Kleine Briefe

 

Galater

 

Gal 2, 16 – 20 (11. Sonntag nach Trinitatis):

Es gibt Menschen, die wollen sich nichts schenken lassen. Nicht nur das Schenken, sondern auch das Annehmen ist eine Kunst. Man könnte eine Hilfeleistung, eine Einladung oder ein Geschenk doch einfach mit einem freudigen „Danke“ entgegennehmen. Doch oft werden sie wie eine Rechnung behandelt, die bei passender Gelegenheit wieder beglichen werden muß. Man will dem anderen nichts schuldig bleiben, man will sich wenigstens noch nachträglich das Geschenk verdienen. Auch der Schenkende könnte Liebe heucheln und heimlich doch mit Gegenleistung rechnen.

„Jeder nach seinen Verdiensten, jeder nach seiner Leistung!“ Diese Regel findet allgemeine Zustimmung, und wir finden es ungerecht, wenn sie nicht beachtet wird. Nach der Leistung richtet sich nicht nur die Bezahlung, sondern auch das Selbstbewußtsein und die Beurteilung durch andere. Es ist halt auch ein befriedigendes Gefühl, wenn man sein Tagespensum geschafft hat und die Jahresbilanz erfolgreich aussieht und man im Leben das erreicht hat, was man sich zum Ziel gesetzt hat.

Mancher allerdings meint, aus seinen Möglichkeiten nicht das Beste gemacht zu haben. Er fürchtet sich auch davor, Rechenschaft ablegen zu müssen über sein Tun und Lassen. Leicht fühlt man sich dann als Versager und hat Minderwertigkeitskomplexe. Man vergleicht sich

mit dem Nachbarn und stellt fest, daß man nicht so gesund und leistungsstark, so selbstbewußt und sympathisch wie er. Das Leistungsprinzip kann manchen Menschen auch fertigmachen.

Vor Gott allerdings ist die Frage nach der Leistung des Menschen total uninteressant. Wir stehen bei ihm nicht im Leistungslohn. Wir können ihn nicht mit Erfolgsmeldungen freundlich stimmen. Wir brauchen aber auch keine Angst zu haben, unsre Fehlleistungen könnten das Gespräch mit ihm unmöglich machen. Gott verteilt keine Zensuren, er vergibt keine Auszeichnungen oder Tadel. Bei Gott wird uns ein Geschenk gemacht. Wer es sich nachträglich noch verdienen will, der würde es ablehnen. Er kann vielmehr frei sein von der Sorge, hinter der geforderten, Leistung zurückzubleiben. Er braucht auch die eigene Pflichterfüllung nicht zu überschätzen. Gott allein hat sein Leben in die Hand genommen.

Diese Erkenntnisse haben sich in der Kirche nicht gleich durchgesetzt. Zu sehr steckte in allen noch das Leistungsdenken der jüdischen Religion drin. Man wollte ja Gott gewähren lassen. Aber so ein klein wenig wollte man doch auch selber mitwirken. Schließlich hat man ja bestimmte Fähigkeiten, die man doch auch anwenden kann.

An sich war man in der Kirche aber übereingekommen, daß die früheren Juden und früheren Heiden alle zusammen in e i n er Gemeinde sein sollten. Es entstand ein ganz neues Weltgefühl: Sowie die Regeln des Elternhauses nicht mehr gelten, wenn eine neue Familie gegründet wird, so galt das Gesetz der Juden auch nicht mehr in der neuen Gemeinde mit Menschen aus aller Welt.

Auch Petrus, der Leiter der Gemeinde in Jerusalem, hatte dem zugestimmt. Er hat sich zunächst auch in der Praxis daran gehalten, als er in Antiochia in Syrien war. Aber dann kamen Abgesandte von Jakobus aus Jerusalem. Petrus schämte sich und zog sich von den ehemaligen Heiden zurück. Wahrscheinlich haben einige andere noch mitgemacht, und die Gemeinde war gespalten.

Wahrscheinlich war es nicht so, daß diese Abgesandten so etwas verlangt hätten. Nein, Petrus ist aus eigenem Antrieb wieder „umgefallen“ und hat seine frühere Gewissensentscheidung nicht mehr aufrechterhalten. Erst hatte er sich von den gesetzlichen Vorschriften der Juden freigemacht, nun war er wieder in sie zurückgefallen.

Paulus aber hält dem Petrus entgegen: „Wir haben alle ganz gewaltig umlernen müssen. Als gebürtige Juden haben wir uns als Erwählte Gottes verstanden. Und wir waren der Meinung: „Selig wird man, indem man glaubt u n d gute Werke tut. Wir hielten viel vom Gesetz. Aber es kann immer nur die Übertemperatur oder Untertemperatur anzeigen, nicht aber die eigentliche Krankheit heilen. Das kann nur Christus. Er hat uns gelehrt, allein zu glauben und nichts von den guten Werken zu erwarten!“

Als Petrus sich aber von den Heidenchristen zurückzog, da hat er diesen Standpunkt des „allein aus Glauben“ als einen Fehler angesehen und Christus damit „zu einem Sündendiener gemacht“, sagt Paulus. Er geht hier sehr hart mit Petrus ins Gericht, weil er in der Sache unklar und in seiner Glaubensüberzeugung schwankend geworden ist.

Aber wir wollen nicht zu schnell den Stab über Petrus brechen. Wer von uns kann wohl die Hand dafür ins Feuer legen, daß es ihm nicht ähnlich geht? Das Werkdenken liegt in uns allen drin: Wenn ein Kind etwas angestellt hat, dann will es schnell etwas Gutes tun, damit den Eltern die Verzeihung leichter wird.

Und das gibt es doch auch in mancher Gemeinde, daß man wie Petrus sagt: „Du hast eine andere Glaubensüberzeugung, mit dir will ich keine Gemeinschaft mehr haben, mit dir kann ich nicht mehr beten und das Abendmahl feiern!“ So wie bei Petrus und seinen Leuten unterscheidet man zwischen den „Frommen“ und den „Anderen“.

Es mag tröstlich sein, daß es solche Versager auch an höchster Stelle der Kirche gegeben hat und gibt, die den anderen ungläubige Motive unterschieben wollen. Aber der Herr weiß auch diese noch zuletzt für seine Zwecke zu benutzen: Nur weil Petrus sich in solche Halbheiten flüchtete, kam Paulus dazu, seinen Glauben noch schärfer und klarer zu formulieren. Unser ganzes Glaubensbekenntnis ist ja in Auseinandersetzungen mit Irrlehrern entstanden. Oft kann man erst bei Auseinandersetzungen den eigenen Standpunkt noch klarer umreißen. Paulus fordert als Ergebnis seiner Erkenntnis: Mut zum Glauben, Gemeinschaft im Glauben und Leben aus Glauben.

 

1. Mut zum Glauben: Zunächst war in Antiochien noch nichts entschieden: Alle konnten miteinander leben und auch ihre alten Gewohnheiten behalten. Aber nachdem einige umgefallen waren und die Freiheit, über den Dingen zu stehen, verloren hatten, wurde dieses Problem zu einer Glaubensfrage. Jetzt wurde der Anschein erweckt, Christus schaffe das Heil nicht allein, sein Handeln sei noch ergänzungsbedürftig und die Einhaltung des jüdischen Gesetzes und die eigene Leistung seien notwendig.

Paulus aber sagt ganz im Sinne Jesu: „Gerade die Sünder und die Gottlosen sind Gott willkommen; um Christi willen sind gerade sie die Gerechten. Gott zerreißt die Gutscheine der gesetzestreuen Juden. Aber er zerreißt auch die Schuldscheine der anderen, die mit leeren Händen dastehen müssen. Nur die Zuwendung Gottes, die ohne Bedingungen geschenkt wird, kann ihnen noch helfen. Gottes Gnade muß nicht ergänzt werden durch irgendetwas, was von unsrer Seite geschehen könnte. Das zeigt ja auch das Evangelium des Sonntags vom Pharisäer und Zöllner. Wir akzeptieren, daß Schuldscheine zerrissen werden. Akzeptieren wir aber auch, daß die Gutscheine zerrissen werden?

Hier muß sich nun jeder entscheiden, ob er für sich diesen Mut zum Glauben aufbringt und den Sprung in den Glauben wagt. Solange man noch oben auf der Sprungschanze steht, hat man einigermaßen festen Boden unter den Füßen, da kann nicht viel passieren. Wenn man aber erst einmal in der Spur ist, dann gibt es kein Zurück mehr, dann muß man springen. Aber man hat dann auch für einige Sekunden das schöne Gefühl des Fliegens und kann sich frei wie ein Vogel fühlen.

Natürlich liegt es jedem von uns näher, sich auf sichtbare Leistungen zu verlassen - da hat man doch wenigstens etwas in der Hand. Was man aus Ehrgeiz und Betriebsamkeit geschaffen hat, das kann er doch wenigstens vorweisen, das gibt doch wenigstens einigermaßen Sicherheit. Die Gnade aber kann man nicht sehen, auf die muß man eben blindlings vertrauen. Der Glaube muß den Höhenflug unternehmen und ganz darauf vertrauen, daß Gott ihm hilft.

 

2. Gemeinschaft im Glauben: Wer in Glaubenssachen unklar ist, der zerstört die Gemeinschaft. Jenes „Sowohl - als - auch“ führte zur Trennung. Äußerlich sichtbar wurde das bei der Tischgemeinschaft. Wer nicht mehr mit uns das Abendmahl feiern kann, der gehört nicht mehr zu unsrer Gemeinde. Das gilt für den Einzelnen, der das Abendmahl verachtet. Das gilt aber auch für ganze Gruppen, die sich aus irgendeinem Grunde von ihm fernhalten.

Bei Petrus war es die Angst, durch die Gemeinschaft mit den ehemaligen Heiden auch unrein zu werden. Jesus aber hat mit den Sündern gegessen und sie dadurch rein gemacht. Er hat nicht gefordert: „Werdet zuerst so wie wir, dann dürft ihr kommen!“ Er sagt nicht: „Du mußt erst zu Boden geworfen sein, ehe du reumütig kommen kannst!“ Bei ihm heißt es: „Wer kommt, der ist willkommen!“

Bei Jesus macht es nicht die Weltanschauung, nicht Bildung und Erziehung, Rasse und Herkommen, Kleidung und Benehmen. Ob sich einer leer fühlt oder übersatt, ob er versagt hat oder erfolgreich war, ob einer sein Leben verpfuscht hat oder es zu etwas gebracht hat, ob er Außenseiter oder Normalbürger ist - Jesus will sie alle.

Die Gewissensfrage an uns ist, ob wir solche Menschen auch in unsre Gemeinschaft mit hineinnehmen. Jesus ruft alle Sünder an seinen Tisch und verschafft ihnen Eintritt bei Gott. Aber keiner kann von sich aus irgendwo diese Eintrittskarte kaufen.

 

3. Leben aus Glauben: Ein Leben aus Glauben ist nicht ein Leben in Zuchtlosigkeit und Lässigkeit, in Ungehorsam oder Gottlosigkeit. Wir können nicht auf Jesu Kosten zechen und es dann bei ihm noch anschreiben lassen. Auch Paulus kennt den Fall, daß die Gemeinde einem die Gemeinschaft aufkündigt, weil er sich nicht anständig benommen hat.

Aber auf der anderen Seite können wir uns durch unser Wohlverhalten auch keine eigene Gerechtigkeit aufbauen. Wir können nicht eines Tages Gott eine bis ins Einzelne gehende Rechnung vorlegen, auf der dann steht: „Zahlbar innerhalb von 14 Tagen Gerichtsstand für beide Teile ist die Kirche“" Das Schlimmste daran wäre nicht einmal, daß wir beim Aufstellen der Rechnung mogeln. Viel entscheidender ist, daß wir Gott damit zum Schuldner machen, obwohl wir doch in Wahrheit seine Schuldner sind.

Wer aus Glauben lebt, verläßt sich ganz auf Gott. Paulus sagt: „Ich bin durch das Gesetz dem Gesetz gestorben! Das Gesetz ist zwar noch da - aber ich bin weg!“ Nun ist nicht mehr „der Wurm drin“, sondern Christus lebt in uns. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als seine Anwesenheit ganz ernst zu nehmen und uns wie ein Kind darüber zu freuen, daß er uns trotz allem liebt.

 

 

Gal 3, 23 - 29 (Neujahr, Namensgebung Jesu)

In einer Gemeinde hat der Kirchenchor nicht mehr zur Jahresschlußandacht gesungen. Zu­ viele Sänger wollten fort zu einer Feierei, der Neujahrstag war ihnen lieber. Früher hat man den Silvestertag mehr still und nachdenklich begangen. Aber heute kommt sich offenbar mancher verloren vor, wenn er nicht jemanden hat, mit dem er feiern kann. Die Silvesternacht ist sehr laut geworden, nicht nur durch die Feuerwerkskörper, sondern auch vielfach durch die Menschen.

Mancher haut vielleicht deshalb noch einmal auf den Putz, weil er denkt, das neue Jahr könnte vielleicht sein letztes sein. Wir wissen nicht, was das neue Jahr an Freude und Leid, Glück oder Unglück bringen wird. Da gibt es tatsächlich viel Unberechenbares, das wir nicht mit falscher Sicherheit von uns weisen sollten, sondern dem wir uns stellen sollten. Was wäre aber dazu besser geeignet als der Gottesdienst. Die Gottesdienste werden extra auf den frühen Abend gelegt, damit auch noch die Feierei zu ihrem Recht kommen kann. Aber zum Jahreswechsel gehören auch die Gottesdienste an Silvester und Neujahr, denn sie helfen uns, diesen Übergang im Glauben zu bewältigen und ohne Angst ins neue Jahr zu gehen.

Vielleicht sollten wir auch gar nicht nur auf den Jahreswechsel sehen. Die Kirche begeht Neujahr erst seit drei Jahrhunderten. Vom Kirchenjahr her befinden wir uns ja noch im Weihnachts­festkreis. Deshalb steht auch heute Jesus im Mittelpunkt des Predigttextes. Aber Neujahr soll deswegen auch nicht zu kurz kommen.

Paulus läßt hier ein starkes epochales Bewußtsein erkennen. Er stellt gegenüber „Ehe der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt“ und „Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister!“ Die Geburt Jesu war eine Zeitenwende. Das wird heute noch daran deutlich, daß wir unsre Jahre nach der Geburt Jesu zählen.

Das bedeutet aber: Durch den Glauben an Jesus Christus wird auch das neue Jahr ein Jahr der Gnade sein. Es ist ein Jahr der offenen Tür, denn auch das neue Jahr gehört zur Christuszeit. Die an Christus glauben, sind durch ihn befreit, mit ihm verbunden und in ihm geeint.

 

(1.) Durch Christus sind wir befreit: Auch als Christen sind wir vielfach noch alte Menschen und noch unter dem Gesetz. Wir meinen immer noch, durch unsere Leistung könnten wir unser Verhältnis zu Gott wieder heilen. Wenn man mit den Konfirmanden über die Beichte spricht und fragt: „Wie können wir denn eine Schuld wieder gut machen?“ dann ist die einhellige Meinung: „Indem wir etwas Gutes tun!“

Das ist so die Einstellung des natürlichen Menschen, so denken wir im Grunde alle: „Schuld muß gesühnt werden, muß aufgewogen werden. Und Selbst wenn einem etwas geschenkt worden ist, dann ist man in der Schuld des anderen und muß es wieder gut machen!“ Aber Sünder sind immer in ihrer Sünde gefangen, selbst wenn sie sich zu Höchstem aufschwingen.

Wir wollen uns auch helfen, indem wir mit Gott handeln und feilschen: „Wir hätten doch auch viel Gutes und Frommes an uns. So ernst könne er es doch nicht meinen. Es werde doch auch bei ihm hoffentlich nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wurde!“ Doch in Wirklichkeit kann uns nur die Vergebung Gottes helfen. Wenn wir ihm unsere Schuld bekennen, dann macht er uns frei davon, indem er sie von uns wieder wegnimmt, indem er sie uns ganz „ver - gibt“.

Das war nicht immer so. In der Zeit vor Jesus, da herrschte das Gesetz. Durch dieses hat Gott die abgefallene Welt in Schach gehalten, mit Befehlen und Drohungen. So wurden dann die schlimm­sten Folgen des Bösen verhütet. Das Gesetz war wie ein Zuchtmeister, der die noch unmündigen Jungen mit Schlägen zu erziehen versucht. Dazu nahm man meist den dümmsten Sklaven, der zu sonst nichts anderem taugte. Die Kinder wurden dadurch entwürdigend behandelt und nur mit Gewalt von groben Unarten ferngehalten, bis sie erwachsen und endlich frei waren. Wir können uns den Zuchtmeister auch vorstellen wie einen Polizisten, der einen Verdächtigen beschattet. Überall taucht dieses Gesicht auf: In der Gaststätte, im Menschengewühl, auf der Straße, auf dem Bahnsteig, bis der Verdächtige eines Tages in die Falle gegangen ist.

Die Galater stellten sich auch vor, sie seien irgendwelchen fremden Gestirnsmächten unterstellt, die ihnen harte Gesetze auferlegten. Deshalb stellten sie ihren Kult auf die Ordnung der Jahreszeiten und die Sonnenwenden ein. Wir heute denken wohl eher an moderne Mächte: Verwaltungsapparat, Sachzwänge, Arbeitsdruck, politische Beeinflussung. Manche sagen: „Das ist nicht bedeutungsvoll für meinen Glauben, das ist keine Glaubens- und Gewissensfrage. Ich mache halt mit! Mir ist es zwar lästig, aber ich füge mich lieber!“.

Doch Paulus sagt: „Das ist nun für uns vorbei. Wir leben nicht mehr unter diesem widerlichen Aufpasser, wir brauchen nicht mehr auf irgendwelche übergeordneten Mächte Rücksicht zu nehmen. Jetzt gilt der Glaube. Wir sind Kinder Gottes und damit Brüder und Schwestern Jesu Christi. Wir werden nicht mehr gegängelt und beaufsichtigt, nicht mehr belauert und verklagt, sondern wir sind geliebt bei Gott!“

 

(2.) Wir sind mit Christus verbunden: Durch die Taufe sind wir rechtmäßiges Eigentum Jesu Christi geworden. Ein Eigentümer ist immer sehr an dem interessiert, was ihm gehört. Dies sollten wir auch im neuen Jahr nicht vergessen, was es auch bringen mag. Als Getaufte sind wir schon von der Wirklichkeit der neuen Welt umschlossen und sind in die neue Welt Gottes schon eingetaucht.

Wie ein Modell, das aus dem Arbeitsablauf gezogen wird, läuft der alte Mensch aus. Der neue Mensch ist schon da, denn er ist in der Taufe geschaffen worden. Seitdem haben wir Christus angezogen und sind von ihm umhüllt wie von einem neuen Gewand. Man kann auch als Getaufter dieses Gewand ablehnen und mit Christus nichts zu tun haben wollen. Aber dann wird man zusehen müssen, wie man mit beschmutztem Kleid vor Gott bestehen kann.

Sagen wir aber ja zur Lebensgemeinschaft mit Christus, dann werden wir durch den Glauben gerecht. Dann sieht er uns in dem von keiner Sünde befleckten Gewand seines Sohnes und nimmt uns als seine Kinder an. Dann wird auch das neue Jahr durch den Glauben an Christus zu einem Jahr der Gnade. An der Jahresschwelle wird uns noch einmal Zeit gegeben, uns für das Neue aufzuschließen und auf das hin zu leben, was wir heimlich schon sind.

 

(3.) Wir sind in Christus geeint: Das Verwachsensein mit Christus bedeutet, daß wir auch untereinander zu Einem geworden sind. Wenn wir alle „in Christus“ sind, dann ist auch Christus in uns allen. Da gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien, ja nicht einmal zwischen Mann und Frau. Wir alle haben zu Christus gleich weit und gleich nah, weil er allen in seinem Wort und den Sakramenten zugewandt ist.

Allerdings handelt es sich um ein Einssein in der Vielfalt. Die schöpfungsmäßigen Unterschiede in der Welt werden nicht abgeschafft. Die Völker behalten ihre Eigenart, und das ist durchaus ein Reichtum. Und ob es jemals eine klassenlose Gesellschaft geben wird, ist noch die Frage und selbst nach marxistischer Lehre ein langwieriger Prozeß.

Auch im Verhältnis der Geschlechter zueinander hat es Veränderungen gegeben. Aber Gleich­berechtigung wird nie Gleichartigkeit bedeuten können. Wenn wir Einer in Christus sind, dann bedeutet das nicht Gleichmacherei. Gemeint ist vielmehr: Was Menschen voneinander trennt und aus diesem Grunde weh tut, wird durch unser neues Sein in Christus überboten. Aber gerade so können wir uns in unseren Verschiedenheiten gelten lassen und auch bei Schwierigkeiten einander annehmen.

Jesus Christus hat den Machtkampf der Völker, Klassen und Kulturen beendet. Der andersseiende Mensch bedroht mich nicht mehr, sondern bereichert mich und ist Partner bei der gemeinsamen Aufgabe. Doch das bedeutet nicht, daß man sich an die Umwelt angleichen müßte. Besonders in Glaubensdingen geht das nicht, da gibt es nur eine Wahrheit.

Doch die Unterschiede innerhalb der Gemeinde sind da nicht so schwerwiegend. Da wird es immer die traditionell Eingestellten und die Fortschrittlichen geben, die Weltoffenen und die Zurückgezogenen. Wenn man gesetzlich denkt, wird man aus diesen Unterschieden sehr schnell Gegensätze machen. Das reue Leben der Kinder Gottes aber führt dazu, daß alle Verschiedenheiten in der Gemeinde keine Rolle mehr spielen. Auch im neuen Jahr sollten wir unseren Herrn bezeugen, der das Getrennte zusammenführt.

 

Fragen:

1. Unter welcher Knechtschaft, unter welchen Mächten haben wir heute zu leiden?

2. Kann dieser Bibelabschnitt ein Weihnachtstext sein? Es fehlen Himmelsglanz und Engel. Aber entscheidend ist doch, daß Christus die Welt befreite aus der Knechtschaft zu einer neuen Gemeinschaft mit Gott.

3. Wer ist „Kind Gottes“? Alle Geschöpfe, alle Getauften, alle Gläubigen? Paulus sagt: Wer „Vater“ ruft und in lebendiger Beziehung zu Gott lebt, dabei sich aber auch unter den verborgenen Gott beugt.

4. Heißt „Toleranz“ auf den eigenen Standpunkt verzichten? Christus hat den Machtkampf der Völker und Kulturen, der Geschlechter und Schichten beendet. Der andersseiende Mensch bedroht mich nicht mehr, sondern bereichert mich und ist Partner bei der gemeinsamen Aufgabe. Aber ich gleiche mich dem anderen nicht total an, vor allem auch nicht in Glaubensdingen.

5. Wo entlasten Sitten und Traditionen, wo werden sie zu mörderischem Zwang? (Herrichten des Grabes). Welche Lebensordnungen sind gut und hilfreich (Ehe?), welche sind beengend und demütigend?

6. Wie verhalten sich „Kind Gottes“ und „mündiger Christ“ zueinander? Wie verhalten sich Gleichberechtigung Chancengleichheit und Emanzipation zu dem Modell christlicher Gemeinschaft (wie in Vers 28)?

 

 

Gal 4, 4 - 7 (Christfest I):

Im Krieg ist es oft vorgekommen, daß ein Zug Soldaten abkommandiert wurde, um Geiseln zu erschießen oder um an einem Dorf Rache zu üben, das Partisanen verborgen hatte. Die einen sagten sich: „Befehl ist Befehl“ und taten blindlings alles, was von ihnen verlangt wurde; die anderen hatten Gewissensbisse und versuchten Widerstand zu leisten.

Natürlich sind es schwierige Entscheidungen, die hier zu fällen sind. Wir wissen nicht, wie wir uns in so einer Sache verhalten hätten. Es ist ja auch noch ein Unterschied, ob man einen Befehl nur so pro forma erledigt oder ob man noch über ihn hinausgeht und zum Beispiel selber Lust am Töten findet. Aber jedenfalls wird jeder erst einmal empfinden, daß er Unrecht tut. Wie kommt es da, daß doch so viele sich immer wieder über alle Gebote und Menschenrechte hinwegsetzen?

Sicherlich kommt es ganz entscheidend auf den ersten Schritt an. Wenn da erst einmal eine gewisse Grenze überschritten ist und der Damm eingebrochen ist, dann hält nichts mehr die Flut des Unrechts auf. Der erste Schritt ist der entscheidende. Wer erst einmal einen Menschen umgebracht hat, wird es auch immer wieder tun. Deshalb ist es auch nicht entscheidend, ob während des letzten Krieges 3 Millionen oder 6 Millionen Juden umgebracht wurden, sondern ob einer oder gar keiner umgebracht wurde - das ist die einzig wichtige Frage.

Wer erst einmal ein Unrecht getan hat, der steht unter der Macht des Bösen und wird es immer wieder tun, der ist gebunden durch die Mächte der Welt. Paulus sagt hier: Entweder ihr gehört zu Christus und hört nur auf ihn, oder ihr seid anderen Mächten ausgesetzt, die euch alles Mögliche einreden wollen, die bald locken und bald drohen, aber immer fordern, man müsse ihnen folgsam sein.

Das ist ein Beispiel dafür, wie der Mensch unter den Gesetzen und Zwängen dieser Welt zu leiden hat. Wir sind eben Kinder unsrer Zeit und eingefügt in das Weltganze. Wir sind abhängig von geschichtlichen Gesetzmäßigkeiten und technischen Notwendigkeiten. Wir sind beherrscht von der öffentlichen Meinung und von Modeerscheinungen, vom Konsumzwang und vom Geld. Gerade in der Weihnachtszeit mit ihren oft unmäßigen Geschenken macht etwas davon deutlich.

Wie plagen uns doch manche Leute ab, um gewisse Programme und Satzungen zu erfüllen. Sie müssen Verpflichtungen übernehmen und Dinge tun, zu denen sie überhaupt keine Lust haben. Aber auch schon beim Trinken und Rauchen können die Meisten nur schlecht aufhören.

Gerade auch unsere frommen Leistungen beweisen doch, daß wir unfrei handeln. Wir sind darauf bedacht, daß unsere schwachen Stellen nicht auffallen; und wir sind empfindlich, wenn jemand uns Versagen vorwirft. Mancher flüchtet sich sogar in die Krankheit, wenn er sich nicht für genügend beachtet hält. Oft macht das Leben uns einander zu Rivalen, es zwingt uns zur Selbstbehauptung und stellt uns in ungewollte Freund-Feind-Gegensätze.

Das alles ist aber noch umschlossen von überpersönlichen Zwängen. Wir glauben zwar nicht mehr an irgendwelche Götter. Aber es gibt doch unsichtbare Ströme und Kräfte in dieser Welt, die unser Leben einengen.

Daß wir uns nicht falsch verstehen: Unsre Welt muß durch Gesetze geordnet werden, es kann nicht jeder machen, was er will. Wir sehen im Glauben darin sogar Gottes Gesetz, entweder als Weisung an den Menschen oder als Naturgesetz. Natürlich soll unser Leben geordnet verlaufen. Die Frage war nur, schon damals in Galatien: Muß man das Gesetz halten, um ein normalisiertes Verhältnis zu Gott zu gewinnen? Kann man sich den Himmel verdienen, wenn man sein Leben sauber hinkriegt, ohne Schaden zu verursachen oder zu erleiden.

Die Frage heißt aber nicht: „Wie kriege ich mein Leben sauber hin?“ sondern: „Wie komme ich aus der vor Gott hoffnungslosen Situation heraus?“ Das Gesetz ist dazu da, uns die Sünde bewußt zu machen. Aber meist sind wir uns unserer Lage vor Gott gar nicht bewußt. Die einen versuchen, sich seinem Willen zu entziehen und frei und ungebunden zu leben. Die anderen wollen durch übergenaue Gesetzeserfüllung eine mögliche Strafe von sich abzuwenden. Aber in beiden Fällen wird man nicht frei, sondern es ist, als steckten die Füße im Beton und die Hände in Ketten.

In diese widergöttliche und unfreie Welt hat Gott seinen Sohn gesandt. Die Menschen jammerten ihn, wie sie mit ihren höchsten und edelsten Grundsätzen sich dennoch immer Qual und Angst bereiteten. Dieser Welt war nur noch mit Liebe zu helfen. Das hat Gott gewollt und will er noch: Er sandte seinen Sohn in das Aufstandsgebiet, mitten unter die aufrührerischen Menschen, ein ganzer Mensch, auch ganz dem Gesetz unterworfen. Stellvertretend erlitt er die Verlorenheit der Menschen, zog sie auf sich und erlöste so die Menschheit. Das alles schließt die Geburt von Bethlehem schon ein.

Es ist aber nicht so, als hätte Gott seinen Rechtsstandpunkt aufgegeben und sich enttäuscht darauf verlegt, durch die Finger zu sehen. Er macht schon sein Recht geltend. Aber nicht so, daß er uns vernichtet, sondern seinen Sohn. Aber dadurch hat er gesprengt, was unsre Hände und Gedanken bindet. Jetzt müssen wir nicht mehr das tun, was man so tut. Jesus hat uns freigemacht, frei für die Liebe und füreinander.

Gott hat gehandelt, als die Zeit erfüllt war. Die damalige Welt brauchte den Erlöser, so wie bisher konnte es nicht weitergehen. Seit Abraham war er verheißen. Tropfen um Tropfen kam dazu, bis das Faß überlief. Aber es war nicht so, daß die Welt in einem Prozeß göttlicher Erziehung oder auch innerer Eigenentwicklung immer reifer geworden wäre. Das Kommen Jesu ist nicht aus den Gegebenheiten dieser Zeit zu erklären, sondern Gott hielt die Zeit für gekommen und hat den Zeitpunkt festgelegt.

Die Sendung des Sohnes hat eine Wende mit sich gebracht. Seitdem zählen wir die Jahre „seit Christi Geburt“. Es ist eine Welt entstanden, die frei ist von der Furcht vor bösen Geistern, die die Naturkräfte nutzt und eine glänzende Technik aufgebaut hat. Die Menschen sind selbstbewußt geworden und können sich wohlfühlen. Sie sind nicht mehr Sklaven, sondern Kinder, sie müssen nicht mehr, sondern sie dürfen und können.

Allerdings ist die Welt noch nicht so verändert, daß das Heil Gottes schon voll in ihr verwirklicht wäre. Zweifellos hat der Glaube an Christus auf den Verlauf der Geschichte eingewirkt. Ohne ihn wäre vieles anders verlaufen. Gottes Reich ist aber immer noch unter dem verborgen, was man in der christlichen Sprache „das Kreuz“ nennt. Es sind auch neue Ängste entstanden, denn man weiß nicht, ob der Mensch mit seiner Freiheit auch fertig wird. Vielleicht könnten wir schon heute wieder einen Erlöser brauchen. Oder sagen wir lieber: Wir haben ihn ja schon in Jesus Christus. Er ist in unsrer Welt nötiger denn je.

Durch Jesus sind wir auch zu Kindern Gottes geworden. Gott nimmt uns für voll, weil er uns zu Geschwistern seines Sohnes gemacht hat. Damit haben wir auch ein Zuhause, das uns niemand mehr nehmen kann. Es ist also bei Gott nicht so, wie es manche heute empfinden, daß Eltern ihre Kinder einengen und ihnen Schranken setzen und sie an der Selbstverwirklichung und dem Mündigsein hindern. Wir sind nicht Bauteile in der von Gott gesteuerten großen Weltmaschine, sondern wir sind Personen, die von Gott angeredet werden und aufs Antwortgeben angelegt sind.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn Gott es satt hätte mit diesen eigensüchtigen und vertrauenslosen Menschen. Aber er läßt uns seine Kinder sein. Was Jesus von seinem Ursprung her war, das sind wir durch einen Rechtsakt geworden in der Taufe. Kinder aber sind nicht Unterworfene und Befehlsempfänger. Natürlich müssen sie auch ihren Eltern gehorchen - aber  n u r  ihnen. Ein Kind braucht auf keinen anderen zu hören, wenn es die Eltern nicht wollen. Das ist die Freiheit der Kinder.

Das erhebt den Menschen auch weit über das Tier. Der Mensch ist nicht das höchst entwickelte Tier, sondern er ist zur Gemeinschaft mit Gott geschaffen. Das ist allen Menschen zugedacht. Wenn einer noch nicht Kind ist, so kann er es doch werden. Keiner von uns ist es an sich wert. Aber das ist ja das Weihnachtswunder, daß Gott seinen Sohn zu denen gesandt hat, mit denen er eigentlich ein für alle Mal fertig sein müßte: Er will uns als seien Kinder haben, und zwar uns alle.

Als Kinder haben wir das Recht, Gott „Vater“ zu nennen, und mit ihm zu reden, wie Kinder mit ihrem Vater reden. Kinder erkennt man daran, wie sie mit ihren Eltern reden. Fremden gegenüber sind sie oftmals zurückhaltend. Aber wenn die Eltern kommen, dann rennen sie ihnen entgegen und rufen laut „Papa“ oder „Mama“. Mit diesen Worten dürfen wir auch Gott anreden, meint Jesus. Ja, er möchte sogar, daß die Anrede „Abba“ nur Gott vorbehalten

bleibt. So werden wir ermächtigt, Gott um Hilfe zu bitten und all unsre Sorgen und Wünsche ihm vorzutragen. Wir sollten dieses Recht der Kinder wahrnehmen, dann haben wir auch Freiheit. Dann bleibt unser Glaube auch nicht nur eine abstrakte Überzeugung, sondern unser Leben wird davon verändert und geleitet.

Das ist aber die Entscheidung, vor die wir immer wieder in unserem Leben gestellt werden: Folgen wir Gott, unsrem himmlischen Vater, oder folgen wir anderen Herren? Wer nicht Kind sein will, wird Sklave, aber dann Sklave anderer Mächte. Luther hat in seiner Schrift „Vom unfreien Willen“ einen schönen Vergleich angestellt. Er sagt: Wir Menschen sind wir ein Reittier. Entweder reitet uns der Teufel oder Gott, ein Mittelding gibt es nicht. Wir können

höchstens den einen Reiter abwerfen, aber dann ist gleich wieder der andere da: Wenn wir Gott abschütteln, dann ist der Teufel da; und wenn wir den Teufel abschütteln wollen, dann geht das nur, wenn wir Gott zu Hilfe rufen und ihn über uns herrschen lassen. Wir können wählen!

Als Luther und Melanchthon einmal bei Hochwasser über die Elbe mußten, hatte Melanchthon Bedenken: die Sterne stünden ungünstig und die Fahrt in dem kleinen Kahn sei zu gefährlich. Doch Luther sagte nur „Domini sumus“ und sie kamen gut am anderen Ufer an. Die zwei lateinischen Wörter kann man verschieden übersetzen. Entweder: „Wir sind des Herrn“ und deshalb kann uns nichts passieren. Oder: „Wir sind Herren“, auch über die Wasserfluten. Luther wollte sicher, daß man beides heraushört: Weil wir zu dem Herrn gehören,

sind wir auch Herren!

So stellt uns das Kind von Bethlehem vor die Entscheidung, wie wir unser Leben einrichten wollen: Entweder wir folgen den Herren dieser Welt und werden damit zu Sklaven. Oder wir folgen dem Herrn über alle Welt und werden zu Söhnen und damit zu Herren. Wir haben uns alle die Frage vorzulegen: Wollen wir frei werden von Gott oder wollen wir frei werden von den Kräften und Mächten, die über uns bestimmen wollen. Wer sich aber ganz entschieden

auf die Seite Gottes stellt, der kann sicher gehen, daß ihm niemand etwas anhaben kann. So wie ein Vater seine Kinder schützt, so verteidigt Gott uns gegen alle Angriffe. Diese Gewißheit dürfen wir haben, seit Gott ein Mensch wurde.

 

[Anderer Einstieg, der auf die Verhältnisse in der damaligen DDR Bezug nimmt:

Da kommt ein Mädchen nicht mehr zum Konfirmandenunterricht. Sie will Lehrerin werden, sagt sie, und da könne sie nicht konfirmiert werden. Aber die Kirchensteuer werde sie schon zahlen, wenn sie 18 Jahre alt ist. Aber damit macht sie sich sicher etwas vor. Das muß man eben genau wissen: Wenn man erst einmal an einem Punkt nahgegeben hat, dann muß man es immer wieder, dann gehen die Forderungen schrittweise immer weiter:  Erst wird man aufgefordert, in die Partei einzutreten; dabei muß man aber aus der Kirche austreten; schließlich muß man als Lehrerin die Schüler bearbeiten, daß sie nicht zum kirchlichen Unterricht gehen; und ganz zuletzt wird man geworben, bei der Staatssicherheit mitzuarbeiten. Beim ersten Nachgeben ist das schon vorgezeichnet].

 

 

Gal 5, 1 – 11 (Reformationsfest):

„In der Kirche wird von der Sünde geredet!“ So lautet das unausrottbare Vorurteil. Heute soll aber einmal von der Freiheit gesprochen werden. Sicherlich, so ganz unterschlagen kann man die Sünde auch nicht. Sie ist der dunkle Hintergrund, vor dem die Freiheit umso heller erstrahlt. Aber heute sollen niemand mit düsteren Gedanken heimgehen, sondern erleichtert und froh sein. Wir wollen von der Freiheit reden, zu der uns Christus befreit hat.

Paulus spricht vom Gesetz und von finsteren Gewalten, vom Schicksal und vom Aberglauben, durch die der Mensch gefangen ist. Er möchte sich gern von diesen dunklen Mächten befreien durch Vernunft und gute Taten. Rund 1.000 Verbote und Gebote hatten die Juden zu beachten. Alle Dinge des Alltags wurden bis ins Kleinste geregelt. Und Gottes gutes Gesetz, das helfen sollte, die Freiheit des Menschen zu bewahren, knebelte auf einmal die Menschen bis zum Letzten und machte sie unfrei.

Gerade die Religion wurde dazu benutzt, die Menschen noch mehr in Abhängigkeit zu halten. Das war auch so zur Zeit Martin Luthers. Die Kirche organisierte Wallfahrten und Heiligenverehrung. Sie stärkte die Macht der Priester und des Papstes immer mehr, nicht nur die äußerliche Macht, sondern gerade auch die Macht über die Seelen. Zu diesem Zweck verkaufte sie Ablaßbriefe und versprach dafür den Himmel. Aber in Wirklichkeit haben sich damit nur der Erzbischof und der Papst die Taschen füllen wollen.

Von all dem hat uns Luther befreit, indem er die Bibel wieder nach ihrem ursprünglichen Sinn auslegte. So sagen es viele, die sich als gute Protestanten verstehen und daraus die Folgerung ziehen: „Die Katholiken müssen in die Kirche, wir nicht!“ Und von da an ist es nur noch ein kleiner Schritt, sich ganz von der Kirche zu befreien. Nimmt der Staat uns das Geld durch den Solidaritätszuschlag, so spart man es auf der anderen Seite wieder, wenn man aus der Kirche austritt.

Auf den Schildern an den Ortseingängen kann man manchmal den Eindruck haben, hier handele es sich um ein katholisches Dorf. Dort steht: „Heilige Messe um soundso viel Uhr!“ Die evangelische Kirche sieht zwar auch noch so ein klein wenig hinter der katholischen Kirche hervor; es ist auch angegeben, wann evangelischer Gottesdienst ist. Aber ist es in der Tat nicht wirklich so, daß in dem Ort mehr Katholiken zum Gottesdienst gehen als Evangelische. Wir als Evangelische sind ja frei, wir haben ja den persönlichen Herrgott. Aber so haben weder Paulus noch Luther die Freiheit eines Christenmenschen verstanden.

Auch die heutigen Menschen sind Gesetzen und Zwängen unterworfen. Der Hauptherrscher über den Menschen ist wahrscheinlich das Geld. Wir sind eben nicht zufrieden mit dem Sozialhilfesatz für Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung. Wir wollen mehr und können es ja auch kriegen. Aber dazu muß man in der Regel Geld haben, muß man Karriere machen oder Überstunden, muß Macht und Einfluß gewinnen. Und auf einmal ist man ein ganz anderer Mensch, als man hat sein wollen.

Freiheit ist deshalb erst einmal Freiheit von den eigenen Wünschen und Begierden, von den Gesetzen und Vorschriften, die den Menschen unnötig einengen. Sicherlich gibt es viele gute Gesetze, die dem Wohl der Allgemeinheit dienen und die ein Christ besonders sorgfältig einhalten sollte. Nicht unterwerfen darf er sich dagegen den Gesetzen, die Menschen erfunden haben, um anderen ihren Willen aufzuzwingen.

Von den Geboten Gottes darf er sich nicht frei machen, besonders nicht von dem ersten Gebot. Denn es ist ganz klar: „Wer Gott nicht mehr haben will, kommt in ein Abhängigkeitsverhältnis zu anderen Mächten!“ Luther hat das einmal so ausgedrückt: „Der Mensch ist wie ein Reittier, das immer von einem Reiter gelenkt wird, entweder von Gott oder vom Teufel!“ Eine vollständige Selbstbestimmung des Menschen gibt es nicht.

Damit wir nicht vom Teufel geritten werden, mußte Gott uns freikaufen durch den Tod seines Sohnes. Im Altertum kam es manchmal vor, daß ein reicher Mann einen Sklaven freikaufte: Er ging auf den Markt, bezahlte den Kaufpreis und schenkte dem Sklaven die Freiheit. Oft hat dieser sich dann aber freiwillig dem Wohltäter angeschlossen und ihm gedient.

So unterstellt sich auch ein Christ gerne Gott seinem Herrn. Nur hat hier nicht ein Gewaltherrscher den anderen abgelöst, sondern der neue Herr läßt ja gerade Freiheit. Er engt nicht ein, sondern läßt uns den Weg gehen, den wir selber als den guten Weg Gottes erkannt haben.

Doch hier gibt es auch eine Gefahr. Wir meinen doch: „Etwas müssen wir doch auch tun. Wir wollen etwas leisten, denn überall in der Welt geht es nach dem Leistungsprinzip. Nur wer etwas leistet, kann sich auch etwas leisten!“ Und so polieren wir dann an unserem Bild bei den Menschen und wollen möglichst gut dastehen und Pluspunkte sammeln. Und wenn wir dann den Beifall der Menschen erlangen, dann wird auch Gott nicht umhinkönnen, unsre Bemühungen anzuerkennen.

Genauso dachten auch die Leute, die zu den Galatern gekommen waren und ihnen einreden wollten: „Das Christsein bleibt unvollständig, wenn ihr nicht auch die alten Gesetze der jüdischen Religion befolgt. Ihr müßt das Werk Christi ergänzen durch euer eigenes Tun!“ Oder umgedreht gesagt: „Schafft was ihr könnt, und was dann noch fehlt, wird Christus schon noch dazutun. Erst wenn der Gehorsam gegenüber dem Gesetz und der Glaube an Christus sich ad­dieren, ist man ein vollkommener Christ!“

Doch Martin Luther hat erkannt, daß man so nicht froh werden kann. Immer wieder hat ihn die Frage gequält: „Habe ich auch genug getan?“ Es ging ihm wie einem Menschen, der eine Prüfung bestehen soll, aber genau weiß, daß er sie nicht bestehen kann. Das aber ist Unfreiheit, das ist Sklavenjoch.

Luther aber hat erkannt: „Es kann nicht heißen „Christus u n d das Gesetz, sondern nur: Christus allein!“ Sicherheit habe ich nur, wenn ich mich ganz auf Christus verlasse. Und da muß man sich auch ganz klar entscheiden, ein Rückfall würde alles nur noch schlimmer machen als am Anfang.

Natürlich liegt uns das nicht besonders. Wir wollen doch etwas schaffen. Wir wollen uns nichts schenken lassen; und wenn uns doch etwas geschenkt wurde, dann wollen wir es bei nächster Gelegenheit wieder gut machen. Bei Gott brauchen wir das nicht und können es auch gar nicht. Erst wenn wir das begriffen haben, wird es uns auch wieder möglich, dennoch gute Werke zu tun.

Paulus will selbstverständlich, daß wir Gott gehorsam sind und daß der Glaube sich auch in Werken der Liebe äußert. Aber er will das nicht, um dadurch ein gutes Verhältnis zu Gott zu bekommen. Diese Sorge sind wir los, weil Gott schon das gute Verhältnis von sich aus hergestellt hat. Dadurch aber können wir uns ganz dem Menschen zuwenden, der auf unsre Liebe Anspruch hat. Da wird nicht lange gefragt, da wird nicht erst befohlen, da wird gleich mit angepackt.

Hier einmal ein Vorschlag für die kommenden Woche: Bei den Galatern ging es doch um die Beschneidung, diesen alten jüdischen Brauch, der zur Einhaltung aller jüdischen Verbote verpflichtete. Wir könnten doch einmal darauf achten, ob wir nicht in einem anderen Sinn den Menschen den Lebensraum beschneiden. Wo setzen wir andere unter Druck, weil wir Angst haben oder mißtrauisch sind? Wo machen wir Menschen das Leben schwer, denen wir doch zur Freiheit verhelfen sollten? Sind wir bereit, Menschen so anzunehmen wie sie sind, so wie Christus uns annimmt, indem er uns zu seinem Mahl einlädt?!

 

 

 

Gal 6, 1 – 2 (15. Sonntag nach Trinitatis):

In Afrika gibt es eine besondere Hirschart, die sich zu bestimmten Zeiten neue Weideplätze auf einer Insel sucht. Um aber auf die Insel zu kommen, missen die Hirschrudel eine ganze Strecke schwimmen. Das Geweih wird ihnen aber dabei zu schwer. So helfen sie sich gegenseitig: Sie schwimmen hintereinander, und jeder Hirsch legt sein Geweih auf den Rücken des vor ihm schwimmenden Tieres. Wenn der Hirsch an der Spitze müde geworden ist, verläßt

er seinen Platz und rückt an die letzte Stelle. Nach einiger Zeit erfolgt wieder eine Ablösung. So trägt ein Tier die Last den anderen.

Dieses Verhalten der Tiere können wir uns zum Vorbild nehmen, für die Familie, für die Arbeit und für die Gemeinde. Das wäre ganz im Sinne Jesu Christi und entspräche der Aufforderung des Paulus an die Galater: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen!“

Dieser Spruch wird gern bei Trauungen verwendet. In Ehe und Familie kann man das auch am besten üben, wie man gegenseitig die Lasten trägt. Der Mann macht die schwere körperliche Arbeit, er wäscht das Auto und gräbt den Garten um. Die Frau ist geschickter und näht und strickt. Der Mann geht zu den Behörden, die Frau zum Einkaufen. Die Eltern verdienen das Geld, die Kinder geben es aus - jetzt habe ich mich versprochen: Die Eltern geben es für die Kinder aus. Aber die Kinder tun auch manches, um die Lasten der ganzen Familie zu tragen: Sie übernehmen kleine Handreichungen und erledigen schon manche Sachen.

In der Schule helfen sich die Kinder gegenseitig, weil die einen eben besser in Mathematik und die anderer besser in Englisch sind. Und wenn es eine Strafarbeit für die ganze Klasse gibt, obwohl nur einige die Übeltäter waren, dann muß man auch die Last des anderen tragen.

In der Fabrik helfen sich die Arbeiter gegenseitig, wenn Holz oder Eisen zu rücken ist und keine Maschine das machen kann. Viele Arbeiten kann man überhaupt nur zu zweit oder zu mehreren machen, weil einer hält und die anderen festmachen. Der Lehrmeister bildet den Lehrling aus, und der erfahrene Facharbeiter hilft dem Neuen, damit der auch hinter die Kniffe kommt und sich nicht unnötig abplagen muß. So sollte es sein, und so ist es zum Glück auch vielfach: Einer trägt die Last des anderen mit, man unterstützt sich gegenseitig.

Auch in der christlichen Gemeinde ist das gegenseitige Tragen der Lasten sehr hilfreich. Gerade hier sollten wir es in vorbildlicher Weise üben, weil Jesus es von uns fordert. Es gibt immer welche, die im Glauben schon etwas fortgeschrittener sind. Das ist nicht eine Frage des Alters, denn auf diesem Gebiet können auch die Kinder weiter als ihre Eltern sein.

Es gibt aber immer auch wieder Christen, die bilden sich etwas auf ihren Glauben ein. Sie wollen sich nach vorne drängeln, den anderen Vorschriften machen und sich nicht mehr helfen lassen. Doch je stärker einer ist desto mehr ist er der Gemeinde verpflichtet. Wer Gaben hat, der sollte denen damit dienen, die nicht so viel haben. Schließlich ist uns alles nur von Gott geschenkt, auch der Glaube.

Wir leben alle von der Vergebung und der Geduld Gottes. Keiner hat das Recht, über den anderen zu richten, denn dadurch würde er am Ende noch aus der Gemeinschaft hinausgeekelt. Damit soll nicht gesagt sein, daß man aus Liebe immer nachgeben müßte und keine Kritik üben dürfte. Es geht gegen das lieblose Aburteilen des anderen, das wir so gern üben, anstatt dem anderen aufzuhelfen, wenn er gefallen ist.

Eine Sache muß auch einmal wirklich aus der Welt geschafft sein. Nur können wir das nicht selber bewerkstelligen, sondern das ist die Tat Jesu Christi. Unsre Lasten können wir auf sein Kreuz legen, er schleppt sie dann schon weg.

Wenn er aber unsre Schuld getragen hat, dann sollten wir aus Dankbarkeit auch nach seiner Art leben. Das tun wir, wenn wir gegenseitig die Lasten tragen, die uns auferlegt sind. Dabei sollten wir aber auch nicht vergessen, daß wir auch selber den anderen zu tragen geben und sie unter uns leiden. Unsre Aufgabe wäre, diese Lasten möglichst klein zu halten, damit die anderen mehr von der Freiheit Gottes verspüren können.

Eine gute Gelegenheit, unsre Last und Schuld loszuwerden, ist das Abendmahl. Da werden uns die Klötzer am Bein weggenommen und wir werden gestärkt für unseren weiteren Weg.

Unserem Herrn dürfen wir uns immer wieder zuwenden, weil er es ja gewesen ist, der diese Aufforderung des Paulus in die Tat umgesetzt hat: „Einer trage des anderen Last!"

 

 

Epheser

 

Epheser 1, 3 - 14 (Trinitatis):

Jeder Mensch muß einmal Lesen und Schreiben lernen. Und jeder Christ muß einmal mit den Grundlagen des Glaubens vertraut werden, auf den er einst getauft worden ist. Er hat auch den kirchlichen Unterricht abgeschlossen. Aber nach einiger Zeit muß man auch einmal Bilanz zu machen und sich zu fragen: „Was hat mir denn dieser Glaube im Leben gegeben, hat er mir genützt oder geschadet?“

Der Sonntag Trinitatis ist vielleicht besonders für ein solches Nachdenken geeignet. Er weist uns ja darauf hin, daß ein und derselbe Gott uns in drei Gestalten begegnet, nämlich als Vater, Sohn und Heiliger Geist. So wie Wasser nicht nur flüssig sein kann, sondern festgefroren wie Eis und flüchtig wie Dampf, so erscheint Gott uns auch in drei Formen. Er ist „dreifaltig“, das heißt. Er ist in drei Erscheinungsformen auseinandergefaltet. Aber er ist dennoch auch „dreieinig“, das heißt: Er ist doch immer nur e i n Gott.

Unser Predigttext aus dem Epheserbrief gibt uns nun eine knappe Zusammenfassung dessen. Was jeder Christ über diesen dreifaltigen und dreieinigen Gott wissen sollte. Er ist gewissermaßen das ABC unsres Christseins, eine eiserne Ration für unser Leben im Glauben. Doch es geht dabei nicht nur um bloßes Wissen. Die Theorie allein erweckt noch kein geistliches Leben. Ein kirchlich geprüfter Konfirmand ist    noch nicht ein lebendiger Christ. Man kann das Vaterunser zwar auswendig können, aber es doch nie von ganzem Herzen gebetet

haben. So werden wir uns auch heute wieder fragen müssen: „Worin liegt denn die Bedeutung unseres Wissens von Gott für das alltägliche Leben?“

Wenn wir hier eine Antwort finden wollen, dann bewährt sich wieder einmal die Einteilung unseres Glaubensbekenntnisses in drei Artikel. Wir können ja direkt fragen: „Gibt es nicht eine Kurzfassung des ganzen Glaubensbekennt­nisses, in der gleichzeitig die Bedeutung dieses Glaubens für uns deutlich wird?“ Man kann es einmal mit drei Sätzen versuchen:

 

(1.) Ich glaube, daß mich Gott erwählt hat: Vielleicht meint der eine oder andere, nur wenig von dem Segen Gottes zu spüren, von dem hier im Epheserbief die Rede ist. Im Alten Testament gilt der als gesegnet, dem die Güter dieser Erde in Fülle zugefallen sind: reiche Ernte, wirtschaftlicher Wohlstand, Kinderreichtum, Ansehen bei den Nachbarn usw. Aber darüber haben sich die Auffassungen längst gewandelt: Kinderreichtum zum Beispiel wird von den meisten unsrer Zeitgenossen eher als eine Last denn als Segen empfunden. Und unseren Wohlstand verstehen wir doch auch nur als das Werk unsrer regsamen und nimmermüden Hände.

Wenn es uns heute besser geht als früher, dann haben wir das doch allein uns selber zu verdanken. Was soll das mit dem Segen Gottes zu tun haben? Noch dazu ein „geistlicher Segen in himmlischen Gütern“! Ist das Ende etwa erst etwas, das jenseits unserer Welt liegt?

Der Segen Gottes zeigt sich nicht so sehr in materiellen Dingen, sondern tatsächlich auf dem Gebiet des Glaubens. Gott zeigt sich uns in seinem Sohn Jesus Christus. Er kommt uns hier als Mensch nahe und zeigt uns darin seine Liebe. Gott kommt uns entgegen, nicht wir ihm.

Er hat einen Treffpunkt bestimmt, an dem er uns begegnen will.

An uns liegt es nun, ob wir diese Verabredung einhalten. Der genaue Termin ist offengelassen. Aber das heißt doch wohl: Gott kann uns an jedem Tag und zu jeder Stunde begegnen. Hier in diesem Gottesdienst ist er uns nahe, wenn wir sein Wort hören und das Sakrament des das Abendmahls miteinander feiern.

Aber er ist uns auch nahe in den Menschen, die er uns schickt: im Ehepartner, in den Kindern, in den Verwandten, in den Freunden, aber auch in den Unbekannten, deren Not uns vor die Füße gelegt wird. Gott hat sich mit uns verabredet, er will uns begegnen. Das war sein Wille von Anfang an, dazu hat er uns erwählt.

Es könnte Gott kalt lassen, was aus uns wird. Er könnte zu den Unmengen an Menschen ein ganz unpersönliches Verhältnis haben wie zu einem Ameisenhaufen. Aber wir sind nicht Inventarstücke einer großen bunten Welt, sondern von ihm geliebte Wesen, so wie ein Vater seine Kinder liebhat. Er hat uns erwählt. Daran sollten wir nicht zweifeln, sondern ihn dankbar loben. Gott ist auch nicht der große Unbekannte, sondern in Christus hat er für uns Gestalt angenommen.

Es ist nicht ein glücklicher Zufall, daß Gott auf uns gestoßen ist. Es ist auch nicht zu befürchten, daß er unversehens wieder anderen Sinnes werden könnte. Schon vor der Erschaffung der Welt hat er an uns gedacht. Er hat uns als seine Kinder haben wollen, denen er Gutes tun kann und die gern zu ihm gehören.

Hierin liegt der Segen für uns: Wir haben einen Gott, der uns liebhat. Deshalb ist unser Leben nicht eine Fahrt ins Blaue. Es waltet nicht ein blindes Schicksal über uns und das Ziel unseres Lebens ist nicht ungewiß. So wie bei einer Wanderung über das freie Feld der Kirchturm uns die Richtung nach der Heimat zeigt, so zeigt uns Gott den Weg zur himmlischen Heimat

Seit unsrer Taufe gehören wir zu Gott. Hier hat er seine Erwählung in die Tat umgesetzt. Seitdem haben wir die Möglichkeit, die Liebe Gottes in unserem Leben umzusetzen und unter die Leute zu bringen. Mancher hat schon viel Gutes im Leben tun können. Wir wollen Gott dafür dankbar sein, daß er uns die Fähigkeiten dazu mitgegeben hat.

 

(2.) Ich glaube, daß Jesus Christus mich erlöst hat:

Vielleicht sehen wir aber gar nicht so recht ein, daß wir von etwas losgemacht werden müssen. Wir sind doch freie Menschen und können tun und lassen, was wir wollen. Aber wenn jemand krank ist, dann täuscht er sich ja auch oft über seine tatsächlichen Zustand: entweder hält er sich für kränker als er tatsächlich ist. Oder er will die Gefahr für sein Leben nicht wahrhaben.

Man kann sich sehr über sich selbst täuschen. Entweder man hält sich für größer und tüchtiger sie man tatsächlich ist. Oder man meint, zu nichts mehr zu taugen und im Grunde ein wertloses Leben zu führen. Wenn man jung ist, wird man eher der Gefahr der Überschätzung unterliegen. Wenn man älter ist, wir man eher seine Möglichkeiten unterschätzen.

Auf dem Gebiet des Glaubens ist eine solche Täuschung aber noch viel gefährlicher. Da versucht man oft, die Schuld mit einem Mantel des Vergessens zuzudecken. Gott reißt uns diesen Mantel herunter und zeigt uns allen Leuten, so wie wir wirklich sind. Aber Christus bekleidet uns wieder mit Mantel der Vergebung und verändert so unser Leben ganz tiefgreifend.

Dazu hat Jesus sein Blut am Kreuz vergossen. Dazu ist er von Gott am dritten Tag auferweckt worden. Er ist jetzt der Herr des Weltalls und räumt alles weg, was Gott und uns beschwerlich sein könnte. Allmählich füllt er die ganze Welt auf mit der Liebe Gottes und zuletzt wird nichts mehr sein, was nicht von seiner Liebe erreicht wird.

Wir wollen heute dafür danken, daß sie vor allen Dingen uns erreicht hat. Gerade die Älteren haben hier eine Aufgabe, anderen davon zu erzählen, wie sie die Liebe Christi in ihrem Leben erfahren haben. Gewiß war für jeden viel Schweres dabei, auch Schuld und Versagen. Aber heute haben wie die Gelegenheit, mit Christus in Berührung zu kommen und ihm zu danken für das, was er an uns getan hat.

 

(3.) Ich glaube, daß der Heilige Geist mich erleuchtet hat: Die volle Verwirklichung des Heils liegt noch vor uns. Wir können das Erbe noch nicht voll antreten. Aber wir haben einen An­rechtsschein darauf. Das ist der Heilige Geist, der und seit der Taufe mitgegeben wurde. Sicherlich werden wir erst jenseits des Todes in einem neuen Leben erkennen, welche Bedeutung dieser Geist Gottes für unser Leben hat.

Gott selbst schafft durch seinen Geist die neue Erkenntnis: Für den Maulwurf besteht die Welt aus kleinen Erdlöchern und Gängen. Der Mensch aber denkt in den Weiten des Weltalls. Der glaubende Mensch aber dringt in noch tiefere Geheimnisse ein. Es ist ja nicht so, daß der Glaube alles vernebelt, wie manche behaupten. Im Gegenteil: Er schafft Klarheit. Einmal läßt er uns die Geheimisse Gottes erkennen. Zum anderen aber gibt er uns Klarheit für unser praktisches Leben. Daß ich mich selbst Welt im Lichte Gottes sehe, verdeckt mir ja nicht den Blick auf gegebene Tatbestände. Ich werde vielmehr dankbar und aufgeschlossen immer wieder Neues entdecken, aber auch kritisch und nüchtern bleiben.

Wenn wir jetzt in diesen Tagen die Natur betrachten, dann werden wir all ihre Schönheit entdecken. Aber wir sehen auch den wirtschaftlichen Nutzen, den sie für uns hat; und wir bemerken auch die Gefahren, die der Welt durch die Umweltverschmutzung drohen. Dennoch begreifen wir die Natur als eine Schöpfung Gottes. Und wenn wir sie genießen oder benutzen, dann sind wir Gott dankbar für seine Gabe. Der Glaube an Gott hindert nicht unsre Erkenntnis, sondern erweitert sie nur noch.

Dieser Geist Gottes macht uns aber auch zugleich deutlich, wessen Eigentum wir sind und unter wessen Schutz wir stehen. Ein Sklave hatte im Altertum eine Tätowierung an sich, an der man gleich erkennen konnte, welchem Herrn er gehörte. So ist uns auch bei der Taufe gewissermaßen ein Siegel aufgeklebt worden, das unsre Zugehörigkeit zu Gott klarlegt.

Gewiß, mancher hat die Berufung in die Gemeinde Gottes nachher nicht mehr wahrhaben wollen. Er hat gewissermaßen das Siegel Gottes abgerissen und versucht sich so durchs Leben zu schlagen. Es sind heute ja längst nicht alle diejenigen hier, die einmal konfirmiert worden sind.

Wir aber dürfen freudig bekennen, was Gott uns geschenkt hat: Ich glaube, daß mich Gott erwählt hat! Ich glaube, daß Jesus Christus mich erlöst hat! Ich glaube, daß der Heilige Geist mich erleuchtet hat! Ohne unser Zutun hat Gott das an uns getan. Wir werden auch weiterhin nur Empfangende sein. Aber gerade deshalb könnte alle Verdrießlichkeit von uns abfallen und alle Müdigkeit schwinden. Wir haben doch wenigstens eine Perspektive, uns ist doch schon längst die Zukunft durch Gott gesichert.

 

 

Eph 1, 15 - 20 a (4. Sonntag nach Epiphanias):

Wenn wir unsre Gemeinde betrachten, dann können wir sicher manche Schäden an ihr feststellen. Das ist mit jeder Gemeinde so, da machen wir sicher keine Ausnahme. Wir sind eben auch eine menschliche Organisation wie andere auch, haben selber unsre Schwächen und

haben Anteil an der Brüchigkeit dieser Welt. Wenn es wirklich nur an uns läge, bestünde die Kirche wahrscheinlich gar nicht mehr.

Sicherlich: Äußerlich sieht alles noch einigermaßen passabel aus. Die Gebäude sind in einem zufriedenstellenden Zustand, Geld ist auch noch da, es finden Gottesdienste und Unterricht statt und wenn man eine Amtshandlung wünscht, wird das alles auch möglich gemacht. Äußerlich gesehen scheint alles in Ordnung zu sein, und viele in der Gemeinde sind auch voll davon überzeugt.

Doch ein Schade wird deutlich, wenn man einmal jemanden sucht, der der Gemeinde hilft und sich für einen Dienst zur Verfügung stellt. Da wird zum Beispiel ein Zimmer für eine Kindergartenmitarbeiterin gesucht. Jeder erklärt: „Bei uns geht es nicht, aber gehen Sie doch einmal zu den oder dem, der hat Platz!“ So etwas ist demütigend für den Fragenden, weil er ja genau weiß, daß das Zimmer sehr wohl an andere vermietet wird (sonst hätte man ja gar nicht gefragt).

Oder denken wir an die Suche nach nebenamtlichen Mitarbeitern, die für eine bestimmte Zeit eine Aufgabe übernehmen sollen, zum Beispiel im Kirchenvorstand. Da kann man die ganze Palette von Ausreden hören: „Ich bin im Beruf so angespannt, ich habe eine Trainingsgruppe übernommen, ich will für meine Kinder da sein!“ Die Älteren sagen: „Das ist doch etwas für die Jungen!“ Und die Jüngeren meinen: „Ich habe nicht genug Erfahrung, da müssen erst einmal die Älteren ran!“

Ganz schlimm ist das Erschrecken bei manchem der Angesprochenen: „Wie kommt der Pfarrer nur dazu, mich zu so etwas haben zu wollen? So heilig bin ich doch auch wieder nicht! Natürlich will ich zur Kirche gehören. Aber doch nicht gleich eine Funktion übernehmen, nicht Verantwortung mittragen und im Licht der Öffentlichkeit stehen. Wir gehen doch sowieso nur an Heiligabend zum Gottesdienst!“ Und die Folge ist dann, daß man auch nicht mehr an Heiligabend kommt, um nur ja nicht als zu fromm zu erscheinen.

In den Freikirchen haben sie damit sicher keine Probleme. Da ist es selbstverständlich, daß jeder mittut. Da geht es reihum und jeder sieht es als eine Ehre an, mithelfen zu dürfen. Dennoch sollte man nun nicht die Folgerung ziehen, sich einer solchen Gemeinde anzuschließen. Dort wird auch nur mit Wasser gekocht, da gibt es wieder andere Probleme. Vielmehr sollten wir versuchen, das Leben unsrer Kirche zu verbessern und uns ihr gefragt oder ungefragt zur Verfügung stellen.

Im Epheserbrief aber - jedenfalls in dem Stück, das wir heute betrachten wollen - ist nicht von Problemen und Schwächen, nicht von Verirrungen und Gefahren die Rede. Vielmehr ist das im Blick, was Gott in der Gemeinde bewirkt hat. Fast sieht es so aus, als habe der Verfasser ein geradezu unwirkliches Bild der Gemeinde vor Augen. Aber was immer den Apostel zur Besorgnis veranlassen könnte: Zuerst denkt er immer an das, was Gott an dieser Gemeinde

getan hat und weiter tun wird.

In dieser Zeit nach Weihnachten denken wir daran, daß Gott in Jesus Christus erschienen ist (wie es im Lied heißt: „Gott selber ist erschienen“). Aber dazu gehört auf der anderen Seite auch der Mensch, dem die Augen für Gott aufgehen. Hier liegt der Ton mehr auf der Gemeinde, die von der Selbstkundgabe Gottes betroffen wird. Er ist es aber, der das geistliche Leben der Gemeinde sicherstellt. Darum sollten wir: 1. danken für das, was wir haben, 2. bitten um das, was wir brauchen, 3. den Blick haben für das, was uns erwartet.

