die empfängt und dabei von Jesus nicht nur das Irdische, sondern auch das Himmlische geschenkt bekommt.

 

 

Lk 12, 35 – 40 (Altjahrsabend):

In wenigen Stunden geht das alte Jahr zu Ende. Wir werden das neue Jahr mit Raketen und Kanonenschlägen und manch anderem Krach begrüßen. Ursprünglich sollten dadurch ja böse Geister vertrieben werden, die besonders in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ihr Unwesen treiben sollten. Wir glauben natürlich nicht mehr an solche Geister, wir leben in einer aufgeklärten Zeit. Aber warum machen wir (oder viele bei uns) diesen Quatsch noch mit? Warum hat auch der Staat nichts dagegen?

Vielleicht ist mit dem Jahreswechsel doch eine geheime Angst verbunden, die durch den Krach übertönt werden soll. Einmal geht es dabei um die Angst vor der Zukunft; doch davon wird eher morgen an Neujahr zu reden sein. Noch mehr aber werden wir heute Angst empfinden, wenn wir an das denken, was hinter uns liegt. Wenn ein Kind in den dunklen Keller oder durch den Wald gehen soll, dann pfeift es oft vor sich hin, um sich nicht so allein fühlen zu müssen. Vielleicht brauchen wir auch den Krach an Silvester, um unsree Angst zu verscheuchen. Und vielleicht braucht man auch den Alkohol an so einem Tag, um sich wieder etwas Mut anzutrinken.

Wir ziehen auch wohl alle Bilanz an so einem Tag wie heute. Das Jahr wird vor unsreem in­neren Auge ablaufen wie ein Film, in der wir doch irgendwie die Hauptrolle spielen. Es wäre schön, wenn wir die hellen und heiteren Stunden mehr im Gedächtnis behielten, als die traurigen. Aber wir können die Vergangenheit auch nicht abschütteln. Unsree Verfehlungen stehen uns vor Augen. Wir hatten Pläne, die sich nicht verwirklichen liehen. Wir hatten gute Vorsätze gefaßt, aus denen nichts geworden ist. Wir haben Menschen aus dem Blick verloren, wir haben andere hergeben müssen an den Tod. Und zu den persönlichen Nöten kommt noch die Furcht vor gefährlichen politischen oder wirtschaftlichen Entwicklungen.

Wir wissen, daß wir für alles Verantwortung tragen: Für das uns anvertraute Stück Welt, für die Menschen unsrees Lebenskreises und für uns selbst. Die Zeit ist ja unumkehrbar; was einmal geschehen ist, kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Die Zeit spult sich unaufhaltsam ab. Das wird uns wohl besonders heute wieder einmal bewußt. Und dann machen wir einen Strich unter alles, rechnen Plus und Minus gegeneinander auf und stellen entweder Erfolg oder Mißerfolg fest.

Sicherlich macht auch Gott seine Rechnung auf. Bei ihm sieht das Ergebnis unter Umständen sehr viel anders aus. Vielleicht ist es besser. Es gibt ja Menschen, für die wiegt das Negative sehr viel schwerer; sie sehen gar nicht mehr die schönen Seiten ihres Lebens und klagen immerzu nur, während ein Außenstehender die ganze Sache lehr viel freundlicher beurteilt. Aber vielleicht sieht das Ergebnis bei Gott auch schlechter aus. Wenn wir unsreen persönlichen Jah­resabschluß machen, dann schieben wir gern alles Unangenehme weg; aber Gott hat es doch gesehen und es kommt mit auf die Rechnung. Er hat letztlich das entscheidende Wort zu sagen; und nicht nur, wenn wieder einmal ein Jahr seinen Abschluß gefunden hat.

Das heißt aber: Wir sind Gott verantwortlich für das, was wir mit seiner Welt machen. Christen sind Menschen, die das Eigentum des zurzeit abwesenden Herrn zu verwalten haben. Zwischen Auferstehung und Wiederkunft haben sie das zu versorgen und zu verwalten, was ihm gehört. Der Mensch soll sich die Erde untertan machen. Aber er hat damit auch eine besondere Verantwortung für sie. Er ist Gottes Ebenbild und vertritt Gott gegenüber der Welt. Was aus der Schöpfung Gottes wird, ist also in hohem Maße in die Hand der Menschen gegeben. Wir brauchen uns deswegen nicht aufzuplustern, so als ständen wir am Schaltpult der Menschheitsgeschichte. Aber wir brauchen auch nicht darüber zu verzweifeln daß unsre Einfluß auf das Ganze so gering ist.

Aber wir könnten das vergangene Jahr auch einmal unter diesem Gesichtspunkt betrachten, ob wir diese Verantwortung für die Welt recht wahrgenommen haben in der Familie und im Beruf. Haben wir unsre Gaben und Fähigkeiten, haben wir unsre Eigentum recht eingesetzt und zum Wohl der Welt verwendet? Gott hat uns alles nur geliehen, damit wir es in seinem Sinne verwenden zum eigenen Wohl und zum Wohl anderer Menschen.

Aber eines Tages wird er selber wiederkommen und alles in die Hand nehmen. Wenn er anklopft, soll ihm sofort die Tür aufgemacht werden. Es wäre schön, wenn er dann einen Zustand vorfände, mit dem er zufrieden sein kann. Wenn er im Haus Licht sieht, dann hat man also auf ihn gewartet; dann muß man nicht erst aus dem Schlaf geweckt werden, sondern ist gleich wach und bereit. Dann kann das Haus auch ohne Schwierigkeiten an den Eigentümer übergeben werden

So will uns Gott allezeit bereitfinden. In jedem Augenblick kann er ja einen Schlußstrich ziehen und unsre Leben beenden Nicht ohne Grund steht im gleichen Kapitel bei Lukas die „Geschichte vom Reichen Kornbauer“. Dabei ist es unerheblich, ob die Geschichte der ganzen Welt endet oder nur die kleine Lebensgeschichte des Einzelnen; für den Betreffenden läuft das auf dasselbe hinaus.

Es gibt eben auch ein „zu spät“. Es könnte ja sein da sich einer gerade aus seinem Minus wieder hocharbeiten wollte. Aber wenn es draußen klopft, kann er nicht sagen: „Warte noch einen Augenblick, ich bin gerade noch beim Aufräumen!“ Gott kommt wie ein Dieb in der Nacht. Wenn man wüßte, welche Nacht das ist, könnte man natürlich einmal aufbleiben. Gott möchte uns aber jederzeit bereitfinden.

Wir wissen nur: Einmal kommt er bestimmt! Aber wir sind nicht immer darauf vorbereitet. Deshalb haben wir auch diese untergründige Angst. Wir merken, wie schnell die Zeit vergeht und daß sie unumkehrbar ist. Gerade an Silvester wird uns das besonders deutlich vor Augen geführt. Da wird uns wieder in Erinnerung gerufen: „Du müßtest ja eigentlich immer bereit sein!“

Gott verlangt von uns, daß wir immer auf dem Posten sind. Bei unsrer Arbeit wird ja auch Aufmerksamkeit und Sorgfalt verlangt. Wenn es um unsre Leben geht, dann lohnt sich der Einsatz umso mehr. Für andere Dinge setzen wir uns auch ein. Wenn es um eine Ausbildung oder eine Prüfung geht, dann muß vieles andere zurücktreten. Wenn einer bauen will, was setzt er da doch Kräfte ein! Das lohnendste Ziel ist aber, sich auf die Wiederkunft des Herrn einzurichten.

Am heutigen Tag sollten wir nicht nur in die Vergangenheit blicken und unsre Zeitängste dadurch noch steigern. Besser wäre es schon, auf die eben erst gefeierte Geburt Christi zu blicken, die uns der Blick auf die Zukunft eröffnet.

An ihm sollten wir alles Erlebte und Getane messen und unter seine Vergebung stellen. Dann aber dürfen wir nach vorne schauen auf das Wiederkommen des Herrn. Das ist das einzige gewisse Ereignis gegenüber den vielen Hoffnungen und Befürchtungen, die wir vielleicht sonst für die Zukunft haben. Dort liegt das Ziel aller Jahre und auch der Sinn unsrees Lebens.

Wir wissen nicht, wann der Herr kommt. Aber wir haben uns darauf einzurichten, d a ß er kommt. Sicher ist, daß mit dem Verrinnen der Zeit auch die Heimkehr des Hauseigentümers näher rückt. Der Silvestertag ist einmal ein Anlaß, darüber nachzudenken, obwohl er sich ja

ansonsten in nichts von anderen Tagen unterscheidet.

Sicherlich könnten wir auch. unsre Zeitbewußtsein etwas trainieren. Doch nicht so, daß wir bedauernd oder gar weinerlich klagen: „Mir bleibt immer weniger vor der mir zur Verfügung stehenden Zeit!“ Eher könnten wir wach und fröhlich sagen: „Immer näher kommt die Stunde, in der Christus da sein wird!“

Es könnte ja auch sein, die Knechte fühlen sich ganz wohl, wenn der Herr weit fort ist: Die Katze ist aus dem Haus, da haben die Mäuse freien Lauf. Dann denkt man: „Mein Leben gehört mir selbst, ich kann machen, was ich will, ich habe ja keinen über mir, ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Da könnte es tatsächlich mit der Gemütlichkeit zu Ende sein, wenn der Herr wiederkommt. Dann wird er sich bedienen lassen und die anderen müssen springen.

Aber dann kommt die große Überraschung: Der Herr bindet sich selbst die Zipfel des Gewandes hoch, läßt seine Knechte am Tisch Platz nehmen und bedient sie. In England macht man das in hochherrschaftlichen Häusern manchmal zur Fastnacht. Da werden dann die Diener einmal von den Herrschaften versorgt. Das geschieht dann aber unter vielen Scherzen und Späßen.

Jesus aber ist es ganz erst mit seinem Dienen, das ja hingeht bis zum Kreuz. In dieser Zusage, daß er dann seine Leute bedienen und betreuen will, steckt das ganze Evangelium. Wenn Christus kommt werden wir allein von dem leben, was e r an uns tut. Wenn wir uns zum Abendmahl einladen lassen, dann geschieht das in gewisser Weise schon heute.

So müssen wir das alte Jahr mit einem Defizit an Leistung und Erfolg abschließen; auch unsree Schuld vor Gott ist nicht zu leugnen. Aber wir können auch aufatmen. Denn wir erfahren aufs Neue, daß es zuletzt nicht auf uns ankommt und auf das was wir selbst zuwege gebracht haben oder nicht. Zuletzt hängt unsre Zukunft davon ab, was der Herr für uns getan hat und vor allem was er noch tun wird.

Lk 8, 4 - 8 (9 - 15) (Sexagesimä):

Vielen Menschen ist es rätselhaft, was hier im Gottesdienst gesprochen wird und was uns immer wieder zusammenführt Äußerlich gesehen passiert doch kaum etwas, und was wirklich geschieht, kann man ja doch nicht sehen. Mancher wird vielleicht sagen: „Was, du gehörst

auch zu dem Verein?“ Wenn wir aber dieses Gleichnis vom Sämann richtig verstanden haben, dann sagen wir ihm lieber: „Ja, ich gehöre s c h o n zu dieser Gemeinde und bin froh darüber!“

Es gibt vieles, was uns von dieser Gemeinde fernhalten will. In der Deutung des Gleichnisses sind einige Beispiele aufgeführt. Doch hier sind nicht vier Typen von Menschen dargestellt; und wir sind nicht einfach das gute Land, wo der Same aufgeht. Wir sollten nicht fragen: „Zu welcher Gruppe gehöre ich?“ Vielmehr sollen wir hier aufmerksam gemacht werden auf die Hindernisse und Verschlossenheiten, auf die Dornen und Disteln, die auch bei uns die Entfaltung des Wortes Gottes behindern. In jedem vor uns steckt etwas von diesen vier Gruppen; wir alle lassen uns einmal hindern, das Wort Gottes zu hören. Auch unter den treuen Kirchgängern und Predigthörern sind Menschen aller vier Gruppen zu finden.

 

(1) Manchmal gleicht unser Herz einem harten, festgetretenen Weg, in den kein Samenkorn eindringen kann. Entweder ist alles fort und vergessen, wenn der Gottesdienst vorbei ist. Das verstockte Herz spricht dann: „Das geht mich ja alles nichts an, das betrifft mich nicht!“ Dann kommt in den Gesprächen in der folgenden Woche die Predigt dieses Sonntags nicht mehr vor, weil sie mit dem Zuklappen der Kirchentür abgetan ist.

Oder das Wort Gottes geht zum einen Ohr rein und zum anderen wieder heraus, prallt ab an unseren Einwänden und unserer Bequemlichkeit. Gerade wer oft zum Gottesdienst kommt, steht in dieser Gefahr. Am schwierigsten ist es sicher für die Konfirmanden. Anstatt zuzuhören ritzen sie dann Zeichnungen in die Kirchenbänke. Viele reagieren auch so, daß sie nach der Konfirmation erst einmal eine Erholungspause einlegen und oft dann gar nicht mehr kom­men. Das Wort konnte keinen Glauben wirken. Im Grunde ist es überhaupt nicht gehört worden, obwohl die Möglichkeit dazu da war. Aber das Herz ist verstockt und zu Stein geworden.

 

(2.) Manchmal fällt das Wort auf steinigen Boden. Wir nehmen das Wort mit Freuden auf. Wir kommen gern zum Gottesdienst und sind begeistert von der Predigt, erzählen vielleicht auch davon weiter. Wir glauben auch dem Wort, denn es leuchtet uns im Augenblick ein. Aber die schönen Ansätze bleiben Strohfeuer. Wir glauben nur solange wie es bequem ist, ein Christ zu sein. Wenn einer uns verspottet wegen unseres Glaubens, dann lassen wir ihn fallen; wir schämen uns und bleiben weg. Wieder stehen uns manche Konfirmanden vor Augen, die im Unterricht eifrig mitmachten und nachher wegblieben. Irgendetwas wurde im Herzen angerührt, aber es ging nicht tief genug.

Die Versuchung kann aber auch anders aussehen: Der Tod eines lieben Menschen kann mir zur Anfechtung werden, während ein anderer ganz kalt dabei bleibt. Leicht steht man dann in der Versuchung, sein Vertrauen ganz wegzuwerfen und zu sagen „Ich habe doch so viele

Gottesdienste besucht, doch es hat alles nichts genutzt. Gott schweigt!“ Gerade dann aber kommt es darauf an, unter dem Wort zu bleiben, Geduld zu haben und weiter zuzuhören.

 

(3.) Manchmal hören wir das Wort schon aber es bleibt fruchtlos. Der Same geht auf, man sieht etwas. Aber die Dornen gehen auch auf und ersticken wieder alles. Wie mancher nimmt sich vor, zum Gottesdienst zu gehen oder zu beten oder einen kranken Menschen zu besuchen. Aber vor lauter Arbeit und Sorgen unterbleibt es dann immer wieder. Oder das Vergnügen ist wichtiger, und wenn es nur in einer Fernsehsendung besteht. Wenn unsere Leben davon bestimmt ist und nicht vom Wort Gottes, dann bleiben wir Namenschristen, dann sind wir Hörer des Worts, aber keine Täter. Dann wirkt Gottes Wort nicht in unseren Alltag hinein.

Deshalb gewinnen dann Arbeit und Sorge, Vergnügen und Geld solch eine Bedeutung.

Wer aber sein Herz an das Wort Gottes hängt, der findet auch das richtige Verhältnis zum Geld und zum Fernsehen. Er wird frei, mit dem Reichtum und der Freude am Leben richtig umzugehen. Deshalb sollten wir uns schon fragen: „Wovon ist wohl unser Tun und Handeln im Alltag bestimmt? Von Gott oder von unseren eigenen Gedanken? Ist der Christenglaube wirklich die Macht, die unsere Leben bestimmt? Sind wir vielleicht nur einmal angerührt worden und machen heute nur noch so mit? Ist der Glaube nur eine bloße Überzeugung oder eine hohl gewordene Gewohnheit?“

Mit erschrecken dem Ernst stellt Jesus fest, wie schwer und wie selten sein Wort bei uns Wurzel schlägt und wie schwer unsere Leben sich ihm angleicht. Dieser Vorwurf trifft gerade die, die an das Wort zu glauben meinen. Oft kritisieren sie auch den Gottesdienst, um eine Entschuldigung für ihr Nicht-Hören zu haben. Im Konfirmandenunterricht sagte einmal einer: „Zum Gottesdienst gehören auch Zuschauer!“ Doch wir brauchen keine Zuschauer, sondern Mitbeteiligte. Die Zuschauerhaltung ist nur ein Versuch des Teufels, das Wort Gottes aus unserem Herzen wegzureißen. Ob es ihm gelungen ist, zeigt sich vielleicht schon bei den Gesprächen auf dem Nachhauseweg.

 

(4.) Aber oft geht auch eine Frucht auf. Dann hören wir das Wort nicht nur, sondern behalten es auch und leben nach ihm in unserem Alltag. Wir Menschen fragen leicht nach dem Augen­blickserfolg. Der ist aber schnell vorbei. Gott aber fragt nach der Frucht, die bleibt. Ehe es aber so weit kommt, muß Gott sehr oft unser hartes Herz erst einmal aufbrechen und es durch Leid und Not umpflügen, ehe es den Samen des Wortes Gottes aufnimmt und Frucht bringt in Geduld. So kann sogar das Leid einmal Segen bringen.

Jetzt haben wir aber immerzu nur auf die Art des Bodens geachtet. Darauf legt auch die an­schließende Deutung des Gleichnisses Wert und hat damit zum ersten Mal dieses Gleichnis in einer Predigt ausgelegt. Wenn wir aber das Gleichnis für sich betrachten, hat Jesus es noch etwas anders gemeint.

Er will sagen: „Der Sämann beginn so verhältnismäßig zufällig, es kommt auch zu Ausfällen bei der Saat. Aber er kommt doch zum Ziel, weil er eben gesät hat. Er wendet alle Sorgfalt an, aber er kümmert sich gar nicht um das, was daneben geht. Er läßt sich dadurch nicht ab­schrec­ken, sondern freut sich über das, was Frucht bringt. Was dort aufgeht, ist so viel, daß es ihm genügt, denn es hat hundertfach Frucht gebracht!“

Jesus tröstet damit seine Jünger. Diese hatten zuerst von leichten Erfolgen geträumt. Aber dann hatten sie erleben müssen, wie Gegner auftreten, wie Jesus auf Gleichgültigkeit und Ablehnung, ja offene Feindschaft stößt. Einige hatten begeistert mitgemacht, sich aber nach einiger Zeit wieder enttäuscht abgewandt. Andere hingen zu sehr an ihrem Geld und ihren Verpflichtungen. Jesus läßt sich dadurch nicht erschüttern. Er freut sich über die, die auf ihn hören und ihm nachfolgen. Für die ist er da. Und die bringen auch so überreiche Frucht, daß es für das Reich Gottes langt.

Gott könnte natürlich auch aus seiner Verborgenheit heraustreten und sich dann mit seiner Allmacht Respekt verschaffen. Aber er möchte unser Vertrauen gewinnen. Er will nicht Marionetten, sondern Kinder. Er will solche, die zu ihm kommen, weil seine Liebe sie überwunden hat. Wenn der Kirche etwa Praktiken und Methoden einfielen, die Massenerfolge sicherten, wäre das nicht unbedingt gut. Das war der Irrglaube der Deutschen Christen, die sich den Nazis anpaßten, weil sie hofften, dadurch die Volksmassen zu erreichen.

Der geringe Erfolg des kirchlichen Wirkens sollte uns nicht anfechten. Wir können nicht widersprechen, wenn uns jemand vorhält, wir brächten nicht viel zustande. Wir sehen oft nur den Mißerfolg, sehen nur das, was daneben fällt. Auch Jesus stellt hier nüchtern fest: Es fällt etwas daneben. Allerdings sind es nicht Dreiviertel der Aussaat, wie wir uns das so vorstellen. Das Meiste fällt ja auf gutes Land und das andere ist der übliche Verlust.

Damit will Jesus die Jünger vor Anfechtung bewahren: Der Same ist gut, am Samen liegt es nicht. Im Gegenteil: Er bringt trotz allem so viel Frucht, daß es reicht. Der Ertrag ist unwahrscheinlich hoch. Und um dieses Ertrags willen hat sich dann doch das Ganze gelohnt. Im Grunde ist die Arbeit Jesu doch ein großer Erfolg.

Das liegt auch mit am Sämann. Es ist nicht gleichgültig, wer den Samen sät. Nur Jesus garantiert, daß seine Art der Aussaat doch zum Ziel führt. Auf unscheinbare und geheimnisvolle Weise baut Gott sein Reich, natürlich ist das heute noch nicht nachweisbar. Heute wird immer noch gesät und die Ernte wird erst später aufgehen. Aber doch ist schon etwas von diesem Reich sichtbar.

Wo nur e i n Mensch sich für Gott entscheidet und den Willen Gottes tut, da bringt das hundertfache Frucht, da ist er selber zum Sämann geworden. Der sichtbare Erfolg bleibt vielleicht armselig. Doch Gottes Sieg ist unter dem Mißerfolg verborgen. Wie wenige in unserer Gemeinde hören überhaupt das Wort Gottes, wie wenige tun es. Aber wo einer dem anderen ein tröstendes Wort sagt, wo einer Zeugnis ablegt für seinen Glauben, da ist das Reich Gottes und der Segen Gottes, da ist hundertfache Frucht.

Gott erreicht auch mit wenigen sein Ziel. Das heißt: In unseren Augen sieht es vielleicht wenig aus, aber bei Gott ist es alles. Wie wenig ist zum Beispiel das, was uns im Abendmahl gereicht wird! Und doch hat es solche Durchschlagskraft, daß es uns langt, um Kraft für unser Leben zu empfangen. Nehmen wir doch dieses Samenkorn an und lassen es aufgehen in unseren Herzen.

 

 

Lk 9, 57b - 62 (Okuli):

Ein Glück nur, daß so etwas nicht in jedem Fall von uns verlangt wird. Wir wollen doch auch Jesus nachfolgen. Aber müssen wir deshalb zum Landstreicher werden, der nicht weiß, wo er am Abend sein Haupt hinlegen soll? Den Jüngern Jesu ging es so, als sie Wohnung, Arbeit und den Schutz der Familie aufgaben, um Jesus nachzufolgen.

Den Hugenotten in Frankreich ging es so, als sie wegen ihres evangelischen Glaubens ihre Heimat verlassen mußten; ebenso den evangelischen Salzburgern, die mitten im Winter von dem katholischen Erzbischof vertrieben wurden. Wer weiß, was uns da noch einmal blühen kann, wenn wir es mit dem Glauben an Jesus ernst nehmen!

 

1. Der erste Mann:

Andererseits erwartet der erste Mann, der hier zu Jesus kommt, wohl eine bestimmte Geborgenheit von ihm. Es gibt ja Menschen, die sich nicht allein durchs Leben schlagen wollen, sondern sich lieber an eine stärkere Persönlichkeit anschließen und ihr ganz die Führung überlassen. Irgendetwas an Jesus hat ihn gepackt, so daß er bedingungslos mitgehen will - eigentlich eine sehr lobenswerte Einstellung.

Aber mit so ein bißchen Begeisterung und Bereitschaft ist es ja noch nicht getan. Wird er über Krisen und Nöte und das Auf und Ab persönlicher Stimmungen hinwegkommen? Jesus warnt: „Stell dir das nicht zu leicht vor! Du wirst nur Unruhe und Ärger davon haben. Die Tiere haben wenigstens noch einen Bau oder ein Nest. Aber ich kann am Morgen nicht sagen, wo ich am Abend sein werde!“

Wer Jesus nachfolgt, muß auf alle Sicherungen verzichten und sich wahrscheinlich in immer neue Unruhe führen lassen. Wir können heutzutage gelegentlich wieder etwas von dieser Unruhe spüren. Es kann zu ganz schönen Aufregungen kommen, wenn es etwa um die christliche Erziehung der Kinder geht oder wenn einer zeigt: „Der christliche Glaube ist mir wichtiger als alles andere!“ .Jesus hat uns da von vornherein reinen Wein eingeschenkt. Mit solchen Dingen muß man rechnen, wenn man Christ sein will.

Jesus selber ist es ja auch nicht anders ergangen. Schon bei seiner Geburt wußte man nicht, wo man ihn hinlegen sollte. Kurz bevor er das hier zu dem Mann sagt, haben ihn die Samariter vor die Tür gewiesen. Er wird von den anderen eben nicht als einer der ihren angesehen. Er möchte sich ihnen aber auch nicht anpassen. Deshalb bleibt er fremd und sein Dienst bringt ihn ständig in Unruhe. Er kann sich nicht in das Schneckenhaus seines Privatlebens zurückziehen, wie wir modernen Menschen das so gern tun. Der Ort der endgültigen Hingabe wird „Schädelstätte“ heißen; dort wird alle Begeisterung   und aller Personenkult enden.

Doch nicht jedem wird zugemutet, daß er sein Zuhause und die Annehmlichkeiten des zivilisierten Lebens aufgibt. Jeder hat doch Freude an der gemütlichen Wohnung, er sucht die Gemeinschaft anderer und möchte auch einmal ein Fest feiern. Auch ein Pfarrer muß nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen haben, wenn er in einem schönen Pfarrhaus wohnt.

Aber wenn es der Dienst für Jesus erfordert, wenn unser Zeugnis vor der Welt nötig ist, wenn es Kampf um den Glauben gibt, dann gilt es, hart zu sein gegen sich selbst. Dann wird ein Christ alle Strapazen fröhlich auf sich nehmen und notfalls auch alles aufgeben. Jesus wird dann schon weiterhelfen.

Die Bequemlichkeit bleibt aber immer eine Gefahr für uns. Gerade in einer sogenannten „Volkskirche“ ist man es gewohnt, alles billig haben zu können. Weil es dieser Kirche um die große Zahl zu tun ist, macht sie es sich in ihrer Verkündigung und in ihrem Leben in der Welt leicht zu bequem.

Aber je mehr sie den breiten Weg einschlägt, den die vielen gehen, desto uninteressanter wird sie für die anderen. Vielleicht haben uns die Nichtchristen längst überholt in ihrer Bereitschaft, zu arbeiten, zu opfern, zu dienen und sich selbst nicht zu schonen. Wir machen eben gerne noch unsere Einschränkungen, wenn wir dem Ruf Jesu folgen wollen.

 

2. Der zweite Mann:

So geht es ja dem zweiten Gesprächspartner Jesu. Jesus hat ihn angesprochen; und er ist auch zur Nachfolge bereit. Aber er will erst einer heiligen Pflicht genügen: Sein Vater ist gerade gestorben und nun muß er erst noch alles mit der Beerdigung regeln. Das ist ein frommer Brauch und der letzte Liebesdienst, den man einem Menschen erweisen kann - doch geradezu eine Selbstverständlichkeit.

Umso befremdender ist es, daß Jesus dieses Selbstverständliche dem Mann nicht zugesteht. Jesus verstößt hier gegen die heilige Ordnung und den frommen Brauch. Auf dem Gebiet aber sind die Leute bis heute empfindlich. Jesu Verlagen ist nicht nur taktlos, sondern sogar unmenschlich hart. Doch wir dürfen nicht vergessen, was Jesus damit hat ausdrücken wollen. Jesus beanstandet nicht, daß man die Toten begräbt oder an einer Beerdigung teilnimmt. Aber er will den Mann zum Nachdenken bringen, auch gegenüber heiligen Pflichten. Er übertreibt, damit man das radikal Neue seiner Predigt wahrnimmt.

Vor allem ist Jesus gegen die damals üblichen Bestattungsbräuche. Er hatte eine tiefe Abneigung gegen das Geheul und den Lärm der Klageweiber. Wer so klagt und vor der Unabänderlichkeit des Todes kapituliert, der kann nicht an Gottes Macht glauben. Er sieht in seiner Hoffnungslosigkeit nur nach hinten und wartet nicht auf Gottes Reich. Wer aber mit Jesus geht, der geht ins Leben hinein. Er wird sich nicht an die Toten hängen und sie nicht in der Vergangenheit suchen, sondern in der Zukunft mit Jesus. Dieser beanstandet nicht, d a ß die Toten begraben werden, sondern w i e man es tut: Man kann nicht Gott dienen und sich an die Hoffnungslosigkeit der Welt verlieren. Man kann die Nachfolge nicht mit einem Sonderurlaub wegen eines Todesfalls beginnen.

Wir fragen uns: „Kann man denn sein ganzes Denken und Glauben im Handumdrehen auf das Neue einstellen? Und dazu noch an einem so leidvollen Tag! Hat es nicht wenigstens noch bis morgen Zeit, das neu geschenkte Leben zu beginnen?“ Doch Jesus will gerade jetzt die totale Kehrtwendung. Gerade in der Situation der Traurigkeit und Erschütterung gilt es, das Evangelium zu begreifen. Gerade wo die Wirklichkeit der Welt so bedrückend ist, soll die tröstende Kraft des Wortes Gottes deutlich werden.

Deshalb wird auch heute noch gerade dieses Wort von der Auferstehung an Gräbern verkündet. Oft kann man auch helfen, indem man eine neue Aufgabe vor Augen stellt. Jesus gibt dem Mann ja auch einen konkreten Auftrag: „Gehe hin und verkündige das Reich Gottes!“ Oft wird man noch am ehesten mit dem Leid fertig, wenn man.sich eine neue Aufgabe geben läßt.

 

3. Der dritte Mann:

Von dem dritten Mann schließlich wird verlangt, daß er sich aus den normalen bürgerlichen Bindungen herauslöst. Auch das ist nicht der Normalfall für uns. Wir haben es ja gerade gelernt, die Nachfolge Christi innerhalb von Ehe und Familie und in der Gesellschaft zu leben und uns dort zu bewähren.

Heute kennen aber viele nur noch die Familie. Sie wollen unter sich sein und sich um Gott und die Welt nicht kümmern. Die Notwendigkeit, auch einmal etwas Außerordentliches zu tun, wollen sie nicht sehen. Schon gar nicht wollen sie alle Brücken hinter sich abbrechen oder gar Familienbande auflösen, wie das etwa auch heute noch von einem Missionar oder einer Diakonisse verlangt wird.

Man wird, wenn man zu Jesus stößt, aber immer etwas hinter sich lassen. Heutzutage muß sich mancher von einem lieben Beruf von Plänen und Erfolgsaussichten trennen, weil sie ihm zur Versuchung würden. Wer mit Jesus geht, hat ein unsicheres Leben und kann nicht mehr so planen und ist auf viele Arten gefährdet.

Aber wir sollten nicht über das klagen, was wir nicht mehr haben, seit wir bei Jesus sind. Es kommt auf die Blickrichtung an. Wer Jesus nachfolgen will, der wird geradezu magnetisch angezogen von dem, was er vor sich hat. Nur wer nach vorne schaut, wird auch seine Furche gerade ziehen können.

Wenn einer sich das Kettenrauchen abgewöhnen will, dann kann man ihm nicht empfehlen, zum Abgewöhnen noch einmal andächtig eine zu rauchen. Und wenn einer bei Jesus in Dienst treten will, dann kann er nicht gleich mit dem Urlaub beginnen. Entweder man gehört dazu

und setzt sich sofort voll und ganz ein. Oder man ist eben noch nicht reif zur Nachfolge. Ein Christ lebt von der Zukunft her. Er läßt das Alte getrost zurück und sieht nach vorne auf den Herrn. Er klagt nicht wehleidig über das, was er nicht mehr hat, sondern er freut sich über das, was er mit ihm gewonnen hat.

Dennoch wird immer wieder versucht, uns als die ewig gestrigen hinzustellen. Vielleicht hat man mit diesem Vorwurf auch gar nicht so unrecht. Die Kirche hat doch weitgehend nur versucht, das Bestehende zu erhalten. Viele erwarten das auch von ihr: Sie soll alles beim Alten lassen, das Bestehende als göttliche Ordnung hinstellen, den materiellen Besitzstand und den eigenen geistigen Standpunkt sichern. Die Kirche soll eine feste Insel sein in einer sich ständig wandelnden Welt. Sie ist für viele noch ein Stück der guten alten Zeit.      

Die Kirche hat ihre Kraft in sinnlosen Rückzugsgefechten verplempert, anstatt sich auf die veränderte Umwelt einzurichten und alle Kräfte dafür einzusetzen, daß man auch in Zukunft bestehen kann. Jesus will, daß wir vorwärts schauen. Es geht ihm allerdings nicht um das, was andere mit der Welt vorhaben. Er will nicht menschliche Pläne unterstützen, sondern das verwirklichen, was e r mit der Welt vorhat. Nur wenn wir da mitmachen, wird unser Arbeit einen Sinn haben.          

Es wird uns nicht gesagt, was aus den drei Gesprächspartnern Jesu geworden ist, ob sie mitgegangen sind oder sich abgewandt haben. Aber hier wird an Einzelbeispielen deutlich, welche Opfer unter Umständen von uns verlangt werden. So schwer kann die Nachfolge sein! Aber bei jedem kann das wieder anders aussehen, wir können uns da nicht pauschal festlegen.

Es wird nicht von uns gefordert, präzis das Gleiche zu tun wie ein anderer. Vielleicht müssen wir in einem ähnlichen Fall genau das Entgegengesetzte tun und das ist auch Nachfolge. Unter Umständen führt uns der Ruf Jesu nicht aus der Familie heraus, sondern gerade in sie hinein.         

Es geht nicht darum, daß wir Jesus kopieren, sondern daß wir ihn kapieren. Nachfolge geschieht immer in Freiheit und erfordert viel     Originalität. Wir müssen uns auch heute wieder fragen: Was müssen wir tun, in unserer Lage, in unserer Umwelt und in unserer Zeit? Es werden uns keine Rezepte gegeben. Aber wir werden aufgerufen, nach vorne zu schauen auf Jesus und dann unsere Entscheidung zu fällen.

 

 

Lk 10, 25-37 (13. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

In manchen Großstädten muß man aufpassen, daß man nicht über die ausgestreckten Beine eines sogenannten „Penners“ fällt. Meist sind es jugendliche Rauschgiftsüchtige, die hier mitten im Zentrum normaler Menschen herumhängen. Da kann es einem schon schwer fallen, nicht hochmütig auf diese Menschen herabzusehen. Allzu leicht kommt doch dem wohlanständigen Bürger der Gedanke: Wie kann man nur so tief sinken? Aber diese jungen Menschen haben doch auch Väter und Mütter, die sich Sorgen um sie machen, die verzweifelt sind und sich fragen: Was haben wir nur falsch gemacht?

Und wenn man dann alles mit dem Wort Gottes in Beziehung setze, dann fragt man sich: „Sind das nicht meine Nächsten, die mir vor die Füße gelegt sind? Bin ich nicht derjenige, der der Nächste für diese Menschen ist? Bin ich nicht auch wie jener Priester in der Erzählung Jesu, der schnell auf die andere Straßenseite geht?“

Er tut so, als hätte er nichts gesehen. Er redet sich damit heraus, er habe jetzt etwas Dringenderes zu tun, seine Pflicht sei jetzt der Gottesdienst im Tempel. Aber dann kommen natürlich auch gleich wieder die Gegenargumente:

- Die sind doch selber daran schuld; wer sich in Gefahr begibt, der kommt darin um.

-Die wollen sich doch gar nicht helfen lassen, die fühlen sich doch wohl mit dieser Art

 zu leben.

- Es ist Aufgabe des Staates und der Hilfsorganisationen, das ist eine Sache für Profis

   und nicht für Amateure.

- Warum soll denn gerade ich eingreifen, es sind doch noch genug andere da.

Es sind doch immer die gleichen Argumente - seit Jahrhunderten - die uns daran hindern, dem anderen zum Nächsten zu werden. Er liegt vor unserer Haustür. Aber wir denken: Solche Verhältnisse wie in den alten Geschichten der Bibel gibt es doch gar nicht mehr.

 

Doch diese Erzählung kann uns noch mehr auf den Leib rücken. Was sagen Eltern, wenn der Sohn kommt und in ein Krisengebiet gehen will. Er hat sich schon impfen lassen, es fehlen nur noch die Papiere! Es müssen Europäer dorthin gehen, um die Hilfsgüter zu verteilen, damit sie nicht auf dem schwarzen Markt landen!

Soll der Aufruf Jesu solche Folgen haben? Sind auch die Menschen in irgendeinem Krisengebiet der Welt unser Nächsten? Wir erleben sie als Fernsehbild, nicht länger als drei Minuten. Daß es hier um menschliche Schicksale geht, kann man ja gar nicht umsetzen. Sind unser Nächsten auch noch die Menschen, die so weit weg sind? Müßten wir nicht erst einmal die erkennen, die vor unserer Haustür liegen? Dürfen wir uns beim Helfen selber in Gefahr begeben?

Wenn einer fragt: „Wer ist Gott?“ dann verstehen wir die Frage. Aber wenn einer fragt: „Wer ist mein Nächster?“ dann schütteln wir mit dem Kopf, denn es weiß doch jeder, wer sein Mitmensch ist. Doch ist es nur die eigene Familie und Verwandtschaft? Sind es die Leute des eigenen Volkes oder auch die Ausländer? Sind es nur die der eigenen Kirche oder zum Beispiel auch die Moslems?

Der Schriftgelehrte will wissen, wer sein Nächster ist, damit er weiß, welchem anderen Menschen er k e i n e Liebe schuldig ist. Ein Samariter zum Beispiel war nach seiner Meinung kein „Nächster“. Die Samariter kamen nämlich nicht mehr zum Tempel, sie hatten sich mit den Heiden vermischt, sie waren keine Volksgenossen mehr. Es bestand eine erbitterte Feindschaft zwischen Juden und Samaritern: Ein Samariter gehörte für einen Juden zu jener Sorte Mensch, vor der man sich als guter Bürger fernzuhalten hatte. Auch wir denken doch leicht: „Das ist ein Ausländer, um den brauche ich mich nicht zu kümmern!“ Oder: „Er ist ein Fremder oder er gehört nicht zur gleichen Kirche wie ich- vielleicht gehört er zu überhaupt keiner Kirche!“

Jesus aber verbietet uns, so zu denken. Man kann gar nicht festlegen, wer der Nächste ist. Wenn einer in Not ist und Hilfe braucht, dann ist er mein Nächster, und ich bin der Nächste, der ihm helfen kann. Wer am schlechtesten dran ist und meine Hilfe am nötigsten braucht, der wird mir zum Nächsten. Da gibt es keine Ausreden, da kann man keine Grenzen ziehen, da wird man einfach von Gott verpflichtet. Man kann gar nicht fragen: „Wer ist mein Nächster?“ sondern man wird immer von dem anderen gefragt: „Wem kannst du jetzt zum Nächsten werden?“

Natürlich hatten der Priester und der Kirchendiener gute Gründe. Der Überfallene hätte ja schon tot sein können, dann hätte der Priester den Gottesdienst nicht mehr halten dürfen. Der war schließlich wichtiger als der Dienst als Krankenpfleger, da warteten Leute auf ihn. Auch der Kirchendiener wurde unbedingt gebraucht, er sollte vorsingen und andere Handreichungen übernehmen. Vielleicht waren die Räuber noch in der Nähe und würden auch noch die Helfer überfallen.

Sicherlich gilt auch, daß man sich nicht verzetteln darf. Man kann nicht alle lieben, kann nicht für alle da sein; das wäre auch nur eine Ausrede und eine Flucht vor der Verantwortung. Aber wir können wenigstens dem Liebe erweisen, der uns so im Weg liegt, daß wir fast darüber stolpern.

Jesus sagt sogar: „Es gibt keine Gemeinschaft mit Gott ohne die helfende Tat an dem Mitmenschen. Niemand kann den Weg zu Gott finden, indem er an dem Bruder vorübergeht. Auch wenn du auf dem Weg zum Gottesdienst bist, gilt für dich das Gebot der Menschenliebe. Dann ist sogar die tatkräftige Hilfe für den Mitmenschen ein Gottesdienst - ein Dienst für Gott!“

Allerdings liegt unser Nächster nicht immer offen auf der Straße. Man muß schon die Augen offenhalten und eine Beziehung zu dem hilfsbedürftigen Menschen aufnehmen. Durch eine Diskussion will man nur einen Aufschub erreichen. Jesus aber fordert den sofortigen Einsatz. Die Frage nach dem Nächsten wird nicht in einer Diskussion gelöst, sondern indem Jesus sagt: „Gehe hin und tue desgleichen!“ Dann wird aus der Lehrfrage eine Lebensfrage. Damit ist auch jener furchtbare Satz verurteilt: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Wenn wir wirklich so handeln wollten, dann wären wir bald untergegangen.

Im Sinne Jesu muß es richtig heißen: „Jeder ist jedem der Nächste!“ Dann können wir uns auch nicht mit der Überlegung beruhigen, daß sich heute der Staat um solche Dinge kümmern muß. Gewiß haben sich viele Dinge durch den wachsenden Wohlstand und das eng geknüpfte soziale Netz erledigt. In unserm Land brauchen wir das Brot nicht mehr mit den Hungernden zu teilen, es haben alle genug zu essen.

Aber im Weltmaßstab gibt es noch genug Menschen, die unter die Räuber gefallen sind.

Auch diese rücken uns immer mehr auf den Leib. Sie kommen aus den armen Ländern und erhoffen sich bei uns ein besseres Leben. Früher waren es meist Menschen unsers eigenen Volkes. Heute kommen Sinti und Roma aus Rumänien, Polen und Jugoslawen, Albanier und Türken bzw. Kurden. Es kommen Afrikaner und Asiaten. Man bezeichnet sie als „Wirtschaftsflüchtlinge“, aber es sind eher Armutsflüchtlinge. Würden wir nicht auch so handeln, wenn es für die Kinder weder Nahrung noch Medikamente gibt und schon gar nicht Schulbildung und Arbeitsplatz?

Wir haben heute erkannt, daß diesen Menschen in ihrem Heimatland geholfen werden kann. Martin Luther King, der ermordete amerikanische Schwarzenführer, hat in einer Auslegung der Geschichte vom Barmherzigen Samariter gesagt: „Die Christen haben immer nur gewar­tet, bis einer unter die Räuber fiel. Dann sind sie hingegangen und haben ihn verbunden und gepflegt. Heute aber kommt es darauf an, die Straßen so sicher zu machen, daß es keine Räuber mehr gibt. Damit ist mehr geholfen!“

Er wollte damit sagen: „Wir können nicht warten, bis erst etwas passiert ist. Wir müssen schon die Ursachen ausschalten, damit nichts passieren kann. So handeln wir heute als barmherzige Samariter. Erst wenn dann trotzdem noch etwas passiert, können wir Samariter im üblichen Sinne werden!“

Zuletzt können wir noch einmal darüber nachdenken, daß Jesus gleich zweimal in dieser Geschichte vorkommt: Er ist verborgen in dem Überfallenen - wer an dem vorübergeht, der geht auch an Jesus vorüber! Er ist aber auch selber der barmherzige Samariter; er hilft uns, wenn wir in Not sind bzw. schickt uns andere Menschen zur Hilfe. Seine Liebe und unbedingte Bereitschaft für den Mitmenschen kommen auch uns zugute.

 

Lk 10, 25 - 37 (13. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Das Paradebeispiel für einen Samariter von heute ist der Mensch, der auf einen Verkehrsunfall stößt. Er sieht einen Motorradfahrer im Straßengraben liegen und muß sich nun blitzschnell entscheiden: anhalten oder weiterfahren? Man hat ja schon öfters Tests unternommen: Ein Unfall wurde nur vorgetäuscht und über 20 Autos sind vorbeigefahren, ehe einer anhielt. Wie oft wird das auch im Ernstfall vorkommen?

Man könnte ja immerhin so tun, als habe man nichts gesehen. So ein Verletzter macht doch allerhand Mühe und Umständlichkeiten: Man verliert kostbare Zeit, der Verletzte könnte das neue Auto verunreinigen, die Polizei wird hinterher allerhand Fragen stellen. Gibt es nicht das Rote Kreuz für solche Fälle? Werden nicht noch andere kommen, die vielleicht viel besser helfen können?

Solche Gründe hatten auch der Priester und der Kirchendiener in der Geschichte, die Jesus erzählt hat. Der Priester sagt sich: „Vielleicht ist er schon tot; und wenn ich ihn dann berühre, darf ich den Gottesdienst nicht mehr halten. Außerdem ist ein Priester keine Krankenschwester; für Verwundete ist er nicht zuständig, so wie jener Theologieprofessor in Göttingen, der einer alten Frau nicht den Handwagen schieben wollte, weil das nicht sein Amt sei.

Und der Kirchendiener sagt sich: „Ich muß mich beeilen, daß ich nicht zu spät zum Gottesdienst komme. Ich muß vorsingen und habe allerhand Aufgaben im Gottesdienst, ohne mich kann es nicht losgehen. Vielleicht sind auch die Räuber noch in der Nähe und würden auch mich überfallen; diese einsame Gegend zwischen Jerusalem und Jericho war schon immer eine unsichere Ecke!“

Es sind heute noch die gleichen Gründe wie damals. Vor lauter Erörterungen über das Für und Wider kommt man nicht zum Helfen: Erst werden einmal die Grundlagen erörtert und Pläne aufgestellt, aber zur praktischen Tat kommt man nicht - eigentlich typisch menschlich, oder soll man besser sagen „typisch deutsch“?

Jesus läßt sich auch zunächst auf eine Erörterung mit dem Schriftgelehrten ein. Dieser will dem bekannten Laienprediger aufs Kreuz legen, ihm gar eine Ketzerei nachweisen. Aber seine Frage kann er sich an sich selbst beantworten, von den Glaubensgrundlagen Israels her, die er ja selber anerkennt. Und er muß sich die Aufforderung gefallen lassen: „Tue das, so wirst du leben!“

Aus einer Lehrfrage ist plötzlich eine Lebensfrage geworden. Plötzlich geht die Theorie unter die Haut und es geht um Leben und Tod. Der Schriftgelehrte kann nicht mehr Zu­schauer bleiben, sondern muß sich der Aussage Jesu stellen: „Du weißt es doch, daß Gott dich fordert, wenn er dir einen Mitmenschen in den Weg stellt. Er hat ein Recht auf deine ganze Liebe. Wenn du es nicht von selber weißt, so sagt es dir doch Gottes Wort und Gebot.

Auch durch staatliches Gesetz ist jeder zur Hilfeleistung verpflichtet. Kraftfahrer werden sogar für den Ernstfall ausgebildet. Aber machen wir uns nichts vor: Wer würde im Notfall tatsächlich helfen? Wer weiß noch, wie man es richtig macht? Guter Wille allein macht

es nicht, es gehört auch etwas Wissen und Erfahrung dazu. Aber ein Opfer kann froh sein, wenn unter den vielen neugierigen Zuschauern einer ist, der tatsächlich zupackt. Es kann nicht jeder in jedem Fall helfen. Aber man sollte auch nicht sensationslüstern dabeistehen und vielleicht noch besserwisserisch kommentieren: „Der ist ja selber schuld daran, weshalb mußte er auch so rasen!“

Aber wir brauchen uns ja nur einmal vorzustellen, wir lägen selber im Straßengraben und brauchten Hilfe. Oder wir sind krank und keiner kommt mal zu Besuch, aus angeblichem Zeitmangel oder aus Furcht vor Ansteckung. Es gibt so viele Gelegenheiten, wo wir die Hilfe anderer nötig haben. Auch deshalb können wir nicht Zuschauer bleiben und erst lange Überlegungen anstellen, ob wir helfen sollen oder können oder nicht.

Der Schriftgelehrte will wissen, wer sein Nächster ist, damit er weiß, welchen anderen Menschen er keine Liebe schuld ist. Ein Samariter zum Beispiel war nach seiner Meinung kein Nächster: Die Samariter kamen nicht mehr zum Tempel, sie hatten sich mit den Heiden vermischt, sie waren keine Volksgenossen mehr. Es bestand eine erbitterte Feindschaft zwischen Juden und Samaritern. Ein Samariter gehörte für die Juden zu jener anderen Sorte Mensch, von der man sich als guter Bürger fernzuhalten hat.

Auch wir denken doch leicht: „Das ist ein Ausländer, um den brauche ich mich nicht zu kümmern. Oder es ist ein Fremder oder er gehört nicht zur gleichen Kirche wie ich, vielleicht gehört er überhaupt nicht zu einer Kirche!“ Jesus aber verbietet uns, so zu denken. Er macht alle Ausflüchte unmöglich und stellt Gottes Gebot unausweichlich vor Augen: Auch die Andersgläubigen und selbst die Gottlosen sind unser Nächsten!

Man kann gar nicht vorher festlegen, wer der Nächste ist. Wenn einer in Not ist und Hilfe braucht, dann ist er mein Nächster und ich bin der Nächste, der ihm helfen kann. Wer am schlechtesten dran ist und meine Hilfe am nötigsten braucht, der wird mir zum Nächsten. Da gibt es keine Ausreden, da kann man keine Grenzen ziehen, da wird man einfach von Gott verpflichtet. Ungefragt wird man zum Nächsten gemacht. Ich kann nie fragen „Wer ist mein Nächster?“ sondern ich werde immer von dem anderen gefragt: „Wem kannst du zum Nächsten werden?“

Es gibt viele Gelegenheiten, wo wir zum Nächsten werden können. Achtlos gehen wir oft an Menschen vorüber, die innere und äußere Hilfe brauchen. Hier gilt es, scharfsichtig zu werden und die Augen aufzumachen, damit wir die Not des Mitmenschen erkennen. Wir können nicht alle Menschen lieben, denn das wäre unmöglich und wäre auch nur eine Flucht vor der Verantwortung. Aber wir können wenigstens dem Liebe erweisen, der uns so im Weg liegt, daß wir fast darüber stolpern.

Jesus sagt sogar: „Es gibt keine Gemeinschaft mit Gott ohne die helfende Tat an dem Mitmenschen. Niemand kann den Weg zu Gott finden, indem er an dem Bruder vorübergeht. Auch wenn du auf dem Weg zum Gottesdienst bist, gilt für dich das Gebot der Menschenliebe. Dann ist sogar die tatkräftige Hilfe für dem Mitmenschen ein Gottes dienst - ein „Dienst für Gott“.

Damit soll rieht gesagt sein, daß es nur darauf ankomme, ein anständiger und hilfsbereiter Mensch zu sein. Mitmenschlichkeit ist nicht mehr als Kirchenlaufen. Und was man so „Humanismus“ nennt ist kein Ersatz für den Gottesdienst. Aber damit ist der furchtbare Satz verurteilt: „Jeder ist sich selbst der Nächste!“ Wenn wir wirklich nach diesem Satz handeln wollten, dann wären wir bald untergegangen. Richtig im Sinne Jesu muß es heißen: „Jeder ist jedem der Nächste!“ Gefragt ist immer nach dem, der liebt.

Wir können uns auch nicht damit beruhigen, daß sich heute der Staat um solche Dinge kümmern muß. Gewiß haben sich viele Fälle durch den gesellschaftlichen Fortschritt erledigt. Wir brauchen heute in unserm Land das Brot nicht mehr mit einem Hungernden zu teilen, es haben alle genug zu essen.

Aber im Weltmaßstab gibt es noch genug Menschen, die unter die Räuber gefallen sind. Wir brauchen dabei gar nicht nur an Entführer, Geiselnehmer und Terroristen zu denken, es gibt auch viele geschniegelte und gebügelte Räuber. Ihnen bereitet das Elend der Menschen im Straßengraben keine schlaflosen Nächte, wenn es um ihr Geld und ihre Macht geht.

Es kann nicht Aufgabe der Kirche sein, gesellschaftliche Veränderungen im großen Maßstab und mit revolutionären Mitteln zu vollziehen.

Aber man kann auch nicht durch christliche Liebesarbeit lösen, was nur durch Veränderung der Gesellschaftsordnung zu lösen ist. Es gibt heute über 6 Millionen Flüchtlinge in der Welt, die Mehrheit davon in Afrika. Die kann man nicht alle anderswo unterbringen, da müssen, die Verhältnisse im Heimatland so gestaltet werden, damit niemand zu fliehen braucht.

Martin Luther King, der ermordete amerikanische Schwarzenführer, hat in einer Auslegung zur Geschichte vom Barmherzigen Samariter gesagt: „Die Christen haben immer gewartet, bis einer unter die Räuber fiel; und dann sind sie hingegangen und haben ihn verbunden und gepflegt. Heute aber kommt es darauf an, die Straßen so sicher zu machen, daß es keine Räuber mehr gibt. Damit ist mehr geholfen!“

Er wollte damit sagen: „Wir können nicht erst warten, bis etwas passiert ist, sondern wir müssen alles tun zur Verhütung von Gefahren. An dem Beispiel vom Verkehrsunfall können wir uns das einmal deutlich machen: Zur Erhöhung der Sicherheit auf der Straße können wir bessere Straßen bauen, verkehrssicherere Autos herstellen, strenge Maßstäbe bei der Fahrschule anlegen, die Verkehrsteilnehmer ständig schulen und in Erster Hilfe ausbilden, strenge Strafen verhängen und manches andere mehr.

Noch konkreter gesprochen: Wann wird endlich Schluß gemacht mit dem Verbrechen, die Autos auf dem Bürgersteig abzustellen, so daß die Fußgänger auf die Fahrbahn treten müssen? Wenn einer schon sein Fahrzeug falsch parken zu müssen glaubt, dann soll er es auf der Fahrbahn abstellen und seine Kraftfahrerkollegen behindern und nicht vor allem Kinder und alte Leute gefährden. Wenn erst einmal etwas passiert ist, dann ist es zu spät. Wir müssen die Ursachen ausschalten, damit gar nicht erst etwas passieren kann. So handeln wir heute als barmherzige Samariter. Und wenn dann dennoch etwas passiert, dann ist immer noch Gelegenheit, ein Samariter im üblichen Sinne zu werden.

Dieses Bild vom barmherzigen Samariter hat ja Geschichte gemacht und ist heute immer wieder aktuell. Dieses Bild hat die Liebesarbeit der Kirche in Gang gesetzt und ist zum Leitbild der Diakone geworden. Viele Christen sind dadurch angetrieben worden, hinzugehen und desgleichen zu tun. Auch wir sollen            dadurch in unserm Gewissen wachgerüttelt werden und in Bewegung gebracht werden. Gelegenheiten zum Helfen finden sich genug.

Zuletzt könnten wir noch einmal darüber nachdenken, daß Jesus selber gleich zweimal in dieser Geschichte vorkommt. Er ist verborgenen in dem Niedergeschlagenen; wer an ihm vor­über­geht, der geht auch an Jesus vorüber. Er ist aber auch selber der barmherzige Samariter, der uns hilft, wenn wir in Not sind bzw. uns andere Menschen zur Hilfe schickt. Seine Liebe und unbedingte Bereitschaft für den Mitmenschen kommen auch uns zugute.

 

 

Lk 10, 38 - 42 (Estomihi):

Wenn der Pfarrer zu alten Leuten kommt, um ihnen zum Geburtstag zu gratulieren, dann haben diese oft nichts Eiligeres zu tun, als etwas zu essen herbeizuschaffen. Kaum hat der Pfarrer einen Satz gesagt, da sitzt er auch schon wieder allein und die Oma hantiert draußen in der Küche herum. Sicherlich ist das gut gemeint, aber nicht der Sinn des Besuchs. Wenn ein Arzt kommt, dann setzt man ihm doch auch nicht erst Kaffee und Kuchen vor!

Würden wir uns denn in Maria oder in Martha wiedererkennen? Viele würden sofort sagen: „In Maria!“ Denn sie kennen ja das Urteil Jesu. Aber im Alltag ist Martha unsre Idealgestalt. Wir wollen doch alle tätige und schaffende Menschen sein und auch von anderen als solche angesehen werden. Wer nichts oder wenig tut, das ist doch ein Gammler - und das ist fast das Schlimmste, was man von einem Menschen sagen kann. Ein Christ ist arbeitsam und fleißig, er tut seine Pflicht und weiß, was sich gehört.

Gegen Martha ist doch eigentlich nichts zu sagen. Ihr gehört das Haus. Als Gastgeberin ist sie verpflichtet, den Gast fürsorglich und nobel zu bewirten. Jesus soll sich erst bei ihr wohlfühlen. Man soll ihr nicht nachsagen können, sie gäbe sich nicht alle Mühe.

Jesus hat natürlich mit seinem unangemeldeten Besuch nicht die Hausfrau in Verlegenheit brin­gen wollen. Und doch beginnt Martha eilig mit einer lärmenden Geschäftigkeit, die einem auf die Nerven gehen kann. Man meint richtig das Klappern mit den Töpfen und Küchengeräten zu hören, man sieht das eilige Hantieren und Hasten. Vielleicht übertreibt Martha auch noch ein wenig, um ihre Kritik am Verhalten Marias noch deutlicher zu machen.

Martha will Jesus dazu bringen, Maria zu tadeln, die sich nicht um ihre Pflichten kümmert, jedenfalls nicht heute, wo doch so hoher Besuch da ist. Sie regt sich darüber auf, daß Jesus eine Frau als Zuhörerin duldet und mit am Tisch sitzt, anstatt mit zu bedienen. Religion ist bis heute bei den Juden eine Männersache. Jesus aber durchbricht die Sitte, weil auch die Frau die Verkündigung nötig hat.

Heute ist es ja eher umgekehrt. Bei uns scheint es Sitte zu sein, daß vorwiegend nur die Frauen in die Kirche kommen. Die Männer halten den Kontakt mit Christus für unter ihrer Würde und entwerten sich damit selbst. Angeblich hat ein Mann andere Aufgaben und Religion sei angeblich Weibersache.

Eines der Kennzeichen unsrer Zeit ist die Betriebsamkeit. Ein betriebsamer Mensch ist einer, der nicht aufhören kann, immer etwas zu tun. Unrast aber zerstört die Ordnung des Lebens, die im Wechsel von Ruhe und Arbeit besteht. Man hat dann keine Zeit mehr für andere und auch keine Zeit für Gott. Das erste Opfer der Unrast ist der Feiertag, weil der Mensch ja nicht mehr hört, daß Gott ihm sein Leben gibt und erhält. Er will deshalb sein Leben durch beständiges Schaffen selbst sichern und weiß doch nie, ob er genug getan hat.

Alle Geschäftigkeit ist ja nur äußerer Ausdruck für die Lebenshaltung, die sich dahinter verbirgt. Danach drückt sich Liebe aus in der Fürsorge für andere. Wer als Vater oder als Pate große Geschenke macht, der hat seine Kinder lieb. Auch Martha sorgt ja nicht für sich selbst, sondern für den Gast. Sie serviert, sie übt „Diakonie“ in dem ursprünglichen Sinn des Wortes. Gerade durch diese niedrige Arbeit will sie ihre Verehrung zeigen. Die Hauswirtschaft ist ihr Spezialgebiet, da kann sie am besten ihre Verehrung zeigen.

Jesus hat ja kurz vorher selber zu dem Pharisäer gesagt: „Gehe hin und tue desgleichen. Hilf dem, der unter die Räuber gefallen ist, so wie der barmherzige Samariter ihm geholfen hat!“ Wäre ein Bettler gekommen und Martha hätte ihm auch so aufwendig bewirtet, dann hätte sie Jesus sicher gelobt. Jesus erwartet die praktische Liebe. Er erkennt auch die Mühe der Martha an, sie hat schon etwas Richtiges aus der Verkündigung Jesu begriffen.

Und dennoch sagt Jesus zu Martha: „Du gehst ganz auf in der Sorge um die Erhaltung des leiblichen Lebens. Dabei braucht der Mensch so wenig zum Leben. Genaugenommen braucht er nur eins: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes, so wird euch das andere alles zufallen!“ Man darf über dem Hören das Tun nicht vergessen, aber über dem Tun auch nicht das Hören („Bete und arbeite!“ sagten die Mönche).

Martha meint, sie müßte Jesus bedienen. Aber dadurch gibt sie ihm keine Gelegenheit, ihm Gutes zu tun. In  Wirklichkeit will J e s u s doch den Menschen dienen. Er ist auf dem Weg nach Jerusalem, dem Kreuz entgegen. Er wird nur kurz bleiben können; da kommt es darauf an, ihm zuzuhören und sich durch nichts ablenken zu lassen.

Auch wir meinen, wir müßten so viele Dinge besorgen, die nach unsrer Meinung unverzichtbar zum Leben dazugehören Notfalls müssen auch noch der Feierabend und der Feiertag dazu herhalten, nur damit wir verdienen und beschaffen können. Aber am eigentlichen im Leben geht man dabei leicht vorbei. Das Leben ist kurz. Und wenn es nur Mühe und Arbeit gewesen ist, dann ist das doch eigentlich schade.

Wir müssen auch einmal eine Ruhepause einlegen, nicht nur körperlich, sondern auch innerlich. Sonst werden wir trotz aller Arbeit nicht fertig, sondern machen uns fertig. Das gilt für Männer genauso wie für Frauen. Gerade die verkürzte Arbeitszeit gibt uns da doch neue Möglichkeiten. Doch unsre Arbeit nimmt uns oft noch so in Anspruch, daß wir damit zwar vielleicht die ganze Welt gewinnen, aber dabei am Leben Schaden nehmen. Vor lauter Sorge, wir könnten etwas verlieren oder zu kurz kommen, werden wir dann zu Sklaven unsrer Umwelt und können uns gar nicht mehr so still hinsetzen wie Maria.

Auch in der Kirche machen wir uns sicher manche unnötige Sorge. Manche möchten in der sich wandelnden Zeit möglichst viel von den alten Traditionen retten. Andere fürchten, daß mit dem wissenschaftlichen Denken der Glaube an Gott verblassen könnte. Und wieder andere zerbrechen sich den Kopf darüber, wie die Botschaft vom Heil Gottes bei möglichst Vielen an den Mann gebracht werden kann. Aber all das sind falsche Sorgen.

Bei allen Sorgen um unsre Kirche, um unsre Familie und unsre Zukunft brauchen wir nur die eine Sorge zu haben: daß Jesus dabei ist! Wenn er im Mittelpunkt ist, wird sich das andere schon ergeben. Daran hat sich Maria gehalten. Deshalb hat sie dann beim Zulangen auch die bessere Portion erwischt, wie Jesus nicht ohne Schmunzeln sagt. Wer könnte ihr dieses Stück wohl wieder wegnehmen?

Es ist ja Jesus, der das alles gegeben hat. Nicht er ist unser Gast, sondern wir sind bei ihm zu. Gast. Das ist der Unterschied zwischen den Religionen und dem christlichen Glauben: In den Religionen geht es darum, daß die Menschen Gott einen Dienst erweisen. Aber bei uns geht es darum, daß Gott etwas für uns leistet. Das e i n e, das not tut, ist eben Gottes Werk an uns.

Wir können menschliche Konflikte z.B. in einer Ehe nicht aus uns selber überwinden. Da muß ich Gott schon an die Sache heranlassen, damit er sie ihn die Hand nimmt. Eine Frau, die nicht der Kirche angehört und von ihrem Mann geschieden war, fragte einmal: „Gibt es das

bei den Christen denn auch so oft, daß man nachher wieder auseinanderläuft?“ Wir kennen keine Statistik darüber. Aber man kann sich vorstellen, daß eine Ehe unter bewußten Christen trotz aller Spannungen doch besser zurechtkommt!

Natürlich ist auch der Glaube kein Allheilmittel. Und es ist auch nichts damit gewonnen, wenn man Jesus mißversteht und sich faul hinsetzt und zusieht, wie andere sich abmühen. Es genügt nicht, sich fromm berieseln zu lassen, ohne eine Folgerung aus dem Hören zu ziehen. Maria war keine „Kanzelschwalbe“, die nur dem Prediger zuliebe zuhört.

Maria will wirklich zuhören, nicht nur hören. Sie fragt wirklich echt: „Was willst du, das ich jetzt tun soll?“ Sie ist nicht nur irgendwo organisiert als passives Mitglied, sondern sie ist wirklich engagiert. Vor allen Dingen läßt sie sich nicht durch Äußerlichkeiten ablenken. Das geschieht ja meist, wenn man nur den Radio- oder Fernsehgottesdienst zuhört.

Er ist ein guter Notbehelf für Kranke, aber nur ein schwacher Ersatz für Gesunde. Denn in der Praxis kommt man doch nur selten zum Zuhören: Da kommt jemand zu Besuch, da fällt einem noch etwas Wichtiges ein, da muß noch Hausarbeit gemacht werden. Da gibt es so viele Nebengeräusche, die nicht zu einem gesammelten Hören kommen lassen.

Es dringt ja auch in der Tat viel zu viel auf uns ein. Vor lauter Geräuschen hören wir nur schwer die Stimme heraus, die mit uns reden will. Hier brauchen wir einfach eine Art von Askese, indem wir uns von dem Allzuvielerlei befreien und die Stunden des Offenseins erkämpfen.

Der Gottesdienst in der Kirche ist sicher eine Hilfe dazu. Hier ist wirklich einmal alles abgeschaltet, hier gibt es nur noch das eine, das wirklich not tut. Gerade für Menschen, die sich nicht ablenken lassen, wird der äußere Rahmen sehr gut tun.

Wenn am Anfang der Woche das Wort Gottes steht, dann werden wir mit all unserer Mühe und Arbeit getragen und werden davor bewahrt, der Sorge zu verfallen. Es gibt viele Frauen, die haben wirklich die Woche über von morgens bis abends zu tun: Beruf, Haushalt, Kinder.  Manchmal werden sie nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht. Aber sonntags geht es zum Gottesdienst. Diese eine Stunde will man sich nicht nehmen lassen. Nachher ist dann auch wieder Zeit zum Arbeiten, zum Kochen und Servieren.

Jesus wäre sicherlich auch enttäuscht, wenn wir untätig blieben und uns nur auf die faule Haut legten. Wir sollen nicht passiv sein wie in einer Narkose, sondern aufnahmebereit und mit der ganzen Person offen für das, was auf uns zukommt. Aber wenn Jesus mit uns reden möchte, dann hat alles andere zu schweigen und in den Hintergrund zu treten.

Arbeit gibt es immer. Es wird auch immer genug Menschen geben, denen wir Gutes tun können. Wenn wir ihnen Gutes tun, haben wir es Jesus getan. Aber nicht immer haben wir Gelegenheit, Gottes Wort zu hören. Deshalb sollten wir die wenigen Gelegenheiten nutzen. Wir sind alle so wie Martha zum Zuhören eingeladen. Wenn Jesus uns anspricht, will er uns auch in ein Gespräch verwickeln. Deshalb gilt es, die Ohren offen zu halten und bereit zu sein für seine Stunde.

 

 

Lk 11, 5 - 13 (Rogate):           

Die Gegenwart ist immer die beste aller Zeiten. Früher war alles schlechter: Es gab regelrechte Notstandsgebiete, viele Kinder starben, die Arbeit war hart und gesundheitsschädigend, es gab keine Kranken- und Rentenversicherung, das Schulwesen war unterentwickelt und die Menschen lebten in einem Obrigkeits- und Polizeistaat ohne Entfaltungsmöglich­keiten.

Heute dagegen ist alles besser, es geht immer noch bergauf und wir gehen herrlichen Zeiten entgegen. Das ist das Lebensgefühl, das uns immer wieder vermittelt werden soll, vor allem von den Politikern. Wir sollen uns in der Gegenwart wohlfühlen und die bestehenden Verhältnisse bejahen und unterstützen. Die Menschen haben ja in der Tat auch viel geleistet und leisten es noch. Die Menschen können heute Vieles und sind mit Recht stolz darauf. Und sie arbeiten alle daran, das Leben immer weiter zu verbessern.

Da hat es die Kirche schwer mit ihrer Aufforderung zum Beten. Der heutige Sonntag heißt „Rogate“, zu deutsch: „Betet“! Aber mancher wird denken: Durch Beten werden die Probleme in der Welt nicht gelöst. Wir müssen arbeiten, um etwas essen zu können; nur wenn wir etwas leisten, können wir uns etwas leisten. Doch Arbeit ist nur das halbe Leben. Und es wäre gut, wenn wir die andere Hälfte nicht aus dem Blick verlören: der Glaube-, die Kirche, das Gebet.

Der Mensch als das Ebenbild Gottes ist zum Gespräch mit Gott bestimmt. Arbeiten kann auch die Maschine; die elektronischen Geräte können das sogar schneller und genauer als die Menschen. Aber niemals kann eine Maschine zum persönlichen Gegenüber werden, so wie das bei Menschen möglich ist und bei Gott der Fall ist. Das Besondere des Menschen liegt darin, daß er zur Gemeinschaft fähig ist, zu einer Gemeinschaft, die mehr ist als ein elektrischer Schaltvorgang. Hier kann der Mensch seine Würde finden, hier zeigt sich, daß er Gottes Ebenbild ist.

Wenn das Gebetsleben abstirbt, dann ist das nicht ein Schaden am Rande unseres Lebens, sondern ein Schaden in der Mitte. Wenn aber dort etwas faul wird, dann ist bald alles hinüber. Deshalb ist es so wichtig, daß unser Inneres in Ordnung ist. Gott will uns durch das Gebet zu innerer Gesundheit helfen.

Wenn zwei Menschen nicht mehr miteinander reden, dann ist das eine schlimme Sache. Gott aber ist unser Freund, der ständig mit uns im Gespräch sein will. Er ist nicht ein weltanschauliches Museumsstück, das man nur zu besonderen Anlässen wieder einmal hervorholt. Er ist vielmehr ein lebendiger Gott, der uns jeden Tag unseres Lebens nahe sein will.

Manchem fällt er allerdings erst in einer äußersten Notsituation ein. Nur wenn keine andere Hilfe möglich ist, dann erinnert man sich an Gott. Er möchte uns aber gerade in der Mitte unseres Lebens begegnen, wo wir uns stark fühlen und glücklich sind. In jeder Lage finden wir Gehör bei Gott. Deshalb sollen wir es auch immer wieder wagen, ihn zu bitten.

Die Geschichte vom bittenden Freund will uns ja gerade deutlich machen, daß wir zu jeder Zeit und mit jeder Sache zu Gott kommen dürfen. Schon unter den Menschen gilt es als selbstverständlich, daß man sich untereinander aushilft. Man muß dem Nachbarn helfen, der unerwartet noch Besuch bekommen hat, auch wenn es Nacht ist und die ganze Familie aufwachen könnte. Schon unter den Menschen ist es unvorstellbar, daß man in einem solchen Fall nicht hilft. Da will Gott erst recht und in einem viel höheren Sinn helfen.

Aber er will ausdrücklich gebeten sein. Wenn ein Kind heimkommt und brüllt: „Hunger“, dann werden die Eltern nicht gleich reagieren und etwas zum Essen herbeischaffen. Sie volle erst höflich und ausführlich angeredet sein, ehe sie etwas tun. Manchmal halten sie sich auch absichtlich zurück, damit das Kind bitten muß. Sie könnten ja auch alles wortlos auf den Tisch stellen. Aber sie wollen gebeten werden und auch die Dankbarkeit der Kinder spüren können.

So ist das auch bei Gott: Wer etwas erbittet, erweist sich damit als Kind Gottes.  Und Gott gibt uns dann Brot und nicht Steine, er gibt uns Fisch und nicht eine Giftschlange. Von Gott ist das doch noch eher zu erwarten als vor einem Menschen, der vielleicht seine Kinder liebhat, aber doch in seinem Wesen böse und schlecht ist.

Unser Gebet kann auch ein absichtsloses Gespräch mit Gott sein. Wir können ihm die uns bewegenden Fragen und Entscheidungen vorlegen, können unsre Vorhaben und Aufgaben mit ihm besprechen oder uns unter seinen Augen über den einzuschlagenden Weg besinnen. Aber Jesus ermutigt uns auch ausdrücklich zum Bittgebet. Bei Gott ist das Bitten ganz besonders angebracht, weil er ja auf unsre Bitten wartet! Er hat immer Sprechstunde. Man wird bei ihm nicht schon im Vorzimmer abgefertigt. Deshalb die Aufforderung: Wagt es doch, ihn zu bitten!

Und dazu gehört als Zweites die Zusage: Gott gibt euch, was ihr bittet! Oft meinen wir, hier seien nur „innere“ Gaben gemeint: Klarheit und Mut, Bereitschaft zur Verständigung mit einem schwierigen Kollegen, Freiheit von Angst und Sorge, Überwindung von Zweifel und Niedergeschlagenheit. Aber wie wird es sein, wenn er erst allerlei Hebel in Bewegung setzen muß, vielleicht sogar Naturgesetze außer Kraft setzen soll? Können wir auch bitten: Mache mein Kind gesund, erhalte uns den Frieden in der Welt, bewahre uns vor Katastrophen? Darf man so etwas auch erbitten?

Das ist gerade das Erstaunliche, daß Gott alle unsere Bitten erhören will. Wir beten ja nicht, weil das unser gutes Recht wäre, das uns von vornherein und selbstverständlich zusteht. Wir sind nicht Gottes gleichberechtigte Partner. Schon gar nicht können wir ihn unter Druck setzen. Wir haben keine Macht über ihn und er ist uns in keiner Weise verpflichtet. Aber Jesus ermächtigt uns zum Gebet, obwohl wir doch so oft ohne Gott haben leben wollen. Und er sagt: „Gott erwartet das sogar von euch. Und wenn ihr euch da zurückhaltet, dann habt ihr ihn noch nicht begriffen und er ist mit euch noch nicht zum Ziel gekommen!“

Allerdings gibt Gott nur das Notwendige, also das, was die Not wendet, was wieder Lebensmut und Kraft schenkt. In dem Beispiel aus dem Evangelium taten es ein paar Scheiben Brot, ein reiches Mahl mit vielen Gängen war ja gar nicht nötig. Aber niemand sollte deshalb meinen, er dürfte Gott nicht mit seinem täglichen Kleinkram auf den Wecker fallen. Freunde können sich alles sagen, auch wenn manchmal dummes Zeug dabei ist. Oder Kinder kommen mit allen möglichen Wünschen zu den Eltern. Sie dürfen das, aber die Eltern entscheiden dann, was not tut und was nützlich ist oder Freude macht.

Auch Gott dürfen wir zunächst einmal alle Bitten vortragen. Doch dann sollten wir schon dazusagen: „Nicht mein Wille, sondern dein Wille geschehe!" Doch dies nicht gleich am Anfang, sondern erst am Ende. Gott ist nicht der Lieferant all dessen, was wir nötig haben, als Person aber uninteressant und unwichtig. In jeder Gabe steckt der Geber mit drin. Und wenn er einmal nicht sofort auf unsre Bitten eingeht, dann könnte das ein Anreiz sein, noch beharrlicher auf ihn zuzugehen und dabei nicht nur die Gabe, sondern auf den Geber selbst im Blick zu haben.

Gott gibt uns sogar mehr, als wir bitten. Angeblich hat der eine oder andere die Erfahrung gemacht: Gott erhört meine Bitten nicht! Aber hängt das nicht auch mit unsrer Angewohnheit zusammen, nur die Fälle im Gedächtnis zu behalten, in denen Gott anders entschieden hat, als wir es wollten? Und wie ist es mit all den Dingen, die er uns wortlos gewährt hat, ohne daß es uns auch nur eingefallen wäre, ihn darum zu bitten? Wir müssen in der Tat damit rechnen, daß Gott uns etwas anderes gibt, als wir erbeten haben. Aber liegt das nicht meist daran, daß wir ihn um etwas Dummes oder gar Schädliches gebeten haben? So wie die Menschen ihren Kindern nichts Gefährliches oder Schädliches geben, so dürfen wir erst recht Gott zutrauen, daß er uns nur das Gute oder sogar das Beste geben will.

Mit dem Gebet ist es halt nicht so wie mit einem Automaten. Dort können wir über das Warenangebot frei verfügen. Wenn wir Geld einwerfen, kommt auch prompt die gewünschte Ware heraus. Aber beim Gebet geht es nicht so: Das Gebet aufsagen wie einen Zauberspruch

und dann „Sesam öffne dich“ und das Erbetene ist da. So einfach ist das nicht. Gott erwartet vielmehr von uns, daß wir ihm auch dann vertrauen, wenn er etwas anderes gibt als das Erbetene.

Nicht vergessen darf man dabei auch, daß Beten nicht das eigene Tun ersetzt. Niemand soll sagen dürfen: „Die Christen haben immer nur die Hände gefaltet und das Kämpfen den anderen überlassen!“ In dem Schauspiel „Mutter Courage“ von Bertolt Brecht wird das etwa gesagt: Im Dreißigjährigen Krieg haben die kaiserlichen Truppen die Stadt Magdeburg eingeschlossen. Die Bewohner liegen in tiefem Schlaf, und wenn sie nicht jemand warnt, sind sie verloren. Einige Bauern draußen vor der Stadt jammern nur und beten für die Stadt. Die stumme Kattrin aber, die Tochter der Mutter Courage, nimmt eine Trommel und macht damit solchen Krach, daß die Leute in der Stadt geweckt werden. Brecht will damit doch wohl sagen: Beten hilft nichts, es kommt allein auf die Tat an.

Auch Erich Kästner macht in einem Gedicht den Vorwurf:

„Die Menschen wurden nicht gescheit.

Am wenigsten die Christenheit, trotz allem Händefalten.

Du hattest sie vergeblich lieb. Du starbst umsonst.

Und alles blieb beim Alten!“

Ganz anders klingt dagegen das Lied aus unsren Tagen von Kaus Biehl:

„Um Frieden haben wir schon oft gebetet, viele schöne Worte schon gemacht.

Es wär auch schlimm, wenn man nicht davon redet, doch wer hat schon an die Tat gedacht?

Es wär gut, wenn wir nicht nur die Hände falten, sondern sie auch rührten für die Welt,

denn den Menschen helfen, Leben zu erhalten, fordert unser aller Zeit und Geld!“

Die Christen wissen heute sehr wohl, daß es mit Beten allein nicht getan ist, sondern auch auf die Tat ankommt. Das wiederum heißt aber nicht, daß wir nur arbeiten sollen. Wir verstehen uns sowieso viel zu sehr vor der Arbeit her und bemessen nach ihr den Wert des einzelnen Menschen. Von der Arbeit erwarten wir die Besserung unseres Lebens und vielleicht sogar die Erlösung der Welt.

Das ist das, was unseren Weg bestimmen soll: Wir haben einen Gott, der uns hört. Wir dürfen es wagen, ihn zu bitten. Er will sogar gebeten sein und uns das geben, was wir erbitten und manchmal sogar noch darüber hinaus. Wer durch das Gebet mit Gott in Verbindung bleibt, der hat einen starken Halt im Leben.

Zum Schluß dieses Abschnitts heißt es dann: „Gott wird den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.  Für manchen mag das enttäuschend sein: Ihm geht es um Urlaubsplatz, Eheglück, Gesundheit, Lottogewinn. Aber Gott spricht „nur“ vom Heiligen Geist. Da will er uns wohl mit etwas trösten, das nichts kostet?

Aber ob es ihn nichts kostet, wäre noch zu prüfen. Immerhin hat er seinen Sohn hingeben müssen, damit die Verbindung mit den Menschen bestehen bleiben konnte. Und der Heilige Geist setzt nach Jesus den Kontakt fort. Wenn wir die Kraft des Heiligen Geistes in uns verspüren, dann wird sich das auszahlen bis zu unserer letzten Stunde. Vielleicht werden wir dann auch zunächst den Eindruck haben: Jetzt schlägt er mir auch noch meine letzte Bitte ab! Aber in Wirklichkeit gibt er doch das Beste, das er zu vergeben hat: die unzerstörbare Gemeinschaft mit ihm! Der Heilige Geist - wie er uns zum Beispiel in der Konfirmation zugesprochen wird - ist eine Anzahlung darauf. Er wird sich wirksam erweisen, heute und alle Tage unseres Lebens.

 

 

Lk 11, 14-23 (Drittletzter Sonntag Variante 1):

Wenn einer nach seinem Ergehen gefragt wird, dann sagt er gelegentlich: „Danke, es geht mir ganz gut, unberufen, toi, toi, toi!“ Man will das Glück nicht zu sehr loben, damit es .sich nicht wendet. Deshalb sagt man. „unberufen“. Man will das Unglück nicht herbeirufen. Und zur Hilfe ruft man dreimal den Teufel an, denn nichts anderes ist gemeint mit dem Wort, das man nicht mit „ob“ schreiben sollte, sondern mit „ei“, weil es eine Abkürzung für „Teufel“ ist. Besonders soll noch helfen, wenn man dabei dreimal auf Holz klopft; aber das ist auch nur so ein Aberglaube.

Das alles geschieht aber in einer Zeit, in der man einen Predigttext wie den heutigen als eine Zumutung für den modernen und aufgeklärten Menschen ansieht. Werden wir hier nicht in eine finstere, vielleicht vorchristliehe Zeit versetzt? Es befremdet uns, daß Jesus selber von einer Teufelsaustreibung spricht und sie als Zeichen des Anbruchs der Gottesherrschaft wertet. Und doch kommen wir hier gerade in das Zentrum der Botschaft Jesu.

Allerdings wendet Jesus hier nicht einen Zauber an, sondern er sagt: Mit dem Finger Gottes treibe ich die Teufel aus. Diese Vorstellung taucht zum ersten Mal im Alten Testament auf, als die ägyptischen Zauberer ihrem König sagen: „Was da durch Mose geschieht, all die schlimmen Plagen, das ist der Finger Gottes. Damals hat Gott seine Macht den Mächtigen in der Welt deutlich gezeigt.

Wenn Gott doch auch heute eingreifen würde in einer Welt, in der wir täglich von neuen Schrecken hören, denken wir. Trotz des materiellen Fortschritts kommen Menschen in immer mehr in Abhängigkeiten, äußerer und innerer Art. Ist Gott ohnmächtig in der Welt, in der die Gewalttaten sich mehren? Ist der Teufel los? Oder gibt es eine Hoffnung, daß wir menschlicheren Zeiten entgegengehen?

Doch woran soll man erkennen, daß mit Jesus schon das Reich Gottes gegenwärtig ist, daß schon hier bei uns etwas angefangen hat von der neuen Welt Gottes? Wir werden erst entdecken müssen, wer Jesus ist, denn mit dem Verstand des natürlichen Menschen werden wir

es nicht erkennen können.

Offenbar war das Heilungswunder doch nicht eindeutig. Man deutet Jesu Heilstat als Zauberei, meint einfach, daß sein Erfolg ein teuflisches Blendwerk sein könnte. Man will erst noch ein neues Zeichen vom Himmel, etwa.eine Sonnenfinsternis oder das Fallen eines Sterns, schön auf Kommando.

Aber was Jesus da in dem Streitgespräch sagt, ist nicht gerade überzeugend: Mit einer Un­einigkeit im Lager des Teufels kann man noch nicht seine eigene Sendung durch Gott beweisen. Ebenso wenig kann das die Tatsache, daß auch die Gegner böse Geister austreiben wollen und deshalb auch an der Zweideutigkeit solche n Tuns einen Anteil haben.

Jesus sollte lieber aus der Verborgenheit heraustreten, schon heute zeigen, wer er ist. Aber noch will er, daß die Menschen im Glauben zu ihm finden und nicht durch Schauen. Sicher hätte man es einfacher, wenn man alles klar und deutlich vor Augen sehen könnte. Ganz gewiß wirkt sich die Herrschaft Gottes auch in Krafttaten aus. Aber es geht nicht um vorder­gründige Erfolge auf der Ebene des Sichtbaren, um billige Augenblickserfolge.

Gott möchte sich in unseren Herzen durchsetzen. Er will die Welt nicht durch Machteinsatz erobern, sondern durch den persönlichen Einsatz seiner rettenden Liebe. Natürlich könnte sich Gott mit jeder Macht messen und würde dabei sicherlich nicht unterliegen. Aber es gibt schon genug Gewalt in der Welt. Wenn auch Gott noch dreinschlagen wollte, dann bliebe nur eine verwüstete Welt zurück oder vielleicht auch gar keine Welt mehr.

Es leiden schon genug Menschen, ganze Völker und Staaten darunter, daß sie beherrscht werden. Sie sind.nicht nur in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt, sondern auch in ihren Gedanken gefesselt. Gedankensysteme sollen ihnen übergestülpt werden, Rollen werden ihnen aufgezwungen und Gefühle aufgenötigt. Es wird ihnen vorgeschrieben, wer ihre Freunde zu sein haben und wo der Feind steht. So wird das eigene Leben erstickt und gehemmt und die mensch­liche Eigenentwicklung hat nur noch wenig Raum.

Man will Macht über den anderen haben, ein Mensch über andere Menschen und ein Volk über andere Völker. Das ist das Wesen des Imperialismus, daß er sich nicht mit dem eigenen Besitzstand zufriedengibt, sondern auch von anderen Besitz ergreifen will, von Dingen und vor Menschen. So erleben wir es alle Tage wieder.

Gott aber ist kein Imperialist. Er möchte, daß wir ihr auf seine Weise erkennen: Er will uns nicht mit Gewalt zwingen, sondern wir sollen selber erkennen, daß er die wahre Kraft von oben ist. Wenn man ihn, erkannt hat, dann wird man schon zwischen ihm und bösen Mächten unterscheiden können. Dann wird man merken, daß er nicht unterdrücken will, sondern freie Menschen wünscht, die so leben können, wie er es bei der Schöpfung gewollt hat.

Wo Gott ist, wo Jesus ist, da ist Freiheit. Jesus hat einen gebundenen Menschen frei gemacht, indem er klarstellte, wem dieser Mensch gehört. Jesus kam nicht in ein Niemandsland. Er mußte die Welt erst einer unsichtbaren Gegenmacht entreißen. Der kranke Mensch war für ihn wie ein Haus, in dem ein böser Wächter dafür sorgt, daß niemand eindringen kann. Solange er das Haus belagert, ist dort Ruhe, wenn auch eine mit Gewalt erzwungene .Ruhe. Aber dann kommt ein Stärkerer und nimmt dem Wächter die Rüstung ab. Jetzt ist er machtlos und das Haus kann ausgeraubt werden.

Das ist die frohe Botschaft Jesu: Der Starke ist nicht so stark, als daß er nicht überwältigt werden könnte. Der Teufel ist der Schwächere, der vom Finger Gottes gefesselt wird. Damit aber ist der Mensch befreit. Der Teufel hatte nur so lange Macht, als er den Menschen erpressen konnte mit seiner Angst vor der Aufdeckeng der Schuld. Vorher konnte er immer sagen: Bei dem, was ihr auf dem Kerbholz habt, habt ihr sowieso verspielt? Doch so etwas verfängt nur solange die belastende Strafakte nicht vernichtet ist bzw. ein anderer die Strafe auf sich nimmt. Das aber hatte Jesus getan. Nun können wir wieder als entlastete Menschen unbefangen vor Gott treten.

Somit leben wir in einer neuen Freiheit. Womit der Böse uns gefangen hat, das braucht uns nicht mehr zu beeindrucken: Die Schuld, die wir einander vorgerechnet und nachgetragen haben, die Argumente, mit denen wir den anderen herabgesetzt und unmöglich gemacht haben; das Mißtrauen, mit dem wir menschliche Gemeinschaft zerstören.

Wo Jesus ist, fahren die bösen Mächte aus. Aber auch als Christen haben wir natürlich diese Teufelsaustreibung nicht ein für alle Mal hinter uns. Wir haben unsre Freiheit nur, indem wir sie Stunde für Stunde von Gott erbitten.

Praktisch heißt das aber auch, daß wir uns immer wieder für Gott entscheiden müssen. Ein Stummsein aus Furcht vor der Verantwortung oder aus Gleichgültigkeit ist keine Lösung. Wir können der Stellungnahme nicht ausweichen; ein Abseitsstehen ist auch eine Entscheidung, wenn auch eine schlechte. Wenn ich stumm bleibe, wenn andere über einen Kollegen herziehen, dann werde ich mitschuldig; Angst, sich unbeliebt zu machen, ist da keine Ausrede. Wer in der Nachfolge Jesu leben will, darf das Böse nicht achselzuckend oder furchtsam beobachten, sondern muß aktiv werden und es besiegen helfen. Dann geschieht etwas Ähnliches wie bei der Dämonenaustreibung. Dann muß das Böse weichen und ein Stück heile Welt wird sichtbar.

Luther vergleicht den menschlichen Willen mit einem Reittier, um das sich Gott und der Satan streiten. Hat Gott sich darauf gesetzt, so geht es dorthin, wo Gott es will. Hat aber der Satan sich darauf gesetzt, so geht es dorthin, wo der Satan will. Das sieht so aus, als sei der Mensch nur Spielball der Mächte und könne sich gar nicht entscheiden. Aber in Wirklichkeit werden wir aufgerufen, Partei zu ergreifen. Weil Jesus da ist, ist eine wahre Entscheidung erst möglich geworden: Wir brauchen nicht sofort dem Bösen zu verfallen, sondern haben endlich auch die Möglichkeit, auf die Seite Gottes zu treten. Weil wir diese Möglichkeit haben, sind wir aber auch dazu verpflichtet, alles andere wäre Sünde.

Bei diesem Gedanken könnte uns bange werden: Ganz im Dienst Jesu, kein Rückfall und keine Schwäche mehr! Haben wir nicht oft selber dem Teufel in die Hände gearbeitet? In den Dracula-Filmen ist das der schlimmste Augenblick, wenn der Freund, dem man vertraut hat und der als Retter in der Not erschien, sich plötzlich auch als Vampir entpuppt. Solche Doppelagenten aber sind wir alle, wenn wir einerseits Gott dienen wollen, andererseits aber auch dem Satan und seinem Reich.

Aber wir haben den Nichtchristen etwas voraus. Das ist der Friede mit Gott, der es uns ermöglicht, mitten aus unserem Versagen heraus neu anzufangen. Wenn wir uns Christus überlassen, dann kann uns kein Teufel von heute etwas anhaben.

 

 

Lk 11, 14 - 23 (Drittletzter Sonntag, Variante 2)

Im Krieg und auch noch danach hatten in vielen Orten die Kartenlegerinnen einen ganz schönen Hochbetrieb. Viele Frauen und Mütter gingen hin, um etwas über das Schicksal ihrer Männer und Söhne zu erfahren. Aber natürlich war das ein Versuch am untauglichen Objekt. Die Karten lügen nicht, das stimmt schon. Aber sehr wohl lügen die Leute, die aus ihnen die Zukunft lesen wollen oder sonst etwas.

In einem Dorf bei Arnstadt lebte eine Frau, die fest an ihre übernatürlichen Kräfte glaubte. Das Pikante daran ist, daß sie alles als ein Geschenk Gottes ansah. Sie verteilte Amulette mit christlichen Zeichen und erweckte so der Eindruck, eine gläubige Frau zu sein. Sie hatte auch großen Zulauf, während der Gottesdienstbesuch in dem Ort mager ist.

Offenbar besteht hier eine Wechselwirkung. Emanuel Geibel hat gedichtet: „Glaube, dem die Tür versagt, kommt als Aberglaub' durchs Fenster. Wenn die Gottheit ihr verjagt, kommen die Gespenster!“ Wo kein wahrer Glaube ist, da wird der Aberglaube groß. Irgendetwas muß der Mensch ja haben, woran er sich halten soll.

Auch bei uns gibt es noch Restbestände des Aberglaubens. Aber schwerwiegender sind wahrscheinlich die Erscheinungen des modernen Aberglaubens. Da kommt etwa einer und klopft dreimal an den Kinderwagen und sagt: „Ihr Kind sieht aber gut aus! Unberufen toi, toi, toi!“

Hier wird eine Beschwörungsformel gesagt, um den Teufel fernzuhalten.

Dabei wäre es viel sinnvoller, Gott herbeizurufen. Denn wo Gott ist, da hat die widergöttliche Macht nichts zu bestellen, da löst sich das Problem von selber. Das machen uns ja die Geschichten des Neuen Testaments von den Dämonenaustreibungen Jesu deutlich. Sie mögen uns heute fremd vorkommen. Aber das eine ist doch klar: Wo Jesus ist, da hat der Teufel nichts zu bestellen! Man kann auch nicht einen Aberglauben durch den anderen austreiben. Jesus wird ja hier verdächtigt, er sei ein Teufelskerl, er sei also mit dem Teufel im Bunde und habe nur einen kleinen Teufel durch den Oberteufel vertrieben. Doch in Wirklichkeit steht ja Jesus mit Gott im Bunde und will die Werke des Teufels zerstören. Nur Gott kann hier etwas ausrichten und nicht irgendeine Zauberei oder ein Aberglaube.

Jesus sagt: „Wenn ich mit dem Finger Gottes die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen!“ Nur der Finger Gottes kann hier helfen. Deshalb sollten wir doch nicht meinen, wir könnten durch ein Klopfen unsrer Finger den Teufel vertreiben. Hier müssen wir nüchtern die Grenzen unsrer Macht erkennen.

Hier kann uns auch nicht eine falsch verstandene Wissenschaftsgläubigkeit helfen. Wenn einer krank ist, dann geht er zum Arzt und läßt sich eine Medizin verschreiben. Die Wissenschaft soll ihm helfen gegen die Störung seines Wohlbefindens. Aber kaum einer kommt darauf, daß das auch etwas mit Gott zu tun haben könnte.

Früher glaubte man an die abergläubischen Praktiken des Medizinmannes. Heute aber erhofft man sich allein Hilfe von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des Arztes. Natürlich wäre es falsch, bei einer Krankheit nicht zum Arzt zu gehen. Aber die Ärzte wissen selber nur zu genau, wie machtlos sie oft sind. Es wäre nicht falsch, auch Gott um Hilfe zu bitten.

Für viele zählt heute nur noch die Wissenschaft. Sie soll alle Mängel beseitigen und man erwartet wahre Wunder von ihr. Oft kann man den Eindruck haben, sie sei in der Wertschätzung an die Stelle des früheren Aberglaubens getreten: Früher trieb man die Krankheit durch Zauberei aus, heute holt man den modernen Medizinmann für solche Dinge. Aber vielleicht ist eine Krankheit auch dazu da, uns mit Gott in Verbindung zu bringen. Der Arzt müht sich um die äußeren Erscheinungen, Gott aber greift die tieferen, Wurzeln der Krankheit in unserem Inneren an.

So hat auch Jesus seine Aufgabe verstanden: Er will dem Menschen von innen heraus zu einem neuen Leben mit Gott verhelfen. Es geht hier um einen Machtkampf, in dem Jesus unerschrocken die Herrschaft Gottes mit ins Spiel bringt.

Wir erleben hier einer ganz anderen Jesus als gewohnt. Er ist nicht der große Lehrer und vorbildliche Fromme, der zwar schöne Ideen vertritt, aber ansonsten keine Macht hat. Er ist auch nicht das leidende Lamm Gottes, das auf dem Weg zum Kreuz ist. Nein, hier erfahren wir Jesus als einen, der sich nichts gefallen läßt. Er schlägt drein und geht in Gottes Namen gegen den Satan an. An  e i n e m Beispiel wird uns hier gezeigt, was dann an Ostern offenbar wird: Die Welt ist Herrschaftsgebiet Gottes und alle Machenschaften des Bösen vergehen bald wieder. Und der stumme Mann hier darf Ostern schon erleben, als Jesus ihn von der Krankheit befreit.

So kennen wir Jesus eigentlich gar nicht. Er geht dabei ja auch gegen das Böse in  u n s  an. Er sagt ja auch zu uns: „Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich!“ Er will damit deutlich machen: „Wer nur so mitläuft, der bringt meiner Sache nur Schaden. Ihr müßt euch jetzt entscheiden: ganz oder gar nicht! Ihr könnt nicht dazugehören wollen und das gar niemals in eurem Leben zeigen. Man muß doch auch sehen, daß etwas anders geworden ist und das Böse schon besiegt ist!“

Man kann auch nicht so im Geheimen ein Christ sein. Da sagt doch einer, der aus der Kirche ausgetreten ist: „Ich glaube aber trotzdem an die Existenz einer höheren Macht!“ Aber zur Kirche will er nicht gehören bzw. er kann es sich angeblich nicht leisten. Aber Jesus macht deutlich: „Wer nicht ganz dafür ist, der ist in Wahrheit dagegen!“

Martin Luther King hat gesagt: „Die größte Schwierigkeit der Bürgerrechtsbewegung hat stets darin bestanden, daß die guten Menschen stumm und gleichgültig blieben!“ Mancher sagt sich eben: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold! Aber Stummsein aus Gleichgültigkeit und Scheu vor dem eigenen Einsatz schadet immer nur der eigenen Sache. So ist das auch bei der Kirche. Viele bringen ihr offenbar manche Sympathie entgegen, aber sie scheuen sich, sich offen dazu zu bekennen.

Hier ist heute eine Dämonenaustreibung nötig. Der Dämon unsrer Zeit heißt „Angst vor einem eindeutigen Bekenntnis“. Erst wenn er vertrieben ist, wird wieder Vertrauen möglich und öffnet Herzen und löst die Zungen. Nur so kann auch Gott in unserem Leben zum Zuge kommen.

Wo Gott nicht herrscht, da herrscht der Satan uneingeschränkt. Eine neutrale, entmilitarisierte Zone zwischen diesen beiden Herrschaftsbereichen gibt es nicht. Was nicht im Besitz Gottes ist, das fällt unweigerlich dem Satan zum Opfer. Und so wogt der Kampf ständig zwischen diesen beiden kriegführenden Mächten hin und her.

Wir aber stehen immer mittendrin. Wir stehen auf der Grenze und werden gefragt, zu welcher Seite wir nur überlaufen wollen.

Wir entscheiden mit darüber, wie die Front verlaufen wird und ob wir eine schwache Stelle sind oder ein Eckpfeiler in der Festung Gottes. Selbst wenn wir einmal widerstanden haben, sind wir nicht sicher vor neuen Angriffen. E i n  Sieg ist noch  k e i n  Sieg. Ein Rückfall aber würde alles nur noch ärger machen.

Wir stöhnen manchmal, daß die anderen uns den Glauben und die Beteiligung am kirchlichen Leben so schwer machen. Dabei ist es doch so leicht: Wenn wir uns klar und eindeutig auf die Seite Gottes stellen, kann uns schon niemand mehr etwas anhaben. Nur die Unentschiedenen, die Zweifler, die unsicheren Kandidaten, die stehen unter Beschuß und werden belästigt. Wer aber ganz fest auf Gott vertraut und fest im Verband der Gemeinde steht, dem kann nichts passieren. Da ist nichts zu holen und da erledigt sich vieles von selbst. Denn wo das Reich Gottes ist, da kann das Böse nicht mehr herrschen.

Es gibt aber auch die anderen: Sie bleiben stumm wie die Fische, was auch Gott zu ihnen sagen mag. Wenn sie singen sollen, sind sie heiser. Wenn sie beten sollen, sind sie vornehm und verlegen. Wenn Gottesdienstzeit ist, haben sie alles Mögliche andere vor. Sie greifen nicht zu, wo einer in Not ist. Sie kriegen den Geldbeutel nicht auf, wenn sie eine Sammelbüchse sehen. Sie sind stumm für alles Schöne und das Lob Gottes. Bei Beerdigungen kann man es manchmal erleben: Nicht mal zum Vaterunser werden die Fände gefaltet.

Wer so denkt und handelt, ist natürlich eine leichte Beute. Wer aber den Ruf des Stärkeren gehört hat, muß nicht mehr wie unter einem bösen Zwang handeln: Wer nervös und gereizt war, findet in Christus Ruhe. Wer gedrückt war von seinen Alltagssorgen, findet in Christus seinen Befreier. Wer überwältigt war von Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit, der hat nun Anteil am Sieg Christi.

Allerdings liegt der Sieg Christi heute noch nicht für alle Menschen sichtbar zutage, weil er noch mit dem Kreuz verbunden ist. Noch werden wir zur Entscheidung aufgerufen, weil man alles auch anders deuten kann und weil mancher nur das Kreuz sieht und nicht auch die Auferstehung.

Wir sind noch längst nicht mit dem Teufel fertig. Das eine Mal haben wir ihn vertrieben. Das andere Mal machen wir ihm die Tür weit auf und laden ihr noch herzlich ein. Jesus erspart uns nicht das Wachsamsein, sondern er macht es uns gerade zur Pflicht. Er hat schon grundsätzlich den Sieg errungen. Wir aber müssen darauf achten, daß er auch bei uns den Sieg erringt.

 

 

Lk 11, 14 - 23 (Drittletzter Sonntag, Variante 3)

Im Neuen Testament wird Jesus manchmal als das Lamm Gottes bezeichnet. Für uns heute ist dieses Symbol nicht mehr gleich verständlich oder sogar mißverständlich: Wenn wir Lamm hören, denken wir gleich an Schaf! Und wer von uns möchte schon ein Schaf sein oder Jesus als ein Schaf bezeichnen. In der Bibel meint „Lamm“ jedoch die wehrlose Kreatur, die geschlachtet wird,  weil es ihre Bestimmung ist. Ein Lamm ist schwach und muß das alles erdulden, es ist das Sinnbild des stummen Leidens in der Welt.

Hier jedoch in dieser Erzählung wird uns ein anderer Christus vorgestellt: der Herr über die Dämonen und die widergöttlichen Mächte. Hier ist einer, der sich nichts gefallen läßt, sondern der dreinschlägt. Er ist nicht nur ein großer Lehrer oder ein vorbildlicher Frommer, der zwar schöne Ideen vertritt, aber ansonsten keine Macht hat, sie durchzusetzen. Nein: in Gottes Namen geht er gegen den Satan an.

So kennen wir ihn eigentlich gar nicht: Er geht ja auch gegen das Böse in  u n s  an, wir bekommen ja auch seine Macht zu spüren. Er sagt auch zu uns: „Wer nicht für mich ist, der ist wider mich!“ Wer nur so mitläuft, der bringt meiner Sache nur Schaden. Ihr müßt euch jetzt entscheiden: Entweder ganz oder gar nicht! Ihr könnt nicht dazu gehören wollen und das gar niemals in eurem Leben zeigen. Man muß es euch doch ansehen, daß etwas anders geworden ist in eurem Leben und daß das Böse in euch besiegt ist.

Die Auferstehung Jesu an Ostern war schon der Sieg. Wir wissen heute, daß Jesus damals gesiegt hat. Doch schon in der Zeit seines irdischen Lebens hat Jesus den Satan besiegt: Der stumme Mensch in dieser Geschichte hat Ostern schon erlebt, als Jesus ihn von der Krankheit befreite.

An diesem e i n e n Beispiel wird hier gezeigt, was dann an Ostern offenbar wird: Jesus hat durch den Sieg über den Satan die Welt neu gemacht. Sie ist wieder Herrschaftsgebiet Gottes, alle Machenschaften des Bösen haben nur noch den Rang einer Episode, die bald vergeht.

Voraussetzung ist jedoch, daß wir die Herrschaft Gottes bei uns Wirklichkeit werden lassen. Wo Gott nicht herrscht, da herrscht der Satan uneingeschränkt. Eine neutrale entmilitarisierte Zone gibt es nicht. Was nicht im Besitz Gottes ist, fällt unweigerlich dem Satan zum Opfer. Nicht umsonst heißt er: der  „Fürst dieser Welt“.

Das ist ein andauernder Kampf zwischen zwei kriegführenden Mächten. Wir aber stehen immer auf der Grenze und sind gefragt, zu welcher Seite wir überlaufen wollen. Wir entscheiden darüber, wie die Front verlaufen wird: ob wir auf der Seite Jesu bleiben wollen oder ob wir uns auf die Seite des Fürsten dieser Welt stellen wollen. Wir selber entscheiden darüber, ob wir eine schwache Stelle sind oder ein Eckpfeiler in der Festung Gottes.

Emanuel Geibel hat gedichtet: „Glaube, dem die Tür versagt, kommt als Aberglaub' durchs Fenster; wenn die Gottheit ihr verjagt, kommen die Gespenster!“ Wenn ihr Gott nicht durch die Tür laßt, kommen die Gespenster durchs Fenster. Wenn ihr krampfhaft die Tür zuhalten wollt, kommt das Böse durch die Hintertür herein. Wo der lebendige Glaube aufhört, sucht man sich falsche Götter; da blüht dann auch der Aberglaube.

Im Krieg und auch noch danach hatten die Kartenlegerinnen Hochbetrieb. Anstatt das Schicksal der vermißten Männer und Söhne in die Hand Gottes zu legen, begab man sich in die Hand seltsamer Frauen, die die Karten legten.

In unserem aufgeklärten Land ist es mit dem Aberglauben wohl nicht so wild. Aber das gibt es doch auch, daß einer dreimal auf den Tisch klopft und sagt: „Toi, toi, toi!“ Oder er klopft an den Kinderwagen und sagt „Ihr Sohn sieht ja gut aus, unberufen toi, toi, toi!“ Hier wird der Teufel angerufen bzw. beschworen, daß er nicht kommen möge. Man will den Teufel fernhalten anstatt Gott herbeizurufen, der den Teufel gar nicht erst rankommen läßt. Wo Gott ist, hat die widergöttliche Macht nichts zu bestellen.

Jesus sagt: „Wenn ich durch den Finger Gottes die bösen Geister austreibe, so ist ja das Reich Gottes zu euch gekommen!“ Und da bilden wir uns ein, wir könnten mit dem Klopfen unseres Fingers den Teufel vertreiben. Wir wollen so vieles mit unsrer Macht erreichen.

Was macht man, wenn man krank ist? Man geht zum Arzt und läßt sich eine Medizin verschreiben. Daß aber erst einmal Gott damit zu tun hat, daß er uns durch die Krankheit vielleicht etwas sagen will, darauf kommt keiner. Früher glaubte man an die abergläubischen Praktiken des Medizinmannes, heute erhofft man sich allein Hilfe von den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen eines Arztes. Dabei wissen die Ärzte selbst nur zu genau, wie machtlos sie oft sind.

Aber dann fragen die Kranken: „Wie steht es denn mit mir? Werde ich wieder gesund?“ Der Arzt weiß aber genau, daß der der andere gar nicht die Wahrheit hören will. Er will sie ja nur hören, wenn es gut mit ihm steht. Aber wenn der Arzt ihm das bestätigt hat, läuft er zum nächsten und will sehen, ob der dasselbe sagt. Keiner traut mehr dem anderen und keiner findet Ruhe. Eine junge Ärztin sagte einmal: „Ich würde keinem Arzt trauen. Da wird so viel gelogen!“ So weit ist das Böse schon in unsre Welt eingedrungen, daß keiner mehr dem anderen trauen will. So weit kommt es also, wenn man sich auf menschliche Hilfe verläßt.

Dabei wäre es so einfach, wenn wir nur Gott zu Hilfe riefen. Wir stöhnen manchmal, daß die anderen uns das Glauben und die Beteiligung am kirchlichen Leben so schwer machen. Dabei ist es doch so leicht: Wenn wir uns klar und eindeutig auf die Seite Gottes stellen, kann uns schon niemand mehr etwas anhaben. Nur die Unentschiedenen, die Zweifler, die unsicheren Kandidaten, wo noch etwas zu holen ist für die gegnerische Seite, die stehen auch unter Beschuß und werden belästigt. Wer aber ganz fest auf Gott vertraut und ganz fest im Verband der Gemeinde steht, dem kann nichts passieren. Dann erledigt sich das andere ganz von selbst. Denn wo Gottes Reich ist, da kann das Böse nicht mehr herrschen. „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren; es streit für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren. Fragst du, wer der ist? Er heißt Jesus Christ, der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott, das Feld muß er behalten!“

Doch in vielen von uns sitzt so ein stummer Geist, ein kleiner Teufel. Dieser läßt den Menschen auf nichts reagieren. Sie können auf Gottes „Ja“ kein Amen sprechen, sondern bleiben stumm wie die Fische, was Gott auch zu ihnen sagen mag: Wenn sie singen sollen, sind sie heiser, wenn sie beten sollen, sind sie vornehm und verlegen. Wenn Gottesdienstzeit ist, haben sie alles Mögliche andere vor. Sie greifen nicht zu, wo einer in Not ist. Sie kriegen den Geldbeutel nicht auf, wenn sie eine Sammelbüchse sehen. Sie sind stumm für alles Schöne und stumm für das Lob Gottes. Bei Beerdigungen kann man es manchmal erleben: Nicht einmal zum Vaterunser werden die Hände gefaltet.

Wer aber den Ruf des Stärkeren gehört hat, muß nicht mehr wie unter einem bösen Zwang handeln. Wir sind nervös und gereizt, aber Christus gibt uns Ruhe. Wir sind gedrückt von unsren        Alltagssorgen, aber Christus ist unser Befreier. Wer wissen darf, daß Christus schon den Sieg errungen hat, der läßt sich nicht überwältigen von der Gleichgültigkeit und Mutlosigkeit.

Es braucht sich keiner zu schämen, der einmal schwach geworden ist. Schämen muß sich nur der, der sein Leben dahintreiben läßt, weil es doch keinen Wert mehr habe. Schämen muß sich nur der, der mürrisch und verzagt ist und stumm und leer bleiben will.

Allerdings liegt der Sieg Christi heute noch nicht für alle Menschen sichtbar zutage, weil er noch mit dem Kreuz verbunden ist. Noch werden wir zur Entscheidung aufgerufen, weil man alles auch anders deuten kann, weil mancher nur das Kreuz sieht und nicht auch die Auferstehung.

Wir sind noch längst nicht mit den Teufeln fertig. Das eine Mal haben wir ihn vertrieben, das andere Mal machen wir ihm die Tür weit auf und machen alles einladend für ihn, so daß es nachher noch schlimmer wird.

Jesus erspart uns nicht das Wachsamsein, sondern macht es uns gerade zur Pflicht. Er hat schon grundsätzlich den Sieg errungen. Wir aber müssen aufpassen, damit er euch bei uns den Sieg erringt.

 

 

Lk 12, 15 - 21 (Erntedankfest):

Spielszene zum Predigttext:

Käte:    Sag mal, Jochen, wieviel hast du denn in diesem Monat verdient?

Jochen: Daß ihr Frauen das immer so genau wissen müßt! Also: 1.800 Euro brutto und 1.300 Euro auf die Hand.

Käte:    Da müssen wir aber noch ganz schön lange warten, bis wir unser Wochenendgrundstück kaufen können.

Jochen: Erst müssen wir in unserer neuen Eigentumswohnung sein und den Audi haben. Das heißt: Wenn Oma stirbt, dann erben wir sicher ihr ganzes Vermögen, und dann baue wir unser Wochen­endhaus. Was Müllers können, das können wir schon lange.

Käter:  Weißt du, Jochen, eigentlich könnte ich ja Samstag und Sonntag auch noch arbeiten und nebenbei etwas verdienen.

Jochen: Vielleicht als Aushilfsschwester im Krankenhaus.

Käter:  Was? Als Schwester? Da denke ich gar nicht dran. Was verdient man denn da! Nein, das ist unter dem Strich, das kommt überhaupt nicht in Frage!

Jochen: War ja nur ein Vorschlag. Oder willst du als Kellnerin gehen? Die gehen meist mit einem guten Trinkgeld nach Hause.

Käte:    Du willst mich wohl aufziehen. Schwester, Kellnerin! Das mache ich nicht mit, das lohnt sich doch nicht!

Ein Jahr später

Käte:    Langweilig ist das hier. Seit einem halben Jahr arbeite ich nicht mehr. Dieses schreckliche Haus! Mir fällt bald die Decke auf den Kopf! Immer dieser schreckliche Krach! Aber in drei Monaten ist alles vorbei. Das Häuschen auf dem Wochenendgrundstück ist fast fertig. Das Geld von der Oma haben wir natürlich total verbuttert. Und gearbeitet haben wir fast Tag und Nacht…..                                                                                 (Es klingelt):

Bote:   Ich komme aus dem Krankenhaus. Sind Sie Frau Käte Spärlich?

Käte:    Um Himmels willen, ist etwas passiert? Mein Mann Jochen? O Gott, ist er tot?

Bote:   Nein, regen Sie sich nicht auf. Sie sollen nur gleich ins Krankenhaus kommen.

Käte:    O Gott, was ziehe ich nur an? So kann ich doch nicht losrennen! Was soll ich nur machen?

                                               Im Krankenhaus

Doktor: Ihr Mann hatte einen Verkehrsunfall, er ist schwer verletzt. Sie können leider nicht zu ihm.

Käte:    Mein Mann hat sonst niemand als mich. Wir haben keine Kinder, keine Verwandten, keine Freunde, keine Nachbarn. Sie dürfen meinen Mann nicht allein lassen.

Doktor: Er ist nicht allein, eine Schwester hält bei ihm Wache. Aber er braucht jetzt dringend Ruhe. Es wird gut für ihn sein, einmal Zeit zum Nachdenken zu haben. Und vielleicht tut Ihnen, Frau Spärlich, die Ruhe im Hause auch einmal gut.

Käte:    Wie soll ich so lange ohne meinen Mann auskommen? Das kann ich nicht! Warum geht es gerade uns so? Jetzt, wo wir am Ziel waren, da geht es uns so dreckig. Warum bloß?

Doktor: Vier bis sechs Wochen haben Sie Zeit. Versuchen Sie, etwas Vernünftiges daraus zu machen. Chancen, die man hat, sollte man nützen.

 

Predigt:

Es ist kaum zu fassen, daß dieser reiche Mann ein Narr sein soll. Er lebt nicht von der Hand in den Mund, sondern plant vernünftig für die Zukunft. Geistesgegenwärtig will er sich gleich Handwerker sichern, die seine Lagerräume vergrößern. Er wäre sicher nicht reich geworden, wenn er nicht auch früher aufgepaßt und geschäftliches Talent entwickelt hätte. Er hat seinen Reichtum nicht auf Kosten anderer Leute erworben, sondern war eben fleißig, sparsam und geschickt. Und wenn sich einer rechtzeitig zur Ruhe setzt, dann ist das doch nur eine Tugend. Wie viele übertreiben doch nach der anderen Seite und arbeiten pausenlos bis zum Umfallen. Es soll ja auch immer bergauf gehen

Der reiche Mann macht da nicht mehr mit. Er will sich endlich einmal eine Verschnaufpause gönnen. Er will nicht immer nur arbeiten, bis er eines Tages tot umfällt und die anderen von ihm sagen: „Jetzt wo er langsamer treten wollte und sein Leben genießen konnte, da mußte er sterben!“ So dumm will er nicht sein, auch in dieser Hinsicht ist er an sich ein kluger Mann.

Und schließlich kommt bei dem Mann auch nichts um. Wenn man nicht richtig plant, verderben manche Lebensmittel. Wenn man den Kindern zu viel Brot mit in die Schule gibt, wandert es in den Abfallkorb.

Bei Familienfeiern wird meist viel zu viel an Essen herbeigeschafft und verdirbt nachher. Und vom Werkessen wird auch manches wieder zurückgegeben. Das hängt allerdings auch damit zusammen, daß wir wieder anspruchsvoll geworden sind. Manche Hausfrau kann eine

Verkäuferin zur Verzweiflung bringen, und wenn der gewohnte Bäcker einmal krank ist, dann wird auf ihn geschimpft, anstatt ihm gute Besserung zu wünschen. Der reiche Kornbauer aber richtet sich nach dem Bedarf und tut das Erforderliche.

Aber einen entscheidenden Fehler hat er gemacht: Er rechnet nicht mit seinen Mitmenschen und er rechnet vor allem nicht mit Gott. In der ganzen Geschichte kommt kein anderer Mensch vor. Immer wieder spricht der Mann nur von sich selbst. Und Gott erscheint nur, weil er von sich aus in das Leben dieses Mannes eingreift. Er durchkreuzt alle Pläne und gebietet ein Halt! Jetzt stellt sich heraus: Das kostbarste Gut ist die Zeit. Und wenn sie abgelaufen ist, dann helfen kein Geld und kein Arzt, dann bekommen andere Dinge ein großes Gewicht.

Natürlich hätte es auch nicht genügt, nun noch zusätzlich etwas für die Gesundheit zu tun, um den Herzinfarkt zu vermeiden. Das ist hier nicht gemeint. Der Fehler liegt darin, daß dieser Mann nur in Sach- und Geldwerten denkt. Er hat nicht bemerkt, daß hinter dem reichen Ertrag seiner Felder einer steht, der ihm das alles hat zukommen lassen. Er wird Gott wohl nicht leugnen, er hat ihn noch nicht offiziell abgeschafft. Sicher hat er auch etwas zum Erntedankfest gespendet. Aber wenn man ihn fragt: „Worauf gründest du dein Leben“ dann antwortet er: „Auf das was ich mir erwirtschaftet habe!“

In diesem Punkt ist der Kornbauer eigentlich ein moderner Mensch. Seine Welt besteht nur aus ihm selbst und verschiedenen Dingen. Daß da noch ein Geber ist, der hinter allen Gaben steht, kommt ihm nicht in den Blick. Den Erfolg seines Lebens mißt er nur an den sichtbaren Dingen.

Man kann allen Leuten zeigen, wie gut es einem geht. Manchem genügt schon das neueste Farbfernsehgerät. Ein anderer braucht ein Auto. Ein Dritter ein Haus mit allem Drum und Dran bis hin zum Gartenzaun. Weil die Arbeit im Beruf oft so trostlos und wenig ausfüllend ist, sucht man auf diesem Feld seine Selbstverwirklichung. Ist ein Teilschritt erreicht, wird schon das nächste Ziel ins Auge gefaßt. Immer heißt es: „Nur noch das, dann bin ich fertig!“ Aber wenn es geschafft ist, geht es gleich wieder weiter.

Natürlich muß man das erhalten, was man von den Vorvätern ererbt hat. Natürlich muß man für sich und seine Familie sorgen, damit man mit dem Nötigsten ausgestattet ist. Natürlich darf man auch Pläne machen. Wenn man zum Beispiel heiratet, kann man sich doch nicht

nur vor Augen halten, was alles schief gehen könnte. Natürlich ist es auch gut, wenn man eine gewisse Vorsorge trifft; jeder von uns ist in der Krankenversicherung und in manch anderer dazu.

Aber der Wahlspruch: „Versichert - gesichert“ streut doch nur Sand in die Augen. Keine Versicherung kann uns vor Schaden bewahren, sondern höchstens die Folgen eines Unglücks abmildern. Vor allem aber sollte eine Versicherung uns nicht davon abhalten, Gott mit in den Plan unsers Lebens mit einzubeziehen. Gerade wenn man sein Leben sichern will, muß man sich auf Gott verlassen; dann kann man auch den Verlust bestimmter Güter verschmerzen, weil man sich gehalten weiß von der umfassenderen Fürsorge Gottes.

Wenn aber die Verbindung zu Gott fehlt, nutzt aller Besitz nichts. Vorrat und Besitz an sich sind nicht böse. Aber sie werden fragwürdig, wenn wir uns allein auf sie verlassen, so als ob es Gott nicht gäbe. In Wirklichkeit aber begegnet uns Gott in all den Dingen, die wir anfassen und wovon wir leben. Wir können immer nur wegnehmen was Gott zuvor hingelegt hat. Im Geschehen von Saat und Ernte kann man das besonders unmittelbar erleben.

Gott erhält unser Leben durch die Dinge. Sie haben nicht nur einen Gebrauchswert, sondern sie sind Geschenke Gottes. Anders gesagt: Wir empfangen nicht nur Kalorien, sondern wir empfangen durch sie die Liebe Gottes. Am Erntedankfest geben wir zu erkennen, daß uns dies bewußt ist. Und im täglichen Tischgebet, das ja das Erntedankfest des Alltags ist, bestätigen wir dies immer wieder neu

Der Reiche Kornbauer feiert kein Erntedankfest. Wem sollte er auch danken als sich selbst? Von Gott will er nichts wissen; deshalb redet er nicht mit ihm, sondern nur mit sich selbst. Und auch der Mitmensch ist nicht in seinem Blick; denn er fragt sich nicht: „Wozu ist mir denn dieser Reichtum gegeben, könnte ich damit nicht anderen Menschen helfen?“ Dieser Mann hat nicht erkannt, wovor er lebt und wozu er lebt.

Auf einem Bild ist der reiche Kornbauer dargestellt, wie er mit den Armen seine vielen Geldsäcke zu umfassen und festzuhalten sucht. Aber hinter ihm steigt schon der Tod auf. Er will sich einigeln in seinen Besitz, wie eine schützende Mauer hat er hat er die Säcke um sich her­um­gestellt. Aber dem Tod macht diese Mauer nichts aus, er holt ihm doch.

Wie hätte es der Bauer aber richtig machen können, wie können wir es richtig machen? Darüber wollen wir jetzt noch einmal nachdenken:

(1.) Wenn wir unsern Besitz auch frohen Herzens hergeben könnten, hätten wir die richtige Einstellung zu ihm. Auch wenn uns alles genommen wird, so haben wir doch Gott, der uns weiterhilft. Unser Leben wird nicht sinnlos, wenn wir bestimmte Dinge nicht mehr haben. Wir sollten keine Angst haben. wir könnten sie eines Tages verlieren. Wir sollten sie vielmehr mit Freude in Gebrauch nehmen und sie genießen. Und wir sollten Gott dafür danken und uns an ihn binden und nicht an die Dinge.

(2.) Der Mensch braucht mehr zum Leben als was er ißt und trinkt. Wer nur auf sein Geld achtet, merkt oft nicht, wie unterernährt er innerlich ist. Was hilft es denn, wenn die Scheunen voll sind und das Herz ist leer geblieben? Einseitige Ernährung ist gefährlich. Auch unsere Seele braucht „Vitamine“, nämlich die Liebe zu Gott und den Menschen. Werden wir verlegen, wenn wir etwas besitzen, das über das Notwendige hinausgeht? Möchten wir tatsächlich nur mit dem täglich Notwendigen leben? Wo ist die Grenze zwischen Nötigem und Überflüssigem? Verschiebt sich diese Grenze?

(3.) In der Frage des Hungers auf der Welt müßten wir andere Wege beschreiten. Die „Aktion Brot für die Welt“ ist eine gute Sache und hilft wenigstens einigen wenigen Menschen, ein kleines Stück weiter. Mit unserer Spende zum Erntedankfest haben wir schon das Sicherheits- und Besitzdenken durchbrochen und haben schon etwas abgegeben

Aber um das ganze Problem in den Griff' zu kriegen, muß an längere Hebel ansetzen. Wir gehören ja zu den reichen Ländern und haben da eine besondere Verantwortung. Vielleicht ist uns das nicht so deutlich, daß wir im Grunde zu den reichen Kornbauern gehören. Wir vergleichen uns gern mit der absoluter Weltspitze anstatt mit der großen Masse der Völker, die in bitterster Armut leben und für die eis Erntedankfest wie unsers kaum möglich ist.

Es gibt ja Länder, da wird der landwirtschaftliche Überschuß vernichtet, damit die Preise hoch bleiben; und in den gleichen Ländern haben dann die armen Leute nicht das Geld, um die teuren Produkte zu kaufen. Und auch von uns ist zu sagen: Allein von unseren Abfällen, von dem was achtlos weggeworfen wird, könnte manches andere Land leben. Wir können am heutigen Tag nicht vergessen, daß Millionen von Menschen hungern, in Südamerika, in Afrika und anderswo.

Aus Bolivien wird uns folgende Geschichte berichtet: Eine Indianerfrau hat fünf Kinder. Aber sie füttert immer nur vier vor ihnen, das jüngste kriegt nichts ab. Sie wird zur Rede gestellt, weshalb sie ausgerechnet dem jüngsten gar nichts gibt. Ihre Antwort ist: „Das ist das Schwächste, das wird sowieso zuerst sterben Ich muß sehen, daß ich wenigstens die anderen durchkriege!“

 (4.) Wir können aber auch nicht der Gottesdienst beenden mit dem Gebet: „Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie dieser Kornbauer. Ich bin nicht so tüchtig wie er, gehe aber in die Kirche und gebe dort mein „Opfer“. Mit Geld kann man sich noch nicht vor der Verpflichtung gegenüber Gott und dem Mitmenschen freikaufen. So wollen wir heute unsern Mitmenschen danken, weil sie ein Stück ihres Lebens für uns gegeben haben, seien sie nun Bauer oder Arbeiter, Bäcker oder Arzt. Die in der Stadt können der Bauern dankbar sein, daß sie bei Wird und Wetter, Frost und Hitze tätig sind, damit wir etwas zum Essen auf dem Tisch haben. Und die Bauern werden den Industriearbeitern und Handwerkern dafür dankbar sein, daß sie die nötigen Maschinen und Geräte zur Verfügung stellen. Wir hängen doch alle voneinander ab und haben deshalb auch a 1 1 e Grund, das Erntedankfest zu feiern.

Vor allem aber wollen wir Gott danken, der uns diese Leben gegeben hat und auch sonst alles, was wir zum Leben brauchen. Weil er da ist, brauchen wir zum Glück keinen Vorrat auf viele Jahre anzulegen. Vielmehr empfangen wir unser Leben täglich neu aus seiner Hand. Unser Reichtum besteht darin, daß wir uns auf ihn berufen können, wenn es um die letzten Dinge geht. Dafür wollen wir ihm danken, heute und alle Tage.        

 

 

 

Lk 12, 42 – 48 (Ewigkeitssonntag):

Viele von denen, die heute zum Gottesdienst gekommen sind, haben im abgelaufenen Kirchenjahr einen lieben Menschen hergeben müssen oder denken an einen Verstorbenen aus den vergangenen Jahren. Am heutigen „Ewigkeitssonntag“, der im Volksmund mehr der „Totensonntag“ heißt, denken wir wieder besonders daran.

Manchem wird die Zeit noch gut in Erinnerung sein, in der er sich besonders bewähren mußte. Das gilt zunächst einmal für die Zeit der Krankheit. Da ist oft ein ungeheurer persönlicher Einsatz notwendig: Jeden Tag heizen, verpflegen, waschen, saubermachen, oft auch noch Nachtwache. Dazu der seelische Beistand, der geleistet werden muß, die Not des Kranken und die eigene Ohnmacht. Und schließlich dann auch noch das Stehen am Sarg und das Abschied­nehmen.

Da erweist sich dann, ob man ein treuer und kluger Haushalter ist. Wir werden von Gott nicht dafür verantwortlich gemacht, was wir nicht tun konnten. Aber er fragt nach dem, was wir tun konnten. Und da wäre es doch gut, wenn er zu uns sagen könnte: „Selig bist du, der du meinen Willen getan hast. Ich gratuliere dir - das ist mit dem „selig“ gemeint - so habe ich es mir von dir erhofft. Du hast dich um deine Mitmenschen gekümmert und nicht für dich selbst gelebt. Du hast keinen zu kurz kommen lassen, du bist treu gewesen“

Dazu gehört aber auch, daß wir etwas von der christlichen Hoffnung deutlich machen. Zur Pflege eines Kranken gehört nicht nur die medizinische und pflegerische Versorgung, sondern auch der geistliche Beistand. Wer in der Erwartung Gottes lebt, der wird anders von seinen Lieben Abschied nehmen. Er wird hoffen, trotz Tod und Verwesung. Er sieht Land vor sich, auch wenn der Boden unter den Füßen zu schwanken scheint. Diese Hoffnung wird er dann auch einen Sterbenden vermitteln können, und wenn es nur ein Vaterunser ist, das am Sterbebett gebetet wird.

Der treue und kluge Haushalter gibt zur rechten Zeit das Evangelium weiter. Diese Botschaft trifft der Menschen dann, in seinen innersten Lebensbezügen und räumt dort gewaltige Steine weg, die ihm auf den Herzen liegen. Die Erwartung des Herrn kann dann auch seinem Leben einen festen Halt geben. Diesen Dienst sind wir unseren Mitmenschen schuldig, wenn wir treue Haushalter Gottes sein wollen. Ihn, dem kommenden Herrn sind wir verantwortlich, denn ihm gehören unsre Welt, unsre Zeit und unsre Gaben.

 

(1.) Gott gehört unsre Welt, denn er hat sie geschaffen: Doch die Christenheit hat nie die ganze Welt verwalten können. Der einzelne Christ kann es erst recht nicht. Aber wir sind auch nur für das Stück Welt verantwortlich, das uns tatsächlich überantwortet ist: Familie, Beruf, Freun­de, bestimmte Gruppen, auch die Kirche. Überall sind wir nicht Eigentümer, sondern nur Verwalter. Auch mit den Dingen unsrer Welt können wir nicht umgehen, wie es uns beliebt. Aber noch schlimmer ist es, wenn Menschen wie Dinge behandelt werden.

Nicht recht ist der Haushalter, der anfängt, „Knechte und Mägde zu schlagen, zu fressen und sich vollzusaufen“. Das kann man nicht ganz wörtlich nehmen, das sind nicht die einzigen Beispiele, wie Menschen unter anderen Menschen zu leiden haben. Wer Macht hat, ist aber in der großen Gefahr, seine äußere Überlegenheit genießen, zum Leid und Schaden der anderen Menschen.

Es kann aber auch sein, daß einer nur schlampig und faul ist, interesselos und dickfellig. Dadurch verkommt das Anvertraute zum Nachteil der Mitmenschen und zuletzt auch zur Schande des Herrn. Aber es gibt auch gute Beispiele von Menschen, die sich um Alte und Kranke kümmern. Das hört man doch gern: „Der Sohn sieht jeden Tag nach der Arbeit nach seinem kranken Vater, obwohl dessen Wohnung nicht am Weg liegt!“

Die verwerflichen Einstellungen eines untreuen Verwalters haben ihren Grund darin, daß der Betreffende die Rechnung ohne den Wirt gemacht hat. Er vergißt, daß ihm gar nicht gehört, womit er so eigenmächtig umgeht. Eines Tages wird der Herr ihn zur Rechenschaft ziehen und fragen: „Was hast du aus dem Anvertrauten gemacht? Wie bist du mit den Menschen umgegangen, die alle mir gehören, die mir kostbar sind und für die ich als ihr Heiland mein Leben gegeben habe?“

Mit geliehenen Büchern gehen wir hoffentlich sorgsamer um als mit eigenen. Das Auto des Freundes fahren wir mit noch mehr Vorsicht als das eigene. Wir hätten auch zur Welt ein anderes Verhältnis, wenn wir uns klarmachten, wem sie gehört. Wir hätten eine andere Einstellung zu den Menschen,  wenn wir in ihnen immer Geschöpfe Gottes sähen.

