Eine bebilderte Datei finden Sie, wenn Sie auf denne folgenden Link klicken:

 

            https://1drv.ms/b/s!Ak43WsGt13mFmmwxFU1exvyP51lG?e=HZLXkT

 

 

 

Weihnachten

 

 

Allgemeines

 

Wie Weihnachten entstand

Es hat mehrere Jahrhunderte gedauert, bis sich Weihnachten als kirchliches Fest in der Gemeinde eingebürgert hatte. Denn man hatte weniger Interesse an der Tatsache der Geburt Christi als am Zeugnis seiner Auferstehung. Lane Zeit hielt man die Feier des Geburtstages Jesu für Unrecht: Nicht der vergangene irdische, sondern der lebendige gegenwärtige Herr sollte als Herr der Kirche angerufen werden.

Die Feier des Geburtstages Jesu wurde zuerst in Ägypten festlich begangen, wahrscheinlich schon im Anfang des 4. Jahrhunderts. Aber hier feierte man den 6. Januar als Tag der Geburt (so wie heute noch in den Ostkirchen).

Erst in Rom legte man die Feier auf den 25. Dezember. Dieser Tag wurde schon in heidnischer Zeit als großer Festtag begangen. Man verehrte ja die Sonne als eine Gottheit, die Licht und Wärme schenkt. Wenn die Sonne am tiefsten steht und der Eindruck besteht, sie könnte vielleicht ganz hinter dem Horizont verschwindet,

wird sie beschworen, doch wiederzukommen. Sieben Tage lang feierte man vom 17.bis 23. Dezember das Fest der „Saturnalien“. Es wurde getanzt, gegessen und getrunken, man schenkte sich Wachskerzen und Puppen. Damit wollte man dem Gedanken Ausdruck verleihen, daß das Gute über das Böse gesiegt habe. Als Julius Cäsar im Jahre 46 vCh den babylonischen Kalender einführte, fiel der Geburtstag des unbesiegbaren Sonnengottes auf den 25. Dezember.

Mit der Verlegung des Geburtsfestes Christi auf diesen Tag wurden die heidnischen Bräuche sozusagen getauft: Sie wurden weiter geübt, erhielten aber eine christliche Bedeutung. Es kamen aber auch neue Gebräuche mit christlichem Ursprung hinzu: Im Jahre 354 wurde ein Krippe aus Bethlehem nach Rom gebracht und von dem Bischof vor Rom in der Kirche Santa Maria Maggiore aufgestellt und geweiht. Es soll die Krippe gewesen sein, in der Jesus einst gelegen hatte In dieser Zeit gab es in Italien schon Krippendarstellungen in Kirchen und Bürgerhäusern und sogar Krippenspiele.

Franz von Assisi belebte im Jahre 1223 diese Sitte neu, indem er eine Krippe mit Heu und Stroh und einem aus Ton gekneteten Kind darin auf einer Lichtung im Walde aufstellen ließ: Die Weihnachtsfeier an dieser Krippe hinterließ bei der Bewohnern der Gegend einer tiefen Eindruck.

Auch im germanischen Heidentum  war die Zeit um den 25. Dezember eine besondere Zeit, die Zeit der geweihten Nächte. In den langen Dezembernächten soll Wodan mit seinem wilden Heer sein Unwesen treiben und zum Beispiel die Wäsche zerreißen, wenn diese noch auf der Leine hängt. Seine Gestalt ist vielfach zum Vorbild für Knecht Ruprecht geworden, den Begleiter des Nikolaus.

 

Das Christkind ist eine Erfindung der Reformation:

IEin Weihnachtsfest ohne Geschenke ist für die leisten unvorstellbar. Zu keiner Zeit des Jahres wird derart viel Geld ausgegeben, um anderen eine Freude zu machen. Doch woher stammt der weihnachtliche Brauch des Schenkens? Auf jeden Fall licht vom Weihnachtsmann. Weihnachten gilt vielen Menschen heute vor allem als Fest des Schenkens. Woher kommt der Brauch: Es gibt nur wenige Fragen, die so kompliziert sind wie die nach der Entwicklung des Weihnachtsfests. Es gibt so viele Weihnachtsbräuche und so viele historische Entwicklungen, dass man schnell nicht mehr durchblickt.

Dass wir uns zum Weihnachtsfest Geschenke machen, kommt vom heiligen Nikolaus, dem berühmten Bischof von Myra, der im Übergang vom 3. zum 4. Jahrhundert in der Nähe von Antalya in der heutigen Türkei lebte. Sein Namenstag ist der 6. Dezember. Um Nikolaus ranken sich viele Legenden. So soll er immer wieder Kinder beschenkt haben - das machen wir zu Weihnachten bis heute.

Häufiger als vom Nikolaus ist heute die Rede vom Christkind, das die Geschenke bringt. Wie kommt das? Das Christkind ist eine Erfindung der Reformation. Das begann im 16. Jahrhundert. Nikolaus wurde als „Heiliger“ verehrt. Das geht nach evangelischem Verständnis natürlich nicht. Danach sind vielmehr alle Christen „Heilige«“ so wie es schon in den Briefen des Paulus zu lesen ist.

Was tat man also? Den Brauch einfach abzuschaffen und den Menschen das Schenken zu verbieten, ging natürlich nicht. Also wanderte der Brauch des Geschenkemachens allmählich auf den Heiligen Abend beziehungsweise auf das Weihnachtsfest. So wurde das Schenken mit der Geburt des Christus verbunden - oder volkstümlich gesprochen: mit Jesus als dem „Christkind“.

Noch erfolgreicher hat sich als Geschenkebringer allerdings der Weihnachtsmann behauptet. Hat der einen Bezug zum christlichen Weihnachtsfest? Nein, überhaupt nicht. Er ist eine vom religiösen Bezug losgelöste verhältnismäßig junge Figur Der rauscht mit dem Rentierschlitten und dem Geschenkesack ist eine vom religiösen Bezug losgelöste, verhältnismäßig junge Figur. Entstanden ist sie wohl im 19. Jahrhundert.

Mit den Coca-Cola-Kampagnen seit den dreißiger Jahren wurde er immer beliebter. Und dabei rückte immer mehr der Konsum in den Vordergrund so sehr, dass der ursprüngliche christliche Bezug der Weihnachtsgeschenke heute manchmal kaum noch zu erkennen ist (G+H,2022).

 

 

 

Gott wohnt unter uns

Der Mensch braucht ein Dach über dem Kopf:

Der Mensch muß eine Behausung haben, sei es Höhle oder Hochhaus, Dorf oder Satellitenstadt oder auch nur ein Stück Pappe. Weichen Stellenwert das Wohnen für die Menschen hat, zeigt oft das Haus.  Es  gibt Zuflucht, Seßhaftigkeit, Heimat Geborgenheit, Sicherheit, Verwurzelung, Eigenbereich, Beziehung zu einem Ort und zu Menschen.

Wo ich wohne‚ bin ich ein Mensch. Wohnen ist ein elementares Grundbedürfnis, so wie essen und trinken, sich kleiden und mit anderen Menschen zu sprechen. Die Wohnung ist der Ort, wo sich viele Dinge befinden, die ich zum Leben brauche. Dort befindet sich die Familie, dort fühlen wir uns wohl, dort können wir tun und lassen, was wir wollen. Aber dort sind auch Menschen, die mich brauchen und mir Aufgaben stellen. Andere  Menschen können sich dort auch wohlfühlen. Ihn kann sie dorthin einladen. In der Wohnung fühle ich mich sicher, aber eines Tages werde ich sie auch einmal verlassen müssen.

Im Allgemeinen kommt man in einem Haus zur Welt. Gerade als Kind brauchen wir ein Dach über dem Kopf. Dort erfährt es eine intensive Pflege, um überleben zu können. Doch auch der Erwachsene ist nicht weniger auf ein Haus angewiesen, sei es auch nur ein Hotelzimmer, eine Notwohnung, ein Nomadenzelt oder ein Zirkuswegen. Kein Mensch kann auf die Dauer un­terwegs leben, er braucht einen festen Platz  in dieser Welt.

Menschen sind eigentlich schutzloser als jedes Tier. Unsere Instinkte reichen nicht aus, um uns vor Gefahren zu warnen: darum brauchen wir vier Wände um uns herum. Unsere Haut wärmt uns nicht genug: darum brauchen wir Kleider und einen Ort, der uns vor Kälte und Hitze schützt. Auf die Dauer können wir nicht von rohen Speisen leben: darum brauchen wir einen Herd  zum Kochen und Wärmen. Wir benötigen einen Raum, wo wir das Nötigste zum Leben unterbringen können und wo ein Mensch mit uns wohnen  kann.

Das Haus soll zum Heim werden .Kahle Wände werden gestaltet und persönliche Dinge in die Räume gestellt. Dort kann man „zu Hause“ sein. Dort kann man entspannen und ausruhen. Dort gewinnt die Liebe zwischen Eltern und Kindern Gestalt, dort wird gelacht und geweint, dort ist der geeignete Ort für Gespräche unter vier Augen. Dort geschieht Erziehung und die Grundlagen für die Bewältigung des Lebens werden gelegt.

Aber die Heimat legt mich auch fest und setzt meiner Freiheit gewisse Schranken. Es haftet mir an, woher ich komme, wie ich spreche und lebe. Dazu gilt es „Ja“ zu sagen und offen für Begegnungen mit anderen zu sein.

Zu kleine Wohnungen sind oft Ursache von Streit, Familienzerrüttung und Ehescheidung. Unwohnliche Verhältnisse tragen oft dazu bei, daß Menschen aus der Bahn geworfen werden und zu Asozialen werden. Dagegen können zu große Wohnungen zu Nachlässigkeit und Gleichgültigkeit verleiten und ebenfalls schädigende Einflüsse auf eine Gemeinschaft ausüben. Gut ausgestattete 'Wohnungen können auch durchaus Kälte ausstrahlen und unpersönlich wirken.

Doch das Sprichwort „Raum  ist  in der kleinsten Hütte“ ist Wirklichkeit bei gastfreundlichen Menschen. Der Geist in einer Wohnung hängt von dem Leben ab, das in ihr gelebt wird. Früher war man seßhafter als heute. Manche Häuser wurden mehrere Generationen hintereinander von einer Familie bewohnt. Mußte man den Ort wechseln, so überlegte man sich das sehr genau. Heute ruft uns die Arbeit an die verschiedensten Plätze. Stadtplanung und früher auch das Wohnungsamt bestimmen, wo wir wohnen. All das beeinflußt unser Leben, das Reifen der Kinder, die Gemeinschaft mit anderen, unser Heimatgefühl.

 

Vom Bauen und Wohnen:

Der Menschbaut um zu wohnen. Viele wagengroße Anstrengungen, Zeit und Nervenkraft, die eigene Gesundheit und das nötige Geld, um eine geeignete Wohnung zu bauen. Bauen weist  in die Zukunft. Jahrzehnte soll bestehen, was errichtet wurde. Man baut zunächst nur für sich, aber die zu schaffende Heimat soll noch in vielen Jahren ein Ort der Freude für Kinder und Enkel sein.

Aber man kann nicht auf jeden Fall für Generationen bauen. Wertvolle Häuser und blühende Städte sind verfallen. Mancher sparte sein Leben lang und gab das Letzte für sein Haus, aber keins der Kinder wollte es. Deshalb baut man erst einmal für sich und man zieht auch eher einmal um, wenn Beruf oder andere Gründe es fordern. Aber für ein Erbe aus der Vergangenheit sind wir auch dankbar.

Man kann aber auch beim Bauen  übertreiben. Da müht sich einer unter Aufbietung aller seiner Kräfte und Möglichkeiten ab, um etwas Besseres zu erbauen, als andere es haben. Sein Haus wird zu einem Denkmal, zu einem Symbol seiner selbst und verschafft ihm die vielleicht sonst fehlende Bestätigung und Anerkennung. Aber mancher hat sich dabei übernommen und stand am Ende seines Bauens vor der Ruine seiner Ehe oder Familie.

Am Bauen kann man ablesen, wie einer sich eingerichtet hat in der Welt, welches sein Standort ist. Auch an der Frage nach dem Verhältnis zu Gott kommt man nicht vorüber. Im Neuen Testament meint das griechische Wort für Haus meint auch die Familie und alle, die mit im Hause wohnen. Man spricht im übertragenen Sinn vom „Bauen der Gemeinde“.

Aber die Bibel lehrt uns auch, auf die Spannung zu sehen. Einerseits heißt es in 1. Mose 1,28 und 2,15: „Macht euch die Erde untertan. Der Mensch soll die Erde bebauen und bewahren!“ Andererseits aber heißt es auch Hebr. 13,14: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir!“ Diese Spannung könnte uns helfen, unsere Möglichkeiten nicht zu überschätzen und unsere Grenzen zu erkennen.

Eine endgültige Heimat können wir nicht bauen und schaffen. Wir sind im Leben niemals endgültig daheim: Wir sind immer unterwegs, auch wenn wir zeitlebens in unserer Heimat bleiben. Im Wandern vom Ergreifen zum Loslassen unserer Heimat leben wir.

 

Auch Gott wohnt!

Von Gott können wir nur menschlich reden. Zu diesem menschlichen Reden gehört auch die Rede vom Wohnen Gottes. Besonders an Liedern wird das deutlich: „Gott will im Dunkel wohnen“ (EG  16,5). „Herr, komm in mir wohnen“ (EG 165,8), „Laß uns deine Wohnung sein“ (EG 130,1), „Wo du Wohnung hast genommen“(EG 166,2), „Wie lieblich schön, Herr Zebaoth, ist deine Wohnung“ (EG 282,1).

Die Bibel hat unterschiedliche Vorstellungen und Bilder vom Wohnen Gottes:

Garten (1.Mose 2): Gott wohnt nicht im Garten, aber er ist da, er geht umher, ist Gesprächspartner und Gegenüber, dem Menschen noch ganz nah.

Himmel: Dort hat Gott seinen Thron, von dort schaut er herab und kommt herab. Den Menschen zuliebe hat er ihn verlassen in Christus. Dieser ist wieder in den Himmel zurückgekehrt, um von dort aus seine Herrschaft auszuüben. Er ist auch ewige Wohnung der Menschen.

Zelt Das Zelt ist Sinnbild des Unterwegseins. Es läßt sich aufbauen, wo Platz dafür ist und wo man bleiben möchte. Kirchen werden manchmal in Zeltform errichtet, um daran zu erinnern, daß Gottes Volk unterwegs ist. Als das Volk Israel seßhaft wurde, verschwand auch das Zelt als Wohn- oder Begegnungsort Gottes.

Lade: Das wandernde Gottesvolk folgte der Bundeslade, die später in den Tempel überführt wurde. Sie enthielt die steinernen Tafeln der Offenbarung Gottes. Deshalb war er dort selber gegenwärtig.

Tempel: Zelt und Lade wurden in den Tempel umquartiert. Die segnende Gegenwart Gottes wurde an den Tempel gebunden .Gott wähnt zwar im Himmel, aber Gott kommt herab in sein Haus und sein Name wohnt dort fast wie ein selbständiges Wesen (5 Mose 12,5..11.21 und 14,24).

Berg Zion: Die Überlieferung vorn Zion als Gottesberg bestätigt Gottes Bund mit David. Gott hat die Feinde des Zionberges abgewiesen und auf dem Berg Wohnung genommen. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Hügel in Jerusalem als „Zion“ bezeichnet. Wahrscheinlich sind alte Vorstellungen übernommen worden, die nicht immer mit den lokalen Gegebenheiten übereinstimmen.

Stadt: Die Christen hoffen auf ein neues Jerusalem, in dem Gott wohnt und wo es Leid und Geschrei nicht mehr gibt. Alle Häuser, die wir bauen und in denen wir leben, sind Stationen auf dem Weg zu dieser neuen Stadt.

 

Gott wohnt unter uns!

Zum Bild unser Dörfer und Städte gehört auch die Kirche, Gottes Haus. Bis ins vorige Jahrhundert gehörte die Kirche notwendig mit zu einer Wohngemeinschaft von Menschen hinzu. Doch selbst heute werden noch neue Kirchen gebaut. Ein Kirchenbau hat einen sichtbaren und einen unsichtbaren Bauherrn: Die Gemeinde und der Gottesdienst sind der die äußere Gestalt gestaltende Bauherr. Den Gottesdienst aber bestimmt der unsichtbare Bauherr, bestimmt Gott selbst.

Es gibt auch sogenannte „Touristenkirchen“. Sie üben eine Anziehungskraft auf Menschen jeder Art aus, wenn sie auch meist nur als Kunstdenkmäler angesehen werden. „In der Kirche ist es so feierlich“, sagt man. Dahinter verbirgt sich der Wunsch nach stillem Verweilen, auch die Sehnsucht sich selbst zu finden und von jemandem verstanden zu werden, und sei es von dem „unbekannten Gott“. Für manchen mag die Kirche auch Ort romantischer Erbauung sein, denn sie ist Anziehungspunkt für Musikliebende. Da öffnet sich dann auch Gottes Haus für unsere Welt, da werden die Türen aufgetan und Erlebtes wird mitgenommen.

Die Kirche war für Generationen vor uns der Ort, der sich mit ihrer Taufe, Trauung, und Tod  verband. Sie ist die „Lokalisierung“ der Stationen des Lebens. Für viele Christen verbindet sich auch heute noch mit dem Haus Gottes Entscheidendes. Im 1. Petrusbrief wird von der Gemeinde gesprochen als dem Haus der lebenden Steine. Die Gemeindeglieder sind die lebendigen Steine, die zum geistlichen Haus zusammengefügt sind, weil Christus selbst der lebendige Stein ist, sowohl Fundament als auch Eckstein (bzw. Schlußstein eines Gewölbes).

Gott sucht aber eine echte Herberge bei den Menschen. Nur wenn Menschen ihm mit ihrem ganzen Herzen dienen, will er bei ihnen wohnen. Deshalb gehört in das Bild von den „Wohnungen“ Gottes

Wo Gott wohnt, da ist er nicht Zuschauer, sondern da ist er zu Hause. An Weihnachten ist Gott „ganz  unten“ angekommen. Gott schlug sein Zelt (Joh 1,14) nicht abseits, sondern mitten unter uns auf. Das ist der Zielpunkt der Menschlichkeit Gottes. Wo Menschen wohnen ist Gott jetzt nahe: in Freude und Leid, in Schmerz und Krankheit, in den Beschwerden des Alters und in der Frische der Jugend.

Wo Menschen unterwegs und unbehaust sind, da ist Gott mit ihnen. Wo Menschen ausgestoßen werden und sich verloren fühlen, da gibt sich Jesus für sie verloren und rettet sie damit aus der Verzweiflung heraus.

 

 

Andacht: Sach 2, 14-17

Jüngere Leute leben oft gern dort, wo etwas los ist, wo man viele Anregungen hat, wo man etwas kaufen kann. Manche wollen aber auch viel Auslauf für die Kinder, wollen lieber auf dem Land leben, wenn auch nicht gerade in einem gottverlassenen Nest.

Für ältere Leute ist es eher wichtig, dort zu wohnen, wo man andere Menschen kennt und wo man sich zurechtfindet. Viele möchten nicht in einem Heim wohnen, wo man von Gott und der Welt verlassen ist, sondern lieber mit den Menschen verschiedener Generationen Kontakt haben.

Der Prophetenspruch aus dem Buch Sacharja besagt: Gott wählt sich eine Wohnung, auch wenn es ein wenig attraktiver Ort ist, den er sich ausgesucht hat. Das Leben in Jerusalem war zu Beginn der persischen Oberhoheit noch mühsam und kümmerlich. Doch die politischen Umwälzungen trugen dazu bei, daß neue Hoffnungen aufkeimten. So traten kurz nacheinander im Jahre 520 die Propheten Haggai und Sacharja in Jerusalem auf.

Haggai weist nachdrücklich darauf hin, daß der Tempel wieder aufgebaut werden muß. Erst wenn dies geschieht, wird Gott der Stadt wieder seinen Segen zuwenden. Seine Hoffnungen knüpft er an den Statthalter Serubabbel, einen Enkel des letzten Königs aus dem Hause Davids.

Die einen engagieren sich für den Tempelbau. Die anderen sind mit dem täglichen Durchkommen beschäftigt. Als man mit dem Aufbau des Tempels begonnen hat, meldet sich der Prophet Sacharja zu Wort. Auch er sieht einem erneuten Kommen Gottes zu seinem Volk entgegen. Auch er stellt Serubbabel ein messianisches Amt in Aussicht. So kärglich die Verhältnisse auch noch sind: Gott kommt in diese Verhältnisse hinein. Jetzt ist die Heilszeit, die Zeit der Wende. Das gilt es zu erkennen.

Dann ist natürlich auch die Aufforderung zur Freude verständlich. Wenn Gott im Kommen ist, wie sollte da die Einwohnerschaft Jerusalems (die „Tochter Zion“) nicht fröhlich sein? Seit alten Zeiten gab es die Vorstellung, daß Gott auf dem Zion als dem Gottesberg Wohnung nimmt.

Nun ist die Zeit der Gefahr und des Unbehaustseins zu Ende, weil Gott in der Mitte seines Volkes wohnen wird. Er wählt diese Wohnung wieder, obwohl alles noch so kümmerlich aussieht .Gegen den Augenschein verkündet der Prophet den Anbruch der Heilszeit.

Die Wohnung Gottes wird  offensein. In dem vorangegangenen Nachtgesicht wurde Sacharja mitgeteilt, daß Jerusalem keine Mauern brauchen wird, denn Gott selbst schützt die Stadt. Die Völker werden sich Gott zuwenden. Neue Beziehungen werden von dort ausgehen, wo Gott Wohnung genommen hat

Was Sacharja verkündete, ist nicht eingetroffen. Zwar wurde der Tempel gebaut und die Gemeinde festigte sich. Aber die Heilszeit stand noch weiterhin aus. Dennoch hat die Gemeinde des alten Bundes diese Prophetie nicht als Betrug angesehen, sondern aufgehoben für kommende Generationen. Die Verheißungen Gottes sind als so weiträumig erfahren worden, daß sie mit keiner der zeitlichen und teilweisen Erfüllungen in Deckung gebracht werden konnten.

Wenn wir als Christen den Satz hören: „Siehe, ich komme und will bei dir wohnen“, dann fallen uns gleich Bibelsprüche ein wie: „Er kam in sein  Eigentum und die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1,14) oder „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns!“ (Joh 1 ,14). Doch

wissen wir zugleich: Auf das endgültige Kommen des Herrn, auf das Wohnen in unserer Mitte, müssen wir noch warten.

In dem Menschen Jesus von Nazareth hat Gott schließlich mitten in den menschlichen Lebensbezügen Wohnung genommen. Wir wissen, wie das ausging. Aber wir wissen auch, daß sich das Leben veränderte für die, die ihn aufnahmen. Es veränderten sich die Beziehungen,

es wurde etwas neu. Nun können wir davon ausgehen, daß wir auch dort nicht „gottverlassen“ sind, wo wir uns so vorkommen. Gott will über all bei uns sein, auch am ungeliebten Ort  Dadurch wird sich etwas ändern.

 

 

Weihnachtsbräuche

 

Man hört immer wieder die Klage, daß Weihnachten zu einem Volksfest- und Freßfest geworden sei, das nichts mehr mit unserer Botschaft zu tun habe. Einige wollen deshalb alles wegfallen lassen, was mit der Botschaft nichts zu tun hat: Das beginnt beim Weihnachtsbaum und endet bei den Geschenken.

Unsere Vorfahren aber wußten etwas von der tieferer Bedeutung der Weihnachtsbräuche. Sie haben sich auch nicht gescheut, übernommenen Bräuchen nachträglich einen christlichen Sinn zu geben. Manches wirkt dabei sehr gewollt, aber es kann dennoch zum Hinweis auf die eigentliche Botschaft werden.

Erich Kästner hat einmal gesagt: „Der Kopf will das Neue, das Herz will immer dasselbe!“  Wir sollten die Bräuche beibehalten. Aber wir haben zu fragen: „Sind sie förderlich oder hinderlich für eine Begegnung mit der Botschaft? Suche ich nur einige ruhige Feiertage, oder wird mein Leber von dieser Botschaft beeinflußt?“ Weihnachten  ist ja nicht nur ein Erinnerungsfest an ein Ereignis aus der Vergangenheit („Geburtstag“ des Christkindes), sondern es will uns deutliche machen, daß Jesus Christus immer zu uns kommt.

 

Die Bedeutung der Adventssonntage

Jedes Jahr freuen wir uns auf die Adventszeit. Und dann sind wir erschrocken, wie schnell sie uns unter den Händen entgleitet. Vieles ist nichts geworden, das wir uns vorgenommen hatten. Heimlich seufzend nehmen wir uns vor: Im nächstem Jahr machst du es besser! Aber leicht wird die Stimmung der Vorweihnachtszeit überspielt von Unruhe und Hetze. Bei uns Christen ist das nicht anders.

In Zeitungen und Zeitschriften wird gelegentlich ein „Fahrplan für die Adventswochen“ abgedruckt. Darin wird vorgeschlagen, wie man die verschiedenen Festtagsvorbereitungen staffeln soll, damit man mit allem durchkommt. Wir wollen einmal diese weltliche Seite gegenüberstellen mit dem christlichen Sinn der Adventssonntage.

 

Erster Advent:  „Siehe, dein König kommt zu dir!“ (Sach 9,9)

In der ersten Woche stellt man die Weihnachtspakete für die auswärtigen Verwandten und Freunde zusammen, verpackt sie und bringt sie zur Post. Vor allem Pakete ins Ausland müsse- spätestens zu diesem Zeitpunkt abgeschickt werden. Man kann aber auch schon Weihnachtsbriefe sehreiben, dann aber erst kurz vor Weihnachten abschicken. Die Kinder werden ihre Wunschzettel schreiben. Und die Eltern werden sich überlegen, ob auch für alle Geschenke da sind, die man beschenken will. Auch für das Weihnachtsgebäck sollte man sich jetzt schon die Zutaten besorgen.

Der Wochenspruch aber sagt uns: „Siehe, dein König kommt zu dir!“ Ein König war früher das Oberhaupt eines Staates, ihm gebührten Gehorsam und Treue. Aber umgedreht war er auch zur Treue seinem Volk gegenüber verpflichtet. Das Volk Israel hatte aber schlechte

Erfahrungen mit seinen Königen gemacht. Deshalb hoffte man sehnsüchtig auf einen König, den Gott verheißen hatte.

Sacharja sagte einen solchen König an, der die Feinde Jerusalems besiegen würde. In seine Stadt aber würde er als ein Gerechter kommen. Er wird der Menschen von Jerusalem helfen in allen ihren Nöten, er wird ein guter und gerechter Herrscher sein.

Jesus hat diese Verheißung aufgenommen, als er auf einem Esel in Jerusalem einzog. Er erhob damit den Anspruch, der verheißene König des Volkes Israel zu sein. Er läßt sich die Huldigung des Volkes gefallen und mit dem alten Königsgruß grüßen. Aber es ist auch ein Ritt in den Tod, in Verachtetsein und Ausgestoßensein.

Symbol dafür ist die Krone mit dem Kreuz und den Strahlen .Jesus hat ja auf seine Königswürde verzichtet und ist als Verbrecher ans Kreuz gegangen. Aber dennoch war er ein wahrer König, nicht ein König nach dem Geschmack der Welt, aber nach dem Willen Gottes (Lk 21,28 b)

 

Zweiter Advent: „Erhebt eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht!“

In der zweiten Woche ist die Weihnachtsbäckerei fällig. Auch der Christbaumschmuck sollte einer Inspektion unterzogen werden; Kerzen müssen gekauft werden. Die Einkäufe müssen getätigt werden, sowohl die Geschenke als auch zum Teil die Lebensmittel und Getränke. Wenn man hier mit Ruhe vorgehen kann, hat das etwas für sich.

Der Wochenspruch aber sagt uns: „Erhebt eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht!“ Den Kopf läßt man sinken, wenn man traurig ist oder etwas Schlechtes getan hat. Aber wenn ein Mensch zu uns sagt: „Kopf hoch!“ dann hilft das meist nicht viel. Aber wenn Jesus kommt, dann dürfen wir den Kopf heben, weil dann unsre Erlösung naht.

Die Botschaft des zweiten Advent redet vom  Ende der Welt, das ein ungeheures Ausmaß haben wird: Erde und Himmel werden sich bewegen, Zeichen werden am Himmel erscheinen, es wird eine Zeit der Angst und Not sein. Gott will allerdings, daß zuvor allen Menschen die Rettung angeboten wird. Erst wenn das Wort Gottes seinen Gang durch die Völker vollendet hat, ist die Zeit für ein abschließendes Wort Gottes da. Dann gilt nur, was Gott sagt. Er wird zugleich der Richter  und der Retter  sein. Deshalb können wir den Kopf heben. Gerade wenn die Zeit so schwer und kaum zum Aushalten ist, dürfen wir auf der sehen, der zu unserer Erlösung kommt.

Das Symbol dafür ist das helle Kreuz über dem dunklen Kosmos. Die dunklen Gestirne zeigen die Erschütterung der Welt. Das in Umrissen angedeutete Kreuz zeigt Jesus als den Auferstan­denen, der als Richter und Retter kommt. Wann das ist, können wir nicht wissen. Es kann

aber jederzeit sein. Aber er ist schon so nahe, daß man sich darauf freuen kann.

 

Dritter Advent: „Bereitet dem Herrn den Weg!“ (Jes 40,3)

In der dritten Woche veranstalten die meisten Hausfrauen einen großen Hausputz. Aber an den Feiertagen gibt es gewöhnlich mehr Dreck in der Wohnung als sonst. Deshalb wäre es doch sinnvoller, erst nach dem Fest einen größeren Putz zu machen. Besser ist es, man überprüft noch einmal, ob auch nichts vergessen ging. Jetzt ist noch Zeit, Versäumtes nachzuholen.

Der Wochenspruch sagt jedoch: „Bereitet dem Herrn der Weg!“ Wenn lieber Besuch erwartet wird, dann setzen wir viel Zeit und Kraft für die Vorbereitung ein, damit alles schön in Ordnung ist. Wenn Gott kommen will, dann können wir nicht bleiben, wie wir sind: gleichgültig gegenüber Gott, gedankenlos gegenüber dem Nächsten, empfindlich und wenig zum Verzicht bereit.

Der Prophet  Jesaja  hat mit diesem Wort sein Volk aufgefordert, dem kommenden Herrn freie Bahn zu schaffen. Auch die Heiden der Weltstadt Babylon sollten die Herrlichkeit Gottes sehen. Damit er aber schnell kommen kann, muß die Straße in Ordnung gebracht werden, müssen alle Löcher und Buckel beseitigt werden, damit er nicht wieder umkehrt oder aufgehalten wird.

Johannes der Täufer sollte den Weg für Jesus vorbereiten. Er forderte dazu auf, das Leben total zu ändern und dem Herrn den ersten Platz im Leben zu geben. Dabei weist er auf den hin, der in unserem Leben einen neuen Anfang machen will. Jesus hat nicht die Bösen gestraft, sondern er wollte helfen damit Wollen und Tun der Menschen neu werden. Johannes kam ins Gefängnis, und Jesus schien keine Macht zu haben, um ihn zu befreien. Da meinten viele, auch Johannes hätte sich geirrt gehabt. Und doch war in Jesus der Heiland gekommen, der das Reich Gottes auf die Erde gebracht hat.

Symbol dafür ist das Kreuz mit dem Herz. Dabei zeigt das Herz an, wovon ein Mensch bewegt wird und wovor nicht. Ein Kreuz geht hindurch und noch darüber hinaus. So kam Jesus Christus, um unsere verkehrte Art ans Kreuz zu tragen. Seine Liebe und sein Erbarmen waren größer als unser Versagen. Er ist größer als unser Herz. Wir sollen ihn nicht am Rande stehen lassen, sondern in die Mitte holen.

 

Vierter Advent: „Freuet euch! Der Herr ist nahe!“ (Phil 4,5)

Einen Tag vor dem Heiligen Abend wird dann das eigentliche Fest  so weit wie möglich vorbereitet. Dazu gehört vor allem auch das Essen. Auf diese Weise läßt sich vielleicht sogar erreichen, daß das Weihnachtsfest für die geplagte Hausfrau nicht erst am Abend des zweiten Feiertages beginnt, sondern schon am Heiligen Abend.

Der Wochenspruch sagt uns: „Freuet euch, der Herr ist nahe!“ Vor Augen steht an diesem Sonntag besonders das Kind von Bethlehem. Ob es wohl freudig erwartet worden ist von seinen Eltern? Nicht jedem neugeborenen Kind kann man ja ansehen welche Rolle es einmal im Leben spielen wird. Manches Kind wird mit viel Liebe und Freude erwartet, manches aber auch verzweifelt abgelehnt.

Vom Jesuskind aber wurde schon vorher gesagt, wozu es von Gott bestimmt ist (Lk 1,32f). Es wird seinen Platz nicht bei den Starken und Mächtigen haben, sondern nach den Geringen und Unterdrückten fragen. Gott fragt nicht nach denen, die Erfolg haben, sondern ob man ihn sucht oder braucht. Er kommt zu denen, die auf ihn warten und wissen, daß sie vor ihm ohne Verdienst und Würdigkeit sind.

Das hat besonders Maria erfahren. Ihr wird die Geburt eines Kindes angekündigt, in dem die Gnade Gottes auf die Welt kommt und am Kreuz verwirklicht wird. So sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen einzigen Sohn für sie hergegeben hat.

Das Symbol  dafür ist das Kreuz mit der Mondsichel. Seit alten Zeiten ist die Mondsichel das Zeichen der Maria (übernommen von der „großen Mutter“ des Mittelmeerraumes). Was wie ein „X“ aussieht, ist das „CH“ (Chi-Rho) aus dem griechischen Alphabet, also die Anfangsbuchstaben des NamensChristus. Das Kreuz aber ist das Zeichen der Barmherzigkeit Gottes. So bedeutet das Symbol: Jesus Christus wird als Mensch von Maria geboren. Er wird sein Leben einsetzen für die Schuldiggewordenen und Verzweifelten .Aber dazu muß er den Weg von der Krippe zum Kreuz gehen.

 

 

Adventskranz

Was der Christbaum für das Weihnachtsfest, ist der Adventskranz in der vorweihnachtlichen Adventszeit. Zwar gehört der lichterbesteckte Kranz mit zu den jüngsten Attributen winterlicher Bräuche, doch ist er nicht aus den Wohnstuben, Bahnhofshallen, Geschäften, Kaufhäusern oder öffentlichen Gebäuden wegzudenken. So richtig populär ist er erst in unserem Jahrhundert in der Jugendbewegung aufgekommen. Das Immergrün ist Ausdruck der immerwährenden Hoffnung. Der Kranz deutet auf Jesus, den Sieger. Die Lichter erinnern an das Licht, das mit Jesus in die Welt kam.

Die Geschichte des Adventskranzes reicht ins 19. Jahrhundert zurück und hat rund fünfzig Jahre gedauert, bis er sich um die Jahrhundertwende in weiten Gebieten Deutschlands in Privathäusern und Kirchen einzubürgern begann. Grundsätzlich gehört der traditionell aus Tannen- oder Fichtenzweigen gewundenen Kranz - ebenso wie die Krone - mit zu den verbrei­testen Symbolen und tauch im Brauchtum bei den verschiedensten Anlässen auf.

So hat der Adventskranz, der im 19. Jahrhundert für den christlichen Hausgebrauch gewissermaßen wiederentdeckt worden ist, eine ganze Reihe heidnischer Vorfahren aufzuweisen, mit denen er mehr oder weniger eng verwandt ist. Im Grunde kann er als die Wiederbelebung einer bereits sehr alten Wintersitte gelten und geht als solche wohl auf die vorchristlichen Ringzaubervorstellungen zurück: Kränze aus grünen Zweigen oder aus geflochtenem Stroh galten seit alters her als Segensbringer. Sie sollten Unheil abwehren von allem, was im kommenden Jahr grün werden und Frucht tragen sollte. Zusätzlich umwand man diese Zauberkränze mit goldenen und roten Bändern, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen. Schließlich sind Gold und Rot die Farben des Lichtes.

Ein Kranz der Hoffnung inmitten des Winters: In einer Zeit, in der draußen alles kahl, leer und trostlos schien, sollte er frisches duftendes Grün in die Stuben bringen. Und so ist es bis heute geblieben. Bei der „Erfindung" des Adventskranzes spielte jedoch zunächst das Tannengrün eine nur untergeordnete Rolle. Viel wichtiger war der Schein der Kerzen. Als Licht, das in der Finsternis leuchtet, sollen sie auf Weihnachten hinweisen. Die Adventskerzen, von denen an jedem der vier Adventssonntage eine weitere angezündet wird, gelten als Vorboten weihnachtlicher Freude, die am Heiligen Abend mit dem lichterbesteckten Weihnachtsbaum ihren Höhepunkt erfährt.

So hat es sich zumindest Johann Hinrich Wiehern, der Begründer der evangelischen Inneren Mission und des Rauhen Hauses in Hamburg, vorgestellt. Er hat den ehemals heidnischen grünen Kranz in christlichen Häusern und etwas später auch in Kirchen „salonfähig" gemacht. Bereits in der Adventszeit des Jahres 1838 hatte Wiehern damit begonnen, bei den Andachten im Rauhen Haus Kerzen anzünden zu lassen. Über diese ersten adventlichen Andachten schreibt er dann in seinem Tagebuch: „Täglich um die Mittagszeit war solch eine Kerzenandacht gehalten, im Laufe der Zeit wurden diese Adventsandachten jedoch als Vigil in der Dämmerung gefeiert.“

Dabei ließ Wichern nicht alle aufgestellte Kerzen auf einmal anzünden, es wurde vielmehr - beginnend am ersten Advent - an jedem Abend eine Kerze mehr angezündet, bis dann am Heiligen Abend alle Kerzen brannten. Für diese Kerzenfülle gab Wiehern schließlich die Anfertigung eines Holzreifens von etwa zwei Meter Durchmesser in Auftrag. Ein befreundeter Architekt fertigte ihm diesen gewaltigen Leuchter an, der dann im Versammlungssaal des Rauhen Hauses aufgehängt wurde. Zunächst schmückte man auch den Holzrahmen mit Tannenzweigen. Das ist um das Jahr 1860 gewesen.

Die Mitarbeiter Wicherns übernahmen die Idee des Adventskranzes zunächst in ihren eigenen Häusern und Gemeinden, so daß sich diese Sitte nach und nach im protestantischen Norddeutschland verbreitete. Dabei wurde dann aus dem überdimensionalen hölzernen Leuchter wieder der aus Tannengrün geflochtene Kranz, der nur noch ganz bescheiden mit vier dicken weißen, roten oder violetten Kerzen bestückt war - für jeden Adventssonntag eine.

In überwiegend katholischen Gemeinden wurde der Lichterkranz erst in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts heimisch. So mag es dann durchaus verwundern, daß ausgerechnet in Niederösterreich noch vereinzelt der alte „Wichern-Kranz“ mit seinen 24 Kerzen anzutreffen sein soll. Dort wird ihm sogar eine pädagogische Bedeutung beigemessen: Die jeweils neu zu entzündende Kerze darf nur von dem Kind, das am jeweiligen Tag am bravsten war, angezündet werden.

Wenn auch die alte Bedeutung des Lichterkranzes mittlerweile ein wenig in den Hintergrund getreten ist, so übt der Adventskranz doch noch immer eine feierliche Faszination aus und so ist er bis heute vielfach der adventliche Mittelpunkt in den Familien geblieben - ein Symbol vorweihnachtlicher Freude und Erwartung.

 

 

Barbaratag

Am 4. Dezember denken viele Christen an die Heilige Barbara. An diesem Tag stellt man Kirschenzweige ins Wasser, die dann an Weihnachten blühen. Nach der Legende war Barbara eine Fürstentochter (andere Lesart: Kaufmannstochter) im 3. Jahrhundert, die um ihres christlichen Glaubens willen vom Vater getötet wurde (andere Lesart: von den heidnischen Behörden). Der Zweig erinnert daran: Nach dem Tod geht ein anderes Leben weiter.

Sie lebte im vierten Jahrhundert in Kleinasien. Dort lebte in jener Zeit lebte ein heidnischer Fürst, der war grausam, wurde leicht zornig und wollte überall seinen Willen durchsetzen. Es gab nur einen Menschen, den er sehr liebte und für den er alles tat: seine Tochter Barbara. Sie war ein hübsches kleines Mädchen und klug wie kaum ein anderes Kind. Darüber freute der Vater sich alle Tage mehr.

Als sie heranwuchs, holte er die besten Lehrer auf sein Schloß und ließ seine Tochter alles lernen, was ein Mensch damals lernen konnte. Alle im Schloß mochten sie gern.

Aber der Vater hatte große Sorgen, daß böse Menschen ihr Leben verderben könnten. Deshalb baute er einen Turm mit vielen Zimmern. Und Barbara durfte ihren Turm und das Schloß nicht verlassen. Das machte dem jungen Mädchen nicht viel aus. weil es gern lernte und über vieles nachdenken mußte: Woher kommt alles in der Welt? Wer hat es gemacht? Wie hängt alles zusammen? Was steht dahinter? Keiner ihrer Lehrer konnte ihr so antworten, daß sie zufrieden war.

Aber eines Tages hörte sie von Gott. unserem Herrn und von Jesus Christus, der unser Heiland ist. Darüber wurde sie sehr froh. Als Barbara erwachsen war, kamen vornehme Prinzen, die sie heiraten wollten. Aber Barbara heiratete keinen von ihnen: Der Herr Jesus Christus war ihr wichtiger. Als sie so starrsinnig war, wurde ihr Vater ärgerlich. Er erklärte ihr: „Sei endlich vernünftig! Ich muß jetzt verreisen; wenn ich in einem Jahr heimkehre, will ich, daß wir deine Hochzeit feiern!“

Weil der Fürst seine Tochter so lieb hatte, tat sie ihm wieder leid, und er wollte ihr eine Freude machen. Er bestellte Handwerker. Sie sollten Barbara ein neues Zimmer bauen mit zwei großen Fenstern und mittendrin ein großes Becken mit einem Springbrunnen. Als der Vater abgereist war, bat Barbara die Bauleute: „Baut nicht zwei Fenster in mein neues Zimmer, sondern drei!“ Ganz im geheimen hatte Barbara einen Plan: Sie wollte in diesem neuen Zimmer getauft werden. Die drei Fenster sollten sie an Gott erinnern: den Vater. den Sohn und den Heiligen Geist. Wirklich erfüllte sich ihr Wunsch: Sie wurde hier getauft.

Als ihr Vater heimkam, stellte er zuerst die Bauleute und dann Barbara zur Rede wegen der drei Fenster. Ohne jede Furcht erzählte die Tochter ihm, daß sie getauft sei. Der Vater wurde sehr zornig undwütend und verbot Barbara, weiter an Jesus Christus zu glauben, denn auch der Kaiser verfolgte ja die Christen.

Zur Strafe führte sie der Vater in den untersten Kellerraum. Auf dem Weg über die dunklen Treppenstufen blieb ein Zweig ohne Blätter an ihrem Rock hängen. Sie stellte ihn in ihren Trinkbecher in ein wenig Wasser. Eines Morgens, mitten im Winter, entfalteten sich gelbe Blüten. Barbara war glücklich. „Das ist ein Zeichen von Gott", dachte sie. „Er tröstet mich und macht mich tapfer. Der Vater zeigte sie an. Er hoffte im geheimen, sie werde Angst bekommen und froh sein, wenn er sie wieder annehmen würde. Aber das geschah nicht. Barbara blieb ihrem Glauben treu. Sie starb - wie uns die alten Bücher berichten -  am 4. Dezember 306.

Die Barbarazweige werden am 4. Dezember ins Haus geholt, und zu Weihnachten blühen sie. o haben die Menschen immer gesagt: Die zarten, weißen Blüten sollen an die junge Frau erinnern, die so treu zu Jesus Christus hielt. Auf den Bildern von Barbara ist immer ein Turm

mit drei Fenstern dabei. Das ist ihr besonderes Zeichen.

Die katholischen Christen beten zu Barbara, daß sie mit ihnen zu Gott bittet um Hilfe für die, die sterben, und sie soll die, die im Bergwerk arbeiten, und auch die Glöckner, die die Glocken läuten, beschützen. Der Turm ist das Zeichen, mit dem die Heilige Barbara auf Bildern dargestellt wird.

Wir evangelischen Christen vertrauen nicht darauf, daß besonders heilige Menschen für uns bei Gott bitten. Wir glauben, daß allein Jesus Christus unser Helfer ist. Trotzdem ist es gut, sich an die Heiligen zu erinnern, sie sind den Weg des Glaubens vorangegangen. Viele von ihnen mußten sterben, weil sie Christen waren.

Ein einfacher Stall, ein Kind in Windeln, das soll der Messias sein? fragen die Leute. Ein trockener Zweig, der soll blühen  fragen die Leute. Einer, der den Armen Brot gibt und unter ihnen lebt, der soll der Messias sein? Einer, der ein Flüchtling ist und mit allen Flüchtlingen auf der Welt flieht in ein freies Land und um Asyl bittet in Ägypten, der soll der Messias sein? Ein kahler Zweig, der soll Blüten bekommen so fragen die Leute.

Gott hat Jesus gesandt, das Wunder ist geschehen und es geschieht immer wieder, denn dieser König ist unter uns. Wir brauchen nur die Augen aufzumachen und das Wunder zuzulassen. Die Blüten sind zu sehen: Laßt uns die Augen und die Herzen öffnen für diesen König, daß wir seine Ankunft nicht verpassen! Hebt die Zweige, daß sie an Weihnachten blühen, wenn wir das Fest seiner Geburt feiern!

 

Nikolaus

Am 6. Dezember denken wir an den Bischof Nikolaus von Myra, der im 4.Jahrhundert als frommer und mildtätiger Bischof bekannt war, der vielen armen Menschen hilfreich zur Seite stand; besonders für die Kinder hatte er ein offenes Ohr. Er ist auch Schutzheiliger der Schiffer, Kaufleute und Schüler. Ihm zu Ehren backt man auch Spekulatius (lateinischer Name für den Bischof = Aufseher, Episcopos).

 

Tannenbaum

Während sich das Weihnachtsfest heutzutage weitgehend kommerzialisiert und vielfach gleichförmig präsentiert, erweisen sich die Weihnachtserinnerungen der Menschen von einst als ausgesprochen vielfältig. Aus dem hessischen Raum und der angrenzenden Pfalz sind zahlreiche zeitgenössische Schriftstücke erhalten, in denen von den alten Weihnachtsbräuchen berichtet wird. So waren es in früheren Zeiten beileibe keine Tannen oder Fichten, die man als Christ- oder Zuckerbäume in den weihnachtlichen Stuben fand.

Lieselotte von der Pfalz bezeugt für das Jahr 1708, daß es die - ehedem in fast jedem Bauernhaus herangezogenen und besonders gepflegten Buchsbäumchen im Topf waren, die zu Festtagsehren kamen: „An Weihnachten“, so schrieb die Pfalzgräfin dann auch, „,richtet man Tische wie Altäre her und stattet sie für jedes Kind mit allerlei Dingen aus, wie neue Kleider, Silberzeug, Puppen, Zuckerwerk und alles mögliche. Auf diese Tischchen stellt man dann Buchsbäumchen und befestigt an jedem Zweig ein Kerzchen“. In „besseren Kreisen“, wo dieser Brauch zuerst heimisch wurde, soll es seinerzeit üblich gewesen sein, jedem Kind der Familie einen eigenen, reich gedeckten Tisch zuzuweisen.

Dabei war auch schon immer Persönliches gefragt So verfaßte die Mutter von Johann Wolfgang von Goethe stets liebevolle Verse und heftete diese an die Weihnachtspäckchen: „Die Mode ist, daß frommen Kindern der heilige Christ, wenn sie das Jahr hübsch fromm gewesen, manch schöne Gabe hat auserlesen, Torten, Rosinen, Gärten mit Lichtern, Herren und Damen mit hölzernen Gesichtern, Apfel und Birn, Geigen und Flöten, Zuckerwerk, Rute, Mandeln, Pasteten, Reiter mit Pferden gut ausstaffiert, nachdem ein jedes sich aufgeführt.“

Aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen schließlich zwei Zeichnungen und eine Aquarellskizze des Malers Ludwig Emil Grimm. Sie zeigen das im hessischen und mittelrheinischen Raum zu findende „Paradiesgärtlein“. Das war ein von zumeist hölzernen Tieren bevölkertes Moosgärtlein zu Füßen des Weihnachtsbaumes, in dem bisweilen auch die weihnachtliche Krippe ihren Platz gefunden haben mag. Auf dieses recht idyllisch anmutende Requisit mag sich dann auch das um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Lied  „Der Christbaum ist der schönste Baum“, bezogen haben, das seinerzeit der Hanauer Pfarrer Johannes Karl textete. Dort heißt es: „Im Gärtchen klein, im engsten Raum, wie lieblich blüht der Wunderbaum.“ Jahrzehntelang galt dieses Lied zu Ehren des Weihnachtsbaumes als Weihnachtshit schlechthin.

Allerdings konnte die so vertonte Wertschätzung des Christbaumes nicht darüber hinwegtäuschen, daß der geschmückte Baum zunächst für lange Zeit das Weihnachtsrequisit „gebildeter Kreise“ blieb. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts kam der Weihnachtsbaum jedoch auch in anderen deutschen Wohnstuben in Mode. Der Weihnachtserzählung „Oh du fröhliche, oh du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“, die um das Jahr 1850 von dem aus Lindenfels stammenden Wilhelm Bauer verfaßt wurde, kann man entnehmen, daß der Christbaum auch in den Dörfern des Odenwaldes, zumindest in den Pfarrhäusern, schon  seinen Einzug gehalten hatte.

Im Gegensatz dazu schreibt der aus Neukirchen bei Hünfeld gebürtige Heinrich Pappel in seinen „Weihnachtserinnerungen“ anno 1866: „Einen Christbaum kannte man im Rhönbauernhaus noch nicht. Das hielten die Bergbauern in ihrer herben, wortkargen Art für Luxus, der nur vornehmen Leuten zukam. Außerdem sei damit eine Entweihung des Heiligsten verbunden. Sie meinten, man dürfe um das Wunder der Heiligen Nacht kein solches Brimborium machen, sondern müsse still bedenken und in sich hineinversenken.“ Ganz auf den weihnachtlichen Lichterglanz wollten aber auch die Rhönbauern nicht verzichten. Sie stellten kleine mit Rüböl gefüllte und mit einem Wolldocht versehene Walnußschalen brennend als „leuchtende Schifflein“ in Wasserbehälter schwimmend auf die Fensterbänke. Die Lichtchen sollten den von der Christmette heimkehrenden Kirchgängern den Weg weisen.

Überhaupt verbrachte man den Weihnachtsabend, der vielen Menschen noch ganz traditionell zugleich auch als Ende des Jahres galt, in der Kirche und in der Familie. Erst am ersten Weihnachtstag waren Aktivitäten außerhalb des Hauses angesagt. Vielerorts machten sich die Kinder auf den Weg, um bei „Pettern“ und „Goten“, den Taufpaten, ihr „Christkind“ in Form von Gebäck- und Geldstücken und dem einen oder anderen Kleidungsstück abzuholen. Lediglich in der um diese Zeit zumeist tiefverschneiten Rhön mußten die Paten mit ihren „Christbündeln“ bei den Patenkindern vorstellig werden.

In weiten Kreisteilen Deutschlands erschien das Christkind jedoch höchstpersönlich, um die Kinder zu beschenken. Zum ersten Mal soll es zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Elsaß gesehen worden sein. Alter Überlieferung zufolge erschien es dort in Gestalt einer Frau mit langen blonden Haaren, weißem Gewand, mehlgeschminktem Gesicht, einer Krone aus Goldpapier und brennenden Kerzen.

 

Der Baum wird erstmals 1539 in Straßburg urkundlich erwähnt: „Auf Weihnachten richtet man  Tannenbäume ub den Stuben auf, daran henket man Rosen aus Papier geschrittene Äpfel, Oblaten, Tischgold und Zucker!“ Es dauerte aber noch Jahrhunderte, bis der Baum seinen Siegeszug durch Deutschland und von da aus in weite Teile der Welt antrat.

Auf alten Tafelgemälden findet man manchmal kleine Tannenbäume abgebildet. Vielleicht wollen sie an die Verheißung aus  Hosea 14,9  erinnern: „Ich will sein wie eine grünende Tanne, an mir soll man deine Frucht finden!“

Vielleicht erinnert er aber auch an den Baum des Lebens im Paradies, von dem der Mensch zunächst ausgeschlossen wurde, zu dem aber durch Christus wieder der Zugang eröffnet ist. Jener Baum soll angeblich Äpfel getragen haben. Diese gelten als Symbol des Lebens und sollten deshalb eine bleiche und eine rote Seite haben als Zeichen für Tod und Leben aus Gott. Die Lesung für der 24. Dezember („Adam und Eva“) ist deshalb die Geschichte vom Sündenfall. Daß Äpfel an dem Baum gehängt haben sollen, kommt aus dem mittelalterlichen lateinischen Wortspiel „malum e malo“ = „Das Böse kommt aus dem Apfel!“

Der Baum sagt uns, daß Gott uns Leben schenken will, ein Leben in seiner Nähe. Der immergrüne Baum (eine Tanne oder Fichte) soll Zeichen des Lebens und der Hoffnung sein.

Die sich nach oben verjüngende Form ist Sinnbild der Hoffnung. Und in der Kreuzform der Zweige kann man einen Hinweis schon auf das Kreuz Christi sehen, das mit der Krippe zusammenhängt. Insgesamt fordert uns der Baum auf zum „Aufsehen auf Jesus“.

Der Weihnachtsbaum sollte wie der Baum im Paradies gleichzeitig Blüten und Früchte tragen. Deshalb wurde er auch mit allerhand Schmuck ausgestattet:

 

 

Kerzen:

Lichter, die sich verzehren, damit die Dunkelheit hell wird. „Das Licht scheint in die Finsternis!“ Jesus verzehrt sich hinein in die Welt und in den Tod, damit unsere Welt hell wird. Elektrische Kerzen sind deshalb sinnlos.

 

Sterne:

Nur kleine Lichter. Aber Gottes Licht leuchtet dennoch über der dunklen Welt. Sie leuchten für Menschen, die nach einer Orientierung und einem Zeichen der Liebe Gottes suchen.

 

Kugeln:

Symbol für die Geschenke der Weisen aus dem Morgenland. Gold, Silber und Edelsteine gehören dem Kind in der Krippe, am Baum dargestellt durch bunte Kugeln und Lametta.

 

Engel oder Stern:

Auf der Spitze des Baumes. Aus der Weihnachtsgeschichte: Verkündigungsengel und Stern von Bethlehem. Das Eselshaar ist ein schwacher Schimmer der Herrlichkeit des Reiches.

 

Papierketten:

In Spanien hatten die Araber viele Christen gefangengenommen und mit Ketten angeschmiedet. Diese wurden dann nach langen Jahren von christlichen Fürsten freigekauft und hängten zum Zeichen ihrer Erlösung die Ketten in der Kirche von Toledo (der damaligen Hauptstadt) auf. So hat auch Christus uns befreit vor den Ketten der Sünde („Ich lag in schwerer Banden“), die Ketten sind von uns genommen.

 

Immergrün:

Der immergrüne Baum zeigt in der Kargheit winterlichen Bodens ein unerwartetes Leben, ein Symbol für das ewige Leben.

 

Christrose:

Die „schwarze Nieswurz“ erhielt durch ihr geheimnisvolles Aufblühen mitten im kalten Winter der schönen Namen „Christrose“ („Es ist ein Ros‘ entsprungen“. Der giftige Wurzelsaft galt als wirksames Rettungsmittel bei Vergiftungen, besonders bei Schlangenbissen (vgl. 1. Mose 3: „Kopf zertreten“).

 

Stollen:

Wird beim Backen wie eine Windel eingeschlagen, erinnert aber nicht an das Kind in der Krippe, sondern an die Kinder, die Herodes ermorden ließ in der Hoffnung, dabei euch Jesus zu vernichten; deswegen wird er erst am 28.Dezember angeschnitten, dem Gedenktag der unschuldigen Kindlein.

 

Lebkuchen:

In den Klöstern stellte man aus den dort gezüchteten Pflanzen ein wohlschmeckendes Heilgebäck her (keine Tabletten, sondere Gebäck). Es wurde „Leb“ genannt (= Heilmittel). Besonders an Weihnachten wurde es von den Mönchen verteilt, um daran zu erinnern: Gott schickte seinen Sohn, daß er dem innerlich und äußerlich kranken Menschen helfe.

 

Pfefferkuchen:

An sich das Gleiche wie Lebkuchen. Pfeffer nannte man im Hochmittelalter sämtliche Gewürze. Da sie sehr teuer waren, konnte man sie sich nur zu Weihnachten leisten. Man verwendet entweder sieben Gewürze (= Zahl der Vollkommenheit, die Gott der Welt bei ihrer Erschaffung gegeben hat) oder neun (Zahl, die der vollendeten Lobpreis Gottes andeuten soll).

 

Honigkuchen:

Legende von den Hirten, die sich in der Christnacht auf der Weg nach Bethlehem machten: In der Eile hatten sie ihr Brot im Backofen vergessen. Doch als sie zurückkehrten, war es nicht verbrannt, sondern es strömte ihnen ein wundervoller Duft entgegen. Sie brachen das dunkle Gebäck in kleine Kostproben und verschenkten sie an viele Menschen. Jetzt backten sie jedes Jahr in der Christnacht würzigen Honigkuchen, äußerlich dunkel und unansehnlich wie das Geschehen im Stall, aber von nie geahnter

 

Pflastersteine

Gebäckstücke wie Pflastersteine erinnern an die Steine, mit denen der Märtyrer Stephanus getötet wurde, dessen Gedenktag der zweite Weihnachtstag ist. Trotz der Pflastersteine blieb er fest im Glauben, getreu bis in der Tod.

 

Nüsse und Mandeln:

In einer hölzernen und scheinbar wertlosen Schale liegt ein süßer Kern verborgen. Auch das Weihnachtsgeschehen ist in die armselige Hülle des Stalls eingebettet. Jesus ist der Kern des Glaubens.

 

 

Der Stern von Bethlehem

In vielen Kirchen hängen in der Advents- und Weihnachtszeit Herrnhuter Weihnachtssterne. Sie sollen uns daran erinnern, daß Gott den Weisen aus dem Morgenland den Weg nach Bethlehem durch einen besonderen Stern zeigte (Matthäus 2, 1-5a und 7-11). Was für einen Stern werden die Weisen da eigentlich gesehen haben? (Im griechischen Urtext des Neuen Testaments werden die Weisen „Magier“ genannt. Das waren in der damaligen Zeit amtliche Sternbeobachter).

In Jena gibt es das erste Planetarium der Welt. Das ist ein Kuppelbau, nicht einmal besonders groß. Wenn man hineinkommt, sieht man Sitzbänke, fast wie in einem Theater; nur gibt es da keine Bühne, sondern in der Mitte steht ein Apparat mit vielen Hebeln, Schaltern und Linsen. Dieser Apparat ist ein Wunderwerk der modernen Technik, konstruiert im Zeisswerk in Jena. Mit diesem Apparat kann gezeigt werden, wie die Sterne über unsern Himmel ziehen, auch wie es vor mehr als 1900 Jahren gewesen ist.

Die Menschen haben lange herumgerätselt, was das wohl für ein Stern von Bethlehem gewesen sein mag. Früher dachten sie an einen Kometen; aber unsere Astronomen können berechnen, daß damals kein Komet am Himmel stand. Sie wissen auch, daß kein anderer neuer Stern aufgetaucht ist

Im Jahre 7 vor Christus fand eine große Konjunktion der Planeten Jupiter und Saturn statt. Das ist ein sehr seltenes astronomisches Ereignis, in dessen Verlauf die beiden Planeten innerhalb eines Jahres dreimal sehr dicht beieinander am Himmel stehen. Sie begegnen sich durchschnittlich alle 19,85 Jahre am Sternenhimmel, ziehen dann aber nur einmal aneinander vorbei. Nur wenn sich die Konjunktion ganz nahe der Opposition (Gegenüberstellung) zur Sonne ereignet, werden die beiden Planeten rückläufig und können zwei- oder dreimal aneinander vorüberlaufen. Zu einer dreimaligen Begegnung kommt es nur etwa alle 258 Jahre; ehe sich dieses Ereignis aber im gleichen Sternbild des Tierkreises wiederholt, vergehen im Durchschnitt 794 Jahre.

Über die große Konjunktion, die im Jahre 7 vCh  im Sternbild der Fische stattfand, hat schon Kepler Berechnungen angestellt. Auch wurden babylonische Keilschrifttafeln der Zeit um Christi Geburt von der Sternwarte Sippar am Euphrat aufgefunden. Sie gaben den Wissenschaftlern weitere genaue Informationen. So konnte man die damaligen Vorgänge am Sternenhimmel genau herausfinden. Die drei größten Annäherungen von Jupiter und Saturn waren am 29. Mai, am 3. Oktober und am 5. Dezember 7 vCh. In dieser Zeit führten die beiden Planeten große Schleifenbewegungen aus (Bei der erwähnten Rückläufigkeit und den Planeten­schleifen handelt es sich um scheinbare Bewegungen am Himmel).

Im Matthäusevangelium heißt es in Kapitel 2, Vers 2 unter anderem: „Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland!“ Im griechischen Urtext steht hier das Wort „anatole“. In der Mehrzahl heißt das „Morgenland“, in der Einzahl aber ist es ein astronomischer Ausdruck für den heliakischen Aufgang eines Gestirns. Darunter versteht man den Aufgang eines Sternes oder Planeten in der Morgendämmerung, kurz bevor die Sonne aufgeht. An dieser Bibelstelle steht das Wort in der Einzahl. Auch geht aus den Keilschrifttafeln hervor, daß Jupiter im März 7 vCh tatsächlich heliakisch aufging.

Wie aber konnten die Weisen diese Planetenkonstellation mit der Geburt Christi in Verbindung bringen? Damals galt Jupiter als der Stern des Weltherrschers, als Königsstern. Das Sternbild der Fische wurde als Zeichen der Endzeit angesehen. Die Weisen stammten wahrscheinlich aus dem Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Dort im Osten galt der Planet Saturn als der Stern der Juden. Demzufolge bedeutete ein Zusammentreffen von Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische, daß in demselben Jahre im Judenland der Herrscher der Endzeit geboren werde.

Wie konnten die Magier nun durch diese Konstellation den Weg nach Bethlehem zur Krippe in einem Stall finden? Im Morgenland konnten sie die erste Begegnung der beiden Planeten beobachten, deuten und die große Seltenheit dieses astronomischen Ereignisses feststellen. Daraufhin entschlossen sie sich zur Abreise. Der Weg führte sie nach Jerusalem. Dort gelangten sie zu Herodes, der sie nach der Befragung der Schriftgelehrten nach Bethlehem schickte. Zu dieser Zeit konnte man die Planeten in südsüdwestlicher Richtung am Sternenhimmel sehen. Der Weg geht von Jerusalem nach Bethlehem fast in südlicher Richtung und biegt später etwas nach Westen ab. Die Weisen konnten also direkt in die Richtung des „Sternes“ laufen. „Als sie ihn sahen, waren sie sehr erfreut!“ So fanden sie den Stall mit Maria, Josef und dem Jesuskind in der Krippe.

Gott benutzte hier also ein sehr seltenes astronomisches Ereignis. Durch eine große Konjunktion zwischen den Planeten Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische teilte er den Sternbeobachtern aus dem Zweistromland die frohe Botschaft von der Geburt Jesu mit und zeigte ihnen den Weg zum Stall in Bethlehem.

Übrigens gab es in den Jahren 1980/ 81 wieder eine große Konjunktion dieser zwei Planeten - allerdings dann im Sternbild der Jungfrau.

Die Beobachtung der Sterne hat die Gelehrten damals noch nicht zum Jesuskind geführt. Sie kamen durch ihre Wissenschaft nur erst nach Jerusalem. Dort mußten sie fragen. Die Menschen, die wußten, was in der Bibel steht, zeigten ihnen den Weg nach Bethlehem, zum Kind in der Krippe. So führt Gott seine Menschen dahin, wo sie den Heiland finden: Er benutzt ihre Arbeit. ihre guten Gedanken, ihre Fähigkeiten; aber erst durch sein Wort finden sie den, der wirklich ihr Retter ist.

 

 

Der Apfel weist auf die Urerfahrungen der Menschen (Adam und Eva) hin. Indem sie leben und nach Erkenntnis suchen, werden sie schuldig.

 

Kerzen werden angezündet, weil  Jesus als Licht der Welt gekommen ist (Joh. 8). Deshalb, können wir füreinander immer neue Lichter anzünden.

 

Die  kleinen Gegenstände aus Stroh erinnern daran, daß Jesus arm bei den Tieren in einer Futterkrippe lag.

 

Die Sterne deuten hin, daß ein Stern den Magiern aus dem Morgenland den Weg nach Bethlehem gewiesen hat.

 

 

Glaskugeln und Glitzerwerk weisen sie auf die wertvollen Geschenke der Magier, auf Gold, Weihrauch und Myrrhen hin.

 

Die Krippe mit verschiedenen Figuren (Maria und Joseph, Hirten, Schafen und Engel) stellen uns vor Augen, daß Gott seinen Sohn Jesus Christus geschickt hat.

 

Weihnachten mit Tieren

Nach alter Überlieferung sind Ochs und Esel in Betlehem dabeigewesen, waren Maria und Josef auf einem Esel unterwegs, kamen die Magier auf Kamelen. In einer Gemeinde im Allgäu hat es sich eingebürgert, daß die Kinder ihre Stoff- und Plüschtiere und ihre lebendigen Tiere zum Weihnachtsgottesdienst mitbringen: Goldhamster, Meerschweinchen, Katzen, Vögel ... „Wer zum Jesuskinde kommt, der darf alles mitbringen, was ihm nahesteht!“ Von Franz von Assisi, den der Papst 1980 zum Patron für Umweltschutz erhob, wird erzählt, daß er 1223 in Grecchio in Norditalien eine Weihnacht mit lebendigen Ochsen und Eseln an der Krippe gefeiert habe. Die Kemptener Kinder laden nach dem Gottesdienst die mitgebrachten Geschenke auf den Rücken eines Esels und bringen sie zu alten Menschen.