 

(1.) Wir danken für das, was wir haben: Gott hat an jeder Gemeinde etwas Grundlegendes und Großes getan. Wenn es vielleicht auch der Veränderung und des Umbaus bedarf, so dürfen wir doch dankbar werden für das, was wir haben. Das kann man nicht so stumm und stumpf

einfach hinnehmen, als müßte es so sein. Dank ist eine Ur-Regung des menschlichen Lebens. Wer sich bedankt, bringt zum Ausdruck: „Du hast mir etwas Gutes getan, ich habe es gemerkt und verstanden. Ich will es dir nicht vergessen und weiter mit dir verbunden bleiben durch Geben und Nehmen!“

Der Verfasser dankt nicht nur flüchtig, sondern unaufhörlich für den Glauben der Leser, weil er darin eine Tat Gottes sieht. Wo immer sich Christen finden, da hat Gott etwas getan, was ohne ihn nicht wäre. Wir sind einbezogen in die Wirklichkeit des Christus, werden von ihr umhüllt, werden hineingetaucht in das neue Sein. Trotz allem, was uns an ihr irre machen will, wir dürfen danken für die Kirche, für unsre Kirche.

Es geht dabei nicht darum, daß der äußere Bestand der Kirche erhalten geblieben ist. Wir danken nicht dafür, weil sich Menschen einfinden, die „Religion“ irgendwie brauchen oder die die Gewohnheiten der Vorfahren einfach beibehalten wollen. Glaube ist immer ein Wunder. Er ist der Anfang der neuen Welt. Den kann aber nur Gott setzen. Und dafür danken wir ihm.

Doch: Tun wir es wirklich? Betreten wir das Gotteshaus mit dem Dank an Gott dafür, daß mitten in der Welt die Sammlung derer sich befindet, die Gott in seiner Liebe erwählt hat? Versuchen wir die heranzuholen, die es noch nicht wissen? Begriffen haben wir Gottes Tat nur in dem Maße, in dem wir uns wundern, - und auch darüber wundern, daß wir selbst dabei sind.

Aus manchen Gemeinden berichtet man: „Der Gottesdienstbesuch hat zugenommen, aber die Arbeit mit den Kindern ist schwierig!“ Anderswo ist es eher umgedreht, da sieht man voller Dankbarkeit auf die Beteiligung der Kinder. Sie verkriechen sich nicht auf den hinteren Bänken, wie die Erwachsenen, sondern setzen sich selbstverständlich ganz vorne hin. Auch als Mitarbeiter lassen sie sich viel leichter gewinnen, manche bieten sich sogar von selber zum Dienst an.

Wer sich aber zum Dienst in der Kirche rufen läßt, der hat dann manchmal doch den Eindruck, daß er gebraucht wird. Manchmal genügt schon ein Besuch, über den sich der andere freut. Aber manchmal erwartet einer auch eine tiefe Hilfe aus dem Glauben heraus. Da können wir ihm doch aus Gottes Wort eine Hilfe anbieten. Wir haben wenigstens etwas in der Hand, was wir weiterreichen können. Das macht uns dankbar gegenüber Gott.

 

(2.) Wir bitten um das, was wir brauchen: Kaum ist im Epheserbrief der Dank zu Papier

gebracht, da geht es auch schon zur Bitte über. Wir haben zwar das geistliche Leben - wir brauchen es aber auch immer wieder neu.

Das ist kein Gegensatz: Ein Kraftwerk hat zwar im Augenblick Wasser, aber es braucht ständig auch wiederum neues Wasser. Gott kann man nur „besitzen“, indem man ihm in jedem Augenblick neu empfängt. Wir. leben als Kirche „von der Hand in, den Mund“ ‚genauer gesagt: aus Gottes Hand in unseren Mund! Das aber ist Glaube: sich bleibend an Gott und sein Geben gebunden wissen.

Das gilt schon für den „Normalbetrieb“, aber erst recht, wenn man an ein Wachstum und Fortschreiten im Glauben denkt. Es gibt nicht Christen verschiedenen Ranges, wie das die damaligen Irrlehrer behaupteten. Für a l l e Glieder der Gemeinde wird das Gleiche erbeten, nämlich der Geist der Weisheit und Offenbarung.

Gotteserkenntnis ist nicht Kenntnisnahme von Lehrsätzen über Gott, sondern Begegnung mit ihm, der uns durch Jesus Christus zu seinen Kindern gemacht hat. Was wir aber erkennen, können wir uns nicht zusammenfabulieren, sondern es wird uns durch die Bibel und durch die Kirche vermittelt. Dazu brauchen wir allerdings erleuchtete „Augen des Herzens“, wie es in dem Predigttext heißt.

Es gibt ein inneres Schauen aus der Mitte der Person heraus. Man kann lange zu Christus Abstand gehalten haben, aber auf einmal geht einem der Blick für das Besondere an Jesus auf. Dann kann man ihm nur gegen besseres Wissen und Gewissen ausweichen, dann muß man auf ihn hören, weil in ihm Gott uns begegnet.

 

(3.) Wir haben den Blick für das was uns erwartet: Der Blick des Herzens gilt auch der Hoffnung, die sein Ruf eröffnet. Die Zukunft ist ja bereits angebrochen darin, daß Gott in seiner Macht. Christus von dem Toten auferweckt hat. Aber Christen haben ihr Bestes immer noch vor sich, nämlich dann, wenn Himmlisches und Irdisches zusammengefaßt werden. So bittet der Schreiber für seine Leser um erleuchtete Augen des Herzens für das, was uns erwartet. Wir sind ja längst in den Liebesplan Gottes einbezogen. Doch das ist nicht eine Sache des Denkens und Wissens, sondern eine Vertrauenssache. Aber weil wir ja unsren Gott kennen, dürfen wir auch unsrer Hoffnung gewiß sein.

 

 

Epheser 1, 20b – 23 (Himmelfahrt):

Es gibt einen Fernsehsender, der heißt „Astro TV“.  Was in den Zeitungen das Horoskop leisten soll, wird hier aufs Fernsehen übertragen. Auch hier will man aus dem Stand der Sterne das Schicksal eines jeden Menschen herauslesen können. Dort kann man anrufen, und dann antwortet eine Frau oder auch ein Mann auf alle Fragen des Lebens: Beruf, Geld, Liebe, Familie, Gesundheit. Der erste Anruf ist noch kostenlos. Aber damit sollen die die Zuschauer nur angefüttert werden, damit sie immer wieder anrufen.

Und manche tun das ganz intensiv: Bei jeder Frage, die sie an sich selber entscheiden könnten oder müßten, wird erst noch einmal angerufen. Es entsteht ein Suchtverhalten, das dann viel Geld kostet. Aber die vom Fernsehen sagen hinterher immer, um jede Haftung auszuschließen: „Garantieren können wir nicht, daß unser Rat auch der richtige ist!“ Sie machen aber gern negative Voraussagen, denn wenn diese eintreffen, haben sie richtig „vorausgesagt“. Wenn sie aber nicht eintreffen, ist der Kunde auch zufrieden, weil ihm das Unglück erspart geblieben ist.

Man sage nun aber nicht: Dieser Gestirnsaberglaube ist doch nur etwas für Hinterwäldler. Wenn die Lokalzeitung gegen ihre Überzeugung meint, ein Horoskop abdrucken zu müssen, weil die Kundschaft das fordert, dann zeigt das doch einen Bedarf. Und wenn  so ein Fernsehsender sich halten kann, dann zeigt das doch, daß das Verlangen danach groß ist. Offenbar liegen hier uralte Bedürfnisse vor, die gerade in unserer modernen Welt immer noch als notwendig angesehen werden (vielleicht gerade weil sie so modern ist).

Im Altertum gab es ja noch das Weltbild mit den drei Stockwerken: Himmel - Erde - Unterwelt. Außerdem sollte es noch ein Zwischengeschoß geben, das von allerhand guten Geistern bevölkert war, vor allem aber auch von bösen Geistern. Und diese waren vor allem darauf be­dacht, keinen durchzulassen, der zu Gott will. Außerdem stellte man sich vor, daß diese Mächte über die Schicksale der Menschen auf der Erde bestimmen.

Aber wenn Christus dieses Zwischenstockwerk durchschritten hat und jetzt über allem „zur Rechten Gottes im Himmel“ ist, dann hat er all diese Mächte überwunden. Er hat gezeigt, daß das geht und uns damit Mut gemacht, uns von einem solchen Aberglauben an böse Mächte frei zu machen. Nichts anderes will uns die Aussage über die Himmelfahrt Christi verdeutlichen. Gott allein ist das Haupt, und zwar des Weltalls wie der Kirche.

Ist uns schon einmal aufgefallen, daß im Glaubensbekenntnis eine zeitliche Abfolge genannt wird?  „Aufgefahren in den Himmel“ ist für uns Vergangenheit. „Er sitzt zur Rechten Gottes“ ist Gegenwart. „….zu richten die Lebenden und die Toten“ aber wird erst Zukunft sein. Wir ste­hen also jetzt an dem Punkt, daß Christus die Mitherrschaft angetreten hat. Rechts vom Herrscher sitzt immer sein Stellvertreter und erster Ratgeber. Und wenn Jesus Christus diese Stelle eingenommen hat, dann dürfen wir vertrauen, daß keine fremde Macht uns beherrschen kann. Wir haben es also nicht nur mit einem erdachten oder nur erinnerten Gott zu tun, sondern mit einem lebendigen Herrn, der an der Weltregierung des Vaters beteiligt ist.

Christus ist der Herr in dieser und der kommenden Welt. Diese beiden überlagern sich gewissermaßen räumlich. Wenn wir mit Christus auferweckt sind, dann hat die Auferstehungswelt für uns schon begonnen, allerdings nur so, daß das erst in den kommenden Zeiten erkennbar werden wird. Was vom Ende her gesehen schon verwirklicht ist, muß in der Geschichte erst durchgesetzt werden.

Da wird es aber Zeit, daß wir das alte Weltbild ablegen und uns nicht mehr vor irgendwelchen himmlischen Mächten fürchten. Man meinte ja, diese seien so etwas wie Lebewesen, die Macht ausüben auf das Ergehen in der Welt und der Menschen. Die Gestirnsbahnen sind festgelegt und sollen auch den Ablauf des Lebens der Menschen bestimmen. Aber wer das heute noch glaubt, der ist immer noch der alten Zeit verhaftet.

Doch seltsamerweise hält sich das immer noch. An sich meinten wir doch, daß wir den Himmel ausgefegt hätten von bösen, aber auch von guten Engeln. Diese Vorstellungen haben wir nicht mehr nötig. Aber dann sprechen wir doch wieder von „Schicksal“ und „Sachzwängen“. Wir sind zwar stolz darauf, uns die Erde untertan gemacht zu haben und die Natur zu beherrschen. Und doch spüren wir etwas von der Gefährlichkeit dessen, was wir im Blick zu haben meinen. Die Frage kommt auf: „Dürfen wir das, was wir können? Sind wir Manns genug, gewisse verderbenbringende Entwicklungen aufzuhalten?“

Dabei brauchen wir gar nicht nur an die Gefahren der Atomkraft zu denken. Was wird aus dem Anwachsen des Verkehrs? Was wird aus den Gewässern und Wäldern? Werden unsere Enkel noch genügend Sauerstoff zum Atmen haben? Daß eine Stadt wie Peking wochenlang unter einer gesundheitsgefährdenden Dunstglocke liegt, gibt doch zu denken. Da werden Teile unserer Umwelt zum Bannwald oder Landschaftsschutzgebiet erklärt, aber wenn man sie an­geblich braucht, werden sie doch „verbraucht“. Oder da wird Genmais gezüchtet, aber schon nach kurzer Zeit haben doch wieder Schädlinge überlebt, aber der genveränderte Mais bleibt in der Welt.

Hier kann man nicht nur von „Schicksal“ reden, sondern man muß auch die eigene Schuld zur Sprache bringen. Dabei ist das „Böse“ in der Welt nicht nur die Summe all der vielen kleinen Bosheiten unseres Lebens, sondern es gibt auch eine unsichtbare Macht der Lüge, der Eigensucht, des Mißtrauens und der Menschenverachtung. Und wer einmal schuldig geworden ist, kann nicht einfach ausscheiden aus der Gangsterbande, dem Spionagering oder der Terrorgruppe. Es gibt also doch unsichtbare Mächte, die uns gefangen halten.

Doch diese kann man nur überwinden, indem man sich an den hält, der jetzt beim Vater mitbeteiligt ist an der Herrschaft über die Welt. Gott hätte natürlich die von ihm geliebte, aber sündige Welt einfach wegfegen und vernichten können. Aber die Himmelfahrt macht uns deutlich, daß Gott seine Vollmacht dem übergeben hat, dessen ganzes Werk darin bestanden hat, die Sünder zu retten.

Das heißt aber nicht, daß damit alle „Mächte“ ausgeschaltet und beseitigt sind: Krieg, Hunger, Haß, Machtmißbrauch, Krankheit, Naturkatastrophen. Wir haben noch zu kämpfen. Aber wir dürfen eine Hoffnung haben: Gott gewinnt zurück, was ihm widersteht, Christi Herrschaft besteht in dem vergebenden Wort.

Des Teufels beste Waffe war, daß er den Menschen sagte: „Bei Gott habt ihr nichts zu hoffen!“ Aber die Himmelfahrt macht und uns deutlich, daß wir alles zu hoffen haben. Zwar herrscht Christus noch aus der Verborgenheit heraus, er greift oft nicht unmittelbar ein. Die bösen Mächte toben sich noch aus in einer vergehenden Welt. Aber inzwischen sind die Menschen, die noch vor ihnen Angst hatten, in Gottes Liebe geborgen. Alles, was uns Angst machen könnte, wird ausgehungert, indem es zu etwas Vorläufigem wird, das gar nicht mehr ernsthaft in Betracht kommt.

Damit sich Gottes Herrschaft besser ausbreiten kann, gibt es die Kirche. Sie soll erkennen, was ihr gegeben ist. Dazu braucht sie erleuchtete Augen und einen starken Glauben. Die Kirche ist auch ein großes Sozialgebilde. Aber das ist nicht das, was sie eigentlich ausmacht. Sie ist kein Verein, der sich mit dem christlichen Glauben beschäftigt und diesen Glauben ins Leben umzusetzen versucht. Die Kirche ist der Platzhalter Christi auf Erden.

Himmelfahrt bedeutet nicht, daß Christus nun entrückt ist in eine unerreichbare Ferne. Der Erhöhte ist immer der Fleischgewordene in seiner ganzen Menschlichkeit. Nur ist seine Leiblichkeit nun nicht mehr an den irdischen Raum gebunden.

Christus ist allgegenwärtig, darum ist er auch in seiner Kirche gegenwärtig. Er herrscht in ihr aber nicht wie über die Mächte der Welt, sondern weil die Kirche sein „Leib“ ist, herrscht er hier anders. Haupt und Leib hängen aber aufs engste miteinander zusammen, aber der Leib ist nicht das Haupt. Christus gibt es also nicht nur in der geschichtlichen Umsetzung als Kirche, denn er sitzt weiter zur Rechten Gottes. Er ist also von allem Irdischen unterschieden, auch von der Kirche, insofern sie aus Menschen besteht. Aber sein Leben ist in ihr, vom Haupt her wird der ganze Leib belebt. 

Ist Christus der zu Gott erhöhte, dann werden wir in der Kirche immer mehr Leute werden und so ihm entgegenwachsen. Himmelfahrt wird so zum Programm: Was schon ist, soll verwirklicht werden, indem Christus nach und nach das Ganze der Welt in sich vereinigt. Geht es nach ihm, so bleibt keiner draußen.

 

 

Eph 2, 4 – 10 (11. Sonntag nach Trinitatis):

Von einem Fernsehturm herab kann man gut der Großstadtverkehr beobachten: Die Autos werden wie von Geisterhand angehalten und fahren wieder los. Die Straßenbahnen, Busse und. Eisenbahnzüge fahren wie in einem Spielzeugland. Die einzelnen Menschen sind kaum noch zu erkennen. Wenn man das so sieht, kann man schon der Meinung sein: „Dieses pulsierende Leben ist schön, da sieht man gerne zu!“

Aber wenn man sich zur Feierabendzeit durch diesen Verkehr quälen muß, dann ist das weniger schön. Es kommt eben auf die Sichtweise an, die man hat. Das gilt auch für dieser Abschritt aus dem Epheserbrief. In diese mächtigen Sätze ist fast alles hineingepackt, was über das Heil in Jesus Christus zu sagen ist. Sie sind gesprochen, wie wenn, man aus dem Himmel auf die Erde blickt.

Es wird ja sogar gesagt, in Jesus Christus seien die Christen schon in den Himmel versetzt. Doch das ist natürlich nicht räumlich gemeint, so als könnte man wirklich vor irgendwo oben auf die Welt herabsehen. Es geht vielmehr um eine Machtverleihung: Wer zu Christus gehört, erhält Anteil an seiner Kraft und an seiner Herrschaft über die widergöttlichen Mächte. Er lebt in dieser Welt schon so, daß er nicht mehr v o n dieser Welt ist.

Doch die heidnischen Nachbarn und Kollegen von damals und von heute würden sicher mit dem Kopf schütteln: „Wir sollen tot sein in unsren Sünden? Wir sind doch lebendig und kräftig, wir denken noch nicht ans Sterben!“ Und vielleicht würden sie noch hinzufügen: „Seitdem du dich zu diesen komischen Christen hältst und zu ihren Versammlungen gehst, bist du so seltsam geworden. Immer habt ihr es mit dem Tod und dem Leben, dazu noch mit einem Leben, das nicht zu Ende geht!“ Es kommt eben auch hier auf die Sichtweise an.

Nun läßt sich allerdings nicht leugnen, daß wir in einer Welt der Sünde leben. Kurz vorher ist von den „Lüsten des Fleisches“ die Rede. Das könnte den Verdacht nahelegen, als gehe es hier nur gegen die damals wie heute verbreitete Unsittlichkeit. Aber es gibt heute viel abscheulichere Sünden: Da werden Tausende vor Menschen gefoltert und umgebracht, aber eine große Sportveranstaltung findet dennoch dort statt. Da hungern täglich Millionen vor Menschen, aber eine neue wirtschaftliche Ordnung der Welt verstößt gegen unsere Interessen, weil wir dann wirklich teilen müßten mit den Armen der Welt.

Auch heute gibt es Menschenverachtung und mangelndes Verständnis. Aber wir meinen, nichts daran ändern zu können, weil wir selber nur ganz kleine Räder im Getriebe sind und selber mit geschoben werden. Unkontrollierbare Mächte herrschen über uns und andere und lassen nicht zu, was wir eigentlich möchten. So wird unser Leben gnadenlos zerstört, aber wir selber tragen auch mit zu dieser Zerstörung bei. Und das ist es, was wir heute „Sünde“ nennen müssen.

Hier im Epheserbrief aber wird das Lied vor Menschen aufgenommen, die sich bereits in der Vollendung wissen. Sie haben nach ihrer Meinung die Übertretungen hinter sich gelassen und rühmen sich ihrer Rettung. Sie haben ihre Wahl getroffen und fühlen sich ins Himmlische versetzt. Wir kennen solche Menschen, die so fest im Glauben zu sein scheinen, daß wir nur vor Neid und Ehrfurcht er blassen können. Alle Lebensprobleme, aller Druck von außen, alle Unglücksfälle scheinen ihnen nichts anhaben zu können. Und wir fragen uns nur: „Ist das wirklich echt, dieses Lebensgefühl, und diese Glaubensgewißheit, oder hat man sich da nur in etwas hineingesteigert, das durch die Wirklichkeit nicht gedeckt wird?“

Durch Christus ist uns der Weg über das Hier und Heute hinaus schon gewiesen. Aber sind wir damit schon über das Heute hinweg? Christliches Leben ist nicht ein Schweben in irgendwelchen erträumten Himmeln. Viele werden einfach leugnen, daß es einen solchen Himmel gibt. Was nicht im irdischen Leben geschieht, ereignet sich überhaupt nicht. Leiden und Tod müssen gelassen oder mit zusammengebissenen Zähnen hingenommen werden; aber jede Hoffnung, die über dieses Leben hinausreichen soll, ist eine Einbildung. So ist doch die nüchterne Einstellung vieler Menschen.

Daß wir nicht im Himmel sind, daran kann uns schon ein ganz gewöhnlicher Zahnschmerz erinnern. Durch unsere Leiden werden wir immer wieder auf die Erde heruntergeholt. Gott will das auch so, durch Schwachheit und Schande will er zum Zug kommen, die Erniedrigung gehört mit dazu. Der Epheserbrief will uns nicht einreden, daß wir das alte Leben schon hinter uns hätten und die Grenze zur Welt Gottes schon überschritten hätten. Sonst brauchte er keine Mahnungen auszusprechen oder vom Kampf gegen die arglistigen Machenschaften des Teufels zu reden.

Dennoch gilt, daß wir mit und in Christus schon ins Himmlische versetzt sind. Wir dürfen „irdisch noch, schon himmlisch sein!“ Wir sind nicht nur der alte Mensch, sondern zugleich neue Kreatur. Deshalb können wir uns glücklich schätzen.

So werden wir angeleitet, uns selbst von einer anderen Seite her. zu sehen. Wir sind nicht immer nur die Versager und Verlierer, an denen der Zweifel nagt und die immer wieder von Unsicherheit überfallen werden. Hier wird uns vielmehr Mut gemacht, es mit Gott zu wagen und immer wieder neue Hoffnung zu empfangen. Schwachheit ist nicht das schlechteste Kennzeichen eines Christen und der Kirche. Nur darf man sie nicht mutlos als gegeben hinnehmen, sondern als Hinweis darauf, daß wir immer auf unsren Herrn angewiesen sein werden.

Vergessen wir also nicht: Daß wir neue Menschen sein dürfen, verdanken wir allein unserem Herrn. Dieser Abschnitt ist wie ein Stück aus dem Gottesdienst, wo ein Sprecher zweimal dazwischenruft: „Durch Gnade seid ihr gerettet!“ Es ist nicht selbstverständlich und normal, daß man sich bei Gott zu Hause wissen darf. Gerettet wird man nicht durch Taufe, Kirchenmitgliedschaft, besondere Frömmigkeit oder eine bestimmte Erkenntnis. Gerettet wird man auch nicht, weil man ein besonders edler oder anständiger Mensch wäre. Es ist ein reines Wunder, daß Gott sich über uns erbarmt hat.

Aber weil alles an ihm hängt, ist es auch sicher. An der Rettung kann nun niemand mehr etwas ändern. Die Taufe ist etwas Unauslöschliches und Unwiderrufliches. Sie wurde uns geschenkt, ohne daß wir ein Gegen-Geschenk dafür geben mußten. Manchmal wollen wir das gar nicht, möchten doch wenigstens ein kleines Entgelt geben können. Aber das geht nun einmal nicht. „Was nichts kostet, taugt nichts!“ Das mag für Einkäufe gelten. Bei Gott aber geht es nicht um billigen Ramsch: Er hat alles allein getan, unser Bemühen hat dabei keine Rolle gespielt.

Dennoch ist am Schluß des Abschnitts wieder von den „guten Werken“ die Rede. Zunächst heißt es „Gottes Gabe ist es, nicht aus den Werken, daß sich nicht jemand rühme!“ Es wird deutlich gemacht, daß nur Gott seine Werke vollbringt, zum Bernspiel indem er die Menschen geschaffen hat. Aber wozu hat er sie geschaffen? Zu guten Werken! Doch diese Werke sind auch wiederum nicht unser Verdienst, sondern Gott hat sie für uns vorbereitet, so daß wir nur noch den vorgezeichneten Linien zu folgen brauchen.

Wenn einer hier zum Gottesdienst käme, der wenig oder gar keine Beziehung zum christlichen Glauben hat, der wird doch sagen: „Das soll mal einer verstehen. Erst heißt es: So dürft ihr es nicht verstehen, aber so auch wieder nicht! Alles ist Gnade, aber wenn ihr das endlich begriffen habt, dann sollt ihr doch wieder etwas tun. Wer soll da denn noch mitkommen, das kann doch kein Mensch verstehen und begreifen!“ Aber es ist nun einmal so, beim Glauben gibt es oft dieses „Sowohl als auch“.

Wer mit Christus in den Himmel versetzt ist, darf sich nicht dem Leben in dieser Welt entfremden und schon in künftigen Seligkeiten schwelgen. Manche Begräbnislieder gehen in diese Richtung, etwa „Jerusalem, du hochgebaute Stadt!“ Haben wir denn wirklich solches Verlangen nach dem himmlischer Jerusalem? Eilt unser „sehnend Herz“ wirklich so gern aus dieser Welt? Es ist schon etwas Richtiges dran an diesem Lied, aber man muß auch immer die andere Seite sehen: Es geht ja um die Welt, in die Christus gekommen ist, um in ihr zu. wirken und sich ihrer anzunehmen; da können wir doch nicht weltfern und gleichgültig werden, um nur ungestört mit Christus verbunden zu sein. Die himmlische Seligkeit sollte sich vielmehr in entschlossenem Tun auswirken. Wenn das nicht geschieht, dann glauben wir Gott nicht das Neusein in Christus und nehmen seine Zukunft nicht ernst.

Aber was sollen und können wir denn tun? Wir brauchen keine neuen Erkenntnisse und Taten zu erfinden, sondern wir brauchen sie nur zu entdecken. Gott hat alles schon vorbereitet. Wir brauchen nur zu. tun, was uns vor die Hand kommt. Aus unsrem Zusammenleben und den Begegnungen mit anderen Menschen, aus dem was wir von ihnen sehen und hören, ergibt sich doch so vieles an notwendigem Rat und notwendiger Hilfe.

Wo wir selbst nicht allein raten und helfen können, da können wir uns mit anderen zusam­men­tun. Vor allem aber sollten wir der Hilfe Gottes gewiß sein. Wir sind sein Werk und tun sein Werk. Wir brauchen uns nur von seinem Denken und von seiner Hingabe tragen zu lassen. Dann wird alles leicht.

Wir könnten uns noch einmal an den Anfang des Abschnitts erinnern. Da heißt es: „Aber Gott, der reich ist an Erbarmen!“ Wir haben in den kommenden Tagen viele Dinge zu tun und zu erledigen, wir werden getrieben und müssen Aufträge erledigen, wir haben Pflichten und Strapazen. Aber gelegentlich könnten wir doch einmal sagen: „Aber Gott...!“ Das wird uns über Vieles hinweghelfen und auch die Aufgaben zeigen, die vor uns liegen.

 

 

Eph 2, 17-22 (2. Sonntag nach Trinitatis):

Katholische Kirchen sind in der Regel jeden Tag offen für Menschen, die einen Ort der Stille und des Gebets suchen, aber auch für Kunstinteressierte und Touristen. Evangelische Kirchen dagegen sind an Werktagen meist sorgfältig verschlossen. Angeblich fürchtet man Zerstörungswut und Diebstahl oder daß sich Obdachlose dort einnisten. Aber damit wird auch den anderen der Zugang unmöglich gemacht, nicht nur der Zugang zum Kirchengebäude, sondern auch oft der Zugang zur Gemeinde. Nur am Sonntag kann man für eine kurze Zeit in die Kirche. Aber da muß man im Grunde auch selber dazugehören.

Aber auch i n der Kirche ist der Zugang oft erschwert. In den Bänken sitzen die, die immer dort sitzen. Man kennt sich zum Teil, begrüßt sich, spricht miteinander vor oder nach dem Gottesdienst. Wer da als Fremder dazukommt, hat es schwer. Vielleicht ist er vor einiger Zeit zugezogen und möchte auch in der Kirchengemeinde Anschluß finden. Er fällt den anderen auf, aber keiner wendet sich ihm zu.

So ist sie eben, die evangelische Kirche. In den Freikirchen ist das anders. Wenn da einer neu kommt oder mitgebracht wird, da stürzen sich alle auf ihn, wollen ihn einbeziehen und zum Wiederkommen einladen. Manche dieser Gruppen sind den ganzen Sonntag zusammen und können vor allem einsame Menschen an sich binden. Deshalb haben sie in gewissem Sinne eine Daseinsberechtigung.

Aber es muß auch das andere geben, denke ich: die Kirchengemeinde, wie wir sie kennen. Viele Menschen wollen nicht gleich vereinnahmt werden, sondern sich erst einmal unverbindlich nähern. Für sie sollte die Kirche da sein. Sie sollten auf empfangsbereite Gemeindeglieder treffen und auch selber sich für neue Kontakte öffnen. Beide Seiten müssen aber aufeinander zugehen. Es liegt nicht nur an dem Eingeladenen, wenn er nicht mehr wiederkommen will.

Im Tempel von Jerusalem gab es eine Absperrung, die den inneren Tempelbezirk für die Nicht-Juden sperrte. Eine griechische und lateinische Warntafel bedrohte den Fremden mit dem Tod, wenn er die Absperrung überschritt. Er wurde in die Wohnung Gottes einfach nicht vorgelassen, Gott war für ihn nicht zu sprechen. Paulus wurde deshalb verhaftet, weil er angeblich einen Griechen in den Bereich des Heiligen eingeschleust und damit den Tempel entweiht hatte.

Der Epheserbrief aber sagt uns: Christus hat Frieden gebracht und das Getrennte vereint. Er gibt uns ein Zuhause bei Gott. Aber er macht uns auch zur Wohnung für Gott.

 

(1.) Christus gibt uns ein Zuhause bei Gott: „In der Kirche hat nicht alles Platz, aber es haben alle Platz in ihr". Das heißt: Nicht jeder Gedanke, nicht jede Erscheinungsform, nicht jedes Ziel kann gut geheißen werden. Was dem Willen Gottes widerspricht, hat in der Kirche nichts zu suchen. Aber jeder Mensch darf in der Kirche sein, selbst wenn er falsche Ideen vertritt. Jeder Mensch darf auch einmal irren, wenn er sich nur wieder auf den richtigen Weg bringen läßt.

Zur Zeit des Epheserbriefs ging es immer noch um den Konflikt zwischen ehemaligen Juden in der Gemeinde und den anderen, die ohne den Umweg über das Judentum zur Gemeinde gestoßen waren, also um den Gegensatz zwischen Judenchristen und Heidenchristen. Vielleicht ist dieser Bibelabschnitt ein Teil einer Taufpredigt: „Jetzt seid ihr nicht mehr Gäste und Fremde, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“ Und das gilt für beide Seiten: für die, die schon immer dazugehörten, und für die, die erst ganz neu hinzugekommen sind.

Auch heute ist der Lebens- und Frömmigkeitsstil in der Kirche unterschiedlich. Aber die Kirche wird nicht dadurch zur Einheit, daß man sie „auf Vordermann bringt“, also einem gemeinsamen Gesetz unterwirft. Die politischen Parteien wollen das immer, daß die Partei nach außen geschlossen auftritt. Irgendwelche Abweichler werden nur schwer geduldet, auch wenn sie durchaus vernünftige Ideen haben.

In der Kirche aber schließt uns Christus nicht zusammen durch die Anwendung von Gesetzen, sondern durch die Beseitigung des Gesetzes. Es gibt keinen Fraktionszwang, sondern Freiheit, allerdings noch einmal gesagt: nicht für alles, aber für alle.

Jetzt muß niemand mehr sein Ansehen vor Gott durch seine eigene Leistung erringen. Wir brauchen nicht untereinander in einen Konkurrenzkampf zu treten und immer nur darauf zu sehen, wie wir dem anderen ein Stück voraus sein können. Wir brauchen nicht Mißtrauen und Feindschaft zu haben, weil der andere mehr Erfolg und größeres Ansehen hat.

Unter den Menschen gibt es Sieger und Besiegte, Erfolgreiche und Zukurzgekommene. Gott aber fragt nicht nach Erfolg und Leistung. Die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, die sind seinem Reich noch am nächsten. Er ist für die Sünder da. Bei Gott ist angenommen, wer sich von ihm retten läßt.

In der Kirche sind die ehemaligen Heiden nicht mehr benachteiligt, sondern genießen die gleiche Rechte wie das alte Gottesvolk. In der Taufe haben alle den „einen Geist“ empfangen. Ja, selbst wer noch nicht getauft ist, kann in die Kirche kommen und sich an ihrem Leben beteiligen. Sie sind nicht nur geduldet, sondern gehören dazu.

Wir sind die „Hausgenossen“ Gottes, also alle Mitglieder einer großen Familie. Vielleicht lassen unsre Gemeinden davon manchmal wenig erkennen. Aber wir sind immer mehr, als wir darstellen. Das entbindet uns allerdings nicht von der Aufgabe, die sichtbaren und unsichtbaren Zäune in der Kirche abzureißen.

Das fängt schon bei den baulichen Vorgaben der Kirche an. Unsre Söhne sind an Kirchen tätig, wo der Altar ganz weit weg von der Gemeinde ist. Ich habe ihnen dringend geraten, entweder die Gemeinde nur im Chorraum der Kirche zu versammeln oder einen Tisch an die Stufen zum Chorraum zu stellen und von dort mit dem Gesicht zur Gemeinde den Gottesdienst zu halten.

Doch wichtiger als solche äußerlichen Hindernisse sind die inneren. Hier müssen wir uns vielleicht doch andere Umgangsformen angewöhnen, daß neue Interessenten spüren, daß sie bei uns willkommen sind. Am ehesten wird uns das vielleicht gelingen, wenn wir selber uns nicht nur ins Gotteshaus begeben, sondern in einem übertragenen Sinn zur Wohnung für Gott werden.

 

(2.) Christus macht uns zur Wohnung für Gott: Die ihr Zuhause bei Gott gefunden haben, werden selbst zur „Behausung" für Gott. Christus hat Frieden gemacht, hat das Getrennte vereint, das Oben und Unten und das Links und Rechts vereint. So wächst ein Bau heran, der aus Menschen besteht, aber eine „Wohnung Gottes im Geist“ ist. Im 1. Korintherbrief wird dafür das Bild vom „Leib Christi“ verwendet. Hier im Epheserbrief wird der Vergleich mit einem Gebäude gezogen. Die einzelnen Bauteile fügen in ihm fest zusammen und werden unlöslich miteinander verbunden. Sie tragen sich untereinander und stützen sich und bilden nach einem sinnvollen Plan miteinander ein Ganzes. Der einzelne Baustein ist so gut wie nichts. Nur im Verband des Mauerwerks wird er getragen und trägt auch selber.

So wird man auch durch die Taufe eingefügt in den großen Bau der Kirche. Man wird in sie einverleibt, in einem freundlichen und guten Sinne. Man kann sich nicht von ihrer Geschichte lossagen, auch nicht von ihren Fehlern und Schwächen. Aber man kann das Heil nicht irgendwo finden, man findet es nur in ihr. Wer Christ sein will, braucht die Kirche.

Es geht also nicht darum, daß ich als Einzelner in der Kirche meine religiöse Erbauung finde, sondern ich werde immer auch mit hineingenommen in eine größere Gemeinschaft. Der Friede Gottes will persönlich angenommen und konkret gelebt werden. Die Freiheit der Entscheidung wird niemandem vorenthalten, aber die Notwendigkeit der Entscheidung wird niemandem abgenommen.

Ich m u ß nicht zur Gemeinde gehören. Aber wenn ich mich in den Bau einfügen lasse, dann entscheide ich darüber, ob ich am Frieden Christi teilhabe. Gott jedenfalls macht die Türen weit auf, damit alle zu ihm kommen können.

Bleiben wir noch etwas bei dem Bild: Der Bau der Kirche hat ein Fundament, die Apostel und Propheten. Die einen sind die Überlieferer der Botschaft, die anderen legen sie aus. Beide aber verweisen auf Christus als den allein tragenden Grund der Kirche. Er ist aber nicht nur der Grund, sondern auch der Schlußstein, der den Bögen und Kuppeln einen Halt gibt, wie wir es auch in unsrer Kirche sehen können.

In diesem Gebäude ist Gott gegenwärtig. Deshalb sollte man ihn auch am Werktag dort besuchen können. Der kleine Fritz wollte das einmal tun. Der Vater hatte ihm bei einem Gang durch den Ort erklärt, wer in den einzelnen Häusern wohnt. Als sie an die Kirche kamen, hatte der Vater gesagt: „Da wohnt der liebe Gott!“ Am Samstag wollte Fritz einmal dem lieben Gott einen Besuch abstatten. Als er zu spät zum Mittagessen kam, fragte ihn die Mutter: „Wo warst du denn?“ Fritz antwortet er: „Ich war beim lieben Gott. Aber er war nicht zu Hause, und sie machte gerade sauber!“

Nein, Fritz, Gott ist immer da. Er ist auch anderswo zu finden, wir können überall mit ihm in Verbindung treten. Aber in der Kirche ist er auf besondere Art und Weise gegenwärtig. Anderswo ist er nur da, in der Kirche ist er „für uns“ da, mit seinem Wort, mit Taufe und Abend­mahl. Indem wir sie aufnehmen, wohnt Gott in uns.

Die Kirche ist schon etwas Besonderes, etwas Heiliges. Das dürfen wir denen draußen nicht verschweigen. Aber sie hat offene Türen. Es ist schon eine Schwelle zu überschreiten. Aber die Schranke ist weg. Der in der Kirche wohnt, heißt jeden willkommen, der zu ihm kommen will. Tun wir es doch auch!

 

 

Eph 3, 2 - 3a und 5 - 6 (Epiphanias):

Im Fernsehen wurde einmal ein Gottesdienst übertragen, in dem es um die Liebe zu allen Menschen ging. Und das wurde vor allem bezogen auf Juden und Moslems. Die Grundaussage war: In allen Religionen, die sich unter anderem auf Abraham berufen, steckt ein Kern Wahrheit. Im Grunde ist es gleichgültig, welcher Religion man angehört, am Ende finden doch alle zu dem gleichen Gott. Und das hörte sich so an, als gäbe es hinter den drei Göttern dieser Religionen noch so einen Obergott, zu dem man auf verschiedenen Wegen gelangen kann.

Natürlich werden wir keinem Angehörigen einer anderen Religion einen ehrlichen Glauben absprechen. Und wenn er dann noch nach den Vorschriften seiner Religion lebt, ist das erst

einmal in Ordnung. Ein Katholik oder ein Jude oder ein Moslem sollte uns lieber sein als einer, der gar nichts glaubt oder sogar aktiv gegen Gott kämpft.

Aber man kann das doch nicht alles vermischen. Äußerer Ausdruck dafür waren in dem Gottesdienst drei Kerzen, die einen Judenstern, ein Kreuz und einen Halbmond zeigten. Man stelle sich einmal vor, in einer Moschee würde auch ein Kreuz aufgestellt. Manche Mitbürger meinen ja sogar, im katholischen Bayern dürften keine Kreuze in der Schule hängen. Also so weit geht die Liebe doch nicht.

In dem Theaterstück „Nathan der Weise“ hat Lessing in der sogenannten „Ringparabel“ dargestellt, wie ein Christ, ein Jude und ein Moslem nicht mehr den echten Ring herausfinden können. Lessing meint sogar, der echte Ring sei verlorengegangen, jetzt müßte man sich mit den drei Ersatzringen zufriedengeben. Das war ein Ergebnis der Zeit der Aufklärung, in der man sich frei machen wollte von den Fesseln der konkreten Religionen und nur der Vernunft

verpflichtet sein wollte. Vor allem aber forderte man Toleranz gegenüber Andersdenkenden

eine, also eine Duldsamkeit gegenüber jeder Überzeugung.

Natürlich werden wir als Christen diese Toleranz gegenüber jedem Juden oder Moslem oder auch einem Anhänger einer anderen Religion haben. Sogar gegenüber einem Gleichgültigen oder einem aktiven Gottesgegner werden wir duldsam sein. Aber es geht doch auch um die Wahrheit. Wir können unseren Glauben doch nicht auf eine Stufe stellen mit anderen mit anderen Religionen, sondern wir sind doch der richtigen Überzeugung, den allein wahren Glauben zu haben.

Doch da gibt es den Einwand: „Das behaupten doch alle von sich! Wo ist denn da die absolute Wahrheit, die Wahrheit über allen Wahrheiten dieser Welt?“ Der Epheserbrief hat dafür eine sehr einfache Antwort: Es gibt ein Geheimnis Gottes, aber dieses ist durch Jesus aller Welt offengelegt worden.

 

(1.) Die Offenbarung des Verborgenen: Wer Gott ist und was er tut, das ist ein Geheimnis. Das ist schwer für unser Denken, weil wir doch meinen, unserem Erkenntnisdrang werde keine Grenze gesetzt. Die Welt ist erkennbar. Aber nun soll es da einen Bereich geben, der nicht mehr erkennbar ist? Das ist für einen modernen Menschen schwer anzuerkennen.

Im Altertum hat man versucht, durch sogenannte Mysterienkulte die Verbindung zwischen Gott und den Menschen herzustellen. Bei uns war zur Römerzeit die Mithrasreligion sehr beliebt. Da wurde über einer Grube ein Stier geschlachtet und sein Blut lief dann über den, der neu aufgenommen werden sollte und in der Grube hockte. Durch diese Handlung wurde er angeblich vergöttlicht.

Wie anders ist dagegen das Heilsprogramm, das der Epheserbrief hier beschreibt: Schon ehe die Welt gegründet wurde, sind wir von Christus erwählt und dazu bestimmt, Gottes Kinder zu sein. Geworden sind wir es durch Jesus, der in unsere Welt gekommen ist. In ihm sind jetzt alle vereinigt, die ganze Welt ist sein Wirkungsfeld. Wir sind darin ein bezogen und lassen unser Leben von dorther bestimmen.

Natürlich kann man fragen, weshalb Gott erst durch Jesus das mitgeteilt hat. Aber hier hat keiner ein Recht, Gott steht uns nicht nach Belieben zur Verfügung. Aber wir dürfen doch froh sein, daß es jetzt geschehen ist, daß er in seiner Freiheit uns beschenkt hat, wann und wo er will. Das Geheimnis Gottes ist nicht eine ewige Wahrheit, die man immer wieder wie einen mathematischen Lehrsatz aufzeigen kann, sondern es ist ein Rettungsplan, den er in der Geschichte verwirklicht hat.

Mit dem Kommen Jesu Christi verwirklicht Gott seinen in der Tiefe seines Herzens längst beschlossenen Plan, seine verlorene Welt wieder zu sich heimzuholen. In Christus ergreift

Gott wieder Besitz von der Welt, die ihm verlorengegangen ist. Wenn man begreift, was Gott

getan hat und noch tun wird, dann sieht man sich selbst und die Welt mit neuen Augen an. Und dann weiß man auch, was unseren Glauben von all den anderen Religionen unterscheidet.

Natürlich wird auch uns immer unser Versagen vorgeworfen. Beliebtes Beispiel sind die Kreuzzüge. Aber das ist Geschichte, abgesehen vielleicht von dem Denken einiger Leute, die eine ganz spezielle Form des Christentums vertreten. Aber christliche Lehre ist zum Beispiel: „Liebet eure Feinde, tut wohl denen, die euch hassen!“ Wir sind gegen die Todesstrafe, egal aus welchen Gründen sie verhängt wird. Wir sind auch gegen Selbstmordattentate, die nach dem Koran angeblich verboten sein sollen. Aber es ist nun einmal Tatsache, daß sie sich nur im islamischen Bereich ereignen. An den praktischen Auswirkungen sieht man schon Unterscheide zwischen den Religionen.

 

(2.) Der Auftrag zum Weitersagen: Wenn wir aber den allein richtigen Glauben haben, dann sind wir auch verpflichtet, ihn allen Menschen zu bringen. Wenn man etwas weiß, dann darf man es nicht für sich behalten, so wie ein Forscher oder Künstler, der eifersüchtig über seine Urheberrechte wacht. Was wir wissen, ist Eigentum der ganzen Menschheit. Aus dem Wissen ergibt sich automatisch der Auftrag, es zu allen Menschen weiterzutragen.

Gestern war ja der Epiphaniastag, das Christfest der östlichen Kirchen. Vielleicht kenne Sie griechische Nachbarn, die unser Weihnachtsfest mitgefeiert haben, aber auch ihr Fest am 6. Januar feiern. Das ist an sich auch richtig, denn Weihnachten ist mit dem zweiten Feiertag nicht zu Ende, sondern der Weihnachtsfestkreis geht bis zum 2. Januar, unter den Katholiken bekannt als „Mariae Lichtmeß“.

Aber an sich ist an jedem Tag im Jahr Weihnachten. Dann sollen wir das tun, was die Weisen

aus dem Morgenland und die Hirten getan haben, nämlich die Botschaft sofort weiter zu sagen. Es ist sicher auch jahreszeitlich bedingt, daß man sich an Weihnachten in die eigenen vier Wände zurückzieht, daß man „unter sich“ sein will und ganz „auf Familie“ macht. Aber es ist auch unsere Aufgabe, die Stalltür zu öffnen, so wie das auf vielen Weihnachtsbildern dargestellt ist: Da sieht man auf die Landschaft hinaus und damit im Grunde in die Welt hinein. Es geht nicht um das eigene Genießen, sondern wenn einem etwas klargeworden ist, dann setzt man sich in Bewegung, um auch andere daran teilhaben zu lassen. Als einer, der das Bekannte mit neuen Augen sieht, ist es unsere Aufgabe, alle mit einzubeziehen. Denn wie soll man zum Glauben kommen, wenn die frohe Botschaft einem nicht vorher gesagt worden ist?

Deshalb brauchen wir kein unerträgliches Überlegenheitsgefühl zu haben. Aber es ist nun

einmal so, daß wir als Christen unmittelbaren Zugang zu Gott haben durch den Glauben an

Christus. Wir brauchen aber nicht zu erklären, wie froh wir darüber sind, ein evangelischer Christ geworden zu sein, um dann die Fehler der anderen aufzuzählen. Auch die Bezeichnung „Heiden“ ist für uns heute natürlich abwertend. Doch im Altertum war damit einfach „Volk“ gemeint, bestenfalls noch „Ausländer“. Und denen gegenüber geschieht ja nun das Überraschende im Epheserbrief: Sie sind jetzt „Miterben“ und gehören mit zu seinem Leib und sind „Mitgenossen der Verheißung in Christus Jesus“.

Um sie zu erreichen, brauchen wir es ja nicht so zu machen wie die Firmen am Ausgang eines Super-Marktes, die einem zu einer Unterschrift verleiten, aber das Kleingedruckte kann man erst zuhause mit der Lupe lesen. Christliche Mission kann nicht aggressiv sein oder mit unerwünschten Emails oder Telefonanrufen einhergehen. Es wird ja auch immer von den Christen verlangt, sie sollten auf eine Mission unter den Juden verzichten.

Aber wenn ein Jude oder Moslem kommt und möchte ein Christ werden, dann werde ich ihn doch nicht abweisen mit der Bemerkung: „Ich darf dich nicht abwerben. Du kannst auch mit deiner bisherigen Religion selig werden!“ Nur bis er kommt, da müssen wir ihm unseren Glauben erst einmal schmackhaft gemacht haben.

Dazu gehört zum Beispiel, daß wir zum Gottesdienst gehen. Nicht nur die Moslems gehen zum Freitagsgebet, sondern auch für einen Christen ist der Gottesdienst an sich selbstverständlich. Dazu muß er allerdings anziehend sein. Dazu gehört auch, daß wir uns untereinander einig sind. Es ist nun einmal so, daß eine Organisation nur dann anziehend ist, wenn sie sich nach außen einig darstellt. An sich ist es gut, wenn man miteinander um den richtigen Weg streitet, wenn sich alle bemühen, die beste Lösung zu finden. Das ist demokratisch und nicht ehrenrührig. Aber am Ende muß man sich wieder einig sein

Man kann auch in der Predigt gelegentlich sagen: „Vielleicht“ oder „Das könnte so sein“. Damit will man nur zum Nachdenken anregen und dem Zuhörer die eigene Entscheidung überlassen. Aber manche meinen, damit verunsichere man die Gemeinde, man müsse genau und eindeutig sagen, wo es langgeht. Heute aber wird niemand verunsichert, heute heißt es eindeutig: „Unser Glaube ist der allein richtige!“ Das behauptet zwar jede Religion von sich. Aber da ist doch wohl ein Unterschied zwischen einer Religion, die auf einen Religionsstifter zurückgeht und der göttlichen Offenbarung. Diese allen Menschen unserer Umgebung bekannt zu machen, ist unsere Aufgabe auch im neuen Jahr. Wir können das tun mit einem stillen Vorbild, aber auch mit dem gesprochenen Wort. Uns ist ein Geheimnis anvertraut, aber es soll nicht Geheimnis bleiben.

 

 

Eph 3, 14-21 (Exaudi):

Jetzt haben wir wieder einen Jahrgang aus der Kirche „hinauskonfirmiert“. Am nächsten Sonntag kommen die „Neuen“, aber bei denen wird es auch nicht anders sein. Ein Jahr lang gingen sie jede Woche zur Konfirmandenstunde und vielfach auch zum Gottesdienst. Aber dann ist auf einmal keine Zeit mehr, da muß man sich ausschlafen oder man ist im Internet unterwegs. Das ist seit Jahrzehnten wie so ein ehernes Gesetz, wer wird es schon ändern können: Jetzt sind wir fast erwachsen, jetzt brauchen wir nicht mehr!

Früher mußten auch die Konfirmierten zwei Jahre lang im Gottesdienst die Katechismus­stücke aufsagen. Aber schon die Oma sagte: „Die lernen ja nicht einmal mehr die fünf Hauptstücke des Katechismus!“ Um 1950 hat noch man noch sehr viel auswendig gelernt. Mit der Zeit wurde es immer weniger. Und heute ist so etwas von Seiten der Kirche verboten, es gibt keine „Konfirmandenprüfung“ im alten Sinne mehr. Was nützt es denn, wenn im Unterricht zwar alles schön erklärt und besprochen wird, aber die sogenannte „Prüfung“ in der Kirche bestand dann doch wieder nur aus Aufsagen mit den einleitenden Worten: „Wir wollen der Gemeinde einmal zeigen, was wir gelernt haben!“

Es ist doch wichtiger, daß man nicht nur aufsagt, sondern auch etwas verstanden hat von dem, was unseren Glauben ausmacht. Es ist doch eher eine „Prüfung“, wenn die Konfirmanden mit eigenen Worten aufsagen sollen, was zum Beispiel die Taufe bedeutet oder wie sich die biblischen Erzählungen von der Schöpfung zu den heutigen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen verhalten. Das ist schwerer als das Aufsagen von Lernstoff. Natürlich muß man Fragen und Antworten vorher noch einmal mit den Konfirmanden durchsprechen, aber keiner sollte dann wissen, womit er drankommt. Und so ganz nebenbei werden auch die Eltern und anderen Verwandten noch etwas dabei lernen.

Man braucht schon so etwas wie ein Grundwissen, um ein Grundverständnis zu gewinnen. Aber ausgelernt hat man auf diesem Gebiet nie. Deshalb betet der Verfasser des Epheserbriefs auch um sich vertiefende und ausweitende Christuserkenntnis. Er hat die Sorge, die Neugewonnen könnten die rechte Glaubenserkenntnis und Glaubenspraxis verfehlen.

Die Briefempfänger werden zu einem bewußt kirchlichen Glauben zurückgerufen, der nicht vermischt ist mit modernen Lebensauffassungen wie Esoterik oder fernöstlichen Praktiken oder gar Aberglauben. Noch gefährlicher wäre es aber, daß sie bei so einer Art Minimalglauben stehen bleiben, einem Kinderglauben oder Konfirmandenglauben oder gar einem mißverstandenen Glauben.

 

Manche meinen ja, um Menschen für den Glauben zu gewinnen, müsse man ihn handlich und leicht zugänglich machen. So raten das ja die Soziologen der Kirche: Sie müsse mit ihren Anforderungen herunter gehen, sonst finde sie keinen Anklang, so wie die politischen Parteien, die sich nach den Umfragen richten.

Aber dann verflacht der Glaube leicht zu einer Allerweltswahrheit wie „Tue recht und scheue niemand“ oder „Ich erziehe meine Kinder zu anständigen Menschen!“ Wir haben ja auch gar nicht die Vollmacht, am Glauben Abstriche zu machen, denn die Botschaft ist uns ja von Gott aufgetragen, da können wir nichts verändern.

Der Epheserbrief zeigt uns einen anderen Weg: Hier wird nicht gelehrt, sondern gebetet. Was die Menschen sich erhoffen, dem ist nicht durch Lehrvorträge abzuhelfen, sondern allein dadurch, daß Gott etwas gibt. Deshalb wird der mehr theoretische Unterricht für die Konfirmanden ergänzt durch die Praxis im Gottesdienstbesuch. Sie sollen das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis ja nicht wie ein Gedicht auswendig lernen, sondern durch die ständige Übung.

Auch eine Konfirmandenrüstzeit ist da sehr hilfreich, wo dann ein Tischgebet gesprochen wird oder eine Abendandacht gehalten wird oder gar ein Gottesdienst vorbereitet wird. Vielleicht werden die Konfirmanden Vieles vergessen von dem, was sie theoretisch gelernt haben. Aber wenn sie sagen: „Das war eine schöne Zeit!“ dann ist schon sehr viel für die Zukunft gewonnen.

Zu Exaudi bittet die Gemeinde um den Geist Gottes, der ja damals erst an Pfingsten verliehen wurde. Die Gemeinde weiß, daß sie arm ist. Und das gilt nicht nur für Neubekehrte, die gewissermaßen noch etwas Nachhilfeunterricht brauchen. Es gilt grundsätzlich für das ganze Christenleben. Wir sind immer auf die christliche Praxis angewiesen, denn wir produzieren unser Heil nicht selbst, sondern wir empfangen es. Wie das geht, will dieser Bibeltext uns zeigen.

 

1.) Als Erstes geht es darum, daß Christus in unseren Herzen wohne: Die Gemeinde weiß um ihre Bedürftigkeit und Schwäche, um ihr Ungenügen und die Notwendigkeit der täglichen Umkehr. Sie ist sich nicht sicher, sondern auf Gott angewiesen.

Aber gerade deshalb hört sie nicht nur die Predigt, sondern betet auch, einer für den anderen und jeder für die ganze Gemeinde. Der innere Mensch kann nur erstarken, wenn Christus sich in den Herzen der Gemeindeglieder häuslich niederläßt. Insofern ist das Kindergebet gar nicht so schlecht: „Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein!“ Kinderglaube ist schon ganzer Glaube. Aber auch beim Erwachsenen soll Jesus in der Mitte der Person sein, wo alle Fäden zusammenlaufen. Der Christ gibt sich dabei gern in Gottes Hand, weil er sich im Einverständnis mit ihm weiß.

Dafür wird hier noch ein anderes Bild wird hier verwendet: „in der Liebe eingewurzelt und gegründet!“ Wurzeln halten den Baum, auch bei starkem Wind. Sie ernähren ihn und geben ihm alles, was er zum Leben braucht. Ohne Wurzeln kann er nicht existieren. Und man muß auf einem festen Boden stehen.

Dann weiß man aber auch: Christus ist in seinem Geben viel reicher als wir es von ihm an­nehmen können. Wir verstehen nicht alles, was er tut. Wir nehmen sogar das Meiste nicht einmal wahr, was er an uns tut. Aber er ist in seinem Schenken unerschöpflich und wartet nur darauf, daß er etwas mir zuliebe tun kann.

 

2.) Zweitens geht es darum, daß wir die Weite Christi erkennen. Er kam in die Wirklichkeit unseres Lebens und zieht uns in die Wirklichkeit seines Lebens. Er ist der Erste, der auferstanden ist, der Anfänger einer neuen Menschheit. Daß den neugewonnen Christen dies aufgeht, darauf ist das uns vorliegende Gebet gerichtet. Überall ist er als Heiland am Werk, er ist überall zu finden und anrufbar. So wie unser Handy überall Sendemasten findet, über die wir mit anderen in der ganzen Welt in Verbindung treten können, so ist auch Gott überall für uns empfangsbereit.

Während wir zunächst nur an den kleinen Raum unseres Herzens gedacht haben, so werden wir nun in die Weite des allgegenwärtigen Christus geführt. Er will uns ganz und gar ausfüllen und unser Leben leiten. Es gibt keinen Ort im All, wo er nicht gegenwärtig ist. Entscheidend wichtig ist aber, daß er in uns gegenwärtig ist.

Wenn das aber so ist, dann wird unser altes Leben immer mehr schwinden zugunsten unseres „Seins in Gott“. Gott wird uns immer mehr erobern und ausfüllen mit seiner Gegenwart. Auch wenn wir immer noch Anfänger sind, so wird es doch zu einem Wachstum kommen und zu einer Annäherung an das, was wir einmal werden sollen.

Es gibt schon ein Zunehmen im Glauben. Zumindest dürfen wir darum beten, daß Gott uns voranbringt. Da ist es doch tröstlich, wenn am Schluß gesagt wird: „Gott tut mehr an uns, als wir bitten und verstehen können.

Es stünde schlecht um uns, wenn Gott nur das geben würde, was wir von ihm erbeten haben. Wir brauchen nicht alles zu verstehen. Es ist genug, daß wir die Liebe Gottes erfahren. Diesen herrlichen und gütigen Gott sollten wir anbeten.

 

 

Eph 4, 1 – 6 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Die Synode einer Landeskirche soll das einigende Band zwischen den Gemeinden und Kirchenkreisen sein. Diese Aufgabe kann sie auch zu einem großen Teil erfüllen, auch wenn sie vielleicht im Bewußtsein der Gemeinden und der Öffentlichkeit nicht so stark verankert ist.

In der Synode gibt es meist keine Parteien wie in einem politischen Parlament. Aber in einigen anderen Landeskirchen ist das anders: Da gibt es eine mehr konservative Partei, eine mehr fortschrittliche und eine, die sich „christliche Mitte“ nennt. Dort werden dann auch nur die Parteien gewählt, während sonst Personen gewählt werden. Diese schließen sich in der Praxis zwar auch oft zu inoffiziellen Gruppen zusammen. Manche sprechen sich vor der Synode über ihr Stimmverhalten ab. Aber der Einzelne ist doch freier, nach seinem Wissen und Gewissen abzustimmen.

Man muß in der Kirche viel Freiheit lassen. Wen zum Beispiel eine neue Gottesdienstordnung herausgebracht werden soll, dann muß man auf alle Traditionen in der Landeskirche auch Rücksicht nehmen. Denn zur Einheit der Kirche ist es nicht notwendig, daß man überall gleiche „Zeremonien“ hat, wie man schon in der Reformationszeit sagte. Dennoch hat es etwas für sich, wenn zum Beispiel die Gottesdienstordnung in ihrem Ablauf überall gleich ist. Wenn man nämlich einmal anderswo zum Gottesdienst geht, findet man die gleiche Ordnung wie zu Hause vor und fühlt sich gleich heimisch. Und auch für die Pfarrer ist es leichter, wenn sie einmal in einer anderen Gemeinde zu vertreten haben. Doch das hat allein praktische Gründe, zur inneren Einheit der Kirche ist es nicht unbedingt nötig.

Da ist es schon problematischer, wenn ein großer Teil der Pfarrer hergeht und die Gottesdienstordnung nach eigenem Geschmack verändert: Da wird etwas weggelassen, dort etwas umgestellt oder auch aus mehreren Möglichkeiten gemischt. Pfarrer sind eben weitgehend Individualisten. Aber vielleicht sollten sie auch einmal das anerkennen, worüber Fachleute sich viele Gedanken gemacht haben und worüber Synoden abgestimmt haben.

Wenn also bisher von der erfreulichen Einheit der Kirche die Rede war, so muß nun auch von ihrer Zerstrittenheit die Rede sein. Fangen wir wieder bei den Pfarrern an. Viele sagen: „Selig sind die Beine, die am Altar steh'n alleine“. Wo zwei zusammen in einer Gemeinde sind, da ist ihr Verhältnis oft so sehr gespannt, daß es auch die Gemeinde merkt. Bei dreien ist es schon wieder leichter, weil es da eine Mehrheit gibt und der Dritte sich vielleicht doch eher fügt.

Die Anlässe für Meinungsverschiedenheiten in der Gemeinde sind unterschiedlich. Es ist ja nicht nur persönliches Gezänk, sondern es geht auch um wichtige theologische Fragen wie die Taufe oder das Abendmahl. Es geht darum, wie streng oder wie leichtfertig man mit der Lebensordnung der Kirche in der Praxis umgeht. Und es gibt leider auch den politischen Meinungsstreit in der Kirche, vor allem in den Kirchenvorständen.

Die Menschen sind eben verschieden nach Anlagen und Erleben. Sie haben unterschiedliche Vorstellungen und Ideale. Das ist auch gut so, das gehört zur Freiheit des Menschen. Auch die Kirche kann davon an sich belebt werden. Wenn es in ihr keine Auseinandersetzungen mehr gäbe, wäre sie tot. Und dennoch erwartet man von ihr, daß sie mit diesen Gegensätzen anders umgeht. Unter Christen müßte es leichter sein, miteinander auszukommen. Aber manchmal scheint es gerade unter ihnen besonders schwer zu sein.

Es geht halt auch in der Kirche sehr menschlich zu. Wir sagen: Gerecht werden wir allein aus Gnade, aber unsre guten Werke wollen wir doch anerkannt haben. Wir reden vom Dienen und achten doch darauf, wer nun der Größte ist. Wir sind oft starr und rechthaberisch und machen unsere eigene Vorstellung vom Christsein den anderen zum Gesetz. Dadurch gibt es dann viel Uneinigkeit unter den Christen.

Dabei können wir nicht nur an die Gegensätze in der eigenen Kirche denken. Auch die ganze Christenheit ist ja uneins, in viele Kirchen zerspalten. Viele meinen, das sei ein Skandal, gerade in den Augen der nichtchristlichen Welt: die christliche Predigt werde in der Praxis ständig widerlegt. Dennoch dürfen wir darauf vertrauen: Die Einheit der Kirche ist uns von Gott gegeben, sie hängt nicht allein von uns ab, sondern sie ist uns geschenkt.

In der Kirche ist es nicht so wie in einer Partei, wo ein Generalsekretär oder ein Fraktionsvorsitzender seine Leute ausrichtet und „auf Vordermann“ bringt. Es ist doch erstaunlich, daß sogar in kommunalpolitischen Fragen alle Mitglieder einer Partei die gleiche Meinung haben, a n g e b l i c h die gleiche Meinung.

Ein Stadtverbandsvorsitzender einer Partei hat einmal gesagt: „In unserer Partei gibt es keinen Fraktionszwang. Es kann jeder nach seinem Gewissen abstimmen. Aber wenn einer zwei- oder dreimal gegen die Partei gestimmt hat, dann muß er sich fragen, ob er in der richtigen Partei ist“ So kommt es denn, daß auch die auf den hinteren Bänken die Hand heben, wenn die auf den vorderen die Hand gehoben haben.

In der Kirche muß es zum Glück nicht so sein. Sie ist eher wie ein großer internationaler Konzern: Jede einzelne Firma wirtschaftet für sich, aber alle sprechen sich untereinander ab und haben das gleiche Ziel. In der Wirtschaft geht man wieder zurück auf immer mehr kleine Einheiten unter einem großen Dach. Man arbeitet miteinander, aber man läßt den Fachleuten vor Ort genügend Freiheit, das in ihrem Fall Richtige zu tun.

Auch in der Kirche muß um die Wahrheit gerungen werden, aber nicht mit Gefängnis und Scheiterhaufen. Sicherlich gibt es nur e i n e Wahrheit. Aber der Zugang zu ihr ist unterschiedlich. Unser Fehler und der anderer Leute ist es vielleicht, daß wir zu sehr auf die Unterschiede achten. Doch man müßte vielleicht deutlicher herausarbeiten, daß hier in verschiedener Sprache von der gleichen Sache geredet wird.

Für die wöchentlichen Andachten in der Tageszeitung überlegte man, ob man den Titel „Gedanken zum Wochenende“ nicht umwandeln sollte in „Gedanken zum Sonntag“. Bei der Diskussion konnte man auf den ersten Anhieb gar nicht herausfinden, wer nun evangelisch und wer katholisch ist. Quer durch die Konfessionen wurde diskutiert und entschieden, daß die Spalte nicht mehr jetzt „Gedanken zum Sonntag“ heißen sollte. Dadurch soll mehr Flagge nach außen gezeigt werden und mehr das Christliche herauskommen. Deswegen darf aber dennoch jeder seine evangelische oder katholische Eigenart vertreten. Der Einheit der Kirche tut das keinen Abbruch.

Sicherlich ist es schmerzlich, daß die Kirche immer noch in die drei großen Blöcke Protestanten, Katholiken und Orthodoxe geteilt ist. Man weiß nicht, wie das Maß der Gemeinsamkeit beurteilt wird: mehr als die Hälfte gemeinsam oder weniger. Aber selbst der Epheserbrief zählt das Amt, das den Hauptstreitpunkt bildet, nicht unter die Gemeinsamkeiten. Zum Eins­sein der Kirche gehört nicht der Weltbischof, weil die Einheit allein in Gott und seinem Tun begründet ist.

Wir sagten: Die Einheit der Kirche ist gegeben! Aber nun gehört unbedingt dazu, daß wir auch sagen: Die Einheit der Kirche ist zu erstreben md zu leben! Wenn es heißt: „Bemüht euch eifrig darum!“ dann ist schon auch unsere Aktivität gefordert. Nur können wir die Einheit nicht schaffen, aber wir haben sie zu bewahren, also zu behüten und zu beschützen. Wo das Erscheinungsbild der Kirche dem noch widerspricht, was Gott vorgegeben hat, da ist aller Fleiß und Eifer aufzuwenden, daß das Erscheinungsbild dem immer ähnlicher wird, was Gott vorgegeben hat. Aber bei allem Tun strecken wir uns nur nach dem, was wir bereits sind.

Heute sprechen wir  von der „Einheit in der Verschiedenheit“. Vielleicht will Gott sogar die verschiedenen Kirchen, damit sie sich gegenseitig befragen nach der Wahrheit und dabei immer tiefer dringen.