 

(2.) Gott gehört unsre Zeit: Der untreue Knecht leugnet nicht, daß er einen Herrn hat. Aber er sagt sich: „Es dauert noch eine ganze Weile, bis er wiederkommt!“ Das ist sicher sehr unklug gedacht und gehandelt. Ein solcher Mensch will nicht die Dinge an sich herankommen lassen und läßt sich deshalb noch Zeit. Vielmehr rechnet er gar nicht damit, daß sie überhaupt noch herankommen. So denkt der Schüler, der erst am Tag vor der Klassenarbeit zu lernen beginnt. So denkt der Konfirmand, der nicht für die Prüfung lernt, weil er denkt, es werde schon nicht so schlimm kommen. So denkt der Student, der von Semester zu Semester denkt, mit dem Examen habe es ja noch Zeit.

Aber jeder von ihnen muß sich einmal doch klarmachen, daß seine Uhr tickt und unaufhörlich weiterläuft. Auch unsre Lebensuhr wird einmal abgelaufen sein. Wie schnell ist mancher Mensch abgerufen worden, der noch viel vorhatte. Wann Jesus wiederkommen wird, weiß er selber nicht, aber er kann in jedem Augenblick da sein. Dabei ist es gleich, ob er noch in dieser Nacht mein Leben von mir fordern wird oder ob die ganze Welt zu gegebener Stunde die Ankunft ihres Herrn erfahren wird. Auf alle Fälle sollen wir wachen und mit dem für uns oder die ganze Welt eintretende Ende rechnen. Vielleicht sehen wir noch ein, daß die Welt und die Zeit dem Herrn gehört. Aber daß das schon im nächsten Augenblick aktuell werden könnte, das wollen wir nicht wahrhaben.

Warum ist uns der letzte Wille eines Verstorbenen so unantastbar? Warum ist er mehr als eine andere Willenskundgebung in Laufe des Lebens? Was in Angesicht des Letzten gesagt wird, hat eben besonderes Gewicht. Jeder Augenblick kann aber diesen Ernstfall bringen. Doch

das ist kein Grund, nun gleichgültig zu werden, sondern wer mit dem Kommen des Herrn rechnet, der geht ihm entgegen. Und der hat jederzeit sein Haus geordnet. Die gespannte Erwartung des Endes ist so ein starker Antrieb zum verantwortlichen Handeln in unsrer Welt.

 

(3.) Dem Herrn gehören unsre Gaben: Jesus weiß, warum er so hart spricht. Wer weiß, was von ihm erwartet wird, sich aber wissentlich weigert, den wird seine Haltung und sein Tun schwer angerechnet. Erkennen und Wissen schärft die Verantwortlichkeit.

Aber es kann auch sein, daß man nicht weiß, was man tut. Man hat vielleicht den besten Willen und macht es doch falsch; man hat etwas übersehen oder ist nachlässig gewesen. Von einen solchen Menschen heißt es: „Er wird wenig Schläge empfangen!“ Hier geht es nicht um mildernde Umstände, sondern Gott erwartet schon, daß wir mit dem ernst machen, was uns im Glauben aufgegangen ist. Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert werden. Von Christen erwartet er mehr als von anderen. Ob wir mehr bringen können, das ist eine andere Frage.

Aber es geht doch barmherziger zu in Gottes Welt, als wir nach diesen harten Worten fürchten mußten. Gott weiß, daß vielen noch nicht der Gedanke gekommen ist, die Welt könnte Gott gehören. Und vor seiner Forderung steht das Geben. Er hat uns etwas gegeben, das wir nun einsetzen sollen. Und wenn wir es eines Tages zurückgeben sollen, dann werden wir ihm nichts zu bringen haben, als was er selbst uns gegeben hat: unseren Besitz, unsere Mitmenschen, unser eigenes Leben.

Aber die Aufgabe bleibt für uns, getreue Haushalter zu sein. Wenn Jesus fragt: „Wer ist denn der treue und kluge Haushalter?“ Da wird es nur wenig Leute geben, die hier die Hand heben und sich melden.  Die „Knechte“ sind nicht nur die Amtsträger der Kirche, die die Sakramente Gottes zu reichen haben, nämlich Taufe und Abendmahl.

Knechte Gottes sind alle Christen! Petrus möchte, daß ein besonderer Vorzug der Jünger festgehalten wird. Aber Jesus macht ihm deutlich: „Man kann nicht vorher festlegen, wer damit gemeint ist. Wenn Jesus einen persönlich anspricht, dann gehört er zu denen, die es angeht. Wenn wir Jesu Frage höre, werden wir schon herausgefordert, treue Haushalter zu werden. Jesus will uns nicht in bestimmte Gruppen einteilen, sondern zum Tun aufrufen.

Wenn wir nun vielleicht merken, daß wir da doch manches versäumt haben und noch vieles verbessern können, dann bleibt uns nur die Möglichkeit, auf die Vergebung Jesu zu hoffen, das Alte hinter uns zu lassen und mit Jesus ein Neues zu beginnen.

 

 

Lk 13, 1 – 9 (Bußtag):

Die Umkehr, die auf einem Umdenken beruht, ist nicht ein Spezialthema für den jährlichen Buß- und Bettag. Luther sagte schon in der ersten seiner 95 Thesen: „Das ganze Leben der Gläubigen soll eine Umkehr sein!“ Dennoch hat so ein außerordentlicher Bußtag schon einen Sinn. Früher wurden die Bußtage angeordnet, wenn bestimmte Ereignisse zu besonderen Fragen Anlaß gaben. Dazu gehörten ein Krieg oder Naturkatastrophen, ein großer Brand oder auch solche Ereignisse, wie in unserm Bibelabschnitt beschrieben. An den Bußtagen versuchte man, das innerlich zu bewältigen, indem man sich selbst prüfte und umkehrte. Die Bibel gibt uns dazu Anleitung. Als erstes wird uns heute gesagt:

 

(1) Es ist höchste Zeit, achtet auf die Zeichen des Gerichts: Jesus geht von aktuellen Fällen aus, die in aller Mund waren. Festpilger aus Galiläa waren im Begriff, mit ihren Opfertieren zum Tempel zu ziehen. Vielleicht waren sie auch schon im Tempel damit beschäftigt, ihre Opfer darzubringen. Da hat der Statthalter Pontius Pilatus sie überfallen und niedermetzeln lassen, so daß sich ihr Blut mit dem Blut der Tiere vermischte. Die römischen Legionäre haben sich nicht nur am Menschen, dem Ebenbild Gottes, vergriffen, sondern auch an den Opfertieren, die ja schon Gott geweiht waren.

Der Vorfall hat die Menschen verstört. Er paßt in das Bild, das wir auch sonst von Pilatus erhalten. Der König Herodes Agrippa, der selber auch nicht besser war, wirft ihm vor: Bestechlichkeit, Gewalttaten, Mißhandlungen, gehäufte Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren und unablässige wilde Grausamkeit. Doch er hatte einen guten Freund am Kaiserhof, der ein glühender Judenhasser war. So ist lange nichts passiert, bis im Jahre 35 ein ähnliches Gemetzel wie in der Bibel beschrieben zur Abberufung des Pilatus führte.

Wer ist schuld an solchen Untaten? Wir werden natürlich sofort sagen: „Pilatus war schuld!“ Dadurch sind wir mit der Sache schnell fertig. Zur Zeit Jesu aber suchte man die Schuld nicht bei den Tätern, sondern bei den Opfern: „Wer so schrecklich stirbt, der muß etwas Schreckliches getan haben. Jedes Unglück kommt von Gott, und der wird schon seine Gründe haben. Gott ist doch gerecht, umsonst tut er Derartiges nicht. Wer weiß, womit die Getöteten halt Gott herausgefordert haben. Die Rechnung mußte grundsätzlich immer aufgehen: Ein hartes Geschick weist zurück auf eine große Sünde!“

Wenn wir etwa an den Atombombenabwurf in Hiroshima denken, dann sagen wir natürlich: Schuld haben die, die den Befehl zum Abwurf der Bombe gaben, und dann die, die den Befehl auch ausführten. Aber es könnte ja auch jemand sagen: „Wer hat denn damit angefangen? Es war doch nur eine Vergeltungsaktion, schuld waren die Japaner!“ Doch Jesus läßt sich auf eine derartige Diskussion nicht ein, ihm geht es um etwas anderes.

Vor allem wendet er sich gegen die Zuschauerhaltung derjenigen, die ja nicht betroffen sind und meinen, sich über die Schuld der Betroffenen ein Urteil erlauben zu können. Mit den Angehörigen der Umgekommenen hätte Jesus sicher anders geredet. Aber seine Gesprächspartner wollen als neutrale Beobachter reden aus sicherer Entfernung, als Unbeteiligte. Sie kommen gar nicht auf die Idee zu fragen: „Wenn es nun mich getroffen hätte? Womit habe ich es eigentlich verdient, da ich bisher von Derartigem verschont geblieben bin?“

Auch über den Atombombenabwurf auf Hiroshima darf man sich solange nicht aufregen, wie man sich nicht gefragt hat: „Wärst du zu etwas Derartigem nie und nimmer fähig? Würde dein Volk niemals so etwas machen? Was habt ihr denn gemacht, was ist meine Schuld? Wären

wir wirklich vor den Atombomben sicher, wenn sie nicht in den Händen von Politikern und Militärs wären, sondern in den Händen von Diakonissen und Pfarrern?“ (Das Beispiel stammt von dem Theologieprofessor Helmut Thielicke).

Unseer Frage sollte also nicht lauten: „Warum hat es jene getroffen?“ Wir sollten vielmehr fragen: „Wieso hat es uns nicht getroffen?“ Das liegt doch nicht daran, daß wir unschuldig wären! Es gibt überhaupt keine Unschuldigen, sondern immer nur in gleicher Weise Gefährdete! Deshalb verbietet uns Jesus, uns als Zuschauer mit dem Geschick anderer zu befassen. Vielmehr geht er unmittelbar auf uns selbst zu, damit wir nicht verpassen, was jetzt dran ist. Wir möchten immer gern Gott zur Rechenschaft ziehen und ihn belehren, wie er es besser hätte machen können. Dabei ist es doch so: Wenn Gott wirklich so konsequent hätte sein wollen, wie wir gern wollen, dann hätte er   u n s  das Opfer sein lassen müssen.

Das Blutbad an den Galiläern, der Einsturz des Turmes, die Opfer eines Verkehrsunfalls - all das sind Zeichen Gottes. Aber was muß er eigentlich noch tun, um uns wach zu kriegen? Was haben wir gelernt aus der in einem solchen Fall ausgestandenen Angst, dem Erschrecken, den geleisteten Gelübden? Gott erwartet von uns die ganz große Umkehr. Aber dazu gehört noch die zweite Aussage:

 

(2).Es ist noch ausreichend Zeit, das Gericht wird noch aufgeschoben: An sich müßte der Baum schon Frucht getragen haben. Es geht nicht an, daß er nur den Boden aussagt, ohne daß etwas dabei herauskommt. Gott erwartet auch einen Lebensertrag, erwartet „Früchte der Buße“. Unser Leben soll etwas erbringen. Andernfalls werden wir abgehauen wie ein Baum, so wie die Stadt Jerusalem im Jahre 70 vernichtet worden ist.

Auch als Kirche haben wir vieles nicht gebracht. Es werden hohe Ansprüche gestellt und ein erheblicher Aufwand getrieben. Aber es gibt viel Leerlauf, wenig überzeugendes Gotteslob, Mangel an diakonischen Kräften, Beschäftigtsein mit dem eigenen Bestand. Würden nicht viel mehr Menschen auf Christus aufmerksam werden, wenn man uns so richtig glauben könnte? Müßte nicht mehr Menschen geholfen sein, so daß sie aufatmen und froh werden? Müßte sich an unseren Opfern nicht deutlicher darstellen, was unser Herr uns wert ist? Müßte man an uns nicht besser ablesen können, welch eine wunderbare Sache doch die Vergebung ist?

Jesus bittet wie der Weingärtner um Aufschub, damit noch einmal Zeit bleibt. Es kommt noch nicht gleich der Jüngste Tag, der allen Problemen und Anfechtungen sogleich ein Ende machen würde. Nur: Unter dem Druck der Allmacht Gottes gäbe es kein Umkehren aus freier Entscheidung mehr. Da kann man nur in Freude ausbrechen, weil man das sieht, was man geglaubt hat. Oder man muß sich zähneknirschend eingestehen, daß man verspielt hat, weil man sich falsch entschieden hatte. Umkehr kann immer nur aus freiem Herzen und Willen kommen.

Deshalb hält Jesus den Jüngsten Tag noch auf. Er will die Frist noch nutzen. Wie ein guter Weingärtner arbeitet er noch an seiner Gemeinde. Er gräbt das Erdreich rund um den Baum auf, damit die Wurzeln Luft und Nahrung erhalten und der Baum dann Früchte tragen kann.

Ohne Bild gesprochen: Jesus bricht unsere Verhärtungen und Verkrustungen auf, damit sein lebendiges Wort durch die Oberfläche eindringt und vordringt bis an die Wurzeln unserer Existenz. Dort soll es wirken und etwas reifen lassen, was den anderen zugutekommt. Er will uns aufreißen durch die schrecklichen Nachrichten aus aller Welt. Er will aber auch den Borden lockern durch die Predigt seines Wortes und durch die Sakramente, wenn er im Gebet mit uns spricht, will er mit uns arbeiten und uns weiterhelfen,

Jesus kommt nicht als Schulmeister oder Aufpasser, sondern als guter Freund. Er nimmt unser Versagen nicht zum Anlaß, sich von uns zu distanzieren, sondern: Je nötiger wir ihn haben, desto mehr tut er für uns. Er tut alles, um uns durchzubringen, damit wir nicht abgehauen werden müssen. Früchte sind immer noch möglich, weil Gott sich immer noch um uns bemüht.

So hören wir auch an diesem Buß- und Bettag die frohmachende Botschaft Gottes: „Euch bleibt noch Zeit!“ Allerdings sollten wir diese Zeit auch gut nutzen. Gott möchte auch Früchte sehen. Allerdings sollten sie nicht vor lauter Angst hervorgebracht werden, sondern Antwort auf die Liebe Gottes sein. Sie wären das Echo und würden erkennen lassen, daß Gottes Liebe bei uns angekommen ist und wir aus ihr leben wollen. Der heutige Gottesdienst will uns ermutigen, aus dieser Liebe heraus zu leben und gute Früchte zu bringen.

 

 

Lk 13, 22-27.(28-30) (Bußtag):

Auf einem Bild hat ein Maler sehr eindrücklich dargestellt, wie das mit dem schmalen Weg und der engen Pforte ist: Menschen strömen auf einem breiten Weg einen Berg hinan und gehen dann bequem durch ein breites Tor - aber dahinter ist das Nichts. Am linken Bildrand aber gehen einige Wenige auf einem schmalen Weg auf eine ganz enge Tür zu. Aber dahinter ist dann die Welt Gottes, das Reich Gottes, der Himmel, wie wir auch sagen.

Dieses Bild ist gemalt zur Illustration eines Jesuswortes in der Bergpredigt: „Gehet ein durch die enge Pforte“ (Mt 7, 13-14, kein Predigttext). Hier bei Lukas geht es nicht um zwei Wege, sondern nur um eine enge Pforte. Und es geht um die an Jesus gerichtete Frage: „Herr, sind es wenige, die gerettet werden?“ Doch Jesus tut, als wäre ganz anders gefragt worden und will sich nicht festlegen lassen.

Auch wir könnten den Buß- und Bettag falsch verstehen. Früher wurde so ein Tag von der Regierung angeordnet und in Gefahren- und Notzeiten das ganze Land aufgerufen, vor Gott zu treten und seine Schuld zu bekennen und Besserung zu geloben. So könnten wir das heute auch noch sehen und uns als diejenigen verstehen, die diesen Dienst stellvertretend wahrnehmen für diejenigen, die sich nicht zu solcher Buße bewogen fühlen.

Doch unabhängig von einem solchen öffentlichen Bußtag soll unser ganzes Leben eine Buße sein, wie Luther im Kleinen Katechismus sagt. Und da wird uns heute gesagt: Die Sache ist ernst, Gott wird nicht alle Menschen unterschiedslos selig machen. Das gilt für alle in der Vergangenheit, aber auch in der Zukunft und vor allem für uns. Aber auf die Frage. „Werden nur wenige gerettet?“ antwortet Jesus: (1) Frag nicht so falsch, (2) Sei nicht so sicher, (3) Denk nicht so eng!

 

1. Frag nicht so falsch!

Gern denken wir beim Thema „Buße“ nicht an uns selbst, sondern an die anderen, die angeblich allein eine Umkehr nötig haben. aber da wird uns hier gesagt: Es ist noch alle soffen. Keiner kann sich sicher sein, daß die angeblich reservierten Plätze in der Welt Gottes nicht noch streitig gemacht werden können. Jeder wird noch um den Zugang zum Haus Gottes kämpfen müssen.

Deshalb ist die Frage falsch gestellt. Es gibt Fragen, die kann man objektiv beantworten, weil es da um Tatsachen geht, die immer und überall gleich sind, die man nachvollziehen kann und die für jeden einsichtig sind. Das Wort Gottes aber wendet sich immer direkt an den Einzelnen und fordert seine Stellungnahme und seine Umkehr.

Jesus sagt: „Da ist eine Tür, die Frage ist nur, ob du hindurchgehen willst!“ Er sagt: „Da ist ein Haus, die Frage ist nur, ob du darin Platz nehmen willst!“ Aber das wird vielleicht manche alte Gewohnheit und manchen neuen Plan kosten. Wir werden vielleicht unser anspruchsvolles Ich aufgeben müssen, das immer recht haben will.

Da ist es verständlich, wenn wir gern ausweichen möchten. Wir tun das nicht, indem wir uns ganz von Gott lossagen. Aber wir verschanzen uns da gern hinter frommen Problemen wie der Frage, wie viele denn gerettet werden können. Aber im Grunde ist das nur eine Zuschauerfrage. Jesus hätte darauf antworten können: „Alle“ oder „Niemand“ oder „Nur 75 Prozent“. Aber so eine Antwort würde beim Fragenden keine Entscheidung hervorrufen, e r würde sie zur Kenntnis nehmen, aber nicht auf sich selber beziehen.

Es gibt Dinge, die sind objektiv: Das Rentenalter kommt problemlos auf den Menschen zu. Er kann sich darauf freuen, aber er muß nicht darum kämpfen. Das Gerettetwerden aber verwirklicht sich nicht sowieso. Das Seligwerden ist ein Geschehen, da fallen Entscheidungen. Natürlich ist das letztlich die Sorge Jesu, was mit uns geschehen wird. Aber er sagt dennoch: Ringt darum, daß ihr durch die enge Pforte geht. Und diskutiert nicht über die anderen, sondern geht hin und verkündet ihnen das Reich Gottes. Das wird auch eurem Seligwerden zugutekommen.

 

2. Seid nicht so sicher!

Jesus wird dann aber doch noch etwas konkreter. Er sagt: „Wundert euch nicht, wenn viel weniger Menschen gerettet werden. Sie werden versuchen, hinein zu kommen, aber sie werden es nicht können!“ Jesus stellt das dar in einem Zwiegespräch zwischen dem Hausherrn und den Draußenstehenden. Diese machen - unter Berufung auf Jesus – ihre Ansprüche geltend: „Warum willst du uns denn nicht kennen? Wir waren doch deine Gäste, du hast doch mit uns gegessen und getrunken. Als du auf den Straßen gelehrt hast, da waren wir doch in der großen Traube von Menschen, die sich um dich sammelte und dir zuhörte. Wir waren doch nicht ohne Interesse. Und unseren Konfirmationsschein haben wir doch auch gut in der Do­kumentenmappe aufgehoben. Wir waren doch in deine Gemeinde die Treuesten, wir waren doch langjährige Mitarbeiter oder sogar hauptamtliche Angestellte!“

Doch Jesus könnte ihnen sagen: „Ihr seid euch so sicher. Aber ich kenne euch nicht und weiß nicht, wo ihr her seid!“ Das Wort „kennen“ meint in der Bibel nicht eine Bekanntschaft, sondern die innerste Gemeinschaft, wie sie zum Beispiel Eheleute haben. Aber diese Verbundenheit haben die Draußenstehenden nicht gesucht, ihre perfekte Kirchlichkeit war nur ein äußerlicher Kontakt.

Mit dieser Warnung an die Sicheren sollen nun aber nicht die um den Trost gebracht werden, die wirklich gern hinein wollen, aber fälschlicherweise überzeugt sind, daß sie kein Recht dazu haben. Diesen würde es nicht einfallen, mit Forderungen aufzutreten oder gar den Herrn der Ungerechtigkeit zu beschuldigen. Diese machen sich auch keine Gedanken darüber, daß sie mehr hätten leisten müssen, um dann vor der Tür stärkere Trümpfe ausspielen zu können.

Sie überlassen alles dem Herrn.

Beim Kontakt mit Jesus soll nicht unser Frommsein zum Zuge kommen, sondern er soll mit seiner rettenden Liebe zum Zug kommen. Es geht nicht um das, was wir getan haben, sondern, was er für uns getan hat. Die Tür ist zwar eng, aber weit genug, um hindurchzukommen, wenn man aus Jesu Gnade lebt.

 

3. Denkt nicht so eng:

Der Himmel ist nicht nur etwas für die Superchristen, etwa für Asketen (die um Gottes willen auf alles verzichtet haben) und Märtyrer (die für ihren Glauben gestorben sind). Jesus sagt: „Wundert euch nicht, wenn mehr gerettet werden als ihr meint oder die Betreffenden selber meinen. Sie werden kommen von Osten und Westen, von Norden und Süden und mit am Tisch sitzen in Gottes Reich!“ Die aber meinen, besondere Anrechte zu haben, finden sich ausgestoßen und sich immer dazu gerechnet haben.

Schon die Juden pochten auf ein Vorrecht gegenüber den Heiden und hätten sich gewundert über diese Menschen, die von fernher kommen und an Gottes Freudenmahl teilnehmen dürfen. Aber die Evangelien schildern uns immer wieder, wie Jesus die Ausgestoßenen und Ver­achteten an seinen Tisch geholt hat. Jeder kann den entdecken, ohne den niemand zum Vater kommt, ohne Vorbedingungen und Vorleistungen. Es gibt seit Jesus keinen hoffnungsvollen Fall mehr.

Auf eine theoretisch gemeinte Frage antwortet Jesus so, daß er uns anredet und aufruft. Er gibt nicht Auskünfte, sondern bringt uns in Bewegung. Er greift nach uns, wie er nach allen Menschen greift. Buße kann bedeuten, daß wir uns rufen lassen, aber auch daß wir umlernen und erkennen, daß Jesus keinen verlorengehen lassen will.

Zusammenfassend kann man nur sagen: Wenn wir zu Gott kommen, dann werden wir uns wundern, wer alles da ist. Wir werden uns aber auch wundern, wer nicht da ist. Und wir werden uns am meisten darüber wundern, daß wir selber da sind!

 

 

Lk 13, 31 - 35 (Estomihi):

Der Fuchs ist die bildliche Bezeichnung für einen unbedeutenden Menschen, das Gegenteil eines Löwen. Außerdem ist er das Symbol der Schläue, weil er mit Verschlagenheit seine Beute und seinen Vorteil sucht. Gemeint sein könnte an dieser Stelle im Lukasevangelium Herodes Antipas, ein Enkel des Königs Herodes aus der Weihnachtsgeschichte und Landesherr Jesu. Er war verantwortlich für den Tod Johannes des Täufers und sieht in Jesus einen von den Toten auferstandenen Propheten oder vielleicht auch den Täufer.

Er schwankt zwischen Verlegenheit, Scheu, Neugier und Verachtung. Diese sich widersprechenden Einzelheiten kennzeichnen ihn plastisch. Der jüdische Geschichtsschreiber Josephus kennzeichnet ihn als einen Menschen, der Ruhe und Bequemlichkeit liebte. Die Unruhe, die von Jesus ausging, war ihm unbequem. Sein Ziel war: „Nur nicht auffallen bei den Römern!“ So ein Aufwiegler wie Jesus sollte ihm keine Unannehmlichkeiten bereiten.

Deshalb läßt er Jesus so hintenherum eine Morddrohung übermitteln, um ihn loszuwerden. Jesus soll abgeschoben werden, des Landes verwiesen, ausgebürgert. Aber es soll ohne Aufheben geschehen, er soll freiwillig seine Papiere holen und das Land verlassen und anderswo um Asyl bitten.

Es kommen Pharisäer zu Jesus und warnen ihr. Es ist nicht deutlich, ob sie von Herodes geschickt sind. Sie könnten von ihm geschickt sein. Es könnte aber auch sein, daß zumindest einige es tatsächlich gut mit Jesus meinen und ihm gegenüber noch die Haltung einer wohlwollenden Neutralität einnehmen.

Aber nehmen wir einmal an, sie kamen in böser Absicht. Dann hätte Jesus mit seiner Antwort nicht nur den Herodes kritisiert: „Er ist zwar schlau, aber er ist auch ebenso verächtlich!“ Jesus hätte damit auch gleich die Pharisäer kritisiert, die vor ihm stehen. Mit überlegener Ironie sagt er ihnen: „Ihr könntet mal eurem Herodes einen schönen Gruß sagen: Er ist ein Fuchs, auf dessen Schläue ich nicht hereinfalle. Ich mache weiter, darauf kann er sich verlassen - solange mir Zeit gegeben ist!“

Jesus weiß genau: Wenn er das Land verläßt, dann gerät er in den unmittelbaren Machtbereich des Hohen Rates in Jerusalem. Diese Absicht scheint Herodes zu haben: ihn seinen Gegnern in die Hände zu spielen. Jesus aber macht deutlich: Er bezieht seine Direktiven von anderswoher, die Anordnungen des Herodes machen auf ihn keinen Eindruck!

Wir müssen dabei bedenken: Dieses Wort Jesu hat die Gemeinde damals im Gedächtnis aufbewahrt, weil es für sie aktuell war. Die Gemeinde des Lukas trug ihrem Herrn das Kreuz nach, denn auch ihr wurde von Machthabern wie Herodes nachgestellt. Nun waren es der römische Kaiser und seine Statthalter, die die Christen verfolgten. Und „Jerusalem“ war auch für sie der Inbegriff einer den Christen feindlich gesinnten Größe. Die Enkel derer, die einst Jesu Tod gefordert hatten, begegneten den Christen mit dem gleichen Haß

Auch heute gibt es Länder, in denen Christen verfolgt werden, vor allem in islamischen Ländern. Jesu Geschichte ist auch die Geschichte seiner Gemeinde. In irgendeiner Form kommt das Kreuz Jesu auch im Leben jedes einzelnen Christen vor, ja es will und soll da vorkommen. Für Jesus beginnt ein schwerer Weg. Seinen Anhängern wird es nicht besser ergehen. Aber gerade sie will Lukas ermutigen, ihren Glauben nicht aufzugeben, sondern ihrem Herrn die Treue zu halten

Jesus läßt sich nicht einschüchtern, sondern er bleibt bei seinen Leuten. Er bleibt zunächst in Galiläa, weil dort Menschen sind, die verzweifelt sind und Hilfe brauchen. Er geht zu den Kranken, die damals weitgehend vom Leben und der Gemeinschaft der anderen Menschen ausgeschlossen waren, und gibt ihnen wieder eine Hoffnung.

Er tut das nicht, weil sie ihm leid tun. Er wird nicht getrieben von der Not der Zeit, sondern er wird von Gott getrieben in die Not dieser Zeit hinein. Ein göttliches Muß treibt ihn in das Leid und die Schuld dieser Welt.

Wer mit Jesus den Weg geht, der geht nicht nach eigenem Gutdünken. Er wird vielmehr geleitet von Gottes Willen zur Rettung. Er muß einfach die Hoffnung bringen zu den Verzweifelten, die Heilung zu den Kranken und die Gemeinschaft zu den Ausgestoßenen. Nicht weil es so schön ist zu helfen, sondern weil Gott diesen Weg festgelegt hat. Er hängt nicht von Menschen und Mächten ab, sondern von Gottes „Muß“.

Das wird auch deutlich an Jesu letztlicher Entscheidung, doch nach Jerusalem zu gehen. Er macht sich nicht abhängig vom Wohlgefallen oder Mißfallen einer so windigen Gestalt wie Herodes, ob die Menschen ihn gern wirken sehen oder nicht, ob sie es ihm erlauben oder ihn hindern wollen. Er geht auch nicht aus Angst vor dem Mörder des Johannes seinen Feinden in Jerusalem in die Falle.

Jesus hält sich in allem an Gottes Befehl. Und der will, daß jetzt in Galiläa die Dämonen weichen müssen und Kranke gesund werden. Jesus wirkt trotz der Drohung weiter, als wäre nichts geschehen. Mit diesen Worten hat auch 1933 der Theologieprofessor Karl Barth die evangelischen Christen in Deutschland aufgefordert, sich nicht an die neue Bewegung anzupassen. Und ein Gleiches war 1945 angebracht. Die Kirche ist unabhängig von politischen Systemen, sie hat allein auf ihren himmlischen Herrn zu hören.

Jesus übte weiter sein Amt aus nicht von des Herodes Gnaden, sondern nach Gottes Befehl. Bald aber wird er Galiläa verlassen. Aber nicht, weil Herodes das will, sondern wiederum nach Gottes Befehl.

Jesus geht nach Jerusalem, weil es ihm bestimmt ist, dort zu sterben. „Jerusalem tötet die Propheten“ - das steht fest, nicht nur einmal war das so, sondern immer wieder. Fast sieht es so aus, als zöge Jesus nach Jerusalem, um einer geheimen Gesetzmäßigkeit zu entsprechen und um das Maß der Schuld Jerusalems voll zu machen.

Jerusalem ist ja nicht irgendeine Stadt. Jerusalem ist geradezu ein Symbol. Es ist die Hauptstadt mit dem Tempel. Es ist der Ort, den Gott erwählt hat, die Stadt des großen Königs und die Stadt des Messias. Jerusalem wird auch einmal der Schauplatz der Vollendung aller Dinge sein. Aber genau da, wo man sich doch mit Gott in festem Bunde weiß, tötet man Gottes Propheten.

An sich war das Volk von einer lebendigen Religiosität geprägt. Zu der großen Religionsfesten in Jerusalem strömte die Menge der Gläubigen zusammen. In den Bethäusern der Städte und Dörfer waren die Gottesdienste gut besucht. Ernste Bibelarbeit wurde getrieben. Und das Alltagsleben war bis in kleinste Verrichtungen durch religiöse Vorschriften geregelt.

Aber man kann fromm sein und doch eine Art Herodes. Man kann überzeugt von Gott reden und doch nur seinen Vorteil bei Gott und den Menschen suchen. Jesus stößt auf den härtesten Widerstand gerade an den Stellen, an denen wir fromm sind. Gerade hier geht es dem Menschen doch sehr um die eigene Gerechtigkeit, um sein Ansehen und seine Leistung und den Wert seiner Persönlichkeit. Damit aber erliegt er einer religiösen Selbsttäuschung.

Herzbewegend ist die Klage Jesu über Jerusalem. Während er Herodes als Fuchs bezeichnet, sieht er sich selbst unter dem Bild der Henne. Eine Henne schart die Küken um sich, sie führt sie, sie deckt sie zu und wärmt sie. So wollte auch Jesus die Menschen zurückgewinnen und um sich scharen. Dafür hat er viel Mühe und Geduld aufgewendet und hat sich vieles einfallen lassen.

Aber am Ende muß er feststellen: „Ihr habt nicht gewollt!“ Nun wird für alle Zeiten klar: Am Ort des Tempels wird der Messias sterben. Am „Ort Gottes“ geschieht der „Mord Gottes“. Zur Strafe dafür wird Gott den Tempel verlassen. Lukas hatte die Zerstörung Jerusalems schon handgreiflich vor Augen!

Jesus zwingt niemanden. Er braucht Jünger, die ihm freiwillig folgen und anhängen. Deshalb lädt er so dringlich ein und wirbt unermüdlich. Aber wenn wir nicht wollen, dann kann es eines Tages dahin kommen, daß wir nicht mehr können. Je mehr Liebe Jesus investiert hat,

desto größer wird unsere Schuld, wenn wir dieses Bemühen nicht beachten.

So wie die Küken unter den bergenden Flügeln der Henne heranwachsen, so können auch wir nur in Jesu Nähe und mit seiner Hilfe zu wahren Menschen heranreifen. Ohre Liebe und Geborgenheit verkümmern wir innerlich. Wahres Menschsein gedeiht nur unter der Liebe.

Und wahres Menschsein besteht in solcher Liebe - im Dasein für den anderen.

Wenn einer in unserer Umgebung von Gott oder der Kirche spricht, dann denkt er doch an einen bestimmten Christen, an dich und mich. Er möchte doch an meinem Verhalten etwas erkennen, was so ist wie Gott: einen Menschen annehmen, ihn heilen, ihm Hoffnung geben. Er will doch bei mir erfahren, wer nun eigentlich Gott ist. Wenn wir hier versagen, steht mehr auf dem Spiel als nur unser eigenes Heil.

Auf dem richtigen Weg aber sind wir, wenn wir mit anderen bekennen: „Gelobt sei der da kommt im Namen des Herrn!“ Sie werden Jesus in Jerusalem ans Kreuz bringen. Aber Kar­freitag ist nicht das Ende, sondern er wird bald wieder da sein. Der sich jetzt auf seinen schweren Tod vorbereitet, wird noch seinen Triumphzug halten. Das wird noch dauern bis zum Ende der Zeit, aber es ist gewiß.

 

 

Lk 14, 1 – 24 (2.Sonntag nach Trinitatis):

Ein Mann wäscht am Sonntagmorgen sein Auto. Er tut es liebevoll und gründlich. Es fließt viel Wasser und es fließt viel Schweiß. Im Hintergrund sieht man eine Kirche, deren Glocken läuten. Sicher ist ihr Klang unüberhörbar. Aber der Mann sagt: „Die sind doch selber schuld daran, wenn sie immer ausgerechnet dann Gottesdienst machen, wenn ich mein Auto waschen muß!“

So kann man natürlich auch mit der Einladung der Glocken fertigzuwerden versuchen. Dabei laden sie doch ein zu einem festlichen Ereignis, das Gott für uns veranstaltet und wo etwas vom Reich Gottes deutlich werden soll. Wir könnten uns allerdings vorstellen, daß Gott seinen Willen in der Welt anders durchsetzt als durch die Ausrichtung eines Gastmahls. Dabei ist er ja nur der Gebende, der nur schenkt und nichts fordert.

Nun kennt allerdings die Bibel auch den mächtigen und strafenden Gott, vor dem einem angst und bange werden kann. Das gehört auch zu seinem Wesen. Er ist nicht nur der ewig lächelnde Gott, der nur die Aufgabe hat, allerlei Schaden zu verhüten. Er ist auch gerecht und eifersüchtig und erwartet unsern Gehorsam.

Aber im innersten Herzen ist Gott anders. Da ist er der Gastgeber, der seinen geliebten Menschen das große Fest bereitet. Wie Gott ist, können wir an Jesus Christus ablesen. Er geht zu den Menschen und lädt zu dem Festmahl Gottes ein. Er ist selber mit der Gastgeber und er macht sich auch selber auf den Weg, um die Menschen einzuladen, was an sich die Aufgabe des Dieners war.

Sein Rufen ist etwas anders als ein „Einberufen“, und seine Einladung ist keine Vorladung. Gott zeigt sein Herrsein darin, daß er freigiebig austeilt und fröhlich macht. Er hat keinen Spaß daran, uns kurz zu halten; er sieht uns gerne glücklich. Aber solches Glück gibt es eben auch nicht ohne Gott.

Wir brauchen nicht mit zusammengebissenen Zähnen und unter Erfolgszwang stehend aus uns selbst etwas zu machen. Gott macht aus uns etwas, indem er uns in dem Kreis der Menschen hineinruft, die an seinem eigenen Leben teilhaben und mit ihm an einem Tisch sitzen. Weil wir das „Haupt zum Freunde“ haben und „geliebt bei Gott“ sind, haben wir einen Sinn für unser Leben und ein lohnendes Ziel.

Gottes Fest findet statt, auch wenn wir seine Einladung nicht wahrnehmen. Viele werden allerdings denken: „Aber wir sind doch da. Wir hören die Predigt, und wir stehen der Sache Jesu Christi nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber!“ Das stimmt schon, wir haben die Einladung gehört und bemühen uns auch, ihr gerne nachzukommen.

Aber unsere Bereitschaft für Gott und unsere Weigerung ihm gegenüber liegen doch eng beieinander. Auch diejenigen täuschen sich leicht, die felsenfest überzeugt sind, bei ihnen werde sich Gott keine Absage holen. Sie meinen, ihre Entscheidung für Gott sei so klar und unwider­ruflich gefallen, daß es so etwas gar nicht geben könne. Manchmal geben sie sogar Tag und Stunde ihrer Entscheidung an.

Aber dann kommen sie etwa in ein kirchliches Krankenhaus, um die Berufsausbildung zur Krankenschwester aufzunehmen. Sie stellen sich vor, so ein Haus sei eine heile Welt und alles sei nur eitel Freude und Sonnenschein. Aber dann stellt sich heraus, daß dort auch nur mit Wasser gekocht wird, daß dort Menschen am Werk sind, die eben Schwächen und Fehler haben wie andere Menschen auch. Da kann dann leicht eine Welt zusammenstürzen, und man wird an Gott irre. Das gibt es also, daß fromme („religiöse“) Menschen sich Gott verweigern, obwohl sie es selber nicht bemerken.

Es sind keineswegs verwerfliche oder entbehrliche Dinge, die jene Menschen davon abhaltender Einladung zu folgen. Es sind durchaus ehrenwerte und notwendigen Aufgaben, die sie erledigen wollen. Sicher hätte man den Acker auch noch einen Tag später besichtigen können. Und den Hochzeitstermin mußte man nicht unbedingt auf den Tag legen, an dem schon ein Fest angesetzt war.

Aber andererseits nimmt auch heute der Beruf jeden voll in Anspruch. Ehe und Familie stellen eine starke Bindung dar. Das kann und soll auch nicht anders sein. Beide Bereiche - Beruf und Familie - stehen ja auch unter dem Schutz und dem Segen Gottes. Jesus will uns ja auch nicht der Schöpfung Gottes entfremden. Wir sollen unser Alltagspflichten ja auch nicht mit schlechtem Gewissen tun.

Jene Eingeladenen aber sagen: „Ein andermal gerne, aber heute paßt es mir gerade nicht!“ Im Grunde hätten sie Zeit gehabt. Zeit haben wir alle in reichem Maße. Aber in Wirklichkeit hatten sie „keine Lust“, wie man so sagt, im Grunde wollten sie einfach nicht, wollten nicht in Gemeinschaft mit anderen kommen, sondern hatten an sich selber genug.

Was einem wichtig ist, dafür hat man immer Zeit. Für Sport oder Fernsehen hat man viel Zeit. Sie sind sicher keine Sünde. Aber sie können unsere Gemeinschaft mit Gott zerschlagen, wenn wir nur noch sie im Kopf haben. Aber wer sich jetzt nicht einfindet, für den wird es einmal zu spät sein. Wer sich zum Vortisch nicht einladen läßt, bekommt auch die Hauptmahlzeit nicht zu schmecken. Soll man es darauf ankommen lassen?

Viele sagen auch: „Ich bin nicht dagegen!“ Aber Gott kommt bei ihnen einfach nicht zum Zug. Die Geschäfte des täglichen Lebens werden in der Praxis so wichtig, daß Gott zurückstehen muß. Und dies geschieht nicht nur einmal, sondern immer wieder. Wenn man Gott erst einmal vernachlässigt hat, kommt das immer wieder vor. Der erste Schritt ist hier der entscheidende.

Was uns hindert, der Einladung Gottes zu folgen, ist im Grunde ein Götze. An sich ist es eine gute Gabe des Schöpfers. Aber wenn es mit Gott in Konkurrenz tritt, wird es gefährlich. Es kommt immer darauf an, welchen Rang alles in unserm Denken und Wollen, in unserm Tun und Lassen hat.

Man könnte ja auch sagen: „Das ist doch die ureigenste Sache eines jeder einzelnen, wie er es mit Gott zu halten gedenkt! Es ist doch niemand ein Vorwurf zu machen, der sich der Einladung Gottes entzieht!“ Aber Jesus denkt da anders. Er weiß, daß der Gastgeber eine Ablehnung als Beleidigung und Mißachtung versteht und zornig wird. Schließich wollte er ja allen ein schönes Fest bereiten und hat es an nichts fehlen lassen.

Sein Vorhaben gibt er jedenfalls nicht auf. Wenn die zuerst Eingeladenen nicht kommen, dann hat er noch andere, mit denen er sein Fest feiern kann. Nun werden die Zaungäste hereingeholt, an die bisher noch keiner gedacht hat. Die anderen nahmen an, daß diese Leute nur mit Einschränkungen am Reich Gottes würden teilnehmen können. Es waren die hoffnungslosen Fälle, wo doch alles keinen Zweck mehr hat, weil sie sich nicht mehr ändern würden.

Aber gerade diese werden nun eingeladen. Das ist nicht ein Akt der Verlegenheit, der in den ursprünglichen Plänen Gottes nicht vorgesehen war. Es ist auch nicht eine List Gottes, der die Plätze schnell mit zwielichtigen Gestalten gefüllt hätte, damit die Zuerstgeladenen wieder ge­hen müssen, falls sie doch noch kommen. Nein, hier geht es ja gerade um die beglückende Botschaft, daß gerade diese verachteten Menschen die Freude eines Festes mit Gott erleben dürfen.

Aber bemühen wir uns in der Kirche nicht auch meist um die bequemen Leute, mit denen man gut auskommt und die sich kirchlich gut einordnen lassen. Wir wollen die haben, auf die wir uns von vornherein verlassen können. Die Versuchung ist groß einfach unter sich zu bleiben.

Dabei hält man sich die vom Leibe, die Mühe machen, wenig sympathisch sind und schwere Schicksale erlebt haben. Jesus lenkt unsern Blick aber auch auf die, die draußen stehen. Ihnen dürfen wir den Zugang zu Gottes Fest nicht versperren oder die Sache Jesu verekeln. Es ist viel Raum im Reich Gottes.

Vor allem ist auch Raum für uns dort. Wir können uns ja wiederfinden in den zuerst Eingeladenen. Aber wir sind auch die Armen, Krüppel, Blinden und Lahmen. Der Tischgast, dem Jesus das Gleichnis erzählt hat, der hat sich sicher zu den Zuerstgeladenen gezählt. In Wirklichkeit aber ist er draußen geblieben. Das lag nicht an Gott, sondern an dem Mann selber.

Gott lädt ein. Er möchte sein Haus voll haben: Er kriegt es auch bestimmt voll. Wenn nicht so, dann so. Es könnte sein, daß wir auch zu den Heiden von ganz draußen gehören. Darüber könnten wir nur erschrecken. Aber wenn wir uns einladen lassen und hineingehen zum Fest, dann sollten wir uns nicht wundern, wenn wir dort Menschen treffen, die wir uns nicht ausgesucht hätten.

 

 

Lk 14, 25 - 33 (5. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

Es gibt auch noch heute katholische Mönchs- und Nonnenorden, die von ihren Gliedern die völlige Trennung von der Familie verlangen. Sie erhalten einen neuen Namen und dürfen Besuch der Familie nur in äußersten Notfällen empfangen. Und selbst wenn einmal ein Treffen stattfindet, dann sind die Gesprächspartner durch ein Gitter voneinander getrennt. Wer Mönch wird, hat sein bisheriges Leben hinter sich gelassen und auch die Bindungen an die Familie aufgegeben, weil allein Christus im Vordergrund stehen soll.

Es gibt auch evangelische Klöster mit ähnlich strengen Regeln. Und in den Diakonissenmutterhäusern darf man während der Ausbildung auch kaum heimfahren. Manchmal stehen dann Eltern und Geschwister der Entscheidung für so eine Sache verständnislos gegenüber. Man kann ja selbst Martin Luther als Kronzeugen anrufen gegen das Mönchtum. Er hat ja eine entlaufene Nonne geheiratet und damit vor aller Welt mit dieser Ordnung der alten Kirche gebrochen.

Die heutigen klosterähnlichen Gemeinschaften tun ihren Dienst meist in der Welt. Die Mitglieder sind Lehrer oder Landwirte oder Kinderdiakoninnen. Aber die alten Ideale von Armut, Ehelosigkeit und Gehorsam halten sie aufrecht. Und auch die radikale Trennung von der Familie gehört dazu.

 

1. Wer Jesus nachfolgen will, riskiert die Seinen: Schreckt Jesus nicht diejenigen unnötig ab, die doch bereit sind, ihm zu folgen? Müßte man die Menschen nicht allmählich und behutsam an das Verständnis des Evangeliums und an die Folgen des Christseins heranführen? Müßte man die Härte der Forderung nicht in kleine Dosen verpacken, um nur ja niemanden zu verprellen?

Jesus hat es jedenfalls anders gemacht. Natürlich hat er weitherzig gedacht und gerade die Gescheiterten und Verachteten mit Güte aufgenommen. Nur macht er eben auch deutlich: Schleuderware ist das Evangelium nicht. Er konnte nicht nur das sagen, was sie alle gern hörten. Und er wollte nicht nur das verlangen, was sowieso keinen stört und auf der bisher eingehaltenen Linie liegt.

Damals bedeutete der Anschluß an Jesus unter allen Umständen einen harten Bruch mit dem bisherigen Leben. Wer mit Jesus ging, der mußte Haus und Familie, Beruf und Freunde sein lassen und sich auf eine ungewisse Zukunft einlassen. Sie mußten wählen zwischen Jesus und seiner Sache und den Menschen, zu denen sie bisher gehörten. Jesus wollte den Konflikt mit den Mitmenschen nicht. Aber er wußte, daß er nicht ausbleiben würde.

Er hat sich auch bei keinem angebiedert. Es gab ja damals Gruppen, die die Römerherrschaft beenden wollten. Andere wollten die Ausbeutung der Armen überwinden. Jesus hätte sich nur den Wortschatz dieser Leute aneignen brauchen, dann hätte er eine große Schar von Mitläufern gewonnen. Aber das entsprach nicht dem Auftrag seines himmlischen Vaters. Er wollte nicht Mitläufer, sondern Menschen, die ihm auf Grund einer freien und wohlüberlegten Entscheidung folgen wollten.

Wenn junge Leute einen kirchlichen Beruf ergreifen wollen, dann trifft das oftmals bei den Eltern auf keine Gegenliebe. Sie gehen vielleicht zu Weihnachten oder zu besonderen Anlässen in die Kirche, sie sorgen auch dafür, daß die Kinder getauft und konfirmiert werden, aber das soll dann auch genügen. Wenn einer die Sache so ernst nimmt, daß er sogar selber ein Zeuge Jesu Christi sein will, dann ist das doch überspannt.

Und dann muß man sich eben entscheiden. Dann zeigt sich, was stärker ist: die Liebe zu Jesus oder ein konfliktloses Verhältnis zu den Eltern! Je lieber man die Eltern hat, desto schwerer wird die Entscheidung. Aber sie dürfen uns nicht hindern, an Jesus zu glauben oder mit ihm zu gehen. Manche Eltern haben es schon bereut, daß sie so großzügig waren und ihr Kind beim Krippenspiel oder beim Kindergottesdienst haben mitmachen lassen. Da ist dann oft eine feste Bindung an Jesus draus geworden, die den Eltern dann gar nicht mehr recht war und zu Konflikten führte.

Das Wort „hassen“ ist in diesem Zusammenhang beschwerlich. Jesus hat doch selber gefordert, wir sollten Vater und Mutter ehren! Aber es geht natürlich nicht um Vergeltung oder geringschätzige Abwertung. Gemeint ist das Zurücktreten der persönlichen Beziehungen, weil man eine neue Bindung eingegangen ist. Jesus möchte, daß wir wissen, was wir tun, wenn wir Christen werden. Für solche, die nichts einzusetzen bereit sind, ist das Christsein nichts. Dazu kommt noch ein Zweites:

 

2. Wer Jesus nachfolgen will, riskiert das Seine: Wenn man Jesus nachfolgt, dann kommt man in Konflikte, die man nicht absichtlich gesucht hat. Aber man wird auch etwas zurücklassen müssen, das einfach um des neuen Auftrags willen nötig ist. Weil Gott den einen oder anderen anderswo braucht, muß er das Seine verlassen. Und dabei kann es sein, daß nicht nur um der Aufgabe willen, sondern auch um unsrer selbst willen, manches über Bord gehen muß. Nachfolge ist kein Zuckerlecken, sondern eine harte Sache.

Es wird nicht erwartet, daß wir alles Gute und Schöne von uns weisen. Es ist uns ja von Gott gegeben und niemand braucht ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er es gebraucht. Der ewigreiche Gott hat kein Interesse daran, uns zu armen Leuten zu machen. Aber es darf nicht sein, daß die Dinge uns besitzen, die wir eigentlich besitzen sollten. Das wäre aber der Fall, wenn wir von ihnen abhängig würden.

Täuschen wir uns nicht: Wir sind in hohem Maße schon abhängig! Wo haben wir noch die Freiheit zum einfachen Leben. Vielleicht bringen wir es noch einmal während des Urlaubs zustande. Aber hinterher sind wir wieder froh, elektrisches Licht und Kühlschrank und Fernsehapparat zu haben. Das wirtschaftliche Ziel heißt „Wachstum“: Wenn immer mehr produziert wird, werden die Arbeitsplätze gesichert und die Bedürfnisse der Bevölkerung immer besser befriedigt.

Doch je besser es uns geht, desto größer wird die Sorge, es könnte uns etwas entgehen, was wir auch noch haben könnten. Je mehr wir aber haben, desto mehr Energie verbrauchen wir und desto mehr Abfall produzieren wir. Damit tragen wir selbst zu den Weltproblemen der Zukunft bei. Wo sind denn die Menschen, die an sich selbst trainieren und es anderen vorleben: Es geht auch „ohne“.

Verzichten heißt nicht nur, etwas verlieren, sondern es bedeutet auch ein gewinnen. Am Ende einer Sparperiode steht eben das Auto in der Garage oder der Farbfernseher in der Stube. Und der Leistungssportler, der lange und hart trainiert hat, wird am Ende Sieger in einem Länderkampf oder gar bei den Olympischen Spielen. Wenn wir uns für Christus einsetzen, werden wir vielleicht auf einiges verzichten müssen. Aber wir gewinnen auch einiges, und das wiegt meist schwerer als das, worauf wir verzichtet haben.

Unser Opfer an Geld sollte mehr sein als ein Trinkgeld. Es könnte uns aber Freude machen, wenn wir hören, welche Not mit unserem Geld gelindert werden konnte oder welche wichtige Arbeit die notwendige Unterstützung erhielt.

Mit dem Opfer an Zeit ist es schon schwieriger. Jeder ist heute stark ausgelastet. Und doch kann es froh stimmen, wenn wir bei Krankenbesuchen in der Gemeinde helfen und dabei erleben, wie Leid im Glauben getragen wird. Da könnten wir aus der Haltung des Hörers und Verbrauchers herauskommen, der nichts aus seinem Glauben heraus tut.

Das Opfer des Berufs will besonders genau überlegt sein. Und doch haben Menschen schon gutbezahlten Stellungen aufgegeben und einen Dienst in der Gemeinde übernommen. Aber wer vorher nur an der Maschine stand oder auf dem Büro Zahlenkolonnen schrieb, empfindet nun große Befriedigung bei der Arbeit mit Menschen. Auch wenn man vielleicht eine kleine finanzielle Einbuße erleidet oder Aufstiegsmöglichkeiten ausgeschlagen hat, viel wichtiger ist doch, was man selbst dabei gewonnen hat.

Natürlich genügt ein einmaliges geistliches Strohfeuer nicht. Das muß man denen sagen, die vielleicht bei einer Evangelisation „entflammt“ wurden und nun meinen, jetzt sei alles gelaufen. Man darf die eigene geistliche Kraft nicht überschätzen und auch die äußeren Schwierigkeiten nicht unterschätzen. Jesu Vergleiche mit dem Bauherrn und dem König, der Krieg führt, machen das deutlich. Enttäuschungen bleiben nicht erspart.

Die einmalige Entscheidung ist noch nicht eine Entscheidung ein für allemal, bestenfalls eine erstmalige Entscheidung. Gott kann seiner Gemeinde auch Ruhe und Frieden geben. Aber wenn er uns braucht, dürfen wir nicht hinter dem Ofen hocken. Vielleicht müssen wir nicht nur andere Menschen oder bestimmte Sachen aufgeben, sondern auch uns selbst.

Wir brauchen keine Angst zu haben, die ganze Wahrheit werde von den Menschen nicht angenommen und man täte gut daran, nur die halbe Wahrheit zu sagen und leiser zu treten. Eher sollten wir Angst haben, wir könnten ihnen verschweigen, wie lohnend der Start nach vorn ist. Jesus will uns nichts nehmen, sondern in Wirklichkeit will er geben. Es besteht kein Grund zur Sorge, wir könnten bei ihm zu kurz kommen.

 

 

Lk 14, 25 - 33 (5. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

Auch in der Kirche von heute gibt es das, daß die Leute zusammenlaufen, aus Neugier oder um sich begeistern zu lassen. So eine Fahrt ins Ausland oder ein Jugendsonntag oder ein Spiel in der Kirche, das ist schon etwas, an dem man sich begeistern kann. So etwas erlebt man

nicht alle Tage, da lernt man einmal Menschen von außerhalb kennen, man spürt den Duft der großen weiten Welt, da ist es sogar einmal in der Kirche interessant und man denkt: „Wenn das doch immer so wäre, da würde ich viel lieber mitmachen!“ Aber dann kommt wieder der gewohnte Alltag, wo uns der ganze kirchliche Betrieb wieder zum Halse raus hängt: „Warum geht es denn bei den anderen?“ denkt man, „und nicht auch so bei uns?“

Jesus hat das vielleicht auch gespürt, wie schnell sich die Menschen begeistern lassen. „Brot und Spiele,“ sagten damals die Römer, „die stellen die Menschen schon zufrieden!“ Auch Jesus hatte oft eine große Zuhörerschar, über Kilometer weit sind sie ihm nachgelaufen, um den berühmten Mann zu hören. Doch dadurch sind sie noch nicht zu Jüngern geworden. Jesus schlägt ihnen einen nassen Lappen ins Gesicht mit dem knallharten Satz: „Wer nicht Vater und Mutter, Frau und Kind, Bruder und Schwester und sein Leben haßt, der kann nicht mein Jünger sein!“

Das ist doch eindeutig gegen das vierte Gebot der Elternliebe und gegen das Liebesgebot. Sogar die Feinde sollen wir lieben, und nun heißt es: Frau und Kind sollen wir hassen! Das sage man einmal einem Jungverheirateten, der eben erfahren hat, daß seine Frau ihm einen Sohn geboren hat. Es steht auch eindeutig „hassen“ hier und nicht etwa nur „links liegenlassen“ oder „verachten“. Wir müssen also bereit sein, auch die Menschen zu hassen, die uns am liebsten sind.

So ganz aus der Luft gegriffen ist diese Aufforderung aber nicht, wenn wir uns einmal überlegen, wie es manchen Kindern in ihren Familien geht: Sie möchten gern zur Kirche gehen, weil sie nun einmal getauft sind, doch die Eltern sind der Kirche inzwischen entfremdet,

vielleicht sogar aus der Kirche ausgetreten. Und nun kämpft dieses Kind ständig zwischen der Achtung vor den Eltern und dem Wunsch, mehr über das zu hören, was da in der Taufe an ihm geschehen ist. Die Eltern kaufen ihm keine Bibel, die muß es sich selber verdienen durch Gelegenheitsarbeiten. Es möchte sich nicht verkrachen mit den Eltern, von denen es doch noch abhängig ist, aber es möchte sich auch nicht abbringen lassen von der Nachfolge Jesu. Soll es da nicht beginnen, die Eltern nicht mehr zu lieben?

Oder denken wir umgekehrt an die Frau, deren Mann gegen die Kirche ist. Er mag sich sonst noch so gut mit seiner Frau verstehen, aber wegen des Religionsunterrichts der Kinder gibt es Krach, weil Mann und Frau eine verschiedene „Weltanschauung“ haben, wie das dann so heißt, weil die Frau noch nicht auf dem richtigen „ideologischen Bewußtsein“ ist. Kommt da nicht - ohne daß sie es wollen - ein Bruch in das Verhältnis zwischen beiden?

Jesus sagt: „Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der kann nicht mein Jünger sein!“ Begeistern lassen kann man sich schnell. Als vor vielen Jahren der amerikanische Evangelist Billy Graham in Berlin sprach, da kamen die Leute sogar bis aus Dresden, um ihn zu hören. Er forderte dann alle auf, die in diesem Augenblick in Jesus ihren Heiland gefunden haben, die sollten nach vorne zum Rednerpult kommen. Und dann kam auch immer eine ganze Reihe. Aber eine einmalige Entscheidung ist noch keine Entscheidung ein für allemal. Es konnte sich da - meist von der ganzen Stimmung angesteckt - nur um eine erstmalige Entscheidung handeln.

Aber zu Hause in Dresden, wo der Regen durchs Kirchendach tropft, wo die Leute so kirchenmüde und resigniert sind, wo man auf keine Gleichgesinnten trifft, da muß man sich immer wieder neu entscheiden, ob man dabeibleiben will. Und dann kann es auch sein, daß man dafür leiden muß.

Manche Leute fordern ja, man müsse Tag und Stunde seiner Bekehrung wissen. Sie denken dann, damit sei alles erledigt. Bekehrung und Nachfolge sind schwerer. Dazu gehört eben auch, daß man notfalls seine nächsten Angehörigen haßt und dafür dann auch die Folgen trägt.

Damit ist aber nicht blinder und boshafter Haß gemeint. Wir sagen nicht: „Tragt den Haß in jedes Herz!“, sondern: „Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen!“ Wir säen nicht Haß in die Welt, weil uns das Spaß macht, aber um der Wahrheit des Evangeliums willen müssen wir auch einmal hart sein und uns abwenden von denen, die uns von Gott abhalten wollen.

Wie weit die Nachfolge gehen muß, zeigt etwa Rolf Hochhuths Schauspiel „Der Stellvertreter“, das in der Zeit der Naziherrschaft spielt. Dort gibt der Pater Ricardo seine mögliche Karriere als Diplomat des Vatikans auf, heftet sich den Davidsstern an und wird nach Ausschwitz verschleppt, wo er einen scheinbar sinnlosen Tod stirbt. Es ging ihm nicht um ein eilfertiges Heldentum oder eine gedankenlose Begeisterung. Aber er wußte, daß sein Platz bei den Verfolgten war, auf der Seite der Erniedrigten und Beleidigten. Gegen den Willen seiner kirchlichen Obrigkeit und seines Vaters stellt er sich zu den zu schimpflichem Tod Verurteilten. Damit wird er zum wahren Stellvertreter, der der Papst nicht hatte sein wollen.

Doch Jesus fordert uns immer wieder auf: „Überleg es dir genau! Ein halber Anfang ist schlimmer als überhaupt kein Anfang!“ Wer nur das Fundament legt und hat dann kein Geld mehr für den Turm, den lachen die Leute aus. Und wer Krieg anfängt, der überlegt sich,

ob er sich dann nicht selber dem Gegner auf Gnade und Ungnade unterwerfen muß. Wir müssen uns das schon genau überlegen, ob wir durchhalten werden, wenn wir uns zur Kirche halten, im Chor mitsingen, konfirmiert werden oder im Alltag ein echter Christ sein wollen. Wer „A“ sagt, der muß auch „B“ sagen, wer einmal dazu gehört, muß auch dabei bleiben. Die Nachfolge bringt nicht eitel Wonne und Freude, sondern auch Blut und Tränen und Schmerz: Mitläufer sind noch keine Nachfolger! Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir, der kann nicht mein Jünger sein!

Wer einmal dazu gehört, der muß auch konkrete Verpflichtungen übernehmen. Wir müssen uns nüchtern einstellen auf den nicht leichten Weg mit Jesus und müssen auch schon vorausdenken. Und wir müssen bedenken, wie die Nachfolge im Einzelnen in unserem Leben aussehen könnte. Wer einmal dazu gehört, muß sich auch in seinem ganzen Leben danach verhalten.

Allerdings sollten wir uns auch nicht so viel Sorgen machen, ob wir denn wirklich werden durchhalten können. Luther hat sicher nicht geahnt, was er mit dem Thesenanschlag in Wittenberg anzettelte. Aber er hat es um der Wahrheit des Evangeliums willen gewagt und

ist auch dabei geblieben, obwohl ihm die Todesstrafe drohte. Wer einmal angefangen hat und dabei bleibt, der steht unter dem besonderen Schutz Gottes, der uns alle als seine Nachfolger beschützt und erhält.          

 

 

Lk 15, 1 – 10 (3. Sonntag nach Trinitatis):

Wir kennen das alle, wenn wir etwa die Brille verlegt haben oder ein Kind im Kaufhaus verlorengegangen ist: Dann ruhen und rasten wir nicht eher, bis es wieder da ist, und dann ist die Freude groß. Diesen' alltäglichen Vorgang nimmt Jesus zum Anlaß für die beider Gleichnisse vom verlorenen Schaf und vom verlorenen Groschen. Er will uns damit etwas deutlich machen über unser Verhältnis zu Gott.

Wir reißen uns doch auch leicht von der Hand Gottes los und rennen davon, weil uns etwas in die Augen gesprungen ist und uns anlockt. Es gibt soviel interessantes im Leben, daß man bei all dem Trubel Gott plötzlich aus den Augen verloren hat. Dann merken wir unter Umständen doch, daß uns etwas fehlt und möchten gern wieder zurück. Oft sind wir tatsächlich wie die dummen Kinder, die nicht wissen, was sie wollen: Nach Gottes Gebot und Verheißung wollen wir nicht leben, aber ohne Gott können wir auch nicht sein. Wenn wir bei Gott sind, wollen wir von ihm fort; wenn wir aber fort sind, wollen wir wieder zu ihm zurückkehren.

Ein Glück nur, wenn Gott da aufmerksam ist. Er spürt bald, wenn eins seiner Schutzbefohlenen fehlt. Da muß er sich nun diesem Menschen mit ganz besonderer Fürsorge zuwenden. Er möchte doch keins seiner Kinder verlieren. Seit der Taufe gehören wir doch zu ihm. Und er hat damals versprochen, mit all seiner Liebe und Fürsorge über unserm Leben zu wachen.

Welch ein Risiko ist das: Er läßt 99 allein und geht dem einen nach, das ihn jetzt besonders braucht. Wird er nun nicht vielleicht die anderen auch noch verlieren? Haben nicht auch diese ein Anrecht darauf, daß er sich um sie kümmert?

Das ist eine Frage, die sich auch immer wieder in unserm Gemeindeleben stellt: Um wen muß man sich mehr kümmern: um die treuen Gemeindeglieder, bei deren alles normal läuft, oder um die Randsiedler, die viel Mühe und Aufwand erfordern und nachher war doch alles vergeblich.

Aber Gott ist halt so, daß er dieses Risiko eingeht. Er geht uns schon nach, wenn wir uns sicher fühlen und noch nichts von der Gefahr merken. Er führt uns sozusagen alle an einer unsichtbaren Leine. Diese Leine kann schon sehr lang werden, so daß wir meinen, sie sei gar nicht mehr da; so können wir uns frei und ungezwungen bewegen. Aber Gott läßt uns nie aus den Augen. Plötzlich kann die Leine wieder sehr kurz sein und dann sind wir sicher froh darüber.

Gott ist auch froh darüber, denn er hat ein Kind wiedergefunden, das sich verirrt hatte. Eltern sind manchmal auch unglücklich über ein mißratenes Kind. Man kann fünf brave Kinder haben und das sechste ist ein Tunichtgut. Aber wenn dann so ein kleiner Strolch zum Muttertag einer Strauß Blumen bringt und verspricht, er wolle sich bessern, dann freuen sich die Eltern und alles ist vergessen. Auch wenn die anderen Kinder alle einen Strauß bringen: über diesen

einen freut sich die Mutter am meisten.

Natürlich freut sich Gott auch über die 99 Anständigen, mit denen er weniger Mühe hat. Er will nicht, daß wir mutwillig in die Irre gehen, um aus Fehlern zu lernen und an Gefahren zu reifen. Es kann ja auch sein, daß Gott uns nicht wiederfindet. Dieses Risiko sollten wir auch bedenken, obwohl natürlich das Gleichnis uns deutlich machen will: Gott sucht solange, bis er Erfolg hat.

Besser ist es natürlich, wenn wir den von Gott vorgezeichneten Weg gehen und uns nicht aus seiner Nähe entfernen. Dennoch kann es passieren, daß einer verlorengeht. Es ist dabei gleichgültig, ob man aus eigener Schuld davongelaufen ist oder nur so verlorengegangen ist, wie man etwa eine Münze verliert. Gott sucht uns in jedem Fall und möchte, daß wir umkehren.

Das eigentliche Gleichnis spricht übrigens vom Suchen Gottes. Die angehängte Deutung („Es wird Freude sein über einen Sünder, der Buße tut“) spricht von der eigenen Umkehr. Aber beides hängt ja miteinander zusammen: Nur weil Gott uns nachgeht, können wir auch wieder zu ihm zurückkehren.

Zur Zeit Jesu wurde das deutlich an den Zöllnern und Sünder, die zu anderen Menschen wurden, als Jesus sich um sie kümmerte. Weil er sie als Menschen achtete, faßten sie auch wieder Mut zum Leben und fanden die Kraft zur Umkehr. Die frommen Pharisäer regten sich natürlich darüber auf. Sie wollten erst sehen, daß der Sünder sich besserte, sie wollten ihm eine Zeit der Bewährung auferlegen. Sie sollten den Beweis erbringen, daß sie sich gebessert haben und der Gemeinschaft mit Gott würdig wären. Sie sortierten die Menschen erst und gaben die Entfernten verloren. Jesu aber ist an den Entferntesten am meisten interessiert. Und er freut sich jedesmal, wenn einer gefunden wurde.

Das Gleichnis will einmal Jesu Verhalten rechtfertigen: Er stellt keine Vorbedingungen, sondern nimmt den Menschen erst einmal so, wie er ist. Jesus selbst ist der Ausleger seiner Gleichnisse. Zum anderen will das Gleichnis aber auch die frommen Pharisäer einladen, sich doch mit Gott mitzufreuen, weil seine Gemeinde nun wieder vollzählig ist. Gewiß sind die frommen Leute tatsächlich etwas anderes als die Abgeirrten. Sie sind Gott viel lieber als ein Sorgenkind. Aber wenn er sich auch einmal besonders darüber freut, daß einer zurückgekommen ist, dann können sie sich doch auch mitfreuen.

Mancher ist doch nur fortgelaufen, weil er Angst hatte, er könnte etwas versäumen. In seinen ungeheuren Leistungsdrang möchte er etwas erleben, um nur ja nicht der Anschluß zu verpassen. Mancher sagt dann: „Wenn ich alt bin und ausgelebt, kann ich ja immer noch zurückkommen und fromm werden. Aber vorerst bin ich noch weit entfernt vom Schlaganfall und von frommen Anwandlungen!“

In der Fremde aber sieht dann doch manches anders aus. Und wenn sich einer dann die Hörner abgestoßen hat und wieder zurückkehrt oder von Gott zurückgeholt wird, dann freut sich Gott doch darüber und kümmert sich nicht um die Vorurteile, die wir Menschen doch in einem solchen Fall haben.

Gott macht nicht mit, wenn wir fordern: „Werft den aus der Kirche raus, denn er hat sich selber alles verscherzt!“ Wir sind doch meist der Meinung: Der sich vor der Öffentlichkeit oder nach unserm eigenen Urteil unmöglich gemacht hat, der hat sich auch vor Gott oder zumindest vor der Gemeinde unmöglich gemacht.

Was würden wir wohl sagen, wenn ein junger Mann hier in den Gottesdienst käme, der gerade eine Gefängnisstrafe wegen Diebstahls abgesessen hat? Oder wenn eine Frau zum Abendmahl ginge, die gerade erst geschieden wurde? Oder ein Mann, der jahrelang die Kirche gemieden oder sogar öffentlich bekämpft hat? Wir würden doch sicherlich erst Beweise für eine Sinnesänderung haben wollen.

Aber sind wir denn besser als die, mit denen wir normalerweise nicht viel zu tun haben wollen? War es unser Verdienst, wenn wir äußerlich gesehen nicht unter die Räder gekommen sind? Wir haben doch selber unsere Vorteile davon, wenn Gott so zu anderen Menschen und zu uns selber ist. Es ist doch gut, wenn Gott uns nicht nur danach fragt, ob wir anständige Menschen sind. Sicherlich käme dabei doch nur heraus, daß wir in dieser Hinsicht Sünder sind.

Viel wichtiger ist doch die Frage, ob wir Menschen sind, die zu Gott gehören wollen. Wenn einer kommt und Gottes Wort hören will, dann hat kein Mensch das Recht, ihm die Gemeinschaft zu verweigern. Heute stehen wir leicht in der Gefahr, so zu sein wie die Pharisäer von damals. Sie regen sich darüber auf, daß Jesus keine Tuchfühlung mit ihnen aufgenommen hat und nicht mit den Theologen und Pfarrern zusammengearbeitet hat.

Ausgerechnet mit diesen Gleichgültigen setzt er sich an einen Tisch. Aber auch wiederum nicht, um ihnen eine Andacht oder eine Standpauke zu halten, sondern um ihnen zu sagen „Ihr gehört auch zu Gott! Gott sucht euch und will euch auch ganz bei sich haben. Ihr seid auch sein Eigentum, und darauf will er nicht verzichten!“

Wir geben uns selber oft zu schnell verloren oder geben andere auf. Vielleicht haben wir uns auch viel zu schnell darauf eingerichtet, verloren zu sein. Gott aber sucht und findet uns. Nicht wir können uns zu ihm aufmachen, sondern e r sucht uns. Wir brauchen nur die Augen aufzumachen und sehen, daß Gott am Werk ist, dann wissen wir uns gerettet.

Diese Einstellung Gottes kommt auch uns allen hier zugute. Wir sind Gottes Eigentum durch die Taufe. Gott wurde sogar ein Mensch, um sich persönlich um alle kümmern zu können, die zu ihm gehören. Und Jesus ist auch denen nachgegangen, die ihre eigenen Wege gingen. Er hat keinen verloren gegeben, auch wenn er manchmal nach ihm suchen mußte wie nach einer Stecknadel im Heuhaufen.

Der Hirte hängt an jedem Schaf mit ganzem Herzen, er hat eine persönliche Beziehung zu jedem Einzelnen. Und wenn der verlorene Groschen ein Teil des Brautschatzes war, dann verstehen wir, weshalb die Frau so intensiv suchte.

Im Grunde gehören wir alle zu denen, die von Gott weggegangen sind. Auch nach uns muß er suchen. Aber wir mögen in unserm Leben verwirtschaftet haben, was wir wollen: unsern guten Ruf, unsere Ehe, unsern Kinderglauben - Gott gibt uns dennoch nicht auf. Vielleicht haben wir unsern Körper ruiniert und vielleicht sind unser Gedanken zerfressen - aber wir gehören durch die Taufe doch immer zu Gott. Auch wenn wir meinen, unser Leben sei verpfuscht und alle würden nur auf uns herabsehen - Gott ist es nicht einerlei, ob wir in Ungehorsam und Lüge verlorengehen.

Es gibt keine Situation, die ausweglos verfahren wäre und wo ein Zurück unmöglich wäre: Gottes Liebe trägt uns aus allem wieder heraus und die Gabe der Taufe kann immer noch Frucht bringen.

Weil aber der Gott Jesu ein Freund der Ausgestoßenen ist, sind auch wir Christen den Ausgestoßenen in besonderer Weise verpflichtet. Es darf keinen Menschen geben, der benachteiligt, behindert, gedemütigt und deklassiert wird. Es darf keinen geben, mit dem wir quitt und fertig sind. Gott liebt sie alle, er liebt auch uns. Deshalb sollten wir jedem Verlorenen die Heimkehr leicht und schön machen. Und wenn wir uns vielleicht selber zu der Verlorener rechnen, dann dürfen wir wissen: Gott wartet immer auf uns!

 

Lk 15, 11 – 32 (3. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Vater ging einmal mit seinem Sohn in die Kirche, nicht zum Gottesdienst, sondern um sich das Gebäude einmal anzusehen. Vorne am Altar bleiben sie stehen. Der Junge betrachtet eingehend das Kruzifix und fragt dann „Vater, was macht denn der Mann da?“ Der Vater weiß im ersten Augenblick nicht, was er sagen soll. Wie will er auch einem kleinen Jungen klarmachen, was die Kreuzigung bedeutet. Aber der Junge hat inzwischen schon selber die Antwort gefunden. Er sagt: „Jetzt weiß ich es: der macht: ‚Komm in meine Arme‘!“

Das ist doch eine schöne Antwort. Besser hätte man es einem Kind nicht erklären können. Das Kind hat den eigenen Vater vor Augen, wie der die Arme ausbreitet und sein Kind in die Arme nimmt. Auch wenn es einmal böse war, sagt der Vater dann doch: „Komm in meine Arme!“

So ist es auch in der Geschichte von dem gütigen Vater und den verlorenen Söhnen, die Jesus erzählt. Sie handelt von einem Vater, der seinen Sohn wieder in die Arme nimmt und den anderen auffordert, auch in seine Arme zu kommen.

Betrachten wir zunächst den jüngeren Sohn.

An sich ist nichts Unrechtes an dem Verhalten des jüngeren Sohnes. Eine vorzeitige Teilung des Erbes war möglich. Bei dem älteren Sohn behielt der Vater noch das Verfügungsrecht. Der Jüngere allerdings läßt sich seinen Anteil in Geld auszahlen, weil er nur so sich vom Vater unabhängig machen kann.

Ähnliches wird es auch heute noch in vielen Familien geben: Der Vater hat die Firma und das Haus und der Sohn arbeitet mit und wohnt mit im Haus. Der Vater sagt zwar: „Wenn du etwas brauchst, kannst du es immer kriegen!“ Aber der Sohn muß deswegen immer fragen, und zu bestimmen hat immer nur der Alte. Der Sohn aber hat neue Ideen, möchte vorankommen und sein eigener Herr sein. Aber immer bekommt er nur zu hören: „Du hast doch alles. Es geht dir doch gut. Warum beschwerst du dich nur?“

Die Söhne von heute gehen in die Lehre oder zum Studium. Zunächst denken sie: „Endlich bist du den Verboten und Vorschriften der Eltern entronnen, jetzt erst kannst du erwachsen werden. Aber dieser Wahn währt nicht langer, dann hat man gemerkt: Hier muß man sich ja noch mehr einordnen, da gibt es noch mehr Vorschriften, da ist man erst recht nicht sein eigener Herr. Am meisten galt das, wenn sie früher noch zur Bundeswehr mußten.

So erging es auch dem Sohn im Gleichnis bei der Hungersnot: Er muß bei einem Heiden die geringste Arbeit tun und die als unrein geltenden Schweine hüten, aber er darf nicht einmal von ihrem Futter essen. Erst wollte er zeigen, was in ihm steckt, nun sind gleich beim ersten  Versuch alle Illusionen zerbrochen. Aber diese Erfahrung muß wohl jeder erst einmal machen, sonst sieht er nicht ein, wie gut er es eigentlich zu Hause gehabt hat.

Mit Gott geht es uns manchmal doch auch so. Da kommt uns der Gedanke: Du könntest es doch bequemer haben. Immer diese Verbote: Das darf ein Christ nicht und jenes auch nicht. Dazu sonntags immer in die Kirche gehen und immer hilfsbereit und freundlich sein und dazu auch noch Kirchensteuern zahlen. Warum kann man es nicht auch einmal so einfach haben wie die, die nicht an Gott glauben?

Mancher möchte einfach einmal eine Zeitlang tun und lassen, was er will. Wenn man alt und ausgelebt ist, dann kann man ja immer noch zurückkommen und fromm werden. Aber vorerst ist man ja zum Glück noch weit entfernt vom ersten Schlaganfall und allen frommen Anwandlungen. Der Sohn im Gleichnis wird einen anderen Weg geführt. Zum Glück erinnert er sich am tiefsten Punkt seines Lebens an den Vater. Daß er das tut, ist schon der erste Schritt zur Änderung seines Lebens.

Dabei geht es nicht so sehr um eine Abkehr von etwas, sondern um die Heimkehr zum Vater. Nicht der Ekel vor sich selber bewegt den Sohn zur Umkehr, sondern das Heimweh nach dem Vater. Plötzlich tritt ihm das Bild des Vaters vor Augen, der auf ihn wartet und jeden Tag Ausschau nach ihm hält. Er will auch zu seiner Schuld stehen. Er kann sich nicht einfach zur Arbeit melden und so tun, als sei nichts gewesen. Er kann nicht auf die Gnade seines Vaters rechnen, denn sein Erbteil und damit das Sohnesrecht sind nun einmal vertan. Hier wird streng rechtlich gedacht: Strafe muß sein! Aber wenigstens Tagelöhner könnte er noch sein.

Doch nun kommt die große Wende: Der Vater hat den heimkehrenden Sohn schon in der Ferne gesehen. Da geht es ihm durch und durch. Er vergißt all seine Würde und läuft dem Sohn entgegen und nimmt ihn in die Arme. So ist auch Gott: Er hat den Sünder zu keiner Stunde aufgegeben, sondern er schaut nach ihm aus, ob er denn endlich heimkehrt. Kein Wort des Vorwurfs ist zu hören. Keine Frage: Wo bist du gewesen? Was hast du mir angetan? Es wird nicht einmal die Forderung erhoben: Ich will erst prüfen, ob du dich besserst, dann hast du noch einmal eine Chance.

Der Sohn gesteht seine Schuld gegenüber dem Vater ein. Das muß schon sein. Aber seine schöne Rede, die er sich sicher auf dem Weg immer wieder vorgesagt hat, kann er nicht beenden: Schon erteilt der Vater die Befehle, damit der Sohn mit allen Zeichen eines freien Mannes geschmückt und das Fest gefeiert werden kann. Nicht weil der Sohn reifer geworden ist und seine Fehler eingesehen hat wird er wieder angenommen, sondern weil der Vater ihn immer noch liebt. Nicht die Zerknirschung des Sohnes hat den Vater umgestimmt, sondern er holt ihn aus freien Stücken ins Haus.

Die Reue ist zwar Voraussetzung, aber es kommt nicht auf sie an. Wenn Jesus diese Geschichte erzählt, dann will er Mut machen zur Heimkehr. Er lädt ins Vaterhaus ein und sagt: Ihr braucht keine Vorleistungen zu bringen, das Haus steht offen, ihr braucht euch nur liebhaben zu lassen.

Doch wir sollten hier nicht eine rührende Geschichte sehen von einem jungen Mann, der wieder heimfindet. Sie widerspricht ja allem, was wir normalerweise für recht und billig halten. Wenn wir so einem heruntergekommenen Nichtsnutz im Leben begegneten, dann würden wir ihn sicher auch verachten. Der ältere Sohn steht uns innerlich doch viel näher.

Wir sind doch alle brave Bürger, die ruhig und fleißig ihrer Arbeit nachgehen wie der ältere Sohn. Es ist kein Zufall, daß er gerade vom Feld kommt, denn sein Leben war Arbeit. Er hat wenigstens Verantwortungsgefühl und der Vater konnte sich immer auf ihn verlassen. Wo kämen wir denn hin, wenn alle so wären wie der jüngere Sohn, dieser Schandfleck für die Familie! Wir verstehen den Unmut des Daheimgebliebenen und hätten sicherlich auch gedacht: Daß der sich überhaupt noch hierher wagt!

Jetzt wird sich vielleicht der Ältere sagen: Hättest du es nur auch so gemacht. Dann hättest du vielleicht auch einmal in solcher Weise die Liebe des Vaters spüren können. Aber du warst ja dumm und wolltest immer der Anständige bleiben, der Musterknabe. Wer weiß, was dir alles entgangen ist, während der andere sein Leben genossen hat.

Er sagt zum Vater: „So muß man es wohl machen wie dieser  d e i n  Sohn!“ und denkt im Stillen: Dieser Hieb hat aber gesessen! Daß sein Bruder aber eine große Not durchgemacht hat und seine Strafe eigentlich schon weg hat, sieht er nicht. Der Vater aber weiß, was hinter seinem Sohn liegt. Seinem Ältesten hätte er das Gleiche nicht gewünscht. Bei dem ist alles seinen geregelten Gang gelaufen, ihm ist Gerechtigkeit widerfahren. Jetzt aber steht er in der Gefahr, nicht nur den Bruder, sondern auch den Vater zu verlieren.

Sie sind doch beide seine Söhne, die er gleich liebhat. Zärtlich spricht er den älteren Sohn an: „Mein Junge! Du bist doch alle Zeit bei mir gewesen. Dir hat doch nie etwas gefehlt. Merkst du nicht, wie dein Vater dich liebt?“

In dem älteren Sohn können wir den guten Christen von heute wiedererkennen. Sie regen sich darüber auf, weil der oder jener es wagt, zum Gottesdienst zu kommen. Ein besonders deutliches Beispiel waren diejenigen, die in der Nazizeit die Kirche verlassen haben und nachher plötzlich wieder auftauchten, um ihre demokratische Gesinnung zu beweisen.

Der Vater aber sieht nicht die verpraßten Güter, sondern den wiedergewonnenen Menschen. So mögen auch wir in unserem Leben verwirtschaftet haben, was wir wollen: unsren guten Ruf, unsre Ehe, unsren Körper oder unsre Phantasie. Vielleicht haben wir unsren Kinderglauben in die Gosse gezogen und sind zum Menschenverächter geworden. Aber Gott gibt uns deshalb nicht auf, er kann uns nicht vergessen.

So geht es hier nicht so sehr um die Untreue der Menschen, sondern um die Treue Gottes, es geht nicht um die Söhne, sondern um den Vater, es geht um das Handeln Gottes an den Menschen. Wo aber bleibt Jesus in dieser Geschichte? Er ist der Einzige, der diese Geschichte erzählen kann. Er steckt im Grunde in dem Herauskommen und Entgegenlaufen des Vaters, denn in ihm ist ja Gott den Menschen nahegekommen und hat sie ins Vaterhaus zurückholen wollen.

Während Jesus die Geschichte erzählt, geschieht das ja alles in seiner Umgebung: Er hat die Verlorenen wieder in die Gemeinschaft Gottes gerufen. Dabei hat er es riskiert, die Tüchtigen vor den Kopf zu stoßen, weil er den Nichtsnutz an sein Herz zieht. Aber er wollte auch die Frommen einladen und ruft sie zur Mitfreude auf. Sie sollen endlich das annehmen, was im Vaterhaus gilt: auch die Sünder sind gerufen und dürfen kommen.

Die Geschichte hat ja eigentlich keinen Schluß. Wir erfahren nicht, ob der ältere Sohn nun ins Haus gegangen ist oder nicht. Aber die Erzählung mündet in die Wirklichkeit ein: Jetzt werden die Angeredeten gefragt, ob sie hineingehen wollen, ob sie Gottes Liebe anerkennen. Auch wir werden eingeladen, ins Vaterhaus zu kommen. Ob wir uns nun in dem jüngeren oder dem älteren Sohn wiedererkennen: Gott lädt uns alle ein, in sein Haus zu kommen und uns mit ihm zu freuen.

 

 

Lk 16, 1 - 9 (Vorletzter Sonntag):

Einen Banküberfall zu machen, lohnt sich heute nicht mehr. Heute haben sie nur noch das Kleingeld am Schalter. Wenn man eine Bank berauben will, dann muß man hineingehen und sich anstellen lassen. Die heutigen Computer machen es da leicht. Da haben schon manche Millionenbeträge auf ein privates Konto in der Schweiz abgezweigt, um einen ruhigen und gesicherten Lebensabend zu haben.

Wir sind empört, wenn wir so etwas hören. Zum Glück kommt ja auch hin und wieder etwas heraus. Wahrscheinlich sind wir aber auch schockiert, wenn wir das Gleichnis Jesu so lesen. Wie kann Jesus so einen Betrüger loben? Gar noch sagen, daß er klüger war als die frommen und anständigen Christen!

Doch bei so einem Gleichnis gibt es immer nur  e i n e n  Vergleichspunkt. Jesus lobt nur die

Klugheit dieses Mannes, nicht sein gesamtes Verhalten. Solche Klugheit wünscht er auch den Christen, wenn es um das ewige Leben geht.

 

(1.) Von weltlicher Klugheit kann man etwas für das Ewige lernen: Die Situation der Schlußabrechnung deutet schon an, daß Jesus um mehr geht als um einen Kriminalfall. Er will uns anleitet zu einem verantwortlichen Leben. Wir dürfen den Gedanken an das Gericht Gottes nicht wegschieben. Dem Haushalter war die Abrechnung ja angekündigt worden; daß er sich darauf einstellt, ist noch nicht seine Klugheit.

Aber er erkennt seine Lage und weiß sich zu helfen. Es bleibt allerdings nur wenig Zeit. Aber in Sekundenschnelle weiß er, was er zu tun hat. Geistesgegenwart gehört mit zu seiner Klugheit, eine nüchterne Beurteilung der Lage, ein rettender Einfall und ein unverzügliches Handeln.

Dennoch ist er in unseren Augen ein unangenehmer Zeitgenosse. Besser wäre doch, er ränge sich zu einer sauberen Lösung durch. Wenn er schon nicht betteln will, dann könnte er sich doch eine andere Arbeit suchen, selbst wenn es eine dreckige Handarbeit sein sollte. Irgendetwas findet sich schon. Denen, die heute aus dem Gefängnis kommen, wird ja auch geholfen.

Aber dieser Haushalter ist auf einen unbeschwerten Ruhestand aus. Deshalb richtet er es so ein, daß verschiedene Leute ihm verpflichtet sind. I Grunde erpreßt er sie sogar, denn wenn sie sich an dem Betrug beteiligen, werden sie nicht zum Gericht gehen können, wenn er bei ihnen anklopft und aufgenommen werden will. Dieser Mann war ein Schmarotzer und wird es bleiben.

Vielleicht handelt der Mann zum Schaden für seinen Herrn, wenn er sich die alten Schuldscheine geben läßt und sie durch erheblich niedrigere Beträge ersetzt. Bei dem Ölhändler und dem Getreidehändler erläßt er jeweils 500 Silberstücke, das ist soviel wie der Verdienst eines Tagelöhners in zwei Jahren. Er könnte aber auch sein, daß er damit nur seinen eigenen Gewinn schmälert, denn oft mußte der Verwalter die ganze Pacht dem Grundherrn vorstrecken und versuchte dann, aus den Pächtern möglichst viel herauszuholen. Wenn er nun den Pachtpreis wieder etwas herabsetzt, hätte er nur den Schaden wieder gutgemacht.

Auf jeden Fall hat er sein Leben noch rechtzeitig geändert und die Zeit genutzt, die ihm noch bleibt. Der biblische Ausdruck dafür: Er hat Buße getan! Davon handeln die beiden Kapitel Lukas 15 -16. Sie beginnen mit den Gleichnissen vom verlorenen Schaf und verlorenen Sohn und enden mit der Erzählung vom reichen Mann und dem armen Lazarus, wo ja noch einmal eingeschärft wird: „Mit dem Tode hört die Möglichkeit zur Umkehr auf!“

Jesus denkt: „Wenn meine Leute doch nur auch etwas von diesem Mann hätten. Wenn sie doch von weltlicher Klugheit etwas für das Ewige lernten!“ Es gibt unter Christen viel Verschlafenheit und Entschlußlosigkeit. Doch man sollte wissen, was die Stunde geschlagen hat. Niemand kann so leben, als hätte er unbeschränkte Zeit und könnte notwendige Beschlüsse immer wieder verschieben.

Als Lukas die Geschichte aufschrieb, war das Ende der Welt ja noch nicht gekommen. Die ersten Christen rechneten ja mit dem baldigen Abbruch der Herrschaft Gottes. Aber die Welt bestand noch immer und das Leben ging weiter in der alten Weise. Kaiser und Könige und ihre Stellvertreter hatten immer noch die Macht nutzen sie kräftig aus. Das Recht des Stärkeren galt noch immer. Wenn man nicht untergehen wollte, mußte man den anderen übervorteilen und durfte keine moralischen Bedenken haben.

Doch der Evangelist macht mit der Aufnahme dieser Erzählung Jesu in sein Evangelium deutlich: Die Gottesherrschaft steht noch immer vor der Tür, und ihr müßt euch darauf einstellen. Jener Mann hatte schon alles verspielt und konnte nur noch gewinnen. Aber wir als Christen haben alles zu verlieren: war können wir uns das ewige Leben nicht verdienen, aber wir können es uns täglich und stündlich verscherzen. Doch mit dem Haushalter haben wir gemeinsam: Die Zeit ist auszukaufen! Es gilt, sich schnell für Jesus zu entscheiden, um noch gerettet zu werden.

Zur Wachheit gehören auch eine gewisse Kaltblütigkeit und Zielsicherheit. Man wird sich nicht treiben lassen, sondern faßt selber Entschlüsse. Man wird manches sein lassen, um für Gottes Zukunft frei zu sein. Und man wird manches in die Hand nehmen, was mit der Zukunft zu tun hat. Jesus meint, bei alledem könne man bei den „Kindern der Welt“ in die Schule gehen. Doch die Klugheit gilt nur in ihrem Lebenszusammenhang, den Unterschied der Ebenen muß man schon beachten.

Doch dann gilt eben: Wie bei den Kindern der Welt in ihren dunklen Geschäften, so müßte auch bei den Jüngern in ihrer göttlichen Aufgabe alle Trägheit und Unschlüssigkeit verschwinden und an ihre Stelle Nüchternheit und rasches Handeln treten. Nur so ist diese anstößige Geschichte zu verstehen.

 

(2.) Mit irdischem Besitz kann man etwas fürs Ewige tun: Den letzten Vers hat Lukas wahrscheinlich selber hinzugefügt und damit das Gleichnis weitergedacht: „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten!“ Der Gewinn von Geld ist oftmals mit Unrecht verbunden. Aber das läßt sich nie ganz vermeiden. Geld wird leicht zum Götzen, der als etwas Faszinierendes verehrt wird, dem man dient und von dem man etwas erhofft, auf den man sein Ansehen gründet. Ein freundlicher Götze ist es nicht, denn es hält den Menschen in Unruhe und nimmt all seine Gedanken gefangen.  Aber schon die Kinder werden so erzogen, daß Geld alles ist: Nur wer etwas anschaffen kann, wird geachtet. Man braucht einen gewissen Lebensstil und schließt deshalb Kompromisse.

Jesus sagt aber nun nicht: „Wirf alles weg und flieg davon, stürze den Götzen!“ Vielmehr sagt er: „Macht euch Freunde damit, benutzt das Geld für etwas Sinnvolles. Da wird aus der schrecklichen Macht, die die Welt regiert, einfach ein Zahlungsmittel, das dem Menschen dienen muß und über das man in Freiheit verfügen kann. Wenn man Geld hat, so setzt man es für Heilsames und Hilfreiches ein. Und hat man keins, so wird man deshalb noch lange nicht nervös.

Die Umkehr („Buße“) kann sich also auch zeigen im rechten Umgang mit dem Geld. Die Dämonie des Geldes kann gebändigt werden, wenn wir uns bereithalten, es wieder wegzugeben. Geld ist nicht einfach böse, sondern Jesus zeigt ja gerade, daß es zu etwas gut ist. Allerdings ist es nicht dazu da, den Himmel zu öffnen. Gott läßt sich nicht bestechen, auch nicht durch den gewitztesten Haushalter. Freunde wird man sich nur schaffen, wenn es absichtslos geschieht, weil es schön ist, den Menschen etwas zuliebe zu tun und sie zu Freunden zu haben.

An der Frage des Besitzes kann deutlich werden, ob wir schon zu der Freiheit der Kinder Gottes gefunden haben. Wenn wir weggeben können, kann uns das Geld nicht zum Götzen werden. Dann wird damit nicht nur einem armen Menschen geholfen, sondern es wird deutlich, daß wir über dem Besitz stehen und ungezwungen darüber verfügen können.

Der ungerechte Haushalter war schon zu einem Knecht des Geldes geworden. Aber als er es weggeben konnte, war er wieder Herr über das Geld. Er war nicht mehr geplagt von der Gier, das Leben genießen zu wollen und diesen Genuß durch Geld sichern zu müssen. Richtig schön wurde das Leben erst für ihn, als er frei war von der Sucht des Habenwollens.

Auch für uns lohnt es sich, daß wir unser Leben ändern. Umkehr ist nicht leicht, weil wir in der Regel etwas aufgeben müssen, an dem wir sehr hängen. Umkehr zu Gott muß nicht immer mit Geld zusammenhängen. Aber am Geld wird manches deutlich, wenn auch die eigentlichen Ursachen manchmal tiefer liegen.

Früher gab man den Zehnten für Gott und zur Unterstützung der Mitmenschen. Heute bleibt meist sehr viel weniger übrig. Aber wir sollten bedenken: Unsre Gaben werden nicht gemessen an dem, was wir zu in einer Sache beitragen, sondern nach dem, was wir zurückbehalten. Unser Reichtum wird nicht gemessen an dem, was wir in den Klingelbeutel tun, sondern nach dem, was wir auf dem Bankkonto haben.

Bedenken wir auch: Unser Geld gilt nur in dieser Welt. Bei Gott gibt es eine andere Währung. Aber diese Währung kann man sich unter Umständen schon jetzt beschaffen, indem man mit seinem jetzigen Geld richtig umgeht. Davon handelt auch eine Erzählung von Leo Tolstoi „Ist Geld alles?“:

Ein Mann, der viele Reichtümer erworben hatte, pflegte zu sagen: „Im Leben ist Geld alles!“.Als er auf dem Sterbebette lag, dachte er: „Sicher ist auch in der anderen Welt Geld alles!“ Deshalb befahl er seinen Kindern, ihm in seinen Sarg einen Beutel mit Geld zu geben. In der anderen Welt erblickte er ein Büfett voll Speisen und Getränken. Na, denkt er, ich habe gut daran getan, Geld mitzunehmen. „Geben Sie mir rasch zu essen, ich bin schrecklich hungrig!“ und er hält dem Verkäufer eine Handvoll Kopeken hin. Der sieht sich das Geld an und lächelt: „Wie ich sehe haben Sie da unten auf der Erde wenig gelernt. Wir nehmen nicht das Geld an, das Sie besitzen, sondern das Sie verschenkt haben. Denken Sie nach, vielleicht haben Sie jemals einem Bettler eine Gabe gegeben?“ Der Reiche senkt die Augen und dachte nach. Nie hatte er eine Kopeke verschenkt, niemals in seinem Leben einem Armen geholfen. Da führten ihn zwei handfeste Kerle wieder hinaus.

 

 

Lk 16, 19 – 31 (1. Sonntag nach Trinitatis):

„Vor unserer Türe liegen keine Bettler mehr. Der Rettungswagen hat Lazarus abgeholt. In einem sauberen Krankenzimmer wird ihm Hilfe und eine sachgemäße Pflege zuteil. Durch unsere Steuer- und Sozialbeiträge ist das Lazarusproblem bei uns gelöst!“ Es wäre grund­falsch, wenn wir so dächten. Lazarus kommt auch in der modernen Welt vor, nur eben anders. Er ist in dem Konzentrationslager, in den Hungergebieten, er ist politisch Verfolgter. Wir dagegen sind die Reichen und die Satten, die im Grunde alles haben.

Deshalb gilt auch uns die Mahnung Jesu: „Übersieh nicht den Lazarus!“ Die Liebe fängt mit dem Wahrnehmen an. Der reiche Mann lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Jeder Tag war für ihn ein Fest. Hart daneben der Gelähmte, den man vor seine Tür gelegt hat, voller Geschwüre, an denen die Hunde lecken und er kann sich nicht wehren. Aber vielleicht kann hier etwas abfallen: Die Esser wischen sich die Hände mit Brotstücken ab und werfen diese dann dem armen Lazarus vor wie einem Hund. Dadurch wird ihn er sogar noch Gelegenheit gegeben, ein gutes Werk zu tun.

Sicher haben sie den Bettler mit ihren Augen gesehen. Aber sie haben nicht den g a n z e n Menschen wahrgenommen, sondern haben ihr Gewissen schnell beschwichtigt. Sie blieben gedankenlos und unachtsam und waren im Grunde nur mit sich selbst beschäftigt. Oder sie

hätten die Hilfe mildtätigen Organisationen überlassen, wenn es sie damals gegeben hätte. Aber Liebe kann nicht vergesellschaftet werden. Spontane Hilfe und persönliche Hingabe sind weiterhin notwendig.

Zunächst einmal können wir an den fernen Nächsten denken. In den Jahren nach dem Krieg waren wir dankbar für jede Unterstützung von außen und für die Pakete, die uns erreichten. Heute stehen wir wirtschaftlich gesehen mit an der Spitze der Welt und wir gehören zu den reichen Völkern. Unsere Aufgabe ist es nun, denen zu helfen, denen es heute schlecht geht. Doch wir geben tausendmal mehr für Alkohol und Zigaretten aus als für die Hungernden in der Welt.

Über dem fernen Nächsten dürfen wir aber den armen Lazarus vor unserer Haustür nicht vergessen. Gewiß gibt es bei uns kaum noch materielle Not. Aber es gibt viel innere Not, gerade auch bei steigendem Wohlstand. Hier kann gerade der christliche Glaube eine Hilfe sein. Hier sind wir jedem Mitmenschen Gottes Wort schuldig.

Wie mancher Selbstmörder hätte gerettet werden können, wenn der letzte Mensch, mit dem er sprach, nicht versagt hätte. Er hatte vielleicht die Fähigkeit, einem Menschen gut zuzureden und ihn von einer unbedachten Handlung abzubringen. Gott wird auch danach fragen, ob er sie nur für sich gebraucht hat oder auch zum Wohle anderer.

Es gibt niemand, der nicht seinen Lazarus vor der Tür hätte: Die Kranken, die niemand besucht. Die alten Eltern, die nur noch als Belastung empfunden werden. Die Frau, für die der Mann kein gutes Wort hat. Die Kinder, für die keine Zeit ist. Ein Kollege, der unsern Rat braucht.

Der Name „Lazarus“ bedeutet so viel wie „Gott hilft“. Aber wie soll Gott helfen, wenn wir nicht bereit sind, in seinem Auftrag zu handeln? Gott hat doch nur uns, wenn er anderen Menschen Hilfe zuteilwerden lassen will. Wir können unsere Verantwortung nicht immer vor uns herschieben oder auf andere abschieben. Heute und hier sind wir gerufen.

Der Hauptfehler des reichen Mannes lag in seiner falschen Einstellung zu Gott. Er hatte an seinem Geld und seinem guten Leben genug und brauchte Gott nicht. Wer sich aber um Gott nicht kümmert, der verliert auch den Bilek für die Not des Mitmenschen. Wer aber an Gott glauben möchte, der muß diesen Glauben auch in die Tat umsetzen.

Luther hat es so ausgedrückt: „Es ist unmöglich zu lieben, wo nicht Glaube ist, und unmöglich zu glauben, wo nicht Liebe ist!“ Der reiche Mann ist sicher auch zum Gottesdienst gegangen. Aber Gottes Wort hat ihn nicht getroffen. Der Glaube blieb in der Theorie stecken und wurde nicht praktisch. Doch nur Glaube und Liebe zusammen sind wahrer Glaube.

Wenn man diesen Zusammenhang erkannt hat, dann wird man auch wissen, daß man die Frist nicht versäumen darf. Der reiche Mann ist ganz auf irdische Dinge eingestellt, ohne über die Todesgrenze hinaus zu fragen. Der Sinn seines Daseins erschöpft sich in der Erhaltung und im Genuß seines Wohlstandes.

Er hat natürlich wie selbstverständlich erwartet, daß er den Ehrenplatz neben Abraham erhalten wird. Aber eben diesen Platz bekommt Lazarus, weil Gott immer Partei ergreift für die Geplagten. Das sollen alle wissen, die es schwer haben. Das sollen aber vor allem auch die wissen, denen die Hilfsbedürftigen vor der Tür liegen. Wer auf Gottes Seite stehen will - was ja auch der Reiche wollte - der kann nur für sie Partei ergreifen.

Bei dem reichen Mann beginnt das Umdenken erst, als es zu spät ist. Immerhin denkt er jetzt zum ersten Mal an andere, nämlich an seine Brüder, die er vor dem gleichen Schicksal bewahren will. Aber auch für sie gibt es keine Sonderoffenbarungen durch Gott. Sie haben auch so Zeit und Gelegenheit auf Gott zu hören. Wer erst zu spät zur Einsicht kommt, für den ist dann die Türe zu.

Bei Kindern kann man öfters beobachten, daß sie nicht hören können. Da schärft ihnen die

Mutter ein: „Paß schön auf, wenn du über die Straße gehst!“ Das Kind nimmt sich das alles auch vor und hat den festen Willen, auf die Ermahnungen der Mutter zu achten. Aber dann sieht es auf der anderen Straßenseite eine Freundin und rennt einfach los, ohne nach rechts und links zu sehen.

Doch Erwachsene sind oftmals auch nicht besser, sowohl was ihr Alltagsleben angeht als auch die Fragen des Glaubens. Hinterher ist man natürlich klüger. Aber dazu sind die Warnungen Gottes ja da, daß das Kind nicht erst in den Brunnen fällt. Viele meinen, die Warnungen seien nur für die anderen da, ihnen selber könne schon nichts passieren. Die werden erst klug, wenn der Schaden dann da ist. Dann geht halt die Klage los: „Ach hätte ich doch gehört!“

Die Geschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus macht uns unmißverständlich deutlich: Nur während der Zeit unsers Lebens haben wir Gelegenheit, auf Gott zu hören. Gottes Wort wird uns doch reichlich angeboten. Seit Jahrhunderten wird es gepredigt. Es kommt zu uns durch Literatur und Kunst, durch Musik und Architektur, durch Sitte und Brauchtum. Jeder hat Gelegenheit, mit Gott in Berührung zu kommen, selbst wenn er aus einem atheistischen Hause stammt. Gott läßt keinen ungewarnt.

Allerdings gibt es für uns nichts anderes als die Bibel, wenn Gott uns eine Nachricht zukommen lassen will. Wir können nicht etwas Außerordentliches verlangen, ehe wir Gott glauben. In der Bibel steht doch eindeutig: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und führe umherirrende Blinde in dein Haus!“(Jes 58,7-8) .Was will man darüber hinaus noch haben?

Ein Wunder könnte vielleicht bei manchem den inneren Widerstand brechen. Aber zu einer Umkehr im ganzen Wesen und Tun würde es nicht führen. Die Erzählung hat sicher auch recht, wenn sie behauptet: „Wenn jemand nicht auf die Bibel hört, dann wird er auch nicht höre, wenn jemand von den 'Toten auferstünde!“

Die Bibel gibt uns genauso verläßliche Kunde von Gott wie einer, der direkt von Gott zu uns käme. Er könnte uns auch nichts anderes berichten, als wir aus der Bibel schon wissen. Mehr kann und braucht man nicht zu wissen.

Natürlich leiden wir manchmal darunter, daß unser Glaube nichts Handgreifliches in den Händen hält. Das Wesen aller anderen Religionen ist doch, daß sie Gott sichtbar und damit anschaulich und begreifbar machen wollen. Wir aber müssen uns auf ein Buch stützen. Unser Glaube ist da unanschaulicher.

Oder haben wir nicht doch einen, der von Gott und von den Toten zu uns gekommen ist? Jesus von Nazareth war der, der Gottes Wort noch einmal bestätigt und vertieft hat. Er hat uns die letzte Sicherheit über Gott gegeben. Mehr ist nicht nötig. Doch - eins ist natürlich nötig, und das steht auch in der Bibel, nämlich: „Den sollt ihr hören!“

 

 

Lk 17, 5 - 6      (15. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn ich einen Menschen fotografiere, ist er zunächst nur Objekt meines Sehens, mit dem Objektiv der Kamera eingefangen. Ich könnte auch noch eine Wärmebildkamera oder ein Infrarotkamera oder eine Nachtsichtkamera oder gar eine Filmkamera mit Ton - es blieb immer bei einem technischen Vorgang. Wenn ich einem anderen von Mensch zu Mensch begegnen will, dann muß ich ihm viel näher kommen als mit der Kamera. Ich muß wenigstens mit ihm sprechen. Und der Höhepunkt der Begegnung ist dann das Verhältnis von Mann und Frau oder von Eltern zu Kindern.

Auch beim Glauben kann man nichts abzubilden wie bei einer Kamera, sondern hier findet Begegnung statt zwischen Gott und Mensch. Es geht nicht um Gegenstände und Sachverhalte, sondern um die „Person“ Gottes. Zwar höre ich das Wort Gottes, ich schmecke Brot und Wein im Abendmahl. Aber dabei muß der Funke persönlicher Zuwendung überspringen. Gottes Wort ist nie nur eine Aussage, sondern Anrede an mich. Die Menschwerdung seines Sohnes, sein Tod und seine Auferstehung muß mitgeteilt werden. Aber die Mitteilung bleibt wirkungslos, wenn sie sich nicht unter der Hand auch in Anrede, Zuspruch, Ermutigung eingefaßt wird.

Keiner der Götter der religiösen Umwelt der Bibel erwartete von seinen Verehrern Glauben. Gott ist zum Beispiel für die Griechen dem Erkennen und Denken zugänglich, denn er ist die religiöse Tiefe der Welt. Es bedarf nicht des Glaubens, sondern der Einsicht und des Begreifens.

Ganz anders ist es in der Welt der Bibel. Glaube ist hier das wagende und vertrauende „Sich-Fest machen“ an Gott und seinen Zusagen. Aber vorher hat Gott sich dem Menschen zugewendet und ihn zu solchem Zutrauen ermutigt.

Der Mensch mit seinem naturwissenschaftlich-technischen Denken hat es nicht immer leicht, das Wesen des Glaubens zu begreifen. Naturgesetze werden nicht geglaubt, sondern erforscht, experimentell nachgewiesen und mathematisch formuliert. Die Tragfähigkeit eines Treppenaufgangs ist nicht Gegenstand des Glaubens, sondern statischer Berechnungen. Wer so zu denken gelernt hat, der hat leicht den Verdacht, er werde beim Glauben aufs Unzuverlässige verwiesen: aufs bloße Meinen, aufs Vermuten, wenn nicht gar aufs Phantastische und Gesponnene.

Der Glaube ist aber nicht ein Nicht-genau-Wissen, er ist überhaupt kein Wissen. Er bewegt sich in einer ganz anderen Welt. Er gehört ins Personale und beschreibt das Verhältnis zwischen zwei Personen. Das Vertrauen zwischen zwei Menschen beruht ja auch nicht auf Experimenten oder Messungen, sondern ist Wagnis, Zutrauen ohne Beweis, Entschluß.

Glaube kommt aus der Begegnung mit Gott. Er ist das verwegene Zutrauen zu diesem Gott, der verspricht, uns festzuhalten. Glaube heißt nicht: „etwas über Gott denken“, sondern: „etwas von Gott erwarten“. Der Glaubende glaubt nicht an das Vorhandensein Gottes, sondern an das Kommen Gottes. Er ist Gewißheit - gegen Furcht und Zweifel. Wenn einer sagt „Mit dir wag ich es!“ der nimmt den anderen als Person ernst und ehrt ihn mit seinem Vertrauen. Der Versuch eines Beweises könnte dieses spezifisch Menschliche nur kaputt machen, so wie das Heranziehen eines Detektivs schon ein Zeichen dafür ist, daß die Ehe kaputt ist.

Denken wir noch etwas über den Glauben nach unter den Stichworten: Großer Glaube, kleiner Glaube und wachsender Glaube.

 

1. Großer Glaube: Niemand wird es wagen, den eigenen Glauben einzuschätzen. Aber vom Glauben überhaupt können und müssen wir reden, denn Christ sein heißt: Glauben haben. Die Jünger bitten: „Stärke uns den Glauben!“ Sie brauchen mehr Glauben. Er ist zwar schon vorhanden, wird aber nicht als ausreichend angesehen. Und hinter der Bitte steht die Überzeugung, daß man sich den Glauben nicht selber geben kann, sondern man empfängt ihn von Jesus.

Es gibt also auch einen kleinen Glauben. Man weiß, daß Gott zur Stelle sein will, aber man traut sich nicht, es mit ihm zu wagen. Man könnte Großes vollbringen, aber das Herz ist zaghaft und fürchtet, Gott könnte sein Wort nicht halten. Auf Gottes Seite fehlt es an nichts, aber wir trauen ihm nicht genug zu.

Die „Apostel“ stehen hier stellvertretend für die ganze Kirche. Sie bitten um Mehrung des Glaubens nicht nur, weil ihr persönliches Christsein davon abhängt. Sie brauchen den großen Glauben für ihr Wirken in Kirche und Welt. Die Kirche auf ihrem Weg durch die Zeiten muß Jesus immer um Vermehrung ihres Glaubens bitten. In verschiedenen Heilungsgeschichten wird gesagt, daß die Jünger auch Menschen heilen wollten, aber sie konnten es nicht.

Immer wieder entdecken auch wir uns als die Kirche, die ihrem Gott und Herrn nichts zutraut. Als Kleingläubige können wir uns nur an den Herrn wenden mit der Bitte um Vermehrung des Glaubens. Es ist in Ordnung, daß die Jünger so bitten.

 

2. Kleiner Glaube: Daß Jesus in seiner Antwort auf das Begehren der Jünger dem Glauben eine so unwahrscheinliche Macht zuschreibt, könnte alles andere als ein Trost sein. Nur ein ganz klein wenig Glaube, und es müssen die größten Wunder geschehen. Was ist aber, wenn sie bei mir nicht geschehen?

Hier wird uns aber nicht etwas abverlangt, sondern etwas zugesprochen. Unser Glaube wird nicht mit Auflagen belastet, als müßte er bestimmte Wirkungen und Erfolge hervorbringen. „Was, du hast noch keinen Berg versetzt? Dann bist du kein Christ!“ Man könnte nicht falscher mit Jesu Wort umgehen. Das Gegenteil ist richtig.

Hier ist nicht eine auf eigenen Füßen stehende Gläubigkeit gemeint, die den Bezug auf Gott gar nicht nötig hat. Der Glaube ist nicht die auf Gott einwirkende Kraft meines eigenen Herzens, die nur genug Energie entwickeln muß, um das Gewünschte hervorzubringen. Der Glaube glaubt nicht an sich selbst, er glaubt an Gott. Der Glaube sagt nicht: „Ich traue mir das und das zu“, er sagt: „Ich traue es Gott zu!“

Deshalb kann man nicht das eigene Bekehrtsein und die am eigenen inneren Zustand abgelesene Hinwendung zu Christus zum Maßstab für den Glauben machen. Das ist ja kritisch gegenüber denen zu sagen, die allein die Erwachsenentaufe wollen. Wann bin ich denn wirklich reif, daß ich mich taufen lassen kann? Da muß ich doch selber eine Leistung erbringen. Wieviel schöner ist es doch, wenn man schon als Kind getauft wurde. Da weiß man: Man gehört dazu, man erfährt die Hinwendung Gottes, man braucht nicht selber etwas zu leisten. Der Glaube ist dann so mit dem beschäftigt, an den er glaubt, daß er sich selbst ganz darüber vergißt.

„Wenn ihr Glauben hättet so groß wie ein Senfkorn“, sagt Jesus. Das Senfkorn gilt als geradezu sprichwörtlich klein: Beim „schwarzen Senf“ gehen auf ein Gramm mehr als 700 Stück. Es war im Altertum der kleinste dem menschlichen Auge wahrnehmbare Gegenstand. Aber so ein kleiner Glaube langt. Er ist gewiß, daß er nicht enttäuscht wird, weil er sich auf Christus verlassen kann.

Es ist wie beim Beten: Wer im Namen Jesu betet, der empfängt alles, was er bittet. Aber er ist mit seinem Beten von vornherein in Jesu Willen eingebunden und empfängt von daher die Gewißheit, daß er erhört wird. In Afrika wollte einmal eine Gemeinde einen Bittgottesdienst um Regen abhalten. Der Pfarrer aber schickte die Leute wieder heim und sagte: „Keiner von euch hat einen Regenschirm mitgebracht. Was wollt ihr denn machen, wenn Gott unsre Bitte sofort erhört? Geht erst heim und holt Regenschirme. Denn nur wenn man ganz fest daran glaubt, kann etwas daraus werden!“

 

3. Wachsender Glaube: Es könnte sein, der Glaube erscheint uns jetzt als etwas geradezu Unwirkliches. Aber es besteht zwischen dem „großen“ und dem „kleinen“ Glauben ein Zusam­menhang. Es geht nicht darum, daß der Glaube sich durch eine vielfältige Erfahrung allmählich in eine andere Form von Gewißheit verwandelte. Glaube bleibt immer „ein Sichere-Schritte-Tun, obwohl kein Weg zu sehen ist, ein Hoffen, obwohl es aussichtslos ist, ein Nichtverzweifeln, obwohl es verzweifelt steht, ein Grundhaben, obwohl man ins Bodenlose tritt“.

Bei zwischenmenschlichen Beziehungen ist es nicht anders: Das Vertrauen, das zwei Menschen sich schenken, bleibt wagendes Vertrauen. Es würde auch seinen Glanz verlieren, wenn es zur langweiligen Gewohnheit entartete. Dann tritt das ein, was man mit den Worten umschreibt: „Ich liebe dich nicht mehr!“ Das ist immer die Ausrede, wenn man sich bereits einem anderen Partner zugewandt hat. Doch die Liebe kann nicht aufhören, sonst war sie von Anfang an keine Liebe gewesen. Man muß manchmal um sie kämpfen, aber sie kann nicht einfach verschwinden.

So ist es auch mit dem Glauben. Er ist ein Loslassen der menschlichen Sicherungen und ein wagendes Mitgehen mit Christus. Deshalb kann man den Glauben auch nicht demonstrieren wie in einem Zauberkunststück. In der evangelischen Akademie Arnoldshain lehrte einmal ein Dr. Ruppel, ein pensionierter Jurist, der aber auch auf dem Gebiet der Theologie etwas drauf hatte. Junge Leute haben ihn sehr verehrt, auch wenn sie später beim Theologiestudium feststellen mußten, daß er doch tief in eine nichtchristlichen Weltanschauung abgetaucht war. Zu diesem Dr. Ruppel sagte einmal einer: „Gehen Sie doch einmal morgen früh um zehn Uhr mit vor den Frankfurter Hauptbahnhof und versetzen sie diesen woandershin. Wenn man glaubt, kann man das doch“ Herr Ruppel bekräftigte: „Wenn man glaubt, kann man das. Aber wenn man es demonstrieren wollte, geht es nicht!“

Nach einer Predigt über diesen Bibeltextversuchte ein Gemeindeglied, einen Baum in seinem Garten auf diese Art zu versetzen. Am nächsten Sonntag berichtete er dem Pfarrer, daß der Baum sich nicht fortbewegt habe. Da sagte der Pfarrer natürlich: „Da haben Sie nicht genug Glauben gehabt!“ Da lachten beide, weil es ihnen natürlich klar war, daß man mit so etwas keine Späße machen kann. Jesus ist er nicht in die Welt gekommen, damit bei seinen zahlreichen Nachfolgern ein allgemeines Bäume-Ausreißen beginne. Das Wort ist wahr, auch wenn kein Baum je einen Standort verändert hat.

Bei jedem Schritt aber macht der Glaube Erfahrungen: Zwar immer neue Anfechtungen - aber auch immer neue Durchhilfen. Man macht die Erfahrung: „Es geht! Gott enttäuscht uns nicht. Von einer Gotteserfahrung zur andern kann man neuen Mut gewinnen!“ Aber mein Glaube wächst nicht, indem ich mir ein Pensum auferlege, sondern indem ich mich an Jesus halte. Er weckt den Glauben, fordert ihn heraus. Im Umgang mit ihm bekommt man Mut, sich ihm anzuvertrauen. Jesus ist der Anfänger und Vollender des Glaubens.

 

 

Lk 17, 7 - 10 (Septuagesimä):

Wer von uns käme wohl auf die Idee, einem Busfahrer oder Lokführer für seine Tätigkeit zu danken? Welcher Konfirmand würde sich wohl beim Pfarrer für den Konfirmandenunterricht bedanken? Welcher Lehrer käme wohl auf die Idee, sich bei den Schülern dafür zu bedanken, daß sie den Unterricht besuchen und die Hausaufgaben machen? Es wird als selbstverständlich angesehen, daß jeder seine Pflicht tut.

Dennoch ist jeder empfindlich, wenn seine Leistung nicht gewürdigt wird. Zu einem Dienstjubiläum erwartet man eine Aufmerksamkeit. Wenn einer in Rente geht und aus dem Betrieb ausscheidet, dann soll eine Feier gemacht werden. Eine Gemeindeschwester hat sich einmal bitter darüber beklagt, daß sie nach 30-jährigem Dienst in der Gemeinde nicht einmal zum Mitarbeiterausflug eingeladen wurde.

In unsrem Alltagsleben haben wir es gelernt, sehr genau nach unsrem Lohn und der Anerkennung zu fragen. Wir überschlagen erst einmal, ob es sich lohnt, ehe wir eine Sache anpacken. Und wenn für uns nichts dabei herausspringt, lassen wir es von vornherein sein. Aber bei Gott haben wir diese Möglichkeit nicht. Da wird uns ganz hart gesagt: Unsre Pflicht ist unendlich unser Anspruch ist gleich null und aller Lohn ist nur Gottes Geschenk.

 

Unsre Pflicht ist unendlich:

Da kommt ein Kirchenältester von einem Wochenende mit Konfirmanden heim. Es war schön, aber anstrengend. Doch der Pfarrer sagt nicht: „Sie sind müde, wir wollen erst einmal eine Tasse Kaffee trinken!“ Nein, er verlangt: „Machen Sie erst einmal die Abrechnung fier die Rüstzeit. Dann räumen Sie noch die Spiele weg und dann können Sie mir noch beim Terminplan für die nächste Woche helfen!“

Wir sagen: So etwas ist doch unmöglich, das läßt sich keiner gefallen! Aber wie mancher Mutter geht es so, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommt und noch einmal eine zweite Schicht für sie beginnt. Auch Gott verlangt von uns, daß wir unsre Arbeit nicht begrenzen. Jesus verwendet dafür den Vergleich mit einem Sklaven, der tagsüber auf dem Feld bis aufs äußerste gearbeitet hat und abends dann noch seinen Herrn bedienen muß, ehe er sich selbst zur Ruhe setzen kann. Ein Sklave war ein totales Eigentum seines Herrn, nur ein Stück seines Besitzes. Er hatte nichts zu melden und mußte seinem Herrn die Wünsche noch von den Augen ablesen. Darüber gab es keine Diskussion: Das war eben sein Los, da hatte er sich zu fügen.

Uns paßt es nicht so besonders, daß wir Gott gegenüber Sklaven sein sollen. Wir meinen, er mußte schon froh sein, wenn wir ein bestimmtes Soll erfüllt haben: Gottesdienstbesuch, Sonntagsheiligung, Kinder im Religionsunterricht und Kirchensteuer. Das können wir alles am Sonntag erledigen, da gehört es auch hin. Aber dann ist auch Feierabend, dann will man Privatmann sein und in Ruhe gelassen werden. Die Kirche kann doch froh sein, wenn ich gewissenhaft meinen Mindestpflichten nachkomme. Doch wir können nicht am Sonntagabend unser christliches Mäntelchen an den Haken hängen und sagen „:Liebe Seele, nun hast du wieder für sechs Tage Ruhe!“ Montagmorgen geht der Dienst erst wieder richtig los. Erst im Alltag zeigt sich, was der Glaube wert ist und ob wir mit ihm leben können.

Jetzt erscheint es uns maßlos schwer, zu Jesus zu gehören. Wir haben vielleicht sogar den Eindruck, wir kämen in eine solche Lage erst dadurch, daß wir Christen werden. Doch wir sind von vornherein in der Lage, Gott alles schuldig zu sein, auch wenn wir keine Christen wären. Es gibt zwischen Gott und den Menschen kein Vertragsverhältnis, in dem die Rechte und Pflichten nach beiden Seiten hin genau abgegrenzt sind. Es ist kein Handel möglich nach dem Prinzip: Gibst du mir, geb ich dir! Dann könnten wir sagen: Soweit darfst du mit deinen- Ansprächen an mich gehen, weiter aber nicht.

So dachten die Vertreter der jüdischen Gesetzlichkeit zur Zeit Jesu. Sie haben die Verpflichtungen sehr hoch angesetzt. Aber sie meinten: Wenn man sein Soll erfüllt hat, dann kann man vor Gott hintreten und ihm melden, daß man seine Pflicht getan hat. Doch Jesus sagt: Wir schulden Gott nicht nur dies und das, sondern wir schulden ihm uns selbst. In der Liebe bleibt

man immer Schuldner. Gott gegenüber sind wir nie fertig. Doch wir fragen vielleicht: Sind wir wirklich nicht mehr als Sklaven? Wenn Gott der Vater sein will, dann sollte er doch mit gutem Beispiel vorangehen! Warum hat Jesus nicht für die Befreiung der Sklaven gekämpft? Doch Jesus ging es hier nicht um die soziale Frage, das ist die Aufgabe anderer. Er nahm die Rechtsstellung des Sklaven nur als Veranschaulichungsmittel. In erster Linie geht es ihm um den Frieden zwischen Gott und den Menschen. Da muß erst alles in Ordnung sein, dann kommt auch das andere ganz von selbst in Ordnung. Und was Jesus gesagt und getan hat, das hat ja dann auch viel zur Sklavenbefreiung beigetragen.

Aber im Vordergrund steht die Aussage: Wir kommen niemals an den Punkt, wo wir sagen könnten: Jetzt hat Gott nichts mehr von mir zu fordern!  Es wird auch nicht gesagt: Nehmt es mit Gott nicht so wichtig, er verlangt ja gar nicht so viel, wie ihr denkt! Gott verlangt alles von uns - und er darf das auch! Wir sind am meisten auf ihn angewiesen, deshalb sind wir ihm auch am meisten verpflichtet.

Ihm gehört deshalb unser Denken und Reden, Wollen und Tun. Ihm gehört unsre Zeit und unsre Kraft, unsre Gaben und Fähigkeiten, auch unser Eigentum und Geld. Selbst unser Leiden gehört ihm. Der Alltag gehört Gott genauso wie der Sonntag, unser Arbeiten nicht weniger als unser Beten.

Unser Anspruch ist gleich null: Im Alltag dürfen wir unsren Lohnanspruch geltend machen. Der ungerecht Entlohnte wird sogar um sein Recht kämpfen. Und wer sich bemüht hat, sollte auch Dank erfahren. Aber vor Gott ist alles Lohn- und Verdienstdenken unangebracht. Gott könne wir nicht wie ein Taxi herbeirufen und dann mit einem „Dankeschön“ verabschieden und wieder unsre eigenen Wege gehen.

Wir gehören Gott völlig und können keine Ansprüche stellen. Anspräche wirken vielmehr zerstörend. Wenn eine Mutter Anspruch auf den Dank ihrer Kinder erhebt, zerstört sie ihr Verhältnis zu ihnen. Wer Gott gegenüber Ansprüche erhebt, fällt aus dem Verhältnis „Vater-Kind“ oder „Herr-Knecht“ heraus. Gott ist kein Arbeitgeber, und wir sind keine Tagelöhner, die mit der Auszahlung des Lohns das Dienstverhältnis beenden. Schon ein Lohnanspruch wäre absurd.

Selbst wenn wir alles getan hätten, was wir tun konnten, sind wir immer noch in der Lage des Schuldners. Gott hat immer schon die Vorleistungen erbracht und wir sind ihm gegen über immer im Rückstand. Und wer hätte schon wirklich alles getan, was er zu tun schuldig war? Auch eine außerordentliche Leistung ist nur das, was sowieso erwartet werden mußte.

Wenn ein Kind viele Einsen aus der Schule mit nach Hause bringt, so wird man es zwar loben und sich mitfreuen. Aber es kann keine Ansprüche anmelden und nun etwa eine Belohnung haben wollen und sagen: „Für jede Eins will ich fünf Mark!“ Wer Einsen erzielt hat, der hat bewiesen, daß er es konnte. Und wer es konnte, der ist auch dazu verpflichtet. Wenn die Eltern trotzdem ein Geschenk machen, dann tun sie es aus freien Stücken. Martin Luther hat am Ende eines erfüllten und segensreichen Lebens gesagt: „Wir sind Bettler, das ist wahr!“ Das war der letzte Satz, den er geschrieben hat.

 

Unser Lohn ist Gottes Geschenk:

Ein Theologe wurde bei einer schweren Krankheit einmal von einer Krankenschwester vorbildlich betreut. Seit zwanzig Jahren hatte sie nur Nachtschichten übernommen. Der Mann fragte sie, ob das nicht sehr anstrengend wäre. Da meinte sie strahlend „Jede durchwachte Nacht ergibt einen Edelstein an meiner himmlischen Krone, ich habe jetzt schon 7.175 beieinander!“ Seit der Zeit konnte er an ihre Liebe nicht glauben, denn sie meinte nicht den Patienten, sondern sie schielte heimlich nach der angeblichen himmlischen Krone.

Auch Konfirmanden könnten die Teilnahme am Unterricht und Gottesdienst als Leistung verstehen, die den Anspruch auf die Konfirmation sichert. Aber nachdem die Leistung erbracht ist, setzt man sich zur Ruhe. Und dahinter steht dann die Meinung: „Gibst du mir, geb ich dir!“ Doch so geht es sicher nicht.

Wir können Gott keine Rechnung schreiben, sondern er bezahlt unsre Schulden. Hier liegt das Evangelium in dieser Geschichte. Das Gleichnis schildert nur die Voraussetzung, seine Pointe liegt außerhalb seiner vordergründigen Aussage. Die Lohngesinnung des natürlichen Menschen muß erst abgebaut werden, damit man erkennt: Gott will nur schenken.

Wir können nur aufatmen, wenn wir von dem Denken in „Pflicht“ und „Anspruch“ erlöst sind. Wir zerreiben uns oft und werden unfrei, weil wir ja nicht gelten lassen wollen, daß wir nicht alles getan haben. Aller Krampf könnte sich lösen, wenn wir begreifen, was uns hier doch angeboten wird. Der Satz: „Ein Christ ist immer im Dienst“ ist eine fromme Übertreibung. Wir sollen uns nicht ständig selbst aufopfern, aber wir bleiben immer im Dienst unseres Herrn.

Doch das Aufgetragene ist nicht mehr als das Menschenmögliche. Wir haben auch nur eine begrenzte Verantwortung: Wir können nicht alle Weltprobleme lösen. Aber wir dürfen das Problem nicht abwälzen, das uns zu lösen aufgetragen ist. Uns wird nicht zugemutet, die Welt in Ordnung zu bringen. Aber wir sollen doch dort Ordnung schaffen, wo wir hingestellt wurden.

Gerade wenn wir nicht mehr auf Lohn spekulieren, werden wir belohnt. Da kann es dann sein, daß der Herr u n s bedient, wie es Jesus einmal bei seinen Jüngern getan hat. Gott braucht uns

nicht. Aber er bindet sich freiwillig an uns. Aus Sklaven werden wir zu Kindern, die nun ganz für Gott leben. Dieses zunächst abstoßende Gleichnis zeigt doch die verborgene Absicht Gottes. Es ist alles nur Gnade! Hier wird den Sklaven die Freiheit verkündet. Da ist es doch ganz gut, so ein Sklave zu sein, denn bei Gott haben es sogar die Sklaven gut.

 

 

Lk 17, 11 - 19 (Variante 1) (14. Sonntag mach Trinitatis):

Kleinen Kindern bringt man frühzeitig bei, daß sie immer „Dankeschön“ zu sagen haben. Sie müssen vielleicht sogar noch Händchen geben und einen Knicks machen und dann freuen sich alle und sagen: „Welch ein wohlerzogenes Kind!“ Aber wie steht es denn bei den Erwachsenen mit der Dankbarkeit? Vergessen die nicht auch manchmal den Dank, wenn sie eine Freude erfahren haben?

Viele Dinge sind uns doch so selbstverständlich geworden, daß uns gar nicht mehr der Gedanke kommt, wir könnten uns ja auch einmal dafür bedanken. Wieviel tut etwa die Mutter für die Familie?! Sie hat ihren Beruf, aber sie versorgt auch fast den ganzen Haushalt, kocht

Essen, hält die Wohnung sauber, wäscht die Kleider.

Der Vater geht auch Geldverdienen, hilft im Haushalt, repariert alles, läuft viele Wege. Und außerdem haben die Eltern noch Zeit für die Kinder, sehen nach den Hausaufgaben, spielen mit ihnen, beantworten ihre Fragen. Wenn die Eltern sich so um die Kinder kümmern, dann haben wir doch allen Grund zur Dankbarkeit.