 

Das Christkind ist eine Erfindung der Reformation

In Weihnachtsfest ohne Geschenke ist für die leisten unvorstellbar. Zu keiner Zeit des Jahres wird derart viel Geld ausgegeben, um anderen eine Freude zu machen. Doch woher stammt der weihnachtliche Brauch des Schenkens? Auf jeden Fall licht vom Weihnachtsmann. Weihnachten gilt vielen Menschen heute vor allem als Fest des Schenkens. Woher kommt der Brauch: Es gibt nur wenige Fragen, die so kompliziert sind wie die nach der Entwicklung des Weihnachtsfests. Es gibt so viele Weihnachtsbräuche und so viele historische Entwicklungen, dass man schnell nicht mehr durchblickt.

Dass wir uns zum Weihnachtsfest Geschenke machen, komt vom heiligen Nikolaus, dem berühmten Bischof von Myra, der im Übergang vom 3. zum 4. Jahrhundert in der Nähe von Antalya in der heutigen Türkei lebte. Sein Namenstag ist der 6. Dezember. Um Nikolaus ranken sich viele Legenden. So soll er immer wieder Kinder beschenkt haben - das machen wir zu Weihnachten bis heute.

Häufiger als vom Nikolaus ist heute die Rede vom Christkind, das die Geschenke bringt. Wie kommt das? Das Christkind ist eine Erfindung der Reformation. Das begann im 16. Jahrhundert. Nikolaus wurde als „Heiliger“ verehrt. Das geht nach evangelischem Verständnis natürlich nicht. Danach sind vielmehr alle Christen „Heilige«“ so wie es schon in den Briefen des Paulus zu lesen ist.

Was tat man also? Den Brauch einfach abzuschaffen und den Menschen das Schenken zu verbieten, ging natürlich nicht. Also wanderte der Brauch des Geschenkemachens allmählich auf den Heiligen Abend beziehungsweise auf das Weihnachtsfest. So wurde das Schenken mit der Geburt des Christus verbunden - oder volkstümlich gesprochen: mit Jesus als dem „Christkind“.

Noch erfolgreicher hat sich als Geschenkebringer allerdings der Weihnachtsmann behauptet. Hat der einen Bezug zum christlichen Weihnachtsfest? Nein, überhaupt nicht. Er ist eine vom religiösen Bezug losgelöste verhältnismäßig junge Figur Der rauscht mit dem Rentierschlitten und dem Geschenkesack ist eine vom religiösen Bezug losgelöste, verhältnismäßig junge Figur. Entstanden ist sie wohl im 19. Jahrhundert.

Mit den Coca-Cola-Kampagnen seit den dreißiger Jahren wurde er immer beliebter. Und dabei rückte immer mehr der Konsum in den Vordergrund so sehr, dass der ursprüngliche christliche Bezug der Weihnachtsgeschenke heute manchmal kaum noch zu erkennen ist.       

 

 

 

 

 

Siebenbürgen: Der Christusleuchter in Neppendorf

Erwartungsvoll umdrängen zwanzig Jungen den weißhaarigen Bauern. Gütig lächelnd fordert er sie auf, sich in vier Gruppen geordnet neben ihren Christleuchter zu stellen, damit sie das Leuchtertragen und Leuchtersingen üben.

Vier Christleuchter stehen festlich geschmückt in der geräumigen Bauernstube. Es war gewiß nicht leicht, diese Leuchter mit so vielen ungeschickten Knabenhänden an mehreren Adventabenden aufzubauen. Doch dem erfahrenen Leuchtermacher, der diese schöne Kunst von seinem Vater erlernte, ist es dennoch gelungen.

Wie ein immergrüner Lebensbaum strebt der Christleuchter in die Höhe. Drei Kränze aus Wintergrün bilden seine Äste. In einem zweispannenhohen Abstand wurden sie übereinander an der Leuchterstange befestigt. Da die oberen Kränze enger sind als der untere, ergibt sich die Pyramidenform, die auch durch die Anordnung der Kerzen betont wird. Eine mit Wintergrün umflochtene Krone bildet die Pyramidenspitze. Auf ihr steht ein „Buschen“, aus Papierblumen und Wintergrün geformt. Dieser Strauß trägt die schönste Zierde des Leuchters: zwölf pyramidenförmig angeordnete Kerzen, auf vier Seiten je drei übereinander, aus deren Mitte eine dicke Kerze, Siebenstern genannt, herausragt.

Unter dem strahlenförmigen Kerzenschmuck hängen fünf reichverzierte Papierfähnchen. Rote und weiße Papierrosen schmücken die Kränze und die Krone. An der Krone hängen neun vergoldete Nüsse und an jedem Kranz zwei Nüsse und zwei mit Schilfmark und buntem Stoff verzierte Eier. Dies sind uralte Lebenssinnbilder. An den Kränzen schweben zierliche Hähnchen, die aus Schilfmark und Buntpapier kunstvoll verfertigt wurden. Sie sind die Künder des Lichts.

Das Schmücken der Christleuchter bereitete den jungen Konfirmanden viel Freude. Klopfenden Herzens erwarten sie das Weihnachtsfest. Wenn die Glocken am ersten Weihnachtstag zur Frühkirche läuten, dürfen sie hinter dem Altar ihren Lichterbaum anzünden. Feierlich schreiten vier Leuchterträger mit dem Christleuchter durch die dunkle Kirche, begleitet von je vier Jungen, die eine brennende Kerze tragen. „Das Licht ist aufgegangen, die lange Nacht ist hin“, frohlockt es in unzähligen Menschenherzen.

Ein Leuchter wird vor der Orgel aufgestellt und zwei auf die Seitenemporen. Der erste Leuch­terträger aber kehrt mit seinen Begleitern wieder um. Vor dem Altar stellt er den Christleuch­ter auf. Die Jungen knien nieder und stimmen den Choral an: „Lobt Gott, ihr Christen, freuet euch!"

Sie singen den Choral im Wechselgesang mit den drei andern Jungengruppen. Was ihr Christleuchter versinnbildlichen will, dürfen sie der andächtig lauschenden Kirchengemeinde verkünden: „Der Sohn kommt nach des Vaters Rat mit Heil uns zu erfreu'n, und auf des ew'gen Lebens Pfad der Welt ein Licht zu sein.“

Dieser alte Brauch, in der Frühmesse des ersten Weihnachtstages Christleuchter in die Kirche zu tragen, ist noch in vielen Dörfern Siebenbürgens erhalten geblieben, Oft steht der Christleuchter im Chor der Kirche neben dem festlich geschmückten Weihnachtsbaum, von dem er sich nicht verdrängen läßt. Denn unsere Bauern lieben ihre Christleuchter, umschließen sie doch die schönste Festfreude einer glücklich geborgenen Kindheit.

 

 

 

Weihnachtsbräuche aus aller Welt

Schweden:

Die Erinnerung an die Krippe von Bethlehem regt an zu vielfältigem festlichen Schmuck aus Stroh. Die Zimmer und auch der Weihnachtsbaum werden mit Basteleien aus Stroh geschmückt. Sterne und Kreuze erinnern an das Kind in der Krippe. Weil das Kind in der Krippe der Friedefürst ist, sind an seinem Geburtstag alle Streitigkeiten vergeben. Die Schuhe der ganzen Familie werden nebeneinandergestellt zum Zeichen dafür, daß sie im Frieden zusammenleben wollen.

 

In Irland stellen die Leute viele Kerzen in ihre Fenster, um dem Christkind den Weg zu beleuchten.

 

In Polen ist der Heilige Abend ein Fastentag. Nichts wird gegessen, bis der erste Stern am Himmel erscheint. Unter dem Tischtuch liegt Heu, das an die Armut und Niedrigkeit des Gottessohnes erinnert. Es wird ein Gedeck mehr aufgelegt und ein Stuhl freigehalten für das Christkind.

 

In Frankreich stopfen die Bauernkinder ihre Holzschuhe mit Heu aus: Das ist das Futter für die Kamele der Heiligen Drei Könige. Zu Weihnachten finden sie dann ihre Schuhe gefüllt mit Süßigkeiten.

 

In Serbien richten die Christen ein Zeichen auf für den Frieden auf Erden, der Weihnachten verheißen ist: An drei Tagen nach dem Christfest sind ihre Häuser offen für jeden. wer immer kommen will, ob Freund oder nicht, ist zu den Festlichkeiten der Familie herzlich eingeladen. Die „Heiligen Drei Könige“ ziehen singend durch die Straßen. Sie verkünden, daß sie den Heiland gefunden haben. Sie tragen statt der Krippe kleine Kirchen mit sich, die das Zuhause des neugeborenen Kindes zeichenhaft darstellen sollen (vgl. Luk. 2,49).

Beim ersten Glockenläuten am Heiligen Abend schüttet man die Stube voll Stroh, auch die Tiere im Stall werden mit frischem Stroh versorgt. Beim zweiten Läuten kniet man nieder und betet das Wunder der Christgeburt an. Man selbst schläft während der Feiertage nur auf Stroh. Für die Mahlzeiten wird kein Tisch benutzt - Maria und Josef hatten ja auch keinen.

 

Italien (Dorfsitten an der Küste des Mittelmeeres):

Der festliche Tisch ist mit Tischtüchern übereinander bedeckt im Gedenken  an die Dreifaltigkeit. Dreizehn weiße Brote - das größte in der Mitte - weisen auf Christus und seine zwölf Apostel hin. Die Krippe ist aufgebaut - aber sie ist noch leer. Um dreiundzwanzig Uhr erhebt man sich, um das Jesuskind zu betten. Dann begibt sich die ganze Familie zur Mitternachtsmesse.

 

Österreich:

Das ist das Land der Krippenschnitzerei wie auch Böhmen. Die Hauskrippe gehört oft seit vielen Generationen zum Hof. Der große, „lebendige Berg“ wird Jahr um Jahr ergänzt und erweitert.

 

Rußland: Die bekannte Gastfreundschaft auch der Christen wird in der Weihnachtszeit auf besonders eindrucksvolle Weise geübt: Das Tischtuch ist über eine dünne Lage von Heu gebreitet (Heu und Stroh im Stall von Bethlehem!). Der Tisch ist für alle Familienmitglieder gedeckt, auch für die abwesenden. Ein weiteres Gedeck wartet auf einen besonderen Gast: „Komm, Henn Jesus!“ Die Tür ist keinem Gast verschlossen ein jeder ist willkommen; denn in ihm ehrt man den Herrn - Jesus Christus.

 

 Südafrika:

Um die Weihnachtszeit ist hier heißer Sommer, die Temperatur steigt auf über vierzig Grad. Die Rosen blühen. Kein Eis und Schnee, kein Tannenduft. Die Kirchen sind mit blühenden Girlanden geschmückt. Aber die Botschaft ist dieselbe wie bei uns: „Freut euch, Christus ist geboren!“ Weihnachten ist das Tauffest. Nach dem Gottesdienst wird vor der Kirche um den Weihnachtsbaum gesungen und getanzt.

 

Südamerika:

Die Menschen erheben sich vor dem Essen, sagen ,Felicidad“ und reichen sich die Hände. Das genügt vor dem Abendbrot am Heiligen Abend: Flockensuppe, Risotto, Rindsrippe auf Knoblauch und zwei Kartoffeln, dazu gibt es gefärbten Wein, dann zwei Löffel übersüße Marmelade und schwarzen Kaffee.

 

Südwestafrika

 „O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter“ singen unsere Kinder, aber sie haben kaum eine Vorstellung von einem deutschen Tannenbaum. Die meisten haben noch nie eine Tanne in der Natur gesehen und Schnee schon gar nicht. Südwestafrika hat Dornbüsche und Akazien und Eukalyptusbäume und Zypressen. Woher einen Tannenbaum nehmen?

Eben diese Zypressen werden von der Mutter in Christbäume verwandelt. Genauso geheimnisvoll wie in Deutschland wird am Heiligen Abend hinter verschlossener Tür der Baum geschmückt. Kerzenständer werden befestigt. Der Raum bekommt Blumenschmuck: die schöne Chincherinchee, Rosen, Rittersporn, Nelken. Eine festliche Tafel wird gedeckt. Nur die Kerzen können erst aufgesteckt werden, wenn der Augenblick der Bescherung da ist. Sie würden sich in der Hitze biegen und als traurige Anhängsel herunterhängen .....

Und dann läuten in der Glut der untergehenden Sonne die Glocken die Weihnacht ein. Christmette. Ein afrikanischer Weihnachtschoral; klingt auf, und die Geschichte, die vor bald zweitausend Jahren geschah, breitet auch hier ihren Zauber aus und ergreift die Herzen der weihnachtlich gestimmten Menschen. Wenn dann Stunden später die Hitze des Tages einer wohltuenden Abendkühle gewichen ist, dann kommt das Christkind auf seiner großen Weltreise auch hierher nach Südwestafrika, zu den schwarzen und den weißen Christen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Material

 

Wo findet man Bethlehem heute?

Es begab sich aber zu der Zeit, als der Krieg im Nahen Osten das Flüchtlingselend in der Welt vergrößerte und eine Lösung der Konflikte zwischen Palästinensern und Israelis unmöglich machte, als es zu nationalen Auseinandersetzungen zwischen den Menschen in Aserbeidschan und Armenien kam, obwohl das Land der Armenier von einem schweren Erdbeben heimgesucht worden war, als Atomwaffen, Bakterien und Chemikalien zur Verrichtung der ganzen Menschheit angehäuft wurden, als aber auch schon die ersten Mittelstreckenraketen vernichtet wurden und eine Großmacht begann ihre Truppenstärke zu vermindern.

Von diesen Vorgängen waren alle Menschen dieser Erde betroffen, ein jeglicher in seiner Stadt. In diesen Tagen machte sich auch auf Maria Carolina aus Sacramento in Brasilien auf den Weg nach Sao Paulo, obwohl sie schwanger war; denn sie hoffte dort Nahrung und Un­terkunft zu finden. Als sie dort war, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar  ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Zeitungspapier und legte ihn in einen Pappkarton, denn man hatte keinen Platz für sie in den Krankenhäusern.

In dieser Gegend aber, in einer Welt voller Gesetze, aber auch voller Kriege und Konflikte, voller Entwürdigung und Hunger, waren Christen auf der Wacht. Und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie und sie begannen zu unterscheiden zwischen dem, was wesentlich war, und dem Unwichtigen. Sie begannen an ihrem eigenen Wert zu zweifeln und an den Werten, die dieser Welt wirklich etwas bedeuten, und große Furcht erfüllte sie.

Aber ein Freund sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Befreier geboren. Woran werdet ihr ihn erkennen? Ihr werdet Menschen finden, von denen Ihr es nie erwartet hättet, daß sie sich für Menschen einsetzen. Ihr werdet einem Arbeiterpriester begegnen, der keine Angst davor hat, aus der Kirche ausgeschlossen zu werden. Und ihr werdet einen Schwarzen treffen, der für seine Peiniger betet; einen Wirtschaftsfachmann, der keine Scheu hat, die wahren Ursachen des Hungers in der Welt anzusprechen. Und Euch wird eine Theologe begegnender auf andere zu hören versteht!“

Und mit einem Male treten zu diesem Freund viele Menschen guten Willens, die lobten Gott und sprachen: „Ehre geschieht Gott in der Höhe durch Frieden unter den Menschen!

(nach: Albert van den Heuvel und Walter Hollenweger, Ökumenischer Rat, Genf).

 

Arnim Juhre: Begebenheit

Es begab sich aber zu der Zeit,

da die Bibel ein Bestseller war,

übersetzt in 197 Sprachen,

und das Neue Testament

noch sechzig Mal mehr,

daß alle Welt sich fürchtete:

vor selbstgemachten Katastrophen,

Inflationen, Kriegen, Ideologien,

vor Regenwolken, radioaktiv,

und Raumschiff-Flottillen,

die spurlos verglühn,

Als die Menschenmenge auf dem Wege war,

ungeheuer sich vermehrend,

hinter sich die

Vernichtungslager der Vergangenheit,

vor sich die

Feueröfen des Fortschritts

und alle Welt täglich

geschätzet und gewogen wurde,

ob das atomare Gleichgewicht stimmt;

hörte man sagen:

Laßt uns nach Bethlehem gehen.

 

 

Es war keine stille Nacht…

1. Es war keine stille Nacht,

nein, es war eine laute Nacht! 

Der Lärm der Straße dröhnte in den Ohren.

's war keine stille Nacht,

nein, es war eine laute Nacht!

Im Lärm der Straße wurde er geboren.

Sollte das unser Gott sein?

Dieses Kind unser Gott sein?

Nur ein Mensch unser Gott sein?

Sollte das wirklich unser Gott sein?

Sollte Gott so freundlich sein?

 

2. Es war kein reiches Kind,

oh nein, es war ein armes Kind.

Sie haben viel gehungert und gefroren.

Es war kein reiches Kind.

In einem Schuppen wurde es geboren.

Sollte das....

 

3. Es war kein großes Fest,

nein, es war ein bescheidenes Fest.

Es waren ein paar Leute da vom Lande.

Es war kein großes Fest,

nein, es war ein bescheidnes Fest.

Armut hat selten Freunde und Bekannte.

Sollte das...

4. Der Eindruck war gering,

ja, er war wirklich sehr gering.

Es war kein Raum für große Sensationen.

Der Eindruck war gering,

ja, er war wirklich sehr gering.

Wär' es nicht Gott, es würde sich nicht lohnen.

Sollte das....

 

 

 

Weihnachts-Quiz

Wo hängt man einen Mistelzweig an die Decke oder über die Tür, unter dem man sich küssen darf?                                                                                                                                    (England)

Wo wartet man am 6. Dezember auf Sinterklas, der auch durch den Schornstein seine Gaben ins Haus bringt?                                                                                                          (Holland)

Wo feiert man am 11. Dezember den Lucian Tag, an dem weißgekleidete Mädchen mit Lichterkränzen im Haar die Menschen beschenken?                                                  (Schweden)

Wo feiert man am 6. Januar Weihnachten?                           (In den orthodoxen Ostkirchen)

Wo baut man zu Weihnachten einen Weihnachtsberg auf?                         (Erzgebirge)

Wo steht die Weihnachtsgeschichte in der Bibel?                                          (Lk 2 und/Mt 1)

Was heiß „Advent“ auf deutsch?                                                                      (Ankunft)

Was sind „Adventisten“                                 (Spielgruppe, Volksstamm, christliche Sekte)

Wo und wann wird zum ersten Mal der Christbaum erwähnt?                  (Straßburg 1539)

Wo liegen die Weihnachtsinseln?                                                                    (Indischer Ozean)

Welcher Sachsenherzog wurde am 25. Dezember 785 getauft?                (Widukind)

Am 25.12.800 wurde in der Peterskirche in Rom ein Kaiser gekrönt?

Wie hieß der Kaiser, wie der Papst?                                                    (Karl der Große und Leo III.)

Welche Kirchenjahresfarbe gehört zur Adventszeit?                                     (Violett)

Wie müßte der  „Tannenbaum“ eigentlich heißen?                                       (Fichtenbaum)

Wer hat Kantaten geschrieben und später zum „Weihnachtsoratorium“ zusammengefaßt?

(Johann Sebastian Bach)

Wer hat das Lied gedichtet: „Vom Himmel hoch...‘“                                  (Martin Luther)

An welche Blume erinnert das Lied: „Es ist ein Ros'..“                               (Christrose)

In welchem Ort in Österreich wird an Weihnachten ein Sonderpostamt eröffnet, das Post aus der ganzen Welt mit einem originellen Stempel bedruckt?                      (Christkindl)

Welche Stadt gehört zu welchem Gegenstand?

Weihnachtsstern          -  Herrnhut in der Oberlausitz

Weihnachtspyramide  -  Seiffen im Erzgebirge

Stollen                           -  Dresden

Lebkuchen                    -  Nürnberg

Marzipan                     -  Lübeck

Wie viele Sekunden müssen wir von einem Weihnachtsfest zum anderen warten?

3 Millionen oder 30 Millionen oder330 Millionen (30 Millionen!)

An welchem Tag feierte die Christenheit das älteste Weihnachtsfest?

Epiphanisfest, Tag der Erscheinung, Dreikönigstag (3. Januar).

 

 

Backrezept für Bibelkundige

Man nehme:

1,5  Tassen      „Butter von Kühen“                           5. Mose 32,14

8    Stück         „Vogel, der sich über Eier setzt“      Jer 17,11

2   Tassen        „Was ist süßer als Honig?“                Ri 14,18

4,5 Tassen       „Zwei Rosinenkuchen“                      1. Sam 30,12

 3/4 Tasse       „Milch habe ich euch gegeben“        1. Kor 3,2

2  Tassen         „Feigenbäume mit reifen Feigen“    Nah 3,12

1 Tasse            „Mandeln tragen“                               4. Mose 17,23

1  Prise            „Speisopfer niemals ohne Salz“        3. Mose 3,13

3/4 Teelöffel  „Köstliches Gewürz“                           Jer 6,20

3 Teelöffel      Backpulver                                           (ganz unbiblisch)

 

Zubereitung:

Man befolge den Spruch Salomonis „Du schlägst ihn mit der Rute“ (Sprüche 23,14) und beachte folgende Hinweise: 2 Tassen Honig (Ri 14,18) und 500 Gramm Mehl, eineinhalb Stunden Backzeit bei geringer Hitze. Zum Ganzen sei gesagt: „Wer es fassen kann, der fasse es!“ (Mt 19,12b).

 

 

„Vater unser“ in der Weihnachtszeit

Vater unser im Himmel.

Du bist in deinem Sohn Jesus Christus aus der Unsichtbarkeit des Himmels in die Sichtbarkeit unserer Welt gekommen. Wir danken Dir dafür.

Geheiligt werde dein Name,

der uns durch deinen Sohn bekanntgeworden ist: Wunder - Rat, Gott - Held, Ewig - Vater, Friede - Fürst. Wir wollen ihn recht gebrauchen in Gebet und Lied, in Verkündigung und Dienst.

Dein Reich komme,

Dein Reich der Liebe und des Friedens komme zu uns, in unsere Herzen, in unsere Häuser, in unsere Arbeit, in die Gemeinden, in unsere Kirche, zu „allem Volk“, jetzt und immer wieder. Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auf Erden.

Dein Wille ist Freude und Friede und Freiheit. Du willst sie uns schenken. Du willst aber auch, daß wir Freude machen, Frieden schaffen und Freiheit gewähren. Hilf uns, das zu tun.

Unser tägliches Brot gib uns heute,

nicht nur Brot, sondern auch dein Wort, nicht nur heute, sondern auch morgen, nicht nur uns, sondern auch denen, die bei uns und in der Welt nach Brot, Liebe und Verständnis hungern.

Und vergib uns unsere Schuld,

die wir durch Gleichgültigkeit auf uns laden, in die wir durch Routine hineinkommen, die uns belastet, wenn wir in unserem Arbeiten müde werden.

Wie auch wir vergeben unseren Schuldigern,

wie wir es immer wieder versuchen, sie von ihrer Last zu befreien, sie entschuldigen, keine Schuld nachzutragen und sie in die Freiheit führen.

Und führe uns nicht in Versuchung,

durch die vielen Hilfsmöglichkeiten auf dich und deine Hilfe verzichten zu können, alles selber aus uns heraus machen zu wollen.

Sondern erlöse uns von dem Bösen,

dem Zweifeln im Glauben, dem Straucheln in der Liebe, dem Verzweifeln in der Arbeit, der Macht der Einsamkeit und Verlassenheit, der Angst vor dem Leben und vor dem Tod. Erlöse uns durch Jesus Christus, den Retter, der einst geboren wurde, lebte, liebte und starb und heute lebt.

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

 

Lied: „Stille Nacht, heilige Nacht“

Das Lied ist eines der beliebtesten Weihnachtslieder, vielleicht auch das meistgesungene. Lange Zeit ist es als eine Schöpfung Haydns angesehen worden. Erst 1854 begann die Suche nach der Herkunft des Liedes: Die Hofkapelle in Berlin fragte im Salzburger Benediktinerstift St. Peter an, ob dort das Manuskript des Weihnachtsliedes „Stille Nacht“ von Joseph Haydn vorhanden sei.

Zufällig befand sich damals der jüngste Sohn des Komponisten als Sängerknabe im Stift. Er wußte natürlich, daß sein Vater Franz Gruber in Wahrheit der Komponist war. Der Enkel des Komponisten, Felix Gruber, hat schließlich aufgeschrieben, wie es zur Schöpfung dieses Liedes kam.

Es ging wirklich weihnachtlich zu, als das Lied geschrieben und komponiert, gesungen und gespielt wurde. Es war am Heiligabend 1818 in der armen Vorstadtgemeinde Oberndorf am Ostufer der Salzach, dem Grenzfluß zwischen Bayern und Österreich. Die Orgel  in der halbverfallenen St. Nikolauskirche war ausgefallen. Aber an Heiligabend sollte dennoch Musik beim Gottesdienst dabei sein.

Die Pfarrstelle wurde damals von dem Hilfspriester Joseph Mohr versehen .Er war am 11. Dezember 1792 in Salzburg geboren, hatte vor drei Jahren die Priesterweihe empfangen und Dienst in Ramsau und Laufen getan. Nun war er an der neu errichteten Pfarrei von St. Nikolaus in Oberndorf.

Den Organistendienst versah der Lehrer Franz Gruber aus Arnsdorf. Er war am 25. November.1787 als Sohn armer Weber in Hochburg geboren worden. Er war ein trefflicher Musiker und schon zehn Jahre in Arnsdorf. Er hatte schon manche Probe seines musikalischen Talents gegeben.

Ihm überreichte der Pfarrer Joseph Mohr an Heiligabend ein Gedicht mit der Bitte, ihm dazu eine passende Melodie für zwei Solostimmen, Chor und Gitarre zu schreiben. Das Werk war am Abend fertig und wurde sogleich im Gottesdienst aufgeführt. Der Gesang der Gemeinde wurde von einem Posaunenchor begleitet. Nach Schluß des Gottesdienstes begab sich der Pfarrer auf die Orgelempore, wo der Organist schon mit der Gitarre wartete. Mohr sang Tenor und begleitete auf der Gitarre, Gruber sang Baß. Den Refrain griff der Kirchenchor sofort auf. Die ersten Zuhörer waren also arme Flößer und Waldarbeiter, Tagelöhner und Grenzer. Aber das Lied trat seinen Siegeszug durch die ganze Welt an.

Nach dem Fest kam der Orgelbauer Mauracher aus dem Zillertal, um die Orgel in Oberndorf instandzusetzen. Er lernte bei dieser Gelegenheit das Lied kennen und nahm eine Abschrift mit nach Hause. So wurde es im Zillertal und im Salzburger Land verbreitet. Im Norden fand es Verbreitung durch die vier Geschwister Straßer (Amalie, Karoline, Joseph, Andreas). Sie waren Heimarbeiter, die ihre Handschuhe selber auf den Märkten anboten und dabei auch in Konzerten Tiroler Lieder sangen. So erklang das Lied 1835 zur Leipziger Messe in einer öffentlichen Veranstaltung wund wurde begeistert aufgenommen.

Weder der Dichter noch der Komponist haben ihr Lied je im Druck erscheinen lassen. Mohr verließ Oberndorf schon 1819 und starb am 4. Dezember 1848 in Wagrain im Salzkammergut in ärmlichen Verhältnissen. Gruber starb am 7. Juni 1863 in Hallein bei Salzburg. Erstmals im Druck erschien das Lied  1840. In diesem Jahr nahm es auch der königliche Domchor in sein Programm auf. Bald war das Lied in ganz Deutschland bekannt, um 1850 wurde es ins Englische übersetzt. Der Forschungsreisende Peter Klotz aus Salzburg verbreitete es auf seinen Reisen in der ganzen Welt, Missionare übersetzten es in die Landessprachen.

Allerdings trat das Lied seinen Siegeszug nur in verstümmelter  Form an. Man hat sich an den Strophen begeistert, in denen in volkstümlicher Weise das Geschehen der Heiligen Nacht geschildert wird, im Original die Strophen 1 bis 2 und 6. Die herben Strophen der Deutung (Strophe 3 bis 5) hatte man gestrichen. In dieser verstümmelten Form tönt es heut „von ferne und nah“.

Von den einen wird es als kitschig und sentimental strikt abgelehnt. Andere hören aus mehr oder weniger gedankenloser Gewohnheit. Für nicht wenige Kirchenferne ist es das „Erken­nungszeichen“ für Weihnachten. Aber wenn schon „Stille Nacht“, dann unbedingt mit dem vollständigen Text:

 

1. Stille Nacht, heilige Nacht.

Alles schläft, einsam wacht

nur das traute, heilige Paar.

Holder Knabe im lockigen Haar,

schlafe in himmlischer Ruh!

2. Stille Nacht, heilige Nacht!

Gottes Sohn, o wie lacht

Lieb aus Deinem göttlichen Mund

da uns schlägt die rettende Stund,

Jesus in Deiner Geburt.

3. Stille Nacht, heilige Nacht!

Die der Welt Heil gebracht,

aus des Himmels goldenen Höhn

uns der Gnaden Sülle läßt sehn:

Jesus in Menschengestalt.

4. Stille Nacht, heilige Nacht!

Wo sich heut alle Macht

väterlicher Liebe ergoß

und als Brüder huldvoll umschloß

Jesus die Völker der Welt.

5. Stille Nacht, heilige Nacht!

Lange schon uns bedacht,

als der Herr, vom Grimme befreit,

in der Väter urgrauer Zeit

aller Welt Schonung verhieß.

6. Stille Nacht, heilige Nacht!

Hirten erst kundgemacht.

Durch der Engel Halleluja

Jesus, der Retter, ist da!

 

 

 

 

 

 

 

Erzählungen

 

 

Die ganz kurze Weihnachtspredigt

[„Weihnachten alle Sünder kriegen, warum soll kleiner Sünder nicht kriegen“: Junge soll keine Schlittschuhe zu Weihnachten erhalten, aber die Mutter eines Jungen schenkt ihm gebrauchte Schlittschuhe]

Es muß vor etwa 30 Jahren gewesen sein, in meinem Heimatdorf, als ich noch zu meinem Vater in die Schule ging. Weihnachten kam, aber es war ein böses Weihnachten für mich. Mein Vater hatte in der Schule erklärt: „Wolfgang erhält in diesem Jahr zur Strafe nichts zu Weihnachten!“ Zur Strafe? Was ich verbrochen hatte? Pech hatte ich gehabt, ein wertvolles Kirchenfenster mit der Gummi-Schleuder beschädigt, ich, der Sohn vom Lehrer und Organisten.

Vater hat wohl schwer bezahlen müssen - wahrscheinlich hat er noch etwas draufgelegt, um die Schande los zu werden. Er hatte mich furchtbar verdroschen. Aber ich war ihm deswegen nicht böse. Ich war nur froh, daß der erste Schrecken überstanden war. Das Weihnachten ohne Geschenke würde ich auch noch überstehen. Aber das ist für einen Knirps gar nicht so leicht. Ich merkte es bald. Die anderen erzählten sich mit hochroten Köpfen, wie sie zu Hause heimlich nachgeguckt hätten und was da alles für sie in den Kleiderschränken bereit läge.

„Du kriegst doch diesmal nichts", sagten die anderen da höhnisch.

Eines Tages sagte plötzlich die Großmutter in ihrer kurzen, jedes überflüssige Wort meidenden Art: „Gut, daß ich dich treffe. Du gehst zum Waldhof, bringst Ware hin!“- „Ja, gern", sagte ich. Hier war ja eine Möglichkeit, etwas wieder gut zu machen. Der Waldhof war ein vornehmes Wintersporthotel in den waldigen Hügeln meiner Heimat, wo einsame Städter oft Weihnachten und Silvester feierten.

Ich ging also mit der Großmutter. Im Gehen sagte sie: „Such dir einen der mit geht und dir tragen hilft, ich mach die Sachen fertig!“ Also ging ich suchen. Aber niemand dachte daran mitzukommen. Keine Zeit. Und gar zum Waldhof, anderthalb Stunden. Am Heiligen Abend! Erst im Dunkeln zurück. Nee!“

Da lief mir Marjan über den Weg, mit dem ich sonst keine große Sache gemacht hatte. Er war klein, nicht ganz gerade gewachsen und hatte an der rechten Seite bloß ein halbes Ohr. Er sah mit dunkelbraunen Augen etwas frech in die Welt und hatte kornblondes Haar, das immer bestrebt war, sich aufzurichten. Wir Pharisäer mieden den Kleinen, weil seien Mutter als polnische Schnitterin  gekommen war; dünkten uns etwas Besseres.

„Marjan, kommst du mit zum Waldhof, ich muß was hinbringen?“ fragte ich ihn. „Wir kriegen bestimmt was dafür!“ Seine Augen blitzten: „Nach dem Waldhof - wo die feinen Leute sind? Klar komme ich da mit!“ - „Hilfst du mir auch ein bißchen, den Rucksack zu tragen. Wir wechseln uns ab!“ - „Mach ich, wann gehen wir denn?“ - „Jetzt gleich!“

Auf dem Weg sagte ich mit geheimnisvoll gedämpfter Stimme: „Paß auf, wenn wir heute hinkommen, werden sie sich freuen, daß wir ihnen etwas bringen - sie brauchen es doch!“ -

„Und dann geben sie uns was?“- „Ganz bestimmt! Vielleicht von dem feinen Gebäck, das unser Bäcker gar nicht backen kann - das so zerkrümelt, wenn man drauf beißt. Oder solche Schokoladenbohnen mit Schnaps drin. Vielleicht geben  auch noch ein Trinkgeld!“ - „ Heute geben sie gern“, sagte Marjan eifrig, „weil ja Weihnachten ist. Da sind die Leute anders. Und wenn die feinen Fräuleins den reichen Schatz mithaben, dann spendiert er uns was, damit sie ihn loben!“

Am Waldhotel griff ich mit klopfendem Herzen nach der Messingstange an der Tür und

öffnete. Es ging ziemlich schwer, und die Tür schloß sich schnell wieder, so daß Marjan einen Schubs abbekam. Wir standen in der Halle, die sehr warm und sehr hoch war. Oben waren da braune Falken  mit grünen Linien, und überall brannten Lichter und Lampen. Fichtenzweige, mit Lametta verziert, waren hier und da angebracht.

Ein paar Männer und Frauen saßen in weichen Sesseln und plauderten. Als sie uns beide stehen sahen, fingen sie an zu lachen. Ich lachte mit und nestelte den Rucksack von meinem Rücken, worauf ich mich vor den Leuten verneigte und sagte: „Wir bringen die Würste!“ Sie lachten noch lauter und sahen sich vor allem Marjan an. Ich sah erst jetzt, daß er ein Loch im Strumpf hatte, ein ziemlich großes sogar.

Neue Leute kamen in die Halle, sie brachten den Geruch von Braten mit. Da sprang auch schon der schwarzgekleidete Kellner aus ihnen heraus und zischte uns beide an. „Was wollt ihr?“ Ich wiederholte meinen Vers von den Würsten. „Warum seid ihr nicht durch den Kücheneingang gegangen?“ fauchte er und führte uns schnell aus der Halle auf einen langen Gang, der mit einem roten Teppich belegt war. Es ging durch ein paar Türen, und dann standen wir in der großen Küche.

„Hier die Würste!“ sagte ich zum Kellner. „Kommen direkt durch die Halle - daß Krause nicht besser aufpassen kann!“ Ein dicker Mann mit weißen Kleidern und einer riesigen Mütze trat vor uns. „Gebt her!“ sagte er und nahm den Rucksack. „Alles durcheinander gekollert, natürlich! Habt wohl mal reingeschmeckt oder gar reingelangt, was?“ - „Nein Herr“, stotterte ich, während sich Marjan hinter mir verkroch „Naja, ein gutes Gewissen scheint ihr mir nicht zu haben Daß sie auch immer alles auf die letzte Minute schicken müssen. Und - ja zum Donnerwetter - da ist doch gar keine Lende dabei - das hat noch gefehlt. Stille Nacht! Wo der Direktor so gerne Lende ißt! Wo habt ihr denn die Lende?“

„Ich weiß nicht, Herr Koch“, stotterte ich, „meine Großmutter hat alles fertiggemacht, wie es hier ist!“ - „Dann bestell ihr einen schönen Gruß und sag ihr, wenn sie unsere Aufträge nicht ausführen kann, soll sie es sein lassen - es gibt noch andere Metzger!“ - „Ja“, sagte ich. „Und auf was wartet ihn noch? Das Geld wird überwiesen. Geht hier hinaus,  ja nicht wieder durch die Halle - mit ‚nem Loch im Strumpf, du, schämst du dich denn nicht!“sagte der Koch mit  einem drohenden Blick auf Marjan. Wir machten, daß wir hinauskamen, trotteten enttäuscht davon und sprachen kein Wort. „War nichts mit ‚nem Essen", sagte endlich Marjan.  „Nein", gab ich kleinlaut zu und dachte mir: „Das war die Strafe für deine Lügen!“

Wir wanderten dann heimwärts. In unserem Dorf wurde geläutet, und wir schafften es noch bis hin zur evangelischen Kirche, denn wir brauchten sie gewissermaßen als Alibi für unsere Verspätung. Nun konnte uns keiner ausschimpfen. Marjan war beruhigt, es waren noch andere katholische Leute mit drinnen.

Mein Vater saß oben auf der Orgelbank, über ihm hing ein Spiegel. in dem er den Pfarrer sah. Der war ein alter Mann und sprach mit guter, warmer Stimme. Und so hörten wir die Geschichte von Maria und Joseph in der Notherberge mit der Krippe. Als wir schieden, sagte Marjan leise: „Kommst du morgen mal zu uns?“- „Will mal sehen“, antwortete ich ausweichend.

Zu Hause ging ich bald ins Bett. Ein paar Pfefferkuchen steckte mir die Mutter noch zu, und ich aß sie mit Tränen, während ich hörte, wie sich die kleineren Geschwister unten laut freuten. Sie dachten natürlich nicht daran, für mich zu bitten oder gar zu betteln, dazu waren sie noch zu klein. Nun, die Nacht ging auch vorüber. Ich hörte nachts die Glocken läuten - es war wohl das erste Mal, denn sonst war ich nach der großen Freude an einem Spielzeug erschöpft ins Bett gefallen. Als sie verklangen, gab ich mir innerlich wiederum einen Ruck, meine Eltern nie mehr Schande zu machen. Und  ich beschloß, Marjan aufzusuchen.

Am Nachmittag des ersten Weihnachtstages lief ich durchs Dorf bis dahin, wo die kleinen Hütten standen. Da war eine hölzerne Tür  mit einer einfachen Eisenklinke. Ich drückte die Klinke nieder und klopfte drinnen an eine zweite Tür, hinter der ich Marjans Stimme gehört hatte. Marjans Mutter machte mir auf.

„Hast du was gekriegt“, fragte Marjan. Ich schüttelte den Kopf und wurde rot, weil seine Mutter das alles mit anhörte. Da sah ich, wie Marjan seiner Mutter zunickte. Die ging an einen Schrank und öffnete eine der unteren Türen. Sie holte ein Paar verrostete Schlittschuhe hervor, die ein alter Riemen zusammenhielt.
„Da nimm“, sagte sie mit ihrer harten, fremden Stimme, „hab ich gefunden im Hofgarten, bei  Gerümpel - aber sind noch gut. Kein Schlüssel - mußt du drehen mit Nagel wie Marjan!“- „Frau….Frau..!“ Ich heulte. „Nix heulen, sind dein, Marjan hat“, sagte sie nur. „Ich darf sie aber nicht mit nach Hause nehmen“, schluchzte ich. „Laß hier bei uns.- holst, wenn du brauchst!“ - „Ich sollte doch diesmal nichts zu Weihnachten kriegen, Frau…!“- „Quatsch“„, sagte sie, „Weihnachten alle Sünder kriegen - warum soll kleiner Sünder nicht kriegen?“ Kein Prediger hat je die Weihnachtsbotschaft so kurz und bündig ausgelegt - mit Wort und Tat.

 

Mir kullerten noch immer die Tränen über die Wangen. Als wir die Schlittschuhe probierten, klopfte es plötzlich - und herein trat meine Großmutter mit einem Päckchen. Als sie mich sah, vergaß sie fast ihren weihnachtlichen Segenswunsch. „Hier“, sagte sie zu Marjan, „weil du gestern mit im Waldhotel warst!“  Ohne den Dank abzuwarten, war sie auch schon wieder verschwunden. Das Päckchen enthielt Würstchen. Marjan vergaß die Schlittschuhe und hüpfte vor Freude.

Natürlich lief meine Großmutter zu meinen Eltern, um sogleich zu berichten, was sie gesehen hatte. Vater war still, als ich heimkam, Mutter hatte rotgeränderte Augen: „Die Dummheit soll vergessen sein, Wolfgang“, sagte der Vater, „wünsch dir noch was zu Weihnachten!“ - „Laß mich zu Marjan gehen und sei gut zu ihm in der Schule“, sagte ich. Da stand er auf  und ging hinaus.

Nach Weihnachten bekam ich noch ein paar schöne Sachen - und auch Marjan durfte ich etwas bringen. Daß wir beide nun zusammenhielten wie Pech und Schwefel, war klar. Die anderen verspotteten mich und zogen mich auf. Aber ich ließ sie reden, denn Marjan war ein

 Freund, wie ich noch keinen gekannt hatte. Ich habe ihn oft besucht, wenn ich von der Universität heimkam. Aber seit dem Krieg habe ich nichts wieder über ihn erfahren können.

Nur die verspotteten Schlittschuhe habe ich noch, und die erinnern mich immer wieder an Marjan und seine Mutter. Von ihnen habe ich viel gelernt - all das, was auf den hohen Schulen nicht gelehrt wird: eine herbe, aber dafür umso tiefere Liebe zu allen Menschen. Und immer noch höre ich Marjans Mutter sagen: „Weihnachten alle Sünder  kriegen - warum kleiner Sünder nicht kriegen!“ (Alfred Otto Schwede, gekürzt).

 

 

 

Die Bauernmarie

Die Kirche  liegt auf einem kleinen Hügel„ etwas erhöht - aber nicht zu sehr - am Rande des Dorfes. Es gibt nichts Besonderes in ihr zu sehen. Oder vielleicht doch? Die Marienfigur etwa, dort in der Nische? Kein Werk eines berühmten Meisters, gewiß nicht. Aber, wie es aussieht, spätgotisch. Leider unter Denkmalsschutz! Pflegt Pfarrer Krumbholz zu sagen. Er kann sie nämlich nicht ausstehen. „Bauernmarie“ nennt er sie verächtlich. Sehen Sie sich doch bloß dieses dumme Gesicht an! Können Sie sich vorstellen, daß diese da die Mutter des Herrn sein könnte? Ich nicht! Während er das sagt, hat er sie überhaupt nicht angesehen.

Bei der Frauenhilfe kommt das Gespräch auf  die Neuen im Dorf, die Zugezogenen. „Also, wissen Sie, kein Benehmen hat das Volk. Glauben Sie wohl, die könnten grüßen? Nicht die Spur!“ - „Da haben Sie recht. Dieses junge Volk erwartet am Ende noch, daß man sie zuerst grüßt. Aber da können sie bei mir lange warten!“ - 

„Und Verhältnisse sind das! Nein, kaum zu sagen! In dem Hause gleich hinter der Kirche wohnt eine Familie Hartmann. Beide noch ganz jung. Aber ein Kind haben sie schon. Und wissen Sie, wann die geheiratet haben? Vor drei Monaten! Sie konnten nicht eher, weil sie nämlich noch nicht achtzehn war. Ich bitte Sie - wo gab es das denn früher: mit achtzehn ein Kind? Also, zu meiner Zeit gab es das nicht!“

„Ich bin völlig Ihrer Meinung, Frau Wiebecke“, sagt die Pfarrfrau, „so etwas gab es früher nicht. Sie müßten sich nur einmal die alten Kirchenbücher ansehen, die von Trauungen und Taufen ... Da können Sie es schwarz auf weiß lesen!“ Ganz sanft sagt das die Pfarrfrau.

Da ist doch ein Haken dabei, denkt Frieda, aber da ist es schon zu spät. Die anderen haben schneller begriffen und Gelächter läuft um den Tisch herum. Jetzt kann Krumbholz den Mund wieder zumachen. Was gesagt werden mußte, ist gesagt.

Beim Mittagessen fragt der Pfarrer die Kinder: „Wie geht es denn eurem Krippenspiel?“

Froh, daß die Kleinen nun endlich mitreden dürfen, reden sie erst einmal beide gleichzeitig. Dann hat sich Elisabeth das Wort erkämpft: „Ich finde, es wird ganz wunderschön. Bloß Johannes hat dauernd zu meckern ...“ - „Ich meckere gar nicht“, verteidigt sich Johannes, „aber ich soll vor der leeren Krippe hinknien und das Gebet sprechen. Und das will ich nicht.“ - „Sollst du gar nicht“, fällt ihm Elisabeth ins Wort, „wir legen eine Puppe hinein!“ - „Ja, ich weiß schon: Birgit mit dem Schielauge ...!“ Das geht tief, sehr tief. Elisabeths Augen bekommen einen feuchten Glanz, denn Birgit ist ihre Lieblingspuppe. Höchste Zeit also, daß die Mutter eingreift: „Schäm dich, Johannes. Die Birgit ist ein sehr hübsches Püppchen, und schielen tut sie gar nicht!“

Da läßt sich Thomas vernehmen: „Hör mal, Johannes. Ich verstehe schon, daß du keine Puppe in der Krippe haben willst. Aber du selber bist ja auch kein richtiger Hirte. Hast du das vergessen?“ Johannes hält vor Überraschung den Kopf schief. Nein, daran hat er bisher noch gar nicht gedacht. „Ich finde“, sagt Thomas, „du mußt so sprechen wie bei deinem Abendgebet. Du siehst Jesus nicht, aber du sprichst mit ihm, und er hört dich!“

Es klingelt. Auch das noch, denkt Krumbholz, wer kann denn das bloß sein? Heute am Heiligabend! Ein junger Mann steht draußen. Anorak, ohne Mütze auf dem Kopf. Krumbholz hat ihn noch nie gesehen. „Entschuldigen Sie die Störung“, sagt er. „Bitte, kommen Sie doch herein“, sagt Krumbholz. Der andere weiß nicht recht, ob das ernstgemeint ist. Er steht immer noch. „Kommen Sie doch bitte“, sagt Krumbholz noch einmal - was will der bloß? - und geht voran in sein Arbeitszimmer. Dem jungen Mann bleibt nun nichts anderes übrig, als zu folgen. Jetzt steht er im Zimmer des Pfarrers.

„Mein Name ist Hartmann ...!“. Hartmann, denkt der Pfarrer, Hartmann, woher kenne ich den Namen? „Wir wohnen nämlich in dem Hause gleich hinter der Kirche. Erst seit ein paar Wochen. Meine Frau schickt mich zu Ihnen ...!“ Siehst nicht gerade aus, als ob du gern gegangen wärst, denkt Krumbholz. Aber er unterbricht den andern nicht.

„Die Sache ist nämlich die“, fährt der junge Mann fort, „meine Frau hat eben angerufen, daß sie einen Betriebsunfall gehabt hat und ins Krankenhaus muß. Es ist nichts Schlimmes, sagt sie, aber soll doch geröntgt werden, sicherheitshalber, Sie wissen ja. Und ich muß heute leider zur Nachtschicht. Ich bin nämlich bei der Straßenbahn!“ -  „Und nun wissen Sie nicht, wo Ihr Kind unterdessen bleiben soll, nicht wahr?“ - „Ja, aber woher wissen Sie denn das? Sie kennen mich doch gar nicht!“ - „Es ist mein Beruf, zu wissen, wo den Leuten der Schuh drückt“, sagt Krumbholz mit einem Lächeln.

„Und Ihre Frau hat gesagt, geh doch mal zum Pfarrer!“ - „Ja, ja, so war es“, sagt der junge Mann. Er ist etwas überrascht durch diese Wendung des Gesprächs. Aber auch erleichtert, weil der andere ihm das Schwerste abgenommen hat. „Es handelt sich nur um ein paar Stunden, bis meine Frau kommt!“ -„Aber natürlich kann Ihr Kind so lange bei uns bleiben“, sagt der Pfarrer. „Wirklich? Das wollen Sie wirklich tun? Ich meine ..!“ Er ist etwas verwirrt. Er hatte gedacht, mit der Frau des Pfarrers zu verhandeln. Und nun entscheidet der Mann hier etwas, was doch eigentlich Frauensache ist.

Die Christvesper erwartet Krumbholz jedes Jahr mit einer Mischung von Angst und Freude. Die Kirche ist zwar nicht voll, bei weitem nicht. Aber die Gemeinde ist doch zahlreicher als zu jedem anderen Gottesdienst im Jahr. Wen sollte das nicht freuen. Aber er hat Angst, diese Gelegenheit zu versäumen. Wird er denen das rechte Wort sagen können, die nur dieses eine Mal unter seiner Kanzel sitzen? Das Ergebnis seiner Überlegungen ist, daß er diesmal auf eine lange Predigt verzichtet hat.

Die Kinder spielen ihr Krippenspiel. Und sie tun das so hingebungsvoll. Haben sie nicht doch größere Aussichten, die Herzen der Erwachsenen zu öffnen als er, dessen Predigt ja doch über die Köpfe hinwegrauscht? Er sitzt und hört zu. Vor dem Altar steht die Krippe. Maria sitzt und singt ihrem Kind das Wiegenlied, und Joseph ist ganz versunken in den Anblick dieses Bildes. Jetzt kommen die Hirten. Andächtig knien sie nieder und sagen ihr Sprüchlein: „Sei mir willkommen, edler Gast. Den Sünder nicht verschmähet hast und kommst ins Elend her zu mir; wie soll ich immer danken dir?“

Die Predigt ist also heute sehr kurz. Machen wir die Herzen weit auf, sagt er, um die Botschaft einzulassen, die uns die Kinder gebracht haben. Keiner soll unbeschenkt nach Hause gehen, denn für jeden gilt die Botschaft „Euch ist heute der Heiland geboren!“

Die Kinder freuen sich, daß der Pfarrer ihr Spiel in der Predigt so gelobt hat. Nach dem Gottesdienst verschwinden sie in der Sakristei, um aus Hirten und Engeln, aus Maria und Joseph wieder zu unbekümmerten lärmenden Jungen und Mädchen zu werden. Der Pfarrer ist bei ihnen. „Ihr habt es schön gemacht“, sagt er, und genau das wollen sie hören.

Da ertönt ein Schrei in der Kirche, nicht einmal laut, aber doch so, daß allen das Herz stillzustehen scheint. Krumbholz stürzt in die Kirche. Da steht Frieda mit weit aufgerissenen Augen, beide Hände auf dem Mund vor der Krippe. Krumbholz sieht in die Krippe und erbleicht. Mein Gott, das ist keine Puppe, das ist wirklich ein Kind. Das Kind, das ihnen zur Obhut anvertraut war! Die Jungen und Mädchen stehen mit betretenen Gesichtern um die Krippe.

„Siehste“, sagt eine Mädchenstimme. „Ich hab doch gedacht“, fängt Johannes an. „Was du gedacht hast, will ich jetzt nicht wissen! Steht nicht herum, bringt eine Decke, los, los! Mein Gott, das Kind kann sich doch den Tod holen ...!“ „Nein“, sagt der Kleinste der Schar, „das Christkind stirbt nicht!“

Aber für solche gewichtigen theologischen Aussagen ist Krumbholz jetzt nicht empfänglich. Unterdessen haben die Kinder ein Federbett herbeigeschleppt. Na, immerhin haben sie also das Kind nicht auf dem bloßen Arm in die Kirche gebracht. Sorgfältig in dem Federbett versteckt, trägt der Pfarrer das Kind im Sturmschritt ins Pfarrhaus, gefolgt von Elisabeth und Johannes. „Daß das noch rauskommen mußte“, ärgert sich Johannes, „keiner hatte es gemerkt. Und da muß zum Schluß noch die blöde Frieda. Was wollte die denn da vorn?“

 

Noch nie hat der Pfarrer so stark das Gefühl gehabt, daß ihm jedes Wort abgenommen wird. „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns!“ -  „Gott wird Mensch“, sagt Krumbholz, „ein Mensch, wie du und ich. Fleisch und Blut, wie du und ich. Er wird ein Kind, wie wir alle Kin­der gewesen sind. Er hielt es nicht für unter seiner Würde, so zu werden wie unsereiner!“ Und zum erstenmal predigt Krumbholz ohne Konzept: „Seht euch an! So, wie ihr ausseht, so sieht Gott aus. Gott kommt zu uns und redet freundlich mit uns. Dürfen wir es dann noch wagen, schlecht über einen Menschen zu reden? Gott hat uns nicht verachtet. Dürfen wir dann noch einen Menschen verachten?“   

An dieser Stelle muß er hinübersehen zu den Bänken auf der linken Seite. Dort sitzt jemand, dem er das ganz tief ins Gewissen reden möchte. Er sieht jedoch nur einen gesenkten Kopf unter einer dicken Pelzmütze. Wer mochte entscheiden, ob dieser Kopf gesenkt war aus Demut oder Verstocktheit - oder auch bloß aus Schläfrigkeit? Es schien ihm allerdings, als sei der Händedruck, mit dem sich Frau Wiebecke nach dem Gottesdienst von ihm verabschiedete, von einer anderen Art, als er es bisher von ihr gewohnt war.    

Eins ist noch nachzutragen: Als Pfarrer Krumbholz nach dem Gottesdienst die Kirche verlief, sah er zum erstenmal hinüber in die Nische, in der die Bauernmarie mit ihrem Kind stand. Und zum erstenmal lächelte er ihr zu. Daß er dabei ein sehr dummes Gesicht zog, das konnte er freilich nicht wissen (Dietmar Anger, gekürzt).

 

Der vierte König

In der Weihnachtserzählung von Matthäus 2 treten die Weisen aus dem Morgenland auf. Weil sie drei Geschenke bringen, nimmt man es, es seien drei Weise gewesen. Später wurden sie dann du den „Heiligen drei Königen“ gemacht. Es gibt aber auch noch eine Legende von einem vierten König, die aber in unterschiedlichen Fassungen überliefert wird: Der Name des „Königs“ ist dabei unterschiedlich, die Begegnungen mit anderen Menschen auch (entweder allgemein oder an biblische Geschichten angelehnt). Auch gibt es weitere Besonderheiten (Galeerendienst). Auch gibt es zwei literarische Fassungen dieser Erzählung von Henry van Dykes und Ezard Schaper.

Die Erstausgabe von Schapers Roman Der vierte König erschien 1961 im Verlag von Jakob Hegner; die bisher letzte Auflage wurde 1977 gedruckt. Die darin enthaltene gleichnamige „Legende vom vierten König“ wurde separat 1964 mit Illustrationen von Celestino Piatti gedruckt und entwickelte sich zu einem Longseller. Edzard Schaper wurde von Hitler und Stalin zum Tode verurteilt. Als er 1944 mit seiner Familie über Finnland nach Schweden floh, verdächtigte ihn die geheime Staatspolizei als Doppelagenten und sperrte ihn in ein Lager.

Der Roman basiert auf diesen Grenzerfahrungen von Vertreibung, Flucht, Gefangenschaft und spiegelt sie im Symbol des vierten Königs. „Die Legende vom vierten König“ beschreibt – in den Worten des Schaper-Biographen Uwe Wolff „eine Passionserfahrung“: Ein junger russischer König macht sich mit seinem Pferd Wanjka auf den weiten Weg nach Bethlehem, um das göttliche Kind in der Krippe anzubeten. Unterwegs erleidet er viele Schicksalsschläge und erreicht erst nach 30 Jahren Umweg sein Ziel.

 

Gemeinsam aber ist allen Fassungen: Der vierte König macht sich – ebenso wie auch die drei Könige der katholischen Tradition – zur Zeit der Geburt des Heilands auf, um ihm zu huldigen. Er erreicht sein Ziel aber erst nach drei Jahrzehnten, wobei er seine ursprünglich für den neugeborenen König mitgebrachten Gaben für Werke der Barmherzigkeit hingibt. Er kommt gerade noch rechtzeitig, um den Gekreuzigten auf Golgatha zu sehen.

Es folgen jetzt einige Versionen, zum Teil nur als Zusammenfassungen, zum Teil auch nur unvollständig.

 

Henry van Dyke: Der vierte Weise.

Immer wieder muß ich an die Geschichte vom vierten König denken. So viele Jahre waren mir nur die drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar bekannt – mit ihren erhabenen Häuptern, ihren verwunderlichen Gaben, Weihrauch, Myrrhe und Gold und ihrem kurzen und gelungenen Besuch beim neugeborenen Kind in Bethlehem. Der vierte König heißt Artaban und er verkörpert den menschlichen, irdischen Weg zum Christentum. Den Weg, der vom Scheitern geprägt ist, und den manch einer von uns vielleicht kennt.

Artaban ist der vierte Weise aus dem Morgenland, er will mit den drei anderen dem Stern nach Bethlehem folgen, um dem neuen König zu huldigen. Er nimmt für ihn einen Saphir, einen Rubin und eine Perle mit. Aber er erreicht seine Gefährten nicht rechtzeitig, da er einem Kranken, der ihm im Weg lag, geholfen und sein Leben gerettet hat. Die anderen sind bereits fort, als er am vereinbarten Ort anlangt.

Artaban macht sich alleine auf die weite und unbekannte Reise, er folgt dem Stern unbeirrbar. Denn dem Lauf des Sterns zu folgen, so heißt es, bedeutet, die Fäden des Lebensmysteriums vom Anfang bis zum Ende zu entwirren.

Seine Reise verzögert sich. Er muß den Saphir verkaufen, um sich eine Ausrüstung zu beschaffen, damit er allein die Wüste durchqueren kann. Er folgt dem Stern weiter, denn die Sterne repräsentieren die Gedanken des Ewigen und somit des Neuen. Artaban bleibt seinem Weg treu und er läßt sich von seinem Glauben, seiner Liebe und einer Hoffnung tragen, den neuen König noch begrüßen zu dürfen, obgleich die Zeit weit vorangeschritten ist und der Stern bereits verblaßt.

Als er endlich nach Bethlehem kommt, ist die heilige Familie schon geflohen – seine drei Gefährten, die ihm voraus waren, bereits weitergezogen. Erschöpft findet er einen Unterschlupf bei einer jungen Frau mit einem kleinen Kind, und er kann, auf Grund des Hinweg­gebens seines Rubins, verhindern, daß auch das kleine Kind in diesem Haus den Schergen des Herodes zum Opfer fällt.

Artaban zieht weiter. Müde und schwach. Er sucht den König, verliert seine Spur nicht, aber immer ist er zu spät. Jahre vergehen. Oft ist er der Verzweiflung nahe. Nach dreiunddreißig Jahren kommt er als alter und gebrechlicher Mann wieder nach Jerusalem, bereit zu sterben, aber noch immer ein Suchender nach dem neuen König, auch, wenn er schon fast aufgegeben hat. Einzig seine Perle ist ihm als Gabe noch geblieben.

Da kommt ihm ein Trupp Soldaten entgegen, der ein junges Mädchen vor sich her treibt, die als Sklavin verkauft werden soll. Das Mädchen umklammert in Todesangst die schwachen Knie Artabans und fleht um Hilfe. Und wieder droht die Seele Artabans im Zweifel zu zerplatzen – soll er auch noch die letzte Gabe hingeben, ohne den König gefunden zu haben? Artaban gibt sich geschlagen, er schenkt die Perle dem Mädchen, damit sie ein Lösegeld hat. Er selber gesteht sich ein, daß seine Suche gescheitert ist, daß sie vorüber ist und daß er nun sterben könne, ohne den Stern gefunden zu haben.

Er liegt am Straßenrand und sieht, wie Menschenmengen an ihm vorbei nach Golgatha ziehen, um dabei zu sein, wenn zwei berüchtigte Räuber und einer, der Jesus von Nazareth genannt wird, gekreuzigt werden sollen. Artaban gibt sich seiner Schwäche hin, und hört eine Stimme, die zu seinem Herzen spricht. „Wahrlich ich sage euch: Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Und so ist er im Tod dem neuen König, den er so lange gesucht hat, ganz nah. Er findet ihn.

 

Der vierte Weise

Eine alte Legende berichtet, daß damals, als der Stern von Bethlehem aufging, nicht nur drei Weise sein Licht sahen und sich aufmachten, den neugeborenen König zu suchen. Es gab auch noch einen vierten, einen weisen Magier mit Namen Artaban. Er hatte mit seinen drei Freunden lange auf den König der Wahrheit, der von Gott kommen sollte, gewartet. Als er nun seinen Stern sah, beschloß er, gemeinsam mit den anderen Weisen das göttliche Kind zu suchen.

Artaban war nicht reich und sein Besitz nur klein. Um dem König kostbare Geschenke bringen zu können, verkaufte er alles, was er hatte, sein Land, sein Haus und die wenigen Schätze, die er ererbt hatte, und erwarb dafür drei kostbare Edelsteine: einen Saphir, einen Rubin und eine Perle. Dann brach er auf, um sich mit seinen Gefährten zu treffen. Den ganzen Tag war er unterwegs, in großer Eile ritt er, um die Zeit nicht zu versäumen. Am Abend, als er durch eine einsame Gegend kam, scheute plötzlich sein Pferd. Am Wege lag ein Mann, halbtot, von Räubern überfallen und beraubt. Artaban stieg ab, gab dem Mann zu trinken und zu essen, verband seine Wunden und führte ihn in die nächste Herberge.

Inzwischen war es Nacht geworden, und der wunderbare Stern ging am Himmel auf. Artaban dachte an das Ziel seiner Reise und machte sich bereit weiterzuziehen. Als er nun dem Geretteten Lebewohl sagen wollte, brachte er es nicht übers Herz, den Mann krank und ohne Geld zurückzulassen. Er zog den kostbaren Saphir hervor. „Nimm ihn“, sagte er, „verkaufe ihn, laß dich gesund pflegen und ersetze dir alles, was dir genommen wurde!“ Dann machte er sich auf den Weg, die Freunde zu treffen.

Aber es war zu spät. An dem Treffpunkt angekommen, mußte Artaban feststellen, daß die Gefährten schon fort waren. Ratlos stand er. tief enttäuscht. Da erblickte er im Morgendämmer wieder den Stern am Himmel. Freundlich und tröstlich leuchtete sein Licht wie ein Zeichen der Hoffnung. „Ich werde allein nach Judäa ziehen und nach dem göttlichen Kind suchen“, sprach er zu sich selbst. „Der Stern wird mich führen!“ Und er machte sich auf den Weg.

Einige Tage, nachdem seine drei Freunde Bethlehem erreicht und dem Jesuskind ihre Gaben gebracht hatten, kam auch Artaban in dem Städtchen an. Immer noch stand der Stern am Himmel, aber in Bethlehem herrschte Angst und Not. Aus vielen Häusern drang Weinen und Totenklage. Soldaten des Königs Herodes durchstreiften die Straßen und durchsuchten die Häuser. Vorsichtig klopfte Artaban an eine Hütte am Stadtrand. Ein Mann öffnete das Tor einen Spaltbreit und blickte den Fremden fragend an.

(ab hier nur Zusammenfassung: Erschöpft findet er einen Unterschlupf bei einer jungen Frau mit einem kleinen Kind, und er kann, auf Grund des Hinweg­gebens seines Rubins, verhindern, daß auch das kleine Kind in diesem Haus den Schergen des Herodes zum Opfer fällt).

 

Dreiunddreißig Jahre waren vergangen, seitdem Artaban den Stern zum ersten Male gesehen hatte. Wieder einmal kam er nach Jerusalem. Es war zum Passafest, und ein Strom von Fremden wälzte sich durch die Straßen. Die Menschen waren in seltsamer Erregung, überall hörte man das Schreien und Rufen: „Hinweg mit ihm! Ans Kreuz mit dem Lästerer!“

Artaban stand nahe beim Königspalast an eine Säule gelehnt. Zu Tode erschöpft ließ er die Menschenmenge an sich vorüberziehen. Schließlich fragte er einen Vorübergehenden nach der Ursache des Tumultes. Der Mann antwortete hastig: „Wir gehen hinaus zur Hinrichtungsstätte vor den Toren. Drei Männer werden dort gekreuzigt. Der eine ist Jesus von Nazareth. der der König der Juden sein wollte!“ „Ja“, rief ein anderer höhnisch dazwischen, „so vielen Menschen hat er geholfen, aber sich selbst kann er nicht helfen“.

Da ging es dem alten Weisen durchs Herz. König der Juden? Jesus von Nazareth, der vielen Menschen geholfen hatte? Es war ihm, als sähe er wieder den Stern vor sich, wie damals, als er zu seiner Wanderung aufgebrochen war. Hatte er nun den König gefunden?

Plötzlich schrak er zusammen. Vom Palast des römischen Statthalters näherte sich ein Trupp Soldaten, von einem Centurio geführt. Langsam, widerwillig wichen die Menschen zur Seite, und dicht an Artaban vorbei zogen die Römer. In ihrer Mitte führten sie die drei Verurteilten, die hinter den Helmen, Schilden und Spießen ihrer Bewacher kaum sichtbar wurden.

Artaban versuchte, die Gesichter der Männer zu erkennen, doch die johlende Menschenmenge bedrängte ihn, so daß er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Nur einen kurzen Augenblick, bevor er zur Seite geschoben wurde, sah er zwischen den Soldaten die Gestalt eines der Verurteilten. Er trug eine Krone aus Dornengerank auf dem Kopf, und es schien Artaban, als schaue dieser Mann ihm gerade in die Augen. Dieser Blick traf ihn bis ins Innerste. Ganz sicher wußte er plötzlich, daß er am Ziel war. Er fühlte es: Der ist es, den ich gesucht habe. Diesen hat der Stern angekündigt! Er ist der von Gott gesandte Retter.