Es darf in den verschiedenen Kirchen jeweils anders gepredigt werden, aber nicht anderes. Und wenn es schon einmal Streit geben muß, dann streitet es sich eben gut, wenn man von vornherein weiß, daß alle unter dem gleichen Christus sind. So hat es Kaiser Karl V. in seiner Einladung zum Reichstag von Augsburg schon 1530 formuliert und so hat es der sächsische Kanzler Brück in seiner Vorrede zum Augsburgischen Bekenntnis ausdrücklich aufgenommen: „Es streitet sich gut, wenn alle unter dem einen Christus sind!“

Die Einheit wird sich vor allem im Alltag und Sonntag der Gemeinde zeigen müssen. Da kann man es in Demut ertragen, daß man unter den Menschen keine große Rolle spielt. Da kann man mit Sanftmut auf gewaltlose Weise um den anderen werben und wird nicht gleich aus jeder Mücke einen Elefanten machen. Da kann man mit Langmut geduldig warten und einen langen Atem haben, wenn es etwas Bestimmtes durchzusetzen gilt.

Christus selbst hat in seiner letzten Nacht um die Einheit der Kirche gebetet. Er hat sie uns schon gegeben. Aber sie will erstrebt und gelebt sein.

 

 

Eph 4, 11 - 16 (Pfingsten II):

Das Wort „Kirche“ hat ganz verschiedene Bedeutungen. Zunächst einmal bezeichnen wir so ein Gebäude, das Gotteshaus. Aber auch was in diesem Haus geschieht, nämlich der Gottesdienst, bezeichnen wir als „Kirche“. Und schließlich heißt so auch der Zusammenschluß der Menschen, die an Gott und Jesus Christus glauben, also das Volk Gottes. „Kirche“ heißt also das Gotteshaus, der Gottesdienst und das Gottesvolk.

„Was soll das werden?“ fragten einst die Menschen, die das erste Pfingstfest erlebten. Wie die Kirche in die Welt kam, das konnte man nur als Wunder ansehen. Heute fragen wir eher verwundert: „Was ist daraus geworden?“ Die heutige Wirklichkeit der Kirche gibt wenig Anlaß, einen wunderbaren Anfang zu vermuten.

Wie steht es denn mit der Aufteilung der Dienste in der Gemeinde auf möglichst viele Mitarbeiter? Gibt es nicht viel Unsicherheit im Umgang mit Nichtchristen und eine Ahnungslosigkeit in Glaubensfragen, so daß wir uns von manchem Wind der Lehre umwerfen lassen? Gibt es nicht viel Uneinigkeit unter Christen und eben kein Zusammenwirken wie in einem Leib?

Was ist aus der Kirche von damals geworden

Und doch ist die Kirche da! Erstaunlicherweise hat sie all die Jahrhunderte überdauert. Offenbar kann sie nicht sterben. Aber die Frage ist immer wieder: „Kann sie so bleiben, wie sie ist?“ Daß die Kirche überhaupt noch existiert, das liegt an Christus. Er ist die Hauptsache in der Kirche. Darüber läßt sich nicht streiten. Er ist der Herr im Haus der Kirche. Er ist der Herr

auch all der Menschen, die sich zur Kirche halten. Die Kirche ist nicht der Zusammenschluß religiös interessierter Menschen, sie ist kein Verein oder eine Untergruppe des Kultusministeriums. Die Kirche ist „von oben her“, wenn man das einmal so bildhaft sagen darf, sie hat ihren Ursprung und ihre Mitte in Jesus Christus.

Aber die Kirche entfaltet sich wie ein Fächer: An einer Stelle wird er zusammengehalten, aber er besteht dennoch aus vielen Teilen. Nur wenn er entfaltet ist, kann er seine Aufgabe erfüllen, Nur wenn eine christliche Gemeinde aus vielen Mitarbeitern und Mitwirkenden besteht, ist sie überhaupt brauchbar. Nur so kommt auch der auferstandene Christus überhaupt zur Wirkung.

Christus ist überall und wirkt überall. Allerdings nicht, indem er befiehlt oder gar nötigt, sondern indem er schenkt. Er gibt der Gemeinde bestimmte Menschen, die die notwendigen Dienste tun. Und er gibt diesen Menschen die Gaben, die sie für ihre Aufgaben brauchen.

Er gibt der Gemeinde zum Beispiel einen Pfarrer.

Es ist nicht selbstverständlich, daß auch in der heutigen Zeit fast jede Gemeinde einen Pfarrer oder gar deren mehrere hat. Vielleicht werden wir einmal Pfarrer aus Stadtgemeinden mit mehreren Pfarrern für ein halbes oder ein ganzes Jahr in eine verwaiste Gemeinde abordnen. Jede Gemeinde kann also froh sein, wenn sie einen Pfarrer hat. Ein Pfarrer muß eben sein, zumindest einer, der für besondere Dienste in der Gemeinde freigestellt ist und dafür auch von den anderen mit finanziell getragen wird.

Wenn die Gemeinde nun zwar einen Pfarrer anstellt, so ist er doch nicht dazu da, um ihr nach dem Munde zu reden. Seine Aufgabe ist ja, der Gemeinde Christus nahezubringen. Er ist so etwas wie ein Trainer, der eine Mannschaft ausbildet für das Zusammenspiel und den besten Einsatz aller Kräfte. Um dieses Ziel zu erreichen, tut der Trainer ja auch das, was er für richtig hält.

Manche Gemeinde wird deshalb schwer sagen können, daß ihr der Pfarrer geschenkt ist; vielleicht leidet sie sogar unter ihm. Es gibt auch genug Stellen im Neuen Testament, die vor einem Mißbrauch der verliehenen Stellung warnen und ihn verurteilen. Und doch wird auch immer wieder deutlich gemacht: Ein Amt in der Kirche ist nicht allein von der Gemeinde abhängig, sondern es ist auch von Christus geschenkt. Deswegen wird man auch unter der Fürbitte der Gemeinde in ein Amt eingeführt.

Allerdings ist das Amt in der Gemeinde nicht auf eine einzige Person beschränkt. Hier im Epheserbrief werden ja gerade viele Ämter aufgezählt und deutlich gemacht: Jeder Dienst hat seiner besonderen Sinn und richtet sich jeweils nach den Gaben der Einzelnen. Da uns viele Gaben von Christus geschenkt sind, können wir auch nie genug Mitarbeiter in der Gemeinde haben.

Mitarbeiter aber sind nötig, wenn die Gemeinde gefestigt und gestärkt werden soll. Das fängt an bei dem Gotteshaus, das erhalten werden muß. Das trifft zu für den Gottesdienst, für den viele Mitwirkende gebraucht werden. Und das geht bis zu der Aufgabe, dem Gottesvolk und allem Volk das Wort Gottes zu sagen. Und auch für diese letzte und hauptsächliche Aufgabe gibt es kein Monopol des Pfarrers, sondern wir stehen alle in einer umfassenden Dienstgemeinschaft.

Wen es also Ämter in der Gemeinde gibt, dann heißt das nicht, daß die Gemeinde sich zur Ruhe setzen kann. In mancher Gemeinde, die auf einen Pfarrer wartet, kann man durchaus der Eindruck haben: Die warten nur darauf, daß einer kommt, dem sie wieder alles zuschieben können. Und wenn er dann da ist, verfallen sie wieder in Schlaf und wollen auch vom Pfarrer oder gerade von ihm nicht daraus aufgeschreckt werden.

Gaben gibt es aber in jeder Gemeinde und bei jedem Gemeindeglied. Dazu ist uns ja der Heilige Geist in der Taufe gegeben, deshalb wirkt er ja bis heute in seiner Gemeinde. Und zu tun gibt es in einer Gemeinde immer. Jeder kann etwas tun für die Ausbreitung der guten Botschaft. Er kann selbst den Mund aufmachen. Er kann aber auch einladen, Verbindungen herstellen, Mut machen. Er kann mithelfen, den Gottesdienst zu einer Sache aller zu machen. Er kann einen christlichen Lebensstil in der Familie pflegen und den Kontakt zu den Nachbarn halten.

Nur im Zusammenspiel der Vielen ist der Leib funktionstüchtig. Es gibt kein isoliertes Christsein zuhause im stillen Kämmerlein. Es wird nichts draus, wenn einer sagt: „Man kann ja auch zu Hause für sich beten!“ Dieses Beten - wenn es überhaupt tatsächlich geschieht - wird bald aufhören, wenn man nicht die Gemeinschaft mit anderen hat. Amputierte Glieder des Leibes sind lebensunfähig.

Wer im Kampf gegen die Sünde versagt, schwächt den ganzen Leib. Wenn aber einer treu ist im Beten, dann kommt das auch anderen zugute. Und wenn einer schon mit seinem Christsein allein zurechtzukommen meint: Die anderen darf er nicht im Stich lassen! Um der anderen willen sollte er seine Gaben in das große Ganze mit einbringen.

Das bedeutet aber auch: Jeder hat die Pflicht, seine Gabe entsprechend ausbilden zu lassen. Qualifizierung wird ja heute großgeschrieben. Auch in der Kirche spricht man heute von einer Lern- und Dienstgemeinschaft. Wenn man dienen will, muß man auch etwas gelernt haben.

Mit der Konfirmation haben wir noch nicht unsre christliche Ausbildung abgeschlossen. Nur wer am Ball bleibt, kann mitspielen. An der Bibel lernt man nie aus. Sie ist auch das Buch, das uns täglich neu ist, unser ganzes Leben lang. Nur wer immer wieder die Taten Gottes verstehen lernen will, bleibt ein lebendiges Glied der Gemeinde. Mit der Zeit wird er ein Könner werden. Und Könner können wir gebrauchen. Wer in der Gemeinde mitmacht, kann dann auch mitreden.

Doch vergessen wir wiederum nicht: Vom Haupt her hat der Leib seine Lebendigkeit, von daher wird er gesteuert und wird aktiviert. Die Kirche lebt vor dem, was Christus gibt. Nur von daher haben wir eine Erneuerung und Änderung zu erwarten, nicht von irgendwelchen Ämtern oder unsren eigenen Anstrengungen. Auch unsre Qualifizierung im Glauben wird uns geschenkt. Aber wenn wir dieses Geschenk annehmen, dann werden wir uns auch nicht von jeder falschen Lehre umblasen lassen, sondern mit Christus vereint und vom Heiligen Geist gestärkt unsren Glauben leben.

 

 

Eph 4, 22 – 32 (19. Sonntag nach Trinitatis):

Die Kinder sagen manchmal: „Doof bleibt doof, da helfen keine Pillen!“ Sie wollen damit ausdrücken: Wenn einer eben blöd ist, da bleibt er auch blöd, da wird sich nichts daran ändern. Goethe sagt es im „Faust“ etwas vornehmer: „Setz dir Perücken auf von Millionen Locken, setz deinen Fuß auf ellenhohe Socken: du bleibst doch immer, was du bist!“ Aber ist das wirklich so: Müssen wir tatsächlich immer die Alten bleiben?

Der Epheserbrief fordert auf: „Legt von euch ab den alten Menschen…. und ziehet den neuen Menschen an!“ Aber wenn das nur mit dem neuen Menschen so leicht wäre, wie wenn man ein altes Kleid auszieht und ein neues anzieht! Es ist ja nicht so, daß wir vor einem vollen Kleiderschrank stünden und die Qual der Wahl hätten oder nur in ein Geschäft zu gehen brauchten, um uns ein neues Kleid zu holen.

Das Sprichwort sagt zwar: „Kleider machen Leute!“ Aber Leute sind noch keine neuen Menschen! Durch ein großartiges Kleid wird oft etwas vorgetäuscht, was gar nicht durch die Wirklichkeit gedeckt ist. Wenn es Sonntag ist, ziehen wir unsere besten Kleider an und gehen zum Beispiel zum Gottesdienst. Aber durch ein neues Kleid sind wir nicht schon zu neuen Menschen geworden. Wir stolzieren gern in unserem Sonntagsstaat herum, aber wir sind doch die Werktagsmenschen geblieben.

In einer Stadt wollte einmal eine Dame die Straße überqueren. Sie war mächtig herausgeputzt und viele sahen ihr nach. Da blieb sie mit dem Absatz ihres Schuhs in den Straßenbahnschienen stecken. Wie sie auch zerrte und sich bemühte, sie kam nicht mehr aus der Falle los. Einige Passanten rieten ihr, doch den Fuß aus dem Schuh zu ziehen, da könne man besser anpacken und ihn loskriegen. Aber das wollte die Dame absolut nicht. Schließlich mußte sie klein­laut eingestehen, daß sie ein großes Loch im Strumpf hatte. Oben aufgedonnert und alles in bewundernswürdiger Ordnung, aber untendrunter ein Loch im Strumpf!

Das Bild vom Kleid will uns ja etwas sagen vom Wandel des Lebens des Menschen. Aber wir fragen uns doch auch: „Kann man denn so einfach Schluß machen mit dem Vergangenen, das im Grunde doch noch gar nicht vergangen ist? Kann man etwas hinter sich werfen, um es los zu sein, und dann nicht mehr daran zu denken? Kann' man denn wirklich neu und ganz anders geartet sein?

Manchmal ziehen wir Bilanz und wägen äußerlich und innerlich unser Leben ab. Aber meist wünschen wir uns dann: „Wenn es doch anders aussähe! Wenn wir doch mit einem bestimmten Abschnitt unseres Lebens noch einmal von vorn beginnen könnten! Wenn wir doch die Dinge, die wir verkehrt gemacht haben, noch einmal richtigstellen könnten?“ Aber wir kennen unsere Mängel und Schwächen. Andere haben es schwer mit uns und mit unserer Art. Möglicherweise leiden wir selbst an uns. Wir hatten uns doch vorgenommen, manches anders zu machen und einen wirklichen Neuanfang zu wagen.

Aber es bleibt alles nur Stückwerk. Letzten Endes ist das immer nur ein Zudecken von Schäden und keine grundlegende Erneuerung. Und oft bleibt es dann bei der Feststellung: „So bin ich nun einmal, ändern kann ich mich nicht, keiner kann über seinen Schatten springen!“ Da bleiben wir dann lieber in dem, was der Epheserbrief den „vorigen Wandel“ nennt.

Wir haben wohl auch Angst, das neue Kleid könnte zu groß für ums sein bzw. wir selber zu klein dafür. Der neue Mensch wird ja auch nicht zur zweiten Haut, sondern er muß jeden Tag neu angezogen werden. Und das Kleid des neuen Menschen ist auch nicht so „pflegeleicht“ wie das des alten. Es ist alles so mühsam, wenn man ein neuer Mensch werden will. Deshalb fängt mancher gar nicht erst an, ein neuer Mensch werden zu wollen.

Dennoch gibt es den reuen Menschen. Jesus Christus ist ein solcher neuer Mensch gewesen. Und wir sind neue Menschen, wenn wir „in Christus“ sind. Das Bild vom Überziehen des neuen Kleides kann uns noch am besten deutlich machen, was mit diesem „Christus“ gemeint ist.

Der auferstandene Christus umgibt und umschließt uns wie ein unermeßlich großer Mantel. Er ist unsichtbar. Aber sein Wort weist auf ihn hin. Es will uns deutlich machen: Geheimnisvollerweise gehören wir schon jetzt zum Auferstehungsraum, aber sichtbar und erfahrbar wird er erst nach diesem Leben für uns. Durch das Wort Christi werden wir dessen vergewissert, daß dieser Raum schon uns gehört und daß wir ihr einmal ganz in Besitz nehmen werden.

Es lebt sich anders, wenn man diese Gewißheit hat. Dann unterscheidet man sich von den Nichtchristen nicht nur in dem was man denkt und meint und in dem, was man hofft, sondern auch in dem was man ist und was man tut. Es wäre viel, wenn andere uns anmerkten, daß wir Christen sind. Wir können das neue Leben nicht unbedingt vorweisen und sagen: „Sieh nur, hier ist es!“ Aber daß wir zu Christus gehören, wird sich ja doch irgendwo in unserem Leben auswirken. Der Epheserbrief gibt dafür konkrete Hinweise.

 

(1.) Ein Christ arbeitet mit fleißigen Händen: Im Altertum war die Arbeit Sklavensache. Der freie Mann hielt es für unter seiner Würde, mit seinen eigenen Händen zuarbeiten. Weil die Arbeit gering geachtet wurde, kam auch mancher auf die Idee, sich das Nötige durch Diebstähle zu beschaffen. Durch das Christentum aber hat sich ein tiefgreifender Wandel in der Einstellung zur Arbeit vollzogen. Die Arbeit wurde zu Ehren gebracht. Arbeit ist ein Merkmal der Würde des Menschen. Auch der vergreift sich an fremdem Eigentum, der sich auf Kosten anderer bereichert und von dem lebt, was andere erarbeiten, ohne selber seinen Beitrag zu leisten.

Aber die Einschätzung der Arbeit geht für die Christen noch einen Schritt weiter. Arbeit ist nicht ein Mittel zum Verdienen und nicht notwendiges Übel zur Fristung des Lebens. Wir sehen sie meist so an: „Wir wollen möglichst viel verdienen, sogar mehr als wir im Augenblick verbrauchen können!“ Aber was sollen wir denn mit dem Überschuß machen? Mitnehmen können wir ihn sowieso nicht.

Der Epheserbrief macht uns da einen Vorschlag: Arbeit bedeutet in den Händen etwas Gutes schaffen und dabei an die Menschen denken, denen diese Arbeit dient. Wenn die Arbeit nicht als Dienst an den Menschen verstanden wird, dann ist sie tatsächlich eine harte Fron. Alles sieht aber anders aus, wenn man arbeitet, damit man etwas hat, das man dem anderen geben

kann, der es nötig hat. Unser Verdienst ist also gar nicht so sehr der Lohn für geleistete Arbeit, sondern zunächst einmal eine Möglichkeit, den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten, zum anderen aber eine Möglichkeit, anderen Menschen zu helfen.

Ideal wäre es, wenn jeder entsprechend der Zahl der Familienmitglieder das gleiche Einkommen hätte. Eine vierköpfige Familie sollte zum Beispiel 4.000 Euro zur Verfügung haben, eine zweiköpfige aber nur 2.000 Euro. Besondere Arbeitsbelastungen könnten noch eine finanzielle Anerkennung finden, Behinderungen mußten berücksichtigt werden. Aber es dürfte keinem möglich sein, übermäßige Reichtümer im Vergleich zu anderen anzuhäufen.

Auch für unsre kirchlichen Gehälter könnte man das einmal bedenken. Da geht es nach den Dienstjahren. So kommt es, daß die über 50-Jährigen das Meiste verdienen, wo sie doch meist keine kleinen Kinder mehr zu versorgen haben. Aber die jungen Familien, wo die Frau wegen der kleinen Kinder nicht mitarbeiten kann, werden mit dem Mindestlohn abgespeist, obwohl sie doch gerade den größten Bedarf haben, was etwa der Möbelkauf oder die Kleiderbeschaffung angeht. Oft sind sie dann gezwungen, sich noch Nebenbeschäftigungen zu suchen. Hier sollte aber gerade die Kirche andere Modelle entwickeln als der Staat.

 

(2.) Christen bemühen sich um eine zuchtvolle Rede: Wie die Arbeit den Menschen kennzeichnet, so erst recht seine Sprache; diese ist auch ein Stück seiner Gottebenbildlichkeit. Mit der Sprache nehmen wir Anteil am Leben der Anderen. Das Wort schafft Gemeinschaft. Deshalb ist es so wichtig, daß wir diese von Gott geschenkte Gabe zum Segen und zum Nutzen der anderen einsetzen.

Das heißt: Wir müßten immer sorgfältig überlegen, wann und was wir reden und ob wir nicht lieber hier und da einfach schweigen sollten. Es ist nicht gleichgültig, ob wir dem anderen etwas Freundliches und Hilfreiches sagen, oder ob nur belanglose Worte über unsre Lippen kommen.

Wie oft aber sprechen wir faule Gedanken aus. Was aber aus dem Mund herausgeht, läßt er­kennbar werden, wie es im Inneren des Menschen aussieht. Es gibt aber auch Menschen, in deren Nähe wir unmöglich Böses denken können. Und wenn erst Jesus uns ganz umgibt, dann wird das Böse erst recht verdrängt. Es wird nicht durch einen Gewaltherrscher unterdrückt, sondern es wird bei Jesus einfach uninteressant.

Da wir alle ein Teil am Leib Christi sind, ist es sinnlos, uns gegenseitig etwas vormachen zu wollen. Wir können uns gegeneinander die Wahrheit leisten, weil sowieso jeder von Christus gehalten wird. Unsere Rede soll deshalb Gutes ausrichten, Mut machen und trösten. Christen sollen nett, gewinnend und fröhlich miteinander reden, weil sie mit entlastetem und darum erneuertem Herzen reden und denken.

 

(3. Christen leben mit gebändigten Leidenschaften: Ob wir wirklich den neuen Menschen angelegt haben, zeigt sich auch darin, daß wir unsere Gefühle gebändigt haben. Es wird von uns nicht eine gleichmäßige Normaltemperatur verlangt. Es heißt: „Wenn ihr zürnt, dann sündigt nicht dabei!“ Es gibt also auch einen begründeten und verständlichen Zorn. Wir müßten ihn aber so in der Hand haben, daß wir ihr zeitlich begrenzen können. Die Sonne darf nicht untergehen, ehe unser Zorn beschwichtigt ist. Einmal Dampf ablassen, ist keine Sünde. Gott selber zürnt - aber er tobt nicht und läßt sich nicht zum Haß hinreißen. Vielmehr hat er uns allen vergeben. Dies ist der letzte Trumpf, der uns doch noch ermöglicht, neue Menschen zu werden

 

 

Eph 5, 1 - 8a (Okuli):

Was unterscheidet eigentlich einet Christen von einem Nichtchristen? Was unterscheidet zum Beispiel einen konfirmierten Jugendlichen vor einem anderen, der nicht konfirmiert ist? 0Da sagt eine Mutter von ihrem Sohn: „Mein Sohn ist nicht konfirmiert. Aber er ist ein anständiger junger Mann, bescheiden und hilfsbereit, in der Schule fleißig, man kann nicht über ihn klagen!“ Sie wollte damit andeuten: Eine Erziehung im christlichen Glauben habe ich aufgegeben, weil ich mich damit gegen meinen Mann stellen würde. Aber ich will meine Kinder wenigstens zu anständigen Menschen erziehen, und das ist doch auch so etwas wie eine christliche Erziehung. Mit dieser Meinung steht die Frau sicher nicht allein.

Aber eine Erziehung zu anständigen Menschen versuchen auch die Gottlosen. Auf dem Gebiet der Moral gibt es keinen Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen, da gibt es auf beiden Seiten leuchtende Vorbilder und fürchterliche Nieten. In dieser Beziehung kann sich der junge Mann mit den konfirmierten Jugendlichen messen.

Der Unterschied liegt auf dem Gebiet des Glaubens. Ein Christ weiß, daß er nie ein vollkommener Mensch sein wird. Er ist vielmehr ganz auf die Hilfe Gottes angewiesen, auf die Erlösung durch Christus. Dieses Wissen ist der entscheidende Unterschied zwischen Christen und Nichtchristen. Die Moral ist dabei nur die Nebenwirkung, sie ergibt sich selbstverständlich aus dem anderen.

Dennoch werden der Gemeinde, an die der Epheserbrief gerichtet ist, sehr massive moralische Vorschriften gemacht. Heute sagen wir dazu vielleicht: „So etwas ist doch gesetzlich, eng und verstaubt, diese Warnung vor Ehebruch, Habgier und einem losen Maul; damit nimmt man es doch heute nicht mehr so genau!“ Aber das waren damals die Hauptsünden der Heiden. Die junge Christengemeinde stand immer noch in der Gefahr, der verführerischen Anziehungskraft dieses heidnischen Lebensstils zu erliegen.

Deshalb heißt es in dem Brief ganz entschieden: „Wer sich mit dem gottlosen und heillosen Leben der Ungläubigen auch nur im geringsten wieder einläßt, der hat seinen Anteil an der Gottesherrschaft verscherzt!“ Das waren noch strenge Sitten damals! Aber nicht nur Adel verpflichtet, sondern Christsein verpflichtet erst recht.

Doch wir dürfen nicht vergessen, daß auch in diesem Bibelabschnitt echt evangelisch argumentiert wird: Gleich am Anfang ist die Rede von den geliebten Kindern, die Christus geliebt hat und für die er sich hingegeben hat. In der Mitte ist von „Heiligen“ die Rede, die deshalb zu Gott gehören, weil Christus sie heilig gemacht hat. Und am Schluß wird gesagt: „Ihr seid Licht in dem Herrn!“

Unter diesem Vorzeichen gewinnen die gesetzlich anmutenden Forderungen doch ein anderes Gesicht. Unmittelbar vorher steht ja auch noch: „Vergebt einer dem andern, wie Gott euch vergeben hat in Christus!“ Unter Christen kommt eben auch allerhand vor. Bei ihnen gibt es nicht nur die blinkende gute Stube, sondern auch manche dunkle Kammer mit allerhand Gerümpel und Spinnweben. Aber es kann alles vergeben werden. Nur wer das heidnische Lasterleben zum Programm erhebt und zu seinem Lebensstil erklärt, der hat sich für die Finsternis entschieden und darf sich nicht im Einklang mit Gott wissen.

Jedes Geschenk bringt eben auch einige selbstverständliche Forderungen mit sich. Doch wir sollten sie nicht als eine harte Verpflichtung empfinden, die man stöhnend oder grollend erfüllt oder auch nicht erfüllt. Ein Baum muß ja nicht gezwungen werden, gute Früchte hervorzubringen, sondern das macht er ja gern. Genauso kehren wir uns selbstverständlich von der Werken der Finsternis ab und wenden uns der Güte Gottes zu.

Wer das Geschenk richtig begriffen hat, der wird auch auf die konkreten Einzelanweisungen hören. Es gibt keine „billige Gnade“ und Gott sieht nicht einfach durch die Finger. Man kann nicht beides gleichzeitig haben wollen: die Annehmlichkeiten aus dem Reich der Finsternis und den Segen aus dem Lichtreich Christi. Es gibt auch kein unentschlossenes Hin- und Herpendeln zwischen diesen beiden Weiten.

Gott hat doch längst die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß wir seinen Willen tun können. Er h a t uns doch schon in sein Licht versetzt. Da können wir nicht so tun, als sei noch alles beim Alten. Der Glaube bringt auch konkrete Folgerungen mit sich. Wer dazu nicht bereit ist, bei dem ist auch mit dem Glauben etwas nicht in Ordnung. An den drei im Epheserbrief genannten Punkten wollen wir nun noch einmal durchgehen, worin ein Christ sich von einem Nichtchristen doch unterscheiden sollte.

 

(1.) Zuerst befassen wir uns mit dem Bereich des sechsten Gebots: Gott hat seine Liebe gegen uns erwiesen, als er seinen Sohn für die Sünder hingab. Hier wird deutlich, wie ernst er uns als Person nimmt. Menschliche Liebe sollte etwas vor dieser Liebe Gottes an sich haben. Zu solcher Liebe gehört die Hingabe und die Treue. Das können wir von Gott lernen.     

Wenn man sich nicht mit seiner ganzen Person an den anderen binden will, dann ist das keine Liebe. Man kann dem anderen nicht sagen: „Wenn ich mein Glück nicht mehr bei dir finde, dann schiebe ich dich wieder ab!“ Bei manchen hat man doch den Eindruck: die haben nur erst einmal zur Probe geheiratet, erst einmal ins Unreine; und wenn sie dann ihre Erfahrungen gemacht haben und etwas vermeintlich Besseres gefunden haben, dann heiraten sie noch einmal richtig. Aber das ist im Grunde schon „Unzucht“.

Es ist natürlich keinesfalls unter der Würde des Menschen, daß er liebt. Gott möchte sogar, daß wir noch besser lieben. Etwas Heimlichkeit dabei ist gar nicht so schlecht. Wenn man sich einem anderen ganz hingeben möchte, dann geht das die anderen nichts an. Es ist nicht unbedingt gut, wenn man heute die vermeintliche Liebe zu sehr ans Licht der Öffentlichkeit zieht. Wir brauchen als Christen nicht prüde zu sein. Aber um der echten Liebe willen lohnt es sich auch, zurückhaltend zu sein und nicht alles vor aller Augen auszubreiten. Es ist kein Zeichen von Fortschrittlichkeit, wenn man alles ehrlich zugibt, was man früher verheimlichte. Früher war manches auch nicht anders als heute. Aber auch wenn man heute freier davon reden kann, so sollte man es doch nicht für normal und in Ordnung halten.

 

(2.) Als zweites ist der Bereich des 7. Gebots angesprochen: Wir alle leben vom Opfer Jesu Christi. Uns gibt es überhaupt nur noch, weil Christus nicht an sich selbst, sondern nur an uns gedacht hat. Er ist das Gegenbild des Geizhalses, der nicht weiß, wie er seine Zehntausende möglichst günstig anlegen soll, und auch des Verschwenders, der sich alles leisten muß, was er im Schaufenster sieht.

Der Geizige wird einsam, weil er nichts für die anderen übrighat. Wenn einer aber nicht habgierig ist, dann kommt das automatisch auch anderen zugute. Wer zu Jesus gehören will, der wird auch Augen haben für das Los der armen Völker. Er wird sich auch etwas einfallen lassen, um ihren unmöglichen Lebensbedingungen ein Ende zu machen und um sie einzubeziehen in den Genuß der Gaben des Schöpfers.

 

(3.) Drittens nun geht es um den Bereich des achten Gebotes, das in besonderer Weise der Testfall für die Liebe zu anderen Menschen ist. Luther hat gefordert, daß wir von unserem Mitmenschen nur Gutes reden und alles zum Besten kehren. Manchmal darf um der Sache willen nichts beschönigt und entschuldigt werden. Aber meist ist es anders, da sollte man auch die guten Seiten herausstellen. Gott hat es so mit uns gemacht und alles zum Besten mit uns gekehrt. Davon leben wir alle noch heute und dementsprechend sollten wir auch anderen begegnen.

Aber wie gern amüsieren wir uns auf Kosten des abwesenden Dritten. Je näher er uns beruflicher oder nachbarlich steht, desto unterhaltsamer ist das Lästern. Schon das bloße Zuhören hat ja schon seinen Reiz. Angeblich ist ja alles nicht böse gemeint. Aber natürlich wird der andere doch immer ins Unrecht gesetzt und kann sich nicht einmal verteidigen.

Zu diesem Bereich gehören aber auch schlüpfrige Witze und gemeine Zoten. Für Christen ist das Lachen natürlich nicht verboten, und ein herzhaftes Wort kann manchmal besser sein als salbungsvolles Drumherumreden. Man kann ruhig darüber reden. Aber w i e man es tut, ist wichtig. Respekt vor Gott und den Menschen sollte dabei unser Maßstab sein.

Wer hintenherum über eine geschlechtliche Entgleisung des lieben Nächsten redet, anstatt ihm zu helfen, ist auch nicht besser. Wir sollten lernen, daß die Verstöße gegen eines der Gebote immer auf e i n e r Ebene liegen. Das hat jener Mann nicht bedacht, der den Pfarrer gebeten hatte, über die Gebote zu predigen, weil man ihm das Fahrrad gestohlen hatte. Am Montag kommt er glückstrahlend und hat sein Rad wieder: „Herr Pfarrer, nicht als sie über das siebte Gebot gepredigt haben, sondern beim sechsten Gebot ist mir eingefallen, wo ich das Fahrrad stehen gelassen habe!“ Eine Verfehlung gegen das sechste Gebot ist aber nicht              d i e Sünde schlechthin. Wer sich in diesem Punkt über einer anderen aufregt, ist auch nicht besser, er hat eben ein anderes Gebot übertreten.

In den jungen Kirchen in Afrika und Asien. kümmert man sich noch von der Gemeinde

her um das Verhalten des Einzelnen. Dort sind die Christen nur eine kleine Gruppe in ihrer Umwelt und müssen deshalb auf Ordnung in ihren eigenen Reihen sehen.

In einem Buch aus Afrika wird berichtet, wie ein Lehrer für ein halbes Jahr vom Abendmahl ausgeschlossen wird, weil er sich mit einem Mädchen eingelassen hat, das ihm nicht einmal etwas bedeutete. Ein europäischer Pfarrer meint dazu: „Man kann ihm das Abendmahl nicht verwehren, weil er seinen. Fehler eingesehen hat und seine Schuld bereut hat. Er wird das Abendmahl erst jetzt richtig verstehen!“ Doch der afrikanische Pfarrer entgegnet: „Ich kenne unsere jungen Männer besser. Hier muß ein Exempel statuiert werden, damit nicht auch bei den anderen alle Dämme brechen!“ Zwei verschiedene Ansichten, die beide irgendwie richtig sind.

Von unseren Nachbarn und Kollegen wird aber sehr genau registriert, ob unser christliches Reden mit der Praxis unsres Alltags übereinstimmt. Sie merken, ob wir es so machen wie jener Finne, der sich in einem Stockholmer Hotel für den amerikanischen Astronauten John Glenn ausgab. Er erzählte dem Reporter viel von seinen angeblichen Weltraumerlebnissen. Aber man merkte sehr schnell, daß er nie praktisch damit zu tun gehabt hatte.

Jener Hochstapler gab nur an und wollte etwas nachahmen. Aber für uns geht es nicht um Nachahmung, sondern um die Nachfolge Christi. Weil wir ein Licht „in dem Herrn“ sind, sollten wir dieses Licht auch leuchten lassen vor den Menschen. Wir tun das, indem wir Gottes Gebote befolgen und die Liebestat Christi weitergeben. Nicht die Moral unterscheidet uns von den anderen Menschen, sondern das Wissen um Gottes Liebe.

 

 

Eph 5, 8b – 14 (8. Sonntag nach Trinitatis):

In Marburg gibt es ein Caf#e, in dem nur Blinde bedienen. Allerdings ist der ganze Raum dunkel, so daß auch die Gäste nicht sehen können, was im Raum vor sich geht. Da erleben sie dann einmal, wie einem Blinden zumute ist, wenn man nur fühlen und hören kann, aber absolut nichts sieht.

Wir erleben ja selten, was Finsternis ist. Wir können ja kaum einmal den Sternenhimmel ungestört wahrnehmen, ohne von künstlichen Lichtquellen geblendet zu werden. Die Nacht, die unsere Vorfahren noch als etwas Angstmachendes empfunden haben, ist für uns heute hell geworden.

Dennoch wissen auch wir, was Finsternis ist. Wenn man krank ist und keinen Schlaf findet, dann sehnt man sich nach dem Morgen. Oder wenn man im einsamen Gelände in einer nebligen Novembernacht seinen Weg sucht, dann freut man sich über jedes Licht. Der absolute Horror aber ist, wenn die U-Bahn im Tunnel steckenbleibt und das Licht ausgeht. Finsternis kann man auch heute noch in unserer vom künstlichen Licht erfüllten Welt als eine Ursache von Angst erfahren.

Vor allem kennen wir auch die Finsternis als Bild für die Situation der Aussichts- und Hoffnungslosigkeit. Wenn einer unheilbar krank ist, dann ist er in einer ganz tiefen Finsternis. Auch die seelischen Krankheiten gehören dazu. Menschen mit einer Depression haben manchmal das Gefühl, sie säßen in einem völlig dunklen Raum.

Die Welt sieht aber anders aus, wenn sie hell erleuchtet wird. Die Sonne weckt wieder das Leben, sie bewirkt Wachstum und Reife. Pflanzen brauchen das Licht, aber Tiere und Menschen brauchen es nicht weniger. Leben und Licht gehören zusammen.

So sieht es auch der Epheserbrief, wenn er sagt: „Ihr wart früher Finsternis, nun aber seid ihr Licht in dem Herrn!“ Wer „im Herrn“ ist, der ist gewissermaßen in einen Raum hineingestellt, in dem Licht ist. Diesen Raum kann man zwar nicht sichtbar abgrenzen. Aber man darf sich doch sicher sein, daß man in diesem Raum ist und daraus kräftige Folgerungen ziehen. Der Epheserbrief beschreibt diese Möglichkeiten mit den drei Stichworten: Wachheit, Wahrheit und Wachstum.

 

(1.) Wo Licht ist, da ist Wachheit: Die Aufforderung: „Stehe auf von den Toten!“ klingt wie ein Stück aus einem Taufgottesdienst. Die Taufe wird ja auch als „Wiedergeburt“ bezeichnet. Zumindest ist sie so etwas wie eine Adoption durch Gott.

Vorher gab es nur Finsternis. Damals wurden ja vorwiegend Erwachsene getauft. Ihnen war es auf einmal unverständlich, wie sie nur früher so hatten leben können, in Unglauben und Unsittlichkeit. Doch all das wurde ersetzt durch ein neues Lebensgefühl: Die Vergangenheit ist abgetan. Jetzt ist Gegenwart, jetzt sind wir im Licht. Und darin werden wir mit Gottes Hilfe auch bleiben.

Ein Stichwort dafür ist „Wachheit“. Entscheidungen kann man nur im Wachen treffen. Ein Träumender wird oft von seinen Träumen geplagt. Aber wer aufwacht, ergreift wieder das Steuer seines Daseins und schaut sich um in seinem Stück Welt. Er macht sich klar, was jetzt zu tun ist, Schritt für Schritt. Er trifft Entscheidungen, plant und handelt. Er ergreift die sich bietenden Möglichkeiten. Nur im Wachen nehmen wir auch Gefahren wahr. Und nur im Wachen können wir auch die Zukunft bedenken, soweit es möglich ist.

Allerdings kann es im Alltag trotz laufendem Betrieb dennoch zu Einbrüchen kommen, so wie ein übermüdeter Kraftfahrer hin und wieder in Sekundenschlaf verfällt. Man meint zwar, auf voller Drehzahl zu laufen, ist aber dabei innerlich verschlafen. Wir schlafen zum Beispiel, wenn wir uns vom „Lauf der Welt“ beeinflussen lassen, wenn wir auf das hören, was „man“ so tut, wenn wir den sogenannten „Sachzwängen“ folgen, wenn wir uns vom Gesetz des ge­ringsten Widerstandes treiben lassen. Dann schiebt man längst fällige Entscheidungen vor sich her. Man ist träge und läßt die anderen für sich denken. Oder man drückt sich vor einem Entschluß in der Hoffnung, das Problem werde sich von selber lösen.

Deshalb ist es gut, hin und wieder sein Leben kritisch zu durchdenken: „Nehmen wir nicht doch oft Rücksicht auf das, was Menschen von uns verlangen? Haben wir nicht oft die Auseinandersetzungen in der Firma, in der Schule, in der Öffentlichkeit satt?“ Wer schläft, muß es sich gefallen lassen, daß man mit ihm macht, was man will. In der Narkose werden ganz „einschneidende“ Dinge mit dem Menschen vorgenommen. In der Hypnose kann man ihn zu Dingen bringen, die er im Wachzustand nie gemacht hätte.

Ein Christ aber ist wach. Er ist auf der Höhe der Zeit. Er begräbt nicht seine Hoffnungen, son­dern hat noch Träume. Sein Lebensgefühl ist das des Morgens: ausgeruht und frisch, klar und nüchtern, tatenfroh und aktiv. Ein Christ läßt sich dabei auch nicht von dem beeindrucken, was vielleicht sein Leben verpfuscht hat. Vielmehr weiß er: „Ich habe eine Zukunft mit enormen Möglichkeiten!“

 

(2.) Wo Licht ist, da ist Wahrheit: Die Sünde braucht die Finsternis, das Verbrechen scheut das Licht. Und wo sich die Dinge nicht verbergen lassen, da werden sie hinter einer glänzenden Verpackung verborgen. Ein typisches Beispiel dafür ist die Propaganda der Nazis, die den Menschen Größe und Anerkennung versprach und dabei primitivste Instinkte ansprach. Of­fen­bar war sie aber so wirksam, daß ihr bis heute Menschen erliegen und selbst junge Menschen sich davon anstecken lassen (Beispiele).

Man darf hier nicht zu selbstgewiß werden. Der Epheserbrief fordert zur Prüfung auf: „Prüfet, was dem Herrn wohlgefällig ist!“ Zu leicht geben wir unsre eigenen Wünsche als den Willen Gottes aus. Wir sind wahre Meister darin, unser törichtes Verlangen mit allen möglichen Grün­den zu rechtfertigen, auch mit Glaubensgründen. Liebe muß zwar auch einmal spontan handeln. Aber klare Überlegungen dürfen deswegen nicht fehlen. Wenn böse Folgen eintreten, dann sind wir nicht dadurch gerechtfertigt, daß wir es doch gut gemeint haben.

Deshalb gilt es, sorgfältig zu prüfen: uns selbst, die gegebene Situation, die zu erwartenden Folgen, die Wirkung im Einzelfall, die Beispielswirkung. Zum Prüfen gehört auch ein eingeübtes Unterscheidungsvermögen. Man sieht klarer, wenn man nicht immer nur im eigenen

Interesse handelt, sondern danach fragt, „was dem Herrn wohlgefällig ist“. Nur das macht frei

gegenüber den Meinungen der Menschen.

Das andere Stichwort lautet: „Deckt die unfruchtbaren Werke der Finsternis auf!“ Das Licht deckt auf, indem es ins Dunkle hineinleuchtet. Das Verbrechen zieht sich oft in dunkle Ecken zurück. Deshalb hat man schon in verschiedenen Städten Erfolge in der Verbrechensbekämpfung erreicht, wenn man nur die Szene tüchtig ausleuchtete. Im Licht wird das Böse aufgedeckt und ihm seine Gefährlichkeit genommen.

Gott zieht auch ans Licht, was wir bewußt verheimlichen. Er kennt die Unmenschlichkeiten, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren darf. Er weiß um die heimlichen Machenschaften und die Geschäfte hinter der vorgehaltenen Hand. Da fragt zum Beispiel einer in einer Gruppe von Jugendlichen: „Hat einer von euch eine Haftpflichtversicherung? Er könnte doch sagen, daß er meinen Computer heruntergeworfen hat und nicht ich, damit die Versicherung bezahlen muß!“ Für einen Christen kommt so ein Versicherungsbetrug nicht in Frage.

Es kann aber nicht darum gehen, den anderen immerzu „die Leviten zu lesen“. Meist übersehen wir dabei das Gute am anderen und das Kümmerliche und Skandalöse bei uns. Es ist leicht, andere „herunterzuputzen“, um dadurch vielleicht auch selber etwas höher zu rücken. Wichtiger ist, daß wir etwas tun für die Menschen, die Opfer der Gewalt, der Geschäftemacherei und des Rassenwahns werden.

Das Licht ist allerdings nicht nur unbarmherzig, indem es schonungslos aufdeckt. Was eben noch im Dunkeln war, fängt selbst an zu leuchten, wenn es vom Licht beschienen wird. Wer Vergebung kennt, kann sich vom Bösen lossagen und dann für das Gute eintreten. Weil uns Gott so viel geschenkt hat, können wir auch unendlich viel weiterschenken und Gottes Licht wie in einem Spiegel weitergeben.

 

(3.) Wo Licht ist, da ist Wachstum: Licht bewirkt Wachstum und damit Frucht. Pflanzen wachsen geradezu dem Licht entgegen. In der Finsternis können sie keine Früchte hervorbringen. Aber an den Früchten kann man sie erkennen - auch die Christen. Wer keine Früchte hervorbringt, dessen Glaube kann nicht echt sein.

Früchte kann man nicht „machen“. So kann auch kein Christ zum Beispiel Güte und Freundlichkeit machen. Eine gespielte Güte hat einen schlechten Beigeschmack. Der Graf Zinzendorf, der Begründer der Herrnhuter Brüdergemeine, hat es so gesagt: „Gott mag die Früchte nicht, die erst auf die Bäume gebunden werden müssen. Nur wenn sie aus dem Saft des Baumes wachsen, sind sie ihm angenehm!“Deshalb können wir Gott nur bitten, daß gute Früchte bei uns zu finden sind: Nicht mehr Mißtrauen und Eigensucht, Rechthaberei und Sich-gehen-lassen, sondern Freude und Liebe, Verständnis und Zucht.

Das Erscheinungsbild der christlichen Gemeinde scheint dieses Ideal zu widerlegen. Es wäre nicht gut, wenn wir das zu vertuschen suchten. Man kann ruhig darüber sprechen, daß unser Istzustand nicht dem entspricht, was er nach seiner Bestimmung sein sollte. Vielleicht geht es ja auch um gar nichts anderes als die Hinkehr zum Normalen. Vielleicht brauchen wir nur das zu tun, was man von einem rechtschaffenen Menschen erwarten kann. Vielleicht genügt ein ganz normales Leben aus einem Guß.

Anfangen müssen wir dabei bei uns selbst. Aber wir haben auch eine Aufgabe an unseren Mitmenschen. Allerdings hier haben wir hier oft Hemmungen. Wir wollen nicht als überheblich erscheinen. Aber dadurch lassen wir den anderen in sein Unglück rennen.

Natürlich gibt es auch Dinge, die nicht ans Licht der Öffentlichkeit gehören: Was zwischen

Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Seelsorger und Beichtendem vor

geht, darf nicht angetastet werden. Es ist auch nicht gemeint, daß wir uns von lichtscheuen Elementen fernhalten sollten. Gerade denen sollten wir ja helfen gegen die Finsternis, die sie bedrängt. Auch wenn sie uns unsympathisch sind, dürfen wir uns nicht von ihnen abkapseln, weil Christus sie liebhat. Nur wenn wir zum Freund dieser Menschen werden, können wir sie zu Christus führen.

Das Wort „Frucht“ meint etwas Gewachsenes, Gereiftes. Der Gegensatz wäre das Gemachte. nur Konstruierte, so eine Art Dressur. Wenn das Licht darauf scheint, dann entwickelt sich die Frucht von selbst. Doch wir dürfen wissen: Wir sind im Lichtkreis Christi. Hier strahlt die Liebe Gottes in uns ein. Wo er ist, da gedeiht das Böse nicht mehr.

 

 

Eph 5, 15 – 20 (18.  Sonntag nach Trinitatis):

Nicht für jeden ist das sein Lebensgefühl: „Kaufet die Zeit aus, denn es ist böse Zeit!“ Für viele ist es eine aufregende Zeit mit vielen Höhepunkten: Da bleibt man die ganze Nacht wach, um am Fernsehgerät mitzuerleben, wie der erste Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. Und unvergessen ist natürlich auch, wie die Mauer in Berlin geöffnet wurde. Eine interessante Zeit war das schon!

Natürlich gibt es auch Schattenseiten. Neben der Dauerkrise in den Elendsgebieten der Welt macht uns auch immer wieder eine Krise starke Sorgen. Auch bei uns gibt es manche Probleme, gibt es arme Leute und Obdachlose, gibt es Kranke und Behinderte, gibt es Arbeitslose und Asylsuchende.

Doch es nutzt nichts, über die böse Welt zu klagen. Es nutzt nichts, schon am Montag zu stöhnen: „Ach, wäre die Woche doch nur erst herum!“ Vielmehr sollten wir voller Dankbarkeit an die Arbeit gehen, dankbar daß wir gesund sind und arbeiten können, daß wir überhaupt Arbeit haben. Und wer das Arbeitsleben schon hinter sich hat, der darf dankbar sein, wenn er noch gesund ist und zum Beispiel zum Gottesdienst gehen kann oder seinen Haushalt noch selbst versorgen kann.

Wenn man so an das Leben herangeht, dann macht es auch Freude, dann wird man mit Gottes Hilfe auch mit Wellentälern fertig. Und wir sollten nicht alles so selbstverständlich nehmen. Daß wir wenigstens hier bei uns seit Jahrzehnten Frieden haben, das kann uns doch nur mit Dankbarkeit erfüllen. Wir können uns etwas schaffen, können uns etwas leisten und viel erleben, unsere Kinder können ungestört heranwachsen, wir können Menschen kennenlernen und Freunde gewinnen. Doch all das werden wir nur zu würdigen wissen, wenn wir einen klaren Kopf behalten, aber auch ein volles Herz haben, wie es uns im Epheserbrief vor Augen gestellt wird.

 

1. Ein Christ braucht einen klaren Kopf:  Als Glaubende sind zwar schon gewissermaßen in den Himmel versetzt. Aber gleichzeitig werden wir auch ganz energisch auf die Pflichten in der zeitlichen Welt hingewiesen. Wir dürfen die Dinge nicht sehen, wie wir sie gern sehen möchten, sondern wie sie wirklich sind. Mit vielen Dingen haben wir uns dabei erst einmal so abzufinden, wie sie eben sind. Aber nie sollten wir meinen, die Welt sei total verloren und nicht mehr zu retten.

Allzulange haben Christen das Bestehende als gottgewollt gesehen und für unantastbar gehalten. Doch alle Ordnungen dieser Welt sind veränderungsfähig und oft auch veränderungsbedürftig. Daß tausendjährige Reiche fallen und eine angebliche Weltrevolution zurückgeschraubt werden kann, haben wir ja gesehen. Ein Christ sieht die Welt immer als etwas Vorläufiges und lebt in einem gewissen kritischen Abstand zu ihr. Das gilt auch für unsere Gesellschaft und ihr Wirtschaftssystem, von denen wir doch oft meinen, sie seien die besten und vernünftigsten.

Dennoch ist unsere Welt die Schöpfung Gottes. Nur weil es in ihr noch den Kampf gegen das Böse gibt, kann man noch von der „bösen“ Zeit sprechen. Aber das ist wiederum kein Grund, nun völlig untätig zu bleiben. Die böse Zeit ist nicht bloß dazu da, daß sie vergeht. Sie soll nicht totgeschlagen, sondern „ausgekauft“ werden, wie es der Epheserbrief sagt.

Hier wird das Leben mit einem Markt oder einem Warenhaus verglichen. Viele Waren sind vor den Blicken der Käufer ausgebreitet und verlocken zum Geldausgeben. Doch wer mit Überlegung einkauft, wird nicht gleich das erste Beste nehmen: Er wird erst die Qualität der Ware prüfen und ob sie mit dem Preis übereinstimmt und er wird vielleicht erst bei anderen Erkundigungen einziehen. Aber er wird auch wissen, daß man bei einem Sonderangebot zugreifen muß, ehe es zu spät ist.

Auch Gottes Angebot bleibt nur eine bestimmte Zeit auf dem Markt. Vor allem unsere Lebenszeit ist beschränkt. Zeit können wir uns nicht kaufen. Sie wird uns von Gott zur Verfügung gestellt und wir müssen damit rechnen, daß wir nicht unbeschränkt darüber verfügen können. Es nutzt gar nichts, wenn man den Kopf in den Sand stecken will und so tut, als habe man noch unendlich viel Zeit. Vielmehr gilt es, die zur Verfügung stehende Zeit zu nutzen und das Angebot Gottes nicht zu verpassen.

„Auskaufe“ bedeutet dabei nicht, daß man alles herausholt, was drin ist, für sich selbst oder für den Mitmenschen oder für den ganzen Lebensbereich. Aber es bedeutet, daß man mit klarem Kopf denkt und urteilt, sich Sachkenntnis aneignet und möglichst schnell schaltet. Der Glaube macht frei zum Gebrauch der Vernunft und der Erfahrungen der anderen.

Aber es gibt auch Erkenntnisse, die nur der Glaube haben und gewinnen kann. Ein Christ weiß, daß er von Anfang an von Gott geliebt wird; davon wird er getragen und ermutigt. Er wird aber auch sorgsam auf seinen Lebenswandel achten und sich nicht seinen Gewohnheiten und unkontrollierten Stimmungen überlassen. Vielleicht muß er dabei gegen den Strom schwimmen. Aber er richtet sich nach dem, was seinem Herrn gefällt.

In der Theorie ist das auch alles klar. Aber im gelebten Leben gibt es da doch allerhand Unklarheiten und Konflikte. Durch Gottes Wort werden wir immer wieder ermahnt, Frieden zu halten. Wir nehmen es uns auch vor. Aber wenn dann ein Vorgesetzter über uns schimpft n teils zu Recht, teils zu Unrecht, dann wird es doch schwer. Die anderen sagen vielleicht: „Laß dir das nicht gefallen, setz dich zur Wehr!“ Doch das nützt meist nichts, da schaukelt man sich nur gegenseitig hoch. Sicherlich gibt es auch irgendwo eine Grenze.

Aber ehe die erreicht ist, gilt es erst einmal ruhig zu bleiben und einen klaren Kopf zu behalten. Doch zum Christsein gehört nicht nur der Verstand, sondern auch die Begeisterung. Das ist nun das Zweite, das der Epheserbrief uns vor Augen gestellt: 

 

2. Ein Christ braucht ein volles Herz: Der Glaube ist nicht nur eine Sache des Verstandes, sondern der Mensch hat ja auch eine Seele. Der Vergleich im Epheserbrief ist vielleicht etwas gewagt: „Sauft euch nicht voll Wein, sondern werdet voll Geistes!“ Als Gegenteil der Vernunft wird hier der Rausch angesehen, wie er zum Beispiel durch den Genuß von Alkohol entsteht. Er wird oft hervorgerufen durch den Zwang übler Sitten: um sein Ansehen nicht zu verlieren, macht man die oft törichten Formen des „Feierns“ mit. Aber in Wirklichkeit ist man nicht fertig geworden mit dem eigenen Leben und hat sich aus der Hoffnungslosigkeit in den Rausch geflüchtet. Dabei will man nur ja nicht zur Besinnung kommen, Unbewältigtes überspielen und Einbildungen aufrechterhalten.

Doch das Herz des Christen soll nicht voll Rausch sein, sondern angefüllt mit dem Geist Gottes, mit Gottes eigenem Leben. Gottes Geist bringt in Bewegung, aber er macht nicht willenlos und unkontrolliert. Er schafft Klarheit, aber er hält auch in Schwung.

Das Bewegtsein vom Geist Gottes zeigt sich im Gottesdienst auch in den Gebeten und Liedern, in der sogenannten „Liturgie“. Mancher Predigthörer wird vielleicht mit dem Kopf schütteln, wenn er von Lobgesängen und geistlichen Liedern hört. In der Universitätsstadt Göttingen gab es Leute, die kamen erst zur Predigt und gingen danach gleich wieder; sie wollten eine Kanzelrede hören, aber nicht singen und beten.

In der gleichen Stadt soll aber auch Folgendes passiert sein: Bei den Probepredigten der Theologiestudenten war auch immer der Kirchendiener dabei, der dem betreffenden Kandidaten am Ausgang sein Urteil mit auf den Weg gab. Einer aber hatte offenbar so miserabel gepredigt, daß der Kirchendiener nur zu ihm sagte: „Die Lieder haben Sie gut ausgewählt!“ Gut daß wir die Lieder -  die Liturgie -  im Gottesdienst haben, da können wir auf alle Fälle etwas mit nach Hause nehmen.

Im Gottesdienst redet Gott zu uns durch sein Wort. Wir aber reden mit ihm durch Gebet und Lobgesang. Dabei muß es ja nicht gleich so zugehen wie bei einem Rockfestival. Da lassen sich Jugendliche vor einem Podium in Verzückung bringen durch Texte, die keiner versteht, und durch eine Musik, die weder melodisch noch rhythmisch originell und aussagekräftig ist. Das Zucken der Arme und Beine, das laute Schreien und die Entfesselung des ganzen Menschseins machen uns noch nicht zu Menschen Gottes.

Aber wichtig ist, daß wir mit vollem Herzen Gott loben und so eine persönliche Verbindung zu Gott knüpfen. Es geht aber nicht, vor den Problemen in der Welt in fromme Liturgie und Anbetung zu flüchten. Das wäre genauso falsch, wie wenn man sich nur in Aktivität stürzt und Anbetung und Lobgesang für frommes Nichtstun hält.

Im Leben eines Christen gehört beides zusammen. Das Leben in der Kirche und das Leben in der Welt sind aufeinander bezogen. Das Denken und Handeln ist bestimmt von einer Senkrechten und einer Waagrechten: Gott zu lieben und die Menschen zu lieben, das gehört zusammen, sowohl ein sachliches Nutzen der Zeit als auch eine Trunkenheit im Geist. Das drückt auch der alte Wahlspruch der Mönche aus: „Ora et labora! Bete und arbeite!“

Richtig genutzt haben wir unsere Zeit, wo wir Gott danken können und aus diesem Dank heraus dem Mitmenschen dienen. Dann gibt es keine böse Zeit mehr, weil jede Zeit eine Zeit des Heils ist, in der wir das Heil Gottes ergreifen und in unserem Leben Gestalt gewinnen lassen.

 

 

Eph 6, 10 - 17 (21. Sonntag nach Trinitatis, Variante 1):

Für die meisten Autofahrer ist es ein Alptraum, wenn sie auf einen Unfall stoßen sollten und nun gefordert sind zu helfen. Was soll man zuerst machen: um die Verletzten kümmern, den Krankenwagen rufen oder die Unfallstelle absichern? Viele haben mit recht Angst, in einer solchen Situation zu versagen. Deshalb muß man sich vorher mit einer solchen möglichen Situation auseinandersetzen und muß die Möglichkeiten im Geiste durchgespielt haben. Deshalb wird man ja auch bei der Fahrprüfung verpflichtet, einen Erste-Hilfe-Kurs zu besuchen. Dann weiß man zumindest theoretisch, was eine stabile Seitenlage oder auch ein Druckverband ist.

Heute werden wir auf eine andere Situation vorbereitet, die immer wieder in unser Leben hereinbricht. Gemeint ist der Kampf mit den Mächten des Bösen, die überall in unserem Leben lauem. Auch darauf muß man sich geistig vorbereiten, gegen sie muß man sich wappnen und jederzeit wachsam sein.

Vielleicht sind wir aber doch etwas zusammengezuckt, als wir diesen Abschnitt aus dem Epheserbrief gehört haben. Zwar ist auch von dem „Evangelium des Friedens“ die Rede. Aber die Sprache ist alles andere als friedlich: „Legt die Waffenrüstung an, steht fest, gerüstet mit dem Panzer, ergreift den Schild, setzt den Helm auf und ergreift das Schwert!“ Da standen den Ephesern doch gleich die römischen Soldaten vor Augen, die schwerbewaffnet in ihrer Stadt auf Streife gingen.

Wir lieben solches Säbelrasseln nicht, auch wenn es nur mit Worten geschieht. Zu leidvoll sind die Erfahrungen der Kriege, die es ja leider auch heute immer noch gibt. Wir haben eine tiefe Abscheu gegen jede Gewaltausübung. Aber was das Bild uns sagen will, das ist sicher wichtig: „Wir müssen gut gerüstet sein für die vielen Anforderungen, die an uns gestellt werden!“

Wir kommen ja immer wieder in Situationen, denen wir uns nicht gewachsen fühlen und für die wir nicht hinreichend gerüstet sind: Da schwitzt ein Schüler über der Mathe-Arbeit, die er nicht bewältigen kann. Da wird ein Mann in der Firma mit Aufgaben überhäuft, die er nicht schaffen kann. Da hat sich ein Ehepaar mit dem Bau eines Hauses finanziell übernommen, als einer von ihnen arbeitslos wird.

Gerüstet sein für den Kampf des Lebens: Das gilt für jeden ohne Ausnahme, auch für den Christen. Auch wir fühlen uns oft genug schwach, wenn wir unser Christsein im Alltag leben wollen wie zum Beispiel bei einem Verkehrsunfall. Das gilt aber auch für die vielen zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen, die am Ende in regelrechte Kriege ausarten können.

Kampf gibt es auch, wenn es um Vorurteile gegenüber sozial Schwachen, Suchtkranken oder ausländischen Nachbarn geht. Kampf gibt es bei den Konsumzwängen, denen man heutzutage kaum noch entrinnen kann. Und ein Problem ist auch, daß wir den Menschen meist nur noch nach seiner Leistung bewerten. Wer sich da gegen den Zeitgeist auflehnt, der wird sich oft schwach fühlen.

Aber gerade in dieser Lage gilt uns der aufmunternde Zuruf: „Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke!“ Wir brauchen ja gar nicht selber den starken Mann zu markieren, sondern wir dürfen menschlich und schwach sein. Denn unsere Stärke ist immer geliehen: Es ist die Stärke und die Macht Gottes! Luther hat es so ausgedrückt: „Mit unsrer Macht ist nichts getan, wir sind gar bald verloren!“ Nur durch die gnädige Zuwendung Gottes sind wir geschützt.

 

(1.) Wir haben einen übermächtigen Feind:

Wir haben nicht Menschen oder Gruppen von Menschen zu Gegnern. Der schlichte Alltag bringt uns mit Menschen in einen leider unvermeidlichen Konflikt: Andere denken politisch anders als wir. Wir können einem Prozeßgegner gegenüberstehen. Der andere hat eine andere Religion. Dieser sachliche Gegensatz mag unvermeidlich sein. Aber wir sind nicht gegen den Menschen, der uns gegenübersteht. Der andere Mensch ist nie der Teufel.

Wenn wir das denken, verfehlen wir unseren eigentlichen Gegner, den wirklichen Teufel. Wir werden alle von ein und demselben Gegner angegriffen. Der sieht es gern, wenn wir in dem anderen Menschen den Feind erblicken, so daß er als der eigentlich Böse im Hintergrund bleiben kann. Ihm ist es recht, wenn wir einander verklagen und verurteilen, herabsetzen und verachten. Er hat es aber nicht gern, wenn wir Gutes voneinander reden und alles zum Besten kehren.

 Deshalb befinden wir uns in der gleichen Lage wie unsere Mitmenschen, denn wir sind alle Versager und Verlorene. Wenn wir uns das klar machen, können unsere Auseinandersetzungen unerhört an Sachlichkeit gewinnen. Es geht um die Sache, nicht darum, den anderen persönlich zu treffen und herunterzumachen.

Beim ersten Hören denkt man vielleicht: „Das gibt es doch gar nicht, Teufel und böse Geister.“ Natürlich gibt es sie nicht und hat es auch nie gegeben, jedenfalls nicht in der Form, wie er im Kasperletheater erscheint: Ein Teufel mit Pferdefuß und Schwanz, mit Jägerhut und schwarzen Haaren und außerdem schon von weitem übelriechend. Wenn es so wäre, könnten wir ihn ja gleich erkennen und uns gegen ihn wappnen.

Der Teufel ist überhaupt keine persönliche Macht und auch kein zweiter Gott. Aber wir haben es mit einem jenseitigen Feind zu tun, der jedoch oft allzumenschliche Züge hat. Er läßt immer wieder unsere Leidenschaften durchschlagen und verdrängt die klare Überlegung. Er impft uns den Bazillus der Mutlosigkeit und der Angst ein. Er will uns bewegen, unser Ziel aufzugeben und unseren Plan zurückzuziehen. Er macht uns befangen und verbissen und läßt uns zerfallen mit Gott und aller Welt. Das Böse redet uns ein, alles bisher in Gott gesetzte Vertrauen sei nur eine Einbildung. Gott - wenn es ihn auch vielleicht gäbe - habe uns fallengelassen.

Der Lauf der Welt scheint uns zu bestätigen, daß aller Glaube sinnlos ist. Dann hat man nicht mehr die Kraft, sich der Versuchung zu widersetzen. Und dann gibt man leicht auf. Jeder von uns hat einmal einen schlechten oder gar einen bösen Tag: Da rechnet ein anderer mit unserer Hilfe und wir schauen weg. Da wäre ein klares Bekenntnis und ein Einsatz für einen Verachteten nötig und wir sind feige.

Dadurch wird aber deutlich: Was mit der kindlichen Vorstellung vom Teufel gemeint ist, das gibt es der Sache nach auch noch heute. Es sind nämlich immer Menschen da, die dem Bösen ihren Arm leihen, die gemein und brutal sind, voller Haß, und Gewissenlosigkeit. Doch das Schlimm­ste ist: Dieser Feind sitzt schon längst in uns selber drin. Der Feind kommt also gar nicht so sehr von außen, sondern er sitzt in unserem eigenen Inneren drin. Jeder Mensch hat in sich so eine Art Keller, zu dem man kaum Zugang hat. Die sichtbare Welt vermögen wir meist in Ordnung zu halten. Aber aus unserer „Kellerwelt“ steigen oft Gedanken auf, vor denen wir erschrecken und die uns bedrängen und gefährden.

Die Bibel redet da von den „listigen Anläufen des Teufels“. Solche Erfahrungen dürfen wir nicht geringachten oder gar leichtsinnig vom Tisch wischen. Man kann nicht sagen: „Ich weiß gar nicht, was eine Anfechtung ist. Ich lebe fröhlich und weiß mich geführt und behütet. Ich habe keine Angst!“ Hier sind Kräfte auf dem Plan, mit denen wir einen richtigen Lebenskampf auszufechten haben.

 

2. Wir haben einen noch viel mächtigeren Herrn: Ehe wir uns auf einen Kampf einlassen, müssen wir die Kräfte kennen, denen man in diesem Kampf begegnet. Ein Boxer wird sich vorher mit der körperlichen Verfassung, der Technik und den Eigenarten seines Gegners vertraut machen. Der Fußballtrainer beobachtet den nächsten Gegner und sieht sich Videos an. So läßt auch der Christ eine Gefahr nicht gelassen auf sich zukommen, sondern zieht rechtzeitig eine zuverlässige Rüstung über.

Doch mit der reinen Beobachtung ist es noch nicht getan, man muß auch die Folgerungen daraus ziehen. Der Boxer überlegt sich die Taktik, mit der er den Gegner auf die Bretter zwingen könnte. Der Fußballehrer spricht mit der Mannschaft über den Gegner und das eigene Vorgehen.

So müssen auch wir auf die gegnerischen Kräfte vorbereitet und ihnen mit Bedacht entgegentreten. Zumindest dürfen wir nicht von vornherein einfach die Waffen wegwerfen, weil der Feind angeblich zu mächtig ist. Deshalb heißt es hier: „So stehet nun!“ Ein Christ darf sich nicht aus Angst vor einem unheimlichen Widersacher verkriechen, sondern soll wie einst David dem bis an die Zähne bewaffneten Goliath gegenübertreten.

Wir sind dabei wie ein Soldat, der in vorderster Linie steht. Aber neben uns steht Jesus Christus an der gefährdetsten Stelle der Front. Und hinter uns steht Gott, der Feldherr, der die Strategie ausgearbeitet hat und den Überblick behält, der den Feind schon auf dem Rückzug sieht, auch wenn er jetzt noch zur Offensive bläst. Und Gott gibt auch die richtigen Waffen für den Kampf.