Oder denken wir daran, daß wir alle ausreichend und gut zu essen haben. Viele Menschen aber bleiben Zeit ihres Lebens hungrig, darunter auch besonders viele Kinder. Wir aber schimpfen gleich, wenn das Brot einmal nicht so schmeckt oder wenn es abends ausverkauft ist. Sollten wir nicht schon dankbar dafür sein, daß es überhaupt Brot gibt?

Es gibt viele Dinge, bei denen man sich fragt: „Hat das denn auch etwas mit Dank zu tun? Hat das denn überhaupt etwas mit Gott zu tun?“ Viele haben einen schönen Urlaub verlebt, die Kinder haben mit Begeisterung bei einem Fest mitgemacht, wir leben mit so vielen Menschen zusammen, die uns helfen und denen wir helfen können. Daß sie zur die Schule gehen müssen, wird den Kindern vielleicht nicht so schmecken; aber daß sie dabei viel lernen können und in der Regel klüger werden als ihre Eltern, ist doch auch etwas Schönes.

Menschen haben eine große Freude erlebt und erzählten voller Dankbarkeit anderen davon: Die Mutter des Kindes, das Blinddarm hatte; das Ehepaar, das ein Kind adoptiert hat; die Frau, für die ein Mädchen einkaufte. Kinder kommen zum Kindergottesdienst, da können wir doch Gott danken, denn er hat ihnen so das Herz geöffnet hat, daß sie gerne kommen. Das sind alles Dinge, die jeder von uns jeder Tag erleben kann und die uns dankbar stimmen können.

Das wollte uns ja auch die Geschichte von den zehn aussätzigen Männern deutlich machen: Wenn wir eine Freude erlebt haben, dann sollten wir dafür danken. Aber unser Dank gilt in erster Linie Gott, der uns das alles gegeben hat. Nicht nur wenn wir gerade noch einmal am Tod vorbeigekommen sind, ist Grund zum Danken, sondern auch schon bei den ganz alltäglichen Dingen: Für die Arbeit und den Urlaub, für die Feste und die Mitmenschen.

Doch schon Jesus mußte die schmerzliche Erfahrung machen: Da kommen Menschen und suchen Hilfe in ihrer Not. Aber sie bleiben Gott den Dank schuldig. Ihm persönlich sollen sie ja gar nicht danken. Aber es ist ihm nicht gleichgültig, ob sie seinem Vater danken oder nicht. Er will ihnen ja einen Weg bahnen zu Gott. Aber die meisten bleiben auf halbem Wege stehen, nämlich bei der Hilfe aus äußerer Not.

Dabei hatten sie anfangs durchaus das getan, was Gott will: Sie haben Jesus in der Not angerufen! Aber dann gehen sie zurück in ihr altes Leben, zu ihrer Arbeit, ihrer Familie und zu den üblichen Gottesdiensten. Sie begreifen gar nicht, daß Gott nicht nur einmal im Leben mit ihnen in Berührung kommen will, sondern sie an jedem Tag begleiten will. Gott wollte durch die Heilung ihren Glauben wecken und in alle Zukunft mit ihnen in Verbindung bleiben.

Aber das geschieht nur bei dem einen, der erst noch einmal zu Jesus zurückkehrt. Nur für ihn wird die Heilung zum persönlichen Weg zu Gott, er allein ist wirklich gerettet und geheilt, weil nur e r den persönlichen Heilszuspruch Jesu hören kann.

Er sieht jetzt alles mit anderen Augen. Er weiß: Gesundheit, Erfolg und Besitz sind umsonst, wen man dadurch nicht zum Lob Gottes geführt wird. Jetzt aber lebt er als ein neuer Mensch, der ganz zu Christus gehört, auch wenn er noch in seiner alten Umgebung ist. Aber er ist reicher und glücklicher, weil er dankbar bleibt.

Im Psalm 50 heißt es: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen!“ Neun Männer wollten nur gesund werden, aber mit Gott wollten sie nichts zu tun haben (oder zumindest doch mit Jesus, der ihnen Gott bringt). Sie sahen nur das Geschenk, aber nicht den, der es ihnen gegeben hatte. Nach der Heilung ging es nicht neu los, sondern es war wieder alles beim Alten. Dadurch war letztlich alles vergeblich.

Dabei hätten sie als fromme Glieder des Gottesvolkes am ehesten verstehen müssen, was Gott hier an ihnen tat. Aber ausgerechnet der verachtete Samariter tut das Richtige. Bei dem Wort „Samariter“ sollten wir nicht gleich an den „barmherzigen Samariter“ denken, von dem Jesus uns auch erzählt. Ein Samariter war wie einer, der aus der Kirche ausgetreten ist. Aber vielleicht hat er gerade deshalb begriffen, wieviel ihm geholfen wurde, während die anderen alles als selbstverständlich hinnahmen.

Im Grunde ist aber nichts selbstverständlich und danken kann man nie genug. Die Religionslehrerin war einmal krank. Als sie wieder zum Unterricht kam, sagte ein Mädchen aus der ersten Klasse zu ihr: „Ich habe für dich gebetet, daß du wieder gesund wirst. Aber jetzt mußt du dich auch bedanken“. Kinder und Narren sagen die „Wahrheit. Und sie sind oft auch die Dankbarsten, weil sie so sehr auf die Hilfe der anderen angewiesen sind. Sie wissen oft besser als die Erwachsenen, was zu tun ist. So sind sie manchmal ein Vorbild, so wie jener Samariter den anderen ein Vorbild war.

Wie macht man das aber nun mit dem Danken? Nun, abends vor dem Einschlafen hat jeder sicher noch einige Sekunden Zeit, um der Tag noch einmal zu überdenken. Da gibt es bestimmt sehr Vieles, wofür man dankbar sein kann. Wenn man das Gott im Gebet sagt und ihn dafür lobt und preist, dann war es sicher kein verlorener Tag gewesen. Und dann kann man auch guten Gewissens für den nächsten Tag bitten, damit der auch gelingen möge.

Wer das nicht tut, wer sich von Jesus helfen läßt, aber dann ohne ihn weiterlebt, der enttäuscht ihn bitter. Er hilft mit dazu, daß das Leiden Jesu auch heute noch weitergeht. Die gute Nachricht der Bibel aber lautet für uns: „Jesus wartet auch heute 'noch auf uns, daß wir uns bei ihm bedanken und Gott damit loben!“

 

 

Lk 17, 11 – 19 (14. Sonntag nach. Trinitatis, Variante 2):

Kleinen Kindern bringt man frühzeitig bei, daß sie „Dankeschön“ zu sagen haben. Sie mußten früher sogar noch Händchen geben und einen Knicks machen und alle freuten sich über das wohlerzogene Kind. Aber vergessen wir selber nicht viel zu oft das Danken? Viele Dinge sind uns so selbstverständlich geworden, daß uns gar nicht mehr der Gedanke kommt, uns dafür zu bedanken.

Wir haben doch zum Beispiel regelmäßig unser Essen. Aber ist das wirklich so selbstverständlich? Wie schnell wird über das Essen in der Kantine, in der Mensa oder im Krankhaus geschimpft. Es kann nicht jeden Tag die Lieblingsspeise geben. Und zu Hause ist das Essen auch nicht besser. Man hat eher den Eindruck, die zu Hause nicht so gutes Essen bekommen, die maulen bei der Gemeinschaftsverpflegung am meisten. Aber allein die Tatsache, daß es überhaupt Brot gibt, ist doch schon Grund zur Dankbarkeit.

Die Geschichte vom dankbaren Samariter macht uns deutlich: Nach der Bitte folgt der Dank, hinter der Gabe steht ein Geber und es geht nicht um Glück, sondern um Heil.

 

(1.) Nach der Bitte folgt der Dank: Schon Jesus mußte die schmerzliche Erfahrung machen: Die meisten, die in der Not seine Hilfe suchten, bleiben seinem Vater den Dank schuldig. Jesus will nicht, daß sie ihm persönlich danken, denn er ist nur gekommen, um die Ehre Gottes groß zu machen. Und so lobt der Geheilte auch Gott, als er Jesus seinen Dank ausspricht. Aber auch für Jesus ist es nicht gleichgültig, ob die Menschen seinen Vater loben oder nicht.

Doch wir sind halt alle so: Die Wohltaten Gottes lassen wir uns gern gefallen und nehmen sie im Grunde vielleicht als unser gutes Recht hin. Erst wenn uns wieder etwas fehlt, dann denken wir wieder an ihn.

Besonders in Kriegs- und Notzeiten betete mancher wieder zu Gott und machte Versprechungen. Da gelobt einer in der Kriegsgefangenschaft: „Wenn ich wieder heimkomme, dann will ich mich auch treu zur Kirche halten“. Aber dann ist er ein vielbeschäftigter Handwerker, der nicht einmal Zeit hat für ein Gespräch. Zum Gottesdienst kommt er nie und es kann keine Rede davon sein, daß er sonst einmal etwas für die Gemeinde tun würde.

Viele Menschen sehen Gott wie einen Automaten an: Wenn das Gewünschte da ist, geht man weg und kümmert sich nicht weiter um den Automaten. Und wenn der Automat einmal versagt, dann geht man zum nächsten. Bei Gott gegenüber können wir nicht dummdreist denken: Er ist ja zur Wohltat verpflichtet, pünktlich und pausenlos, dazu ist er ja der „liebe Gott“. Es ist gut, wenn wir vergangene Gefahren und Ängste vergessen können. Aber es ist nicht gut, wenn wir das wiedererlangte Glück hinnehmen, als müßte das so sein.

Die Religionslehrerin war einmal krank. Als sie wieder zum Unterricht kam, sagte ein Mädchen aus der ersten Klasse nach der Stunde zu ihr: „Ich habe für dich gebetet, daß du wieder gesund wirst. Aber jetzt mußt du dich auch bedanken!“ Kinder und Narren sagen die Wahrheit. Aber sie sind oft auch die Dankbarsten, weil sie sehr stark auf die Hilfe der anderen angewiesen sind. Kinder wissen oft besser als wir, was zu tun ist. Sie sind uns manchmal ein Vorbild, so wie dieser samaritanische Fremdling den anderen ein Vorbild ist.

Die Neun haben anfangs durchaus getan, was Gott will: Sie haben ihn und seinen Christus in der Not angerufen. In dem Augenblick, als sie sich zu den Priestern aufmachten, waren sie Musterbilder des Glaubens. Gott will, daß man ihn gerade anruft, wenn man ganz unten ist, und der Hilfeschrei der Kranken ist durchaus keine niedere Stufe des Gebets.

Aber in Psalm 50 heißt es: „Opfere Gott Dank und bezahle dem Höchsten deine Gelübde und rufe • mich an in der Not, so will ich dich erretten, so sollst du mich preisen!“ Bitten und Danken gehören zusammen. Dankbarkeit ist nicht nur eine menschliche Tugend, sondern sie gibt zu erkennen: „Ich habe dich verstanden, im Dank weiß ich mich dir verbunden. Mir ist deine Liebe nicht selbstverständlich. Du hättest nicht gemußt, aber du wolltest!“

 

(2.) Hinter Gabe steht der Geber: Der Samariter bezeugt durch seine Dankbarkeit seine Verbundenheit mit Jesus. Die neun Undankbaren aber haben Gott nur als Mittel für ihre eigenen Zwecke mißbraucht. Sie wollten nur gesund werden, aber mit Gott haben sie nichts zu tun haben wollen, sie sahen nur die Gaben und nicht den Geber. Daß man aber Gott, den Geber aller Gaben, erkennt, das war doch die Absicht bei der ganzen Heilung!

Die jüdischen Gelehrten sagten, daß Aussatz nicht nur eine übliche Krankheit sei, sondern auch ein Zeichen dafür, daß man von Gott verworfen ist. Insofern hat das gleiche Schicksal die Juden und Samariter verbunden. Jetzt aber sieht Jesus nur die Menschen und ihren Jammer, er fragt nicht nach Nationalität, sondern er nimmt sie unterschiedslos an und wird ihnen zum Helfer. Aber die Jesus am nächsten sein müßten, weisen ihn ab. Sie wollen zwar gesund sein, aber mit Jesus wollen sie nichts zu tun haben. Die aber an sich weit weg sind, nehmen ihn an. Auch die Fernstehenden haben also eine Chance.

Auch die anderen haben sicher gedankt. Zur Reinigungsprozedur gehörte der Dank im Rahmen eines Gottesdienstes. Solche festen Formen des frommen Lebens sind sicher hilfreich. Aber dadurch haben sie nicht erkannt, daß Gott sich in Jesus offenbart. Jesus ist nicht nur ein Wunderheiler, sondern er redet und handelt zugleich als Gott. Der Samariter geht nicht nur in den Tempel, sondern er kehrt zurück zu Jesus, in dem er seinen Gott und Herrn entdeckt hat.

Gottlos waren die anderen deshalb nicht, er wird in ihrem Leben schon eine Rolle gespielt haben, die einer gewissen Normal-Frömmigkeit entspricht. Aber Jesus war für sie nur interessant um seiner Gaben willen, aber als Geber interessiert er nicht.

Man wird den Geheilten das neu gewonnene Leben gönnen. Aber sie dürfen nicht vergessen, wem sie es verdanken. Bei ihnen ist die Erhörung des Hilferufs letztlich vergeblich gewesen. Nur der Samariter vergißt nicht hinter der Gabe den Geber. Gerettet ist nur der eine, weil er glaubt. Und Glaube ist ein persönliches Verhältnis zu Christus.

 

(3.) Es geht nicht um das Glück, sondern um das Heil: Es war den Kranken sicher nicht leicht, allein auf das Wort Jesu hin zu den Priestern zu gehen, die ihre Heilung feststellen mußten. Damit waren sie an sich auf dem richtigen Weg. Aber neun von ihnen haben wohl kaum dauernden Segen aus dieser Heilung empfangen. Sie haben nicht gemerkt, daß Gott ihnen immer und auf alle Art helfen will und daß diese Heilung nur ein Anfang sein sollte. Sie haben nur die Heilung empfangen, und dann war wieder alles beim Alten.

Die Neun sind nur gesund und nur glücklich und sind wieder zurück bei ihren Familien. Jesus freut sich mit ihnen darüber, die Geheilten werden nicht für ihre Undankbarkeit bestraft. Aber er fragt doch, wo sie geblieben sind, nicht vorwurfsvoll, sondern aus Sorge. Warum haben sie das viel größere Angebot Jesu nicht erkannt, warum lassen sie ihn so gleichgültig außen vor?

Gesund geworden sind alle zehn, aber gerettet ist nur einer. Nur einer kann hören: „Dein Glaube hat dich gerettet!“ Mit der leiblichen Hilfe hat er zugleich geistlichen Segen erhalten und dadurch etwas gelernt über Gott und über sich selbst.

Dieser ist ausgerechnet ein Samariter. Dazu muß man wissen: Dieses Volk hatte an sich den gleichen Ursprung wie die Juden, aber sie hatten sich angeblich mit Heiden vermischt und sind dann nicht mehr zum Tempel in Jerusalem zugelassen worden, so daß sie sich ein eigenes Heiligtum schufen. Deshalb wurden sie von den Juden als Ungläubige angesehen. „Samariter“ war ein Schmähwort. Aber in dieser Geschichte wird deutlich gemacht: Auch die Samariter haben das Wort Gottes angenommen, auch die ehemaligen Juden müssen sie jetzt als Gläubige anerkennen, ja, sie können sogar ein Vorbild sein.

Es ist auch heute gut, wenn der Glaube über die Kirchenmauern hinaus dringt, mit denen wir uns oft umgeben. So ein Gottesdienst im Kirchweihzelt lockt doch einmal Leute an, die man sonst in der Kirche nicht sieht. Dafür muß man dann wohl auch in Kauf nehmen, daß am Rande mit Geschirr geklappert wird, daß Leute sich unterhalten oder sogar rauchen. Jesus Christus will wirklich allen helfen und alle mit sich verbinden. Aber dabei ist immer deutlich zu machen: Es geht nicht um das Vergnügen und auch nicht allein um das Glück, sondern um das Heil Gottes.

Für die Neun scheint auch alles heil zu sein. Aber die Frage aller Fragen haben sie übersehen. Auch der größte Wohlstand und die beste Gesundheit macht die Normalisierung unsers Verhältnisses zu Gott nicht überflüssig.

Gott kann in unserm Leben nicht bloß eine entbehrliche Zutat sein. Er ist der, an dem sich zuletzt alles entscheidet. Wenn ich als Mensch meiner Bestimmung entsprechend leben will, dann muß ich im rechten Verhältnis zu Gott stehen.

Wenn wir das richtige Bitten lernen wollen, dann müssen wir vier Dinge beachten: Zum Gebet gehören Dank, Bitte, Fürbitte und Lobpreis. Wenn wir einmal einen Tag so überdenken, dann fällt uns bestimmt vieles ein, wofür wir dankbar sein dürfen. Aber wir haben auch sicher Bitten; daß wir einmal wunschlos glücklich wären, das gibt es doch gar nicht. Doch wir sollten dabei nicht vergessen, auch für a n d e r e zu bitten. Und schließlich sollten wir Gott loben und preisen, der uns das alles geben kann und uns so vieles gibt.

Das Danken ist eine feine Kunst. Aber sie sollte beständig geübt werden. Es gibt so vieles, was uns erfreut und dankbar macht, auch und gerade die Kleinigkeiten: das schöne Wetter, ein lieber Brief, eine kleine Aufmerksamkeit, Hilfe in Gefahr.

Ein alter Mann holte, wenn es auf Danken zu sprechen kam, eine vernickelte Taschenuhr aus der Schublade. Die Zeiger waren abgebrochen, die Uhr war schon viele Jahre kaputt. Aber er hatte sie aufbewahrt, weil sie ihm als Soldat im Ersten Weltkrieg das Leben gerettet hatte. Ganz deutlich war auf der Rückseite der Eindruck einer abgeprallten Gewehrkugel zu sehen. Der Mann sagte: „Es gibt immer beide Möglichkeiten: Glück gehabt oder Gott sei Dank! Ich habe mein Leben lang nicht vergessen, wieviel Dank ich Gott schulde!“

 

 

Lukas 17, 20 -30 (Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres):

Das neue Jahrtausend hatte kaum begonnen, da ereignete sich ein großes Unheil. Am 11. September 2001 wurden zwei Verkehrsflugzeuge in die Türme des Welthandelszentrums in New York gelenkt. Nach der ersten Meldung im Radio schaltete man den Fernsehapparat an. Zunächst dachten viele an einen Unglücksfall. Dann flog das zweite Flugzeug heran. Immer noch konnte man denken: Es wird an dem zweiten Turm vorbeifliegen! Aber es kam auf der anderen Seite nicht wieder hervor, es war auch in den Turm gekracht. Über 3.000 Menschen kamen damals um. Für sie war dieser Herbsttag der letzte in ihrem Leben.

Dieses Ereignis hat das ganze Jahrzehnt bestimmt, es wird vielleicht das ganze Jahrhundert bestimmen. Es war damals eine Zeit des Aufschwungs und des Optimismus. Der große Ost- West-Gegensatz war überwunden, die Technik brachte immer neu Wundertaten hervor, vielen

Menschen ging es gut. Und auch wenn schon die ersten Schwierigkeiten der Wirtschaft zu

sehen waren, so dachte man doch: „Das ist eine Krise wie viele andere, sie wird schon wieder zurückgehen!“ Aber von einer Stunde zur anderen war dieser Optimismus dahin, so wie nach dem Erdbeben von Lissabon im Jahre 1795 oder nach dem Abwurf der Atombomben im Jahre 1945.

Solche Wendepunkte warfen auch immer wieder die Frage auf: „Kommt jetzt das Ende der Welt?“ Jesus läßt sich aber nicht auf eine Datumsangabe ein, denn er will die Menschen weder beruhigen noch ängstigen. Hätte er gesagt: „In hundert Jahren!“, dann hieße das: „Gar nicht, denn dann lebe ich nicht mehr!“ Hätte er gesagt: „Nächstes Jahr!“ dann hätte ich ja noch ein bißchen Zeit. Hätte er gesagt: „Morgen schon!“ dann wäre die Reaktion: „Nun ist sowieso alles zu spät!“

Jesus bezieht sich in seiner Antwort auf die Frage nach dem Ende der Welt auf die biblischen

Geschichten von der großen Wasserflut zur Zeit des Noah und von dem Feuerregen auf die Stadt Sodom. Die Menschen dieser Zeit haben nicht mit dem Kommen Gottes gerechnet. Ihr Leben verlief ganz normal mit Essen und Trinken, Lieben und Arbeiten, Kaufen und Verkaufen. Aber ihr Verhängnis war, daß sie meinten, ihr Leben könne und werde immer ungestört so weiter gehen.

Auch unser Leben geht seinen Gang. Wir leben mit dem Wissen um eine mögliche Katastrophe. An beängstigenden Meldungen fehlt es nicht, auch nicht an Warnungen, Beschwichtigungen und Prognosen. Aber wie sollen wir mit all dem umgehen? Die Optimisten sagen: „Es wird schon nicht so schlimm kommen. Wir brauchen nichts zu ändern!“ Die Pessimisten sagen: „Das Unglück kommt unaufhaltsam. Wir können nichts ändern!“ Und das heißt in beiden Fällen: „Wir müssen uns nicht ändern!“

Die christliche Hoffnung hat so den Beigeschmack des Utopischen. Leicht könnte man auch durch die Beschäftigung mit der Zukunft die Pflichten von heute verpassen. Sollten wir nicht endlich lernen, daß das Reich Gottes sich jetzt und hier verwirklichen will? Jesus sagt hier da schwergewichtigen Satz: „Das Reich Gottes ist mitten unter euch!“. Damit will er nicht sagen, daß das Reich in der Innerlichkeit des Menschen ist, nur in seinem Herzen und in seinen Vorstellungen.

Er will sagen: „Es ist in eurer Mitte. Ihr wollt wissen, wann das Reich Gottes kommt, dabei steht der doch mitten unter ihnen, der es euch bringt!“ Man könnte die Fragenden mit einem Mann vergleichen, der am Fenster steht und mit dem Fernglas die Straße entlang blickt, weil er Besuch erwartet und ihn schon in der Ferne entdecken will. Aber der Gast ist auf einem anderen Weg gekommen, leise ins Zimmer getreten und legt ihm gerade die Hand auf die

Schulter.

Sind wir nicht auch oft wie der Mensch mit dem Fernglas? Wie oft diskutieren wir über Gott und sein Reich, als sei es fern. Dabei hat es mitten unter uns längst begonnen, so wie Jesus es versprochen hat. Jesus selbst ist das Reich Gottes, er als Person, in seinem Wort und in seinem Sakrament, in Taufe und Abendmahl.

Dennoch fragen auch wir: „Wo sieht man denn etwas von diesem Reich in unserer Welt?“ Gottes Regieren bleibt uns oft im Dunkeln. Wir empfinden eine Gerechtigkeitslücke in der Welt, an der die weltlichen Herrscher nichts ändern können oder wollen. Manche Politiker versuchen ja, die irdischen Verhältnisse neu zu ordnen. Aber das wird nicht zum Reich Gottes führen. Und auch als Kirche sind wir zerspalten und kraftlos und allzumenschlich in unserm Verhalten. Christi Wirken vollzieht sich in tiefer Niedrigkeit und Schwachheit, Glaube glaubt

gegen allen Augenschein.

Die Unsicherheit, mit der wir persönlich leben müssen, liegt auch über der Zukunft der Menschheit. Vor einigen Jahren war es noch die beispiellose Rüstung, die Angst machte. Heute ist es eher die ungeheure Belastung der Umwelt und der Kampf um die Rohstoffe, die ungerechte Verteilung der Güter dieser Erde, weltweit gesehen, aber auch innerhalb des jeweiligen Staates. Dazu kommen noch weltanschauliche und religiöse Gegensätze, die das Leben vergiften.

Auch in früheren Zeiten gab es ähnliche Ängste, Gerüchte, Warnungen, Befürchtungen. Seit jeher war es auch die Sehnsucht der Menschen, in die Zukunft schauen zu können. Wenn das möglich wäre, könnten wir doch ganz anders planen und könnten die Unsicherheitsfaktoren aus unserm Leben streichen.

Zur Zeit Jesu bewegte viele Menschen die Angst vor einer Katastrophe, die das Ende der Welt bedeuten würde. Viele Juden hoffen aber auch, daß der Messias kommen und ein Gottesreich errichten werde, wie es die Propheten angekündigt hatten. Viel diskutiert wurde die Frage, ob Menschen diese Ereignisse beeinflussen können oder ob ein seit Urzeiten feststehender Plan ablaufe. Und es fehlte nicht an Spekulationen, wann und wo und wie sich die letzten Ereignisse abspielen werden.

Auch heute gibt es Gruppen, die ganz genau wissen wollen, wann der Herr zum letzten Mal und für immer kommen wird. Sie wollen dann eine ideale Gemeinschaft gründen und sagen: „Wir haben es. Kommt zu uns. Wir sind die einzig Geretteten am Tag des Gerichts!“. Jesus aber sagt: „Geht nicht hin! Folgt ihnen nicht! Glaubt denen nicht, die mit Zeiten und Ortsangaben aufwarten! Wenn das Reich Gottes kommt, wenn der Menschensohn aus seiner Verborgenheit heraustreten wird, werden alle überrascht sein und nicht vorbereitet. Die Bibel ist kein göttlicher Terminkalender, denn Gottes Pläne mit unserer Welt entziehen sich menschlicher Einsicht!“

Doch wir müssen auch ganz nüchtern sehen: Unser Welt mit ihren Schönheiten und Freuden, mit ihren Sorgen und Leiden, wird nicht ewig bestehen. Sie wird einmal den Kältetod oder den Wärmetod erleiden, wenn sie nicht schon vorher zerstört wird. Es kann auch sein, daß die Menschen schon vorher aussterben, so wie viele Tier- und Pflanzenarten schon ausgestorben sind.

Noch näher rückt uns diese Grenze, wenn wir auf nasser Straße gerade noch einmal um einen Unfall herumgekommen sind, wenn eine Krankheit die Ärzte zu höchstem Einsatz ihres Wissens und Könnens veranlaßt, wenn wir uns Gedanken darüber machen, vor welchen Problemen die Generation unserer Enkel einmal stehen wird.

Doch näher liegt uns eine Haltung wie bei den Zeitgenossen Noahs, näher als wir uns eingestehen. Unser Alltag verläuft routinemäßig, Unser Denken bewegt sich im Bereich des Weltlichen, wir haben Wünsche, treiben Vorsorge. Aber in unserer praktischen Lebenshaltung kalkulieren wir den großen unbekannten Tag Jesu nicht ein. Daß er aber eintritt, das ist gewiß. Das bedeutet dann aber auch, daß es einmal ein „Wann“ geben wird. Das heißt aber: „Daß wir immer von dieser Grenze her zu leben haben!“

Und vor allem wissen wir, daß unser persönliches Leben einmal auf alle Fälle enden wird. Doch dieses Wissen um die Grenze macht uns nicht traurig oder mutlos und dadurch auch tatenlos. Wir wissen ja: Da kommt einer auf uns zu, es ist nicht aus, sondern wir werden es auf neue Weise mit Gott zu tun bekommen.

Unsere Welt muß der neuen Welt Platz machen. Aber dieser Blick in die Zukunft braucht uns nicht zu ängstigen. Jesus reiht sich weder unter die Optimisten noch unter die Pessimisten ein. Er hat eine andere, eigene Botschaft: „Tut Buße. denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ Ihr müßt euch ändern - nicht aus Angst vor der Katastrophe, sondern in Erwartung des Gottesreiches.

Es ist ja Jesus, der uns unmittelbar nahekommt, so nahe, wie er es noch nie war. Wir können uns auf ihn freuen, wie man sich auf einen lange vermißten Menschen freut. Diese Vorfreude der Begegnung gibt Schwung und bewirkt Wachheit. Der Blick auf das Ende lähmt nicht, sondern macht uns aktiv in der Zeit, die uns bleibt.

Martin Luther soll gesagt haben: „Und wenn ich wüßte, daß morgen die Welt unterginge, dann würde ich doch heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen!“ Wir müssen auf das Reich

Gottes warten. Aber wir sollten nicht darüber versäumen, was wir zwischen Ostern und dem

Jüngsten Tag machen können.

Im Vaterunser beten wir: „Dein Reich komme!“ Wir erbitten damit beides: „Gott, dein Reich möge doch aus seiner Verborgenheit heraustreten und im Weltgeschehen beherrschend werden, sichtbar für jeden und jeden einbeziehend!“ Und wir erbitten damit auch: „Himmlischer Vater, mach uns bereit, dein Reich in seiner verborgenen Gestalt zu erkennen und anzunehmen, uns ihm zu unterstellen und uns zu ändern, wie es deine nahe Gottesherrschaft von uns verlangt!“

Ob wir den Tag Jesu einkalkulieren oder nicht, wir werden ihn erleben. Damals stand Jesus noch sichtbar mitten unter den Menschen. Dann kam die Zeit des Wartens ohne seine leibliche Gegenwart. An seinem großen Tag wird er aber wieder sichtbar werden. Vor allem wir er

plötzlich in unserer Mitte sein. Er wird nicht mehr unerkannt zwischen den Menschen stehen,

die durch die Hülle seiner Niedrigkeit nicht hindurchzusehen vermochten.

Den Tag des Herrn verschläft keiner. Anders als damals in Bethlehem kommt Christus wie ein Blitz aus heiterem Himmel, verbunden mit Donner und Krachen. Auf einmal wird alles erhellt, ist alles klar. Aber wir brauchen keine Angst zu haben vor dem Morgen, sondern wir können vertrauen auf eine Zukunft mit Christus. Dies kann uns Halt geben in der Stunde des Todes, mit der für jeden der jüngste Tag beginnt.

 

 

Lk 18, 1 - 8 (Drittletzter Sonntag im Kirchenjahr):

Beten das ist doch nur etwas für Leute, die nicht fertigwerden mit ihrem Schicksal. Selbst wenn Gott alle Bitten der Menschen hören sollte, so tut er ja doch das, was er will. Das haben wir ja im Krieg gesehen, als viele Frauen darum gebetet haben, daß ihr Mann wieder kommt. Aber andere sind wiedergekommen, die nur gelacht hätten, wenn jemand für sie gebetet hätte.

Wer so denkt, hat Gott noch nicht begriffen.

Es klingt unter Umständen ja ganz fromm, wenn man so redet: Es kommt ja doch, wie es kommen muß. Wir selber haben darauf doch gar keiner Einfluß. Alles ruht doch in Gottes Hand. Er allein überwindet das Böse und setzt seine Herrschaft in der Welt durch. Aber das kommt alles von alleine. Wir können den allmächtigen Gott nicht beeinflussen. Wir können uns nur im Gebet seinem Willen beugen.

So denken und sagen wir doch oft. Aber in Wirklichkeit lassen wir uns nur von solchen Gedanken lähmen. Da steckt der Teufel dahinter, der nur vom Gebet zu Gott abhalten will. Jesus hat es uns anders gelehrt. Das zeigt dieses Gleichnis.

Da ist eine Witwe, von jeher der Inbegriff der Schutzlosigkeit. Wer macht sich schon für sie stark? Und an welchen Richter gerät sie?! Er will nichts vor Gott wissen und es fehlt ihm die Gewissensbindung. Er weiß nicht, daß auch er einmal vor dem himmlischen Richter stehen wird und dann einmal für seine Rechtsprechung auf Erden wird Rechenschaft ablegen müssen. Er läßt den lieben Gott einen frommen Mann sein. Und was die Menschen von ihm reden, das läßt ihn völlig kalt.

Und doch weiß die Witwe: Es kann mir niemand helfen als dieser eine alte Mann. Deshalb setzt sie alles auf eine Karte. Sie hat nur eine einzige Waffe, das ist ihre Zähigkeit. Es ist sinnlos, an das Rechtsgefühl dieses Mannes zu appellieren. Aber man kann ihm auf die Nerven fallen. So wird sie ihm lästig. Er will sie wieder loswerden. Er hat Angst, daß sie ihm am Ende noch gar ein blaues Auge schlägt. Da hilft er ihr zu ihrem Recht.

Die Moral von der Geschicht' wäre dann also: Auch im ungünstigsten Fall kann man noch sein Recht finden, wenn man nur entsprechend beharrlich ist. Selbst Gott gegenrüber kommt man mit Unverschämtheit ans Ziel. Jesus aber will uns durch dieses Gleichnis noch mehr deutlich machen. Gott ist anders, als wir zunächst denken.

Gott ist ja ganz anders als dieser Richter. Gott müssen wir ja nicht mit Gewalt willig machen. Ihm liegt ja vielmehr daran, von uns angesprochen zu werden. Wir sind bei Gott jederzeit willkommen. Aber er will eben drum gebeten sein.

Wenn Kinder etwas von ihren Eltern wollen, dann müssen sie auch darum bitten. Wenn ein Kind abends heimkommt und brüllt: „Hab Hunger!“ dann werden die Eltern noch lange nicht reagieren. Sie wissen zwar genau, was das Kind will. Aber es soll höflich und freundlich darum bitten, sonst kriegt es eben nichts. Denn eine solche Hilfe ist nicht selbstverständlich. Nur wenn man vorher „bitte“ sagen muß, wird man hinterher das „danke“ nicht so leicht vergessen.

Das Gebet ist kein Automat, wo nur oben das Geld hineinwerfen muß und unten kommt prompt die gewünschte Ware heraus. Es ist euch nicht wie bei einem Feuermelder, wo man nur aufs Knöpfchen drückt und dann kommt die Feuerwehr auf dem schnellsten Weg. Zum Beten gehört Demut und Ausdauer. Die Mutter des Kirchenvaters Augustin hat 16 Jahre lang jeden Tag um die Bekehrung ihres Sohnes gebetet. Aber er wollte von der Kirche und dem Glauben seiner Mutter nichts wissen. Bis es ihn dann eines Tages packte. An Ostern des Jahres 387 wurde er als einer der berühmtesten Männer seiner Zeit getauft. Nun stellte er seine Fähigkeiten in den Dienst der Kirche und wurde ein bedeutender Lehrer der Kirche.

Wir können also nicht sagen: „Beten hat ja doch keinen Zweck!“ Das Gebet ist kein psychologischer Trick, um mit unseren inneren Schwierigkeiten fertig zu werden. Es soll nicht dazu führen, daß wir uns schließlich doch in unser Schicksal ergeben. Es will vielmehr Gott ganz entschieden bewegen, etwas zu tun, was er sonst nicht tun würde.

Dazu müssen wir unsre Wünsche aber erst einmal mitteilen. Gott weiß dann schon, was wir wirklich nötig haben und was gut für uns ist. Sagen dürfen wir ihm erst einmal alles, auch wenn uns der Wunsch zu klein oder zu groß vorkommt. Erst danach ziehen wir den Schlußstrich und sagen: „Dein Wille geschehe!“

Bei Gott brauchen wir nur offene Türen einzurennen. Der Richter im Gleichnis hilft nur ungern, aber er hilft. Wie viel mehr wird da Gott helfen, der doch helfen w i 1 1 ! Wenn wir Gott in den Ohren liegen, dann nehmen wir ihn ernst und vertrauen seinen Versprechungen. Gott hört genauer und liebevoller zu, als ein Mensch das könnte. Wir brauchen ihn nicht umzustimmen oder müde zu beten. Er wird schon beistehen, weil er uns liebt.

Wir sind ja in einer ganz anderen Lage als die Witwe. Sie ist ohne Recht und muß gegen einen ekelhaften Richter ankämpfen. Wir aber gehören zu den „Auserwählten Gottes“. Und Gott ist von vornherein geneigt, sich seiner Erwählten, anzunehmen. Gewiß sollte uns das nicht stolz und eingebildet machen.

Auf das Gleichnis folgt gleich die Geschichte vom Pharisäer zu Zöllner. Wir haben kein Recht, uns auf unsre Erwählung etwas einzubilden wie der Pharisäer. Wir sind eher wie die Witwe und der Zöllner: Wir haben nichts als das Gebet. Aber beten dürfen wir, das ist unsere Erwählung.

Durch das Gebet haben wir eine Leitung, durch die all unsere Fragen und Zweifel, unsere Mutlosigkeiten und Kraftmängel zu Gott gelangen können. Andererseits kommt uns auf diesem Weg die ganze Kraft Gottes entgegen. Wir müssen diese Leitung offenhalten durch unser Gebet. Sonst wird der Kraftstrom unterbrochen und die Fragen und Zweifel häufen sich zu einem Berg, über den wir nicht mehr hinwegkommen.

Deshalb Lukas recht, wenn er gleich im ersten Vers mahnt: „Laßt nicht nach! Betet ohne Unterlaß!“ Das Gleichnis selber spricht ja davon, daß Gott auf Gebete hört und daß wir Chancen bei Gott haben. Daß Gott sich auch Zeit lassen könnte mit der Erfüllung unserer Bitten, das ist im Gleichnis nicht im Blick. Lukas spricht offenbar in eine andere

Situation hinein. Er hat eine Gemeinde vor sich, die immer wieder bittet: „Dein Reich komme!“ Das sprechen wir zwar auch immer wieder mit dem Vaterunser. Aber so ernst wie die Christen der ersten und zweiten Generation der Christen nehmen wir das ja wohl nicht mehr. Die rechneten fest damit, daß das Reich Gottes noch zu ihren Lebzeiten kommen werde. Diese Gemeinde ist offenbar in einer Bedrängnis und Anfechtung.

Das zeigen auch die letzten Verse, in denen es heißt: „Gott wird seinen Auserwählten ihr Recht schaffen in Kürze!“ Hier geht es nicht mehr darum, daß Gott in dieser oder jener Einzelheit hilft. Hier geht es vielmehr um eine Gemeinde, die nicht mehr ein noch aus weiß. Sie hat nahezu alle gegen sich: die verschiedenen jüdischen Gruppen, die Führer des Volkes, die ausländische Besetzungsmacht, die von den Christen fordert, sie sollten den Kaiser wie einen Gott verehren. Hier kann nur noch die große endzeitliche Wende der Dinge helfen. Gott muß sein Reich herbeiführen, sonst sind seine Auserwählten verloren. Sie sind verzweifelt und fragen sich, weshalb Gott nicht endlich eingreift und sie immer noch leiden läßt.

Natürlich gibt es auch Zeiten, wo die Gemeinde durchaus ein ruhiges Leben führen konnte. Aber ihre Glieder mußten immer auch durch Krankheit, Nöte und Anfeindungen hindurch. Es wird gehöhnt: Wo ist euer Gott? Ihr seid doch nur ein aussterbender Rest, die letzten Dummen!

Erkennen wir uns in dieser Gemeinde wieder? Wir stehen ja am Schluß des Kirchenjahres und richten unseren Blick auf die Endzeit. Wir sehen nicht nur die persönlichen Nöte, sondern auch die vielen vielfältigen Bedürfnisse der Welt: Frieden, die Stillung des Hungers, Gerechtigkeit für alle Menschen. Wann wird Gott dem allen ein Ende bereiten? Deuten nicht alle Anzeichen darauf hin, daß es bald so weit sein muß?

Wir sehen auch, wie man die Kirche an den Rand drücken will. Man will ihr das von Gott verliehene Recht streitig machen. Sie ist ohnmächtig und schutzlos. Die Mächte der Welt wollen sie vor ihren Karren spannen. Ihre Verkündigung ist wirkungslos, ihre Botschaft unbeweisbar. Ja, wir sind eine Gemeinde, die verachtet und getreten wird von der Welt.

Aber wir haben eine Waffe, die uns helfen kann, nämlich das Gebet zu Gott. Wir sind eine leidende Kirche, aber auch eine siegende Kirche.

Das können wir von der frühen christlichen Kirche lernen. Sie hat das Gleichnis Jesu ergänzt durch das Bekenntnis: Gott erhört auch die Gebete unserer Zeit. Er ist nicht untätig, sondern er wird schon seine Herrlichkeit offenbaren.

Beten ist also nicht nur eine Privatsache. Wenn wir beten, dann gehören die Probleme der Welt und der Kirche mit in das Gebet hinein. Das tägliche Gebetsläuten will uns ja daran erinnern, daß andere mit uns beten. Die ganze Kirche betet zu Gott. Und unser persönliches Gebet ist damit hineingenommen. Unser privates Gebet wird denn überdeckt von der Bitte: „Dein Reich komme!“ Für Gott ist der Zeitraum bis dahin nur unbedeutend kurz. Wir aber dürfen die Gewißheit haben: Die Herren der Welt gehen, aber unser Herr kommt! Glauben wir das auch wirklich?

Ein späterer Leser hat an das Gleichnis noch die Frage angefügt: Wird der Menschensohn, wenn er kommt, Glauben finden auf Erden? Wir fragen immer: „Wo ist denn ein Gott, der mich hört?“ Aber Gott fragt seinerseits: „Wo ist denn ein Mensch, der mich bittet?“ Gott wartet seinerseits besorgt auf uns! Würde er Glauben bei uns finden, wenn er heute käme? Bei Gott stehen die Türen offen. Die Frage ist, ob er Zugang bei u n s findet. An Gott scheitert unser Heil nicht. Aber es könnte an uns scheitern. Wenn Gott also noch zögert, dann ist das die Möglichkeit für uns, noch alles recht vorzubereiten. Wenn es noch an Glauben fehlt, dann hilft nur Beten. Das Gebet ist die Leitung, die zu Gott und zum Glauben führt. Wenn wir es üben, werden wir das erfahren, wie es in einem Lied heißt: „Gott weiß, daß du kommst. Er ist gerade ein Gebet weit entfernt!“

 

 

Lk 18, 9 – 14 (11. Sonntag nach Trinitatis):

Ein Junge kommt von der Schule nach Hause. Er ist stiller als sonst. Artig stellt er die Schultasche in die Ecke. Ungewöhnlich lange wäscht er sich die Hände. Dann rührt er nervös in der Suppe herum: „Mutter, ich habe in dem Diktat eine Drei gekriegt. Aber ich bin nicht der Schlechteste. Klaus hat auch eine Drei und sechs andere bekamen sogar Vieren!“

Diese Haltung gibt es auch in der Kirche: Man vergleicht sich mit denen, die angeblich schlech­ter dastehen und will damit sein eigenes Gewissen beruhigen. Was der Pfarrer sagt, das gilt nur für die, die nicht da sind, ein Glück nur, daß ich das alles schon weiß und beachte. Jesus aber sagt: „Du sollst nicht der Pharisäer sein, du kannst nicht der Zöllner sein, Gott aber will für dich sein.

 

(1.) Ich soll nicht der Pharisäer sein:

Zunächst einmal möchte ich den Pharisäer in Schutz nehmen und verteidigen. Er meint es von seinem Standpunkt aus ehrlich und ganz ernst. Er gehört zu der Gruppe von Menschen, von denen man mit Respekt spricht. Er ist korrekt und zuverlässig. Er hat eine klare Linie für sein Leben. Er läßt sich nicht einfach treiben. Er nimmt den Willen Gottes ernst im täglichen Leben.

Moralisch ist bei ihm alles in Ordnung: Wenn er Unrecht leidet, greift er nicht zur Gewalt. Er hält zu seiner Frau. Die Kinder sagen: „Streng ist der Vater schon, aber gerecht! Er betrügt niemand um des eigenen Vorteils willen. Und er hält seine Versprechen den anderen gegenüber.

Auch religiös ist bei ihm alles in Ordnung: Seine Frömmigkeit hört nicht auf, wo der Geldbeutel anfängt. Wenn er etwas kauft, gibt er noch einmal ein Zehntel des Kaufpreises für die Erhaltung des Tempels oder für die Armenfürsorge. An sich mußte der Verkäufer diese Steuer schon entrichten. Aber weil man nie sicher sein konnte, ob das tatsächlich geschehen war, machte es der Pharisäer noch einmal. Er wollte also sogar noch das ausgleichen, was andere versäumt hatten.

Auch der eigene Bauch ging ihm nicht über alles: er fastete zweimal in der Woche, das heißt er verzichtete jeweils einen ganzen Tag auf Essen und Trinken. Das wollte schon etwas heißen in einem heißen Land. Und er vergißt auch das Beten nicht. Er vergißt nicht, Gott dafür zu danken, daß er anständig leben kann und kein Dieb und Ehebrecher ist.

Alle Maßstäbe, die wir hier anlegen, sind menschliche Maßstäbe. Es mag sein und wird auch so sein, daß Gott den treuen Kirchgänger irgendwie belohnt, aber wehe wenn dieser sich vor Gott darauf beruft, er sei immer oder fast immer im Gottesdienst gewesen. Gott erkennt unsere Leistungen sicher an und freut sich darüber. Aber wir können nicht sagen: „Hier sieh mal, Gott, was ich dir alles zu bieten habe: einmal im Monat zum Gottesdienst, die Kinder alle im kirchlichen Unterricht und im Kindergottesdienst, sechzehnmal Pate, 50 Mark für die Erneuerung der Kirche gespendet und die Kirchensteuer doch immer pünktlich gezahlt!“ Wir können Gott nichts bieten, weil e r uns alles zu bieten hat, weil er uns v i e 1 mehr zu bieten hat, als wir je schaffen könnten.

Die Pharisäer haben versucht, streng nach den Geboten Gottes zu leben. Sie haben sich zu einem Bund zusammengeschlossen, um der allgemeinen Not ihres Volkes entgegenzuwirken. Spenden, Fasten und Beten - das war das Programm, das sie sich freiwillig auferlegten. Sie gingen dazu nicht ins Kloster, sondern wollten in ihrem Alltagsleben zeigen, wie man auch in schweren Zeiten als anständiger und frommer Mensch leben kann.

Wenn wir es so recht betrachten, dann kann Gott nur den frommen Pharisäer liebhaben und nicht den lumpigen Zöllner, dann kann er auch nur die treuen Kirchgänger lieben und nicht auch den, der sagt: „Alle Jahre wieder, aber alle Jahre nur einmal!“ Werden wir denn überhaupt nicht belohnt, wenn wir immer so treu zur Stange gehalten haben? Entweder die Gebote Gottes gelten, und dann ist es nicht egal, ob man sie peinlich genau hält oder ob man sie öffentlich verachtet. Oder die Gebote Gottes sind nicht ernstgemeint, und dann ist der Lump fein heraus und alle Opfer und aller sittlicher Kampf sind entwertet.

Wenn der Pharisäer mit seinem Lebensstil in unserm Volk Schule machen würde, dann hätten wir viel weniger Probleme: Wir könnten auf viele Polizisten verzichten, durch das Fasten lebten wir viel gesünder und würden auch Krankenkosten sparen, es gäbe keine Kinder aus geschie­denen Ehen und die Mittel für Notstände und die Dritte Welt würden sprunghaft steigen.

Aber leider sind wir nicht solche Pharisäer. Viele sagen: „Ich kann es nun einmal mit den Geboten nicht so genau nehmen. Die Verhältnisse sind nicht so, und meine Natur auch nicht!“ Und dann wird eben mitgenommen, was man so gerade braucht. Das Finanzamt wird betrogen, damit man zu etwas kommt. Und wenn man der Polizei ein Schnippchen schlagen kann, dann hebt das das Selbstwertgefühl. So machen es doch alle. Und es geht ein richtiger Sog aus von dieser Haltung, daß auch die in Gefahr geraten, die anständig leben wollen. Der Pharisäer aber ist in den Anfechtungen seiner Zeit standhaft geblieben. Er ist durchaus nicht der Heuchler, wie wir ihn oft sehen: er ist ein ehrenwerter Zeitgenosse, ein tüchtiger Mensch, der sich hohen Ansehens erfreut und an den man sich vertrauensvoll wenden kann, weil man bei ihm nicht übers Ohr gehauen wird.

Falsch wäre es aber auch gewesen, hätte sich der Pharisäer im Tempel zum Zöllner herumgedreht und ihm gesagt: „Laß nur, Zöllner, es ist ja alles halb so schlimm. Denke doch mal scharf nach; es gibt doch sicher auch gute Seiten an dir und in deinem Leben. Davon mußt du Gott etwas sagen; du mußt Gott deutlich machen, wie sehr du dich bemühst. Nur Kopf hoch, du wirst es schon schaffen!“

Der Fehler des Pharisäers ist nur, daß er meint, dadurch schon mit Gott im Reinen zu sein. Er hat sein Vertrauen auf sieh selbst gegründet, verläßt sich nur auf sich und ist von sich völlig überzeugt. Im Grunde braucht er Gott gar nicht mehr, weil er aus sich selber gerecht ist. Vor Gott gilt aber nicht, was einer ist und leistet. Sondern: „Gott nötig haben, ist des Menschen höchste Vollkommenheit", sagte der dänische Theologe Kierkegaard.

 

(2.) Ich kann nicht der Zöllner sein:

Der Zöllner ist der Typ des verdorbenen Zeitgenossen. Er hat die Möglichkeiten erkannt und ausgenutzt, die man in rechtlosen Zeiten hat. Er hat sich auf die Seite der Mächtigen gestellt und mitgeholfen, sein Volk auszupressen und auszusaugen wie eine Traube in der Kelter. Um Geld verrät er sein Vaterland, und sein Unrecht den Armen gegenüber schreit zum Himmel. Der Zöllner ist ein trauriger Nutznießer, der sich am Elend seines Volkes bereichert.

Aber auch wir stehen nicht nur in der Gefahr, zum hochmütigen Pharisäer zu werden, sondern es gibt auch einen hochmütigen Zöllner. Für diesen sind Schuldbekenntnis und Schwarz­malerei ein Trick, und im Grund schnalzt er dann heimlich mit der Zunge vor Wonne, wenn er daran denkt, welche Freude doch Gott an so einem zerschlagenen Gewissen und an solcher Selbsterniedrigung haben muß. Dieser Zöllner sagt: „Ich danke dir, Gott, daß ich nicht so hochmütig bin wie dieser Pharisäer. Ich bin ein Verbrecher, Lump und Ehebrecher. So ist nun einmal der Mensch und ich bin auch so, aber ich bin mir wenigstens darüber klar und deshalb doch ein wenig besser als die anderen. Ich bin ein anständiger Mensch, weil ich mir nichts vormache; ich bin wenigstens ein ehrlicher Sünder und führe meinen inneren Schweinehund offen spazieren und verstecke ihn nicht wie dieser verlogene Spießbürger in den Falten meines Gewandes!“ Unser Dankgebet lautet weder: „Ich danke dir, Gott, daß ich solch ein prächtiger Mensch bin!“ noch: „Ich danke dir, Gott, daß ich solch ein reuiger Sünder bin!“sondern: „Ich danke Dir, Gott, daß d u so barmherzig bist!“

Und der Zöllner könnte denken: „Ich habe zwar ein kleines Ich, aber der hat auch eins: er wird schon auch seinen Dreck am Stecken haben!“ So war es nach dem Zusammenbruch von 1945, als der Augenblick des ersten Schocks überwunden war und man sagte: „Die anderen sind auch nicht besser, was d i e erst alles gemacht haben!“

Der Zöllner weiß auch genau, wer er ist und wie er den von Leuten angesehen wird. Deshalb bleibt er beschämt am Tempeleingang stehen. Wollte er heraus aus seinem anrüchigen Leben, dann müßte er seinen Beruf aufgeben und alles unrecht Erworbene zurückgeben. Aber wie soll er das jetzt noch schaffen? Deshalb schlägt sich an die Brust, dorthin, wo das Herz ist, aus dem alle bösen Gedanken und Entschlüsse kommen; dadurch möchte er sich für alles strafen, was ihm auf dem Gewissen liegt. Doch er weist nicht auf das, was er hat - und wäre es sein zerschlagenes Herz. Vielmehr ruft er nach dem, was er nicht hat, nämlich nach der Versöhnung Gottes. Er ist einer, der Gott wirklich braucht.

Deshalb sagt Jesus so überraschend: „Der Zöllner ging gerechtfertigt vom Tempel weg!“ Sind damit nicht alle Prinzipien der menschlichen Moral umgestoßen? Wir würden doch alle urteilen: Der Pharisäer ist der gottgefällige Mann! So würden wir sagen, wenn wir ehrlich sind, denn das entspricht dem natürlichen Empfinden des Menschen. Anders urteilen wir nur, wenn wir die Geschichte und das Urteil Jesu schon kennen.

Eugen Roth hat ein Gedicht verfaßt: „Ein Mensch betrachtete einst näher die Fabel von dem Pharisäer, der Gott gedankt voll Heuchelei dafür, daß er kein Zöllner sei. Gottlob, rief er in eitlem Sinn, daß ich kein Pharisäer bin!“ Aber man könnte auch sagen: „Ich danke dir Gott, daß ich so ein edler Sünder bin wie der Zöllner!“ Wir können uns nicht stolz in langer Reihe hinter dem Zöller aufstellen und ihn als unsern Schutzheiligen betrachten. Es gibt auch eine Zöllner-Demut, die in Wirklichkeit ein Hochmut ist und zu einem Überpharisäer führt.

Wer aber so betet wie der Zöllner in Jesu Beispielgeschichte, der bittet nur um Gnade und nicht um eine vorausberechenbare Pflichtreaktion Gottes. Man kann auch aus der Art des Zöllners nicht eine Methode des Frommseins ableiten. Man kann weder auf die eine noch die andere Frömmigkeitshaltung setzen: Ich darf nicht der Pharisäer sein, aber ich kann auch nicht der Zöllner sein wollen.

 

(3 ) Gott will für mich sein:

Jetzt beginnen wir den Merksatz nicht mehr mit „Ich“, sondern mit „Gott“. Dieser Satz hebelt die beiden anderen Schlagzeilen aus und macht deutlich, daß alles auf Gott an kommt. Der Pharisäer kreist um sich selbst, beobachtet sich selbst und analysiert den Stand seiner Heiligung. Seine Erfolgsbilanz mag durchaus stimmen. Aber Gott macht sich dieses Urteil nicht zu eigen, es ist für ihn uninteressant.

Sicherlich gibt es Unterschiede zwischen den Menschen. Aber Gott richtet nach seinen Maßstäben. Wen ein Angeklagter vor Gericht steht, dann bezeichnet er sich oft zwar als unschuldig, aber der Richter bildet sich doch sein eigenes Urteil. Manchmal spricht er auch einen Angeklagten frei, von dem die öffentliche Meinung behauptet, er sei schuldig.

Gott ist auch unbestechlich und gerecht. Deshalb nutzt es auch gar nichts, sich mit einem anderen zu vergleichen. Daß der Pharisäer noch Zeit hat, über die Schulter nach dem Zöllner zu sehen, zeigt doch, daß er gar nicht wirklich mit Gott geredet hat. Die einzige Vergleichsperson für uns ist Jesus. Er zeigt am Zöllner, daß nicht die eigene Leistung entscheidet, sondern nur Gottes Erbarmen. Wenn wir auf            sehen, vergehen uns die törichten Vergleiche.

Der Pharisäer will, daß Gott sein Freund und der Feind der anderen ist. Gott soll selber handeln wir ein Pharisäer: die Guten belohnen und die Schlechten bestrafen, höchstens zur Rechtschaffenheit des Menschen das bißchen hinzufügen, was da noch fehlt.

Dem Zöllner aber fehlen die guten Werke. Er wirft deshalb all sein Vertrauen auf Gott. Doch zu dieser Einsicht muß man erst einmal kommen. Zunächst einmal sind wir doch alle Pharisäer, die sich etwas einbildet auf ihre Frömmigkeit: Wenn wir zum Gottesdienst gehen - und sei es nur einmal im Jahr - dann sind wir immer noch besser als die anderen, und Gott wird uns schon nicht so schlecht ansehen. Aber nicht einmal der Pfarrer kann sicher sein, von Gott angenommen zu werden, es sei denn, er verläßt sich ganz auf Gottes Gnade.

Der Zöllner hier im Gleichnis mißt sein Ich an Gott, der allein sein Maßstab ist. Und da merkt er: Ich bin ja ganz weit weg von Gott. Er sagt nicht: „Lieber Gott“, sondern: „Herr, sei mir Sünder gnädig!“ Aber gerade deshalb ist Gott ihm nun nahe und er darf wieder nahe zu Gott kommen: auch als Unwürdiger darf er ins Gotteshaus kommen. Wir können uns den Zöllner richtig vorstellen, wie er wieder in den Tempel kommt und Gott dankt, nicht als ein hochmütiger Zöllner, sondern als ein froher Mensch: Der innere Schweinehund, Herr, ist zwar immer noch da, aber ich hätte es nicht übers Herz gebracht, dir noch einmal wehe zu tun, weil du mir damals eine neue Chance und neuen Mut gegeben hast.

Franz Werfel erzählt in seinem Roman „Der veruntreute Himmel“ von einer Köchin, die sich den Himmel erkaufen möchte, indem sie einen armen Teufel zum Priester ausbilden läßt. Aber nach Jahren muß sie erkennen, daß sie einem Betrüger zum Opfer gefallen ist. Tieferschüttert begibt sie sich auf eine Wallfahrt nach Rom. Sie wird vom Papst empfangen und hört dort, daß man für sie beten wird, auch ohne daß sie dafür etwas geleistet hat.

Das müssen wir wohl alle erst einsehen: Vor Gott stehen wir mit leeren Händen da. Aber er nimmt Pharisäer und Zöllner und auch uns an, wenn wir uns allein ihm anvertrauen.

 

 

Lk 18, 28 – 30 (15. Sonntag nach Trinitatis):

Vor 20 Jahren dachte ich noch anders über die hier angeschnittene Frage: „Wir sind dir nachgefolgt, welcher Lohn wird uns dafür?“ Ich dachte mir: „Wenn du Theologie studierst und Pfarrer wirst, dann hast du Gott doch einen großen Gefallen getan. Da wird er gar nicht umhinkönnen, dich in seine Reihen aufzunehmen. So ein Beruf ist die beste Versicherung, um in dem Himmel zu kommen, der ist dir dann wenigstens sicher!“

Wenn wir ehrlich sind, dann werden wir zugeben, daß wir vielfach alle so denken. So ganz im Geheimen ist bei jedem die Meinung da: Wenn du nur fleißig zum Gottesdienst gehst, dann wird nach deinem Tod schon alles in Ordnung gehen! Mancher spricht es auch offen aus:

„Ich habe mir nichts im Leben zuschulden kommen lassen. Da denke ich doch, daß Gott mich einmal in sein Reich aufnehmen wird!“ Das sind durchaus fromme Menschen, die so reden, aber sie denken doch in einem wichtigen Punkt falsch.

Allerdings: Schon der Jünger Petrus hat so gedacht. Jesus hatte dem reichen Jüngling gesagt: „Verkaufe alles, was du hast, und folge mir nach!“  dazu war er nicht bereit. Daß so etwas geschieht, dazu muß Gott im Grunde jedesmal erst ein Wunder tun. Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als daß ein Reicher sich von seinem Besitz löst. Aber im Fall der Jünger hatte Gott dieses Wunder getan. Sie hatten alles verlassen: Beruf, Besitz, Familie. Sie sind Jesus ja nachgefolgt.

Aber nun taucht die allzumenschliche Frage auf: „Was bringt das Christsein ein? Was nützt es mir? Bei Lukas ist diese Frage nicht direkt ausgesprochen. Sie findet sich aber in der Parallelstelle bei Matthäus und steht sicher auch bei Lukas im Hintergrund. Dann wäre also das Christsein ein Geschäft mit dem Himmel. Zumindest ginge es dann nach dem Prinzip: Wie du mir, so ich dir. Gibst du mir etwas, dann gebe ich dir auch etwas! Es muß sich doch auszahlen, es muß doch Vorteile bringen, wenn ich mich zu Gott halte.

Aber körte nicht auch Gott  u n s fragen: „Was wird mir dafür?“ Er hat doch wohl noch ein größeres Recht dazu. Doch Jesus weist die Frage des Petrus nicht als ungehörig zurück. Er ist so gütig, daß er auch auf eine solche Frage eingeht. Gott will ja durchaus lohnen; aber niemand sollte auf Lohn aus sein, da würde er doch seine Lage vor Gott in fataler Weise mißdeuten.

Es ist gut, wenn man wirklich zu einer Freiheit des Loslassens gelangen kann. Die Jünger Jesu haben ja das auf sich genommen, was der reiche Jüngling nicht übers Herz brachte. Wir dagegen haben uns daran gewöhnt, in bürgerlicher Ruhe und Bequemlichkeit zu leben. Wir möchten uns in unserem weltlichen Leben nicht stören lassen. Und wenn von uns nur ein kleines Opfer in Form der Kirchensteuer verlangt wird, dann klagen wir schon über die unzumutbare Höhe. Man schämt sich ja fast, diesen Satz aus dem Munde des Petrus zu verlesen: „Wir haben alles verlassen!“

Jesus hat allerdings nicht den Besitz verboten. Aber sein Dienst verlangt eine gewisse Beweglichkeit und auch eine innere Freiheit. Wer aber immerzu für seinen Besitz zu sorgen hat, ihn mindestens erhalten und möglichst noch vermehren will, der ist nicht frei zu einem solchen Dienst. Bei der kleinen Schar der Jünger von damals war es freilich leichter, nirgendwo zu Hause zu sein und im Land herumzuziehen. Heute sind wir eine Kirche mit festen Gemeinden, mit einer Verantwortung für die Menschen und Gebäude, für die üblichen Lebens- und Arbeitsformen.

Wir wollen auch nicht unbarmherzig sein und uns bei unseren Vorsätzen übernehmen. Nicht jedem ist in gleicher Weise deutlich, daß er zum Bekenntnis des Glaubens verpflichtet ist. Nicht jeder hat auch die nötigen Kräfte zum Durchhalten. Aber es ist doch beschämend, daß

wir uns daran gewöhnt haben, das Christsein so zu verbilligen und unverbindlich zu machen. Doch wem es nicht gegeben ist, hier strengere Maßstäbe an sich selber anzulegen, den wird man auch licht dazu zwingen können. Niemand kann zum Loslassen gezwungen werden. Jesus erwartet eine Freiheit des Loslassens.

Doch dazu kann man die Menschen auch nicht bringen, indem mag sich von der Kirche abwendet und eine eigene Kirche gründet. Das haben immer wieder einmal Pfarrer versucht. Sie warfen der Kirche vor, sie gäbe sich mit der kleinen Zahl zufrieden und wolle nicht mehr ins Volk hinein wirken. Vor allem sei man in Glaubenddingen nicht entschieden genug. So haben sie dann eine eigene „freie“ Gemeinde gegründet.

Aber auch in einem solchen Kreis der Erlesenen wird es bald wieder die gleichen Probleme geben, mit denen sich die Kirche überall herumschlägt. Wir haben alle nicht die Freiheit des Loslassens und den Glaubensmut, wie wir ihn eigentlich haben müßten.

Im Frühjahr 1945 fand man in Dresden in einer Hausruine eine Kranz mit einem Pappschild mit der Nummer des Gesangbuchliedes: „Warum sollt ich mich den grämen, hab ich doch Christum noch, wer will mir den nehmen!“ So etwas ist ein Bekenntnis der Freiheit von irdischen Dingen. Wir müssen nicht alles verlieren, um Christus zu gewinnen. Wirklich frei von den Dingen dieser Welt kann man nur sein, wenn man auch frei ist loszulassen.

Solches Loslassen müssen wir vielleicht auch üben. Das gilt schon im natürlichen Leben, wenn es etwa um die Energie-Einsparung geht. Aber für das Glaubensleben gilt das erst recht. Doch gerade da sollte es keine finstere Angelegenheit sein. fröhlich und festlich kann man auf die Güter dieser Welt verzichten.

Die Diakonissen leben es uns vor. Missionare haben ein Leben ohne die Bequemlichkeiten der europäischen Zivilisation gewagt. Albert Schweitzer hat eine glänzende Laufbahn fahren lassen und viele Unbekannte haben auf ihre Weise ähnliches auf sich genommen. Und dabei konnten sie die Erfahrung machen: Man wird nicht ärmer dabei, wenn bereit ist zum Verzicht und Weggeben.

Jesus stellt dem Verlust den Gewinn gegenüber. Die Spitze seiner Antwort liegt nicht in der

Forderung auf Verzicht, sondern in der Zusage: Ihr werdet es vielfältig wiedererlangen, und zwar nicht erst jenseits der Lebensgrenze, sondern schon hier in dieser Zeit. Doch für diesen Gewinn sind wir oft blind. Wir erschrecken nur vor der Forderung und sehen nicht, was uns geschenkt wird.

Gemeint ist allerdings nicht, daß das Gleiche in vielfacher Anzahl erstattet wird: Wer ein Haus geopfert hat, kriegt nicht viele Häuser. Und wer auf die Ehe verzichtet hat, braucht nicht auf einmal viele Frauen. Jesus gibt nicht dasselbe, sondern anderes, das aber einen vielfältigen Wert darstellt.

In Indien schickte eine vornehme und reiche Hindufamilie den Sohn auf eine englische Missionsschule, weil diese Schule die beste war. Dort kam er natürlich auch in Berührung mit dem Neuen Testament und äußerte mit 14 Jahren den Wunsch, Christ zu werden. Seine Familie fiel aus allen Wolken. Sein Onkel zeigte ihm die Schatzkammer der Familie und sagte: „Das alles wird dir auch gehören, wenn du beim Glauben deiner Vorfahren bleibst. Wenn aber nicht, dann stoßen wir doch aus der Familie aus!“ Schließlich hat man sogar versucht, den Jungen zu vergiften. Aber Sundar Singh blieb dabei und ließ sich taufen. Er hat seinen Weg dann in der Kirche gemacht. Er wurde der bedeutendste Theologe der frühen indischen Kirche. Seine Bücher wurden auch in Europa gedruckt und gelesen. So hat er zwar seine leibliche Familie verloren, aber eine viel größere geistliche Familie gewonnen.

Wer Christ ist, dem werden neue Lebensmöglichkeiten erschlossen. Wer fremd an einen Ort kommt, zum Beispiel in ein Neubaugebiet, der findet sofort in der christlichen Gemeinde Freunde und Verbündete. Türen öffnen sich, die zuvor versperrt waren. Es entsteht Lust zum Gespräch, wo man sich hat abkapseln wollen. Man wird auch selber bereit, zugunsten anderer zu verzichten. Man wird zwar nicht nur auf Gleichgesinnte treffen, aber doch auf Menschen, die Jesus liebt und angenommen hat, so wie er uns selbst geliebt und angenommen hat.

Bei Jesus gewinnen wir sogar den freien Zugang zu Gott und eine ungetrübte Gemeinschaft mit ihm, trotz allem, was gegen uns spricht. Gott hält an uns fest, obwohl wir ihn immer wieder loslassen. Er bleibt uns zugewandt, obwohl wir uns immer wieder von  ihm wegwenden.

Er übersieht sogar die Frage nach dem Lohn und antwortet mit dem großen Angebot: Ich gebe euch viel mehr, als ihr eingesetzt habt!

Vielleicht gelangen wir auch durch Jesus zu den Menschen einen ganz neuen Zugang, die wir schon lange gelernt haben. Mancher öffnet sich erst in der Stunde des Sterbens für Gott und damit auch für die ihm nahestehenden Menschen. Oder wieviel ist für eine Familie gewonnen, wenn einer auf einmal sagt: „Wir wollen gemeinsam ein Tischgebet sprechen!“ Dadurch kann eine ganz neue Gemeinschaft geschenkt werden.

Erzwingen kann man hier nichts. Aber es hilft doch sehr, wenn ich mir klar mache: Ich habe zwar unter dem anderen zu leiden und manches auszustehen; aber Jesus nimmt ihn an. Er hat ja auch mich angenommen, was im Grunde noch erstaunlicher ist. So sind wir jetzt zwei Menschen, die an sich verspielt hatten, aber jetzt durch Jesus gewonnen haben.

Gewonnen haben wir vor allem das ewige Leben. Und dieses ist nicht ein ewiges Halleluja, zu dem Keiner echt Lust hat. Es wird uns nicht über werden, den Herrn zu sehen, wie er ist. Dann werden wir immer mehr in sein Bild verwandelt werden, werden wir endlich das, was wir sein sollten. Jesus steht dafür ein, daß eine solche Hoffnung nicht trügt.

 

 

Lk 18, 31 – 43 (Estomihi):

Auf dem Höhepunkt der Fastnacht hören wir diese furchtbare Ankündigung. „Wir gehen jetzt hinauf nach Jerusalem und es wird jetzt alles geschehen, wie es die Propheten vom Menschensohn vorausgesagt haben. Er wird gegeißelt und getötet werden!“ Jesus zieht mit den Seinen nicht nach Jerusalem, um dort mit den anderen Leuten ein großes Fest zu feiern, sondern hier beginnt sein Todesweg.

Das paßt doch gar nicht zu einer fröhlichen Zeit. Es ist doch viel schöner, wenn man lustig und ausgelassen sein kann und nicht an das Sterben denken muß, nicht an das Sterben anderer und vor allem nicht an das eigene Sterben.

Deshalb hat man auch im Ablauf des Kirchenjahres vor die ernste Passionszeit die fröhliche Fastnachtszeit gesetzt. Doch Fastnacht ist kein kirchliches Fest. Eher hat es heidnischen Ursprung, denn der Name kommt von „Faselnacht“, weil da auch noch heute manche Leute dummes Zeug „daherfaseln“. Hintergrund sind die Frühlingsfeiern, bei denen man die bösen Geister des Winters vertreiben will. An den Fratzen der süddeutschen Fastnacht wird das besonders deutlich.

In manchen Gegenden spricht man auch von Karneval. Die Bedeutung dieses Wortes kennt man nicht so genau. Vielleicht ist noch am besten die Ableitung vom lateinischen „carne vale“, was so viel heißt wie „Fleisch lebe wohl“: Vor der fleischlosen Fastenzeit würde man sich dann lautstark vom Fleisch verabschieden und des dem eigenen Fleisch noch einmal wohl gehen lassen.

In der Kirche aber werden wir aber mehr auf die ernsten Seiten des Lebens hingewiesen. Bei aller Feierei können wir die Schattenseiten nicht ausblenden. Aber umgedreht gilt auch: So schlimm es im Augenblick vielleicht auch sein mag: Die Güte Gottes hört nicht auf, es gibt nicht nur Dunkel, sondern auch immer wieder Licht.

Das kann uns an den zwei Themen deutlich werden, die in dem heutigen Predigttext zusam­mengeschlossen sind, aber auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben. Deshalb wollen wir auch der spannenden Frage nachgehen, wie der Zug nach Jerusalem mit der Heilung eines Blinden zusammenhängt.

 

1. Der Zug nach Jerusalem:

Es ist in der Forschung umstritten, ob Jesus tatsächlich von seinem Leiden im Voraus gewußt hat. Es könnte ja sein, daß man das tatsächliche Schicksal auch für Jesus überraschend kam und erst seine Gemeinde nachträglich die verschiedenen Leidensankündigungen in die Erdentage Jesu zurückverlegt hat. Dann hätte man den tragischen Ausgang nicht als ein Mißgeschick angesehen, sondern erbaulich gedeutet als eine von Jesus vorausgesehene und bejahte Tat.

Aber es war ja gar kein übernatürliches Wissen notwendig, um den Gang der Ereignisse vorauszusehen. Man wußte doch, wie der Hohe Rat mit Ketzern und Gotteslästerern verfuhr. Und es ist auch klar, daß Jesus durch sein Auftreten und Wirken den Tatbestand der Ketzerei in den Augen dieser Leute voll erfüllt hat. Und daß er nicht der von ihnen erwartete Messias war, konnte man schon daran sehen, daß er bereit war zum Leiden.

Jesus müßte nicht „hinaufziehen“, aber er tut es. Schon am Anfang seiner Tätigkeit wurde er vom Teufel versucht, einen leichteren Weg zu gehen. Aber so wie er sich damals für den Weg Gottes entschied, so tut er es auch jetzt wieder. Er wußte: Für seine Botschaft mußte er mit seiner Person einstehen, weil Gott nur so seine Macht zeigen konnte.

Die Jünger haben das (zunächst) nicht verstanden, was Jesus ihnen sagte. Auch für sie paßte das alles nicht in die Erwartungen, die sie mit Jesus verbanden. Sie hofften doch, Jesus werde jetzt sein Reich aufrichten und Gott werde die Herrschaft ergreifen und Israel erlösen. Und nun müssen sie hören: Nicht der Sieg steht bevor, sondern die Katastrophe.

Auch wir könnten denken: Es geht doch nicht so sehr um das Heil Gottes, sondern um ein Ordnungmachen in den Strukturen dieser vergänglichen Welt. Es kann doch nicht so bleiben, wie es ist! Und menschliches Recht muß man dann mit menschlichen Mitteln durchsetzen! Jesus aber hat die Sorge um weltliches Recht nicht als seine erste Aufgabe angesehen, eine grundsätzliche Umgestaltung der Welt hat er nicht ins Auge gefaßt. Es geht ihm nicht um das Jerusalem auf dem Berg, sondern um die Gottesstadt auf dem Berg.

Doch er hat die sündige Welt nicht preisgegeben. Wäre das Leiden an ihm vorübergangen, dann wären sie Sünder auf der Strecke geblieben, mit denen er sich doch solidarisiert hat. Aber Jesus hält bei den Sündern aus. Er offenbart das Unrecht der Menschen, indem er ihre Sünde sich an ihm austoben läßt. Indem die jüdischen Behörden ihn an die heidnischen Römer ausliefern, wird speziell die fromme Sünde entlarvt, daß man im Namen Gottes den Retter verdammt. Indem Israel aber seinen Messias preisgibt, gibt es auch sich selber auf. Aber Jesus bleibt dennoch der Messias, weil er Gott gehorsam bleibt.

 

2. Die Heilung des Blinden:

Auch in zweiten Teil des Predigttextes geht es um die Messianität Jesu. Aber auch hier erweist sie sich anders, als die Menschen denken: Jesus regiert, indem er hilft. Er ist der Heiland derer, die Hilfe brauchen. Jesus geht zum Leiden, aber ein Einzelner darf schon einmal erfahren, wie sein Leiden überwunden wird: Der Blinde darf schon einmal den Anfang des Kom­menden erleben, darf schon ein Stück weit an der vollendeten Welt teilhaben. Die Messianität Jesu besteht nicht in einer Machtausübung, sondern in der hilfreichen Zuwendung zu seiner Gemeinde und zu jedem Einzelnen.

Der Blinde hat ja vom Messias die Wende seines persönlichen Schicksals erwartet. Deshalb läßt er sich nicht abweisen. Deshalb macht er so dringend auf sich aufmerksam, weil das seine einzige Chance ist. Das ist sein Glaube. Und Jesus wendet sich ihm ja auch persönlich zu, indem er fragt: „Was willst du, daß ich dir tun soll?“ Jesus ist hier der Sehende, denn zum richtigen Sehen gehört das genaue Hingucken. Man kann ja für etwas blind sein, obwohl man mit beiden Augen sehen kann. Natürlich steht vor aller Augen, was der Mann sich wünscht. Aber Jesus sieht das nicht nur, sondern er will, daß der Blinde diese Bitte auch ausspricht und daß er seinen Glauben auch in Worte faßt.

Jesus ist auf dem Weg zum Kreuz. Aber er überhört den Hilfeschrei des Blinden nicht. Er geht nicht an der Not anderer vorüber, weil er mit sich selber genug zu tun hat. Er beeilt sich nicht, nach Jerusalem zu kommen, weil dort „Wichtigeres“ auf ihn wartet. Wenn ein Mensch in Not ist, dann ist dieser wichtig.

Doch das bedeutet nun nicht, daß jeder Glaubende von all seinen leiblichen Gebrechen geheilt wird. Die Machttaten Jesu sind nur Zeichen, eine Vorausschau auf die Auferstehungs­wirklichkeit. Wenn einer am grauen Star leidet, dann wird er sich vom Augenarzt operieren lassen, dafür hat uns Gott ja die Ärzte gegeben.

Nur: Jesus will mehr! Er will ein neues Leben eröffnen. Er will Gefolgsleute, die in seiner Nachfolge denselben Weg gehen lernen, die mit ihm ihr Leben ganz unter den Gehorsam des Vaters stellen.

Wer glaubt, wird Christus bekennen, auch wenn er noch nicht sieht. Und wenn er sich dem leidenden Christus anschließt, dann wird er auch Gott preisen. Was die Jünger damals nicht verstanden, das kann uns als christliche Gemeinde durchschaubar sein.

Was die Obersten in Jerusalem nicht sehen, das hat der Sehendgewordene entdeckt, noch ehe er gesund wurde (er spricht Jesus als „Davidssohn“ an). Er ist der letzte von Jesus berufene Jünger. Er wird sehend, während in Jerusalem „Blinde“ Jesus ans Kreuz hängen. Man kann blind für Jesus sein, obwohl man ihn vor Augen hat.

Der Glaube hat ihm nicht nur dazu geholfen, daß er sein Augenlicht zurückerhielt, sondern daß er gerettet wurde in einem umfassenden Sinn. Die Heilung ist für ihn Neuanfang als gesunder Mensch, aber auch Beginn eines Lebens in der Nachfolge Jesu und damit in der Nähe Gottes.

Der Sehendgewordene schließt sich Jesus an. Vielleicht hat er nicht geahnt, worauf er sich da einläßt. Aber er erkennt: Erst wenn ich jeden Tag mit Jesus lebe, dann bin ich wirklich sehend. Er will das festhalten, was er einmal erkannt hat.

Das wäre auch die Aufgabe für uns: Mehr sehen, als die anderen an Jesus sehen. Andere verspotten ihn vielleicht und halten ihn nur für einen gewöhnlichen Menschen. Sie sind blind für Jesus. Wir aber dürfen uns an ihn wenden und alles von ihm erwarten. Unser Leben ist geprägt von Freude, aber auch von manchem Leid. Doch gerade wenn man im Leid ist, darf man die Freude nicht vergessen, die man schon erfahren hat und die auch wieder kommen wird.

Jesus kann uns dabei helfen, er kennt unsere Not und weiß auch Mittel dagegen. Wenn wir ihm nachfolgen, dann kann uns kein Leid mehr geschehen.

 

 

Lk 19, 1 – 10 (3. Sonntag nach Trinitatis):

Es gibt Kinder, die stehen bei allem hintenan: In der Pause stehen sie auf dem Schulhof allein, im Laden werden sie zur Seite gedrängelt und unter den Geschwistern sind sie auch immer die letzten. Oft bleibt das dann auch so, wenn sie erwachsen sind.

Der Zachäus hier in unserer Erzählung hatte gleich zwei Mängel, die ihn immer zu kurz kommen lassen: Er ist an Körpergröße nur ein kleiner Mann. Und er ist ein Zöllner. Das bedeutete damals aber: Er ist ein Vaterlandsverräter. Er war Chef der vielbenutzten Grenzstelle in Jericho. Er hatte den Römern eine bestimmte Summe im Voraus an Zoll gezahlt. Nun preßte er den Leuten ihr schwerverdientes Geld wieder heraus, so viel eben zu holen war.

Ein unheimlicher Mensch, dieser Zachäus. Jeder konnte nur froh sein, wenn er es nicht mit ihm zu tun bekam. Dabei durfte es aber keiner mit ihm verderben, denn sie waren ja alle auf ihn angewiesen. Er war der bestgehaßte Mann in Jericho. Aber jetzt können sie es ihm einmal zeigen: Wie eine Mauer stehen sie vor ihm. Sie tun so, als hätten sie den kleinen Mann nicht bemerkt, aber in Wirklichkeit haben sie natürlich alles mitgekriegt. Wenn sie schon mit ihm leben müssen, soll er wenigstens fühlen, daß er nicht zu ihnen gehört.

Es gibt auch bei uns solche Menschen, die wegen ihrer Stellung von allen anderen geschnitten werden. Oftmals sind es noch Zugezogene, die nicht einmal einen Rückhalt in der Verwandt­schaft haben, die keinen geselligen Kontakt mit Freunden haben, denen kein Nachbar hilft. Mancher wird denken: Das ist ihre Sache, das haben sie sich selber zuzuschreiben. Und alle werden sie meinen: Für Gott und die Kirche sind solche Leute doch von vornherein verloren!

Das war auch die Meinung über Zachäus: Er ist für das Gottesvolk verloren, er hält es mit den Unterdrückern, er ist ein Betrüger. Er ist wie ein Bergsteiger, der an einer steilen Wand vom Schneesturm überrascht und in einbrechender Nacht und Kälte dem Verderben ausgeliefert ist. So ist auch Zachäus abgeschrieben. Das Heil bleibt nur für die anderen.

Vielleicht hat er selber das gar nicht einmal so sehr empfunden. Daß er gesellschaftlich gesehen aufs Abstellgleis geschoben wurde, wird ihm wehgetan haben. Aber daß er auch von Gott getrennt ist, wird ihn nicht so sehr gekümmert haben. Zumindest war er nicht im Gewissen beunruhigt und innerlich verzweifelt. Man muß ja auch nicht immer erst am Boden liegen, ehe man Gott begegnen kann. Hier trifft Jesus auf einen, der sich stark fühlt, weil er weiß, daß auch dem geholfen werden muß.

Vielleicht war Zachäus nur neugierig in dem täglichen Einerlei der Kontrollen und Abrechnungen wollte er sich die kleine Sensation nicht entgehen lassen. Er will auch einmal sehen, wie das mit diesem Jesus ist, von dem er schon oft gehört hat. Aber gerade bei ihm macht Jesus halt und sagt: „Ich muß heute in deinem Hause einkehren!“ Dem Zachäus mag das Herz in die Hose gerutscht sein, als er sich in dem dichten Laub des Baumes ertappt fühlt. Unverse­hens ist er aus einem Statisten in die Titelrolle gerutscht.

Das mag manchem so gehen, der nur einmal mehr zufällig in den Gottesdienst geraten ist. Wenn in der Kirche Konfirmation ist oder sonst eine besondere Veranstaltung, dann sieht man dort ja auch manchen, den man sonst nicht antreffen kann. Wir sollten nicht schlecht von diesen Menschen denken und auf sie herabsehen. Auch ihm kann das passieren, was dem Zachäus passiert ist: Jesus hat es gerade auf ihn abgesehen und spricht ihn an.

Jesus ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Die Zachäusgeschichte ist ein Beispiel dafür, wie er das macht. Er meint nicht irgendein beliebiges Exemplar der Gattung Mensch, sondern er meint einen, den er mit Namen kennt, er meint immer m i c h! Der Jesus von damals ist der gleiche Jesus, der mich heute anspricht.

An dieser Geschichte sehen wir, wie Jesus mit uns umgeht und was geschieht, wenn wir es mit ihm zu tun bekommen. Wir sollen damit gelockt werden, an den Gott zu glauben, der das tut, was Jesus tat. Wir sollen mit dem Gott rechnen, der auch die Kirchenfremden und Unreli­giösen sucht. Wir sollen alte Maßstäbe fallenlassen und das nötige Umdenken lernen.

Jesus hat ja so gehandelt wie ein Neuer, der in eine Schulklasse, einen Betrieb oder eine Ortschaft kommt und ausgerechnet mit d e m Freundschaft schließt, der von allen anderen ver­achtet und gemieden wird. Er kommt als ein Fremder, der keine altgewohnten Vorurteile hat. Er nimmt gerade diesen Zachäus wichtig und sagt: Gerade dich brauche ich! Damit hat er aber den Panzer der Ablehnung um diesen Zachäus aufgebrochen und ihn wieder zu einem Menschen gemacht.

Was Vorurteile sind, kennen wir ja auch von unserem Ort her: Da gibt es Familien, die schon seit Jahrhunderten geehrte und geachtete Bauern und Handwerker gewesen sind. Und andere sind schon immer verachtetet und verlacht, man hat nicht viel mit ihnen zu tun und sieht auch die Kinder etwas schief an. In so einem kleinen Ort hat ja jeder seinen festen Platz. Man kennt sich von Jugend auf und meint zu wissen, wie man den anderen einzuschätzen hat. Das hat seine Vorteile, aber auch Nachteile.

Mancher war in der Schule ein Tunichtgut und Schlendrian und ist nachher doch noch ein tüchtiger Familienvater geworden. Ein anderer hat vielleicht schon einmal wegen krimineller Vergehen im Gefängnis gesessen; er ist dort ein anderer geworden und möchte wieder anerkannt werden. Da sind wir als christliche Gemeinde aufgefordert, noch viel mehr als die anderen unsere Vorurteile über Bord zu werfen.

Jesus hat ja auch versucht, den Menschen so zu sehen, wie er wirklich ist: Nicht das große Haus, das hohe Einkommen, die berufliche Tüchtigkeit, sondern den ganzen Menschen mit all seinen guten und schlechten Seiten. Jesus will die Schuld nicht verharmlosen und vertuschen.

Aber er redet auch von der Schuld derer, die dem Zachäus das Himmelreich zuschließen wollen. Wir ärgern uns, wenn viel Geld für Trinker und Strafentlassene ausgegeben wird. Oder wenn sich der Pfarrer mehr für schwierige Menschen Zeit nimmt als für treue Gemeindeglieder.

Wir sind unter Umständen mitschuldig, wenn einer nicht mehr den Weg in die menschliche Gesellschaft zurückfindet. Gerade ein Gescheiterter oder Benachteiligter braucht viel Verständnis. Wir sollen ihn ernst nehmen und in unsre Gemeinschaft annehmen. Schließlich sind wir ja auch alle solche Verlorenen, die Jesus bei sich aufgenommen hat.

Solches Denken und Handeln wird nicht ohne Folgen bleiben. Wenn wir einen Menschen ernst nehmen, wird er seine Haltung auch ändern. Jesus äußert kein einziges Wort der Zurechtweisung, er vergibt dem Zöllner bedingungslos. Aber Zachäus sieht dann ganz von selber, was bei ihm anders werden muß.

Damit aber kommt eine Umkehr in Gang, die Lukas in dem von ihm selber extra eingefügten Satz Vers 8 so eindrucksvoll beschreibt: Zachäus geht in Jericho von Haus zu Haus, Listen unter dem Arm und die Geldtasche in der Hand. Er gibt die zu viel gezahlten Beträge zurück. Sicherlich wird er nicht mehr alle Geschädigten erreichen. Aber er tut, was er kann, um alles wiedergutzumachen.

Vielleicht wird er dadurch selber arm. Zumindest wird er sehr genau in Zukunft rechnen müssen. Aber die Umkehr vollzieht sich bei ihm genau an dem Punkt, der kritisch für ihn war: bei den Finanzen. Gerade dort, wo es ihm schwerfällt, muß er sich ändern. Das hat er durch das Handeln Jesu begriffen.

Aber er hängt nicht seinen Zöllnerberuf an den Nagel. Das haben die frommen Pharisäer von einem verlangt, der zum Gottesvolk gehören wollte. Aber Jesus sagt: „Du mußt in den Verhältnissen gehorsam sein, in denen du nun einmal lebst. Du kannst nicht warten, bis die Welt anders geworden ist, sondern du mußt dich in ihr ändern!“

Wir alle leben in einem Beruf, in dem wir uns ab und zu schmutzige Finger machen, nicht nur äußerlich, sondern auch so, daß unser Herz beschmutzt wird. Wir können allerdings viel dazu tun, daß wir vor dem Verbrechen bewahrt werden. Auch wenn alle anderen auf der Baustelle Material mitnehmen, da brauchen wir noch lange nicht mitzuhalten.

Aber es wird uns nie möglich sein, völlig schuldlos und rein durch dieses Leben zu gehen.

Wir können nicht wie manche buddhistischen Mönche uns mit Benzin übergießen und anstecken, um der Welt zu entgehen. Wir müssen diese Welt so nehmen, wie sie ist. Aber wir haben uns in ihr zu bewähren. Der Beruf bleibt dem Zachäus erhalten. Auch seine Familie, für die er sorgen muß. Aber sein Leben wird anders.

Jesus sagt nicht: Erst mußt du dich vom Besitz lösen und dann will ich dir vergeben. Nein, erst vergibt er ihm und ermöglicht ihm damit einen Neuanfang. Und das gibt dem Zachäus Kraft, nun auch tatsächlich neu anzufangen. Er wird frei, sich von dem zu trennen, was ihm bisher Lebensinhalt war. Wenn Jesus sagt: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!“ dann meint er damit auch: Durch die Begegnung mit mir bist du frei geworden von alten Bindungen.

Viele Menschen können heute sicher mit dem Wort „Heil“ nicht viel anfangen. Sie wollen alle Frieden, Gerechtigkeit, Freiheit und Glück. Aber nach dem Heil sehnt sich kaum jemand. Aber letztlich kann nur die Rettung durch Gott uns all das geben, was wir ersehnen. Zachäus erfährt das Heil durch die Begegnung durch Jesus. Und dadurch erfährt er das, wonach er sich so gesehnt hat: Er kann wieder froh werden und ist wieder ein richtiger Mensch.

Auch wir können froh sein, wenn wir uns zu Gott halten. Er ist uns in der Taufe begegnet und hat sich mit uns verbunden. Wir gehören nicht zu den Verlorenen, sondern sind Gottes Kinder. Das soll heute jeder wissen, der meint, er sei so weit weg von Gott wie einst Zachäus. Christus findet uns schon, auch wenn uns die anderen beiseitedrängen, auch wenn wir uns verstecken wollen, auch wenn wir keine Hoffnung mehr haben.

Wir können uns nicht von uns aus zu Gott aufmachen. Der Anstoß geht immer von ihm aus: „Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt“, haben wir neulich aus dem Johannesevangelium gehört. Aber um Christi willen und durch unseren Glauben an ihn gehören wir nicht zu den Verlorenen, sondern zu den Geretteten, denen das Heil Gottes widerfahren ist.

Und doch hat Jesus von Matthäus dem Zöllner verlangt: „Folge mir!“ Wenn Jesus uns ruft, dann müssen wir bereit sein, alles stehen und liegen zu lassen und ihm zu folgen. Aber Nachfolge ist nicht nur möglich, indem wir im wörtlichen Sinne hinter Jesus hergehen. Zachäus bleibt in seiner Familie, gegenüber der er auch seine Verpflichtungen hat, aber er kann hier doch zum Jünger werden, weil sich sein Leben grundsätzlich wandelt. Jesus verlangt nicht - wie die Pharisäer - daß er sich erst vom Besitz löst und dann will er ihm vergeben. Nein, erst vergibt er ihm und gibt ihm damit einen Neuanfang.

Als Jude war Zachäus ja auch zum Heil berufen; aber er hatte sich aus seiner Religion, aus seiner Zugehörigkeit zum auserwählten Volk nie viel gemacht. Doch nun sagt Jesus zu ihm: „Du warst schon immer ein Sohn Abrahams, aber heute ist diesem Hause Heil widerfahren. Und das macht diesen Zachäus, der seines Lebens nicht mehr hatte froh werden können, so froh, daß er nun sogar die anderen beschenkt.

Wir wollen in diesem Gottesdienst wieder das Herrenmahl miteinander feiern. Das ist auch so ein Geschenk an uns! Gott hat uns schon in der Taufe beschenkt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ Doch wir verachten dieses Geschenk so oft und entfernen uns aus der Gemeinschaft Gottes, indem wir seine Gebote übertreten und meinen, wir hätten das Herrenmahl nicht nötig. Doch heute bietet uns Gott im Herrenmahl wieder seine Gemeinschaft an, er schließt einen neuen Bund mit uns, ein neues Testament.

Zachäus war auch ein Sünder, aber Jesus sagt zu ihm: „Heute ist diesem Haus Heil widerfahren!“ Heute soll auch jedem von uns Heil widerfahren, indem Jesus Christus jedem von uns seinen Leib und sein Blut reicht, das für uns gegeben wurde zur Vergebung der Sünden. Jedem von uns ist dieses Angebot gemacht: „Du bist mein, du darfst wieder zu mir gehören“ Jesus zieht einen Schlußstrich unter all das, was bis zu diesem Augenblick war, und sagt uns: „Jetzt kannst du wieder einen neuen, besseren Anfang machen!“ Jesus stellt uns keine Bedingungen: erst mußt du ganz rein sein, dann darfst du auch kommen. Nein, er beschenkt uns aus freien Stücken und ohne uns Vorschriften zu machen. Wer aber so von ihm beschenkt ist, der wird sich auch den Gebet gegenüber freundlich verhalten und seinen Willen tun. Und er wird auch von dem, was Gott ihm geschenkt hat, etwas weitergeben.

Das Herrenmahl ist nicht nur eine Sache für den Sonntagmorgen, sondern wirkt in unseren Alltag weiter. Wer nicht zum Tisch des Herrn kommen möchte, der kann ja andächtig auf seinem Platz sitzenbleiben und beten. Aber jeder ist eingeladen, seine Sorgen und seine Schuld hier am Altar abzuladen und getröstet und gestärkt wieder davonzugehen.

Das Herrenmahl ist eine ernste Sache, wir können es nicht leichtfertig nehmen. Aber es ist keine traurige Angelegenheit, sondern soll uns getrost und fröhlich machen, weil Gott uns wieder gut ist durch die Versöhnungstat Christi. Deshalb kommt, denn es ist alles bereit. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus.

 

 

Lk 19, 41 – 48 (10. Sonntag nach Trinitatis):

In Dresden dachte man lange, die im Krieg zerstörte Frauenkirche werde als Ruine erhalten bleiben. Neben den Neubaublöcken sollten die Mauerreste und der große Steinhaufen ein stummes Mahnmal sein, das doch sehr deutlich zu den Menschen spricht. Diese Steine erinnerten an eine der schrecklichsten Bombennächte des Krieges. Aber sie forderten auch: „Laßt so etwas nie wieder zu! Ihr habt doch die Möglichkeit, Frieden zu halten in der Welt!“

Heute ist die Kirche zum Glück wieder aufgebaut. Aber sie bleibt weiter ein Mahnmal der Erinnerung.

Unser Predigttext redet von den Steinen der Stadt Jerusalem, die ja ein Heiligtum für Juden, Christen und Mohammedaner ist. Diese Stadt hat im Laufe der Jahrtausende viel mitgemacht. Schon Jesus hat über die Stadt geweint. Er geriet in Zorn über die unheiligen Geschäfte im Tempel, aber durch seine Anwesenheit hat er Stadt und Tempel zu einem heiligen Ort gemacht.

 

(1.) Jesu Tränen über die Stadt:

Den Menschen in Jerusalem war ein großes Angebot gemacht worden: Jesus von Nazareth hat unter ihnen gelebt und war einer der ihren. Aber die Huldigung der Seinen konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Mehrheit des jüdischen Volkes sich gegen ihn gestellt hat. Weil sie das Heilsangebot ausgeschlagen haben, wird über die Stadt das bittere Ende kommen.

Jesus hat das schon vorausgesehen und deshalb über die Stadt geweint. Noch vier Jahrzehnte hat Gott diesem Volk Zeit gelassen. Aber dann wollten sie sich durch einen Aufstand gegen die Römer selber helfen. Das Ende war die Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 nach Christus und die Zerstreuung des Volkes über die ganze Welt. Gerade weil das Volk die höchste Gnade erfahren hat, soll es auch am härtesten bestraft werden. An Jesus entscheidet es sich, ob es Gericht oder Gnade erfahren wird.

Es ist Gottes Sache, wie lange er uns Zeit zur Umkehr gibt und ob und wie er straft. Jesus hat der Stadt den Frieden bringen wollen. Ihr Name bedeutet so viel wie „Schau des Friedens“. Aber sie hat ihrem Namen keine Ehre gemacht und hat keinen Frieden mit dem Gottessohn geschlossen. Nachdem sie aber das Angebot Gottes ausgeschlagen hatten, konnten sie es nicht mehr wahrnehmen und es war vor ihren Augen verborgen. Erst wollte man nicht erkennen und annehmen, nachher konnte man es nicht mehr. Das war eigentlich schon das Gericht, die Römer hätten gar nicht mehr die Stadt zu zerstören brauchen.

Jesus sieht den ganzen Ernst der Lage. Deshalb weint er. Männer weinen ja nicht so schnell. Aber Jesus wird auf einmal die ganze Gottlosigkeit dieser Stadt klar. Er sieht vor seinem geistigen Auge, wie die Menschen dort ihn ablehnen werden und deshalb das Gericht über sie kommen wird. Aber er ist nicht empört und lacht auch nicht aus Schadensfreude, sondern er weint über die Verlorenen. Er kann den Menschen sein Gutes nicht aufzwingen. Jesus will retten. Aber wo man ihn abweist, da kann er es nicht.

Aber auch über uns könnte Gott sagen: „Eure Kirche kann ja ruhig zerstört werden so wie die Frauenkirche in Dresden. Ihr braucht die Kirche ja nicht mehr, weder das Kirchengebäude noch die Kirche als Gemeinschaft der Heiligen! Euch kann es ruhig so gehen wie den Juden, die in alle Winde zerstreut wurden!“

Auch wir hier in Deutschland können das Evangelium nicht ungestraft ausschlagen. Vor über 1 000 Jahren kamen die ersten Boten des Christentums in unserer Gegend. Aber sind wir heute christlicher oder gläubiger als die Menschen vor einem Jahrtausend? Vor über 450 Jahren nahm bei uns die Reformation ihren Ausgang. Aber haben wir deshalb das Anliegen der Reformatoren besser bewahrt als etwa die römischen Katholiken, die uns doch heute in manchen Dingen ein Vorbild sind?

 

(2.) Jesu Zorn über die unheiligen Geschäfte:

Die Israelis sind heute wieder im Besitz der ganzen Stadt Jerusalem. Dadurch haben sie auch wieder Zugang zur Klagemauer, einem Rest des Tempels aus der Zeit Jesu, heute ihr höchstes Heiligtum. Wir denken dabei daran, daß Jesus von hier die Händler und Geldwechsler hat vertreiben müssen, damit der Tempel wieder zum Bethaus wurde.

Indem Jesus vom Tempel Besitz ergreift, wird er erst zu dem, was er sein soll: das Haus, das seinem Vater heilig ist. Die Erneuerung des Tempels war ein Zeichen der messianischen Zeit. Nicht nur die gottesdienstliche Praxis wurde verändert, sondern mit Jesus hat sich alles verändert. Jetzt nimmt er sein Hausrecht wahr. Nur wo er ist, da ist der Tempel Gottes. In ihm findet die Begegnung zwischen Gott und uns statt. Aber die meisten haben dieses Zeichen nicht verstanden und haben in Jesus nur einen Störenfried gesehen.

Deshalb blieb kein Stein auf dem anderen. Und Jahrhunderte später haben die Moslems auf den Trümmern dieses Tempels eine Moschee gebaut. Aber wären wir denn würdiger, im Besitz einer „heiligen“ Stätte zu sein? In unserm Land gibt es doch auch so etwas: die Wartburg in Eisenach, das Augustinerkloster in Erfurt, Wittenberg und Halle, Eisleben und Mansfeld. Uns ist auch ein großes Erbe anvertraut.

Natürlich geht es dabei nicht um die Lutherstätten an sich, sondern um das, was dort geschehen ist. Wenn man etwas erbt, freut man sich darüber. Man hütet und bewahrt das Erbe, man gebraucht es und versucht es zu vermehren. Man ist den Eltern oder Verwandten dankbar für das, was sie hinterlassen haben.

Sind wir denn dankbar für die Reformation, die wir als Deutsche geerbt haben? Luther hat die Bibel ins Deutsche übersetzt; aber es sind nur wenige, die regelmäßig darin lesen. Die Kirchen und Gottesdienste sind im evangelischen Sinne umgestaltet worden; aber nur wenige brauchen den Gottesdienst heute wirklich. Luther sprach vom allgemeinen Priestertum aller Gläubigen, bei dem jeder mithilft in der Gemeinde; aber in der Praxis hängt dann doch alles an dem einen, der hauptberuflich dafür angestellt ist.

 

(3.) Jesu Anwesenheit am heiligen Ort:

Am Ende ist Jesus wieder im Tempel. Dadurch wird er aufgewertet als der Ort, wo Jesus mit seinem Wort und seinen Sakramenten in der Welt einen Platz hat. Da ist Gott bei seinen Menschen, ihnen zugewandt und an ihnen interessiert. Jetzt sind sie nicht mehr unter sich, sondern Gott ist in ihrer Mitte. Diese Gelegenheit darf man nicht verpassen.

Natürlich hat der Tempel keine Heiligkeit an sich. Das gilt natürlich auch für unser Kirchen. Erst die Anwesenheit des Herrn macht den Ort heilig. Sicherlich ist Gott immer und überall da. Aber er bindet sich doch an Leibhaftes. Und seine Gemeinde braucht einfach einen Raum, in dem sie beieinander sein kann.

Doch müßte Jesus nicht auch über uns weinen und aus unserer Kirche und aus unserm Herzen viel herauswerfen? Wir haben kein Recht, auf die Juden herabzusehen. Sie haben ja zwei Jahrtausende als Gast bei anderen Völkern gelebt und haben dabei Schweres erleben müssen, nicht nur in Deutschland und in Europa.

Doch wir können und dürfen nicht vergessen, wie schrecklich unser Volk an dem Volk der Juden gesündigt hat. Vor 50 Jahren, am 9. November 1938, wurden überall in Deutschland die jüdischen Gotteshäuser und Geschäfte angezündet oder sonst wie zerstört. Zynisch hat man das dann als „Reichskristallnacht“ bezeichnet.

Es waren nicht nur „faschistische“ Elementen, sondern an den Ausschreitungen beteiligten sich auch viele brave Bürger, denen man das gar nicht zugetraut hätte. Viele Leute wollen bis heute nicht darüber reden, wollen diese alten Geschichten ruhen lassen. Wenn man auf diesem Gebiet forschen will, kann man etwas von der Angst spüren, die manche der Betreffenden heute noch haben.

Es ist erfreulich, wenn an den ehemaligen jüdischen Stätten Gedenktafeln angebracht oder Stolpersteine vor den Häusern verlegt werden. Es gab auch Orte, wo die Bevölkerung sich

den Nazi-Trupps entgegenstellte. Doch wir müssen immer noch befürchten, daß Menschen in ihrem Herzen denken: „Nur gut, daß die Nazis mit den Juden aufgeräumt haben, da sind wir das Problem los!“

An dem Judenhaß sind auch die Christen nicht schuldlos. Sie sagten: „Die Juden sind schuld am Tode Jesu, deshalb war ihre Verfolgung die gerechte Strafe Gottes!“ Es beruhigt halt so schön, wenn man weiß, wer die Schuldigen sind. Doch wie sollen die Juden zum Frieden mit Gott finden und wie sollen sie an Christus glauben, wenn die Christen so unchristlich an ihnen handeln?

Wir stehen in einer Schuld-Gemeinschaft mit den Juden und können nur gemeinsam mit ihnen hoffen. Sie bleiben das Volk der Verheißung Gottes, auch durch das Gericht hindurch. Wir sind nur als neues Volk der Verheißung hinzugekommen. Jesus bricht nicht den Stab über uns, sondern neben seinem Zorn steht sein Erbarmen. Gerade in Jerusalem hat Jesus ja die Schuld aller Menschen stellvertretend auf sich genommen.

Jesus erbarmt sich auch über uns. Noch ist es nicht zu spät. Wir können es besser machen als die Juden damals. Uns ist die Kirche gegeben, damit wir sie benutzen, um von Gott zu hören und ihm zu danken. Nur so hat sie einen Sinn für uns. Nur so haben wir weiterhin ein Anrecht darauf, unsere Kirche zu behalten. Dann wird sich auch Gott über uns erbarmen, wenn vielleicht schon manches schief gelaufen ist. Gott möchte keinen strafen, sondern bietet uns seine

Hilfe an durch den Gottesdienst. Warum sollten wir uns diesem Gott nicht anvertrauen?

 

 

Lk 21, 25 - 33 (2. Advent):

Es gibt ein bekanntes Bild der zerstörten Stadt Dresden. Es ist aufgenommen vom Turm des Rathauses, der wie durch ein Wunder noch stehengeblieben war. Am rechten Bildrand sieht man die steinerne Figur eines Engels, der die Arme ausgebreitet hat, als wollte er sagen: „Seht, das ist aus der Stadt geworden!“ Unten sieht man dann kilometerweit nur die Gerippe der zerstörten Häuser. Das Bild macht die schreckliche Möglichkeit deutlich, daß der Mensch die ihm anvertraute Welt zugrunde richten könnte.

Uns wird heute immer mehr deutlich, daß das Ende der Welt nicht nur durch einen Befehl Gottes kommen könnte. Wir sehen, daß das Ende auch langsam durch die Zerstörung unsrer Welt durch die Folgen des Fortschritts kommen könnte, aber genauso auch plötzlich durch die schrecklichen Waffen von heute. Uns scheint das nicht so sehr zu beunruhigen‚ wir haben uns schon zu sehr daran gewöhnt und Überhören die warnenden Signale.

Da ist es gut, wenn uns in der Adventszeit so ein Bibelabschnitt vorgelegt wird, der vom Ende der Welt spricht. An sieh hat das Wort „Advent“ für uns einen freudigen Klang. Es kündet uns an: Weihnachten ist nahe, wir können uns auf das Fest der Geburt des Herrn vorbereiten. Aber Advent ist auch eine Bußzeit, eine Zeit der ernsten Besinnung auf das, was uns mit dem Kommen des Herrn erwartet.

„Advent“ heißt „Ankunft“. Aber es geht dabei nicht nur um die erste Ankunft Christi in der Welt, sondern auch um seine Wiederkunft am Ende der Tage. Dieser Sonntag mahnt uns deshalb an das Gericht, das Jesus halten wird, wenn er wieder in diese Welt kommt. Beim ersten Hören klingen diese Worte niederdrückend. Aber es geht nicht darum, eine Weltuntergangsstimmung zu erzeugen. Jesus will uns nicht in Angst und Schrecken jagen.

Das tun die Sekten, die den Menschen tüchtig einheizen, um sie dann in ihre Fänge zu treiben. Die Neuapostolischen erwarteten das Ende der Welt, wenn ihr Stammapostel stirbt. Aber ehe er 1960 starb, hat er angeblich noch eine Offenbarung gehabt, nach der Gott doch noch etwas Geduld habe und noch warten wolle. Die Bibelforscher berechneten das Ende der Welt für das Jahr 1914. Aber es kam der erste Weltkrieg, der ja schon der Anfang vom Ende hätte sein können, aber von einem noch schlimmeren gefolgt wurde; und hoffentlich kommt nicht noch ein neuer, der dann wohl wirklich das Ende bringen würde.

Deshalb ist es gut, wenn wir hier aufgefordert werden: „Augen auf!“ Wir fragen uns vielleicht: Ist das noch die gute Welt, die Schöpfung aus der Hand Gottes? Die Flüsse sind verseucht, die Wälder sterben ab, manche Tiere werden nur noch in Büchern beschrieben. Durch menschliche Schuld ist vieles zerstört. Und über allem steht die tödliche Bedrohung durch Waffen, die das Ende alles Lebens bedeuten können, Die Neutronenbombe wurde schon als „Bombe des Jüngsten Gerichts“ bezeichnet (dooms-day-bomb). So ist uns der Gedanke nicht fremd, daß alles Leben in der Tiefe bedroht ist.

Aber es wäre falsch, aus den Aussagen der Bibel einen Termin des Endes berechnen zu wollen. Man hat immer wieder versucht, die erwähnten Endzeitereignisse mit bestimmten Vorgänge- in unsrer Zeit gleichzusetzen. Dann könnte man dann feststellen, an welchem Punkt wir gerade angelangt sind, und daraus berechnen, wie viele Stationen noch bis zum Ende ausstehen.

Doch man kann hier keinen Fahrplan aufstellen. Es handelt sich sowieso vorwiegend um Vorstellungen aus jüdischer Religion, die Jesus und die Gemeinde nur übernommen haben. Sie hören sich so an, als sei alles nur Schicksal und der Mensch könne nichts daran ändern. Gottes Reich kommt zwar ohne unser Zutun ganz von selbst. Aber wir werden dadurch auch zur Entscheidung herausgefordert. Wir sollen die Dinge so ernst nehmen, wie sie sind. Aber wir sollen in der Zuspitzung der Ereignisse nicht hilflos liegenbleiben.

Die tröstliche Antwort gerade der Adventssonntage lautet: Es wäre falsch, einen Termin berechnen zu wollen oder auch einfach das Kommende nicht zu beachten. Jesus sagt: „Wenn ihr draußen die Bäume ausschlagen seht, dann wißt ihr, daß bald Sommer wird. Da könnt ihr doch auch begreifen: Wenn Christus kommt, beginnt das Reich Gottes!“

 

Wir dürfen wissen, daß das.Ende der Welt mit der Wiederkunft Christi gekoppelt ist, mit der

auch das Reich Gottes beginnt. Es wird also nicht erwartet, daß wir das Reich Gottes schaffen, aber daß wir uns darauf einstellen. Der Blick ist nicht auf die Schrecken der Endzeit zu richten, sondern auf das kommende Heil. Hinter den düsteren Worten steht die frohe Botschaft: „Der Herr ist auf dem Wege zu uns!“ Angst wird also nicht durch Sicherungen überwunden, sondern durch den Glauben an den kommenden Herrn.

Was wir jetzt nur glauben und hoffen, das werden wir dann sehen. Die Anfechtung wird ein Ende haben, aller Zweifel und aller Unglaube, Mißerfolg und Versagen, Traurigkeit und Leiden. Uns ist nicht versprochen, daß die Welt immer christlicher wird. Aber wir leben in einer Jetzterwartung, leben immer an einer Grenze. Und da macht es nicht viel aus, ob die Grenze für den Einzelnen im Tod überschritten wird oder die ganze Welt den letzten Advent des Herrn erlebt.

Wer wach ist, erkennt die Zeichen. Manches hat für uns den endgeschichtlichen Charakter verloren: Sonnen- und Mondfinsternisse sind für uns vorausberechenbar, selbst Naturkatas­trophen werden vorausgesagt, so daß man sich darauf einstellen kann. Wir bauen Talsperren und Dämme gegen das Hochwasser und ergreifen Maßnahmen gegen Hunger und Seuchen. Aber die täglichen Zeitungsnachrichten zeigen uns doch, daß Christi Herrsein bis zur Stunde tief verborgen ist und der Kampf mit den Mächten der Zerstörung noch zu Ende gekämpft werden muß. So werden wir aufgefordert zum verantwortlichen Umgang mit Gottes Schöpfung, aber auch dazu, die Augen aufzuhalten für Jesu letzten Advent!

Daneben steht als zweite Aufforderung: „Kopf hoch!“ Alle Anzeichen werden erst eindeutig, wenn der Herr wirklich erscheinen wird. Dann gilt es, den Kopf zu erhaben und dem Herrn entgegenzugehen. Es muß dabei keiner verschreckt und eingeschüchtert sein. Alle Bedrängnisse und Begrenztheiten erhalten auf einmal einen anderen Stellenwert. Es wird sich niemand danach drängeln, aber er wird alles als Begleiterscheinung des Kommens Christi sehen und verstehen.

Luther hat einmal die Lage eines Christen verglichen mit einem Ritter, den der Feind gefangengenommen hat und ins tiefste Burgverlies geworfen hat. Aber eines Tages hört der Gefangenen Lärm. Die Burg dröhnt von den Rammbänken des Belagerers. Ihm wird auch angst und bange, als die Mauern bersten. Aber er weiß: Das ist ja ein Freund, der gekommen ist, mich aus der Gefangenschaft zu befreien.Jeder Schlag bringt ihn der Erlösung näher. So haben es auch die Verfolgten des Naziregimes empfunden: der Vormarsch der Gegner war ihnen erträglich, er wurde sogar mit Freude erwartet, obwohl er die Niederlage des eigenen Volkes und die Zerstörung von Dörfern und Städten bedeutete.

Jesus kommt allerdings nicht mit Waffen. Und unsre Welt ist kein Burgverlies oder Konzentrationslager. Aber die Ermutigung, die in einem solchen Vergleich liegt‚ wird uns schon deutlich sein. Doch es geht nicht darum, allem Hinderlichen doch noch eine positive Seite abzugewinnen. Was uns den Blick erheben läßt, ist Christus. Gemeint ist die ausschließliche Konzentration auf das Kommen des Menschensohnes.

Wir sind schon jetzt mit ihm verbunden. Aber es ist wie bei zwei Liebenden‚ die vorwiegend nur brieflich oder mit den anderen modernen technischen Mitteln in Verbindung sein können. Der Briefwechsel bezeugt vollgültig, daß sie einander gehören. Aber die Liebe sucht doch auch nach völligem Vereintsein. So suchen wir eben auch nach der völligen Vereinigung mit Christus.

Überall auf der Welt sehnen sich die Menschen nach Erlösung. Da sind Hungernde und Kranke, die so gern Hoffnung hätten auf Heilung und neues Leben. Da sind die Alten und Einsamen, die ohne Freude in die Zukunft blicken und sich überzählig vorkommen. Damit sie wieder ihre Häupter erheben können, sind offene Herzen und helfende Hände notwendig. Als Christen sind wir nicht unbeteiligte Zuschauer, die zum untätigen Warten verurteilt sind. Gott erwartet von uns, daß wir die Zeit bis zur Wiederkunft Christi dazu nutzen, die Armen und Gebeugten aufzurichten. Sie sollen Hoffnung und Zuversicht wieder möglich machen, damit Menschen ihre Augen wieder aufheben können, die sie vor Furcht und Verzagtheit niedergeschlagen hatten.

In unserem Lebenskreis, in Haus und Beruf, können wir dazu helfen, daß ein Stück Friede für alle verwirklicht wird. Durch ein Opfer von Geld und Zeit und auch einem Stück unserer Ruhe können wir helfen, daß ein Einsamer oder Kranker wenigstens für einige Zeit menschliche Nähe und Liebe spüren kann.

Der Film „Der Untergang der Titanic“ schildert folgende Szene: Ein alter Mann findet einen kleinen Jungen, der seine Mutter in dem Menschengewühl verloren hat. Er drückt das Kind an sich, beruhigt es und redet ihm gut zu. Die Menschen um sie herum schreien in panischer Angst. Aber der alte Mann hat die Zeichen verstanden und im letzten Augenblick seines Lebens noch Gutes getan.

Wenn wir auch so handeln könnten, wären wir nicht Nachhut des Gestrigen, sondern Vorboten einer heilen Welt, nämlich des Reiches Gottes. Ein Stück des Reiches Gottes ist schon Wirklichkeit in der Kirche. Dort wird Gottes Wort verkündet, das ewig bleiben wird. Himmel und Erde werden vergehen, aber Jesu Worte werden nicht vergehen. Deshalb haben wir dieses Wort, gesprochen oder gesungen, in dieser Zeit weiterzusagen und uns nicht nur auf Adventsschale und Einkauf zu beschränken. Mit dem Wort Gottes ist uns schon ein Stück Ewigkeit in Herzen und Hände gelegt. Vorher ist es vielfach verborgen unter einer harten Schale. Aber diese wird aufbrechen und wir werden inmitten alles Zerbrechens dann den Schritt tun dürfen vom Glauben zum handgreiflichen Schauen.

 

 

Lk 22, 31 - 34 (Invokavit):

„Du kannst dich felsenfest auf mich verlassen!“ Das ist ein Satz, den man gern hört. Man muß sich verlassen können auf seinen Ehepartner, auf seine Freunde und Mitarbeiter. Aber leider wird man da auch enttäuscht. Und so entstand das Sprichwort: „Wer sich auf andere verläßt, der ist verlassen!“

Besonders erschüttert hat die Menschen schon immer die Geschichte von der Verleugnung des Petrus. So etwas hätte nicht passieren dürfen! Erst wollte Petrus besonders stark sein, hat sogar zum Schwert gegriffen, als Jesus verhaftet werden sollte. Aber dann im Hof des Ho­hen­priesters, da wurde er schwach. Als man ihn fragte, ob er denn nicht auch zu diesem Jesus gehöre, da sagte er dreimal: „Ich kenne den nicht!“

Petrus ist dabei nur das Modell dafür, was mit jedem vor uns passieren kann bzw. was der Herr an jedem von uns tut. Er nimmt aus dem größeren Kreis eine Figur heraus und zeigt in Großaufnahme, was allen widerfährt. Petrus wird versucht werden wie jeder von uns. Aber die Geschichte seines Glaubens wird weitergehen. Den Versagenden trägt die Fürbitte Jesu, so daß der Glaube auch dem Schwachgewordenen bleibt . er Herr steht für den Jünger ein.

Dieser ist zwar versucht, aber dennoch gehalten, er ist eingebrochen, wird aber dennoch bleibend beauftragt.

 

1.Versucht, aber gehalten: Jesus weiß was Versuchungen sind, wenn Menschen in der Gefahr stehen, sich von Gott loszusagen und dem Bösen zu dienen. Jesus selbst war solcher Versuchungen ausgesetzt, schon ganz zu Beginn seines Wirkens, als ihn der Teufel zum Wundertäter machen will; aber im Grunde war sein ganzes Leben und besonders sein Leiden und Tod eine einzige Gehorsamsprobe.

Jesus möchte so etwas seinen Brüdern ersparen. Er weiß, wie zerbrechlich ihr Glaube ist. Es muß nicht einmal zu solchen Belastungen kommen wie in der Nacht der Verhaftung Jesu: der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Zuerst sieht es so aus, als würde Petrus nicht zu den Treulosen gehören, weil Jesus für ihn gebetet hat, daß sein Glaube nicht aufhört. Aber dann heißt es doch: „Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, daß du mich kennst!“

Wie steht es denn damit bei uns? Könnten wir behaupten: „Mir wäre so etwas nicht passiert, ich hätte mich zu Jesus bekannt!?! Könnten wir uns auf uns selbst verlassen? Unser Glaube hat vielleicht schon bei geringeren Belastungen versagt. Eigener Wille oder fremde Einflüsterung haben uns zum Unrechten verleitet. Wir fühlten uns um unser Glück betrogen, weil Gott uns Schweres auferlegt hat. Wir hatten Angst und meinten, da sei keiner, der uns auffängt. Wasser hat keine Balken, der Glaube aber ebensowenig.

Da war einer entrüstet, als sein Freund Frau und Kinder verließ. Aber jetzt hat er selbst ein heimliches Verhältnis, schämt sich vor seiner Frau und vor sich selbst und findet doch nicht die Kraft, es zu beenden oder mit seiner Frau offen darüber zu reden. Da war ein Jugendlicher aktiv in der Jungen Gemeinde. Die anderen nahmen ihn zum Vorbild, sein Wort galt etwas. Aber jetzt ist er im Beruf und hat noch nicht den Mut, seinen Kollegen zu sagen, daß er zur Kirche gehört. Da hat sich ein Pfarrer aufgeopfert im Dienst, hat oft Trost zugesprochen an Krankenbetten und gegenüber Leidtragenden. Aber jetzt liegt er gelähmt im Pflegeheim und fragt: „Womit habe ich das verdient?! Er kann nicht mehr an die Liebe Gottes glauben.

Durch solche Dinge werden wir gesiebt wie der Weizen. Hinter allem ist der Böse am Werk. Er hat viele Macht. Wenn er uns einreden will, daß eine solche Prüfung sich nicht lohnt, heißt er „der Versucher“. Wenn er uns einflüstert, daß wir selbst entscheiden könnten, was gut und böse ist, dann heißt er wie in der Erzählung vom Sündenfall „die Schlange“. Wenn er unsre guten Vorsätze zur Versöhnung durcheinanderwirft, heißt er „Teufel“, denn dieser ist der „Durcheinanderwerfer“.

Zwischen Jesus und seinen Jüngern ist nicht einfach ein zwischenmenschliches Verhältnis zu Bruch gegangen. Gottes Herrschaft muß vielmehr immer wieder gegen die Mächte des Bösen durchgesetzt werden. Gott hat den Engeln und den Menschen die Freiheit gewährt, die auch die Möglichkeit des Abfalls einschließt. Diese Möglichkeit ist der teure Preis, den Gott bezahlt, damit Liebe möglich wird.

Doch Jesus steht für seinen Jünger ein. Er ruft Petrus nicht auf zur eigenen Leistung. Der Glaube ist nicht ein Werk, das der Jünger vollbringt. Wir hätten gern einen starken Glaubensmut und eine unerschütterliche Zuversicht. Aber wenn es uns daran fehlt, brauchen wir nicht nervös zu werden.

Christus ist nicht nur für die Leute mit starkem Glauben da, sondern erst recht für solche, wie ich es bin. Der Satan will mich an Jesus irremachen und mich in Sünde und Verzweiflung stürzen. Aber da ist Jesus, der an mir keinesfalls weniger interessiert ist als der Widersacher: Er betet für mich, daß die Linie des Glaubens nicht abreißt, sondern durchläuft.

Da liegt einer krank, ist sehr schwach und verzweifelt am Leben, er kann nicht mehr glauben und beten. Da soll er sich daran erinnern, daß sein Herr sowohl unsichtbar an seinem Bett und vor Gottes Thron steht und bittet: „Laß ihm der Glauben nicht ausgehen!“ An sich wäre es um unseren Glauben längst geschehen. Aber so sind wir gehalten wie an einem Seil. Wer nur noch auf den schaut, der ihn hält, das ist eben der, der glaubt.

 

2. Eingebrochen, und doch bleibend beauftragt: Es ist bewegend, wie Petrus im Überschwang der Liebe zu seinem Herrn sich übernimmt. Er tut es in ehrlicher Absicht und im besten Glauben an sein Durchstehvermögen. Aber er sieht die Glaubenstreue als etwas an, was er selbst aufzubringen hat. Er scheut nicht Gefangenschaft und Tod, sondern will so tapfer sein, wie mancher andere auch, der das einmal Versprochene gehalten hat.

Aber in dem Konfliktfeld zwischen Gott und dem Satan kann der gute Wille allein nicht bestehen. Bei den listigen Anläufen des Teufels kann man sich nicht so viel Durchhaltevermögen und Leidensbereitschaft zutrauen. Glaube ist nicht zu bestreiten mit den Aufschwüngen und Anstrengungen des eigenen Herzens. Glaube ist nicht die Haltung des innerlich starken Menschen, der sich alles zutraut.

Wer glaubt, wird sich leichtfertiger Zusagen und Gelübde enthalten. Er wird wissen, daß er heute stehen und morgen schon fallen kann. Er wird seinen Glauben ganz in der Aktivität seines Herrn begründet wissen. Jesus sieht voraus, daß auch der einbrechen wird, für den er einsteht. Auch die Wiedergeborenen sind in der Gefahr abzufallen und sündigen mehr oder weniger massiv. Manche meinen, in der Kirche müsse es anders zugehen als beim Staat. Oder sie hoffen, daß es in einer anderen Kirche besser ist und wechseln zu dieser. Aber da ist es auch nicht anders.

Da hat Jesus eben das Abendmahl eingesetzt, und im nächsten Augenblick muß Jesus zu Petrus sagen: „Du wirst mich verleugnen!“ Da wurde eben in der Kirche das Abendmahl gefeiert und schon streiten sich die Christen schon wieder wie die Jünger.

Aber auch Petrus wird wieder umkehren dürfen, nicht nur dieses eine Mal, sondern immer wieder. Der Auftrag bleibt ihm ohne Wenn und Aber: „Stärke deine Brüder!“ Gerade der sich als schwach erwiesen hat, wird die anderen stärken. Jesus will gerade den, der eingebrochen ist, zuerst für seine Zwecke benutzen.

Hier wird tatsächlich dem Petrus ein besonderer Auftrag zuteil. Er war nun einmal der Erste, der der Auferstandenen gesehen hat. So konnte er auch als erster seine Brüder stärken und das Wort von Christus in die Öffentlichkeit bringen. Man muß nichts gegen einen „Ersten“ in der Gemeinde haben.

Sicherlich kamen man sich auch gegenseitig zum Glauben Mut machen. Aber das geht nicht so, daß jeder dem anderen etwas von dem Seinen gibt. Es ist immer der Herr, der durch seine Diener wirkt. Auch der Amtsträger gibt nichts aus dem Eigenen, sondern er ist ein Armer, der viele reich macht.

Gott hat seine Kirche gebaut mit fehlerhaften und schwachen Menschen. Er hat sie gebaut mit Menschen, denen er wieder auf die Beine geholfen hat. Seither ist keiner zu schlecht und un­begabt, daß er nicht in Gottes Bau seinen Platz finden könnte. Und wer gerade fest im Glauben und mit beiden Beinen im Leben steht, der soll seine Brüder stärken, deren Glauben zu schwinden droht und die mit ihrem Leben nicht zurechtkommen. Aber ehe man andere stärken kann, muß man sich erst selbst gestärkt haben. Das aber geschieht für uns im Abendmahl.

 

 

Lk 23, 33 - 49 (Karfreitag):

Wenn sich irgendwo ein Unfall ereignet hat, dann strömen die Leute zusammen. Man ist in­teressiert, man diskutiert, man weiß alles besser. Oftmals wird dabei noch der Krankenwagen behindert. Aber bald hat sich wieder alles beruhigt und man geht wieder an sein Tagewerk. Man bleibt nicht ungerührt von dem furchtbaren Geschehen. Aber man geht eben doch zurück in den Alltag und schirmt sich ab von allem Zeichen des Unglücks.

So taten es auch die Leute, die zur Kreuzigung Jesu gekommen waren. Sie schlugen sich zwar an die Brust, als sie sahen, was da geschah. Aber dann gingen sie wieder heim, und alles war für sie so wie vorher. So werden auch wir wieder heimkehren, wenn dieser Karfreitagsgottes­dienst zu Ende ist. Wir haben uns wieder einmal daran erinnern lassen, wie unmenschlich es damals in Jerusalem zuging.  Aber bestimmt dieses Ereignis auch noch unser Leben lassen wir uns davon auch heute noch bestimmen? Wird dadurch etwas anders bei uns?

Diese Chance aber will uns der Gekreuzigte geben. Er schenkt die Vergebung, er gibt Hoffnung, er erringt den Sieg. Das kann uns besonders deutlich werden, an den drei Worten Jesu am Kreuz, die Lukas uns überliefert. Lukas hat ja die Schilderung etwas abgemildert. Zum Beispiel hat er den Satz aus dem 22. Psalm weggelassen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Stattdessen bringt Lukas ein Gebet: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Aber dadurch wird der Heilscharakter des Kreuzes umso deutlicher. Hier können wir sehen, was am Kreuz für uns geschehen ist. Aber es entsteht der Eindruck, als wäre Jesus zu sehr Gott und zu wenig Mensch.          

 

(1.) Die Größe des Verbrechens:

Auch bei Lukas wird erschütternd deutlich, was Jesus angetan worden ist. Das sind zunächst die Soldaten. Sie wissen offenbar wirklich nicht, was sie tun und an wem sie sich vergreifen. Sie können sich auch nicht mit der Ausrede entschuldigen: „Befehl ist Befehl! Wir haben unsre Anweisungen und können uns nicht auf unser Gewissen berufen!“

Was sie tun, enthüllt nur die unmenschliche Art aller Menschen. Jeder will doch immer recht behalten, auch wenn er notfalls dazu den anderen ausschalten muß. Auch wir ärgern uns schnell darüber, wenn ein Mensch anders ist als wir; und wir würden uns wohl auch über die Andersartigkeit Jesu ärgern. Wenn man die Kinder fragt, dann sagen sie voller Überzeugung: „Wir hätten Jesus doch nicht gekreuzigt!“ Aber es hätte sicher anders ausgesehen, wenn wir damals an der Stelle der Soldaten gewesen wären.          

Wir hätten vielleicht auch gesagt: „Wir konnten doch nichts ändern, das hätten höchstens die Oberen gekonnt!“ Aber damit hat sich selbst ein Adolf Eichmann verteidigen wollen. Aber hätten wir denn den Mut gehabt, selbständig zu entscheiden und auch einmal auszuscheren?

Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.

Wußten die Verantwortlichen des jüdischen Volkes wirklich nicht, was sie taten? Gewiß war ihnen nicht deutlich, wen sie da wirklich vor sich hatten. Er hatte sich zwar zu seiner göttlichen Herkunft bekannt, aber gerade das erschien ihnen ja als Zeichen seiner Lüg und Hochstapelei. Mit ihrem Spott treffen sie gerade die schwache Stelle bei Jesus: er  i s t  ja der Sohn Gottes, er  k ö n n t e sich ja tatsächlich dem Zugriff seiner Feinde entziehen. Aber er muß stillhalten, weil er Gottes Willen tun will.

Die Kreuzigung war auf jeden Fall ein Verbrechen. Auch wenn sie damals nicht erkannten, wer Jesus wirklich war: Gott will nicht, daß ein Mensch so geschändet wird wie durch eine Kreuzigung. Auch bei den anderen, die ja tatsächlich Verbrecher waren, war die Kreuzigung eine Urmenschlichkeit. Seit Gott in Jesus Mensch geworden ist, trifft ihn ja alles mit, was Menschen zugefügt wird.

Das gilt auch für den Spott der Vorübergehenden. Sie taten es ja aus freien Stücken, sie wurden nicht gezwungen; sie hätten ja gar nicht zu kommen brauchen. Manche waren wohl enttäuscht, weil Jesus nicht seinem Volk wieder zu Macht und Ansehen verholfen hatte. Andere hatten sich wohl in die Irre führen lassen, gerade auch durch solche Leute, die um ihr Amt bangen mußten, wenn die Jesus-Bewegung sich durchsetzen sollte. Manche waren wohl auch

nur Mitläufer, die sich bei den Herrschenden lieb Kind machen wollten. Manche werden auch gemeint haben, im Leben zu kurz gekommen zu sein und Gott deshalb verklagen zu dürfen.

Vielleicht haben einige mit dem Nachbarn getuschelt und auch hinter vorgehaltener Hand geschimpft. Vielleicht waren sie auch nicht genügend informiert. Ganz gefühllos waren sie wohl nicht, aber sie haben zugeschaut und nichts unternommen. Jesus weiß: Sie haben alle die Vergebung nötig. Sie haben alle zum Leiden Jesu beigetragen und haben deshalb den Kreuzestod Jesu erforderlich gemacht.