Die Soldaten waren weitergezogen und der Mann mit der Dornenkrone nicht mehr sichtbar. Verzweifelt überlegte Artaban: War es zu spät? War er am Ende seines Lebens nach Jerusalem gekommen, um den lang Gesuchten am Kreuz zu finden? Aber vielleicht, so ging es ihm durch den Sinn, könnte er den Todgeweihten retten, ihn freikaufen, könnte seinen letzten Schatz, die Perle, für ihn geben, damit man ihn losließ? Hoffnung erfüllte ihn von neuem, und er schloß sich der Menge an.

Mühsam nur kam er vorwärts. Schon waren die meisten zur Stadt hinausgeströmt, da kam ihm am Tor ein Trupp Soldaten entgegen, die ein junges Mädchen gefangen führten. Voller Mitleid blieb der alte Mann stehen (Fortsetzung nach van Dyke: Da kommt ihm ein Trupp Soldaten entgegen, der ein junges Mädchen vor sich her treibt, die als Sklavin verkauft werden soll. Das Mädchen umklammert in Todesangst die schwachen Knie Artabans und fleht um Hilfe. Und wieder droht die Seele Artabans im Zweifel zu zerplatzen – soll er auch noch die letzte Gabe hingeben, ohne den König gefunden zu haben? Artaban gibt sich geschlagen, er schenkt die Perle dem Mädchen, damit sie ein Lösegeld hat. Er selber gesteht sich ein, daß seine Suche gescheitert ist, daß sie vorüber ist und daß er nun sterben könne, ohne den Stern gefunden zu haben.

Er liegt am Straßenrand und sieht, wie Menschenmengen an ihm vorbei nach Golgatha ziehen, um dabei zu sein, wenn zwei berüchtigte Räuber und einer, der Jesus von Nazareth genannt wird, gekreuzigt werden sollen. Artaban gibt sich seiner Schwäche hin, und hört eine Stimme, die zu seinem Herzen spricht. „Wahrlich ich sage euch: Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan!“ Und so ist er im Tod dem neuen König, den er so lange gesucht hat, ganz nah. Er findet ihn.

Die Legende vom vierten König (Edzard Schaper, Nacherzählung)

Edzard Schaper hat die russische Legende vom „Vierten König“ erzählt. Er berichtet, ursprünglich machten sich vier Könige, nicht deren drei, auf den Weg, den ihnen der Stern wies. Der vierte König trug drei kostbare Edelsteine mit sich. Die anderen, das weiß jedes Kind, hatten Weihrauch, Gold und Myrrhe bei sich, so will es die Überlieferung. Der Weg des vierten Königs trennt sich sehr bald von den drei anderen. In ihm brannte eine tiefe Sehnsucht, dem neugeborenen König zu begegnen. Er reitet als letzter, ganz in seinen Wunschtraum versunken.

Unterwegs am Straßenrand, gleichsam in der Gosse, findet er ein nacktes Knäblein, daß aus fünf Wunden blutet und dem Tode nahe ist. Der vierte König hebt es auf, bringt es in ein Dorf, wo das Kind niemand kennt. Der junge König hatte es sogleich liebgewonnen, daß er es einer guten Frau zur Pflege gab. Und bei ihr läßt einen Edelstein zurück, damit die Kosten für die Pflege des Kindes gesichert sind. Die anderen Könige sind inzwischen weitergezogen, ihrem Stern folgend. Sie hatten das schutzlose Kind in der Gosse nicht wahrgenommen, so waren sie auf  „ihren“ Stern fixiert.

Der vierte König macht sich auf den Weg und eines Tages erblickt er den Stern wieder und eilt ihm nach. Seine Sehnsucht, den Heiland der Welt zu finden, ist groß und zugleich geht ihm das Kind mit seinen fünf Wunden nicht aus dem Sinn.

In einer Stadt trifft er auf einen Leichenzug. Weinende Kinder trauern um ihren Vater, zusammen mit der Mutter. Dieser war hochverschuldet gestorben und die Kinder sollten zur Tilgung seiner Schuld als Sklaven verkauft, die Familie auseinander gerissen werden. Niemand fand sich bereit, für ihre Schulden aufzukommen. Ein weiterer Edelstein des vierten Königs erspart ihnen dieses Schicksal: „Bezahlt damit, was ihr schuldig seid und kauft euch Haus und Hof und Land, damit ihr und eure Kinder eine Heimat habt!“

Kaum hatte er das gesagt, da schwang sich der König auf sein Pferd und reitet dem Stern entgegen. Doch der Stern war wie erloschen, tage- und wochenlang sucht und forscht er nach ihm. Und er wurde ganz traurig. Er bekam Angst, den neugeborenen König nun nie mehr zu finden.

Er kam durch ein fremdes Land. Krieg wütete dort, Leid, Elend und Blut bedeckten die Erde und die Herzen der Menschen. In einem Dorf hatten die Soldaten die Bauern auf einem Platz zusammengetrieben. Eines grausamen Todes sollten sie sterben. In den Hütten schrieen die Frauen voller Entsetzen und die Kinder wimmerten vor Angst. Seinen letzten Edelstein setzt der vierte König ein, um die Männer des ganzen Dorfes freizukaufen, die, von den Soldaten als Geiseln gefangen, in ihrem Leben bedroht sind.

Müde und traurig reitet er weiter. Sein Stern leuchtet nicht mehr. Seine Seele ist angefüllt mit Gram. Wo war nur der Weg, den er zu gehen hatte, um dem König der Menschen zu begegnen. Immer und immer wieder reißt die Not der Menschen ihn aus seinem Traum auf und scheint ihn vom eigentlichen Ziel abzuhalten. Jahrelang wandert er zu Fuß weiter, denn auch noch sein Pferd hatte er zwischenzeitlich verschenkt.

Nichts besaß er mehr. Jetzt mußte sogar er selber betteln. Und doch ist er immer wieder bereit, anderen zu helfen: dort trägt er einer alten Frau die zu schwere Last; hier zeigt er einem Schwachen, wie er sich gegen die Übermacht der Stärkeren durchsetzen kann; er pflegt Kranke und scheucht sogar einem halbverhungerten Pferd die lästigen Fliegen fort.

Und schließlich erlebt er, wie ein Sklave wegen Ungehorsams gegenüber seinem Herrn als Ruderknecht auf eine Galeere verschickt werden soll: Frau und Kinder müßten schutzlos alleine zurückbleiben. Seinen Leitstern schien der vierte König bereits verloren. So bietet er sich selbst an, dem ungehorsamen Sklaven die Freiheit schenkend, als Rudersklave auf dem Schiff zu arbeiten.

Jahre um Jahre vergingen, er ist alt und grau geworden, als man ihn endlich entläßt: untauglich und wertlos für die Welt. Da träumte er eines Nachts von seinem Stern, dem zu folgen er als junger Mann ausgezogen war. Und eine Stimme rief ihm im Traum zu: „Beeile dich, beeile dich!“

Kaum erwacht, brach er noch in derselben Stunde auf. Und als er wieder in die Nacht hinein ausschritt, da leuchtet vor ihm sein Stern. Sein Glanz war rot wie die Sonne des vergangenen Abends. So beeilt er sich und kommt an die Tore einer großen Stadt. In ihren Straßen ist lärmendes Treiben. Aufgeregte Gruppen von Menschen stehen zusammen, und immer wieder tauchen Soldaten auf, die jene auseinander scheuchen.

Viele ziehen hinaus vor die Mauern. Und dieser Menschenstrom reißt auch ihn mit. Dumpfe Angst preßt ihm die Brust zusammen. Er befindet sich inmitten einer grölenden Menschenmasse, die hinausströmt, um einer Hinrichtung beizuwohnen. Wird er nur mitgerissen? Geht er, von Neugier getrieben oder von was sonst, mit? Und da sieht er ihn auch wieder, seinen Stern, genau über dem mittleren Pfahl ist er stehen geblieben. Und er leuchtet hell auf. Es ist dem König, als schreie der Stern ein letztes Mal auf, um dann zu erlöschen!

Den vierten König trifft der Blick des Gekreuzigten, und er erkennt in diesem Blick, daß er das Ziel erreicht hatte, zu dem er sein Leben lang unterwegs war: Jesus Christus. Alles Leid, alle Qual der Erde mußte dieser Mensch in sich gesogen haben, so empfindet der König seinen Blick. Aber auch alle Güte und eine grenzenlose Liebe atmen aus seiner Gestalt, die noch in der Entstellung des Schmerzes schön und voller Würde ist. Seine Hände sind wegen der Nägel in den Handgelenken gekrümmt und doch leuchtet es wie ein Strahlen aus diesen Händen, wie eine geheimnisvolle Kraft, die von dort ausgeht.

Der vierte König kommt rechtzeitig zum Höhepunkt: der Hinrichtung. Der vierte König sinkt in die Knie und streckt ihm, dem König über Zeit und Ewigkeit, seine leeren Hände zum Kreuz entgegen. Da fallen, so lehrt uns die Legende, drei Tropfen Blut in die offenen Hände des vierten Königs. Sie sind leuchtender als seine drei Edelsteine.

Manche erzählen die Legende des Vierten Königs auch mit folgendem Schluß: Der Vierte König kam zu Jesus ans Kreuz. „Hier bin ich“„, sagte er zu Jesus.“Mein ganzes Leben wollte ich nur das eine: Dich finden. Ich habe keine Gabe mehr für dich, ich bin gebrochen wie du. Was ich dir geben kann, das ist meine Armut, meine Sehnsucht und meine Schwäche!“ Da sah der König plötzlich wieder das helle Licht des Sterns nach so vielen Jahren! Und eine große Freude erfaßte ihn. Er taumelte und fiel vor dem Kreuz zu Boden. Er spürte keinen Schmerz und keine Furcht. „Ich habe den König der Welt gefunden! Ich habe meinen Herrn gefunden!“ dachte er. Es war sein letzter Gedanke... Kurz darauf fanden die Leute den Toten. Der König lächelte.

Die Legende vom vierten König (nach einer alten russischen Legende).

Außer Caspar, Melchior und Balthasar war auch ein vierter König aus dem Morgenland aufgebrochen, um dem Stern zu folgen, der ihn zu dem göttlichen Kind führen sollte. Dieser vierte König hieß Coredan. Drei wertvolle rote Edelsteine hatte er zu sich gesteckt und mit den drei anderen Königen einen Treffpunkt vereinbart. Doch Coredans Reittier lahmte unterwegs. Er kam nur langsam voran, und als er bei der hohen Palme eintraf, war er allein. Nur eine kurze Botschaft, in den Stamm des Baumes eingeritzt, sagte ihm, daß die anderen drei ihn in Betlehem erwarten würden.

Coredan ritt weiter, ganz in seinen Wunschträumen versunken. Plötzlich entdeckte er am Weg­rand ein Kind, bitterlich weinend und aus mehreren Wunden blutend. Voll Mitleid nahm er das Kind auf sein Pferd und ritt in das Dorf zurück, durch das er zuletzt gekommen war. Er fand eine Frau, die das Kind in Pflege nahm. Aus seinem Gürtel nahm er einen Edelstein und vermachte ihn dem Kind, damit sein Leben gesichert sei. Doch dann ritt er weiter, seinen Freunden nach.

Er fragte die Menschen nach dem Weg, denn den Stern hatte er verloren. Eines Tages erblickte er den Stern wieder, eilte ihm nach und wurde von ihm durch eine Stadt geführt. Ein Leichenzug begegnete ihm. Hinter dem Sarg schritt eine verzweifelte Frau mit ihren Kindern. Coredan sah sofort, daß nicht allein die Trauer um den Toten diesen Schmerz hervorrief. Der Mann und Vater wurde zu Grabe getragen. Die Familie war in Schulden geraten, und vom Grabe weg sollten die Frau und die Kinder als Sklaven verkauft werden.

Coredan nahm den zweiten Edelstein aus seinem Gürtel, der eigentlich dem neugeborenen König zugedacht war. „Bezahlt, was ihr schuldig seid, kauft euch Haus und Hof und Land, damit ihr eine Heimat habt!“ Er wendete sein Pferd und wollte dem Stern entgegen reiten - doch dieser war erloschen. Sehnsucht nach dem göttlichen Kind und tiefe Traurigkeit überfielen ihn. War er seiner Berufung untreu geworden? Würde er sein Ziel nie erreichen?
Eines Tages leuchtete ihm sein Stern wieder auf und führte ihn durch ein fremdes Land, in dem Krieg wütete. In einem Dorf hatten Soldaten die Bauern zusammengetrieben, um sie grausam zu töten. Die Frauen schrieen und Kinder wimmerten. Grauen packte den König Coredan, Zweifel stiegen in ihm auf. Er besaß nur noch einen Edelstein - sollte er denn mit leeren Händen vor dem König der Menschen erscheinen? Doch dies Elend war so groß, daß er nicht lange zögerte, mit zitternden Händen seinen letzten Edelstein hervorholte und damit die Männer vor dem Tode und das Dorf vor der Verwüstung loskaufte. Müde und traurig ritt Coredan weiter.

Sein Stern leuchtete nicht mehr. Jahrelang wanderte er. Zuletzt zu Fuß, da er auch sein Pferd verschenkt hatte. Schließlich bettelte er, half hier einem Schwachen, pflegte dort Kranke; keine Not blieb ihm fremd. Und eines Tages kam er am Hafen einer großen Stadt gerade dazu, als ein Vater seiner Familie entrissen und auf ein Sträflingsschiff, eine Galeere, verschleppt werden sollte. Coredan flehte um den armen Menschen und bot sich dann selbst an, anstelle des Unglücklichen als Galeerensklave zu arbeiten.
Sein Stolz bäumte sich auf, als er in Ketten gelegt wurde. Jahre vergingen. Er vergaß, sie zu zählen. Grau war sein Haar, müde sein zerschundener Körper geworden. Doch irgendwann leuchtete sein Stern wieder auf. Und was er nie zu hoffen gewagt hatte, geschah. Man schenkte ihm die Freiheit wieder; an der Küste eines fremden Landes wurde er an Land gelassen. In dieser Nacht träumte er von seinem Stern, träumte von seiner Jugend, als er aufgebrochen war, um den König aller Menschen zu finden.

Eine Stimme rief ihn: „Eile, eile!“ Sofort brach er auf, er kam an die Tore einer großen Stadt. Aufgeregte Gruppen von Menschen zogen ihn mit, hinaus vor die Mauern. Angst schnürte ihm die Brust zusammen. Einen Hügel schritt er hinauf. Oben ragten drei Kreuze. Coredans Stern, der ihn einst zu dem Kind führen sollte, blieb über dem Kreuz in der Mitte stehen, leuchtete noch einmal auf und war dann erloschen. Ein Blitzstrahl warf den müden Greis zu Boden. „So muß ich also sterben“, flüsterte er in jäher Todesangst, „sterben, ohne dich gesehen zu haben? So bin ich umsonst durch die Städte und Dörfer gewandert wie ein Pilger, um dich zu finden, Herr?“ Seine Augen schlossen sich. Die Sinne schwanden ihm.

Da aber traf ihn der Blick des Menschen am Kreuz, ein unsagbarer Blick der Liebe und Güte. Vom Kreuz herab sprach die Stimme: „Coredan, du hast mich getröstet, als ich jammerte, und gerettet, als ich in Lebensgefahr war; du hast mich gekleidet, als ich nackt war!“ Ein Schrei durchbebte die Luft - der Mann am Kreuz neigte das Haupt und starb. Coredan erkannte mit einem mal: Dieser Mensch ist der König der Welt. Ihn habe ich gesucht in all den Jahren. - Er hatte ihn nicht vergebens gesucht, er hatte ihn doch gefunden.

 

Die Legende vom vierten König

Außer den drei weisen Männern, die das Kind in der Krippe anbeten wollten, hatte sich auch noch ein vierter König auf den Weg gemacht. Drei wertvolle Edelsteine wollte er schenken. Aber weil sein Reittier lahmte, kam er nicht rechtzeitig zum vereinbarten Treffpunkt. Trotzdem machte er sich auf. Doch er kam zu spät.

Eine arme Mutter, die sich nicht trösten ließ, erzählte ihm von dem furchtbaren Kindermord in Bethlehem, dem auch ihr Söhnchen zum Opfer gefallen war. Voller Mitleid schenkte er ihr einen leuchtend roten Edelstein, den er eigentlich dem Königskinde schenken wollte. Nach langen Monaten erreichte er Ägypten, aber er fand heraus, daß das Jesuskind und mit seinen Eltern wieder in die Heimat gezogen war.

Diesmal war er Jahre unterwegs. Überall fragte und suchte er. Am Rande einer großen Stadt traf er auf einen Aussätzigen, der schon fast verhungert war. Ihm schenkte er den zweiten Edelstein, damit er sich in Zukunft helfen könne. Trotz der schließlich dreißig Jahre seines Suchens hatte seine Sehnsucht, den König der Welt zu finden, eher noch zugenommen. Aber er fühlte auch, wie sein altes Herz die anstrengende Reise um die halbe Welt nicht mehr lange aushalten würde. Einem nackten und frierenden Kind schenkte er noch den letzten Edelstein, damit es sich kleiden und satt essen könne.

Plötzlich wurde es dunkel, dabei war es erst kurz nach Mittag. Die Erde begann zu zittern. In

Todesangst dachte er: „Ist denn mein ganzes Suchen umsonst gewesen?“ Aber da strahlte ihm

vom Kreuz ein himmlisches Licht entgegen, und er hörte eine Stimme, die sprach: „Du hast mich getröstet, als ich jammerte; gerettet, als ich in Lebensgefahr war, und mich gekleidet, als ich nackt war!“ - „Herr, ich? Wo?“ - „Was du den Menschen, die in Not waren, getan hast, das hast du mir getan!“ Da gab der vierte König gerne dem Weltenkönig am Kreuz sein Leben zurück; denn nun hatte er ihn doch noch gefunden!

 

Johann Christoph Hampe nach einer Legende aus Byzanz:

Der vierte Weise aus dem Morgenland (zu dieser Erzählung gibt es auch Bilder).

Akiba, der vierte Weise aus dem Morgenland, sitzt auf dem Dach seines Hauses und sieht die Sterne an. Er hat den Stern von Bethlehem entdeckt und will gleich am anderen Tag losziehen, um den König der Welt zu sehen. Seine Frau Gomer jedoch sieht nur Sterne wie sonst auch: Sie sagt: „Jetzt mitten im Winter. Und wer soll nach dem Vieh sehen. Und  ich bin dann ganz allein!“ Aber Akiba will sogar noch alle seine Edelsteine mitnehmen.

Unterwegs in einer Schlucht. Selbst dem Esel ist es unheimlich. Plötzlich eine Stimme: „Herr, hilf mir - schnell!“ Ein Mann liegt ausgeraubt am Boden. Akiba  will ihm die Fesseln durchschneiden und schnell weiterreiten, damit der Stern nicht verbleicht. Er sagt: „Hier kommen morgen früh sicher Leute vorbei, die können euch dann weiterhelfen!“ Doch der Beraubte ruft: „So lang werde  ich nicht leben. Und hier kommen wenige Leute vorbei, und meist sind die hartherzig. Was ist das denn für ein Stern, zu dem ihr wollt?“- „Er zeigt den Heiland aller Menschen an!“ Da kniet der Esel am Wege nieder, damit der Verletzte aufgeladen werden kann.

Sie treffen auf ein Haus in der Einöde. Aber der Bauer will den Verletzten nicht aufnehmen: „Wir sind arm und haben auch keinen Platz!!“ - „Ich gebe dir auch ein Goldstück. Er stirbt doch sonst, wenn wir weiterziehen!“- „Er stirbt auch hier!“- „Aber ein Kaufmann kann ihn morgen mitnehmen!“ - „Hier kommt keiner mehr her. Es gibt Sturm - Sandsturm!“  - „Ich geb euch mehr Geld!“ - „Ein kranker Mensch macht nur Ärger und Unannehmlichkeiten!“ Die Tür ist zu. Der Bauer hatte keine Gastfreundschaft gelernt. Auch für Geld und gute Worte war er nicht bereit. Doch der Esel sagte zu Akiba:  „Auch du hast erst nicht gewollt!“

Der Sandsturm setzt ein. Sie können den Kranken nur hinters Haus bringen und sich unter einer Decke verkriechen. Ein Becher Wasser bringt etwas Linderung. Aber er wird den fremden Menschen nicht retten. Da sagt der Esel: „Du hast doch Edelsteine, die werden den Stein von Bauern erweichen!“ Der Bauer tut es, und sie können weiterziehen, Nacht um Nacht, immer dem Stern nach. Sturm und Regen, wilde Tiere und Hochwasser halten sie auf.

Mitter in der Nacht klopft Akiba  bei seinem Freund Melchior an. Aber seine Mutter kann ihm nur sagen: „Ein Mann aus Babylon kam hier vorbei und erzählte von einem Stern und einem König. Mit dem ist Melchior fortgezogen. Und auf der Brücke hat sich noch ein Perser mit Namen Balthasar hinzugesellt. Sie hatten auch alle prächtige Geschenke mit!“

Akiba trabt auf seinem Esel durch Dörfer und Städte, bis eines Nachts der Stern verschwunden ist. Da ziehen sie bei Tage weiter, wenn sich auch Akiba Vorwürfe macht, daß er sich durch den Beraubten hat aufhalten lassen und noch dazu seine Edelsteine losgeworden ist. Nun können sie sich nur noch durchfragen, wo die drei vor ihnen hingeritten sind.

In einer großen Stadt verliert sich die Spur. Aber am Ausgang trifft Akiba auf die anderen drei, die gerade von dem neuen König zurückkommen: „Denk nur, er lag in einem Stall auf Stroh und Hirten waren seine Gesellschaft, Esel, Rinder und Schafe!“ - „Und weiter nichts?“ fragt Akiba. „Doch, ein Kind, nackt und bloß. Doch uns war so wunderlich zumute. Wir knieten nieder, falteten die Hände - es war, als sei aller Streit zu Ende!“ Akiba fragt: „Ich aber nur noch zwei Edelsteine. Genügt das als Geschenk?“ - „Wenn du dich nur selber gibst. Mehr will der heilige Christ gar nicht. Geh nur nach Bethlehem, dort findest du ihn im allerärmsten Haus!“

Sie eilen nach Bethlehem. Akiba hält schon die ganze Zeit den blauen Amethyst in der Hand, den will er zuerst verehren. Ehrfürchtig betritt Akiba die Stadt. Doch keiner kann ihm sagen, wo der neue König ist. Sie treten in ein Haus. Eine Frau will gerade ihr nacktes kleines Kind in den Falten ihres Gewandes vor den hereinstürzenden Soldaten verborgen. Akiba gibt ihm schnell den Amethyst und der Soldat macht sich davon. Doch Akiba muß nun erfahren, daß er den Stein  an den „Falschen“ gewendet hat. Er selber hat gehandelt wie der Heiland, aber das Kind vor ihm ist nicht der Heiland.

Ein Jahr darauf betritt Akiba eine Synagoge, ein jüdisches Gotteshaus. Der Rabbi erzählt ihm vom Messias, der kommen soll, wenn ganz Israel seine Sünde abgetan hat. Doch Akiba ruft dazwischen: „Er ist doch schon da. Der Stern hat es angezeigt und die Freunde haben ihn gesehen. Ich gehe ihn suchen!“ Doch sie lachen ihn alle nur aus und halten ihn für  verrückt. 

Überall, wo er fragte, nur Achselzucken.

In einer Stadt wird er ergriffen und des Aufruhrs  und des Mordes bezichtigt. Bei einem Vogt müssen Akiba und sein Esel zur Strafe harte Dienste leisten. Der Vogt will ihm auch den letzten Stein entlocken und ihm dafür die Freiheit geben. Als Akiba ihn aber nicht hergibt, sollen die Knechte ihm den Stein abnehmen. Doch beim Handgemenge fällt er in den Sand und der Esel verschluckt ihn schnell.

Auch am Brunnen, an dem die Eltern des Jesuskindes vorbeikamen  auf der Flucht, rastet Akiba. Rastlos zieht er mit dem Esel durch die Lande, immer auf der Suche nach dem Kind. 

Er wird müde und das Haar grau, grau wie der Esel und grau wie die Steine. Betteln muß er. Die Sehnsucht nach der Heimat und der Frau erwacht. Als er vor seinem eigenen Hause steht, hält ihn seine Frau für einen Bettler. Er fragt, ob sie verheiratet sei. „Den ersten hab ich fortgejagt, weil er immer nur nachts nach den Sternen guckte. Jetzt habe ich seinen jüngeren Bruder zum Mann!“

Den Winter über kommt Akiba bei Melchior unter. Als er wieder weiter will, merkt er, daß er blind geworden ist. Nun muß ihm der Esel berichten, was er sieht: Soldaten kommen mit alten Frauen als Sklaven. Die eine will Akiba freikaufen. Der Händler wundert sich, daß der Bettler eine alte Frau haben will. Aber der Diamant wechselt den Besitzer.

Akiba hat seine eigene Frau gekauft. Ihr zweiter Mann starb  an der Pest, sie selbst geriet in einem Krieg in Gefangenschaft. Doch sie hatte den Herrn gefunden: „Er klopfte eines Tages an meine Tür und bettelte, dem Mann ähnlich sehend, der mich nun freigekauft hatte, nur nicht so alt. Ihm gab ich böse Worte, aber er vergab mir. Deshalb lebe ich heute!“ Akiba gibt ihr aufs Neue die Freiheit.

Im Angesicht der Stadt Jerusalem, die sich auf ein Fest rüstet, will Akiba aufgeben. Er legt sich unter einen Baum zum Schlafen. Zwei Männer kommen und bitten darum, den Esel leihen zu dürfen für den Einzug ihres Herrn, den Herrn der Sünder und ein König dazu. Akiba soll nur mitkommen und ihn sehen. Doch Akiba ist ja blind und geht nicht mit.

Er will schon sein Geschick verfluchen, da kommt der Esel aufgeregt zurück: „Ich durfte unseren Herrn tragen, unseren König!“ Doch Akiba mag immer noch nicht gehen, jetzt wo er keine Edelsteine mehr hat. Auf einem Hügel vor der Stadt legt Akiba sich zum Sterben nieder. Er glaubt, daß er umsonst gesucht habe und nicht zum Heil berufen sei.

Doch plötzlich lautes Rufen. In Scharen kommen die Menschen aus der Stadt auf den Hügel zu. Soldaten und weinende Frauen. Zuletzt drei Gefangene, die ihr Kreuz tragen. „Der Mittlere ist es“, ruft der Esel, „den ich in die Stadt trug!“ Akiba ruft ihn an. Doch er ist nun ganz arm und ohne Geschenk. Aber der Heiland sagt zu ihm:„Du hast mich schon reich beschenkt!“Ich war der Überfallene in der Schlucht. Ich war das Kind, das du vom Tode freigekauft hast. In deinem Weibe habe ich dich gesucht!“

Akiba darf einen Wunsch äußern, Er sagt, er möchte den Heiland aller Völker sehen! Endlich steht er vor ihm und er darf ihn nun sehen, arm und gefangen, mit Kreuz und Dornenkrone, aber er ist doch der König. Akiba stirbt mit den Worten: „Es hat der Stern der Weisen nicht getrogen!“

(Ein Bild von Walter Habdank findet sich unter „Bilder“)

 

Janine feiert Weihnachten 

[Ein ganzes Dorf feiert Weihnachten früher, um einem an Leukämie erkrankten Mädchen noch das Fest zu ermöglichen].

Die Geschichte nahm ihren Anfang im Sommer des Jahres 1958 in einem kleinen Juradorf. Das Juradorf war wirklich sehr klein - ein paar Häuser, ein Bäcker, zwei, drei Wirtschaften, eine kleine Schule, eine Kirche und ein paar Familien über die Hänge verstreut. Eine dieser Familien bestand aus einem jungen Ehepaar und einem achtjährigen Mädchen, nennen wir es Janine.                   

Janine war ein fröhliches Mädchen, aber in diesem Sommer begann es zu kränkeln. Es wurde apathisch, es war immer müde, es nahm nicht mehr an den Spielen seiner Gefährtinnen teil; es begann Kopfweh zu haben, es wollte morgens nicht mehr aufstehen; es war krank. Zuerst schien die Sache nicht sehr besorgniserregend; aber, nachdem Janine immer mehr zu klagen begann, ging die Mutter zum Arzt des nächsten größeren Dorfes. Der Arzt untersuchte sie und kam der Krankheit nicht auf die Spur.

So fuhr die Mutter denn eines Tages im September nach Basel und ließ Janine von einem berühmten Professor an der Universitätsklinik untersuchen. Der Bescheid, den Janines Mutter bekam, war erschreckend. Janine hatte Leukämie, eine Blutkrankheit, gegen die es auch heute noch kein Mittel gibt und die binnen kurzer Zeit zum sicheren Tode führt. Der Professor gab Janine höchstens noch zwei Monate zu leben. Die Mutter war verzweifelt. Sie beschwor den berühmten Arzt, sie bat ihn, sie fragte, was sie tun könne, und dem Arzt blieb nichts übrig, als ihr zu sagen, das einzige, was sie für Janine noch unternehmen könne, sei, ihr die letzten Wochen ihres Lebens so schön wie immer möglich zu machen.

Janines Eltern waren nicht reich, aber es ging ihnen nicht schlecht, und sie beschlossen, für Janine zu tun, was immer nur zu tun sei: mit ihr zu reisen, ihr die Schweiz zu zeigen, die Welt zu zeigen; sie mit Geschenken zu überschütten.

Aber Janine wollte von all dem nichts wissen. Sie wollte nicht reisen, sie wollte keine Geschenke haben. Sie hatte nur einen einzigen Wunsch, und das war: Weihnachten zu feiern. Sie wollte Weihnachten haben, und zwar ein wunderschönes Weihnachten, wie sie sich ausdrückte, Weihnachten mit allem, was Weihnachten zu Weihnachten macht. Das war der einzige Wunsch, der Janine nicht zu erfüllen war.

Dezember rückte näher, der Vater wurde immer verzweifelter, und in seiner Verzweiflung vertraute er sich einem Freund, nämlich dem Lehrer des Dorfes, an. Zusammen kamen die Männer auf eine Idee. Der Vater ging nach Hause, mit gespielter Begeisterung erzählte er Janine, daß Weihnachten ausnahmsweise in diesem Jahre früher stattfinden werde, und zwar bereits am 2. Dezember. Janine war ein gescheites Kind und glaubte die Geschichte zunächst nicht; das heißt, sie hätte sie gerne geglaubt, aber sie konnte das gar nicht fassen.

Nun, der Vater sagte, mit Ostern sei es ja auch so, und genauso sei es nun eben einmal mit Weihnachten. Die Idee schien dem Vater sehr gut, er hatte nur etwas dabei vergessen: Weihnachten ist ein Fest, das man nicht alleine feiern kann. Zu Weihnachten gehören die Weihnachtsvorbereitungen, das Packen der Paketehen, der Geschenke. Zu Weihnachten gehört als Vorbereitung, daß in den Geschäften die Geschenke ausgestellt sind, daß die Christbäume auf dem Dorfplatz aufgerichtet werden. Zu Weihnachten gehört vor allem, daß alle es feiern.

 

Der Nächste im Dorf, der ins Vertrauen gezogen wurde, war der Bäcker. Und der Bäcker beschloß, seine Lebkuchenherzen dieses Jahr schon früher zu backen. Er beschloß auch, sein berühmtes Schokoladenschiff, das er jedes Jahr ausstellte, dieses Jahr schon früher ins Fenster zu stellen und aus den Schloten des Schiffes die Watte dampfen zu lassen. Und nun begannen die anderen Geschäftsleute des Dorfes, die sich zunächst gesträubt hatten, denn Weihnachten ist für Geschäftsleute nicht nur ein Fest, sondern eben auch ein Geschäft - die Leute, die sich zunächst gesträubt hatten, begannen auch, ihre Weihnachtsvorbereitungen zu treffen. Der Plan setzte sich immer fester in den Köpfen der Leute des kleinen Juradorfes. In der Schule wurde gebastelt; im Kindergarten wurde gebastelt; den Kindern wurde eingeschärft, daß Weihnachten dieses Jahr früher sei als in anderen Jahren, und es wurde überall gebacken.

Die Hausfrauen machten mit; die Väter gingen auf den Dachboden, holten die Lokomotiven und die Eisenbähnchen und begannen, sie neu zu bemalen oder auszubessern; die Puppen wurden in die Puppenklinik gebracht. In dem kleinen Dorf setzten schon Mitte November ganz große Weihnachtsvorbereitungen ein. Der letzte Widerstand, der zu überwinden war, war der des Pfarrers; konnte er denn die ganze Weihnachtsliturgie vorwegnehmen? Er konnte es. Er setzte Weihnachten für den 2. Dezember fest.

Der 2. Dezember kam, und es wurde ein wundervolles Weihnachten für Janine, ein Weihnachtsfest wie in anderen Jahren. Die Sternsinger kamen, verteilten ihre Lebkuchen, ihre Nüsse, ihre Birnen, und sogar aus dem Radio kam weihnachtliche Musik, kam „O du fröhliche“, kamen die Schweizer Weihnachtslieder, und daran war nicht das Radio schuld, daran war ein kleiner Elektriker im Dorf schuld, der eine direkte Leitung in das Haus Janines gelegt hatte und vom Nebenhaus her Platten abspielte, deren Musik nun direkt aus dem Lautsprecher kam.

Es war ein wundervolles Weihnachtsfest, und zwei Tage später starb Janine. Am 24. Dezember 1958 wurde in diesem kleinen Juradorf nicht mehr Weihnachten gefeiert (Werner Wollenberger).

 

Ein besonderer Tag im Jahr, an dem wir gut zueinander sind?

[Ein Arzt berechnet seinen armen Patienten keine Kosten und hat dann selber an Weihnachten nichts; aber seien Patienten beschenken ihn reich].

Ich werde jetzt gleich anfangen, meine Weihnachtsgeschichte zu erzählen, die eigentlich Don Crescenzos Geschichte ist. Aber vorher muß ich noch etwas über diesen Don Crescenzo sagen. Meine Leser müssen wissen, wie arm er einmal war und wie reich er jetzt ist, ein Herr über hundert Angestellte, ein Besitzer von großen Wein- und Zitronengärten und von sieben Häusern. Sie müssen sich sein Gesicht vorstellen, das mit jedem Jahr der Taubheit verwa­sche­ner wirkt, so, als würden Gesichter nur von der beständigen Rede und Gegenrede geformt und bestimmt. Sie müssen ihn vor sich sehen, wie er unter den Gästen seines Hotels umhergeht, aufmerksam und traurig und schrecklich allein. Und dann müssen Sie auch erfahren, daß er sehr gern aus seinem Leben erzählt und daß er dabei nicht schreit, sondern mit leiser, angenehmer Stimme spricht.

Oft habe ich ihm zugehört, und natürlich war mir auch die Weihnachtsgeschichte schon bekannt. Ich wußte, daß sie mit der Nacht anfing, in der der Berg kam, ja, so hatten sie geschrien: „Der Berg kommt!“ und sie hatten das Kind Crescenzo aus dem Bett gerissen und den schmalen Felsenweg entlang. Er war damals sieben Jahre alt, und wenn Don Crescenzo davon berichtete, hob er die Hände an die Ohren, um zu verstehen zu gehen, daß dieser Nacht gewiß die Schuld an seinem jetzigen Leiden zuzuschreiben sei.

„Ich war sieben Jahre alt und hatte das Fieber“, sagte Don Crescenzo und hob die Hände gegen die Ohren, auch dieses Mal. Wir waren alle im Nachthemd. und das war es auch, was uns geblieben war, nachdem der Berg unser Haus ins Meer gerissen hatte: das Hemd auf dem Leibe, sonst nichts. Wir wurden von Verwandten aufgenommen, und andere Verwandte haben uns später das Grundstück gegeben, dasselbe, auf dem jetzt Albergo steht.

Meine Eltern haben dort, noch bevor der Winter kam, ein Haus gebaut. Mein Vater hat die Maurerarbeiten gemacht, und meine Mutter hat ihm die Ziegel in Säcken den Abhang hinunter geschleppt. Sie war klein und schwach, und wenn sie glaubte, daß niemand in der Nähe war, setzte sie sich einen Augenblick auf die Treppe und seufzte, und die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Gegen Ende des Jahres war das Haus fertig, und wir schliefen auf dem Fußboden, in Decken gewickelt und froren sehr.“

„Und dann kam Weihnachten“, sagte ich. „Ja“, sagte Don Crescenzo, „dann kam Weihnachten, und an diesem Tage war mir so traurig zumute wie in meinem ganzen Leben nicht. Mein Vater war Arzt, aber einer von denen, die keine Rechnungen schreiben. Er ging hin und be­han­delte die Leute, und wenn sie fragten, was sie schuldig seien, sagte er, zuerst müßten sie die Arzneien kaufen und dann das Fleisch für die Suppe, und dann wolle er ihnen sagen, wieviel. Aber er sagte es nie. Er kannte die Leute sehr gut und wußte, daß sie kein Geld hatten. Er brachte es einfach nicht fertig, sie zu drängen, auch damals nicht, als wir alles verloren hatten und die letzten Ersparnisse durch den Hausbau aufgezehrt waren.

Er versuchte es einmal, kurz vor Weihnachten, an dem Tage, an dem wir unser letztes Holz im Herd verbrannten. An diesem Abend brachte meine Mutter einen Stoß weißer Zettel nach Hause und legte sie vor meinen Vater hin, und dann nannte sie eine Reihe von Namen, und mein Vater schrieb die Namen auf die Zettel und jedesmal ein paar Zeilen dazu. Aber als er damit fertig war, stand er auf und warf die Zettel in das Herdfeuer, das gerade am Ausgehen war. Das Feuer flackerte sehr schön, und ich freute mich darüber, aber meine Mutter fuhr zusammen und sah meinen Vater traurig und zornig an.

So kam es, daß wir am 24. Dezember kein Holz mehr hatten, kein Essen und keine Kleider, die anständig genug gewesen wären, damit in die Kirche  zu gehen. Ich glaube nicht, daß meine Eltern sich darüber viel Gedanken machten. Erwachsene, denen so etwas geschieht, sind gewiß der Überzeugung, daß es ihnen schon einmal wieder besser gehen wird und daß sie dann essen und trinken und Gott loben können, wie sie es oft getan haben im Laufe der Zeit. Aber für ein Kind ist das etwas anderes. Ein Kind sitzt da und wartet auf das Wunder, und wenn das Wunder nicht kommt, ist alles aus und vorbei ...“.

Bei diesen Worten beugte sich Don Crescenzo vor und sah auf die Straße hinaus, so als ob dort etwas seine Aufmerksamkeit in Anspruch nähme. Aber in Wirklichkeit versuchte er nur seine Tränen zu verbergen. Er versuchte, mich nicht merken zu lassen, wie das Gift der Enttäuschung noch heute alle Zellen seines Körpers durchdrang.

„Unser Weihnachtsfest“, fuhr er nach einer Weile fort, „ist gewiß ganz anders als die Weihnachten bei Ihnen zu Hause. Es ist ein sehr lautes, sehr fröhliches Fest. Das Jesuskind wird im Glasschrein in der Prozession getragen. und die Blechmusik spielt. Viele Stunden lang werden Böllerschüsse abgefeuert, und der Hall dieser Schüsse wird von den Felsen zurückgeworfen, so daß es sich anhört wie eine gewaltige Schlacht. Raketen steigen in die Luft, entfalten sich zu gigantischen Palmenbäumen und sinken in einem Regen von Sternen zurück ins Tal. Die Kinder johlen und lärmen, und das Meer mit seinen schwarzen Winterwellen rauscht so laut, als ob es vor Freude schluchze und singe. Das ist unser Christfest, und der ganze Tag vergeht mit Vorbereitungen dazu. Die Knaben richten ihre kleinen Feuerwerkskörper, und die Mädchen binden Kränze und putzen die versilberten Fische, die sie der Madonna umhängen werden. In allen Häusern wird gebraten und gebacken und süßer Sirup gerührt.

So war es auch bei uns gewesen, solange ich denken konnte. Aber in der Christnacht, die auf den Bergsturz folgte, war es in unserem Hause furchtbar still. Es brannte kein Feuer, und darum blieb ich so lange wie möglich draußen, weil es dort immer noch ein wenig wärmer war als drinnen. Ich saß auf den Stufen und sah zur Straße hinauf, wo die Leute vorübergingen und wo die Wagen mit ihren schwachen Öllämpchen auftauchten und wieder verschwanden. Es waren eine Menge Leute unterwegs, Bauern, die mit ihren Familien in die Kirche fuhren, und andere, die noch etwas zu verkaufen hatten: Eier und lebendige Hühner und Wein.

Wie ich da so saß, konnte ich das ängstliche Gegacker der Hühner hören und das lustige Schwatzen der Kinder, die einander erzählten, was sie alles erleben würden heute Nacht. Ich sah jedem Wagen nach, bis er in dem dunklen Loch des Tunnels verschwand, und dann wandte ich den Kopf wieder und schaute nach einem neuen Fuhrwerk aus; als es auf der Straße stiller wurde, dachte ich, das Fest müsse schon begonnen haben, und ich würde nun etwas vernehmen von dem Knattern der Raketen und den Schreien der Begeisterung und des Glückes.

Aber ich hörte nichts als die Geräusche des Meeres, das gegen die Felsen klatschte, und die Stimme meiner Mutter, die betete und mich aufforderte, einzustimmen in die Litanei. Ich tat es schließlich, aber ganz mechanisch und mit verstocktem Gemüt. Ich war sehr hungrig und wollte mein Essen haben, Fleisch und Süßes und Wein. Aber vorher wollte ich mein Fest haben, mein schönes Fest ...

Und dann auf einmal veränderte sich alles auf eine unfaßbare Art. Die Schritte auf der Straße gingen nicht mehr vorüber, und die Fahrzeuge hielten an. Im Schein der Lampen sahen wir einen prallen Sack, der in unseren Garten geworfen. und hochbepackte Körbe, die an den Rand der Straße gestellt wurden. Eine Ladung Holz und Reisig rutschte die Stufen herunter, und als ich mich vorsichtig die Treppe hinauf tastete, fand ich auf einem niederen Mäuerchen. auf Tellern und Schüsseln, Eier, Hühner und Fisch. Es dauerte eine ganze Weile, bis die geheimnisvollen Geräusche zum Schweigen kamen und wir nachsehen konnten. wie reich wir mit einem Male waren. Da ging meine Mutter in die Küche und machte Feuer an, und ich stand draußen und sog inbrünstig den Duft in mich ein, der bei der Verbindung von heißen Zwiebeln, gehacktem Hühnerfleisch und Rosmarin entsteht.

Ich wußte im Augenblick nicht, was meine Eltern schon ahnen mochten, nämlich, daß die Patienten meines Vaters, diese alten Schuldner, sich abgesprochen hatten, ihm Freude zu machen auf diese Art. Für mich fiel alles vom Himmel, die Eier und das Fleisch, das Licht der Kerzen, das Herdfeuer und der schöne Kittel, den ich mir aus einem Packen Kleider hervor wühlte und so schnell wie möglich überzog.

„Lauf“, sagte meine Mutter, und ich lief die Straße hinunter und durch den langen finsteren Tunnel, an dessen Ende es schon glühte und funkelte von buntem Licht. Als ich in die Stadt kam, sah ich schon von weitem den roten und goldenen Baldachin, unter dem der Bischof die steile Kirchentreppe hinaufgetragen wurde. Ich hörte die Trommeln und die Pauken und das Evviva-Geschrei und brüllte aus Leibeskräften mit. Und dann fingen die großen Glocken in ihrem offenen Turm an zu schwingen und zu dröhnen.

Don Crescenzo schwieg und lächelte freudig vor sich hin. Gewiß hörte er jetzt wieder - mit seinem inneren Gehör - alle diese heftigen und wilden Geräusche, die für ihn schon so lange zum Schweigen gekommen waren und die ihm in seiner Einsamkeit noch viel mehr als jedem anderen Menschen bedeuteten: Menschenliebe, Gottesliebe, Wiedergeburt des Lebens aus dem Dunkel der Nach (Marie Luise Kaschnitz).

                       

Die Geschichte vom Bischof Marcellus und der Windel Jesu

[Bischof nimmt ein Findelkind an und versorgt es und wir dadurch bewogen, daß in seinem Bistum die Menschen nicht mehr ausgebeutet werden]

Heute will ich euch die Geschichte erzählen vom Bischof Marcellus. Ihr werdet sie wahrscheinlich nicht kennen, und das ist eigentlich schade, denn nun werdet ihr gleich wissen wollen, wer denn der Bischof Marcellus war und wann er gelebt hat und in welcher Stadt und ob es Quellen gibt über ihn und ob das eine wirkliche, historische Geschichte ist - und darauf kann ich fast nichts antworten. Denn ich habe nur eben mal so von ihm gehört, daß er im Mittelalter als Bischof in einer kleinen Stadt Italiens „residierte“ so nennt man das doch wohl bei den Bischöfen.

Und dann soll es von ihm eine Predigt geben, die er über die Windel Jesu gehalten hat. Das ist schon alles. Aber ich bin auch wieder froh, daß ihr die Geschichte noch nicht kennt, weil ich sie euch doch so gern erzählen möchte. Denn gerade das möchte ich erzählen, wie es zu dieser Predigt kam! Das heißt, eigentlich geht es mir um etwas ganz anderes, nämlich darum, daß Gott offenbar nicht nur lachen, sondern auch schmunzeln kann. Aber das werdet ihr hoffentlich von selber merken.

Der Bischof Marcellus also war einer von den reichen Bischöfen an einer reichen Kirche. Weil sie zu ein nein Bischof gehörte, nannte man sie „Kathedrale“, das klingt schon sehr feierlich, und so sah sie auch aus. Sie hatte siebenundzwanzig Altäre, einer schöner als der andere, alle mit großen Ölgemälden und marmornen Säulen und goldenen Leuchtern. In der Mitte stand der riesige Hochaltar mit dem Bild Mariens und des Jesuskindes, denn ihr war die Kirche geweiht.

Ihr müßt nicht denken, Marcellus sei ein schlechter Bischof gewesen, weil er reich war. O nein! Er betrachtete den Reichtum seiner Kirche, der sich aus Abgaben der Stadt, der Bauern in der Umgebung und aus vielen Opfern und Spenden zusammensetzte, als einen Reichtum, der nicht ihm, sondern Jesus selber zukam, dem König über die ganze Welt. Ein Weltkönig muß schließlich auch äußerlich ein bißchen von sich hermachen, das wird jeder verstehen.

 

Übrigens sah auch das Kind auf dem Marienbild schon aus wie ein erwachsener König mit einem kleinen kindlichen Körper. Sicher habt Ihr solche Gemälde auch schon gesehen, wo man sich wundert, daß ein Säugling so ausgesehen haben soll! Das lag daran, daß die Maler damals ähnlich dachten wie Bischof Marcellus: Ein gewöhnliches Kind, sozusagen ein ordinärer Säugling, der nachts schreit, dem die Milch aus der Brust seiner Mutter zu den Mundwinkeln herausläuft, weil er solchen Hunger hat und der zu jeder passenden und unpassenden Tageszeit die Windeln vollmacht - das konnte doch nicht der König der Welt sein! Fast möchte man sagen: Ein König auf dem Nachttopf ist ebenso unvorstellbar wie ein König im Nachthemd, obwohl es eigentlich doch vorstellbar ist, aber so weit sind wir noch nicht.

Vorderhand war der Bischof Marcellus nicht nur überzeugt davon, daß schon der Säugling Jesus ein königlicher Säugling gewesen sei, er disputierte darüber auch mit den gelehrten Größen seiner Zeit, und da er ein sehr kluger Mann war, glaubten ihm alle gern. Vielleicht waren sie auch alle ganz gern reich und hatten schöne Kirchen und schöne Gewänder und natürlich auch schöne Gehälter, aber man ist lieber reich mit einem guten als mit einem schlechten Gewissen.

Gerade am Heiligen Abend hatte der Bischof wieder einmal eine ergreifende Predigt gehalten über das „königliche Kind“, wie er es nannte, und er ging bewegt von seinen eigenen Worten seinem Hause zu, das man besser einen Palast nannte. Beinahe wäre er über ein kleines Bündel gestolpert, das auf seiner Türschwelle lag, so sehr war er in seine Gedanken vertieft. Im letzten Augenblick wurde er gewahr, daß da nicht nur ein Paket lag, sondern ein winziges Kind, ein Junge, säuberlich in leinene Tücher verpackt.

Nun war es damals so ungewöhnlich nicht, daß Menschen ihre Kinder aussetzten, auch nicht, daß sie die Säuglinge an reichen Türen niederlegten in der Hoffnung, es werde ihnen dort vielleicht besser gehen als bei ihren leiblichen Eltern. Und manchmal waren die Betroffenen sogar solche, die selber nichts hatten, weil die reiche Kirche Anspruch auf ihre Ernte erhob, weil sie der Lehnsherr war, der erst satt sein mußte, ehe diejenigen essen durften, die das Land bebauten. Ungewöhnlich war auch nicht die heilige Nacht. Man kann sich halt nicht heraussuchen, wann die Kinder geboren werden. Ungewöhnlich war nur der Zettel, der an das Bündel geheftet war und auf dem mit ungelenker Schrift geschrieben stand: „Ein königliches Kind für den Herrn Bischof Marcellus“.

Dieser Zettel war es auch, der den Bischof daran hinderte, das Bündel sogleich an das Spital weiterzugeben oder in eines der ihm unterstellten Klöster, wie er das schon manches Mal getan hatte. Nicht daß sogleich sein Gewissen geschlagen hätte, aber er war ein gebildeter und schöpferischer Mann, und deshalb beschäftigte ihn der Inhalt des Zettels, zunächst ganz

unbewußt, aber desto eingehender. Jedenfalls nahm er nach kurzem Besinnen das Bündel auf den Arm und trug es nach oben.

Da am Heiligen Abend alle Menschen etwas Besseres zu tun haben, als fremde Säuglinge zu pflegen und da der Bischof im Grunde seines Herzens ein guter Mensch war, schickte er die Frau, die ihm die Wirtschaft versorgte und die Hände über dem Kopf zusammenschlug wegen des überraschenden Weihnachtsgeschenks, das der Herr Bischof mit ins Haus brachte, wieder zu den anderen Bediensteten des Hauses, mit denen sie eben ein wenig zu feiern begonnen hatte. Er bat sie nur, wenn möglich, recht bald eine Amme für den kleinen Jungen zu besorgen. Sie wußte auch gleich in der nächsten Nachbarschaft eine junge Mutter, die Milch im Überfluß hatte, denn damals stillten die Mütter, und die Milch aus ihren Brüsten brauchte noch nicht nach Gramm bemessen zu werden und durch Trockenmilch ergänzt.

Aber als diese Mutter, die ihr Geschäft mit dem Jungen schnell und emsig abwickelte, während der höfliche und überdies keusche Bischof nach draußen ging, sich des Kindes auch in den üblichen Dingen annehmen wollte, die einen Säugling vor fünfhundert Jahren ebenso betrafen wie heute, winkte der Bischof ab. Für diesen Abend, meinte er, wolle er sich selbst versuchen. Gott werde ihm zweifellos behilflich sein, denn da er seine Finger grundsätzlich überall im Spiele habe, werde er wohl auch Bescheid wissen um diesen Findling, und da solle er ihm gefälligst auch helfen.

Freilich stand er zunächst ein wenig ratlos vor dem Bündel, als die fremde Mutter den Raum verlassen hatte. Schließlich faßte er vorsichtig einen Zipfel des linnenen Tuches, dann den anderen, dann breitete er das ganze Tuch über seinen Arbeitstisch, weil er in der Eile das Bündel nun mal dorthin gelegt hatte. Danach machte er sich an die Windeln. Nun, die Windeln waren so, wie Windeln eben zu sein pflegen, wenn Säuglinge eine Weile drin gelegen haben, nicht anders als heute auch, und darin unterscheiden sich die Windeln von späteren Schneiderinnen und Schalldrehern in keiner Weise von denen späterer Weltmeisterinnen im Kunstspringen oder Ministerpräsidenten.

Auch ohne daß der Bischof in dieser Sache über Erfahrungen verfügte, wußte er über den Inhalt sofort Bescheid. Also legte er das linnene Tuch in den Sessel, bettete den Säugling vorsichtig darauf, damit er nicht herunterfallen konnte, und lief mit der vollen Windel an den Ort, wo er sie zunächst entleeren konnte, um sie dann in der Küche zu reinigen. Für einen Bischof besorgte er dieses Geschäft ganz gut, auch wenn das Objekt nach der Säuberung nicht gerade

blütenweiß erschien, aber es war doch wieder tragbar. Und in Ermangelung einer zweiten Windel und eingedenk des Heiligen Abends, an dem er nicht noch einmal jemand stören moch­te, hängte er das gereinigte Stück an seinen Ofen, setzte sich in seinen Schreibtischstuhl und faltete die Hände.

Denn obwohl er sich den Inhalt des Zettels noch nicht deuten konnte, war ihm doch inzwi­schen klar, daß Gott ihm an diesem Abend etwas Besonderes sagen wollte. Deshalb behielt er das Kind auch während des Gebets im Blick. Und da sah er, wie das kleine Gesicht zu leuchten begann, als hätte es einen Kranz von Kerzen um sich. Und plötzlich verwandelte sich das Gesicht für einen einzigen Augenblick. Es wurde erwachsen wie das Gesicht des Kindes auf dem Marienbild, aber es hatte keinen königlichen Kopf, sondern war geschmückt mit einer Dornenkrone und entstellt von Schmerzen.

Einen Augenblick später lag der Säugling wieder als richtiger kleiner hilfloser Säugling in seinem wohlverdienten Schlummer. Aber der Bischof fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Der Gekreuzigte! Nicht der König, sondern der Gekreuzigte! Er schlug die heiligen Schriften nach und las, als ob er sie noch nie gelesen hätte. Natürlich, hier stand, daß Jesus Hunger hatte, hier stand, daß er weinte, als er vom Tode des Lazarus erfuhr, hier stand, daß er im Garten Gethsemane schwitzte vor Angst - und nach Ostern zeigte der Herr dem ungläubigen Thomas seine Wunden, damit nur ja keiner auf den Gedanken käme, er sei nun ein anderer als vorher, er könne nun nicht mehr den Menschen ihr Leid nachfühlen und habe keine Schmerzen mehr um ihrer Schuld willen.

Und von dieser Nacht an änderte der Bischof sein Leben, und das neue Leben begann mit der Predigt über die Windel Jesu am ersten Christtag! „Seht“, sagte er, „Gott hat mir durch eine Windel gezeigt, daß der Herr keine reiche Kirche will, sondern eine arme, daß er auch als König unser Bruder sein will und unser Helfer in der Not und der, an den man sich immer wenden kann, weil man ihn nicht mehr fürchten muß als einen Säugling.“

Zwar glaubten ihm nun nicht alle reichen Bischöfe und Ordenspriester und Professoren, sie sagten vielmehr, wenn er nun auf einmal so dächte, da wollten sie doch lieber erst einen anderen gelehrten Herrn befragen, der es vielleicht genauer wüßte. Aber in seinem Bistum hatte von da an mancher zu essen und manch anderer keine Veranlassung mehr, sein Kind einem reichen Herrn vor die Tür zu legen. Und seht ihr, mit einer Windel fing es an, mit einer - um es ein wenig undeutlich auszudrücken - benutzten Windel fing es an, und deswegen meine ich, daß Gott auch schmunzeln kann (Dietrich Mendt).

 

Der „versteigerte Christus“

[Altes Kruzifix läßt sich nicht versteigern]

Unter all den vielen Gegenständen, zwischen dem Porzellan und einigem Hausrat, stand das Kruzifix. Sie hatten es alle gesehen; denn sie hatten jeden Gegenstand auf' seine Brauchbarkeit hin gemustert. Und sie bemühten sich wegzugucken, als sie das Kreuz mit dem hölzernen Korpus zwischen all den Dingen entdeckten. Die Sache zog sich in die Länge, Christus war noch lange nicht dran.

Zuerst kamen Tassen und goldgeränderte Service. Hart hallten die Angebote im Raum der Gastwirtschaft, die die Auktion beherbergte, Irgendwelche Leute mußten gestorben sein und hatten all diesen irdischen Krempel hinterlassen, mit dem die Erben nichts anfangen konnten. Es waren Gläser mit Eingekochtem und Lumpen dabei. Sogar ein feierlich schwarzer Zylinder ragte hilflos aus all den Kleinigkeiten hervor und bildete einen merkwürdigen Kontrast zu dem ebenfalls herausragenden Kruzifix.

Der Auktionator pries es nach dem Zylinder an: „Ein altes, schönes Stück,  nicht mehr ganz heil, aber ein Schmuckstück. Wer bietet?“ Danach kam Schweigen, ein peinliches, langes und geradezu qualvolles Schweigen. Keiner bot. Das Kruzifix blieb stehen und wurde von vielen Augen gemustert. Der Versteigerer wollte zügig vorankommen und drängte: „Nun los, machen wir es billig! Sagen wir ...“ Aber er wagte keinen Preis. Es folgte noch immer kein Angebot. Das Schweigen wurde unerträglich. „Also, sagen wir: Zwei Mark! Wer bietet zwei?“ -„…“. -

„Keiner? Aber, meine Herrschaften! Ein schönes Stück! Zwei Mark ist doch kein Preis!“

Es dauert eine quälende halbe Minute, in der selbst der Auktionator, der manche Situation mit der Eleganz geübter Conferenciers zu meistern verstand, dem Schweigen machtlos gegenüber zu stehen schien. „Also einsfuffzig!“ Es erfolgte noch immer kein Angebot. Ob sich die Leute schämten, oder war es nicht nur Verlegenheit, waren sie hilflos?

Da hatte der Versteigerer die Lage wieder fest in den Griff bekommen. Er drehte sich ein bißchen ärgerlich zu seinen .. na los! Das Frühstücksbrettchen und das Wellholz! Meine sehr verehrten Herrschaften! Ein Teigroller und ein gefüllter Besteckkasten als Zugabe zu diesem einzig schönen Kruzifix. Ich sehe, es ist ein wenig beschädigt. Aber was macht das?“

Die linksstehende Gehilfin legte noch eine  Kristallschale zu der merkwürdigen Zusammenstellung. „Also, auch das noch dazu. Aber jetzt werden sie bieten! Zwei Mark zum ersten. Wer hält zwei Mark?“ Und nun schrie eine ältliche Frau: „Zwei!“ Ein alter Mann hielt zwei Mark fünfzig dagegen. Die Frau gab auf. „Zweifünfzig zum ersten, zum zweiten, zum ...dritten!“ Das Kruzifix ging mit den Zugaben an den Alten.

„Na, sehn sie“, witzelte der Auktionator, „man muß nur  was zugeben!“ und war nun wieder ganz Herr der Lage. „Es ist nur wegen der Bestecke, sind ja billig gewesen!“ verteidigte sich der Alte, der das Kruzifix im Arm hielt. „Will ich nicht wissen“, rief der Versteigerer zurück, „waren ja alte Bestecke! Man muß nur etwas zugeben!“ Und dann zu seinen Gehilfinnen: „Wo bleiben die Sachen, weiter! Meinen sie, ich hätte meine Zeit gestohlen?“ Die Auktion ging weiter.

Der alte Mann mit dem Kruzifix drängte sich dem Ausgang zu. Er murmelte beinahe entschuldigend vor sich hin: „Was fange ich nur mit dem Christus an?“ Und eine nicht mehr ganz junge Frau, die ein wenig verwildert in den Haaren aussah, meinte: „Für den Preis ham se die Zugaben billig erworben!“ „Man muß nur etwas zugeben“, murmelte der alte Mann mit dem Gekreuzigten im Arm. „Aber was fang ich mit dem Christus an?“

Als die Auktion beendet war und die Leute den Saal verließen, sahen sie im Treppenhaus der Gastwirtschaft auf der Konsole das Kruzifix des alten Mannes stehen. „Keiner will ihn haben“, sagte ein energisch aussehender junger Mann und nickte nachdenklich vor sich hin Vielleicht dachte er: „Das war schon damals so!“ Aber er sagte es nicht.

Eine halbe Stunde später verließ auch der Auktionator das Lokal und sah den Gekreuzigten herrenlos herumstehen. Da nahm er ihn mit und klemmte das Kruzifix unter den Arm.

Vielleicht wird er nun noch einmal versteigert, vielleicht. Sie nehmen ihn nur, wenn es eine Zugabe gibt!  (Helmut Ludwig).

 

Ein kleiner Teufel verliert das Spiel

[Die Menschen sind doch nicht so schlecht. Der Teufel wird am Schluß zum Engel]

Daß um die Weihnachtszeit Gottes unsichtbare Boten als Engel auf unsere Erde kommen - große, kleine, ja ganz kleine, die sich hinter einem einzigen freundlichen Gedanken verstecken - das weiß jedermann.

Aber daß auch der Teufel seine Gehilfen sendet - große, kleine, ja so kleine, die sich hinter einem einzigen unzufriedenen Gedanken verstecken können -, das wissen nicht alle Leute,

Fast zwei Jahrtausende ist es her, daß ins Reich der Finsternis ein Stern hinab leuchtete. Das war noch nie geschehen. Und Satan berief seine Heerscharen. „Zu Bethlehem ist ein Kind geboren“, sprach er, „das ist uns gefährlicher als alles. Es will der Welt den Frieden bringen und die Liebe. Friede aber darf niemals sein!“ „Nein, Friede darf niemals sein!“ wiederholten die teuflischen Heerscharen. „So geht nun unter die Menschen“, fuhr Satan fort, „und säet doppelt Zwietracht, Haß und Streit, damit die Macht des Friedenskönigs gebrochen werde!“Und die teuflischen Heerscharen gehorchten.

Jahrhundert um Jahrhundert verging. Eines Tages kamen sie wieder vor Satan. „Wir können die Macht des Friedenskönigs nicht brechen“, klagten sie. „Niemand kann es. Wir haben viele furchtbare Kriege entfacht, wir haben Streit und Haß unter Eltern und Kinder, unter Freunde und Nachbarn gebracht; aber immer noch gedenken die Menschen dieses Königs als ihres Erlösers, den Tag seiner Geburt feiern sie als das Fest der Liebe!“

„Die Liebe ist eine böse Macht“, sprach Satan. „Aber solange die Menschen Feste damit feiern, ist noch nichts verloren. Wir werden die Feste der Menschen immer mehr in unsere Hand bekommen. Laßt uns jedoch vorsichtig sein. Die Kleinen und Kleinsten unter euch will ich senden, damit sie dies Fest der Liebe ganz heimlich zerstören, um die Menschen für mein Reich zu gewinnen!“

Die kleinen Teufel waren sehr stolz, als sie von Satans Befehl erfuhren. Flink verbreiteten sie sich über die ganze Erde. Einer von ihnen, der zwar sehr klein, aber auch sehr schlau war, tat sich besonders hervor. „Vielleicht bin ich dazu berufen, das Fest der Liebe zu wandeln“, dach­te er für sich (Er war eben wirklich ein kleiner Teufel!). „Es ist gar - nicht- so schwer, die Menschen abzulenken. Wie schnell vergessen sie über ihren Geschenken, ihren Vereinsfeiern und ihren Festessen das Kind in der Krippe!“

Eines Abends nun - es war gerade Sonntag, der vorletzte Sonntag vor dem Weihnachtsfest - kletterte der kleine Teufel auf den Schreibtisch eines reichen Geschäftsmannes. Der hatte sein Kontobuch aufgeschlagen und rechnete. „Welch prächtige Einnahme“, schmunzelte der

kleine Teufel, „Weihnachten ist das einträglichste Geschäft für dich!“

Der Mann wußte nicht, daß er mit einem Teufel redete. Die wenigsten Menschen merken das Er meinte, er rede mit sich selbst. „Ich fürchte, ganz Weihnachten wird allmählich zum Geschäft“, seufzte er. „Als ob man die rechte Weihnachtsfreude kaufen könnte. Nächsten Sonntag werde ich, glaube ich, mein Geschäft geschlossen halten. Der Weihnachtsrummel macht mich ganz elend!“

„Das darfst du niemals tun“ rief der kleine Teufel entsetzt. „Bedenke doch! Dieser Verlust: Und was werden die Leute sagen, wenn gerade dein Geschäft am letzten Sonntag vor Weihnachten geschlossen ist? Wem soll es denn auch schon etwas nützen, wenn du als einziger gegen den Strom schwimmst?“

„Mir selber vielleicht“, erwiderte der Mann sehr entschieden. „Wir sollten die Feiertage wieder mehr heiligen. Ich habe das Gefühl, als bringe mir diese Geschäftemacherei keinen Segen und Freude macht das auch nicht!“ Er erhob sich. „Und dann muß ich auch immer an die Weihnachtszeit in der Kriegsgefangenschaft denken! Wir waren so unvorstellbar arm, und doch so unendlich reich, Wir wußten, was Weihnachten bedeutete. Wir hatten kaum etwas, um einander Liebe zu erweisen: Eine Zigarette, ein paar Scheite Holz oder eine kleine Ration Brot. Und doch wogen diese Gaben, womit einer den anderen erfreute, schwerer als heute der kostbarste Mantel und die teuerste Uhr. Ach, ich glaube, wir schlittern in eine Festemacherei hinein, die vom Teufel ist!“

Und wie er das sagte, erblickte der kleine Teufel einen Engel, der sich dem Manne zur Seite stellte. Wenn aber ein Mensch so viel guten Willen in Herzen hat, daß ihm ein Engel zur Seite treten darf, dann muß alles Böse weichen. „Nun ja“, tröstete sich der kleine Teufel, als er draußen war, „das sind Ausnahmen. Die Reichen sind sonst nicht so. Aber nächsten Sonntag will ich doch lieber wieder einmal zu denen gehen, die nicht so eine dicke Brieftasche haben. Sie werden so leicht bitter und neidisch, und das gefällt mir!“

In dem dunklen Zimmer eines großen Mietshauses saß eine alte Frau, die von ihrer Rente lebte, als der kleine Teufel am Sonntag vor Weihnachten hereingeschlüpft kam. „Nun ist bald Weihnacht, und niemand kümmert sich um dich. Außer der Gemeindeschwester, die dir morgens deinen kranken Fuß verbindet, sieht kaum jemand nach dir. Du aber hast Heimweh. Wie­viel Liebes hast du den Menschen getan, als du noch gesund warst und mit zupacken konntest; als du noch ein großes Vermögen hattest und Kinder, für die du sorgen konntest und dein Mann noch lebte. Nun haben dich alle vergessen. Für solche Leute wie dich wäre es das Beste, es gäbe kein Christfest, man wird nur bitter und bekommt Heimweh!“

Die alte Frau erwiderte nicht gleich. „Es ist wahr, ich habe oft Heimweh“, sagte sie dann. „Aber es ist nicht das Heimweh, das du meinst, nach Fest und Glanz und den alten Zeiten. Es ist das Heimweh nach einer Heimat, die unverlierbar ist und die auf mich wartet. Siehst du, früher hatte ich alles die Fülle, und doch fehlte das Schönste am Weihnachtsfest. Aber das wußte ich damals noch nicht. Du meinst, für so alte Leute wie mich sollte es kein Weihnachtsfest geben? Ich glaube, Weihnachten versteht man erst so ganz richtig, wenn man so einsam geworden ist wie ich. Das macht mich still und getrost. Und ich glaube auch ganz fest, daß Gott am Christfest einigen Menschen den Gedanken ins Herz gibt, nach mir zu sehen und mir ein wenig zu singen!“ Und wieder sah der kleine Teufel zu Häupten der alten Frau einen Engel stehen, so daß er weichen mußte.