 Allerdings stark sind wir nur mit geistlichen Waffen. Der Panzer ist das Bild für die Gerechtigkeit, das Anerkanntwerden durch Gott. Da sind wir nicht mehr verwundbar durch unsere Schuld und andere Menschen können zwar auf unsere schwachen Stellen zeigen, aber wir versagen nicht mehr.

Das Schild ist der Glaube, der die giftigen Pfeile abhält. Ich darf Schwächen zeigen und Patzer machen, weil ich mich vertrauensvoll in Gottes Hand begeben habe und auf seinen Sieg vertrauen. Der Helm macht uns sicher, daß wir das Heil schon haben, also nicht erst gerettet werden müssen, sondern die Rettung durch Christus schon geschehen ist. Der Gürtel ist die Wahrheit, die alles zusammenhält. Wahrheit aber ist nicht ein System von Lehrsätzen, sondern das, was jede Lüge überwindet. Die Sandale ist ein Beispiel für die Beweglichkeit, die Bereitschaft, sich auf den Weg zu machen und das Wort Gottes weiterzusagen, damit die Kraft Gottes in unsere Welt einbrechen kann.

 Das Schwert des Geistes ist die einzige Waffe, die nicht nur der Verteidigung dient, sondern auch offensiv gebraucht werden könnte. Aber bei dem Schwert Gottes fließt kein Blut, sondern gemeint ist Gottes Wort, das gesprochen und meditiert sein will. Deshalb ist es schade, wenn unsere Konfirmanden so gut wie nichts mehr auswendig lernen.

Man kann ja auch in eine Situation kommen, daß der Blick auf Gott verstellt ist. Dann ist es hilfreich, wenn aus der Tiefe unseres Erinnerns sich das Wort als die Waffe einstellt. Je kritischer die Lage ist, desto weniger sind wir allein gelassen. Als der Pfarrer Paul Schneider ins Konzentrationslager Buchenwald kam, hielt er jeden Morgen für die Häftlinge in den benachbarten Zellen eine Morgenandacht. Am Ostermorgen rief er auf den Appellplatz hinaus: „So spricht der Herr: Ich bin die Auferstehung und das Leben!“ Ein anderes Mal rief er: „Ich bin das Licht der Welt, wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis!“ Er konnte meist nur einen Satz sprechen, dann stürzten sich die Aufseher auf ihn und schlugen ihn zusammen. Aber er hat vielen seiner Mithäftlinge Mut zum Durchhalten gemacht, allein durch das Wort, das nicht von ihm stammte, sondern von Gott.

Ich muß nicht mutlos sein, wenn ich Christus zum Freund habe. Die Traurigkeit braucht mich nicht niederzudrücken, wenn Christus mir Hoffnung gibt. Durch ihn bin ich immer überlegen.


Eph 6, 10 - 17 (21. Sonntag nach Trinitatis, Variante 2):

In einem sportlichen Wettkampf geht es oft hart her im Kampf Mann gegen Mann. Aber es ist eben nur ein sportlicher Wettkampf, bei dem es nur um die Ehre geht. Doch hier in unserem Predigttext ist die Rede von einem Kampf auf Leben und Tod, und zwar unter Bedingungen, die über die Kraft eines Menschen gehen.

Zwei Heere stehen sich dabei gegenüber: Auf der einen Seite der Satan, das Böse mit all seinen Mächten und Hilfstruppen, die er in Reserve hält. Auf der anderen Seite die Macht und Rüstung Gottes. Sie liegen im Krieg miteinander und das Böse ist dabei in der Offensive begriffen; so hat es wenigstens den Anschein.

Wir als die Gefolgsleute Gottes spüren diesen Kampf durchaus, denn wir stehen mittendrin. Einerseits geht es ja um uns: In dem Kampf geht es darum, wem wir gehören können und sollen. Aber andererseits fordert Gott uns auch auf, daß wir auf seiner Seite in den Kampf ziehen.

Christen leben eben nicht mehr wie in einem Talkessel, der durch hohe Berge von der Außenwelt abgeschnitten ist und wo man ziemlich windgeschützt leben kann. Diese Zeiten sind längst vorbei, wenn es sie jemals gegeben hat. Auch wer äußerlich gesehen zwischen den Bergen lebt, die manchen Wind fernhalten, muß er doch. zugeben, daß die neue Zeit auch vor seinem Gebiet nicht haltgemacht hat. Im Gegenteil!

Wir wissen zwar, daß im Grunde jeder Mensch kämpfen muß und das ganze Leben ein Kampf ist. Aber für einen Christen ist die Lage heute noch verschärft und gewissermaßen steht er noch unter einem besonderen Druck. Es ist nämlich ein Feind am Werk, der es eigens auf die Christen abgesehen hat. Ein Mensch, der an Gott glaubt, befindet sich deshalb in einer äußersten Bedrohung.

Der Feind versucht, die Christen ins Wanken zu bringen. Und wenn einer erst einmal schwankt, dann ist er auch bald umgeworfen und bald verloren. Gleich der Anfang ist dabei entscheidend: denn der Feind auch nur eine kleine Schwäche bemerkt, dann setzt er gleich nach und versucht, seinen Vorteil auszubauen.

Wer da einmal an einer Stelle nachgibt, der muß sich schließlich immer schneller zurückziehen. Wenn erst einmal ein Einbruch erzielt ist, wird der ganze Damm weggespült. Deshalb gilt es, gleich von Anfang an fest zu bleiben, keine ängstlichen Kompromisse zu schließen und gleich die Zähne zu zeigen. Der erste Verdruß ist noch der beste und man erspart sich manchen Ärger und viel Aufregung und hat viel eher wieder seine Ruhe. Wenn der Gegner merkt: „Hier beiße ich ja doch auf Granit!“ dann gibt er es bald wieder auf.

Mancher denkt ja: Der Feind ist mir tausendfach überlegen. Kein vernünftiger Mensch würde sich mit ihm einlassen, sondern von vornherein kapitulieren. Und das tun dann auch viele und lassen es zu, daß die Welt zu einer großen Besatzungszone des Teufels wird. Wir können auch in der Tat die Verführer und Verfolger der Glaubenden nicht zu leicht nehmen. Sie sind ja nur die vorgeschobenen Hilfstruppen eines unsichtbaren Feindes.

Beim ersten Hören des Textes haben wir vielleicht gedacht: „Das gibt es doch gar nicht mehr, Teufel und böse Geister!“ Natürlich gibt es sie nicht und hat sie auch nie gegeben, jedenfalls nicht in der Form, wie der kleine Fritz sie sich vorstellt: etwa einen Teufel mit Pferdefuß und Schwanz, mit Jägerhut und schwarzen Haaren und außerdem noch übelriechend.

Doch was mit dieser kindlichen Vorstellung gemeint ist, das gibt es der Sache nach auch noch heute. Es sind nämlich immer Menschen da, die dem Bösen ihren Arm leihen, die gemein und brutal sind, voller Haß und Gewissenlosigkeit. Das Böse ist heute in vielen Formen anzutreffen: in Hunger und Krieg, in Atomrüstung und Unterdrückung.

Nur nimmt der Teufel eben immer menschliche Gestalt an. Deshalb ist es so schwierig, das Böse zu erkennen, weil in jedem Menschen Gutes und Böses miteinander vermischt sind. Aber eins ist wenigstens deutlich: Der sogenannte Teufel begegnet uns in dem anderen Menschen, der uns von Gott abbringen will oder der unseren Glauben lächerlich machen will. Dem haben wir zu widerstehen, so gut wir das eben können.

Nun sagt uns jedoch die Bibel: „Jesus Christus hat schon längst die Weltherrschaft angetreten. Warum gibt es denn da immer noch Kampf? Grundsätzlich ist die Entscheidung in der Tat gefallen. Aber in dem Herzen eines jeden Menschen geht der Kampf noch weiter, da versucht das Böse noch, Gott wieder die Stellung streitig zu machen.

Dieser Feind Gottes ist schon eine Wirklichkeit, im Grunde eine übermenschliche Macht. Und diese Macht hat sogar noch einen Stützpunkt im Menschen selbst. Das Böse ist nicht einfach vom Himmel gefallen, sondern es ist unsere eigene dunkelste Möglichkeit und kommt aus uns selber heraus.

Deshalb überfällt es uns auch so unerwartet. Es ist wie ein Vulkan, der lange Jahre geruht hat; man hat schon gemeint, er sei erloschen. Aber plötzlich bricht er wieder auf mit einer ungeahnten Urgewalt und zermalmt alles, was im Wege ist.

So unerwartet bricht auch oft das Böse in uns hervor und wir sind oft nicht dagegen gewappnet, haben auch kein Gegenmittel.

Nach dem Ersten Weltkrieg hätte auch niemand geahnt, was deutsche Menschen einmal fertigbringen würden. Und doch war 20 Jahre später fast ein ganzes Volk geradezu besessen von dem Willen zur Zerstörung und Vernichtung der anderen. Und wer weiß, was heute in 20 Jahren einmal möglich sein wird?! Natürlich trifft jede Gesellschaft gewisse Schutzmaßnahmen. Aber auch das hat seine Grenze. Es kommt ja sogar vor, daß einer zum Handlanger des Bösen wird, ohne es zu merken.

Was sollen wir aber denn nun tun gegen den Feind in uns selber? Zumindest sollen wir nicht einfach von vornherein die Waffen wegwerfen, weil der Feind zu mächtig ist. Feigheit gilt nicht, ganz gleich, wie stark der andere ist. Wir sollen uns vielmehr ein Herz fassen zum Widerstand. Wir m ü s s e n nicht Opfer und Handlanger des Feindes werden.

Deshalb heißt es hier: „So stehet nun!“ Von einem Christen wird eben erwartet, daß er nicht kapituliert. Er darf sich nicht aus Angst vor seinem unheimlichen Widersacher verkriechen, sondern soll wie einst David dem bis an die Zähne bewaffneten Goliath gegenübertreten.

Es gilt, dem Feind ins Auge zu schauen und ihn genau zu erkennen. Wer den Feind kennt, ist schon nicht mehr so wehrlos. Vor allen Dingen hat er Zeit, sich schon vorher zu überlegen, wie er ihm begegnen will. Wenn ich schon vermuten kann: „Da wird mich sicher einer zur

Lüge oder zum Schwindel anstiften wolle!“ dann kann ich mir schon vorher überlegen: „Was wirst du antworten?“ Wenn es zu überraschend kommt, lassen wir uns schnell überfahren, weil wir in der Eile nichts zu antworten wissen und lieber mitmachen.

Doch wir kennen nicht nur von vornherein den Feind, sondern auch den, der stärker ist als er. Wir werden hier aufgefordert: „Seid stark in dem Herrn“. Das ist nicht ein Aufruf an unsere eigene sittliche Widerstandskraft, der vielleicht nur ein christliches Mäntelchen umgehängt worden ist. Angesichts des übermenschlichen Feindes reicht die Kraft eines Menschen gar nicht aus. Wir müssen vielmehr sagen: „Wir sind nur stark in dem Herrn!“ Allein auf Gottes Kraft können wir vertrauen, nicht auf unsre. Vor allem das Gebet wird uns hier sicherlich Stärke geben.

Wir sind dabei wie ein Soldat, der in vorderster Linie steht; der Feldherr aber ist hinten. Wir stehen im heißen Kampf. Aber der Herr gibt uns die Mittel und die Kraft dazu. Er hat den Willen zu siegen und reißt uns mit. Vor allem aber gibt er uns die richtigen Waffen zum Kampf in die Hand.

Diese Waffen sind: Die Wahrheit, die jede Lüge überwindet; Gerechtigkeit, die alle Selbstgerechtigkeit zerschlägt; Glaube, der völlig auf den Sieg Jesu vertraut; Heil in einer heillosen Welt; und schließlich der Geist Gottes, der uns Kraft gibt, zu reden, wo wir reden sollen. Eine ganze Rüstung voll Waffen sollen wir anlegen, um gegen den Feind gewappnet zu sein. Doch vergessen wir nicht: Es ist G o t t e s Rüstung, die wir anlegen sollen. Und es ist Jesus Christus, der an unsere Seite tritt und für uns streitet an den gefährdetsten Stellen der Front. Gott allein weiß auch, daß der Feind schon im Rückzug sich befindet, auch wenn er im Augenblick noch einmal zur Offensive bläst.

Deshalb brauchen wir noch nicht von triumphierenden Siegen zu träumen. Zunächst kommt es nur darauf an, die dargereichte Rüstung auch anzulegen. Es kommt darauf an, standzuhalten und zu überstehen. Stiefel sollen wir anziehen und auf den Straßen der Welt das Evangelium des Friedens zu verkünden.

 

 

 

 

Philipper

 

Phil 1, 3- 11 (22. Sonntag nach Trinitatis):

Eine junge Frau erhält einen Brief und ist erfreut. „Ich habe einen Brief erhalten, einen richtigen Brief, mit der Hand geschrieben, den muß ich aufheben, damit ich meinen Kindern einmal zeigen kann, was ein Brief ist!“ Heute sind die Briefe ersetzt durch Telefonanruf, E-Mail und SMS, schnell wieder gelöscht und vergessen. Ein Buch kann man nach 500 Jahren noch lesen, die neuen Medien schon manchmal nach zehn Jahren nicht mehr.

Dabei haben die neuen Medien auch ihre Vorteile. Vor allem sind sie sehr schnell, die Antwort kann sofort erfolgen, Unklarheiten können sofort aufgelöst werden. Und eine ganz feine Sache sind die Bildtelefone, bekannt unter dem Firmennamen Skype. Da kann der Gesprächspartner in Ägypten in Urlaub sein oder beruflich sich in Neuseeland aufhalten – man kann sich beim Gespräch direkt sehen oder bestimmte Dinge vorzeigen oder die Stimmung des anderen wahrnehmen.

Aber das Schreiben eines Briefs macht Mühe - heute wie damals. Paulus konnte nur durch Briefe mit seinen Gemeinden verbunden bleiben. Sie wurden mühsam mit einem Federkiel auf Pergament geschrieben und mußten dann durch einen Boten dem Empfänger zugestellt werden, zum Beispiel wenn jemand zufällig mit dem Schiff nach Philippi reiste. Einen originalen Brief von Paulus haben wir nicht mehr. Aber seine Briefe sind oft abgeschrieben und in den Gemeinden vorgelesen worden, und einige sind uns bis heute erhalten geblieben wie der Brief an die Gemeinde in Philippi

Ein Brief beginnt mit der Anrede und einem Gruß. Dann macht man am besten weiter mit einem Dank. Je besser man den Empfänger kennt und je besser man sich mit ihm versteht, desto leichter wird das vor sich gehen. Paulus jedenfalls hatte das denkbar beste Verhältnis zu der Gemeinde in Philippi, einer Stadt in Griechenland. Da herrschte eine Atmosphäre der Freude und Liebe zueinander. Paulus nennt eine ganze Reihe von Namen. Er nimmt sogar Unterstützung von dort an, was er sonst bei keiner anderen Gemeinde zugelassen hat.

Aber auch die Gemeinde in Philippi besteht nicht aus vollendeten Heiligen. Auch ihnen muß Paulus immer wieder gut zureden. Er meint, daß sie auch weiter seine Hilfe nötig haben werden. Aber Paulus versucht auch, die Gemeinde ein wenig mit den Augen Gottes zu sehen. Es sind Menschen, an denen Gott große Dinge getan hat und auch weiter tun wird – davon ist Paulus überzeugt.

Von einem Gesprächspartner machen wir uns immer ein eigenes Bild: Wie er sich benimmt, was er kann, was er vielleicht auch auf dem Kerbholz hat. Aber Paulus will diese ganz menschliche Sicht dadurch ergänzen, daß er hinter jedem Menschen den Herrn sieht, der in dem Äußeren des Menschen verborgen ist und durch ihn hindurch scheint. Vielleicht ist gerade diese Sicht das Wesentliche. Auch die Gemeinde in Philippi will er so sehen: Nicht nur mit menschlichen Augen, sondern mit den Augen Gottes.

Das bedeutet: „Ich sehe dich zwar, wie du bist, aber viel wichtiger ist mir, was Gott für dich ist und an dir tut. Und ich bitte dich umgekehrt: Sieh mich nicht nur als gewöhnlichen Menschen, sondern sieh in mir die neue Kreatur, die ich durch den Glauben an Gott geworden bin!“ Die das Evangelium mitbekommen haben, die lieben einander. Das ist möglich durch die Gnade Gottes. Aber in Zukunft kann man es damit immer noch besser werden.

 

1. Wir leben aus der Gnade Gottes:

Paulus dankt zunächst. Das war damals so Sitte. Doch dies entwertet den Dank nicht. Aber er spricht nicht über seine eigene Situation, obwohl er doch wegen seiner Predigttätigkeit in Untersuchungshaft im Gefängnis sitzt. Er ist nur am Evangelium und an den Philippern interessiert. Deshalb betet er für sie, das Einzige, was er im Augenblick tun kann. Aber das ist ein sehr starker Einsatz. Er geht die Philipper alle durch und stellt sie sich nacheinander vor Augen.

So machte es auch eine alte Frau, die erzählte: „Wenn ich nachts nicht schlafen kann, dann gehe ich Haus für Haus das ganze Dorf im Geiste durch und bete für die Menschen!“ Schlaflosigkeit ist also nicht nutzlos, sondern - wenn sie recht genutzt wird – ein starker Dienst für die Gemeinschaft.

Was Christen untereinander verbindet, sind nicht die Beziehungen, die sie untereinander haben, sondern das Anteilhaben an der gemeinsamen Sache, also am Evangelium Gottes. Christen treffen sich gewissermaßen an einem dritten Ort, bei ihrem Herrn und seiner Botschaft. Deshalb ist auch gleich eine Verbindung hergestellt, oder wie man auch sagt: Die Chemie stimmt sofort!

Das kann man zum Beispiel feststellen bei kirchlichen Zusammenkünften, sei es in der Gemeinde oder überörtlich bis hin zu den großen Kirchentagen. Manche fahren in einer geschlossenen Gruppe hin und können dann doch neue Kontakte knüpfen. Man kann aber auch allein hingehen und wird bald in die große Gemeinschaft aufgenommen sein. Kirchentagsteilnehmer sind aufgeschlossen füreinander, weil sie der gemeinsame Herr und die gemeinsame Botschaft verbindet. Und in allerhand Fällen ist am Ende sogar eine Ehe daraus geworden.

Jeder Mensch ist an sich auf Gemeinschaft angelegt. Er ist offen, er will Kontakt, aber auch Tuchfühlung und Verständnis. Er ist auch bereit zur Hilfeleistung und will nicht nur etwas für sich selbst haben. Aber das Evangelium sagt: „Das liegt nicht an uns, das ist uns nicht als eine allgemein menschliche Eigenschaft in die Wiege gelegt worden, sondern das ist uns erst möglich durch Christus!“

Wie soll es in einer Gemeinde zugehen? Manche suchen dort Nestwärme, so richtig „kuschelig“ soll es dort zugehen. So ist es in den freikirchlichen Gemeinden, wo man zum Teil den ganzen Sonntag zusammenbleibt, sich auch die Woche über besucht und hilft und alles vom anderen weiß. Gerade ältere Menschen finden hier eine Heimat, fühlen sich geborgen und angenommen

Aber es muß auch die andere Möglichkeit der Teilhabe an der Gemeinde geben. Manche wollen diesen engen Kontakt gar nicht. Sie kommen eher unverbindlich einmal vorbei, wollen auch gar nicht von den anderen angesprochen werden, sondern nur für sich selbst etwas mitnehmen. Möglich ist natürlich auch ein Kompromiß zwischen beiden: Nach dem Gottesdienst wird noch zu einem Stehkaffee eingeladen. Wer bleiben will, der bleibt, wer gehen will, der geht.

Der Appell an den guten Willen zum besseren Miteinander scheitert aber oft an dem Vielen, was uns voneinander abstößt. Erst wo unsere sperrigen Eigenarten und Unarten gegenstandslos werden, weil wir durch Christus auf einen ganz anderen Boden gestellt wurden, erst da wird Gemeinschaft möglich. Dann sind wir auf dem Weg zu Christus auch untereinander im festen Kontakt.

Deutlich wird das auch am Abendmahl. So wie man zu Hause miteinander ißt und trinkt und gute Gemeinschaft hat, so findet man sie in der Kirche auch im Abendmahl - Gemeinschaft untereinander, aber auch Gemeinschaft mit Gott.

Paulus denkt an die Philipper und diese denken an ihn. Aber das ist nicht einfach ein Vorgang im Denken oder Fühlen, sondern das ist so, wie Christus sich über die Seinen erbarmt und sich ihnen zuwendet. Der Sitz des „Erbarmens“ vermutete man im Altertum in den Eingeweiden. Auch bei uns sprach man früher davon, daß einem etwas „an die Nieren geht“. Heute spricht man eher vom „Bauchgefühl“. Das ist eine wunderbare Bezeichnung dafür, daß man etwas nicht mit dem Verstand und der Vernunft beurteilt, sondern aus dem Inneren heraus. Und Gefühle sind heute nichts Negatives mehr, sondern zeichnen einen Menschen aus: Ohne Gefühle ist der Mensch kein Mensch!

Aber für Christen kommt noch hinzu, daß bei ihnen alles, was sich zwischen Christen abspielt, auch durch Christus hindurch geht und von daher eine neue Qualität bekommt. Christlicher Glaube ist nicht Zeichen eines Individualismus, sondern Ausdruck einer inneren Verbundenheit, die es sonst nirgendwo in der Welt gibt. Und das bedeutet: Auch wenn Paulus im Gefängnis sitzt, so ist die Gemeinde doch mit dabei. Und wenn sie füreinander beten, dann ist das nicht nur ein Gedenken über weite Entfernungen hinweg, sondern in Christus eine wahre Verbindung.

 

2. Aber es gilt auch, voranzukommen:

Dank und Bitte liegen aber dicht beieinander. Paulus blickt auch in die Zukunft. Zu schnell wird eine Gemeinde müde und lässig, fällt auf Verführungen herein und läuft auseinander. Deshalb schreibt Paulus: „Tut nichts aus Zank oder um eitler Ehre willen!“ Vielleicht schreibt er das mehr vorbeugend, vielleicht gibt es dafür aber auch einen konkreten Anlaß – in jeder Gemeinschaft kommt ja einmal etwas vor.

Aber Paulus hat Vertrauen, nicht so sehr auf die Philipper, denn sie sind ja verführbar und unzuverlässig, sondern auf Gott. Was in Philippi angefangen hat, war ja nicht Werk des Paulus, sondern das Werk Gottes. Wäre die Kirche ein Werk der Menschen, müßte man sich um sie sorgen - und sofern sie Menschenwerk ist, tun wir das auch. Aber sie ist Gottes Werk, es braucht niemand nervös zu werden, auch nicht Paulus in seiner Gefängniszelle.

Dieses Werk Gottes muß nun aber weitergeführt werden. Jeder Tag hat darin seinen Sinn, daß es wieder ein Stück vorwärts geht in der Aneignung dessen, woran Christen Anteil haben.

Manche Christen halten sich für ziemlich perfekt und meinen, einen gewissen Vorsprung in der Heiligung zu haben und dadurch mehr Anteil an der Gnade Gottes zu haben.

Doch Gnade ist kein Besitz, sondern es geht darum, sein ganzes Vertrauen auf Christus zu setzen. Und „gute Werke“ sind nur dann gut, wenn wir selbst völlig vergessen haben, daß wir sie getan haben. Sie sind gewachsen wie ein Apfel am Baum, lautlos und selbstverständlich. Das ist damit gemeint, wenn Paulus sagt: Die Liebe soll überfließen! Man muß Gott kennen, wenn es mit der Liebe etwas Rechtes werden soll. Je deutlicher uns Christus vor Augen steht, desto reicher wird unsere Liebe.

Dabei sollte man durchaus einen kritischen Blick haben. Man muß schon die Augen offen halten um zu erkennen, wo das Zufassen nötig ist und worin die Abhilfe bestehen mag. Nicht alles, was einem begegnet und einen beansprucht, kann man unterschiedslos aufgreifen. Man muß auch wissen, worauf es ankommt und im Auswählen das ergreifen, wofür man sich einzusetzen hat.

Alles, was Paulus aber über das Vorankommen sagt, ist Gegenstand seines Gebets. Nur Gott hat das Vorankommen in der Hand. Er wird nicht nur die Gemeinde in Philippi, sondern auch unsere Gemeinde voranbringen - und nur so wird es bei uns vorwärtsgehen.

 

 

Phil 1, 15 - 20 (Lätare):

Bei einer Beerdigung wird man nur selten singen: „Jesu, meine Freude!“ Und doch hat sich schon mancher gerade dieses Lied für seine eigene Beerdigung gewünscht. Er wollte sich damit zu dem bekennen, der uns zur Freude helfen kann im Leben und im Sterben. Und er wünschte im Blick auf seine Angehörigen: „Weicht ihr Trauergeister, denn mein Freudemeister Jesus tritt herein!“

So haben wir auch mitten in dieser Passionszeit einen Sonntag, der uns in seinem Namen zur Freude auffordert. Er blickt schon voraus auf das, was Gott an diesem Jesus tun wird, der jetzt noch leiden muß. Die Zukunft wird schon in die leidvolle Gegenwart hereingeholt und hilft so, mit dieser fertig zu werden.

Der Apostel Paulus hat im Gefängnis gesessen, als er den Philipperbrief geschrieben hat. Das Verfahren läuft noch. Aber es ist auch möglich, daß er zum Tode verurteilt wird. Dennoch schreibt er von der Freude und fordert zur Freude auf, allein 15-mal in diesen vier Kapiteln. Wir meinen ja, die Freude hätte nur dort ihren Platz, wo es uns wohlergeht. Wir sagen: „Du hast es gut, du kannst dich freuen!“ Aber daß man auch in schwieriger Lage von Freude erfüllt sein kann, das werden wir immer erst wieder lernen müssen.

Keiner von uns ist im Augenblick in einer solchen Lage wie Paulus. Aber wir haben auch Traurigkeiten, die uns die Freude nehmen. Ältere Menschen sagen vielleicht: „Wir sind traurig, weil wir älter werden. Mit einem Male wollen die Beine nicht mehr so wie früher. Unser

Lebenskreis wird enger. Die Arbeit geht nicht mehr so leicht von der Hand!“

Ein anderer wieder ist traurig, weil ihm ein lieber Mensch gestorben ist. Das kann einem die Freude fürs ganze Leben nehmen. Wenn der Ehepartner gestorben ist oder ein Kind, dann bleibt immer ein Schatten, auch wenn man einmal für einige Zeit alles hat vergessen können und sich einmal gefreut hat. Nachher kommt die Erinnerung doch wieder.

Auch junge Menschen sind nicht immer fröhlich, obwohl sie vielleicht noch am ehesten Grund dazu hätten. Wenn eine Liebe zerbrochen ist oder eine Freundschaft, da entsteht oft großes Herzeleid. Wenn sehne Pläne sich nicht haben verwirklichen lassen - für den Urlaub oder fürs ganze Leben - dann ist man traurig. Man könnte sich bei all dem Aufzählen direkt in eine ganz trübsinnige Stimmung hineinrede. So verschieden die Traurigkeiten auch sein mögen, in einem sind sie sich alle gleich: Sie nehmen uns die Freude.

Es gibt auch Menschen, die ganz den Sinn ihres Lebens verloren haben. Durch irgendein Ereignis sind sie aus der Bahn geworfen worden. Nun geht ihnen nur noch das durch den Kopf, ihre Gedanken sind nur noch auf diese eine Sache gerichtet. Dann stellen sich mit der

Zeit auch körperliche Beschwerden ein. Die Arbeit gelingt nicht mehr. Vielleicht will man sich dann noch in den Alkohol flüchten. Oder man verzweifelt ganz am Leben, so daß man sogar mit dem Gedanken spielt, Selbstmord zu begehen.

Da ist es nicht einfach, von der Freude zu reden oder sie gar einem solchen Menschen zu vermitteln. Das Beispiel des Paulus könnte da aber doch Vorbild sein. Er lebt in Ketten, aber er ist nicht verzweifelt, sondern alles bei ihm ist von der Freude geprägt. Er verkennt nicht seine Situation, er hat nicht Galgenhumor, er läßt sich nicht mit einem künftigen Jenseits vertrösten. Seine Freude ist gegründet auf Christus, der ihm auch im Gefängnis nahe ist und der weiter verkündet wird, auch wenn sein Apostel erst einmal kaltgestellt ist. Hier und jetzt wird die Freude Christi schon wirksam.

Paulus will deutlich machen: Auch in schlimmster Lage kann man sich freuen, wenn nur das Evangelium Gottes zum Zug kommt. Man hat Paulus gefragt, wie es ihm geht. Und er antwortet mit der Auskunft darüber, wie es dem Evangelium geht. Das ist sicher auch für uns überraschend. Wir würden so etwas doch nicht tun.

Ist Paulus vielleicht ein Fanatiker, der sein eigenes Leben ganz hinter der Sache zurückstellt? Weiß er denn nicht, wie gefährlich die Lage für ihn ist? Damals wog ein Menschenschicksal wenig, man war seines Lebens nicht sicher und ein Mensch galt nicht viel.

Auch für Paulus kann das nicht so unwichtig gewesen sein, wie er in seinem Brief tut. Aber er wirkt auch nicht verbissen und verkrampft, er ist kein Eiferer, der die Wirklichkeit nicht mehr sieht. Er hat sich nur ganz an das Evangelium hingegeben. Das macht bei ihm vieles leichter. Wer seine Gedanken immer nur um das eigene Schicksal kreisen läßt, der hat dann auch ein schweres Schicksal. Wer aber sein Leben an andere hingibt, der kann erfüllt und glücklich sein, auch wenn er vielleicht allerhand Beschwerden auf sich nehmen muß. Für Paulus

ist die Hauptsache, daß verlorene Menschen erfahren: Gott wird uns aus der Verlorenheit herausholen, indem er in Jesus Christus unser Gott geworden ist. Wenn das nur gesichert ist, will der Apostel das Gefängnis gern aushalten.

Voller Freude kann Paulus feststellen, daß seine Gefangenschaft dem Evangelium nicht geschadet hat. Man hätte ja annehmen können, daß die jungen Gemeinden es nicht verkraften, wenn ihr Apostel irgendwo in einem Kerker versehwindet. Sie hätten den Schluß ziehen können, daß von dem Gott dieses Mannes nicht so viel zu halten ist.

Aber das Gegenteil ist eingetroffen. Was Paulus widerfährt, ist nur auf eine Förderung des Evangeliums hinausgelaufen. Das konnte Paulus schon in seiner nächsten Umgebung feststellen. Er wird in einem Prätorium festgehalten, einer Art Soldatenwachstube, wo auch der Prozeß stattfindet. Aber seine Bewacher sind nicht unbeeindruckt geblieben von dem, was er vor Gericht gesagt hat und was er auch sonst mit ihren gesprochen hat. Ihnen ist aufgegangen, daß dieser Gefangene für seine Sache einsteht.

Aber auch draußen in der Stadt wird das Wort geredet. Die Mehrzahl der Christen wagt es um so mehr, das Evangelium furchtlos zu verkündigen. Oft werden Menschen erst auf eine Sache aufmerksam, wenn einer bereit ist, dafür zu leiden. Dann nehmen sie die Botschaft auch eher ab. An der Haltung und Einstellung des Boten studieren sie, was es heißt, Gott ganz ernst zu nehmen.

Eine Kirche, die im Strom der Welt schwimmt und sich von ihm kräftig voranbringen läßt, hat es jedenfalls schwer, ihre Botschaft glaubhaft zu machen. Allzu leicht wird sie im Gegenteil ihre Botschaft eigennützig verbiegen und damit letztlich verleugnen. Einem Paulus aber kann man nicht vorwerfen, er rede ja nur, weil er dafür bezahlt wird. Sein, Leiden beglaubigt seine Botschaft.

Es hat natürlich auch immer Christen gegeben, die sich durch Druck von außen haben einschüchtern lassen. Aber in der Kirchengeschichte hat man immer wieder die Erfahrung gemacht, daß die Christenverfolger nur Milchmädchenrechnungen gemacht haben. Je mehr sie den Glauben unterdrücken wollten, umso mehr ist er gewachsen. „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche!“ sagte man damals.

Paulus glaubt fest an die göttliche Regie auch in seiner Situation. Das sieht man auch an seiner Einstellung zu den Leuten, die Christus nicht in guter Meinung predigen. Sie haben es offenbar begrüßt, daß dieser unbequeme Mann Paulus aus dem Verkehr gezogen wurde. Und

nur predigen sie auf eigene Faust, greifen offenbar auch Paulus an und suchen Streit. Aber Paulus macht sich nichts daraus. Er sagt: „Die Hauptsache ist doch, daß Christus verkündigt wird!“

Vielleicht haben diese anderen Prediger sich selber in den Vordergrund drängen wollen. Aber Paulus freut sich, daß Christus verkündigt wird, auch wenn jene Zeugen fragwürdig sind. Üble menschliche Motive können Gott nicht das Konzept verderben. Das Evangelium ist in seiner Gültigkeit und Kraft nicht von der persönlichen Qualität seiner Überbringer abhängig.

Deshalb macht sich Paulus auch keine großen Gedanken um seine Zukunft, wenn nur Christus gepredigt wird. An sich wäre das Lösen von der Gemeinde besser. Aber weil sie noch so neu ist, wäre es doch nötiger, noch dazubleiben.

Auch wenn Paulus sterben müßte, dann hätte sich doch Christus nicht von ihm zurückgezogen, sondern sich erst recht mit ihm verbunden. Kommt es aber zum Freispruch, dann wird das Leben des Apostels erst recht Christus gehören. Ein Christ kann eigentlich immer nur gewinnen. Paulus hat nichts zu verlieren, deshalb kann man ihn auch nicht unter Druck setzen. Wenn er sterben muß, dann wird er halt auch Christus verherrlichen, dann halt nicht mehr durch seine Predigt, sondern durch sein Leiden. Wer so denkt und glaubt, der ist eigentlich unverwundbar.

Unser Leben wird wohl nicht so dramatisch verlaufen wie das des Paulus. Aber es könnte viel für uns bedeuten, wenn wir uns auch so ganz von diesem Christus umfangen ließen. Wir können uns ganz in seine Hand fallenlassen und ihm auch noch und erst recht vertrauen auf unserem letzten Weg.

Paulus hat jedenfalls die sehnsüchtige Hoffnung, mit diesem Glauben nicht zuschanden zu werden. Ein wenig Angst ist immer noch dabei. Es könnte sein, daß er doch noch einbricht. Nicht daß Christus versagen könnte! Wenn, dann nur der Glaube des Paulus! Aber der Apostel hofft nach vorne und weiß die Gemeinde im Rücken. Wenn die Philipper für ihn beten, dann kommt auch der Geist Christi ihm zu Hilfe. Die Kraft dieses Geistes wird auch die Gefängnismauern durchdringen. Das Gebet wird den gefangenen Apostel umschließen. Wo er auch ist und was auch geschieht, er ist immer „in Christus“.

 

 

Phil 2, 1- 4 (7. Sonntag nach Trinitatis):

Das Buch „Der Papalagi“ enthält die Reden eines Häuptlings aus der Südsee, der 1913 eine Rundreise durch Europa machte und nach der Rückkehr seinem Volk berichtete. Dabei verglich er die Lebensweise der Europäer - der Papalagi - mit dem Leben der Menschen in der Südsee. Als Christ hat er natürlich auch die Glaubensgewohnheiten in Europa kritisch unter die Lupe genommen. Er schreibt:

„Der weiße Mann hat die Lehre Gottes mit dem Munde und mit seinem Kopf verstanden, aber nicht mit seinem Leibe. Das Licht, das man auch Liebe nennen kann, ist nicht in ihn gedrungen. Christsein heißt: Liebe zu dem großen Gott und zu seinen Brüdern und dann erst zu sich

selbst haben. Der Papalagi trägt das Wort ‚Liebe` nur in seinem Munde. Aber sein Herz beugt

sich nicht vor Gott. Zehnmal eher geht er in den Ort des falschen Lebens als einmal zu Gott, der weit, weit ist!“

Doch auch heute nehmen wir diese Unglaubwürdigkeit als normal hin. Christen leben halt auch im Kraftfeld anderer Mächte und lassen sich von ihnen bestimmen. Es gibt auch bei ihnen Besserwisserei und Uneinigkeit. Sie lassen sich zur Mißachtung derer hinreißen, die anders als üblich sind. Oft prallen auch Christen hart aufeinander und es fällt ihnen schwer, die Gemeinschaft miteinander festzuhalten. Sie begegnen sich mit Abneigung, machen sich gegenseitig schlecht und verurteilen sich gegenseitig erbarmungslos. Besonders die ganz Frommen standen schon immer in der Gefahr, überheblich auf andere herabzusehen, die angeblich weniger fromm sind.

Die Gemeinde in Philippi war hier noch ein positives Beispiel. Während Paulus mit den anderen Gemeinden zum Teil schwere Probleme hat, kann er an die Philipper in großer Freude schreiben. Aber er wäre nicht Paulus, wenn er nicht doch auch ermahnen müßte. Allerdings macht er es ganz geschickt und wählt eine Methode, die wir uns auch für unser Leben vornehmen könnten: Erst einmal loben, ehe man mit Kritik kommt! Irgendetwas Positives kann man an jedem Menschen finden. Das sollte man ihm erst einmal sagen, anstatt ihn gleich mit mehr oder weniger berechtigter Kritik zu überfallen.

Paulus erwähnt in seinem Brief vier Dinge, die eine christliche Gemeinde tragen: Der Trost, der gleichzeitig Ermahnung ist und aus dem versöhnenden Tun Christi kommt. - Der freundliche Zuspruch der Liebe, die den anderen nicht in seiner Not allein läßt. - Die Gemeinschaft des Geistes, die den einzelnen die Nähe Gottes erfahren läßt. - Schließlich die innerste Zuwendung zum anderen, die „aus dem Bauch heraus“ kommt.

Paulus erinnert die Philipper an das, was sie schon sind, um sie dadurch zu christlichem Tun zu bewegen. Darunter versteht er in diesem Fall drei Dinge: Christen bedenken vor allem das Gemeinsame, sie achten den anderen und nehmen ihn wichtig.

 

1. Gemeinsamer Glaube: Man sollte meinen, daß der gemeinsame Glaube miteinander verbindet. Doch vom Streit in Kirchengemeinden können die Kirchenleitungen ein Lied singen. In der Kirche geht es nicht anders zu als in den Vereinen und Parteien auch. Auch im Berufsleben gibt es oft Streit, auch wenn er manchmal verdeckt ist. Es gibt Streit der Kollegen untereinander, weil einer dem anderen das Fortkommen neidet. Aber es gibt auch Spannungen zu den Vorgesetzten, die zu selbstherrlich und bestimmerisch sind. Streit ist etwas Menschliches. Wie schön könnte es sein, wenn es anders wäre!

Es ist leider nicht so, daß Menschen sich untereinander sofort besser verstehen, nur weil sie sich mit Gott verstehen. Im Gegenteil: Man bezieht seine Stellung „um Gottes willen“ und trifft Entscheidungen, die angeblich aus einem an Gott gebundenen Gewissen kommen. Das Ergebnis ein fürchterliches Rechthabenwollen.

Einmütigkeit bedeutet allerdings auch nicht, daß einer den Ton angibt und die anderen ihn nur nachplappern. Paulus vermeidet jede gesetzliche Schärfe. Er sagt gewissermaßen nur: „Der Becher meiner Freude ist schon ziemlich voll. Aber füllt ihn jetzt noch bis zum Rand, dann ist meine Freude vollkommen“

„Einerlei Sinn“ gewinnt man dadurch, daß man „das Eine“ im Sinn hat, nämlich Christus und sein Werk für uns. Was uns als Gemeinde zusammenschließt, das sind nicht die eigenen Aktivitäten und die erworbenen Vorzüge, sondern allein die Aktivitäten Gottes. Er wendet sich uns zu, egal wie wir sind - aber das macht uns zur Gemeinde.

„Gleiche Liebe“ ist der andere Ausdruck, mit dem Paulus das Christsein beschreibt. Die Liebe kennt zwar kein Schema, sie muß sich schon der gegebenen Situation anpassen. Aber sie ist doch in ihrem Wollen auf das Gleiche gerichtet. Vor allem aber bewirkt sie, daß einer sich dem anderen nah zur Seite stellt und ihm ermunternd zuspricht. Sie nimmt den anderen an, wie er ist, und wertet ihn damit auf. Christen lieben, weil Christus hinter ihnen steht, ihnen die Hand führt und durch sie spricht.

 

2. Den anderen achten: Paulus warnt davor, daß man sich nach vorn spielt zum eigenen Ruhm. Er ist gegen jeden Geltungsdrang und die Sucht nach Beifall. Er sagt: „Christus hat sich doch für euch eingesetzt. Mehr Geltung könnt ihr nicht mehr erlangen. Worum kämpft da noch einer, der sich mit den Ellenbogen seinen Platz im Leben erobern will? Fürchtet er, im Leben kurz zu kommen? Fürchtet er, daß sich alles gegen ihn verschworen hat, daß er um sein Recht kämpfen muß?“

Der Sünder ist sowieso ein Rechtloser. Vor Gott hat er verspielt. Aber dagegen kann er sich nicht wehren, indem er gegen Menschen kämpft, die ihm vermeintlich etwas schuldig bleiben. Konflikte im menschlichen Bereich sind deshalb so aufregend und tun so weh, weil man "mit Gott und der Welt zerfallen" ist.

Dagegen hilft nur die Erkenntnis: Wir haben unser Daseinsrecht vor Gott, wir sind gerechtfertigt und haben unsren Platz in der Welt doch längst gefunden. Auch das „leere Prahlen“ und die gemeinschaftssprengende Geltungssucht sind überflüssig. Zwar müssen wir schon ein Stück auf unsre Ehre und unser Ansehen aus sein, Beleidigungen und Unwahrheiten brauchen wir nicht unbedingt zu schlucken. Aber unser Ansehen und unsre Geltung haben wir doch längst als Geschenk von Gott empfangen. Da brauchen wir uns unsre Ehre nicht bei anderen zu suchen oder unsre Ellbogen einzusetzen. Ehrgeiz und Geltungssucht zeigen nur an, daß wir die „Rechtfertigung“ durch Gott noch nicht begriffen haben.

Christus hat uns längst zu einer Höhe erhoben, die nicht überboten werden kann und die uns auch keiner streitig machen kann. Wenn man das ernst nimmt, fällt alles Verkrampfte ab und man wird locker und gemeinschaftsfähig.

Man büßt doch nichts ein, wenn man einmal nicht die erste Geige spielt. Dann braucht man auch den anderen nicht herabzusetzen mit dem Ziel, dadurch selber höher zu klettern. Auf welcher Stufe der Leiter wir stehen hängt nicht von unserer eigenen Einschätzung ab oder von den Noten, die andere uns geben. Gott entscheidet: Christus hat uns angenommen und gibt uns den höchsten Wert.

 

3. Den anderen wichtig nehmen: Ein Christ wird den anderen wichtig nehmen, seine Anliegen aufnehmen, sein Leiden mittragen, sein Wohl fördern. Aber leider gibt es noch einen Bereich in unserem Herzen, in dem wir alles daran messen, ob es zu unserem Vorteil ist. So erteilen wir dann Plus- und Minuspunkte und teilen unsre Mitmenschen danach ein. Aber damit unter­graben und sprengen wir jede Gemeinschaft.

Es wäre zu viel verlangt, wenn das Eigeninteresse ganz verneint würde. Unser Selbsterhaltungstrieb dient auch dazu, daß wir uns nicht selber wegwerfen. Es wäre schon ein unerhörtes Wunder, wenn wir es über uns brächten, den Mitmenschen genauso aufrichtig zu lieben wie uns selbst.

Anschließend an diesen Predigttest zitiert Paulus ja ein altes Christuslied, das die Art Jesu beschreibt. Er hat nicht auf das Seine gesehen. Er hätte sich ja in seiner Gottgleichheit sonnen können und ihm wäre der Weg ins tiefste Leiden erspart geblieben. So aber war er Gott gehorsam. Er ließ sich zum Knecht machen und ging den Weg bis ans Kreuz. Er nahm den Tod auf sich, um uns vor dem ewigen Tod zu retten.

Diese unendliche Liebe Christi hat Paulus im Blick, wenn er uns das Wohl unsres Mitmenschen aufs Gewissen legt. Das bedeutet: In der Gemeinde bemühen wir uns darum, daß alle vorankommen und im Glauben gewiß werden. In der Ehe versuchen wir, den Partner glücklich zu machen. In der Gesellschaft versuchen wir, mindestens so viel hineinzugeben, wie wir selber empfangen haben.

Eine große Hilfe für das Leben „in Christus“ ist uns das Abendmahl. Wir können Christus nicht hundertprozentig nachahmen, das würden wir nie schaffen, denn gehorsam bis zum Tod am Kreuz wollten wir nicht sein. Aber wir können seinen Gehorsam zum Vorbild nehmen. Durch die Taufe sind wir in seinen Einflußbereich gekommen. Es geht nur noch darum, in diesem Bereich zu bleiben.

Wir dürfen ja wissen: Alle Mächte der Uneinigkeit und der Besserwisserei, der gegenseitigen Abneigungen und des lieblosen Verurteilens, haben keine Macht mehr. Wenn wir uns zum Abendmahl zusammenfinden, dann vergewissern wir uns, daß wir immer noch in diesem Kraftfeld Christi sind. Und wir lassen uns gegenseitig stärken und neu aufladen mit der Kraft Gottes.

In Wirklichkeit geschehen ja auch Taten der Liebe unter uns: Menschen werden getröstet, im Leid gestärkt, in ihrer Not unterstützt. Viele Christen versuchen, im Einflußbereich Christi zu bleiben und in seinem Sinne zu leben. Auch wir können dazu gehören.

 

 

Phil 2, 5 – 11 (Palmarum):

Eine Gemeindegruppe machte eine Ausfahrt. Pünktlich ging es am Rathaus los. Der Fahrer war gut aufgelegt und unterhielt den ganzen Bus mit freundlichen und witzigen Bemerkungen. Doch dann passierte ihm ein Ausrutscher: Ein Witz wurde mit eisigem Schweigen quittiert. Der Pfarrer geht hin zu ihm und sagt: „Wissen Sie denn nicht, daß wir von der Kirche sind?“ „Was? Kirche?“ sagt der Busfahrer, „auf dem Fahrauftrag stand doch etwas von Rathaus. Ach, da war das nur die Haltestelle. Dann habe ich das verwechselt!“

Aber von da an lief alles glatt. Nun war er eingestimmt. Er hatte einen großen Vorrat von kleinen Erzählungen und Witzen auf Lager und unterhielt die Gesellschaft damit auf der ganzen Fahrt. Ein Ausrutscher passierte ihm nun nicht mehr. Er hatte einfach die andere Platte aufgelegt und sich auf seine besondere „Fracht“ eingestellt.

Es gibt eben bestimmte Dinge, die gehören sich nicht im Rahmen einer christlichen Gemeinde. Das will uns auch Paulus deutlich machen mit dem Christuslied, das er in den Philipperbrief übernommen hat. Luther übersetzt hier: „Jeder sei gesinnt, wie Jesus Christus auch war!“ Aber das sieht so aus, als werde Jesus hier als das große sittliche Vorbild hingestellt, eine Art Idealmensch, dem seine Anhänger alles nachzumachen versuchen - Jesus also nur als Lehrer im Sinne einer idealistischen Philosophie.

Aber Jesus war nicht der große Religionsstifter, auch nicht ein Idealist, der an der rauhen Wirklichkeit der Welt zugrunde gegangen ist; und schon gar nicht war er der geniale Lehrer der menschlichen Weisheit. Man kann sich nämlich um das eigentliche Anliegen dieses Bibeltextes sehr schön herumdrücken, indem man nur allgemein menschliche Grundüberzeugungen daraus entnimmt. Dann sagt man etwa, Paulus wolle uns hier zur Nächstenliebe, Opfersinn und Mitmenschlichkeit ermahnen.

Doch in der Hauptsache geht es hier nicht um den Menschen, sondern um Jesus Christus. Es geht nicht um ein allgemeingültiges Lebensgesetz, sondern um eine einmalige Tat Jesu, die die Welt verändert hat. Wenn wir dem Geheimnis Jesu auf die Spur kommen wollen, dann müssen wir - so heißt es hier - ganz oben ansetzen: Jesus ging von Gott aus und nur von Gott her können wir ihn verstehen. Sein Gehorsam war nicht eine menschliche Tugend, sondern er entsprang der engen Verbundenheit mit Gott. Er stellte sich naht auf eine Höhe, wo einige Philipper zu stehen meinten, wo um Ehre und Ruhm, Recht und Geltung gestritten wird. Vielmehr wählte er den unansehnlichsten Weg, auf dem er sich mit den Sündern auf eine Stufe stellte.

Dennoch sollten wir nicht meinen, eine solche oder eine ähnliche Haltung sei uns nicht möglich. Man kann sich ja leicht herausreden, indem man sagt: „Jesus war ja so eine Art Halbgott. Ihm ist das ja nicht schwergefallen, alles das zu tun, was Gott will. Aber so wie er kriege ich das nicht hin!“ Jesus mußte sich genauso erst einmal dem Willen Gottes unterwerfen wie wir auch. Er mußte erst einmal seine göttlichen Möglichkeiten preisgeben- und zwar freiwillig.

Niemand könnte ihm einen Vorwurf machen, wenn er uns unserem Schicksal überließe. Und nur weil er sich ganz eins wußte mit dem Vater, konnte er so gehorsam sein. Darin liegt erst der Unterschied, daß Jesus hier konsequenter war als wir alle.

Nun wird ja von uns wohl nicht das Gleiche verlangt werden, wie von Jesus. Wir müssen zwar heute auch mit manchen Schwierigkeiten in Glaubenssachen rechnen, aber ans Leben wird es ja wohl nicht gleich gehen. Im Vergleich zu Jesus haben wir es also noch gut. Da sollte es uns nicht so schwerfallen, das auszuhalten, was uns heute auferlegt ist.

Insofern ist Jesus also doch so etwas wie ein Beispiel für uns. Er ist das Urbild des christlichen Lebens und Tuns. Aber wir sollten dahinter nicht eine menschliche Leistung sehen, sondern wissen, daß die Kraft zu solchem Tun von Gott kommt. Und wir erhalten diese Kraft nicht, indem wir uns an dem Vorbild des Menschen Jesus aufrichten, sondern indem wir fest in der Gemeinde Gottes stehen und uns von Gott die Kraft geben lassen.

Deshalb muß auch der Anfang dieses Bibelabschnittes so übersetzt werden: „Verhaltet euch untereinander so, wie es sich im Bereich Jesu Christi gehört!“ oder noch etwas freier „…..wie es sich in der Kirche gehört!“ Es ist nicht falsch, wenn man uns in einem positiven Sinne ansieht, daß wir zur Gemeinde der Christen gehören. Aber wie es in dieser Gemeinde zugeht, das richtet sich wesentlich nach dem Beispiel Jesu.

Das hat wohl auch der Busfahrer gespürt, von der am Anfang die Rede war. Man muß eingestimmt sein auf die richtige Wellenlänge, wenn man mit Christen zu tun hat oder gar zur Gemeinde der Christen gehören will. Wir als Einzelne müssen uns einstimmen auf den Geist der Gemeinde, und die Gemeinde wiederum läßt sich einstimmen vom Geist Gottes.

Aber die Frage an uns ist: „Sind wir wirklich auf der Geist Gottes und auf den Geist Jesu Christi eingestimmt, wie sich das für eine christliche Gemeinde und für den einzelnen Christen gehört? Lassen wir uns im Gemeindeleben und in unserem Alltag bestimmen vom Willen Gottes? Vertrauen wir ihm allein und lassen wir ihn unsre Leitschnur sein?

Es gibt eben auch in unsrer Kirche manches, woran man Kritik üben kann. Die einen beklagen sich, die Kirche sei zu modern, die anderen wieder sagen, sie sei zu altmodisch. Es gibt Machtkämpfe in der Kirche, welche Richtung sich nun durchsetzen wird. Es geht auch darum, wer mehr zu sagen hat: der Bischof oder die Synode, der Pfarrer oder der Gemeinekirchenrat Man könnte auch klagen über mangelnde Einsatzbereitschaft der Gemeindeglieder und eine Scheu vor dem Dienen.

Aber wir wollen uns doch darüber im Klaren sein: Eine bessere Kirche wird es für uns nicht geben. Sie hat nun einmal ihre Fehler und Schwächen. Das gehört mit zur Knechtsgestalt der Kirche. So wie Christus ein Knecht wurde, so hat auch seine Kirche eine sehr menschliche Seite. Es nützt nichts, wenn wir sagen: „Ich verlasse meine Kirche und gründe eine neue, die dann die allein richtige ist!“ Es würde sich dann bald herausstellen, daß diese neue Gemeinschaft auch wieder ihre Fehler hat. Erst im Reich Gottes wird das Zusammenleben der Christen vollkommen sein; aber dann wird keine Kirche mehr nötig sein.

Einstweilen aber haben wir im Gehorsam gegenüber Gottes Willen unsren Weg durch diese Welt zu gehen. All die vielen kleinen Entscheidungen unseres Lebens sollten bestimmt sein von dem Wissen, daß wir einmal nach unsere: Gehorsam gefragt werden. Wir haben viel von Gott empfangen, deshalb wird auch viel von uns gefordert werden. Wenn wir Gutes von Gott empfangen haben, dann ist es selbstverständlich, daß wir auch anderen Menschen das Gleiche zukommen lassen müssen.

Das ist bei allem guten Willen nicht immer so leicht. Da wollte eine junge Amerikanerin bei der Entwicklungshilfe mitmachen. Peggy war sehr vornehm und haßte alles Schmutzige. Aber sie hatte große Ideale und wollte den unterentwickelten Menschen helfen. In einem Dorf in einem asiatischen Land soll sie sich um die Erziehung und Förderung der Kinder kümmern.

Ein anderer Mitarbeiter weist sie ein. Doch als sie zum ersten Mal die Dorfstraße entlanggehen, kommt gleich ein dreckiger und zerlumpter Junge auf Peggy zugelaufen und ruft: „Schöne weiße Tante“ und umarmt sie und drückt sie. Das ist zu viel für Peggy: der schmutzige Junge an ihrem weißen Kleid! Sie rennt davon, packt ihre Koffer und will wieder abreisen. Als sie zum Bus geht, wird sie wieder von dem Jungen erspäht. Ohne zu Zögern kommt er auf sie zugerannt. Er sieht das Auto nicht, das laut bremst und kurz vor ihm zum Stehen kommt. Er rennt nur auf Peggy zu, die ihn jetzt dankbar in die Arme schließt, weil noch einmal alles gut gegangen ist.

Oftmals gehört etwas Überwindung dazu, daß man diesen niedrigen Weg gehen kann. Das gilt auch für die Aufgaben, die uns hier in unserem Landgestellt sind. Denken wir an die Pflege von Schwerkranken oder von Schwachsinnigen. Mancher sagt: „Das kann ich nicht, da ekele ich mich davor!“ Aber zum Gehorsam gehört auch, daß man zu diesen ganz niedrigen Diensten bereit ist.

Gott hat sich ja auch überwunden und hat seinen Sohn in die Hände der Menschen gegeben. Er hat genau das Gegenteil getan von dem, was wir Menschen zu tun pflegen: Wenn wir irgendwelche Gaben haben oder einen leiblichen oder geistlichen Besitz, dann wollen wir das schön für uns behalten und nur ja nicht mit anderen teilen. Und aus der Angst, etwas zu verlieren, geraten wir dann unter die Knechtschaft anderer Menschen, anstatt Diener Gottes zu werden.

Unser Bestreben ist es doch meist, nur ja kein Risiko einzugehen, uns nach rechts und links, gestern und morgen abzusichern. Der goldene Mittelweg erscheint sicherer als der untere Weg unseres Herrn. Wir sind nicht frei von der Sorge um uns selber und deshalb auch nicht glücklich.

Jesus aber hat ein Leben ganz unten geführt, ohne Besitz und Familie und ohne Ansehen. Aber er hat sich Zeit genommen für andere. Er lebt nicht auf Kosten der anderen, sondern hat sein Leben für sie gegeben. Aus unserer Sicht hat er überhaupt nichts vom Leben gehabt. Aber gerade deshalb hat Gott ihm eine Zukunft eröffnet. Er stand nicht auf der Höhe des Menschentums und hat nicht die Bewunderung der Menschen erweckt. Aber er lebt in Übereinstimmung mit Gott.

„Darum hat ihr auch Gott erhöht!“ sagt Paulus. Es ist wie bei einer Feder: Man kann sie bis zum Äußersten ihrer Leistungskraft niederdrücken, aber wenn man sie losläßt, dann schnellt sie mit ungeheurer Gewalt empor. So folgt auf die Tiefe des Todes am Kreuz die Erhöhung zu göttlicher Herrschermacht.

Das kann auch uns freimachen von unseren Sorgen um unser Einkommen und unser Fortkommen, um unsere und unserer Kinder Zukunft, um unseren Weg nach oben. All das hat keine Zukunft, wenn man die Rechnung ohne Gott macht. Jesus hat uns das Beispiel gegeben, daß man nicht unbedingt hoch hinaus muß im Leben. Von diesem Zwang macht er uns frei, wenn wir uns an ihn halten.

Jetzt wird deutlich, daß Jesus das alles für uns getan hat, auch wenn in dem Christuslied gar nicht die Rede davon ist. Aber Jesus will uns hinweisen auf ein höheres Ziel. Er verheißt uns die Teilhabe an seiner Herrschaft über die Welt, auch wenn wir uns das heute noch nicht vorstellen können. Aber das kommt, und dann werden sich all unsere Sorgen um unser irdisches Vorankommen als überflüssig erweisen - wenn wir nur bis zu Gott vorangekommen sind.

 

Zusatz:

Das Christuslied lautet nicht wie folgt:

Er war immer der Größte. Er war wirklich göttlich, einsame Klasse.

Nicht wie die anderen. Er verwirklichte sich selbst.

Er schaffte den Aufstieg, unaufhaltsam, von unten:

Weg aus dem Elend, aus der Enge, aus den Zwängen. Weg von hier.

Endlich frei sein, sich von niemandem mehr etwas sagen lassen müssen.

Endlich sich alles leisten können, sein Leben richtig auskosten:

Er schaffte es. Ich möchte sein wie er.

Er nimmt mich mit hinauf, in den Glanz.

Ich bin wer, keine Nummer mehr.

Jeder weiß, wer ich bin, jeder kennt meinen Namen.

Sie sollen mich kennenlernen.

Dann müssen sie alle anerkennen:

Du bist wirklich der Größte!

 

Richtig ist es verstanden mit der folgenden Übertragung:

Orientiert euch an dem, was in Christus gilt.

Er, der bei Gott war, nicht einer von uns,

in Gottes Freiheit, außerhalb des Gefängnisses,

klammerte sich nicht an das Vorrecht, wie Gott zu sein.

Er entäußerte sich selbst, legte seine Vorrechte ab

und wurde Sklave, wurde wie wir.

Eng verbunden mit den Menschen,

übernahm er unsere Lebensbedingungen, teilte er unsere Zwänge.

Er erniedrigte sich selbst und ging den Weg nach unten,

 

 

Phil 2, 12-13 (Reformationsfest):

Der spanische Dichter Cervantes erzählt in seinem Hauptwerk „Don Quichote“ folgende Begebenheit: Don Quichote war ein Ritter, der noch ganz in seiner längst überlebten Ritterromantik lebte und die neue Zeit einfach nicht wahrhaben wollte. Einmal reitet er mit seinem Knappen Sancho übers Land. Der Ritter ist schwerbewaffnet und auf alle Abenteuer gefaßt. Auf einem Berg vor sich sehen sie Windmühlen, deren Flügel sich im Winde drehen. Don Quichote ist derartiges noch nie begegnet. Er hält in seiner Einbildung die Windmühlen für Riesen. Sein Knappe will ihn aufklären, aber vergeblich: Don Quichote faßt den Schild fester, legt die Lanze ein und gibt seinem Pferd die Sporen. Da gerät er unter die sich drehenden Flügel der ersten Windmühle. Die Lanze zerbricht, der Schild fliegt weg, und er selbst kugelt über den Acker.

Die Geschichte will besagen: Wir leben nun mal nicht mehr zur Ritterzeit, sondern in einer anderen Welt. Ob wir das begrüßen oder bedauern, ist nicht wichtig. Die Wirklichkeit gilt es zu sehen. Weh dem, der nur möglichst ungeschoren „über die Runden kommen“ will. Wir haben unser Leben zu meistern; sei es als Kind in der Schule, als Mutter und Hausfrau im Hause, sei es als Berufstätiger in der Arbeitswelt oder auch als Mensch des Alters im Ruhestand.

„Das Leben meistern“, das heißt: dieses Leben mit all seinen Anforderungen als Christen zu bestehen. Die Frage ist nur: Wie können wir unser Leben meistern? Der Predigttext antwortet darauf: Erstens durch Einsatz unserer Kraft für unsere Rettung; zweitens durch Hingabe unseres Lebens an den Retter.

 

1. Einsatz unserer Kraft für unsere Rettung:

Keiner besteht die Ingenieurprüfung, keiner wird in irgendeiner sportlichen Disziplin Olympiasieger, keiner wird Könner auf einem Musikinstrument, der nicht seine ganze Kraft einsetzt. Das ist völlig klar. Ebenso klar scheint unter uns das andere zu sein: daß man für seinen Christenstand nichts einzusetzen braucht. Christ wird man durch die Taufe. Dann ist man sein Leben lang Christ, und wenn nichts Außergewöhnliches passiert, wird man eines Tages als Christ begraben. Das Christsein ist unserer Meinung nach das einzige auf der Welt, das sich sozusagen von allein macht.

Das ist ein gefährlicher Irrtum! Der Apostel Paulus schreibt: „Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern!“ Ist das nicht eine unerhört unbarmherzige Forderung? Man sage das einmal verschütteten Bergleuten, denen jeder Ausweg abgeschnitten ist. Oder einem Ertrinkenden vom sicheren Ufer aus.

Wenn er seine eigene Rettung schaffen könnte, brauchte er diesen Aufruf nicht! Bergleute und der Ertrinkende sind ganz und gar darauf angewiesen, daß die Hilfe von außen kommt. Und nun heißt es sogar: „Schaffet eure eigene Seligkeit?“

Da fällt uns doch auch Martin Luther ein, der gesagt hat, daß man nicht aus eigener Vernunft noch Kraft zu Gott kommen kann. Er wandte sich ja gerade gegen die Auffassung, man könne sich den Himmel verdienen durch seine eigene Anstrengung, durch gute Taten und Gebete zu den Heiligen oder gar durch Geldzahlungen an die Kirche. Gott hat doch von außen her den Retter zu uns gesandt! Wir brauchen uns nicht von der Umklammerung der Sünde zu befreien, weil Christus uns längst befreit hat!

Es ist schwer, beides im rechten Verhältnis zueinander zu sehen: Das Gnadenwirken Gottes und das Wollen und Vollbringen des glaubenden Menschen. Auf der einen Seite steht das Unvermögen des Menschen und auf der anderen die große Freude darüber, daß das Handeln Gottes an den Menschen keiner Ergänzung und Auffüllung von Seiten des Menschen bedarf. Die Gnadenpredigt macht den Menschen nicht zum leblosen Objekt. Aber es ist in der Predigt der evangelischen Kirche eine der größten Ketzereien, daß man doch wieder an das eigene Tun des Menschen appelliert.

Natürlich sollen wir auch etwas tun, aber nur unter dem Vorzeichen der vorher geschehenen Gnade Gottes. Es kommt darauf an, daß das von uns Gewollte und Vollbrachte nicht sofort wieder zum Heilschaffenden umverfälscht wird, so als brauche man beides: Gottes Gnadenwirken u n d unser Frommsein! Gott freut sich über unser Fromm­sein. Aber heilswirksam ist es nicht, es erwächst vielmehr aus dem von Gott bewirkten Heil. Das ist die große Wende, die Martin Luther gebracht hat,

Übersehen wir nicht den Hinweis des Paulus auf den Gehorsam. Das heißt doch: „Du sollst in allen Dingen Gott gehorsam sein! Du sollst verzichten, wenn er es haben will; du sollst hergeben, was dir lieb und teuer ist, wenn es sein Wille ist!“ Das hieße doch wohl für uns: Das Leben meistern, Ja sagen zu Gottes Wollen auch dort, wo er uns einschränkt. Jesus ist diesen Weg des Loslassens, des Verzichtens und damit des absoluten Gehorsams gegangen.

Deshalb sagt Paulus: Ich brauche euch ja nicht zur Ordnung zu rufen. Der Gehorsam mußte bei euch nicht erst ins Leben gerufen werden, er ist ja da, denn ihr seid in den Gehorsam Christi eingeschlossen und von ihm durchdrungen, so daß man gar nicht auf den Gedanken kommen kann, man hätte alles selbst geleistet. Paulus vertraut darauf, daß die Gemeinde auch gehorsam bleiben wird, wenn er nicht mehr bei ihnen ist. Der Gehorsam hängt nicht von seiner Person ab.

Auch die Reformation hing nicht von Martin Luther an. Er selber sagt: „Während ich mein gutes Wittenbergisches Bier getrunken habe, hat Gott die Reformation gemacht!“ Der Glaube kann und darf nicht an einer Person hängen.

Niemand kann in eigener Kraft seine Rettung schaffen. Das hat Jesus Christus schon mit seinem Opferweg getan. Ihm gilt es nachfolgen auf diesem Weg. Das ist kein Spaziergang. Es gilt, den Gehorsam im Loslassen zu üben. Oft will Gott von uns gar nicht das Hergeben, sondern nur die Bereitschaft dazu. Denken wir an Abraham, als er seinen Sohn opfern sollte und Gott ihm dann gnädig das Opfer ersparte.