Auch heute geht dieses Leiden Jesu noch weiter, wenn wir nicht auf ihn hören und ungerührt das Leiden in der Welt betrachten oder selber zu diesem Leiden beitragen. Aber haben wir nicht auch schon untätig dabeigestanden, wo wir reden oder eingreifen hätten sollen? Wir sehen zu, wie Jesus aus der Welt unsrer Kinder verschwindet, wir schütteln mit dem Kopf, aber tun den Mund nicht auf.

Jesus steigt nicht vom Kreuz, wie es ihm die Spötter raten Er hilft nicht sich selber, sondern er hilft uns. Er steigt nicht vom Kreuz, um sein Amt als Weltenrichter anzutreten, sondern er macht sich zum Fürsprecher seiner Peiniger. Gerade in dem Augenblick, in dem die Welt untergehen müßte, bittet Jesus um Vergebung. Wenn wir das doch auch könnten! Die Kreuzigung wäre schon dann nicht vergeblich gewesen, wenn wir dem Vorbild Jesu nachfolgen könnten: nicht die Welt verurteilen, sondern ihr die Vergebung Jesu anbieten und selber zur Vergebung bereit zu sein.

 

(2.) Es ist nicht zu spät für eine Umkehr zu Gott:

Das wird uns leichter sein, wenn wir die Hoffnung bedenken, die Jesus uns gibt. Sie wird deutlich in dem Gespräch mit den beiden Verbrechern. Der eine spricht so wie die Führer des Volkes. Er fühlte sich wohl als Freiheitskämpfer gegen die Römer und forderte Jesus heraus: Sei doch das, worum du verurteilt worden bist!

Darin sieht er noch eine kleine Hoffnung für sich selbst. Daß Jesus nicht auf dieses Ansinnen eingeht, wird ihm eine große Enttäuschung geworden sein. Dabei hätte Jesus eine Hoffnung für ihn, wenn auch in ganz anderer Art. Das wird an dem zweiten Verbrecher deutlich. Er hat erkannt: Schuldig sind wir beide! Wir sollten uns vor Gott fürchten! Nur Jesus könnte noch helfen. Denn er ist wirklich der Messias, nicht ein politischer Herrscher, sondern der leidende Retter aller Menschen. Dieser Mann hat genau erkannt: Es gibt keinen Weg an Gottes Gericht vorbei. Es gibt höchstens einen Weg durch dieses Gericht hindurch, wenn man sich an Jesus wendet.

Das Beispiel dieses Mannes zeigt: Es ist nie zu spät für eine Umkehr zu Gott. Noch über den Tod hinaus dürfen wir auf die Gemeinschaft mit Gott rechnen. Wer im Herrn stirbt, der darf gewiß sein: Im Augenblick nach seinem letzten Seufzer wird er bei Gott erwachen: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Das ist die Hoffnung, die wir auch heute alle haben dürfen,

Im Jahre 1566 haben Bilderstürmer in Flandern aus einer Kreuzigungsgruppe das Bild des ge­kreuzigten Christus herausgeschlagen. Sie haben damit ein schreckliches Symbol hinterlassen: Den beiden Verbrechern ist der Herr genommen, der sie vor der Sinnlosigkeit bewahrt. Das Bild hatte seine Mitte verloren. Wenn Jesus nicht mehr den Leidtragenden und Ausgestoßenen nahe ist, dann bleibt nur das Nichts. Das aber dürfen wir ja genau wissen: Jesus bleibt in der Mitte und wird so zu unserem Retter.

 

(3.) Jesus bleibt der Sieger:

So bleibt Jesus doch am Kreuz der Sieger. Bei Lukas stirbt er nicht mit einem lauten  Schrei, sondern mit dem Gebet, das man in ganz Israel um diese Stunde betete „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Entweder hat er die Not schon hinter sich gelassen und atmet erleichtert auf. Oder er flüchtet sich mit diesem Gebet zu seinem Vater, um die Anfechtung zu überwinden.

In jedem Fall aber erscheint er als der Sieger: als Sieger über sich selbst und als Sieger über seine Feinde. Noch im Sterben beeindruckt er einige unter denen, die das alles miterleben. Man wollte ihn umbringen, um seine Sache ein für allemal zu erledigen. Aber nun werden erst recht Menschen für Gottes Sache gewonnen.

Der eine ist der zweite Verbrecher, der die Stunde nutzt zu einem Schuldbekenntnis und der daraufhin die Vergebung Jesu erfahren darf. Ein anderer ist der römische Hauptmann. Es wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, daß er ein Christ geworden ist. Er spricht nicht einmal wie bei Markus und Matthäus davon, daß Jesus Gottes Sohn gewesen sei. Aber im Grunde will er das Gleiche ausdrücken, wenn er sagt: „Dieser ist ein frommer Mensch gewesen!“

Der Hauptmann erkennt: Hier ist einer unschuldig gestorben! Er ist auch für den Hauptmann gestorben. Er ist auch gestorben für alle, die sich unter sein Kreuz stellen oder unter sein Kreuz gestellt werden. Für die Spötter wird es natürlich schwer sein, in Gemeinschaft mit Jesus zu kommen. Er aber ist dazu bereit, er will jeden gewinnen.

Wer den gekreuzigten Jesus ansieht, kann im Grunde nicht ungerührt wieder weggehen. Hier ist einer, der uns die Hand geben will. Er sagt: „Deine Schuld wird dir vergeben. Geh nur mit mir, dann hast du eine Hoffnung und hast Anteil an meinem Sieg. Du wirst nicht für alle Ewigkeit sterben müssen, sondern du wirst mit mir im Reiche Gottes leben können!“

 

 

Lk 24, 13 - 35 (Ostern II):

Wer auf dem Friedhof einen lieben Menschen hat begraben müssen, der geht mit traurigen Gedanken heim. Stellen wir uns vor, es war noch ein junger Mann, der Ernährer der Familie, es sind noch kleine Kinder da. Was wird nun werden? Wie wird sich die neue Situation bewältigen lassen? Die ersten Tage begegnet den Angehörigen noch eine Welle der Hilfsbereitschaft. Aber nachher geht jeder wieder zur Tagesordnung über und hat seine eigenen Probleme, die Hinterbliebenen sind auf sich allein gestellt.

Sie haben zwar bei der Trauerfeier das Wort von der Auferstehung gehört. Aber das löst ja nicht ihre gegenwärtigen Probleme. Sie wissen nicht aus noch ein. Sie tun etwas ohne Sinn und Verstand, nur um überhaupt etwas zu tun. Schnell macht sich auch innere Leere breit,

weil man enttäuscht ist: vom Leben allgemein, von anderen Menschen, auch von sich selbst. Was man erhofft hatte, das läßt sich nicht mehr verwirklichen. Man kann nur noch tief enttäuscht sein.

In dieser Stimmung sind auch die beiden Jünger, die uns in der Emmaus-Erzählung vor Augen gestellt werden. Sie verlassen Jerusalem mit hängenden Köpfen und traurigen Herzen. Sie sind erschrocken und eingeschüchtert durch die Ereignisse in Jerusalem. Ire großen Pläne von der Befreiung von der römischen Fremdherrschaft und von wichtigen Posten für die Jünger Jesu sind zerronnen. Sie können nur nach rückwärts schauen und dabei nur enttäuscht und traurig sein. Sie sehen keine Zukunft vor sich.

Sie gehen fort von Jerusalem, denn dort haben sie nichts mehr zu suchen. Damit gehen sie auch von Jesus fort, denn Jesus ist tot und nichts mehr von ihm zu erhoffen. Im Grunde war er ihnen auch vorher ein Fremder geblieben, denn sie hatten sich etwas anderes von ihm erhofft. Nun wollen sie erst einmal nach Hause und dann irgendetwas anfangen, um alles vergessen zu können.

In diesen beiden Männern können wir uns selber erkennen. Haben wir ihn denn jemals verstanden? Vor allem: Haben wir ihn richtig verstanden? Wir reden von Gottes „Liebe“ und meinen, Gott müsse uns alles erfüllen, was wir wollen und was uns gerade einfällt. Wir reden von der „Vergebung der Sünden“ und decken damit nur unseer Bequemlichkeit zu und nehmen die Sünde nicht ernst. Wir reden von der „Erlösung“ und meinen, Gott müsse all unser kleinen und großen Beschwerden aus dem Weg räumen.

Wir haben unsere Ansprüche und Erwartungen an Gott, sehen aber nicht, was er mit uns vorhat. Oft suchen wir unser sogenanntes „Glück“ auf eigene Faust und begnügen uns mit dem, was die Welt zu bieten hat. Erst wollten wir den Berggipfel bezwingen. Aber dann bleiben wir bei einigen schönen Blumen im Tal hängen. Die Berufsausbildung geht vor, für die Familie muß man etwas tun, das Haus muß in Ordnung gehalten werden…..Wenn dann noch Zeit ist, kann man immer noch auf den Gipfel steigen, kann man sich immer noch mit Gott befassen. So denken wir doch oft.

Wir meinen dann, es läge an uns, ob wir uns zu Gott aufmachen oder nicht. Dabei hat er sich selbst zu uns aufgemacht und ist uns auch heute nah. Der auferstandene Jesus geht den ent­täuschten Jüngern nach. Er müht sich um sie, hat Zeit für sie und führt sie Schritt für Schritt zu neuer Erkenntnis. So geht er auch uns nach, gerade wenn wir einmal eine Enttäuschung erlebt haben.

Wir sind allerdings doch auch in einer anderen Lage als die beiden Jünger. Diese haben Jesus bis Karfreitag persönlich gekannt, sie hätten ihn auch nach Ostern gleich erkennen müssen. Aber sie haben noch nicht gewußt, was wir heute wissen. Mit einer Auferstehung konnten sie ja nicht rechnen, das lag völlig außerhalb ihres Gesichtskreises. Wir aber kennen die Geschichte schon und wissen, daß der auferstandene Jesus hier mit den Jüngern redet.

Doch noch wichtiger ist ja, daß auch wir in Kontakt mit ihm kommen. Es geht ja nicht um einen allgemeinen Sachverhalt, der „Auferstehung“ heißt, sondern auf die persönliche Ge­mein­schaft mit Jesus kommt es an. Doch dieser Jesus ist uns näher, als wir oft denken. Jesus ist mit uns auf dem Wege, auch wenn wir ihn nicht erkennen. Auch wem wir uns ganz einsam und verlassen fühlen, ist er uns zur Seite. Gerade dann, wenn wir uns mit großen Zweifeln herumquälen, will er uns helfen. Er ist sogar bei denen, die ihn noch gar nicht kennen und die sich mit Händen und Füßen sträuben, ihn anzuerkennen. Wir meinen oft, mit unsersgleichen allein zu sein oder auch uns mit irgendeinem Fremden zu unterhalten. Aber in Wirklichkeit ist Jesus mit dabei und begegnet uns auch in unsern Mitmenschen.

Vielleicht ist er schon lange hinter uns her. Vielleicht will er sich gerade heute zu erkennen geben. Vielleicht waren unsere Augen bisher „gehalten“, so daß wir ihn nur noch nicht erkannt haben. Oftmals wollen wir verzagen und sehen keinen Ausweg mehr. In Wirklichkeit aber ist die Hilfe schon unterwegs zu uns, und eine Lösung ist schon gefunden.

Den Jüngern damals hat zunächst das Verständnis der Heiligen Schrift geholfen. Sie hatten es aber wirklich schwer damit. Sie kannten ja noch nicht das Neue Testament wie wir, sondern sie hatten nur die Schriften des Alten Testaments. Sie kannten sicher eine Menge Prophetensprüche, die von dem Retter Gottes handelten, von seinem Leiden und andeutungsweise auch schon' von seinem Auferstehen. Aber bisher waren das nur tote Buchstaben geblieben, sie hatten diese Worte noch nicht mit Jesus in Verbindung gebracht.

Erst der Herr selber muß ihnen die Auslegung geben: Wenn sie die Schrift verstanden haben, werden ihnen auch die Augen geöffnet werden. Und schließlich werden sie erkennen: Es genügt, die Heilige Schrift zu haben und richtig zu verstehen. Dann braucht man Jesus gar nicht mehr leibhaftig vor Augen zu haben, dann ist ja schon alles klar und kein Zweifel mehr möglich.

Aber für die Jünger damals war das ein gewaltiger Schritt. Mit Jesus war ja nicht nur irgendeiner gestorben, den man liebgehabt hatte, sondern hier waren die Hoffnungen eines ganzen Volkes zusammengebrochen. Hier war der Glaube an Gott ins Wanken geraten. Es war wohl nur schwer zu begreifen, daß der Tod Jesu doch Gottes eigene Tat war. Vielleicht mußte Jesus erst sterben, ehe man ihn verstehen konnte. Nun wurde klar, daß sein Reich nicht von dieser Welt ist. Der erwartete König der Heilszeit mußte durch Leiden und Tod gehen, um den Willen Gottes zu erfüllen.

Unsere Erwartungen an ihn sind meist anders. Wir meinen, Gott hätte sich in der Welt durchsetzen müssen, notfalls auch mit Gewalt. Er hätte doch längst mit den Nöten der Welt fertigwerden müssen. Wir hatten Hilfe von ihm erhofft, aber sie blieb aus. Wir sind zum Gottesdienst gegangen, aber nichts ist passiert.

An den Emmausjüngern jedoch sehen wir, wie man Ostern erleben kann: Erst große Traurigkeit und Enttäuschung. Dann wird ihr Herz von den Worten des Unbekannten angeregt, wie er da mit ihnen die Schrift durchgeht und ihren den Schlüssel zum rechten Verständnis Gottes gibt. Schließlich geht ihren ein Licht auf und sie werden von einer großen Freude erfüllt. Nun beginnen sie ihr Leben neu zu sehen und finden sich wieder in der Welt zurecht.

Doch das Wort Gottes allein macht es auch nicht. Es geht nicht allein um die Botschaft, sondern auch um den, der sie sagt. Der Bote kann nicht einfach wieder abtreten und durch einen anderen ersetzt werden. Glaube ist nicht das Kennen christlicher Lehrsätze, sondern eine Lebenshaltung: Er ist die Lebensgemeinschaft mit Christus, er gehört zu jeder Wende im Leben der Jünger mit dazu.

In ihrem Heimatort angekommen bitten die Jünger den Unbekannten: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget!“ Das ist nicht nur eine Sache der Höflichkeit, sondern sie wollen ihm Gastfreundschaft gewähren, so wie sie es von Jesus gelernt hatten. Vor allem aber soll er ihnen helfen, die neu aufgekeimte Hoffnung wachsen zu lassen. Ihr Glaube wird nur Bestand haben, wenn jener Helfer bei ihnen bleibt.

Als er das Brot bricht, erkennen sie, wer er wirklich ist: So hat Jesus immer das Brot am Beginn der Mahlzeit gebrochen, als er noch bei ihnen war. Jetzt sitzen sie wieder zum Abendbrot zusammen, und er ist mitten unter ihnen. Wir denken hierbei natürlich gleich an das Abendmahl, in dem Jesus ja auch unsichtbar gegenwärtig ist.

Wir denken vielleicht auch an den Ablauf des Gottesdienstes (es ist ja ein Sonntag!), bei dem es auch um die Auslegung der Schrift und das gemeinsame Mahl geht. Jesus kann uns zwar auch außerhalb des Gottesdienstes begegnen und Glauben wecken; aber der Gottesdienst ist doch eine besondere Gelegenheit dazu. Hier können wir auch nach Ostern noch Gemeinschaft mit Jesus haben.

Den Jüngern werden die Augen erst bei dem Mahl geöffnet. Wir würden es eher umgekehrt sagen: Nur die Predigt erklärt uns alles, das Abendmahl ist nur ein stimmungsvolles Anhängsel, das man vielleicht nicht einmal so recht versteht. Viele beurteilen den Gottesdienst nur nach der Predigt und sehen in dem anderen nur eine feierliche Umrahmung. Doch hier wird uns deutlich: Nur in Wort u n d Sakrament haben wir die volle Gemeinschaft mit dem auferstandenen und lebendigen Herrn!

Doch als die Jünger das erkennen, ist Jesus wieder verschwunden. Es kommt ja auch gar nicht darauf an, w i e die Auferstehung geschehen ist, sondern d a ß sie geschehen ist. Wir werden heute beim Abendmahl auch nur für einen flüchtigen Augenblick erkennen können, daß Jesus dahinter steht; nachher sehen wir wieder nur Brot und Wein; aber das heißt ja nicht, daß Jesus nicht da bliebe. Jesus muß ja nicht unbedingt sichtbar sein. Aber er ist da, wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen.

Deshalb gehen auch die Jünger wieder zurück nach Jerusalem. Das Kreuz, das dort steht, bedeutet keine Anfechtung mehr für ihren Glauben. Sie suchen die Gemeinschaft der anderen Christen und möchten sie teilnehmen lassen an ihrer Freude. In der Gemeinde stützt man sich gegenseitig im Glauben und wird von Jesus gehalten. In der Gemeinde kann es auch zur rechten Osterfreude kommen, weil dort einer dem anderen weitersagt: „Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

 

 

Lk 24, 36 - 49 (Ostermontag):

Wenn Jesus uns heute erschiene, so wie er den Jüngern erschienen ist, würden wir ihn da nicht auch für ein Gespenst halten? Nicht nur für einen „Geist", wie es in unserer heutigen Bibelübersetzung heißt, sondern nach einer alten Lesart richtiggehend ein Gespenst. Wir wissen zwar, daß es keine Gespenster gibt. Aber wenn wir plötzlich einem Totgeglaubten begegnen, dann werden wir doch zunächst einmal nicht wissen, was wir sagen sollen.

Ein Pfarrer wurde einmal in ein Haus gerufen wegen eines Trauerfalls. Eine junge Frau war im Pfarrhaus gewesen. Der Pfarrer war nicht da. Die Frau hat nur hinterlassen, der Vater sei gestorben und der Pfarrer möchte doch zuhause vorbeikommen. Er klingelt, und der Gestorbene macht die Tür auf. Da hatte sich die Frau nur unklar ausgedrückt: Der Großvater war gestorben, der aber nicht einmal dort im Haus wohnte. Man kann sich vorstellen, daß der Pfarrer erst einmal Luft holte, gewiß aus Erleichterung, aber auch um mit der neuen Situation fertig zu werden.

Genauso aber mag es auch den Jüngern ergangen sein, als Jesus plötzlich vor ihnen stand. Mit keiner Silbe hatten sie doch an so etwas gedacht. Sie wußten: Die Mitte unseres Kreises ist leer, Jesus ist nicht mehr da. Sie hatten gerade begonnen, sich bei ihrem Herrn geborgen zu fühlen. Ohne Jesus aber ist ihnen die Welt wieder furchtbar. Das geht so weit, daß sie Jesus im ersten Augenblick nicht einmal erkennen.

Jesus aber hat Geduld mit ihnen. Das Tor zum Glauben war eben noch verriegelt durch die harten Tatsachen des Karfreitags. So muß er den Zweifel der Jünger schon ernst nehmen. Wir dürfen ihm bis heute dankbar sein, daß er auf diesen Zweifel eingegangen ist, denn das ist ja auch unser Zweifel. Wir denken doch auch oft: Ich glaube nur, was ich sehe! Heute singen wir ,,des wollen wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein! Oder „Jesus lebt, mit ihm auch ich“. Aber schon wenig später treiben uns die Notfälle des Lebens in die Enge und nehmen uns die Freude und den Trost. Doch Jesus überzeugt von der Wirklichkeit seiner Gegenwart, von der Notwendigkeit seines Weges und von der Verbindlichkeit seines Auftrags.

 

(1.) Die Wirklichkeit seiner Gegenwart: Der Glaube an die Auferstehung wird niemals ein fester Besitz sein können. Wir werden immer wieder den Durchbruch schaffen müssen zur Glaubensgewißheit. Es kommt nur darauf an, nicht in der Anfechtung steckenzubleiben wie ein Wagen, der sich im ungünstigen Gelände festgefahren hat. Einen Wagen würde niemand dort steckenlassen, man wird alles versuchen, um ihn wieder flott zu kriegen. Allein wird man das selten können. Man braucht und sucht Hilfe.

Das gilt auch und erst recht von einem festgefahrenen Glauben. Da muß die Hilfe von außen kommen, von Jesus selbst. Deshalb zeigt Jesus nach dieser Geschichte seine Hände und Füße vor, er fordert die Jünger auf, ihn zu betasten und er ißt vor ihren Augen den Fisch.

Man könnte sagen: Drastischer geht es nicht mehr. Hier werden dem Zweifel einfach massive Tatsachen entgegengesetzt, an denen niemand mehr vorbei kann. Da braucht er sich im Grunde auch nicht mehr zu entscheiden, entweder du läßt dich überzeugen oder du läßt es eben sein. Wer es nicht glaubt, wird eben nicht selig.

Doch so einfach ist die Sache nun auch wieder nicht. Der Auferstandene ist doch nicht so da wie die Erde unter unsren Füßen oder die Wolken am Himmel. Die Jünger können nicht hingehen und ihn irgendwo suchen, sondern er zeigt sich, wo und wann er es will. Seine Erscheinung ruft oft Erschrecken hervor und sie ist auch nicht sicher zu deuten.

Jesu Gegenwart kann nur bezeugt, nicht bewiesen werden. Was Jesus zu den Jüngern sagt, überzeugt sie noch nicht. Und selbst wenn er etwas ißt, dann ist das noch kein Beweis. Lukas spricht ja gerade vom Zweifel der Jünger, um deutlich zu machen: Das waren keine Spinner, die haben sich nicht etwas vormachen lassen, sondern die haben gezweifelt wie ihr auch, sich aber dann doch überzeugen lassen. Und das ist nicht nur die Auffassung eines Einzelnen, der vielleicht einer Sinnestäuschung erlegen sein könnte, sondern hier gibt es viele Zeugen, die das auch erfahren haben.

Außerdem geht es hier gegen eine Irrlehre, nach der Gottes Sohn niemals Mensch geworden ist, sondern nur einen Scheinleib hatte. Der Auferstandene wäre dann nur ein leibloses Himmelswesen gewesen. Diese Irrlehre will Lukas abwehren. Er will zeigen, daß Jesus ein wahrhaftiger Mensch war und auch nach seinem Tode noch weiterexistierte. Deshalb legt er so Wert auf die Nägelmale, die ja besagen: Der Gekreuzigte und der Auferstandene sind die gleiche Person. Er gebraucht absichtlich die Ausdrücke „Fleisch“ und „Knochen“, um jene Irrlehrer zu ärgern und sie total zu widerlegen.

Daß Jesus nicht so wie vorher unter den Jüngern war, das weiß er auch. Das wird etwa daran

deutlich, daß Jesus plötzlich erscheint und wieder verschwindet. Wir werden heute sahen: In dieser Geschichte hat Lukas nach der anderen Seite übertrieben. Wir wissen ja, daß Fleisch und Blut das Himmelreich nicht erben können. In unserem Glaubensbekenntnis sagen wir ja heute nicht mehr „Auferstehung des Fleisches“, sondern etwas neutraler „Auferstehung der Toten“.

Dennoch dürfen wir Lukas dankbar sein, daß er uns deutlich macht: Jesus war kein Gespenst, kein Schein-Mensch, keine Einbildung. Man kann ihn zwar nicht sehen. Aber er ist doch die lebendige Mitte der Gemeinde. Obwohl er verborgen ist für unsere Augen, ist er doch auch heute am Werk. Allerdings ist das eine Sache der Erfahrung und nicht des Wissens. Doch in jedem Gottesdienst tritt Jesus unsichtbar mitten unter uns, geändert hat sich nur die Art der Gegenwart, nicht die Wirklichkeit dieser Gegenwart.

 

(2.) Die Notwendigkeit seines Weges: Jesus gibt aber noch eine Hilfe zum Osterglauben: Er öffnet das Verständnis für die Bibel wie wir es im Evangelium des Tages gehört haben. Er erzählt nicht, wie es in der Welt der Toten aussieht. Das hätte zwar die Jünger sehr interessiert und uns würde es auch interessieren. Aber Jesus lenkt den Blick auf die Wege Gottes mit den Menschen, erläutert ihnen die Heilige Schrift.

Mehr haben wir heute auch nicht, aber das genügt. So wie Jesus seinen Jüngern damals gepredigt hat, so wird uns heute gepredigt und das Verständnis für alles geweckt. In jedem Gottesdienst kommt Jesus im gepredigten Wort zu uns, oft sehr ungöttlich und mit allen Schwächen des Menschlichen behaftet. Noch ist Jesu Reich nicht direkt anschaulich, aber es ist schon mitten unter uns da.

Im Alten Testament wurde schon aus der Ferne auf den kommenden Christus hingewiesen. Es wurde auch angedeutet, daß Christus viel leiden und sterben muß. Wenn man die Heilige

Schrift recht liest, wird man das auch verstehen. Dann wird man auch erkennen, daß Jesus

hier seine Lebensaufgabe hatte und sie auch erfüllte.

Allerdings handelt es sich hierbei nicht um einen Kniff. Man könnte ja auch sagen: „Weil das mit Jesus so geschehen war, hat man das nachträglich aus der Bibel herauslesen wollen. Wenn es anders gekommen wäre, hätte man die entsprechenden Stellen nicht auf Jesus gedeutet!“ Aber so ist es nicht: Das Leiden Jesu lag ganz im Plan Gottes.

Noch mehr aber war die Auferstehung geplant, das Überraschende an dem ganzen Geschehen, womit kein Mensch gerechnet hatte. Weil Jesus von den Toten auferweckt wurde, unterscheidet sich sein Tod von dem gewaltsamen Ende eines Martin Luther King zum Beispiel. Deshalb spricht man auch heute noch von diesem Jesus, weil er auch heute noch eine Realität ist. Damit sind wir beim dritten Punkt: beim Missionsbefehl.

 

(3.) Die Verbindlichkeit des Auftrags: Unter allen Völkern soll von Jesus erzählt werden, soll seine Auferstehung gepredigt und zur Hinwendung zu ihm aufgefordert werden. Besser kann man nicht zum Ausdruck bringen, daß Ostern nicht ein Ereignis der Vergangenheit ist, sondern in die Zukunft weist.

Eben noch waren die Jünger die Empfangenden. Doch plötzlich springt die Redeweise um. Und nun heißt es, daß das Wort Gottes gepredigt werden muß. Wenn der Auferstandene nicht mehr selber da ist, so braucht er doch seine Boten. Sie sollen den Menschen sagen: „Kehrt heim zu Gott, er wird euch wieder annehmen!“ Mission ist nicht eine Liebhaberei einiger Weniger, Werbung für den Glauben und die Kirche ist nicht nur die Aufgabe der hauptamtlichen Angestellten in der Kirche, sondern die Aufgabe aller, die dazu gehören. Sie ist so wichtig wie der Gottesdienst oder die Diakonie.

Das Heil Gottes kommt nicht so über die Menschen, wie um Ostern herum der Frühling kommt, sondern es fordert eine Entscheidung und eine Stellungnahme. Nur in einem bewußten Entschluß können wir anders werden und immer wieder zu Gott zurückkehren. Dazu aufzufordern ist auch an diesem Osterfest unsre Aufgabe.

Wir dürfen aus dieser Erzählung am Schluß des Lukasevangeliums heraushören, daß wir weder als Geist auferstehen noch mit einem Körper, wie wir ihn jetzt haben. Aber wir dürfen doch wissen, daß mit der Auferstehung ein wirkliches Geschehen verbunden ist, daß mehr von uns übrigbleibt als nur ein Gedanke. Aber das bringt auch die Verpflichtung mit sich, auch anderen Menschen diese frohe Botschaft weiter zu sagen.

Wenn die Jünger damals stumm geblieben wären, wüßten wir heute nichts von Jesus. Und wenn wir heute nicht reden, erfahren die Menschen von heute nichts von ihm. Wir sollen es ja nicht aus eigenen Kräften tun: Die Kraft des Heiligen Geistes und der Beistand Gottes sind uns ja sicher. Aber wenn wir Zeugen sind für den lebendigen Christus, dann war auch dieses Osterfest nicht vergebens für uns.

 

 

Lk 24, 44 – 53 (Himmelfahrt):

Über der Stadt Rio de Janeiro steht auf einem über 700 Meter hohen Berg eine weiße Christusstatue. Mit ihren 38 Meter Höhe leuchtet das Standbild weithin. Christus streckt die Arme segnend über die darunterliegende Millionenstadt. Die diese Figur errichten ließen, wollten damit deutlich machen: „Unsere Stadt und das ganze Land sollen unter den segnenden Hände Christi leben!“

Christus wird oft als der Segnende dargestellt. So blieb er auch seinen Jüngern im Gedächtnis: Mit zum Segen erhobenen Händen hatten sie ihn zum letzten Mal gesehen. Segnend war er von ihnen geschieden und zurückgekehrt in die verborgene Herrlichkeit des Vaters. Auch wenn sie nachher seine Hände nicht mehr sehen konnten, so wußten sie dennoch: „Wir gehen unsern Weg alle Tage unter dem Segen des Herrn!“

Der Abschiedssegen Jesu besiegelt alles, was er gesagt und getan hat. Unter seinen erhobenen Händen steht der weitere Weg seiner Jüngerschar und seiner Gemeinde für alle Zeiten. Darauf kommt es Lukas an. Von Himmelfahrt ist bei ihm am Schluß seines Evangeliums nicht die Rede. Er spricht nur davon, daß Jesus auf einmal nicht mehr sichtbar ist und Gemeinschaft mit ihm nicht mehr über die leibliche Gegenwart möglich ist. Es bleibt offen, wo sich Jesus jetzt befindet.

Das ganze Gewicht liegt auf der Aussage, daß die neue Gemeinschaft des Auferstandenen mit den Jüngern unkündbar und unwiderrufbar ist. Auch wenn er leiblich abwesend ist, so bleibt er doch als der Herr gegenwärtig. Der Segen ist dabei die Brücke von damals zum Heute, ein Zeichen, dafür, daß wir zwar zurückgelassen, aber nicht allein gelassen sind.

Vielleicht kommen wir dann- auch einmal von der Vorstellung weg, als sei Himmelfahrt so etwas wie eine Fahrt im Freiballon oder gar mit einer Rakete. Dieses ursprünglich heidnische Bild stellt die Auferstehung in den Schatten und macht die Hinwendung Gottes zur Welt zweifelhaft. Der Eindruck wird erweckt, Jesus sei nicht mehr in der Nähe und wir könnten unter Umständen tun, was wir wollten.

Das Bild vom segnenden Christus aber macht und deutlich: Wir haben keinen abwesenden Herrn, der nichts ausrichten kann, weil er außer Landes ist. Uns soll es nicht gehen wie „Hans-guck-in-die-Luft“, der nachher als begossener Pudel dasteht. Nicht wir müssen zum Himmel wachsen, sondern der Himmel kommt auf uns zu.

Wenn Jesus der geplagten Menschheit hätte helfen wollen, dann hätte man ihm bessere Erfolge gewünscht. Die Kirche stand sicher immer wieder in der Gefahr, noch nachträglich das verwirklichen zu wollen, was Jesus nicht geschafft hat. Also her mit einer „Theologie der Revolution“ und dann auch Revolution gemacht. Es gibt doch Länder, in denen menschliches Elend so zum Himmel schreit, daß das „Wort vom Kreuz“ nichts helfen kann und man das Herrsein Christi mit weltlichen Mitteln geltend machen müßte.

Sicher ist es wichtig und notwendig, die weltlichen Dinge neu zu ordnen. Das Geschrei der Unterdrückten und Entwürdigten kann nicht überhört werden. Da genügt es auch nicht, mit ein paar freundlichen Worten an den guten Willen der Menschen zu appellieren. Aber für Jesus gibt es keinen Fortschritt in der Welt ohne das gepredigte Wort und den Hinweis auf das, was durch Jesus schon geschehen ist. Das Werk Christi wird auch dann nicht überflüssig sein wenn im weltlichen Bereich alles Menschenmögliche erreicht ist. Keine Ordnung der Welt wird das Reich Christi sein.

Die Sache Jesu Christi muß allerdings einen mühsamen Weg in die Welt hinein gehen. Von Mensch zu Mensch muß das Evangelium au gebreitet werden. Buße zur Vergebung der Sünden soll allen Völkern gepredigt werden. Das ist kein leichtes Geschäft. Aber nur wo Menschen sich frei dem Evangelium öffnen, da tritt auch eine tatsächliche Sinnesänderung ein.

Man hat bezweifelt, daß Jesus selber den Missionsbefehl gegeben habe. Die judenchristlichen Gemeinden haben ja mit der Heidenmission gezögert. Aber Lukas bezeichnet den Ausgangspunkt treffend: „Fangt an in Jerusalem!“ Die Jünger werden zu Zeugen, zu Gewährsleuten der Überlieferung und Überbringern der Botschaft, die mit ihrer Person für das einstehen, was sie bekunden.

Lukas will damit klarstellen: Der erhöhte Christus ist kein nebelhaftes Geistwesen, in Geheimerfahrungen dem einen so und dem anderen so erscheinend. Er hat ein Gesicht, denn es gab eine Zeit, wo er noch da war. Seine Worte fanden Deckung in seinem Tun. Die Botschaft ist nicht ablösbar von dem, was da wirklich geschehen ist. Es geht um das, was sich „im Fleisch“ ereignet hat. Und dazu braucht man die Zeugen.

Heute allerdings sehen wir auch, daß Mission nicht nur etwas ist für „Neger“ im fernen Afrika ist. Sie fängt vielmehr vor unserer eigenen Haustür an. Doch vielleicht haben wir gerade dazu keinen Mut. Für die Mission in Übersee würden wir schon Geld geben. Aber selber mittun - ist das nicht etwas zu viel verlangt und auch unter Umständen gefährlich?

Jesus aber verheißt seinen Beistand allen, die seine Sache in der Welt vertreten. Es braucht keiner hinter verschlossenen Türen zu sitzen, sondern er kann mutig zur Tat schreiten. Jesus steht hinter seinen Zeugen und beweist seine Macht durch Zeichen und Wunder. Diese geschehen auch heute noch, wenn wir sie nur als solche erkennen.

Der Schlußakkord des Lukasevangeliums spricht von der „großen Freude“ und dem Lobpreis Gottes. Jesus hat die Jünger verlassen. Er hat ihnen eine weltweite Aufgabe hinterlassen. Aber sie sind nur eine winzige Kirche. Aber diese Kirche steht unter der Zusage und dem Segen des erhöhten Christus. Sie braucht nicht ihre Erfolgschancen zu überschlagen, ehe sie tätig wird, sondern sie ist ausgestattet mit der „Kraft aus der Höhe“, die seit Pfingsten wirksam ist.

Es liegt also kein Grund vor, in eine Untergangsstimmung zu verfallen. Natürlich ist die Rüstung gefährlich. Und ganz gewiß ist unsere Umwelt stark bedroht. Aber das darf uns nicht lähmen, sondern wir werden ermutigt zum Verändern. Allerdings geht das nicht einzeln, sondern wir werden hineingestellt in den Leib Christi, in die Kirche, die gestärkt wird durch die Kraft aus der Höhe.

Diese Kraft dient zunächst dem Eigenbedarf der Kirche. Sie wäre ja gar nicht in der Lage, die Sache Christi aus eigener Kraft zu treiben. Dafür gibt es viel zu viel Schwächliches und Müdes, Entmutigendes und Skandalöses in ihr. Menschliche Einsicht und menschliches Bemühen können in der Sache Gottes gar nichts ausrichten. Die Kirche kann nur das Instrument sein, dessen sich Gott bedient. Die Menschen sind bestenfalls nur Gottes Mitarbeiter. Die Kirche kann nur in der Kraft ihres Herrn wirksam sein.

Das Gleiche muß man auch sagen für die Seite der Empfänger des Evangeliums: Ihnen kann man das Wort vom Kreuz nicht annehmbar machen mit Erfahrungen und Beweisen und mit ausgeklügelten Techniken und Methoden. Entscheidend ist der Heilige Geist, der das bewirkt, was aus eigener Vernunft und Kraft nicht zustande kommen kann.

Dazu gehört aber auch, daß die Kirche aufs Warten angewiesen ist. Die Jünger sollen in der Stadt bleiben und warten! In der Kirche wird oft emsig und hingebungsvoll gearbeitet, oft nur mit geringem äußerem Erfolg. Es wird auch viel überlegt und geplant, erfunden und experimentiert. Die Liebe ist eben erfinderisch und sucht neue Wege.

Aber es könnte auch soweit kommen, daß wir eifrig und nervös Pläne entwickeln, weil wir der Kraft aus der Höhe nicht genug zutrauen. Die großen Stunden der Kirche waren die, in denen sie sich ihrer Armut und ihrer Bedürftigkeit bewußt wurde, als sie ihre Hoffnung nur auf Christus setzen konnte.

Der nächste Schritt heißt also nicht: „Loslaufen, aktiv werden, sich tummeln“, auch nicht „Lagebesprechung, Einsatzplan, Ausbildung!“ Der nächste Schritt heißt nur: „Warten!“ Die ersten Christen taten das, indem sie sich immerzu im Tempel aufhielten. Die wartende Gemeinde findet sich dort zusammen, wo Gott mit uns Kontakt aufnehmen will. Das tun wir auch in dem Gottesdienst am Himmelfahrtstag.

Gottes Geist wird uns nur durch die Gnadenmittel gegeben-, also durch sein Wort und die Sakramente. Deshalb ist der Gottesdienst die Stelle, von der die Kraft des Erhöhten ausgeht. Deshalb kann die Gemeinde nicht träumend oder gar schlafend auf den Geist warten, sondern nur aktiv und der Zusage des Herrn trauend.

 

 

Johannes

 

Joh 1, 1 – 14 (Christfest II):

Fast ist das Fest schon wieder vorüber. So schnell geht das? Und in unseren Wohnungen und Kirchen - und vielleicht auch in unsren Herzen - wird es bald wieder so aussehen wie auf einem Campingplatz im September: An den zertretenen Grasflächen sieht man noch, wo die Zelte gestanden haben. Die Papierkörbe und Abfallgruben sind übervoll und zeugen noch davon, daß hier einmal viele Menschen gewesen sind. Aber jetzt sind nur noch einige Unentwegte da, die sich noch ein paar Tage Nachsaison leisten.

Sind wir vielleicht auch diesen letzten Urlaubern vergleichbar, die noch nicht wahrhaben wollen, daß die Urlaubszeit unweigerlich zu Ende geht? Morgen beginnt auch wieder unser Alltag wo wir früh aufstehen und an die Arbeit müssen. Aber Weihnachten soll auch dann noch nachwirken und nicht endgültig für ein Jahr begraben sein, wenn der Christbaum dann entsorgt ist.

Allerdings geht es nicht darum, die Weihnachtsstimmung nun weiterhin zu konservieren. Diese falsche Art der Verlängerung von Weihnachten hat der Dichter Heinrich Böll einmal beschrieben. Er schildert in seiner Kurzgeschichte: „Und das nicht nur zur Weihnachtszeit“ eine liebenswürdige Oma, die das ganze Jahr über Weihnachten macht: Sie sitzt auch in der Augusthitze unterm Tannenbaum und lauscht dem kitschigen Lied der Spieluhr. So geht es eben auch nicht. Damit flieht man aus der Welt und aus dem Alltag und hat Weihnachten gerade nicht begriffen.

In unserem Predigttext heißt es ja ausdrücklich: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“. Gott hat sich ja gerade in seinem Sohn Jesus Christus in den Alltag der Menschen hi­n­ein­begeben. Die übliche Weihnachtsgeschichte von der Geburt des Kindes im Stall macht uns das schon deutlich. Nur wird diese Geschichte heute leider oftmals ins Gefühlvolle hineingezogen, man findet dieses Bild schön und rührselig und übersieht dabei ganz die harte Wirklichkeit, die doch eigentlich dahinter steht.

Der Anfang des Johannesevangeliums verführt uns nicht so in zum Abgleiten ins Kindliche. Hier wird mehr grundsätzlich die Bedeutung der Geburt Jesu deutlich gemacht, ohne daß man dazu erst noch eine ausführliche Erzählung braucht. Aber vielleicht paßt gerade diese Art der Glaubensaussage viel besser in unsere heutige so nüchterne und sachliche Welt.

Von Weihnachten ist hier überhaupt nicht die Rede. Johannes der Täufer wird erwähnt. Von Jesus heißt es: „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf!“ Das bezieht sich doch alles eher auf den erwachsenen Jesus. Wir müssen auch bedenken, daß dieser Anfang des Johannesevangeliums für lange Zeit für viele Gemeinden die einzige Weihnachtsgeschichte war. Sie hatten ja nur i h r Evangelium und kannten die anderen gar nicht.

Dennoch handelt es sich hier um eine echte Weihnachtsgeschichte. Sie betont ausdrücklich die Menschwerdung des Gottessohnes, auch wenn dazu nicht alle Einzelheiten erst ausgemalt oder erfunden werden müssen. Und diese Geschichte kann uns besonders gut deutlich machen: Die weihnachtliche Saison geht mit dem Fest nicht zu Ende, sondern sie fängt im Grunde genommen morgen erst richtig an.

Johannes singt nämlich nicht „Alle Jahre wieder“, sondern sein Lied steht unter der Überschrift: „Jeden Tag neu trifft uns die Weihnachtsbotschaft!“ Diese Botschaft ist nicht eine fromme Dekoration für ein schönes deutsches Fest, sondern sie betrifft unser ganzes Leben.

Die Losung „Friede auf Erden“ darf nicht zusammen mit den Weihnachtskugeln bis zum nächsten Jahr eingepackt werden, sondern sie ist ein Programm für unser Leben in der Familie und Arbeitswelt, ebenso für das Zusammenleben der Völker und Rassen.

Dieses Programm hat auch Aussicht auf Erfolg. Dazu ist Gott ja Mensch geworden, daß er uns die Möglichkeit zum Frieden einmal konkret vorführen konnte. Gott hat mit unnachgiebiger Liebe um die Menschen gekämpft, die er geschaffen hat. Er will sie erhalten, koste es, was es wolle. Selbst sein Sohn war ihm als Einsatz nicht zu teuer. Jesus konnte wenigstens Gottes Wort in die irdische Wirklichkeit hinein übersetzen.

Er hat auch Gott beim Wort genommen als er Partei ergriff für die Mühseligen und Beladenen, für die Asozialen und die Ausbeuter, für die Huren und die Samariter. Jesus hat sich um alle gekümmert, die keine Chance mehr hatten, auf einen guten Weg zu kommen. Er setzt sich für die ein, die meinten, ihr Leben sei verpfuscht und sie könnten auch nicht mehr auf Gott hoffen.

So kam ein neues Licht in. die Welt. Nun brauchen wir nicht mehr vom Glauben an ein höheres Wesen zu reden, sondern wir können uns ganz konkret auf den Vater Jesu Christi beziehen. Der läßt sein Licht leuchten über die Welt, ob die Menschen wollen oder nicht. So wie die Sonne immerzu scheint, auch wenn wir sie nicht sehen können, so ist Gott nur immerzu da. Er macht es hell, damit wir keine Angst zu haben brauchen. Im Dunkel lauert die Gefahr. Aber im Licht Gottes läßt es sich gut leben. Nicht alle wehren das Licht Gottes ab. Es gibt auch Menschen, die ihm Eingang gewähren.

Es hat ihn keiner daran hindern körnen, seinen Sohn in die Welt zu geben. Es kann ihn auch heute keiner hindern, in die Welt hineinzuwirken. Er macht unsre Welt erst hell und zeigt dem Menschen seinen Platz in dieser Welt. Er macht uns am Beispiel Jesu deutlich, was alles möglich ist in dieser Welt, und er möchte, daß wir diesem Beispiel folgen.

Leider muß Johannes feststellen: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat‘s nicht ergriffen!“ und: „Er kam in sein Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf!“ Aber mit großer Freude kann er doch auch berichten: Viele nahmen ihn auf und wurden dadurch zu Gottes Kindern!

Für uns wird es auch darauf ankommen, dieses Licht zu ergreifen. Das ist gar nicht mehr so schwer seit Weihnachten. Wir müssen ja nicht von uns aus nach dem Licht greifen. Es ist ja schon da und wir brauchen uns ja nur in dieses Licht zu stellen. Dann würde sich auch ganz von selber die Sicht der Dinge dieser Welt schon verändern.

Die Erde ist dann wirklich eine gute Gabe Gottes, die allen Menschen gegeben ist, den Besitzenden und den Besitzlosen. Deshalb darf es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr geben. Alles Freund-Feind-Denken, aller Krieg und aller Rassismus müssen aufhören. Die Verständigung zwischen andersdenkenden Menschen und zwischen Ländern unterschiedlicher Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung wird gefördert. Es werden Vorurteile beseitigt und die Liebe wird gegen den Haß gestellt. Die Jungen und die Alten können miteinander und füreinander leben. Das Betriebsklima in den Werkhallen, Büros und Schulen kann anders werden. Unsre Welt kann eine Welt werden, die wirklich im Lichte Gottes steht, wenn wir nur dieses Licht heranlassen.

Noch einmal: Jesus hat uns das vorgemacht. Johannes sagt in der Sprache seiner Zeit: „Das Wort ward Fleisch!“ Wir könnten etwa sagen: Jesus übersetzt das Fremdwort „Gott“ in die konkrete Wirklichkeit des Alltags: Er ißt mit denen, zu denen man sich nicht an den Tisch setzt. Er lacht mit denen, die nichts zu lachen haben. Er begegnet den Unbeliebten mit Liebe. Er beurteilt einen Menschen nicht nach Schönheit, Gesundheit, Geld oder Lebenswandel.

Das ist auch uns möglich. So wird auch heute unser Gott in unsre Welt hineingetragen. So werden auch heute Menschen und Verhältnisse geändert und unsre Welt wird ein Stückchen menschlicher oder - vielleicht besser gesagt - göttlicher, das heißt: mehr im Sinne Gottes.

 

Es wäre schön, wenn wir hier schon „Ja und Amen“ sagen könnten. Aber unsere Welt ist ja nicht so - n o c h nicht so. Wir sind immer noch vielfach unfähig, Liebe zu üben, wo man sich haßt, zu verzeihen, wo man sich beleidigt, zu verbinden, wo Streit ist.

Es gibt also immer noch Finsternis auf der Welt. Aber sie fordert uns heraus, s o l c h e Realitäten nicht anzuerkennen. Johannes fordert uns heraus, Zeuge zu sein für ein Denken und Leben im Sinne Jesu.

Im Blick auf den Weltfrieden kann das nur heißen: Die Christen überall in der Welt müssen ihre Regierungen auffordern, den ersten Schritt zu tun. Wir können nicht mißtrauisch darauf warten, was der andere tun wird, sondern wir haben auf das zu hören, was Gott uns zu sagen hat und wie Jesus es uns vorgemacht hat. Wir dürfen nicht auf Vorleistungen der anderen warten, sondern müssen selber Vorleistungen bringen. Nur so ist das Wettrüsten zwischen Ost und West beendet worden.

Das könnten wir uns auch für unser persönliches Leben merken: Wenn w i r den ersten Schritt tun, wird es für den anderen leichter, auch einen Schritt zu tun. Und am Ende könnte es gar zu einem Wettlauf danach kommen, wer dem anderen mehr entgegengekommen ist. Dann hätte Gott seine Freude an uns, dann wäre die Weihnachtssaison nicht mit dem heutigen Tag zu Ende, dann wäre nicht vergeblich gewesen, was der Schlüsselsatz unseres Predigttextes ist: „Das Wort ward Fleisch!“

 

 

Joh 1, 19 – 28 (4. Advent):

Wie können wir Weihnachten gestalten inmitten der üblichen Betriebsamkeit von Kaufen und Verkaufen? Da sind Geschenke vorzubereiten, für die Mahlzeiten muß eingekauft werden, die Stuben und auch die Kirchen werden geschmückt. Wir haben berechtigte Erwartungen auf die freien Tage. Wir suchen Festlichkeit, Besinnung und Unterhaltung.

Wie kann man da noch dem Herrn den Weg bereiten, wie des Johannes tue sollte? Das Kind in der Krippe soll Anklang finden unter all dem Anderen. Und mehr noch der erwachsene Jesus, der uns Gott nahebringen will. Man muß sich nicht unbedingt vom Konsum einfangen lassen, sondern sollte sich von der Gewißheit nähren, daß Gott wirklich Mensch ist.

Johannes der Täufer will uns da auf den richtigen Weg führen. Er ist Zeuge des Kommenden. Für ihn ist Christus alles. Er stellt Jesus dar, der unverwechselbar ist, der der Größte und der gegenwärtig sein will.

 

(1.) Jesus ist unverwechselbar: Johannes hat eine nicht zu übersehende Bewegung unter den Menschen ausgelöst. Die geistliche Behörde in Jerusalem muß sich mit ihre befassen. Sie will klären, als wenn der Betreffende sich selber ansieht und was man von ihm zu erwarten hat.

Der Täufer sagt aber zunächst n i c h t, wer er ist, sondern wer er n i c h t ist. Doch er will nicht leugnen, sonder bekennen. Er sagt: „Über mich zu reden lohnt sich nicht. Ich bin jedenfalls nicht der, über den allein zu reden sich lohnen würde - ich bin nicht der Christus, auf den ihr wartet!“

 

Da bohren sie weiter: „Bist du Elia?“ Der Prophet Elia hat das Denken im Judentum stark beschäftigt. Er war geheimnisvoll entrückt worden und sollte als eine Heilsgestalt wiederkommen: Er würde Frieden stiften zwischen dem Menschen, Gottes Zorn beschwichtigen, die Stämme Israels wiederherstellen und überhaupt ein Nothelfer sein, ein Hoffnungsträger.

Auch die Erwartung eines Propheten entsprach der zeitgenössischen Heilserwartung. Seit dem Propheten Maleachi war die Prophetie in Israel erloschen. Wenn nun in Johannes wieder ein Prophet auftauchte, dann wäre das schon ein Stück des sich ereignenden Heils. Aber Johannes ist auch nicht ein Heilsbringer geringeren Formats, sozusagen ein kleiner Stern neben dem helleuchtenden Stern Jesus Christus.

Johannes leuchtet überhaupt nicht aus eigenem Licht. Wichtig ist nur seine Stimme, mit der er die Menschen ruft. Und wichtig ist nur seine Hand, mit der er die Menschen tauft. Johannes könnte Jesus auch nicht zeitweise vertreten. Was Jesus tut, das kann wirklich nur er tun'.

Ein guter Prediger läßt die Hörer vergessen, wer da predigt, weil ihm allein Jesus Christus wichtig wird. Je größer der Verantwortungsbereich eines Menschen ist - sei er nun Pfarrer oder Bischof oder Papst - desto größer ist die Gefahr, daß die Person des Amtsträgers interessant wird. Man kann nichts dagegen haben, wenn Menschenmassen dem Papst zujubeln, weil sie ihn liebhaben. Aber er sollte immer wieder deutlich machen: „Ich bin es nicht, ich bin nur der Zeuge für den Kommenden. So lehrt es uns jedenfalls Johannes.

 

(2.) Jesus ist der Größte: Johannes bezeugt, daß einer nach ihm kommt, dem er nicht wert ist, die Schuhriemen aufzulösen. Mit dem Wort „Zeugnis“ wird ein hoher Anspruch erhoben hinsichtlich des Werts seiner Aussage. In der Regel wird es sich um einen Augenzeugen handeln, seine Aussage hat den Charakter des Verbindlichen. Deshalb handelt es sich hier um eine ganz ernstgemeinte Aussage über Jesus Christus.

Der Täufer und der Kommende sind nicht wie zwei Vulkanberge, die aus der gleichen unterirdischen Lavamasse hervor gewachsen sind. Johannes ist nur ein Mensch, der von Gott gesandt ist, wie es am Anfang des Kapitels heißt. Jesus dagegen ist das Wort, das am Anfang bei Gott war und nun Fleisch wurde. Geholfen werde kann uns nur von dem Unvergleichlichen, der uns zuliebe Mensch wurde (wie man statt „Fleisch“ übersetzen müßte).

Er allein ist es auch, der die Kirche erhält. Manche denken, sie würden auch mit dazu beitragen: Sie geben Geld, sie lassen die Kinder taufen und schicken sie zum Religionsunterricht,

sie lesen die Kirchenzeitung. Sicher könnte man noch mehr aufzählen, was der Stärkung der Kirche dient und sicher auch unbedingt notwendig ist. Auch der häufige Gottesdienstbesuch und das mutige Bekenntnis zur Kirche gehören unbedingt dazu.

Aber das alles nutzt uns nichts, wenn Gott nicht seine Kirche erhält. Sobald wieder einmal ein heftigerer Wird wehen sollte, wird vielleicht manches einfallen. Oftmals ist die Christlichkeit nur Tünche, unter der es schlimm aussieht.

Da kann man hören: „Wir sind getauft und die Kinder sollen auch getauft werden, damit sie nachher keine Schwierigkeiten haben, wenn sie einmal getraut werden wollen!“ Oder es heißt: „Konfirmiert soll er schon werden. Was er dann nachher macht, das ist seine Sache!“

Oder: „Wir haben alles, was mit der Kirche zu tun hat, auf die Kinder verlagert!“ Es mag noch angehen, wenn einer noch spürt, daß es eigentlich anders sein sollte. Aber meist meint man damit: „Wir tun doch genug für Gott und die Kirche, die Kinder sind doch getauft und konfirmiert!“ Man meint, schon dadurch würde die Kirche gestützt; man ist noch stolz darauf und pocht auf seine Leistung.

Johannes der Täufer dagegen sagt: „Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen!“ Wer von uns bringt das schon fertig, sich so zurückzusetzen? Lieber rechnet man sich doch die Verdienste der anderen noch selber an. Dabei könnte man durch ein stilles Vorbild viel besser überzeugen. Johannes hat durch seine ganze Haltung auf den Kommenden hingewiesen und dessen Wesen im voraus abgebildet. Als er gefragt wird, antwortet er auch. Aber er zeigt dabei nicht auf sich, sondern auf den, um den es eigentlich geht, der auch heute unser Herr ist.

 

(3.) Jesus ist gegenwärtig: Es gibt ein Bild des holländischen Malers Frans Masareel: "Unter euch ist einer, den ihr nicht kennt!" Es zeigt eine Menschenmenge zur Weihnachtszeit. Doch alle sind mit sich selbst beschäftigt, haben ihre eigenen Probleme und Wünsche. Aber mitten durch sie - etwas erhöht - geht Jesus. Man kann ihn deutlich an dem Heiligenschein erkennen. Aber niemand beachtet ihn, alle sehen sie woanders hin.

So befand sich Jesus auch irgendwo unter der Menge, die zu Johannes gekommen war, um ihn zu hören und sich taufen zu lassen. Auch der Täufer hat ihn erst herausfinden müssen. Aber es wird ein beglückendes Gefühl für ihn gewesen sein: Hier irgendwo muß er sein!

Er war schwer zu entdecken, weil er ja unscheinbar war. Sein Besonderes war in der Niedrigkeit eines schlichten Menschenlebens verdeckt. Auch als Johannes ihn entdeckt hatte, war es längst nicht allen deutlich, daß Jesus der Kommende ist. Wenn er nach weltlichen Maßstäben zu messen wäre, dann hätte man gefragt: „Wer ist der Klügste, der Erfahrendste, der Frömm­ste, wer ist das Genie des Jahrhunderts?“ Aber wir haben natürlicherweise kein Organ für

die in Jesus gegenwärtige Gotteswirklichkeit.

Heute ist der Herr nicht mehr auf irdische Weise unter uns gegenwärtig. Aber auch als der Erhöhte ist er mitten unter uns. Advent ist immer. Es bedarf nur manchmal einiger Zeit und Geduld, bis man ihn so wahrgenommen hat, daß man sagen kann: „Wir haben geglaubt und erkannt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Damit es dazu kommt, wird gepredigt.

Doch mancher wird auf den Widerspruch zwischen den großen Worten und den kleinen Taten hinweisen. „Wer bist du denn?“ wurde Johannes gefragt. Die gleiche Frage stellen viele Menschen auch der Kirche und jedem Christen: „Ihr redet vom Frieden, aber die Welt ist so friedlos! Ihr predigt vom Heil, aber wir sehen so viel Unheil! Wir brauchen starke Männer - Wissenschaftler, Denker, Staatsmänner - aber ihr steht da mit leeren Händen!“

Sicherlich hat Johannes auch dagestanden mit leeren Händen. Aber eines konnte er tun: Mit den leeren Händen hat er hingewiesen auf Christus! So hat es Matthias Grünewald auf dem Isenheimer Altar dargestellt: Johannes zeigt mit einem übergroß dargestellten Zeigefinger auf den gekreuzigten Christus. Das ist die Gebärde des Zeugen.

Insofern hat der Zeuge doch eine Aufgabe. Wir haben zwar einen unmittelbaren Zugang zu Christus und über ihn zum Vater. Aber dieser Zugang wird vermittelt durch Wort und Sakrament, die wiederum von Amtsträgern verwaltet werden. Einen Schluck Wein kann man zwar unmittelbar genießen, wenn man ihr auf der Zunge spürt; aber ohne Glas könnten wir ihn nicht zu uns nehmen. Aber es ist nicht so, daß wir mit Gott zusammenwirken körnten, sondern Gott wirkt d u r c h uns. Wir bezeugen nicht nur Gottes Wirken, sondern wir sind sein Mund und seine Hand.

So könnten auch wir weitererzählen, was wir über Jesus wissen, den Kindern, den Enkeln, allen die wir zu Weihnachten sehen werden. Manchem wird es weltfremd vorkommen, was wir da zu sagen haben, so wie die Rede des Täufers den Leuten aus Jerusalem weltfremd vorgekommen ist. Richtig verstanden haben dem Täufer auch nur diejenigen, die seinen ausgestreckten Zeigefinger sahen und diesem Fingerzeig folgten.

 

 

Joh 1, 29 – 34 (1. Sonntag nach Epiphanias):

In einem ehemaligen Kloster in Colmar im Elsaß steht der große Flügelaltar von Matthias Grünewald, der als „Isenheimer Altar“ bekannt ist. Zentrales Bild ist die Darstellung der Kreuzigung Jesu. Es ist so berühmt, daß es selbst in der DDR in den Schulbüchern für das Fach Geschichte zu finden ist. Auf diesem Bild ist auch Johannes der Täufer zu sehen, der in Wirklichkeit ja bei der Kreuzigung Jesu schon tot war.

Aber der Maler will ja nicht historisch Richtiges darstellen, sondern mit seinem Bild eine Predigt halten. Zu Füßen des Johannes sieht man ein kleines Lamm mit einem Kreuz und über seinem Arm stehen die Worte: „Dieser trägt die Sünde der Welt!“ Der Arm mit dem übergroß gemalten Zeigefinger deutet auf den gekreuzigten Jesus.

Damit ist etwas in die Kreuzigungsszene verlegt, was Johannes schon bei der Taufe Jesu gesagt haben soll und was die Bedeutung Jesu vortrefflich wiedergibt. Ehe Jesus auch nur ein einziges Wort gesprochen hat, wird sein Auftrag schon so beschrieben: Er ist nicht der zornige Richter, sondern das Lamm - er ist der Geopferte, der sein Leben gab zur Erlösung für viele.

Nun ist die Bezeichnung „Lamm“ oder „Schaf“ heute fast ein Schimpfwort. Meist denkt man an ein „dummes Schaf“ , und das möchte man halt doch nicht sein. Aber in Wirklichkeit können wir doch nur froh sein, wenn da einer kommt, der der Schaden und die Schlechtigkeit der Welt trägt. Da gibt es einen, der will uns helfen, nicht indem er uns auf eine andere Welt vertröstet, sondern indem er jetzt schon den Schaden der Welt trägt.

Es sind schon viele Vorschläge gemacht worden und viele Konferenzen abgehalten worden, aber wir leben immer noch in Angst bzw. unsre Angst wird immer größer: Geht morgen die Welt kaputt? Kommen die furchtbaren Waffen doch einmal zum Einsatz? Auch die Weltwirt­schaftslage wird immer bedrohlicher: Menschen sterben an Unterernährung, die Rohstoffe nehmen ab, Wälder sterben.

Die Welt hat lebensbedrohliche Schäden, und wir schaffen es nicht, wirklich zu helfen. Früher haben wir uns damit getröstet: Es wird schon nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird, die Wissenschaft hat noch immer einen Ausweg gefunden. Aber heute brennt uns etwas unter den Nägeln, das uns nicht mehr kalt läßt. Immer öfter zucken auch die Wissenschaftler hilflos mit den Achseln. Wir sehen mit Entsetzen: Eines Tages könnte es nicht mehr weitergehen!

In diese Sorgen und Ängste ruft einer hinein: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ Jesus trägt mit, er hilft mit, wo wir es allein nicht schaffen. Vor allem stellt er sich auch als Sündenbock zur Verfügung für alles, was wir „verbockt“ haben. Jesus ist also nicht das zarte Lämmlein, sondern der Sündenbock, der sich schuldig nennen läßt, obwohl er unschuldig ist.

Wir sind wie gelähmt, solange wir mit der Schuldfrage nicht fertigwerden. Viel Zeit und Energie wird verschwendet mit der Suche nach dem Schuldigen. Die Bearbeitung von Eigentumsvergehen und Ordnungswidrigkeiten ist eine Hauptbeschäftigung unserer Polizei. Aber oft bleiben alle Bemühungen ergebnislos. Da kann der Polizist auch nur sagen: „Nennt mir den Täter, dann habe ich ihn gleich!“ Aber auch wenn der Täter gefaßt ist, dann leugnet er oft noch und will seine Schuld nicht einsehen.

Doch wenn wir selber unseren Anteil an Schuld erkannt haben, dann dürfen wir ihn diesem Lamm Gottes aufladen. Er braucht uns nicht mehr zu belasten, sondern Jesus Christus befreit uns von unseren Verfehlungen. Und damit weicht die Lähmung, die uns angesichts der Schuld­frage überfällt. Es ist nicht hoffnungslos mit uns und mit der Welt, weil einer mit seinem Blut unterschrieben hat, daß wir neu anfangen können.

Im praktischen Leben scheinen andere Dinge dringlicher zu sein als die Vergebung der Sünden. Doch das ist nur der äußere Anschein. Wenn man die Konfirmanden fragt, was wohl für die meisten Menschen die wichtigste Bitte im Vaterunser sei, dann sagen sie: „Die vierte Bitte, das tägliche Brot!“ Aber als zweites kommt dann meist die fünfte Bitte, in der es um die Vergebung der Sünden geht.

Hier liegt in der Tat ein Bedürfnis des Menschen vor, auch wenn er es vor sich selber nicht wahrhaben will. Es ist gut, wenn in unseren Gottesdienstordnungen hin und wieder die Bitten um Vergebung und der Zuspruch der Sündenvergebung ausführlich zum Ausdruck kommt (und nicht nur bei den Beichtgottesdiensten): Hier liegt wohl doch ein echtes Bedürfnis auch des heutigen Menschen vor.

Natürlich versuchen wir gern, die eigene Sünde abzustreiten oder zu verdrängen. Beim anderen aber nehmen wir die Sünde sehr schwer und entwickeln einen unheimlichen Scharfblick (Scharfsinn) im Aufdecken fremder Schuld. Aber für uns und für andere gilt: Ob Sünde weggeräumt wird oder im Raume stehen bleibt, daran hängt Sein oder Nichtsein, das ist die Mitte unseres Glaubens.

Der Schriftsteller Heinrich Böll schreibt in seinem Roman „Billard um halb zehn“ von den Sakramenten des Büffels und des Lammes. Mit dem Sakrament des Büffels meint er das Gewaltdenken, den Militarismus und die Unmenschlichkeiten, das Funktionieren des Menschen auf Befehl. Wer dagegen vom Sakrament des Lammes gekostet hat, der ist infiziert von Liebe zum Mitmenschen, zum Frieden und sogar zum Feind: Er ist bereit zu Verzicht, Opfer und Leiden.

Wir wissen, daß nur Jesus in vollem Maße dazu bereit war. In ihm sollen wir den vom Himmel Gekommenen entdecken. Das ist das Thema dieser Epiphaniaszeit nach Weihnachten. Die Ausgangslage wird mit den Worten des Johannes beschrieben: „Ihr kennt ihn nicht, auch ich habe ihn nicht erkannt!“ Gott kann eben nur durch Gott erkannt werden. Dem Täufer aber hat Gott das Zeichen gegeben, daß er Gott in Jesus erkennen kann. Der Täufer wird zum Zeugen, damit Christus offenbar wird in seinem Volk und allen Völkern. Der nach ihm Kommende ist der Eigentliche.

Wir können uns nicht damit beruhigen, daß er uns menschlich zusagt oder daß wir ihn bemerkenswert finden und vielleicht eine Schwäche für ihn haben. Er wäre dann ein großer der Menschheit, ein guter Mensch, ein Auserwählter. Er hätte dann vielleicht die Vergeistigung der Religion gefördert wie kein anderer.

Dabei wäre aber vorausgesetzt, daß jeder Mensch etwas Göttliches in sich hat. Jesus hätte es nur in besonderer Dichte und Fülle. Man würde von einer einzigartigen Deckung von Lehre und Leben in seiner Person reden. Er hätte vorgelebt, wie wir handeln sollen. Er wäre der höchste Gipfel innerhalb des Menschlichen, Gott besonders nahe, darum ein Mittler und großer Lehrer, aber mehr eben auch nicht.

Der Täufer aber sieht es ganz anders. Jesus ist nicht nur ein Zeuge wie Johannes, sondern der Kommende. Er war von Anfang der Welt an und unterliegt nicht der Vergänglichkeit. Er ist nicht ein Mensch, der sich selbst zu Gott macht, sondern er i s t Gott.

Gott selber gibt dem Täufer das Zeichen, daß nun der Richtige vor ihm steht. Der Geist fährt herab auf Jesus und bleibt auch bei ihm. Der Messias ist nicht ein geistbegabter Mensch, er wird auch nicht erst durch die Geistmitteilung zum Sohn Gottes. Jesus wird nicht zum Sohn Gottes, sondern er i s t es. Er muß nur entdeckt werden als der, der er ist.

Auf das Zeichen, das dem Täufer gegeben wurde, kommt es dabei nicht im Einzelnen an. Gott hätte dem Täufer auch ein anderes Erkennungsmerkmal geben können. In der Weihnachtsgeschichte sind es Krippe und Windeln. In keinem Fall aber könnten Fleisch und Blut es offenbaren. Das uns gegebene Zeichen ist das Wort Gottes, da Jesus der Erwählte ist.

Er räumt die Sünde und ihre Folgen aus unserem Leben weg. Aber er bringt auch das neue Leben aus dem Geist in unser Leben hinein. Die Taufe des Johannes geschah nur mit Wasser. Durch Jesus aber wird sie etwa anderes. Sie geschieht zwar auch durch Wasser, aber sie gibt dabei den Geist Gottes.

Was für Jesus bei seiner Taufe galt, das wird auch uns zuteil: Der Geist fährt nicht nur herab, sondern er bleibt bei uns, er kommt, um in uns Wohnung zu nehmen. Wir leben ein gottgeschenktes Leben. Darauf dürfen und sollten wir uns verlassen. Gott ist bei uns in unserem Leben, seit Jesus Mensch geworden ist und seit wir getauft worden- sind.

 

 

Joh 1, 35 – 42 (5. Sonntag nach Trinitatis):

Ein regionaler Kirchentag hat auch etwas für sich. In die Nachbarschaft kommt man eher einmal als in die Großstädte. Es ist alles übersichtlicher, man trifft eher einmal Bekannte, es können örtliche Dinge besprochen werden. Aber was der Kirchentag will, das kann man auch bei einem solchen Treffen haben: das gemeinsame Hören auf Gottes Wort, der Austausch, das Singen und Beten.

Man sollte nur nicht meinen hier wäre eine besondere missionarische Gelegenheit. Es kommen doch vor allem diejenigen, die sowieso in der Gemeinde stehen. Aber so können sie die Kirche einmal anders erleben und neue Anstöße empfangen. Beim Kirchentag geht es vor allem um die Stärkung im Glauben.

Wenn dabei auch ein Außenstehender angesprochen werden soll, dann wird das meist über das persönliche Gespräch von Mensch zu Mensch gehen. Es wird ja vielleicht doch der eine oder andere sich fragen, weshalb an verschiedenen Stellen der Stadt weiße Fahren mit violetten Kreuzen aushängen oder weshalb im Schloßpark eine Bühne und Stände aufgebaut sind oder weshalb Leute mit gelben Abzeichen in der Stadt herumlaufen. Da wird er vielleicht auch einmal jemanden ansprechen und mehr erfahren können.

Dieses persönliche Gespräch ist die „Andreas-Methode“, durch die jemand mit dem christlichen Glauben bekannt gemacht wird. Andreas hat bei Jesus zugehört. Er erzählt es gleich seinem Bruder weiter und führt den auch zu Jesus. Zu einem solchen Andreas können wir auch alle werden in der Familie, unter Freunden, in der Nachbarschaft. Dazu hat jeder den Auftrag. Doch gehen wir einmal der Reihe nach.

 

(1.) Die Nachfolge Jesu beginnt mit dem Hören: Die beiden Jünger sind von Johannes auf Jesus hingewiesen worden. Es wurde ihnen gesagt, wer er ist und welche Bedeutung er für die Welt hat. So wurden sie nicht nur auf ihr aufmerksam, sondern wurden auch ermutigt, sich ihm anzuschließen. Es muß einem gesagt werden, was sich hinter so einem schlichten Menschen wie Jesus verbirgt; man würde ihn sonst übersehen oder falsch einschätzen.

Johannes legt Jesus aber nicht irgendeine Würde bei, sondern er entdeckt nur, was in Jesus drinliegt. Es ehrt ihn, daß er den Blick von sich selber wegwendet auf Jesus hin. Es geht nicht um die Person des Zeugen, die Schüler sollen in der Sache nicht von dem Lehrer abhängig bleiben, sondern zu eigenen Schritten auf Jesus hin ermutigt werden.

Es ist nicht gut, wenn im kirchlichen Unterricht die Kinder sich zu sehr an die Person des Unterrichtenden binden. Ein Gleiches gilt für die Erwachsenen etwa im Gottesdienst. Die Pfarrer und Lehrer im Glauben kommen und gehen. Der Glaube aber soll bleiben. Es soll nicht so sein, daß die Kinder wegbleiben, wenn sie einen anderen Religionslehrer kriegen oder dann zum Pfarrer in den Konfirmandenunterricht sollen. Und ebenso kann man doch seinen Glauben nicht über Bord werfen, wenn man sich einmal mächtig über den Pfarrer geärgert hat.

Alle Lehrer im Glauben können nur so sein wie Johannes: Sie haben nicht ihre Person herauszustellen, sondern Christus. Johannes wußte: Gott hat mir die unvergleichliche Bedeutung Jesu gewiß gemacht. Jetzt muß ich selber den anderen predigen und sie allein zu Jesus hinleiten.

Der ausdrückliche Hinweis ist eine große Hilfe. Es gibt auch Sachverhalte, wo ein solcher Hinweis nicht nötig ist, aber man beachtet sie doch. Das gilt für Naturereignisse, aber auch für kraftvolle geschichtliche Bewegungen oder weltverändernde Entscheidungen. Da verfolgt jeder aufmerksam den Fortgang an Radio und Fernsehen, da braucht man nicht erst darauf hingewiesen werden.

Bei Jesus ist das anders. Es gibt etwas an Jesus, das Menschen veranlaßt, ihm nachzufolgen. Aber das ist so in das Unauffällige hinein verborgen, daß schon ein Hinweis nötig ist. Doch wenn es dann gezündet hat, dann fragt sich der Betreffende, weshalb er nicht von selber daraufgekommen ist. Manchem Schüler läuft man jahrelang nach: einmal dagewesen, zweimal gefehlt, so ist oft der Rhythmus. Aber dann kommt der Junge oder das Mädchen in die fünfte Klasse und die Sache klappt: fast jedesmal da, mit Interesse bei der Sache, durch die unermüdliche Einladung doch noch eine Beziehung zu der Sache gewonnen.

 

(2.) Die zweite Stufe ist dann das Sehen: Es soll nicht auf Dauer bei der Abhängigkeit von der Christuserfahrung eines anderen bleiben. Alle Verkündigung der Kirche hat ja der Sinn, daß ein Kontakt mit Jesus selbst entsteht. Der Anstoß dazu geht von Jesus aus: Er wendet sich um und spricht die Nachfolgenden an. Das erste Wort, das wir im Johannesevangelium aus Jesu eigenem Munde hören, lautet: „Wen sucht ihr?“ Sie suchen nicht  e t w a s, sondern sie suchen eine Person, den Messias, obwohl sie bisher nicht viel wissen von ihm. In diesem Suchen liegt eine bestimmte Erwartung. Sie fragen: „Wo hast du dein Quartier?“ Es liegt ihren nicht nur an einer flüchtigen Begegnung, sondern sie suchen den dauernden Kontakt mit ihm, sie wollen Erfahrung mit Jesus.

Wo Jesus ist, da wird Gott faßbar. Dort gilt es, den festen Kontakt mit ihm zu halten. Das gilt auch noch nach der Auferstehung Jesu. Wir sind nicht verbunden mit irgendeinem Christusgeist, der die ganze Welt durchweht. Noch immer begegnet uns der Herr an einem bestimmten Ort, wo sein Wort gepredigt wird und wo Brot und Wein im Abendmahl ausgeteilt werden.

„Kommt und seht!“ sagt Jesus zu der beiden. Kein Programm, keine Versprechungen, keine fertige Lehre. Die Jesusnachfolge besteht zunächst darin, daß man mit Jesus zusammen. Bei einem Kirchentag sagte ein junger Mann in einer Arbeitsgruppe: „Bei uns ist das kirchliche Leben noch nicht so entwickelt wie anderswo. Aber uns tut es gut, einmal in einer größeren Gemeinschaft zu stehen!“

Dabei fällt auf, daß er sagte: „Das kirchliche Leben ist noch nicht so entwickelt!“ Er weiß natürlich nicht, daß es früher viel stärker entwickelt war und anderswo auch nicht mehr los ist als bei ihm. Aber wir sagen doch sonst immer: „Gehört der denn noch zur Kirche?“ bzw. als Aussage: „Der gehört noch zur Kirche!“ Wir sehen immer alles unter dem Gesichtswinkel des Rückgangs. Jener junge Mann aber hoffte auf die Zukunft, meinte zu Recht, es werde noch bergauf gehen.

Ob die Kirche eine solche Zukunft haben wird, das liegt auch mit an uns. Wenn wir es so machen wie Andreas, daß wir andere herbeiholen, dann werden auch andere Jesus hören und sehen können und zu immer tieferer Erkenntnis des Geheimnisses Jesu kommen. Dann wissen wir: Es ist noch immer nicht das erreicht, was Jesus noch mit uns vorhat; es soll nicht zurückgehen, sondern aufwärts. Damit wären wir aber auch bei einem dritten Punkt der Nachfolge Jesu:

 

(3.) Nachfolge heißt: Andere rufen: Wenn man Jesus gefunden hat, kann man das nicht für sich behalten. Es hört sich so an, als habe Andreas nur zufällig seinen Bruder getroffen. Aber hin­ter solchem menschlichem Finden steht eine göttliche Regie. Und wenn Andreas sagt: „Wir haben den Messias gefunden, dann klingt das so als wollte er sagen: Wir haben ihr nicht bewußt gesucht, aber wir haben ihn durch höhere Lenkung gefunden. Gott behält die Dinge in der Hand. Wir können nicht Jagd machen auf Menschen, die möglicherweise Christus nachfolgen wollen, ihnen vielleicht sogar lästig werden und sie am Ende noch abstoßen. Es geht nur darum: das, was man weiß, auch anderen kund machen.

Aber Andreas teilt nicht nur seine Entdeckung mit, sondern führt Simon auch hin zu Jesus. Man kann nicht zu Jesus gehören, ohne auch anderen in die Nachfolge zu helfen. Wenn man die Verbundenheit mit Jesus als ein Glück empfindet, dann will man dieses Glück auch anderen mitteilen und sie daran teilhaben lassen. Woran man sich selbst freut, das will man auch anderen zeigen, denn der Andere er soll doch ebenso reich beschenkt werden wie man selbst beschenkt wurde.

Manchmal gehört auch noch eine vierte Stufe zur Nachfolge, über Hören, Sehen und andere Rufen hinaus. Es kann auch sein, daß ein Mensch auf eine ganz andere Bahn gestellt wird durch Jesus:

 

(4.) Nachfolge heißt, ein anderer werden! Simon erhält von Jesus den Namen Petrus. Wer den Namen gibt, ist der Herr. Er kann aus einem unbeschriebenen Blatt einen Träger einer ganz besonderen Aufgabe machen. Simon hat ja von Natur aus nichts mitgebracht, das ihr zu seinem Amt besonders befähigen würde. Er wird ja gerade zu etwas gemacht, das er von Hause aus nicht ist.

Jesus wählt und begabt eben, wen er will. Er nimmt sogar versagende Werkzeuge und formt sie um. Dadurch wird deutlich, daß er es ist, der sein Volk sammelt und ihm vorangeht. Und wer in seinem Dienst steht, der wird auch entsprechend ausgerüstet.

Das heißt aber doch für uns: Auch wir können diese höchste Stufe der Nachfolge erreichen. Wir können alle so ein Johannes oder ein Andreas sein, der Menschen auf Jesus aufmerksam macht und zu ihm hinführt. Ich hörte einmal, wie jemand sagte: „Mein Leben hat dann einen Sinn gehabt, wenn ich nur  e i n e n  Menschen zu Jesus geführt habe!“  Er hat allerdings auch gewußt, daß nicht er selber das vollbringen kann, sondern der Herr wendet sich dem Menschen zu und sagt: „Kommt und seht!“

 

 

Joh 1, 43 – 51 (2. Sonntag nach dem Christfest):

Es ist nicht immer leicht, Menschen für die Mitarbeit im Kirchenvorstand zu gewinnen. Und doch darf man immer wieder glücklich sein, wenn sich Menschen dafür gefunden haben, diesen wichtigen Dienst in der Gemeinde zu versehen. Sie haben damit ein Beispiel gegeben für das, was man von einem Christen erwarten darf: Wenn man gerufen wird, dann geht man mit und stellt sich zur Verfügung.

So war das schon bei der Berufung der ersten Jünger Jesu. Als Johannes der Täufer auf Jesus zeigte und sagte: „Siehe, das ist Gottes Lamm!“ da löste er damit eine Kettenreaktion aus, in der einer nach dem anderen zu Jesus fand. Hier werden einige wesentliche Züge des Christwerdens überhaupt sichtbar: Wenn einer das Geheimnis Christi entdeckt, dann bleibt er bei ihm und sagt seine Entdeckung sofort weiter. Kein Christ kann das für sich behalten, was er empfangen hat. Er will das Empfangene sofort mit dem nächstbesten Mitmenschen teilen‚ den er findet. Das Wort „finden“ kommt hier sehr oft vor. Dadurch wird eine Brücke geschlagen von einem Menschen zum anderen, gerade auch zu denen, die schon lange gesucht haben und nun gefunden wurden. Diese dürfen Jesus sehen.

Das war damals noch ganz direkt möglich. Aber es genügt nicht, wenn man nur einen optischen Eindruck von Jesus gewonnen hat, wenn man nur seine äußere Gestalt wahrgenommen hat. Es kommt darauf an auch ein inneres Bild von Jesus zu gewinnen. Denn daß sich in seinem Menschsein sein Gottsein verbirgt, das nimmt nur der Glaube wahr.

Man unterscheidet ja zwischen dem irdischen Jesus, der damals in Palästina von Ort zu Ort zog, und dem auferstandenen Christus, der seit Ostern für alle Menschen da ist, unabhängig von Zeit und Raum. Aber wir glauben nicht nur an den erhöhten Christus, wie das der Marburger Professor Rudolf Bultmann wollte, sondern für unsren Glauben ist auch der irdische Jesus wichtig.

Johannes stellt es so dar, als sei den Jüngern mit einem Schlag gleich alles klar gewesen. Von den anderen Evangelisten wissen wir, daß sie erst allmählich hinter das Geheimnis der Person Jesu gekommen sind. Johannes dagegen stellt das spätere Glaubensbekenntnis der Kirche an den Anfang und erwartet, daß man gleich den Glauben wagt.

Vielleicht würde man ohne das Glaubensbekenntnis leichter einen Zugang zu dem irdischen Jesus finden. Das sagen ja die sogenannten „Jesusleute“, die Jesus als ihren persönlichen Heiland gefunden haben und nun überall davon erzählen. Diese „Jesuswelle“ ist ja einmal aus Amerika auch zu uns gekommen. Auch bei uns gibt es junge Leute, die mit Jesus neu leben wollen. Es kann natürlich trotzdem schwer sein, die Glaubenserfahrung anderer für sich zu übernehmen, nicht jeder wird den Weg der Jesusleute gehen können.

Aber die Christuserfahrung kann man eben nur an Jesus machen. Deshalb geben wir uns ja solche Mühe, den Kindern etwa im Kindergottesdienst die Geschichten von Jesus zu erzählen. Wir kauen nicht nur das Glaubensbekenntnis durch (obwohl das für der Glauben vollauf genügen würde)‚ sondern wir versuchen den Glauben durch lebendige Geschichten zu verdeutlichen.

Dennoch wollen wir dankbar sein für das Glaubensbekenntnis. Es ist ja gestaltgewordene Glaubenserfahrung. Es ist eine Hilfe und ein Anstoß zum Glauben. In gewisser Hinsicht muß natürlich jeder wieder beim Nullpunkt anfangen, muß der Schritt nachvollziehen, den andere schon vor ihm getan haben.

Aber die schon glauben, bekennen für die anderen: „Wir haben gefunden!“ Insofern fangen wir doch nicht beim Nullpunkt an, sondern unser Weg zu Jesus ist in groben Zügen schon von anderen markiert. Wenn wir diesen Richtpunkten folgen, kommen wir schneller voran. Hierbei ist aber ganz wichtig, daß sich Menschen finden, die ihren Glauben mit eigenen Worten bezeugen.

Für Kinder ist es so wichtig, daß auch die Eltern einmal mit ihnen über den Glauben reden und ihnen erklären, was ihnen dieser Glaube in ihrem Leben bedeutet und wie er sich am Beispiel auswirkt. Und ein Kirchenvorsteher kann zum Beispiel seinem möglichen Nachfolger erzählen, welchen inneren Gewinn er von seinem Dienst gehabt hat. Das persönliche Zeugnis ist heute so überaus wichtig, wenn in einem anderen Menschen der Glaube geweckt werden soll.

Oftmals wird auch ein direkter Anstoß nötig sein. So sagt Jesus zu Philippus kurz und bündig: „Folge mir nach!“ Er will ihm damit sagen: „ritt in meine Fußspuren! Bleibe immer in meiner Reichweite! Frage mich vor allen wichtigen Entscheidungen! Trenne dich von allem, was dich an der Nachfolge hindert! Laß dich nicht durch verlockende Angebote abhalten! Suche nur noch die Ehre deines himmlischen Vaters! Bleibe bei mir, auch wenn der Weg steil und steinig wird, wenn er Opfer kostet und Leiden mit sich bringt, auch wenn man dich deshalb mißverstehen sollte!“

Nicht jeder beantwortet den Ruf Jesu so freudig und ohne zu zögern wie Philippus. Viele Menschen stellen sich taub einem solchen Ruf gegenüber. Andere schieben die Entscheidung auf, weil sie sich von liebgewordenen Sünden nicht trennen können. Wieder andere haben verstandesmäßige Einwände, sie wollen erst klar sehen, ehe sie ihr Leben in den Dienst Gottes stellen.

Zu einem Pfarrer kam einmal ein junger Mann und erklärte, er wolle auch wieder in die Kirche eintreten, aber erst solle er ihm einmal meine Meinung zu einer gerade aktuellen Frage sagen. Er hat sie ihm natürlich nicht gesagt, weil ich annehmen mußte, daß er nur eine Falle stellen wollte. Wenn es einem wirklich um den Glauben geht, dann ist er natürlich gern willkommen; aber nicht, wenn er noch nach allem möglichen anderen dabei schielt.

Bei Nathanael ist es wieder etwas anderes: Er möchte gern ganz sicher gehen. Große Versprechungen haben schon manche gemacht, und am Ende stand die große Enttäuschung. Zweifel sind da verständlich. Aber Nathanael benutzt sie nicht als Vorwände, um mangelnde Bereitschaft zu tarnen. Er ist wirklich bereit, sich helfen zu lassen. Jesus bezeichnet ihn ja als rechten Israeliten, an dem kein Falsch ist. Aber er fährt sich genau dort fest, wo die christliche Botschaft eben schwierig wird: „Was kann denn aus diesem Kuhdorf Nazareth Gutes kommen? Der allmächtige Gott in so einem Nest!“ Auch ein Mensch, der heute zur Gemeinde kommt, wird nur Menschliches sehen.

Manchmal kommen einige Touristen in die Kirche, um sie sich anzusehen, nicht um zum Got­tesdienst dazubleiben. Aber was wäre gewesen, wenn sie geblieben wären? Hätten sie den richtigen Eindruck gewonnen, vor allen Dingen einen guten Eindruck? So daß sie das Gefühl gehabt hätten: Da ist etwas, das sich lohnt, was man im Leben brauchen könnte, wo man gerne mitmacht! Würde man bei uns, mitten unter all dem Menschlichen, auch das Göttliche wahrnehmen können? 

Ein junges Mädchen, das einmal in einen Kreis frommer Menschen kam, sagte: „Ihr redet alle wie aus Büchern!“ Da hat man sich nicht verständlich machen können, da ist die frohe Botschaft nicht verständlích geworden.

Sicherlich ist das Glauben nicht so einfach. Im Grunde ist es nur möglich, weil Jesus uns gesucht und gefunden hat. Er war dem Nathanael schon nahe, als er noch unter dem Feigenbaum saß. Er hat ihn bis ins Innerste durchschaut, er überwindet ihn im Inneren. Aber er zwingt ihm nichts auf, sondern er sagt: „Komm und sieh doch selber? Überzeuge dich erst selbst und dann triff deine Entscheidung!“

Das ist die rechte Art, Mission zu treiben. So müßten wir auch die Menschen außerhalb der Gemeinde anreden: „Komm doch einmal mit zum Gottesdienst! Da erlebst du die Kraft des Wortes Gottes und die Freude der Christen! Komm mit in unsre Familie, da erlebst du, wie kein Raum mehr ist für Haß und lieblose Worte! Da findest du echte Bruderschaft und stehst nichtmehr allein mit deiner Not!“

Aber Jesus verheißt dem Nathanael noch mehr: „Ihr werdet den Himmel offen sehen!“ Er verspricht nicht ein leichtes und bequemes Leben. Aber Gottes Gnadensonne scheint auch über dem finsteren Tal, durch das seine Jünger gehen müssen. So wächst in der Nachfolge Jesu der Glaube. Er wird dann auch nicht verzweifeln, wenn ihm Gott unbegreiflich wird.

Das Rufen eines Christen bleibt nicht ohne Antwort, denn der Himmel ist über ihm offen. Er hat nicht nur ein Loch, sondern in Jesus sind Himmel und Erde eins geworden. Die Verbindung Gottes mit den Menschen reißt nicht ab, sondern die Engel Gottes sind immerzu hin und her unterwegs.

Gewiß ist das nur ein Bild für das Handeln Gottes mit den Menschen. Aber es macht doch deutlich, daß Gott keinen allein läßt. Wer in seinem Auftrag einen Dienst in der Kirche oder an der Welt wahrnimmt, der darf seiner Hilfe sicher sein, er wird nicht auf verlorenem Posten allein gelassen, sondern er erhält Rückenstärkung durch seinen himmlischen Herrn.

 

 

Joh 1, 15 - 18 (Epiphania)s:

Manches Jahr gibt es eine lange Fastnachtskampagne. Das liegt - wie so vieles - an der Bibel. Wenn Ostern spät ist, gibt es bis zu fünf Sonntage nach Epiphanias - was ganz selten ist. Was ist das nur für ein ungewöhnlicher Tag, dieses Fest der Erscheinung des Herrn, das wir am 6. Januar begehen? De Kirchen im Osten feiern an diesem Tag die Geburt Jesu, denn um die - um seine Erscheinung auf der Erde - geht es an diesem Tag. Es ist nicht so, wie es auch schon behauptet wurde, daß die Kommunisten das Weihnachtsfest in Rußland abgeschafft hätten, sondern es wurde schon immer am 6. Januar gefeiert.

Bei der Erscheinung Christi geht es um die Gegenwart Gottes in der Welt. Er ist zwar schon in seiner ganzen Schöpfung gegenwärtig. Aber er wird es erst richtig mit Christi Geburt: In den Menschen Jesus von Nazareth ist die einmalige Einheit zwischen Göttlichem und Menschlichem für uns da. In Jesus Christus hat Gott sich uns erfahrbar gemacht. Jetzt kann zum Beispiel erfahren werden, wie der Glaube an die Vergebung auch unter den Menschen Brücken schlägt und Gemeinschaft stiftet.

Heidnische Religionen haben sich Götterbilder aus Stein oder Holz gemacht. Natürlich haben wir keinen Gott, den man mit den Augen sehen und mit den Händen anfassen kann. Aber es ist nicht so, daß wir einen unsichtbaren Gott hätten: Sein Sohn hat ihn uns bekannt gemacht.

In Jesus erweist er uns seine Gnade und in ihm schenkt er uns sich selbst.

 

1. Jesus hat uns den unsichtbaren Gott bekannt gemacht:

Das Prinzip der Naturwissenschaft lautet: Nur was mit den Sinnen erfahrbar ist, das ist auch wirklich! Man muß damit experimentieren können, muß den Versuch jederzeit wieder mit dem gleichen Ergebnis wiederholen können und er muß von jedermann nachvollziehbar sein.

Doch das gilt schon nicht mehr im Bereich der Psychologie und erst recht nicht im Bereich der Kunst. Hier gibt es zwar auch wissenschaftliche Methoden, die zu einer gewissen Annäherung verhelfen. Aber das Eigentliche muß in einem Sprung geschehen, den man nicht in der Hand hat. Das gilt auch für die Liebe: „Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert, tausend und eine Nacht und es hat Zoom gemacht!“ Wie soll man so etwas mit wissenschaftlichen Methoden erklären?

Wenn eine Frau ein Kind geboren hat, dann macht sie ganz andere Erfahrungen als vorher.

Vorher war sie im Labor und am Computer. Jetzt wird sie in einer ganz anderen Weise gefordert! Und ihr Mann, der vielleicht bisher die Entwicklungschancen von Firmen wissenschaftlich berechnet hat, der muß auf einmal die Windeln wechseln. Aber ist das nicht menschlicher, sinnvoller und erfüllender?

Auch Gott können wir uns nur nähern, indem wir eine Beziehung zu ihm aufnehmen. Wenn einer uns auffordert: „Zeigt mir doch euern Gott!“ dann verlangt er etwas, das Nicht-Gott ist. Gott ist nicht mehr Gott, wenn er als Objekt gedacht wird! Er ist nicht Gegenstand der Erkenntnis, so daß ich über ihn verfügen könnte. Chemische Verbindungen ergeben sich von selbst. Massen kann man wiegen. Die Fernrohre kann man auf Gestirne richten, so daß sie Objekt unsres Forschens werden. Gott aber ist Subjekt, er ist der Handelnde, der nur in der

Begegnung erkennbar ist.

Gott tritt uns in den Weg mit dem Ziel einer solchen Begegnung. Er geht auf uns zu, gibt sich uns zu erkennen und zieht uns in seine Gemeinschaft. Das alles meinen wir, wenn wir von der Erscheinung Gottes reden und dies in den Wochen nach dem Epiphaniasfest feiern. Nicht wir suchen Gott, sondern er tritt in unser Leben.

Das ist erstmals geschehen in unserer Taufe. Das ist doch eine wunderbare Sache, wenn ein Mensch auf einmal eine Beziehung zu seiner Taufe gewinnt. Ehe er noch denken konnte, ehe er etwas darstellte, hat Gott sich ihm zugewandt. Deshalb ist die Kindertaufe besser als die Erwachsenentaufe, weil es da nicht darauf ankommt, daß man schon einen festen Glauben hat. Vielmehr wird die Grundlage dafür gelegt, daß man sich diesen Glauben schenken lassen kann.

Auch die Predigt ist nicht eine objektive Erörterung über das Wesen Gottes. Man kann nicht

von ihm reden in der dritten Person. Wir können nicht über ihn reden, so als wäre er gar nicht anwesend. Er kann nicht verkündet werden mit einem Trommelfeuer von Gottessprüchen, da würde man bald abstumpfen. Es gab ja einmal den amerikanischen Evangelisten Billy Graham. Den nannte man das „Maschinengewehr Gottes“, weil er in schneller Folge kurze Sätze auf die Zuhörer niederprasseln ließ. Und dann rief er die „Bekehrten“ nach vorne. Aber das war alles nicht von langer Dauer.

Jesus aber spricht nicht  ü b e r  seinen Vater, sondern er kommt ja vom Vater und ist mit ihm eins. In seiner Rede ist immer der auf uns zukommende Gott verborgen. Natürlich spricht er auch über Gott. Aber sein Wort über Gott ist das maßgebende, nie in die Irre führende, nie zu vielversprechende und daher verläßliche Wort.

 

2. In Jesus erweist Gott uns seine Gnade:

Vor Jesus gab es ja noch Johannes den Täufer. Er war auch ein frommer Mann, der eine Gemeinde um sich geschart hatte und der sogar vielleicht von ihnen als der Heiland angesehen wurde. Aber die christliche Gemeinde hat in ihm nur den Vorläufer gesehen. Dennoch soll er schon erkannt haben, wer Jesus ist, wenn er sagt. „Wir haben ihn erlebt und wußten, daß wir es mit dem uns sonst verborgene Gott zu tun haben. Den unsichtbaren Gott kann man nun auf einmal sehen, denn in seinem Sohne erweist er uns seine Gnade. So sind wir ständig von ihm beschenkt worden. Er hat nicht nur das Menschenmögliche auf erfreuliche und überzeugende Weise in die Tat umgesetzt, sondern wir empfingen alles aus der Fülle des göttlichen Wesens!“

Und noch früher gab es Mose. Aber Gnade und Wahrheit findet man bei ihm nicht. Er hat nur das Gesetz gegeben, mit dem sich Jesus auseinandersetzen mußte, als er am Feiertag einen

Kranken heilte. Mose machte nur Auflagen, er forderte und verpflichtete. Aber dadurch machte er die Menschen unfrei. Er hat nicht nur vorgeschrieben, daß man nicht tun darf, was man tun möchte. Er hat auch die Menschen so eingeengt, daß sie als Sklaven der Sünde auch das tun mußten, was sie nicht wollten.

Der Mensch, der ohne Gott leben will, ist ja in Wirklichkeit nicht frei. Er verfällt erst recht dem Zwang des Gesetzes, auch wenn er verneint, daß es für ihn Gesetze gibt. Er weiß: Du mußt etwas leisten. Gott wird dir alles auf Heller und Pfennig nachrechnen! Wer aber bei Christus ist, der darf aus der göttlichen Fülle immer nur nehmen, einen Gnadenerweis nach dem anderen.

Daß wir uns aber richtig verstehen: Es geht nicht um ein Schlaraffenleben, das wir bei Jesus führen könnten, sondern um ein fruchtbares und ertragreiches Leben. Das ist wie bei einer Weinrebe, die ihre Frucht nicht aus sich selber hervorbringt, sondern aus dem, was ihr zuströmt.

In Jesus gewinnt Gott seine Welt zurück. Er tut das aber nicht so, indem er sie „auf Vordermann“ bringt, sondern indem er ihr ein Gutes nach dem anderen tut. Zwar wird er dabei immer wieder enttäuscht, weil er nicht unbedingt auf Dankbarkeit hoffen kann. Aber er läßt sich davon nicht irre machen und stößt keinen hinaus.

 

3. In Jesus schenkt Gott sich uns selbst:

Das Johannesevangelium hat bei Gott angefangen: „Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort!“ Am Schluß des ersten Kapitels aber ist von dem die Rede, was Menschen an Jesus erfahren haben. Es gilt, beides zusammenzubinden. Es ist nicht so, daß uns Auskunft darüber gegeben wird, was man von Jesus empfangen kann, also zum Beispiel die Kenntnis Gottes oder immer neue Geschenke aus der Fülle Gottes. Vielmehr schenkt Gott uns nicht nur dies und jenes, sondern er schenkt sich uns selbst.

Wenn wir nur nach dem fragten, was bei Jesus „zu holen“ ist, dann hätten wir das Beste noch nicht entdeckt. Er ist zwar Bringer oder Entdecker von Freuden, aber das Wesentliche ist, daß er sich selbst gibt.

Das ist wie bei der Liebe zwischen Menschen. Die Liebe sagt nicht: „Ich will dies und das von dir, sondern ich will d i c h!“ Jesus Christus ist die uns zugewandte Liebe Gottes. Gott will die Gemeinschaft zwischen ihm und uns. Er schenkt sich selbst.

So kann man den unsichtbaren Gott doch sehen, weil er so menschlich und darum so zugänglich ist. Es wird uns sehr leicht gemacht, weil er es auf Begegnung und Gemeinschaft abgesehen hat. Schon wenn Menschen aufeinander zugehen, wird der andere Mensch nicht zum Objekt. So ist es erst recht bei Gott: In Christus macht Gott mit uns den neuen Anfang. Vor uns steht der Mensch Jesus, aber er ist Gott konkret!

 

 

Joh 2, 1 – 11 (2. Sonntag nach Epiphanias):

Im österreichischen Burgenland sagte einmal ein Junge beim Hören dieser Geschichte: „Mein Vater kann das auch: er schüttet Wasser in das Faß, und er nimmt Wein heraus!“ Aber so einfach werden wir mit dieser Geschichte nicht fertig, so als hätte Jesus hier nur Wein mit Wasser gepanscht. Diese Geschichte könnte uns schon aufregen: Jesus zeigt seine Macht an so einer billigen Sache. Bei einer Hochzeit hat man sich verkalkuliert und zu wenig Wein eingekauft. Um die Familie nicht zu blamieren, hilft Jesus ihr aus der Klemme.

Bei den Wundergeschichten in den anderen Evangelien erbarmt sich Jesus über eine menschliche Not, eine wirkliche Not. Aber hier geht es eine Pannenhilfe in einer peinlichen Verlegenheit. Doch wenn wir in Verlegenheit sind, dann schicken wir doch auch schon einmal ein Stoßgebet in den Himmel: „Gott, gib doch, daß ich hier wieder herauskomme, ohne daß etwas passiert oder ohne daß ich mich bloßgestellt habe!“ Warum sollte man nicht auch um so etwas bitten? Aber man muß dann doch wissen: Meist sind wir selber schuld dran. Gott könnte aber trotzdem helfen. Aber er muß es nicht. Wir müssen es ihm überlassen, wann und wie er hilft.

Das muß auch Maria lernen. Sie sagt zu ihm: „Zeig doch einmal, was du kannst!“ Woher sie weiß, daß er helfen kann, darf man nicht fragen, denn immerhin handelt es sich ja um das erste Zeichen. Aber Maria ist stolz auf ihre guten Beziehungen und läßt sie spielen. Sie will den Leuten zeigen: „Ihr sollt mal sehen, was mein Sohn kann!“ Aber Jesus ist kein Nothelfer, der sofort alle Wünsche erfüllt. Das erkennt auch Maria an. Sie streitet sich nicht mit ihm, sondern auch sie muß warten wie Jesus auch. Gott handelt oft erst dann, wenn man es nicht erwartet.

Die Geschichte zeigt sehr deutlich: Jesus nimmt am Leben der Menschen und an ihrer Freude teil. Er ist nicht ein finsterer Asket und griesgrämiger Spielverderber. Sogar bei einer Hochzeit ist er dabei, nicht um zu stören und den Menschen bei ihrer Fröhlichkeit ein schlechtes Gewissen zu machen, sondern um an ihrer Freude teilzunehmen.

Sonst sehen wir Jesus immer wieder bei den Weinenden und Stöhnenden, bei den Verbitterten und Hoffnungslosen. Hier aber können wir ihn als den Heiland der Frohen und Glücklichen entdecken. Diesen Christus dürfen wir den Menschen nicht vorenthalten, damit sich die Fröhlichen nicht abwenden.

Jesus ist nicht nur bei unsrem Alltag dabei, bei unsrer Arbeit und der Bewältigung unsrer Probleme und Spannungen. Jesus beginnt seine Wirksamkeit auf einem Fest. Christliches Leben ist auch ein Fest. Das soll nicht heißen, daß wir jeden Tag mit großem Aufwand alle Tage herrlich und in Freuden leben sollten und vergessen dürften, wer als armer Lazarus vor unsrer Tür liegt.

Unsre Leben ist festlich, weil es nicht ein Stöhnen ist unter einer Fülle von Pflichten. Vielmehr dürfen wir ein fröhliches und freies Leben führen, von der Liebe und vom Geist Gottes angeregt. Unsre Leben ist ein Fest, weil Jesus da ist, er macht es erst zum Fest. Nun dürfen wir leben ohne die Kleinlichkeit und Verkrampftheit der Gesetzesmenschen in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Wir brauchen nicht mit tierischem Ernst die strengen Regeln geheiligter Vorschriften einzuhalten, unsre Versagen zu vertuschen und unsere Fehlbeträge durch Humorlosigkeit überspielen. Daß Jesus seine Wirksamkeit auf einem Fest beginnt, ist geradezu ein Programm.

Die Wasserkrüge könnten die alte Religion des jüdischen Gesetzes symbolisieren. Sie sind leer und müssen erst auf Jesu Befehl aufgefüllt werden. Jesus verwandelt die Leere der Menschen in Fülle, so daß sie verwandelt werden. Wenn aber etwas anders wird, dann nicht durch uns. Wir stehen oft nur herum wie leere Wasserkrüge. Wir verwässern immer nur Jesus aber verwandelt.

Die Juden haben nur ihre alten Religionsüberlieferungen, ihre. Reinigungen und Gesetze; sie haben ihre mechanischen Gebetsübungen und die toten Werke und nur einen fernen Gott, der sich durch keinen Eifer der Menschen bewegen läßt, aus dem Dunkel herauszutreten. Durch Jesus aber verwandelt sich das Wasser in Wein. Über dem alten Bund erhebt sich der neue, der ferne Gott kommt nahe. Jetzt können alle Gnade um Gnade aus seiner Fülle schöpfen, wie

es schon in Joh 1, Vers 16 heißt.

Bei einer Hochzeit könnte man das Ehepaar auf diese biblische Geschichte ansprechen und sagen: „Jesus hat das gegeben, was fehlte. Möge er Ihnen in ihrer Ehe auch immer das geben, was Ihnen fehlt!“ Die Geschichte macht deutlich: Jesus ist in allen Fällen unsere Helfer. Er hilft uns nicht nur aus Verlegenheiten, sondern er will uns gerade dort beistehen, wo wir wirkliche Hilfe brauchen. Wir brauchen doch oft im Leben eine Kraft, die uns wieder voranbringt. Jesus k a n n antworten auf alle Not. Wenn wir nicht mehr aus noch ein wissen, so kann er uns doch in aller Ratlosigkeit noch Hilfe schaffen.

Doch es geht hier nicht um ein Zauberkunststückchen. Man darf nicht bei dem Wunder hän­genbleiben, sondern es geht um die Gegenwart Jesu. Ein neutraler Beobachter merkt gar nicht, was hier geschieht. Die Hochzeitsgesellschaft hat das Zeichen gar nicht bemerkt, nicht einmal der Speisemeister. Es geht allein um die Jünger. Nur sie glauben an Jesus. Nur weil sie schon vorher seine Jünger waren und an ihn glaubten, dürfen sie eine solche Tat sehen. Aber ihr Glaube beruht nicht auf einem Wunder, sondern auf dem, was sie schon vorher mit Jesus erlebt haben. Wunder kann man immer nur für sich persönlich annehmen, nicht anderen aufzwingen. Deshalb darf man nicht fragen: „Was ist hier passiert?“ sondern es geht darum: „Wer ist Jesus?“

Wir werden heute unseres Glaubens auf andere Art und Weise gewiß. Bei uns hat es mit dem Glauben schon bei dem Wasserwunder der Taufe begonnen. Aber erhalten und gestärkt wird er durch das Abendmahl. In Johannes 15 ist das in einem einzigen Satz gesagt: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun!“

Vielleicht wäre uns dieses Bild vom Weinstock lieber als diese Beispielgeschichte von einer Hochzeit. Dazu kommt, daß ein solches Weinwunder auch von dem heidnischen Gott Dionysos berichtet wird. In zwei seiner Tempel soll alljährlich zum Dionysosfest am 5. / 6. Januar Wein statt Wasser aus den Tempelquelle gesprudelt sein.

Mit der Geschichte von der Hochzeit zu Kana aber bekennt sich die christliche Gemeinde zu dem, der mehr ist als Dionysos: „Was dieser heidnische Gott angeblich macht, das kann unsre Herr schon lange!“

Dionysos verspricht im Rausch ein neues Leben. Aber die Freude ist kurz und der Rückfall in die Wirklichkeit unausbleiblich. Wovon wir uns Leben und Glück versprechen, das verzehrt sich. Was uns zunächst begehrenswert erscheint, das beginnt uns bald zu langweilen. Jesus aber gibt nicht nur den besseren Wein, sondern er gibt überhaupt die beste Freude.

Jesus sagt aber: „Meine Stunde ist noch nicht gekommen!“ Der Wein ist zwar eine der Gabe- der Heilszeit, das Weinwunder deutet an: „Die Heilszeit ist da!“ Aber die wahre „Stunde“ Jesu ist sein Sterben, und Auferstehen. Sein Heilswerk besteht nicht in einem Weinwunder, sondern in seiner endgültigen Verherrlichung durch Gott.

Maria sieht nur ein hauswirtschaftliches Problem. So sehen auch bei uns manche nur die wirtschaftlichen Probleme und versprechen sich von ihrer Lösung das Heil für die Welt. Jesus aber weiß etwas Besseres, nämlich das Leben aus Gott und mit Gott. Es geht nicht um de- Wein, sondern um Jesus. Er ist der Retter für alle Menschen. Aber seine Hilfe ist nicht eine platte Selbstverständlichkeit. Wir erleben Jesus zwar oft als freigiebigen Spender. Aber einklagen können wir das nicht. Es muß uns schon um ihn selbst zu tun sein.

Wir können Gott nur bitten, daß er an uns ein Wunder tut und uns das Geheimnis Christi erschließt, wie er es bei den Jüngern getan hat. Wenn einer in der Klemme ist, dann hilft ihm keine Philosophie und keine Weltanschauung, sondern nur das neue Leben bei Gott.

Deshalb dürfen wir in der Kirche in den Gottesdiensten und Gemeindeveranstaltungen nicht Wasser bereitstellen, sondern den guten Wein Jesu.

Dies geschieht symbolisch im Abendmahl. Ein Spötter hat einmal den Kirchenvater Hieronymus gefragt, wer denn den Wein bei der Hochzeit zu Kana getrunken habe, immerhin eine Menge von 500 bis 700 Litern. Da hat er geantwortet: „Davon trinken wir heute alle noch!“ Der heutige Abendmahlswein ist Wein wie bei der Hochzeit zu Kana. Und Jesus ist der Freudenmeister, der uns Brot und Wein zum Weiterleben gibt.

Die Kirche hat bis heute die Vollmacht, das Abendmahl auszuteilen, nur fehlen halt oft die, die den Wein trinken, der ihnen helfen könnte. Diese Geschichte hier will uns aber Mut machen, die Hilfe unseres Freudenmeisters auch in unserem persönlichen Leben wiederzufinden und ihm dafür zu danken.        

 

Zusatz:

In Kriegsgefangenschaft haben sie auch Abendmahl gefeiert mit Kaffeetassen und gewöhnlichem Kaffee, das geht natürlich auch, aber es fehlt der Symbolwert des Weines. Aber man könnte eben an die Geschichte von der Hochzeit zu Kana denken um zu wissen, daß auch

das ein vollwertiges Abendmahl ist. Das hätte man auch dem katholischen Priester in dem Roman „Die Kraft und die Herrlichkeit“ von Graham Greene sagen müssen: In einem mittelamerikanischen Staat war eine Christenverfolgung. Nur dieser eine Priester war übriggeblieben und besuchte die Gemeinden und hielt heimlich Gottesdienste. Aber er konnte nie mehr die Messe feiern, weil die Regierung den Verkauf von Wein streng verboten hatte. Doch bei einem Funktionär kann er eine Flasche schwarz kaufen. Doch kaum hat er sein letztes Geld hingelegt, da zwingt ihn der andere, die Flasche an Ort und Stelle mit ihm zu leeren. So war alles vergebens. Aber wir würden vielleicht sagen: Warum hat er nicht Wasser genommen oder Traubensaft? Es kommt doch auf den Glauben an. Und Jesus kann doch aus Wasser Wein machen!

 

 

 

Joh 2, 13 – 22 (10.  Sonntag nach Trinitatis):

Jesus mit einer Peitsche, Jesus mit drohend erhobener Hand, Jesus mit abweisenden Worten - dieser Jesus ist uns ziemlich fremd. Stellen wir uns Jesus nicht sanftmütig und barmherzig vor, ein einladender und entgegenkommender Jesus? Bei der Tempelaustreibung aber erscheint er unnachgiebig und hart. Darf Jesus denn zornig sein, darf ein Christ zornig sein?

Es gibt verschiedene Arten von Zorn. Da ist der selbstsüchtige Zorn, der dann entbrennt, wenn es nicht so läuft, wie man es sich wünscht. Da trampelt etwa ein Kind auf den Spielsachen anderer Kinder herum, weil die nicht mit ihm spielen wollten. Oder da schlitzen Jugendliche im Bus die Sitze auf, weil ihre Mannschaft nicht gewonnen hat. Oder Eltern ändern ihr Testament, weil sie mit einer Entscheidung ihrer Kinder nicht einverstanden sind.

Solche Zorneshandlungen sind Angriffshandlungen, die gefährlich und zerstörerisch sind. Sie kommen aus unverarbeiteter Erfahrung und übertragen das aufgerührte Innere nach außen. Es gibt aber auch einen Zorn, der sachlich und menschlich berechtigt ist. Er entsteht dort, wo Menschen ungerecht behandelt werden. So haben jahrhundertelang gedemütigte Menschen ihren Zorn in Revolutionen entladen. Solcher Zorn vermag zu reinigen.

Solcher Zorn war auch angebracht im Tempel von Jerusalem. Dort hatte sich ein richtiger Wallfahrtsbetrieb entwickelt. Man brauchte Opfertiere, die man nicht von weither mitbringen konnte. Man brauchte das althebräische Geld ohne das Bildnis des römischen Kaisers, wenn man eine Kollekte geben wollte. All das konnte man im Vorhof erledigen, der eigentliche Gottesdienst wurde davon angeblich nicht berührt.

Aber das fromme Treiben war auch mit unfrommem vermischt, Glaube und Aberglaube wohnen immer nahe beieinander. Die primitive Frömmigkeit ist oft sehr betriebsam. Sie meint: Viel hilft viel.  Deshalb war der Tempel immer mehr zur Markthalle und zum Bankhaus geworden.

Jesus jedenfalls hat es nicht für gleichgültig gehalten, ob im Vorhof des Tempels noch alles Mögliche geschieht. Wo Geschäfte gemacht werden, da wird auch gefeilscht und betrogen, da steht der Mensch mit seiner Leistung und seinen Werken im Mittelpunkt und der Tempel ist nur so ein Anhängsel. Wer nur ans Kaufen denkt und wie er möglichst einfach zu einer billigen Opfergabe kommt, der hat keine Kraft mehr zur wahren Anbetung.

So kommt Gott nicht zu Worte. Wenn er sprechen wollte, würde seine Stimme im Lärm untergehen. Er würde gar nicht zu den Menschen durchdringen, weil sie viel zu beschäftigt sind. Aber Gott darf nicht in den menschlichen Handel hineingezogen werden. Um das klarzustellen, treibt Jesus die Händler und Kaufleute und Geldwechsler aus dem Tempelbezirk hinaus.

Er hat damit nicht den Tempel beseitigen wollen. Er wollte ihn nur seiner ursprünglichen Bestimmung übergeben, nämlich Ort der Anbetung Gottes zu sein. Es geht Jesus um die Ehre Gottes, die nicht durch menschliche Geschäfte angetastet werden darf. Deshalb versucht er hier nicht, eine wohltemperiertes Ordnung machen, sondern er greift hart und zornig ein. Seine Reinigung erstreckt sich keineswegs nur auf Nebensächliches. Hier wird im Grunde der ganze Opferkult der Juden angetastet.

Wenn etwa ein Schlachtopfer dargebracht wurde, dann erhielt Gott das Blut und die Opfernden erhielten das Fleisch. Das heißt: das Opfer wurde fortgesetzt mit einem fröhlichen Schmausen, bei dem es mehr aufs Genießen ankam als auf den lieben Gott. So könnte manchem Kind das Eis am Himmelfahrtstag wichtiger sein als der Kindergottesdienst, in dem Eis ausgegeben wird. Vor allem besteht die Gefahr, daß man so eine Zugabe selbstverständlich erwartet und sie auch im nächsten Jahr verlangt.

Nun gehören die äußeren Formen mit zum Gottesdienst dazu. Und wenn ein Gottesdienst einmal mit einem Essen oder sonst einem gesellschaftlichen Ereignis verbunden ist, dann kann das eine gute Sache sein. Nur muß man alles daran messen, ob Gott auch wirklich zum

Zuge kommt. Man kann Gott auch verdrängen durch laute Musik oder Anspiele und Aktionen.

Dennoch kommt Gott immer leibhaft zu uns, nicht ohne das Wort und nicht ohne die Sakramente. Wie man den Gottesdienst gestaltet, liegt immer auch an der jeweiligen Zeit und der Eigenart der Menschen, die sich zum Gottesdienst zusammenfinden. Aber unmerklich schleichen sich oft auch Mißbräuche ein. Keiner bemerkt es, die nächste Generation übernimmt es als selbstverständlich, niemand findet mehr etwas dabei.

Wir können uns nicht darauf verlassen, daß ja das Gotteshaus noch in unserem Ort steht und damit alles in Ordnung ist. Gott wohnt sowieso nicht in einem Gebäude aus Holz und Stein. Er wohnt nur dort, wo Menschen in seinem Namen zusammenkommen. Wir können uns nicht damit beruhigen, daß ja Sonntag für Sonntag bei uns Gottesdienst ist, wenn wir selber nicht hingehen.

Wir sollten uns schon auch ernsthaft fragen, was bei uns und in unsrer Kirche anders werden müßte. Eigentlich brauchten wir dazu den gleichen Kampfgeist wie Jesus. Sein Zorn entbrannte aus Liebe, weil er sah, wie der religiöse Betrieb an die Stelle des Glaubens getreten war. Aber wir heute haben nicht gegen die katholische Kirche oder gegen eine zweifelhafte Theologie oder gegen irgendeine Weltanschauung zu kämpfen, sondern zuerst gegen uns selbst. Wenn wir schon etwas hinausfegen wollen, dann zuerst in der eigenen Stube und vor der eigenen Haustür.

Natürlich kann man nicht alles ausfegen, was einem vor den Besen kommt. Manchmal liegen noch wertvolle Dinge mit unter dem Unrat. Wir können deshalb nicht alles Alte einfach über Bord werfen, nur weil es uns nicht paßt. Jesus hat ja auch nicht den ganzen Tempel umgerissen, sondern ihn gereinigt.

Aber es wäre auch falsch, nun ganz auf eine Reinigung zu verzichten, nur weil unter dem Alten auch noch etwas Wertvolles sein könnte. Manche Leute sind da zu ängstlich. Sie sagen: „Das Alte war gar nicht so schlecht!“ Und das nehmen sie dann als Begründung dafür,            a 1 1 e s  beim Alten zu lassen. Jesus war da nicht so empfindlich, er hat auch etwas gewagt. Es gilt, die wertvollen Bestandteile der alten Ordnung weiterzuentwickeln, damit sie ihren ursprünglichen Sinn auch in der neuen Zeit behalten.

Ein Beispiel dafür ist der Gottesdienst. Nach jüdischer Lehre mußten jeden Tag Tieropfer dargebracht werden, um Gott mit den Menschen zu versöhnen. Seit Jesus aber sind diese Opfer nicht mehr nötig, weil Jesus das Lamm Gottes ist, das der Welt Sünde trägt. Er ist der neue Tempel Gottes, in ihm ist Gott leibhaft gegenwärtig. Doch haben wir das schon begriffen, daß Jesus sich für uns geopfert hat? Sehen wir ein, daß wir dieses Opfer nötig haben? Lassen wir uns beschenken durch das Abendmahl, in dem Jesu Opfer uns angeboten wird?

Wir sollten Gott auch darum bitten, daß er uns die falschen Gottesbilder austreibt. Allzu gerne machen wir uns doch einen Gott nach unseren Bedürfnissen zurecht. Wir meinen zu wissen, wie er sein muß und was er für uns zu tun hat; und wenn es anders kommt, kündigen wir ihm. Dagegen wendet sich Jesus. Er zeigt uns den Gott, der uns entgegenkommt, der aber nicht auf Knopfdruck funktioniert wie ein Automat.

Die Juden haben auch ein Zeichen von Jesus gefordert. Sie behaupten sogar, sie würden Jesus anerkennen, wenn er ein Wunder vollbrächte. Doch das Tempelwort Jesu verstehen sie falsch. Sie meinen, er wolle den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen. Doch Jesus meint den Tempel seines Leibes, meint sich selbst: Nicht er wird den Tempel in Jerusalem einreißen, sondern die Juden werden Jesus, den eigentlichen Tempel Gottes, vernichten. Denn wo Jesus ist, da wohnt Gott in der Welt. Wenn man ihn finden will und sich ihm nahen will, dann nur über Jesus.

Der allein gültige Gottesdienst ist deshalb, sich an Jesus halten und sich auf ihn berufen und der Zugang zu Gott durch ihn gewinnen. Die Wiederaufrichtung des Tempels ist dann nichts anderes als die Auferstehung Jesu. Er ist dann aber heute unser Fürsprecher bei Gott. Frieden mit Gott haben wir nur dadurch, daß sich Jesus zu unserem Anwalt macht. Es gibt nur            e i n e n heiligen Ort, an dem wir mit Gott verbunden sein können, nämlich Christus. An ihn müssen wir uns halten, wenn wir gerettet werden sollen.

 

 

Joh 3, 1 – 15 (Trinitatis):

Was eine Geburt ist, wissen wir. Aber was soll eine „Wiedergeburt“ sein? Jeder Mensch kann nur einmal geboren werden! Da muß also etwas anderes gemeint sein. Jesus spricht von der Taufe, die den Menschen ganz neu macht. Damals wurden ja noch vorwiegend Erwachsene getauft, denen man das Neuwerden wirklich ansah. Der Mensch ist erst richtig Mensch, wenn er getauft ist.

Nikodemus ist eigentlich aus Neugier gekommen. Er hat erlebt, wie Jesus die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel geworfen hat. Damit war für ihn bewiesen, daß Jesus ein von Gott beglaubigter Lehrer war. Nikodemus möchte sich diesen Mann etwas näher ansehen, weil er spürt: „Der hat uns allen etwas zu sagen, da steckt mehr dahinter!“

Nikodemus ist ein Vertreter des offiziellen Judentums, ein frommer Jude, der nach dem Heil

fragt. Eigentlich müßte er doch darüber Bescheid wissen, wo er doch selber ein Lehrer und Schriftgelehrter ist, der es anderen beibringen soll. Er ist aber auch Vertreter des religiösen Menschen, denn es auch heute noch gibt. Er gehört zwar keiner Kirche an, aber irgendeinen Halt außerhalb muß jeder Mensch haben. Dann sucht er sich oft eine Art Ersatzreligion und auch eine eigene Moral.

Aber Nikodemus gibt sich immerhin nicht mit dem überlieferten Wissen zufrieden, er fragt weiter. Die Gefahr ist immer, daß man genau Bescheid zu wissen glaubt, wie das mit dem Leben und der Moral, aber auch mit dem Glauben und dem Christentum ist. Wir wissen, was sich gehört und unbedingt notwendig ist. Wir wissen in welchem Alter ein Kind getauft wird, wie oft man zum Gottesdienst geht, wie hoch die Kirchensteuer zu sein hat und daß man zum Pfarrer gehen muß, wenn einer gestorben ist.

Manche glauben auch, den Weg zum Heil zu wissen. Es gibt Christen, die fordern: Erst mußt

du eine Bekehrung erlebt haben, möglichst auf Tag und Stunde festgelegt, dann erst bist du wiedergeboren. Sie machen eine Methode aus ihrem Glauben und wollen sich den Glauben anerziehen und lassen nur ihren Weg gelten. Da nimmt sich ein Mann vor: „Du mußt aber jetzt einmal unbedingt ernsthafte Anstrengungen unternehmen, um ein besserer Mensch zu werden!“

Aber ein guter Mensch ist noch nicht gleich ein Christ. Das war der erste Fehler. Und dann stellte sich heraus, daß spätestens zwei Tage danach alle guten Vorsätze vergessen waren. Mit Gewalt läßt sich gar nichts aufbauen. Wir können nicht langsam von unten anfangen und einen Turm in den Himmel bauen. Wir können von uns aus gar nichts tun! Es geht nicht darum, noch zielstrebiger an sich zu arbeiten und das schon Erreichte noch zu vervollkommnen, die im Menschen vorhandene sittliche Anlage zu entfalten und zu entwickeln, den Reifeprozeß der eigenen religiösen Persönlichkeit zu fördern und mit einer außerordentlichen inneren Kraftanstrengung es auch zu einer Bekehrung zu bringen.

Jesus sagt: „Ihr müßt von oben geboren werden, sonst könnt ihr das Reich Gottes nicht sehen!“ Mit dem „von oben her“ ist gemeint „von neuem, von vorne an. Ihr müßt radikal von vorne anfangen!“ Also ein totaler Neuanfang vom Nullpunkt aus. Man kann das Haus nicht mehr reparieren, sondern man muß es abreißen und neu bauen. Wie schwer fällt uns das aber! Wir möchten doch immer auf dem Erreichten aufbauen: auf der Kirchlichkeit unserer Eltern, auf unserer Konfirmandenzeit, auf besonderen Festen in der Kirche. Aber Jesus sagt: Jeder muß neu anfangen!

Doch er kann nicht selber etwas aus eigener Kraft erreichen, sondern es muß ihm geschenkt

werden. Unser menschliches Wesen taugt nichts, um den Weg zu Gott gehen zu können. All diese Versuche bleiben nur Flickwerk. Gott selber greift ein bei Taufe. Dort werden wir erneuert und erhalten Kraft für unser Leben.

Wenn wir schon auf irgendetwas aufbauen wollen, dann bei unserer Taufe. Jesus sagt, der neue Mensch müsse „aus Wasser und Geist“ neu geboren werden, wobei die Gabe des Geistes an das Wasser gebunden ist. Die Taufe ist nicht eine Sache, die mit dem Besitz des Taufscheins ein für allemal erledigt ist. Der Taufschein ist überhaupt nicht entscheidend. Da einmal eine Frau den Pfarrer gefragt: „Unsere Kinder sind nun schon groß. Aber getauft sollen sie werden. Geht das nicht, daß Sie einfach die Taufurkunde ausstellen und ich lade sie dann nachher zum Kaffee ein?“ Aber das Entscheidende ist doch gerade, daß das Kind mit Wasser getauft wird und dazu die Taufformel gesagt wird. Die Taufurkunde ist zweitranging (und der Kaffee erst

recht!).

Aber das Gnadengeschenk der Taufe muß nun auch ein Leben lang neu ergriffen werden. Viele Menschen stellen dieses Geschenk einfach in den Glasschrank und heften den Taufschein bei ihren anderen Dokumenten ab. Langsam verstaubt dieses Geschenk. Es steht ehrwürdig da und darf nicht angefaßt werden. Nur manchmal wird es wieder hervorgeholt, zur Konfirmation etwa oder zur Trauung. Aber so geht es halt nicht: Ein Geschenk ist dazu da, daß man es benutzt.

Aber bauen wir unser Leben wirklich auf der Taufe auf? Wer weiß denn seinen Tauftag und seinen Taufspruch? Wer verläßt sich in Gefahren denn wirklich darauf, daß er getauft ist und zu Gott gehört?

Luther war manches Mal in schweren inneren Gefahren. Er fürchtete, in seinem Glauben wankend zu werden und aus der Nähe Gottes herausfallen zu körnen. Da hat er dann immer mit Kreide auf den Tisch vor sich geschrieben: „Ich bin getauft!“ Und da war er wieder sicher, daß ihm nichts passieren konnte.

Uns wird heute die Frage gestellt: „Willst du dir dein Leben aus eigenen Kräften zurechtzimmern oder willst du dich auf Gott verlassen?“ Jesus sagt: „Der Mensch, so wie er ist, muß vom Reich Gottes ausgeschlossen sein. Er hat es nicht in der Hand, sich das Heil selbst zu besorgen. Es kommt darauf an, gleich den richtigen Anfang zu finden. Wer ihn verpaßt, rennt ins Verderben. Aber wir finden den Anfang nicht selber, sondern Gott hat ihn uns gezeigt in der Taufe!“

Alle Menschen, die Jesus begegnen, sind zunächst einmal in der Dunkelheit. Nikodemus

kommt aus dem Dunkel der Nacht, um sich den Weg zu Gott aufhellen zu lassen. Er will

wissen, woher er kommt und wohin er geht. Jesus sagt ihm: „Du bist nicht nur ein Kind deiner Eltern, sondern du kannst noch einmal geboren werden durch die Taufe zu einem Kind Gottes. Um richtig leben zu können, brauchst du nicht nur deinen Verstand, sondern auch den Geist Gottes. Der Heilige Geist ist nicht etwas Besonderes, das nicht in den Alltag gehört, sondern er will im Gegenteil dein tägliches Leben bestimmen!“

Wir dürfen Gott für ganz bestimmte Erfahrungen und Durchbrüche in unserm Leben dankbar sein. Aber als Glaubende wissen wir, daß das gerade dann der Fall war, wenn wir uns nicht auf uns selbst verließen, sondern auf den Gott außerhalb von uns. Nicht unsere menschlichen Leistungen begründen unsern Stand bei Gott, sondern allein, was Gott an uns tut. Glaube leitet sich nicht ab aus unserm Verstand oder Gefühl, aus Willen oder Erfahrung. Er ist nicht abhängig von unserm jeweiligen inneren Zustand. Aber gegen jeden Zweifel darf ich mich an Gott halten, gegen meine Traurigkeit in ihm fröhlich sein, gegen mein Versagen mich an sein Wort halten. Das ist eigentlich die entscheidende Frage: Wo sind wir gebunden, woran hängen wir unser Herz? Jesus ist nur gebunden an das Reich Gottes. Er kommt vom Vater und er geht zum Vater. Er weiß, von wem er gehalten ist.

Aber er weiß auch, daß das nicht bei allen so ist: „Der Geist weht, wo er will!“ Man kann ihn nicht sehen. Er ist wie der Wind: ungreifbar und niemand kennt sein Woher und sein Wohin. Aber er ist doch da und an seinem Ergebnis wahrnehmbar: Man kann den Wind nicht sehen; und doch knickt er die mächtigsten Bäume. Genauso kann man den Geist Gottes nicht sehen, aber man kann ihn hören, hier im Gottesdienst, beim Bibellesen und beim Gebet.

Es gibt solche Menschen, die aus dem Geist geboren sind, die anderen Menschen zum Segen werden, weil Gottes Geist in ihnen wirkt: Menschen, die für andere die Hände falten, die ihnen einmal unter die Arme greifen, die Zeit haben fair ein Gespräch, die unbeirrt bei ihrem Glauben bleiben und ihn ernst nehmen. Auch unter uns gibt es solche Menschen. Aber die Hauptfrage ist doch: Gehören wir auch zu ihnen? Die Erzählung hat ja keinen richtigen Abschluß. Aber damit bleibt die Situation offen: Jeder kann sich noch entscheiden!

 

 

Joh 3, 16 - 21 (Christvesper, Variante 1)

Kleine Kinder freuen sich noch ganz von Herzen über die Weihnachtsgeschenke. Je reifer man aber im Laufe seines Lebens wird, desto mehr verlieren die Dinge als solche an Bedeutung. Dann wird uns mehr der Mensch wichtig, der sich uns zuwendet, indem er uns beschenkt. Es kommt uns nicht so sehr auf das Geschenk selber an, sondern mehr auf die Liebe und Freundlichkeit, die dahintersteht.

So ist es aber auch im Verhältnis zwischen Gott und uns. Wir können die Liebe Gottes nicht an den Dingen ablesen, die er uns zum Geschenk macht. Wir können nicht sagen: Je mehr Glück und Gesundheit und Erfolg, desto mehr Gottesliebe erfahren wir. Viel wichtiger ist doch die grundlegende Tatsache, daß wir Geschöpfe des himmlischen Vaters sind, der uns liebhat. Wir leben nicht in einem eiskalten Weltall und in einer Welt, die kein Herz für uns haben kann. Vielmehr haben wir einen Gott, der nicht ohne uns sein möchte.