Aber er ließ sich nicht entmutigen. Ein Teufel läßt sich überhaupt nie entmutigen. „An Weihnachtsabend vor lauter Vorbereitungen die Ruhe verlieren, wenn die Kinder sich zanken und streiten, wenn sie schreien und Lärm machen, dann ist mir wohl!“

In dem engen Häuschen am Rande des Dorfes wohnte eine Mutter mit ihren Kindern. Die Dämmerung des Heiligen Abends senkte sich herein, als der kleine Teufel zur Mutter in die Stube schlich. Sie war schon mit dem Richten des Baumes fertig. „Du solltest das Weihnachtszimmer der anderen Kinder sehen“, begann der kleine Teufel. „Ein einziges Kind bekommt da mehr als deine sechse zusammen!“

Die Mutter lächelte. „Es schadet nichts, wenn die Kinder beizeiten lernen, daß nicht alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen können. Sie werden sich trotzdem freue. Oder meinst du, wir brauchen zu einem wahrhaft schönen Fest so viele äußere Dinge? Liebe brauchen wir, und sie ist kostbarer als Geld, selbst in ihren kleinsten Zeichen!“ Sie setzte sich und schloß die Augen. „Ich freue mich so sehr“, sagte sie leise, „auf die Freude der Kinder. Und nun will ich noch ein Wei1chen ganz stille sein, damit das Christkind nachher schon in der Stube ist, bis sie kommen!“

Dem kleinen Teufel war sehr unbehaglich zumute und er versteckte sich hinter ein paar Tannenzweigen. Nun kamen die Kinder. War das ein Leuchten und Strahlen aus den Augen und Herzen! Man sang und musizierte und die beiden Großen hatten das Weihnachtsevangelium auswendig gelernt. Und das Kleinste, das kaum sprechen konnte, lief selig in der Stube herum und jauchzte den einzigen Satz, den es behielt: „Siehe, ich verkündige euch große Freude!“ Später spielten die Großen mit den Kleinen, und, auch die Mutter gab ihre kostbare Zeit dazu. Aber kaum war es dem Teufel gelungen, einen Streit zu entfachen, als die Mutter sogleich sagte: "Kinder, unter dem Weihnachtsbaum streitet man nicht!"

Der kleine Teufel auf seinem Tannenzweig wurde immer kleiner. Und plötzlich entdeckte er, daß rings auf allen Zweigen kleine Engel saßen, die ihn still und fragend anblickten. Waren es die Schutzengel der Kinder? Ganz deutlich spürte er, daß er nicht hierher gehörte. Bedrückt schlich er hinaus. Aber draußen vor dem Fenster waren noch mehr Engel, größere und schönere; und der kleine Teufel fand überhaupt keinen Ausweg mehr. er war so geblendet von all dem Licht, daß er sich sehr schwarz und klein vorkam. „Was tust du hier im Reich des Friedens!“ sagte nun lächelnd dar größte und schönste  unter den Engeln und nahm den kleinen Teufel in seine feinen Hände.

Da geschah etwas Wundersames mit dem Teufelchen, Sein Herz wurde schwer von einer seltsamen Sehnsucht: „Ich bin so arm und schwarz“, sagte es leise, „und du bist so hell!“ Der Engel nickte: „Unser Herr hat uns gesandt, daß wir Licht ins Reich der Finsternis bringen“,  sagte er ernst. „Seine Macht ist größer als die Macht des Bösen. Das werden auch die Deinen samt dir einmal erkennen!“

Da barg das Teufelchen sein Gesicht in der Hand des Engels. Und der Engel fühlte, daß es bitterlich weinte.  Aber wenn ein Teufelchen in der Christnacht in die Hände eines Engels gekommen ist und dort zu weinen beginnt, weil es so traurig ist über sich - dann  ist es kein Teufelchen mehr.

Der Engel neigte sich zu ihm herab. „Ich werde dich hinaufbringen zum Kind von Bethlehem“, sagte er leise, „das nun der  Heiland der Welt geworden ist. Er  kann auch dich wandeln, heilen und zum Frieden führen, wenn du ihn nur aufrichtig darum bittest!“

Dann stieg der Engel hinauf, dem Jubel der himmlischen Herrscharen zu. Seine Hände aber hielt er empor,  als trügen sie eine teuer erkaufte Last dem Herrn der Liebe als Gabe entgegen (nach Charlotte Hofmann-Hege).

 

Tante Zenias Weihnachtskleid

[Polin zieht an Weihnachten ein altes Kleid an, das ihr Deutsche in der Nazizeit geschenkt haben]

Unsere Tante Zenia wohnt in Praga, in der Torchominskostraßc. Sie ist die Schwester unseres Vaters, und im Sommer besucht sie uns ein paarmal. Sonst ist sie sehr beschäftigt. Sie arbeitet in einem Werk und ist Mitglied in einigen Vereinigungen. Ihr Haar ist weiß, obwohl sie erst einige fünfzig ist, und ihr Gesicht voller Runzeln. „Die hatte sie schon als Kind, eine Schönheit war Zenia nie“, pflegt unser Vater zu sagen. Aber wir mögen Tante Zenia gut leiden. Schon wegen Weihnachten. Da gehört es nämlich zur Tradition, daß wir am Heiligabend zu ihr hinüberfahren, mit dem Obus 25 über die Ponia­tows­ki-Brücke, um uns von ihr bewirten und beschenken zu lassen.

Wir - das sind wir drei: meine Schwester Krystyna, mein Bruder Stani und ich, Jerzy. Mit unseren Eltern besuchen wir die Christvesper in der Kirche und steigen dann gleich in den Bus. Vater schleppt ein Paket mit, darin sind Geschenke für Tante Zenia und ihren Untermieter, den Bildhauer Zygmunt, der aus Lindenholz wunderschöne Adler mit ausgebreiteten Flügeln schnitzt und verkauft. Wir haben schon ein paar solche Adler zu Hause hängen, Zygmunt hat sie uns geschenkt. Zygmunt hat keine Beine mehr, er hat sie im Krieg verloren, als er bei den Partisanen war. Wenn Tante Zenia Zeit hat, fährt sie Zygmunt in einem Rollstuhl in den Zoologischen Garten oder in den danebenliegenden Park.

Meine Mutter ist sehr hübsch, und sie kleidet sich gern gut. Darum bekommt sie von Vater zu Weihnachten immer etwas Schönes geschenkt, was sie noch schöner macht. Meist läßt sie sich das Kleid, die Schuhe oder den Mantel schon am Tag vor Weihnachten geben, damit sie sich schön kleiden kann, wenn wir in die Kirche und zu Tante Zenia gehen.

Tante Zenia ist anders als Mutter, sie liebt die einfachen Kleider. Und zu Weihnachten trägt sie stets ein Kleid, das sie sonst nie anzieht - nun schon seit Jahren. Meine Mutter würde sich damit nicht auf die Straße wagen. Ja, sie würde dieses Kleid wohl dem Lumpensammler geben. Es ist ein altes, dickes Wollkleid, dunkelbraun, mit einem Spitzenkragen und plumpen, stoffumhüllten Knöpfen. Es ist viel zu lang - das heißt, jetzt tragen ja junge Mädchen wieder solche langen Kleider oder kurze Kleider mit langen Mänteln darüber. Tante Zenias Weihnachtskleid sieht aus wie ein warmer Mantel. Sie muß furchtbar schwitzen, denn ihre Wohnung hat Fernheizung, es ist immer sehr warm bei ihr im Winter.

Meine Schwester hat Mutter gefragt: „Warum trägt Tante Zenia zu Weihnachten immer das unmögliche Kleid? Kann Vater ihr denn nicht ein schönes neues schenken - wie dir -, wo sie uns doch immer so reich beschenkt?“ Doch Mutter hat nur geantwortet: „Es ist nun mal ihr Weihnachtskleid, sie liebt es!"

Kann man Kleider so sehr lieben? Alte Kleider? Alte Bilder vielleicht, alte Möbel und Vasen; die sind jetzt sehr teuer. „Es ist wohl noch von ihrer Mutter!“- „Von Vaters Mutter?“ habe ich gefragt, doch Mutter schüttelte den Kopf. Und als ich gar keine Ruhe gab, meinte sie, ich solle mich um meine Schularbeiten kümmern und nicht um Tante Zenias Weihnachtskleid. Doch damit machte sie das Kleid nur noch geheimnisvoller - und ich muß Geheimnissen auf die Spur kommen, so bin ich nun einmal.

Ich verdanke es Zygmunt, daß ich weiß, warum Tante Zenia das häßliche alte und sogar ausländische Kleid trägt. Ich war einmal in Prag, um der Tante etwas zu bringen, doch da war sie nicht zu Hause. Nur Zygmunt war da und schnitzte. Er und sein Papagei, der sprechen kann - doch es versteht ihn nur Zygmunt. Nun weiß ich die Geschichte und kann sie erzählen.

„Jerzy, du wirst nun bald groß“, sagte Zygmunt, „und ich denke, es wird gut sein, wenn du weißt, warum deine Tante Zenia zu Weihnachten dieses Kleid trägt!“

Es war in dem letzten großen Krieg, von dem die Leute soviel erzählen und den sie wohl nie vergessen werden. Vaters Bruder ist in diesem Krieg umgekommen - auf eine sehr schlimme Art. Und sein Vetter auch. Da war Tante Zenia jung, einige zwanzig. Sie mußte sich melden, sie wurde in einen Zug verladen und nach Westen gefahren, nach Berlin und weiter. Ein Auto brachte sie in irgendein Dorf. Dort mußte sie bei einem kinderlosen Bauernehepaar arbeiten, für wenig Geld und das Essen; und ein „P“ mußte sie auf ihrer Arbeitsjacke tragen. Viele mußten das, und vielen ist es da nicht gut ergangen.

Zenias Bauer und die Bäuerin aber waren friedliche Leute. Sie sagten Zenia, was sie zu arbeiten hatte, und zeigten ihr die kleine Kammer, in der sie schlafen und wohnen sollte. Es war keine große und keine gute Kammer, aber ein kleiner eiserner Ofen stand darin. Sonst nur noch ein dreibeiniger Tisch, ein Bett und ein Stuhl. Tante Zenia verstand kein Wort Deutsch, sie mußten ihr durch Zeichen verständlich machen, was sie arbeiten sollte. Sie merkte bald, daß die Leute sie nicht antrieben und freundlich mit ihr redeten.

Abends saßen Bauer und Bäuerin am Tisch und hatten ein großes Buch vor sich, sie waren fromme Leute. Sonntags durfte Zenia zu ihren Landsleuten im Dorf gehen und in die Messe; da wurde bei den Bauersleuten nur das Allernotwendigste getan. Beide zogen sich sonntäglich an und gingen zur Kirche, wo der protestantische Pastor predigte und nicht der Kaplan. Wenn sie zu Hause aßen, beteten sie zuvor. Da faltete auch Tante Zenia die Hände.

Als sie eines Tages aus dem Stall kam, hörte sie, daß in der Stube lauter als sonst und erregt gesprochen wurde. Ein Mann war bei dem Bauern und redete ernst mit ihm. Einige Worte konnte Zenia aufschnappen, sie hatte mittlerweile ein wenig Deutsch gelernt. Sie dürfe nicht bei dem Bauern in der Stube wohnen, betonte der andere, sie solle für sich allein essen, sie solle sich in ihrer Kammer aufhalten. Sie solle tüchtig arbeiten, und er, der Bauer, solle sich an das halten, was man ihm gesagt habe. Darauf ging der Mann - es war der Lehrer des Ortes, der Zenias Gruß nicht erwidert hatte, als sie ihm einmal begegnet war.

Nun ging wieder ein Kriegsjahr zu Ende, Weihnachten nahte - „Kriegsweihnachten“, wie die Deutschen sagten. Im Dorf wurde gebacken und gebraten - man lebte ja auf dem Lande, und da gab es immer noch genug zu essen. In den Städten sah es anders aus. Zenia mußte beim Kuchenbacken mithelfen - und eine Gans oben auf dem Boden rupfen.

Der Bauer bekam öfter Besuch. Man holte ein Schlachttier ab - viel hatte er nicht. Ein paar Säcke Kartoffeln oder Getreide. Ein Schwein. Und der Lehrer kam uneingeladen und brachte Bücher und Zeitschriften. Er unterhielt sich lange mit dem Bauern. Als Zenia einmal Wasser hineintrug - vom Brunnen im Hof -, ging es wieder einmal lauter her. Auf dem Tisch sah sie das alte Buch, die Bibel, liegen. Sonst stand es gewöhnlich auf dem Bord neben der Uhr und den Büchern über die Haustierkrankheiten. „Dabei bleibe ich!“ sagte der Bauer. „Ich meine es nur gut!“ sprach der Lehrer. Darauf ging er.

Am Heiligabend läutete die kleine Stahlglocke, die größere Bronzeglocke hatte man abgeholt. Und in der Kirche mußten die Leute ohne Begleitung der Orgel singen; der Lehrer spielte sie nicht mehr im Gottesdienst. Wie es hieß, hatte er das Kantoramt niedergelegt, er war mit dem Pfarrer verfeindet. Der Pfarrer grüßte Zenia stets freundlich, wenn er ihr begegnete, und man sah ihn oft längere Zeit mit dem Kaplan zusammenstehen, wenn dieser mit dem Rad aus der Stadt kam, um das Hochamt zu halten.

Bauer und Bäuerin waren zur Christfeier gegangen wie jedes Jahr, und Zenia hatte noch einiges im Haus zu schaffen. Sie mußte an diesem Tag besonders an ihre Familie denken, und die Augen blieben ihr nicht trocken. Doch die Zeit hatte Zenia auch hart gemacht.

In der Stube war ein Fichtenzweig mit zwei Kerzen geschmückt, alles war sauber und festlich, die Katze schnurrte am Ofen, und im Feuerloch heulte und prasselte es. Draußen polterte der Wind, er brachte wohl Schnee.

Gegen fünf Uhr kamen die Bauersleute aus der Kirche zurück. Zenia stand am Fenster und sah sie kommen. Der Bauer schob den Riegel vor, als sie durch die Pforte neben dem Tor hereingekommen waren. Er prüfte den Balken, der die beiden Torflügel zusperrte - er war ein wenig abgenutzt und längere Zeit wohl nicht durch einen neuen ersetzt worden. Wozu auch? Er verrichtete seinen Dienst sicher noch lange Zeit. Unten klappten darauf die Türen.

Plötzlich bellte der Hund, jemand rief den Namen des Bauern. Zenia erkannte die Stimme - es war die des Lehrers. Sie kannte auch seinen Gang - er hatte vom ersten Weltkrieg her ein Kunstbein, das eigenartig knackte, wenn er lief. Der Lehrer war gekommen, um dem Bauern und seiner Frau ein „heilreiches Julfest“ zu wünschen. Zenia wußte zwar nicht, was das bedeutete, aber sie konnte sich denken, daß es ein anderer Name für Weihnachten war. Vieles hatte sie gehört, im Dunkeln, an die Tür ihrer Kammer gelehnt.

„Bitte, bitte!“ hörte sie den Bauern sagen. Und nun kam doch wahrhaftig der Lehrer die Treppe herauf, ging über den winzigen Flur und öffnete Tante Zenias Kammertür, ohne anzuklopfen. „Licht!“ kommandierte er. Gehorsam schaltete Zenia das Licht ein. „Verdunkle gefälligst!“ schrie der Lehrer. Eilends ließ Tante Zenia den schwarzen Vorhang herunter, der das Licht ihrer Lampe nicht hinausließ - es konnten ja feindliche Flieger kommen, die den Lichtschein sahen. Das war ihr eingeprägt worden.

„Und warum war hier nicht verdunkelt?“ fragte der Lehrer. „Nun, weil noch kein Licht war!“ sagte hinter ihm unerschrocken der Bauer. Der Lehrer trug eine braune Uniform, er hatte seine Orden aus dem ersten Krieg angelegt. Sein Blick glitt über die armselige, nüchterne Kammer der Magd Zenia mit dem „P“ auf der Brust. „Gut, Bauer!“ sagte er - wahrscheinlich, weil er nicht die geringste Spur von Weihnachten in dieser Kammer entdeckt hatte. „Ich sage es immer wieder: Ich meine es ehrlich und gut! Sie werden mir noch einmal dankbar sein - auch wenn ich nichts von Ihrem jüdischen Christus halte. Heilreiches Jul - Heil ...!“ Er sagte den verhaßten Namen, als er ging!“ [Heil Hitler].

Der Bauer verriegelte hinter ihm das Tor. Durch das Singen des Windes hörte Zenia, wie sich die ungleichen Schritte entfernten. Es war ganz ruhig im Hause. Der Hund hatte sich hinter seinen Sack in das Loch in der Stallmauer verkrochen, wo er warm lag. Das war nun also der „Heiligabend“, wie sie im Dorf sagten. Und zu Hause ...?

Da vernahm Zenia unten in der Stube einen Laut - als ob jemand mit der Faust auf den Tisch geschlagen hätte. Plötzlich gingen die Türen, auch die Haustür - Zenia löschte das Licht und schob den schwarzen Verdunkelungsvorhang beiseite. Gegen das Weiß des Schnees sah sie den Bauern aus dem Haus treten - mit einem Gewehr. Er besaß ein sehr einfaches und wohl auch altes Gewehr. Gewöhnlich lehnte es in der Nische hinter dem Schrank, und die Bäuerin nahm es, um den Garnknäuel wieder hervorzuholen, wenn er unter das Sofa gerollt war. Patronen hatte Zenia nie zu Gesicht bekommen.

Der Bauer ging ans Tor, prüfte den Riegel, rüttelte. Er murmelte wohl etwas - oder war es der Wind? Der Mann ging an die Scheune, leuchtete in der Einfahrt mit der Taschenlampe herum. Der Hund winselte - er wollte wohl in die Stube. Darauf verschwand der Bauer durch das Gar­tentor, das er offenstehen ließ. Zenia schlich in Strümpfen in die Abstellkammer, von wo aus sie den Garten überschauen konnte. Da kam der Bauer wieder zum Vorschein, er geisterte als dunkler Schatten unter den Obstbäumen dahin. Das Gewehr hielt er wie einer, der auf Hasenjagd geht. Den ganzen Zaun schritt er ab. Er kam zurück und leuchtete hinter die Holzstapel, kontrollierte dann den Abort. Dann schien er mit allem fertig zu sein. Nein - er ließ den Hund los, den Dobermann. „Paß schön auf, Luchs!“ hörte Zenia ihn sagen. Dann wurde die Haustür zweimal abgeschlossen. Tante Zenia klopfte das Herz. Warum tat das der Bauer - noch dazu am Christabend?

Und jetzt wurde ihr Name gerufen - nicht laut, aber deutlich. „Zenia! Zenia - komm herun­ter!“ Sie warf ihre Jacke über, fuhr in die ausgetretenen Pantoffeln und ging. „Nein“, sagte sie sich auf der Treppe, „Böses können sie mit mir nicht vorhaben - das paßt nicht zu ihnen!“

Nein, sie hatten auch nichts Böses mit dem Mädchen aus Polen vor! Als die Bäuerin die beiden Lichte auf dem Fichtenzweig anzünden wollte, hatte der Bauer mit der Faust auf den Tisch geschlagen - Zenia hatte es oben gehört. Und seine Frau verstand ihn, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Der Mann mußte wohl die alte Schrotspritze umklammern, es dämpfte seinen Zorn. Hof und Garten kontrollierte er - dann wurde der Hund losgelassen, der ließ niemand herein. Die Haustür wurde zweimal abgeschlossen, die Fenster waren verdunkelt.

„Komm, Kind, laß uns das Fest der Geburt des heiligen Christ zusammen feiern!“ sagte der Bauer und reichte Zenia die Hand. Auf dem Tisch stand Kaffee - die Bäuerin hatte ihn im Tausch gegen Speck erworben -, und der Christstollen war angeschnitten, den Zenia mit ge­backen hatte. „Setz dich, Zenia!“ sagte die Bäuerin.

Doch plötzlich starrte sie die junge Polin an. „Nein, so nicht!“ sagte sie. Ihr Blick haftete an dem gelben „P“, das Zenia auf ihrer dicken Arbeitsjacke trug. „Warte einen Augenblick!“ Die Bäuerin ging in die Schlafstube, kramte in einem Schrank und brachte - das wollene braune Kleid. „Es paßt mir nicht mehr, dir könnte es passen“, sagte sie. „Du kannst es dir zurechtmachen. Da habe ich nun doch ein Geschenk für dich - solchen Stoff gibt es gar nicht mehr!“

„Kannst du singen, Zenia?“ fragte der Bauer. „Singen - so wie ich: Vom Himmel hoch da komm ich her ... in deiner Sprache? Sing uns ein Lied - ein Weihnachtslied!“ Tante Zenia hat eine schöne Stimme, und sie sang - leise. Darauf betete der Bauer.

Zenia blieb an diesem Abend lange unten hei den Bauersleuten. Das Radio mußte schweigen. Draußen erzählte der Wind seine Geschichten und rüttelte an den Fensterläden. Der Hund ereiferte sich wohl über die huschende Schleiereule oder eine hungrige Maus, die über den Hof eilte. „Und nun ist Heiligabend zu Ende!“ sagte der Bauer. „In der Küche ist es schön warm“, sprach die Bäuerin, „du kannst dich gründlich waschen, Zenia, wenn du willst!“

Tan­te Zenia trennte das alte Kleid auf und machte es passend; sie legte es jedoch nur sonntags in ihrer Kammer an.

Sie und die Bauersleute überstanden den Krieg, Zenia kehrte in ihre Heimat zurück. Das Kleid nahm sie mit - und seitdem trägt sie es zu Weihnachten. Das braune wollene Kleid erschien mir gar nicht so schlecht, seitdem ich die Geschichte kannte (Alfred Otto Schwede).

 

Die Legende von den ersten Weihnachtsgeschenken

[Hirten wollen das Jesuskind beschenken, treffen aber auf andere Hilfsbedürftige]

Es war in der Nacht, als die Engel von Bethlehem davon gesungen hatten, daß Jesus geboren sei. Die drei Hirten waren wieder zu ihrer Herde zurückgekehrt. Sie hatten einen kleinen Schäferhund, der hieß Tipp. Er bewachte ihre Schafe, während sie ein Schläfchen machten. Es war die Zeit, da sie, bevor die Sonne aufging, eine Weile zu schlafen pflegten. Aber sie konnten nicht schlafen. Sie saßen da und sprachen miteinander von dem Merkwürdigen, das geschehen war, und wie sie das Jesuskind gesehen hatten.

Da sagte einer von ihnen: „Was für ein armes Kind er doch war! Und wie arm seine Eltern waren! Ich kann Joseph nicht vergessen. Er hatte so schlechte Schuhe an. Ich habe nie jemand gesehen, der so schlechte Schuhe hatte. Sicher ist er einen weiten Weg mit ihnen gegangen. Mir fällt ein, daß ich zu Hause ein Paar Schuhe habe, die könnte er gern bekommen.“

Der zweite aber sagte: „Ich kann Maria nicht vergessen. Habt ihr gesehen, daß ihr Mantel zerrissen war? Ich sah, wie sie in dem zugigen Stall fror und wie sie versuchte, den Mantel um ihre Schultern zu ziehen, aber er reichte nicht, und es war deutlich zu sehen, daß sie sich schämte, weil er so zerrissen war. Ich glaube, daß meine Frau einen Mantel zu Hause hat, den sie bekommen könnte.“- „Er war gar nicht zerrissen; es war eigentlich ein feiner Mantel, aber sahst du nicht, daß sie den halben Mantel hatte zerreißen müssen, um Windeln für ihr Kind­chen zu bekommen? Ich sah die ganze Zeit auf das Jesuskind; es hatte keine richtige Windel, so eine, wie Kinder sie zu haben pflegen, schön genäht und mit roten Borten, sondern es war der Mantel seiner Mutter, den sie in lange Streifen gerissen und es damit gewickelt hatte. Aber ich erinnere mich, daß wir zu Hause aus den Tagen, da meine Kinder klein waren, noch eine Windel liegen haben, in der Kleidertruhe. Die will ich dem Jesuskind geben.“

Und als die drei Hirten miteinander darüber redeten, kamen sie überein, daß sie nach Hause gehen und Schuhe, Mantel und Windel holen wollten. Sie tätschelten den Hütehund Tipp und sagten zu ihm, er solle die Herde gut bewachen, während sie fort seien, und dann machten sie sich auf den Weg. Nach einer Weile kamen sie zurück und gingen auf die Stadt Bethlehem zu.

 

Aber jetzt war in der Höhe kein Engelgesang zu hören, und kein Schein von der himmlischen Heerschar leitete sie auf ihrem Weg; sie mußten im Dunkeln gehen, und als sie zu der Stadt Bethlehem kamen, wußten sie nicht, welchen Weg sie einschlagen sollten. Vorher hatten sie nur eine einzige Straße gesehen, und die führte geradewegs auf den Stall zu, aber jetzt waren es drei Straßen, und alle drei glichen sich. Der erste Hirte sagte: „Ich erinnere mich ganz deutlich, daß es diese Straße war, die nach links führt. Ich erkenne das Haus dort drüben, an dem wir vorbeikamen, wieder.“ - „Da irrst du dich“, behauptete der zweite Hirte. „Ich erinnere mich ganz deutlich, daß es diese Straße hier ist, die geradeaus führt; ich erinnere mich eines Baumes, der an der Straße stand, und den sehe ich dort drüben.“- „Nein“, erklärte der dritte Hirte, „diese Straße hier nach rechts müssen wir gehen, denn dort ist ein Brunnen, und an dem Brunnen kamen wir vorbei.“

Ja, da standen nun die Hirten und stritten eine gute Weile wegen der Straße, und jeder war seiner Sache ganz sicher. Dann beschlossen sie, daß jeder seines Weges gehen solle, und wer das Jesuskind finde, solle umkehren und es den andern sagen. Und so ging jeder seinen Weg.

Der erste Hirte ging nach links; er kam an einem Haus vorüber und an noch einem und dann noch einem, und als er ein Stück gegangen war, erblickte er den Stall. Er war so sicher, daß er richtig gegangen sei, daß er sofort zurücklaufen und seine Gefährten rufen wollte; aber nun war er ein wenig neugierig. Aus dem Stallfenster leuchtete ein Licht heraus, und er dachte: „Ich kann bestimmt einmal durch das Fenster schauen. Ich will nur das Jesuskind sehen, dann laufe ich zu meinen Gefährten zurück!“

Aber als er durch das Fenster blickte, war da kein Jesuskind. Da saß ein alter Mann auf einem Strohbündel und hielt ein Paar zerrissene Schuhe gegen das Licht der Stallaterne. Die Schuhe waren so voller Löcher, daß der Hirte geradewegs durch sie hindurchsah, und er hörte den Mann seufzen: „Oh, oh, ja, ja, nun ist es Schluß mit meinen Schuhen, und ich habe doch noch so einen weiten Weg vor mir!“ Als der Hirte das hörte, vergaß er ganz, daß Joseph Schuhe haben sollte. Er machte die Tür auf und ging in den Stall. „Ich sehe, daß Eure Schuhe so zerrissen sind, Vater“, sagte er. „Ich habe hier ein Paar gute Schuhe!“ - „Gott segne dich, mein Sohn, Gott segne dich!“ sagte der Mann und streckte seine Hände nach den Schuhen aus.

Im selben Augenblick erinnerte sich der Hirte daran, daß ja Joseph die Schuhe haben sollte, aber als er sah, wie sich der Alte über sie freute, konnte er sein Geschenk nicht zurücknehmen. Er entfernte sich leise aus dem Stall und ging zu dem Kreuzweg zurück.

Der zweite Hirte ging die Straße, die geradeaus führte. Er ging an dem Baum vorüber und kam zu einem zweiten Baum und zu noch einem Baum, und als er ein Stück weitergegangen war, sah auch er einen Stall. Er dachte: „Ich wußte wohl, daß ich hinfinden würde. Man muß immer geradeaus gehen, dann findet man sich zurecht!“

Und er war seiner Sache so sicher, daß er geradewegs in den Stall ging. Aber da sah er, daß er fehlgegangen war.

Dort drinnen war kein Jesuskind, aber in der einen Ecke des Stalles befand sich ein Herd, und auf dem hatte eine alte Frau mit Stroh und Holzsplittern, die sie vom Stallboden aufgesammelt hatte, ein Feuer angemacht. „Friert Euch, Mutter?“ fragte der Hirte, denn er war so überrascht, daß ihm nichts anderes einfiel. „Und ob mich friert!“ jammerte die Alte. „Wie sollte ich nicht frieren in dieser schlechten Welt, wo es niemand gibt, der sich über den Elenden erbarmt? Bin ich nicht von Haus zu Haus gegangen und habe um einen Mantel gebettelt, in den ich mich hüllen könnte, aber keiner hat mir etwas gegeben!“

Der Hirte sah, wie sich die alte Frau mit einem Mantel zu bedecken versuchte, der so zerrissen war, daß ihre knochigen Schultern und mageren Arme durch die Löcher hindurch schie­nen. Da vergaß er ganz, daß Jesu Mutter Maria den Mantel haben sollte. Er nahm ihn und legte ihn der alten Frau um die Schultern. Es war ein schöner, weicher Mantel aus Kamelhaar und so warm, daß die strengste Kälte nicht hindurch dringen konnte. Und der Hirte sah, wie sich das Gesicht der alten Frau veränderte, als sie die schöne Wärme auf ihrem durchfrorenen Rücken spürte. Vorher hatte sie richtig böse und häßlich ausgesehen, aber jetzt wurde sie fast schön, so freute sie sich.

„Oh“, sagte sie, „ich hatte meinen Glauben an Gott völlig verloren, denn ich hatte ihn schon lange um Hilfe gebeten, aber keine erhalten. Aber jetzt weiß ich, daß er lebt, da er einen guten Menschen mit dieser schönen Gabe zu mir geschickt hat!“ Und sie faltete die Hände und rief immer wieder: „Dank, guter Gott! Dank, guter Gott!“ Doch da fiel dem Hirten auf einmal ein, daß ja Maria den Mantel haben sollte. Was hatte er jetzt für sie? Und während die Frau am Herd saß und Gott dankte, schlich er sich aus dem Stall und ging zu der Wegkreuzung zurück.

 

Der dritte Hirte ging nach rechts. Er kam an dem Brunnen vorüber, und er ging an noch einem und noch einem Brunnen vorüber. „Diese Straße könnte man Brunnenstraße nennen“, scherzte er; denn er war für einen Scherz zu haben. Er ging noch ein Stück weiter, und da erblickte er einen Stall. „Ich habe also hingefunden!“ sagte er. Durch eine Spalte in der Tür schien Licht, und der Hirte sah, durch die Spalte hinein. Vor Freude verschlug es ihm den Atem; denn dort drinnen waren wirklich die drei, die er suchte: Maria und Joseph und das Kind, das in der Krippe lag.

Aber als er hineinkam, sah er, daß er doch fehlgegangen war. Das waren nicht Joseph, nicht Maria und nicht das Jesuskind; das waren ganz andere Leute. Und es war nicht einmal derselbe Stall. Er wollte gerade weggehen, als er sah, daß die Frau ihren Mantel nahm, um ihn zu Windeln für ihr Kind zu zerreißen, das zitternd vor Kälte im Stroh lag und nichts zum Zudecken für sein zartes Körperchen hatte.

„Halt!“ rief der Hirte. „Zerreiß deinen Mantel nicht! Ich bringe dir eine Windel für dein Kindchen!“ - „Wer bist du“, fragte der Mann, „der mit so einer segensreichen Hilfe zu uns kommt? Wir erwarteten unser Kind nicht so bald. Wir waren auf der Wanderung und fanden keine Herberge. Und wir haben nichts, womit wir unser Kind kleiden können!“

Aber der Hirte nahm sich nicht die Zeit, die Frage zu beantworten. Er hatte vollkommen vergessen, daß es das Jesuskind war, das die Windel haben sollte. Er holte sie unter seinem Rock hervor, wo er sie gehabt hatte, damit sie warm sein sollte, und er half der blassen, zitternden Mutter mit den weißen Händen, das kleine Kind in die warme Windel zu wickeln. Die Frau weinte vor Freude, sie küßte ihr Kindchen und legte es an ihre Brust, um ihm zu trinken zu geben. Der Hirte aber ging seines Weges.

Langsam ging er zu der Wegscheide zurück. Dort standen schon die Gefährten und warteten auf ihn. Still und enttäuscht gingen sie wieder zu ihrer Herde auf dem Feld. Der Hütehund Tipp kam ihnen, freundlich mit dem Schwanz wedelnd, entgegen. Doch als er sah, daß sie betrübt waren, leckte er ihre Hände. Darauf legten sie frisches Holz aufs Feuer, hüllten sich in ihre Mäntel und legten sich schlafen, nachdem sie Tipp gesagt hatten, er solle weiter die Herde bewachen.

Aber als sie aufwachten, hatten sie alle drei denselben Traum gehabt. Sie hatten geträumt, daß Joseph, Maria und das Kind zu ihnen kamen. Joseph hatte die neuen Schuhe an, Maria den schönen Mantel und das Jesuskind die weiche Windel mit der schönen roten Borte.

Als sie einander das erzählten, saßen sie eine ganze Weile schweigend da. Dann sagte der erste Hirte: „Vielleicht doch?“- „Was denn?“ fragte der zweite. „Vielleicht gingen wir doch richtig!“ -„Ja, vielleicht doch“, stimmte der dritte bei (Axel Hambraeus).

 

Eine stille heilige Nacht

[An Heiligabend fällt der Strom aus, alle müssen sich behelfen]

Eine alte Legende erzählt: Als die große und heilige Nacht sich auf die Erde herabsenkte, war es die dunkelste Nacht, die man je gesehen hatte. Die Flüsse hielten in ihrem Lauf inne, die Wellen schlugen nicht mehr an den Strand, kein Lüftchen regte sich. Die ganze Natur stand regungslos, um die heilige Nacht nicht zu stören.

Es geschah in unseren Tagen, daß der elektrische Strom in der Heiligen Nacht ausblieb, und die Wellen der Rundfunkstationen verebbten. Es war ein grandioses Schauspiel, als es Nacht wurde im Jahrhundert des Lichts, richtige dunkle Nacht. Die Straßenbeleuchtung mit ihren unzähligen Girlanden erlosch und mit ihr die Tausende der künstlichen Kerzen. Die Neonfluten hauchten ihre künstlichen Seelen aus, und die verlöschenden Zeichen legten den Verkehr lahm. Die Weihnachtsbäume auf den Plätzen und in der Bahnhofshalle standen ohne Flimmer wie im Walde draußen. Und obwohl es dunkel war, erkannte man auf einmal, daß es echte Bäume waren in einer natürlichen Nacht.

Die Kirchenglocken hatten über die Stadt hin ihre ehernen Stimmen geschwungen und zur Feier eingeladen. Es waren kostbare Geläute und der Stolz der Gemeinden; die sie gestiftet hatten. Sie klangen aus und schwangen nicht mehr. Die Apparatur war ohne Kraft. Nur die alte Notglocke, die aus all den Katastrophen übriggeblieben war, hing mit einem alten Seil versehen im Turm. Der Kirchendiener tastete sich zu ihr, und ihr schlichter Ton zeigte an, daß hier der Geburt des Herrn gedacht wurde. Dunkel saß die Gemeinde im Kirchenschiff, keiner sah den Pelzmantel und die neue Robe des anderen. Nur die Kerzen auf dem Altar leuchteten. Die Orgel blieb stumm.

Gesangbücher konnten nicht gelesen werden. War es möglich, miteinander anzustimmen: „Vom Himmel hoch, da komm ich her?“ Wer wußte mehr als nur die erste Strophe, wer konnte vom Inhalt der großen Freude singen und sagen? Lasset uns beten! Aber die Gebete der Agende waren nicht zu entziffern. Sollte man nicht beten, wie es einem ums Herz war: „Ich steh an deiner Krippe hier, o Jesu, du mein Leben?“ Der Kirchenchor sah vergeblich auf die Noten der vielgeübten Hymnen.

Sollte man nicht lieber einstimmig singen: „Gelobet seist du, Jesu Christ?“ Und dann die Predigt. Was nützten das wohlvorbereitete Manuskript, die guten Formulierungen, die trefflichen Lutherzitate? Nein, es war Nacht, dunkle, heilige Nacht; die Nacht, da mir erschienen des großen Gottes Freundlichkeit.

In dieser Nacht tasteten sich die Gläubigen nach Hause, sie hielten sich fest, sie faßten sich unter, sie gehörten zusammen. Nur die Sterne leuchteten ihnen und erinnerten sie an den Stern von Bethlehem. Auch zu Hause war es still und dunkel wie nie zuvor. Der Fernsehapparat blieb eine dunkle Röhre, und kein Lautsprecher nahm ihnen Geräusch, Musik und Unterhaltung ab. Sie zündeten die Kerzen ihres Christbaumes an - keinen andern hatten sie unterwegs leuchten sehen -, und jetzt strahlten sie auf, wie nur Licht strahlen kann in einer echten Finsternis. Die Kinder jubelten, so etwas hatten sie noch nicht erlebt, und die Alten dachten an ihre einfache Jugend zurück, da man die Kerzen auf den kleinen Weihnachtsbäumen noch zählen konnte.

Aber was nun tun? Man kann doch nicht still im Sessel sitzen und in das Licht von Kerzen starren! Stellt doch mal das Radio an - ach, es ist ja kein Strom da! Was gibt's denn im Fernsehen - ach, es ist ja kein Strom da! Dann legt wenigstens eine Platte auf - das geht ja auch nicht! Ruft mal bei Müllers an, was die machen - ach, das geht ja auch nicht!

Und so saßen sie denn dicht beisammen in dieser Nacht, da alles stillstand und alles weggefallen war, was die Heilige Nacht hätte stören können. Die Kerzen brannten hinunter, die Schatten der Tannenzweige malten immer größere Schatten an die Zimmerdecke. Die letzte Kerze fand mit ihrem Licht die Krippe, in der jenes Kind lag, dessen Geburt zu feiern man eigentlich zusammengekommen war.

Nach den Feiertagen wurde gemeldet, daß in der Heiligen Nacht die Transformatorenstationen leider ausgefallen seien.

 

Die Wandergans

[Weihnachtsgans wird von einer Familie zur anderen geschenkt, bis sie wieder am Anfang ankommt]

Man sah der Gans wirklich nicht an, woher sie kam. Sauber gerupft und ausgenommen, gut und gern ihre fünfzehn Pfund schwer, lag sie auf dem Küchentisch des Pfarrhauses. Frau Elisabeth hatte das Paket frühmorgens auf der Hintertreppe vor der Haustür gefunden. Keine Spur eines Absenders war zu entdecken gewesen. Auch die schöne Karte, die das Gänschen um den Hals trug, gab keine Auskunft. Denn die Aufschrift: „Fröhliche Weihnachten und guten Appetit!“ war in steifen Druckbuchstaben gemalt.

Theodor, der Pastor, klein und hager, mit einer kurzgeschnittenen grauen Bürste auf dem schmalen Kopf, drückt den Daumen genießerisch in die fette Gänsebrust. „Sieh an“, sagte er anerkennend, „das gibt es also auch noch - die Gabe eines guten Herzens ..!“ - „... oder eines schlechten Gewissens, wer weiß“, gibt seine Frau zu bedenken. Sie kennt ihre Pappenheimer.

„Du solltest deine Zunge hüten“, sagte er mißbilligend. Trotz vierzigjähriger Ehe gibt er seine Erziehungsversuche nicht auf. „Na schön“, lenkt sie ein, „aber was nun?“

„Wieso?“ fragt er verwundert: „Essen! Oder hast du schon einen Festbraten?“ Nein, sie hat noch keinen. Aber die Sache mit der Gans erscheint ihr nicht ganz geheuer. Außerdem ist sie für zwei alte Leute wirklich zu groß, findet sie. Im Übrigen hat sie bereits einen Einfall. Ihr fällt häufig was Nettes ein. „Weißt du“, sagte sie begeistert, „wir verschenken sie weiter. Damit können wir anderen eine Weihnachtsfreude bereiten. Ich finde, das macht mehr Spaß als selber essen!“

Er blickt sie zweifelnd von der Seite an. Im Grunde genommen ist er ein bißchen genau. Aber wenn er sie so dastehen sieht wie eben, klein, rund und strahlend, weiß er, daß Widerrede wenig fruchtet. Das hilft ihm, den alten Adam, den es nach Gänsebraten gelüstet, in sich niederzuringen.

 

„Na ja“, sagt er, „wenn du meinst! An wen denkst du denn?“ Denn daran, daß ihr Plan fertig ist, hat er keinen Zweifel. „Am besten, du bringst sie den Hofstedts“, schlägt sie vor. So wandert der Festbraten zu den ältlichen Fräulein Hofstedt. Sie alle drei - alter Adel aus Ostpreußen - sind über die Maßen lang und dünn. Tatsächlich könnte der wohlfeile Braten nirgends gelegener kommen als gerade hier. Das findet auch der Herr Pastor, als er ihre freudige Rührung sieht. Er hat sie im Verdacht, daß sie ihrem Stande zuliebe eher hungern als sich etwas zu vergeben, so eingeschrumpft sind sie. Insgeheim preist er nun das gute Herz und den praktischen Sinn seiner Eheliebsten.

Er wäre höchst verwundert gewesen, hätte er am nächsten Tage dem Gespräch im beengten Flüchtlingsstübchen der drei adeligen Damen lauschen können. „Findet ihr nicht auch, daß wir uns mit der Gans eigentlich eine richtige Weihnachtsfreude machen sollten?“ fragte Adelheid, die Älteste, zögernd, nachdem man das Ereignis zum hundertsten Male durchgesprochen hat.

„Ja, mit Äpfeln gefüllt!“ antwortet Friederike schnell, ein wenig zu schnell, wie sie gleich merkt, denn Josephine wirft mit leichtem Tadel in der Stimme hin: „Ich bitte dich, Friederike - das ist unfein!“ Sie meint nicht die Äpfel, sondern den ihrer Ansicht nach niedrigen Genußsinn der Schwester. Sie ahnt, worauf Adelheid hinaus will.

Doch Adelheid überhört den nicht nur bei dieser Gelegenheit etwas zugespitzten Disput der beiden anderen und erwidert mit einem Lächeln: „Du hast recht, Äpfel könnten wir auch noch dazulegen!“ Da begreift auch Friederike, was die Schwester plant. Und weil sie sich beschämt fühlt, stimmt sie umso eifriger zu. Ihr Herz ist nicht weniger stolz und gut als das ihrer Schwestern.

Mit einem Wort - die drei Armen wollen sich die Freude machen, noch Ärmeren eine Freude zu bereiten. Sie werden, wie vorgesehen, zum Feste falschen Hasen essen und die Gans verschenken.

 

So kam die Gans zur jungen Frau Gisela Bernd, die gerade ihres vierten Söhnchens genesen war. Die Freude war wirklich groß, besonders bei dem jungen Vater, einem vierschrötigen, fröhlichen Manne, dem man nicht ansah, daß er das karge Brot des Schriftstellers aß. Als er den mildtätigen Besuch unter reichlichen Dankesbezeugungen zur Tür geleitet hatte, kehrte er eiligst an das Bett der Gattin zurück und entwickelte ihr beredt seine in der Tat verblüffende Kenntnisse über die Zubereitung eines Gänsebratens.

Gisela schaute ihn so verklärt, zugleich aber auch derart abwesend an, daß man einen solchen Blick unmöglich mit einem noch so kunstreich bereiteten Festbraten in Verbindung bringen konnte. In der Tat hing sie eigenen Gedanken nach, die allerdings auf ganz andere Weise um das Gänsegeschenk kreisten.

Um es kurz zu machen: sie hatte sich in den Gedanken verliebt, dem Doktor Evers, der sich in ihrer schweren Stunde so treu um sie bemüht hatte, ohne je Aussicht auf eine angemessene Honorierung hegen zu dürfen, mit der Gans eine Dankesschuld abzutragen. Er besaß einen Haufen Kinder, so daß in dem vor Gesundheit strotzenden Dorfe die Gans der großen Arztfamilie ganz gewiß zupaß kam. Weiblich sanfte Diplomatie war Frau Giselas Stärke. So brachte sie ihren Mann, ohne daß er es recht merkte, dahin, daß er schließlich selber glaubte, er habe die edle Idee gehabt, den Doktor zu Weihnachten derart zu erfreuen. Er erinnerte sich all der guten Menschen, die er in seinen Geschichten der Wirklichkeit zum Trotz erfand, daß er ganz gerührt zur Feder griff und eine schöne idealistische Erzählung über das Fest der Liebe zu Papier brachte. Seinen Leib aber kasteite er.

Der Doktor kommt also, um nach Mutter und Kind zu sehen. Er ist ein großer, derber Mann, einer von den begnadeten Kleinleuteärzten, zu dem zu seinem Grimm aber keiner der großen Bauern mehr kommt, weil er seinen Mund zu ihren bitteren Klagen über die schlechten Zeitläufe nicht halten kann.

Als Frau Gisela ihm beim Abschied mit holdseligem Lächeln die Weihnachtsgans überreicht, nicht ohne den Hinweis, daß der prachtvolle Einfall von ihrem Mann stamme, poltert er ablehnend los und beteuert, das käme gar nicht in Frage. Aber gerade polternde Männer sind Frau Giselas Fall. Zart und zerbrechlich, die großen Augen voll echter Tränen, sitzt sie in ihrem Bette und fleht: „Tun Sie uns die Liebe, die ganze Freude wäre uns verdorben!“ Da kann der gute Doktor nicht widerstehen.

 

Jubelnd wird die wanderlustige Gans im Arzthause empfangen. Wer den vier strammen Jungen und den beiden auch nicht zarten Mädchen zusieht, wie sie fachgerecht den nahrhaften Vogel betasten, wird begreifen. daß hier alles seinen Ort hat, was eßbar ist. Doch wer kennt sich in den Regungen des menschlichen Herzens aus und hätte voraussehen können, daß gerade der Anführer dieser ständig Hungrigen, der Doktor selbst, ein Beispiel entsagungsvollen Edelmutes geben würde? .,Ich denke, ihr seid einverstanden, wenn wir das Vieh weiterschenken. Wir haben ja schon eine - und zwei Gänse im Topf, finde ich, ist der reine Übermut. Wie wär's, wenn wir Pastors eine Freude damit machten? Die denken doch nur an andere und haben uns in den schlechten Zeiten immer geholfen ...!“

Die sanfte Frau Doktor, obgleich keineswegs davon überzeugt, daß von der zweiten Gans auch nur ein Bein übriggeblieben wäre, stimmte lebhafter zu, als es ihre Art war. Denn einmal hatte ihr Mann nach ihrer, wie sie meinte, unmaßgeblichen Meinung wie immer recht und zum anderen trachtete sie um des Familienfriedens willen danach, das vernehmbare Murren der Kinderschar zu übertönen. Sie sah mit Erleichterung, wie sich des Doktors Stirnfalten glätteten. Fröhlich half sie dabei, den Braten wieder einzupacken, und versuchte nebenher, ihre ungläubig lauschende Brut davon zu überzeugen, daß geben seliger ist denn nehmen.

So kehrte die Gans ins Pfarrhaus zurück. Der Doktor, gewohnt. allerlei Seltsamkeiten seiner Mitmenschen mit Gelassenheit hinzunehmen, blickte dennoch entgeistert auf den Pastor hernieder. als der sonst so zugeknöpfte geistliche Henn die Gabe mit einer geradezu unziemlichen Heiterkeit empfing. Er blickte erst den Doktor, dann die Gans mit dem Pappschild feu­chten Auges an und lachte, wie ihn der Doktor noch nie lachen gesehen hatte. Schon erwog der Arzt den Gedanken an ernstere Störungen im seelischen Gleichgewicht des Pfarrers und begann, vorsichtig tastende Fragen zu stellen, als auch Frau Elisabeth hinzutrat und von der gleichen Heiterkeit befallen wurde.

Ratlos blickte der gute Doktor vom Herrn zur Frau Pastor. Er war ein zu nüchterner Mann, um an eine zweifache Verwirrung des Geistes zu glauben. Erst als man ihn aufklärte, daß die Gans schon einmal hier war, begriff er und übertönte nun seinerseits mit dröhnendem Gelächter die stillere, fast gerührte Heiterkeit der Pfarrersleute.

Die praktische Elisabeth war die erste, die sich wieder faßte. „Hol eine Flasche Rüdesheimer herauf“, sagte sie zu ihrem Mann. „Auf soviel gute Herzen wollen wir anstoßen. Dann können wir in Ruhe überlegen, wohin wir die Wandergans nun bringen!“ „Wie wär's denn mit den Hofstedtdamen!“ schlug der Doktor vor und blickte gleich darauf von neuem verwirrt auf seine Gastgeber, die sich eines abermaligen Heiterkeitsausbruches nicht erwehren konnten (Max Wedemeyer).

 

Was die Gans anbelangt… .

Eine entzückende Epistel über die Weihnachtsgans schrieb der ehrwürdige Pfarrer Junghans im Jahre 1644 in seinen „Sermones de tempore“, in seinen „Ernsthaften Gesprächen zum besonderen Tagen“:

Weil nun das liebe Weihnachtsfest bevorsteht, wo die Gänse es gar übel haben, wollen wir unsere Weihnachtsgans betrachten: 1. im Leben, 2. im Tode. Wir werden sehen, was wir an ihr christlich lernen können, was Gott uns an derselben zu studieren gegeben hat. Was also das Leben der Gans anlangt, so haben wir zu lernen:

 

Erstens ihre Tugenden.

Unter diesen steht die Geselligkeit an erster Stelle. Gänse halten nicht allein zusammen und lieben also die Gesellschaft, sondern sie halten sich auch gern zu den Menschen. Das soll uns zu Gemüte führen, daß wir uns auch zu unseresgleichen und zu Besseren, denn wir selbst sind, halten sollen. Die Gänse gesellen sich aber nicht zu Adler, Geier. Habicht und dergleichen Raubvögel; also sollen wir uns zu frommen Herzen gesellen, nicht aber zu gottloser Gesellschaft uns halten. Denn es heißt: „Bei den Frommen bist du fromm, bei den Reinen bist du rein, aber bei den Verkehrten bist du verkehrt!“

An zweiter Stelle steht unter den Tugenden der Gans: die  Reinlichkeit.  Eine Gans ist gern an reinen Orten und badet sich oft im Wasser. Darum befleißigt euch der Reinlichkeit und trachtet danach. daß ihr sowohl am Leibe, als auch am Gemüt rein seid. Vor allem wisset aber ihr Frauen und Mädchen, daß euer zierlichstes Kleid Scham und Zucht ist, aber nicht Gold und Perlen oder köstliches Gewand oder silberne und goldene Zöpfe, die heutigen Tages bei den Modedamen so beliebt sind.

An dritter Stelle steht unter den Tugenden der Gans nun die Wachsamkeit. Weil die Gänse so sehr hitzig sind, so schlafen sie wenig und wachen schnell beim kleinsten Geräusche auf. Solches soll uns eine feine Aufmunterung sein zur Wachsamkeit, einem jeden in seinem Amte, Stande und Beruf. Im geistlichen Stande soll keiner des großen Gottes Worte vergessen: „Du Menschenkind, ich habe dich zum Wächter gesetzt“, da soll keiner ein stummer Hund sein, sondern getrost rufen und seine Kirchenkinder aus dem Sündenschlaf aufrütteln. Im weltlichen Regierungsstand aber soll jeder für seine Untertanen wachen und sie vor aller Gefahr behüten.

An vierter Stelle steht unter den Tugenden der Gans: die Schamhaftigkeit. Manchem, der sich ein Christ nennt, sollte es die Schamröte ins Gesicht jagen, daß er in dieser Tugend von einem Vogel übertroffen wird; denn was für unverschämte Worte. ja Taten, werden oft im Beisein kleiner Kinder, vor züchtigen Ohren und Augen geredet und vorgenommen? Will doch Scheu und Scham fast erlöschen.

An fünfter Stelle endlich steht unter den Tugenden der Gans: eine natürliche Verschlagenheit, welche sonderlich an den wilden Gänsen wahrzunehmen ist, und die sich in vorsichtigem Stillschweigen bei Gefahr offenbart. Wollte Gott, mancher Mensch wäre so klug, daß er sich ein Schloß an seinen Mund legte und ein festes Siegel auf seinen Mund drückte. Die natürliche Verschlagenheit der Gans aber zeigt sich auch in kluger Mäßigung und Enthaltung von Speisen, die der Gänsenatur zuwider sind. Die hitzigen Lorbeerblätter rühren die Gänse zum Beispiel nicht an, und sollten sie Hungers sterben. Sie sind also auch in dieser Hinsicht klüger als manche Menschen, die maßlos viel Essen und Trinken in sich hineinschütten.

 

Nachdem wir also die Tugenden der Gans kennengelernt haben, wollen wir uns sodann ihre Laster vergegenwärtigen

Dazu gehört zunächst die Schwatzhaftigkeit; denn des Schnatterns und Datterns ist ziemlich viel bei den Gänsen. Wir sagen daher wohl auch von einem Schwatzmaul: „Du schnatternde Gans!“ Solch Laster aber steht dem Menschen übel; denn nur Narren haben allen Vorrat im Munde.

Als zweites Laster der Gans sei das viele Trinken genannt. So närrisch sind die Gänse, daß sie, wenn sie andere trinken sehen, sofort mittrinken, wenngleich sie auch gar keinen Durst haben. Dies Laster haben nun in heutiger Zeit viele von den Gänsen gelernt, also, daß sie einander zu Gefallen saufen, auch wenn sie nicht dürstet . . . Die Trunkenheit aber macht einen Narren noch toller, so daß er trotzt und ochst, bis er wohl gebläut, geschlagen und verwundet wird.

Als drittes Gänselaster haben wir uns die Gefräßigkeit zu vergegenwärtigen, denn wegen des vielen Fressens werden die Leiber der Gänse derart beschwert, daß sie sich nicht mehr wie andere Vögel von der Erde erheben können. Also sind auch die Fresser, Völler und Dummen, sie füllen sich derart mit irdischen Dingen an, daß sie ihr Gemüt niemals zum Himmel schwingen können.

 

Seht, so haben wir an einer Gans, solange sie lebt, zu lernen, doch nun lasset uns sie auch noch nach ihrem Tode betrachten. Wie wir wissen, geben die Gänse von Martini ab einen guten Braten. Verständige Köchinnen wissen ihm einen lieblichen Geschmack zu geben und füllen ihn mit guten Äpfeln und Beifuß.

Ferner liefert uns die tote Gans die Federn für unsere Betten. Was aber gibt es besseres als ein gutes weiches Federbett, wenn man abends müde gearbeitet und abgeeselt ist? Sanfte Ruhe gönnt uns Gott, und darum hat er uns auch die Nacht zum Schlafen gemacht.

Sodann gewinnt man von der toten Gans gar mancherlei Arzneien.  Die mitternächtigen Völker mischen, wie Claus Magnus in lib. 39. cap. 6 schreibt, Gänsefett mit Butter und benutzen dies Gemisch zum Blutstillen oder zur Heilung von Geschwüren und Ausschlag. Auch gegen das Schwären der Ohren wenden sie es an. Tun sie noch Honig zu ihrem Gemisch. so sollen sie damit den Biß eines wütigen Hundes heilen.

Die Schreibfedern, die so manchen zu hohen Ehren gebracht haben, verdanken wir ebenfalls der toten Gans. Marcus Tullius, Cicero und Terentius Varro waren nur von unbedeutendem Geschlecht, und doch sind sie durch ihre Schreibfedern Bürgermeister von Rom geworden. Martini Lutheri Schreibfeder reichte von Wittenberg bis Rom, und auch sie war von einer Gans genommen. Eine Gänsefeder kann viel zustande bringen: darum heißt es auch im Rätselreim von ihr: „Weil ich leb', so schweige ich; bin ich tot, so kann ich nicht. Wenn man meinen Kopf schneid' ab, zugespitzt den Hals mir hat, da fang ich zu schreien an, daß alle Welt mich hören kann. Ohne mich kann kein König regieren, zu hoher Ehr tu manch' Armen ich führen!“

Weil ihr nunmehr die Gans gründlich im Leben und im Tode habt kennengelernt, so befleißigt euch, daraus den nötigen Nutzen zu  ziehen. Dann wird die duftende, braungebratene Weihnachtsgans euch noch einmal so gut munden und bekommen.

Es wird ja wohl keiner von uns so töricht sein, daß er diese Gänseepistel nun für eine ernsthafte Weihnachtspredigt hält, aber es könnte uns doch eine vergnügliche Viertelstunde bereiten, wenn wir nach einem weihnachtlichen Gänseessen diese Epistel einmal vorlesen (Otto Schlißke).

 

Von unten gesehen

[Was ein Dackel in der Weihnachtszeit bei seiner Familie beobachtet]

Aus meinem Blickwinkel betrachtet ist die Welt anders. Vielleicht liegt es an der Augenhöhe der Zweibeiner, oder es hat seine Ursache in einer ganz anderen Einstellung zu den Dingen. Was ich zuweilen zu sehen bekomme, entgeht den Zweibeinern zwangsläufig, sie müßten sich andernfalls auf den Bauch legen, doch wer macht das schon gern?

Mein Name ist Götz! So ruft mich das große Zweibein, wenn es meine Anwesenheit wünscht. Ich habe mir diesen Namen nicht selbst gegeben, doch ich habe mich daran gewöhnt, wie man sich an so mancherlei gewöhnen muß. Seit ich mich erinnern kann, wohne ich bei dieser Zwei­beinerfamilie. Das große Zweibein liebe ich. Der „Schatz“ ist ein weibliches Zweibein und in der Rangordnung der Familie etwas niedriger einzustufen, doch ich glaube, daß sich da im Laufe der Zeit etwas verändert hat. Zumindest hat das große Zweibein manchmal Schwierigkeiten, seine Ansichten durchzusetzen. Die beiden kleinen Zweibeiner, die es außerdem noch in unserer Familie gibt, schauen an jedem Tag mit vielen Seufzern in das Papier vor ihnen auf dem Tisch, und sie sind sehr froh, wenn sie es beiseite legen dürfen.

Nun möchte ich Ihnen von einer merkwürdigen Beobachtung berichten, die sich bei uns zugetragen hat. Es begann zu jener Zeit, in der die Tage immer kürzer werden, die Dämmerung schon bald nach meinem Schläfchen beginnt, das ich er gewöhnlich in der Mitte des Tages halte. Vorbei sind die Tage des warmen Sonnenscheins. Kälte und Nebel liegen über den Bäumen und man schaut aus den behaglich warmen Räumen, in denen wir wohnen, in dieses unfreundliche Grau.

Noch später fallen weiße Flocken hernieder, die zwar hübsch anzusehen sind, von denen man aber entsetzlich kalte Füße bekommt. Außerdem verwandeln sich alle Wege in einen schmutzigen Brei. Immer wenn ich durch diesen Brei gegangen bin, hinterlasse ich auf den Matten in unseren Räumen ganz deutliche Spuren. Das weibliche Zweibein, welches vom großen Zweibein immer „mein Schatz“ genannt wird (ich nenne sie deshalb auch so), mag das jedoch gar nicht. „Schau nur, was dein krummbeiniger kleiner Köter wieder für schmutzige Füße hat!“ sagt der Schatz zum großen Zweibein, holt eine Lappen und beginnt, alle Spuren wieder wegzuputzen.

Ich glaubte anfangs, es ärgere sie nur auf den Matten des Bodens, und sprang deshalb auf das Lager, auf dem das große Zweibein immer liegt, wenn es in den Kasten mit den huschenden Bildern guckt. Doch das war fast noch schlimmer, und dann hat der Schatz den kleinen Besen nach mir geworfen.

„Gott, du Schwein!“ rief das weibliche Zweibein dabei mit ganz unnormaler Stimme, und wenn die Stimme so klingt, dann wagt das große Zweibein auch nicht mehr, mich zu verteidigen. Ich bin kein Schwein! Ich war beleidigt und für eine Weile trotzig, aber wenn man klein ist, sollte man derartige Gefühle nicht zu lange hegen.

Zu dieser Zett also bringen die Zweibeiner Zweige aus dem Wald, schnüren sie zu einem runden Ding zusammen, stellen es auf den Tisch und bringen daran kleine rote Stäbe an. Manch­mal sind an den roten Stäben kleine gelbe Zungen. Einmal bin ich mit meiner Nase zu nahe dran gewesen. Ich kann Sie nur warnen! Dieses runde grüne Ding beginnt nun die Zweibeiner zu verwandeln. Ich kann mir bis heute nicht erklären, wie es möglich ist. In ihren Augen ist ein Schimmer festzustellen, der ihnen sonst fremd ist. Ihre Stimmen werden mild und liebevoll. Dabei scheinen sie auf irgendeine Sache mit großer Ungeduld zu warten.

Wer auf etwas wartet, weiß, wie lang die Zeit werden kann. Aus diesem Grund beginnt der Schatz damit, viele hübsche Leckereien herzustellen. Es wird gerührt, geknetet und gerollt, und die kleinen Zweibeiner helfen mit Fleiß dabei. Sie machen kleine Stücke und schieben sie in einen heißen Kasten. Dann entsteht ein wunderlicher Duft, den Sie sich gar nicht Vorstellen können.' Überall riecht man es. Und es schmeckt. Ich kann gar nicht genug davon bekommen, und gerade weil die Zweibeiner so verwandelt sind, geben sie mir reichlich ab.

„Unser Götz ist fett wie ein Spanferkel. Er frißt ohne jede Beherrschung!“ sagt der Schatz zum großen Zweibein und betrachtet mich wie eine Besonderheit. Mögen Sie es, wenn man Sie aus diesem Grunde interessiert betrachtet? Na bitte! Deshalb lege ich meinen kugelrunden Bauch auf mein Lager, schließe die Augen und genieße die Pausen zwischen den Mahlzeiten. Die Umstände verleiten so richtig zum Faulenzen.

Ganz anders ergeht es jedoch unbegreiflicherweise meiner Familie. Ihr Dasein ist wie auf einen einzigen Tag zugeschnitten, und je näher dieser Tag heranrückt, desto rastloser werden sie. Ein jeder hat vor dem anderen Heimlichkeiten. Es wird gebastelt und gemalt, es wird verschnürt und versteckt. Sie legen runde, schwarze Platten auf einen Teller, der sich dreht, und dann singt es von diesen Platten. Die Zweibeiner möchten gern mitsingen, aber weil sie nicht so schön singen können, schämen sie sich voreinander und lassen lieber weiter singen. Trotzdem ist es eine herrliche Zeit.

Während dieser Tage beginnen sie damit, riesige Mengen an Lebensmitteln zusammenzutragen. Zunächst war ich beunruhigt, weil ich glaubte, die Zweibeiner würden den Anbruch einer großen Hungersnot befürchten. Weit gefehlt. Jetzt bin ich nämlich überzeugt, sie nehmen sich ganz ernsthaft vor, all diese Mengen an zwei Tagen aufzuessen. Das gelingt natürlich nicht. Ich glaube allerdings, die Stimmung dieser Tage verleitet sie zur Maßlosigkeit. Wie gesagt, mit großer Emsigkeit tragen sie zusammen, was sie nur zu fassen bekommen. Außerdem müssen sie auch befürchten, sie könnten an dem einen Tag verdursten. Wahrscheinlich wird das große Zweibein von dieser Möglichkeit besonders gepeinigt, denn es trägt unverdrossen ganze Kästen mit Flaschen heran und stellt sie der Reihe nach auf.

Damit ist es nicht getan, denn das große Zweibein muß nun ständig kontrollieren, ob der Inhalt der verschiedenen Flaschen sich noch in gutem Zustand befindet. Dazu gehen wir beide ein paar Stufen hinunter in einen dunklen, kühlen Raum, und dann probiert das Zweibein den Inhalt einiger Flaschen. Es müssen meine neugierigen Augen gewesen sein, denn eines Tages ließ mich das Zweibein auch mal kosten. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis! Es ist kein Wasser in den Flaschen. Die Flüssigkeiten schmecken ganz unterschiedlich. Süß, säuerlich, bitter, scharf. Es schäumt und perlt, und man muß sich erst an diese Getränke gewöhnen. Sobald das aber gelungen ist, wird man gierig.

Ich versuche nun, überall ein paar Tropfen für mich zu ergattern und der Schatz sagte zum großen Zweibein: „Götz entwickelt sich zum Säufer!“ Eine sicher beunruhigende Feststellung, doch wenn ich meine Größe mit der des großen Zweibeins vergleiche, dann sind die Mengen, die ich trinke, sehr gering.