Aber es geht schon darum, unter Einsatz der ganzen Kraft den Weg der Nachfolge Jesu Christi zu gehen. Das ist der Weg, auf dem man sein Leben meistert. Aber der christliche Glaube ist nicht nur ganzer Einsatz und eine gewaltige Kraftanstrengung. Niemand muß verzagen, denn Paulus fährt ja fort: „Schaffet, daß ihr gerettet werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen und das Vollbringen!“

 

2. Hingabe unseres Lebens an den Retter:

Der Mensch ist ein lebendiges Wesen. Er kann Ja oder Nein sagen zu dem, was Gott ihm anbietet und schenkt. Er kann auf Gottes Locken eingehen oder sich versagen. Nicht mehr unsere Kraftanstrengung ist entscheidend, sondern unsere Bereitschaft zur Hingabe unseres Lebens an den Retter.

Das ist nicht unbedingt leicht: Wenn nun plötzlich das Ja zum Verlust der Gesundheit oder zum Verlust eines lieben Menschen oder die Bereitschaft zum Verlust irgendwelcher Erfolgsaussichten verlangt wird? Wer um Jesus Christus als dem von Gott gesandten Retter weiß, der darf dann seine Hände falten und bitten: „Herr, gib du mir das Wollen und das Vollbringen: Hilf mir, ja zu sagen von ganzem Herzen, denn ich weiß, du meinst es gut!“ Das nennen wir: Hingabe unseres Lebens an ihn.

Paulus spricht aber auch von „Furcht und Zittern“. Man könnte ja Gott etwas anbieten durch verängstigte Demut, durch Scheu vor Gottes Zorn, durch Unterwürfigkeit und Niedrigkeit. Luther hat das ja in seiner Frühzeit versucht, als er noch Mönch war. Glaube ist aber kein Sich-klein-Machen, kein ängstlicher Verzicht auf jede eigene Leistung, denn dann wäre er ja wieder eine Leistung.

Luther hat bemerkt, daß in dieser tiefen Selbstdemütigung ein verborgener Hochmut stecken kann und im radikalsten Verzicht eine nicht enden wollende Selbstliebe. Es geht nicht darum, daß man sich demütigt und Gott muß das dann anerkennen, sondern die eigene Sache kann man sowieso nicht bei Gott durchfechten.

Hier kann man sich nur selbst zurücknehmen, indem man alles von Gott erwartet. Er muß als Gott anerkannt werden, von ihm muß alles kommen. Wer mit Furcht und Zittern vor Gott tritt, macht nichts geltend, zeigt nichts vor. Aber umgedreht gilt auch: Wer an sich selbst irre geworden ist, weil er selbst nichts vorweisen kann, der braucht nicht an Gott zu verzagen. Er braucht die eigene Gerechtigkeit ja gar nicht mehr, denn für ihn gilt ja die Gerechtigkeit Christi.

Wer seine Rettung mit Furcht und Zittern bewirkt, wird auf keinen Fall mit ansehnlichen Ergebnissen vor Gott treten wollen. Er wird es auch nicht können. Die Gerechtigkeit liegt nicht in einer bestimmten neuen Qualität meines Wesens, sondern in der Barmherzigkeit Gottes. Aber das bedeutet nicht, daß es nicht zu einer wirklichen Erneuerung und Veränderung käme. Gnade verändert meine Situation vor Gott, denn die Überwindung der Sünde wird in Gang gesetzt. Die Gnade wirkt gegen den Zorn, die Gabe Gottes gegen die Sünde.

Paulus schrieb diesen Brief aus dem Gefängnis, den gewissen Tod um Christi willen vor Augen. Eine Lage, in der nicht wenige Menschen verzweifelt sind. Paulus jedoch hat sein Leben gemeistert, weil er ein volles Ja zu Gottes Wegen gefunden hat, auch wenn er „geopfert wird“, wie er sagt. Er ist zu ganzem Einsatz bereit. Dazu ist er bereit geworden, weil er sein Leben seinem Heiland Jesus Christus ganz und vorbehaltlos hingegeben hat.

Am Schluß fordert Paulus die Gemeinde auf, sich mit ihm zu freuen. Da ist kein Raum mehr im Herzen für Jammern und Sich-selbst-Bemitleiden, auch nicht für Verzagen und Verzweifeln. So sieht ein gemeistertes Leben aus. Wir leben in Furcht und Zittern. Aber in uns wirkt der Gott, der uns verändert - das ist ermutigend und befreiend für uns.

 

 

Phil 3, (17 - 19) 20 – 21 (23. Sonntag nach Trinitatis):

Wenn ein junger Mann bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist, können nur erschrecken. Es ist schon schlimm, wenn einer durch eine Krankheit in jungen Jahren sterben muß. Aber noch furchtbarer ist es, wenn man sagen muß: „Es hätte nicht sein müssen! Wenn alle Beteiligten vorsichtiger gewesen wären, hätte man den Unfall vielleicht vermeiden können!“ Aber nun ist es geschehen, und vor allem die Angehörigen des Verunglückten müssen damit fertigwerden.

Hier wird uns wieder einmal deutlich, daß unsre Heimat im Himmel ist, wie Paulus sagt. In diesem Leben sind wir nur auf der Wanderschaft, und keiner weiß, was sich auf diesem Weg alles ereignet und wann dieser Weg einmal ein Ende hat. Wir sind zwar an die Erde gebunden und haben einen Anteil an der Geschichte der Menschheit. Aber über unserem Leben liegt auch etwas Vorläufiges, das durch ein Endgültiges abgelöst wird. Wir sind in diesem Leben alle unterwegs, das gehört mit zu unserem Menschsein dazu. Aber wir dürfen noch auf etwas warten, und das gehört auch mit zu unserem Menschsein oder zumindestens zu unserem Christsein mit dazu.

Das haben besonders in diesem abgelaufenen Kirchenjahr diejenigen erfahren, die einen lieben Menschen an den Tod verloren haben. Es spielt dabei wohl auch keine Rolle, ob ein Mensch alt oder sehr alt oder noch relativ jung gewesen ist: Jeder Verstorbene bedeutet einen Verlust für seine Umgebung. Es gibt nur ganz wenige Menschen, die nur froh sind, wenn ein

Angehöriger stirbt. In besonders schweren Fällen mag man vielleicht noch so denken, solange der Betreffende noch lebt. Aber wenn er dann gestorben ist, bleibt doch wohl niemand davon unberührt.

Man wird vielleicht eher darüber hinwegkommen, wenn man sich sagt: „Dieser Mensch war eben alt und hatte die Zeit seines Lebens vollendet!“ Aber er hinterläßt doch eine Lücke.

Im Zusammenhang mit jenem Unfall fand es jemand besonders schmerzlich, daß es sich um das einzige Kind der Familie handelte. Aber eine andere Frau sagte: „Ich habe vier Kinder. Aber es würde mir bei jedem schwerfallen, wenn ich es hergeben müßte!“ Unser Leid kann nicht größer werden, wenn etwa in einem Jahr mehrere Leute aus einer Familie sterben, und es wird nicht leichter, wenn wir daran denken, wer uns ja noch geblieben ist.

An sich kann man mit dem Geschehen des Todes oder mit dem Bedanken an den eigenen Tod nur fertigwerden, wenn man über den Tod hinaus eine Hoffnung haben darf. Deshalb kann die Verkündigung der Auferstehung Jesu und unserer eigenen Auferstehung der einzige Trost im Leben und im Sterben sein. Deshalb bekennt sich die Gemeinde der Christen am Grabe ihrer verstorbenen Glieder zur Heimat im Himmel.

So heißt es jedenfalls in der verbesserten Bibelübersetzung. Man hat gemeint, das Wort „Heimat“ sei zu stark gefühlsbetont, man solle lieber das Wort „Bürgerschaft“ verwenden. Aber dieses Wort ist heute ungebräuchlich, wir kennen es nur noch als „Staatsbürgerschaft“. Was aber „Heimat“ ist, das wissen alle. Das wissen die, die die Heimat verloren haben. Das wissen aber auch, die praktisch kaum einmal aus ihrem Ort herausgekommen sind. Und wenn einer von uns nur einmal drei Tage in einer Großstadt oder im Industriegebiet gewesen ist, dann weiß er schon, was Heimat ist.

Doch das ist nur die irdische Heimat. Wie sehr hängen wir schon an ihr! Ist uns aber auch die himmlische Heimat so wichtig und wertvoll? Sie haben wir ja verlassen müssen, um unser Leben auf dieser Erde zu führen. Einst aber werden wir wieder dorthin zurückkehren dürfen. Oder ist es mehr ein „müssen“ für uns? Sehnen wir uns gar nicht hin zu dieser Heimat, sondern möchten lieber in der irdischen Heimat bleiben?

Die Schwierigkeit ist nämlich, daß wir uns überhaupt nicht mehr an die himmlische Heimat erinnern können. Wir möchten gern wissen, wie es dort aussieht und was wir dort zu erwarten haben. Wenn wir es wüßten, würden wir uns sicher mehr nach der himmlischen Heimat sehnen und die Entscheidung fiele uns leicht.

Aber wir fragen ja schon: „Was ist eigentlich der Himmel?“ Wir können ihn uns doch nicht als einen bestimmten Ort im Weltraum vorstellen. Allerdings wäre es ein Verlust für unsere Frömmigkeit und damit auch für unseren Glauben, wenn wir das Wort „Himmel“ aus unserem Reden, aus der Liedern und Gebeten, verbannen wollten. Es fragt sich nur, was wir darunter verstehen.

Besser würde man gar nicht an einen Ort denken, sondern an die Herrschaft Jesu Christi, die jetzt auf der Erde noch nicht offen wahrzunehmen ist, sich aber einst in Herrlichkeit offenbaren wird. Das ist natürlich gerade unser Problem, daß wir hier auf der Erde unter Leid und Tod seufzen müssen und so gar nichts vor der Herrschaft Jesu Christi wahrzunehmen scheinen.

Doch wer einen starken Glauben hat, wird sich gerade im Leid an Jesus halten, ihm dieses Leid klagen und seine Hilfe erbitten. Wer einen starken Glauben hat, braucht dann auch nicht die Vorstellung eines Himmels, sondern es ist ihm genug, sich an Christus zu halten.

Bei diesem Christus, in seinem Reich, sind wir Bürger. Wenn man sonst eine Staatsbürgerschaft erwerben will, dann muß man oft erst gewisse Bedingungen erfüllt haben: Man muß eine bestimmte Zeit in dem Land gewohnt haben, muß dort arbeite und seinen Lebensmittelpunkt haben, man muß die Sprache sprechen und man muß unter Umständen muß man Führungszeugnisse und Befürwortungen vorlegen. In manchem Land wie zum Beispiel in der Schweiz, ist es ganz schwer, die Staatsbürgerschaft zu erlangen und eingebürgert zu werden, es sei denn, man ist prominent.

Beim Reich Gottes dagegen ist es anders. Dafür kann man sich nicht aus menschlicher Überlegung entscheiden. Ja, mancher will ja auch gar nicht zu diesem Reich gehören, begehrt es überhaupt nicht. Aber Gott macht sich auf die Suche nach Bürgern. Er will alle Menschen in seinem Reich haben. Aber e r ist es, der sie dorthin ruft. Von sich aus kommt kein Mensch darauf, daß es ein Reich Gottes geben könnte. Aber er hört davon in der Predigt der Kirche und wird in der Taufe in die Gemeinschaft der Christen aufgenommen.

Damit wird der Mensch gewissermaßen unter das Hoheitszeichen des Kreuzes gestellt. Er ist zwar noch ein Erdenbürger, aber er ist doch auch Gast und Fremdling. Er ist schon Himmelsbürger, er hat einen Paß für den Himmel. Aber es besteht jederzeit die Möglichkeit, daß er in sein wahres Heimatland zurückgerufen wird. Einstweilen aber, bis man ihn begräbt, wird jeder Christ all seine Kräfte und Gaben dennoch der Erde und der Menschheit zur Verfügung stellen.

Aber einst wird eben dieses Leben auf der Erde zu Ende sein. Jeder Mensch steht einmal vor dieser Tatsache. Wenn wir alle unsterblich wären, ja dann wäre so etwas wie ein tödlicher Unfall wirklich ein maßloses Unglück. Dann würde einem einzelnen Menschen das verwehrt, was allen anderen geschenkt ist. So aber sagen wir: „Es war ein Mensch, der sowieso einmal hätte sterben müssen!“

Gewiß ist es auch so ein schwerer Verlust, wenn man dran denkt, was noch hätte sein können. Aber das Sterben hat doch nicht den Charakter der willkürlichen Strafe für einen Einzelnen. Gerade die Tatsache, daß wir alle einmal sterben müssen, macht es uns leichter, den Gedanken an den Tod zu ertragen. Wenn wir sterben, ob früher oder später, gehen wir nur den Weg allen Fleisches.

Wichtiger allerdings als all diese Überlegungen ist die Gewißheit, daß wir auf etwas warten dürfen. Unser Blick sollte nicht nur auf das gehen, was vergangen ist und nicht mehr sein kann, sondern er sollte auch in die Zukunft gerichtet sein. Vom „Himmel“ her erwarten wir unseren Herrn Jesus Christus, der unseren vergänglichen Körper so verwandeln wird, daß er genauso herrlich wird wie der Körper, den er selbst seit seiner Auferstehung hat.

Es gibt ein ungeduldiges und ungutes Warten auf einen Glücksfall, der unsre eigenen Wünsche endlich verwirklichen soll, oder auf eine Zukunft, die alles wieder gutmachen soll, was das Leben uns bis heute noch schuldig bleib.

Dieses Warten ist bei Paulus nicht gemeint. Er sitzt ja im Gefängnis, als er den Philipperbrief schreibt, und er muß jeden Tag mit seinem Tod rechnen. Aber er hat keine Eile. Für jeden Tag wartet er getrost und gelassen wieder auf die Kraft Christi. Es ist ein fröhliches Warten, dem auch der Tod kein Ende setzt.

Paulus weiß, daß er noch nicht am Ziel ist. Zu deutlich sieht man ihm auch noch an, daß er ein Mann des gekreuzigten Christus ist. Er möchte aber auch nicht so sein wie die Leute, deren Bauch ihr Gott ist. Sie streben nur nach äußerem Wohlstand und nach einer geachteten Position und denken, so seien sie gesichert. Sie meinen, das sei schon alles.

Paulus aber möchte eine andere Art Leben entdecken und von seinem Bürgerrecht bei Christus Gebrauch machen, es in Anspruch nehmen. Das heißt nicht, daß er das Zeitliche deshalb verachtete und gar keine Freude mehr in der Welt haben dürfte. Unsere Welt ist ja schließlich Gottes Welt. In ihr sollen wir eine gute irdische Ordnung herstellen und das Irdische nach menschlicher Einsicht und Vernunft betreiben, allerdings mit dem Gesetz Gottes als Richtschnur und in dem Wissen, ihm verantwortlich zu sein. Das Irdische kann bei uns nie die Stelle Gottes einnehmen. Aber als Himmelsbürger werden wir immer auch in die Welt geschickt und sind echte Erdenbürger.

Auf die Zukunft Gottes warten heißt auch: Nicht untätig bleiben und mit Krieg und Hunger, Gewaltherrschaft und Menschenverachtung, Leiden und Sterben abfinden. Vielmehr gilt: Unser Denken und Planen, Tun und Lassen ist bestimmt von Christus, der auf uns zukommt. Sogar über den Tod hinaus dürfen wir auf einen starken Herrn warten. Der ist stark genug, unsere Schwäche in Kraft und unser Sterben in Leben zu verwandeln.

 

Phil 4, 4 - 7 (Variante 1) (4. Advent):

Manche Sachen kann man nicht kaufen. Eine davon ist die Freude. Die ist eine Mangelware im Haushalt unseres Lebens. Sie wird von vielen gesucht, aber nur wenige haben sie. Auf Schritt und Tritt fehlt sie uns. Und das macht unser Leben und das Zusammenleben mit anderen Menschen oft so schwer.

Da hat sich eine Frau einen neuen Schal gekauft, wirklich schick und modern. Doch anstatt daß sich der Mann darüber freut, fragt er nur: „War das nötig?“ Da ist dann natürlich alle Freude verflogen und das Gegenteil erreicht. Oder der Mann bringt ein paar Blumen mit als kleine Aufmerksamkeit für seine Frau. Doch sie sagt nur: „Ja, ist schon gut! Aber ich habe jetzt große Wäsche. Stell die Blumen doch oben in die Vase!“ Schon ist die Freude dahin und Verstimmung macht sich breit.

Woran liegt es, daß wir so wenig Freude haben? Sind die mißlichen äußeren Umstände daran schuld? Fehlt uns etwa deshalb die Freude, weil wir nicht alles haben können, was wir gerade möchten? Oder weil wir nicht alles tun oder lassen können, was uns gerade einfällt? Hängt das wirklich damit zusammen?

Welche Einstellung wir zum Leben haben, hängt von unserem Verhältnis zu Gott ab. Unser Predigttext sagt dazu: „Unser Herr ist nahe!“ Damit war ursprünglich die Hoffnung auf die Wiederkunft des Herrn gemeint. Aber wir wissen ja, daß der Herr uns auch nahe ist, wenn er nicht sichtbar bei uns ist. Gewiß ist das Leben Jesu für uns Vergangenheit. Aber Jesus ist doch bei uns gegenwärtig.

Wenn jetzt in dieser Minute am Bahnhof ein Zug abfährt, dann ist das für uns nicht Gegenwart: Wir brauchen den Zug ja im Augenblick nicht. Aber daß die Mutter in der Kindheit mit uns gebetet hat, das ist Gegenwart. Das ist nämlich in dieser Stunde doch bedeutungsvoll und ist eine Wirklichkeit für mich.

Wenn es nun heißt: „Der Herr ist nahe!“ dann ist dadurch meine ganze Gegenwart verändert. Dann ist der Kommende schon gegenwärtig. Es geht nicht nur um eine Vorfreude auf die Zukunft, sondern um die Gewißheit, einander wirklich nahe zu sein. Das gibt uns Zuversicht und kann unser Leben mit Freude erfüllen.

Weiterhin heißt es: „Der Friede Gottes wird euch bewahren in Christus Jesus!“ Wir kennen dieses Wort als Kanzelsegen nach der Predigt. Dort ist es wie in Luthers Bibelübersetzung als ein Wunsch formuliert Aber eigentlich geht es hier um die feste Zusage: „Gott wird dich bei Christus erhalten!“Auch das ist für uns Grund zur Freude.

Dahinter steht das Bild von einer Burg mit einem Schutzwall. Das heißt also: „Gottes Friede wird dich wie ein Schutzwall umgeben!“ Dieser Friede Gottes ist tatsächlich höher als alle Vernunft. Er ist mehr als das, was durch einen Friedensschluß im politischer Bereich geschaffen werden soll, ist mehr als das Nichtvorhandensein von Krieg und auch mehr als ein Nichtangriffspakt.

Das hebräische Wort an dieser Stelle heißt „Schalom“. Es meint das Ganzsein einer Gemeinschaft und das Funktionieren der Lebenszusammenhänge in einem Volk, in einer Familie oder sonst einer Gemeinschaft. Im Kleinen kann dieser Friede vielleicht durch die Gemeinschaft selber hergestellt werden. Im Großen hofft man, daß Gott ihn bringen wird.

Im Neuen Testament heißt es nun, daß Christus dieser Friede ist. Die von ihm angebotene Ge­meinschaft kann nicht mehr zerbrechen. Wo sie dennoch zerbricht, da sind wir nicht mehr auf seinem Wege. Er läßt uns die Freiheit dazu. Aber er will natürlich, daß wir in seinem Frieden bleiben und alle Trennwände zwischen Gruppen und Einzelnen einreißen.

Solche Trennwände sind da zwischen Christen und Atheisten, Eltern und Kindern, Mann und Frau, Rassen und Völkern, zwischen Kollegen und zwischen den Generationen. Christus aber will, daß sie sich einig sind und im Frieden Gottes miteinander leben. Wo das so ist, da ändert sich dann die Lebensweise der Menschen untereinander.

Nach dem Philipperbrief merkt man das an vier Dingen: Freude, Güte, Sorglosigkeit, Dank.

Natürlich kann man eine solche Freude nicht befehlen. Wer sich nicht freuen w i l l und vielleicht auch nicht freue k a n n, dem ist meist nicht zu helfen. Mancher sucht auch einen Ersatz zu finden. Für ein paar Mark will er sich Freude kaufen zum Beispiel in Form von Alkohol. Oder er verlegt sich auf die Schadenfreude darüber, daß es einem anderen schlecht ergeht.

Oder man macht sich in Bezug auf die Freude etwas vor.

So erging es der Zarin Katharina II. Sie hatte dem Fürsten Potemkin den Auftrag gegeben, in Südrußland neue Dörfer und Siedlungen anzulegen. Doch der hatte alles Geld für seine persönlichen Zwecke durchgebracht.

Nun wollte die Zarin aber eines Tages die schönen neuen Dörfer sehen. Da ließ der Fürst Potemkin in aller Eile hölzerne Fassaden von Häusern aufrichten. Die Zarin fuhr mit einem Schiff den Fluß entlang und sah überall die neuen Siedlungen. Sie freute sich über die schönen und guten „Häuser“ und merkte gar nicht, daß es alles nur Kulissen waren.

So haben wir auch manches, worüber wir uns an Weihnachten freuen: Die Kinder freuen sich auf und über ihre Geschenke. Die Erwachsenen freuen sich auf ein paar ruhige Feiertage und das Zusammensein mit der Familie. Wir freuen uns über den Christbaum, das Krippenspiel, die Lichterkirche und manches andere. Aber lassen wir uns davon nicht täuschen. Das sind ja alles nur die Äußerlichkeiten des Weihnachtsfestes. Diese Weihnachtskulisse wird ja nach einigen Tagen wieder weggeräumt. Die Freude aber soll bleiben.

Das ist aber nur möglich, wenn es eine Freude „im Herrn“ ist. Weil der Herr bei uns ist und wir bei ihm, deshalb haben wir Grund zur Freude, die auch hinter den Fassaden Bestand hat.

Es gibt auch Menschen, die für alle Lebenslagen einen Vorrat an Freude bereit haben. Sie verbreiten ständig Frohsinn und gute Laune um sich herum. Wir brauchen solche Menschen, damit das Leben überhaupt erträglich wird. Vielleicht möchten wir selber zu ihnen gehören. Aber das geht eben nur, wenn wir uns die Freude aus unserem Glauben heraus schenken lassen.

Das zweite Kennzeichen eines Christen ist die Freundlichkeit gegenüber dem Mitmenschen. Eigentlich ist das doch ein sehr „weltliches“ Wort. Wir hätten vielleicht „Nächstenliebe“ oder „Vergebungsbereitschaft“ erwartet. Aber Paulus verwendet hier das allen bekannte Wort „Freundlichkeit“, die Eigenschaft, die den Umgang mit Menschen angenehm und erfreulich macht.

Wer freundlich ist, der verzichtet auf seinen Rechtsstandpunkt und läßt Gnade vor Recht ergehen. Wer glaubt, der kann gelassen sein und auch einmal dem anderen nachgeben, der noch nicht so fest im Glauben steht. Aber so wird man gut mit anderen hinkommen und selber dabei Freude erfahren.

Das dritte Kennzeichen ist die Sorglosigkeit. Wir alle sind gefangen von der Sorge um unser Leben, unsere Existenz, um die Zukunft. Auch über die Zukunft der Kirche machen wir uns Sorgen. Oder wir wollen aus uns oder einem anderen etwas machen, und wenn es nicht gleich gelingt, haben wir Sorgen. Wie viele Eltern wollen, daß aus ihren Kindern einmal etwas wird, nicht so ein gewöhnlicher Arbeiter, sondern etwas „Besseres“. Aber sie sehen nicht, daß dann die Sorgen erst losgehen, wenn man unbedingt so etwas anstrebt.

Allerdings ist die Sorge eine Macht, der wir nicht so einfach ausweichen können. Goethe läßt im zweiten Teil seines „Faust“ die „Frau Sorge“ auftreten und sagen:

„Wen ich einmal besitze, dem ist alle Welt nichts nütze.

Er verliert sich immer tiefer, siehet alle Dinge schiefer.

Halber Schlaf und schlecht Erquicken, heftet ihn an seine Schwelle

und bereitet hin zur Hölle!“

„Sorglosigkeit“ meint nun nicht, den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Aber wir brauchen uns von den Dingen nicht einfach unterkriegen zu lassen. Wir dürfen dem Geist der Sorge Abschied geben. Sie spielt sich zwar auf, als wäre sie Gott, wenn sie erst einmal einen ergriffen hat. Aber Gott ist stärker als sie. Er vertreibt sie wieder. Das ist dann Weihnachten für uns, nicht nur am 24. Dezember, sondern an jedem Tag im Jahr: Wenn Gott kommt, macht er all unseren menschlichen Sorgen ein Ende.

Paulus sagt: „Laßt all eure Bitten Gott bekannt werden! Tragt all eure Sorgen hin zu ihm und ladet sie ihm auf!“ Keine Sorge soll dabei ausgenommen sein: nicht die leibliche und äußerliche Not, aber auch nicht die selbstverschuldete Unterlassung oder sonst etwas. Kein Ding ist für Gott zu gering oder zu groß, als daß er sich nicht damit befassen würde.

Das vierte Kennzeichen schließlich ist der Dank. Er ist die Antwort auf die Freude und die endgültige Überwindung der Sorge. Dann sehen wir nämlich auch, was trotz aller Not doch Grund zur Freude und zum Danken ist. Je mehr wir uns im Danken üben, desto weniger Macht hat die Sorge über uns. Wenn man das Danken verlernt hat, dann verlernt man auch das Beten und dann kommt die Sorge. Und wer nur Sorgen im Kopf hat, der vergißt wiederum das Beten und das Danken.

Dabei könnte es doch gerade umgekehrt sein: Je mehr man sich sorgt, desto mehr sollte man beten! Wer betet, der hat Gott auf seiner Seite und den verläßt die Sorge. Der sorgt sich dann auch nicht mehr um sein Hab und Gut und um sein Fortkommen, sondern der kann sogar hergeben und frohen Herzens verzichten. So heißt es in einem Kanon: „Froh zu sein bedarf es wenig, und wer froh ist, ist ein König!“

Damit wären wir wieder beim Thema „Weihnachten“. Jetzt stehen wir wieder kurz davor und es wird uns gesagt: „Der Herr ist nahe!“ Weil er bei uns ist, sind uns Freude, Freundlichkeit, Sorglosigkeit und Dankbarkeit möglich. Deshalb wollen wir uns nicht nur „Fröhliche Weihnachten“ wünschen, sondern auch von dem Grund der Freude reden. Der Friedensgruß am Schluß einer jeden Predigt ist für uns in der Tat ein echter Weihnachtsgruß: „Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen!“

 

Philipper 4, 4 - 7 (4. Advent, Variante 2):

Im Jahre 1666 mußte Paul Gerhardt, unser bekannter Liederdichter, auf höchste Anweisung hin sein Predigtamt in Berlin niederlegen und die Stadt verlassen. Mit seiner Familie begab er sich damals auf den Weg, ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. Auf dieser Reise durch das brandenburgische Land machten sie eines Tages auch in einem Gasthaus halt, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Paul Gerhardt hatte sich bis dahin seine Hoffnung auf einen neuen Anfang in irgendeiner Pfarrstelle noch bewahrt, aber seine Frau, ermüdet und geschwächt von der langen Reise, hatte keine Zuversicht mehr. Ohne Hoffnung saß sie in der Gaststube. Keiner wußte einen Rat.

Da blätterte Paul Gerhardt in der Heiligen Schrift, und dann las er seiner Frau die Bibelstelle vor: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen!“ Danach ging er in den Garten des Hauses und dichtete das bekannte Lied: „Befiehl du deine Wege!“ Als er dann das Lied seiner Familie vorlas, traten plötzlich zwei Abgeordnete des Herzogs Christian zu Merseburg ins Zimmer und setzten sich an den Tisch der Familie Gerhardt. Sie erzählten auch den Zweck ihrer Reise. Sie wollten nach Berlin, um einen gewissen abgesetzten Pastor Gerhardt nach Merseburg einzuladen. Man hätte Arbeit für ihn. Und so kam es, daß Paul Gerhardt im Jahre 1669 eine neue Pfarrstelle erhielt, das Archidiakonat zu Lübben in der Niederlausitz.

Nun wird natürlich mancher bei einem solchen Bericht sehr skeptisch sein. Denn wir wissen, daß nicht jeder in seinem Leben so eine Lösung seiner schwierigen Probleme erfahren hat. Mancher Lebensweg, auch von guten Christen, ist gekennzeichnet von Nöten und viel Leid. Was haben Menschen nicht alles ertragen müssen! Aber viele gab es, die ihren Weg trotzdem getrost weitergingen, auch wenn es eine letzte Erfüllung ihrer Hoffnung hier auf der Erde nicht gab.

Zu ihnen gehörte auch der Apostel Paulus. Eingekerkert in ein römisches Gefängnis, schrieb er an die Gemeinde in Philippi aus Dank dafür, daß sie ihm mit einer Geldspende helfen wollte. Die Philippergemeinde war seine Lieblingsgemeinde, eine Gemeinde, in der wirklich christliches Leben war. Es gab wenig Anlaß, sich um sie zu sorgen. Und doch hat Paulus auch ihr gegenüber seine liebevolle, aber mahnende Stimme erhoben. Vielleicht gab es da einige, die im Lebenskampf müde geworden waren, die aufgeben wollten, weil es nicht alles so ging, wie sie anfangs glaubten.

Ihnen sagt Paulus dieses Wort: „Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch“" Und er sagt es damit auch uns! Er sagt es uns als eine Mahnung, denn getaufte Christen sollen sich im Herrn freuen, aus dem Bewußtsein heraus, mit Christus verbunden zu sein und in seiner Gemeinschaft zu leben. Natürlich weiß Paulus, daß das nicht leicht ist. Darum fordert er auch nicht einfach so zur Freude auf, wie wir es manchmal im Umgang miteinander tun, sondern er mahnt im Blick auf Christus. Im Blick auf den Christus, der selber gesagt hat: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende!“

Dabei meint Paulus nicht den, der früher einmal gelebt hat und dann von den Seinen wegging. Sondern er denkt an den, der bei uns ist durch sein Wort, durch das Heilige Mahl, der uns nahe ist in seinem Geist und der mit seiner Kraft immer tiefer eindringen will in unser Leben. Darum fordert Paulus uns eben zur Freude auf, wobei er nicht die Frage stellt, ob uns das Freuen gelingen wird. Denn er weiß, daß dort, wo die Gegenwart des Herrn wirklich geglaubt wird, der Mensch sich freuen kann. Darum auch das Wort: „Sorget nichts!“

Aus der Freude über die Gegenwart des Herrn können wir unser ängstliches Sorgen loslassen. Wir werden entlastet, denn „er sorgt für uns!“ Hier also hat die Freude ihren Grund. Seine Nähe, die Nähe unseres Herrn, ist bergende Nähe, voller Liebe und Verständnis. Das „Zersorgen“ hat da keinen Grund mehr - diese quälende Sorge, die den Menschen klein macht und ihn innerlich zerbricht. Diese Sorge haben die Heiden, so sagt Paulus, ihr aber als die Kinder Gottes sollt dieses „Sorgen" von euch ablegen, denn „der Herr ist nahe!“! Er ist bei euch zu jeder Stunde des Tages.

Aus der inneren Freude folgen nun auch sichtbare Zeichen. Hier versagen wir immer wieder: dem Menschen nämlich mit Liebe und Güte begegnen. Das aber ist wichtig! Denn die Liebe unseres Herrn will uns in den Dienst der Liebe stellen. Durch unsere Güte und Liebe bringen wir die Liebe Christi zu den Menschen. Wo Nichtchristen Güte, Verständnis. Friedfertigkeit und Zuversicht an Christen spüren, können sie ins Fragen kommen, aus welchen Quellen diese Christen leben.

Dabei ist uns natürlich die Frage gestellt: „Wie sehen wir unseren Mitmenschen?“ „Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, so sagt es Jesus, unser Herr. Sehe ich im anderen den Bruder und die Schwester des Herrn? Ebenso mißverstanden und leidend wie er? Paulus jedenfalls meint es ganz ernst: „Alle Menschen sollen eure Güte merken. Denn daran wiederum erkennen die anderen eure Freude und werden vielleicht auch zu der Erkenntnis geführt: Der Herr ist nahe!“

Wenn uns aber das alles nicht gelingt? Der Apostel sagt: „Dann betet! Sprecht im Gebet eure Not aus, öffnet Christus euer Herz, übergebt ihm alles. Das ist der priesterliche Weg, auf dem ihr für euch, aber auch für den anderen um die Seele ringt!“ Und Paulus hat recht. Das Gebet ist geradezu die Brücke; es richtet unsere Augen dorthin, wo das Ziel unseres Lebensweges ist. Und dieses Herrlichkeitsziel gibt uns schon jetzt Gewißheit und Freude, Zuversicht und Vertrauen - und den Frieden dessen, zu dem wir gehören.

Denken wir noch einmal an Paul Gerhardt! Wie mag es ihm in einer solch ausweglos scheinenden Situation zumute gewesen sein? Aber er wußte um die einzig mögliche Lösung. „Befiehl dem Herrn deine Wege!“ Und wer die Lieder Paul Gerhardts aufmerksam liest, wird in ihnen allen diese Glaubenshaltung finden, dieses Vertrauen zu dem, der Himmel und Erde gemacht hat. Und er wird auch das andere finden, von dem Paulus ebenfalls spricht und wozu er uns mahnt: das Danken gegenüber dem Herrn. Menschen, die mit Christus leben, sind dankende Menschen. Es geht nicht anders.

Wer den Frieden Gottes einmal in seinem Leben erfahren hat, kann dafür danken. Damit hören Zerstörung und Leid auf unserer Erde zwar noch nicht auf, aber alles ist dann hineingenommen in den tieferen Frieden, den Gott schenkt und der uns in Jesus Christus bewahrt. So mag uns unser heutiger Predigttext in der Weihnachtszeit begleiten. Und wir nehmen dieses Wort mit in das neue Jahr: „Freuet euch in dem Herrn, denn der Herr ist nahe!“ (Verfasser der Predigt unbekannt).

 

 

Philipper 4, 10- 13 (Neujahr):

Vielleicht haben wir am Ende des vergangenen Jahres etwas sorgenvoll in die Zeitung geblickt. Da wird ja schon immer vorausgeschaut auf die Zukunft und sogenannten „Prognosen“ gemacht. Dann heißt es etwa, daß das Bruttosozialprodukt oder das Wirtschaftswachstum oder der Export um drei Prozent steigen wird, aber die Löhne sollen nur um 0,5 Prozent steigen. Wenn die Inflationsrate aber auf zwei Prozent steigen soll, dann bedeutet das ein „Nullwachstum“, genauer gesagt um ein Minus. Dann stöhnt sicher wieder mancher: „Was soll das nur werden? Alles wird teurer!“

Dabei wollen wir doch einmal ganz nüchtern feststellen, daß wir auch im abgelaufenen Jahr über die Runden gekommen sind. Letztlich ist es uns doch gut gegangen, besser als der großen Mehrheit der Menschheit. Auch im neuen Jahr können wir darauf vertrauen, daß Gott uns erhalten wird. Wir engen aber unser Leben ein, wenn wir meinen, wir müßten dies oder jenes unbedingt haben. Wir verlieren die Sorglosigkeit und Freiheit, unser Leben zu gestalten. Man glaubt ja gar nicht, wie vieles der Mensch nicht braucht. In Afrika sagte einmal einer: „Ich weinte, weil ich keine Schuhe hatte, bis ich einen fand, der keine Füße hatte!“

Wir möchten das neue Jahr festlegen, soweit es geht. Wir möchten das Leiden möglichst vermeiden, jeden Schmerz mit Tabletten beseitigen. Aber Leidende können auch zu großer menschlicher Reife kommen und beglückende Erfahrungen machen. Das lehrt uns Paulus, der sich in mancherlei Hinsieht eine innere Unabhängigkeit bewahrt hat. Zum Beispiel hat er rauf eine materielle Unterstützung aus den Gemeinden verzichtet, denn er hatte ja ein Handwerk erlernt und konnte sich davon ernähren.

Paulus sagt: „Ich habe mich im Herrn ganz groß gefreut!“ Er fühlt sich geradezu räumlich von Christus umgeben und umschlossen. Das bewirkt bei ihm eine Freiheit des Habens. Paulus hätte ein Recht auf Lohn gehabt, denn der Arbeiter ist seines Lohnes wert. Aber in der Regel hat er darauf verzichtet. Nur bei den Philippern war es anders. Mit der ersten Gemeinde auf europäischem Boden war er wohl besonders eng verbunden.

Die Gemeinde hat ihm etwas geschickt. Das macht ihm deutlich: „Sie haben mich nicht vergessen. Sie verachten mich nicht, weil ich im Gefängnis sitze!“ Es besteht eine feste Gemeinschaft im Geben und Nehmen. Materieelle Dinge sind nicht mehr Zeichen für Unterschiede, sondern ein Mittel zur Gemeinschaft: Durch Geben und Nehmen ist man miteinander verbunden.

Es geht also nicht um die Anerkennung der Leistung des Paulus. Wie könnte man auch die Leistung eines Apostels in Geld messen? Bei uns ist das üblich, da werden schon Unterschiede gemacht und es kommen Ungerechtigkeiten vor. Aber für das Evangelium kann man nicht bezahlen. Und Paulus hätte sich auch darum gemüht, wenn er keinen Pfennig gekriegt hätte. Die bescheidene Gabe der Gemeinde ist ihm Zeichen der Verbundenheit und natürlich auch ein wenig Beitrag zu seinem Lebensunterhalt. Doch eine Anerkennung seiner Leistung von Seiten der Menschen hat er nicht nötig.

Eine leise Kritik ist dennoch herauszuhören: „Ihr habt wieder Kraft, für mich zu sorgen!“ Er entschuldigt sie auch gleich wieder und sagt: „Ich weiß schon, es fand sich keine Gelegenheit oder ihr hattet keine Zeit!“ Aber jetzt ist die Sorge für den Apostel aufgeblüht wie eine Knospe, die sich zur Blüte geöffnet hat. Die Freude steht im Vordergrund. Aber es fällt kein Wort des Dankes, eher will Paulus sagen: „Wir sind quitt!“

Wir würden einem Geber doch bezeugen, wie lieb und wichtig uns das Übersandte ist. Paulus aber sagt: „Ich brauche es eigentlich nicht, könnte es entbehren. Denn ich kann bescheiden leben, wenn es sein muß!“ Er meint nicht, daß jedes irdische Gut und jeder leibliche Genuß das Seelenheil gefährde. Aber er versteht sich auf beides: satt sein und hungern, reichlich haben und knapp bei Kasse sein. Er steht über den Dingen und hat eine Freiheit des Habens, die sich schon im Entbehren bewährt hat.

Hier könnten wir uns fragen: Hast du das auch gelernt, bist du innerlich frei von den Gütern und Problemen dieser Welt? Kannst du genauso gut mit einer gefüllten Geldtasche leben wie ein Hungerdasein führen? Kannst du genauso gut einen herrlichen Urlaub in wundervoller Landschaft verbringen wie monatelang ein schmerzliches Krankenlager durchstehen? Kannst du genauso gut deinen Lebensabend im Kreise der Kinder und Enkel verbringen wie im Altersheim unter fremden Menschen?

Vielleicht sehen wir deshalb sorgenvoll ins neue Jahr, weil wir Angst haben, es könnte uns etwas genommen werden von dem, was wir uns erarbeitet haben. Wie es uns geht, das machen wir gern von dem abhängig, was das neue Jahr so „bringt“. Unsere Wünsche und Hoffnungen sind nicht selten Ansprüche an das Leben. Natürlich soll unser Leben reicher und schöner werden: unser Fleiß, unsere Sorgfalt und unsere guten Einfälle sind dazu gefordert. Aber wir machen uns selber unfrei, wenn wir immer nur fordern und begehren. Vielleicht werden wir viel freier, wenn wir verzichten können.

Unser Verlangen nach immer mehr paßt schlecht zum Leid der armen Völker und zu den knapper werdenden Schätzen der Erde. Viele geben aber nicht eher Ruhe, bis sie alles für den Haushalt und ein hochentwickeltes Leben haben. Ein junges Ehepaar schafft sich nach dem ersten Kind (das der Heiratsgrund war) erst einmal Möbel und Auto an. Durch die Sucht nach immer neuen Dingen wird man durchs Leben gezerrt und wird zum Sklaven der Dinge. Ein zweites Kind würde nur den Fortschritt hemmen.

Das ist eben die Frage: Ob wir die Dinge haben oder die Dinge uns haben. Ist uns die Laune gründlich verdorben, war ein Jahr sinnlos, wenn uns etwas gefehlt hat oder etwas noch nicht geklappt hat? Können wir wirklich beides: dankbar genießen und auch über den Dingen stehend verzichten? Unsere innere Freiheit wird in Zukunft  mehr und mehr zur Lebensfrage werden.

Die Älteren wissen, daß es auch schon schlechtere Zeiten gab und es auch gehen mußte.  Doch das bessere Leben soll keinem vermiest werden. Die jungen Leute kriegen oft zu hören: „Wenn ihr das mitgemacht hättet, was wir durchmachen mußten! Aber wartet nur, es kommt auch wieder einmal andersherum!“ Mit Recht sagen dann die jungen Leute: „Wir können doch nichts dafür, daß es früher so war und heute so ist! Wenn es wieder anders kommen sollte, dann werden wir auch damit fertigwerden müssen. Aber das soll uns doch nicht schon heute die Freude nehmen!“

Man kann eine Freiheit, wie sie Paulus hat, nicht von jedem fordern und zum Gesetz machen. Wer sein Hab und Gut in Flammen hat aufgehen sehen, wird oft verbittert sein. Wer noch heute am verlorenen Besitz hängt, den können wir nicht der fehlenden Gelassenheit und des mangelnden Glaubens bezichtigen.

Paulus spricht es lächelnd aus: „Ich habe es gelernt. Ich bin in allem gewachsen durch den, der mir die Kraft gibt!“ Sein Loslassenkönnen ist eine Gnadengabe Gottes. Als Christus in sein Leben trat, hat sich der Schwerpunkt seines Denkens und Begehrens merklich verlagert, so wie der Eintritt eines geliebten Menschen ins eigene Dasein eine Umwertung aller Werte mit sich bringt. Alles wird an Christus gemessen. Das ist das Geheimnis der Freiheit des Apostels. Deshalb kann er alles, was kommt, als Geschenk aus Gottes Hand nehmen, auch den Mangel.

Das Leben in der Christusfreude bewirkt aber auch eine Frucht des Gebens. Wer sich von Christus gehalten weiß, der kann auch mit Freude weggeben, ohne Angst haben zu müssen, er könne zu kurz kommen.

Wir hätten Paulus mißverstanden, wenn wir meinten, nun könnten wir die Kollekte im Gottesdienst und die Kirchensteuer sparen, weil die kirchlichen Mitarbeiter und die Pflegebefohlenen der Kirche ja auch hungern können müßten. So übergeistlich ist Paulus nun auch wieder nicht. Er gibt zu: Es gibt Situationen und Bedrängnisse, in denen man der Hilfe bedarf. Er spricht sogar vom Bedarf und spricht vom gegenseitigen Verrechnen. Das wechselseitige Geben und Nehmen und die Liebe zueinander entscheidet.

Es geht nicht um ein Geschenk, sondern Paulus spricht von „Frucht“. Wo das Evangelium wirksam wird, da setzt es diakonische Kräfte frei. Deshalb gehört zum Gottesdienst auch das Opfer dazu, auch wenn es natürlich nicht die einzige Frucht der Wortverkündigung ist: Es ergibt sich von innen heraus ohne Druck. Es geht nicht um die Gemeinde und Paulus, sondern um ein Geschehen zwischen Gott und der Gemeinde. Paulus ist nur der Nutznießer des Dankes an Gott.

Man könnte natürlich sagen: „Das ist eine ganz raffinierte Methode, der Kirche Geld zu verschaffen: Man soll Gott opfern, aber ausgehändigt wird es dem Apostel!“ Schon in Goethes „Faust“ heißt es: „Die Kirche hat einen guten Magen“ Doch wer hier kritisiert, sollte erst einmal in 2. Korintherbrief Kapitel 11 von den Bedrängnissen des Apostels lesen und sich dann fragen, ob er wohl mit dem Apostel hätte tauschen wollen. Paulus wäre ihm sicher in seiner Freiheit von den Dingen voraus. Und zu solcher Freiheit möchte Paulus auch andere anleiten, aus dem Glauben heraus.

Mancher klagt und jammert ständig über seine Armut. Sieht man aber genauer hin, so hat er eigentlich ziemlich viel zum Leben. Aber er hat es nicht gelernt, geben zu können. Mancher andere aber ist wirklich arm, kann aber davon noch verhältnismäßig viel abgeben und jammert nie. In der Gemeinde Gottes ist es so: Man gibt nicht, weil man hat, sondern man hat, weil man gibt.

Dann erkennt man auch, wo den anderen der Schuh drückt. Dann wird man auch für ihn einstehen, nicht nur mit schönen Worten, sondern auch indem man in die Geldtasche greift. Aber es wird auch unsre Zeit gefordert, der Verzicht auf die eigene Bequemlichkeit und unser ganz persönlicher Einsatz; und das ist oft schwerer als das Hergeben von Geld.

Fähig dazu wird man nur, wenn man so wie Paulus gewiß ist: Es ist nicht Gottes Art, uns kurz zu halten. Gott gibt uns alles, was wir brauchen, um ein Mensch zu sein. Er gibt uns sogar mehr, damit wir es weitergeben zu können. Das ist doch eine ermutigende Glaubenseinsicht für das neue Jahr. Wenn wir loslassen können, werden wir auch wahrhaft freie Menschen werden.

 

Kolosser

 

Kol 1, 24 - 27 (Epiphanias):

Manche Menschen werden ganz verrückt, wenn sie einer berühmten Persönlichkeit begegnen. Als der amerikanische Präsident Kennedy im offenen Wagen durch Deutschland, da sind viele auch aus den umliegenden Dörfern dorthin geeilt, um ihn zu sehen. Und wenn man sie fragte: „Weshalb macht ihr das? Was ist denn so interessant an dem Mann?“ dann wußten sie es gar nicht zu sagen. Genauso ist es, wenn Herbert Grönemeyer oder Mario Barth kommen: die Leute rennen hin, als käme dort eine Offenbarung.

Jetzt habe ich ein Wort gebraucht, das zu dieser Kirchenjahreszeit paßt, zu Weihnachten oder noch genauer zum Fest „Epiphanias“. Dieses war am 6. Januar und wird auch „Dreikönigstag“ genannt. In der alten Kirche war es das eigentliche Weihnachtsfest, und in den Ostkirchen wird es auch heute noch so gefeiert.

„Epiphanias“ heißt auf deutsch: „Erscheinung“. Im Altertum sprach man von „Erscheinung“, wenn Götter unvermutet sichtbar wurden und in das Geschehen auf der Erde eingriffen; so konnten sie zum Beispiel allein durch ihre Gegenwart eine Schlacht entscheiden. Von „E­r­schei­nung“ sprach man aber auch, wenn ein Statthalter oder Kaiser sich irgendwo im Lande sehen ließ. Dabei kam es aber auch immer darauf an, daß er seine Würde und Kraft demonstrierte.

Der Begriff eignete sich also gut für die christliche Gemeinde, wenn sie die Bedeutung ihres Herrn beschreiben wollte. Nur kam dieser nicht mit Würde und Kraft, sondern unscheinbar als ein Kind. Dadurch gab Gott sich zu erkennen und ging auf die Menschen zu.

An Weihnachten öffnet sich für uns ein Geheimnis: Haben wir an diesem Fest etwas von diesem Geheimnis bemerkt?

In einem Dorf hat die Jugendfeuerwehr sich ein eigenes Weihnachtsspiel ausgedacht: Maria und Josef fanden eine Bleibe im Gasthaus mit Wasserbett und Fernseher. Die Heiligen Drei Könige brachten ein schnurloses Telefon, eine Taschenlampe und eine Fußballfahne. Es mag nicht immer alles so theologisch einwandfrei gewesen sein. Aber die jungen Leute haben sich doch mit der Sache auseinandergesetzt und vielleicht mehr von ihr begriffen als mancher sogenannte „gute Christ“. Zumindest haben sie erkannt, daß Weihnachten in unsre Welt gehört und sich auch heute noch ereignet.

Wohlgemerkt: das war eine Feuerwehrgruppe. Die Feuerwehr erfüllt eine sehr menschenfreundliche und auch christliche Pflicht, aber sie befaßt sich ansonsten nicht mit biblischen Geschichten. Wie armselig sieht es demgegenüber oft in christlichen Weihnachtsfeiern aus! Weihnachtsfeier heißt für die meisten: gut essen und trinken. Auch bei christlichen Feiern steht das meist im Vordergrund. Und an Weihnachten erinnert höchstens noch einmal ein Lied, vielleicht als Hintergrundmusik von der Platte gespielt.

Ich wünsche Ihnen, daß Sie ein anderes Weihnachten erlebt haben, mit Gottesdienst und selbstgesungenen Liedern unter dem Christbaum, mit Nachdenken und Gesprächen, mit Besuchen und neuen Einsichten. Und wenn nicht, dann ist ja immer noch Zeit dazu. Die engere Weihnachtszeit geht ja bis zum Dreikönigstag, bis zu Epiphanias, und die erweiterte Weihnachtszeit bis zum letzten Sonntag nach Epiphanias.

Wir machen meist die Adventszeit zu einer Vorweihnachtszeit, und nach Weihnachten ist dann die Luft raus. Da ist man von allem so erschöpft, daß man von Weihnachten gar nichts mehr gehabt hat. Nutzen wir deshalb die Zeit nach den Feiertagen, um noch etwas von dem Geheimnis der Geburt Jesu mitzukriegen.

Manche wollen das Geheimnis weglassen. Jesus ist für sie ein bemerkenswerter Mann aus Galiläa, den man wegen seiner Reden und seines Tuns hochachten muß. Vielleicht kann man ihn auch durchaus liebhaben. Vielleicht fühlt man sich durch sein Wort getroffen und ermutigt. Zwar ist man irgendwie durchschaut, aber dennoch angenommen. Eine solche Begegnung mit dem Menschen Jesus kann durchaus als Befreiung empfunden werden. Aber es bleibt eben alles auf der menschlichen Ebene. Doch manchem genügt das durchaus. Er fragt sich: Wozu da noch die Rede von dem göttlichen Geheimnis, von der Erscheinung und vom Heil?

Vielleicht gehört dazu erst die Erkenntnis, daß etwas zerbrochen ist im Verhältnis der Menschen untereinander und in ihrem Verhältnis zu Gott. Auch an diesem Fest haben die Waffen nicht geschwiegen, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen. Es geht dabei nicht nur um den Krieg vor unsrer Haustür. Man zählt immer wieder viele Kriege in der Welt, die meisten davon in Afrika. Aber sie sind vergessen, man hört nichts von ihnen.

Wie vergleichsweise gering sind da unsre Probleme am Beginn dieses neuen Jahres: mehr Steuern und Abgaben, relativ weniger Einkommen - jedenfalls für die große Masse, nicht für die sowieso schon Reichen. Wir haben Angst vor Gewalttat, Verlust des Arbeitsplatzes, Krankheit. Wer davon betroffen ist, für den ist das auch ein großes Problem. Doch ganz gleich, ob wir viel oder wenig zu leiden haben: wir haben schon ein Gefühl dafür, daß unsre Welt nicht in Ordnung ist. Deshalb genügt es nicht, Jesus gewissermaßen wie auf einer Bühne handeln zu sehen.

Man muß auch wissen, was hinter der Bühne ist. Und da sagt uns die Bibel: Die Welt ist verloren, wenn Gott nicht eingreift, wenn er nicht auf der Weltbühne erscheint und alles wieder richtet. Mit der Geburt Jesu wurde damit der Anfang gemacht. Seitdem ist es auch uns möglich, im Sinne Gottes zu leben und zu handeln. Seitdem können wir - jeder an seinem Ort - mit dazu beitragen, daß es in der Welt ein wenig mehr im Sinne Gottes zugeht. Das ist das ganze Geheimnis.

Doch die Tür zu Gottes Geheimnis geht nur von innen auf. Der Satz: „Gott ist Liebe“ sagt noch gar nichts, weil er zu allgemein ist. Wahr wird dieser Satz erst, wenn noch ein Geschehen dazu kommt, nämlich daß Gott seinen Sohn gesandt hat zur Versöhnung der Welt. Das Kommen Gottes ist ein weltweites Ereignis: Beim Epiphanias fest geht es nicht nur um die Erscheinung Gottes in der Welt. Wichtig ist auch, daß diese Erscheinung ein weltweites Ereignis ist. Das macht die Geschichte von den Heiligen Drei Königen deutlich. Sie kommen von allen Enden der Welt, um das Kind anzubeten. Von dort ist die Botschaft in die ganze Welt gekommen. Sie wird auch uns heute gesagt und soll uns wieder aufrichten.

Den Zuspruch Gottes brauchen wir eigentlich jeden Tag neu. Aber vor allem am Sonntag wird er uns angeboten. Die Predigt ist nicht eine private Meinungsäußerung zu Fragen des Glaubens. Sie ist auch nicht die Selbstdarstellung eines Menschen, der zum Besten gibt, was Gott ihm bedeutet. Man sollte es auch nicht so ernst nehmen, wenn ein Pfarrer sagt: „Ich habe deshalb studiert, weil es zu mehr nicht reichte!“

In dem Wort eines Menschen kommt das Geheimnis Gottes unter die Menschen. Das ist allerdings eine Aufgabe für uns alle, nicht nur für die beamteten Mitarbeiter der Kirche. Mancher wird freilich sagen: „Das kann ich nicht. Ich habe selber Probleme. Ich will nicht immer nur geben müssen, sondern auch einmal etwas empfangen!“ Hier ist dann auch von dem Leiden zu reden, von dem auch Christen nicht frei bleiben.

Trotz aller Leiden bleibt uns die Hoffnung: Der Kolosserbrief tut so, als sei er von Paulus aus der Gefangenschaft geschrieben. Doch das Leiden wird nicht verherrlicht. Wir dürfen zwar vor Bedrängnissen nicht ausweichen, aber wir dürfen auch nicht das Leiden suchen. Wenn es uns an Leib und Seele gut geht, dürfen wir dankbar sein. Aber nach christlicher Sicht haben wir auch ein gewisses Maß an Leiden durchzustehen, bis Jesus in Herrlichkeit wiederkommt.

Man redet nicht gern vom Leiden, auch nicht in der Kirche. Aber wir müssen auch im kom­menden Jahr damit rechnen, daß wir nicht von Konflikten und Demütigungen, von Leiden und Schmerzen und vielleicht auch nicht vom Tod verschont werden. Das Leben eines Christen hat nichts Triumphales an sich.

Der Kolosserbrief leitet uns an, daß wir uns gegenseitig im Leiden beistehen und uns stärken. Und er spricht von der Hoffnung, die wir trotz allem haben dürfen. Wenn wir vielleicht einer schwer betrübten Zeit entgegengehen, so bringt sie uns doch dem Tag Christi immer näher. Der einst als Kind erschienen ist und seinen Siegeszug durch die ganze Welt angetreten hat, wird einst in Herrlichkeit erscheinen und alles Leid überwinden. In dieser Gewißheit können wir getrost in dieses kommende Jahr gehen.

 

 

Kol 2, 1 - 15 (Quasimodogeniti):

Im Jahre 1848, als die Nationalversammlung in der Paulskirche tagte und das deutsche Volk seine Freiheit zu erreichen versuchte, erhob sich auch das ungarische Volk gegen Österreich. Einer von zwei Brüdern nahm am Freiheitskampf teil, der andere nicht. Als die Österreicher nach ihrem Sieg Vergeltung übten, wurde auch der Freiheitskämpfer zum Tode verurteilt. Doch die Militärbehörden verwechselten die Vornamen der beiden Brüder. So wurde der Bruder, gegen den gar nichts vorlag, festgenommen. Weil er den Irrtum nicht aufklärte, wurde er erschossen. Der andere aber lebte völlig unbehelligt in seiner Heimat weiter. Auf seinem Todesurteil stand: „Hinrichtung vollzogen“. Es wurde als erledigt“ abgeheftet, obwohl doch sein Bruder für ihn gestorben war.

Auch auf unserem Todesurteil steht „erledigt“. Es ist wie ein Schuldbrief, angeheftet an das Kreuz Jesu. Eigentlich müßte unser Name auf dem Schuldbrief stehen. Wahrscheinlich müßte die Tafel sehr groß sein, bei all den bösen Gedanken, den lieblosen Worten, den vielen versäumten Gelegenheiten, den Sorgen, als wüßten wir nichts von der Fürsorge Gottes. Auf der Tafel stünde etwas von unsrer Jagd nach den Werten dieser Welt, die uns oftmals hartherzig machen gegen das Elend in der Welt. Und jeden Tag käme Neues dazu. So aber stehen nicht die Anklagen gegen uns auf der Tafel, sondern die falsche Anklage gegen Jesus.

Am heutigen Sonntag werden wir daran erinnert, daß wir durch die Taufe noch einmal neu geboren sind. Es ist der „weiße Sonntag“, an dem in der alten Kirche die an Ostern Getauften noch einmal in ihren weißen Kleidern zum Gottesdienst kamen. Er heißt „Quasimodogeniti‘“, zu deutsch: „Wie die Neugeborenen“. Und so dürfen wir an diesem Sonntag hören: Durch die Taufe sind wir zu einem neuen Leben erweckt, wird sind von Schuld entlastet und wir sind zu Gott befreit.

 

1. Zu einem neuen Leben erweckt: Der neue Mensch ist nicht nur eine Verbesserung des alten. So etwas machen Mercedes und Ferrari, wenn sie jedes Jahr ein verbessertes Rennauto herausbringen. Ein Christ aber ist eine völlige Neuentwicklung. Er hat nicht nur einige Kurskorrekturen an seinem Denken und Verhaften, an seinem Lebensstil und sozialen Verhalten angebracht. Das Alte an ihm mußte sterben und begraben werden, damit neues Leben entstehen konnte.

Das neue Leben entsteht aus einem neuen Material, das nicht mehr der Sünde und dem Tod unterworfen ist. Christus hat es an Ostern ans Licht gebracht, er hat es anschaubar und erfahrbar gemacht. Es steht nicht wie ein Programm oder Fernziel vor uns, sondern es ist seit der Taufe schon Wirklichkeit.

Doch wenn wir solche Spitzensätze hören, denken wir: In der Kirche muß so geredet werden, die sind halt etwas weg von der Wirklichkeit, die wissen doch gar nicht, wie es im richtigen Leben so aussieht. Wo merken wir denn etwas von dem neuen Menschen in uns? Wie merken wir etwas von dem Christus, der in uns lebt? Der alte Mensch aus Fleisch und Blut ist doch noch da. Und der hat seine Fehler und Schwächen, seinen Stolz und seine Eigensucht, seine Gottlosigkeit und seine Selbstzufriedenheit. Wie kann man da nur so weltfremd in der Kirche reden?

Wenn einer so anmaßend von sich selber redet, dann fühlt sich jeder andere doch herabgesetzt. Manche Christen sind sich sicher, daß sie sich als „Wiedergeborene“ bezeichnen dürfen. Aber sie gehen nicht selten anderen Menschen auf die Nerven und bieten gerade kein ermutigendes Bild für die anderen. Vielleicht ist es doch besser, wenn einer sich bescheiden zurückhält und sachlich und nüchtern sein Leben betrachtet, wie es wirklich ist.

Unsre charakterlichen und natürlichen Anlagen bleiben uns leider erhalten. Im Alter prägen sie sich oft noch besonders unangenehm aus. Es ist schwer, die eigene Vergangenheit aufzuarbeiten und mit inneren und äußeren Erscheinungen unsrer Person fertig zu werden. Wir arbeiten zwar an uns. Aber wir sind auch davon betroffen, wie wenig unsre Selbsterziehung fruchtet. „Du bleibst doch immer, der du bist!“ läßt Goethe im Faust den Teufel sprechen. Es ist leider nicht so, daß wir Christen immer die angenehmsten und umgänglichsten Menschen wären.

Doch der Kolosserbrief redet hier nicht von Tatbeständen, die man direkt ablesen kann. Er spricht von dem, was Gott in Christus an uns getan hat. Gewiß wird sich ein Christ ganz entschlossen absetzen wollen von dem, was in seiner Vergangenheit böse und schändlich war. Er wird den Existenzwandel auch spürbar und sichtbar machen durch seinen Umgang mit Menschen, durch seinen Lebensstil und sogar bis in seine Gesichtszüge hinein.

Aber ein Christ vertraut nicht auf das, was er selbst aus sich macht, sondern auf das, was Gott aus ihm macht. Der Christ ist in der wunderbaren Lage, sein Heil allein bei Gott finden zu können. Noch überlagern sich aber die beiden Möglichkeiten, das Alte und das Neue. Aber auch wenn mein alter Mensch immer noch vorhanden ist, so werde ich doch an das verborgene neue Leben glauben. Ich habe schon eine Anzahlung auf das zukünftige Leben erhalten und setze diese schon jetzt nutzbringend ein.

Was ich morgen sein werde, das wirkt sich heute schon aus. Wenn ich heute noch böse und unehrlich, lieblos und mißtrauisch, unbeherrscht und lähmend für andere bin, dann doch nur, weil ich vergessen habe, daß Christus in mir ist. Die Rückfälle in das Alte werden immer wieder kommen. Aber sie können das Neue nicht mehr ungeschehen machen, das uns wie mit magnetischer Kraft nach vorne zieht. Doch daß wir das wirklich glauben können, hängt auch davon ab, daß wir tatsächlich von aller Schuld entlastet sind.

 

2. Von Schuld entlastet: Wir können nur eine tragfähige Zukunftshoffnung haben, wenn wir die Last der Vergangenheit los sind. Manche meinen ja, sie könnten mit ihrem Schuldkonto durchaus leben, man müsse sich nur nicht erwischen lassen. Das meinten die Naziverbrecher, die unter einem falschen Namen untertauchten. Das meinten die Stasispitzel, die ihre Verstrickung immer wieder leugneten. Das meinten die Steuersünder und Spendenbetrüger, bis ihnen die Fahndung doch auf die Spur kam. Das meinen wir alle, solange wir noch unsre bürgerliche oder fromme Fassade wahren können.

Es kann aber kein gesundes und ungestörtes Verhältnis zu Gott und zu den Menschen geben, solange die alte Schuld nicht bereinigt ist. Ich kann nicht bei Gott erscheinen und so tun, als sei nie etwas Störendes gewesen. Und was einer dem anderen getan hat, belastet das Verhältnis schon sehr.

Der Kolosserbrief spricht zunächst von „Übertretungen“. Da ist schon an ganz massive Taten des Ungehorsams zu denken. Es wird sogar mehr von uns verlangt als nur die Gesetzte einzuhalten. Auch bei einem Christen sind die Untaten nicht einfach vorbei. Seltsamerweise entdecken wir sie aber eher beim anderen als bei uns selbst. Typisch dafür ist der Straßenverkehr, wo wir uns immer über die Fehler der anderen aufregen, aber die eigenen entschuldigen wollen.

Der Kolosserbrief spricht sogar vom Verfallensein in heidnisches Wesen, denn nichts anderes ist mit dem „Unbeschnittensein“ gemeint. Auch heute gibt es ein neues Heidentum. Es billigt zwar noch einigermaßen die Gebote der zweiten Tafel, die mehr das Zusammenleben der Menschen regeln, aber es lehnt den Glauben an Gott, also das erste Gebot, ab.

Soll unser Verhältnis zu Gott und unseren Mitmenschen von Schuld entlastet werden, dann muß Gott viel vergeben. Aber er hat es getan. Der Kolosserbrief verwendet dazu das Bild vom ausgelöschten Schuldbrief. Unser Schuldsein wurde zur Urteilsbegründung für den gekreuzigten Jesus, denn Gott hat das Dokument mit allen uns belastenden Daten ans Kreuz genagelt und damit unsre Hypothek gelöscht. Durch die Taufe werden wir Nutznießer des Todes Jesu: Der alte Mensch wird getötet und unsre böse Vergangenheit ist aus der Welt. Das Gericht Gottes, das wegen unsrer Schuld fällig wäre, wird aufgehoben: Gegen einen Toten wird kein Prozeß mehr geführt.

 

3. Zu Gott befreit: Einige in der Gemeinde in Kolossä aber meinten, der Weg zu dem Ziel sei noch weit. Sie fürchteten unsichtbare Mächte, die nach dem damaligen Weltbild den untersten Himmel bewohnen sollten und Gott und die Menschen voneinander trennen. Wenn der Mensch nun in seine himmlische Heimat zurückkehren wolle, dann würden sie ihm noch ein letztes Hindernis bereiten. Nur durch besondere gottesdienstliche Veranstaltungen und durch Fasten oder andere Verzichte könne man sie besänftigen oder gar überlisten.

Diesen Zweiflern wird gesagt: Eure Sorge ist unbegründet. Christus hat diese Mächte unterworfen durch sein Kreuz und seine Auferstehung. Bei seiner Fahrt durch die Himmelsräume hat er diese Mächte abgestreift, hat sie abgeschüttelt, hat sie ausgezogen und damit bloßgestellt. Wer mit ihm verbunden ist, der hat das Auferstehungsleben schon in sich und niemand kann es ihm wieder streitig machen.

Sagen wir nicht: Das ist doch ein vergangenes Weltbild, das geht uns nichts mehr an. Auch bei uns gibt es angeblich Strömungen und Tendenzen, Sachzwänge und fatale Notwendigkeiten, die unsre freie Entscheidung beeinträchtigen. Diese unsichtbaren Mächte lähmen uns. Sie reden uns ein, unser Schicksal sei unentrinnbar und die ganze frohmachende Botschaft von Christus sei eine Einbildung: Was man einmal im Leben verbockt habe, das könne nicht wieder weggenommen werden.

Doch wir sind zu Gott befreit. Christi Kreuz und Auferstehung, die in der Taufe uns zugewendet wurden, haben die Herrschaft solcher Schicksalsmächte gebrochen. Die Vergebung der Sünden gilt. Wir haben nun immer Zugang zu unserem himmlischen Vater. Wir haben keine bösen Mächte zu fürchten, sondern wir dürfen sie getrost verachten.