Das macht das Johannesevangelium mit dem unnachahmlichen Satz deutlich: „Also hat Gott die Welt geliebt!“ Das ist die Überschrift für das ganze Neue Testament, gewissermaßen das Evangelium im Evangelium. Luther hat über diesen Vers gesagt: „Das ist eines der herrlich­sten Evangelien im Neuen Testament. Es wäre billig, daß man es mit goldenen Buchstabes ins Herz schriebe. Jeder Christ sollte sich solche Worte täglich wenigstens einmal im Herzen vorsprechen!“

Die Götter der Griechen liebten die Welt nicht. Sie saßen auf ihrem Olymp und kümmerten sich nicht um die Menschen. Sie wollten auf weichem Boden spazierengehen und nicht ihre Füße auf die rauhe Erde setzen. Prometheus mußte ihnen das Feuer stehlen, damit sich die Menschen wärmen konnten, aber er wurde dafür furchtbar gestraft.

Wir glauben solche Göttersagen heute längst nicht mehr. Aber das Weltgefühl, das sich in ihnen ausspricht, ist uns nicht fremd. Wir ahnen heute, wie kalt und leer das Weltall ist. Es schweigt und gibt keine Antwort auf die Rufe der Menschen. Alle Zukunftsromane sind nur Ausdruck der Sehnsucht des Menschen, in dieser Wüste des Weltalls nicht allein zu sein. Aber die Erde ist nur ein winziges Staubkorn in den ungeheuren Weiten des Alls, ein kleines bißchen Leben in einer unheimlichen Welt des Todes, ein Stück Heimat in der ewigen schweigenden Unendlichkeit.

Aber gerade dieses Fünkchen Leben hat Gott geliebt und wird es immer lieben. Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, wie Luther gesagt hat. Er bringt Wärme in die Kälte des Alls, gibt dem ganzen erst einen Sinn. Das zu glauben mutet uns Weihnachten zu. Und ohne diesen Glauben gibt es heute nichts zu feiern.

Gott war so menschenfreundlich, daß er sieh ins Sichtbare begeben hat. Deswegen sind ja auch wohl so viele Menschen vor diesem Fest und den Gottesdiensten angezogen. Auch den Entwöhnten geht das zu Herzen., was an Weihnachten gesagt und gesungen wird, was zu sehen ist beim Krippenspiel. Unsere Gefühle brauchen wir uns dabei nicht zu schämen. Sie können uns vielmehr helfen, die eigentliche Tat Gottes sichtbar zu machen.

Heute müßten wir eigentlich anders heimgehen, als wir gekommen sind. Wir müßten entdeckt haben‚daß Gott sich uns in seiner Liebe entschlossen zugewandt hat, auch wenn wir manchmal gegen ihr rebelliert haben. Gott hat sich in seiner Liebe aufgemacht, um die verlorene Welt wiederzubekommen.

Gott schickt dazu nicht irgendetwas, sondern in seinem Sohn gibt er sich selbst. Er strahlt mit seiner Liebe wie die Sonne nach allen Seiten ab, so daß ein leicht angewärmtes Weltklima, eine allgemeine Grundstimmung des Wohlwollens entsteht. Nein, Gott tritt entschlossen in diese Welt, geht auf die Menschen zu, öffnet ihnen sein Herz und möchte, daß auch sie ihr Herz für ihn öffnen.

Man kann den Satz aus dem Johannesevangelium auch noch etwas anders betonen: Gott liebt d i e s e Welt. Es ist nicht eine Traumwelt, sozusagen nur die Schokoladenseite unsrer Welt. Er liebt die Welt, die auch am heutigen Tag so ist, wie sie ist: eine Welt voll Angst und Schrecken, voll Lieblosigkeit und Haß, voll Terror und Blutvergießen; voll armer und hungernder Menschen auf der einen Seite und voll reicher und satter Menschen auf der anderen Seite; eine Welt‚ in der Menschen auf der Flucht sind vor anderen Menschen; wo Menschen als Geiseln gefangen gehalten werden‚ wo Menschen entführt und ermordet werden, um etwas zu erpressen; eine Welt voller Gegensätze und Gefahren und vor allem voller Gräben und Grenzen.

Doch gerade diese Welt liebt Gott. Und das nicht, weil wir so edel und hilfreich und gut wären oder so unwiderstehlich liebenswert und liebenswürdig. Aber wenn Gott die Welt liebt, dann liebt er damit ja auch jeden einzelnen von uns. Dann bin ich immer mit gemeint, auch wenn ich der Ansicht bin, von Gott weit weg zu sein.

Glaube gehört allerdings dazu. Nur die an ihn glauben, werden gerettet werden. Die Hirten mußten nicht zur Krippe eilen, sie hätten sich auch weiter um ihre Schafe kümmern können.  Die Weisen aus dem Morgenland mußten dem Stern nicht folgen, ihr Wissen war sicher in ihrer Heimat sehr gefragt. Man muß nicht die Hand ergreifen, die sich einem hinstreckt. Das Gerettetwerden versteht sich nicht von selbst. Jesus kommt zwar allem in der Absicht, uns zu retten. Aber indem er kommt, findet auch das Gericht statt. Er hat es nicht gewollt; aber es ergibt sich zu seinem großen Schmerz. Wer sich nicht retten läßt, der schließt sich selber vom Heil aus und wählt das Verderben. So gibt es also ein Entweder - Oder. Aber Christus lädt uns ein, in den Strahlungsbereich seines Lichtes einzutreten. Er ist erfüllt von der Sorge, wir könnten seine Liebe ausschlagen und damit unsre einzige Chance verspielen.

Er könnte uns natürlich auch durch den Einsatz seiner göttlichen Macht zur Vernunft bringen. Aber das wäre das Ende der Liebe. Daß man die Menschen zu ihrem Glück zwingen müsse, ist eine nur allzu geläufige Überzeugung. Gott hält davon nichts. Er sucht unser Herz. Deshalb läßt er es darauf ankommen, ob wir seine rettende Hand auch ergreifen. Deshalb kommt er so bescheiden und glanzlos und unaufdringlich, wie das die Weihnachtsgeschichte schildert. Er nimmt es in Kauf, daß wir vielleicht „Nein“ sagen. Aber er will uns die Freiheit lassen für oder gegen ihn so sein. Doch das sind arme Menschen, die sich dagegen wehren, daß Gott sie liebhat.

Ein Trost ist nur, daß die Finsternis das Licht nicht dunkel machen kann. Wo aber das Licht hinkommt, da ist es mit dem Dunkel vorbei. Wer sich ins Licht stellt, der wird dann auch das Rechte tun. Er wird sich nicht nur an der göttlichen Liebe wärmen, sondern nun seinerseits versuchen, ein Stück der Liebe Gottes in der Welt wirklich werden zu lassen.

Wer sagt: „Friede auf Erden!“ der kann nicht gleichgültig bleiben, wenn es um Sein oder Nichtsein von Menschengruppen oder der ganzen Menschheit geht. Er wird seine kleinlichen Vorurteile und Haßgefühle ablegen und wissen: Gott hat alle lieb, wer sie auch seien und wie sie auch seien. Er wird im Sinne des Liedes handeln: „Gott liebt diese Welt, und wir sind sein Eigen. Wohin er uns stellt, sollen wir es zeigen: Gott liebt diese Welt!“

Das hat auch ein belgischer Pater gelernt. Er hatte den Auftrag erhalten, in einem Lager mit Aussätzigen zu predigen. Am Rande des umzäunten Lagers hatte man ihm eine Kanzel eingebaut. Von dort aus predigte er und verteilte kleine Geschenke. Aber er begreift bald, daß er die Leute in dem Lager dadurch nicht erreicht. Er predigt sie vor oben herab an, aber er gehört nicht zu ihnen; er ist ja nicht in ihrer Lage.

Da begibt er sich selber in das Lager und erklärt sich so mit den Kranken solidarisch. Aber nun darf er das Lager nicht mehr verlassen. Er steckt sich auch an und wird krank. Doch er lebt noch 15 Jahre unter seinen Leidensgefährten und predigt ihnen die Liebe Gottes und spricht ihnen Trost zu. Als sein Sarg dann wieder in die Heimat zurückgeführt wird, entblößt der belgische König sein Haupt vor ihm und sagt: „Das war einer der größten Belgier!“

Woher wird dieser Mann wohl die Kraft zu solchem Handeln genommen haben? Sie kann nur von Gott kommen. Denn nur Gott hat das Gleiche fertiggebracht. Er hat erkannt, daß er den Menschen nur helfen kann, wenn er ihnen seinen Sohn schickt. So hat sich Jesus ganz auf die Stufe der Menschen begeben.

Aber damit stand auch allen deutlich vor Augen: Gott hat sich für die Menschen entschieden. Jetzt ist nur noch die Frage: „Wie werden s i e sich entscheiden: für oder gegen ihn?“ Der Weg zu einer Entscheidung f ü r ihn steht aber offen. So geht es an Weihnachten nicht um gutes Essen und große Geschenke, nicht um wehmütige Erinnerungen oder unrealistische Hoffnungen, sondern um die frohe Botschaft, die allem Volk widerfahren soll: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!“

 

Joh 3,16 (Christvesper, Variante 2)

Umfrage. Was erwarten Sie von Weihnachten?

(1.) Das Fräulein aus dem großen Geschäft an der E>Was Weihnachten bedeutet? Kurz gesagt: eine große Hetze! Je näher das Fest kommt, desto toller wird es. Daß die Leute auch immer in den allerletzten Tagen einkaufen! Und an die geschäftsoffenen Sonntage mag ich schon gar nicht denken! Das geht vom Morgen bis zum Abend in einer Tour. Und Weihnachten selbst? Nun, da will ich einmal ausschlafen und ausruhen nach all der Jagd.  Und am zweiten Feiertag, da will ich mich amüsieren. Ja, das will ich!

 

(2.) Der dicke Herr von gegenüber:

Was mir Weihnachten bedeutet? So schrecklich viel ist da nicht dran! Meine Frau allerdings schafft da immer eine fette Gans auf den Tisch. Und - nicht wahr - mit ‚nem anständigen Tröpfchen Wein ist das auch nicht zu verachten! Und hinterher eine dicke Zigarre! Doch, doch - Weihnachten ist ganz nett. Man lebt mal ein paar Tage gut.

 

(3.) Die Witwe im Dachgeschoß:

Was mir Weinachten bedeutet?  O, da brechen alle alten Wunden auf! Da stecke ich mir ein Bäumchen an und träume. Da denke ich an die vergangenen Zeiten, wie mein Mann noch lebte und wie die Kinder noch klein waren. Und dann weine ich ein wenig, während die Kerzen so traurig verlöschen.

 

(4.) Der Oberschüler:

Hoffentlich schenkt mir der Alte oder das Christkindchen - mir ist es gleich - endlich ein Moped. Da könnte ich endlich einmal fort und könnte mir ein schönes Leben machen.

 

(5.) Einer: Was mir Weihnachten bedeutet? - Nichts!

 

Eigentlich haben sie alle nichts von Weihnachten begriffen. Muß es denn immer so eine Hetze sein wie bei dem Fräulein im Geschäft? Gewiß, es muß in diesen Tagen jeder hart arbeiten, es geht ja auch auf das Jahresende zu und der Geschäftserfolg muß erst noch gesichert werden. Manche wollen auch vorarbeiten, damit sie in der Zeit zwischen den Jahren arbeitsfrei haben. Auch die Hausfrau stellt die ganze Wohnung auf den Kopf und will alles aufs Beste in Ordnung haben. Selbst die Pfarrer haben an Weihnachten allerhand zu tun.

Aber man braucht doch euch einmal einen Ruhepunkt in all der Hetze. Und wenn auch die Adventssonntage nicht dazu gereicht haben, dann wird es jetzt spätestens Zeit, daß Weihnachten wird. Das heißt: Weihnachten wird es ja auch ohne unser Zutun. Aber es geht ja darum, daß es bei jedem Einzelnen von uns Weihnachten wird. In dieser Stunde wird nun ein Schlußpunkt gesetzt, j e t z t sollte jeder zum Frieden des Weihnachtsfestes finden können oder schon gefunden haben.

Zum Weihnachtsfest gehört natürlich auch etwas Gutes zum Essen und Trinken. Machen wir uns doch nichts vor: Jeder, der es sich einigermaßen erlauben kann, hat doch eine Gans oder etwas Ähnliches im Kühlschrank. Dagegen ist ja auch nichts zu sagen. Zu einer Festlichkeit gehört auch ein Festessen. Man sollte diese Äußerlichkeiten nicht unterschätzen, denn sie helfen auch, so einen Tag zu einem eindrücklichen Erlebnis zu machen.

Aber sie sind ja nicht das Entscheidende. An Weihnachten geht es doch um mehr. Wenn das ganze Fest nur aus Fressen und Saufen bestehen soll und hinterher der Magen verdorben ist, dann ist das doch bedauerlich. Dann braucht man auch kein Weihnachten zu feiern, denn gut essen und trinken kann man auch an einem anderen Tag genauso gut.

Sinnvoller ist es da schon, von dem „Fest der Familie“ zu reden. „Weihnachten ist ganz nett!“ hat der dicke Herr gesagt. Warum sollte man da nicht auch einmal nett zueinander sein, vor allem im Familienkreis? Weihnachten bietet so viele Möglichkeiten dafür. Aber das ist noch längst nicht alles.

Ganz anders sieht es bei der Witwe im Dachgeschoß aus. Sicher hat sich mancher unter uns in ihr wiedererkannt. Es geht ja vielen genauso, daß sie gerade an Weihnachten ihre Einsamkeit spüren. Sicher hat doch mancher vorhin gedacht: Diese Witwe feiert ein richtiges Weihnachten. Sie setzt sich doch wenigstens besinnlich hin, sie hat ein Bäumchen und sieht in die Kerzen. Aber woran denkt sie? Sie träumt von vergangenen Zeiten, sie denkt an Mann und Kinder, sie gibt sich nur ihrem Schmerz hin. Aber sie sieht nicht nach vorne. Sie spürt nichts von der wahren Freude des Weihnachtsfestes. Sie hat keine Zukunft vor sich, es bleibt trostlos bei ihr.

Natürlich hat diese Witwe ein schweres Los. Aber sie hat noch nicht begriffen, daß Jesus auch ihre Dunkelheit erhellen kann, daß er gerade für ihre Einsamkeit da ist. Die wehmütigen Gedanken seien ihr nicht verwehrt. Aber vielleicht könnte sie doch auch Hilfe finden, wenn

sie in der Bibel läse und sich zur Gemeinde hielte. Ohne Hoffnung kann man nicht leben. Aber Christus ist diese Hoffnung, auch für eine einsame alte Witwe.

Der Oberschüler hat solche Probleme nicht. Er denkt nur an die Geschenke bzw. an d a s Geschenk, was für ihn unbedingt an Weihnachten da sein muß. Mit den Geschenken sind wir ja heute nicht mehr bescheiden. Ein paar Hundertmarkscheine gehen schon drauf.  Aber ist das alles, worum es an Weihnachten geht? Geschenke gibt  es doch auch zu anderen Gelegenheiten. Und soll es erst soweit kommen, daß das ganze Fest verdorben war, wenn das gewünschte Geschenk nicht unter dem Baum stand?

Dabei wollen wir nicht vergessen, w i e es zu dieser Sitte des Schenkens an Weihnachten kam. Wir schenken doch nicht ohne Grund. Unsre menschlichen Geschenke sind doch nur Erinnerung an das eigentliche Geschenk, das Gott uns allen gemacht hat: Er hat uns seinen Sohn geschenkt. Das ist das Zentrum des Weihnachtsfestes, oder sagen wir besser: die Mitte des Christfestes, denn um Christus geht es!

  • Darüber wollen wir uns jetzt noch einige Gedanken machen; denn wer das nicht begriffen hat, für den ist heute kein Weihnachten. Um die fünfte Äußerung brauchen wir uns ja nicht zu kümmern: Wem Weihnachten überhaupt nichts bedeutet, dem ist eben nicht zu helfen. Wir aber wollen auf diesen Vers aus Johannes 3,16 hören: „Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben!“

 

 

Joh 3, 31 - 36 (Christfest I):

Ein ungewöhnlicher Predigttext für Weihnachten. Er läßt Vieles vermissen, was uns etwa die Weihnachtsgeschichte des Lukas so vertraut macht. Wir hängen doch sehr an den anschaulichen Bildern von der Volkszählung, der Herbergssuche, dem Nachtquartier im Stall, der Engelerscheinung bei den Hirten und der stillen Anbetung des Kindes.

All das fehlt hier und ist anscheinend einer starren und dogmatischen Aussage gewichen. Auf den ersten Blick kann man nichts Weihnachtliches an diesem Text finden. Aber gerade wenn das Drum und Dran wegfällt, könnte das Wesentliche umso besser hervortreten, nämlich

den Einbruch Gottes in diese Welt durch seinen Sohn.

Johannes versucht‚ hinter dem: Vordergründigen das Hintergründige aufzuhellen. Er will uns helfen, nicht bei den äußerlichen Begebenheiten stehenzubleiben, wozu gerade das Weihnachtsfest so leicht verleiten kann. Wir sollen vielmehr der Tat Gottes selbst ein wenig näher kommen, so unfaßbar sie im Grunde auch ist.

Auch bei den anderen Weihnachtstexten merkt man ja, wie sehr die Menschen ins Stammeln kommen, wenn sie das große Geheimnis beschreiben wollen: Dieser Jesus von Nazareth kommt von Gott, er ist ein wirklicher Mensch, und doch ist ihm die Macht über alles gegeben. Wir sind für unser Leben darauf angewiesen, daß Gott in Jesus auch in diese Welt gekommen ist.

Dieser Bibelabschnitt will die Freude darüber wecken, daß Gott zu uns redet und uns errettet.

Deswegen sind die Weihnachtsgeschichten der anderen Evangelisten nicht überflüssig. Wir haben auch keinen Grund, so wie die „Zeugen Jehovas“ auf die Feier des Weihnachtsfestes zu verzichten. Gewiß steht nicht in der Bibel: Am 24./25. Dezember sollt ihr das Fest der Geburt Jesu begehen! Aber es ist doch recht, daß wir uns einmal im Jahr diese Tatsache vergegenwärtigen, die das ganze Jahr über gilt: Gott wurde Mensch und kam uns in Jesus von Nazareth nahe. Hier ist nicht Irgendeiner in der Geschichte der Menschheit aufgetreten, sondern hier ist eine Wende im Leben aller Menschen eingetreten.

Nicht umsonst beginnt man mit Jesus eine neue Zeitzählung. Das Johannesevangelium hat diesen Wandel am stärksten herausgestellt. Insofern ist es das am stärksten weihnachtliche, auch wenn es überhaupt keine Weihnachtsgeschichten überliefert und auch sonst sich auf das Wesentliche beschränkt. Wollen wir deshalb jetzt darauf hören, was dieser Bibelabschnitt uns über Gott, über Jesus und über die Menschen zu sagen hat.

 

(1.) Wir können von uns aus nichts über Gott und den Sinn des Lebens wissen: „Wer von der Erde ist, der redet von der Erde!“ sagt Johannes. Der Glaube an dem fleischgewordenen Gott ist eine Zumutung, der Christusglaube ist etwas grundsätzlich Menschenunmögliches. Das sehen wir ja gerade an den Menschen, die das Dasein Gottes leugnen. Ihre Weltanschauung bleibt ganz im Raum des irdischen und auf das irdische Leben beschränkt.

Luther sagte zu diesem Predigttext „Die Welt ist zweimal blind: sie erkennt ihren Schaden nicht und sie weiß nicht, wo man Hilfe suchen soll!“ Weil sie sich selber stark und gesund fühlt, fragt sie nach keinem Arzt. Aber diese Rechnung geht nicht auf: Der Mensch scheitert am eigenen Versagen, an seiner zu geringen Leistung und am Tod, der alle menschlichen Sinndeutungen zunichtemacht.

Der Schaden wird ihm erst voll bewußt, wenn der Arzt von „oben“ kommt und wirkliche Gesundheit anbietet. Alles andere ist „von der Erde her“ und keine Möglichkeit, Gott zu finden. Was wir selber erkennen und vollbringen ist immer nur eine Spielart unseres eigenmächtigen, von Gott gelösten Lebens. Selbst wenn Philosophen sich einen Gott ausdenken, dann ist das nur vom Menschen ausgedacht.

Ludwig Feuerbach hat dieses Denken ja lächerlich gemacht, als er sagte: „Wenn die Ochsen sich einen Gott machen wollten, dann würden sie sagen, Gott sieht aus wie ein Ochse!“ Ebenso aber ist auch der Gott, den wir uns so für den Hausgebrauch zurechtmachen, nicht wirklich Gott. Wer Gott wirklich ist, das können wir nur durch Jesus Christus erfahren.

 

(2.) Gott hat in Jesus zu uns gesprochen, der der Zeuge Gottes bei den Menschen ist: Das Aufregende an Weihnachten ist nun, daß der Glaube doch möglich ist. „Von oben her“ ist einer gekommen und hat der Himmel aufgerissen. Gott ist aus seiner Verborgenheit herausgetreten. Damit hat er aller Diskussionen ein Ende gemacht, ob es einen Gott gibt. Er hat einfach gehandelt und damit bewiesen: Er ist ein Gott für uns.

Wir wollen uns nicht so sehr an den Begriffen wie „oben“ und „unten“ oder „Himmel und Erde“ stoßen. Das entspricht nun einmal dem: damaligen Weltbild und der Art des Johannes. Was gemeint ist, wird jedem deutlich sein: Es gibt die beiden Bereiche des irdischen und des Göttlichen, die von uns aus nicht miteinander zu vereinbaren sind. Aber Gott hat diese Gegensätzlichkeit von sich aus durchbrochen und in Jesus den Himmel auf die Erde gebracht und damit unserem Leben einen Sinn gegeben.

Dabei geht es aber um etwas anderes als in den Göttersagen der Heiden, wo die Götter auch dann und wann einmal in Menschengestalt auf der Erde auftreten. Aber wenn sie sich in menschliche Händel verwickelt haben, dann kehren sie wieder heimlich und unversehens in ihren überirdischen Bereich zurück, ohne auf der Erde etwas Grundlegendes verändert zu haben.

Jesus aber mußte auf der Erde ausharren bis zum bitteren Ende. Wie ein Mensch, den man auf dem Mond absetzen würde und erst die nächste Rakete holt ihn wieder. Dadurch blieb aber auch der Himmel aufgetan und unser Erdenweg wird bis heute durch das Licht der Ewigkeit erhellt. Insofern ist Jesus nicht einfach der erfahrenste und bestunter­rich­teste aller Gottesmänner. Er ist unvergleichlich mehr, denn er allein kommt vom Vater.

Deswegen ist er allein auch ein sachverständiger Zeuge. Er hat selbst etwas gesehen und kann wahrheitsgemäß darüber informieren. Ihm ist Bott nicht fremd. Er denkt Gottes Gedanken. Er redet Gottes Worte. Er will, was Gott will.

Umgedreht sieht der Vater in seinem Kind sein eigen Fleisch und Blut. Jesus ist nicht bloß ein Mensch, auf den im besonderen Maß die Liebe Gottes gefallen wäre, sondern er ist der „eingeborene“ Sohn, der einzige. Seine Gottessohnschaft aber besteht nicht allein darin, daß er Gott gehorsam war. Dann wäre er nur eine Ausnahme unter den sündigen Menschen, ein Treffer unter all den Nieten. Zwischen Vater und Sohn besteht vielmehr volle Übereinstimmung und eine ungetrübte Gemeinschaft, das volle innere „Ja“ zueinander. Jesus ist und bleibt der von oben Gekommene.

 

(3.) Es gibt Menschen, die vertrauen und gehorchen Jesus und besiegeln Gottes Wort:

Gott riskiert, daß sein Zeugnis nicht angenommen wird. Er läßt uns diese Freiheit. Aber er gibt uns einen Gewährsmann, der uns sagen kann, wer und was auf uns wartet. Allerdings ist dieser Jesus nicht eine Privatperson, zu der man sich stellen kann, wie man will. Schließlich ist er der Generalbevollmächtigte Gottes. Nach ihm wird nicht noch einmal einer kommen, der ihn ablöst oder überbietet.

Deswegen ist es so wichtig, diesen Jesus als unseren Herrn anzunehmen und unter sein Zeugnis unser Siegel drücken, zum Zeichen dafür, daß wir dieses anerkennen. Unter einen Vertrag kommen Unterschrift und Siegel, nur so wird er gültig.

Es sind immer nur verhältnismäßig wenige gewesen, die sich seiner Botschaft ganz aufgeschlossen haben. Auch wenn wir uns zu diesen rühmlichen Ausnahmen rechnen, so haben wir uns doch immer wieder ehrlich zu prüfen, ob wir dann nicht viel offenkundiger mit unserem Lebenszeugnis unter Beweis stellen müßten, welchem Herrn wir gehören.

Das ist nicht nur eine Aufgabe für Menschen wie Albert Schweitzer oder Martin Luther King, Jeder von uns kann zum Siegel für die Wahrheit Gottes werden. Dazu tu er uns aber erst einmal sein Siegel aufprägen.

 

(4.) Wer an Jesus glaubt, gewinnt ein erfülltes Leben und wird selber zum Siegel für die Wahrheit Gottes: Wie wir heute uns zu Jesus stellen, das entscheidet darüber, ob und wie wir einst im jüngsten Gericht bestehen werden. Gott will durch Jesus eine dauernde Lebensverbindung mit uns herstellen, die auch durch den Tod nicht abreißt. Ewiges Leben bedeutet aber nicht die Fortsetzung unseres irdischen Daseins bis ins Unendliche hinein; das wäre für mancher sicherlich eine Qual. Es geht vielmehr um die Durchdringung von Zeit und Ewigkeit durch Gottes Gegenwart mitten unter uns. Der Helfer ist doch schon da.

Wir sind in einer Lage wie ein Bergsteiger, der sich verstiegen hatte und in gefährlicher Lage in der Steilwand hing. Aber von oben war bereits ein Seil herabgelassen und hatte die Höhe des Kletterers erreicht. Er könnte auf die Hilfe des Seils verzichten und im Vollgefühl seiner Kräfte sich selber zu retten versuchen. Er könnte sich auch in letzter Verzweiflung der Strick um den Hals legen und sich einreden, daß dann alles aus sei. Aber das Nächstliegende ist doch, daß er das Seil ergreift, es unter den Armen befestigt und darauf vertraut, daß er hochgezogen wird. So kommt es bei uns nur darauf an, die Rettung anzunehmen, die von oben kommt.

 

 

Joh 4, 5 – 14 (3. Sonntag nach Epiphanias):

„Cola, Fanta, Sprite“, das hilft gegen den Durst, will uns die Werbung weismachen. Aber gibt es etwas Besseres als klares Wasser aus einer richtigen Quelle? Wenn man im Sommer in der Hitze einen Berg hinaufgestiegen ist und man findet eine Quelle, dann kann man den Durst stillen. Das Wasser kommt vielleicht aus einem Hochmoor, ist sehr weich und angenehm kühl. Es kühlt die Unterarme und - natürlich vorsichtig genossen wegen der Kälte - löscht es vorzüglich den Durst, viel besser als süße Limonade oder saurer Apfelwein.

Der leibliche Durst nach Wasser ist bei Johannes aber immer gleich Sinnbild für den Durst nach Leben, nach einem erfüllten Leben. Und dieser Durst wird deutlich am Streben nach Geld. Diese Sucht steckt in uns allen drin. Möglichst wenig tun, aber möglichst viel verdienen, das ist so das Ziel. Besonders stark ist dieses Streben offenbar bei denen, die schon allerhand haben.

Das sagt ein Fußballschiedsrichter: „Ich wollte halt leicht nebenher viel Geld verdienen!“ Er sah die dicken Autos vor dem Café und wollte auch gern mit seinen neuen Freunden mithalten. Oder da gibt sich die Chefin einer Krankenkasse selber eine Sondervergütung von 60.000 Euro. Die beiden Stellvertreter mußten zustimmen; was wollten sie auch anders tun, wo sie doch von ihr abhängig waren. Leute, die schon sehr viel verdienen auf Kosten der Beitragszahler, die lassen sich noch zusätzlich so viel geben, wie andere in zwei Jahren verdienen.

Dahinter steht die Angst, das Geld könnte nicht reichen. Der übertriebene Lebensstandard soll ja auch im Alter noch gehalten werden. Das ist wie bei jener Frau, die ihr viel zu großes Anwesen für 1,5 Millionen Mark verkauft hatte und nun jedermann von ihrer Angst erzählt, sie könnte dennoch arm werden.

Eine Frau hatte ihr ganzes Leben über sparsam gelebt, um später einmal als Rentnerin ihr Leben genießen zu können. Aber als sie 59 Jahre alt war, stellte sich heraus, daß sie an einer unheilbaren Krankheit litt. Wenige Tage vor ihrem 60. Geburtstag ist sie gestorben. Pech gehabt, sagen wir vielleicht. Aber es geht auch darum, an welchen Werten wir unser Leben ausrichten.

Wer Geld hat, der hat auch Macht. Und in einem heißen Land wie Palästina ist Wasser eine Kostbarkeit. Wer über Wasser verfügt, hat Macht. Wer über die Quellen verfügt, der läßt das den anderen spüren und setzt seine Macht ein. Das gilt für das Erdöl und die anderen Bodenschätze, aber auch für das Trinkwasser, das weltweit zu einem kostbaren Gut geworden ist und das vielleicht noch einmal zu schrecklichen Kriegen führen wird. Wir achten das Wasser wenig, weil wir bisher noch ausreichend haben.

Aber Jesus bekommt seine Abhängigkeit zu spüren. Da ist eine Frau, die sitzt am längeren Hebel, die kann etwas gewähren oder versagen. Das läßt sie den fremden Mann auch spüren. Er hat einen solchen Durst, daß er sich sogar überwindet, als Mann eine Frau zu bitten. Für die Juden war die Frau den Sklaven und Kindern gleichgestellt, sie gehörte nicht zur Gemeinde und wurde nicht im Glauben unterwiesen.

Und dazu ist sie noch eine Vertreterin der Samaritaner, die zwar auch die gleiche Bibel lesen wie Jesus, aber vom rechten Glauben abgefallen sind. Deshalb haben die Juden keine Gemeinschaft mit den Samaritanern („Samaritern“). Aber in der Not muß der Jude Jesus seinen jüdischen Standpunkt aufgeben.

So denkt die Frau, vielleicht nicht ohne Schadenfreude. Aber Jesus überschreitet bewußt eine Schwelle, um auch gegenüber dieser Frau seinen Auftrag zu erfüllen. Er gibt der Frau ihre Würde als Mensch Gottes, er nimmt sie ernst und spricht mit ihr, auch über Glaubensdinge, gewissermaßen seelsorgerlich. Er stößt sich auch nicht daran, daß die Frau eine bewegte Lebensgeschichte hat, wie später deutlich wird. Und er bietet ihr das Kostbarste an, das er hat: lebendiges Wasser.

Die Frau lobt das frische Quellwasser aus dem Brunnen. Sie betont, daß Jakob der Stammvater ihres Volkes gewesen ist (und nicht der Juden) und diesen Brunnen ihrem Volk gegeben hat. Das Wasser war für ihn gut und sein Vieh und ist auch gut für seine Nachkommen. Was soll es da Besseres geben? Wir erfahren nicht, ob Jesus sich hat satt trinken dürfen.

Viel wichtiger ist das andere, worauf es ihm ankommt: das Lebenswasser, das nur Jesu spenden kann. Der Ausdruck „lebendiges Wasser“ ist doppeldeutig: Es bedeutet zunächst ein fließendes Wasser, aber auch das himmlische Lebenswasser. Jesus will uns nicht einreden, daß wir Speise und Trank nicht nötig hätten, er hat ja seine Jünger fortgeschickt, um Nahrung einzukaufen.

Es gibt aber noch eine andere Bedürftigkeit, die gern unterschätzt oder gar übersehen wird. Das Wasser, das Jesus spendet, stillt den Durst für immer. Aber noch versteht die Frau nicht richtig. Sie sagt: „Herr, gib mir solches Wasser!“ Sie denkt immer noch an das Wasser aus der Quelle.

Aber Jesus meint ein Begehren und Verlangen, das über den äußeren Bestand des Lebens hin­ausgeht. Es geht nicht um ein paar Annehmlichkeiten im täglichen Leben. Wir lassen uns zwar die Erfüllung dieser Bedürfnisse einiges kosten. Aber alles, was wir genießen, will auch erarbeitet sein. Aber vielleicht können wir uns das alles eigentlich längst nicht mehr leisten, was wir genießen und erstreben, weil wir zu sehr auf Kosten der Schöpfung und der nachfolgenden Generationen leben.

Vergessen wir nicht: Das System „Welt“, innerhalb dessen wir an uns reißen, was uns glücklich machen soll, ist abhängig vom Schöpfer. Die Gabe Gottes ist aber nicht nur unser natürliches Dasein. Wir müssen durstig bleiben, wenn wir immer nur mit dem rechnen, was wir selbst fertiggebracht haben. Wann werden wir aber da sein, daß wir sagen können: So, jetzt habe ich es geschafft, jetzt habe ich erfüllt, was Gott von mir erwarten konnte?

Und selbst wenn ich es schaffen könnte, dann bliebe ich auch in meinen Erfolgen nur ein von Gott Beschenkter. Warum pochen wir nur immer so auf die Statistik unserer Erfolge? Warum diese Selbstbespiegelung, dieses Selbstlob und die Gier nach Beifall? Jesus sagt zu der Frau: „Wenn du erkenntest die Gabe Gottes!“ Das wirkliche Leben ist Geschenk, Gabe Gottes. Was für ein Aufatmen gäbe es, wenn uns das wirklich aufginge!

Dann würden sich auch die Rollen vertauschen. Auf einmal ist Jesus der Geber und zugleich die Gabe. Wir brauchen ihn nur zu nehmen. So wie die Frau müssen wir zweierlei entdecken: Es genügt nicht, den Durst im körperlichen Sinn zu löschen, sondern es bedarf eines Lebens aus Gott. Und wir müssen den entdecken, in dem wir dieses Leben aus Gott finden. Wie sehr man Gott braucht, merkt man dann, wenn man ihn findet.

Die Frau erfährt in der Begegnung mit Jesus die Zuwendung der Liebe Gottes. Wir sehnen uns doch alle danach, daß uns jemand liebhat. Wir dürfen uns aber dieses Lebenswasser wünschen - und wir bekommen es auch. Das darf gerade auch der erfahren, der in einer besonderen Not ist, zum Beispiel wer an einer Krankheit leidet oder einen kranken Angehörigen hat. Wir gehen zwar sonst auch zum Gottesdienst. Aber in einer solchen Lage brauchen wir ihn doch ganz besonders als lebendiges Wasser.

Wenn wir Jesu Liebe erfahren und auch die Liebe anderer Menschen annehmen, dann stellt sich etwas Erstaunliches ein: Wer beschenkt ist, der kann selber zur Quelle für andere werden.

Man muß es ja nicht so machen wie die ältere Frau, die von Studenten in Marburg als „die Heilige Elisabeth“ genannt wurde, weil sie mit Vornamen Elisabeth hieß. Bei jedem Vortrag stellte sie dem Redner ein Glas Wasser hin, bei jedem Ausflug schenkte sie an die Mitreisenden Wasser aus ihrer Feldflasche aus. Die meisten trinken dankbar, wissen aber nicht, daß es sich dabei um so eine Art „Privatsakrament“ der Frau handelte sie: Sie hatte das Wasser aus der Elisabethquelle in der Nähe eines Dorfes bei Marburg geholt, es zum „heiligen Wasser der Liebe“ erklärt und gemeint, wenn man nur dieses Wasser trinkt, dann wir man automatisch ein guter und gläubiger Mensch.

Aber so ganz falsch ist so eine Handlung nun auch wieder nicht. Es geht aber nicht um das Wasser aus der heiligen Quelle, sondern um das Lebenswasser, das Gott uns gibt. Das kann in der Tat Menschen verwandeln. Wir kennen vielleicht solche Menschen, von denen befreiend und ermutigend Leben ausgeht. Sie erquicken uns, sie muntern uns auf, die bauen uns auf, weil das von Gott gespendete Leben durch sie hindurch weiterströmt.

Dieses Leben sprudelt und mündet sogar ins ewige Leben, es bewirkt eine Lebendigkeit, die bis ins ewige Leben reicht. Was Jesus ist und uns gibt, das reicht weit über das Heute hinaus. Was diese Frau am Jakobsbrunnen erfahren hat, das ist allen zugedacht, auch den Fremden. Was Jesus zu bringen hat, das ist er allen schuldig. Seine Liebe durchbricht alle Schranken des Herkommens und der sozialen und religiösen Stellung.

Wir sind schnell dabei, Unterschiede festzustellen und festzuschreiben, den anderen herabzusetzen und zu verachten, weil er anders denkt und lebt und glaubt. Aber wenn wir Menschen nur an uns selbst messen und in unser Schema pressen wollen, dann wird Gemeinschaft unmöglich gemacht oder zerstört. Keiner hat dem anderen etwas voraus, wir sind alle grundlos geliebt.

 

Joh 4 , 19 – 26 (Pfingsten II):

Brauchen wir unser Kirchengebäude noch? Es macht sehr viel Mühe und kostet viel Geld, es zu erhalten. Viele in unserem Ort würden sicher sagen: Wir brauchen sie noch, denn hin und wieder kommen doch einmal einige hundert Leute hier zusammen, so daß die Kirche einigermaßen voll erscheint. Aber es gibt auch Orte, wo von den 800 Sitzplätzen in der Kirche an einem gewöhnlichen Sonntag nur 20 besetzt sind.

Könnte man da nicht manche Kirche verkleinern oder gar ganz abreißen? So wie im Mittelalter manche Kirche zur Ruine wurde, so könnte es auch Kirchenruinen aus dem 20. Jahrhundert geben. Man überlegt sich jedenfalls schon ernsthaft, die eine oder andere Kirche aufzugeben. Heute feiern wir den Geburtstag der Kirche. Aber müssen wir uns nicht vielleicht eher überlegen, wie wir sie möglichst elegant beerdigen?

Aber was sollen wir machen, wenn wir kein Kirchengebäude mehr haben? Gibt es dann auch keine Gemeinde mehr? Nun, das muß nicht unbedingt so sein. Eine Gemeinde Jesu Christi ist nicht an eine bestimmte Form des Gotteshauses gebunden. Man kann auch in einem gewöhnlichen Zimmer zusammenkommen und Gottes Wort hören und zu Gott beten, die Äußerlich­keiten machen es nicht.

Aber vielleicht wird dann auch der Gottesdienst etwas anders aussehen als sonst üblich. Dann wird nicht mehr einer allein reden können, sondern dann wird man gemeinsam die Fragen des Glaubens besprechen. Dann kann keiner mehr nur Zuschauer sein, sondern jeder wird beteiligt sein mit Gesang, Gebet und Auslegung. Und man wird sich auch überlegen müssen, wie man nach dem Gottesdienst als Christ leben will, wo die Aufgaben und Probleme sind, die die christliche Gemeinde etwas angehen.

Man kann jedenfalls fragen, ob unsre jetzige Art des Gottesdienstes nicht ergänzungsbedürftig ist. Es ist eine Form des Mittelalters, die damals sicher richtig war. Aber erfordert unsere Zeit nicht auch andere Wege? Vielleicht wird auch ein Zusammenrücken der verschiedenen Kirchen notwendig werden. Wir stehen doch weitgehend den gleichen Problemen gegenüber. Was soll denn da noch der Streit, wer den wahren Glauben hat und in welche Kirche die Christen gehen sollen?

Jesus jedenfalls sagt: Vielleicht werden die heiligen Stätten und die Gotteshäuser einmal zerstört. Dann ist doch der ganze Streit, wer das richtige Gotteshaus hat, gegenstandslos. Die Samariter hatten sich mit Heiden vermischt, die Juden ließen sie deshalb nicht am Tempel mitbauen. Da bauten sich die Samariter einen eigenen Tempel auf dem Berg Garizim bei Sichem. Und von dem Tag an ging der Streit, wo denn nun die rechte Art der Anbetung Gottes sei: In der Stadt Davids oder in Sichem, wo Abraham, Jakob, Joseph und Josua waren. In Sichem kann man auf die älteren Traditionen verweisen. Deshalb gib es bis heute Leute in Israel, die dort wieder siedeln wollen. Der Berg war damals das Symbol für der Ort, wo Gott sich offenbart, die Stelle, wo man mit Gott in Verbindung kommt, wo man ihn verehren und anbeten kann.

Für Jesus aber ist dieser Streit zwischen den Konfessionen überholt. Er sagt: „Es kommt die Zeit, daß die wahrhaftigen Anbeter werden den Vater anbeten im Geist der Wahrheit!“ Das Heil kommt zwar von den Juden, aber nicht durch den Tempel in Jerusalem, sondern durch Jesus, der ein Jude war und der neue Tempel Gottes ist. Wer also Gott anbeten will, der braucht dazu nicht einen heiligen Ort, sondern er braucht sich nur an Jesus zu halten. Dort ist der wahre Ort der Anbetung.

Das ist die Erkenntnis, zu der die Frau am Brunnen durchstoßen soll. Jesus hat ihr auf den Kopf zugesagt, wie das mit ihrer fünf Männern war, und mit dem sechster, mit dem sie nun zusammenlebt. Im Grunde war es ein ziemlich sinnentleertes Leben. Die Frau staunt über das wunderbare Wissen Jesu, aber sehr tief geht ihre Erkenntnis noch nicht. Sie versucht, von den kritischen Punkten ihres Lebens abzulenken und die Sprache auf ein religiöses Sachthema zu bringen. Doch Jesus will sie ganz woandershin führen: Sie soll Gott verstehen und natürlich auch den, der vor ihr steht.

„Gott ist Geist, und die ihr anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten!“ Das ist Jesu Antwort auf die Streitfrage zwischen Juden und Samaritern. Das heißt aber nun nicht, daß Gott auf rein „geistige“ Weise verehrt werden sollte, ohne Gemeinde und Sakramente, ohne Sichtbares und Greifbares.

Die geistigen Schichten des Menschen, selbst seine höchsten Gedanken und seine Religion bleiben immer noch im Bereich des Menschlichen. Da bleibt man immer noch im eigenen Lebenskreis. „Im Geist anbeten“ heißt aber: an den göttlichen Stromkreis angeschlossen sein. Gott bleibt immer der ganz andere, er muß sich von sich aus zeigen. Aber in Jesus ist er uns ganz nahe gekommen.

Durch Jesus ist Gott in die Geschichte der Menschen eingegangen, er ist ein konkreter Mensch in einem ganz bestimmten Volk geworden. Also nicht Geist, sondern Fleisch und Blut, wie es im Abendmahl bis heute Mittelpunkt des Gottesdienstes ist. Heute ist er allerdings nicht mehr lokal gebunden. Durch seine Erhöhung ist er vielmehr weltweit einschränkt und kann mit seinem Wort und in den Sakramenten überall hinkommen. Aber dadurch kommt erst recht keiner mehr an Jesus vorbei. Hatte Jakob in Bethel die Kontaktstelle zwischen Him­mel und Erde entdeckt, dann ist für uns nur Jesus die Kontaktstelle zu Gott.

Natürlich soll hier nicht aufgefordert werden, die Kirchen abzureißen und die bisher üblichen Gottesdienste abzuschaffen. Natürlich wohnt Gott nicht in Gebäuden aus Stein und natürlich ist unsre Form des Gottesdienstes nicht die alleinseligmachende. Aber wir nehmen das doch dankbar hin als eine Möglichkeit, mit unseren Mitteln, Antwort zu geben auf das Wort Gottes.

Es ist sicher doch ein Unterschied, ob man zu Hause bei der Hausarbeit einen Radiogottesdienst mithört oder ob man alles andere abschaltet und hier ins Gotteshaus kommt, um nichts anderes zu tun als Gott anzubeten und auf ihn zu hören. Diese äußeren Umstände sind nicht gleichgültig, sondern sie sind eine Hilfe für die innere Sammlung und Aufmerksamkeit. „Anbetung im Geist“ heißt nicht, daß man sonntags ausschlafen kann. Gott erschließt sich uns mittels irdischer Dinge; dazu gehören auch die entsprechenden Gebäude und so etwas wie „heilige Orte“.

„Gott ist Geist“ bedeutet aber: Gott gehört nicht zum Bereich der Welt und wird von der Welt aus nie erreicht. Natürlich ist er in der Welt, aber man kann seiner nicht mit menschlichen Mitteln habhaft werden. Aller menschlicher Gottesdienst steht in der Gefahr, vom Menschen und von seiner Leistung her zu denken und nicht vom Geist und von der Wahrheit her.

Wenn man Gott nur ein schönes Haus baut, um ihn daran zu binden und um über ihn verfügen zu können, dann bleibt das doch alles im Menschlichen stecken. Nicht wir tun Gott einen Dienst, sondern zuerst tut Gott uns einen Dienst. Das ist die wahre Bedeutung des Wortes „Gottesdienst“.

Gott handelt also zuerst. Gerade an Pfingsten wird das ja deutlich. Gottes Geist ist wie ein Wind, der uns durch die Luft trägt und bei der Wahrheit niedersetzt. Wie der Wind entsteht, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, woher er kommt und wir können ihn nicht selber machen. Aber er ist da und wir spüren ihn deutlich.

So ist uns auch der Geist Gottes zunächst unbegreiflich. Nur das eine müssen wir wissen: Er kommt von Gott! Aber ist uns das wirklich so wichtig? Brauchen wir das unbedingt zu wissen, wo wir Gott finden, mit ihm reden und ihn anbeten können? Ist das für uns nur eine Sache unter anderen oder ist das d i e Sache unseres Lebens, ohne die unser Leben keinen Sinn hat? Wirkt sich nicht die Gleichgültigkeit gegenüber Gott und Gottesdienst um uns herum doch auch lähmend bei uns aus? Ist der Gottesdienst wirklich eine lebenswichtige Angelegenheit? Kann man Gott nicht auch suchen und finden ohne Gottesdienst? Können Wir Gott nicht auch finden im Herzen oder im stillen Kämmerlein oder in der Natur?

Die Frau am Brunnen wartet wie ihr ganzes Volk sehnlichst auf den Messias, und dabei steht er vor ihr. Aber ohne diesen Jesus kann man Gott nicht finden. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel treffen diese Frau die beiden Worte: „Ich bin es!“ Aber so kann es auch uns leicht ergehen: Wir meinen, wenn wir zum Gottesdienst gehen, dann hätten wir Christus. Aber wir können kurz vor ihm stehen und ihn doch nicht erkennen. Das viele Kirchengehen macht es sicherlich noch nicht. Aber es hilft sicherlich doch, Jesus nahe zu kommen und nach seinem Willen zu leben. Die Chancen, ihm zu begegnen, sind jedenfalls groß. Zumindest aber können wir darum beten, daß er zu uns kommen möge.

Gott läßt sich nicht in einen bestimmten Raum einschließen, nicht in den Tempel in Jerusalem, nicht in den Petersdom in Rom, nicht in eine Lutherkirche und nicht in unsere Kirche. Aber er ist da, wo sich zwei oder drei in seinem Namen versammeln. Wenn wir sein Wort

hören und die Sakramente feiern, da greift Gott nach unsrem Herzen und schließt es auf. Jeder Gottesdienst kann immer nur der Freude über das Wunder seiner Gegenwart Ausdruck geben. Hier können wir vorwegnehmend hören und sehen, schmecken und fühlen, daß Gottes Zeit schon angebrochen ist.

Und unsre Antwort ist Anbetung im Geist und in der Wahrheit, ist Lob und Dank. Doch diese Anbetung ist nicht mit dem Gottesdienst zu Ende. In der Fürbitte nehmen wir die        mit hinein in den Gottesdienst, aber wir nehmen den Gottesdienst auch mit hinein in die Welt, so wie Jesus hier mit einer „Außerstehenden“ spricht; für ihn gibt es kein drinnen und draußen. Bewährung in der Welt ist nicht die Alternative zum Gottesdienst, sondern seine Fortsetzung. Deshalb können wir nur darum bitten: Gottes Geist möge wie ein frischer Wind in unsere Gottesdienste einbrechen und von dort kräftig in die Welt hineinwehen.

 

 

Joh 4, 46 – 54 (3. Sonntag nach Epiphanias):

„Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind“, sagt man. Manche Leute meinen, der Glaube habe es in erster Linie mit Wundern zu tun. Er entstehe aus Wundern und er bringe Wunder hervor. Ohne Wunder könne man nicht glauben Wenn Gott mehr eindeutige Wunder täte, würden auch mehr Leute glauben.

Ein Engländer schreibt in einem Buch, wie die Menschen reagieren, wenn wirklich ein Wunder geschieht. Da ist ein Priester, der sich über einen Tanzpalast gegenüber seinem Haus ärgert. Dieser ist für ihn der Inbegriff der Verführung und der Sünde. Deshalb bittet er Gott, daß der Tanzpalast auf eine einsame Insel draußen vor der Küste versetzt wird. Das „Wunder“ (in Anführungsstrichen) geschieht auch. Aber nach dem ersten Schreck läuft alles so weiter wie bisher. Die Menschen gehen nach wie vor in den Tanzpalast, nur ist halt jetzt der Weg ein wenig weiter und umständlicher. Keiner hat sein Leben geändert, keiner ist wegen des Wunders zum Glauben gekommen. Am Schluß wird der Tanzpalast wieder an seinen alten Platz versetzt.

Auch Jesus hat bei seinen Zeitgenossen Wundersucht vorgefunden.  Er soll ihnen erst vordemonstrieren, was er kann, dann wollen sie ihn auch als einen Besonderen anerkennen. Das Neue Testament aber macht deutlich: Der Glaube braucht kein Wunder, der Glaube erfährt des Wunder, Christus ist das Wunder.

 

1. Der Glaube braucht kein Wunder:

Wer seinen Glauben auf das Außerordentliche aufbauen will, sucht eine Direktwahrnehmung Gottes. Gott soll nicht in Niedrigkeit und Unscheinbarkeit eingehüllt sein. So etwas wie die Geburt des Gottessohnes in der Krippe ist dann eine unmögliche Zumutung. Man will Gottes Wirken zweifelsfrei feststellen können. Man will sicher gehen. Also nur ein Barzahlungsgeschäft und keine unsicheren Wechsel auf die Zukunft.

Vertrauen aber wagt es mit dem anderen. Wenn man über eine Brücke geht oder fährt, braucht man kein Vertrauen. Man weiß: Die Bauleute haben richtig berechnet, die Brücke ist ordentlich gebaut worden und wird von Zeit zu Zeit überwacht; sie hat sogar noch einen großen zusätzlichen Sicherheitsbereich.

Doch schon bei einem Menschen bedarf es des Vertrauens. Beim Ehegatten wäre Kontrolle geradezu Zerstörung der Gemeinschaft, denn sie wäre ein Zeichen des Mißtrauens. Bei Jesus würde das Verlangen nach Wundern einen Glauben, der sich auf die Person Jesu gründet, unmöglich machen.

In dieser Geschichte von der Heilung des Sohnes eines königlichen Beamten ist sogar ein Drang nach Steigerung des Wunders zu verspüren. So sieht es jedenfalls auf den ersten Blick aus, wenn es hier sogar zu einer Fernheilung mit einer Reichweite von 26 Kilometern kommt. Jesu Wort, daß der Sohn lebt, und das Weichen des Fiebers sind gleichzeitig zu denken. Daß die Heilung „gestern“ erfolgte brauchte dagegen nicht so wunderbar zu klingen, weil für die

Juden der Tag um 18 Uhr begann und also nur 6 Stunden Unterschied zu sein brauchen.

Aber der Glaube braucht keine Wunder.  Errichtet sich auf die Person und nicht auf das, was bei ihr zu holen ist. Er weiß sich von Jesus angesprochen und geliebt. Da ereignet sich Gemeinschaft auf du und du. Es entsteht Vertrauen. Das, was eigentlich unmöglich sein müßte, geschieht nun: Jesus vertraut mir und ich vertraue ihm. Das Schönste, was zwei Menschen miteinander verbinden kann, ist das Vertrauen zueinander. Dann sagt man: Mit dir wag ich es gerne! Ich brauche dazu keine Beweise und keine Tests, keine Versuchsstrecken und Probebelastungen. Du hast mir einfach das Herz abgewonnen.

Wenn Jesus wirklich ein umwerfendes Zauberkunststück vollbrächte, dann müßte man ihm dann tatsächlich folgen, nachdem man sich vorher dazu verpflichtet hatte. Was aber, wenn unser Herz dann dennoch „Nein“ sagt? Es könnte doch sein, daß ein solches Wunder nachher gar nicht die Wirkung hat, die wir uns von ihm erhofft haben, daß wir dennoch nicht glauben können.

Jesus will uns nur in Freiheit haben. Wenn sich jemand von Sensationen abhängig macht, dann läßt er nicht das Herz und den Willen sprechen. Das Trachten nach Schau-Erfolgen führt auch an der Christuswirklichkeit vorbei. Gott hat nun einmal gewollt, daß alle Machtfülle tief ins Irdische verborgen ist. Wer aber Wunder verlangt, versucht‚ diese Verborgenheit wenigstens an dieser oder jener Stelle aufzureißen. Aber von außen her kommt man an das Geheimnis der Person Jesu nicht heran.

Der Glaube bedarf der Zeichen nicht. Er gründet in einer Christuserfahrung, die nicht auf der Ebene der Tatsachen zu gewinnen ist. Glaube ist ein inneres Geschehen. Dabei zieht der Vater, der Sohn ruft und der Heilige Geist beglaubigt. Der Funke springt über von Christus auf uns. Wir brauchen gar keine sensationellen Zauberkunststückchen.

 

2. Der Glaube erfährt das Wunder;

Jesus sagt halb ärgerlich Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht! Aber in diesem Fall könnte das Mißverständnis auch bei Jesus liegen. Vielleicht wollte der Mann das Wunder ja gar nicht, d a m i t  es bei ihm zum Glauben kommt. Vielleicht glaubt er ja schon und er kommt deshalb zu Jesus, weil ihn die Not dazu treibt.

Dabei stellt er nicht so kluge Überlegungen an, wie wir sie vielleicht haben. Hat es denn überhaupt Sinn, im Krankheitsfall von Jesus die Rettung zu erbitten? Krankheit ist doch ein Naturvorgang und unterliegt den Gesetzmäßigkeiten der Natur. Man kann Krankheit mit Wirkstoffen aus der Natur bekämpfen, mit chemischen oder sonstigen Mitteln oder Methoden. Aber man kann nichts gegen sie tun mit irgendeiner Wunderkraft, sei es aus der Nähe oder gar aus der Ferne.

Oder gibt es etwa Lücken, wo Gott noch Möglichkeiten des Wirkens hat? Nein, Gott wirkt nicht in den Lücken, sondern im Ganzen. Er braucht dazu nicht das natürliche Geschehen zu zerstören, sondern er steuert es nur. Gott will seine eigene Ordnung nicht aufheben, sondern er will sie benutzen. Und das tut er eben in großer Freiheit und Überlegenheit. Die Frage ist nicht, ob Gott unser Schicksal wenden k a n n, sondern ob er es w i 1 1.

Aber man darf Jesus um Hilfe angehen. Wagemutiger Glaube traut ihm zu, daß er diesen armen Vater zu Hilfe kommen kann. Jesus läßt sich erbitten, auch wenn der Glaube des Vaters noch nicht die volle Höhe erreicht hat. Der Mann erhofft ja eine Abhilfe in  e i g e n e r  Not und Angst. Er möchte sich diesmal wenigstens noch das Leiden ersparen.

Es gibt aber auch den anderen Glauben, der Jesus auch dann preisen würde, wenn er das Kind sterben ließe. Doch der Mann lernt ja dann das Glauben. Er ist gekommen, um Jesus zu holen. Aber heimkehren muß er ohne Jesus. Er hat nur die Zusage: „Dein Sohn lebt!“ Wenn er diesem Wort vertraut, dann ist das schon ein starker Glaube.

An dieser Stellennüssen wir auch sehen, daß es mit dem Wunderhaften in der Geschichte gar nicht so schlimm steht. Von einer „Fernheilung“ kann man eigentlich nicht reden, denn Gott hat es nach Kana nicht weiter als nach Kapernaum. Und die Zusage Jesu könnte nur auf einem besseren Wissen beruhen. Jesus müßte gar nicht eingegriffen haben, er hat die Veränderung nur eher gewußt als der Vater. Also liegt der Schwerpunkt der Geschichte auf den Glauben. Und der Glaube erfährt hier das Wunder. Zu solchem Glauben aber soll uns Mut gemacht werden.

 

3. Christus ist das Wunder:

Jesus stößt nicht das Vertrauen zu seiner Person zurück. Aber er läßt auch keinen Zweifel darüber, daß dies noch nicht der Glaube ist, den er sucht. Ein Arzt hat dann den größten Erfolg, wenn er sich beim Patienten überflüssig machen kann. Bei Jesus ist das anders. Da entsteht eine Dauerbindung, denn er will nicht nur für Krisenfälle da sein.

Deshalb wird - obwohl die Möglichkeit einer natürlichen Heilung offenbleibt - doch solcher Wert darauf gelegt, daß die Heilung etwas mit Jesus zu tun hat. Wer den Glauben nicht selbst erfahren hat, der wird leicht zu anderen Erklärungen greifen. Er wird lächeln über einen, der ein solches Geschehen mit Jesus in Verbindung bringt, und ihm den Glauben auszureden versuchen. Glaubenserfahrungen sind schon persönliche Erfahrungen, die man nicht so einfach auf andere übertragen kann.

Aber die hier erzählte Begebenheit kommt erst da ans Ziel, wo eine ganze Familie zum Glauben findet. Es geht um die Bindungen, die sich aus einer solchen Jesuserfahrung ergeben. Hier bildet sich eine Hausgemeinde, in der Jesus fortan der Mittelpunkt des Lebens ist. Aus einer punktuellen Beziehung wird eine ganzheitliche.

Das Wort Jesu: „Dein Sohn lebt!“ gewinnt nun an Umfang. Es sagt nicht mehr nur:  „Dein Kind muß jetzt noch nicht sterben!“ Jetzt geht es vielmehr darum: Das von Gott abgewandte und darum brüchig gewordene Leben wird jetzt erst zum wahren Leben. Es hat sich in dem Mann eine innere Geschichte abgespielt, die das eigentliche Wunder ist. Es ist jetzt ein anderer Glaube als der, mit dem der Vater zuerst zu Jesus kam.

Jetzt ist Jesus nicht mehr nur Mittel zum Zweck. Jetzt ist die Heilung des Sohnes zum Mittel geworden, diesen Mann mit seiner ganzen Familie zur persönlichen Glaubensbindung an Jesus zu bringen. Uns heutigen aber stellt diese Geschichte die Prüfungsfrage, inwieweit unser Glaube noch von sichtbaren Bestätigungen abhängt.

Die Verheißung Jesu lautet nicht, daß wir alle die gleiche Erfahrung machen werden wie dieser betrübte Vater. Aber wenn wir auf Jesu Wort vertrauen, dann wird das in keinem Fall umsonst sein. Keiner, der auf Jesu Gnade baut, hat eine Enttäuschung zu erwarten. Es kommt nur darauf an, daß wir unsre Sachen ganz in seine Hand geben.

 

 

 

Joh 5, 1 - 16 (Variante 1) (19. Sonntag nach Trinitatis):

Ärzte und Apotheker führen sie als Wappen und Erkennungszeichen: eine Schlange, die sich um einen Stab windet. Vorbild dafür ist die Äskulapnatter, die es auch bei uns gibt, zum Beispiel im Taunus bei dem Ort Schlangenbad. Der Name kommt von dem griechischen Gott Asklepios oder Äskulap, der angeblich ein Heilgott war. In Epidauros gab es schon im fünften Jahrhundert vor Christus ein berühmtes und elegantes Modebad, wo ausgedehnte Liegehallen denen Raum boten, die hier durch einen Heilschlaf oder durch ein Bad in den Wasseranlagen gesund werden wollten.

Die Bibel verachtet das Streben nach Gesundheit nicht. Schließlich ist Gesundheit ja ein hohes Gut, Krankheit ist ja eines der bedrückendsten Merkmale der unerlösten Welt. Der Gott Asklepios wurde bei den Griechen als Heiland bezeichnet. Das Johannesevangelium aber sagt: „Der wahre Heiland ist Christus, sucht Heilung nicht bei Asklepios, sondern bei Jesus Christus!“

Auch in Jerusalem gab es so ein Heilbad am Teich Bethesda. Es hatte zwei 40 mal 50 Meter große aus dem Fels herausgehauene Becken, die durch ein 6,5 Meter breites Felsband voneinander getrennt waren. Durch unterirdische Rohre waren die Becken mit dem Teich Siloah verbunden. Dort ab gab es eine Quelle, die ihr Wasser unterschiedlich stark ausschüttete. Wenn dort viel Wasser kam, lief es auch in die Anlage von Bethesda. Nach dem Volksglauben aber wurde nur derjenige Kranke wieder gesund, der als Erster dann in dieses Wasser stieg.

Bethesda war also so etwas wie der Wallfahrtsort Lourdes in Frankreich am Fuß der Pyrenäen. Dorthin kommen täglich viele Hunderte Kranke und erhoffen sich Heilung durch das dortige Wasser. Die Kirche verspricht den Besuchern keine Heilung. Aber ein Geschäft läßt sich mit den Hilfesuchenden allemal machen, und wenn es nur mit den Kerzen ist, die wahrscheinlich mehrfach verkauft werden. Rund einhundert Ärzte sind dort tätig, auch viele Priester, denn der Kirche geht es auch um das Seelenheil der Menschen. Aber solchen Heilorten muß man dennoch wohl sehr kritisch gegenüberstehen.

Das Gleiche gilt für sogenannte „Naturheilverfahren“. Diese sind in mancher Hinsicht nützlich. Mancher Anhänger der Naturheilkunde will fast alle Krankheiten mit Naturheilmitteln bekämpfen. Nur eine Ausnahme soll es geben: Bei Blinddarmentzündung sofort zum Arzt! Heute müssen wir sagen: Auch bei Krebs hilft nur die Schulmedizin.

Das mußte eine Frau erfahren, die alle Möglichkeiten der alternativen Medizin mitgemacht hatte, weil sie sich vor der Chemotherapie und deren Nebenwirkungen fürchtete. Als es schließ­lich 5 vor 12 war, ging sie doch ins Krankenhaus und unterzog sich der Chemotherapie. Daraufhin gingen die Geschwulste zurück. Geheilt war sie damit noch nicht. Das Problem war damit aber nicht gelöst, weder medizinisch noch seelisch. Schulmedizin, Naturheilkunde und seelische Betreuung müssen oft zusammenwirken, wenn Heilung gelingen soll.

Wir heute gehen zum Arzt, wenn wir krank sind. Oder wir gehen in eins der Heilbäder in Hessen, wenn wir das entsprechende Geld haben. Das ist auch gut so und nicht Zeichen eines mangelnden Glaubens an Gott. Wir können auch selber allerhand für die eigene Gesundheit tun. Das widerspricht alles nicht dem, was diese Geschichte aus dem Johannesevangelium aussagen will. Aber sie will nicht sagen, nur ein Wunder könne uns helfen: Zuerst einmal hilft Gott auf ganz natürlich Art und Weise durch andere Menschen. Doch er will mehr für uns tun: Er will, daß wir auch innerlich gesund werden, in Glaubensdingen. Deshalb wird uns gesagt: Jesus macht gesund, aber auch frei und gehorsam.

 

1. Jesus macht gesund: Bethesda heißt „Haus der Barmherzigkeit“. Aber wie geht es diesem Menschen, der fast schon sein ganzes Leben krank ist? Ohnmächtig und hilflos muß er immer wieder Geduld aufbringen und darf die Hoffnung nicht aufgeben. Er darf nicht irre werden an den Menschen, die verständlicherweise immer nur nach sich selber fragen. Jeder hat mit seiner Not genug zu tun und kann sich nicht auch noch um andere kümmern. Elend macht einsam. Jesus aber nimmt den Einzelnen in den Blick. Dabei muß man nicht unterscheiden zwischen leichten und schweren Fällen. Alle Fälle sind Gottes Fälle, für ihn ist kein Fall zu schwer.

Heilung hängt nach biblischem Denken aber mit dem Heil zusammen. Sicher kann man nicht sagen, durch Krankheit werde einem Menschen das Böse heimgezahlt, das er getan hat. Aber es besteht schon ein Zusammenhang zwischen Schuld und Krankheit. Nur kann man das nicht beim einzelnen Menschen gegeneinander aufrechnen. Krankheit ist vielmehr Zeichen der Heillosigkeit der von Gott abgefallenen Welt.

Jesus arbeitet der Not des Einzelnen und der Not der ganzen Menschheit entgegen, indem der von allen anderen übersehene und im Stich gelassene Mensch seine Anteilnahme findet. Jesus läßt sich das Schicksal des Kranken schildern. Dann versucht er, mit dem Kranken über dessen Glauben zu sprechen. Und schließlich gibt er ihm einen Befehl, so daß sich an diesem Menschen ein Herrschaftswechsel vollziehen kann. Das ist weit mehr, als der griechische Gott Asklepios bieten konnte.

Auch wir brauchen mehr als die körperliche Heilung. Als Patient sind wir froh über jede menschliche Zuwendung des Arztes, der Pfleger und der Besucher. Vielleicht müssen sich Ärzte innerlich abschirmen gegen das tägliche Leid, das sie umgibt. Aber für den Patienten ist es schwer, wenn er angeherrscht wird: „Sie müssen diese Untersuchung mit sich machen lassen. Sie haben Krebs. Und wenn wir das nicht machen, müssen Sie sterben!“

Manchmal ist die Formulierung auch nur ungeschickt. Wenn die Stations-Ärztin sagt: „Wir in der Inneren Abteilung können nichts mehr für Sie tun, ich schicke Sie zu den Chirurgen!“ dann denkt der Patient doch wer weiß was. Besser hätte sie nämlich gesagt: „Wir haben nichts Schlim­mes festgestellt. Aber die Gallenblase muß Ihnen dennoch herausgenommen werden!“ Aber in der täglichen Routine eines Krankenhauses gehen die Ängste der Patienten oft sehr schnell unter.

Auch das Pflegepersonal ist oft überfordert. Die vollständige Versorgung eines bettlägerigen Kranken darf aus Kostengründen gerade einmal 40 Minuten dauern. Da ist keine Zeit mehr für ein eingehendes Gespräch über Nöte und Ängste. Und dennoch schaffen es Schwestern immer wieder, auch einmal ein aufmunterndes Wort zu sagen, das dem Patienten über vieles hinweghilft.

Die Kirche versucht hier zu helfen, indem sie Krankenhauspfarrer abstellt. Aber auch da ist Manches im Argen. Da geht in einem Krankenhaus ein großer Teil der Kopfhörer nicht, die den Gottesdienst an die Betten übertragen sollen. Es dauert 14 Tage, bis ein Pfarrer einmal vorbeikommt, obwohl jeder doch nur rund 100 Patienten zu betreuen hat. Nun gut: Wenn ein Patient einen Pfarrer bestellt, geht es sicher schneller. Aber die Geschichte am Teich Bethesda zeigt ja gerade, daß Jesus von selber die Not des Kranken sieht und ihn anspricht.

Hier können auch wir alle helfen: Besuche sind wichtig für Patienten. Der Kranke braucht täglich Besuch, er wartet darauf! Ganz schlimm ist es, wenn wegen einer Epidemie ein Besuchsverbot über das Krankenhaus verhängt wird. Dann haben die Patienten keine Möglichkeit, ihre Ängste und Sorgen loszuwerden, sie werden nicht mehr informiert über das, was draußen vor sich geht, alles staut sich an.

Es darf nicht heißen: „Ich habe keinen Menschen!“ Sicherlich gibt es viele gute Hilfen von Seiten der Gesellschaft, es gibt Beratungsstellen und die Pflegedienste. Auch die Kirche stellt viele Einrichtungen gerade auf diesem Gebiet bereit. Aber der Einsatz des Einzelnen ist deshalb nicht überflüssig, wir alle sind hier gefragt. Wir sind zwar keine Ärzte, keine Psychologen und keine ausgebildeten Krankenpfleger. Aber wir können dem anderen im rechten Augenblick das helfende Wort sagen. Und wir können still zuhören, wenn er beginnt, sich die Nöte vom Herzen abzuräumen. Das ist unser Teil der Hilfe. Jesus aber will noch mehr geben, als wir Menschen leisten können.

 

2. Jesus macht frei, aber auch gehorsam: Daß die Heilung am Sabbat geschehen ist, geht erst mehr am Ende hervor. Im zweiten Teil der Heilungsgeschichte fordert Jesus den Konflikt geradezu heraus, wenn er den Kranken auffordert, seine Matratze wegzutragen. Aber dadurch will er dem Geheilten mehr geben als nur die körperliche Gesundheit: Richtig befreit ist der Mann erst, als er den Worten Jesu folgt und es wagt, sich aus falschen religiösen Bindungen zu befreien und das Sabbatgebot zu übertreten. Nicht durch das Halten des Gesetzes wird die verlorene Welt wieder zur Welt Gottes, sondern durch das Wirken der Liebe Gottes.

Die zweite Begegnung mit Jesus läßt den Geheilten erkennen, daß bei dieser Heilung mehr im Spiel war und die entscheidende Hilfe über das Gesundwerden der Glieder hinausging: In der Begegnung mit Jesus war es zu einer umfassenden Heilung gekommen, nämlich zur Befreiung aus der Knechtschaft der Sünde und zur Verheißung des ewigen Lebens. Wie frei der Geheilte ist, erkennt man daran, daß er unmittelbar gehorcht. Er gehorcht, obwohl er nicht einmal weiß, wer ihm da geholfen hat. Er will es nicht anders, er kann nicht anders - das ist seine Freiheit.

Jesus entläßt aber nicht in eine unverbindliche Freiheit: Der Geheilte erhält den Befehl, in Zukunft nicht mehr zu sündigen. Damit wird ihm nicht ein neues Gesetz auferlegt. Aber man kann nicht gesund werden wollen und dabei Sünder bleiben wollen. In der Bindung an Christus erledigt sich die Sünde, ohne Anstrengung, einfach aus der wunderbaren Erfahrung des Helfens und Heilens. Gesundheit ist eben mehr als die körperliche Heilung, durch die Befreiung vom Zwang zur Sünde werden wir erst richtig frei. Schulmedizin allein macht es nicht, es geht auch um menschliche Zuwendung und Heilwerden im umfassenden Sinn.

 

 

Joh 5, 1-16 (19. Sonntag nach Trinitatis,Variante 2)     

Wilma Rudolph wuchs in einer Familie mit sieben Geschwistern und elf Halbgeschwistern auf. In ihrer Kindheit erlitt Wilma eine Reihe schwerer Krankheiten. Eine Kinderlähmung setzte ihr linkes Bein außer Gefecht, und erst nach jahrelanger Physiotherapie und spezifischen Massagen konnte sie wieder ohne Hilfsmittel gehen. Von elf an konnte sie endlich mit ihren Brüdern Basketball spielen. Bald erzielte sie an der Höheren Schule große Erfolge in dieser Sportart. Ein Leichtathletiktrainer an der Tennessee-Universität entdeckte sie 1955 als Schiedsrichter bei einem Basketballmatch, erkannte ihr Talent und vermittelte ihr ein Sportstipendium an seiner Hochschule.

Schon im Jahr darauf qualifizierte sie sich für die Olympischen Sommerspielen 1956 in Melbourne, bei denen sie Bronze im 4-mal-100-Meter-Staffel gewann. Nach einer Schwangerschaftspause 1958 gehörte sie zu den weltbesten Sprinterinnen und stellte 1960 zwei Weltrekorde auf. Bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom siegte sie in allen drei Kurzstreckendisziplinen: In den Einzeldisziplinen 100 und 200 Meter siegte sie in allen Läufen mit mindestens 0,3 Sekunden Vorsprung; die Fabelzeit von 11,0 Sekunden im 100-Meter-Finale konnte jedoch wegen zu starken Rückenwinds nicht als Weltrekord gewertet werden. In der   4 × 100 Meter Staffel lief sie zusammen mit Martha Hudson, Lucinda Williams und Barbara Jones im Vorlauf einen Weltrekord (44,4 Sekunden); im Finale sicherte Rudolph als Schlußläuferin das Gold vor der deutschen Staffel, die eingangs der Zielgeraden noch gleichauf lag. Am 19. August 1961 stellte sie über 100 Meter mit 11,2 Sekunden in Stuttgart einen weiteren Weltrekord auf. Wegen ihres eleganten Laufstils wurde sie „die Gazelle“ genannt.

Es gibt also sogenannte „Wunderheilungen“ - zum Beispiel daß ein Gelähmter wieder gehen kann - auch wenn gar kein Glaube im Spiel war. Aber oft geht es dabei auch um einen seelischen Vorgang, daß erst eine innere Blockade gebrochen werden mußte, ehe der Körper wieder funktionierte. Jesus hatte wohl so eine Gabe, Menschen zu heilen, vor allem wenn seelische Ursachen zu der Krankheit geführt hatte. Das hat man dann später ausgeweitet auf andere Heilungsgeschichten. Es sind also nicht alle so geschehen, wie sie später erzählt wurden, aber ganz aus der Luft gegriffen sind diese Erzählungen nicht. Aber hier geht es nicht allein um die körperliche Heilung, sondern auch um Befreiung und Verpflichtung.

Schon in der Antike gab es ein elegantes Modebad in Epidauros in Griechenland, ein „Gnadenort“ des Gottes Asklepios, dessen Zeichen mit der Schlange heute noch das Erkennungszeichen der Ärzte ist. Auch heute geht man gern in einen der bekannten Badeorte und läßt sich dort verarzten und verwöhnen.

Manche fahren auch in den Wallfahrtsort Lourdes in Frankreich und erhoffen sich Heilung von der dortigen Madonna. Es gibt auch immer wieder solche spontanen Heilungen, besonders auch wieder, wenn eine seelische Erkrankung die Ursache war. Aber oft verpufft dieser Effekt auch wieder.

Und man muß sich natürlich fragen: „Und was ist mit denen, die keine Heilung erfahren haben? Haben die nur nicht den richtigen Glauben gehabt!“ Da kann man doch in schwere Kon­flikte kommen. Denken wir an Samuel Koch, der in der Fernsehsendung so verunglückte, daß er jetzt vom Hals ab querschnittsgelähmt ist. Er ist ein gläubiger Mensch, wie seine ganze Familie. Man kann natürlich sagen: „Weshalb ist er auch so leichtsinnig oder zu risikobereit gewesen?“ Aber es bleibt die Frage: „Weshalb hat ihn Gott nicht bewahrt?“

Denken wir an die Menschen, die im Wachkoma liegen: Viele sind wieder aufgewacht, oft erst nach Monaten oder gar Jahren, aber andere auch nicht. Die Sportmoderatorin Monika Lierhaus hat nach einer Gehirnblutung monatelang im Koma gelegen. Aber dann hat sie sich mit großer Anstrengung wieder ins Leben zurückgearbeitet. Schließlich stellte das Fernsehen sie an, um Sonntagabend die Lottozahlen zu verkünden. Das ist ganz hervorragend vom Fernsehen, daß sie an so einer hervorragenden Stelle einen Menschen mit einer Einschränkung eingesetzt haben. Dadurch kann jeder sehen, daß auch Menschen, die wir als „Behinderte“ bezeichnen, in die Mitte unsrer Gesellschaft gehören

Daß da ein Mann 38 Jahre krank gewesen ist, zeigt die ganze Ohnmacht der Menschen. Aber es ist doch auch ein schwerer Vorwurf, wenn der Mann sagt: „Ich habe keinen Menschen, der mir hilft!“ Das kann doch nur eine Aufforderung an uns sein, es besser zu machen. Jeder Kranke braucht nicht nur eine optimale medizinische Versorgung, auch wenn diese teuer ist. Er braucht auch die liebende Zuwendung seiner Familie und die Aufmerksamkeit der Ärzte und des Pflegepersonals.

 Den Wundergläubigen muß man sagen: „Gott hilft auch durch Ärzte! Ihr könnt nicht nur auf ein besonderes Wunder hoffen!“ Es ist unverantwortlich, wenn Eltern ihre Kinder nicht gegen Kinderlähmung impfen lassen mit dem Argument: Wenn Gott will, dann kann er auch ohne Impfung mein Kind vor Krankheit bewahren!

Den Ärzten aber muß man sagen: „Ihr braucht auch den Beistand Gottes, ihr braucht das Gebet!“ Als ein Mann vor einer schweren Operation an der Wirbelsäule stand, da bot ihm sein Zimmerkollege an, vorher mit ihm zu beten. Er war ein Katholik aus dem Eichsfeld und sagte, er könne aber nur den Rosenkranz beten. Was er aber vorher nicht sagte: Während der Operation ging er in die Kapelle des Krankenhauses und betete die ganze Zeit den Rosenkranz.

Als die Ärzte im Operationssaal das mitkriegten, schickten sie alle halbe Stunde eine Schwester in die Kapelle, um zu sehen, ob der Mann noch für sie betet. Statt zweieinhalb Stunden dauerte alles dann sechs Stunden. Aber mit vereinten Kräften des medizinischen Personals und der Fürbitte des Mannes und anderer Personen, gelang das Werk.

Der operierende Arzt sagte nachher zu dem Patienten: „Man hat gemerkt, daß viele Leute für Sie gebetet haben!“ Er gab zu, daß er vorher nicht so viel vom Gebet gehalten hat, aber nachher hat er sich zu einem Glaubenskurs bei der Kirche angemeldet.

Für Gott ist kein „Fall“ zu schwer. Aber man darf auch nicht vergessen, daß die meisten Menschen ja gesund sind. Doch es geht nicht nur um Heilung, sondern auch um das Heil. Man kann nicht sagen, daß eine bestimmte Krankheit die Strafe Gottes für eine bestimmte Schuld ist. Aber daß es Krankheit in der Welt gibt, ist ein Zeichen dafür, daß alle Menschen gegenüber Gott schuldig geworden sind.

Was kann man dagegen tun? Jesus zeigt es uns. Zunächst einmal nimmt er den Menschen wahr, der seit Jahrzehnten da liegt und immer wieder im Stich gelassen wurde. Er läßt sich das Schicksal des Kranken schildern. Er fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Man könnte meinen: Was für eine dumme Frage, natürlich will er gesund werden. Aber Jesus ruft den Mann damit zum Glauben auf, will ihn dazu reizen, sich ganz auf Jesus zu verlassen. Jesus überläßt den Mann nicht der Zerstörung, sondern tritt der Krankheit als Herrscher und Gebietender entgegen.

So ganz nebenbei befreit er den Kranken und auch alle anderen Menschen von überholten Zwängen. Die Juden freuen sich nicht mit über die Heilung, sondern weisen den Geheilten zurecht, weil er am Feiertag die Matte trägt, auf der er Jahrzehnte gelegen hat. Jesus aber macht deutlich: Nicht durch das Halten des jüdischen Gesetzes wird die Welt wieder zur Welt Gottes, sondern durch das Wirken der Liebe Gottes. Jesus befreit die Menschen von Zwängen, die andere sich ausgedacht haben. Und es macht ihm auch gar nichts aus, daß die Juden ihm vorwerfen, er habe sich Gott gleich gemacht.

Das will diese Geschichte ja gerade sagen: „In Jesus ist Gott am Werk!“ Er gibt der Welt ein neues Leben, die sich gegen Gott verschlossen hatte. Die Heilung der Krankheit ist ein Zeichen dafür. Jetzt steht keine Vorschrift mehr zwischen Gott und uns. Wir brauchen keine Leistung zu erbringen, wie das die Juden fordern, sondern Jesus hat alles für uns geleistet durch seinen Tod am Kreuz. Wenn einer mit Leistung etwas erreichen will, dann meint er, auch einen Anspruch auf Belohnung zu haben. Wir können Gott aber nicht zu unserem Schuldner machen, so daß er uns Heilung geben müßte, weil wir doch ach so fromm sind. Von solchem Denken und von solchen Zwängen macht uns Jesus frei.

Der Geheilte wird frei, weil er problemlos gehorcht. Er weiß ja nicht einmal, wer sein Erretter ist. Man könnte zwar vermuten, daß er es nur noch einmal mit diesem letzten Strohhalm versucht, daß ihm jedes Mittel recht ist, nur um doch noch gesund zu werden. Aber bei diesem Mann ist es mehr: Er vertraut dem Wort Jesu voll und ganz, er kann nicht anders und er will nicht anders - aber gerade dadurch wird er ein freier Mensch, frei von der Krankheit, aber auch frei von auferlegten oder eigenen Zwängen.

Freiheit ist also doch Gehorsam, und zwar Gehorsam gegenüber einem höheren Befehl. Doch dieser ist von ganz anderer Art als das Gesetz des Mose. Jesus sagt: „Sündige künftig nicht mehr!“ Damit macht er deutlich: Die ganze Heilung nutzt nichts, wenn man innerlich doch der alte Mensch bleibt. Nur mit Christus kann man frei sein, kann man sich frei machen von Sünde und kann dann auch frei bleiben. Man kann nicht gesund werden wollen und dabei ein Sünder bleiben wollen.

Aber in der Bindung an Christus erledigt sich die Sünde sowieso, ohne jede Anstrengung, einfach aus der Erfahrung seines Helfens und Heilens. Freiheit ist dann aber Gebundensein an diesen Helfer. Dann würden wir als Sklaverei empfinden, wenn wir etwas anderes tun müßten als das, was ihm gefällt. Aber dann würden wir nur in ein hoffnungsloses Leben zurückfallen.

Wir dürfen aber Hoffnung haben, auch wenn die körperliche Gesundheit zu wünschen übrig läßt. Auch die innere Gesundheit ist ein wichtiges Ziel. Auch wenn wir unter Krankheit leiden, hat das Leben Sinn und macht Freude.

Eine Frau hat einmal zu ihrem Sohn gesagt. „Ich werde das Jahr 2000 nicht mehr erreichen, aber du hast gute Chancen!“ Im Jahre 2012 sagte der Sohn: „Was bleibt da anders, als für jeden Tag dankbar zu sein. Jeder Tag ist neu ein Geschenk. Auch wenn das Leben vielleicht etwas eingeschränkt wird durch körperliche Gebrechen - er ist doch jeder Tag und jede Stunde ein Geschenk!“

 

 

Joh 5, 39 – 47 (1. Sonntag nach Trinitatis):

Bei der einen Konfirmandengruppe kam ein Mädchen mit, das nicht getauft ist. Es ging um die Taufe, und der Pfarrer versuchte deutlich zu machen, worauf uns das Wasser hinweisen könnte. Er sagte: „Das Wasser brauchen wir zum Leben. Das Wasser bei der Taufe brauchen wir zum Christsein!“ Und dann die Frage: „Kann man denn auch ohne Taufe leben?“ Die Konfirmanden sahen den Pfarrer erst etwas ratlos an, wußten nicht, was die Frage sollte: So etwas fragt man sich halt nicht, wenn man getauft ist. Der Pfarrer sagte: „Na, eure Kollegin hier lebt doch zweifellos, auch wenn sie nicht getauft ist. Ohne die Taufe kann man zwar als Mensch leben, aber nicht als Christ. Auf das Wasser kann niemand verzichten, der leben will. Aber auf das Wasser der Taufe meinen manche verzichten zu können!“

Diese Leute werden natürlich sagen: Warum soll ich gerade an Christus glauben? Es gibt so viele Religionen in der Welt. Und wer von Religion nichts hält, der kann zu einer Weltanschauung greifen. Entweder zum Marxismus-Leninismus, der sich in vielen Schattierungen über die ganze Welt ausbreitet, gerade so wie eine Religion. Oder er macht sich eine eigene Weltanschauung zurecht, so eine Art Allerweltsphilosophie, praktisch und für den Alltagsbedarf durchaus ausreichend.

Wieso soll da gerade in Christus das Heil liegen? Es ist nicht so einfach, das sachkundig und verständlich ausdrücken zu können. Da sagte neulich eine Frau, deren Mann Schwierigkeiten hat mit der Lehre der Kirche: „Ich kann auch nicht so richtig diskutieren mit ihm. Mein großer Bruder könnte das viel besser, der hat eher Argumente zur Hand!“ Das wird den meisten so gehen, daß sie nur schwer umschreiben können, was sie glauben.

Ein Ausweg könnte da sein, innerweltliche Argumente und Umschreibungen für Jesus zu verwenden.  Man könnte Jesus darstellen als das große Vorbild, als ein Mensch, der immer für andere da war. Ein Kandidat für das Parlament wäre er wohl nicht geworden, weil er zu sehr von den Anschauungen der Herrschenden abwich. Aber vielleicht Gewerkschaftsführer oder Mannschaftskapitän der Olympiamannschaft. Solche Vergleiche sind sicher ein berechtigter Versuch, für das Gespräch über Christus eine gemeinsame Plattform zu finden. Auch Paulus hat ja gesagt, er sei den Juden ein Jude und den Griechen ein Grieche geworden, nur um sie für Christus zu gewinnen

Aber wir merken auch, wie unangemessen diese Vergleiche sind. Sie dürfen immer nur ein erster kleiner Schritt zum Verständnis sein. Jesus jedenfalls verzichtet auf solche Hilfestellungen: „Ich nehme nicht Ehre von Menschen!“ Er verläßt sich auf Gott und nicht auf das, was Menschen leisten. Natürlich ist unser Zeugnis und Bekenntnis nötig, unsre Übersetzung und Auslegung. Aber nicht erlaubt sind Zutaten und Auslassungen. Unsre Bemühungen um Übertragung in unsre heutige Umwelt sind immer wieder neu an der Heiligen Schrift zu prüfen. Gott ist zwar Mensch geworden in Jesus Christus; aber er ist doch immer Gott geblieben.

Deshalb kann auch nur Gott die Frage beantworten, wer Jesus ist und warum man nur ihn als seinen Herrn anerkennen soll. Mit menschlicher Einsicht und menschlichen Beweisgründen ist hier nichts zu gewinnen.Jesus sagt: „Ich bin gekommen in meines Vaters Namen!“ Auf das Zeugnis des Vaters kommt es an.

Wenn heute eine Frau zur Schwangerenberatung geht, dann wird zunächst einmal nur ihr Name festgehalten, nach dem Vater des Kindes wird noch nicht gefragt. Erst wenn das Kind geboren ist, wird auch der Vater interessant, weil er zahlen soll. Wenn die Eltern nicht oder noch nicht verheiratet sind, dann muß der Vater beim Jugendamt erscheinen und die Vaterschaft anerkennen.

Das war schon bei den alten Germanen so: Wenn ein Kind geboren war, dann hat man es dem Vater vor die Füße gelegt. Und wenn er es von der Erde aufhob, dann hat er es als sein Kind anerkannt. So hat auch Gott den Jesus von Nazareth als seinen Sohn anerkannt und ihm die gleichen Rechte eingeräumt, wie er sie selber hat. Deshalb hat er es gar nicht nötig, sich seine göttliche Würde von den Menschen bescheinigen zu lassen. Er weiß, daß Gott seine Aussagen schon beglaubigen wird. Göttliches kann sich immer nur selbst bezeugen und so seine Wahrheit erweisen.

Vielleicht bedauern wir das. Manche Menschen können mit der Lehre der Kirche über Jesus Christus, daß er nämlich Gottes Sohn sein soll, nichts anfangen oder lehnen sie direkt ab. Sie sind aber gern bereit, dem Mann aus Nazareth großen Respekt entgegenzubringen. Sie sagen: Das war einer, der es mit den Menschen gut gemeint hat, er hat sich für die in mancherlei Weise Benachteiligten eingesetzt, er war wahrhaftig und ehrlich bis ins Mark und hat sich nicht von der Meinung der Herrschenden abhängig gemacht. So war er ein Vorbild für viele. Und man könnte wünschen, er wäre es für alle Menschen.

Dann wäre Jesus also einer der Großen der Menschheitsgeschichte. An ihm könnte man ablesen, wozu Menschen fähig sind, wenn sie die in ihnen liegenden guten Kräfte mobilisieren. Eine solche Einschätzung Jesu könnte zwar bei dem einen oder anderen die Vorstufe zur eigentlichen Christuserkenntnis sein. Aber ehe es zum Glauben an ihn kommen kann, wird erst doch noch ein Bruch mit solchen Vorstellungen nötig sein.

Jesus vertraut darauf: Der Vater arbeitet schon an den Menschen, daß sie zu einer solchen Erkenntnis gelangen. Er wird schon seine Botschaft selber an den Mann bringen. Aber um Jesus zu erkennen, müßte die Liebe Gottes in den Menschen sein. Jesus zweifelt daran, daß das schon so ist. Aber er will die Menschen deswegen doch nicht verklagen. Es ist längst ein anderer da, der dem Menschen ihr Versagen wie einen Spiegel vorhält: das ist Mose bzw. die Heilige Schrift, in der Gottes Willen zu finden ist.

In dem ganzen Abschnitt wird die Frage diskutiert, wer für Jesus zeugen könnte, die Wahrheit seines Anspruchs bestätigen könnte. In Frage käme Johannes der Täufer; aber er hat natürlich Jesus nicht zu dem gemacht was er ist. Dann könnte man die Taten heranziehen, die Jesus vollbracht hat; aber an den Wundertaten kann man noch nicht ohne weiteres ablesen, daß sie von Gott ausgehen.

Bleibt schließlich noch die Heilige Schrift als Zeuge. Doch auch die kann man lesen, und doch das Wort Gottes überhören. Auch ein Atheist liest vielleicht die Bibel, um Argumente gegen die Religion zu finden. Da wird er aber wohl kaum dem begegnen, auf dessen Zeugnis alles ankommt.

In den Worten menschlicher Zeugen gilt es aber, den größeren Zeugen zu erkennen, den man je gesehen und dessen Stimme man nie gehört hat. Im Menschenzeugnis soll uns das Gotteszeugnis deutlich werden. Wir brauchen also nicht auf irgendwelche Eingebungen zu warten, die doch nur aus unserem eigenen Unbewußten kommen könnten. Jesus verweist an die Schrift, in der von ihm zu lesen ist.

Für Jesus war die Schrift das Alte Testament. Es soll auf Jesus hin gelesen werden. Natürlich haben die verschiedenen Schreiber der alttestamentlichen Schriften noch nichts von Jesus gewußt und konnten noch nicht bewußt auf ihn hindeuten. Und doch haben sie Christus bezeugt, obwohl sie ihn nicht kannten. Das ganze Alte Testament durchzieht eine ins Ungeheure angewachsene Erwartung. So erweckt das Alte Testament den Eindruck von etwas Ruhelosem, das rätselhaft über sich hinausweist.

Das Land war dem Volk Israel verheißen, aber sie waren nicht zur Ruhe gekommen. Man wartete auf den Messias, aber jeder König war wieder eine Enttäuschung. Man brachte Opfer, wußte aber, daß sie nicht ausreichen. Einmal würde Frieden sein zwischen Gott und dem Menschen, wenn der Sünde ein für allemal ein Ende gesetzt ist. So laufen alle Linien in der Schrift auf Jesus zu. In Jesus setzt Gott sein Bemühen um sein Volk fort und will alles zum allerbesten Ende führen.

Jesu Gesprächspartner wollten das nicht begreifen. Wir aber sollten immer wieder neu die Schrift erforschen und jedesmal damit rechnen, noch Neues zu erfahren von Gott. Wir können zwar nicht unser Leben und das der Gemeinde sichern und bewahren. Aber wenn wir uns in die Schrift hineinbegeben, sind wir auf dem Weg zu Christus.

Doch wir sollten in der Bibel vor allem die frohe Botschaft erkennen. Die Gesprächspartner Jesu finden in ihr nur das Gesetz des Mose. Aber Jesus sagt: Mose hat schon auf mich hingewiesen. Als Fürbitter seines Volkes hat er schon auf dem Platz hingedeutet, auf dem Jesus jetzt steht. Durch fromme Leistungen und ein korrektes Leben kann man das Ansehen bei Gott noch nicht gewinnen. Das Gesetz kann nie bestätigen, daß man gut liegt. Es zeigt immer wieder, daß man sein Soll noch nicht erfüllt hat; und selbst wenn man 99 Prozent erreicht hat, dann werden im nächsten Jahr 103 Prozent draufgeschlagen. Wenn man das immer weiter steigern will, was in einem selber liegt, dann» wird man scheitern.

Der neue Anfang muß uns von oben her geschenkt werden. Auch wir als abgestempelte Christen denken, immer noch viel zu sehr von unten her und haben eine gesetzliche Einstellung und Lebensart. Aber Jesus spricht selbst denen das Evangelium zu, die nicht an ihn glauben. Er wirbt immer wieder um sie, aber auch um uns: Glaubet der Schrift und glaubet meinen Worten!

 

 

Joh 6, 1 – 15 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Den Menschen in der Geschichte vor der Speisung der 5.000 kommt es nur auf einen einzigen Punkt an: Sie sind satt geworden, ein ganz dringendes Lebensbedürfnis ist gestillt worden. Nun denken sie: „Diesen Jesus müssen wir uns warmhalten. Der soll uns auch weiterhin etwas zu essen verschaffen. Da wären wir alle Probleme los. Und bequemer als bei dem geht es nicht mehr!“

Sie wollen ihn also zum Ernährungsminister und Brotkönig machen. Wer dem Volk Brot geben kann, mit dem wird man zufrieden sein. Viele waren mit Hitler zufrieden, weil er die sowieso vorhandene Aufwärtsentwicklung der Wirtschaft noch ankurbelte; viele loben ihn heute noch wegen des Autobahnbaus, weil dadurch vielen Leuten Arbeit und Brot verschafft wurde, jedenfalls am Anfang. Jede Regierung muß versuchen, der Bevölkerung das Maul zu stopfen, dann sind sie wenigstens ruhig.

Man schreit immer wieder nach sozialen Maßnahmen. Obwohl es uns doch schon sehr gut geht, soll es uns immer noch besser gehen. Und wer das garantieren kann, das ist unser Mann.

Auch in Jesus hat man so einen Führer vermutet, der Wunder vollbringen kann. Hat er nicht so etwas vollbracht wie damals Mose in der Wüste, als Brot vom Himmel fiel? Mose hatte ja selbst von einem Propheten gesprochen, der so sein wird wie er selber. Das Volk hoffte ja auf einen Retter. Gerade in der Heimat Jesu rund um den See Genezareth kam es ja immer wieder zu Aufständen und zum Auftreten immer neuer Führergestalten.

Aber Jesus läßt sich nicht von der Menge vereinnahmen. Ein Wirtschaftswunder ist nicht seine Sache. Er läßt sich nicht zum König machen, dessen Amt es sein soll, jenes Wunder täglich zu wiederholen. Für solche Wünsche und Ziele läßt er sich nicht beschlagnahmen. Sicher hätte er mit vordergründigen Erfolgen den Beifall der Menge gewinnen können. Aber er handelt so wie schon bei der Versuchung durch den Teufel: Er entzieht sich der Menge, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern vom Wort Gottes!

Jesus will arm und niedrig bleiben, so wie Gott es mit ihm vorhat. Er will ja der Messias Gottes sein und nicht erst vom Volk dazu gemacht werden. Schon morgen, wenn sie wieder Hunger haben, werden sie ihm nicht mehr nachlaufen. Dann wird ihre Bewunderung in Enttäuschung oder gar Haß umschlagen und sie werden ihn aus ihrer Mitte ausstoßen.

Wir wollen die Menschen nicht verachten, die Jesus in eine solche Rolle drängen wollen. Wer den Bauch voll hat und sich alles leisten kann, hat es leicht, von „höheren Werten“ zu reden.

Wir haben ja das Mehl im Schrank und den Braten in der Röhre, und unser Sparbuch ist ganz ansehnlich. Viele behaupten dennoch, es ginge ihnen schlecht. Aber in Wirklichkeit können wir beruhigt beten: „Unser tägliches Brot gib uns heute!“ Denn aller Wahrscheinlichkeit nach haben wir es ja morgen auch wieder. Wir nehmen das zu selbstverständlich hin und danken Gott nicht dafür. Für viele Menschen in der Welt hat diese Bitte aber eine viel dringlichere Bedeutung: Sie leben von der Hand in den Mund.

Mit knurrendem Magen kann man schlecht einer Predigt zuhören. Deshalb ist Jesus auch daran interessiert, daß die Menschen satt werden. Er kümmert sich auch um ihre leibliche Not; aber er erfüllt nicht einfach alle menschlichen Hoffnungen. Jesus weiß, wie weh der Hunger tut. Wenn es nach ihm ginge, würden wirklich alle Menschen satt, nicht nur einmal, sondern immer.

Aber er weiß auch: Mit ein paar Einzelaktionen kann die Brotfrage nicht gelöst werden. Wenn wir einmal ein paar Mark geben, damit Verbandszeug nach Nikaragua oder sonst wohin geschickt werden kann, dann ändern sich dadurch noch nicht die Verhältnisse in der Welt. Es wird damit ein Zeichen der Hoffnung gegeben, es wird einigen weniger Menschen geholfen, unsere Spende ist nicht sinnlos. Aber Jesus will mehr als nur ein Trostpflästerchen auflegen.

zunächst könnte man meinen, es ginge hier nur um das Wunder, das nicht so recht glaubhaft ist. Die Menschen haben eine ganze Tageswanderung hinter sich, sie können am Abend nicht wieder zurück in ihre Dörfer. Sie sehen Jesus als der Gastgeber an, der sich um ihr leibliches

Wohl zu kümmern hat. Aber in der einsamen Gegend gibt es nichts zu kaufen. Und selbst wenn man viel Geld hätte, könnte man so vielen Leuten kaum einen Überbrückungshappen bieten. Nur ein kleiner Junge ist da, der sich schnell fünf Brötchen und zwei Sprotten eingesteckt hatte. Er gibt seine „eiserne Ration“ weg und vertraut allein auf Jesus. Er sagt nicht: „Da kann man nichts machen!“ Er will vielmehr von dem leben, was vorhanden ist und will gut damit wirtschaften.           

Jesus aber sagt: „Ich bitte zu Tisch!“ Wie ein Hausvater spricht er das Dankgebet, so als hätte er genug für alle. Dann beginnt er auszuteilen und gibt jedem so viel, wie er haben will. Viele kluge Leute haben sich Gedanken gemacht, wie so etwas möglich war: Jesus hätte in der Nähe in einer Höhle ein Vorratslager gehabt, aus dem er nun alles herbeischaffen ließ. Oder die Leute hätten ja das Essen mit im Rucksack gehabt, aber vor lauter Zuhören das Essen vergessen. Oder die einen, die etwas dabei hatten, hätten nicht mit den anderen teilen wollen und deshalb erst gar nicht ausgepackt; erst Jesus habe sie dazu gebracht, zu teilen und miteinander zu essen.

Doch all diese Erklärungsversuche gehen an dem Eigentlichen vorbei. Es geht ja um ein Zeichen, das man mit keiner Fernsehkamera hätte erfassen können. Man kommt der Sache schon näher, wen n man diese Erzählung versteht als ein Gleichnis für die Erntegaben, die Gott uns jedes Jahr auf den Feldern schenkt. Im Gebet wendet sich Jesus an den Schöpfer und wirkt auch selber als Schöpfer. Er macht uns deutlich, wer der Geber aller guten und vollkommenen Gabe ist, wem wir alles verdanken.

Haben wir begriffen, aus wessen Hand wir das nötige täglich empfangen? Spüren wir, welche Liebe hinter jedem Bissen Brot steht, den wir zu uns nehmen? Was für ein Anteilnehmen an unserm Wohl und Wehe durch unser tägliches Brot zum. Ausdruck kommt? Wir könnten auch bedenken, wie wir verantwortlich mit dem umgehen, was aus Gottes Hand kommt. Ist es wirklich schon so lange her, daß wir den letzten Krümel vom Teller absuchten? Jetzt werden Mittel zum Schlankwerden gekauft: die einen hungern, die anderen fressen sich krank. Über diese Problematik von heute müssen, wir einmal nachdenken, wenn wir diese Geschichte hören.

Doch wir müßten auch noch etwas weiter gehen in unseren Überlegungen: Wie Jesus hier das Dankgebet spricht und das Brot an die Menschen austeilt, das erinnert doch stark an das Abendmahl. Heute dürfen wir doch auch so aus der Hand Jesu das Abendmahl in Empfang nehmen als Stärkung für unser äußeres und inneres Leben. Deshalb könnte man den Sinn dieser Geschichte auch mit einem Wort Jesu ausdrücken, das einige Verse später wiedergegeben wird „Ich bin das Brot des Lebens!“ Es geht also um Jesus, der sich uns heute im Abendmahl hingibt, und nicht um das vorder­gründige Brotwunder. So ist es auch auf den Mosaiken in Ravenna in Italien dargestellt: Nicht die Massen der Essenden, sondern Jesus steht ganz groß im Mittelpunkt und segnet das Brot.

Jesus versteht aber unter dem Brot mehr als Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, Auto und Fernseher, Geld und Vergnügen. Was nutzt uns denn alles Geld und aller Lebens­stan­dard, wenn wir trotz allem unzufrieden sind und keinen Sinn in allem sehen? Jesus will und kann a 1 1 e n Hunger stillen. Er gibt uns Lebensraum und Freiheit zum Atmen. Er läßt Bedrückte wieder aufrecht gehen und Zerstrittene wieder aufeinander zugehen. Er schafft ein gutes Betriebsklima und Frieden mit den Menschen und der Welt. Und nicht zuletzt gehört auch die tägliche Nahrung zu dem, was wir ihm verdanken.

Wir sind gefragt, ob wir Gott zutrauen, daß er a l l e Not beheben kann. Er gibt Brot für Leib und Seele, für uns und für andere. Wir könnten kein echtes Abendmahl feiern, wenn wir nicht auch an die Armen in der Welt dächten. Aber auch das Brot für die Seele ist nötig. Das Hauptthema ist nicht das Hungerproblem, sondern der Glaube, denn Jesus hat ein Wunder getan, das nur den Jüngern sichtbar war und ihren Glauben stärken sollte,

So wie wir auf das tägliche Brot angewiesen sind, brauchen wir auch die Nähe Jesu. Das Brot ist vergänglich. Jesus aber gewährt Leben über die Grenzen des Sterbens hinweg. Der Blick weitet sich auf das Ende der Welt hin. Darum werden alle satt werden, die hier noch hungern; und damit sind nicht nur die gemeint, denen der Magen vor Hunger knurrt, sondern auch all die anderen, die hungert und dürstet nach einem lebenswerten Leben in der Gemeinschaft mit Gott.

Manche haben ja schon verstanden, was das „Brot des Lebens“ ist. Sie holen es sich jeden Tag im Gebet und sonntags im Gottesdienst. Und im Abendmahl haben wir sogar etwas von diesem Brot leibhaft vor Augen. Klein und unscheinbar sind das Stückchen Brot und der Schluck Wein. Und doch nehmen wir das Kommende vorweg, wenn wir es essen. Wir erhalten Kraft aus der Welt Gottes und können damit auch unser Leben heute viel besser bewältigen.

Manchmal werden wir verzagen und sagen: „Was ist das unter so viele?“ Tausendfach sind das Leid und der Schmerz in der Welt. Was soll unser Singen und Beten, unser Opfer an Zeit und Geld dagegen ausrichten? Die Kirche müßte neue Ordnungen schaffen und mehr leisten und Brot für die Welt und Befreiung für die Welt schaffen. Also nicht weltfremd sein, sondern Probleme lösen, dann hat die Kirche noch einen Sinn.

Doch hier geht es nicht um die Welt, sondern um das, was Jesus mit dieser Welt vorhat. Er fordert uns auf, ruhig und sorglos ein Dankgebet zu sprechen und einfach anzufangen und auszuteilen und natürlich auch anzunehmen - es wird schon reichen. Das verspricht uns der, der das Brot des Lebens ist. Durch ihr werden Weinende wieder froh und Ratlose getrost, Geängstigte werden ruhig und Sterbende zuversichtlich. Diese Wendung in unserm Leben könnte schon eintreten, wenn wir das Abendmahl zu uns nehmen. Hier wird nämlich die Speisung der Fünftausend und das Wirken Jesu in unsere Zeit hinein fortgesetzt.

 

 

 

Joh 6, 30 – 35 (7.  Sonntag nach Trinitatis):

Mittelalterliche Maler haben gern geträumt von einem Schlaraffenland. Dort fliegen einem die gebratenen Tauben in den Mund und die Spanferkel laufen schon mit Messer und Gabel im Rücken herum. Die Dächer sind mit Kuchen belegt und aus dem Brummen fließt Wein oder Most. Alle Hunger- und Durstwünsche können dort erfüllt werden. Aber vielfach wird auch deutlich, daß dieser Traum im Grunde ein Alptraum ist: An die Stelle der Sättigung tritt das sinnlose Sichvollstopfen, an die Stelle des gelöschten Durstes tritt die Trunkenheit. Zum Schluß erlebt man nicht ein fröhliches Fest in der Gemeinschaft mit Anderen, sondern döst benommen als Einzelner vor sich hin.

Die Wünsche vom Schlaraffenland können wir uns vielfach heute erfüllen, jedenfalls was Essen und Trinken angeht. Es ist zwar nicht immer alles am Ort zu haben. Aber wenn etwa eine Hochzeit ist, dann fährt man auch einmal ein Stückchen weiter oder wendet sich an einen Spezialisten. Und doch sind manche Menschen unsicher: Sie haben einen wahren Lebenshunger und einen Lebensdurst, aber doch wieder die Angst, etwas zu verpassen

Jesus hat die Notwendigkeit des Essens und Trinkens keineswegs übersehen. Sonst hätte er sich ja nicht um die Speisung der Fünftausend zu kümmern brauchen, von der Johannes im 6. Kapitel erzählt und aus der unser Predigttext genommen ist. Die Bibel spricht überhaupt unbefangen lebensfroh vom Essen und Trinken. Jesus wurde vom seinen Gegnern sogar einmal als „Fresser und Weinsäufer“ bezeichnet; und eine Mahlzeit hat er mehrfach zur Gegenstand eines Gleichnisses gemacht.

 

(1.) Wir brauchen das tägliche Brot: Wir wissen aber auch, daß viele Menschen in der weiten Welt es nicht haben. Trotz aller menschlichen Intelligenz werden wir mit diesem Problem nicht fertig. Uns läßt es ja auch ziemlich kalt, solange es uns nicht betrifft. Aber es gibt genug Beispiele wie schnell sich das Ruder wenden kann. Viele bei uns sagen: „Die sollen erst einmal arbeiten, dann haben sie auch etwas!“  Aber sie übersehen dabei, daß zunächst einmal außenwirtschaftliche Gründe zur Störung der Wirtschaft geführt haben. Für das immer teurer werdende Erdöl mußte man immer mehr an Nahrungsmitteln verkaufen. Das Gleiche kann auch uns passieren, auch wenn wir einstweilen noch einen etwas längeren Atem haben. Dann würde aber noch auf eine ganz andere Art und Weise deutlich, wie wichtig die Brotfrage für uns ist.

Hunger ist Hinweis auf den Tod. Wir haben das Leben nicht in uns, so daß wir es selbst produzieren könnten. Ohne Nachschub würden wir die vorhandenen Lebensgrundlagen verbrauchen und verzehren. Wir brauchen das Brot. Aber damit zehren wir auch wiederum vom fremden Leben, von Pflanzen und Tieren. Damit wir leben können, geschieht immer wieder Sterben, indem wir die nichtmenschliche Kreatur uns einverleiben.

Das Brot fristet unser vergängliches Leben. Mit dem täglichen Brot gibt der Schöpfer uns jedesmal wieder einen Tag unesres Lebens dazu. Der Schmerz macht uns darauf aufmerksam, daß in unserem Körper etwas nicht in Ordnung ist. Der Hunger erinnert uns daran, daß wir auf anderes Leben angewiesen sind, das uns erst das Leben ermöglicht. Wir haben unsre Lebendigkeit nicht in uns selbst.

Doch wir wollen darüber nicht klagen. Gewiß ist unser Leben begrenzt. Aber innerhalb der uns zugemessenen Zeit werden' wir auch bejaht. Gott hat uns gewollt und will uns noch. Was er geschaffen hat, das will er auch erhalten. Unser Leben soll uns sogar Freude machen.

Aber dazu brauchen wir das tägliche Brot.

 

(2.) Doch wir brauchen mehr als nur Brot: Die Menschen, von denen wir in diesem Kapitel hören, begreifen dies nicht. Sie sind völlig mit der Frage beschäftigt, wie sie ihre äußere Existenz sichern können. Weil Jesus ihnen Brot verschafft hat, wollten sie ihn zum König machen. Ihr Unverständnis scheint hoffnungslos zu sein. Aber Jesus läßt sich dennoch auf ein Gespräch mit ihnen ein.

Jesus sagt seinen Kritikern: „Verschafft euch Speise, die vorhält bis ins ewige Leben!“ Doch zunächst einmal schafft sich der Mensch eine Heimstatt so wie der Vogel ein Nest; und drumherum schafft er die Bedingungen für ein auskömmliches und gesichertes Leben. Das soll auch Niemandem verleidet werden. Viele Dinge erleichtern uns ja auch tatsächlich das Leben, verschönern es und machen es glücklicher und reicher.

Aber auch der perfekteste Wohlstand ist noch nicht Leben im Sinne Jesu. Das Menschliche am Menschen ist ja nicht, daß sein Bau etwas komfortabler ist als ein Fuchsbau. Man kann alles haben, was dem Wohlstandsbürger erstrebenswert scheint, und doch das wirklich Mensch­liche verfehlen. Man kann sich alles leisten können und doch mit dem nicht zurechtkommen, was eigentlich das Leben, ist. Das eigentliche Leben ist da, wo wir das Nichtseinsollende verwerfen und das Seinsollende bejahen und uns zu eigen machen, so daß wir im Dienen und Wirken einen Ertrag bringen können.

Aber meist verwenden wir all unser Können und unsre Kräfte darauf, die äußeren Daseins­bedingungen zu verbessern. Aber das bringt einmal den Haushalt unsrer Welt in Unordnung. Je mehr wir produzieren, desto mehr Abfälle gibt es, darunter gefährliche Gifte und nicht wieder verwendbare Rückstände.  Zum anderen verfehlen wir aber auch unser Menschsein, denn „der Mensch lebt nicht vom Brot allein“. Menschsein ist mehr als Essen und Trinken und Verbrauchen.

Das Tier lebt, um zu essen, und es ißt, um zu leben; das ist ein ewiger Kreislauf, darüber hinaus gibt es nichts. Der Mensch aber ist das Gegenüber Gottes. Er wird von Gott angeredet und soll darauf Antwort geben. Das eigentlich Menschliche unseres Lebens ist die Gemeinschaft mit Gott.

Dabei haben die Gegner Jesu immerhin begriffen, daß das Brot vom Himmel nicht aus der Welt kommt. Sie wollen schon mehr haben als das irdische Brot. Aber Jesus sagt ihnen: Was ihr sucht, das habt ihr in dem „Mehr als Brot“. Das Brotwunder geschieht ja jetzt, wo ihr mich vor euch habt. Ihr braucht tatsächlich Brot, ihr braucht das Christusbrot. Es geht nicht um Brot, das ich euch geben könnte, sondern es geht um das Brot, das ich bin. Worauf ihr aus seid, das habt ihr in mir!

Das Geben ist Sache des Vaters im Himmel. Und das Gegebene ist Jesus selbst. Die Menschen sind auf etwas aus, das Jesus bringen soll. Aber er sagt: Ich bringe mich selbst! Ich zeige nicht den Weg, ich bin der Weg! Ich gebe nicht Auferstehung und Leben, sondern ich bin die Auferstehung und das Leben! Ich zeige nicht nur mit der Hand ans andere Ufer, sondern ich bin auch der Kahn, der an dieses Ufer bringt.

Man kann natürlich auch versuchen, ohne Jesus dem äußeren Bestand seines Lebens zu erhalten. Dann müht man sich eben nur um die tausend kleinen Dinge und die tausend großen Dinge des Lebens und findet doch keine Ruhe. In Jesus aber geht uns das Herz Gottes auf. Da wird uns deutlich: Wir haben das Leben zwar nicht in uns selbst, wir empfangen es aber täglich wieder neu von Gott.

Jeder Bissen Brot könnte uns daran erinnern, daß wir der Zufuhr von Leben bedürfen. Aber darunter fällt nicht nur das Brot im wörtlichen Sinne, sondern zum Beispiel auch das Wort Gottes. Das Johannesevangelium entwirft das Hoffnungsbild einer Zukunft, in der wir das Wort Gottes essen wie Brot, in der wir die Liebe Jesu Christi trinken wie Wein.

Dazu gehört auch, daß wir Brot und Wein in unsrer Gemeinschaft kreisen lassen. Brot und Wein sind nicht zum Anschauen da, sie nähren nur, indem man sie zu sich nimmt. Jesus will nicht nur mit uns sprechen im Gebet, sondern er will in uns eingehen und in uns aufgehen. Besonders für eine Kranken und Sterbenden kann das Abendmahl zum Brot des Lebens und zum Segen werden. Wer aber Christus im Abendmahl in sich aufgenommen hat, der hat das Leben in Gottes Gemeinschaft schon jetzt.

 

 

Joh 6, 55 - 65 (Lätare):

Wenn man auf dem Schulhof die Papierkörbe nachsieht, dann kann man dort manches Brot und manches Brötchen finden. In den Hungerjahren war das anders, da wurde alles nur irgendwie Eßbare verwertet. Genauso machen es aber Viele, wenn es um Christus geht, der das Brot des Lebens ist: als sie in Not waren und nicht mehr ein noch aus wußten, da haben sie gern nach ihm gegriffen. Aber dann traten andere Dinge in den Vordergrund, man mußte sich eine Existenz aufbauen und nachher dann sichern; da konnte man sich dann nicht mehr so um Gott und die Kirche kümmern, das sollte dann Zeit haben bis zum Alter.

Sicherlich gehören die Anschaffungen und all das, was wir so zum Leben brauchen, einfach mit zum Leben dazu. Das Wort „Brot“ meint ja nicht nur das Brot, das wir beim Bäcker kaufen können. Es steht an sich für das Wort „Lebensmittel“, und dieses wiederum steht für

alles, was wir zum Leben brauchen. Dazu gehören neben Essen und Trinken auch Wohnung und Kleidung, das gute Zusammenleben mit anderen und der Urlaub, das Auto und der Fernsehapparat und noch vieles andere mehr.

In der schlechten Zeit ging es wirklich nur um den Grundbedarf. Da hat man eine Mindestmenge Kalorien festgelegt und die Zuteilungen entsprechend vorgenommen. Man braucht eine gewisse Menge Kalorien, dazu Vitamine und Spurenelemente, sonst kann man auf die Dauer nicht leben. Doch die Frage ist: Gehört auch Jesus mit zu diesem Existenzminimum dazu? Ist er wirklich ein Grundnahrungsmittel, ein Mittel zu einem wirklichen Leben mit Gott? Das Johannesevangelium sagt dazu: Leben haben wir nur in Christus, Christus gibt sich uns in seinem Mahl, wir empfangen sein Mahl nur im Glauben.

 

(1.) Leben haben wir nur in Christus: Aller Überfluß nützt allein nichts, wenn man nicht das „Leben“ hat. Jesus meint damit nicht die Erhaltung des äußeren Bestandes und den Fortgang der biologischen Vorgänge.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, nicht von dem, was wir erarbeiten und gestalten, erfinden und konstruieren. Wir sind immer „Menschen vor Gott“ und haben darin unsre Würde und Bestimmung.

Gott ist wie das Brot, auf das wir talgtäglich angewiesen sind. Doch viele sehen ihn nur wie einen Kuchen oder eine Torte an, die man sich einmal an Son- und Feiertagen leistet, mehr so eine Zutat. Aber wenn einer nur Kuchen essen wollte, dann wird er bald überfüttert. Von Zutaten allein kann man nicht leben. Brot aber kann man jeden Tag wieder neu essen, ohne es überdrüssig zu werden.

So ist Christus für einen Christen eine Speise, die er täglich braucht. Es wird ihm auch nicht zu viel, jeden Sonntag zum Gottesdienst zu gehen, weil er dort etwas Lebensnotwendiges erhält. Für ihn ist der Glaube nicht nur so eine Weltanschauung am Rande, auf die man zur Not auch noch verzichten kann. Er weiß vielmehr: Zum wahren Leben genügt es nicht, wenn man mit Frau und Kindern zufrieden in seinem Häuschen wohnt. Das Leben läuft leer, wenn es sich nur in der Befriedigung der leiblichen Bedürfnisse erschöpft. Wenn man Christus nicht hat, dann verhungert man.

Die Zeitgenossen Jesu forderten irdisches Brot von ihm. Am Anfang des Kapitels wird ja die Speisung der Fünftausend beschrieben. Sie verlangten Hilfe in den äußeren Nöten des Lebens, aber nicht die Vergebung ihrer Sünden und die Erneuerung ihres Wesens. Sie suchten Heilung von diesem oder jenem Gebrechen, nicht aber das Heil Gottes. Vor allem suchten sie nicht das ewige Leben in Jesus Christus.

Außer der Frage nach dem täglichen Brot gibt es eben auch die Sehnsucht nach dem ewigen Leben. Das ist eine Urfrage der Menschheit. Im Alten Testament wird erzählt von dem Manna, das vom Himmel fiel und von dem die Israeliten sich bei ihrer Wüstenwanderung ernährt haben. Aber Jesus stellt nüchtern fest: „Auch sie starben!“. Irdische Nahrungsmittel sichern nur das irdische Leben, nicht das himmlische.

Das liegt vor allem auch daran, daß wir Gott oft schneiden und mißachten und dabei unser Menschsein verfehlen. Deshalb brauchen wir nicht nur das Brot vom Bäcker und auch nicht nur das Manna vom Himmel, sondern ein Leben von Gott, das den Tod überdauert. Dieses Leben empfangen wir nur in Christus. Eines Tages werden die Bedingungen für die Erhaltung unsres Lebens mehr und mehr schwinden: vielleicht wird der Atem knapp oder der Magen nimmt nichts mehr oder die Sinne schwinden oder es wird uns all das genommen, wofür wir uns ein Leben lang abgestrampelt haben - aber es bleibt das Leben, das in der ungetrübten Gemeinschaft mit Gott besteht und wo wir uns unbesorgt in seine Liebe hineinfallen lassen können.

 

(2.) Christus gibt sich uns in seinem Mahl: Die Menschen haben Sehnsucht nach der Verlängerung ihres irdischen Lebens ins Unendliche hinein. Was dem Menschen gut tut, das soll immer so bleiben. Und wenn hier etwas schlecht und unzulänglich bleibt, dann möchte man wenigstens auf eine bessere Zukunft vertröstet werden. Mancher will sich auch selber helfen: er wendet Kosmetik und Kuren an, schließt eine Lebensversicherung ab und fühlt sich mit 60 Jahren noch auf der Höhe seiner Kraft.

Beim ewigen Leben aber geht es weder um unsre Wünsche und Sehnsüchte noch um eine möglichst lange Dauer des Lebens. Vielmehr geht es um die enge Verbindung und die Gemeinschaft mit Gott. Diesen Zugang zu Gott finden wir über Jesus, der zu uns kommt in seinem Mahl. „Die Liebe geht durch den Magen!“ sagt man. So geht auch Jesus in uns ein und macht uns so die ganze Liebe Gottes deutlich. Er gibt sich uns und will sich mit uns vereinigen. Er gibt uns nicht etwas, sondern sich selbst.

Deshalb kommt es nicht auf das Brotwunder an, sondern auf den Geber der Gaben. Der hat nicht andere für sich arbeiten lassen, die er dann mit Gold und Silber bezahlt hätte, wie das andere Brotherren tun. Das neue Leben kommt nicht wie die Luft des Frühlings, sondern Jesus hat sich als Priester als Opfer hingegeben. Dadurch wurde der neue Bund zwischen Gott und den Menschen geschlossen.

Mit seinem Fleisch hat Jesus dafür bezahlt. Dieses Fleisch dürfen wir heute noch essen im Abendmahl. Sicherlich dürfen wir das nicht wörtlich verstehen, so als hätten wir wirkliches Fleisch zwischen den Zähnen. Aber wir empfangen den ganzen Christus im Abendmahl. Es ist ein wahrhaftes, aber übernatürliches Essen, in dem Jesus sich uns zuwendet und sich hingibt. Wie das möglich ist, das ist Gottes Geheimnis. Aber Christus bindet sich an Brot und Wein, so daß wir ihn in uns aufnehmen können.

Es genügt also nicht, nur die Predigt zu hören, obwohl sich Christus natürlich auch im Wort gibt. Es ist nicht genug, zu ihm zu kommen und an ihn zu glauben. Das Brot des Lebens will euch gegessen werden. Christus weiß, daß wir ihn leibhaft nötig haben. Wirkliche Gemeinschaft gibt es schon unter uns Menschen nur durch leibliche Nähe. Menschen, die sich liebhaben, wollen einander sichtbar und greifbar nahe sein.

So schwebt auch Christus nicht geistlich über uns, sondern er geht in uns ein. Wir nehmen ihn in uns auf und er nimmt uns in sich auf. Er ist ganz im Irdischen und wir sind ganz im Himmlischen. Dieses Wissen verändert auch schon jetzt das Leben. Wer seine Zukunft durch Gott gesichert weiß, der will täglich mit Gottes Wort umgehen und sehnt sich nach Gottesdienst und Abendmahl.

Wir haben Grund zur Freude: Jesus kam als Brot des Lebens zu uns. Jetzt gilt es, diese großartige Gabe Gottes im Glauben anzunehmen. Aber dann kommen viele Dinge, die man mit dem Willen nicht bewältigen kann, von innen heraus ganz neu in Ordnung: ein vorschneller Streit in der Familie, lautes Geschrei mit den Nachbarn und noch vieles andere.

 

(3.) Wir empfangen das Abendmahl nur im Glauben: Die harte Rede Jesu löst unter Vielen eine Abfallbewegung aus, sogar unter denen, die sich bisher als seine Jünger verstanden. Sie sagen: Der will uns weismachen, er sei vom Himmel gekommen und bringe uns himmlisches Leben? Er will das Brot des Lebens sein und uns mehr bieten als unsren Lebensstandard? So lassen sie sich lieber durch andere Angebote weglocken und verführen. Sie bleiben nicht, sondern sie gehen weg und verraten ihn damals wie heute.

Jesus fragt: „Wollt ihr auch weggehen?“ Und Petrus antwortet ihm mit dem berühmten Worten: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens, das sich lohnt und das froh macht!“ Doch dieses Plus an Wirklichkeit nimmt nur der Glaube wahr. Daß Jesus vom Himmel gekommen ist und heute in seinem Mahl gegenwärtig ist, kann nur der Glaube erkennen.

Man kann Jesus die ganze Zeit leibhaftig vor sich gehabt haben wie Judas und doch an ihm irre werden und ihn verraten. Der Unglaube darf niemanden verwundern, weil er an sich das Normale ist, auch unter Jüngern und unter uns. Erst der Geist deckt uns in Christus und in seinem Mahl die göttliche Wirklichkeit auf.

Der Glaube kann ja nichts hervorbringen, sondern entdeckt nur das Vorhandene und nimmt es an. Wir haben die Christuswirklichkeit nicht geschaffen, sie kann auch nicht durch uns annulliert werden. Unsre Untreue hebt Gottes Treue nicht auf. Sein Mahl bleibt, auch wenn der Glaube aussetzt. Er wartet geduldig vor der Tür, bis wir aufmachen.

 

 

Joh 6, 47 - 51 (ähnlicher Text, aber nicht mehr in den Predigtreihen)

In der Jakobstraße in Paris gab es einen Bäcker, bei dem die Leute gern einkauften. Er war ein menschenfreundlicher und weiser Mann. Einmal kam der Busfahrer Gerard in den Laden Der Bäcker fragte ihn, weshalb er so bedrückt aussieht. „Ich habe Angst um meine kleine Tochter“, sagte der Busfahrer. „Sie ist gestern aus dem Fenster gefallen, vom zweiten Stock!“

Da nahm der Bäcker ein Stück vom Brot, das auf dem Ladentisch lag, brach zwei Bissen ab und gab das eine Stück dem Busfahrer. „Essen Sie mit mir!“ sagte er. „Ich will an Sie und ihre kleine Tochter denken!“ So aßen sie beide ihr Brotstück und dachten an das Kind im Krankenhaus.

Dann kam eine Frau dazu. Doch ehe sie ihren Wunsch sagen konnte, gab ihr der Bäcker ein Stück Weißbrot in die Hand und sagte: „Kommen Sie, essen sie mit uns: die Tochter dieses Herrn liegt schwerverletzt im Krankenhaus, sie ist aus dem. Fenster gestürzt, vier Jahre ist sie alt. Der Vater soll wissen, daß wir ihn nicht allein lassen!“ Da nahm die Frau das Brot und aß mit den beiden. So kam das öfter vor. Der Bäcker wußte eben, daß das Brot nicht nur zum Sattessen da ist.

Auch Jesus hat das den Menschen klarmachen wollen. Da waren Fünftausend satt geworden. nun interessieren sich die Leute für diesen Jesus, den sie als Brotspender erlebt haben. Nur zu gern hätten sie ihn zu ihrem König gemacht, der ihnen auch in Zukunft immer solches Brot liefert. Jesus sagt: „Ja, ich bin das Brot des Lebens. Aber wahres Leben habt ihr nur von mir, durch mein Opfer und in meinem Abendmahl.

 

(1.) Wahres Leben haben wir nur von Christus selbst: Jesus hat das Begehren der Menschen nach Brot ganz ernst genommen. Aber Schritt für Schritt will Jesus sie dahin führen, wo man Leben im Vollsinn des Wortes gewinnen kann. Er sagt: „Verschafft euch doch nicht solche Nahrung, die immer wieder verdirbt, sondern die Nahrung, die ins ewige Leben hinein bleibt. Diese kann nur ich euch geben!“ Natürlich ist das eine Rede, die der Einsicht und dem Willen sehr viel zumutet. Zunächst einmal geht es doch den Menschen darum, den Bauch zu füllen. Alles, was irgendwo vorhanden ist, muß man haben: zum Schulanfang der Kasettenrecor­der, zur Konfirmation das Moped, mit 18 Jahren ein voreheliches Verhältnis. Auch wir heute

leben in einer Anspruchsgesellschaft, in der man nicht bereit ist, einmal auf etwas zu verzichten oder nach höheren Werten zu fragen.

Auffälligerweise sind wir an dem Leben im qualifizierten Sinn wenig interessiert. Vielleicht haben wir sogar den Verdacht, das ewige Leben werde uns nur deshalb angeboten, weil wir um das zeitliche Leben betrogen werden sollen.

Aber Jesus will nicht, daß wir weniger Leben haben, sondern mehr. Allerdings genügt es nicht, daß wir das natürliche Leben nur immer mehr steigern. Es geht um ein ganz anderes Leben. So nach und nach erkennen die Menschen auch, daß man das haben müßte, wovon Jesus redet. Ob sie es wissen oder nicht: Die Menschen sind darauf angewiesen, was Gott ihnen zusagen und geben will. Nur besteht Gottes Gabe nicht unbedingt in dem, worauf w i r aus sind.

Wir brauchen etwas, was uns von Hause aus gar nicht in den Sinn kommt. Wir brauchen Gott, wir brauchen Christus! Doch das ist erst recht eine „harte Rede“: Jesus soll das von Gott gekommene Brot sein. Jesus schätzt sich doch zu „himmlisch“ ein, aber er gibt sich zu „irdisch“. Und er mutet uns zu, ihn selbst zu essen und zu trinken. Da kann man doch nur mit dem Kopf schütteln. Und ein Jude gar durfte gar kein Blut trinken und empfand den Genuß von Blut als ekelhaft.

Aber Jesus meint Folgendes: Wer Brot vom Bäcker ißt, wird immer wieder Hunger bekommen. Das Brot bringt das Leben nicht aus sich selbst hervor, sondern bedarf selber des Lebens, der Zufuhr von außen.

Man müßte aber Brot „vom Himmel“ haben, das heute schon das ewige Leben sichert. Dazu gehört aber, daß man mit Gott in eine personale Gemeinschaft kommt. Wir sind doch dazu geschaffen, sein Gegenüber zu sein. Das ist viel wichtiger, als uns immer nur mit der Fristung und Bereicherung unseres äußeren Lebens zu beschäftigen. Unser Leben beruht nicht

auf dem, was Jesus uns g i b t, sondern auf dem, was er uns i s t. In seiner persönlichen Zuwendung gibt Gott uns das ewige Leben. Dieses ist kein Luxusartikel, etwas, das auch ohne wesentlichen Schaden wegfallen könnte. Brot ist das Nötigste des Nötigen, vergleichbar nur mit Wasser und Atemluft. Es wäre ein Irrtum, ohne Jesus das „Leben“ haben zu wollen.

 

(2.) Das wahre Leben haben wir nur durch das Opfer Jesu: Das Brot, das Jesus ist, erlangt seine lebensspendende Kraft durch die Hingabe in den Tod. In dem großen Kreislauf der Natur muß ja auch das Weizenkorn erst in die Erde gelegt werden und sterben, damit Frucht daraus entsteht. Daraus kann man Brot machen, von dem wiederum andere leben können. Immer muß etwas hingegeben werden, damit anderes leben kann.

So ist auch Jesus das Brot, das für uns gegeben wurde. Er hat sich selber aufgegeben, damit wir leben können. Dabei war nicht erst sein Tod die Hingabe des Lebens, sondern seine ganze Zuwendung zu uns. Aber wird machen ihm oft das Herstellen der Gemeinschaft sehr schwer. Wir wollen ja eigentlich gar nicht i h n, sondern nur das, was er zu bieten hat. Zuletzt steht Jesus ja ganz allein da, nur die zwölf Jünger sind noch dabei, aber auch unter ihnen ist ein Verräter.