Auf diese Weise steigern sich nun die Vorbereitungen unaufhörlich. Dieser bewußte Tag kann nicht mehr fern sein, wenn der Schatz immer wieder die Hände an die Schläfen legt und behauptet, es sei stündlich mit einem Nervenzusammenbruch zu rechnen, und das große Zweibein einen Armvoll Pakete hereinträgt und ungehemmt schimpft, daß es nichts, aber auch gar nichts gibt.

Nun erfüllt mich eine große Traurigkeit Warum nur benutzen die Zweibeiner diese schöne Zeit nicht dazu, sich von ihrer anstrengenden Jahresarbeit zu erholen, genüßlich all die Leckereien zu verzehren und vielleicht auch etwas für die Liebe zu tun. Stattdessen werden sie immer verrückter, nur weil das Wort „genug“ in ihrem Wortschatz fehlt. Ich betrachte resignierend meinen wohlgefüllten Bauch, kämpfe mein Mitleid energisch nieder und tröste mich damit, daß man wohl noch niemals auf die Weisen hörte. Auch mein demonstratives Beispiel wollen sie nicht begreifen. Neulich sagte der Schatz zum großen Zweibein mit einem Unterton von Neid in der Stimme: ,,Der faule Hund liegt den ganzen Tag in seiner Ecke und wir schuften uns zu Tode!“

Der Tag ist da! Am Morgen stellt das große Zweibein. einen richtigen Nadelbaum zu uns in den Raum. Als ich das zum ersten Mal erlebte, war ich ganz gerührt über soviel Entgegenkommen. Natürlich habe ich ihn sofort benutzt  und war tiefbetroffen, welche Empörung das auslöste. Erst später begriff ich: Für die Zweibeiner ist dieser Baum an diesem Tag ein heiliger Baum! Meine Entgleisung hat man mir aber verziehen. Nun behängen die kleinen Zweibeiner den Baum mit allerlei Glitzerzeug. Dabei sind sie so aufgeregt und erwartungsfroh, und nur allzuoft bin ich die Zielscheibe ihrer überschüssigen Liebe.

Zur gleichen Zeit schiebt der Schatz einen großen toten Vogel in den heißen Kasten und alle erlesenen Düfte, die bis dahin durch die Räume zogen, werden nun erneut übertroffen. So muß die Sünde riechen. Wer sollte ihr nicht erliegen? Wenn das Dämmern des verlöschenden Tages den Abend anzukündigen beginnt und sich überall graue Schatten einnisten, dann ist für die Zweibeiner der eigentliche Höhepunkt der Vorbereitungen überschritten. Alle - bis auf mich - sind total erschöpft. Die kleinen Zweibeiner versuchen, bis zur richtigen Feier die Zeit auf jede erdenkliche Weise totzuschlagen. Wahrscheinlich wird es in ihren Köpfen einzig und allein um die Frage gehen, was wohl in all den Paketen sein wird, die jetzt noch verschnürt und versteckt herumliegen. Ich weiß es, kann es ihnen aber nicht sagen, einmal, weil sie meine Sprache nicht verstehen, und zum anderen möchte ich ihnen die Freude nicht zerstören. Die prickelnde Ungewißheit erregt die Her­zen. Sind die Bänder an den Paketen erst einmal ab, dann werden sie schon wieder vernünftig.

Bevor es richtig losgeht, ziehen sie ihre Mäntel über und verlassen mit feierlichen Gesichtern unser Haus. Ich ahne, daß sie in jenes große Haus gehen, in welches ich nicht hineindarf. Ich werde mich deshalb eine Stunde auf's Ohr legen und bin nachher herrlich ausgeruht. Sie kommen und sind schon ganz zittrig vor Erwartung. Ich und das große Zweibein gehen zu dem Baum und setzen kleine gelbe Zungen auf die weißen Stäbe. Dann klingelt das große Zweibein und alle dürfen eintreten. Sie sind ganz still, halten sich an den Händen, schauen auf den Baum, und ich glaube, für ein paar Minuten sind alle schmutzigen Begierden und Gedanken aus ihren Seelen verschwunden. Für diese kurze Zeit lohnt sich die Riesenanstrengung der vergangenen Wochen. Sie wundern sich, wie sehr sie sich noch freuen können und wünschen sich wohl insgeheim, so möge es bleiben. Gemeinsam versuchen sie nun auch ein Lied zu singen, aber das ist keine reine Freude.

Mit den letzten Tönen des Liedes schweben ihre Seelen sanft in die Wirklichkeit zurück. Die alten Eigenschaften ihrer Herzen gewinnen wieder die Oberhand, und von der Neugier angeführt, greift man in die aufgestapelten Pakete. Dabei prüft man mit schnellen Blicken, wie groß die der anderen sind. Die liebevoll gebundenen Schleifen und Bänder werden in großer Eile gelöst, weil man recht schnell in das Innere der Kartons hineinschauen möchte. Nicht jeder Überraschungsschrei ist echt, und nicht jede Enttäuschung läßt sich ganz verbergen.

Gegenseitig beteuert man sich, wie übermäßig gut man vom anderen bedacht wurde und wie schäbig sich doch die eigene Gabe dagegen ausnimmt. In dieser Zeit des fiebrigen Papierraschelns liege ich da und genieße die Majestät des Lichterbaumes, werfe hin und wieder einen Blick auf die Dinge, die sich die Zweibeiner als Zeichen ihrer Liebe überreichen. Mich beschleicht ein Hauch von Wehmut. Ach, könnte man diese Zeit verlängern! Vielleicht könnten sie doch noch etwas dazulernen. Ermattet lassen sie sich nun in eine Ecke fallen und umklammern meist das Stück, aus dem sie die größte Liebe zu erkennen meinen.

Mit einem Seufzer beginnt der Schatz nach einer gewissen Zeit, die Abfälle wegzuräumen und seine Gedanken auf unser nächstes Mahl zu richten. Das große Zweibein hat sich ein scharfes Wasser eingegossen und ich bekomme ein paar Tropfen von seiner Hand. Bald danach werden wir den Kasten mit den huschenden Bildern anknipsen, und unsere Welt wird wieder ganz normal. Aus meinem Blickwinkel betrachtet, würde ich meinen, daß der Aufwand doch ein wenig hoch ist. Doch vielleicht mögen es die Zweibeiner, sich so völlig zu erschöpfen, um dann wieder ordentlich von vorn anzufangen?

Diese Beobachtungen stammen von dem Tag, den wir letzthin gefeiert haben. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß es nun bald wieder soweit ist. Schauen Sie sich um, ist es bei Ihnen ähnlich? (Helmut Voß).

 

Das schönste Geschenk

[Nur der jüngste Sohn kommt zum 80. Geburtstag des Vaters, ohne Geschenk, aber mit der ganzen Familie]

In China lebte auf einem Bauernhof ein alter Chinese, der drei Söhne hatte. Der älteste Sohn war sehr klug. Als er erwachsen war, ging er in die große Stadt Schanghai und wurde Geschäftsmann. Der zweite Sohn verließ auch den väterlichen Hof. Er ging nach Nanking, und wurde Regierungsbeamter. Der jüngste Sohn war groß und stark. Ihm gefiel der Bauernhof. So gab ihm der Vater ein Stück Land, das vom eigenen Hof weit entfernt lag. Dieser Sohn wurde Bauer.

Der Weg nach Schanghai oder Nanking war weit, und auch der neue Hof lag nicht in der Nachbarschaft. So kam es, daß der Vater seine Söhne nur selten sah. Er sehnte sich sehr nach ihnen. Zum 80. Geburtstag des Vaters hatten Freunde ein besonderes Fest vorbereitet. Als Festessen sollte es sehr lange Nudeln geben. Lange Nudeln bedeuten in China langes Leben. Die Söhne wurden eingeladen und sagten auch ihr Kommen zu.

Endlich war der große Tag da. Der Vater war freudig erregt. Heute würde er seine Söhne wiedersehen! Ungeduldig wartete er an der Haustür. Aus der Ferne näherte sich schließlich eine Sänfte (chinesischer Tragsessel). „Jetzt kommt mein ältester Sohn“, dachte er. Als die Sänfte näher kam, erkannte er, daß eine Frau darin saß. Es war seine Schwiegertochter. „Wo ist mein Sohn?“ fragte der alte Vater. Die Schwiegertochter erklärte: „Dein Sohn hat sehr viel im Geschäft zu tun. Er ist dort zur Zeit unabkömmlich. Aber mache dir nichts daraus“, sagte sie, „dein ältester Sohn hat ein großartiges Geschenk für dich ausgewählt. Er hat für dich ein neues Haus in der Stadt gebaut, und bald sollst du in die Stadt ziehen!“ Mit einem traurigen Lächeln blickte der Vater seine Schwiegertochter an. „Das ist aber nett“, war alles was er sagen konnte.

Dann stellte er sich wieder wartend an die Tür. Nach einer Weile sah er eine andere Sänfte, die auf das Haus zugetragen wurde. Der alte Vater hoffte, daß er gleich seinen zweiten Sohn sehen würde. Doch als die Sänfte herangekommen war, stieg nur dessen Frau aus. „Dein Sohn ist in seinem Amt beschäftigt und kann nicht kommen“, sagte sie, „aber dein Sohn hat ein kostbares Geschenk für dich gekauft: ein ganz neues Auto mit einem Fahrer, der dich herumfahren kann!“- „Das-n das ist aber nett“, erwiderte der alte Vater zögernd.

Andere Gäste trafen ein, aber von seinem jüngsten Sohn hatte der Vater noch nichts gehört. Gespannt beobachtete er die Straße. Endlich sah er, wie sich in der Ferne eine Person zu Fuß näherte. Er erkannte bald seinen jüngsten Sohn in seiner einfachen chinesischen Bauerntracht. Hinter ihm ging seine ganze Familie. Der alte Vater war so glücklich, daß er ihnen zur Begrüßung entgegeneilte. Nach altem Brauch verneigte sich der jüngste Sohn tief vor seinem Vater und sagte: „Vater, es tut mir leid, daß wir so spät gekommen sind, und auch, daß wir kein Geschenk mitbringen konnten. Die Ernte war so schlecht in diesem Jahr, aber wir wollen dich doch gerne wiedersehen und dir sagen, wie lieb wir dich haben!“

Der alte Mann freute sich unter Tränen. Ihn verlangte nicht nach einem Haus in Schanghai oder nach einem Auto mit einem Chauffeur. Er wollte nur die Liebe seiner drei Söhne! Der Vater trocknete seine Tränen. „Wenn du kommst und mir sagst, daß du mich liebst, dann bringst du mir das schönste Geschenk von allen“, sagte er.

Weihnachten feiern wir den Geburtstag des Herrn Jesus, das größte Geschenk Gottes für uns. Er kam auf diese Erde und starb, um uns ewiges Leben zu geben. Was er sich am meisten wünscht, ist, daß jeder, auch du, den Heiland aufnimmt und ihm seine Liebe schenkt (nach Oliver Hsu)

 

Die Legende von der Kreuzspinne

[Eine Spinne webt die Höhle zu, in der sich die heilige Familie versteckt vor den Soldaten des Herodes, die deshalb die Höhle nicht untersuchen]

Es war in jener Nacht, als in einem Stall in Bethlehem das Kind geboren wurde. Die Hirten vernahmen die Botschaft, wie auch die Könige. Tief beugen alle das Haupt vor dem neugeborenen Kind in der Krippe - Könige und Knechte. Während dies alles geschieht, webt in der Ecke des Stalles eine Spinne unaufhaltsam an einemNetz. Immer weiter spinnt sie ihre Fäden. Immer enger verspinnt sie die todbringenden Maschen.

Auf einmal hört die Mutter zu singen auf und beobachtet wie gebannt die Spinne. „Was webst du, Spinne?“ fragt sie leise. „Ein Netz, um darin meine Opfer zu fangen“- „Ach, arme Spinne, weißt du nicht, daß in dieser Nacht ein neues Reich beginnt, ein Reich des Friedens und der Liebe, und daß mein Kind der König dieses Reiches sein wird?“

„Ach, arme Mutter“, entgegnet die Spinne, „weißt du denn nicht, daß in dieser Stunde Herodes seine Kriegsknechte aussendet,  um dein Kind zu töten? Ahnst du denn nicht, daß die Menschen einst deinen Sohn kreuzigen werden, wie sie alle töteten und töten werden, die dieser mörderischen Welt die unerhörte und unbequeme Botschaft der Bruderliebe und des Friedens zu bringen wagen? Was soll auch diese Botschaft in einer Welt, in der es nur zwei Möglichkeiten gibt: zu jagen - oder gejagt zu werden!“

Da war es der Frau, als dringe ein Schwert durch ihr Herz. „Was hast du?“ fragte der Mann. „Du bist so blaß?“ - „Ich bin erschrocken über die Spinne da oben!“ antwortete die Frau, und einer der Hirten sprang auf und zerstörte mit raschem Griff das Spinnennetz. Aber das Herz der Frau wurde dadurch nicht leichter, denn die Zerstörung des Netzes schien die Worte der Spinne nur zu bestätigen.

Die Spinne aber war entkommen.  Gerade als sie durch die Türritze schlüpfen wollte, fühlte sie den Blick des Kindleins auf sich ruhen, und ihr Herz begann zu schlagen, wie es noch nie geschlagen hatte. Sie spürte, daß in diesem Kindlein die Kraft war, stärker als alles, was sie je erfahren hatte.

Lächelnd streckte das Kind seine Hände nach ihr aus. Die Hirten folgten seinem Blick und entdeckten die Spinne. Jener, der gerade das Netz zerrissen hatte, wollte sie zertreten. Aber ein anderer hielt ihn zurück. Da ließ der Hirte die Spinne laufen. und sie rettete sich ins Freie. Sie sah den flammenden Stern, die Scharen der Engel und staunte über das Wunder. Noch mehr aber staunte sie darüber, daß sie immer wieder an das Kindlein denken mußte. Sie liebte dieses Kind – sie, die ihr Leben damit verbracht hatte, zu jagen und zu töten.

Sie hielt sich in der Nähe, solange das Kind in Bethlehem blieb. Sie begleitete es auf der Flucht. Sie wachte, wenn Maria und Josef schliefen. Sie wachte auch in jener Nacht. als die Eltern mit dem Kind in einer Höhle ruhten und sah von ferne die Helme der Kriegsknechte im Mondlicht funkeln. Da verspann sie den Höhleneingang mit einem dichten Gewebe. setzte sich inmitten des Netzes und wartete der Kriegsknechte und – vielleicht – ihres Todes.

„Hier kann niemand sein!“ sagte der Anführer. „Seht doch, der Eingang dieser Höhle ist voller Spinnweben!“ Einer der Kriegsknechte aber griff zu seinem Schwert,  zerhieb  zum Zeitvertreib das Netz und tötete die Spinne; dann zogen die Soldaten weiter auf ihrer vergeblichen Suche.

Maria hatte in dieser Nacht nicht schlafen können und hatte alles vernommen, was geschehen war. Nun ging sie zaghaft zum Ausgang der Höhle. Sie sah im Mondlicht die Spinne in den Fäden ihres zerstörten Netzes hängen, nichts als ein Pünktchen auf dem weitgespannten Mantel dieser Nacht. Sie nahm die Spinne in ihre Hand. Sie erkannte sie wieder. Nachdenklich zeichnete sie mit der Hand das Zeichen des  Kreuzes auf den erstarrten Körper.

„Oh, arme Spinne – wie recht du hattest!“ flüsterte sie. „Oh. glückliche Spinne – wie unrecht du hattest!“ und sie blickte hinaus in die Nacht, die sich im Osten schon zu erhellen begann – unruhig und glückselig – wie ihr immer zumute war, seitdem neben ihr in ihrem Kind das Morgenrot einer neuen Welt aufzuwachsen begann.

 

Ein verhinderter Sankt Franziskus

[New Yorker verschenkt Geld und wird deshalb von der Polizei einem Psychiater vorgeführt]

Die Amerikaner lieben es, ihre Vereinigten Staaten das ureigene „Land Gottes“ zu nennen. .Das Wort des Herrn wird denn auch nirgendwo anders von so vielen Menschen bei so vielen Gelegenheiten im Munde geführt. Aber auf den Zungen wohnen heißt noch nicht, in den Herzen sein. Das zeigt folgende Begebenheit, die sich zur Weihnachtszeit des Jahres 1946 in New York zugetragen hat.

Ein Brooklyner Bürger mit dem Namen Jim O. hatte es in kurzer Zeit vom Schuhputzer zum Besitzer eines Ausschank- und Billardsalons gebracht. Er war in der Christnacht eben dabei, Kasse zu machen, als er sich plötzlich von dem heftigen Wunsch übermannt fühlte, hinauszugehen und zwölf Prozent seines Erlöses an die Armen und Elenden zu verteilen. Der Anstoß dazu war ihm beim Abzählen der Halbdollarstücke gekommen, deren sanftes Silbergeklingel in ihm die Erinnerung an die lang vergessene Kinderlegende von Sankt Franziskus, dem Mildtätigen, geweckt hatte.

Kurz entschlossen nahm er ein Bündel Banknoten aus der Panzerkasse. Er holte seinen Wagen aus der Garage und fuhr über die große Hängebrücke nach einem der Elendsviertel. Er fuhr zur sogenannten Unteren Ostseite, deren Hauptstraße die berühmte Bowery ist.

Es war eine klare und frostige Nacht. Die Sterne über den Schattenrissen der Hochhäuser funkelten wie die Beschläge einer fabrikneuen Limousine. Die billigen Gaststätten der Bowery wimmelten von Gelegenheitshändlern, Arbeitslosen, Bettlern - gestrandeten Existenzen aller Art.

O. betrat das erstbeste Lokal, steig auf einen Stuhl an der Theke und hielt eine Rede. Er sagte: „Es geht mir gegen den Strich, meinen Weihnachtstruthahn zu verspeisen, während sich die hier Anwesenden mit einem Gericht Nudeln für zwei Nickelstücke oder einer Tasse Kaffee und altbackenen Kringeln zufriedengeben müßten. Bestellt deshalb an Speisen und Getränken, wonach immer euch gelüstet. Die Zeche geht auf meine Rechnung!“

Das Echo der Rede war anders, als O. es sich gedacht hatte. Einige der Gäste zweifelten laut an seinem Verstand. Andere verlachten ihn als schlechten Witzbold oder fühlten sich verhöhnt und begannen zu schimpfen. Jemand drohte ihm sogar mit einer Anzeige. Auch nicht ein Einziger nahm O.'s Anerbieten ernst. Es bedurfte längerer Überredung, bis sich drei oder vier bereit erklärten, mit ihm auf die nächste Polizeiwache zu gehen. Dort sollten sie sich von Amts wegen überzeugen lassen, daß die Annahme seiner Einladung zu einem Gratisessen keinerlei versteckte Verpflichtung einschließe.

Der diensthabende Polizist hörte sich O.'s Ausführungen stirnrunzelnd an. Da er aber in weihnachtlicher Stimmung war, entschied er sich, daß polizeilicherseits nichts gegen das Vorhaben des Brooklyners einzuwenden sei. Im Übrigen trage O. selbstverständlich die Verantwortung für alle etwaigen Folgen seines gottverdammten Bewirtungsfimmels.

In die Gastwirtschaft zurückgekehrt ließ O. auftragen, was Küche und Keller hergaben. Außerdem händigte er jedem einen Fünfdollarschein aus. Als der Banknotenvorrat nicht ausreichte, gab der von franziskanischer Nächstenliebe überquellende Brooklyner seine Uhr, seinen Rubinring, seinen Hut und seinen Seidenschal her, damit niemand leer ausgehe. Die zwei letzten Stücke waren nagelneu. O. hatte sie eben erst von einer Witwe jüngeren Alters und beträchtlichen Vermögens als Weihnachtsgeschenk erhalten.

So dann setzte er sich auf die Schwelle des Gastlokals und weinte Tränen der Rührung und Zufriedenheit. Zu einem Zeitungsreporter sagte er einige Tage später, als sein Fall allgemeine Aufmerksamkeit erweckt hatte: „Ich wette, jeder andere hätte sich an meiner Stelle genauso aufgeführt. Ich fühlte mich wie ein zehnfacher Rockefeller. So wahr mir Gott helfe!“

Der Anblick des Weinenden und die Kunde vor seiner Freigebigkeit lockte eine schnell wachserde Menschenmenge an. Bald behinderte sie den Verkehr, so daß eine Polizeistreife eingreifen mußte. Jedoch kam O. mit einem einfachen Verweis davon.

Er fuhr nach Hause. Dort warf er sich - vor der erfahrenen Gefühlswallurgen ermattet - auf sein Lager und verschlief den Weihnachtstag. Spätabends weckte ihn ein Telegrammbote. Die vermögende Witwe kündigte ihm telegrafisch die Sympathie auf: Sie habe es satt, die Feiertage allein zu verbringen, mißbillige aufs schärfste seinen Umgang mit Tagedieben von der Bowery; sie finde die Art und Weise, wie er gute Dollars gewissermaßen in die Gosse werfe, vor Gott und den Menschen unentschuldbar und ersuche um Rücksendung ihrer Geschenke. O. gab dem auf Artwort wartender Boten ein Trinkgeld wie ein Bankpräsident, warf das Artwortformular in den Mülleimer und begab sich mit einem neuen Banknotenbündel wie am Vortage nach der Bowery.

Da die Wirtschaften noch ziemlich leer waren, schlenderte O. langsam die Straße hinunter und begann den ihm begegnenden Herumlungerern und Fuhrleuten Geldscheine anzubieten. Die meisten glaubten, es handele sich um Reklamezettel oder Scherzartikel. Nur ein Alter schien es nicht für verwunderlich zu halten, daß ihm ein Unbekannter für nichts und wieder nichts Geld schenkte, aber dieser Alte war stockbetrunken.

Allein O. ließ sich durch die Verhärtung der Gemüter und das Mißtrauen der von ihm Beschenkten keineswegs aus seiner heiteren Geberlaune bringen. Er fuhr vielmehr fort, rechts und links seine grünen Scheine zu verteilen - bis sich plötzlich eine Hand auf seine Schulter legte. Eine Stimme, die keinen Zweifel über ihren obrigkeitlichen Charakter übrigließ, forderte ihn zum Mitkommen auf. Bevor er sich dessen versah, saß er schon zwischen zwei beleibten Polizisten in einem Streifenwagen und rollte zur Polizeiwache.

Dort harrte jemand dringend auf ihn, wie man ihm zwinkernd bedeutete. Der Jemand war ein Polizeiarzt in weißem Kittel, mit umgehängtem Hörrohr und blitzender Stirnlampe. O. wurde angewiesen, sich der Kleider zu entledigen. Das tat er auch, um nicht als Spielverderber zu gelten. Als sich jedoch die Untersuchung über die Maßen in die Länge zog, bemerkte O. immer noch nachsichtig und heiter, es müsse wohl ein komisches Mißverständnis vorliegen: Er sei bei bester körperlicher und geistiger Gesundheit und völlig nüchtern.

Der Arzt lächelte, so daß O. zum erstenmal spürte, wie ihm ein Schauer über den Rücken lief. Der Arzt sagte „Das ist ja alles schön und gut, aber vorerst einmal geben sie die genaue Anschrift an, dann sagen sie die Monatsnamen der Reihe nach her, dann ziehen sie drei von elf ab, dann gehen sie mit geschlossenen Augen quer durchs Zimmer!“

O. war eine geraume Weile auf alle Wünsche des Arztes eingegangen. Aber schließlich fand er, daß es genug sei. Er weigerte sich, an dem Theater - wie er es nannte - weiter mitzuwirken. Daraufhin ließ ihn der weiße Kittel kurzerhand abführen.

Die nächsten zwei Tage verbrachte unser Freund auf der psychiatrischen Beobachtungsstation. Dort sollte er einer größeren Studienkommission als hervorragend interessanter Fall vorgeführt werden. Da gelang es den Bemühungen eines befreundeten Nudelfabrikanten mit einflußreichen Verbindungen, ihn freizubekommen.

Als er endlich daheim war, mußte er zuguterletzt noch die Entdeckung machen, daß Einbrecher die Panzerkasse geknackt hatten. Ein anderer wäre durch solche Ereignisse zweifellos zum erklärten Menschenfeind geworden  Nicht so Jim O. Als ihn der bereits erwähnte Zeitungsreporter fragte, ob er nun von berechtigter Bitterkeit erfüllt sei, entgegnete der Brook­lyner, indem er leise den Kopf schüttelte: „Ich bin, ich kann es nicht leugnen, einigermaßen abgebrüht, was Zechprellerei und ähnliche faule Tricks angeht. Man steht schließlich zehn Jahre hinter der Theke, und ein Billardsalon ist keine Sonntagsschule. Mit meinen Erfahrungen müßte ich eigentlich der kaltschnäuzigste und hartherzigste Kerl unter der Sonne sein. Aber ich bin es nicht. Es ist mir einfach nicht gegeben. Sanftmut war seit je meine andere Natur „ Außerdem“, fügte er nach einer Minute versonnenen Schweigens hinzu, „außerdem bin ich gegen Einbruch und Verdienstentgang versichert!“

 

Das Ebenbild

[Ein Hirte sucht das Ebenbild Jesu, das er auf einem Brett aus der Krippe gesehen hatte, bis er ihn selber am Kreuz sieht].

In der Heiligen Nacht, als die Hirten sich aufmachten, um nach Bethlehem zu laufen, geboten sie dem jüngsten ihrer Schar: „Bleibe du bei den Schafen und achte, daß keines verlorengeht!“ Dieser jüngste hieß Dan, und er schrie vor Zorn: „Womit habe ich das verdient? Ich habe nichts Ungeschicktes getan, und ich will den Heiland sehen, gleichwie ihr ihn seht!“ Da weissagte der älteste unter den Hirten und sprach: „Du wirst den Heiland sehen, wie unser keiner ihn sehen wird. Bleibe hier, hüte die Herde und das Feuer!“

Also eilten die Hirten in die Stadt Bethlehem, den Stall und das Gotteskind zu suchen. Dann jedoch trachtete nach Vergeltung und heulte wie ein Wolf, um die Herde zu zerstreuen. Aber die Herde fürchtete sich nicht in dieser Heiligen Nacht. Da nahm Dan den Wasserkrug, aus dem die Hirten trinken, und goß das Wasser ins Feuer, so daß eins am anderen verdarb; denn selbst in der Heiligen Nacht blieben Feuer und Wasser einander feind. Und das Wasser zischte im Verdampfen und sprach: „Das will ich dir vergelten, Dan, wie der Heiland Böses vergilt!“ Und das Feuer hauchte im Verlöschen: „Das will ich dir vergelten, Dan, wie der Heiland Böses vergilt!“

In der Frühe des Tages kehrten die Hirten zurück und fanden Dan schlafend und das Feuer gelöscht und das Wasser verschüttet. Und sie fragten ihn: „Warum hast du uns das getan?“Er sagte: „Euch geschieht, was euer Tun wert ist. Warum ließet ihr mich allein? Ich habe nichts Ungeschicktes getan!“ Da banden sie ihn an Händen und Füßen und legten ihn auf siebenmal sieben Tage in den Schatten eines toten Baumes. Und als die Zeit um war, lösten sie seine Fesseln und sagten: „Es ist genug, und fortan soll Friede sein zwischen dir und uns!“ Dan aber sagte: „So wahr mir Gott helfe, ich will euch weder vergeben noch vergessen, was ihr übles an mir getan  habt!“

Und Dan floh und kam gegen Morgen in die Stadt Bethlehem und suchte den Stall, um bei dem neugeborenen König Klage zu führen gegen die Hirten. Er fand den Stall aber leer, allein die Krippe stand in einem Winkel, und in der Krippe lag ein Bündel Stroh. Dan fiel vor der Krippe auf die Knie und klagte: „Auch du, Gotteskind, hast mir den Rücken gekehrt!“ Aber die Krippe blieb stumm, und auch das Strohbündel schwieg.

Da ballten sich Dans Hände zu Fäusten und schlugen auf die Krippe ein, bis das unterste Brett herausfiel. Und weil ihm die Fäuste weh taten, ergriff er das Brett, um mit ihm sein Zerstörungswerk zu vollenden; sein Blick aber fiel auf die Maserung des Holzes: Die war gebildet wie ein Mensch, der seine Arme nach oben breitet, und seine Gestalt schien umgeben von einem Gewoge, das den Flammen des Feuers so ähnlich sah wie den Wirbeln des Wassers. „Wer bist du?“ fragte Dan. Auch das Brett blieb stumm, und was das Bild ihm bedeuten mochte, blieb ihm verborgen.

Da er nun müde war von Zorn und Traurigkeit, legte Dan sich in den Winkel des Stalles und bettete seinen Kopf auf das Brett und das Stroh, darauf das Gotteskind gelegen hatte. „Morgen will ich mit meinem Brett in die Welt ziehen“, dachte er, „und will einen Menschen suchen, der diesem Bilde gleicht!“

Als aber der Schlaf ihn umfangen hatte, träumte ihn, wie er Wasser ins Feuer schüttete, und das Feuer sprach: „Das will ich dir vergelten, Dan, wie der Heiland Böses vergilt. Und aus dem verlöschenden Feuer wuchs das Bild des gestreck­ten Mannes, der sprach: „Wenn du durchs Feuer gehst, soll die Flamme dich nicht verbrennen!“

Da schrie Dan auf aus dem Schlaf und erwachte, und als er wieder eingeschlafen war, sprach der letzte Tropfen des Wassers, das er ins Feuer geschüttet hatte: „Das will ich dir vergelten, Dan, wie der Heiland Böses vergilt!“ Und aus dem Dampf des Wassers stieg wieder das Bild des gestreckten Mannes auf, der sprach: „Wenn du durch Wasser gehst, sollen die Ströme dich nicht ertränken!“

Da schrie Dan zum zweiten Mal auf und erwachte, und vor ihm stand ein Mann mit einer Lampe, der packte ihn, riß ihn empor und sagte: „Du arger Wicht zerschlägst mir meine Krippe, die ich baute?“ Dan sagte: „Ich habe nichts Ungeschicktes getan, du aber, warum ließest du den Heiland gehen, den ich suche? So laß mir doch das Brett, auf dem er lag!“ Und Dan bückte sich nach dem Brett. Der Mann aber stellte den Fuß darauf und höhnte: „Jucken dir die Finger nach Holz, so stiehl es den Römern. Hier sind nur die Schwartenbretter, den guten Balken nahmen sie mir fort!“

Da floh Dan aus dem Stall hinaus in die Nacht und versteckte sich unter der Mauer der Stadt und dachte: „Ich will den Balken suchen gehen; ist das Brett von einem Stamm gespalten, so muß das Bild des Brettes auch auf dem Balken sein!2 Als die Sonne aufging, und Bethlehems Tor geöffnet wurde, fragte Dan den Wächter: „Hast du einen guten Balken gesehen, den die Römer durch dieses Tor trugen!“ Der Wächter sagte: „Es war ein schlechter Balken, für einen Galgen gut genug; juckt dir der Hals danach, so suche ihn im Hofe des Cyrenius, der Statthalter ist in Jerusalem!“

Also zog Dan nach Jerusalem, und als er dort im Tor die Wächter fragte, wie er zum Hof des Statthalters finde, sagten sie: „Folge der Kohorte, die vor dir hereinmarschiert ist!“ Kaum hatte Dan die Legionäre eingeholt, erkannte er, daß Gefangene in ihrer Mitte liefen, und er kam hinter ihnen her in den Hof des Statthalters. Da traf ihn ein Stockhieb in den Rücken, und eine Stimme herrschte ihn an: „Immer der letzte!“ - „Ich bin kein Gefangener!“sagte Dan. Ein zweiter Stockhieb ließ ihn verstummen, und er hockte sich mit den Gefangenen auf die Erde und aß, was man ihnen austeilte, und er dachte bei sich: „Wenn ich nur den Balken finde mit dem Ebenbild des Mannes, so will ich gern die Schläge dulden und ein Gefangener sein!“. Es lagen aber viele Balken gestapelt an der Mauer des weiträumigen Hofes, andere waren schon zu einem Aufbau zusammengefügt.

„Was soll das werden?“fragte Dan seinen Nachbarn. Der sagte: „Eine Bühne, auf der läßt Cyrenius morgen Theater spielen zu seinem Geburtstag!“ Dan fragte: „Wie soll der Bau fertigwerden, da schon die Sonne sinkt?“ Der andere sagte: „Wir müssen im Schein der Fackeln bauen, dennoch wird keine Bühne sein, wenn die Sonne aufgeht, wohl aber ein großes Theater!“ Dan sagte: „Das verstehe ich nicht, und woher weißt du, was du sprichst?“ Da lachte der andere und antwortete: „Ich bin Simri, das verschworene Haupt der Gefangenen. Wir müssen uns selber helfen, sonst hilft uns kein Gott. Tu, was ich dir sagen werde!“ Dan antwortete: „Ich heiße Dan und werde tun, was du sagst, Simri!“

Noch während die Gefangenen ihr geringes Brot kauten, trieben die Legionäre sie an die Arbeit mit harten Worten und noch härteren Schlägen; der ärgste aber war ihr Hauptmann, der hieß Potitius und schlug die Gefangenen ins Gesicht. Dan aber war der Reihe derer zugeteilt, die vom Stapel her Balken schleppten mußten hinauf auf das Gerüst.

„Wenn ich nur den Balken finde“, dachte Dan, „den Balken mit dem Ebenbild!“Und sooft er einen Balken aufnahm und sooft er einen niederlegte, wendete er ihn und besah die vier Kanten, ob er das Ebenbild fände. Da traf ihn der Stock des Potitius ins Gesicht, daß ihm die Lippen bluteten. Es ist gut, dachte Dan, daß Potitius nicht meine Augen getroffen hat, so kann ich weiter mein Ebenbild suchen. Und also wendet er weiter die Balken, die ihm unter die Hände kamen, und es traf ihn abermals der Stock des Potitius und zerschlug ihm das Nasenbein. Und Dan dachte: „Wenn ich nur das Ebenbild finde; denn meine Augen sind heil geblieben!“

 

Darüber war die Nacht hereingebrochen, und die schwächsten unter den Gefangenen mußten den anderen mit Fackeln leuchten. Da geschah es, daß Simri heimlich zu Dan trat, und er reichte ihm eine brennende Fackel, und sagte: „Schlüpfe unter den Bau und leuchte dort als vierter Fackelträger den Bauleuten, und wenn ihr den Pfiff des Spottvogels hört, so legt Feuer an die Balken und flieht um euer Leben!“

Dan tat, wie Simri ihm geboten hatte, und während er den Bauleuten leuchtete, suchte er mit seiner Fackel die Balken ab nach dem Ebenbild. Und als er den Pfiff hörte, legte Dan mit den anderen Fackelträgern Feuer an die Balken.

Da mischte sich droben das Wutgeschrei der Legionäre mit dem Triumphgeschrei der Gefangenen, und die unter der Bühne waren, retteten sich aus den Flammen. Dan allein, da er sein Ebenbild noch immer nicht gefunden hatte, suchte weiter zwischen Brand und Rauch.

Am anderen Morgen schlug er die Augen auf und sah sich liegen mitten in einem gewaltigen Kranz verkohlter und gestürzter Balken. Um ihn her aber standen Legionäre, und einer zückte das Schwert, um Dan zu töten. Der Hauptmann aber, Potitius, sprach: „Tu ihm nichts! Denn er ist durch Feuer gegangen, und die Flamme hat ihn nicht verbrannt. Mögen die Götter wissen, zu welchem Unheil oder Heil sie diesen Mann bewahrten!“

Da hießen sie ihn aufstehen, und er tat es mit heilen Gliedern, wie er alle Morgen tat, und sie brachten ihn zur Stadt hinaus an die Straße, die zum Meer führt. Dort saßen die Gefangenen, die nicht verbrannt und nicht vom Schwert getötet waren; und als man sie paarweise ordnete und aneinander kettete, geschah es, daß Dan an Simri gekettet wurde. Und wie ihre Hände sieben Tage aneinander gekettet blieben, so blieben vom Hafen Cäsarea an ihre Füße auf dreimal elf Jahre gekettet an die Ruderbänke römischer Galeeren.

In dieser Zeit wurden Dans und Simris Rücken krumm. ihre Wangen hohl und das ungeschorene Haar ihres Hauptes weiß. Zu hören gab es nichts als den Hammerschlag des Aufsehers, der den Takt schlug, und dann und wann auch das Heulen der Winde und das Brechen der Wogen. Zu sehen aber gab es in dem dunklen Ruderraum noch weniger als zu hören, und selbst in dem wenigen trennten sich Dans und Simris Bli>Als aber dreimal elf Jahre um waren, erhob sich ein Sturm, der das Schiff an die Klippen einer Insel warf, daß es zerschellte. Dan und  Simri allein trieben lebend an Land, getragen von der Planke, an die sie angeschmiedet waren. Die Bewohner der Insel aber, die Dan und Simri fanden, fürchteten sich und sprachen: „Diese müssen Freunde der Götter  sein; denn sie sind durch Wasser gegangen, und die Ströme haben sie nicht ertränkt. Und sie holten ihren Schmied, der löste Dans und Simris Füße von ihren Ketten. 

Da reckte Simri seine Glieder und sprach: „Verflucht sei der Tag meiner Geburt, wenn meine Hand kein Schwert und mein Herz keine Rache findet!“ Dan aber neigte sich zur Erde und sprach: „Gesegnet sei der Tag meines Todes, wenn meine Augen den Heiland sehen, und sei es nur im Ebenbild des Holzes!“ 

Die Leute der Insel aber kleideten Dan und Simri und brachten sie auf ein Schiff, mit dem fuhren sie übers Meer und zogen von der Küste hinauf nach Jerusalem. Auf dem Wege zur Stadt schon hörten sie, daß Pilatus Statthalter sei. Da sprach Simri zu Dan „Mag Statthalter sein, wer will, wenn nur Potitius noch unter den Lebenden ist, so will ich ihn töten!“Dan sagte: „Mag Statthalter sein, wer will, wenn nur mein Balken noch auf dem Hofe liegt, mein Balken, der das Ebenbild trägt!“      

Die Stadt aber war erfüllt vorn Gewimmel der Pilger, die auf das Ostern der Juden nach Jerusalem gekommen waren. Und das Volk staute sich vor dem Palaste des Statthalters  und sah den Gefangenen zu, die aus Balken eine Tribüne bauten,  denn morgen sollte Pilatus Gerichtstag halten. Da erkannte Dan unter den Legionären den Hauptmann Potitius, und er vergaß den Balken und sein Ebenbild, drängte sich mit Gewalt durch die Menge zu Potitius und rief: „Hü­te dich, man trachtet nach deinem Leben!“ Simri aber war Dan gefolgt, und ehe Potitius sich zu wehren vermochte, durchbohrte ihn Simris Dolch. Da fielen die Legionäre über Simri her und über Dan und führten sie ab.           

Gegen Mittag des anderen Tages brachte man sie auf einen Hügel, daß sie gekreuzigt würden. Da nun Dan sein Kreuz auf der Erde liegen sah, kniete er nieder und besah und befühlte das Holz, ob er doch sein Ebenbild noch fände. Das Holz aber war glatt und zeigte keine Spur jenes Bildes, das er einst geschaut hatte in Bethlehem auf dem Brett der Krippe. Und er sprach: „So bin ich vergeblich durch Feuer und Wasser gegangen und habe nicht gefunden, wonach allein ich verlangte!“

Und seine Augen füllten sich mit Tränen, wie ihm noch nie geschehen war, und seine Seele litt so großes Weh, daß er den Schmerz in Händen und Füßen nur von ferne spürte. Und wie aus weiter Ferne auch hörte er Simris Fluch und das Höhnen der Menge. Ganz nah aber, so nah und so leise, als habe sie in ihm selbst gesprochen,  hörte er eine Stimme, die sprach: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Da erkannte Dan, so sehr die Tränen seinen Blick auch trübten, zwischen sich und Simri einen, der hielt seine Arme zum Himmel gebreitet wie ein Beter, obgleich auch er an einem Kreuze hing: um ihn her aber war ein Leuchten wie von Feuerflammen und Wasserwellen. „Er ist es“, jauchzte die Seele Dans, „und ich habe ihn selber gefunden, mein Ebenbild!“ Und er rief ihm zu: „Gedenke an mich, Herr, wenn du in dein Reich kommst!“ Und er hörte die Antwort wohl: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein!“ Sie war aber nicht mehr allein von einer Stimme getragen, sondern von einem Leuchten, so hell, wie es sein wird, wenn Wasser und Feuer sich vermählen werden an jenem Tage des Lichts (Eine Legende von Johannes Schöne).              

 

In dulci jubilo           

[Biblische Gestalten kommen zur Krippe]

n jedem Jahr erneuert sich das Wunder der Heiligen Nacht im Himmel wie auf Erden. Und alle biblischen Gestalten sind dann zur Stunde der holdseligen Geburt unterwegs zur Krippe, um das Kind anzubeten. Ein wahrhaft fröhlicher Reigen von Männern, Frauen und Kindern, alten und jungen Gesichtern, von Haartrachten und Hautfarben verschiedenster Art, von allerlei Sprachen, Gewändern und Zierat. Da sieht man zum Exempel den streitbaren Gideon neben dem zwergenwüchsigen Zollinspektor Zachäus, den armen Lazarus auf Krücken an der Seite der königlichen Erscheinung Davids, den mächtigen, aber wortkargen Mose Schulter an Schulter mit dem redegewaltigen Paulus, den strengblickenden Jesaja in Begleitung des kleinen , Hütejungen, der in der Heiligen Nacht den alten Hirten mit der Stallaterne voranleuchtete, oder schließlich die schöne, stolze, schwarzlockige Bathseba neben „Rehlein“, dem zarten, schmächtigen Ding mit dem lieben Gesicht, die so viele Röcke für die Armen in Joppe genäht hatte.

Einmal traf es sich, daß auch der dicke Wirt aus Bethlehem mit Sankt Peter zur Krippe ging. Sankt Peters einfältiges, bärtiges Antlitz strahlte wie die leibhaftige Freude selber. Sein Begleiter dagegen blickte mürrisch und ärgerlich drein, so daß es schließlich auch Peter auffiel. Warum er allein eine so griesgrämige Miene aufstecke, wollte Peter wissen - heute, wo sich doch alle freuten? Nein, er könne sich nicht freuen, brummte der Wirt.

Darauf blieb jener ganz erschrocken stehen und fragte ihn mit großen, kugelrunden Augen: „Und warum denn nicht?“ Die feisten Backen vor ihm zitterten, und die kleinen Schweinsäuglein schwammen in Wasser. Werde er nicht in jedem Jahr wieder um diese Zeit von allen Seiten verunglimpft, fragte er seinerseits zornig. Jeder Federfuchser wolle bestimmt wissen, daß er aus lauter Bosheit das heilige Paar in den Stall verwiesen hätte.

 „Pah“, schnaufte er vernehmlich, „ich kann diese Verse und Verschen schon gar nicht mehr hören, in denen sie unsereinem alle Laster andichten. Ich bitt' schön, Eminenz“, er schielte nach dem goldenen Heiligenschein von Sankt Peter, „woher wollen sie das wissen? Es war wirklich kein Raum mehr da, so wahr ich hier stehe ... gehen, verbesserte er sich schnell, weil wenigstens im Himmel alles bis auf das I- Tüpfelchen stimmen mußte. „Wir besaßen doch nur eine bescheidene Herberge, wenn Ihr Euch gütigst erinnern wollt, peinlich sauber, selbstredend, aber viel zu klein für die vielen Fremden. Man hat ja gut reden heute. Aber was hätte ich denn tun sollen, bitt' schön, Eminenz?“

Peter hatte ihm mit seitlich geneigtem Kopf aufmerksam zugehört, wobei er sich nachdenklich den grauen Bart strich. „Aber du hattest doch sicher noch eine Kammer für dich?“ - „Nicht der Rede wert“, unterbrach ihn ärgerlich der Wirt. „Du hättest sie dem heiligen Paar geben müssen“, beharrte Sankt Peter. „Wenn ich nur eine Ahnung gehabt hätte, Eminenz, aber wir wußten ja alle nicht! Und warum soll nun gerade ich ...?“

Peter wiegte den Kopf mißbilligend hin und her. „Sieh mich gefälligst an“, sagte er, und seine Stimme bebte ein wenig wie bei allen alten Leuten, in der letzten Nacht haben viele unseren Herrn und Heiland verleugnet, aber jedermann denkt doch dabei sofort an Sankt Peter, nicht wahr? Es braucht nur ein rostiger Wetterhahn auf einer Kirchturmspitze zu knarren, und ich weiß, jedes Kind erinnert sich sofort an mich!“

„Da habt Ihr's ja, Eminenz! Aber warum sollen ausgerechnet wir die Sündenböcke sein?“

„Psst „, wehrte Sankt Peter ab, und er war plötzlich ganz rot im Gesicht geworden, denn er war ja bekanntlich eine cholerische Natur. Doch nicht lange, so lächelte er wieder: „Eben - das ist das Geheimnis. Du erkennst das Geheimnis nicht“, sagte er milde. Und damit ging er weiter, während der Wirt mit offenem Munde stehenblieb.

„Entschuldige bitte“, sagte jemand neben ihm höflich, der ihn aus Versehen angestoßen hatte. Es war ein noch junger Mann in reicher Kleidung. Sobald es der Wirt bemerkte, der hatte auffahren wollen, versank er in eine tiefe Verneigung. Er war es noch so von seinem Beruf her gewöhnt. Indem er eilig neben dem rüstig Ausschreitenden einhertrippelte, fragte er ihn unterwürfig nach seiner Herkunft in der Bibel. „Ich bin der reiche Jüngling“, antwortete der junge Mann mit einer angenehmen, aber etwas traurigen Stimme.

„Soso - “ murmelte der Wirt. Sie gingen eine Zeitlang schweigend nebeneinander her. Dann sagte der junge Mann wieder, wobei ein Ausdruck von Wehmut in sein Gesicht trat: „In mir sind alle Reichen dieser Welt gewarnt ...“. Auf der Stelle kehrte der alte Ärger in den dicken Wirt zurück. Und plötzlich fiel ihm etwas ein:

„Aber wie kommt Ihr überhaupt in den Himmel?“ Sein Mund verzog sich zu einem triumphierenden Grinsen, und er kicherte hinter der vorgehaltenen Hand. „Er hat es doch selber gesagt, daß eher ein Kamel durch ein Nadelöhr gehen ... nicht sehr geschmackvoll, ich weiß. Um Vergebung, Euer Gnaden. Aber wie kommt denn Ihr ...?“

Der reiche Jüngling legte ihm flüchtig die schmale Hand auf die Schulter. Er zeigte sich durchaus nicht empfindlich. „Das Geheimnis“, lächelte er, indem er der Witwe den Arm reichte, die mit einem oder zwei Pfennigen ihr ganzes Leben in den Gotteskasten gelegt hatte. Wieder war der Wirt kopfschüttelnd stehengeblieben. Aber schon bald wurde er von dem Strome der Pilger weitergeschoben, und als er wieder aufblickte, bemerkte er neben sich einen völlig zerlumpten Menschen mit eingesunkenen Augen.

„Was bist du denn für einer?“ brummte er vor sich hin und sah den Zerlumpten geringschätzig an. „Ich danke dir“, erwiderte jener demütig und versuchte, seine Hand zu küssen. „Ich bin der verlorene Sohn. Du hast ein Recht, so mit mir zu reden!“ Der Wirt sah ihn blinzelnd an.

„Am Ende bist du gar nicht so schlimm“, sagte er nach einer Weile. Doch übelgelaunt, wie er nun einmal war, konnte er es sich nicht verkneifen, ihm die bissige Frage ins Gesicht zu knurren: „Ist es dir nicht eigentlich peinlich, immer so als der verlorene Sohn herumzulaufen? Bei anderen wächst doch schließlich einmal Gras über die alte Geschichte!“ In den eingesunkenen Augen des Zerlumpten glomm ein merkwürdiges Licht auf. Oder kam es bereits von der Krippe? Denn sie hatten sich nun der festlichen Stätte schon sehr genähert, über welcher die Sterne dicht und in regelmäßigen Girlanden hingen.

„Es gibt noch immer viele verlorene Söhne auf Erden“, sagte er rauh. Dann wurden sie im Gewühl der Anbetenden auseinandergerissen. Soweit man schauen konnte, knieten auf ringsum ansteigenden Wolkenbänken, die silbern schimmerten, unzählige Gestalten und blickten glücklich auf das Paar, das sich über das Kind in der Krippe beugte. Auch der Wirt ließ sich widerwillig auf die Knie nieder.

Als er einmal die unzufriedenen Augen hob, sah er direkt auf den nackten Rücken eines Mannes, aus dem die Schulterblätter spitz hervorstachen und den viele Narben von Peitschenhieben bedeckten. Ein richtiger Galgenvogel, dachte der Wirt erbittert. Aber er wagte es nicht laut zu äußern, denn er war durch die seltsamen Begegnungen ganz durcheinander geraten und wirklich etwas kleinlaut. Was hatten die nur alle zusammen für ein Geheimnis, das er nicht verstand? Er wettete tausend Sterne gegen einen, daß auch der mit den Striemen mehr davon wußte als er. Um ihn besser betrachten zu können, rutschte er um einen Zollbreit zur Seite. Der Mann hielt den Kopf tief auf die Brust gesenkt. Er hatte eine zurückfliehende Stirn, wirre rote Haare und ebensolche Bartstoppeln um Mund und Kinn.

„Es ist der Schächer am Kreuz“, flüsterte ihm ein hohes Stimmchen ins Ohr. Als der Wirt sich augenblicklich umdrehte, sah er einen Zwerg vor sich, der, obgleich er auf Zehenspitzen stand, über die Köpfe der anderen kaum hinwegspähen konnte. Weil er indessen eine Toga trug, die ihn als römischen Beamten auswies, faßte er Vertrauen zu ihm. In seiner Herberge in Bethlehem hatten das ganze Jahr über kleine und mittlere Beamte verkehrt. Indem der alte Groll wieder in ihm aufwachte, klagte er ihm flüsternd:

„Ich verstehe nichts, mein Herr, wirklich, ich verstehe überhaupt nichts mehr Weshalb muß er hier in diesem skandalösen Aufzug knien, daß ein anständiger Mensch am liebsten vor ihm Hals über Kopf davonlaufen möchte?“ Während Zachäus ihn betroffen und sogar ein wenig entsetzt anstarrte, wandte auf einmal der Schächer seinen Kopf zu ihnen um, und sie erkannten, daß er die blutleeren Lippen bewegte gleich einem Jauchzenden. „Ich knie an der Krippe für alle Verbrecher in der Welt“, lasen sie von seinen zuckenden Lippen, .O Abgrund der Gnade!“

Und im selben Augenblick geschah etwas überaus Wunderbares. Das Kind in der Krippe regte sich und ließ seinen Blick auf dem Schächer ruhen. Da entzündete sich ein heller Schein auf seiner Stirn und in den dunklen Höhlen seiner geschlossenen Augen. „Hast du dies bemerkt?“ fragte Zachäus bebend. „Auf die Liebenden fällt sein Lächeln.“

Da er jedoch fühlte, daß der dicke Wirt ihn noch immer nicht begriff, fügte er leise hinzu:

„Die Liebe des Kindes steht für die Brüder ein ...!“ - „Ja, das ist das ganze Geheimnis“, nickte Sankt Peter froh, der in ihrer Nähe stand und eben den Heiligenschein abgesetzt hatte, um ihn an seinem weiten Ärmel noch einmal blank zu reiben. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der sein einfältiges Gesicht in heiteren Glanz tauchte. Er setzte den Heiligenschein kurzerhand dem Wirt auf seinen glatzköpfigen Schädel, in dem es soeben ein wenig zu dämmern anfing, und zugleich stimmten alle Engel und Erzengel das „In dulci jubilo“ an, so süß und schwellend, daß die Sterne wie Wachskerzen tropften und ein Schwarm von glühenden Meteoren auf die stille Erde herabfiel. (Karl Hüllweck).

 

Die seltsame Weihnachtsbescherung des Pater Hippolyt

[Mönch nimmt Landstreicher in der Christnacht mit in die Zelle]

Erschöpft wie ein Paketbote am Heiligen Abend saß Pater Hippolyt in der Straßenbahn, die ihn zu seinem Kloster am Stadtrand bringen sollte. Den ganzen Nachmittag hindurch hatte er in einer Arbeiterpfarrei Beichte gehört, Hunderte von Sündenpäckchen entgegengenommen, Hunderte von Malen die Reumütigen ermahnt, wenigstens in den kommenden Weihnachtstagen sich um einen gottgefälligen Lebenswandel zu bemühen, und sie gebeten, ernstlich zu versuchen, Jesus in den Mitmenschen zu begegnen, im „bösen“ Nachbarn, im „neidischen“ Kollegen, in der „klatschwütigen“ Tante. Wie oft schon hatte er diesen Zuspruch erteilt! Er war beinahe nur noch eine alte abgegriffene Münze, weitergereicht von Generation zu Generation, widerspruchslos angenommen, doch in ihrem Wert bezweifelt.

Auch ihn, Pater Hippolyt, plagte die Skepsis in diesem Punkt, und er seufzte, erst mühte eine gehörige Anzahl von Leuten das Zeitliche segnen, bevor man die Menschen so lieben könnte, wie Jesus es wünscht. Die Beichtzeit hatte sich über Gebühr ausgedehnt und ihn damit um die Weihnachtsbescherung im Kloster gebracht. „Hoffentlich hat mir der Küchenbruder eine Tüte mit Lebkuchen zurückbehalten“, dachte der alte Pater gerade, als ihn ein merkwürdiges Singen auf seinen Sitznachbarn aufmerksam machte.

Der nahm sich unter den übrigen festtäglich gekleideten Fahrgästen der Straßenbahn wie eine bemooste Ruine unter Versicherungspalästen aus. So zerrissen und zerschlissen war sein Gewand. Mit dem Gesicht stand es nicht viel besser. Das Haar hatte monatelang keine Schere mehr gespürt. Ein ungepflegter Bart hing strähnig um Backen und Kinn. Alle Reklame der Seifenfirmen war an diesem Menschen wirkungslos abgeprallt. Das Alter war kaum zu schätzen, er mochte dreiunddreißig, er mochte sechsundsechzig Jahre zählen. Ein Amerikaner hätte ihn vielleicht für den Judas aus dem Oberammergauer Passionsspiel gehalten. Doch damit reimte sich der penetrante Schnapsgeruch schlecht zusammen, der seinem Mund entströmte. Und ausgerechnet dieser Mensch rückte dicht an Hippolyt heran und begann halblaut zu singen: „Schlaf wohl, Du Himmelsknabe, Du, schlaf wohl, Du süßes Kind ...“.

Die Fahrgäste grinsten. Hippolyt war zu müde, um den plumpen Anbiederungsversuch heiter zu parieren. Er ärgerte sich, ausgerechnet mit diesem Lied, das er am liebsten eigenhändig aus den Gesangbüchern gerissen hätte, angesungen zu werden. Außerdem hatte er oft genug erfahren, daß manche Leute im betrunkenen Zustand gern um solche Hälse fallen, die sie im nüchternen Zustand durchschneiden möchten. So wird es dem guten Hippolyt niemand zur Sünde anrechnen, wenn er dem verlausten Troubadour energisch zuraunte: „Hören Sie bitte auf. Ich glaube Ihnen, daß Sie katholisch sind!“ und einige Zoll von ihm abrückte.

Der Mann rückte nach und sang weiter: „Dich fächeln Engelein zur Ruh mit sanftem Himmelswind!“ Und als sei das noch nicht genug, suchte er dem Pater den Arm um die Schultern zu legen. „Die armen Hirten singen Dir ein herziges Wiegenliedlein für, schlahahafehehe -„- „Ja, schlafe!“ unterbrach ihn Hippolyt böse. „Ich steige bei der nächsten Haltestelle aus.“

„Ich auch!" grinste der Fremde, und ehe sich Hippolyt versah, standen sie nebeneinander auf der Straße. Der Mann hatte sich bei ihm eingehakt.

„Wo wohnen Sie denn?“ fragte der Pater. „Ich? Nirgendwo. Das heißt - ich habe es vergessen. Sie werden mich doch nicht allein lassen wollen in dieser Hundekälte?“ Doch, das wollte Hippolyt durchaus. Er mußte in sein Kloster zurück. In einer Stunde begann die Christmette. Das gäbe eine unliebsame Weihnachtsbescherung für den gestrengen Hausoberen, wollte er ihm ausgerechnet in der Heiligen Nacht ein so unheiliges Subjekt präsentieren.

„Ich gehe mit Ihnen“, redete der Mann weiter. „Hier draußen erfriere ich. Die Kinos haben alle geschlossen. Warum eigentlich? Sagen Sie, warum haben die Kinos       Er mußte sich er­brechen. Hippolyt wurde übel, er wendete sich zur Seite. Der Mann bemerkte es. „Sie schämen sich wohl mit mir, wie? Ich bin Ihnen lästig, was? Man soll sich aber seines Glaubens nicht schämen!“

„Noch weniger soll man ihm Schande bereiten“, stellte der Pater fest. „Schande - ist das vielleicht eine Schande, wenn die Leute merken, daß ich am angestammten Glauben festhalte, auch wenn ich betrunken bin?“ Und wieder begann er zu singen: „“Maria hat mit Mutterblick

Dich leise zugedeckt, und Joseph hält den Hauch zurück, daß er Dich nicht erschreckt.“ Wenn er nur seinen Hauch zurückhalten wollte, dachte Hippolyt und überlegte, wie er den Kerl abschütteln könnte.

Ihm entlaufen? Dafür war er zu alt und zu müd. Zudem bestand die Gefahr, daß der Mann ihm nacheilte und an der Klosterpforte Sturm schlüge. Ein Skandal war aber das Letzte, was Hippolyt riskieren wollte. Da war es klüger und christlicher obendrein, sich ins Unvermeidliche zu fügen und den Mann für eine Nacht bei sich zu beherbergen.

„Also meinetwegen, kommen Sie mit!“ sagte Hippolyt ohne jede Freundlichkeit. „Nur müssen Sie sich ruhig und anständig verhalten. Meine Mitbrüder schlafen.“ - „Ich tu alles, was Sie befehlen.“- „Dann hören Sie vor allem mit dem Singen auf!“

Der Kerl gehorchte. Stumm folgte er Hippolyt zum nahen Kloster. Da alle Gastzimmer über die Feiertage belegt waren, führte ihn Hippolyt in seine eigene Zelle. Beim Anblick des sauberen Bettes stieß der Fremde einen Lustschrei aus und wollte sich gleich in die Federn fallenlassen, aber da riß ihn Hippolyt zurück.

„Halt, mein Lieber! Ich lasse mir doch nicht von dir das frischüberzogene Bett verschmutzen. Erst unter die Dusche!“ - „Unter die Dusche?“ Der Mann ging in die Knie vor Angst und sperrte sich wie ein ahnungsschwangeres Schwein am Schlachthoftor. Doch kein Jammern und Zappeln half. Hippolyt hatte in den vertrauten Wänden seine alte Energie zurückgewonnen. Er packte den Mann am Kragen und schleifte ihn zwei Zellen weiter, wo sich eine Dusche und eine Wanne befanden.

Mit der anderen Hand hielt er ihm den Mund zu. Das fehlte noch, daß der Hausobere erwachte und nachschaute, was im Badezimmer vor sich gehe. Gute Obere verfügen ja bekanntlich über den Instinkt, immer zur unpassenden Zeit aufzutauchen. Nach langem Widerstreben ergab sich der Mann wimmernd in sein Schicksal. Als Hippolyt ihm die Lumpen vom Leibe zog, glaubte er, einem kranken Baum die Rinde abzuschälen. Es wimmelte zwar nicht gerade von Asseln und Borkenkäfern; viel kleiner war das Geziefer jedoch nicht, das, aus dem Winterquartier gescheucht, wenigstens das nackte Leben zu retten suchte. Einem Wüstenvater wären bei diesem Anblick Heuschrecken und wilder Honig hochgekommen. Wie könne nur ein Mensch in unserem seifenseligen Jahrhundert so verwahrlost umherlaufen, fragte sich Hippolyt.

Als er ihm den Gürtel aufschnallte, genierte sich der Mann wie eine Klosterschülerin und hielt die Hose fest. Der Pater streifte sie ihm rücksichtslos herunter. Schließlich war die Blöße durch den Schmutz hinreichend bedeckt. Dann drehte er die Dusche auf, zunächst die kalte, und gewahrte nicht ohne Schadenfreude, wie sein Schützling unter den eisigen Tropfen zusammenzuckte. Hippolyt nahm die harte Bürste - mit ihr hätte er einen Elefanten wundreiben können -, Seife dazu und hielt ihm beides vor die Nase, als wolle er sagen: „Kennst du diese Errungenschaften der abendländischen Zivilisation überhaupt?“ Dann drehte er endlich das heiße Wasser auf und rieb das Gesicht mit Seife ein.

Der Mann schauerte jetzt nicht mehr zusammen, Hippolyt erschauerte jetzt. Denn das Gesicht, das er vom Seifenschaum frei wusch, trug nicht mehr die Züge der Verkommenheit, trug Spuren tiefen Leides und erinnerte ihn, umrahmt von den dunklen Locken und dem Bart, an das Antlitz des gegeißelten Heilands, wie er es von der Martersäule in der Klosterkirche her kannte.

„Warum bürsten Sie nicht weiter?“ fragte der Fremde. Hippolyt erwiderte nichts. Er hätte ihm auch gar nicht sagen können, warum er so betroffen innehielt. Mit der Bürste kratzte er seine Stirn, um sich wieder in die Wirklichkeit zurückzurufen. „O Gott“, murmelte er, „das ist zuviel für mich, einfach zuviel!“ Der Fremde glaubte wohl, er spiele damit auf die Schmutzbächlein an, die an seinem ausgezehrten Körper herunter rannen und sich bei den Füßen sammelten, und sagte plötzlich beschämt: „Ich bin doch ein elendes Schwein.“ Hippolyt schüttelte lebhaft den Kopf: „Nein, sagen Sie das nicht! So etwas dürfen Sie nicht sagen. Aufs Äußere kommt es gar nicht an.“ Und er strich ihm mit der Bürste sanfter als zuvor über die Brust, fast scheu, ehrfürchtig fast.

„Und Sie sind ein dummes Schaf!“ sagte der Mann. „Schwein und Schaf passen gut zusammen in einen Stall, nur nicht in den von Bethlehem, den haben Ochs und Esel schon besetzt.“ Er kicherte in einer Weise, die Hippolyt sehr schmerzte. „Bitte, reden Sie nicht weiter“, bat er ihn.

Der Mann hörte nicht darauf. „Wenn Sie wüßten, an wen Sie Güte und Seife verschwenden!“

„Ich weiß es“, murmelte der Pater leise. Der Fremde zuckte zusammen: „Sie kennen mich?“ „Nein doch, ja, nein !“ Hippolyt nickte, schüttelte den Kopf, nickte wieder. „Sie kennen mich und rufen nicht die Feuerwehr?“ - „Fürchten Sie nichts, schließlich sind wir alle Brüder.“

„Bleiben Sie mir mit den Brüdern vom Leibe! Heben Sie sich die Phrase für die Kanzel auf. Vielleicht gibt es noch Dumme, die sie Ihnen abnehmen. Ich kenne die Pfaffen. Erst reden sie uns Brüder an, und eine Viertelstunde später haben sie keinen Teller Suppe für uns!“

„Warum arbeiten Sie nicht?“ - „Ich arbeite doch, geistige Arbeit natürlich. War das etwa kein Stück wohldurchdachter Arbeit, wie ich Sie dazu gebracht habe, mich mit heimzunehmen? Ja, treten Sie nur einen Schritt zurück. Ich bin ein Schmarotzer. Das Wort paßt auf mich besser als jenes fromme Brudersagen. Ein dreckiger Wurm bin ich, der sich von Abfällen nährt, den die Leute am liebsten zertreten. Ein Wurm, kein anständiger Mensch mehr. Ich schäme mich jedoch deswegen nicht. Ihr schämt euch ja noch weniger, wenn ihr an gedeckten Tafeln sitzt, während andere - aber wozu das alles! Es ändert sich nichts mehr, das Leben ist und bleibt ein Kinderhemd, kurz und ...“

„Nein!“ entgegnete Hippolyt lebhaft. „Sie irren. Es ändert sich sehr viel, jeden Tag und jeden Augenblick! Sogar hier.“ Und er wollte weiter sagen: in mir, und zwar durch Sie, ja, gerade durch Sie ändert sich sehr viel in mir! Aber er fand nicht den Mut dazu. Stattdessen brauste er den Fremden noch einmal mit warmem Wasser ab, und das war auch zu etwas nütze. Dann stellte er die Dusche ab und reichte ihm ein Badetuch. Dunkelrot war es und umhüllte den mageren Leib wie ein Purpurmantel. Wieder kratzte sich Hippolyt an der Stirn. Diese Ähn­lichkeit. Es fehlte nur noch die Dornenkrone. Und plötzlich erschrak er über diesen Gedanken. War es nicht frevelhaft, so zu vergleichen? Im Kloster läutete die Glocke und weckte die Brüder zur Mitternachtsmesse auf. Es war keine Zeit zu verlieren, wenn er den seltsamen Gast ungesehen in seine Zelle geleiten wollte.