 

 

Kol 2, 3 - 10 (Christtag II, Variante 1):

Vor Jahren schimpfte einmal ein Mann nach dem Gottesdienst an Weihnachten: „Wenn ich schon einmal im Jahr in die Kirche gehe, dann will ich dort nichts vom Politik hören!“ An diesem Satz ist nicht nur falsch, daß man nicht nur einmal in Jahr zum Gottesdienst gehen sollte. Es stimmt ja auch nicht, daß in der Kirche von Politik geredet würde. Hier wird die Bibel ausgelegt und sonst nichts anderes. Allerdings kann es der auszulegende Bibeltext erforderlich machen, auch einmal politische Dinge anzusprechen. Zum Beispiel wird es an Weihnachten um den „Frieden auf Erden“ gehen können. Dabei wird man nicht nur vom Frieden mit Gott, sondern auch vom Frieden unter den Menschen reden müssen.

Mit Recht wird allerdings in Kolosserbrief vor dem Eindringen jeder Ideologie und der Elemente der Welt gewarnt. Wir müssen schon gegen die falschen Brüder aus den eigenen Reihen kämpfen, die das Evangelium preisgeben und die Botschaft durch allerhand philosophische oder politische Gedanken verdünnen.

Aber da ist es auch nicht getan mit Schlachtrufen wie: „Kein anderes Evangelium! Haltet fest am Bekenntnis und der reinen Lehre! Ordnung und Festigkeit in den eigenen Reihen!“ Und dann werden meist überlieferte Sätze aus Bibel und Katechismus zitiert, bei denen man

aber auch keim Häkchen oder Komma verändern dürfe.

Aber dahinter steht wahrscheinlich die Angst vor der eigenen Auseinandersetzung mit dem Glauben. Es könnte sein, daß man sich vor der lebendigen Begegnung mit Christus abschirmt, indem man ein Raster von theologisch richtigen Sätzen und Bedingungen über ihn legt. Man meint dann ganz genau zu wissen, wer Jesus ist. Aber man zweifelt selbstsicher daran, ob die anderen es auch wissen. Man ist fest davon überzeugt, voll und ganz hinter dem Glaubensbekenntnis zu stehen, während man andere verdächtigt, sie würden es nur aus Heuchelei mitsprechen.

Vor zwei Extremen werden wir uns hüten müssen: daß wir nur die Glaubensdinge sehen oder daß wir uns nur um die Weltverhältnisse kümmern. Die Verbindung zwischen beiden herzustellen und doch keine Seite überzubetonen, aber auch den Glauben nicht zu verwässern, das ist eben die schwere Aufgabe. Hüten sollten wir uns aber auf jeden Fall, Jesus Christus in ein System einzubauen, das die unmittelbare Verbindung mit ihm ersetzt. So machten es die Juden, die ihre festen Vorstellungen vom kommenden Messias hatten, aber an dem konkreten Jesus vor ihrer Haustür vorbeigingen. Erst verachtete Hirten und fremde Wissenschaftler erkennen mit schlichtem Gemüt die Wahrheit.

Die Kolosser sahen die Welt durchwirkt von überirdischen Kräften und Mächten, die geheimnisroll das Schicksal der Menschen bestimmten. Nur durch Beachtung vieler Vorschriften und nur durch ein entsagungsreiches Leben konnte man sich einigermaßen gut mit ihnen stellen. Christus hat auch irgendwo seinen Platz in dieser Welt der Geister, die unter dem Himmel wohnen und über das Leben der Menschen bestimmen. Alles blieb grauenvoll und unberechenbar.

Wozu muß es heute noch in der Zeitung ein Horoskop geben? „Die Sterne lügen nicht!“ sagen auch heute noch Menschen. Das mag zwar stimmen; aber bestimmt lügen die Menschen, die aus den Sternen das Schicksal anderer Menschen und ihr eigenes ablesen wollen.

Gewiß haben die Weisen aus dem Morgenland auch die Sterne beobachtet. Aber die Sterne haben sie ja nur hingewiesen auf Jesus Christus, der als Kind in einer Krippe geboren wurde. Und die Männer, die bisher den Gang der Geschichte aus den Sternen ablesen wollten, die erkannten auf einmal: „In Jesus wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig!“

Jesus ist der alleinige Gott. Es gibt nur e i n e n Gott: der Gott in der Krippe! Er ist nicht nur das Haupt seiner Kirche, wie sonst immer gesagt wird, sondern auch das Haupt der himmlischen Mächte. Dadurch wird die Welt entgöttert. Ein Christ darf nicht mehr Schöpfer und Geschöpf miteinander verwechseln und dem Geschöpf göttliche Ehren erweisen. Die Gestirne oder sonstige Naturkräfte sind keine Götter.

Nun wollten ja die Kolosser Christus nicht ganz abschaffen. Aber sie meinten, sie müßten ihn noch durch etwas anderes ergänzen. Die Wirklichkeit Gottes sei nicht völlig in Jesus eingegangen und man müßte noch anderweitig etwas suchen, ehe man die ganze Fülle der Gottheit vorhanden hat.

Aber der Kolosserbrief hält mit Recht fest, daß dann der ganze Glaube unsicher wird und man sehr leicht sich wieder auf seine guten Werke verlassen will. Dann erkennt man zwar an: In Christus ist zwar der Friede mit Gott geschlossen, aber in der Tiefe des Herzens Gottes lauert doch noch die alte Feindschaft. Jeden Augenblick kann sie wieder hervorbrechen, kann Gott seinen Freispruch wieder zurücknehmen. Doch wer Jesus Christus kennt, der kennt Gott ganz. Er braucht nicht zu befürchten, auf den Gott der Vergeltung und des Zorns zu stoßen, wenn er den Gott der Gnade und der Liebe gesucht hat.

So werden wir aufgefordert, immer nur auf Christus zu schauen. In ihm körnen wir so eingewurzelt sein wie ein Baum. Der hält sich selbst am Erdreich fest und wir auch selber vom Erdreich gehalten. Er kriegt von daher Nahrung und Leben, Saft und Kraft. Und so erhalten wir auch alles von diesem Jesus.

Mancher wird sagen: „Das ist doch zu einseitig! Es gibt doch noch andere mächtige und kräftige Wirklichkeiten, die man nicht einfach vernachlässigen und abblenden kann! Da wird man doch einseitig und geht an vielem Wichtigem in der Welt vorbei! Man kann doch nicht die ganze Welt vernachlässigen und nur seinem Glauben leben!“ Nun, wir sollen die Welt ja auch nicht verleugnen. Wir brauchen ja nur zu erkennen: In dieser Welt ist die ganze Fülle Gottes bis in den letzten Winkel da!

Nun ist zwar der Aberglaube zurückgegangen, Gestirnsgottheiten könnten über unser Leben bestimmen. Aber dafür gibt es andere Ansichten, die uns am ungeteilten Glauben an Gott hindern. Schon wenn einer vom „Schicksal“ spricht, traut er Gott nicht die ganze Fülle zu. Warum haben wir nur solche Scheu, den Namen „Gott“ in den Mund zu nehmen und reden lieber von einem „höheren Wesen“ oder von der „Vorsehung“ oder davon, daß da „noch etwas“ da sein müsse in der Welt? Auch wem jemand behauptet: „Es gibt keine Liebe Gottes!“ oder wenn er meint: „Ich bin an Gottes Gerechtigkeit irre geworden!“ dann traut er Gott nicht genügend zu.

Es ist auch erstaunlich, wie viele Menschen Angst haben. Manchmal mag das auch auf einer Krankheit beruhen. Aber man kann sich auch denken, daß das sehr mit dem Glauben zusam­menhängt. Nicht so, daß ein Mensch nicht an Gott glaubte, der Angst hat. Aber er hat doch wohl die leise Frage, ob da nicht außer Gott noch etwas ist, das auf uns Einfluß haben könnte und wo Gottes Macht eben doch nicht so ganz hinreicht und ausreicht.

Diese Angst findet sich bei Reichen und Armen, bei Alten und Jungen. Sie kann nicht durch Wissen und Belehrung überwunden werden, sondern allein durch den Glauben. Gott brauchen wir für unser Leben und sonst nichts weiter. Wenn wir Gott haben, dann haben wir auch die Welt Gottes; nur besteht diese dann nicht aus bedrohenden Mächten, sondern ist ein Geschenk Gottes. Wenn wir dafür reichlich danken können und auch für die Menschwerdung

Gottes in Jesus von Nazareth unseren Dank sagen können, dann werden wir mit Gottes Hilfe die Angst überwinden.

 

Kol 2, 3 (Christtag II, Variante 2):

In einer alten thüringischen Sage wird vor einem armen Schäfer erzählt, dem beim Hüten eine fremdartige Blume ins Auge fiel. Als er sie pflückte, öffnete sich plötzlich der Berg vor ihm und ein breiter Gang wurde sichtbar. Der Schäfer ging hinein und bekam eine nie geahnte Pracht zusehen: Gold, Silber und Edelsteine. Sofort begann er sich die Taschen zu füllen, die Blume hatte er zur Seite gelegt. Als er sich dem Ausgang zuwandte, hörte er eine Stimme: „Vergiß das Beste nicht!“ Er meinte: Du hast vielleicht zu viel Silber eingesteckt, Gold ist wertvoller. Er warf alle Silbersachen weg und steckte nur Gold ein. Doch wieder ertönte die Stimme: „Vergiß das Beste nicht!“ Da warf er das Gold fort und nahm nur Edelsteine mit. Doch als er an den Ausgang der Höhle kam, ertönte wieder ganz eindringlich die Stimme: „Vergiß das Beste nicht!“ Aber er sah nur auf seine vollen Taschen und meinte, damit könne er wohl beruhigt und zufrieden sein. Doch kaum war er draußen, da schloß sich der Berg mit großem Getöse. Im gleichen Augenblick aber fiel ihm ein: Du hast ja die Wunderblume im Berg vergessen! Das war das Beste gewesen! Aber nun blieb ihm der Berg, mit all seinen Schätzen verschlossen.

Machen wir es nicht auch oft so wie jener Schäfer mit den Schätzen, die in Jesus Christus verborgen sind? Uns wurde in der Taufe eine Wunderblume geschenkt, durch die wir Zugang gewinnen können zu Jesus. Viele benutzen diesen Schlüssel auch tatsächlich. Kinder etwa bringen alle ihre Wünsche vor Gott und meinen: Wenn es einen Gott gibt, dann wird er alle diese Wünsche auch erfüllen! Auf diese Weise beginnen sie sich die Tasche mit Schätzen zu füllen, die ihr Leben einmal in einem ganz tiefen Sinn reich machen könnten.

Aber es ist nicht genug, wenn wir uns in der Kinderzeit die Tasche gefüllt haben mit dem Wissen von Gott, das uns vermittelt wurde. Manche meinen ja: Nach der Konfirmandenprüfung wisse er genug, für sein ganzes Leben wisse er nun über den christlichen Glauben Bescheid.

Aber Glaube ist mehr als totes Sachwissen. Glauben heißt: eine vertrauensvolle und lebendige Beziehung zu Gott haben. Es bedeutet auch: Immer wieder zurückkehren zu den verborgenen Schätzen des Glaubens, zurückkehren zu Jesus Christus, der diese Schätze verwaltet. Wenn man sich nur e i n m a l bedient und dabei den Schlüssel verliert, dann hat man zwar auch etwas, aber man hat nicht a l l e Schätze, die man haben könnte. Und das ergibt dann jene ärmlichen Christen, die in ihrem Glauben nie über das Konfirmandenalter hinauswachsen bzw. auch das noch wieder vergessen, was sie gelernt haben. Wenn man sie fragt, können sie sich bestenfalls mühselig an das erinnern, was sie als Kinder gelernt haben, aber sie können es nicht mehr auf ihr jetziges Leben anwenden. Das Beste nicht vergessen, das ist die Aufgabe, die uns jeden Tag neu gestellt ist.

Manche meinen allerdings, sie könnten den Schatz ihres Lebens anderswo finden. Zur Zeit des Kolosserbriefes ging es um eine Erkenntnislehre, die aus der Weltanschauung der Gnosis in die Kirche eingedrungen war. Manche Christen meinten, einen Lichtfunken aus einer jenseitigen Welt in sich zu tragen, der ihnen ganz von selbst die ewige Seligkeit sichert.

Ihnen gegenüber wird gesagt: „In Christus (!) findet ihr alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis. Hier sind die Schätze, die jene zu haben meinen. Und diese sind für alle da, auch für euch, ihr braucht euch nur an der richtigen Stelle zu bedienen!!“

Heutzutage halten auch manche das für wertvoller, was ihren von anderer Seite geboten wird.

Aber dabei soll man die Ellenbogen einsetzen oder die anderen bespitzeln oder zur Eile antreiben. Da werden dann auch Schätze geboten, solche vor allem, die sich auch in heutige klingende Münze umsetzen lassen. Aber geht es dabei wirklich um einen Schatz, der einem im Leben weiterhilft?

Jesus Christus hilft uns zum Erkennen unseres Lebenssinns. Wir sehen unsre Aufgaben und Möglichkeiten, wenn wir auf ihn sehen. Uns wird deutlich, daß wir allen Grund zur Hoffnung haben, Jesus hilft uns dazu, Gewohntes neu zu sehen, Schwieriges zu bewältigen und Unerträgliches zu ändern. Wir sehen auf einmal, was wir tun können und was wir tun müssen. Alle Freiheit zum Handeln bleibt uns aber.

Wichtig ist dabei aber auch, daß wir uns wirklich an Christus halten und nicht an Randerscheinungen des Glaubens. Viele halten sich ja für besonders christlich, wenn sie sagen: „Am Sonntag gehe ich in den Wald oder in den Garten. Da ist es so schön. Das erinnert mich an Gott, da brauche ich keinen Gottesdienst!“ Andere Leute wieder hören gern gute Musik, ein Orgelstück oder eine gute Platte. Manche Musik hat zwar auch etwas mit dem Glauben zu tun, ist aber nur eine Auswirkung des Glaubens und nicht dieser selber. Das ist, wie man wenn man sich das Bild eines Schatzes ansieht und auf der Schatz selber verzichtet.

In Jesus Christus ist alles zusammengefaßt, was wir von Gott wissen können. Und wer sich für den Glauben an diesen Gott entschieden hat, der wird auch seine Erfahrungen mit ihm machen. Er setzt sich Ziele und hat Maßstäbe gewonnen, nach denen er leben kann. Die Schätze des Glaubens werden ihm zum Lebensmittel und zur Grundlage des Glaubens.

Den Glauben praktizieren heißt: für neue Erfahrungen und neue Entdeckungen offen zu sein. Es bedeutet: sich anreden zu lassen und mit Wort und Tat zu antworten. Es schließt aber auch ein: dazuzulernen und sich korrigieren zu lassen. Es genügt nicht, von einem Schatz zu hören oder ihn zu kennen. Man muß auch damit umgehen und dranbleiben. Eigeninitiative, Neugier und Energie gehören mit zur Schatzsuche. Und wenn man ihn gefunden hat, dann genügt es nicht, ihn im Panzerschrank zu sichern. Wenn man etwas davon haben will, muß man ihn auch anwenden und unter die Leute bringen.

Einen Schatz haben bedeutet aber nicht nur, daß man Gold, Silber und Edelsteine hat. Wenn ein junger Mann einen Schatz hat, dann denkt man dabei an seine Freundin. Auch ein Mensch kann ein großer Schatz sein und alles im Leben bedeuten. So ist auch Jesus mehr als alle Kostbarkeiten der Welt, nicht eine Sache, sondern eine lebendige Person. So heißt es ja auch in der Bergpredigt: „Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz!“ Oder man könnte es auch umgedreht sagen: „An wen oder woran ihr euer Herz hängt, das ist euer Schatz!“

Seit Weihnachten sind wir in der glücklichen Lage, nicht wie ein Schatzgräber einfach auf Verdacht hin zu graben. Wir haben einen sicheren Anhaltspunkt in Jesus Christus. Dort können wir ansetzen und werden diesen Schatz immer mehr ausgraben und nutzen können. Dadurch werden wir zum Teilhaber an einem Schatz, der sich nicht verbraucht, sondern der sich gerade durch unser Tun erneuert. Dieser Schatz will aber beansprucht werden, sonst ist er sinnlos.

Im kommenden Jahr werden wir wieder Gelegenheit haben, etwas vor diesem Schatz zu heben. Wir brauchen keine Angst zu haben, daß er dabei ausgehen und verbraucht werden könnte. „In Christus sind verborgen alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis!“ Eigentlich könnte man in diesem Satz jedes Wort betonen und über jedes Wort wieder neu nachdenken (eventuell. durchexerzieren). Dann körnten wir vielleicht mit Paulus (Röm 11) eines Tages auch ausrufen: „O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes!!

 

 

Kol 3, 12 - 17 (Kantate, Variante 1):

„Wo man singt, da laß dich ruhig nieder - böse Menschen haben keine Lieder!“ So sagt das Sprichwort. Auch eine christliche Gemeinde müßte man eigentlich daran erkennen, daß sie oft und gerne Lieder singt. Jeder Sonntag ist ja eigentlich ein Festtag für Christen, und jeder Gottesdienst ist ein Fest: Man zieht ein Festgewand an, man trifft sich zu einem netten Zusammensein und ist in einer innerlich gelösten Stimmung über den Alltag erhoben. Und zu dem Fest gehört dann auch der Gesang.

Die Lieder sind doch nicht nur eine Umrahmung der Predigt, sondern sie sind gelebter Glaube. Die Predigt kann uns unverständlich sein und kalt lassen. Das gesprochene Wort erreicht oft nur unseren Kopf. Aber bei den Liedern tut sich das Herz auf und wir sind selber mit beteiligt.

In unserem Gesangbuch steht ja eine Fülle herrlicher Lieder, gerade die Gesänge der Osterzeit gehören doch dazu. Mancher hat sich in besonderen Situationen noch rechtzeitig an ein Lied erinnert, das er einmal gelernt hat. Kranke und Sterbende zehren in ihren schweren Stunden von ihrem Vorrat an Liedern. Oft werden dadurch Erinnerungen geweckt, wird ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit vermittelt.

Deshalb kann man das Singen auch nicht befehlen, wenn man Enttäuschung und Müdigkeit, Versagen und Unglück erfährt. Man hat gefragt: „Kann man nach Auschwitz noch singen?“ Singt vielleicht der moderne Mensch so wenig, weil in seinem Leben vieles nicht in Ordnung ist? Doch wir sollten auch sehen, daß manche Liederdichter uns gerade in den schweren Abschnitten ihres Lebens die wertvollsten Lieder geschenkt haben.

Aber manchmal stöhnen wir auch über die unverständlichen Worte. Oder die Melodien sind so schwer. Wir wollen doch von ganzem Herzen mitsingen können! Deshalb sind in den letzen Jahren (oder schon Jahrzehnten) neue Kirchenlieder entstanden, deren Melodien sich ähnlich wie Schlager anhören. Die Kirchenmusiker stehen ihnen teilweise noch kritisch gegenüber. Aber die Gemeinden singen sie gerne, und nicht nur die Jugendlichen in ihnen. Warum sollte man sie auch nicht singen, wenn sie in unserem Mund zu einem Bekenntnis des Glaubens werden?! „Singet Gott dankbar in euren Herzen!“ heißt es in dem Predigttext für den heutigen Singe-Sonntag. Die Hauptsache ist doch: Die Lieder machen Spaß und sie bringen Lob und Dank gegenüber Gott zum Ausdruck.

Muß es denn immer so ernst und steif in unsren Gottesdiensten zugehen? Muß man denn immer stumm auf seinem Platz sitzen, starr nach vorne schauen und mit würdiger Haltung wieder davongehen? Bei einem Fest wird gesungen und gelacht und es ist ein großes Erlebnis für alle Beteiligten. Unsere Gottesdienste können ruhig etwas mehr atmen von der Stimmung bei den Festen, die wir sonst feiern. Hier könnte sich unser Christsein spiegeln und anderen deutlich machen, was wir von unserem Glauben an Gott haben. „An ihren Liedern könnt ihr sie erkennen!“ müßte es von den Christen heißen. Nicht durch ihre Altmodischkeit sollten unsere Lieder auffallen, sondern durch ihren Inhalt und durch die Freude, mit der sie gesungen werden. Aber die Lieder allein tun es noch nicht. Der Kolosserbrief zählt noch andere Dinge auf, an denen man einen Christen erkennen kann.

 

I. Als erstes heißt es: „Ziehet an herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld!“ Wir sagen vielleicht: „Das ist doch etwas zu viel verlangt. Unser Leben ist so voller Konflikte und Schwierigkeiten, da kann man sich manchmal nur mit den Ellbogen durchsetzen. Heutzutage muß man eben alle Tricks und Schliche kennen!“

So sieht unser Leben aus: Es ist wie ein schmutziges und zerlumptes Kleid, das schleunigst ausgewechselt werden müßte. Schmutzige Kleider stoßen andere Menschen ab. Sie sind wie ein Panzer, der uns von den Mitmenschen und von Gott trennt. Wenn eine Raupe sich verpuppt hat, dann wird ihr eines Tages ihr Gewand zu eng: sie streift es ab und ein schöner Schmetterling kommt daraus hervor. So müssen wir auch unsre Unbarmherzigkeit und unsren Zorn abstreifen, weil sie nicht mehr modern sind.

Vielleicht kommt dann darunter schon ganz von selbst das neue Kleid zum Vorschein. Vielleicht müssen wir aber auch erst ein neues Kleid anziehen, um freundlich und hilfsbereit, geduldig und zuvorkommend zu werden. Ein neues Kleid verändert oft auch unser ganzes Lebensgefühl. Doch dieses Kleid können wir uns nicht selber schneidern oder im Laden kaufen: Gott schenkt es uns, und wir brauchen es nur anzuziehen.

Unser Christsein darf nicht in der Garderobe abgegeben oder im Spind versteckt werden. Sanftmut und Geduld sind eine Arbeitskleidung, die durchaus harten Belastungsproben ausgesetzt werden kann. Vielleicht ist alles in der Tat nicht schwerer als das Wechseln eines Kleides, wenn nur das neue Kleid schon da ist. Christus ist dabei unser Vorbild. Er hat Frieden gestiftet zwischen Gott und uns.

Wenn wir bedenken, „was Gott an uns gewendet hat“ (Wochenlied), dann gilt es Folgerungen zu ziehen. Wer immer nur den Flecken auf dem Anzug des anderen sieht, wird davon selber noch nicht besser. Dem anderen kann vielleicht schon mit Fleckenwasser geholfen werden. Aber der eigene Anzug gehört vielleicht gleich in die chemische Reinigung.

 

II. Wie können wir es aber schaffen, daß unser Leben wieder sauber wird? Als zweites werden die Mittel aufgezählt, durch die wir anders werden können, nämlich Liebe und Friede. Die Liebe ist wie ein Gürtel, der die verschiedenen Kleidungsstücke zusammenrafft und dadurch erst zu einem Kleid zusammenfügt. Es geht also nicht darum, verschiedene einzelne Tugenden zu üben, sondern die Liebe Christi insgesamt anzuziehen.

Doch wir tun uns alle schwer damit. „Mit den Engeln im Himmel kann man sich leicht vertragen; mit dem wirklichen Nebenmann ist es schwerer!“ Es gibt auch unter uns Christen Reibungen und Schwierigkeiten, sogar unter den Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern.

Die Gründe sind meist die gleichen: Wir wollen, der andere solle zuerst nachgeben. Wir stellen Bedingungen, die er nicht erfüllen kann. Wir betonen unseren guten Willen und verlangen vom anderen Beweise seiner Ehrlichkeit. Im Grunde aber will unser eigenes Ich der Schiedsrichter sein.

Gott aber will, daß der Friede Christi der Schiedsrichter ist und die Probleme zwischen den Menschen entscheidet. Wieviel änderte sich doch in der Welt, wenn nur e i n Mensch sich diesen Frieden Christi schenken läßt! Das strahlt doch aus und weckt Kräfte, die wir nicht geahnt hätten. Vor allem in der Kirche muß Frieden herrschen. Wir als Christen müssen zeigen, daß Frieden in der Welt möglich ist - dann wird auch Friede sein.

 

III. Drittens heißt es deshalb: „Laßt das Wort Christi reichlich wohnen in euch!“ Aber das ist leichter gesagt als getan. Kinder nehmen es noch bitter ernst, wenn sie beten: „Ich bin klein, mein Herz mach rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein!“ Aber bei uns ist er nur gelegentlich zu Gast und spielt nur eine Gastrolle.

Wir schieben ihn dann ist Gästezimmer ab, in dem man alles Unbrauchbare abstellt, wo man aber selber nicht wohnt. Wenn wir Jesus nicht in unser Wohnzimmer oder gar in unsre Küche führen können, wird er nie eine Rolle spielen in unserem wirklichen Leben. Doch wir sagen: „Ich habe zu wenig Platz!“ Oder: „Es ist alles unaufgeräumt“ oder „Es sind Bekannte da, die wir Jesus lieber nicht zeigen möchten!“ Doch nur wenn er tatsächlich immer bei uns wohnt, kann er uns von innen heraus erneuern

Auf drei Wegen will er bei uns einziehen und sich heimisch machen:

1. Erstens durch die Lehre, wie sie uns in Predigt und Unterricht, bei Gemeindeveranstaltungen und Amtshandlungen erreicht und wie sie hoffentlich auch von Eltern und Paten an die Kinder weitergegeben wird.

2. Zweitens kommt er zu uns durch das gegenseitige Ermahnen. Weil im Leib Christi jeder für jeden verantwortlich ist, sollte man nicht nur bei einem vorliegenden Notstand miteinander reden, sondern sich ständig umeinander kümmern.

3. Drittens aber kommt das Wort Gottes auch zu uns durch das Singen. Wenn viel geglaubt wird, dann wird auch viel gesungen. Eine Gemeinde ohne Lieder oder mit einem lahmen Gesang ist krank, da wohnt Christus nicht wirklich.

Deshalb werden wir am Sonntag Kantate zum fröhlichen Singen aufgefordert. Entscheidend ist dabei nur, ob bei diesem Singen das Wort Christi zum Ausdruck kommt und unser Dank an Gott deutlich wird.

Für einen Kirchenchor zum Beispiel kann es nicht allein darum gehen, ein Kunstwerk zu bieten, sondern mitzuhelfen bei der Verkündigung des Wortes Gottes. Wer in diesem Sinne das Lob Gottes besingt, der wird davon auch innerlich geprägt werden.

In einem zweiten Schritt wird das dann auch in unsren Alltag hineinwirken: Dann werden auch die zwischenmenschlichen Beziehungen geregelt, dann kann man auch bei der Arbeit singen und braucht nicht vor sich hinzubrummeln. Die Worte ziehen die Werke nach sich. Sonntag und Alltag, Gottesdienst und Leben, Begegnung mit Gott und Begegnung mit den Mitmenschen gehören dann zusammen.

Schon Bonhoeffer hat gesagt: „Nur derjenige hat das Recht gregorianisch zu singen, der auch für die Juden zu schreien bereit ist!“ Auch heute darf nur der in der Kirche singen, der sowohl für die Ärmsten in der Welt eintritt als auch für die, die bei uns immer wieder zu kurz kommen. Wer alles in dem Namen des Herrn Jesus tut und Gott dankt, der wird dann schon ganz von selber merken, wie er sich verhalten soll.

 

Zusatz:

Zum Zusammenhalt der Gemeinde gehört unbedingt der Gottesdienst dazu. Es gibt ja auch die Möglichkeit, daß Gemeindeglieder den Gottesdienst übernehmen, unter fachlicher Anleitung des Pfarrers. Aber ausfallen darf ein Gottesdienst nicht. Das Wort Gottes muß reichlich angeboten werden, sonst fällt die Gemeinde auseinander.

Allerdings wird es heute nicht nur in Form des üblichen Gottesdienstes angeboten, sondern auch durch eine Reihe anderer Veranstaltungen im Laufe der Woche. Aber viele Leute gehen nicht so gern ins Gemeindehaus. In der Kirche ist alles anonymer und unverbindlicher, da kann man schnell einmal hingehen, ist aber auch schnell wieder weg. Das Gemeindehaus ist dagegen in den Augen vieler Leute mehr etwas für die ganz Frommen. Da muß man näher zusammenrücken und muß sich vielleicht auch selber beteiligen. Das scheuen aber eben manche Menschen: Wenn eine Sache für sie verbindlich zu werden droht, ziehen sie sich lieber zurück.

Die Gemeinde Gottes kann aber auch zusammengehalten werden kann, wenn sie den Satz aus dem Kolosserbrief beherzigt: „Lehret und vermahnet euch selbst in aller Weisheit!“ Wo gibt es das heute noch unter uns, daß wir uns gegenseitig auf den rechten Glauben und ein rechtes christliches Leben hinweisen? Meist finden wir das heute nur noch in kleinen Gruppen von Christen, in den Freikirchen und natürlich auch bei den Sekten. Da wird zum Teil noch auf strenge Zucht geachtet und durchaus auch dem anderen in seine Sache hineingeredet.

Sollen wir uns das auch wünschen, daß die Gemeinde in solche kleinen Gruppen zerteilt wird oder soweit schrumpft, daß nur noch eine kleine Gruppe übrigbleibt? Manche Christen wünschen sich ja geradezu diese Zeit herbei, in der die Volkskirche zerfallen sein wird. Eine „Religion ohne Entscheidung“ wird es dann nicht mehr geben, sondern nur noch bewußte Christen; die Gemeinden würden dann wieder so wie zur Zeit des Urchristentums.

Nun ist natürlich in einer kleinen Gruppe das brüderliche Gespräch leichter. Da kann man dann auch einmal ein Wort der Kritik wagen, wenn es mit Liebe gesagt ist. Aber man darf auch die sogenannte „Volkskirche“ nicht schlecht machen. Es hatte sicherlich auch sein Gutes, wenn die Kirchen voll waren und das öffentliche Leben stark vom Christentum geprägt war. Volkskirche bedeutete vor allem, daß die Türen offen waren für alle Menschen des Volkes. Eine kleine Gruppe schließt sich leicht in sich selber ab und ist sich dann selbst genug. Sie läßt keinen anderen mehr dazukommen und versteht sich als die alleinige Gruppe der Auserwählten.

Das Beste ist sicher der Mittelweg. Wir können auch in einer großen Gemeinde das Gespräch miteinander suchen, uns gegenseitig trösten und ermahnen, unter dem Wort Gottes zu­sam­men­­bleiben.

 

 

Kol 3, 12 - 16 (Kantate, Variante 2):

Es geht es ganz schön steif zu in unseren Gottesdiensten: Man setzt sich stumm auf seinen Platz, schaut starr nach vorne      und geht in würdiger Haltung wieder davon. Darf man in der Kirche nicht auch einmal lachen? Bei einer Trauung ist es einmal passiert: Die beiden Mädchen, die Blumen gestreut haben, sitzen auf den Stufen zum Altarraum. Plötzlich steht die eine auf, geht hin zum Pfarrer, hebt ihm den Talar hoch und guckt drunter. Wieder zu der anderen zurückgekehrt, sagt sie laut und vernehmlich: „Siehst du,         er hat doch Hosen drunter an!“ Für diese Mädchen gab es nur e i n e wichtige Frage bei dieser Trauung. Sie haben den würdevollen Gottesdienst gestört, aber es war für sie ein großes Erlebnis.          

Manchmal wünscht man sich direkt etwas unvorhergesehen im Gottesdienst, damit man einmal spürt: „Hier geht es nicht um eine tieftraurige Angelegenheit, die man in schwarzen Kleidern und mit tieftraurigen Gesichtern erlebt, sondern hier geschieht etwas, das mit unserem ganz gewöhnlichen Alltag zu tun hat.         

Doch das ist schon schwierig, wenn  wir die Lieder in unserem Gesangbuch sehen. Der heutige Sonntag heißt „Kantate - Singet!“ Ja, was sollen wir denn singen? Die Lieder, deren Text erst noch einmal durch eine Fußnote erklärt werden muß? Die Lieder, die plötzlich eine ganz andere Melodie haben als früher? Wir wollen doch von ganzem Herzen mitsingen können. Die Lieder sind doch nicht eine liturgische Umrahmung der Predigt, sondern im Grunde Gebete. Von der oft hochgeistigen Predigt werden wir vielleicht nicht angesprochen. Aber unser Glaube lebt in den         Liedern und Psalmen unsrer Kirche. In der Kriegsgefangenschaft             war mancher froh über die Lieder, die er im Konfirmandenunterricht gelernt hatte. Hier war etwas, an das man sich halten konnte und das Trost gab. Auch heute steht in unserm Gesangbuch eine Fülle herrlicher Lieder, gerade die Osterlieder gehören dazu.  

Es wurden auch wieder Kirchenlieder moderner Art gedichtet. Mancher meint dann aber, wenn er einen Fernsehgottesdienst gesehen hat: „Nur die Musik war so komisch. Ichglaube, es war sogar Jazzmusik!“ Jazz in der Kirche, moderne Schlagermelodien!  Warum denn nicht, wenn sie das Herz anrühren und in unserem Mund zu einem Bekenntnis unseres Glaubens werden? „Singet dem Herrn in euren Herzen!“ ruft uns der Predigttext für den heutigen Singe-Sonntag zu. Wie sich der im Gottesdienst gesungene und ausgesprochene Glaube im Leben zeigt, wollen uns noch überlegen:

 

(1.) Unser Christsein reicht in den Alltag hinein:

All die Lieder helfen uns nicht, wenn sie nicht auch Lieder für unseren Alltag sind. In einem Aufbaulager war ein Graben für die Abwasserleitung eines Jugendheimes auszuheben. Auf einmal bei dir Arbeit summte einer die Melodie des Liedes „Wir wollen alle fröhlich sein“, das bei der Morgenandacht gesungen worden war. Warum denn nicht? Die Kirchenlieder gehören in unseren Alltag, nicht nur in festliche Stunden. Sie gehören in die Familie und an den Arbeitsplatz. Wie arm sind doch die Familien, in denen nicht einmal am Heiligabend noch gesungen wird! Wie schwer muß doch die Arbeit sein, bei der man nicht mehr singen kann, sondern nur so vor sich hinbrummelt.

Heute werden wir jedoch aufgefordert: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut alles in dem Namen des Herrn Jesus und danket Gott, dem Vater, durch ihn!“ Auch unsere Arbeit geschieht im Namen des Herrn Jesus. Wir sind nicht nur hier im Gottesdienst beieinan­der als Gemeinde, sondern auch draußen in den Fabriken und Büros.

Wer hier in der Kirche mit dem anderen auf einer Bank zusammensitzt, der muß ihm auch draußen beihalten. Gottesdienst und Alltagsleben gehören zusammen. Wenn nur einige ernst machen mit dem, was sie hier hören, wird das schon ein großer Gewinn für unseren Ort sein.

Für all unser Tun aber, in Gottesdienst und Alltag, gibt es nur einen Maßstab: „Können wir Gott dafür danken?“ Wenn unsre Lieder Danklieder sind, wenn unsre Arbeit, unsere Hilfe, unsere Worte ein Dank an Gott sind, liegen wir richtig. Also immer erst überlegen: „Könntest du für dieses Wort, für diese Tat, nachher auch Gott danken?“ Wie werden wir denn zu solchen Menschen, die in jedem Augenblick an Gott denken?

 

(2.) Unser Christsein steht unter dem Wort Gottes: Doch das ist leichter gesagt als getan. In einem Kindergebet heißt es: „Ich bin klein, mein Herz sei rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein!“ Kinder nehmen so etwas noch erfreulich ernst. Aber in unseren Herzen wohnt manches andere, nur nicht Jesus. Oder wir haben nur einen Abstellraum für ihn. Im Religionsunterricht sagte einmal ein Junge: „Bei uns hätte das Jesuskind nicht in einem Stall geboren werden müssen. Wir haben noch viel Platz auf dem Dachboden“ Da springt einer auf: „Auf dem Dachboden ist auch nicht besser als Stall! Ich hätte ihm mein eigenes Bett gegeben!“

Es gibt aber auch das andere: Jesus wird wie ein hoher Besuch in die „gute Stube“ geführt. Dort ist er dann unser Gast. Aber wir selber leben gar nicht in dieser Stube, sie ist nur für ganz besondere Anlässe da. Wenn wir Jesus nicht auch in unsere Küche führen können, wird er immer nur eine Gastrolle bei besonderen Gelegenheiten spielen. Aber er wird nie eine Rolle spielen in unserem wirklichen Leben.

Vielleicht können wir Jesus aber nicht in die Küche führen, weil es dort in unserem Alltagsleben so unaufgeräumt und so schmutzig ist und allerhand gute Bekannte sich dort aufhalten, die wir Jesus lieber nicht zeigen möchten. Wir sagen: „Komm Herr Jesus, sei du unser Gast!“ Hätte er aber wirklich heute Abend mit am Abendbrottisch sein können? Wie kann es uns gelingen, wieder Ordnung in unser Leben zu bringen, so daß Christus sich daran freuen kann?

 

(3.) Unser Christsein zeigt sich im Anziehen der neuen Kleider: Wir haben zu viele schmutzige und zerlumpte Kleider an. Jesus will, daß wir sie schleunigst ausziehen. Runter mit der

Erbarmungslosigkeit und herzliches Erbarmen angezogen! Vertauscht Unfreundlichkeit mit Freundlichkeit, Raffgier mit Bescheidenheit, Gewalttätigkeit mit Sanftmut und Ungeduld mit Langmut. Diese neuen Kleider gibt es allerdings nicht im Supermarkt zu kaufen. Aber Gott schenkt sie uns. Wir brauchen sie nicht selbst zu schneidern. Sie sind schon da und würden uns ganz gut stehen. „Kleider machen Leute“, sagt man. Vor allem, wenn wir Gottes Kleider anziehen.

Nur müssen wir sie auch anziehen. Wenn meine Tante wir ein Hemd schenkte, dann sagte meine Mutter häufig: „Das wird aber erst einmal in den Schrank gelegt und noch aufgehoben“ Doch die Tante sagte dann: „Er soll es ruhig anziehen, dafür ist es ja da, es ist doch ein Alltagshemd!“ So geht es aber vielen Christen: Wenn es in den Alltag geht, wird der Glaube an der Garderobe abgegeben oder im Spind versteckt. Sanftmut und Geduld sind aber Arbeitskleidung, die durchaus auch den Stürmen der Welt ausgesetzt werden kann.

 

(4.) Unser Christsein ist uns schon von Christus gegeben: Erst einmal ist uns etwas gegeben worden. Wir werden angesprochen als die Verwalter Gottes, wir sind Heilige und Geliebte.

Christus hat u n s vergeben, und deshalb sollen wir auch den anderen vergeben. Christus verträgt sich mit uns, auch wenn wir ihn andauernd quälen, weil wir unsere Macht gegenüber unseren Mitmenschen ausspielen. Er vergibt uns, auch wenn wir immer die besten Brocken für uns haben wollen. Wir dürfen nie vergessen, „was Gott an uns gewendet hat“, wie es im Wochenlied heißt.

Weil wir aber alle auf der gleichen Stufe stehen, sollten wir alle gegenseitigen Vorwürfe aufgeben? Wenn wir nur den Flecken auf dem Anzug des anderen sehen, wird es mit u n s nicht besser. Dem anderen ist vielleicht schon mit Fleckenwasser geholfen. Aber unser eigener Anzug gehört am besten gleich in die chemische Reinigung. Mit Fleckenwasser ist da schon nichts mehr zu machen. - Ja, welches ist denn nun das Mittel, das eine solche Reinigungskraft hat? Gleich zwei Mittel werden hier aufgezählt.

 

(5.) Unser Christsein wird gekrönt durch Liebe und Friede: Doch schon in der christlichen Gemeinde tut man sich schwer damit. „Mit den Engeln im Himmel kann man sich leicht vertragen. Mit dem wirklichen Nebenmann ist es schwerer!" Es gibt auch unser uns Christen Reibungen und Schwierigkeiten, sogar unter den Pfarrern und kirchlichen Mitarbeitern. Häufig liegt das nur daran, daß wir unbedingt wollen, der andere solle sich z u e r s t entschuldigen. Wir stellen Bedingungen, die der andere nicht erfüllen kenn. Wir verlangen erst Beweise der Ehrlichkeit von anderen und betonen unseren guten Willen. Aber im Grunde will unser

eigenes Ich Schiedsrichter sein. Dabei hat Gott doch zuerst Frieden mit uns geschlossen. Deshalb soll nun der Friede Christi auch unter uns herrschen. Wenn nur e i n Mensch sich diesen Frieden schenken läßt und ihn an seine Welt weiter gibt dann strahlt etwas aus und weckt Kräfte, die wir nie geahnt hätten.

Vor allem in der Kirche mag Frieden herrschen. Es nutzt uns doch nichts, wenn wir nach außen ein schönes Gewand tragen, aber innendrin steckt ein schlechter Kerl. Es nutzt uns nichts, wenn unser Herz dem Mund, den Händen, den Füßen schlechte Dinge befiehlt und alles durcheinander kommt. Wir sind alle e i n Leib, in dem alle aufeinander angewiesen sind und übereinstimmen müssen, sonst stolpern wir und fallen in den Dreck und die anderen lachen schadenfroh, weil unsre vorbildliche Fassade beschmutzt ist.

Wir haben gehört: Unser Christsein reicht in den Alltag hinein, wenn es unter dem Wort Gottes steht. Es zeigt sich im Anziehen der neuen Kleider, die uns schon von Christus gegeben sind. Und der schönste Schmuck des Christen sind Liebe und Friede. Aber das kann man nicht mit Gewalt erlangen oder mit griesgrämigem Gesicht, sondern das geht gleichsam nur spielerisch.

Vielleicht sollten wir noch viel mehr miteinander singen und Feste feiern in unserer Gemeinde. „Wo man singt, da laß dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder!“ Wenn einer singt, dann kann er damit nur Gott loben. Lob- und Danklieder gehören in unsere Herzen, nicht Haßgesänge und Parolen. Wer G o t t lobt und ihm dankt, der wird ganz von selbst merken, wie er sich in seinem Leben verhalten soll.

 

 

Kol 3, 16: „Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch!“

Die meisten von uns werden das eine oder. andere markante Worte im Gedächtnis haben, das ihm einmal in einer besonderen Situation gesagt worden ist. Es kann sich dabei um ein Wort der Eltern oder Großeltern handeln. Aber wir denken auch an Worte bei besonderen Lebensabschnitten wie Schulabschluß oder Eheschließung. Und nicht zuletzt denken wir an Worte der Bibel wie sie uns etwa bei der Konfirmation oder Trauung mitgegeben wurden. Das ist ja der Sinn dieser Bibelworte: Sie sollen einen begleiten, sollen einem wieder einfallen, wenn man mal nach einem Halt sucht, sie sollen trösten und aufrichten. Viele kennen auch tatsächlich ihren Konfirmations- oder Trauspruch.

Wir haben jetzt allerdings nur an helfende Worte gedacht. Aber es gibt natürlich auch giftige Worte, die wir schlucken mußten und die uns nicht aus dem Gedächtnis gehen. Und schließlich gibt es auch Worte, die nicht gesagt wurden, obwohl sie hätten gesagt werden müssen: Wir hätten auf ein klärendes oder vergebendes Wort gehofft, aber es ist nicht gesagt worden.

Das Wort Gottes aber wird uns auf alle Fälle gesagt.

Schon die erste Schöpfungserzählung erwähnt immer wieder: „Gott sprach!“ Durch das Wort hat er alles geschaffen. Dann hat er zu Abraham gesagt: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein!“ Danach hat er durch den Mund der Propheten gesprochen. Immer war „das Wort“ dabei, nichteins von vielen Wörtern, kein Geschwätz, das uns bald über ist, sondern das Wort, das Leben schafft und Kraft hat, weil es von Gott ausgeht.

Am deutlichsten aber hat Gott zu den Menschen gesprochen in Jesus. Er ist das lebendig gewordene Wort Gottes, Gottes Anrede an uns. Wenn wir Menschen uns verständigen wollen, dann sind wir auf Worte angewiesen. Weil Gott in Jesus zum Wort geworden ist - sozusagen einen Mund erhalten hat - können wir ihn nun mit unseren Sinnen aufnehmen und hoffentlich auch verstehen.

Von diesem Jesus sagt der Kolosserbrief im Kapitel 3: „Christus ist den von Gott verordneten Weg folgerichtig zu Ende gegangen. Deshalb hat Gott ihn von den Toten auferweckt. Nun braucht ihr euch in eurer Gemeinde nur ihm anzuvertrauen, denn er hat euch erlöst. Dann werdet ihr euch selbst überwinden und wieder zu euch selbst finden. Ihr werdet wieder so sein, wie ihr eigentlich als Ebenbild Gottes geschaffen worden seid. Ihr werdet wieder neue Menschen sein, wie ihr eigentlich unmittelbar nach der Schöpfung gewesen seid.

Der Gipfel dieser Ausführungen ist dann dieser Satz: Das Wort Christi wohne mit seinem ganzen Reichtum bei euch!“ Damit ist gemeint: „Die Kraft zu einem neuen Leben findet ihr in der Gemeinde und in den Gottesdiensten, in denen das Wort Christi verkündet wird. Ihr braucht es nur bei euch wohnen lassen, dann wird es euch schon neu machen und den Weg durchs Leben zeigen und euch recht leiten.

Betont wird gesagt: „Dieses Wort bietet den ganzen Reichtum, es ist vollständig und braucht nicht ergänzt zu werden!“ Das ist damals so gesagt worden gegenüber einer weitverbreiteten Irrlehre, der auch die Kolosser zu erliegen drohten. Ihnen wird gesagt: „Der Glaube ist schon vollkommen, alle weiteren Zutaten sind unnütz. Das Wort Christi, wie es seine Jünger weitererzählt und aufgeschrieben haben, ist eindeutig und zuverlässig. Jesus hat keine Lügengeschichten erzählt, die wie eine Seifenblase zerplatzen, sondern seine Worte verändern etwas: zu seinen Worten gehören auch seine Taten“

An vielen Geschichten kann uns in der Bibel deutlich werden, wie Jesu Wort den Menschen Freude und Glück gebracht hat: Dem Zachäus hat er gesagt: „Ich muß heute bei dir einkehren, denn deinem Haus ist Heil widerfahren. Daraufhin hatte Zachäus die Kraft, sein Leben zu ändern. Sein Wort hat dem Blinden die Augen geöffnet und dem Lahmen wieder auf die Beine geholfen. In der Bergpredigt hat er aufgezählt, wie wir glücklich und reich werden können durch Gott.

Wo dieses Wort erst einmal eingewurzelt ist, da ist es zum Schatz geworden, den man nicht mehr hergeben will. So haben vor rund 300 Jahren die evangelischen Christen im Bistum Salzburg lieber ihre Heimat verlassen als daß sie zum katholischen Glauben übergetreten wären. Auf Befehl des Erzbischofs Leopold Anton von Firmian sollten sie 1731 alle Bibeln abgeben, also nicht mehr Gottes Wort unter sich wohnen lassen, sondern nur auf die Predigt der (katholischen) Kirche angewiesen sein. Da verließen nach und nach 22.000 Salzburger mitten im Winter ihre Heimat und fanden in Preußen eine neue Bleibe.

Daran sieht man, daß das Wort nicht nur eine theoretische Bezeichnung ist, sondern daß die Tat damit zusammenhängt. „Der Worte sind genug gewechselt, so laßt uns Taten sehen!“ Diesen Satz kann man mehr im Sinne eines Seufzers verstehen: „Alles Reden führt zu nichts, die Predigt geht zum einen Ohr rein und zum anderen raus. Worte bringen uns nicht weiter!“

Man kann es aber auch so verstehen: „Jetzt ist alles ausgesprochen. Man weiß, woran man ist, die Diskussion war hilfreich, das Gespräch klärend. Jetzt können wir endlich an die Verwirklichung dessen gehen, was wir erkannt haben. In diesem Sinne sollte das Wort Gottes unter uns wohnen, daß wir es nicht nur hören, sondern auch danach tun.

Die Worte der Menschen sind ja sowieso oft von Taten begleitet. Wir sprechen ja nicht nur mit Worten, sondern mit dem ganzen Körper, mit dem Gesicht, mit Händen und Füßen. Eine Mutter kann sich zum Beispiel ihrem kleinen Kind mitteilen, obwohl dieses noch gar nicht sprechen kann. Das Kind nimmt den Klang der Stimme wahr, den Gesichtsausdruck und die Bewegungen und reagiert darauf auch mit seinem ganzen Körper. So wird eine Beziehung zwischen Mutter und Kind aufgebaut, die noch vor dem gesprochenen Wort da ist und das ganze Leben über halt.

Auf vielfältige Weise sprechen wir mit dem ganzen Körper: Wir werden rot oder blaß, uns treten Tränen in die Augen, wir verschränken die Arme, weichem dem Blick des anderen aus oder runzeln die Stirn. Oft geschieht das ganz unbewußt. Aber es ist oft deutlicher als gesprochene Worte. An der Art, wie einer den anderen begrüßt, kann mag sehr viel über die Beziehung zueinander ablesen: ob der Chef hinter dem Schreibtisch bleibt, wenn er einen Angestellten empfängt oder ob er die Hand gibt oder vielleicht seiner Frau um den Hals fällt, die ihn besuchen kommt.

Allerdings ist die Körpersprache nicht immer eindeutig. Deshalb muß manchmal auch das gesprochene Wort dazu kommen. Es hilft zum Beispiel dem anderen nicht viel, wenn ich ein böses Gesicht mache und ihm nicht sage, was mich geärgert hat. Die Körpersprache gibt dann nur das Signal, das das Wort herausfordert.

So hat auch Gott nicht nur durch ein Buch gesprochen, sondern er hat seinen Sohn leibhaftig zu den Menschen geschickt. „Das Wort ward Fleisch!“ heißt es im Johannesevangelium. Doch verständlich wurde das alles erst, als Jesus von seiner Aufgabe gesprochen hat. Er hat auch vieles durch die Körpersprache ausgedrückt: Er hat dem Kranken die Hand aufgelegt, die Kinder gedrückt, dem Blinden einen Brei auf die Augen gelegt, dem Tauben die Finger in die Ohren gesteckt und die Händler aus dem Tempel hinausgepeitscht. Aber meist wurde die Handlung erst eindeutig, wenn er sie auch durch das Wort erklärt hatte.

Das verständliche Wort muß auch solche Zeichenhandlungen wie Taufe und Abendmahl begleiten, damit man sie nicht mit alltäglichen Handlungen verwechselt. Anfangs wurde ja noch getauft, indem der Täufling mit dem ganzen Körper untergetaucht wurde. Da erlebte er dann, wie sein ganzes bisheriges Leben versank und aus diesem Sterben ein neues Leben hervorging. Auch das Essen und Trinken beim Abendmahl kann man so verstehen, daß Gott jetzt durch Brot und Wein in uns wohnt.

Wir können gar nicht genug Verbindungsmöglichkeiten mit Gott haben. Er spricht zu uns durch Wort und Zeichen. Wenn wir ihn bei uns wohnen lassen mit all seinem Reichtum, dann

 

 

Kol 4, 2-6 (Rogate):

Wenn man einen Termin bei einem Facharzt haben will, dann muß man Geduld mitbringen. Man ruft um 9 Uhr an, um 10 Uhr – immer besetzt. Um 11 Uhr kommt man endlich durch. Doch es ertönt eine Computerstimme: „Wenn Sie Selbstzahler sind, dann drücken Sie die 1, wenn Sie gesetzlich versichert sind, dann drücken Sie die 2!“ Aber damit ist es immer noch nicht geschafft. Jetzt kommt die Ansage: „Zur Zeit sind alle unsere Mitarbeiter im Gespräch. Haben Sie etwas Geduld, wir werden Sie mit dem nächsten freien Mitarbeiter verbinden!“ Wenn es dann endlich geschafft ist, heißt es: „Wir haben einen Termin in einem halben Jahr!“ Der Patient schluckt und sagt ironisch: „Wenn ich da noch lebe!“ Darauf die routinemäßige Antwort: „Sonst sagen Sie vorher Bescheid!“

Bei Gott ist das nicht so. An ihn können wir uns rund um die Uhr im Gebet wenden. Er hat eine Dauersprechstunde eingerichtet. Er hat uns das Recht eingeräumt, uns an ihn zu wenden. Diese Möglichkeit, mit Gott die Dinge durchzusprechen, sollten wir uns von nichts und niemandem nehmen lassen.

Wichtig ist dabei, daß es sich auch wirklich um ein echtes Gespräch handelt. Es gibt ja heute Geräte, die tun nur so, als seien sie mit uns im Gespräch. Da kann man im Auto sagen: „Zeige mir den Weg nach Frankfurt!“ dann sucht das Navigationsgerät automatisch den Weg. Man muß nichts mehr eintippen. Wenn man fragt: „Wie wird das Wetter heute!“ dann kommt die Wettervorhersage. Und manchmal fragt die Frauenstimme auch von sich aus: „Wie geht es Ihnen heute?“ Doch das ist alles nur Technik, kein wirkliches Gespräch.

Es ist so wichtig, daß wir jemanden zum Gespräch haben. Bei irgendjemandem müssen wir doch die Last der Fragen und Nöte, aber auch die Freuden und guten Eindrücke loswerden 4können. Wer das nicht hat, der wird auf irgendeine Weise krank. Es ist schlimm, wenn Eheleute nicht mehr miteinander reden, oder Kinder mit den Eltern oder ganz allgemein die Alten mit den Jungen. Aber auch andere Hausbewohner, Nachbarn oder Vereinsmitglieder sind für uns Partner im Gespräch. Vor allem aber haben wir durch das Gebet die Möglichkeit, mit Gott im Gespräch zu sein.

Dabei geht es um dreierlei: Das Gebet für uns selbst, das Gebet für andere und das Gebet als Bekenntnis zu Gott.

 

1. Das Gebet für uns selbst:

Indem wir bitten bringen wir zum Ausdruck, daß wir aufs Empfangen angewiesen sind und tatsächlich auch etwas empfangen. Wir lassen die Gaben Gottes nicht einfach auf uns her­niederrasseln, sondern im Gebet machen wir deutlich, daß wir seine Güte erkannt haben und alles bewußt aus seinen Händen nehmen. Wir dürfen gewissermaßen etwas bei ihm abholen, so wie die Kinder ihr Weihnachtsgeschenk bei den Verwandten abholen. Das bedeutet, daß wir eine persönliche Beziehung zu Gott haben. Gott ist ja Person für uns geworden in Jesus Christus, wir können ihn uns wie eine Person vorstellen.

Aber Beten ist kein frommes Werk, mit dem wir das Unmögliche vollbringen wollen bei dem Gott, bei dem wir eigentlich verspielt haben. Doch Beten ist um Christi willen unser gutes Recht, denn Gott wartet ja nur darauf, daß wir zu ihm kommen und in das von ihm eröffnete Gespräch hineinziehen lassen.

Damit wir diese Gelegenheit nicht auslassen, werden wir im Kolosserbrief ermahnt, es zu einer regelmäßig geübten Gewohnheit werden zu lassen. Das Glockengeläut will uns an die Gebetszeiten erinnern. Man kann sich zur Unterstützung auch einen Zettel am Bett anheften, damit man das Abendgebet vor dem Einschlafen nicht vergißt. Das Gebet will nicht eine Sache weniger Augenblicke in einer frommen Stimmung sein, sondern es ist eine Sache der regelmäßigen Übung.

Es kann natürlich auch Zeiten geben, in denen es bei uns nicht so gehen will. Es gibt auch einmal Müdigkeit und Leere und Mangel an Vertrauen. Gott weiß das und kalkuliert die Mängel und Schwächen unsres Betens ein. Deshalb ermahnt er uns, das Beten zu einer ständigen Gewohnheit zu machen. Und er verspricht uns auch, unser Gestammel zu verstehen und anzunehmen.

Doch es gehört auch eine gewisse Wachsamkeit dazu. Wenn man vor der höchsten Stelle steht, dann muß man hellwach sein, sonst mißachtet man den Höheren und wird auch bei ihm nichts erreichen. Beter sollen sogar für die mit wachen, die noch immer träumen.

Die erste Frage beim Gebet ist nicht: „Hört er mich und erhört er mich?“ Vielmehr sollten wir fragen: „Höre ich auf Gott?“ Und das bedeutet: Wir müssen auf der Lauer liegen nach einem Hinweis, wie Gott uns heute einen Rat geben will, aber vielleicht uns auch in Frage stellen will. Dazu muß man sich aber Zeit nehmen und neben den Stoßseufzern auch einmal ein „Gott sei Dank“ sagen.

Hört er mich und erhört er mich?

Zur Wachheit kommt aber noch die Danksagung hinzu. Man kann nicht ein Geschenk annehmen, als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Bitte und Dank gehören zusammen, im Dank wenden wir das an Gott zurück, was wir von ihm erfahren haben. Auch das Danken will geübt sein: Wer träumt und döst, der kassiert Gottes Segnungen nur stumpfsinnig und gedankenlos ein. Wer aber die Augen aufmacht, wird immer mehr von den Wohltaten Gottes wahrnehmen. Nur wer Gott im Danken ehrt, wird richtig beten.

Uns begegnen so viele Dinge, die uns zur Freude gegeben sind, obwohl oder gerade weil sie so scheinbar selbstverständlich und recht alltäglich sind: Wir haben Essen und Trinken, Wohnung und Kleidung, wir haben Frieden. Wir können ungehindert als christliche Gemeinde zusammenkommen. Sogar im Krankenhaus oder im Seniorenheim oder im Gefängnis geht das. Das ist doch eine prima Sache, daß bei uns die christliche Verkündigung nicht behindert wird wie in anderen Staaten. Jeder Tag bringt etwas Erfreuliches, jede Stunde viel Gutes, wir müssen Gottes Spuren nur in unserem Alltag wahrnehmen.

 

2. Das Gebet für andere:

Durch das Gebet sind wir mit den Mitmenschen zusammengeschlossen, die auch etwas erbitten. Wenn wir Kontakt mit Gott haben, dann haben wir auch Kontakt mit den Mitmenschen. Wenn das Beten recht geschieht, dann stellen wir es sogleich in den Dienst des anderen. Wir können Gott im Gebet fragen, was zu tun ist - was er tun will und was wir tun müssen.

Die Fürbitte ist eine ganz große Möglichkeit der Kirche. Hier werden wir solidarisch mit den anderen und werden zu einem Mitarbeiter Gottes. Wir lösen uns dadurch von den eigenen Problemen und Schmerzen und machen uns bei Gott für andere stark.

Der Kolosserbrief tut ja so, als sei er von Paulus geschrieben und verbindet dabei das, was er sagen will, mit dem Leben des Paulus. Dieser sitzt im Gefängnis und müßte an sich sagen: „Betet für mich, daß ich bald wieder hier herauskomme!“ Aber stattdessen geht es ihm viel mehr um die anderen und es geht ihm um die Sache des Evangeliums. Er möchte, daß er seine Botschaft an die Mitgefangenen und sogar an die Gefängniswärter weiter sagen kann. Und sicher denkt er dabei auch an die Ausbreitung des Evangeliums in der weiten Welt, das ist ihm wichtiger als das eigene Schicksal.

Der Beter hält die Lage nicht für aussichtlos, weder die eigene noch die der ganzen Welt. Ein Beter gibt den Kampf nicht auf. Wir wissen nicht im Einzelnen, was Gott mit der Kirche und mit der Welt vorhat. Wir hoffen und wissen aber, daß sein gutes Wort nicht im Ausverkauf ist, sondern weiter im Angebot.

 

3. Gebet als Bekenntnis zu Gott:

Daß wir für die Menschen beten, wird sich unmittelbar auf das auswirken, was wir für sie tun und wie wir mit ihnen umgehen. Wir sind denen „draußen“ in höchstem Maße verpflichtet. Wenn wir uns im Gebet die Kraft geholt haben, dann können wir ihnen auch die gute Botschaft Gottes weitersagen. Dabei dürfen wir nicht den Eindruck erwecken, als wollten wir die Größten und Besten sein. Glaubwürdig sind wir auch, wenn wir unsere eigene Schwachheit eingestehen u n d dabei auf Gott als Helfer hinweisen.

Der Kolosserbrief sagt, unsere Rede soll mit Salz gewürzt sein. Wenn etwas gut gesalzen ist, dann schmeckt es dem anderen. „Lieblich“ soll unsre Rede sein also ohne Beschönigung, weder geschmacklos untertrieben noch gepfeffert übertrieben. Wenn alles mit dem Salz der Ehrlichkeit gewürzt ist, dann wird es noch am ehesten verstanden. Nichts darf unecht sein und nur eine Wirklichkeit vortäuschen, sondern es gilt, aus der Wirklichkeit Gottes zu leben.

 

Noch einmal zusammengefaßt: Wir haben das Recht auf das Gebet, weil wir es selber brauchen. Aber das Gebet dient auch dazu, Veränderungen herbeizuführen unter unseren Mitmenschen. Nur so können wir die Freundlichkeit Gottes ausstrahlen und uns zu ihm in der Welt bekennen

 

 

 

Thessalonicherbriefe

 

1. Thess 1, 2 – 10 (14. Sonntag nach Trinitatis):

Kaiser Karl der Große hat jahrzehntelang Krieg geführt gegen die Sachsen. Es war ein Krieg aus Machtstreben. Aber wurde auch verbunden mit der religiösen Frage, denn angeblich ging es auch um die Bekehrung des heidnischen Volkes. Schließlich hat der Anführer Widukind den Nacken gebeugt und sich taufen lassen und damit auch gleichzeitig dem Kaiser unterworfen. Das Volk folgte ihm, wie es damals üblich war: Mit dem Anführer trat auch das ganze Volk zum Christentum über. Aber es war eine Zwangsbekehrung. Umso erstaunlicher ist es, daß schon drei Jahrzehnte später unter den Sachsen der „Heliand“ geschrieben wurde, in dem die Jesusgeschichten in die Welt der Germanen übertragen wurden. Danach war Jesus ein starker Führer, der mit seinen Gefolgsmannen durchs Land zog und heldenhaft starb. So kann eine Gewalttat des Kaisers am Ende doch noch zu einer persönlichen Aneignung führen.

Wir können nur froh sein, daß unsere Vorfahren damals Christen geworden sind, sonst wären wir heute vielleicht Moslems. Das hätte auch kommen können, als die Araber von Spanien aus kamen und im Südfrankreich zugedrängt wurden, ebenso wie die Türken vor Wien. Es ist nicht selbstverständlich, daß es noch heute ein christlich geprägtes Abendland gibt.

Das Thema des heutigen Sonntags ist die Dankbarkeit. Und als evangelische Christen können wir außerdem dankbar sein, daß Martin Luther den Sinn der Bibel wieder freigelegt hat. Die Reformation ging damals allerdings meist so vor sich, daß der Landesherr zum neuen Glauben übertrat und das Volk - so wie schon bei den Sachsen – ihm folgte. Der dänische König Christian zum Beispiel hatte als Siebzehnjähriger Martin Luther auf dem Reichstag in Worms erlebt und war tief von ihm beeindruckt. Im Jahre 1534 schwenkte er dann mit seinem Volk zum Protestantismus über.

Diese kollektive „Bekehrung“ muß nicht unbedingt schlecht sein. Zumindest hindert sie den Einzelnen nicht, den Glauben tief innerlich für sich zu übernehmen. Aber heute ist das nicht mehr so. Da wird der Glaube von Kirche, Schule und hoffentlich auch den Eltern angeboten, aber entscheiden muß sich jeder Einzelne, so wie das sonst auch bei anderen Dingen in der Gesellschaft der Fall ist.

Auch zur Zeit des Paulus war es nicht einfach, Menschen für das Christentum zu gewinnen. Es waren immer nur Einzelne, aus denen sich dann kleine Gemeinden bildeten. In Philippi, Athen und Korinth hatte Paulus keinen besonders großen Erfolg. Aber von den Thessalonichern (dem heutigen Saloniki) hat Timotheus gute Nachrichten mitgebracht.

Paulus betet täglich für diese Gemeinde, denn die Ausbreitung des Evangeliums ist nicht ein Werk der Menschen, sondern Gottes eigene Sache. Danken bedeutet, zu erkennen und anzuerkennen, daß Gott es getan hat.

Dennoch kommt es auch auf die Boten an, so wie ein Regierungschef oder auch nur ein Firmenchef die Leute braucht, um seine Vorhaben umzusetzen. Paulus, Silas und Timotheus waren drei Missionare, die es nicht leicht hatten in der wildfremden Stadt. Sie wurden bekämpft, verleumdet und verdächtigt. Wie sollten sie da auf Erfolg hoffen? Aber auch unter günstigeren äußeren Umständen ist ein Missionserfolg ein Wunder. Niemand kann aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus glauben oder zu ihm kommen, sagt Luther in seinem Katechismus. Aber Gott kann es machen. In Thessalonich hat er Menschen dazu gebracht, sich von den alten Göttern abzuwenden.

Das war bestimmt nicht leicht, weil man ja alles aufgeben mußte, worauf man bisher vertraut hatte. Denken wir an die Übernahme des Christentums durch die Hessen: Da ging Bonifatius daran, die heilig Eiche bei Fritzlar fällen zu lassen. Die Leute sagten: „Wenn du das tust, wird dich Donars Blitzstrahl treffen!“ Aber die Eiche fiel und nichts geschah. Das war damals überzeugend. Heute ist das nicht mehr so leicht, wenn wir unsere Familienangehörigen oder Nachbarn oder Kollegen überzeugen wollen. Aber Gott kann es machen. Nur braucht er damals wie heute Boten dafür.

Wir haben keine zündenden Parolen und keine durchschlagenden Argumente. Aber Gott sei Dank: Er selber ist die treibende Kraft, wo die Boten nur ihren Dienst tun. Und in Thessalonich ist das Wunder geschehen: Sie haben das Wort der Missionare nicht als menschliches Wort aufgenommen, sondern als Gottes Wort, das es ja in Wahrheit ist. Sie haben gemerkt, daß in dem menschlichen Wort seiner Boten in Wahrheit Gott selber Kontakt aufnehmen will mit ihnen.