Jesus teilt nicht nur Brot aus, sondern er gibt sein menschliches Leben hin: „Das Wort ward Fleisch!“ heißt es am Anfang des Johannesevangeliums. Dabei hat er es auf die ganze Welt abgesehen. Aber das Leben aus Gott hat man nicht automatisch, sondern man muß es im Glauben annehmen. Das ewige Leben kann man nicht anders haben, als daß man zu Jesus kommt. Aber zum Glauben gerufen sind alle. Und für alle in der Welt hat er sein Leben gegeben.

 

(3.l) Das wahre Leben haben wir nur durch das Mahl Jesu: Die Gedanken nehmen noch einmal eine scharfe Wendung. Jetzt ist das Geben des Brotes ein Sakrament, eine heilige Handlung. Jetzt ist nicht mehr Jesus als Person das Brot, sondern man muß wirklich das Brot essen und das Blut trinken. Die Formulierungen am Schluß des Abschnittes deuten ganz klar auf das Abendmahl: „Das Brot ist mein Fleisch, dahingegeben für das Leben der Welt!“

Doch natürlich darf man nicht meinen, nun brauche man sich nur noch an Brot und Wein zu halten, dann habe man schon das Leben. Von Jesus, dem Herrn, kann man dabei nicht absehen. Er gibt die Speise zum ewigen Leben. Doch er sucht Verbindung zu uns auf verschiedene Art. Er tut es mit seinem Wort, er tut es aber auch mit Brot und Wein. Er bindet seine Gegenwart und sein unzerstörbares Leben an Brot und Wein. Dadurch will er uns zum Glauben helfen, damit wir nicht immer nur das Wort haben, sondern auch etwas zum Anfassen.

 

Das hat auch der Bäcker begriffen, von dem am Anfang die Rede war. Natürlich hätte er seine Kunden auch mit einigen tröstenden Worten abspeisen können. Das wäre ein Akt der Höflichkeit gewesen, vielleicht auch nur Ausdruck seiner Geschäftstüchtigkeit. Aber dem Menschen wäre nicht geholfen gewesen. Durch die Handlung, durch das gemeinsame Essen aber hat er sich auf die gleiche Stufe gestellt mit dem Mann, der Kummer hatte.  Ohne viele Worte zu machen hat er ihn getröstet, hat ihm wieder Hoffnung gegeben, hat ihm wieder das Leben ermöglicht, ein zufriedenes und erfülltes Leben. So hat Jesus auch gehandelt, so handelt er noch heute an uns.

 

 

Joh 7, 28 - 29 (Christvesper):

Vor Weihnachten wird immer sehr geheimnisvoll getan mit den Geschenken. Der Zubeschen­kende soll noch nicht erfahren, welche Überraschung da auf ihn wartet. Natürlich kann man sich auch über ein Geschenk freuen, von dem man schon vorher weiß - manchmal läßt sich das gar nicht vermeiden - aber die Überraschung ist größer, wenn man vorher nichts weiß. Und wer schon vorher die Pakete auspackt oder in allen möglichen Verstecken zu suchen beginnt, der bringt sich selber um etwas.

Diese Heimlichtuerei vor Weihnachten kann ein bescheidenes Gleichnis sein für das, was wir heute aus dem Johannesevangelium gehört haben. Diese Verse führen uns nicht in den Stall von Bethlehem oder auf das Hirtenfeld, sondern vor uns steht der Mann Jesus auf der Höhe seiner irdischen Wirksamkeit. Er spricht und wartet auf unsere Zustimmung. Wir sollen her­ausfinden, wer da eigentlich vor den Menschen steht und zu ihnen spricht.

Doch dieses Geheimnis ist nicht gleich jedem offenbar. Wir erleben hier nicht redliche Hirten, die betend vor dem Kind knien, sondern eher Menschen wie Herodes, der dem Kind nach dem Leben trachtet. Wir sollten es besser machen. Wir sollten erkennen: In Jesus haben wir das Einmalige vor uns, daß in einem Menschen Gott selber begegnet. Seitdem sind die Menschen nicht mehr unter sich, sondern Jesus ist sozusagen das Ursakrament, in dem Gott und Mensch eins geworden sind.

Ein Geburtstag ist immer auch Anlaß, über den Menschen nachzudenken, dessen Geburtstag gefeiert wird: Was bedeutet uns dieser Mensch, welche Rolle spielt er in unserem Leben, was verdanken wir ihm und was wünschen wir ihm? So könnten wir heute auch fragen: „Wer ist Jesus für uns?“

Die Jerusalemer haben sich diese Frage auch gestellt. Aber die Antwort war ihnen auch wiederum verstellt durch die landläufigen Messiasvorstellungen. Sie meinten, die Sache sei an sich klar: Wenn man die Herkunft eines Menschen kennt, dann kann er nicht der sein, in dem Gott sich offenbart. Ist er der Erwartete, dann muß um seine Person ein Geheimnis sein. Er muß wie ein Feuerwerkskörper aus einem unbekannten Dunkel aufrauschen. Bei Jesus aber gibt es kein Dunkel, man kennt seine Herkunft: Er ist Josephs Sohn. Er kommt aus Nazareth und nicht aus Bethlehem, wie es nach der Schrift sein müßte.

Aber es gehört mit zum Gehalt des Evangeliums, daß unser Herr ein ganzer Mensch gewesen ist, dessen Vater und Mutter und dessen Geburtstag und Geburtsort man angeben kann. Er ist geboren wie irgendeiner von uns. Aber er hat - anders als wir - ein Menschenleben in Armut, Unruhelosigkeit und Gefahr geführt. Heute wäre er vielleicht in Kalkutta geboren, einer der elendsten Städte der Welt. Ein Karl-Marx-Denkmal hat man dort errichtet. Aber davon werden die Hungernden nicht satt. Vielleicht kann Karl Marx der Heiland dieser Menschen werden. Wir jedenfalls haben einen anderen.

Doch dieser ist eben aufgewachsen wie irgendeiner. Nichts im Menschenleben wird ihm fremd sein: die Freude nicht, aber auch nicht Hunger und Durst, Schwachheit und Angst. Er wird geliebt und geehrt, aber auch gehaßt und verfolgt. Und zuletzt muß er sterben - grausam sterben. Aber so hat er mit uns geteilt, was das Menschendasein ausmacht.

Wir sollen ihn in seiner ganzen Menschlichkeit kennen. Er will uns in seiner ganzen Menschlichkeit nahe sein. Das macht uns ja Weihnachten so lieb: Wir haben einen Gott, der uns nicht aus unendlicher Entfernung anredet. Das möchten vielleicht viele, daß Gott nur irgendwo weit über dem Sternenzelt wohnt, damit man ihn sich vom Leibe halten kann. Unser Gott ist uns ganz nahegekommen, indem er einer von uns wurde.

Allerdings setzte er sich damit dem Mißverständnis aus, daß er n u r ein Mensch ist. Man könnte denken, sein ganzes Wollen und Wirken könne aus dem menschlichen Vermögen heraus begriffen werden. Wir würden dann an Weihnachten einen Großen der Weltgeschichte verehren, als einen gütigen und wahrhaftigen Menschen, der sich besonders der Vernachlässigten und Verachteten angenommen hat.

Er wäre aber nur ein Vorbild, der an unser Menschsein appelliert, damit wir die in uns liegenden Anlagen und Kräfte mobilisieren. Gott könnte dabei aus dem Spiel bleiben. An Jesus wäre nichts weiter, als daß er in bester Weise praktiziert,was Menschen sein und tun können.

Natürlich wollen wir auch die Ebene de s Menschlichen nicht außer acht lassen. Mancher wird den Zugang zu Jesus und dann zu Gott gefunden haben, weil Jesus so menschlich war. Aber es ist um diesen Jesus auch ein Geheimnis, das die Jerusalemer zwar ahnen, aber das sie doch an falscher Stelle suchen: Sie vermuten irgendwo eine Durchbrechung des normalen Laufs der Dinge.

Aber das Geheimnis des Christus ist nicht in einer Lücke des Menschlichen zu finden. Zunächst einmal ist bei Jesus das Menschliche und Irdische in keiner Weise durchbrochen, er ist ganzer Mensch geworden. Und doch ist ein Geheimnis um ihn. Aber es steckt in seiner ganzen Person. Man kann es nicht erkennen, wenn man nur das Äußerliche sieht. Im Grunde muß es uns von Gott selber aufgedeckt werden. Und deshalb haben die Engel gesagt: „Euch ist heute der Heiland geboren!“

Damit kommen wir auf die Frage nach dem Ursprung Jesu. Jesus sagt zunächst: „Ich bin nicht von mir aus gekommen!“ Er ist nicht ein Mensch unter Menschen, und sein Auftreten ist nicht auf eigenes Wollen und Entschließen zurückzuführen. Daß Jesus da ist, beruht auf dem Wollen eines anderen.

Der Name Gottes kommt in diesen zwei Versen nicht vor, er wird nur umschrieben. Dieser Gott ist in Christus in die Welt gekommen. Aber Jesus ist nicht nur sein Prophet und Herold, sein Beauftragter und Sprachrohr, sondern er ist in diesem Jesus selber in die Welt gekommen.

Im Lied heißt es: „Den aller Welt Kreis nie beschloß, der legt in Marien Schoß!“ Seitdem durchdringt die Wirklichkeit Gottes die ganze Welt. Jetzt haben wir es in jedem Augenblick und an allen Orten und in allen Dingen mit Gott zu tun. Besonders finden wir ihn in seinem Wort und in den Sakramenten. Dorthin sollten wir gehen, wenn wir Gott suchen und eine Hoffnung für unser Leben finden wollen.

Es gibt ein Bild von Ernst Barlach mit dem Titel „Der göttliche Bettler“. Es zeigt im Vordergrund groß einen Bettler, der die Füße mit Lumpen umwickelt hat und an Krücken geht. Er hat sich offenbar eine Treppe hinuntergequält, auf der sich viele Menschen Stufe um Stufe aufwärts gequält hatten und doch immer wieder herunterfielen. Sie haben längst aufgehört, mit Gott zu rechnen. Daß er in dem Bettler in ihrer Mitte ist, das erkennen sie nicht. Nach ihrer Meinung müßte er anders aussehen: strahlend, überwältigend, mit segnend erhobenen Armen.

Wir möchten vielleicht auch gern so einen Jesus haben. Im Mittelalter in der Zeit der Romanik hat man ihn als einen König mit einer Krone dargestellt, noch am Kreuz. Aber kann man sich vorstellen, daß man einem König sein böses Gewissen und seine Angst geben könnte? Einem Bettler aber kann man etwas geben, er erwartet ja, daß man ihm was gibt.

Einem göttlichen Bettler aber kann man alles geben. Natürlich nicht nur ein Almosen, sondern dieser Jesus will uns ganz. Deshalb wirbt er um uns mit seiner Niedrigkeit. Deshalb macht er sich so klein, damit wir uns trauen. Ein armseliges Kind ist er gewesen, ein Wanderprediger und ein geschundener Todeskandidat. Aber dadurch ist er uns auch so nahe gekommen, obwohl ein Geheimnis um ihn war und er göttlichen Ursprungs war.

Es ist eigentlich ein starkes Stück, daß Jesus den Jerusalemern und noch dazu im Tempel die Kenntnis Gottes abspricht. Sie sind das klassische Volk der Religion - und sollen Gott nicht kennen? Sie hätten doch alle Voraussetzungen dazu, Gott zu finden. Aber als er dann tatsächlich vor ihnen steht, sind sie drauf und dran, sich an ihm zu vergreifen, und eines Tages werden sie es wirklich tun. Das Kreuz steht dicht bei der Krippe.

Aber haben w i r denn begriffen, daß Gott Gemeinschaft mit uns auf du und du sucht? Er will doch nicht, daß es bei uns bei einem unverbindlichen Gottesbewußtsein bleibt. Mancher sagt ja: „Es ist schon möglich, daß es ein höheres Wesen gibt!“ Aber wer so spricht, der kennt Gott nicht. Gott darf für uns nicht zum im Grunde unbekannten Gegenstand unseres Fragens und Denkens werden.

Gott will uns vielmehr ganz konkret begegnen,, so daß er vor uns steht: sichtbar, hörbar, zum Anfassen. Gott ist dann nichtmehr Objekt unseres Wissens, sondern das uns anredende und uns ergreifende Subjekt. Vielleicht könnten wir das gerade dieses Jahr zum Christfest erfahren: Das Geheimnis Gottes ist durchbrochen durch Jesus. In ihm ist Gott einer von uns geworden. So kann er uns verstehen und helfen. Das kann uns froh machen und uns eine Zu­kunft eröffnen.

 

 

Joh 7, 37 - 39 (Exaudi):

Von uns hat wohl noch niemand richtigen Durst gehabt. Wenn wir einmal einen halben Tag nichts zu trinken hatten, dann ist das ja noch kein Durst. Eine Frau  hat einmal nach einer Operation sechs Wochen lang nichts trinken dürfen und erhielt nur über einen Tropf die notwendige Flüssigkeit. Erst dann hat man ihr eine Kanne Tee hingestellt. Die hat sie dann in einem Zug ausgetrunken. So etwas ist Durst, wirklicher Durst.

Aber eine andere Art des Durstes kennen wir wohl alle: den Lebensdurst. Wir wollen etwas erleben, wollen etwas vom Leben haben, wollen das Leben genießen. Wir haben Sehnsucht nach dem, was wir haben müßten, aber eben nicht haben. Und wir merken, daß eine Lücke klafft zwischen unsrer Bestimmung von Gott her und dem tatsächlichen Zustand unseres Lebens.

Da sind wir gespannt auf ein Familienfest, an dem wir uns wieder einmal so richtig freuen wollen und wo es wirklich gemütlich sein soll. Aber dann klappt es doch nicht, es ist alles nur Krampf, schließlich ist man froh, wenn die Arbeit wieder beginnt. Lebensdurst gibt es bei jungen Menschen, die sich von dem großen Kuchen ein möglichst großes Stück sichern wollen. Ihnen stehen ja noch alle Möglichkeiten offen, sie können sich noch viel leisten, sie wollen erst ihren Weg durchs Leben finden.

Lebensdurst haben aber auch alte Menschen. Wenn einer nicht mehr arbeiten kann, fühlt er sich abgeschoben. Er möchte noch am Leben der anderen teilnehmen, aber er kann niemandem mehr helfen und fühlt sich überflüssig. Einsamkeit ist dann wie der Tod.

„Durst“ kann man hier im weitesten Sinne verstehen. Für uns persönlich suchen wir Lebenssinn und Geborgenheit, wir wollen angenommen sein und Freude am Leben haben. Und für die Welt suchen wir nach Frieden und Gerechtigkeit. Im Grunde wissen wir alle, wie es sein müßte und daß es nicht so ist. Das ist Zeichen für den Lebensdurst, den wir doch alle irgendwie haben.

Jeder Mensch kennt in seinem Leben aber auch Durststrecken. Dann hat er keinen Schwung, die Gedanken drehen sich im Kreis, man erkennt nicht einmal den nächsten Schritt und Erfolge bleiben aus. Jesus kennt dieses Defizit an Leben und ruft: „Wen da dürstet, der komme zu mir!“ Und das sagt er ausgerechnet am Schlußtag und Höhepunkt des Laubhüttenfestes. Das war ein Tag der Freude und der Ausgelassenheit, wo alle Sorgen vergessen waren und wo man eine Art Karneval mit Wein, Weib, Gesang feierte.

Jesus will bewußt den Höhepunkt des Festes bilden. Aber es war vielleicht der unpassendste Augenblick für den Ruf des Glaubens. Wo Menschen fröhlich und ausgelassen sind, haben sie kein Ohr für die Frage nach dem Sinn des Lebens. Sicher hat Jesus der Ablauf des Festes empfindlich gestört.

An sich war es das Fest der Weinernte. Aber man erinnerte sich auch an die Wüstenzeit, in der Gott dem Volk immer wieder Wasser gegeben hat. Da ging er Priester zur Siloahquelle und bringt das Wasser zum Altar Gottes hinauf. Dort schüttet er es aus und erfleht von Gott reichen Regen für das kommende Jahr und darüber hinaus den ganzen Fruchtbarkeitssegen der Heilszeit.

In diesem feierlichen Augenblick, wenn es totenstill in der Menge ist und nur der Priester das Gebet spricht, muß Jesu Zwischenruf wie ein Protest empfunden werden. Aber Jesus wollte wohl auch protestieren. Er ruft: „Was macht ihr da? Ihr seid im Irrtum mit all eurer frommen Betriebsamkeit. Wasser gibt es nirgendwo anders als bei mir!“

Die Empörung ist groß, besonders bei den Priestern. Man singt: „Brunn alles Heils dich ehren wir!“ oder sonst so ein Lied. Und man weiß: Gott ist der Brunnquell aller Gnaden! Und nun will dieser Hergelaufene das Volk zu sich locken und sagt: „Bei mir allein erhaltet ihr das Wasser des Lebens!“

Aber Jesus erkennt: Diese Menschen haben trotz aller schönen Gottesdienste immer noch einen ungestillten Lebensdurst. Das ausgelassene Treiben ist vielleicht gerade Zeichen eines gar nicht bewußt wahrgenommenen Mangels: Man ist in Unruhe und Hast, hat Angst etwas zu verpassen, will sich etwas leisten können, man hat ein unersättliches Glücksbegehren, flieht aber oft in den Rausch und sucht dort das Entbehrte.

Diese Menschen kommen nicht los von sich selbst, sie sind immer noch im Trott ihrer ererbten Gewohnheiten. Gottesdienst gehört eben mit zum Leben dazu. Aber er kann den eigentlichen Durst nicht stillen. Er ist nur wie das abgestandene Wasser eines schmutzigen Dorfteiches und nicht wie das lebendige Wasser einer frischen Quelle.

Jesus will ihnen nicht beweisen, daß sie doch im Grunde auch Durst haben müßten. Wenn einer wirklich Durst hat, braucht man ihm das nicht umständlich klarzumachen. Aber Jesus deutet das ausgelassene Treiben dieser Tage als Zeichen eines Durstes, den sie aber nicht bewußt wahrnehmen. Er will nicht nur fragen, wenn es ihnen schlecht geht. Vielmehr fragt er gerade auf dem Höhepunkt der Freude und Fülle und will wissen, ob ihnen nicht doch etwas fehlt.

Jeder Mensch tut zwar vor sich und vor anderen so, als sei alles in Ordnung bei ihm. Er versucht die. Differenz zwischen Sollen und Sein zu verdecken und auszugleichen. Aber wenn er dann den Ruf hört: „Wen da dürstet!“ dann merkt er doch, daß er Durst hat. Das ist wie bei den Kindern: Solange sie spielen, fehlt ihnen nichts. Aber wenn man sie fragt: „Habt ihr Durst? Kommt, ihr könnt Sprudel haben!“ dann sagen sie bestimmt nicht „Nein“.

Das Schöne bei Jesus ist nur: Er hat tatsächlich etwas zu bieten. Wer sich an Leib und Seele seinem Einfluß öffnet, auf den werden Ströme des lebendigen Wassers fließen. Gottes Wille steht für jeden bereit; er muß sich nur für Gott öffnen.

Das bedeutet: Er muß andere Quellen verlassen. Er kann nicht noch einmal hier und da noch schnell einmal nippen, sondern er muß sich ganz auf Gott einstellen und auf ihn verlassen. Ein Arzt möchte ja auch, daß wir allein seinen Maßnahmen vertrauen und nicht noch alles Mögliche Andere nebenher probieren.

In geistlicher Hinsicht aber ist Gott unser Arzt. Er sorgt dafür, daß wir leben und glauben können. Sonst gilt ja die Regel: „Aus nichts wird nichts!“ Nur wer etwas hineinsteckt, kann auch etwas ernten. Aber beim Christwerden und Christsein sind solche Überlegungen falsch.

Man muß nicht „religiös veranlagt“ sein, um Christ zu werden. Und wenn man solche Anlagen mitbrächte, würden sie doch im Augenblick der Begegnung mit Christus zunichte. Den geistlich Armen gehört das Reich Gottes zuerst. Der Christ lebt nicht von dem, was er hat, sondern von dem, was er empfängt.

Am heutigen Sonntag denken wir daran, daß die Kirche vor Gott arm ist aus eigener Schuld und nichts bieten kann. Aber es kann der Kirche gar nichts Besseres widerfahren, als daß sie sich ihrer Armut bewußt wird. Sie kann immer nur um den Heiligen Geist bitten, der ihr an Pfingsten gegeben wurde.

Wer an Jesus glaubt, wird mit der Fülle Gottes überströmt werden. Er muß sich nicht mehr selber stark machen, um alles selbst zustandezubringen. Er braucht nicht mehr in der Sorge zu leben, er könnte im Leben zu kurz kommen und er müßte verbissen um sein gutes Recht kämpfen.

Wer an Jesus glaubt, der vertraut ihm. Er sagt sich: Was er mir gibt, wird das Beste sein. Ich kann unbefangen ja sagen zu der Situation, in die er mich stellt. Ich werde meine Kräfte nicht vergeuden, indem ich zu erzwingen suche, was mir doch versagt wird. Ich brauche nicht mit Gewalt und List mein vermeintliches Recht zu holen. Und ich brauche auch nichts für mein Ansehen zu tun.

Mein Ansehen besteht darin, daß Jesus sich meiner annimmt. Weil Jesus da ist, hat Gott trotz allem ungetrübte Freude an mir. Und Jesus ist da: Er ist nicht seit Himmelfahrt verschwunden, sondern hat an Pfingsten neu angefangen.

Wer an Jesus glaubt, empfängt nicht nur für sich selber Erquickung, sondern gibt sie auch an andere weiter, von ihm werden Ströme des lebendigen Wassers auf andere Menschen überfließen. Im Kloster Maulbronn im Schwarzwald gibt es einen Brunnen, der uns dieses Überfließen deutlich machen kann: Er besteht aus mehreren Schalen, die übereinander geordnet sind; nach unten zu werden die Schalen immer größer. Das Wasser fließt von der oberen Schale in die anderer hinein: keine Schale wird leer, aber jede gibt auch das empfangene Wasser weiter.

Wenn Gott uns den Heiligen Geist gibt, dann will er, daß wir ihn an andere überströmen lassen. Es gibt solche erquickenden Menschen, von denen Gottes Art auf andere Menschen übergeht. Man ist gern in ihrer Nähe. Sie verbreiten Fröhlichkeit um sich her. Sie strahlen Güte aus, sie wirken verbindend und versöhnend. In ihrer Nähe kann man schwer Böses denken, geschweige denn tun.

Man kann das für eine natürliche Veranlagung halten, die mit dem Christsein nichts zu tun hat. Und umgedreht gibt es auch viele Christen, die gerade nicht solche herzerquickenden Menschen sind. Aber wir dürfen auch nicht resignieren und sagen: „Ich bin nun einmal wie ich bin!“

Wir  h a b e n den Heiligen Geist doch von Jesus empfangen. Wenn wir ihn nicht hindern oder ableiten, wird er auf andere Menschen überströmen. Und wenn das alle tun, kann einer den anderen tragen und halten. Dann werden wir auch unsre eigenen Durststrecken am ehesten überwinden können.

Wir können sogar anderen helfen, auch wenn wir meinen, selber verdurstet zu sein. Gott betreibt seine Sache ja gerade mit unvermögenden Leuten. Es gibt natürlich auch die anderen Menschen, die „aus dem Vollen schöpfen“. Die meistern mit Eleganz, woran wir uns die Zähne ausbeißen. Solche Menschen können wir nur bewundern und vielleicht auch beneiden. Doch solche Menschen können nicht helfen und anspornen.

Da kann uns im Grunde nichts Besseres widerfahren, als daß wir uns unsrer Armut bewußt werden. Wer aus sich selber nichts vermag, der steht unter der Verheißung Gottes, daß er den Segen Gottes in die Welt hinein verströmen darf. Wir sind Arme, die aber doch viele reich machen!         

 

Joh 7, 14-18 (2. Sonntag nach dem Christfest):

In der Nazizeit wurde ein praktizierender Christ gefragt: „Woran glaubst du eigentlich?“ Er überlegte einen Augenblick und sagte dann einfach das Glaubensbekenntnis auf. Daraufhin fragt er den mit der anderen „Weltanschauung“: „Und was glaubst du?“ Der andere stotterte etwas verlegen herum und sagte dann: „In Berlin beraten sie noch darüber, aber wenn es dann raus ist, dann glaube ich ganz fest daran!“

Da haben wir es doch wirklich besser mit unserem jahrtausendealten Glaubensbekenntnis. Nur wäre es vielleicht noch besser, wenn man sich kurz und knapp auf das Wesentliche am Glau­bensbekenntnis beschränk­te. Da ist wieder Luthers Erklärung hilfreich. In Anlehnung daran könnte man sagen: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat. Ich glaube, daß Jesus Christus mich erlöst hat. Ich glaube, daß der Heilige Geist mich heilig macht!“ Und dann müßte man nur noch erläutern: „Heilig machen“ bedeutet „an Gott glauben können“.

Jesus wurde auch gefragt, was er glaubt und woher er seine Lehre hat. Und da sagt er ganz eindeutig: „Meine Lehre ist nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat!“ Er sagt gleich von vornherein, worauf es ankommt und versucht nicht, lange Erklärungen zu geben, um seine Gegner langsam an die Wahrheit heranzuführen.

Man könnte ja auch sagen: „Mach doch erst einmal mit einem anständigen Leben Ernst, dann wirst du mit der Zeit auch Verständnis für die Lehre gewinnen!“ Dahinter steht dann die Vorstellung: Gotteserkenntnis kann man grundsätzlich überall gewinnen. Ein Beispiel dafür könnte die Musik sein, Bach und Beethoven, aber vielleicht auch Abba oder Peter Maffay. Vielleicht bedürfe es doch gar nicht einer ausgeformten Religion mit einer klar umrissenen Bot­schaft und einem formulierten Glaubensbekenntnis.

Eine Kirchengemeinde hatte einer privaten Vereinigung von Senioren einen Raum im Gemeindehaus zur Verfügung gestellt. Die unterhielten sich dort, machten Spiele und tranken Kaffee, einmal im Monat gab es einen Busausflug. In einer Werbung für die Gruppe hieß es dann: „Wir sind konfessionsfrei!“ Doch das ist nicht der richtige Ausdruck. Denn das würde ja bedeuten, daß nur der kommen darf, der frei von jeder Konfession - von jedem religiösen Bekenntnis - ist. Dann hätte die Kirchengemeinde die Gruppe wohl kaum aufgenommen. Richtig muß es heißen: „Wir sind überkonfessionell“. Es spielt also keine Rolle, ob einer evangelisch oder katholisch ist oder sogar gar nichts ist- es kann jeder kommen. Dabei muß man aber bedenken, daß im Grunde jeder Mensch eine Konfession hat, ein Glaubensbekenntnis, auch wenn er gegen jede Religion ist. Wer keiner Religionsgemeinschaft angehört, der bastelt sich selber eine Weltanschauung zurecht, denn ohne das kann kein Mensch leben.

Natürlich sind wir überall auf den Spuren Gottes und auf irgendeine Weise in Kontakt mit ihm. Keiner kann sich herausreden, er habe von Gott nichts gewußt. Natürlich haben wir ihn nicht persönlich vor uns. Vielleicht wäre es auch gar nicht gut für uns, wenn wir uns als Sünder dem großen Gott nähern wollten. Aber er hat sich ja zu uns aufgemacht und will unsere Rebellion beenden durch Versöhnung und Vergebung. Nur weil er uns die Hand reicht, können wir zum Glauben kommen.

So ist für den Christen der Himmel seine Hochschule, Gott ist der ihn Berufende und Gottes Ehre sein Berufsziel. Keiner muß erst Theologie studiert haben, um über den Glauben Bescheid zu wissen, sondern jeder von uns hat einen unmittelbaren Zugang zu Gott.

 

1. Der Himmel ist die Hochschule:

Jesus redet von Gott, indem er sich auf die Schrift beruft. Offenbar ist er darin zu Hause! Er hat doch nicht studiert, er gehört doch nicht zu der Zunft der Schriftgelehrten? Er ist doch nur ein Laie, wie wir auch heute in der Kirche sagen. Bei den Synoden ist zum Beispiel festgelegt, daß nur ein Drittel der Mitglieder Pfarrer sein dürfen, die anderen sind „Laien“, zumindest auf theologischem Gebiet, denn sie haben nicht studiert. Aber Jesus macht deutlich, daß es nicht auf das Wissen ankommt, sondern auf den Glauben.

Allerdings müssen wir auch die Gefahr sehen, wenn die sogenannten „Laien“ das Zepter allein in die Hand nehmen wollen und sich dabei über die Pfarrer erheben. Das hat schon immer zum Abgleiten in Sondergemeinschaften geführt, sei es nun in der Landeskirchlichen Gemeinschaft oder in den Freikirchen oder in den ausgesprochenen Sekten wie den Neuapostolischen oder den Zeugen Jehovas. Sie wollen sich über alle Überlieferungen der Kirche hin­weg­setzen und wollen den Himmel direkt anzapfen.

Jesus aber stellt sich in die Glaubensgeschichte seines Volkes. Er sucht Gott nur in der Schrift und nicht anderswo. Nur legt er die Schrift anders aus als die Schriftgelehrten. Es ist kein Wunder, daß diese nicht mit ihm einverstanden sind. Auch wir heute wären mißtrauisch, wenn da plötzlich einer ganz anders redete und die Bibel auslegte als wir es gewohnt sind. Er kann damit durchaus recht haben, aber er kann sich auch auf einem Irrweg befinden und nur von der Wahrheit wegführen.

Die Wahrheit ist also der Maßstab und nicht das, was die Juden zum Vorwurf machen: „Du hast ja keine Vorbildung!“ Jesus kann darauf nur antworten: „Mein göttliche Herkunft ermöglicht mir das rechte Verständnis der Schrift!“ Dabei erinnert er sich nicht nur an seine Herkunft, sondern sie ist ihm ständig gegenwärtig.

Er kennt sich im Himmel und im Herzen des Vaters aus. Deshalb legt er nicht die Schrift aus, sondern er legt Gott aus. Er ist nicht ein besonders reich begnadeter religiöser Mensch, sondern er hat eine unmittelbare Gotteserkenntnis. Der Himmel ist also Jesu Hochschule.

Wir haben diesen unmittelbaren Zugang nicht. Aber wir können die Gotteserkenntnis durch Jesus gewinnen. Deshalb ist er uns nahegekommen, ist er Mensch geworden. Gott hat es uns leichter gemacht, an ihn zu glauben, indem wir auf das Wort Jesu hören. Dieses aber ist in der Heiligen Schrift niedergelegt. Er brauchte sie nicht unbedingt, aber w i r brauchen sie. Solange wir Gott nicht von Angesicht zu Angesicht sehen, ist die Schrift unentbehrlich, auch wenn sie uns manchmal rätselhaft bleibt.

So richtig dahinter kommen wird man wohl erst, wenn man sie ausprobiert. Wenn ich wissen will, was auf einer Kompaktdisk gespeichert ist, dann genügt es nicht, wenn man sich den Aufdruck oder die Speicherschicht ansieht, sondern man muß sie ins Gerät legen und abspielen. So machen wir es, wenn uns in der Weihnachtszeit mit der Werbung solche Platten zugeschickt werden mit Weihnachtsliedern: Nur wenn wir sie abhören wissen wir, ob sie nur solche Lieder enthalten wie „Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen“ oder ob echte Weihnachtslieder drauf sind wie „O du fröhliche“ [Eine CD mitbringen und vorzeigen].

 

2. Gott ist der Berufende:

Wer in der Kirche ein Amt übernimmt, das mit der Verkündigung des Wortes Gottes zu tun hat, der wird dazu berufen. Bei den Pfarrern nennt man diesen Vorgang „Ordination“, die als Voraussetzung unter anderem ein Universitätsstudium hat. Das soll verhindern, daß einer nur von sich selbst redet. Wer nur sein eigenes Sehnen und Ahnungen, seine angeblichen Erfahrungen mit Gott vorbringen will, der braucht keine Beauftragung. Aber der Verwalter der göttlichen Gnadenmittel braucht sie. Und er kann nur darum beten, daß er Gottes Willen erkennt und ihn richtig auslegt.

Jesus war kein Wichtigtuer, der sich selbst nach vorne spielt. Aber er ließ sich von Gott beauf­tragen, ließ sich von ihm ordinieren. Nur so konnte er Botschafter an Gottes statt werden. Natürlich gibt es keinen Beweis dafür. Auch Jesus ist mit seinem Anspruch schutzlos. Aber was er sagt, das ist von Gott. Man kann sich ihm anvertrauen, im Leben und im Sterben. Und das gibt auch Kraft, selber zum Verkündiger zu werden. Dazu braucht man keine Ordination wie die Pfarrer, sondern jeder Christ ist durch die Taufe ordiniert, ein Verkündiger des Wortes Gottes zu sein.

 

Jesus ist dafür das Vorbild. Er hat nicht Sachverhalte gebracht, die einfach gelehrt werden und die man mit dem Verstand aufnehmen muß. Es geht nicht darum, daß „überm Sternenzelt ein gütiger Vater wohnen muß“, sondern in Christus kommt dieser Gott und will engste Gemeinschaft mit uns aufnehmen. Es geht nicht darum, daß Sünden künftig erlassen werden, sondern es wird gesagt: „Dir sind deine Sünden vergeben!“ Es geht nicht darum, daß wir Erkennt­nisse über Gott gewinnen, sondern daß er zu uns gekommen ist und heute noch kommt.

 

3. Gottes Ehre ist das Ziel:

Jesus sucht nichts anderes, als daß Gott zu seiner Ehre kommt. Menschlicher Ehrgeiz hat in der Geschichte der Menschheit schon großen Schaden angerichtet. Auch die Kirche ist davon nicht frei. Auch manche Pfarrer haben eine widerliche Geltungssucht und haben vergessen, daß wir alle Sünder sind und nur aus Gnade gerechtfertigt werden. Aber so etwas kann man auch bei Laien finden. Da übernimmt einer den Vorsitz im Kirchenvorstand und meint nun, er sei der „Herr Kirchenvorsteher“ und könne schalten und walten, wie er will, viel stärker, als der Pfarrer als Vorsitzender es jemals gewagt hätte.

Wenn es so kommt - bei einem Pfarrer oder einem Laien - dann verleugnet man das, was man predigt oder in der Ordination versprochen hat. Wer groß dastehen will, sich wichtig macht, immer Recht haben will gegenüber Menschen und gegenüber Gott, der rühmt nur sich selber und gibt Gott nicht die Ehre. Er sagt nur: „Ich danke dir Gott, daß ich nicht bin wie die anderen Leute!“

Jesus gibt da ein anderes Vorbild ab. Er erniedrigte sich bis zur Sklavenarbeit. Sein ganzes Leben und Wirken war ein Opfer. Alle Trümpfe, die er in der Hand hatte, warf er weg. Aber dadurch hat er es vermieden, sich so vor Gott zu stellen, daß er dessen Ehre verdeckt, auch wenn er an sich auch Ehre verdient hätte. Er beugt sich vor dem Vater, indem er sagt: „Geheiligt werde dein Name“. Aber einem solchen, der nicht auftrumpfte, sondern sich opferte, dem können wir uns gern anvertrauen.

 

 

Joh 8, 3- 11 (4. Sonntag nach Trinitatis):

Wie stehen wir zu Menschen, die die bestehenden Normen ablehnen und aus ihnen ausbrechen wollen? Wir wollen dieses biblische Beispiel nicht gleich verengen auf den Bereich des sechsten Gebots. Es gibt auch andere, mit denen wir nichts zu tun haben wollen. Für machen genügen schon die langen Haare, um einen abzulehnen. Gammler oder gar Punker ein wahrer Bürgerschreck und haben jedenfalls in der Kirche nichts zu suchen. Aber wir haben sicher auch unsre Vorurteile gegenüber Nicht-Getauften oder Nichtkonfirmierten.

Es gibt eben Menschen, die eine andere Lebensauffassung haben als die offizielle gewünschte oder als die von den Menschen wirklich vertreten wird. Damit müssen wir rechnen, das müssen wir aushalten, da müssen wir uns überlegen, wie wir uns dazu stellen wollen. Es ist nicht immer leicht, einen anderen anzunehmen, wie er ist, vor allem wenn er den eigenen Vorstellungen widerspricht. Geben wir wirklich jedem die Freiheit und die Möglichkeit, als ein Mensch zu leben?

Oder haben wir Vorurteile und versuchen jeden in ein bestimmtes Schema zu pressen? Vielfach wird das ja in unserer Gesellschaft versucht, die Menschen nach dem bestimmten Bild zu formen. Sollten wir als Christen da nicht mehr Freiheit geben und dem Anderen den Lebensraum einräumen, den er halt braucht?

In einem Buch steht zu dieser Erzählung, der Leser würde doch sofort Partei ergreifen für diese Frau. Die Strafe ist doch zu grausam, daß sie eine Stunde des wirklichen oder vermeintlichen Glücks mit dem Leben bezahlen soll. Sie hat vielleicht nur einmal eine Stunde des Versagens und der Schwachheit erlebt, und nun soll sie so hart dafür büßen? So etwas fordere doch unser Mitleid heraus, weil wir da heute großzügiger denken.

Aber vielleicht denkt man doch strenger und unbarmherziger. Gerade wenn man - zumindest nach außen - einen hohen Maßstab an sich selber legt, der wird ihn auch dem anderen auferlegen wollen. Wenn ich schon nicht darf, dann soll der andere auch nicht dürfen! Und wenn er es doch tut, dann muß ihn die ganze Härte des Gesetzes und die Verachtung der Menschen treffen. Warum soll anderen erlaubt sein, was mir selber verboten ist? So denken wir doch im Grunde alle.

Diese Geschichte wurde interessant in einer Zeit, als man sich in der Kirche fragte: „Soll man sich etwa mit der Sünde abfinden?“ Offenbar hatte auch ein Umschwung stattgefunden von der Vergebung zur Verurteilung des anderen. Da fragte man danach, wie denn Jesus mit dem sündigen Menschen umgegangen ist. Da fügte man eine solche Geschichte ins Johannesevangelium ein, um zu schildern, wie in der Gemeinde Jesu die Sünde zu ahnden sei.

Die Ankläger stellen allerdings keine echte Frage. Für sie ist das Urteil ja klar: „So steht im Gesetz des Mose geschrieben und so wird verfahren!“ Aber sie wollen Jesus eine Falle stelle - und wollen ihr unmöglich machen: Widerspricht er ihrem Urteil, dann kann man ihn als Verächter des Gesetzes festnageln, dann kann man ihm vorwerfen, ein Beschützer der Sünde zu sein. Stimmt Jesus aber ihrem Urteil zu, dann ist er nicht mehr der Heiland der Sünder und vor seinen Anhängern bloßgestellt, dann könnte man sagen: Im Ernstfall steht er doch nicht zu seiner Barmherzigkeit.

Jesus gibt ihnen die Antwort, auf die sie warten, aber er macht ihre Falle zunichte. Er bestätigt die Schuld der Frau. Er stellt ihnen sogar frei, den Urteilsspruch selber auszuführen. Aber er sagt: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“

Die Ankläger müssen sich auch selber dem Urteilsspruch des Gesetzes unterwerfen. Vielleicht haben sie nicht auf die gleiche offene Art und Weise gesündigt. Aber Gott verdammt auch Begierde und schlimme Gedanken, Grausamkeit und Lieblosigkeit gegenüber dem anderen.

Die theoretische Streitfrage wird so unter der Hand zu einer Existenzfrage. Meinten die Ankläger eben noch, sich die Sache vom Leib halte zu können, so werden sie nur gewissermaßen selber davon angesprungen. Jesus, den sie eben noch aus dem Sattel heben wollten, wird nun selber zum Angreifer.

Und da wird deutlich Nach dem Gesetz ist keiner in Ordnung. Wir sind alle Sünder und dürfen einander nicht verurteilen. Am heutigen Sonntag geht es um die Gemeinde der Sünder, die nur von Gott freigesprochen werden kann. Denn das wollen wir ja auch sagen: Gerade in Ehesachen sind unsre oft freizügigen Auffassungen vom Glauben her nicht vertretbar. Wir können vielleicht Verständnis dafür haben, daß ein Mensch einmal eine schwache Stunde hat. Vielleicht ist ihm in der Ehe das erhoffte Glück versagt geblieben, vielleicht hat er sich in den Menschen getäuscht. Wir müssen die Macht der Versuchung mit einkalkulieren.

Aber sollen wir die Normen ändern, nur weil es alle so machen? Soll man über die eheliche Treue anders denken, nur weil es so viele Ausbrüche aus der Ehe gibt? Wenn viele etwas falsch machen, wird es noch nicht richtig, und es ist auch kein Grund, es zu dulden. Jesus ermäßigt die Forderungen Gottes nicht und gibt nicht für die Sünde grünes Licht. Aber er entzieht den Anklägern das Recht, einem Menschen im Namen Gottes das Leben abzusprechen oder auch nur ihn von den anderen zu isolieren, weil er schuldig geworden ist.

Die Sünde der Frau wird nicht geschmälert. Jesus verharmlost die Sache nicht und sagt nicht: Das ist nicht so schlimm, die anderen tun das ja auch! Die Schuld wird nicht vertuscht, sondern offen genannt. Aber es geht nicht darum, daß einem Gesetz Genüge getan wird, sondern daß einem Menschen in auswegloser Situation eine Hilfe angeboten wird. Das Leben dieser Frau wird nicht zerstört, sondern Jesus ermöglicht ihr einen neuen Anfang und gibt ihr neue Möglichkeiten zum Leben.

Wir wollen die Ankläger nicht abwerten. Sie sind wirklich Hüter der Ordnung. Wie anders sollte in einer Gemeinschaft das Leben geschützt werden als durch Ordnung? Nur ist Ordnung nicht Selbstzweck, sie darf nicht zur Vernichtung des Lebens führen. Es mag sein, daß diese Ankläger wirklich eine bessere Gerechtigkeit haben, nach bürgerlichen Moralbegriffen bessere Menschen sind. Aber das gibt ihnen noch lange nicht das Recht, lieblos über andere zu urteilen. Vielleicht haben sie es nur leicht gehabt, ohne Strafpunkte über die Runden zu kommen. Vielleicht waren sie nicht solchen Versuchungen ausgesetzt und haben nicht unter so ungünstigen Bedingungen laufen müssen wie diese Frau.

Jesus hebt diesen ganzen Zusammenhang zwischen Sünde und Gesetz, Urteil und Strafvollzug aus den Angeln. Er ist an all diesen Fragen und Maßnahmen nicht interessiert, weil er in ganz anderen Zusammenhängen denkt. Für ihn ist wichtig, daß das Reich Gottes kommt. Da entsteht eine neue Welt. Was will man da noch eine arme Schuldiggewordene zu 'Tode steinigen und über das Recht diskutieren? Jetzt schlägt doch eine ganz andere Stunde!

Jesus blickt einfach nach unten und schreibt mit dem Finger in den Sand. Er beachtet die Ankläger nicht mehr und gibt ihnen damit die Möglichkeit, unauffällig fortzugehen. Schweigend nehmen auch sie Jesu Verzeihen in Anspruch. Und so kann auch Jesus dieser Frau dasselbe Verzeihen gewähren. Er tat das nicht, damit sie weiter sündigen konnte, sondern um ihr einen neuen Anfang zu ermöglichen.

Jesus ist der Einzige, der tatsächlich ohne Sünde ist und deshalb der ersten Stein werfen dürfte. Aber er sagt nur ganz schlicht: „So verurteile ich dich auch nicht!“ Die anderen Richter waren nicht zuständig. Sie sind selber Sünder und dem Gericht Gottes verfallen und können deshalb keine Richter sein. Sie können es aber auch nicht sein, weil mit dem Kommen Gottes sowieso das Ganz - Andere anbricht.

In Gottes Reich aber werden die Sünder angenommen und freigesprochen. Dabei spielt keine Rolle, gegen welches Gebot man verstoßen hat.

Jedes wiegt gleich schwer. Urd wir sollten nicht nur das sehen, was man allgemein als erste Sünde ansieht, nämlich was mit Ehe und Ehebruch zu tun hat. Vor allen Dingen macht Jesus auch deutlich, daß Männer und Frauen hier in gleicher Verantwortung stehen. Denn seit den Juden bis heute hat sich bei vieler doch so die Meinung erhalten, daß sich Männer auf sexuellem Gebiet mehr erlauben können als Frauen. Das aber geht seit Jesus nicht mehr. Jesus verzeiht bedingungslos. Welche Vorleistung hätte die Frau auch erbringen können? Es ist allein die große Barmherzigkeit und Sünderliebe Gottes, die eine Verlorene rettet. Aber sie wird auch gleichzeitig verpflichtet: Sie soll in Zukunft nicht mehr sündigen. Das ist nur nicht eine noch nachträglich zu erfüllende Bedingung für den Freispruch. Sie soll vielmehr sagen: „Der hat mir das Leben gerettet und mich von meiner Schuld entlastet, jetzt will ich auch für ihr leben!“

Die große Barmherzigkeit Gottes, wie Jesus sie praktiziert, verändert das Leben, auch unser Leben. Wir dürfen erfahren, daß Gott uns angenommen hat. Aber wir sollten auch bereit sein, den anzunehmen, der ein Sünder ist wie wir.

 

 

Joh 8, 12 - 16 (Christfest II, Version 1):

Der römische Kaiser Aurelian hat im 3. Jahrhundert das „Fest der unbesiegten Sonne“ auf den 24./25. Dezember festgelegt. Das ist kurz nach der Wintersonnenwende, wenn die Sonne wieder ihren Siegeslauf gegen Dunkel und Kälte beginnt. Dieses Fest hat wohl großen Anklang gefunden, weil es mit dem Jahreslauf verbunden war. Wer würde sich nicht freuen, wenn die Tage wieder länger werden und alles wieder auf den Frühling hinausläuft.

Auf dieses volkstümliche Fest ist die christliche Kirche eingegangen, als sie im 4. Jahrhundert den 24. /25. Dezember zum Geburtstag Christi erklärte. Damit hat sie die Gedanken und Ge­wohnheiten der Menschen aufgenommen und ihnen einen christlichen Sinn gegeben. Aber gleichzeitig hat sie auch gesagt: Nicht der römische Kaiser, sondern Christus ist die wahre Sonne.

Richtig deutlich wurde das allerdings erst am Wirken des erwachsenen Jesus. Wir werden heute am zweiten Feiertag nicht mehr in den Stall geführt, sondern in die Öffentlichkeit. Heute geht es nicht mehr um ein andächtiges Betrachten von geschnitzten oder gemalten Figuren, sondern um den Mann, der gesagt hat: „Ich bin das Licht der Welt!" Dieses Licht ist wie die Sonne, wie ein Röntgenstrahl oder wie ein Weihnachtstransparent.

 

Das Licht der Welt ist wie die Sonne: Wir können heute gar nicht mehr so nachempfinden, welches Grauen vor dem Dunkel der Nacht die Menschen früher hatten. Finsternis war der Inbegriff des Unheimlichen und Bedrohlichen. Man ersehnte den Sieg des Lichts mit der gleichen Inbrunst, mit der man alle Morgen den Sonnenaufgang begrüßte.

Bei uns dagegen macht das elektrische Licht die Nacht zum Tag. Eine beleuchtete Großstadt ist zwar noch nicht taghell, auch nicht in der Weihnachtszeit. Aber sie ist doch weit von der Finsternis entfernt, die unsre Vorfahren als etwas Grauenhaftes empfanden. Ein Fußballspiel wird heute unter „Flutlicht“ ausgetragen. Und letztendlich haben wir in der Atombombe sogar ein Licht zur Verfügung, das heller ist als tausend Sonnen.

Vordergründig gesehen kann Christus also nicht mit den vielen anderen Lichtern in der Welt konkurrieren. In der Zeit des Kienspans und der Öllampen war der Christbaum mit seinen vielen Kerzen noch ein Hinweis auf die strahlende Helligkeit, die Christus verbreitet. Unsre heutige Beleuchtungstechnik aber hat den Christbaum weit überholt.

Dennoch haben viele Menschen den Christbaum lieber als alles andere Licht. Er schenkt uns zwar nicht den hellsten Schein, aber den schönsten. Die Neonlampen geben nur ein nüchternes und kaltes Licht. Aber die Kerzen, die echten Wachskerzen, strahlen Wärme und Geborgenheit aus, bei ihnen ist uns wohl.

Wir können auch den Vergleich mit dem Sonnenlicht heranziehen. Zwar kann die Sonne auch ein gleißendes Licht abgeben und sogar stechen. Aber in der Hauptsache ist sie für uns doch der lebensspendende Stern. Wenn die Strahlung der Sonne plötzlich aufhörte, wäre es in kürzester Frist um alles Leben geschehen. Leben ist nur da, wo Licht und Wärme ist. Wenn eine Pflanze kein Licht mehr erhält, vegetiert sie dahin und geht schließlich ein. Und wenn einer krank ist und lange nimmt mehr an die Sonne kam, wird er blaß; aber gerade da ist er wieder besonders anfällig für Krankheiten.

Wer aber Jesus gefunden hat, der ist in den Lichtraum eingetreten, wo das Streben nach Un­abhängigkeit von Gott überwunden ist. In seiner Nähe dürfen wir uns sicher wissen und es wird uns warm ums Herz werden. Da lassen wir uns hinein holen in die beglückende Gemeinschaft mit Gott, in der wir unser Leben haben. Es heißt nicht: „Wer Christus nachfolgt, der     s o 1 1 das Licht des Lebens haben!“ sondern es heißt: „Wer ihm nachfolgt, w i r d das Licht des Lebens haben!“

Dieses Licht ist mehr als alle anderen Lichter der Welt. Es geht dabei nicht um ein Licht mehr oder weniger, nicht um einen Wettbewerb nach dem hellsten Licht. Es geht um die grundsätzliche Entscheidung: Licht oder Finsternis. Entweder man ist ganz im Dunkel oder man ist ganz im Licht. Das Licht bringt es an den Tag, oder: Die Sonne bringt es an den Tag.

 

Das Licht der Welt ist wie ein Röntgenstrahl:

Wer im Dunkeln tappt, hat keinen Durchblick. Er wird anfällig für das Widergöttliche, das die Bibel „Sünde“ nennt. Das Leben aber in der Sonne Gottes ist erst das wahre, volle Leben. Dorthin will Jesus Christus uns führen.

Es gibt aber Leute, die behaupten genau das Gegenteil: Der Glaube verdunkle nur die Erkenntnis, hell könne es nur werden, wenn man sich davon losmacht. Sicher hat es Glaubenskriege und die Unterdrückung wissenschaftlicher Erkenntnisse gegeben. Doch Jesus will, daß es hell wird. Und wir sollen bei der Erhellung der Welt mithelfen, vor allem dabei, daß es in der Welt etwas menschlicher zugeht.

Christen sind nicht weltfremd, sondern sehen die Welt und die Menschen im Lichte Gottes realistisch. Sie machen sich nicht mehr so viele Illusionen über das Gute im Menschen, wie das weltliche Heilslehren meist tun. Man muß sehr viel glauben, wenn man deren Heilslehren bejahen will. Da tut man sich im Grunde leichter mit dem Glauben an Gott. Doch das erkennt man erst, wenn man an Gott glaubt. Durch ein helles Licht werfen die Ge­genstände erst scharfe Schatten, dann erkennt man erst so richtig, was vorher an Hindernissen alles so da war. Es ist ganz gut, wenn Licht in die Dunkelheit kommt, um Gut und Böse zu unterscheiden. Gottes Licht durchdringt unser Innerstes wie eine Röntgenstrahlung.

Jesus durchschaut uns in der Tiefe mit den Augen Gottes, so wie auf einer Röntgenplatte eine verborgene Krankheit ans Tageslicht kommt. Es wird alles aufgedeckt, was sich im Dunkel versteckt und getarnt hat. Es gibt keine unausgeleuchtete Ecke mehr, in der man Zuflucht finden könnte. So kommt ja auch die Polizei dem Verbrecher auf die Spur, indem sie Scheinwerfer oder Leuchtkugeln einsetzt. Jesus bringt auch Licht in unseren Fall. Sich von Jesus durchschaut wissen, ist schon heute das Gericht, da entscheidet sich schon heute, was am Ende sein wird.

Dennoch sagt Jesus: „Ich richte niemand!“ Seine Gegner urteilen nach menschlicher Weise und verurteilen deshalb auch. Jesu Urteil ist zugleich das des Vaters. Er schaut aber nicht nur in die Tiefe, um zu verurteilen, sondern er ist ja gekommen, um die Welt zu retten. Er will sie nicht der Verlorenheit überlassen, sondern sie ins Leben „zurücklieben“. Er tritt der Finsternis nicht mit Finsternis entgegen, sondern scheint in die Dunkelheit hinein und macht sie wieder hell.

Vor dem „Ich-bin- Wort“ Jesu hat einer die Geschichte von der Ehebrecherin eingefügt, die gesteinigt werden soll, bis Jesus zu ihren Anklägern sagt: „Wer unter euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein!“ Die Frau kann ihre Schuld vor Jesus nicht verbergen. Aber er erkennt auch, daß sie Hilfe und wahres Leben braucht. Jesus deckt schon auf. Er ist nicht nur ein Stimmungsmacher für die Weihnachtsfeiertage, sondern schon der Richter.

Aber er richtet anders als seine Gegner. Sein Urteil ist gerecht. Auf einmal sind die Rollen vertauscht: Sie haben ihn anklagen wolle; aber jetzt werden auch sie von ihm beurteilt und vor die Entscheidung für oder gegen das Licht gestellt. Sie werden auch eingeladen, in den Lichtkreis Jesu zu treten.

 

Das Licht der Welt ist wie ein Weihnachtstransparent: Ist es denn wirklich heller geworden, seit Jesus auf die Erde kam? Wieviel Unheil haben doch gerade Menschen, die Christen sein wollten, über die Erde gebracht? So wird doch verschiedentlich eingewandt.

Aber dieser Vorwurf trifft nicht Jesus, sondern uns selbst. Wie wenig leuchtet doch aus uns selbst das Licht Christi. Wir lassen uns zwar von diesem Licht anleuchten, aber wir werden dadurch nicht verwandelt.

Ein Mensch kann natürlich immer nur Schaltstelle sein für das Licht Gottes, so eine Art Spiegel, der das empfangene Licht dann weitergibt an andere. Wir sollten uns selber als eine solche Schaltstelle zur Verfügung stellen. Gerade in dieser Advents- und Weihnachtszeit braucht vielleicht mancher Mensch unsre Liebe, braucht ein wenig Licht in seinem Alltag, braucht jemanden, der ihm wieder Mut macht. Alleinstehende Menschen spüren in dieser Zeit ihre Einsamkeit besonders. Aber mit wenigen Mitteln läßt sich hier viel erreichen: ein Besuch oder eine Einladung kann hier viel Freude bringen.

Wir können auch den Vergleich mit einem Weihnachtstransparent ziehen. Es leuchtet nicht aus sich selbst, sondern durch die Kerzen, die dahinterstehen. So erhalten wir als Menschen unser Licht auch nur von Gott. Wir brauchen es nur durch uns hindurch zulassen und weiterstrahlen zu lassen.

Wir dürfen darauf vertrauen, daß Christus viel Licht hat. Es kommt durch uns hindurch zu anderen Menschen, damit es auch bei denen etwas hell werden kann. Es ist nicht immer leicht, die Liebe Gottes auch zu leben. Aber wir dürfen uns doch freuen, daß soviel sie zu verwirklichen trachten,

Wer sich von Jesus bescheinen läßt, der wird auch die Kraft erhalten, anderen zu helfen. Und wer anderen hilft, der wird dabei auch für sich selber viel gewinnen und wird so ganz nebenbei auch viele seiner Probleme einer Lösung zuführen.

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Nicht eingegangen wurde auf die Frage nach der Legitimation Jesu: Man wirft ihm vor, er sei nur sein eigener Zeuge, da könne ja jeder behaupten, er komme von Gott. Das ist Größenwahn und Hochstapelei und empörend für einen, der das erste Gebot ernst nimmt. Doch ein Beweis für die Richtigkeit dieser Aussage Jesu kann nicht erbracht werden. Man kann ja auch nicht den Wert eines Kunstwerks (Bild oder Plastik) nach dem Gewicht feststellen. Man muß das Werk ansehen und kann dann beurteilen, ob es Kunst ist oder nicht. So muß man sich auch erst mit Jesus einlassen, dann wird sich das Geheimnis seiner Person von selbst erschließen, von innen her (vgl. auch Voigt, S. 54).

 

Andacht: (Version 2)

In einem Gespräch ging es um das Böse im Menschen. Ein Psychologe meinte: „In der Kirche wird der Mensch in zwei Hälften zerteilt, eine gute und eine böse. Die böse Seite kommt vom Teufel; sie ist im Grunde unmenschlich und muß deshalb ausgeschieden werden. Dazu arbeitete man früher mit Teufelsaustreibungen und Hexenverbrennungen!“

Diese Sicht des Menschen sei aber völlig, falsch, wenn nicht sogar gefährlich, meinte der Psychologe. Der Mensch dürfe das Böse in sich nicht verteufeln, sondern müsse es mit in seine Persönlichkeit aufnehmen: Wenn es den richtigen Stellenwert innerhalb der Gesamtpersönlichkeit hat, kann es nicht gefährlich werden, weil es von den guten Seiten überlagert wird.

Aber hier ist das christliche Menschenbild nicht richtig gesehen. Im Johannesevangelium steht: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben!“ Wenn irgendwo in der Dunkelheit ein Licht aufleuchtet, dann wird dadurch doch nicht die Dunkelheit überhaupt beseitigt. Sie wird nur an einer Stelle zurückgedrängt und überlagert, sie wird überboten und nicht beseitigt.         

Und so ist auch Jesus wie ein Licht in die Welt gekommen. Aber das bedeutet nun nicht, daß wir so tun könnten, als gäbe es nichts Böses mehr in der Welt. Jesus selber hat ja unter dem Bösen gelitten und ist ihm am Ende sogar scheinbar unterlegen. Aber er hat das Böse in der Welt doch eingedämmt, nämlich bei den Menschen, bei denen er Glauben fand.

Deshalb kann man auch nicht sagen, das christliche Menschenbild sei unrealistisch. Wir gönnen nicht leugnen, daß auch ein Christ Böses tut. Aber wir sind nicht ohne Hoffnung, daß wir das Böse in seine Schranken weisen können. Dazu hat Christus sich ja zu den Menschen begeben, um ein Licht in ihre Dunkelheit zu bringen und ihnen wieder Mut zu machen, gegen das Böse in sich selber und in der Welt vorzugehen.

Viele allerdings erhoffen sich nichts von ihm, sondern suchen anderswo ihr Heil. Das hat schon Jesus an sich selber spüren

Müssen. Sie glauben seinem Zeugnis nicht. Er kann sich da nur auf Gott berufen und auf seine enge Gemeinschaft mit ihm. Entweder man erkennt diesen Gott an und damit auch Christus und dann wird man Hilfe erfahren. Oder man lehnt Gott ab, dann muß man versuchen, sich allein durchs Leben zu schlagen.

 

 

Joh 8, 21 - 30 (Reminiszere):

Wenn ein Mensch sich das Leben nimmt, dann ist das ein schreckliches Geschehen. Was muß alles geschehen sein, ehe ein Mensch zu diesem letzten Mittel greift? Was muß er alles unternommen haben, um doch noch einen Ausweg zu finden? Hat es denn gar keine andere Lösung gegeben, denn Selbstmord ist ja keine Lösung?

Aber auch die Menschen in der Umgebung - die Verwandten und Freunde - fragen sich: Was haben wir versäumt? Hätten wir uns nicht doch mehr einsetzen müssen, um diesen Schritt zu verhindern? Warum haben wir nichts gemerkt. warum haben wir die Warnzeichen nicht wahr­genommen? Sind wir vielleicht mit daran schuld?

Kommt uns Jesus von Nazareth nicht manchmal auch wie ein Selbstmörder vor? Er wußte

doch, was ihn in Jerusalem erwartete. Schon auf dem Weg nach dort belästigen ihn seine Gegner. Sie wissen nichts von dem Auftrag Jesu, sie können in ihm nur den fehlgeleiteten Spinner sehen, der sein Leben unnötig gefährdet, wenn er nach Jerusalem geht. Er kann dabei nur scheitern, er ist ein Selbstmörder.

Selbstmord galt bei den Juden als die schwerste Sünde. Höchstens aus patriotischen Gründen durfte man das tun, etwa als sich jüdische Kämpfer in der Festung Massada selbst töteten, weil ihr Kampf gegen die Römer aussichtslos war. Aber ansonsten war Selbstmord die Verbannung in die Hölle, ewiger Tod. Jesu Gang nach Jerusalem muß seinen Gegnern so vorgekommen sein wie der letzte verzweifelte Schritt eines Irren, der sich selbst festgefahren hat und nun keinen Ausweg mehr sieht.

Die „Juden“ sind im Johannesevangelium natürlich nur Beispiel für die Menschen, die nicht

an Gott glauben. Dazu können auch wir gehören - zumindest teilweise. Schütteln wir nicht auch manchmal den Kopf über den Tod Jesu? Fragen wir nicht auch: „Mußte das sein?“ Wäre er nicht besser in Galiläa geblieben, bei den einfachen Menschen vom Land. wo viele an ihn glaubten und ihn sogar verehrten, anstatt in das feindliche Jerusalem zu gehen. wo die Gebildeten ihr eigenes Gottesbild hatten und einen Konkurrenten vernichten wollten?

Wird hier nicht wieder einmal einer das Opfer von Unmenschlichkeit? Wir sehen in ihm einen unglücklichen Menschen, der das Opfer menschlicher Sünde wurde. Und besonders tragisch daran ist, daß dieser Jesus dabei noch der Meinung war, er vertrete die Sache Gottes und handle in Gottes Auftrag. Das Kreuz, das am Ende des Weges Jesu steht, kann uns eigentlich nicht zum Glauben an Gott ermutigen, sondern uns nur an Gott und an Jesus irre werden lassen. Etwas von diesen verständlichen Zweifeln und von diesem Unglauben steckt wohl in uns allen drin.

Das Johannesevangelium aber will uns sagen: Das Leiden kommt nicht so einfach über ihn, so daß er dabei nur willenloser Spielball dunkler Mächte wäre, sondern Jesus ist selber aktiv und geht bewußt in sein Leiden und Sterben. Er sagt nicht: „Ich werde jetzt nach Jerusalem getrieben!“- sondern er sagt: „Ich gehe hinweg!“ Er kommt nicht unter die Räder, sondern er ist selbst der Handelnde. Jesu Passion ist Aktion!

Das Johannesevangelium spricht etwas doppeldeutig von „Erhöhung“: Vordergründig ist damit gemeint, daß Jesus ans Kreuz geheftet wird und dieses dann aufgerichtet wird. Aber in Wirklichkeit wird Jesus dabei zu Gott erhöht, wird er der Himmlische.

Das soll nicht heißen, daß er erst durch seinen Gehorsamstod zu etwas würde, das er vorher nicht war. Als der Gottessohn ein Mensch wurde, hat er nicht aufgehört, Gott zu sein. Sein Menschsein wird dadurch nicht entwertet. Doch bei der Kreuzigung war Jesus nicht bloß ein

Mensch. Und er wurde nicht erst durch seine „Erhöhung“ zum Himmlischen, das Gottsein ist nicht etwas, das Jesus erst nachträglich beigelegt wurde: Jesus war auch auf Erden dem Bereich Gottes zugehörig.

Wenn er den irdischen Schauplatz verläßt, dann wird er kein anderer, als der, der er von Anfang an war. Er hat nie aufgehört, der Himmlische zu sein, aber er hat sich tief mit dem Irdischen verbunden. Doch er geht unangefochten durch den Tod, sieghaft und jubelnd. Am Ende geht er nur dorthin, von woher er gekommen ist. Passion ist Heimkehr!

Das alles haben die „Juden“ nicht verstanden. Damit haben sie die nie wiederkehrende Gelegenheit zur eigenen Rettung verpaßt. Wer „von unten her“ ist, kann das nicht erkennen. Nur wer „von oben her“ ist, sieht in dem Kreuz Jesu nicht mehr einen Unsinn, sondern einen Akt göttlicher Weisheit. Der Evangelist will diese Sicht seinen Zuhörern vermitteln, weil er hofft,

daß sie ihren inneren Widerstand aufgeben und doch noch an Jesus glauben. Sie sollen endlich merken, mit wem sie es zu tun haben!

Diese Aufforderung gilt aber auch uns. Wir wünschen uns auch manchmal einen siegreichen Christus, einen, der es endlich einmal allen zeigt, der die Wahrheit des christlichen Glaubens allen vor Augen stellt. Der Jesus des Johannesevangeliums scheint dieser Vorstellung ent­gegenzukommen: Er ist nicht der Verlierer, wie er oft bei den anderen Evangelisten und bei

Paulus erscheint, sondern er ist der Sieger.

Doch hier geht es jeweils nur um eine andere Sicht derselben Wirklichkeit, wie bei einem Teppich, der zwei Seiten hat. Die einen betonen nur die unansehnliche Rückseite, Johannes aber sieht das eindrucksvolle schöne Muster auf der Vorderseite.

Im Gespräch mit seinen Gegnern betont er nur die von diesen geleugnete Seite der Sache, daß er nämlich in den Bereich Gottes gehört. In Jesu Leiden wird ja nur der Plan Gottes verwirklicht, mit dem sich Jesus eins weiß.

Die Juden haben gar nichts vereitelt, sie wußten gar nicht, was sie taten. Sie haben nur geholfen, das Gottsein Jesu durchzusetzen. Nicht Jesus mußte sterben, sondern sie sind gestorben, weil sie in der Sünde verharrten, nicht an Jesus zu glauben.

Die Aussage Jesu ist hart: Ausgerechnet die Vertreter des klassischen Volkes der Religion und der Erwählung wissen nicht, mit wem sie es zu tun haben. Aber auch wir stehen sicher manchmal in dieser Gefahr: Auch wer gut kirchlich ist und in der frommen Tradition zu Hause, vielleicht sogar aktiv in kirchlichen Kreisen oder im Kirchenvorstand, kann einen „weißen Fleck“ haben, wenn es um den wirklichen Gott geht. Der ist nämlich nicht so, wie wir ihn uns

vorstellen und gernhaben möchten, sondern er ist wie er ist.

Doch Jesus macht uns deutlich: Gott ist den Menschen zugewandt. Er geht in Jesus auf die abtrünnige Welt zu. Wir haben keinen „Lehrbuchgott“, sondern einen „Gott-in-Aktion“, einen lebendigen und tätigen Gott, der uns auch jetzt in diesem Gottesdienst begegnet. Deshalb gibt es für uns überhaupt keinen Grund, am Leben zu verzweifeln oder gar sich selbst das Leben zu nehmen.

Wir gehen zwar manchmal auch zu unserem „Jerusalem“, müssen auch manches Leiden durchmachen. Aber am Ende wartet nicht das Kreuz auf uns, weil da schon ein anderer dran hängt. Das Kreuz ist zwar nach wie vor das Zeichen des unbegreiflichen Handelns Gottes. Es ist aber auch der Ort, wo Himmel und Erde sich berühren, wo das „Oben“ und „Unten“ nicht mehr getrennt sind. Es ist die Brücke, auf der man zu Gott gelangen kann, wo alles Leid auf-

hört.

Es gibt auch ein „zu spät“, wird am Schluß dieses Bibelabschnitts gesagt. Wenn Jesus sagt „Ihr werdet erkennen, daß ich es bin“, dann muß man auch tatsächlich erkennen wollen. Mit dem Gleichnis von den bösen Weingärtnern wird der Ernst der Predigt Jesu ja auch unterstrichen. Die Ablehnung des Wortes Jesu bedeutet die Selbstausschließung vom Heil. Doch diese Entscheidung fällt nicht erst am Jüngsten Tag, sondern hier geht es um Entscheidungen, die heute zu fällen sind. Wenn wir in Glauben oder Unglauben heute Jesus gegenüber Stellung beziehen, dann geschieht schon heute das Gericht. Was sich heute noch im Verborgenen ereignet, wird aber am Ende vor aller Augen offenkundig werden. Aber nach der Erhöhung Jesu wird es ein Erkennen geben, in dem Jesu Sendung durch den Vater allen deutlich werden wird.

Es gibt manches in unserem Leben, was die Nachfolge erschwert. Da ist die eigene Bequemlichkeit, die uns manchmal schon vom Besuch des Gottesdienstes abhält. Da sind unsere Bindungen und Verpflichtungen, die uns ablenken von dem, was wirklich wichtig ist in unserem Leben. Wir wissen nicht, welchen Weg Gott heute mit uns vorhat oder erkennen ihn nicht. Wir leben ja auch in einer völlig anderen Situation als die Menschen damals.

Doch helfen kann uns der Besuch des Gottesdienstes, das Befassen mit Glaubensfragen, Bibellese und Gebet. Auch in unserer Zeit und in unserem Leben können wir erkennen, daß er es ist, der unsere Rettung ist. Und wenn das geschieht, dann werden wir auch seinen Weg mit uns verstehen.

Am Schluß des Bibelabschnitts heißt es deshalb ja auch tröstlich: „Es glaubten viele an ihn!“ Jesu Ziel ist nicht das Gericht, sondern die Rettung. Trotz aller falschen Entscheidungen gibt

es noch das Angebot des Friedens mit Gott.

 

 

Joh 8, 31 - 36 (Altjahrsabend):

Der Jahreswechsel erinnert uns besonders eindringlich daran, daß wir im Fluß der Zeit leben. Es gibt auch Dinge, die wir mit ins neue Jahr nehmen. Aber es kommt auch immer wieder Neues hinzu durch eigenes oder fremdes Tun. Neues kann nur entstehen, weil wir in der Zeit leben. Unser Leben ist nicht wie ein stehendes Bild, sondern ein interessanter und zeitweilig spannender laufender Film. Aber das bedeutet auch ein ständiges Abschiednehmen.

Vielleicht fragen wir uns am heutigen Tag: „Was habe ich im vergangenen Jahr richtig gemacht und was habe ich versäumt? Wie habe ich meine Gaben eingesetzt und meine Chancen genützt? Was habe ich in das Leben eingebracht und was ist mir alles liegengeblieben?“ Aus den vergangenen Monaten können wir nachträglich nicht m e h r machen, als was sie enthielten.

Auch im Verhältnis zu Gott sollten wir an diesem Tag Inventur machen. Haben wir wirklich nach der Jahreslosung der Kirche gelebt? Haben wir es mit dem ersten Gebot ernst genommen: „Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir!“ Aber wenn wir uns so umschauen und uns selber anschauen, dann haben wir dieses Gebot meist so ausgelegt „Ich bin der Herr, dein Gott, aber du brauchst es damit nicht so genau zu nehmen!“ Doch Gott nimmt es genau. Und deshalb wird heute auch manche Schuld vor unserm inneren Auge stehen.

Doch von Jesus wird uns heute auch ein Angebot gemacht. Vielleicht nicht für die, die schon alles zu haben meinen. Aber es ist befreiend für die, die noch vorankommen wollen. Zwei Begriffe werden uns da heute an die Hand gegeben, wenn wir das Angebot Jesu ergreifen

 wollen: Freiheit und Wahrheit.

 

(1.) Freiheit: Fragt man nach den Wunschträumen und geheimen Sehnsüchten der Menschen, dann stößt man mit Sicherheit auf den Wunsch nach Freiheit. Man möchte gern das verwirklichen, was man sich für dieses Leben ausgedacht hat. Man möchte Freiheit ohne Beschränkung, im Kleinen wie im Großen. Oft verstehen wir den Begriff auch rein politisch und stellen dann fest: Die Freiheit, die ich meine, stimmt nicht überein mit der Freiheit, die mir von Staats wegen gewährt wird oder gewährt werden kann.

Der Freiheit sind von außen her Grenzen gesetzt. Wir stecken alle in Abläufen drin, die wir nicht beeinflussen können. Aber wir sollten auch nicht vergessen, daß wir selber manchmal die erste Ursache sind und etwas in Gang setzen, das gar nicht so gut ist. Wir sind nicht nur ein Stück Holz, das im Wasser treibt, sondern wir sind eine Person, die für ihr Verhalten verantwortlich ist.

Wirklich frei sind wir nur, weil Gott „Ja“ zu uns sagt. Doch die Juden wollen das nicht wahrhaben. Sie sagen zu Jesus: „Wir haben deine Befreiung nicht nötig. Wir sind Nachkommen Abrahams und haben uns niemals jemandem als Sklaven unterworfen!“ Das ist so, wie wenn

wir sagen wollten: „Wir brauchen die Bibel nicht zu lesen, weil unsre Vorfahren sie schon gelesen haben!“ Freiheit muß jedem wieder neu geschenkt werden.

Außerdem sind die Juden - gerade sie - oft fremden Herrschern unterworfen gewesen. Doch äußere Unfreiheit muß nicht auch noch innere Unfreiheit bedeuten. Darin haben die Juden schon recht. Man muß in unwürdigen Verhältnissen nicht würdelos sein. Freiheit ist auch eine Sache der inneren Haltung, des Mutes und des ungebrochenen Willens. Die Freiheit muß man sich nehmen oder (noch besser:) sich schenken lassen.

Die erniedrigenste Sklaverei liegt im Verfallensein an die Sünde. Wir sehen es ja meist anders: „Man kann doch als Sünder ganz gut leben, Hauptsache, man ist äußerlich frei und kann tun und lassen, was man will!“ Wir messen alles nur an uns selber und fragen, ob wir wohl im neuen Jahr Freiheit haben werden. Gott ist dabei nicht so wichtig - und gerade das ist unsere Sünde.

Sünde wäre ein vergleichsweise leicht zu behebender Schaden, wenn sie lediglich ein Versagen auf moralischem Gebiet wäre. Sünde aber ist theologisch zu sehen. Sie besteht darin, daß wir nicht von Gott her und nicht auf Gott hin leben wollen. Wir wollen auch von Gott frei sein, geraten dadurch aber nur unter die Abhängigkeit des Widergöttlichen.

Es gibt keine neutrale Zone. Wer aus der Abhängigkeit von Gott herausgefallen ist, steht auf der anderen Seite. Entweder wir sind „Sklave“ oder „Sohn“. Jesus möchte natürlich, daß wir freie Söhne sind, die vertrauensvoll ihren Platz in der Familie Gottes finden. In jeder Familie gibt es natürlich auch Maßstäbe und Grenzen. Aber das sind nicht Grenzen, die knechten und einschränken, sondern die helfen wollen. Sie sind Grenzen aus Güte und Liebe, sie stützen und geleiten wie ein Geländer.

Zu einer solchen Freiheit will uns Jesus frei machen. Er will uns in einen Zustand bringen wie nach einer überwundenen Krankheit: Man war lange Zeit bettlägerig, hatte Schmerzen, spürte die Schwäche und wollte fast verzagen. Aber dann kam die erste Nacht eines erquickenden Schlafs, ein frohes Erwachen und ein Wachsen der körperlichen Kräfte. Schließlich kam das erste Aufstehen und die Feststellung: „Ich bin wieder gesund, ich fühle mich wie neugeboren,

das Leben hat wieder begonnen!“

Wir wissen allerdings schon, daß es auch wieder einen Rückfall geben kann. Aber Jesus macht uns immer wieder gesund. Der Mensch ist nicht auf sich selbst gestellt und rundherum das Nichts. Unsere Freiheit haben wir immer nur m i t Gott. Freiheit besteht nicht nur darin, daß man sagen kann: „Ich muß nicht!“ Zur Freiheit gehört auch, daß man sagt: „Ich kann, ich darf!“

 

(2.) Wahrheit: Zu dieser Freiheit gehört auch die Wahrheit dazu. Jesus sagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen!“ Doch diese Wahrheit ist nicht etwas, das unverrückbar feststeht, so wie 2 + 2 = 4 ist. Die Wahrheit Gottes erhebt immer einen Anspruch auf uns: Sie fordert unsere innere Beteiligung und unsere Entscheidung. Nur so werden wir Gottes Kinder, die nicht mehr sagen: „Ich muß Gott über alle Dinge lieben!“ sondern die sagen: „Ich kann ihn über alle Dinge lieben, weil er selber mich zu sich gezogen und überwältigt hat und mich so erst

lebendig gemacht hat!“

Ein Christ will nichts anderes, als was sein himmlischer Vater will. Das ist seine Freiheit. Weil Jesus uns zu seinen Brüdern gemacht hat, dürfen wir im Haus des Vaters sein wie der Sohn selbst. Wir haben bei Gott unser Zuhause, weil Jesu Wort in uns wohnt und wir in seiner Rede bleiben.

Was Jesus uns geben will, empfangen wir nicht schon dadurch, daß wir uns in einem äußerlichen Sinn zu ihm rechnen. Zugehörigkeit zur Kirche und mitmachen in dem „Unternehmen“ Kirche tun es noch nicht. Rechte Jünger Jesu „bleiben“ in seiner Rede. Dazu gehört, daß sie regelmäßig mit seinem Wort und Sakrament umgehen.

Mit anderen Worten: „Der Gottesdienst verhilft uns zur Freiheit und zur Wahrheit!“ Das Wort Jesu ist nicht ein Studien- oder Lernpensum, sondern in seinem Wort will er für uns da sein, will er uns bergend umschließen wie unser vertrautes Zuhause. Er will persönlich mit uns Kontakt haben.

Wenn das ständig praktiziert wird, bleibt das alte Leben dahinten und es beginnt das neue, ein neues Leben in der Wahrheit und damit in der Freiheit. An sich ist jeder Tag geeignet für einen Neuanfang. Aber am Silvesterabend wird uns besonders dieses Angebot gemacht, daß Alte zurückzulassen und mit Jesus ein Neues zu beginnen. Man kann die rechten Jünger nur beglückwünschen, daß sie eine solche Zukunft haben.

 

 

 

Joh 9, 1 -7 (13-17 und 32-39) (8. Sonntag nach Trinitatis):

Jedes Jahr kommen Tausende von Menschen bei uns durch Verkehrs- oder Arbeitsunfälle ums Leben. Wir erschrecken besonders, wenn es sich um einen Menschen handelt, den wir gekannt haben oder mit dem wir gar gut Freund waren. Meist handelt es sich ja nicht um alte Menschen, die ihr Leben schon gelebt haben, sondern um junge, lebensfrohe Menschen.

Wir fragen uns dann wohl auch: „Warum mußte es wohl gerade den treffen? Was hat er getan, daß er so hart gestraft wurde?“ Schon im Altertum hat man so gefragt. Und damals war man noch mehr der Überzeugung: Jedes Leiden deutet auf eine verborgene Schuld hin! Und wenn einer von Geburt an blind war, dann ist das eine Strafe für eine Tat der Eltern, dann liegt die Schuld bei ihnen.

So denken jedenfalls auch die Jünger Jesu. Ihr Urteil über den kranken Menschen ist schon fertig, ehe sie sich noch näher mit ihm befaßt haben. Von Jesus erwarten sie, daß er den Blinden durchschaut und seine geheime Schuld ans Tageslicht bringt. Damit reagieren sie so wie wir alle. Sagen wir nicht auch, wenn einer verunglückt ist: „Warum mußte er auch so rasen!“ Wir legen den Finger auf die Fehler des anderen, um von dem ewigeren Versagen abzulenken.

Jesus aber lehrt - zumindest für dieser blinden Menschen - den Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde ab. Er wandelt die Warum-Frage in die Wozu-Frage: Der Mann ist nur deshalb krank, damit die Werke Gottes an ihm offenbar werden. An ihm soll beispielhaft deutlich werden, daß Jesus das Licht der Welt ist, besonders auch für diesen Blinden.

Das ist aber auch die Antwort auf unsere Warum-Frage. Das Leiden gehört mit zu unserem Leben. Aber es kommt darauf an, aus welchem Blickrichtung wir es betrachten. Das Leiden kann auch zur Gelegenheit werden, Gottes Herrlichkeit zu erfahren. Das will uns ja gerade die Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen zeigen.

Wenn Johannes eine solche Geschichte in sein Evangelium aufnimmt, dann will er damit ja nicht eine interessante Begebenheit aus dem Leben Jesu schildern. Gerade bei ihm wird eine sogenannte „Wundergeschichte“ ja immer gleich zur Glaubensgeschichte. Und die körperliche Blindheit ist ihm nur Sinnbild für die geistliche Blindheit, in der viele Menschen vom Anfang ihres Lebens an tappen.

Frager wir uns doch gleich einmal: Wer sind denn bei uns die Blinden in diesem übertragenen Sinne? Wer sind denn bei uns die Menschen, die in der Finsternis sitzen, weil sie nichts von Jesus wissen wollen und deshalb auch nichts erfahren können.

Wir werden sofort an die sogenannten „Atheisten“ denken, Menschen, die von Kind an „blind“ für Jesus sind. Von Jesus und der Kirche wissen sie nur, was sie bei Marx oder Lenin gelesen haben oder was ihnen irgendwelche Dummköpfe eingeredet haben. Anstatt selber hinzusehen und sich selber ein Urteil zu bilden, lassen sie sich eine Brille aufsetzen, durch die man alles nur einseitig sehen kann. Sie reden wie ein Blinder von der Farbe und wollen doch alles besser wissen als einer, der Jesus als das Licht für sein Leben erkannt hat.

Aber gehören nicht auch die zu den Blinden, die gleichgültig an Jesus vorübergehen? So wie manche Menschen achtlos an den Schönheiten der Natur vorübergehen und nur in die Gast­stätte streben, so kommt es diesen Menschen nur auf ein angenehmes Leben, aber irgendwelche weitergehenden Bedürfnisse haben sie nicht. Auch Jesus liegt völlig außerhalb ihres Horizontes.

Schließlich kann man noch die Menschen erwähnen, die zwar etwas von Jesus wissen, aber doch nur das herauslesen, was ihnen paßt. Jesus soll ihnen nur ihre eigenen Anschauungen bestätigen. Und wehe, wenn er einmal etwas anderes verlangt. Dann hat er es aber mit diesen Leuten verdorben.

In unserer Geschichte könnte man die Pharisäer zu dieser Gruppe rechnen. Sie sind zwar sonst sehende Leute. Aber für das Geheimnis Jesu sind sie blind. Gerade weil sie die Gebote Gottes so peinlich genau einhalten wollen, begreifen sie nicht, was Jesus an diesem Menschen tut. Sie wenden viel Mühe auf, um das Gesetz zu erforschen. Aber an Jesus gehen sie vorbei, der doch gekommen ist, das Gesetz zu erfüllen.

Allerdings versteht er unter „Erfüllung des Gesetzes“ etwas anderes als seine frommen Geg­ner. Jesus weiß, daß seine Zeit begrenzt ist. Er muß sie ausnutzen, denn Gott fordert unaus­weichlich Taten von ihm. Deshalb kann auch der Feiertag keine Grenze für ihn bedeuten. Er

kann doch nicht wegen des jüdischer Feiertagsgebots diesen Menschen in seiner Nacht lassen!

Schließlich ist er doch gekommen, um das Licht in der Welt durchzusetzen. Dazu gehört auch dieser demonstrative Akt einer Blindenheilung.

Der Blinde hat ja gar nicht um Hilfe gebeten. Er hat Jesus sicher so etwas nicht zugetraut, denn er hat ja keinen Glauben an Jesus. Aber Jesus greift - fast willkürlich- aus der Menge der Mühselig und Beladenen einen heraus, um ihm zu helfen. An diesem Mann soll ein Zeichen aufgerichtet werden. Hier soll schon etwas deutlich werden von der zukünftigen Herrlichkeit Gottes. Denn bei Gott wird ja die Blindheit aufhören, sowohl die körperliche als auch die geistliche.

Die Jünger stellen die Sinnfrage. Wer nicht an Gott glaubt, der wird sich vielleicht zuerst mit dem sozialen Schicksal des behinderten Menschen befassen und einen Platz in der Gesellschaft für ihn suchen, wo er sich als vollwertiger Mensch nützlich machen kann. Auch ein Christ wird erst einmal alle diese Möglichkeiten nutzen. Er darf sich nicht in sein Schicksal ergeben und in einen Schmollwinkel zurückziehen und aufgeben und immer nur sagen: „Für die Behinderten wird doch nichts getan!“

Aber ein Christ wird auch sein Leben so annehmen, wie es ist. Es wäre lähmend, wenn man immer nur darüber grübelte: „Was wäre, wenn...?“ Gott hat mir Zeit und Ort meines Lebens angewiesen. Er hat mir Menschen geschickt, Gaben gegeben, Wege geöffnet. Er hat mir Lasten auferlegt, aber auch viele Freuden geschenkt. Auch ein behinderter Mensch kann ein sinnvolles Leben führen. Man sollte ihn nicht bedauern oder in falscher Hilfsbereitschaft gängeln. Sie haben ein Recht auf unsere Hilfe, wo sie nötig ist, ganz sachlich und ohne den Unterton der großen Barmherzigkeit, die man ihnen tun will.

Aber dennoch stellt sich immer auch die Sinnfrage. Auch der Gesunde macht sich bei Abweichungen von der Norm seine Gedanken über Gott. Er fragt sich: „Was ist das für ein Gott, der es den einen so leicht macht und den anderen so schwer?“ Dahinter steht die Vorstellung, Gott sei den Menschen Glück und Gesundheit schuldig und habe alle Dinge in der Welt störungsfrei und gerecht zu fügen und zu lenken.

Aber dient wirklich nur das zu unserem Besten, was wir für erfreulich und förderlich halten? Jesus lehnt diese ganze Denkweise von Schuld und Strafe ab. Es geht um das, was Jesus mit dem Menschen noch vorhat. Was in dieser Erzählung an dem einen Blinden geschieht, das wird allen Blinden widerfahren, wenn Gott alles ans Ziel bringt: Gott wird sie sehend machen!

Gerade ein Christ darf deshalb nicht einem behinderten Menschen gegenüber auf Distanz gehen. Eine Vogelmutter wirft ihr mißgebildetes Junges aus dem Nest. Und viele bei uns denken auch noch so, wenn es um Menschen geht. Doch wenn wir von einem Unglück erfahren,

dann sollten wir nicht fragen: „Womit hat dieser Mensch das verdient?“ sondern wir sollten uns fragen: „Was kann ich tun mit meinen Gaben und Kräften, mit Worten und Werken, daß an ihm die Werke Gottes offenbar werden können?“

Ein Betroffener könnte natürlich einwenden: „Was ist das für ein Gott, der Menschen leiden läßt, um einst an ihm seine Herrlichkeit zu offenbaren?“ Diese Stunde kann aber noch weit weg sein, wahrscheinlich mindestens ein Menschenleben weit. Da können wir nicht so tun, als seien wir darüber hinweg. Wir dürfen nicht so tun, als könnten wir Gott über die Schulter sehen und hinter seine Geheimnisse kommen. Rechtsansprüche kann keiner von uns Sündern anmelden. Gott wird es niemanden übelnehmen, wenn er in Glaubensnöte und Anfechtungen gerät. Aber es steht uns nicht zu, ihm vorzuhalten, er müsse es besser machen.

Gott gibt uns die heile Welt und das heile Leben nicht automatisch. Wir würden es ja doch nur gedankenlos und stumpf kassieren, so als müßte das alles so sein. Heil werden wir nur, wenn Gott zur Mitte unseres Lebens wird. Der Sinn unseres Lebens liegt vorn, dort wo Gott ist. Da kann es auch Leiden geben, wenn Gott nur bei uns zum Zuge kommt.

Der Blinde konnte wieder sehen. Aber konnte er wirklich sehen? Man kann das Augenlicht haben und doch auf andere Weise blind sein, indem man Jesus übersieht, der das Licht der Welt ist. Unser Leben hat nur dann einen Sinn, wenn Jesus mit dabei ist.

Wenn ein Mensch mir etwas liefert, dann kann er danach wieder seiner Wege gehen, bis ich wieder etwas nötig habe; ich bin ja nicht an ihm interessiert, sondern an seiner Ware. Bei Gott aber ist das ganz anders: Er ist mein Ursprung und mein Gegenüber. Gott ist in mir und ich in ihm: das erst macht mich zum Menschen, wie Gott ihn sich gedacht hat.

Selbst Jesus sagt: „Ich muß wirken, solange es Tag ist!“ Sein Wirken hat immer Entscheidungscharakter. Zu allgemeinen Wahrheiten hat man immer Zugang. Der Satz des Thales wartet auf mich, bis ich ihn zur Kenntnis nehme und begriffen habe. Christuszeit aber ist Entscheidungszeit. Das Licht kann man nicht einfangen, wie das die Schildbürger wollten. Das Licht muß man nutzen, wenn es scheint. Jesus nimmt die günstige Gelegenheit wahr: Er gibt dem Blinden nicht nur das Augenlicht, sondern er erhellt ihm sein ganzes Menschsein. Das ist das, was Jesus auch uns geben will: den Sinn unseres Lebens, unabhängig von den Fragen nach Gesundheit und Krankheit.

 

Spucke und Dreck heilen einen Blinden!

Verblüffende Tat des berühmten Wundermannes Jesus Christus!

Experten ratlos - Der Geheilte erklärt: „Das hat Gott getan!“

(von Adolf Vollbracht, stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung)

kann man mit etwas Speichel, vermengt mit Straßenstaub, einen bisher unheilbar Blinden plötzlich sehend machen? Das fragen sich seit vergangenem Sonnabend die Einwohner von Jerusalem. Diese Frage stellen sich vor allem aber die Mitglieder der Expertenkommission, die den Fall dieser Spontanheilung des blindgeborenen Bettlers B. überprüfte, sich jedoch bis heute auf kein verbindliches Kommuniqué einigen konnte.

Der Vorfall spielte sich am Sonnabendmorgen in der Innenstadt von Jerusalem ab. Jesus Christus - inzwischen in ganz Palästina als Prophet und Wundermann ebenso geachtet wie angefeindet - befand sich mit seinen Freunden auf einem Spaziergang. Auf dem alten Markt entdeckte er plötzlich den blinden Bettler. „Warum ist der Mann eigentlich blind?“ wurde Jesus von seinen Freunden gefragt. „Bestimmt durch eigene Schuld oder durch die Schuld seiner Eltern!“

Die merkwürdige Antwort: „Falsch! Weder - noch! Er ist nur aus einem einzigen Grund blind: Damit Gott zeigen kann, w a s er vermag! Und ich, ich muß sein Werkzeug sein, dazu bin ich ausgeschickt worden. Und ich muß handeln, solange ich noch Gelegenheit dazu habe, jetzt und hier, später wird es zu spät sein, dann wird niemand mehr etwas tun können! Solange ich noch hier bin, bin ich das Licht der Welt!“

Damit spuckte Jesus auf die Erde, vermengte den Speichel mit dem Straßenschmutz und schmierte dem Blinden diesen Brei auf die Augenlider. „Geh hin zum Teich Siloah und wasch dir das Zeug gab!“ Mit diesen Worten schickte er den Blinden weg. Wenige Minuten später kam er wieder zurück. Der Mann war überglücklich: Er konnte sehen....

Er verscherzte sich allerdings die Sympathien aller, als er Jesus als Propheten bezeichnete. „Das hat es noch niemals gegeben“, beschworen die Fachleute, „daß jemand einen Blindgeborenen sehend gemacht hätte! Dieser Jesus muß doch irgendwie göttlich Kräfte haben!“

Damit kam er aber bei den gelehrten Herren an die falsche Adresse. Sie warfen ihn kurzerhand hinaus.

Gegen Mittag traf B. seinen Wohltäter wieder und klagte ihm, was ihm widerfahren sei. Jesus stellte ihm nur eine Frage: „Glaubst du an den Sohn Gottes?“ Der verwirrte Bettler fragte ahnungslos, wer denn das sei - er wolle gern an ihn glauben, nachdem er auf so wunderbare Weise sehend geworden sei. Zu seiner Verblüffung erfuhr er, J e s u s selbst sei dieser Gottessohn. B. zögerte nicht einen Herzschlag lang. Er sagte nur dies: „Herr, ich glaube!“ und betete ihn an.

Jesus sah seinen neuen Freund gedankenvoll an. „Weißt du“, sagte er, „ich bin zum Gericht auf diese Welt gekommen. Urd nur aus einem Grunde: Die Blinden sollen sehend werden, die Sehenden aber blind“

 

 

           

Joh 9, 35 – 41 (17. Sonntag nach Trinitatis):

In den letzten Jahren ist es zu einer steigenden Zahl von Nachkonfirmationen gekommen. Manche der Bewerber sind für kürzere oder längere Zeit im kirchlichen Unterricht gewesen, haben aber nicht an der Konfirmation teilgenommen. Andere sind zwar als Kind getauft worden, haben aber nie weiter Berührung mit der Kirche gehabt. Und dann gibt es auch noch die Taufbewerber, die erst noch als Erwachsene getauft werden wollen und dazu auch erst entsprechend unterrichtet werden müssen.

Da ist es nicht so ganz einfach, in aller Kürze und doch mit dem nötigen Tiefgang etwas zu vermitteln. Besser ist immer der mehrjährige Weg über den kirchlichen Unterricht, da kriegt man eher ein Gespür für die Sache und kann leichter zum Glauben kommen. Wenn man in einem Vierteljahr alles nachholen will, dann kann man sich zwar informieren lassen, aber ob es wirklich zündet, das hat man nicht in der Hand. Das hat man nie in der Hand, so oder so nicht; aber die Chancen sind größer, wenn es nicht nur zu einer flüchtigen Begegnung kommt.

Bei dem Blindgeborenen geht es auch um diese zwei Stufen. Zunächst begegnet er dem Arzt Jesus. Blindsein war für ihn zunächst eine Sache der Sehorgane. Und das ist tatsächlich ein schwerwiegendes Problem. Im Wartezimmer eines Augenarztes kann man viel von schweren Schicksalen, Nöten und Hoffnungen vernehmen. Wenn hier geholfen werden kann, dann ist das schon eine großartige Sache.

Aber der Evangelist Johannes meint, mit dem Geschenk des Augenlichts wäre diesem Menschen noch nicht geholfen. Der Geheilte muß noch den Blick dafür bekommen, wer es ist, der ihn gesund gemacht hat: Er muß noch seinen Herrn und Gott finden. Das ist genauso wie bei einem Nachkonfirmanden, der oft noch eine ganze Zeit erst einmal mit der Kirche leben muß, ehe er eine innere Beziehung dazu findet.

Mancher wird diese Erleuchtung für nicht so dringlich halten. Erst einmal ist die Gesundheit für ihn wichtig. Und dann kommt noch die berufliche Karriere, das wirtschaftliche Auskommen, noch verschiedene erfreuliche Zutaten zum Leben - dann aber lange nichts - und ganz am Ende der liebe Gott. Er könnte durchaus der krönende Abschluß sein, aber doch zur Not entbehrlich.

Die Bibel sieht es ganz anders. Gott ist nicht Überhöhung und Zierrat, etwas, das man sich auch noch leisten kann, wenn man will. Er muß vielmehr bei uns zu jeder Zeit zu seinem Recht kommen. Er ist der Gott, der in Christus für uns anschaubar wurde, der das ganze Leben bestimmt. Ihn muß der Blindgeborene noch sehen lernen, wenn er wirklich geheilt sein soll. Ihn müssen wir sehen lernen, wenn wir gerettet werden wollen.

Ein Blinder wird sehend. In dieser Geschichte wird er es sogar zweimal: einmal, als er das Augenlicht empfing, das andere Mal, als er entdeckte, wer Jesus für ihn und für alle Welt ist. Mit unsrer Augen können wir nur die Gegenstände dieser Welt wahrnehmen; das ist auch nötig, damit wir uns zurechtfinden können. Es soll aber auch unser ganzes Dasein erhellt werden, von seinem Ursprung und Ziel her sinnerfüllt sein. Wir sind blind, solange wir nur die Gegenstände der Welt sehen, nicht aber Gott in unser Leben hineinnehmen.

Leben ist nur, wo „Licht“ im übertragenen Sinne ist, gewissermaßen ein geistliches Licht. In der Bibel ist „Licht“ oft die Bezeichnung für Glück und Heil, vor allem auch für den göttlichen Bereich. Dieses Licht hat der Blindgeborene gefunden. Nun kann er nicht mehr nur ein normaler und unscheinbarer Mensch sein. Er wird jetzt auch reden müssen von dem, der der Grund seines Lebens geworden ist.

Man wird ihm auszureden versuchen, daß Gott hinter allem stehe. Da wird er sich entscheiden müssen zwischen zwei Weisen zu leben: Leugnet er, daß Gott hinter Jesus steht, dann werden ihn die Menschen anerkennen und er wird allmählich einer der ihren werden. Keiner wird mehr fragen, ob er ein Sünder ist, er wird seine Ruhe haben. Bekennt er sich aber zu Jesus, dann werden sie mit ihm nichts zu tun haben wollen und ihn erneut verstoßen. Weil

die anderen ihm mit neuen Vorurteilen begegnen, wird er vielleicht wieder auf eine neue Weise einsam werden.

Aber er weiß auch, daß sein Vertrauen zu Jesus nur wachsen kann, wenn er den Mut aufbringt, sich zu seinem Retter zu bekennen. Gerade durch den Widerspruch der Gegner Jesu wird er zu weiterem Nachdenken angeregt. Sie fragen: „Wie kann ein sündiger Mensch ein solches Zeichen tun?“ Sie ziehen die Tatsache der Heilung in Zweifel. Aber der Geheilte kann darüber nur lachen: „Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Aber das weiß ich: Ich war blind und sehe jetzt!“

So kommt es, daß unter dem Widerspruch der Gegner sich die Christuserkenntnis des Geheilten immer mehr herauskristallisiert. Die Erfahrung eines Wunders macht die Christuserkenntnis noch nicht eindeutig, nicht einmal für den, der es selbst erfahren hat. Deshalb tritt Jesus noch einmal auf und macht seinen Schützling sehend für das Geheimnis seiner Person. Er sagt: „Du wartest auf den Richter, der vom Himmel kommt und über die Welt das letzte Wort spricht. Du hast ihn eben jetzt vor Augen: der mit dir redet, der ist es!“ Wo Jesus einem Menschen begegnet, da fällt schon die Entscheidung für die Ewigkeit. Der Geheilte kann ihm nur noch zu Füßen fallen: Er hat seinen Gott gefunden. Ohne umständliche Belehrung hat er an sich recht mühelos zur richtigen Erkenntnis gefunden. Da gab es keine Vergewaltigung menschlichen Denkens, sondern hier wurde einer überwunden und überwältigt.

Aber: Sehende werden blind. Man kann Jesus auch mit ganz anderen Augen ansehen. Dazu muß man gar nicht einmal den feindseligen Blinkwinkel haben wie die Pharisäer. Man kann Jesus auch durchaus wohlwollend einfach in den Bereich des Menschlichen einordnen. Viele haben ihm den Respekt nicht versagt, selbst moderne Juden. Daß er auch Gott sein soll, wird den Zugang zu ihm doch nur versperren! Jesus steht zwar auch mit den Menschen auf einer Stufe. Aber er ist zugleich ganz anderen Ursprungs.

Aber dafür sind die Pharisäer blind. Sie müßten ihn eigentlich „sehen“ können. Sie leugnen Gott ja nicht wie einer, der für das Ganz-andere kein Organ hat. Aber sie sagen: Wer das Feiertagsgebot nicht einhält, kann nicht von Gott kommen. Und außerdem halten sie es für eine Gotteslästerung, daß Gott ein Mensch geworden sein soll und unter den Menschen wirken soll.

Diese Juden sind aber nur Vertreter des Allgemein-Menschlichen. Jesus ist nicht allein an der Blindheit der Juden gestorben, sondern an der Gottentfremdung und Verblendung der ganzen Welt. Mancher sperrt sich gegen diesen Jesus von innen her und kann deshalb auch nichts Zwingendes an ihm entdecken. Aber wer es mit Jesus wagt, der wird merken, wer und woher er ist.

Ein solcher Mensch wird sich auch durch Verdächtigungen nicht beirren lassen und die Kraft haben, allen Angriffen zu widerstehen: Da übernimmt ein Pfarrer besondere Verantwortung für das Wohl der Gesellschaft, kümmert sich um eine bessere Versorgung und Probleme des Umweltschutzes. Dabei arbeitet er auch mit Unkirchlichen zusammen. Aber in der Gemeinde gibt es Mißtrauen, er soll auf der Kanzel bleiben und sich nicht um weltliche Dinge kümmern, so murmelt man.

Da spricht ein ehemals Alkoholkranker, wie er die Sucht überwunden hat. Er kann andere wieder auf den rechten Weg und auch wieder zur Kirche bringen. Aber Pfarrer und Gemeindekirchenrat fragen sich: Ob sie überhaupt geheilt sind? Wir müssen abwarten und sie kritisch betrachten.

Da sind junge Menschen, die man zwar kaum im Gottesdienst sieht, die aber einen eigenen Wag zu Gott suchen, mit ihrer Sprache und ihren Ausdrucksmitteln. Doch manche sagen: Was die da treiben, ist kein anständiger Gottesdienst. Wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben.

In Jesu Kommen in die Welt vollzieht sich das Gericht. An ihm scheiden sich die Menschen. Er spricht als der Weltenrichter das letzte Wort: entweder am Ende der Zeit oder auch schon heute als das letztgültige Wort, das am Ende dann bestätigt werden wird. Heute entscheidet sich, was morgen sein wird. Jesu Wort fordert unsere Entscheidung heraus und bewirkt damit die Scheidung. So kann es sein, daß die bisher Blinden sich über das Sehen freuen dürfen und die Lebenden immer blinder werden müssen.

Die Blindheit ist dabei nicht vorherbestimmtes Schicksal, sondern Schuld. Die Pharisäer hätten Jesu Wort auf dem Hintergrund der überlieferten Glaubenserfahrung Israels verstehen können. Zumindest haben sie so viel verstanden, daß sie wußten, was sie ablehnten. Insofern ist es geradezu gefährlich, das Wort Jesu zu hören, denn dann muß man sich entscheiden, und wenn man ihn ablehnt, macht man sich schuldig.

Aber das Hören des Wortes Jesu ist auch etwas höchst Erfreuliches. Denn so kommt es dazu, daß wir aus unserer Unentschiedenheit herausgeholt werden. Jesus möchte, daß wir uns für ihn entscheiden, eine Entscheidung zu unserem Besten fällen. Dabei gilt es aber, nicht dabei stehen zu bleiben, daß wir einmal zum Glauben gekommen sind. Es gilt auch, den Weg des Glaubens weiterzugehen und das empfangene Licht im täglichen Miteinander auszustrahlen. Jesus ist nicht nur das Licht für mein eigenes Leben, sondern das Licht der Welt!

 

 

Joh 11, 1 und 3 und 17 – 27 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Fast in jeder Woche müssen wir hier im Gottesdienst bekanntgeben, daß Gemeindeglieder verstorben sind und christlich beerdigt wurden. Fast in jeder Woche sind Menschen unter uns, die in besonderer Weise vom Leid getroffen wurden. Fast in jeder Woche werden wir

dem Problem des Todes gegenübergestellt. Das scheint die Widerlegung des Auferstehungsglaubens zu sein.

Was hier von den beiden Schwestern in Bethanien geschildert wird, das geschieht tagtäglich in unserer Umgebung. Auch bei uns stirbt Lazarus immerzu, einmal in diesem, einmal im anderen Haus. Jedesmal ist es einer, den wir liebhaben und den auch Gott liebhat. Aber warum läßt er ihn dann sterben?

Hier tun sich dann die gleichen Fragen auf wie damals. Aber die Antwort ist auch immer noch dieselbe. Wir sprechen auch heute immer wieder von der Auferstehung der Toten. Nur bringt Johannes darüber keine lange theoretische Abhandlung, sondern er kleidet alles in eine dramatisch ablaufende Erzählung ein. Dadurch wird die Überzeugung des ganzen Neuen Testaments anschaulich vor Augen gestellt: „Jesus kann vom Tode erwecken!“

Der Evangelist will also nicht etwas Aufregendes berichten, das sich in Jesu Erdentagen einmal zugetragen hat, sondern er will uns zum Glauben an die Auferstehung rufen. Es geht nicht um Lazarus und Bethanien und die Schwestern, sondern es geht um uns und um die Menschen in unserm Ort.

Aber wie verhalten wir uns manchmal angesichts des Todes? Oftmals versuchen wir doch, den Gedanken an den Tod zu verdrängen. Wenn einer todsterbenskrank ist, kommt er oft ins Krankenhaus und stirbt dort. Wir vermeiden ängstlich, mit ihm über seinen Zustand zu sprechen. Und wenn es dann zu Ende ist, wollen viele den Toten nicht mehr ansehen. Der Sarg wird überreich mit Blumen bedeckt, es werden ihm noch Blumen nachgeworfen. Es wird alles möglichst überdeckt.

In Johannes 11 wird nichts verschleiert. Der Tod des Lazarus wird geschildert, wie er wirklich ist: „Er stinkt schon, denn er hat schon vier Tage gelegen!“ Deutlicher kann man es nicht sagen. Und dahinter steht die Meinung: Jetzt ist es zu spät, jetzt ist nichts mehr zu machen, alles ist aussichtslos.

Nach damaliger Überzeugung blieb die Seele noch drei Tage in der Nähe des toten Körpers. Aber jetzt sind es schon vier Tage her, da ist die Grenze endgültig überschritten, das Leben ist endgültig aus dem Körper heraus, ein Scheintodsein kommt nicht mehr in Frage, außer dem klinischen Tod ist auch der biologische Tod eingetreten. - Wie reagiert Jesus auf dieses Geschehen? Als erstes wäre zu sagen:

 

(1.) Jesus bleibt fern! Er bleibt einfach noch zwei Tage dort, wo er sich gerade aufhält. Dabei weiß er genau, was sich inzwischen ereignet. Das ist aber genau auch unsere Situation. Wir behaupten in der Kirche, Jesus sei der Sieger über den Tod; und dann überläßt dieser Jesus doch dem Tod das Feld. Jedes Mal, wenn ein von uns geliebter Mensch stirbt, wird doch unser Auferstehungsglaube erschüttert.

Wir sagen dann auch oft: „Wäre der Arzt nur zur rechten Zeit dagewesen! Wenn er sich doch an die Anweisungen des Arztes gehalten hätte! Wäre er doch nicht immer so gerast mit seinem Motorrad!“ Manchmal befassen sich unser Gedanken noch lange mit solchem „Hätte, Wäre, Wenn“. Unser Herz will nicht frei werden vom Schmerz und von der Anklage, wir machen uns noch innerlich fertig.

natürlich ist das auch wieder verständlich. Wir hängen doch alle am Leben, an unserm eigenen und an dem unserer Angehörigen. Wir möchten unser Leben unter allen Umständen und mit allen Mitteln erhalten, nichts unversucht lassen und keine Möglichkeit verpassen, um das Letzte zu verhüten. Und wir würden sonst etwas dafür geben, um den Tod wieder rückgängig machen zu können.

Deshalb machen die Schwestern ja auch den Vorwurf: „Wir haben dich rechtzeitig benachrichtigt. Es war noch genug Zeit, ehe das Herz still stand. Du hättest gekonnt, aber du hast nicht gewollt!“ Dennoch ist Jesus nicht gleichgültig und läßt den Freund einfach so fallen. Er denkt nur auf weitere Sicht und in größeren Zusammenhängen, er hilft zunächst nicht, weil er mehr tun kann und will.

 

(2.) Jesus kommt! Nun wäre hier als zweites zu sagen: Als seine Zeit gekommen ist, da ist er doch da und wirft die Vorstellungen der Menschen über den Haufen. Wie kann er das? Gehört er nicht auch zur bedrohten und schwachen Menschenwelt? Er ist doch kein übermenschlicher Held, der die Flammen unversehrt durchschreiten kann. Er ist auch nicht gegen den Tod gefeit.

Und doch weiß Martha: Hier ist ein Mensch, der in völliger Verbindung mit Gott steht. Was er von Gott erbittet, das wird ihm Gott geben. Sie spürt genau: Er ist als einziger nicht in der Lage, in der alle Menschen sind, nämlich ohnmächtig, lahmgelegt, vom Tod überwältigt und zu Boden geschlagen. Jesus kann, wenn er will!

Wenn Jesus kommt, dann ist er allein der Mittelpunkt, nicht mehr Lazarus. Dann ist auch

keine Zeit mehr, sich denen zu widmen, die gekommen sind, um ihr Beileid auszusprechen und Trost zu spenden. Oftmals sind unser Bestattungsbräuche doch nur eine Kapitulation vor der Macht des Todes. Das Schreckliche wird dabei noch unterstrichen.

Müßten wir nicht an einem Sarg die Wehleidigkeit aufgeben und das Jammern ersetzen durch Getrostheit und Hoffnung? Wenn man sein Beileid ausspricht, dann sagen manche Menschen nach altem Brauch: „Es ist Gottes Wille gewesen!“ In dieser Richtung müßte auch unsere Antwort liegen, vielleicht noch etwas zuversichtlicher, etwa: „Gott wird ihr auferwecken!“

Gewiß gibt es auch eine Zeit des Trauerns und der Klage. Aber unsere Aufgabe ist es, davon wegzukommen und auf Gott zu schauen, der uns eine neue Zukunft gibt.

So machte es der König David: Solange sein Kind noch lebte, hat er um es gebangt. Als es aber dann gestorben war, stand er auf und regelte ganz nüchtern das Erforderliche. So wäre

es auch für uns gut: Nicht nur auf das Vergangene schauen, sondern in die Zukunft! Bei Lukas heißt es einmal: „Laß die Toten ihre Toten begraben; gehe du aber hin und verkündige das Reich Gottes!“ Das ist auch unsere Aufgabe gerade angesichts des Todes.

 

(3.) Jesus erweckt von Tode! Das wäre das Dritte, was über die Haltung Jesu zu diesem Geschehen zu sagen wäre. Doch Martha versteht ihn zunächst falsch: „Das weiß ich ja, daß er am jüngsten Tag auferstehen wird!“ Doch darum geht es ihr nicht. Sie hängt ja an diesem Leben mit allen Fasern und sucht es zu erhalten.

Es gab aber damals auch die entgegengesetzte Haltung. Es gab Irrlehrer, die sagten: „Die Auferstehung am Jüngsten Tag ist uns gleichgültig. Wir fühlen uns jetzt schon als Auferstandene. Auch wenn wir äußerlich gesehen sterben müssen, so macht uns das nichts aus!“ Gegen diese Meinung richtet sich die Geschichte von der Auferstehung des Lazarus, die ja das steilste Wunder dieser Art im Neuen Testament ist und sich am unwahrscheinlichsten anhört. Sie protestiert gegen die Vergeistigung der Auferstehung und macht deutlich, daß das etwas mit dem Leib zu tun hat.

Deshalb sagte man früher im Glaubensbekenntnis „Auferstehung des Fleisches“ und heute „Auferstehung der Toten“, aber nicht „Auferstehung der Seele“, so als hätte nur die Seele etwas mit Gott zu tun. Es geht hier auch nicht darum, nur zum eigenen Sterben ein neues Verhältnis zu gewinnen, sondern hier wird der wirkliche Tod überwunden.

Das soll aber andererseits nicht heißen, daß sich die Auferstehung so vollzieht, wie es hier bei Lazarus in einer anschaulichen Geschichte geschildert wird, daß sich die Gräber auftun und die Toten in ihren Sterbehemden herauskommen. Es geht hier nicht um ein Geschehen, das

mit der Filmkamera festzuhalten wäre, sondern um ein Leben in der Unverweslichkeit.

 

Jesus sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe!“ Jesus ist gekommen, den Menschen das Leben zu bringen. Es ist überraschend, daß er sagt: „Das Leben, das ihr sucht und erhalten wollt, das habt ihr in mir!“ Und zwar soll es nicht erst ein Leben in Jenseits sein, so als ob das Eigentliche erst nach der Auferstehung am Jüngsten Tag möglich wäre. Jesus wäre dann auch im Grunde nicht mehr nötig. Er würde uns nur über unser Zukunftsperspektive informieren und dann von der Bühne abtreten. Hauptsache, wir haben alles, was wir uns wünschen. Der Glaube an Christus hätte keine Bedeutung mehr.

Jesus aber sagt: „Was ihr bisher als Auferstehung und Leben angesehen und erhofft habt, das wird euch zuteil in mir. Sucht es nicht anderswo und ohne mich. Wenn ihr an mich glaubt, dann habt ihr es. Ein ewiges Leben ohne Jesus wäre doch die Hölle. Das wahre Leben ist die Gemeinschaft mit Gott in Christus. Wenn er Grund und Ziel unsers Lebens wird, dann haben wir erst das wahre Leben.

Martha versteht Auferstehung zunächst nur als Fortsetzung des bisherigen Lebens. Aber eines Tages hätte Lazarus dann doch wieder sterben müssen. Jesus aber bietet ihr die Auferstehung zu einem Leben an, das er in die Welt gebracht hat. Es geht im Leben nicht darum, wie man die 80 oder 90 Jahre erreichen kann (An der Apotheke steht manchmal: „Sie können 103 Jahre alt werden durch gesunde Lebensweise und Medikamente“).

Aber entscheidend ist die Frage, wie meine 80 oder 50 Jahre von Christus her ihren Inhalt bekommen. Wir versuchen oft, uns auch gegen den Tod durchzusetzen und uns über ihn hinwegzusetzen. Doch Christus ermutigt uns, daß wir uns fallenlassen und loslassen an ihn, um bei ihm das Leben neu zu empfangen.

Das soll allerdings nun nicht heißen, daß wir nach dem Tod nichts mehr zu erwarten hätten. Nur: Wenn ewiges Leben nichts anderes ist als die Gemeinschaft mit Christus, dann haben wir es schon heute, dann sind wir - i n diesem Sinne - schon auferstanden. Wenn wir heute schon in der Christusgemeinschaft leben, dann bleibt sie auch m Sterben erhalten. Sterben heißt nicht: „Jetzt läßt er uns los!“ Der Tod ändert nichts daran, daß wir mit Christus verbunden sind. Lazarus ist der Freund Jesu. Er ist lebendig, diese Freundschaft ist lebendig, auch wenn er noch im Grab ist.

Das sollten wir vor Augen haben, wenn wir meinen, Christus bliebe fern. In Wahrheit kommt er und will uns auferwecken. Was heute schon im Verborgenen geschieht, das wird der jüngste Tag endgültig ans Licht bringen.

 

 

Joh 12, 20 - 26 (Lätare):

Was ein Mensch wert ist, merkt man oft erst, wenn er tot ist. Wie viele Leute sind erst nach ihrem Tod und gerade durch ihren Tod berühmt geworden! Denken wir etwa an der Südamerikaner Che Guevara, der zunächst mit Fidel Castro in Kuba gekämpft hat und auch drei Jahre einer seiner Minister war. Dann aber hatte er die Verwaltungsarbeit satt, er wollte seine revolutionären Ziele weiter verfolgen und nicht im Alltagstrott ersticken. Die Revolution sollte nicht auf die Insel Kuba beschränkt bleiben, sondern ganz Südamerika erfassen.

So brach er mit vielleicht 50 Leuten nach Bolivien auf, um dort den Kampf neu zu beginnen.

Die Polizei hatte die Gruppe aber bald aufgespürt und Che Guevara wurde erschossen. Aber gerade dadurch wurde er zu einem Vorbild für die Jugend in der ganzen Welt. Als 1968 die großen Studentenunruhen waren, da führte man überall Bilder Che Guevaras bei den Umzügen mit. Erst sein Tod hat ihn so bekannt gemacht und dazu geführt, daß er bis heute nachwirkt.

Ähnlich ist es ja mit Jesus auch gewesen. Wenn er irgendwann als alter Mann im Bett gestorben wäre, dann würde sein Name vielleicht noch in Nachschlagewerken auftauchen, aber es gäbe keinen, der ihn auch heute noch als den lebendigen Herrn anbetet. So aber ist sein Tod zu einem Sinnbild für jedes Leiden der Menschen geworden. Selbst im Geschichtsbuch für die Schule findet man ein Bild des Gekreuzigten.

Für uns als Christen ist aber noch mehr damit verbunden. Ein Mann wie Che Guevara ist ja nur für eine politische Sache gestorben. Jesus aber ist gestorben zur Erlösung für die ganze Menschheit. Er hat nicht eine Idee verwirklichen wollen, sondern den Willen Gottes ausgeführt.

Dazu ist jetzt die Stunde gekommen. Selbst gebürtige Griechen wollen Jesus sehen. „Alle Welt läuft ihm nach!“ mußten selbst die Gegner Jesu anerkennen. Wie gerufen kommen deshalb jene Griechen, die an sich zum Passahfest angereist waren. Zunächst wollen sie nur „sehen“, vielleicht aus Neugier, vielleicht auch aus Interesse. Das ist noch keine Nachfolge. Aber so fängt es an, wenn jemand ein Jünger Jesu wird. Der Weg geht dabei über die anderen Jünger. Jene beiden sind die einzigen im Jüngerkreis, die einen griechischen Namen haben. Vielleicht haben sie sich besonders um die Mission unter den Griechen gekümmert.

Doch das alles ist nur ein „Anspiel“ für die eigentliche Verkündigung. Die Griechen sind bald wieder vergessen gegenüber dem, was Jesus nun für alle ausspricht. Ihre Anfrage macht nur deutlich, daß jetzt die „Stunde“ für Jesus gekommen ist. Jetzt müssen die Dinge ihren Lauf nehmen. Jetzt wird Jesus mit den Jüngern auch von der Notwendigkeit seines Leidens sprechen müssen, wird ihnen sein Leiden ankündigen müssen.

Dabei weiß Jesus genau: „Die Jünger werden nicht begreifen, was sein Tod bedeutet. Wir heute begreifen es ja noch nicht, müssen immer noch an diesem „Wort vom Kreuz“ herum­buchstabieren. Wir sehen zwar an vielen Orten im kirchlichen Bereich und darüber hinaus das Kreuz, wir haben uns daran gewöhnt und sind wohl auch etwas abgestumpft. Aber wenn wir daran denken, was an jenem Kreuz geschehen ist, dann ist das Kreuz Jesu doch beunruhigend und erregend für uns.

Wenn es nicht so wäre, müßten wir darin doch ein bedenkliches Zeichen sehen. Sicher ist es auch eine gute Ordnung, wenn wir in den Wochen vor Karfreitag vor Augen haben, welchen Weg unser Herr hat gehen müssen. Das heißt nicht, daß wir uns damit für die übrige Zeit des Kirchenjahres davon freigekauft hätten. Jetzt befassen wir uns nur ausführlicher damit um uns für alle Zeit darin einzuüben und damit leben zu können.

Jesus verwendet hier ein Gleichnis, das uns dem Sinn seines Leidens und seiner Auferstehung deutlich machen kann. Gleichzeitig hilft er damit auch uns, mit unserm Leiden fertig zu werden. Er spricht vom Weizenkorn, das in die Erde gelegt wird und stirbt, um dann auf neue Art und Weise wieder aufzuerstehen. Dieses Gesetz des Weizenkorns        bewirkt für Jesus die Vervielfältigung seines Lebens, für uns aber die Verwirklichung unsers Lebens.

Auch in der schlimmsten Hungerzeit muß man immer noch Saatgut aufheben für das nächste Jahr. Durch die kostbaren Körner hätten ausgehungerte Menschen satt gemacht werden können. So aber sagt die Vernunft: „Sie müssen aufgehoben werden für die Aussaat im nächsten Jahr!“ Aber auch dann bei der Aussaat werden die kostbaren Körner auf die Erde geworfen und sterben ab. Doch das einzelne Samenkorn muß eben absterben, wenn es sich vervielfältigen soll.

So mußte auch Jesus seine menschliche Lebensweise aufgeben, um seine Keimkraft entfalten zu können. Zunächst war das Unternehmen Jesu nur eine innergeschichtliche Bewegung. Er hatte ein paar Schüler und Anhänger um sich gesammelt, es wurden mit der Zeit einige mehr. Er hat auf sie eingewirkt, damit sie eine neue Art des Miteinanderlebens finden und in die Welt hineinwirken.

Zunächst war Jesu Sache nur etwas, was sich im Raum dieser Welt abspielte. Sie hat sich von Mensch zu Mensch fortgepflanzt, so wie ein brennender Gegenstand den nächsten in Brand steckt. Durch den Tod Jesu aber wurde seine Sache in die ganze Welt hinausgetragen, da hat sich das Feuer im Funkenflug überall hin ausgebreitet. Das Verlangen jener Griechen, die Jesus sehen wollen, ist ein Anzeichen dafür, daß sich nun der eigentliche Auftrag Jesu vollendet.

Natürlich wird auch heute die Botschaft Jesu nur von Mensch zu Mensch weitergegeben. Aber sie wissen jetzt: „Ihrem Herrn ist schon alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben. Er ist verherrlicht und in den „Raum“ Gottes zurückgekehrt. Er ist aus dem kleinen irdischen Wirkungskreis herausgenommen und zu weltweiter Wirksamkeit ermächtigt. Wo immer seine Leute hinkommen werden, um Menschen einzuladen, da ist er gegenwärtig. Wo immer zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da ist er mitten unter ihnen.

Doch diese Veränderung war nicht ein harmloser Vorgang wie die Verwandlung von Wasser in Dampf. Das Weizenkorn muß in der Erde absterben. Das Sterben ist für Jesus sicher nicht leicht gewesen. Aber Kraft erhielt er nur durch die Hingabe, den Sieg nur aus der Niederlage. Aber er war kein Held, er hat ja selber darum gezittert, ob er auch alles schafft, wie Gott es will.

Jesus ist ja nicht nur einfach gestorben, sondern hingerichtet worden. Damit war doch auch zunächst einmal alles zunichte gemacht, was er in seinen Erdentagen unter Mühen und Opfern erreicht und zustande gebracht hat. Nun soll er „Ja“ dazu sagen, daß auch sein Werk zunächst einmal gescheitert ist. Er muß doch annehmen, daß er nicht nur Menschen gegen sich hat, sondern Gott selbst.

Er hat ja nicht unbedingt seine Erhöhung voraussehen können. So war sein Leiden und Sterben schon eine schwere Anfechtung für ihn. Bei uns ist das ja auch nicht anders. Wir glauben zwar an die Auferstehung der Toten das und das ewige Leben. Aber das heißt ja nicht, daß das Sterben keine Anfechtung für uns bedeutet. Auch ein glaubender Mensch wird da auf schwerste Proben gestellt. Aber er kann es auch lernen, mitten in aller Betrübnis den Weg in Gottes Arme zu wagen.

Dieses Gesetz vom Weizenkorn, vom Sterben und Neuwerden, gilt für jeden Christen. Wir sind nicht selber Christus. Sein Opfer bleibt doch einzigartig. Aber sein Weg ist auch bestimmend für unsern Weg. Wir können nicht geruhsam auf der Kirchenbank oder im Fernsehsessel sitzen und mit verschränkten Armen zuschauen, wie Jesus stirbt. Es gibt für uns keinen Weg an Kreuz vorbei, in Leben mit dem Auferstandenen ohne das Mitsterben.

Wir müssen halt ganz unverblümt sagen, daß das Christsein auch etwas kostet. Es ist nichts für solche, die nur sich selbst schonen wollen. Oftmals denken wir doch „Ich will ja Christ sein, aber mein sonstiges Leben soll nicht darunter leiden. Meine Kinder sollen deswegen keine Nachteile haben, und aktiv dafür einsetzen will ich mich auch nicht!“ im Grunde sind wir alle doch leidensscheu und bequem, feige und unfrei und wollen nur halbe Nachfolger Jesu sein. Zumindest soll es nicht an unser Lebensmöglichkeiten gehen.

Da kann man nur schwer daran glauben, daß man gerade in der Nachfolge des Gekreuzigten das Leben gewinnen wird. Aber es kommt auf einen Versuch an. Vielleicht werden wir dann erfahren, daß Christus uns gerade dann das Leben gibt, wenn wir fürchten, es zu verlieren. Es ist Gottes Sache, wie sich das Gesetz des Weizenkorns in unserm Leben auswirken soll. Der eine kriegt eben mehr ab als der andere. Jesus aber will uns willig und bereit machen, für alles, was kommen kann. Es ist nicht ein Mißgeschick oder eine Panne, wenn wir auch zu leiden haben.

Wer das begreift, der sammelt sich nicht Schätze auf Erden, denn er hat sein Bestes bei Gott. Er wird sich nicht um Unvermeidlichen wundreiben und sich nichts ertrotzen wollen. Er wird nicht meinen, daß Wohlstand und Besitz die Menschlichkeit und Vergebung der Sünden überflüssig mache. Er wird sich vielmehr Gott ganz zur Verfügung stellen, vielleicht sogar alle seine Wünsche und Hoffnungen hintenanstellen, um so auf andere einzuwirken und Gottes Tat an andere weiterzugeben.

 

Joh 12, 12 - 24 (Palmarum):

Gott und Jesus und der Kirche werden viele Erwartungen entgegengebracht. Warum besuchen denn Menschen den Gottesdienst, halten Verbindung zur Kirche und schicken ihre Kinder zum kirchlichen Unterricht? Fast könnte einem Angst werden, weil die Kirche so viel Vertrauensvorschuß hat und man ihre Macht natürlich weit überschätzt. Die Kirche kann aber immer nur Vorschläge machen und ihr moralisches Gewicht in die Waagschale werfen, aber nicht eine Änderung herbeiführen und eine heile Welt schaffen. Die Kirche ist ja auch viel zu schwach, um etwas bewegen zu können. Wenn ihre Gegner wüßten, wieviel Versagen und Verzagen, wieviel Schuld und Mißtrauen es in ihr gibt, hätten sie nicht soviel Angst vor ihr. In Zukunft werden die Einflußmöglichkeiten eher noch abnehmen. Doch das entspricht ganz dem Willen Jesu.

 

Jesus will ohne Macht zum Königtum: Schon damals hatten die Menschen falsche Erwartungen an Jesus. Eine große Menge befand sich aus Anlaß des Passahfestes in Jerusalem. Dieses Fest erinnerte an die Befreiung aus Ägypter und erweckte jedes Jahr neu Hoffnungen auf den Messias und sein Reich. Palmzweige sind Zeichen des Königtums, auf Münzen waren sie zu sehen. Und wenn die Menschen Jesus als „den Kommenden“ begrüßen, da verwenden sie den Geheimnamen für den erhofften Messias.

Doch man erwartet von ihm Hilfe im weltlichen Bereich, speziell auf dem Gebiet der Politik. Der Macht Roms war doch wohl nur mit Macht zu begegnen. Die Erde müßte umgestaltet und in ein Paradies verwandelt werden, damit die Rechtlosen und Niedergehaltenen wieder eine Zukunft haben. Die gesellschaftlichen Verhältnisse müssen neu geordnet werden, damit eine effektive Hilfe für die kleinen Leute erfolgt.

Auch wir denken im Grunde so wie die Menschen damals. Und als Christen sollten wir schon einen Standort beziehen und für die Neuordnung der Dinge uns einsetzen, unter Umständen auch durchaus kämpferisch. Es ist schon recht, wenn die Menschen auch das genießen können, was sie erarbeitet haben.

Aber all das ist nicht die Hauptaufgabe Jesu: Er läßt sich zwar den Ruf der Menge gefallen. In dem Ruf „Hosianna“ verbirgt sich ja sein eigener „Name“: Er will ja „Helfer“ und „Retter“ sein. Und er hat natürlich den Einzug in Jerusalem so gestaltet, daß das Messiasthema anklingt: Er besteigt ja ein Reittier und läßt sich zujubeln.

Doch bezeichnender Weise kommt er nicht hoch zu Roß, sondern auf einem Esel. Andere, die ihre Machtergreifung mit einem Marsch auf die Hauptstadt begonnen haben, sind mit Waffen und Soldaten gekommen und haben ihren Weg mit Blut (fremdem Blut natürlich) gezeichnet. Jesus aber ist bereit, sein Blut für die Rettung der Vielen zu vergießen. Er liefert sich dem Todesurteil aus, das über Revolutionäre verhängt zu werden pflegt, und bleibt gehorsam bis ans Kreuz.

Jesus geht einen Umweg, um ohne Macht ans Königtum zu kommen. Das geschieht nicht aus taktischen Gründen, um einmal auf eine andere Art als üblich etwas zu erreichet. Jesus entwickelt nicht einen neuen Stil des politischen Handelns, nämlich den der Machtlosigkeit und des Rechtsverzichts.

Jesu Reich ist nicht eine Herrschaft neben anderen. Er bringt vielmehr ein neues, endzeitliches Königtum, das einmal alle Staatlichkeit aufheben wird, nämlich dann, wenn er wiederkommen wird. Dann wird er wirklich sein Volk regieren, wie es vorher noch kein anderer regiert hat. Für dieses kommende Reich demonstriert Jesus, indem er den Esel besteigt; aber er macht nicht so etwas wie eine christliche Politik.

Deshalb wenden sich die Leute auch bald wieder von ihm ab. Sie haben nur vordergründig an das gedacht, was äußeren Nutzen und Vorteile bringt. Aber wenn das dann nicht so ist, dann ist auch die Sache mit Gott für die erledigt. Dann flaut die Begeisterung ab und man geht wieder zur Tagesordnung über. Die jetzt noch „Hosianna“ rufen, werden in einer Woche „Kreuzige ihn“ schreien. So schnell geht das, wenn man Jesus mißverstanden hat.