„Was läutet da?“ fragte der Fremde. „Es läutet zur Christnacht. Haben Sie vergessen, daß wir Weihnachten feiern?“ - „Weihnachten?“ Er schürzte spöttisch seine Lippen. „Alles frommer Zauber, nichts für mich.“ Hippolyt hätte ihm von amtswegen darauf einigem erwidern müssen, zog es jedoch vor, ihn stillschweigend in seine Zelle hinüberzubringen. Dort deckte er das Bett auf und nahm aus dem Schrank einen Schlafanzug, eine Garnitur warmer Unterwäsche, ein wollenes Hemd und eine strapazierfähige Hose. „Die Sachen sind nicht mehr neu und obendrein schwarz. Aber wir besitzen nichts anderes.“ - „Soll das für mich sein?“ fragte der Gast ungläubig. „Natürlich. In den alten Klamotten läßt dich der Pförtner bestimmt nicht aus dem Haus, sondern ruft die Polizei.“

„Nach der ich kein Verlangen trage. - Sehr weich ist das Bett aber nicht.“ - „Für einen hartgesottenen Sünder gerade recht. Und nun schlafen Sie gut!“ Hippolyt löschte das Licht aus und wollte sich entfernen. Da fragte der Fremde lauernd: „Bleiben Sie hier?“ - „Ich gehe in die Christmette.“ - „Gehen alle in die Christmette?“

Hippolyt durchschaute diese Fragerei sofort und sagte heftig: „Alle! Und damit Sie es wissen: Die Zimmer sind bei uns unverschlossen. Viel werden Sie freilich nicht finden außer Gebetbüchern und theologischen Lexika. Die stehen kaum hoch im Kurs auf Ihren Märkten!“ So, nun habe ich es ihm hingerieben, dachte der Pater befriedigt. Den Gauner aber schien seine unverblümte Anspielung nicht im mindesten zu kränken. Genießerisch rollte er sich im Bett zusammen. „Na, dann frohes Fest!“ brummte er versöhnlich, und Hippolyt konnte nicht anders, als dem Schelm dasselbe zurückzuwünschen.

In der Kühle des Klostergangs schalt er sich einen ausgemachten Narren. Da wirst alt und kindisch, Hippolyt! Wie konntest du, ein erfahrener Priester, auf diesen Taugenichts hereinfallen und ihn noch so reichlich beschenken. Schuld daran war nur diese seltsame Ähnlichkeit mit dem Heiland an der Martersäule, derselbe Bart, dieselben Haare, dieselben traurigen Augen. Das hätte auch einen Jüngeren irre gemacht, wenn er übermüdet gewesen wäre wie ich heute Abend. Vielleicht hat mich auch noch der ständige Beichtzuspruch, Jesus in den Menschen zu erkennen, dazu verführt, Ihn mit einem Spitzbuben so zu verwechseln. Jesus, verzeih mir diese Torheit - oder war sie Deine Absicht?

Erst in der festlich geschmückten Kirche wichen diese quälenden Gedanken. Es war doch Christnacht, und die Gläubigen feierten den Niederstieg des Gottessohnes auf die Erde, in den Schmutz unserer Sünden. Sie priesen die Ankunft dessen, der den aussätzigen Leib der Mensch­heit reingewaschen hat mit Seinem Blut. Hippolyt heftete den Blick zum Kind in der Krippe. Doch immer wieder spukte dazwischen der erbärmliche Körper des Fremden, den Laster und Entbehrung gezeichnet und der Tod schon angerührt hatte. Er sah das Wasser an ihm herniederrinnen und sich zu den Füßen in einer schmutzigen Lache sammeln. Wie lange wird er sauber bleiben?

Und nicht einmal bedankt hat er sich. Dafür schleicht er jetzt womöglich von Zelle zu Zelle und kramt die Schubladen nach Wertsachen durch. Wozu alle Mühe, wozu alle Güte? Hippolyt wurde verzagt, doch dann gab er sich einen Ruck. „Und trotzdem“, murmelte er, „trotzdem war's richtig. Wir bleiben ja auch nicht sauber, wir müssen auch immer wieder reingewaschen werden von unseren Sünden.“ Er fiel auf die Knie und bat das Christkind um Verzeihung, daß er so wenig an es dachte.

In dieser Nacht ging Hippolyt nicht mehr in seine Zelle zurück. Kniend blieb er in der Kirche zurück. Als er dann in aller Frühe die Türe vorsichtig öffnete, um den schlummernden Gast nicht zu wecken, war dieser längst über alle Berge. Hippolyt atmete auf. Vielleicht hatte im Kloster niemand etwas von dem sonderbaren Besuch gemerkt. Doch schon stand der Hausobere hinter ihm und fragte: „Wer hat heute nacht in Ihrer Zelle geschlafen?“

„Ein armer Schlucker", antwortete Hippolyt. „Er hängte sich in der Trambahn wie eine Klette an mich. Ich konnte ihn nicht abschütteln. Draußen wäre er erfroren. Und Sie schliefen bereits, ich wollte Sie nicht stören.“

„Hm“, brummte der Gestrenge. Aber was wollte er ernstlich tadeln? An Weihnachten werden sogar autoritätsgepanzerte Seelen weich. „Hoffentlich hat er nichts mitgenommen.“ Prüfend überblickte Hippolyt das Zimmer, „Nein“, stellte er erleichtert fest. „Mitgenommen hat er nichts, aber manches dagelassen.“ Dabei stieß er mit der Sandalenspitze an die verschmutzten Lumpen auf dem Boden. Der Obere setzte die Brille auf, neigte sich über das Bündel. Seine Stimme - fast hätte ich gesagt: krümmte sich vor Entsetzen. „Verlaust! Völlig verlaust! Das werfen Sie sofort ins Feuer!“

Hippolyt nickte gehorsam, aber er fragte, ob er nicht das Hemd behalten dürfte? „Das Hemd behalten? Doch nicht etwa als Andenken an diesen Lumpen?“ - „Gott hüllt sich gern in Lumpen“, erwiderte Hippolyt leise. „Hm“, brummte der Obere. „Meinetwegen!“ (Adalbert Seipoldt)

 

Antonella und ihr Weihnachtsmann

[Wunschzettel findet Empfänger in Ungarn]

Die Geschichte, die ihr jetzt lesen werdet, hat sich in einer kleinen Stadt am Gebirge neben dem Meer zugetragen. Das Meer, das Gebirge und die kleine Stadt gehören zu dem Land Italien. In Italien ist der Sommer heißer und länger als anderswo, aber einen richtigen Winter mit Schnee und Kälte gibt es dort auch, wie bei euch.

Die Kinder gehen in die Schule, wie überall und wie ihr. Nur haben die italienischen Kinder andere Namen als ihr. Sie heißen Lucia, Brighella, Paolo oder Antonio. Noch etwas ist anders, als ihr es kennt. Eine Frau nennt man in Italien Signora, ein Fräulein Signorina und einen Mann Signore.

Jetzt kennt ihr euch gleich besser aus in der kleinen Stadt. in der Antonella zu Hause ist. Der Dezembermonat war nicht mehr weit, und Antonella hatte einen Wunschzettel gezeichnet. Ein Paar rote Rollschuhe stand auf dem weißen Zeichenblatt. Antonella ging in die erste Klasse und konnte noch nicht alles schreiben, was sie gerne wollte. Sie stellte den Wunschzettel auf ihr Fensterbrett und wartete - vergebens. Morgen für Morgen stand der Wunschzettel unberührt auf seinem Platz. Antonella wurde traurig.

Eines Tages bemerkte das auch ihre Lehrerin, Signora Meregalli. „Was hast du, Antonella?“ fragte sie. „Der Weihnachtsmann hat meinen Wunschzettel noch immer nicht abgeholt!"

Bevor Antonella noch etwas erklären und ehe Signora Meregalli antworten konnte, lachte die ganze Klasse. „Es gibt ja gar keinen Weihnachtsmann!“ riefen alle durcheinander und hörten nicht auf zu lachen. „Es gibt doch einen“, verteidigte sich Antonella.

Der Lärm legte sich erst, als die Signora energisch sagte: „Ich will nicht wieder hören, daß über Antonella gelacht wird. Schluß mit dem Lärm!“

Antonella hatte es in der folgenden Zeit sehr schwer. Ihre Mitschüler ließen keinen Tag vergehen, ohne sie zu necken und zu ärgern: „Seht Klein Antonella an, glaubt noch an den Weihnachtsmann!“ - „Na. Antonella, wie geht es deinem Weihnachtsmann?“ Antonella mußte sehr gegen ihre Tränen kämpfen. Nein, sie ging gar nicht mehr gern in die Schule. Auch zu Hause verließ der Kummer sie nicht. Warum holte der Weihnachtsmann ihren Wunschzettel nicht ab? Hatte er sie vergessen? Sie, Antonella, die noch nie über ihn gelacht hatte? Wenn es nun wirklich keinen gab? Bei so vielen Fragen konnte nur noch Gino helfen.

Gino ist schon zehn Jahre alt und trotzdem Antonellas bester Freund. Cino weiß alles. „Gino, gibt es einen Weihnachtsmann oder nicht?“ Da machte Gino ein ernstes Gesicht. Er sah beinahe erwachsen aus. Gino dachte lange nach. Endlich sagte er: „Hm, ja, das ist so, Antonella. Natürlich gibt es einen Weihnachtsmann!“ Antonella strahlte.

„Aber - weil es so viele Kinder gibt, müssen die Eltern ihm einen Zuschuß zahlen, verstehst du?“ Antonella weinte. Unaufhörlich rollten dicke Tränen über die Wangen und tropften den ganzen Kragen naß. Gino sah erschrocken zu. Wenn Antonella weinte, wurde er ratlos und mußte aufpassen, daß er nicht mit weinen mußte, so leid tat ihm seine Freundin. „Hör doch bitte wieder auf, Antonella!“

Erst nach einer ganzen Weile flossen die Tränenbächlein langsamer, und Antonella konnte unter Schluchzen reden. „Ich bekomme gar nichts zu Weihnachten. Meine Eltern haben große Sorgen und können dem Weihnachtsmann keinen Zuschuß geben!“ Wieder liefen die Tränen heftig - bis Gino eine Idee hatte. „Du mußt dem Weihnachtsmann einen Brief schreiben und ihm alles erklären!“

Da war die Traurigkeit vorbei, und Antonella umarmte ihren großen Freund. „Komm, Gino, hilfst du mir?“ - „Ehrensache, Antonella!“ Gemeinsam hatten sie den Brief bald geschrieben. Darin stand zu lesen: Lieber Weihnachtsmann! Zwei Wochen lang hast Du meinen Wunschzettel nicht abgeholt. Vielleicht warst Du noch nicht bei uns? Aber wahrscheinlich wartest Du auf den Zuschuß. Ich muß Dir leider schreiben, daß meine Eltern keinen geben können. Sie haben Sorgen. Der Winter ist so früh gekommen, der Sturm hat die Netze zerrissen, und wir können keine Fische verkaufen. Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir aber trotzdem so sehr ein Paar Rollschuhe. Nichts weiter. Wenn Du allerdings noch ein paar Stoffreste hast, könnte ich eine Hose für meinen Affen Angelo gebrauchen. Er ist nur 30 Zentimeter groß. Mama sagt, Affen brauchen keine Hosen, aber er friert, lieber Weihnachtsmann. Denk bitte auch an Gino. Er hat mir beim Briefschreiben geholfen. Lieber Weihnachtsmann, vergiß mich bitte, bitte nicht. Deine Antonella.“

Sie schrieb selbst die Adresse auf den Umschlag: An den Weihnachtsmann. „Gleich bring ich den Brief zur Post, Gino.“ Antonella konnte kaum über den hohen Schaltertisch im Postamt sehen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und sagte besonders laut und deutlich: „Guten Tag, Signorina, ich möchte einen Brief abgeben!“

Signorina Lucia von der Post beugte sich zu Antonella herunter und nahm ihr den Brief ab. An den Weihnachtsmann. las sie. „Wo wohnt denn der Signore Weihnachtsmann?“ -  „Es ist doch der Weihnachtsmann!“ Da lachte Lucia. denn sie glaubte, die Kinder hätten sich einen Spaß mit ihr erlaubt. „In Zukunft läßt du dich aber nicht wieder zu solchem Unsinn anstiften, ein nettes kleines Mädchen wie du!“

Weggewischt war die Freude von Antonellas Gesicht. und Tränen standen in den Augen. Da merkte Lucia, daß es kein Spaß war. Aber wie sollte sie helfen? „Ich weiß leider nicht, wo er wohnt, leider!“ Unglücklicher als je, verließ Antonella mit ihrem Brief das Postamt. „Frag Luftballon-Pinore einmal!“ rief Lucia ihr nach.

Signore Pinore verkaufte im Sommer Eis und im Winter Tee und heiße geröstete Kastanien. Aber zu jeder Jahreszeit hingen viele bunte Luftballons an seinem Karren für die Kinder. Darum nannten alle Leute in der kleinen Stadt Signore Pinore den Luftballon-Pinore. Als er Antonella so traurig sah, rief er ihr zu: „He, Antonella, laß den Kopf nicht hängen. Komm, trink einen Tee mit mir!“ Antonella nahm den Becher mit Tee und setzte sich still zu ihm auf den Marktbrunnenrand. Antonellas Schweigen dauerte Signore Pinore zu lange.

„Was ist passiert. Erzähle, Antonella!“ Da reichte sie ihm den Brief an den Weihnachtsmann. „Weißt du vielleicht, wo er wohnt?“ Nein, das wußte Signore Pinore nicht. „Ob er hinter dem großen Berg wohnt?“ überlegte Antonella. „Oder auf der anderen Seite des Meeres? Vielleicht über den Wolken?‘ - „Auf der Erde wohnt er bestimmt, aber wo?“ sagte Luftballon-Pinore.

Als er so nachdachte und den Himmel und die Berge anschaute, tanzten die Luftballons vor seinen Augen. und Luftballon-Pinore wußte, was zu tun war. „Wir werden einen Luftballon auf die Reise schicken. Er wird den Weg zum Weihnachtsmann schon finden!“

Antonella konnte wieder fröhlich sein. Sie wickelten den Brief in eine regendichte Hülle, verschnürten ihn fest und banden ihn an den schönsten roten Luftballon. Signore Pinore hob Antonella auf seine Schulter, damit der Ballon einen besonders guten Start hatte. „Komm gut an“, flüsterte Antonella. „Grüß den Weihnachtsmann von mir“, murmelte Luftballon-Pinore. Sie sahen beide lange dem roten Punkt hinterher, der tanzend höher und immer höher schwebte und bald hinter einer grauen Schneewolke verschwand.

Vielen Schnee- und Regenwolken begegnete der rote Luftballon. Frost und Nebel mußte er überstehen. Vom Nordwind gezaust, vom Südwind gerüttelt, vom Westwind geschoben, vom Ostwind zurückgepustet, segelte er über Gebirge und Meer. über Städte und Dörfer, ohne Pause.

Doch der Winter ist keine gute Jahreszeit zum Reisen für einen Luftballon. Er wurde bald müde und strebte immer schneller der Erde entgegen. Direkt auf einen Schulhof in der Stadt Budapest in Ungarn steuerte er zu. Janos sah ihn zuerst. „Da kommt was!“ rief er mitten in die Unterrichtsstunde. „Ein Sputnik!“ - „Ein Meteorit!“ - „Achtung!“ - „Ein Stückchen Sonne!“

Alle riefen und rieten durcheinander und sahen gespannt auf das rote Pünktchen, das immer näher kam. Beinahe waren sie enttäuscht, als sie es erkannten: „Nur ein Luftballon.“ - Aber mit einer Botschaft daran!“

Die Klasse stürmte auf den Schulhof. Ihr Lehrer stürmte mit. Aber niemand konnte die Adresse entziffern, denn in Ungarn reden die Menschen eben ungarisch. Wie stolz war da die Klasse 8a, als ihr Lehrer sagte: „Das ist ja Italienisch, gebt mal her, ich übersetze es euch. Lieber Weihnachtsmann ...“

Alle lachten über die merkwürdige Anrede. Als sie den Brief bis zum Ende gehört hatten, waren die großen Jungen sehr still. „Na. ganz einfach. Wir schicken Antonella ein Paket“, schlug Janos vor, „und einen Brief!“ Am Nachmittag kauften sie von ihrem Taschengeld für Antonella Weihnachtsgeschenke ein. Natürlich waren die Rollschuhe dabei und eine lange Hose für den Affen Angelo. Auch Schokolade und bunte Bonbons fehlten nicht. Sorgfältig wurde alles eingepackt. Der freundliche Lehrer schrieb einen Weihnachtsmannbrief in Italienisch. Mit der Eilpost schickten sie noch am gleichen Tag Paket und Brief auf die Reise in die kleine italienische Stadt.

Antonella ging wieder gern in die Schule. Ihre Mitschüler neckten sie nicht mehr, denn was sie sich auch ausdachten, Antonella antwortete immer fröhlich: „Ihr werdet schon sehen!“ Nur manchmal lief sie zu Luftballon-Pinore und fragte: „Ob er wirklich angekommen ist?“ „Ganz bestimmt“, antwortete Signore Pinore jedesmal. Aber wenn Antonella ging, schaute er besorgt in die Richtung, in die der rote Ballon davongeflogen war und wiegte bedenklich den Kopf.

Die Ferien waren da. Nun konnte es nicht mehr allzu- lange dauern bis Weihnachten. Doch die Zeit scheint stillzustehen, wenn ein bedeutsames Ereignis erwartet wird. Endlich stand der Weihnachtstag auf dem Kalenderblatt.

An diesem Tag kam der Abend, auf den alle Kinder so sehr warteten, viel langsamer heran als sonst. Die Kinder spielten auf dem Marktplatz, stritten ein bißchen und waren schon sehr aufgeregt. Da brummte der Roller von der Post heran. Signorina Lucia hielt neben Luftballon-Pinore und rief Antonella. Alle anderen kamen mit und bestaunten das große Paket auf dem Roller.

„Das ist für dich. Antonella“, sagte Lucia, „und der Brief auch!“  - „Mach mal auf!" - Von wem ist er?“ - „Lies mal vor!“ plapperten alle durcheinander. „Ihr werdet staunen! Soll ich vorlesen, Antonella?“ sagte Lucia. Antonella faßte Signore Pinore bei der Hand und nickte Lucia zu. Sprechen konnte sie nicht vor Aufregung.

„Liebe Antonella. Dein Brief ist gut angekommen mit dem roten Luftballon. Ich hoffe, es ist in dem Paket alles, wie Du es Dir gewünscht hast. Ich brauche keinen Zuschuß von Deinen Eltern, nicht in diesem Jahr und nicht in den kommenden Jahren. Aber sei bitte so nett und schick Deinen Wunschzettel im nächsten Jahr gleich an die richtige Adresse. Sie lautet: Weihnachtsmann. 10. Schule Budapest. Ungarn. Schreib mir doch einmal, ob die Rollschuhe passen und ob Angelo nicht mehr friert. Grüß bitte Deine Eltern und Gino von mir. Auch alle Deine Freunde. Ich grüße Dich herzlich bis zum nächsten Jahr. Dein Weihnachtsmann.“

 

Antonella hatte einen richtigen Weihnachtsmann! Alle hatten es gehört. Von nun an lachte niemand wieder über Antonella und ihren Weihnachtsmann. Glücklich sahen sich Antonella und Signore Pinore und Gino immer wieder an. Alle Kinder jubelten: „.Antonellas Weihnachtsmann soll leben, hoch!“

Luftballon-Pinore schickte dazu einen roten, einen grünen und einen blauen Luftballon in den Winterhimmel. Antonella hielt den Brief von ihrem Weihnachtsmann ganz fest und bewahrte ihn gut auf.                                                                                          (Barbara Augustin)

 

König Sandro und sein ganz besonderes Geschenk                                

Ein bißchen Aufregung vor dem Krippenspiel ist ganz normal. Aber das Malheur von König Sandro treibt ihm Schweißperlen ins Gesicht (Von Thomas Reuter).

„In einer Viertelstunde geht's los!“, rief Herr Schumann in den Trubel hinein. Und er wußte, daß dies die aufregendste Viertelstunde des Jahres werden würde. Noch 15 Minuten bis zum Beginn des Krippenspieles! An die normalen Krippenspiel-Katastrophen war Herr Schumann längst gewöhnt. Zwei Hirten kämpften mit ihren Stöcken und trafen dabei Maria am Bein. Die heulte auf und packte sich einen der Kerle. Josef, der mit einer Babypuppe auf dem Arm einmarschieren sollte, hatte diese schon dreimal fallenlassen. Und natürlich machten die Mamas,

die ihre kleinen Mädchen in süße Engelchen verwandelten, mal wieder mehr Streß als die Engelchen selbst.

Alles alles normal. Aber dann kam König Sandro mit einem bisher nicht gekannten Problem: „Mein Gold ist weg!“ „Wie - dein Gold ist weg?“, fragte Herr Schumann, obwohl ihm sofort klar war, was Sandro meinte. „Na, mein Gold ist weg“, sagte der noch mal. „Aha“, erwiderte Herr Schumann. „Bitte alle Gold suchen!!“

Das Chaos wuchs, zwei Engelchen weinten, aber das Gold blieb verschwunden. Die Glocken begannen zu läuten, die Orgel dröhnte los. „Wir müssen rein!“, rief Herr Schumann. „Und mein Gold?“, fragte Sandro. „Tu einfach so, als würdest du was an die Krippe legen“, sagte Herr Schumann, und dann ging's auch schon los.

Sandro lief tapfer durch den Mittelgang, aber seine Knie waren weich wie Pudding. Das

ging doch nicht! Ein König ohne Geschenk Das merkt doch jeder in der Kirche, wenn er bloß so tut, als würde er was an die Krippe legen. Und außerdem mußte er vorher noch ganz laut sagen: „Ich bringe dir Gold, oh König der Welt!“

Sollte er Erik einfach den Weihrauch wegnehmen? Dann hatte Erik das Problem. Aber Erik war sein Freund. Und er war stärker als Sandro. Außerdem paßte der Weihrauch nicht zu seinem Text vom Gold. Sandro wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er brauchte dringend eine Idee!

Das Krippenspiel lief wie am Schnürchen. Josef brachte das Jesuskind einigermaßen sicher bis zur Krippe, die Hirten waren plötzlich lammfromm, und sogar die Engelchen blieben

auf ihren Plätzen sitzen. Die Leute sangen andächtig: „Es ist ein Ros‘ entsprungen“ - und dann war es soweit: Die Könige Lisa, Erik und Sandro traten auf. Lisa und Erik trugen stolz ihre Kästchen mit Weihrauch und Myrrhe, und Sandro tat so, als habe er das Gold unter seinem Gewand versteckt. Sie kamen zur Krippe, vornweg Lisa als Älteste,  dann Erik und zum Schluß Sandro als Jüngster.

Lisa trat vor und sagte: „Ich schenke dir Weihrauch, oh Herr des Himmels!“ Und sie stellte ihr Kästchen ab. Erik trat vor und sagte: „Ich schenke dir Myrrhe, oh Fürst des Friedens.“ Und er stellte sein Kästchen ab.

 Sandro trat vor und sagte: „Ich schenke dir diese Matchwinner-Karte von Lukas Podolski, oh König der Welt. Denn das Gold hat mir jemand geklaut.“ Er kramte aus seiner Hosentasche die goldene Karte hervor und legte sie neben den Weihrauch und die Myrrhe. Gut, daß er noch daran gedacht hatte. Sie hatte in seinem Nikolaus-Stiefel gesteckt und war das tollste Geschenk überhaupt gewesen. Denn die Matchwinner- Karte von Lukas Podolski hatte sonst niemand in der Schule. Man konnte wunderbar damit angeben, darum trug er sie stets

bei sich.

Die Engel sangen wieder, und alles war in bester Ordnung. Sandro war ziemlich überrascht, wie viele Leute nach dem Krippenspiel zu ihm kamen, ihm auf die Schulter klopften und lobten. Die meisten von denen kannte er gar nicht. Er war der Star des Heiligabends. Sogar die Hirten gratulierten ihm zu seiner Super-Idee mit der Fußballkarte. Daß die Leute in der Kirche bei seiner Aktion in schallendes Lachen ausgebrochen waren, hatte Sandro gar nicht mitbekommen.

Als er sich nach der Christvesper seine Karte wiederholen wollte, sah er, wie Erik mit Herrn Schumann diskutierte. „Was soll denn das Christkind mit Lukas Podolski? Kann ich den nicht haben?“ „Geschenkt ist geschenkt“, antwortete Herr Schumann. „Die Karte gehört dem kleinen Jesus.“ Sandro schluckte. Da konnte er den Matchwinner wohl' abschreiben ...

In diesem Moment trat ein Engel zu ihm. Der Engel hieß Theresa Schneider und hielt Sandro ein Kästchen hin. „Hier, dein Gold. Es stand auf dem Fensterbrett. Mann, Mann, Mann!“

Sandro hätte Theresa fast umarmt vor Freude. Aber er konnte sich noch rechtzeitig zurückhalten, schließlich war sie ein Mädchen. „Danke“, stammelte er. Dann schaute er Herrn Schumann fragend an: „Darf ich?“ Herr Schumann überlegte kurz und nickte. Sandro stellte das Gold an die Krippe und nahm sich seine Fußballkarte. Die würde er niemals weggeben. Denn die hatte er grade mit Jesus getauscht.

 

Wie die Liebe Gottes durch ein Schweinskotelett zu einem Menschen kam

Die Liebe Gottes und ein Schweinskotelett - was bat denn das miteinander zu tun? Das paßt nicht zusammen, meint ihr? Aber manchmal geht Gott sehr besondere Wege, um uns Menschen zu erreichen. Also, hört zu!           

Was ich euch erzählen will, geschah vor zehn oder zwanzig Jahren; nicht hier bei uns, sondern in Frankreich: Es waren schlimme Jahre. Viele Menschen fanden keine Arbeit; sie mußten hungern und frieren. Wer alt war, kam bald in Not, wenn er nicht beizeiten vorsorgen konnte. So kam es, daß der alte Franz an einem 24. Dezember aufatmete, als die Heilsarmee ihn eingeladen hatte. Die Heilsarmee - so heißt eine besondere Gruppe von Christen mit eigentümlichen Sitten, aber mit warmem Herzen für alle, denen es am Notwendigsten fehlt.

Da saß nun Franz auf der       Bank am Fenster und freute sich, daß er heute solch ein Glück gehabt hatte. Es war warm hier, vor ihm stand ein Teller, und er war sicher,  daß er nicht leer bleiben würde. Ihm lief schon das Wasser im Mund zusammen, und er schnupperte, weil er herauskriegen wollte, was es denn nun geben würde.

Da kam die Suppe. Alles war herrlich: heiß und köstlich, sie wärmte ihn und machte ihn so froh, wie er es schon lange nicht mehr gewesen war. Er fühlte sich wieder wie ein Mensch, seit er etwas Ordentliches im Magen hatte. Und     dann sollte es noch etwas geben; am Ende sogar Fleisch? Nicht auszudenken.

Wenn doch nur Ernst auch hier wäre! Ernst - das war seine große Sorge. Sie hatten viele Jahre zusammen zugebracht, hatten auf Parkbänken geschlafen, waren in Heuschober gekrochen, hatten unter Brücken genächtigt. Selten hatten sie genug zu essen gehabt; aber sie hatten zusammengehalten. Nun war Ernst krank. Er gefiel ihm gar nicht. Er wurde immer dünner und schwächer. Nun mußte Ernst auch noch bei seiner Tochter wohnen. O Tochter! Franz wurde wütend, wenn er nur an sie dachte. Auch jetzt stieg ein wilder Zorn in ihm auf. Da mußte Ernst in einer Dachkammer hausen, auf einer ganz platt gelegenen Matratze, unter einer Decke, die viel zu dünn. war, um ihn zu wärmen. Er konnte seinen kranken Kameraden nicht vergessen.

Na, Alter, du willst wohl etwa gar nicht dein Kotelett? Franz fuhr aus seinen Gedanken hoch. Da stand ein junger Mann von der Heilsarmee vor ihm, in der einen Hand eine große Platte mit den Koteletts, in der ande­ren eine Gabel. Er und kein Kote­lett wollen - als wenn es so etwas gäbe! Seine Augen glänzten, als es vor ihm auf dem Teiler lag, knusprig, dick, fettglänzend, ein richtiges Kotelett wie für Leute, die sich alle Tage satt essen können. Und dazu Kartoffelbrei. Wenn das kein Fest war! 

 

An allen Tischen stürzten sie sich auf das gute Essen. Messer und Gabel klirrten, Arme, Ellenbogen, Handgelenke hatten zu tun. Man konnte spüren, was für ein Festessen das war für diese Alten, Hungernden, Obdachlosen. Nur Franz - Franz saß nachdenklich vor seinem Teller. Dann steckte er die Hand in die Tasche, zog ein Stück Papier heraus. Mit einem schnellen Blick stellte er fest, daß keiner auf ihn achtete. Alle waren sie ganz mit ihrem  Essen beschäftigt. Rasch nahm er das Kotelett vom Teller, wickelte es in Papier und ließ es in seine Tasche gleiten. Es bemerkte

das auch niemand. Und er hatte noch seinen Kartoffelbrei.  Er schmeckte gut, so gut: Franz aß ihn, und der köstliche Fleischduft von den Tellern der Nachbarn machte auch diese Mahlzeit zu etwas Gutem

 

Nach dem Essen wurden die Alten alle, zu einer Weihnachtsfeier eingeladen. Franz blieb gern da und hörte von dem Kind, das unser Heiland ist. Er schaute in die Kerzen am Weihnachtsbaum; aber lange konnte er nicht bleiben - Ernsts wegen. Da er

nicht weit von der Tür saß, schlich er unauffällig hinaus, als er das so einrichten konnte.

Ernst lag allein in seiner Dachkammer. Franz fing gleich an zu er­zählen: Alter, weißt du es nicht? Ich bring dir eine gute Nachricht: Heute ist Weihnachten! Weißt du, die Nacht, in der unser Erlöser geboren wurde. - Ach, meinst du, daß ich mich für den Kalender Interessiere? - Franz sah seinen Freund an; er gefiel ihm gar nicht. Weißt du, was ich dir bringe, Ernst? -  Nein, das ist mir auch egal. - Das ist dir ganz und gar nicht egal. Sieh her, ein Kotelett, Alter, ein Schweinekotelett!  - Wie? - Ja, sieh nur, mach die Augen auf! Ernst wurde lebendig, setzte sich auf und fragte: Schweinekotelett? Gibt es so etwas noch? Ach, früher....

Franz holte einen Teller, Messer      und Gabel; sie brachten mit Mühe ein Tischgebet zusammen, wie Franz es bei der Heilsarmee gehört hatte. Dann aß Ernst. Aber er fragte: Warum sollte ich beten? Meinst du, daß Gott mir das Kotelett geschickt hat? -  Ja; er hat ja auch seinen Sohn auf die Erde geschickt, weil er uns liebt! - Hast du schon gemerkt, daß er uns liebt, uns die Armen und Vergessenen? - Und das Kotelett, das du ißt, du Undankbarer? - Sag mal, war es gut, dein Kotelett? - Franz ant­wortete nicht. Er sah nur Ernst an und freute sich.

Als das Kotelett verspeist war, half er dem Freund, daß er sich wieder ausstrecken konnte, deckte ihn zu, so gut es gehen wollte und ver­sprach: Morgen komm ich wieder, um zu sehen, wie es dir geht.

Am nächsten Morgen traf er nur die Tochter. Ernst war in der Nacht gestorben

Die Tochter berichtete: Er hat „Jesus, Jesus“ gesagt und hat gebetet. Ich wußte gar nicht, daß er fromm war. Aber seine Gedanken waren wohl nicht mehr klar, er hat

immer von einem Kotelett gesprochen.

Franz ging. Ihm war das Herz schwer. Aber dann war er doch auch wieder froh. Die letzte Nacht seines Freundes war erhellt worden durch die Liebe Gottes, der nach enttäuschten Menschen fragt und sie erreicht - und wenn er sich dabei eines Schweinekoteletts bedienen müßte.

 

Ich hab dich liep

[Junge schenkt ein Blatt mit dem Satz: „Ich hab dich liep!“]

 „Was schenkst du denn der Mutti zu Weihnachten?“ Neugierig fragen die Geschwister den sechsjährigen Thomas. „Sag ich nicht!“ - „Weißt du denn überhaupt was?“ Sie bohren und lassen nicht locker. Er schweigt beharrlich. Doch während die beiden Großen im Kinderzimmer sehr beschäftigt sind, hüpft und singt mein Thomas durch's Haus und benimmt sich durchaus nicht so, als habe er auch nur das Geringste zu tun für Weihnachten.

Aber die Adventszeit hat gerade erst angefangen - es dauert noch Wochen bis zum großen Fest …. „Ich habe schon soviel“ frohlockt das Kind. „Meins kannst du nicht erraten, Mutti, überhaupt nicht, nie!“

Die Tage vergehen, bringen viel Arbeit, Freuen, Vorbereiten, manchmal Besinnung, abends Kerzen, Liedersingen - Ungeduld dazwischen ...

Thomas ist längst nicht mehr so fröhlich, er hopst auch nicht mehr vor Vergnügen, scheint traurig, gedrückt. Ich möchte ihn erlösen von dem Lastenden, dem großen Geheimnis, an dem er keinen teilhaben lassen will.

„Erzähl es doch den Geschwistern.“ - „Geht nicht!“ - „Oder sag es dem Baby, das kann ja noch nichts verraten!“ Nein, das Geheimnis bleibt ganz allein seines, ist nicht teilbar, wird, je mehr Zeit vergeht, umso drückender. Es ist ein Jammer, das mitanzusehen. Da plagt sich ein sonst fröhliches Kind mit der Last seines Geschenks für die Mutter und kann keinem davon sagen, es muß das ganz allein mit sich ausmachen.

Mit einiger Sorge frage ich mich nun doch, was das sein kann. Nur frohe Erwartung ist um mich herum, und mir werden Geheimnisse zugeflüstert, die ich ganz schnell wieder „vergessen“ muß ... man kann doch einfach nicht all das Schöne für sich behalten. Der Junge trägt schwer an dem Unbekannten, sucht meine Nähe und meidet doch gleichzeitig alle Zärtlichkeit, die er sonst aus vollem Herzen austeilt und entgegennimmt. Er weint scheinbar grundlos, läßt sich kaum trösten. Es fällt mir immer schwerer, ihm Zeit zu lassen, bis er sich den Kummer von der Seele nehmen lassen wird. -

Über allem geht die Adventszeit vorüber - sein Jammer bleibt. Doch endlich das Fest - Jubel und Freude! Thomas hat ein großes zusammengerolltes Blatt Papier für mich.“Jetzt staunst du aber!“ Da steht es, immer wieder - in seiner noch unsicheren Erstklässlerschrift - mal ganz groß, mal klitzeklein, mal rot, mal blau - in allen Farben seines Buntstiftkastens: „Ich hab dich liep!“

Ich kann kaum die Tränen zurückhalten. „Damit hab ich am ersten Advent angefangen ... ich hab von da an nie mehr zu dir gesagt: Ich hab dich lieb, aber ich hab es immer aufgeschrieben, damit du mal ganz viel davon hast - auch wenn ich mal nicht da bin. Ich hab das alles aufgespart ...!“

Und er hat gelitten, weil er seine Liebe nicht mehr laut äußern konnte, wie er es sonst x-mal am Tag tut, war fast krank darüber geworden, hatte gespart, um einmal im Überfluß verschenken zu können (Liesel Bohle).

 

Es fährt ein Frühzug

[Entlassener Strafgefangener wird zufällig zum Blutspender]

Erwin fuhr nicht zum Bahnhof. Er fuhr in die Stadt, erledigte wichtigste Gänge, nächtigte in einem kleinen, anspruchslosen Hotel und sah sich nach Arbeit und einem Zimmer um. Etwas Geld hatte er - man hatte ihm bei seiner Entlassung aus der Strafanstalt ausgezahlt, was er durch seine Arbeit verdient hatte.

Arbeit fand er im Kesselraum einer Apparatefabrik. Er hatte zuletzt in der Anstalt mit Dampfkesseln zu tun gehabt, und ein Mitgefangener hatte ihm gesagt: „Sieh zu, daß du 'ne Kesselprüfung hinkriegst, wenn du rauskommst; denn an die Moneten lassen se dich nick wieder ran!“ Und eine Bleibe fand er nach viel Lauferei in einem Hause hoch oben unterm Dach, ein möbliertes Zimmer, von der Treppe aus direkt zu erreichen - früher mochte es eine Bodenkammer gewesen sein.

Ja, nun war also Weihnachten - das erste wieder in Freiheit. Heiligabend. Er hatte Kesseldienst über Silvester, war Weihnachten frei. Erwin grübelte. Was sollte er tun? Heimfahren? Ja - nein - ja - nein - er hatte an den Knöpfen gezählt. Aber das war natürlich keine Lösung. Und den Gedanken, Mutter herkommen zu lassen, hatte er verworfen. Die weite Bahnfahrt im Winter - das winzige Zimmer! Nein, er blieb, wo er war. Er konnte ein Buch lesen. Er konnte gründlich ausschlafen. Er konnte in eine der Kirchen gehen.

Freilich: Die Mutter wartete! Er konnte sich unmöglich vorstellen, daß sie das nicht tat. Aus ihrem Brief hatte er so etwas wie einen Ruf zu hören geglaubt: „Komm heim, Junge!“ Aber zweifellos war es das Beste, wenn er noch einige Zeit verstreichen ließ. Er würde Fuß fassen in seinem neuen Beruf und sich nicht mehr so ängstlich umsehen. Das hatte auch der Kollege im Betrieb gemeint, als er mit ihm darüber gesprochen hatte.

Als es dunkel geworden war, hatte er dem Wunsch, nach Hause zu fahren, nicht mehr widerstehen können. Es mußte ja einmal sein. Mochte es kommen, wie es wollte! Spielte man ihm im Heimatdorf zu sehr mit, dann nahm er seine Mutter zu sich in die Stadt. Es mußte sein!

Eilig packte er seine wenigen Sachen in den kleinen Koffer. Für die Mutter ein Päckchen Kaffee und ein Päckchen Kakao - das waren ihre höchsten Genüsse. Und dann dem alten Rentnerpaar, dem das Zimmer gehörte, Bescheid gesagt und hinaus! Er hatte aber noch reichlich Zeit. Die Straßen mit ihrem aufdringlichen Flimmerlicht - rot, grün blau - waren ihm zuwider. Er betrat einen kleinen Weg, der nur dürftig erhellt war.

Der führte in Anlagen, an deren Rande das große Bezirkskrankenhaus lag. Der Schnee knirschte ihm unter den Füßen, es ging sich gerade gut hier. Am Himmel flackerten kalt die Sterne. Glocken erklangen, bald hier, bald da, um nach Minuten wieder zu verstummen. Die Straßenbahnen kreischten in der Ferne um Kurven, ihre Stromabnehmer sandten Blitze in das frühe Dunkel.

Er brauchte nicht auf den Weg zu achten, noch weniger auf Fahrzeuge. Er sann, eilte hinter seinen Gedanken her. Hatte er ein schlechtes Gewissen? Es war wohl mehr die Scham, die ihm zu schaffen machte. Ihm graute vor den Menschen, die er kannte und die von seinem Vergehen wußten.

Da schreckte ihn eine laute Stimme aus seinen Grübeleien. Zuerst dachte er, sie gehöre irgendjemand in der Anstalt. Aber dort war er ja nicht. Er war auf einen Weg abgebogen, der hinter der großen Krankenhausanlage entlangführte. Eines der hohen, erhellten Fenster wurde geöffnet und hörbar festgehakt.

„... eine verdammte Schweinerei, jawohl! Das laßt bloß den Chef erfahren! Habe ich nicht immer gesagt, daß die Bestände regelmäßig erneuert werden sollen! Depot, Depot? Was nützt uns das, wenn irgendein Idiot den Schlüssel in der Tasche behält. Mobilisieren Sie alles, rufen Sie überall an! Oder denken Sie, der Weihnachtsmann kommt und stellt sich als Blutspender der Blutgruppe B vor?"

Eine Frau antwortete etwas mit aufgeregter Stimme, eine zweite schien dem Weinen nahe.

„Machen Sie kein Theater! Wenn der Mann stirbt, sind wir alle geliefert - und das am Heiligen Abend! Auf den armen Kerl wartet sicher seine Familie. Verdammt noch mal, wenn ich doch bloß B hätte - oder haben Sie B?“ - „Nein!“ klang es noch aus dem Fenster, ehe es wieder geschlossen wurde.

Erwin Petereits Hirn arbeitete wie unter einem fremden Kommando. Er beschleunigte seine Schritte, rannte schließlich an dem Staket des Krankenhausgeländes entlang und überquerte verschneite Parkflächen. Endlich sah er den Eingang; zwei große, kugelförmige Lampen mit roten Kreuzen flankierten ihn.

Er schwitzte und keuchte. „Höö - was ist denn los?“ Der Pförtner hatte seine Thermosflasche vor sich stehen und trank Kaffee zu einem Stück Weihnachtsstollen.

„Melden Sie mich ... melden Sie mich sofort dem Arzt“, keuchte Erwin, „ich habe die Blutgruppe B - ich weiß es genau!“ - „Wozu denn? Ach so, vielleicht ... Warten Sie einen Augenblick!“ Der Pförtner telefonierte. Eine laute Stimme antwortete im Hörer, Erwin konnte sie verstehen: „Sofort heraufbringen!“

Der Krankenhauspförtner führte Erwin einen langen, blitzsauberen, nach Äther duftenden Korridor entlang, bog mit ihm um eine Ecke, keuchte mit ihm eine Treppe hinauf und dann direkt auf eine große, helle Milchglasscheibentür zu, die auf sein Klopfen von innen aufgerissen wurde. „Tatsächlich“, sagte der noch junge Arzt. „Wenn er wirklich B hat, glaube ich an Weihnachtsengel. Sie haben die Blutgruppe B?“

„Ja", sagte Erwin, „ich heiße ...“ - „Wie Sie heißen, ist im Augenblick Wurscht - wann wurde Ihre Blutgruppe festgestellt?“ - „Als ich Nachrichtenhelfer bei der Flak war.“ - „Wir prüfen noch mal - wenn Sie B haben, sind Sie der Weihnachtsengel für einen verunglückten Taxifahrer. Ist einem Betrunkenen ausgewichen und an einen Kandelaber gefahren. Gefährlicher Blutverlust ... Kommen Sie!“ Es ging alles sehr schnell. Es stimmte. Erwin Petereit hatte die etwas seltenere Blutgruppe B. „Und Sie sind bereit zu spenden? Wir müßten Ihnen ganz schön was abzapfen!“ - „Ich bin gern bereit.“

Erwin wurde auf eine Pritsche gelegt und bekam die Kanüle in den linken Arm. Er hörte, wie sein Blut floß - in ein Glas, das eine Schwester hielt. Dann hörte das Geräusch auf.

„Auch das noch!“ knurrte der Arzt. „Irgendwie verstopft. Wir müssen rechts weiterzapfen.“ Nach einigen Minuten lag Erwin Petereit mit dem Gefühl einer eigenartigen Leichtigkeit auf der Pritsche und hatte die Unterarme angewinkelt. Die assistierende Schwester hatte ein Stück Zellstoff auf die Blutentnahmestellen gelegt. Eine andere Schwester, noch ziemlich jung, kam herein und plauderte mit Erwin. „Erwartet Sie auch niemand zu Hause? Es ist doch Heiligabend? Wir könnten sonst telefonieren …“. - „Nein, mich erwartet niemand“, sagte Erwin.

„Oh.“" Die Schwester schwieg.

Es war wunderbar warm in dem Raum. Die Geräte, die herumstanden, machten jetzt, wo die Prozedur vorüber war, einen friedlichen und fast freundlichen Eindruck auf Erwin; er betrachtete sie mit Interesse. „Sie dürfen ruhig weiterreden“, sagte er nach einiger Zeit zu der Schwester. „Sie erwartet bestimmt jemand?“ - „„Erst morgen früh!“ sagte sie. „Dienst!“

„Wann kann ich denn wieder hinaus?“ fragte Erwin. „Einige Zeit werden Sie noch liegen müssen, man hat Ihnen ganz schöne Kubikzentimeter abgezapft. Aber natürlich dürfen Sie heute Abend wieder gehen. Zuerst kriegen Sie aber noch ein vorzügliches Essen, das ist so Brauch bei uns, wenn einer gespendet hat. Heute gibt's sicher ein Weihnachtsessen - was mögen Sie denn gern?“ „Och - ich esse alles!“ „Um so besser. Und Sie kriegen auch Geld - aber heute Abend sicher nicht mehr. Das Büro macht auch Weihnachten.“ „Ich will kein Geld!“ erklärte Erwin bestimmt. „Nicht wollen darf man auch“, lachte die Schwester.

Der Arzt kam. „So, das wär's! Guter Mann, jetzt dürfen Sie mir Ihren Namen sagen - ich möchte Sie umarmen, obwohl ich hier im Hause als großes Rauhbein gefürchtet bin. Wo kamen Sie nur so plötzlich her?“ - „Ich heiße Erwin Petereit - und ich hörte Ihre gekonnten Flüche, als ich den Weg hinter dem Krankenhaus entlangging.“ -„Gekonnte Flüche!" Die Schwester lachte leise.

„Dafür kriege ich auch nichts zu Weihnachten“, sagte der Arzt. „Ich muß Dienst schieben!“

Plötzlich schien er nachzudenken.

„Den Weg geht um diese Zeit kaum ein Mensch, Herr Petereit! Wo wollten Sie denn überhaupt hin?“ - „Zum Bahnhof", erwiderte Erwin. „Da ist das ja der nächste Weg?! Ein schöner Umweg!“ - „Manchmal braucht man Umwege“ Pause.

„Ach, Schwester Irmgard, sehen Sie doch mal nach dem Essen - Herr Petereit hat Anspruch auf eine erstklassige Mahlzeit. Sagen Sie, es wäre Anordnung von mir: ein fürstliches Weihnachtsessen!“" Die Schwester ging hinaus.

„Sie brauchten einen Umweg zum Bahnhof“, nahm der Arzt das Gespräch wieder auf. „Haben Sie einen besonderen Kummer, Herr Petereit?"

„Eigentlich sollte mein Kummer vorbei sein, Herr Doktor. Aber er ist es noch nicht. Ein Kna­­stro ... ein entlassener Strafgefangener braucht seine Zeit - und die Menschen, die er gekannt hat, brauchen sie auch.“

„So ist das also“, sagte der Arzt einfach. „Nun, Sie sind entlassen, und da sind Sie jedenfalls für mich ein Staatsbürger wie jeder andere. Mir haben Sie einen großen Dienst getan - einen noch größeren aber dem Chauffeur und seiner Familie. Wir haben denen zu Hause mitgeteilt, daß der Vater verunglückt ist, aber wieder gesund wird. Es hätte sehr leicht eine andere Nachricht werden können, denn allzuviel Zeit hatten wir nicht mehr. Aber, guter Mann, warum heulen Sie denn - es war wohl doch zuviel?“ - „Verzeihung, ich bin nur dankbar“, sagte Erwin leise.

Der Arzt, der begriff, daß hier erst einmal eine wirkliche Pause eingelegt werden mußte, nickte und ging hinaus. Lächelnd sah Erwin Petereit zur Decke hinauf. Morgen würde eine Frau ins Krankenhaus kommen, um ihren Mann zu besuchen. Es würde daheim ein ganz anderes Fest geben, dieses Jahr. Geschenke wie immer - einen Weihnachtsbaum auch. Aber neugeschenkt war der Mann,  der Vater. Ein Geschenk, das man nur in größter Dankbarkeit hinnehmen konnte - wie das Gottesgeschenk der Weihnacht überhaupt. Alle die liebevoll zusam­mengetragenen Dinge wurden von diesem Geschenk überragt und erhielten von diesem ihr Licht und ihren Glanz. „Ich danke, daß ich dabei mittun durfte“, sagte Erwin Petereit leise, „ich danke, daß ich dazu gerufen wurde - gerade ich!"

Er erhielt sein Essen: Gänsebraten, Ananaskompott, eine Flasche Porter. „Der Zug ist nun sicher weg!“ sagte der Arzt, der hinter der Schwester, die das Essen gebracht hatte, wieder eintrat. „Es fährt ein Frühzug“, sagte Erwin und richtete sich auf. Er sagte es froh - wie einer, der sich auf die Heimkunft freut.

„Na, dann ist ja alles in Ordnung“, sagte der Arzt. „Und nun lassen Sie sich erst mal das wohlverdiente Essen schmecken. Dann können wir noch eine Tasse Kaffee zusammen trinken. Sie werden sich übrigens wundern, wie wohl man sich nach solch einem Aderlaß fühlt! Schlafen können Sie in einem Bett der Fahrbereitschaft, das ist alles kein Problem. Braasch wird Sie rechtzeitig wecken, wenn Sie ihm die Zeit sagen.“ (Alfred Otto Schwede).

 

. . . und wenn die Glocken erklingen

[Ein Mann beschwert sich zunächst über das Glockengeläut und läutet dann an Heiligabend selber]

Jeden Abend Punkt sieben Uhr gab es bei der jungen Familie Grünewald Ärger. Die beiden Kinder, Lutz und Klein-Ingrit waren soeben erst eingeschlafen. Manfred, ihr Vater, blätterte in der Illustrierten. Christa, die Hausfrau, hantierte friedlich in der Küche. Da erklang das Abendgeläut.  Grünewalds Haus stand gerade im Schallwinkel der Kirche, so daß das Getöne in großer Lautstärke durch die Fenster drang und die beiden Kinder aus dem Schlummer schreckte. Christa ging zu ihnen und versuchte, sie zu beruhigen.

Manfred aber wurde die Sache allmählich zu bunt. Alle Abende das gleiche Theater! Er hatte es gründlich satt! Er würde es dem Pfarrer nun mal geben! sagte er zu seiner Frau und suchte im Telefonbuch nach der Nummer des Pfarramtes. Wütend murmelte er dabei vor sich hin. „Ich werde grob, das sage ich dir! Ich werde ihm drohen: Wenn er nicht sofort das Gebaumel einstellt oder auf einen früheren Zeitpunkt verlegt, zu welchem die Kinder noch nicht schlafen, trete ich aus der Kirche aus! Ich werde ihm klarmachen, daß er ja völlig hinterm Monde lebt. Jeder will doch abends seine Ruhe haben! Ich werde ... - Hier ist die Nummer: 2815“, beendete er sein Selbstgespräch und wählte.

Er bekam sofort Verbindung. Christa hielt den Atem an und lauschte. Hoffentlich beleidigte Manfred den Pfarrer nicht mit seinen aufgebrachten Reden! Sie selbst hatte immer in der Nähe einer Kirche gewohnt. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals wegen der Glocken aus dem Schlaf geschreckt worden zu sein. Irgendwie mußte sie versuchen, den Kindern diesen Klang lieb und vertraut zu machen. Aber wie?

Keine Sorge! Manfred hatte sein Anliegen bescheiden und anständig vorgebracht. Des Pfarrers Verständnis und seine nette Art überraschten ihn geradezu. Es war ihm versprochen worden, die Sache dem Kirchenvorstand zu unterbreiten. So hatte er Hoffnung auf eine Änderung, wenn auch das Siebenuhr-Drama zunächst weiterging. Und das Warten fiel Manfred schwer.

„Es kommt noch dahin, daß ich jeden Abend auf dem Heimweg an der Kirche vorbeigehe und die Sicherungen herausschraube!“, sagte er zu Christa. Aber das traute sie ihm nicht zu.  „Sicher ist der Pfarrer jetzt in der Adventszeit mit den vielen Gemeindefeiern so beschäftigt, daß er gar keine Sitzungen abhält“, versuchte Christa ihren Mann zu beruhigen. Doch dieser hatte sich so sehr in seinen Zorn über den Ruhestörer verrannt, daß er am liebsten die Glocken eigenhändig vom Turm geholt hätte, „zum Verschrotten“, wie er sagte.

Am Heiligen Abend läuteten sie eben wieder, als Manfred am Fenster stand und Paul Hartwig mit seiner Frau zur Christvesper gehen sah. Paul war sein Arbeitskollege, mehr noch, er war sein Freund, mit dem er alle Morgen im Bus zum Textilwerk der Nachbarstadt fuhr. Ihm

hatte er auch einmal von dem Ärger mit den Glocken erzählt, obwohl er von ihm wenig Verständnis erhoffen konnte. Denn Paul hielt sich noch zur Kirche. Er gehörte sogar dem Ehe­kreis der Gemeinde an. ,,Du müßtest den Sinn des Geläutes erkennen, dann fändest du eine Beziehung zu den Glocken, und sie störten dich nicht mehr!“ hatte Paul geantwortet. Erwartungsgemäß! Sie waren eben in dieser Hinsicht verschiedener Meinung!

 

Manfred dachte an jenes Gespräch, als er das Ehepaar unten durch den Schnee stapfen sah, auf die Kirche zu. Und als ob Paul seine Gedanken gespürt hätte, wandte er sich plötzlich um und blickte zu Manfreds Fenster hinauf. Er winkte, ging zurück und klingelte an Grünewalds Tür, während seine Frau unten wartete.

„Komm doch mit“, redete Paul ermunternd dem Freunde zu, „Christa freut sich bestimmt, und du wirst sehen, du bereust es nicht!“  Manfred paßte das gar nicht in den Streifen. Er sagte, er liebe das Gerede nicht! Nicht reden - sondern handeln! das sei seine Devise. Es ging noch eine Weile hin und her. Manfreds Mutter, die zu Besuch da war, erbot sich, auf die Kinder aufzupassen, und so fanden sich die beiden jungen Paare schließlich doch noch in der Kirche ein, als die Glocken gerade ausläuteten. Alle Bänke waren voll besetzt. Der Kirchner schob den Frauen einen Klappstunt zu. Die Männer mußten stehen.

Nun, das war das Schlimmste nicht! Christa saß inmitten der großen Weihnachtsgemeinde und freute sich. Fast zu schnell verging ihr die Stunde im Gotteshaus. Vor dem festlichen Ausgangsläuten am Ende der Feier begann der Kantor das Schlußlied zu intonieren. „O du fröhliche...!“ Da ging das Licht aus. Die Orgel verstummte! Christa drehte sich unwillkürlich erschrocken zu Manfred um. Ob etwa gar einer die Sicherungen ...? Doch Manfred stand noch an seinem Platze. Gott sei Dank!

Die Kerzen der beiden riesigen Christbäume warfen vom Altarplatz aus ihren goldenen Schein über die vielen weihnachtsfrohen Gesichter der Kirchenbesucher. Es war trotz des ausgefallenen Stromes nicht dunkel im Raum. Und das  „O du fröhliche“ kannte die Gemeinde auswendig. Dazu wurden weder Organist noch Licht benötigt.  Aber das Ausgangsgeläut? Sollten die Glocken schweigen in der Heiligen Nacht?

Christa sah, wie der Küster auf Paul und Manfred zutrat. Zwei junge Männer brauchte er! Paul nickte und zog Manfred, der gar nicht wußte, wie ihm geschah, hinter dem Küster her, die Turmtreppe hinauf.

Ein paar kurze Erklärungen, und schon griffen die kräftigen Hände nach dem Glockenseil. Die ersten Klänge grüßten schallend die Festgemeinde, die soeben das Gotteshaus verließ. „Du wirst es nicht bereuen, hast du gesagt!“, schnaufte Manfred zu Paul hinüber, als er das Seil gerade einmal locker lassen und Luft holen konnte.

„Rede nicht! Handle!“ rief Paul ihm lachend zurück. Dann herrschte wieder Stille zwischen den beiden „Läutebuben“, wenn man das metallene Dröhnen als „Stille“ bezeichnen konnte.

Auch das Läuten will gelernt sein, dachte Manfred bei sich. Er versuchte, seinen Wollschal zu lockern. „Weiber“, seufzte er mit heimlichem Grimm. Warum schenkte ihm die Mutter bloß jeden Winter wieder einen neuen Schal! Patentgestrickt! Besonders schön warm! Sie hatte ihm das dicke Wollding im letzten Moment noch um den Hals geschlungen, als er in die Kirche ging. Jetzt brachte es ihn fast um!

Ihm dröhnten die Ohren. Er hätte nie gedacht, daß Glocken in der Nähe solch einen wuchtigen Klang haben könnten, wo er sich doch schon über das ferne Geläut, das bis in seine Wohnung drang, aufgeregt hatte! Aber er konnte jetzt ein Schmunzeln nicht unterdrücken. War es nicht ein Witz, einfach sagenhaft!? Er, der vorher an der Telefonstrippe gehangen hatte, um sich beim Pfarrer über den Lärm der Glocken zu beschweren, - er, der die Sicherungen für das Geläute hatte herausdrehen wollen, - er hing nun am Heiligen Abend am Glockenseil und setzte seine Ehre drein, schön gleichmäßig zu läuten, damit es weithin über die Dächer seines Ortes schallen konnte. Was das wohl für ein Ende nahm? Ihm schien es, sooft das Seil emporschnellte, als wenn nicht Gott aus der Höhe zu ihm käme, wie es der Pfarrer in seiner Weihnachtspredigt ausgeführt hatte, sondern, als wenn Gott ihn hochzöge, ihn, Manfred Grünewald, immer wieder hoch!

„Süßer die Glocken nie klingen, als zu der Weihnachtszeit!“ Gab es nicht solch ein Lied? Der Pfarrer hatte gesagt, daß leider durch manche Sitten und manche Lieder der wahre Inhalt der Weihnachtsbotschaft verfälscht würde. Mit dem „süßen“ Glockenklang mochte er recht haben!“Überhaupt war es gar nicht so schlecht gewesen, was da gepredigt und gesungen wurde. Wenn es für ihn auch keine Bedeutung hatte ... Paul schrie ihm etwas zu. Er verstand es in dem Getöse nur undeutlich. „Nicht schlapp machen?“ oder so ähnlich rief er.  Nicht schlapp machen, mahnten ihn auch seine Gedanken. Du wirst doch nicht gleich weich werden, wenn der „Zufall“ dir ein Schnippchen schlägt, sagte er zu sich selber.

Als er später heimkam, wusch er erst einmal ausgiebig seine Hände., Lange, lange ließ er das warme Wasser über die Handflächen fließen. O, das tat gut!  Er sagte kein Wort. Aber Christa brachte Klein-Ingrits Kinderpuder und streute ihn behutsam über die roten Handteller ihres Mannes.

Als an einem der nächsten Abende wieder das Siebenuhrläuten begann, legte Manfred seine Zeitung beiseite und betrat das Kinderzimmer. „Laßt sie läuten ...“, sagte er beruhigend zu seinen beiden Kleinen. Er strich ihnen über die Köpfe und lächelte ein wenig, als wenn seine Gedanken in Erinnerung an dem Glockenseil hingen. „Läutest du auch einmal wieder, Vati?“ fragte Lutz.  „Vielleicht nächste Weihnachten!“ antwortete Christa an Manfreds Stelle und warf ihm einen Blick zu, einen so hinterhältig verschmitzten, liebevollen Blick, daß er sich keinen anderen Rat wußte, als die Stube zu verlassen und das Radio nebenan lautstark einzustellen. Aber er hörte die Glocken trotzdem weiter hindurchklingen. Und, ehrlich gesagt, so schlecht fand er sie gar nicht mehr! (Erika Ludwig).

 

 

In dieser Nacht         

[Menschen denken in der Heiligen Nacht an ihre Lieben]

Schon als sie mit der Straßenbahn durch die Stadt fuhr, hatte sie viele Weihnachtsbäume mit brennenden Kerzen gesehen. In den Neubauwohnungen schienen sie übereinander zu stehen; aus jedem Stockwerk leuchteten sie.

Zu Hause hatte sie dieses Jahr keinen Baum, nur ein Tannenzweig mit Silberfäden stand auf dem Tisch. Sie war froh, daß sie Dienst hatte und nicht allein sein mußte; denn sie fürchtete sich vor den Erinnerungen, die mit dieser Nacht verbunden waren. Selbst die glücklichen, die aus der Kinderzeit kamen, stimmten wehmütig.

Sie hatte fast noch eine Stunde Zeit, ehe ihr Dienst begann. Trotzdem ging sie eiligen Schrittes auf das Krankenhaus zu. Hinter vielen Fenstern sah sie wieder die Weihnachtsbäume.

„Ah, die Nachtschwester“, riefen die beiden jungen Schwestern erfreut, als sie sie kommen sahen, und beeilten sich mit ihrer Arbeit; denn nun würden sie vielleicht schon etwas vor Dienstschluß gehen dürfen.“Was Neues?“ fragte die Nachtschwester, während sie ihre Schürze umband. „Nein! Nicht“, lautete die Antwort.

Die Nachtschwester half beim Aufräumen, ging noch einmal mit der Teekanne durch die Krankenzimmer und bewunderte die Geschenke, die die Angehörigen geschickt hatten. An jedem Bett blieb sie stehen und sagte ein paar freundliche Worte. Schnell war die Zeit vergangen. überall herrschte nun tiefe Stille. Alle Lichter waren gelöscht, nur die blauen Nachtlämpchen brannten. Die Schwester saß in ihrem Zimmer. Die Tür stand offen, so daß sie den großen grünen Christbaum im Gange sehen konnte. Sie stellte ihren Sessel so, daß sie unverwandt zu dem Baum hinschauen konnte.

Und nun kamen doch die Erinnerungen, leise und zag. Kein Mensch kann ihnen ausweichen oder entrinnen. Sie sind verwoben mit dieser Nacht und führen uns bis in die frühen Kindertage zurück. Denn alle Sinne feierten dieses Fest. Die Augen erspähten beglückt goldhaarige Puppen und drollige Teddys, den bunten Kasper mit dem zarten Schneewittchen, schöne Kleider und neue Schuhe.

Welch ein Duft ging von all dem Backwerk aus, den Äpfeln, Nüssen, Mandarinen! Gibt es ein anderes Fest, das so von Düften umgeben ist? Allein in einem Pfefferkuchenherz vereinigen sich die Wohlgerüche ganzer Länder: Da sind Ingwer und Muskat, Mandeln, Kardamon, Rosinen, Zimt. Und für die Ohren waren es wunderbar zarte, innige Weisen, die ein Leben lang unvergessen blieben. Alle Sinne feierten dieses Fest.

Eine Klingel schellte. Die Nachtschwester schrak aus ihren Erinnerungen, stand auf und sah im Gang nach dem Leuchtzeichen. Leise betrat sie das Zimmer. Von den vier Betten waren heute nur zwei belegt. „Was ist?“ fragte sie leise. „Ich habe Durst, solchen Durst!“ Die Schwester trat an das Bett der Kranken und schob die Kissen zurecht. „Gleich bringe ich etwas“, sagte sie. Als sie mit dem Trinkglas zurückkam, sah sie, daß die Kranke geweint hatte.

„Nicht traurig sein“, tröstete die Schwester, „morgen kommt doch Besuch!“ - „Ja“, sagte die Kranke. „Es war auch nur wegen des Kleinen. Er hängt so an mir!“ -„Wo ist er denn?“ fragte die Schwester. „Bei meinen Eltern!“- „Na, da geht's ihm ja gut. Bald sind Sie gesund und feiern mit ihnen noch einmal!“ Die Kranke lächelte leise und nickte der Schwester zu. Ja, es würde wieder gut werden.

Die Schwester ging. Sie wollte schnell noch einmal nach Mutter Grüner sehen. Diese schien sie erwartet zu haben“ Aber, aber! Wir wollen doch schlafen“, sagte die Schwester und drohte scherzhaft mit dem Zeigefinger. „Heute geht das nicht so“, antwortete die alte Frau. „Hoffentlich ist er nun zu Hause. Er hatte bis neun Uhr Dienst. Mein Sohn ist bei der Bahn, Lokführer“, fügte sie erklärend und stolz hinzu. „Jetzt ist es gleich zehn“, sagte die Schwester. „Bestimmt ist er nun zu Hause. Sie können ruhig schlafen!“

Als sie wieder in ihr Zimmer zurückkehrte, klingelte das Telefon. Eine Frauenstimme meldete sich: „Ach, Schwester, bitte, sagen Sie mir doch, wie es meiner Tochter geht. Ich habe keine Ruhe. Ist das Fieber gewichen?“ Auch hier tröstete und beruhigte die Schwester. So war es immer in dieser Nacht gewesen, wo die Mütter für ihre Kinder wachen, junge und alte, gesunde und kranke, alle Mütter. Wie hatte sie glauben können, dem Geheimnis dieser Nacht zu entgehen?

Und als sie nun wieder in ihrem Sessel saß und in den Tannenbaum sah, dachte sie an ihren Sohn, den einzigen. Er war von ihr fortgegangen, weil ihr sein Mädchen nicht gefallen hatte. Jetzt kamen die Feste mit ihm auf sie zu. Die ersten mit dem Weihnachtsmann, dem er aufgeregt seine Sprüchlein ansagte, mit Jubel über Schaukelpferd, Eisenbahn, Roller. Dann die späteren, wo er mit dem Vater musizierte, auf der Geige, nicht immer sauber, dafür mit viel Eifer. Damals war sie sehr glücklich gewesen.

Sie wußte seine Adresse. Ob er telefonisch zu erreichen war? Zögernd griff sie nach dem Telefonbuch, blätterte darin, und schließlich suchte sie. Es dauerte eine geraume Zeit, bis sie einen Anschluß im gleichen Haus gefunden hatte. Ihr Herz klopfte, als sie die Nummer wählte. Ob es wohl möglich wäre, ihren Sohn an den Apparat zu holen, fragte sie mit zitternder Stimme. Man versprach es ihr. Es waren aufgeregte Minuten, während sie wartete.

„Hallo, Mutter! Bist du es wirklich?“ hörte sie dann die Stimme ihres Sohnes. „Ja. Ich wollte dir nur ein schönes Weihnachten wünschen!“ - „Von wo sprichst du? Hast du Dienst?“-„Ja!“ -

„Bis wann?“- „Bis fünf Uhr morgens!“ -„Ich hole dich ab. Ja? Ist es recht?“ Ja, das war ihr recht. Und sie sah hinaus in die finstere Nacht, in diese Nacht, in der die Liebe in die Welt gekommen war (Margot Langner).