Auch daß in Thessalonich eine Gemeinde Fuß gefaßt hat, ist allein Gott zu verdanken. Die Gemeinde hat erfahren, daß sie jetzt in einer beglückenden Gemeinschaft mit Gott leben kann. Sie wird von den drei Dimensionen des christlichen Glaubens gehalten: Von oben durch den Glauben an Gott, zur Seite von der Liebe zu den anderen Menschen und nach vorn von der Hoffnung. Der Glaube ist das fröhliche Zutrauen zu dem Herrn, der für uns ist und bei dem alles gut aufgehoben ist, egal was vor Gott und den Menschen gegen uns spricht. Die Liebe ist die tätige Verbundenheit mit den Menschen, die Gott uns anvertraut hat und die wir so ernst nehmen sollen, wie Christus uns ernst genommen hat. Und die Hoffnung ist die Freude am Zukünftigen, das Christus für uns bereit hat, so daß wir mit Geduld in dem ausharren, was uns gerade belastet.

Paulus dankt Gott, daß in der Gemeinde Menschen sind, die sich nach ihm richten, nicht um seiner Person willen, sondern weil er dieses besondere Amt hat. Er hat nicht Ehre und Anerkennung gesucht bei den Leuten. Aber er ist froh darüber, daß die Gemeinde auf ihn hört.

Auch wir sollten nicht übersehen, was Gott heute an seiner Gemeinde tut. Es ist viel mehr vorhanden, als unser Kleinglaube meint. Vielleicht würden wir das alles mehr bemerken, wenn wir uns mehr im Danken übten. Gott hat sich nicht zurückgezogen. Es gilt zu entdecken, was er tut.

Was sich in Thessalonich ereignet hat, ist Tagesgespräch geworden an allen Orten in Maze­donien und Griechenland. Natürlich sind die Gemeinden vorerst nur klein. Aber sie werden wachsen. Und jede Gemeinde ist wichtig für die weltweite Kirche und für die ganze Welt. Diese wird aufhorchen, wenn eine christliche Gemeinde lebendig ist, wo Glaube, Liebe, Hoffnung gelebt werden. Wir haben eine frohe Botschaft zu vertreten, das wird man merken. Wenn wir uns heute schon für Weniges bedanken, dann werden wir morgen schon für mehr zu danken haben.

Unsre Kirche hat schon viel durchgestanden und immer wieder ihren Weg suchen müssen. Was die Obrigkeit verfügte, mußten die Einzelnen sich aneignen. Wer nicht mit dem Landesherrn mitging, mußte das Land verlassen wie die Salzburger, die Hugenotten und die Niederländer und Wallonen. Es gibt aber auch positive Beispiele für das Umschwenken zu einer anderen Glaubensrichtung. So kam es im19. Jahrhundert vielerorts zum Zusammenschluß von Lutheraner und Reformierten. Mit den Katholiken hat es noch nicht geklappt, aber da besteht doch ein gutes Verhältnis.

Es gibt sehr viel Grund zur Dankbarkeit. Das gilt auch im politisch-gesellschaftlichen Raum, für den wir ja als Christen da sein sollen. Hier könnten wir zum Beispiel dem allgemeinen Gejammere entgegentreten. Gewiß gibt es Einige, denen geht es im Vergleich zur großen Masse nicht so gut. Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer, und die Mittelschicht hat Angst, auch noch abzusinken. Aber insgesamt geht es uns doch so gut wie nie. Im Weltmaßstab stehen wir beim Wohlstand mit an der Spitze.

Auch wer nichts durch Arbeit verdienen kann, erhält staatliche Leistungen. Und wer in Rente geht, muß natürlich Abstriche im Vergleich zu seinem Einkommen hinnehmen, denn das Geld muß ja von denen aufgebracht werden, die noch arbeiten. Man kann damit keine großen Sprünge machen, aber eine Grundsicherung ist doch da, es muß keiner hungern.

Und wenn manche dann noch zur „Tafel“ gehen, dann wollen sie ihren Geldbeutel etwas entlasten, damit sie sich noch ein ganz klein wenig mehr leisten können, als was irgendwelche Experten als Bedarf für sie ausgerechnet haben.

Doch es ist gänzlich unverständlich, daß sich immer wieder Menschen finden, die sich als zu kurz gekommen fühlen und dann linke oder rechte Parteien wählen, die ihnen das Blaue vom Himmel versprechen. Vor allem die Menschen im Osten würden am liebsten so arbeiten wie zur Zeit des sogenannten Sozialismus, aber verdienen wie im Kapitalismus. Und weil das nicht geht, wollen sie „denen da oben“ oder „denen im Westen“ einmal einen Denkzettel geben.

Sie fühlen sich nicht ernstgenommen von den Politikern. In der DDR sei das besser gewesen, da habe man sehr sorgfältig auf die Menschen gehört – sogar beim Telefonieren. Aber das haben jene Unzufriedenen schon wieder vergessen. Und dann schieben sie die Schuld auf die Flüchtlinge, obwohl es doch bei ihnen vergleichsweise nur wenige gibt. Dabei können wir doch froh sein, daß das geeinte Deutschland eine starke Wirtschaftsmacht ist und es uns im Gegensatz zu vielen umliegenden Ländern wirtschaftlich gut geht. Wer viel hat, der kann auch viel geben.

Es wird ja gar nicht verlangt, daß wir mit den anderen teilen - wie es eigentlich unsere Christenpflicht wäre. Klar, man kann immer noch mehr gebrauchen. Aber wenn der Anstieg etwas weniger schnell erfolgt zugunsten wirklich armer Leute, dann können doch wir immer noch zufrieden und dankbar sein.

Aber dennoch ist bei vielen eine unerklärliche Angst da: Angst vor Veränderungen, vor dem Fremden, vor dem wirtschaftlichen Abstieg, vor Kontrollverlust und vor dem Terror. Hier hat die Kirche eine wichtige Aufgabe. Es nutzt deshalb nichts, wenn der Pfarrer über die Schlechtigkeit der Welt schimpft und meint seine Zuhörer seien aber davon ausgenommen. Es nutzt aber auch nichts, wenn er seine Zuhörer beschimpft, weil sie nur an Weihnachten einmal in die Kirche kommen. Man kann nicht mit der Strafe Gottes drohen, sondern muß Mut machen.

Dazu kann man schon Vernunftgründe heranziehen oder die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge erklären. Aber das Entscheidende ist das Vertrauen auf Gott. Er allein kann es machen.

Die Dankbarkeit war heute das Thema. Sie hilft gegen die Angst und gegen das Gejammere. Wir dürfen dankbar sein für das Evangelium, das uns gebracht wurde. Wir dürfen dankbar sein für unser ganzes Leben. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß das alles von Gott kommt.

 

 

1. Thess 4, 1 – 7 (20. Sonntag nach Trinitatis):

Als Jugendlichen einmal eine Frage gestellt wurde, die mit dem Glauben zusammenhängt, sagten diese: „Fragen Sie doch die Angelika und die Doris, die sind doch viel heiliger als wir!“ Besser könnte man eigentlich nicht beschreiben, was das Wort „heilig“ bedeutet: ein „Heiliger“ ist einer, der mit seinem ganzen Leben für seinen Glauben eintritt und durch nichts davon abzubringen ist. Anderswo würde man wahrscheinlich das Wort „fromm“ gebrauchen oder bei uns würde man sagen: „Der ist christlich“ bzw. „der ist kirchlich“. Aber dieses etwas ungewöhnliche Wort „heilig“ paßt eigentlich noch am besten.

Zumindest ist der Ausdruck gut biblisch. Er war die Bezeichnung für die Christen. Überall in den Briefen des Neuen Testaments werden die Gemeindeglieder als die „Heiligen“ angeredet. Damit ist klar, daß die römisch-katholische Kirche dieses Wort viel zu eng versteht. Sie sagt: „Es gibt Menschen, die haben mehr gute Werke als schlechte getan; das sind die ‚Heiligen‘, die eine Erlösung durch Christus gar nicht mehr nötig haben. Die Kirche legt fest, wer zu diesen Heiligen gehört, und dann darf jeder Gläubige diese Heiligen um Fürsprache bei Gott anrufen!“

Diese Auffassung ist sehr stark in das Bewußtsein der Menschen eingedrungen. Allerdings spricht man auch oft abfällig über einen Menschen, der ein „seltsamer Heiliger“ ist, also einer, der etwas weltfremd durch die Gegend läuft, nur seinen Glauben im Sinn hat und sich ganz anders verhält wie sonst ein normaler Mensch. Gewiß wird sich ein Christ manchmal von anderen Leuten unterscheiden müssen. Aber solch ein „seltsamer Heiliger“ möchten wir wohl doch nicht sein.

Aber das wird ja auch nicht von uns verlangt. Gehen wir doch einmal von der Grundbedeutung des Wortes aus. Schon im Alten Testament bezeichnete man die Tiere als „heilig“, die für das Opfer bestimmt waren. Sie wurden von der übrigen Herde getrennt gehalten und gehörten sozusagen schon Gott. Und so ist auch im Neuen Testament ein „Heiliger“ ein Mensch, der zu Gott gehört, nicht mehr und nicht weniger. Die Heiligen erhoben sich also nicht als einsame Gestalten aus der Masse der Christen, sondern wir alle sind Heilige, sofern wir uns zu Gott halten. Mit unserer moralischen Beschaffenheit, ob wir viel Gutes oder viel Böses getan haben, hängt das zunächst einmal nicht zusammen.

Dieser Meinung ist auch Paulus, wenn er an die Thessalonicher schreibt. Sie sind die Heiligen. Aber er fordert sie dennoch zur Liebe und zur Heiligung auf. Und im gleichen Atemzug bescheinigt er ihren auch, daß sie ihr Leben so führen, wie es Gott gefällt.

Die Heiligung geht also einmal von Gott aus: Er hat uns zu seinen, Kindern erwählt und wir gehören nun zu ihm. Er hat eine gute Schöpfung ins Leben gerufen und allen Menschen Liebe und Barmherzigkeit geschenkt. Die Liebe Gottes zu uns ist der Grund für unsere Liebe zu den Menschen und macht sie erst möglich. Der Weg geht von Gott zu den Menschen und nicht umgedreht.

Aber die Heiligung ist auch eine Aufgabe für uns alle. Sie ist uns zwar von Gott geschenkt; aber nun sollen wir sie auch in unserem Leben verwirklichen. Die Schar derer, die sich Gott verpflichtet weiß, soll nun auch beispielhaft den anderen vorleben, was Liebe meint. Wir haben die Aufgabe, den anderen nun die neue Lebensmöglichkeit vorzuleben, die Gott uns geschenkt hat.

Wenn uns auch die Heiligung schon geschenkt ist, so können wir darin doch immer noch mehr zunehmen. Heutzutage würden wir es vielleicht so ausdrücken: „Ein Christ kann sich immer noch qualifizieren in seinem Glauben und seinem Lebenswandel!“ Wer bei dem Erreichten stehenbleibt, gerät in Rückstand und wird von der Entwicklung überrollt. Zwischen Zunehmen und Abnehmen gibt es kein Mittleres: entweder man nimmt zu im Glauben und in der Heiligung oder man nimmt eben ab.

Wer aber Fortschritte machen möchte, der wird das in allen Bereichen praktizieren müssen. Die Kraft des Glaubens wird sich nur in der ganzen Vielfalt des Lebens erwiesen. Sie wird sich auswirken in Familie und Beruf, aber auch bei den gesellschaftlichen Aufgaben und überhaupt im Miteinander mit anderen Menschen.

Paulus greift aber hier nur das Eheleben und das Geschäftsleben heraus. Heiligung ist nicht nur eine innerliche Einstellung, sondern sie hat mit unserem Leib zu tun. Das zeigt sich auch besonders in den Beziehungen zwischen Mann und Frau. Allerdings wollen wir nun nicht wieder in den alten Fehler der Kirche verfallen, die Heiligung nur auf den sexuellen Bereich zu beziehen und als Sünde nur das zu bezeichnen, was mit dem sechsten Gebot zusammenhängt. Aber wir können auch nicht in das andere Extrem verfallen und eine völlige Freiheit befürworten. Paulus gibt uns hier sehr deutlich eine genaue Grenze an, über deren Verlauf keine Unsicherheit bestehen kann. Er sagt: „Jeder nur e i n e Frau, aber auch nicht zur Befriedigung irgendwelcher eigener Wünsche, sondern nur mit gegenseitiger Achtung und Liebe!“

Man kann aus manchen Gründen nach. einem Ehepartner suchen. Mancher Mann will nur eine Haushälterin haben, die ihn nichts kostet! Oder manches Mädchen will nur einen haben, der die Versorgung sicherstellt; Hauptsache es heiratet sie einer, ob sie ihn gern hat, ist eine andere Frage. Für manchen Mann in bedeutender Stellung mag es gesellschaftlich notwendig sein, verheiratet zu sein. Für manche Frau mag es eine Sache der Ehre sein, nicht zur alten Jungfer zu werden. Und so gibt es sicherlich manche Gründe.

Paulus führt noch die Begierde an, eine Sache, die wir heute wohl am besten mit „Besitzen­wollen“ umschreiben können. Wer begierig ist, der sagt nicht: „Ich will dir etwas schenken“, sondern er sagt: „Ich will etwas von dir haben!“ Er sagt nicht einmal: „Ich will dich haben“, sondern nur „etwas“ von dir. Besitzenwollen ist der Anfang dessen, was Paulus Unzucht nennt.

Dieser Haltung aber stellt Paulus die Heiligung und Ehrbarkeit gegenüber, modern ausgedrückt würden wir sagen „Partnerschaft“. Davon wird ja heute viel geredet. Aber echte Partnerschaft ist doch nur schwer zu verwirklichen. Nur allzu schnell denkt man in den Beziehungen zwischen Mann und Frau und Freund und Freundin doch wieder nur an sich selbst und nicht an den Partner.

Als Regel könnten wir uns merken: „Was Gott gefällt, das wird auch für den anderen gut sein!“ Wenn wir Gott achten und ehren, dann werden wir das auch bei dem Partner tun. Und umgedreht: Wenn wir dem Partner mit Liebe begegnen, dann geben wir damit auch Gott die Ehre.

Doch diese Regel bleibt notwendig allgemein. Es werden hier keine Statuten aufgestellt, die wir Punkt für Punkt zu halten hätten. Es soll ja auch unsere Freiheit erhalten bleiben. Und unsere menschlichen Moralvorstellungen müssen ja auch nicht enger sein als das, was Gott von uns erwartet.

Aber es wird uns damit auch eine große Verantwortung aufgebürdet. Wir dürfen den von uns geliebten Menschen nicht überfordern, nicht mehr von ihm wollen, als wir miteinander tragen und verantworten können. Das gilt vor der Ehe und in der Ehe und gilt auch in den Problemen, die viele Ehen belasten. Denken wir nur an die Fragen der ehelichen Treue, der Freizeitgestaltung, der Arbeitsverteilung, der Geburtenregelung - immer geht es darum, in dem anderen den Partner zu sehen und ihn mit Ehrerbietung zu behandeln.

Das gilt nun auch für den zweiten Bereich, den Paulus hier anspricht, für das Geschäftsleben. Die wenigsten von uns sind allerdings selbständiger Geschäftsmann. Und außerdem wird gerade denen sehr auf die Finger gesehen, daß sie niemanden übers Ohr hauen. Aber andererseits hat jeder von uns Gelegenheit, sich auf Kosten anderer einen Vorteil zu verschaffen.

Das fängt schon damit an, daß einer nicht das leistet, was er leicht leisten könnte. Die anderen mühen sich ab, aber er steckt das gleiche Geld mit ein, zum Beispiel wenn nur die Leistung einer ganzen. Gruppe vergütet wird. Aber noch deutlicher wird alles bei der Einstellung zum Allgemeineigentum. Da wird schnell einmal achtlos etwas beschädigt. Oder es wird mitgenommen, weil es ja allen gehört.

Mancher wird sagen: „Das machen doch alle so! Schließlich muß jeder sehen, wo er bleibt“ Sind die Ermahnungen des Paulus nicht weltfremd? Aber was sich einer unter den Nagel reißt, das hat er anderen entzogen. Damit aber ist die Partnerschaft verletzt, auch wenn man gar nicht weiß, wer der andere Partner ist. Profitsucht in welcher Form auch immer ist unchristlich. Als Christen sollten wir uns nicht an solchen Erscheinungen unseres heutigen Wirtschaftslebens beteiligen und uns als „Heilige“ erweisen.

Gott mit unserer Lebensführung die Ehre geben, das ist unser Ziel. Es gilt nicht nur im Ehe- und Wirtschaftsleben, sondern auch für Freizeit, gesellschaftliche Funktionen, in der Erziehung, beim Altwerden und noch in vielen anderen Bereichen. Heute haben wir nur einmal zwei Beispiele herausgegriffen. Aber wir wissen, daß unser ganzes Leben Zeugnis für Gott ist. Wir gehören zu Gott. Da soll das auch in unserem ganzen Leben zum Ausdruck kommen.

 

 

1. Thess 5, 1 - 6 (Drittletzter Sonntag):

Ein junges Paar will Hochzeit feiern. Schon Wochen vorher gibt es viel zu tun mit den Vorbereitungen auf das Fest. Endlich ist der große Tag gekommen. Nur noch die Tante des Bräutigams muß in der Kreisstadt von der Bahn abgeholt werden. Der Bräutigam fährt schnell hin. Doch er findet die Tante nicht. Er fährt hin und her, es vergeht viel Zeit. Zuhause warten sie und sind unruhig, weil der Bräutigam nicht wiederkommt.

Ärger macht sich breit, vielleicht auch ein wenig Sorge. Hat er es sich im letzten Augenblick noch anders überlegt? Oder ist ihm etwas zugestoßen? Der Termin für das Standesamt ist schon vorbei. Schließlich wird die Tante nach langem Suchen doch noch gefunden. Endlich kommen sie beide an, und das Fest kann nun endlich beginnen.

So ähnlich müssen wir uns auch die Spannung in den ersten Christengemeinden vorstellen. Man wartete gespannt auf den wiederkommenden Herrn Jesus Christus. Die Worte Jesu haben sie so verstanden: Er wird bald wiederkommen! Aber plötzlich und unerwartet wird dieser Tag kommen. Deshalb gilt es, immer recht vorbereitet zu sein. Der kommende Tag wird ein ernster Tag sein, ein Tag des Gerichts. Aber es wird auch ein Tag der Freude sein, weil die Welt nicht nur gerichtet, sondern auch gerettet werden soll.

Es hat viele Vorstellungen gegeben, wie das Ende der Welt aussehen soll. Bei den Griechen gab es eine Philosophenschule, die von einem großen Weltenbrand sprach. Die Juden erwarteten das Reich des Messias. Die ersten Christen sprachen vom neuen Himmel und der neuen Erde. Karl Marx wollte die klassenlose Gesellschaft und wir Heutigen fürchten eine nukleare Katastrophe.

Als Christen sollten wir wach und nüchtern sein und uns durch keine falsche Lehre irre machen lassen. Schon Jesus hat gesagt, daß keiner wissen kann, wann der Tag des Herrn kommt. Er selber hat es nicht gewußt. Der Termin ist ungewiß, aber er wird plötzlich kommen. Viele werden sich aber in Sicherheit wiegen. Sie sagen: „Uns droht doch keine Gefahr! Es ist doch alles ruhig, wir haben alles, unser Leben geht schon seinen Gang! Gott ist weit weg, wir haben erst einmal auf der Erde unheimlich viel zu tun!“ Ihr Dasein erschöpft sich im Heute, es gibt keinen Gedanken an die Wiederkunft.

Paulus dagegen stellt uns eine andere Sicht des Lebens vor Augen. Er möchte, daß die Gegenwart und die Zukunft in rechter Weise miteinander verbunden sind. Fiele die Zukunft aus, wäre auch die Gegenwart nicht mehr das, was sie ist. Aber was heute da ist, das ist schon von der Zukunft erfüllt. Es geht also nicht, daß man zukunftsvergessen in den Tag hinein lebt. Es geht aber auch nicht, daß man sich an die Zukunft verliert. Das Kommen der Herrschaft Gottes aber gibt der zukünftigen wie der gegenwärtigen Welt das Gesicht.

Damit wir wach sind für das Letzte, gilt es nach Paulus zwei Dinge festzuhalten: Christus kommt wie der Dieb in der Nacht. Und: Christen leben als Kinder des Tages. Bedenken wir zunächst:

 

Christus kommt wie der Dieb in der Nacht:

Gemeint ist natürlich nicht, daß Jesus unbemerkt käme wie ein Dieb. Vergleichspunkt ist:

Er kommt unberechenbar und unerwartet, er ist im Programm nicht vorgesehen. Es ist sogar ausdrücklieh Gottes Wille, daß wir den Zeitpunkt nicht vorauswissen.

Was wäre auch, wenn wir wirklich Tag und Stunde wüßten, so wie man die Abfahrtszeit eines Zuges wissen kann? Zunächst würden wir doch denken: Es ist noch lange hin, ich kann inzwischen hundert andere Dinge treiben. Wir würden die längst fälligen Entscheidungen des Glaubens und Lebens vor uns herschieben wie ein verbummelter Student, der das Examen noch in weiter Ferne wähnt. Wir würden die Wiederkunft in unseren Terminkalender eintragen und bis dahin leben, als käme er nicht.

Wir gingen also auf Distanz. Das aber will Jesus gerade nicht. Jeden Augenblick sollen wir auf ihn gefaßt sein! Also nicht den Tag des Herrn berechnen, sondern mit dem Tag des Herrn rechnen! Das gibt unserem Leben nicht nur den Ernst, sondern auch die gespannte Vorfreude. Wer zu jeder Stunde und an jedem Ort mit dem Kommen des Herrn rechnet, für den ist jede Berechnung dann auch unnötig - unnütz ist sie sowieso!

Aber die Kenntnis des genauen Termins würde auch noch eine andere Gefahr mit sich bringen. Im Krankenhaus hatte ein Mitpatient einem Mann aus der Hand gelesen und gesagt, er habe noch 6 Jahre zu leben. Jetzt war dieser Mann glücklich, weil er sich sagte: Es sind noch volle sechs Jahre! Bei seinem Alter war das wirklich etwas Erfreuliches. Aber das Problem dabei war aber nicht nur, daß er dachte, er hätte ja noch viel Zeit. Was wird aber wohl sein, wenn die sechs Jahre sich dem Ende zuneige? Wird er da nicht unruhig werden? Wird er nicht

auf Anzeichen achten und sich dabei selbst verrückt machen? Es kann doch durchaus sein, daß er noch länger lebt. Solche Prophezeiungen sind ganz gefährlich, weil man sich ja doch irgendwie von dem Termin beeinflussen läßt. Mancher hat sich dann schon selber das Leben genommen, weil er die Ungewißheit nicht mehr ausgehalten hat.

Viel wichtiger als alle Termine ist die Erkenntnis: An Jesus kommt keiner vorbei. Jetzt in diesem Leben ist das zwar noch äußerlich möglich, aber dann nicht mehr. Wir können uns nicht mit dem Gedanken beruhigen: Er ist 2000 Jahre nicht gekommen, da wird er mich

auch nicht mehr stören.

Er kommt aber plötzlich wie die Wehen über eine Frau, die Mutter werden soll. Sie weiß ja auch: eines Tages wird es einmal soweit sein. Aber wenn es dann losgeht, ist es doch oft

überraschend. Aber da wird keine Frau gefragt, ob es ihr in diesem Augenblick recht und willkommen ist. Da nützt es auch nichts, wenn man davonlaufen wollte. Wenn es soweit ist, muß man dem Kommenden standhalten. Das gilt auch für das Kommen Christi.

Wir wissen weder Zeit noch Stunde. Das erste ist die Zeit im formalen Sinn. Sie wird uns deutlich, wenn die Uhr tickt und der Kalender Tag um Tag um ein Blatt dünner wird; so geht die Zeit dahin und wird immer weiter laufen. Es gibt aber auch den Zeitpunkt, der inhaltlich gefüllt ist, es gibt „Sternstunden“ und „Schicksalsstunden“: ein Mensch tritt in unser Leben, eine neue berufliche Möglichkeit tut sich auf, wir erleben etwas Schönes wie seit Jahren nicht mehr.

Für uns kommt es darauf an, in der ablaufenden Zeit den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen. Dann kommt es zu der unmittelbaren Christusbegegnung. Das Wie und Wann ist dabei nicht wichtig. Fest steht nur, daß die unmittelbar Beteiligten keinen Vorsprung haben werden vor den schon Entschlafenen. Niemand weiß, was die Welt am Jüngsten Tag erleben wird. Wahrscheinlich werden wir überrascht sein, wie anders alles ist. Sollten wir eher sterben, so erleben wir eben unseren „Jüngsten Tag“ in dem Übergang, den wir  „Tod“ nennen. Aber bis dahin ist für uns wichtig:

 

Christen leben als Kinder des Tages:

Wenn anfangs vom Dieb in der Nacht die Rede war, so kommt jetzt die überraschende Wendung: Christen sind nicht in der Nacht, sondern sie leben im Tageslicht, sie sind wach und nüchtern, sie lassen sich nicht überraschen, sondern sind auf dem Posten.

Es hat Zeiten gegeben, da hat die Beschäftigung mit dem Letzten vom Vorletzten abgelenkt und die Menschen für das Leben untüchtig gemacht. Wer aber weiß, daß der Herr in jedem Augenblick zur Stelle sein kann, dem wird der einzelne Augenblick seines Lebens kostbar.

Das soll nicht heißen, daß er nun aus seinem Leben das Letzte herausholt und dabei aufgeregt oder verkrampft wird und sich selber zugrunde richtet. Aber er wird sein Leben auch nicht verplempern. Er wird nicht auf morgen verschieben, was heute fällig ist. Er wird die ihm gegebene Zeit als Geschenk und Chance annehmen.

Dazu müssen wir nicht immer in Hochform sein. Aber der Herr soll uns auch nicht so finden, daß wir gerade mit Nichtigem beschäftigt sind, mit Schmutzigem und Häßlichem, mit Kleinlichen und Gehässigen, das sich mit seiner Nähe nicht verträgt. Ein Christ muß auch gar nicht mühsam wachgehalten werden. Weil er zum Tage gehört, will er gar nicht schlafen und dösen.

Der nächtliche Zustand ist gekennzeichnet durch den Schlaf, wo die Lebensfunktionen auf Sparflamme eingestellt sind und das Bewußtsein ausgelöscht wird. Natürlich dürfen wir unseren natürlichen Schlaf genießen. Ein Christ wird sogar besonders gut schlafen, weil er ein entlastetes Gewissen hat. Aber es geht gegen die Verschlafenheit als Lebenszustand oder sogar als Lebensanschauung, gegen Abstumpfung und Trägheit.

Scheinbar das Gegenteil des Schlafs ist der Rausch. Er verspricht zunächst eine erhöhte Lebenstätigkeit, aber in Wirklichkeit ist er eine trügerische Erhobenheit, eine Entrückung ins Reich der Illusion. Der Rausch gehört zur Nacht. Christus aber will uns da haben, wo man wach und nüchtern ist. Wenn man Schönes vor sich hat, braucht man nicht in Müdigkeit zu versinken. Man braucht nicht die Illusion, wenn man das Wahre hat. Der Blick auf das Letzte macht uns munter und fröhlich.

Sehr schön kommt diese Lebenshaltung zum Ausdruck in einer Geschichte aus dem Mittelwesten Amerikas. Dort tagte im vorigen Jahrhundert gerade ein Parlament, als eine Sonnenfinsternis eintrat. Es drohte eine Panik auszubrechen, weil man den Weltuntergang befürchtete. Darauf sagte einer der Abgeordneten: „Meine Herren, es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Herr kommt - dann soll er uns bei der Arbeit finden. Oder aber er kommt nicht - dann besteht kein Grund, unsere Arbeit zu unterbrechen!“ Das gilt auch für uns: Weitermachen im Gehorsam gegenüber Gottes Wort, bis er etwas Neues für uns heraufführt.

 

 

1. Thess 5, 14 – 24 (14. Sonntag nach Trinitatis):

Im Jahr 2011 gab es tagelang schwere Ausschreitungen in Großbritannien: Kinder und Jugendliche stecken Autos und Häuser an, plündern Geschäfte, verletzen Menschen. Auch in einigen Vororten von Paris gab es schon solche Unruhen. Niemand sage, so etwas sei bei uns in Deutschland nicht möglich: Auch in Berlin, Hamburg und Frankfurt hat es schon solche Krawalle gegeben. Und was sich bei manchen Fußballspielen abspielt, ist auch nicht weit davon entfernt.

Verursacht sind sie vor allem von jungen Leuten, die die Schule langweilig fanden, die ihre Lehre abgebrochen haben, weil sie keinen „Bock“ darauf haben, die nur „herumhängen“ und sich höchstens mit Alkohol oder gar Drogen abgeben. Einzeln mögen sie ja noch ganz passabel sein, aber in der Masse sind sie keine Menschen mehr.

Ursache für dieses Verhalten soll sein, daß diese Menschen keine „Perspektive“ haben. Sie sind schon in der dritten Generation Sozialhilfeempfänger. Sie haben nie erlebt, daß man seinen Lebensunterhalt mit seiner eigenen Hände Arbeit erwerben muß. Und selbst wenn einer da herauskommen will, dann sagt vielleicht der Vater: „Was machst du dir denn solche Mühe, wir leben doch auch so vom Geld der anderen!“ Am Frankfurter Hauptbahnhof hat einmal in der Frühe ein Wohnsitzloser gerufen: „Leute, geht nur schön zur Arbeit, damit ich meine Stütze kriege!“

Diese Haltung ist aber nicht so weit entfernt von der Einstellung mancher Christen in Thessa­lonisch, an die Paulus schreibt im ersten Brief, der von ihm erhalten ist. Auch damals gab es einige, die nicht mehr arbeiten wollten, allerdings aus einem ganz anderen Grund. Er klingt an sich sehr fromm: „Wenn das Ende der Welt sowieso bald kommt, was sollen wir da noch arbeiten?“ Mit anderen Worten: Sie hatten auch keine Perspektive auf der Erde, sondern erwarteten alles vom Himmel.

Dem stellt Paulus das Idealbild eines Christen gegenüber und fordert auf: „Weist die Unordentlichen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig gegen jedermann!“ In der antiken Welt entzog sich der freie Mann der Arbeit. Zwei Stunden täglich - vielleicht, aber mehr nicht. Arbeit, das war Sache der Sklaven. Und nun wurde das auch noch von Einigen christlich gerechtfertigt. Paulus hält dagegen: Ein Christ arbeitet, gerade weil der Herr kommt. Zum christlichen Leben gehört, daß man etwas schafft, ob man nun viele oder geringe Kräfte hat.

Wenn einer arbeitet - für sich und für andere - dann wird auch dieses schreckliche Gesetz des Immer-mehr-haben-Wollens durchbrochen. Dann wird auch das Reagieren auf die vermeintlichen Untaten des anderen außer Kraft gesetzt. Dann gilt nicht mehr: „Wie du mir, so ich dir!“ Sondern dann heißt es: „Wie Christus mir, so ich dir!“

Das bedeutet eine bewußte Zuwendung zu dem anderen Menschen. Paulus sagt: „Seht zu, daß keiner dem anderen  Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann!“ Diese Zuwendung war schön nötig bei der Zurechtweisung der Bummelanten und Gammler. Erst recht ist sie nötig beim Umgang mit den Verzagten und Schwachen. Auch die christliche Gemeinde besteht ja nicht nur aus starken, überzeugten, standfesten und leidensbereiten Christen. Es ist einfach unbarmherzig, wenn ein vermeintlich „Starker“ zu einem vermeintlich „Schwachen“ sagt: „Wenn du das oder das nicht kannst, dann bist du eben kein Christ“.

Paulus meint, gerade die „Kleinmütigen“ sollen getröstet werden, egal ob es sich um eine leibliche Schwachheit handelt oder um eine Glaubensschwäche. Solche „Fälle“ darf man nicht auf sich beruhen lassen, sondern uns ist die Zuwendung zu den Menschen geboten, die uns brauchen. Dabei geht es nicht darum, daß alle perfekt im Helfen werden, sondern die „Untadeligkeit“ besteht darin, daß sich einer des anderen annimmt. Ein „großes Herz“ hat Paulus an seinem Herrn wahrgenommen und an sich selbst erfahren, da will er es auch anderen gegen­über haben.  Daraus entwickelt er nun sieben konkrete Ermahnungen. Die ersten lauten: „Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlaß!

1. Wir haben Grund zum Fröhlichsein - oder vielleicht besser: zur Freude - weil Gott uns seine Freundlichkeit zugewandt hat. Er hat seinen ganzen Charme spielen lassen (diese Bedeutung liegt tatsächlich mit in dem Wort drin). Dieser Gott-in-Christus hat mich so lieb, wie kein Mensch mich lieben kann. Das ist dann für mich Grund zur Freude.

In der damaligen DDR hat einmal ein Pfarrer die Neujahrswünsche des Landrats zurückgewiesen mit den Worten: „Solange die Menschen nicht in den Westen reisen können, kann ich im neuen Jahr nicht zufrieden sein!“ Sein Bischof sagte ihm dazu: „Als Christ dürfen Sie das nicht sagen, ein Christ ist immer zuversichtlich!“ Der Pfarrer gab ihm auch durchaus recht, sagte aber: „Das habe ich so auch nur dem Kommunisten gegenüber gesagt, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß hier etwas an der Politik nicht stimmt!“

2. Mit dem pausenlosen Beten ist natürlich etwas schwieriger. In manchen Klöstern machen sie das, immer abwechselnd, aber eben pausenlos. Aber man kann auch beten, ohne die Hände zu falten und ohne laute Worte zu sprechen. Man kann aber alles, was man plant, was man zu entscheiden hat, was einen besorgt, immer erst an Gott vorbeischieben und von ihm prüfen lassen.

3. Der zentrale Satz dieser Ermahnungen ist aber die Dankbarkeit, die auch das Thema des heutigen Sonntags ist. Vor allem wird betont, „in allem“ dankbar zu sein. Das ist mehr als nur so eine Höflichkeitspflicht. „Seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch!“

Die Dankbarkeit wird in dem Willen Gottes begründet, der in Christus Gestalt angenommen hat.  Gott hat ihn gesandt und geopfert und auferweckt, damit wir Menschen dadurch dankbar werden. Alles, was wir sind und haben, das haben wir vom schenkenden Gott empfangen. Darum führen wir unser Leben im Dank gegen Gott.

Und deshalb kann es uns gar nicht in den Sinn kommen, unsere Gaben brach liegen zu lassen und unser Leben zu verplempern. Jeder kann noch etwas leisten, sei er auch noch so schwach. Und die Starken, die sind erst recht verpflichtet, sich zum Wohl der Gemeinschaft einzusetzen.

Auch wenn einer genügsam ist und mit Wenigem für sich auskommt, so ist es doch seine Aufgabe für andere da zu sein. Deshalb hat er ja den Überschuß an Kräften, daß er denen hilft, die nicht so viel haben. Rentner zum Beispiel sind mehr oder weniger gut wirtschaftlich abgesichert, sie brauchen nicht mehr zu arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Aber dadurch sind sie frei, ehrenamtlich für andere zu wirken. Wenn sich einer für andere einsetzt, dann zeigt er damit seine Dankbarkeit gegen Gott. Dankbarkeit besagt: Ich lasse das Gute Gottes nicht einfach über mich ergehen wie ein milder Regen, ich nehme es vielmehr bewußt an und empfange es wissentlich.

Schließlich fügt Paulus noch vier weitere Ermahnungen an: „Den Geist dämpft nicht. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles, und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt!“

In der Gemeinde brennt Gottes eigenes Leben, das soll man nicht auslöschen. Sein Geist gibt Gaben und Kräfte. Besonders genannt ist hier die Prophetie, die den lebendig machenden Geist vergegenwärtigt. Propheten waren immer hellsichtig für Chancen und Gefährdungen ihrer Zeit. Sie hatten ein Gespür dafür, was Gott heute will. Aber es gibt auch andere Gaben: Musik, Erziehung, Verwaltung, Pflege. Der Geist bedient sich dieser natürlichen Fähigkeiten  und stellt sie in den Dienst der Gemeinde. Das alles darf nicht gehemmt oder gar ausgelöscht werden.

Man könnte sich natürlich gegen die Wirkungen des Geistes dichtmachen. Es könnten auch andere den Geist in mir niederhalten: Die Ellbogen-Christen, die immer alles wissen und an sich reißen wollen. Man könnte Scheu haben vor den Menschen. Man könnte das Christsein falsch auffassen, mehr passiv und genießerisch.

Es kann auch in einer Gemeinde ein allgemeines Klima an Nicht-Aktivität herrschen, so wie im Kino, wo das Publikum im Dunkel sitzt und darauf wartet, was vorne auf der Leinwand geschieht. Dem gilt es, mit dem Beistand des Geistes Gottes und mit viel Mut und Entschlossenheit entgegenzuwirken.

Das machte auch der Papst Benedikt XVI. so, der immer wieder zum Glauben ermutigt. Er ist nicht unser Papst, und Vieles an seiner Kirche und an seiner eigenen Haltung ist zu kritisieren. Aber er hat recht, wenn er zum Festhalten am Glauben auffordert und die Menschen zu fröhlicher Zuversicht ermuntert. Die Kirche ist auch in Zukunft nötig für unsere Gesellschaft. Aber leider mehren sich die Stimmen, die die Kirche ganz in den Privatbereich verdrängen wollen. Selbst Bundestagsabgeordnete aus der dritten und vierten Reihe wollen das. Und in jeder Talkshow betonen die Teilnehmer, daß sie ja auch einmal evangelisch oder katholisch waren. Aber irgendwie halten sie es für „cool“, sich von der Kirche abgewandt zu haben. Man kann das nur bedauern, denn sie schneiden sich vom Quell des Lebens ab.

Dieser Bibelabschnitt ist nun aber nicht einfach eine Aufzählung lästiger Ermahnungen, sondern er hat seine Mitte in dem Thema der Dankbarkeit. Und er schließt mit einem Segenswort, das es auf die „Heiligung“ des ganzen Menschen abgesehen hat. „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch  und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun!“

Der Mensch soll so werden, wie Gott es will, wie es in der Nähe Gottes üblich ist. Wer mit Gott in Kontakt ist und mit seinem Geist erfüllt ist, der begegnet den Menschen so, wie es Paulus hier beschreibt. Es geht dabei um einen Menschen aus einem Guß, der  nicht aus verschiedenen Schichten besteht, bei dem Leib, Seele und Geist eine Einheit sind, bei dem Augen und Gedanken auf die zu erwartende Begegnung mit Christus gerichtet sind.

 

 

 

2. Thess 3, 1 – 5 (5. Sonntag nach Trinitatis):

In Rußland hatte sich eine Sekte in eine Höhle zurückgezogen, um dort das Ende der Welt zu erwarten. Die Behörden haben dann nach langem Abwarten wenigstens die Kinder und ihre Mütter herausgeholt. Aber die anderen blieben drin. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie heute noch dort.

Der heutige Sonntag hat das Thema „Nachfolge“. Aber das darf man nicht so verstehen, daß man sich aus der Welt zurückzieht, die Hände in den Schoß legt und selber einen Zeitpunkt für das Ende der Welt festsetzen will. So etwas gab es schon zur Zeit des zweiten Thessalonicherbriefs. Doch hier wird der Gemeinde gesagt: Die Kirche lebt noch in einer Zeit, in der sie sich bewähren muß. Die Welt ist gottlos und christusfeindlich. Die Kirche ist noch unterwegs, sie soll noch Mission treiben. Die persönliche Glaubensentscheidung muß sich erst noch in vielen Anfechtungen bewähren.

Damals galt es, echte Heiden zu bekehren. Heute ist die Kirche wieder in eine ähnliche Lage gekommen. Nur steht sie heute neuen Heiden gegenüber, die zwar viel von Gott und der Kirche wissen, sich ihr aber dennoch nicht anschließen wollen. Und wir haben zunehmend mit anderen Religionen zu tun, die plötzlich für religiös gleichgültige Menschen eine Anziehungskraft gewinnen.

Gegen solche Entwicklungen gilt es zu kämpfen, nicht mit Waffen, sondern mit dem Gebet und mit der Predigt. Und damit ist nicht in erster Linie die Predigt am Sonntag von der Kanzel gemeint, sondern das Bekenntnis des Einzelnen zum Glauben in seiner üblichen Umwelt, in der Familie, in der Schule, in der Arbeitsgruppe in der Firma, auf dem Bürostuhl, im Laden,

im Verein. Hier ist der richtige Ort, Gottes Wort weiterzusagen.

Allerdings muß man hier damit rechnen, daß auch Gegenargumente kommen. Der Pfarrer auf der Kanzel ist ja praktisch unangreifbar, denn man könnte höchstens einmal nach dem Gottesdienst etwas sagen. Aber im Alltagsleben, von Mensch zu Mensch, da geht es oft hart auf hart.

Man kann man sogar in Gefahr kommen, wenn man zu laut von Gott redet. Aber eher noch kann Gott uns in Gefahr bringen, wenn wir nicht von ihm reden. Man muß man mit Widerstand rechnen. Schon Paulus mußte aus der Stadt Thessalonich unter großem Druck weichen. Wir wissen von schweren Verfolgungen, denen Christen heute in anderen Staaten ausgesetzt sind: in China, im Irak, in der Türkei. Wir leben zum Glück in einem Staat, in dem die Christen wohl gelitten sind und sogar manche Vorrechte haben. Aber gekämpft werden muß trotzdem, um jeden Menschen.

Man kann nicht mit Massenerfolgen rechnen, sondern muß sich darauf einstellen, daß der Glaube nicht jedermanns Ding ist. Die Minderheitssituation der Kirche in der Welt darf uns nicht überraschen. Wir dürfen uns freilich auch nicht mit ihr abfinden. Wir dürfen nicht davon träumen, daß einmal die ganze Welt christlich wird. Aber wir können auch nicht ruhig darüber sein, daß so viele Menschen „draußen“ sind.

 

1. „Der Glaube ist nicht jedermanns Ding!

Das merken wir sofort, wenn wir einmal mit jemandem sprechen, der nicht aus Gleichgültigkeit die Kirche verlassen hat, sondern weil er nichts davon hält. Jemand sagte einmal: „Ich bekämpfe die Kirche nicht, aber ich will auch nichts damit zu tun haben. Meine Jugend war hart, ich stamme aus einer armen Arbeiterfamilie und deshalb bin ich heute Marxist!“ Gegen solche Argumente kann man nicht an: eine klare, entschiedene Haltung, die vom christlichen Glauben keine Änderung der gegenwärtigen Zustände erwartet. Einen solchen Menschen kann man nicht von der Wahrheit der göttlichen Botschaft überzeugen, der Glaube ist halt nicht „sein Ding“.

Da nützt es auch nichts, wenn wir darauf hinweisen, daß christliche Menschen schon seit dem 19. Jahrhundert sehr viel zur Beseitigung der größten Notstände getan haben. Wer nicht glauben w i 1 1, der schnappt alles auf, was so erzählt wird, ohne lang zu prüfen.

Was soll man denn antworten, wenn einer ins Feld führt: „Der Glaube nützt doch nichts. Im Krieg sind gerade die den qualvollsten Tod gestorben, die jeden Tag erst gebetet haben. Und heute erlebt man es, daß gerade die strengsten Kirchgänger ihre Kinder am meisten schla­gen!“ Bei solchen Worten kann man froh sein, wenn wenigstens anerkannt wird, daß es auch Gegenbeispiele gibt. Aber wir merken hier doch, welch großes Geschenk es ist, wenn wir glauben können, denn der Glaube ist nicht jedermanns Ding.

Der Schreiber dieses Briefes fordert die Gemeinde auf, für die unverständigen und böswilligen Menschen zu beten. Aber er weiß halt auch, daß da immer ein Rest bleibt. Er bittet nicht darum, daß die Ungläubigen ganz von der Erde verschwinden, sondern darum, daß das Wort Gottes unters Volk gebracht wird. „Laßt das Wort Gottes nur umlaufen, dann schafft es sich schon selber Platz!“ Dann werden die böswilligen Gegner ganz von selber weniger.

Das ist schon einmal so gewesen zur Zeit Luthers. Luther war auf der Wartburg in Schutzhaft. Er durfte nicht weg, man hätte ihn erschlagen können. In Wittenberg aber hatten religiöse Fanatiker einen Aufruhr angezettelt, die Kirchen gestürmt und die Bilder darin verbrannt. Melanch­thon wurde der Sache nicht mehr Herr. Luther brennt es unter den Nägeln. Er verkleidet sich und eilt nach Wittenberg. An seinen Kurfürsten schreibt Luther: „Ich komme in einem höheren Schutz als dem des Kurfürsten. Gott muß hier allein schaffen!“

Nach einigen Predigten stellt Luther die Ruhe wieder her, die Bilderstürmer müssen die Stadt verlassen. So schnell kann das Wort Gottes wirken, wenn es lauter und rein gepredigt wird. Aber dazu muß man ganz entschieden auf die Seite Gottes stellen. Es gibt ja heute Gemeinden, da ist kaum jemand gegen die Kirche, aber auch kaum jemand ist so ganz dafür, sondern alles ist so ein zäher Brei, mit dem überhaupt nichts geschieht. In anderen Gemeinden wieder ist ein großer Teil dagegen, aber ein ebenso großer Teil auch ganz dafür, Menschen, auf die sich Gott verlassen kann.

 

2. Der Platz für Gottes Wort ist nicht nur der sogenannte „kirchliche Raum“:

In der früheren DDR hieß es: „Religiöse Veranstaltungen dürfen nur in kirchlichen Räumen stattfinden, also in Gebäuden, die der Kirche gehören!“ Und mancher Bischof sagte dazu: „Wir als Kirchenleitung haben die Aufgabe, diesen Raum von Einflüssen von draußen freizuhalten!“ Doch wir können uns nicht damit zufriedengeben, im Raum der Kirche eine gewisse Windstille zu haben, aber ansonsten auf einer Insel zu leben, die mit der Umwelt nichts mehr zu tun hat. Wir könnten unseren Mitmenschen nur von Gott erzählen, nachdem wir sie vorher in unseren Fuchsbau, genannt „kirchlicher Raum, hineingeholt haben. Wie schwer das aber ist, wissen wir alle.

Die Kirche hat ihre Stimme zu erheben, wenn Kriege geführt werden, wenn Menschen unterdrückt werden, wenn sie wegen ungerechter Wirtschaftsverhältnisse hungern müssen. Sie hat ihre Stimme auch im eigenen Land zu erheben, wenn die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, wenn Kinder nicht genügend gefördert werden, wenn es eine Zwei-Klassen-Medizin gibt und Menschen in der Altenpflege nur als ein Mittel angesehen werde, um viel Geld zu verdienen. Die Kirche tut das aber nicht, um ihren Einflußbereich zu erweitern, sondern weil Gottes Wort ausgebreitet werden muß.

Wir dürfen zwar darauf vertrauen: „Gottes Wort schafft sich selber Raum!“ Aber wir sind die Stromleitungen, in denen Gottes Botschaft bis in den fernsten Winkel der Erde gebracht wird. Allerdings weiß der Verfasser unseres Briefes auch, daß letztlich nur Gott unsre Herzen zur Gottesliebe und Christusgeduld lenken kann. Wir können nicht aus eigener Vollmacht ans Werk gehen. Aber wir müssen damit anfangen, denn dann begleitet uns die Verheißung Gottes. Damit werden wir auf das Dritte hingewiesen, was uns dieser Brief empfiehlt:

 

3. Auf die Weisung der Bibel hören und danach tun:

Der Glaube ist oftmals nur deshalb nicht jedermanns Ding, weil es so wenig überzeugende Beispiele für ihn gibt. Das Gebet muß deshalb unbedingt ergänzt werden durch unser Tun, sonst hängt es im luftleeren Raum und seine Wirkung verpufft.

Wir dürfen froh sein, wenn Gott seiner Kirche immer wieder Menschen geschenkt hat, die in kritischen Stunden das entscheidende Wort sagten. Das gilt für Johann Hinrich Wichern, der durch seine Rede auf dem Wittenberger Kirchentag von 1848 praktisch zum Begründer der Inneren Mission wurde. Das gilt auch für Karl Barth, der 1933 warnend seine Stimme erhob, als die christliche Botschaft durch die politischen Ideen des Nationalsozialismus verfälscht wurde.

Auch heute brauchen wir solche Leute, die uns Weisung geben können, wie unser Glaube konkret aussehen kann. Sicherlich darf keiner bevormundet werden und jeder muß die Entscheidung für sich selber fällen. Aber viele werden dankbar sein, wenn sie auf einiges hingewiesen werden und sich nicht nur allein abzumühen brauchen. Und es ist auch immer ein Risiko dabei, denn man kann dabei ins Fettnäpfchen treten. Dennoch ist das kein Grund, ganz auf Weisungen zu verzichten.

Wir haben keine leichte Aufgabe. Es ist nicht schwer, die Menschen für Essen und Trinken, für Sex und Krimi zu interessieren. Aber es ist schwer, ihnen das zu vermitteln, was sie wirklich für ihr Leben brauchen.

Der Verfasser des Briefes aber ist überzeugt, daß die Gemeinde in Thessalonich das schaffen wird. Er weiß, daß sie lange durchhalten muß, weil der Tag des Herrn immer noch ausbleibt. Aber sie soll nicht dem Hochmut verfallen, durch eigene Taten alles schaffen zu können. Und sie soll nicht dem Kleinmut verfallen, nur einen vermeintlichen Idealzustand der Kirche in der Vergangenheit nachzutrauern. Es wird in der Zukunft nicht immer nur bergab gehen, wenn die Gemeinde auf den kommenden Herrn schaut. Ein Seiltänzer stürzt ab, wenn er nicht nach vorne sieht. Wir dürfen wissen, auf wen wir zu schauen haben.

 

4. „Der Herr ist treu; der wird euch stärken und bewahren vor dem Argen!“:

Der Herr hat uns einen Auftrag gegeben. Wir können ja nur ausrichten, was er uns aufgetragen hat. Aber dies sollen wir auch tun. Dafür verspricht er uns, treu und verläßlich zu sein, die Gemeinde zu stärken und vor dem Bösen zu bewahren. Gott wird uns das Arge nicht einfach aus dem Weg räumen. Aber er wird dafür sorgen, daß wir stark genug dagegen angehen können und vor dem Schlimmsten bewahrt werden.

 

 

 

Timotheusbriefe

 

 

1. Tim 1, 12 – 17 (1. Sonntag nach Trinitatis):

Wir sind alle Menschen mit einer Vergangenheit. Nicht nur, daß wir Zeit hinter uns gebracht haben, wir haben die Zeit oft auch zu unguten Dingen verwandt. Mit den Worten der Bibel gesagt: Wir sind Sünder! Und diese Sünde klebt uns an und muß wie ein Klotz am Bein mitgezogen werden. Das eigentlich ist unsere Vergangenheit.

Aber in unsrer Welt darf man eigentlich eine solche Vergangenheit nicht haben. Wenn sich nach über 30 Jahren herausstellt, welche Rolle einer in der Nazizeit gespielt hat, dann ist er dran. Lange Zeit hat er seine Vergangenheit verbergen können, aber er hat sie nicht ungeschehen machen können. Und nun ist er schlimmer dran als diejenigen, die gleich umgeschwenkt sind.

In unsrer Welt muß alles bis zur äußersten Vollkommenheit klappen. Ein Mensch der Fehler macht und versagt, hat in dieser Welt kaum einen oder nur einen geringen Stellenwert. Heute gibt es eben Maschinen, die mit äußerster Genauigkeit arbeiten und denen der Mensch einfach unterlegen ist. Wenn er nur einigermaßen mithalten will, dann darf er keine Fehler und Schwä­chen zeigen.

Ganz anders erfahren wir es im 1.Timotheusbrief. Hier spricht ein Mensch, der nicht nur Fehler gemacht hat, sondern ein Sünder ist. Er stellt sogar den Modellfall für einen Sünder dar. Wir wissen auch, welcher bestimmte Mensch damit gemeint war. Der 1.Timotheusbrief ist ja so geschrieben, als stammte er von dem Apostel Paulus. Wir wissen allerdings, daß er in Wirklichkeit von einem Paulus-Schüler stammt, also aus einer späteren Zeit. Aber der Verfasser tritt bescheiden zurück. Er will sich nicht selber einen Namen machen, sondern seinen Lesern sagen: Wenn Paulus heute noch da wäre, dann würde er so schreiben. So werden wir ruhig den Verfasser „Paulus“ nennen und darauf achten, was denn nun inhaltlich in diesem Brief steht.

In der Christengemeinde in Ephesus traten Irrlehrer auf, mit denen der Paulusschüler Timotheus sich auseinandersetzen mußte. Dieser berief sich dabei auf seinen Lehrer Paulus, was der ihm aufgetragen hatte. Aber er mußte damit rechnen, daß sie ihn dann auf die antichristliche Vergangenheit des Paulus hinweisen würden. Solchen Angriffen will „Paulus“ von vornherein das Wasser abgraben, er steht offen zu seiner Schuld.

Paulus ist ja tatsächlich ein Lästerer und Verfolger der Gemeinde gewesen. Er war sogar ein besonders schwerer Sünder. Da wird nichts vertuscht. Das wird ihm jedenfalls deutlich, wenn er daran denkt, daß er sich vor Gottes Gericht dafür wird verantworten müssen.

Vielleicht würden wir selbst den Paulus gar nicht so schlimm beurteilen, wie er selbst es tut. Aber es geht hier gar nicht um ein Mehr oder Weniger. Paulus war natürlich nie Atheist, sondern er hat im Namen Gottes die Christen verfolgt. Gerade weil er es mit dem Glauben so ernst nahm, wandte er sich gegen die neue Lehre der Christen. Nach jüdischen Maßstäben war er ein vollkommener Heiliger.

Aber wie viele Untaten sind im Laufe der Menschheitsgeschichte aus „edelsten“ Beweggründen geschehen. So meinte auch Paulus um Gottes willen diesem Jesus und seiner Gemeinde widerstehen zu müssen. Er wurde zum Verfolger und brutalen Gewaltmenschen. Und damit hat er Jesus direkt geschmäht und verfolgt und geschunden.

Es geht hier nicht darum, daß Paulus einmal in einer schwachen Stunde einen Fehltritt getan hat, nur einmal entgleist ist und dem Gemeinen nachgegeben hat. Das verstehen wir ja meist unter Sünde. Aber all das ist ja nur ein Anzeichen für einen viel tieferen Schaden. Diesen gilt es erst einmal zu erkennen und innerlich anzunehmen.

Paulus weist zwar darauf hin, daß er in Unwissenheit gehandelt hat. Aber damit kann er sich nicht entschuldigen oder mildernde Umstände geltend machen. Auch seine Unwissenheit war ja Sünde. Und Unwissenheit schützt vor Strafe nicht. So verschleiert Paulus seine Vergangenheit nicht, er erzählt ohne Furcht davon. Er bewahrt sogar seine Vergangenheit bewußt im Gedächtnis auf, um so die Größe der erfahrenen Güte deutlich machen zu können.

Paulus sagt im Kernsatz dieses Abschnitts: „Jesus Christus ist gekommen in die Welt, die Sünder selig zu machen!“ Er wartet nicht, bis er gefunden wird, sondern er sucht selbst, zum Beispiel in diesem Gottesdienst. Auch Paulus wurde zum Gegenstand seines Erbarmens. Auch so ein aussichtsloser und verfahrener Fall wie der des Christenverfolgers Paulus konnte ihn nicht in seinem Rettungswerk irre machen.

Jesus hätte seinen leidenschaftlichen Verfolger ja auch ausschalten und zur Strecke bringen können. Aber er hat sich seiner erbarmt, hat ihn überwunden und gerettet. Wie eine Art Überschwemmung ist die Gnade Jesu Christi dann über Paulus gekommen. Im schlimmsten Fall, nämlich an Paulus selber, können wir ablesen, daß Jesus gekommen ist, zu suchen und zu retten.

Da sollten wir in der Kirche auch niemandem seine Vergangenheit vorrechnen, niemand sollte sie verheimlichen müssen. Ich denke noch daran, wie einmal jemand als Kandidat für den Kirchenvorstand vorgeschlagen wurde, der einmal eine Zeitlang aus der Kirche ausgetreten war. Doch die schon Mitglieder im Kirchenvorstand waren, sagten ganz eindeutig: „Das war früher, wir gehen nach dem, was jetzt ist!“ Es war sicherlich keine Fehlentscheidung, der Mann hat sich nachher sehr bewährt. So etwas ist eben in einer christlichen Gemeinde möglich, die aus der Vergebung lebt.

Da gibt allerdings auch den umgedrehten Fall, daß einer mit seiner Vergangenheit kokettiert

und gern und betont von seiner Bekehrung redet, nach dem Schema: Früher war ich ein schlimmer Sünder, aber jetzt bin ich ein frommer Gerechter. Paulus sprich nur von seiner Vergangenheit, um deutlich zu machen: Ich habe das auch durchgemacht und auf diese Art und Weise ist es bewältigt worden.

Am überzeugendsten ist der Erdkundelehrer, der sagen kann: Ich bin selber dort gewesen! Vor einer Operation hilft nicht ein Doktorbuch, sondern die Ermunterung eines Menschen, der die Operation schon hinter sich hat. So wird euch ein Ungläubiger am ehesten überwunden durch die Begegnung m:it einem Menschen, der zum Glauben gekommen ist. Aber wo das wirklich der Fall, da wird man nur mit sparsamen Worten davon reden, dafür umso mehr im Leben darstellen, was man glaubt.

Heute gibt es jenes „Vorher“ und „Nachher“ nur noch selten. Meist -geht es um ein Miteinander und eine gewisse Gleichgültigkeit. Verstehen wir uns denn als solche, die die Gnade Gottes nötig haben? Wenn einer sagt: „Ja, ich bin ein Sünder!“ dann braucht das für ihn noch keine Folgen zu haben, das ist zunächst nur einmal eine verstandesmäßige Einsicht. Aber es sieht schon anders aus, wenn man ihm konkret sagt: „Ja, du bist ein Sünder, wenn man bedenkt,

wie du mit deiner Schwiegertochter umgehst!“ Dann ist der Betreffende oft entrüstet, weil man ihm das auf den Kopf zugesagt hat.

Da jeder Mensch ein Selbstwertgefühl hat, redet er sich dauernd ein, er sei im Grund ein ganz anständiger Mensch. Durch die Bibel können uns die Augen geöffnet werden für unsre schwachen Stellen. Diese sind ja nicht nur „Schönheitsfehler“, sondern eine grundsätzliche Verderbnis.

Fertig werden kann man damit vielleicht nur, wenn man sich so wie Paulus gleich wieder zum Dienst einsetzen läßt. „Gnade und Apostelamt“ kann er nur in einem Atemzug nennen. Das Überströmen der Gnade ist zugleich Einsetzung in den Dienst. Er kann überhaupt nicht Christ sein, ohne für den Herrn etwas zu tun. Aber das kommt nicht aus ihm selber heraus. Christus kam nicht in die Welt, um sich eine Elite zu sammeln. Er braucht nicht nur die Bewährten, die Starken, die Jungen, die Frommen. Oftmals wählt er sich gerade die aus, die vor Gott und der Welt versagt haben. Christus baut seine Gemeinde mit ungeeigneten Werkzeugen, er arbeitet mit Durchgefallenen. Vor Gott bedeuten sie nämlich etwas. Deswegen werden sie von ihm auch stark und fähig gemacht, seine Boten zu sein

Paulus ist da nur ein Modellfall. Die Gemeinde besteht aus lauter solchen Menschen, die sich nur darüber wundern können, daß ihr Herr etwas mit ihnen anfangen will. Paulus will an seinem Beispiel deutlich machen, was Christus auch noch mit anderen vorhat: aus Sündern sollen Mitarbeiter werden.

Dieses Wunder überwältigt ihn so, daß er nur in einen gewaltigen Lobpreis ausbrechen kann.

Das Schema des Abschnitts lautet: Sünde - Gnade - Dank. Auch wir können Gott nur danken, daß er uns für taugliche Werkzeuge hält. Wir wollen anderen predigen und sind doch selber schwach. Nein, wir sind eben nicht schwach, sondern wir können und dürfen anderen Mut machen, die Gnade Gottes anzunehmen.

Es spricht alles gegen uns - aber Gott ist für uns. Es ist viel Schlimmes gewesen - aber wir sind dennoch vertrauenswürdig. Wenn wir glauben: Gott gibt uns die Kraft, dann h a b e n wir sie auch. Christus bedient sich eben untüchtiger und unmöglicher Menschen; nur deswegen können wir als Sünder anderen von der Gnade Gottes predigen. Vielleicht ist dieser „Artikel“ bei der „Kundschaft'“ nicht so gefragt. Aber wir haben ihn immer wieder anzubieten. Vielleicht wird dadurch das Begehren geweckt.

Wissen dürfen wir aber auf jeden Fall: Wir s i n d etwas, wir k ö n n e n etwas. Aber das ist kein Grund, sich etwas darauf einzubilden, sondern vielmehr ein Grund, Gott zu loben und zu preisen.

 

 

1. Tim 2, 1 - 6 a (Rogate):

Eine Landkarte enthält eine Fülle von Informationen über eine Gegend, über die Dörfer und Straßen und Berge und Ausflugsziele. Bei fast jeder Ortschaft ist auch ein Kreuz eingezeichnet, weil dort eine Kirche steht. So wird auf der Landkarte sichtbar, daß ein ganzes Netz von Kirchen vorhanden ist. Dort ist dann natürlich auch Gottesdienst. Und dort wird auch regelmäßig Fürbitte gehalten für die Menschen, die um die Kirche wohnen und die in dem ganzen Land leben. Die kleinen Kreuze auf der Karte sind wie kleine Lampen, die ihre Umgebung hell machen und für die Menschen im Umkreis leuchten.

Aber das Gebet für andere Menschen ist nicht auf den Sonntag und nicht auf die Kirche beschränkt. Auch in den Häusern beten Christen für andere Menschen. Wollte man diese Häuser alle kennzeichnen, dann müßten noch viele Lampen aufleuchten. Ein ganzes Netz von Fürbitte durchzieht unser Land. Das Fürbittengebet im Gottesdienst aber ist der Knoten im Netz, der die Fäden zusammenhält.

Unsre Aufgabe ist es, daß dieses Netz nicht zerreißt, sondern durch uns noch gestärkt wird. Es nutzt ja nichts, wenn man eine Kirche als kulturelle Leistung einer vergangenen Zeit wahrnimmt, aber nicht am heutigen Leben in der Kirche teilnimmt. Manche betreten einen mittelalterlichen Dom oder eine alte Dorfkirche mit dem Wissen: So haben die vor uns geglaubt und gebetet, so haben sie sich selbst verstanden und Gott verehrt. Das Alte will uns auch für das Heute verpflichten. Der Glaube fängt ja nicht mit uns an, sondern wir gehen in den Spuren anderer. Aber es genügt nicht, den Naumburger Dom zu besichtigen. Was Kirche ist, versteht man nur, wenn man auch zur Gemeinde Kontakt hat.

Diese Gemeinde steht immer wieder in Verdacht, einen frommen Müßiggang zu betreiben. Sicherlich soll der Glaube auch Gestalt gewinnen in der Liebe; das ist seine Ausdehnung in der Waagrechten. Aber zu ihm gehört auch die Senkrechte, nämlich das Gebet, das Hinein­gezogensein in die Beziehung zu Gott. Hier betet die ganze Gemeinde für die Welt. Damit leistet sie einen wichtigen Dienst, den sie tun soll, den sie tun darf und den sie auch tun kann.

 

(1.) Wir sollen beten: Beten ist ein Stück Arbeit, nämlich Arbeit der Herzen. Das sollten wir uns vor Augen halten, wenn wir vielleicht stöhnen, daß nach der Predigt noch ein langes Fürbittengebet kommt. Hier haben wir ein wichtiges Amt, das wir auch stellvertretend für andere wahrzunehmen haben.

Sicherlich geht es nicht so, wie in einer Anzeige im „Singener Wochenblatt“ zu lesen war. Da bietet einer an: „Ich bete täglich für Sie gegen Geldspende im Brief!“ Das sind Leute, die angeblich andere gesundbeten können. Aber für Geld geht das sicherlich nicht. Solche Leute sind einfach Betrüger, die aber sicherlich auch Gutgläubige finden.

Wer betet, ist aus der eigensüchtigen Isolierung befreit. Er ist eingebunden in die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern. Aber diese Gemeinde ist nicht nur mit sich selbst beschäftigt, sondern sie ist für die ganze Welt da. Zwar weiß sich die Gemeinde von Gott besonders genommen. Aber sie weiß auch: „Was wir haben, das haben die anderen einstweilen noch nicht; aber sie werden einmal das sein, was wir jetzt schon sind!“ So hat die Gemeinde einen besonderen Auftrag für die ganze Menschheit.

Die Gemeinde bringt stellvertretend den, Dank der vielen vor Gott, die zwar alle aus Gottes Güte leben, es aber noch nicht entdeckt haben. Sie bringt aber auch stellvertretend die Bitten vor Gott, deren Erfüllung allen zugute kommen soll, auch denen, die nichts von Gott wissen wollen.

Gott will ja gebeten sein. Wegen unseres Gebets sollen Dinge geschehen, die sonst nicht geschehen würden. Die Naturgesetze müssen dem nicht entgegenstehen. Gott weiß die Welt schon so zu handhaben, daß unsre Bitten nicht sinnlos und vergeblich sind. Gott kann unsere Anliegen in sein Weltregiment einbeziehen, ohne seine Göttlichkeit dranzugeben und ohne seine höhere Weisheit auszuschalten.

Deshalb ist es nicht recht, wenn man im Gottesdienst gelangweilt abschaltet, wenn Gebete verlesen werden. Eigentlich müßte man unter Einsatz aller Kräfte des Herzens dabei sein und wie bei einem im Schlamm festgefahrenen Wagen in die Speichen greifen, damit etwas vorangebracht wird.