So ging es auch einer Frau, die einmal die Beste ihrer Konfirmandengruppe war und der Liebling des Pfarrers. Als sie neunzehn Jahre alt war, betete sie das erste Mal aus tiefstem Herzen um das Leben ihrer krebskranken Mutter. Als die Mutter aber doch starb, warf sie Glauben und Christentum als untaugliche Mittel über Bord. Sie war eben nicht darauf vorbereitet, daß wir unweigerlich mit unseren Erwartungen scheitern müssen, wenn wir uns Jesus nähern. Er ist eben anders, als wir es uns so wünschen.

 

Nur über das Kreuz kommt man zur Herrlichkeit: In Jesu Umwelt hat es eine Strömung gegeben, in der man glaubte, die Vollendung der Dinge sei schon eine Tatsache: Vom Ölberg her komme der Friedenskönig, und mit ihm bricht die neue Welt an. Das erste Grab hat sich ja bereits aufgetan, als Lazarus von den Toten auferweckt wurde. Jetzt wird mit dem Einbruch des Wunderwirkens Gottes gerechnet. Und wenn die Hohenpriester Lazarus aus dem Wege räumen wollen, dann wollen sie damit den Anbruch der neuen Welt beseitigen, wollen sie den beginnenden Brand austreten.

Die Gegner haben Jesus von Anfang an gehabt, weil er anders war als sie. Jesus hatte erreicht, was ihnen mißlang. Voller Neid müssen sie eingestehen: „Alle Welt läuft ihm nach!“ Das war sicher übertrieben. Jesus hatte gar kein Talent, eine Massenbewegung zu organisieren, vor allem wollte er es auch nicht.

Ob sich wohl viele zu ihm bekennen und öffentlich für ihn demonstrieren würden, wenn er in unsern Ort käme? Bekennen wir uns denn zu ihm in unserem .Alltagsleben? Wenn wir doch nur auch einmal mit solchen Zahlen aufwarten könnten, daß die anderen sagen würden: „Ihr seht, daß ihr nichts ausrichtet, denn alle Welt läuft ihm nach!“ Dann würde man auch sehen, daß die Kirche nicht nur aus Mitläufern besteht, sondern etwas dahintersteckt.

Doch viele machen sich nicht klar, daß zum Christsein auch das Kreuz dazugehört. Auch Jesus hat es noch vor sich, und deshalb ist ihm bange. Sicher wird der Weg am Ende zu seiner Verherrlichung führen. Aber das heißt nicht, daß der Tod nicht ernst genommen würde. Die Jesus da im Messiasrausch zu jubeln, haben nicht begriffen, daß das Weizenkorn erst in die Erde fallen muß, ehe es Frucht bringen kann.

Wenn wir das anerkennen, wird unser Leben auch Frucht bringen. Dann dürfen wir auch heute schon von der Herrlichkeit Gottes reden, dürfen sie heute schon vorausnehmen. Aber Christus gehört unbedingt mit da hinein. Eine Zukunft ohne Christus wäre die Hölle, er gehört in die christliche Hoffnung mit hinein.

Aber davor steht erst einmal das Kreuz. Wir stehen am Anfang der Karwoche, in der wir uns in das Leiden und Sterben Jesu vertiefen. Kinder nimmt das sehr viel mehr mit als uns. Wenn sie etwa das Kreuzigungsbild von Mathias Grünwald auf dem Isenheimer Altar sehen, dann fragen sie: „Was sind das denn für spitze Stacheln?“ Oder sie sagen: „Das sind die Zacken von der Peitsche!“ Selbst die Hartgesottenen werden davon erschüttert. Aber dieses Leiden war die Voraussetzung für die Erhöhung und damit seine Wirksamkeit

 

Die Selbsthingabe Jesu führt zur Wirksamkeit für die ganze Welt: Da sind einige Ausländer, die gern einmal Jesus kennenlernen möchten. Die Juden haben Jesus abgelehnt, aber die griechisch sprechende Welt fragt nach ihm; das soll man hier heraushören. Allerdings dürfen sie nicht mit Jesus sprechen. Der Zugang zu ihm erfolgt über die Jünger.

Das ist die Lage, in der auch wir heute sind: Wir können nicht mehr direkt mit Jesus sprechen, sondern der Zugang zu ihm geht über die Predigt der Apostel und Evangelisten. Oft müssen wir uns erst mühsam an die Botschaft Jesu heranarbeiten und uns von ihm die Augen öffnen lassen.

Sein Sterben gehört dabei unbedingt mit dazu. Denn nur so konnte er der Herr/über alle Menschen werden. Nur als der Erhöhte ist er auch heute noch für uns zugänglich. Aber wir können nicht fordern: „Nur wenn ich Jesus persönlich sehen kann, könnte ich auch an ihn glauben!“ Jesus bleibt unsichtbar, weil er erst sterben mußte, ehe er der Heiland der ganzen Welt werden konnte.

Aber schon die Griechen von damals haben an ihn geglaubt, obwohl sie ihn nicht sehen und hören konnten. Ihnen wird nur die Botschaft von dem Weizenkorn verkündet, damit sie teilhaben können an der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn. Indem die Kirche die Botschaft Jesu weitergibt, macht sie ihn sichtbar und in der Welt wirksam.

Die Frage an uns bleibt: Sind wir nur Mitläufer, deren Begeisterung bald verflacht? Oder bleiben wir abwartend oder vielleicht sogar ablehnend, wenn nicht alles so kommt, wie wir es uns gedacht haben? Oder fragen wir nach Jesus, um noch Genaueres zu erfahren? Sind wir bereit zum Dienen?

Nur wer sich von Jesus in den Dienst stellen läßt, wird alles über ihn erfahren. Es gibt viele Dienste für Jesus: Der Gottesdienstbesuch, das Einspringen für die Nachbarin, die Geldspende. Auf diese Art und Weise können wir uns vorbereiten auf den Empfang Jesu, nicht durch eine sensationslüsterne Neugier. Und somit werden wir heute gefragt: „Bist du bereit zum Dienen und damit vorbereitet auf das Kommen Jesu?“

 

 

Joh 12, 34 - 36 (Letzter Sonntag nach Epiphanias):

Auf der einer Kunstausstellung in Dresden in der Zeit der DDR wurde eine Bronzeplastik von Professor Fritz Cremer gezeigt: „Das endlose Kreuz!“ Dieser Mann verkörperte auf seinem Gebiet die staatlich anerkennte Kunstrichtung und hat zum Beispiel auch das Denkmal in Buchenwald entworfen. Er hat sich aber auch oft mit der Gestalt des Gekreuzigten auseinandergesetzt. Vielleicht hat er dazu aber nicht so sehr die Bibel gelesen, sondern sich mehr auf solche Vorbilder wie Matthias Grünewald belogen.

Aber Cremers Christus hängt nicht mehr am Kreuz, sondern er hat sich die Dornenkrone vom Kopf gerissen und schwenkt sie in der Luft. Er steigt vom Kreuz herunter und hat die Arme hochgerissen wie der Sieger in einem Wettkampf. Es ist ganz klar, was der

Künstler damit sagen will: „Nicht der Dulder erlöst die Welt von ihrem Leiden, sondern der Revolutionär, der für die Erlösung der Welt kämpft!“

Auch der Evangelist Johannes vermeidet es, vom Leiden Jesu zu erzählen. Vom Kreuz ist nur im Passionsbericht selbst die Rede. Aber wenn Jesus am Kreuz hängt und dieses aufgerichtet wird, dann bedeutet das nach Johannes in Wahrheit seine Erhöhung und Verherrlichung. Und die Verherrlichung oder „Verklärung“ Jesu ist ja das Thema des heutigen Sonntags.

Doch das Wort „Erhöhung“ hat für Johannes gleich eine Doppelbedeutung: Der den Menschen ausgeliefert ist und umgebracht werden wird, der wird danach auferstehen. Der zwischen Himmel und Erde hängen muß, wird wieder zum Himmel erhöht, aus dem er gekommen ist.

Doch schon damals hat man gemeint: Jesus dürfte nicht weggehen, nicht irgendwohin entrückt oder erhoben werden und schon gar nicht so einen schrecklichen Tod sterben. Er sollte vielmehr ewig bleiben und in dieser Welt ein stabiles Reich errichten, in dem sich alle Hoffnungen dieser Welt erfüllen: Wohlstand und Glück, Glanz und Ansehen, Freiheit und Friede. Wozu dann dieses schreckliche „Muß“ des Leides?

Viele werden sich gesagt haben: „Was nützt uns, wenn es um die Rettung der Welt geht, ein toter Christus? Was nützt uns dieser tragische Verlierer? Was kann der Elendeste unter den Elenden schon ausrichten, wo es doch schon genug Elend in der Welt gibt!“ So denken wir doch auch im Stillen. Wir brauchen den Mann des Erfolgs und nicht den Scheiternden. Wir brauchen nicht einen am Querbalken des Holzes, sondern einen, der fest auf seinem Thron sitzt. Sieg muß sein und nicht Niederlage, Macht und nicht erbärmliches Sterben.

Und dann noch ein Punkt: Was nützt uns ein König aller Könige, wenn er nicht d a ist, sondern irgendwo „droben“? Wenn man die Herrschaft Christi erst ins Jenseits verlegt, dann gibt man das Diesseits preis. Seine Herrschaft bleibt unanschaulich und kann jedenfalls nicht direkt in Weltliches umgesetzt werden. Wie kann man da gewiß sein, daß der erhöhte Herr ge­gen­wärtig ist und die Seinen ermächtigt, noch größere Werke zu tun?

Wir wissen, daß Jesus nicht mehr auf der Erde ist, sondern bei Gott. Aber das darf nicht bedeuten, daß wir die Dinge der Welt ihren Lauf nehmen lassen. Christsein verpflichtet zum Dienst an den Menschen in den gegebenen Ordnungen dieser Welt. Alle Unordnung muß bekämpft und durch Besseres ersetzt werden. Hier haben wir mit Nichtchristen zusammenzuarbeiten, ohne allerdings unseren Herrn zu verleugnen.

Christen dürfen selbst nicht Unrecht tun. Sie dürfen aber auch nicht zulassen, daß anderen Unrecht geschieht. Dazu werden sie im Einzelfall im Sinne des Rechtes tätig werden müssen und z.B. einen Beschwerdebrief schreiben und dann nachhaken und eine Entscheidung verlangen; ob das in eigener Sache geschieht oder für einen anderen, spielt dabei keine Rolle. Es wird aber auch gut sein, sich generell für die Beseitigung menschenfeindlicher Ordnungen einzusetzen, damit es erst gar nicht zu Verletzungen im Einzelfall kommt.

Doch das alles bedeutet natürlich nicht, daß damit die Königsherrschaft Jesu Christi verwirklicht würde. In dieser Welt leben wir immer noch auf der Ebene des Gesetzes, wo Gott mit seinen Notordnungen das Leben erhält bis zu dem großen Tag Jesu Christi. Die weltliche Ordnung kann nicht allein auf der Einsicht und dem guten Willen der Bürger beruhen. Sie muß auch durch Nacht geschützt und durchgesetzt werden, weil wir noch Sünder sind. Christus aber regiert die Seinen nicht auf solche Weise, das wäre ganz unmöglich. Sein Reich ist ganz auf die Gnade gegründet.

Aber auch dem Staat wäre nicht gedient, wenn man ihm etwas abverlangte, was er gar nicht leisten kann. Der Staat maß sachlich und illusionslos handeln. Er kann nicht religiös überhöht werden und das Heil Gottes herbeiführen. Im Iran versucht man ja so etwas, einen Gottesstaat zu schaffen mit Gewalt und Fanatismus. Aber das dabei herausgekommen ist, das ist vielleicht noch schlimmer als der Fortschrittsglaube des vorhergehenden Systems.

Doch die Herrschaft des Königs Jesus Christus sieht anders aus. Zu ihr gehört eben das Tragen der Sünde der Welt, zu ihr gehört das Kreuz. Sein Reich ist nicht von dieser Welt und kann auch nicht in das weltliche Geschehen hinabgezogen werden.

Dennoch werden wir mit großem Nachdruck auch immer wieder auf das Heute gewiesen. Jesus maß sich auf ein schweres Ende gefaßt machen. Aber bis dahin bleibt noch eine kleine Zeitspanne, die genutzt werden soll. Doch man darf dabei nicht vergessen: Das Licht, in dem es zu wandeln gilt, ist er selbst. Dem Volk war es mehr um das Reich zu tun und um all die Annehmlichkeiten, die man sich von ihm erhoffte.

Jesus aber lenkt den Blick auf seine Person: Die Menschen sollen nicht irgendetwas erwarten, sondern ihn! Die Möglichkeit der Gemeinschaft mit ihm ist äußerlich gesehen aber nur kurz befristet. Begegnung ist immer die Sache des jeweiligen Augenblicks. Das schließt nicht aus, daß es auch ein „Bleiben in Christus“ gibt. Das Volk wollte Ja gerade etwas Bleibendes. Sie sollten aber auf das aus sein, was immer wieder geschieht:

Der Wandel im Licht! Heute schon sollen wir das haben, was Christus uns geben will. Es ist ja ungewiß, ob wir es morgen noch werden haben können. Sonst sind wir doch auch darauf aus, möglichst alles mitzunehmen und uns hinzulegen, damit wir es haben, wenn wir es brauchen.

Auch beim Glauben gibt es schwerwiegende Versäumnisse. Manch einer denkt: „Ich bin noch jung, mit dem Glauben und mit der Kirche hat es noch Zeit. Wenn ich erst einmal Zeit habe...!“ Aber wer weiß denn, ob er alt wird und vor seinem. Tode sein Leben noch einmal überdenken und sich noch zu Christus hinwenden kann. Wird man sich überhaupt noch an die Worte Jesu erinnern, wenn man sie in der Zeit des Wohlbehagens und der Geschäftigkeit überhört hat.

Aber noch haben wir Gelegenheit, zu diesem Jesus „Ja“ zu sagen. Noch können wir von unseren vielerlei Anforderungen für eine gewisse Zeit loskommen. Manchmal muß man sich diesen Freiraum erkämpfen. Wir brauchen gelegentlich den Abstand vom Alltag und eine stille Zeit, in der wir ungestört auf Gottes Wort hören, wo wir beten und nachdenken können. Da können wir ein besseres Verständnis für unsere Mitmenschen und für die Probleme der Welt geschenkt bekommen. Das sind wertvolle Augenblicke, wo Weichen für unser Leben gestellt werden. Es ist eben entscheidend wichtig, ob wir im Licht leben.

Wer wirklich lebt, wird das Heute nicht verträumen oder verdösen. Er wird die Zeit nutzen, die ihm gegeben ist. Er wird nicht in hastige Geschäftigkeit verfallen, aber er wird sich dem Licht Gottes ausnetzen, das ihn bescheint. Man weiß nie, wie oft Christus noch anklopfen wird, in Wort und Sakrament. Viele Leute besinnen sich erst auf Gottesdienst und Abendmahl, wenn sie krank sind. Aber dann können sie nur am Radio den Gottesdienst verfolgen. Dafür erwacht aber manchmal ganz neu der Wunsch nach dem Abendmahl. Da kann eher geholfen werden, das kann man ja auch im Haus im kleinen Kreis feiern.

Besser ist aber, wenn man die Regel beherzigt: „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!“ oder sagen wir es mit den Worten des Predigttextes: „Wandelt solange ihr das Licht habt!“

Wir h a b e n also das Licht. Das ewige Leben fängt jetzt schon an. Und es ist entscheidend wichtig, ob wir im Licht leben oder in der Finsternis. Im Licht gedeiht das Leben, die Wahrheit, das Gute. Wo das Licht ist, da ist Gott. Wer aber in der Finsternis wandelt, der weiß nicht, wo er hingeht. Er kann Hindernisse nicht unterscheiden, Abgründe nicht erkennen, die Richtung nicht ausmachen. Er merkt nicht, wenn er ins Verhängnis läuft, weil er sich ja für sehend hält. Aber er kann die Helligkeit der bunten und reichen Welt nicht wahrnehmen und weiß letztlich nicht, wohin die Reise wohl gehen wird.

Ganz anders ist es dagegen, wenn wir Jesus begegnen. Da werden wir wach für Gott. Da bereifen wir, daß wir als Gegenüber Gottes geschaffen werden. Da werden wir angestrahlt von dem, was nicht von dieser Welt ist. Dann leben wir zwar unser Leben wie alle anderen: Wir gehen zur Arbeit und tun, was zum alltäglichen und sonntäglichen Leben gehört. Sicher haben wir auch Leiden zu tragen und mit Problemen zu kämpfen. Aber in allem ist Christus, in dem Gott selbst uns ansprícht. So wissen wir, von wem wir herkommen und zu wem wir gehören-

 

 

Joh 12, 44- 50 (1. Sonntag nach dem Christfest):

Wenn man von einem Ort in einen anderen kommen will, dann kann man oft verschiedene Wege wählen. Man kam die Straße benutzen, die ja als bequeme Verbindung zwischen den Ortschaften gebaut wurde. Man kann aber seitwärts durch Feld und Flur gehen. Manchem gefällt das ja. Wenn man Zeit und Ruhe hat, kann das sogar ganz schön sein. Schwieriger ist es allerdings bei Nacht. Aber auch das gefällt manchem, in der Dunkelheit auf einsamen Wegen zu gehen. Nur muß er damit rechnen, daß das nicht so einfach ist und auch einmal etwas schief gehen kann.

In unserem Leben müssen wir uns immer wieder überlegen, welchen Weg wir gehen wollen. Wir können versuchen, uns allein durchs Leben zu schlagen. Aber wir können auch den Weg Gottes gehen. Dort finden wir das Licht, dort finden wir Gott und dort finden wir das Leben.

 

(1.) Jesus ist das Licht: Was lichtloses Leben ist, wissen wir kaum noch. Wenn es dunkel wird, gehen Millionen von Lichtern an, die den Fortgang eines normalen Lebens ermöglichen. Notfalls stehen große Scheinwerfer zur Verfügung. Sie tauchen zum Beispiel ein Stadion

ins Flutlicht, so daß dort sogar Farbfernsehkameras ohne Schwierigkeit zum Einsatz kommen können.

Die Alten mußten zu Bett gehen, wenn es dunkel wurde. Oder sie konnten mühsam ein kleines Öllämpchen anzünden. Wir können das nur noch nachempfinden, wenn einmal das elektrische Licht ausfällt und zum Beispiel der Fernsehapparat nicht mehr geht. Dann muß man sich mit einer Kerze oder Taschenlampe begnügen.

Gottes Licht aber scheint immer. Die Sonne scheint für jeden von uns, ohne daß wir etwas dazu tun müßten oder auch nur könnten. Es ist unausdenkbar, wenn die Sonne eines Tages nicht mehr schiene. Und es wäre dumm, wenn wir auf dieses Licht verzichten wollten und uns in einen dunklen Bunker zurückzögen, in dem nur eine 100-Watt-Lampe brennt. Wer so etwas tun will, ist selber schuld daran.

Mit Gott aber machen wir es oft so. Er hat seinen Sohn Jesus in die Welt gesandt, damit er das Licht der Welt ist. Sie sperren sich gegen dieses Licht und tun so, als ob es Gott nicht gäbe. Aber im Dunkel sieht man den Weg nicht, auch nicht die Abgründe und Hindernisse. Man findet nicht, was man sucht. Man kann nicht unterscheiden. Gefahren nimmt man nicht wahr. Böses und Lichtscheues verbirgt sich im Dunkel.

Licht und Finsternis sind nicht zwei gleichartige Größen.

Die Finsternis kann das Licht nicht verdrängen, so wie ein Giftgas die Atemluft verdrängt Wenn Licht einfällt, ist die Finsternis vernichtet. Aber das Umgedrehte ist nicht möglich. Deshalb beginnt in der Bibel auch die Schöpfung mit der Erschaffung des Lichtes, das die Finsternis überwindet.

Dennoch fühlen sich viele in der Finsternis wohl und meinen, ohne Gott im Leben auskommen zu können. Aber es hätte wenig Sinn, ihnen einreden zu wollen, sie tappten im Dunkel. Einer, der noch nie die Sonne gesehen hat, wird eine 100-Watt-Lampe für ein helles Licht halten und damit zufrieden sein. Wer aber Christus entdeckt hat, der ist gewiß: H i e r ist das Licht!

Manche fürchten aber auch, der Glaube an Christus führe zu einer Verdunkelung. Leider hat die Kirche auch immer wieder zur Verdunkelung in der Welt beigetragen'. Doch das geht auf unser Konto, nicht auf das des Herrn. Die Finsternis könnte auch öfter auf uns Einfluß gewinnen, als uns bewußt ist, auch wenn wir meinen, mitten im Gottes Volk zu stehen.

Deshalb sollten wir uns schon fragen: Hat das Licht Gottes bei uns Zutritt oder versuchen wir, es abzublenden? Gibt es lichtlose Ecken bei uns? Gibt es Winkel, in denen Unrat liegengeblieben ist? Dinge, in die wir Jesus nicht hineinleuchten lassen? Bereiche, über denen seine Sonne noch nicht aufgegangen ist?

Wenn es so ist, dann wäre jetzt die Zeit, es in Ordnung zu bringen und nicht mit ins neue Jahr zu schleppen. Wer an Jesus glaubt, kann nun unterscheiden zwischen Gut und Böse. Er hat keine Angst mehr, weil er weiß, daß er hoffen darf. Und er wird sich nicht mehr wild verteidigen, weil er aus der Vergebung lebt. Er hat ja Jesus und Gott auf seiner Seite.

 

(2.) Jesus ist Gott: Wir brauchen Gott nicht irgendwo zu suchen, weder in der Tiefe noch in der Höhe. Friedrich Schiller konnte noch sagen: „Brüder, über‘m Sternenzelt, muß ein lieber Vater wohnen“. Bis heute stellen sich manche Menschen vor, Gott sei da, wo es keine Sterne mehr gibt, sondern nur noch leerer Raum ist. Viele möchten Gott gern nach dort versetzen, damit er ja recht weit weg ist. Vielen ist auch der „liebe Vater“ zweifelhaft geworden. Sie haben zu viel Schlimmes erlebt, als daß sie noch optimistisch sein könnten.

Dennoch ist Gott ein lieber Vater, der uns in Jesus von Nazareth nahegekommen ist. Er geht uns nach und bangt um uns. Wir können so von ihm predigen, als hätte er selbst unter uns gelebt und als wäre er unter uns gestorben. Er wendet sich nicht nur uns zu, sondern wird selbst ein Stück Welt.

Er wird es so sehr, daß man das Göttliche an ihm übersehen kann. In diesem einfachen Bauhandwerker aus Nazareth kann man das Göttliche normalerweise nicht erkennen. Aber andererseits steht er auch nicht als ein Gespenst vor uns, als ein Wesen, das nicht dieser Welt angehört. Gott hat für uns ein Gesicht bekommen, denn im Sohn sehen und haben wir den Vater.

Jesus gibt sich als der zu erkennen, in dem Gott bei uns ist. Er tut es nur mit seinem Wort, aber nicht belehrend oder anklagend, sondern werbend. Er streckt die Hände aus nach den Menschen, die er nicht aufgeben will, auch wenn sie sich ihm gegenüber reserviert verhalten.

Wir haben Gott nur in Jesus. Aber in Jesus haben wir den ganzen Gott .Wer an Jesus glaubt, schenkt ihm volles Vertrauen. Er sieht sein Wort als gültig und verbindlich an und geht daraufhin jedes Wagnis ein. Das Mitgehen mit Jesus ist überhaupt kein Wagnis, sondern das Gewisseste und Verläßlichste.

Wer an Jesus glaubt, wendet sich gerade nicht von Gott ab. Vielmehr können wir in Jesus gerade Gott finden. Jesus ist nicht nur Prophet und Lehrer, sondern er ist dauernd wesensgleich mit dem Vater. Wenn ein Offizier einen Soldaten losschickt mit einem Befehl, dann müssen alle Soldaten diesem Befehl gehorchen. Der Bote bleibt zwar weiterhin gemeiner Soldat, aber hinter ihm steht die Autorität des Offiziers. Der Befehl gilt, als stünde der Vorgesetze selber da.

So steht auch Jesus für Gott da und verkörpert Gottes Willen, aber auch seine Liebe und Zuneigung. Gott ist nicht mehr ein unfaßbares Geheimnis, nicht nur der „Ganz andere“. In Jesus wurde er ein Gott zum Anfassen, mit dem man reden kann auf du und du.

 

(3.) Jesus ist das Leben: Indem Jesus in den persönlichen Lebenskreis jedes Glaubenden eintritt, geschieht Rettung und Heil hat dieser Anteil am ewigen Leben. Indem wir Jesu Wort hören und bewahren, sind wir im Strombett der Gottesgemeinschaft. Aber es genügt dazu nicht ein allgemein christliches Bewußtsein, sondern Jesu Worte sollen schon gehört und bewahrt werden und uns als ständige Anrede begleiten, wie das zum Beispiel die Herrnhuter Losungen tun können.

Jesu Kommen in die Welt erzwingt aber eine Entscheidung. Wer sich nicht retten läßt, bleibt im Gericht. Schiffbrüchige sind wir alle. Aber es kommt einer, der uns retten will. Aber wer sich nicht retten lassen will, wird umkommen; doch das liegt nicht an dem Retter, sondern an dem, der die Rettung ausschlägt.

Das Kommen des Gottessohnes in die Welt bedeutet auch Gericht. Wenn die Sonne scheint, dann deckt sie auch schonungslos alle Schmutzstellen und Unsauberkeiten auf. Da kann man mit großer Ausdauer die Fenster putzen. Aber wenn nachher wieder die Sonne durchscheint, dann entdeckt man immer noch Stellen, wo es geschmiert hat, und in dem Sonnenstrahl tanzen viele hundert Staubkörner.

Wer zu Jesus kommt, muß es sich gefallen lassen, daß ihm die ganze Wahrheit über sein Leben gesagt wird. Wer aber hört die Wahrheit schon gerne, wenn sie kein Lob enthält? Doch nur wenn die Finsternis aufgedeckt wird, kann sie überwunden werden. Gott gibt sich da immer

große Mühe mit uns. Er wirbt um uns und will uns Lust machen. Gottes Geist weht, wo und wann er will, aber wir müssen die Segel setzen, müssen- bereit sein zum Hören und Gehorchen. Wir werden heute schon zur Entscheidung gerufen, die über das Urteil am jüngsten Tag entscheidet. Dann wird nur ins helle Licht treten, was sich hier schon entschieden hat in unserem Leben. So sagt etwa ein Professor den Studenten, die erst anfangen: „Wie Sie heute studieren, das entscheidet über ihr Examen!“ Examen ist i m m e r ! Wer die Prüfung aber besteht, braucht nicht zu fürchten, daß das Urteil wieder von einer höheren Instanz aufgehoben wird. Wenn Jesus uns freispricht, dann sind wir auch bei Gott freigesprochen.

Auf diesem Hintergrund wird Jesu Rufen um so dringlicher. Er läßt sich durch Ablehnung nicht entmutigen, sondern ruft noch einmal. An Heiligabend hörten wir von Jesu Geburt, am 1..Christtag war er bereits auf der Höhe seiner Wirksamkeit, nun schließt Johannes das öffentliche Wirken Jesu ab. Er gibt seinen Jüngern noch einmal das Vermächtnis mit, den Ernst der Stunde zu erkennen. Er findet sich mit dem Mißerfolg nicht ab, sondern gibt keinen Menschen verloren. Sein Wort wirkt weiter, auch wenn er persönlich nicht mehr da ist. Unsere Aufgabe ist es, Zeugnis abzulegen von diesem Herrn. Wer selbst den Ernst der Entscheidung gespürt hat, dem können die anderen Menschen nicht gleichgültig sein, sondern er wird versuchen, sie auch zu Jesus zu führen. Jesus will ja nicht richten, sondern allein retten.

 

 

Joh 13, 1 -15 und 34 - 35 (Gründonnerstag):

Dienen ist heute nicht mehr modern. Bei uns ist keiner mehr Diener, sondern wir sind alle Hausherren. Wenn man an die unterwürfigen und trotteligen Dienerfiguren in den Filmen denkt, dann möchte man in der Tat nicht ein solcher Diener sein. Diener sind nach dieser Sicht armselige, unterdrückte Menschen, die keinen eigenen Willen haben und immer nur nach der Pfeife ihres Herrn tanzen müssen.

Jesus aber war sich nicht zu gut, seinen Jüngern gegenüber die Aufgaben eines Dieners auszuführen. In dem heißen Land Palästina mit seinen staubigen Straßen war es einfach erforderlich, daß die Füße gewaschen wurden, wenn man ein Haus betrat. Eigentlich war das die Aufgabe des Hausherrn. Aber er gab das natürlich gern an einen Sklaven ab und zwar an den geringsten von ihnen.

Wenn Jesus aber diese ganz verachtete Arbeit tut, dann erregt das natürlich Anstoß. Das ist dasselbe, wie wenn der Regierungschef persönlich die Klärgrube hinter seinem Haus ausschöpft. Wir verstehen, wenn Petrus sich weigert. Umgedreht wäre es richtig gewesen. Es ist natürlich in Ordnung, wenn man hilfsbereit und höflich zueinander ist. Aber es muß im Rahmen bleiben. Wir sagen gern: „Ich lasse mir nichts schenken. Ich will mir doch nichts nachsagen lassen“ Das Annehmen der Liebe Jesu ist gar nicht so einfach. Wir denken auch sicher: „Wo kämen wir denn hin, wenn es alle so machten?“ Nun, ans Kreuz kommt man, wie man bei Jesus sehen kann. Und mit der Fußwaschung hat es angefangen.

Die Jünger haben den Atem angehalten, als Jesus sich so zum Diener der Menschen macht; selbst dem Judas hat er ja die Füße gewaschen. Aber Jesus will damit ein Beispiel geben, wie sie sich verhalten können. Er will nichts verlangen, was er nicht selber vorgemacht hat. Er hofft, daß sie sich dadurch anstecken lassen, in gleicher Weise füreinander und für andere da zu sein. Es ist ja schließlich die letzte Nacht, die er mit ihnen zusammen ist. Da will er ihnen sozusagen sein Testament mitgeben.

Sein Vermächtnis ist das neue Gebot, daß wir uns untereinander lieben. Das ist zwar nicht so besonders neu, sondern es findet sich schon im Alten Testament. Aber es kommt ja darauf an, daß es jeden Tag bei uns neu wird und wir es auch in unser Leben umsetzen. Jesus ruft uns auf, so wie er die niedrigsten Dienste zu tun, um ein wenig mehr Menschlichkeit in die Welt zu bringen.

Zunächst gilt das Gebot einmal innerhalb der Gemeinde. Aber wir haben natürlich auch eine Pflicht zur Liebe ohne Grenzen. So wie Jesus sich selbst hingegeben hat, so haben wir uns auch hinzugeben an die Welt.

Es gibt sehr viel Haß und Elend in unserer Welt. Aber sie können überwunden werden, wenn Menschen da sind, die sich nicht scheuen, dem Vorbild Jesu nachzufolgen. Wenn wir es uns gefallen lassen, daß Jesus für uns da ist, dann werden wir auch frei, für andere da zu sein und auch Dienste zu tun, die eigentlich unter unserer Würde sind. Wenn Jesus, der Große, uns einen großen Dienst getan hat, dann können wir, die Kleinen, den kleinen Dienst nicht verweigern. An drei Lebensbereichen kann das einmal deutlich werden:

 

(1) Im Zusammenleben der Menschen kommt es immer wieder zu Beleidigungen. Das tut weh und das kann man nicht so leicht vergessen. Gut kann es nur werden nach dem Beispiel Jesu. Er hat nicht gewartet, bis die anderen ihn bedient haben, sondern ist ihnen entgegengekommen und hat ihnen seine Liebe gezeigt. Wenn man nur den Beleidigten spielt und immer nur von dem anderen Genugtuung erwartet, wird nichts besser.

Vergessen wir aber nicht: Wir sind alle auf die Vergebung anderer angewiesen, denn wir haben auch schon andere beleidigt. Jeder Mensch, ob Beleidiger oder Beleidigter, ist auf die Liebe des anderen angewiesen, sonst wäre unser Zusammenleben die Hölle. Deshalb sollten wir auch bereit sein, alte Fronten einmal zu überspringen und die Hand zur Versöhnung zu reichen. Nur so können wir die Außenseiter der Gesellschaft wieder in die Gemeinschaft hineinziehen und uns selber davor bewahren, zu einem Außenseiter zu werden.

 

(2) Jesu Beispiel wäre auch hilfreich angesichts der Unmenschlichkeiten jeder Art, die es in der Welt gibt. Es wird uns fast schon zu viel, wenn wir die Zeitung aufschlagen und nur die Überschriften            lesen [Beispiele einfügen].

Die Kirche ist hier fast ohnmächtig, und Gott scheint zu schweigen. Was soll man antworten, wenn gefragt wird: „Wie kann Gott das zulassen, daß so viele Menschen in der Welt hungern und daran sterben?“ Gewiß geht Christus auch an diesen Menschen nicht achtlos vorüber. Auch in ihrem Elend sollen sie etwas von der Liebe Gottes zu den Menschen erfahren können.

Hier sind sowohl Einzelne wie auch die ganze Kirche aufgerufen, dem Beispiel Jesu zu folgen. Getan hat das der Arzt Dr. Binger, der nach dem Vorbild Albert Schweitzers ein Urwaldhospital zunächst in Peru und dann in Mexiko aufgebaut hat. Wir können das nicht alle nachmachen. Aber wir können wenigstens mit Geld den Einsatz dieser wenigen Leute unterstützen. Hier werden Zeichen aufgerichtet für unsern Dienst im Sinne Jesu für die Welt.

 

(3) Der ferne Nächste soll uns nicht davon abhalten, auf die Probleme unserer nächsten Umgebung zu achten. Wenn wir nach Gelegenheiten fragen, unsere Dienstbereitschaft in die Tat umzusetzen, da möchte ich an erster Stelle als sozialen Schwerpunkt die alten Menschen nennen. Gewiß wird einiges für sie getan, auch von der Kirche. Denken wir an Gottesdienst und Gemeindeveranstaltungen, die doch vielfach von alten Menschen besucht werden und wo sie sicher auch ein Stück Hilfe erfahren. Und wir können auch an die vielen Besuche denken, die Gemeindeglieder von sich aus bei alten Menschen machen, auch wenn sie selber schon zu den Alten zu rechnen sind.

Doch welch reiches Betätigungsfeld liegt hier noch für Staat, Kirche und den Einzelnen! Eine einmalige Veranstaltung im Jahr tut es nicht. Wir brauchten, zum Beispiel unbedingt einen Altenclub, wo man.sich treffen und erzählen kann, wo es vielleicht auch Essen gibt und eine Bücherei und vieles andere mehr. Einen Jugendclub haben wir. Aber die Alten werden sich vielfach als überflüssig und abgeschoben vorkommen. Keiner fühlt sich so recht für die verantwortlich; hier könnte vielleicht der Dienst der Kirche einsetzen, nicht nur als Sache der Spezialisten, sondern als Aufgabe für alle.

An solchen Dingen könnte man erkennen, daß hier Christen tätig sind. Wenn man etwa in der Eisenbahn Bekanntschaft schließt mit fremden Menschen, dann wird man wohl nur selten fragen oder herausbekommen, ob der andere zur Kirche gehört oder nicht. Wir sind in diesen Dingen viel zu scheu, um uns zu offenbaren. Viele Parteimitglieder oder Vereinsmitglieder tragen ein Abzeichen und geben sich so zu erkennen und bekennen sich zu ihrer Einstellung. Christen aber bleiben weithin unerkannt.

Da hält ein Zug auf einem Bahnhof. Eine große Schar Frauen will einsteigen. Es gibt ein großes Gedränge und Geschubse. Jede will die erste sein, will einen Sitzplatz oder gar einen Fensterplatz haben. Der Beobachter findet bald heraus, daß die Frauen alle zusammengehören. Sie erzählen und lachen gemeinsam und reichen Süßigkeiten herum. Nur eine Frau läßt man links liegen, um die kümmert sich keiner. Auf einmal packen sie kleine Bücher aus und singen: „Geh aus mein Herz und suche Freud“. Da merkt der Mann: Das sind ja Fromme, die wohl einen Ausflug mit der Bahn machen. So sind eben die Christen: Fromm reden und singen, Gebete und salbungsvolle Reden, aber von Liebe untereinander keine Spur.

Mancher wird aber nun denken: Was hat denn das alles mit Gründonnerstag zu tun? Da denken wir doch besonders an das Abendmahl, da feiern wir selber das Abendmahl und da wollen wir auch etwas über das Abendmahl hören! Aber im Grunde waren wir schon dauernd bei diesem Thema. Wir haben uns nämlich mit den Folgen des Abendmahls für uns befaßt. Im Abendmahl läßt Jesus uns teilhaben an seinem Tod. Aber wir werden es nur recht empfangen, wenn wir uns dadurch zu gegenseitiger Liebeshingabe rüsten und stärken lassen.

Im Johannesevangelium findet sich kein Einsetzungsbericht für das Abendmahl und auch sonst kein Hinweis auf die Sakramente. Allerdings hat man den rätselhaften Vers 10 dahingehend gedeutet: „Wer gewaschen ist, der bedarf nichts als noch die Füße waschen, denn er ist ganz rein!“ Das hat man so verstehen wollen: Wer durch die Taufe reingewaschen ist von aller Sünde, der braucht nichts weiter als das Abendmahl, um sich täglich neu der Taufgnade zu versichern!

So wie sich Jesus in der Fußwaschung hingegeben hat, so opfert er. sich auch im Abendmahl. Wenn wir uns diesen Dienst gefallen lassen, dann werden wir auch aufgeschlossen zum Dasein für andere. Und dann ist das Abendmahl nicht der Abschied von Jesus, sondern der Anfang eines gemeinsamen Lebens mit Christus und unsern Mitmenschen.

 

 

Joh 14, 1 -12 (Neujahr):

Ein neues Jahr bringt manche Besorgnisse mit sich. Was wird mir alles widerfahren? Werden sich meine Pläne verwirklichen lassen? Wird es ein Jahr mit Jesus werden? Schließlich ist Jesus ja nicht leibhaftig unter uns. Wir müssen selber herausfinden, was heute sein Wille mit uns heute ist.

 

 (1) Jesus macht für uns bei Gott Quartier:

Mit Jesu Abschied geht etwas zu Ende. Man kann nicht behaupten, daß wir darauf leicht verzichten könnten. Jesus bleibt zwar einer von uns, bleibt sozusagen weiter mit uns verwandt. die unmittelbare Lebensgemeinschaft mit ihm hat aufgehört. Wir kennen das ja auch aus unserem menschlichen Zusammenleben. Wenn man sich jahrelang nicht sieht, ist es schwer, die Verbindung aufrecht zu halten. Man kann sich zwar schreiben. Aber das ist doch nie so intensiv wie die persönliche Begegnung. Wenn man sich nicht wenigstens hin und wieder einmal sehen kann, zerbricht die Gemeinschaft sehr leicht.

Jesus hinterläßt uns ja sein Wort. Und wir wiederum können uns im Gebet mündlich an ihn werden. Aber dieses dort läßt sich ja nicht ohne Einbuße von dem ablösen, der es gesagt hat. Wenn man einen Menschen gernhat, dann will man nicht nur seine Briefe lesen oder seine Stimme am Telefon hören, dann will man ihr auch sehen und anfassen können. Wenn Jesus nicht leibhaftig bei uns ist, dann fehlt uns schon etwas.

Aber Jesus verspricht seinen Jüngern: Das ist nur für eine Übergangszeit. Er lebt nur zeitweilig im Ausland und wird dann wieder zurückkehren. Seine Jünger brauchen nicht kopflos zu werdet, sie brauchen nicht zu erschrecken, sie brauchen nur zu glauben, dann werden sie diese Zeit schon überstehen.

Sie werden sich allerdings nicht auf günstige materielle Vorbedingungen, auf Einfluß, Reichtum und Macht verlassen können. Sie werden auch nicht auf die allgemein verbreiteten Überzeugungen und Erwartungen der Menschen eingehen können. Aber sie werden Christus auf ihrer Seite haben, der sie auch jetzt nicht in ihrem Elend allein läßt.

Dennoch hat der Thomas recht mit seiner Fragerei. Er kann ja gar nicht wissen, wohin Jesus geht. Der Weg dahin ist weder auf einer Landkarte noch auf einem Himmelsglobus festlegbar. Jesus hat durch die Himmelfahrt nicht einfach einen anderen Ort im Raum eingenommen, sondern er ist einfach in einen ganz anderen Raum gekommen. Aber diesen Raum können wir nicht mit unserem dreidimensionalen Raum oder mit dem in sich gekrümmten Weltall vergleichen, sondern er ist von ganz anderer Qualität.

Uns ist verheißen, daß wir auch einmal in dieser Welt Gottes sein werden. Gott möchte, daß alle Menschen bei ihm eine Bleibe finden, wenn er auch nicht so eine Art himmlisches Grand-Hotel bieten wird; vor allzu menschlichen Vorstellungen sollten wir uns da schon hüten. Dieses Wohnrecht bei Gott versteht sich auch nicht von selbst. Da muß einer erst die Unterkünfte ausfindig machen und für uns sichern. Deshalb mußte Jesus seinen Opfergang gehen. Er ist unser Quartiermacher, der uns schließlich nachholen wird. Nur weil er vorausging, konnte er weiter für die Seinen sorgen.

Unser Zuhause bei Gott ist also schwer erkämpft. Zwar mußte Jesus dem Vater nichts abringen. Aber es war doch erst einiges aus der Welt zu schaffen und zu bereinigen, ehe der Weg zu Gott frei war. Jesus ist also nicht einfach abgehauen, sondern er hat uns verlassen, um unsre Interessen besser wahrnehmen zu können.

Das sagt Jesus den Menschen wie Thomas und Philippus, die erschrocken sind und viele Fragen haben. Er verheißt ihnen, daß er ihnen eine Bleibe bereiten wird.  Und er wird zurückkommen und sie über den Graben holen, den er selber übersprungen hat.

 

(2) Jesus ist der Weg zum Vater:

Was verlangt Jesus wohl von uns, wenn wir an das verheißene Ziel gelangen wollen? Er legt uns nicht Gesetze und Vorschriften auf, sondern er spricht so gesetzesfrei wie möglich: „Der Weg, die Wahrheit und das Leben - das bin ich!“ Jesus beschreibt nicht einen Weg, er weist uns nicht hin auf einen Weg, sondern er ist selber der Weg. Wir möchten doch alle gern einen Weg wissen, auch in das neue Jahr. Aber Jesus  i s t  de r Weg, die Wahrheit und das Leben.

Wenn es nur darum ginge, den richtigen Weg zu finden, dann könnte  man ihn ja auch allein gehen, ohne Christus. So versucht das ja ein Lehrer, der seine Schüler zur Selbständigkeit erziehen möchte.  Aber es gibt keinen Weg zu Gott ohne Christus oder an ihm vorbei. Wer Jesus sieht, der hat auch der Vater vor Augen. Und wer bei Jesus ist, der hat auch Anteil am ewigen Leben.

Jesus ist aber auch so etwas wie ein Weg, der gegangen sein will. Wer ihn geht, bleibt nicht in der alten Verfassung. Allerdings liegt das nicht am eigenen Können, sondern weil das Gehen dieses Weges einfach voranbringt. So können wir  a11e  zu einem neuen Menschen werden,

 

(3) Jesus wird der Mächtigste:

Wenn einer im Beruf Fortschritte macht, dann kann es sein, daß er auch seinen Wohnort wechseln muß: Erst in die Kreisstadt, dann in die Großstadt und schließlich vielleicht nach New York. Wenn er wirklich etwas gekonnt hat, dann werden seine Mitarbeiter seinen Weggang bedauern. Sie müssen ja nun selber sehen, wie sie allein zurechtkommen. Aber sie werden sich schließlich auch sagen: Er hat einen größerer Verantwortungsbereich, da kann er viel mehr Menschen nutzen und am Ende haben wir selber auch einen größeren Vorteil davon.

So wird die Gemeinde Christi durch seinen Weggang euch nicht vollkommen aktionsunfähig. Sie setzt ja das Wirken Jesu in der Welt fort. Er hat sie ja dazu angeleitet und unterstützt sie nun von höherer Stelle aus. Jetzt erst kann er ja die „größeren“ Werken tun, die nun allen Christen zugutekommen.

Mit der Himmelfahrt gewinnt das Wirken Jesu erst seine rechten Ausmaße. Jetzt wird sein Wirkungsbereich über die ganze Erde ausgeweitet. Seine Jünger durchbrechen die Enge des Heimatlandes Jesu und gehen hinaus in die Welt. Sie sind erfüllt vom Geist Christi und tun vielfach die gleichen Dinge wie er.

Jetzt kommst es erst zu einem Zusammenwirken zwischen himmlischem Christus und irdischer Gemeinde. Beide können sich nun erst recht ergänzen. Christus braucht die Christen als seine irdischen Werkzeuge. Und die Christen brauchen Christus, weil sie sonst in der

Welt verloren werden.

Wie tröstlich ist doch der Satz: „Euer Herz erschrecke nicht!“ Wie gut tut das gerade in unsrer Zeit, wo doch so viele Menschen Angst haben. Sie haben Angst um ihr bißchen Hab und Gut, um ihr berufliches Fortkommen, um ihre Kinder und sie haben Angst vor dem Tod. Nur Christus kann uns von dieser Angst befreien. Wenn man weiß, daß  e r  die Herrschaft über die Welt hat, dann läßt man sich schon nicht mehr so von den Herren dieser Welt beein­drucken. Dann geht man unbeirrt seinen Weg mit Christus und dann weiß man auch: Ich habe ja längst meine Wohnung bei Gott!

Das soll nicht heißen, daß wir uns nicht um die Wohnung hier auf unsrer Erde kümmern müßten. Das ist auch notwendig und wichtig. Aber es ist nicht so wichtig, daß wir deshalb die himmlische Wohnung ganz aus den Augen verlieren könnten. Wer die himmlische Wohnung noch als Rückhalt hat, der kann gelassen die irdischen Schwierigkeiten über sich ergehen lassen: Christus hat die Macht geschieht nur, was er zuläßt.

 

Joh 15, 18-21 (23. Sonntag nach Trinitatis):

„Die christliche Gemeinde wird vom Haß der Welt getroffen. Der Haß gegen den Sohn ist aber der Haß gegen den Vater!“ So könnte man den Inhalt dieser Verse umschreiben. Als sie aufgeschrieben wurden, war der Haß gegen die Gemeinde schon eine Tatsache, der Haß ist zum Dauerzustand geworden. 

Weshalb werden Christen gehaßt? Die Kommunisten bekämpfen die Kirche, weil sie früher auf der Seite der Herrschenden stand und bemerken gar nicht, daß sie sich längst gewandelt hat. Es wäre sinnvoller, Seite an Seite mit der Kirche an der Verbesserung der Welt zu arbeiten. Aber die unrühmliche Vergangenheit der Kirche ist ja auch gar nicht der wirkliche Grund der Ablehnung der Kirche.

Viel wichtiger ist den Kommunisten, daß sie den Menschen mit Haut und Haar beherrschen wollen, er soll nur die kommunistische Ideologie im Kopf und vor allem auch im Herzen haben. Und da stört der Glaube an Gott natürlich. Dieser Glaube ist umgedreht die beste Versicherung dafür, daß man nicht einer verführerischen Ideologie erliegt. Deshalb verweist Johannes auch darauf, daß es Menschen gibt, die das Wort Jesu halten. Sie sind nicht mehr „aus der Welt“, sondern sind in das „Sein von oben“ gerufen.

Die Kirche wird auch von den Moslems gehaßt. Sie erkennen zwar Jesus als einen Propheten an, aber natürlich nicht als Sohn Gottes. Allerdings gibt es auch Unterschiede unter den Moslems. Die große Mehrheit ist gemäßigt und kommt gut mit anderen Überzeugungen aus. Aber auffällig sind die Radikalen. Die verfolgen sogar ihre Glaubensbrüder. Und dabei geht es nicht nur um den Gegensatz der beiden großen Konfessionen, der Schiiten und Sunniten, sondern es gibt auch die Ultraradikalen, die jeden köpfen, der sich nicht zu ihrer Auslegung des Glaubens bekennt. Christen haben da erst recht keine Chance.

Es ist also durchaus nicht so, daß die Christen nur durch den Staat verfolgt werden, wie das zur Zeit des Johannes war, als der römische Staat sie grausam unterdrückte. Wer dem römischen Kaiser opferte, der hatte nichts zu befürchten. Wer sich aber weigerte, wurde getötet, damit es nicht mehr so viele Verweigerer gab.

Aber die christliche Gemeinde erfuhr auch Nachstellungen von den Juden. Diese schlossen die Jesusanhänger aus der Synagogengemeinde aus oder töten sie sogar. Und dabei meinten sie, Gott noch einen Dienst zu tun. Verfolgung gibt es also nicht nur von Ungläubigen, sondern auch von denen, die auch einen Gott über sich wissen. Daß Christen verfolgt werden, scheint ihr Schicksal zu sein, weil sie sich nicht in allgemein menschliche Überzeugungen einordnen, sondern einen Herrn über sich haben, der größer ist als alle Herren dieser menschlichen Welt.

Die Welt ist ihrem Wesen nach aber nicht widergöttlich, so daß man sie möglichst bald hinter sich lassen müßte. Die Welt ist ja Gottes Schöpfung, zwar von ihm unterschieden, aber doch von ihm gewollt. Erst die negative Entscheidung gegenüber Christus macht sie zu einer widergöttlichen Größe. Deshalb haben sich die Jünger darauf gefaßt zu machen, daß die Welt auf dem Plan ist, wenn einer sie angreift und bedrängt. Sie sollen nicht überrascht sein, wenn ihre Predigt sie in harte Auseinandersetzungen mit der widerstrebenden Welt bringt.

Das Johannesevangelium gibt drei Gründe für diesen Haß an: Weil ihr zum Himmel gehört, der ihnen fremd ist. Weil ihr zu mir gehört, den sie hassen. Weil ihr zu Gott gehört, den sie nicht kennen.

 

1. Weil ihr zum Himmel gehört, der ihnen fremd ist:

Die Jünger ziehen mit einer erfreulichen Kunde durch die Welt: „Gott liebt die Welt!“ Aber diese Welt läßt sich nicht liebhaben. Sie lehnt gerade das Befreiende und Beglückende ab. Die Christen bringen der Welt das Beste, was sie empfangen kann. Aber sie erfahren nur Haß dafür. Es kann nicht anders sein: die Begegnung ist ein Zusammenprall.

Aber es hat auch immer wieder Menschen gegeben, die Gottes Wort gehalten haben. So hat das Evangelium Geschichte gemacht. Wie ein Sauerteig hat es die Welt durchdrungen und vor allem das sogenannte „christliche Abendland“ geformt und hat von da aus die ganze Welt beeinflußt. Was in den Menschenrechten aufgeschrieben wurde, was in den Papieren der Vereinten Nationen steht, was auch unser Grundgesetz ausmacht - das ist alles die weltliche Seite des christlichen Glaubens.

Diese Wirkung wird sich aber nur fortsetzen, wenn es nicht nur heißt. „Man ist eben Christ!“ sondern wenn ich sage: „ I c h  bin Christ!“ Eine Gewohnheitsreligiosität, die ihren Wurzelgrund im Menschenherzen hat, ist noch kein Christsein, denn dieses kann immer nur „von oben“ sein. Und das Reich Gottes vereinigt sich auch nicht mit der Welt zu einer Art Legierung, bei der sich beides gleichmäßig durchdringt. Die Spannungen werden sich nicht mit der Zeit ausgleichen, indem die sittlichen Kräfte des Evangeliums die Welt durchdringen.

Jesus hat seine Jünger aus der Welt heraus erwählt. Sie werden aber nicht der Welt entnommen, sondern sie werden vor dem Bösen bewahrt. Aber die Christengemeinde bleibt mitten in der Welt ein Fremdkörper, weil sie ihren Ursprung bei Gott hat. Sie hört auf ein Wort, das die Welt nicht vernommen hat oder nicht vernehmen wollte.

Christen hoffen auf das, was Gott tut und noch tun wird. Sie urteilen nach Maßstäben, die der Welt nicht geläufig sind. Christen leben in der Welt, aber sie leben nicht von der Welt. Doch die Welt wird schnell herausfinden, wo wir doch noch in Wirklichkeit auf ihrer Seite sind. Achten wir deshalb drauf, auf wessen Stimme wir hören.

 

2. Weil ihr zu mir gehört, den sie hassen:

Das Jüngerleben ist dem Leben des Herrn parallel. Als Jünger kann man nicht in Glanz und Gloria leben wollen und der Gekreuzigte ist ganz unten. Jesus ist aber nicht mit verbundenen Augen in sein Kreuzesschicksal hineingelaufen, so meine es manche, die auch sagen: Erst die Gemeinde hat die unvorhergesehene Katastrophe sich verständlich gemacht und die „Theologie des Kreuzes“ sich zurechtgelegt, daß dies nämlich alles so von Gott gewollt war. Dann wäre der Haß der Welt auch etwas ähnlich Zufälliges wie der Kreuzestod Jesu selbst. Jesu ganzes Reden und Tun schließt die Notwendigkeit des Konflikts mit der Welt ein. Wir müßten eine andere Sache predigen als Jesus, wenn es nicht auch bei uns den Konflikt mit der Welt gäbe.

Jesus schont die Welt, indem er ihr wehrlos gegenübertritt. Jesus kämpft nur mit Waffen des Friedens, mit seinem Wort, mit Dienst, Hingabe und Leiden. Dadurch setzt er die Welt ins Unrecht bzw. er macht das Unrecht offenbar, in das sie sich selbst gesetzt hat. Aber Jesus liebt die Welt. Doch diese lehnt die Liebe ab und versteift sich im Widerstand.

Im Kreuz Jesu hat dieser Konflikt seine größte Schärfe erreicht. Hier hat die Welt sich wissend an Gott vergriffen. Ihr Widerstand ist nicht nur Schwachheit und Verwirrung. Dieser Widerstand wehrt sich gegen die Liebe, mit der Gott in Christus seine verlorengegangene Welt zurückholen und zurückgewinnen will. Wenn sie aber in der Verlorenheit verharrt, ist ihr nicht mehr zu helfen. Geholfen werden kann ihr nur, wenn sie die eigene Verkehrtheit und Verlorenheit, das Losgelöstsein von Gott und das Verfangensein in das Böse sich eingesteht und das „Sein von unten her“ aufgibt.

Doch was wir hier von der „Welt“ gesagt haben, gilt auch für uns, denn wir stehen immer in der Gefahr, auch „Welt“ zu sein. Für die Jünger liegt darin die große Versuchung, nun doch größer sein zu wollen als der Herr und der Auseinandersetzung auszuweichen. Die Jünger können ja nicht mit den gleichen Waffen zurückschlagen, sondern sie werden mit ihrem Herrn ins Leiden gehen müssen. Wenn die Welt uns nicht haßt, kann das seinen Grund darin haben, daß sie jetzt auf Gott hört. Es kann aber auch darauf zurückzuführen sein, daß wir ein Evangelium predigen, das niemanden aus der Ruhe bringt, weil wir selber „Welt“ geworden sind.

 

3. Weil ihr zu Gott gehört, den sie nicht kennen:

Das klingt ja fast wie eine Entschuldigung der Welt. Aber vielleicht kann sie gar nicht anders als hassen. Sie hat sich als Kreatur dem Schöpfer gegenüber selbständig gemacht. Ist das Schicksal oder Schuld? Die Jünger Jesu sollten für die Denkweise der Welt einiges Verständnis aufbringen. Hier sind Menschen angeredet, deren Gottblindheit nicht eine naive, sondern eine bewußte und von ihnen gewählte ist. Aber jeder Jude würde protestieren und sagen: Wenn jemand Gott kennt, dann der Jude! Doch gerade diese Selbstgewißheit kann ja Verblendung sein. Sie meinen Gott zu kennen und kennen ihn doch nicht. Doch diese Gefahr besteht auch für uns.

Gott ist uns in der Tat von Hause aus verschlossen und unbekannt. Erst indem Jesu uns die Möglichkeit der Gotteserkenntnis erschließt, können wir ihn finden und mit ihm Gemeinschaft haben. Die Wirklichkeit Gottes kann sich nur selbst erschließen. Dies geschieht, indem Christus uns begegnet. Gotteserkenntnis besteht nicht in der Übernahme von Lehrsätzen, sondern darin, daß man sich ergreifen und auf den neuen Boden stellen läßt. Begreifen kann man nur, wenn man sich ergreifen läßt.

 

Joh 14, 15 – 19 (Exaudi):

In den Bildungsplänen für Kinder bis zu zehn Jahren fehlt oft eine religiöse Bildung. Dabei ist Religion längst in jedem Kinderzimmer vorhanden, wenn die Kinder Videos mit All­machts­phantasien sehen oder in die Geisterwelt von Harry Potter eintauchen. „Wir dürfen Kinder mit Religion nicht allein lassen!“ sagte einmal ein Professor. Und eine Psychologie­professorin sagte: „Es gibt zunehmend Menschen, die darunter leiden, daß ihnen das Religiöse fehlt!“ Doch es genüge nicht, daß jemand etwas glaubt, sondern man muß auch konkret wissen, welches die Inhalte sind. Darüber müsse man sich auch in einem Bildungsplan verständigen, und zwar nicht, weil die Kirche davon Vorteile hat, sondern weil die Kinder das für ihr Leben brauchen.

Auch nichtchristliche Kinder brauchen religiöse Bildung, damit sie einen Plan von unserer Kultur und von ihrem Leben haben und sich mit anderen verständigen können. Religion ist aber nicht eine bestimmte Geisteshaltung, die man hat und pflegt, sozusagen eine Sache der Kultur. Der christliche Glaube ist allerdings auch Kultur, denn der Glaube ist auch in das Denken der Menschen, in die Literatur, die Musik und die bildende Kunst eingedrungen. Was soll zum Beispiel ein Besuch im Museum, wenn man gar keine Beziehung zu den dort ausgestellten Altarbildern hat?

Es ist interessant, daß solche Fragen gerade in Thüringen gestellt wurden, wo man doch 40 Jahre im Sinne des Atheismus beeinflußt werden sollte und alles von da her lösen wollte.

So sagte eine Psychologin im Krankenhaus sagte: „Damit ihr Sohn keine unerklärlichen Bauchschmerzen hat, sollte er mehr Marx und Lenin lesen, damit er nicht im Widerspruch zu seiner Umwelt steht und davon Bauchschmerzen bekommt!“ Aber nicht Marx und Lenin haben dann geholfen, sondern eine Blinddarmoperation.

Richtig ist an der Äußerung der Psychologin allerdings, daß Leib und Seele zusammengehören und daß wir nicht nur etwas für den Leib tun dürfen, sondern auch für die Seele. Nur haben die Kommunisten es damals mit dem Gegenteil von Religion versucht. So sagte es einmal ein Musiker, der oft auf Tournee war und dann ein bescheidenes Leben mit den wenigen Sachen aus seinem Koffer auskommen mußte: „Jetzt noch kein Geld und keine Religion, das wäre die Lösung für viele Probleme!“

Genau das wollten die Kommunisten: Das Geld und die Religion abschaffen, dann werden die Menschen glücklich, meinten sie. Aber der Atheismus kann nicht die Seele ernähren, wie umgekehrt auch nur „Religion“ nicht ernährt.

Es ist auch nicht so, wie es die Philosophie des 19. Jahrhunderts wollte, daß sich der Weltgeist in den einzelnen Menschen einnistet und dieser damit „religiös“ wird. Menschengeist und Gottesgeist fließen in ganz unterschiedlichen Stromkreisen und können nicht zusammengeschaltet werden. Der Mensch kann sich höchstens in den Stromkreis Gottes einschalten und dadurch Kraft erhalten für sein Leben.

Der Mensch braucht mehr, als was aus ihm selber herauskommt. Was sich an Hilfreichem in der Kirche ereignet, ist nicht das eigene Tun der Kirche, sondern das Wirken des Geistes Gottes. Alle Krankenpflege und Beratung und Altenbetreuung geschieht nicht aus eigener Machtvollkommenheit. Das wäre „Religion“.

Wir haben „Religion“ als Schulfach. Das ist nicht unbedingt eine Einweisung in den christlichen Glauben. Dieser ist vielmehr nur ein Beispiel für Religion, der allerdings bei uns durchaus einen großen Raum einnehmen könnte. Aber was wird in der Praxis gemacht? Da geht es um Toleranz und Zivilcourage, um allgemein ethische Lebensfragen und immer wieder um die sogenannten „Fremdreligionen“. Es geht um Information, um Lernstoff, um Kultur. Es liegt allein am Lehrer, ob er persönlich auch seinen Glauben bezeugt

Es ist nicht damit getan, daß wir uns mit einem „Christentum“ begnügen und sagen: „Ich habe ja die Religion, ich bin reich, ich brauche nichts!“ Dann brauchten wir die wunderbare Zuwendung Christi und die Gemeinschaft mit ihm gar nicht mehr - es ginge auch ohne ihn. Doch wir sind immer auf seine Treue angewiesen, brauchen ständig den Kontakt mit ihm im

Gottesdienst und im Gebet. Das Leben aus dem Geist ist nicht ein ruhender Besitz, sondern die Kirche hat nur, indem sie empfängt.

Es gibt kein Frommsein des natürlichen Menschen, das sich dann in guten Taten zeigen würde. Was mich mit Gott verbindet, kann ich mir nicht selber sagen oder aus Büchern erarbeiten, sondern ich muß es mir sagen lassen und es hören. Ich kann nicht über Gottes Wort verfügen.

Aber ich darf fröhlich bekennen: „Ich bin gewiß, ich bin mir sicher!“ Aber das heißt nicht, daß wir für uns selbst die Hand ins Feuer legen könnten: Nicht i c h halte durch, sondern e r ! Eine nur auf sich selbst gestellte Kirche, die nur aus der Jesuserinnerung lebte, wäre übel

dran. Ohne Christus ist sie eine arme Kirche, aber mit ihm ist sie reich! Deshalb gilt es, sich darauf zu besinnen, woher das kommt, was uns zur Kirche macht.

Wir wären und blieben eine arme Kirche, wenn wir eine Versammlung von solchen wären, die sich die religiösen und ethischen Ziele des Mannes von Nazareth zu eigen gemacht hätten, ihn aber doch bei den Toten suchten. Arm wären wir auch, wenn wir nur das Wort hätten, nicht aber den, der es spricht. Wir versammeln uns nicht, um eine bestimmte „Sache“ zu bedenken und wenn es gut geht, diese auch voranzubringen. Wir versammeln uns um eine Person, die uns auch heute Rat und Wegweisung gibt.

Es geht vor allem um die Glaubensstärkung für die Jünger und ihre Aufgaben in der Welt. Der zum Vater heimgekehrte Jesus unterstützt sie vom Himmel her, der Geist der Wahrheit ist ihr dauernder Beistand und eine beständige innere Kraft. Während die Jünger ihre Verbundenheit mit Jesus im Tun seiner Gebote bewähren, setzt Jesus sich für sie beim Vater ein, indem er den Vater bittet, ihnen einen Beistand und Helfer zu geben.

Jesus hatte seine Jünger entlastet durch seine Nähe, durch seine Wegweisung und das Gespräch. Aber nun sollen sie erwachsen werden, ohne daß die Angst von ihnen Besitz ergreift. Jesus trennt er sich von ihnen und belastet er sie mit neuen Aufgaben und Verantwortungen. Er weiß, daß das zu Angst und Verzweiflung führt. Aber er sagt nicht: „Nehmt euch zusammen!“

Vielmehr sagt er ihnen, was er tun wird, um ihnen in ihrer Situation beizustehen. Er wird die Bitten erfüllen, die sie in seinem Namen vorbringen. Und sie wiederum werden ihn lieben und seine Gebote halten. So werden die Lebenskräfte Gottes in die Welt der Menschen einströmen.

Wir fühlen uns auch oft hilflos und allein gelassen. In einer solchen Situation brauchen wir keine Beschwichtigung, sondern konkrete Hilfe. Jesus gibt seinen Jüngern zuerst einmal Auf-

gaben, denn das hilft, die Trauer auszuhalten und zu überwinden. Sie werden die gleichen Werke tun wie Jesus, sogar noch größere. Aber er stellt auch einen Helfer in Aussicht gegen Angst und Hilflosigkeit.

Wenn ein Beschuldigter in eine Vernehmung geht, dann nimmt er sich vielleicht die Telefonnummer eines Rechtsanwalts mit. Auch wenn er sie nicht braucht, ist es doch beruhigend, wenn man so einen Beistand in der Hinterhand hat. Nur bei Gott ist es immer so, daß wir ihn immer brauchen und nicht aus uns selber tätig werden können.

Der Herr ist erhöht, aber die Kirche ist nicht verwaist. Das Leben ihres Herrn pulsiert in ihr. Und dadurch ereignet sich anbruchsweise auch schon das künftige Leben in ihr. Das Leben des Auferstandenen ist nicht bloß eine zukünftige Gabe, sondern jetzt schon ein Stück Wirklichkeit.

Gott ist bei uns da. Die katholische Kirche will das verdeutlichen, indem sie das ewige Licht in der Kirche brennen läßt. Aber das brauchen wir gar nicht. Wir begrüßen ihn im Gottesdienst mit „Herre Gott erbarme dich“ und „Allein Gott in der Höh sei Ehr“. In Taufe und Abendmahl ist er uns besonders nahe.

Wir brauchen den Geist Gottes unbedingt in unserer Welt. Das kann uns zum Beispiel deutlich werden an der Rechtsprechung: Wenn der Bundespräsident über die Begnadigung eines terroristischen Mörders befinden muß, dann kann er nicht nur danach fragen, ob dieser sich wohl in Zukunft auch friedlich verhalten wird. Er wird seine Entscheidung auch davon abhängig machen, ob rückhaltlos das Geschehen aufgeklärt wird und ob echte Reue vorhanden ist.

Zwei junge Männer, die ein Ehepaar erschlagen und beraubt haben, haben natürlich eine

schwere Schuld auf sich geladen, wenn wir dies von den Zehn Geboten her betrachten. Etwas

anderes ist allerdings der juristische Begriff der „besonderen Schwere der Schuld“, die frühestens nach 15 Jahren einen Antrag auf Aussetzung der Strafe zur Bewährung zuläßt. Ein Richter muß da nach dem Gesetzbuch entscheiden, nicht nach den Zehn Geboten. Aber selbst wenn die besondere Schwere der Schuld nicht festgestellt wird, so sieht das vor dem Gericht Gottes anders aus als vor einem menschlichen Gericht.

Zum Schluß noch ein Beispiel, das man in dem Ort Gleiberg bei Gießen sehen konnte: Zwischen zwei Häusern war ein roter Klebestreifen auf das Pflaster geklebt und an dem Haus hing ein Schild: „Besucher des Hauses bitte nur links des roten Striches gehen!“ Ein Passant erläuterte und die näheren Umstände: Eine Familie war neu in das Haus gezogen und fuhr mit dem Auto über die gemeinsame Einfahrt in den Hof hinter dem Haus. Das wollte der

Nachbar aber nicht dulden, und so kam es zum Streit und zur Trennung. Dabei hätte man alles doch gut regeln können, wenn man sich vom Geist Gottes hätte leiten lassen. Dazu dann noch ein juristischer Vertrag, daß man die möglichen Unterhaltskosten gemeinsam tragen wird, und der Friede wäre hergestellt.

Auch in unseren Ortskernen, wo man so eng zusammenwohnt, gibt es entsprechende Beispiele. Aber das Leben wird leichter, wenn man sich vom Geist Gottes leiten läßt und im Sinne Jesu mit den Mitmenschen auskommt. Dann ist er auch unter uns lebendig!

 

Joh 15, 9 – 17 (21. Sonntag nach Trinitatis):

In den ersten Jahrhunderten besaßen die Christen noch keine eindrucksvollen Kirchen mit hohen Türmen. Es gab keine Kirchenzeitungen und keine Sendungen in Rundfunk und Fernsehen. Es fehlte alles, was die Kirche heute in der Öffentlichkeit bekannt macht. Aber dennoch waren die Christen bekannt: Man erkannte sie daran, wie sie miteinander umgingen. Ein Menschenleben galt damals nicht viel; Ausländer und Sklaven wurden verachtet. Menschen, die sich liebten, fielen auf. Liebe zueinander - das war damals das besondere Kennzeichen der Christen.

Können wir das heute auch noch sagen? Da sagt ein junger Mann: „Ich habe gedacht, ich käme in eine christliche Familie. Schließlich ist der Vater meiner Freundin ein Kirchenältester. Sie gehen zwar ab und zu sonntags in den Gottesdienst. Aber darüber hinaus gibt es in der Familie keinen Zusammenhalt. Keiner gönnt dem anderen etwas, oft gibt es Streit. Ich bin sehr enttäuscht!“

Wenn Mann und Frau abends müde von der Arbeit heimkommen und er sich vor das Fernsehgerät setzt und sie die Hausarbeit machen soll, dann gehen sie sich auf die Nerven. Wenn den Eltern der Freund der Tochter nicht paßt, sie ihn aber für einen feinen Kerl hält, dann können sie sich nicht verstehen. Geschwister mögen sonst ein Herz und eine Seele sein, aber wenn es Nachtisch gibt, dann wird jede Kirsche einzeln gezählt, damit nur ja keiner mehr kriegt als der andere.

Aber es gibt auch erfreuliche Erfahrungen mit Christen. Da berichtet eine Mutter: „Ich hatte zuerst keinen Mut, die Einladung zu einer Familienrüstzeit der Kirche anzunehmen. Meine Tochter ist ja behindert, vieles kann sie nicht mitmachen, manchmal bekommt sie Anfälle. Viele reagieren verständnislos darauf, deshalb waren wir lange nicht fortgefahren. Aber dann gab es überhaupt keine Probleme bei der Rüstzeit. Alle kümmerten sich so nett um uns. Es war, als ob wir schon immer dazugehörten!“

Vor diesem Bibelabschnitt steht das Gleichnis vom Weinstock. Da sagt Jesus:" „Ich bin der wahre Weinstock, ihr seid die Reben!“ Er will damit sagen: „Ihr hängt doch alle irgendwie untereinander zusammen in der Familie, weil ihr verwandt seid. Ihr hängt zusammen bei der Arbeit, weil ihr den gleichen Arbeitsplatz habt. Und ihr hängt zusammen in der Kirche, weil ihr den gleichen Herrn habt. Gerade mit diesem Herrn aber sollt ihr eng und innig verbunden sein.

Viele Menschen handeln nach dem Grundsatz: „Du sollst deinen Freund lieben und deinen Feind hassen!“ Wir teilen die Menschen gern ein in solche, die zu uns gehören, und solche, die „die anderen“ sind. Und vielleicht machen wir auch einen Unterschied zwischen denen, die zum Gottesdienst kommen und denen, die nur die Kirchensteuer bezahlen, um einmal kirchlich beerdigt zu werden.

Jesus sagt es anders: „Wie mich mein Vater geliebt hat, so liebe ich euch. Liebet einander, wie ich euch geliebt habe!“ Wenn wir die Liebe als ein Kennzeichen der Christen bezeichneten, dann heißt das zunächst: „Gott hat uns lieb!“ Aber daraus ergibt sich: „Wir sollen lieben!“ Der Vater liebt den Sohn, der Sohn liebt die Gemeinde und diese wiederum liebt alle anderen Menschen, nicht nur die eigenen Anhänger.

Gott hat uns lieb! Wer nie Liebe erfahren hat, wird nur schwer zur Liebe fähig sein. Wer dagegen von Kindheit an von Liebe umgeben war, der wird später Liebe weitergeben können. So läßt sich Liebe nicht befehlen, sondern sie ist uns von Gott vorgelebt worden. Jesus hat sich mit den Sündern zusammengesetzt, weil gerade die Schwachen den Arzt nötig haben.

Wenn wir uns Freunde aussuchen, dann suchen wir die liebenswerten und geschickten. Aber Jesus liebt sie nicht, weil sie seine Freunde sind, sondern erst weil er sie liebt, werden sie zu seinen Freunden

Wenn man angesehen ist, viel Geld hat und eine angesehene Person ist, dann kann man schnell Freunde gewinnen. Jesus aber sieht das Herz an und liebt den, der gar nicht mehr auf Liebe gehofft hatte. Und er bleibt bei seiner Wahl, auch wenn Enttäuschungen kommen.

Jesus wählt nicht, wie man aus einem Warensortiment das aussucht, was einem gefällt oder was man brauchen kann. Sein Wählen ist immer liebevolle Zuwendung, weil er uns retten will. Nur dadurch werden wir zu Christen. Wir können uns nicht von uns aus zu Gott aufmachen. Wir können uns nicht eine Religion wählen, so wie man einen Beruf, einen Wohnort oder eine Sportart wählt. Nicht wir können uns auf Christus zubewegen, sondern e r bewegt sich auf uns zu.

Dabei hat er es auf Leute abgesehen, wie wir sind: für Gott nicht zu sprechen, undankbar, selbstherrlich, stolz. Einfache Leute, die in den Augen der anderen nichts gelten, sogar gemieden und verachtet werden. Es geht zum Glück nicht um unsre Würdigkeit und Brauchbarkeit, sondern Jesus liebt, wo eigentlich nichts zu lieben ist. Das hat ihm Haß und Verfolgung eingetragen. Aber nach dem Glücklichsein hat er nie gefragt, sondern Freude gefunden in der Hingabe für die anderen.

„Jede Liebe ist soviel wert, wie sie Opfer zu bringen vermag“, hat Bodelschwingh einmal gesagt. Nun gibt es solche Liebe natürlich auch im nichtchristlichen Bereich. Da gibt es aufopferungsvollen Dienst für die Menschen bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens in Notsituationen. Aber Gottes Heil ist nicht splitterartig über die ganze Welt verstreut, sondern es ist an den Sohn gebunden, der Mensch wurde. An ihm gilt es zu bleiben, wenn man im Strahlenbündel der Liebe Gottes bleiben will.

Wir Menschen machen uns gern selber zum Mittelpunkt: Wir wollen auf unsere Kosten kommen, die anderen sollen uns zur Verfügung stehen. Wir wollen die ganze Welt gewinnen oder doch wenigstens so viel wie möglich von den Annehmlichkeiten des Lebens. „Hauptsache glücklich“ ist das Schlagwort.

Jesu Liebe aber hat ihren Schwerpunkt in den Menschen, denen er dient. Er wollte nicht seine Interessen wahrnehmen und sich in Sicherheit bringen, sondern er hat sein Leben hingelegt für seine Freunde. So wurden wir aus Sklaven zu Freunden und Vertrauten, die in alles eingeweiht sind, was der Vater will. Aber das hat Folgen für uns: Wir sollen lieben!

„In d er Liebe Jesu bleiben“, das geht am besten, wenn wir die Liebe Gottes weitergeben. So heißt es in einem Lied: „Das will ich mir schreiben in Herz und in Sinn, daß ich nicht allein auf der Erde bin, daß ich die Liebe, von der ich leb, liebend an andere weitergeb!“ Wer so mit Liebe beschenkt ist, der kann er nicht anders, als sie weitergeben.

Dadurch entsteht ein Kreislauf der Liebe, in den wir gar nicht hineinzukommen brauchen, sondern in dem wir schon drin sind. Wir brauchen nur dort bleiben, wohin Jesus uns gebracht hat. Er gebraucht dafür den Vergleich mit dem Weinstock. Er ist vor den Reben da. Aber die Reben müssen am Weinstock bleiben, dann werden sie reif und bringen Frucht.

So hat es „Mutter Teresa“ verstanden, die 1979 den Friedensnobelpreis erhielt. Ihr Einsatz für die Hungernden, Aussätzigen und Sterbenden in Indien ist begründet mit der Liebe, die weiterschenkt, was sie selber empfangen hat. In ihrer Arbeit sieht sie ein Mittel, ihre Liebe zu Jesus in die Tat umzusetzen. „Ich sehe Christus in jedem Menschen, den ich anrühre“, hat sie gesagt.

Doch wir werden vielleicht sagen: „Zu so einer Liebe werde ich nie fähig sein, so etwas werde ich nie leisten können!“ Wir brauchen ja auch gar nichts zu leisten, weil Gott schon gehandelt hat. Jesus spricht sogar von der Freude, in der man seine Liebe weitergibt.

Johannes spricht Verehrer des Weingottes Dionysos an, die Freude im Wein suchen. Er sagt ihnen: „An dem Weinstock Jesus wächst und reift sie!“ Früchte wachsen ohne jeden Zwang und ohne jede Anstrengung.

Man müßte dem Weinstock Gewalt antun, wenn man ihm verbieten wollte, Trauben hervorzubringen. Freude entsteht vor allem da, wo man ausgibt, wo man zu dem anderen geht, dem man Freude und Glück bringen kann. Was man da investiert, kommt vielfältig zurück, ohne daß man es darauf abgesehen hätte.

Dann kann man auch den Menschen lieben, der unsren Zorn bis zur Weißglut reizt, so daß man am liebsten mit bloßen Fäusten gegen ihn vorgehen möchte. Natürlich ist das nicht leicht, wenn einer zum Beispiel nur gehässige Dinge über uns verbreitet. Oder wenn einer

Werkzeug gestohlen hat, für das ich bei der Materialausgabe haftbar gemacht werde. Oder wenn mir der Nachbar Steine über den Zaun wirft, so daß ich meine, sie ihm wieder zurückwerfen zu müssen.

Natürlich können wir uns die Liebe nicht befehlen. Wir können nicht sagen: „Na, da wollen wir mal lieben. Das soll doch sein. Drum: Seid umschlungen Millionen...!“ Wir sind eben doch schwache und sündige Menschen. Aber da reicht Gott uns die Hand und sagt: „Deine Kraft reicht nicht. Aber bei mir ist die Fülle der Liebe. Ich habe dich geliebt, jetzt kannst du auch andere lieben!“

Deshalb können wir uns gerade derjenigen annehmen, die uns Sorgen machen und die uns nicht gefallen. Wo wir gehaßt werden, da sollen wir mit doppelter Liebe antworten. Eine Hilfe dazu könnte uns das Wort Jesu sein: „Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner

Liebe!“ Gebote haben wir nicht so gern, weil sie uns überall einengen: das Kraftfahrzeug muß überprüft werden, jeder Haushalt muß eine Mülltonne haben, Schutt darf nur an bestimmten Stellen abgelagert werden. Aber solche Vorschriften können auch hilfreiche Hinweise sein.

So könnte es doch möglich sein, daß wir zum Vorbild für andere werden. Wie wir als Christen miteinander und mit anderen umgehen, ist ein Zeichen der Liebe Gottes in der Welt. Liebloses Verhalten, abfällige Reden, Gleichgültigkeit machen die Gemeinde unglaubwürdig. Aber die Gemeinde kann für andere interessant und anziehend werden, wo Christen noch Verständnis füreinander und für andere aufbringen, wo sie Gemeinschaft halten und sich gegenseitig helfen. So wird die Liebe Gottes unter uns lebendig.

 

 

Joh 17, 20 – 26 (Himmelfahrt):

Auf den ersten Blick scheint dieser Bibelabschnitt gar nichts mit Himmelfahrt zu tun zu haben. Bei diesem Wort stellen wir uns doch meist immer noch so ein Bild vor, wie es viele Maler dargestellt haben: Jesus entschwebt nach oben, seine Beine sind noch zu sehen, auf dem Boden noch die Abdrücke seiner Füße; die Jünger sehen ihm sprachlos und staunend nach. So hat man sich Himmelfahrt im Mittelalter vorgestellt.

Aber im Zeitalter der interkosmischen Raketen kann man dabei nicht mehr bleiben. Wir müssen uns fragen, wie wir auch heute an dem Himmelfahrtsfest festhalten können. Denn der Sache nach handelt es sich hier schon um einen wichtigen Punkt unseres Glaubers. Man muß nur wissen, was damit an sich gemeint war.

Schon für die Menschen des Alten Testaments war der sichtbare Himmel wegen seiner beeindruckenden Größe ein Sinnbild für Gottes unfaßbare Herrlichkeit. Und weil sie eine Scheu hatten, den heiligen Namen Gottes auszusprechen, sprachen sie dann vom „Himmel“. Aber

sie meinten damit Gott, der nicht an einen bestimmten Ort gebunden ist, sondern überall gegenwärtig ist.

Wenn wir von der Himmelfahrt Christi reden, dann meinen wir eben: Jesus ist wieder bei seinem himmlischen Vater. Er ist nicht mehr ein Mensch wie wir, gebunden an Raum und Zeit, sondern er sitzt jetzt zur Rechten Gottes und ist mitbeteiligt an der Regierung Gottes. Aber es müssen sich nicht alle seinem befehlenden Wort beugen, sondern sein Herrsein besteht im priesterlichen Eintreten für die Welt. Er ist bei uns alle Tage und redet uns an durch sein Wort und ist uns besonders nahe in Taufe und Abendmahl.

Und dann sagt dieser Abschnitt aus den sogenannten „Abschiedsreden Jesu“ noch: Er steht im dauernden Gespräch mit seinem Vater und betet für die Jünger. Er will sie nicht aus der Welt herausnehmen, sie haben noch eine Aufgabe in der Welt, denn ihr Wort soll andere das Glauben lehren.

Vor allem aber betet er darum, daß alle Christen eins sein möchten. Dieses Gebet ist auch wirklich nötig, denn wie oft erleben wir doch gerade die Zersplitterung der Christenheit. Das aber ist dem Vordringen des Evangeliums hinderlich. Leicht kriegt man zu hören: „Ihr seid euch ja selbst nicht einmal einig über euren Glauben, wie wollt ihr ihn da anderen verkündigen? Ihr redet von dem einen Herrn und seid selber untereinander uneinig. Wenn euer Christus nicht einmal euch zusammenbringen kann, dann wird es mit seinem Herrsein nicht weit her sein!“ Jesus weiß das. Und deshalb bittet er der Vater: „Laß sie doch so eins untereinander sein, wie wir beide uns einig sind!“ Das Thema des Himmelfahrtsfestes ist also: die Einheit der Christen!

Wie sieht es damit in der Regel an einem Ort aus? Es gibt nicht nur eine Christengemeinde, sondern gleich mehrere kirchliche Gruppen. Die Evangelischen und die Katholiken sowieso, aber auch Methodisten und Baptisten, ganz zu schweigen von den verschiedenen christlichen Sekten. Nun hat sich allerdings schon einiges getan. Manche Zäune und Schranken wurden schon abgebaut. Das Verständnis für die anderen und deren Eigenarten wächst und die gegenseitige Achtung nimmt zu.

Besonders gilt das für das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche. Da stehen nicht mehr die Streitgespräche im Vordergrund, sondern das gemeinsame Bemühen um die Wahrheit.

Heute aber sagen manche Katholiken, das Augsburgische Bekenntnis, in dem1555 die Evangelischen Länder und Städte gegenüber Kaiser und Reich ihren Glauben zusammengefaßt haben, auch Ausdruck ihres Glaubens sein könnte.

Wir haben jetzt einen gemeinsamen Text des Vaterunsers und des Glaubensbekenntnisses und auch einiger anderer gottesdienstlicher Stücke. Es gibt eine gemeinsame Bibelübersetzung und gemeinsame Benutzung vor Kirchen. Bei einem Rundfunkgottesdienst kann man kaum noch unterscheiden, ob er vor einem Evangelischen oder vor einem Katholischen gehalten wird. Aber es bleibt natürlich immer noch viel zu tun.

Vielfach müssen wir ja auch innerhalb der evangelischen Kirchen zu einer Einheit finden. Die Kirchen richten sich ja immer noch nach den Grenzen der früherer deutscher Länder. Etwas Höheres als eine Landeskirche mit einem Bischof an der Spitze gibt es im Grunde nicht. Aber natürlich arbeiten die Kirchen innerhalb eines Staates und auch über die Staatsgrenzen hinaus zusammen. Christen sind zwar in einzelnen Kirchen organisiert, gehören aber auch zu der einen weltweiten Kirche Jesu Christi. Deshalb muß es ihnen auch möglich sein, mit Christen aus anderen Ländern zusammenzukommen und sich auszutauschen. Für Christen gibt es keine Abgrenzung, sondern nur die Offenheit nach außen hin, und zwar nach allen Seiten.

Wir brauchen dabei gar nicht nur an die Gemeinschaft mit Christen in Asien und Afrika zu denken. In der Zeit der damaligen DDR ging es um die besondere Gemeinschaft der Christen in ganz Deutschland. Sie hatten von 1948 bis 1968 eine gemeinsame Dachorganisation in Form der „Evangelischen Kirche in Deutschland“. Als es zur Gründung des „Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR“ kam, hat gar mancher das Auseinanderbrechen der EKD bedauert. Aber die einheitliche Organisation war eben nicht mehr aufrechtzuerhalten, da kaum persönliche Kontakte möglich waren und die Organe nicht mehr arbeitsfähig waren. Um den Dienst der Kirche besonders im Osten besser wahrnehmen zu können, hat man den Kirchenbund gegründet.

Doch die Einheit mit den Christen in der Bundesrepublik bestand weiter. In der Ordnung des Kirchenbundes war sogar von einer „besonderen Gemeinschaft“ die Rede. Diese ergab sich aus der gemeinsamen Geschichte, der gemeinsamen Bibelübersetzungen und Gesangbücher und auch der gemeinsamen Sprache. Dazu kam noch, daß man von der besonderen Verantwortung für den Frieden an der Nahtstelle der beiden Weltsysteme sprach. Man hatte eben nicht nur ökumenische Beziehungen wie etwa nach Polen oder Finnland oder Holland, sondern die Gemeinschaft war und blieb enger.

Die Einheit der Kirche hängt nicht vor der Organisation ab. Einig kann man sich auch sein, wenn man keine gemeinsamen Synoden und keine gemeinsame Kirchenleitung hat. Eine gemeinsame kirchliche Organisation ist uns nicht verheißen. Heute spricht man von der „Einheit in der Verschiedenheit“ und von der „versöhnten Verschiedenheit“. Die Frage der Einheit entscheidet sich daran, ob man den gleichen Herrn und den gleichen Glauben hat und der Herr für die Einheit betet. Einheit kann man nicht „machen“. Es kommt auf den Geist an, der in einer Gemeinschaft herrscht.

Aber es gibt weiter drei Gruppierungen der Kirchen in Deutschland: Die lutherischen Kirchen wie Sachsen und Bayern, die unierten Kirchen in den ehemals preußischen Gebieten und schließlich noch die vermittelnden Kirchen, die sich zu der „Arnoldshainer Konferenz“ zusammengeschlossen haben und zu denen zum Beispiel die beiden hessischen Kirchen gehören. Jede Seite hält nun ihre Art von Kirche für die richtige und möchte, daß die anderen sich ihr anschließen.           

Immerhin sind wir so weit, daß die Pfarrer in jeder Kirche predigen und das Abendmahl austeilen dürfen [Hier etwas einfügen über den konfessionellen Stand in der eigenen Gemeinde].

Wir können nur all die Schritte begrüßen, die zu einer engeren Gemeinschaft der Christen führen.

Das Gebet Jesu um die Einheit deiner Gemeinde ist also nicht vergeblich gewesen und wird auch in Zukunft nicht vergeblich sein. Auch wenn die Gemeinde manches versäumt hat und unter sich uneins ist - durch die Fürbitte Jesu wird sie doch erhalten und sogar brauchbar und tüchtig gemacht. Christus sieht die Einheit der Gemeinde schon vor sich, so wie der Baumeister eines Domes das Werk schon fix und fertig vor sich gesehen hat, auch wenn er die Vollendung nicht mehr erlebte.

Die Einheit der Kirche besteht also nicht in einer ursprünglichen Verwandtschaft oder Zu­sammengehörigkeit. Sie wird auch nicht auf organisatorischem Wege, nicht durch geschickte Verhandlung und Verständigung, Gedankengleichheit und Vereinbarungen, und erst recht nicht durch eine Gleichschaltung von oben erreicht. Und „Einheit“ bedeutet nicht „Einheitlichkeit“ oder Gleichschritt.

Unser Einssein besteht darin, daß Christus in uns ist und wir in ihm. Die Einheit der Kirche ist uns von Christus schon vorgegeben. Sie braucht nicht hergestellt, sondern nur entdeckt und gelebt zu werden. Unser Vorbild dabei soll die Einheit zwischen Vater und Sohn sein. Diese wird uns auch heute durch den Sohn vermittelt. Durch die Himmelfahrt wurde er ja nicht in einen himmlischen Raum eingesperrt, sondern er ist auch heute allgegenwärtig und zieht uns in die himmlische Gemeinschaft mit hinein.

Wenn wir uns das einmal vor Augen halten, dann müßten doch all unsere kleinlichen menschlichen Streitereien vergessen sein. Die Gemeinde hat nämlich noch eine Zukunft. Jesus ist nämlich nicht nur jetzt bei uns und gibt uns die Kraft, unser Leben zu bewältigen. Er will auch alle zu sich holen, die der Vater ihm gegeben hat.

Die Fragen nach unserem Leben und nach unserem Tod, ob wir bei Gott sind und er bei uns - das sind die Fragen, die uns heute in der Christenheit beschäftigen sollten. Die Fragen der

kirchlichen Organisation sind demgegenüber nur zweitrangig. Unsere Einheit liegt in unserem Herrn begründet. Und dieser Herr ist überall derselbe, denn er ist seit der Himmelfahrt der Herr über die ganze Welt.

 

 

Quasimodogeniti: Joh 20, 19 - 31

Ein Professor für systematische Theologie hielt einen Bibelabend über die heutige Geschichte vom ungläubigen Thomas. Zunächst hat er alles kurz nacherzählt und dann die Frage gestellt: „Ist das denn alles so geschehen?“ Alle erwarteten natürlich: „Jetzt wird er uns Wort für Wort beweisen, daß alles so war - das ist doch die Aufgabe eines Professors der Theologie! Er wird schon allen Zweiflern eins aufs Dach geben!“

Aber da gab sich der Professor schon selbst die Antwort: „N e i n, diese Geschichte ist keine Tatsache wie etwa die Kreuzigung!“ Man kann sich vorstellen, daß Viele erst einmal aus al­len Wolken fielen. Sie waren felsenfest vom Gegenteil überzeugt und hatten all diese biblischen Geschichten als Tatsachenberichte genommen. Aber diese Erzählungen sind eben nicht geschichtlich in dem Sinne wie etwa ein Zeitungsartikel über ein ganz bestimmtes Ereignis.

Dann hat also dieser Thomas doch recht mit seinem Zweifel: Hätten wir denn die Geschichte geglaubt, so wie sie dasteht? Jesus kommt durch die verschlossene Tür. Das kann doch kein Mensch! Jesus war ja auch kein Mensch mehr; er war ja gestorben und wieder auferstanden, aber nicht mehr mit einem Leib wie vorher: Maria Magdalena hat ihn nicht berühren dürfen, als sie ihm im Garten begegnete. Die Jünger haben ihn nicht berührt. Und selbst Thomas verzichtet nachher darauf, obwohl er es doch so entschieden und stürmisch verlangt hatte. Auch Thomas hat gemerkt, daß mit Jesus etwas anders geworden ist. Deshalb kann er ja trotz verschlossener Türen bei ihnen sein. Wir dürfen die Geschichte aber nicht so verstehen, als habe sich plötzlich aus der Wand eine Gestalt gelöst und sei auf die Jünger zugegangen, und das sei Jesus gewesen. Hier muß etwas anderes gemeint sein: Jesus war bei den Jüngern. Aber w i e, das können wir heute nicht mehr so genau feststellen.

Andererseits ist Jesus immer noch derselbe, der Jesus, den sie früher gekannt haben. Sie erkennen ihn auch jetzt sofort wieder. Nur ist er jetzt anders bei ihnen als früher. Das mußten sie erst alle einsehen.

Im Grunde muß man doch allen Jüngern den Vorwurf machen: „Ihr glaubt nur, weil ihr gesehen habt!“ Doch eigentlich ist das gar kein Glaube, sondern ein Für-wahr-halten. Wir müßten das abschließende Wort Jesu so übersetzen: „Hältst du nur deshalb für wahr, weil du gesehen hast? Wohl denen, die nicht sehen und doch vertrauen!“ Es geht also darum, ob man dem Wort Jesu vertraut. Ud dieses Vertrauen nennt Jesus „Glaube“. Wir sollen nicht einfach für wahr halten, daß Jesus durch eine verschlossene Tür geht; darauf kommt es bei dieser Geschichte gar nicht an. Wir sollen aber Jesus vertrauen: Er ist bei den Jüngern, obwohl alles verschlossen ist.

Es gibt ja heute drei verschiedene Gruppen von Menschen, die grundsätzlich verschieden den­ken. Viele leben noch in einer Welt der vollkommenen Harmonie, es gibt keine Probleme und alles ist ihnen selbstverständlich. Diese Menschen nehmen auch alle Geschichten der Bibel wörtlich; es gibt für die gar keine Fragen, sie lassen sich durch keinen Zweifel erschüttern. Eigentlich sind diese Menschen zu beneiden, denn ihnen bleibt vieles erspart, was anderen Mühe macht. Für sie gibt es auch bei dieser Thomasgeschichte keine Fragen.

Die meisten hängen jedoch noch in der Weltanschauung des 19 Jahrhunderts: Am Anfang war die Materie und diese entwickelt sich nach festen Naturgesetzen immer weiter bis zum heutigen Zustand. Es gilt nur das, was sich objektiv zeigen und beweisen lassen kann. Nur was ge­messen werden kann und Geld einbringt, hat einen Wert. Von daher gesehen ist natürlich das Ostererlebnis des Thomas ein völliger Unsinn und eine lügnerische Erfindung.

Doch dieses Denken ist heute längst nicht mehr modern, auch wenn es von den unverbesserlichen Gottesleugnern immer wieder erneuert wird. Der Satz: „Ich glaube nur, was ich sehe!“ ist heute einfach Unsinn. Es gibt mehr, als wir mit unseren Sinnen wahrnehmen. Wer nur das

als wirklich ansieht, was er sieht, für den ist die Welt nur sehr klein.

Zum Beispiel hat nach niemand ein Atom gesehen - und doch ist es da. Es gibt eben Dinge zwischen Himmel und Erde, die sind nicht sichtbar und nicht vorstellbar, aber sie sind doch wahr: Gott ist nicht sichtbar und nicht vorstellbar, aber er ist doch für uns da. Es kommt nur darauf an, wie man ihn erkennen will.

Nehmen wir ein Fernrohr - aber Gott ist nicht bei den Sternen. Nehmen wir ein Mikroskop - aber Gott ist nicht im Atom! So kann man Gott nicht sehen. Wir haben nur ein Organ dafür: den Glauben! Wer an Gott glaubt, wird ihn erkennen und ihm werden die Augen geöffnet.

Doch der Thomas ist ein gutes Beispiel für die durchschnittliche Haltung der Menschen, die nicht glauben können, ohne Wunder zu sehen. Eigentlich müßten sie doch dem Wort der anderen Jünger glauben, die lügen doch nicht. Die haben doch auch wirklich etwas erlebt: Jesus hat ihnen den Heiligen Geist verliehen und ihnen den Auftrag zur Weltmission gegeben, er hat sie von ihrer Furcht erlöst und ihnen eine befreiende Freude geschenkt. Das sind doch alles Dinge, die man objektiv feststellen kann, es handelt sich doch nicht um Einbildungen der Jünger.

Aber Thomas ist nicht dabei gewesen. Da geht es ihm wie uns: Wir waren nicht dabei. Vielleicht hatte er sich enttäuscht und verbittert von den anderen abgewendet, vielleicht war dieser Jesus erledigt für ihn. Jetzt muß Thomas erst wieder in die Gemeinde zurückfinden. Aber er kommt wenigstens. Er will seinen Glauben selber finden. Er ist bereit, sich überzeugen zu lassen. Das ehrt ihn. Negativ an ihm ist, daß er Bedingungen stellt, von denen er den Glauben abhängig macht. Aber Jesus geht auch darauf ein. Er macht auch uns immer wieder solche Konzessionen, obwohl wir im Grunde natürlich nur allein mit seinem Wort zufrieden sein sollten.

Wenn wir fragen: „Was führt uns zum Glauben an Jesus?“ dann gibt uns diese Geschichte die Antwort: Er wird uns in der Gemeinde durch Jesus geschenkt. Dort wird das Wort Gottes weitergesagt und das Zeugnis derer, die dabei waren, ausgelegt. Dort kann man offen über seine Zweifel reden und von den anderen Hilfe erfahren. Wo sich Menschen unter dem Wort Gottes zusammenfinden, da ist Jesus gegenwärtig. Das ist die tiefe Wahrheit dieser Geschichte, darum geht es hier.

Aber es gibt keinen Beweis dafür. Auch wenn Thomas den auferstandenen Herrn berührt hätte, wäre das noch kein Beweis gewesen. Wer nicht glauben w i l l, der findet immer tausend Ausreden, um sich davor zu drücken und wird immer neue Vorbehalte anmelden.

Im Grunde geht es dabei gar nicht um die verstandesmäßigen Zweifel, sondern es handelt sich um einen Mangel an Vertrauen. Der Glaube ist halt doch immer ein Wagnis. Wenn man schwimmen lernen will, muß man erst ins Wasser gehen. Aber wenn man dann erst drin ist, lernt man es auch - wenn man die richtige Anleitung hat, wenn ein anderer die Sache richtig erklärt. Man muß nicht unbedingt etwas sehen, das kommt höchstens noch zusätzlich dazu. Aber durch das Sehen wird nichts leichter. Man muß selber mitmachen!

Die Jünger hätten auch noch zweifeln können, als sie Jesus gesehen hatten; aber sie haben ihm vertraut. Wir heute sind nicht selig, weil wir Jesus nicht sehen, sondern wenn wir glauben. Unser Glaube ist nicht wertvoller als der Glaube derer, die Jesus noch gesehen haben. Wir dürfen die Augenzeugen Jesu nicht verachten, nur weil Jesus gesagt hat: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!“ Aber wir dürfen sie auch nicht beneiden, denn der Glaube ist nicht vom Sehen abhängig.

Vielleicht sieht man das noch an ehesten an kleinen Kindern. Abends müssen sie allein ins Bett. Oft haben sie dann Angst und weinen. Sie haben noch kein Vertrauen und denken: „Vater und Mutter haben mich allein gelassen!“ Aber wenn dann die Tür aufgeht und Vater oder Mutter stehen am Bett, dann ist alles wieder gut. Die größeren Kinder haben es dann auch gelernt und wissen: Auch wenn es dunkel ist, sind Vater und Mutter doch da, auch wenn man sie nicht sieht. - So ist auch der Glaube eine Zuversicht auf das, das man erhofft, und ein Nichtzweifeln an dem, das man nicht sieht (Hebr. 11,1).

Ob die Eltern, die ihr Kind „Thomas“ nennen, das alles bedenken? Ob sie überhaupt diese Geschichte des ungläubigen Thomas kennen? Ihr Kind soll doch sicher oder hoffentlich ein gläubiger Thomas werden. Glauben erkennt man daran, ob einer sagt: „Mein Herr und mein Gott!“ Nicht irgendein Gott, sondern  m e i n e r! Aber auch wenn wir ungläubig oder auch nur schwach­gläubig geworden sind, wird Gott uns deshalb doch nicht gleich wegwerfen, sondern uns zum rechten Glauben verhelfen. Und wer zum Glauben kommt, der empfängt Frieden, den Jesus seinen Jüngern schenkt

 

 

Joh 10, 11 – 16 (Miserikordias Domini, Variante 1):

Gelegentlich können wir auf Feldern und Wiesen eine Schafherde beobachten. Der Schäfer blinkt über die friedlich grasende Herde und die Landschaft hinweg. Die Hunde sorgen für Ordnung und daß die Tiere zusammenbleiben. Es gibt eigentlich keine Aufregung - ein friedliches, stimmungsvolles Bild.

Aber ein Schäfer ist etwas anderes als ein Hirte zur Zeit Jesu. Damals mußte man als Hirte mit allen möglichen Gefahren rechnen und es gab dauernd Aufregungen: wilde Tiere brachen in die Herde ein, Räuber wollten sich ein Tier stehlen, die Lämmer verliefen sich leicht in dem unwegsamen Gelände, es gab Streit mit anderen Hirten um die Wasserstellen und Weideplätze.

Ein Hirte war damals ein Kämpfer, der notfalls sein Leben für die Herde einsetzen mußte. Wenn ein Löwe kam, mußte er mit Steinschleuder, Stock und Messer gegen ihr angehen und ihm notfalls das Lamm noch aus dem Maul ziehen. Als Hirten konnte man damals nur ganze Kerle gebrauchen. Deshalb verglichen sich auch die Könige und Herrscher gern mit einem Hirten. Eine gerechte Regierung und die Fürsorge für die Schwachen sollten kennzeichnend für ihr Handeln sein. Sie waren Herrscher u n d Beschützer, denn nur wer beschützt, darf auch herrschen. Wer sich nicht verantwortlich weiß für die Herde, der darf auch kein Hirte sein.

In diesem Punkt hat es manche betrüblichen Erfahrungen mit den Herrschern des alten Orients gegeben. Sie ließen sich zwar gern als „Hirte“ bezeichnen, aber sie waren es nicht. Sie waren Machtmenschen, die ihre Untertanen nur wie Schachfiguren auf ihrem Spielbrett hin und her schoben.

Wo gibt es denn bei uns heute gute Hirten? Gehen wir einmal einige Berufe durch: Da ist zunächst der Politiker und Staatsmann. Da ist der Leiter der großen Wirtschaftsvereinigungen.

Da ist der Armeegeneral. Da ist der Leiter einer großen Organisation. Sind sie Hirten, die für die anderen eintreten und ihnen nur das Beste zukommen lassen? Haben sie nur das wohl der anderen im Kopf oder denken sie nur an ihre eigene Haut?

Die Aufgabe eines Hirten kann man heute am ehesten vergleichen mit der Stellung eines Meisters. Diese Menschen haben es schwer nach allen Seiten: von oben kommen die Befehle und der Meister ist verantwortlich für die Durchführung; er muß Erfolgsmeldungen nach oben weitergeben können. Von unten kommen die Wünsche und Beschwerden, aber der Meister muß auch die Befehle von oben plausibel machen. Diese Menschen in mittlerer Position sind wirklich nicht zu beneiden. Sie drohen, zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben zu werden, zwischen oben und unten. Der Arbeiter steht an seiner Maschine und macht oft Tag für Tag dasselbe. Den Meister aber schickt er los, um Material zu beschaffen. Wenn etwas nicht klappt, muß der Meister her. Immer muß er sich verantworten, immer muß er sich vor die anderen stellen. Die einen machen es dann halt wie die Radfahrer, die nach oben katzbuckeln und nach unten treten. Die anderen hören nur auf das, was von unten kommt. Beides ist gleich falsch: Kein guter Hirte wird seine Herde schutzlos dem Löwen und Wölfen preisgeben, aber er wird auch nicht nur dorthin gehen, wo die Herde hin will.

Auch der Pfarrer soll ein Hirte seiner Gemeinde sein. Das norddeutsche Wort „Pastor“ heißt ja „Hirte“. Unter „Herde“ versteht man heute einen Haufen von solchen, die nichts zu sagen haben, die bestenfalls einen Leithammel haben. Christus als der Hirte und der Pfarrer als Leithammel! So weit käme es noch, das wäre ja noch schöner. Das Bild von Hirt und Herde paßt heute nicht mehr auf eine christliche Gemeinde. Der Pastor ist nicht Herr und Eigentümer der Gemeinde. Es gibt nur einen unvergleichlichen Hirten, das ist Jesus. Deshalb bezeichnete man in Israel nie den regierenden König als „Hirten“. Gott allein war der gute Hirte seines Volkes. Und man hoffte darauf, daß er einen Heilsherrscher schicken wird, der sich seiner Herde annimmt. Das Wort „Hirte“ umfaßte also viele Sehnsüchte und Erwartungen, aber auch immer wieder viele Enttäuschungen.

Aber dann kam Jesus und sagte: „Was ihr gesucht und erhofft habt, das bin ich!“ Er kam nicht als schimpfender Prophet oder als unbarmherziger Richter, sondern als ein milder Christus. Er hat nicht einen höheren Posten erstrebt, sondern sich zu den Menschen in der Tiefe gestellt. Es hat ihm nicht an guten Qualitäten für den Weg nach oben gefehlt. Aber er ging aus Liebe in die Tiefe zu den Menschen, die in Not sind.

Bei ihm brauchen wir keinen Verdacht zu schöpfen, wenn er sich als „guter Hirte“ empfiehlt. Er ist ja nicht ein guter Hirte neben anderen, sondern d e r gute Hirte. Er allein macht wahr, was das Bild meint, er ist der Größte und Beste. Wenn das heute ein Baumeister oder Dirigent oder Arzt oder Politiker sagt, dann sind wir mißtrauisch. Wir haben eben auch zu viele Enttäuschungen erlebt. Aber Jesus darf so etwas mit Recht sagen, weil er der gute Hirte ist und bleiben wird.

Wir haben ein gesundes Mißtrauen gegen jeden Herrschaftsanspruch, wird sind anti-autoritär eingestellt. Aber bei Jesus besteht nicht die Gefahr, daß wir ihm hörig werden und unsere eigene Persönlichkeit verlieren. Das passiert nur bei den Mitläufern, die sich immer nur anpasse- und hinter einem Vordermann verstecken wollen; und wenn sie die Stimme eines anderen hören, dann rennen sie schnell dorthin, wenn sie sich etwas davon versprechen. Wenn wir Jesus richtig verstanden haben, dann wollen wir nur ihm gehören, dann suchen wir gar keinen anderen.

Jesus kennt die Seinen, so wie ein Hirte seine Schafe kennt. Einem Fremden wurden die Schafe nicht folgen. Aber dem eigenen Hirten laufen sie zutraulich und sorglos nach. Ihnen wird kein Zwang auferlegt, sondern sie folgen in problemloser Selbstverständlichkeit ihrer Bezugsperson. Weil der Hirte die Seinen kennt, können sie ihn auch liebgewinnen. Jesus hätte zwar viele Gründe, um an uns irre zu werden. Aber er steht doch zu uns wie kein anderer. Man kann ihn nicht auswechseln gegen einen anderen. Schließlich ist er ja unser Eigentümer und deshalb so an uns interessiert wie kein anderer. Wer nur angestellt ist, soll zwar auch auf das Wohl der Herde bedacht sein und nicht fliehen, wenn der Wolf kommt; aber er wird eben doch fliehen, wenn Gefahr droht, denn es sind ja nicht seine Schafe.

Jesus aber hat für die Seinen gekämpft und dabei sein Leben gelassen. Er wahrt zwar auch sein eigenes Interesse, wenn er um sein Eigentum kämpft; aber er tut es um des Eigentums willen und nicht nur seinetwillen. Schließlich hat man es hier ja mit einem „Wolf“ zu tun, der

das Symbol für das Böse in der Welt ist.

Dieses kann viele Gesichter haben. Manche Wölfe brechen von außen ein und wollen die Her­de auseinandertreiben. Aber es gibt auch Gefahren, die von innen aufbrechen: Wir wollen gern eigene Wege gehen und alles besser wissen. Wir drängen zur Futterkrippe ohne auf die Gefahren zu achten. Wir sind rücksichtslos gegenüber dem Nachbarn, weil keiner zu kurz kommen will.

Den Schafen kann man das nicht übelnehmen, denn sie sind ja Tiere. Wir aber wollen doch keine Schafe sein. Wir können solche Gefahren nur vermeiden, indem wir uns nach dem Vorbild unsers guten Hirten Jesus richten. Er hat mehr Erfahrungen als wir. Er weiß, wie heimtückisch der Wolf ist: Er schnappt sich immer einzelne, um so die garte Herde machtlos und hilflos zu machen. Er will Einzelne von der Herde trennen, umso besser mit ihnen fertig zu werden. Für uns gilt es, diese Methode zu durchschauen und sich nicht vereinzeln zu lassen. Der Schüler darf sich auf seine Eltern berufen, darf sich den Beistand der Mitschüler sichern und darf sich an Jesus halten. Er wird dann nicht schweigen, wo man reden sollte. Er wird feststehen und nicht nachgeben und sogar noch anderen helfen können.

Jesus will wie ein guter Hirte die Herde zusammenhalten. Zu seiner Herde gehören ja alle, die getauft sind. Aber mancher ist ihm fortgelaufen und hat ihn nicht mehr vor Augen. Er ist zwar getauft und konfirmiert worden, er hat das Abendmahl empfangen, er hat gelobt, sein Kind im christlichen Glauben zu erziehen. Aber dann ist er auf andere Wege geraten und hat Gott den Rücken gekehrt. Manchmal bilden offensichtliche Übertretungen der Gebote den Graben, über den sie nicht zurückfinden. Doch auch ihre Lage ist nicht hoffnungslos, weil es für Gott keine hoffnungslosen Fälle gibt.

Gott ist nämlich auch leidenschaftlich an denen interessiert, die weggelaufen sind. Er schickt ihnen Menschen, die sie einladen. Er schickt ihnen Krankheit, damit sie über ihr Leben nachdenken. Er läßt sie seine Güte in überwältigender Weise erfahren. Deshalb darf auch keiner von uns zu schnell Fronten aufrichten gegenüber denen, die er für verloren hält.

Gewiß gibt es auch eine Grenze der Gemeinde. Man muß ja sagen können, wer dazu gehört oder nicht. Aber Jesus hat auch die Vollmacht, sich außerhalb der Gemeinde noch Leute zu suchen. Es ist nicht gesagt, daß die ganze Menschheit einmal seine Herde sein wird. Aber er kann zu allen Zeiten aus den verschiedenen Räumen Menschen herausrufen. Er ist nicht auf uns angewiesen, sondern wir sind auf ihn angewiesen.

Wir meinen manchmal, wir müßten einen möglichst hohen Zaun um die Gemeinde errichten, um zusammenhalten zu können. Aber die Einheit der Herde wird nicht durch den Zaun, sondern durch den Hirten verbürgt. Das gilt auch für die Unterschiede, die es in der Kirche gibt. Es gibt ja leider nicht nur eine Kirche, sondern viele. Und innerhalb der einzelnen Kirchen gibt es auch noch einmal Abstufungen. Doch diese Vielgestaltigkeit darf durchaus sein. Nur der Hirt muß ein und derselbe bleiben, dann macht das nichts aus. Wenn alle auf seine Stimme hören, dann ist die Einheit auch da.

Die Gemeinde darf auch nicht hinter verschlossenen Türen an sich selbst genug haben und nur ihren eigenen Interessen nachhängen und die anderen der Sorge des guten Hirten überlassen. Ostern endet ja damit, daß die Jünger in die Welt gesandt werden. Es ist nicht damit getan, daß sie mit Ernst Christen sein wollen, regelmäßig die Gottesdienste besuchen, in der Bibel lesen, täglich beten und anständige Menschen sind. Sie sollen auch helfen, daß Entfremdete wieder zurückfinden können.

Jesus will uns zu Hirten machen die zu den anderen Schafen gehen. Die jetzt sichtbar gesammelte Gemeinde ist noch nicht die ganze Gemeinde; die hier im Gottesdienst Versammelten sind noch längst nicht alle, die dazugehören oder dazugehören könnten. Unser Aufgabe wird es sein, zu den anderen hinzugehen und sie zum frischen Wasser und zur grünen Aue zu führen. Wir werden gefragt, ob wir gute Hirten sein wollen, die gerne Verantwortung übernehmen und so ihren Hirten nachfolgen. Die andere Möglichkeit wäre, bei der geringsten Schwierigkeit oder Gefahr alles hinzuschmeißen und davonzurennen, Jesus ist nicht abgehauen, sondern hat sich für uns geopfert. Dafür sollten wir ihm ewig dankbar sein. Und unser Dankbarkeit kann sich zeigen, indem wir mithelfen, daß keines der Kinder Gottes irgendwo verlorengeht.

 

 

Joh 10, 1- 5 und 27-30 (Miserikordias Domini, Variante 2, veränderte Textauswahl):

Ein junger Mann wunderte sich darüber, daß im Gottesdienst überhaupt keine Gesellschaftskritik anklang. Das sei doch etwas unbefriedigend für einen Pfarrer, meinte er. Aber es ist nicht unsere Aufgabe in der Kirche, nun Gesellschaftskritik zu üben. Das ist nicht die erste Aufgabe der Kirche. Sicher wird auch Kritik zu üben sein. Doch zunächst einmal haben wir uns selber zu kritisieren. Und ein Pfarrer hat nicht als der Herr Soundso seine lieben Mitmenschen abzukanzeln, sondern er hat Gottes Willen auszulegen. Wie einen Spiegel hat er Gottes Wort vorzuhalten - und sich auch selber in diesem Spiegel zu betrachten.

Unsere Aufgabe in der Kirche ist nicht Gesellschaftskritik, sondern die Darstellung des Wortes Gottes. Wenn dabei etwas Gesellschaftskritik mit abfällt, wird nichts dagegen zu sagen sein. Wenn die Gesellschaft nicht mit dem Wort und dem Willen Gottes übereinstimmt, wird man das schon zu sagen haben. Aber nicht Kritik um jeden Preis und Kritik um der Kritik willen, das kann nicht unsere Aufgabe sein.

Andererseits gilt auch: Gottes Wort ist so aktuell, daß man es immer auf seine Zeit und seine Lebensverhältnisse anwenden kann. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, wird so manche Aussage auf sich anwenden können. Nehmen wir doch gleich unsern Predigttext. Kann sich da nicht jeder vorstellen, wer die falschen Hirten sind, die wie Diebe und Räuber kommen? Sie versprechen den Himmel auf Erden, aber in Wirklichkeit haben sie nur ihren eigenen Vorteil im Auge.

Mancher wird aber auch sagen: Wir brauchen einen anderen, der vor uns hergeht als Jesus. Menschen sind niemals so gehorsam wie Schafe. Und so ruhig wie auf einer stillen Weide geht es in unserm Alltag schön längst nicht mehr zu. Doch ein Hirte zur Zeit Jesu hatte nichts mit der romantischen Idylle zu tun von einem Schäfer, der gemächlich vor seiner friedlich grasenden Herde hergeht. Damals hatten die Hirten einen harten Kampf zu bestehen. Sie mußten Fähigkeiten und Charaktereigenschaften haben, die gerade auch in unser Zeit gepaßt hätten. Ohne Unerschrockenheit und Bereitschaft zum Verzicht konnte man damals nicht Hirte sein. Gegen Diebe und Räuber und wilde Tiere mußte die Herde verteidigt werden. Man

mußte immer die besten Weidegründe kennen und hatte manche Auseinandersetzungen mit den Konkurrenten zu bestehen.

Aber das Verhältnis zwischen „Hirt und Herde“ war nicht einfach das zwischen einem Menschen und einer Sache. Die Schafe waren nicht nur der ganze Reichtum des Hirten, sondern auch seine Lebensaufgabe. Das ist wie zwischen zwei Liebenden, wo einer für den anderen da ist und wo diese Wechselbeziehung als ein großes Glück erlebt wird. Hier geht es nicht nur um Bescheidwissen und Zur-Kenntnis-nehmen, sondern um gegenseitige Hingabe.

In der Bibel beschrieb man mit dem Bild von „Hirt und Herde“ das Verhältnis zwischen Regierung und Regierten, jedenfalls müßte das Verhältnis an sich so sein: Die einen sorgen für das Volk und schützen es vor Gefahren, die anderen fügen sich in das Ganze ein und setzen sich zum Wohle aller ein. Beide hängen sie aneinander und sind im Grunde nicht voneinander zu trennen.

Ist das zwischen uns und Jesus auch so? Manche sagen doch: Da wird man unmündig, wenn man nur auf die Stimme des Hirten hört! Wir wollen selber Verantwortung tragen und wollen uns nicht bevormunden lassen! Doch derjenige muß wohl erst noch gefunden werden, der unmündig wurde, weil er auf die Stimme des guten Hirten gehört hat. Jesus sagt doch: „Der gute Hirte - das bin ich!“ und die Betonung liegt dabei wohl auf dem „gut“ und auch auf dem „ich“

Es gibt ja auch andere Hirten. Im Grunde brauchen wir doch alle etwas, woran wir uns halten können und worauf wir hoffen können. Manche wollen sich ja sogar die Entscheidung darüber, was gut und was böse ist, von anderen abnehmen lassen. Oder sie suchen noch nach dieser oder jener kleinen Säule, die das Lebensgebäude abzustützen hilft.

Wenn wir nicht auf den guten Hirten hören wollen, dann kommen eben andere, die uns helfen wollen. Es gibt ja heute solche Sekten, die sich als religiös tarnen, aber nur Macht über die Menschen gewinnen wollen. Die sagen dann ganz genau, wohin unser Weg zu führen hat. Die haben auch Unterstützungen bereit. Aber die sagen auch immer: „Ohne Jesus“. Wer vor uns geholfen haben will, der muß sich von Jesus und von der Kirche trennen. Und ehe man es sich versieht, entpuppt sich der vermeintliche Hirte als der Räuber, der einen mit Haut. und Haar haben will. Und dann erst stellt sich heraus, wie unfrei man in Wahrheit geworden ist.

Bei Jesus als dem guten Hirten aber wird gerade die Verantwortung geweckt und die Mitarbeit in freier Entscheidung gewünscht. Da wird keiner untergebuttert, sondern als Mensch ernst genommen.

Gewiß, auch in der Kirche sind wir auf Leitung in sachlichen und persönlichen Angelegenheiten angewiesen. In unserer komplizierten Welt muß es Menschen geben, die leiten und führen. Aber Leitung in der Kirche ist doch von anderer Art als in der Welt. Wenn etwa ein Pfarrer eine besondere Aufgabe in der Gemeinde hat, dann bedeutet das keine Herrschaft in der Gemeinde. Er verwaltet zwar die Sakramente und hat das Wort Gottes auszulegen. Aber das bedeutet auch eine große Verantwortung und vielleicht auch eine Belastung. Er hat mehr Verantwortung und muß Rechenschaft ablegen.

An sich kann man diese Aufgabe nur übernehmen, wenn man sich getragen weiß von dem guten Hirten Jesus. Er allein gibt die Vollmacht. Aber ansonsten hat ein Pfarrer keinen Deut mehr zu sagen als jeder andere. Etwas von dem Hirtesein Jesu sollte auch in seinem Handeln deutlich werden.

Es mag sein, daß man gegen das Bild von „Hirt und Herde“ seine Bedenken hat, vor allem wenn man es falsch verstanden hat. Dennoch lohnt es sich sicher, auf die hier gemeint Sache zu hören und sich um ein rechtes Verständnis zu bemühen. Es ist auch sicher nicht so sehr lohnend, danach Ausschau zu halten, wer denn heute als Räuber oder Fremder der Gemeinde gefährlich werden könnte. Wichtiger ist es doch, auf den Hirten der Schafe zu achten, seine Stimme zu erkennen und ihm zu folgen.

Man muß schon genau hinsehen, wenn man einem folgen will! Jesus sagt: „Alle, die vor mir gekommen sind, sind Diebe und Räuber!“ Das ist eine Behauptung. Wer sagt uns denn, daß er anders ist? Die religiösen Führer in Jerusalem haben ihn eher für einen Wolf als einen guten Hirten gehalten. Der Unterschied liegt darin: Jesus wird von seinem Vater bestätigt. Er gibt dem Sohn die Menschen, er sorgt dafür, daß noch andere herbeigeführt werden, die bisher nur nicht wußten, daß sie ohne ihn nicht leben können.

Wir halten es meist für eine Sache unsers Ermessens, welchem Herrn wir glauben wollen. Mancher Konfirmand mag etwa denken: „Machst du halt erst einmal mit, und wenn es zu schwierig wird, kannst du dir ja immer noch etwas anderes suchen!“ Und das ist nicht nur bei Konfirmanden so! Dabei steht die Frage in Wirklichkeit ganz anders: „Wollen wir an den glauben, dem wir sowieso gehören, oder wollen wir uns gegen ihn sträuben?“

Wer mit ihm gehen will, wird auch sein Kreuz auf sich nehmen müssen. Die Nachfolge wandelt sich zwar mit den Zeiten. Wir können nicht mehr so unmittelbar hinter Jesus hergehen wie seine Jünger. Aber wir haben das zu tun, was er auch tat. Jesu Liebe gewinnt auch heute in seinen Nachfolgern Gestalt: er vergibt - sie vergeben, er dient - sie dienen. Seine Art prägt sich ihnen ein und prägt sich in ihnen aus.

Der Gehorsam gegenüber diesem Herrn gehört mit dazu. Jesus fragt: „Habt ihr es wirklich besser gehabt unter denen, die vor mir da waren?“ Jesus macht niemanden ärmer, als er ist. Es ist ein Irrtum, wenn wir meinen, wir kämen mit unseren Problemen besser zurecht, wenn wir nicht auf Jesus hören. Das Umgekehrte ist der Fall: Wenn sich einer von Jesus trennt, gehen die Probleme erst los. Er dachte zwar zunächst, eine Belastung los zu sein, aber nur zu schnell merkt er, daß er unter eine wirkliche Knechtschaft geraten ist.

Man fährt gut, wenn man Jesus nachfolgt. Seine Herrschaft besteht nicht darin, daß er kommandiert, sondern daß er vergibt. Wer Jesus kennt, für den liegt in dem Folgen kein Problem; höchstens könnte es sein, daß er bedauert, diesem Hirten nicht unbefangener und anhänglicher gefolgt zu sein.

Wer Jesus folgt, der wird auch bei ihm bleiben. Jesus sagt: „Ich gebe ihnen das ewige Leben!“ Hier ist das Gleichnis verlassen und Jesus spricht Klartext. Er hat an Ostern die Bahn gemacht für ein neues Leben, und nun zieht er alle mit sich, die zu ihm gehören. Es gibt schon jemand, der daran interessiert ist, die Menschen wieder von Jesus wegzureißen. Jesus muß für seine Leute kämpfen.

Aber der Kampf ist schon entschieden. Es gibt keine Gewalt, die gegen Gott an könnte. Jesu Gemeinde ist Gottes Gemeinde, Jesu Hand ist Gottes Hand. Dessen dürfen wir sicher sein, wenn jemand uns mit Versprechungen und Drohungen von unserm Glauben abbringen will: Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die Gott uns geschenkt hat durch Jesus Christus, unsern Herrn.

 

 

Joh 11, 47- 53 (Judika):

In Südfrankreich ist es beim Eisenbahnbau passiert: Das Warnsignal für die Arbeiter war ziemlich spät gekommen, der Zug war schon nahe heran. Schnell springen sie vom Bahndamm. Da bemerkt einer, daß noch eine Betonschwelle auf den Schienen liegt. Der Zug wird unweigerlich entgleisen. Der Arbeiter hastet wieder die Böschung hoch und wirft sich mit aller Gewalt gegen die Schwelle. Sie rutscht auf der anderen Seite hinunter. Aber der Arbeiter wird überfahren. Er hat sein Leben geopfert, damit viele Menschen in dem Zug gerettet wurden.

So etwas kommt unter uns Menschen gelegentlich einmal vor. Man kann nur mit Hochachtung von solchen Menschen reden. Mancher wird aber auch sagen: „Das ist doch dumm, sein Leben für andere einzusetzen. Wenn es die erwischt, dann haben sie eben Pech gehabt. Und wenn es mich nicht trifft, dann habe ich Glück gehabt. Warum sollte ich das leichtsinnig verspielen?“

Genauso könnte man fragen: Mußte Jesus unbedingt sterben? Das Schicksal der Menschen hätte ihm doch gleichgültig sein können. Hauptsache: Er selber war fein raus! Er hätte doch auch so genug Gutes für die Menschheit getan: Die Botschaft von dem lieben Gott und dem neuen Gebot, das er selbst vorgelebt hat, das war doch schon genug!

Doch ein gutes Vorbild allein macht es noch nicht. Es mußte erst noch bestätigt werden durch die Tat. Licht der Welt und Bringer des Lebens konnte er nicht sein ohne das Kreuz. Gott hatte es so beschlossen: Einer sollte für alle sterben. So will es schon das Gesetz der Menschen, so entspricht es aber auch dem Willen Gottes.

Der Hohepriester spricht unbewußt die Wahrheit. Er hat sogar nach Meinung des Johannes eine prophetische Gabe. Nur meint der Hohepriester politisches Unheil, das durch den Tod des einen abgewendet werden soll. Doch Gott selbst will es ja so, wenn auch in einem ganz anderen Sinn: Das ewige Verderben soll von der Menschheit abgewendet werden. So will der irdische Hohepriester dem himmlischen Hohenpriester das Urteil sprechen und dient doch letztlich dem Heilsplan Gottes. Hier waltet eine höhere Notwendigkeit.

Der Hoherat ist fast in einer Zwangslage: „Wenn wir ihn gewähren lassen, werden alle an ihn glauben!“ erkennen sie ganz richtig. Der Beschluß des Hohenrats ist nicht einfach ein Akt der Bosheit und Willkür, der Konflikt liegt tiefer. Der Hauptgrund liegt darin: Jesus paßt nicht in diese Welt. Alles, was er ist und tut, ist ein Angriff auf die sündige Welt, auch gegen das, was im Namen der „Religion“ geschieht. Die oberste jüdische Behörde gibt vor, die Sache Gottes zu vertreten; aber als er in Gestalt Jesu wirklich auf den Plan tritt, kommt es zum Zusammenprall und tödlichen Konflikt.

Man kann nicht dulden, daß dieser Jesus noch mehr Anhänger findet. Schon die Gründe der politischen Vernunft fordern die Beseitigung dieses gefährlichen Mannes. Kaiphas hatte schon eine ganze Reihe von Jahren die äußere Ruhe und Ordnung zu wahren verstanden und sich auch damit selbst die Macht erhalten. Eine immer stärker werdende Jesusbewegeng würde aber das Eingreifen der Römer hervorrufen und den Juden den bescheidenen Rest nationaler Selbständigkeit nehmen.

So entschließt sich der Hoherat, die Drecksarbeit selber zu machen und dem Oberherrn keinen Grund zum massiven Eingreifen zu geben. Unterdrückt werden muß die Sache sowieso. Dann besser noch von den eigenen Leuten als von den Fremden. Und den Römern wird es auch recht gewesen sein, wenn die Juden in ihrem Bereich die Ruhe und Ordnung sorgten, da brauchten sie sich nicht die Finger schmutzig zu machen und vor der Weltöffentlichkeit als Unterdrücker erscheinen. Die Handlanger machen das oft besser.

So lautet die Frage für den Hoherat: „Er oder wir?“ Aus Gründen der Selbsterhaltung muß Jesus aus dem Weg geräumt werden. Weshalb soll man sich da noch Gedanken machen, weil das Recht mit Füßen getreten wird. Recht ist, was nützt. An sich soll das Recht die Welt erhalten, einen Damm bilden gegen Willkür und Unordnung. Es soll nicht zu einem leicht handhabbaren Instrument der Durchsetzung eigener Interessen werden.

Aber schon der Kaiser Ferdinand (1556-64) sagte: „Das Recht muß seinen Gang haben, und soll die Welt darüber zugrunde gehen!“ (fiat iustitia, pereat mundi). Und bei den Nazis hieß es dann: „Recht ist, was dem Volke nützt!“ Doch umgedreht ist es richtig: Das Recht soll dem Volke nützen, auch wenn es dem Einzelnen einmal Schwierigkeiten bereitet: dient es der Rechtsgemeinschaft als ganzer, dann dient es zuletzt auch dem Einzelnen.

Nur sagen die Regierenden immer: „Wir wissen ja besser als der Einzelne, was dem Ganzen nützt!“ So läßt Dostojewski den Großinquisitor Spaniens zu dem wiedergekommenen Christus sagen: „Du hast den Menschen die Freiheit gebracht. Fünfzehn Jahrhunderte haben wir unsere Not gehabt mit dieser Freiheit. Du hättest auf den Versucher in der Wüste hören sollen: Brot, Wunder, Macht - das brauchen wir, damit hättest du die Menschen unterworfen. Du wolltest die freiwillige Liebe der Menschen, aber du hast zu viel von ihnen gefordert, sie sind nun einmal Unfreie und wollen gern unterworfen werden. Wenn man ihnen sagt, was sie tun sollen, dann sind sie im Grunde glücklich!“

So hat auch schon Kaiphas gedacht: Man muß die Menschen zu ihrem Glück zwingen. Dieser Jesus paßt nicht in die Welt, er weckt und schärft die Gewissen und stellt die Menschen unmittelbar vor Gott und er liebt die Sünder. Damit das Ganze im Lot bleibt, muß der Einzelne geopfert werden. Von seinen Voraussetzungen her kann Kaiphas gar nicht anders handeln. Er war nicht ein gehässiger Mensch, sondern Jesus stirbt, weil die Welt so ist, wie sie ist. Wenn die Welt in ihrer Verfassung bleiben will, dann muß sie den Gott umbringen, der sie stört. Und sie hat dabei noch ein gutes Gewissen, wenn er als Ketzer und Gotteslästerer verurteilt werden kann.

Doch Kaiphas sagt in einem tieferen Sinn die Wahrheit, als er es selber weiß: Daß einer für alle stirbt, entspricht auch dem Plan Gottes. Kaiphas meint zwar, er würde das Rad der Geschichte seines Volkes drehen. Aber in Wirklichkeit ist es wie bei einen Windrad, an dessen Achse eine Kurbel befestigt ist, die von einer Figur in den Händen gehalten wird. Die Figur scheint das Rad zu drehen, aber in Wirklichkeit wird sie vom Wind bewegt.