 

Ottar und der Stern

[Waisenjunge folgt dem Weihnachtstern und findet dabei neue Eltern]

„Ottar ist so dumm“, sagten die anderen Schulkinder. In jeder Schule muß es einen Dümm­sten geben - hier war es Ottar. Er war ziemlich neu, ein kleiner Kerl aus der Stadt, den die Mutter in dieser Gegend bei Bekannten untergebracht hatte, als sie krank wurde. Sie mußte in ein Krankenhaus und konnte sich deshalb nicht um ihn kümmern. Er hatte keinen Vater - das wußte man. Die Lehrerin hatte es eines Tages gehört, wie die anderen sagten: „Ottar ist so dumm!“

Einige Schüler der dritten Klasse standen in der Pause beisammen und waren viel klüger: so fanden sie wenigstens. Da bekam die Lehrerin plötzlich eine tiefe Furche zwischen den Augenbrauen, und hinter dem Kneifer blitzte es scharf. „Still! Kinder!“ sagte sie. „Ich bin  nicht sicher, ob nicht Ottar einer der Klügsten von euch allen ist. Er ist nur anders. Marsch, weiter. Nicht herumstehen und den neuen Kameraden verleumden!“

Es war kurz vor dem Fest. Überall in den Häusern begann es nach Weihnachten zu riechen  und zu schmecken. in allen Ecken wurde geflüstert. Koffer und Schränke wurden abgeschlossen. Der Weihnachtsbaum war aus dem Wald geholt worden und stand duftend da.

In der Schule erzählte die Lehrerin am letzten Tag vor den Weihnachtsferien von dem Kind, das in einem Stall geboren und in eine Krippe gelegt wurde, und von den drei weisen Männern aus dem Osten, die einen großen glänzenden Stern erblickt hatten und ihm auf seiner Wanderung gefolgt waren, bis er über den niedrigen kleinen Stall in einem fremden Land stehengeblieben war.

Ottar vergaß ganz und gar, wo er war, denn als die Lehrerin die Erzählung beendet hatte, stand er auf und ging zu ihr, obwohl es mitten in der Unterrichtsstunde war. Sie trug an einer goldenen Kette um den Hals ein kleines Goldkreuz, an dem er zu fingern begann, und er fragte: „Bist du sicher, daß das alles wahr ist?“ - „Ja, natürlich!“ - „Das mit dem Stern auch? Da haben sie wohl in der Nacht wandern und am Tag schlafen müssen?“ - „Ja, wahrscheinlich!“

Die anderen fingen zu kichern an, denn es war nicht gebräuchlich, sich in dieser Gegend so zu benehmen. Sie pflegten in der Schule still zu sitzen und keine unnötigen Fragen zu stellen

oder gar am Goldkreuz der Lehrerin zu fingern. Sie fand aber wohl, daß er das tun konnte, denn sie untersagte das Kichern, während Ottar auf seinen Platz zurückging - verlegen und errötend.

In Langnet schmückte der Vater selbst den Christbaum, er war schon eine endlose Zeit allein im Zimmer drinnen, während die Mutter sich mit dem Weihnachtsmahl beschäftigte und alle Kinder die Ohren spitzten und warteten.

„Du kriegst auch etwas!“ sagten sie zu Ottar. „Hab nur keine Angst!“ Ottar lächelte: Sie waren heute so lieb - er aber wartete auf einen Brief von seiner Mutter, denn seit dem letzten Brief war es schon lange her. Und in dem Brief würde sicher stehen, daß sie viel wohler war und bald nach Hause kommen würde. Sie müßte ihm doch zu Weihnachten schreiben, da war er ganz sicher. Der Brief würde bald kommen.

Er hatte gar nichts dagegen, nach einem Arm voll Holz hinausgeschickt zu werden, denn dabei konnte er nach dem Postboten Ausschau halten. Der Brief war aber schon gestern gekommen,  Ottar wußte es nur nicht. Er kam nicht von der Mutter selbst, nein. Und nun hatten sich die Leute in Langnet dahin geeinigt, daß es Zeit genug sei, wenn der Junge nach dem Fest von dem Brief erführe. Dann allerdings müßte es anders werden, denn Ottars Mutter hatte für den Jungen nur bis Weihnachten bezahlt. Und es war wohl kaum anzunehmen, daß sie etwas hinterließ, womit die weitere Bezahlung erfolgen konnte. Jetzt sollte er über die Weihnachtstage bei ihnen feiern - sie waren ja keine Unmenschen -

So allein er auch draußen mit seinem Holz in der Dämmerung über den Hof ging - in Wirklichkeit war er noch viel einsamer, als er wußte. Denn im Krankenhaus war seine Mutter kurz vor Weihnachten gestorben.

Viel Holz trug er nicht auf einmal herein, aber die Arme waren voll beladen, und der Schnee biß in die blaugefrorenen Finger; die das Holz umklammerten. Er mußte bestimmt die Handschuhe anziehen. Als er am Fenster vorbeiging, sah er den Weihnachtsbaum, um den der Vater beschäftigt war; er hielt feine Glaskugeln und Kuchenmänner in den Händen - es war bestimmt nicht erlaubt, ihm zuzusehen.

Da - plötzlich sah Ottar den Stern. Droben zwischen den Wolken kam ein großer goldener Stern am blaßblauen Himmel daher. Ottar ging es wie ein Stoß durch den ganzen Körper. Er blieb still stehen und umklammerte die Holzstücke; das Herz klopfte, so daß es ihm beinahe die Kehle zuschnürte. Konnte es wirklich wahr sein, konnte das….?

Jetzt war er hinter den Wolken verschwunden. Aber im nächsten Augenblick war er wie durch einen Schleier wieder sichtbar. Langsam glitt er dort oben seine Bahn entlang. Das konnte nichts anderes sein als der Stern der Weisen, der damals im Osten gesehen worden war und über den Himmel wanderte. Da war er wieder. Denn die gewöhnlichen Sterne  standen doch still, außer wenn einmal eine Sternschnuppe herunter fiel. 

Als Ottar sich darüber klar war, daß es der Stern der Weisen sein mußte, den er sah, wurde er so aufgeregt, daß er das Holz einfach fallen ließ, durch die Hoftür hinauslief und die Richtung einschlug, die ihm der Stern zeigte.

Er versuchte, den Kopf soweit wie möglich in den Nacken zu legen. Und den Stern nicht aus den Augen zu lassen, während er lief. Er stolperte über die hohe Schneekante des Wegs, fiel hin und stand wieder auf. Mußte sich damit begnügen, nur dann und wann einmal hinaufzuschauen.

Zwischen den Höfen lagen große Abstände, und der Weg lag wie ausgestorben. Auf jedem Hof war es still, denn hinter den Fensterscheiben hatte man die Lichter des Baums bereits angezündet. Drinnen waren alle zum Fest versammelt, alle, die zusammengehörten: Vater, Mutter und die Kinder. Sie hielten einander an den  Händen und sangen und taten alles, um an diesem Abend recht lieb zueinander zu sein.

Nur Ottar stopfte in der Dämmerung auf dem Weg dahin. Er dachte aber gar nicht daran, daß er zu bedauern war, auch daran nicht, daß man ihn vielleicht suchte, daß es immer dunkler wurde und daß e r für einen weiten Weg nicht angezogen war. Sogar der Brief, auf den er so gewartet hatte, war jetzt aus seinen Gedanken verschwunden. Ihn erfüllte bis aufs Äußerste ein großes, unbekanntes Glücksgefühl: Der Stern der Weisen war noch einmal aufgegangen - vielleicht wieder zu einem Stall mit einem Kind in der Krippe - was wußte er? Klopfenden Herzens eilte er dem Stern nach.

Ottar war ziemlich weit gelaufen, als er warm und atemlos wurde und immer langsamer vorankam. Er war in eine unbekannte Gegend gelangt. Es wurde jetzt kalt. Er begann zu frieren, und seine Zähne klapperten; hungrig war er auch geworden. Der Stern aber wanderte dort oben ruhig weiter. Nie wollte er sich senken oder über einem Haus  oder einer Hütte am Weg stehen bleiben. Ottar steckte die Hände in die Taschen und ging weiter. Der Wind trieb ihm den Schnee ins Gesicht, so daß er den Kopf senken mußte. Er hob den Blick nicht mehr so oft zum Stern empor, aber er wußte, daß er dort oben war.

Inzwischen war es ganz dunkel geworden. Die Tannen längs des Weges waren gleichsam in dichteren Reihen aufmarschiert. Ottar merkte jetzt, daß er tiefen Wald zu beiden Seiten haben mußte. Wäre der Stern nicht gewesen, würde er sicher hier wie gebannt stehen. Da war nicht nur ein Stern, sondern ein ganzer Haufen! Droben zwischen den Wolken zog jetzt eine ganze Schar desselben Weges.

Mit einem Male gingen ihm die Augen auf, und er erkannte, was wirklich war: Es war kein Wunder. Die Wolken waren gewandert - die Sterne aber standen still. Auch der Weihnachtsstern stand still, er war nur klarer und größer als die anderen und zitterte ein wenig, als ob er fröre. Ottar war erschrocken: Daß er sich so täuschen konnte! Es war ja jetzt ganz deutlich! Etwas in ihm zerbrach, die Spannung ließ nach, das Wunder war nur ein Betrug. Brennend heiß um die Ohren, obwohl es ihn gleichzeitig vor Kälte schüttelte, stand er allein in dem schwarzen Wald. Ottar ist dumm, Ottar ist dumm! Er ging im Takt mit diesen Worten, während er den Weg fortsetzte. Umkehren und heimgehen konnte er nicht, denn wie sollte er alles erklären.

 

Und doch lag Ottar eine halbe Stunde später in einem warmen Bett und erzählte einem Mann und einer Frau, die bei ihm saßen, wie alles gekommen war. Das war so zugegangen: Nils und Oline hatten sich eben an den Weihnachtstisch gesetzt, als es leise und vorsichtig an die Tür pochte. Es hätte ein Vogel sein können, der mit dem Schnabel pickte. Der kleine Hof von Nils und Oline lag wohl am Weg - aber wer konnte am Heiligen Abend so spät noch unterwegs sein? Sie erschraken nicht wenig, als der Kleine hereinkam, ganz erschöpft von der Dunkelheit und Kälte da draußen. 

„Verzeiht-  ich habe mich verirrt“, stammelte er: Hier war es so schön warm und behaglich. Es roch so gut nach Braten. Die zwei alten Leute am Tisch sahen so freundlich aus. Und in einer Ecke des Zimmers stand ein kleiner Weihnachtsbaum mit Lichtern. Das konnte wohl nicht stimmen…

Dann zeigte es sich, daß es doch stimmt. Die zwei alten Leute, Nils und Oline, hatten alles, was zum Weihnachtsfest gehörte, außer einem Ottar.  Und da stand nun bei ihnen im Zimmer, hungrig  wie ein Wolf, um mit dem guten Weihnachtsessen bei ihnen gesättigt zu werden, durchgefroren, um durch die Wärme bei ihnen aufgetaut zu werden, und gerade so todmüde, daß er gleich zu Bett gebracht werden mußte.

Sie fragten ihn vorsichtig aus, während sie sich um ihn bemühten und ihn allmählich warm bekamen. Was er ihnen erzählte, berührte ihre Herzen ganz wunderlich. Was er nicht erzählte, errieten sie. Ein Kind, das in der Welt so allein war, daß es am Weihnachtsabend allein in den Wald ging, war zu ihnen gekommen. Das Kind wollten  sie behalten.

Am Tag darauf kam der Vater aus Langnet. Es war ein großer Aufstand gewesen , als Ottar verschwunden war und sie nur die Holzstücke auf dem Hof gefunden hatten. Der  Weih­nachts­abend war auf dem Hof ganz ins Wasser gefallen, nur des fremden Jungen wegen. Die ganze Umgebung war aufgeschreckt worden. Aber erst heute war man so weit nach Norden gekommen, bis zu Nils und Oline. Und jetzt sollte der Ausreißer wieder zurück - bis auf weiteres wenigstens.

„Nein“, sagte Ottar bestimmt. Es fuhr ihm so heraus  - bang sah er von einem zum anderen. Dann verkroch er sich wie eine erschreckte Katze unter dem Bett. Aber es gab keine Schläge. Nils brachte den Vater in den Gang hinaus, und man hörte, daß sie miteinander etwas besprachen. Und dann ging der Vater. Es ist schwer zu sagen, wer zufriedener war, der ging oder die, die zurückblieben.

„Hierauf müssen wir uns einen Herzverstärker zu Gemüte führen“, meinte Mutter Oline und holte die Kaffeekanne und einen großen Teller mit Weihnachtskuchen. Dann setzte sie sich freundlich und behäbig an den Tisch und goß ein. Vater Nils, lang und knochig, kam herbei und ließ sich auf der Bank nieder. Man merkte, daß er ein wahrer Freund von Kaffee und Weihnachtskuchen war. Ottar hatte bereits seinen festen Platz neben ihm. Er hielt ein tüchtiges Stück Kuchen in der Hand, vergaß aber hineinzubeißen - sein Blick wurde immer ferner.

„Du mußt essen, mein Junge, damit du groß wirst und deine Beine bis auf den Boden reichen, wie die meinen“, sagte Nils. Da schaute Ottar ihn an, als wäre er plötzlich aus dem Schlum­mer geweckt worden. „Ich möchte nur eines wissen!“ - „Na, was denn?“ - „Ob es nicht doch der Weihnachtsstern war!“ (Marie Hamsun).

 

 

 

Alle Jahre wieder (von Gunther Emmerlich)

Die Faszination des Weihnachtsfestes erfaßt auch die, die an gar nichts glauben. Selbst Atheisten, Ungläubige, Stumpfsinnige, Geistlose, Gottlose und Selbstgefällige bekommen zu Weih­nachten einen Glanz in die Augen, als Hätte der Erzengel Gabriel sie bei Namen genannt. Der entwaffnende Satz: „Egal, ob du an Gott glaubst, er glaubt an dich“ macht auch den überzeugtesten Materialisten wehrlos. Diese grundsätzliche christliche Gewißheit erfaßt zu Weihnachten irgendwie alle.

Daß in großen Kriegen zu Weinachten eine Feuerpause eingelegt wurde und Weihnachtslieder über die Schützengräben hinweg gesungen wurden, macht den Krieg davor und danach nichtbesser, aber es berührt und entsetzt gleichermaßen. Wenn Weihnachten das Fest der Liebe ist, warum ist dann Weihnachten nur zu Weihnachten?

Ich denke jedes Jahr am Heiligen Abend, daß die ganze Welt gleichzeitig und so beseelt wie ich diesen Abend feiert. Das ist natürlich Unfug, schon wegen der Zeitzonen. Feuchte Augen verhindert diese Logik allerding nicht alle Jahre wieder.

In meiner frühen Kindheit habe ich das ganze Jahr und besonders zu Weihnachten mit Mutter und Schwester den lieben Gott gebeten, daß unser Vati wieder heimkommen sollte. Wir wußten lange nicht, daß er schon lange tot war. Darüber rede ich mit meinen Enkeln nicht, denn ich möchte sie nicht mit meinen Erinnerungen unnötig belasten. Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.

Mir will nicht in den Kopf, daß dies immer nur ein frommer Wunsch bleibt. Selbst der, dem der Glaube fehlt, sollte von dieser friedfertigen Botschaft überzeugt ein. So fromm dieser Wunsch auch sein mag, dem frommen Wunsch wird durch den Heiligenschein das Trügerische genommen. Als Christ hat man wenigstens einen Adressaten, den lieben Gott, der aber oft überfordert scheint.

Frieden auf Erden! Das scheint so einfach und scheint einfach nicht zu machen zu sein. Lieber Gott, wenn du wieder einmal einen solchen Kraftakt wie seinerzeit die Erschaffung der Erde vorhaben solltest: Mach alles wie gehabt, aber sei mit der Dummheit nicht so großzügig. Nimm dir einfach etwas mehr Zeit.  Sechs Tage, das ist ja nicht einmal eine Woche. Die Schöpfung von Haydn könnte so bleiben. Weihnachten auch

 

 

 

 

 

 

Bilder

 

Wenn Sie die Datei mit Bildern sehen wollen,  dann klicken Sie …>>>>>>> hier >>>>>>>>>

 

 

Adventssonntage

 

Die Stätte der Geburt Christi: Höhle, Stadt, Hütte, Palast, Stall

Ein Längsschnitt durch die Kunst / Von Niels von Holst.

Bei der Würdigung des Geburt-Christi-Bildes von der Spätantike bis zur Gegenwart wurde bisher nur flüchtig in Betracht gezogen, in welcher Örtlichkeit, vor welchem Gebäude usw. die Künstler der einzelnen Epochen den Vorgang dargestellt haben. Eine solche Übersicht wirft interessante Streiflichter auf die religions- und kunstgeschichtliche Entwicklung.

Der Evangelist Lukas nennt als Ort der Geburt „Bethlehem, die Stadt Davids“. Da dort in der Herberge kein Raum war, wurde eine Krippe die erste Lagerstatt des Heilands; hieraus ließ sich auf einen Stall als Stätte der Geburt schließen. In der Liturgie des Kirchenjahres wurden zunächst die Geburt und das Erscheinen der Drei Weisen oder Könige gleichzeitig am 6. Januar gefeiert. Bei den ältesten künstlerischen Wie­dergaben von Vorgängen aus der Kindheit Christi spielte dabei die Huldigung der Könige die Hauptrolle, weil sie den Neugeborenen als künftigen Erlöser der Menschheit erwies. Wir finden demgemäß also in der Frühzeit keine eigentlichen Geburtsszenen, sondern das Kind in der Krippe, dem sich die Könige unterwürfig nahen.

 

Die Felsenhöhle

Das Christentum gewann bekanntlich leicht die Anhänger der griechisch-römischen Götterreligion für sich, während die im Mittelmeerraum weithin verbreiteten Mysterienkulte asiatischen Ursprungs sich viel schwerer verdrängen ließen. In Bethlehem selbst befand sich vor den Toren der Stadt ein Grottenheiligtum des Sonnengotts Mithras. Im frühen 4. Jahrhundert erwies es sich als unumgänglich, christlicherseits der heidnischen Wallfahrt zum Mithras­heiligtum bei Bethlehem ein Ende zu bereiten: die Höhle wurde, vermutlich im Jahre 335, zum Ort der Geburt Christi erklärt. Kaiser Konstantin erbaute über ihr die „Ecclesia Spelun­cae Salvatoris“ (Kirche der Höhle des Erlösers), Kaiserin Helena stiftete eine silberne Krippe für das neue Gotteshaus.

In Rom selbst entschloß sich wenige Jahrzehnte später Papst Liberius, den dort nach wie vor mächtigen Mithraskult dadurch zu schwächen, daß er auf das Hauptfest der Mithras-Anhän­ger, die Wintersonnenwende, die Geburt Christi verlegte. Nun feierte Kirchenvater Ambrosius Christus als „die neue Sonne" (Sol Novus); statt des jüdischen Sabbats wurde der den Mithras-Anhängern heilige Sonntag zum christlichen Wochenfeiertag.

Für das neue christliche Fest am 25. Dezember mußte ein eigener Bildtyp geschaffen werden. Durch Palästinapilger war die Verlegung der Geburt in eine Felsenhöhle bereits in allen Teilen der christlichen Welt bekannt geworden. Ein bald danach verfaßter, das Neue Testament ergänzender Evangelientext, der sogenannte „Pseudo-Matthäus“, trug der neugeschaffenen Lage Rechnung; es heißt dort, ein Engel habe Maria vor der Ankunft in Bethlehem „in eine unterirdische Höhle geleitet, wo sie gebar“.

Die eben wiedergegebenen neuen Forschungsergebnisse italienischer Theologen erklären eindeutig die Herkunft des Höhlenmotivs. In der ostchristlichen Kirche wurde die Geburtsszene fortan beinah ausnahmslos in eine Felsenhöhle verlegt, so noch von Ikonenmalern des zaristischen Rußlands um 1900. Im Abendland kam dieser Bildtyp ebenfalls für Jahrhunderte zur Herrschaft.

 

Die mauerbewehrte Stadt Bethlehem

In der Entwicklung der abendländischen Kunst zum hohen Mittelalter hin wurden unwichtige oder allzu realistische Details ausgemerzt; es kam darauf an, die Glaubenswahrheiten des Christentums nicht in erzählendem Legendenton, sondern dogmatisch-kultbildhaft dem gläubigen Betrachter zu vermitteln. Stall, Höhle, Nebenszenen - das erschien nun weniger wichtig als die entscheidende, von den Propheten des Alten Testaments geweissagte Tatsache: der Geburtsort des Erlösers ist Bethlehem, die einstige Residenz Davids (dessen Stamm Maria und Joseph angehörten). Auf Miniaturen der Ottonischen Buchmaler (z. B. Egbert-Codex der Stadtbibliothek Trier) sowie auf Reliefs und Mosaiken des 11. und 12. Jahrhunderts sehen wir die Hauptpersonen der Geburtsszene in oder vor einem turmbewehrten Mauerring, gleichsam eine stilisierte Darstellung eines Stadtbilds. Das Kind ruht meist in einer Krippe auf gemauertem Sockel; in diesem „Krippenaltar“ muß wohl eine Anspielung auf das Opfer Christi bei der Messe gesehen werden.

 

Die hölzerne Schutzhütte

Etwa seit der Mitte des 12. Jahrhunderts verlor sich der streng dogmatische, beinah abstrakte Charakter der eben geschilderten Epoche. Im religiösen Leben und in der Bildkunst wurde mehr auf das Seelenleben des einzelnen Menschen Bezug genommen. Bernhard von Clairvaux suchte in mystischer Versenkung das Wunder von Bethlehem nachzuempfinden, wobei er im Anschluß an das Lukas-Evangelium des armseligen Stalls gedachte.

Franziskus von Assisi stellte im Jahre 1223 im Walde von Greccio eine leicht gezimmerte Hütte auf, ließ einen Ochs und einen Esel heranführen und predigte vor Landleuten über die Geburt des Heilands; Tränen übermannten ihn, als er erläuterte, daß Maria und Joseph zu arm gewesen seien, um einen Raum in der Herberge nehmen zu können.

In der Nachfolge des heiligen Franziskus zeigte man bei geistlichen Krippenspielen ein Schutz­dach auf vier Pfosten. Es ermöglichte dem Betrachter, von drei Seiten den szenischen Vorgängen beizuwohnen. Auf der vierten, hinteren Seite wurde manchmal noch die erwähnte Felsenhöhle angedeutet, in der man Ochs und Esel unterbrachte. Seit Giotto haben Maler südlich der Alpen als Szenerie der Geburt das luftige Schutzdach wieder und wieder gemalt.

(Bild: Maria mit dem Kind, Joseph und die Tiere sind auf dem oberrheinischen Gemälde aus der Zeit um 1420 in der Schutzhütte dargestellt, wie sie bei den geistlichen Krippenspielen des Mittelalters verwendet wurde).

 

Die Ruine des Davidspalasts

Im späteren Mittelalter erfuhr die Geburtsszene durch die weitere Ausbildung des Marienkults eine neue Deutung. Es setzte sich die Auffassung durch, daß Maria nicht im Wochenbett gelitten habe wie eine irdische Frau: „An eine Säule gelehnt“ gebar sie stehend und wunderbar leicht und wandte sich sofort der Anbetung des Kindes zu. Die Säule wurde vom italienischen Geistlichen Johannes de Caulibus in seinen bald nach 1300 verfaßten „Meditationes“ zuerst erwähnt; sie ließ sich jedoch weder an der Felsenhöhle noch an der armseligen Schutzhütte überzeugend anbringen (wenn dies auch einzelne Maler gelegentlich taten, zum Beispiel Hugo van der Goes auf der Mitteltafel des Altars der Uffiziengalerie in Florenz).

Es war jedoch ein kleiner Schritt von der einzelnen Säule zu einem ganzen Palastgebäude: Wenn Maria nach Bethlehem gekommen war, um in der Stadt ihres Ahnherrn König David ihren Sohn zur Welt zu bringen, so war die als vorhanden gedachte Ruine des alten Königspalasts die geeignete Stätte dafür.

Viele nordische Künstler der Spätgotik fanden im Beieinander ruinenhafter alter Mauern, einiger Säulen mit romanischen Würfelkapitellen und malerischen hölzernen Dachwerks einen besonderen Reiz. Im frühen 16. Jahrhundert erlebte diese romantische Auffassung in Deutschland bei Dürer und seinen Zeitgenossen eine letzte. Blüte. Altdorfer deutet in .seiner berühmten Heiligen Nacht im Vordergrund noch einen Berg mit einer Höhle an; jedoch sind dahinter aufragende hochphantastische Architekturen ein sehr viel wichtigeres Element des Bildes.

Die Meister der italienischen Renaissance mit ihrem Sinn für Pracht und ihrem Stolz auf die eigene neue Baukunst gaben etwa seit 1450 oft keine Ruine wieder, sondern Teile eines zeitgenössischen Palastes. Maria ist eine vornehme Dame und ihr Sohn kommt in einem Gebäude fürstlichen Zuschnitts zur Welt. Ochs und Esel, nunmehr als „unedel“ angesehen, wurden in einen Winkel des Bildes verbannt oder verschwanden gänzlich.

 

Der Stall im Bauernhaus

Die Entwicklung in der Neuzeit läßt sich mit wenigen Strichen zeichnen. Die neue Verinnerlichung des christlichen Lebens südlich der Alpen im Zeichen der Gegenreformation führte allmählich zur Abwendung von der Palastkulisse. Tintoretto gewährt uns in einem Bild der Scuola San Rocco in Venedig Einblick in einen ärmlichen Stall; durch das Sparrenwerk des verfallenen Dachs wirft der Stern von Bethlehem geheimnisvolles Licht.

Im 17. Jahrhundert wurde bei den Spaniern und beim kalvinistischen Rembrandt der dunkle Stall in einem aus Balken errichteten Bauernhaus endgültig der Schauplatz der Geburtsszene, während im Anschluß an die Hochrenaissance manche römische Barockmaler und der Flame van Dyck noch einige Zeit Palastsäulen als Hintergrund beibehielten.

Die deutschen Romantiker des frühen 19. Jahrhunderts und nach ihnen die englischen Prä-Raffaelliten haben, auf Giotto zurückgreifend, versucht, das Schutzdach auf vier Pfosten oder sogar die Höhle wiedereinzuführen. Ihr Bestreben blieb jedoch erfolglos: Wir haben uns daran gewöhnt, gemäß dem Lukas-Evangelium den Stall bei der Herberge in Bethlehem als Stätte der Geburt Christi anzusehen.

Die „Höhle im Berg“ zeigt eine florentinische Malerei um 1440 als Stätte der Geburtsszene. Maria und Joseph verehren betend das nackte Jesuskind. Ein Reigen von Engeln schwebt über dem Geschehen).

Die byzantinische Malerei und Mosaikkunst überliefert das Motiv der Geburt in der Höhle in strenger Vereinfachung der Formen über viele Jahrhunderte (Mosaik aus dem 12. Jahrhundert, links). Einen „Krippenalter“ zeigt der Elfenbeindeckel eines Meßbuches aus dem 10. Jahrhundert im Aachener Domschatz. Das Höhlenmotiv hat sich zu einem Schmuckbogen verwandelt

 

Rogier van der Weyden: „Heimsuchung“.

Rogier van der Weyden wurde um 1400 in Tournai im Südzipfel Belgiens. Erst als verheirateter Mann begann er in der Werkstatt Robert Campins seine Lehrzeit. Um 1435 siedelte er nach Brüssel, dem Heimatort seiner Frau, über. Dort gründete er eine eigene Werkstatt und erhielt das Amt eines Stadtmalers. Dort ist er im Jahre 1464 als Maler und Bürger hochgeehrt gestorben.

Das Bild „Die Heimsuchung“ ist um 1435  entstanden und stellt ganz die Menschen in den Mittelpunkt. Elisabeth ist als schon alternde Frau dargestellt, in ein einfacher bürgerliches Gewand mit weißem Kopftuch gekleidet. Ihre starke Erregung drückt sich im Gesicht und in ihrer ganzen Bewegung aus; der geschwungene Weg nimmt diese Bewegtheit auf. Selbst die Bäume spiegeln die Hinneigung der Elisabeth zu Maria. Das Knie hat sie leicht in Ehrfurcht gebeugt.

Maria dagegen verharrt in würdiger Haltung, mit der Rechten ihr blaues Überkleid raffend, so daß dessen kostbarer Brokat sichtbar wird. Auch ihre Haltung wird von einem Baum hinter ihrem Rücken aufgenommen. Die Jungfrau trägt ihr rotblondes Haar offen, reich fällt es über ihre Schultern, ihr Haupt und ihre Augen sind leicht geneigt. Sie folgen der Bewegung ihrer linken Hand. Gebärde und Gesichtsausdruck sind demütig - abwehrend wie auch prüfend, sich vergewissernd. Sie hat sich doch übers Gebirge zu Elisabeth aufgemacht, weil die Schwangerschaft der Elisabeth das Zeichen für Maria ist, daß sie Mutter des Gottessohnes sein wird.

Die Hände  kreuzen sich in der Bildmitte. Jede Frau versucht behutsam, das werdende Leben im Leib der anderen zu ertasten. Hier wird auf die verborgene Mitte des Geschehens hingewiesen. Lukas legt der Maria im Augenblick der Begegnung mit Elisabeth sogar revolutionäre Worte in den Mund: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt Die Niedrigen. Die Hung­rigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen!“

Im Hintergrund ist eine stattliche Kirche zu sehen, umgeben von einer Stadtmauer. Die Augen wandern den geschwungenen  Weg entlang, der von links unten aus dem Tal kommt und zu dem halboffenen Stadttor führt. Der Maler wollte damit die Kirche überhaupt symbolisieren, als deren Geburtsstunde die Begegnung der beiden Frauen angesehen werden muß. Jetzt geht es nicht mehr um Freundschaft und Verwandtschaft, sondern um eine neue Art von Zu­sam­mengehörigkeit, die unzertrennlich ist. Sie kamen zusammen, wie göttliche Verheißung und gütliche Erfüllung zusammenkommen müssen. Das Herabkommen der neuen Welt in die alte Welt hat diese beiden Frauen zusammengeführt; das macht die beiden Frauen zum Zeichen der Kirche.

Die beiden Frauen symbolisieren auch den Eindruck, den der Schöpfer  von der Menschheit haben muß: Durch eigene Schuld ist sie entweder zu töricht und zu unreif für dieses Leben und führt alles schlecht fort, was Gott gut angefangen hat, oder wenn sie weise geworden ist, dann hat sie nur eine unfruchtbare Weisheit und ist gelähmt, noch etwas zu tun. Durch das Wunder Gottes aber entsteht in dieser unreifen und unfruchtbaren Welt der Menschen die neue Welt Gottes.

Es ist nicht leicht, in der „Heimsuchung“ einen Abglanz der neuen Welt Gottes zu ahnen. Dennoch ist es beglückend, wie menschlich der Maler beide Frauen dargestellt hat. Allerdings ist Maria weniger als werdende Mutter dargestellt, sondern als auserlesene Frau, geklei­det in das Blau der Himmelskönigin. Doch mit der Konzentration auf den Bildmittelpunkt wird deutlich, wer den Augenblick der Begegnung regiert: der Erwartete, der Christus, der Herr. Vom Sohn her bekommt Maria ihre Bewertung, sie ist Beispiel und Vorbild des christlichen Glaubens.

 

Wer war Elisabeth?

Lukas erzählt, daß Elisabeth aus einem alten Priestergeschlecht stammt; sie war „von den Töchtern Aarons“ (Lk 1,5). Verheiratet ist sie wiederum mit einem Priester. Gleich ihrem Manne lebt sie untadelig und fromm und befolgt die Satzungen und Gebote Gottes. Weiter erfahren wir, daß sie unfruchtbar und schon älter  ist. Sie gehört also zu den Frauen in Israel, deren Status unsicher war, nicht nur, weil sie ohne Kinder niemanden hatten, der sie im Alter versorgte. Vor allem galten sie als vom Segen Gottes Ausgeschlossene.  Kinderlosigkeit wurde als Gottesstrafe und Schande vor den Menschen angesehen. Wofür strafte Gott diese Frau, wenn sie doch seine Gesetze befolgte? Die Schmach der Kinderlosigkeit, ihr damit verbundenes Leid wird durch die Ankündigung der Geburt des Johanns in Hoffnung und Freude verwandelt. Elisabeth ist mit Maria verwandt.

 

Wer war Maria?

Maria war ein junges Mädchen aus Nazareth, verlobt mit Joseph aus dem Geschlecht des David. Maria war dem Joseph  „versprochen“, das heißt: sie gehörte damit von Rechts wegen bereits zum Geschlecht Davids. Über ihre eigene Abstammung erfahren wir nichts. Dieses junge, unverheiratete Mädchen Maria ist schwanger. Der Bote Gottes weist Maria hin auf ihre Verwandte Elisabeth. Auf diese unerhörte Ankündigung antwortet Maria mit den Worten: „Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast!“

 

Die Begegnung der beiden Frauen:

Elisabeth lebte z/rückgezogen, verborgen in ihrem Haus, in einem kleinen Städtchen im Gebirge Judas. War sie nun glücklich über ihre späte Schwangerschaft? Oder war sie auch verunsichert und ängstlich? Jetzt im Alter, wo alles abgeschlossen und das Leben so gut wie vorbei ist, soll sie sich auf etwas Unbekanntes, Neues einstellen.

Ihr Leben in Verborgenheit empfinde ich aber eigentlich nicht als ein ängstliches Sich-Ver­stecken. Sie sucht die Stille, um sich auf das Neue vorzubereiten und einzulassen. In der Zurückgezogenheit gewinnt ihre alte Hoffnung Sinn und Leben. Als sie von ihrer jungen Verwandten aus dieser Stille geholt wird, reagiert sie auf Marias Gruß nicht als jemand, der gestört wurde und schnell zu sich zurück will, sondern als eine mit sich identische (d. h. mit sich einige) und Ruhe ausstrahlende Frau, die Geborgenheit vermittelt.

Maria dagegen kommt her von einem Ereignis, das sie zum Laufen brachte. Eilig, alles stehen und liegen lassend, weg aus der ihr vertrauten Umgebung, läuft sie ins Gebirge. Es scheint, als liefe sie vor etwas davon. Das, was sie tut, steht für mich im Gegensatz zu ihrer Zustimmung (V. 38). Lukas schildert zwar ihren Aufbruch so, als wollte sie schleunigst jemand anderem ihr Glück mitteilen. Hätte sie eine solche Partnerin nicht auch unter ihren Freundinnen und Nachbarinnen in Nazareth finden können? Ich habe eher den Eindruck, als suchte Maria einen Menschen, der ihr rät und hilft.

Sie läuft ins Gebirge. Damit tritt sie nicht eine bequeme Wanderung an, sondern einen gefährlichen, drei bis vier Tage dauernden Marsch. über hundert Kilometer hat sie zu gehen - in einem unwegsamen Gebiet. Ins Gebirge zögen sich diejenigen zurück, die sich verstecken mußten. Dort konnte Maria unter Räuber fallen. Sie geht allein, eilend, einen Weg voller Gefahren, einen Weg in die Einsamkeit.

Elisabeth öffnet einfach ihr Haus, ihre Arme, ihr Herz und ist ganz für Maria da. Sie stellt keine Fragen, bestürmt die Ankommende auch nicht mit den eigenen Neuigkeiten. Sie erfaßt Marias Lage und bringt ihr Verständnis und Bestätigung entgegen. Mit ihrer Annahme sagt Elisabeth Maria den Zuspruch Gottes. seinen Segen zu. In diesem (menschlichen) Beistand erfährt Maria in ihrer jetzigen Situation den Beistand Gottes.

Elisabeth hilft der jungen Verwandten, das neue Leben in ihr als Geschenk und heilvolle Möglichkeit Gottes zu akzeptieren. Diese Aufnahme und Annahme ermöglicht es Maria, ihren Weg, der auch weiterhin ein Weg „durchs Gebirge“ sein wird, zu gehen und auf diesem Weg Aussichten und Ausblicke wahrzunehmen. Vielleicht lernt Maria von der Älteren, daß Leben, Hoffnung und Zukunft nicht abhängig sind von Alter, Herkunft und Stand. Weil Elisabeth selbst erfahren hatte, daß Gottes Güte Leben bringt, darum konnte sie Maria ermutigen. Ihr „Gott ist mit dir“ stellt sich allen menschlichen Ängsten und Einwänden entgegen.

 

 

Pieter Breugel:  Die Volkszählung zu Bethlehem:

Viele Betrachter des winterlichen Bildes von Pieter Breugel werden sich daran freuen, ohne zu bemerken, worum es dabei eigentlich geht. Breugel malt ja auch das Leben, wie es sich an einem winterlichen Markttag in einem flämischen Dorf abgespielt haben mag, mit einem Einfallsreichtum, daß man sich gar nicht satt sehen kann. Man entdeckt immer wieder Neues: kreiselspielende Kinder auf dem Eis oder den Mann, der beim Abladen seines Brennholzes sich mit einem schweren Baumstamm abmüht, die Zimmerleute bei der Arbeit oder die schneefegende Frau, daneben die schlitternden Jungen oder am Rande des Weihers den Mann, der sich gerade seine Schlittschuhe anbindet.

Und wie viele Tiere lassen sich finden! Man könnte geradezu einmal einen Wettbewerb veranstalten, wer die meisten Tiere sieht. Jedenfalls wünschte man sich, genauso lebendig erzählen zu können, wie Breugel malt. Da gäbe es keine Langeweile.

Wir sollten wohl auch, wenn wir uns dem Eindruck des Bildes hingeben, die Farben des Originals bedenken. Es friert einen trotz der Schneelandschaft nicht. Die rot untergehende Sonne taucht alles in ein warmes Licht, das von den rotbraunen Häusern des Dorfes aufgenommen und wiedergegeben wird. Überhaupt diese Häuser unter ihren tief nach unten gezogenen Dächern! Man möchte dort wohnen, unter diesen Leuten seine Arbeit tun und sich mit ihnen der Welt und des Lebens freuen.

Wenn man sich erst einmal auf diese Weise dem Vielerlei des Bildes hingegeben hat, geht es einem merkwürdig: Die Augen werden wie von selbst auf die zuerst so unbemerkt gebliebene Mitte des Bildes gelenkt: Maria auf dem Esel und den gebeugt ausschreitenden Joseph. Die kleine Gruppe befindet sich gerade dort, wo die beiden Diagonalen des Bildes von links und rechts aufeinandertreffen - links vom Dach des Wirtshauses her und rechts die, die von dem Weiher gebildet wird.

Zuerst schaut man unwillkürlich auf das bunte Gedränge vor dem Wirtshaus; dort müssen sich die Leute anscheinend zur Volkszählung registrieren lassen. Dann gleiten die Augen an der Giebelfront des Hauses und den offenbar sehr bewußt angeordneten Bäumen entlang in die Tiefe des Bildes, um sich an den Häusern und dem Weiher am rechten Bildrand zurück­zu­tasten zu dem Geschehen, um dessentwillen das ganze Bild gemalt ist.

Trotzdem ist man erstaunt. Soll das ein Weihnachtsbild sein? Was mögen wohl die Zeitgenossen Breugels gesagt haben, die ganz andere Weihnachts- und Madonnenbilder gewöhnt waren?

Nun, so genau wissen wir das nicht. Wir können nur beobachten, daß er in seinen Bildern in einer damals ganz außergewöhnlichen Weise das Leben des einfachen Volkes festgehalten hat. So malt er auch hier dörfliches Leben aus, wo es um die Darstellung des Weihnachtsgeschehens geht. Kommt er dadurch der Weihnachtsbotschaft nicht näher, als wenn er Maria mit dem Kind auf Goldgrund oder im Paradiesgarten gemalt hätte?

Am meisten springt ins Auge, daß er von Weihnachten nicht wie von einer längst vergangenen Geschichte erzählt. Vielmehr stellt er die Volkszählung in Bethlehem in den Alltag der Menschen hinein, unter denen er lebt. Vielleicht müßte man es besser umgekehrt sagen: Wir werden mit unserem Alltag, mit unserem privaten, beruflichen und dem ganzen öffentlichen Leben in das Weihnachtsgeschehen mit hineingenommen.

Maria und Joseph sind ja der geheime Mittelpunkt des Bildes, wenn dieser auch sehr leicht zu übersehen ist. Gerade damit ist Breugel ein besserer Interpret der Heiligen Nacht als die meisten anderen Maler, die Weihnachtsbilder geschaffen haben. So verborgen und still handelt Gott tatsächlich, und so war es auch damals bei der Geburt Jesu. Mit all dem wird deutlich: Jesus Christus ist wirklich eingegangen in unsere Welt, ist ganz Mensch geworden. Sehr preisgegeben und schutzlos ziehen die Eltern unseres Herrn ihren Weg. Und doch ist dieser Weg Gottes guter Weg mit den Menschen.

So also sind wir dran: wohl auf der Wanderschaft, oft nur mit sehr wenigem, und dennoch zu Hause, dennoch geborgen, weil Gott ja gesagt hat zu dieser Welt, so schadhaft sie oft unter menschlicher Verwaltung geworden sein mag. Man vergißt alle Sorge, wenn man sich in dieses Bild mit hineinnehmen läßt und darin spazierengeht. Das „Friede auf Erden“ ist dort zur Wirklichkeit geworden (Heinz Blauert).

 

Toskana, 1042: Madonna mit Kind und Passionsszenen

 

 

Österreich, um 1350: „Christgeburt“

Das Tafelbild, auf Holz gemalt, ist 33 mal 24 Zentimeter groß. Es befand sich in Privatbesitz in Potsdam und wurde etwa 1920 im Münchener Kunsthandel von einem Berliner Museum erworben. Der Maler ist nicht zu ermitteln. Das Bild gilt als Werk der österreichischen Malerei um 1350. Der Maler ist stark beeinflußt von dem Italiener Giotto (1266-1327), besonders von der Arena-Kapelle in Padua (Darstellung der Engel, Anordnung der Hirten, Wiedergabe der Schafe, Einfügung der Schutzhütte).

Der Hintergrund ist eine Gebirgslandschaft. Zwei Felsen erheben sich äußerst schroff und steil und bilden in ihren braunen Tönungen den Hintergrund für das Weihnachtsgeschehen. Vielleicht hat der Maler an die Berge seiner Heimat gedacht und sie aus dem Gedächtnis dargestellt. Auf den kleiner Abplattungen können die Schafe liegen und die Hirten sicher gehen; auch Maria findet ein Lager auf dem Felsen. Die Landschaft ist voller Leben (Hirsch, Wildschwein, Bär, Hasen).

Rechts auf cbm Bild hören die Hirten die Botschaft des Engels und machen sich bereit für den Weg zur Krippe. Lobend und dankend wenden sie sich dem Verkündigungsengel über ihnen zu. Es ist, als wollten sie ihm mitteilen, daß sie nun gleich zum Christkind eilen wollen. Ihre Schafe liegen ruhig hinter ihnen. Abgebildet sind vier weiße Schafe mit zottigem Fell, zwei Jungschafe, hinter ihnen eine braune Ziege.

Die Engel am oberen Bildrand sind nur ein Ausschnitt aus der „Menge der himmlischen Heerscharen“. Sie sind nur mit den Oberkörpern dargestellt, die Unterkörper verschwinden in den Wolken. Der ganz rechts schwebende Engel ist betont den Hirten zugewandt. Der mittlere schaut voller Andacht mit zusammengelegten Händen auf das Kind in den Armen Marias. Die Engel gehören zur Welt Gottes, die durch den Goldgrund angedeutet ist.

Die Bildmitte wird eingenommen durch Maria und das Kind, dahinter Joseph. Maria liegt, eine Darstellung, die bis in die frühe Gotik üblich war. Sie ist in eine weiße Decke gehüllt, die leuchtend rotes Futter hat, das das ganze Bild beherrscht. Sie trägt ein blaues Kleid, umschließt das Kind mit beiden Armen liebevoll, ihr Gesicht nahe dem seinen. Um den Kopf ist ein weißer Schleier gelegt, dahinter sehen wir den golddurchwirkten Nimbus, den Heiligenschein. Ein Kissen im bräunlich gehaltenen Ton ermöglicht das aufrechte Liegen, so daß Maria mit ihrem Gesicht dem Beschauer zugewandt ist. Sie schaut das Kind an, zugleich aber auch gedankenvoll in die Weite.

Das Kind ist weiß eingebündelt, hat ein volles Gesicht, blonde Haare; das Köpfchen ist von einem kleinen Heiligenschein umgeben. Mit geöffneten Augen (anders als Neugeborene sonst) schaut es in seine Umgebung. Dicht am Lager steht die braune Krippe, die mit Heu gut ausgelegt ist. Vor der Krippe stehen Ochs und Esel, verhältnismäßig klein dargestellt; sie richten sich zur Mitte aus, als ahnten sie etwas von der großen Weihnachtstat Gottes.

Die Weihnachtsszene ist unter freiem Himmel angeordnet. Nur ein Schutzdach ist vorhanden, das auf vier schlanken Pfosten steht und in blau-grauem Farbton gehalten ist.

Demutsvoll in den Hintergrund gerückt, dennoch ganz zur Bildmitte gehörend, sehen wir Joseph. Er ist als nicht ganz junger Mann mit blondem Haupt- und Barthaar dargestellt. Versunken und mit Liebe schaut er auf Maria und das Kind. Den Kopf hat er in die linke Hand gestützt, in der rechten hält er den Wanderstab - ein Hinweis auf das Unterwegssein. Er trägt einen Reisemantel mit Kapuze in schönem grünlichem Farbton; blaue Ärmel schauen hervor und am Hals wird ein rötliches Tuch sichtbar, überall leuchtende und frohe Farben, in denen die Freude über das Kommen des Gottessohnes aufklingt.

 

 

Martin Schongauer (1445-1491): Anbetung der Hirten

 

 

Hieronymus Bosch (1450-1516): Geburt Christi.

Hieronymus Bosch lebte etwa von 1450 bis 1516 in Hertogenbosch in den Niederlanden. Das zeigen auch die Landschaft im Hintergrund und der schwer fallende Damast in der Bildmitte. Der Blick bleibt vielleicht zuerst auf dem Hirten hängen, der neugierig hinter dem Damast­vorhang hervorsieht. Der halb geöffnete Mund drückt freudige Überraschung aus; er bringt in die Gruppe Bewegung hinein.

Im Vordergrund rechts ist Joseph. Die schmalen Lippen zusammengepreßt hat er die Augen fest auf das Kind gerichtet. Er ist kein junger Mann mehr. Das Schicksal hat Spuren im Gesicht dieses Mannes hinterlassen. Nun fragt er: Wohin soll es hinaus mit diesem Kind? Er ist nicht erwartungsvoll wie der Hirte, sondern eher skeptisch.

Die linke Bildhälfte ist völlig bestimmt von der anbetenden Maria. Ihr zartes Gesicht, umrahmt von goldblondem Haar, hebt sich wirkungsvoll von dem dunkelgrünen Damast ab. Ebenso zeichnen sich die anbetend erhobenen Hände von dem Kleid ab, das in der derselben grünen Farbe wie der Vorhang gehalten ist. Grünlich schimmert auch das Tuch, das Maria um die Schultern gelegt hat. Sie wird von der Gruppe am stärksten hervorgehoben. Das wird noch unterstützt durch die beiden Tiere an ihrer Seite, die auch an der Anbetung teilnehmen; Maria und sie bilden die andere Gruppe um das Kind.

Der Maler hat das Bild so angelegt, daß der Kreis der um die Krippe Versammelten nach vorn hin offen ist. Als Betrachter sehen wir mit auf das Kind, das überirdisch zart, fast schwebend, auf dem wenigen Stroh liegt. Die steinerne Krippe hat einen Riß, der den zerrissenen Zustand der Welt anzeigt.

Wenn man in den Hintergrund schaut, kann es einen frösteln. Über der winterlich kahlen Landschaft ist ein kalter Himmel ausgebreitet. Daß es draußen kalt ist, würden wir auch ohne das lodernde Feuer spüren. Auch die Tiere frieren. Die Krähe rechts hat sich gegen die Kälte tüchtig aufgeplustert.

In er Ferne rechts ist eine Schafherde angedeutet, die der eine Hirte verlassen hat weil ihnen im Stall etwas zum Heil geschehen sein soll. Es scheint, als brächte er die Frage mit, ob da wirklich etwas für die Welt Bedeutungsvolles geschehen ist. Die Gruppe um das Kind ist aber unmittelbar in die Umwelt hineingestellt. Nicht irgendeine Weihnachtsstube, sondern die Erde wird durch diese Geburt heimatlich.

Je mehr man das Bild betrachtet, desto mehr wird man feststellen, daß es in seinen verhaltenen Farben ein schönes Bild ist. Doch man braucht Zeit, um in die Frömmigkeitshaltung einzudringen, aus der heraus es gestaltet ist. Aber die Menschen beginnen immer mehr und mehr zu sprechen.

 

Kirche in Ponikau (Kreis Großenhain): Altarbild

 

Mittelalterliches Bild:

So stellte man sich im frühen 15.Jahrhundert die Weihnacht vor: Gottvater aus dem Himmel schauend, das Christuskind im Strahlenkranz über der Erde sehwebend, von Engeln umspielt, von der lieblichen Maria angebetet, während die Hirten draußen auf dem Feld gerade die Engelsbotschaft empfangen. Aus dem Munde Gottes gehen Strahlen auf das Kind, eine konkrete Darstellung des Satzes: „Das Wort ward Fleisch!“.Der rote Himmel mit den sorgfältig aufgereihten Sternen, strahlt Frieden und  Geborgenheit aus. Die rote Schwinge des Engels über dem Kind deutet an daß das Kind etwas von dieser Geborgenheit mit auf die Erde gebracht hat. Das ist seine Herrlichkeit (nicht der Strahlenkranz), die sich auch in der Dunkelheit einer Grotte inmitten einer wenig einladenden Felsenlandschaft ereignet. Kein Wunder, daß der Maler der Maria die überwältigenden Worte des Thomas in den Mund gelegt hat: „Mein, Herr und mein Gott!“ (Latein).

 

 

Rogier von der Weyden: Die Anbetung der Weisen

Im Vergleich zu dem Bild von Martin Schongauer „Anbetung der Hirten“ fällt die große Pracht der Darstellung auf. Die Weisen sind zu glanzvollen Königen geworden. Das Bild ist die Mitteltafel des „Drei-Königs-Altars“, der auch „Columba-Altar“ genannt wird, weil er ursprünglich für die Columbakirche in Köln bestimmt war. Der linke Flügel zeigt die Verkündigung an Maria, der rechte Flügel zeigt die Darstellung Jesu im Tempel (an den Rändern finden wir eine Überleitung zu diesen Flügeln angedeutet).

Der Altar ist in der letzten Schaffensperiode des Meisters entstanden, etwa in den Jahren 1460 bis 1462. Wir bewundern mit Recht den geschlossenen Aufbau, die große Anschaulichkeit der Darstellung, die festliche Feierlichkeit; warme und kräftige Farben herrschen vor.

Eine strohgedeckte Ruine dient der Heiligen Familie als Obdach. Sie liegt etwas erhöht (links sind Stufen) in unmittelbarer Nähe einer prächtigen Kirche und ist nach allen Seiten offen. Es könnte auch ein nicht abgeschlossener Neubau sein, der den Eindruck macht, als würde man an ihm nicht mehr fertigbringen als eine notdürftige Deckung mit Stroh. Vielleicht handelt es sich auch um eine Kapelle.

Der Stern leuchtet golden vom blauen Himmel. Sehr hell und groß, aber halb verdeckt, steht er hinter dem Bauwerk. Mancher wird für einen Augenblick die Erscheinung am Himmel bewundern und dann wieder seiner Arbeit nachgehen. So macht es der Mann, der auf der Straße dahinreitet. Er hat andere Ziele als die Könige. Durch das offene Fenster blickt man über grüne Wiesen und Büsche zu einer Anhöhe und zu blauen Bergen in der Ferne. Die eigentliche Handlung vollzieht sich im Vordergrund.

Links sehen wir Joseph in Reisekleidung mit rotem Mantel, mit Stock und Hut und mit umgehängter Geldtasche.  Er steht in demütiger Haltung etwas abseits. Auf einem kleinen Hocker hat er das Gefäß abgestellt, das ihm der vorderste der drei Könige überreicht hat. Darüber frißt der Esel von dem Moospolster, auf das Maria das Kind gebettet hat. Joseph blickt nicht auf Maria und den König, sondern ins Leere. Er grübelt über das Kind und kann die Rätsel nicht lösen.

Maria sitzt neben der steinernen Krippe wie auf einem Thron. Sie ist festlich gewandet wie eine Fürstin mit einem reichen blauen Mantel, der auch das Haupt bedeckt, darunter einen zarten weißen Schleier. Sie ist schön und mädchenhaft zart, ihre Haltung ist bei aller Demut

fast königlich. Eine Strahlenkrone umgibt das Haupt. Sie macht kaum den Eindruck einer jungen glücklichen Mutter. Still und versunken sieht sie auf das Kind, das sie in die rechte Hand gefaßt hält. Ihre Gedanken scheinen ganz nach innen gerichtet zu sein. Vielleicht können wir sogar einen schmerzvollen Zug bei ihr feststellen.

Darauf kann auch das kleine Kruzifix über ihrem Haupt deuten. Er gehörte zwar damals zur Einrichtung einer bürgerlichen Stube des Mittelalters. Aber er ist doch mehr als ein Zimmerschmuck. Auf dieses Kreuz laufen alle Linien zu, es zieht immer wieder den Blick auf sich. An Weihnachten denken wir schon an die dunklen Stunden des Karfreitag, das Kind ist auch der leidende Meister.

Heute müssen wir erst recht, wenn wir an Weihnachten denken, alle Romantik und allen Familienzauber abtun. Die „Könige“ waren nach der Bibel ja Sterndeuter, die das enge Nebeneinander von Jupiter und Saturn auf einen König aus dem Volk der Juden deuteten. Und Maria ist keine Königin, sondern eine junge Frau, die so rechtlos und ungesichert auf der Wanderschaft ist wie Tausende anderer Frauen dieser Zeit.

Und das Jesuskind ist ein kleiner schreiender Säugling, schlafend und trinkend wie alle Säuglinge aller Zeiten. Das Kind auf Marias Schoß hat dennoch einen lebendigen und wissenden Ausdruck. Es ist sehr schön gestaltet und nicht mehr ganz klein. Die Strahlen um sein Köpf­chen unterstreichen, daß es der verheißene Gottessohn ist. Es scheint nicht verwundert über das Geschehen ringsum zu sein.

In das verfallene Gemäuer treten die Weisen von rechts ein. Hier sind sie als prächtig gekleidete Könige dargestellt. In verklärter Ergriffenheit kniet der alte König. Ehrfürchtig legt er die Hand unter die Füße des Kindes und führt mit unendlich zarter Gebärde die kleine Hand an seine Lippen. Wie ein Verdurstender aus der Quelle schöpft, so beugt sich der alte König zu dem Kind, um aus seiner Fülle zu nehmen Gnade um Gnade. Die prächtige Kopfbedeckung des Königs liegt auf dem Boden. Sein Gewand,  ein goldener Gürtel und die Tasche, der reiche Mantel, der Armreif und das Tuch über der Schulter sprechen von seiner Macht und seinem Reichtum. Aber in diesem Augenblick entäußert er sich aller Macht und verehrt nur das Kind.

Der zweite König will gerade auch in stiller Ehrfurcht vor dem Kind niederknien und in einem goldenen Gefäß sein Geschenk überreichen. Alle Herrlichkeit dieser Welt gehört dem Kind. Und die Hände halten nicht eigentlich das Gefäß fest, sondern sie  sind zum Gebet gefaltet.

Der dritte König begrüßt mit majestätischer Geste der Heiland und Retter (kunstgeschichtlich gesehen ist die freie Bewegung dieser Gestalt ein Fortschritt). Ein Page reicht ihm mit gebeugtem Knie die Gabe, die er dem Kind schenken will. Der stattliche Zug des Gefolges reicht bis weit auf den Wiesenweg und drängt sich durch den kleinen Eingang. Der große Reichtum in der Umgebung.

Ihnen stehen zwei Männer im Wege: Ein alter Mann mit weißem Haar und Bart wendet sich an den anderen mit dem Turban, faßt ihn am Arm und zeigt mit dem Finger zum Kind. Sie gehören zu denen, die auf den Messias warten. Aber sie sagen: Auch wieder nur eine Sekte, kein Messias. Am liebsten möchten sie der Leuten hinter ihnen sagen: „Geht nach Hause, hier findet ihr nicht die Wahrheit, sondern  nur Unsinn. Hier ist nicht Gott, sondern ein teuflisches Spiel!“ Wie anders dagegen die drei Könige, die mit entblößtem Haupt sich dem Kinde nahen, wie man einem König naht.

Der Maler ist hier von Gedanken der  „Brüder vom gemeinsamen Leben“ beeinflußt. Diese wollten in einer Zeit, in der die Kirche verweltlichte und veräußerlichte, eine Vertiefung und Verinnerlichung des Glaubens suchen. Sie verließen ihre Kirche nicht: Aber sie gründeten Gemeinschaften von Priestern und Laien. Sie waren überzeugt, daß Gott in die kleine Gemeinschaft von Christen komme, auch wenn man ihn in der großen Kirche nicht suche. In kleinen Kreisen wollte man an der eigentlichen Kirche bauen.

Ein kleines Gotteshaus, das erst im Entstehen ist, dort kann man das Kind finden. Es ist nicht in dem mittelalterlichen Dom, der groß und unversehrt am rechten Bildrand steht. Er hat mit der Szene nichts zu schaffen. Gott kommt dahin, wo Menschen sich unter dem Notdach einer wenig eindrucksvollen Kirche zusammenfinden, um das Kind von Bethlehem zu empfangen. Ob eine Kirche imposant erscheint, ist kein Maßstab. Ob sie Fassaden baut und Macht ausübt, ist kein Maßstab. Ob Christus in ihrer Mitte ist, das ist entscheidend, und zwar der leidende und sterbende Christus.

 

Meister der Stratonike-Hochzeit: Die Anbetung der Heiligen Drei Könige, Lindenau-Museum Altenburg

 

Jean Bourdichon (1457-1521): „Die Anbetung der Heiligen drei Könige“, aus dem Große Stundenbuch der Anna von Bretagne.

 

Lukas Cranach d. Ä.: Anbetung der Könige, Schloßmuseum Gotha

 

Edelgard Eisenblätter: „Heilige Familie im Dornenkranz“ (15 x 11 Zentimeter)

Die Eltern mit dem Kind sind unschwer als „heilige Familie“ zu erkennen; um sie herum ein geschlossener Dornenkranz .Alles ist nur sehr verhalten angedeutet, mehr durch Farbe als/ in ausgeführter malerischer Gestaltung. Das Bild mutet wie eine Farbe gewordener Gedanke an.

Zuerst fällt die Haltung der Eltern auf. Sie sind dem Kind innig zugewandt, die Köpfe über ihm geneigt, mit geschlossenen Augenlidern. Es ist eine Haltung, in der sich zugleich Zärtlichkeit und Anbetung ausdrücken. Ihre Körper bilden mit ihren Köpfen und Armen einen geschützten Raum, in dem das Kind voller Lebensfreude die Arme hebt.

Fast sieht es so aus, als säßen die Eltern mit ihrem Kind in einer engen Höhle. jedenfalls wird die kleine Familie von einem dichten Dornenkranz eingeschlossen. Der schwarze Pinselstrich ist die Grenze zwischen innen und außen: Drinnen ist Geborgenheit, Freude und Anbetung, draußen die andringenden Dornen.

Das Bild lebt von der Farbe. Da ist das satte warme Rot, mit dem Maria gekennzeichnet ist, das schöne tiefe Blau, das die ganze Bildmitte einschließlich der Gestalten durchdringt. Demgegenüber ist der bräunliche Farbton auf blauem Grund aufgetragen und dem Josef zugeneigt, fast unansehnlich. Das Weiß wirkt sehr lebendig, vor allem durch die im Verhältnis zu den Gestalten übergroßen schwarzen Dornen. Die Farben Rot und Braun erscheinen wie zwei Blütenblätter in einer Knospe, die alsbald den weiß-schwarzen Kranz sprengen werden.

Hintergrund für den Kopf des jungen wieder (ein Kopfkissen?). Die enge mütterliche Verbundenheit zu dem Kind wird dadurch betont. Die Haltung der Maria drückt aber auch Anbetung  aus. Sie ist Zeugin des wahren Menschseins Jesu, aber auch seines in Gott gegründeten Ursprungs.

Es wird keine Idylle gezeigt, sondern die Gegenwart des Kreuzes deutlich gemacht. .Der Dornenkranz ist Hinweis auf Lebensweg und Auftrag Jesu, zeigt aber auch. die Weltwirklichkeit, in der Weihnachten geschieht. Darüber hinaus heben die Dornen in der Marienfrömmigkeit eine große Rolle gespielt: „Maria durch ein Dornwald ging!.....da haben die Dornen Rosen getragen!“

 

Gerhard Marcks: Ruhe auf der Flucht (Holzschnitt 1946)

Der Maler wurde am 18. Februar 1889 in Berlin geboren und übernahm von 1920 - 1925 eine Lehrtätigkeit am Bauhaus in Weimar und an der Kunstschule Burg Giebichenstein bei Halle, die er seit 1928 leitete. Aber 1933 wurde er aus seinem Amt entlassen und seine Werke wurden unter die „entartete Kunst“ gerechnet. Er wohnte dann in Niehagen (Darß). Von 1946 - 1950 war er Professor an der Kunstschule Hamburg, danach lebte er in Köln.

In der christlichen Kunst ist die Flucht nach Ägypten vielfach dargestellt worden. Offensichtlich haben viele Generationen die Flucht als Erfahrung ihrer Zeit ins Bild zu bringen vermocht. Der Holzschnitt „Ruhe auf der Flucht“ ist 1946 entstanden, als Marcks in einer Ecke des Haupt­bahnhofes von Hannover eine müde und sich ausruhende Familie entdeckte Der Bezug zur „Ruhe auf der Flucht“ drängte sich dem Künstler auf. Zum alltäglichen Sprachschatz dieser Jahre gehörte das Wort „Flüchtling“. Jeder wußte, was für Leute das sind.

Der heutige Betrachter erinnert sich an Fernsehbilder und Zeitungsfotos von Flüchtlingen.

 

 Der Blick fällt sofort auf das weiße Feld fast  in die Mitte des Bildes. Die Linien darin führen zur wirklichen Mitte, dem Oval (fast einen Kreis) der Beziehung zwischen dem Gesicht Marias und dem des Kindes. Eine junge Mutter hält den kleinen Kopf eines Neugeborenen zart und behutsam in der Hand. Geschützt im Schoß der jungen Mutter ruht das Neugeborene.

Ein großes Tuch bietet Schutz vor der Kälte der Nacht, dargestellt in den schwarzen Wolkenflächen eines dunklen Himmels. Hier ist Leben, Vollkommenheit und Schutz.

Die Mutter sitzt auf der Wurzel eines Baumes, der ein wenig aus der Richtung gewachsen ist und in seinem geschwungenen Wuchs dem Oval von Mutter und Kind angepaßt ist. Er muß aber offensichtlich eine gute Wurzel haben, denn der Wuchs hörte nicht auf, und er bietet der Mutter Schutz. Zart streicheln und berühren die Zweige Schulter und Rücken der Mutter. Stamm und Zweige sollen den Eindruck von Schutz und Ruhe unterstreichen. Gleichsam zart streichelnd berühren die Zweige Schultern und Rücken der Maria. Die Verbindung der Erfahrung von Liebe und Jesu Lebenserfüllung kann der Betrachter angedeutet finden in dem Baum, in dessen Gestalt auch ein Maria und das Kind berührendes Kreuz enthalten sein kann.

Der Baum leitet den Blick weiter auf die Mauer, die mit einem Winkel einen umfriedeten Raum andeutet. Das andrängende Nachtdunkel kehrt in den Schwarzschichten der Mauer wieder. Die nach oben geschwungene Schutzmauer bietet der ruhenden Familie einen umfriedeten Raum.

In dem umfriedeten Raum kann man ein zweites Oval wahrnehmen, in das der zusammengekauerte, mürrisch dahingrübelnde Mann hineingehört. Hier finden sich (anders als in dem anderen Oval) nur In-sich-Versinken und Resignation, wegen der zugehaltenen Ohren ist auch keine Hörmöglichkeit da. Wie ein großer Stein hockt der zusammengekauerte Joseph ein Stück entfernt von Mutter und Kind, über ihm das Schwarz der Mauerschichten und der Nacht; mahnt ihn der Vogel, will er diesen in sich versunkenen Mann rufen, wecken? Soll er den Weg, der morgen zu gehen ist, bedenken, erkunden? Die Linie, die von den Füßen Marias zur linken Bildkante führt, und die Linie, die von den Sandalen Josephs in derselben Richtung läuft, scheinen sich zu einem Weg zu vereinen. Es ist der Weg, den sie morgen gemeinsam gehen werden, wenn sie aufbrechen und diese „Station“ verlassen werden.

Die Haltung des Joseph wird meistens zu wenig beachtet. Dieser bescheidene Vater drängt sich nach dem biblischen Zeugnis nirgends in den Vordergrund. Er liebt und beschützt das Kind und seine Mutter, er läßt das Kind im Mittelpunkt und dient beiden. Damit hat er dem Kind eine Erfahrung der Liebe vermittelt, die den Heranwachsenden befähigt, wertend zu vergleichen und etwa eine heuchlerische Beziehung, Verlogenheit, zu durchschauen.

Der Vordergrund ist von schattenlosem Licht überflutet. Im Gegensatz dazu ein schwarzer Hintergrund mit drohend dunklen Wolken. Der Ausdruck der Hoffnungslosigkeit des Mannes entspricht dieser Dunkelheit und stellt die Helligkeit des Vordergrundes fast in Frage.

Als Gegenüber zu den bewegungsvollen Zweigen schwingt sich auf der anderen Bildseite ein Vogel durch das Dunkel der Nacht. Die Hoffnungslosigkeit aber wird aufgebrochen durch den in leichtem Bogen aus dem Bereich des Dunkels heranfliegenden weißen Vogel, der mit seinem menschlichen Gesicht wohl eine Botschaft für diese Menschen heranträgt. Der Vogel blickt über die Mauer gleichsam als Zeuge und Bewacher der ruhenden Flüchtlingsfamilie, als sei es nötig, daß es andere oder gar alle wissen sollen, wie es dieser Familie, diesem Kind ergeht.