Die Gebete im Gottesdienst sind nur Modelle. Wem sie zu allgemein sind, der kann sie ja für sich selber konkretisieren. Wir lassen ja dazu extra Raum für ein stilles Gebet. Das ist nicht nur ein Pausenfüller, sondern ein ganz wichtiger Teil des Gottesdienstes, weil da jeder noch einmal persönlich zum Zug kommen kann.

Der Timotheusbrief spricht auch von der konkreten und der allgemeinen Bitte, von Fürbitte und Danksagung. Damit sind die Hauptformen des Gebets beschrieben. Heute wird man aber auch denken an das Nachdenken über Gott in der Meditation, an fröhliche Lieder, Psalmen, Stoßseufzer und auch einfach das Schweigen. Beten ist aber mehr als ein gelegentlicher einzelner Akt, sondern eine Grundhaltung. Es ist immer auch auf alle Menschen ausgerichtet, umfaßt Freunde und Feinde, Nächste und Fernste.

Die Fürbittengebete am Schluß des Gottesdienstes haben nach alter Tradition meist vier Themen: Kirche - Obrigkeit - Familie - besondere Notstände. Im Timotheusbrief wird besonders der zweite Punkt hervorgehoben: die Fürbitte für die Hauptverantwortungsträger im Staat, für die Politiker, Wirtschaftsführer, Wissenschaftler. So unverständlich es manchmal auch für uns sein mag: Auch für sie dürfen wir beten!

 

(2.) Wir dürfen beten: Schon damals waren die Christen durch die vom Kaiser verlangte göttliche Verehrung in schwerer Bedrängnis. Da mußte man sich schon fragen: „Wie kann man für eine Regierung beten, die keinen Gott mehr über sich duldet?“ Sicherlich hat man sich mit dem Kaiserkult nicht abgefunden.

Aber man wußte: „Das Reich Christi ist nicht von dieser Welt!“ Aber es läßt Raum für die Ordnungen der Welt. In dieser muß Macht ausgeübt werden, damit das Leben in der Welt ermöglicht wird bis zum großen Tag Jesu Christi. Das ist schon Grund genug, für die Regierenden zu beten. Man tut es ohne Augenzwinkern, sondern ehrlich im Sinne einer ernstgemeinten Bitte an Gott.

Aber jeder Kaiser ist nur ein Mensch. Als Christen beten wir für diesen Menschen, den wir unter Gottes Auftrag und in Gottes Hand wissen. G o t t hat den Kaiser zu dem gemacht, was er ist. Gott allein beschließt, was der Kaiser leisten kann und was nicht. Aber die Gottheit gebührt nur dem, dem sie zusteht. Gott allein ist unser Heiland, nicht der Kaiser in Rom oder sonstwo.

Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. Die Welt ist noch nicht selig, aber Gott will sie selig machen. Deshalb sieht der Christ immer in seinen nichtchristlichen Mitmenschen immer mögliche Brüder und Schwestern.

 

(3.) Wir können beten: Das Gebet ist nicht selbstverständlich. Manche stöhnen, sie hätten keine Zeit und wüßten gar nicht, was sie alles zuerst machen sollen: Man ist eingedeckt von Arbeit, man ist umstellt von Menschen, die einen brauchen. Wie soll man da noch Zeit finden zum Gebet? Der Timotheusbrief aber ermahnt zum Gebet „vor allen anderen Dingen“. Deshalb fängt ein Christ den Tag nicht ohne Gebet an. Eine Maschine wird morgens angestellt und abends abgestellt. Ein Christ aber betritt den Tag durch die Tür des Gebets. Und mit einem Gebet schließt er abends die Tür wieder zu und schiebt den Riegel vor. Das ist eine gute Gewohnheit.

Doch es gibt auch innere Gründe, die vom Gebet abhalten: Mancher hat Enttäuschungen erfahren, hat keinem Kontakt verspürt. Der tiefste Grund lag aber vielleicht darin, daß die Verbindung zu Gott gestört war, denn unversöhnt kann man nicht beten.

Vielleicht muß man auch erst wieder lernen, wie man richtig betet. In einer Gemeinde wird vor das Gebet ein Nachrichtenteil gesetzt. Dafür suchen mehrere Gemeindeglieder Nachrichten aus Kirche und Welt aus, damit dann auch für „die da oben“ und „die irgendwo dahinten“ gebetet werden kann. Aber beten kann man nicht auf eigene Faust. Das Gebet findet seine Mitte immer in Gott. Wir beten „durch Jesus Christus, unseren Herrn“. .Er ist der eigentliche Beter, wir sind nur Mitbeter in seinem Gefolge. Weil er auferstanden und gegenwärtig ist, können wir noch beten.

Im Abendmahl ist er mitten unter uns gegenwärtig. Weil er sich für uns geopfert hat, sind wir im Gebet für die Welt da. Auf diesen Mittler können wir uns berufen, wenn wir für uns selber und für andere beten.

 

 

1. Tim 3, 16 (Christvesper):

In einem Museum in Köln steht eine Figur aus Holz: Christus auf einem Esel in die Stadt Jerusalem hineinreitend. Er ist fast lebensgroß und hat Räder an den Beinen und wurde also bei kirchlichen Umzügen mitgeführt. Mitten unter den Menschen der jeweiligen Zeit zog er durch die Stadt. Und er war jedem nahe. Er ist so menschlich, er ist so vertraut, man kann ihm die Hand geben. So weit ist Gott also gegangen, soweit hat er sich zu uns herabgelassen, daß man ihm die Hand geben kann.

An Weihnachten bekennen wir: Christ ist erschienen! Er ist sichtbar geworden, man kann mit ihm reden, man kann ihn auf der Straße treffen. Er hat Hunger und Durst, er ist müde, er zittert und zagt - kurz gesagt: Er ist ein Mensch unter Menschen. Er ist nicht ein unzugänglicher und unerreichbarer Gott, wir brauchen ihr nicht erst zu suchen oder zu erfragen, er muß nicht erst erdacht oder erfühlt werden, sondern er ist da. Auf einmal tritt er in den Gesichtskreis der Menschen und stellt sich jedem von uns an die Seite.

Doch er kommt nicht nur einmal flüchtig vorbei. Bei den griechischen Göttern war das so. Von deren erzählt man sich, sie hätten sich ab und zu als Bettler verkleidet und so unter die Menschen gemischt. Aber dann seien sie sofort auch wieder auf den Olymp zurückgekehrt, meist nachdem sie großes Unheil unter den Menschen angerichtet hatten.

Jesus aber ist „ins Fleisch“ gekommen, er ist wahrer Mensch geworden. Das heißt aber nun nicht, daß er gedacht und gehandelt hat wie die Menschen sonst auch. Er hat keinen Anteil an der Welt der Sünde. Aber er hat es doch in unserer Welt ausgehalten.

Wir brauchen unsren Gott nicht in der Ferne zu suchen. Manche Leute stellen sich das ja so vor. Sie sagen: Gott ist nicht da, wo die Raketen hinfliegen, er ist noch viel weiter weg, am Rand des Weltalls, wo niemals jemand hinkommen wird. Aber wie sollte er dann etwas

mit uns zu tun haben können? Sie wollte er uns helfen, wenn er so weit weg ist? Könnten wir uns einen solchen Gott überhaupt noch vorstellen?

Die Bibel sagt es uns anders: Gott ist uns in Jesus nahegekommen, wie er uns nicht näher hätte kommen können. Wir haben ganz unmittelbar mit ihm zu tun, er ist ein Mensch geworden wie du und ich, er ist nicht der ferne Gott, sondern der nahe Gott.

Aber bei diesem „Gott wurde Mensch“ können wir ja nun nicht stehenbleiben. Wir müssen den Satz auch umgekehrt lesen: Dieser Mensch ist Gott! Die Menschheit hat er mit uns gemeinsam. Aber er ist dennoch Gott. In diesem ganzen Vers geht es ja um den Zusammenhang zwischen der Welt der Menschen und der Welt Gottes. Es wird uns hier gesagt, wer Christus ist, welche Bedeutung er für uns und für die Welt hat.

Es beginnt sozusagen auf der Erde: „Er ist offenbart im Fleisch“. Dann geht es aber weiter „im Himmel“. Es heißt: „Gerechtfertigt im Geist, erschienen den Engeln“. Dann wieder „gepredigt den Heiden, geglaubt in der Welt“. Und schließlich: „aufgenommen in die Herrlichkeit“. Und immer entspricht dem Geschehen im Himmel ein Geschehen auf der Erde und umgekehrt.

Himmel und Erde werden hier jeweils zusammengeklammert. Sie sind nicht zwei verschiedene Welten. Sondern in Christus wird die Grenze durchbrochen, die Himmel und Erde voneinander scheidet: Jesus kam auf diese Erde, um auf tiefster Erniedrigung wieder zu Gott erhoben zu werden. Damit hat er den Himmel auf die Erde herabgezogen. Jetzt sind sie wie zwei Lappen, die aufeinander genäht wurden.

Im Grunde kann man das nicht mit dem Verstand begreifen und etwa so lange umformen, bis der Himmel im Irdischen aufgegangen ist. Wohlgemerkt: Gott kommt uns nahe, aber er geht nicht in unserer Welt auf, er ist doch der ganz andere. Im letzten Grunde geht es hier um ein Geheimnis. Wir sollten nicht erschrecken vor dem Wort „Geheimnis“, das vielleicht nicht mehr so in unsre vernünftige Welt zu passen scheint. Aber wir merken hier an dieser Stelle, wie der Glaube der Kirche im Grunde nicht mehr aussagbar wird. Dieser Vers ist ja eines der frühen Glaubensbekenntnisse der Christenheit. Aber er legt uns nicht eine Lehre dar, sondern er ist ein Lobpreis auf den, der der Herr ist wie im Himmel so auf Erden.

Seine Herrschaft wird hier beschrieben nach der Art eines Thronbesteigungsfestes eines Königs. Im Alten Orient ging diese Thronbesteigung nach festen Regeln vor sich, wie übrigens heute ja auch noch bei einer Krönung. Zuerst wird der neue Herrscher den Großen seines Reiches vorgestellt. Das sind bei Jesus die Engel, die schon in der Heiligen Nacht wissen, wer da geboren ist. Sie huldigen dem neuen Herrscher, der von Gott gerecht gesprochen wurde und der ein gerechter König werden wird. Dieser Zustimmung im Himmel entspricht auf Erden die Predigt des Evangeliums an die Heiden.  Boten werden ins ganze Reich ausgeschickt, um die Botschaft vom neuen König zu verkünden.

Und das Dritte ist schließlich die eigentliche Thronbesteigung, die Einsetzung zum König. Im Himmel geschieht sie durch die Aufnahme in die Lichtherrlichkeit Gottes und auf Erden dadurch, daß Menschen da sind, die an diesen neuen König glauben.

Von welchen Erwartungen wird doch jedes Mal der Herrschaftsantritt eines neuen Königs begleitet. Das ist ja heute noch so: Wenn eine neue Regierung oder ein neuer Mann an die Macht kommt, dann beginnt das Volk wieder zu hoffen. Von nun an soll alles besser werden,

ein goldenes Zeitalter soll beginnen und Friede und Eintracht auf Erden herrschen.

Das war so, als Stalin gestorben war und als Chruschtschow abtrat. Aber das ist selbst auch so, wenn ein Fußalltrainer davongejagt wird und ein neuer eingestellt wird: Der neue Mann soll Wunder vollbringen und ein neues Zeitalter heraufführen.

Bei Jesus sah das ja zunächst nicht so aus. Ja, daß er der König im Himmel ist, das mag ja sein, das können wir nicht nachprüfen. Aber das, was auf Erden davon sichtbar ist, sieht ja nicht sehr verheißungsvoll aus: Da ist ein winziges Kind, hilfsbedürftig und elend, zerknittert und unansehnlich - und das soll der Weltherrscher sein, der jetzt seinen Thron besteigt? Wir können verstehen, weshalb die drei Weisen zuerst im Königspalast in Jerusalem nach dem neuen König fragten. Es ist doch unmöglich, daß ein König im Stall geboren wird!

Niemand hätte etwas davon gemerkt, wenn nicht besondere Zeichen auf dieses Kind hingewiesen hätten und wenn nicht ausdrücklich die Botschaft verkündet worden wäre: „Euch ist heute der Heiland geboren!“ Der von den Malern auf Weihnachtsbildern oft dargestellte Lichtglanz war ja nicht wirklich zu sehen, sondern ist eine Aussage des Glaubens.

Jesus macht aber auch keine Anstrengungen, seiner weltweiten Bedeutung auf weltliche Weise Anerkennung zu verschaffen. Er wird nur gepredigt, ohne daß eine menschliche Macht dem Nachdruck verleiht (oder auch eine göttliche Macht). Bei uns Menschen ist das ja üblich, daß einer seiner Überzeugung durch allerhand Machtmittel Nachdruck verleiht. Aber umso überraschender ist es doch, daß ausgerechnet der mächtigste Herr der Welt darauf verzichtet.

Er wirkt wirklich nur durch das Wort. Aber ich denke, er hat damit eine größte Wirkung erzielt als alle, die ihre Macht nur auf Gewalt aufbauen.

Aber so war eben das ganze Leben Jesu: So wie es angefangen hatte, so ging es auch weiter und so endete es. Immer hielt er es mit den Armen und Ausgestoßenen, er redete die Sprache der einfachen Leute und kümmerte sich um die Kranken und Schwachen. Auch sein Einzug in Jerusalem ist ein Zeichen für diese Einstellung: Auf dem Esel kamen die kleinen Leute, die Könige kamen hoch zu Roß.

Aber dennoch hat sich dieser Jesus in der Welt durchsetzen können. Die Gemeinde bekennt von ihm: „geglaubt in der Welt“, er fand Glauben und Vertrauen, wenn auch nicht bei allen, aber er hat seine Gemeinde.

Der Glaube ist ja selbst wieder ein Wunder Gottes. Aber man sollte vom Glauben nicht kleinlaut sprechen. Wer glaubt, der wird in das Reich dieses neuen Königs mit hineingezogen. Christus zieht die anderen mit sich in die Herrlichkeit Gottes hinein. Aber auf der Erde zeigt er auch schon seine Herrlichkeit an denen, die an ihn glauben.

Aber auch an den Christen zeigt sich die Macht Gottes nur sehr verhüllt. Gott regiert nicht mit Gewalt, sondern er regiert die Herzen. Aber das löst Kräfte aus, die die Welt verändern. Es sind keine überragenden Taten, aber Dinge, die jedem von uns möglich sind. Es wäre das schönste Bekenntnis zu Jesus, wenn wir wirklich so lebten, wie er es uns vorgelebt hat.

An einem Beispiel soll das zum Schluß noch einmal deutlich werden (Nacherzählung der Geschichte „Ich bin ein Narr“)

Christus war auch so ein Narr, der die eigenen Wünsche zurückstellte und anderen Gutes tat. Und Gott war ein Narr, daß er seinen Sohn unter die Menschen geschickt hat. Aber wäre dieser erste Schritt nicht geschehen, dann hätte er auch die Kettenreaktion nicht ausgelöst. Aus einer guten Tat entsteht immer wieder Gutes. Es kommt nur darauf an, daß wir den ersten Schritt tun. Dann ist die Menschwerdung Gottes für uns nicht vergeblich gewesen.

 

 

1. Tim 4, 4 - 5 (Erntedankfest):

(Die Kinder haben Erntedankgaben hereingebracht. Einige Kinder werden gefragt, woher diese Gaben denn kommen. Antworten könnten sein: „aus dem Garten“ oder aus dem „Geschäft“. eine kurze Diskussion schließt sich an, ob die Milch von der „lila Kuh“ kommt oder aus dem Automaten, stellen die Bauern die Nahrung her oder kommt sie aus der Fabrik?).

 

In der Bibel steht, daß G o t t alles geschaffen hat und daß es gut ist. Der Predigttext aus 1 . Timotheus 4 wird vorgelesen: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.“

Feiern wir heute ein Erntefest oder das Erntedankfest? Stellen wir nur fest, daß unser Leben wieder einmal für ein Jahr gesichert ist, oder erkennen wir darüber hinaus, daß das alles mit Gott zu tun hat, daß er uns alles geschenkt hat und uns dadurch erhalten will.

Im ersten Timotheusbrief jedenfalls wird uns gesagt: „Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut!“ Deshalb haben wir Grund, ihm jeden Tag zu danken, nicht nur am Erntedankfest. Dabei geht es nicht um eine höfliche Pflichtübung, so wie man den Kindern sagt: „Nun bedanke dich aber einmal bei der Tante!“ Vielmehr haben die beiden Wörter „gut“ und „Gabe“ ein besonderes Gewicht.

Daß Christen etwas von Gott wissen bedeutet keineswegs, daß sie zu den alltäglichen Dingen kein Verhältnis hätten oder beim Genuß der täglichen Nahrung ein schlechtes Gewissen haben müßten. Bei den Menschen der Bibel wird fröhlich gegessen und getrunken. Jesus wird sogar einmal als „Fresser und Weinsäufer“ beschimpft. Es ist einfach falsch, wenn immer wieder behauptet wird, die christliche Kirche sei nur dem Himmel zugewandt und halte nichts von den irdischen Dingen, sie sei gegen die Natur und gegen die natürlichen Bedürfnisse des Körpers.

Doch da verwechselt man die christliche Lehre mit einer anderen Weltanschauung, die eine starke Konkurrenz gegen das Christentum war und gegen die sich gerade auch der Timo­theus­brief wendet. Diese Lehre nannte sich „Erkenntnis“ (Gnosis) und ist so etwas Ähnliches wie die Esoterik oder Scientology. Diese Leute hätten nie ein Erntedankfest feiern können, weil sie die ganze Welt ansahen als ein Gefängnis für die aus dem Himmel kommenden Seelen. Alles Körperliche mußte möglichst bald vernichtet werden, damit die Seele wieder frei in den Himmel schweben kann.

Deshalb vermied man bestimmte Speisen. Da der Mensch aber irgendetwas essen muß, hatten diese Leute sie wenigstens ein schlechtes Gewissen, wenn sie etwas aßen. Als Christen aber genießen wir gern, was ein gedeckter Tisch uns bietet.

Eine Grenze setzt uns nur unser Kalorienbewußtsein: Wir wissen, daß zu viel Essen schädlich für unsre Gesundheit ist. Wer ein Magen- oder Gallenleiden hat oder an Zucker leidet, der muß besonders vorsichtig sein mit dem Essen. Das ist aber etwas ganz anderes, als wenn wir das Essen und damit unseren Körper verachten müßten.

Wir können nur froh sein, daß sich damals das Christentum durchgesetzt hat und nicht jene andere angebliche Heilslehre. Aber hin und wieder ein wenig Fasten ist auch nicht schlecht, nicht nur aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil man dadurch zum Ausdruck bringt: „Ich habe Grund zum Danken!“ Manche verzichten in der Passionszeit auf bestimmte Speisen, vor allem auf solche, die gut schmecken. Aber als moderne Menschen können wir ja auch einmal auf das Auto verzichten und uns an der Aktion „Mobil ohne Auto“ beteiligen, wenigstens einmal im Jahr.

Außerdem ist es nicht gut, wenn wir uns den Bauch vollschlagen, während andere Menschen in der Welt hungern. Deshalb ist es ganz gut, hin und wieder einmal auf einen Genuß zu verzichten. Dadurch haben wir Mittel frei, um andere Menschen zu unterstützen. Die Frage ist nur, ob wir es tatsächlich tun. Denn da wir etwas vom Leben haben wollen und etwas aus unsrem Leben machen wollen, denken wir lieber erst einmal an uns und kaufen uns von dem Ersparten etwas anderes Schönes.

Auch als Christen sind wir nicht frei von unchristlichen Anschauungen. Wir könnten zum Beispiel denken: „Wenn wir ernten, dann hat das nichts mit Gott zu tun, sondern das ist alles Natur. Diese aber schenkt uns nichts, sondern sie bringt zwangsläufig Früchte hervor, egal ob sie gut oder böse sind oder ob der Mensch sie braucht oder seine Freude daran hat!“

Doch wer an Gott glaubt, der weiß, daß er es nicht einfach mit Dingen zu tun hat, an denen er sich zu schaffen macht. Er weiß vielmehr, daß dahinter ein Geber steht, dem am heutigen Tag und an jedem Tag des Jahres unser Dank gilt.

Erntedank ist nur eine Spielart der Gottesverehrung: Wenn es um Saat und Ernte geht, dann wird uns das Schaffen und Erhalten nur vielleicht besonders deutlich. Gott ist aber auch der Schöpfer in jedem Schlag unseres Herzens und in jedem Atemzug (Wir horchen einmal einen Augenblick in uns hinein und achten auf unseren Atem und unsren Herzschlag - es muß ja nicht sein, daß der Prediger immerzu redet). Gott ist da im Entstehen des Sauerstoffs aus den Pflanzen, in den chemischen Vorgängen, im Wetter. Der Christ sieht hinter den Gaben den Geber.

Aber wir könnten auch denken: Es sind doch Menschen, die das „machen“, was wir zum Leben brauchen. Man spricht von „landwirtschaftlicher Produktion“, so als könne man aus Rohstoffen und menschlicher Arbeitskraft und Intelligenz alles alleine herstellen.

Doch es gibt immer wieder einmal Trockenzeit und Regen zu Zeiten, in denen es ungünstig war. Es gab eine Erhöhung der Kraftstoffpreise, die nicht jeder Betrieb einfach wegstecken kann. Die Preise für die Maschinen sind wieder gestiegen, während die Erlöse für die Ernte eher zurückgingen (hier eventuell einen Landwirt die Schwierigkeiten seines Berufsstands schildern lassen).

Wir vergessen gern, daß die Landwirte manche Probleme haben, wenn wir täglich gedankenlos unser Essen verspeisen. Deshalb wollen wir am heutigen Tag den Dank an die Menschen nicht vergessen, die in den hinter uns liegenden Wochen mit großem Aufwand an Kraft und Ausdauer die nötige Arbeit geleistet haben. Sie ist zwar nicht mehr so körperlich schwer wie früher, als fast alles mit der Hand und mit dem Kuh- oder Pferdegespann gemacht werden mußte, aber sie ist immer noch eine große Leistung.

Doch auch die in der Landwirtschaft Beschäftigten sollten nicht vergessen, daß menschliche

Kraft und menschliches Können eine Gabe des Schöpfers sind. Gott wirkt nicht ohne seine Geschöpfe, sondern in ihnen und durch sie. Es wäre schön, wenn man auch in der heutigen technisierten Landwirtschaft diesen Zusammenhang nicht übersehen würde.

Aber das gilt natürlich für jeden, der etwas zum Gelingen des menschlichen Lebens beiträgt. Auch wer in der Industrie, im Handwerk, im Büro, in Ausbildungsstätten, im Haushalt und anderswo arbeitet, hat Grund zur Dankbarkeit. Erntedank ist ein Fest für alle Bevölkerungsschichten, sogar für diejenigen, die nicht oder nicht mehr arbeiten können.

Damit werden wir über das eigentliche Erntedankfestthema weit hinausgeführt. Der Timo­theusbrief sagt sogar: „Alles ist gut, wofür man Gott dankt!“ Es wäre doch ganz gut, wenn man abends vor dem Einschlafen noch einmal den ganzen Tag danach durchmustert: Wofür kann ich danken, wofür nicht? Dann würde uns wohl manches einfallen, was mit dem Gesetz oder mit den allgemeinen Anschauungen nicht übereinstimmt. Aber wir können sicherlich auch Gott danken für vieles, das gelungen ist und gut war an diesem Tag.

Natürlich darf man sich dabei nichts vormachen und gutgläubig oder leichtfertig die eigenen Wünsche in den Willen Gottes einschmuggeln. Man muß dazu schon im Gespräch mit Gott bleiben. Wo wir aber Gott mißachtet haben und Menschen geschädigt oder verletzt haben, wird in der Regel kein Dank an Gott möglich sein. Wer aber danken kann, der weiß, daß Gott ihn beschenkt hat - und das ist dann Glaube.

Die Dankbarkeit schließt den rechten Umgang mit den Gaben Gottes ein. Verwerflich werden die Dinge dieser Welt ja nur dadurch, daß wir gottwidrig damit umgehen. An sich ist alles gut, was Gott geschaffen hat. Essen und Trinken dienen der Erhaltung unsres Lebens und unsrer Kraft.

Fressen und Saufen jedoch (wie es im Römerbrief heißt) verderben Gesundheit und Leben. Oder wenn ich mich satt esse, aber die Hungernden in der Welt darüber vergesse. Das Erntedankfest warnt uns vor jeder Ichsucht.

Wenn Gott die Welt gut gemacht hat, dann kann nur der Mensch das Böse in die Welt gebracht haben. Nur muß man dabei bedenken, daß „gut“ nicht automatisch das sein kann, was uns Menschen angenehm ist. Auch bei Schwerem im Leben kann man doch darauf vertrauen, daß Gott es gut mit uns meint. Auch wenn es ganz schwer wird, darf man sich doch zu Gott flüchten. Doch das geht nur, wenn man auch wirklich in einer persönlichen Beziehung zu Gott steht. Hier geht es nicht um Weltanschauung, sondern gelebten Glauben.

Gott bleibt der Schöpfer, auch wenn uns manches in der Welt erschreckt und ängstet, plagt und quält. Er bleibt der Schöpfer, der uns sein Gutes gibt und uns nicht hungern und verkommen läßt. Indem er es wieder reifen ließ, empfangen wir seine schaffende und erhaltende Liebe. Für das, was ich verlangen kann, brauche ich mich nicht zu bedanken. Wer aber dankt, der sagt damit, daß er auf das Empfangene eigentlich kein Recht hat. Er weiß, daß er es nur empfangen hat, weil der Geber ihm etwas zuliebe tun wollte. Wenn ich danke, dann bringe ich zum Ausdruck: „Ja, ich habe es gemerkt, du hättest es nicht gemußt, aber du meinst es gut mit mir!“

In unsrer Undankbarkeit empfangen wir seine Gaben oft in stumpfer Gleichgültigkeit. Wir klagen Gott sogar noch an, wenn er uns einmal nur karg bedenkt. Würde er uns aber nur das gewähren, wofür er unseren Dank bekommt, dann wäre es längst um uns geschehen. Wenn wir erkennen, daß die Ernte mit dem Schenken Gottes zu tun hat, dann werden wir mit neuen Augen ansehen, was wir täglich genießen, und werden anders damit umgehen. Am Erntedankfest bekennen wir, daß Gott uns beschenkt hat. Der Glaube versteht sogar das ganze Leben als ein Geschenk. Gott könnte seine Hand wieder zurückziehen. Er könnte die Welt still stehen lassen. Aber er will es nicht.

Wer das erkannt hat, der dankt Gott dafür im Gebet. Allerdings findet man das Tischgebet nur noch in wenigen christlichen Familien. Es ist ja auch oft so, daß wegen der unterschiedlichen Arbeitszeiten die Woche über die Familie gar nicht gemeinsam am Tisch zusammenkommt. Aber bei Rüstzeiten wie den Konfirmandenrüsten oder bei Gemeindeveranstaltungen kann immer wieder ein Anfang gemacht werden. Wenn wir beten, dann sind wir Gäste an Gottes Tisch. Indem wir seine Gaben bewußt empfangen, kommen wir mit ihm in Kontakt. Jedes Geschenk hat nicht nur einen Gebrauchswert, sondern auch einen persönlichen Wert. Der es mir übergab, wollte mir damit ein Stück von sich selbst geben und seine Verbundenheit mit mir bezeugen. So schenkt auch Gott uns in all seinen Gaben seine Vaterliebe.

 

 

 

2. Tim 1, 7 – 10 (16. Sonntag nach Trinitatis):

Manche Menschen wollen alles selber packen und sich nicht helfen lassen. Wenn man etwas Handwerkliches macht, will er es erst einmal probieren, ob man es nicht allein hinkriegt. Vor allem, wenn man ein Werkzeug noch nicht kennt oder wenn ein Möbelstück zusammenzusetzen ist, befaßt man sich erst einmal mit der Anleitung und probiert aus, ehe man dann vielleicht doch jemand zu Hilfe holt.

Es gibt aber auch Fälle, da geht es nicht ohne die Hilfe anderer: Aus einem brennenden Haus kann oft nur noch die Feuerwehr retten. Eine in ein Unwetter geratene Bergsteigergruppe braucht die Bergwacht mit ihrem Hubschrauber. Wer am Verbluten ist, kann nur noch durch den Chirurgen gerettet werden.

 Wie ist es aber im Dienst Gottes? Kann man da seinen Glauben allein bewahren oder braucht

man da auch die Hilfe anderer? Glaube ist doch so etwas Persönliches, da redet man nicht gerne mit anderen darüber! Wir sind doch alle ein wenig schüchtern und denken eher: „Glaube ist doch Privatsache, weshalb soll ich meine Einstellung denn jedem auf die Nase binden, das geht doch niemanden etwas an!“

Aber dieser Zweite Timotheusbrief spricht noch in eine verschärfte Situation: Der Verfasser schlüpft in die Rolle des Paulus, der in Rom in Gefangenschaft ist und dort seinen Glauben rechtfertigen soll. Doch ihm steht auch Timotheus vor Augen, der Mitarbeiter des Paulus, der sowieso von Natur aus etwas zurückhaltend war und das gleiche Schicksal fürchtet wie Paulus.

Ja, auch die Amtsträger der Kirche sind manchmal in ihrem Glauben angefochten und brauchen Zuspruch. Wir erwarten manchmal, daß sie wahre Helden des Glaubens sind, unbeirrbar und mit den richtigen Argumenten versehen, um den Glauben zu beweisen und zu verteidigen. Da ist es dann schon zu viel, wenn einer in der Predigt das Wörtchen „vielleicht“ verwendet. Damit verunsichere man die Gemeinde, sagen Manche. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob es grundsätzliche Zweifel gibt oder ob man nur in einer bestimmten Frage unsicher ist, wie die Bibel auszulegen ist.

Im Dienst Gottes sind aber nicht nur die Amtsträger, sondern alle, die zu ihm gehören. Sie werden durch den Zweiten Timotheusbrief auch heute ermutigt, unbeirrt am Glauben festzuhalten. Dabei können sie sich auf die Kraft des Heiligen Geistes verlassen, sie können weiter seinem Ruf folgen und sie dürfen in der Erwartung des unvergänglichen Lebens die gegenwärtigen Probleme ihres Lebens bewältigen.

 

(1.) Wir dürfen uns auf die Kraft des Geistes Gottes verlassen: Wenn ein Außenstehender sieht, wie es einem Christen unter Umständen ergehen kann, wird er sich vielleicht überlegen, ob er sich dieser Gemeinschaft anschließt. Bei uns besteht zum Glück keine Gefahr. Aber es ist noch nicht so lange her, da war auch bei uns für bekennende Christen der Weg in bestimmte Berufe verschlossen, und zwar sowohl bei den Nationalsozialisten wie bei den Kommunisten. Und es gibt bis heute Staaten in der Welt, da müssen Christen um ihr Leben fürchten, weil sie nicht nur von bestimmten religiösen Gruppen bedrängt werden, sondern auch von ihrem Staat.

Der Brief aber spricht in die entgegengesetzte Richtung: „Geh in meinen Spuren! Leide mit dem Evangelium, denn im Grunde leidest ja nicht du, sondern das Evangelium!“ Die Lage wird nicht verharmlost: Ein Christ wird sich immer auf das Kreuz seines Herrn einstellen müssen. Aber Jesus erwartet, daß wir uns nicht schämen, zu ihm zu gehören.

Timotheus wird ganz einfach an seinen Auftrag erinnert. Er hat nicht einen Job übernommen, den man leicht gegen einen anderen austauschen kann, sondern er wurde von Gott für einen bestimmen Dienst in Anspruch genommen. Bei einem Amtsträger der Kirche wird das sogar in einer besonderen Handlung zum Ausdruck gebracht: Bei einem Pfarrer ist das die Ordination, bei den Kirchenvorstehern oder anderen Mitarbeitern die Einführung. Aber im Grunde sind wir alle durch die Taufe beauftragt und in den Dienst gestellt. Nicht alle haben die gleiche Gabe, aber es gibt keinen, der nicht irgendwie eine Gabe hätte. Und jeder hat die Gabe, die er für die Ausrichtung s e i n e s Dienstes braucht.

Timotheus wird hier gesagt: „Entfache wieder den Funken, der unter der Asche glüht, zu einer neuen Flamme! Laß wieder aufflammen, was als Gabe Gottes in dir glimmt! Und vor allem

darfst du dich auf den Geist Gottes verlassen. Das ist kein Geist der Furcht, sondern ein Geist

der Kraft und der Liebe und der beherrschten Klarheit!“

Es ist eine Kraft, die von Gott kommt, nicht aus mir selbst heraus. Sie treibt in Bewegung, so daß man das sichere Versteck verläßt und sich mutig den Anforderungen seiner Umgebung stellt. Sie hilft uns, die Rufe des Alltags zu übertönen. Es geht ja nicht darum, daß wir uns einmal sehen lassen und damit den anderen zeigen, daß die Kirche noch da ist. Vielmehr wird unsere Sehnsucht gestillt, aus dieser Kraft heraus einmal wirklich unseren Glauben bekennen zu können.

Aus dieser Kraft erwächst eine Liebe, die den Blick weg richtet von der eigenen Person auf den Mitmenschen. Die Liebe schont sich nicht, wenn es um die Sache des anderen geht. Sie folgt nicht augenblicklichen Stimmungen, sondern aus der Erfahrung mit Jesus ist die Gewißheit entstanden, daß wir von Gott seit aller Ewigkeit geliebt sind.

Die Klarheit schließlich will verhindern, daß wir im Zustand der Ekstase die Kontrolle über uns selbst verlieren. Sie will uns seelisch gesund machen, daß wir wach und nüchtern bleiben. Sie will auch verhindern, daß wir plötzlich alle Hemmungen hinwerfen und ganz aus der Rolle fallen, nur weil wir unsre eigenen Ziele im Blick haben.

 

(2.) Wir dürfen dem Ruf des Geistes Gottes folgen: Wer Christ ist, hat den Ruf Gottes in irgendeiner Weise gehört. Christsein ist nicht Sache einer Religionszugehörigkeit, sondern in dem Ruf Gottes hat man seinen eigenen Namen vernommen und wurde von außen her angesprochen, so daß man jetzt sich zu diesem Gott bekennt. Der Anruf Gottes ist nicht eine Zutat zu einem an sich guten Leben. Das Wort Gottes, das in der Kirche gepredigt wird, ist nicht Rede ü b e r Gott, sondern Gottes eigene Rede.

Gott läßt Gemeinschaft entstehen zwischen sich und uns. Er selbst hat den Kontakt zu uns

aufgenommen: Dadurch hat er eine Gemeinschaft geschaffen wie zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern oder Freunden und Kollegen untereinander. Aus dieser Gewißheit heraus können wir auf andere Menschen zugehen und ihnen auch von dieser frohmachenden Gewißheit erzählen.

 

(3.) Wir dürfen auf das unvergängliche Leben warten: Dem Timotheus wird Mut gemacht trotz seiner aussichtslosen Lage. Er erwartet doch immer das unvergängliche Leben, das Jesus Christus ans Licht gebracht hat - für sich und damit auch für uns. Wir sind nicht Zufallsprodukte, sondern Geschöpfe der Liebe Gottes. Deshalb dürfen wir nicht zu eng von unserem Leben denken. Ein Menschenleben mit einer stattlichen Anzahl von Jahren ist schon viel. Aber wir können ein Menschenleben nicht lediglich von dem her beurteilen, was sozusagen unseren Lebenslauf ausmacht. Am Ende müßten wir ja doch nur klein beigeben, weil uns nichts anderes übrigbleibt.

Weil aber Gott mit uns redet, ist der Todeshorizont schon aufgebrochen. Wer sich von Gott geliebt weiß, der kann auch sterbend nur in seine gnädigen Hände fallen. An der Erfahrung mit Jesus ist die Gewißheit entstanden, daß wir von Gott seit aller Ewigkeit geliebt sind. Jesus hat den Tod nicht ausgeschaltet, aber er hat ihn entmachtet. Gottes Weg führt weiter und führt zum Leben und unverfänglichen Wesen. Weil es dieses letzte Ziel gibt, dürfen wir uns nicht aufgeben und mutlos werden. Wer Christus kennt, der ist auch in schwieriger Lage zuversichtlich und guter Dinge. Uns braucht - wie immer Gott es mit uns machen wird - nicht bange zu sein. Heute und an jedem Tag wollen wir Gott bitten um Kraft aus seinem Wort, um Liebe aus seiner Liebe und um den Geist der Klarheit und Besonnenheit.

 

 

 

Titus 2, 11 - 14 (Christnacht, Variante 1)

Heute ist die Kirche in ein besonderes Licht getaucht. So kommt es uns jedenfalls vor. Wir haben uns schon lange wieder einmal nach so etwas gesehnt, wir brauchen Licht in unserer Finsternis. Nach all den Ängsten dieses Jahres und nach der Hetze vor dem Fest wollen wir jetzt zur Ruhe kommen. In einer solchen Stunde muß man behutsam sprechen, in Ruhe Atem holen und auch die Gefühle und geheimen Nöte und Wünsche zu ihrem Recht kommen lassen.

„Die Gnade Gottes ist hell aufgegangen und gibt allen Menschen Licht!“ Das hören wir gern, das tut gut. Wir sind alle Menschen, die Licht brauchen. Unter uns ist keiner, der nicht aus er Finsternis käme, der nicht dann und wann den Weg aus den Augen verloren hätte. Wo aber Licht ist, da ist das Leben und ein Ziel. Wo kein Licht ist, da stößt man zusammen und bekommt Angst. Wir sprechen nicht gern von unserer Furcht. Aber dadurch wird sie nicht kleiner.

Sie kann nur überwunden werden durch das Licht des Kindes von Bethlehem. Dieses scheint allen Menschen. Keiner ist davon ausgeschlossen, wie finster die Welt auch sein mag, aus der er kommt. Gerade die „geistlich Armen“ sollen es erfahren, die nichts von der Nähe Gotte zu spüren meinen. Zu ihnen werden wir alle uns irgendwie zu rechnen haben. Es ist jedenfalls keinem zu wünschen, daß er meint, er gehöre nicht dazu. Aber Gott verachtet keinen der „geistlich Armen“, er will sich gerade ja um sie kümmern.

Für sie ist er auf der Erde erschienen. Damals dachte man bei dem Wort „erscheinen“ an eine Gottheit, die aus der unsichtbaren Welt ins Sichtbare kommt. Oder man dachte an einen irdischen Herrscher, der geboren wurde oder die Regierung antrat oder eine Stadt oder eine Provinz besuchte. Wenn ein Kaiser sich irgendwo in seinem Reich sehen ließ, dann war das eine „Erscheinung“. Wenn er in eine Stadt einzog, dann hieß es jedesmal: „Hier bin ich der Herr und habe zu sagen!“

Jesus aber war ein anderer Heilbringer, ein wirklicher Erretter: Er hat sein Volk nicht mit Macht und Pracht gewonnen, sondern dadurch, daß er sich selbst hingegeben hat. In einer überfüllten Behelfsunterkunft ist er zur Welt gekommen. Er will damit sagen: „Da habt ihr mich! Ihr seid nicht zu mir gekommen, nun komme ich zu euch! Jetzt habt ihr keinen weiten Weg mehr zu mir!“ Das sagt er besonders denen, die sich innerlich am weitesten weg von dem fühlen, was hier gespielt wird. Aber gerade dem ist Christus besonders nahe, ohne daß er es bisher wußte. Er ist so nah, weil er die menschgewordene Gnade Gottes ist, heilsam für              a l l e Menschen.

Gott könnte natürlich auch anders. Er könnte sein Volk reinigen, wie man das mit Rebellen und Aufständischen zu tun pflegt. Aber er 1äß seine Gnade erscheinen. Er gewinnt die schon verlorene Welt wieder, indem er seine Gnade sichtbar werden läßt. Er setzt das einzige Mittel ein, mit dem er uns von innen her gewinnen kann: sein herzgewinnendes Wesen, die spontane Liebe, die sich still und geduldig um uns bemüht und sich von fehlender Gegenliebe nicht beirren läßt.

Gott hat es sich schwer gemacht, uns zu gewinnen. Das macht ihn vertrauenswürdig. Der Kaiser Augustus und seine Nachfolger haben sich ihr Volk bereitet durch Prunk und Machtentfaltung, aber auch durch viel Blutvergießen unter den Untertanen. Bei Jesus ist alles anders. Auch bei ihm wird Blut vergossen - aber sein eigenes Blut, das Blut des Königs. Über der Krippe steht schon das Kreuz. Aber mit der Krippe hat alles angefangen, da begann die Liebe Gottes zu den Menschen deutlich zu werden.

Wenn einer sich selbst für uns dahingegeben ha, da kann man doch nicht unbeteiligt bleiben. Da wird man doch betroffen aufwache und sich fragen müssen, was das für das eigene Leben zu bedeuten hat. Das hat auch immer wieder Menschen verändert und in Bewegung gebracht. Darin unterscheidet sich die wirkliche Weihnacht von einer bloßen Weihnachtsfeier: die Feier vergeht und läßt uns im neuen Jahr die alten Menschen bleiben. Aber die wirkliche Weihnacht bewirkt eine neue Weise, Mensch zu sein.

Im Titusbrief heißt es: „Die Gnade Gottes will uns erziehen!“ Dieses Wort hatte früher einen schlechten Klang, weil Erziehung meist mit Hilfe von Prügeln geschah. Deshalb sagen wir besser: „Die Gnade Gottes arbeitet an uns. Sie will uns formen und bilden und will etwas aus uns machen“

Das wirkt sich auch sichtbar an unserem Leben aus. Das bedeutet allerdings nicht, daß uns die Freude an Gottes Schöpfung verwehrt wäre. Wir dürfen uns sicher auch am Lichterbaum, an den Liedern, am Krippenspiel erfreuen. Ein Christ muß sich nicht aus der Welt zurückziehen, denn sie ist ja Gottes Welt. Durch die Menschwerdung Gottes ist sie ja gerade aufgewertet worden. Es geht auch nicht darum, daß wir uns nun vornehmen, an uns selber zu arbeiten. Kinder sagen manchmal „alleine machen“. Aber wir wissen auch, wie schnell so etwas schief gehen kann, und stehen lieber daneben, bis alles geklappt hat.

Auch die Erwachsenen wollen oft alles alleine machen, nur daß bei ihnen das Risiko noch größer geworden ist. Aber manchmal fährt man sich dabei so fest, daß es nicht mehr vorwärts oder rückwärts geht. Oft sieht man sich erst dann nach Hilfe um, so wie ein Autofahrer, der im Schlamm eines Feldwegs oder im Schnee steckengeblieben ist.

Wir brauchen einen Partner im Leben. Und dieser Partner ist das Kind von Bethlehem. Wir tun gut daran, uns den Dienst dieses Bruders gefallen zu lassen. Er bindet uns auch mit den anderen zusammen, macht uns aus Einzelmenschen zu Weggenossen, die gemeinsann der Zukunft Gottes entgegengehen

Doch das ist dann nicht unser Verdienst, sondern Werk der Gnade Gottes, die an uns arbeitet. Sie fördert ein ganz normales Leben im Sinne Gottes. Sie gibt uns das rechte Augenmaß, das rechte Verhältnis zu Gott. Wo sie wirkt, da hat Gott den ihm gebührenden Platz im Denken, Wünschen und Hoffen.

Und das nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern das ganze Jahr über. In der Zeit vor Weihnachten werden die Nerven ja manchmal ganz schön strapaziert. Das Wetter schlägt einem aufs Gemüt. Man will sich beherrschen, und doch tut man anderen Menschen weh. Wenn aber das Fest selber da ist, wird man wieder milder. Man wünscht sich ein „gesegnetes Christfest“ und hat Verständnis für die Schwächen anderer. Warum kann das nicht immer so sein? Warum ist dieser Zustand meist nur von kurzer Dauer?

Die Gnade Gottes arbeitet an uns, damit es nicht bei einem milden Lächeln und einem vor­übergehenden Burgfrieden bleibt. Gott will uns durch seinen Sohn völlig umkrempeln, so daß wir ein neues Verhältnis zum Mitmenschen gewinnen. Die große Weltgeschichte folgt anschei­nend noch ihren eigenen Gesetzen und Zwangläufigkeiten. Aber für den Einzelnen kann die große Verwandlung schon heute beginnen durch die Macht der Gnade Gottes.

Christus kommt nicht mit der Unwiderstehlichkeit seiner göttlichen Macht zu uns, solange wir noch unverwandelt, unbearbeitet, unerzogen sind. Er könnte das natürlich. Die Herrscher dieser Welt haben es so versucht, haben die Völker unterworfen und die Herzen der Menschen nur verbittert. Aber so kann man nicht verändern und gewinnen. Die Gnade Gottes aber will uns innerlich gewinnen, so daß wir uns von selber ändern. Sie will uns heute schon überzeugen, ehe sie einmal aus ihrer Verborgenheit heraustritt, um uns ganz zu vollenden.

 

Tit 2, 11 - 14 (Christvesper, Variante 2)

Am Abend nach einem großen, entscheidenden Fußballspiel überfluten Gruppen von Jugendlichen den Zug. Laut lärmend feiern sie den Sieg ihrer Mannschaft. Einer von ihnen, offenbar der Wortführer, tut sich besonders hervor. Die anderen Mitreisenden schimpfen. Es droht eine Auseinandersetzung mit dem Zugpersonal. Plötzlich aber wird es still im Wagen: Der junge Mann hat ein Kind auf dem Arm und fährt ihm zärtlich mit der Hand über den Kopf. Eine Fa­milie mit einem kleinen Kind war zugestiegen. Es hat die lärmende Menge verwandelt; die Augen des Jungen leuchten, seine Stimme ist nur noch ein Flüstern.

So will auch Gott uns wandeln. Er bedient sich dazu eines kleinen Kindes, das in der Heiligen Nacht geboren wurde. Aber aus dem Kind wird ein Mann werden, der einen klaren Weg weist und um das Vertrauen seiner Mitmenschen wirbt. Mit seinem Leben steht er für sein Wort ein und gibt am Ende sogar dieses Leben hin. Schutzlos, aber entschlossen und freundlich geht er auf die Menschen zu, um sie zu verwandeln.

In der Heiligen Nacht hat das alles seinen Anfang genommen. Wenn es hier im Titusbrief heißt: „Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen!“ dann wissen wir eben: „Christ ist erschienen, uns zu versühnen!“ Bei dem Wort „erschienen“ denken wir sofort an eine Person, an Jesus von Nazareth.

Zu seiner Zeit allerdings dachte man zunächst an jemand anders: Da ließ sich der Kaiser aus Rom plötzlich in irgendeiner Provinz seines Reiches sehen Die Menschen fielen vor ihm nieder und riefen: „Herr, erbarme dich!“ Wie ein Gott wurde der Kaiser Augustus verehrt. Und er fühlte sich auch selber als der Beherrscher der Welt. Dabei war er ein grausamer Gewaltherrscher, der nur durch seine überlegene Militärmacht einen sogenannten „Frieden“ hergestellt hatte. Die Völker und jeder Einzelne mußte sich vor ihm beugen und mit verlogenen Schmeicheleien ihm huldigen. Der Personenkult stand in vollster Blüte.

Aber gerade deswegen hatte ein Kaiser Augustus keine Ahnung, wem die Welt in Wahrheit gehört: Sie gehört ihrem Schöpfer und ihrer Erlöser. Er begibt sich in seine Welt hinein, um ihr eine Bekanntmachung mitzuteilen‚ die die Menschen erleichtern, erfreuen und verändern muß. Er kommt nicht im Triumphzug, aber gerade deshalb umso wirksamer.

Doch da werden wir jetzt fragen: „Wo wird. Jesus Christus denn heute wirksam?“ Still ist es jetzt doch nur in unserer Kirche und in all den anderen Kirchen, wo sie Weihnachten feiern. Aber sonst schimpfen wir laut mit den Kindern, wenn wir unsere Ruhe haben wollen. Wir üben Druck aus, um unsre Wünsche oder die anderer Leute durchzusetzen. Wir machen uns fix und fertig, um besser dazustehen als der Mitschüler oder Kollege. Es gibt viel Unruhe in unserem Leben, die wir auch mit in diesen Gottesdienst hereingebracht haben.

Dennoch lohnt es sich, darüber nachzudenken, inwieweit das Kind in der Krippe uns verändern kann. Wenn in einer Familie ein kleines Kind da ist, dann nehmen alle anderen Rücksicht auf es. Dann kann man nicht mehr so laut sein, wenn das Kleine schläft. Man wird auch auf Manches verzichten müssen, weil das Kind nicht allein gelassen werden darf. So ein kleines Kind kann das Leben und das Zusammenleben einer Familie schon ganz schön verändern und bestimmen.

Und wenn Gott der ganzen Menschheit so ein kleines Kind in die Krippe legt, dann will er damit erreichen, daß die Menschen auch von manchen Dingen Abstand nehmen. Wir könnten etwa an Silvester etwas weniger lautstark und aufwendig sein, so daß kein Nachbar gestört wird. Oder wir könnten uns vornehmen, nichts mehr mit halbem Herzen zu tun, nur weil wir die Ungnade eines Menschen nicht herausfordern wollen.

In der damaligen DDR wurden von den Schülern verlangt, daß sie den Text der Internationale auswendig lernen und zu Papier bringen. Aber christliche Kinder wollten den zweiten Vers

nicht schreiben, weil es da heißt: „Uns rettet kein höheres Wesen, nicht Gott, nicht Kaiser und Tribun!“ Sie haben den Vers geschrieben, um zu zeigen, daß sie ihn gelernt hatten. Aber sie haben das „k“ eingeklammert, so daß es jetzt hieß: „Uns rettet ein höheres Wesen“. Damit haben sie deutlich gemacht, daß der eigentliche Text nicht ihre persönliche Meinung ist. Sie haben deswegen eine schlechtere Note gekriegt, wurden sogar aus der Klasse herausgeholt und im Lehrerzimmer vom Parteisekretär verhört und gerügt.

Solche pädagogischen Entgleisungen waren damals die Regel. Aber auf der anderen Seite konnte die christliche Gemeinde nur stolz sein auf diese jungen Christen, die es so ernst genommen haben mit ihrem Glauben. Sie hätten ja auch denken können: „Wie es in mir drinnen aussieht, geht niemand was an!“ Aber sie meinten, selbst in der Schule einen atheistischen Text nicht ohne Kommentar zitieren zu sollen.

Der Titusbrief fordert uns auf, das „ungöttliche Wesen“ zu verleugnen. Damit ist das Böse in uns selber gemeint, aber auch der Atheismus, der von außen auf uns eindringt. Danach haben jene Konfirmanden gehandelt. Sie haben auch in der Schule das Recht beansprucht, sich zu einem religiösen, Glauben zu bekennen. Dieses Bekenntnis wird eine große Stärkung ihres Glaubens bedeuten, auch wenn sie dafür Nachteile einstecken mußten.

Aber sie dürfen sicher sein: Jesus Christus ist bei ihnen! Die Gnade Gottes wird nicht mehr - wie im Alten Testament - nur angekündigt, sondern sie ist erschienen. Zunächst wird noch nicht viel geredet, so ein kleines Kind kann zunächst nur schreien. Aber es ist schon da, das ist die Hauptsache. Gott verläßt seine himmlische Seligkeit, seine Sicherheit und Ruhe, und lebt unser Leben.

Jetzt ist er bei allen Menschen. Er ist bei denen, die heute Abend hier im Gottesdienst sind. Und er ist bei denen, die Weihnachten noch ohne ihn feiern. Er hat sich für alle gegeben. Das geschah an Weihnachten. Da macht er deutlich: „Nichts Menschliches ist mir mehr fremd. Ich teile eure Freuden. Ich kenne das, was euch Kummer macht. Ihr habt nicht einen Gott, der sich das Leben der Menschen nur von ferne anschaut, sondern ich bin bei euch!“

Aber er hat sich auch an Karfreitag für uns gegeben. Auch daran müssen wir heute denken, denn nur so wird deutlich, weshalb das Wunder der Menschwerdung geschehen ist. Die Menschwerdung war für ihn fürwahr kein Vergnügungsausflug. Vielmehr wurde die Feindschaft mancher Menschen gegen ihn erst deutlich, wo er in ihrer Mitte erscheint. Sie wollen weiterhin das alleine beheben, was den Menschen bange macht; aber in Wahrheit vergrößern sie nur die Angst und das Leiden der Menschen.

Gott wurde Mensch in Jesus Christus, damit er sich selbst ein Volk zum Eigentum schuf. Auch die römischen Kaiser wollten sich ein Volk schaffen, das ihren zujubelt und sie wie ein Gott verehrt. Dazu haben sie die äußeren Feinde vernichtet und nach innen Prunk und Macht entfaltet. Jesus geht den anderen Weg der Ärmlichkeit, Ohnmacht und Unscheinbarkeit. Auch bei ihm ging es nicht ohne Blutvergießen ab, aber es wurde sein eigenes Blut vergossen. Er hat sich geopfert, um sich ein Volk zu erwerben.

Wenn wir aber nun einmal Gottes Volk sind, dann gilt es, uns dessen als würdig zu erweisen. Gottes Gnade will uns erziehen, will an uns arbeiten, uns formen und bilden. Gerade weil wir aus Jesus das tiefe Erbarmen Gottes heraus­spüren, gewinnt er unser Herz. Er darf von uns erwarten, daß wir alles Ausgefallene und seelisch Kranke sein lassen und uns um ein zuchtvolles und frommes Leben bemühen.

Damit werden wir an die Pflichten unseres Alltags gewiesen. Das Fest geht einmal vorüber. Aber das Christstein wird ja gerade schwer im Alltag, an der Maschine, am Kochherd, am Ladentisch, im Lastwagen, in der Schule. Heute dürfen wir uns noch einmal die Ruhe des Festes gönnen. Aber Gott ist ja gerade deshalb in diese Welt gekommen, damit sie ganz zum Bereich seines Herrseins und seines Heilandswirkens werde.

Damit soll uns nicht zu all unseren Aufgaben noch eine andere Pflicht auferlegt werden. Es geht nicht um aufsehenerregende Worte und große Aktionen, sondern ums Beten und das Tun des Gerechten, wie es Bonhoeffer gesagt hat. Besonnenheit, das ist eine gute Tugend für Christen. Manchmal wollen wir doch mit dem Kopf durch die Wand, dann wieder ist uns alles egal. Bei Gott aber sind wir dennoch wertgeschätzt, sind in jedem Fall Ziel seiner Liebe. Deshalb brauchen wir weder über die Stränge zu schlagen noch aufzugeben.

Aus dem Glauben und dem Gebet heraus erwachsen uns die Kräfte, die wir für ein sinnvolles Leben und für gute Aktionen brauchen. Wenn wir etwa für ein Kinderkrankenhaus spenden, dann können wir etwas tun, das im Sinne des menschgewordenen Gottes ist. Damit nehmen wir eine Verantwortung wahr, die dem Willen des Gottes entspricht, der einst erneut auf dieser Erde erscheinen wird. Die erste Erscheinung Christi geschah noch in Niedrigkeit und Verhüllung. Die zweite aber wird in Herrlichkeit geschehen. Wer sich heute nicht an seiner Niedrigkeit stößt, wird auch seinen Lichtglanz sehen. Wer aber glaubt‚ der wird euch heute schon etwas vom Lichtglanz Gottes in unserer Welt wahrnehmen und sich selber daran beteiligen, dieses Licht auszubreiten.

 

 

Tit 3, 4 – 71 (1. Christtag):

Eigentlich ist es doch unglaublich, daß Gott ein Mensch werden soll. Unter „Gott“ stellen wir uns doch gerade das Gegenteil vor: Fern von den Menschen in einem Himmel wohnend und von dort aus die Geschicke der Menschen lenkend. Für viele ist Gott der schicksal­spielen­de Scharfrichter. Sie fühlen sich ihm gegenüber völlig unzulänglich und fürchten, eines Tages werde sie die gerechte Strafe ereilen, als Krankheit, als Unfall oder als Schicksalsschlag. Nur durch Geschenke und gute Werke kann man ihn besänftigen. So stellen sich viele Heiden ihren selbstgemachten Gott vor. Aber untergründig steckt dieses Bild auch immer noch in uns drin.

Heute aber hören wir: „Die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes unseres Heilandes ist erschienen!“ Gott ist nicht eine ferne Macht, sondern er ist uns ganz nahe, man kommt leicht an ihn heran und die Leute sind gern um ihn, weil er freundlich ist. Gott verharrt nicht in seiner Unzugänglichkeit und Unsichtbarkeit, sondern er ist menschenfreundlich und umgänglich, so daß man etwas mit ihm anfangen kann.

Gelegentlich kann es einem passieren, daß man zu einer hochgestellten Persönlichkeit vorgeladen wird. Man hat Angst vor der Begegnung und ginge ihr am liebsten aus dem Weg. Zwar hat man sich etwas besser angezogen als sonst, aber dadurch wird die Sache eher noch schwerer. Aber wenn es dann soweit ist und es zu der Begegnung kommt, dann sind wir vielleicht ganz angenehm überrascht. Der gestrenge Herr entpuppt sich als ein Mensch wie andere auch: höflich und verständnisvoll, so daß man sogar Vertrauen zu ihm fassen kann. Erleichtert geht man wieder, es war alles nicht so schlimm.

So geht es uns auch oft mit Gott: Erst erscheint er uns fremd und unnahbar, aber dann ist er doch lieb und freundlich. Spätestens seit Weihnachten wissen wir das. Da ist Gott uns in Jesus ganz nahe gekommen. Jesus ist das menschliche Antlitz Gottes. In einer Haltung schöpferischer Liebe wendet er sich jedem zu. Keiner ist ausgeschlossen. Keiner braucht sich übergangen zu fühlen.

Das wird vielleicht besonders deutlich an einem Ereignis aus dem Leben des erwachsenen Jesus: Er zieht in die Stadt Jericho ein und sagt zu dem Zöllner Zachäus: „Ich muß heute bei dir einkehren!“ Dieser Mann war von allen gehaßt und verachtet. Er hatte keine Freunde und wurde von allen gemieden. Er war grenzenlos einsam und allein.

Doch Jesus kennt die Lage dieses Mannes. Er weiß, wie es ist, wenn man von allen ausgestoßen wird. Er hat es ja selber erlebt, als er in die Welt geboren wurde. Deshalb kümmert er sich nun auch um diesen Zachäus, ist freundlich zu ihm und tut ihm die große Ehre an, in sein Haus zu gehen.

Jesus paßte nicht so recht in diese Welt hinein. Die Menschen waren sich einig in der Abneigung gegen ihn. Doch dann war es, wie wenn eine Tür aufgeht und gerade der trat herein, über den, sie gelästert haben. Sofort verstummt das Gespräch, sie sind nicht mehr unter sich. Doch Jesus kommt in Güte und Menschenfreundlichkeit. Keiner muß erschreckt zusammenfahren, wird überrumpelt oder unterworfen. Er kann es in seiner Liebe nicht unterlassen, sich um uns zu bemühen. Ohne daß er aufhörte Gott zu sein, kommt er doch ganz menschlich zu uns. Dieses Kind in der Krippe ist doch so richtig zum Liebhaben. Später ist er ein Mensch unter Menschen und sucht nicht das Seine, sondern die Menschen.

 Aber wir fragen, vielleicht: „Wo ist denn heute dieser freundliche Gott zu finden?“ Da gilt auch heute: In Jesus ist er für uns erschienen. Und er zeigt sich auch heute noch in den Menschen, die zu ihm gehören. Man erkennt sie daran, daß sie den anderen Menschen freundlich begegnen und ein Abbild ihres Gottes sein wollen.

Es ist nicht die Freundlichkeit, bei der man dem anderen ins Gesicht lacht, ihm aber gleichzeitig ein Bein stellt. Es ist auch nicht die dienstliche Freundlichkeit eines Verkäufers, der mich bei Laune halten will. Vielmehr ist es eine Freundlichkeit, die entgegenkommend und einfühl­sam ist, interessiert und geduldig; und sie verweilt lange bei dem Menschen, den sie anblickt, und sie nimmt ihn an, trotz aller Schwächen.

Bei den Menschen, die nichts von Gott wissen wollen, geht es anders zu. „Einst waren wir un­verständig, ungehorsam, einander hassend!“ steht im Vers vorher. Es ist wirklich so, wie es in dem Lied heißt: „Welt ging verloren, Christ ist geboren! Christ ist erschienen, uns zu ver­süh­nen!“

Auch unsre Gemeinden sind noch weit von dem entfernt, was sie sein müßten. Es geht meist förmlich und höflich zu. Gelegentlich auch einmal herzlich. Aber die Kontakte bleiben ober­flächlich, die Gespräche hängen zwischen Tür und Angel, wir sehen zu, daß wir rasch weiterkommen. Meist wollen wir uns doch auf den anderen nicht richtig einlassen oder uns ernsthaft mit ihm beschäftigen.

Wer aber möchte, daß es anders wird, der sollte sich auf Gott einlassen, der sich an Weihnachten mit den Menschen eingelassen hat. Allerdings ist in diesem Bibelabschnitt gar nicht von Weihnachten die Rede. Er spricht von der Wiedergeburt der Christen, aber nicht von der Geburt Christi. Er paßte vielleicht besser zu Ostern als zu Weihnachten. Doch die Auferstehung Jesu ist wie ein Scheinwerfer, der das ganze vorangegangene Leben Jesu im Licht Gottes erscheinen läßt. Von Ostern her wird klar, daß Gottes Güte und Menschen1iebe mit der Geburt Jesu in Erscheinung getreten ist.

Die Menschenfreundlichkeit Gottes ist nicht von Menschen zu verwirklichen. Es geht nicht darum, daß Sünder sich eines Besseren besinnen und durch eine neue Gewissenhaftigkeit das Neue in Gang bringen. Das neue Leben hat mit der Taufe begonnen. Weihnachten geht alle Menschen an, weil Gott da zu allen Menschen gekommen ist. Aber zu dem einzelnen Menschen kommt Gott in der Taufe. Da hat jeder die Freundlichkeit Gottes zu spüren bekommen. Da hat Gott zu ihm gesagt: „Ich kann ohne dich nicht sein!“ So hat er unser von Gott abgewandtes heilloses Leben an sich gezogen und hat es heil gemacht.

Nun wartet er auf meinen Glauben und weckt ihn. Dabei soll nicht einfach der alte Mensch umfunktioniert werden auf bessere Gedanken und Wünsche, Ziele und Verhaltensweisen, Vielmehr geht es um eine Erneuerung von Grund auf: die Taufe ist eine Neuschöpfung, eine zweite Geburt, das Leben fängt erst richtig an.

Das Christfest könnte ein Anlaß sein für ein Bad der Wiedergeburt und Erneuerung. Das ganze Jahr über kommt man ja doch kaum dazu. Jetzt aber an diesen freien Tagen könnten wir ein Bad nehmen in der Barmherzigkeit Gottes. Das ist gut angesichts der kalten Duschen, denen wir oft genug ausgesetzt sind. An Weihnachten machen wir reinen Tisch. Wir gießen unser Leben durch den reinigenden Filter der Worte Gottes und öffnen uns der Barmherzigkeit Gottes. So werden wir neu.

Es geht dabei nicht nur um eine äußerliche Abwaschung der Sünden. Wasser ist nicht nur zum Waschen da, sondern es erhält auch unser Leben. So soll auch das Wasser der Taufe zur Erquickung und Erneuerung des inneren Menschen dienen. Da erhält man dann auch Antriebskräfte, den allgemeinen Überzeugungen unserer Tage zu widerstehen: dem Hang zur Untreue in der Ehe, zur Selbstbehauptung, zur religiösen Gleichgültigkeit, zur Anpassung an Tagesmeinungen. Wir könnten auch wieder Schwung bekommen, damit der Tag nicht so dahin­läppert, sondern zum Beispiel endlich der Brief geschrieben wird und der Besuch gemacht wird.

Dabei dürfen wir nicht vergessen: Das eigentliche Weihnachtsgeschenk ist der Sohn Gottes. Von daher ergibt sich erst, daß auch wir Menschen untereinander Geschenke austausehen. Der Unterschied ist nur: Gott schenkt uns keine vergänglichen Gegenstände, sondern er schenkt sich selbst. Wir brauchen ihm auch nichts wiederzuschenken. Wir könnten es ja auch gar nicht, weil wir dem Geschenk Gottes nichts Gleichwertiges entgegensetzen können. Wir können ihm nur eins geben: ein Herz, das ihm vertraut und sich immer wieder von ihm er­neuern läßt, und dazu eine Liebe, die dem Bruder hilft und ihn nicht vergißt.

Doch dieses Schenken ist nicht an Weihnachten gebunden. Das ganze Jahr über ist Zeit zum Schenken. Allerdings sollten wir echt schenken und nicht nur einer Pflicht nachkommen oder gar etwas verdecken wollen. So machte es jener Mann, der seiner Frau immer wieder viele gute Sachen schenkte. An Heiligabend brachte er sogar teuren Schmuck. Aber am Tag darauf erfuhr die Frau, daß er sie seit einem Jahr mit einer anderen betrügt. Wenn er ihr nur nichts von all dem äußerlichen Kram geschenkt hätte. Zum Heiligen Abend hätte viel besser gepaßt, wenn er ihr die Treue gehalten hätte.

Wer an Gottes Menschenfreundlichkeit glaubt, der sollte auch diese Freundlichkeit im Verhältnis zwischen Mensch und Mensch nachbilden. Wie soll denn ein anderer auf Gott vertrauen können, wenn er nirgendwo etwas von der Freundlichkeit dieses Gottes erfahren

kann? Er soll doch an den Christen sehen, welchen Gott sie haben. Hier werden wir oft schuldig und versagen.

Bei dem „Fest des Friedens“ geht es nicht nur um den Frieden unter den Völkern. Vielmehr geht es um den Frieden, den Gott mit allen Menschen geschlossen hat. Dazu hat er seinen Sohn in die Welt kommen lassen, dazu hat er uns getauft, damit unser Leben neu werden kann. Frieden können wir nur haben, wenn     wir Gott zu uns kommen lassen. Gott hat Frieden mit uns gemacht. Haben wir auch Frieden mit        I H M ?

 

 

 

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