So wollte auch der Hoherat allem Einhalt gebieten, was durch Jesus in Bewegung geraten war: Die Hoffnung auf die nahe Gottesherrschaft, die Gewißheit des neuen Lebens, die Gottes- und Menschenliebe, die ausgeteilt wird an Freund und Feind. Diesen neuen Anfang der Geschichte wollte man wieder zurückdrehen. Aber statt v o r Jesus werden sie durch Jesus gerettet, auch seine Feinde.

Der Hohepriester sollte sich an sich von Amts wegen mit der Frage der Ausräumung der menschlichen Schuld gegenüber Gott befassen. Stattdessen denkt er aber an die Stabilität weltlicher Ordnung. Diese Frage sollte man zwar euch nicht gering achten. Aber es wäre verhängnisvoll, darüber die Lösung des Schuldproblems zu vergessen.

Auch der Großinquisitor sah in der Beseitigung der Schuld offenbar nicht das Hauptproblem. Mit der Schuld kann man offenbar ganz gut leben. Hauptsache, man ist sonst gesund, wohlversorgt, glücklich und sicher. Dafür soll Gott zuerst einmal sorgen. So denken wir doch vielfach auch: Erst einmal das tägliche Brot, dann die Vergebung der Sünden (so im Vaterunser).

Doch die Frage nach der Vergebung der Sünden können wir nicht ohne Schaden übergehen. Schon in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen spielt sie eine entscheidende Rolle. Keiner sagt: „Du bist nun einmal so, wie du bist!“ Sondern wir bewerten einander, erheben Vorwürfe und machen einander verantwortlich. Das zeigt, daß wir ein Gewissen haben und Verantwortung tragen.

An sich müßten wir aber sagen: „Lieber hungrig und elend, aber ein mit Gott versöhntes Gewissen!“ Das läßt sich gut sagen, solange es einem gut geht. Aber es müßte natürlich auch in mißlicher Lage gelten. Doch im Konfliktfall entscheiden wir meist wie Kaiphas. Doch er hat sich dabei verschätzt: Er hat Jesus geopfert, weil er die Römer fürchtete. Aber eines Tages sind sie doch gekommen und haben Staat und Stadt vernichtet. Durch eine Schaukelpolitik, durch ein Gutstellen mit den Mächtigen, kann man sich nicht endgültig retten. Mit Gott sollten wir uns gut stellen, das hat mehr Verheißung.

Gott hat mit dem Tod seines Sohnes teuer dafür bezahlen müssen. Hätte er nicht auch ohne ein solches Opfer die zerstörte Gemeinschaft mit den Menschen wiederherstellen können? Man sollte jedoch nicht Gottes Liebe und Jesu Opfergang gegeneinander ausspielen. Die Liebe Gottes besteht gerade darin, daß Gott den Sohn opfert. Er kann nichts unter den Teppich kehren, er kann die Sünde nicht einfach übersehen. Deshalb muß das Lamm Gottes die Sünde der Welt wegtragen.

So wird die Welt gerettet. So entsteht eine neue Gemeinschaft, zu der Gottes Kinder in der ganzen Welt gehören. Durch das Kreuzesopfer hat Gott die Tür zu sich selber weit aufgemacht. Kaiphas hat davon nichts geahnt. Aber uns wird es verkündet, und wir leben davon.

 

 

Joh 14, 23 - 27 (Pfingsten I):

Wenn wir von einem Menschen Abschied nehmen, dann sagen wir: „Auf Wiedersehen!“ Aber ob wir ihn tatsächlich wiedersehen, wissen wir nicht. Morgen können wir oder der andere schon tot sein. Oder wir können durch irgendwelche äußeren Umstände für immer voneinander getrennt werden. Oder es ergibt sich einfach keine Gelegenheit mehr, noch einmal zusammenzutreffen. Wir sagen oftmals so gedankenlos „Auf Wiedersehen“ zu Menschen, die wir das erste Mal im Leben gesehen haben und die wir wahrscheinlich auch nie wiedersehen werden. Aber man macht das ebenso.

Als Jesus von seinen Jüngern Abschied nahm, da mußte er ihnen schon etwas mehr hinterlassen als solch einen unverbindlichen Wunsch. Sie sind in Unruhe und Angst. Sie wissen nicht, was werden soll, wenn ihr Meister sie verläßt. Sie brauchen als Hilfe etwas Handfestes, das genauso gut ist, wie wenn Jesus selber bei ihren wäre. Doch genau das kann ihnen Jesus versprechen: Gott wird ihren den Heiliger Geist senden, der an die Stelle Jesu tritt.

Luthers Übersetzung „Tröster“ trifft die Sache nicht. Es geht um den, den man zur Hilfe herbeiruft. Das Wort „Helfer“ macht also noch am ehesten deutlich, was Jesus hier meint. Er kennt die Ratlosigkeit seiner Jünger und weiß, daß sie sich ohne diesen Beistand nicht zu­rechtfinden werden. Deshalb gibt er hier einer bedrängten Gemeinde ein Wort der Verheißung mit auf den Weg.

Wir müssen uns ja vor Augen halten: Als das Johannesevangelium geschrieben und diese Worte formuliert wurden, da setzte die erste Welle der weltweiten Verfolgung der Christen ein. Ja, wenn Christus noch da wäre, dann könnte er sich jetzt für seine Gemeinde einsetze-Aber wo ist er denn jetzt? So werden sich doch damals viele Christen gefragt haben.

Und das Johannesevangelium hat ihnen dann deutlich gemacht: Er ist noch bei uns, wenn auch auf andere Art und Weise. Gott der Vater und Jesus Christus der Sohn sind jetzt als Heiliger Geist bei euch. Und dieser Geist ist nicht nur so in euren Gedanken vorhanden, sondern ein wirklicher Helfer.

Das ist auch uns gesagt, die wir in diesem Jahr wieder das Pfingstfest feiern. Wir sind nicht unbedingt eine bedrängte Gemeinde. Aber heute läuft in der Kirche gar nichts mehr von selbst. Wenn eine Gemeinde sich nicht vom Geist Gottes zu selbständigem Handeln antreiben läßt, wird sie langsam aber sicher absterben. Man spricht dann gewöhnlich vor der Krise in der Kirche. Dabei übersieht man aber die große Chance für die Kirche in unserer Zeit: Sie kann wieder ganz neu lernen, daß sie ihr Leben nicht aus sich selbst heraus entwickeln kann, sondern nur als Gabe des Heiligen Geistes empfängt. Und was uns jetzt als Not erscheint und Unruhe macht, das kann dann zuletzt zu unserm Segen werden.

So ist das aber auch in unserm persönlichen Leben. Es gibt Jahre, wo alles glatt geht: wir sind gesund, können etwas leisten, es gibt keine Sorgen in der Familie. Und dann meinen wir, das müsse alles so sein. Doch plötzlich kommt es anders: Eine Krankheit hemmt unsere Schaffenskraft, ein Todesfall zerschlägt unser Familienglück; wir geraten in Sorgen und kommen in Krisen. Wenn wir dann lernen, daß wir den Helfer Gottes brauchen, dann kann alle Not in Segen umschlagen.

Entscheidend wird dabei sein, ob wir den Heiligen Geist tatsächlich an uns wirken lassen wollen. Nur wer wir alles von ihm erwarten, werden wir eine Zukunft haben, als Kirche und als einzelner Christ. In dreifacher Art und Weise möchte der Heilige Geist dabei unser Helfer sein:

 

(1.) Der Heilige Geist macht uns fähig zur Liebe: Wenn ein Mann einer Frau seine Liebe deutlich machen will, dann genügt dazu nicht eine Liebeserklärung, sondern er muß es auch durch die Tat beweisen. Etwas überspitzt ausgedrückt wird er nicht nur sagen: „Ich liebe dich!“ sondern auch: „Ich will dir auch immer den Müll runtertragen!“ Und wenn jemand seine Liebe zu Jesus zeigen will, dann geht das nur im konkreten Einsatz für die Welt und ihre Menschen.

Aber diese Liebe ist nur möglich, weil wir uns geborgen wissen dürfen in der Liebe Gottes. Wir können und nicht zur Liebe zwingen. Gott kommt zu uns mit seiner Liebe und öffnet uns das Herz, damit wir anderen Menschen mit Liebe begegnen können. Der Heilige Geist hilft uns zu solcher Liebe. Er ermöglicht uns eine Lebenshaltung im Sinne Gottes. Er leitet uns auch an zur rechten Gotteserkenntnis. Diese ist nur in der Liebe möglich. Gott kommt auf uns zu. Er will mit uns eine Wohngemeinschaft eingehen und bei uns zu Hause sein. Er hat es auf unser Herz abgesehen. Aber wir müssen unser Herz drangeben, sonst merken wir nichts von Gott. Natürlich begegnen wir Gott nicht persönlich, so wie das den Jüngern zur Zeit des irdischen Wirkens Jesu möglich war. Jetzt, wo Jesus zum Vater erhöht ist, begegnet er uns durch den Geist, begegnet er uns im Wort. Dort will Gott zu Wort kommen. Die Predigt ist nicht die Erörterung eines beliebigen Gegenstandes, sondern Gottes Zuspruch an uns und somit Gottes eigenes Werk. Wer in der festen Bindung an Jesu Wort lebt, dem wird ein solches Leben auch möglich sein.

 

(2.) Der Heilige Geist lehrt uns die Worte Jesu immer wieder neu: Er setzt Jesu Werk fort, bestätigt es und vollendet es schließlich. So sorgt er dafür, daß die Gemeinde nicht wehrlos dasteht, sondern die richtigen Argumente und Entgegnungen findet, wenn sie ihren Glauben verteidigen muß.

Man kann manchmal nur staunen, was der Heilige Geist auf diesem Gebiet fertigbringt. Da steht ein Schüler zwei Stunden lang Rede und Antwort, besser als es vielleicht die Eltern gekonnt hätten. Man kann tatsächlich nur staunen, welche Argumente die Kinder manchmal haben, noch über das hinaus, was sie einmal im Konfirmandenunterricht gehört haben. Das kann doch nur mit dieser Hilfe des Heiligen Geistes zusammenhängen. Hier wird eben heute das konkret, was Jesus versprochen hat mit den Worten: „Der wird euch alles lehren!“

Der Geist lebt, indem er erinnert an das, was Jesus schon gesagt hat. Der Geist sagt im Grunde nichts Neues, weil das Alte immer noch nicht überholt ist. Doch er will nicht zeitlose Wahrheiten auf mich anwenden, sondern er ruft mich heute persönlich. Aber er ruft so, wie er schon immer Sünder gerufen und wieder ermutigt hat.

Aber: Wenn wir die Beziehung zu Jesus aufrechterhalten wollen, dann können wir unsere Augen und Ohren nicht nur stur in die Vergangenheit richten. Wer immer nur rückwärts geht, bemerkt nicht die sich verändernde Landschaft und die damit gestellten gegenwärtigen Aufgaben. Der Heilige Geist aber erfordert den Vorwärtsgang. Er ist immer schon in der Gegenwart und beschenkt uns dort und gibt uns Aufträge.

Er gibt uns den klaren Blick für unser Zeit. Er zeigt uns aber auch, was diese unsere Welt mit Jesus zu tun hat. Wenn wir schon Probleme vor uns sehen, dann müssen wir auch wissen, wie wir sie lösen können. Den Maßstab und die entscheidende Hilfe für die Bewältigung der Probleme unserer Welt gibt uns der Heilige Geist durch die Bindung an das Wort Jesu.

 

(3.) Der Heilige Geist gibt uns Frieden: Auch das, was unser Welt mit am nötigsten braucht, vermittelt uns der Heilige Geist: Den Frieden mit Gott und den Frieden der Menschen untereinander. Frieden bedeutet aber nicht die Entrückung aus dem Getümmel der Welt. Wir können die Welt nicht ihrem Unfrieden überlassen und uns selber in ein Reich des Friedens zurückziehen.

Wir können die Welt nicht ihrem Schicksal überlassen, weil Gott uns den Frieden geschenkt hat, den wir der Welt weitergeben sollen. Wir werden von Gott beschenkt, damit wir nun unsererseits den Frieden in der Welt verwirklichen. Das ist die Aufgabe, die uns besonders an diesem Pfingstfest gestellt wird: daß wir in unserer kleinen Umgebung für den Frieden tätig werden. Der Heilige Geist gibt uns die Freiheit und die Kraft, unerschrocken und furchtlos als Zeugen des Friedens aufzutreten. Wir müssen nicht mehr erschrecken vor all der Schwierigkeiten unsers Lebens, wir sind nicht wehrlos allem preisgegeben, sondern wir können aktiv daran mitarbeiten, daß Frieden unter den Menschen ist.

Auch wenn man uns mit Haß begegnet, wenn man uns droht, wenn man uns in die Ecke drücken will, dann brauchen wir uns nicht mit den gleichen Mitteln zu wehren. Wir haben ja die Kraft des Heiligen Geistes auf unserer Seite. Der macht uns fähig zur Liebe, er lehrt uns die richtigen Argumente und er gibt uns Frieden. Da können wir ruhig und gefaßt allen Schwierigkeiten ins Auge sehen. Wir stehen ja doch auf der Seite des Siegers.

In der Abschiedssituation spricht Jesus vom Frieden. Das ist ein Frieden, der durch nichts mehr gestört werden kann. Wir freuen uns an der Buntheit des Frühlings und atmen dankbar den Duft der sich neu schmückenden Schöpfung Gottes. Aber es gibt auch Schattenseiten, die unser Herz erschüttern, und es gibt unausweichlich eine letzte Stunde für uns. Doch wir haben einen Frieden, der auch dann immer noch in Kraft ist, eine letzte Geborgenheit und Unversehrtheit.

Wir haben den Heiligen Geist nicht bekommen, um ihn für uns zu behalten und um uns in stillen Stunden daran zu erfreuen. Wenn man schon Kraft erhält, dann muß man sie auch besonnen und sinnvoll anwenden. Die Welt braucht den Helfer. Und wir können ihn ihr bringen, weil Jesus ihn uns gegeben hat. Die Welt braucht Liebe, sie braucht Maßstäbe, sie braucht der Frieden. Wir haben all das und sind es deshalb der Welt schuldig. Gott rechnet fest mit uns.

 

 

Joh 15, 1 – 8 (Jubilate):

Wie sähe unsere Welt wohl aus ohne Christus und ohne die Christen? Es fehlten nicht nur die Kirchengebäude, sondern auch die kirchlichen Heime und Krankenhäuser, die Kindergärten und Schwesternstationen. Viele große kulturelle Leistungen auf dem Gebiet der Kunst, der Musik und der Literatur aus Vergangenheit und Gegenwart gäbe es nicht. Es gäbe keine Gottesdienste, keine Taufen, keine Trauungen, keine Beerdigungen. Wer sollte dem Menschen Trost zusprechen, wer ihnen tatkräftig helfen?

Mancher wird heute sagen: „Darum kümmert sich doch der Staat. Er setzt viel Geld und viele Menschen ein, um die Bedürfnisse aller Art zu befriedigen!“ Und doch ist ein Unterschied zwischen einer Krankenschwester, die ihre Arbeit als einen Beruf wie andere auch ansieht, und einer Schwester, die aus Liebe zu Christus den Menschen hilft. Dabei ist es nicht wichtig, ob sie von der Kirche oder vom Staat angestellt ist, sondern es kommt darauf an, wie sie ihren Dienst versteht. Auch in kirchlichen Häusern kann man manche Lieblosigkeit treffen.

Doch insgesamt gesehen sollte man doch annehmen, daß in einem kirchlichen Haus ein anderer Geist herrscht als anderswo. Das hängt dann sicher damit zusammen, daß der Antrieb zu allem Tun von Jesus herkommt. Wer sich mit Jesus verbunden weiß, wird die Kraft zu solchem Handeln empfangen. Deshalb können wir auch in unserer heutigen Zeit auf die Kräfte des christlichen Glaubens nicht verzichten.

Spätestens hier aber müssen wir nun fragen: „Hängen wir wirklich so an Christus wie die Rebe am Weinstock?“ Kriegen wir wirklich von dort „Kraft und Lebenssaft“? Und zwar n u r von dort, denn eine Rebe hängt immer nur an einem Weinstock und kann sich nicht verschiedene Nahrungsspender suchen. Der Weinstock war bei den Alten so etwas wie der Baum des Lebens. Die Griechen sahen im Wein eine Gottesgabe, die den Menschen aus seiner lästigen Umwelt herauslöst und zu einem neuen Sein verwandelt und ihnen Freude bringt. Doch diese Freude ist natürlich nur oberflächlich und von kurzer Dauer, denn hinterher kommt dann der sogenannte „Kater“.

Der Rausch ist bestimmt kein Mittel, um unseer Probleme zu lösen. Es ist seltsam, daß sowohl in wirtschaftlich dürftigen Verhältnissen als auch in der Wohlstandsgesellschaft ein hoher Alkoholverbrauch da ist. Das deutet doch darauf hin, daß da Probleme bestehen, wenn auch unterschiedlicher Art. Dagegen angehen wird man nur können, indem an etwas Echtes an die Stelle solcher Drogen setzt. Dazu muß man wirklich ein anderer werden, aus sich heraustreten, eine neue Kreatur werden. 

Jesus Christus will dieser Baum sein, der uns den guten Saft für unser Leben gibt. Das Bild vom Weinstock ist ja ähnlich dem Bild vom Leib Christi. Beide Male geht es um etwas Lebendiges, das einen festen Zusammenhalt darstellt, dem man sich nicht ohne Schaden entziehen kann. Wird ein Glied vom Leib isoliert, so muß es absterben genau wie eine Rebe, die vom Weinstock getrennt wird. Das Bild vom Leib will die Abhängigkeit der Glieder untereinander deutlich machen, das Bild vom Weinstock zeigt, wie jede Rebe vom Weinstock abhängig ist.

Aber deutlich wird auf jeden Fall: „Es geht nichts ohne Jesus!“ Es hat ja schon Zeiten und Länder gegeben, wo es hieß: Das Christentum wird verboten, die Kirchen in Kulturhäuser oder Scheunen umgewandelt, die Bibeln müssen abgeliefert werden. So war es 1905 in Mexiko oder nach 1917 in der Sowjetunion (heute ist es dort wieder anders, muß man dazu sagen). Viele haben sich diesen Anordnungen gebeugt, haben nur mit den Schultern gezuckt und haben ihren Glauben still im Herzen behalten, wie sie sagten. Aber da sie vom Kraftquell des Lebens abgeschnitten waren, verkümmerte der Glaube auch bald.

Es kann aber auch sein, daß Gott selber wie ein Weinbauer die jungen Triebe herausbricht, die doch keine Frucht bringen und dem Weinstock nur den Saft wegnehmen. Es mag tröstlich sein, daß Gott selber die Schnitte tut und nur dort etwas wegnimmt, wo es nötig ist. Aber besser ist es natürlich, wenn man zu den gut entwickelten Trieben gehört, die bleiben. Die Triebe sind ja nicht bloß angeheftet, sondern sie sind aus dem Stamm herausgewachsen. Sie brauchen nur daran zu bleiben, dann kommt auch ganz von selber Frucht hervor.

Die Frucht könnte darin bestehen, daß andere Menschen zu Jesus geführt werden. Aber wenn man andere Bibelstellen heranzieht, wird man eher an gegenseitige Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, usw. denken, aber auch an Glaube, Gerechtigkeit und Wahrheit. Heute haben wir es außerdem gelernt, dabei auch die gesellschaftliche Gesamtlage

zu beachten. Wenn wir als Einzelne Gutes tun wollen, dann wird dadurch der gesellschaftliche Umbau nicht überflüssig; er kann vielmehr die Leistungen des Einzelnen noch fördern. Umgedreht macht ein gutes Sozialwesen die spontane Tat des Einzelnen nicht überflüssig.

Zum Christsein gehört notwendig auch eine missionarische Strahlkraft. Natürlich ist auch die Zusammengehörigkeit untereinander wichtig. Aber die Kirche kann nicht eigensüchtig für sich behalten, was sie hat. Wenn sie darauf verzichtet, mit Wort und Tat missionarisch aktiv zu sein, wird Gott ihr ein Ende machen. Die Rebe sitzt zwar fest am Stamm, aber sie soll ja für andere da sein. Das Leben im Kreise der christlichen Brüder und Schwestern gehört eng zusammen mit dem „Hingehen und Fruchtbringen“. Gott wartet darauf, daß bei unserm Christsein auch etwas herauskommt.

Früchte kann man aber nur bringen, wenn man eng mit dem Stamm verbunden ist, also aus Christus heraus lebt. Wir meinen immer wieder, wir seien auf uns allein gestellt, nur auf uns selbst angewiesen und uns selbst verantwortlich. Wir wollen alles alleine schaffen und Gott nicht mit unseren Dingen belästigen. Aber damit haben wir uns schon von ihm getrennt. Aber wenn uns dann der Atem ausgeht, dann wundern wir uns.

Jesus aber sagt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ Doch da sind wir anderer Meinung. Ein solcher Anspruch wird doch durch das Leben ständig widerlegt. Wir können doch sehr viel ohne Jesus tun. In unserer modernen       Welt sehen wir doch genug von der Schöpferkraft der Menschen. Auch unter Nichtchristen gibt es viel Liebe, weil Gott sie ja in seine Schöpfung hineingelegt hat. Auch wer glaubt, kann das nicht leugnen. Aber er weiß dennoch: Ohne Christus kann man nichts für das Heil tun, ohne ihn gibt es keine Vergebung und keine Hoffnung über diese Welt hinaus.

Der Glaubende weiß, daß sein „Saft“ aus dem Weinstock kommt. Man kann Gott nicht besser ehren als so, daß man aus dem lebt, was er gewährt. Gott gefällt nur, wenn wir uns darüber freuen, von ihm beschenkt und getragen zu werden. Er will ja gar nicht, daß wir uns abrackern müssen. Er befiehlt nicht und treibt nicht an, er zwingt und droht nicht, er muß uns nichts widerwillig abringen.

Gott möchte, daß wir freudig bei ihm bleiben und ihm dienen. Einen Baum muß man ja auch nicht drängeln, daß er Frucht bringt: Kaum ist die Blüte abgefallen, da wächst die Frucht heran, mit Unwiderstehlichkeit und Lebensfreude. So soll es mit unserm Glauben und seinen Früchten auch sein. Nur besteht in der Beziehung zwischen Christus und den Glaubenden nicht ein naturhafter Zwang, sondern eine personale Verbundenheit: Weil wir ihn liebhaben, wollen wir in seinem Sinne wirken.

So wird alles darauf ankommen, daß wir an ihm bleiben. Christus in uns und wir in ihm, das gehört zusammen. Er bleibt in uns, wenn seine Worte in uns bleiben. Diese Worte wollen nicht nur vernommen, sondern auch ständig bedacht sein; sie wollen mit uns gehen, so daß ihre helfende und tröstende Stimme nie stumm wird.

Christus bleibt in uns, wenn wir das Abendmahl empfangen. Hier wird ja die Ernährung der Reben durch den Weinstock besonders deutlich. Viele grüne Altardecken tragen deshalb auch den Weinstock als Symbol. Dadurch werden wir daran erinnert: Hier am Tisch des Herrn empfangen wir die entscheidende Kraft für uns Leben, hier bleiben wir mit ihm in Verbindung und von hier werden wir ausgesandt in die Welt, um alle Menschen in Verbindung mit dem wahren Weinstock zu bringen.

 

 

Joh 15, 26 - 16, 4 (Exaudi, Variante 2)

An bestimmten Tagen im Jahr können wird endlich den ganzen Tag rund um die Uhr einkaufen und am Sonntag von 14 bis 20 Uhr. Wem es am Sonntag zu langweilig ist, weil er nicht zum Gottesdienst war, der kann dann wenigstens am Nachmittag noch etwas erleben. Früher ging man da in die Natur oder zu Bekannten, heute geht man halt ins Kaufhaus. Aber wozu brauchen wir da noch einen Sonntag? Aber ohne Sonntag ist alle Tage Werktag.

Dazu paßt die Forderung eines Arbeitgebervertreters, den Maifeiertag auf den jeweils ersten Sonntag im Mai zu verlegen, damit Arbeitskräfte eingespart werden können und die Gewinne steigen. Folgerichtig hat ihm ein Politiker entgegengehalten, da könnte man doch auch gleiche alle christlichen Feiertage abschaffen. Beim Buß- und Bettag ist das ja schon gelungen. Man hat natürlich nicht den Feiertag angeschafft, denn die Kirche bestimmt allein über ihre Feiertage, und Gottesdienste kann man auch am Werktag halten. Aber wenn der Tag nicht mehr arbeitsfrei ist, dann ist er auch nicht mehr so im öffentlichen Bewußtsein.

Wir leben nicht mehr in einer gegenüber den Christen feindlichen Gesellschaft wie die ersten Christen. Aber es ist heute auch nicht mehr selbstverständlich, daß christliche Überzeugungen das öffentliche Leben prägen. Manche Politiker sprechen zwar von den „christlichen Werten“, die ihr Parteiprogramm bestimmen. Aber die wenigsten werden wohl sagen können, was das konkret bedeutet.

Wenn man sich dann gegen Tierversuche und Embryonenforschung ausspricht, dann stößt man gerade bei diesen Leuten auf Unverständnis: „Man dürfe doch den Fortschritt nicht behindern, man müsse den Hunger in der Welt besiegen und die Medizin müsse immer mehr vervollkommnet werden!“ Und dann werden eben auf der Staatsdomäne die gen-veränderten Pflanzen ausgesät. Und die Atomkraftwerke sollen erst noch einmal weiter laufen und der Müll kommt dann in ein sogenanntes Zwischenlager, das aber ein Endlager ist. Und zum Kriegführen muß man natürlich auch weiterhin fähig sein. Mit den christlichen Werten ist es

nicht so weit her in unserer Gesellschaft. Wer diese Dinge aber alle ablehnt, der hat es als Christ in unserer Gesellschaft nicht leicht.

In manchen Wohngegenden fällt es bereits auf, wenn junge Menschen sich trauen lassen oder ihr Kind zur Taufe bringen. Es ist gar nicht so leicht, mit dem Gesangbuch in der Hand zum Gottesdienst zu gehen, während die lieben Nachbarn hinter der Gardine stehen.

Oder ein junger Mann sagt: „Die anderen denken doch, bei mir sei etwas ausgehakt, wenn ich plötzlich zur Kirche ginge. Es muß doch genügen, ganz für sich persönlich einen Glauben zu haben. Die anderen brauchen das doch gar nicht zu wissen!“ So denken doch viele.

Wir dürfen dankbar sein, wenn wir nicht von Seiten des Staates im Glauben behindert werden. Leider gibt es das noch allerhand Staaten in der Welt, vor allem mit andersgläubiger Mehrheit. Aber auch Diktaturen wollen immer den möglichen Einfluß der Kirche ausschalten.

Wir aber dürfen ungehindert als Christen leben, ohne Verfolgungen von Seiten des Staates oder der Parteien oder sonstiger gesellschaftlicher Gruppen fürchten zu müssen. Wir werden lediglich durch andersgläubige oder ungläubige Mitmenschen zum ehrlichen Bekennen herausgefordert.

In einem Buch aus der früheren DDR schreibt ein Ausleger: „Den Christen ist das Recht, sich zu ihrem Glauben zu bekennen, garantiert. Sie haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Bürger. Alltagsschwierigkeiten dürfen uns nicht dazu verführen, uns als Märtyrer zu verstehen!“ Aber jeder, der damals so etwas las, wußte natürlich, daß hier die Politik des Staates gegenüber der Kirche kritisiert wurde, weil im alltäglichen Leben dieses Recht oft nur auf dem Papier stand.

Dennoch gab es auch in der DDR keine echte Christenverfolgung. Das war in der Zeit der ersten Christenheit anders. Da wurden sie aus den jüdischen Gemeinden herausgestoßen und verloren damit den Schutz der staatlich zugelassenen Religion. Die Juden begnügten sich nicht mehr mit dem Ausschluß aus ihrer Gemeinschaft, sondern sie empfanden die Christen mehr und mehr als Konkurrenz und wollten sie durch Anklagen bei den heidnischen Behörden unschädlich machen.

In diese Situation hinein wollte der Evangelist Johannes seiner Gemeinde Trost zusprechen. Man zählte inzwischen ja ungefähr das Jahr 90 nach Christus, die ersten großen Verfolgungen mit der Ermordung von Christen waren angelaufen. Da legt der Evangelist seinem Herrn Worte in den Mund, die in seine damalige Zweit wirken sollen. Der wirkliche Jesus hat sich wohl keine großen Gedanken um eine spätere Kirche gemacht. Aber was hier also seine Rede angeführt wird, ist durchaus in seinem Sinne: „Zum Christsein gehört die Anfeindung und Verfolgung dazu!“

Wenn die Kirche groß dastand in weltlicher Macht und Größe, da war sie meist nicht mehr auf dem Weg ihres Herrn. Wenn sie im Windschatten weltlicher Mächte ihre Vorteile suchte, da hat sie das verleugnet, was sie nach Christi Willen sein sollte. Es besteht eine grundsätzlich unvermeidbare Spannung zwischen der Christenheit und der Welt. Man darf sich nicht darüber wundern, wenn Christen gehaßt werden, denn schon ihrem Herrn und den ersten Christen ging es nicht anders.

Wenn jede Bedrängnis von außen fehlt, dann muß sich die Kirche fragen, ob sie die Sache ihres Herrn verbogen oder verharmlost hat und damit um ihre heilende und richtungsweisende Kraft gebracht hat. Was niemanden aufregt, ist bestimmt nicht das Evangelium. Deshalb wundern sich ja auch die Politiker manchmal, wenn sie dachten, sie hätten die Kirchenleute in der Tasche und dann sagt plötzlich ein Bischof oder sogar gleich mehrere etwas, das ihnen gar nicht in den Kram paßt.

Aber die Gefährdung kommt nicht nur von außen, sondern auch von innen. Wir werden vielfach überschätzt und wir überschätzen uns selber auch. Wir sehen uns als Volkskirche mit vielen Mitgliedern und großen sozialen und gesellschaftlichen Leistungen. Was die Kirchen im Gesundheitswesen, in der Kindererziehung und bei der Freizeitgestaltung auf die Beine stellen, ist schon gewaltig. Aber über den wahren geistlichen Zustand kann man sich da leicht hinwegtäuschen.

Das ist ja auch die Gefahr bei den Statistiken: Irgendwie kann man es immer wieder so drehen, daß es doch aufwärts zu gehen scheint. Und wenn es wirklich einmal nicht der Fall ist, dann tröstet man sich damit, daß es anderswo noch schlechter ist. Statistiken erfordern viel Zeit, ändern aber gar nichts, wenn man nicht bereit ist, daraus auch Folgerungen zu ziehen. Statistiken fangen das Leben nicht ein.

Jesu Abschiedsrede ist aber nicht auf den Ton des Tadels gestimmt, sondern auf den der Vorsorge und des Vorausdenkens. Er will ankündigen, daß die Kirche nur arm und schwach sein kann. Man muß die Möglichkeit des Schwachwerdens und Versagens in die eigenen Überlegungen einbeziehen. Jesus möchte, daß wir nicht überrascht sind, wenn unsere Zugehörigkeit zu ihm auch einmal ihren Preis von uns fordert.

Doch in den schwersten Bewährungsproben des Glaubens kann auch der Glaube reifen und können die größten Gotteserfahrungen gemacht werden. An der Art, wie einer bereit zum Opfer ist, erkennen andere, was einem der Glaube wert ist. Und dann wird man aufmerksam und bringt Vertrauen entgegen.

Es geht dabei nicht nur darum, daß wir unsern Mann stehen müssen, wenn es hart auf hart geht. Jesus bangt auch um unsern inneren Zustand. Aber er weiß auch: Selbst wer schwach ist wie Petrus, der kann noch seine Brüder stärken.

Mit seiner müden und unzuverlässigen Kirche kann Christus noch immer etwas anfangen, weil er selbst der Beistand ist. Kein Widerstand der Welt, kein Schwachwerden der Gemeinde wird verhindern, daß die Sache Jesu weitergeht. Natürlich: Die Sache Jesu wird durch Menschen in der Welt vertreten und verbreitet. Die Menschen mögen das gut oder schlecht machen, tapfer und fröhlich oder kleinlaut und schwächlich.

Aber letztlich kann die Sache Gottes nur durch ihn selber begreiflich gemacht werden. Der Glaube ist ein Geschenk. Es gibt keinen Beweis dafür. Aber die Botschaft trifft plötzlich ins Herz. Da geht etwas auf, das vorher verschlossen war. Der Glaube ist immer eine Entdeckung, die uns zuteilwird. Aber am Sonntag vor Pfingsten wird uns zugesagt, daß der Geist Gottes über uns kommt und daß wir einen Beistand haben, der uns hilft, unsern Glauben und unser Leben in dieser Welt zu bewältigen.

Und die Gemeinde ist auch nach Jesus nicht allein: Er sendet ihr einen Helfer als Beistand, der ihn jetzt vertritt. Im Grunde ist das aber Jesus selbst, der auf andere Art und Weise bei seinen Leuten ist. Aber man muß um diesen Tröster beten, man kann ihn nicht haben, sondern immer nur empfangen. Man muß kommen, aber man empfängt.

Aber Gott kommt dann nicht in unser stilles Kämmerlein, um dort mit uns zu reden. Er möchte, daß wir in die Kirche kommen, um dort mit seinem Wort bekannt gemacht zu werden. Gottes Zeugnis ist verbunden mit dem Zeugnis von Menschen. Und da gibt es immer noch Neues zu entdecken. Beim Glauben weiß man nie alles, auch wenn man Theologie studiert hat und sogar den Doktor gemacht hat und Professor ist.

Wenn wir uns aber etwas sagen lassen, dann sind wir auch fähig, etwas weiter zu geben. Dann finden wir auch die richtigen Entscheidungen in den Fragen unseres Alltags. Dann wissen wir, wie die „christlichen Werte“ in unserm Leben konkret aussehen. Und dann können wir das auch furchtlos gegenüber anderen vertreten, weil wir Gott als unsern Beistand haben.

 

 

Joh 16, 5 - 15 (Pfingsten I): 

Einer der bekanntesten Prediger seiner Zeit war Billy Graham. Man nannte ihn das „Maschinengewehr Gottes“, weil er in einer Minute einschließlich Übersetzung 13 Sätze sagen konnte, so schnell und abgehackt sprach er. Aber offenbar hatte dieser Mann etwas an sich, das viele Menschen anspricht und mitreißt. Der Höhepunkt seiner Auftritte war jedesmal, wenn er am Schluß diejenigen nach vorne ruft, die sich jetzt für Christus entschieden haben. Da wird sicher auch manches Echte mit dabei sein. Aber das meiste ist einfach Massenpsychologie: Überall im Publikum hatte er seine Leute verteilt, die dann aufstanden und nach vorne kamen. Und wenn einige gehen, dann ziehen sie adere mit. Und wenn er noch einmal zum Kommen auffordert, dann stehen wieder zuerst die eingeteilten Helfer auf.

Am Schluß sieht es so aus, als sei eine ungeheure Bekehrung erfolgt. Aber in aller Regel kommen nur die, die sowieso schon Christen sind und eben für diese Art der Predigt empfänglich sind. Auch solche Großveranstaltungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die natürliche Veranlagung des Menschen nicht auf das Christentum hinläuft. Der Unglaube liegt uns immer mehr als der Glaube.

Selbst die Jünger Jesu wissen nicht, was werden soll, wenn er nicht mehr da ist. Ohne ihn geht es nicht. Sie werden wieder auf sich selbst angewiesen sein. Es besteht die Gefahr, daß sie nur wehmütig zurückschauen auf die gute alte Zeit. Jetzt stehen sie allein in einer gottlosen Welt. Doch sie sollten lieber nach vorne fragen: Wohin gehst du? Aber wenn sie auf ihre bloße Menschlichkeit zurückgeworfen sind, dann wagen sie nicht einmal zu fragen, wo Jesus denn hin­geht. Daran sieht man wieder: Gott bleibt uns verschlossen, wenn ­er sich nicht selber erschließt.

Die Traurigkeit der Jünger ist mehr als der Schmerz, den wir empfinden, wenn uns ein geliebter Mensch genommen ist. Wenn Jesus geht, sind sie von Gott abgeschnitten. Jesus hatte ihnen den Vater verständlich gemacht, in Jesus waren sie Gott selber begegnet und hatten Gemeinschaft mit ihm. Aber nun waren sie wieder aus der Gemeinschaft mit Gott herausgerissen und auf sich selber gestellt.

So mag es auch uns manchmal vorkommen. Wir waren zum Gemeindetag oder sonst einer kirchlichen Großveranstaltung, und das hat unseren Glauben gestärkt und uns neuen Schwung gegeben. Aber schon am Montag ist der Alltag wieder da mit all seinen Problemen; da läßt sich das Erlebte dann wieder nur schwer umsetzen. Wir haben die Konfirmation ernst genommen und waren fest entschlossen, mit der Kirche zu leben. Aber mit der Zeit traten andere Dinge in den Vordergrund und alle Vorsätze waren vergessen.

Aber es kommen Krisen im Leben, wo man sich ganz von Gott verlassen fühlt: ein Mensch stirbt, an dem wir sehr gehangen haben, wir haben uns mit einem Menschen zerstritten, an dem uns sehr gelegen hat, wir spüren unser eigenes Versagen. Und manchmal ist es so: wenn es schon sowieso knüppeldick kommt, dann erfolgt gleich noch ein Schlag.

Doch Jesus sagt im Johannesevangelium: Es ist euch gut, daß ich hingehe! Es besteht kein Grund zur Betrübnis. Es erfolgt keine Trennung, sondern eine neue Gemeinschaft entsteht, nun sogar auf einer höheren Ebene. Wir haben nicht weniger, seit Jesus weggegangen ist, sondern mehr.

An Pfingsten dürfen wir hören: Gott ist selbst mitten unter uns, kraftvoll wirkend und Glauben schaffend; er hilft dem Schwachen und begründet neue Hoffnung.

An Pfingsten dürfen wir hören: Gott ist gegenwärtig, er wirkt weiter durch seinen Geist. Er ist nicht zu sehen. Aber er ist in uns wie ein elektrischer Strom, der Kraft gibt und alles in Gang hält. Die natürlichen Kräfte unsrer Person werden dabei nicht ausgeschaltet, sondern Gott bedient sich ihrer und ruft dadurch neue Wirkungen bei uns hervor.

Vor allem holt er uns aus dem Zustand der Unentschiedenheit, ja der Entscheidungslosigkeit heraus. Mancher möchte gern in der Finsternis verharren. Aber damit spricht er über sich selber das Urteil und gelangt in eine selbstverschuldete Hölle. Wer mit Gott nichts zu tun haben will, wer sich gegen ihn sperrt, der ist fern von Gott und das ist eben die Hölle.

Jesus aber hatte davor retten wollen, indem er zur Glaubensentscheidung aufrief. Genau dasselbe tut aber nun der Heilige Geist. Er nötigt weltweit zur Entscheidung für oder auch gegen Gott. Insofern geht der Prozeß Jesu - das was beim Prozeß Jesu zu verhandeln und zu entscheiden war - immer noch weiter. Er wird nicht am Ende der Tage entschieden, sondern schon heute in jedem einzelnen. Wenn er von der Wirkung des Geistes getroffen wird, dann ist er aller seiner Taten überführt, dann gibt es kein Leugnen mehr.

Der Heilige Geist wirkt von innen her. Und dann kommt wirklich heraus, was Sünde ist. Wenn wir uns ein polizeiliches Führungszeugnis besorgen, dann steht da drin: er hat keine Vorstrafen, über seine Lebensführung ist nichts Nachteiliges bekannt geworden. Aber das heißt ja noch

lange nicht, daß wir ohne Sünde wären. Der Heilige Geist schürft tiefer. Nicht umsonst ist im dritten Glaubensartikel, der vom Heiligen Geist handelt, auch von der Vergebung der Sünden die Rede. Unter uns Menschen läßt sich mancher Fehltritt noch wieder ausbügeln. Ein Punkt in Flensburg wird nach einiger Zeit wieder gelöscht, wenn nichts Weiteres dazukam.

Aber die schlimmste Sünde ist, „daß sie nicht glauben an mich“ (V. 9), das ist die Süde gegen den Heiliges Geist, die nicht vergeben werden kann. Wir erleben diesen Unglauben in unserer Umgebung und sind auch selber gefährdet davon. So richtige kämpferische und fanatische Atheisten gibt es ja nicht unter uns. Aber dafür umso mehr Gleichgültige und solche, die halt auch gern einmal der Kirche eins auswischen wollen oder einen Sündenbock brauchen für ihr eigenes Versagen. Am schlimmsten sind noch die, die selber einmal der Kirche angehört haben und nun lautstark in  sich selber etwas tot machen müssen.

Wir sind manchmal durch diese Haltung verwirrt, die uns entgegenschlägt. Aber andererseits sind wir eine ständige Anklage gegen diejenigen, die nicht glauben. Sie müssen sich immer wieder entscheiden und werden mit der Sache nicht so leicht fertig. Manche wollen zwar nach der Regel leben; Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß! Aber das liegt ja auch mit an uns, ob sie davon erfahren, und vor die Entscheidung gestellt werden.

Als die Jünger Jesu bei jenem ersten Pfingstfest von der Kraft des Heiligen Geistes erfaßt wurden, da konnten sie auch frei und offen von Jesus reden. Da war die Angst verflogen, es könnte ihnen genauso ergehen wie Jesus. Da schämten sie sich nicht mehr, zu einem Mann sich zu bekennen, der wie ein Verbrecher gestorben war. Da waren sie auf einmal wie umgewandelt.

Das lag aber daran, daß Gott seine Sache unter den Menschen selber vertritt. Er deckt auf, wie es mit den Menschen bestellt ist. Und er läßt nicht locker: An ihm kommt keiner vorbei! Er sorgt dafür, daß sein Wort verkündet wird. Und deshalb kann es im Grunde kein unbefangenes Heidentum oder eire Unentschiedenheit mehr geben. Gott ist überall da in seinem Geist. Doch er will die Menschen nicht richten, sondern sie dem Gericht entreißen. Er will sie von innen her überwinden und zu neuen Menschen machen. Aber das ist dann etwas anderes, als es der Evangelist Billy Graham erreichen konnte.

Es ist auch nicht so, daß man den Geist Gottes nur zu sich zu nehmen brauchte und dann hat man ihn für alle Zeit. Christsein ist ein Wagnis, ein Gehen ins Unbekannte. Selbst Jesus kann nicht sagen, was alles auf seine Jünger zukommt. Aber was auch kommen mag: Wir sind nicht allein gelassen, der Geist der Wahrheit ist bei uns. Er vertritt Jesus unter uns, er ist die Form, in der Jesus uns heute noch begegnet.

Doch es ist nicht so, daß der Heilige Geist über Jesus hinausführen könnte. Wir brauchen unser Glaubensbekenntnis nicht durch neue Lehren zu ergänzen und den Sakramenten weitere hinzufüge. Der Heilige Geist will Jesus nicht überbieten, sondern nur ins richtige Licht rücken. Der biblische Ausdruck dafür lautet: „verherrlichen“. Gemeint ist damit, daß Jesus von oben her beleuchtet wird, so wie im Theater die Schlüsselfigur von den Scheinwerfern hervorgehoben wird. So bringt der Geist zum Vorschein, was an Jesus selbst leuchtet. Man muß nur Augen haben, es richtig wahrzunehmen.

Es geht auch nicht darum, nur etwas zur Kenntnis zu nehmen und geistig zu verarbeiten. Hier ist vielmehr ein Weg zu gehen. Glaube hat zwar auch mit Lehre zu tun. Es ist gut zu wissen, wer dieser Jesus ist, was er getan hat und was er tun wird. Aber wichtiger ist, daß man ihn hat bzw. sich von ihm haben läßt und sich in die Gemeinschaft Gottes hineinstellt. Gott ermöglicht uns solche Gemeinschaft, indem er immer wieder seinen Geist zu uns sendet. Wir können ihn nicht herbeizwingen, aber wir haben um Christi willen das Recht, uns an die Zusagen Gottes zu halten.

 

 

Joh 16, 16 (17 - 19) 20 - 23a (Jubilate):

Wir haben alle schon einmal eine Prüfung zu überstehen gehabt, und wenn es nur eine Klassenarbeit in der Schule war. Das ist dann immer etwas Aufregendes. Man hat Angst, schon ehe es losgeht. Aber es dauert dann doch nur eine kurze Zeit und alles ist überstanden, man kann wieder aufatmen und sich freuen. Auch wenn man nicht so ganz zufrieden mit sich selbst ist, kann man doch erleichtert sein. Mancher freut sich und jubelt, weil es wieder einmal gut gelaufen ist.

Von der Freude soll auch am heutigen Sonntag die Rede sein. Wir können den Namen dieses Sonntags leicht übersetzen: „Jubilate“ - jubelt, freut euch! Warum sollte man sich auch nicht freuen, wenn draußen die Sonne scheint und die Vögel zwitschern und wenn alles auf den Frühling hinausläuft. Aber Jesus hat seine Jünger auch zur Freude aufgefordert, als es auf seinen Tod zuging.

Kann man das überhaupt? Freude kann man doch nicht befehlen. Wenn wir wüßten, daß wir nur noch zwei Tage zu leben hätten, dann würden wir eher heulen und klagen. Wenn wir stark sind, würden wir vielleicht noch unsre Angehörigen trösten. Aber zur Freude auffordern? Das

ist doch zu viel verlangt. Es ist ja auch nicht eine künstlich zur Schau gestellte Freude gemeint, die sich christlich gebärdet und immer nur lächelt, aber dem Leben nicht standhält. Aber Jesus sagt: „Eure Traurigkeit wird zur Freude werden!“

 

(1.) Wir können uns oft nicht freuen! Es gibt so vieles, was uns traurig macht: Die Frau hat ihren Mann verloren, die Kinder sind weggezogen. Oder der einzige Sohn ist aus dem Krieg nicht wiedergekommen und zu Hause ist keiner, der einmal nach dem Rechten sieht. Viele haben ihre Heimat verlassen müssen und fühlen sich anderswo gar nicht wohl. Es gibt Dinge, die stehen einem immer wieder vor Augen, so als seien sie eben erst geschehen. Oft ist auch eine geheime Schuld damit verbunden, die uns nicht zur Ruhe kommen läßt.

Jesus sagt auch ganz nüchtern: „Ihr habt jetzt Trauer!“ Er weiß: Die Jünger fühlen sich jetzt wie Kinder, die von den Eltern allein gelassen wurden. Sie waren doch ganz von ihm abhängig, ohne ihn konnten sie kaum weiterleben. Seine Ankündigung traf sie wie ein Faustschlag. Sie müssen es erst noch lernen, selbständig weiterzugeben, was sie von Jesus erfahren haben. Er kann ja jetzt nicht mehr nur für die Jünger da sein, sondern er will der Helfer für alle Menschen werden.

 

(2.) Es muß so sein, daß wir auch einmal traurig sind! So sagt es auch Jesus, denn das gehört mit zum Leben dazu. Wer niemals traurig war, der weiß gar nicht, was Freude ist. Wer nie beim Spiel verloren hat, der weiß nicht, wie schön der Sieg ist. Wer nie gezweifelt hat, weiß nicht, was ein fester und Starker Glaube ist.

Jeder muß einmal durch Trauer und Unglauben hindurch. Es hat jeder schon einmal erlebt, daß er bestimmte Pläne aufgeben mußte. Oder er hat einen lieben Menschen verloren, an dem er sehr gehängt hat. Vielleicht hat er auch darum gebetet, daß das alles nicht eintrifft und es ist doch so gekommen.

Aber im Grunde sind das alles Prüfungen, die Gott uns schickt. Die müssen einfach sein, wenn wir innerlich vorankommen wollen. Durch die Prüfung lernen wir ja erst. Und wenn es schwer für uns war, dann kann es nachher nur umso schöner werden. Jesus räumt nicht alle Konflikte aus dem Weg. Aber wenn Jesus die Lebensgrundlage und das Lebensziel ist, verlieren sie an Lebensbedrohung.

Es wird immer so bleiben, daß es Leid und Not in der Welt gibt. Manche wollen ein Paradies auf Erden schaffen, wo Krankheit und Not ausgeschaltet sind, wo es keine Verbrechen und Streitigkeiten gibt und wo jeder nur zum Wohle der Gemeinschaft handelt. Die Verkündigung der Kirche wird von ihnen als Störung des optimistischen Menschenbildes hingestellt. In der damaligen DDR zum Beispiel haben die Zeitungen in Todesanzeigen den letzten Vers dieses Kapitels einfach nicht mit abgedruckt, wo es heißt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“ Die Begründung war: Im Sozialismus brauche keiner Angst zu haben. Und schon gar nicht könne Jesus die Angst überwinden. Jesus ist da nüchterner. Aber er sagt:

 

(3.) „Alles zu seiner Zeit!“ Schrecken und Entsetzen sind kein Dauerzustand. Wenn Grund zur Trauer ist, dann dürfen wir ruhig trauern; das ist ganz natürlich und Jesus hat Verständnis dafür. Aber wenn dann Grund zur Freude ist, dann sollen wir uns auch freuen. Dann dürfen wir vergessen, was vorher war und uns darüber freuen, was jetzt ist. Es kann immer nur besser werden.

Jesus bringt hier den Vergleich mit einer Frau, die Mutter werden soll. Zunächst kommt sie auch in große Bedrängnis und Angst. Sie muß erst durch ihre Stunde hindurch. Schwer Erworbenes liebt man besonders. Das Ziel, einem Menschen das Leben zu schenken, ist unendlich größer als die Beschwerden der Geburt. Diese verblassen angesichts der Freude und werden von ihr überboten. So gibt es auch sonst im Leben noch manche Ziele der Freude, die wir ansteuern können.

Letztlich können wir die Traurigkeit nur ertragen um der Freude willen, die nachher kommt. Wenn wir nicht wüßten, daß auch wieder einmal bessere Zeiten kommen, könnten wir es gar nicht aushalten. Jeder Mensch braucht diese Hoffnung. Durch die Auferstehung Jesu ist dieser Wandel der Traurigkeit in Freude aber möglich geworden. Seitdem ist eine neue Zeit heraufgezogen, die uns immer wieder Hoffnung schöpfen läßt für die Zukunft.

a.) Es gibt zwar immer noch Krieg und Haß zwischen den Völkern und zwischen einzelnen Menschen. Aber man kann auch bei immer mehr Menschen den Willen zum Frieden finden. Sie wollen Spannungen und Zwischenfälle auf friedliche Weise bewältigen. Vielleicht ernten wir heute schon manche Früchte solcher Bemühungen und Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft.

b.) Es gibt immer wieder Krankheit in unserem Leben. Aber vielleicht lernen wir dadurch, daß es auf ein gutes und offenes Miteinander ankommt und nicht auf die Erreichung persönlicher Ziele und daß es auf Menschlichkeit und Wärme ankommt und nicht auf Ehrgeiz und Gewinnsucht.

 

(4.) Die Traurigkeit dauert nur kurz! Jesus sagt ganz betont „über ein Kleines“. Die Zeit der Trennung wird nur kurz sein. Zunächst scheint die Welt recht zu behalten, und sie werden am Kreuz nicht vorbeikommen. Aber das Leiden ist nichts Endgültiges. Das Letzte wird Gottes Reich sein. Wenn wir diese Hoffnung haben, dann werden wir auch in jeder Notlage schon ein Stück dieses Reiches für uns in Anspruch nehmen können.

Oft nehmen wir nur den alten Menschen noch viel zu ernst. Deshalb nimmt in uns die Traurigkeit überhand. Doch sie soll überwunden werden, nur noch einen Randplatz haben. Christen leben in einer Freude, die ihnen niemand nehmen kann. Das haben die Jünger gespürt, als Jesus nach zwei Tagen wieder bei ihnen war.

Sie konnten ihn sogar wieder sehen. Allerdings war es ein anderes Sehen als vorher. In der griechischen Sprache gibt es sogar zwei verschiedene Wörter für diese unterschiedlichen Weisen des Sehens: einmal das leibliche Sehen, wie es vor Ostern möglich war, zum anderen das geistliche Sehen, das ihnen an Ostern widerfuhr. Da wurden den Jüngern erst in einem umfassenden Sinn die Augen geöffnet und sie konnten mehr sehen, als sie erwartet hatten. Das gab ihnen auch die Kraft, auf die Wiederkunft Christi zu warten.

Uns mag es lang vorkommen, daß es jetzt schon Jahrtausende dauert mit der Wiederkunft. Aber für Gott ist das sicher nur eine kleine Zeitspanne. Entscheidend aber für uns ist auch:  J e t z t ist für uns die Zeit zum Glauben. Wir dürfen weder in der Vergangenheit verweilen noch von der Zukunft träumen. Jetzt ist die Zeit zum Glauben und die Zeit zur Freude. Wenn  e r uns das sagt, dann wird es wohl stimmen: Er garantiert uns, daß wir jubeln dürfen, auch wenn einmal etwas dazwischen kommt. Wir können diese Freude zwar von uns aus preisgeben. Aber keiner kann sie uns wegnehmen, weil sie von Gott kommt. Kein Mensch kann uns mit Gewalt daran hindern, froh zu sein. Aber auch kein Leid und keine Gefahr kann uns von der Freude Gottes abbringen.

Es gibt ein Spiel, das heißt das „Ruferspiel“. Einem Spieler werden die Augen verbunden und im Zimmerwerden allerhand Hindernisse aufgebaut. Ein anderer Spieler, der „Rufer“, sagt nun, wie der „Blinde“ gehen soll, entweder rechts oder links, damit er nicht an ein Hindernis aneckt.

Nun wäre das an sich einfach, wenn nicht noch zwei Störer da wären, die immer falsche Ratschläge geben. Auf wen soll man hören? Auf die Stimme des einen Rufers oder auf die Störer? Diese Frage stellt sich in unserem Leben immer wieder. Da gibt es auch manchen „Störsender“, Menschen, die uns von Gott abbringen wollen, oder schwere Schicksalsschläge, die uns entmutigen wollen.

Hier kommt es darauf an, ob wir mitten im Haß der Welt dennoch auf Gott vertrauen und glauben können, daß  i h m die Zukunft gehört. Und es kommt immer darauf an, daß wir das Ziel vor Augen haben und nicht aus den Augen verlieren. Die Reiter sagen: „Wirf dein Herz erst über die Hürde, dann kommst du auch darüber!“ Wenn wir unser Herz in Gottes Hand legen, dann kommen wir auch über alles Leid hinweg und dürfen uns mit Christus und den anderen Christen freuen.

 

 

Joh 16, 23b - 27 und 33 (Rogate):

Wenn ein Kind sich etwas wünscht, dann geht es immer zuerst zu den Eltern. Warum hat es wohl solches Zutrauen gerade zu diesen Menschen? Nun, weil es eben die Eltern sind, die schon immer für ihr Kind gesorgt haben. Wenn man gute Erfahrungen gemacht hat, geht man immer wieder hin. Die Kinder wissen eben, daß sie mit ihren Kindern ganz eng zusammengehören. Doch manchmal schlagen die Eltern auch eine Bitte ab, weil es nicht gut wäre für das Kind, diesen Wunsch zu erfüllen. Aber Kinder sind ja nun schlau: Sie gehen vielleicht zu einem Onkel oder einer Tante oder zur Oma und erhalten dann alles. Aber damit sind sie eigentlich den Eltern ungehorsam geworden, sie sind aus der engen Gemeinschaft mit den Eltern ausgebrochen.

So geht es uns in unserm Verhältnis zu Gott auch manches Mal: Wir versuchen es vielleicht ab und zu einmal mit dem Beten, aber wenn es dann angeblich nichts nützt, wenden wir uns anderen Helfern zu. Jesus aber sagt uns: Beten kann man nur im Vertrauen auf Gott, wenn man in enger Gemeinschaft mit ihm steht und sich nur auf ihn verläßt. Wer sich erst noch bei anderen rückversichern möchte, der wird von Gott nichts erhalten. Doch der bleibt in enger Gemeinschaft mit ihm, der ihn - und n u r ihn - auch wirklich um etwas bittet.

Der heutige Sonntag „Rogate“ erinnert uns ja ans Bitten. Früher machte man an diesen Sonntag die Umgänge durchs Feld, Bittprozessionen für die Ernte. An vielen Stellen stehen noch die großen Feldsteine auf der Grenze der Flur. Dort hat man bei den Feldbegehungen Halt gemacht und um eine gute Ernte gebetet.

Wenn wir beten, dann denken wir doch meist an Bitten um unser irdisches Wohlergehen. Da hat einmal eine Frau erzählt: „Ich hatte gerade die Milch aufgesetzt, mußte aber auch unbedingt die Wäsche von der Leine nehmen, weil es anfing zu regnen. Ich habe ich gebetet: Lieber Gott, laß die Milch nicht überlaufen! Als ich mitten beim Wäscheabnehmen war, sagt mir auf einmal der Heilige Geist: Jetzt ist es soweit! Und wie ich hochkomme, ist die Milch gerade vor dem Überkochen!“

So geht es halt nicht mit dem Beten. Gewiß, auch so etwas kann einmal eine wichtige Bitte sein. Jesus meint hier auch ganz konkret das Bittgebet: Nur wer wirklich bittet, ist und bleibt ein Kind des Vaters. Ein Kind, das nie seine Eltern um etwas bittet, sondern immer zu anderen geht, ist kein Kind mehr. Nur im Gebet wird das Alles praktische Wirklichkeit, was Christus seinen Jüngern damals und uns heute zugesagt hat.

Aber in das Gebet gehören nicht nur unsere rein menschlichen Wünsche. Wer nur für sich bittet, bleibt ewig unzufrieden. Jesus aber will uns Frieden schenken. Wer keinen Frieden hat, ist unzufrieden. Frieden und zufrieden sein hängen ja zusammen. Jesus sagt: „Trotz all eurer Wünsche sollt ihr zufrieden sein!“

Das Gebet ist deshalb erst einmal Dank und Anbetung. Jesus zählt aber noch ganz andere Dinge auf, die Gott uns geben will: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch!“ (14,27). „Meine Freude soll in euch sein!“ (15,11) und am Schluß des heutigen Abschnittes sagt er: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden!“

Ist das nicht ein Angebot? Wer von uns hätte keine Angst? Angst vor der Atombombe, vor Verrat, vor der eigenen inneren Leere? Jesus sagt: „Wenn ihr zu Gott gehören wollt, kann euch das alles nichts mehr anhaben. Dann seid ihr so sicher wie ein Kind in den Armen der Mutter oder an der Hand des Vaters!“ Das Gebet ist also mehr als das Aussprechen unserer menschlichen-allzumenschlichen Wünsche. Es ist auch nicht nur einfach ein Stoßgebet für den äußersten Notfall. Nein, es gibt uns die ständige Gemeinschaft mit Christus und die Geborgenheit bei Gott. Bei ihm dürfen wir uns sicher fühlen wie bei einem Vater, denn er redet mit uns und beschützt uns.

Jesus hat seine Jünger verlassen. Er hat ihnen nichts hinterlassen als das Angebot: „Jetzt gehört ihr nicht mehr nur zu mir, sondern zuerst zu meinem Vater. Jetzt dürft ihr unmittelbar zu ihm reden, so wie ich mit ihm geredet habe!“ Die Jünger standen in der Gefahr, sich nur an den Menschen Jesus zu binden. Wenn er nun nicht mehr da war, würde vielleicht ihr ganzer Glaube zusammenbrechen. Da verweist sie Jesus an den Vater und sagt: „So, wie ihr mir bisher vertraut habt und mir nachgefolgt seid, so sollt ihr euch jetzt zu Gott halten!“

Wir heute stehen eher in einer anderen Gefahr: Wir glauben vielleicht an einen Gott, so ein höheres Wesen muß es ja geben. Aber mit Jesus Christus wissen wir nichts anzufangen. Das ist aber auch falsch: Zu Gottkommen wir nur über Jesus. Auch wenn wir im Gebet urmittelbaren Zugang zu Gott haben, so können wir doch Jesus nicht ausschalten aus unserm Leben. Genauso macht ja auch der Heilige Geist den Herrn Jesus nicht überflüssig. Wenn wir zu. Gott wollen, kommen wir an Jesus nicht vorbei. Das ärgert natürlich viele Leute.

Doch Jesus ist kein bissiger Hund oder gehässiger Türhüter, der uns nicht hineinlassen will in das Haus Gottes. Nein, er lädt uns sogar nach dort ein, zeigt uns den `Weg und begleitet uns hin zum Vater. Der Weg zu Gott, dem Vater, ist das Gebet „im Namen Jesu Christi“. Wenn wir beten, dann immer nur zu Gott, aber „durch Jesus Christus, unsern Herrn!“.

Ohne Christus müßte unser Gebet bald ersticken unter den Dornen der Anfechtung und der Angst der Welt. Ohne Christus wäre es auch ein bodenloses Experiment, das nur in einer großen Enttäuschung endet.

Jesus aber sagt: „Ihr dürft gewiß sein, daß Gott euch hört und auch e r h ö r t. So, wie ihr euch auf mich berufen dürft, so erfüllt Gott euch auch die Bitte, weil ich es euch zugesagt habe. Gott erfüllt die Bitten, weil er sich dadurch zu Jesus und zu seiner Offenbarung bekennt. Gott darf sich doch nicht blamieren vor den anderen. Jesus braucht ihn gar nicht um die Erfüllung der Gebete zu bitten, denn sie sind schon erfüllt.

Die Jünger dürfen damit neben Jesus treten und das alles am eigenen Leibe erfahren. Und w i r sind damit auch zu Freunden Jesu geworden. Wenn ein Junge einen Freund hat und er bittet den Vater um Geld für ein Eis, der Freund aber steht daneben, dann wird der Vater auch dem Freund seines Sohnes ein Eis spendieren. So wie Gott seinen Sohn Jesus liebt, so liebt er auch alle, die an ihn glauben.

Deshalb hat nicht die Welt das letzte Wort zu sprechen, sondern Gott. Wer aber nicht betet, dem geht diese Gewißheit unweigerlich verloren. Man muß das Beten auch üben, feste Zeiten und eine gewisse Gewöhnung gehören dazu. Wenn man Konfirmanden nach Gebetstextexten fragt, wissen sie zum Teil zumindest das Vaterunser. Aber wenn man dann fragt: „Betet ihr es auch?“ dann sagen sie mit entrüsteter Miene: „Nein!“ und würden am liebsten hinzufügen: Wie kann man nur so etwas fragen!“ Aber dadurch werden wir halt alle unglaubwürdig vor denen, die sowieso nicht beten. Wer aber betet, der darf von Gott erfahren, welche Macht so ein ganz gewöhnliches Gebet hat, weil Gott dahintersteht.

 

 

Joh 17, 1 - 8 Palmarum, Variante 1):

Wenn ein Mensch älter wird, überdenkt er sein Leben. Er zieht so etwas wie eine Bilanz und überlegt: Was ist gelungen in meinem Leben? Was habe ich geleistet? Was werde ich hinterlassen? Was habe ich falsch gemacht? Was werde ich oder was könnte ich der Nachwelt überlassen, vor allem den eigenen Nachkommen?

Wer recht handelt, der macht auch ein Testament, damit alles geregelt ist. Und dabei kann man über die Regelung der Vermögensverhältnisse hinaus so eine Art „persönliches Testament“ machen. Da kann man dann die Erfahrungen seines Lebens niederlegen und Wünsche und Empfehlungen an die nachkommenden Generationen weitergeben.

So bedenkt auch Jesus bei der Ankunft in Jerusalem sein Leben. Zu Beginn der Passionszeit

haben wir gehört, daß er sagte: „Siehe, wir gehen jetzt hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was vom Menschensohn geschrieben ist!“ Nun ist es also so weit, er steht vor Jerusalem und weiß, daß seine Tage gezählt sind. Er wird zwar noch einmal unter dem Jubel seiner Anhänger in die Stadt einziehen, aber seine Gegner werden ihn dort umbringen. Er ist noch jung, aber er muß dennoch Bilanz über sein Leben ziehen.

Wir dürfen uns das nicht so vorstellen, als habe der wirkliche Jesus dieses sogenannte „hohe­priesterliche Gebet“ wirklich so gesprochen und als habe jemand danebengestanden, der es wörtlich aufgeschrieben hat. Hier sprechen vielmehr die Gemeinde des Johannes und der Evangelist selber. Sie haben sich vorgestellt, was Jesus gebetet haben könnte, als er das Ende seines Lebens fühlte. So wie jeder andere Mensch sein Leben in so einer Lage zu überdenken versucht, so wird es wohl auch Jesus gemacht haben.

Und doch geht dieses Gebet auf Jesus zurück. So könnte Jesus der Sache nachgebetet haben, ja so h a t er gebetet. Er ist darin auch ein Vorbild für unser Gebet. Einerseits spricht hier der erhöhte Christus zu uns, aber er ist kein anderer als der, der im Kreise seiner Jünger gelebt hat. Hier erinnert sich die Gemeinde nur an das, was Jesus selbst gesagt hat. Thema ist dabei: Die Verherrlichung Gottes und die Verherrlichung Jesu

Jesus schaut auf sein abgeschlossenes Lebenswerk zurück. Er sagt zu Gott: „Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir aufgetragen hast!“ Nun soll der Vater ihm den himmlischen Lichtglanz zurückgeben, den er vor seinem Erdenleben hatte. Aber das bedeutet nicht, daß sein Erdenleben nun uninteressant geworden wäre. Es war auch nicht ein Zwischenspiel, sondern es gehört notwendig zum Werk Jesu. Wir haben den großen Vorteil, daß wir nicht einen unanschaulichen Gott haben, einen unsichtbaren Gott über den Wolken, sondern er wurde Mensch wie wir.

Wir brauchen nicht theoretisch über Gott zu philosophieren, sondern wir haben einen Gott, vom dem Geschichten aus dem wahren Leben erzählt werden können. Natürlich sind diese Geschichten von Menschen aus dem Orient abgefaßt, die gern etwas blumig reden und für unsere Begriffe auch etwas übertreiben. Sie stellen nicht nur einfach einen Glaubenssatz auf, sondern verpacken ihn in eine Geschichte. Unsere Aufgabe ist es dann, diese Geschichte in unser westliches Denken zu übersetzen, um ihren Kern und die eigentliche Aussage herauszufinden.

Die Geschichte von Jesu Leiden und Sterben ist aber sehr klar und für alle verständlich, sie entspringt nicht orientalischer Fabulierkunst, sondern sie ist wirklich so geschehen. Diese mit Karfreitag zu Ende gehende Zeit, in der Christus als Mensch gegenwärtig war, ist wichtig um der Menschen willen, weil sie so wissen können, daß ihr Herr nicht ein gestaltloses Gespenst

ist.

Sie ist aber auch wichtig für Gott, denn nun meldet der Sohn die Erfüllung seines Auftrags. Durch Jesu Kommen in die Welt ist das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen grundlegend verändert worden. Und nun kommt er zum Vater als der, der das ihm aufgegebene Werk vollbracht hat. Er war gehorsam und ist damit berechtigt, nun auch vor Gott für die Seinen einzutreten.

Indem Jesus da war und da ist, indem er gehört wird und Glauben findet, wird Gott wieder Herr seiner verlorenen Schöpfung. Da wird sein Name geheiligt, da kommt sein Reich, da geschieht sein Wille. Was im Himmel schon Wirklichkeit ist, das geschieht nun auch auf Erden.

Indem Menschen glauben, daß Jesus vom Vater ausgegangen ist und der Vater ihn gesandt hat, setzt Gott sich in diesen Menschen durch. Indem sie sich der Liebe Gottes anvertrauen, kommt Gott zu seiner Ehre und er wird ihnen erst richtig zum Gott. So erst haben sie das wahre Leben. Wir könnten tausend schöne und wichtige Dinge haben, die wir für das Leben so wichtig halten. Aber das, was „Leben“ genannt zu werden verdient, haben wir letztlich nur in Gott.

Jesus hat in der wirklichen Welt der Menschen - unter Alltagsbedingungen - vorgelebt, daß man an Gott glauben kann. Aber nun bittet er um seine eigene Verherrlichung, aber im gleichen Atemzug auch um die Verherrlichung des Vaters. Allerdings konnte man diese Verherrlichung nicht unbedingt am Leben des irdischen Jesus ablesen. Dazu war ein rein äußerlich zu arm und gering und hat sein Leiden geduldig getragen. Wer von der Welt her denkt, kann das Gottsein Jesu gar nicht erkennen. Der Unglaube nimmt nichts von Jesu Herrlichkeit wahr. Die wahre Gottheit ist so tief in die Menschlichkeit eingehüllt, daß allein der Glaube sie noch entdeckt.

Verherrlichung meint ja nicht, daß Jesus sein Menschsein abstreift wie ein lästiges Kleid. Hat er als Mensch nicht aufgehört, Gott zu sein, so hört er in der Verherrlichung nicht auf, ein Mensch zu sein. Nur die Niedrigkeit legt er ab, nicht sein Menschsein. Jesus hat auch nicht etwas für sich beansprucht, was er nicht ist. Nur die Gegner Jesu haben nicht gemerkt, daß Gott nicht anderswo handelt als in Jesus. Gott ist nur in diesem Jesus zu finden und nicht anderswo.

Für Jesus kommt es zur Verherrlichung aber schon vor Ostern. Jesus wird nicht erst durch die Auferstehung zum Sohn Gottes. Er wird nur, das er bisher schon in aller Niedrigkeit gewesen ist, nunmehr „in Kraft“. Jesus bittet den Vater, er möchte ihn in die Herrlichkeit zurückkehren lassen, die er schon bei ihm hatte, ehe die Welt wurde.

Bisher war seine Wirksamkeit auf die engen Grenzen eines Menschenlebens beschränkt: soweit die Füße gehen können und soweit der Schall der Stimme reicht. Nun aber beginnt die

Zeit seiner weltweiten Wirksamkeit. Der Gekreuzigte wird erhöht und der Herr der Welt, sowohl der gläubigen Menschen wie der ungläubigen. Die Christen glauben nicht an einen vergangenen und räumlich weit entfernten Christus, sondern an den Herrn, der bei ihnen alle Tage war, bis an der Welt Ende. Von jedem Punkt der Erde aus ist erreichbar, weil er als der Himmlische überall gegenwärtig ist.

In unserer Zeit gibt es dafür ein schönes Anschauungsmittel aus der Technik. Da ist einmal die E-Mail, mit der wir in Sekundenschnelle einem anderen Menschen eine Botschaft schicken können, und er kann ebenso schnell wieder antworten. Wenn zum Beispiel die Tochter nach Kanada geht, kann man ganz schnell mit ihr Verbindung haben. Sogar Bilder kann man schicken oder sich am Bildtelefon unterhalten. Was früher nur der Polizei oder Firmen zur Verfügung stand, das kann heute jedermann zu niedrigen Preisen haben.

Noch einfacher ist es mit dem Handy. Manchmal ist diese moderne Errungenschaft auch ein Fluch, weil wir damit jederzeit erreichbar sind und der Anruf oft dann kommt, wenn er stört. Aber Gott dürfen wir auf die Nerven gehen, er will jederzeit erreichbar sein und ist es auch. Er schaltet das Handy nicht ab oder stellt den Anrufbeantworter ein. „Gott ist gerade ein Gebet weit entfernt“, heißt es in einem Lied.

Jesus bittet aber auch um das himmlische Leben für die Kirche. Ihr gilt die Fürsorge und Fürbitte des Herrn. In seinen Erdentagen war Jesus bei den Seinen und konnte sie in der Gemeinschaft mit Gott halten. Jetzt will er auf andere Weise für sie einstehen. Die Christen werden ja dem Haß der Welt ausgesetzt sein.

Aber sie sollen nicht aus der Welt herausgeholt werden, sondern sie werden ja gerade in sie hineingesandt. Sie könnten dabei allerdings den Mut verlieren und aufgeben. Da aber steht Jesus für sie ein, für ihren Glauben und ihr Bewahrtwerden in Gott.

Die Welt wird aber nun nicht total vereinnahmt. Die Mitteilung des Lebens wird ja nur auf die beschränkt, die der Vater Jesus gegeben hat. Er hat die Menschen nicht eigenmächtig genom­men, sondern der Vater hat sie ihm gegeben. Die Welt wird nicht pauschal verändert, sondern Menschen werden durch Christus in die neue Gemeinschaft mit Gott gezogen. So entsteht die Kirche.

Hier sind die Menschen, die gemerkt haben, woher sie kommen und die Jesu Wort angenommen haben. Hier wird ihnen der Name Gottes gesagt. Dadurch können sie ihn anreden und dürfen „Vater“ zu ihm sagen. Ihre Zukunft als Gemeinde Gottes wird davon abhängen, daß sie sein Wort festhalten. Die Gemeinde ist zwar in die Zugluft der feindlichen Welt gestellt. Aber sie wird durch Jesu Gebet so gehalten, so daß keiner verlorengeht. Dafür steht Jesus beim Vater ein.

An uns ist es, diese frohe Botschaft den anderen Menschen weiter zu sagen. Es wäre doch gut, wenn wir als grundlegende Erkenntnis unseres Lebens von unserem Glauben reden könnten. Unser Testament hat nicht nur mit unserem Haus und unserem Geld zu tun. Wir haben etwas viel Wertvolleres zu vererben: Den Glauben an Gott. Ein junger Mann sagte einmal: „Das Ziel meines Lebens ist es, wenigstens einen Menschen zum Glauben an Gott geführt zu haben!“

 

Joh 17, 1 (2-5), 6-8 (Palmarum, Variante 2):

(Nach Möglichkeit läßt man nach der Verlesung des Predigttextes ein Handy klingeln, unter Umständen mit Hilfe eines zweiten Handys).

Ehe ich mit der Predigt beginne, will ich erst einmal mein Handy ausschalten. Ich bitte Sie, auch Ihr Handy auszuschalten, damit wir nicht im Gottesdienst gestört werden. Ach so, Sie haben gar kein Handy? Wie kommen Sie denn da zurecht? Man muß doch jederzeit erreichbar sein, an jedem Ort und von überall her! Ohne Handy ist man doch gar kein Mensch! So ist doch heute vielfach die Ansicht.

Was soll Gott da nur machen, wenn er uns erreichen will. Muß er uns da auch ein Handy in die Hand drücken? Möchten wir es überhaupt haben? Vielleicht wollen wir doch gar nicht

immer erreichbar sein, vielleicht ist uns die göttliche Aufsicht lästig. Da wäre der umgedrehte Kontakt schon eher etwas: Wenn wir Gott brauchen, dann soll er zur Verfügung sein. So etwas wie ein Handy wäre da schon praktisch: Man muß es nicht benutzen, aber wenn man es schnell einmal braucht, dann ist es zur Hand.

Als Jesus auf seine Kreuzigung zuging, da mußte er sich schon überlegen, wie er in Zukunft den Kontakt mit den Seinen aufrechterhalten wollte und wie die Verbindung zwischen ihnen und Gott aussehen sollte. In einem Gebet blickt er noch einmal auf sein abgeschlossenes Lebenswerk zurück. Er bittet aber auch den Vater, ihm den himmlischen Lichtglanz wieder zurückzugeben, den er vor seinem Erdenleben schon hatte. So muß Jesus im Angesicht des Karfreitags seine Verhältnisse ordnen und sich Gedanken darüber machen, wie es weitergehen soll.

Wir müssen dabei nicht annehmen, hier ein originales Gebet Jesu vor uns zu haben, wie das zum Beispiel beim Vaterunser der Fall ist. . In diesem sogenannten „hohenpriesterlichen Gebet“ spricht nicht der wirkliche Jesus, sondern der Evangelist Johannes und seine Gemeinde. Aber Jesus könnte so gebetet haben. Und der erhöhte und verherrlichte Jesus ist kein anderer als der, der im Kreise seiner Jünger gelebt hat. Auch wenn er nicht mehr persönlich da sein kann, so ist der Kontakt zu ihm nicht abgebrochen.

Wenn wir Kontakt mit Jesus halten wollen, dann müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Das Erste ist der Blick in die Vergangenheit, das Sich-Erinnern an das, was gewesen ist. Wir haben es zwar heute mit dem erhöhten und damit gegenwärtigen Christus zu tun. Aber das bedeutet nicht, daß sein Erdenleben damit uninteressant geworden wäre. Die mit Karfreitag zu Ende gehende Zeit war kein Zwischenspiel. Jesus ist nicht eine gestaltlose Erscheinung, die zeitlose Wahrheiten abgebildet hat.

Jesus hat sich den Menschen gleich gemacht, hat mit ihnen Hunger und Durst getragen, er hat Freunde gewonnen und den Haß seiner Gegner ausgehalten. Er ergriff die Partei derer, die nichts zu melden haben, aber er mußte sein Leben für seine Freunde lassen. Er wollte die Menschen zu Gott führen, aber sie schalteten ihn aus. In seiner letzten Fürbitte steckt dieses ganze Erdenwirken mit drin.

Jesus bringt sein ganzes Leben mit, wenn er vor dem Vater erscheint. Ihm meldet er die Erfüllung seines Auftrags, daß das Werk jetzt vollbracht ist. Durch Jesus hat Gott wieder Macht über seine verlorene Schöpfung gewonnen. Da wird dann Gottes Name wieder geheiligt, da kommt sein Reich mitten unter uns und da geschieht sein Wille hier auf Erden.

Jesus hat den Menschen wieder das Leben gegeben. Der Mensch erkennt jetzt wieder, daß er einen Gott über sich hat. Er weiß von seinem Ursprung und von dem Ziel seines Lebens. Er

weiß sich ständig mit diesem Gott verbunden. Wir könnten tausend schöne und wichtige Dinge haben - aber ein richtiges und wahres Leben haben wir nur durch Gott. Deshalb brauchen wir die ständige Verbindung zu Gott.

Es bringt auch nichts, wenn wir uns einen anderen Anbieter suchen wollen, wie wir das beim Handy ja durchaus können. Gott handelt nur in diesem Jesus, er ist nirgendwo anders zu finden als in ihm. Äußerlich mag Jesus dabei ganz unscheinbar aussehen. Nur im Glauben kann man seine Herrlichkeit sehen. Die wahre Gottheit ist so tief in die Menschlichkeit eingehüllt, daß nur der Glaube sie entdeckt.

Es ist schon schwer, daß wir an einen Jesus glauben sollen, der den Weg der Niedrigkeit gegangen ist. Uns selber ist auch nichts anderes verheißen, wenn wir wahre Christen sein wollen. Unser Lebensziel kann es nicht sein, eine besondere Stellung und einen besonderen Glanz zu erarbeiten.

Wenn wir oft unzufrieden sind mit unserem Leben, dann brauchen wir uns darüber nicht zu wundern. Das ist die Regel für den Christen. daß er nur einen geringen Weg gehen kann. Wir sind nicht die Stars dieser Welt, sondern ganz einfach Gottes zuverlässige Mitarbeiter. So wie Jesus können wir nur darum bitten, daß wir eines Tages an der Herrlichkeit Gottes Anteil bekommen.

Jesus wird aber nicht erst durch die Auferstehung zum Sohn Gottes. Er war es auch schon vorher, allerdings nur in Niedrigkeit und im Verborgenen. Nach Ostern aber ist er es „in Kraft“, wie es am Anfang des Römerbriefs heißt. Bisher war Jesu Wirken beschränkt auf die engen Grenzen seines Menschenlebens, soweit die Füße gehen können und soweit der Schall seiner Stimme reicht.

Nun aber steht eine weltweite Wirksamkeit vor ihm. Jetzt hat er Anteil an Gottes weltweiter Macht: Für den Glauben ist er der Retter, für den Unglauben der Richter. Als Christen glauben wir nicht an einen vergangenen und räumlich weit entfernten Christus, sondern an einen Herrn, der jederzeit von jedem Punkt der Erde aus erreichbar ist, weil er als der Himmlische erhöht und überall gegenwärtig ist. Vor allem ist er auch gegenwärtig in seiner Kirche.

Man hat gesagt, das Johannesevangelium habe gar keine ausgeprägte Lehre von der Kirche zu bieten. Solange Jesus bei den Seinen war, da konnte er sie vor dem Verlorengehen bewahren. Aber nach seinem Tod muß er auf andere Weise für sie einstehen. Deshalb hat Jesus auch eine bleibende Gemeinschaft im Blick, die seine Leute nach seinem Tod zusammenschließen soll. Ob er aber damit die Kirche gewollt hat, so wie sie sich heute darstellt, ist allerdings eine andere Frage.

Doch die Fürsorge und die Fürbitte des Herrn gilt der Gemeinde. Jesus weiß genau: Seine Gemeinde wird dem Haß der Welt ausgesetzt sein. Sie wird aber nicht aus der Welt herausgenommen, sondern im Gegenteil gerade in diese Welt hineingesandt. Diese Sendung ist schon riskant, denn es besteht keine Aussicht, daß sich der Unterschied zwischen Kirche und Welt mehr und mehr verringert.

Aber so sehr auch Anlaß ist, den Mut zu verlieren und aufzugeben: Jesus steht für uns ein und bewahrt uns im Namen Gottes. Noch stehen wir im Kirchenjahr vor dem Karfreitag. Aber danach kommt Ostern - das wissen wir schon. Das gibt uns Kraft, auch mit den ganz persönlichen Problemen unseres Lebens fertig zu werden.

Es gibt Menschen, die können bei jeder Sache noch etwas Positives finden. Sicherlich haben sie auch allerhand Schweres im Leben mitmachen müssen und Enttäuschungen erlebt. Doch so schnell haben sie sich nicht unterkriegen lassen. Das ist nicht einfach eine Charaktereigenschaft ist, sondern hat mit dem Glauben zu tun.

Wenn man sein Leben von Gott gehalten weiß, dann läßt man sich nicht so leicht umwerfen. Sicherlich wird man dadurch nicht gleich zum Helden. Jeder Mensch hat seine Schwächen, hat Angst und geht auch einmal durch ein tiefes Tal der Verzweiflung. Aber letztlich kommt er doch wieder da heraus, weil er Gott auf seiner Seite hat.

Selbst der Tod kann dann keine letzte Gewalt über uns haben. Jesu Art, wie er die letzte schwere Krise seines Lebens bewältigte, kann uns dabei ein Vorbild sein. Er wußte, daß er sterben mußte. Aber das hat ihn nicht erschreckt, nicht in die Verzweiflung getrieben, hat ihn ruhig bleiben lassen.

Nur vergessen wir nicht: Jesus wird nicht der Herr über alles und jeden, sondern nur über die, der der Vater ihm gegeben hat. Er hat sie sich nicht eigenmächtig genommen. Sie haben sich ihm auch nicht spontan zugewandt. Es geht nicht um eine pauschale Veränderung der ganzen Welt, sondern Menschen müssen einzeln durch Christus in die neue Gemeinschaft mit Gott

hineingezogen werden.

Nur hat jeder dazu eine Chance. Jesus hat jedem ein Handy mitgegeben, der es haben wollte. Er hat nämlich den Seinen den Namen des Vater offenbart, hat ihnen sozusagen die Handynummer Gottes mitgegeben. Wessen Namen wir kennen, den können wir anreden. Zu Gott dürfen wir sogar „Vater“ sagen.

Jesus hat uns auch das Wort Gottes mitgegeben. Jetzt gilt es, dieses Wort zu bewahren. Unsere Zukunft wird davon abhängen, dieses Wort festzuhalten. Aber es wird darauf ankommen, nicht nur eine alte Tradition zu übernehmen. Sie ist notwenig, um auf Jesus aufmerksam zu machen. Aber es nutzt gar nichts, wenn man versteht, was damals mit so einem Bibeltext gemeint war. Die Botschaft bleibt aber unverstanden, wenn sie nicht zum eigenen Glauben anleitet, wenn sie mir nicht etwas für mein heutiges Leben sagt. Die Bibel oder das Gesangbuch im Regal nutzt uns gar nichts, wenn wir nicht damit umgehen, wenn sie nicht lebendige Anrede werden. Deshalb mühen wir uns ja auch in diesem Gottesdienst mit so einem schweren Predigttext ab. Man kann schon etwas stöhnen, wenn man diese Verse das erste Mal liest. Aber wenn man sich etwas mit Gottes Wort beschäftigt, dann kann es doch sein., daß es zu einem redet.

Hier noch einmal die wichtigsten Gedanken zusammengefaßt: Jesus hat das Leben der Menschen bis zum Letzten kennengelernt und Gottes Auftrag erfüllt. Nach seinem Tod übernimmt er die neue Aufgabe, der Ansprechpartner für alle Menschen zu sein. Er hilft uns in jeder Hinsicht zur Bewältigung unseres Lebens und verspricht uns das ewige Leben bei Gott.

Aber vielleicht bleibt Ihnen doch mehr im Gedächtnis, was am Anfang und zwischendrin immer wieder über das Handy gesagt wurde. Und wenn sie zu Hause vielleicht doch ein Handy haben und es gelegentlich in die Hand nehmen, dann denken Sie doch daran: Auch mit Gott kann man ganz leicht Kontakt aufnehmen, an jedem Ort der Welt und zu jeder Zeit!

 

 

Joh 19, 16 - 30 (Karfreitag):

Jesus ist nicht der einzige Mensch, der gekreuzigt worden ist. Die Kreuzigung war bei den Römern eine übliche Todesstrafe. Vielleicht war sie deshalb so beliebt, weil der Todeskampf oft stunden- und tagelang dauerte und die anderen sich an diesem Anblick weiden konnten. Sicherlich erhoffte man sich auch eine abschreckende Wirkung davon. Die Leute haben eher ein Schauspiel darin gesehen, das etwas Abwechslung versprach. Und dabei dachten sie: „Armer Kerl! Zur gut, daß es uns nicht erwischt hat!“

Dabei hätte es eigentlich jeden einzelnen von ihnen erwischen müssen - und auch jeden einzelnen von uns heute. In den Augen Gottes sind wir alle Verbrecher und Hochverräter. Aber wir sind natürlich euch Gottes geliebte Kinder, die nicht alle am Kreuz enden sollen. Deshalb ging ja Jesus stellvertretend für uns ans Kreuz. Aber eine Kreuzigung war damals nichts Besonderes. In dem Film „Spartakus“ wird die Kreuzigung von 6.000 aufständischen Sklaven gezeigt. Was bedeuten da schon die drei Kreuze in Jerusalem? Und doch war der Tod Jesu etwas anderes, weil er f ü r u n s geschah. Wir können sagen: Karfreitag ist die Vollendung des Planes Gottes, die Verherrlichung des Sohnes Gottes und die Errettung des Volkes Gottes.

 

Die Vollendung des Planes Gottes: Die Hinrichtung wird sachlich berichtet, fast im Protokollstil. Nichts ist davon zu hören, daß die Seele des Gekreuzigten erschüttert und verwirrt ist. Kein Weinen und Heilen der Seinen, die Flucht der Jünger wird nicht einmal berichtet. Die Entkleidung des Hingerichteten wird nicht als Entwürdigung gesehen, sondern als Erfüllung der Schrift.

Jesus ist nicht das Opfer, sondern er kümmert sich noch fürsorglich um seine Leute. Man hört keinen Klageruf über die Gottverlassenheit, erst recht keinen unartikulierten Schrei, sondern die Aussage des Siegers, daß Gottes Plan nun zum Ziel gebracht ist.

Da hängt kein geschundener Leib am Kreuz, der mit seiner Last die Arme nach unten zieht und an den Nägelwunden reißt, da drücken nicht die Gesichtszüge die ganze Sterbensnot aus, sondern wir sehen einen Christus, der aktiv sein großes Werk vollbringt. Aufrecht steht er vor dem Kreuz, die Nägel sind bloße Zutaten. Das Kreuz ist nur das geometrische Zeichen, das die segnenden oder einladenden Arme abbildet. So hat man die Kreuzigung in der Zeit der Romanik dargestellt (im Gegensatz zur Gotik wie auf dem Isenheimer Altar).

Für den Glaubenden wird das grausig vernichtende Geschehen durchscheinend und er nimmt wahr, daß hier das Heil geschieht. Christus gehört zwar der himmlischen Lichtwelt an, wie das die Gegner des Johannesevangeliums behaupten. Aber er mußte auch ganzer Mensch werden und wie ein Mensch sterben, ehe er wieder erhöht werden konnte. Als er auf das Kreuz genagelt wurde und dieses aufgerichtet wurde, da war das für den, der sehen kann, seine Erhöhung. So war Karfreitag nicht die große Stunde der Finsternis, sondern die große Stunde Gottes, dessen Plan nun endlich verwirklicht und ans Ziel gebracht wird.

Zur Deutung des Geschehens greift man auf die Schrift zurück. Das geschieht nicht, um peinliche Lücken der Überlieferung zu füllen. Vielmehr soll deutlich werden: Dies ist nicht der Zusammenbruch der Sache Gottes, sondern die Erfüllung seiner Zusagen, nichts anderes als das, was Gott von Anfang an im Sinn hatte. Niemand konnte ihm das Programm verderben, sondern im Gegenteil: Mit der vermeintlichen Ausschaltung Jesu mußte der Fürst dieser Welt helfen, das Werk Gottes zu verwirklichen.

Die spätere Gemeinde hat Jesus auch so dargestellt, daß Jesus sogar noch für die Zukunft seiner Kirche sorgt. Maria, die Mutter Jesu, ist Symbol für die Kirche, für die Gemeinde unter dem Kreuz, die vom Erhöhten das Heil erwartet. Sie wird dem Lieblingsjünger anvertraut, also dem, der das Johannesevangelium geschrieben hat. Man hat also nicht nur die Verheißungen aus dem Alten Testament, sondern auch den Zeugen aus dem Neuen Testament. An sein Wort kann man sich halten. Er verbürgt die Überlieferung von Jesus Christus und nimmt die Gemeinde in seine Obhut und Fürsorge.

Gleichzeitig werden die beiden Gruppen der Urchristenheit, die sich oft um den Vorrang miteinander gestritten haben - die Judenchristen und die Heidenchristen - aneinander gewiesen. Jesus weist in seiner letzten Stunde die Heidenchristen an, in der größeren Kirche ihre neue Heimat zu finden. Und er weist die Heidenchristen an, das Judenchristentum als die Mutter zu ehren, aus der sie hervorgegangen sind.

 

Die Verherrlichung des Sohnes Gottes: Unter dem Kreuz Jesu stehen auch die, die nun endlich ihr Ziel erreicht haben, wie sie meinen. Dort am Kreuz sollte er enden! Aber ganz zufrieden sind sie immer noch nicht. Pilatus hat am Kreuz die Inschrift anbringen lassen: „Jesus von Nazareth, der König der Juden!“ Aber die Gegner wollen, daß er schreibt: „Jesus hat behauptet, er sei der König der Juden!“ Pilatus hat sich vielleicht gar nichts gedacht bei dieser Überschrift. Aber natürlich bleibt er dabei. Welcher Beamte und dazu noch von der Besatzungsmacht würde jemals etwas freiwillig zurücknehmen.

Vielleicht will er auch absichtlich die Juden ärgern. Denn sie haben ihn ja zu diesem Schritt gezwungen, jetzt zahlt er es ihnen heim. Die Juden haben sich von ihrer Messiashoffnung los­gesagt. Damit haben sie sich selbst gedemütigt. Jetzt fügt Pilatus noch den Hohn dazu. Der Einspruch der Juden macht ihr Verletzt­sein erst recht offenbar. Sie erkennen genau: Ohne es zu wollen ruft Pilatus die Königswürde Jesu aus. Und das noch in drei wichtigen Sprachen, also für die ganze Welt.

Nun kann niemand mehr sagen: „Wer es glauben will, der mag es glauben!“ Nur für die Frommen und die religiös Veranlagten ist Jesus der König. Dann könnte man Jesus unter die Religionsstifter einreihen und die Nichtreligiösen würden in Ruhe gelassen. Pilatus aber hat dafür gesorgt, daß der Anspruch Jesu an die ganze Welt gerichtet ist. Alle können und sollen es lesen. Und sie müssen sich entscheiden, ob sie diesem Wort glauben oder sich daran stoßen werden.

Jesus stirbt ja f ü r die Welt und nicht gegen sie. Er setzt nicht die Macht ein, sondern die Liebe. Er fordert nicht, sondern er schenkt. Wenn er am Schluß sagt: „Es ist vollbracht!“ dann ist das nicht nur ein Seufzer der Erleichterung, weil nun alle Qual ein Ende hat. Vielmehr ist jetzt das entscheidende Werk Gottes vollbracht. Was äußerlich aussah wie ein Werk des Hasses, ist der Sieg Gottes über die Bosheit der Welt.

Wenigstens einer hat es fertiggebracht, das Böse zu überwinden. Deshalb kann auf Karfreitag auch Ostern folgen. Deshalb können wir auch mit dem Bösen in uns fertigwerden. Jetzt geht die stille Gewalt Jesu durch die Welt. Er ist fortan König in dem Reich, das nicht von dieser Welt ist.

 

Die Errettung des Volkes Gottes: Unter dem Kreuz sind auch die Kriegsknechte, die sich um die Kleider Jesu streiten. Sie sind völlig unbeteiligt, ihnen geht es nur ums Geld: Sie haben diesen Jesus für Geld ans Kreuz geschlagen, nun versuchen sie, aus seinen Habseligkeiten noch Geld zu machen. Ausdrücklich wird vermerkt, der Rock Jesu sei ungenäht gewesen. Das erinnert an das Obergewand des Hohenpriesters. Nur ist Jesus sogar ein Hoherpriester, der

sich sogar für die Seinen zum Opfer weiht.

Noch eine Parallele zu jüdischen Bräuchen kann man feststellen: Jesus hängt am Kreuz, während im Tempel die Passahlämmer geschlachtet werden. Dort sind es viele Lämmer, hier ist es das eine Lamm, das der Welt Sünde trägt und stellvertretend für die anderen stirbt. Wir wären ja nicht einmal bereit, für die eigenen bösen Taten den Kreuzestod zu erleiden, schon gar nicht stellvertretend für die anderen.

In Schillers Gedicht „Die Bürgschaft“ soll ein völlig Unbeteiligter anstelle des Freundes hingerichtet werden, für den er sich verbürgt hat. Wären wir dazu bereit gewesen? Wir sind doch froh, wenn wir überhaupt nichts mit dem Tod zu tun haben. Den Gedanken an den eigenen Tod schieben wir von uns weg. Und wenn wir ihn in unserer Umgebung erleben, dann denken wir: „Armer Kerl, nur gut, daß es mich nicht erwischt hat!“

Wenn plötzlich ein Mensch aus dem Leben gerissen wurde, zum Beispieldurch einen Unfall, dann sollte man doch annehmen, daß die anderen etwas zur Besinnung kommen. Aber sie sagen höchstens: „Schicksal“ oder „Pech gehabt“ oder „Hauptsache, mir geht es nicht so!“ Sie gehen zur Trauerfeier und sagen Beileid. Aber sie sind kaum zur Kirche heraus, da sind sie schon wieder zur Tagesordnung übergegangen und bereden ganz andere Dinge.

Jesus aber war das unschuldige Opfer, das stellvertretend für uns gebracht wurde. Da kann man nicht unbeteiligt bleiben. Dadurch wurden ja schließlich für unser Begegnung mit Gott und für unser Leben ganz neue Bedingungen geschaffen. Vielleicht unterschätzen wir die Bedeutung dieser Frage, halten sie für belanglos und unterdrücken sie. Wir meinen, hier brauche nichts bereinigt und vollbracht zu werden.

Gott aber weiß es besser. Nur durch das Opfer Jesu leben wir noch. Nun kann uns niemand mehr streitig machen, daß Gott ein Gott für uns ist und uns liebhat.

 

 

Joh 20, 11 - 18 (Ostern I: Vers 1 mitlesen):

Wiedersehen macht Freude. Das ist die frohe Botschaft, die wir an diesem Ostertag hören wollen. An Karfreitag hatten Menschen nicht irgendeinen ersetzbaren Gegenstand, sondern ihr Haupt verloren. Sie waren hoffnungsvolle Wege mit diesem Jesus gegangen. Die Begegnung mit Jesus hatte eine neue Welt eröffnet. Es war etwas in Bewegung geraten, sie hatten Vergebung und Gemeinschaft untereinander erfahren. Aber nun war Jesus tot, sie waren kopflos.

Wenn wir die Kreuzigung Jesu persönlich miterlebt hätten, dann hätten wir uns wohl kaum anders verhalten als Maria Magdalena auch. Wir erfahren den Tod doch auch als das endgültige Ende des Lebens. Wenn man nichts von Ostern weiß, dann kann man doch nur alle Hoffnung fahren lassen; dann gibt es eben auch keine Hoffnung über den Tod hinaus.

Der Mensch braucht allerdings eine Hoffnung, ohne sie kann er nicht leben. Und wenn er keinen echten Grund zur Hoffnung hat, dann bildet er sich eine ein: Er redet dann vom Weiterleben in den Kindern oder im Gedächtnis der Überlebenden oder von den übergreifenden Ideen, die nun in den anderen fortwirken. Aber das sind alles nur Auswege.

Als Christen aber haben wir eine reale Hoffnung. Sie bezieht sich auf etwas, das schon geschehen ist. Hier liegen schon Tatsachen vor, nicht nur ein Hirngespinst für die ferne Zukunft. Doch wir erinnern uns nicht nur an ein Ereignis, das sich vor vielen Jahrhunderten in einem fernen Land zugetragen hat. Ostern wirkt weiter und, greift um sich. Es will auch uns hineinziehen in das Tun unsres Gottes. Wir dürfen wissen: So wie Jesus dürfen wir auch einmal in einem neuen Leben wandeln.

Über lacht kann das Leben wieder neu vor uns liegen. Jesus ging aus der Grausamkeit der Menschen neu und lebendig hervor, er tauchte wieder auf aus dem Tod. Wer einen Blick dafür hat, wird ihn neu wahrnehmen und voller Freude über das Wiedersehen sein, heute wie damals.

Die Ostererfahrung von heute ist nicht anders als die von damals. In drei Punkten wollen wir ihr einmal nachspüren anhand unesres Textes: Wir erfahren den auferstandenen Herrn....

1. uns persönlich zugewandt

2. unsrem Zugriff entzogen

3. auch bei Gott mit uns verbunden.

 

1. Der auferstandene Herr ist uns persönlich zugewandt:

Ostern hat zwar eine Bedeutung für die ganze Kirche, ja für die ganze Welt. Man darf sie nicht verengen oder gar privatisieren, so als wäre es etwas für das stille Kämmerlein. Aber die frohe Botschaft hat es auf die ganz persönliche Begegnung zwischen Christus und dem einzelnen Menschen abgesehen.

Es ist nicht zu übersehen, daß bei Johannes eine Frau die erste Zeugin des Auferstandenen ist. Die Jünger haben nur das leere Grab gesehen und sind wieder heimgegangen. Maria Magdalena aber darf den auferstandenen Jesus selber sehen. Frauen zählten damals nichts, ihre Zeugenaussage galt nichts vor Gericht. Aber diese Frau darf nachher eine Meisterin und Lehrerin der Apostel sein, wie Luther das gesagt hat.

Aber auch für Maria war es schwer, hinter die Sache zu kommen.             Sie steht vor dem Grab und weint, sie ist immer noch nicht weiter als vorher. Ostern ist zwar schon geschehen, aber sie weiß es noch nicht. Ostern kann eben spurlos an einem Menschen vorübergeben, wenn er die Auferstehung noch nicht wahrgenommen hat.

Ihr größter Schmerz scheint gar nicht einmal der Tod Jesu zu sein. Sie ist so fassungslos, weil das Grab leer ist. Jeder Gedanke an eine Auferstehung liegt ihr fern. Der Lieblingsjünger hat gesehen und geglaubt. Aber man kann auch ganz andere Schlüsse ziehen. Maria kann sich das Verschwinden des Leichnams nur auf ganz natürliche Weise erklären: Man hat ihn fortgebracht, um ihr an einer anderen Stelle zu bestatten. Verbrecherische Menschen haben nicht einmal dem Toten die Ruhe gegönnt. Sie wollten nicht dulden, daß er ein so ehrenvolles Grab erhält, daß man ihm noch über den Tod hinaus Liebe und Dankbarkeit bewahrt. Deshalb haben sie ihn anderswo verscharrt. Nur so kann sich Maria alles erklären.

In dieser Ratlosigkeit ist uns Maria gar nicht so fern. Wie oft stehen doch Menschen an einem offenen Grab und sind ratlos. Nicht weil das Grab leer wäre, sondern im Gegenteil: weil in dem Grab einer liegt, über dem sieh bald die Erde schließen wird. Gerade weil einer im Grab liegt, ist es so schwer, an seine Auferstehung zu glauben. Dieses Gefühl der Ratlosigkeit können wir nicht so schnell mit frommen Sprüchen und theologischer Formeln überspielen.

Das leere Grab ist für Maria noch längst kein Beweis für die Auferstehung. Es macht aber deutlich: Der Auferstandene ist kein anderer als der Gekreuzigte und Begrabene. Gott hat den wirklichen Jesus von Nazareth in ein neues Leben hinein erweckt.

Aber zunächst einmal ist das leere Grab etwas Negatives, denn es zeigt nur an: Der Tote ist weg! Bei den anderen Evangelisten klärt das Wort der Engel die Situation. Johannes aber will von den Engeln möglichst bald wegkommen. Immerhin ist es hilfreich, daß sie sich für den Kummer der Maria interessieren. Aber das Entscheidende ist erst, daß der Auferstandene selber sich ganz persönlich der Maria zuwendet.

Doch sie erkennt ihn zunächst nicht. Sie klagt ihm ihr Leid: „Sie haben meinen Herrn weggenommen!“ Man möchte rufen: „Heiß, du bist ganz nah dran!“ Mit dem „sie“ hat man damals nämlich den Namen Gottes umschrieben. Wenn Maria statt ihrer Anklage gegen „Unbekannt“ d a r a n dächte. Ganz dicht ist sie an der Wahrheit dran. Das wird auch deutlich, als sie den Gärtner mit „Herr“ anredet. Sie vermutet, daß er mit der Sache etwas zu tun hat. Wieder ist sie ganz nah dran.

Die Anrede des vermeintlichen Gärtners macht die Lage dann deutlich: Maria erkennt ihn nicht an der Stimme, sondern weil er ihren Namen in vertrauter Weise sagt. Der Name macht die Person unverwechselbar, durch den Namen erhält eine allgemeine Rede ihre Adresse. Maria merkt, daß gerade sie gemeint ist. Vor ihr steht nicht irgendein Fremder, sondern sie kennt den, der hier redet. Und sie antwortet so, wie sie Jesus immer angeredet hat: „Rabbuni! Mein Herr!“

In diesen beiden Anreden „Maria“ und „Herr“ liegt alles drin. Das ist der ganze Dialog. Aber er sagt alles. Genauso spricht der auferstandene Herr auch uns an und wir dürfen ihn so persönlich anreden. Ostern heißt nicht: Es ist einer von den Toten auferstanden, es geht „etwas“ weiter. Vielmehr besagt es: Wir dürfen zum auferstandenen Jesus „Du“ sagen. Er ist kein Gespenst, das uns staunen oder zittern macht. Er ist auch nicht bloß ein Wort, sondern es geht um den, der das Wort spricht und der sich uns ganz persönlich zuwendet.

 

2. Der auferstandene Herr ist unserem Zugriff entzogen:

Maria hat aber noch nicht ausgelernt. Sie meint, nun sei alles wieder so wies es vorher war. Sie ist immer noch beschäftigt mit ihrer Treue zu einem Toten. Sie blickt in die Vergangenheit und nicht in die Zukunft. Dabei läßt das Niederschmetternde sie die Auferstehung verpassen. Aber Jesus kann es ihr auch nicht erlauben, sie leibhaft anzufassen oder festzuhalten. Er sagt: „Rühre mich nicht an!“ oder auch: „Halte mich nicht auf! Ich bin nicht mehr so wie früher. Ich bin nur noch nicht zu meinem Vater aufgefahren, aber ich gehöre bereits jetzt dorthin!“

Daß mit Jesus etwas anders geworden ist, sehen wir in allen Ostererzählungen: Er kommt und geht, wie er will, selbst durch verschlossene Türen und dicke Wände. Er ist bald hier und bald dort, sogar an zwei Orten gleichzeitig. Das ist keinem Menschen möglich. Er gehört schon nicht mehr in die alte Welt hinein, er ist schon auf dem Weg zum Vater.

Maria soll nicht bei ihrer Wiedersehensfreude stehenbleiben, sondern soll seinen weiteren Weg verfolgen. Erst wenn seine Erhöhung abgeschlossen ist, wird auch das Heil endgültig sein, wird erst der volle Osterglaube da sein. So werden auch wir lernen müssen: Jesus entzieht sich unserem Zugriff. Aber gerade indem er das tut, ist er uns ganz nahe. Jetzt erst kann er ganz gegenwärtig sein in Predigt, Taufe und Abendmahl.

Maria konnte Jesus noch sehen, wir sehen ihn nicht mehr. Heute gibt es Gemeinschaft nur noch mit dem Erhöhten. Aber dieser ist kein anderer als der, der auf Erden war. Aber er ist de-noch der heute Lebendige und Gegenwärtige. Wir erinnern uns nicht an einen Mann von ehedem, sondern wir begegnen dem heute Lebenden, in dem wir den irdischen Jesus wiedererkennen.

 

3. Der Auferstandene Herr ist bei Gott mit uns verbunden:

Maria hätte enttäuscht sein können, weil sie den Herrn nach zwei oder drei Augenblicken schon wieder verloren hat. Was man liebt, will man nicht gern verlieren. Aber wenn Jesus sich von den Menschen entfernt, dann fährt er ja auf zu dem Gott, der zugleich unser Vater ist. Nirgendwo im Neuen Testament sagt Jesus „unser Vater“ , nie schließt er sich in diesem Punkt mit seinen Jüngern zusammen. Er sagt „mein Vater“ und „euer Vater“, im Gebet sollen die Jünger „Vater unser“ sagen, aber er rechnet sich selber nicht mit dazu.

Doch sein Gott ist auch der Gott der Jünger. Deshalb sind diese seine Brüder. Zu Maria sagt er: „Gehe hin und sage meinen Brüdern: Ich fahre auf zu meinem und zu eurem Vater!“ Darin steckt das ganze Evangelium. Er schämt sich nicht, uns Brüder zu nennen. Durch ihn ist sein Vater auch unser Vater geworden.

Das kann uns froh machen. Wir haben einen Vater und einen Bruder im Himmel. Sie sind uns nahe bei allem, was wir tun. Der Auferstandene ist nicht weit weg. Wir können ihn nicht sehen und greifen, aber er ist da. Und sie werden uns erst recht nahe sein, wenn dieses Leben einmal ein Ende hat. Deshalb dürfen wir Ostern und jeden Tag im Jahr so begehen wie Maria Magdalena: Eben noch hat sie geweint - aber nun überbringt sie die frohe Nachricht mit dem Jubelruf: „Ich habe den Herrn gesehen!“

 

Joh 21, 1 - 14 (Quasimodogeniti):

Unser Leben verläuft doch meist im gleichen Trott: Morgens aufstehen, zur Arbeit, die Kinder in die Schule. Abends Hausarbeit und Fernsehen. Samstag und Sonntag langes Ausschlafen. Einmal im Jahr Urlaub. Aber im Grunde ist doch alles ziemlich gleichmäßig und es geschieht kaum einmal etwas Außergewöhnliches und Aufregendes. An dieses Gleichmaß haben wir uns so sehr gewöhnt, daß wir es gar nicht mehr missen möchten.

Solch ein Leben hatten auch die Jünger Jesu geführt: Arbeit, Essen, Schlafen - Tag für Tag. Bis dann Jesus sie eines Tages aus diesem altgewohnten Trott herausgerufen hat und sie zu seinen Jüngern gemacht hat. Sie waren auch anstandslos mitgegangen und hatten ein neues Leben begonnen.

Aber nun war Jesus tot, und alles war für sie zusammengebrochen. Es ist Petrus, der sich als Erster wieder ein Herz faßt: „Ich will fischen gehen!“ Er will den Faden wieder dort aufnehmen, wo er in der Berufung durch Jesus abgerissen war. Er will wieder so leben  wie in der Zeit, als er Jesus noch nicht kannte. Das monatelange Zusammensein mit Jesus wäre dann nur eine kleine Unterbrechung auf seinem Lebensweg gewesen, ein Irrtum und ein Abweichen von der geraden Linie.   

Die anderen Jünger scheinen erleichtert zu sein über diesen Vorschlag ihres Anführers. Sie haben der Stadt Jerusalem den Rücken gekehrt, wo all diese aufregender Ereignisse geschehen sind. Sie sind wieder in ihrer alten Heimat am See Genezareth. Hier wollen sie nun in der alten Weise wieder weitermachen und alle ihre Erwartungen mit dem Tod Jesu begraben seinlassen.

So wird es denen gehen, die vom Kirchentag zurückkommen. Dort war alles einfach: Da wurden Reden und Gottesdienste gehalten, da wurde geklatscht, da war eine prächtige Stimmung, man war unter sich. Aber zu Hause ist man dann wieder auf dem Boden der Wirklichkeit und muß die Alltagsprobleme bewältigen.

Aber manchmal wird eben auch unser Alltagstrott unterbrochen. Dann ereignet sich ein Todesfall in unsrer Umgebung oder es kommt ein wichtiger Besuch oder es ergibt sich eine einschneidende Veränderung im Beruf. Es kann auch durch ein besonderes Ereignis zu einer tieferen Begegnung mit Jesus kommen. Dann befassen wir uns eine Zeitlang mit ihm, gehen öfter zum Gottesdienst und lesen wieder einmal in der Bibel. Aber dann läßt der Schwung wieder nach und es beginnt wieder der alte Trott.

Ist Jesus nur eine Störung in unserem Leben, so wie wenn einmal der Strom ausfällt? Oder ist er der Strom, der unser Leben in Gang hält und voranbringt? Welches ist der Normalfall in unserem Leben: Ein Leben auf der Seite Jesu oder ein Leben meist ohne ihn? Selten wird einer seinen Weg ganz gradlinig gehen. Jeder glaubende Mensch wird auch einmal in Krisen kommen. Doch die Jünger sahen die ganze Zeit mit Jesus als eine Unterbrechung an, während für Jesus nur der Karfreitag eine Unterbrechung war. Er möchte die Jünger wieder in das alte Verhältnis zu ihm zurückbringen.

Im Morgengrauen sehen die Jünger vom Boot aus einen Mann am Ufer stehen. Nur undeutlich können sie die Umrisse sehen. Das soll auch so sein. Der Auferstandene soll ein Geheimnis bleiben. Er gehört nicht zu dieser Welt, so daß man nur genauer hinsehen und ihn notfalls anzuleuchten brauchte, um ihn zu erkennen. Er ist nur zu erkennen, wenn er selbst den Anfang macht und sich zu erkennen gibt. Aber das ist dann jedes Mal wie ein Wunder für den betreffenden Menschen.

In diesem Augenblick der Begegnung erkennt Petrus, daß er ja seinem eigentlichen Beruf untreu geworden ist. Er sollte ja Menschen fischen, sollte die Botschaft von Jesus weiter­sagen. Der Herr will nicht, daß seine Jünger hier am See Genezareth Fische fangen als sei nichts gewesen. Als Petrus das erkennt, schwenkt er sofort wieder um: Er springt aus dem Boot und watet durchs Wasser ans Ufer. Er packt mit zu, als die Fische an Land gezogen werden müssen. Das ist wieder der alte Petrus, den wir kennen.

Die anderen Jünger aber bleiben merkwürdig still. Sie wissen im Grunde alle, daß der Herr wieder bei ihnen ist. Aber sie können sich das doch nicht erklären. Jesus bleibt ihnen letztlich fremd und unnahbar. Auch Petrus, der auf seinen Herrn zustürzt, kommt ihm eigentlich noch nicht innerlich näher. Es ist mit dem Auferstandenen doch anders als früher. Sie können das alte Leben mit ihm nicht wiederaufnehmen, können nicht an die Zeit vor dem Karfreitag wieder anknüpfen.

Uns geht es nicht anders. Manchmal sind wir enttäuscht darüber. Wir möchten doch gern alles begreifen und in den Griff kriegen. Aber der Herr kommt und geht, wann er will. Er hilft uns, wenn er es für richtig hält und wenn es für uns gut ist. Er zeigt sich uns und er entzieht sich uns auch wieder. Er bleibt der Herr, wir sind ganz auf ihn angewiesen.

Jesus sagt nicht zu Petrus: „Du bist für mich erledigt“ oder „Schwamm drüber“. Er spricht ihn auf die Verfehlung in der Nacht der Verhaftung an. Aber mit der Frage: „Hast du mich lieb?“ Und er vergibt ihm

Jesus fragt seine Jünger: „Kinder, habt ihr denn nichts zu essen?“ Damit werden sie völlig bloßgestellt. Denn diese fleißigen und gut ausgebildeten Fischer haben nichts, das sie ihm anbieten könnten, nicht einmal einen Fisch. Sie hatten ihre Existenz aus eigener Kraft sichern wollen. Aber sie müssen gerade auf einem Gebiet ihre Schwäche erleben, auf dem sie doch eigentlich Fachleute sind. Der Leerlauf ihres alten Lebens wird ihnen dadurch erst so richtig deutlich.

Erst hielten sie ihren Herrn für machtlos und tot. Jetzt müssen sie selber ihre Machtlosigkeit erkennen. Sie müssen erst wieder lernen, was es heißt: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ Nur der Befehl Jesu wird sie wieder aus der Verlegenheit herausbringen. Sie sollen noch einmal fischen gehen, jetzt aber im Auftrag ihres Herrn. Er braucht sie auch weiter in seiner Nachfolge, auch wenn sie in Jerusalem versagt haben. Wer erst einmal mit Jesus zu tun hatte, der kann nicht mehr in sein altes Leben zurückkehren.

Aber dann braucht Jesus den großen Fischzug gar nicht. Ehe die Jünger dafür sorgen können, ist alles zubereitet. Alles eigene Könner und Vermögen nutzt nichts, wenn Jesus nicht seine Zustimmung dazu gibt. Wir können nichts erhalten oder behalten, was der Herr nicht gibt. Und das bezieht sich nicht nur auf das tägliche Brot auf dem Tisch, auf die äußerliche Sicherung des Daseins.

Die Eingeweihten wissen längst: Hier handelt es sich um das Abendmahl, das Jesus mit seinen Jüngern feiert. Bis jetzt waren die Jünger immer noch unsicher. Aber nun wissen sie: Jesus ist bei uns! Das Abendmahl ist das Erkennungszeichen. Hier wird die Mahlgemeinschaft erneuert, die sie schon vor Karfreitag und Ostern hatten. Miteinander am Tisch zu sitzen und aus einem Topf zu essen ist Kennzeichen tiefster Verbundenheit. Jesus verbindet sich mit dem Seinen zu enger Lebens- und Dienstgemeinschaft.

Aber er verbindet sie damit auch untereinander. Das wird deutlich am Verhältnis des Petrus zu dem Lieblingsjünger. Hinter diesem dürfen wir Johannes vernuten. Er erkennt Jesus zuerst; aber er ist der stille Typ, der nicht gleich Entschlüsse faßt. Petrus aber ist resoluter, kämpft sich gleich durch das Wasser hindurch, will gleich Gewißheit haben. Petrus wird einmal den Märtyrertod sterben, Johannes aber viel später ganz undramatisch den Tod finden. Doch beide sind uneingeschränkt Jesu Jünger. Die Kirche des Johannes hat ihr Recht neben der Kirche des Petrus, denn sie sind beide durch den gleichen Herrn zusammengehalten. Die Verschiedenheit in  der Kirche widerspricht nicht ihrer Einheit.

Das Verbindende ist das Abendmahl. Vielleicht war der eine oder andere bei der Konfirmation zum letzten Mal beim Abendmahl gewesen. Es kam eine lange Zeit des Fernbleibens, alle Verbindungen schienen abgerissen. Aber es ist sehr einfach, den Herrn wiederzufinden: Man kann ihr immer wieder erkennen an den Worten: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut!“ Dadurch wird die Gemeinschaft immer wieder hergestellt.

Aber wer in einer solchen Gemeinschaft lebt, wird auch immer wieder so wie die Jünger Jesu in seinen Dienst berufen. Die Gemeinschaft hat das Ziel der Mission. Auf eigene Faust zu fischen, das wäre allerdings vergeblich. Aber im Auftrag Jesu das Netz auswerfen, da kann man es bald nicht mehr ziehen vor der Menge der Fische. Im Altertum zählte man 153 Arten von Fischen. Bei der Menschenfischerei wird man Menschen aus allen Völkern gewinnen können. Die Gemeinde wird sehr farbenprächtig sein.

Wir werden vielleicht sagen: „Bei uns merkt man aber nichts davon, von den großen Fischen, die der Kirche ins Netz gehen!“ Nun, der Kirche sollen sie auch nicht ins Netz gehen, sondern der auferstandene Christus will sie ja zu sich holen. Es gibt aber Gebiete in der Welt, wo man die nach Christus Fragenden nur mit Mühe fassen und eingliedern kann. Aus Tansania wird zum Beispiel berichtet, daß man dort gar nicht genug Lehrer hat, um in den Schulen den gewünschten Religionsunterricht zu erteilen, und daß in zehn Jahren die Zahl der Gemeindeglie­der sich fast verdoppelt hat.

Auch heute noch wirft der Herr sein Netz aus und fängt einen reichen Fang. Auch wir könnten ihm ins Netz\ gehen und noch andere dabei mitziehen. Das wird nicht ohne Enttäuschungen und Rückschläge abgehen. Wenn wir jemanden zum Gottesdienst oder sonst einem Ereignis in der Kirche einladen, dann wird der Einladung nicht immer willig Folge geleistet. Und doch wird das Netz voll. Christus sorgt dafür, daß es voll wird und daß es auch zusammenhält. Immer wieder neu wird sein Netz voll. Darauf weist auch der Name dieses Sonntags: „Wie die Neugeborenen!“ Jesus wird auch uns neu machen, wenn wir uns in seine Gemeinschaft rufen lassen und uns in seinen Dienst stellen lassen.

 

 

Joh 21, 15 - 19 (Miserikordias Domini):

Es kommt vor, daß ein Klassefußballer einen schlechten Tag erwischt hat. Es gibt ja so Tage, wo nichts gelingt, wo man zwei linke Füße hat und alles daneben geht. Das Publikum pfeift und schimpft dann und ruft: „Laß dir dein Lehrgeld wiedergeben!“ Aber dann klappt erst recht nichts mehr. Dann ist all das vergessen, was der Mann sonst geleistet hat. Gestern noch der Liebling der Massen, heute schon in Grund und Boden verdammt.

Auch der Spielführer kann versagen. Vorher hat er noch dem Trainer versprochen: „Dieses wichtige Spiel gewinnen wir!“ Aber nun ist er selber eine Niete und verunsichert die ganze Mannschaft. Wenn schon der Anführer versagt, dann wird es mit den anderen nicht viel anders ergehen.

So war das im Grunde auch mit Petrus: Erst war er Jesu bester Mann. Man konnte sich hundertprozentig auf ihn verlassen, wenn er auch manchmal ein wenig ein Feuerkopf war. Aber was er als Sprecher der Zwölf tat, das taten die anderen auch. Aber nun hatte dieser Petrus kläglich versagt. Erst hatte er seinem Herrn Gefolgschaft bis in den Tod versprochen, obwohl ihn doch niemand dazu gedrängt hat. Er war ihm ja auch bis in den Hof des Hohenpriesters gefolgt. Aber dann hatte ihn die Angst gepackt und er hatte dreimal gesagt: „Ich kenne diesen Jesus nicht!“ Damit hatte er alles ausgelöscht, was vorher war. Petrus war ein gebrochener Mann.

Vielleicht haben wir auch schon einmal in ähnlicher Weise unseren Herrn verleugnet. Es wird doch immer einmal auf Gott und die Kirche geschimpft. Aber viele unserer Gemeindeglieder sind dann still und sagen keinen Ton. Und die kirchlich engagiert sind, haben dann einen schweren Stand, seien sie nun Kirchenvorsteher oder sonst wer. Nur gut, daß unser Herr dann keinen allein läßt und die wieder beauftragt, die versagt haben. Doch vorausgehen muß erst die Lossprechung.

Petrus wird losgesprochen: Petrus hatte sein inneres Konto überzogen, als er seine großspurigen Versprechungen machte. Doch nun ist er vor Jesus bloßgestellt. Er wird nicht mehr als Petrus, „der Fels“, angesprochen, sondern nur als „Simon, Sohn des Johannes“. Petrus wagt auch nicht, das Wort Jesu zu gebrauchen: „Hast du mich lieb?“ Jesus verwendet hier das Wort, das die Liebe zwischen Gott dem Vater und Gott dem Sohn bezeichnet. Petrus dagegen verwendet nur ein Wort, das man mit „gernhaben“ wiedergeben könnte.

Die zweite Frage Jesu fragt nach weniger und läßt den Vergleich mit den anderen Jüngern weg. Aber sie fragt wieder nach der Liebe und nicht nur nach dem Gernhaben. Da fragt Jesus, ob Petrus ihn wenigstens gernhat. Auch dies stellt er wohl in Frage. Dreimal muß Petrus gefragt werden, weil er den Herrn ja auch dreimal verleugnet hat: Dem Petrus wird nichts erlassen.

Petrus spürt die Sinnlosigkeit jeder Beteuerung. Vor ihm steht ja der Herr, vor dem niemand etwas verbergen kann. Es findet sich keine Spur von Selbstrechtfertigung, sondern nur die völlige Kapitulation: „Herr, du weißt alles!“ Künftig wird er nicht mehr der alte Petrus sein. Aber weil er seine Schuld nicht abstreitet, sondern sie bereut, wird sie ihm auch vergeben.

Natürlich hatte Petrus seinen Herrn immer liebgehabt. Aber es muß doch noch etwas gefehlt haben, sonst hätte es nicht zu einem solchen Versagen kommen können.

Petrus hatte gemeint, dies Fehlende aus eigener Kraft mit erzwingen zu können. Aber nun hat er lernen müssen: Die ganze Aktivität liegt bei Gott. Unsere Liebe empfängt ihre Kraft nur von der Liebe Gottes. Und was wir tun, ist nur Antwort auf das, was durch Gott schon geschehen ist.

Im Grunde erleben wir hier ein Beichtgespräch, auch wenn keine ausdrückliche Lossprechung von Sünden vorkommt. Doch es geht nicht nur darum, daß der Auferstandene sich seelsorgerlich um einen einzelnen Sünder müht. Es handelt sich ja um Petrus, und in ihm um die ganze

Kirche. Es wird deutlich: Ein Amtsträger der Kirche braucht für sein Christsein und für sein Amt nicht die Tadellosigkeit und Zuverlässigkeit eines Menschen, der nirgends aneckt und einbricht.

Es geht nur darum, daß er mit ganzem Herzen an ihm hängt und bereit ist zum Empfangen. Daß hier aber wirklich Vergebung geschehen ist, zeigt sich darin, daß auch ein Petrus wieder in sein altes Amt eingesetzt wird und einen neuen Auftrag erhält.

Petrus wird neu beauftragt: Wenn ein Fußballspieler versagt hat, wird der Trainer im ersten Augenblick enttäuscht sein. Aber er wird seinen besten Mann am nächsten Sonntag doch wieder aufstellen. Und dann wird er auch das wieder leisten, was man von ihm erwartet. So wird auch Petrus nach Ostern wieder von seinem Herrn in den Dienst gerufen. Damit wird nichts beschönigt, das Verhältnis zwischen Jesus und seinem Jünger war schon ernsthaft gestört. Aber Jesus macht aus diesem einmaligen Versagen keine Staatsaktion, sondern er hat dem Petrus schon längst vergeben, ehe er es ahnte.

Petrus hat ja dann auch nach Ostern viel im Sinne Jesu gewirkt: Er war der zweite Leiter der Gemeinde in Jerusalem und später Missionar in vielen Gemeinden. Und schließlich hat er doch noch den Tod gefunden, dem er erst aus dem Weg hatte gehen wollen. Wahrscheinlich ist er im Jahre 64 bei der Christenverfolgung durch Kaiser Nero in Rom gekreuzigt worden. In dem Buch und Film „Quo vadis“ wird das ja weiter ausgesponnen: Petrus will die Stadt verlassen, aber da begegnet ihm Jesus und fragt ihn: „Wohin gehst du?“ Da kehrt Petrus wieder um und nimmt das Kreuz auf sich.

Die Gemeinde weiß: Diesmal ist Petrus fest geblieben. Als junger Mann hat er noch über sich selbst verfügen wollen. Nun aber wird über ihn verfügt: Ein anderer hat ihn gegürtet und geführt, wo er nicht hin wollte. Wer selbst Pläne macht, mag nicht gern vom Gehorsam hören. Aber wer sich von Christus in Dienst stellen läßt, der wird von Station zu Station geführt. Das heißt nicht, daß man sich treiben lassen soll. Aber den allzumenschlichen Eigenwillen und die eigensüchtigen Wünsche muß man drangeben. Aber der uns führt, wird auf jeden Fall ein guter Hirte sein.

Man kann leicht fordern, ein jeder Christ müsse sein Kreuz auf sich nehmen und notfalls auch für seinen Glauben in den Tod gehen. So kann man reden, solange man noch mit der Möglichkeit rechnet, am Leiden vorbeizukommen. Aber keiner von uns muß wohl den Märtyrertod erwarten. Aber es könnte schon sein, daß man gerade durch schwere Ereignisse besondere Erfahrungen mit Gott macht und sogar zum Lob Gottes geführt wird.

Petrus jedenfalls darf die Erfahrung machen: Wenn Jesus ihn wieder in sein Amt einsetzt, dann macht er ihn auch dazu fähig. Er läßt seinen Helfer nicht allein, sondern steht ihm mit Rat und Tat zur Seite. Jesus ist der gute Hirte, der für die Gemeindeglieder und auch für die Leiter der Gemeinde da ist. E r ist es, der jedem an seinem Ort die Kraft gibt für den Auftrag.

Wenn man Konfirmanden fragt: „Wer ist denn das Haupt der Gemeinde?“ dann kommt oft die Antwort: „Der Pfarrer!“ Aber Jesus versteht es hier anders. Er sagt zu Petrus: „Weide meine Lämmer!“ Sie gehören also ihm, und Petrus ist nur ein Angestellter des Oberhirten Jesus. Sein Auftrag geht nur solange, wie Jesus ihn in diesem Amt haben will. Die Gemeinde gehört nicht dem Pfarrer oder sonst einem Gemeindeleiter, sondern Christus. Es geht nicht um das Leiten, sondern um das Weiden, d.h. um Fürsorge und Schutz vor äußeren Gefahren und innerer Zersetzung.

Der Herr regiert die Gemeinde - durch das Amt in der Gemeinde. Das „Weiden“ aber geschieht allein durch die Gnadenmittel, durch die Predigt, die Darbietung der Sakramente und die Lossprechung von Sünden. Das gepredigte Wort bindet auch den Prediger. Geistlich regiert werden kann die Kirche nur im völligen Gehorsam gegenüber dem Herrn der Kirche, der auf alle Eigenmächtigkeiten verzichtet.

Der mit der Leitung Beauftragte ist dennoch immer ein Sünder. Oft wird es immer noch anders gesehen: Wer in der Kirche eine Funktion hat, muß etwas anderes sein als die üblichen Christen; wenn er sich dann etwas zuschulden kommen läßt, wiegt das weit schwerer als bei anderen. Dabei ist er auch nichts anderes als ein begnadigter Sünder. Christus baut seine ganze Kirche aus lauter Sündern und Versagern. Auch die Pfarrer und sonstigen Gemeindeleiter sind davon nicht ausgenommen.

Der Pfarrer ist nicht der Trainer, sondern bestenfalls der Spielführer der Mannschaft. Er spielt selber mit und ist nicht mehr als die anderen Spieler auch. Vielleicht hat er eine besonders wichtige Aufgabe. Aber er ist dabei doch voll und ganz auf die anderen Mitspieler angewiesen. Wenn einer alles allein schaffen will, rennt er sich meist in der gegnerischen Abwehr fest. Nur gemeinsam kann man die anderen ausspielen und dann auch gemeinsam zum Erfolg kommen.

Auch ein Pfarrer macht natürlich einmal Fehler. Und je länger er in einer Gemeinde ist, desto mehr Leute werden vielleicht auf ihn schimpfen. Vielleicht hat er ihnen im Gehorsam gegen den Herrn der Kirche einen Wunsch nicht erfüllt, zum Beispiel eine Patenbescheinigung

versagt. Vielleicht hat er sich auch wirklich einmal geirrt und die Schuld liegt bei ihm. Wer nichts macht, der macht auch keine Fehler. Aber wenn etwas passiert ist, geht die Welt noch nicht unter.

Es kann doch einmal eine Predigt oder ein Gottesdienst schlecht gewesen sein. Aber deswegen muß man doch am nächsten Sonntag wieder auf die Kanzel steigen und Gottes Wort verkünden. Was ein echter Fußballanhänger ist, der geht jeden Sonntag auf den Sportplatz,

bei Wind und Wetter, und auch wenn ein Spiel einmal schlecht war. Und was ein echter Christ ist, der läßt sich auch nicht abhalten, wenn er einmal enttäuscht wurde oder sonst einen Ärger hatte. Alle zusammen, Pfarrer und die anderen Gemeindeglieder, kämpfen um den Sieg. Die Mannschaft soll gut abschneiden und der Trainer hinterher zufrieden sein. Er braucht alle für den Dienst in der Gemeinde!

 

 

 

 

 

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