 

Die Ruhe gibt Zeit zum Überdenken und zu einer neuen Zielverabredung auf Grund neuer Einsichten. Die schwarzen Wolken werden eine Realität bleiben. Der Vogel kann Anlaß geben zu weiterem Sehen: Ist es die Taube des Noah, die als Bote des Friedens kommt? Ist es die Taube von Pfingsten, die den Geist Gottes sinnbildlich verkörpert und damit Hoffnung zu einem zielgerichteten Vertrauen und Handeln werden läßt? Der Vogel kann Symbol der Hoffnung sein für die Fluchtweg-Station, gegen resignierendes Ruhen auf unsicherem Weg, selbst in Leiden und Tod.

Aber der Bote wird nicht wahrgenommen, denn Maria und Joseph sind noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Aber dieser Bote wird den Kreis der Niedergeschlagenheit durchfliegen und zerschneiden. Damit wird dieser Ort zur Station der Hoffnung. Innerhalb dieser Mauern wird Leben garantiert, hier steht andeutungsweise der Baum des Lebens. Die Geschichte der Menschheit hat ihn gezeichnet, hat Kreuze entstehen lassen. Aber aus der Vielzahl der Kreuze ist ein Kreuz nach dem Willen Gottes geworden, das als Holz des Lebens auf den neuen Garten Gottes weist. An dem Baum sind Ruhe und Besinnung möglich, hier werden Kräfte des Friedens freigesetzt und ermöglichen Hinwendung zum neuen Leben. Angelehnt an die Wurzel wird die Mutter zur Wurzel für das neue Leben.

Fragen zu diesem Bild:

Wir leben in gesicherten Verhältnissen. Aber sind wir nicht trotzdem auf der Flucht vor uns selbst, vor Menschen, Sachfragen?

Wo hat unser Leben seine Ruhepunkte und Brunnen, aus denen wir Hoffnung schöpfen können?

Wie gehen wir mit den Zeichen für Frieden und Hoffnung um?

Ist die Angst vor den dunklen Wolken in unserem Leben stärker und bestimmender?

Oder sind Ruhe und Gelassenheit tragende Elemente unseres Glaubens an Jesus Christus?

 

Robert Eberwein: Ruhe auf der Flucht.

Der Linolschnitt „Ruhe auf der Flucht“ wirkt unbeweglich und statisch: Maria und Joseph mit dem Jesuskind ruhen auf ihrer Flucht nach Ägypten irgendwo in der Einöde der Wüste aus. Das Bild setzt sich aus drei Motiven zusammen: der fast ausschließlich mit geschwungenen Linien gestalteten jungen Frau mit ihrem Kind -  dem mit gerade Strichen geschnittenen jungen Mann - dem bizarren Baum, hinter dessen Ästen ein großer Himmelskörper steht, der Sonne und Mond zugleich symbolisiert.

Die auf der Erde sitzende Frau vermittelt ein Gefühl der Geborgenheit. Ihr Blick ist auf das Kind in ihrem Schoß gerichtet. Sie beugt sich über das Kind, so daß sie es von allen Seiten umgibt. Es steht ganz und gar im Mittelpunkt. Mit der einen Hand hält sie es fest, damit es in seiner Lebensfreude nicht zu Boden fällt. Mit der anderen Hand rückt sie ihr Kopftuch zurecht, um sich und ihrem Kind etwas Schutz zu geben. Das Kind fühlt sich in dieser Geborgenheit sichtlich wohl. Es schaut den Betrachter an und streckt ihm beide Arme entgegen, als wolle es sagen: „Ich hab' dich lieb!“

Auch der Mann schaut aus dem Bild heraus, aber in die Ferne. Es ist ein entschlossener und klarer Blick, wie seine ganze Haltung voller Entschlossenheit ist. Die eine Hand umfaßt einen kräftigen Stab, der mehr ist als ein Spazierstock für alte Menschen oder gebrechliche Menschen; er ist eine Waffe, um andrängendes Unheil abzuwehren. Die andere Hand ist halb hinweisend, halb schützend ausgestreckt. Für sich genommen wirkt die Gestalt fast etwas langweilig, aber man kann ihn nicht allein betrachten.

Die linke obere Ecke ist beherrscht von einem knorrigen Baum. Der vom Meer in das trockene Land einfallende Wind hat ihn nicht senkrecht aufwachsen lassen. Doch nun steht er fest in das Erdreich gekrallt da, wenn auch mit wenigen Blättern. Viel Schatten vermag er nicht zu spenden. Das sinkende Himmelsgestirn wird durch seine Zweige kaum verdeckt. Tag und Nacht sind hier in  e i n e m symbolisch dargestellt, Symbol auch für das ganze Leben und die Welt im Ablauf der Zeit.

Die Gestalt der hockenden Frau durchzieht auf der linken Seite eine Gerade. Sie zeigt auf die schützend ausgestreckte Hand des Mannes und auf das Himmelsgestirn. Diese Diagonale hält alle drei Bildteile zusammen. Der Mann ist aus dem Bild nicht wegzudenken, denn das Tuch der Frau könnte kaum vor Wind, Sand und Sonne schützen, es könnte kein Gefühl der Geborgenheit aufkommen.

Das Kind ist nicht nur für die Frau der Mittelpunkt, sondern überhaupt die Bildmitte. Auch der Mann ist auf das Kind orientiert, obwohl er so aufgerichtet und unbeweglich dasteht. Das hat der Künstler mit einer geschwungenen Linie angedeutet, die von Schulter zu Schulter führt und die auf das Kind hinschwingt (ein Tuch oder ein umgehängter Beutel könnte diese Linie sein). Selbst der schräge Stamm des Baumes streckt seine Wurzeln zu diesem Mittelpunkt hin aus.

Das Kind ist - außer der Sonne - die einzige Figur im Bild, die ganz weiß gestaltet ist, obwohl es gar nicht von der Sonne beschienen wird: Es leuchtet aus eigener Kraft, und der Schein, der von ihm ausgeht, strahlt von den Gesichtern der jungen Leute wider.

Der Künstler hat nicht eine kleine Familie und ihre Beziehung zueinander darstellen wollen, sondern die Menschen, in deren Leben dieses Kind eingetreten ist. Ohne die Eltern wäre nur eine kalte und erbarmungslose Welt dargestellt. Warm und heilig aber wird die Welt dort, wo Menschen in den Bannkreis dieses Kindes kommen. Dieses auf Hilfe angewiesene Kind verwandelt die Welt. Aber seine Geborgenheit ist nicht ohne Hingabe und Entschlossenheit zu haben, von allein ändert sich nichts (Hände und Füße sind sehr groß gezeichnet!)

 

Herbert Seidel: Uns ist ein Kind geboren.

Das soll Weihnachten sein? fragen wir. Wir wissen doch, wie ein Weihnachtsbild sein muß: ein niedliches Kind in der Krippe, eine anmutige Maria voller Freude, Joseph steht schützend dabei, dazu Ochs und Esel, die Hirten, die Weisen. Auf diesem Bild aber ist nichts davon zu sehen

Da ist eine nüchterne Straße mit dunklen Häusern, hier und da leuchtende Fenster, hinter denen es gewiß warm und gemütlich ist. Auf der Straße sind Menschen, die es eilig haben. Jeder hat bestimmt viel vor. Sie haben keine Zeit. Wenn sie nach der Uhr sehen, dann stellen sie fest: Es bleibt uns nur noch wenig Zeit, wie sollen wir das nur alles schaffen!

Der Mann mit der Aktentasche biegt gerade eilig um die Ecke. Ihm kommt wohl ein Windstoß entgegen, gegen den er ankämpft, damit er nicht umgeweht wird: nur schnell weiter, damit er die zugige Ecke bald hinter sich hat. Vor lauter Eile sieht er nicht den Vordermann und wird ihm gleich mit dem Kopf in den Rücken rennen vor lauter Hast.

Neben ihm steht links ein Mann, der stehengeblieben ist und nach der Uhr zu sehen scheint. Mit fast verzweifelter Gebärde stellt er fest: „Schon sechs Minuten vor halb zwei!“ (auf einer anderen Wiedergabe des Bildes fehlen die Zeiger). Neben ihm ist eine Tür zu erkennen. Es sieht aus, als wolle er dort hineingehen. Ist er hier zu Hause, endlich angekommen, geschafft!?

Der dritte Mann im Vordergrund hat einen Augenblick mit dem Schritt gezögert und nach der Seite geschaut, während die beiden Männer im Hintergrund mit großen Schritten ihren Weg gehen.

Nur die Leute rechts scheinen Zeit zu haben. Sie warten. Ihr Leben läßt sich nicht mit der Uhr messen. Es sind eine Mann und eine Frau mit einem Kind. Das Kind ist hier das Wichtigste, ihr Reichtum. Sie stehen da wie ein Fremdkörper im Getriebe der Welt und warten, daß einmal jemand Zeit hat, und nicht nur für ein paar Sekunden, sondern wirklich Zeit.

Auf dem dunklen Bild ist die Straße sehr hell. Es ist nicht zu erkennen, woher das Licht kommt. Es scheint aus der Ferne zu kommen, die Lichtstrahlen werden immer breiter und helfen die Mitte des Bildes richtig zu sehen: das Elternpaar mit dem Kind auf der Armen, die Mutter, die es bergend festhält, und der Vater, der etwas hilflos und ratlos dabeisteht, weil er nicht weiß, was nun werden soll.

Der Mann mit der Mütze blickt wenigstens hin. Aber er wird vielleicht auch gleich mit einem Achselzucken weiterlaufen, weil ihn das doch nichts angeht. Aber das ist die Frage, die der Künstler uns stellt: Laufen wir in der Weihnachtszeit auch nur herum, kaufen ein und feiern, gehen aber an Christus vorbei. Zum Christfest gehört auch, daß wir sehen: Da ist ein Mensch traurig und voller Sorgen, da braucht einer Hilfe.

Vor 2000 Jahren hieß es: Sie hatten keiner Raum in der Herberge! Heute liegt es nicht am Raum, sondern an der Zeit. Noch leuchtender als das Licht auf der Straße kommt Gottes Botschaft zu uns: „Siehe, ich verkündige euch große Freude: Euch ist heute der Heiland geboren! Doch die Uhr mahnt uns, daß es auch einmal zu spät sein könnte.

 

Herbert Seidel: Anbetende Hirten (Linolschnitt 1961)

Nur mit ganz wenigen, aber deutlichen Strichen ist hier eine Szene der Weihnachtsgeschichte dargestellt. im Hintergrund ist sehr sparsam eine Stadt angedeutet. Es könnte der Ort sein, in dem wir leben.

Rechts in der Ecke sehen wir Maria mit dem Kind, das ihr weiter Mantel ganz und gar umhüllt. Von dem Kind sieht man nur das Köpfchen. Aber der weite Mantel macht deutlich: Gott selbst hat seine Hand schützend über dieses Kind gebreitet; aber die Person Jesu ist auch verhüllt.

Zu diesem Kind kommen vier Hirten. Der erste kniet vor dem Kind. Sein Blick ist auf das Kind gerichtet. Er hält die Hände nach ihm ausgestreckt, wollte er es zart berühren. Es könnte aber auch sein, daß er die Hände zum Gebet zusammengelegt hat. Die hinter ihm stehenden Hirten sind im Begriff, sich vor dem Kind zu beugen. Sie sind ganz auf das Kind gerichtet, ihre Hände in der Bewegung hin zu ihm. Der vierte Hirte dagegen steht aufgerichtet und schaut von dem Kind weg. Vermutlich ruft er noch weiteren Hirten zu: „Kommt, hier ist es!“ Sein einer Fuß zeigt noch an, aus welcher Richtung er zu dem Kind gelaufen ist. Er ist die Verbindungsfigur zwischen denen, die schon beim Kind sind, und denen, die erst

noch kommen werden.

Die linke Hand des vierten Hirten deutet auf die drei Hirten neben ihm. Verbindet man die Hände der drei ersten Hirten, dann zeigt das Ende dieser Verbindungslinie auf die Knie des ersten Hirten: Vor diesem Kind muß man einfach auf die Knie fallen! So geht das Bild an seinem Rand weiter, dort werden die eingeladen, die nichts von diesem Kind wissen.

 

Walter Habdank: Der vierte König

Heinrich Erlau erzählt eine Legende, in der es um den jugendlichen König Coredan geht, der in einem Traum über einer Unmenge verkrüppelter Leiber einen hellen Stern sah und dazu eine Stimme hörte: „Nur wer alles Elend dieser Welt gesehen hat, wird König sein!“ Von einem ungekannten Glücksgefühl getrieben brach er auf, als am Himmel tatsächlich ein unvergleichlicher Stern erschien, der nach Auskunft seines Astrologen die Geburt eines großen Herrschers ankündigte.

Zuerst in Begleitung eines großen Gefolges verließen ihn doch im Verlauf seiner überaus widrigen Reise alle seine Gefährten. Zum ersten Mal in seinem Leben entdeckte Coredan, wie sehr die Welt im Argen lag. Wohin er kam, überall empfingen ihn Not und Elend. Was er hatte, das gab er hin, um die Not zu lindern. Je mehr er in die Häuser der einfachen Leute kam und ihre Nöte teilte, desto mehr gingen ihm die Augen für das Elend unter den Menschen auf. Schließlich ausgeplündert von denen, mit denen er sein letztes Brot geteilt hatte, gab er sich selber zum Sklaven hin für einen Nichtsnutz, dessen Schulden zu groß geworden waren, als daß er sie je hätte abtragen können.

So brachte er dreißig Jahre im Tretrad eines Lastkrans zu, mit dem ein reicher Kaufmann am Hafen seine Schiffe entladen ließ, bis er endlich von dem Sohn jenes durch sein Eintreten freigegebenen Schuldsklaven selber freigekauft wurde.

Wieder von seinem alten Traum getrieben machte er sich erneut auf, kam nach Jerusalem und erkannte in Jesus auf seinem Weg ans Kreuz den gesuchten König. Vor dem Gekreuzigten verlassen ihn die Kräfte, glücklich,- im Antlitz Jesu die Heimat aller Erniedrigten gefunden zu haben.

In seinem Weihnachtsbild verlegt Habdank beides in das Weihnachtsgeschehen: Den Aufbruch dem Sterne nach und das Finden am Ende des Lebens. Er hat das Thema noch einmal in einer zehnteiligen Bildfolge gestaltet, in der sich aber dieses Bild nicht findet.

Die Mutter scheint zugleich froh und besorgt zu sein, fragend und ahnungsvoll. Behutsam umfassen ihre Hände das Kind. Noch können sie es schützen und tragen. Aber wie lang werden. sie das Kind vor den Erwartungen bewahren können, die ihm schon jetzt entgegengebracht werden. Maria ist (wie in der Weihnachtsgeschichte) die einzige Frau unter all den Männern1n

In der rechten Bildhälfte im Rücken des Kindes befindet sich eine zweite Dreiergruppe, die ganz dem Kind zugewandt ist, mit offenen Augen, staunenden und fragenden, anbetenden und hoffenden Augen .Auch die erhobenen Hände des vorderen Mannes sprechen aus: Flehen und Anbetung. Fast scheint es, als sei dieses Bild nur Augen und Hände.

Im Hintergrund hinter dem Greis bricht ein einsamer Reiter aus der dunklen Geborgenheit eines tiefen Blaus auf, einem glänzenden Stern nach, dem hellen Licht entgegen, das von dem Kind ausgeht. Hier schaut der Maler in einem Bild zusammen, was durch ein langes Leben getrennt ist: den erwartungsvollen Aufbruch, hoch zu Roß und voller Hoffnung, um den zu finden, der die Welt heil und das Leben erfüllt macht, -und den Ausgang dieses Lebens, das erfüllt war von Lasten und Leid, von Enttäuschungen und Irrwegen, wie es das Gesicht des Greises ahnen läßt.

Nun aber ist er am Ziel. Gebeugt sucht er die Nähe des Kindes. Seiner müden Hand kommt die des Kindes entgegen, liebevoll und behutsam. Diese Bewegung ist die Mitte des Bildes: Zuwendung und Bestätigung, Sinn und Ziel, ja Krönung eines Lebens, das unter seiner Last und im Teilen des Leides vieler müde geworden ist.

 

S .E. Bottey (Haiti): „Geburt Christi”

Leicht liegt der blaßblaue Himmel über allem. Er trägt einige schlanke Wolken. Rechts und links steigen zwei Berge faltig und kahl auf. Es ist eine karge Landschaft, obwohl das Klima tropisch ist. Bis zu 2.680 Metern klettert in Haiti die Gebirgskette hinauf. Dazwischen gibt es Senken, Raum für eine karge Landwirtschaft.

In der Mitte zwischen den Bergspitzen erhebt sich ein Zuckerrohrdach, das Schatten über einen Lattenverschlag spendet und vor Nässe schützt. Unter dem Dach farbige Menschen vor einer hellen Bretterwand: Rotbraun die Mutter, der Vater, das Kind. Die Mutter neigt sich zu ihrem Kind. Sie ist so zart, daß sie fast gänzlich hinter ihren himmelblauen Umhang zurücktritt. Ihre Hände halten eine Stärkung bereit: Vielleicht ist ihr Leib erschöpft und kann nicht mehr nähren.

Das Kind streckt sich behaglich, die Arme über dem Kopf zeigen eine ruhige Geborgenheit. Aber es liegt bloß auf einem weißen Windeltuch über einer Schütte Maisstroh.

Der Vater, majestätisch in seiner Haltung, hat eine Löwenmähne und schrägstehende, fast grimmige Augen. Er wacht, auf einen Stock gestützt, über Mutter und Kind. Er hat einen freundlichen Mund. Seine Kraft wird er brauchen für die Familie.

Zwei tropische Bäume neigen sich vor dem Kind. Ein Esel schreit, ein Rind senkt die Hörner. Eine Frau und ein Mann tragen Güter des Landes heran. Hier ist Frieden. Von der Hütte her geht ein weiter Weg in die Welt, breiter werdend und mehr und mehr das Bild ausfüllend, hier kommt alles aus der Mitte her: von der Spitze der Hütte entwickelt sich das Geschehen über die Ränder des Daches zum Weg und von dort nach links und rechts zum Bildrand. Das spitze Dach wiederholt sich im kegligen Strohhaufen - und darauf liegt das neugeborene Kind versorgt von der Mutter, geschützt vom Vater, geehrt  Vieh und Menschen.

Zieht man die Linien vom Kind zu den beiden Ecken des Bildes, entsteht ein fast gleichschenkliges Dreieck, dessen Spitze bei dem Kind mündet. Auf der unteren Geraden bewegen sich Menschen gleichzeitig von beiden Bildseiten her und gehen, zum Kind: Sie tragen Bananen und Maniok, Kokosmüsse und Mais, Zuckerrohr und Melonen. Was das Land bietet, bringen sie dem Kind. Die Menschen freuen sich aber mehr über das Kind als über Früchte und Vieh.

Der Betrachter selber ist noch vor dem Zaun. Aber die Menschen nehmen ihn mit zur Mitte. Sie stecken an mit ihrer Freude: Der Retter ist geboren! Sie sind arm und bringen doch viel zum Kind. Es gilt, daß auch wir uns sputen und zum Kind gehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Krippenspiele

 

Es ist noch kein Krippenspiel, wenn der Pfarrer zehn Konfirmandinnen und Konfirmanden in zwei Reihen vor den Altar stellt und sie etwas ablesen läßt und hinter ihnen steht und bei Bedarf das Vorlesen noch verbessert. Ein Krippenspiel ist wirklich ein S p i e l, bei dem auswendig vorgetragen wird und möglichst der ganze Kirchenraum ausgenutzt wird. 

 

Krippenspiel oder nicht?

Man sollte das Krippenspiel in der Christvesper nicht aufgeben. Aber es darf nicht zur Verharmlosung werden und muß in anderes eingebaut werden. Aber Weihnachten fällt nicht aus, wenn es kein Krippenspiel gibt. Darum muß man nicht unbedingt ein Krippenspiel auf die Beine bringen Darum braucht man nicht alle guten und schlechten Krippenspiele durchzulesen oder gar aus dreien, die nicht ganz gefallen, ein viertes

Basteln Man kann die Feiern am Heiligen Abend  auch anders gestalten, mit Singen und Musizieren, mit einem oder mehreren Sprechern, mit einem Flanellbild usw. Man braucht nicht krampfhaft nach Spielern zu suchen, die weder sprachlich noch spielerisch befähigt sind, noch viel weniger aber braucht man seine ganze Überredungskunst zu benutzen, um „irgendwelche Leute“ zum Spielen willig zu machen.

Es ist ein verständlicher Wunsch mancher Pfarrer, nach ihren eigenen Ansichten die Gemeindeglieder erziehen und ausrichten zu wollen. Aber zur Gemeinde gehören nicht nur Intellektuelle, sondern auch Kinder und viele, denen visuelle Eindrücke das Erfassen von Glaubenswahrheiten erleichtern oder sogar überhaupt erst ermöglichen. Für die Predigt steht am 1. und 2. Weihnachtsfeiertag und vielen Sonntagen genügend Zeit zur Verfügung.

Aber eine Predigt sollte an Heiligabend nicht fehlen, auch wenn das Spiel an sich genug Predigt ist. Es ist besser, die Gemeinde erst durch eine warmherzige Ansprache in das Geschehen von Weihnachten einzuführen, am Schluß aber das Bild des Krippenspiels stehen zu lassen.

Die Gemeinde erwartet einfach die Predigt. Diese sollte aber nur halb so lang sein wie sonst und auf das Spiel Bezug nehmen. Sie könnte auf das Besondere dieses Spiels hinweisen und ein oder zwei Sätze besonders hervorheben. Das heißt: Die Predigt gehört v o r das Spiel, wenn es sich erst anschließt, ist die Aufmerksamkeit nicht mehr so da.

Die Weihnachtspredigt steht in der Gefahr, entweder zu verniedlichen oder zu dogmatisieren. Deshalb sollte man den symbolischen Gehalt darstellen:

Franz von Assisis beschenkte Aussätzige. Aber je länger es dauerte, desto mehr spürte er: Es war eine Hilfe von oben herab! Deshalb kehrt er um und zieht das Gewand eines Aussätzigen an. So zieht auch Gott das Bettlergewand an.

Ein belgischer Pater soll in einem Aussätzigenlager predigen: Am Rande des umzäunten Lagers ist eine Kanzel eingebaut, von der er zunächst predigt und Geschenke verteilt. Aber dann geht er selbst in das Lager hinein, darf aber nun nicht mehr herauskommen. Er infiziert sich, lebt aber noch 15 Jahre dort. Als sein Sarg aufgebahrt wird, sagt der belgische König. „Er war einer der größten Belgier!“

 

Für die ganze Familie:

Am Heiligen Abend aber erwarten viele Gemeindeglieder eine Christvesper für die ganze Familie. In ihr sollte nach Möglichkeit ein Krippen- oder Weihnachtsliederspiel nicht fehlen, damit auch die jüngsten Familienglieder etwas von der Besonderheit des Weihnachtsgeschehens verspüren. Hier sollte man - ohne Rücksichtnahme auf die Kritiker - die Gemeinde auch die ihr liebgewordenen volkstümlichen Lieder singen lassen wie zum Beispiel „Stille Nacht“ und andere. Die Christvesper ist nicht zur Erziehung der „Randsiedler“ da. Auch sie muß volkstümlich bleiben und deshalb auch die Weihnachtslieder bieten, welche die Gemeinde liebt und welche auch die „Randsiedler“ mitsingen können.

Raum:

Einige sind der Meinung, wenn Krippenspiele in einem Familiengottesdienst angeboten werden, dann sollte dies aber nur in einem hierfür geeigneten Raum geschehen - also nicht in kalten Großkirchen. Andere wieder sind entschieden dafür: Es wird an Ort und  Stelle geübt. Die Versuchung, die ersten Proben im geheizten Raum durchzuführen, ist sehr groß, und man erliegt ihr immer wieder. Aber damit geht viel Zeit verloren haben, weil man später zu viel umarbeiten muß. Oft gehen die Auf- und Abgänge in alle Himmelsrichtungen und dann weiß man nicht, woher man kommen sollen und wohin man gehen kann. Es stimmt überhaupt dann nichts mehr mit den Schritten, die zu den Sätzen paßten, und den Bewegungen zum Spielpartner, denn da, wo er sonst stand, steht jetzt der Taufstein!

 

Erwachsene Spieler:

Krippenspiele sollten ernst genommen werden und auch für die erwachsenen Glieder der Familie ein Erlebnis bedeuten. Deshalb sind einige der Meinung, Sprechrollen und Sologesang sollten grundsätzlich nicht Kindern, sondern nur erwachsenen Gemeindegliedern übertragen werden. Das in der Übernahme solcher Rollen liegende Bekenntnis von Erwachsenen ist eindrucksvoller, als wenn Kinder nur ein kindliches Spiel vorführen. Die Kinder könnten in den Chören und Bewegungsgruppen ihr Betätigungsfeld finden: als Hirten, Engel, Angehörige des Volkes usw. und zwar möglichst in einfachen oder angedeuteten Kostümen.

Das Problem ist nur, auch wirklich Erwachsene zu finden. Besonders die Rolle des Joseph ist immer schwer zu besetzen. Das Alter von 18 Jahren dürfte hier die obere Grenze sein. Auf eine gute Mischung kommt es an: Konfirmierte Jugendliche, Schulkinder der 1. bis 8. Klasse und auch ganz Kleine, die zum Beispiel dann „stumme Engel“ darstellen können und mit den Jahren in größere Aufgaben hineinwachsen. Aber es ist ungünstig, wenn man nur Kinder bis zehn Jahre hat, schon weil man dann nur einfache Spiele nehmen kann, die einfach nur die Weihnachtsgeschichte szenisch darstellen.

 

Krippenspiele sind keine Kostümfeste oder Maskenbälle:

Die Spieler müssen nicht unbedingt echt orientalisch gekleidet sein. Man braucht den Hirten keine Bärte anzukleben. Die Kinder von heute können getrost in ihrem Sonntagskleid zur Krippe kommen. Man darf du nicht „Engel im Nachthemd“ mit wehenden, offenen Haaren, Pappflügeln oder goldenen Sternen am Hemd auftreten lassen.  Der Verkündigungsengel ist eine große, männliche Gestalt sein, in ein einfaches, weißes Gewand gekleidet - notfalls aus zwei Bettüchern. Hat man dazu keine Möglichkeiten, dann lasse man nur unsichtbar die Stimme des Engels ertönen.

 

Spiel mit Farben:

Man spielt ohne Spielkleider, nur mit einigen Andeutungen, in jedem Spiel wieder auftauchenden Universalkitteln, die allen und keinem paßten und nie geplättet wurden in modernen Kleidern, das brachte den existentiellen Bezug und machte wenig Arbeit. Man spielt ohne Dekorationen und Farbe, ohne Licht und natürlich ohne Maske. Schminken wird oft als ungastlich angesehen und wird also verboten. Aber so erkennt man keine Gesichter und sieht nur eine weißliche Masse. Es ist dann nicht echter und wahrer als vorher geworden, es ist nur viel langweiliger geworden. Deshalb sollte man doch mit Farbe und Schminke spielen. Der dritte „König“ kann schwarz sein. Und Johanna, die den großen Stern zur Krippe tragen muß, kann zu ihrem roten Kittel einen weißen Turban bekommen und ein ebenso schwarzes Gesicht, aus dem die weißen Augäpfel stolz hervorblitzen.

 

In einem Spiel muß „gespielt“ werden:

Natürlich kann ich bestimmte Lehrsätze in verteilten Rollen vortragen. Aber das ist noch kein Spiel. Ein wirkliches Spiel muß in aller Einfachheit doch eine Handlung haben. Handlung, das heißt: Es muß etwas geschehen, es muß wenigstens ein Minimum an Spannung vorhanden sein. Spannung entsteht aber nur durch einen Konflikt. Ein Konflikt ist in der Lage, den Zuschauer persönlich in das Spiel einzubeziehen. Ein Lehrgespräch tut das niemals. Es muß in einem Spiel, wenn es ein Mitgehen der Zuschauer erreichen will, zu Situationen kommen, in denen der Zuschauer zur eigenen Entscheidung aufgerufen wird. Nämlich zu der zwar unbewußt, aber dennoch deutlich gehörten Frage: „Wie hättest du dich jetzt verhalten?“ Bewußt wird uns als Zuschauer allerdings nur der innere Ausruf: „Wie kann der nur“, oder: „Ist ja schrecklich!“ oder: „Bin gespannt, wie es weitergeht!“ Aber diesen Emotionen liegen ja das persönliche Mitgehen und die Frage nach dem eigenen Entscheiden zugrunde.

 

Opfer für die Spieler:

Wenn ich also ein Krippenspiel einüben will, soll ich mir darüber klar sein, daß es auf Wochen den Einsatz meiner ganzen Person erfordert. Nebenbei läßt sich kein Spiel einüben, weder vom Spielleiter noch von den Spielern.

Die eingeladenen Spieler machen wir gleich am ersten Abend darauf aufmerksam, welche Opfer an Zeit und körperlicher Kraft ihre Mitarbeit kostet. Das winterliche Wettet bedeutet ein Üben in kalten Kirchen! Es bedeutet in ländlichen Gemeinden das nächtliche Fahren bei Glatteis und Schneesturm oder Regen über kilometerlange Wege! Es bedeutet das Zurückstellen vieler Fernsehprogramme und anderer Verabredungen!

Je ernster und wichtiger, je entsagungsvoller die Aufgabe geschildert wurde, um so eher waren alle bereit, sie zu übernehmen. Je größer die Verpflichtung ist, die sie eingehen, um so eher sind sie bereit mitzumachen. Daß diese Verpflichtung im Rahmen ihrer Möglichkeiten bleiben muß, ist selbstverständlich. Für ein großes Ziel, das einen echten Anspruch stellt, findet man immer Jungen und Mädchen oder Erwachsene. Nur das Ziel, das muß für sie überzeugend sein!

Es muß für die Arbeit am Spiel folgendes klar und eisernes Gesetz sein: Es darf keiner ohne Entschuldigung fehlen. Wer zweimal ohne eine Abmeldung fehlt, scheidet aus! Dieser  Grundsatz wird bis an die Generalprobe heran durchgeführt. Es wird keine Ausnahmen gemacht, eher ist der Leiter bereit, in zusätzlichen Einzelproben den Ersatzmann einzuüben, ehe der unsichere Spieler wieder aufgenommen wird.

 

Der Spielleiter muß ein Bild des Spieles haben:

Ob er es im Herzen hat oder im Kopf, das ist gleichgültig. Er muß aber bereits vor der Probe die zu übende Stelle vor sich sehen und zwar in der Art, die den Spielern auch möglich ist. Er muß aber auch einen sehr scharfen Blick dafür haben, um eine Bewegung oder Stellung, einen Ton oder eine Pause zu entdecken, die eine bessere und wirkungsvollere Aussage machen als die, die er in Gedanken gesehen hat. Er muß für jede Rolle den richtigen Spieler finden. Er muß versuchen, die Rollen so zu verteilen, daß jeder Spieler sich im Rahmen seiner natürlichen Veranlagung ausspielen kann. Das Spiel hat nicht die Aufgabe, einen Spieler in eine ihm fremde Rolle zu pressen, es darf ihn aber auch nicht bloßstellen!

 

Proben:

1. Mit dem Proben kann man nicht erst im Dezember beginnen. Mitte Oktober dürfte der richtige Zeitpunkt sein, damit die Spieler ihren Text können und unbeschwert aufspielen können. Der Text muß so gut „sitzen“, daß die Spieler notfalls auch ohne Souffleur durchkommen können.

2. Es wird  pünktlich angefangen. Die Erziehung zur Pünktlichkeit ist schwer. Hier muß jeder den Weg finden, der diesen oder jenen Spieler zum Ziel führt. Auf jeden Fall erzieht das Warten, bis alle da sind, nicht zur Pünktlichkeit. Voraussetzung zur Pünktlichkeit ist allerdings, daß der Leiter selbst immer bereits vor der Zeit da ist und alle Vorbereitungen so getroffen sind, daß die Spieler nicht warten müssen.

3. Die erste Probe wird dazu benutzt, in aller Stille ein gutes Weihnachtsbild anzusehen und zu besprechen. Jede Probe beginnt und schließt mit einem Gebet. Man kann im Lärm kein Krippenspiel üben, darum verspricht man besonders Kindern einen fröhlichen Nachmittag nach Weihnachten, aber die Proben  sind jeweils eine stille Stunde.

4. In der zweiten Probe wird das Spiel erzählt, nicht vorgelesen! Das Vorlesen oder das „Gleich-mit-verteilten-Rollen-Lesen“ gibt höchstens einem geübten Spieler einen Eindruck, alle andern können sich nicht viel mehr als einen recht unklaren Verlauf der Handlung vorstellen, falls das Spiel überhaupt eine Handlung hat! Es ist daher besser, das Spiel so zu erzählen, daß ein fesselndes und farbiges Spielerlebnis sofort deutlich wird! Die Rollen müssen in ihrer Wichtigkeit, ihrer Schwierigkeit und ihrem spielerischen Reiz geschildert werden. Auch Redeprobleme und  Aufgaben müssen in der Erzählung beleuchtet werden, sogar Requisitenprobleme und Ausstattungsfragen sollen auftauchen. So entstehen hier schon bei den Spielern ein starkes Lustgefühl und eine persönliche Betroffenheit.

5. Die Krise:

Nach der dritten Probe oder etwas später zeigt sich der tote Punkt des Schwungrades. Alles hat die Lust verloren, die Aufgabe ist lästig geworden, das Spiel ist unübersichtlich, ein Erfolg ist nicht zu sehen, der schöpferische Prozeß ist geronnen. Bei Beginn des Übens sollte man die Flaute immer voraussagen. Dann tritt sie entweder nicht so stark in Erscheinung, weil ja jeder mit Spannung darauf wartete und gerade die Spannung der Tod der Flaute ist! Oder aber: Die Windstille wurde mit Triumph begrüßt: „Tatsache, es stimmt!“ Aber damit ist sie als etwas Gesetzmäßiges registriert, das für diesen Fall seine Tragik verloren hat. Schon deshalb, weil man ebenfalls vorausgesagt hatte, daß es nach dieser Krise ständig bergauf ginge und die Sache nun erst richtig Freude machen würde! Deshalb keine Angst, die Flaute ist vorübergehend, ich muß sie nur als solche erkennen und erwarten.

 

6. Man kann auch mit den Gruppen (Könige -Hirten . . .) einmal einzeln proben und sprechen, damit die Gesamtproben in der Disziplin nicht leiden durch fortwährende Unterbrechungen. Eine äußere Hilfe zum Stillwerden ist eine Tonbandaufnahme - es tut den Spielern gut, sich selber einmal zu hören!

7. Man achte während jeder Probe darauf, was die Spieler inhaltlich nicht verstanden haben: Man merkt das an falscher Betonung, falscher Haltung oder verkehrten Worten. Man muß ihnen helfen, sich in die Rollen hineinzuleben.

8. Wenn nun die Frage nach dem jetzt noch möglichen Abspringen offen besprochen wird und sich jeder noch einmal fragen soll, ob er sich für die nächsten Wochen an diese Aufgabe binden will, dann wird kaum einer das Wagnis dieser Aufgabe umgehen.

9. Es wird bei den Proben wirklich gearbeitet. Der Spieler muß nach jeder Probe das Gefühl haben, eine bestimmte Spielstrecke zurückgelegt zu haben. Es darf nicht zu wenig verlangt werden. Wenn die Konzentration nicht mehr ausreicht, dann wird aufgehört. Solange aber geprobt wird, muß mit Ernst gearbeitet werden. Den Abschluß muß dann ein Teil des Spieles bilden, der einigermaßen sitzt (und nicht umgekehrt). Der Spieler darf nicht mit dem Gefühl nach Hause gehen: Jetzt weiß ich überhaupt nichts mehr!

Ist dann das eigentliche Üben vorbei, dann sollte noch etwas geplaudert werden! Einige Äpfel oder eine geteilte TafelSchokolade, eine Schüssel voller Nüsse und eine Apfelsine für jeden können dabei belebend wirken.

10. Vorsicht bei der Kritik! Sind schwierige Stellen zu überwinden, übt man lieber einmal unter vier Augen und führt die fast beherrschte Stelle der Gruppe vor. Kein Mensch möchte vor liebenden, verliebten und auch nicht vor menschlich interessierten Augen sich stotternd, verlegen und ungeschickt in einer Szene zeigen, die dramatisch und tragisch mit „geöffnetem Herzen“ gespielt werden soll.

11. Es wird gelernt: Alle Versuche, den Text nebenbei zu lernen, also beim Üben, haben sich in der Praxis als Fehlschlag erwiesen. Es kostete nämlich zuviel Zeit. Selbst ganz kurze Dialogszenen üben sich besser und schneller ein, wenn der Text gelernt war. Ist der Text nicht gelernt, dann darf mit Lob und Tadel nicht gespart werden. Das Ablesen bei der Probe ist grundsätzlich verboten. Es erschwert das Üben für den Spieler selbst und für die Gruppe.

12. Man braucht einen „Einbläser“: Bei der Zusammenstellung der Spielgruppe muß der Souffleur als wichtigste Person an erster Stelle stehen. Er muß bei allen Proben dabeisein. Er darf nicht gebannt auf die Spielfläche starren. Er ermöglicht dem Spielleiter überhaupt erst das Einüben des Spieles. Er gibt den Spielern die Sicherheit beim Proben. Er muß die Spieler durch sein Dabeisein bei allen Proben so gut kennen, daß er ihre Art zu sprechen und Pausen auszuhalten genau kennt. Er muß wissen, wann sie immer wieder steckenbleiben.

 

Requisiten:

Es gibt Requisiten, die nicht mitspielen und noch zur Generalprobe zurechtkommen. Das sind zum Beispiel die Kronen der „Könige“. Es gibt aber auch Requisiten, die bereits von Anfang an dabeisein müssen. Das ist zum Beispiel der lange und schleppende Mantel der „Könige“. Er bestimmt den Charakter der Bewegung des Spielers, und wehe dem, der in Silastikhosen und ohne „Gefäße“ geübt hat!

In die Krippe kommt keine Puppe, keine elektrische Birne, auch keine mit rotem Seidenpapier verschämt verbrämt! Keine Taschenlampe! Höchstens eine Kerze als Symbol des Leuchtens und des Sich-Verzehrens - oder die Krippe bleibt leer.

 

Lautstärke:

Ideal wäre natürlich, wenn jeder Mitspieler ein Headset hätte, also ein eigenes Mikrophon am Körper mit einer drahtlosen Verbindung zu einem Mischpult. Aber das wird aus Kostengründen kaum möglich sein. Wenn man nur ein einziges Mikrophon hinstellt, an das die einzelnen Spieler jeweils herantreten, leidet das Spiel. Wenn man gar keine technische Verstärkung hat, muß man die Kinder während der Proben immer wieder ermahnen, stark zu „brüllen“, denn im Ernstfall werden sie sowieso immer leiser. Das Spiel darf sich nicht hinter dem Altar im Chorraum der Kirche abspielen, sondern möglichst nahe an der Gemeinde. Den Verkündigungsengel läßt man von der Kanzel aus sprechen, die meist eine gute Akustik hat

 

Beleuchtung:

Ohne eine richtige Beleuchtung wirkt kein Spiel! Eine „richtige“ Beleuchtung ist aber keine Frontalbeleuchtung oder etwa eine Oberbeleuchtung, die das Gesicht zusammenquetscht und tiefe Ringe unter die Augen malt (sie ist überhaupt die gruseligste Beleuchtung, die man sich denken kann). Ein Raum mit reinem Oberlicht wirkt trostlos. Es muß deshalb immer versucht werden, eine Seitenbeleuchtung zu verwenden, dazu ein leichtes Licht von unten nach oben vor der Spielfläche. Die Verteilung von Licht- und Schattenteilen auf der Spielfläche ist aussagekräftiger als das ganze Spiel. Zwei Drittel Schatten und ein Drittel Lichtfläche werden auch die harmloseste Szene mit tragischer Dynamik erfüllen. Eine total ausgeleuchtete Szene in warmen Gold-Gelb-Tönen, denen jeder Schatten fehlt, vermittelt in uns allen Behagen und Happy-end-Gefühle! Die unklarste Beleuchtung ist Tageslicht durch schwach getöntes Antik- Glas unserer Kirchenfenster. Es ist alles grau in grau, und der Spieler kann in diesem Raum, der schier endlose Perspektiven besitzt, keine Konzentration auf sich sammeln. Er braucht das Licht, es hilft dem Spieler und dem Zuschauer, es ist spielträchtig im wahren Sinn des Wortes.

 

Worüber man sich nicht freut:

Wenn die nette und gute Frau, die die Kirche sauber macht, mit Zorn die Unordnung und den Schmutz registriert, der leider nicht zu umgehen ist. Wenn sie die Spieler mit erhobenem Besen vom Altarteppich vertreibt und auf die nackten und kalten Steine zwingt, auf denen jeder Schritt so schrecklich laut zu hören ist, daß irgendeine wichtige Stelle des Spieles nie zu hören ist.

Wenn der Pfarrer zum Üben kommt und dem Spielleiter Vorschläge macht, deren Undurchführbarkeit sich in den vorhergehenden Proben bereits erwiesen haben ... Wenn er das Einschlagen von Nägeln verbietet, die man unbedingt braucht, weshalb zum unvermeidlichen Einschlagen und Wiederherausziehen der Nägel ein gewisses kriminelles Talent entwickelt werden muß ...Wenn er beim ersten unvorbereiteten Anblick der massenhaften Kabel und Stecker ständig von seinem schwachen „Netz“ spricht ... und noch manches andere.

 

Das Rahmenspiel (Spiel im Spiel):

Die Kinder und die Alten, die Jugend und die Mittelalten haben einen seltsam frischen Hunger nach der szenischen Illustration der Weihnachtsgeschichte. Wenn heute ab und zu gesagt wird: „Immer wieder nur Maria und Joseph, das hat sich unsere Gemeinde satt gesehen“, dann glaube ich einfach nicht, daß das stimmt. Satt gesehen und satt gespielt hat es sich höchstens der verantwortliche Mitarbeiter, aber nicht die Gemeinde. Sie sieht es alle Jahre wieder neu und gern. Dafür spricht schon die Sitte der traditionellen dörflichen Krippenspiele, die ja durch Generationen hindurch gleich blieben. Die Freude an der Wiederholung, die Freude am stets gleichlautenden Text, am sich wiederholenden Kehrreim, ist ein Heimischwerden in einem gut bekannten Gehäuse. Und eben nur im bekannten Raum bin ich „zu Hause“ (das gilt auch für die Liturgie).

In ein Rahmenspiel kann nun jedes Krippenspiel eingebaut werden, das sich auf eine schlichte Nacherzählung des lukanischen Berichtes beschränkt. Da solche Krippenspiele naturgemäß

selten sind, ist es das Beste, sie selbst zusammenzustellen. Beim Üben können beide Teile getrennt geübt werden. Das erspart den Spielern Zeit, sie brauchen nicht unnütz herumzusitzen. Es darf aber nicht so getrennt geübt werden, daß zwei Spielleiter dann zwei in ihrer Spielauffassung völlig getrennte Spiele zeigen. Dabei ist nun nicht gemeint, daß beide Spiele den gleichen Stil haben, sie sollen sogar zueinander im Gegensatz stehen.

 

Geschichte:    

Aus dem frühen Mittelalter haben wir einige Aufzeichnungen von Weihnachtsspielen. Es

sind spielmäßig ausgeformte Teile der Festliturgie von Geistlichen dargestellt. Aber bald wandert das Spiel aus Kirche und Gottesdienst aus. Es wird ergriffen vorn Kirchenvolk, wird Laienspiel. Damit werden an seiner Gestalt die Gesetze ursprünglicher Volkspoesie wirksam wie im Volkslied und Volksmärchen. Im Reformationszeitalter hat es seine reinste Gestalt gewonnen. Der Glaubensaufbruch und die Verdeutschung der Bibel reinigen es von legendärem und dogmatischem Beiwerk. Es wurde getreu überliefert und weiter gespielt. Volkskundler zeichneten e dann auf.

Aufbau und Form

Sein Aufbau entspricht dem Evangelium: Die Christgeburt, die Hirten auf dem Felde (Verkündigung), die Hirten an der Krippe (Anbetung). Aber alle volkstümlichen Darstellungen der Weihnacht, vor allem die plastischen Weihnachtskrippen und Weihnachtsberge beziehen die Geschichte der Weisen aus dem Morgenlande ein. So wird eine anders gegliederte Dreiteilung erreicht: in der Mitte der Stall mit der Krippe, links die anbetenden Hirten und rechts die Weisen. So ist es in den meisten Spielen.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts suchten vor allem junge Menschen in der Abkehr von den zivilisatorischen Scheinwerten wieder Halt in der alten volksgebundenen Kunst. Sie sangen die alten Lieder und spielten auch die überlieferten Weihnachtsspiele wieder. Es war eine Wieder-Holung aus einer echten, vorbehaltlosen Einfühlung heraus.

Als nun allgemein wieder zu Weihnachten gespielt wurde, verflachte das Spiel, wie es das Weihnachtsfest selbst längst war. Es war ein Fest ohne Weihnachtsglauben, ein bißchen weh­mütig, vor allem ein Fest der Kinder und spannungslos geworden. So waren auch die Lieder, die gesungen wurden. So sah die Geburtsszene dieser Spiele aus: Nach der gefühlvollen Herbergsuche gehen Joseph und Maria ab. Ein Vorhang öffnet sich, vielleicht besteht er aus singenden Engeln, und das schöne vertraute Krippenbild steht vor uns. Hirten und Weise treten herzu, die Englein musizieren. Lied reiht sich an Lied, daß man darüber die Handlung ganz vergißt.

Das Weihnachtsspiel ist heute dahin zurückgekehrt, von wo es ausgegangen ist, in die Gemeinde. Diese hat damit eine Verantwortung übernommen. Noch immer wird zu leicht der Weihnachtsgemeinde und ihren Gefühlen nachgegeben. Das alte Spiel mit seiner großen Weite und schlichten Frömmigkeit, seiner geschlossenen herben Form kann noch Maßstab sein auch für die neuen Spiele, die in reicher Zahl entstanden sind.

Die Vergegenwärtigung kann aber auch zu weit getrieben werden: wenn das Christkind zum Beispiel in der Garage eines Großhotels geboren wird. Zu große Nähe verwischt die Einmaligkeit der Christnacht. Durch Heranziehen ähnlicher Situationen kann man sich ihr nur annähern, erfassen läßt sie sich nur im Gleichnis. Manfred Hausmann hat in seinem Hirtenspiel unserem Daseinsgefühl Ausdruck gegeben, der Sehnsucht nach der helfenden Hand Gottes. Es sind nicht mehr die fröhlichen Viehhirten des Dorfes, sie stehen für uns. Der alte Klas klagt, daß sie „verloren, verlassen, zum Tode verdammt“ sind. Anderwärts reden die Hirten, „vom Volke, das wandert durch Blut und Tränen und Schweiß“. Das sind sehr starke und ernste Worte, die die Heilsverkündigung einleiten.

 

Künstlerischer Anspruch:

Durch die inzwischen fast allgemeine Verbreitung des Fernsehens steigen auf seiten der Zuschauer die Anforderung an die Stücke im Blick auf die Qualität der Darstellung, des Bühnenbildes, der Kostüme, wie auch der Regie ganz erheblich. Es genügt nicht mehr, daß in den Gemeinden einfach „nur gespielt“ wird.

Das zurückgehende Interesse an Weihnachtsstücken basiert zu einem nicht unerheblichen Teil auf der Spannung, die zwischen der Gemeindefrömmigkeit und den Stücken besteht.

Auf der einen Seite steht das bei den Zuschauern vielfach geliebte Bild des „holden Knaben im lockigen Haar“, auf der anderen Seite ein Weihnachtsstück, dessen Inhalt - ganz in der Gegenwart spielend - die Unmenschlichkeit unserer Betriebsamkeit zu Weihnachten anprangert. Daß es hier zu Spannungen kommt, die zunächst ganz wertfrei festgestellt werden müssen, liegt auf der Hand. Sollen daher nicht Zufallsentscheidungen, Geschmacks- oder Gefühlsurteile Raum gewinnen, müssen exakte Kriterien für die Beurteilung von Weihnachtsspielen.

 

1. Theologische Kriterien:

Allein die Frage nach der verbalen Textgemäßheit des einen oder anderen Stückes kann nicht ausreichen. Ein Spiel mag dem biblischen Text in vieler Hinsicht gerecht werden und trotzdem nicht den heutigen Hörer erreichen, weil dessen Situation unberücksichtigt bleibt. Umgekehrt müssen sich die theologischen Kriterien der Überprüfung durch den Text stellen, wenn sich Theologie weiterhin auf die geschichtlich bedingte Botschaft berufen will. Freilich muß dabei das geschichtlich Bedingte der Botschaft erkannt und interpretiert werden. So könnte in einem Stück das Anliegen von Weihnachten für unsere Situation voll erfaßt sein, ohne daß ein Weihnachtstext behandelt wird oder auch nur direkt von Weihnachten die Rede ist. Weihnachtsspiele sollten nicht Inhalte vermitteln wollen, sondern die Aussage der Weihnachtsbotschaft in ihren verschiedenen Nuancen zum Ausdruck bringen.

 

2. Ästhetische Kriterien:

Kehrt nicht das Theater in den Bereich des Religiösen zurück, wenn sich die Kirche mit dem Verkündigungsspiel beschäftigt, ist es nicht endlich eine Besinnung auf den Ausgangspunkt des Theaters, wenn in Gottesdiensten wieder gespielt wird, ist nicht - vom Ursprung her gesehen- Verkündigungsspiel das eigentliche Theater? Das ist keineswegs so. Der Begriff „Verkündigungsspiel“ wäre dann eine Tautologie. Die Tatsache, daß es überhaupt zu dieser Bezeichnung für das Spiel im Gottesdienst kommen konnte, spricht von sich aus schon gegen die Ansicht, hier wäre eine Rückkehr des Theaters an seinen Ursprungsort zu beobachten. Theater in der Kirche, gespielte Verkündigung wird so lediglich zu einer Unterstützung oder Illustrierung der Predigt. Das aber widerspricht dem Spiel als einer menschlichen Ausdrucksform, die ihre eigene Gültigkeit besitzt. Als eine solche Ausdrucksform sollte das Spiel nicht der Predigt untergeordnet werden, sondern gleichberechtigt neben sie treten.

Wenn es stimmt, daß Voraussetzung für die antiken Tragödien die Bekanntheit des Zuschauers mit dem mythischen Inhalt war, dann müßte gerade für die Weihnachtsspiele gelten, daß die Tragödie das dafür angemessene Genre darstellt (Tragödie hier nur als formal-ästhetische Bestimmung verstanden). In der Tragödie geschieht eine bekannte Geschichte ständig neu, das könnte ja auch für die Weihnachtserzählungen gelten, denn ihren Inhalt kann man als bekannt voraussetzen.

Gleichzeitig muß aber bedacht werden, welchen Zweck mit der Verkündigung auch das Spiel haben soll. Die rein formale Bestimmung als menschliche Ausdrucksweise kann nur einen Teilaspekt erfassen. Es sollte - das wurde verschiedentlich betont - bei den Weihnachtsspielen nicht in erster Linie um die Vermittlung von Inhalten gehen. Nicht allein die Tatsache, daß in einem Spiel dieser oder jener Weihnachtstext behandelt wird, macht das Spiel spielenswert, sondern die Feststellung, daß dadurch in irgendeiner Form eine Möglichkeit zur Bewältigung dieser unserer Welt geboten wird, eine Hilfe, dieses Leben zu meistern.

Aus den Weihnachtstexten ist das zu erheben, es kommt nun darauf an, diese theologische Einsicht für das Spiel fruchtbar zu machen. In diesem Sinne ist die Aufführung eines Weihnachtsspieles auch ein schauspielerisches Ereignis, ein Ereignis des Theaters und als solches mit diesen Maßstäben zu messen.

Eine Einschränkung ist hier freilich nötig. In der Regel werden Weihnachtsspiele von Laien aufgeführt. Müßten daher nicht die Maßstäbe für die Beurteilung von Stücken und Spielern andere sein als für das Berufstheater? Es handelt sich doch hier meistens um junge Menschen, die aus Freude an der Sache zusammenkommen, um neben ihrer Berufstätigkeit oder Ausbildung ein für ihre Fähigkeiten geschriebenes Weihnachtsstück einzustudieren. Dieser Einwand hat seine Berechtigung, er darf aber nicht dazu führen, ohne alle Maßstäbe von Kritik nur mit christlicher Nächstenliebe an die Aufführungen heranzugehen.

Im Interesse der Dramatik darf in einem Weihnachtsspiel nicht aus irgendwelchen theologischen Vorurteilen heraus auf eine Hauptperson verzichtet werden. Der Hauptfigur entspricht in der Regel ein Gegenspieler. Auch er sollte nicht fehlen. Die Gefahr liegt hier in der möglichen Schwarzweißmalerei, der leider zu viele Stücke verfallen; wenn der Zuschauer von Anfang an weiß, wer unanfechtbar gut und ebenso unanfechtbar böse ist, geht das auf Kosten eines anderen Elementes, das gleichfalls für die Spiele unerläßlich ist, der Spannung. Mittel, die Spannung erzeugen können, gibt es verschiedene: Das Retardieren (das gespannt erwartete Ereignis wird hinausgezögert), das Überraschungsmoment, ein schrittweises Einweihen der Zuschauer, das erst in der Schlußsituation vollständig wird. Daß viele Weihnachtsspiele so uninteressant und nahezu langweilig sind, liegt an ihrem epischen Charakter, dem naturgemäß Spannung und dramatische Momente fast ganz fehlen.

Weihnachtsspiele sollten nicht Inhalte vermitteln wollen, sondern die Aussage der Weihnachts­botschaft in ihren verschiedenen Nuancen zum Ausdruck bringen. Dies kann auch ohne die Weihnachtserzählungen geschehen durch Stücke, die an der Aussage von Weihnachten orientiert sind.

 

1. Ein Krippenspiel ist nicht Theater, sondern Gottesdienst.

2. Es muß darin deutlich werden, daß die biblische Weihnachtsbotschaft auch uns Menschen heute meint.

3. In unserem Krippenspiel muß viel zu sehen sein, denn schon die Dreijährigen sind am Heiligabend in der Kirche, aber auch viele Alte, die schlecht hören.

4. Die ganze Gemeinde muß durch viel Singen mit beteiligt sein.

 

 

Erprobte Krippenspiele:

 

Die Spieler stellen sich der Gemeinde vor:

Die Weisen:    Wir suchen den Stern, wir suchen ein Licht,

Wir suchen das Engelwort: Fürchtet euch nicht!

Die Hirten:      Wir suchen das Kind, wir suchen den Stall.

Wir suchen das Engelwort: Freuet euch all!

Maria:             Wir suchen die Krippe und was dort geschah.

Joseph:            Wir suchen das Engelwort: Christus ist da!

Die Spieler sind jeweils an ihren Platz für den Anfang des Spieles gegangen.

 

Die Leute von Bethlehem stehen auf

Der du die Welt geschaffen hast,

kommst Jahr um Jahr, wirst unser Gast

und Jahr um Jahr heißt es überall:

für uns das Haus - für ihn der Stall.

Sprecher         Und nun hört wieder die Heilige Geschichte, damit sie euch in den Ohren klingt, damit sie euch im Herzen bleibt, solange ihr lebt. Sie ist wahr und ist die schönste, aber auch die beschämendste Geschichte der Welt, denn sie berichtet uns, wie Gott den Menschen nahe kam, aber die Menschen es nicht erkannten.

 

 

Luthers Weihnachtslied: „Vom Himmel hoch da komm ich her“.

Im Dezember 1534 hat Martin Luther für seine Kinder Hans, Magdalene, Martin und Paul sowie für die Kinder seiner Freunde das Lied gedichtet: „Vom Himmel hoch, da komm ich her!“ Im Gesangbuch ist das Jahr 1535 angegeben, da ist es wohl gedruckt worden. Es wird erzählt, Luther sei das Lied eingefallen, als er an der Wiege seines neugeborenen Töchterleins Margarete stand. Er dichtete ein Wiegenlied für das Christkind, „das rechte Susaninne schön“, sowohl den Text als auch die Melodie nach einer alten Volkstanzweise.

Später bekam das Lied die heute bekannte Luthermelodie (1539). In einer Quelle erscheint das Lied zuerst unter der Überschrift „Ein Kinderlied auf die Weihnacht Christi“ oder 1543 ausführlicher: „Ein Kinderlied auf die Weihnachten vom Kindlein Jesu, aus dem zweiten Kapitel des Evangelii St. Lukas gezogen“.

An Heiligabend 1534 wurde das neue Weihnachtslied im Hause Luther von den Kindern an einer aufgestellten Krippe und vor der versammelten Hausgemeinde mit größter Freude gesungen und gespielt. Luther soll danach mit Tränen in den Augen gesagt haben: „Ach wir armen Menschen, daß wir so kalt und faul sind zu dieser großen Freude!“
Deshalb könnte man es auch heute noch im Spiel darstellen. Das Lied setzt in Strophe 1 mit der Verkündigung der frohen Botschaft an die Hirten ein. Diese wird in dem Strophen 2 - 5 entfaltet und bildet den ersten Hauptteil des Liedes. Strophe 6 wendet sich an Sänger und Hörer und nimmt diese in das Verkündigungsgeschehen hinein, indem sie zur Freude an der frohen Botschaft aufruft. Sie bildet den Übergang zum zweiten Teil des Liedes, in den Strophen

7 - 14. Hier wird die frohe Botschaft in ihrer Bedeutsamkeit auf den Einzelnen bezogen. Hier klingt auch die Zusammengehörigkeit mit dem Kreuzesgeschehen an; der Hörer soll die Botschaft in eigenster Entscheidung für sich annehmen. Strophe 14 ist die Antwort auf den in Strophe 6 ergangenen Aufruf. Damit wird der zweite Hauptteil geschlossen und die Gloria Patri in Strophe 15 vorbereitet.

 

Strophe 1 setzt mit der Verkündigung an die Hirten ein, also mit dem zweiten Teil der Weihnachtsgeschichte. Der Bote gibt den Ort seiner Herkunft an, einen Raum außerhalb der menschlichen Begriffsmöglichkeiten. Er hat den Auftrag, eine gute Nachricht weiterzugeben, das Evangelium.

Strophe 2 gibt den Inhalt der frohen Botschaft wieder: die Geburt eines Kindes. Daß das Kind von einer „Jungfrau“ geboren wird, ist wohl aus Mt 1 ,23a übernommen (dem nach dem Septuagintawortlaut mißverstandenen Zitat aus Jes 7,14). Die Geburt dieses Kindes ist Grund der Freude für die Hörer. Jesus hat in seinem Leben vieles gesagt und getan, was für die Menschen Freude war. Er hat Kranken geholfen und den Menschen erzählt, daß Gott sie liebhat, auch wenn sie manchmal Böses getan haben.

Strophe 3 stammt ebenfalls aus Mt 1,21 (Zitat Ps 130,8) und ist der eine Höhepunkt des Liedes. Das Kind ist Gott selber, der aller Menschen Herr sein will. Er ist der Retter, der die Macht hat, von Sünde zu befreien und damit die Trennung des Menschen von Gott aufzuheben. Damit ist aber schon die Linie bis zum Kreuzesgeschehen aufgezeigt.

Strophe 5 spricht von dem Zeichen, an dem das Kind als der Christus zu erkennen. ist. Doch es ist ein Zeichen aus der natürlichen Welt der Menschen, eine Krippe, die zudem noch Zeichen von Armut und Niedrigkeit ist. Jesu Messiassein besteht in der Annahme wirklicher menschlicher Niedrigkeit. Diese Niedrigkeit ist Gottes eigene Sache. Jesus braucht Krippe und Windeln. Jesu Hoheit aber schließt die Annahme menschlicher Niedrigkeit mit ein.

Strophe 15 schließt sich eng an den Lobgesang der Engel an. Es ist eine „Gloria-Patri-Strophe“ (Ehr sei dem Vater). Hier wird deutlich, daß Gott das Heil in die menschliche Welt schickt und damit sich selbst zur Rettung der Welt in die äußerste Notwendigkeit begibt. Der universalen Heilstat Gottes kann nur der universale Lobpreis entsprechen. Jesu Geburt ist das Ereignis der Verherrlichung Gottes. Weil wir uns darüber freuen und Gott immer wieder dafür danken müssen, singen wir ihm auch immer wieder diesen Lobvers. Der Schluß der Strophe weist darauf hin, daß unter Umständen Luthers Neujahrstermin noch nicht festlag, denn er trat dafür ein, den Jahresanfang mit dem Weihnachtsfest zusammenfallen zu lassen.

Skopus der Liedexegese: Gottes Bote verkündigt die frohe Botschaft der Geburt eines Kindes, das der Retter der Welt aus Leid und Sünde ist. Als Herr der Welt kommt er als armes Kind in seine Welt und will Herr und Retter sein, wo er als solcher aufgenommen wird. Wo solches geschieht, antworten Freude und Dank des Menschen mit dem jubelnden Lobpreis Gottes.

 

Nach dem Vorbild Luthers können wir das Lied als Reigenlied der Kinder beim weihnachtlichen Krippenspiel gestalten. Es kann auch ein ganzes Krippenspiel ersetzen. Zwei Gruppen von Kindern singen jeweils die Strophe und die Strophe 15 als Gegenstimme. Bei Strophe 1 stehen sie sich im Halbkreis gegenüber, bei Strophe 2 bilden sie einen äußeren und einen inneren Kreis, bei Strophe 3 gehen die Gruppen in langer Reihe auseinander und gehen beim Singen aufeinander zu und wieder auseinander.

Der Verkündigungsengel singt: „Vom Himmel hoch...“ Viele Engel mit brennenden Kerzen in den Händen kommen dazu und singen: „Es ist der Herr Christ...“ und  „Er bringt euch alle Seligkeit....“. Die Hirten sind erschrocken aufgesprungen und hören staunend die frohe Botschaft. Der Engel sagt ihnen noch das Zeichen, wie sie das Gotteskind finden können (V.5). Die Hirten eilen nach Bethlehem, die anderen Kinder hinterher und alle in der Kirche singen mit: „Des laßt uns alle fröhlich sein“.

Sie finden das Jesuskind in der Krippe und heißen es willkommen (V.7). Zuletzt kommen noch die Weisen aus dem Morgenland; sie bringen ihre Geschenke und knien vor dem Kind nieder (V.10-13). Maria singt: „Ach mein herzliebes Jesulein....“ Diese 1 3 . Strophe

hat Johann Sebastian Bach genau 200 Jahre später in sein Weihnachtsoratorium aufgenommen. Auch er mußte „mit Herzenslust den süßen Ton“ singen (V.14). Die Schlußstrophe singen alle gemeinsam mit Orgelklang und stimmen damit ein in das Lob Gottes in der ganzen Welt und zu allen Zeiten. Die Kinder gehen dazu wieder zu einem geschlossenen Kreis zusammen.

 

Erprobte Krippenspiele

Die Reime der Krippenspiele sind oft etwas holprig und nur deshalb gewählt, weil man eine bestimmte Aussage unterbringen will. Die Aussagen sind oft etwas theologisch überfrachtet und beziehen sich mehr auf eine spätere Entwicklung, denn weder Hirten noch Weise können so eine weitgehende Erkenntnis gehabt haben. Aber diese Spiele sollen ja in die Gegenwart sprechen, da kann man auch einmal solche Aussagen machen. Gut gereimt und inhaltlich gut sind die beiden ersten jetzt erwähnten Krippenspiele (wegen der Urheberrechte können sie hier nicht abgedruckt werden)

Klaus-Peter Hertzsch: Ein Thüringer Krippenspiel.

Joachim Schöne: Gott selber ist erschienen

Eberhard Funke: Das ewige Licht

Weihnachten und Menschen von heute

Marianne Fleischhack: Wißt ihr noch, wie es geschehen? (kombiniert mit)

Gerhard Schiel: Schenk deine Lieb uns allen.

Joachim Schöne: Ein Weihnachtsspiel für die Junge Gemeinde.

Krippenspiel

Kurt Wiegering: Das Freiburger Bethlehemspiel

Joachim Schöne: Gott selber ist erschienen

Ursula Boettcher: Krippenspiel 1976

 „Euer Heiland ist geboren“

Helmut Wielepp: Freu dich und singe mit

Weihnachtsspiel 1983

Christoph Dunker: Es begab sich aber….

Rudolf Otto: Es begab sich aber zu der Zeit

Ulrich Lorenz: Bethlehem mitten unter uns

 

Weitere Krippenspiele:

Walter Bindemann: Du hast uns auf den Weg gebracht

Weihnachtsspiel 1983

Das Battenberger Weihnachtsspiel: „Ich versteh‘ die Welt nicht mehr“.

Maria Poetschke: Der Engel heißt Angelika

Ulrich Neuse: Hirtenspiel

Weihnachtsspiel zur Kinderkirch-Weihnachtsfeier am Heiligabend

Kleines Krippenspiel mit lebenden Bildern

Jörn Philipp: Gottes Zeichen über einem Stall

Barbara Wichmann: Ein eigenes Krippenspiel

Oda Beuschel: Uichteritzer Krippenspiel     

Peter Langner: Geh, ruf es auf dem Berge, daß Jesus ist gebor'n...

Jürgen Hauskeller: Krippenspiel mit Aktion

Günther Steindorff: „Die Weihnachtsgeschichte“.

Ernst Lange: „Die Weihnachtsstunde“.

Manuel Straub: „Wenn die alte Geschichte aufs neue beginnt".

Herbert Kuhn: „Sein wie die Träumenden“.

 „Keiner will der Joseph sein" (in „Die Christenlehre", Heft 12/1967).

Gertrud Busch: „Das Spiel von dem Hirten, der zuletzt kam“.

 

Druckversion | Sitemap
© Homepage von Peter Heckert